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JAHRESBERICHT
über die
Fortschritte der klassischen
Altertumswissenschaft
begründet von
Conrad Bursian
herausgegeben von
W. Kroll.
Hundertdrciunddreißigster Band.
Fünfunddreißigster Jahrgang 1907.
Erste Abteilang.
GRIECHISCHE AUTOREN.
LEIPZIG 1907.
O. R. REISLAND.
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Altenburg
Pierersche Hofbuchdruckeroi
Stephan Geil>«l & Co.
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Inhaltsverzeichnis
des hundertdreiunddreißigsten Bandes.
Seite
Jahresbericht über die Literatur zu den attischen Rednern
aus den Jahren 1886—1904. Von Kurt Em-
minger in München 1 — 108
Jahresbericht über die griechischen Lyriker (mit Ausnahme
Pindars), die Bukoliker und die Epigrammsamm-
lungen für 1898—1906. Von J. Sitzlcr in Frei-
burg i. Br 104—822
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Bericht Ober die Literatur zu den attischen Rednern aus
den Jahren 1886—1904.
Von
Kurt Eraminger in München.
Erster Teil.
(Allgemeines. Von Gorgias bis zu Lysias*).)
Bei dem Bericht über einen Zeitraum von fast zwanzig Jahren mußte
ich mich natürlich im allgemeinen großer Kürze befleißigen; Ungleichmäßig-
keit war unvermeidlich.
Von der erschienenen Literatur hoffe ich nicht viel übersehen zu
haben; Autoren, die sich nicht genannt finden, verpflichten mich zu Dank»
wenn sie durch Zusendung ihrer Arbeiten, besonders der in Zeitschriften
versteckten Artikel, oder — noch lieber — kurzer Inhaltsangaben für
einen Nachtrag gelegentlich der zweiten Hälfte des Berichtes die Voll-
ständigkeit fördern.
Ebenso erbitte ich mir Dissertationen, Programme und andere Ab-
handlungen, die sich auf die noch nicht besprochenen Redner beziehen,
oder — besser — kurze Skizzen davon, welche besonders ersehen lassen,
was der Verfasser zeigen wollte und welche neuen Ideen er
ans Tageslicht förderte.
Das war auch im folgenden mein Hauptbestreben, die Intentionen
der Autoren herauszuheben. Bei der zeitlichen Ausdehnung des Berichtes
erschien es mir das einzig Angezeigte, mich ganz auf den referierenden
Stand pu nkt zu stellen: daher auch häufige wörtliche Zitate. — Die Artikel
in PauIy-Wi88owas Realenzyklopädie sind nicht berücksichtigt. — Ber.
mit dem Namen des Berichterstatters bezieht sich auf diese Jahresberichte.
Die sonstigen Abkürzungen sind die hier üblichen. —
I. Zu allen Rednern.
Bei irgendwelchen auf die attischen Redner bezüglichen Fragen
wird sich , soweit dieselben nicht ganz spezielle sind , ein Blick in
die Grammatik, Rhetorik und Literaturgeschichte verlohnen.
*) Der erste Teil des Rednerberichtes — von Gorgias bis zu Lysias
einschließlich, entsprechend dem 1. Bd. der AB von Blaß — ist seit
Weihnachten 1905 in Händen der Redaktion bzw. Druckerei.
Jahresbericht für Altertumswissenschaft, Bd. CXXXIII. (1907. I.) 1
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I
2 Bericht Uber die Literatur zu den attischen Rednern
Berichte hierüber finden sich:
1. zur griech. Grammatik: für die Literatur von 1890 — 1908 von
E. Schwyzer, im 120. Band XXXII = 1904, S. 1—152;
2. zur Rhetorik: von Hammer, im 62. Band XVIII — 1890 S. 45
bis 106, hier von Interesse 8. 45—64; im 83. Band XXIII _ 1895 S. 108
bis 180; für die Literatur von 1894—1900 von Lehnert, im 125. Band
XXXIII = 1905 S. 86—165;
3. zur griech. Literaturgeschichte: von Haeberlin, über die
Jahre 1879—1893 im 85. Band XXIII = 1895 S. 39—142, über die Jahre
1894-1899 im 106. Band XXVIII = 1900 S. 234—289, besonders 8. 264
bis 269.
Desgleichen wird für die sachliche Seite im allgemeinen auf die
Berichte zur Geschichte, zu den Altertümern und zu den Inschriften
verwiesen.
Ausgaben. Text.
1. * R. Jebb, selections from Antiphon, Andokides, Lysias,
Isokrates and Isaios. New edition. London 1888. —
[Rez.: CR III — 1889, S. 406/8, Sandys.]
2. * L. Bodin, extraits des orateurs Attiques, texte grec,
publik avec une introduction , des öclaircissements historiques, an
index et des notes. Paris 1. tirage 1899, 3. tirage revue 1903. —
[Rez. : RPh XXIII, S. 95 Haussoullier.]
3. * A. P. Lemercier, extraits des orateurs Attiques, Lysias
Isocrate Eschine Hypöride; nouv. gdit. suivie d'un appendice et con-
tenant des notes historiques phüologiques et litteraires. Paris 1900. —
[Rez.: BBP V «= 1901, S. 291 Mallinger.]
4. * J. H. Th. Hemstege, Attische Redenaars, eerste deel.
Antiphon, Lysias en Isaeus. Kerkrade-Heerlen 1901. —
[Rez.: RJP XLV = 1902, S. 335t.]
5. * F. Dürrbach, extraits des orateurs Attiques, Lysias
Isocrate Eschine Hyperide. Texte grec avec une introduction, des
notices et des notes. Paris.
6. K. Boekmeijer, adnotationes criticae in orat. Atticos.
Diss. Groningae 1895. —
[Rez.: BphW XVI = 1896, Sp. 577 ff. Thalheim.]
Eine Gesamtausgabe der Redner ist in der Berichtszeit nicht er-
schienen. Nur zu verzeichnen sind die im Ausland erschienenen
Auswahlausgaben von:
Jebb (1) — Druckfehler- und methodische Verbesserungen
zu der Schulausgabe gibt die Besprechung von Sandys —
Bodin (2) — von Interesse mag die beigegebene Faksimile-
seite eines Hypereidespapyrus sein —
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aus den Jahren 1886—1904. (Emmingen)
3
Lemercier (3) — Teubner-Text, erwähnenswert vergleichende
Hinweise auf andere antike and moderne Schriftsteller —
Hem Stege (4) — Text für die antiphontischen und 9 lysianische
Reden nach v. Herwerden, für Isaios nach Nassau-Noordewier.
Kritische Bemerkungen zu folgenden Rednern: Antiph., Gorgias,
Isaios, Lysias, Demosth. , Aisehin., Deinarch., Demad. , Lykurg.,
Andok., Hypereides gibt
Boekmeijer (6). S. die einzelnen unten. Nach Thal-
heim (Rez.) sind die Vorschläge teils billigenswert, teils beachtbar,
teils verfehlt oder überflüssig.
Lexikalisches.
7. J. Th. Weiert, zur Geschichte der attischen Prosa des
V. Jahrh. vor Chr. in FO X 1896 S. 21—48 (russisch).
8. Joh. Schmid, de conviciis a X oratoribus Atticis usur-
patis. Prgr. Amberg I 1895; II 1899.
9. C. Brandstaetter, de notionum uomtixo? et soyizzffi usu
rhetorico. Leipz. St. XV 1894, p. 129—274.
10. K. Koch, quae fuerit ante Socratem vocabuli apetr, notio.
Diss. Jena 1900.
11. * H. J. Flips e, de vocis quae est ^670? significatione atquc
usu. Diss. Leyden 1902. —
[Rez.: BphW XXII 1902, Sp. 1429/32 Schmekel.]
12. Joh. Jobst, de vocabulorum iudiciariorum , quae in ora-
toribus Atticis inveniuntur, usu et vi. Diss. München 1902.
13. Konr. Schodorf, Beiträge zur genaueren Kenntnis der
attischen Gerichtssprache aus den zehn Rednern, in: Beitr. zur hist.
Synt. der griech. Spr., herausgeg. von M. v. Schanz, Heft 17.
Würzburg 1905.
14. Mich. Rost, de vocibus quibusdam publici iuris Attici
(diroxeipoTovia, Siar/eipotovia . l-t/stpo-ovia . xataysipoTovia , rpoxei-
poxovia). Prgr. München 1905.
Zusammenstellungen über die Entwicklung der attischen Prosa
in dem Sinne der sxJ.o^ &vo(iaTa>v während des 5. Jahrhunderts
bietet Weiert (7) * ). Die Arbeit bringt demnach auch nur für
•) Über dor. u. jon. Formen u. Wörter bei d. Trag. u. alt. Redn. vgl.
Rogers, AJPh 25, S. 285 ff.
1*
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4
Bericht über die Literatur zu den attischen Rednern
Gorgias, den „Sophisten" Antiphon und Alkidamas hier Einschlägiges,
hauptsächlich im dritten Teil. Zweckdienliche Bemerkungen finden sich
auch zerstreut für Isokrates, Andokides und Lysias, zumeist freilich,
wie es scheint, nach Blaß. Jedesmal werden die von dem betreffenden
Schriftsteller neu gebrauchten oder nicht attischen von ihm verwendeten
Wörter zusammengestellt. —
Zwei in erster Linie philosophische Begriffe, dpct^ und X&j-os,
werden lexikalisch behandelt von Koch (10) und Flipse(ll). Da
Koch nur bis Sokrates heruntergeht, kommt er hier nur für die
sophistischen Anfange der attischen Beredsamkeit in Betracht. Die
Untersuchung schwankt zwischen der Entwicklungsgeschichte eines
. Atpenq-Begriffes und des Wortes dperq. Bei den in Frage kommenden
Sophisten ist das Wort auf der zweiten Stufe, der notio politica et
vulgaris, angelangt; diese Bedeutung unterscheidet sich von der
früheren notio epica zunächst dadurch, daß letztere einen Zustand,
erstere vorwiegend eine Fähigkeit ausdrückt, dann aber durch die
Beziehung des früheren Gebrauches auf Körper und Geist, des nun-
mehrigen fast ausschließlich auf den Geist allein. Beiden gegenüber
steht die dritte Stufe der notio philosophica. — Flipses Abhand-
lung zerfällt in drei Abschnitte ; der erste , längste , gibt in acht
Kapiteln die Bedeutungsgeschichte von und seinen Ableitungen
von Homer bis Philo; die mannigfachen Bedeutungen werden aus
den Literaturdenkmälern dargestellt und aus den Grundbedeutungen
ratio und oratio abgeleitet. Vom Vorkommen bei den Rednern
Antiph., Andok., Lysias, Isokr. , Gorgias, Antisth. , Alkid. handelt
das fünfte, von Demosth. und den ihm zeitgenössischen Rednern das
siebente Kapitel; der Verfasser geht dabei auf alle wichtigeren
Stellen ein.
Eine Vorarbeit zu einem lexicon technologicum der griechischen
Rhetoren gibt Brandstaetter (9) in seiner Untersuchung von
iroXraxoc und öocpiarr^. Er beginnt in beiden Abschnitten mit Be-
deutung und Gebrauch dieser Wörter bei Isokrates ; außerdem findet
von den zehn Rednern noch xDemosthenes besondere Beachtung.
Wörter aus der Gerichtssprache der attischen Redner sammeln,
gruppieren und untersuchen historisch die Abhandlungen von Jobst (lg)
und Schodorf (13). Jobst will eis vocabulis animum advertere,
quae non usurpantur nisi in foro et eis, quae in sermone iudiciali
notionem ac vim sibi asciscunt alienam ab ea, quam in aliis dicendi
generibus, quae vocant /.6700c aufißou/vSOTixo'j; et iriSeixtixooc , sibi
yindicant. Dazu verfolgt er die Vorgänge vor Gericht, zählt die
einschlägigen termini technici auf und belegt sie mit Stellen , die
1
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aus den Jahren 1886—1904. (Emminger.) 5
zuweilen auch besprochen und erklärt werden. Einen Index , der
bei Jobst vermißt wird, bietet die das gleiche Thema behandelnde
Arbeit Schodorfs, die ohne Kenntnis von Jobsts Dissertation
abgefaßt ist. Sch. nimmt als Hauptdispositionsgrund die verschiedenen
Rechtsverhältnisse und gibt hierzu die jeweilige Terminologie. —
Beide Arbeiten gehören dem Grenzgebiet zwischen „Altertümern"
und „Rednern" an, so daß sie auch zur sachlichen Erklärung der
Redner werden mit Nutzen herangezogen werden können, umgekehrt
wie sie serbst die Redner mehr als Quelle denn als Ziel betrachten. —
Rost (14) untersucht das Vorkommen der Zusammensetzungen mit
yeipoTOvetv, wobei atac-, 5ict% im-, xa-axetpotoveiv keine Schwierig-
keiten bieten; rpoysipotovta dagegen muß an verschiedenen Stellen
verschiedene Bedeutung haben, teils = irpoTepa ystpo-covfa, teils =
Vorfrage. Belege bietet vor allem Demosthenes.
Nicht nur aufzählen und gruppieren will
Schmid (8) die von den zehn Rednern gebrauchten Schimpf-
wörter, er will auch versuchen, daraus Schlüsse sowohl auf Echtheit
oder Unechtheit einer Rede sowie auf den Charakter des Redners
zu ziehen. Antiphon gebraucht convicia nur sparsam — ebenso die
Tetralogien. Bei Andokides kommen II und III als deliberative
Reden nicht in Betracht; in I sind ebenso wie in IV Schmähworte
häufiger und besonders schwerer als bei Antiphon. Letzterem da-
gegen ähnlich im spärlichen Gebrauch derselben ist Lysias — ihm
fehlt eben der ardor animi! Bei Isokrates steht natürlich die
Schüchternheit und Urbanität dem häufigen Gebrauch scharfer Aus-
drücke im Wege ; für ihn auffallend ist schon XVII , 8 — doch
das ist Recht der Gerichtsrede*). Wie dieses sein Vorbild Isokr.
gebraucht auch Lykurg fast keine wahren, schwereren convicia.
Hypereides hat, in den erhaltenen Reden wenigstens, nur sehr mäßig
schmähende Worte angewandt, wenn aber, dann sehr passende!
Isaios ist fast stets einfach und natürlich. Demosthenis orationes
redundant convieiis: doch wird in den Staatsreden mehr in Metaphern,
in den Privatreden mehr in den gewöhnlichen Ausdrücken ge-
schimpft**). Aischines vollends findet kein Maß, auch steigt er viel
*) S. 13 Note 3 gibt Sch. gelegentlich eine Zusammenstellung der
allocutiones, deren der Trapezitikos ebenfalls auffallend viel mehr als die
andern Reden autweist. — Dafür vgl. bes. C. J. Rockel, de allocutionis usu
qualig sit apud Thucy didem Xenophontem oratoresAtticos etc. Königs-
berg 1884.
**) Die convicia sind auch Kriterium für die Echtheit von Reden S.
bei Demosthenes.
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Bericht Uber die Literatur zu den attischen Rednern
häufiger als Deraosthenes zu Verleumdungen herab. Demosthenes
hat auch hier eine gewisse Kraft in sich , Aischines affektiert sie.
Mit Aischines hat Deinarchos viel gemein, unterscheidet sich jedoch
von ihm und Demosthenes zu seinem Vorteil dadurch, daß er es
unterläßt das Privatleben des Gegners mit Schmähungen anzugreifen,
und daß er auch vor Unanständigem sich hütet*).
Zur Grammatik der Redner.
1886.
15. P. P o 1 a c k , de enuntiatorum interrogativorum apud Antiph.
et Andoc. usu. Diss. Halle.
1887.
16. * L. Egger, die Parenthese bei den attischen Rednern
(von Antiphon bis Demosthenes). Wien, in: Mittelschule 1. Heft,
S. 22—32. —
[Rez.: WklPh V = 1888 Sp. 456 Hergel.]
17. J. Zycha, zum Gebrauch von Tztpi bei den Histor. u.
Rednern. 23. Jhrber. des Leopoldstädt. Gymn. in Wien.
18. L. Lutz, die Präpositionen bei d. att. Redn. Ein Beitr.
z. histor. Gramm, d. griech. Spr. Prgr. Neustadt a. H.
1888.
19. L. G r ü n e n w al d , der freie formelhafte Infin. d. Limitation
im Griech. Würzburg.
[== Schanz Beitr. Heft 6.]
20. Fr. Birk lein, Entwicklungsgesch. des Substantiv. Infinit.
Würzburg.
[= Schanz Beitr. Heft 7.]
21. E. R. Schulze, de figurae etymologicae apud or. Att. usu,
in: Comment. in honorem Ribbeckii. Leipzig. S. 155 — 171.
* 1889.
22. N. S j ö s t r a n d , de oratorum Att. in oratione obliqua tem-
porum ac modorum usu. Comment. ex actis universit. Lundensis
seors. expr. Lund. —
[Rez.: BphW XI 1891 Sp. 1361 Thalheim ]
23. E. C. Marchan t, the agent in the Attic or. CR UI 1889
S. 250 a — 251b und S. 436 a — 489 b.
24. E. R. Schulze, quaestiunculae grammaticae ad or. Att.
spectantes. Prgr. Bautzen.
*) Zu den „Schmähungen" vgl. auch J. Bruns (71).
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7
1890.
25. A. Gentsch. de ennntiatorttin condicion. apud Antipa..
Andoc. Lysiam formis et äs«, in: Ccmment. piuI L Jeneas. IV =
1890. S. 211—310.
26 H. Kallenberg, der Artikel bei Kimen Ton Lindern.
Städten and Meeren in der gr. Prosa. Ph. IL 1890 = NF. III,
S. 515— 547.
27. E» K alink*, de usu conhinct. qaarundam apad Script.
Attic. antiquissimos. in: Dissen, philol. Vindob. U. S. 145—212.
1891.
28. J. R. Wheeler. the partieipial eonstroction with Tvrx*w
md xo&eIv, in: Harvard stodies in dass. philology II. S. 143—157.
Boston.
29. CaroL Schmidt, de usa partic. -es earumque. quae cum
rot compositae sunt apod or. Attic. Bisa. Rostock.
30. L. Lötz, die Casusadrerbien bei den att. Rednern. Ein
Beitr. zur histor. Gramm, der griech. Sprache. Prgr. Neu. Gymn.
Würz bürg. —
[Bez.: BphW XII = 1892 Sp. 43 Stolz.]
1892.
31. * L. Egger, aber den Gebrauch der Parenthese bei Aichines»
Lyk., Dein, im Vergleich mit den andern att. Rednern. Prgr. Wien.
32. J. H. T. Main, locatire expressions in the Attic or.
Dks. Johns Hopkins Univ. Baltimore.
1893.
33. A. Dyroff , Geschichte des Pron. reflexivom [1. Abteil. Von
Homer bis zur att. Prosa 1892], 2. Abteü. Die att. Prosa and Schlaft-
ergebnisse. 1893.
[= Schanz Beitr. HH. 9 u. 10 ]
34. J. Eibel, de vocativi usn apod X or. Att. Prgr. Würzburg.
35. 0. Schwab, historische Syntax der griech. Komparation
io der klass. Lit. 3 HH. 1893-1895.
[= Schanz Beitr. HH. 11—13.]
36. C. W. E. Miller, the Hmitation of the imperative in the
Attic orators. Johns Hopkins Univ. Circ XII (Nr. 102, Jan. 1903)
Baltimore.
1896.
37. W. A. Eckels, Ära in the orators with special reference
to Isocrates.
[= Nr. 16 auf p. XXXV der proceedings for Jnly = appendix der
TrAPhA XXVII]
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8
Bericht Uber die Literatur zu den attischen Rednern
38. R. S. Radford, Personifikation and the use of abstract
subjects in the Att. or. and Thukydides I. Diss. Johns Hopkins
Univ. Baltimore. —
[Rez. z. B.: BphW XXIII = 1903, Sp. 1093 Fuhr.]
39. W. A. Eckels, &ax& as an index of style in the orators.
Diss. Johns Hopkins Univ. Baltimore. —
[Rez. z. B.: WklPh XX = 1903, Sp. 822 Sitzler.]
1902.
40. K. Fuhr, Besprechung des Vorhergehenden BphW XXII
= 1902 Sp. 870—874.
41. A. Fuchs, die Temporalsätze mit den Konjunkt. „bis" und
„solange alsw.
[= Schanz Beitr. H. 14*).]
Ich beginne mit der Formenlehre, liier ist zunächst das
vierte Kapitel von S c h u 1 z e s (24) quaestiunculae einschlägig : (quem-
admodum oratores Attici comparativos in — ttov cadentes decli-
naverint). Nach Meisterhans (Gr. d. A. J.) finden sich im Zeit-
raum 440—410 in den Inschriften fast nur die kürzeren Formen :
wie steht es bei Antiphon, Andokides, Lysias? Andok. gebraucht
die längeren Formen nicht, ebensowenig Lysias, außer in der
XIX. Rede: hier sei dementsprechend XIX 37 iXarcco av**) mit
Sauppe und Rauchenstein zu schreiben, ebenso XIX 15 ßeXtito***)
und XIX 35 7rX£ovf) zu ändern. Anthiphon, „ut qui multa mira
habeat", hat beide Fonnen. — Isokrates liebt die kürzeren Formen;
bei seiner anerkannten Sorgfalt in Ausarbeitung seiner Reden seien
wohl an den übrigen Stellen, wo die längeren Formen noch stehen,
die kürzeren herzustellen. Isaios hat beide — hier dürfe man wohl
nicht ändern, nachdem auch Demosthenes beide zugelassen. Wollte
man bei diesem selbst für die aufgelösten Formen die zusammen-
gezogenen herstellen, entstünde häufig Hiatus; nicht gebraucht werden
die aufgelösten Formen im nom. plur. gen. masc. — Hypereides
wiederum scheint die längern Formen nicht gebraucht zu haben. Bei
Lykurg, Aischines und Deinarch erscheinen etwa die gleichen Ver-
hältnisse wie bei Demosthenes.
Derselbe Schulze (24) untersucht ziemlich ausführlich im
*) Diesem Heft von Schanz Beitr. ist ein Prospekt über die
HH. 1 — 13 mit Rezensionenverz. beigefügt.
••) Thalheim ed. O.tyn* dfv.
•••) So auch Th.
t) Th. nXdv.
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aus den Jahren 1886—1904. (Emmingen)
0
ersten Kapitel der quaestiunculae , quae fuerit oratorum Atticorum
consuetudo in ponendis adiedivis verbalibus secundis (auf — reo?).
Nirgends, am wenigsten aber bei den älteren Rednern, sind sie
häufig gebraucht; merkwürdig ist, daß sie auch von seltneren Verben
gebildet werden. Von allen bei den or. Att. sich findenden Verbal-
adjektiven gibt Sch. ein Verzeichnis. — Sowohl die persönliche wie
die anpersönliche Konstruktion findet sich bei den Rednern, letztere
jedoch nicht in Plural (wie häufig bei Thukydides). Es werden
sodann sechs Spezialfälle untersucht: A) Alle Redner mit Aus-
nahme von Lysias und Lykurg lassen hxtv auch aus, tun es aber
lieber bei der unpersönlichen als bei der persönlichen Konstruktion.
B) Andere Formen von efvai können nicht fehlen, außer wenn das
adi. verb. die Stelle eines part. vertritt. C) Auch zwei und drei
Verbaladj. werden verbunden. D) Gegen Kühner und Krüger, welche
meinen , die persönliche Konstruktion werde dann angewandt , wenn
das Subjekt besonders betont werden solle , stellt Sch. für die
attischen Redner acht Fälle auf, in denen die unpersönliche Kon-
struktion nötig ist. £) Die Kopula steht meist nach der Negation
vor dem adi. verb. F) Die Person , welche die im adi. verb. aus-
gedrückte Handlung zu tun hat, steht nur bei besonderem Grund,
z. B. Häufung von Dat., im Akkus., sonst immer im Dat.
Von Dyroffs (33) Geschichte des Pronomen reflexivttm kommt
hier aus der zweiten Abteilung Kap. VIII (= S. 38—76) und das
abschließende Kap. X (S. 110—186*) in betracht. Die Abhandlung
gibt sowohl zur Textkonstitution wie für Echtheitsfragen interessante
Beobachtungen und Beiträge; so weisen z. B. (S. 37) die Tetralogien
von den zusammengerückten Formen des Reflex, im Plur. nicht nur
den Gen., wie Antiphon, sondern auch den Akkus, auf; und über die
vierte Rede des Andokides sagt D. selbst (S. 42): „Daß &ai>T<j> für
ot und aoTwv einmal für a»kwv steht, dient im Zusammen-
halt mit anderen Gründen zur Charakteristik der unechten Rede **)u.
Natürlich steht im Vordergrund die sprachgeschichtliche Entwicklung
des Pronomens innerhalb der Dekas und der einzelnen Redner.
Hier mag das zweite Kapitel von Schulzes (24) quaestiunculae
eingereiht sein, das dem Pronomen ofo? bezw. oio? ts bei den att.
Rednern sechs Abschnitte widmet. Beispielsweise hebe ich davon
*) Besonders S. 128, 134 f., 139 f., 144 f., 147, 152 f., 155-159, 176.
*•) Es kommt mir bei Zitierung solcher grammatischer Arbeiten,
namentlich aus der Sammlung von Schanz, vor allem darauf an auf sie
hinzuweisen und an Beispielen zu zeigen, wie nützlich sie auch für das
Studium der Redner unter Umständen sein können.
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10
Bericht Uber die Literatur zu den attischen Rednern
heraus: (B) elvai steht vor der Formel nur zweimal bei Isokrates
(IV, 180 und XI, 16) und: (F) in den vielen Fällen, in denen
otfc te als Adjektiv gebraucht wird, steht — von einigen Fällen bei
Demosthenes abgesehen — bei der persönlichen Konstruktion immer
eine Form von slvat oder Yfyvsa&at, bei der unpersönlichen nur dann
nicht notwendig, wenn die dritte pers. sing, verlangt ist.
Hier Einschlägiges bringt auch das dritte Kapitel von Eckels
(39) Dissertation, s. unten S. 12.
Das dritte Kapitel der mehrfach genannten Abhandlung
Schulzes (24) ist dem Verbum gewidmet: (quem admodum orat.-
Attici eÖr^xct et eScoxa pluraliter declinarint). Die Analogieformen
(1. Aor.) sind Eigentümlichkeit wie der jüngeren Inschriften, so der
jüngeren Redner etwa von 339 an, dementsprechend bei Andok. III,
34 und Antiph. V, 77 die älteren Formen herzustellen, bezw. zu
korrigieren.
Zu den Partikeln übergehend, erwähne ich zuerst die Dissertation
von Main (32). Sie bringt im ersten Teil eine vollkommene
Statistik der als Ortsadverbien verwendeten Eigennamen, und zwar
Adverbien mit den Endungen -dev, -8e, -Cs ; -aot ; -ot, und Dative
als Lokativadverbien (MapaÖwvt) aus allen einzelnen Rednern und
Reden. Beispielsweise sei darauf hingewiesen, daß von den demosthe-
nischen Ortsadverbien mehr als 78°/o auf die bei Blaß als unecht
bezeichneten Reden entfallen. Auf die nach den Rednern angeordnete
Statistik folgt eine zweite, nach den Ortsadverbienjangelegt. Ein zweiter
Teil gibt die näheren Erläuterungen und Untersuchungen zu diesen
statistischen Angaben.
In weiterer Ausführung seiner Dissertation von 1883*) unter-
sucht Lutz (18) die Präpositionen bei den attischen Rednern. Ergänzt
wird dieses Programm durch ein folgendes über die Kasusadverbien (30).
In beiden Schriften erhalten wir Zusammenstellungen und zusammen-
fassende Bemerkungen über Bedeutung, Vorkommen und Gebrauch
bei den einzelnen Rednern. Der Schlüsse aus seinem Material, z. B.
auf Charakterisierung der einzelnen Redner, enthält sich der Ver-
fasser im allgemeinen.
Nach einer Einteilung, die für das nicht allzu ausgedehnte Be-
obachtungsfeld allzusehr nur an den Stoff herangetragen anstatt aus
ihm herausgewachsen zu sein scheint, gruppiert Zycha(l7) in sehr
sorgfältiger Arbeit die Verwendungsarten der Präposition irept bei
*) Allgemeine Beobachtungen über die Präpositionen bei den att.
Rednern.
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aus den Jahren 1886—1904. (Emminger.,)
11
Thukydides, Xenoph., Plato und bei den Rednern Lysias, Isokrates,
Isaios, Demosthenes.
Den Gebrauch von vno bezvo. ix mit Gen. beim perf. pass. und
bei entsprechenden intransitiven Verben und des dat. auctoris unter-
sucht Marchant (23). Die Resultate sind etwa folgende: für
Antiphon und Andokides (Inhalt des ersten Artikels): 1. Dinge stehen
mit u7tö\ 2. Bei Personen als Urhebern ist zu unterscheiden: bei
persönlichem Subjekt steht gleichfalls otto* ; bei unpersönlichem Subjekt
steht in 26 Fällen der Dativ, und zwar besonders bei den Verben
irpaYteiv, Xlfeiv und bedeutungsähnlichen ; nur in drei Fällen 6rc6, was
M. als Zeichen von Emphase auffaßt. 3. ix steht identisch mit uiro*
nur bei Antiphon ; sonst ist die Identität nur scheinbar, die Bedeutung
von ex = infolge, entsprechend, gemäß. — Ähnliche, auf alle Redner
aasgedehnte Beobachtungen gibt der zweite Artikel.
Die Untersuchungen zu den Konjunktionen sind ziemlich aus-
giebig*). E. Kaiinka (27) behandelt die Kausal' und Konsekutiv-
Partikeln bei Gorgias, Antiphon, (Thukyd.), (iroXiteia Wb^vaimv),
Andok., (tituli); vergleichsweise werden auch (Herodot), Lysias,
Isokr. , Demosth. , (Xenoph.), (Piaton) herangezogen. Aus diesen
Schriftstellern bringt K. die interessanten Stellen für fdp (einschl.
Verbindungen mit fop wie d/Ai *pcp, xctl fctp), oöv (mit Verbindungen),
Tot'vov — dies letztere erscheint e sermone vulgari receptum, so bei
Andokides und in einigen Reden des Lysias häufig, — 5^ (auch S^ta),
dpa, Toryaptoi und ToqapoÖv. — Die Abhandlung trifft in einigen
Teilen zusammen mit der von
Schmidt (29), welche den Gebrauch der Partikel ts und der
Zusammensetzungen mit toi (toiyopoGv, Toifaptoi, xafroi, uivcot, xoi'vov)
zum Gegenstand hat. Antiphon, der schon früher**) eigens nach
dieser Rücksicht durchforscht worden war, ist hier unberücksichtigt
geblieben; sonst bietet die Dissertation neben geordneter Zusammen-
stellung der einzelnen Fälle, bei denen auf die Überlieferung Rück-
sicht genommen ist, auch gelegentlich Vorschläge zur Textgestaltung
and Hinweis auf Auffälliges.
Über wate handelt, in Ergänzung der von Schwyzer (Ber. 1904
S. 126 f.) mit gebührendem Lob hervorgehobenen Arbeiten von
W. Berdolt, der Schüler Gildersleeves Eckels (37 u. 39); der kurze
Überblick in den TrAPhA gibt zugleich — nur in der Hauptsache
*) Keinen Ertrag für die Redner geben die beiden Aufsätze von
0. Navarre, REA 1904, S. 77/98 und S. 320/28.
*♦) 1877 von Schäfer.
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12 Bericht über die Literatur zu den attischen Rednern
auf Isokrates beschränkt — den Gedankengang des ersten und
Hauptteils der Dissertation (36). Eckels verglich den Gebranch von
Äffte bei Isokr. mit dem anderer Redner, die einzelnen Klassen von
Reden des Isokrates, in diesen Klassen wieder die einzelnen Reden und
in den Reden jeweils wieder die verschiedenen Teile. Es ergaben
sich drei Einteilungspunkte: der Gebrauch der modi, der Gebrauch
oder das Fehlen des Korrelativums und die Häufigkeit des Vor-
kommens im allgemeinen. Nach dem Vorkommen der Konjunktion
stünden sich z. B. Lysias und Isokrates und von Isokr. selbst wieder
Euthyn. und Helen. — ganz verschiedene Schriftsteller bezw. Werke —
nahe ; dagegen gibt ein unseren Erwartungen entsprechendes Resultat
das Verhältnis der Korrelation zu Äffte. Je einfacher die Rede
ihrem Charakter nach, desto weniger waren natürlich die Korrelative
und umgekehrt. Abweichende Zahlen innerhalb der einzelnen Gruppen
lassen sich erklären : z. B. weist der Archidamos relativ wenig Korr.
auf: die -poffeoiroirotfo mochte es so fordero. Der reinsten Gerichts-
rede (Euthyn.), die für den Mangel an Korr. das Extrem ist, steht
unter den Gerichtsreden de bigis gegenüber — in Wahrheit ein
Enkomion*). — In Eckels Diss. folgt sodann Diskussion und
Gruppierung besonderer Fälle des Äffte, als dritter Teil ein Exkurs
über Ausdrücke ähnlicher Bedeutung wie outtuc fati?. totooto? ofo*
usw. (s. oben S. 10). Ein vierter Teil sucht auch die modi im Satz
mit Äffte nach bestimmten Gesichtspunkten zu ordnen und stilistisch
zu verwerten. Äffte bei Demosthenes bildet den Inhalt des letzten
Abschnittes, jedoch mit Beschränkung darauf Belege zu dem bei
anderen Schriftstellern Gefundenen auch aus Demosthenes beizubringen
und zu eruieren, inwieweit der Gebrauch von Äffte zur Entscheidung
über die Echtheit einer Rede mitsprechen kann. — Von besonderem
Werte ist hierzu die Besprechung von Fuhr (40). Er gibt für die
Beobachtung von Gildersleeve und Eckels, daß das stilistisch Wichtige
in der Korrelation liegt, die Erklärung: Die alte Sprache reiht einfach
an ; auch Äffte — und so, itaque ist Anreihung ; so die alten Schrift-
steller. Äffte ist aber auch = wie, dementsprechend auch outwe —
Äffte möglich : daun ist aus der Xe*£tc efpope'vrj eine Periode geworden.
Der angespannte Geist des Redners aber liebt es zusammenzufassen;
so ist es erklärlich, daß die Redner die Korrelation besonders lieben.
Daß also der korrel. Gebrauch das Wichtige ist, ist richtig, daß aber
•) Die Demonicea fällt auf, schon durch die geringe Zahl der Aare gegen-
über II: „the fact perhaps deserves to be considered in connection with
the questions that have been raised as to the genuines« of the work".
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aus den Jahren 1886—1904. (Emminger.)
Eckels nur die Verhältniszahlen zwischen korr. und nichtkorr.
Gebrauch aufgestellt und daraus Schlüsse gezogen hat, ist falsch.
Demzufolge gibt Fuhrs eigene Darstellung für das Verhalten der
Redner in dieser Frage ein einigermaßen anderes Bild*).
Ich gehe über zur Syntax, zunächst des Nomens. Da die
Redner mitbehandelt sind, sei kurz hingewiesen auf
Kallenbergs (26) Abhandlung; K. stellt als Prinzip für die
Setzung des Artikels bei den Namen von Ländern, Städten und
Meeren folgendes auf: Die Wörter x^Pa un(* können nicht wie
iroXtc, ~OT0t}i<Sc, opo? erklärend zu jedem beliebigen Namen treten,
sondern nur zu solchen, die als Adjektiva betrachtet und auch von
uns noch als solche zu erkennen sind. Ausnahmen sind höchst selten
und weisen stets auf Fehler in der Überlieferung hin; demnach ver-
bessert K. z. B. Hypereides III, 36**) u. a.
Die Verbindung eines unpersönlichen Substantivs als Subjekt mit
Verben der Tätigkeit untersucht fürs Griechische — auf die echten ***)
Werke der attischen Redner und Thukydides beschränkt — zum
erstenmal Radford (38). Er gibt die Gesamtzahlen für die ver-
schiedenen Fälle und sucht, soweit möglich, den stilistischen Effekt
dieses Gebrauchs klarzulegen. Dabei unterscheidet er folgende Klassen :
Erster Teil (bis jetzt allein erschienen): 1. Subjekte sind Natur-
gegenstände oder -erscheinungen, in denen die Naturkraft sich wirkend
zeigt (Beispiel Thuk. IV 3, 1). 2. Ausdrücke, die der Sprache einer
bestimmten Menschenklasse oder Geschäftsart angehören (v«5|io? ki^ei).
3. Fälle, in denen die Handlung oder der Zustand von Personen
bewußt unbelebten Dingen zugeschrieben wird — eigentliche Per-
sonifikation. 4. Fälle, in welchen die Rolle einer Person hervor-
stechenden Eigenschaften derselben beigelegt wird — Periphrasis.
Letztere beiden Gruppen gehören eng zusammen und repräsentieren
den rhetorischen Gebrauch der Erscheinung. Der zweite Teil wird
die übrigen Fälle nach Verben ordnen ; er soll zeigen, daß abstrakte
Subjekte ganz gewöhnlich mit gewissen Klassen von Verben verbunden
werden. — Fuhrs zitierte Besprechung in der BphW, die besonders
den Stilunterschied , der sich hierbei zwischen den Tetralogien und
*) Die Tetralogien, Andokides IV u. Lysias Rede gegen Polystratos (XX.)
fallen auf!
**) Mit Cobet streicht er ^ VI., nicht
***) Dabei folgt er Blaß mit einer Ausnahme: den Epitaphios (-= II.)
des Lysias nimmt er mit auf.
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14 Bericht über die Literatur zu den attischen Rednern
den Werken des Antiphon zeigt, hervorhebt, ist wiederum besonders
lesenswert.
Man wundert sich, daß die Redner nicht gar häufig von der
dem Griechischen doch eigentümlichen figura etymologiea Gebrauch
machen; der Gedanke bewog Schulze (21)*), die einzelnen Redner
daraufhin durchzuarbeiten. Als Frucht seines Studiums erhalten wir
zuerst eine Aufzählung der Fälle dieser Figur — nur solcher jedoch,
bei denen Substantiv und Verb vom gleichen Stamm sind — bei den
einzelnen Rednern, zeitlich geordnet; daraus die Bestätigung des
allgemeinen Eindrucks, daß die Erscheinung sich nicht häufig findet ;
am stärksten beteiligt sind Demosthenes und Aischines, vermieden
erscheint die figura von Isokrates und Lykurgos. Die Regel der
Grammatik, daß der Begriff des Substantivs ein eingeschränkterer
sein müsse als der des Verbums, wird auch aus den Rednern be-
stätigt gefunden.
Der Gebrauch des Vokativs bei den Rednern oder besser in dm
Ausgaben der Redner**), einschließlich der unechten Schriften, die
hier nach des Verfassers Meinung mit den echten übereinstimmen,
ist das Thema für die Dissertation von Ei bei (34). In 18 Punkten
werden wir unterrichtet über Zweck, Vorkommen, Art, Stellung des
Vokativs — z. B. setzen ihn Deinarchos und Antiphon nie nach
Toi'vov, Isokr. und Isaios nie nach oov — Wirkung und Ergänzung
solcher Anredeformeln.
Die historische Syntax der Komparation ist bearbeitet von
Schwab (35). Wenn auch nach seinem Zweck „ein rein chrono-
logischer Gang der Untersuchung von Autor zu Autor ausgeschlossen
war", sich also die auf den Gebrauch der Redner bezüglichen Resultate
nicht unmittelbar entnehmen lassen, so „liefert die Abhandlung doch
auch für diese Aufgabe" allenthalben „Beiträge".
Im Übergang zur Syntax des Verbums sei der Aufsatz von
Wheeler (28) erwähnt, der statistische Zusammenstellungen über
das sogenannte ergänzende Partizip bei Tu^avstv und xopeiv gibt.
Es fällt auf. daß sich bei den Rednern nicht viele Imperative
finden: auf einer Seite Teubnertext nach Millers (36) Berechnung
im Durchschnitt nur einer ! ,Zum Ersatz desselben dienen verschiedene
Verba (Seofiai — Sei, yp^ u. ä.), Adverbien mit Potent, (z. B.
*) W. Schneid awinds Pirmasenser Progr.: Über den Akkus, des
Inhalts bei den griech. Prosaikern. Würzburg 1886 behandelt Thukyd ,
Plato, Demosthenes.
**) (Restat ut profitear me . . . . satis habuisse editiones manuversare
et modo eas allocutiones respicere quas hi commendant editores)!
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aus den Jahren 1886—1904. (Emminger.)
15
«ixott'wc av), das adi. verb. auf -r£ov, auch Kondizionalsätze (eav
c. coni. , e? c. opt.) *). Daß der Imperativ aber mit Bewußtsein
gemieden wurde, ergibt sich aus den Einschränkungen, Milderungen,
limitations , die ihm beigefügt werden , wenn er einmal verwendet
wird. An Zeugen, Schreiber konnte man ja wohl den bloßen Imperat.
richten, nicht aber an die Personen, vor denen gesprochen wurde.
Unterscheidet man drei Fälle des Gebrauches dieser Form: den Imp.
beim Befehl, bei der Ermahnung, bei der Bitte, so fehlen Belege für
die erste Gruppe — Befehl — eigentlich ganz, für die zweite ver-
langte die Urbanität eine Milderung entweder durch Beifügung von
Wörtern wie Mo\un oder durch die Alltäglichkeit des Gebrauches
wie in axo7reiTe; das rein epideiktische genus (Beisp. Isokr.) weist
ganz wenig Imper. auf, mehr die Paränesen (Isokr. [I)-1II). Auch
in den symbuleutischen Reden ist der Gebrauch beschränkt (Beisp.
Demosth. : auf 100 Seiten Teubnert. nur 44) ; ziemlich häufig ist er
dagegen in den gerichtlichen Reden und hier wieder stärker in denen,
die Fälle des öffentlichen Rechtes behandeln. — Durch die Ver-
schiedenheit der Redegattung wird auch in erster Linie der Unter-
schied zwischen den einzelnen Reden bewirkt. — Verschiedenheiten
in den Reden gleicher Art des gleichen Autors hängen doch noch von
so vielen Umständen ab, daß eine allgemeine Statistik wohl nicht zu
machen ist! — **)
Zum substantivierten Infinitiv verweise ich außer auf Wagner***)
und Gildersleeve f) auf die zusammenfassende Darstellung von Birk-
lein (20) und zwar auf die SS. 58 — 75, sowie auf den Rückblick
von S. 90 an, bes. S. 91. B. nimmt jedesmal auf die Echtheits-
fragen besondere Rücksicht, mit ausgesprochenem Resultat allerdings
nur für Pseudoisokrates irpöc Ar^^vtxov. — Für den bei den Rednern
in keiner seiner Erscheinungsarten besonders beliebten formelhaften
Infinitiv der Limitation zitiere ich Grünenwald (19), der aller-
dings die Redner nicht gesondert behandelt; doch vergl. bes. SS. 2,
6—9, 12, 19, 20, 28, 24, 80, 32—85.
Die Fragesätze, — um damit zur Syntax des Satzes über-
zugehen — , untersucht wenigstens für Antiphon, Andokides ff),
*) Cf. AJPh XIII S. 404.
**) Nur Anzeige und Inhaltsangabe von Wagner (s. Hüttner, Ber. 1886)
ist B. L. Gildersleeve, the articular infinitive again, AJPh VIII = 1887
S. 329—887.
••*) Cf. Hüttner, Ber. 1886 S. 12.
t) S. Birklein, S. 2. Anm. 1.
tt) Andok. IV, als ca. 50 v. Chr. entstanden, bleibt unberücksichtigt.
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Itj Bericht über die Literatur zu den attischen Rednern
'Athjvafov woXtrefot, Gorgias und dessen Schüler, zu denen er Polos.
Likymnios, Agatho und Thrasymachos zählt, Polack (15). Die
direkten Fragesätze dienen bei den Rednern in erster Linie rhetorischen
Zwecken; dementsprechend pflegen im Prooimion keine zu stehen.
Die narratio weist bei Antiphon, mit zwei Ausnahmen in VI, ebenfalls
keine Fragen , bei Andok. dagegen ziemlich viele auf. Diese all-
gemeine Übersicht des ersten Kapitels ergänzt später das fünfte.
Gegenüber der Ansicht von Kaikilios von Kaiakte und Blaß sei doch
auch schon bei Antiphon ein bewußtes Streben zu konstatieren, die
Fragesätze rhetorisch zu benutzen. Auch hierbei ergeben sich Bei-
träge zur Charakteristik der Tetralogien und des gorgianischen
Palamedes. Für die Satzfragen resultiert entgegen der allgemeinen
Regel (z. B. bei Kühner-Blaß), daß bei den untersuchten Schrift-
stellern die geringere Zahl von Sätzen durch Partikeln eingeleitet
wird. — Das zweite Kapitel ist den Fragewörtern (Antiphon et
tetralogiarum auctor maxime adverbis ttöc favent — qualis consensus
raro existere solet), das dritte der Stellung derselben gewidmet.
Während Antiphon ähnlich wie Gorgias die freiere Stellung — das
Fragewort nicht am Anfang des Fragesatzes — sehr selten verwendet,
gibt es in den Tetralogien überhaupt nur drei normal gestellte Fälle
unter 18. Auch im Gebrauch der tempora und modi (viertes Kap.)
zeigen sich Differenzen: optat. mit av findet sich in den Tetr. weit
häufiger als bei Antiph., und während in den Tetr. optat. aor. über-
wiegt, hat bei Antiph. der opt. prajes. das Übergewicht. — Kürzer
unterrichtet der zweite Hauptteil über das wichtigste von den in-
direkten Fragesätzen: an eine Zusammenstellung der Fragewörter
schließt sich eine Erörterung über die Stellung und zum Schluß über
tempora und modi in ihnen an.
Aus der Abhandlung von Fuchs (41) über die Temporalsätze
mit „bis" und „solange als" ist hier das siebente Kapitel S. 89 — 10^
einschlägig. Es empfiehlt sich die Beiziehung von Fuhrs notierter
Besprechung *).
In der Hauptsache eine nach si und lav , tempora und mr
geordnete Zusammenstellung der Kondizionahätee bei Antiphon,
Andok., Lysias bietet Gents ch (25)**).
*) B. L. Gildersleeves Aufs.: temporal sentences of limit in greek,
AJPh XXIV 4 S. 388—407 gibt Berichtigungen zu Fuchs, mit besonderer
Beziehung auf die Redner S. 403/5.
**) St. Langdon, history of the use of Wv for <?v in relative clauses,
AJPh XXIV 4 S. 447—451 kann aus den Rednern nur auf Lys. 24, 18 ver-
weisen.
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aus den Jahren 1886—1904. (Emminger.)
17
Sjöstrands (22) Arbeit beschränkt sich — nach Thalheims
Rezension — auf modi und tempora derjenigen Sätze, welche von
tempora der Vergangenheit abhängen. Es finden sich hierbei „bei
demselben Schriftsteller je nach dem Gegenstand and der Gelegenheit
auffallende Verschiedenheiten. Im ganzen ist jedoch bemerkbar, daß
der Optat. allmählich an Boden verliert, und daß die jüngeren Redner
tempns und modus der direkten Rede häutiger beibehalten als die
älteren"*).
Die parenthetischen Sätze bei den Rednern untersucht Egger (16)
nach fünf Gesichtspunkten: 1. nach ihrem Vorkommen: Antiphon und
Demosth. weisen die meisten, Lysias und Isokr. die wenigsten auf;
2. nach besonderen Eigentümlichkeiten des Gebrauches: so benutzt
Antiph. die P. mit Vorliebe zu „ Zwischenbegründungen M, Lysias
stellt sie gerne unmittelbar vor den Vokativ, von Isokr. an steigt
ihr Gebrauch im Nebensatz; 3. nach dem Umfang: während die P.
bei Antiph., Isaios und auch bei Lysias selten umfangreich sind,
findet man bei Andok. nur ausnahmsweise kurze P. ; 4. zur Einführung
der P. dient am häufigsten ^ap, bes. bei Demosth., ferner 8£, xaf,
apa, dann xa( = auch (Demosth.), ö*^ (ebenso Demosth.) und o>?
(Isaios); 5. bei den Rednern mindestens muß die Par. auch als
technischer Kunstgriff aufgefaßt werden zum Zweck der Hervorhebung
(so bes. bei Tadel, Lob, Zweifel, Anspielung, bitteren Bemerkungen) **).
Kunstprosa. Beredsamkeit.
1887 (ff.).
42. Fr. Blaß, die attische Beredsamkeit. I. Abteil. Von
Gorgias bis zu Lysias, 2. Aufl. Leipzig 1887. (II8 1892, III, 1*
1893, III, 2 2 1898).
1890.
43. P. Wendland, die Tendenz des platonischen Menexenos,
v XXV, S. 171—195.
*) Beiläufig erwähne ich hier H. Vandaele, l'optative grec, essai de
syntax historique. These. Paris 1897, der unter Benutzung des Materials
von Weber — Schanz Beitr. H. 5, 1885 — namentlich für die op tat i vi sehen
Finalsätze bei den Rednern nützliche Zusammenstellungen gibt, in der
Hauptsache aber das Wesen des Optativs zu erkennen sucht.
**) Eggers 2. Prgr. (81) blieb mir unzugänglich. — Für Demosth.
vgl. bes. F. Heerdegen i. d. Festschr. d. Univ. Erlangen. Leipzig 1901 und
die Kontroverse mit Fuhr, BphW 1902, Sp. 417 u. 606, cf. unten bei Demosth.
Jahresbericht für Altertunwwiswtuchatt. Bd. CXXX1II. (1907. I.) 2
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18 Bericht über die Literatur zu den attischen Rednern
1891.
44. G. Roberti, la eloquenza greca. Vol. I. Pericle, Lisia,
Isocrate. Turin 1891. [Vol. II Eschine, Demostene. Palenno 1895.)
45. * J. Chaillet, de orationibus, quae Athenis in funeribus
publicis habebantur. Diss. Leyden.
1893.
46. * R. C. Jebb, the Attic orators from Antiphon to Isaeus.
2. ed., 2 volums. London.
1896.
47. * L. L e a r s , the history of oratory from the ages of Pericles
to the present time. Chicago.
48. * H. Hardwicke, a history of oratory and orators ; a study
of the influence of oratory on politics and literature. New- York
and London.
49. Fr. W. Müller, über die Beredsamkeit mit besonderer
Beziehung auf das klassische Altertum. Regensburg.
1897.
50. L. Kadermacher, Studien zur Geschichte der griech.
Rhetorik. RnMPh N.F. LH (S. 412—424); hier I. Timaeus und
die Überlieferung über den Ursprung der Rhetorik, S. 412 — 419.
1898.
51. £. Norden, die antike Kunstprosa vom 6. Jahrh. v. Chr.
bis in die Zeit der Renaiss. 2 Bände. —
[Rex. z. B.: von Schund, 8. unten Nr. 58.]
52. H. Peter, Rhetorik und Poesie im klassischen Altertum.
NJklA I = 1898 1. Abteil., S. 687—654.
1899.
53. W. S c h m i d , Besprech. v. Norden AK. BphW XIX = 1899,
Sp. 225—239.
1900.
54. 0. Navarre, essai sur la rhötorique grecque avant Aristote.
These. Paris. —
[Bez.: BphW XXIII = 1908, Sp. 1510, Radermacher.]
1901.
55. R. Nitzsche, über die griech. Grabreden der klassischen
Zeit. I. Teil. Prgr. Altenburg.
56. E. Drerup, die Anfänge der rhetor. Kunstprosa, in:
„Untersuchungen zur älteren griech. Prosaliteratur. Festschr. für
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aus den Jahren 1886—1904. (Emmingen)
19
Christ.44 (Erster Teil: Theodoras von Byzanz). Leipzig (1901) —
Jahrb. f. class. Philol. Suppl. Bd. XXVII, S. 219—351. —
[Rez. z. B.: BphW XXIII = 1903, Sp. 97 ff., Schwartz-1
1902.
57. T. C. Burgeß, epideictic literature. Studies in class. philol.
III, S. 89—261, Chicago. —
IRez. z. B.: BphW XXIII = 1903, Sp. 1539, Lehnert.J
Als die drei wesentlichsten Charakteristika der antiken Kunstprosa
stellt Norden (51), über dessen bekanntes Werk ich mich hier kurz
fassen kann, folgende auf: die gorgianischen Redefiguren, die Aus-
stattung mit poetischen Wörtern, den Rhythmus. Er verfolgt den Ur-
sprung dieser Postulate und leitet dabei die ersten beiden, wenigstens
über Gorgias, auf heraklitische Einflüsse zurück. Die Einführung
rhythmischer, d. i. periodisierter Prosa schreibt er nach alten
Zeugnissen dem Thrasymachos zu und untersucht nun nach der Er-
füllung dieser Forderungen — im alten, neuen und Vermittlüngsstil —
Blüte und Verfall der antiken Beredsamkeit in ihrer Gesamtheit bis
zur Renaissance. Anhänge handeln I. Uber die Geschichte des
Reimes — er ist aus dem Homoioteleuton hervorgegangen — ;
II. über die Geschichte des rhythmischen Satzschlusses (in ihm ruht
hauptsächlich der Rhythmus).
Eine sehr eingehende und nützliche Besprechung dieses Werkes
besitzen wir von W. Schmid (53). Nordens Definition der Kunst-
prosa erscheint ihm zwar zu eng, doch gibt N. „tatsächlich eine
Übersicht über den Gebrauch jener uralten volkstümlichen . . .
Mittel, welche als echte Sophisten Gorgias und Thrasymachos aus
der kunstloseren populären Verwendung bezw. aus der Kunstpoesie
aufgenommen und mit Bewußtsein in den Dienst der sophistischen
Überredungskunst gestellt haben". Nur schade, daß „der technische
Zusammenhang von Gorgias bis Guevara und Marini" eine unüber-
brückte Lücke hat!
Ergänzend schließt sich an Norden Peter (52) an ; er will das
Verhältnis der Literaturgattungen — Poesie und Prosa - zueinander
untersuchen. Er meint, man solle für die antike Zeit den einen Teil
der Prosa, die kunstmäßige, oratio, mit der Poesie in unmittelbare
Verbindung bringen und den sermo, die kunstlose Prosa, etwa der
Geschichte der Wissenschaften zuteilen. Für den vollen Begriff der
Kunstprosa nun vermißt er bei Norden vor allem noch als Postulate
die Kunst der Gestaltung und Gliederung des Stoffes sowie die kunst-
gemäße Verbindung der einzelnen Teile, so daß Norden von der K.P.
nur das verlangt, was von der Poesie die Metrik, nicht aber was
2*
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20
Bericht über die Literatur zu den attischen Rednern
die Poetik fordert. Jedenfalls hat aber auch nach seinem Urteil
Norden „zuerst die Entwicklung des dem modernen Gefühl am fernsten
stehenden Teiles der antiken Formgebung kunstmäßiger Prosa . . .
verfolgt". IsokrateB hat des Gorgias Spielen mit dichterischen Mitteln
zur bewußten Kunst ausgebildet. Seine Absicht war, den Hörern
ästhetischen Genuß zu bereiten. Seine Rhetorik stellte (XIII, 16)
drei Aufgaben : 1. angemessene Ausschmückung der Rede (poetische
Steigerung des Ausdruckes und gorgianische Figuren : — 1. u. 2. Postulat
Nordens); 2. rhythmische, 3. musikalische Gestaltung der Rede. Er
streifte also das Metrum der Poesie ab und behielt nur den Rhythmus;
„dieser war bedingt durch die Periode, deren Ausdehnung in den
Gedanken und im Atem ihre Grenze fand ; in ihrem Aufbau aus den
einzelnen Gliedern, die, wie sie erst durch die Einfügung in die
ganze Reihe ihre volle Bedeutung erhielten, so durch ihr Zahlen-
und Größenverhältnis zueinander und durch die zwischen ihnen zu
machenden Pausen den Wohlklang hervorbrachten, zeigte sich der
eine Teil der Kunst des Redemeisters; der andere bestand in dem
rhythmischen Tonfall der einzelnen Glieder zu Anfang und besonders
am Schluß". Wie wurde die Forderung des u.ouaixä>? staeiv erfüllt?
Hauptsächlich durch Vermeidung des Hiat, der ^aXivot, durch Be-
nutzung schöner Wörter, durch den Tonfall (Akzent) des Vortrages. —
Die weiteren Ausführungen Peters geben zu dieser Gedankenreihe
(was hat die Rhetorik von der Poesie?) das Gegenstück (Wirkung
der Rhetorik auf die Poesie) und schließlich Betrachtungen über die
Annäherung beider, auch dem Inhalt nach, in der Römerzeit.
Den Anfängen der rhetorischen Kunstprosa widmet E. Drerup (56)
seine Untersuchungen. Er will über die „Betrachtung schriftstellerischer
Eigentümlichkeiten" des einzelnen Autors und dessen stilistische Ana-
lyse „zu genetischen Entwicklungsreihen in der Abfolge der Schrift-
steller und Zeitalter gelangen", durch „historische Betrachtungsweise
über die im Altertum gewonnene Erkenntnis hinausführen". Dem-
entsprechend ist sein Streben „die Gesamtheit der Erscheinungen
mit kritischem Blick umfassend, das Einzelfaktum historisch zu be-
greifen und in seiner allgemeinen Bedeutung zu würdigen". Die
beiden Stilrichtungen, „deren Kampf miteinander in der späteren
Zeit" Norden (in dem eben genannten Buche) „uns vor Augen ge-
stellt hat", führt er in die ältere Sophistik hinauf, da „die Begründung
der attischen Kunstprosa zur Sophistenzeit nur in dem Kampf dieser
beiden um die Herrschaft ringenden Stilarten begriffen werden kann, des
periodisch-rhythmischen Stiles des Thrasymachos von Chalkedon und
des poetisierenden Antithesenstiles des Gorgias von Leontinoi". Die
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aus den Jahren 1886—1904. (Emmingen)
21
antiken Kunsturteile nur zum Vergleich heranziehend, „zergliedert
er nach den Gesichtspunkten Dialekt, Wortwahl, Wortzusammen-
setzung, Verwendung der gorgianischen Figuren, Verwendung der
belebenden Wort- und Sinnfiguren die Schriften der ältesten Rhetoren".
Nur nennen will ich hier die Neuauflage von Volkmanns
Griech. Rhetorik (Leipzig 1885), ferner A. Ed. Chaignet, la
rhltorique et son histoire (Paris 1888), welche beide die Rhetorik
in erster Linie systematisch, nach ihrer Gestalt in einem gewissen
Zeitpunkt, darstellen. Im Gegensatz zu ihnen, vielmehr im Anschluß
an Spengels tJovaYorpj xeyvwv, versucht Oct. Navarre (54) die
fortschreitende Entwicklung dieser Kunst zu verfolgen, jedoch nur
bis Aristoteles. Über Spengel hinausgehend erschließt er außer den
Fragmenten der voraristotelischen Techne und den ältesten Zeugnissen
über diese Rhetoren zwei neue Quellen: die attischen Redner und
die nacharistotelische Rhetorik. Für die Benutzung der ersteren
liegt die Berechtigung in dem Umstand, „daß die bedeutendsten
Redner Athens — Antiph. , Lysias , Isokr. , Isaios , vielleicht auch
Demosth. — auch Lehrer der Rhetorik waren". Indem N. also aus
der Praxis die Theorie rekonstruiert, sucht er in großen Zügen die
Rhetorik des Gorgias, Antiphon, Isokrates wiederherzustellen. —
Das Buch umfaßt zwei Teile: der erste zeichnet die Entwicklung
hauptsächlich der gerichtlichen Rhetorik oder vielmehr einzelner
wesentlichen Phasen dieser Geschichte, die sich an die Namen Korax,
Protagoras, Gorgias, Antiphon, Isokrates anschließen*); der zweite
Teil rekonstruiert hypothetisch eine Rhetorik des vierten Jahr-
hunderts. — Immerhin bleibt der Satz bestehen: „die wichtigsten
Quellen für unsere Kenntnis der Anfänge der griechischen Kunst-
beredsamkeit sind Nachrichten, die in letzter Linie auf Aristoteles
zurückgehen": so L. Radermacher (50). Dieser weist aber auch
auf rhetorische Scholien bei Walz hin, deren Inhalt sich nicht mit
der Überlieferung des Aristoteles deckt. Durch Vergleichung mit
Quintilian und Sextus Emp. ergibt sich ihm als Quelle dafür ein
Buch, „das wahrscheinlich vom stoischen Standpunkt aus geschrieben
war und die verschiedenen Definitionen der Rhetorik kritisch be-
leuchtete; in letzter Linie gehen sie auf Timaios, den Geschicht-
schreiber Siziliens, zurück".
*) Thrasymachos fehlt, obwohl Navarre zugibt, daß er vielleicht
auch unter die töprcaf, nicht unter die bloßen ^eturrat (nach Dion. Hai.)
gehört».
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22 Bericht über die Literatur zu den attischen Rednern
Wissenschaftlich ohne jeden Nutzen ist F. W. Müllers (49)
(Dr. med.) Stellensammlung „über die Beredsamkeit mit besonderer
Beziehung auf das klassische Altertum."
Von den Darstellungen der attischen Beredsamkeit steht unüber-
troffen voran die von Fr. Blaß (42). In der Berichtszeit ist die
neue, zweite Auflage erschienen. Eine Skizzierung des Inhaltes kann
bei dem Werke, das ohnehin jeder zur Hand hat, der sich mit den
attischen Rednern eingehender beschäftigt, füglich unterbleiben. Der
Hauptinhalt der einzelnen Bände ist aus den Untertiteln ersichtlich.
Hingewiesen sei aber auf die zuweilen übersehenen „Nachträge" zu
Abt. I, II, III. 1, die der Abt. III, 2 von S. 856 an beigegeben
sind. — Für England spielt eine ähnliche Rolle das allerdings nur
bis Isaios reichende Buch von
Jebh (46). Auch von ihm ist (1893) eine zweite Auflage
herausgekommen, die sich jedoch nach Keelhoofs Anzeige (RPh XIX ==
1895, S. 83) auffallend wenig von der ersten unterscheidet. (Mir
blieb diese zweite Auflage unzugänglich.)
Von Hardwicke*) (48) und L e a r s (47) kann ich nicht mehr
als die Namen geben.
Anderer Art ist die „griechische Beredsamkeit" des Italieners
Roberti (44). Sie beabsichtigt nur den einen oder anderen zum
Studium der Redner aufzumuntern oder Leuten, die das Griechische
nicht genügend beherrschen, einen Einblick zu geben. Dementsprechend
bietet das Buch für die im Titel genannten Autoren jeweils Lebens-
beschreibung, Inhaltsangabe einzelner Reden, Übersetzung der Rede
und Noten dazu. Hierfür sind ausgewählt: Periklcs Epitaph, (b. Thuk.) ;
Lysias I, XII, XIII; Isokr. VII, IV; Aisch. III; Demosth. IV, VI,
IX, XVIII.
Von einem Zweig der rednerischen Kunstprosa, der epideiktischen
Beredsamkeit, versucht Burgeß (57) die Geschichte zu zeichnen.
Nach Lehnerts Rez. ist der Inhalt etwa der folgende: Bedeutung
von epideiktisch und &7rt8sixvo}xt namentlich bei Isokrates; allgemeine
Übersicht; die Theorie, mit Anaximenes und Aristoteles beginnend
(statt mit Gorgias und Isokrates, wie Lehnert richtig hervorhebt);
die Haupttypen reichen schon bis in die erste Zeit der Gattung
zurück ; epideiktische Literatur und Poesie ; Epideixis und Geschicht-
schreibung (kannte der Verfasser H.Peters „geschichtl. Literatur" **)?);
*) Von Haeberlin, Ber. 1900, 8. 265, als oberflächlich und unselbständig
bezeichnet.
•*) Geschichtliche Literatur über die rem. Kaiserzeit bis Theodosios I.
und ihre Quellen. Zwei Bände. Leipzig 1897.
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aus den Jahren 1886—1904. (Emminger.)
23
die epideik tischen Elemente in der Philosophie. — Gerade auf den
von Bürge ß verkannten Anfang der epideiktischen Beredsamkeit fällt
ein bedeutsames Licht durch die Untersuchungen von
Wendland (43): der Menexenos, dieser ironische Epitaphios
Piatons, ist nach Form, Disposition und Inhalt an Gorgias' Muster
angelehnt. „So läßt sich der Menexenos verwerten, um eine ungefähre
Vorstellung von dem Stoff sich zu bilden, den die ältere Epideiktik
in den Kreis ihrer Betrachtungen gezogen hat." Diese einzelnen
Gedanken nimmt W. heraus und verfolgt sie durch die zeitlich näher-
stehende, namentlich epideiktische Literatur. (Original erscheint
Piaton in der Schilderung der Ereignisse nach dem antalkidischen
Frieden, „weil für die Geschichte der nächsten Vergangenheit noch
keine stereotypen rhetorischen Formen ausgeprägt waren" ; als Zeit
der Abfassung wird 387 — 380 erschlossen.) Der Aufsatz selbst
könnte als Vorarbeit zur Geschichte der Epitaphien oder weiterhin
der epideiktischen Reden, ihrer Gedanken und deren Ausfuhrung
gelten. — Das hier sich anschließende Programm von Nitz sehe (55)
wird unter Lysias wieder erwähnt werden*).
•
Einzelne Eunstmittel.
1893.
58. J. C. Robertson, the Gorgianic figures in early greek
prose. Diss. Johns Hopkins Univ. Baltimore.
1896.
59. A. Roschatt, die synonymen Verbindungen bei den
attischen Rednern. Prgr. Freising i. B.
1899.
60. E. Henrich, die sogenannte polare Ausdrucksweise im
Griechischen. Prgr. Neustadt a. H.
61. L. Previtera, de numero sive clausula sive struetura
sive cursu. Syracusis. —
[Rez.: Boßel VII = 1900/1, p. 126, RaBi. - BphW XXIV = 1904,
,Sp. 1550, Kroll.]
62. W. Crönert, über rhythmische und akzentuierte Satz-
schlüsse der griech. Prosa in ihren Wechselbeziehungen, in VVDPh (45).
(Leipzig 1900), S. 66.
*) Unzugänglich sind mir geblieben Chaillets (46) Diss. über die
athen. Grabreden und Fr. Schmidt, die epideiktischen Reden der alten
Athener, Zeitschr. rar allgem. Geschichte, Nr. 8, Jahrgang?
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24
Bericht über die Literatur zu den attischen Rednern
1900.
63. Fr. Blaß, der Rhythmus bei den attischen Rednern.
NJklA V = 1900, 1. Abt., S. 416—431. Cf. Lehnert, Ber. 1905
Nr. 69, S. 108.
64. U. v. W i 1 a m o w i t z - Moellendorff, Asianismus n. Attizismns.
H. XXXV S. 1. Cf. Lehnert, Ber. 1905 Nr. 34, S. 89.
1901.
65. * J. Werner, über die Alliteration in der ältesten griech.
Kunstprosa. Prgr. Lundenburg.
66. Fr. Blaß, die Rhythmen der attischen Kunstprosa: Iso-
krates, Demosthenes, Piaton. Leipzig —
[Rez. : BphW 1902, Sp. 1845, Ammon. — LC 1902, Sp. 804, 0. J. —
ZöGy 1903, S. 203, Schenkt.]
1902.
67. Fr. Blaß, in: Album gratulatorium in honorem Henrici
van Herwerden etc. Utrecht. Hier p. 22—31.
1903.
68. E. Kemme r, die polare Ausdrucksweise in der griech.
Literatur (als Dissert. Wilrzburg 1900) = Schanz Beitr. H. 15.
69. H. Bornecque, wie soll man die metrischen Klauseln
studieren? RhMPh NF. LVIII, S. 371—881.
70. L. Previtera, il metodo statistico nelle nuove ricerche
della prosa metrica Latina e Greca. Giarre. —
iRez.: BphW XXIV — 1904, Sp. 1550, Kroll.]
71. J. Bruns, das literarische Porträt der Griech. im fünften
und vierten Jahrh. v. Chr. Berlin 1896. Cf. Lehnert, Ber. 1905,
Nr. 16, S. 90.
72. Fr. Leo, die griech.-röm. Biographie nach ihrer literar.
Form. Leipzig 1901.
Blaß hatte früher schon auf die Beobachtung des Rhythmus großen
Wert gelegt; einzelne Redner waren nach dieser Rücksicht untersucht u. a.
von C. Josephy*), Blaß, Adams, Wichmann, J. May. Die Aufstellungen
von Blaß in der A.B2. haben dann eine Diskussion zwischen Drerup**;
*) Der orator. Numerus bei Isokr. und Demosth. Zürich 1887; zur
Literatur vgl. außerdem die Besprach. Ammons zu Blaß, Rhythmen: BphW
XXII -= 1902, Sp. 1346, des Gleichen Ber. CV = 1900, II, S. 244 ff., zu May
vgl. Lehnert, Ber. 1905, Nr. 58, S. 103.
**) BphW XIX = 1899, Sp. 1-10.
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aus den Jahren 1886—1904. (EmmiDger.)
25
und Thalheim*) einerseits, Blaß (63) anderseits hervorgerufen:
hierüber berichtet Lehnert, Ber. 1905 zu den Nr. 45, 67, 69,
S. 103 f.
Durch Norden (51) war inzwischen die Frage noch brennender
geworden. Auf der 45. Versammlung deutscher Philol. und Schulm.
schloß sich an einen Vortrag von W. Crönert (62), der an und
für sich nicht hier einschlägt, ein Meinungsaustausch, in dem „Direktor
May betonte, daß man den Rhythmus nicht nur am Schluß einer
Periode, sondern auch in deren Innerem suchen müsse (wie für Cicero
namentlich eine genaue Untersuchung des Orators beweise). Gegen
ihn wandten sich die Herren Skutsch- Breslau , Schwartz-Straß-
liurg und Stahl-Münster, die sich auf den Standpunkt E. Nordens
stellen, der den Rhythmus nur am Ende des Satzes annimmt und
die rhythmische Gestaltung des Satzinnern verwirft" — so nach dem
Bericht.
Im Anschluß an Norden verweise ich zunächst wieder auf
Peter (52).
Zu gleicher Zeit etwa hat ein Italiener , Previtera (61) ein,
wie es scheint, dem unklaren Titel entsprechendes Büchlein erscheinen
lassen : er scheint (cf. Rasi und Kroll) den Rhythmus nicht in den
Klauseln, sondern im Ganzen, in cursu, zu finden. Doch blieb der
Aufsatz ohne weitere Wirkung bei uns.
Wilamowitz (64) brachte seine von Norden und Blaß
differierende Meinung in einem Aufsatz des Hermes zum Ausdruck,
s. darüber Lehnert Ber. 1905 S. 135.
Drerup (56) nahm zur Rhythmusfrage neuerdings Stellung in
den „Untersuchungen" bes. S. 233—250, 262, 272.
Sein gegenwärtig letztes Urteil gab dann Blaß (66, 67)**) in der
Untersuchung über die Rhythmen bei Isokrates, Demosthenes, Piaton
(und im Hermes XXXVI == 1901 S. 580 ff.). Nach der Einleitung
über die antike Theorie des Rhythmus, besonders der Prosa, folgen
hier rhythmische Analysen von je drei Stücken der genannten drei
Schriftsteller, woraus die neue Theorie abgeleitet wird ; Betrachtungen
über Responsion, Rhythmusgliedmessung und Lizenzen, die einzelnen
Rhythmusglieder und ihre Entsprechung. Der Rhythmus basiert nach
Blaß auf den Entsprechungen von Wortkomplexen, die mit Perioden
und Kolen nicht zusammenfallen, auch nicht in unmittelbarer Folge
*) Der Rh. bei Lykurg. Hirschberg 1900 = Lehnert, Ber. 1905, Nr. 67.
*•) Vgl. jetzt noch : Blaß, d. Rhythmen d. asian. u. röm. K.P. 1905 S. 1—9.
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26
Bericht über die Literatur zu den attischen Rednern
einander respondieren müssen, sondern durch andere Entsprechungen
oder Responsionsglieder getrennt sein können, die auch nicht so fest
geschlossen sind, daß nicht Schlüsse der Glieder einer Responsion Anfang
oder Teile einer anderen Responsion sein könnten. Diese seine Ent-
deckung glaubt Blaß in Übereinstimmung mit den antiken Nachrichten,
da seit dem Aufkommen der „asianischen" Beredsamkeit das richtige
Verständnis für Rhythmik verloren war. Die Textkritik soll an den
Beobachtungen über den Rhythmus eine Stütze haben.
Neben der genannten Besprechung von Ammon sind für uns
von besonderem Interesse die von 0. I(mmisch) und II. Sehen kl.
0. I. betont gegenüber Blaß's Hauptlehre, der Rhythmus liege in
Responsion : der Rhythmus liegt schon in der Zeile selbst. „Wenn
die Reihe a nicht schon an sich Rhythmus hat, dann empfindet der
Hörer günstigenfalls erst nach Ablauf der Reihe a die rhythmische
Wirkung — und wenn gar zwischen a und a noch bb' . . . sich
einschiebt, . . . welches Ohr soll dann noch a als Komplement zu a
zu erkennen vermögen." *). Gegenüber der Abgrenzung der Rhythmus-
glieder ohne jede Rücksicht auf Sutzgliederung bleibt 0. J. dabei,
Cicero habe den Aristoteles richtiger interpretiert als Blaß. Die
Prosodie vollends habe zu viel Willkürlichkeiten. — Schenkl be-
zeichnet als schwächsten Tunkt in Blaß' Abhandlung den über die
Techne des Altertums. Bl. tue den Zeugnissen Gewalt an, um sie
passend zu machen.
Ich erwähne noch, weil schwer zu finden, die Verteidigung
Blaß'' gegen Diels in der Festschrift für Herwerden (1902). Sein
Grundsatz für die Verwertung des Rhythmus für die Textgestaltung
ist hiernach der: „rhythmi saepe monstrant quid verum esse
non possit, rursusque quid possit. Quid verum sit nunquam per se
monstrant, sed id ut fiat Semper aliquid ad rhythmorum testimonium
accedat oportet, vel librorum tides vel ratio". Vgl. Kroll BphW 1903, 139.
Über eine besondere Theorie von den rhythmischen Klauseln, die
im Gegensatz zu Norden — Skutsch — Wolff eine ( wenn ich so sagen
darf) französische Schule**): (Wuest) — Havet — Bornecque
*) Freilich behauptet Blaß — etwas Richtiges liegt dem unzweifelhaft
zugrunde — der Rhythmus solle in der Regel nicht gesehen oder „gemerkt"
werden, sondern es solle nur gefühlt werden, daß überhaupt Rhythmus
vorhanden ist. Aber wie steht es dann mit der bewußten Kunst des
Rhythmus, ist ein Nachweis derselben überhaupt möglich?
**) Cf. auch H. Weil, (Hudes de litte>ature et de rhythmique grecque.
Textes litte'raires sur papyrus et sur pierre. Rhythmique. Paris 1902,
namentlich zweiter Teil, Nr. 2, 3, 7.
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aus den Jahren 1886—1904. (Emmingen)
27
aufstellt, orientiert der letztgenannte (69): die Franzosen achten auf
die metrische Form des Schlußwortes und auf den Einfluß, den es
auf die vorhergehenden Wörter ausübt. Nicht einmal beim gleichen
Schriftsteller, noch weniger bei verschiedenen Autoren sind die an-
gewandten Gesetze die gleichen. Die nämlichen Verbindungen von
Längen und Kürzen können metrisch sein oder nicht je nach der
Verteilung der einzelnen Silben auf die Wörter. „Man kann sagen,
daß die Klauseln eines Schriftstellers in einem bestimmten Werk
metrisch sind, wenn er vor den Schlußwörtern mit gleicher metrischer
Form solche Wörter oder Wortgruppen annimmt, welche bestimmte
Füße bilden und fast ausnahmslos alle anderen ausschließt." Freilich
bezieht sich das alles in erster Linie auf das Lateinische, ebenso auch
Previteras (70) zweite Abhandlung, die sich gegen Bornecques
Rezension und gegen Wolff wendet.
Ich denke, in der Hauptfrage, wo der Rhythmus zu suchen ist,
kann man im wesentlichen vier, nicht unvermittelt aneinanderstoßende
Meinungen unterscheiden; je zwei davon stehen sich näher. A. Blaß
findet den Rhythmus im Innern des Satzes in der Entsprechung
von Rhythmusgliedern. (Ihm steht vielleicht nahe Previtera.)
B. Drerup sieht den Rhythmus gleichfalls im Lauf des Ganzen, im
rhythmischen Fluß des einzelnen Kolons, nicht in Entsprechungen!
Ihm glaube ich näher stellen zu dürfen 0. I(mmisch). In der zweiten
Gruppe anerkennen C. Havet-Bornecque als Hauptsitz des
Rhythmus Klauseln, jedoch keine allgemein gültigen Typen oder
Formen dafür, wie sie D. in Konsequenz zu Norden (nach Müller)
durch Wolff, wenigstens fürs Lateinische herausgearbeitet wurden *). —
Wilamowitz scheint entsprechend der Zweiheit der kommatischen
und periodisierten Kompositionsart die beiden Ansichten in gewissem
Sinne zu versöhnen**).
Über das Kunstmittel der gorgiani sehen Figuren nenne ich die
Dissert. von Robertson (58). Der erste Teil — definition —
wiederholt Bekanntes über Wesen und Wirkung der bekannten
Figuren an der Hand der alten Rhetorik. Darauf folgt die illustration
*) Dazu vgl. jetzt besonders Th. Zielinski, das Klauselgesetz in
Ciceros Reden. Grundzüge einer oratorischen Rhythmik. Ph. Suppl. IX
1904, S. 58t) — 844.
**) Ich will nicht versäumen, auf K. Marbes Vortr. über den Rhythmus
der Prosa hinzuweisen (gehalten auf d. ersten d. Kongreß für exper. Psychol.
zu Gießen, gedr. 1904).
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28 Bericht über die Literatur zu den attischen Rednern
durch Beispiele aus den „ältesten Prosaisten0 : Gorgias , Atbjvattov
iroXitefo, Herodotos und Thukydides, nicht aber Antiphon. Cf. auch
W. Barczat, de figur. disciplina atque auct. Diss. Göttingen 1904.
Zum besonderen Schmuck der Rede dient die Alliteration. Hier-
uber existiert eine mir unzugängliche Abhandlung von Werner (65).
Nicht selten ist sie verknüpft mit einer eigentümlichen Gegensatz-
verbindung, die m. W. durch Schanz mit dem freilich nicht ganz
leicht verständlichen Namen der polaren Ausdrucksweise bezeichnet
ist*). Hierüber haben
E. Henrich (60) und £. Hemmer (68) geschrieben, zu
welch letzterem die Besprechung von Henrich zu vergleichen von
Interesse ist**).
Schließlich nenne ich noch A. Roschatt (59), der sein Pro-
gramm über die Verbindungen synonymer Worte bei den attischen
Rednern ausdrüklich als einen Beitrag zur attischen Kunstprosa
bezeichnet. Derartige Erweiterungen verfolgen die dreifache Absicht
der Verstärkung , der Verdeutlichung , der Abrundung der Periode.
Die Redner zeigen im Gebrauch natürlich Unterschiede ; sie legen
eine Einteilung in drei zeitlich aufeinander folgende Gruppen nahe
(deren zweite mit Isokrates, deren dritte bei Demosthenes beginnt).
Im allgemeinen ist hierbei ein Fortschreiten in Zahl und Kühnheit
der synonymen Verbindungen zu beobachten***).
Nur hinweisen will ich in diesem Abschnitt noch auf die zwei
in erster Linie für die technische bezw. künstlerische Seite mancher
Redner wichtigen Werke von J. Bruns (71) und Fr. Leo (72), die
im folgenden gegebenenfalls zitiert sind.
Einiges zur sachlichen Erklärung der Redner.
73. M. H. E. M e i e r - G. F. Schömann, Der attische Prozeß.
Neubearb. v. J. H. Lipsius, Leipzig 1888—1887.
74. H. Meuß, Die Vorstellungen von Gottheit und Schicksal
*) Wie z. B. »jung und alt", „arm und reich", *KXX?jve« xol ßcfpßapot -= alle !
**) Die Beispiele für die Redner sind allenthalben zusammen zu suchen!
***) Für Aischines ist Blaß AB III, 2«, S. 231 dahin zu berichtigen,
daß die Synon.-Verbind. so ziemlich in allen Reden gleichmäßig gebraucht
werden; hinwiederum zu Deinarchos III, 2", S. 325 dahin, daß die Be-
merkung über die Häufigkeit der Synon.-Verbind. nur für die erste Rede
zutrifft.
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aus den Jahren 1886—1904. (Emminger.)
29
bei den attischen Rednern. NJklPh CXXXIX = 1889 S. 445-476
und S. 801—815.
75. U. v. Wilamo witz -Moellendorff, Aristoteles nnd
Athen. Zwei Bände. Berlin 1898. —
fCf. Lehnen, Ber. 1905, Nr. 2, S. 87.]
76. E. Drerup, Über die bei den att. Rednern eingelegten
Urkunden. Hab.-Schr. München 1897.
[« NJklPh Suppl. XXIV, S. 223—365.]
77. A. Don gl. Thomson, Euripides and the Attic orators.
A comparison. London 1898.
78. J. R e n t z s c h , de 86oq <|/eo8o|iapTopfo»v in inre Attico com-
paratis Piatonis imprimis legnm libris cum orat. Atticis. Diss.
Leipzig 1901.
79. C. M e d e r 1 e , de iurisiurandi in lite Attica decem oratorum
aetate usu. Diss. München 1902.
80. J. H. Lipsius, Das attische Recht und Rechtsverfahren
mit Benutzung des Attischen Prozesses von M. H. E. Meier und
G. F. Schömann dargest. Erster Band. Leipzig 1905.
Viel dringender noch als bisher muß ich für diesen Abschnitt
auf die entsprechenden Einzel berichte verweisen: für Geschichte,
Altertümer, Inschriften.
Ich nenne hier, um später im einzelnen darauf zu verweisen,
vor allem das nach so vielen Richtungen anregende und belehrende
Werk von U. v. Wilamo witz-Moellendorff (75) Aristoteles
und Athen.
Die Redner in ihrem Verhältnis zur griechischen Volksreligion,
zugleich als Quelle für dieselbe, weil sie allgemeingültige An-
schauungen aussprechen mußten, untersucht H. Meuß (74): Wider-
sprüche bei den Rednern erscheinen ihm als Abspiegelungen von
Widersprüchen im Volksglauben selbst; soweit die Reden, echte wie
unechte, in die Zeit von 425 — 325 fallen, sieht er vollgültige Zeugen
in ihnen. Der erste Teil behandelt die Vorstellungen von der Gott-
heit, ihrem Sein und Wesen und ihrem Verhältnis zum Menschen
(Recht, Schuld, Sühne; Frömmigkeit, Orakel, Gebet; Schicksal). —
Ein Anhang unterrichtet, ebenfalls durch sorgfältige und übersichtliche
Zusammenstellung, über formelhafte Beteuerungen und Götteranrufungen
bei den attischen Rednern. — Der zweite Teil gibt vom Standpunkt
der attischen Redner einen Einblick in die Anschauungen der Griechen
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Bericht über die Literatur zu den attischen Rednern
vom Dasein nach dem Tod; daran schließt sich das Wenige, was
wir ans den Rednern Uber die Eleasinien erfahren.
Mit griechischem bezw. attischem Recht und Gerichtswesen muß
vertraut sein vor allem, wer die Reden des Stxavtxöv ^£vo? liest.
Nach dieser Richtung ist stets zu Rate zu ziehen der Attische Prozeß
von Meier-Schömann-Lipsius (78) und jetzt besonders die
Neubearbeitung dieses Werkes von Lipsius (80). Der bisher
erschienene erste Band bringt die Einleitung und das erste Buch:
die Gerichtsverfassung; dieses umfaßt folgende sechs Hauptstücke:
die Beamten, die Blutgerichte, die Geschworenengerichte, die Gerichts-
höfe, die Gerichtsbarkeit des Volkes und Rates, die Schiedsrichter.
Von der speziellen Literatur greife ich einige Arbeiten heraus,
die sich ausschließlich oder vorzugsweise mit den bei den Rednern
bestehenden Rechts- und Gerichtsverhältnissen beschäftigen. Für alle
Redner zugleich kommen die schon genannten Abhandlungen von
Jobst (12) und Schodorf (13) in Betracht; dann erwähne ich
Mederle (79): präzise und mit guter Ordnung werden wir von ihm
über die Verwendung der verschiedenen Arten des Eides bei den
Rednern unterrichte!, Über otwuoata und avTcujAoata , über Parteieid
und Schwur der Zeugen.
Ein wichtiges Beweismittel sind die Urkunden. Über die Echt-
heit der in den Reden überlieferten handelt D r e r u p (76), auf ihn und
Lipsius (80) S. 48, 123, 151 f., 212, 221 f. kann ich zugleich für alle vor-
ausgehende Literatur, die auch in der Berichtszeit nicht gering ist, ver-
weisen, ja auch zur Ergänzung der Literatur für das Thema Mederles.
Dr. strebt aus der Untersuchung von Form und Inhalt der Dokumente
allein ein endgültiges Urteil über Echtheit oder Unechtheit an. Der
erste Teil bespricht die Gesetze (Gesetzgebung und Heliasteneid —
Blutgesetze — Familien- und Erbrecht — die Reden gegen Meidias
und Timarch), der zweite die Prozeßurkunden in den demosthenischen
Reden gegen Lakritos, Pantainetos, Makartatos , Stephanos, Neaira,
sowie die in den Prozeßurkunden vorkommenden Eigennamen.
Für eine Reihe von Rednern einschlägig ist auch die Arbeit
von Rentzsch (78), der den Spezialfall der 67x7] ^euSou-aproptcov
behandelt und dabei natürlich auch die Fragen, wer Zeuge gewesen,
ob Sklaven schwören konnten u. a. untersucht.
Im Gegensatz zu seinen beiden großen Vorgängern in der Tragödie
spiegelt — so sagt ungefähr Thomson (77) — Euripides die „neue
Zeit" wieder, the new culture. Ähnliches läßt sich von den Rednern
behaupten; es ist also kein Wunder, wenn der Dichter mit ihnen
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aus den Jahren 1886—1904. (Emminger.)
31
vieles gemein hat in style and in thought. Th. beschränkt sich
darauf, den Gedankeninhalt des Eurip. und der Redner in Vergleich
zu setzen und zusammenzustellen, was wir aus Dichter und Redner
gleicherweise erfahren über Philosophie, Religion, Tod und Fortleben
nach demselben, über das Leben des einzelnen in seinen verschiedenen
Gestalten, über Ethik, öffentliches Leben und Politik. Also haupt-
sächlich eine Sammlung von Parallelstellen, keine Diskussion der
Verschiedenheiten.
Redner-Kanon.
81. Fr. St riller, de Stoicorum studiis rhetoricis. Breslau 1886.
82. 0. Weise, quaestiones Caecilianae. 1888.
83. W. Studemund, scholion Plautinum neubearbeitet. 1888.
84. P. Hart mann, de canone X oratorum. Diss. Güttingen
1891. —
[Rez.: BphW XII 1892, Sp. 1609, Cohn.]
85. A. Busse, zur Quellenkunde von Piatons Leben. RhMPh
XLIX 1894, S. 72. —
[Cf. Lehnet Ber. 1905, Nr. 185, S. 146.]
86. 0. Kröhnert, canonesne poetarum, scriptorum, artificum
per antiquitatem fuerint. Königsberg 1897. —
[Cf. Lehnert, Ber. 1905, Nr. 187, S. 146.]
87. H. Usener et L. Radermacher, ed. Dionysii Hali-
carnassei opuscula vol. pr. Leipzig 1899. —
[Rez.: cf. Lehnert, Ber. 1905, Nr. 171, S. 141.]
88. Guil. Heydenreich, de Quintiliani institutionis oratoriae
libro X., de Dionysii Halicarnassensis de imitatione libro II., de canone
qui dicitur Alexandrino quaestiones. Diss. Erlangen 1900. (IV. Teil =
epimetrum de canone X oratorum Atticorum.) —
fCf. Lehnert, Ber. 1905, Nr. 183, S. 141 und 148.]
Ich kann mich um so eher mit der bloßen Aufzählung dieser
Arbeiten begnügen, als sie zumeist in diesen Berichten schon be-
sprochen sind von Hammer (Rhetorik-Ber.) 1895, S. 110 ff. , von
Ammon (Quintil.-Ber.) 1901 , S. 134 , oder von Lehnert (Rhet.-Ber.)
1905, S. 147 f.*).
*) Vgl. auch noch Fr. Susemihl, Geschichte der griech. Lit. in der
Alexandrinerzeit. Leipzig 1892, II, S. 485 und 694, sowie Volkmann-
Hammer, Rhetor. d. Gr. u. R. (Müllers Handb.), 3. Aufl. 1901, S. 8.
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34
Bericht über die Literatur zu den attischen Rednern
Für die Sophistenfragmente bei Jamblichos scheint Protagoras
andeutungsweise als Urheber in Frage gezogen von Wilamowitz
A. und A. I, 173*). —
Vom Osten zum Westen ! Nr. 410 der Oxyrhynchus papyri III (94)
bietet das Fragment einer ?&XV7i *n dorischem Dialekt. Dazu ver-
gleiche man Fuhrs Anzeige, der das Wichtigste aus dem Inhalt
mitteilt und namentlich auf Beziehungen zu Lysias aufmerksam macht.
Roberts (95) hebt die Beziehungen des Fragments zur Techne
des Korax und Teisias hervor; seine Erhaltung wird nach R. jeden-
falls der auvorytofT) xexv&w des Aristoteles verdankt.
Der älteste attische (vorgorgianische) Redelehrer war nach
E. Schwartz(97) Thrasymachos, freilich auch er kein Athener von
Geburt; s. darüber jetzt Lehn er t, Ber. S. 111/112. Gegen Schwartz
ist außer den von Lehnert angeführten Gelehrten Keil**) und
Norden (51), S. 45 ff., noch mit Widerspruch im einzelnen aufgetreten
Reuter (148), der die antiphontischen Dispositionen nicht nach
dem Muster des Thrasymachos angelegt glaubt. Gegen Schw. spricht
sich auch Drerup (56), S. 226, aus. — Scheel (96), S. 22 f., ver-
mutet, daß des Thrasymachos IXeoi (fortasse) die gemeinsame Quelle
für die Schilderung des Jammers im Exil im Plataikos des Isokrates
(XIV 45—55) und in or. XII 96 ff. und XIII 45 des Lysias seien.
Geburtsjahr der attischen Beredsamkeit wurde früher (zu Un-
recht) das Jahr genannt, in welchem Gorgias in Athen auftrat.
Zuerst zur Echtheitsfrage der unter seinem Namen noch er-
haltenen irafyvia, Helena und Palamedes ! Blaß nimmt jetzt AB 1 8,
S. 72 und 75 ff. die beiden Reden für echt. Ebenso E. Maaß (99):
I. Eine im hippokratischen Korpus überlieferte Schrift rcepi
909a>v zeigt scharfe Disposition und zugespitzte Sprache, beides
gorgianische Eigentümlichkeiten. In dieser Schrift wird der drtp
metaphorisch als öovddr^c bezeichnet. Dieser kühne Gebrauch wird
um so auffälliger, als er mit den zwei anderen rhetorischen Mitteln
der Personifikation eines körperlichen Wesens und der Wiederholung
des gleichen Stammes an gleicher Stelle und zwar am Schluß der
*) Zu dem Anfang des fr. tapl 0cüv achlägt Lincke (Ol) vor zu lesen
oOx lyw «bretv statt ota fy«» eMvat. — Die Vermutung, Prodikos von Keos
habe eine Lobrede auf den Landbau geschrieben, verwirft K. Kalbfleisch,
Festschr. f. Gomperz 1902 S. 94 f.
**) Hermes XXIX = 1894 , 8. 341 (187): „Vieles, was Schwartz auf
Thrasymachos zurückfuhrt, halte ich für vorthrasy machisch , attisch."
Susemihl (108), S. 9, Anm. 11, erinnert neben Thrasym. an die Möglichkeit
des Einflusses von Teisias auf Euripides.
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aus den Jahren 1886—1904. (Emmingen)
35
beiden folgenden Sätze kombiniert ist. Die gleiche Kombination
findet sich auch Helena 8; der Hippokrateer hat eben diese Glanz-
stelle der gorgianiscben Schrift nachgebildet, (cf. Blaß AB I8, S. 90f )
Für gorgianischen Ursprung der Helena spricht außerdem Disposition,
starker Figurenschmuck , Preis des Xofo; , Allgemeinheit der Ver-
teidigung : Gorgias wollte eine Musterrede geben ; «Tat^vioy ist t er minus
technicus, nicht = Scherz. II. Den gleichen Zweck hat auch der
Palamedes ; er soll Typus sein für die Verteidigungsrede gegen Hoch-
verrat, überhaupt bei Kapitalverbrechen : damit erklärt sich der Mangel
an konkretem Inhalt ebenso wie das Fehlen einer Nachricht, daß
Gorgias Gerichtsreden verfaßte. Aus der Hiatvermeidung ergibt sich
die spätere Abfassungszeit. III. Ähnlichkeiten von Antiphon V 91,
88 mit Palamedes (namentl. §§ 84 ff.) zeigen nach Maaß „deutlich,
daß der Schüler das Musterformular des Meisters gut zu benutzen
verstand". Vor 411 also muß Gorgias jedenfalls den Palamedes
und wieder früher die Helena veröffentlicht haben. — Nach
Suse mihi (103), S. 18 Anm. 30, hat Maaß jedoch mit all dem
nur so viel bewiesen, daß „die beiden Schüler des Gorgias, welche
die Helene und den Palamedes (wenn anders nicht letzterer doch
von Gorgias selbst herrührt) verfaßten, so vollkommen der gorgia-
nischen Stilistik sich bedienten, daß insoweit Gorgias selbst recht gut
der Verfasser gewesen sein könnte." „Warum er selber es wenigstens
von der Helene nicht gewesen sein kann," scheint Susemihl sowohl wie
Wilamowitz (75), S. 172*), und Gomperz**) von Spengel
unwiderleglich bewiesen. Norden (51), S. 64. ist für die Echtheit,
Mün scher***) gegen Echtheit der Helena, N a v a r r e (54) verwirft
beide. Beiden Reden ersteht ein Verteidiger in
Thiele (104). Zum besseren Verständnis der Persönlichkeit
des Gorgias schiebt er zwischen die bisher angenommenen zwei
Perioden seiner Tätigkeit, die empedokleisch-physikalische und die
eleatisch-skeptische oder rhetorische , eine sophistisch-protagoreische
ein. Die beiden Schriften anlangend will er durch „eingehende
stilistische Analyse beweisen, daß nicht nur Helena und Pala-
medes von einem und demselben Verfasser stammen , sondern daß
auch für die beiden Stücke besonders charakteristische Stileigen-
tümlichkeiten in den sonstigen Fragmenten des Gorgias wiederkehren." —
Zu demselben Resultate gelangt die stilistische Untersuchung der
*) Cf. auch II, 236, Anm. 20.
•*) Griechische Denker I, S. 383, 475 f.; ebenso 0«), S. 165.
•♦*) RhMPh UV = 1899, S.276, cf. Lehnert, Ber. 1895, Nr. 82, S. 110.
Cf. auch Nr. 84, 8. 110.
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36 Bericht Ober die Literatur zu den attischen Rednern
beiden Reden durch Drerup (56), S. 265 f., der sie dem Anfang
des vierten Jahrb. (Helena älter als Palamedes auch rücksichtlich des
Rhythmus) zuweist.
Beispiele für die stilistischen Eigentümlichkeiten des Oorgias sind
zusammengestellt bei Wundt (98), S. 20: apposita supervacanea ;
S. 24 f.: Yertauschung der gramm. Kategorien; S. 29: gesuchte
Metaphern; S. 34: Personifikationen; S. 52 ff. und 56 ff.: wirklich
gorgianische a^jiaxa Top-ftetet.
Vorschläge zur Textoerbesserung des Gorgias bringen D i e 1 s (101)
zum fr. d. Olymp, (to irXfyu-a für t6 afvryu.a),
Schulze (24), S. 15 Anm. 1 (aol u.ev oux oWv te u.6vov jiapxopac,
oder noch lieber aoi uiv oMv t' oft \i6vov jxapTupa?) u.Naber s. S.58***).
Zur Überlieferungsgeschichte der Helena vgl. Drerup (105), der
auf Coisl. 249 aufmerksam macht; wie jedoch Fuhr (106) bemerkt,
ist dieser cod. = V Imm. Bekkers. „Für die Textkritik bietet der
Kodex keinen positiven Ertrag" : darin sind die beiden einig.
Eine sprachliche Analyse zum Frg. des Epitaphios erhalten wir
von Navarre (54), S. 87 f.
Als Abfassungseeit des 'Okuu-Triax^; nimmt Wilamowitz
A. u. A. I 172 gegen Blaß 408, nicht 392 an*).
Über die Techne des Gorgias hat sich neuerdings eine Kontro-
verse erhoben. Während Blaß AB I2 S. 53 ff., bes. S. 57, ihm zwar
texvat, Sammlungen von Musterstücken, nicht aber eine xe*xvrj zu-
schreibt, tritt
G e r c k e (102) für die Existenz einer wirklichen Te*xv>} ein, die
allerdings im wesentlichen in rhetorischen Musterstücken bestanden
habe. Siehe darüber Haeberlin, Ber. 1900, S. 266, und Lehnert,
Ber. 1905, Nr. 76, S. 109. — Ihm widersprechen
Blaß im Anhang der AB III 2 2 S. 356, und
Suse mihi (103): Gorgias hat eine Mustersammlung hinterlassen,
xoivol toiroi, wohl auch mit einer Einleitung technischer Art. Dieses
Buch kann aber streng genommen nicht als t^vij bezeichnet werden;
so tut es auch Aristoteles nicht, auch nicht Dionys., der nur von
xiyyax xivec redet. Piaton freilich kann mit freierem Gebrauch des
Wortes (Phaedr. 261, B. C.)auch davon als von einer xe*j(VY) sprechen **).
Zu Text und Sprache der philosophischen Fragmente des Gorgias
vgl. Apelt (100), bes. S. 206—211, und Drerup (56), S. 268 f.
*) Zu Palam. 20 vergleicht Wilamowitz A. u. A. II 286 Anm. 20
Pseudoandokides (IV) 37.
**) Das Fragment von Oxyrbynchos hat große Teile einer wirklichen
uralten gerettet, die Theorie enthält!
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aus den Jahren 1886—1904. (Emmingen)
37
Das Fortwirken des Gorgias*) verfolgt Scheel (96) im 1. Kap.
bei Isokrates, wobei namentlich die Znsammenstellungen der gleichen
Gedanken, die, wenn auch in verschiedenen Formen, bei beiden
wiederkehren, und die Sammlung der Parallelen in den Figuren
interessant sind; sodann im 2. bei Polos, Likymnios, Agathon,
Alkidamas, Antisthenes, Archytas, den Pseudohippokrateern, Lysias,
Thukydides, Antiphon.
Anzuführen habe ich noch den Versuch, den Theodoros von
Bytantion durch Zuteilung pseudepigrapher Schriften in die Literatur
einzuführen. Während Blaß AB III, 28, S. 366, es nur wie einen
Einfall anmerkt, daß von ihm vielleicht die Tetralogien stammen
könnten, will
D r e r u p (56), S. 334 f., ihm Ps.-Lysias (VI) und -Isokr. (I) zuweisen,
für Ps.-Lys. VI gestützt auf Suidas, s. v. 6e68<opoc (so schon Bergk),
für Ps.-Isokr. I auf eine Identifikation von § 38 rapaaxeuaCe aeaotov
xxk mit einem Zitat des Kephisodoros bei Athen. III, 122b. Dort
siehe auch die eingehendere Charakterisierung des Theodoros und die
Stilanalyse jener Reden.
Von Kritias, dem Sophistenschüler, dem bei Blaß AB I8 die
Seiten 263 — 275 gewidmet sind**), wollte Dümmler (107) zu den
sicher verbürgten itoXixeiai der Lakedaimonier und Thessaler eine
'Adrjvotfcov iroXtieia in erster Linie bei Aristoteles wiedergefunden
haben ; (nebenbei führt er auch Stellen bei Isokrates und in Plutarchs
Perikles darauf zurück.) — Gegen ihn wendet sich besonders
Patrick (108), dessen sorgfältige Dissert. auch durch Sammlung
der Nachrichten über Kritias und seiner Fragmente von Wert ist;
hierzu tritt Blaß III, 28, S. 369, mit einem Nachtrag. — Als Ver-
fasser der ps.-xenophont. iroXit. AO^v. sucht den Kritias neuerdings
Drerup (56), S. 313 ff., zu erweisen mit einer Stilanalyse der
echten Fragmente des Kritias.
In besonderer Studie behandelt diesen von Xenophon und Lysias
so ganz anders als von Piaton und Aristoteles beurteilten Mann
N|estle (109), in der Absicht, „den Inhalt der Schriften, soweit er
*) Ich mache aufmerksam auf K. Morawski, parallelismoi sive de
locutionum aliquot usu et fatis apud auctores Graecos nec non Latinos.
Sep. Abdr. aus d. Ber. der Krakauer Akad. Krakau 1902. - Rez. : BphW
1903, Sp. 262, Kroll.
**) Er trägt auch ein frg. nach S. 259, Anm. 4 (nach Bernhard)) —
Patrick, Nr. 5.
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38
Bericht über die Literatur zu den attischen Rednern
aus den Bruchstücken zu erkennen, zu dem Charakter, der Bildungs-
laufbahn und der Politik ihres Verfassers in Beziehung zu setzen,
zugleich unsere gegenüber früheren Zeiten doch stark veränderten
Anschauungen über die Sophistik und über die griechische, speziell
attische w5Xi? hierfür zu verwerten." Schade, daß er Patricks Diss.
übersehen hat! Als Wendepunkt im Leben und Denken des Kritias
erscheint ihm ähnlich wie Xenophon und Blaß AB I2 267 die Ver-
bannung mit dem darauffolgenden Aufenthalt in Thessalien und dem
Eintreten in die Sphäre des Gorgias und Thrasymachos. Dort wurde
Kritias der „Tyrann". — Was seinen schriftstellerischen Charakter
anlangt, so folgt Nestle Dionys, v. Hai., der ihn im Gegensatz zu
Andokides, Antiphon und Lysias mit Antisthenes und Xenophon zu
den Vertretern des besten jüngeren attischen Dialektes zählt.
III. Antiphon.
1885/
110. A. Nieschke, de Thucydide Antiphontis discipulo et
Homeri imitatore. Prgr. Münden 1885.
111. J. Kohm, ein Beitrag zur Frage über die Echtheit der
Tetralogien des Redners Antiphon. Erster Teil, Arnau 1885, zweiter
Teil, Hohenelbe 1886. —
[Rez.: DL VII — 1886, Sp. 1820, Wilamowitz-M.]
1886.
112. J. Kohm, kritisch - exegetische Studien zu Antiphon«
WSt VIII, S. 87—60 (geschr. Januar 1885).
113. P. Po lack, de enuntiatorum interrogativ, apud Antiph.
et Andoc. usu. Diss. Halle.
114. Ch. Cucuel, essai sur la langue et le style de l'orateur
Antiph. These. Paris. —
(Rez.: WklPh VI = 1889, Sp. 284 ff., 319 ff.. Kohm.J
115. H. Sauppe, ad Antiphontis orat. VI: quaestiones criticae
Nr. 5, index schol. hibern. Göttingen. —
[= Ausgew. Schriften, Berlin 1896, S. 785.]
116. A. Bohl mann, Antiphontis de caede Herodis oratio ex
fide Cripps. maxime cod. recogn. et in ling. German, conversa. Pars I
contin. §§ 1 — 48. Prgr. der Ritterakademie Liegnitz.
1887.
117. U. v. W ilamo witz-Moellendorff, die erste Rede
des Antiphon. H XXII, S. 194—210.
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aus den Jahren 1886—1905. (Emrainger.) 39
118. Fr. J. Brückner, de tetralogiis Anthiphonti Rhamn.
ascriptis. Diss. Bautzen.
119. B. Keil, Antiph. xaxÄ tfJ? uTjTputac. NJklPh CXXXV,
2. Heft, S. 89—102.
120. Car. Baresch, consolationum a Graecis Romanisque
i
script. hi6toria critica. Leipzig St. IX, S. 1 — 170.
1888.
121. B. Brinkmann, de Antiph. oratione de choreuta comm.
philol. Leipziger Diss. Jena.
122. Er. Sonne, Anthipho Tot 2. Genethliacon Gottingense.
Halle, S. 162 f.
128. J. Brandenburger, de Antiph. Rhamn. tetralogiis.
Prgr. Schneidemühl. —
[Rez.: WklPh X = 1893, Sp. 1314, Kohm.]
124. Ch. Cucuel, oeuvres completes d'A., traduction, in:
Mölanges grecs (Bibliotheque de la Facultö des lettres de Lyon,
tome V), p. 1—86. Paris.
125. J. Kohm, Antiphons Tetralogien. Deutsch. Prgr. Arnau.
1889.
126. Fr. Schierlinger, die unterordnende Satzverbindung
bei dem Redner A. Prgr. Schweinfurt
127. C. Wetz eil, lexici Antiphontei specimen. Laubacher
Prgr. Grünberg.
128. U. v. Wilamo witz-M. , commentariolum gramm. IV. ind.
schol. hib. Göttingen. S. 16—20.
129. Fr. Blaß, comment. de Antiph. sophista Jamblichi auctore.
Ünivers.-Schrift. Kiel.
130. A. Bienwald, de Crippsiano et Oxoniensi Antiphontis,
Dinarchi, Lycurgi codic. Breslauer Diss. Görlitz.
1890.
131. H. W e i s e , über die erste Rede des Antiph. Prgr. Stettin.
132. J. Kohm, zur Kritik und Erklärung des Redners Antiph.
WSt XII = 1890, S. 159—189.
1892.
133. J. H. T. Hemstege, analecta Antiphontea. Diss. Leyden.
134. Fr. Hausen, de Antiphontis tetralogiis. Prgr. Berlin.
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40
Bericht über die Literatur zu den attischen Reduern
1894.
135. W. Rosenthal, de Antiph. in particularum usu pro-
prietate. Rostocker Diss. Berlin. —
[Rez.: BphW XV = 1895, Sp. 1478 f., Thalheim.]
186. Br. Keil, Athens Amtsjahre und Kalenderjahre im fünften
Jahrh. H XXIX, S. 32—81.
137. Br. Keil, das System des kleisthenischen Staatskalenders.
H XXIX, S. 321—372.
1895.
138. Fr. L. vanCleef, index Antiphontens. Cornell stud. in
class. Philology N. V. Boston. —
[Rez. z. B.: BphW XVI = 1896, Sp. 713, Thalheim. WklPh XIII =
1896, Sp. 566, Fuhr.]
1896.
139. E. Szanto, za den Tetral. des Antiph. Archaeol.-
epigr. Mitt. aus Österr.-U. XIX, S. 71—77.
140. W. Dittenberger, Antiphons Tetralogien und das
attische Kriminalrecht. I. H XXXI, S. 271—277.
1897.
141. Idem. II. III. H XXXII, S. 1—41.
1898.
142. * St. Schneider, sofista Antyfont jako psychiatra. Eos
IV, S. 129.
1899.
143. J. Kohm, neue Antiphonstudien. Prgr. Wien.
1900.
144. U. v. Wila mowitz-M., die sechste Rede des Antiphon.
SPrA XXI, S. 397—416.
1901.
146.* A. Mayr, Antiphons Rede gegen die Stiefmutter. Prgr.
Klagenfurt.
1902.
146. * St. Schneider, die Ethik des Demokritos und der
Redner Antiphon. Eos VIII, S. 54—64 (tsch).
147. * K. Töpfer, die sogen. Fragmente des Soph. Antiph.
bei Jamblichos. Prgr. Arnau.
1903.
148. A. Reuter, Beobachtungen zur Technik des Antiphon.
H XXXVIII, S. 481—497.
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aus den Jahren 1886-1905. (Emmingen)
41
1904.
149. idem Forts, zu Nr. 148. H XXXIX, S. 348—356.
150. St. Schneider, ein sozialpolitischer Traktat und sein
Verfasser. WSt XXVI S. 14—32.
151. J. II. Lipsius, über Antiphons Tetralogien. BSG LVI
S. 191—204.
1905.
152. W. D ittenberger, zu Antiphons Tetralogien. H XL
S. 450—470.
Eine auf die Lebensumstände des Antiphon bezügliche eigene
Abhandlung ist seit dem letzten Bericht nicht erschienen.
Von Blaß AB ist einschlägig Ia, S. 91—102, sowie Nachtrag
S. 645, ferner III, 2«, S. 357—368.
In der Frage der Überlieferung *) ist die Dissertation von B i e n -
wald (130) hier zu nennen. Er wendet sich gegen eine Über-
schätzung von A und Unterschätzung von N , dessen Schreiber man
zuviel Gelehrsamkeit zuschreibt. Eine Berücksichtigung beider Hss.
führt uns am ehesten zum Archetypos und zur rechten Entscheidung.
Einen etwas von Blaß (ed. altera 1881 praefat. S. XXV) ab-
weichenden Stammbaum der Handschriften gibt C u c u e 1 im essai (114),
wiederholt in der Übersetzung (124):
OL OL
(non fragmentaire) (fragmentaire)
N Apr A 1 A 2 Q (Isaei)
Dazu ist zu bemerken : a bot schon durchaus keinen vollkommenen
Text mehr; N ist mit mehr Sorgfalt kopiert als A. Es gewinnt bei
•) Nachdem für Deinarchos und Lykurgos die nämliche Überlieferung
besteht, sind mit Nutzen zu vgl. z. B. Th. Thalheim, de Dinarchi codic.
Prgr. Breslau 1886. Th. Thalheim, Dinarchi or. III, Berlin 1887. Fr. Blaß,
Dinarchi orationes, Leipzig 1888. Fr. Blaß, Lycurgi orat. in Leoer., Leipzig
1899, in den Praefationes. Dazu von den Bez.: ZöGy XXXIX — 1888,
S. 32—36 .1. Kohm ; DL IX = 1888, Sp. 627, Fuhr.
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42
Bericht über die Literatur zu den attischen Rednern
dieser Aufstellung vor allem A 2. Als Grundlage des Textes er-
achtet C. N, verbessert und vervollständigt durch die verschiedenen
Überlieferungen von A*).
Dagegen wünschte Hemstege (133) in der Einleitung seiner
Analecta den cod. A mehr berücksichtigt, als es bei Jernstedt und
Blaß geschieht**).
Eine Probe einer Ausgabe, die, Sauppe folgend, A zur Grundlage
des Textes nimmt, gibt Bohlmann (116)***) für die §§ 1—48
der or. V. r.epl too 'Hpujooo <povoo. Etwa ein halbes Hundert Ver-
schiedenheiten von Blaßens Text finden sich in dem verhältnismäßig
kleinen Abschnitt (= 19 Teubnerseiten), wovon mindestens 4/s durch
die Zugrundelegung von A veranlaßt ist. — Eine deutsche Über-
setzung des Abschnittes folgt dem griechischen Text.
Ins Französische sind Antiphons Werke übersetzt von C ucuel (124).
Hier füge ich die Doppelfrage ein : Sind Redner und Sophist
Antiphon eine Persönlichkeit oder zwei verschiedene? Und: Wie
steht es mit den bei Jamblichos bewahrten Fragmenten älterer sophistischer
Prosa, die von Blaß (129) dem Sophisten Antiphon beigelegt werden ?
Blaß AB I2, S. 108 — 114, hält an der Trennung der Personen
fest und kommt betreffs der Verteilung der Schriften nach Erwägung
von Inhalt und poetisierender Form der Schriften irepi otXrjösiac, -spi
&jiovofa? und iroXmxo? und ihrer Vergleichnng mit den ^ovtxof zu
dem gleichen Resultat, wie Sauppe durch Streichung der Sijjirjoptxol
— bei Hermog. 414, 8 Sp. — aus den Werken des Sophisten.
Demgegenüber schließt
Drerup (56), S. 300 — 306, aus der zitierten Hermogenesstelle
vorläufig nur, daß dem Redner von Hermog. keine Schriften sophistischen
Inhalts zugeschrieben worden sind. Also können sicher die Fragmente
bei Stobaios (flor.) dem — angenommenen — Sophisten gegeben
werden, gleichviel welchem von den einzelnen Werken desselben sie
zuzuteilen wären. Diese frg. nun untersucht Dr. nach der stilistischen
Seite und konstatiert bei historischer Betrachtungsweise nur einen
graduellen, nicht einen prinzipiellen Unterschied vom Stilcharakter
*) Beachtenswert ist die zitierte Besprechung des Essai durch J. Kohm.
**) Er bringt auch Belege bei, aus denen hervorgehe „in Universum
cod. Crippsianum multo fideliorem ducem esse". Übrigens sprechen auch
Keil und Wilamowitz in den zu besprechenden Abh. mehr für A, wenigstens
gegen Überschätzung von N, wie sie bei Jernstedt und auch noch bei BlalJ
vorliege. — Über das Alter von A vgl. Drerup (105) S. 322 Anm. 1.
••♦) Cf. Hüttner, Ber. 1886, Nr. 17, S. 4.
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aus den Jahren 1886—1904. (Emmingen)
43
des Verfassers der <povixol X&pt. Infolgedessen würde er, „wenn er
sicher wüßte (was er als sehr wahrscheinlich annimmt), daß aoch
Didymos und die aXXoi oox äXfyoi (die Gewährsmänner des Hermogenes)
die Trennung der Persönlichkeit nur auf das Stilurteil hin vor-
genommen haben", und wenn nicht „anderseits nicht bloß der Name
Antiphon im Athen des fünften Jahrhunderts ziemlich häufig vorkäme,
sondern auch der Stil unserer sophistischen Fragmente ohne individu-
elles Gepräge . . . wäre", „die Identifizierung der beiden als positiv
erwiesen bezeichnen", für die er so nur hohe Wahrscheinlichkeit in
Anspruch nimmt.
Buresch (120), S. 75 — 86, dagegen war bei der Zweiteilung
geblieben, hatte den icoXmxfo dem Redner, dagegen die frg., die
unter dem Namen Antiphon bei Stobaios erhalten sind — aber auch
die t^vt) — dem Sophisten zugeschrieben , und dies aus dem nach
Ungewöhnlichem suchenden, auffallenden Stil — dem Charakteristikum
des Sophisten, nicht des Redners — zu beweisen gesucht. Der Sophist
Antiphon, nicht der Redner, war auch der Lehrer des Thukydides — , und
nun fragt sich's, ob nicht auch die Tetralogien dem Sophisten gehören.
Für die sechs Fragmente einer sophistischeu Abhandlung, die
Blaß (129) aus dem 20. Kap. des irpotpsircixoc des Jamblichos*)
herausgelöst hat, schloß er aus sprachlichen Kriterien auf einen
Autor um die Zeit des Gorgias und Antiphon. Mit Ausschluß anderer
Schriftsteller der Zeit (Gorgias, Kritias, Thrasymachos, Hippias) er-
klärte er sich dann für den Sophisten Antiphon als Verfasser und
bezeichnete wenigstens für die ersten drei Fragmente das erste Buch
ÄXij&ef«? als Quelle. — Im Nachtrag der AB III, 2 a, S. 358 ff.
hat er seine Ansicht über die Urheberschaft des Antiphon nochmals
begründet, den Inhalt der Fragmente kurz analysiert und es fürs
beste erklärt, „die sämtlichen Exzerpte des Jamblichos dem 7toXtTtx6c
zuzuweisen".
Wie Wilamowitz A. und A. I 174 zugibt, daß die frg.
wirklich sophistische Prosa aus dem fünften Jahrhundert sind**), so
stimmt auch
Drerup (56), S. 806 f., Blaß insofern bei, als er für erwiesen
hält, daß die . . . „Exzerpte einer moralischen Abhandlung des
fünften Jahrh. entstammen"; die Indizien aber für Antiphon erscheinen
ihm zu schwach.
*) S. 95, 12—24; S. 96, 1-97, 8; S. 97, 16—98, 12; S. 98, 18—99, 15
und S. 99, 18—28; S. 100, 5—101, 6; S. 101, 11—104, 14 (Pistelli).
**) Cf. jedoch oben bei Protagoras 8. 34.
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44 Bericht über die Literatur zu den attischen Rednern
Gegen Blaß' Hypothese wendet sich auch Töpfer (147), nach-
dem er Text und Übersetzung der frg. mit ausfuhrlichen textkritischen
und erläuternden Bemerkungen gegeben hat*). Er hält es für un-
möglich, daß der Autor der opovotot und des frg. 181 mit unserem
Anonymus ein und dieselbe Person sei.
Die Hauptgedanken der Studie von St. Schneider (150) sind
diese: icepl bpovolas gehört dem Redner Antiphon, ist also von
den neugefundenen Fragmenten ebenso wie vom Sophisten
Antiphon zu sondern. Die frg. bei Jamblichos stehen ihrem Inhalt
nach nicht, wie Diels (89), S. 597, meint, den Abderiten Protagoras
und Demokrit am nächsten, sie passen am besten zum Sophisten
Antiphon ; namentlich fällt beiderseits häufiges Zusammenstimmen mit
Euripides auf. Sie sind höchst wahrscheinlich aus der ÄXTfi&eta ent-
nommen. Auf dieser Hypothese nun baut er ein kühnes Gebäude
literarischer Fehden auf: Antiphons „Wahrheit" und Herodots
„Maskerade" (im persischen Rat) seien eine Replik von gemeinsamem
Geist auf die ÄX^ftewi des Protagoras, in dessen Sinn Thukydides
den Perikles in seiner Leichenrede eine Duplik vortragen lasse, worin
ihm der anonyme Verfasser der pseudoxenophontischen Ädijvafav
itoXiTsfa sekundiere.
Zum Gegenstand spezieller Untersuchung wurde die erste Bede
xetTdkTijcfj.riTpotäc gemacht von Wilarao witz (117), Keil (119),
Weise (131).
Die Abhandlung von Wilamowitz erstrebt „die Einsicht in
den Rechtshandel, für den die Rede verfaßt ist", um „die Grundlage
zu gewinnen, auf welcher das Urteil über dieselbe allein aufgebaut
werden kann". Zu dem Zweck wird der Rechtsfall dargelegt; dem
folgt „die Analyse der ältesten attischen Gerichtsrede".
Gleichfalls in zwei Hauptteile, deren erster den Rechtsfall als
ßouXeumc erklärt, deren zweiter die übrigen Teile der Rede behandelt,
zerfällt Keils Aufsatz. Weise handelt über Gedankengang und
Forum der Rede, die echt und nicht Übungsrede ist. — Was das
verwandtschaftliche Verhältnis des Sprechenden, sein Alter und die
die Vergiftung begründende Eifersucht der Angeklagten betrifft, so
nimmt ihn Wilamowitz als Bastard, entsprossen einem während der
Ehe angeknüpften unerlaubten Verhältnis; dem stellt Weise bes.
§ 19 (i&rjtpuia!) entgegen. — Als Forum wird der Areopag an-
genommen. Der Fall selbst wird qualifiziert als <p<W exooiioc —
*) Für den Text ist Schenkls Rezension nicht ohne Interesse!
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aus den Jahren 1886—1904. (Emroinger.)
45
wie mindestens der ßaaiXeuc die Sache in seinem Vorurteil, dem
Ankläger folgend, aufgefaßt haben mußte (Wilamowitz) — oder als
ßouXeoai? unter Erklärung des xeipoopYifaaoa § 20 von der An-
geklagten im dramatischen Pathos des sophistischen Verfassers, aber
ate ßooXeooi? ^dvou ßwtfoo jietä 7cpovota? (Keil trotz Passow *) ; ebenso
Weise, S. 6 f.). — Daß die Sache des Klägers auf schwachen Füßen
steht, indem Grundlage des Urteils nur die Überzeugung des Toten
ist, betonen Wilamowitz und Keil und folglich Weise; die Rede ist
ein dpa'pTopoc. Dem muß die kunstvolle Anlage und Darstellung
entsprechen. Wilamowitz hebt besonders das Ethos und die drama-
tische Färbung der Kede hervor — überhaupt ist zum Verständnis
des Antiphon das der Tragödie nötig - , Keil die kunstvoll sophistische
Ausführung.
Mayrs (145) Programm blieb mir unzugänglich.
Für die Tetralogien steht noch immer die Frage nach ihrer
Echtheit im Mittelpunkt des Interesses**).
Kohm (111) benutzt zum Beweis der Echtheit der T. vor allem
die sogenannten testimonia der Lexikographen bis ins zweite Jahrh. ;
er führt diese auf eine vor Hermogenes zu setzende Quelle, wahr-
scheinlich das ativTafp-a irepl Avxt<pSvToc des Kaikilios von Kaieakte
zurück. Als Übungsstücke aufgefaßt, widersprechen die T. dem
Charakter des Antiphon — der eine tIx^ fotopix^ geschrieben
hat — durchaus nicht; sie verstoßen nicht gegen die sonstige Rechts-
überlieferung ; die sprachlichen Abweichungen sind nicht von Be-
deutung. Ein Zeichen der Echtheit ist die Gleichartigkeit der Beweis-
führung in den T. und den anderen Reden des Antiphon***).
Cucuel (114) findet (im dritten Teil seines essai) zwar „lexique,
grammaire, style" in den Tetral. vollkommen denen der Reden ent-
sprechend, wenn beim Vergleich im Auge behalten wird, daß die
Tetralogien nach Gattung und Zweck von den Reden sehr verschieden
und keine Meisterwerke sind; im allgemeinen aber erkennt er selbst
*) De crimine 3ou)>tuaeu>c- Dias. Leipzig 1886. — Cf. J. A. Heikel,
über die sogenannte ßo6Xeu«c in Mordprozestfen. Helsingfors 1886. Die
Abhandlung ist auch für die Tetralogien von Interesse.
**) Aus den im ersten Abschnitt aufgezählten, namentlich den gramma-
tischen Arbeiten laßt sich manches auch in dieser Frage Zweckdienliche
entnehmen.
••*) Von Kohm (125) ist auch eine Übersetzung der Tetralogien er-
schienen.
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46 Bericht über die Literatur zu den attischen Rednern
den stilistischen Kriterien keine ausschlaggebende Bedeutung zu;
trotzdem geht er auf die Sach- and Rechtsverhältnisse nicht ein.
Auch Schierlinger (126), s. unten S. 54, hält trotz Ab-
weichungen im Gebrauch der Nebensätze an der Authentizität der
T. fest.
Brückners Hauptargument für die Unechtheit der T. liegt in
der elocutio. Mit Benutzung von Ignatius (de A. Rh. elocutione)
stellt er auffallende poetische Wörter, Neologismen (besonders Zu-
sammensetzungen), Jonismen, dann Besonderheiten in der auv&eatc
^vojictTu» zusammen; als Maßstab der Beurteilung dient neben
Antiphon Thukydides ; Fälle, die ihre Analoga nur bei Dichtern oder
Herodot haben, können hier so wenig wie bei Thukydides Ver-
anlassung sein, die T. als unattisch zu bezeichnen. Als Resultat
ergibt sich, daß der attische Verfasser der T. jedenfalls Zeitgenosse
des Herodot und Thukydides war. Kann es Antiphon gewesen
sein? Nein: (Tetralogiarum scriptor et Antiphon non modo saepius
eandem notionem diversis vocabulis efferunt, non modo quas voces
pervulgatas alter abunde adhibet, alter plane neglegit; non modo
singulae formae, singulae dictiones aliae nie aliae illic exstant;
non modo non Semper idem verborum ordo reperitur, sed etiam id
quod maximi momenti putarim , particularum usu consuetudo tetra-
logiarum ab orationibus eximie recedit.) Vielleicht war ein Schüler
Antiphons Verfasser der T.
Diesen Verfasser findet Buresch (120) in einem Exkurs, S. 133 ff.,
definitiv in dem Sophisten Antiphon. Gerade eine ältere Marburger
Dissertation von Both (1875), in der die tetr. und Reden miteinander
ohne Scheidung mit des Thukydides Stil und Sprachgebrauch verglichen
werden, hat ihm bewiesen, daß die Tetralogien unecht sind und
dem Sophisten Antiphon gehören. Denn alle ungewöhnlichen und
poetischen Wendungen, die aus „Antiphon" zu Thukydides in Parallele
angeführt werden, sind aus den Tetralogien. Beispiele davon sind
angefügt.
Nach Jahresfrist schon erhält A., der Rhamnusier, seine Tetra-
logien zurück durch Brandenburger (123). Gegen den oben
genannten Brückner macht er in einer Note geltend, die Bedenken
seines zweiten Teiles schwänden bei der Annahme , daß die T. vor
or. V und VI verfaßt seien. Hauptsächlich wendet sich Br. gegen
v. Herwerden und Dittenberger *). Sicher ist jedenfalls der Übungs-
*) Cf. Blaß, Ber. 1882, S. 224
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aus den Jahren 1886—1904. (Emminger.)
47
zweck der Tetralogien. Gegen Herwerden jedoch, der dieselben satis
recenti aetati zugeschrieben hatte, weist er für eine Reihe von
Wörtern nach , daß sie weder abweichend vom sonstigen Gebrauch
attischer Werke, noch viel weniger labentis graecitatis seien. Die
Zahl dichterischer oder ungewöhnlicher Ausdrücke darf in den Tetr.
größer sein, wenn man sie nur an den Anfang der schriftstellerischen
Tätigkeit des Antiphon setzt. Gegen Dittenberger untersucht Br.
sententias et argumenta, die Disposition, besonders die rechtlichen
Verhältnisse ; so wird z. B. die Möglichkeit des Prozesses in B (= HI),
obwohl fahrlässige Tötung iv aöXot? vorliegt, durch Heranziehung von
Demosthenes' Gesetzerläuterung (Aristokr. 54) gegenüber dem viel-
leicht gefälschten Gesetz erklärt, Pf 4 te-d 8e usw. als Interpolation
getilgt; auf ähnliche Weise werden sachliche Schwierigkeiten aus
allen T. behoben.
Hausen (184) hinwiederum will Herwerden und Dittenberger
ergänzen und bestätigen. Die „testimonia" erklärt er für wertlos,
bespricht die Meinungen neuerer Gelehrten über das Verhältnis des
Zwiegesprächs zwischen Perikles und Protagoras zu B (= III), über
Eingliederung der Tetralogien in die fragliche xfyvr) fatoptxT, des
Antiphon, über Auffassung derselben als Übungs- oder Musterreden. Die
Untersuchung der Rechtsverhältnisse gibt ihm das Resultat, der Autor
der T. habe weder Kenntnis noch Übung in gerichtlichen Dingen
besessen, überhaupt sei alles dunkel, verworren, unzusammenhängend.
Antiphon kann ihr Autor nicht sein.
Vor allem von der sachlichen Seite greift Dittenberger (140/ 1 )
in zwei aufeinanderfolgenden Aufsätzen des Hermes die Tetralogien
an*). Seine erste Frage ist: Sind die Tetr., gleichgültig, wer ihr
Verfasser ist, eine zuverlässige Quelle für das zur Zeit ihrer Ent-
stehung in Athen geltende Recht?. Der Satz (etwa): 6 vo^o? sXpyzi
jatqtc dhixü>i ji^xe 5ixa(u>; droxTstvetv und die Verteidigungsmethode,
die sich nirgends „auf die Straflosigkeit der gerechten Tötung beruft",
beweisen, „daß der Verfasser der T. ein Gesetz als geltend voraus-
setzte , welches den Stxotto? tpovoc ebensowohl wie den aöixoc verbot
und unter Strafe stellte". Aber der Grundsatz der Straflosigkeit der
gerechten Tötung hat im attischen Recht zu allen Zeiten Geltung
gehabt. Dieser Widerspruch besteht auch trotz Blaß AB 1 2 164 Anm. 3
und Brandenburger. Es ist also „die Fiktion, die für die Tat-
bestände der Fälle evident ist, auch auf die rechtlichen Normen
*) Auch Wilamowitz trat in der Akademieabhandlung (144) entgegen
seiner früheren Meinung Dittenberger bei.
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48
Bericht über die Literatur zu den attischen Kednern
ausgedehnt." Damit scheiden die T. aus der Zahl der Quellen für
das attische Recht aus. In Konsequenz davon können die T. fortan
auch nicht mehr zur Korrektur sonst ganz zuverlässig überlieferter
Gesetzes Vorschriften verleiten. Kann für einzelne solcher Fälle
Irrtum angenommen werden, so liegt gerade für die wichtigsten
Punkte j, absichtliche Ignorierung des bestehenden Rechtes" vor.
Dann können die T. auch nicht zu Unterrichtszwecken verfaßt sein ;
es bleibt also die Annahme eines allerdings für diese Zeit höchst
auffälligen, aber in der Sophistenära durchaus nicht unerklärlichen
lusus ingenii. Jedenfalls erwachen Zweifel an der Überlieferung,
„wonach die T. von dem bekannten Staatsmann und Redner
Antiphon", der (Thuk. VIII 68) „durch und durch Praktiker war
und Schriftsteller erst in vorgerückten Jahren auf eine äußere
Veranlassung" (Gorgias 427) „und zu praktischen Zwecken geworden
ist", herrühren sollen. Muß man aber die Tetralogien wie alle
anderen schriftstellerischen Leistungen Antiphons in seine letzte Lebens-
zeit setzen, so schneidet man sich die Möglichkeit ab, „die auf-
fallenden Verschiedenheiten der Sprache unter Voraussetzung der
Identität des Verfassers plausibel zu inachen". Diese Sprache
schließt 1. ihre Herkunft vom Verfasser der or. I. V. VI., 2. ihre
Abfassung durch einen geborenen Athener absolut aus. Was man
durch zeitlichen Unterschied erklären wollte, ist in einem solchen
des Ortes begründet, man wird nach Ionien gewiesen. Schlußergebnis
ist: „Die Tetralogien sind in Athen von einem dort lebenden, aber
aus dem ionisch redenden Osten der hellenischen Kulturwelt ent-
stammenden Manne zu Ende des perikleischen Zeitalters oder wahr-
scheinlicher während des peloponnesischen Krieges verfaßt; derselbe
war gebildet und namentlich von der sophistischen Zeitströmung nicht
unberührt, besaß aber keine genauere, auf praktischer Erfahrung
beruhende Kenntnis des Rechts- und Gerichtswesens ; er bediente sich
des attischen Dialektes, aber nicht ohne unabsichtlich mancherlei
aus seiner eigenen Muttersprache einfließen zu lassen."
Parallel hiermit gehen die Ausführungen von Szanto (139);
nach ihm sind mit Absicht nicht wirklich bestehende Gesetze und
Rechtsverhältnisse zugrunde gelegt , um rein theoretisch das Ver-
hältnis von Schuld und Sühne zu diskutieren und die Reformbedürftig-
keit des attischen Kriminal rechtes zu erweisen.
Blaß weist in den Nachträgen Aß III 28, S. 358 ff., gerade
die rechtlichen Gründe Dittenbergers gegen die Authentizität zurück,
anerkennt aber das Verdienst der Beobachtung bei (Herwerden und)
Dittenberger namentlich nach der sprachlichen Seite. Gleichwohl
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aus den Jahren 1886—1904. (Emminger.) 49
hält er die Unechtheit noch immer nicht für erwiesen, zumal da kein
besser passender Autor gefunden wurde.
Gerade nach der sprachlichen Seite wird diese Zurückweisung
der inhaltlichen Verdachtsmomente ergänzt durch die Verteidigung, die
Drerup (56) nach kurzer Besprechung der juristischen Streitfrage
aus der historischen Stilbetrachtung für die Echtheit der T. gewinnt.
Lipsius (151) nimmt nun die Frage von der juristischen Seite
wieder auf (I). Zuerst handelt es sich wieder um das angebliche
Gesetz, das gerechte und ungerechte Tötung gleichmäßig verbietet.
L. gibt nun zwar zu, daß kein attisches Gesetz bekannt ist, das jede
Tötung für strafbar erklärt. Aber entscheidend ist das richtige
Verständnis der einschlägigen Stellen in T: „so wenig wird ein Gesetz
anerkannt, das auch die gerechtfertigte Tötung für strafbar erkärt,
daß vielmehr die Berechtigung zur Tötung aus dem Recht der Not-
wehr in allerentschiedenster Weise behauptet und daraus im folgenden
die Notwendigkeit der Freisprechung gefolgert wird." Der Kläger
kann also kein bestimmtes Gesetz meinen, „sondern er kann nur die
Blutgesetzgebung als Ganzes im Sinne haben, die auf Verhütung
jeder Tötung geht."
Auch die übrigen Argumente Dittenbergers fallen: (II) gegen die
Interpretation des dTrevtauTKJjAOC im wörtlichen Sinne führt er ein Scholion
zu B 665 ins Feld, das die Verweisung auf fünf Jahre ausdehnt ; den
Widerspruch aus Tetr. A mit den attischen Gesetzen löst er dadurch,
daß er {gpoouXfa (Entwendung heiligen Gutes aus heiliger Stätte)
und xXoirij Eep&v xpi^u-otTov als zwei verschiedene Verbrechen scheidet,
die auch verschieden bestraft werden. Wenn nun auch sprachliche
Differenzen bleiben, so ist L. doch überzeugt, daß der attische
Rechtsbrauch den Boden bildet, auf dem die Tetr. erwachsen sind.
Hält das Ditten berger (152) auch gerade nach den sprach-
lichen Unterschieden (bes. dbceAof^fbjv) nicht für möglich, so will er
doch auch nicht den Hauptnachdruck darauf legen. Während er auf
die Zerlegung des Sacrilegiums in zwei Arten mit Vorbehalt eingeht
(III) und gegen das Scholion (II) die geringe Glaubwürdigkeit ins
Feld führt, ist sein Hauptargument gegen die Erklärung, die L. für
das jede Tötung verbietende „Gesetz" gibt: „es hat noch niemand
die Gründe widerlegt, aus denen ich überhaupt das Vorhandensein
eines direkten generellen Verbotes der Tötung in dem drakontischen
Kodex in Abrede gestellt habe".
Etwa vorbereitet durch Kohm ist die Ansicht Gerck es (102),
daß wir in den Tetr. die t^vt) des Antiphon wiederfinden dürften.
JthratWicfct fOr AltortaiRswisaeotthaft. Bd. CXXXIII. (1907. 1.) 4
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50 Bericht über die Literatur zu den attischen Rednern
Navarre (54) betont für den ganzen Antiphon besonders die
Wirkung auf die praktische Rhetorik, den Lehrzweck; ihm sind die
T. Reste aus einer wahrscheinlich größeren Zahl verbesserter
Schülerarbeiten.
Das Verständnis der zweiten Tetralogie, deren Rechtsfall mit der
Kontroverse zwischen Perikles und Protagoras zusammentrifft, fördert
die Darlegung ihres Gedankenganges durch Wilamowitz (128),
der abermals als Grundbedingung für die Beurteilung des Antiphou
das Verständnis der Kunst der Tragiker betont. (Protagoras leges
ab hominibus datas iniustas esse xortd tov työörciTOv X<ypv saepe
declamavit . . . Antiphon, qui patriarum legum semper agit laudatorem,
hic quoque ostendit leges quidem laudandas esse, sed opus esse
perita ac subtili iuris interpretatione).
Kritisch-exegetische Beiträge zu den Tetralogien gibt K oh m (112)
in Fortsetzung seiner Studien in ZöGy XXXV = 1884, S. 81—99,
worüber Hüttner Ber. 1886, S. 21.
Bei der fünften Rede handelt es sich zunächst um Bestimmung
der Art des Prozesses, für den sie geschrieben ist. Neben Lipsius (73),
S. 270, kommt hierfür Sorof*) und Schwartz (203) besonders
in Betracht. Wir haben die Klageform der d-na^m^. Diese war
ursprünglich nur gegen xctxoup-pi statthaft, welche die Öffentliche
Sicherheit gefährdeten, fand später aber auch auf Mordprozesse An-
wendung, wobei dann der Täter nach dem stehenden Ausdruck
ctüTO<pc&pq> ergriffen sein mußte. Sorof nun hält für die Erklärung
des Falles an der älteren Form fest, muß demnach das Wort
xaxoöpYOC betonen. Aus § 9, wo die Zeugen nicht bestätigen
können, daß der Angeklagte ein Raubmörder sei, schließt er, daß
wenigstens die Anklageschrift eine solche Behauptung aufgestellt habe
und der Angeklagte deshalb vor die Elfmänner, nicht vor den Areopag
gekommen sei. (Blaß AB I8, S. 177, Anm. 1, bemerkt dazu § 9
jActpTope; sei mißverstanden.)
Schwartz (203) läßt zur Zeit des Prozesses die Klageform in
die Entwicklung zu ihrer späteren Anwendung bereits eingetreten
sein; er erklärt daher das ir' a&TO<p<op«u dahin, daß der Kläger ;>ich
auf Autopsie oder auf zwingenden Indizienbeweis stützen konnte, der
Ausdruck 4ir' aot. somit nicht allein auf das Ergreifen in flagranti zu
beziehen sei. — Hierzu vgl. man die Berichtigung von Lipsius (161)
und überhaupt unten zu Lys. XIII.
•) M. Sorof, die iztrf. in Mordprozessen. NJklPh 127, 2 S. 105-113.
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aus den Jahren 1886—1904. (Emminger.)
51
Als den Mytilenäer, für den die Rede geschrieben wurde, nennt
Bohl mann (116) nach Mätzner und Meuß einen Euxitheos (Sopatros,
IV 316 Walz). Bedenken äußert hiegegen Wilamowitz A. u. A.
II 369 Anm. 3. Cf. Blaß ABI2, Nachtrag S. 645.
Die Echtheit der sechsten Rede war 1870 von Wagener an-
gezweifelt worden ; er glaubte sie von einem späteren Rhetor verfaßt.
Gegen ihn wendet sich Brinkmann (121). Zuerst untersucht er
den Rechtsfall, den er als ßouXsoat; ^voo avso Ttpovoia? auffaßt;
ßQtSXsotJi; erklärt er dabei als intellektuelle Urheberschaft, stellt
ßo'jXsust; <p<Svoo aveo 7tpovota? mit ßooXeoai? cpovoo dxouafa gleich und
setzt sich auf dieser Grundlage besonders mit Wagener, Philippi,
Herrlich, Passow auseinander. — Die Rede selbst ist verstümmelt:
§ 51 ist untergeschoben; nach § 50 folgte ursprünglich eine kurze
Darlegung über die Bestechung des Ph. durch die Finanzunter-
beamten und Beweis hierfür, darauf die Ausführungen außer der
Rechtssache und schließlich ein Epilog. — Ein drittes und viertes
Kap. wenden sich gegen die in der Sache und Disposition begründeten
Anstöße, die Wagener zur Athetese veranlaßten. — Wie dieser ver-
gleicht er dann or. V und VI nach der Seite der elocutio ; er stellt fest,
daß in VI der Periodenumfang größer sei, während Figuren, besonders
Antithesen, in V sich zahlreicher fänden; daß der Infinitiv mit Ar-
tikel in VI nie, in V mehrmals gebraucht werde. Doch hält er eine
so rasche Entwicklung vom Stil der V. zu dem der VI. Rede,
wie sie sich aus dem Vergleich ergäbe, bei dem schon alten Antiphon
nicht für wahrscheinlich, vielmehr scheint es Brinkmann, Antiphontis
ingenium complura dicendi genera, qualia quidem in uno oratore
esse possunt, complexura esse. Similiter iam Hoppius de oratoris
^Öoicoua quae vocatur judicavit.
Eine mehrfach erörterte Frage ist die nach der Abfassungszeit
der Choreutenrede. Mit Sauppe in den Or. Att. II 144 hatte
R. Schöll*) als Jahr Olymp. 92, 1 = 412'11 aufgestellt. Als
Frühgrenze wurde die sizilische Niederlage angenommen, nachdem
für die damalige Zeit der Not Zuteilung zweier Phylen an einen
Choregen und Ausrüstung der Theten als Hopliten zu passen schien.
Als Spätgrenze mußte die oligarchische Umwälzung vom Jahr 412/11
gelten. Die Thargelien der Rede waren also die des Jahres 412,
Ende 412.
*) Comment. philol. in hon. Theod. Momnisenii. Berlin 1877 (S. 451
-470).
4*
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52
Bericht über die Literatur zu den attischen Rednern
B. Keil (130) nun führt gegen den ersten Grund des terminus
post quem unsere aus Arist. 'Afhjv. iroXtteta 56 geschöpfte Erkenntnis
von der Ordnungsmäßigkeit dieser Choregiezuteilung ins Feld und
gegen den anderen die Möglichkeit des öfteren Eintretens dieses Zu-
standes. Es ist also die Festsetzung auf 412 unerwiesen — nach
den Berechnungen Keils sogar unmöglich. In der ganzen 92. Olympiade
wichen die athenischen Amtsjahre von den entsprechenden Kalender-
jahren ab, und zwar so, daß die Anfangs- und Endtermine der Amts-
jahre vor den gleichen Terminen der Kalenderjahre lagen. Die
Amtsjahre aber, von welchen unsere Rede berichtet (§§ 45 und 44),
beginnen nicht vor, sondern nach dem entsprechenden Kalenderjahr;
die Jahresreihe 415/10 ist also ausgeschlossen. — Aus CIA I 273
wird berechnet, daß während des Quadrienniums Ol. 88, 3 — 89, 2
(= 427/6—424/3) der Anfang der Amtsjahre nach dem gleichen
Termin der entsprechenden Kalenderjahre fiel: dieselbe Erscheinung
wie in der antiphontischen Rede. „Es scheint damit etwa die Epoche
indiziert, welcher die Rede angehört." Diesem Ansatz widersprechend
könnte jemand aus stilistischen Gründen die Choreutenrede für die
jüngste der erhaltenen erklären wollen. Aber „es ist nicht aus-
geschlossen, daß Antiphon unter dem Druck, den die junge thrasy-
machische Schule nach dem lauten Zeugnis des Aristophanes schon
frühe machte, in einer Periode seiner rednerischen Entwicklung
dieses oder jenes von der neuen Richtung annahm, dann aber zu
einer älteren Weise zurückkehrte" wie Thukydides.
In einem zweiten Aufsatz vom gleichen Jahr sucht Keil (137)
auf Grund dessen, was er als Ursache der Verschiedenheit des Amts-
und Kalenderjahres (A.-J. um 412 vor, um 425 nach K.-J.) übrr
System und Einführungsjahr (503) des kleisthenischen Kalenders be-
rechnet hat, die Abfassungszeit unserer Rede genauer zu bestimmen.
Nach seiner Tabelle kommen in Betracht 425, 430, 435. VI ist
einige Monate jünger als die philinischc Rede (s. unten S. 53), diese
erst nach 427: es bleibt also 425 übrig*).
Dadurch wird einmal der politische Zusammenhang der Rede
beleuchtet: der Prozeß, in dem sie gehalten wurde, ist „ein demo-
kratischer Kontrecoup in dem Kampf" der Aristokratie gegen die
Demokratie, der am 17. Thargelion 412 zum Sieg der Oligarchie
führt. Zweitens aber rückt damit die Rede nahe an die Daitaleis,
„in denen wir den bedeutenden Eindruck, den Thrasy machos
*) § 44 demnach: 7rap«tcav xai tojtov toü fAT//,; (?pe?c xal) efxoaiv:
23. Metageitn., etwa 16.— 18. Dezember 425.
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aus den Jahren 1886—1904. (Emmingen)
53
gerade in jenen Jahren machte, erkennen". Noch wichtiger aber ist,
daß auf eine Technik zu schließen ist, „die Antiphon in Athen von
Athenern gelernt hat, die, wie wir jetzt nicht mehr zu vermuten
brauchen, sondern sehen können, lange bestanden haben muß, ehedem
ein Thrasy machos oder gar ein Gorgias auf dem Plan erschienen".
Es folgen Bemerkungen über das Verhältnis dieser „attischen"
Beredsamkeit zu der des Thrasymachos und Gorgias, wozu vor allem
Drerup (56), S. 278 zu vergleichen ist.
Blaß im Nachtrag AB III, 22, 367 f., schließt sich im
wesentlichen Keil an.
Wilamowitz (144)*) hat sich von Keils Ansatz nicht über-
zeugt fühlen können. Beispielsweise stimme die Rechnung für das
Jahr der Marathonschlacht nicht. „So deutlich es ist, daß das Rats-
jahr um viele Tage nachging, so unmöglich ist es, mit unserem
Material das Jahr festzustellen **)." Im übrigen ist der Inhalt dieses
Akademievortrags im Bericht selbst kurz dahin angegeben : „ Aus der
Analyse der Rede ergibt sich, daß sie vollständig ist, aber die ersten
sechs Paragraphen ein Proömium, das auf diesen Fall gar nicht paßt,
vermutlich aus den Proömien des Antiphon stammend. Die in der
Rede gegebenen Daten sind heil, genügen aber nicht zur Fixierung
des Jahres".
Daß die Rede xata OiUvoo ein Prozeß x^o^Tj? war, wird bestätigt
durch schol. BT zu T 368 (? 369) : Wilamowitz A. u. A. II 347, Anm 3.
Zu irpöc NixoxXla irept ffptuv cf. Wilamowitz a. a. 0. I 218.
Die Rede irept toD AtvÖfu>v <p6pou ist (unter Vergleich von CIA I 233)
nach Bannier bei Keil (137), S. 339, ins Jahr 425/4 zu setzen.
Zur Textkonstitvtion und Erklärung einzelner Partien der Werke
Antiphons trugen außer den gelegentlich zitierten bei:
Sonne (122) (zu Ta 2: vor dseßeiv uiv lies rcepl xöv öe<Sv);
H. Seume bei Sauppe (115) zu 2;
Wilamowitz A. und A. II 347 zu VI, 36: d»c autou 6. >j.
Kohm (132 und 143) zur I. V. und VI. Rede;
Hemstege (133) und neuestens Naber***) zu sämtlichen
Schriften.
*) Cf. auch A. u. A. II 347 (u. Anm. 3).
**) Zu dem hier wichtigen § 44 hat eine Textveränderung Sauppe (115)
vorgeschlagen: . . toü fx^vo« xpet; (aut T^aaapo«) fyiipac; dann bjiv. otjtoic
xActv rpuhcovra.
***) S. A. Naber. adnot. critic. Mn XXXIII = 1905 S. 157-185.
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54
Bericht über die Literatur zu den attischen Rednern
Einen vortrefflichen Index Antiphonteus besitzen wir von
van Cleef (138). — Die Lexikonprobe von
Wetzeil (127) reicht bis djAtpoTepoi : findet man sich einmal
zurecht, so kann man vieles finden!
Auf Antiphon als Stilisten und seine Entwicklung ist vielfach in
den bereits aufgeführten Abhandlungen Rücksicht genommen (z. B.
bei Brinkmann, Keil, Wilamowitz, natürlich auch Blaß AB.)
Mit den Partikeln im besonderen beschäftigt sich die Diss. von
Rosenthal (135). Es sind die Konjunktionen xat -ck otäi oute;
>j etre; dUa U jt&v — U; ji^ mit Zusammensetzungen; 701p eicet;
ouv tofvov apa xotfaptoi Toiyotpouv aus allen Schriften des Antiphon
gesammelt und nach ihrer verschiedenen Verbindung, Stellung und
Wirkung gruppiert, eine Vorarbeit für ein Antiphonlexikon. Da-
zwischen ist eine Untersuchung de negationibus eingeschoben. Zwei
kleine Tabellen für xat — xa( und 70p erleichtern die Übersicht.
Auf das Vorkommen und die Verwendung der Partikeln in den
Tetralogien ist ein besonderes Augenmerk gerichtet; alle Reden
gelten dem Verfasser als echt.
Über Po lack (15) und Gentsch (25), s. oben S. 16. Ihre
Untersuchungen beziehen sich auf die Frage- bezw. Kondizionalsätze.
Schierlingers (126) Plan geht dahin, „durch möglichst voll-
ständige Zusammenstellung und Vergleichung der unterordnenden
Satzverbindung, wie sie uns in den Gerichtsreden und den Tetralogien
entgegentritt, das Verhältnis der einzelnen Reden zueinander näher
zu beleuchten". Nur wenige Beispiele zum Vergleiche stehen aus
den Tetralogien für Konsekutiv- und Kausalsätze zu Gebote , Final-.
Komparativ- und Relativsätze zeigen keine Abweichungen, wohl aber
die übrigen. Aber da die T. „nicht als vollendete zum Gebrauch
fertige Reden, sondern hauptsächlich als Entwürfe anzusehen sind",
können sie doch „mit Sicherheit als Schriften des berühmten Redners
Antiphon bezeichnet werden".
Umfassender ist der Essai über die Sprache des Antiphon von
Cucuel (114). Die Einleitung, deren S. 41 bereits Erwähnung
getan ist, handelt von den Handschriften und ihrem relativen Wert.
Der Hauptteil zerfällt in drei Abschnitte, deren erstere beide mit
allgemeinerer Tendenz den Zweck verfolgen „de re'unir des materiaux
qui serviront ä composer un jour un chapitre de la syntaxe historique
du dialecte attique." In dieser Absicht ist im ersten Teil „le lexique"
(Komposita, Abstrakta, Wortbedeutung, poetische Ausdrücke, faa$
efpr^eva, Synonyma, Metaphern und, gewissermaßen zusammenfassend,
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aus den Jahren 1886—1904. (Emmingen)
55
Tarcbaisme d'Antiphon), im zweiten Teil die Syntax des Antiphon
nach den gewöhnlichen Unterabteilungen behandelt. — Beigefügt ist
eine — nicht sehr einläßliche — Studie über die Echtheit der
Tetralogien, die angenommen wird.
In zwei Aufsätzen beschäftigt sich Reuter (148, 149) mit der
Technik des Antiphon , das heißt mit der Frage nach den Mitteln,
mit welchen der Aufbau seiner Reden hergestellt ist. Gegenüber
Schwartz (96), der das Schema des gorgianischen Palamedes bei
Antiphon wiederzufinden glanbte, entdeckt R. des Antiphon Kunst-
regel aus der Zusammenstellung von Plato Phaedr. 266 D ff. und
Antiph. VI 30 f. Aus den Reden wird dann die Probe auf das
gefundene Schema gemacht. Doch muß R. einräumen, daß die ge-
wonnene Norm bedeutende Erweiterungen in der Praxis der drei
Reden erfährt und trotzdem manches sich nicht gut unterbringen
läßt. Gleichwohl „erschließt sich eine Symmetrie, die darum nicht
minder reizvoll ist, weil sie sich verbirgt." — Der zweite Abschnitt
behandelt die Elemente des Plaidoyers. An der Staate von V
19—24, 31—35, VI 11—15, 34—41, läßt sich die Beobachtung
machen, daß häufig „stimraungmachende Bemerkungen die reinen
Tatsachen der Erzählung überwuchern" und „wo das nicht der Fall
ist, wie in I, der scheinbar objektive Ton nicht wenig subjektiv und
tendenziös gefärbt" sich zeigt. Ähnlich ist beim Beweisverfahren
sowohl mittels Texjx^piov, wie 1% xou efxöroc die Überredung, Be-
einflussung der Zuhörer die Hauptabsicht ; „durch die Zuversichtlich-
keit und den scheinbaren Scharfsinn", womit „ein ganz bestimmtes
Verfahren oder Verhalten als das einzig Normale hingestellt wird",
womit „die eine Möglichkeit als die einzige behauptet wird",
wird der Hörer verhindert, andere Möglichkeiten zu erwägen. Ebenso
kommt es bei der Erläuterung der Zeugenaussagen, der Abwägung
von Klage und Verteidigung und natürlich beim Ausfall auf den
Gegner ausgesprochen „auf einen moralischen Effekt" an.
Ein dritter Abschnitt: „Die psychischen Elemente der Rede
und das Stichwort" mustert diejenigen Teile der Reden, „in denen
das impulsive Element überwiegt", d. h. zunächst Einleitung und
Schluß, aber auch Stellen des Plaidoyers, die „bei näherem Zusehen
als Appell an das Gemüt aufzufassen sind". Dazu bedient sich A.
der Stichwörter. Reuter zeigt, wie sich diese, wie musikalische
Motive, mit ihren Variationen ineinander verschlingen, wiederholen,
zusammenfließen. Nach diesen Stichwörtern geht er die Reden durch.
Sie helfen vielfach auch über Lücken im Zusammenhang hinweg.
Hat A. vielleicht auch hier eine Regel befolgt, etwa die des Thrasy-
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5(5 Bericht über die Literatur zu den attischen Rednern
machos (Phaedr. 267 CD), der, namentlich durch Swßa'Metv, Mitleid
und Zorn erregte? Reuter läßt die Frage offen.
Drerup (56) spricht S. 275—300 von dem Rhamnusier.
„Wesen und Eigenart der antiphontischen Beredsamkeit tritt uns
unverfälscht nur in seinen ältesten Reden, den Tetralogien, entgegen."
Die Gründe, die gegen ihre Echtheit vorgebracht wurden, werden
zurückgewiesen: Die Stildifferenzen der Tetralogien von den anderen
Reden sind zwar zweifellos bedeutend , nichts hindert indes , die
Tetralogien schon um 430 anzusetzen: Bei der Verpflanzung der
sophistischen Schriftstelierei auf attischen Boden sind dann Jonismen
natürlich. Dazu kommt die Anlehnung an die Dichtersprache, die
sich vorzüglich auch in der Prägnanz des Ausdrucks, einem Cha-
rakteristikum des ganzen Antiphon, kundgibt. Bei solcher zeitlichen
Datierung und Betrachtungsweise erscheint der Unterschied der
Gerichtsreden I und V von den Tetralogien nur als ein gradueller. —
Ein wesentlicher Fortschritt liegt in der bewußten Verwendung der
sogenannten gorgianischen Figuren. Aus dem Zusammenhalt von I
und V mit den Tetr. erhellt es als falsch, „den Antiphon ohne
weiteres zu einem Gorgianer zu stempeln, wenn schon die Grundlage
seines Stiles dieselbe ist wie bei Gorgias; Antiphon gehört vielmehr
seiner Grundrichtung nach einer vor Gorgias liegenden Periode der
Beredsamkeit an. Erst in seiner Spätzeit hat er mit voller Absicht
hier und da Anklänge an die gorgianische Manier gesucht , wie das
gerade dem Geschmacke seines Publikums angemessen war". — Wie
schließt sich nun dieser Folge : Tetralogien, or. I, or. V die VI. Rede
an, „deren völlig abweichender Stilcharakter ein fast thrasymachisches
Gepräge trägt" ? Antiphon, „im Grunde ein sophistischer Rhetor der
alten Schule", war in seiner innerlichen Entwicklung soweit ab-
geschlossen, „daß eine entschiedene Stellungnahme in dem . . . Streit
der Kunstschulen (Gorgias — Thrasymachos) von ihm nicht notwendig
zu erwarten ist". „Seine sophistisch(-eristische) Vergangenheit zwar
drängte ihn zur Richtung des Gorgias (des Antithetikers) hin" — kein
Wunder aber, „wenn Antiphon . . . sich einmal in dem von Thrasy-
machos gepflegten freieren Periodenstil versucht hat", (vgl. Keil oben
S. 52) zumal da sich dieser „iu sehr viel höherem Maße als der
gorgianische für den Gerichtsgebrauch eignete".
Das Verhältnis von Thukydides und Antiphon (besonders auch
das hohe Lob des Ant. bei Thukyd. *) und Homer als beider Vorbild
*) Cf. Buresch ' Ansicht oben S. 43.
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aus den Jahren 1886—1904. (Einminger.)
57
namentlich auch für die J^nata) behandelt das Programm von
N i e s c h k e (100). Sein Resultat ist : quodsi non est cur coni-
ciamus Thucydidem et Antiphontem a Gorgia studiis rhetoricis imbutos
aut in usu figurarum eum imitatos esse, ne probabile quidem esse
mihi videtur utrumque obsoletas ac peregrinas formas Attici sermonis
auctore Gorgia hic illic usurpavisse. Certe et Antiphontem et Thucy-
didem, antequam Gorgias Athenas princeps legationis missus est,
tragicorum auctoritatem secutos, quorum quidem studia nonnullis locis
elucere videntur, eisdem fere formis, quas apud tragicos usitatos esse
viderent usos esse censeo. Den Antiphon speziell^ anlangend sagt
er . . . probabile nobis videtur Thucydidem, licet genus scribendi
tamquam ex ipsius scriptoris ingenio procreatum vel exortum sit,
tarnen pauca exAntiphontis consuetudine, multa cum ex
poetarum studiis tum ex Homericis accepisse, at nihil Gorgiae acceptum
rettulisse.
Über das Nachleben des Antiphon in späterer Literatur vgl. man
Keil (136), S. 82 Anm.
IV. Andokides.
1885.
153. * A. Cinquini, de codice Q Andocideo. Giomale di
filologia classica I, 4/5, p. 284/90.
1886.
154. * A. Cinquini, Andocidis de codicibus qui in bibliotheca
Ambrosiana exstant. Milano. —
[Rez.: BphW VII — < 1887, Sp. 1366, Lewy.]
H. Sauppe: s. Nr. 115 (1886).
1887.
155. * Joh. Zelenka, vom Leben und der Wirksamkeit des
Redners Andokides, Übersetzung und Erklärung seiner Rede „von
den Mysterien". Prgr. des K. K. Staatsobergymn. Klattau (Böhm.). —
[Rez.: ZöGy XXXIX — 1888 S. 1047, Drechsler.]
156. R. Hoyer, Alkibiades Vater und Sohn in der Rhetoren-
schule Prgr. Kreuznach.
1888.
157. J. H. L ipsius, Andocidis orationes ed. Edit. stereot.
Leipzig. —
[Rez. z. B.: BphW X - 1890, Sp. 77/8, Thalheim.l
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58
Bericht über die Literatur zu den attischen Rednern
158. W. Francke, über die Echtheit der Friedensrede des
A. Gymn.-Prgr. Greifswald.
1889.
159. E. C. Marchant, Andocides de mysteriis and de reditu.
London, 1. Aufl. 1889, 2. Aufl. 1900. —
[Rez. z. B.: BphW XI = 1891 Sp. 391, Thalheim.J
160. U. Köhler, Beiträge zur Geschichte der Pentekont.aetie.
H XXIV, S. 85—100, hier S. 92 ff.
161. J. H. Lipsius, zu Demosthenes. Leipzig. St. XI
S. 351/7, hier S. 356 7.
1891.
162. J. M. Stahl, zum Psephisma des Demophantos. RhMPh
XLVI, S. 614 7.
163. G. Zutt, die Rede des A. nepl täv poor^ptcDV und die
Rede des Lysias xocV ÄvooxiSoo. erster Teil. Prgr. für Mannheim,
Leipzig.
164. H. Morris Morgan, some constructions in Andocides.
HSt II S. 57—69.
1894.
165. G. M. Sakorraphos, observationes criticae ad Aeschinis
orationes. Ph LH S. 435—441, hier S. 436.
1896.
166. R. u. F. Schöll, zu Andokides' Mysterienrede. Jahrb.
für Philol. u. Paedag. CLIII, S. 545—552.
H. Sauppe, ausgewählte Schriften: quaest. crit. Nr. 6 S. 787.
Ind. schol. hib. Göttingen 1886.J
Cf. Nr. 115.
1897.
167. L. L. Forman, index Andocideus, Lycurgeus, Dinarcheus.
Oxonii.
168. M. Nieder mann, quae sit causa cur in iudicanda Ando-
cidis patria inter duos pagos fluctuet Pseudoplutarchus. RPh XXI,
S. 167—172.
1899.
169. S. Sh. Kingsbury, a rhetorical study of the style of
Andocides. Diss. Baltimore.
1900.
170. A. Kilpeläinen, quaestiones Andocideae cum specimine
lexici. Kirchhainiae Lusatiae. —
IRez.: DL XXII - 1901 S. 603, Heikel.]
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aus den Jahren 1886—1904. (Emmingen)
59
1901.
171. A. Schroff, zur Echtheitsfrage der vierten Rede des A.
Diss. Erlangen.
172. L. Radermacher, Andocideum. RhMPh LVI, S. 139
—141.
173. A. Wilhelm, Vermutungen II. Ph LX NF XIV S. 485
—487.
1903.
174. E. Fuhr, zur Echtheitsfrage der Rede des Andokides
gegen Alkibiades. BphW XXIII S. 411—416.
1904.
175. H. Diels u. W. Schubart, Didymos Kommentar zu
Demosthenes (Pap. 9780) nebst Wörterb. zu Demosth. Aristokr.
(Pap. 5008) bearb. Berl. Klassiken. I. Berlin.
176. H. Diels et W. Schubart, Didymi de Demosthene
commenta cum anonymi in Aristocrateam lexico post ed. Berol. recogn.
Vol. Aegypt. ord. IV. gramm. pars I. Leipzig.
177. K. Fuhr, Anzeigen von Nr. 175 u. 176. BphW, Sp. 1121
—1131.
1905.
178. S. A. Naber, adnotationes criticae ad Andocidis orationes.
Mn XXXIII S. 269—292.
Über den Großvater des Andokides und dessen Tätigkeit*) wahr-
scheinlich 446 gegen die abgefallenen Megarer berichtet nach CIA II
1675 Köhler (160), ebenso über seine Teilnahme an den Friedens-
unterhandlungen des gleichen Jahres mit Bezugnahme auf Andok. III, 6.
Der Redner gehörte einem alten Geschlecht an; daß er nicht
Keryke war, darüber stimmt gegen Töpffer (A. Geneal.) und D itten-
berger (Herrn. XX 32) mit Blaß AB I8 281, Anm. 2 und
Lipsius (in der Ausgabe), Wilamowitz (75 II 74 Anm. 5)
überein. Die Verwechslung ist daraus zu erklären, daß der Ahnherr
der gleiche (sc. Hermes) war: ein Keryke hätte I 127 nicht sprechen
können.
Wegen der Demos angehörigkeit des Redners hatte der Biograph
Zweifel: xov hl Sf^ov KoSaO^vato? 7) Bopeo«. Für uns steht sicher,
daß Andokides Kydathenäer war; woher aber kommt das Schwanken?
Stahl**) hatte vermutet, außer des Andokides Vater Leogoras, der
•) Cf. Blaß AB I* S. 282.
**) RhMPh XL — 1885 S. 439.
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<30
Bericht über die Literatur zu den attischen Rednern
KuSafhjvaieü? war, habe es noch einen anderen Leogoras 8opatefo
(Oopsuc) gegeben; er stützte sich dabei auf CIA I 179, eine
Inschrift, die er im Zusammenhang mit einer Ergänzung von
Thuc. I 51 gleichfalls ergänzte. Niedermann (168) weist dem-
gegenüber darauf hin, daß Andokides von Odysseus und noch weiter
von Hermes abstammte, dessen Sohn K£<paXoc . . . Iv Oopcuitov
(Wilamowitz für Oopiltov) xaT<i>xei. Daher der Zweifel beim Biographen.
Über das böhmische Programm von Zelenka (155) entnehme
ich der Rezension von Fr. Drechsler : Der erste Teil der Abhandlung
bringt eine im Rahmen des Herkömmlichen gehaltene Biographie des
Redners mit Exkurs über die politischen Hetärien ganz nach Büttner,
sowie mit Gliederung und Inhaltsangabe der Reden, dann ein Ver-
zeichnis der unter des Andokides Namen erhaltenen Schriften, eine
summarische Charakteristik seines genus dicendi , schließlich eine
Zusammenstellung der Ausgaben. Im zweiten Teil wird eine Über-
setzung der ersten 69 Kapitel der ersten Rede geboten, woran sich
als dritter Teil hierauf bezügliche kritisch-exegetische Bemerkungen
anschließen.
Zwei Handschrißen kommen für Andokides in Betracht: A (Cripp-
sianus) und Q (ein Ambrosianus). Über Q hatte Cinquini (153)
in einem mir unzugänglichen Aufsatz berichtet, und danach (154)
eine Abhandlung über die ambrosianischen Handschriften des Andokides
im allgemeinen veröffentlicht : Lipsius urteilt darüber (Einl< der Aus-
gabe 157, p. XVIII) : (etiam) huius codicis lectiones satis neglegenter
exscriptas edidit.
Herausgegeben wurden die Reden des Andokides grundlegend
von J. H. Lipsius (157). In der sehr lesenswerten Einleitung
werden wir über das Leben, die Schriften (IV unecht!), die bis-
herigen Ausgaben und die Grundlagen der eigenen Ausgabe unter-
richtet. Neben A, über dessen Lesarten nach mehrmaliger Vergleichung
kaum mehr Unsicherheit bestehen kann, ist Q (Ambros. D 42 sup.)
zum erstenmal ausgiebig herangezogen.
Eine selbständige Ausgabe der ersten beiden Reden liegt vor
von Marchant (159). Der Herausgeber hat das Bedürfnis von
Studenten der Universität und höheren Schulen im Auge gehabt, will
jedoch auch das Augenmerk Reiferer auf die Lektüre dieser 1. im
Umgangsattisch geschriebenen und 2. als Quelle für die attische
Geschichte interessanten Reden lenken. Die Textkonstitution ist sehr
konservativ unter Benutzung von Blaß und Lipsius. Von lebendiger
Auffassung auch der Person des Andokides, des gentleman orator,
eines typical Athenian of the decline, zeugt die Beschreibung seines
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aus den Jahren 1886—1904. (Emminger.)
(51
Lebens. — Die Einleitung in die Mysterienrede handelt von der
Natur des Falles, vom Anklagegrund (dtaeßeiac), von den Beziehungen
des A. zu seinen Anklägern; sie bringt sodann eine Analyse der
Rede und Bemerkungen, die besonders das Fehlen des rhetorical
training bei Andokides betonen und daher den Charakter seiner
Sprache als der Umgangssprache nahestehend bezeichnen; Erläuterungen
über die politische Lage in Athen zwischen 403 und 399 bzw. 398
schließen sich an. — Die Einleitung zu II. de reditu bestimmt das
Jahr der Rede mit Jebb auf 410, die Rede selbst als öi^t opfe ; auf
die Disposition folgen Bemerkungen technischer Art, denen zufolge
diese Rede besser ausgearbeitet ist und weniger das Eigentümliche
der Umgangssprache zeigt als die I. und trotz Mangels eines rheto-
rischen Planes doch wohl angelegt erscheint; angefügt sind auch
hier Untersuchungen über die Lage im Jahre 410. Unter dem Text
stehen die kritischen Noten, erklärende folgen demselben, ferner zwei
indices : der Vokabeln und der Eigennamen und Sachen.
Die literarische Kritik hat dem Andokides natürlich schon alle
vier Reden abgesprochen; auch die erste. In ihrem Verhältnis zu
Pseudolys. VI untersucht Zutt (163)*) die Mysterienrede und dabei
auch die Frage ihrer Echtheit. 1. Andokides I ist Gegenrede
zu Pseudolys. VI. Sluiter hatte Verdacht geschöpft aus Andok. I
137 — [Lys.] VI 19. Nach Zutt erhält im Gegenteil „die Rede
icept jAucmjptav in einer Reihe von Stellen nicht nur ihre Pointe erst
durch die Rede xat' AvSoxföou, sondern wird sogar erst durch sie
verständlich". „Andokides hatte, als er seine Rede repl täv {ao<jtT|-
pfouv überarbeitete, die Rede des Klägers vor sich liegen." —
Francken — gegen ihn richtet sich der zweite Abschnitt — hatte
die status causae der Reden mißverstanden. Nach Z. erklären sich
2. Unklarheiten und sachliche Unrichtigkeiten durch Annahme der
Überarbeitung, für die besonders an einer Wahrung der Prozeß-
formen nichts mehr lag; alle Widersprüche mit den Historikern
hängen mit dem Charakter der Rede als tendenziöser Rechtfertigungs-
schrift zusammen: Andokides lügt absichtlich und kunstvoll. — Die
folgenden beiden Kapitel befassen sich vorzüglich mit der pseudo-
lysianischen Rede, indem sie aus den bisherigen Thesen (1. und 2.)
den Schluß ziehen, auch Lysias xat' 'AvSoxtöoo müsse für echt gelten,
wenigstens als Auszug der ursprünglichen alten Rede. — Auch
Naber (178) hält die Rede nunmehr für echt, aber von einem
Rhetor überarbeitet.
•) Cf. auch V. Schneider unten (268) Ber. zu Lysias.
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62 Bericht über die Literatur zu den attischen Rednern
Fünf weitere kleine Abhandlongen zur ersten Rede ordne ich so,
daß sich ein Weiterschreiten vom Sachlichen zum Sprachlichen
ergibt. — Zu §§ 96 — 99 und § 95 (Psephisma des Demophantos)
erhebt Stahl (162) die Frage: „Warum wird in dem Bürgereide
der Fall der Tyrannenherrschaft noch besonders und wie es scheint,
ganz überflüssigerweise, erwähnt?" .... Die Eidesformel schließt
sich „in ihrem Wortlaut, zum Teil wenigstens, an eine ältere an, die
durch einen Volksbeschluß vorgeschrieben war", veranlaßt durch eine
vorhergegangene Tyrannenherrschaft und zwar die der Peisistratiden.
§ 95 xaxa' 7s t6v 26lo>vot v^ov ist dann zu streichen, auch (r^tiea)
xa xp^jioxa lyzw zu schreiben.
Nach §§ 17, 18 und vor § 19 sind zwei Tatsachen durch Zeugnis
klargestellt worden : daß Lydos der Anzeiger war, und daß Andokides
den Vater aufs dringendste gebeten hat zu bleiben; dementsprechend
verlangt Radermacher (172) nach 2x£cpavov starke Interpunktion und
mindestens eine Pause, wenn man nicht (Mapxupsc) danach einsetzen will.
Zu der Namenliste des § 47 vermutete schon Schöll (s. gl.
nachher) in dem ^p^aa'fiEvo? einen Vatersnamen; Wilhelm (173)
liest Opuviyoc 6 'Op/^^ajAevou und bringt Beispiele für Partizipien als
Namen ohne Anlehnung an Vollnamengruppen.
F. Schöll (166) selbst bringt seines Bruders und eigene Vor-
schläge zur Textänderung.
Sauppe (115) versetzte § 80 xai \iexa xaöxa . . xaxeXaßov in
§81: £7retöy} 8e (jiexd xa5xa . . xax&aßov xai) ETzoLvr,)^.; dagegen
Lipsius (157) p. XXIV.
Drerup (NJklPh, Suppl. XXII, 841 Anm. 1) tilgt § 15 xai . .
xal itept x. 'Eppcuv . . ijjSet als Interp. aus § 34.
Zur zweiten Bede, § 27, vgl. Lipsius (161) gegen Schwartz.
Die Friedensrede hat ihren schärfsten Gegner in K. S i 1 1 1 **)
gefunden. Ihm treten entgegen Blaß AB 1 2 329 und W. F r a n c k e (158),
der die Rede in erster Linie nach ihrem Inhalt prüft: die genaue
Kenntnis der politischen Lage kann als positiver Beweis für die
Urheberschaft des Andokides verwertet werden. Besonders aus
Dingen, die an und für sich nebensächlich sind, läßt sich die Echt-
heit ersehen. Franckes Schluß ist: „Die Friedensrede, die dem
Andokides zugeschrieben wird, konnte so, wie wir sie haben, gehalten
werden und ist wirklich gehalten worden. Ist sie aber gehalten
worden, so kann über ihren Verfasser kein Zweifel walten."
*) Über den Gerichtshof cf. Br. Keil, die solonische Verfassung in
Aristoteles' Verfassungsgeschichte Athens. Berlin 1892, S. 110.
•*) Gesch. der griech. Lit. bis auf Alex. d. Gr. München, 3 Bd. 1887 ff-
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aus den Jahren 1886—1904. (Emminger.)
03
Für die Zeitbestimmung der Rede ist ein neues Philochoros-
fragment in dem kürzlich gefundenen Demostheneskommentar
des Didyraos (175 und 176) von Wichtigkeit: col. VII 19 f.
berichtet von den Friedensverhandlungen im korinthischen Krieg, von
denen Xenophon und Diodor schweigen. Die Verhandlungen haben
stattgefunden unter dem Archon Philokles (392/1): so schon Fuhr
in seinen animadversiones 1877: „Aber diese Verhandlungen ordnen
sich anders in den geschichtlichen Zusammenhang ein, als ich an-
genommen hatte, sie schließen sich nämlich an die Gesandtschaft des
Antalkides an, von der Xen. Hell. IV 8, 12 ff. erzählt." Entgegen
dem Zeugnis des Xenophon ist damals in Sparta weiter verhandelt
worden. „Die athenischen Gesandten, die dahin geschickt waren,
hatten dem Frieden zugestimmt, wozu sie als 7rp&jßet? aOtoxpatopec
berechtigt waren; sie hatten aber eine Frist von 40 Tagen zur
Beratung ausbedungen (Andok. §§ 33, 40). Die Athener jedoch
verwarfen den Frieden, weil sie die kleinasiatischen Griechen den
Persern nicht preisgeben wollten (col. VIT, 20), und die Gesandten
wurden auf Antrag des Kallistratos — doch wohl des späterhin
berühmten Redners — vom Volk, da sie sich dem Gericht nicht
stellten, mit Verbannung bestraft. Bekannt war von ihnen bisher
nur Andokides; jetzt erfahren wir die Namen der drei anderen:" so
Fuhr (177), Sp. 1123.
Zum Text des § 31 der dritten Rede cf. Sakorraphos (165):
er tilgt Äp^eToc.
Während für die drei ersten Reden die allgemeine Ansicht
Authentizität behauptet, spricht sie die vierte Rede dem Andokides
ab. Cf. Blaß AB I2 336 ff. Auch nach dem Urteil Hoyers (156)
kann die Rede nicht gehalten sein, muß vielmehr von einem Rhetor
oder Sophisten, vielleicht nur einem Rhetorenschüler , verfaßt sein
und ist jedenfalls als Muster einer Schulrede zn betrachten. Die
Hauptsache sind Anekdoten über das Leben des Alkibiades *).
Doch auch die Rede xat ÄXxtßiaooo hat ihre Verteidiger gefunden.
A. Schroff (171) versucht zu zeigen, „daß die Überlieferung des
Harpokration und Photios sich nicht nur gegen die Angriffe der
Neueren verteidigen läßt, sondern auch manches Positive für sich
hat." So behandelt denn die Dissertation im ersten Teile die „äußeren
Schwierigkeiten" (417—415; Andokides — Phaiax), die Gelegenheit
*) Über die Tendenz der Rede als Bewunderung im Angriff, cf. B r un s (71),
S. 514/18. Nach Br. ist die Rede ein „Dokument jener . . . Richtung, die in
diesem Staatsmann ein dämonisches Wesen verehrte"; ihre Zeit etwa Mitte
des vierten Jahrh.
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64 Bericht über die Literatur zu den attischen Rednern
zur Rede. Im zweiten Teil werden „innere Fragen" besprochen :
1. Historisches: Das argumentum ex silentio ist nicht zu sehr zu
betonen; Andokides ist Redner in eigener Angelegenheit, nicht
Historiker. 2. Psychisches und Formales. Formale Unterschiede
zwischen IV einerseits, I und III andererseits, sind nicht zu leugnen :
II dagegen steht zeitlich und stilistisch näher; beachtenswert ist
Antiphons Einfluß. Andokides war überhaupt kein schulmäßig ge-
bildeter Rhetor, daher auch keine regelrechte Entwicklung bei ihm.
Nach allem ist Schroffs Meinung, es „bestehe vorläufig die Möglichkeit,
daß sich Andokides in der unserer Rede zugrunde liegenden Situation
befand und hierbei die Rede hielt. Phaiax hereinzuziehen ist kein
Grund vorhanden. Was die inneren Fragen betrifft, so sind von
Meiers*) Einwendungen historischer Natur mehrere inzwischen ver-
altet, viele nur einer falschen Behandlung des Redners entsprungen,
keine ist gänzlich unwiderlegbar. Das Psychische und Formale der
Rede steht im Einklang mit dem Charakter des Andokides und der
Eigenart seiner rednerischen Entwicklung. Solange also der Annahme
der Echtheit nicht absolut unlösbare Schwierigkeiten im Wege stehen,
erscheint es zum mindesten nicht angezeigt, die bestimmte Über-
lieferung, daß unsere Rede von Andokides stamme, als unzweifelhaft
falsch zu bezeichnen."
Gleichfalls für andokideisch sieht die Rede Drerup (56) in
den „Untersuchungen" S. 327 — 331 an, gegen den Fuhr (174) auf
die alten Gründe verweist. Von der Auffassung Schroffs ist freilich
die Drerups sehr verschieden. „Soviel ist" auch nach Drerup (ent-
gegen Schroff), „sicher, daß Veranlassung und Abfassungszeit der
Rede tingiert sind; ... die historischen Ungereimtheiten machen es
vielmehr gewiß, daß die Rede einer späteren Zeit und zwar frühestens
dem Anfange des vierten Jahrhunderts angehört." Als Sprecher
gedacht nimmt Dr. den Phaiax an. Wir haben also eine XotSopta
xat' ÄXxtßtctöou. Trotzdem kann Andokides der Verfasser der In-
vektive gewesen sein. Die Stilkritik spricht dafür; Periodenbau,
Hiatvermeidung und Gebrauch der gorgianischen Figuren stellen sie
am nächsten mit der Friedensrede zusammen; kleine Verschieden-
heiten weisen sie in noch etwas jüngere Jahre. Hier beginnt nun
schon bei dem Thrasymacheer Andokides der Einfluß der isokratischen
Schule — damit stimmen Beobachtungen an der Rede überein: So
unterliegt „unsere Rede, als das jüngste, unter dem Einfluß des
Isokrates entstandene Werk des Andokides betrachtet, nicht mehr
*) Cf. Blaß AB I», 281, Anm. 1.
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aus den Jahren 1886 — 1904. (Emminger.)
dem geringsten Verdacht einer Fälschung" , vielmehr kann sie dazu
dienen, „das Bild der Stilentwicklung des Andokides um einen
wichtigen Zug reicher zu gestalten, indem unser Redner, wie wir
übrigens auch schon an den älteren Reden erkannten, nicht als eine
kraftvolle Künstlernatur sich darstellt , die sich ihren individuellen
Stil schafft und dem Publikum aufzwingt wie ein Tbrasymachos und
Gorgias, oder aber nach Gutdünken eine beliebige Stilform wählt,
weil sie alle beherrscht , wie ein Antiphon , sondern als ein Kunst-
redner zwar, aber als ein talentvoller, nicht selbst schöpferischer
Dilettant, als ein Mitläufer in dem Heerhaufen einer bestimmten
Kunstschule, der ihre Wandlungen widerstandslos mitmacht und nach
der jeweils herrschenden Mode schreibt und redet."
Damit haben wir zugleich das jüngste Gesamturteil über den
Stil des Andokides. Von Arbeiten, die im einzelnen die Sprache des
Redners zum Gegenstand haben, nenne ich zuerst die von Morgan (164) :
Der Artikel ist nach des Verfassers eigener Bemerkung rein statistischer
Natur. Er gibt Auskunft über das Vorkommen 1. des Infinitivs
nach unpersönlichen Verben, 2. des Infinitivs nach <iiXXu>, 3. der
modi in der direkten Rede, letztere Sammlung sehr nahestehend etwa
einer Zusammenstellung der „Daßsätze bei Andokides". Eine Tabelle
erleichtert die Übersicht.
Das Werkchen von Kilpeläinen (170) zerfällt in drei Teile.
Der erste bespricht sprachliche Unterschiede der Reden, besonders
Vorkommen von Elision und Hiatus wird in Tabellen zusammengestellt
und danach diskutiert. In der ersten und zweiten Rede ist der
Sprachgebrauch der gleiche (quartam autem orationem, si sermonis
formam spectes, non posse eiusdem esse scriptoris elucet. videmus
etiam in III. oratione quasdam dissimilitudines inesse, quibus
commoveamur ut iam dubitanter eam Andocidi tribuaraus). — Der
zweite Teil gibt quaestiones criticae zu einzelnen Stellen; der dritte
bringt ein speeimen lexici und zwar bis öeu> (Set). Die Substantive sind
in sich nach den Kasus geordnet, mit Angabe der Abhängigkeit und
Verbindung; beim Adjektiv ist das syntaktische Verhältnis (ob attri-
butiv, präd. usw.), Verbindung und Stellung notiert; die Verba sind
teils nach genus, modus, tempus, teils nach den Bedeutungen ein-
geteilt. Bei den Partikeln ersieht man Stellung und Verbindung
(o£ z. B. nimmt dadurch den Raum von S. 127 med. bis 141 m. ein!).
Jedesmal ist ein zum Verständnis hinreichender Teil der Textstellen
aufgenommen; bei verschiedener Lesart — wobei Blaß und Lipsius
und ihre Noten berücksichtigt werden — sind die Stellen ganz aus-
geschrieben. Im allgemeinen liegt die Ausgabe von Fr. Blaß zu-
JahrestH-rieht für Altertumswissenschaft. Bd. CXXXI1I. (1907. I.) 5
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66 Bericht über die Literatur zu den attischen Rednern
gründe — leider sogar so weit, daß nach Seiten und Zeilen derselben
statt nach Paragraphen zitiert wird.
Nicht ein Lexikon, wohl aber einen genauen Index Andocideus
besitzen wir von Form an (167). Konjekturen sind nicht berück-
sichtigt, die verschiedenen Lesarten nur zum Teil aufgenommen.
Diesen in erster Linie der Wortwahl gewidmeten Arbeiten
schließen sich Abhandlungen an, die das Satzgefüge bei Andokides
behandeln. Hierher gehören P o 1 a c k (15) und G e n t s c h (25), siehe
oben S. 16.
Außer Drerup, der oben genannt wurde, untersucht den Stil des
Andokides in seiner Gesamtheit Kingsbury (169). Seine Disser-
tation bestimmt zunächst den Charakter, die Umgebung des Redners
und die Elemente seines Stiles; dieser ist eine Mischung der Umgangs-
sprache mit Reminiszenzen aus der Sprache der tragischen Dichter.
Dem entspricht der Wortschatz — Analogon oder Muster ist Aristo-
phanes; natürlich finden sich viele sonst bei den Rednern nicht
gebräuchliche Wörter. Von den Tropen und Figuren gebraucht
Andokides solche, die besonders der kunstlosen Prosa oder den
Werken der dramatischen Dichter eignen, um die Erzählung zu
beleben oder emphatisch zu gestalten. Von den sogenannten gor-
gianischen Figuren „wendet er . . . hauptsächlich die an , welche
man schon in der Sprache lange vor Gorgias reichlich finden kann.
Außerdem erscheint ihre Verwendung so, wie sie der Sprache natur-
eigentümlich sind, und nicht nach der künstlichen Manier des
Gorgias", mit dem Alter nachlassend. So hat auch die früheste
Rede überhaupt am meisten dichterisches Kolorit, später verblaßt es
zugunsten des volksmäßigen Elementes. Von den beiden Schluß-
kapiteln führt das fünfte einen kurzen Vergleich zwischen Äschines
und Andokides durch, dem Paar nicht zunftmäßiger , dilettantischer
Redner im Kanon der Zehn, während das sechste die Unechtheit
der vierten Rede behauptet. —
V. Lysias.
1885.
179. * Fr. Binder, ausgewählte Reden des Lysias (gegen
Eratosthenes) übersetzt. 3. Aufl. (Langenscheidt.)
180. W. Kocks - R. Schnee, ausgewählte Reden , für den
Schulgebrauch erklärt. Gotha, 2. Aufl. 1885/7. 8. Aufl. 1904.
181. * E. J. Shuckburgh, orationes XVI with analysis, notes,
appendices and indices. New edit. London.
[Rez.: Jabresber. d. Berl. philol. Ver. 1888 S. 198 Albrecht.]
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aus den Jahren 1886—1904. (Emminger.)
67
1886. I
182. * 0. Aurenghi, )e orazioni contro Eratostene e contro
Agorato; traduz. e note. Turin. 2. ed.
183. R. Rauchenstein-K. Fuhr, ausgewählte Reden des L.,
erklärt; Berlin, I11 1899, II9 1886, II 10 1897.
184. G. Sachse, über die dreißigste Rede des Lysias. Prgr.
Posen. —
[Rez.: JBphV 1888 S. 210—215 Altirecht.]
185. U. v. Wilamo witz-Moellendorff , de Gorgiae epi-
taphio ab Aristotele citato (Anhang zu Diels, Uber das 3. Buch d.
aristot. Rhetor.) SPrA IV S. 35—37.
1887.
186. G. Müller, contro Erat, e contro Agorato pell' uso d.
scuola. 2. Ausg.; cf. Htittner, Ber. 1886 S. 82.
187. * F. J. Snell, epitaphios (II) ed. Oxford. —
IRez.: BphW IX = 1889 Sp. 47 Stutzer.]
188. P. Thomaschik, de Lysiae epitaphii authentia verisimili.
Diss. Breslau 1887.
189. E. Maaß, Rezension von Blaß AB I2, DL VI 11
Sp. 1545/47.
190. Hallen sieben, de orationis, quae inter Lysiacus fertur
octava, ratione et tempore comra. Prgr. Arnstadt.
191. R. Hoyer, Alkibiades Vater und Sohn in der Rhetoren-
schule. Prgr. Kreuznach.
192. R. Hirzel, Polykrates' Anklage und Lysias1 Verteidigung
des Sokrates. RhMPh XLII S. 239—250.
1888.
193. A. Weidner, Lysiae orat. selectae. Mit Einleitungen,
erklärendem Index und Anhang aus Xenophons griechischer Geschichte
für den Schulgebrauch herausgegeben. Leipzig. 2. Aufl. 1905 bes.
v. P. Vogel.
194. P. H. DamsU, ad Lysiae or. I 18, Mn. N.S. XVI S. 398.
195. C. S c h 1 i a c k , Proben von Erklärungs- bezw. Emendierungs-
versuchen zu einigen Stellen griechischer und römischer Klassiker.
Prgr. Cottbus, hier S. 9: zu Lysias XIII 86.
1%. Fr. Nowack, de Isocratis rapi xoö Ceu^ou; oratione et
Lysiae xctt* ÄXxtßwt8ot> priore (XIV) quaestiones epicriticae. In:
Comment. philol. quibus 0. Ribbeckio .... congratulantur discip.
Leipzig S. 465—485.
5*
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68 Bericht über die Literatur zu den attischen Rednern
197. A. Weidner, za Lysias. NJklPh CXXXVII S. 305—323.
198. P. R. Müller, zu Lysias. NJklPh CXXXVII S. 471.
199. W. Kocks, kritische und exegetische Bemerkungen zu
Lysias. Prgr. Friedr. Wilh. Gymn. Köln.
1889.
200. R. Schoell, Mitteilungen aus Hss. 1. zu Lysias' Epi-
taphios. SMA 1889 II S. 26—38.
201. M.Erdmann, zum Epitaphios des Pseudolysias. WklPh VI
Sp. 1184—1189.
202. A. Nauck, analecta critica. H XXIV S. 446— 472, hier
S. 456.
203. E. Schwartz, Quellenuntersuchungen zur griech. Ge-
schichte. RhMPh XLIV S. 104—126.
J. II. Lipsius = Nr. 161 S. 58.
1890.
204. * A. Cinquini, orazione contro Eratostene con note.
Milano.
205. * E. R., I. Rede gegen Eratosthenes, wortgetreu nach U.R.
Mecklenburgs Grundsätzen aus dem Griech. übers. II. Rede gegen
Agoratos. Berlin.
206. O. R. P a b s t , de orationis u7rep xoG orpaTwoTOo (IX), quae
inter Lysiacas tradita est, causa, authentia, integritate. Leipziger
Diss. 1890 S. 3—56.
207. C Haeberlin, Lysias XIII, 4. Ph IL = NF III
S. 180.
208. G. Haeberlin, in Lysiam. NJklPh CXLI S. 183.
209. Fr. Nowack, de orationum quae inter Lysiacas feruntur
XIV et XV authentia. Leipz. St. XII S. 1—110.
1891.
210. Th. Bern dt, zu Lysias, in: kritische Bemerkungen zu
griech. und röm. Schriftstellern, Fcstschr. von Herford 1890 1 S. 4 5.
211. * (Anonymus), orazione contro Eratostene, testo, versione
e note. Verona.
Zutt == Nr. 163 s. S. 58.
212. P. II i 1 d e b r a n d t , de causa Polystrati, in : commentationes
philol. conventui philologorum Monachii congregatorum obtulerunt
sodales seminarii philol. Monacensis. München S. 177 — 181.
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aus den Jahren 1886—1904. (Emmingen)
(39
213. H. Weil, du discours de Lysias sur le rötablissement de
la d^mocratie ath^nienne. RPh XV S. 1 — 5.
214. M. Erdmann, Lysiaca. Prgr. d. Prot. Gymn. Straßburg.
1892.
215. H. Frohberger - (G. Gebauer-) Th. Thalheim,
ausgewählte Reden für den Schulgebrauch erklärt. II2 1892 (I8
1895).
216. * G. Zaccagnini, orazioni contro Eratostene e Agorato,
tradotte. Pistoia.
217. * C. Canilli, orazione c. Agorato con note. Verona.
218. M. H. Morgan, Lysias XVI, 10. HSt III = 1892
S. 191 f.
219. W. L. Devries, Ethopoiia: a rhetorical study of the
types of character in the orations of Lysias. Diss. Baltimore. —
[Rez.: CR VII = 1893 S. 64 Wright.]
220. * ? Caccialanza, due orazioni tradotte. Acqui. 1892?
1893.
221. * Inamae Ramorino, orazioni scelte, in biblioth. script.
Graecor. et Roman. Hoepliana. Mailand.
222. L. P. Roegholt, Ps. Lysiae oratio contra Andocidem.
Groningae. —
[Rez.: BphW XIV = 1894 Sp. 1063 Thalheim.]
223. M. L. Earle, emendations in Lysias. CR VII S. 19 f.
224. P. Hundeck, quaestiones Lysiacae. Prgr. Luckau.
1894.
225. Fr. Reuß, zu Lysias. Ph LH = NF VI S. 600-615.
226. * G. Crispi, oraz. contro Eratostene ed Agorato, traduz.
letterale preceduta della vita dell' autore scritta da Plutarco. Neapel.
227. A. Masson et J. Hombert, discours choisis. Tournai.
228. * Cerny, fec" Lysiova proti Eratostenovi. Prgr. Raud-
nitz. (tsch.) —
[Rez.: ZöGy XL VII = 1896 S. .553.1
229. H. Keller, die Rechtsfrage in Lysias' 9. Rede. Prgr.
Realgymn. Nürnberg.
230. M. H. Morgan, Notes on Lysias. HSt V S 49— 5»>.
231. Rutten, ä propos d'un passage de Lysias. RJP XXXVII
S. 136—138.
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70 Bericht über die Literatur zu den attischen Rednern
232. A. Büchle, Lysias Rede gegen Philon. Prgr. Durlach
1893/4.
1895.
233. K. Fuhr, zum cod. Palat. des Lysias. RhMPh L
S. 304—8.
234. M. H. Morgan, eight orations ed. with introductions
notes and append. Boston. —
[Rez.: AJPh XVI = 1895 S. 396 f.]
235. E. Wolff, quae ratio intercedat inter Lysiae epitaphium
et Isocratis panegyricum. Diss. Berlin. —
[Rez.: BphW XVII — 1897 Sp. 33 Thalheim.]
236* Nat. Vianello, T ottava orazione di Lisia e le societä
private Ateniesi. Genova.
237. 0. Crusius, (Ansichten über die Echtheit homerischer
Dichtungen.) Ph LIV = NF VIII, hier S. 733 Anm. 53.
238. H. Holmes, index Lysiacus. Bonn. —
[Rez.: WklPh XV — 1898 Sp. 394—9 Fuhr. Diese Rez. auch sonst
von Wert: cf. S. 95.]
1896.
239. H. Schenk 1, zur ersten Rede des Lysias. WSt XVIII
S. 160 (Miszellen).
240. P. R. Müller, zu Lysias und Lukianos. NJklPh CL11I
S. 300—304, hier 300 f.
241. L. L. Form an, ethopoiia in Lysias. CR X S. 105.
1897.
242. * J. A. Prout, epitaphios (funeral oration) aud xai'
'EpctToaO^voo; lit. transl. London.
243. H. van Herwerden, Lysiaca. Mn NS XXV S. 209—236.
1898.
244. E. Ziebarth, Inschriften aus Athen. MAJ 1898 S.24— 37,
hier S. 27.
245. * W. H. W a i t , ten selected orations ed. New York.
246. * P. P. Hruby, Ree Lysiova proti Agoratovi. Prgr.
Slauem (tsch).
247. C Hude, ad Lysiam. NTF VI S. 56.
1899.
248. E. Drerup, de Philisci in honorem Lysiae epigrammate.
MB III S. 207—11.
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aus den Jahren 1886—1904. (Eraminger.)
71
249. II. van Herwerden, Lysiae orationes in quibus etiam
amatoria a Piatone servata cum fragm. brevi adnotatione instructa,
scholarum in usum ed. (1863 *) Groningen. —
[Cf. BphW XXI = 1901 Sp. 1513 f.]
250. H. Traut, Zeitbestimmung und Gedankenordnung der
XIX. Rede des Lysias über das Vermögen des Aristophanes. Gy XVII
Sp. 697—708.
251. J. C. Vollgraff, Lysiaca. Mn NS XXVII p. 222 — 4.
252. Achille Cosattini, 1' epitafio di Lisia e la sua auten-
ticita. Studi italiani di filol. class. VII S. 1—36.
1900.
253. * J. Thompson and T. R. Mills, Eratosthenes and
Agoratos ed. Introduction, text, notes (Translation by W. H. Balgarni).
London.
254. S. Rossi, orazioni scelte ad uso dei licei connnentate
(VII, XXIII). Torino. —
[Rez.: BphW XXII = 1902 Sp. 124 Fr. Müller.l
255. W. Weber, de Lysiae quae fertur contra Andocidera
oratione (VI). Diss. Leipzig. —
fRez.: BphW XXI = 1901 Sp. 257 Drerup.]
256. Th. Thal heim, zu Lykurgos und Lysias. Prgr. Hirsch-
berg i. Schi.
257. U. v. Wilamowitz -Moellendorff, Lesefrüchte.
H XXXV S. 532—566, hier S. 536.
1901.
258. Th. Thalheim, Lysiae orationes. Leipzig, Teubner. —
[Rez.: BphW XXI = 1901 Sp. 1508 f. 1537 f. Fuhr.]
259. * J. Bassi, le orazioni contro Eratostene e contro Nicomaco
annotate. Torino.
260. * J. Bassi, le orazioni contro Agorato e contro Filone,
annotate. Torino.
261. * A. Cosattini, 1' epitafio. Florenz. —
[Rez.: AeR Aprile 1901 S. 134.]
262. R. Nitz sehe, über die griechischen Grabreden der
klassischen Zeit I. Teil. Prgr. Altenburg.
263. * G. Wörpel, de Lysiae oratione u-&p toü douvaTou quaest.
Leipzig. —
[Rez.: BphW XXII = 1902 Sp. 548 Fuhr.l
264. H. J. Polak, paraliporaena Lysiaca. Mn NS XXIX =
1901 S. 412—443 (Forts. XXX = 1902 S. 367—386 und XXXI =
1903 S. 157—184).
72
Bericht über die Literatur zu den attischen Rednern
265. Fr. Vogel, Analecta I aus griech. Schriftstellern. Prgr.
Fürth i. B. 3. Abschn.: zu Lysias S. 33—56.
1902.
266. E. Ferrai-G. Fraccaroli, orazioni scelte conmi. vol. I2
le accuse d'Eratostene e d'Agorato. Torino.
[Rez. z. B.: BphW XXII = 1902 Sp. 643 Fuhr.]
267. * J. A. Prout, pro Mantitheo and pro Invalido litteraly
translated. London.
268. V. Schneider, Ps. Lysias xa-' 'Avooxtooo ass^sia* (VI.)
NJklPh Suppl. XXVII (1901) 1902 S. 352—372. Cf. Nr. 56.
269. W. D ittenberger, die Familie des Alkibiades. H
XXXVII S. 1—13.
270. W. Dittenberger, 'KXaoosTtx-o;. H XXXVII S. 29«
—301.
H. J. Polak s. oben Nr. 264 S. 71.
1903.
271. E. Sewera, Rede gegen Eratosthenes und über den Öl-
baum. Samml. Meisterw. d. Griech. u. R. Leipzig.
272. O. Crusius, Kleinigkeiten zur alten Sprach- und Natur-
geschichte. Ph LXII — NF XVI S. 125 — 140, hier Nr. 1 D.asomxTo;
S. 125—131.
273. P. Wolters, iXa<p6anxxo?. H XXXVIII S. 265-273.
274. J. V a h 1 e n , üler die Rede des Lysias in Piatos Phaedrus.
SPrA 2. Bd. S. 788—816.
H. J. Polak s. oben Nr. 264 S. 71.
275. Cl. Matzura, die Konsekutiv- u. Finalsätze bei Lysias,
31. Jahresber. d. niedeiösterr. Landes-Real- u. Obergymn. Horn.
1904.
276. * Kleffner, Lysias' ausgew. Reden, f. d. Schulgebr.;
Text 1903, Komm. 1905. Münster i. W.
|Rez.: Gy 1905 Sp. 90 2 Wirmer.]
277. * U. Nottola, l'apologia del povero invalido tradotta. Alba.
278* S. A. Naber, Lysias Rede für Mantitheos (XVI). Mn
XI S. 310.
279. * V. Löwenthal, die Stellung der Platüer in Athen und
die 23. Rede des Lysias. Prgr. Böhm.-Leipa.
1905.
280. * C. G. Tobet -J. J. Hart mann. L. orationes in usum
studiosae iuvent. 4. Autl. Leyden. —
[Bez.: BphW XXV - 1905 Sp. 1297 Fuhr.)
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aus dun Jahren 1886—1904. (Emminger.)
73
281. A. Röhl ecke, zur Erklärung der 14. und 15. Rede des
Lysias. Prgr. Wilh. Gym. Magdeburg.
282. S. A. Naber, adnot. erit. ad Lysiae or. Mn. KS XXXIII
S. 68—98.
283. W. Mötsch mann, Die Charaktere bei Lysias. Diss.
München.
[Itez.: NphR 196 S. 289 Wörpel.]
Das Jahr des Erscheinens war nicht festzustellen bei
284. C. Gelders, discours contre Erat. etc. text revu et
annote". Bnixelles.
285. A. Mottet, discours contre Eratost. etc. text grec, revu
avec sommaire, analyse et notes. Paris.
286. Westermann, ausgewählte Reden d. Ly s. verd. Langen-
scheidt. 1. u. 2. Lf. 3. Aufl.
Bei den Lebensverhältnissen des Lysias ist einschlägig Zie-
barth (244), der das Fragment eines Volksbeschlusses aus dem
Jahre 401/0 veröffentlicht. Hiedurch ist einer Anzahl von Männern,
030t aoYxaTTjXdov dirö ^oXr^, das Bürgerrecht verliehen worden und
den Kämpfern bei Munychia eine nicht näher zu bestimmende Ehrang
zuteil geworden (cf. Aesch. III 187); die Namenliste der Geehrten
ist nur zum kleinsten Teil erhalten. Eine Beziehung zum Psephisma
des Thrasybulos „für Lysias" (dazu vgl. jetzt Aristot. roXit. Äutjv.
c. 42. 2) zu vermuten liegt nahe; ob jedoch Lysias an jener Ehrung
Anteil gehabt hat, entzieht sich unserer Kenntnis*)
Von Philiskos, dem Freund des Lysias, bringt Ps. Plut. vit. X
orat. p. 836 C ein Epigramm auf den Redner, dessen Verständnis
trotz mehrfacher Heilungs- und Erklärungsversuche — unter denen
besonders die Textverbesserungen des Salmasius zu nennen sind —
in den Einzelheiten wenigstens ein sehr schwieriges Problem blieb!
Drerup (248) liest nun vor allem in der 5. Zeile statt des über-
lieferten oeT 3y apsTTj? texeiv: Kfooxpaxrj? ( =,hoxpatrJc)
x^puxa -Xsxot xtva und dann mit Salmasius Auat'a ujavov: so wird
der erste Meister der Lobrede zu einem l-pctupiov auf Lysias auf-
gefordert. Damit ist auch der Zweck des Zitates bei Ps.-Plut. erklärt :
der Lobredner mußte jünger sein als der Tote, dem die Rede galt.
Die Textgrundlage für den Redner bildet der cod. Pal. X;
nachverglichen**) wurde die Hs in der Berichtszeit von Weidner (193)
*) Cf. dazu auch A. Körte, zu dem Ehrendekret für die Phyle-
kämpfer, MAJ XXV = 1900 S. 392 ff.
**) S. auch Lysiae or. ed. Th. Thalheim. Leipzig 1901 praefatio p. V f.
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74
Bericht über die Literatur zu den attischen Rednern
für seine Ausgabe ausgewählter Reden 1888; Reuß (225) endlich
veröffentlichte 1894 die nach Lampros und Schöll noch unbekannten
Lesarten der Handschrift nach dem Handexemplar des Gymnasial-
direktors C. A. Pertz, der schon 1874/6 eine Vergleichung der Reden 1
und 3 — 25 vorgenommen hatte; Fuhr (233) gab Nachträge 1895.
Für den Epitaphios (II.) im besonderen hatte Erdmann in
seiner Dissertation und der darauffolgenden Ausgabe (cf. Blaß, Ber.
1882 S. 227 f.) die ganze Überlieferung dargestellt. Nur die Über-
lieferung des Marcianus F war aus der Ausgabe nicht vollkommen
zu beurteilen; diese Lücke hat Schöll (200) ausgefüllt. Nach
Schölls Untersuchung fällt f (Vat. Gr. 09) weg; auch g (ein Laur.)
verliert. F erscheint als ältester und bester von acht Vettern, die
die Klasse 11 n darstellen. Während nun aber Schöll der Hs F
selbständigen Wert beimißt und sie sogar V vorzieht (etwa dem
Standpunkt Bekkers entsprechend), stimmt Er d mann (201) Wila-
mowitz bei, Fg entstamme der byzantinischen Bearbeitung eines
Bruders von XV und sei darum nirgendwo als Grundlage des Textes
zu nehmen. (Ähnlich urteilen auch Fuhr und Seliger, die F gering-
schätzen.) Parallelstellen seien nützlicher für die Verbesserung des
Textes.
Einen anderen Zweig der Überlieferung, Randbemerkungen
aldinischer Drucke, behandelt Er d mann in den Lysiaca (214).
Sechs solcher Exemplare sind Erdmann bekannt geworden; davon
siud zwei in Cambridge und eines in Weimar als auf Klasse II*
weisend ohne Bedeutung. Ein Pariser Exemplar war nicht zugänglich ;
die Randbemerkungen des Hamburger Exemplars endlich sind aus
dem Leydener entlehnt. Diese Leydener Noten sind alle von
einer Hand in Venedig geschrieben, vielleicht von Paulus Manutius,
jedenfalls von einem des Griechischen und Lateinischen kundigen
Gelehrten. Ihr Schreiber benutzte neben zahlreichen Konjekturen
des Victorius und Muretus mehrere alte Handschriften, für den
Epitaphios mindestens zwei. Reichhaltig sind die Marginalnoten für
die beiden ersten Reden. Eine der benutzten Hss ist mit vv (vetus
venetus) angedeutet. — Kennzeichen der X- Familie ist im Epi-
taphios die Lücke § 24 — 28 (in X selbst eine fast unleserliche Seite),
für die Klasse II* das Fehlen von § 25 rt — cpoßoojievoc : zu keiner
von diesen beiden Gruppen gehört der eine Kodex der Marginal-
noten, da die ganze Lücke aus ihm mit Tinte am Rande ergänzt
ist. Diesen cod. Venetus hatte auch Muretus nach var. lect. XVII
11. — Die andere, schlechtere der beiden Epitaphioshss in den
Randnoten ist als G (Marc. 417, zu II* gehörig) nach Bekkers
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aus den Jahren 1886—1904. Emmingen)
75
kritischem Apparat za erkennen. — Erduiann macht sehr genaue
Mitteilung über diese Marginalien. Viele der Lesarten sind jedoch
schon bekannt, so daß für den Epitaphios „in summa etwa ein
Dutzend Stellen" sich ergeben, „an welchen die Lesarten des Venetus
der Marginalien in den Text gesetzt zu werden verdienen w. Die
Handschrift selbst „ist neben X und V zu stellen".
Als 4. Kapitel ist Erdmanns Aufsatz eine Übersicht und ein
Stemma der Hss zum Epitaphios angefügt:
Arch. I Arch. II
X A V Byzant. Bearbeit.
F
Margin. g G
Ausgaben des Lysias sind in der Berichtszeit nahezu zwei
Dutzend verschiedensten Umfangs und verschiedensten Wertes heraus-
gekommen.
Nur für den Schulgebrauch gedacht ist die Ausgabe (1885 f.)
von Kocks (180).
Gleichfalls für die Schule ausgewählte Reden bringt 1888
Weidner (198), und zwar 24. 7. 10. 16. 12. 25. 13. 19. 32. 31.
30. 22. 23. 1. in dieser Reihenfolge. Xenoph. Hell. II 2, 3 ff . ist
zum Vergleich mit orr. 12 und 25 angefügt, ebenso ein Sach- und
Namensregister.
Von der bekannten Aaswahl mit Erklärung von Rauchenstein-
Fuhr (183) ist 1886 die 9. Aufl. des 2. Bändchens, 1899 bereits
die 11. Aufl. des 1. Bändchens erschienen.
Von der Ausgabe von Frohberger-Gebauer-Thalheim (215)
liegt die 3. von Thalheim besorgte Auflage vor.
Außer einem Neudruck des Scheibeschen Textes erschien bei
Teubner die kritische Ausgabe von Thal he im (258), die allgemein
als Fortschritt in der Gestaltung des Lysiastextes anerkannt worden
ist. Grundlage ist natürlich der Kodex X, der in Zweifelsfällen für
Thalheim neuerdings von Stadtmüller eingesehen wurde. Über ihn
und die aus ihm abgeleiteten Hss, ferner über die Hss zum Epi-
taphios (s. unten) und die handschriftliche Grundlage der bei Dion.
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76
Bericht über die Literatur zu den attischen Rednern
Hai. erhaltenen Fragmente (codd. FMT ; G), gibt die Einleitung kurze
Auskunft. Es folgen Verzeichnisse der früheren Ausgaben und der
neueren Arbeiten zu Lysias. Den Reden vorausgeschickt sind des
Dion. Hai. de Lysia iudicium , « die vita des Ps. Plutarch und kurze
Inhaltsangaben zu den einzelnen Reden , die zugleich über die
wichtigsten an die einzelnen Reden sich anknüpfenden Streit-
fragen und die Literatur dazu orientieren. — Der kritische Apparat
steht unter dem Text , Parallelstellen sind am Rand notiert. — Die
Fragmente sind nach Scheibe (bis 116), am Rande nach Sauppe
(bis 335) numeriert. — Den Schluß bildet ein index nominum et rerum.
Auf der Grundlage der kritischen Ausgaben beruht die Be-
arbeitung der or. XII. (gegen Eratosthenes) und VII. (über den
Ölbaum) durch E. Sewera (271) in den „Meisterwerken der Griechen
und Römer" *). Schöner Druck und elegante Ausstattung, Einleitungen,
eingehender Kommentar und reichliches Wörterverzeichnis laden die
gewandteren Gymnasiasten zur Privatlektüre ein.
Die Ausgabe von Kleff ner (276) enthält die Reden 12, 13, 16
zur Illustrierung der Verfassungskämpfe, u. 7, 22, 24 zur Einführung
in die sozialen Verhältn. Athens.
Große Vorliebe wird neuestens dem Lysias von den Italienern
entgegengebracht; in ihren Mittelschulen wird seine Lektüre eifrig
gepflegt. Diesem Bedürfnis in erster Linie kommen die Ausgaben von
G. M ül 1 e r (186) = or. XII, XIII : 1887 ; C i n q u i n i (204) = or. XII :
1890; einem Anonymus (211) = or. XII : 1891; Canilli (217) ~
or. X1U: 1892; Inama und Ramorino (221) 1893; Rossi(254)
1900; Cosattini (261) = or. II: 1901; Bassi (259/60) = XII,
XXX, XIII, XXXI: 1901; Ferrai-Fraccaroli (266) 2. Aufl. 1902
entgegen. Keine davon gibt den ganzen Redner. Die beiden letzt-
genannten Ausgaben haben auch bei uns Aufmerksamkeit gefunden.
Die Bearbeitung durch Ferrai-Fr. , die sich allerdings stark an
deutsche Vorbilder hält (ein Beispiel in Fuhrs Bespr.!), kann man
wohl als die italienische Hauptausgabe bezeichnen; ihre erste Auf-
lage (1885) bot den ersten Lysiastext in Italien seit der Aldina.
Die Änderungen Fraccarolis an Ferrais Arbeit betreffen vor allem
den Text, den er viel konservativer gestaltet, und den Kommentar:
die Erläuterungen sind vielfach kürzer und auch präziser gefaßt. —
Bei der Auslese wurden die unechten und zweifelhaften Reden II,
VI, VIII, XI, XV, XX, XXI ausgeschlossen, ferner die wegen ihres
Gegenstandes für die Schule ungeeigneten Reden (III und IV), sowie
*) Die Abweichungen vom Codex X sind S. 39—42 mitgeteilt.
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aus den Jahren 1886—1904. (Emmingen)
77
diejenigen, welche sachlich allzuviel voraussetzen, übergangen. Das
erste Bändchen (2. Aufl. 1902) bringt or. Xll und XIII. — Das
zweite Bändchen ist in der 1. Auflage noch von der Hand Ferrais
bearbeitet (1895). Ein drittes Bändchen sollte anhangsweise auch
eine Neuvergleichung des cod. Laur. C*) bringen, ist aber m. W.
nicht erschienen. — Die Absicht F.s, der selbst nicht viel Neues zu
geben hoffte, geht dahin: einmal die Reden in den historischen
Zusammenhang zu stellen — in den Einleitungen — , sodann die
Kunstprosa des Lysias ins rechte Licht zu setzen.
In englischer Sprache liegt aus dem Jahre 1885 die 2. Aus-
gabe von 16 Reden durch Shuckburgh (181) vor. Albrechts Urteil
zufolge ist in derselben weder für die Textgestaltung noch für die
Erklärung ein Fortschritt begründet. Dazu kommen die Ausgaben
von Snell (187) = or. II, Thompson und M i 1 1 (253) = or. XII,
XIII, W. H. Wait (245) = 10 Reden und Morgan (234) =
8 Reden; darunter wiederum keine Gesamtausgabe.
Von französischen Ausgaben sind zu verzeichnen die Aus-
wahlen von Masson (227), Mottet (284) und Gelders (283),
letztere beiden nur die Rede gegen Eratosthenes enthaltend.
Auch van Herwerden (249) hat eine Neuausgabe der Reden
einschl. des Erotikos und der Fragmente erscheinen lassen; die
meisten seiner Konjekturen hatte er schon Mn XXV (243) ver-
öffentlicht.
Eine vierte — nicht verbesserte — Auflage von Cobets Aus-
gabe hat neuestens Hartmann (280) veranstaltet.
Den Text der [VI.] Rede — ohne Neuvergleichung von X —
bringt auch Roegholt (222).
Auch Übersetzungen ausgewählter Reden sind ziemlich viele er-
schienen ; sie mögen hier nur genannt sein : in deutscher Sprache von
Westermann (285), Binder (179), E. R. (205) (or. XII, XIII):
italienisch von Caccialanza (220), Aurenghi (182), Zacca-
gnini (216), Crispi (226), Nottola (277); englisch in der Aus-
gäbe von Mills (253) und von Prout (242 u. 267), von II und
XII sowie von XVI und XXIV; böhmisch von Cerny (228), die
jedoch nach der Besprechung in der ZöGy samt Einleitung und
Erklärung wertlos ist.
Ich komme zum Bericht über Abhandlungen und Notizen, die
sich auf einzelne Reden oder einzelne Stellen derselben beziehen.
*) Auch von Thalheim nicht neu verglichen, cf. praef. ed. p. VI
und n. **.
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78 Bericht über die Literatur zu den attischen Rednern
Zu or. I (vntQ zov 'EQazoo&ivovg yovov) machten textkritische
Vorschläge: zu § 18 Dam st 6 (194); zu § 19 H. Schenkl (239);
der spätere Herausgeber Thalheim (256) zu §§ 7, 41; P. R.
Müller (198) zu §§ 21, 26; Weidner (197) zu §§ 7, 88; Naber
(282) zu §§ 6. 9. 18. 14. 16. 22. 24. 31*).
Zu den Handschriften und der Textgestaltung des Epüaphios
sind die Arbeiten von Schöll, Erdmann, Reuß oben bereits
angeführt. — Die Rede (§ 60) scheint schon von Aristoteles in der
Rhetorik (III 10 1411 a 31) ohne Verfassername (iv t<j> taitayiVp)
zitiert zu sein. Wilamowitz (185) erklärt das so: laudat Aristot
eum epitaphium, qui solus aut princeps hac appellatione dignus est,
quem cum alii multi tum Lysias personatus imitatione dum superare
volunt corruperunt, epitaphium Gorgiae ; Aristoteles also bezieht sich
nicht auf den Epitaphios, quem Charisii aequalis nescio quis Lysiae
supposuit. Blaß „verschmäht diese Auskunft4* AB ls S. 438, er
hält aber den Ep. für unecht. (AB I2 S. 444). „Sein Hauptargument
ist" — ich lasse hiezu Maaß (189) in der Rezension von Blaß'
"Werk sprechen — „der stilistische Gegensatz dieser Epideixls zu den
einfachen Gerichtsreden des Lysias .... Eingeführt bat jenen
stilistischen Gegensatz in die Literatur Gorgias und Thrasymachos ;
Lysias fand sie beide bereits entwickelt vor, ganz wie Piaton und
Thukydides. Wie diese, so hat auch Lysias die beiden sich aus»
schließenden Stile erlernt und sie , ganz wie jene , je nach den
Umständen angewandt." Maaß tritt also für die Echtheit der Grab-
rede ein, weil er in der Verschiedenheit der Redegattung die Er-
klärung für die stilistischen Verschiedenheiten findet. — Ohnedies
findet alles in schönster Harmonie Thomaschik (188). Man macht
dem Epitaphios den Vorwurf der Gedankenarmut, die sich hinter
Wortschwall verstecke. Diesem für die Rede ungünstigen Vergleich
mit Lysias liegt nach Th. eine zu hohe Schätzung des Redners selbst
zugrunde. Aus der Untersuchung über beider Reden inventio (Inhalt),
compositio, ornatus, sermo, anacolutha, collocatio verborum ergibt sich
ihm aber, daß der Epit. das getreue Spiegelbild lysianischer Art ist.
Dem Isokrates hat bei Abfassung des Panegyrikos der E. vorgelegen.
Schlußurteil : der E. müßte selbst ohne jede Bestätigung durch alte
Zeugnisse dem Lysias vindiziert werden.
Ein Beweismoment gegen die Echtheit leitet Erdmann (201)
in dem schon angeführten Aufsatz aus einer Vergleichung der pseudo-
demosthenischen , perikleischen und hypereideischen Grabrede, zu-
•) Über den Gerichtshof cf. Br. Keil, die solon. Verfassung in Aristoteles
Verfassungsgesch. Athens. Berlin 1892 S. 111.
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aus den Jahren 1886—1904. (Emminger.)
79
sanimengenommen mit Dioii. Hai. ars rhet. VI, 2 p. 278, 15 ff. UR
(auveXoVri p-sv ouv 6 imrdy toc etc.) ab : unser Redner ist sehr ausführ-
lich (ganz im Gegensatz zu den anderen) im Lobe der rpo^ovot, macht
dagegen das Lob der zu Begrabenden in 2 §§ ab (§§ 6. 7): nur er-
klärlich bei einer u-eXerij eines späten Rhetors, unbegreiflich bei Lysias.
Über die Beziehungen des Epit. zu Isokrates bringt Reuß (225)
einen Zusatz zu seinen Ausführungen im RhMPh XXX VIII S. 148
(s. Hüttner Ber. 1886 S. 30 und Blaß AB Ia S. 443). Der Ver-
fasser des Epit. hat nicht nur den Areopagitikos des Isokrates be-
nutzt, sondern auch den Archidaraos (Isoer. VI 100. ~ Epit. 32).
„Daß Isokrates zu den verschiedensten Zeiten (386, 365, 353) immer
wieder auf den Epitaphios zurückgegriffen habe, um durch Herüber-
nahme einzelner Sätze seine eigene Darstellung zu schmücken, scheint
ausgeschlossen zu sein, vielmehr dienten seine Reden der Gedanken-
armut eines späten Rhetors als Fundgrube."
Dieselbe Frage behandelt Wolff (285) in seiner Dissertation.
Er nimmt hier aus den früheren Untersuchungen Uber die Echtheit
des Epit. fünf Argumente heraus, die gegen lysianischen Ursprung
ins Feld geführt wurden. Während er nun den ersten vier hievon
[1. sprachliche Unterschiede — Wortschwall; 2. geschichtliche
Mängel; 3. Undatierbarkeit der Rede; 4. das Dilemma: Lysias als
Nichtvollbürger Sprecher der Rede, oder der auserwählte Sprecher
eines Logographen bedürftig] nicht die genügende Beweiskraft zumißt,
hält er einen fünften Punkt, die Ähnlichkeiten zum Panegyrikos des
Isokrates für ausschlaggebend. Nicht Isokrates hat den E. benutzt;
wahrscheinlicher ist beiderseits Beziehung zu Gorgias ! Aus der Ver-
gleichung des Inhalts beider Reden mit besonderer Berücksichtigung
der drei Hauptpunkte: der Prinzipat für Athen; die panhellenische
Politik ; die Stellung zu den Lazedämoniern , im Zusammenhalt mit
den Zeitverhältnissen ergibt sich als Resultat: der Epit. ist nach
dem Panegyrikos, also nach 330, geschrieben und deshalb höchst
wahrscheinlich nicht von Lysias. Eine Spätgrenze ist schwer zu be-
stimmen; die Nichterwähnung des kimonischen Friedens und das
Vorkommen der gorgianischen Figuren sprechen immerhin für hohes
Alter der Rede.
Cosattini (252) untersucht nach einer kurzen Geschichte der
Kontroverse die Sitte der Epitaphien, die Überlieferung der Rede,
die antiken Zitate der Rede (Aristot. rhet. III, 10, 7 S. 1411a 31),
die Rede selbst nach ihrer rhetorischen Struktur, ihrer Veranlassung
und Abfassungszeit (387 oder wenig später), den historischen An-
spielungen und dem Stil, mit dem Ergebnis: dall' esame istituito di
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80
Bericht über die Literatur zu den attischen Rednern
tutte le obbiezioni fatte . . . risulta che di esse nulla o ben poco
rimane. Die Rede ist echt lysianisch, wenngleich kein Meisterstück.
Neuestens*) schließlich hat Nitz sehe (262) die griech. Grab-
reden der klassischen Zeit im Zusammenhang untersucht oder vielmehr
zu untersuchen angefangen; denn von seiner Arbeit liegt bisher nur
der erste Teil vor, der sich mit dem [lysianischen) Epit. beschäftigt.
Ein Kapitel über die „Gebräuche bei den öffentlichen Bestattungen
in Athen" führt ein in die Erörterungen über „Echtheit und Ab-
fassungszeit der erhaltenen Grabreden". Während für Hypereides
(323) und Perikles-Thukydides (431) — letztere Rede betrachtet als
eine aufs engste an den originalen Wortlaut sich anschließende
Kopie — die Verhältnisse einfach liegen, erfordern sie bei den
anderen Reden eine eingehende Untersuchung. Für die Grabrede
unter Lysias' Namen sind folgende Gesichtspunkte zu berücksichtigen**):
1. Von den äußeren Zeugnissen könnte eventuell das des Aristoteles
für beweiskräftig angesehen werden; N. schließt sich jedoch in der
Auffassung dieses Zitates Wilamowitz (s. oben S. 78) an. 2. Der
Stil führt bei der unleugbaren Menge echt lysianischer Merkmale,
die neben den Verschiedenheiten stehen, zu keinem vollständig über-
zeugenden Resultate. 3. Wie Lysias ist der Verfasser des E.
Demokrat, ein so eifriger sogar, daß er einerseits vor Geschichts-
fälschung nicht zurückschreckt; anderseits „fällt er aus der Rolle
und erwähnt Tatsachen, wie sie zur Zeit des korinthischen Krieges
überhaupt kein Athener, geschweige denn ein entschiedener Ver-
treter der demokratischen Partei in einer öffentlichen Rede vorbringen
konnte" ***). 4. Im Anschluß an Wolff (s. oben S. 79) bezeichnet
N. als besonders beweiskräftig für die Abhängigkeit des E. von
Isokr. einen Vergleich der beiden Stellen Epit. 55 — 59 und Isokr.
103 — 106, 107 — 109; aus der Gegenüberstellung ergibt sich nämlich,
„daß die lysianische Stelle der Reihe nach aus Gedanken zusammen-
gestellt ist, die sich im Panegyrikos in den §§ 106 (resp. 104),
105, 106, 117, 118, 106 und 103 finden. Hiedurch wird eine
Abhängigkeit des lsokrates von Lysias sehr unwahrscheinlich; denn
ersterer hätte, wenn er Lysias folgen wollte, keinen Grund gehabt,
die Gedankenfolge zu ändern; dagegen ist viel eher anzunehmen, es
*) Chaillet8 (45) Dissert. 1891 blieb mir unzugänglich.
**) Lebeau 1863 ist durch Sauppe widerlegt.
***) Eifriger Demokrat z. B. §§ 63 , 56; dagegen cf. § 59 (Sieg bei
Knidos). — Historische Veraehen außerdem nicht § 21, wohl aber § 27 (Xerxes
für DareiosX §§ 32—34 (Lage der Athener bei dem Heranrücken der Perser).
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aus den Jahren 1886—1904. (Emminger.)
81
habe der Verfasser des Epik, dem es vor allem auf kunstvolle Form
der Darstellung .... ankam, seine Gedanken und Phrasen dem
Panegyrikos entnommen und sie dann seinem Zweck gemäß geordnet".
5. Über die Abfassungszeit des [lys.] Epit. läßt sich vorläufig nur
sagen, daß er nicht allzulang nach des Lysias Tode entstanden sein
wird. Die genauere Untersuchung ist zusammen mit der Frage nach
der Entstehungszeit der Grabrede überhaupt einem zweiten Teil vor-
behalten — der bis jetzt noch nicht vorliegt*).
Zur Verbesserung des Textes der Rede hat Thal heim (256)
für §§ 3, 13, 35, 79, Naber (282) zu §§ 9, 13, 15, 50 Vorschläge
gemacht.
Zur dritten Bede (tcqÖq 2i/Mova anokoyia) liegen nur einige
Konjekturen vor: von P. R. Müller (198) zu § 15, von Thal-
heim (256) zu §§ 9, 18, 23, 39 und von Naber (282) zu §§ 10,
17, 28, 39, 44, 45.
Ebenso zu or. TV (neQi TQavficttog tx rcgovolag xrf): Thal-
heim (256) zu § 11, Naber (282) zu §§ 1, 5, 8.
Eine Doppelfrage ist mit der sechsten Rede im lysianischen
Korpus (xcrx IdvÖo'Aidov aaeßeiag) verknüpft: 1. Wurde die Rede
vor Gericht gehalten (vom Verfasser eventuell bei der Herausgabe
noch einmal durchkorrigiert), oder ist sie von Anfang an eine nur
zum Lesen bestimmte Invektive gewesen ? 2. Stammt sie von Lysias,
und wenn nicht, von wem sonst oder aus welchem Kreis?
Nach Blaß' Urteil (AB Ia S. 562—570) ist Lysias nicht ihr
Verfasser, wohl aber ist sie als SeoTepoXof (a in jenem Prozeß, in dem
auch Andokides' Mysterienrede gehalten wurde, anzusehen.
Von den hier zu nennenden Spezialuntersuchungen läßt Roegholt
die Rede vor Gericht gehalten sein, verfaßt wahrscheinlich (nach
Bergk) von Theodoros von Byzanz ; Weber betrachtet sie als
Invektive eines Zeitgenossen; Drerup-Schneider gleichfalls**),
indem sie als Verfasser den Theodoros annehmen; Zutt endlich er-
klärt sie als Epitome.
*) F. Dümmler, „Die 'Atojvafov TtoXiTefo des Kritias", Hermes XXVII =
1892 S. 282 Anm. 2 (= Kl. Schriften II 1901 S. 439 Anm.) „kann die Unechtheit
der Rede nicht für 'erwiesen halten" und gebraucht sie darum als „einen
wichtigen Terminus ante quem für den gorgianischen Epitaphios (394)", der
„gewissermaßen die feierliche Einführungsrede der neuen Demokratie war,
von Archinos am ersten Konstitutionsfeste gehalten". Gründe für die Echt-
heit der Lysianischen Rede führt D. nicht an.
**) Auch Brun 8 (71) glaubt nicht, daß die Rede vor Gericht gehalten
ist: S. 479/80, cf. S. 521—524.
Jahresbericht fftr Altertwiwwiasenschaft. Bd. CXXXIII. (1907. I.) 6
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82 Bericht über die Literatur zu den attischen Rednern
Zutts (163) Gedankengang ist oben S. 61 kurz dargelegt. —
Den Inhalt von Roegholts (222) Dissertation gibt der Verfasser
selbst kurz in der 1. seiner Thesen: Pseudolysiae oratio xax' äv-
öoxtoou ab aequali Lysiae scripta et in Ute contra Andocidem pro-
nuntiata est. Unmöglich scheint es R. , die Rede einem Rhetor
späterer Zeit zuzuschreiben. Wer aber war der Redner? War
es Epichares oder Meietos? Jedenfalls hat keiner von den beiden
die Rede selbst verfaßt , sondern ein zeitgenössischer Logograph.
Dürfen wir der Suidasnotiz trauen? Theodoros schrieb eine Rede
gegen A. ; ob es die vorliegende war, ist nicht ausgemacht, wenn-
gleich wahrscheinlich. Denn die Rede ist ieiuna, d. i. — nach
Blaß — allgemein kraftlos und unbedeutend, nach Cicero ein
Charakteristikum für die Werke des Theodoros. — Bemerkungen
über die handschriftliche Grundlage leiten über zum Text der Rede,
für deren Rezension jedoch cod. X nicht neu verglichen ist.
Weber (255) stellt zunächst zusammen, was die Mysterienrede
über den gegen Andokides angestrengten Prozeß uns lehrt. Dann
geht er an den Beweis auctorem invectivae ipso illo tempore
vixisse, quo actio adversus Andocidem intenta est. Während von
vielen behauptet worden ist, die Rede sei eine Deuterologie (cl. § 42),
kommt W. zur Überzeugung, die Rede könne überhaupt nicht vor
Gericht gehalten sein, zumal nicht von einem der Mitkläger. Zutts
Argumente, die die Rede als Exzerpt aus der Protologia erweisen
sollen, erscheinen für W. nicht überzeugend. W.s eigene Meinung
geht dahin post litem mysteriorum violatorum orationem conscriptam
esse. Wahrscheinlich hat der Autor die Verteidigungsrede ein-
gesehen. Er legt viel Gewicht auf die Religion, Hauptsache aber
ist ihm die Parteiangehörigkeit des Andokides: ein aristokratischer
Zeitgenosse des Andokides hat die Rede geschrieben. Is qui eam
conscripsit .... opus confecit forsan eo consilio, ut oratoris studiis
auetoritatis in civibus adipiscendae quam maxime noceret , quoniam
fieri non potuerat . ut causa mysteriorum profanatorum nobiles pro-
ditionem eius adversus sodales Euphileti hetaeriae commissam ulci-
scerentur.
Gleichfalls als „Werk eines Zeitgenossen des Lysias" , als
„sophistische Invektiveu, „die von einem Rhetor jener Zeit
herrührt", betrachtet V. Schneider (268) die Rede: sie ist nicht
lysianisch, — das „altertümlich Gesuchte1* ihrer Sprache fällt be-
sonders auf. Doch ist ihr Stil auch nicht der asianische eines
späten Rhetors, wie besonders Sluiter meinte. Letzterer fand auch
mit Unrecht in der Nennung des 'Epjxr^ irarptoo? Anlaß, die Rede
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aus den Jahren 1886—1904. (Emminger.)
83
in spätere Zeit zu verweisen; gerade die Anführung nebensächlicher
Fakta spricht für Gleichzeitigkeit mit dem Prozeß. Deswegen braucht
die Rede jedoch nicht vor Gericht gehalten zu sein: der Widerspruch
in den §§ 42 und 19 macht das sogar ganz unwahrscheinlich.
Argumente, die für die Gerichtsrede unmöglich sind, und „geschichtliche
Ungenauigkeiten finden eine leichte und hinreichende Erklärung" in
der Annahme, die Rede sei eine sophistische Invektive. Jedenfalls
liegt diese Erklärung näher als die Annahme nachträglicher Über-
arbeitung. Die Invektive wird dann auf Grund der Suidasnotiz und
der Stilanalyse von Drerup (56) S. 338 — 340 dem Theodoros
v. Byzanz zugewiesen — zuerst hatte diesen Gedanken ausgesprochen
Th. Bergk, Griech. Liter.-Gesch. IV 1887 S. 356 f.
Für den Text der VI. Rede bringt Konjekturen Thal he im (256)
zu §§ 3, 7, 11, 44, 51, 53 und Naber (282) zu §§ 3, 26, 34, 45, 46.
Mehrfache Verbesserungsvorschläge liegen zur siebenten Bede negi
tov ar^ov vor: von Kocks (199) zu §§ 6, 12, 14, 18, 20 u. 22,
23; Weidner (197) zu §§ 12, (31), 18, 29, 30, 34, 39; Hun-
deck (224) zu §§ 3, 22, 26; Morgan (230) zu § 39; R. P. Müller
(198) zu § 2; Vollgraff (251) zu §§ 1, 5; Thalheim (256)
zu § 29; Nabe r (282) zu §§ 1, 6, 18, 27, 31, 35.
Der Verlust der achten Hede — xairjyoQict ngög toi-g ovvov-
ataarag xaxoloyiwv — würde die griechische Literatur um nichts
ärmer machen, so urteilt Blaß und übereinstimmend mit ihm
Hallen sl eben (190). Lysias hat sich zu einer solchen Nichtigkeit
kaum hergegeben. Mit der Annahme eines Exzerptes (Stutzers
Hypothese) wird der Echtheitsfrage nur ausgewichen; denn auch
dann ist jedenfalls die Rede, wie wir sie haben, nicht lysianisch.
Unlysianisch ist vor allem die Hiatvermeidung ; doch ist hierauf bei
dem schlechten Zustand der Überlieferung nicht allzuviel Verlaß.
Unlysianisch ist aber auch der Sprachgebrauch*). — Die Rede ist
auch keine ueX£n), „sed habita in coetu amicorum"; nur mit dieser
Annahme lasseu sich die vielfach aufstoßenden Unklarheiten und
*) Namentlich nimmt H. Anstoß an dem Übermaß der Antithesen und
rhetor. Fragen; dem Gebrauch des Plurals für eine Person; dem Mangel
der Vokative zur Anrede; an Ungereimtheiten uud Sophistereien wie §§ 4
und 8; lästigen Wiederholungen des gleichen Wortes, überhaupt einer loquax
verbositas; an sprachl. Einzelheiten wie der Vorliebe für Komposita (Lysias
zieht simpl. vor), Konstruktion bezw. Gebrauch von (jtifrfcoöai (mit Dat.)»
itp^Ttpov, tiyoLy ivavrfov, iropfCeoöai, xatetiretv: einem gewissen color poeticus
des ganzen.
6*
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i
I
84 Bericht über die Literatur zu den attischen Rednern
Dunkelheiten erklären. Vor den Richtern gehalten wie als rhetorische
Übung müßte die Rede klarer sein; als Übung würde sie auch mehr
Gemeinplätze enthalten. Über Autor und Zeit läßt sich nichts Sicheres
ausmachen; vielleicht stammt sie aus der isokratischen Schule —
jedenfalls nicht von Lysias. — In ihrem Zusammenhang mit den
Privatgesellschaften Athens behandelt die Rede Vianeil o (236).
Ferrai (Boficl 1895, 101) berichtet über diese Untersuchung und be-
dauert, daß V. nach Wiederholung bekannter Dinge auch über certe
irregolarita di sintassi e di stile nur Allgemeinheiten vorbringt, da
ihn doch eine genauere Untersuchung abgehalten hätte die Echtheit
der Rede zu behaupten, oder ihn wenigstens zur Anerkennung einer
starken Überarbeitung des antiken Textes hätte führen müssen;
ferner, daß Vianello auch im zweiten Teile sich begnüge wieder-
zuerzählen, was wir längst schon über die verschiedenen Korporationen
jeglicher Art im alten Athen wußten, ohne auch nur zu sagen, in
was für einer Versammlung nun die Rede gehalten wurde. Thal-
heim (256) gibt auch zu dieser Rede Konjekturen zu §§ 1, 4, 19, 20*).
Im Grunde dieselben Fragen wie bei der achten Rede erheben
sich wieder bei der neunten: vrteQ tov atQauwtov. Ist die Rede
vor den Richtern gehalten, ist sie echt, lysianisch — lassen sich
schließlich etwaige Auffälligkeiten einem Herausgeber, Epitomator
zur Last legen? — Nachdem Pabst (206) kurz das Argumentum
der Rede angegeben, tritt er in die Erörterung der dem Prozeß zu-
grunde liegenden causa ein; und zwar fragt es sich: 1. durfte Poly-
ainos von den Strategen nochmals zu den Waffen einberufen werden ;
2. was versteht man unter emßoX^ **) — ist diese dem Polyainos von
den Strategen wegen der Schmähungen auferlegt worden ? Durch-
führung der Sache und Art der Strafe widersprechen, kurz gesagt,
nach P. den uns bekannten Gesetzen nicht auffällig, die Strafe war
in dem gegebenen Falle auch nicht unbillig***). — Anders ist das
Resultat aus der Untersuchung der Rede nach der formalen Seite : Ver-
•) Zu VIII 11 cf. A. Römer SMA 1901, 34 Anm. 1 xal fttd toüto
(auTo) lirparrov (für dyrtoparcov).
**) Hiezu vgl. 8iegfried, de multa quae fatßo^ dicitur. Diss.
Berlin 1876.
•**) Damit sind Einzelausführungen veranlaßt über die lirißoX/j, die drei
Gesetze betr. Verbalinjurien, Über die Tofxfai, warum ihnen die inißoAVj von
den Strategen übertragen wurde und welches ihre Machtbefugnisse waren;
über die dnoypcnp^, die die Strategen gegen Polyainos anstrengten; über den
Ort des Prozesses (abhangig von der Zeit der Rede), über die §§ 15, 17, 18,
die Pabst auf den gegenwärtigen Prozeß bezieht.
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aus den Jahren 1886—1904. (Emminger.)
85
Btöße gegen die Reinheit der Sprache, in der Satzfügnng eine über-
große Menge von Antithesen, (sententiarum niraia modo brevitas
modo verbositas), fallen ebensosehr auf wie das Fehlen der dem
Lysias eigentümlichen evap-feia, ^foicotfa, X*Pl*: l*«ter Dinge, die
einzeln vielleicht noch nicht von entscheidendem Gewicht wären,
in ihrer Gesamtheit aber zur Athetierung führen. — Als Jahr der
Abfassung wird aus der Erwähnung des Ktesikles § 6, der als
Archon des Jahres 884/3 aufgefaßt wird, 333/2 gewonnen*). —
Gewiß hat der Text der Rede gelitten ; jedoch sieht P. nach Unter-
suchung der Stellen, an denen man wegen ihrer Dunkelheit oder
allzugroßen Kürze Anstoß nimmt [„plurimi eorum locorum ....
partim certo partim verisimili modo interpretari possunt"] und be-
sonders im Vergleich mit der 11. Rede keine Veranlassung, die
Rede als bloßen Auszug aufzufassen. Sicher ist aber Lysias nicht
ihr Verfasser.
Die Rechtsfrage allein erörtert namentlich im Hinblick auf die
Bedürfnisse Lysias lesender Schüler H. K e 1 1 e r (229). Seine Kapitel
handeln über a) die Sachlage, b) die dtiroYpa<p^, c) den Ankläger,
d) die Verteidigung. — Terminus post quem ist ihm 403**), als
Spätgrenze erscheint 393. — Vorausgeschickt ist eine Übersetzung
der Rede ins Deutsche, angefügt eine chronologische Tafel und in
einem Nachtrag einige Beobachtungen zur rhetorischen Kunst der
Rede nach Cicero und dem auctor ad Herenniuro.
Zum Text der IX. Rede vgl. Thal heim (256) zu §§ 16, 17,
18, 19; Naber (282) zu §§ 5, 19.
Die Echtheit der zehnten Hede v.axa Geo^vrjatov ist neuerlich
bestritten von J. Bruns (71) S. 460, der sie für eine Übungsrede
hält. Sprecher ist der Ankläger; aber gegen alle Gewohnheit des
Lysias charakterisiert er sich selbst sehr scharf, und zwar — wieder
gegen Lysias — sehr zu seinen Ungunsten als „aufbrausender, petu-
lanter" Mensch. Auch der Angeklagte wird unsachlich behandelt
und seine Individualität ungewöhnlicherweise geschildert***).
*) Schon Francken hatte in gleicher Weise argumentiert unter Wider-
spruch von Blaß AB I» 599 und Anm. 4.
**) Als Jahr, vor welches keine lysianische Rede fällt. Keller nimmt
die Rede für echt, schließt folglich — gerade umgekehrt wie Pabst — aus
dem Amtsjahr des Archonten Ktesikles, daß dieser nicht gemeint sein
könne, da ja damals Lysias nicht mehr lebte.
***) Cf. unten S. 92 zu or. XXIV und S. 97 zu fr. I.
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86
Bericht über die Literatur zu den attischen Rednern
Konjekturen zu X. bringt Weidner (197) zu §§ 10, 13, 26,
28, 31, 1, 29, 2; Naber (282) zu §§ 2, 3*).
Bei der berühmten 12. Bede mar *EQatöo&£vovg stand Gerichts-
hof und Art der Klage in Frage : ist die Rede in einem Mordprozeß
oder in einem Rechenschaftsprozeß gehatten worden? Ich brauche
nur Thalheims wenige Worte — die mit Morgan (230) über-
einstimmen — zu zitieren, um den Fortschritt der Wissenschaft in
dieser Frage zu kennzeichnen und zugleich zu erklären; er sagt:
(ed. p. XLI) hanc rationem (sc. in rationibus reddendis contra
Eratosthenem Lysiam exstitisse) veram esse Aristotelis de
Atheniensium republica libellus testatur. Wilamowitz
AA II 218 ff. sagt dazu: „Eratosthenes hat von der Klausel der
Versöhnungsurkunde Gebrauch gemacht, die den 80 Amnestie verhieß,
wenn sie sich der Rechenschaftsablage unterzögen". In dem Rechen-
schaftsprozeß nun steht der Isotele Lysias auf und führt die Klage,
wie jeder es konnte. Wie schon früher Schwartz (203) in den
beiden Reden XII und XIII eine tendenziöse „Verfälschung der
Tradition" begründet glaubte, der dann Xenophon in seiner Dar-
stellung der Zeit der Dreißig entgegentrat, so gibt auch Wilamowitz
der Rede außer dem persönlichen einen politischen Untergrund. „Die
Rede ist aufzufassen als Vorstoß der radikalen Partei auf formal
gesetzlichem Boden gegen das Versöhnungswerk; die Klausel, die
den 30 die Möglichkeit der Amnestie gewährte, sollte unwirksam
gemacht werden." Dem widerspricht Blaß AB III, 2 2 S. 372 ff.,
der dem Lysias auch in seinen Angaben über Theramenes **) , als
dem gleichzeitigen Bericht , lieber traut als dem Aristoteles
bezw. dessen späterem Gewährsmann (etwa Androtion).
Zum Text dieser 12. Rede bringen Vorschläge: Weidner (197)
zu §§ 32, 61, 92; Kocks (199) zu 25, 35, 53, 78, 81 ;
Morgan (230) zu 16, 44, 60, 63, 77; Nauck (202) zu 32;
C. Hude (247) zu 88; Thalhei m (256) zu 58; II emstege (133)
Thesis VII S. 116 zu § 10; Naber (282) zu 1, 7, 14, 16, 19, 24,
43, 46, 53, 60, 83, 89, 99.
Über den historischen Hintergrund und die Prozeßform der
XIII. Bede xar l^yogatov ist wiederum Schwartz (203) zu ver-
gleichen, dagegen dann aber Lipsius (161).
*) Zum altattischen Sprachschatz der Rede cf. Br. Keil, d. solon.
Verfass. in Ariatot. Verfassungsgesch. Athens. Berlin 1892, S. 59 n.
**) Zur Beurteilung des Theramenes in or. XII cf. Bruns (71) S. 492.
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aus den Jahren 1886—1904. (Emminger.)
87
Der, wenn ich so sagen darf, auch kulturhistorisch interessante,
schwer erklärbare Beiname des Vaters des Theokritos (XIII, 19)
hat mehrere Gelehrte zu Untersuchungen gereizt. 0. C r u s i u s (237)
hatte schon vor längerer Zeit festgestellt, 'EXoKpoonxToc sei nicht
Name eines Bärgers, vielmehr Spitzname eines Freigelassenen. Von
Dittenberger (269) war das Wort dann gleich eXa?ov ^«jti^voc
gedeutet: mit einem Brandmal in Gestalt eines Hirsches gezeichnet;
er denkt sich den Vater des Theokritos demnach als einen aTifjAaTiac,
einen Sklaven, der entlief, aber erwischt und zur Erschwerung aber-
maliger Flucht mit einem dergestaltigen Mal gekennzeichnet wurde.
Crusius (272) ergänzt diese Deutung wieder dahin, daß er an-
nimmt, „nicht das Wort eXa<poc, sondern den tuico? habe der dunkle
Ehrenmann bei Lysias auf der Stirne getragen. Vielleicht sollte er
dadurch als ßctpßotpo? bezeichnet werden, noch eher aber als unsteter,
landfluchtiger , Wildfang', als Sklave". Wolters (278) erscheint
die Wahl eines Hirsches als Mal in dem Fall, den Dittenberger an-
nimmt, nicht wahrscheinlich. Er deutet den Namen als den mit dem
Bild des Hirsches Tätowierten — ähnliche Verzierungen des Körpers
finden sich auf Vasenbildern besonders bei Thrakerinnen — und
schließt damit auf barbarische Herkunft des Trägers dieses Schmuckes,
der demselben in Athen den Spitznamen einbrachte.
Konjekturen bezw. Vorschläge zur Textgestaltung liegen vor von
Weidner (197) zu 97; Kocks (199) zu 63, 74, 79, 86;
P. R. Müller (198) zu 19, 88; Haeberlin (207, 208) zu 4, 23;
Schliack (195) zu 86; Dittenberger (270) zu 19; Voll-
graf (251) zu 18; Thalheim (256) zu 96; Kütten (231) zu §9:
hier zugleich eine Sammlung von Fällen, in denen fttt, aber auch «>?,
erst #ts, sowie die Relativpronomina in der oratio obliqua den In-
finitiv nach sich haben; Hude (247) zu 88; Matzura (275 S. 15
u. 21) zu 9, 51; Naber (282) zu 8, 12, 14, 18, 22, 23, 83, 45, 68).
Über die Sonderausgaben der XII. und XIII. Rede, die wegen
der Bedeutung dieser Reden für die Geschichte und zugleich für die
Persönlichkeit des Lysias sehr häufig veranstaltet worden sind, vgl.
oben S. 75 f.
Bei den zusammengehörenden Reden XJV xot Iflxtßidöov (Ä)
Xutota$iov und XV xctt siXxißtddov (B) datgareias handelt es
sich um verschiedene Fragen: nach ihrem lysianischen Ursprung —
gleichzeitig nach Einheit oder Verschiedenheit des Autors für beide ;
nach der Auffassung und Erklärung des Klagegrundes ; schließlich nach
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88
Bericht über die Literatur zu den attischen Rednern
ihrem Platz im Kreis der Alkibiadesreden , wobei die Beantwortung
einer Frage die der anderen mit beeinflußt.
Allgemein — Hoyer (191) ausgenommen — ist man davon
abgekommen, or. XV den Charakter einer selbständigen Prozeßrede
abzusprechen ; Blaß AB 1 9 S. 496 teilt beide dem gleichen Verfasser
zu — „ist die erste Rede (XIV) von Lysias, so wird es auch die
zweite (XV) sein" : der lysianische Ursprung freilich erscheint Blaß
S. 492 fr. sehr zweifelhaft.
Dieser Frage nach der Echtheit beider Reden widmet N o w a c k
(209) eine Spezialuntersuchung. Auch für andere Untersuchungen .
sind die Zusammenstellungen aller Wörter dieser beiden Reden —
ein kleiner Spezialindex zu XIV und XV — vielleicht von Nutzen;
sie erfolgen in drei Gruppen : Wörter, die auch in anderen lysianischen
Reden vorkommen ; Wörter, die nicht unlysianisch erscheinen, bei Lysias
sonst aber keine Belege finden ; vom lysianischen Sprachgebrauch ab-
weichende Wörter. Im allgemeinen ergibt sich im Wortgebrauch Über-
einstimmung mit Lysias; die wenigen Besonderheiten können nur bei
anderen Dinerenzen verstärkend in Betracht kommen. Auch stimmen
die beiden Reden unter sich überein. — Anders in der Syntaxis
verborum. „or. XV laborat nimia subsidiorum rhetoricorum ab-
stinentia". Das ist nicht Zeichen ihrer Echtheit, sondern der
egestas. — Ebenso fällt die Rede auf durch „inopia ornatus et
argumentorum amplitudine", während der Verfasser der XIV. Rede
alle Schmuckmittel, die Lysias in seinen gesamten Reden verwendet,
in dieser einen im üppigsten Maße gebraucht. — Der XV. Rede
fehlen sodann — das ergibt sich aus einem Vergleich der Vorzüge
und Mängel des Lysias und der Verfasser der beiden Reden unter
Führung des Dion. Halic. — sententiarum brevitas, argumentorum
perspicuitas et Tudavorij?, periodorum elegantia, orationis venustas et
suavitas. So wird ein verwerfendes Urteil bei XV dem Verfasser
leicht — nicht so bei XIV. Zwar ist er dem Gefühl nach gleichfalls
von ihrer Unechtheit überzeugt, doch scheint ihm ein so sicherer
Beweis dafür wie bei XV nicht möglich. Sicher ist jedoch gegen
Blaß festzuhalten, daß die Reden nicht vom gleichen Ver-
fasser stammen!
Ohne Rücksichtnahme auf die Autorschaft der Reden legt sich
R ö h 1 e c k e (281) die Frage vor : „warum hat man denn Alkibiades nicht
nur als (x5ox(uaa?o ; iiriteoc;«?, sondern in erster Linie auch als
Xi-tbv tijv -d?iv angeklagt ?tt Seine Gegner wollten ihn — so erklärt
R. das — möglichst hart treffen. Aber : in beiden Fällen wäre doch
die Strafe dtiui'a gewesen — ja nach dem Text von XIV, 9 wäre
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aas den Jahren 1886-1904. (Emmingen)
89
unbefugter Reiterdienst sogar mit ö^ji£U3tc geahndet worden! Dem
zweiten Selbsteinwurf tritt Röhlecke mit Thalheim durch Streichung
des Passus entgegen, dem ersten durch Verweis auf die zwei Arten
der dxtu.t'a, die große vollständige, mit der die Ankläger den Alki-
biades belegt wissen wollten, und die teilweise, die den „ungeprüften
Ritter" traf.
Außer Lysias wird Isokrates eine Rede (XVI) beigelegt, die
einen Prozeß des jüngeren Alkibiades betrifft. Isokrates und
Lysias zitieren sich beide wechselseitig. Nowack (1%) meint: „Iso-
krates zwar zitiere in seiner später herausgegebenen Rede den Lysias,
Lysias aber habe nicht die isokratische Rede, sondern nur häufig wieder-
holte Äußerungen des jüngeren Alkibiades im Sinn". Dazu bemerkt
Bruns (71): „indessen ist die Bezugnahme bei beiden gleich deutlich
und läßt nur den Schluß zu: als Isokrates seine Rede veröffentlichte,
nahm er auf das noch nicht veröffentlichte Plaidoyer Bezug, als
Lysias die seine herausgab, lag ihm die isokratische Publikation
vor". Beide Reden aber sind ihm literarische Produktionen. Die
Folge der Ereignisse denkt er sich so: 899/6 Alkibiades spricht gegen
Teisias nach Konzept des Isokrates ; 395 Klage des Archestratides :
ein Mitkläger spricht „auf Grund filier von Lysias geschriebenen
Rede. Im Wortlaut kennen wir diese nicht, aber ein Teil von ihr
deckt sich inhaltlich mit §§ 1 — 22 der XIV. Rede". Während bis
hierher gegen den Vater nur Seitenhiebe fielen, „spielte jetzt Isokrates
den Streit in die Literatur hinüber, und damit tritt der Vater als
das eigentliche Kampfobjekt deutlich hervor". „Isokrates schrieb
das Enkomion auf ihn, Lysias antwortete mit der Invektive gegen
Vater und Sohn." Als solche ist letztere für lysianisch zu nehmen;
(S. 500) „unter der Voraussetzung", daß sie Gerichtsrede sei, „müßte
sie allerdings die gewichtigsten Bedenken erregen". (Vgl. übrigens
auch zu Isokrates XVI.)
Gleichfalls als nie vor Gericht gehaltene — auch nicht zu
haltende — Buchreden faßt Hoyer (191) alle uns überlieferten
auf Alkibiades bezüglichen Reden*). Wie für Andoc. IV, „das Muster
einer Schulrede", „verfaßt von einem Rhetor oder Sophisten4*,
Anekdoten über das Leben des Alkibiades die Hauptsache sind, so
auch für die Gespannrede des Isokrates. Zu dieser aber, einem
rhetorischen Kunststück, einer fingierten Deuterologie, die aber trotz-
dem sehr wohl von Isokrates herrühren kann, ist von der andokideischen
Rede her ein entschiedener Fortschritt zu bemerken. Nicht minder
*) Auch die Frg. (IV Scheibe = V Thalheim) sind beigezogen.
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00 Bericht über die Literatur zu den attischen Rednern
ist das der Fall für Lys. XIV; XV ist ans ihr entlehnt. — Alle
drei Reden gehören demnach zum f^vo? eirtSeuxixov — „ geschicht-
licher Glaube kann ihnen nur bedingungsweise gezollt werden". —
Alle Nachrichten, die wir über den jüngeren Alkibiades haben, er-
scheinen den Anekdoten über den Vater entlehnt oder nachgebildet.
Das legt H. die Folgerung nahe, „daß die Person des gleichnamigen
Sohnes, . . . überhaupt fingiert sei. Der junge Alkibiades der
Komödie ging von der Bühne in die Rhetorenschulen über und hat
dort sicherlich noch weit umfangreicheren Stoff zu Übungsreden ge-
boten, als uns erhalten ist. Ob Alkibiades, der athenische
Staatsmann, überhaupt einen gleichnamigen Sohn gehabt, läßt sich
so wenig behaupten wie verneinen".
Den Familienstammbaum des Alkibiades stellt Dittenberger
(269) auf; er unterscheidet vier Männer dieses Namens : die Stamm-
tafel selbst mag eine Übersicht geben:
Alk ib. I. (ca. 550-510)
Iaokr. XVI 26.
Kloinias I. Alkib. Ü~(feb" um 510)'.
Lysias XIV. 39.
AtvIoc. IV. 34.
Demosth. XX. 115.
/— ■ ' ■ *
Kleiniaa II. (? 480-44'i). Axiocb. <? 485— 40<i).
Alk. 111. der berühmte 1450—404). K lein ias III. (geb. ? 449). Kleinias IV.
Alk! IV. (geb. ? 417).
Lysias XIV 39 (zweimaliger Ostrakism.) ist demnach auf den Groß-
vater des berühmten Alkibiades bezogen.
Textkritische Bemerkungen zu or. XIV 16, 31 gibt R. K. Boek-
meijer (6) S. 14 f., zu 2 Matzura (275), zu 25 Naher (282);
zu XV 5 Earle (22S).
Für die XVI. Rede vtifq Marti&iov machen textkritische
Vorschläge Weidner (197) zu 13; Hund eck (224) zu 13, 16,
18; Morgan (218 II. St. vol. III) zu 10; der näml. (230 H. St.
vol. V) zu 6, 7; Naber (282) zu 5, 7, 18; Naber (278 Mu,
sie) blieb mir noch unbekannt.
Zu XVII (dr^oaUov ddixt^aziov) § 5 cf. Naber (282).
Ob die XVIII. Hede (xorra Ilokovxov) rreQi rtjg dr^evaeiog
(tvtv) (£tx0crTOic) roi* Nixiov ddelyoi f;rikoyog vollständig ist, wird
bei Blaß AB 1 2 S. 523 ff. erörtert. Boekmeijer (6) hat auch
hiezu (§ 7) eine Konjektur gemacht; vorher war ein Vorschlag von
Earle (223) zu § 1 vorgelegt worden. Vgl. Naber (282) zu lü, 20, 24.
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aus den Jahren 1886—1904. (Emminger.)
91
Die Zeit der XIX. Rede vjteQ iwy l4QiotO(pdvovg xQrjtdxiov
7cq6q to drjuooiov bestimmt H. Traut (250) nach dem Vorkommen
eines Diomedes, der Befehlshaber der athenischen Flotte im Hellespont
war, Ol. 98, 1 = 888 als Frühgrenze und nach dem antalkidischen
Frieden als Terminus ante quem auf 388 oder 887. Dann spricht er
über den Gedankengang der Rede nach den gewohnten Gesichtspunkten,
mit Abschweifungen extra causam.
Zum Text von XIX bringen Weidner (197) zu 23, 38, 57,
62; Kocks (199) zum Proöm. 23, 25, 41, 62; Earle (223) zu
25: P. R. Müller (198) zu 18, 21, 51, 62; Thalheim (256) zu
63, 57, 61; Boekme,ijer (6 p. 14—17) zu 35; Vogl (265)
zu 50; Naber (282) zu 3, 15, 18, 26. 38, 45, 54, 61 Vermutungen
und Erläuterungen.
Plurimum hac de oratione disputatum est, sagt Thalheim (edit.
p. XLV) von der XX. Bede inig TIoXvatQdtov: die Berichtszeit
hat nur eine Spezialabhandlung gebracht: von Hildebrandt (212).
Gegen eine Auffassung des § 18 (spyju-ov .... a&tov Xaßovxec), als
ob Polystratos in Abwesenheit verurteilt worden sei, scheinen ihm
§§ 21 und 22 zu sprechen. — Ein zweites Problem betrifft den Zu-
sammenhang des vorliegenden Rechtsfalles (etwa vom Jahr 410)
mit einem früheren. Allgemein verlassen ist die Meinung, die Rede
sei in einem Prozesse ^eoSoptaptopitöv *) gehalten: dagegen spricht
schon, daß P. reus, nicht accusator ist. Thalheim denkt an einen
Prozeß diroYpoKp7jc, weil die auferlegte Buße noch nicht bezahlt ist;
nach H. ist jedoch nicht erwiesen, daß die Strafe noch nicht be-
zahlt ist: zum Teil mit Pohl nimmt Hildebrandt, gestützt auf Äristot.
'A8tjv. iroX. 48 an, „priorem causam in compendiario iudicio
rationum reddendarum actam esseu, in dem Prozeß aber, für den die
XX. Rede verfaßt ist, „post sollemne euthynarum iudicium iterum
Ypa<p7)v irepl Eoftovcuv intendi". Dabei sei die Wahrscheinlichkeit
noch größer, es handle sich in beiden Fällen nicht um das gleiche
Vergehen, sondern um verschiedene.
Wilamowitz A. u. A. II S. 356—367**) untersucht die Rede
in Verbindung mit dem Bericht des Thukydides über die Ereignisse
des Jahres 411 und den „Urkunden" (der 7toXiteta cap. 29, 30, 31).
Mit der Wahl zum xataXo^etj? war Polystratos zugleich Ratsherr
geworden; während dessen konnte er dazu auch noch «ppoupap/oc
in Eretria sein. Er verlor diese Festung und wurde bei der Rechen-
•) Cf. über diese Prozeßart Rentzsch (7*).
**) Cf. auch I S. 101—108.
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92 Bericht über die Literatur zu den attischen Rednern
Schaftsablage zu einer hohen Summe verurteilt, die er, ein reicher
Mann , bezahlen konnte. — Es kommt zu einer zweiten Anklage
(410), bei der eine unbezahlbar hohe Strafsumme beantragt wird:
„aus diesem Prozeß besitzen wir einen Teil der Verteidigungsreden"
unter dem Titel 6irip IloXoJTpatoo o^poo xaraXucreu)? dicohoflz
(Harpokr.). Ein Sohn führt hier das Wort. Polystratos hat auch
selbst gesprochen ; da seine Rede aber verloren ist, wissen wir über
die Verteidigung gegen die eigentliche Anklage nur wenig. Was
wir haben, ist nicht von Lysias geschrieben. Es setzt sich aus zwei
selbständigen Teilen §§ 1—10 und §§ 11 ff., die zwei Sprechern
gehören, zusammen. „Als sie unter den schützenden Namen des
Lysias getreten waren, teilten sie das Schicksal von dessen Reden;
zu beiden ist jedenfalls der Text nicht in bester Ordnung." So ist
§ 0 hinter irpo£3a>xe eine größere Lücke, „in der mindestens die
dpXT} £v 'Epexpta erwähnt war". § 19 ist wohl der Eigenname bei
Verbreitung der Rede durch dvhp( = NN ersetzt worden. — Zu
§ 29 ein Vorschlag II S. 861 Anm. 14.
Weitere kritische Bemerkungen zu §§ 17, 36 von Thalheim (256).
Über den Prozeßfall der XXI. Rede — d/ioloyia dioQodoxiag
anaqda^fAOg — , ob Rechenschaftsklage oder drtQfpxtpft , sind die
Meinungen geteilt. Gegen Blaß AB I3 498. der das erstere annimmt,
vgl. Thalheim ed. p. XLV.
Aus § 11 der Rede schließt V o g e 1 (265) „es hätten sich zwölf
Schiffe von Aigospotamoi nach Athen gerettet, während Konon allein
zu Euagoras entkam
Vorschläge zum Text von P. R. Müller (198) zu 25; Thal-
heim (256) zu 23; Naber (282) zu 3, 5, 8, 16, 18, 20, 24.
Der ebengenanntc Vogel (265) versucht aus § 5 der XXII. Rede
xara zwv oiTontoXiov die ursprüngliche Formel des Verhörs zu ge-
winnen, tut aber nach Kroll (BphW 1902 Sp. 774) der Überlieferung
Gewalt an.
Bemerkungen zum Text der Rede werden verdankt Weidner(197)
zu 1, 9, 11; Kocks (199) zu 8; Hundeck (224) zu 2, 15; Thal-
heim (256) zu 11, 12, 17.
Über die XXIII. Rede %cttd IlayxXiioiog oti oüx tjv IlXxcaie^
urteilt Thalheim ed. p. XLVI: tempus incertum est. unter Hinweis
auf Wilamowitz A. u. A. 11 368—378. Dieser tiibt eine Er-
läuterung der Rede durch kurze Darlegung des Sachverhaltes. In
der Geschichte des attischen Rechtes tritt die Rede als drittes Bei-
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aus den Jahren 1886—1904. (Emmingen)
93
spiel einer TtctpctYpoup^ neben Isoer. XVIII und Antiph. V. — Löwen-
thal (279) blieb mir unzugänglich.
Zum Text Weidner (197) zu 3; Earle (228) zu 14; Naber
(282) zu 3, 5.
Auch in den Schulausgaben findet man häufig wegen ihres witzigen
Tones und ihrer Anpassung an den Charakter des Sprechenden die
XXIV. Rede vrteQ %ov aövvarov. J. Bruns (71) S. 460 hat, wie
schon A. Boeckh*) und von den Alten Harpokration, die Echtheit
der Rede bezweifelt. Br. stellt für Lysias und seine Zeit die Regel
auf: Der Gegner als Angeklagter wird nur in seinem Typus
charakterisiert; der Gegner als Kläger wird niemals charakterisiert —
eine Folge des allgemeinen Satzes : nicht von der Sache abschweifen !
Dagegen verfehlt sich (wie X) or. XXIV.: der Sprecher verteidigt
sich, „greift aber den Kläger beständig aufs gröblichste an\ Zudem
sind diese Insulte völlig inhaltslos. Noch zwei andere Gründe sprechen
für Verwerfung: einmal „die prononcierte Selbstcharakteristik des
Sprechers11 ; sodann die Entlehnung der Einleitungsphrase aus or. XVI ;
dort paßt sie, hier nicht.
Gegen Bruns polemisiert — nach einem begeisterten Nachruf
auf den feinsinnigen Lehrer — in den §§ 3 — 5 seiner Abhandlung
G. Wörpel (263): Auch unsere Rede wie XVI ist bei Gelegenheit
der Dokimasie gehalten. Die §§1 und 2 handeln über die Unordnung
der Rede, wogegen Fuhr in seiner Besprechung einfach auf Froh-
bergers Ausgabe verweist. In § 6 vermutet W. , Lysias habe die
Verteidigung des Krüppels deswegen übernommen, weil er sein
Parteigenosse war. Die §§ 7 — 9 beschäftigen sich mit dem sprach-
lichen Ausdruck, dem Gebrauch der gorgianiseben Figuren und dem
Satzbau in der Rede.
Textvorschläge zu or. XXIV stammen von Weidner (197) zu
13, 14; Kocks (199) zu 9; Berndt (210) zu 13; Naber (282)
zu 5, 6, 9, 10, 11, 25.
Zu Bede XXV — [dfyov KaxaMomg] anoloyla — sind Er-
läuterungen und Konjekturen von Weidner (197) zu 15, 23, 33;
Kocks (199) zu 22; Müller (198) zu 11; Boekmeijer (6,
Lysias p. 14—17) zu 7; Nah er (282) zu 11, 13, 24 zu verzeichnen.
E. Schwartz (203) schlägt zu § 25 statt KXeiao^v KXeqev>)v
*) Staatshaush. der Ath. I« S. 309; cf. Thalheim ed. praef. p. XLVI.
— Auch Naber (283) glaubt, XXIV sei nur Übungsrede.
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94 Bericht über die Literatur zu den attischen Rednern
und statt ^Tjjiocpavr^ Art\i6yavxos vor, der das bei Andoc. I 96 er-
haltene Psephisma einbrachte.
Vgl. auch Wilamowitz A. u. A. II 361 n. 12.
Auch die Reden XXVI*) — XXIX haben in der Berichtszeit
keine eingehendere Behandlung erfahren; ich zitiere zu XXVI 12
Thalheim (256) und Matzura (275), zu 13, 21 Naber (282);
zu XXVIII 9, 15, 14 Kocks (199), zu 5 Thalheim (256), zu 9, 17
Na her (282).
Um so eingehender befaßte sich Sachse (184) mit der XXX. Rede
Tiara NiTiOfidxov. S. hält mit Harpokration die Rede für unlysianisch.
Wenn Lysias eine Rede gegen Nikomachos geschrieben hat, so ist
sie „so sinnlos verändert worden, daß man des Lysias klare, ein-
fache Darstellung nicht mehr erkennt. Aber auf keinen Fall ist in
unserer Rede nur die Tätigkeit eines Epitomators zu erkennen". —
Die Untersuchung betrifft zuerst die Stellung des N. in seiner ersten
Anitsperiode (nach dein Sturz der 400): dvotYpcrpeT? und vojioöetai
waren damals in Athen identisch, ihr Amt ist nicht oTCTjpeaia, sondern
dpx^ darum rechenschaftspflichtig. — Auch in der zweiten Amts-
periode nach der Rückkehr der Demokraten in die Stadt war N.
dvaYpa?e'S? oder vopoMxrfi. —
Nachdem er ein Amt verwaltet, also in der Öoxifxotai'a bestanden
haben muß, kann sein Vorleben keinen Anstoß mehr gegeben
haben; sein Vater war wahrscheinlich mit dem Bürgerrecht be-
schenkt worden. — Gegen die erste Amtstätigkeit des Nikomachos
aber richten sich drei Vorwürfe: 1. xoo? jjiv £v(dv-)£ypacpe , tobt Zk
#^Xei?e (vo*}iooc); 2. er blieb 6 Jahre im Amt; 3. er nahm Geld:
von diesen Vergehen „hat das Volk nach Lysias" 1. und 3. „einer
Untersuchung gar nicht gewürdigt" , nur 2. „ist wiederholt Ver-
anlassung zu allerdings erfolglosen Bestrafungen gewesen". „Ein
solches Verfahren ist in Athen undenkbar", jeder Satz der §§ 2
und 3 ist voller Unklarheiten und Widersprüche. — Nicht weniger
verworren erscheint nach Sachses Ausführungen, was wir über die
zweite Amtsperiode und des N. Verfehlungen in ihr erfahren:
hauptsächlich widersprechen sich die §§ 4/5 und 19/22: in den
erst eren handelt es sich um Übergriffe in das Gebiet der Amts-
genossen, in 19/22 um solche in des Nikomachos eigenem Amts-
bereiche. Nach §§ 4/5 wäre die ganze vierjährige Amtszeit un-
•) Von Wilamowitz A. u. A. 1204 Anra. 30 als besonders sykophantisch
bezeichnet.
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aus den Jahren 1886—1904. (Emmingen)
95
gesetzmäßig, nach 19/22 nur die letzten zwei Jahre, die ersten zwei
dagegen vorwurfsfrei. Mit diesen beiden Tatsachengruppen nicht zu
vereinigen ist dann noch § 7. „Eine so unklare und die einfachsten
Gedankenregeln nicht beobachtende Rede" hat nach S. „vor Gericht
irgendwelchen Erfolg nicht erringen können" ; er „billigt also
Schoemanns Ansicht, daß die Rede gar nicht vor Gericht gehalten
ist". Die Frage, ob sie eine Schmähschrift gegen N. ist, läßt er offen.
Um die Rede, die als Hauptrede nicht zu denken ist, aber auch
als Deuterologie „zu unklar und unsinnig" erscheint, doch für Lysias
zu retten, wollte man sie als Epitome ansehen : dagegen spricht aber
neben dem ganzen Inhalt auch die Form. Ihre Mangelhaftigkeit
ergibt sich besonders aus der Gegenüberstellung*) der Nikomachos-
rede mit echt lysianischen und aus der Untersuchung der ungenügenden
Disposition.
An Bemerkungen zum Text der or. XXX sind zu verzeichnen
die von Weidner (197) zu 6; Kocks (199) zu 9, 28 ff.;
Hundeck (224) zu 6, 7; Earle (223) zu 24; Boekmeijer (6)
zu 6, 10; Thalheim (256) zu 9**); Naber (282) zu 20, 29.
Scheibes Verwerfung der XXXI. Rede xorrcr (btlatvog wurde
neuerdings von Buchte (232) wiederholt. Die Rede enthält drei
Erzählungen (I.). Die erste zeiht den Philo der Parteilosigkeit : ihr
mangelt die Rücksichtnahme auf bestimmte Ereignisse und Zeiten,
sie ist farblos und nicht individuell. Die zweite bezieht sich auf die
Beraubung der alten Bürger durch Ph. : auch sie erhält das Prädikat
leblos. Die dritte endlich soll dem Angeklagten die Nichterfüllung
der notwendigen Pflichten vorwerfen; auch hiebei hören wir von Ph.
selbst gar nichts. „So steht B. nicht an zu behaupten, daß die Art,
wie in dieser Rede die Tatsachen erzählt oder behandelt werden,
mit Lysias' Kunst nicht übereinstimmt." — Allerhand Ausstellungen
sind an der „Gliederung" (II.) der Rede zu machen; sie versäumtes,
sich auf einschlägige Gesetze zu stützen, bringt dafür vielmehr all-
gemeine Erörterungen (III.): „das alles spricht jedoch noch nicht
gegen Lysias". — Einzelne auffällige Erscheinungen, davon 84
im IV. Abschnitt zusammengestellt, wie man sie sich etwa beim
Lesen zuweilen anstreicht, führen den Autor zu dem Schlüsse: es
♦J In Ergänzung von Blaß AB Is S. 468 und Schultze (cf. Hüttner,
Ber. 1885 S. 26) vor allem
XXX, 1 XIV 24 XXX, 27 ... . XIV 23
23/24 . . . XXVII 7, 5 26 ... . XIV 25
29 ... . XXVI 11 26 ... • XIV 41
•*) Cf. zu XXX, 19 auch Ziebarth (244) S. 27.
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96 Bericht über die Literatur zu den attischen Rednern
mangelt „des Lysias vielgerühmte Kunst der natnrwahren Charakter-
schilderung" , „dagegen sind alle rhetorischen Mittel fast
bis zum Ekel übertrieben u. „Diese Häufung alles Technischen weist
auf den Ursprung der Rede hin"; „sie ist ... . eine Übungsrede,
aber aus wirklichen lysianischen Flicken meist nicht immer glücklich
zusammengesetzt" *).
Auch Vogel (265) S. 46—54 verwirft die Rede. Sie ist ihm
eine Schulübung aus jüngerer Zeit; daher sind auch die geschicht-
lichen Personen nicht greifbar, die Zeitverhältnisse unklar geschildert.
Besonders nimmt V. Anstoß an den zahlreichen und gesuchten Wort-
Spielereien, den vielen Gemeinplätzen und Sentenzen, den schablonen-
haften Übergängen. Ebenso verraten den Fälscher Euphemismen, die
durch r^oiroife nicht mehr zu entschuldigen sind, lexikalische und
grammatische Unterschiede von Lysias (Gebrauch von av, irept mit
Acc, pronom. demonstr. stellvertretend für Verbalausdruck, sub-
stantivierter Infinit, nach Praepos.), schließlich logische Mängel im
einzelnen und im Aufbau.
Cf. außerdem zum Text der Rede W e i d n e r (19?) zu 9, 32,
6; Kocks (199) zu 24, 31; Hundeck (224) zu 24, 26; Thal-
heim (256) zu 26; Fuhr WklPh XV = 1898 Sp. 398 f.
zu 34; Naher (282) zu 17, 18, 31.
Zur XXXII. Rede yunä Jioyeirovog sind Textverbesserungs-
vorschläge von Wilamowitz (257) zu 7, 5, 20, von Thalheim
(256) zu 3, 13 und von Naber (282) zu 18, 16 zu verzeichnen.
Der 'OAtjuTiaxoc, die XXXIII. Rede, hat in der Berichtszeit keine
eigene Behandlung erfahren, abgesehen von der Neuherausgabe der
Werke des Dionys, ilal. durch Usener und Radermacher.
Zu § 4 vgl. Thalheim (256).
Eine französische Ausgabe des dionysianischen Urteils über Lysias
von Desrousseaux und M. Egger hat H. Weil (213) veranlaßt, Gedanken-
gang und Hauptinhalt der XXXIV. Rede über die Aufrechterhaltung der
Demokratie (mqi tov ity yLceraltvat ttjv jtoxqiov nohxiLavlid^üi)
darzulegen. Dionys, selbst zweifelt, ob er die Rede für wirklich vor
dem Volk gehalten oder als Flugschrift auffassen soll. Weil erscheint
es für die Auffassung vor allem wichtig, daß der Redner vor den
„Grundbesitzern" (proprie*tairs) spricht und diesen darlegt, daß es
ihr eigener Vorteil sei, die Demokratie voll herzustellen. Alles ist
*) Von der Schullektüre schließt er die Rede aus.
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aus den Jahren 1886—1904. (Eraminger.)
97
dementsprechend auf das eigene Interesse der Zuhörer berechnet,
keine Rede von Gerechtigkeit oder anderen Idealmotiven.
Ähnlich urteilt Wilamowitz A. u. A. II 225, der die Rede
als Volksrede einer bestimmten Person in den Mund legt: das Volk
aber waren die Ttu^jicrca Tcapi^ovrecr , wie in der Xll. Rede. Vor
die Nomotheten hatte die Rede E. Schwartz verwiesen RhMPh
XUV = 1889 S. 625.
Den Erotikos, der in Piatons Phaedros als lysianisches Werk
eingelegt ist, hat v. Her werden in seine Ausgabe aufgenommen,
Holmes in seinen Index verarbeitet , während er bei Thal-
heim fehlt.
Gegenüber E. Norden (Minne. Felix 1897 S. 27) und F. Thiele
(Hermes XXXVI = 1901 S. 268), die gelegentlich den lysianischen
Ursprung des Erotikos geleugnet haben auf Grund der Überzeugung, so
sicher wie txGOo? und X^o? in Protagoras und Symposion sei auch die
Liebesrede ein Werk der nachahmenden Kunst Piatons, betont Vahlen
(274) zunächst den großen Unterschied in der Komposition dieser Werke
und des Phaedros. Letzterer ist kein erzähltes, sondern ein dramatisches
Gespräch. „Der Plan des Dialogs kann nach V. nicht bestehen
mit der Annahme, der des Lysias sei eine Parodie oder eine
Karikatur von Piatons Hand." Im Theaitetos wird ausdrücklich be-
tont, es seien „Aufzeichnungen", was vorgelesen wird. — Ein festes
Urteil jedoch ist nur zu gewinnen aus der Prüfung „der Art und
Qualität der vorgelesenen Rede des Lysias an sich und in ihrem
Verhältnis zu seiner sonstigen Schriftstellerei", und „der Anwendung,
die Plato von dem Vorgelesenen macht". „Durch Zeugnis steht fest,
daß Lysias in seiner früheren Periode .... auch ipumxo'jc verfaßt
hat" Wie überhaupt den geschickten Sachwalter die Verteidigung der
schlechteren Sache reizen mochte, so hier den Lysias das Thema,
die Vorzüge der Hingabe an den Nichtverliebten zu empfehlen. Die
Argumente sind nicht zahlreich, aber eindringlich. Die Ordnung
ist nicht von innerer Notwendigkeit eingegeben und Wiederholungen
ausschließend. Die Darstellung ist klar, sogar fast eintönig, und
dem Zweck angemessen. Man muß also ohne Furcht für den Ruhm
des Lysias seine Arbeit darin erkennen. Proben lysianischer Stellen,
die sich unserer Rede vergleichen lassen, sollen zeigen, „daß der
Xo^os, so wie er ist, von Lysias nach seiner ganzen Stilweise ge-
schrieben sein konnte. Daß er ihn wirklich geschrieben hat, erweist
der Gebrauch, den Plato von demselben macht". Sokrates' Rede
überbietet die lysianische an Beredsamkeit; aber die lysianische ist
Jahresbericht für Altertnmswieteiuchafl. Bd. CXXXIII. (1907. I.) 7
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98 Bericht über die Literatur zu den attischen Rednern
nicht schlecht. Die Kritik an der Rede des Lysias ist scharf, fast
beleidigend; aber sie ist ungerecht, weil von dem Redner verlangt
wird, was dieser als wirkungslos von sich weisen würde. —
Nicht nur Lysias wurde von Piaton angezogen, sondern auch
umgekehrt: Aristid. Rhet. 46 p. 407 Dindorf schreibt: ou Aosfa?
riXocxcova ao<ptcrrijv xaXet xal ttg&iv Afexi'v>jv; „diese letztere Angabe
bezieht sich auf die Rede gegen Aischines, Fragment I, 5. (Wo . .
Lysias Piatons gedacht habe, läßt sich nicht sagen.) .... Jedenfalls
muß das Wort unter die Fragmente aufgenommen werden", so Fuhr
BphW XXII = 1902 Sp. 647 (so auch schon Hölscher p. 127) —
Bruns (71) S. 464 verwirft diese Rede gegen den Sokratiker
Aischines: „sie stellt den Aischines direkt als Lumpen hin; das ist aus
der lysianischen Zeit unmöglich; in demosthenischer Zeit würde der
Ton keinen Anstoß erregen". Mit Welcker ist die Rede für ein
literarisches Pasquill zu halten. —
Noch auf ein weiteres Fragmentchen weist Fuhr hin WklPh
XV =r= 1898 Sp. 394—9 : eVt vtpv • dvxi toü rpXv <jüv tu} i zapa
Auaiq, : Miller mölanges p. 122 = Reitzenstein, Geschichte der griech.
Etymologica S. 292.
Zu Frg. V (Thalheim) cf. Hoyer (191) und oben S. 89.
Nach Mötsch mann (283) hat Lysias zufolge der Scholiasten-
notiz RhG IV 352, 5—11 W in einer irapaaxeuai betitelten Schrift
die typischen Charaktereigenschaften größerer Menschenklassen nieder-
gelegt.
Es ist leicht verständlich, daß ein Text, der im wesentlichen auf
einer einzigen Hs. (X) beruht, zur Konjekturalkritik einlädt; dieser
Beiträge ist — mit zwei Ausnahmen — bei den einzelnen Reden
Erwähnung getan*). Zusammenfassend nenne ich hier
Kocks 1888 (199), Weidner 1888 (197),
Damstä 1888 (194), Nauck 1889 (202),
Haeberlin 1890 (208), Hundeck 1893 (224),
Müller 1890 (240), Vollgraff 1899 (251),
Thal he im 1900 (256): Diese Arbeiten sind auch Thalheini
bekannt gewesen und in seiner Ausgabe ausgenutzt **), indirekt viel-
*) Ich erinnere nochmals an die Nachlese aus dem cod. X durch
Pertz-ReulJ (225) und dazu Fuhr (288), sowie an die Ausnutzung der
Leydener Marginalnoten durch Erdmann (214).
**) Vgl. hier das Literaturverzeichnis p. IX— XII.
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aus den Jahren 1886—1904. (Emmingen)
99
leicht auch Morgan 1892 und 1894 (218 u. 230) durch dessen
Ausgabe 1895 (cf. Thalheim praef. ed. p. VIII)*).
Nicht berücksichtigt scheinen in Thalheims Ausgabe zu sein oder
erst später erschienen sind : Müller 1888 (198) zu XXI; Schliack
1888 (195) zu XIII; Berndt 1891 (210) zu XXIV; Rutten 1894
(231) zu XIII; H. Schenkl 1896 (239) zu I; Hude 1898 (247)
zu XII; Wilamowitz 1900 (257) zu XXXII; Dittenberger
1902 (269) zu XIII; ferner Earle 1893 (223) zu den Reden XV,
XVIII, XIX, XXIII, XXX, Boekmeijer 1893 (6) zu XIV, XVIII,
XIX, XXV (dieser zitiert im Apparat zu or. XXX, 6), Naber (282)
zu fast sämtlichen Reden. — In diesen Abschnitt gehören auch die
bei den einzelnen Reden von mir noch nicht verzeichneten Arbeiten
von van Herwerden 1897 (243) und Polack (264). Herwerdens
Lysiaca sind als Vorläufer seiner neuen Ausgabe (1899) anzusehen;
nur die Reden V, XI, XVII, XXXII bleiben ohne kritische oder
exegetische Bemerkungen. — Polack knüpft ausdrücklich an das Er-
scheinen der beiden Ausgaben von Herwerden und Thalheim an ;
bereits durch drei Bände (1901 - 3) der Mnemosyne ergießen sich die
Fluten seiner kritischen Beiträge zu den lysianischen Reden; und
doch ist P. nach ca. 77 Seiten erst bei or. XII angelangt; allerdings
hat er nur die V. Rede, bis jetzt wenigstens, unberührt gelassen **).
Einen brauchbaren***) Index zu Lysias haben wir in der
Berichtszeit von Holmes (238) erhalten. Zu den Reden gegen
Eratosthenes und Agoratos gibt die Ausgabe von Mills (253) einen
solchen. Einem Index zu XIV und XV kommt das 1. Kapitel von
Isowacks Abhandlung (209) nahezu gleich.
Ein Beitrag zur lysianischen Syntax ist das Programm von
Matzura (275), das auf der Grundlage von Thalhcims Ausgabe die
Konsekutiv- und Finalsätze verzeichnet und gruppiert. M. bemerkt
sogleich selbst, daß Thalheim die selbständigen und abhängigen
Konsekutiv- {{ha-zt-) Sätze nicht nach einem festen Prinzip geschieden
habe. Indem M. die sämtlichen 230 Fälle in zwei Gruppen teilt:
A wate cum verbo tinito , B äste cum infinit. , findet er für den
Gebrauch der beiden Konstruktionen folgende Regeln: A ist vor-
wiegend, wenn kein Korrelativum im Hauptsatz steht; B überwiegt,
wenn der ome-Satz abhängig ist von einem Verbuni des Könnens
oder Bewirkens oder entsprechenden Adjektiven oder einem Infinitiv ;
*) Im Apparat allerdings habe ich M. nicht verzeichnet gefunden.
**) Durch Nennung dieser Reden glaube ich mich hei den anderen der
jedesmaligen Erwähnung Heiwerdens und Polack» tiberhoben.
***) Vgl. jedoch Kührs Rez.
7*
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100 Bericht über die Literatur zu den attischen Rednern
nach dem Optativ der innerlichen Abhängigkeit ist nnr diese Kon-
struktion B verwendet. A und B finden sich gleichmäßig, wenn im
übergeordneten Satz ein Korrelativum steht, oder wenn der über-
geordnete Satz negativ oder selbst schon abhängig ist. Im ganzen
steht der Modus der Aussagesätze in 155, der Infinitiv in 75 Fällen.
Die Finalsätee sind geschieden in solche mit Iva, fva pty jnj, <$»c
und solche mit &fta>c Da sich nach einem historischen Tempus bei
Lysias 29 Finalsätze mit optat., 26 mit coni. finden, so gilt für diesen
Redner die allgemeine Regel nicht, daß in Finalsätzen gewöhnlich
der Optativ stehe, wenn sie von Nebenzeiten abhängig sind.
*
Die rhetorische Kunst des Lysias findet vielfache Behandlung
in den S. 7 ff. aufgezählten allgemeinen Schriften zu den Rednern.
Hier ist zunächst eine Abhandlung und eine kurze Notiz zu erwähnen,
die von dem speziell lysianischen Vorzug der Ethopoiia handeln.
Devries (219) definiert Ethopoiia als dramatische Zeichnung des
Charakters, speziell der Persönlichkeit des Klienten, für den eine
Rede verfaßt ist ; er erläutert den Begriff 9j8oc näher und stellt der
7:poaa>^07rowa, etöwXoicoua und besonders dem 7rpijrov als dem weiteren
Begriff die nur den Charakter des Sprechers betreffende ^doirotfo ent-
gegen. Der Wert dieser „Figur" war natürlich wegen ihres Reizes
für die praktische Beredsamkeit namentlich Athens sehr groß: Lysias
hat ihn ausgenutzt; ihr Einfluß macht sich auch in seinem Stil
geltend, vor allem im Schmuck der Rede. Ein auffallendes Beispiel
hiefür ist die in eigener Sache gehaltene or. XII.
Sechs Typen von Männercharak'teren werden von D. unterschieden,-
ihre Züge prägen sich in Gedanken, Sprache und Komposition der
einschlägigen Reden aus. Dieselben sind: 1. Der patriotische Mann —
er ist cptXoTtfioc im guten Sinne — , oft von Lysias mit Grund und
Erfolg bei den Richtern gezeichnet. Muster ist Mantitheos (or. XVI) ;
hiezu Personen aus den Reden*) VII, XVI, XVII, XIX, XXI, XXV,
XXVI, XXXI. 2. Der bescheidene Bürger, z. B. Euphiletos der
I. Rede und Gestalten aus XIII, XXXII ; dazu in Parallele solche
aus VII, XVI, XIX, XXI. 3. Der gescheite, sarkastische Mann (the
clever man) in drei Variationen der Reden X, XXIV, XXX. 4. Der
Mann niedriger Herkunft: orr. XIII, XXIII, XXX und I, XXIV.
5. Der unsittliche Mann: orr. I, III, IV. 6. Der junge Mann: orr.
XVIII, XVI, XIX. — Beigefügt ist ein Abschnitt über die Frauen-
*) Nur die echten Gerichtsreden sind herangezogen, davon I, XVI,
XXIV besonders studiert, III, IV, VII, X, XVII, XVIII, XIX, XXI, XXIII,
XXV, XXVI, XXXI, XXXII mehr zur Bestätigung benutzt.
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aus den Jahren 1886—1904. (Emminger.) 101
typen: die I. Rede bringt vier verschiedene Charaktere von Frauen*) —
alle unsympathisch (unsavoury) ; mit der Schilderung der edlen Mutter
der XXXII. Rede schließt die Abhandlung.
Mit Rücksicht auf Devries hat dann Morgan in seiner Ausgabe
die ^Boicoua stark betont. Nach Formans (241) Nachweisen
ist sie auch an kleinen Hilfsmitteln zu erkennen, z. B. in der
XXIV. Rede an der Stellung von Nur in dieser Rede findet
sich die Wortfolge: nomen (pronomen) -f verbum -f- ira?; so ist
r>Troua daraus offensichtlich §§ 13, 14, 19, 21, 27.
Hierzu ist zu vergleichen J. Bruns (71) bes. S. 428 — 524, der
individuelle oder persönliche und typische Charakterisierung (s. oben
S. 93) scharf scheidet**) und diese Scheidung auch zur Grundlage
der höheren Kritik nimmt (oben S. 85, 93, 98); ähnlich Motsch-
mann (283), der jedoch außer in or. XIV und frg. I nirgends Uber
das Typische hinausgehende Charaktere findet und so auch X (S. 28 9)
ood XXIV (S. 47 ff.) für echt erklärt.
Was die Beziehungen des Lysias und seiner Werke zu anderen
Autoren anlangt, so ist hier einmal Hirz eis (192) Untersuchung
Ober des Redners Verhältnis zu Polykrates im Sokratesprozeß zu
nennen ***). Die Rede, gegen wejche sich Libanios in seiner Verteidigung
des Sokrates (gleichfalls einer fingierten Gerichtsrede) wendet, kann
keine andere sein, als die des Polykrates, die dieser dem Anytos in
den Mund gelegt hatte; denn „von dieser Rede eine Anklageschrift
zu unterscheiden, die Polykrates in eigenem Namen gegen Sokrates
richtete, liegt gar kein Grund vor" ; und das, „was uns von anderer
Seite über die Rede des Polykrates bekannt wird, stimmt überein
mit dem , was wir uns aus der Verteidigung des Libanios in betreff
der hierin berücksichtigten Anklagerede entnehmen können". Es ist
von vorneherein wahrscheinlich, daß auch zur Verteidigung Libanios
ältere Vorlagen genommen hat : vieles geht auf Piaton und Xenophon
zurück, einiges aber auch auf andere Quellen, vor allem auf des
Lysias Rede gegen Polykrates f) :
1. Schol. z. Plato S. 330 Bekker — Liban. S. 11, 7. 10, 2.
2. „ codd BD z. Arist. p. 319, 35 ff. Dind. Liban. S. :J6, 5
Or. Att. Baiter Sauppe II, 204 (cf. Schol. ? und
C Dind. p. 320, 23.) S. 37, 3 u. 8.
*) Dazu das schreiende Kind.
**) Bruns selbst spricht über den Unterschied der persönlichen
Charakteristik von der Ethopoiia S. 433.
*••) Cf. R. Hirzel, der Dialog. Ein literarhistorischer Versuch. 1. Teil
S. 142 u. bes. Note 1.
t) 'jrip Stuxpcbo'j; npö; llo/.yxpaTr^ cf. BlaB AB PS. 351.
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102
Bericht Über die Literatur zu den attischen Rednern
Kein Grund ist vorhanden, zwischen einer Rede des Lysias,
die Sokrates vor Gericht halten sollte, und einer mehrere Jahre nach
seinein Tod verfaßten Verteidigungsschrift zu unterscheiden. Lysias
hat eben auch an der Fiktion einer Gerichtsrede festgehalten*).
In der Absicht, an der „Tradition Uber die Ereignisse von der
Schlacht bei Aigospotamoi bis zur Einsetzung der Dreißig in Athen a
konsequente und methodische Geschichtsbehandlung zu zeigen , stellt
Schwartz (203) Xenoph. Hell. II 2, 10—8, 11 in Parallele mit
Lysias XII 62 — 78 und XIII 5 — 35. Sein Resultat faßt er selbst
dahin zusammen: „Lysias kennt nur eine Sendung des Theramenes".
Hiefür (cf. XII 69, XIII 9) wie bei den Volksversammlungen vor
und nach der Kapitulation der Stadt (cf. XII 71) lag es im ad-
vokatischen Interesse des Lysias, den Theramenes möglichst schwarz
zu malen. „Xenophon hält beide (Sendungen) genau auseinander,
gibt auch ausdrücklich seine Quelle an, um die Zuverlässigkeit seiner
Angaben zu erhärten. Lysias erzählt vom Widerspruch, den Strom-
bichides und andere gleich bei Theramenes' Rückkehr gegen den
von ihm mitgebrachten Frieden erhoben : Xenophon berichtet , daß
viel Volkes die Gesandten mit Freuden begrüßt hätte. Lysias ver-
breitet über die Zeit der Ekklesie, die den Frieden beschloß, ab-
sichtlich Unklarheit: Xenophon gibt ausdrücklich an, daß sie am
Tage nach der Rückkehr der Gesandten stattfand. Nach Lysias
vertraten die Gegner des Friedens die Demokratie : durch Xenophon
wissen wir, daß sie stark in der Minorität blieben. Lysias Be-
schuldigung, daß Theramenes die Beratung über die Volksversammlung
hinausgeschoben habe, wird durch Xenophons Zeitbestimmung hin-
fällig. Sollte das alles Zufall sein? Sollte sich die Vermutung ganz
abweisen lassen, daß Xenophon seine Darstellung absichtlich so ein-
richtete, um der Verfälschung der Tradition entgegen zu treten,
welche infolge der beiden Reden des Lysias immer mehr um sich zu
greifen drohte?"
Freilich ist Blaß AB III, 2 8 S. 372 anderer Meinung. Er
mißtraut lieber der Quelle des Xenophon als dem zeitgenössischen
Lysias, der „sich geradezu auf das Mitwissen der Richter beruft".
Über Zutts (163) Untersuchungen über das Verhältnis der Rede
xat 'AvoWSoo (VI.) zur andokideischen Mysterienrede undWolffs (235)
*) Hirzel vermutet, neben des Lysias Apologie und Xenoph. Memor.
sei — durch des Polykr. Angriff hervorgerufen — wohl die Anytosepisode des
Menon (Plato 90 Alf.) zu stellen, während Tlatons Apologie, weil schon
früher verfaßt, dieser Gruppe nicht beizuzählen ist.
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aus den Jahren 1886—1904. (Emminger.) 103
Dissertation über die Beziehungen des Epitaphios zum Panegyrikos
des Isokrates ist oben S. 61 bzw. 81 und 79 berichtet.
Zum Fortleben von Pseudolys. Epitaphios vgl. neuestens
X. Hürth, de Gregorii Nazianzeni orationibus funebribus. Straß-
burg 1907 (= Diss. Argentor. XII 1), bes. p. 5, 9 ff., 13.
Literaturberichte zu Lysias liegen vor von E. A 1 b r e c h t in den
Jahresberichten des ßerl. philol. Vereins XIV = 1888 S. 162—216,
XV = 1889 S. 307—318, XVIII = 1892 S. 157—161.
Den Herren Prof. Dr. D r e r u p , München, und Koll. Schreiner,
Straubing, bin ich für freundliche Hilfe zu vielem Dank verpflichtet.
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Jahresbericht über die griechischen Lyriker (mit Ausnahme
Pindars), die Bukoliker, die Anthologia Palatina und die
Epigrammsammlungen für 1898—1905.
Von
J. Sitzler in Freiburg i. Br.
Von den Arbeiten ans dem Jahre 1898 werden hier alle berück-
sichtigt, die im vorigen Jahresbericht keine Erwähnung mehr finden
konnten, von denen aus dem Jahre 1905 dagegen nur die, welche
dem Ref. zugänglich waren.
A. Arbeiten, die sich auf das ganze Gebiet erstrecken.
Unter diesen ist an erster Stelle
U. v. Wilamowitz-Moellendorff, Die Textgeschichte
der griechischen Lyriker. Abb. der kgl. Gesellsch. der
Wissenschaften zu Göttingen. Philol.-hist. kl. N.F. Bd. IV, Nr. 3.
Berlin, 1900,
zu nennen; denn wenn sich diese Untersuchungen auch der Haupt-
sache nach auf die Meliker beziehen, so werden doch besonders in
den Exkursen auch die elegischen und iambischen Dichter berührt.
Der Verfasser beginnt damit, die schon früher von ihm aus-
gesprochene Behauptung, daß der sogen. Kanon der neun Lyriker
keine Auswahl, sondern den ganzen zur Zeit seiner Entstehung noch
vorhandenen Bestand an griechischen Lyrikern darstelle, zu beweisen.
Zunächst beruft er sich auf das Epigramm Anth. Pal. IX, 184, wo
es nach namentlicher Aufführung der neun Lyriker V. 9 f. heißt:
tXaxe iraa?jc dpyrtv o? Xupixij; xal rdpas iazdaaLTt. Diese Worte um-
schreibt er mit eupsts xal iteXewojaxs und folgert daraus: „also sind
sie keine Auswahl, sondern die Lyriker alle". Eine solche Er-
klärung könnte man sich gefallen lassen, wenn die hier genannten
Dichter auch sonst als eopsral xal TsXeitoxal -rifc Xupixr,« bezeichnet
würden; so aber wird man sie bei dem Epigrammatiker, den Wila-
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Jahresbericht über die griechischen Lyriker. (Sitzler.) 105
mowiu „am 100 v. Chr. mit weitem Spielraum auf und ab" ansetzt,
nicht für richtig halten. Die genannten nenn Dichter gelten sonst
als die tüchtigsten Vertreter der gesamten Lyrik, und dasselbe be-
sagen auch die angeführten Worte des Epigramms; denn dpyrp xat
idpas ist polare Ausdrucksweise für to 8Xov, die sich auch sonst
findet, vgl. z. B. Pind. P. X, 10 x£Xo? dp/d tb. Scythin. 1 (Diels).
Wird so die Auffassung des Kanons als einer Auswahl durch
dieses Gedicht bestätigt, so spricht dafür auch die Analogie der
Kanon es in den anderen Literaturgattungen, vgl. darüber den ersten
Exkurs, ferner die Königsberger Diss. von 0. K röhner t, Canonesne
poetarum scriptorum artificum per antiquitatem fuerunt? 1897 und
L. Radermacher, Rhein. Museum 1902, S. 140 f. Nur darf man
nicht glauben, daß die alexandrinischen Gelehrten damit etwas ganz
Neues geschaffen haben; sie fußten auch hier, wie in allem anderen,
auf der gelehrten Arbeit der früheren Zeit, die sie weiterführten und
in ihren Ergebnissen feststellten, so wie von ihnen wieder die perga-
menischen und römischen Gelehrten abhingen. Auch muß man sich
hüten, was W., wie mir scheint, nicht getan hat, die als die be-
zeichnendsten Vertreter der einzelnen Literaturgattungen ausgewählten
Dichter und Schriftsteller mit den rparcouevot zu identifizieren; die
alten Gelehrten beschäftigten sich auch mit solchen, die nicht in die
Kanones aufgenommen waren, ebenso wie es anderseits vorkommen
konnte , daß ein im Kanon stehender einer besonderen wissenschaft-
lichen Arbeit nicht bedurfte. Was insbesondere die Lyriker betrifft,
so zeigt die Siebenzahl bei Hygin und die Vierzahl bei Dionysios
und Quintilian, auf die W. selbst hinweist, daß Auswahlen aus ihnen
getroffen wurden.
Um die Richtigkeit seiner Ansicht über den Kanon der Lyriker
zu bekräftigen, wirft W. die Frage auf, wer davon ausgeschlossen
sei. Darauf könnte man mit der Gegenfrage antworten, ob er bei
dem Zustand unserer Überlieferung sich getraue, bis ins einzelne
genau anzugeben, was den Alexandrinern von der früheren Literatur
bekannt gewesen sei. Und doch sind auch so Namen und Fragmente
mancher Lyriker auf uns gekommen, die nicht in den Kanon auf-
genommen waren. Nach W. sind dies entweder Fälschungen oder
Zitate, die sich in anderen Werken fanden und von da übernommen
wurden. Aber von Korinna muß er zugeben, daß sie später von
einigen als zehnte zu den neun Lyrikern hinzugefügt worden sei.
Freilich bezeichnet er es als „bare Gedankenlosigkeit", zu glauben,
daß sie ihres poetischen Weites wegen ausgewählt worden sei.
Worauf er aber dieses Urteil gründet, sagt er nicht ; die Überlieferung
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10(5 Jahresbericht über die griechischen Lyriker. (Sitzler.)
wenigstens läßt Korinna den Sieg über Pindar davontragen, und
die wenigen Fragmente , die wir besitzen , genügen nicht , ihr zu
widersprechen. Aber auch wo wir in der Lage sind, selbständig
urteilen zu können, wie z. B. bei Bakchylides, müssen wir neben
unserem Urteil das der Alten berücksichtigen, wenn wir den Dichtern
und Schriftstellern jener Zeit gerecht werden wollen. Ich kann
daher auch das wegwerfende Urteil des Verfassers über Bakchylides
nicht teilen, den doch ein Hieron dem Simonides und Pindar vorzog,
um sich von ihm verherrlichen zu lassen.
Die Folgen, welche die Aufstellung des Kanons, den ich auf
Grund der angeführten Erwägungen auch ferner als eine Auswahl be-
trachte, für die Erhaltung und Überlieferung der darin aufgenommenen
Lyriker hatte, setzt W. klar auseinander. Er betont mit Recht, daß
die Zuweisungen von Gedichten an einzelne Dichter durch die
Alexandriner im allgemeinen Glauben verdienen, und hätte dies auch
bei Alkman und Anakreon nicht bezweifeln sollen; denn wenn diese
jetzt die einzigen Vertreter der lakonischen und ionischen Lieder-
dichtung sind, so erklärt sich dies aus ihrer Überlegenheit über die
anderen und der auf Grund davon erfolgten Aufnahme in den Kanon
zur Genüge, berechtigt aber nicht dazu, sie mit W. für Kollektiva
zu halten, unter deren Namen der gesamte Nachlaß der lakonischen
und ionischen Liederdichtung auf uns gekommen sei; gegen diese
Annahme spricht auch die einheitliche und gleichmäßige Beschaffen-
heit der erhaltenen Fragmente. Den gleichen Vorgang sehen wir
bei Sappho, von deren Nebenbuhlerinnen sich auch nichts erhalten
hat. Ja, selbst hinsichtlich der Epigramme kann ich die Ansicht
des Verfassers nicht teilen, daß nämlich keine Möglichkeit abzusehen
sei , wie sich die Tradition des Ursprungs bei so gleichgültigen
Stiftungen erhalten sollte ; denn meiner Überzeugung nach wurden diese
von ihren Verfassern ebenso aufbewahrt wie die anderen Gedichte
und erhielten sich demnach auch auf die gleiche Weise wie diese.
Besonders gilt dies von Simonides.
Hinsichtlich der Sprachform kann ich W. fast Überall beistimmen ;
nur glaube ich nicht, daß Stesichoros und Ibykos ihre heimische
Rede mit epischen Bestandteilen aus Homer und Äolismen versetzt
haben, sondern gerade umgekehrt die epische Sprache mit Dorismen,
Ibykos auch mit Äolismen; denn sonst wäre der Gesarateindruck
ihrer Sprache nicht der epische. Die Psilose bei den Äoliern durch-
zuführen, bei Anakreon aber nicht, hält W. für inkonsequent; meiner
Meinung nach darf man hierin so wenig wie in der Akzentuation und
in betreff des Digammas von der Überlieferung der Grammatiker ab-
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Jahresbericht über die griechischen Lyriker. (Sitzler.) 107
weichen, die gewiß ihre Gründe für ihr Verfahren hatten, wenn wir
sie auch nicht mehr kennen.
Auf Einzelheiten werde ich im Laufe des Berichtes bei Be-
sprechung der einzelnen Dichter zurückkommen, und dort werden
auch die Exkurse, soweit sie die Lyriker betreffen, entsprechende
Berücksichtigung finden.
Eine Auswahl aus dem ganzen Gebiete gibt
Fr. Bucherer, Anthologie aus den griechischen
Lyrikern. Gotha 1904,
zunächt zwar für den Schulgebrauch bestimmt, aber wegen der neuen
Konjekturen des Verfassers und besonders II. Stadtmüllers auch hier
zu nennen. Darin sind die bedeutendsten Elegiker, Jambographen
und Meliker mit ihren wichtigsten auf uns gekommenen Gedichten
oder Fragmenten vertreten, auch Bakchylides und Pindar, außerdem
Epigramme, Volkslieder, Skolien und Anakreonteen.
Mit der Grammatik der Lyriker beschäftigen sich
1. J. A. Scott, III. Addition alnotes onthevocative.
Am. Journ. of Philol. XXVI, S. 32 f.
2. A. Fuchs, Die Temporalsätze mit den Kon-
junktionen' „bis" und „so lange bis". Beitr. z. hist. Synt.
der griech. Sprache, hrsg. von M. Schanz Heft 14. Würz-
burg 1902.
Scott stellt auf Grund des gesamten bei den Lyrikern vor-
liegenden Materials fest, daß der Vokativ auch bei diesen gewöhnlich
ohne die Interjektiou tu gebraucht wird; wo die Interjektion hinzu-
gefügt wird , ist eine besondere Wirkung beabsichtigt , wie der Aus-
druck der Vertraulichkeit, der Ungeduld, der Erregung. Daher findet
sich der Vokativ mit w besonders bei Alkäos , Anakreon , in den
Skolien und in den Volksliedern. Bemerkenswert ist, daß bei Theognis
im ersten Teil der Vokativ. 123 mal ohne und nur 5 mal mit <J, im
zweiten Teil dagegen 7 mal ohne und 17 mal mit <u steht.
Fuchs behandelt im dritten Kapitel seiner Untersuchungen die
lyrischen Dichter. Bei diesen finden sich an neuen Konjunktionen
sfoxe Archiloch. 14 und i^Xpi ou Philox. 2, 2; hinsichtlich der
Tempora und Modi bieten sie nichts Bemerkenswertes. Da oeppa nie
av oder xi bei sich hat, so ist dies auch Theog. 252 zu streichen.
Zu vergleichen ist auch die tüchtige Arbeit von
E. Kemmer, Die polare Ausdrucks weise in der
griechischen Literatur. Beitr. z. hist. Synt. d. griech.
Sprache, hrsg. von M. Schanz. Heft 15. Würzburg 1903.
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108
Jahresbericht über die griechischen Lyriker. (Sitzler.)
die den Lyrikern zwar kein besonderes Kapitel widmet, aber sie
fiberall neben den anderen Dichtern und Schriftstellern ebenfalls be-
rücksichtigt. Die Lyriker halten sich in betreff dieser Ausdrucks-
weise innerhalb der sonst geltenden Grenzen.
Der Erforschung des Inhalts wendet sich
W. Schräder, Die Seelenlehre der Griechen in
der älteren Lyrik. Philosoph. Abhandlangen. Dem Andenken
R. Hayms gewidmet von Freunden und Schülein. Halle 1902.
S. 1 f.,
zu, womit er seine in den Jahrb. f. klass. Phil. 1885, S. 145 f., ver-
öffentlichten Untersuchungen über denselben Gegenstand in dem
älteren griechischen Epos fortsetzt. Er stellt in der vorliegenden
Abhandlung die psychologischen Vorstellungen der griechischen
Lyriker durch drei Jahrhunderte hindurch übersichtlich zusammen,
und zwar in drei Gruppen gegliedert, zuerst die Zeit von 750 — 680,
dann 630—530 und zuletzt 530—450 v. Chr. Trotz der trümmer-
haften Überlieferung der lyrischen Gedichte zeigt sich doch ein
stetiger und notwendiger Fortschritt der psychologischen Vorstellungen
bei den Griechen von ihrer natürlichen Wurzel zu sittlicher Ent-
faltung, bis sich zu ihrer Ergänzung von fremdher und gleichsam
offenbarungsweise Anschauungen und Lehren über das Geisterreich
gesellten, die über dieses Leben hinauswiesen und doch das Jenseits
mit dem Diesseits in Verbindung hielten. Die Marksteine sind
Theognis und Pindar.
Außerdem erwähne ich
T. S t i c k n e y , Los sentences dans lapo^siegrecque
d' Homere ä Euripide. Paris 1903.
Diese Arbeit macht es sich zur Aufgabe , die Verwendung und
Bedeutung der Reflexion und des gnomischen Elements im weitesten
Sinn in den einzelnen Gattungen der griechischen Poesie festzustellen.
Der dritte Abschnitt behandelt die elegische Dichtung, der vierte
Abschnitt die melische Poesie in ihren am besten erhaltenen Ver-
tretern Pindar und Bakchylides. Etwas wesentlich Neues auf diesen
Gebieten fördert die gründlich geführte Untersuchung nicht zutage ;
aber die zusammenhängende Behandlung der Frage, die freilich bis-
weilen zu sehr in die Breite geht , ist dankenswert und enthält
interessante Ausführungen.
A. Pischinger, Der Vogelgesang bei den griechi-
schen Dichtern des klassischen Altertums. Progr.
Eichstätt 1901 und
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Jahresbericht über die griechischen Lyriker. (Sitzler.) 109
A. Pischinger, Der Vogelzug bei den griechischen
Dichtern des klassischen Altertoms. Progr. Eichstätt
1904.
Der Verfasser bezeichnet seine fleißigen und sorgfältigen Ab-
handlungen als Beiträge zur Würdigung des Naturgefühls in der
antiken Poesie. In der ersten betrachtet er den Vogelgesang nach
drei Seiten, nämlich als einfachen Naturlaut, als sprechenden Emp-
find ungslaut , besonders als Klage, und als kunstvolle, der mensch-
lichen Kunstübung verwandte Musik; die zweite Abhandlung be-
schäftigt sich im ersten Kapitel mit dem Frühjahrszug der Vögel,
im zweiten mit dem Herbstzug und Winteraufenthalt, im dritten mit
dem Zug im allgemeinen, im vierten mit der volkstümlichen Ansicht
vom Winterschlafe der Vögel und im fünften mit der Verwandlung
der Vögel in andere Vögel. Überall sind die einschlägigen Stellen
mit Sorgfalt gesammelt, unter denen die aus den Bukolikern, Babrius
und der Anthologie einen breiten Raum einnehmen. Es zeigt sich,
daß in der Auffassung des Vogelgesangs von der ältesten bis in
späte Zeit eine Entwicklung und Fortbildung nicht vorkommt, und
daß der Frühjahrszug der Vögel der Natur des Landes entsprechend
nur geringe Bedeutung hat; wenigstens wird er in der Poesie kaum
berücksichtigt.
B. Die einzelnen Gattungen der Poesie.
I. Elegiker und Jambographen.
a) Allgemeines.
Über die Benennung der elegischen Dichtung handelt
K. Zacher, Beiträge zur griechischen Wort-
forschung. Philologus 57, S. 8 f.,
der mit Recht die Ansichten H. Useners, 0. Immischs und
F. Dümmlers über die Entstehung der Elegie zurückweist, vgl.
den Jahresbericht Bd. LXXXXII (1897), S. 7 f. Er weist darauf
hin, daß die in Distichen abgefaßten Gedichte ursprünglich Imj
hießen, nnd daß die Bezeichnung iXz^Xov bzw. eXe^eta für die
distichische Form erst im fünften Jahrhundert aufkam; die älteste
Belegstelle ist Pherekrates Xetpcov 153 K. Das Adj. £kz-{£<K gehört
zu D.e^oc, das ein zur Flöte gesungenes Klagelied, im engeren Sinn
eine Totenklage bedeutet. „Da nun", so fährt Z. fort, „die els^eTa
mit dem sXs-yo; inhaltlich ihrem Wesen nach nichts zu tun haben.
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110
Jahresbericht über die griechischen Lyriker. (Siizler.)
so maß es die Form gewesen sein, welche beiden Dichtungsgattungen
gemeinsam war, and dieser Schiaß wird dadurch bestätigt, daß sich
der Name £Xe*jeiov nur auf die metrische Form bezieht. Es ergibt
sich also, daß auch die IXefot in elegischen Distichen abgefaßt waren,
ja daß das elegische Distichon die charakteristische Form für den
eXe^o; war4.
Diese Schlußfolgerung kann ich nicht für zwingend halten ; denn
im fünften Jahrhundert, wo die Disticha eXa^eia genannt wurden,
standen sie inhaltlich in engster Beziehung zu den aXe^ot: sie waren
größtenteils Klagelieder bzw. Totenklagen, und weil sie demnach
in dieser Zeit wirklich die charakteristische Form für den eXs-ps
waren, wurden sie iXe-^eTa genannt, ihrer hauptsächlichsten Ver-
wendung entsprechend. Daraus läßt sich also kein Schluß auf die
Form der eigentlichen und ursprünglichen D^ot ziehen. Ja, mir
scheint es im höchsten Grad unwahrscheinlich, daß das Distichon,
wenn es von Haus aus den eXe-pi eigentümlich war, je andere ver-
wandt worden wäre, und daß die distichischen Gedichte den Namen
STtyj statt IXs-pt erhalten hätten. War dagegen das Distichon, aus
dem Epos hervorgegangen, eine lyrische Form zum Ausdruck der
Gefühle und Empfindungen des menschlichen Herzens, so ist nicht nur
seine Verwendung zur Klage verständlich, sondern auch seine ur-
sprüngliche Benennung enj ebensowohl, wie seine Umbenennung in
iXs-fsta in späterer Zeit, wo die darin ausgedrückte Klage über-
wiegend war und die beginnende literarische Forschung eine genauere
Bezeichnung zur Unterscheidung vom epischen Vers nötig machte.
Damit fallen auch die Folgerungen , die Z. an seine Hypothese
knüpft, nämlich daß das elegische Distichon für den auletischen
Elegos geschaffen worden sei , daß der Hexameter von dem Flöten-
spieler bzw. Sänger vorgetragen worden sei, an den sich dann
jedesmal zwei ^XoXt>7(i.ot des Chores angeschlossen hätten, und daß
als Epiphonem zhe.ft (oder ^Xs-j-e) verwendet worden sei, ursprünglich
eine an sich bedeutungslose Zusammenstellung von Silben, wie -rqvsXXot,
afXtvov, i/veXeü, dXaXat, ^Xejis, welaga usw. Auf die Schwierigkeit,
die der kurze Anlaut bei eXc^o? bereitet, hat Z. selbst hingewiesen;
ich kann aber auch an die „bedeutungslose Zusammenstellung von
Silben" nicht glauben.
In neuer Auflage erschien
Anthologie aus den Lyrikern der Griechen von
Dr. E. Buchholz. Erstes Bändchen: Die Elegiker und Jambo-
graphen enthaltend. Fünfte umgearb. Aufl. bes. von H. Pepp-
müller. Leipzig 1900,
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Jahresbericht über die griechischen Lyriker. (Sitzler.) \l\
in Text und Kommentar vielfach verbessert, um den Didaskalos des
Herodas erweitert und im Anhang ergänzt.
Außerdem erwähne ich
Poetarom philosophorum fragmenta edidit H. D i e 1 s.
Berlin 1901,
da darin auch Xenophanes, Skythinos und Krates neu heraus-
gegeben sind.
Mit der Sprache der Elegiker und Jambographen befassen sich
1. A. Thumb, Zur Geschichte des griechischen
Digamma. Indogerman. Forschungen IX, S. 294 f.
2. M. Fuochi, De vocalium in dialecto Jonica
concursu observati unculae. Florenz u. Rom 1899.
8. 0. Ho ff mann, Die griechischen Dialekte. Dritter
Band: Der ionische Dialekt. Göttingen 1898.
4. A. v. Meß, Quaestiones de epigrammate Attico
et tragoedia antiquiore dialecticae. Diss. Bonn 1898.
Thumb weist darauf hin, daß sich das Digamma im Ionischen
noch finde ; zuerst sei es im ionischen Kleinasien (um 900 — 800 v.
Chr.), dann auf den Inseln und in Attika (im achten und siebenten
Jahrhundert v. Chr.) geschwunden. Vgl. dazu H. W. Smyth, On
Digamma in post-homeric Jonic, Jahresb. LXXV, Bd. (1893) I,
S. 119. — Fuochi, der schon in seiner Abhandlung: De titulorum
Iunicorum dialecto in Studi italiani 1894, S. 209 f. , den Dialekt
der ionischen Inschriften erforschte, untersucht jetzt das Verhältnis
der Vokalkontraktion auf den Inschriften zu den entsprechenden
Lehren der Grammatiker. Er findet, daß diese viel Unrichtiges und
Verkehrtes bieten, das man beseitigen müsse. — Derselben Ansicht
neigt auch Hoff mann zu, nur daß er sie auch auf die ionischen
Dichter, die er in selbständiger Bearbeitung seinem Werke einverleibt
hat, anwendet. Die Abänderung der hs. Überlieferung der Dichter
und Schriftsteller nach den Inschriften hielte ich dann für berechtigt,
wenn der sprachliche Charakter der letzteren und ersteren im ganzen
miteinander tibereinstimmen würde. Nun hat aber II. Stein im
ersten Bande seiner kommentierten Herodotausgabe, sechste Auflage
1901, S. LVf., nachgewiesen, daß die hs. Überlieferung nur in der
Ersetzung des ä durch 7j mit allen Gruppen der ionischen Inschriften
zusammentrifft, während sich die Psilosis nur auf den Inschriften der
kleinasiatischen Dodekapolis durchgängig zeigt, der Pronominalstamm
xo, der Diphthong a»o, die mit ? anlautenden Formen des Kelativs
nnd die Unterlassung der Kontraktion aber auf allen Inschriften in
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112 Jahresbericht über die griechischen Lyriker. (Sitzler.)
der Regel fehlt. Daraus ergibt sich, daß die Dichter and Schrift-
steller, nicht die durch die Inschriften vertretene Volkssprache,,
sondern eine allen Ionikern in der Hauptsache gemeinsame Literatur-
sprache gebrauchten. — Meß kommt in seiner Untersuchung über
den Gebrauch von ü = ion. >j bei den attischen Dichtern zu dem
theoretisch gewiß richtigen Ergebnis, daß man sich vor Unifonnierung
boten und eine in der Entstehungs- und Entwicklungsart dieser
Poesie begründete Mannigfaltigkeit in der Verwendung von ä und
zulassen müsse ; aber in der praktischen Durchführung dieses Grund-
satzes geht er zu weit, insofern er ij auch in Wörtern duldet, auf
die der von ihm selbst aufgestellte Grundsatz keine Anwendung
finden kann; homerischer Einnuß kann sich nur in homerischen
Wörtern und Wortverbindungen äußern. Auch in den Dichtungen
des Solon darf ö und in den Endungen nicht beliebig wechseln,
wie der Verfasser unter Hinweis auf homerisches dt«, Afvetac u. a.
neben gewöhnlichem verlangt; im Gegenteil, gerade weil bei
Homer schon eine so feste und bestimmte Norm hinsichtlich der
Endungen herrscht, muß man annehmen, daß dies auch bei den
Elegikern und sonst der Fall war.
Metrische Fragen aus dem Gebiet der elegischen und
jambischen Dichtung behandeln:
1. A. v. Meß, Zur Positionslänge vor muta cum
liquida bei den attischen Dichtern. Rhein. Museum 58,
S. 270 f.
2. G. Schulz, Beiträge zur Theorie der antiken
Metrik. Hermes 35, S. 308.
3. K. F. Smith, Some irregularformsofthe elegiac
di stich. Am. Journal of Philol. 22, S. 165 f.
4. J. Mesk, Satz und Vers im elegischen Distichon
der Griechen. Programm Brünn 1900.
5. A. Taccone, 11 trimetro giambico nella poesia
greca. Accad. R. delle science di Torino. Ser. U, tom. L1V,
S. 29 f.
6. H. R. Fairclough, The connection between
music and poetry in early greek literature. Stud. in
hon. of B. L. Gildersleeve. Baltimore 1902, Nr. 18.
Meß stellt sich die Aufgabe nachzuweisen, wie sich die Be-
handlung der positio debilis, die in der attischen Dichtersprache,
vornehmlich in der Tragödie, zutage tritt, im Laufe der Zeit all-
mählich entwickelt hat. Dabei betrachtet er, von der homerischen
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Jahresbericht über die griechischen Lyriker. (Sitzler.) H3
Poesie ausgehend, die Elegie, die jambische Dichtung und das ältere
Epigramm; aber nur hinsichtlich des letzteren kann er Neues bieten,
da ihm auf den anderen Gebieten Frühere zuvorgekommen sind.
Er zeigt, wie das Epigramm die Längung vor muta cum liquida auf
gewisse Fälle beschränkt, vor anlautender muta und liquida aber
vermieden hat und so die Übergangsstufe von der älteren zur späteren
attischen Dichtung bildet, die sich von dem früheren Zwange los-
gelöst hat. — Schulz führt zum Nachweis, daß die Alten keinen
Versakzent, sondern nur lange und kurze Silben kannten, auch den
Pentameter an, der sonst Hexameter heißen müßte; aber diese Be-
nennung stammt doch ohne Zweifel nur von Metrikern, die den Vers
in Füße zerlegten, unbekümmert um den Rhythmus, den er beim
Vortrag hatte, vgl. auch H. Weil, fitudes de litterature et de
rhythmique grecques. Paris 1902, S. 171 f. — Die Verwendung des
Pentameters in der Poesie untersucht Smith, und zwar betrachtet
er ihn zunächst außerhalb des Distichons, wo er in Verbindung mit
anderen Versen, als Monostichon und xatÄ atfyov vorkommt. Für
monostichisch hält er die Pentameter des Hipparchos, was zweifel-
haft bleibt, da diese mit der Aufschrift auf der linken Seite der
Henne ein Distichon gebildet haben können; auch Preger 257 ist
nicht sicher; jedenfalls waren aber Solon 7, Kritias 6, Fragm. adesp. 12
(Hill.-Crus.), Simonid. 87 keine Monosticha, und ebensowenig Euenos 6,
da die Korrektur Doehners Plut. de am. prol. 4: touto t6 \kov6-
onyov Irffpappa zu dem folg. dXk* fyxroc, das einen Gegensatz im
Vorhergehenden verlangt, nicht paßt, etwa toöto jjIv u>? eö e^pa^ev?
Zu dem xatä aifyov gebrauchten Pentameter vgl. auch L. Rader-
macher, Philologns 60, S. 476 f. Hierauf geht der Verfasser zur
Besprechung des Pentameters in Verbindung mit dem Hexameter
über und zählt außer dem Distichon auch die seltenen Verbindungen,
die in der Anthologia Pal. und bei Eaibel begegnen, auf. — Mesk
stellt das Verhältnis, in dem Distichon und Gedankenabschluß zu-
einander stehen, dar, wobei er die ältere und spätere Elegie, die
Epigramme, Kallimachos Hymn. V und Theokrit Id. Vffl in den
Bereich seiner Untersuchung zieht. Er findet, daß bei Archilochos
und Mimnermos selten, bei Tyrtäos und den folgenden Elegikern
häufig, aber bei den Alexandrinern wieder selten Hexameter und
Pentameter je einen Sinnesabschnitt enthalten. Zwei-, Drei- und
Mehrteilung des Distichons durch den darin ausgedrückten Gedanken
ist häufig, besonders bei den Alexandrinern und unter diesen wieder
bei Kallimachos; dabei zweigt der Gedanke mit Vorliebe von der
bukolischen Cäsur des Hexameters ab. Fälle, in denen das Distichon
JihrMbericht fttr Altertumiwisien*ch»ft. Bd. CXXXIII. (1907. I.) 8
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114 Jahresbericht über die griechischen Lyriker. (8iUler.)
nur einen Gedanken enthält, sind selten, am häufigsten noch bei
Simonides; dagegen finden sich inhaltliche Verbindungen von zwei
und mehr Distichen besonders bei den Alexandrinern nnd bei Mim-
nermos, der als bevorzugter Liebling der Alexandriner erscheint. —
Dem Trimeter widmet T a c c o n e eine fleißige und verständige Unter-
suchung; hinsichtlich des Versiktus entscheidet er sich mit Recht
für die geraden Füße, wie er auch im Choliambus die Betonung der
vorletzten Silbe verwirft. — Faircloughs Aufsatz beschäftigt sich
hauptsächlich mit der homerischen Poesie, weist aber auch darauf
hin, daß noch in der Jambendichtung des Archilochos Musik und
Poesie nicht ganz geschieden waren.
Eine fleißige und schön geordnete Übersicht über den ethischen
Gedankengehalt der elegischen und jambischen Poesie gibt
M. Schulze, Der ethische Gedankengehalt der griechi-
schen Elegiker und Jambographen. Progr. Freiberg 1899,
in fünf Kapiteln, welche die Überschriften tragen: Der Weg zur
Tugend, Begriff und Arten der Tugend, Die sittliche Verfehlung,
ihre Ursachen und Folgen, Lebensgüter und Lebensübel, Die be-
sonderen Lebenspflichten; aber die Mitteilungen über die Ergebnisse
der wissenschaftlichen Forschung, besonders auf S. 2 und 3, leiden
an manchen Ungenauigkeiten.
b) Die einzelnen Dichter.
Kallinos.
J. M. Schulhof, Callinus und Tyrtäus. Class. Review.
1900, S. 103 f.,
weist, wie schon andere vor ihm, nach, daß das Fragment des Kallinos
seinem Inhalt und seiner Form nach nicht dem Tyrtäos zugeschrieben
werden könne. Wenn er aber weiter den Tyrtäos in das sechste
Jahrhundert v. Chr. versetzt und meint, er sei kaum mehr als ein
geschickter Verskünstler gewesen, der den Hexameter dem Homer,
den Pentameter dem Kallinos entlehnt habe, so wird er nicht viel
Zustimmung finden.
Archilochos.
Mit dem Leben und den Dichtungen des Archilochos be-
schäftigen sich
1. H. Jurenka, Archilochos von Paros. Aus den
Fragmenten dargestellt. Progr. Wien 1900.
2. U. Bahntje, Quaestiones Archilocheae. Diss.
Göttingen 1900.
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Jahresbericht über die griechischen Lyriker. (Sitzler.) H5
8. A. Hauvette, Archiloque. Sa vie et ses poesies.
Paris 1905.
4. A. Hauvette, A propos de la pre* tendue raention
d'Archiloque dans la chronique de Paros. Bullet, de
la Society nationale des Antiquaires 1901, S. 138 f.
5. A. Hauvette, Me'langes Perrot. Paris 1903,
S. 161 f., vgl. auch Rev. des (Hades gr. Sitzung vom 9. Januar 1902,
S. 113 f. [Pind. P. H, 49 f.].
6. A. Hauvette, Sur un vers d'Archiloque [fr. 31].
Festschrift Th. Gomperz dargebracht. Wien 1902, S. 216 f.
7. H. Dettmer, De arte metrica Archilochi quae-
stiones. Diss. Marburg 1900.
8. S. A. Naber, Mnemosyne 1899, S. 155 f. [fr. 3, 4. 5].
9. U. v. Wilamowitz, Hermes 1898, S. 515 [fr. 32, 2].
Die Chronologie des Archilochos untersucht Hauvette in dem
ersten Kapitel der unter 3 angeführten Schrift von neuem , ohne
jedoch zu sicheren Ergebnissen zu kommen. Wenn er die Erwähnung
des Gyges fr. 25, 1 — Herod. I, 12 ist interpoliert, wie er mit
Recht bemerkt — als festen Punkt zur Datierung zurückweist, so
darf er auf allgemeine Zustimmung rechnen ; aber an der Festsetzung
der fr. 74 erwähnten Sonnenfinsternis auf den 0. April 648 hätte er
festhalten sollen, da die Worte jeden Zweifel an der Autopsie aus-
schließen und ebenso an der Beziehung der Mafv^tcuv xaxd fr. 20
auf die Zerstörung Magnesias durch die Kimmerier, weil dies das
schwerste und bekannteste Unglück war, das die Stadt in jener Zeit
traf. Folgt man der Berechnung Geizers, so geschah dies im
Jahre 651 , ein Jahr nach dem Tode des Gyges , dessen sprich-
wörtliche Nennung in fr. 25 also damit in bestem Einklang steht.
Nach dem Verfasser freilich erlebte Archilochos den Einfall der
Kimmerier nicht mehr, sondern starb vorher, noch jung. Seine
Geburt setzt er um 708 an, hält ihn also für älter als Kallinos, was
bei den uns zu Gebote stehenden Mitteln dahingestellt bleiben muß;
denn die Notiz Strab. XIV, 647, ist nur eine unsichere Vermutung.
Die Lebensschicksale des Dichters behandeln Bahnt je und im
Anschluß an ihn Hauvette, indem sie für die Wahrheit der auf
uns gekommenen Nachrichten eintreten, Hauvette unter Hinweis
auf die Inschrift auf dem von H i 1 1 e r v. Gärtringen entdeckten
ArchilochossDcnkmal. Jurenka dagegen, der sich gegen die Über-
lieferung ungläubiger verhält, sucht durch Neuordnung der Fragmente
und Vergleichung mit Alkäos und Theognis das Leben des Archi-
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116 Jahresbericht über die griechischen Lyriker. (Sitzler.)
lochos aufzuklären, ein geistreicher und recht interessanter, aber, wie
der Verfasser selbst zogibt , im einzelnen problematischer Versuch.
An Telesikles als Gründer der Kolonie halten B a h n t j e und Hau*
vette mit Recht fest, ebenso daran, daß Enipo die Mutter des
Dichters war, daß er wegen Armut mit seinem Vater nach Thasos
ging, sowie daß er im Kriege mit Xaxos durch Kalondas den Tod
fand; aber mit Unrecht leugnen sie, daß er an den Kämpfen auf
Euböa teilgenommen habe, indem sie aus xeivoi fr. 3, 4 und aus den
Futura schließen, daß das Gedicht in Faros oder doch in der Ferne
auf die Kunde des Strab. X, 448, überlieferten Vertrages hin gemacht
sei. Dagegen macht schon Jurenka, Zeitschr. f. österr. Gymn.
1901 S. 119 f., geltend, daß das Gedicht in diesem Falle ja nur
eine Paraphrase des genannten Vertrages wäre. Ich füge hinzu, daß
die Annahme, eine solche Kunde hätte den abwesenden Archilochos
zu einem die zukünftige Kriegführung schildernden Gedicht begeistern
können, mit dessen ganzer Dichtung im Widerspruch steht ; es kommt
noch dazu, daß V. 4 u. 5 diese Kampfesweise als bei jenen Völkern
schon vorhanden und den Dichter mit dieser Tatsache wohlbekannt
zeigen. Ich glaube also, daß Archilochos wirklich auf Euböa kämpfte
und in diesen Versen auf die bevorstehende Schlacht, die ja in V. 2
eoV Äv 8$) xtL klar angedeutet ist, hinweist und gegen die Feinde
(xetvot) ermutigt. Ebenso folgt für mich wie für Jurenka ans
fr. 24 , daß Archilochos Söldnerdienste tat , was Hauvette gleich-
falls bestreitet. In welche Zeit das Verhältnis des Dichters zu
Neobule fällt, bleibt zweifelhaft; Hauvette sagt nur: „dans la
force de Tage et du talent" des Archilochos, Jurenka dagegen
verlegt es in die Zeit vor der Auswanderung des Dichters nach
Thasos ; mir erscheint die Zeit nach der Rückkehr nach Paros an-
gemessener, weil die Überlieferung ihn den Lykambes und dessen
Familie mit Hohn und Spott überschütten und verfolgen l&ßt, was
den Aufenthalt in Paros voraussetzt, und wer mit mir in der Auf-
fassung der fr. 74 erwähnten Sonnenfinsternis übereinstimmt, kann
diese Verse, in denen Lykambes jener Sonnenfinsternis gedenkt, zum
Beweise dafür anführen.
Mit den Dichtungen des Archilochos befassen sich Bahnt je und
Hauvette in den übrigen Teilen ihrer Schriften. Sie besprechen
die Art ihrer Entstehung und ihres Vortrages, ihr Fortleben in der
späteren Zeit und ihre Überlieferung, ihre Zusammenfassung und
Anordnung in der Ausgabe der Alexandriner, die wissenschaftliche
Beschäftigung der Gelehrten mit ihnen, sowie die auf uns gekommenen
Fragmente. Etwas wesentlich Neues wird dabei nicht vorgebracht;
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Jahresbericht über die griechischen Lyriker. (Sitzler.) 117
Bahntje vermutet, daß es drei Bücher Jamben gab, welche die
Überschriften xptjiexpa, Terpajietpa und eucpSof trugen, und Hau-
vette betrachtet auch die Epigramme als echt und läßt sie in der
Ausgabe den Elegien angefügt sein. Die Ausgabe war noch in den
Händen des Plutarch und Lukian, nach Bahntje auch in der Zeit
Julians noch vorhanden; aber der Scholiast des Aristides kannte sie
nicht mehr. Unter den Fragmenten hält Hauvette die elegischen
und jambischen für die am besten beglaubigten.
Die Verdienste des Archilochos um die griechische Poesie nach
Inhalt und Form hebt Hauvette treffend hervor; aber hinsichtlich
des Dialekts will er Aspiration und Psilose, den Pronominalstamm
ico und xo nebeneinander zulassen, was innerhalb derselben Dicht-
gattung Dicht angeht; für ot? und aic tritt auch Bahntje ein, und
im Distichon sind diese Endungen neben oist und iqii unbedenklich,
da sie schon bei Homer vorkommen; aber im Jambos bleiben sie
zweifelhaft. Den Wortschatz untersucht Bahntje im vierten Kapitel
seiner Dissertatio aufs genaueste, jedoch scheint ihm die Arbeit
G. Settis (vgl. Jahre8b. Bd. 104, S. 99) entgangen zu sein; be-
sonders dankenswert ist der vollständige Index [vocabulorum] , den
er am Schlüsse beifügt. Verbesserungen zu Archilochos liefern
Wilamowitz, Naber, Jurenka und Bahntje; von diesen
wird Wilamowitz mit epoCe fr. 32 das Richtige getroffen haben,
Bahntje mit der Bemerkung, daß die zwei von Bergk unter fr. 21
vereinigten Bruchstücke nicht unmittelbar aufeinander folgten; auch
fr. 181 bringt der letztere in wohlbegründete Beziehung zu fr. 147, nur
darf der Name Äpx&oxoc (sc. X^et) nicht in ÄxeXcjJoc geändert
werden. Eine sorgfältige Untersuchung der Metra des Archilochos
liefert De Um er, und Hauvette legt dar, wie sie vom Dichter
zum Ausdruck seiner Gedanken und Stimmungen verwendet wurden.
Die Gedankenwelt und das Empfindungsleben des Dichters be-
handelt Hauvette im dritten Kapitel seines Buches. Er spricht
da über die Verwendung von Sagen, Beschreibung und Fabeln in
der Poesie des Archilochos, setzt die religiösen und politischen An-
sichten, sowie das Privatleben des Dichters nach seinen verschiedenen
tSeiten hin auseinander und schildert den Ursprung und Charakter
seiner Satire. Er kommt dabei zu dem Ergebnis, daß die der
epischen Poesie oder dem Volksglauben entnommenen Gottheiten für
Archilochos nur Symbole der Naturkräfte oder Personifikationen der
menschlichen Tätigkeit sind , daß der Dichter von sich selbst nichts
Unanständiges oder sittlich Anstößiges sagte , und daß er auch
Neobule mit seiner Satire verschonte. Icji kann dem Verfasser
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118 Jahresbericht über die griechischen Lyriker. (Sitzler.)
hierin nicht beistimmen ; denn die von ihm selbst gesammelten Stellen
über die Götter zeigen, daß sich Archilochos, weit entfernt von allem
Rationalismus, seine Götter als persönliche, in der Natur und in der
Menschenwelt wirkende Wesen vorstellte, das unanfechtbare Zeugnis
des Kritias bei Aelian. v. h. X, 13, beweist, daß er sich nicht anders
behandelte als die anderen, und die einstimmige Überlieferung weiß
nichts von einer Rücksicht, die er auf seine frühere Braut ge-
nommen hätte; solche Gefühle lagen ihm fern. Die Betrachtung der
Kunst des Archilochos in Sprache und Versmaß, in Komposition und
Stil bildet den Inhalt des letzten Kapitels der Hau vett eschen
Schrift.
Als neue Fragmente weist Fr. Blaß, Hermes 83, S. 656,
nach Di eis dem Archilochos die verstümmelten Überrest« in
Flinders-Petrie pap. ed. Mahaffy I, tab. IV, 2 zu. Im Rhein.
Mus. 1900, S. 102, veröffentlicht er Nachträge dazu, welche die
frühere Lesung berichtigen, aber immer noch kein Verständnis er-
möglichen; soviel steht indes nach der neuen Vergleichung fest, daß
col. II, 3, zl f&p u> [c . . . mit fr. 71 nicht identisch ist, da die
Buchstabengruppe, aus der bisher nur v bekannt war, etvr, heißt.
Col. II, 8, steht twv xatvwv, das also auch außerhalb des Attischen
gebraucht wurde, vgl. auch Bakch. 18, 9.
Vollständiger sind zwei andere Funde erhalten, die
R. R eitzenstein, Zw ei neue Fragmente der Epoden
des Archilochos. Mit einer Tafel. Sitzungsber. der K. Preuß.
Akad. d. Wiss. 1899, S. 857 f. und
F. Hiller v. Gärtringen, Archilochos-Inschrift
aus Paros. Mit drei Tafeln. Mitteil. d. K. Deutsch. Archäol.
Inst. att. Abt. 1900, S. 1 f. und dazu als Nachtrag: Archilochos-
Denkmal aus Paros. Sitzungsber. d. K. Preuß. Akad. d.
Wiss. 1904, S. 1236 f.,
machten, der erstere auf einem Papyrusstreifen der Straßburger
Universität aus dem zweiten Jahrhundert v. Chr. , der letztere auf
einem Denkmal auf Paros, das Sostheus (oder Sosthenes), der Sohn
des Prosthenes, wahrscheinlich im ersten Jahrhundert v. Chr. zu
Ehren des Archilochos errichten ließ, wie aus dem Widmungs-
epigramm hervorgeht. Mit diesen Funden haben sich außer
Jorenka und H a u v e 1 1 e in den angeführten Schriften be-
schäftigt:
1. A. Gercke, Zwei neue Fragmente der Epoden
des Archilochos. Wochenschr. f. klass. Philol. 1900, S. 28 f.
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Jahresbericht über die griechischen Lyriker. (Sitzler.) H9
2. E. Piccolomini, Un frammento nuovo diArchi-
locho. Nuova Antologia 1900, Januar.
3. Fr. Blaß, Rhein. Mos. 1900, S. 102, Anm. 1 und
S. 341 f.
4. 0. Schultheß, Zum ersten Straßburger Archi-
lochos-Fragment. Rhein. Mus. 1902, S. 157 f.
5. A. Hauvette, Les nouveauxfragmentsd'Archi-
1 o q u e publiäs par Reitzenstein et Hiller v. Gärtringen. Rev. des
«Stüdes gr. 1901, S. 71 f.
6. F. Leo, De Horatio et Archilocho. Progr.
Göttingen 1900.
Reitzensteins Zuweisung an Archilochos wurde von allen
gebilligt außer von Blaß und J u r e n k a ; der erstere, der die links
vom Ende des ersten bzw. vom Anfang des zweiten Fragm. stehenden
Buchstaben ftatvei | . . . . icaX zu aryiatvet tov BounaXov ergänzt, weist
beide, der letztere das zweite Fragm. dem Hipponax zu, in ihrer
Meinung noch dadurch bestärkt, daß im zweiten Fragm. ein Hipponax
genannt ist. Da von diesem Dichter aber keine Epoden bekannt
sind , so wird die Ergänzung unrichtig und der erwähnte Hipponax
nicht der Dichter sein, vgl. auch R. Reitzenstein, Hermes 1900,
S. 621, Anm. 2. Gercke möchte beide Fragm. einem Gedichte
zuweisen, wogegen sich Hauvette mit Erfolg wendet. Die Be-
deutung des Fundes liegt nicht nur darin, daß jetzt ein größeres
und charakteristisches Bruchstück der Archilochischen Epoden vor-
liegt, sondern noch mehr darin, daß dieses Bruchstück das Vorbild
für die zehnte Epode des Horaz ist und uns so über das Verhältnis
der beiden Dichtet zueinander aufklärt. Mit dieser Frage befaßte
sich Leo, der zu dem Ergebnis gelangt, daß Horaz die Schärfe des
Archilochos durch die sanftere Tonart der Elegie mildere und auch
im Versmaß sich manche Änderung gestatte. Zum Schluß füge ich
noch bei, daß im ersten Fragm. V. 12 xaGt ftd&oip' 3v töeiv als
Zwischensatz zu fassen ist; V. 13 8? jx' ifiUrpt schließt sich an
V. 11 an.
Die Fragmente der Inschrift, die auch in der Inscript. Graec.
vol. XII, fasc. V, Nr. 445, abgedruckt ist, sind weniger gut erhalten
und infolgedessen in ihren Beziehungen unklar. In einem ist von
Verrat und Beraubung der Thrakier die Rede ; aber diese Vergehen
wurden, wie Hauvette zeigt, von einer Bande unter Führung des
Sohnes eines Peisistratos verübt , dürfen also nicht mit H i 1 1 e r
v. Gärtringen dem Archilochos zur Last gelegt werden. Daß
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120 Jahresbericht über die griechischen Lyriker. (Sitzler.)
die Kämpfe auf Thasos lange dauerten nnd schwer waren, geht aus
der Inschrift hervor. Das wichtigste ist aber, daß sie ans den Be-
weis dafür liefert, daß die alexandrinischen Gelehrten in ihren chrono-
graphischen und biographischen Angaben nicht immer auf eigene
Kombinationen angewiesen waren, sondern sich auch auf eine Über-
lieferung stützen durften, die freilich mit Legenden und Irrtümern
durchsetzt sein konnte; denn wir ersehen aus ihr, daß ein bis jetzt
unbekannter Historiker Demeas, den H i 1 1 e r in die erste Hälfte des
dritten Jahrhunderts v. Chr., Hauvette mit Recht früher ansetzt,
das Leben des Archilochos zum Gegenstand seines besonderen Studiums
machte und in die pansche Chronologie einfügte.
Semonides.
Die Ausgabe von
P. Malusa, Simonide Amorgin o. I frammenti con
proemio e note. Venezia 1900,
beruht auf fleißiger und besonnener Benützung dessen, was die Kritik
und Exegese des Dichters zutage gefördert hat, bringt aber für den
Kenner nichts Neues. Einen Nachtrag mit Verbesserungen enthält
die Abhandlung des Verfassers: Simonidis Cei Carmen 85 Amorgino
non est tribuendum, Venezia 1900, am Schlüsse.
Ein neues Gedicht erschließt
R. Reitzenstein, Das Trostgedicht des Semonides.
Philologus 57, S. 42 f.,
indem er Plut. consol. ad Apollonium cap. 17: x6 xs rroXü ft^itouftev
xtX. und cap. 31 : 7csirai8eo|iiva>v 8' iax\v xxX. unter Vergleichung von
Senec. ad Marc, de consol. 21 zur Herstellung der Verse: itpoc 8v
(sc. t6v otfcova) xck x8^1' *i T^ H^pt' *ffT' ^tea I ^Tf1^ ^ *t arciT!Jl%
ppa^otepov er -{£ xi benützt , an die er unmittelbar fr. 3 tcoXXoc yäp
ajxjxiv xxX. anreiht, mit Verweisung auf Leonid. Tarent. A. P. VII,
472 ; den Anfang des Gedichts bildet fr. 1 , und auch fr. 2 und 4
stammen aus ihm, möglicherweise auch Simon, fr. 210 ß, da es in
dem Trauerepigramm Kallimachos 14 (W.) berücksichtigt ist. Als
Parallele zu diesem Gedicht vergleicht er die Elegie des Archilochos
irpoc rieptxUa.
Was nun die von R. hergestellten Verse betrifft, so zeigen sie
kein semonideisches Gepräge; man vergleiche nur die Apostrophie-
rungen im ersten, den Mangel einer Caesur und die Schlußworte
etfl Tt im zweiten Vers. Doch diese Ausstellungen ließen sich vielleicht
durch eine andere Gestaltung der Verse beseitigen. Schwerer ins
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Jahresbericht über die griechischen Lyriker. (Sitzler.) 121
-Gewicht fällt, daß bei Plntarch gar nichts auf Jamben und Semonides
hinweist. Die Worte xaxd 2ifi(uvf8>jv wird man ohne weiteres mit
denselben Worten cap. 11: 6 fouv 2ifiü>vt'57)<; in Beziehung bringen,
um so mehr, da die beiden Zitate sich auch inhaltlich nahe stehen,
und daß der cap. 17 ausgesprochene Gedanke dem Keier nicht fern
liegt, zeigt Stob. 96, 41 und Strabon XV, 711. Es kommt dazu,
daß Plutarch, worauf schon Bergk aufmerksam gemacht hat, den
Semonides sonst nicht zitiert; denn fr. 5 gehört sicher dem Lyriker
Simonides und ist vermutlich einem Hyporchem entnommen, vgl.
fr. 29 f. Ich kann also an das erschlossene Trostgedicht des Semonides
nicht glauben und führe zum Schlüsse auch noch die Bemerkung
Bergk s zu fr. 196 (= Plut. cons. ad Apoll. 17) an: „nisi hoc
inter apophthegmata est referendum".
Über das Verhältnis des Semonides zu Euripides spricht
W. Nestle, Untersuchungen über die philoso-
phischen Quellen des Euripides. Leipzig 1902. (Ab-
druck aus Philologus Ergänzungsband VIII, S. 629 f.).
Beide Dichter stimmen in ihrer Beurteilung des weiblichen Geschlechts
miteinander tiberein, wofür der Verfasser Parallelstellen beibringt.
Tyrtäos.
Beiträge zur Verbesserung und Erklärung des Textes liefern
1. R. Peppmüller, Tyrtäos fr. 4. Berl. phil. Wochensch.
1899, Nr. 25, S. 794 f.
2. G. F. Abbott, On Tyrtäus SfißotxTjpia 2, 2. Class.
Rev. 1900, S. 263.
3. S. A. Naber, Mnemosyne 1904, S. 357 [fr. 10, 25].
Während Abbott ohne Erfolg für die Überlieferung iroXiijxat
als Apposition zu xoupot iraxe*ptov in fr. 15, 2 eintritt, da itax£po>v
nicht ohne Attribut stehen kann, hält Peppmüller fr. 4, 9 f. für
unecht, weil sie mit Vv. 5 f. im Widerspruch ständen; ein gefähr-
licher Volksbeschluß habe nämlich aufgehoben werden können. Dieser
Widerspruch ist aber nicht vorhanden, wenn man die Überlieferung
&q[ioo xe xxX. beibehält und diese Verse in engen Zusammenhang
mit den vorhergehenden bringt: „und so", d. h. wenn das in Vv. 5 f.
Gesagte eintritt, „soll der Volksgemeinde die Entscheidung zustehen".
Damit fällt die weitere Vermutung des Verfassers , daß fr. 3, 2 f.
8t, fdp dpYop6\o$oc xxL sich an V. 8 anreihten. Vgl. übrigens
auch Busolt, Griech. Gesch I2, S. 544, Anm. 2. Wilamowitz
a. a. O., S. 107 f.
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122 Jahresbericht über die griechischen Lyriker. (SiUler.)
Ein lebhafter Meinungsaustausch fand unter den Gelehrten über
die Lebenszeit des Tyrtäos und das Alter der unter seinem Namen
überlieferten Gedichte statt. Daran beteiligten sich
1. E. Schwartz, Tyrtäos. Hermes 34, 427 f.
2. H. Weil, Les ölögies de Tyrtöe. Leur authenticite\
leur ftge. Journ. des Savants 1899, S. 558 f. [Abgedruckt in
fitudes sur l'antiquitä grecque. Paris 1900.] Vgl. auch Acad.
des Inscript. 25, VIII, 99, S. 548.
3. E. Meyer, Forschungen zur alten Geschichte.
II. Bd. Halle 1899.
4. J. Beloch, Zur Geschichte des Eury pontiden-
h aus es. Hermes 35, S. 254 f.
5. U. v. Wilamowitz - Moellend orff, Die Text-
geschichte der griech. Lyriker. Berlin 1900, S. 96 f.
6. H. Pistelli, D e recentio rum studiis in Tyrtaeum
collatis. Firenze 1901. [Estratto dagli Studi italiani di Filol.
class. IX, S. 485 f.]
7. H. Grögoire, Les recherches röcentes sur la
question d e T y r 1 6 e. Bev. de l'inßtruction publ. en Belgique 48,
S. 309 f.
Nachdem Verrall den mißglückten Versuch gemacht hatte, auf
Grund von Lykurg, c. Leoer. 102 den Tyrtäos und seine Gedichte
in den sogen, dritten Messenischen Krieg nach den Perserkriegen
zu setzen, vgl. vor. Jahresb. Bd. 104, S. 80 f., behandelt Schwartz
die Frage eingehend nach allen Seiten hin. Die Untersuchung der
Überlieferung Uber den zweiten Messenischen Krieg und die Be-
trachtung der Gedichte nach Form und Inhalt führen ihn zu der
Schlußfolgerung, daß die uns als tyrtäisch überlieferten Verse in
Athen entstanden seien, und zwar habe sie ein Athener aus der Zeit
des Peloponnesischen Krieges einem Spartiaten, dessen politische und
militärische Stellung er unbestimmt ließ, in den Mund gelegt; Dichter
und Gedichte seien also gefälscht.
Diese Ausführungen widerlegen Beloch, Meyer und Weil,
wie mir scheint, mit vollem Erfolg. Beloch weist darauf hin, daß
mit dem bei Rhianos erwähnten Leotychides nicht der in Sparta von
498—476 herrschende Leotychides gemeint sei, sondern ein älterer,
der nach Herodot gleichzeitig mit Anaxandros war. Damit ist be-
wiesen, daß auch Rhianos den zweiten Messenischen Krieg in das
siebente Jahrhundert setzte ; denn die Annahme von W i 1 a m o w i t z ,
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Jahresbericht über die griechischen Lyriker. (Sitzler.) 123
der „Überarbeiter" habe den von Rhianos gemeinten Leotychides II
in Leotychides I umgesetzt und auch Anaxilas und Damagetos durch
neue Fictionen verdoppelt, entbehrt jeder Grundlage und Glaubwürdig-
keit; vgl. auch V. Cos tanz i in Riv. di filol. 1904, S. 33 f. In
diesem Kriege lebte Tyrtäos, wie aus seinen eigenen Worten fr. 5, 6
itate'ptov j;{j.eT£pcov irar£pec hervorgeht, die man nicht mitSchwartz
im Sinne von „Vorfahren" fassen darf, und dichtete die Verse, die
unter seinem Namen auf uns gekommen sind ; die gegen ihre Echtheit
vorgebrachten Gründe lassen sich weder dem Inhalt noch der Form
nach aufrecht erhalten. So urteilt auch Grägoire. Daß manche
Verse interpoliert sind, stellt Weil nicht in Abrede.
Mit dem ersten Teil dieser Darlegungen ist auch W i 1 a m o w i t z
und im Anschluß an ihn Pistelli einverstanden; aber hinsichtlich
der überlieferten Gedichte haben sie eine abweichende Ansicht.
Wilamo witz schreibt die Eovofifa dem Tyrtäos zu; sie ist, wie
er gegen Schwartz bemerkt, Vorbild, nicht Nachahmung der
Solonschen. Die Verbindung der drei in fr. 5 miteinander ver-
einigten Fragmente billigt er nicht; ich hahe Jahresbericht Bd. 75,
S. 122, dieselbe Meinung ausgesprochen. Was die anderen Gedichte
betrifft, so hält Wilamo witz fr. 10, wie es vorliegt, nicht für ein-
heitlich; denn nach V. 14 reiße jeder Zusammenhang ab. Gewiß
richtig, und deshalb habe ich schon vor Jahren den Vorschlag ge-
macht, mit den Vv. 13 — 14 zu beginnen, damit unbewußt eine Ver-
mutung Wasenberghs erneuernd. Das Ganze paßt nach Wila-
mo witz allein für einen schweren Verteidigungskrieg; ein solcher
war meiner Ansicht nach der zweite Messenische Krieg, in dem die
Spartiaten ihren früher erworbenen Besitz gegen schwere Angriffe zu
verteidigen hatten. W. hält das Gedicht für überarbeitet; es stört
ihn sowohl die Allgemeinheit der Ermahnungen als auch das V. 18
gebrauchte Wort tpikotyuxtTv. Daß dieses Wort spätes Gepräge zeigt,
muß man dem Verfasser zugeben ; aber kann es nicht ein Verderbnis
sein, etwa für (xtj <pei5<b ■j'oxv, sc. iroietaöe, das im vorhergehenden
Verse steht ? Auch die Mahnungen sind für den vorliegenden Zweck
bezeichnend, wie Wilamo witz' Bemerkung über den schweren
Verteidigungskrieg beweist. Wie treffend ist der Hinweis auf die
Leiden des mit Frau und Kind von Haus und Hof Vertriebenen, wie
echt spartanisch die an die vioi gerichteten Worte ! Ich kann also ■
an die Überarbeitung nicht glauben; nur das letzte Distichon erscheint
mir als späterer Zusatz,
Fr. 1 1 betrachtet auch W i 1 a m o w i t z als echt. Wenn er aber
Vv. 15 — 18 auswerfen will, so kann ich nicht beistimmen; denn man
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124 Jahresbericht über die griechischen Lyriker. (Sitzler.)
vermißt dann die notwendige Ausführung zu V. 14: rata' dit6Xa»X*
dper^ und das [leta^pevov SafCeiv vor dem folg. v£xu? xaxxef|ievoc.
V. 16 lese ich: flaaa 8tj afs/pa ira&r, ffyvexat dvBpl xaxtf, während
ich V. 17 dpfakiov beibehalte unter Verweisung auf Nitzsch Od. 2,
244: „denn kaum zu ertragen ist es (nämlich für den Fliehenden),
wenn einer" usw. Auch die Vv. 29 — 84 lassen sich nicht mit Weil
und Wilamowitz auswerfen, vielmehr muß 29 — 30 beibehalten
werden, da man sonst nach (xtqS* extoc ßeX£a>v xtX. die positive An-
gabe vermißt: dXkd xi? &nüc liav xxX. ; die Interpolation beschränkt
sich also auf Vv. 31—34. Ebenso möchte ich für das Schlußdistichon,
das die beiden Gelehrten beseitigen, eintreten, da es das Vorher-
gehende in passender Weise näher ausführt ; denn zu den Feldsteinen
fügt es die Wurfspeere, und V. 38 xoiöi Trav<5irXotai 7rXi)o(ov fsxajisvoi
findet in 6it* döirtöoc irx<6aaovxe? seine Erklärung. Von einer ver-
schiedenen Aufstellung, die Wilamowitz hier im Gegensatz zu den
vorangehenden Versen herausliest, hier geschlossene Phalanxstellung,
vorher mehr Einzelkampf hinter dem riesigen Telaraonschild, ist also
keine Rede; übrigens kam auch bei dem Gebrauch des Telamon-
schildes schon in der llias Phalanxstellung vor, vgl. Reichel,
Horn. Waffen 2, S. 33 f., und die Spartaner sollen diesen Schild bis
auf Kleomenes III herab als nationale Waffe beibehalten haben, vgl.
ebenda S. 45.
Das zwölfte Fragment spricht auch Wilamowitz dem Tyrtäos
ab. Zunächst vermißt er darin das eigentümlich Spartanische; aber
kann es etwas Spartanischeres geben als die Erhebung der kriegerischen
Tüchtigkeit über alle anderen körperlichen und geistigen Vorzüge
und die Ehrung des Helden vor allen anderen Bürgern? Sodann
nimmt er am Inhalt Anstoß. Er meint, in Sparta würde man schwer-
lich den Tantaliden Pelops den königlichsten Mann genannt haben
und die im Gedicht vorkommende Erwähnung der Phalanx, des runden
Schildes und des Panzers spreche gegen Tyrtäos. Was nun den
Pelops betrifft, so steht er, wie mir scheint, Sparta sehr nahe, da
er nicht nur der gewaltige Beherrscher des ganzen Peloponnes war,
der sein Szepter von Zeus selbst erhalten hatte, sondern auch der
Stammvater der Atriden und des Herakles, dessen Macht und Reich-
tum sprichwörtlich war. Von einem runden Schilde ist im Gedicht
keine Rede; denn fycpaXoesact wird auch vom Telamonschild gesagt,
und mit diesem ist auch in der llias der Panzer verbunden. Ebenso
bezeichnet der Ausdruck 8oajAev&i>v dvop&v ydlorflas nicht das, was
W. Phalanx nennt, sondern allgemein die Reihen oder Scharen, wie
auch bei Homer. An der Richtigkeit dieser vom Heerwesen her-
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J
Jahresbericht über die griechischen Lyriker. (Sitzler.) 125
genommenen Beweise zweifelt auch Pistelli, der im übrigen
Wilamowitz beistimmt. So bleibt noch die Sprache übrig, an
der manche rhetorische Einwirkungen wahrnehmen wollen und die
auch Th. Reinach, Rev. des elud. gr. 1901, S. 110 f., verdächtig
vorkommt, trotz der gegenteiligen Darlegungen H. Weils, der mit
Recht auf das schon bei Homer so stark hervortretende rhetorische
Element hinweist. Ein Vergleich von fr. 12 mit Archilochos und
Kallinos, Solon und Xenophanes muß jeden Zweifel beseitigen, als
ob diese Verse vor dem Aufkommen der Rhetorik nicht hätten ge-
schrieben werden können.
Bei diesem Sachverhalt kann ich mich den Folgerungen nicht
anschließen, die W i 1 a m o w i t z aus seinen Ausführungen zieht, näm-
lich daß das Buch Tyrtäos, das Piaton und Lykurg gelesen haben,
sich zum wirklichen Tyrtäos wie unser Theognis zum wirklichen
verhalten habe; denn ein Beweis dafür läßt sich aus unseren Frag-
menten nicht führen , und wäre eine solche Sammlung im vierten
Jahrhundert in Athen so verbreitet und bekannt gewesen, wie der
Verfasser will, so wüßten wir sicherlich mehr davon. Ganz unwahr-
scheinlich ist mir, daß auf Grund dieser athenischen Tyrtäos-Sammlung
die Sage von der athenischen Abstammung des Tyrtäos entstanden sein
soll ; eine solche Erfindung hätte doch die Ansprüche der Athener
auf die in Sparta gedichteten Lieder nicht rechtfertigen und die
Authentizität der Sammlung nicht beglaubigen können, da ja Tyrtäos
anerkanntermaßen bei den Spartanern lebte und sang.
Hinsichtlich der spartanischen Embateria nimmt Wilamowitz
mit Recht an, daß sie gesammelt und bekannt waren, daß aber die
erhaltenen den ursprünglichen Dialekt nicht mehr zeigen. Ich sehe
auch hier keinen Grund ein, die Überlieferung, daß Tyrtäos solche
dichtete, zu bezweifeln ; fr. 15 kann wohl auf ihn zurückgehen.
Solon.
Mit der Kritik und Erklärung des Solon beschäftigen sich
1. J. Kraßnig, ZurErklärung der in Aristoteles'
ÄÖTjvafcuv iroXttefa enthaltenen Fragmente Solons.
Progr. Mähr.-Ostrau 1898.
2. A. Ludwich, Zu den Solonischen Fragmenten
in deriroXitefa Äd^vafcov. Berl. philol. Wochenschrift 1903,
S. 700, 732 f., 765.
3. A. Platt, On a fragment of Solon [36, 1 in äOyjv.
tcoK. 12]. Journal of Philol. 1898, S. 64 f.
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126
Jahresbericht über die griechischen Lyriker. (Sitzler.)
4. S. Larsen, Eine Solonische Studie. Festskrift
til J. L. üssing. Kopenhagen 1900, S. 168 f. [13, 51 f., 5, 4 f.,
36, 8 f.],
5. J. J. H(artmann). Mnemosyne 1902, S. 364 [11, 2].
6. W. S. Hadley, A correction in Solon. Class. Rev.
1903, S. 209 [fr. 11, 6].
7. J. v. Leeuwen. Mnemosyne 1904, S. 259f. [fr. 13, 34].
8. H. Diels, Onomatologisches. Hermes 1902, ö. 480 f.
[fr. 20, 3].
9. J.E.Hammer, AdSolonem. Nord. Tidsskrift 1902 3,
S. 47 [fr. 38—41].
Ich hebe daraus hervor, daß Kraßnig für die Überlieferung
bei Aristoteles eintritt , der er den Vorzug vor der sonstigen Über-
lieferung Solonischer Verse zuerkennt. Lud wich nimmt fr. 27c, 4
(Hill.-Crus.) Kenyons Ergänzung tdU' laetat in Schutz, indem
er erklärt: „auf Maßvolles richtet euren Hochsinn; denn weder
werden wir zu ' leiden haben , noch wird euch das andere (das
Maßlose) für angemessen gelten". Aber diese zwei Gedanken hätte
Solon kaum mit oute . . . ouxe verbunden, sondern vielmehr gesagt:
„denn dann werden wir nicht zu leiden haben und für euch wird
dies angemessen (schön) sein". Ich halte oute . . . ouxe für un-
richtig und lese: oö f&p £&* 7)jj.eTc | iceia^jjteö' ou8' 6{uv aptta iravr*
e'aetat : „denn wir werden nicht mehr gehorchen und euch wird nicht
alles entsprechend (nach Wunsch) sein", vgl. 4, 33. 40. Fr. 36, 2
vermutet Lud wich 5$ov' ^faTov I Sr^v te toütcuv xtL, wodurch
diese schwierige Stelle auch noch nicht in Ordnung gebracht wird.
Fr. 36, 21 (32 b, 3 Hill.-Crus.) leitet er dvTapcc&ac von dvc-apajJo»
ab: „bis er den Demos von der Milchschüssel zurückgestoßen und
den Rahm für sich abgeschöpft hätte", weder zum Vorhergehenden
noch zum Folgenden passend; jedenfalls müßte es statt Demos die
Vornehmen heißen, denn zur Zurückdrängung dieser und zur Er-
langung der Herrschaft für sich selbst hätte ein anderer das Volk
benützt Läßt sich aber dieser Begriff zu dvTapdfcx? ergänzen ? Diels
hält 20, 3 AiYuaatdÖT) für ein Scherzkompositum, das man AtTu^araför,
zu schreiben habe, abgeleitet von AqucfaT^c, die Zugehörigkeit zur
Zunft der „hellen Sänger " bezeichnend. Die Erklärung ist gewiß
richtig; aber der Ableitung und infolgedessen der Schreibung mit i
subskript. kann ich nicht zustimmen, da ich an eine Bildung aTnj?
von qtöeo, zumal zu Solons Zeit, nicht glauben kann. Meiner Meinung
nach ist das Patronymikon unmittelbar von Xquc gebildet. Hammer
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Jahresbericht über die griechischen Lyriker. (Sitzler.) 127
vergleicht zu fwpooq (88, 3) Hesych. ■ycopouToir aapxot und schließt
daraus, daß «papot = aa'pxec „ Fleischstücke Ä seien, was mit dem
Zeugnis des Athen. XIV, 645 F foopoc frei icXaxoövxoc etöo? im
Widerspruch steht. Die fr. 38—41 hält er nach Form und Inhalt
für Angriffe auf reiche und verschwenderische Leute, wohl solche,
die gegen ihn auftraten, eine Vermutung, die mir sehr beachtenswert
scheint; ähnlich freilich schon Härtung.
Mit der Sprache Solons beschäftigt sich
N. Riedy, Solonis elocutio quatenus pendeat ab
exemplo Homer i. Accedit index Soloneus. Progr. München
1903/4,
der das Verhältnis unseres Dichters zu Homer eingehend untersucht,
und zwar im ersten Teil hinsichtlich der Übereinstimmungen, im
zweiten Teil hinsichtlich der Abweichungen; auch die Frage nach
etwaigen anderen Quellen hat er im letzten Kapitel gestellt und mit
Recht auf Hesiod als solche hingewiesen, mit Unrecht auf Tyrtäos,
der, sprachlich von denselben Dichtern wie Solon abhängig, höchstens
in der Anregung zur Euvojita für diesen in Betracht kommt. Unter
den Ergebnissen, welche die Untersuchung liefert, ist der Nachweis,
daß sich in dem Verhältnis Solons zu Homer ein Unterschied zwischen
den früheren und späteren Gedichten nicht feststellen läßt, und daß
die Solonschen Anklänge die Ilias und Odyssee in ihrem ganzen Um-
fange voraussetzen, am wichtigsten; dagegen scheinen mir die an-
geführten Stellen nicht zu genügen, um zu beweisen, daß der Hymnus
auf Demeter vor Solon abgefaßt sei. Der am Schluß beigegebene
index Soloneus erhöht noch den Wert der fleißigen Arbeit
Ein anschauliches Bild der dichterischen Tätigkeit
Solons entwirft
R. Peppmüller, Solons Gedichte. Progr. Stralsund
1904,
indem er uns den Dichter zuerst in seiner politischen Wirksamkeit,
dann in seinem Fühlen und Denken als Menschen vorführt, beides
dargelegt an seinen Gedichten, die der Verfasser in wohlklingenden
deutschen Versen wiedergibt.
Vom Gesichtspunkt der Moral und Sittlichkeit aus untersucht
M. Croiset, La morale et la cite" dans les poe'sies
de Solon. Acad. des Inscript. 1903, S. 581 f.,
die Dichtungen des Solon, in denen er noch den Fortschritt wahr-
nehmen zu können glaubt, den das Leben der Großstadt auf die
Entwicklung besonders des Gerechtigkeitsbegriffes ausgeübt
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128 Jahresbericht über die griechischen Lyriker. (Sitzler.)
habe; im 13. Fr. nämlich, das er für eines der ersten Gedichte
Solons, also für den Beweis seiner frühesten Anschaanng hält, werde
die Gerechtigkeit noch von einem ganz individuellen und privaten
Gesichtspunkt aus behandelt und regle nur die Beziehungen zwischen
Privatleuten, ohne die Gesellschaft im ganzen zu interessieren, während
in dem Gedicht 'ABijv. tcoX. 5 der erste Appell an eine soziale
Gerechtigkeit erscheine, der dann in der Euvopla noch deutlicher
zum Ausdruck komme; dies sei die Folge der sozialen Entwicklung
der Verhältnisse, die ihn zu der Einsicht geführt habe, daß die Dike
allein einen dauernden Zustand schaffen könne, und daher zu dem
festen Entschlüsse, zwischen den Ständen auszugleichen. Daß die
sozialen Zustände seiner Vaterstadt Solon zu seiner Gesetzgebung
veranlaßten, und daß er dieser seine Begriffe von sozialer Gerechtig-
keit zugrunde legte, ist bekannt und natürlich ; das tut jeder Gesetz-
geber. In seinen Gedichten läßt sich aber eine solche Entwicklung
des Gerechtigkeitsbegriffs, wie der Verfasser sie darlegt, nicht nach-
weisen. Das 13. Gedicht, das er an den Anfang der poetischen
Tätigkeit Solons setzt, wird allgemein und mit guten Gründen an
das Ende derselben gelegt, und der Begriff der oixrj in ihm und der
Eüvojita ist der gleiche, das den Menschen von der Gottheit gesetzte
Recht, das einzelne aus Übermut durch ungerechte Handlungen über-
treten, um sich zu bereichern; von der Verletzung des Rechts eines
Standes durch einen anderen im allgemeinen ist auch in der E6vo|ita
nicht die Rede. Wohl aber spricht Solon wiederholt davon, welchen
Schutz seine Gesetze dem Volk und den Vornehmen gewähren.
Das Verhältnis zwischen Solon und Euripides
bespricht
W. Nestle, Untersuchungen über die philosophi-
schen Quellen des Euripides. Leipzig 1902.
Er vergleicht fr. 29 mit Herakl. 1346, fr. 13, 25 f. mit Bakch. 1348. '
Hippol. 120, fr. 13, 55 f. mit fr. 3—7. Hik. 238 f. Orest. 917 f.,
fr. 13, 7 und 71 f. (vgl. Theogn. 145 f., 718 f.) mit Hei. 903 f.
Phoen. 555. Erechth. fr. 362, 11 f.
K leobulina.
U. v. Wilamowitz, Hermes 1898, S. 219, liest in dem ZusaU
zu fr. 2 richtig sv TtoXa xaGta st. ira'Xai taGto und versteht das
Rätsel von dem Ringkampf. Was die Dichterin selbst betrifft, so
wiederholt er die Vermutung Hartungs, Griech. Lyriker VI, S. 115,
daß sie aus Kratinos' KXeoßooXtvoi stamme, der sie mit Anlehnung
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Jahresbericht über die griechischen Lyriker. (Sitzler.) 129
an den Namen Kleobulos erfunden habe; im vierten Jahrhundert sei
sie dann in die Novelle von den „"Sieben" eingeführt worden. Dem-
nach nimmt er nachträgliche Einführung der Kleobulina in die Novelle
an, die früher, nach 0. Crusius, Anthol. lyr. S. XX, in der Zeit
zwischen Solon und Herodot, entstanden ist. Ich halte dies für
unwahrscheinlich, für ebenso unwahrscheinlich aber auch die Er-
findung der Dichterin durch Kratinos; denn wie die 'Oöuaffijc des-
selben Dichters einen Odysseus, die Xei'ptovec einen Cheiron, die
'ApyiXoxot einen Archilochos, so scheinen mir auch die KXeoßouXTvat
eine Kleobuline vorauszusetzen, und daß ich bis jetzt keinen Grund
einsehe, dieser die historische Persönlichkeit abzusprechen, habe ich
im vor. Jahresb. Bd. 104, S. 86, dargelegt.
Pseudophocylidca.
J. N i c o 1 e teilt in dem Album gratulatoriuminhonorem
H. v. Her werden, Utrecht 1902 mit, daß er in einer jungen
Genfer Hs. Auszüge aus den Pseudophocylidea entdeckt habe; es
seien drei Gruppen, und vor der ersten stehe der Name Phokylides,
vor der zweiten aber ITpoxXo? Me^apeuc 6 irotr,T^ und vor der dritten
'Hpcooiavou p^topoc, Namen, die er an diesen Stellen nicht erklären
könne. Sonst bieten die Auszüge nichts Bemerkenswertes.
Mit der hs. Überlieferung der Pseudophocylidea beschäftigt sich
A. Ludwich, Über das Spruchbuch des falschen
Phokylides. Ind. lect. Königsberg 1904 und Quaestionum
Pseudophocylidearum pars altera. Progr. Königsberg
1904 [Fortsetzung der zuerst genannten Schrift].
Auf Grund einer eingehenden Prüfung kommt der Verfasser zu
dem Ergebnis, daß der Vindobonensis V bei weitem die lauterste
und beste Quelle der Pseudophocylidea darstelle; in zweiter Linie
komme OP (LF), in dritter MB (fP2'H), in vierter L!L21YXJ
(TWAM*b), die unzuverlässigste und schlechteste Quelle aber sei
jedoch seien bei der Feststellung des Textes auch die schlechteren
und schlechtesten Hs. nicht ganz zu entbehren. Daß bei der Unter-
suchung auch manches für die Kritik und Erklärung des Gedichts
abfällt, braucht kaum besonders erwähnt zu werden. Zum Schluß
kommt der Verfasser auch auf die Anordnung der Sprüche und die
Konfession des Dichters zu sprechen; von einer logischen Gliederung
des Ganzen findet er ebensowenig eine Spur, wie von der Zugehörig-
keit des Verfassers zum Judentum oder Christentum ; was auf letzteres
hinweist, ist von W durch Interpolation hereingebracht. Der Dichter
Jahresbericht für Altertumswissenschaft. Bd. CXXXIll. (1907- I.) 9
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130 Jahresbericht über die griechischen Lyriker. (Sitzler.)
war ohne Zweifel ein heidnischer Grieche, dessen polytheistische
Anschauung in seinen Versen zum Ausdruck kommt.
Zum Schlüsse nenne ich noch
K. F. A. Lincke, Samaria und seine Propheten.
Ein religionsgeschichtlicher Versuch. Mit einer Textbeilage: Die
Weisheitslehre des Phokylides, griechisch und deutsch. Tübingen
1903.
Xenophanes.
Die Metrik des Xenophanes behandelt
Jacobs, De Xenophanis arte metrica. Progr.
Schneidemühl 1904.
Nachdem er die Fragmente nach der Ausgabe von H. Di eis mit-
geteilt hat, untersucht er in Kap. 1 — III den daktylischen Hexameter,
der, wie er findet, dem in der Odyssee nahe steht und von dem der
Alexandriner weit abweicht. Mit Kap. IV geht er dann zum Distichon
über, dessen Cäsuren in Kap. V und VI besprochen werden; die
trochäische steht bei Xenophanes der männlichen nach, und Drei-
teilung ist unserem Dichter eigentümlich. In Kap. VII und VIII
wird das Verhältnis von Daktylus und Spondeus im Hexameter und
Pentameter dargelegt, und Kap. IX ist der Betrachtung des Hiatus
gewidmet, ohne daß neue Ergebnisse zutage gefördert werden.
Die Frage, ob unser Dichter zu den Sillographen gehört, wirft
G. Voghera, Senofane e i cinici autori di Silloi.
Contributo alla storia della poesia sillografica. Studi ital. di filol.
class. 1908, S. 1 f.,
von neuem auf und verneint sie, da die zwei Merkmale der Sillen,
Spott und homerische Parodie, in den zu den Sillen gerechneten
Versen fehlten; als Sillographen nenne ihn die Überlieferung nur
infolge eines Mißverständnisses, weil er nämlich im zweiten und
dritten Buch der Sillen des Timon als Sprecher eingeführt sei. Aber
warum hat ihm denn Timon wohl diese Holle übertragen ? Vermutlich
weil er sein Vorgänger in dieser Art von Poesie war. Wenn der
Verfasser den Charakter der Sillen in den vorhandenen Fragmenten
des Xenophanes vermißt, so darf man nicht vergessen, daß nur kurze
Bruchstücke auf uns gekommen sind, die nicht genügen, das Wesen
dieser Gedichte des Kolophoniers vollständig klar zu machen. Auch
haben sie, worauf schon C. Wachsmuth hinweist, offenbar bei ihm
noch nicht den Titel 2(k\oi getragen, ja überhaupt keinen besonderen
Titel , weshalb sie auch von andereu "Ictfißot und riapmou« genannt
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Jahresbericht über die griechischen Lyriker. (Sitzler.) 131
wurden. Daher hätte H. D i e 1 s die Überschrift FlaptpStai über fr. 22
weglassen und die Konjektur Tiap^ör^a; ta 'O^poo nicht erwähnen
sollen. Die von F. P a u 1 ausgesprochene, von dem Verfasser wieder-
holte Meinung, diese Verspottungen seien da und dort in den
Dichtungen des Xenophanes zerstreut vorgekommen, wird schon da-
durch widerlegt, daß sie mit einem besonderen Titel, sei es nun
Kk'Koij naptpäfat oder "Iajxßoi, bezeichnet werden; sie müssen also
eine besondere Gruppe für sich gebildet haben.
T h e o g n i s.
Mit der hs. Überlieferung der Theognidea beschäftigt sich
T. H. Williams. A note on theMutinensisMs. of
Theognis. Class. Rev. 1903, S. 285 f.,
der die bis jetzt vorliegenden Vergleichungen des A für noch nicht
genügend hält. Was er aber zum Beweise dafür vorbringt, ist nicht
geeignet, große Hoffnung auf Gewinn zu erregen; denn sowohl V. 104
als auch V. 111 bringen, mit PLGr. Bergk4 verglichen, uns keine
neue Kenntnis, abgesehen davon, daß die ursprüngliche Lesart in A
xo'3 pi^a doovai Hkot verdorben ist.
Die Theognisfrage behandeln von neuem
1. J. Heinemann, Theognidea. Hermes 1899, S. 590 f.
(Vgl. dazu auch Die Elegiensammlung des Theognis und
ihre Entstehung. Ber. des Freien Deutschen Hochstifts zu
Frankfurt a. M., N.F. XV);
2. F. Wendorff, Ex usu convivali Theognideam
syllogen fluxisse demonstratur. Diss. Berlin 1902;
3. E. Harrison, Studies in Theognis, together
with a text of tue Poems. London 1902;
4. T. H. Williams, Theognis and Iiis poeras. Journal
of Hell. Studies 1903, S. 1 f.,
nur daß E. Harrison auf S. 18 — 84 noch den Text der Gedichte
beifügt samt den in den Hs. sich findenden Wiederholungen, was
man nur billigen kann, jedoch ohne Benützung der Abschrift von O
durch W. Studeraund, worüber man sich wundern muß. Neues
von Belang wird dabei nirgends geboten.
In der Behandlung der Theognisfrage ist besonders Harrison
sehr breit, selbst da, wo er nichts Neues zu sagen hat. Ich will
mich bei der Berichterstattung auf das beschränken, was entweder
neu ist oder der endgültigen Entscheidung näher gebracht wird.
9*
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132 Jahresbericht über die griechischen Lyriker. (Sitzler.)
Daher erwähne ich nur kurz , daß H a r r i s o n und Williams an
dem nisäischcn Megara als Heimat des Dichters festhalten, während
Wendorff im Anschluß an Bei och für das sizilische eintritt, daß
Wendorff und Williams hinsichtlich der Lebenszeit bei der
Überlieferung stehen bleiben, während Harri son das Leben des
Theognis bis zum Jahre 480 v. Chr. sich erstrecken läßt, und daß
auch K. Joel, Der echte und der xenoph onti sehe Sokrates.
Berlin 1901, Bd. II, Teil 1, S. 849, die bei Stobäus genannte Schrift
des Xenophon über Theognis dem Antisthenes zuschreibt; jedoch
hätte Williams die V. 773 f. nicht mit Kyros' Angriffen auf die
asiatischen Griechen in Verbindung bringen sollen, vgl. auch E. Meyer,
Geschichte des Altertums Bd. III, erste Hälfte, S. 368.
Allein unter allen Theognis-Forschern steht Harri son, der die
Ansicht vertritt, daß der Dichter alle oder doch nahezu alle Verse
geschrieben habe, die unter seinem Namen vorhanden seien. Da
sich nun aber in unserer Sammlung unleugbar viel fremdes Eigentum
findet, Wiederholungen früherer Verse an späteren Stellen nicht selten
sind und öfters auch Verse vorkommen, die im Gegensatz zu den
vorhergehenden stehen oder überhaupt irgendein Urteil über sie ab-
geben, so schreibt er auch alle diese Verse dem Theognis zu, der
sie den Werken älterer Dichter oder auch seinem eigenen entnommen
habe, um sie an passender Stelle zu verwenden oder wieder zu ver-
wenden, teils unverändert, teils mehr oder weniger abgeändert, dem
neuen Zusammenhang entsprechend. Um die Berechtigung dieses
Vorgebens darzutun, beruft er sich auf das bekannte Gedicht des
Solon an Mimnermos (20). das doch ganz anderer Art ist, sowie auf
Clem. Alex, ström. IV p. 740, wo gesagt wird, daß Theognis die
V. 153 — 154 aus Solonischen abgeändert habe, eine Stelle, die ihn
hätte darauf hinweisen können, daß die von ihm vorausgesetzte Be-
nützung anderer Dichter durch Theognis den alten Schriftstellern
sicherlich nicht entgangen wäre. Ja, auch die Verse 769 f. will er
für sich verwerten, indem er iroieTv von den Gedichten versteht, die
wenig oder nichts von älteren Dichtern entlehnten, fi&a&ai und
Öeixvuvat dagegen von denen, in denen ältere Vorlagen zur Ver-
wendung kamen, und zwar soll p&oftai auf die Anpassung an den
neuen Zusammenhang, 8etxv6vat auf die Klarlegung des Gedankens
gehen. Aber trotz alledem muß er zugestehen, daß das lange Gedicht
903 f. ein späterer Zusatz ist, und damit selbst seiner Hypothese
das Urteil sprechen; denn die zweifellose Einschiebung eines so
umfangreichen Gedichts macht auch die Einschiebung der unter fremden
Namen überlieferten Gedichte der Sammlung zweifellos, und damit
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Jahresbericht über die griechischen Lyriker. (Sitzler.) 133
anch die vieler anderen Verse wahrscheinlich. So kann auch fortan
kein Gedicht der Sammlung ohne Beweis für theognideisch angesehen
werden. Nicht glücklicher ist Harrison mit seiner Beurteilung
der Gedichte, die er alle für vollständig hält, abgesehen von fünf,
nämlich 563—6, 857—60, 895—6, 971-2 und 1063-8. Die
Sammlung ist nach ihm nicht für Schulzwecke bestimmt, und die
a^pr^tc besteht in der Nennung des Namens Theognis. Vgl. auch,
was Williams am Schlüsse seines Aufsatzes gegen Harrison
ausführt.
Daß die auf uns gekommene Sammlung nicht der ursprüngliche
Theognis ist, darüber kann kein Zweifel herrschen; die Frage ist
nur, wie man sich die Entstehung dieser Sammlung zu denken hat.
Wendorff nimmt an, daß sie sich aus der ursprünglichen durch
Auslassungen, Zusätze und Umgestaltungen jeder Art allmählich heraus-
gebildet habe, und auch ich teilte früher diese Ansicht, nur daß
ich die Veränderung aus dem Gebrauche des Theognis beim Unter-
richt herleitete, während sie Wendorff der Verwendung des Buches
beim Gelage zuschreibt, da er mit lt. Keitzenstein der Meinung
ist . daß nicht nur unsere Sammlung , sondern auch das echte Buch
von Theognis selbst für Gelagezwecke bestimmt gewesen sei, vgl.
darüber den Jahresber. Bd. 92, S. 21 f. Diese Ansicht über die
Entstehung unserer Theognis-Samralung läßt sich aber nicht aufrecht
erhalten ; denn sie erklärt weder die Form , in der die in der
Sammlung wiederholten Verse überliefert werden, noch die Stelle,
die sie darin einnehmen. Die wiederholten Verse, im ganzen 48,
stimmen nämlich im Wortlaut mit den ursprünglichen nicht überein,
sondern weichen von ihnen zum Teil erheblich ab, ohne daß sich
ein Grund für die Abänderung erkennen läßt; außerdem finden sich
42 davon in den letzten 200 Versen der Sammlung, während auf
den vorhergehenden Teil nur sechs kommen; endlich ist zwar die
Wiederholung dieser sechs Verse im Zusammenhang der betreffenden
Stellen begründet, nicht aber die der meisten jener 42 Verse. Diese
Tatsachen machen, wie mir jetzt scheint, die Annahme einer zweiten
Sammlung nötig, die teilweise dieselben Verse wie die erste, aber
in verschiedener Rezension enthielt. Beide wurden dann zu einer
Sammlung vereinigt, und der Überschüssige Rest der zweiten wurde
als Schluß der neuen Sammlung angehängt. Nach diesem Schluß
zu urteilen, war die zweite Sammlung nach Form und Inhalt von
der ersten sehr verschieden; der Wortlaut war mehr oder weniger
stark geändert, manche Stücke völlig umgearbeitet, neue Distichen
nach dem Muster alter und unter Benützung vorhandener Verse bei-
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134 Jahresbericht über die griechischen Lyriker. (Sitzler.)
gefügt, wie z. B. 1039—40 und 1069—70, 1153—4 und 1155—6,
1095 — 6 und 1160 ab, 1105 und 1164g, Wein, Liebe, besonders
auch Knabenliebe waren darin verherrlicht. Man darf daher an-
nehmen, daß die in diese Gebiete einschlagenden Verse des voraus-
liegenden Teils unserer Sammlung ebenfalls aus der zweiten Sammlung
stammen, besonders auch 237 f. Aber ich glaube, man darf noch
weiter gehen und die Vermutung aussprechen , daß die Sammlung
iXr^euüv ß aus dieser zweiten Sammlung ausgezogen ist; denn es
finden sich darin vier Disticha (1151—2 nach 1238, 1101 — 2 und
949-50 nach 1278 und 1107 — 8 nach 1318), die mit solchen der
zweiten Sammlung wörtlich übereinstimmen ; die Abweichung in 1 108
kann nämlich kaum in Betracht kommen.
Die Entstehung unserer Sammlung aus zwei Sammlungen nimmt
auch Williams an, der gegen das Stichwort-Prinzip vielleicht zu
stark zu Felde zieht ; denn ganz ableugnen läßt sich seine Anwendung
ja doch nicht. Er glaubt, daß die V. 1 — 254 eine kleine Sammlung
für sich sind, womit freilich für die Erklärung der ganzen Sammlung
nichts gewonnen ist Tiefer geht Heinemann, der auf Grund ein-
gehender Würdigung der Wiederholungen zwei heterogene Bestandteile
unserer Sammlung annimmt, nämlich die in Originalversen mitgeteilten
Gedichte des Theognis und eine Bearbeitung ausgewählter Distichen
der verschiedensten Elegiker, Theognis mit inbegriffen, für alle Freunde
vaterländischer Dichtung zusammengestellt. Diese letztere leidet nach
ihm an groben Fehlem, die er der zeitweiligen mündlichen Über-
lieferung der in ihr zusammengefaßten Gedichte zuschreibt. Noch
weniger als die mündliche Fortpflanzung wird man die Vermutung
billigen, daß der Redaktor, der die zwei Bücher unter dem Namen
Theognis verband , die verschiedenen Versionen der wiederholten
Verse stets durch Zwischenräume von mindestens 100 Versen von-
einander trennte, damit nicht gleich jedermann beim ersten Durchlesen
die Blöße seines Werkes ins Auge falle; denn diesen Zweck hätte
er doch durch einfaches Weglassen der Wiederholungen viel sicherer
erreicht. Die Entstehungszeit der Sammlung setzt Heine mann
zwischen Aristoteles und Stobäus. Wilamowitz, Textgeschichte
der griech. Lyriker, S. 58 f., sagt, daß unser Theognis „nichts anderes
sei als zunächst das mannigfach vermehrte und veränderte Buch des
Theognis von Megara, das Piaton und Xenophon gekannt haben, ein
Buch, das doch auch nicht der Dichter selbst geordnet hatte —
verträgt sich dies mit V. 19 f.? — , sondern eine Sammlung, wie sie
die Grundlagen für die Ausgaben des Anakreon oder Alkaios ge-
wesen <ein werden; dann ein anderes Buch ähnlicher Art, vieler
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Jahresbericht über die griechischen Lyriker. (Sitzler.) 135
Dichter, auch des Theognis, Sprüche umfassend, oft zu moralischem
Zwecke umgeformt, darunter Erzeugnisse der Sophistenzeit, endlich
die reizvolle (?) jxooaa iraiSix^ des zweiten Buches, Trinksprüche,
die so recht dem Leben des frühen fünften Jahrhunderts entsprechen",
ein aus diesen disparaten Stücken zusammengewachsenes o^^vr^a,
das einem Athener des vierten Jahrhunderts die rezitative Poesie
lieferte, die er beim Weine brauchte, zur Begleitung der Flöten-
spielerin.
Kritische und exegetische Beiträge liefern
1. J. L., Quelques corrections au texte de Theogni s.
Rev. de Piniol. 1901, S. 45 f. [V. 310 f., 359, 729, 846, 903,
1032, 1194].;
2. H. Röhl, Zu griechischen Texten. Progr. Halber-
stadt 1908. [S. 16: V. 118, 1063];
3. R. El Iis in Proceedings of the Oxford Philol. Society
1004, 25. Febr. [V. 894, 897 f., 1085];
4. R. C. Kukula, Theognidea. Wiener Studien 1904,
S. 338 f. [V. 729 f., 1259 f.];
jedoch ist der wirkliche Ertrag gering. Ich erwähne 846, wo J. L.
su 0£usvott Zh xaxföv xstjxsvov, sc. avöpct. vorschlägt, 1194, wo er
cuvov 7', zl dxfojpov xtX. liest unter Verweis auf Parmenides fr. 14
(Mull.): covov 8£ (xot laxtv, b-nittbzv opccojiat, und 1260, wo Kukula
d-voituv Torheiten, Fehler" st. ct7v<o}i<ov vermutet, indem er bemerkt:
„Das Bild ist zweifellos vom Agon entlehnt; aber an Stelle des
, Tugendkranzes4 ist ein ,Kranz der Untugenden4 getreten."
Die Verwendung des Theognis im Unterricht bespricht
G. S. Castagnola, Un poeta gnomico nella tradi-
zione educativa. Catania 1899,
ohne jedoch auf die Theognis-Frage einzugehen. Das erste Kapitel
behandelt die Erziehung bei den Griechen, die einen den praktischen
Zwecken angepaßten Auszug aus dem echten Theognis gebrauchten,
der infolge der Aufnahme von Versen anderer Dichter zu einer
Anthologie griechischer Elegiker wurde. Den Einfluß und die Spuren
dieser Sammlung in der römischen Schule und Erziehung verfolgt
das zweite Kapitel, während das dritte Kapitel nachweist, daß Theognis
im Mittelalter verschwunden war.
Eine Beziehung des Theognis zu denSophisten glaubt
R. Reitzenstein, Literarhistorische Kleinig-
keiten. Philologus 1898. S. 45 f.,
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136 Jahresbericht über die griechischen Lyriker. (Sitzler.)
zu entdecken. Da nämlich bei Theognis 43 f. und Herodot III, 80
die Reihenfolge atotoif, ^ovo? sy^uXos, txovapxoc vorkommt, so folgert
er, daß beide dieselbe Quelle benutzten, und auf diese "Quelle gehe
auch die sophistische Schrift irept eovotuac, von der noch ein Fragment
vorhanden sei, zurück. Theognis wende sich ebenso wie der Ver-
fasser dieser Schrift gegen einen älteren ionischen Schriftsteller, der
nicht lange nach der Vertreibung der Tyrannen durch die Perser
und der Einführung der minder verdächtigen Demokratien in Ionien
für die Tyrannis eingetreten sei. Spricht schon diese Zeitbestimmung
gegen die Berücksichtigung der Schrift durch Theognis, so noch
mehr die Tatsache, daß der megarische Dichter die wirklichen Ver-
hältnisse seiner Vaterstadt im Auge hat, nicht die Bekämpfung irgend-
welcher theoretischen Streitfragen, ganz abgesehen davon, daß eine
so natürliche Reihenfolge wie ataatc, »ovo; sjicpu/.o; und {i6vapyo%
solche Schlüsse nicht stützen kann.
Auf das Verhältnis des Euripides zu Theognis hat
früher schon F. Hofiuger kurz hingewiesen, vgl. Jahresber. Bd. 104,
S. 90; jetzt behandelt es ausführlich
W. Nestle (S. o.),
der zeigt, daß außer jenen unbewußten Reminiszenzen bei Euripides
auch wirkliche Nachahmungen vorhanden sind. Beide Dichter
heben hervor, wie schwierig es ist, den Sinn der Menschen zu er-
kennen (vgl. Th. 119 f., Eur. Med. 516 f., El. 550, Her. 669 f.,
Hippol. 925 f.), wie oft die Gerechten unglücklich, die Frevler glücklich
sind (vgl. Th. 743 und Eur. Belleroph. fr. 286, 293, Phrix. fr. 832),
wie die Sünden der Väter sich an den Kindern rächen (vgl. Th. 731 f.,
Eur. Hipp. 1329 f.), wie die Menschen nur die Werkzeuge in der
Hand der Götter sind (vgl. Th. 133 f., Eur. Hik. 734 f., El. 830 f. ).
wie der Umgang den Charakter beeinflußt (vgl. Th. 31 f. Eur.
Androm. 683 1., Ägeus fr. 7, Bell. fr. 296, Pel. 609, Phoin. 812,
1067, 1024), wie hoch die dpsnj über dem Reichtum steht (vgl.
Th. 317, Eurip. El. 941), da man sie einem nicht nehmen kann, ja
sie sogar den Tod überdauert (vgl. Th. 867, Eur. Temen, fr. 867),
wie natürlich der Haß der Feinde und die Freude über ihre Be-
siegung ist (vgl. Th. 327 f., Eur. Her. 732 f., Herakl. 881 f., Bakch.
877 f.), wie es das beste sei, nicht geboren zu sein, das zweitbeste
aber, möglichst frühe zu sterben (vgl. Th. 425 [Hes. cert. 74 f.,
Bakch. fr. 2, Soph. Öd. Col. 1224], Eur. Bell. fr. 285. 1. 908), wie
die Hoffnung den Menschen durch das Leben hindurchhilft (vgl.
Th. 1135, Eur. Ino fr. 408, Hypsip. fr. 761, Phoin. fr. 826). Theognis
und Euripides fühlen sich als Dichter, vgl. Th. 789 f.. Eur. Her. 674 f.,
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Jahresbericht über die griechischen Lyriker. (Sitzler.)
137
fr. 910. Aber es besteht auch ein Unterschied zwischen beiden ;
Theognis hält edle Gesinnung und edle Geburt für zusammenfallende
DiDge, während Euripides von dem Geburtsadel nicht viel wissen
will, vgl. Dikt. fr. 336, Alex. fr. 52, El. 367 f.
Sophokles.
Th. Gomperz, Herodote et Sophocle. Mölanges Henri
Weil. Paris 1898, S. 141 f., ergänzt im fünften Fragm. ir£vr im
irevrqxovft' (kzdxiz iTrca^tei), indem er ungenaue Ausdrucksweise an-
nimmt, da nach Pamphilas Angabe der Altersunterschied zwischen
Sophokles und Herodot zwölf Jahre betrug. Geistreich, aber ohne
sichere Gewähr, weil auch andere Ergänzungen möglich sind.
Jon.
Th. Reinach, Un fragment d'Jon de Chios. Rev. des
Stüdes gr. 1901, S. 8 f., vermutet fr. 3, 2 tu>v aufKptovoua&v dpjj.oviÄv
xpioSoo? „trident de tetrachordes consonnants entre euxu. Einfacher
ändert Wilamowitz, Hermes 19C2, S. 305 f., ta? aujicptovouaac
in efc a., „die du für die symphonischen Dreiwege der Harmonie
eine zehnstufige Ordnung hast" ; die Anlage von zehn Intervallen
ermöglicht drei Tetrachorde. Aber das äolische e^oua hätte er bei
Jon nicht verteidigen sollen.
K r i t i a s.
W. Nestle, Kritias. N. Jahrb. f. klass. Altert. 1903,
S. 94 f.. spricht über die Elegien des Kritias, als dessen Vorbilder
auf dem Gebiet der politischen Elegie er Solon und Theognis be-
trachtet. Fragment 1 über die Erfindungen führt er auf Protagoras
rspt twv iv dpfä xaiaaiaSEcov zurück.
A n t i in a c h o s.
E. Roh de, Der g riech. Roman2, S. 77 f., bezeichnet den
Antimachos mit Rücksicht auf seine Lyde als den eigentlichen Be-
gründer jener Kunst einer lyrischen Erzählung, richtiger vielleicht,
einer erzählten Lyrik, wie sie, im vollen Gegensatz zum reinen Epos
der alten Zeit, von den alexandrinischen Dichtern eifrig ausgebildet
wurde. Die Richtigkeit dieses Urteils prüft
E. Romagnoli, L'elegia alessandrina prima di
Callimaco. Atene e Roma 1899, S. 177 f.,
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1
138 Jahresbericht über die griechischen Lyriker. (Sitzler )
nach. Dabei gelangt er zu dem Ergebnis, daß unser Dichter die
mythischen Stoffe nur wegen ihrer Seltenheit und Entlegenheit, nicht
wegen ihres erotischen Charakters ausgewählt habe; sein Verdienst
bestehe also nur darin, weniger bekannte Mythen in Distichen dar-
gestellt zu haben, und insofern deute er zwar auf die alexandrinische
Zeit hin, sei aber kein Vorgänger der Alexandriner, da er im
klassischen Fahrwasser bleibe. Zum Beweise beruft er sich auf
Plut. consol. ad Apoll. S. 106 B, eine Stelle, aus der doch im
Zusammenhang hervorgeht, daß Antimachos die Liebesleiden anderer
besang, und dasselbe folgt aus Hermesian. fr. 2, 41 f., wo mau -pwv
mit dem Verfasser nicht von den Klagen des Dichters verstehen darf,
sondern von den Klagen derer, die er darstellte. Wenn die erotische
Seite in den erhaltenen Fragmenten nicht so stark hervortritt, wie
man vielleicht erwartet, so darf man nicht vergessen, daß wir nur
spärliche Überreste besitzen, die uns über die Art der Behandlung
der Sagen keinen Aufschluß geben. Ebensowenig läßt sich angesichts
der Überlieferung der Einfluß der Lyde auf die Alexandriner in
Abrede stellen, den ja schon die Elegie Leontion des Hermesianax
bezeugt. So wird Roh de recht behalten, der übrigens die Be-
deutung des Philetas für die Alexandriner so wenig wie der Ver-
fasser verkennt; denn er nennt ihn den eigentlichen Archeget der
spezifisch hellenistischen Dichtung.
Piaton.
D. Fava, Gli epigrammi di Piatone (testo, varianti,
versione) preceduti da uno studio sull' autenticita di
essi. Milano 1901.
Der Verfasser untersucht, von der im Jahre 1834 erschienenen
Abhandlung Wernikes ausgehend, die Frage nach der Echtheit
der dem Piaton zugeschriebenen Epigramme. Das Ergebnis stimmt
mit dem früherer Forscher überein , nämlich alle Epigramme seien
dem Piaton abzusprechen ; daß eine solche Kritik zu weit geht, habe
ich im Jahresber. Bd. 92, S. 32, dargelegt. Auch die Erklärung,
die der Verfasser für die Zuweisung von Epigrammen an den
Philosophen anführt, genügt nicht; er meint nämlich, in der zweiten
Hälfte des dritten Jahrhunderts habe ein Rhetor, um Piaton in
ein schlimmes Licht zu setzen, unter seinem Namen Epigramme,
welche die natürliche und unnatürliche Liebe verherrlichen, verbreitet.
Aber selbst, wenn man diese gewiß nicht sehr wahrscheinliche
Hypothese gelten läßt, muß man nach dem Grunde fragen, warum
Piaton die nicht erotischen Epigramme, die ja viel zahlreicher sind,
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Jahresbericht über die griechischen Lyriker. (Sitzler.) 139
zugeschrieben wurden , und darauf erhält man von dem Verfasser
keine Antwort. Der Text der Epigramme ist von einem kritischen
Apparat und einer italienischen Übersetzung begleitet.
P h i 1 i s k o s.
E. Drerup, De Philisci in honorem Lysiae epi-
grammate. Musöe beige 1899, S. 206 f., will aus Ps.-Plut. X.
orat vitae p. 836 C schließen , Isokrates sei in dem Gedicht des
Philiskos so erwähnt gewesen, daß man ihn für jünger als Lysias
habe halten müssen. Dies ist unrichtig; der Schreiber folgert aus
der Tatsache, daß Philiskos, der 'ItjoxpdTOu? \ikv piopiuo?, itaipo;
Aoafou war, den Nachruf auf den verstorbenen Lysias verfaßte, daß
dieser älter als Isokrates war. Aber auch die Vermutungen zu V. 5 f.
an und für sich: 'laoxpat/;? x^puxa rXsxot tivä Auata ujxvov, $oVra
xXe'oc Xajxitpiv xal aocp<j5 dOavaxov sind nicht zu billigen ; denn nach
Ps.-Plutarch schreibt Philiskos, nicht Isokrates, den Hymnos, worauf
auch die Anrede in V. 1 f. hindeutet ; sodann sind die Änderungen
willkürlich und gewaltsam, und die Redensart Sovta xXeo; vom Hymnos
ungewöhnlich. Ich lese, indem ich nach V. 4 keine Lücke annehme,
sondern mit S a 1 m a s i u s und anderen V. 8 xij> -j-dtp . . . }Ae8ap|Aoa&£vTt,
jedoch V. 4 Itepov in e-raptp (vgl. Ps.-Plut. itaipo; 5& Aoiiou) ändere,
in V. 6 SuvTot xaTayötjjivcov xd? (oder xefc) Co<pov, d&avaxov und in
V. 7 67roiov st. ctaaaiv, um das Zusammentreffen von ät-naaiv und iraai
(V. 8) zu vermeiden: die Phrontis soll zu Ehren des verstorbenen
Lysias einen Hymnos schaffen, der sogar hinab in das Dunkel des
Hades dringt und unsterblich ist, also überall und immer ertönt.
[Demosthenes.]
Das in Demosthenes' Kranzrede § 289 eingelegte Epigramm
auf die bei Chäroneia Gefallenen behandelt
R. Peppmüller, Zu Demosthenes de Corona 289.
Philologus 1899, S. 469 f.
Er nimmt mit Recht an, daß es nicht gefälscht, sondern vom Original
abgeschrieben sei, vgl. Jahresber. Bd. 75, S. 143 f.: aber manches
sei auf dem Steine unleserlich gewesen, und das habe der, welcher
das Epigramm abschrieb und in die Rede einschob, auf eigene Faust
hergestellt; so sei V. 5 tiij iirl £o*(bv aty^vi (Hvxec st. cü>? jjlyj Coyov
xxX. und V. 8 mit Polyb. V, 10, ocrr£' st. acojiat zu lesen, das
letztere gut, das erstere kaum nötig, weil betvai hier poetisch den
Sinn des Kompositums im&etvai hat.
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140 Jahresbericht über die griechischen Lyriker. (Sitzler.)
Äschrion.
Dem Äschrion weist
W. Headlam, On Herodas. Class. Rev. 1899, S. 151 f.,
die Fragmente bei Cramer Anecdot. II, 371. 480. 488 zu, nämlich
vom Salamander: C<j>ov Iv itopi crxaTpov, ferner r,v voxtec ^apt'Covrar
voxtepivai aoujiaTtuv auvouctfau eine Zuweisung, die natürlich unsicher
bleibt.
Philetas.
Über den Namen spricht
W. Crönert, Philitas von Kos. Hermes 1902, S. 212 f.,
der Philitas als richtige Form verlangt, worin ihm Wilamowitz
in seiner griechischen Literaturgeschichte gefolgt ist. Doch ist die
Sache meiner Meinung nach noch nicht sicher ; denn die Überlieferung
schwankt zwischen Philetas, Philitas und Phileitas, und aus ursprüng-
lichem Philetas konnte infolge des Itazismus ebensogut Philitas und
Phileitas werden wie umgekehrt. Die Schreibart bei den römischen
Dichtern scheint mehr für Philetas zu sprechen, und die Auffindung
des Namens Philitas auf einer koischen Inschrift entscheidet die
Frage auch noch nicht, weil beide Namen nebeneinander möglich
sind, wie z. B. Onites neben Onetes, Komitas neben Kometas.
Philetas ist gebildet wie Kometas, Niketas, Onatas ; das Appellativuni
yikrtxfti steht Anth. Pal. V, 270. Auch ist die Bildung keine späte,
wie Onatas zeigt.
Die Dichtkunst des Philetas nach Form und Inhalt würdigt
E. Romagnoli, L'elegia alessandrina prima di
Calümaco. Atene e Roma 1899, S. 177 f.
Er schreibt ihm das Verdienst zu , in die alten Sagen die neuen
Liebesgeschichten eingeflochten zu haben , und leugnet damit seine
Beeinflussung durch Antimachos, mit Unrecht , wie ich bei der Be-
sprechung des letztgenannten hervorhob, wenn ich auch gerne zugebe,
daß er auf der von seinem Vorgänger eingeschlagenen Bahn viel
weiter gegangen ist. Mit Recht betont er, wenn auch nicht zuerst,
seine Vorliebe für das Wunderbare und Entlegene, sowie die durch
ihn erfolgte Einführung des bukolischen Elementes in die Elegie.
Auch darin bin ich mit ihm einverstanden, daß die Poesie des
Philetas nicht nur das Erzeugnis mühseliger Anstrengung ist, wie
Couat meint, sondern auch einer namhaften poetischen Begabung,
die es ihm ermöglichte, einer der ersten oder geradezu der erste
unter den gelehrten alexandrinischen Dichtern zu werden. Ob er
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Jahresbericht über die griechischen Lyriker. (Sitzler.) 141
jedoch neben Büchern auch noch andere direkte Quellen benützte,
um seine Stoffe daraus zu schöpfen, wie der Verfasser annimmt, er-
scheint mir zweifelhaft. In der Darlegung der Metrik und der Sprache
des Philetas folgt der Verfasser Couat, und er hätte auch hin-
sichtlich der metrischen Form des Hermes nicht von ihm abweichen
und die Abfassung dieses Gedichtes in daktylischen Hexametern nicht
bezweifeln sollen. Der Hermes ist ein Epyllion , wie sie bei den
Alexandrinern nicht selten sind, vgl. J. Heumann, De epyllio
Alexandrin o. Diss. Lips. 1904. Zum Schlüsse bemerke ich
noch kurz, daß K. K u i p e r in dem Album gratulatorium in honorem
H. v. Herwerden, Utrecht 1902 über den Hermes des Philetas handelt.
II e r m e s i a n a x.
Mit der Erklärung und Verbesserung des bei Athen. XIII,
597 erhaltenen fr. 2 (Bergk), 3 (Härtung) beschäftigen sich
1. W. Headlam, Journal of Philology 1898, S. 94 f.
2. A. Lud wich, Coniectaneorum in Athenaeum
fasc. UjHermesianactisfragmentumcontinens. Königs-
berg 1902.
Von den Vorschlägen des letzteren Gelehrten erwähne ich V. 4
dx6prl\> st. dxorjv, 28 ex«>v Ö' st. k%6vb\ 25 Tra'aac 8' iXl^tov st. Ih
Xöpov, 55 to hi vo jitov st. to ok fiuptov, 82 jao*xö«>v st. {a6Öu>v,
96 aty' töavijc st. die' töav9j?, von denen des ersteren 66 ap^eutov st.
afyetav; aber V. 8, wo Lud wich iravTot'ou? in irav Sotob? ändert,
ist eher iccrptotTotc zu lesen.
Eine Würdigung des Hermesianax als Dichter gibt
E. Romagnoli, L'elegia alessandrina prima di
Callimaco. Atene e Roma 1899, S. 177 f.
Er schätzt seine Phantasie, sein plastisches Talent und seinen
Geschmack ziemlich niedrig ein, schlägt aber seine Bedeutung für
die Entwicklung der Elegie hoch an, weil er zuerst seine Poesie
vom Mythos frei gemacht habe, wenn er auch seine Hauptpersonen
noch zum Teil von den alten Heroen abstammen lasse, um so den
Zusammenhang mit den Klassikern herzustellen. Ich glaube, daß
der Verfasser mit dieser Annahme zu weit geht; Hermesianax be-
handelt allerdings nicht die alten Sagen, aber er setzt an ihre Stelle
nur andere Sagen und Erzählungen, die den Reiz der Neuheit
haben, und schreitet so auf dem von Philetas betretenen Weg
weiter, ohne sich in der Art der gewählten Stoffe wesentlich von
ihm zu unterscheiden. Von dem Mythos und der Sage hat sich die
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142 Jahresbericht über die griechischen Lyriker. (Sitzler.)
alexandrinische Elegie nie freigemacht, nur hat sie immer entlegenere
und gelehrtere Sagen gesucht.
Alexander Ätolus.
U. v. Wilamowitz, Lesefrüchte. Hermes 1902, S. o03,
behandelt das bei Macrob. saturn. V, 22, erhaltene Fragment der
Musen, fr. 2 (Bergk und Härtung). V. 4 vermutet er afpcuv (st. spijv),
indem er erklärt: „als das Volk in der Lage ist, 1000 Schekel,
Dareiken, zu erheben, beschließt man, den ausgezeichneten Dichter
zur Abfassung eines Kultliedes zu bestimmen". Daß in ep^v ein
Partizip steckt, ist gewiß richtig, aber afpeiv wird sich kaum in der
hier verlangten Bedeutung finden. Man braucht ein Kompositum des
seltenen ipa<o, also aovep&v = aujx^ptov; der Ausfall von tjv nach
Xpoaefatv kann nicht auffallen.
Über die poetischen Verdienste des Alexander spricht
E. Romagnoli a. a. 0.
Er wirft ihm vollständigen Mangel nicht nur des poetischen Gefühls,
sondern auch des guten Geschmacks vor, und beides mag für uns
zutreffen. Um jedoch den alten Dichtern und Schriftstellern gerecht
zu werden, dürfen wir sie nicht allein mit unserem Maßstabe be-
messen, sondern müssen auch das Urteil ihrer Zeitgenossen über sie
berücksichtigen, und das war für Ätolus entschieden günstiger. Was
der Verfasser an ihm besonders verurteilt, nämlich daß er in seinem
„Apollon" die Geschichten dem Gotte selbst in den Mund legt, galt
zu seiner Zeit gewiß für einen Vorzug; Lykophron mit seiner
„Alexandra" war ihm darin vorangegangen.
Höher schätzt E. Romagnoli a. a. 0. den
P h a n o k 1 e s
ein, dem er Phantasie, Erfindungsgabe und anziehende Darstellungs-
weise zuerkennt, aber das dramatische Talent, die Fähigkeit, die
Gestalten plastisch vor Augen treten zu lassen, abspricht, beides im
Anschluß an Couat. Aber auf eine Frage ist der Verfasser bei
seiner Übersicht über die alexandrinische Elegie von Kallimachos
nicht eingegangen, die jetzt eine große Rolle spielt, nämlich wie sie
sich zur römischen Elegie verhält; über die Beziehung zwischen
der griechischen und römischen Liebeselegie einige
Worte.
Fr. Leo hat in seinen „Plautinischen Forschungen" 1895 die
Ansicht ausgesprochen, daß die römischen Elegiker nicht unmittelbar
aus den attischen bzw. aus <Jpn auf ihnen beruhenden römischen
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Jahresbericht über die griechischen Lyriker. (Sitzler.) 143
Komödien geschöpft haben, sondern nur mittelbar infolge ihrer Be-
nützung der alexandrinischen Elegie, die Liebesszenen der attischen
und neuen Komödie nachgeahmt habe, vgl. auch Gött. Gel. Anz. 1898,
S. 47 f. 722 f. Rhein. Museum 1900, S. 604 f. Rom. Literatur 1905,
S. 349. Der Gedanke wurde von anderen weiter ausgeführt, so von
Fr. Wilhelm in der Satura Viadrina 1896 und im
Philologus 1901, S. 579 f.
V. Hölzer, De poesi amatoria a comicis Atticis
exculta, ab elegiacis imitatione expressa. Diss.
Marburg 1899.
R. Bürger, De Ovidi carminuin amatoriorum in-
ventione et arte. Diss. Wolfenbüttel 1901.
Wenn wir aber die alexandrinische Liebeselegie, soweit sie uns
aus den Überresten und der Überlieferung bekannt ist, mit der
römischen Elegie vergleichen, so zeigt sich ein großer Unterschied;
sie zeigt keine Spur von der subjektiven Erotik der Römer, sondem
beschränkt sich in der Hauptsache auf Liebesgeschichten aus Mythos
und Sage, wozu Phanokles noch die Knabenliebe hinzufügt. Eine
Abhängigkeit von der Komödie läßt sich nirgends nachweisen, und
die Berührung der römischen Elegie mit ihr beschränkt sich auf die
Einflechtung von Mythen, die jedoch hier nur Ausschmückung und
gelehrtes Beiwerk, nicht die Hauptsache wie bei den Alexandrinern
ist, oder auf die Beimischung eines bukolischen Elementes.
Die Übereinstimmung zwischen der römischen Elegie und der
griechischen Komödie auf dem Gebiet der subjektiven Erotik kann
also nicht aus der alexandrinischen Liebeselegie abgeleitet werden ;
ebensowenig kann sie aber, wie Leo richtig gesehen hat, auf direkter
Benützung beruhen. Das Bindeglied ist das griechische Epigramm,
das die Liebesmotive der Komödie aufnahm und nach allen Seiten
hin weiter ausgestaltete; aus ihm schöpften die römischen Elegiker.
Dies führt weiter aus F. Jacob y, Zur Entstehung der
römischen Elegie. Rhein. Museum 1905, S. 88 f.; vgl. auch
U. v. Wilamowitz, Griech. Literatur 1905, S. 140.
Archelaos.
Zwei neue Fragmente des Archelaos wurden im cod. Vatic. 1087,
S. 300 f. unter den 'Aoreptau-ol (lexa -r^ ipjiTjveia; xal ?<Kop(a? ent-
deckt, wo zu Nr. XXXIV irepl toö Aa-^tuoD am Schlüsse die Worte
beigefügt sind : xbv a&TOv Tptaov xal Äp^IXao? lv toi? Idtocpueai
Tautet Ö7)/>ot\ und zu Nr. XLI itspt toO "Vopou, &p' <o Kpaxr(p xal
•
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144 Jahresbericht über die griechischen Lyriker. (Sitzler.)
Kopac ähnlich: xai *Apj(lXaoc b£ ^tjGiv 6}iQia>? 4v toi? 'loio^^aiv,
vgl. A. Rehm, Eratosthenis catasterismorum fragmenta Vaticana.
Progr. Ansbach 1899, S. 12 und 15 und E. Maaß, Commentariorum
in Aratuni reliquiae, Berlin 1898, S. 254 und 267. 580. Vgl. auch
noch S. 79, 6. 7 Adn. zu Achillis fr. 6, wo Maaß bemerkt, daß
Archelaos auch noch an anderen Stellen in den Arat-Kommentaren
erwähnt gewesen sei.
Kalli machos.
Eine neue Hs. des Kallimachos bespricht
U. v. Wilamowitz, Eine Handschrift des Kalli-
machos. Herraes 1901, S. 309.
Sie ist als cod. Perusinus scr. 23, Nr. 57, bezeichnet, und eine
sorgfältige Vergleichung von ihr fand sich im Nachlasse T y c h o
Mommsens. Da sie aber, wie sich herausgestellt hat, nur eine
Abschrift der editio prineeps ist, so ist sie ohne Wert.
Zur Kritik und Erklärung der Gedichte tragen bei
1. G. Wörpel, Eine Anspielung in dem Zeus-
hymnus des Kallimachos. Rhein. Museum 1902, S. 460 f.
[V. 79 f.]
2. C. Cessi,Spigolaturealessandrine,lI, Callimaco I,
78 — 80. In Memoria di Oddone Ravenna. Padova 1904.
3. 0. A. Danielsson, Callimachea. Eranos. Acta
phil. Suecana edenda curavit W. Lund ström IV. Upsala 1900
bis 1902, S. 77 f. [Konjekturen zu Hymn. 2—6.]
4. L. Radermacher, Griechischer Sprachgebrauch.
Philologus 1901, S. 500 f. [Hymn. Apoll. 97 f.]
5. G. Wörpel, TextkritischeszumArtemishymnus
des Kallimachos. Wochenschr. f. klass. Piniol. 1902, Nr. 15,
S. 420 f.
6. G. Kaibel, Sepulcralia. Hermes 1900, S. 567.
[Epigr. 28.]
7. W. G. Headlam, Various conjectures. Journal
of Philology 1898, S. 909. [Fr. 808, Epigr. 28.]
8. U. v. Wilamowitz, Lesefrüchte. Herraes 1902,
S. 314 [fr. 536. 525], 327 [fr. 481].
Daraus führe ich folgendes an: Wörpel erkennt zwar an, daß
h. I, 79 f., allgemein gehalten ist, meint aber doch, daß der Dichter
dabei den Philadelphos, den besonderen Liebling des Zeus, im Auge
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Jahresbericht über die griechischen Lyriker. (Sitzler.) 145
hatte, und daß auch die Leser bzw. Hörer an diesen denken mußten;
daraus schließt er, daß unser Hymnus nicht viel nach 270 abgefaßt
ist. Ich halte mit Vahlen, Susemihl ü. a. diese Beziehung
für irrig und demnach auch die daraus abgeleitete Abfassungszeit.
Danielsson vermutet h. HI, 218, gut Iiu'xXtjtov st. i7rtx\irrQi;
IV, 180 f., weist er mit Recht darauf hin, daß aus den Worten
Ttapä tpt7i68eaaiv ijieto „bei meinem Heiligtum" nicht geschlossen
werden dürfe, daß die Gallierhorden in das Tempelgebäude ein-
gedrungen seien, und VI, 92, schützt er die Überlieferung ett jxetCov
durch Verweisung auf Eurip. Hec. 1120 f. Radermacher meint,
die Worte II , 97 f. , fij Hj 7ratr,ov hätten nur einen Sinn , wenn sich
eine etymologische Spielerei darunter verberge = fet fei Trat töv,
erklärt vom Dichter mit hi (J&oc, woraus dann folgen würde, daß
7) si und 1 schon zu Kallimachos' Zeiten aneinander angeklungen
hätten; ich könnte diese Auffassung nur teilen, wenn die Worte hi
ße'Xoc nicht auch dem Volke in den Mund gelegt wären, sondern
vom Dichter zur Erklärung von Wj tjov beigefügt wären; so können
irt lrt iroi^ov nur ein ermunternder Zuruf an den Päeon sein, der
Aufforderung fet ß&oc vorausgeschickt, ein Zuruf, aus dem Kallimachos
das Ephymnion der Apollonlieder ableitet. Wörpel liest h. III, 4,
dpxöjievo; free, indem er coc für Dittographie der Endung von dpx<Vevoc
erklärt. Kai bei vergleicht mit Epigr. 28 Bücheler carm. epigr. 991.
1321; an Kallimachos schließt sich Meleager Anth. P. VII, 461, an,
womit vgl. Martial V, 8», und Diodor. Anth. P. VH, 632, mit dem
Bücheler carm. epigr. 1152 und 1192 zu vergleichen sind. Daß
Epigr. 28, 3 f., richtig sind, zeigt Headlam durch Verweis auf
Aeschyl. Pers. 643. 031, Choeph. 125. 398. Wilamowitz schreibt
fr. 536 lot, xrfita und hält es für ein Bruchstück aus lou? acptcic
Fr. 525 vermutet er iraaaio und zu fr. 481 vergleicht er Gregor v. Naz.
an Nikobulus ep. 2, 9: xi 70p; rt t{ Ilepoix^ axotvtp fietpeTadat Sei
T7)V orj<p(av XXK.
Neue Scholien zum Artemishymnus veröffentlichen
B.P.Grenfell and A.S.Hunt, The Amherst Papyri.
Part. U. London 1901,
unter Nr. 20; sie beginnen mit V. 107, sind mit den schon bisher
bekannten verwandt, aber reichhaltiger und bringen zwei unbedeutende
Abweichungen im griechischen Text des Hymnos. Behandelt sind sie
mit Beiträgen zu V. 107, 188, 143, 172 f. und 178 von
L. Radermacher im Rhein. Museum 1902, S. 141 f.
Zu den Beiträgen hat auch H. Usener beigesteuert.
Jahresbericht für AltertnmiiwWseiuchaft. Bd. CXXXIII. (1907. I.) 10
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146 Jahresbericht über die griechischen Lyriker. (Sitzler.)
Mit der Feststellung des Inhalts einiger Gedichte der
Aitien beschäftigen sich
1. S. Eitrem, Observationes niy thologicae ad
Ovidium spectantes. Philologus 1 899, S. 45 1 f. [ 'loa? a<ptfo] .
2. G. Koaack, Hero und Leander. Festgabe für
Fr. Su8emihl. Leipzig 1898, S. 46 f.
3. R. Holland, Die Sage von Dädalos und Ikaros
Progr. Leipzig 1902 und dazu
4. G. Knaack, Zur Sage von Dädalos und Ikaros.
Hermes 1902. S. 598 f.
5. J. Nicole, Un fragment des Aetia de Calli-
maque. Collection de la ville de Geneve Nr. 97. Rev. des
«Stüdes gr. 1904, S. 215 f.
Eitrem nimmt als Inhalt der 'loöc dfytcic die erste Ankunft
der Io in Ägypten an; das afnov war nach ihm die Verwandlung
der Io in die Isis. Außerdem glaubt er, daß in dem Gedicht die
Versetzung der Io unter die Gestirne erwähnt und auch ihre der
Ankunft vorausliegenden Schicksale, und zwar von Hera selbst, er-
zählt worden seien. Danach weist er diesem Gedichte eine Anzahl
der erhaltenen Fragmente zu, von denen die meisten aber so un-
bestimmten Inhalts sind, daß ihre Zugehörigkeit zur 'Ioöc acptgt? zweifel-
haft bleiben muß.
Knaack nimmt eine von J. Klemm, De fabulae, quae
est deHerus etLeandri amoribus, fönte et auctore. Diss.
Leipzig 1879 ausgesprochene Vermutung, nämlich daß Ps.-Ovid ep.
17 f. und Musäos' Epyllion Hero und Leander auf die Ätien des
Kallimachos als Quelle zurückgehen, wieder auf und sucht sie möglichst
wahrscheinlich zu machen, gesteht aber selbst, daß das uns dafttr
zur Verfügung stehende Material nicht ausreicht. Die Elegie des
Kallimachos enthielt nach ihm die erste Bekanntschaft der Liebenden,
Leanders Schwimmen über das Meer zur Nachtzeit und den Tod des
Paares. Die fr. anon. 12 und 61 weist er diesem Gedicht zu.
Holland bekämpft R. Wagner, der in der epitome Vaticana
ex Apollodori bibliotheca, Leipzig 1891, S. 133 f. Kallimachos in
seinen Ätien als Vorbild Ovids in der Darstellung der Sage von
Dädalos und Ikaros bezeichnet hat, indem er aus Schol. A Horn. B 145
und Diodor IV, 77, eine Version der Sage konstruiert, die mit
Apollodor und Ovid im Widerspruch steht und von ihm als kaliima-
cheisch in Anspruch genommen wird. Knaack zeigt, daß diese mit
Kallimachos nichts zu tun hat, während die von Ovid dem Dädalos
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Jahresbericht über die griechischen Lyriker. (Sitzler.) 147
in den Mund gelegten Anweisungen an Ikaros Uber den Flug mit
Apollodor übereinstimmen und auch dem Kallimachos zugeschrieben
werden dürfen, da sie auf die Erklärung des 'Ixapiov ir£Xa*jOC hinaus-
laufen. Wagner wird also mit seiner Annahme recht behalten,
obgleich auch hier bei dem Mangel an beweiskräftigen Fragmenten
aas der Dichtung des Kallimachos keine Sicherheit zu erlangen ist.
Daß aber Ovid neben dem Kyrenäer noch andere Quellen, besonders
die Tragödien, benützte, gibt auchKnaack zu. Holland schreibt
fr. 178 im fauxv st. Iiti aimjv, das durch Dithographie von im aus
h\ -^v entstanden sei.
Ein neues Fragment der Ätien hat Nicole auf einem zu Gizeh
gefundenen, von Genf angekauften Pergaraentstück entdeckt, das nach
dem Charakter der Schrift dem fünften oder sechsten Jahrhundert
n. Chr. angehört und neben dem distichischen Text Scholien gramma-
tischen, mythologischen und geographischen Inhalts aufweist. Da in
den Versen Äetes und Arete genannt werden, die bei Apoll. Rhod. IV,
9B0 f. , vereinigt sind , so stammen sie aus den Argonauten des
Kallimachos und schildern die Zeit, wo diese auf Scheda ankommen
and Alkinoos zwischen ihnen und den Gesandten des Äetes das
Urteil fallt. Den Anfang erklärt der Verfasser für ein Gespräch
zwischen Hera und Iris, das Folgende für ein Gespräch der Hera
mit Jason und Medea. Das Gedicht muß umfangreich gewesen sein,
da im Scholion ein 33. Teil erwähnt wird. Die Verse tragen zur
Aufklärung des Verhältnisses zwischen Kallimachos und Apollonios
bei, die nicht miteinander übereinstimmen.
Den Gebrauch der Präpositionen bei Kallimachos
nntersucht
P. Priewasser, Die Präpositionen bei Kallimachos
und Herondas, verglichen mit denen bei Bakchylides und dem
bereits für Pindar bekannten Resultate. Progr. Hall 1903,
ohne jedoch die Überlieferung genügend zu berücksichtigen und das
Verhältnis des Dichters im Gebrauch der Präpositionen zu den
früheren und späteren Dichtern gebührend hervorzuheben; auch
Pindar und Bakchylides sind trotz des Titels nur wenig zum Ver-
gleich herangezogen. Der erste Teil beschäftigt sich in zwei Kapiteln,
einem allgemeinen und besonderen Teile, mit Kallimachos. Die
statistische Übersicht zeigt, daß iv und im die Lieblingspräpositionen
des Dichters sind; xaxa mit Gen., avd mit Dat. und |ieTa mit Gen.
gebraucht er nicht. Wiederholung der Präposition bei mehreren
Satzgliedern ist selten, gewöhnlich steht sie nur beim ersten Glied,
h. III, 246 nur beim zweiten Glied; doch findet sich bei xk xat,
10*
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148
Jahresbericht über die griechischen Lyriker. (Sitzler.)
xl te, tj, oute oute, prfii und der Präp. £v auch Wiederholung.
Ebenso selten ist die Verbindung von Präposition mit Adverb , wie
iUxu, ££6te, efceri, ec xraXiv, icpuTcepde, xadu7rep0e, oder axP'tt H-eXP1»
jjiacpa, laxe mit I?, irt, icott. Einschiebungen zwischen Präpos. und
Nomen stimmen mit dem sonstigen Gebrauche überein und ebenso
die Vermeidung des Hiatus, der nur bei xat und rt vor einer Prä-
position, bei der Nachstellung von evt und 6ic6, bei der Zwischenstellung
von ev, eirt und öir<5, bei evSoöi, diro\, ek, i^rt, iv, ex, tiirep, eaa>, e^tt,
sowie vor § und of vorkommt. Bemerkenswert ist iv euseftetuv
ep. 10, 4.
Die Mythologie des Kallimachos behandelt
K. Kuiper, Studia Callimachea, II. De Callimachi
theologumenis. Lugduni ßatavorum 1898, VIII, 159, S. 8.
In 13 Abschnitten legt er dar, wie Kallimachos das Wesen der
Gottheiten schildert, zeigt, daß der Dichter bestrebt ist, seinen
Göttern griechische Abstammung zu sichern, betont die Vorliebe, die
Kallimachos für das Altertümliche, besonders für die Sagen und
Kulte der Minyer, der Urahnen der Kyrenäer, hat, weist darauf hin,
wie angelegentlich er den delischen Kult allen anderen vorzieht, setzt
auseinander, daß Kallimachos weder von einer Verschmelzung der
griechischen mit den ägyptischen Gottheiten noch vom Synkretismus,
Orphismus, der naturalistischen Erklärung der Götter und dem
Euhemerismus etwas wissen will, und macht uns mit den eigenen
religiösen Anschauungen des Dichters, mit den von ihm vorgenommenen
Änderungen des überlieferten Sagenstoffes und mit seinen Ansichten
über Macht und Heiligkeit der Götter, über Leben und Tod der
Menschen bekannt. Die Darlegungen des Verfassers sind verdienstlich
und dankenswert, insbesondere seine Nachweise über das Verhalten
des Kallimachos gegen die Bestrebungen derer , die die griechische
Religion mit der ägyptischen vermischen wollten ; um so bedauerlicher
ist es, daß er es unterlassen hat, alle Abweichungen des Dichters
von der Überlieferung zusammen zu stellen und uns so ein ab-
schließendes Urteil zu ermöglichen, und daß er auf Grund der von
ihm gewählten Disposition öfter Zusammengehöriges auseinander-
gerissen hat. Im einzelnen erwähne ich, daß er die Verlegung des
Wohnsitzes des Hephastos nach Lipare den gelehrten Studien des
Dichters zuschreibt, der von den Wundern dieser Insel bei Theophrast,
Kallias und Pytheas Massiliotes gelesen habe, daß er den Artemis-
hymnus, den er S. 21 f. behandelt, auf die arkadische Diana ge-
dichtet sein läßt, daß er einen engeren Anschluß des Dichters an
die Überlieferung in den Hymnen als in den anderen Gedichten
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Jahresbericht über die griechischen Lyriker. (Sitzler.) 149
findet, daß er den sechsten Hymnus auf die Thesmophorienfeier in
Kyrene bezieht; beachtenswert ist auch der Hinweis darauf, daß der
Gebrauch der alten Namen und Bezeichnungen nicht immer aus dem
Streben, Gelehrsamkeit zu zeigen, entsprungen ist, sondern auch aus
dem Wunsche, damit einen Beweis für die älteste Kultstätte des
Gottes zu erbringen, und recht interessant ist die Aufzählung von
Anachronismen bei Kallimachos S. 31 f. Die fr. 561 und 556 spricht
Kuiper unserem Dichter ab.
Über Leben und Werke des Kallimachos stellt neue Unter-
suchungen an
C. Cessi, Studi Callimachei. Studi italiani di filologia
class. 1899, S. 301 f.
Hinsichtlich des Geburtsjahres stimmt er mit Fr. Susemi hl u. a.
überein, indem er es in das Jahr 310 verlegt; aber seinen Tod setzt
er mit 245/6 entschieden zu früh an. Um 290 studierte Kallimachos mit
Aratos in Athen, bereiste dann Griechenland und war etwa von
284—270 veavfoxds rf^ aöXr^ in Alexandreia, eine Bezeichnung,
deren Aufklärung auch dem Verfasser nicht gelungen ist. Daß er
nie Bibliothekar war, wird mit Recht bemerkt. Indem Cessi dann
zur Betrachtung der Werke des Kallimachos übergeht, wendet er
sich zunächst den Hymnen zu, die er in zwei Gruppen zerlegt; den
5.. 6. und den durch die fr. 146 a. b. c. vertretenen auf Persephone,
für Argos, Kos und Syrakus geschrieben, läßt er, bei h. 5 und 6
dem Vorgang Spiros folgend, in der Zeit vor dem Aufenthalt des
Dichters am Hofe der Ptolemäer verfaßt sein. Sie unterscheiden
sich nach ihm von den anderen dadurch, daß sie noch kein Bestreben
nach Vermischung griechischen und ägyptischen Kultus zeigen, um
dadurch in religiöser und moralischer Hinsicht die Politik des Königs
zu unterstützen. Die letztere Ansicht ist nach den Darlegungen
Kuipers zurückzuweisen, aber auch die erstere bleibt aus Mangel
an ausreichenden Beweisen zweifelhaft. Dies gilt auch für die
folgenden chronologischen Bestimmungen. Der Hymnus auf Zeus,
nach Hesiod mit polemischer Spitze gegen Homer gedichtet, fällt
nach ihm in die Jahre 266/3, in dieselbe Zeit auch der Hymnus auf
Delos, der auf Artemis um das Jahr 260 und der auf Apollon in
die Jahre 247/6. In der Annahme politischer Anspielungen ist er,
der Mahnungen Vahlens eingedenk, mit Recht vorsichtig, wie auch
Kuiper. Die Epigr. 46 und 32 fallen in 284/75, Epigr. 2 in
260/50, Epigr. 21, 28, 7 und 8 nach 260, Epigr. 5 und 10 in
250/45, Epigr. 48 in 290 284, Epigr. 27 in 278,70, fr. 70 und 74
nach 290, Epigr. 52 in 260 oder 247, Epigr. 59 in 247 6. In die
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150 Jahresbericht über die griechischen Lyriker. (Sitzler.)
Jahre 284—270 verlegt er Elegeia und Grapheion, 278—270 die
Ätien, 276 den Epithalamios auf Arsinoe und fr. 196, in 262 den
Beginn des Streites mit Apollonios, in 260 die Abreise des Apollonios
von Alexandria, in 255 — 247 den Ibis und in 245 die Locke der
Berenike.
Eine Würdigung der Dichtkunst des Kallimachos geben
1. F. Kortz, Die Eigentümlichkeiten der Kalli-
machei sehen Dichtkunst. Eine Studie zum Artemishymnus
des Kallimachus und Catulls carm. 66. Progr. Cöln-Ehrenfeld 1902.
2. P. Cesareo, ün decadente de IT antichitä. Riv.
di filol. 1903, S. 285 f.; 1904, S. 74 f.
3. Th. Zielinski, Marginalien. Philologus 1901, S. 13f.
Kortz, der in der Einleitung über das Leben und die Dichtkunst
des Kallimachos spricht und dann den Artemishymnus und die Locke
der Berenice griechisch , bzw. lateinisch und deutsch mitteilt , und
Cesareo stellen die charakteristischen Merkmale der alexandrinischen
Poesie übersichtlich zusammen und belegen sie mit Beispielen aus
unserem Dichter, Cesareo, indem er sie aus der Beschaffenheit
und den Verhältnissen jener Zeit ableitet, Kortz, indem er zum
Schlüsse noch zeigt, mit welcher Kunst es unser Dichter verstanden
hat, die Artemis nach den verschiedenen Seiten ihrer Verehrung und
Wirksamkeit hin in unserem Gedichte zu verherrlichen ; allerdings
scheint ihm dabei entgangen zu sein, wie wenig die hier zusammen«
gestellten Züge zu einem einheitlichen Bilde passen, worüber Kui per
S. 21 f. zu vergleichen ist. Wenn dabei auch nicht gerade neues
zutage gefördert wird, so ist doch besonders die Arbeit Cesareos
wegen der Art der Auffassung und Erklärung recht lesenswert.
Zielinski macht im Anschluß an h. 5, 70 f. noch auf den Stimmungs-
zauber aufmerksam, der dadurch erreicht wird, daß der Dichter einen
schonen Moment mit leicht variierten Ausdrücken noch einmal schildert
und so zu längerem Verweilen nötigt.
Die Frage narh dem Zweck der Hymnendichtung des
Kallimachos wirft
Ph.-E. Legrand, Problemcs Alexandrins, I. Pourquoi
furent composös les hymnes de CallimaqueV Rev. des 6tud. gr.
1901, S. 281 f.,
auf und beantwortet sie dahin , daß der zweite , fünfte und sechste
Hymnus nur zum Lesen, die drei anderen dagegen für Feste geschrieben
worden seien, und zwar der erste für die ßaaiXsia in Alexandreia, um
bei dem dabei stattfindenden Agon vorgetragen zu werden, der dritte
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Jahresbericht über die griechischen Lyriker. (Sitzler.) 151
für einen Agon in Ephesos and der vierte für einen solchen auf
Delos. Die schon von Conat ausgesprochene Ansicht, daß der
dritte Hymnos för Ephesos geschrieben sei, wird sich nicht aufrecht-
halten lassen; richtiger wird es sein, ihn mit Kyrene in Verbindung
zu bringen, wie auch Kuiper tut. Ebensowenig kann ich aber der
von dem Verfasser schon in seinen Studien über Theokrit, S. 429,
Anzn. 4, vorgetragenen Hypothese über den zweiten, fünften und sechsten
Hymnos beistimmen. Zu ihrer Begründung betrachtet er zunächst den
fünften Hymnos, der einen Widerspruch zwischen Text und begleitender
Handlung zeige und in eine ganz unpassende Zeit verlegt werde;
die darin behandelte Sage stehe nicht in engem Zusammenhang mit
der Handlung, es seien zu viele Worte über die Gebräuche gemacht,
und daß diese gerade an die Xwtpoxoot gerichtet würden, sei wenig
geschickt. Dasselbe gelte von dem sechsten Hymnus. Gibt man
nun auch alles dies dem Verfasser zu, so drängt sich doch von selbst
die Frage auf, ob sich denn diese Ungeschicklichkeiten und Fehler
beim Lesen, für das doch die Illusion der Aufführung vorausgesetzt
wird, weniger fühlbar machen. Ich kann mich davon nicht über-
zeugen, aber bei einem Dichter wie Kallimachos, dem es doch weder
an Sachkenntnis noch an Überlegung und Berechnung fehlte, auch
an so schwere Verstöße nicht glauben. Gegen den zweiten Hymnos
erhebt der Verfasser auch keinen solchen Tadel, sondern findet nur
die Art des Vortrags mit Schwierigkeiten verknüpft, eine Ausstellung,
die gewiß nicht schwer ins Gewicht fallen kann, zumal wenn man
bedenkt, daß der Verfasser selbst annimmt, der Hymnos sei gegen
Rivalen gerichtet, denen gegenüber Kallimachos sich gewiß keine
Blöße gab. Den Gedanken an Aufführung dieser drei Hymnen bei
den ftfcuve? ÖufAsXuot oder an Rezitation weist der Verfasser mit
Recht zurück , um dann ihre Abfassung und Verbreitung in Buch-
form zu rechtfertigen. Dagegen erhebt sich aber das Bedenken,
daß Hymnen in damaliger Zeit schwerlich die Dichtgattung bildeten,
zu der man griff, wenn man nur des Dichtens wegen dichtete. So-
dann fallt der zweite Hymnos mit seiner Anspielung auf den Streit
mit Apollonius, sowie auf Euergetes und Berenice in eine Zeit, wo
Kallimachos ohne besondere Absicht gewiß keine Hymnen mehr
schrieb. So blieben nur der fünfte und sechste Hymnos übrig, die
ja in Dialekt, Komposition und Mangel an Anspielungen einander
ähnlich sind; aber auch bei diesen liegt kein Grund vor, sie hin-
sichtlich ihrer Entstehung von den anderen zu trennen.
Das Verhältnis zwischen Kallimachos und Quintus
Smyrnaeus betrachtet
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152 Jahresbericht über die griechischen Lyriker. (Sitzler.)
A. Taccone, Quinto Smirneo e Calliraaco. Bolletino
di filologia class. 1904/5, S. 205 f..
der gegen F. Kehmptzow, De Quinti Smyrnaei fontibus
ac mythopoeia. Diss. Kiel 1891, unter Berufung auf R.Wagner,
Mythographi Graeci, I, S. 173 f., nachweist, daß sich die An-
nahme, Quintus habe die Schändung der Kassandra durch Aias im
Tempel der Athene, das Verschweigen der ihm von Poseidon beim
Schiffbruch geleisteten Hilfe und die Zertrümmerung seines Schiffes
mit dem Blitz durch Athene aus Kalliraachos geschöpft, nicht be-
weisen lasse; denn der Epiker kann auch ein mythologisches Hand-
buch benutzt haben.
Zum Schlüsse verweise ich noch für die Geschichte der
Alexandriner auf
1. J. Beloch, Griechische Geschichte. III. Bd. I.
und II. Abteilung. [Diadochenzeit.] Straßburg 1904.
2. A. Bouche"-Leclercq, Histoire des Lagides.
Bd. I und II. [823—30 v. Chr.] Paris 1903 04.
Phoenix.
W. G. Headlam, Various conjectures. Journal of Philol.
1898, S. 97 f., vermutet fr. 2, 4: 8? o6x ß' aste' oöte v£v k^rpo
oder 8? oöx föe C&v ior^p' oö8' iM&fco, das erstere mit Bezug auf
das homerische ttoXXäv 8' dvftp({»7ra>v fSsv aateot xai voov vp<o; aber
gerade der mit noXX&v ausgedrückte Begriff fehlt hier. Es ist wohl
zu lesen: 8? oox W datct'S' ot>8' töetv i8t'C>jTo; denn daß er sich um
Heer und Krieg nicht kümmerte, war doch an erster Stelle hervor-
zuheben. — V. 17 ergänzt er, indem er V. 16 mit Kai bei iirataot
liest; fyt&xoW IBcuxa ^airpl) £<ox6V ^pda{b;v.
Herodas.
Neue hs. Mitteilungen zu Herondas veröffentlicht
F. G. Kenyon, So nie new fragraents of Herodas.
Archiv für Papyrusforschung 1901, S. 379 f.
Sie wurden auf zum Teil recht kleinen Papyrusstreifen entdeckt und
vom Herausgeber im Anschluß an die früher veröffentlichten Fragmente
mit den Nummern 12 — 56 bezeichnet. Durch genaue Untersuchung
der Papyrusfasern gelang es K eny on , die fr. 12 — 30 den Kolumnen 42,
43 und 44 zuzuweisen und so dem achten Mimiambus einzureihen,
dessen Verständnis dadurch bedeutend gewinnt , freilich noch lange
nicht vollständig wird; der Herausgeber hat ihn in der jetzt fest-
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Jahresbericht über die griechischen Lyriker. (Sitzler.) 153
stehenden Gestalt am Ende seiner Veröffentlichung beigefügt. Die
fr. 81 — 56 sind bis jetzt noch nicht untergebracht; dagegen hat sich
ergeben, daß die Einfügung des fr. 10 in die drei ersten Zeilen der
Kolumne 35, dieCrusius vornahm, richtig ist; aber ans Ende der-
selben Kolumne gehört auch das kleine Stück, das bisher ans Ende
der 42. Kolumne gestellt wurde, so daß Mim. VII, 22 f. lauten:
£pijft\ Sttcoc Kimflt xi™™ ff]<p>)v[krxots | e'frjpxuüxai icaGcr xo[6 xd]uiv
x[aX]»c, | xd 8* oö^l xaXu>c, AAAAÜ A . T1CA1X . . . . C | . x6 zpü>p<*
8' ooriuc 6ji[I]v IIa[XXÄc] 8ofy xxX. In V. 24 vermutet Kenyon
dkk' dirapxtiai x«>tafc- Diese Fragmente bespricht
H. Weil, Nouveaux papyrus litteraires. Journal
des savants 1901, S. 745 f.,
der Mim. VIII, 11: ji-Jj x£ epia ak xpuxooaiv, 60: ^Xtq xax* töu r{
ßaxx^pt^ x6^«>, 69: j*' d^peovxo, 70: eSetxvovxo, 71 : auxvoo? ji^x^oo?,
72: ÄS* lfm v<6xa>v, 78: eu86xeov sx"»*» 75 : «epr^a ergänzt.
Hieran schließe ich
A. Ludwich, Über zwei Scholien zu Herondas.
Ind. lect. Königsberg 1902/03.
Der Verfasser liest die Buchstaben auf dem Rande zu I, 25: xuXijc
mit darübergeschriebenem Xixoc und zu I, 79: xotjv mit nachträglich
übergeschriebenen X und dann xot. Die Scholien hießen also ur-
sprünglich x6Xtj? und xoXijv, eine andere Form für das gewöhnlichere
xuXtxo? und xäXixa, wie eine spätere Hand korrigierte. Die Form
xoXtj sucht der Verfasser wahrscheinlich zu machen.
An Ausgaben liegen vor
I. Herondae Mimiambi. Accedunt Phoenicis Coronistae,
Mattii mimiamborum fragmenta. Tertium edidit 0. Crusius.
Editio minor, exemplar emendatum. Leipzig 1900,
mit verkürzter Einleitung und ohne den vollständigen Wortindex,
aber mit manchen Verbesserungen des Textes, die zum Teil einer
erneuten Durchsicht des Papyrus verdankt werden.
2. The mimes of Herodas. Edited with introduetion,
critical notes and excurses by J. A. Nairn. Together with faesi-
miles of the recently discovered fragments and other illustrations.
Oxford 1904.
Der Verfasser hat die einschlägige Literatur fleißig und im ganzen
mit gesundem Urteil benützt, wenn es auch an Versehen im einzelnen
nicht fehlt. Die etwas breite Einleitung klärt über Mimen, aber
ohne die Untersuchungen von H. Reich beizuziehen , über Mimi-
amben, über die Persönlichkeit des Dichters, über Zeit und Ort
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154
Jahresbericht über die griechischen Lyriker. (Sitzler.)
seiner Tätigkeit, über seine literarischen Vorbilder, jedoch ohne die
Arbeit von H. Krakert zu kennen, und über die Vortragsweise
seiner Gedichte, auf die ich weiter unten zurückkommen werde, auf.
Was den Namen des Dichters anlangt, so hält er die Form Herodas
für die richtige. Hinsichtlich der im Papyrus sich findenden
Korrekturen vertritt er die Ansicht, daß man jede einzelne für sich
auf ihre Echtheit prüfen müsse, worin ich ihm, wie ich schon öfter
darlegte, beistimme. Der Text bietet wenig Neues, wie I, 82: ot>
irapaXXarceiv [ irefaooaa xtX«, recht ansprechend, wenn man napoX^arretv
auf die Veränderlichkeit und Untreue in der Liebe bezieht, was der
Herausgeber freilich nicht tut, indem er „to go astray, desipere"
erklärt ; aber die Behandlung des Dialekts, die neben Jonismen auch
Dorismen und Attizismen zuläßt, befriedigt nicht. Die Erklärung
schöpft besonders aus Crusius und Headlam. Einen wesentlichen
Fortschritt bedeutet die Ausgabe nicht.
Mit der K r i t i k u n d E r k 1 ä r u n g der Mimiamben befassen sich
1. W. Headlam, On Herodas. Class. Rev. 1899, S. 151 f.
und 1904, S. 308 f. [Zu allen Mimiamben.]
2. A. Ludwich, Zum ersten Mimus des Herondas.
Rerl. phil. Wochenschr. 1902, Nr. 27, S. 860 f. — Zum sechsten
Mimus des Herondas. Ebenda Nr. 18, S. 575. — Zum
siebenten Mimus des Herondas. Ebenda Nr. 20, S. 685 f.
3. R. El Iis, Herondas III, 24 f. Journal of Philol 28,
S. 17.
4. A. Huemer, Zu Herondas StSaaxaXoc, V. 60 f.
Zeitschr. für Österreich. Gymn. 1899, S. 585 f.
5. W. J. M. Starki e, II erondas IV, 45 f. Hermathena 24,
S. 247 f.
6. L. Rader m acher, BAVBÜ. Rhein. Museum 1904,
S. 811 f.
7. J. J. Beare, Class. Rev. 1904, S. 287 f. [VII, 96].
A.Brinkmann, Ein Schreibgebrauch und seine
Bedeutung für die Textkritik. Rhein. Museum 1902,
S. 481 f. [VII, 99].
Für besonders erwähnenswert unter den hier vorgebrachten Ver-
besserungsvorschlägen halte ich I, 78: aXXoo ok tooteuv xtX. „etwas
anderes aber als" usw. von Lud wich, II, 8: Iv öotjjxevehjj 8' icrrl
T/jC t:6\w x^to, da die Hs. CMKMHAKCTI hat, von Headlam,
von demselben II, 16: X^froo; }ii]v, 17: e^w oh zopvac ix
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Jahresbericht über die griechischen Lyriker. (Sitzler.) 155
Tupoo* xt x<j> ö7jji(ü | xoux* Iüti;, 73: 6 ßpeoxo? = ßpouxo? eine Heu-
schreckenart als Ausdruck der Verachtung, vgl. Athen. 163 d, 810 d.
Anth. Pal. XI, 265. Plaut. Cas. 239. Photios s. v. xpl;, xifovtov.
Hesych. p. 398, 400 f., das Ganze eine Anspielung auf das Sprichwort
x6v ev Zot{x<() xojAijxijv, vgl. Kock, com. att. fr. III, S. 749 ; Battaros
vergleicht sich mit diesem xojngxi}?, und da xofi^xijc gewöhnlich den
Begriff xfvat&o? einschließt, so erklärt sich 75X3? V. 74. Huemer
erklärt III, 60 f. : r% \\. asXT|VaiTfl — x<5 i?pa>xx(j) coli. Zenob. 1, 52 :
'Axeafac xbv irptoxx&v fdaaxo, also „um ihn mit der Scheibe des Akesias
zu präsentieren". Mim. V, 77: ttjv xupotvvov bezieht II e ad 1 am auf
Hera, indem er Zeus xopavvoc vergleicht. Ebenderselbe vermutet
V. 80 xal ÄYpajvi' = Ä^piavta, ein Totenfest bei den Argivern; er
weist darauf hin, daß ein koischer Monat 'Afpiavio? heißt (vgl.
Paton, Inscript. of Cos., S. 326 f.), an dem 1. dem König Nikomedes
geopfert wird, 2. dem Hippokrates, dessen Geburtstag auf den 27.
oder 26. Tag dieses Monats fällt, vgl. Westermann, Biogr., S. 449.
Mim. VI, 12 liest Headlam Taut' i}iol C07&V, wohl richtig; V. 16
faßt er v<oßuaxpa ^ vooßuaxtxat, Gegensatz von Tryphiod. 450 :
d^paBiiQ xe ߣjtooxo jieöijjioauvTQ xs xe^vei rcaaa -<$Xi?: sie lernen
ihrer Herren Geheimnisse und lauern. Das Wort ßaußtuva, V. 19,
bringt Radermacher in Verbindung mit Botoßto, die er für eine
dämonische Hündin im Gefolge der Nachtgöttin hält, unserem „Wau
wau" vergleichbar. V. 41 schlägt Headlam xt' rcoXXa „kurztt vor.
V. 94 liest Lud wich: xaöxiQ -ydp, faßt, r^ur, ar^v, Mijxpot und
V. 99 Headlam mit Diels: ctGxr, au, veoaaoit&Xi. Mim. VH, 26
ergänzt Headlam xaXwv (iaÖX&v) fouivirep, 47: xaXXa 5* d^6\pu>?
rjvxat. 57: Noaai'6sc, Xtat coli. Schmidt, Hesych. IV, S. 286.
V. 96 schlägt Beare vor: (o<jx* ix }jlv r^ituv AfoXioc irX£u> Trp-^eic,
indem er bemerkt : A?oXeu? entweder als 6 xaxi'a? aveji-a? Hesych. s. v.
oder als „prince of extortioners", vgl. afoXfCeiv. Zu V. 99 weist
Brinkmann darauf hin , daß der Schreiber ascooxoü ausgelassen
hatte, dann es aber auf dem freien Raum über Columna 40 nachtrug,
zugleich mit dem Wort, vor dem es einzuschalten ist, nämlich
cjxaxTjpa?; dazu setzte er das Verweisungszeichen, das O. Crusius
als outcü? las.
Zur Kenntnis der Grammatik des Herondas liefern Beiträge
1. L. Valmaggi, De casuum syntaxi apud Herodam.
Rivista di filol. class. 1898, S. 37 f.
2. P. Prie wasser, Die Präpositionen bei Kalli-
machos und Herondas, verglichen mit denen bei Bakchylides
und dem bereits für Pindar bekannten Resultate. Progr. Hall. 1903.
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150 Jahresbericht über die griechischen Lyriker. (Sitzler.)
Valmaggi behandelt den statt des Vokativ stehenden Nominativ,
den Vokativ , den Akkusativ, den Genetiv und Dativ nach den ver-
schiedenen Seiten ihres Gebrauchs, indem er jeweils die bei Herondas
vorkommenden Beispiele zusammenstellt und die zweifelhaften Fälle
kurz bespricht. Die dankenswerten Sammlungen zeigen, daß Besonder-
heiten im Gebrauche der Kasus bei Herondas nicht vorkommen;
auch Tztiabrpai mit Gen. I, 66 ist ionisch. In die Sammlungen
haben sich einige Ungenauigkeiten eingeschlichen; so ist z. B. II, 36
xäv iropve*u>v Gen. part. und nicht abh. von Xaßetv, IV, 48 und
V, 50 verdanken die bei Xe^eiv stehenden Gen. ihre Entstehung der
Assimilation und VII, 64 hängt der Gen. von direinroXijv, nicht von
ypei'Ceiv ab.
Priewasser behandelt die Präpositionen bei Herondas wie die
bei Kallimachos, wovon ich bei diesem Dichter gesprochen habe.
Nach ihm kommen irepf, dvd und djxcpt bei Herondas nicht vor,
während efe, rcp6?, ix und iv sehr häufig sind, und zwar et; mit 34,
die anderen mit 25 — 24 Beispielen. Am öftesten findet sich bei
den Präpositionen der Akkusativ, dann folgt der Genetiv und zuletzt
der Dativ; aber $ta mit Akk., 6ir6 mit Gen. und Dat. und jicxa mit
Dativ werden nicht gebraucht; ebensowenig Wiederholungen der
Präpositionen bei mehreren Satzgliedern. Besonderheiten in der
Stellung der Präpositionen finden sich nicht ; IV, 18 steht <ju, V, 76
pico StxatW zwischen Präpos. und Substantiv. Der Hiatus wird durch
die gewöhnlichen Mittel beseitigt, so auch bei xcti IV, 80, 93, dXXa
I, 88, im EU, 4, 16, 21, IV, 75, 93, iv V, 15 und Gicep X, 3. Auf-
fallend sind irap' r^tov I, 2 und U neu HI, 78.
Das Verhältnis des Herondas zu anderen Dichtern
und Schriftstellern untersuchen
1. 0. Hense, Zum zweiten Mimiamb des Herodas.
Rhein. Museum 1900, S. 222 f.
2. H. Krakert, Herodas in miraiambis quatenus
comoediam Graecam respexisse videatur. Progr.
Tauberbischofsheim 1902.
Hense hat in einem Aufsatze des Rhein. Museums 1895,
S. 140 f., die attische Gerichtsrede als Vorbild des zweiten Mimiambos
des Herodas bezeichnet, vgl. vor. Jahresber. Bd. 104, S. 103 f. Diese
Ansicht verteidigt er jetzt mit Erfolg gegen R. Herzog, der in
seinen koischen Forschungen und Funden, Leipzig 1899, S. 214, in
der Rede des Pornoboskos speziell den 'VTrspei&stoc ^apax-ijp finden
will. Dabei modiBziert er aber auch seine eigene Ansicht; der
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Jahresbericht über die griechischen Lyriker. (Sitzler.) 157
Mimiambos ist ihm jetzt keine Travestie der attischen GerichUrede
mehr, „vielmehr soll der kunstreiche Apparat dieser Beredsamkeit
und ihr bisweilen hochgegriffener Ton in komischen Kontrast treten
wie schon zu dem Namen des Battaros und seiner sittlichen Ver-
kommenheit und Halbbildung, so insbesondere zu der Niedrigkeit und
Geringfügigkeit des Objekts"; denn die Kontrastwirkung ist der
Lebensnerv der Herodasschen Kunst.
In demselben Aufsatz wies Hense auch auf die mannigfachen
Berührungspunkte hin, die zwischen den Mimiamben des Herondas
und der griechischen Komödie bestehen. Dieses Thema behandelt
K r a k e r t , einer seiner Schüler , in seiner Arbeit , einer Freiburger
Dissertation. Er zeigt, wie nicht nur im allgemeinen die von Herondas
behandelten Themen, Situationen und Personen mit denen der Komödie
übereinstimmen, sondern daß sich diese Ähnlichkeit selbst auf Ge-
danken und Wörter erstreckt. Die Untersuchungen des Verfassers
sind verdienstlich; nur darf man sie nicht so auffassen, als ob der
Dichter bei Abfassung seiner Mimiamben bis ins einzelne Anlehen
bei der Komödie gemacht habe ; sie zeigen nur die große Verwandt-
schaft zwischen Mimiambos und Komödie hinsichtlich der Wahl der
Stoffe und der Art ihrer Behandlung.
Ein lebhafter Meinungsaustausch fand über dieArtundWeise,
wie die Mimiamben zum Vortrag gebrachtwurden, statt,
ohne bis jetzt zu einem allseitig angenommenen Ergebnis zu führen.
Daran beteiligten sich
1. C. Hertling, Quaestiones mimicae. Diss. Straß-
burg 1899.
2. Ph. Legrand, Problemes alexandrins, U. A
quelle espece de publicite* Herondas destinait-il ses
mimes? Rev. des Stüdes anciennes 1902, S. 5 f. ■
3. C. Watzinger, Mimologen. Mit einer Tafel. Mitteil,
d. arch. Instituts ath. Abteil. 26, S. 381 f.
4. 0. Crusius, Die Anagnostikoi. Festschrift für
Th. Gomperz. Wien 1902, S. 1 f.
5. R. Herzog, Zur Geschichte des Mimus. Philologus
1903, S. 35 f.
6. U. v. Wilamowitz, Hermes 1899, S. 207 f.
7. J. A. Nairn in der Einleitung seiner Ausgabe.
8. R. Meister, Berl. phil. Wochenschr. 1904, Nr. 26,
S. 801 f.
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158 Jahresbericht über die griechischen Lyriker. (Sitzler.)
Hertling sucht in seiner fleißigen Dissertation zu beweisen,
daß die Mimiamben nicht für die Aufführung, sondern zum Vortrag
durch einen Mimen mit wechselnder Stimme bestimmt gewesen seien
und ihren Platz bei den dryaivec öopeXocof gehabt hätten. Legrand
unterzieht die von Hertling vorgebrachten Gründe einer eingehenden
Prüfung. Zunächst weist er unter Berufung auf J. Frei, De
certaminibus thyraelicis, Basel 1900, den Vortrag der Mimi-
amben bei den df&ve? öofisfoxof mit vollem Rechte zurück; aber
auch von den anderen Gründen stellen sich bei der Prüfung manche
als unhaltbar heraus. Beachtenswert erscheint ihm dagegen der
Umstand, daß einige der Mimiamben bei der Annahme einer Auf-
führung zu viele Schauspieler, bzw. stumme Personen erfordern und
keine vollständige Handlung ergeben würden. Daher lehnt auch er
die Aufführung ab, ohne jedoch Hertlings Hypothese für mehr
als möglich zu erklären. Entschieden auf Hertlings Seite treten
Wilamowitz und Nairn, welche die Mimiamben von einem Manne
mit entsprechender Gestikulation und dem nötigen Stimmenwechsel
vorgetragen sein lassen. Wenn aber Wilamowitz die Mimen
geradezu von der dramatischen Gattung ausschließen will, so wird
er durch Plut. quaest. symp. VII, 8, 4 widerlegt, wo zwei Arten
unterschieden werden, wv xouc \ihv oTrodlaetc, tooc Öfc irctfyvtct xatXoDsiv,
beide zur Unterhaltung beim Mahle nicht geeignet, die erstere 5td
ta ja^xt) tcdv öpauarcouv, die icaffvta wegen des Inhalts. Mit diesem
schriftstellerischen Zeugnis stimmt das archäologische überein, das
wir Watzinger verdanken; dieser hat nämlich am Westabhang
der Akropolis eine Tonlampe gefunden, die, dem Ende des dritten
Jahrhunderts v. Chr. angehörend, die Darstellung der drei Schau-
spieler eines Mimos Hekyra zeigt. Herzog macht darauf aufmerksam,
daß der Titel Hekyra auf den engen Zusammenhang der Mimen der
hellenistischen Zeit mit den Komödien dieser Zeit hinweist. Diese
entsprachen offenbar den Hypotheseis bei Plutarch, und aus ihrer
dramatischen Aufführung läßt sich kein Schluß auf die Vortragsweise
der hexametrischen Mimiamben des Theokrit oder der Mimiamben
des Herondas nach Herzog machen. Jedenfalls widersprach der
Dialekt und das Versmaß des Herondas der Aufführung nicht ; denn
wie Herzog richtig bemerkt, dienen diese nur dazu, die realistische
Kunst seiner Charakterdarstellung in eine freiere Sphäre zu heben,
da ohne diesen Rahmen der Inhalt zum Teil brutal wirken würde.
Herzog neigt sich demnach dem Standpunkt von Crusius zu, der
für Herondas jedenfalls lebendigen , schauspielerischen Vortrag in
Anspruch nimmt, aber, von dem vierten Miiniambus abgesehen, auch
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Jahresbericht über die griechischen Lyriker. (Sitzler.) 159
dramatische Aufführung mit den einfachsten szenischen Mitteln in
geschlossenem Raarae, bei häuslichen Festlichkeiten, knrz, was wir
jetzt intim nennen, für möglich hält. Nach Herzog gehören sie
ins Kabarett oder aufs Überbrettl. Für dramatische Aufführung tritt
entschieden Meister ein, und ich stimme ihm darin bei; denn dies
ist an sich wahrscheinlich, weil der dritte, fünfte und siebente Mimi-
anibos nur bei wirklicher Aufführung durch mehrere Personen zum
richtigen Ausdruck gebracht werden kann. Die Prügelszene ohne
realistische Darstellung ist für mich undenkbar. Sodann scheint mir
aber auch die Plutarchstelle bei beiden Arten von Mimen die dramatische
Aufführung vorauszusetzen; denn es wird hier nicht Aufführung und
Nicht- Aufführung einander entgegengestellt, sondern Länge und Inhalt.
Was Legrand über die große Zahl der Schauspieler und die Unvoll-
ständigkeit des Inhalts sagt, steht dieser Ansicht nicht entgegen;
kein Stück verlangt, von den stummen Personen abgesehen, mehr
als drei Schauspieler, und das Abgerissene am Anfang und am Ende,
ich möchte sagen das Rhapsodische, stimmt vortrefflich zu dem ganzen
Charakter dieser aus dem wirklichen Leben herausgegriffenen Szenen.
Die Aufführung kann im Theater, auf dem Markte und intim vor
sich gegangen sein; in der Inszenierung hatte man hinsichtlich des
Mehr oder Weniger freie Hand, selbst beim vierten Mimiambos.
Zum Schlüsse erwähne ich noch
H. Reich, Der Mimus. Ein entwicklungsgeschichtlicher
Versuch. I. Bd., erster Teil. Theorie des Mimus. Zweiter
Teil. Entwicklungsgeschichte des Mimus. Berlin 1903, und
A. Huemer, Gibt es einen Vers jj.i|ifafj.ßoc? Wiener
Studien XXVI, S. 38 f.,
der das Vorhandensein eines solchen Verses in Abrede stellt, da
Mimiamben eine Dichtgattung und keine Verse seien; die Eigen-
tümlichkeiten des Herondas führt er auf ältere Vorbilder zurück.
Parthenios.
Als neue Ausgabe ist
Parthenii Nicaeni quae supersunt edidit E. Martini.
Leipzig 1902,
erschienen, der Bearbeitung der mythographi Graeci angehörend wie
die Ausgabe Sakolowskis, aber sorgfältiger und besser als diese ;
sie wird von jetzt ab die Grundlage für die Parthenios - Studien
abgeben.
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100 Jahresbericht Über die griechischen Lyriker. (Sitzler.)
Mit der Kritik and Erklärung des Parthenios be-
schäftigen sich
1. R. Ellis, New conjectures on Parthenins rcepl
ipwxixcov 7:aÖ7j[xaTto v. Americ. Journal of Philology XXIII,
S. 204 f.
2. A. K. ZaYfOYtavvTjC, Kpixixal irapaxr, pi^aeic sf;
Ilaptte'vtov 7tepl &p«>xix<uv itadij [Aa'xu> v. ÄO^va XII, S. 459 f.
8. L. Radermacher, Griechischer sprachgebrauch.
Philologus 1904, S. 1 f.
Die Abhandlung von Za-pfOYiow^c war mir leider nicht zugänglich;
aus den anderen erwähne ich, daß Radermacher im Anfang der
ersten Geschichte irepl Aopxou mit Recht \i*<svr$4& xe xal Ipeuv/xdc
aXXouc xa&Tjxev, ev 8e aöxo« Aupxov xxX. in Schutz nimmt ; allerdings
hätte er sich dafür nicht auf Beispiele wie Lukian. de saltat. 9:
exaipov tirl xqJ xaXXet xal x$ äkx% a&xoü berufen sollen, die
hier nicht zutreffen, wie schon Meineke zu der Stelle bemerkt,
sondern er hätte an Herodot, das Vorbild des Parthenios in vielen
sprachlichen Dingen, erinnern sollen, der oft aXXoi xe oder iroMol
f*ev xal aXXot, ev h£ gebraucht, vgl. Stein zu I, 74; jtaox^pa? xe
xal ep. an unserer Stelle sind Prädikativa zu aXXooc: „andere als
Sucher und Nachforscher, darunter aber besonders" usw. Ellis
schlägt in der 27. Geschichte repl ÄXxiv6rjc in der Mitte eic xooooxov
xt e*Xdetv und in der 29. irepl Aacpvtdoc am Anfang oupifft ef 8^ xtc
Se&ifcc xP^aa0^at vor*
Die Sprache des Parthenios untersucht eingehend
R. Mayer-G'Schrey, Parthenius Nicaeensis quäle
in fabularum amatoriarum breviario dicendi genus
secutus sit. Diss. Heidelberg 1898.
►
Er betrachtet in gleicher Weise den Dialekt, die Wortauswahl, die
Formenlehre, die Syntax, die Satzbildung, den Hiatus und die
rhetorischen Figuren, überall die früheren Dichter und Schriftsteller
zum Vergleiche heranziehend. Das Ergebnis faßt er auf S. 68 dabin
zusammen, daß die Sprache des Parthenios sowohl den Dichter als
auch den Grammatiker verrät; sie ist vielfach mit gelehrten und
poetischen Ausdrücken ausgeschmückt, die zum Teil aus den Vor-
lagen genommen sind. Parthenios ist mit den Attikern bekannt, ins-
besondere aber mit Herodot, dessen fXoxuxjjc er mit der dWXeta der
Mythographen zu verbinden sucht. Er hält sich von allem Rhetorischen
fern und gehört auch nicht zu den Attizisten; in seiner Darstellung
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Jahresbericht über die griechischen' Lyriker. (Sitzler.) 161
zeigt er Nachlässigkeit, besonders im Grammatischen. Daher ist bei
der Behandlung des Textes Vorsicht geboten.
Bisher nahm man mit H e r c h e r allgemein an, daß die auf dem
Rand der Hs. Überlieferten Quellenangaben zu den Geschichten
des Parthenios (und Antoninus) nicht von dem Verfasser selbst,
sondern von einem belesenen Grammatiker etwa des dritten Jahr-
hunderts n. Chr. stammen. Dagegen wendet sich jetzt
E. Bethe, Die Quellenangaben zuParthenios und
Antoninus Liberalis. Hermes 1903, S. 608 f.
Er hält die Angabe der Quellen durch Parthenios, wenn er mit seiner
Schrift den Cornelius Gallus im Dichten unterstützen wollte, für un-
bedingt notwendig; die Quellenangaben müssen also von ihm selbst
herrühren. Wenn wir sie trotzdem nur selten im Text finden, so
erklärt sich dies daraus, daß Parthenios uns nur im Auszug vorliegt.
Auf dem Rand dieses Auszugs fügte ein interessierter Mann, etwa
Arethas, aus einem vollständigeren Exemplar die Quellenangaben,
die er darin fand, bei ; wo keine verzeichnet waren, schrieb er 8 = n'j
bei. So kommt es, daß sie bei den meisten Stücken vorhanden
sind, bei anderen aber fehlen, und daß zuweilen die Angaben auf
dem Rande von denen im Text verschieden sind, beide sich also
ergänzen. Ein solches Exemplar ist im Heidelberger cod. 398 auf
uns gekommen.
Mit den Gedichten des Parthenios befassen sich
1. R. Sabbadini, Parte nio ed il Moretum. Rivista
di filologia class. 1903, S. 471 f.
2. G. Knaack, Hellenistische Studien. I. Nisos
und Skylla in der hellenistischen Dichtung. Rhein.
Museum 1902, S. 205 f.
Sabbadini weist darauf hin, daß J. G. V o s s i u s das Scholium,
das er de poetis Graec. p. 70 veröffentlichte, dem cod. Ambros. T 21
suppl. chart. saec. XV entnahm, wo auf S. 33 oben geschrieben
steht : Parthenius moretum scripsit in graeco quem Virgilius imitatus
ist. Die Notiz ist nach ihm wertlos, da sie sich aus der interpolierten
Stelle bei Macrob. sat. V, 17, 18: versus est Parthenii, quo grammatico
in Graecis Virgilius usus est und aus dem Kommentar des Eustathius
zu Perieges. Dionys. 420: <S? 97^1 Uapbinot 6 tAc fiexapopcpiuaeic
fpctyai Xe^jievoc, herleitet. Aus der letzteren Stelle hätte man auf die
Ciris, nicht auf das Moretum schließen sollen. Damit fällt der bisher
schon von allen Seiten angezweifelte Murctoxo« des Parthenios.
JalireiberirM für AlUrturaiwi^enichaft. Bd. CXXX1II. (1907. ].) 11
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162 Jahresbericht über die griechischen Lyriker. (Sitzler.)
Die Ciris des Pseudo- Virgil führte schon Heyne auf Parthenins
zurück, dem £. Rohde nnd Fr. Skutsch in seiner Schrift „Aus
Vergils Frühzeit" folgen. Daß der Römer aber keine Übersetzung,
sondern eine freie Bearbeitung lieferte, weist Knaack nach, der den
von Antoninus exzerpierten Bericht als Quelle des Parthenios an-
nimmt. Nach ihm geht die älteste Gestaltung der Sage auf einen
Epiker zurück, dessen Darstellung schon alle Züge der späteren
Ausbildung im Keime enthielt. Die weitere Entwicklung übernahm
die Tragödie, die das Liebesmotiv ausgestaltete, und die hellenistische
Dichtung, als deren letzter Vertreter Parthenios noch einmal alle
Momente zu einem wirksamen und ergreifenden Seelengemälde
zusammenfaßte.
B a b r i o s.
Neue hs. Mitteilungen zu Babrios macht
A. Hausrath, Ad Babrii editionem novissimam
additamentaduo. Philologus 1899, S. 258 f.,
aus dem cod. 27 des St. Basils Kloster zu Grottaferrata und aus dem
cod. Vatic. gr. 949 fol. 99 — 106. Der erstere, eine Abschrift des
cod. Cryptoferratensis, enthält die Anfange von folgenden 20 Fabeln
der Crusi us sehen Ausgabe: 12, 3, 17, 143 : cd 8pi>c tzot£ efc Rpotfairov.
10: GttoxpaT^c. 5: dXeVnop. 7, 34, 11: dX<oirq€ fydpav. 1, 22, 20,
13, 27, 29, 89, 85, 52, 43 ? (&a<poc xfc). 147 : exiv faxopYOc. Drei
von diesen Fabeln sind im Vatican. : 1 = Vat. 216, 12 = Vat. 18,
14 = Vat. 30. Sechzehn stimmen mit dem Athous ungefähr überein.
Bei 5 bleibt es zweifelhaft, ob die Fabel 5 bei Crusius oder 213:
dXexxpuävec xal i?6p$tc gemeint ist; ähnlich ist es mit Fabel 43.
Damit wird bestätigt, was Crusius proleg. p. X sagt, nämlich daß
es Hs. gegeben habe, die nicht aus dem jetzt verstümmelt vorliegenden
Athous abgeleitet seien.
Der cod. Vatic. gr. 949 enthält die bis jetzt nicht veröffent-
lichten Paraphrasen zu folgenden 89 Fabeln bei Crusius: 143, 7,
14, 23, 18, 31, 144, 37, 145, 42, 38, 36, 35, 52, 53, 49, 45—47,
54, 50, 59, 58, 148, 62, 64, 75, 71, 150, 76, 151, 152, 78, 83,
153, 84, 104, 103, 95, 154. Sie stimmen in der Regel mit den
Paraphrasen des Bodl. überein ; wo aber beide voneinander abweichen,
schließt sich der Bodl. enger an Babrios an. Der Vatic. hat den
Bodl. benützt, aber auch den Babrios selbst beigezogen; daher kann
manches aus ihm gewonnen werden, was im Bodl. verdorben oder
ausgelassen ist.
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Jahresbericht über die griechischen Lyriker. (Sitzler.) 163
Daran schließe ich
The Amherst Papyri by B. P. Grenfell and A. S. Hunt.
Part. II. London 1901,
wo als Nr. 26 drei Fabeln des Babrios (11, 16, 17) veröffentlicht
werden, denen eine lateinische Übersetzung beigegeben ist. Alle
drei fangen mit A an, stehen aber hinsichtlich des Textes dem Athous
nach; 17, 2: xopoxoc oia = xcftpoxoc ofa (st. u>c ftuXaxäc Tic) ; 16, 9:
&c *plv efc&deic, wie Bergk schrieb (st. Äarcep efafc&ijc); 11, 1:
fydpdv dpireX . . . xe xal x^rcoo, wo die lat. Interlinearübersetzung
auf dpite'Xfov fuhrt ; 5 : tou ßaX^vtoc, wie der Athous. Das prosaische
Epimythion zu 17 und 16 fehlt, das poetische zu 11 dagegen ist
vorhanden. Der Papyrus stammt aus der Zeit um 400 n. Chr. Vgl.
dazu H. Weil im Journal des savants 1901, S. 736 f. Nach
L. Radermacher, Aus dem zweiten Bande der Amherst
Papyri. Rhein. Museum 1902, S. 142 f., sind es Schulübungen.
Zum Beweise, daß Babrios in der Schule gebraucht wurde, weist
Radermacher auf den cod. Paris, gr. 425, eine Miscellanhs., hin,
die am Schlüsse Institutiones grammaticae latino - graecae und als
Fortsetzung drei äsopische Fabeln, ebenfalls griechisch und lateinisch,
enthält, deren mittlere er mitteilt. Mit der den Fabeln in den
Amherst Papyri beigegebenen lat. Übersetzung, die viel Auffallendes
bietet, beschäftigen sich
1. M. Ihm, Eine lateinische Babrios-Übersetzung.
Hermes 1902, S. 147 f.
2. R. E 1 1 i s in dem Album gratulatorium in honorem H. v. Her-
werden. Utrecht 1902.
3. A. Klotz, sorsus. Archiv für lat. Lexikographie und
Grammatik XIII, S. 117.
4. W. Heraeus, Aus einer lateinischen Babrios-
Üb ersetzung. Ebenda S. 129.
In neuer Auflage liegt vor
Babrius, Fable s. Texte grec, publik ä l'usage des classes,
avec une introduction , des notes et un lexique, par A. M. Des-
rousseaux. 4. Edition, revue et corrigee. Paris 1902, XX,
239 S.
Beiträge zur Erklärung und Kritik des Babrios liefern
1. O. Immisch, Babriana ad Ottonem Crusium.
Philologus 1899, S. 401 f.
2. H. v. Herwerden, Babriana. Mnemosyne 1900, S. 1 57 f.
11*
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164 Jahresbericht über die griechischen Lyriker. (Sitzler.)
3. R. E Iiis in Class. Review. 1898, S. 119 f.
4. A. Lud wich, Über einige Verderbnisse bei
Babrios. Ind. lect. Königsberg 1902 03.
Daraas führe ich als besonders bemerkenswert folgende an.
Proöm. I, 5 nimmt I m m i s c h mit Recht fiepTmfi in Schutz, während
V. 17 f. Lud wichs Schreibung: wv vuv fxaaxov avdefi1 eia' ejif
jivr^iQ | [i. v<p t6 x. &ija<o kaum Billigung finden kann ; ich schlage
«iv vöv §xa<rrov, t,v Mktf iyziv i^vr^, ja. 3<p v<|5 xi xijpt'ov d. vor,
lx«v iiv^jatq „mit dem Gedächtnis festhalten, sich merken", wie <ppedv
&X«v Horn. B 33. v«j> Zytiv Plat. de rep. VI, p. 490 a. Auch was
derselbe Gelehrte 1, 11 zur Vermeidung von xouxoo und xaöxij? (12)
vermutet: xpuxoC paßt für Babrios nicht; V. 12 ist vielmehr xij?
8' auxe dapaeTv xxX. zu lesen, vgl. 12, 19. — 6, 5 will Lud wich
den Anstoß durch fcxxoc sfc xdfrpw xxX. heben; ich ziehe oux ovx'
efc x. wpaiov vor. — 11, 5 schreibt Her werden richtig ßXdßovxoc
(st. ßXaftövxo?). — 12, 17 f. schlägt Lud wich xal xaupa OdXrei,
Ilava 8' dfpoTTfjv x^xst und jatj XGaov vor; im letzteren Verse ist ohne
Zweifel dfy6 8tj aeaimjv aocpd XaXouaa 8iJXq>3ov zu lesen, vgl. Herod.
IV, 42 AißuT) StjXoi itooTTjv ioöaa repippoxoc; V. 17 vermute ich
OaXiret rcdvxa XP")|*a auvx^xet. — 27, 1 korrigiert Lud wich: xal
irvt£a>v | eirrjfev oSaxt xqJ 'v auva-yx^ xotT^. — 28, 4 ändert Her-
werden ansprechend dpxt -jfdp dro xr,? /<up>;c i. e. ab agro (st. rcpo
xt4c &p>)c. — 29, 5 ersetzt Lud wich das metrisch anstößige Xtav
durch \rt\L ; näher liegt d^av, so daß jxtj d"fav m^ Synizese gelesen
werden. — 44, 2 emendiert derselbe richtig 2ve8peu<bv st. &<ps8peu<»v. —
45, 8 wünscht Her werden, metrisch bedenklich, xd? Ii töiacd^ptjxe,
Lud wich mit Umstellung IKas hl X7ja8' d<p?jxe; aber xal? jjIv und
xae W sind zu halten, dagegen verlangt V. 7: <p£po>v eßaXXs ÖaXXov
4c 5X>jc in V. 8 die Änderung xdc 5' ivSeew- dcprjxs xxX. — 47, 8
vermutet Lud wich gut : efx' (oö *jdp l8ovav?o)* xaxd xxX. — 66, 6
liest Ellis töfo>v 8' omadsv, >jxic f,v 8Xq> jieiCwv (st. roXu j*.); ich
schlage x<5aq> ja. vor. — 70, 3 korrigiert Lud wich >jv xaPe^ *•
st. dpijc; V. 7 uud 8 ist mit Her werden "Vßpif und N&epoc zu
schreiben. — 72, 20 entschuldigt Crusius die metrische Unregel-
mäßigkeit xal xopoSaXXö? ouv x. mit der Freiheit im Gebrauch der
Eigennamen; richtiger Lud wich xdxt xopi>88c 06 v x. — 76, 12
ändert Ellis x' lx£Xeue gut in x* exXstCs. — 89, 5 liest Her werden
8? x68' sxoe st- Sc itc* exoe. — 95, 8 stellt man gewöhnlich um
yeTpac eic ijiac ffiti, was nicht angeht, wie L u d w i c h bemerkt ; aber
st. efc X«pÄ; ifxdc, was er vorschlägt, ist besser efc dupac ipdc» vgl.
97, 6: licl däpatc Xeovxefoic. — 111, 12 schlägt Lud wich KaXt|iß«&-
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Jahresbericht über die griechischen Lyriker. (Sitzler.) 165
Xouc st. des überlieferten :raXtv 8X00? vor, was dem Sinne nach zu
weit abliegt; der Fehler liegt in xaT^eöe xal, wofür xat^eoev, eka
(oder xat^irfiae xaxa) zu lesen ist. — 115, 4 ändert derselbe Gelehrte
ix 7rrox^? sX. afet&c Taupoo, wo der Sing, icrox^ und der Tauros
mißfallt; es fehlt der Begriff „hören", der in ix toxtjc stecken muß,
also -z% hl xXutov IX. — 128, 10 emendiert Ludwich gut: taut'
d»c aDv^xcoa' f( xucov xtX., aber 129, 9 paßt xpivftefc st. xptÖac nicht;
man muß expo>Y6v a^opa lesen, vgl. 76, 9 : In cr/upotoi Suax^votc —
138, 2 schreibt Herwerden iaidpr^ fe 8. Außerdem behandelt
er die Metrik des Babrios und versucht, eine ganze Reihe
von Paraphrasen wieder in Verse zu bringen.
Das Leben und die Dichtungen des Babrios behandelt
M. Marchiano, Babrio, fortuna de' suoi mitiambi,
etä e patria del poeta. Trani 1899.
Der Verfasser schließt sich im wesentlichen an 0. Crusius an.
Sein Buch bringt dem Kenner nichts Neues, ist aber zur Verbreitung
der Kenntnis des Babrios unter seinen Landsleuten nicht ohne Wert,
vgl. die ausführliche Besprechung von L. A. Michelangeli in
Rivista di storia antica N. S. V, S. 8 f.
Zum Schlüsse erwähne ich noch
M. Marchianö, L'origine della favola greca e i
suoi rapporti con le favole orientali. Trani 1900,
der in übermäßig breiter Ausführung zu beweisen sucht, daß die
griechische Fabel rein einheimischen Ursprungs sei, was ihm natürlich
nicht gelingt und auch nicht gelingen konnte.
Neue Funde.
Zu der von H. Diels veröffentlichten Elegie des Posei-
dippos (vgl. vor. Jahresber. Bd. 104, S. 164) gibt
R. Ellis, Notes on the newly discovered elegy of
Poseidippos. Amer. Journal of Philology 1900, S. 77 f.,
eine Reihe von Verbesserungen.
B. P. Grenfell and A. S. Hunt, The Oxyrhynchos
Papyri with eight plates. London 1898,
veröffentlichen unter Nr. 14 achtzehn zum Teil sehr verstümmelte
Verse einer hellenistischen Elegie , welche die einfache Lebensweise
der ersten Menschen preisen. Vgl. darüber U. v. Wilamowitz in
Gött. gel. Anz. 1898, S. 659. G. Fraccaroli, Un elegia di
Archiloco (?). Bollet. di filol. class. V, S. 108 f. H. Weil,
Jahresbericht für Altertumswissenschaft. Kd. CXXXIII. (1901. I.) 11**
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1(56 Jahresbericht über die griechischen Lyriker. (Sitzler.)
Sur an texte poe*tique conserve" sur papyrus. Rev. des
6tud. gr. 1898, S. 239 f., abgedruckt in Stüdes de litterature
et de rhythmique Grecques. Paris 1902, S. 25 f.
P. N. Papageorgiu, Zwei iambische Gedichte saec.
XIII und XIV. Byzant. Zeitschrift VIII, S. 672 f.
Das erste, 10 Verse, steht am Ende eines codex und ist das Gebet
des Abschreibers, Kp^tr,? rpoeopoc Nix7,96poc, um Gottes Segen für
seine Mühe. Das zweite befindet sich am Anfang von Kaiser Michael
Paläologos Tuttixöv rr^ ir\ too ßoovou xou AoSevtfoo öeßa3|i6zc jiov^c
Mtx«^ tou 'Apxa^eXoo, ein Gebet an den Erzengel Michael um
Beistand in 108 Versen.
H. v. Herwerden, Mnemosyne 1900, S. 24 f., erkennt in
Plutarch Lacaen. apophthegm., p. 241 A (Bernad.) das Distichon:
SeiXoi xXaieö&oxJav • lf<» U oe, t&vov, dtöaxpo? [xal JXapd] | dairrto
xöv xai 4(aov xal Aaxefaipävtov.
U. v. Wilamowitz, Hermes 1902, S. 324, entdeckte in
Apoüonios über die Konjunktionen S. 251 (Sehn.) den unvollständigen
Pentameter a<&<ppa>v rcep (i><ov to5t<5 f£ jxoi xapisou
W. Headlam, Class. Rev. 1899, S. 151 f., am Schlüsse seines
Aufsatzes liest das Sprichwort det jjie xotoi (st. totootot) iroXijwoi
Suoxotev und führt es auf eine Fabel zurück.
II. Melische Dichter.
a) Allgemeines.
An neuen Ausgaben sind erschienen
1. Greek melic poets by H. W. Smyth. London,
Macmillan and Co. 1900.
2. Antologia della melica Greca con introduzione,
comento e appendice critica del A. Taccone. Törino, E. Loescher
1904.
Beide Ausgaben verfolgen denselben Zweck, nämlich in das
Studium der indischen Dichter der Griechen einzuführen. Die Ein-
leitung klärt über den Begriff Melik und die verschiedenen Arten
der griechischen Melik auf. Daran schließt sich bei beiden eine
ausführliche Bibliographie. Die Fragmente sind nicht vollständig,
sondern nur in Auswahl aufgenommen ; Smyth fügt in einem Anhang
noch die Skolien der Weisen, eine Anzahl Anakreonteen, den delphischen
Päan auf Dionysos, den Päan des Aristonoos und den des Isyllos von
Epidauros, außerdem die zwei delphischen Hymnen auf Apollon mit
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Jahresbericht über die griechischen Lyriker. (Sitzler.)
107
Noten bei; auch die Fragmente Pindars, sowie die neu aufgefundenen
Gedichte des Bakchylides hat er berücksichtigt, von denen er 3, 5,
«.., 9, 11, 18, 14, 15, 17 und 18 (bei Kenyon) bebandelt hat.
Taccone hat Bakchylides, Pindar, die genannten Hymnen und
Päane, sowie die Anakreonteen und Skolien der Weisen beiseite
gelassen, dafür aber ein Stück aus den neu gefundenen Persern des
Timotheos mitgeteilt. Der Kommentar, bei Taccone an die einzelnen
Fragmente angeschlossen, bei Smyth hinter die Fragmentsammlung
gestellt, ist vorwiegend exegetisch; doch ist auch die Erörterung
kritischer Fragen nicht ausgeschlossen und immer eine kurze Bio-
graphie der einzelnen Dichter beigegeben. Smyth dehnt ihn sehr
weit aus, zieht Parallelen aus Homer, Theokrit und Horaz bei und
widmet auch der Sprachgeschichte und Etymologie einen großen
Raum. Hinsichtlich der Metrik zeigt sich Smyth konservativ,
während Taccone die neuen Grundsätze mit gutem Erfolg durch-
führt. Auf einzelnes werde ich bei Besprechung der Dichter zurück-
kommen.
Eine außerordentlich rege Tätigkeit herrschte in den letzten
Jahren auf dem Gebiet der griechischen Metrik und Rhythmik,
indem man bestrebt war, an die Stelle der jetzt herrschenden Theorie,
die aber auch ihre Verteidiger fand, die Grundsätze der Griechen
selbst zu setzen. Hier können jedoch nur die Arbeiten Berück-
sichtigung finden, die sich speziell auf die melischen Dichter be-
ziehen.
Den Hiatus in der melischen Poesie der Griechen untersucht
E. B. Clapp, Hiatus in greekmelicpoetry. University
of California publications. Classical Philology. Vol. I, S. 1—84.
Berkeley 1904.
Der Verfasser stellt alle Fälle, wo bei den Melikern auf
vokalischen Auslaut des einen Wortes vokalischer Anlaut des nächsten
folgt, zusammen. Dabei trennt er Pindar, von dem uns am meisten
erhalten ist, von den anderen Lyrikern. Die Fälle von Hiatus teilt
er ein in scheinbaren Hiatus, in Hiatus nach einem Diphthong oder
langen Vokal und in Hiatus nach einem kurzen Vokal. In der ersten
Gruppe handelt es sich um Wörter, die ursprünglich mit Digamma
anlauteten, und eine Vergleichung der Meliker einerseits mit Homer,
anderseits untereinander zeigt, daß die Wirkung des Digamma mit
der Zeit immer seltener wird. Die zweite Gruppe weist den Diphthong
oder langen Vokal bei Pindar in 16 Fällen als Länge, 212 als Kürze,
bei den anderen Melikern in 12 Fällen als Länge, in 140 als Kürze
auf. Die Verkürzung ist fast ausschließlich auf den Daktylus und
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168
Jahresbericht über die griechischen Lyriker. (Sitzler.)
hier wieder in der überwiegenden Zahl der Fälle auf die zweite
Kürze beschränkt; anf den Tribrachys treffen 5, anf den Creticus 4
und auf den Trochäus 5 Fälle, die letzteren zweifelhaft. Die dritte
Gruppe umfaßt nur wenige, teilweise unsichere Ausnahmeerscheinungen.
Viele Mühe gibt sich der Verfasser mit der Erklärung der Gründe,
die in der zweiten Gruppe zur Beibehaltung der Länge oder zur
Verkürzung führten, meiner Meinung nach ohne Not; diese Frage
mag man für die alten Dichter, wie Homer, stellen, die Meliker aber
waren hier, wie in den Fällen vor ursprünglichem Digamma, nur
Nachahmer. Auch der Verfasser kommt um das Zugeständnis nicht
herum, daß manche Fälle eben auf früherer Übung beruhen. Dali
Korinna 2 x<6pav t' dbc' eoCc itaaav a>voü{U)vev fehlerhaft überliefert
ist, wird mit Recht bemerkt; ich vermute y<Lpav te eou? (te ^eoSc)
irotaav cov.
Mit den äo Ii sehen Versmaßen beschäftigen sich
1. C. Fries, Das Skolienmetrum und Alkaios.
Wochenschrift für klass. Philol. 1904, S. 1019 f.
2. 0. Schröder, Die alkäische und sapphische
Strophe. Berl. phil. Wochenschrift 1904, S. 1628 f.
3. F. Blaß, Die Punkte zur Bezeichnung des
metrischen Iktus. Hermes 1900, S. 842 f.
Fries hat in seinem Aufsatze Symbola metrica im Philol. 1902,
S. 508 f., auf die Ähnlichkeit des sapphischen Elfsilbers mit der
indischen Trishtubhreihe hingewiesen. Im Zusammenhang damit sucht
er jetzt nachzuweisen, daß die Skolienstrophe und das nach Alkaios
benannte System eine Fortbildung ostarischer Metrik sei, aus der-
selben Trishbuthzeile hervorgegangen. Den 3. Vers der Skolien-
strophe faßt er nämlich als 2 iambische Dipodien, den 4. Vers als
Doppelsetzung der 2. Hälfte des Sapphicus mit Katalexis; der auf-
steigende Rhythmus in der Schlußhälfte der Skolienstrophe aber
stamme aus der meistens aufsteigenden Trishbuthzeile. Ähnlich sei
es im Alcaicum, wo im 1. und 2. Vers der aufsteigende Rhythmus
auf das Ganze übertragen sei, während der 3. und 4. Vers wie in
der Skolienstrophe aus der Doppelsetzung der beiden Vershälften
mit Verkürzung entstanden sei. Als Mittelglied zwischen Indien und
Griechenland betrachtet Fries die kleinasiatischen Rhythmen.
Die historische Metrik wird Fries für den Hinweis auf die
Ähnlichkeit zwischen der Trishtubhzeile und dem sapphischen Hende-
kasyllabon dankbar sein. Eine Übertragung des indischen Verses
auf griechischen Boden durch Kleinasien läßt sich aber nicht nach-
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Jahresbericht über die griechischen Lyriker. (Sitzler.) 100
weisen and ist auch an sich unwahrscheinlich ; die beiden Verse haben
sich anabhängig voneinander bei den Gliedern desselben Sprach-
stammes entwickelt. Das gleiche gilt auch von dem Skolionmetrum
and der alkäischen Strophe. Die Skolionstrophe zeigt xo xotta
ßaxxetov eI8os , aus 3 + 3 -f 2 + 3 Dipodien bestehend ; die sapphische
and alkäische Strophe aber wird nach den bisherigen Forschungen
am besten als iambisch mit Umstellungen gefaßt Hephaestion nennt
den sapphischen Elfsilber epichoriambischen, den alkäischen epionischen
Trimeter, jeweils vom 2. Metrum ausgehend. W. Döhrmann, De
versunm lyricorum incisionibas quaestiones selectae. Diss. Göttingen
1902 (vgl. Jahrb. f. klass. Philol. Supplementb. XXV1Ü, S. 251 f.)
rechnet den sapphischen Vers mit Unrecht unter die ionischen, vgl.
0. Schröder, Die enhoplischen Strophen Pindars. Hermes 1903.
S. 202 f., wo aber an dem ionischen Charakter des alkäischen Verses
festgehalten wird.
Gegen die übliche Vereinigung des 3. und 4. Verses der
sapphischen und alkäischen Strophe wendet sich 0. Schröder; er
erklärt den Adonius in der sapphischen Strophe für einen alten
Zweisilber, dazu bestimmt, die drei vorhergehenden Elfer zu einer
Einheit zusammenzufassen, das ganze also, wenn man will, drei Stollen
mit Abgesang, eine Bildung, die auffallen muß, da nach demselben
Gelehrten im Philologus 1903, S. 161 f., die Strophen sonst in zwei
Stollen mit Abgesang zerfallen. Die alkäische Strophe besteht nach
ihm aus drei Fünfhebern (Elfern und Neunern), die mit ihrer
Anzipität der 5. Silbe auf steigenden Zwei- und Dreiheber, auf
Jambikon und Telesilleion, hinweisen, und aus einem Vierheber oder
Dimetron, dem daktylisch-trochäischen Zehner. Dabei faßt er den
Daktylos als dreizeitig, dem Trochäus entsprechend, vgl. Berl. phil.
Wochenschr. 1903, S. 1490 f. Von der Richtigkeit dieser Annahme
kann ich mich bis jetzt nicht überzeugen und ziehe daher die Drei-
teilung der Strophe mit dipodischer Taktmessung zu je 6 Zeiten vor.
Der Trimeter iambicus hat jeweils auf dem zweiten Jambus des
Metrons den Iktus; darüber kann kein Zweifel mehr sein. Nun sagt
aber der Anonymus Bellermanni irepl {aooguxt;? , daß die metrische
Arsis, der unbetonte Taktteil, durch einen Punkt über der Note be-
zeichnet werde, während bei der Thesis der Punkt fehle. In dem
Seikelos-Liedchen nun steht der Punkt auf dem 2. Jambos. Daraus
wollte H. Weil schließen, daß Bentley recht habe, wenn er den
Ton im Trimeter auf dem 1. Jambus ruhen lasse, vgl. H. Weil,
ßtudes de litterature et de rhythmique grecques. Paris 1902,
S. 138 f. F. Blaß (vgl. auch Bacchylides carmina. Lipsiae 1900,
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170 Jahresbericht über die griechischen Lyriker. (Siteler.)
S. 50 f.) weist aber darauf hin, daß der Anonymus nicht den Trimeter,
sondern den oaxxoXoc xatd fopßov meine ; dieser sei auf dem 1. Jambos
betont. Damit stimme die Bezeichnung des Seikelos-Liedchens und
Herondas I 40, wo die Punkte zur Bezeichnung der betonten Silbe
unten stehen; gewöhnlich habe man aber nicht betonte und unbetonte
Silben bezeichnet, also Punkte über und unter die Silbe gesetzt,
sondern sich mit den oberen begnügt und nur da, wo Noten hinzu-
kamen, die unteren gewählt, weil oben schon die Noten standen.
Demnach besteht in der Betonung ein Unterschied zwischen dem
melischen Dijambus und der iambischen Dipodie im Trimeter; der
erstere vertritt den schweren Ionikus.
Mit der Sprache beschäftigen sich
1. R. Meister, Dorer und Achäer. I. Teil. Leipzig
1904. [Abh. der K. sächsischen Ges. d. Wissensch. XXIV
Bd. Nr. 3].
2. Ch. Lambert, De dialecto aeolica quaestiones
ad graramaticam pertinentes. Dijon 1903.
Meister geht von der Voraussetzung aus, daß sich in den
von den Dorern eroberten Gebieten noch Überreste der Sprache des
achäischen Volksstammes erkennen lassen. Zu den echt dorischen
Eigentümlichkeiten rechnet er 1. die Verhauchung des intervokalischen s
in Lakonien und Argos, aber nicht in Kreta; 2. die spirantische Aus-
sprache des 8; 3. die spirantische Aussprache des 8 und die Ver-
tretung des C durch 88 (8); 4. die Schreibung ß für J1; 5. den
Übergang des ursprünglich durch a oder 7 getrenntan e in t vor 0-
und A-Lauten. Das Vorkommen von 3 und h nebeneinander auf
lakonischen Inschriften erklärt sich daraus, daß in Lakonien, Argos
und Kreta auch noch in späterer Zeit verschiedene Dialekte neben-
einander bestanden, eine für die richtige Beurteilung der Sprach-
überreste wichtige Beobachtung.
Lambert behandelt zunächst die Laute £ und 08; C ist die
explosive Sonans -f- i, neben der <j 8 lange bestand, bis es dann all-
mählich mit ihr verschmolz. Hierauf wendet er sich der Betrachtung
der Diphthonge zu. Das Digamma verschwand nach ihm im 7. Jahr-
hundert v. Chr. aus der Sprache der Äolier, das 1 in den Laut-
gruppen tji at tot aio (ho ijto eto im 4. Jahrhundert v. Chr.
Hieran reihe ich
G. E. Rizzo, Saggio su lmerio il sofista. Riv. di
filologia 1898, S. 518 f.,
der im 1. Teil die poetischen Quellen des Himerios behandelt, im
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Jahresbericht über die griechischen Lyriker. (Sitzler.) 171
2. Teil eine Betrachtung des e7ndaXa'(uo; zk leßijpov anstellt. Der
Verfasser meint, daß man dem Himerius, der von der Schönheit nnd
der großartigen Wirkung der griechischen Poesie durchdrangen sei,
in seinen Zitaten aus den Dichtern glauben dürfe, allerdings mit
einer gewissen Vorsicht. Ich kann dem nicht zustimmen; denn wenn
auch die von dem Sophisten behandelten Stoffe den Dichtern ent-
nommen sind, so hat Himerios doch in der Wahl der Worte die
einzelnen Dichter so wenig voneinander geschieden und so viel
eigenes beigemischt, daß Zuweisungen an den oder jenen Dichter
ganz unsicher bleiben müssen. Man kann aus ihm nur ein Bild,
wie die Dichter Uberhaupt einen Stoff behandelten, gewinnen, nicht
aber unterscheiden, was davon den einzelnen Dichtern oder dem
Himerios selbst angehört.
Auch einige Gattungen der melischenPoesie wurden,
zum Teil auf Grund neuerer Funde, wieder untersucht, um ihr Wesen
richtiger zu bestimmen und ihr Verhältnis zu den andern genauer
darzulegen. Dahin gehören
A. Fairbanks, A study of the greek Paean. New
York 1900. (= Cornell studies in classical philology Nr. XII),
der unter Berücksichtigung der delphischen Funde den Päan zum
Gegenstand eingehender Forschung macht. Die Arbeit ist verdienstlich,
besonders auch durch die fast vollständige Zusammenstellung der
alten Zeugnisse, S. 69 f., und die Mitteilung der erhaltenen Päane
oder Reste von Päanen, S. 99 f., dankenswert, wenn auch nicht völlig
befriedigend. Der Verfasser läßt den Päan ursprünglich an den alten
Heilgott Päeon gerichtet sein, was an sich unwahrscheinlich ist und
auch in unserer ältesten Quelle Homer keinen Rückhalt findet (vgl.
meine Bemerkungen in der Wochenschr. f. klass. Philol. 1901,
S. 59 f.). Hier ist er ein Lied, durch das man eine Gottheit um Ab-
wendung eines Unglücks bittet oder ihr Dank und Freude für geleistete
Hilfe ausspricht. Über die Form dieses Päan läßt sich allerdings
kein sicheres Urteil abgeben; aber der Verfasser hätte doch darauf
hinweisen sollen, daß sich aus X 891 mit großer Wahrscheinlichkeit
die Vortragsweise durch einen itdpyjav ergibt, wobei die Menge in
den Refrain, von dem der Päan seinen Namen hat, einstimmt. Das-
selbe wird man für A 473 annehmen, wenn man die Stelle mit
Alkman 22 und Archilochos 76 in Zusammenhang bringt. Auch
später werden noch Päane an verschiedene Götter gedichtet; aber
der Gott, zu dessen Verehrung sie an erster Stelle gehören, ist
Apollon, der eigentliche öeo? dXefcxaxoc, der von dem Lied geradezu
den Namen Päan erhielt. Der Anstoß zu dieser Änderung ging von
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172 Jahresbericht über die griechischen Lyriker. (Sitzler.)
Kreta, neben Lesbos dem Hauptsitz des Päan, und von Thaletas und
seiner Schule aus, was der Verfasser nicht gebührend hervorhebt;
von hier verbreitete sich der Päan in alle Teile Griechenlands, wofür
schon Name und Versmaß sprechen, besonders auch nach Delphi,
dem Sitze des Pythischen Apollon, dem Mittelpunkt der Verehrung
des Apollon Päan in der folgenden Zeit, wo auch dessen Verbindung
mit Dionysos zustande kam. Die Form dieses Päan war chorisch.
Die einzelnen Arten des Päan hat der Verfasser zu sehr auseinander-
gerissen; sie gehen alle auf das ursprüngliche Wesen des Päan, das
Bitte, Dank und Freude in sich vereinigte, zurück. Besondere Dar-
legung hätte das Verhältnis des Päan zu dem Dithyrambos verdient,
da nach den Andeutungen bei Plat. leg. 700 D die Grenzen zwischen
den beiden Dichtungsarten verwischt wurden; dabei wäre Verfasser
dann auch auf Bakchyl. 17 zu sprechen gekommen, eine Stelle, die
er übersehen hat.
Besonders lebhaft war, hauptsächlich im Anschluß an Bakchylides,
die Beschäftigung mit dem Dithyrambos. Damit befaßten sich
1. 0. Crusius, Dithyrambos. Pauly-Wissowas Realen-
cyklop. Bd. V, S. 1208 f.
2. W. Schmid, Zur Geschichte des griechischen
Dithyrambos. Progr. Tübingen 1901.
8. G. £. Rizzo, Studi archeologici sulla tragedia
e sul Ditirambo. Riv. di Filol. 1902, S. 447 f.
4. D. Comparetti, Les Dithyrambes de Bacchylide.
MeUanges H. Weil. Paris 1898, S. 25 f.
5. H.Jurenka, Die Dithyramben des Bakchylides.
Wiener Studien 1899, S. 8 f.
Das Wesen und die Geschichte des Dithyrambos legt Crusius
vortrefflich dar. Durch die Auffindung der Gedichte des Bakchy-
lides ist unser Verständnis dieser Dichtungsart bedeutend gefördert,
wenn auch nicht vollständig erreicht worden. F. Blaß, der, auf
das Servius-Zitat zu Aen. VI, 22 gestützt, die sechs letzten Gedichte
unter dem Titel Dithyramben in seiner Ausgabe zusammenfaßt , be-
zweifelt in der Praefatio zu seiner Ausgabe doch , ob sie alle wirk-
liche Dithyramben sind, vgl. auch U. v. Wilamowitz, Gott. Gel.
Anz. 1898, S. 145; dagegen treten Comparetti und Schmid für
ihre Echtheit ein. Jurenka prüfte diese Frage genauer und kam
zu dem Ergebnis, daß man 19 (18) als Dithyramb ansehen könne,
auch 18 (17) stehe als lyrisches Drama den Dithyramben nahe, aber
20 (19) sei ein Epithalamios, 17 (16) ein Hymnus, 16 (15) ein Päan
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Jahresbericht über die griechischen Lyriker. (Sitzler.) 173
und 15 (14) lasse sich nicht genauer bestimmen. Man sieht also,
daß die griechischen Grammatiker ganz verschiedenartige Gedichte
mit dem Namen Dithyramben bezeichneten, was wir ja auch aus der
literarischen Überlieferung wissen. Der Grund davon liegt darin,
daß die rjponxYj üwSdeoi? das eigentlich Charakteristische des Dithy-
rambos war, und daß man demgemäß alle Gedichte ohne bestimmt
ausgesprochenen Charakter, wenn sie eine ■fjpunxTj Girrest? enthielten,
eben zu den Dithyramben rechnete. Schmid hat nun die Frage
aufgeworfen, wie es kam, daß in dem Dithyrambos, dessen eigent-
lichen Inhalt doch tj Atovoaoo Y^vsat? (Plat. leg. III, 700) ausmachte,
außer den Sagen dieses Gottes auch die übrige Heroensage Behand-
lung fand. Er betrachtet dies als das Werk der Tyrannen, die durch
Einführung der beim Adel beliebten Heroensage in das volkstümliche
Dionysoslied beide Stände miteinander verbinden und für sich ge-
winnen wollten. AberCrusius macht mit Recht darauf aufmerksam,
daß die Verwendung der Heldensage im Dithyrambos schon vor das
Auftreten der Tyrannen falle, vgl. Sp. 1208. Auch über den Dionysos-
kult urteilt Schmid nicht richtig, wenn er ihn nur dem niederen
Volke zuweist; er war auch in dem Adelsstaat ein Hauptkult, vgl.
Crusius Sp. 1215; galt doch Dionysos als Herr der Seelen und
Schützer der Ahnen, der das Fortbestehen der Adelsfamilien und des
Königshauses sicherte, vgl. Sp. 1208. Jedoch geht Crusius zu
weit, wenn er auch tt,v Aiovuaou -jiveotv als Inhalt der ursprünglichen
Dithyramben in Abrede stellen will ; darin muß man Piaton Glauben
schenken. Allerdings scheint der Kreis der Mythen für den Dithy-
rambos bald erweitert worden zu sein, und wie dies kam, deutet
Crusius gut an, wenn er darauf hinweist, daß ja auch Dionysos
von Haus aus ein Heros war. Überdies sehen wir in der Tragödie
denselben Vorgang, so daß diese Erscheinung für uns kaum mehr
etwas Auffallendes haben kann. Dithyrambenstoffe finden sich nicht
selten auf Vasen dargestellt, wie R i z z o dartut, der die Darstellungen
auf den Vasen auf die Pinakes zurückführt, welche die Dichter
weihten.
b) Die einzelnen Dichter.
Terpander.
U. v. Wilamowitz, Textgesch. d. griech. Lyriker, S. 7 f.,
läßt es dahin gestellt, ob sich echte oder angebliche Kompositionen
des Terpander bis in die Zeit der Alexandriner erhalten haben;
die alexandrinischen Ausgaben berücksichtigten ja die Musik nicht.
Dagegen bezweifelt er nicht, daß kitharodische Prooimia — er konnte
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174 Jahresbericht über die griechischen Lyriker. (Sitzler.)
noch hinzufügen : und Nomen — unter Terpanders Namen vorhanden
waren ; nur glaubt er, die alexandrinischen Kritiker hätten alle diese
für unecht erklärt. Zum Beweise dafür verweist er auf ihr Urteil
über die rhapsodischen Prooimia Homers und auf die Worte Strabons
XIII, 618: lv tote ävacpspojjivotc eirecnv efc o6t6v (sc. Te'picavopov).
Dies genügt aber nicht ; denn die zuletzt angeführten Worte beziehen
sich nur auf die zitierten Verse, und zwischen der dichterischen
Persönlichkeit Homers und Terpanders ist doch ein großer Unter-
schied. Es kommt noch dazu, daß Terpander in dem konservativen
Sparta wirkte, und zwar auf religiösem Gebiete, wo man am Über-
lieferten zähe festhielt. Was insbesondere seine Nomen betrifft, so
hatten diese in der Sphragis auch für die Späteren ein sicheres
Erkennungszeichen. Ich halte daher die Vermutung von 0. Crusius
in Pauly-Wissowa, Bd. V, Sp. 1225* für recht wahrscheinlich, daß
es ein spartanisches Liederbuch gegeben habe, dessen Hauptbestand-
teile man — wohl auf Selbstzeugnisse in der Sphragis hin — dem
Terpander zuschrieb; dieses habe typische Formen der Nomenpoesie
enthalten und neben den ionischen Hymnen dem Kallimachos als
Vorbild für seine archaisierende Hymnendichtung gedient. Auf diese
Sammlung gehen die Mitteilungen der Alexandriner über Terpanders
Nomen- und Prooimienpoesie zurück.
J. J. H(artmann), Mnemosyne 1902, S. 168, tritt fUrBergks
Konjektur eü&uoryuta st. supuayoia fr. 6, 2 ein, wofür Smyth Solon
4, 37 und Pind. P. 4, 153 anführt. Daß sie aber unnötig sei, er-
kennt Smyth und Taccone an.
Alkman.
Kritische und exegetische Beiträge zu Alkman liefern
außer den Herausgebern Smyth und Taccone
1. F. Blaß, Vermischtes zu den griechischen
Lyrikern und aus Papyri. Rhein. Mus. 1900, S. 91 f.
2. PÄ Egenolff in Rhein. Mus. 1901, S. 287 f.
8. W. Headlam, Notes on the greek lyric poets.
Class. Rev. 1900, S. 5 f.
Blaß weist darauf hin, daß bei Alkman Gleichklänge an den-
selben Versstellen der Strophen vorkommen, so XX1I1, 53 IracvOet
und 81 Naivst, 57 jikv auta und 85 jxev aoxa, 64 iropcpupa; und 78
xaXXfe<pupoc. Einen solchen Gleichklang findet er auch in fr. 9
hnrfoa ao<p<o und fr. 24 Tiapa ao<poiatv; daraus schließt er, daß beide
Bruchstücke demselben Gedichte angehören. Ebendasselbe vermutet
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Jahresbericht über die griechischen Lyriker. (Sit2ler.) 175
er von fr. 4 and fr. 48, wo er xal iravöta? leXava; liest, wegen des
Gleichklangs 2eparvo? und 2eXdva?. Ich kann solchen Anklängen
kein Gewicht beilegen. XXIII, 26 vermutet er i^apiov = eicsS^oov.
Smyth meint fr. 33, 5, ich hätte rap eadei (st. r^paaÖYj) nur
vermutet, weil ich glaubte, auf den gnomischen Aorist könne kein
Präsens folgen. Er hat also die Hauptgründe ganz übersehen, die
darin liegen, daß ^paadr, hier den Akkusativ bei sich hat und über-
dies eine jüngere Form für das ältere ^pdatJato ist. — Fr. 34 leitet
er iroXu<pavoc von <pav6« „ Fackel14 ab und erklärt cttpixpov = adpuircov
unter Hinweis auf aptov TeTpaxptxpov Hes. ep^a 442, beides gut. —
Fr. 86 schlägt er v6q> st. 5o*jiq> vor, was ich schon vor 20 Jahren
getan habe.
Egenolff schlägt fr. 44 vor: xql ol aeioji^vav Oed xdpav j
ifijxaitla»; lma&, sich ziemlich eng an die Hs. anschließend.
Headlam liest fr. 145 recht ansprechend Aopx<&v, Acc. von
Aopxcu, st. 66pxov.
Im 1. Band der Oxyrhynchos-Papyri Nr. 8 wurden einige Hexa-
meter veröffentlicht, die F. Blaß dem Alkman zuwies. Sie wurden
behandelt von
1. ü. v. Wilamowitz, Gött. Gel. Anzeigen 1898, S. 673 f.
2. H. Di eis, Sitzungsber. der Berl. Akad. der Wissensch.
1898, 7. Juli.
3. F. Blaß, Neuestes aus Oxyrhynchos. N. Jahrb.
1899, S. 30 f., 80.
4. J. v. Leeuwen, Mnemosyne 1899, S. 221 f.
5. H. Jurenka, Zum neuen Alkmanfragment. Wien.
Stud. 1900, S. 25 f.
Die drei ersten Zeilen des Bruchstückes sind stark verstümmelt.
Nach ihnen steht die Paragraphos auf dem linken Rande; sie bilden
also den Schluß eines Gedichtes. Anderer Meinung ist freilich
Jurenka, nach dem die Paragraphos die Stelle bezeichnet, wo die
obligate mythische Erzählung des Partheneion zu Ende ist und die
Jungfrauen ihr neckendes Spiel untereinander beginnen; die letzten
Worte liest er oö paXaxäv ti TUiK&aa; | ßr^vai dp' avSp* d<prVjt{ te
oüxivov iv vexowatv. Aber darin hat Jurenka recht, daß die vier
auf die Paragraphos folgenden Hexameter einem Partheneion an-
gehören, und zwar bilden sie dessen Anfang; Blaß wollte sie als
eine Erzählung aus fremder Person fassen, die von Alkman zur
Zither vorgetragen worden sei. Es sind neun Mädchen, die erzählen,
daß sie, festlich geschmückt, in den Tempel der großen Demeter
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17G Jahresbericht über die griechischen Lyriker. (Sitzler.)
gekommen sind. Am Schlüsse ist mit Blaß und Leen wen afyXa
zu lesen. Für den Verfasser halten Blaß und Jurenka Alkman,
was zuerst Wilamowitz und dann, soweit ich sehe, auch alle
anderen bezweifelt haben. Auch ich stimme diesen bei; denn der
Charakter der Verse ist nicht alkmanisch. L e e u w e n bemerkt, daß
in demselben Verse nicht xaXa als Pyrrhichius gemessen und i^axa
mitDigamma begönnet! werden durfte. Dazu kommt der rhetorische
Aufputz, die Anaphora irotiaai rap&evixat, 7rai3at xaXA i^ax1 «"xotaat
mit der Epanaphora xaXot jiev sjAiia-' ^/otsai, dpnrp£7r£ot; 8k xtX.
Allerdings fehlt eine solche Epanaphora auch bei Homer nicht, vgl.
X, 116 f., allein in unserem Gedicht macht sie den Eindruck des
Gesuchten, der durch deii gekünstelten Quantitätswechsel xaXdt und
xäXd noch gesteigert wird, wozu man auch ^jAnax' und Ifijjtax'
rechnen kann. Solch gesuchte Künstelei ist das Charakteristikum
der Alexandriner; von einem Nachahmer aus dieser Zeit müssen
also die Verse stammen. Übrigens gibt Blaß, S. 80, zu, daß die
Verse auch von Erinna sein können.
[Arion.]
Taccone in seiner [Ausgabe schreibt V. 3 f. ifxujAOv* oXuctv
ßp^TX101 ^P* ae* 7* ^Xoreol dijpe? /opetiooai xuxXcp, worin ipcopov'
<5Xfxav von irept und <si von /opeoooat abhängen soll. Ich habe früher
iv xuu.ctJt TiotXjAu ßpu/toif xtX. vermutet; mit Rücksicht auf das Vers-
maß lese ich jetzt £7x0(1$ irotX|io, ßp«TXKOt K8pl 08 TC^tt>x°i xt^m indem
ich zu lifXü{ioc vergleiche svaijio? ev3icsp|A0? evfftopo? svaa>poc.
S a p p h 0.
Mit der Kritik und Exegese der schon bisher bekannten
Fragmente beschäftigen sich
1. 0. Wöhlermann, In Sapphus carmen II quaestiones
criticae. Progr. Stettin 1903.
2. L. Cerrato. Riv. di Filolog. 1898, S. 130 f. [fr. 2, 7,
fr. 4, 95].
3. W. R. Paton, TwoeraendationsofSappho. Class.
Rev. 1900, 8. 228 f. [fr. 2, IG. 28, 3].
4. C. Robert, Die Knöchelspielerinnen des Alexan-
dros. Halle 1897 [fr. 31].
5. P. Egenolff. Rhein. Mus. 1901, S. 303 [fr. 35].
t>. U. v. Wilamowitz, Textgeschichte der griech.
Lyriker. Exkurs 2 [fr. 50, 81, 67].
7. H. Usener. Rhein. Mus. 1900, S. 288 f. (fr. 109].
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Jahresbericht über die griechischen Lyriker. (Sitzler.) 177
Daraus erwähne ich, daß Faton 2, 16 ^ou'vofi' 'A^aXXf vor-
schlägt, der Überlieferung näher als Hermanns cpaivojiGu ÄtfK;
aber der Abschluß des Gedichtes mit der Anrede der Person, an
die es gerichtet ist, gefällt mir nicht; ich ziehe Bergks aXXa vor,
das auch Smyth aufnahm. Damit ist nämlich meiner Meinung nach
das Gedicht beendigt ; die folgenden Worte ~äv ToXjxatov Ittel izivr^a.
o'j Öaujxa'Cet? xxX. gehören dem Longinos und sind wahrscheinlich
verschrieben aus irav xb aa|iaxiov ey* el~k ö^toc o& OaupaCei? xtX. ;
to aajiaTiov hat schon Hersel gefunden: „was das ganze Lied be-
trifft, wohlan sage doch, wunderst du dich nicht" usw. — Cerrato
vergleicht zu fr. 4, wo er t}/Gxpov mit Recht auf die Luft bezieht,
Hör. epod. 2, 27. Quintil. X, 3, 24. — Robert vermutet unter
Berufung auf fr. 31 , daß die Dichterin die Entstehung der Feind-
schaft zwischen Leto und Niobe darstellte, die, einst Jugendfreunde,
sich beim Spiele entzweiten, wie es Alexandros in seinen Knöchel-
spielerinnen schildere; aber diese Darstellung geht doch eher auf
eine epische Quelle zurück, die auch Sappho benützt. — Egenolff
liest fr. 35 aXXav jiot peraXuvso öaxTuXitu r.ipi in engem Anschluß
an die Überlieferung, aber ^akitvtabai xtva ungewöhnlich. —
Wilamowitz hält fr. 50 und 81 für ein Fragment, indem er
rjXav xaaroXeo) für eine nachgetragene Verbesserung zu toXav aicoXecu
ansieht, und liest e^w Ö'ittl (u*Xt)axav | xuXav xaa-oXea> fiele' af xe
xa^ xea, den Schluß frei gestaltend. Aber warum soll die Dichterin
nicht einmal xöXav ciroX£o> jxeXeot, ein anderes Mal xuXav xaoiroX£a>
gesagt und Herodian beide Stellen angeführt haben? Ich halte also
daran fest, daß wir hier zwei Bruchstücke haben, was Herodian
gewiß auch äußerlich kenntlich gemacht hatte, wenn es infolge von
Verderbnis auch jetzt Tiicht mehr klar hervortritt. Etwa xat* ai jiiv
ts? Jedenfalls kann das ausdrücklich bezeugte xe nicht einfach be-
seitigt werden, wie 'js Wilamowitz tut. Fr. 67 schreibt er unter
Berufung auf Pollux X, 10, 78: -e'XXtxa | xdvapi&jia ~orqpia xat
ttta'Xatc, das letztere mit Hermann. Ich habe schon früher darauf
T
hingewiesen, daß in dem überlieferten xaXcu?ic oder xaXXafot? nicht
sowohl xai cptaXat? stecke, als vielmehr xotX' oder xotXX' aarcpiv, vgl.
Jahresber. Bd. 75, S. 213. Woraus iroXXa verschrieben ist, läßt sich
nicht erraten: woeXXa, moeXXs? — Fr. 68, 2 schreibt Bucherer
in seiner Anthologie recht ansprechend oööe TO$f)a k$ oaxepov. —
Usener erkennt in fr. 109 einen feststehenden Hochzeitsbrauch;
ein Mädchen des Brautchors stellte die Jungfrauschaft dar und
schickt« sich zum Weggehen an; die Braut rief ihr klagend nach,
aber jene erklärte, nie mehr zurückzukommen. Dazu vgl. R. Reitzen-
Jahrwbericht für Altertumswissenschaft. Bd. CXXXIII. (1907. I.) 12
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178 Jahresbericht über die griechischen Lyriker. (Sitzler.)
stein, Die Hochzeit des Peleus und der Thetis, Hermes
1899, S. 78 f., wo über Hochzeitslieder und ihre Motive von der
ältesten bis in späte Zeit eingehend gehandelt wird.
Als neues Fragment weist
E. Schwyzer, Varia zur griechischenund lateini-
schen Grammatik. Indogerm. Forschungen XIV, S. 24 f.,
die Glosse bei Hesych u>p<zva* ysXioovtuv ipospij der Sappho zu; er
bringt das Wort mit äol. eopavo? „Himmel" zusammen und vergleicht
damit schweizerisch „Himmel" = Dachraum für Geflügel.
Recht ergiebig für die lesbische Dichterin waren die neuen
Funde. Die erste Bereicherung brachten
B. P. Grenfell and A. S. Hunt, The Oxyrbynchus
Papyri. London 1898,
die unter Nr. VII aus einem von ihnen in das 8. Jahrhundert v. Chr.
gesetzten Papyrus 5 sapphische Strophen, leider keine vollständig,
veröffentlichten. Mit ihrer Erklärung und Ergänzung beschäftigten sich
1. H. Diels, Zu den Oxy rhyn chus-Papyri. Sitzungs-
ber. der Berl. Akad. der Wiss. 1898. 7. Juli. XXXV, S. 497.
2. U. v. W i 1 a m o w i t z - M ö 1 1 e n d o r f f. Gött. Gel. Anzeigen
1898, S. 697.
8. Fr. Blaß, Neuestes aus Oxy rhynch os. N. Jahrb.
1899, S. 30 f.
4. H. Jurenka, Die neugefundeneOdederSappho.
Wiener Studien 1899, S. 1 f.
5. G. Fraccaroli, L'ode di Saffo recentemente
scoperta. Boll, di Filol. class. V, S. 83 f.
In dieser Ode bittet Sappho die Nereiden um glückliche Heim-
kehr für ihren Bruder; daß Charaxos — vgl. Über ihn fr. 138 —
gemeint ist, hätte Wilamowitz nicht bezweifeln sollen, vgl. be-
sonders Jurenka, S. 8 f. Die letzte Strophe ist zu verstümmelt,
um wiederhergestellt zu werden ; aber auch die bis jetzt vorgebrachten
Ergänzungen zu den vier ersten Strophen befriedigen nicht durchweg.
Die Bruchstücke von drei weiteren Gedichten der Sappho ent-
deckte W. Schubart auf einer Pergamentrolle, die er dem 6. oder
auch dem 7. Jahrhundert n. Chr. zuschreibt, die aber K. Wesse ly
für älter hält, und veröffentlichte sie, von Wilamowitz unter-
stützt, in den Sitzungsber. der Preuß. Akademie der Wissensch. 1902,
S. 195 f. Die beiden ersten Gedichte sind etwas vollständiger, das
dritte sehr trümmerhaft erhalten. Sie bestehen aus dreizeiligen
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Jahresbericht über die griechischen Lyriker. (Sitzler.) 179
Strophen; die Strophe des ersten Gedichtes enthält zwei Glykoneen
und einen Vers, der um einen Daktylos länger als der Glykoneus
ist, das afoXixöv Tetpajietpov axataX^xxov , vgl. Hephaest. 7; die
beiden anderen haben das gleiche Metron. einen bis jetzt unbekannten
Vers, bestehend aus Creticus und Glykoneus, einen Glykoneus und
einen Phaläceus, zu einer Strophe vereinigt. Die Oden stammen also
aus dem fünften Buche der Sappho- Ausgabe. Sie beziehen sich, wie
es scheint, alle auf Atthis ; im ersten Gedicht ruft sich die Dichterin
den Abschied von ihr ins Gedächtnis zurück, im zweiten gibt sie
ihrer Sehnsucht nach der in Lydien Weilenden Ausdruck.
Mit der Erklärung und Herstellung der Bruchstücke befaßten sich
1. Fr. Blaß, Die Berliner Fragmente derSappho.
Hermes 87, S. 456 f.
2. H. Jurenka, Die neuen Bruchstücke der Sappho
und des Alkäos. Zeitschr. f. österr. Gymn. 1902, S. 289 f.,
1903, S. 481 f.
3. Th. Reinach, Nouveaux fragments de Sappho.
Rev. des Stüdes grecques 1902, S. 60 f.
4. G. Fraccaroli, I nuovi frammenti di Saffo nei
papiri berlinesi. Boll, di Filol. class. VIII, S. 252 f.
5. F. Solmsen, Die Berliner Bruchstücke der
Sappho. Rhein. Mus. 57, S. 328 f.
6. G. Wörpel, Zu Sappho. Wochenschr. f. klass. Philol.
1902, Nr. 21, S. 588 f.
7. J. Nicastro e L. Castiglioni, Nuovi frammenti
di Saffo. Atene e Roma 1902, S. 541 f.
8. V. Hahn, Die neugefundenen Sappho-Verse.
Eos VIII, S. 38 f.
Der Anfang des ersten Gedichtes fehlt. Den ersten erhaltenen
Vers spricht Sappho , wie Fraccaroli und Jurenka gegen
Schubart und Solmsen, die ihn der scheidenden Schülerin zu-
weisen wollen, mit Recht bemerken. In V. 3 stellt Blaß als hs.
Lesart esi7c, nicht esv, wie Schubart las, fest ; er ergänzt demnach
itnzi (ioi, während Jurenka Ist-' ujioi wünscht, uuot = otioo.
V. 8 und 10 hat die Hs. irrtümlich ^[ivaidö' und fyivaisat, was mit
Blaß und Solmsen in ji£{ivad>' und ö^ivaaai zu korrigieren ist;
asjivaaÖat steht imperativisch. V. 9 f. ergänzt Blaß, der sah, daß
die Hs. 8£Xü>, nicht Oeeov, und ji . . . ^sat, nicht \ . . . tyzn hat,
vortrefflich : al os ji^ , dl\k bilio 0&ü> | 6 jivasai , tu o' c&jietysai |
12*
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180 Jahresbericht über die griechischen Lyriker. (Sitzler.)
T6t>c " „wSXXa ts x«l xaV ^da/ojASv". V. 13 hat die Hs. nach
Schubart . . . xto>v xoXXoi, nach Blaß axuuv *f ü}ioi; daher liest
Blaß xal ßp6Su>v dxt'vw t' ujxoi und Y. 14 xdvvqxco; möglich ist auch
Taccones xdvöp'jffxcuv und Jurenkas xal xptvtov. Am Ende des
Verses hat Jurenka das hs. ^ape&^xao gut in Tcspsfh^xao gebessert.
Die V. 15 und 16 sind bei Athen. XV, 674 d überliefert, vgl. fr. 46.
V. 17 ist mit Blaß nach den hs. Spuren dvöe*oiv r^apiveov zu lesen,
und V. 18 f. bietet die Hs. xal ttoXXw ? H-^W | ßpevÖet'q>
padi>.Tjtq> (vgl. Athen. XV, 690 e, wo diese Worte überliefert sind,
fr. 49) | Izdktityao x . . was Blaß durch Einfügung von 8ä>axtc
und Beifügung von xaXXtxojiov xdpa vervollständigt. Für ddjiaxic
schreibt Jurenka besser Xtirdptoc und wünscht auch xaXXtxo|AOv xdpa
durch xal xa'pa xal 6£pav (oder xafyeva) ersetzt, was mir weniger
gefällt. Wörpels Vorschlag, V. 18 xdirdXaic 8£ <p6ßatc jiupq> zu
lesen, zerstört die Anaphora uoXXaic, vgl. V. 12 und 15. Von V. 21
ab ist eine auch nur einigermaßen sichere Ergänzung unmöglich.
Auch das zweite Gedicht ist am Anfang unvollständig und rief
dadurch Meinungsverschiedenheiten unter den Gelehrten über die
Auffassung der ersten Verse hervor. Schubart erblickte darin
eine Anrede an eine gemeinsame Freundin der Sappho und Atthis,
„die es besonders schmerzlich empfinde, daß Atthis jetzt im fernen
Lydien ist14, und Wilamowitz will in dieser Freundin Andromeda
erkennen. Diese Auffassung weisen Jurenka und Fraccaroli
mit Recht zurück. Fraccaroli glaubt, Sappho spreche von sich
in der dritten Person und rede die abwesende Atthis wie anwesend
an, Jurenka aber faßt apt^veuxa jioX-a als Subjekt und liest : u>;
zot' eu C<«ofiev ooxi'|a«> o' sjiev | ah Oea J ix£Xav dpi | ifvtoxay aol
Zh (AocXtat' s/atpe jx6Xira, unter der Angeredeten Atthis verstehend.
Beidemal ist der Übergang zum folgenden, wo von Atthis in der
dritten Person gesprochen wird, hart. Ich stimme daher Blaß bei,
daß auch im vorhergehenden die dritte Person Atthis bezeichnet und
mit der zweiten Person die Dichterin sich selbst anredet. Blaß
liest auf Grund seiner Vergleichung der Hs. dirü 2ap8uuv | irpoc
TroXXaxi xutoe vu>v l^oisa, | <u? Trox' £C<uO(isv ouo, xti>? v^jiev | ah 0eai
J'vU'kav dpi | YVtoxa, aa os jidXiJx' e/atpe ftö'XTra, worin aber das in
der Hs. hinter Cwofiev stehende Satzzeichen unberücksichtigt bleibt,
«pqv<oxa ohne Beziehung steht und der ganze erste Satz xu»? v^jiev
xxX. zu farblos ist. Fraccaroli hat mit Recht dpt'/vwxa mit Bezug
auf ai geschrieben; mit Aufnahme dieser Verbesserung lese ich «j?
tcot' ICwojiev 8ua£pa>c xX^sv | ah ös'a ^ix^Xav dpi^vaixa, 3a 8£ xxX. ;
zu xXesv ah dea J^xIXav dpqvtoxa vgl. Horn. 0 873: soxai fiav ox*
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Jahresbericht über die griechischen Lyriker. (Sitzler.) 181
äv «Ste 9&r(v 7Xaox((»iTioa efng. Die folgenden Verse sind richtig
überliefert. V. 18/14 erkannte Blaß in der Hs. xarcotX' av | öpuaxa,
wozu er Athen. XV, 685 b nnd c vergleicht, und ein glänzendes Er-
gebnis lieferte seine Nachprüfung der Hs. V. 15 f. Cacpoixotts' dryava?
l~i | ixva<j&2t7> .... | Xeirrav jxoi <»p£va xapSta ßdprjxai, wo Schubart
Ca^pOYrai? cfyavat r'itt . . . /iirtav «oi . . . ßa>.>jxai gelesen hatte.
Das folgende ist zu verstümmelt, um es zu ergänzen.
Ebendasselbe gilt vom dritten Gedicht, das durch Blaß' Lesung
gleichfalls gewonnen hat. Im vierten Vers wird Gongyla, eine andere
Schülerin der Sappho genannt, an die, wie es scheint^ die Verse ge-
richtet waren. Jurenka schließt aus den Resten der V. 7 f., daß
von der Epiphanie einer Gottheit, die Rede ist, der Sappho ihre Not
klagt, dem Vorgang von Blaß folgend, der an Hermes dachte wegen
«o o^aitox' V. 8. Ob dies auch für <« 8aa~0Tt stehen kann, wie
Jurenka vermutet, der an Aphrodite denkt, ist sehr zweifelhaft.
Klar ist V. 11 xsftvdxrv 6*' ip.sp6; xi; iysi jis, und man kann
Jurenka beistimmen, wenn er in den nächsten Worten die Angabe
des Grundes für diesen Wunsch vermutet; der Wortlaut allerdings
läßt sich nicht mehr feststellen. *
Solmsen untersucht, inwieweit die Ansichten, die er in seinen
Untersuchungen zur griechischen Laut- und Verslehre, S. 137 f., über
das Digamma bei den lesbischen Lyrikern ausgesprochen hat, durch
die neuen Funde bestätigt bzw. widerlegt werden. Seine Aus-
einandersetzungen liefen darauf hinaus, daß das Digamma im Anlaut
noch durchweg vorhanden sei und auch alle die Wirkungen ausübe,
die es auf griechischem Boden überhaupt jemals ausgeübt habe, also
seine konsonantische Kraft überall zur Geltung bringe, nur daß eine
kurze konsonantisch schließende Silbe in der Senkung dadurch nicht
gelängt werde. Sieht man von V. 12 des zweiten Gedichtes ab, wo
sich d hl Ipaa lesen läßt, so widerspricht nur V. 8 des ersten Ge-
dichtes liiiAvaaft'* oTsöa; Solmsen ändert |ii}iva* J^tcJ&a, jjijiva
Imperativ aus plfivao, was wenig wahrscheinlich ist. Was das Wort-
innere betrifft, so hat 0. Ho ff mann, Dialekte Bd. II, S. 461 f.,
festgestellt, daß ursprünglich durch J1 getrennte Vokale in den Texten
der lesbischen Lyriker niemals kontrahiert erscheinen, wenn der
erste von ihnen kurz war, während bei langem ersten Vokal gelegent-
lich Kontraktion, bei Diphthong gelegentlich Verkürzung eintritt.
Daraus schloß Solmsen, daß das Digamma in der zuerstgenannten
Stellung zur Zeit der Sappho und des Alkäos noch tatsächlich vor-
handen gewesen sei, und damit stimmt auch das neue Material
überein.
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182 Jahresbericht über die griechischen Lyriker. (Sitzler.)
Zum Schluß bemerke ich noch, daß auch im dritten Band der
Oxyrhynchus Papyri unter Nr. 424 Reste von drei sapphischen
Strophen mitgeteilt werden, die wahrscheinlich von Sappho selbst
herrühren. Der Papyrus, dem sie entnommen sind, gehört dem
8. Jahrhundert n. Chr. an.
Das Leben und die dichterische Tätigkeit der
Sappho schildert
P. Brandt, Sappho. Ein Lebensbild aus den Frühlings-
tagen altgriechischer Dichtung. Leipzig,
für weitere Kreise, aber auf wissenschaftlicher Grundlage. Da er
darauf ausgeht, dem Leser ein möglichst vollständiges Bild jener
Zeit zu entwerfen, so zieht er vieles in den Kreis seiner Betrachtung,
was, streng genommen, nicht dazu gehört, wie die Schilderung von
Lesbos und dessen Bewohnern, die soziale Stellung der Frauen auf
Lesbos, die griechischen Dichterinnen usw. Die Lieder der Sappho
sind teils in fremder, teils in eigener Übertragung ins Deutsche ein-
gefügt; dabei sind die Hochzeitslieder besonders ausführlich be-
handelt. Im einzelnen durfte der Verfasser etwas zurückhaltender
sein, so z. B. in der Bezeichnung der Kleis als Tochter und des
Kerkylos als Mann der Sappho, sowie in der Behauptung, sie habe
ihrem Bruder Vorwürfe gemacht, oder Alkäos habe um sie gefreit.
Im ganzen aber liest sich die Darstellung gut und erfüllt ihren Zweck.
Nicht zur Verfügung stand mir
A. Stringer, Hephaestus Persephone at Enna and
Sappho at Leucadia. London 1903.
Über die Bucheinteilung der alexandrinischen Sappho-
Ausgabe handelt
U. v. Wilamowitz, Textgeschichte der griechischen
Lyriker. Zweiter Exkurs.
Die bisherige Annahme, daß das Versmaß das Einteilungsprinzip war,
wird durch die neue Untersuchung bestätigt; die Epithalamien
füllten das achte Buch. Der Verfasser meint, weil sie viele oder
doch mehrere Maße mischten. Den Beweis entnimmt er aus den
Fr. 98, 94, 95 und 91, die er auf Grund von Catulls bekanntem
Gedicht miteinander einem einzigen Epithalamios angehören läßt, was
durchaus unwahrscheinlich ist; ebensowenig stammen Fr. 99, 100
und 105 aus einem Gedicht. Es wäre doch auch wunderbar, wenn
bei der großen Zahl von Epithalamien, die Sappho dichtete, unsere
Fragmente einem oder zwei entnommen wären! Von einer Mischung
verschiedener Versmaße in einem Epithalamios weiß unsere Über-
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Jahresbericht über die griechischen Lyriker. (Sitzler.) 183
lieferung nichts ; nach allem, was uns bekannt ist, hatte jedes Gedicht
sein Versmaß, was Theokrit und Catullus bezeugen. Dagegen scheinen
diese Gedichte in einem besonderen Buche zusammengestellt worden
zu sein, weil sie gleicher, d. h. chorischer Form und gleichen Inhalts
waren. Der Erklärer der Sappho und des Alkäos, Kallias von
Mytilene, lebte, wie der dritte Exkurs dartut, nach Aristophanes dem
Grammatiker, nicht vor diesem, wie man bisher annahm.
Über diebildlichenDarstellungenderSappho handeln
1. L. Forrer, Les portraits de Sappho sur les
monnaies. Rev. Beige de numismatique 1901, S. 413 f.
2. G.E.Rizzo, Sur le prötendu portrait de Sappho.
Rev. archöol. 1901, S. 301 f.
Forrer beschreibt die Münzen von Eresos und Mytilene, die
den Kopf oder die ganze Figur der Sappho darstellen ; von mehreren
gibt er auch Nachbildungen. Alle stammen aus der Kaiserzeit.
Rizzo dagegen behandelt den Marmorkopf der Sammlung Biscari
in Katania, der unter dem Namen der lesbischen Dichterin geht und
bis jetzt noch nicht veröffentlicht ist. Die Herkunft des Kopfes ist
unbekannt, die Arbeit unvollkommen, die Erhaltung gut. Der Kopf
ist die Kopie des Kopfes einer Muse oder Nymphe. Eine Nach-
bildung der Sappho des Silanion , ja überhaupt eine Darstellung der
Sappho ist nach Rizzo bis jetzt nicht sicher nachgewiesen; denn
keine der sogenannten Sappho-Büsten geht auf ein authentisches
Original zurück.
E rinna.
F. Blaß, N. Jahrb. 1899, S. 80, stellt es als möglich hin, daß
die im ersten Band der Oxyrh. Pap. Nr. VIII veröffentlichten und
gewöhnlich — allerdings mit Unrecht, vgl. unter Alkman — dem
Alkman zugewiesenen Hexameter von Erinna seien; dagegen scheint
mir Form und Inhalt in gleicher Weise zu sprechen.
Alkäos.
Beiträge zur Kritik und Erklärung liefern
1. Br. Keil, Zu Alkäos [5, 2], Hermes 1899, S. 479.
2. 0. Hoffmann, Zum äolischen Dialekt [5, 2].
Philol. 1900, S. 41 f.
3. F. Solmsen, Zu Alkäos [9, 2. 66. 37 A]. Rhein.
Mus. 1900, S. 310 f.
4. L. Cerrato in Riv. di Filologia 1898, S. 130 f. [fr. 18, 1].
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184 Jahresbericht über die griechischen Lyriker. (Sitzler.)
5. W. Headlam, Notes 011 the greek lyric poets.
Class. Rev. 1900, S. 5 f. [fr. 50].
6. P. Egenolff. Rhein. Mus. 1901, S. 303 [fr. 86].
Daraus führe ich an, daß Hoff mann jetzt die Überlieferung
in fr. 5, 2, die er früher in xopu?a; In a^atc änderte, für tadellos
hält, während Keil xopucpat? ov o^vai? verlangt, was inhaltlich
unmöglich ist, vgl. Jahresb. Bd. 92, S. 123. — So Imsen liest 9, 2
a iro>; ttü> = 7:00. Dasselbe wünscht er auch fr. 66, ohne die ver-
dorbenen Worte jedoch zu verbessern. Ich vermute, mich möglichst
an die Überlieferung haltend ; ^ iro> aovzf' av8pa>v Caitevecov oxpfoov |
v6[aoi? emitveuoiaa (Öixav xe Oitov), Worte, die einen zur Wahrung
von Sitte und Recht unternommenen Zug schildern. — 37 A, 2 leitet
Solmsen 6t/6X<o von yak (vgl. x«*«v) a*> Qnd erklärt „der keine
Ruhe beschieden ist" unter Hinweis auf Hes. ^aXia* r^uyia. —
Headlam schlägt in dem trostlos Uberlieferten Bruchstück 50, 2
oTvoc oxXuoxaxoc und 4 irsSaxpooiievoc t aj^suij, xb 6* o6xsxi vor. —
Egenolff schreibt fr. 86 IXthß, at> oh cp^c; ebenso Hiller, nur
daß dieser richtiger <paU schrieb.
Neue Bruchstücke von zwei oder drei Gedichten des Alkäos
veröffentlichte W. Schubart in den Sitzungsber. der Preuß. Akademie
der Wiss. vom 20. Februar 1902 aus einem Berliner Papyrus des
1. oder 2. Jahrhunderts n. Chr. Sie sind auch abgedruckt in
Th. Reinachs Aufsatz Nouveaux fragments de Sappho in Rev. des
(Hudes gr. 1902, S. 68 f. Einige Bemerkungen dazu gibt H. Jurenkn
in der Zeitschrift f. die österr. Gymnasien 1903, S. 492. Der Zu-
stand der Fragmente ist so trümmerhaft, daß an Ergänzung und
Erschließung des Inhaltes nicht gedacht werden kann. Der zehnte
Vers des ersten Bruchstückes ist das 23. fr. Bgk., dessen Wortlaut
avopec 7<ip thSXioc wSp-p? «ipe-iiot jetzt festgestellt ist. Daraus ersieht
man, daß das Gedicht aus kleineren Asklepiadeen bestand und zu
den Stasiotika gehörte.
Den Versen sind einige Scholien beigegeben, von denen das
folgende wichtig ist: xaxi xijv ywjp xt)V irpioxijv, 2x' lz\ MupatXov
xaxaaxioaaa'fievoi ^-ißoo/.rjV oi xxspl x&v 'AXxaiov x, cpavspa; ?Ä yt-
voji^v/(? <pftdaavxe> Trptv 6ix7)v orojyetv scpo^ov elz (luppav; denn
es ermöglicht uns einen interessanten Einblick in die damaligen
politischen Kämpfe auf Lesbos und zeigt, daß die Aristokraten auch
unter der Tyrannis des Myrsilos schon fliehen mußten; man kannte
mehrere omai derselben. Zugleich fällt neues Licht auf das Jubel-
lied des Alkäos über den Tod des Myrsilos (fr. 20).
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Jahresbericht über die griechischen Lyriker. (Sitzler.) 185
Ein weiteres Bruchstück enthält der zweite Band der Oxyrhynchos
Papyri von Grenfell und Hunt, London 1899, unter Nr. 221,
Col. XI, 9: arevco jxiv Iavl>o> jtöos U Öa'Xasaav fxotv*.
Chilon.
W. Headlam, Notes on the greek lyric poets. Class.
Rev. 1900, S. 5 f., vermutet V. 3 iv XP'W' was einen geläufigen
Gedanken ergibt, aber gewiß nicht nötig ist; die Überlieferung h
Zk /puaqJ gestaltet den Gedanken des Gedichtchens einheitlicher.
Stesichoros.
Zur G e r y o n e i s fr. 5 f. vergleiche man E. It o m a g n o 1 i ,
L'impresa d' Eracle contro Gerione su la coppa
<TEufronio. Riv. di filol. class. 1902, S. 249 f., der die Ansicht
ausspricht, daß in der Darstellung der Geryoneis auf dem Euphronios-
Becher die vier Hopliten auf dem zweiten Bilde, die gegen fünf
Rinder vordringen, nicht Gefährten des Herakles seien, wie man ge-
wöhnlich annimmt, sondern Neleus mit drei Söhnen, welche die Rinder
4em Herakles rauben, vgl. Horn. A 690 f. Isokrat. Archidam. 19. —
Die in fr. 8 geschilderte Szene, Herakles im Sonnenbecher, weist
P. Hartwig, Mitteil, des K. deutsch, archäol. Instituts, Röm. Abt.
1902, S. 107 f., auf einer in seinem Besitze befindlichen schwarz-
tigurigen attischen Kanne aus dem 6. Jahrhundert nach; bisher war
nur eine Darstellung auf einer rotfigurigen Trinkschale bekannt, vgl.
Roscher, Lexikon I, S. 2204.
Über die Oresteia, fr. 34 f., handelt A. Olivieri, Sul
mito di Orestc nella letteratura classica, Riv. di Filol.
1898, S. 266 f., indem er den Gang der Handlung festzustellen sucht
und das Verhältnis des Stesichoros zu den Epikern und Tragikern
erforscht. Stesichoros ist für uns der erste, der den Tod Againemnons
mit der Opferung Iphigeneias in Zusammenhang bringt. Wenn aber
der Verfasser Iphigcneia Nichte des Agamemnon nennt, so stimmt
dies zwar für die Dichtung Helena, in der Iphigeneia nach dem
Zeugnis des Pausanias II, 22, 6 als Tochter des Theseus und der
Helena bezeichnet wurde, vgl. fr. 27, nicht aber für die Oresteia,
die nach Angabe des Philodemos rspt eoaeß., p. 24, Iphigeneia als
Tochter des Agamemnon kennt, vgl. fr. 88. Dies verlangte auch die
Motivierung der Tötung des Agamemnon, und wir sehen, daß
Stesichoros, wie andere Dichter, jeweils die Sagenform wählt, die
seinen Zwecken am meisten entspricht. Die Ermordung des Agamemnon
fand in Sparta statt, vgl. fr. 39, die Rettung des Orestes durch die
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180 Jahresbericht über die griechischen Lyriker. (Sitzler.)
Amme Laomedeia, vgl. fr. 41. In der Darstellung der folgenden
Ereignisse schließt sich der Dichter an die Nosten an; nur daß er
den Apollon dem Orestes seinen Bogen zum Schutze gegen die Erinyen
geben läßt, vgl. fr. 40.
Fr. 60 und 62 führt H. Usener im Rhein. Museum 1901,
S. 186, auf ein hesiodisches Gedicht Typhon zurück, das im Hymn.
in Apoll. Pyth. 127 — 176 ausgeschrieben sei. Bei Stesichoros liege
eine Verschmelzung der älteren Sage von der Geburt der Athene
(vgl. Galen, de Hippoer. et Plat. dogm. III, 8, Bd. V, p. 320 Iwan
Müller) mit der späteren, die wir in Hesiods Theogonie finden, vor.
Über das Verhältnis zwischen Euripides und Stesi-
choros spricht
W. Nestle, Untersuchungen über die philosophi-
schen Quellen des Euripides. Philologus Ergänzungsb. VIII,
S. 629 f.
Euripides schloß sich in der Behandlung der Helena -Sage an
Stesichoros an; der Palinodie entnahm er das Eidolon, das er be-
nützt, um die Soge lächerlich zu machen.
I b y k o s.
Fr. 2 will C. Häberlin in der Wochenschr. f. kl. Philol. 1899,
Nr. 7, S. 176, da Responsion und Katalexe unverkennbar seien, in
zwei einander entsprechende Teile von je vier Versen zerlegen:
"Epo? . . . dzb | ßXE<pdpotc .... 5epx6jj,svo« | xr(Xrjjiaat . . . . U
dilti- | pova . . . Kuirptöoc IXxsi und rt iidtv . . . ^epxojxsvov, | waft'
ftnroc deuXo^popo? -o?i -rij- | pai ßaivs tpspsCoTfo; ^5' dsxcov | ouv
oxca'f 1 öooT? U a{iiXXav ; man sieht, daß in den letzten drei Versen be-
deutende Umstellungen und Änderungen nötig werden. Die Schreibung
Ktiirptooc £Xxei V. 4 stammt von Blaydes. — Fr. 7 verlangte
W. Headlam früher i^&ipr^ai xsXiöovac; jetzt verweist er Class.
Rev. 1900, S. 5 f., auf Eurip. Phaeth. fr. 773, 23 zum Beweise da-
für, daß die Nachtigall auch als Vogel des Morgens genannt werde.
Anakreon.
Fr. 49 lautet, wie P. Egenolff, Zu Anakreon. Philol.
1900, S. 618 f., mitteilt, in der noch nicht veröffentlichten Ortho-
graphie des Joannes Charax, p. 745, des cod. Hauniensis 1965:
6pixijv tjiovtot x-» w»s der Verfasser in ujpixrjv abändert und dann die
Frage aufwirft, ob diese Lesart oder die bisher bekannte Bp^xtijv
richtiger sei. Meiner Meinung nach könnte ein Zweifel nuF ent-
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Jahresbericht über die griechischen Lyriker. (Sitzler.) 187
stehen, wenn &pixr> in der Hs. stände; so aber stellt sich opixijv
nur als verschrieben aus 8p^xo;v dar, zu dem Egenolff Anth.
Pal. VII, 10, 4. 25, 8. 27, 6 vergleicht. — Zu fr. 136 bemerkt
W. Headlam, Notes on the greek lyric poets. Class. Rev.
1900, S. 5 f., mit Recht, daß, wie sich aus dem Wortlaut des Et.
M. 514, 28 ergibt, xÄxvax'Q st. tu>xiv«x^ zu schreiben sei. Übrigens
legt der Zusatz wazep u> "ArcoUov "QrcoXXov die Vermutung nahe, daß
es ursprünglich wxvaxrj (als Vokativ) hieß.
Telesilla.
Die Nachricht von Telesillas heldenmütiger Verteidigung der
Stadt Argos gegen Kleomenes (vgl. Paus. II, 20. Plut. -pv. dpet. 4)
fand verschiedene Beurteilung, indem die einen sie als historisch be-
trachteten, so Duncker VII5, 72 f., die anderen sie für eine spätere
Sage hielten, unter diesen auch Busolt gr. Gesch. II2, S. 563.
Wilaraowitz, Textgeschichte der griechischen Lyriker
Exkurs 4 verteidigt von neuem die Überlieferung als geschichtlich,
gewiß mit Recht, wenigstens was ihren Kern anlangt. Auffallend
bleibt allerdings, wie sie dem Herodot entgehen konnte, der doch
nach VI, 75 fin. mit der argivischen Darstellung bekannt war ; denn
diese Notiz Herodots einfach als unwahr zu bezeichnen, wie es z. B.
Macan z. d. Stelle tut, geht nicht an. Wilamowitz äußert sich
darüber überhaupt nicht.
Fr. 2 will Wilamowitz im Hermes 1902, S. 313, ydrjota?
st. <piX7}Xtac schreiben ; es sei ein Lied an den Philesios ; denn wenn
dieser Kultname des Apollon auch nur für Milet bezeugt sei, so dürfe
man doch annehmen, daß auch ein Gedicht aus Argos an ihn ge-
richtet sei. Aber zu dieser — doch immerhin gewagten — Änderung
liegt kein Grund vor, wenn man sich erinnert, wie Apollon und Helios
schon im 5. Jahrhundert ineinander flössen (vgl. carm. pop. 22 A, 12.
Timotheos 13). Danach konnte ein Gedicht an Apollon wohl <ptXij-
Xia? genannt werden.
Simon i des.
Kritische und exegetische Beiträge zu den Fragmenten
des Simonides liefern
1. U. v. Wilamowitz, Das Skolion des Simonides
an Skopas [fr. 5]. Gott. Gel. Nachr. 1898, S. 204 f.
2. Th. Reinach, Deux fragments d' hyporchemes
anonymes. Mölanges Henri Weil. Paris 1898, S. 418 f.
[fr. 29, 30, 31].
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188
Jahresbericht über die griechischen Lyriker. (Sitzler.)
3. W. Headlam, Notes on the greek lyric poets.
Class. Rev. 1900, S. 5 f. [fr. 37].
4. G. E. Marindin, The word yXwpatSyyjv in Simo-
nides and Bacchylides. Class. Rev. 1898, S. 37 [fr. 73].
5. P. Malusa, Simonidis Cei carmen LXXXV Amor-
gino non est tribuendum. Venezia 1900.
Fr. 5 wird von Wilamowitz eingehend behandelt. An den
von Sokrates zwischen feviaÖat nnd ejijievat gemachten Unterschied
glaubt er nicht; denn sonst hätte Simonides auch zwischen d^fto?
und hb\6s ebenso scharf unterscheiden und die Möglichkeit des
fsvlö&at im folgenden ebenso deutlich nachweisen müssen, wie die
Unmöglichkeit des e|iji«vai. Dagegen bemerkt N. Festa in Atene
e Roma 1898, S. 238 f., mit Recht, daß beides geschehen sei;
V. 16 f. sage der Dichter, wer ein d^ado? dv^p sei, am Anfang gebe
er aber die Definition des $30X6?, der dem irava>a>fio? näher stehe
als dem d^adtk, und auch die Möglichkeit des fsviaftat sei dargelegt,
nämlich in dem Hinweis auf die Gunst oder Ungunst des Himmels.
Ich füge noch hinzu, daß die Unterscheidung zwischen «fsviaftai und
ejijievai seitens des Simonides ihm durchaus nicht die Notwendigkeit,
auch zwischen dfaftoc und iaftXä* zu unterscheiden, auferlegte ; denn
jener Unterschied ist ganz anderer Art als dieser, und es kommt
dem Dichter nur auf die Hervorhebung des Werdens und Seins
an. Ein Widerspruch liegt also in dem Gedichte nicht.
Wilamowitz muß bei seiner Auffassung natürlich an dem von
Protagon» nachgewiesenen Widerspruch festhalten, und da man nicht
annehmen kann, Simonides habe ihn nicht bemerkt, so muß er eine
Erklärung dafür suchen, warum er ihn gewollt habe. Simonides
geht nach Wilamowitz von dem Satze des Pittakos aus, dem er,
wie jiiv zeigt, einen anderen Gedanken entgegenstellen will. Da be-
merkt er aber, daß jener Satz nicht völlig der Wahrheit entspricht
und daß es döovatov statt yakzidv heißen müßte. Daher bekämpft
er den Pittakos nicht, sondern ergänzt ihn und fügt schließlich seine
Ansicht bei: dXXd tuoi ££apxet xtX. Daß Wilamowitz im Gegen-
satz zu Sokrates in den letzten Worten keine Polemik des Simonides
gegen Pittakos annimmt, muß man billigen; auffällig bleibt nur, daß
der Dichter, der doch den Spruch des Pittakos vorher schon kannte
und überlegte, erst nach Beginn seines Gedichtes einsah, daß er nicht
ganz der Wahrheit entspricht, und ebenso auffällig ist die Ver-
anlassung, die Simonides nach der Meinung von Wilamowitz zur
Abfassung unseres Gedichtes hatte ; Skopas, der sich in seinen Muße-
stunden mit dem Wesen und der Wirklichkeit der dpetr, beschäftigte,
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Jahresbericht über die griechischen Lyriker. (Sitzler.) 189
habe nämlich an den Dichter die Frage nach seiner Meinung über
die Ansicht des Pittakos gerichtet, and unser Gedicht sei die Ant-
wort auf diese Frage, die sich kurz in die Worte zusammenfassen
lasse : „Verzichten wir auf die Heroen, aber wir wollen rechtschaffene
Menschen". Wilamowitz hält das Lied mit Blaß für ein Skolion,
trotzdem wir von Skolien des Simonides nichts hören und Plato
Protagor. 346 B sagt StfitovtOTjc fj^saxo xai aöxo? xupavvov rt aMov
xtva tü»v xotouxtuv iraiviaai xal ^xwutasat ouy £x<uv. Smyth tritt
denen bei, die es für ein Enkomion halten.
Fr. 29 verbindet Rein ach, wie vor ihm schon G. S. Farne 11,
mit 30. Ich kann dies nicht bilHgen, da es ohne große Willkür nicht
möglich ist; zunächst muß er die hinter £uuxa>v überlieferten Worte
7j t6 (E töv fiiv) einfach weglassen, dann ofoc, was durch [xavuwv
gestutzt wird, in oi' und jiavowv in jiavoota' ändern, endlich eopsfiev
vor jiavowv tilgen. Hält man da nicht besser an zwei Fragmenten
fest ? Fr. 30, 4 f. liest er xav o' ao/evi axp£<pw<jav eopev 8v xapa
xax' oTaov, und fr. 31 beginnt er mit llzypbv fy'/rp, ohne die vorher-
gehenden Worte zu berücksichtigen. Die drei Fragmente spricht er
dem Simonides ab. was, wie er meint, schon aus der Art und Weise,
wie sie bei Plutarch zitiert werden, hervorgehe, und weist sie dem
Bakchylides zu, zu dessen fr. 23 sie vielleicht gehören. Auf diese
Zugehörigkeit zu fr. 23 deutet weder Form noch Inhalt; auch ist
bei Plutarch an der ganzen Stelle von Bakchylides keine Rede,
während dagegen von Simonides unmittelbar zuvor gesprochen wird,
so daß man die Worte hr^ol oi 6 jiaXtaxa xaxcupÖcaxsvat Ö«5;ac Iv
üTrop^Tjjiaat xxX. unwillkürlich auf ihn bezieht, zumal sie auf ihn
besser als auf seinen Vetter passen. Ich bleibe also bei der Autor-
schaft des Simonides, trotzdem Weil und Wilamowitz dem Ver-
fasser beistimmen.
Fr. 37, 19 schlägt Headlam zfyopau tht v6a<pt 81'xac vor;
ähnlich schon Ahrens t) v<5a?i 0. — Zu fr. 73 (und Bakchyl. V,
172) führt Marin din aus, daß /Xtopauyijv nicht von der Farbe
gebraucht sei, sondern entweder die Gestalt „supple-necked, flexible-
necked" oder die Stimme „clear-voiced , liquid-voicedu bezeichne.
Anders J. v. Leeuwen, Mnemosyne 1903, S. 114 f.: x^">Pa^XTiv von
/Xwpo; vegetus, floridus, hinc de colore novorum foliorum et her-
barum, tum de puellae collo. — Fr. 85 verteidigt Malusa gut gegen
das Bestreben, das Gedicht dem Amorginer zuzuweisen.
Die Frage nach der Echtheit der dem Simonides bei-
gelegten Epigramme ist immer noch nicht gelöst. Es äußern
sich dazu
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190 Jahresbericht über die griechischen Lyriker. (Sitzler.)
1. G. Setti, Simonide di Ceo e l'autenticitä de'
suoi epigrammi. Riv. di Filol. class. 1900, S. 471 f.
2. M. Boas, De epigrammatis Simonideis. Pars
prior: commentatio critica de epigramraatum traditione. Groningae
1905.
Setti glaubt nicht, daß man den Angaben der Anth. Pal. und
Plan, bezüglich der Verfasser der Epigramme schon von vornherein
jeden Glauben absprechen dürfe. Nach seiner Ansicht legt A. Hau-
vette (vgl. vor. Jahresber. Bd. CIV 1900, S. 128 f.) zu großes
Gewicht auf die ästhetische Beurteilung, was bei diesen kleinen
Gedichten nicht wohl angehe, und beachtet die Beziehung der Epi-
gramme zu den lyrischen Fragmenten des Simonides nicht, die auch
manchen Aufschluß bringen könne. Setti hält im ganzen 21 Epi-
gramme für sicher echt: 89, 92, 94, 99, 100, 103, 111, 112, 130,
131, 136, 187, 140, 147, 149, 152, 153, 155, 157, 143, 169, von
denen die Untersuchung ausgehen müsse, mit Hauvette stimmt er
also in 92, 94, 111, 130, 131, 186, 137, 147, 157 überein. Vgl.
dazu H. Stadtmüller, Anth. Pal. Bd. II, S. LXVII f., der von den
Simonideischen Epigrammen des siebenten Buches der Anth. Pal. —
nach Bergks Zählung — 91, 92, 109, 121, 169, 114, 124, 118,
120, 94 als echt, bzw. möglicherweise echt anerkennt.
Anderer Art ist die Arbeit von Boas, der die Frage nach der
Echtheit der unter Siraonides Namen überlieferten Epigramme in ihrem
ganzen Umfange gründlich untersuchen und zum Abschluß bringen
will. Der vorliegende erste Band behandelt die Überlieferung der
Epigramme. Der Verfasser geht dabei von Herodot VII, 228 aus,
wo er richtig erklärt: die Amphiktyonen errichteten die drei Denk-
mäler, ließen aber nur auf zwei Inschriften anbringen, während dies
auf dem dritten für Megistias Simonides tat; denn auf seinen ver-
unglückten Erklärungsversuch der Worte l$ci> rt xh toO {iocvtioc i-i-
fpajijAa brauche ich hier als für unsere Frage belanglos nicht ein-
zugehen. Wenn er nun aber weiter im Anschluß an diese Erklärung
meint, Simonides sei nur deshalb als derjenige genannt, der die
Inschrift auf den Gedenkstein für Megistias setzte, weil er das Epi-
gramm den Amphiktyonen unentgeltlich zur Verfügung gestellt habe,
so stimmt dies mit seiner eigenen Erklärung von iittypacpstv „darauf
schreiben oder darauf schreiben lassen" nicht Uberein; denn in diesem
Fall waren die Amphiktyonen ot iiRfpa^avrs?, er nur 6 roiijaa;. An
unserer Stelle wird also, was den Simonides betrifft, nur bezeugt,
daß er die Inschrift auf die Grabstele seines Freundes, welche die
Amphiktyonen setzten, anbrachte bzw. anbringen ließ; alles weitere
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Jahresbericht über die griechischen Lyriker. (Sitzler.) 191
müssen wir durch Schlüsse gewinnen. Als sicher ergibt sich, daß er
das Epigramm, das er auf den Stein setzen ließ, auch selbst dichtete,
als höchst wahrscheinlich, daß er auch die beiden anderen Epi-
gramme den Amphiktyonen geliefert haben wird ; ob gegen Bezahlung,
wie der Verfasser annimmt, ist zweifelhaft, ja unglaublich bei dem
Zusammenwirken der Amphiktyonen und des Dichters zur Schmückung
der Gräber der Gefallenen, unter denen auch der Freund des
Simonides war.
So ist nach Herodot die Abfassung des Epigramms 94 durch
Simonides sicher, die der Epigramme 91 und 92 wahrscheinlich,
vorausgesetzt, daß die Quelle des Geschichtsschreibers glaubhaft ist.
Welches ist nun diese ? Nach dem Verfasser die spartanische Über-
lieferung, richtiger die amphiktyonische oder delphische, an deren
Wahrheit zu zweifeln kein Grund vorliegt. Der Verfasser hält sie
in dem Punkte für irrig, weil sie nur von drei Säulen spreche statt
von fünf, wie Strabo IX, 4, 2, p. 425; aber ursprünglich scheinen
tatsächlich nur drei vorhanden gewesen zu sein, eine für die Gesamt-
heit, eine besondere für die Spartaner und die für Megistias; erst
später wurde die Zahl vermehrt, als andere Städte, dem Beispiel
Spartas folgend, ihre Gefallenen auch besonders geehrt wissen wollten.
Dieser Umstand läßt sich nicht mit dem Verfasser als Beweis dafür
verwenden, daß Herodot die Säulen nicht selbst gesehen habe. Sicher
ist dagegen, daß er den Namen Simonides nicht darauf gefunden hat;
diesen lieferte ihm die Tradition, die in keiner Weise eine schrift-
liche gewesen zu sein braucht. Daraus sieht man aber auch, daß
der Verfasser zu weit geht, wenn er für seine Untersuchung den
Grundsatz aufstellt, daß alle inschriftlich überlieferten Epigramme
namenlos, alle literarisch überlieferten mit Namen versehen seien;
auch mit dem Denkmal kann die Überlieferung den Namen des
Dichters verknüpfen, ebenso wie ein Schriftsteller bei Benützung einer
Epigrammensammlung den Namen des Verfassers beiseite lassen kann ;
Beifügung oder Weglassung des Dichternamens ist also an sich noch
kein sicheres Kriterium für literarische oder inschriftliche Über-
lieferung.
Man sieht, daß man aus Herodot zur Entscheidung der Frage
über die Sammlung der Simonideischen Epigramme nichts gewinnt.
Die Annahme, daß sie von dem Dichter selbst bzw. von einem seiner
Verwandten oder Freunde veröffentlicht worden seien, weist der
Verfasser mit der Begründung zurück, „cum antiqui epigrammatis
Status rationem non näheret". Was er damit meint, deutet er durch
die Verweisung auf § 19 und § 34 seines Buches an; an der ersteren
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192 Jahresbericht über die griechischen Lyriker. (Sitzler.)
Stelle führt er nämlich aus, daß man zur Zeit des Simonides die
Epigramme noch nicht mit dem Namen des Dichters, sondern nur
mit dem des Stifters verbunden habe , an der letzteren , daß man
sich unter dem Sammler der Epigramme keinen Periegeten vorstellen
dürfe. Hinsichtlich des letzten Punktes stimme ich dem Verfasser
bei; aber was den ersten betrifft, sehe ich nicht ein, wie die Sitte,
den Dichter auf dem Denkmal nicht zu nennen, diesen hätte hindern
sollen, seine Epigramme ebenso wie seine anderen Gedichte auf-
zubewahren und zu veröffentlichen. Daß man für den Dichter der
Epigramme kein Interesse gehabt habe, ist unrichtig; dies beweist
die Tatsache, daß sein Name in der Tradition mit der Stiftung weiter
lebte, wie z. B. in dem oben besprochenen Fall bei Herodot. Diese
an besonders bemerkenswerten Denkmälern haftende Tradition genügt
aber nicht, die Zuweisung ganzer Sammlungen an bestimmte Dichter
zu erklären, wie an Anakreon und Simonides; dies war nur möglich,
wenn von diesen Dichtern Epigramme vorlagen, an die sich namenlose
Epigramme anschließen konnten. Ich halte also an der Meinung fest,
daß die unter Simonides Namen vorhandene Epigrammensammlung
auf den Dichter selbst zurückgeht, wenn sie auch bald mit vielen
fremden Bestandteilen erweitert wurde.
Nach dem Verfasser ist die Sammlung erst entstanden, als man
Sammlungen epideiktischer Gedichte hatte, also nicht vor der Zeit
Alexanders des Großen. Eine genauere Zeitbestimmung gewinnt er
aus der Untersuchung der Überlieferung des 187. Epigramms. Dieses
stand nach ihm mit den vier anderen Epigrammen, die Plut. de Herod.
malign, 39 anführt, bei Ephoros in der Form, welche die inschrift-
liche Überlieferung hatte ; aus diesem Schriftsteller übernahm es der
Veranstalter der Simonideischen Sammlung mit den anderen Epi-
grammen, jedoch in veränderter Gestalt, und so zitierte es — aller-
dings wieder mit eigener Abänderung — Timäos. Da nun aber ferner
Aristoteles rhetor. I, 9, p. 1367 b das 163. Epigramm namenlos,
Aristophan. Byz. bei Eustath. ad Od., p. 1761, 25 dagegen mit dem
Namen des Simonides erwähnt, so schließt der Verfasser, daß die
Sammlung auch nach Aristoteles Rhetorik verfaßt sei; denn aus dieser
habe der Sammler das Epigramm entnommen, das er versehentlich
den Simonideischen einverleibt habe, weil das bei Aristoteles darauf-
folgende (111) dem Simonides zugeschrieben sei. So falle die Ent-
stehung der Sammlung zwischen 335 — 300, etwa in das Jahr 310;
sie sei in Athen von einem Peripatetiker verfertigt, in die alexan-
drinische Bibliothek aufgenommen, von Meleager benützt und auf
diese Weise in die Anthol. Pal. gekommen.
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Jahresbericht über die griechischen Lyriker. (Sitzler.) 1<)3
Macht schon diese genaue Zeitbestimmung bei einer so dunklen
Sache argwöhnisch, so erweist sie sich bei einer genaueren Prüfung
als nicht stichhaltig. Was zunächst das Epigramm 163 betrifft, so
bezeichnet es Aristoteles allerdings nicht als Simonideisch , aber er
weist das folgende Epigramm 111 dem Simonides zu, wie der Ver-
fasser meint, auf eigene Faust, da er einen Gewährsmann brauchte,
richtiger auf Grund der Sammlung, der er auch das 163. Epigramm
verdankt. Daß er bei dem letzteren den Verfasser nicht nennt, rührt
daher, weil der Olympionikes, den das Epigramm verherrlicht, redend
eingeführt war. So konnte er dies Gedicht als -6 too 'Oaujittiovixoo
anführen wie das vorhergehende xb toD 'l<ptxpaTou? und hatte dadurch
den Vorteil, drei Zeugen für seine Ansicht zu erhalten. Bestand
demnach die Sammlung schon vor Aristoteles, so ist es wahrscheinlich,
daß sie auch schon von Thukydides benützt wurde. Bei diesem finden
sich die Epigramme 111 und 138, beide ohne des Simonides Namen.
Das erste konnte dem Geschichtsschreiber infolge seiner Beziehungen
zu den Peisistratiden bekannt sein; von dem zweiten erklärt der
Verfasser, daß er nicht wisse, woher es Thukydides habe, da es vom
Denkmal nicht abgeschrieben sein könne, von dem es ja die Lake-
dämonier sofort entfernten. Erhaltung durch mündliche Überlieferung
erscheint unter diesen Umständen als kaum wahrscheinlich; es muß
aus der Simonideischen Sammlung stammen. Wie kam es aber in
diese? Durch inschriftliche Überlieferung nicht, da es auf keinem
Denkmal stand, aus einem Schriftsteller auch nicht, da keiner es
mitteilen konnte, also nur durch den Dichter selbst : denn daß Simo-
nides der Verfasser ist , läßt sich bei den freundschaftlichen Be-
ziehungen zwischen ihm und Pausanias nicht in Abrede stellen (vgl.
Simonidis Cei carm. rell. ed. Schneidewin, S. XIX). So haben wir
hier einen direkten Beweis dafür, daß die ursprüngliche Sammlung
auf Simonides selbst zurückgeht, und daß die Schriftsteller sie be-
nützten, auch ohne den Namen des Dichters zu erwähnen.
Ähnlich verhält es sich mit dem aus dem 137. Epigramm ent-
nommenen Beweis. Angenommen — was der Verfasser allerdings
nicht bewiesen hat — daß die fünf bei Plutarch a. a. 0. angeführten
Epigramme in der inschriftlichen Fassung bei Ephoros standen, wie
will der Verfasser die Behauptung, der Sammler habe sie als Ganzes
daher entnommen , begründen , zumal da er noch annehmen muß,
der Sammler habe sie bei der Übernahme abgeändert, wozu wohl ein
Schriftsteller, der eine Belegstelle mit seinen Darlegungen in Über-
einstimmung bringen muß, nie aber ein Sammler Veranlassung hat ?
Ist es da nicht wahrscheinlicher, daß sie anderswoher stammen, und
Jahreshtrioht für AltertiimKwift-iMiffehaft. B<1. « XXXIII. il%7. I.) 13
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104 Jahresbericht über die griechischen Lyriker. (Sitzler.)
müssen sie denn als Ganzes, können sie nicht auch einzeln entlehnt
sein? Damit fällt aber die Bestimmung des Terminus post quem,
und nicht fester steht der Terminus ante quem, weil Timäos tat-
sächlich in gar keiner Beziehung zu den Epigrammen steht, wie sich
sogleich zeigen wird.
Chamäleon bei Athen. XIII, p. 573 c, spricht über die Teilnahme
der Korinthischen fcxatpai an den an Aphrodite gerichteten Gebeten
der Stadt und erzählt unter Berufung auf Theopomp und Timäos,
daß sie auch beim Zug der Perser gegen Griechenland zu Aphrodite
um die Kettung der Griechen gebetet hätten. Zum Beweise dafür
verweist er auf das ihnen zur Ehre von den Korinthiern gestiftete
Weihegeschenk mit der Inschrift des Simonides (137). Dieselbe In-
schrift wird von dem Schol. zu Pind. Ol. 13, 33 und von Plut. de
Herod. mal. 39 beim gleichen Anlaß im Anschluß an Theopomp an-
geführt. Wäre nun die Stelle bei Chamäleon aus Theopomp und
Timäos, die nach der Art des Zitates doch übereinstimmten, genommen,
so müßte sie mit den Stellen bei Plutarch und dem Scholiasten zu-
sammentreffen ; so aber weichen alle drei sowohl hinsichtlich des
Weihegeschenkes als auch hinsichtlich des Textes voneinander ab,
jedoch so, daß sich Plutarch und Chamäleon näher stehen. Es
scheint also, daß jeder das Epigramm nach seiner Auflassung für
seine Zwecke verwandte. Demnach trifft auch Bergk mit der
Änderung von sTvai xal vuv in san hh xal vuv das Richtige; es
liegt hier kein Zitat aus Theopomp , sondern ein Zusatz des Schol.
vor. Daß dem wirklich so ist. zeigt auch der Umstand, daß das
Epigramm nur von Chamäleon richtig erklärt und benutzt wird, der
von einem mva£ als Weihegeschenk spricht und von kxaipzi , auf
welche die Worte a?3' vitlp 'EXXa'vtov -s xal eoöoua/tuv iroXtijTav xxX.
passen, nicht aber von dem Schol. und Plutarch, die berichten ta?
-yovaixa? xwv Koptvftuuv s'j;aaöai rft Äopooir^ sptota IjirsaEtv roi?
dvSpaaiv autuiv jxa'xe^at oirfcp tr^ 'EXXa'öo; tot? Mr]ooic, was aus
den Worten des Epigrammes nicht hervorgeht und durch diese nicht
bewiesen wird. Damit soll aber die Richtigkeit von pvoixec bei
Plutarch und dem Schol. nicht angezweifelt werden; dies ist sowohl
durch den Wortlaut des Gebetes gesichert, als auch durch den
Zweck der Anführung, der darin besteht, die Tapferkeit der Männer
durch Hinweis auf die mutige Gesinnung der Frauen zu beweisen.
Erwägt man nun, daß der Schol. (und Plutarch) ebenso wie
Chamäleon Theopomp als Gewährsmann für ihre Darstellung an-
geben, so wird man zu der Vermutung gedrängt werden, daß
Theopomp beides, das Gebet der Frauen und das der Hetären,
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Jahresbericht über die griechischen Lyriker. (Sitzler.) 195
berichtete, seine Ausschreiber aber nur das anführten, was sie gerade
brauchten.
Nach der Feststellung der Abfassungszeit der Sammlung geht
der Verfasser dazu über, die Zeugnisse, durch die dem Simonides
Epigramme zugewiesen werden, auf ihren Ursprung und ihre Glaub-
würdigkeit hin zu untersuchen, und zwar zunächst die Inschriften,
dann die Schriftsteller, hierauf die Nachahmungen und schließlich
die Stellen, in denen von Simonides als Epigrammendichter die Rede
ist. Hier findet sich manche gute Bemerkung, auf die ich bei Be-
sprechung der einzelnen Gedichte und der Anthol. Pal. zurückkommen
werde. Im ganzen wurden von dem Sammler nach dem Verfasser
34 Epigramme in die Sammlung aufgenommen; für echt hält er 11,
nämlich 91, 92, 94, 96, 97, 102, 107, 137, 145, 147, 149.
Über einzelne Epigramme handeln außer M. Boas noch
1. A. "Wilhelm, Simonideische Gedichte. Jahresh.
d. österr. arch. Instituts Bd. II (1899), S. 221 f. [108, 96, 150, 107].
2. A. B. Cook in Class. Rev. 1901, S. 338 f. [148].
3. Th. Homolle, Les offrandes delphiques des
fils deDeinomgnes et l'öpigramme de Simonide [141],
Mälanges Weil. Paris 1898. S. 207 f.
4. Th. Rein ach, Les tröpieds de Ge'lon et de ses
fr eres. Rev. des Stüdes gr. XVI (1903), S. 18 f. [141].
5. W. II ea dl am, Various Conj ectures. Journal of
Philol. 26, S. 93 f. [159].
Notes on the greek lyric poets. Class. Rev.
1900, S. 5 f. [151, 155, 159, 174].
Transposition of wordsin Mss. Class. Rev. 1902,
S. 243 f. [148].
Daraus erwähne ich folgendes : Epigr. 89, 3 und 4 nimmt Boas,
8. 235, Anm. 8, mit Recht gegen Wilhelms Verdächtigung, als
ob dies Distichon unecht sei, in Schutz. — 90 ist in dem einen cod.
der Aristides-Scholien, in dem es sich findet, cod. Paris. D Frommel
289 — die anderen Codices haben das Epigramm nicht — späterer
Zusatz, wie Boas richtig sah; wenn er aber mit Berufung auf
Justin II, 9, 20, der nach E. Meyer III, 332 auf Ephoros fußt,
efxoai jxoptaS«? für die alte Lesart erklärt, die Aristides II, 511 nach-
lässig durch hvioL ersetzt habe, so übersieht er, daß Aristides ja
gerade Beispiele von prahlerischer Übertreibung an dieser Stelle
zusammenstellt und demgemäß gewiß nicht £w£a geschrieben hätte,
13*
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}W .Jahresbericht über die griechischen Lyrik«-. (Steter.)
wenn ihm tbwsi bekannt gewesen wäre. Die Lesart tvvea maß also
nach wie vor für die ältere gelten, aus der erst spätere Übertreibung
elxooi »achte; wenn sie aoch von keinem Schriftsteller als Zahl der
gefallenen Feinde angegeben wird, läßt sie sich doeh leicht erklären
als da« Zehnfache der Zahl der Athener, die 9000 waren (vgl. Plut.
parull. 1: auf jeden Athener kanten zehn Tote). — 95 schreibt Boas,
S. 219 f., dem Mnasalkas, dem bekannten Nachahmer des Simonides
(vgl. Anth. Va\. XIII, 21), zu ud weist A. Wilhelm, der das letzte
Distiehon flir späteren Zusatz erklärt, zurück, worin ich ihm bei-
stimme. — 99 ist in der im Bullet, de corr. Hell. 1889. S. 59, ver-
öffentlichten Inschrift vo» Knosos aus der römischen Zeit nachgeahmt
(vgl. II. Stadtmüller, Anth. P. Bd. II, S. LXXV1 und Boas,
S. 222 f.) ; ebenso von Mnasalkas A. P. VII, 242 (vgl. Boas, S. 21 1 f.) —
103 rührt nach Boas, S. 216 f., von Mnasalkas her als Nachahmuug
von 102; die Worte Tva 39131 jat, x. xxX. erklärt er: ne Graecia iis
(acpi'at, cf. 0 jam ^spa* olyz-n aX/.^) a capite suo extincto coronam
libertatis deriperet, eine geschraubte Ausdrucksweise für: ne Graecia
eis in Servituten» redigeretur. Aber nicht nur an dieser, auch an
der für xv%ilrtvii angenommenen Bedeutung nehme ich Anstoß. Ich
jasse xpotTO* in übertragener Bedeutung als „ Haupt, Burg", wie das
hom. xapr,va (vgl. auch Herod. VII, 140, 148) und beziehe es auf
Tegea, das hier hyperbolisch als Burg der Freiheit Griechenlands
gefeiert wird; xaHs)^?« ist aus dem seltenen xotBo<p7jxai verschrieben:
sie fielen als Schirmer Tegeas , Lanzenschwinger zum Schutze der
Stadt, damit ihnen nicht Hellas, wenn die Burg vernichtet, die Frei-
heit preisgebe. — 205 verteidigt Boas, S. 235, Anm. 8, gegen
A. Wilhelm, der das zweite Distichon als unecht verdächtigte,
indem er darauf hinweist, daß so der Gegensatz zwischen Ti&o<pop«ov
und «tyjiTpit verloren gehe. — 106 ist nach Boas, S. 213 f., eine
Nachahmung von 105 durch Mnasalkas ; das Adj. axov:o36xo? erklärt
er mit hasta iustructus. also — «i/u.rlv^c. unter Hinweis auf toooxo>.
Ich fasse es im Sinne von : 0? axovti oi/gtai ( toI»? ro/.E}iioo;), stelle
also da« Kompositum zusammen mit £isoxrow,;. roXe^ocpMpo?. ooj/j-
f**/.o», ftoj>.uxT<Svo? und ähnlichen, bei denen das erste Wort instrumental
zum zweiten tritt. Etym. Magn. 50, 51 und Schol. ad 11. II, 361
sind zur Erklärung unserer Stelle, wie Boas mit Hecht bemerkt,
unbrauchbar. — 107 lag bisher nur in der Abschrift Fourmonts
vor; Wilhelm hat im Jahre 189* zu Paläochori in der Landschaft
Megaris *iu der Kirche des hl. Athanasios die Inschrift wieder auf-
gefunden und von neuem mit Erfolg verglichen. Die Überschrift hat
nach 'EX>.4w; h ap/ispso; die Worte err/pa^vat irotVjOev t; tstw^v
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Jahresbericht Uber die griechischen Lyriker. (Sitzler.)
197
tmv xstfjJvtov xat zrt$ t:6\&w$. Di ja« vi or^ asottt, V. 1 bietet der Steift
richtig TAXfltöi, 3 EGffoia xai Ualüp (aber ohne Jota subscript>,
4 apac und to£ocpopoo, 6 ist tatsächlich verloren , 7 BouotiVd,
9 UyaXtp dji?t'f and 10 Nti3t'u>v stropav Xaoöoxurv d^op^. Die Unter-
schrift lautet *y r,u.u>v t, r&i* -aOpov ivo^iZzv. Der letzte
Vers ist fehlerhaft ; von dem ionischen orfopifj abgesehen , w anseht
man. wie Wilhelm bemerkt, XaoMxo? auf d^opd bezogen und zu
<At?*kr* einen Genetiv. Wilhelm glaubt, Helladios habe sich bei
der Herstellung der Inschrift einer literarischen Überlieferung bedient,
und Boas, S. 78 f., stimmt ihm darin bei, indem er Meleagers Kranz
nennt. Ich habe Bedenken; in der literarischen Überlieferung fehlte
sicherlich der sechste Vers nicht, sondern war, wenn nötig, jedenfalls
ergänzt; hätte ihn der Steinmetz weggelassen, so wäre dies dem
«pXtsptfc nicht entgangen. Ich schreibe das Fehlen dem dffoXiattoi
?<ö /povto zn , das die Überschrift bezeugt , und nehme demgemäß
Herstellung der Inschrift aus den Spuren der froheren an. Der
Name Simonides haftete in der mündlichen Überlieferung an der
Inschrift, durch die in der Unterschrift erwähnten jährlichen Opfer
zo Ehren der Toten un vergeblich erhalten. Wilhelm und Bons
halten nor das erste Distichon für ursprünglich, die anderen Verse
für spätere Erweiterung, was ich nicht billige, da das Epigramm so
unvollständig wird. — 108 erkannte Wilhelm in den von C Köhler,
CJA II, 1677 veröffentlichten Resten einer Marmorinsrhrift wieder;
wir sehen daraus, daß auch in Athen Formen wie trHosßva vorkamen.
l)as Epigramm bezieht Wilh el m auf die Schlacht bei Tanagra 457;
die Schrift zeichen deuten auf die Mitte des 5. Jahrhunderts. Vgl.
anch Ephemeris vom 6./18. Februar 1899 und Sitz.-Ber. d. deutschen
arch. Instit. zu Athen 15, II, 1899. — 110 weist Boas, S. 162 f.,
dem Antipater Sidonius zu, indem er die zwei Distichen für ein ein-
heitliches Gedicht hält; zum zweiten Distichon verglich schon Stadt-
roüller Antipater (vgl. Anth. P. II, S. 231), war in der Zuweisung
aber vorsichtiger als der Verfasser. — Auch 120 gehört nach Boas,
S. 137, Anm. 103, dem Antipater Sidonius. — 122 ist nach Boas,
S. 165, Anm. 138, von Kallimachus, 130 von Simmias (vgl. S. 115
bis 125). Dandes' Siege fallen in die Jahre 470 und 472 (vgl.
C.Robert, Hermes 1900, S. 164). — 128 ist nachgeahmt in einer
bei Paton-Hicks, Nr. 324, mitgeteilten koischen Inschrift der römischen
Zeit und in einer zu Panticapäum gefundenen Inschrift, ebenfalls der
römischen Zeit, die Recueil des publications de la coinmisson arch.
rosse. Petersburg 1892, S. 47, veröffentlicht wurde (vgl. E. Zie-
barth, Philol. 1895, S. 149. 296 ----- Boas, S. 223 f.). — 136
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198 Jahresbericht über die griechischen Lyriker. (Sitzler.)
hält auch Boas, S. 86 f., für kein Epigramm; er meint, die Naxier
hätten es auf eigene Faust für Simonideisch ausgegeben. — 140, 1
vermutet Boas, S. 233 f. , vi'xtq xpcrcspsp-yoG *Apr4o? st. vtxij? xporst
epY«i A. ; aber ep^q) 'A. — pdyjQ ist nicht zu tadeln, während vtxrj
xp. "ApTjo? befremdliche Ausdrucksweise ist; verschrieben ist offenbar
xpcrrei, ich glaube aus xapiv; zu vixr^ /a'piv vgl. Soph. Ai. 177.
Am meisten wurde das 141. Epigramm behandelt, auf das auch
im Anschluß an Bakchyl. III, 18 f. F. Blaß in der Praefatio seiner
Ausgabe , S. LVI f. , P. D e s s o u 1 a v y , Bacchylide et la troisieme
% ode. Neuchatel 1903, S. 18 f. und R. Jebb in seiner Ausgabe
Appendix, S. 452 f., eingehen. Das Gedicht ist in zwei Überlieferungen
auf uns gekommen, von denen die eine, ohne den Namen des Ver-
fassers, bei dem Schol. Pind. P. I, 155, die andere, mit der Zuweisung
an Simonides, in der Anth. Pal. VI, 214 steht; die letztere findet
sich auch bei Suidas s. v. Aapstiou. Beide sind voneinander ver-
schieden; das Ende des zweiten Verses lautet beim Schol. xou?
Tpi-o&a; Oijievai, in der A. P. tov xpiuoo' dvo^uevai, und das zweite
Distichon gibt dort die Veranlassung der Widmung ßdpfäapa vtx^sav-ra?
eftvr, xtX., hier das Gewicht des Weihegeschenkes Ii ixatov Xtxpcbv
xtL an. Boas, S. 128 f., will die bei dem Schol. vorliegende Fassung
des Epigrammes auf Ephoros zurückführen, der vom Schol. zu V. 147
erwähnt wird ; aber was hier berichtet wird, hat mit dem Epigramm
nichts zu tun, und auch die Ausdrucksweise <paai ös x?X. spricht
dagegen; wäre Ephoros gemeint, so hätte ihn der Schol. auch hier
wie kurz zuvor genannt. Die Gelehrten nun, gestützt auf die wider-
sprechende Form des zweiten Distichons, halten teils, wie z. B.
Wilamowitz, nur das erste Distichon für das Epigramm, obgleich
dieses so unvollständig ist, teils verwerfen sie nur die eine Fassung
des zweiten Distichons, nehmen aber die andere an, wie z. B.
Horn olle dem Schol., Hei nach der Anth. P. recht gibt, teils
fügen sie die drei Distichen zu einem einheitlichen Gedicht zusammen.
Obwohl Horn olles Fassung an sich möglich ist, liegt doch kein
Grund zur Verwerfung des in der A. P. Überlieferten Distichons vor,
wie Hein ach nachweist. Das nach sizilischem System angegebene
Gewicht von 50 Talenten und 100 Liträ entspricht, die Litra zu
273 g und das Talent dementsprechend zu 32 kg 75 g gerechnet,
einem Gesamtgewicht von 1664 kg; auf die vier Tripodes gleich-
mäßig verteilt, kommt auf jeden 416 kg = 16 attische Talente, das
Talent zu 26 kg gerechnet, also genau das Gewicht, das Diodor XI, 26
für den Dreifuß des Gelon angibt. Auch die sprachlichen Anstoße
sen sich beseitigen. Mit der Lesung Aauapita;, für die Boas,
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Jahresbericht über die griechischen Lyriker. (Sitzler.) 109
S. 234 f., eintritt, ist es allerdings nicht getan, weil nicht das ganze
Gewicht als Gold der Damarete bezeichnet werden kann, wohl aber
entspricht das von R e i n a c h empfohlene SapeixoC = eta^Oou (vgl.
Pollux XII, 98). Ebenso steckt in den Worten t5« Sexaxac öexaxav
ein Fehler; denn wenn die 1664 kg reinen Goldes der 100. Teil
der Beute wäre, müßte diese, wie Reinach bemerkt, unglaublich
groß sein. Mir erscheint xac osxa'xa? aus xq5 'Exa'xw verschrieben,
eine Benennung des pythischen Gottes, die ausdrücklich für Simonides
bezeugt ist (vgl. fr. 26); so erfährt man auch, wem die Weihung
galt. Das zweite Distichon des Schol. möchte ich aber als Schluß
des Epigramme s zur Angajje des Grundes der Weihung nicht missen;
nur ist, wie ich schon früher betonte, mit P reger -ap^ayov st.
ropaT/etv zu lesen.
Aus der bisherigen Darlegung geht hervor, daß die Überlieferung
des Schol. xoC? xpnroöac öl^svai richtig, die der A. P. x&v xptiroö'
avusjxevat daraus verschrieben oder korrigiert ist, und dies wird auch
durch den Ausgrabungsbefund bestätigt. Horn olle fand nämlich in
Delphi vier Sockel für Dreifüße, zwei größere mit Aufschrift und
Basis und zwei kleinere ohne Aufschrift und Basis. Der erste der
größeren Sockel zeigt den Namen Gelon, auf dem zweiten ergänzt
H o m o 1 1 e ohne Zweifel richtig ilieron, während er die beiden anderen
mit großer Wahrscheinlichkeit dem Polyzelos und Thrasybulos zuweist
und annimmt, daß die Aufschrift, eben unser Epigramm, auf der jetzt
fehlenden Basis stand. Die Verschiedenheit der Größe der Sockel
erklärt Reinach daraus, daß die für Gelon und Hieron noch die
Nike neben dem Dreifuß zu tragen hatten. Dieser Annahme Horn oll es
widersprechen weder Theopompos und Phanias bei Athen. VI, p. 231 f.,
noch Diodor a. a. 0. ; jene erwähnen von Gelon und Hieron Dreifüße
und Niken, dieser von Gelon, schweigen aber von den Dreifüßen des
Polyzelos und Thrasybulos, zu deren Nennung sie keine Veranlassung
hatten. Blaß, der drei von den vier Denkmälern dem Hieron als
Weihungen anläßlich seiner drei pythischen Siege zuschreiben will,
wird von Jebb gut widerlegt.
Schwierig ist die Frage nach dem Stifter und der Zeit der
Stiftung. Es steht fest, daß Gelon nach dem Sieg bei Himera einen
Dreifuß mit Nike aufstellte. Nach dem Pindar-Schol. hätte er aus
Liebe auch seine Brüder an der Weihung teilnehmen lassen, indem
er auch für einen jeden von ihnen einen Dreifuß gestiftet hätte.
Dagegen erheben sich aber, auch von der Nichterwähnung der Niken
des Gelon und Hieron abgesehen, gewichtige Bedenken; die Weihe-
geschenke für die Brüder sind verschieden, und die Buchstabenform
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200 Jahresbericht über die griechischen Lyriker. (Sitzler.)
der Aufschrift Hierons deutet auf eine spatere Zeit als die der Auf-
schrift Gelons, womit auch, was Jebb hervorhebt, die Überlieferung
bei Athenäus stimmt, die nur Gelons Weihegeschenk in die Zeit des
Xerxeszuges verlegt. Diesen Tatsachen wird auch Homolles An-
nahme nicht gerecht, Ilieron habe es bei Gelon durchzusetzen gewußt,
daß sein Weihegeschenk neben das Gelons. dessen Basis zu diesem
Zwecke erweitert wurde , gesetzt worden sei , und daraufhin habe
Gelon an derselben Stelle auch den jüngeren Brüdern kleinere Drei-
füße, ihrem jüngeren Alter entsprechend, aufstellen lassen. Meiner
Meinung nach ist im Schol. 'lipwva an Stelle von ri'Ktova zu schreiben;
Hieron wird nach dem Sieg bei Kume im Jahre 474 das gleiche
Weihegeschenk wie Gelon nach dem Sieg bei Himera nach Delphi
geweiht und neben dem des Gelon auf derselben Basis aufgestellt
und mit ähnlicher Inschrift versehen haben. Daneben hat er aber,
wenn man den Worten des Scholiasten Glauben schenken darf, auch
für seine Brüder Dreifüße gestiftet und so ein Denkmal aller vier
Deinomeniden geschaffen, was das Epigramm auf der Basis der zwei
kleineren Dreifüße zum Ausdruck bringt. Mit cp^jit xtL ist die
Mitteilung dem Denkmal selbst in den Mund gelegt; die Verse mit
Boas für epideiktiseh zu halten, ist nicht notwendig.
Epigramm 142 wird von Boas, S. 104 f., behandelt; er tritt
besonders für die Ursprünglichkeit von h KtSitptp ein, das meiner
Meinung nach eine Erklärung oder Korrektur st. iv ^ity ist. Das
Gedicht ist auf der Xanthos-Säule nachgeahmt , kurz nach 412 (vgl.
0. Benndorf, Zur Stele Xanthia, Jahresh. d. öst. arch. Instit.
Bd. III [1900]. S. 98 f.). — 148 gehört nach Boas, S. 221, dem
Mnasalkas. — 147 findet sich, worauf Boas, S. 134, hinweist, auch
bei dem Schol. Hermog. VII, 1084 Walz: dieses Epigramm ist zu-
sammen mit 150 in der choregischen Inschrift ( JA III, 82 a, S. 484,
nachgeahmt, wie W i 1 h e 1 m , S. 232 und B o a s , S. 224 f., bemerken. —
li8. 5 f. vermutet W. He ad 1 am, um die Annahme einer Lücke zu
vermeiden, mit Umstellung Of^xav o£ tpizoSot . . . diWhov | oi tov«,
xstvoo? 'AvTryevTjc xt/». ; aber das Nachhinken von oi tovoe ist störend,
leichter wäre t^v3' oi Tptirooot . . . eÖsvto, xefvou; 'A. xt/,. —
150 war. wie Boas, S. 150 f., in einer für mich nicht Uberzeugenden
Beweisführung darzutun sucht, nie dem Simonides, sondern nur dem
Anakreon zugeschrieben. Wilhelm erkannte das Epigramm auf der
von A. Mi Ichhöf er 1897 im Hause des Georgios A. Petros zu
Markopulo in der attischen Mesogeia aufgefundenen verstümmelten
archäischen Henne, welche die Buchstaben trägt . . . tootfl ... ~ . i
... to .... jii A20 | H»pu»t xa).Xtxo;iO'j» ojx c).aH»?; er
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Jahresbericht über die griechischen Lyriker. (Sitzler.) 201
hält das Epigramm damit für abgeschlossen uiid glaubt, daß nie mehr
auf der Herme gestanden habe. Boas stimmt dem bei und bestreitet,
daß die Herme je etwas mit der Akademie zu tun gehabt habe (vgl.
auch A. Hauvette, Bull, de la soc. nat. des antiquaires de la
France 1900 fasc. 1 und E. Bormann, Jahresh. d. öst. arch.
Instit. VI, 1908, S. 247). Es läßt sich jedoch nicht leugnen, daß
das zweite Distichon inhaltlich gut zum ersten paßt und auch seiner
Form und Sprache nach keinen Falscher verrät, vgl. den gewählten
Ausdruck rrfi iv d-pa-tcp und das bezeichnende Attribut itoXo^aÖl«,
das ich gerade auf diese Stiftung beziehe. Infolgedessen ist mir die
spätere Beifügung des zweiten Distichons zweifelhaft, zumal da die
Beschaffenheit und Beschreibungsweise der Hermen noch nicht hin-
reichend bekannt ist; das Distichon kann in einer zweiten Reihe
(vgl. Fourmonts Herme CJA I, 522) oder auf dem jetzt fehlenden
Teil angebracht gewesen sein. Eine Nachahmung ist CJA III. 82 a,
S. 484. — 154 und 156 weist Boas, S. 187, Anm. 103, dem
Antipater Sidonius zu. — 155, 5 f. wünscht He ad 1 am imsyzpm^
t' i-yevovro | dxxeiviov tojaiSmv icot' aftXou Die Überlieferung
ist unzweifelhaft verdorben, aber eine solche antiquarische Bemerkung
paßt in unser Gedicht nicht; ich vermute o&8' Ifivovxo | dxtfvtDV
tomüw irot' aOXot als Zwischenbemerkung: „und niemals fanden so
strahlenglänzende W. statt44. — 159 schlägt Headlam vor 'Epu.T,v
xovS' ov#)>) Ar^tpio? 'OpfhdSou xsv | iv npoftupoi? mit Trennung von
av£0rjxtv durch ATjirqxpio? '0. Beispiele für derartiges kann er
natürlich nicht anführen, und das Zeugnis des Ps.-Trypho, der das
Hyperbaton in opötot 8* oux st. ojx opÖia 8£ angibt, spricht dagegen;
trotzdem stimmt Boas, S. 194 f., bei. Der Fehler der Überlieferung
steckt offenbar im Eigennamen. — 164 war nach Boas, S. 156,
das Vorbild für Anth. P. VI, 143. Das letzte Distichon erklärt
Wilamowitz in den Nachr. d. Gött. Ges. ph.-hist. Kl. VI (1897),
S. 318, Anm. 1 : „demselben (d. h. dem Kyton) haben die korinthischen
Bürger und Metöken durch Kränze, die sie ihm votiert haben, ihren
Dank ausgesprochen : itijiijcjav ^itaivcuv xpoa£oic iTecpa'voi?, fva oatvotto
6 STjfiOC (xfc xotviv) xaPlTflK flbro8t8ot>? xot« repi a&t^v <pi>.OTi;j.0K
7£7SV7j|i£voi?tt, gewiß richtig. Boas ist aber damit nicht einverstanden;
im Anschluß an Wilhelm, der Epigramm 150 o'jx IXctlte? Xaprra;
erklärt: „dem Stifter solle der Dank des Gottes und der ihm zu-
gesellten Chariten (soll heißen: der Dank der Chariten und der
Akademie) nicht fehlen", liest er auch hier Xctpitrov und läßt dies
von alvov abhängen: „Gratiae, cum cives peregrinique tibi coronis
grates agerent pro donario Apollini dedicato, testificatae sunt se tibi
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202 Jahresbericht über die griechischen Lyriker. (Sitzler.)
tuaeque dedicationi faventes affuisse", was nicht in den Worten liegt
und zum Gedanken nicht paßt, der kurz ausgedruckt lautet: Der
Gott möge sich über das Weihegeschenk ebenso freuen wie Bürger
und Fremde, die ihre Freude durch Dankeskränze aussprachen. —
160 Boas, S. 131 f., vermutet, daß das von Aristoderaos erwähnte
Epigramm auf dem Denkmal stand, das dem Sogenes zu Ehren nach
seinem pythischen Sieg im Jahre 467 von den Ägineten errichtet
wurde. — 177 sind von Tzetzes auf eigene Faust dem Simonides
zugewiesen (vgl. Boas, S. 89, 197). — 180, 183, 184 und 187
weist Boas, S. 137, Anm. 103, dem Antipater Sidonius zu; Stadt-
müller stimmt bei 180 mit ihm überein, 183 möchte er aber dem
Simmias oder Dioskorides und 184 dem Alkäus geben. Man sieht,
wie unsicher solche Zuweisungen sind. — Neu tritt zu den Simonidea
nach dem Zeugnis II. Stadtmüllers Anth. P. VII, 349, eine Nach-
ahmung des Epigramms 169.
Einen Beitrag zur Lebensgeschichte des Simonid es liefert
H. N. Fowler, The Visits ofSimonides, Pindar and
Bacchylides at the court of Hiero. Proceedings of the
Am. philol. assoc. held at Philadelphia 1900 and at Cambridge
1901, P. XXX,
der die Meinung vertritt, Simonides sei die ganze Zeit über von
seiner Ankunft in Sizilien im Jahre 476/5 bis zu seinem Tode im
Jahre 467 an den Höfen der sizilischen Fürsten geblieben; dagegen
seien Pindar und Bakchylides im Jahre 476 wahrscheinlich nicht
dorthin gegangen, sondern sonst mehrere Male, ohne sich jedoch
jedesmal lange dort aufzuhalten.
T i m o k r e o n.
F. Blaß, Vermischtes zu den griechischen Lyrikern
und aus Papyri. Ith. Mus. 1900, S. 91 f.,
glaubt mit Härtung, daß das erste Gedicht nicht aus Strophe,
Aniistrophe und Epodos, sondern aus drei gleichen Strophen bestehe ;
dies sei bei einem für den Gesang, nicht zur Aufführung bestimmten
Gedicht schon von vornherein wahrscheinlich; außerdem seien die
Unterschiede zwischen den Strophen und der Epode nur gering, und
dazu kämen noch deutliche Gleichklänge : 1 und 9 : afvcT; und xatvcuv,
6 und lo: ap-ppiotat und dpppuov, 4 und 12: HeiuatoxXr, und
HsfiistoxXsü;. Was diese Anklänge beweisen sollen, ist mir unklar;
derartiges tindet sich auch zwischen Strophen und Epoden. Wichtiger
ist, daß Gleichheit des Rhythmus, die doch in monodischen Strophen
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Jahresbericht über die griechischen Lyriker. (Sitzler.) 203
Regel ist, nur gewaltsam hergestellt werden kann. Auch Wilamo-
witz, Textgeschichte der griechischen Lyriker 1900, S. 50, Anm. 2,
hält an der triadischen Komposition fest, und warum sollte diese
nicht auch damals in Skolien gebraucht worden sein V Pindar wandte
sie ja auch an. Was den Text des Gedichtes betrifft, so hat der
cod. Seitenstettensis , wie Wilamowitz bemerkt, in V. 1 und 2
Tü-/a erhalten, was Ahrens verlangte und Blaß empfiehlt. V. 4
ist mit W ilamowitz HsjaijtoxX^v zu lesen. V. 7 vermutet Blaß
ec -crrptöa ^«Uoaov ; einfacher und richtiger ist es, das i in 'IaXuaov
als Länge zu betrachten, wie auch Wilamowitz tut, der V. 10
durch die Umstellung von Tiavooxeoe ^eXotW ebenfalls herstellt:
opvupiou fi' Or.orXeuK 'iaDjiGt ysXoudc -avöoxeus (dpYuptoo U Fa.).
K o r i n n a.
Zu Korinna lieferten Beiträge
1. U. v. Wilamowitz, Textgeschichte der griechi-
schen Lyriker. Berlin 1900, S. 21 f.
2. P. Egenoltf, Zu Lentz' Herodian. Piniol. 1900,
S. 249 [fr. 23].
3. W. Headlam, Notes on thc Greek lyric Poets.
Class. Rev. 1900, S. 5 f. [fr. 34].
Daraus ergibt sich folgendes : fr. 7 überschrieb B e r g k auf das
Zeugnis bei Antonin. Lib. 25 hin 'Ivcspoia, sprach aber die Ver-
mutung aus, dali das Wort etepouov nach Kopivva aus dem vorher-
gehenden s?epotGU|ASV(ov versehentlich in den Text gekommen sei ; er
hätte noch etwas weiter gehen können , da auch die auf exepottuv
folgende Buchbezeichnung oc offenbar dem hinter STspoiouuiveuv stehenden
G* seine Entstehung verdankt. Zur Bestätigung dafür, daß diese Worte
hier irrtümlich beigefügt sind, dient Kap. 10, wo auch an Ni'xavSpoc
&TspGtoo{iivu»v o' nur xal Kopivva angereiht ist. Ich kann es daher
nicht billigen, daß auch Wilamowitz, dem Beispiel Herchers
im Hermes XU, S. 315 f., sich anschließend, der hs. Korrektur
YSpöuov aus etepot'cov Wert beilegt und einen Liedertitel -ylpoia bei
Korinna annimmt, der allerdings scheinbar durch fr. 20, 1, wo fs'pota
neben -(ipua überliefert ist, Unterstützung erhält. Aber ^£pota ist
der Form und der Bedeutung nach anstößig; eine so anomale
Bildung wäre den Grammatikern, zumal wenn sie Überschrift einer
Gedichtsammlung gewesen wäre, nicht entgangen und von ihnen
ebensogut wie 7,0105 -atpoto; /,poio; und ähnliche angemerkt worden.
Die Bedeutung soll „Geschichten der alten Leute" sein, d. h, wie
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I
204 Jahresbericht über die griechischen Lyriker. (Sitzler.)
sie alte Leute erzählen; wenn es wenigstens noch „Geschichten von
den Leuten der alten Zeit", den xkia itpoxiptav dvtpSiV entsprechend,
bedeuten würde! Fr. 20. 1 ist das Wort sicher verschrieben, ent-
weder aus j(opsta oder, was mir besser gefällt, xaXa 7a .Hpf« bzw.
xaXa te ./^pva; Ruhmestaten der Heroen und Heroinen besang
Korinna (vgl. fr. 10). Unter diesen Umständen erscheint es mir
nicht ratsam, auf das zweifelhafte Zeugnis des Anton. Lib. hin —
über die Unzuverlässigkeit der zu Nikander oder Bous noch hinzu-
gefügten Quellenangaben vgl. £. Martini in der Praefatio seiner
Ausgabe, S. LVI — einen Titel ^spota oder rcepota anzunehmen. —
Fr. 23 berücksichtigt Herodian nach dem Zeugnis Egenolff9 in
den Worten: xb 8s Hlawst« 6 *Upo? 01a too «t StcpBfSYYOo TpdKpst T<f
twv irporcapo;üT($Vü>v xav<5vi. '0 hl 'HpcuStavö? iv rtj 'OjATjptx^ rpoJtoOia
810 tot» 1 -j-pa'fsi* It:*^ xat sopijxai fj m auXXap7j 3ov83taX}jivi) to;
rapa Koptvviß (cod. Kopivtop): Hsjma. — Fr. 34 vermutet Headl am
i-\ tou riivoapoo (st. *3tI), wodurch das Schol. in leichter Weise
hergestellt wird; Korinna gebrauchte mit Beziehung auf Pindar das
attische Verb. d-ppaCetv, um ihn zu verspotten, weil er es im ersten
Buch seiner Parthenien angewandt hatte. Ein interessantes Beispiel
von Dichterkritik!
Ein neues Gedicht Korinnas auf den Schild der Athene will
Wilamowitz aus Anth. P. IX, 26, wo es heißt: xai Koptvva,
OoOptv 'AfHfjvanfj? atarloa ;i«X']»a[*ivav , erschlielien. Dagegen spricht
aber nicht nur die Hinzufügung von Oouptv zu dztz&i, sondern auch
der Inhalt des Epigramme s, das die Dichterinnen aufzählen und kurz
charakterisieren, nicht aber ihre Werke anführen will. Die richtige
Deutung der ausgeschriebenen Worte hat schon B e r g k , Griech,
Literaturgeschichte II, 8. 379, Anm. 160, gegeben, indem er sie auf
den kriegerischen Geist der Gesänge Korinnas bezog; man kann
dabei vornehmlich an die Dichtung "Eirt' iid flijßat; denken, in der
Athene als Beschützerin des Tydeus eine besondere Rolle spielte.
Zum Schlüsse erwähne ich H. Lee hat, der in der Rev. des
(Hudes gr. XII J (1900), 8. 896 f., den weiblichen Kopf der Sammlung
F. A. von Kaulbach, den P. Arndt in der Zeitschr. d. Münch.
Altert.-Vereins XI (1900) zweifelnd für Korinna erklärte, auf Grund
seiner Ähnlichkeit mit der Korinna von Compiegne (vgl. Rev. des
et. gr. 1899, S. 199) mit Sicherheit für den der Dichterin hält.
Pratinas.
P. Girard, Remarques sur Pratinas. MÄlanges Henri
Weil. Paris 1898, S. 131 f., tritt für die Ansicht 0. Müllers und
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Jahresbericht über die griechischen Lyriker. (Sitzler.) 205
Fr. Blaß' ein, daß das Hyporchem einem Satyrdrama entnommen
sei, meiner Meinung nach mit Hecht (vgl. vor. Jahresb. Bd. CIV,
S. 181 f.). 0. Crusius in Pauly- Wissowas ReaLencykl. Bd. V,
Sp. 1223 freilich ist auch jetzt noch nicht davon überzeugt.
Lamprokles.
Die Überlieferung des Hymnos auf Athene (fr. 1) bespricht
Wilamowitz, Textgeschichte der gr. Lyriker, S. 84 f. Er weist
mit Recht darauf hin, daß der in den Scholien zu Aristophan.
Nub. 967 und Aristid. 217 (Ddf.) erwähnte Phrynichos nicht der
Tragiker und Lyriker, sondern der Komiker ist. Aristophanes und
Phrynichos zitierten also den Hymnos, Aristophanes Nub. 967 die
drei ersten Worte, Phrynichos nach dem Zeugnis des Eratosthenes
mehrere Verse, und die bei diesen erhaltene Fassung des Textes
darf unbedenklich als die ursprüngliche angesehen werden; nur daß
roxi vor xtap'o» verschrieben ist. wie ich glaube, aus rotvav oder,
wenn man an diesem Akkusativ Anstoß nimmt, aus iroTvtav mit
Synizese, und daß das Schol. Aristid. noch die Worte atatov rap&svov
hinzufügt, aiSTov vielleicht entstellt aus atpea-ov. Wie aus diesem
ursprünglichen Text der im Schol. UV erhaltene wurde, ist leicht zu
erkenneu; die Zeile osivrjv ftibv iifpsx'j3oi}iov irotvav fiel aus, ein
Versehen, wie es auch sonst vorkommt ; daher kann ich in der Ver-
schiedenheit der beiden Fassungen auch nicht mit Wilamowitz
.einen frappanten Beleg für die Unsicherheit solcher Überlieferung,
für die Kritik und Unkritik der antiken Grammatik" finden. Die
gekürzte Form beuützte auch der Schol. Anstid., teilte sie aber voll-
ständiger als der Schol. RV mit, wie ja auch der Schol. Aid. mehr
als RV, aber weniger als Aristid. gibt. Daß die von dem Schol.
Aristid. mitgeteilte Form des Hymnos auf Rufus und Dionysios
zurückgehen, wie Wilamowitz meint, wird im Schol. nicht gesagt,
wo diese Grammatiker nur als Zeugen für den Verfasser des Hymnos
angeführt werden ; auf keinen Fall läßt sich aber mit Wilamowitz
annehmen, daß ihnen das wirkliche Gedicht noch zugänglich war, da
sie sonst weder über den Wortlaut noch über den Verfasser hätten
im unklaren sein können. Ja, schon aus Phrynichos hätten sie den
Dichter erfahren , der nach dem Zeugnis des Eratosthenes , worauf
Wilamowitz gut hinweist, Lamprokles ausdrücklich als Verfasser
nannte: xat „xa~a AajATrpoxXs'a'* oroTiOr^t xaxa ).£;iv. An die Stelle
des Lamprokles trat später Phrynichos, weil er den Hymnos in einer
seiner Komödien verwendet hatte, und nun lag auch die Vertauschung
des Komikers Phrynichos mit dem Tragiker nahe; Stesichoros aber
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20(5 Jahresbericht über die griechischen Lyriker. (Sitzler.)
wurde nur wegen des Metrums als Verfasser genannt. Daher ist
Bergks Vermutung, Stesichoros. Lamprokles und Phrynichos hätten
alle drei Hymnen auf Athene mit dem gleichen Anfang gedichtet,
unbegründet, und Phrynichos fr. 1 (bei Bergk) zu streichen. Da
auch fr. 2 wahrscheinlich einer Tragödie angehört, so sind uns lyrische
Fragmente des Phrynichos nicht erhalten. An dem Athen. VT, S. 250 b,
erwähnten Paan möchte ich allerdings nicht zweifeln.
Diagoras.
E. Well mann in Pauly-Wissowas Realenc. Bd. V, Sp. 810 f.,
sammelt und bespricht, was uns von Diagoras' Leben und Werken
erhalten ist. Dazu ist W i 1 a ra o w i t z , Textgesch. d. gr. Lyr., S. 80 f.,
zu vergleichen, der nachweist, da» sich die Angaben der Chrono-
graphen hinsichtlich der Blüte des Dichters (468) und Diodors über
seine Verurteilung in Athen (415) wohl miteinander vereinigen lassen,
und nebenbei noch für die Lesart 3t' d-ppac st. Ai*y,pas bei
Aristoph. Frösche 320 eintritt. Der Titel -to'jc xot/.oouevoo? Äiw-
7ropYuovrac Xo-pu? bei Suidas, den Wilamowitz nicht zu ver-
stehen erklärt, halte ich für verschrieben aus l\iro9p'J7uovta?, einer
anderen Bezeichnung der bei Tatian 28 genannten ^po^io». K&pt; zu
d-orppt>t(fav vergleiche dkoax'jftsCsiv.
Pra x i 1 1 a.
0. Crusius in Pauly-Wiss. Realenc, Sp. 1214, weist darauf
hin , daß die dithyrambenartigen Dichtungen der Sikyonierin für
den Kult bestimmt waren, daß also schon aus diesem Grunde Praxi IIa
keine Hetäre gewesen sein könne, wie Wilamowit z, Herakl. I, 71
meint. In fr. 1 ist nach ihm Iv cofrg im^p. 'A/tXXs'j? möglicherweise
Korrektur der ungenauen ersten Bezeichnung h &tf>opafj.ßoi?.
B a k c h y 1 i d e s.
Der Bakchylides-Papy ros wurde, wie wir aus
Fayftm towns and their papyri by B. P. G renfeil,
A. S. Hunt and D. G. Hoggart. London 1900, S. 19,
erfahren, in Ashmune'n gefunden; damit sind wir jetzt auch über
den Fundort dieser wertvollen Hs. , der bisher unbekannt war, auf-
geklärt.
In zweiter und dritter Auflage liegt vor
Bacchylidis carmina cum fragmentis ed. Fr. Blaß,
Lipsiae, iterum 1900, S. 8, tertium 1904.
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Jahresbericht über die griechischen Lyriker. (Sitzler.) 207
Beide Auflagen sind nur wenig voneinander verschieden; schon jn
der zweiten sind die kleinen Überreste auf abgetrennten Papyros-
stückchen, die Keny on in der editio prineeps als besondere Fragmente
veröffentlicht hatte, an ihren ursprünglichen Stellen im Papyros —
einige allerdings nur vermutungsweise — eingefügt. Die dritte Auf-
lage bringt eine Anzahl Berichtigungen, Ergänzungen und Zusätze,
größtenteils den neuen Forschungen der Gelehrten zu Bakchylides
entnommen. Auf einzelnes werde ich unten zurückkommen.
Eine Auswahl aus Bakchylides veröffentlichen
1. H. W. Smyth, Greek melic poets. London, Mac-
millan 1900,
derEpin. 3, 5, 6, 9 (8), 11 (10), 13 (12), 71 (104) — 174 (207),
14 (13), 15 (14), 37 f., 17 (16), 18 (17) nebst einer Anzahl Frag-
mente in seine Ausgabe der griechischen Meliker aufgenommen hat.
2. Odi scelte di Bacchilide commentate da D. Nessi.
Milano 1900,
eine Ausgabe der Gedichte 1, 13—46, 2, 3, 28—62, 5, 9 (8), 1—52,
11 (10), 15 (14), 37—63, 17 (16), 18 (17), 19 (18). 1—25, weder
in der Textesgestaltung noch im Kommentar bedeutend, in letzter
Zeit in neuer Auflage erschienen.
Daran schließe ich die Übersetzungen
1. E. Ii o in a g n o 1 i , Bacchilide. Saggio critico e versione
poetica delle odi. Koma 1899.
2. A. Hausrath, Übersetzungsproben aus Pindar
und Bakchylides. Festschrift des Gymnasiums zu Karlsruhe
1902, S. 40.
Enthält poetische Nachbildungen von III, 10-67, XVI (XV),
15-35, XVII (XVI) und XVIII (XVII).
3. N. Möller, Digte af Bacchylides. Nord. Tidskrift
f. Filol. VI, S. 145 f.
Poetische Übersetzung von II, III und XVII ins Dänische.
Kritische und exegetische Beiträge liefern
1. St. N. Dragumis. Äör,va X, S. 413 f., 556 f.
2. D. Nessi, Osservazioni Bacchilide e. Bollet. di
Filol. class. V, S. 183 f., 229 f., VI, S. 38 f.
3. J. B. Bury. Class. Rev. 1899, S. 272 [XIX (XVIII), 33.
34], Class. Rev. 1900, S. 62 [XI (X) 118].
4. U. v. Wilamowitz. Hermes 84, S. 637 [XIII, 119
(XII, 152)].
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208 Jahresbericht über die griechischen Lyriker. (Sitzler.)
5. T h. Z i e 1 i n s k i , Bacchylidea. Eos V, S. 25 f.
6. A. B. D räch mann, Bacchylidea. Nord. Tidskrift f.
Filol. VI, S. 160 f.
7. G. Fraccaroli, Come si fa un' edizione di
Bacchilide. Riv. di Filol. 1899, S. 513 f., gerichtet gegen
N. Festa, und dazu die Erklärung G. V i t e 1 1 i s ebenda 1900, S. 93.
8. F. BlalJ, On some passages of Bacchylides.
Hermathena 25, S. 356 f.
— Nachlese zu Bakchylides. Hermes 36, S. 272 f.
9. Ch. Wald stein, The Argive Heraeum and
Bacchylides XI (X), 43—84. Class Rev. 1900, S. 473 f.
Athenäum 1900, S. 709 f.
10. E. Schwartz, Zu Bakchylides. Hermes 1904,
S. 629 f.
11. 0. Hen.se, Bakchylides VIII (IX), 36. Rhein. Mus.
56, S. 305 f.
12. A. Mancini, Note su Bacchilide. Lucca 1901,
35 S. [Estr. d. Atti d. R. Acc. Lucchese di scienze, lettere ed
arti vol. XXXI].
13. W. F. R. Shilleto, dxpejia (crcpeu-si) = slightly, leniter
(V, 7]. Class. Rev. 1902, S. 284. Dazu A. W. Mair und
W. Headlam ebenda, S. 319.
14. W.Schäfer, Üissertatio de tertio Bacchylidis
carmine. Erlangen 1901.
15. P. Dessoulavy, Bacchilide et la lllme Ode.
Neuchatel 1903.
16. A. Wolff, Bacchylidea. Patavii 1901.
17. J. v. Leeuwen, (£uid significat Xetptoc sive
Xetpiosu? [XII 1 (XVI), 94]. Mnemosyne S. 114 f.
18. C. Häberlin. Wochenschr. f. klass. Philol. 1899,
S. 177 f.
19. W. Headlam. Class. Rev. 1900, S. 10 f., 1902, S. 247 f.
20. H. Jurenka, Sind Bakchyl. VI und VII auf einen
Sieger gedichtet oder auf zwei? Festschrift für Gomperz.
Wien 1902, S. 220 f.
21. J. A. Nairn. Class. Rev. 1899, S. 167 f.
22. G. Kai bei, Sententiarum Uber ultimus. Hermes
19ni, s. t)0»; f. [Xli, si f.].
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Jahresbericht über die griechischen Lyriker. (Sitzler.) 209
23. H. v. Her werden. Mnemosyne 27, S'. 1 f . — Museum
1899, Nr. 12.
24. H. Diels. Hermes 1898, S. 334 f. [X, 119].
25. R. C. Jebb. Album gratulatorium in honorem H. v. Her-
werdeni. Utrecht 1902.
Man sieht, daß eine ausgedehnte Tätigkeit auf Bakchylides ver-
wandt wurde, die der zweiten und dritten Auflage von Blaß zugute
kam. Das erste Gedicht, das in der editio prineeps Kenyons mit
dem Vers, der in der Ausgabe von Blaß als 111. bezeichnet ist,
begann, wurde von Blaß aus verschiedenen Papyrusresten in seinem
Anfang ergänzt. Dabei stützte sich Blaß auf das Metrum, den
Sinn und die Farbe und Schrift des Papyrus, drei Beweise, die bei
kleinen Stücken, wie sie hier zum Teil vorliegen, nicht genügen, um
Sicherheit zu geben. Jedenfalls muß man sich, was Blaß nicht
immer getan hat, bei der Herstellung genau an die Ibis-Scholien
halten, die meiner Überzeugung nach den Gedankengang des Bak-
chylideischen Gedichtes getreu wiedergeben. Danach war nach der
Einleitung zuerst die Ankunft des Zeus und Apollon bei den Teichinen
und ihre gastliche Aufnahme durch die Tochter Dämons, des Fürsten
der Teichinen, erzählt: dann folgte der Bericht über die Errettung
der Töchter, die, nach V. 49 f. zu schließen, durch einen Traum be-
wirkt wurde, den Zeus einer von ihnen schickte; diese teilte ihn
den andern mit, und alle beschlossen, ihm zu folgen und ihre Heimat
zu verlassen, außer Makelo, die nach V. 81 ihre Schwestern zur
Flucht aufforderte , selbst aber bei ihrem Bräutigam zurückblieb ;
daran schloß sich die Schilderung der Bestrafung der Teichinen, bei
der auch Makelo mit umkam, und hier setzten dann die erhaltenen
Verse Ulf. ein, die von der Ankunft des Minos an dem neuen
Wohnort der Töchter und der Geburt des Euxantios handeln. V. 142
ergänzt Her werden dxji>jxa Xsovxo; f)oji.öv ; mir gefällt dojir/ca
besser (vgl. fr. 84, 1). Schwartz wünscht 6{au>? xe, ebenfalls besser
als Headlams law xs. das Blaß aufnahm. Auch V. 144 ist
Blaß' Ergänzung ozoxe /petfe £ xepftoXoi pd/ac nicht zu billigen;
denn xepßoXstv bedeutet nicht „antreiben", st. xspftoXoi erwartet man
xspßoXeoi. und die Silbe ßoX sollte nach Ausweis der anderen ent-
sprechenden Verse lang sein. Demnach muß das überlieferte ßoXoi
verschrieben sei; etwa /peioj xt aojißdXXoi ja. ? V. 180 verstößt die
Überlieferung faaov dv Ca>Ti XP*V0V» ™'jZ Xdysv xifxdv gegen die
Responsion; daher hat Housman Xdxe xovoe /povov x. umgestellt,
und Headlam tritt nachdrücklich für diese Umstellung ein, weshalb
Jahresbericht für Altertumswi.Men«ohaft. Bd. CXXXIII. (19<)7. F.) 14
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210 Jahresbericht aber die griechischen Lyriker. (Sitzler.)
Blaß8 sie auch ihm, wie es scheint, zuschreibt. Mir gefällt die
dadurch entstehende etwas gezwungene Wortstellung nicht, und
deshalb ilndere ich lieber xö\»8s in «joe „auf diese Weise", nämlich
xoo'foxaxat? {lepqxvotis • «io* wurde im Anschluß an yp6vnv zu r6vot.
Blaß zieht der Schreibung xijxav die getrennte xt }xav, auf die der
Papyros hinweist, vor; aber diese Frage, welche die einander gegen-
übergestellten Sätze (faaov äv 'ihrj und xal suxs Öa'v^) auseinander-
reißt, ist hier störend.
Epin. JI, 1 ergänzt Blaß im Anschluß an andere Gelehrte
at'csv a a. <l>^aa ; denn, wie es in der Praefatio zum zweiten Gedicht
Anm. 2 heißt, „certe dveji-vajsv (6), etsi ad Argium referatur (sicut
0paao8<no; ejivaaav est apud Pind. P. XI. 13), utique Ceos habet
obiectum; itaque non veniet nuntius, sed venit". Aber den Keern
brauchte Argeios die Siege ihrer Landsleute sicherlich nicht ins
Gedächtnis zurückzurufen, und ebensowenig die <I>r]jia, wenn man
diese als Subjekt zu dvijivajev etwa betrachtet; denn diese hatten
sie gewiß nicht vergessen. Wer Erinnerung brauchte, war die Fest-
versammlung, der bei dem neuen Sieg des Keers auch die früheren
keischen Siege wieder einfielen. Spricht also dieser Umstand nicht
gegen Kenyons Ergänzung, so empfiehlt sie die Erwägung, daß
das kurze Gedicht zur Begrüßung des Siegers an Ort und Stelle
geeigneter ist als zu Hause, und daß diaaeiv zur Bezeichnung des
Aufbruches eher als zur Bezeichnung der Ankunft paßt, wie schon
0. Schröder bemerkt hat. Die letzten Verse xaXei oe xxX. , in
dichterischer Weise als selbständiger Satz angefügt , stehen final ;
daher ist weder eine Änderung nötig, noch läßt sich daraus auf
Anwesenheit des Dichters in Keos schließen. Nebenbei bemerke ich,
daß die Ergänzung jxa'x«? (4) schon in meiner Ausgabe der Buch-
holzschen Anthologie steht.
Epin. III, 16 hat der Pap. cptXo&vta;, wofür manche Gelehrten
<ptXo£sviai? wünschten, und in der Tat ist die Stelle anstößig; denn
ßpustv verbindet Bakchylides sonst nur mit dem Dativ, ein Wechsel
in der Konstruktion des tVerbums, wie hier zwischen Dativ und
Genet. bei ßpuetv in den verschiedenen Satzgliedern, findet sich sonst
bei unserem Dichter nicht, und ebensowenig die Weglassung vou U
in der Epanaphora nach u£v, die überhaupt äußerst selten ist. Ich
vermute daher «iXo&svfe o' st. ©iXo&evta?; die Stellung von U an
dritter Stelle war Grund der Verschreibung. V. 18 empfiehlt sich
Blaß' u^iootiSoXcov st. 6<{/toatöctXxa>v , um die richtige Responsion
herzustellen. Aus ebendemselben Grunde läßt sich V. 64 ou jAr^ti-
vr,xs 'Uptov nicht halten, da man an vierter Stelle eine kurze Silbe
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Jahresbericht Uber die griechischen Lyriker. (Siteler.) 211
erwartet; es kommt noch der unerträgliche Hiatus mit Längung des s
hinzu. Beachtet man nun, daß in V. 62 die Silbe dv vor eVs^e,
in V. 63 das Wörtchen nach oaot fehlt, so scheint es wahrscheinlich,
daß auch in unserem Vers die Verderbnis von der Auslassung einer
Silbe herrührt, also p^ytor' dfqzi bzw. fisfiaxaYijxe zu schreiben ist,
mit Wegfall des « vor 'Hptuv. Schwierig ist der Wortlaut der V. 26 f.
herzustellen, wenn auch der Sinn nicht zweifelhaft ist. Blaß schreibt
x£v ?:eirp<ojA8vav | Ztjvoc xeXefoo vsujiaoiv | Zdpois? Hepsav utt* Ixrt'jAtrXav
axpaxtjJ, so daß die Zerstörung der Stadt nur angedeutet wäre, die
man doch hier deutlich ausgesprochen wünscht; auch mißfällt das
Äschyleische veujxaaiv und ist nach der langen Endsilbe des vorher-
gehenden Wortes metrisch nicht unbedenklich. Daher versuche ich
Zijvöc xsXe'jx&aai <ppe3iv | 2. flepaav ipeucovxo axpaxqT Wenn Blaß
den folgenden Satz mit fap anknüpft, aber jaöY wv liest, so übersieht
er, daß ?dp mit roXoSdxpoov oöx sjieXXa fiffiveiv xxX. verbunden werden
muß; außerdem ist wy nicht Bakchylideisch und jtoXeTv mit Accus,
in übertragener Bedeutung ungewöhnlich. Deshalb ist Jebbs Her-
stellung 6 8' U aeXirxov djiap | fxoX<ov icoXoodxpuov xxX. vorzuziehen,
und auch SouXoouvav, das derselbe Gelehrte V. 31 schreibt, ist be-
zeichnender als Blaß' 8u3<ppoa6vav ; denn gerade die Furcht vor
der 8ouXo3ov7j bestimmte sein Tun , nicht vor der outNpposovr, , der
kein Mensch entgehen kann. Ansprechend ist V. 43 H e r w e r d e n s
üeoxipov asxo, richtig V. 47 F raccaro Ii s Tilgung des überlieferten
0' nach rpoaöev; denn wir haben hier, der Aufregung des Königs
entsprechend, lauter kurze, unverbundene Sätze. Auch darin scheinen
jetzt die meisten Gelehrten übereinzustimmen , daß V. 48 dßpoßdxav
ein Appellativum ist, das den orientalischen Palastsklaven nach seinem
weichlichen Gange bezeichnet. Vgl. z. B. Eur. Troad. 820, wo es
von Ganymedes heißt: /pooiaic iv otoo^oat? dßpd ßat'vtov; an eine
weiche Fußbekleidung darf man dabei nicht denken , wie es B u r y
tut. V. 58 will Herwerden xeö^si in xeoxTi ändern unter Berufung
auf XVI, 118; daß dies unnötig ist, bemerkt W. Schäfer mit Recht,
Blaß hätte es also nicht in den Text setzen sollen. Auch V. 69
ist Herwerdens Oeo<ptX^, trotzdem es auch bei Blaß Billigung fand,
zweifelhaft wegen des Mißklanges tteo<ptXr, <pt'Xnr7rov, worauf Dessou-
lavy hinweist; man muß ein anderes Wort auf Xij suchen, etwa
ooa-aXi) „schwer niederzwingen, unüberwindbar", wie es für den dvrjp
äprttos paßt. Hieron wird als unüberwindlicher Kriegsmann und Freund
der musischen Künste gepriesen : dieser Gegensatz ist in V. 72 f.
ausgeführt, wie Blaß gesehen hat. Jedoch ist xoxi meiner Meinung
nach unmöglich; die Ode fällt in das Jahr 468 und die Besiegung
14*
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212
Jahresbericht über die griechischen Lyriker. (Sitzler.)
der Etrusker bei Cumae in das Jahr 474, und überhaupt kann der
Dichter die kriegerische Tätigkeit des Hieron nicht mit iro-ri als der
Vergangenheit angehörend bezeichnen. Ich ergänze daher das über-
lieferte t:ot zu iroxi „außer, neben", wozu ein Begriff wie xXcrpl
8oupa>v oder poi'Cto 4f*/-tt>v trat« Ebensowenig scheint mir V. 73
i*a>epov richtig ; dieses Wort folgt V. 76 in £<pau,epfav. Ich schlage
5u.epov vor, ajiepo? im Gegensatz zu dem vorhergehenden SsijiaXsoc
V. 77 weist Blaß die, wie es scheint, allgemein gebilligte Ergänzung
Kenyons 6 ßoux<&o? mit Recht zurück; dieses Attribut, das auf
das Verhältnis zwischen Apollon und Admetos hinweisen soll, ist hier
völlig bedeutungslos, während das von Blaß vorgeschlagene <ptXo> zur
Empfehlung der Mahnung Apollons wesentlich beiträgt; denn der Freund
rät dem Freund das Beste. Vor <p&oc fehlt wohl ein Attribut zu «ßlpijtoc
uti, wie xXoT<p. Der Nachdruck in den Worten Apollons liegt auf oiia
op<uv, was von vielen nicht beachtet wurde ; das Rechttun, die apsTo,
wie es im folgenden heißt, wird dem Menschen empfohlen, und dieses
soll die Richtschnur für das eu^paivsiv $o\i6v bilden; denn nur so
erlangt er Unsterblichkeit. Daraus ergibt sich, daß die V. 85 f. an-
geführten drei Beispiele — Äther, Meer und Gold — nur erwähnt
sind, um im Gegensatz zu ihrer Unvergänglichkeit die Vergänglichkeit
des Menschen mehr hervortreten zu lassen und so beim schnellen
Dahinschwinden des Körpers die Notwendigkeit und den Wert der
apeta stärker zu betonen. Damit ist aber auch klar, daß die Über-
lieferung eOcppoaova 3' 6 ypuao; unhaltbar ist, mag man nun mit
Kenyon „gold is a joy for evertt — dieses „for ever" steht nicht
im Text — , oder mit Schäfer „aurum purissimum hilaritati animi
comparandum estu oder mit Schwartz „Festesfreude ist das Vor-
trefflichste, wie Himmel, Wasser und Gold" erklären; denn selbst
wenn man die beiden zuletzt genannten Erklärungen mit dem Texte
für vereinbar hält, passen sie nicht, weil der Zusammenhang den
Hinweis auf die Unvergänglichkeit des Goldes verlangt. Blaß
schreibt daher suypoa-jvot 5' h ypuso;, wofür es doch — das sonst
nicht vorkommende eu/pos-jvet als möglich zugegeben — t<o yjjoatu
heißen müßte. Ich betrachte eOcppoauva für verschrieben, entweder
wegen des vorhergehenden s-jcppatvE Öouov oder wegen einer bei-
gefügten Erklärung, und halte £j/po o; 3fc yj>'j3o; für das ursprüng-
liche. Ebenso glaube ich, daß in V. 90 das Kut. pivoosi hergestellt
werden muß, da das Praes. utvjtlei gegen die Bespon>ion verstößt;
der Aor. Pass. von jxivjst ist V, 151 st. fiivovfta zu lesen. In V. 96
aber darf man xaXmv nicht als Particip. fassen, wie viele tun; es
ist vielmehr Neutr. Plur. Die richtige Erklärung deutet Blaß an:
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Jahresbericht über die griechischen Lyriker. (Sitzler.) 213
referenda haec ad veram gloriam ab Hierone partam. Der Dichter
sagt also, daß man zugleich mit dem wahren Ruhme Hierons auch
seine anmutigen Loblieder auf ihn preisen wird.
Epin. IV , 6 vergleicht Drachmann zu dps-ci" fircuov , das
Crusius und andere ergänzten, Horn. W 276; ich füge Pind. P. X, 23
dpexa. ttoö&v bei. Fr. 22 K., das Blaß in der ersten Auflage nach
V. 7 eingereiht hatte, verweist er jetzt in das 14. Gedicht nach V. 23.
Das Zeichen vor a? in V. 8 hält er für einen Apostroph; es kann
aber ebensogut der Überrest eines Akzentes oder ein Flecken sein,
und deshalb ist d?, wie er schreibt, zweifelhaft. Auch kann ich es
nicht billigen, daß er jetzt in V. 13 das nach Asivojiiveo? überlieferte
x' streicht; die ganze Stelle ist so lückenhaft, daß sich nicht einmal
der Sinn erraten läßt; selbt die Einreihung des fr. 19 K. an dieser
Stelle ist ganz unsicher.
Epin. V zeigt mehrere Verstöße gegen die Uesponsion, die meiner
Überzeugung nach alle durch Textesverderbnis entstanden sind; V. 8
emendiert Richards richtig $ird&p>jaov st. döpTjaov; Kenyons
C'jv v&p st. v*5a> ist metrisch bedenklich, da dem Versschluß dbv voq>
regelmäßig eine Kürze als Endsilbe des vorhergehenden Wortes voran-
gehen müßte. V. 1 1 f. ist mit Änderung der Stellung und Vers-
teilung zu lesen ujAe-cipav | ?:e;j.irei ls xXstvav r>6hvy wodurch auch
der metrische Anstoß — Creticus nach langer Endsilbe — gehoben
wird; entsprechend ist dann in V. 26 f. das auffallende Medium
vomaxai mit Walker und anderen Gelehrten in vu>-ua zu ändern.
i IT
V. 30 ist das unerklärliche jast vor dv&pa>TCQi? zu streichen und dp(-
fvioroc dvöptoroi? herzustellen, aber schwieriger ist die Sache in V. 14;
Tilgung des überlieferten o£ ergibt einen unerträglichen Hiatus. Ich
glaube, in lüi'hzi steckt 3 DsXst; die seltene Maskulinform des Relat.
o veranlagte die Verschreibung in &ft£Xet und dann die Hinzufügung
von ZI, die jiex' in V. 30 nach sich zog. Daß in V. 151 ;juvuv&*
aus juvoffo], dem pass. Aor. zu aivuro (vgl. III, 90), verschrieben ist,
habe ich schon erwähnt. V. 115 hat Kenyon gewiß richtig o5?
st. xouc hergestellt, für das unter anderen auch Schwartz eintritt,
und das Blaß nicht hätte zurückweisen sollen.
Aber auch abgesehen von der Uesponsion enthält das Gedicht
manche Schwierigkeiten. V. 7 wollte Mair dxpeua im Sinne von
„slightly" fassen; es steht aber in seiner ursprünglichen Bedeutung,
die Folge des dp-ao3a? bezeichnend, = &zz% «Tpsjiac Zytiv. V. 9
liest Blaß ^ indem er bemerkt: „yj iuterrogat. (in interrogationibus
obliquis simplieibus) et ap. Horn, est et in titulis Doricis" ; die
letzteren kommen hier kaum in Betracht, bei Homer und den epischen
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2h
Jahresbericht über die griechischen Lyriker. (SiUler.)
Dichtern aber findet sich dieser Gebrauch von ^J, das hier besser
paßt als Kenyons { (vgl. Jl. 8, 111, Od. 16, 137); diese mag
Bakchylides nachgeahmt haben (vgl. auch Kühner, Gr. Gramm. II*,
S. 1034, Anm. 26). V. 13 ist xXetvfc wegen des vorhergehenden
i; xXsivdv iroav offenbar verschrieben; das Richtige ist btXot (vgl.
VIII, 3 Mooaav deioc itpo<pata;). Die schöne Vergleichnng V. 16 f.
erklärt Blaß, S. XV f., richtig, indem er sagt: „non eo tendit, ut se ei
avi assimulet, id quod merito Pindaro relinquit, sed ampla materies
carminis com immenso aSris spatio, in quo volat aquila, comparat" ;
dies zeigen deutlich die V. 31 f. Aber V. 3^ betont er mit Unrecht
die Bezeichnung tt&Xo?, die dem Renner Pherenikos gegeben wird;
dies Wort steht hier poetisch für fcnroc und spricht daher nicht
gegen die Annahme, daß Pherenikos auch im Jahre 482 den pythischen
Sieg errang. Ja, dasselbe Pferd kann sogar im Jahre 472 zu Olympia
zum zweiten Male gesiegt haben (vgl. Herod. VI, 103 und Pelagonius
ars veterin., p. 32, auf den W. Christ hinweist); jedoch haben wir
darüber keine Überlieferung. Das Adj. vsoxpotov V. 48 erklärte
Kenyon „celebrated by new Glamours of applause", andere, wie
Blaß und Sm yth vergleichen Pind. fr. 194 xexpoTTjxat ypoaia xpipi'?,
so daß es „neugehämmert, frisch" bedeutet; ich möchte xp6to? auf das
Stampfen der Rosseshufe beziehen (vgl. z. B. Eurip. Herakl. 783: xpoxoc
roowv vom Tanzen), veexpoto; also „neuschallend". V. 75 ist eceiXs-
totov überliefert, das man gewöhnlich in icetXst' I6v umschreibt und
den so entstehenden Hiatus damit entschuldigt, daß die Analogie
von I6i „Gift* und tov „Veilchen" eingewirkt habe; ähnliches findet
sich sonst bei unserem Dichter nicht und ist hier um so unwahr»
scheinlicher, als Horn. A 116, der ihm vorschwebte, ihn vor einem
solchen Irrtum bewahren mußte, um so mehr, da ecelXet' ii'tftov so
nahe lag; friatov schrieb er auch in dem entsprechenden V. 82. Mir
scheint also in der Überlieferung ein Schreibfehler zu stecken. Zu
V. 109 bemerkt Wilainowitz, daß wilde Eber keine Schafe an-
greifen, und nimmt deshalb ein Versehen des Dichters an, das einer
Reminiszenz an Horn. I, 542 entstamme ; aber dieser Zug gehört zur
Sage (vgl. Ovid Met. VIII, 296), worauf Schöne verweist, und
Apollod. I, 8, 2. Ebensowenig darf man V. 119 mit Wilamo w itz
Sv an die Stelle von ouc der Editio princeps setzen; denn was der
Relativsatz aussagt, gilt von allen Brüdern des Meleager, nicht nur
von Agelaos. An die bei der Jagd erlittenen Verluste reihen V. 121 f.
die durch den Kampf zwischen den Ätolern und Kureten um die
Eberhaut verursachten. Da von diesen beide Parteien betroffen
wurden, können sich V. 121 f. nicht nur auf Meleager oder dessen
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Jahresbericht über die griechischen Lyriker. (Sitrier.) 215
Brüder beziehen; daher ist die Ergänzung von Schwartz xajA*
wXsat und von Lud wich iravtac, die Blaß aufnahm, unmöglich.
Passend ist nur irX£ovac, wie ich in Buchholz' Anthologie schrieb,
oder TcXsüvac, wie Ho us man vermutet, als Gegensatz zu den zwei
schon genannten Gefallenen. Wie aber dieser Satz an den vorher-
gehenden angeknüpft war, ist zweifelhaft; Blatt schreibt jetzt vüv 5'
in Übereinstimmung mit itavtac, das ich nicht billigen kann. Ich ver-
mute xal ö' „aber auch noch mehr vernichtete" usw. Zu V. 129
verweist Smyth auf Ovid Metam. 8, 340, wo Lynkeus und Idas
„duo Thestiadae, proles Aphareia" genannt werden, ihr Vater Aphares
(oder Aphareus) also unter die Söhne des Thestios gerechnet wird;
sonst gilt dieser für einen Sohn des Perieres und der Gorgophone.
Übrigens ist Aphares auch im Schol. zu Horn. 11. 9, 567 genannt,
wie Schwartz bemerkt. V. 142 wurde das überlieferte i^Xauaado,
das J e b b gut in dyxXatiaaaa änderte, vielfach zu emendieren gesucht,
um ein zu dem auffälligen oouöaXlac ix Xapvaxoc zu konstruierendes
Partizip zu erhalten ; W i 1 a m o w i t z schlug äfXuaaaa , Schwartz
ifXaßoOoa vor , beides unwahrscheinlich. V. 184 hat llousman
mit Recht U vor suitupfoo? eingefügt; Blaß nahm dies auf und
schreibt auch richtig Sopotxosaa? st. Sopaxooaaac, das Uerwerden
als ionisch schützen will ; die ionische Form heißt £op^xousou. Als
diejenigen, welche zu V. 186 auf Pind. J. VII (VIII), 43 verwiesen,
nennt Blaß Tyrrell und Bury; dieser Hinweis steht auch in
meiner Ausgabe von Buchholz' Anthologie. Einfacher, als an die
syrakusanische Art der Abstimmung zu denken, ist es aber, unter
TtsxaXov den Olivenkranz zu verstehen, das Zeichen des Sieges und
damit des Glückes für den Sieger. V. 191 hat Blaß die Konjektur
E. Brunns aufgenommen, für die fr. 28 (Bergk) spricht, fXoxsiav . . .
Mouaav, und auch nicht unerwähnt gelassen, daß eine entsprechende
Stelle in den erhaltenen Gedichten Hesiods nicht gefunden wird ; sie
muß in seinen verlorenen Werken gestanden haben; denn Theog. 81 f.
ist zu allgemein, um hier gemeint zu sein. Blaß meint Theognis 169:
ov di dsol njinia', Sv xal ji«o|i.t6|i3vo? afvet sei unserer Stelle ähnlich ;
aber dann müßte xal [AcutAeuiisvoc fehlen, ein Begriff, der hier ganz
fern liegt. Auch kann man es nicht billigen, wenn er V. 195 das
tiberlieferte irert>ou.at in -st06jief>', V. 196 das von J e b b und D räch -
mann ergänzte extoc Stxa? in ixxoc öe&v ändert, nur weil V. 3t>
f)e«fc am Ende steht, und weil er in »si^fieö' dieselben Vokale wie
in Aeivopiveoc V. 35 haben will; der Dichter spricht hier nur von
sich und seinem Lied, das dem Hieron gerechtes Lob spendet und
für immer begründeten Ruhm sichert. Schwartz vergleicht zum
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2Hi Jahresbericht über die griechischen Lyriker. (Sitzler.)
Gedanken Pind. N. VII. 50. In den V. 198 und 200 ergänzen
Jurcnka u. a. richtig IsdX&v und ©uXoticrot, wie auch Blaß hat,
Epin. VI, 8 schreibt Blaß irpoxoaun vixwv, weil im dritten Vers
der Antistrophe am Schlüsse vua? steht; infolgedessen muß er V. 4
oV faaa als Ausruf fassen, was an unserer Stelle und überhaupt bei
unserem Dichter wenig wahrscheinlich ist. Ich vermute öst£a? oder
q>a(vtt>v „all die Vorzüge zeigend, infolge deren us\v.a. In V. 14
ist jetzt Blaß zur Überlieferung irpooojiot? zurückgekehrt, die gewiß
nicht in TtpoSpoiioi? geändert werden darf; das Liedchen wurde bei
der Heimkehr des Siegers als Ständchen vor seinem Hause gesungen.
Epin. Vll und VIII verherrlichen nach der Überschrift denselben
Sieger; daher hat Blaß sie unter VII vereinigt. Es kann nämlich
als sicher gelten, daß auf der fehlenden Seite zwischen VII und VIII,
die etwa 24 Verse enthielt, keine neue Überschrift war; Blaß hat
von diesen 24 Versen die Überreste von 15 in den Fr. XII und VII
bei Ken von mit großer Wahrscheinlichkeit nachgewiesen. Dazu
kommt, daß Vll, wenn VIII ein neues Gedicht begönne, nur ganz
kurz wäre, was unwahrscheinlich ist, da Bakchylides den Lachon
nicht in zwei kurzen Gedichten gefeiert haben wird; auf das kürzere (VI)
wird ein längeres (VII) gefolgt sein. Man hat aber auch keinen Grund
zu der Annahme, daß VII und VIII unvollständig im Papyros ent-
halten gewesen seien, VII am Schlüsse, VIII am Anfang verstümmelt.
W. K. Prent ice, De Bacchylide Pindari artis socio et imitatore
1900, S. 51 f., weist noch darauf hin, daß sowohl in VII wie in VIII
Pindar Ol. III dem Dichter vorschwebte ; ist dieses Argument für die
Zugehörigkeit der beiden Fragmente zu einem Gedicht auch nicht
beweiskräftig, so ist es doch als Zugabe willkommen.
Hält man VII und VIII für ein Gedicht, so entsteht sofort die
weitere Frage nach dessen metrischer Form. Blaß, der früher
strophische Gliederung annahm , spricht sich in der dritten Auflage
für droXeXüjjtsva aus, ohne jedoch Zustimmung zu finden. O. Crusius
in Pauly-Wissowas llealencykl. Bd. V, Sp. 1215, macht darauf auf-
merksam, wie unwahrscheinlich dTroXsXoji^va in einem Epinikion seien,
da ja sogar die Dithyramben strophische Gliederung zeigten, und
auch P. Maas Philol. 1904, S. 308, der an der Annahme zweier
Gedichte festhält, glaubt, daß jedes Strophe und Antistrophe gehabt
habe, wie Epin. IV. Die Spuren davon lassen sich meiner Über-
zeugung nach in den Überresten noch auffinden; VII, 1 entspricht
metrisch VII, 8, wenn man vipq; st. veijatq? schreibt; ebenso Vll, 2
und 9, soweit sie überliefert sind, und auch VII, 3 und 10, wenn
man im ersten Fuß neben - zuläßt; allerdings kann
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Jahresbericht über die griechischen Lyriker. (Sitzler.) 217
dann die Ergänzung iroXoC>j[Xa>To; nicht richtig sein. Weiter ent-
spricht aber auch VIII, 1—3 den Versen VII, 6 und 7, wenn man mit
Nsjjls | av den ersten Vers schließt und die Füße neben
und neben annimmt. Die erste Strophe
umfaßt VII, 1—7, die zweite VII, 8 f.; VIII, 1-3 sind die zwei
letzten Verse einer Antistrophe und mit VIII, 4 beginnt die Epodos.
VIII, 9 schreibt Blaß vi'xa? natürlicher ist es, In mit dv&pw-
xoistv zu verbinden, im Sinne des häufigen &x dv&pwirooc; jedoch
kann ich diese Konstruktion nicht belegen, und so ist es vielleicht
besser, mit Housroan in in iv zu ändern. Jurenka, der VIII
von VII trennt, weist ebenfalls auf die antistrophische Gliederung
von VII hin.
VIII (IX), 2 schreibt Blaß richtig ircet; dabei ist aber das
folgende ts unmöglich. Am nächsten liegt fs, wie Blaß in der
ersten, oder tot , wie er in der dritten Auflage ändert ; jedoch sind
diese Partikeln hier ihrer Bedeutung nach nicht am Platze. Wila-
mowitz nahm daher eine größere Verderbnis der Überlieferung an
und las sXixoßXecpdptuv st. ts foßXs'f dpu>v , worin ihm Smyth folgte.
Man könnte auch an dfavoßXscpdp<Dv oder iavoßXsodpcov (vgl.
Alkm. 23, 69) denken; war soty nach aav ausgefallen, so lag die
Änderung xs foßX. durch willkürliche Konjektur nahe. Noch
schwieriger ist es, V. 10 herzustellen; das erhaltene vuaj^ios;. das
nach Ken von und Blaß hinsichtlich der Lesung keinem Zweifel
unterliegt, läßt nur die Ergänzung in cpoivixdamöe? zu, die aus zwei
Gründen bedenklich ist«, einmal weil die Krieger Adrasts sonst „weiß-
beschildet" genannt werden und „purpurrote" Schilde überhaupt
nirgends erwähnt sind, sodann weil man eine Partikel vermißt, die
diesen Satz zum vorhergehenden in Beziehung setzt. Ich betrachte
daher vtx für verschrieben aus y ')*kr, da™5e*, wieNairn vermutet, oder
aus dlx(da~ioe? vgl. xopyftdi; u. a. und lese xsttte v.a\ y. oder dixd-
g-iosc, das letztere mit Synizesis von xat d. Am Schlüsse von V. 20
ergänzt Blaß ida-ptTm und reiht fr. 35 (Kenyon) irpo;svov an; aber
die lange Silbe vor irpocevov ist metrisch anstößig. Offenbar gehört
dieses Fragment gar nicht an unsere Stelle, an der richtiger irXa$i--<o
©tXov gelesen wird. V. 28 behält jetzt Blaß mit Recht die Über-
lieferung Siaxptvet — der Akzent ist tiberliefert — ?drt bei. Die
Bedeutung von Staxptaiv ist freilich sonst nirgends belegt, aber nicht
unerklärbar: „er strahlte unter den Mitkämpfern hervor, wie der
helleuchtende Mond in einer Vollmondsnacht, der der Sterne Licht
absondert, in Abstand von sich hält, hinter sich zurückläßt4*. V. 36
stellt Hense durch die Änderung von TsXsoxaia? in TsXs'jtdja; gut
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218 Jahresbericht aber die griechischen Lyriker. (Sitzler.)
her; nur muß dann der Punkt hinter Xot&v (35) getilgt werden, der
hei Blaß infolge eines Versehens stehen geblieben ist; Stahl ver-
langte ixteXsuTaaa; x\ was zu weit geht.
Epin. IX (X), dessen Überschrift nicht erhalten ist, verherrlicht
einen Athener, der am Isthmus im Laufe siegte; Blaß hat in V. 9
iA-ftaup als Namen hergestellt; ist dies richtig, so muß man ÄfXd', <j>
lesen, damit die V. 13 f. zweite Person eine Beziehung hat. Mir
scheint aber das Adjektiv dfXauJ die Einleitung, die das Verdienst
der Q>ri\ioL um den Nachruhm der Menschen preist, abzuschließen und
xol vGv zu dem vorliegenden Fall, dem Lob des Siegers, überzuleiten.
Wilamowitz u. a. wollten nun den Namen in V. 10 finden, indem
sie vaai&xiv in Uaiia, xlv änderten; aber dann vermißt man die
nähere Bezeichnung zu Xquyöo^ov uiXiaaav, die eben in vaat&xiv
liegt. So bleibt nichts übrig, als mit Jurenka u. a. in dem unvoll-
ständig erhaltenen Anfang von V. 11 den Namen zu erblicken, nach
Jurenka E-j/stpes, was allerdings nach den Buchstabenresten
zweifelhaft ist. Keinesfalls kann man mit Blaß ayzipU als Attribut
zu aYaXjxa lesen; man müßte vielmehr äxtipU „unaufreibbar, ewig"
schreiben und dann aöa'vctxov, wie Blaß vorschlägt, in dOavaxwv
verwandeln. Kann aber nicht A/st'p^ oder Äxsipijs auch Eigenname
sein? Mit V. 19 f. beginnt die Ausführung von V. 15 f. oaaaxtc xxX.;
da V. 20 die zweite Person, dem Vorhergehenden entsprechend, ge-
braucht ist, kann in den folgenden Versen nicht unvermittelt die
dritte Person eintreten, eine Vermittlung aber ist nicht vorhanden;
daher ist V. 23 etfxa? zu schreiben und die Korrektur 8* aoxs für
8' atcs als richtig anzusehen, während die Ergänzungen in der dritten
Person V. 26, 27 und 31 unhaltbar sind. V. 20 schreibt Blaß
eoö'j? Ev8et£a? xxX. ; dabei vermisse ich aber den Hinweis auf den
Sieg und möchte daher irafpcpa-rrjC osT;ac lesen (vgl. Aesch. Ag. 1648
ira^xparr,? <poveoc). Am Schlüsse des Verses ist mit Lud wich u.a.
der Kesponsion wegen oppav ta/stav umzustellen. V. 23 f. i6t eßps;ac
(oder oiava?) 6' orixe . . . U syxpoxov xxX. zu lesen und daran
xsxpoteXixxov ItzzX xdjA«}a? op6jiov anzuschließen; denn mit oatXoc kann
nur die Menge der eben erwähnten Zuschauer gemeint sein, die ihn
nach Beendigung des fc-to; 8po,uo; mit lautem Beifall aufnahm. Die
Folge drücken V. 26 f. 'la^jjiiovtxotv xxX. aus; V. 27 ergänze ich Sic
vov erprapoeav sußo-jXtuv a' a7«>vapxav rcpo'fdxat; vuv folgernd wie 18, 8,
jedoch liegt auch Xry* nahe. V. 31 ist Öexxo 067' xxX. der Ergänzung
von vuv vorzuziehen. Zu V. 35 f. vgl. Solon 13, 43 f. In V. 42
hat Blaß in der dritten Auflage seine schon in der ersten Auflage
gemachte schöne Verbesserung im rcaat (st. zaia() mit Recht wieder-
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Jahresbericht über die griechischen Lyriker. (Sitzler.) 219
hergestellt; dagegen hätte er V. 46 das Überlieferte dxptxouc, das
Wilamowitz und Herwerden richtig erklären: „die Zukunft
bringt Ausgänge, hinsichtlich deren noch nicht entschieden ist, wie
das Schicksal ausschlagen wird", nicht in dxpixoic ändern sollen; denn
die Zukunft ist für alle, nicht bloß für die dxpixoi unsicher.
Epin. X (XI), 31 ist im Papyros verloren gegangen. Blaß
schlägt als Ergänzung dvxnrdXto 86' iirei vor, weder den Worten noch
dem Zusammenhang nach glücklich; auch Festas oo xi 5oXo<ppoauva
genügt nicht. Man erwartet eine Überleitung von V. 26 f. owa?
xeXeuöov ei fwfi xt? d^xpairev 4pDa? zu V. 84 f. dXX' rt öeoc xxX.
Palm er vermutete dXXa xux<x «pftovepd; aber dXXi (vgl. V. 84) und
die Einführung der xu^r, stört; die Kampfrichter mußten gegen den
Verdacht absichtlicher Ungerechtigkeit in Schutz genommen werden;
ich lese also oo Ii 86avoia oder oo8e vooo xocxoxa?; auch an ou8e*
•ys vouc <pdov«po; kann man denken; mit irotxiXat xiyyaa. werden die
schlechten Mittel bezeichnet, die einen um die Ehre des Sieges
bringen können, während mit iv ytoovl xaXXi^opq) Olympia angedeutet
wird. V. 52 bietet die Hs. eüpußia, woran die meisten Gelehrten
festhalten, und daß dies Epitheton mit itXouxq> verbunden werden
kann, zeigt Pind. P. V, 1 und Bakch. XV, 31; aber an unserer
Stelle vermißt man kein Attribut zu irXouxq>, und die von diesem
Substantiv weitentfernte Stellung des Attributs hinter Aibs spricht
entschieden für supußfa und Verbindung mit Aio;. V. 77 ist aus
metrischen Gründen mit Platt xduov in xduovx' zu ändern : so findet
sich das Medium auch bei Späteren, offenbar in Nachahmung früheren
Gebrauches. V. 98 änderte Kenyon das überlieferte ^X6xxa£ov in
TjXuxxaCov, und so schrieb Blaß, nur daß er ohne Not das Augment
wegließ; in der dritten Auflage korrigiert er dXuaxaCov, mit Recht,
wie ich glaube; denn es handelt sich hier darum, daß sie den Be-
mühungen ihres Vaters, sie wieder nach Hause zurückzuführen,
immer auswichen und zu entgehen wußten, wie die folgenden Verse
zeigen; jedoch sehe ich keinen Grund, das Augment zu beseitigen.
V. 114 schiebt Jebb vor imroxp^ov die Präpos. U ein und ver-
mutet itfaiop st. 7r«5Xtv, um das Versmaß herzustellen. Aus dem-
selben Grunde schreibt L u d w i c h r.6hvo\ das Blaß in der zweiten
Auflage „dubitanter" aufnahm; jetzt liest er tc^Xtv x\ dem dXuo? xe
V. 118 entsprechend, indem er V. 115 f. auv 54 xxX. als Parenthese
faßt. Dies geht aber nicht an, da iaiteo erst in tu ypuaia Siairoivct
Xa&v seine Erklärung findet, der Satz auv 54 xxX. also aufs engste
mit dem vorhergehenden verbunden ist, und auch ohne dies ist die
Verbindung der zwei Satzglieder durch zi . . . xe hier wenig passend •
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220 Jahresbericht über die griechischen Lyriker. (Sitzler.)
Ich halte iroXtv für verschrieben; Ho asm an und Hense schlagen
7roiov vor, ich vojaoiv ; das allgemeine iz iTcitoxp^cpov vojjuäv wird durch
das unmittelbar folgende Mexairovriov bestimmt. Einen Fehler zeigt
die Überlieferung auch in V. 119, wo zpo-j-ovoi weder dem Metrum
noch dem Sinne nach paßt ; denn die den Hain weihten . sind doch
dieselben wie die vorher genannten. Das Wort ist offenbar aus
einer Erklärung in den Satz gekommen und hat das notwendige
Verbum, etwa TraOjiaaavTo (vgl. Pind. 0. X, 45), verdrangt ; rpo^vcov
essauivtov, wie Wilamowitz und Blaß verbessern, heben den
metrischen Fehler nicht und belassen das anstößige 7rpoYovoi. Der
Kasas, vielleicht der Kr/jo« des Suidas s. v., heißt bei Plin. n. h. III,
15, 3 Casuentus. jetzt Basiento (vgl. Di eis Hermes XXXIII,
S. :J34f.). Nach Wald stein, unter dessen Leitung das argivische
Heräum ausgegraben wurde, war dieses weder für Mykenä noch für
Argos gebaut, sondern für Tiryns und Midea; es war der älteste
politische und religiöse Mittelpunkt des argivischen Landes, wie das
Bakchylideische Gedicht beweist.
Epin. XI (XII) auf Teisios von Ägina, den Sieger im Ring-
kampf zu Nemea, ist bis auf die acht ersten Verse verloren. V. 6
hat der Papyros d^ap^81» wozu J c b b Anth. Pal. IX, 189 vergleicht:
u|i[M V aTTccpcst Zarcpu» „Sappho wird euch (beim Tanze) anführen".
Offenbar ist cnrdpyei verschrieben; Crusius und Jebb vermuten
cnraipsi, Jebb außerdem dtTcaiT&i, was beides möglich ist, aber die
Korruptel nicht erklärt. Ich halte dicaptof für das ursprüngliche,
von äzapxdui „entfernen, wegführen1*, von Sachen Demosth. 18, 59;
intrans. findet es sich Thuk. VI, 21; häufiger steht so das Passiv.
Die seltene trans. Form war Ursache der Versehreibung. Dein
elften Epin. gehörte meiner Überzeugung nach auch fr. 4 (Bergk)
an, wo <oc 8' a-a; | sfiteiv, eppsva xat 7roxtvav (tö) | xlp5o* dvDpcuJreuv
ßtatat zu schreiben ist. den V. 4 — 6 der Strophe bzw. Antistrophe
entsprechend. Diese Worte in' -Verbindung mit der Tatsache, daß
Äginete in dem Gedicht gefeiert wurde, lassen auch einen Schluß
auf den im Epinikion behandelten Mythos zu ; es waren die Ruhmes-
taten Telamons bei der Eroberung Trojas und der Bestrafung des
durch Gewinnsucht verblendeten Laomedon durch Herakles; an
Laomedons Unrecht aus Gewinnsucht knüpfen die erhaltenen Worte
an. Das Gedicht muß also ziemlich umfangreich gewesen sein, worauf
auch die Art der Einleitung hinweist.
Epin. XU (XIII) hat am Anfang nach Blaß' wahrscheinlicher
Berechnung 43 Verse bis auf drei kleiue Trümmer vollständig ein-
gebüßt. V. 44 f. gehören einer Hede an, in der ein Augenzeuge
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.Jahresbericht über die griechischen Lyriker. (Sitzler.) 221
Herakles' Kampf mit dem Ncineischen Löwen schildert und Weis-
sagungen Uber des Helden zukünftiges Wirken nnd die Einsetzung
der Nemeischen Festspiele daran knüpft. Nach Blaß und Wila-
mowitz ist die Sprecherin Nemea ; ich halte dies für unwahrschein-
lich, weil Nemea, die am Kampf und an den Spielen persönlich be-
teiligt war, gewiß einen Hinweis darauf nicht unterlassen hätte. Eher
kann es Athena, die Beschützerin des Herakles, gewesen sein, an
die Jebb, der früher eine Weissagung des Teiresias angenommen
hatte, auf Grund von Vasenbildern jetzt denkt (vgl. Proceedings of
the British Academy vol. I [1904] 29. Juni). Gewöhnlich läßt man
die Rede mit V. 57 (24) enden. Wäre dies richtig, so müßte im
folgenden Vers in irgendeiner Weise darauf hingewiesen sein; es
kommt noch dazu, daß man die Festspiele genauer gekennzeichnet
wünscht und zapa ßwfxov Aio? dpiTzdpyw ganz unwillkürlich mit dem
Vorhergehenden verbindet (vgl. IX. J9 f.). Daher ziehe ich die Epode
bis V. 66 (33) noch zur Rede, deren Ende mit V. 67 ttov xoti cro
to/iov xtX. klar bezeichnet ist, indem der Dichter, an die Rede an-
knüpfend, zu dem Sieger Pytheas übergeht. V. 58 ist vor irapd
ßcou-iv etwa ct^vov (vgL IX, 29) oder xXstvov zu ergänzen unter
Tilgung des Punktes nach =3saJ)ai und V. 59/60 ctv | Spairoosiv, Dat.
Plur. im Anschluß an ' DAavscniv von dvaop^ra), einem zwar erst
bei Späteren belegten, aber auch für die ältere Zeit unbedenklichen
Kompositum von op«iro>; die Ergänzung von Blaß dvöpa»rot5iv ist
metrisch zweifelhaft. So erhält man die notwendige Bestimmung zu
dem sonst alleinstehenden 'KXXdvssitv: „für die Griechen, die am
Altar des Zeus des hochehrenden Sieges Blumen pflücken wollen",
und daran schließt sich dann das folgende , die hohe Ehrung des
Siegers darlegend. V. 61 ergänze ich ta xXotav und mit Jebb h
atövi, dem die Worte xal oxav Havatoto xtX. gegenüberstehen; aber
am Anfang des V. 63 gefällt mir o?ot(v) besser als *k(, und s und <s
6ehen sich im Pap. sehr ähnlich. V. 69 ist 7:avi>aXs«>v dorisch —
iravfbjXetov (vgl. Anth. P. IX. 182, 6); der Vers stimmt also metrisch
mit den anderen ihm entsprechenden überein. V. 71 schreibt jetzt
Blaß fsosi?, nachdem er in der zweiten Auflage a-^si?, in der
ersten Auflage voatsT? ergänzt hatte: das letzte scheint mir das
wahrscheinlichste, weil die V. 67 f. dazu am besten stimmen; jedoch
ziehe ich die Ergänzung von Schwartz r^Xbec vor. Von diesem
Verbum hängt der Akkus. -oXiv 04. ab ; es ist daher in den folgenden
Versen ein Verbum zu ergänzen, von dem der Akkus, izzxpyav vaaov
abhängt; denn diesen zu cpaiveov zu ziehen, ergibt eine unklare und
unnatürliche Konstruktion, da man dann o-spßtov prädikativ zu v*3ov
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222
Jahresbericht über die griechischen Lyriker. (Sitzler.)
und It/6v als Akk. der Beziehung zu u^pßtov fassen muß, während
doch sprachlich die Verbindung uirlpßiov layw am nächsten liegt,
und auch sachlich der Hinweis auf des Pankratiasten überlegene
Körperkraft viel naturgemäßer ist. Es wird also am Anfang des
V. 72, wo Blaß AfaxoG liest, ein Partie, wie mpirXIcov ausgefallen
sein; auch an {Aeqvutov könnte man denken, wenn man V. 73 otjXcov
l>m t' dsp3iv6u>v x. liest, ctsp mit Synizesis. Das Adj. dspatv4o>v hat
Blaß gut ergänzt, und ebenso stimme ich ihm V. 76 ratjijia/t'av dva
bei, worauf der Akzent der Iis. hindeutet; andere lesen irafipa/iav.
V. 82 schreibt Blaß *njX.e «patvoiv: da aber in allen entsprechenden
Versen die betreffenden Silben lang sind, so ist tr^s bedenklich.
Besser ist Kenyons dXxdv; doch erscheint mir auch dieses nach
tijidv entbehrlich und eher Xapicpa'v im Anschluß an tijw'v am Platze :
„die er überall helleuchtend wie ein Feuerzeichen den H. erscheinen
läßtu. Wie Blaß jetzt die V. 83 f. auffaßt, wird nicht ganz klar.
Die Deutung der V. 84 erwähnten x6pct als Athene hat er mit Recht
aufgegeben; dagegen muß man aus seinen Worten: „reliqua supplevi
sec. Pausan. II, 30, 3 usw.u schließen, daß er jetzt unter der x<5pa
die Artemis- Aphaia versteht und daher V. 85 aTsfyoos' «vi %xk.
schreibt und V. 90 an der Ergänzung NtSpcpatc festhält. Dagegen
spricht aber einmal die Bezeichnung ti? o^auxV x6pa, dann aber
besonders die Vergleichung mit vsßp&c ditevdrjc, die doch kaum einer
Göttin gelten kann. Es ist hier die Rede von einer Tochter des
Landes, die sich mit ihren Gespielinnen auf den blumigen Gefilden
vergnügt unter Lobpreisung der Ägina und Endais, der Göttin und
der Königin, wie es den Mädchen geziemt. Daher ist V. 85 am
Anfang ein Attribut zu roSoeaon zu ergänzen, wie xaXot;, Xsoxot? und
V. 90 Kenyons Vorschlag df<xx\zixxXs eratpai? beizubehalten. V. 97
kann man zu Palmers und Jebbs Ergänzung £tixtev n^Xia den
V. 64 vergleichen; sicherer wird man aber mit Rücksicht auf die
Metrik etixte schreiben, vorausgesetzt, daß die Ergänzung überhaupt
richtig ist. Im folgenden Verse schlägt Schwartz passend ßiotdv
vor, und im nächsten Vers ist gewiß lv eüva besser als Blaß' ivTjet.
V. 100 wurde von Jebb zwischen tu>v und uias, wie Christ das
überlieferte oUa? richtig verbesserte, ö' eingeschoben, um auch diese
Verse noch von fx£X.iroo3t abhängen zu lassen ; Blaß nahm dies auf
und schrieb daher V. 103 ßoatdv. Aber die Mädcheu besingen, wie
schon gesagt, nur Ägina und Endais ; die Verherrlichung des Achilleus
und Aias ist das Thema des Dichters, wie ja das Folgende zeigt.
Ich halte daher mit Housman u. a. V. 103 ßodora» für richtig, auf
das auch der Pap., der kein 0' hat, hinweist ; ein weiteres Attribut
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Jahresbericht über die griechischen Lyriker. (Sitzler.) 22tt
braucht man hier nicht. V. 112 f. ergänzt Blaß Tpcooi ok mtvt'
sXuasv alvd. Dieser Gebrauch von ctfva ist auffällig, und der Gedanke
nicht richtig; denn von allem Schrecklichen wurden die Trojaner
nicht erlöst. Dies gilt auch gegen den Vorschlag Desrousseaux'
AapoaviSa» x* sXosev ata?. Auf richtigem Wege ist Kai bei, der
Aapoctvt'Sotic t* zk'jzz va'pxav vermutet; nur daß unser Dichter va'pxr,
kaum gebraucht haben wird ; in gleichem Sinne ergänzt J e b b AapSa-
vtoav x' IX. dXxav. Ich ziehe Accp8avt8av x' IXussv 'Äpsa vor: „ent-
fesselte den Kampf der D.tt, wie das Folgende zeigt. Die V. 124 f.
paraphrasieren Horn. 0 624 f., wie Schwartz bemerkt. Gut ist
V. 128 die Ergänzung dvaxsMo^va? , mit vuxtö? zu verbinden, die
auch Schwartz vorschlägt, und die Interpungierung hinter ttovtov
V. 129; oOpfe (V. 130) gehört zu ttvo*. Aber Blaß* Vermutung
oopwu nvootf halte ich für verfehlt; denn sie bedingt einen harten
Subjektswechsel und verkennt die Tätigkeit der Schiffer, die erst
nach dem Sturme die Segel wieder aufziehen, damit sie der günstige
Wind schwellen kann. V. 155 f. schreibt Blaß jetzt irr^a jjif'
rpiMoiz AgsTav laoMtov 8t' opjxav mit Jebb, während er früher,
metrisch weniger sicher, ßapeiav vorschlug ; er bemerkt dazu : „nempc
Achillis et Agamemnonis", gewiß unrichtig, da man doch nach dem
Vorausgehenden und Folgenden bei faoÖlwv 8t' 6pu.av nur an den
siegreichen Hektor und die Seinen denken kann. Aber auch die
appositive Anknüpfung ist hier nicht am Platze, ja geradezu unmöglich,
da so die Worte l'ii*v teoDsrov 8i' 6p;xav überflüssig werden. Passender
ergänzt Schwartz fjV pif* r4;nÖ£oi3iv -£vl>o? toot). xxX., der auch
die Wiederherstellung der folgenden ganz lückenhaft überlieferten
Verse versucht. V. 158 hätte Blaß mit Jurenka und Lud wich
irvsiovxe? st. ttv^ovxs? schreiben sollen, da in allen entsprechenden
Versen, soweit sie erhalten sind, die erste Silbe lang ist.
Epin. XIII (XIV), 3 ist £<jö)>6v x' mit Jebb zu lesen, da ov,
wie die Gegenstrophe zeigt, lang sein muß. V. 5 hat die erste Hand
geschrieben . . . ovrjSr^^tttavr, ; der Korrektor tilgte tjStj und schrieb
darüber xett, und in der Tat kann rfirif wie das Versmaß zeigt, an
dieser Stelle nicht richtig sein. Blaß glaubt, es stecke rfii darin
and liest rt xoSpov rfi' 6. gegen das Metrum; andere ersetzen es
durch IV. Richtiger vermutet Sch wartz r( töv xaxhv 6. ; nur bleibt
so yjSt) unerklärt, und auch rt am Anfang ist wenig passend. Meiner
Meinung nach ist rfa durch Umstellung, die ja in dem Pap. nicht
gerade selten ist. an seine jetzige Stellung gekommen; ursprünglich
hieß es wohl x^or, xaxov u'J/i'fav?, xsOUv x.; xso/ei fanden Blaß u. a.
V. 10 schreibt Blaß jetzt mit Headlam zl xa, in der zweiten
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224 Jahresbericht über die griechischen Lyriker. (Sitzler.)
Auflage hatte er a ra: richtiger ist vielleicht o; ta, wie Wilamo-
witz und E. Bruhn vorschlugen.
Dith. XIV (XV) ist am Anfang hoffnungslos verstümmelt. In
diese Lücke gehört nach Blaß fr. 9 K e n y o n ; ob dies aber gerade
den Schluß des zweiten Verses der zweiten Strophe bildete, muß
dahin gestellt bleiben. Vermutungsweise spricht Blaß auch fr. 22
Kenyon und fr. 59 B e r g k unserem Gedicht zu. Dem fr. 26
B e r g k , das Hill auf Grund des Versmaßes mit Recht dem Dithy-
rambus zugesprochen hat, obwohl Schwartz die Zugehörigkeit in
Abrede stellt, weist Blaß seine Stelle in der zweiten Antistrophe
V. 2 — 3 zu, was bei dem trümmerhaften Zustand des Gedichtes
ebenfalls unsicher ist. V. 38 ändert Blaß die Überlieferung <sa-
jaouvsv ohne Grund in aduav2v; wir haben hier eine Schilderung wie
oqov und doXXtCov dartun. V. 50 — 56 ist fr. 29 Bergk, mit den Ab-
weichungen V. 54 fii'xav tösiav (st. 6atav) und V. 56 aipeGvtai (st.
sOpovTSf). Crusius, Blaß und die meisten Gelehrten halten das
Gedicht für vollständig; der Dichter habe einen kleinen Abschnitt
aus der Sage herausgegriffen und als Bild für sich dargestellt. Dann
sollte man aber doch meinen, daß er alles, was zu diesem Bild nicht
paßt, weggelassen hätte; Worte, wie V. 47 VloDao, TiV ~pwxo? X67CUV
dp^ev otxauov, fordern eine entsprechende Gestaltung des Folgenden,
was in unserem Gedichte nicht geschieht. Ich halte es also mit
Wilamowitz und Tb. Reinach für unvollständig.
Dith. XV (XVI) ist ebenfalls in den ersten Versen verstümmelt.
Blaß ergänzt UufKoo d-f otjx\ indem er zu otfio* Pind. 0. IX, 47
vergleicht. Was der Dichter in diesen ersten Versen sagte, wird
aus e-si «Xxa'8' sttsja^v xtX.. aus 21V dp' £V x-X. und aus fx^j rair^ovtuv
xtX. klar; der Dichter, der Lieder auf Apollon hat. ruft den in der
Ferne weilenden Gott herbei, um sie entgegenzunehmen. Dazu stimmt
auch V. 13 f. rcpi'v 7* xUoasv; bis zum Erscheinen des Gottes will er ein
anderes Lied singen. Dementsprechend vermute ich rioÖtou dvax-',
IkeX . . . Gjavüiv, attsu> (oder dvtopai, oqxaXsto), *tr' dp' £tt' dv&Sfiosiösi
"Eßpm I xo;ü) cqfdXXeTai . . . xuxv<p , ßoa dosta (vgl. Aristoph. Av. 772 f.)
. . . xspTTojisvo? • epsp' o^tu? oTxao' Txiq xtX. V. 5 ist dvD'jiOcVti "Kßp'p
verschrieben; der Hiatus wird durch dvOsfj.0 218 2t gehoben; 21 ist kurz,
und in der Antistrophe entschuldigt der Eigenname K^vaup die un-
regelmäßige Länge. 0. M e i s e r , Mythologische Untersuchungen zu
B. Diss. München 1904, schlägt dvOsjioevTt Srpofißip vor, Sxpojißo?
als alter Name für 'Eßpo?. Blaß fügt gegen das Metrum nach
dvll*ji02v:t das Wörtchen iroo ein. V. 6 ergänzt Blaß od'f va, dem
ich to£(u vorziehe; Jagd und Gesang, Bogen und Singschwan sind
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Jahresbericht über die griechischen Lyriker. (Sitzler.) 225
die Freude des Gottes. Daher kann ich auch V. 7 Blaß' o<pp' äv
nicht billigen und ebensowenig V. 8 fort IIud6<x$\ was dem Versmaß
der Antistrophe nicht entspricht. Nach Y. 10 ist starker zu inter-
pungieren; denn wie der Aorist xeXa&ijaav zeigt, sind die Worte
xoaa x°P°^ XT^> kausal zu dem Vorangehenden: so laut riefen dich
ja die Chöre zu deinem Tempel. Blaß faßt x6oa Relativ mit
Hinweis auf I, 147. V. 13 ist Blaß jetzt zur überlieferten Lesart
xXeojiev und zur Erklärung Jurenkas zurückgekehrt. V. 20 fügte
er aber nach ißpijiooepxeT unnötigerweise 7' ein; eine kurze Silbe
ist hier unanstößig und überdies auch, wie J u r e n k a bemerkt, V. 8
in 7tau]6va>v möglich. Das Gedicht zeigt rhapsodenhaften Charakter,
braucht aber nicht mit Wilamowitz und Th. Reinach für un-
vollständig gehalten zu werden; jedenfalls liegen keine inneren Be-
weise dafür vor wie beim vorhergehenden. Dies ist auch die Ansicht
M e i s e r b a. a. 0., der außerdem noch über die Verteilung des Fest-
jahres zu Delphi zwischen Apollon und Dionysos ausführlich spricht.
Dith. XVI (XVII), 10 schreibt Blaß jetzt d-pot $<opa; dies
kann an sich ohne Zweifel von den Gaben der Kypris gesagt werden,
aber gewiß nicht in unserem Fall, wo sie das Gegenteil von tifvd
sind; ich halte daher an Kenyons alvd fest, das auch Homer von
heftigen Leidenschaften gebraucht, die einen mit unwiderstehlicher
Macht erfassen (vgl. V. 11 f.). V. 14 f. schlägt Schwartz xaXxoapea
vor (st. xaXxofcopaxa), um die Responsion mit 37 f. herzustellen ; es
scheint aber an letzterer Stelle eine Verderbnis vorzuliegen. Die
V. 28 f. teilt Blaß in der neuen Auflage nach tl und xe'xev ; aber
die Trennung von e? xal ist hart, jedenfalls ist es sicherer, hier
sowohl wie V. 5 f. die überlieferte Abteilung der Verse beizubehalten.
Überdies verlangt der Sinn nach jujxtv eine stärkere Interpunktion
und nach cp^ptatov eine schwächere, da si xou und dXXd xdjii einander
entgegenstehen. V. 37 f., verglichen mit den entsprechenden Versen,
sind um eine Silbe zu kurz; daher vermutet Lud wich xaXufxn' aSu ;
richtiger ist wohl, in xaXufA^a eine Verschreibung aus xaXuirrijpa zu
sehen. V. 39 ändert Blaß die Überlieferung Kvcoauov ohne Grund
in Kv<6aie; Kvtoauuv. mit Synizesis gelesen, entspricht den V. 16,
82 und 105. V. 43 ist ind ziemlich sicher mit Herwerden in
«V tl zu verbessern. V. 47 billigt Blaß Wackernagels Er-
klärung von ip^TotXH-oc = «ip^atxjioc = dpeax6{j,svo? -rfi afyrMli
Wackernagel vergleicht &p£oav5po? und hätte auch noch 'Ape'aiiniof
beifügen können ; zum Übergang von a in t verweist er auf ßamctvetpa,
was offenbar nicht paßt, da hier x nicht aus a entstanden ist. Man
wird also bei der Ableitung aus dptxr^ und aty^ stehen bleiben
J.kTMb«richt für AltertumswiMentchaft. Bd. CXXX1II. (1907. I.) 15
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226 Jahresbericht über die griechischen Lyriker. (Sitzler.)
müssen. V. 62 und 63 hat Blaß der Responsion wegen umgestellt,
indem er vor ßadetac <5tX<k noch ix einfügte; so erhalten sowohl
x<5dfiov wie wxxpoc 4c 86poo; ihre richtige Stellung. V. 67 liest
Blaß im Pap. a|ieircov und schreibt daher mit Her werden
o|i£}nrcov „probatum sibitt; bezeichnender für Minos' Gebet ist aber
fltjietpov, wie K e n y o n las. Im folgenden Vers verstößt Mfvuu gegen
das Metrum, das einen Kretikus erfordert; Wilamowitz gewinnt
ihn durch die bedenkliche Messung - ~ -. Ich halte Mtvtot für ein
Glossem, das die ursprüngliche Lesart verdrängt hat, etwa oi rax^p.
Ben folgenden Dat. <piXq> roxtöt änderte Housman gut in <pi'Xov
ratio«; Blaß folgt ihm. V. 71 f. und entsprechend 94 f. teilt Blaß
in der dritten Auflage anders ab, meiner Meinung nach ohne Not;
auch stimmt so V. 72 nicht mit 95 überein, trotz der Änderung von
Xeipot? in X^poc?. Die Überlieferung läßt sich festhalten, wenn man
V. 72 mit Wilamowitz u. a. XeVa^ i^xotaoe in ir£caae Xe*-Pa?
ändert und V. 95 mit 5a aufhören läßt, so daß xpo yiov in den
nächsten Yers kommt. Die V. 74 f. sind um eine Silbe zu kurz ;
Blaß schreibt daher mit Richards (x&v | sßXerec; in diesem Fall
erwartet man aber den Aorist st. des Iraperf., das sonst zum Hinweis
auf gerade Geschehenes nicht gebraucht wird. Auch Jebbs Ein-
schiebung von ot> vor xa8e ist wegen des folgenden <jt> 8' wenig
wahrscheinlich. Demnach muß man entweder mit Platt xaT ifxd |
pfcv oder, was mir besser gefällt, jifcv | oo ß)ii:etc mit Fragezeichen
hinter 8Spa lesen. V. 86 erkennt Blaß im Pap. sichere Spuren
des <p; tot<pev, wie Pearson u. a. vermuteten, steht also fest. V. 87 f.
nimmt Blaß mit Hinweis auf Pollux I, 82 §xot7<$vTopov ayfiv auf;
denn „remis navis cohibenda erat ; hinc epitheton" , eine leichte
Änderung, die einen besseren Sinn ergibt als die Überlieferung xax'
oopov faxetv, die indes auch möglich ist. V. 93 fehlt eine Silbe;
daher hat Weil fa?, Ken von besser -av vor flvoc eingeschoben;
aber Äöavauov i^Mwv irav yivos ist von den 14 jungen Leuten doch
auffällig gesagt, und auch die Konstruktion xpiaaav . . . fivoc ist
bei Bakchylides ungewöhnlich. Ich glaube, daß infolge des Ausfalles
nach rfibitov auch f£voc entstellt ist, und lese rtibiwv 8£st cpplvec,
8£ei mit Synizesis (vgl. 124 f.) Das Adj. Xstpio; V. 94 bezieht
L e e u w e n mit Recht auf den Glanz und Schimmer der jugendlichen
Augen : „qui nativo fulgore splendere solebant oculi , dolore iam
lacrimisque offuscabantur". Y. 100 haben Housman u. a. gut um-
gestellt: {ji^aplv xe Östuv ji^Xev und ebenso Richards u. a. V. 102
söeia' iXßtoio Nrj-p^o? x4pac. V. 105 hat der Pap., wie Blaß sah,
uuxe, d. h. <J»xe, nicht &<rce, wie Ken von las, und 107 Siv^vxo, was
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Jahresbericht über die griechischen Lyriker. (Sitzler.) 227
Blaß richtig in Swjvto korrigierte von äol. ötvTjfu: „wanden sich",
malerischer als „waren gewunden"; aber V. 108 hätte er Kenrons
UYpotoi iroajtv nicht zurückweisen sollen, da h in dem überlieferten
ÖYpotoiv Iv 7ro3tv offenbar Dittographie ist. V. 110 verstößt die
Überlieferung aefxvdv ßo&iuv gegen das Versmaß ; ich sehe in aejtvav
eine Erklärung zu ßotoirtv, die das ursprüngliche Ösav verdrängte.
Unerklärt ist bis jetzt noch V. 112 «{KpeßaXXev äi"6va rcop<pupsav.
Ich nehme eine Verschreibung aus du.<p£ßaXe Xatdv r. oder Xaiov
7rop<p6psov bzw. Xäov aXir<5p<pupov an, das letztere weniger wahr-
scheinlich, weil in den entsprechenden Versen die Länge nicht auf-
gelöst ist. Zu Xawt und Xaiov vgl. Suidas s. v. Xata und Xrjiov; das
Wort ist verwandt mit X^oo?, dor. Xötöo?, XtqSiov usw. Das Anfangs-X
des seltenen Wortes konnte leicht' zu v werden, und dann lag
äi6va nahe. V. 116 nimmt Blaß Weils Upplvov in der Form
e?pjiivov auf st. des überlieferten £p£jiv6v; aber so entsteht die Auf-
fassung, als ob der Kranz aus Rosen gewunden gewesen wäre, während
er doch golden war, dicht mit daran befestigten dunkeln Rosen be-
setzt und von diesen überschattet, daher p68ot? epejivov. Der Dichter
schildert hier einen Kopfschmuck, wie wir ihn in der „prachtvollen
Krone von Gold", gefunden auf dem Haupte einer der drei in dem
dritten Grabe zu Mykenä beigesetzten Personen, kennen (rgl. Schlie-
mann, Mykenä, S. 215, Abb. 281. Schuchhardt, S. 214,
Abb. 163).
Dith. XVII (XVIII) ist, wie man jetzt allgemein annimmt, ein
Zwiegespräch zwischen Ägeus und dem Chor der Athener bzw. einem
der Choreuten, der für die anderen das Wort führt. V. 28 will
Blaß hinter atpupav interpungieren, so daß dieser Akkus, noch von
£<T/&v abhängt; zu dem folgenden £££ßocXsv ergänzt er ihn und hält
Prokoptas für einen Beinamen des Polypemon, beide dieselbe Person
bezeichnend. Ist schon die asyndetische Nebeneinanderstellung dieser
zwei nur einen Gedanken enthaltenden Sätze unerträglich, so noch
mehr die Bezeichnung der gleichen Person mit zwei verschiedenen
Namen unmittelbar hintereinander ohne irgendeinen sichtbaren Grund.
Am besten betrachtet man mit Ovid Ibis 409 Prokoptas oder, wie
er sonst genannt wird, Prokrustes als Sohn des Polypemon, der den
Hammer von seinem Vater erbte. V. 35 ist mit W e i 1 , G o 1 i g h e r u. a.
Indooiv st. forXotaiv zu schreiben, und V. 39 mit Platt 8? to3outu>v,
was Blaß jetzt aufgenommen hat. V. 48 ergänzt Desrousseaux auf
Grund von Ovid met. VU, 421 passend IXecpavxoxomov. V. 50 läßt
sich das tiberlieferte xt^jtoxtov, das Kenyon in xjjutuxov änderte
(vgl. VUI, 4), halten (vgl. V. 35), wo die zweite Silbe auch lang ist.
15*
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1
228 Jahresbericht über die griechischen Lyriker. (Sitzler.)
Dith. XVIII (XIX), 9 hat der Pap. xaivov, and ein Grand zur
Änderung liegt nicht vor; das Adj. xaivoc ist durchaus nicht bloß
attisch. Der Korrektor, der Uber at s schrieb, scheint xXstvov haben
bessern zu wollen, und dies nimmt Blaß auf. Auch V. 15 ist xi
j)v sowohl dem Metrum als dem Inhalt nach auffallend; wenigsten»
beginnt der entsprechende V. 33 mit einem Trochäus, und eine
passende Bedeutung von xl läßt sich nicht gewinnen; denn x( fjv
ist nicht = x( e-ye'vrco. Es wurden viele Änderungsvorschläge ge-
macht; aber alle, welche in den Worten einen Zusatz zum Vorher-
gehenden finden, sind unwahrscheinlich. Blaß hält *Äp*yoc ^ «oft*
8ö' für möglich, was ich mit Rücksicht auf die Euphonie nicht
billigen kann. Besser ist Headlams t,sv; ob aber unser Dichter
^sv gebrauchte? Ich glaube, xi fjv ist verschrieben aus =
jie^tveo — fii|ivijao, Fortführung der Anrede: „gedenke der Zeit
wo" usw. Von V. 29 ab fehlt fast überall das Ende der Verse,
das in den meisten Fällen nur beispielshalber ergänzt werden kann.
V. 43 ist die richtige Lesart des Pap. \ivoax6ktuv, nicht atvocn&aiv,.
wie Kenyon hat; XtvcVroXoi ist Epitheton der Ägypter, wie Blaß
bemerkt, der auf Herod. II, 37, 81, Plut. de Is. et Osir. 3. Kaibel
epigr. 1028, zum Teil nach dem Vorgang Jurenkas und Jebbs,
hinweist. Weitere Verse scheinen am Schlüsse des Gedichtes nicht
zu fehlen, sondern das Gedicht der Verszahl nach vollständig:
zu sein.
Dith. XIX (XX) ist nur in seinen Anfangsversen erhalten, und
auch diese sind am Ende verstümmelt. Der Anfang erinnert an den
Hymenäos bei Aristophan. av. 1727 f.; ob das Gedicht aber ein
Hymeuäos war, wie C. Robert und Pin gel annehmen, muß dahin
gestellt bleiben. Aus V. 3 toiävos jiiXoc kann man ziemlich sicher
schließen, daß Bakchylides den Inhalt des Liedes angab. Ich halte
es aber für wahrscheinlich, daß er dabei nicht stehen blieb, sondern
auch noch auf die Taten des Idas einging: vgl. fr. 61 Bergk, das
Blaß mit Recht auf unser Gedicht bezieht. So ist das Gedicht mit
Recht unter die Dithyramben eingereiht.
Unter XX fügt B 1 a ß ein Fragment an, das er vermittels fr. 41
Bergk ergänzt; dazu zieht er auch fr. 18, 38 und 42. In dem.
Dithyrambos, dem er diese Stücke zuschreibt, erkennt er das von
Porpbyrio erwähnte Vorbild für Ho rat. carm. I, 15: hac ode Bacchy-
lidem imitatur ; nam ut ille Cassandram fecit vaticinari futura belli
Troiani, ita hic Proteum, und vermutet daher, daß er die Aufschrift
KdaoavSpa trug; als Inhalt nimmt er die Aufzählung der griechischen
Truppen und Führer an wie bei Horaz.
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Jahresbericht über die griechischen Lyriker. (Sitzler.) 229
Die Zahl der bei Bergk abgedruckten Fragmente ist mit
der Auffindung des Papyros bedeutend gemindert ; von den Epinikien
bleibt keines übrig : 1 = V, 50 f., 2, 1—2 = V, 160 f., 6 = V, 37 f.,
8 = 1, 76: wpoa<p<6vei xi vtv; lid vfoaic ist aus emvfitotc entstellt,
9 = X, 1, 4 f.; außerdem hat Blaß 7 zu Epin. I, ich 4 zu Epin. XI
gezogen; 10 bezieht sich auf XVI, 38 f., 5 ist als unglaublich seinem
Inhalt nach zurückzuweisen, und 2, 3 und 3 gehören nicht zu den
Epinikien. Von den Dithyramben bezieht sich fr. 17 auf XVI, 2,
18 nach Blaß auf XX. Unter den aforjka sfö>] wurde 29 in XIV,
50 f., 30 in 1, 159 (49) f. und 47 in V, 26 gefunden; ferner weist
Blaß, dem Vorgange Hills folgend, 35 dem Epin. XIV zu; 46
gehört nach ihm zu XII, 205; 38 und 42 zu XX, aus dem fr. 41
stammt, 52 bezieht sich auf XII, 58, 59 nach Blaß auf XIV und 61
nach demselben auf XIX.
Fr. 10 enthält ein Zitat des Ammonios aus Didyraos' Kommentar
zu Bakchylides Epinikien, nach dem manche Alten einen Unterschied
machten zwischen NyjpijiSec und Nr,plo>c Oofax^ps?; daß ein solcher
zu XVI, 38 und 102 nicht stimme, sondern beide Stellen dieselben
Personen bezeichnen, bemerkt Nairn mit Recht. — Aus fr. 16
schließt Blaß auf einen Dithyrambos des Bakchylides mit dem Titel
Philoktetes; dies ist wahrscheinlich. Wenn er aber auf Grund von
fr. 32 einen Dithyrambos Laokoon und auf Grund von fr. 56 einen
Dithyrambos Europe annimmt, so übersieht er, daß diese Zeugnisse
nicht von Dithyramben sprechen und die angeführten Tatsachen auch
in anderen Gedichten vorgekommen sein können. E. Schwartz
stellt den Dithyrambos Europe entschieden in Abrede unter Hinweis
auf den Ind. Rostoch. 1890. — Fr. 27, 6 schreibt Blaß eöxTijievav
itoXt'cov xpaSs|xva Xoaeiv, weil er glaubt, daß Bakchylides Xuei mit
langem o so wenig wie Pindar gebraucht habe ; aber vgl. Horn. II. 23,
513, Od. 7, 74. Jedenfalls wird so die Kraft der Rede abgeschwächt,
der auch am Anfang des Verses Kai b eis auxixa p&v angemessener
ist. — Fr. 81 schreibt Blaß des Metrums wegen den Dithyramben
zu, mit Recht, wie ich glaube ; auch seine Lesart <o rcspfxXeixe A5X\
d^vo^aetv xxX. unter Verweisung auf fr. 57 ist sehr wahrscheinlich. —
Epigr. 49 spricht Blaß mit Recht dem Bakchylides ab; es ist offenbar
«in epideiktisches Epigramm. — Fr. 62 bezweifelt Blaß: „nisi
alius hic est Bacchylides" ; dazu liegt angesichts des bestimmten
Zeugnisses bei Bakchylides' Verhalten gegen Mythologie und Lokal-
sagen kein Grund vor. — Fr. 69 bringt Blaß mit Recht mit dem
ersten Epinikion in Zusammenhang.
Als neue Fragmente werden dem Bakchylides zugewiesen
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230 Jahresbericht über die griechischen Lyriker. (Sitzler.)
von Blaß Adespota 86 B and das bei Bergk , p. 743 , ans Gem.
Alex, paedag. I, 154 angeführte Fragment apsxa «ptp xtX.; mit der
Änderung dpexÄ 8' aiveupiva 8£v8peov &c dlSetat paßt es zum ersten
Gedicht; ferner Plut. de mus. 17 nnd Apnleius de magia 8, wo et
Cins (st. civis) zu lesen ist; von Headlam Adesp. 97, von P. Maas,
Philol. 1904, S. 808, Oxyrhynchos Pap. III, Nr. 426, das die Heraus-
geber und Blaß dem Pindar geben, dessen Kolometrie aber für
unseren Dichter stimmt, endlich von H. Weil die drei kurzen
Fragmente aus Aristot. rhet. III, 8, die Bergk als Nr. 26 B unter
die Fragmente des Simonides einreihte.
Die Sprache des Bakchylides untersuchen
1. H. v. Herwerden. Mnemosyne 27, S. 36 f.
2. J. Schöne, DedialectaBacchylidea. Diss. Leipzig;
1899. (Auch in Leipz. Stud. z. klass. Philol. XIX, S. 181 f.).
3. B. Reynolds, [Das Digamma bei Bakchylides].
Proceedings of the Amer. Philol. Association 1901, S. LV.
4. H. Mrose, De syntaxi Bacchylidea. Diss. Leipzig
1902.
Herwerden spricht über Dialekt, Position, Synizesis und Tmesis,
sowie Digamma. Darüber handelt auch Schöne, der aber seine
Abhandlung auch auf v ^eXxoatix^v , Elision, Hiatus und die ganze
sogenannte Formenlehre ausdehnt. Die Syntax betrachtet Mrose,
um zu zeigen, was unser Dichter mit Homer, Pindar und den
Tragikern gemeinsam und was er eigenes für sich hat; jedoch be-
gnügt er sich mit der Sammlung des Bemerkenswertesten. Im Epi-
logus fügt er noch bei, was Bakchylides dem epischen Dialekt und
was er dem Attischen entnommen hat, und in der Appendix weist
er auf die Übereinstimmung im Wortgebrauch mit Homer, Herodot
und den Attikern hin und stellt die nur bei Bakchylides oder etwa
wieder später vorkommenden Epitheta zusammen.
Aus diesen Arbeiten ergibt sich, daß sich Bakchylides mehr als
Pindar dem ionischen Dialekt zuneigt ; jedoch zeigt die Syntax nichts
speziell Ionisches. Mit Homer hat er vieles , mit Herodot weniger,
mit Pindar sehr wenig gemeinsam (vgl. auch H. Schultz. De
elocutionis Pindaricae colore epico. Diss. Göttingen 1905). Das
Digamma verwendet er nach Bedarf, benützt es aber nie, um Position
zu bewirken, was auch bei Pindar sehr selten ist. Attische Correption
kommt im Wortinnern ziemlich selten vor, häufiger am Anfang; im
ganzen kommt etwa eine Kürzung auf dreieinhalb Längungen, also
eine viel seltenere Anwendung der Kürzungen als bei Pindar. Da-
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Jahresbericht über die griechischen Lyriker. (Sitzler.)
231
gegen ist die Synizesis häufig and zum Teil sehr kühn; auch bisher
unbekannte Fälle von Diäresen finden sich, wie aSeuj XV, 7. Elision
und Hiatus bieten nichts Besonderes.
Beiträge zur Metrik undRhythmik unseres Dichters liefern
1. C. A. Fennel, The scansion ofBacchylides XVII.
Class. Rev. 1899, S. 182.
2. W. Christ, Grundfragen der indischen Metrik
der Griechen. Abh. der Bayr. Akad. d. Wiss. 1. Kl. Bd. XXII,
S. 211 f., Anhang: Bakchylides XVII (XVIII) (vgl. Sitzungsb. der
Akad. 1898, S. 32 f.).
3. P. Maas, Koloraetrie in den Dakty loepitriten
des Bakchylides. Philol. 1904, S. 297 f.
Während Fenn eil nur das metrische Schema des 17. (16.) Ge-
dichtes, das er für päonisch hält, gibt und Christ die Strophe des
ionischen 17. (18.) Gedichtes erklärt, indem er es in zwei zwei-
gliedrige, zwei dreigliedrige, zwei zweigliedrige Kola und einen Ab-
schluß aus drei Doppelfüßen zerlegt, unterwirft Maas den metrischen
Bau der daktyloepitritischen Kola einer sorgfältigen und ergebnis-
reichen Untersuchung. Er findet , daß Bakchylides innerhalb der
daktyloepitritischen Perioden Wortschluß nach einer langen unbetonten
Silbe vor der Hebung des zweiten und hinter der des vorletzten
Metrums mied; in Dimetern und Trimetern sind diese Wortschlüsse
also überhaupt aus dem Innern der Periode verbannt, in Tetrametern
nur an einer Stelle möglich. Ausnahmen von dieser Regel sind
selten , wie ich glaube , teilweise durch Verderbnis entstanden , wie
V, 12; nur in I sind sie zahlreicher, was daher rührt, daß Bakchy-
lides hier Pindars Technik nachahmt; denn dieser ist der erste, der
sich von diesem auch in der älteren Lyrik herrschenden Gesetze frei
macht, einem Gesetze, das dem Porsonschen für den iambischen
Trimeter entspricht. Was nun die innerhalb einer daktyloepitritischen
Periode möglichen Einschnitte betrifft, so zerfallen sie in solche, die
auch zwischen zwei Perioden möglich wären, und in die übrigen;
die letzteren nennt Maas unrhythmisch, die ersteren rhythmisch.
Bakchylides zeigt das Bestreben, jede Periode von mehr als drei
Metren rhythmisch in Glieder von je zwei oder drei Metren zu teilen ;
ungeteilt bleiben solche Tetrameter, die eine rhythmische Teilung
nicht zulassen, und mit dieser vom Dichter bevorzugten Teilung ist
die im Papyros durchgeführte identisch. Für die Wahl der Stelle
zur rhythmischen Teilung war Vermeidung der Wortbrechung, soweit
als möglich, Regel.
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232 Jahresbericht über die griechischen Lyriker. (Sitaler.)
Viel Arbeit wurde den von dem Dichter behandelten Mythen
gewidmet; ich erwähne
1. M. Groiset, Sur les origines du röcit relatif a
M616agre dans 1'odeV de Bacchylide. Mölanges H. Weil.
Paris 1898, S. 73 f.
2. R.-C. Jebb, ßacchylidea. Ebenda S. 225 f.
3. — , Bacchylides. From the Proceedings of the British
Academy vol. I. London 1904, 29. Juni.
4. A. Olivieri, A proposto di Teseo e Meleagro
in Bacchilide. Bologna 1899.
5. E. Romagnoli, L'epinicio X di Bacchilide. Atene
e Roma I (1898), S. 278 f.
6. W. Christ, Die Mythologie des Apollodor und
der neugefundene Bakchylides. Sitzungsb. der phü.-hist.
Klass. d. Bayr. Akad. der Wissensch. 1900, S. 97 f.
7. G. Mellen, De Jus fabulacapitaselecta. Comment.
academ. üpsala 1901. [Dithyr. XVHI (XIX)].
8. H. Preuß, De fabulis apud Bacchylidem. Diss.
Königsberg 1902.
9. O. Meiser, Mythologische Untersuchungen zu
Bakchylides. Diss. München 1904.
10. S. Wide, Theseus und der Meeressprung. Fest-
schrift f. 0. Benndorf. Wien 1899.
11. A. H. Smith, Illustrations to Bacchylides.
Journal of Hell. Studies 1898, S. 267 f.
Das erste Gedicht behandelt die Sage des Euxantios, deren
Aufklärung wir El Iis und v. Wilamowitz verdanken. Er war
der Sohn des Minos und der Dexithea, der Heros von Eeos, das
nach ihm II, 8 Eöcavrlc vaaoc genannt wird. Ob in der Sage Minos
an Stelle des ursprünglich als Vater genannten Zeus trat, wie Wila-
mowitz aus dem Namen Dexithea schließen will, muß dahin gestellt
bleiben. Jebb bringt Euxantios mit den milesischen Euxantiden in
Verbindung und gründet auf den Umstand, daß Apollodor den
Euxantios nicht nennt, die Vermutung, dieser sei eine Erdichtung
der Euxantiden, die einen göttlichen Ahnherrn haben wollten; das
Scholion zu Apoll. Rhod. I, 186 bezeichnet Euxantios als Vater des
Miletos. Dagegen bemerkt Preuß richtig, daß Stammessagen und
Lokalheroen von Schriftstellern öfter nicht erwähnt werden, da sie
ja nur auf einen engen Raum beschränkt sind.
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Jahresbericht über die griechischen Lyriker. (Sitzler.) 233
Das dritte Gedicht enthält die Erzählung, wie Apollon den
Krösos von dem selbstgewählten Scheiterhaufen in das Land der
Hyperboreer verset2t. Eine bildliche Darstellung des Vorganges
findet sich auf einer rotfigurigen Amphora des Louvre (Nr. 194),
die in die Zeit vor 490 fallt; jedoch mit dem Unterschied, daß hier
Krösos allein auf dem Scheiterhaufen sitzt, nicht mit der ganzen
Familie, wie bei Bakchylides. Ein Sklave Euthymos Bandet den
Scheiterhaufen gerade an. Gewöhnlich führt man den Teil der
Legende, der den Entschluß des besiegten Krösos, mit seiner Familie
auf dem Scheiterhaufen zu sterben, berichtet, als orientalisch auf
lydischen Ursprung zurück; daran habe die delphische Priesterschaft
dann die Entrückung des frommen Königs ins Land der Hyperboreer
durch Apollon angefügt, um zu zeigen, wie der Gott seine Verehrer
belohnt. Ich halte die Beiziehung der Lydier für unnötig; die ge-
wandte , land- und völkerkundige delphische Priesterschaft genügte
gewiß zur Erfindung der Legende. P r e u ß will auch die aus Herodot
bekannte Fabel über die Errettung des Krösos. vom Tod auf dem
Scheiterhaufen als delphisch in Anspruch nehmen, indem er glaubt,
sie sei später, als man hörte, daß Krösos bei den Persern lebe,
der ersteren untergeschoben worden. Ich kann diese Ansicht nicht
teilen ; denn der Zweck der herodotischen Erzählung ist doch offenbar
die Verherrlichung des Solon ; die Nennung seines Namens infolge
der Erinnerung an sein weises Wort rettet den in die äußerste
Lebensgefahr geratenen König, und um dies zu ermöglichen, ist der
selbstgewählte Tod auf dem Scheiterhaufen zu einer Verurteilung zu
diesem geworden. Die Geschichte ist ohne Zweifel später als die
bakchylideische und gehört zu dem Kreise jener Sagen, die sich an
die Sieben Weisen anschlössen; sie will beweisen, welchen Wert ein
Wort eines solchen Weisen hat, auch wenn es für den Augenblick
nicht verstanden oder nicht beachtet wird.
Der Mythus des fünften Gedichtes, das Zusammentreffen Meleagers
und des Herakles in der Unterwelt, kam nach dem Schol. zu O 194
auch bei Pindar vor, mit dem Unterschied, daß bei Pindar Meleager
den Herakles bittet, seine Schwester Deianira zu heiraten, während
bei Bakchylides Herakles den Meleager fragt, ob er nicht eine
Schwester habe, die er heiraten könne. Ich halte die für Pindar
bezeugte Form der Sage für die ursprüngliche, weil es das Natür-
lichste ist, wenn Meleager den Herakles, den er bei dessen Besuch
in der Unterwelt trifft, um Heirat und damit um Beschützung seiner
Schwester angeht, und glaube darin mit M. Croiset zusammen-
zutreffen ; Bakchylides änderte diese Erzählung seinem Zwecke gemäß
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234 Jahresbericht über die griechischen Lyriker. (Sitzler.)
ab. Er will den Hieron in seinem Leide trösten nnd weist ihn
daher auf die gefeiertsten Helden Meleager nnd Herakles hin, die
anch nicht in allen Stücken glücklich waren, sondern dem Verhängnis-
sich beugen mußten, der erstere dem Holzscheit, der letztere der
Deianira, die er sich in ganz anderer Absicht selbst in der Unter-
welt erwählt hatte. Beide Dichter, Pindar und Bakchylides, ent-
nahmen dieses Zusammentreffen der beiden Helden in der Unterwelt,
wie man jetzt allgemein annimmt, einer epischen Quelle, der Minyas
oder den Eöen. In diesen wurde aber Meleager von Apollon ge-
tötet, und dies war nach der Ansicht Croisets die ursprüngliche
Sage. Jebb und Preuß machen jedoch mit Recht darauf auf-
merksam, daß das Epos den ätolischen Helden verherrlichen wollte
und so den Apollon an Stelle des Holzscheits setzte, das ja auch
an die Yolkssage, die Seelen- und Lebenslichter, erinnert. Aus dieser
Volkssage schöpfte der Tragiker Phrynichos, der nach Paus X, 31, 4
zuerst das Holzscheit erwähnte irpoaouj/ajievo? autoo ja6vov, also nur
nebenbei, und auf sie gehen auch Äschylos und Bakchylides zurück.
Croiset hat also nicht recht, wenn er die Einführung des Holz-
scheits dem Stesichoros zuschreibt. Preuß bemerkt noch, daß die
Darstellung der Tötung Meleagers bei Bakchylides zwischen den
beiden schon bekannten, nämlich der Tötung im Kampfe und der
Tötung durch das Scheit, vermittle.
In dem achten Gedicht wird zwar nicht als Hauptmythus, aber
doch nebenbei das Schicksal des Archemoros erwähnt. Y. 13 heißt
es von ihm rcitpv' daafcoovxa Spaxcov, daa-f&Oovxa aus dacryepovra
korrigiert ; Neils wahrscheinliche Verbesserung dcuteoovTa gibt leider
auch keinen Aufschluß Über den Zustand, in dem Archemoros getötet
wurde; denn nach Hesych. dcuteuetv dhravötCeadai wäre dies geschehen,
während der Knabe Blumen pflückte, wozu sich Plut. de amic. rault.,
p. 93 D, vergleichen läßt = Eurip. fr. 754. Näher aber liegt noch,
dcuteueiv für eine Nebenform von atoteiv zu halten und anzunehmen,
daß Opheltes gerade schlief, womit Pausan. II, 15, 2 und Stat. Theb. V,
502 f. übereinstimmen. Die eigentliche Sage, die in das Gedicht
verwoben ist, behandelt die Töchter des Asopos, des Flusses bei
Phlios (vgl. Diod. IV, 72), nicht in Böotien, wie Jebb bemerkt.
Im zehnten Gedicht wird die Sage von den Prötiden, den Töchtern
des Königs PrÖtos von Tiryns , behandelt, die von Meiser er-
schöpfend besprochen wurde. Apollod. II, 24 (= II, 2, 1 Heyne)
berichtet, daß Akrisios und PrÖtos xcttä "raarpoc jUv fti ovrec icrraafoCov
Trpöc dXXr^ooc Christ glaubt, daß dieser Bericht aus V. 64 f.
stammt, indem man die Worte ßXr^paf dn* dp/ac fälschlich als
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Jahresbericht über die griechischen Lyriker. (Sitzler.) 235
„tenera a pueritia" anstatt „ans schwachem Anlaß" im Gegensatz zu
vetxo? diiatjiaxexov (vgl. Horn II. XXII, 116) deutete. Diese Ver-
mutung weist Meiser mit Recht zurück; Apollodor hatte für seine
Angabe ohne Zweifel andere Quellen, und nur weil solche vorlagen,
wollte man auch Bakchylides' Worte mit ihnen in Einklang bringen.
Ebenso begründet ist Meisers Zurückweisung der Ansicht Wald-
steins, der Americ. Journal of Archaeol. 1900, S. 55, aus den
V. 50 f. auf feindliche Wettbestrebungen zwischen Tiryns und dem
Heräon, das er mit Argos identifiziert, schließt und so die Schuld
der Prötiden auf die alten Familienstreitigkeiten zurückführt; eine
solche Gleichsetzung des Heräons mit Argos läßt sich durch nichts
rechtfertigen. In der Darstellung der Sage weicht Bakchylides etwas
von den anderen Gewährsmännern ab. Zunächst scheidet er den
Seher Melampus, der nach den anderen Berichten die Heilung der
Töchter gegen hohes Entgelt vollzog, aus seiner Erzählung aus, weil
er, wie Preuß sagt, der einheimischen Sage folgte, Melampus aber,
worauf Meiser hinweist, kein Achäer, sondern ein Thessaler, ein
Nachkomme des Äolos, war. Dazu kommt noch die treffende Be-
obachtung Meisers, daß unseres Dichters Bestreben dahin geht,
das Wesen der Sage freundlicher zu gestalten; daher stellt er den
Streit der Brüder menschlicher und die Krankheit der Töchter milder
dar , indem "er an Stelle der dionysischen [iavia die von Artemis
erregte setzt, die nur scheues, einsames Umherschweifen der Töchter
zur Folge hatte. Dadurch wird Melampus entbehrlich ; die Göttin
bewirkt selbst auf die Bitte des Königs die Heilung. So ist der
Grundzug der Sage die p&Ta$o\rt 1$ dtu/toc? efe eOTuj(tav durch
Artemis, die auch im neuen Lande, d. h. in Metapont, ebenso hilft
wie im alten. In den V. 118 f. will Meiser eine Anspielung auf
die Beziehungen zwischen der Heimat des Siegers Metapont und der
Heimat des Dichters Keos erkennen, da jene Stadt nach Strab. VI,
p. 264, von Nestor gegründet wurde, der auch auf Keos den Tempel
der Athene Nedusia stiftete. Diese Beziehung würde die Lesart
Ttp^ovoi voraussetzen, die ich nicht für richtig halten kann. Dagegen
stimme ich M e i s e r in der Zuweisung von Oxyrh. Pap. III, Nr. 426
an Bakchylides zu, eine Zuweisung, die, wie schon erwähnt, auch
P.Maas befürwortet; der Dichter hat, wie man daraus ersieht, die-
selbe Sache je nach Bedarf verschieden behandelt.
Das 14. Gedicht, die Antenoriden, führt Jebb seinem Inhalte
nach mit Recht auf die Kyprien zurück ; aber auch hier verfuhr der
Dichter frei. So ersehen wir aus fr. 59, daß er 50 Söhne des
Antenor und der Theano annahm. Etwa mit Rücksicht auf den
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28(3 Jahresbericht über die griechischen Lyriker. (Sitzler.)
Dithyrambenchor? Daraus würde sich auch die Überschrift erklären.
Die Bezeichnung des Menelaos als nXeiTrevt'&a? (V. 48) erinnert an
Stesichoros, der den Bakchylides ebenfalls beeinflußt hat. In der
Einleitung zum 15. Gedicht erkennt Jebb Anlehnung an Alkäos
(vgl. fr. 2, 8, 4 und 109) und findet diese durch die Form nzüoiyytXv
bestätigt, die unser Dichter nur hier gebraucht, während er sonst'
immer jxeta hat. Der Mythos, nämlich der durch Deianira un-
absichtlich herbeigeführte Tod des Herakles, ist nach Jebb der
Olx*\lat o&axJtc des Kreophilos von Samos entnommen.
Die Fabel des 16. Gedichtes, Theseus' Besuch bei Amphitrite,
ist in keinem anderen Gedicht auf uns gekommen; wir kennen sie
nur aus Pausanias und Hyginus, sowie aus bildlichen Darstellungen,
aus denen aber die Francois-Schale, die den ^apavoc-Tanz auf Delos
nachbildet, auszuscheiden ist (vgl. Plut. Thes. 21). Am ausführ-
lichsten behandelt auf Grund früherer Untersuchungen, besonders
K.Roberts, Preuß die Fabel. Bakchylides stimmt mit Hellanikos
(vgl. Plut. Thes. 17) darin überein, daß er den Minos selbst in Athen
die 14 Opfer für Minotauros aussuchen läßt, weicht aber darin von
ihm und Hygin ab, daß er den Thcseus nicht dazu rechnet. In
welcher Eigenschaft und Absicht Theseus mitfuhr, wird aus dem
Gedichte nicht klar; ich vermute aus der Art, wie er für Eriböa
eintritt, und aus dem Verhältnis, in dem ihn die Säge zu dieser
stehen läßt, daß er im Auftrage des athenischen Königs die als Opfer
Ausgewählten begleitete, um darüber zu wachen, daß sie ihrer Be-
stimmung richtig zugeführt würden, mit der geheimen Absicht, sie
von ihrem schrecklieben Lose zu befreien; als Vorbereitung darauf
ist unsere Szene, die ihn als mutigen Beschützer und unerschrockenen
Sohn des Poseidon zeigt, vorzüglich am Platze. Daraus schließe ich,
daß der Meeressprung des Theseus nachträglich als Episode in die
Wegführung der Athener durch Minos eingelegt wurde und dann
für immer fest damit verbunden blieb. Die Fabel ist bekanntlich
auf dem Becher des Euphronios (500 — 490), auf dem Gemälde des
Mikon (474 — 470) , auf das vermutlich der Krater von Bologna
zurückgeht, und in etwas abweichender Form auf dem Krater von
Agrigent und der Vase Trikase dargestellt. Auf dem Becher des
Euphronios und dem Krater von Bologna wird Theseus von einem
Triton in die Behausung des Meergottes gebracht; Bakchylides hat
den Triton durch Delphine ersetzt, weil diese, worauf Preuß gut
hinweist, dem Apollon heilig sind und das Gedicht den Apollon
feiert. Dagegen stimmt unser Dichter mit diesen bildlichen Dar-
stellungen darin überein , daß er den Poseidon und den Ring un-
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Jahresbericht über die griechischen Lyriker. (Sitzler.) 237
beachtet läßt; der Krater von Bologna zeigt Poseidon mit dem Eroa
ganz im Hintergrande, und auf dem Becher des Euphronios fehlt er
vollständig, während er auf dem Krater von Agrigent und der Vase
Trikase seinen Sohn begrüßt und dieser auf der letzteren vielleicht
auch den Ring in der linken Hand hat. Der Ring wird von dem
Dichter nach dem einstimmigen Urteil aller Gelehrten nicht mehr
erwähnt, weil er neben den anderen Beweisen bedeutungslos geworden
ist, ja seine Zurückbringung des Theseus geradezu unwürdig wäre;
Pausanias und Hyginus freilich vergessen in ihren Berichten die
Erwähnung des Ringes nicht. Daß das Ringmotiv keine Erfindung
des Bakchylides ist, betont Jebb mit Recht; wenn er es aber erst
später, jedoch noch vor der Zeit des Mikon in die Sage eingeführt
sein läßt, so irrt er; Preuß zeigt, daß dies ein indogermanischer
Zug des Märchens ist In der freundlichen Aufnahme des Theseus
durch Amphitrite sind alle Quellen einig, ein Zug der Sage, der in
scharfem, wohl beabsichtigtem Gegensatz zu dem Verhalten Heras
gegen Herakles steht. Auf den bildlichen Darstellungen ist als
Geschenk an Theseus ein Kranz angegeben; diesen hält auf dem
Becher des Kuphronios Amphitrite in ihrer Linken, wie Preuß
unter Verweis auf Furtwängler und Reichold, griech. Vasen-
malerei fasc. I, tab. 5 bemerkt. Ob dieser ursprünglich von Ariadne
anstatt von Amphitrite dem Theseus gegeben wurde, wie Robert
and Jebb vermuten, muß nach Preuß dahin gestellt bleiben. Der
Dichter fügt als weiteres Geschenk noch ein purpurnes Kleidungs-
stück bei , wie ich glaube , in Erinnerung an das xp^SejAvov , das
Ino-Leukothea e 351 dem Odysseus gab, und an die purpurnen tarnet,
welche in Samothrake die Mysten zum Zeichen der göttlichen Hilfe,
die ihnen gegen Seegefahren zuteil wird, trugen (vgl. Schol. Apoll.
Rhod. I, 917). Als Quelle unseres Dichters für die Theseus-Fabel
nimmt Preuß ein in Attika verbreitetes episches Gedicht an, aus
dem auch die Künstler schöpften. Wir haben aber gesehen, daß
Bakchylides seine Quelle, sei sie nun ein Gedicht oder die Volkssage,
selbständig benützte.
In dem eben behandelten Gedicht ist Theseus der Sohn Poseidons,
im 17. dagegen der Sohn des Ägeus, der auf der Reise von Trözen
zu seinem Vater ist, wieder ein Beweis dafür, wie der Dichter seinen
Mythus je nach Bedarf wählt. Ägeus' Gemahlin wird Kreusa genaunt,
nicht Pylia, wie sonst, und die Tötung des Periphetes fehlt unter
den Heldentaten, wie auch auf den älteren bildlichen Darstellungen,
weil sie, wie Robert bemerkt, den andern noch nicht eingefügt
war; die älteste Abbildung findet sich auf einer Vase aus der Zeit
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238 Jahresbericht über die griechischen Lyriker. (Sitzler.)
450 — 440. Auch darin stimmt Bakchylides mit den Vasenbildnern
überein, daß er dem Theseus zwei Begleiter, vermutlich Peirithoos
und Phorbas, gibt. Da dies der ursprünglichen Sage widerspricht,
so sieht man daraus, wie sich unser Dichter an die verbreitete Sagen-
form hält. Preuß nimmt ein episches Gedicht als Quelle an.
Das 18. Gedicht, das die lo-Sage behandelt, bringt nichts Neues,
wie Mellen zeigt, beweist aber, daß schon verschiedene Über-
lieferungen dem Dichter vorlagen. Nach Jebb ist es inhaltlich und
sprachlich von Äschylos beeinflußt. Preuß schließt sich an
J. C. Koppin in Harvard Studies in Class. Philol. 1901, S. 835,
an, glaubt aber, daß der Stoff schon vor Äschylos tragisch bebandelt
wurde; nach ihm folgt Bakchylides keiner tragischen Quelle, was
vielleicht doch zu weit geht.
Über den Mythus des 19. Gedichtes spricht Jebb; er weist
darauf hin , daß die Apharetiden messenische Lichtgottheiten waren,
wie die Dioskuren spartanische. In der Sage von beiden spiegelt
sich die politische Geschichte der beiden Länder; die Messenier
unterlagen den Spartanern. Die Geschichte der Marpessa zeigt
jedoch, daß die Lakedämonier die messenische Sage herübernahmen
(vgl. auch Paus. III, 13, 1). Meiser will aus dem Schol. zu Horn.
IL 1 557 f. (vgl. Simonid. fr. 216) den Inhalt unseres Gedichtes
wiedergewinnen, ohne daß es ihm jedoch gelingt, irgendwo festen
Boden unter die Füße zu bekommen.
Preuß kommt bei seiner Untersuchung über die Mythen des
Bakchylides zu dem Ergebnis, daß unser Dichter in der Regel die
ältere Sagenform wählte, weil sie die allgemein bekannte war. Seine
Hauptquellen waren Homer, der epische Kyklos, alte epische Gedichte
der Athener und Lokalmythen. Die Tragiker schließt Preuß aus,
jedoch mit Unrecht, und auch Stesichoros hätte er unter den Quellen
nennen dürfen. Die Sagen er zählt Bakchylides in der zu seiner Zeit
üblichen Form, ohne jedoch vor Änderungen, wie sie seinen Zwecken
dienen, zurückzuschrecken. Ich füge noch bei, daß er auch ver-
schiedene Sagenformen verwandte, wo es ihm nötig oder passend schien.
Mit dem Leben und Wirken des Bakchylides beschäftigen sich
1. A. Baumstark, Zur Chronologie des Bakchy-
lides. N. Heidelberger, Jahrb. VIII, 1898, S. 123 f.
2. R. C. Jebb in MeManges H. Weil, vgl. oben.
3. U. v. Wilamo witz - Möllendorff, Hieron und
Pin dar os. Sitzungsb. der Kgl. Preuß. Akad. der Wissensch.
1901, S. 1273 f.
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Jahresbericht über die griechischen Lyriker. (Sitzler.) 239
4. The Oxyrhynchos Papyri, part II. Edited by
Grenfell and Hunt. London 1899, N. 222.
Baumstark behandelt die drei Ansätze der dxfi^ des Bakchy-
lides, die auf uns gekommen sind, um zu sehen, welche Tatsachen ihnen
zugrunde liegen. Den ersten Ansatz des Eusebios in Ol. 78, 1 (= 468)
bezieht er, wie andere vor ihm, auf das dritte Gedicht, das Hierons
Wagensieg in Olympia feiert. In einem zweiten Ansatz in Ol. 82, 2
(= 451) wird der Dichter mit Praxilla, Telesilla und Kleobuline
zusammengestellt ; dies ist vielleicht die Zeit, wo er aus seiner Heimat
verbannt wurde und im Peloponnes seinen Aufenthalt nahm. Dagegen
ist mit dem zweiten Ansatz des Eusebius in Ol. 87, 3 (= 430)
nach dem Verfasser nichts anzufangen, wenn er nicht etwa das
Todesjahr des Dichters angibt. Den Ansatz des Chronikon Paschale
in Ol. 74 berücksichtigt der Verfasser, wie man sieht, nicht. Epin. X,
118 f. will Jebb mit Palmer rp6fovoi faaav (ö£aaav) ipot lesen
und daraus unter Hinweis auf Metaponts Gründung durch Nestor und
die Erbauung des Heiligtums der Athene Nedusia auf Keos durch
denselben Helden schließen, daß Bakchylides sein Geschlecht auf die
Neleiden zurückführte wie Pindar auf die Ägiden; ich kann weder
die Lesart noch die Folgerung billigen, da ein solcher Umstand der
Überlieferung sicher nicht entgangen wäre. An dem Streit zwischen
Simonides und Bakchylides einerseits und Pindar anderseits hält
auch Wilamowitz fest ; aber er glaubt, daß schon die Chronologie
verbiete , Pind. OH, 86 f. darauf zu beziehen , und billigt daher
Bergks fapu^wov. Wie zweifelhaft eine solche Form ist, zeigt die
Zusammenstellung bei Kühner-Blaß, griech. Gramm.8 II, S. 50;
die Chronologie aber steht der Überlieferung der Scholiasten, die
sich auf ältere Angaben stützten (vgl. z. B. das von Hill er
v. Gärtringen aufgefundene Archilochos-Denkmal) gewiß nicht
entgegen; denn Pindars zweite olympische Ode fällt in das Jahr 476,
eine Zeit, wo Simonides und selbst Bakchylides schon länger tätig
waren und gewiß auch schon Gelegenheit zu gegenseitigen Anfeindungen
hatten; ich erinnere nur daran, daß Pindar und Bakchylides den
nemeischen Sieg des Ägineten Pytheas verherrlichten.
Für die Chronologie des Bakchylides ist die Auffindung der
Liste der olympischen Sieger aus den Jahren 480 — 448 v. Chr., die
in den Oxyrh. Pap. II, Nr. 222 veröffentlicht wurde, außerordentlich
wichtig. Durch sie ist die Frage nach dem Anfang der Pythiaden
entschieden, die Ol. 49, 3 (= 582) beginnen, und die Abfassung von
Bakchylides V im Jahre 476, IV im Jahre 470, III im Jahre 468
und VI und VU im Jahre 452 bewiesen. Die Liste geht, wie
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240 Jahresbericht über die griechischen Lyriker. (Sitzler.)
i
H. Diels Hermes 86, S. 72, dartut, nicht anf Phlegon, sondern auf
ein Handbuch der Kaiserzeit zurück , das die gelehrte Ausstattung
der Verzeichnisse des Aristoteles und Eratosthenes nicht mehr ent-
hielt; die darin befindlichen Abkürzungen bedeuten: outük Kpa'-nrjc
Iv ö, ootok O&tatoc, o5t<d? KaXXiadevTjc. Aber nicht bloß unmittelbar,
sondern auch mittelbar erweist sich die Liste nützlich, insofern sie
feste Anhaltspunkte für weitere Schlüsse bietet. So können wir aus
der Notiz der Liste, daß das sechste Oedichtchen, das seinem ganzen
Inhalt nach auf Keos entstand, im Jahre 452 abgefaßt wurde, mit
Sicherheit schließen, daß Bakchylides in diesem Jahr nicht verbannt
war, daß also seine Verbannung in die frühere oder spätere Zeit
fallen muß. Nun sagt Pindar in Is. I, das man gewöhnlich in das
Jahr 458 verlegt, daß ihm die Keer die Abfassung eines Liedes auf
Apollon übertragen hätten. Hält man diese beiden Tatsachen zu-
sammen, so wird man geneigt sein, die Verbannung des Dichters m
die Zeit vor 452 zu setzen; denn die Keer hätten sich gewiß nicht
an Pindar gewandt, wenn sie ihren berühmten Sänger noch als Mit-
bürger gehabt hätten. Die Verbannung wird um das Jahr 452
wieder aufgehoben worden sein, und auf diese Zurückberufung aus
dem Peloponnes deutet vielleicht der oben erwähnte Ansatz seiner
dxpiij in Ol. 82.
Unter den anderen Epinikien läßt sich nur über die Abfassungs-
zeit von XII etwas Genaueres sagen , das den nemeischen Sieg de»
Pytheas von Ägina verherrlicht, den auch Pindar N. V besungen
hat. Daß Pytheas ihn nicht als itafr, sondern als dfivetoc gewann,
bemerkt Blaß mit Recht Fraccaroli Pind., S. 568, und Riv.
di fil. XXIX fasc. 3, S. 29 f. im Separatabdruck, setzt das Gedicht
in das Jahr 484. Blaß bemerkt dagegen , daß vor der Schlacht
bei Salamis ständig Feindseligkeiten zwischen Athen und Ägina be-
standen hätten, und daß es daher wenig wahrscheinlich sei, daß
Lampon seinen Sohn während dieser Zeit nach Athen zu Menandros
zu seiner Ausbildung gesandt und Bakchylides in seinem Gedichte
den Athener gelobt habe; er schreibt daher das Gedicht dem Jahre
479 oder 477 zu. Aber daß sich dieser Ansatz mit Pind. Is. V,
das in das Jahr 480 fällt und unserem Gedicht um mehrere Jahre
vorhergeht, nicht verträgt, zeigt C. Gaspar, Essai de Chronologie
Pind. 1900, S. 60 f. Nichtsdestoweniger bleibt der Hauptgrund, den
Blaß anführt, das zur Zeit der Feindschaft zwischen Athen und
Ägina auffällige Lob des Atheners, bestehen; denn an Stelle der
Sendung des Pytheas nach Athen kann man ja auch annehmen, daß
Lampon den Menandros nach Ägina kommen ließ. Ich glaube daher,
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Jahresbericht über die griechischen Lyriker. (Sitzler.) 241
daß das Gedicht vor Ausbruch der Feindseligkeiten, die im Jahre 487
ihren Anfang nahmen, entstanden ist; der Dichter war damals
mindestens 20 Jahre alt, und mit 20 Jahren hat auch Pindar P. X
geschrieben, das nicht einmal sein erstes Gedicht war. Gaspar
setzt das Gedicht in das Jahr 489.
In höherem Grade als der Chronologie wandten sich die Studien
der Gelehrten der dichterischen Kunst des Bakchylides zu;
hierher gehören:
1. R. C. Jebb in Mölanges H. Weil vgl. oben.
2. L. Millinger, Lecaractere, la Philosophie et
l'art de Bacchylide. Musee Beige 1899, S. 21 f.
3. H. Jurenka, Der Mythus in Pindars erster
olympischer Ode und in Bakchylides III. Philol. 1900,
S. 813 f.
4. S. Rossi, La composizione teenica delle odi
di Bacchilide. Riv. di stor. antic. 1903, S. 472 f.
Die Vorzüge der Bakchylideischen Dichtkunst schildern Jebb
und M allinger treffend; sie bestehen in der durchsichtigen Dis-
position, in der einfachen und schönen Sprache, die durch Anwendung
von Metaphern und Figuren geschmückt ist, in der Kunst der Er-
zählung, die oft durch Einschiebung von Gesprächen belebt wird, in
der anschaulichen Beschreibung und Ausmalung des einzelnen. Die
Epitheta sind fast ausnahmslos geschickt gewählt, oft gehäuft; jedoch
fehlt es ihm, wie Jebb sagt, an der Phantasie, um schon durch die
einfachsten Wörter glänzende Bilder hervorzuzaubern, eine Kunst,
die wir an Pindar so sehr bewundern.
Sind nun diese künstlerischen Vorzüge des Bakchylides im großen
und ganzen schon allgemein bekannt, so harrt die Frage Über die
Verwendung des Mythus in den Epinikien immer noch einer all-
gemein gebilligten Lösung. Die früher herrschende Ansicht, als ob
in den Mythus politische Beziehungen oder persönliche Verhältnisse
des Siegers vom Dichter hineingeheimnißt seien, scheint jetzt all-
gemein aufgegeben zu sein. Jurenka weist mit Recht darauf hin,
daß das, was der Dichter mit dem Mythus bezweckte, jedem Hörer
oder Leser sofort verständlich sein mußte. Rossi hält den Mythus
für ein Bild, das der Dichter gebrauche, um die von ihm gefeierte
Person größer hervortreten zu lassen; er sei sozusagen das andere
Glied einer Vergleichung, deren eines der Sieger sei; je großartiger
und wunderbarer jenes sei, um so herrlicher und glänzender stehe
auch dieser da; jedoch sei es nicht notwendig, daß sich alle Züge
Jahresbericht für Altertumswissenschaft. Bd. CXXXIII. (1007. 1.) 16
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242
Jahresbericht über die griechischen Lyriker. (Sitzler.)
völlig entsprechen; eher sei eine absichtlich gesuchte Unähnlichkeit
bemerkbar, weil so die Wirklichkeit mehr hervortrete und die Be-
wunderung der Hörer in höherem Grade auf sich ziehe als die
mythische Persönlichkeit. Von diesen Grundsätzen aus mustert er
die in Betracht kommenden Gedichte des Bakchylides durch, um so
die Richtigkeit seiner Ansicht zu erweisen. In III besteht nach ihm
das Band zwischen Wirklichkeit und Mythus, zwischen Hieron und
Krösos in dem Glück, das die Götter ihren Verehrern geben; ähnlich
findet Jurenka darin den Gedanken, daß auch König Hieron zu
den Hyperboreern kommen werde. Weniger stimmt schon V, in dem
nach Rossi das Glück des Hieron gepriesen werde, das um so be-
neidenswerter sei, als berühmte Helden nichts weniger als glücklich
gewesen seien, eine Annahme, die gewiß nur wenige teilen werden,
und noch schlimmer steht es mit der Erklärung von VUI, X und XII.
Man sieht daraus, daß auch R o s s i s Ansicht, wenn sie auch da und
dort zu passen scheint, als allgemeine Regel unhaltbar ist. Der
Mythus ist ein feststehender Teil in den Festgedichten zur Feier
von Siegen wie in den anderen Festgedichten; er dient zur Aus-
schmückung und Veranschaulichung des Grundgedankens des Ge-
dichtes ; da dieser mit der Feier in Beziehung steht, so ist dies auch
beim Mythus der Fall, und je mehr dies dem Dichter gelingt, je
inniger die Verbindung zwischen Lied und Feier und je fester die
Einheit des Gedichtes ist, um so höher stellen wir die Kunst des
Dichters. Dem Bakchylides ist dies in III und V am besten, in VIII
am wenigsten gelungen. J e b b bemerkt noch , daß die Mythen bei
unserem Dichter nicht in die idealen Regionen einer höheren Poesie
gerückt sind wie bei Pindar.
Über die Charaktereigenschaften und philosophischen
Grundsätze des Bakchylides' handelt eingehend
L. Mallinger, Le caracterc, la Philosophie usw.
vgl. oben,
der Friedfertigkeit, Liebe zur Wahrheit, Tugend und Gerechtigkeit,
Religiosität, aristokratische Gesinnung, glühenden Patriotismus, pessi-
mistische Weltanschauung, Harmonie in allem und Abneigung gegen
jedes Übermaß an ihm hervorhebt und ihn als Mensch über seinen
Oheim Simonides stellt, und
E. Rieß, Studies in Superstition. Am. Journ. of
Phil. 1903, S. 423 f.,
sammelt die Spuren von Aberglauben, die sich in des Dichters
Werken finden, und kommt dabei zu dem Ergebnis, daß sie an Zahl
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Jahresbericht über die griechischen Lyriker. (Sitzler.) 243
and Bedeutung zu gering sind, um uns zu gestatten, dem Dichter
hinsichtlich seiner religiösen Ansichten einen bestimmten Platz an-
zuweisen, vgl. V, 42, VIII, 3 f., XVI, 23 f., V, 19 f., 187 f., XVII,
103, HI, 86 f., XVII, 72.
Vielfach wurde das Verhältnis des Dichters zu seinen
Vorgängern und sein Einfluß auf seine Nachfolger
untersucht. Ich erwähne
1. V. Tominasini, Imitazioni e Reminiszense
Omeriche in Bacchilide. Studi ital. 1899, S. 415 f.
2. W. K. Prentice, De Bacchylide Pindari artis
socio et imitatore. Diss. Halle 1900.
3. R. C. Jcbb, Bacchylide s. From the Proceedings of
the British Academy vol. I, 1904. [Verhältnis zu Pindar].
4. L. Maccari, Bacchilide e Orazio. Urbino 1899.
5. K. Brandt, De Horatii studiis Bacchy lideis.
Festschrift für Joh. Vahlen. Berlin 1900, S. 297 f.
6. E. Romagnoli, Appunti sulla gnomica Bacchi-
lidea. Fircnze 1899. [Estr. d. Stud. ital. di filol. class. VII.]
7. M. Rubensohn, Apollinische Weisheit. Berl.
phil. Wochenschr. 1899, S. 1499 f., 1631 f. [Bakch. III, 78—84.]
8. A. Roersch, Bacchylide etles poetes neo-latins.
Musee Beige 1899, S. 211.
Bakchylides ist, wie Tommasini in seiner fleißigen Abhandlung
zeigt, von Homer stark abhängig, sowohl in Mythen und Gleichnissen
(vgl. auch E. Schwartz, Hermes 1904, S. 630 f., zu XIII, 91 f.),
als auch in einzelnen Gedanken, Formeln und Wörtern ; jedoch scheut
er sich in keiner Weise vor Abänderungen , die für seine Zwecke
nötig sind , und bildet auch neue Epitheta. Dagegen hat er nach
Prenticcs besonnenen Darlegungen nur weniges aus Pindar ge-
nommen; das meiste, was beide gemeinsam haben, ist Gemeingut
der Lyrik überhaupt, das jeder der beiden Dichter in seiner Weise
behandelt. Daß Bakchylides aber als jüngerer Dichter von dem
älteren angeregt und in der Komposition seiner Oden gefördert wurde,
weist Jebb überzeugend nach. Aus Porphyr, zu carm. I, 15 wissen
wir, daß Bakchylides unter den Vorbildern des Horaz war; Brandt
sammelt nun die Ähnlichkeiten und Anklänge zwischen den beiden
Dichtern, und es zeigt sich, daß auch der Römer dem Griechen
frei gegenüberstand und ihn mit selbständigem Urteil benützte.
Romagnoli vergleicht die Sentenzen des Bakchylides mit denen
16*
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244 Jahresbericht über die griechischen Lyriker. (Sitzler.)
des Solon und Theognis, die sich vielfach enge berühren; ohne
Zweifel hat der Keier die beiden Elegiker gekannt. Die Lehre, die
unser Dichter III, 76 f. dem Apollon in den Mund legt, ist in anderer
Fassung auch schon früher ausgesprochen, wie Rubensohn darlegt,
der sie durch die alte und neue Literatur hindurch verfolgt. Endlich
macht Roersch darauf aufmerksam, daß Fr. Haemus (1521 — 1585)
in seinen poetischen Werken das Fragment auf den Frieden Uber-
setzt, H. Grotius aber (1583 — 1646) in seinen Dicta poetarum.
Paris 1623 alle Verse des Bakchylides, die bei Stobäus vorkommen.
Die Übersetzung des Haemus fügt Roersch bei.
Zum Schluß führe ich noch an
1. J. B. Bury. Class. Rev. 1899, S. 98 f. und
2. U. v. Wilamowitz, Hieron und Pindaros vgl. oben,
die darauf hinweisen, daß die Tyrannen Gelon und Hieron verfassungs-
mäßig den Titel ßotaiXsü? nicht führten, wenn sie ihn auch gerne
hörten. Bury vermutet, daß sie atpatr^ol aöxoxpaxope? hießen,
wobei er auf die Anrede des Hieron bei Bakchylides besonderes
Gewicht legt; ferner
3. C. Robert, Die Ordnung der olympischen Spiele
und die Spieler der 75. — 83. Olympiade. Herm«s XXXV,
S. 141 f. und dagegen
4. Fr. Mie, Die Festordnung der olympischen
Spiele. Philol. 1901, S. 161 f.
5. E. N. Gardiner, The method of deciding the
Pentathlon. Journal of Hell. Stud. 1903, S. 54 f.
6. Ph. Legrand, La victoire au pentathle, ä propos
d'un passage de Bacchilide [VIII, 30]. Rev. des e*tud.
anc. III, S. 1 f.
Melanippides.
4 , 8 schlügt W. Headlam, Notes on the greek ljric
poets. Class. Rev. 1900, S. 5 f., xa^a 8' fj ™'xa st« ^ V0IS a^er
9j findet sich nietft zur Verstärkung der Epanadiplosis , und hi darf
nicht eingefügt werden, da mit V. 3 auch der Nachsatz beginnen
kann; der Vordersatz wäre dann nicht vollständig, sondern nur in
seinem letzten Teil überliefert. Zu xdya 8r( ^iya vgl. tote 8tj t/5ts,
das öfter den Nachsatz einleitet, z. B. Demosth. tr. Tzerp. 47. —
Fr. 7 schreibt Smith zoÖou st. z*50ov oder i?4fhi>; Bergk ver-
mutete 7c6f>a>v.
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Jahresbericht über die griechischen Lyriker. (Sitzler.) 245
Philoxenos.
Wilamowitz, Textgeschichte der griech. Lyriker,
S. 85 f., nntersucht, wer der Verfasser des unter Philoxenos' Namen
gehenden ÖeTirvov ist; er weist darauf hin, daß es die Überlieferung
unserem Philoxenos nicht mit Sicherheil zuteile ; denn wenn Athenäos
auch an den meisten Stellen 6 Bi&upajißoiroio? oder 6 Ko^pto? dem
Kamen beifüge, sage er doch IV, 146 f. efrrep totrcoo xat 6 xtupup-
Siorcoto? ÜXaTtov Iv x(j$ Oa'am Ifxv^d)/; xal jxtj too AeoxaStoo Odo-
Uvou, und sonst bezeichne die Überlieferung den Verfasser Philoxenos
nirgends genauer. Nimmt man noch dazu, daß Inhalt und Versmaß
zu dem Dithyrambendichter nicht passen, so wird man wohl geneigt
sein, Wilamowitz in der Aberkennung des Gedichtes von unserem
Philoxenos zuzustimmen. Smith und Taccone legen es dem
Leukadier bei, was wahrscheinlich ist.
Timotheos.
Bei der von der Deutschen Orientgesellschaft unternommenen
Aufdeckung eines Königsgrabes des alten Reiches samt seiner Um-
gebung bei dem Dorfe Abusir, dem alten Busiris bei Memphis in
Ägypten, fand L. Borchardt am 1. Februar 1902 eine Papyrus-
rolle, die nach Berlin gebracht und hier von Ibscher, Schubart
und Wilamowitz studiert wurde. Es stellte sich heraus, daß sie
aus der Mitte des 4. Jahrhunderts v. Chr. stammt, also das älteste
Buch ist, das wir bis jetzt besitzen, daß sie aber leider nur in
ihrem letzten Teile erhalten ist, also weder Titel noch Verfasser des
Gedichtes enthält. Trotzdem konnte über beides keinen Augenblick
ein Zweifel bestehen, da sich der Dichter im Gedichte selbst Timotheos
nennt und ein Gedicht des Timotheos, in dem eine Niederlage der
Perser in einer Seeschlacht gegen die Griechen geschildert wird, nur
dessen berühmter kitharodischer Nomos „die Perser" sein kann.
Der kostbare Fund, den die Wochenschr. f. klass. Phil. 1902,
Kr. 36, S. 990 und die Berl. phil. Wochenschr. 1902, Nr. 45,
S. 1404 f., anzeigten, wurde der gelehrten Welt in folgenden Ver-
öffentlichungen bekannt gegeben
1. Der Timotheos-Papyros. Gefunden bei Abusir am
1. Februar 1902. Lichtdruckausgabe. Leipzig 1903. 15 S.
kl. Folio und 7 Lichtdrucktafeln. Wissenschaftliche Veröffent-
lichungen der Deutschen Orientgesellschaft, Heft 3.
2. U. v. Wilamowitz-Moellendorff, Timotheos,
Die Perser. Aus einem Papyrus von Abusir im Auftrage der
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246 Jahresbericht Uber die griechischen Lyriker. (Sitzler.)
Deutschen Orientgesellschaft herausgegeben. Mit 1 Lichtdrucktafel.
Leipzig 1903.
Die Faksimileausgabe gibt auf 7 Lichtdrucktafeln ein möglichst
getreues Abbild des Papyros; jedoch warnt der Herausgeber, sich
an den Stellen, wo nur noch Buchstabenreste vorhanden sind, all-
zusehr auf die Photographie zu verlassen.
In dem den Lichtdrucktafeln beigegebenen Text, besonders aber
in seiner Timotheos-Ausgabe bespricht W i 1 a m o w i t z die Bedeutung
des Fundes ; er ist das einzige umfangreichere Bruchstück , das wir
bis jetzt von einem Nomos besitzen, und gibt uns infolgedessen zum
erstenmal über das Wesen dieser Dichtungsart näheren Aufschluß.
Das Versmaß besteht aus sogenannten ct~oXeXufiiva, und die Sprache
zeigt einen festen überlieferten, wenn auch ausgearteten und manie-
rierten Stil. Besonders eingehend behandelt Wilamowitz die
Entwicklung der Nomenpoesie von der ältesten Zeit bis herab auf
unseren Dichter. Durch die Perser des Timotheos ist der epische
Charakter des ^«paXo? bestätigt, und sein Inhalt wird jetzt noch
genauer dahin bestimmt, daß darin Personen redend eingeführt werden,
um so verschiedene Stimmungen und Gefühle zum Ausdruck zu
bringen. Die a<ppoqi? aber ist, wie sich jetzt zeigt, wirklich da9
Siegel, das den Namen des Dichters nennt und so sein Eigenturas-
recht an der Dichtung wahrt. Wie die aypvfo rein persönlicher
Art ist, so auch der kurze Epilogos, der einen Glück- und Segens-
wunsch enthält.
Der Text des Papyrus, der nach Wilamowitz jedenfalls nicht
attischer, wahrscheinlich ionischer Herkunft ist und besonders gegen
Ende manche Fehler und Versehen aufweist, wird zunächst in einer
wortgetreuen Abschrift mit genauer Angabe aller unsicheren und
zweifelhaften Buchstaben mitgeteilt; darauf folgt seine Bearbeitung
durch Wilamowitz, die am Fuße jeder Seite eine fortlaufende
Paraphrase des Textes im Scholiastengriechisch als Erklärung gibt.
Auch Ort und Zeit der Abfassung des Gedichtes sucht er genau
festzustellen, worauf ich unten zurückkommen werde.
Wilamowitz' vortreffliche Ausgabe wurde überall freudig und
dankbar begrüßt, und sofort machten sich die Gelehrten daran, die
Kritik und Exegese des Fundes weiter zu fördern. So erschienen
1. 0. I(m misch), Das älteste griechische Buch.
N. Jahrb. f. kl. Altert. 100:1, S. 65 f.
2. 0. A. Danielsson, Zu den Persern des Timo-
theos. Eranos V. 1903, S. 1 f., S. 98 f.
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Jahresbericht über die griechischen Lyriker. (Sitzler.) 247
3. Th. Reinach, Les Perses de Timothy e. Acad.
des Inscript. 27, III, 1903. Rev. des <Hud. gr. 1903, S. 62 f.
4. M. Croiset, Observations sur les Perses de
Timothöe de Milet. Rev. des etud. gr. 1903, S. 323 f.
5. B. L. Gilde rsleeve. Amer. Journal of Philol. XXIV,
S. 222 f.
6. V. Inama, I Persiani di Timoteo da an papiro
di Abusir. Estr. di Rendiconti del R. Istit. Lamb. di scienze
e lettere. Ser. II, vol. XXXVI 1903, S. 626 f.
7. M. Fuochi, I Persiani di Timoteo. Atene e Roma.
1903, S. 56 f.
8. L. Levi, Intornoa Timoteo. Riv. di stor. ant. N.
S. IX, S. 14 f.
9. H. Jurenka, Der neuaufgefundene Timotheus-
Papyrus und die editioprinceps. Zeitschr. f. österr. Gymn.
1903, S. 5877 f.
10. S. Sudhaus, Zu den Persern des Timotheos.
Rhein. Mus. 1903, S. 481 f.
11. Fr. Blaß. Gott. gel. Anzeigen 1903, S. 653 f.
12. O. Schröder. Herl. phil. Wochenschr. 1903, S. 897 f.
13. J. Sitzler. N. phil. Rundschau 1903, S. 409 f.
14. J. v. Leeuwen, AdTimotheiPersarum carminis
lyrici fragmentum nuper repertum. Mnemosyne XXXI,
S. 337 f.
15. H. v. Herwerden, Timotheos' Perser 105. Berl.
phil. Wochenschr. 1903, S. 896.
16. P. Mazon, Timothe"e de Milet — les Perses —
traduction. Rev. de Philol. 1903, S. 209 f.
17. J.Melber, Der neuaufgefundene kitharodische
Nomos des Timotheos von Milet „Die Perser". Blätter
f. das Bayr. Gymn. 1903, S. 419 f.
18. N. Terzaghi, Timoteo ed i Persiani. Kuova
Antologia 1, IV, 1904,
19. V. Strazzulla, I Persiani di Eschilo ed il
nomo di Timoteo volgarizzati in prosa con introduzione storica.
Messina 1904.
Die erste Kolumne ist zu verstümmelt, um daraus etwas Sicheres
lesen zu können ; die zweite Kolumne ist zwar auch lückenhaft, aber
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248 Jahresbericht über die griechischen Lyriker. (Sitzler.)
der Sinn läßt sich überall, der Wortlaut in den meisten Fällen mit
Wahrscheinlichkeit feststellen. In den sieben ersten Versen wird der
Angriff geschildert , und zwar zunächst das a;jv £uß6Xotai yoipdrcsiv,
dann das irapaaupetv xe?P*c £Xa-tva?; daher ist mit Danielssou
V. 6 al U zu lesen. In demselben Verse ergänzt Wilamowitz
d^eTcsjAjiivcti ; da aber das 7rapaaup£tv die rasche Bewegung des
angreifenden Schiffes erfordert , so ist eher dvOwpu^txsvat oder irsi-
f fysvcu zu lesen. V. 4 f. lautet bei Wilamowitz Ttoal U fStföXof^ov
o-Yxtofia djA'^iöevTO 55ö*vTtt>v . <jt . ., worin YstaoXoy/ov von H. D i e 1 s
herrührt. Danielsson legt die Unzulänglichkeit dieser Lesung dar
und vermutet selbst iroxl öfc icsvxiXofxov äpyibzrzo 55<5vto>v
axoXotc; aber irott („und dazu") stört den Fortgang der Erzählung,
und was D. irevrlX. liest, fängt im Mscr. sicher mit 72 an. Ich möchte
vorschlagen irepl 5k fstia Xo^yosiSIcov ct. 45. cjtovu/' „mit den Schnäbeln
rissen die Schiffe die rapoppu|xaTa auf und legten um die tsis« die
Spitzen ihrer lanzenförmigen Zähne herum" (vgl. Eurip. Or. 959
xifteiaa Xsoxöv övuyat 5ia rcapiji'ötov) ; auch an oxovov ließe sich denken:
„und ließen um die 7. ihre 1. Zähne ringsherum erdröhnen u.
Mit V. 8 beginnt die Schilderung der Abwehrmaßregeln, zuerst
gegen den Front- und dann gegen den Flankenangriff. V. 8 schlägt
Wilamowitz beispielshalber dTrpo'fdauJro* zur Ergänzung vor; mir
erscheint tij dvtuioro? passender, und auch V. 10, wo W. pTjci'u-p*
herstellt, halte ich die Erwähnung, daß der Stoß gegen das Vorder-
deck geführt wird, für nötig und wünsche daher pi^tVrofios oder
j>Tj;tTrp«)poc. Im folgenden ergänzt Danielsson gut irdvce? iravl-
Tcurtov ixeiae vai/cai, und ebenso Wil. V. 12. W. Schubart er-
kennt am Ende von V. 13 im Ms. stuov und schließt daraus, daß
hier die drcoat'iMoai? (vgl. Thuk. 4, 25, 5) erwähnt war. Im Anschluß
daran vermutet Dan. -irpö» atji^v: „sie fuhren seitwärts von der viel-
schlagenden Fichte (dem vielberuderten Schiffe) zurück". So ver-
misse ich aber die nähere Bestimmung zu &?£povto, während mir die
Nennung des Schiffes, von dem sie zurückfuhren, unnötig erscheint,
da es ja im Vordersatz enthalten ist. Demnach müßte man roXo-
xpfoot? im atjiöv Treoxat? lesen; doch ist bei Timotheos 7:oXoxpotou?
iirl 0. Trsüxa? tt. i'^povto vorzuziehen: „sie schlugen (bewegten) die
vielrauschenden Iiuder nach der Seite hin (im Bogen) rückwärts",
d. h. sie ruderten rückwärts im Bogen ; zu cplpstv xturcotc vgl. Thuk. 2,
84 und Plut. Dem. 53, Anton. 24 rt efpeaiet dvot'f£peTcu.
Hinter V. 14 ist stark zu interpungieren ; denn V. 15 f. be-
schreiben die Wirkung des Angriffes in drei Hauptsätzen mit 7.1 oe,
tA; H und al ö£, wie Danielsson und Gildersleeve sahen;
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Jahresbericht über die griechischen Lyriker. (Sitzler.) 240
die erste Gruppe umfaßt die Schiffe mit lecker Seite, die zweite die
vom Fallklotz getroffenen und die dritte die seitwärts umgefallenen.
V. 15 ergänzt Wilamowitz al 8i Trspl raVcr, 701a Sia^spouoai
-Xsopdc XivoCtocTtouf s<paivov und erklärt: Saat 8fc xataöpaus&sta&v
t5v xu)7tü>v Ssöpo xdxeias cpepofievai -cot? irXeupa? xdc oiaCtopaai -spiei-
Xyjjxulva? i-pfAvouv und dazu S. 57, Anm. 3: „die irXsupal X
werden erst sichtbar, wenn sie die efpsitot nicht mehr verbirgt";
Gildersleeve macht auf das Unzutreffende dieser Bemerkung auf-
merksam und faßt Sia'flpetv in der Bedeutung „trennen", worin ich
ihm folge : ich lese demnach >xl eoauva-xa 701a Stacpepouaa? irXsupic
x-X.: „zeigen die Seiten als solche, die die wohlgefügten Glieder
trennten", d. h. sie zeigten klaffende Fugen. V. 17 stellen Gilders-
leeve und Danielsso n übereinstimmend her: tok 8£ jxoXyßoivov
(oder |ioXißivov Dan.) irru/aT?, das letztere von Wilamowitz, der
auch das Folgende ergänzt hat.
Die V. 22 — 35 geben eine lebhafte Beschreibung des Kampfes
der l7nßotTai, freilich der Zeit des Timotheos entsprechend. Sie sind
von Wilamowitz vortrefflich ergänzt; nur hätte er die va'i'ot
araXo-fiAOt V. 33 f. von Blutstropfen , nicht Feuerfunken verstehen
sollen, wie so ziemlich alle Gelehrten bemerken. V. 35 hat der Pap.
nach W. aorai ; ich finde tuirai. W. liest also xpau^oT ßoa ok au^ii^rfi
xatet/ev; vergleicht man aber Aesch. P. 427: alpm^ xtoxüjiotnv
xottetxe ireXa^tav 5Xa, so wird man imcvt' fo^a ßod 8£ xtX. vorziehen,
zumal da so auch die Lücke mit vier bis fünf Buchstaben ausgefüllt
wird, die für xp zu breit ist.
Von V. 36 an folgen einzelne Stimmungsbilder aus der Schlacht.
Das erste zeigt uns einen reichen Perser, der beim Angriff auf die
Feinde ins Meer stürzte und nun auf Schiffstrümmern sich zu retten
sucht, aber von den Fluten verschlungen wird, nachdem er seinem
Perserstolz in verächtlichen Worten gegen das Meer Ausdruck ge-
geben hat. V. 37 ergänzt Wilamowitz ajjLu.t?a auxic; da aber
noch von keinem Unterbrechen des Angriffes die Rede war, gefällt
mir appt?' dz( ttox' oder aujuy' aoxvo? besser. V. 38 ändert
Danielsson lyffoamyiai gut in ty&oocrte?£ai ; statt liapjxapoirclpot?,
-wie Wil. vermutet, wünscht er aapjiapo^itXoif , besser Leeuwen
jiapjiapoirTuxoi?; auch an jxapjxapoTrXaxot? „marmorflächig, glänzend"
könnte man denken. In V. 40 verlangt W i 1. mit Recht ein Ethnikon
zur Ausfüllung der Lücke ; aber daß der Sprecher kein Phrygier ist,
verraten seine Worte V. 83 f. Ich lese £v&« toi ti? Ileparr^. Das
Adj. 7t£8io? erklärt Danielsson richtig als „Ebenenbewohner,
Binnenländer" im Gegensatz zu vr^iwTTfj; ; ob aber nicht reStvfo zu
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250 Jahresbericht über die griechischen Lyriker. (Sitzler.)
lesen ist? Einzelne Buchstaben fehlen im Pap. öfter. Die Worte
duepo$p<5uoio ya>p*? ^votc foß* Wil. richtig: ossiroxr;? d^pcov, oSc
u<5Xt? dv Y;uspa; 8p«5uoc ixßatrj; ähnlich Th. Rein ach: „maltre d'une
domaine qu'il fant un jour entier pour traverser", obgleich er, durch
Wilamowitz' Übersetzung: „Herr eines Gebietes, das kaum eine
Tagereise durchmaß" getäuscht, im Widerspruch zu ihm zu stehen
glaubt. Auch die folgenden Verse hat Wil. vortrefflich hergestellt;
nur möchte ich noch darauf hinweisen, wie geschickt der Dichter
dpoüv und Wstv (sc. a<popa ßwXoxo^) , die gewöhnlichen Be-
schäftigungen des Gutsbesitzers, auf seine jetzige Lage tiberträgt.
V. 46 ist eher Ttzlaya; als xouaxozX^;, wie Wil. will, am Platze;
denn der Begriff des xou*xot:Xt;; ist schon hinlänglich geschildert,
während man zu 3ts;o8ou? eine Bestimmung vermißt. Nach diesem
Verse darf man nicht mit Wilamowitz interpungieren , da die
Schilderung weiter geht; denn in x27raXeoo, das er in xe 7caX£uov
auflöst, steckt xe d~aXeu6usvo?; cc nach z ist ausgelassen, wie ja
Buchstabenauslassungen im Pap. nicht selten sind. Der Perser sucht
dem gleichen Schicksal, wie es die anderen trifft, zu entrinnen, und
in seiner Bedrängnis wendet er sich um Hilfe an die Götter. Der
Schluß seines Gebetes läßt sich aus V. 55 noch gewir.nen: fav a<5ov
rpoc 7raTpiöa Ilspaav. Das Gebet war in direkter Rede mitgeteilt,
wie aus dem Anfang des V. 56 folgt : xoaaöx' s/pa. Den Buchstaben
dahinter hält W i 1. für a, er ist aber eher ein x, und so lassen sich
die folgenden Verse beispielsweise herstellen: xai pi*jfsQvxci yui« Trdvx'
£xsxpctX7jXSt ostud viv xeXaiwSv, dußXb o5 u>ypov sTye xd? Trapijtoac
xaxsa^pa-^fASvotc. Der Grund für die Angst, die ihn fesselt, ist in
V. 60 f. enthalten : dmaxa -j-dp sitts rauroXX&v ßod rvrjXou xe xp*5xo?
dyyi xaxd vtoxou. Dieser plötzlich drohenden Gefahr will er aus-
weichen und sucht in die Mitte seiner Landsleute zu gelangen, um
einen Schiffsbalken sich schmiegend : 6 ok r/sot' drotXstSwv ostV täiZrfl'
(oder iTraTTr^v'), orou ßdatuov sopetv Stooov Suvaix' k; /£tpoc
I lepatoo? du'ft vatoi; xp-rfsaiv IXtyÖet;, das letzte djxrpl xxX. mit
Danielsson; zu dem Akt. d-aXsuto vgl. Aeschyl. sept. 87, 141,
suppl. 52!». Doch es gelingt ihm nicht; denn der Wind treibt ihn
wieder zurück: dXXd vtv dijxou Xdß' sjiTraXiv sxpssov 1rv2O.ua. Jetzt
kommen von Überall die Windstöße ohne Unterlaß heran und über-
schütten den Perser mit dem Seewasver, dessen er sich nicht mehr
erwehren kann: x<5xs 5s\ x* Xei-otev otopai, xao' IttEiasTu-xov, cfcppusv
ö* dßayyt'wxo; xxX. Wil. liest Sxs 5s xa X. aupat, x5o' lirsiaeVnrtsv
d'fpcuSr^ otß. xtX. Daß aber das hs. l~£i«'~i-xov mit dem Subjekt
aupcti zu halten sei, hat Sudhaus gesehen, und die Beziehung
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Jahresbericht über die griechischen Lyriker. (Sitzler.) 251
x$ . . . xaoe wurde von Danietsson erkannt, der auch d<ppq> 8e
(7:8pieCc3£v> dß. . wie Sudhaus das überlieferte a<ppü>ta8s ändern
wollte, gut zurückweist; er selbst vermutet a<ppst 8' dß. , aber der
Überlieferung und dem Versmaß entsprechender ist ct9piCe(v) 8' aß.;
e ging in a über, und tC wurde a>i. Noch nicht geheilt ist V. 79 f.
diret'Xei ifOfitpotc Sjirpuov jxifjLO'j}jLevo<; Xujxsävi at&fiaxo? OaXdaaa, wie
Wilamowitz st. ÖaXaaa? geschrieben hat, indem er erklart: r^si'Xet
ÖaXaiOTQ tfj t£> aö>ua 6iaXojiaivojx£vT(j, oia futi^ascu? ^oOv toi? ooouai
xatairpuov. Wie unwahrscheinlich diese Auffassung ist, weist
Danielsson nach; jujxoyjisvo? = oia jxiji^aeeuc ist, so gebraucht,
unmöglich. Sudhaus verwandelt den Dativ in den Accus, abh.
von }ii}io'j|x£voc : jai[io6{asvoc XouE&va a. ddXaaaav: „der Barbar hat
mit seinen Evolutionen dem übermächtigen Verderber nachgeahmt;
das Folgende ist also ein öaXaaafyöo^o? jxifio?, und das muß in der
Musik dargestellt gewesen sein, also eine Parallele zu der Nauplios-
partie, in der Timotheos mit musikalischen Mitteln den Sturm am
Kap Kaphareus darstellte (Athen. VIII, 338 a)u. Ich bezweifle die
Musikmalerei an unserer Stelle nicht, wohl aber, daß sie der Dichter
als von dem Ertrinkenden beabsichtigt hinstellte; seine irren Reden
sind die Folge seiner Verzweiflung (vgl V. 76 f.). Danielsson
will das unerklärliche {xijioüjisvoc in ßpifio^svo?, Leeuwen in
öojxo'jfievoc verwandeln , was möglich , aber neben fOfiooi? ijnrpt'tov
wenig wahrscheinlich ist. Vielleicht ist {itjxoufxevo? aus einer Bei-
schrift zu y» £\LT>p(tov : jxt|ioojA£vo? töv xaTrpov t&v xtX. entstanden
vgl. V. 98 ßapßapo?. Zu y» ^u.^pt«*v darf man nicht mit Wil.
fodXasaav hinzu denken , sondern wenn ein Objekt nötig ist , was
Danielsson bestreitet, nur -pu/poo?. V. 89 schreibt Wil. vojxdaiv
aCryaC?, was nicht genügt; daher haben D an i e 1 ss on , Croiset und
ich unabhängig voneinander vop.au vautatc gebessert, und das scheint
mir auch jetzt noch richtig. Der Hauptgedanke der Rede ist der,
daß „die souveräne Ungebundenheit des Meeres eine demütigende
Beschränkung erleiden soll". Das Bild ist von der Behandlung des
unfolgsamen 8oOXoc hergenommen; wie ein solcher, ist das Meer
früher wegen seines Ungehorsams in Fesseln gelegt worden . ein
Hinweis auf die Überbrückung des Hellesponts, und auch jetzt wird
es wegen der neuen Auflehnung mit Schlägen und Einkerkerung be-
straft werden; das Schlagen wird an ihm durch die Ruder, die
TcsOxat opivovot, vollzogen, und daher ist V. 86 wohl avtapä&i st.
dvatapa'cei zu schreiben, abgeleitet von dvx-apaaaeiv; dVci' „zur Ver-
geltung"; Schloß und Riegel aber, hinter die das Meer kommt,
stellen die vou.d8ec vaOxai dar, die es infolge ihrer Menge unter sich
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252 Jahresbericht über die prieehischen Lyriker. (Sitzler.)
bedecken. Das Wort mtXeojxtsijpa ' (V. 90) erklärt Wil. zaXai as
{xsa^xa; Danielsson nimmt richtiger ein von raXatoc getrenntes
Adjektiv ^aXeo? „töricht, toll" an und übersetzt „Tollscheusal u ;
auch in der Erklärung von amaxov te a7xaXtau.a xXuat5po(ia'5o? a-jpa*,
die bei Wil. lautet: xal irpoootixw? 7repißaXXoo3ocv ÖaXasaav u-sx*
aopa? ooxtoc w/iux i7rspyo<jivrjs «oaxe us xaxaxXödat. stimme ich
Danielsson bei: „und tückischer Buhle des im Wellenspiel
dahineilenden Windes", mit dem auch Gildersleeve zusammen-
trifft. Daß nach V. 89 nur mit Komma zu interpungieren ist, be-
merkt Danielsson.
Das nächste Bild (V. 97 f.) stellt die Niederlage und Flucht
der Perser samt ihren Klagen dar. In V. 99 herrscht große Ver-
schiedenheit in der Auffassung von aopxt?; Wilamowitz erklärt
ocXXt} $' aXXijv <juv^p«33e ?opa und führt dies S. 44 weiter aus: „ein
Strudel von Schiffen, die in eine Richtung gerissen sind und nun
zusammenstoßend zerschellen"; aber gerade dieses „zusammenstoßend**
sucht man im griechischen Text umsonst und fragt sich dabei un-
willkürlich, wie dies möglich ist, wenn die Schiffe „in eine Richtung
gerissen sind". Inama faßt supxt? als „lunga fila di navi" und
verbindet damit }j.axpauyev6irXou? = sopxi? vewv {xaxpa'jysvoirXotDv.
Croiset versteht unter atipxw tiaxpaoyev6irXou? „le vaisseau entratne'
a travers le long col du dötroit", Sudhaus „die Woge", indem er
übersetzt: „im Wirbel der Brandung zerschmettert eine Woge die
andere, mit langem Kamme heranrollend" , und die Wogen auch
Subjekt zu dem folgenden exßaXXov sein läßt. Alle diese Erklärer
nehmen aXXa aXXav reziprok , was nicht unmöglich ist , aber doch
viel seltener als die distributive Bedeutung. Ihren auseinander-
gehenden Erklärungen gegenüber erscheint es als das Sicherste, bei
der gewöhnlichen Bedeutung von aupxi? stehen zu bleiben, nach der
es eine Sandbank und dann allgemein alles bedeutet, worin ein Schiff
und weiterhin auch anderes scheitert; zu aXXotv ist vauv zu denken,
und jiaxpauyev<$7rXouc gehört zu dem folgenden Satz als Attribut zu
den Rudern , die forXa jxotxpou? aOy£va; lyovta sind. Ähnlich ist
Danielssons Erklärung, der auf Hesych. aopxt?* ?öopa xai Xuixtj
hinweist und an urtserer Stelle das Wort = vauarrta faßt : „das eine
Schiff wurde durch diese, das andere durch jene Art von Schiffbruch
zertrümmert". So sehr in der Auffassung von aupxt? die Meinungen
auseinandergehen, so einmütig sind sie in der Deutung der jictpaapo-
«pe^eic zatos? (V. 103 f.). unter denen Wilamowitz auf Anregung
Di eis' „die im Dollenbord (xpa?ij;' xo ttjc vewe ystXoc Hesych;
daher ,der Mund') eingesetzten Dollen (<JxaXu.ot. tuXoi)" verstand,
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Jahresbericht über die griechischen Lyriker. (Sitzler.) 253
„an denen die Ruder befestigt sind, und die weiß sind, weil sie
nicht gestrichen werden können und durch die Huder stark gescheuert
werden"; Kein ach u. a. denken an die wirklichen Zähne im Munde
der Schiffsleute , und nur Croiset bezieht die Worte auf einen
Schinuckgegenstand am Vorderdeck des Schiffes. V. 106 hat der
Pap. Äi-o-vor^ Xi . . Tcspestv, was Wilamowitz in 'l/uyouxsp^atv
korrigierte, indem er annahm, daß der Schreiber h . . aus Xi~o
irrtümlich wiederholte, und dies ist immer noch die einfachste Lösung
der Schwierigkeit. Blaß und Sudhaus lesen Xivoorsplaiv , der
erstere mit der Abänderung des vorhergehenden m^oicv^ö in £7X1-
trorvooic, ein verstärktes Xiuo7rvooi?. sonst nicht vorkommend und
auch seiner' Bildung nach singulär, der letztere mit der Erklärung:
„von dem Moment ab, wo der Wind sich gelegt hat", was nicht
paßt, wie Danielsson nachweist; dieser selbst aber dachte an
XtPo3TEpeaiv von dem sonst nicht vorkommenden XißocrcepTjc „tot",
das er mit dXißa? zusammenbringt. V. 112 ziehe ich dpo^» dem vom
Herausgeber ergänzten 76^ vor. einmal weil so der Raum besser
ausgefüllt wird, dann weil unmittelbar darauf -pT^at folgt, und endlich
weil Opoco besser zu atepvoxTurcp, das nicht in atepvoxxoiroi abgeändert
zu werden braucht, paßt. Taccone wünscht Horn. Auch V. 114
6cheint mir ^av die Lücke nicht auszufüllen; etwa yÖovaV Freilich
kann auch der Lichtdruck täuschen. V. 117 ist die Überlieferung:
poaasdl fi' • £vö£v8s vOv d^tat? <p spftaefta beizubehalten . wie
Danielsson u. a. bemerken; allerdings wünscht der letztere
tpepotjieÖa und möchte auch st. ptSaaaöe lieber Optativ; aber daß
der Sturm wirklich tobt, sagt der Dichter ausdrücklich, und dieser
droht ihn jetzt mit sich fortzutragen; da muß göttliche Hilfe ein«
treten; denn sonst wird er nicht mehr in seine Vaterstadt gelangen,
sondern spurlos verschwinden: o»j ^kp ^ xxX. , mit der Ergänzung
icoXt;, die Danielsson st. xo*vic (Wil.) vorschlägt; an icaipi? dachte
Inama und ich. Die Herstellung der V. 120 f. ist noch nicht ge-
lungen. Sie müssen nach dem Zusammenhang den Grund enthalten,
warum der Sprecher göttliche Hilfe anruft; er ist zu weit von der
Heimat entfernt, um sich selbst dahin retten zu können. Dieser
Forderung wird Sudhaus' Ergänzung nicht gerecht: ji^ftev yotp )(ept,
-tcrc£p vop/f aio^oV 'Opr^aifliov avxpov o?xu>v, IvaV "\a?ax\ a-ey' dftoaaov
efre 8 ßaOt/cepov ttovtoio ydap* a-rsye jia'xijiov iaova; außerdem
stimmt sie mit der Wiederholung von draye und der mythologischen
Gelehrsamkeit nicht zur Art des Timotheos, und endlich ist auch
pefHv (= ijx^Osv vgl. Kaibel com Gr. fr., S. 157) und 'Iaova im
Munde des Asiaten für Athener wenig wahrscheinlich. Aber richtig
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254 Jahresbericht über die griechischen Lyriker. (Sitzler.)
hat Sudhaus im ersten Wort fr vor sv gelesen, ferner <j vor ovstiso
und )ra3{ia nach i^vtoio (st. tipjAOt). Danielssons Ergänzung
entspricht dem Gedanken, wenn man sie auch nicht in allen Einzel-
heiten billigen kann : xsiöey ydtp /Epipporffi? Nofi/f aioy^viov sxiov dvtpov,
SUev IvaXt'ot? xaid ir^a? jx^Xov. elf)' Z ßaöüTSpov /ds^ct a~z/s,
lia/t^ov ttX*5i(xov "EXXav*. Für richtig halte ich xetus^), das an das
vorhergehende icoXic anschließt ; wenn er aber bei vojrf atoy. dvtpov
an den Athos-Kanal des Xerxes denkt, so kann ich ihm nicht mehr
folgen. Ich erblicke darin die Bezeichnung einer als tief bekannten
Stelle des Meeres, über die die feindliche Flotte hinweg und weiter
fuhr; die letztere ist mit ytpi gemeint. In oioiTraxot steckt meiner
Meinung nach mit einem kleinen Versehen öt£Tc/jxa, das mit xstfhv
verbunden die Entfernung von der Heimat des Sprechenden aus-
drückt, also etwa: xsT&ey ydp yspi ?' aXeT Nujicpotio-^vov iv auov
ovTpov 6}iapTa)v (oder onaBüiv) 8i£3taxa rlpav tosov (oder drcEtpa
tfoov, TTgpi33<5v) e^e 2r> (nämlich als N. dvtpov) ß. yaciaa arcr/e
{xa/ijxov oa'iov; der jt. oaio? sind die Hellenen. Damit läßt Sudhaus
die Rede des Mysiers zu Ende sein und die Klage eines Lydiers
einsetzen. V. 125 ergänzte Wil. s'jTwpj; da o auf dem Faksimile
nicht vorhanden ist, sondern nur eine Spur, die ebensogut auf i
deuten kann, schlug D an i e ls son efi>£ ur, vor, was vortrefflich zum
Vorhergehenden und Nächtigenden paßt ; dagegen ist Dan.s ^jiitsXeo-
Tropov nicht so gut, wie Wil. ttjXet. oder Sudhaus' sxijXoteXsot:.,
und auch "KXXavd t* spetuv "Apr,, wie Dan. mit dem Pap. liest, gefällt
weniger als Wil. leichte Korrektur "EXXav' drip^cov. V. 132 nimmt
Dan. 'IXtorco'po? mit Hecht gegen Sudhaus' töioroSpo? in Schutz und
sieht in Xoat'a = Xu3i? das Subjekt des Satzes, freilich will er 'iXto*-
Tropof schreiben, was ich nicht billige. Die Worte zl Sovatd halte
ich für einen Zwischensatz, so daß irpo? u£Xajj.7reTaXo/tTa>va xtX. von
'IXionopo? xtX. abhängt in finalem Sinn: rum zu fallen und usw.".
In V. 137 ist ajKptßaXXtovXiackov überliefert, woraus Wil. d|A'.plßaXXov.
XGaov machte ; aber zu rpö? -faiii tejsiv gehört notwendigerweise
das /Eipac du^tßdXXeiv, und daraus ist meiner Meinung nach die über-
lieferte Lesart entstellt. Danielsson nimmt an sftcoXs'voo; yjXpi^
das der Sprechende von sich gebraucht, Anstoß und schlägt dti^t-
ßdXXoi, abh. von £?, vor, um dieses Glied auf die Göttin beziehen
zu können, sprachlich und sachlich gleich bedenklich, da der Subjekts-
wechsel hart und das dji'fißdXXsiv xsTpac tot? ^6v<xzi Sache des
Bittenden ist. Verbindungen wie eücoXevoi /£tpe;, auch mit Beziehung
auf den Redenden gebraucht , sind bei den Griechen schon seit
Homer im Gebrauch; so sagt z. B. Eurip. Hipp. 200 Phädra mit
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Jahresbericht über die griechischen Lyriker. (Sitzler.) 255
Beziehung auf sich zu den Dienerinnen: Xocßs-r' eoir^yet; yetpaj und
Bakch. 1206 Agaue von sich: Xeoxoir^yeat yeipwv dxfiaTori. Die Ver-
besserung von Wilamowitz Xoaov ejiov alwva im Sinne von aa>aov
töv £jxöv ßfov ist zwar nicht unmöglich, wie auch Dan. in der Be-
richtigung zu S. 117 zugibt, aber doch ungewöhnlich; außerdem
vermißt man die Verbindung mit dein Vorhergehenden. Ich glaube
daher, daß Xiacrouv nach aXXeov durch Auslassung und Entstellung
aus dXXa aokjov (oder aaa>V) entstanden ist; die Gleichheit der
Buchstaben war die Ursache. Sudhaus nimmt den Ausfall einer
ganzen Zeile an : dji'f ißaXXtov Xt^arsaöat as , udxoctpa , vuv öuvaijxav
Iposaa&at öia)au>v xtX. Das Adj. jxr]3To>p V. 143 scheint Dan. richtig
mit „kriegerisch, streitbar" zu erklären (vgl. Ilesych. ji^Trwp* icoXe-
fuonfc) ; sonst läge die Annahme einer Verschrcibung aus dXaaTopi
nahe. V. 147 f. bezeichnet «yoiiov eI5o; 6?<mov die Kleidung, wie
Inama, v. Arnim (bei Jurenka) u. a. sahen; die Abänderung
von eTBo? in gpxoc, die Sudhaus verlangt, erklärt Dan. mit Recht
für unnötig.
V. 151 f. hören wir die Klagen eines Phrygiers, der gefangen
genommen wird. V. 156 hat der Pap. cryst, was Diels in a^ev
änderte; da aber a-j-sv nach a-pi auffallend ist, zieht Danielsson
die Schreibung dqot st. aif&i auch an zweiter Stelle vor, indem er an
eine Wiederholung des Verbums im Vordersatz denkt und mit V. 157
6 8' dp?l x-X. erst den Nachsatz beginnen läßt. Das letztere halte
ich für richtig, nicht aber die Wiederholung des a-pt, das aus einem
anderen Wort, etwa aus *«S „mit festem Griff", verschrieben ist,
unter dem Einfluß des gewöhnlichen dfysiv xO|x*i* fcmaicasac vgl. Eur.
Hei. 116, Androm. 710, Troad. 882. In der Erklärung von V. 162
I7& jioi ffoi stimmt Gild er sie eve Wil. bei: ao? £?<ai? indem
er bei lyb |ioi an eine Krasis aus if<it styti nacli Analogie von ^ujjiott
denkt, die bei dem Phrygier wohl möglich wäre; -t npo^a faßt er
dann im Sinne von xi 6si jas iroietv. Miller dagegen meint, der
Barbar wollte auf seine Art nur dem Gedanken: „was habe ich mit
dir zu tun? Wir haben keinen Streit" Ausdruck geben, und dieser
Ansicht bin auch ich; das Stottern i^w jioi malt die Todesangst
des Phrygiers vortrefflich. Neben den Formen sXf)w, f^e, epyu>,
xatto» darf auch fia/s? nicht mit Wil, in pd/esO' geändert werden;
es ist = jiaylaai.
Das letzte Bild zeigt uns den besiegten König und die sieg-
reichen Hellenen. V. 1 78 f. bietet der Pap. ovu;i , was W i 1. in
ovjyi abändert; dagegen behält er das Asyndeton Ilepaioa gtoXtjv xtX.
bei, obgleich es unbegründet ist. Der Fehler steckt in der Doppel-
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250 Jahresbericht über die griechischen Lyriker. (Sitzler.)
Schreibung von ov in rpoffu>7:ov ovo;, und in der Auslassung von
8s nach UspaiSa; ich lese also TTpoWir' ovo£i, üspaßa hk axoXijv
xxX. Sudhaus hält an ovuyt fest und schiebt xal vor II spat oa ein.
V. 193, wo Wil. at schreibt, wird wohl richtiger al „wehe" zu lesen
sein. Die Annahme einer Lücke nach vasc Ih in V. 195 halte ich
für unnötig. Was der Herausgeber vermißt , deutet er mit den
Worten: al Tjfiixepai xat ctOxal «TtoXtuXaatv an, und Leeuwen ergänzt
d|A£T£pat viv ; aber aus dem Zusammenhang ergibt sich dies von selbst.
Mit V. 215 beginnt die icppaffc, in der Timotheos seine Kunst
verteidigt. V. 235 hat der Pap. irotxiXojxooaosopiuffuv , was W Hä-
mo witz in -oixtMjiooaov 'Opcpebc yikuv verbesserte; Jurenka
wünscht Xupav; Blaß roixiXofiooaac '0. uavooc (st. x^ÜV)*
der immerhin starken Abweichung von der Überlieferung nehmen
Th. Rein ach und Danielsson Anstoß, daher vermutet der
erstere ttoixiäojaoo aoxpoüatv , der letztere roixdojxooffoopiciT'Jv , zwei
Vermutungen, die auch eine Änderung des Metrums bedingen würden.
Die Nennung des Orpheus erscheint mir im Gegensatz zu Dan. mit
Rücksicht auf die genaue Bezeichnung des Terpandros und Timotheos
auch hier unerläßlich. Aber V. 230 nimmt Dan. mit Recht das
überlieferte xeüce gegen Csüce, das Wil. aus metrischen Gründen
herstellte, in Schutz; ebenso V. 248 zpoi-eeoe gegen M. Croiset
und Blaß; dagegen ist mit dem letzteren Öpfyacja st. ttp^aa' d zu
schreiben.
Die Perser sind nach Wilamowitz zwischen 398 und 396
am Feste der Panionien im Heiligtum auf Mykale aufgeführt; aber
weder Zeit noch Ort läßt sich so genau bestimmen. Aus fr. 10
(Bergk) wissen wir, daß sie vor 396/95 gedichtet sind, und daraus
können wir auch schließen, daß ihre Abfassungszeit nicht zu weit
vor diesem Jahre gelegen war. M. Croiset weist darauf hin, daß
die Phrygierszenc V. 162 f. ihr Vorbild im Orestes des Euripides
habe; dasselbe bemerken auch Rein ach u. a. Ist dies richtig, so
gewinnen wir 408 , das Aufführungsjahr des Orestes , als terminus
post quem. . Weiter weist Jurenka auf V. 226 f. hin, nach denen
der Dichter or/re veo? o£xe fspoto? ist ; nimmt man als sein Alter
rund 50 Jahre und als sein Todesjahr 360 an, so ergibt sich 400
als Abfassungszeit, da er 90 Jahre alt wurde. Die Anhaltspunkte,
die Wilamowitz aus dem athenerfeindlichen und spartanerfreund-
lichen Inhalt des Gedichtes, sowie aus dem Bestreben der Dodekapolis,
nicht als ionisch zu gelten, gewinnt, um das Jahr der Abfassung
genauer zu bestimmen, sind nicht beweiskräftig genug, wie Jurenka
darlegt.
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Jahresbericht über die griechischen Lyriker. (Sitzler.) 257
Der Ort der Aufführung wird mit xavSe 7t<5Xiv V. 250 angegeben;
-welcher dies aber ist, läßt sich nicht sagen, nach Rein ach nicht
das Poseidonheiligtum auf Mykale, nach Jurenka jede griechische
Stadt, auch Sparta, aber nicht Athen, da sonst das Verdienst der
Athener um den Sieg mehr hervorgehoben wäre. Mit Recht betont
aber Jurenka, daß von feindseliger Gesinnung gegen diese Stadt
im Gedichte keine Rede sein kann. Ich finde dies auch durch die
erhaltenen Fragmente bestätigt; als Subjekt zu fr. 8 wollen Rein ach
dtY<uv, "Aprtz. AuaavSpoc, Groiset Zeöc oder 'WäXXcov hinzudenken.
Näher liegt doch Themistokles , der jedem Unbefangenen von selbst
in den Sinn kommen wird. Auch als Sprecher des fr. 9 ist niemand
geeigneter als Themistokles, und in der Tat legt Croiset diese
Worte auch einem griechischen Führer in den Mund, während
Reinach sie von dem Dichter selbst gesprochen sein läßt. Fr. 10
endlich zeigt, wie bekannt die Dichtung in Athen war (vgl. cod.
Milleri Mise. 363) , was gewiß nicht der Fall gewesen wäre , wenn
sie athenerfeindlich gewesen wäre. Allerdings ist richtig , daß in
dem erhaltenen Teil die Athener, Themistokles und Salamis nicht
genannt werden ; es werden aber auch keine anderen Griechen ge-
nannt, und brauchten auch keine genannt zu werden, da die all-
gemeine Bezeichnung hier genügte. Anders wird es dagegen im
vorlorenen Teile gewesen sein ; ich bin überzeugt, daß hier deutliche
Hinweise nicht fehlten.
Das Verhältnis des Nomos zu den Persern des Aschylos ist von
Wilamowitz, Reinach, Croiset und besonders von T e r z a g h i
und Strazzulla untersucht; doch gehen die beiden letzteren in
der Annahme der Abhängigkeit zu weit. Dem Timotheos kam es
nicht auf eine wahrheitsgetreue Schilderung der wirklichen Schlacht
an, sondern auf musikalisch wirksame Empfindungen und Stimmungen ;
die Beschreibung der Schlacht selbst ist, wie Wilamowitz sagt,
typisch. Damit soll aber der Einfluß des Tragikers auf unseren
Dichter nicht geleugnet werden, der sich auch in der Sprache verrät,
vgl. Reinach, S. 73, Anm. 2. Croiset und Strazzulla.
Croiset weist auch Nachahmungen anderer Dichter nach, wie z. B.
Euripides' Orestes. Von patriotischer Begeisterung für die Sieger
oder allgemein menschlichem Mitleid mit den Besiegten enthält die
Dichtung nichts; Timotheos will nur Künstler, keine Autorität in
sittlich-moralischer Hinsicht sein, wie Croiset sagt, und darin liegt
der Unterschied zwischen ihm und den früheren Dichtern.
Ich gehe jetzt zu den Fragmenten Uber, die Wilamowitz mit
in seine Ausgabe der Perser aufnahm. Fr. 1 (3 W.) hält Wil.
Jahreabericht far AltertumswiBsenschaft. Bd. CXXXIII. (190?. I.) 17
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258 Jahresbericht über die griechischen Lyriker. (Sitzler.)
mit Recht an der Stellang, wie sie Plut. de superstit. 10 überliefert
ist. fest; nur wünscht er «poixaöa 6t. <potßa8a. Fr. 2 und 3 (28 und
29 W.) trennt er mit Recht von dem Artemishymnos, dem sie auch
die Überlieferung nicht zuschreibt. Als fr. 5 führt er Aristot. poet. 2
an. eine Stelle, die Bergk in der Einleitung zu Timotheos, S. 619,
ausschreibt. W i 1 a m o w i t z billigt die Lesung V a h 1 e n s Sanep f&p
KuxXu>~a; xtL und schließt daraus, daß der Kyklop wahrscheinlich
ein Nomos war. Rein ach tritt für Vettoris Konjektur «oarcep
Uspaa« xai KoxXüma? ein, und Croiset will wjirep ^pß-j-ac xai K.
schreiben. Um 6{aoudc o& xai rcepl too? ßiöupajjßouc xai touc v6|xoo?
aber zu beweisen, genügt KoxXu>7rac, wenn der Kyklop des einen
Dichters ein Dithyrambos , der des anderen ein Noinos war. Fr. 6
(11 W.) weist Wil. die Konjektur Naucks ipjia st. epojxa gut
zurück; ich glaube aber nicht, daß sich die Überlieferung halten
läßt; vielleicht ist epßa* iropftpW ito^a (oder fatf ^-rotfia) zu lesen
(vgl. Athen. VIII, 341c ywp&lv 8£ zopftfito' dvaßoa von Charon bei
derselben Gelegenheit). Fr. 7 (24 W.) ist seiner Herkunft nach
ungewiß; auf die Beischrift 'OSiroefac 5' ist kein Verlaß, wie Wil.
bemerkt, und auch die Beziehung der Worte ist unklar. Fr. 15
(S. 115 W.) streicht Wil. mit Recht aus den Fragmenten unseres
Dichters. Fr. 18 (S. 115 W.) bezieht sich, wie Wil. bemerkt, auf
Hermippos 'Afhjva? -pvaf 4 (aus dem VI. Seguerianum) Xeirrooj 8ta-
<{;atpou<ja iriicXoo?.
Neu fügt Wilamowitz aus CJA II, 1246 nach H. Koehler
Mitt. Ath. X, 231 den Dithyrambos Elpenor bei, der im J. 320/19
in Athen zur Wiederaufführung kam. Auf eine solche Wieder-
aufführung des Afec ifxuav^; bezieht sich auch Lukian. Harmon. 1
(vgl. fr. 1 und 4 [W.]). Als fr. 17 und 18 stellt er zusammen, was
wir von dem Dithyrambos Skylla wissen (vgl. Jahresb. Bd. LXXXXII
[1897]. S. 138), und diesem spricht er fr. adesp. 124 (fr 19 W.)
zu, was zweifelhaft ist, da die Worte efra axuXXa (bzw. efts oxötat)
immer noch der Erklärung harren. Sicherlich hat der Schol. (Spengel II,
427) keine Beziehung auf Skylla darin erkannt.
T e 1 e s t e s.
Fr. 8 ergänzt Wilamowitz Hermes 1898, S. 521: xai TsX&mjc
£v Ali; Y*>vaT; to aotfc xai Te'av stt . . . (vgl. Soph. Phil. 392).
M e 1 i n n o.
H. Usch er Rhein. Mus. 1900, S. 288 f. , setzt die Ode auf
Rom mit Th. Birt in die Zeit nach Uoraz und vor Statius; denn
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Jahresbericht über die griechischen Lyriker. (Sitzler.) 259
13 von den 15 Elfailbcrn haben den Horazischen Bau ,
und die 2 anderen lassen sich leicht korrigieren: V. 8: o<ppa x*
rfpavotov und V. 11: 8* (st. ai> &')•
Skolia.
Über die Gelagepoesie der Griechen im ganzen handelt
P. Pasella, La poesia convivale dei Greci. Livorno
1901, 61 S. 8°,
in fleißiger Zusammenstellung, jedoch ohne Neues zu bringen. Das
erste Kapitel betrachtet die Entwicklung der Lyrik von Homer und
Hesiod bis Archilochos, das zweite die ionische und attische Zeit,
das dritte das eigentliche Skolion nach Entwicklung, Benennung und
Verbreitung, das vierte endlich die Chorlyrik, Hybrias, Timokreon,
Simonides, Pindar und Bakchylides. Den Schluß bildet eine Zu-
sammenstellung der auf uns gekommenen Überreste der griechischen
Gelagepoesie in der vom Verfasser für richtig gehaltenen Gestalt,
ohne Angabe, was Überlieferung und was Konjektur ist.
Zu Skol. 5 vergleicht W. Headlam Class. Rev. 1900, S. 5 f.
Aristophan. Thesmoph. 978 f.
Mit den Skolien 9—12 beschäftigen sich
1. Fr. Köpp, Harmodios und A ristoge i ton. N. Jahrb.
f. kl. Altert. 1902, S. 609 f.
2. Corssen. Archäol. Ges. zu Berlin. Januar- Sitzung 1903.
Wochenschr. f. kl. Philol. 1903, S. 136 f.
3. 0. Taubert, Skolion des K allistratos. Partitur.
Leipzig.
Kopp wendet sich zunächst gegen K. Reit zenstein, der
Epigramm und Skolion, S. 3 f., die Skoliensammlung bei Athen. XV,
694 f. als ein altes Kommersbuch betrachtet, und sucht diese Ansicht
mit ähnlichen Gründen, wie ich im Jahresb. LXXXX11, S. 138 f., zu
widerlegen. Dann geht er auf die Skolien auf Ilarmodios und
Aristogeiton genauer ein, die er für eine Parallcldichtung in vier-
facher Form erklärt. Dafür scheinen mir aber die Formen zu sehr
zu wechseln; Paralleldichtung können nur Strophe 9 und 11 und
Strophe 10 und 12 sein, und zwar ist 9 und 12 das ursprüngliche
Gedicht, 10 und 11 die Paralleldichtung, beide je Tat und Folge
darstellend. Smith hält die vier Strophen für ein einziges Gedicht,
das aus zwei Teilen besteht, von denen jeder zwei Strophen umfaßt
und mit dem andern verbunden ist; 12, 4 wiederholt 9, 4, der
Schluß den Anfang. Die Abfassung des Gedichtes durch Kallistratos
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2(30 Jahresbericht über die griechischen Lyriker. (Sitsler.)
bestreitet Kopp ohne hinreichenden Grand. Darau schließt er dann
Betrachtungen über die Tat der Tyrannenmörder und deren bildliche
Darstellungen. Das letztere Thema behandelt auch Corssen, der
für die Richtigkeit des Thukydideischen Berichtes gegenüber der
Darstellung bei Aristoteles in der 'A&yjvctuov roXtxsfa eintritt; die
gewöhnliche, schon im Altertum gegebene Erklärung der Worte: lv
jxtipxou xXocöl to ctcpo? oop^aco sei falsch; Aristoph. Lys. 631 f. zeige,
daß der Sinn sei : ^selbst beim Opfer werde ich das Schwert tragen,
um gegen Tyrannenanschläge gesichert zu sein". Die Aufstellung
der Gruppe der Tyrannenmörder, deren Schöpfer Antenor ist, wurde
nach ihm höchstwahrscheinlich im Jahre 487 im Zusammenhang mit
der Ächtung des Hipparchos vom Demos beschlossen. Vgl. auch
Pauly-Wissowa, Supplem. s. v. Aristogeiton.
Carmina popularia.
Zu 41 bemerkt G. F. Abbott Athenäum 1899, S. 460, daß
sich die Sitte des yeXiSovicjjAa in Griechenland bis auf den heutigen
Tag erhalten habe ; er teilt ein Volkslied mit, das Knaben bei dieser
Gelegenheit am Feste der axaopo7rpox'jv7)3ic xr,? Me^a'Xr^ TsaaapaxoTnj?
Ende Februar singen; dabei tragen sie eine hölzerne Schwalbe, die
um einen Zapfen gedreht wird, und bekommen als Geschenke Eier,
Käse u. dergl. — 44. 51 verlangt Headlam Class. Rev. 1900, S. 5 f.,
zoXfeasiv oder TroXeaatv. — Den Hymnos auf Attis bei Bergk, S. 685 f.,
zerlegt Wilamowitz Hermes 1902. S. 329. in seinem ersten Teil
efre Kpovoo bis dvipa aopixxav in daktylische Tetrameter, indem er
V. 2 pzydhr^ yaip' <«>> xb xaxTjcpfc* xxX. schreibt — besser ist Bergks
ja. o> y/xXpz xar^cp^f — , V. 10 woxk o' wj mit Bergk und V. 12
7j x6v iroXuxapiroi; sxixxev schreibt; das folgende Stück ist nach ihm
spondeisch , d. h. es sind nach unserer Bezeichnung Klaganapäste ;
V. 3 f. ist zu lesen : oOx ctOXw 'I. K. fj.oxijX<i.
Fragmenta adespota.
W. Headlam, Notes on the Greek lyric poets. Class Rev.
1900, S. 5 f. , gibt Verbesserungen zu 43 B und 90, wo er V. 4:
xreXXoti Xt'Oivot xe raöot irXr^ftsv o *zavxec vorschlägt. Fr. 126 ver-
mutet er: <4veipu>v) osa-oxa llXooxfuv usXavo1cx£puY, «vxoyiSiv&v '
Xtirapo-xep-JYcov auxoitot^xa». Neu fügt er IMut. de fort. Rom. 4,
p. 318 e, bei: xr^ ol Tu/.7!* oft ja^v x6 xivijua . . <?f>avooaa 8i
t>jv 'ApexTjv i^k iaxtv, o-j „TrxepoTc iXaopi'Cooaa xo-j?oicu iauxTjv o08'
„dxpwvo/ov 'j-rip vyatyas" xivi? T/vo; xaöeisa.
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Jahresbericht über die griechischen Lyriker. (Sitzler.) 201
Neue Funde.
Diejenigen neuen Funde, welche bestimmten Dichtern zugewiesen
werden können, habe ich schon bei Behandlung dieser Dichter er-
wähnt. Hier stelle ich noch die namenlosen Stücke zusammen, die
in den Papyrus-Funden enthalten sind.
Der erste Band der vonGrenfell und Hunt im Jahre
*
1 898 herausgegebenen Oxyrhynchos Papyri bringt unter
Nr. 9 Bruchstücke aus den po&jAtxot crcot/sta des Aristoxenos, in
denen Stellen aus lyrischen Dichtern als Beispiele eingestreut sind,
und unter Nr. 15 ein lyrisches Gedicht in vierzeiligen Strophen,
Moralsprüche enthaltend ; das Metrum ist der daktylische Hexameter
mit Umbiegung am Ende, der sogenannte jisi'oupoc, und die Strophen
sind durch das dem Skolienbrauch entlehnte au'Xei jxoi voneinander
getrennt (vgl. G. Fraccaroli, Bollet. di filol. class. 1898, S. 112 f.,
Wilamowitz, Gött, gel. Anz. 1898, S. 695 f.). Der 1903 er-
schienene dritte Band enthält unter Nr. 425 einen kurzen
Auszug aus einem lyrischen Gedicht, eine Schulübung aus dem 2. oder
3. Jahrhundert, und der im Jahre 1904 veröffentlichte
vierte Band unter Nr. 660 einen Päan in verstümmeltem Zustande
aus dem 1. oder 2. Jahrhundert, den Blaß dem Simonides zu-
schreiben möchte, unter Nr. 661 Reste von Epoden in dorischem
Dialekt, iambische Trimeter abwechselnd mit kürzeren trochäischen
Versen, im ganzen 28, aus dem 2. Jahrhundert, nach Blaß von
Kalliraachos, und unter Nr. 675 wieder Reste eines Päan. den Blaß
gleichfalls dem Kallimachos zuweist. Fayüm towns and their
papyri by Grenfell, Hunt and Hoggart, London 1900,
teilen unter Nr. U das Bruchstück eines lyrischen Gedichtes in
logaödischem Versmaß, bzw. Anapäst mit Jambus im letzten Fuße,
mit, das nach f rusius eine Schilderung der Unterwelt gibt. Vgl.
H. W'eil, Journal des savants 1901, S. 24 f. und Th. Rein ach,
Rev. des 6tud. gr. 1901, S. 337 f. TheTebtunis Papyri edited
by Grenfell, Hunt and Smyly, London 1902, bringen unter
Nr. 1 und 2 Bruchstücke einer Anthologie, wohl Schulübungen, da
dasselbe Stück dreimal vorkommt, aus der Zeit um 100 v. Chr.
Das Metrum des ersten Fragments ist kretisch; Helena macht darin
dem Menelaos Vorwürfe, der sie nach der Rückkehr von Troja ver-
läßt. Das zweite Fragment, Anakreonteen und Ionici, schildert eine
Landschaft mit singenden Vögeln und summenden Bienen. Das dritte
Fragment sind Verse auf die Liebe. Vgl. H. v. Her wer den,
Rhein. Mus. 1904, S. 143.
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2<32 Jahresbericht über die griechischen Lyriker. (Sitzler.)
Zum Schiasse erwähne ich noch
Musici scriptores Graeci rec. C. Janus. Supple-
mentura, melodiarwn reliquiae. Leipzig 1899,
worin die beiden in Delphi gefundenen Hymnen auf Apollon, das
Seikelos-Liedchen und Mesomedes' Hymnen an die Muse, an Helios
und an Nemesis musikalisch bearbeitet sind.
0. Fleischer, Die Reste al< griechischer Tonkunst.
Leipzig 1899, der den ersten delphischen Hymnos, die Hymnen an
Helios, Nemesis und Kalliope, Pindars erste pyth. Ode, das Seikelos-
lied und außerdem zwei der Instrumentalspiele des Bellermannschen
Anonymus behandelt. Den Hymnus an die Muse Kalliope schreibt
er noch dem Dionysios zu, trotzdem doch dieser schon lange aus
der Zahl der Hymnendichter und Komponisten gestrichen ist, vgl.
0. Crusius in Pauly-Wissowas Realencykl. Bd. V, S. 927 unter 100)
Dionysios, der mit Recht in Abrede stellt, daß irgendein Grund
vorliege, den Hymnos dem Mesomedes abzusprechen. Diese Be-
merkung gilt auch für
A. Tierfelder, Dionysios an Kalliope. Bearbeitet
und mit griechischem und deutschem Text herausgegeben. Leipzig
1901.
Mit der musikalischen Analyse der delphischen Hymnen be-
schäftigen sich außerdem
F. D. A 1 1 e n in Harvard Studies in class. philol. IX, S. 37 f.
und
E. Poiröe, Une nouvelle interpretation rhyth-
mique du second hymne delphique. Solesmes 1900.
Nachträge.
Semonides Amorg. 12 vermutet H. Stadtmüller bei
P. Egenolff, Zu Lentz' Herodian III. Philol. 19o3, S. 44:
C7da7Xv' £y.<pa?<SvTe« at/rix' ixtivoo oixijv (st. d\ntiyw~tz).
Zu Aristoteles' Epigramm und Päan auf Hermias
von Atarneus (4 und 7) ist jetzt Didymi de Demosthene
commenta. Recognoverunt H. Diels et W. Schubart. Leipzig
1904, zu vergleichen.
Die Abweichungen im Text beschränken sich bei dem Epigramm
auf V. 3 cpavepa; tarxijc das die Herausgeber in <pavep3 X&ryjQ
ändern, sind dagegen im Päan zahlreich, aber wertlos-, erwähnenswert
ist nur V. 7 isadavortov st. £?c «Oavatov. Das Leben und die Schick-
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Jahresbericht über die griechischen Lyriker. (Sitzler.) 203
sale des Hermias, ebenso die Urteile der alten Geschichtschreiber
über ihn werden von Didymos ausführlich mitgeteilt.
Außerdem ist in der Schrift des Didymos das Epigramm
enthalten, das der Chier Theokrit, wie Bryon in seiner Schrift
über Theokrit sagt, gegen das Epigramm des Aristoteles verfaßte
(Bergks Anth. lyr.2, S. 180. Anth. Pal. App. 38), mit der be-
merkenswerten Abweichung in V. 8: 8c lavxpbs TttxÄv avopov yüaiv.
Zu Herondes I, 25 bemerkt A. Brinkmann, AajxßSa
irepteaTrjfyivov. Rhein. Mus. 1904, S. 159 f., daß das übergeschriebene
•A* , wie schon Palm er sah, auf die Randbemerkung hindeute; da
die linke Hasta des A mit dem linken Vertikalstrich des darunter
stehenden H zusammengeflossen sei , so sei *A* im Zusammenhang
mit dem Text geschrieben, stamme also aus der Vorlage. Dasselbe
Zeichen finde sich bei Galen im Kommentar zum ersten Prorhetikos
des Hippokrates. A TreptsTciYiiivov se* demnach ein Verweisungszeichen
der alten Grammatiker gewesen.
Des Mädchens Klage bespricht C. Fries, Alexandri-
ni sehe Untersuchungen. Rhein. Mus. 1904, S. 211 f., indem
er das Gedicht mit ägyptischen und lateinischen Parallelstellen ver-
gleicht, auch das Hohelied beizieht und auf das ägyptische Ostrakon
hinweist, das Th. Reinach in der Sitzung der Acadömie des
inscriptions et belles-lettres vom 23. Mai 1902 behandelte. Auf
diesem Ostrakon stehen 14 Zeilen eines griechischen Dialogs in
rhythmischer Prosa, deren Inhalt der „Klage des Mädchens" ganz
ähnlich ist (vgl. Wochenschr. f. klass. Philologie 1902, Sp. 885).
III. Bukoliker.
a) Allgemeines.
Über die Entstehung der Bukolik handeln
1. G. Knaack, Bukolik, Pauly - Wissowa Realencykl.
erster Supplem.-Bd.
2. E. Schwartz, Theokrits Daphnis. Gött. Nachr.
Phil.-hist. Kl. 1904, S. 285 f.
3. U. v. Wilamowitz-Moellendorff , Textgeschichte
der griechischen Bukoliker. Berlin 1906, S. 111 u. 165.
Knaack stimmt in dem genannten Nachtrag zu seinem Artikel
Bukolik in Pauly-Wissowas Realencyklopädie (vgl. vor. Jahresber.
Bd. CIV 1900, S. 145 f.) M. Haupt bei, der meint, daß alle Er-
zählungen der Alten über die Entstehung des Hirtengesangs für die
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264
Jahresbericht über die griechischen Lyriker. (Sitzler.)
Erklärung des Ursprungs der bukolischen Poesie unergiebig seien,
und daß aus diesen Volksliedern die Kunstpoesie des Theokrit nicht
hervorgegangen sein könne (vgl. Chr. Belger. M. Haupt als
akademischer Lehrer, S. 226 f.). Dieselbe Ansicht vertritt
auch Wilamo witz. Dali diese Gelehrten damit aber zu weit gehen,
habe ich schon im letzten Jahresbericht a. a. 0. betont. Allerdings
wird man ihnen gerne zugeben , daß die bukolische Poesie aus den
Hirtengesängen an den Artemisfesten nicht in derselben Weise hervor-
ging wie die dramatische Poesie aus den Dionysosliedern ; aber ohne
die Überlieferung bliebe die Einführung der Hirten in die Poesie
Theokrits und deren Verwendung unverständlich; die singenden und
musizierenden und sich in Musik und Gesang miteinander messenden
Hirten nahm Theokrit aus dem wirklichen Leben, wenn er sie auch
in seiner Weise verwandte, vgl. auch C.Wendel, De nominibus
bueolicis. Diss. Halle 1899, S. 21. Wilamowitz und Knaack
heben den Einfluß Sophrons auf Theokrit hervor. Daß dieser nicht
gering ist, zeigen zur Genüge die Pharmakeutria und die Adouiazusen:
aber für die Hirtenmimen ist er nicht nachzuweisen. Hirten als
Gegenstände von Mimen scheint Theokrits eigene Erfindung, dessen
Originalität also doch wohl höher anzuschlagen sein wird , als es
Wilamowitz tut. Neben dem Mimus weist Schwanz noch auf
die Musik hin, wie sie sich in der nomisch-dithyrambischen Poesie
entwickelt hatte ; aus dieser stammt auch die Kleinmalerei. An einem
poetischen Hirtenverband auf Kos hält jetzt auch Knaack nicht
mehr fest ; Theokrit war, wie S c h w a r t z schön ausführt, der einzige,
der hier Hirtenmimen dichtete und in diesen auch seine Freunde in
der Hirtenmaske auftreten ließ.
Gegen lt. Keitzensteins Annahme einer arkadischen Bukolik,
die auch Theokrit beeinflußte (vgl. vor. Jahresber. , S. 186 f.),
wendet sich
Ph.-E. Legrand, l'Arcadie et l'idylle. Rev. des
(Hudes anciennes 1900, S 101 f.,
mit Erfolg. Auf Grund einer eingehenden Betrachtung der Über-
lieferung weist er nach , daß von einer solchen im Altertum keine
Rede sein kann ; erst Virgil , der nach Wilamowitz aus den mit
dem Theokritkommentar verbundenen Prolegomena -spl eupissuK
pooxoXixÄv schöpfte, spricht davon. Auch Knaack und Wilamo-
witz verwerfen sie.
Eine besonders eingehende Behandlung von Seiten der Gelehrten
wurde dem bukolischen Hirten Daphnis zuteil. Mit ihm be-
schäftigen eich
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Jahresbericht über die griechischen Lyriker. (Sitzler.) 205
1. R. Helm, Daphnis bei Theokrit. Philol. 58,
S. 111 f.
2. H. W. Prescott, A study of the Daphnis-my th.
Harvard Studies in class. philology X, S. 121 f.
3. Röder, Über die Sage von Daphnis. Festschrift
für Ussing, S. 216 f.
4. E. Schwartz, Theokrits Daphnis vgl. oben.
5. G. Knaack, Daphnis. Pauly - Wissowas Realency-
klopädie.
6. Wilamowitz, Textgeschichte der griech. Hukoliker,
S. 234 f., vgl. oben.
7. C. Wendel, De nominibus bucolicis. Diss. Halle
1899, S. 22.
Das Schol. zu Theokr. VIII, 53 überliefert, Hermesianax habe
den Daphnis zum Liebhaber — nicht Geliebten, wie Knaack sagt —
des Menalkas aus Chalkis auf Euböa gemacht. Da nun nach Älian
v. h. X, 18 Stesichoros aus Ilimcra zuerst von Daphnis sang, Himera
aber eine Kolonie von Zankle und Chalkis ist, so schließt Knaack ,
daß Stesichoros diese Sage der chalkidischen Überlieferung ent-
nommen habe und daß ihre älteste Gestalt die bei Hermesianax vor-
liegende sei. Dieser Schlußfolgerung kann ich nicht beistimmen;
denn Stesichoros kann die Daphnis-Sage auch in Sizilien , wo sie
besonders im nordöstlichen Teil fest lokalisiert ist, kennen gelernt
haben, und dies ist viel wahrscheinlicher, weil er die Blendung des
Daphnis durch die sizilische Nymphe, nicht seinen Verkehr mit
Menalkas auf Euböa darstellte. Von Sizilien wanderte die Sage
dann nach Euböa wie nach anderen Ländern. Prescott vergleicht
die Verbindung des Daphnis mit Menalkas gut mit der des Daphnis
mit Lityerses, und auch Schwartz nimmt eine Umarbeitung der
Daphnis-Sage durch Hermesianax an, die nach ihm möglicher-,
ja wahrscheinlicherweise noch vor die Theokritische Bearbeitung der
Sage fällt. Aus der Verlegung der Sage von Sizilien nach Chalkis
erklärt sich auch das Hineintragen des Motivs der Knabenliebe, die
ja hier besonders zu Hause ist (vgl. auch Hypothesis zu Theokrit IX).
Der älteste Bearbeiter der Daphnis-Sage ist nach unserer Über-
lieferung Stesichoros. Prescott raeint allerdings, aus der schon
erwähnten Stelle ÄHans folge nicht notwendig, daß Stesichoros die
Daphnis-Sage behandelt habe; wenn es aber bei Älian heißt: £x ok
touxou x& ßooxoXudt fiiXr, icptoxov "/jaöij xal efyev oicoöeoiv xb ica&oc
to xaxok xooc öcp&aXfxoüc auxou, xal 2TTjat'xop<5v ?e x6v 'Ijiepatov xr4c
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206 Jahresbericht über die griechischen Lyriker. (Sitzler.)
towwttjc jieXoitottac uirdpSotaöai, so ist jede andere Deutung un-
möglich; Älian sagt, die ersten Hirtenlieder hatten die Blendung des
Daphnis zum Gegenstand, und Stesichoros machte die ersten Hirten-
lieder, also mußten diese doch die Blendung des Daphnis zum Gegen-
stand haben. Eine andere Frage ist freilich, ob diese Überlieferung
glaubwürdig ist. S c h w a r t z verwirft sie, indem er sich auf Apollodors
Zeugnis bei Strabo VUI, 347 beruft: xoti rt TaöivTj ös [efe] r,v
ETTjafyopo? ic otijaai Soxet, und denkt an ein altes namenlos über-
liefertes Volkslied, dem man des Stesichoros Namen beigelegt habe.
Man darf aber nicht übersehen, daß Apollodor nur von der Rhadine
spricht und auch hier nicht avacpepexai &k 2x. sagt, sondern xoirpu
Boxet, womit er doch ausdrückt, daß er persönlich der Annahme zu-
neigt, Stesichoros habe die Rhadine gedichtet. Neben der Rhadine
steht aber die Kalyke und der Daphnis, die nicht angezweifelt sindT
und so wird man am sichersten gehen, wenn man bei der Über-
lieferung bleibt.
Die Bearbeitung der Daphnis-Sage durch Stesichoros bezeugt,
daß sie alt ist, und dies ist auch die Ansicht der Gelehrten; nur
Schwartz hält sie für „nicht besonders alt" und meint, Epicharm
habe sie noch nicht gekannt; sie sei spätere Erdichtung, um den
Hirtenliedern einen Erfinder zu schaffen. Wenn Schwartz aber
auch von Stesichoros absieht, so bleibt doch das alte Volkslied, das
man nach ihm fälschlich dem Stesichoros zugeschrieben hat, be-
stehen; außerdem stellt er den Daphnis mit Figuren wie Linos,
Lityerses , Hylas und Bonnos zusammen , und auch dies spricht für
das Alter der Sage. Daphnis ist offenbar eine uralte Gestalt der
Hirtensage, ein idealisierter Hirte, das menschliche Gegenbild des
göttlichen Hirten Hermes, dessen Sohn er auch heißt. Ich sprach
früher schon die Vermutung aus, daß er wohl eine Hypostase dieses
Gottes sein wird.
An den Namen des Daphnis knüpfen sich verschiedene Sagen,
dieKnaack und Prescott zusammenstellen. Trotzdem ist es mir
zweifelhaft, ob sich die Angabe des Schol. zu Theokr. VIII, 78, daß
Chrysas sein Vater sei , mit Usener gegen Lenneps Konjektur
'KpjioG aufrecht erhalten lassen wird; es fällt doch schwer ins Gewicht,
daß sonst nur Hermes als Vater des Daphnis genannt wird. Der
Grund für die Mannigfaltigkeit der Daphnis-Sagen liegt nach W Hä-
mo witz in dem Mangel einer durchschlagenden und so allgemein
angenommenen Bearbeitung. Stesichoros scheint die Fassung gehabt
zu haben, die dann durch Timäos in Umlauf kam. Von ihrem ur-
sprünglichen Sitze im nordöstlichen Sizilien verbreitete sich die
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Jahresbericht über die griechischen Lyriker. (Sitzler.) 267
Sage in andere Teile der griechischen Welt, wie nach Euböa, Kreta,
selbst Asien, wodurch neue Verbindungen und Umgestaltungen ent-
standen. Die verschiedenen Sagenformen der hellenistischen Zeit
untersucht Röder, der auch nachweist, wie das Sagenraotiv durch die
verschiedenen Bearbeitungen immer mehr vertieft und vergeistigt wurde.
Die Theokritische Darstellung der Daphnis-Sage ist nach fast
allgemeiner Annahme diesem Dichter eigentümlich; er lehnt mit ihr,
worauf Wilamowitz hinweist, die durch Timäos verbreitete Sage
ab. Mit dem Daphnis-Lied im ersten Idyll verbinden Wendel und
Schwartz mit Recht Id. VII, 73 f.; Theokrit hat nur eine Fassung
der Sage, die man aus sich selbst erklären muß und mit anderweitig
bekannten Fassungen nicht in Zusammenhang bringen darf, wie es
manche tun. Das Motiv der eifersüchtigen Nymphe scheidet Schwartz
mit Recht als unverträglich mit der Theokritischen Dichtung aus;
wenn er aber mit anderen daran festhält, daß es sich bei Theokrit
um zwei Mädchen handle, von denen das eine den Daphnis liebe,
ohne von ihm geliebt zu werden, das andere von Daphnis geliebt
werde, ohne ihn zu lieben, und daß Daphnis wegen dieser unerwiderten
Liebe an gebrochenem Herzen sterbe, so steht auch dies mit der
Theokritschen Darstellung nicht im Einklang. Denn in diesem Falle
könnte Daphnis die Worte V. 105 f., die Wilamowitz vortrefflich
erklärt, nicht sprechen, weil er ja in derselben Weise wie Aphrodite
der Liebe erliegen würde, wenn nur das Mädchen darauf einginge,
noch die Worte V. 100 f., weil nicht er, sondern das Mädchen, das
seine Liebe zurückweist, dem Eros Trotz böte. Es ist nur von
e i n e m Mädchen, der Xenea, wie es im siebenten Idyll genannt wird
die Rede. In dieses haben Eros und Aphrodite den Daphnis sterblich
verliebt gemacht, um ihm ihre Macht zu zeigen, weil er erklärt
hatte, ihnen nicht zu erliegen; um die Versuchung für ihn noch zu
erhöhen, haben sie auch dem Mädchen leidenschaftliche Liebe zu ihm
eingeflößt (vgl. V. 82 f.), wodurch die Gefahr des Erliegens für ihn
größer wird, aber auch der Ruhm im Falle des Sieges, und diesen
gewinnt er, da er lieber stirbt, als sich der Liebe hingibt, ein zweiter
Hippolytos. Daß dieser Festigkeit des Daphnis ein Keuschheitsgelübde
im Dienste der Artemis zugrunde liegt, bezweifeln Wendel und
Prescott, und aus Theokrits Worten läßt es sich auch nicht be-
weisen, obgleich es mir nicht unwahrscheinlich ist. Aus diesen
Darlegungen ergibt sich, daß V. 85 Catela', das Helm ändern will,
ganz passend ist. Die Geschichte des Komatas Id. VII, 88 f. ist,
wie Schwartz im Anschluß an die Scholien hervorhebt, aus der
Daphnis-Sage umgestaltet; ob Theokrit dabei aber die Wunder-
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208 Jahresbericht aber die griechischen Lyriker. (Sitzler.)
gcschichtcn des Lykos von Rhegion vor Augen hatte, istSchwartz
mit Recht sehr fraglich, da gerade das Wesentliche, die Ernährung
des Dichters durch die Bienen, fehlt.
Die hs. Überlieferung der Bukoliker unterzieht
U. v. Wilamowitz, Die Textgeschichte dergriechi-
schen Bukoliker. Berlin 1906,
einer eingehenden Untersuchung, wobei er auch Oxyrhynchos Papyri
Bd. IV, London 1904, Nr. 694: Theokr. XIII . 19—34 mit der
nennenswerten Variante V. 34 septv Tcapsxsito berücksichtigt (vgl.
dazu auch C. Wendel, Philol. 1905, S. 275). Einen Nachtrag dazu
gibt Wilamowitz in dem Aufsatz : De antiquissimisTheocriti
raembranis. Class. Review 1906, S. 103 f., in dem er vorher von
ihm übersehene, aber für den Text unwichtige Hs.-Reste bespricht,
vgl. auch C. Wessely in Berl. phil. Wochenschrift 1906, S. 831;
außerdem C. Wendel a. 0., S. 276 f., der einige Mitteilungen über
die Iis. Q macht, insbesondere daß sie wirklich im Jahre 1298
geschrieben ist, wie schon Sanctamandus angab, sowie über die hs.
Personenverteilung in V, 72 f., IV. 44 f.
Wilamowitz zollt den Verdiensten Ahrens' um die griechi-
schen Bukoliker Anerkennung und schreitet auf der von ihm be-
tretenen Bahn weiter, um zur richtigen Würdigung unserer Über-
lieferung zu gelangen. Mit seiner Gruppierung und Beurteilung der
Hs. kann man tiberall einverstanden sein; nur im Herakliskus scheint
er mir X zu niedrig eingeschätzt zu haben, wenn er ihn für wertlos
hält; denn er bietet doch mit -:6z i' V. 72 auch nach Wilamowitz'
Urteil das Richtige, mit £ot? V. 36 und x£pa? V. 66 meiner Meinung
nach entschieden das Gewähltere und Bessere, und auch Toot-e V. 9
würde ich bevorzugen, wenn fxoi-e nicht durch Odyss. 17, 497 ge-
schützt würde. Wilamowitz gelangt zu dem Ergebnis, daß es am
Ausgang des Altertums eine kommentierte Ausgabe des Theokrit samt
den Technopägnien, ferner eine Ausgabe der Bukolika des Moschos und
Bion für sich und endlich eine Ausgabe von Bukolika des Moschos,
Bion und anonymer Dichter aus der alten hellenistischen Zeit und
um die Zeit gleich nach Bions Tod gab, die vermutlich ein Anhang
der Theokritausgabe war.
Die kommentierte Ausgabe, am besten durch KB vertreten, be-
steht aus zwei Teilen. Die ursprüngliche Sammlung enthielt 12 Ge-
dichte, nämlich 1, 3 — 13, von denen die 10 ersten rein bukolisch
sind, die decem eclogae mere rusticae des Servius, während die
2 letzten anderen Charakter zeigen. Diese 12 Gedichte haben einen
einheitlichen, durch grammatische Kontrolle gesicherten Text. Der
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Jahresbericht über die griechischen Lyriker. (Sitzler.) 209
zweite Teil, ebenfalls mit Scholien versehen, umfaßt die Gedichte 14,
2, 15 — 18. An diese schließt sich der Theokrit zugeschriebene
'EiriTot'910? Btu>vo?, der seiner Überlieferung nach zwar noch zur
zweiten Gruppe gehört, aber weil kein Zitat und keine Nachahmung
daraus bekannt ist, nicht in der kommentierten Ausgabe stand, sondern
die Reihe der Zusätze eröffnet, die in fl und <1> erhalten sind. Beide,
11 und <l>, gehen auf die gleiche Sammlung unkommentierter Gedichte
zurück, aus der in der Byzantinerzeit die Theokrit-Hs. bereichert
wurden; aber II verband sich mit einer sehr reichen und guten Iis.
der kommentierten Ausgabe, während <I> auf eine geringere Über-
lieferung gepfropft wurde.
Theokrit selbst hat bekanntlich keine Sammlung seiner Gedichte
veranstaltet, sondern sie einzeln erscheinen lassen; daher trägt jedes
seine Überschrift, und daher rührt auch die Bezeichnung etöo'XXi«,
die der Bezeichnung der Pindarschen Gedichte als stör, entspricht.
Die älteste Sammlung stammt von Artemidoros im 1. Jahrhundert
v. Chr.: auf sie geht das Epigramm Anth. Pal. IX, 205: ßooxoXixal
{ioiaai xtX. Aber Artemidoros hatte nicht alle Gedichte aufgefunden ;
Athen. VII, 284 erwähnt noch fünf Verse aus einer Berenike, und
Suidas nennt, wohl aus Bibliothekskatalogen, allerdings mit dem
Zusatz tivec os ava'fspooaiv ei? 2üt6v noch Ilpot-rioe?, 'EXdos? und
Aus der Bukoliker- Ausgabe des Artemidoros sonderte dessen
Sohn Theon das Theokritische Gut aus und erklärte es; aus diesem
Kommentar flössen unsere Scholien. Jedoch verschweigt Wilamo-
witz die Bedenken nicht, die E. Sehe er, Theon und Sextion.
Progr. Saarbrücken 1903 gegen die Abfassung des Theokrit-Kommcntars
durch Theon erhebt. Auf Thcons Ausgabe bezieht sich das Epigramm
Anth. Pal. IX, 434: aXXo? 6 Xtoc i-j-tb ol Bsfoptto? xxX. Wenn
aber Wilamowitz in diesen Versen unter Berufung auf Thcokr.
VII, 47, XXII, 218 unter 0 Xto? Homer versteht und erklärt: „Homer
ist ein anderer; ich bin zwar ein Epiker, aber kein Homeriker,
sondern habe meine eigene Muse", so kann ich ihm nicht beistimmen.
Theokrit galt den Griechen nicht als Epiker, sondern als Bukoliker,
als Erfinder der Bukolik ; keinesfalls aber hätten sie ihn in dieser
Weise dem Homer gegenübergestellt. Sodann ist doch gewiß der
Ausdruck iOvst'yj jjloo<5<x von der Homerischen Poesie im Munde eines
Griechen mehr als auffällig; ein Grieche hätte den Gedanken anders
gewendet. Dagegen hat die Gegenüberstellung des Chiers und Syra-
Jc usaners nichts Überraschendes; sie findet sich auch bei Suidas s. v.
Der Sinn der Verse ist also der, daß die folgenden Gedichte nicht
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270
Jahresbericht über die griechischen Lyriker. (Sitzler.)
von dem Chier, sondern von dem Syrak usaner Theokrit sind, der
sie nicht aus der Fremde holte, sondern der Heimat entnahm. Die
Bukolik ist Eigentum der Syrakusaner and Oberhaupt Siziliens.
Als Anhang sind dem Buche elf Beilagen beigegeben , auf die
ich bei Besprechung der einzelnen Bukoliker zurückkommen werde.
Mit Wilamowitz' Untersuchung berührt sich vielfach
W. Christ, Die überlieferte Auswahl theokriti-
scher Gedichte. Sep.-Abdr. a. d. Sitzungsber. d. philos.-
philol. und d. hist. Kl. der kgl. Bayer. Akad. d. Wisseusch. 1908.
Heft III, S. 381 f.
Die Schrift besteht aus sieben Aufsätzen, von denen der erste über
die Preisgedichte auf Ptolemäus und Hieron handelt. Nach Christ
schloß sich ursprünglich das 18. Gedicht, das Epithalamion auf
Helena, an das 15. an, während 16 und 17 später eingeschoben
wurden, und zwar zunächst 17, dann 16, so daß die alte Reihen-
folge 17, 16 war. Allein ein innerer Zusammenhang von 18 mit 15
und den früheren Gedichten läßt sich kaum entdecken, und wäre
die ursprüngliche Stellung 17, 16 gewesen, so könnte man nur schwer
begreifen, was die Umstellung in 16, 17 in anderen Hs. hervorgerufen
haben sollte. Dagegen liegt der Grund zur Anordnung 17, 16, wenn
die anfängliche Stellung 16, 17 war, klar zutage; 17 reiht sich
inhaltlich gut an das Ende von 15 an. Der alte Sammler scheint
an die Idyllen und Gedichte mimischen Charakters die EnRomien
auf Herrscher angefügt zu haben, und zwar in zeitlicher Folge Hieron
und rtolemäos; übrigens trägt das dem Hieron vorangehende Ge-
dicht die Aufschrift Sopctxoariou , so daß es auch an einem äußeren
Bande nicht fehlt.
Der zweite Aufsatz beschäftigt sich mit den Hymnen Theokrits
und den unechten Heraklesgedichten, der dritte mit den Heroinen.
Zu den Hymnen rechnet Christ die Enkomien auf Ptolemäos und
Hieron und mit mehr Recht die Diosknren, während er das 25. Ge-
dicht, den 'HpaxXrjC Xeovrocpovo?, für unecht erklärt, worauf ich unten
noch zurückkommen werde. Zu den Heroinen gehören nach ihm das
26. Gedicht, Aijvat tj Ba'xyai, dann das 24., der 'HpaxXtexo*,
was ihm kaum jemand glauben wird, und endlich die ßerenike,
was ebenso unwahrscheinlich ist wie die Einreibung des Ptolemäos
und Hieron unter die Hymnen. Die Megara weist Christ dem
Moschos zu.
Die letzten vier Aufsätze wollen die Sammlungen der Theokri-
tischen Gedichte feststellen, soweit wir sie noch aus unseren Hs.
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Jahresbericht aber die griechischen Lyriker. (Sitiler.) 271
and anderweitigen Nachrichten erkennen können. Die Ergebnisse
dieser Forschungen sind aber unsicher oder geradezu unhaltbar; sie
werden besonders durch die Annahme Christs beeinträchtigt, daß
Theokrit seine Bukolika selbst herausgegeben habe. Dies soll nach
ihm aus der kunstvollen Anordnung dieser Gedichte folgen; was er
aber zur Begründung dieser Ansicht vorbringt, übersteigt das Maß
dessen, was man auch einem Sammler zutrauen kann, nicht. Das
19. Gedicht weist er dem Moschos, das 28. dem Bion zu, während
er 20 und 21 für theokritisch hält; keinesfalls kann 20 von Moschos
sein, da ein Schüler des Aristarch xpr^oov (V. 19) nicht im Sinne
von dlrtH^ gebraucht hätte. In dem Epigramm allos 6 Xio? xtX.
will er [Aooaav o' iftvEfyv ouxiv' icpeXxuaa^v von dem Ausschluß jeden
fremden Elementes, insbesondere jedes nicht im syrakusanischeu
Dialekt geschriebenen Gedichtes verstanden wissen — eine Ver-
sicherung, die zwar für einen Sammler, nicht aber für den Dichter
(Z; Tctö' a^pa^ct) passen würde.
Was von den griechischen Bukolikem auf uns gekommen ist, hat
U. v. Wilamo witz-Moellendorff, Bucolici Graeci.
Oxonii [o. J.],
neu herausgegeben , unter Verwertung der Ergebnisse seiner Unter-
suchungen über die Textgeschichte der griechischen ßukoliker. Die
Praefatio gibt eine kurze Übersicht über die hs. Überlieferung der
Bukoliker. . An sie schließt sich auf S. XII und XIII ein Verzeichnis
der bukolischen Gedichte, das notwendig .wurde, weil W i 1 am o w i tz ,
dem Vorgange von Ahrens folgend, die hs. Anordnung der Gedichte
beibehielt, die von der gewöhnlichen abweicht. Dann folgt die Auf-
zählung der benützten Hs. und alten Ausgaben; hier hat sich aber
ein Fehler eingeschlichen, indem als Q der Parisinus 2885 saec. XIV
bezeichnet wird anstatt der Parisinus 2884 saec. XIII (vgl. Text-
geschichte, S. 8). Hieran reihen sich die zwei Epigramme, das des
Artemidoros und das auf die Bukolika Thcokrits, die in den Scholien
überliefert und von da in die Anthol. Pal. IX . 205 und 434 auf-
genommen sind. Darauf wird der Text der Bukolika nebst den
Epigrammen Theokrits und den Technopägnien gegeben. Bei seiner
Bearbeitung ging Wilamo witz darauf aus, soviel als möglich der
Überlieferung wieder zu ihrem Rechte zu verhelfen; alle Abweichungen
von dieser sind in der kurzen Adnotatio critica, die sich am Fuße
der Seiten befindet, verzeichnet, und außerdem ist eine Auswahl
von Verbesserungen und Verbesserungsvorschlägen beigefügt, darunter
viele von Wilamo witz selbst. Überdies sind die Technopägnien
von einer griechischen Paraphrasis begleitet, um ihr Verständnis zu
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272 Jahresbericht über die griechischen Lyriker. (Sitzler.)
erleichtern. Den Schluß der Ausgabe bilden von Wilamowitz
verfaßte lateinische Argumenta carminum, die außer dem Inhalt auch
noch andere das Verständnis fördernde Angaben enthalten.
b) Die einzelnen Dichter.
Theokrit.
An neuen Ausgaben liegt vor
The idylls of Theocritus. Edited with introduetion and
notes by R. J. Cholmeley. London 1901.
Diese Ausgabe , die für englische Leser dasselbe sein will , was die
Ausgabe von Fritzsche-Hiller für uns Deutsche ist, besteht aus einer
Einleitung, die in vier Abschnitten über Theokrits Leben, über Vers,
Stil und Dialekt, über Echtheit der Gedichte und über die Hirten-
gedichte handelt, aus dem Text, der von einer kurzen adnotatio
critica in lateinischer Sprache begleitet ist, aus einem ausführlichen
Kommentar, der sprachliche und sachliche Erklärungen gibt und be-
sonders an Parallelen aus griechischen, lateinischen und englischen
Dichtern reich ist, und aus einem Index zu den sprachlichen Be-
merkungen. Die einschlägige Literatur ist in großem Umfange, wenn
auch nicht vollständig beigezogen; so fehlt z. B. E. Bethes Aufsatz
im Rostocker Lektionskatalog von 1896 und C. Prinz' Quaestiones
de Theocriti carmine XXV et Moschi carmine IV in den Dissertat.
Vindob. V , S. 65 f. Was die Bearbeitung des Textes betrifft , so
nimmt Cholmeley die Überlieferung öfters mit Erfolg in Schutz,
noch häufiger aber sind unhaltbare Lesarten eigener Erfindung. Von
den Gedichten verwirft er 19, 20, 21, 23 und 27; von diesen will
er 21 dem Leonidas zuweisen.
Mit der Kritik und Erklärung des Theokrit beschäftigen
sich außer den schon genannten Schriften von Wilamowitz,
S c h w a r t z und Christ
1. J. Vahlen, Varia. Hermes 1898, S. 248 f. |XVI, 62,
83, XV, 37].
2. U. v. W i 1 a m o w i t z , Theokrits Hymnus auf Ptole-
mäos. Hermes 1898, S. 520 f. [XVII, 82 f.].
3. — , Zu den Thalysien des Theokritos. Hermes
1899, S. 615 f. [VII, 70).
4. — , Lesefrüchte. Hermes 1905, S. 138 f. [XXIV, 61].
5. S. Rossi, Ricostruzione di un xiffffußiov. Riv.
di Storia antica IV, S. 104 f. [I, 27 f.].
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Jahresbericht über die griechischen Lyriker. (Sitzler.) 273
6. H. v. Herwerden, Ad Theocritum I, 78, IV, 49,
VIII, 58. Mnemosyne 27, S. 379 f.
7. — , ANHAinO(V)2: (Theoer. IV, 56). Mnemosyne 28,
S. 364.
8. — , Theokrit XXII, 95 f. Rh. Mus. 1904, S. 143.
9. F. Bechtel, Varia. I. euaooc [Theoer. 24, 8). Hermes
36, S. 422 f.
10. A. B. Cook, Associated reminiscences. Class.
Rev. 1901, S. 341 f. [I, 5 f.]. Vgl. W. Everett ebenda S. 406.
11. E. Roßbach, Theocritea. Berl. phil. Woch. 1901,
Nr. 36, S. 1117 f. [XV, 127 f., XXI, 4, 58].
12. 6. Kaibel, Sentcntiarumliberultimus. Hermes
1901, S. 606 f. [III, 29, XV, 84].
13. Th. Husemann. Hermes 1901, S. 607 [II, 48].
14. \V. Prescott, Notes on the scholia and the
text of Theocritos. Class. Rev. 1903, S. 107 f. [XIV, 23].
15. T. G. Tucker. Class. Rev. 1898, S. 23 f. [XD1, 15,
XIV, 51, XVU, 2, XXIII, 50].
16. H. Usener, Theo kr. XVII, 124. Rh. Mus. 1900,
S. 288 f.
17. Th. Sinko, Ad Theoc. XI, 72 f. Eos X, S. 112 f.
18. C. Wendel, Theocritea. Philol. 1905, S. 269 f.
[XV, V, IV, VIII].
19. A. B. Ainsworth, A note on Theocritus 1, 51.
Class. Rev. 1905, S. 251.
20. E. Faral, Th6ocrite imitateur de Sophron.
Rev. de Philol. XXIX, S. 289 f. [II].
21. H. R. Fairclough, u>? . . . u>? in Theocritus and
Homer. Class. Rev. 1900, S. 394 f.
Von den Ergebnissen dieser Forschungen hebe ich folgende be-
sonders hervor:
Id. 1, 30 ist xexovifiivo? eine zwar alte, aber unhaltbare Lesart,
wie Wilamowitz in der zehnten Beilage, S. 223 f., nachweist.
Meiner Meinung nach hat es H e c k e r durch xexojir^svo? gut ersetzt,
vgl. hyinn. Cerer. 456: ouOap apoupr)? ji&Xev . . . xoji^aeiv daxa-
Xoeaat. Call. Dian. 41: opo? xsxojat^vov GX^. Apoll. Rhod. 1, 928:
ctr-yeipoc <pu'XXotatv xopooxja; der eXt'ypuao; bildete sozusagen den
prangenden Kopfschmuck des Epheus. Zu dem hier geschilderten
Jahresbericht für Altertumswiweiuchaft. Bd. CXXXIII. (1907. I.) 18
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274 Jahresbericht über die griechischen Lyriker. (Sitzler.)
Becher vgl. Rossi. — V. 78 schreibt Wil. Ipaaou, wie II, 149
epaxat mit der Bemerkung zu ä: productio permira; Herwerden
wünscht Jpaicrai, wie manche Hs. bieten, weil es ipaojjiai nicht gebe.
Aber Horn, n 208 steht ipaaafts, und außerdem wissen wir, daß
die Alexandriner öfter neben dem Aktiv des Med. in gleichem Sinne
gebrauchen (vgl. 0. Schneider, Callimachea I. S. 160 f.).
Daher glaube ich mit anderen , daß Theokrit Ipaactt und ipaxat
schrieb, und werde darin durch die Analogie von 7rsxao^.ai neben
ir£ra|iat bestärkt (vgl. Anacreontea 15, 28 irexqTvTO, 14, 2 irexaaai
und 21 zexaadai. Anthol. Pal. XIV, 63, 1 -sxwj^va). — V. 106 f.
weist Wilamowitz aus Gisbert Longolius' Übersetzung der
Physischen Fragen des Plut. 36, 1 als richtige Lesart Spoec rfih
xoiretpoc, ai nach, die durch die Parallele aus V, 45 und 46 ver-
drängt wurde.
Id. II lehnt sich in seinem ersten Teil bis V. 68 nach Faral,
der V. 1 mit Sophron fr. 5 (Kaibel) vergleicht , an Sophron an. —
V. 48 nennt Theokrit das tezojAav& eine Pflanze; dazu vergleicht
Husemann Theophrast. h. plant. IX, 15 xo xiöojiaXXov , l£ ou -zh
irrojiavlc und Plin. . N. H. 26 , 99 : tithymalli quoque ramorum
medullam habentes ad Venerem proniores fieri dueuntur. Das xif>6-
jxaKXov gehört dem genus Euphorbiae an. — V. 60 ist verdorben;
ich schlage owSjAacov xat? xt]vü) cp/aatc* xaöoiripxepov (oder iroXo
<p£pxepov?) /^.s/ex' rt vuv „so wird er noch fester als jetzt gehalten u,
nämlich durch den Zauber.
Id. Iii, 7 verbindet Wilamowitz xov ipwx'jXov mit fj pa jie
jiiaei?, während man es bisher zum Vorhergehenden zog, und zwar,
wie ich glaube, mit Recht; denn aus dem Umstand, daß sie ihn
nicht mehr als Liebchen zu sich einlädt, schließt er, daß sie nichts
mehr von ihm wissen wolle. — Die V. 28 f. werden von Kaibel,
der übrigens unnötigerweise jaoi {xs{j.va(i£vu> st. des richtigeren jasu
jA8jxva}A£vu> liest, gut erklärt; x& Tz^azdfr^a „das Mohnblatt" (vgl.
XI, 57) ist Erklärung zu x6 xr^&piXov. Der Liebhaber prüfte, ob
das abgepflückte Blatt auf dem Anne Leben, Farbe und Saft behielte
oder welk herabfiele; jenes hielt er für ein Zeichen der lebendigen,
dieses der absterbenden Liebe. An einen Knall darf man bei TrXotxct-
•prjjia nicht denken.
Id. IV, 26 erinnert Christ daran, daß der Witz der Stelle
erst seine Poiutc erhalte, wenn man zu e?c Atöav, in den die armen
Rinder ziehen müssen, den Ort der Landschaft, wo die olympischen
Spiele gefeiert werden, stellt, und zwar in der heimischen Mundart
efc "AXtSa; so erhält man ein Wortspiel wie VII, 100 *Ap«m? . . .
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Jahresbericht über die griechischen Lyriker. (Sitzler.) 275
apisroc. — V. 49 verlangt Herwerden mit Recht ein Komma nach
X«Ya)ß<5Xov, so daß «S? to raia&a ein Finalsatz ist; Wilamowitz
hat so interpungiert.
Id. V, 15 nimmt Wilamowitz Bechtels KoXaflhoo? st. des
überlieferten KaXaflhSo? aaf (vgl. Herond. 6, 50). — V. 36 ver-
dächtigt Wilamowitz ojifiacji xot? opÖoTai mit Recht; es müßte
toT; 0fj.ji.aJiv op&otcrt oder ins Metrum passend 6<pftaX}ioTc op&oiai
heißen (vgl. Bentley zu Hör. carm. I, 8, 18). 131 ay des spicil.
Soph. ad Oed. tyr. 528 ändert toi? in <jot? und versucht ebenda 1885
toi? ouaoi? opftotii , beides wenig glücklich ; tote wird vielmehr aus
xotfjS' entstanden sein: „mit deinen Augen, die ich da gerade auf
mich gerichtet sehe" , eine nachdrückliche Hervorhebung, die vor-
züglich in unsere Stelle paßt. — V. 73 erklärt Wilamowitz in
der zehnten Beilage, S. 235 f., für interpoliert; mit Unrecht, wie ich
glaube. Was den Widerspruch mit dem ersten Vers betrifft, so ist
dort töv Sußccptrav falsch überliefert statt vrfiz oder tetSs DiSupta;
denn zu uoifjiva muß der Name des Herrn treten. Morson ist aber
nicht nur dem Komatas, sondern auch dem Lakon bekannt; denn
sonst könnte Komatas nicht zu Lakon sagen: sixi 5i Moporcuv, und
ebensowenig könnte Lakon den Morson «ifafte Mopacov anreden; die
Bezeichnung ££ve steht dem nicht im Wege. Wenn Wilamowitz
meint , man könne schlechterdings nicht absehen , welchem Zwecke
der fragliche Vers diene, so weise ich darauf hin, daß in dem ganzen
Gedicht Komatas als der friedlichere, Lakon als der gereiztere und
streitsüchtigere hingestellt wird. So teilt er hier dem Morson mit,
in wessen Dienst sie beide stehen, und da er auch sich in die Mit-
teilung mit einschließt, so liegt für Lakon gewiß kein Grund vor,
unwillig zu werden. Trotzdem wird er dies, und deshalb kann ihm
Komatas mit Recht erwidern: xö ja4v ^doxipxojxo? und bei-
fügen, daß er die ganze Wahrheit gesagt habe und sich nicht rühme ;
dies wäre doch unmöglich gewesen, wenn er nur von Lakons Ver-
hältnis gesprochen und das seinige geheim gehalten hätte. Dann
hätte es den Anschein gehabt, als ob er sich dem Lakon gegenüber
als etwas Besseres hinstellen wolle, und Lakon hätte ihn mit Grund
dafür getadelt.
Id. VII, 71 f. schreibt Wilamowitz AuxametToc? und führt dies
mit einem Scholiasten auf Lykopeus, den Vater des Phrasidamos
und Antigenes (vgl. V. 3 f.), zurück; nach ihm hieß sein Landgut
AoxtoTreiov, und davon ist Aoxa>iretTccc gebildet, das einen Hörigen
des Lykopeus bezeichnet. Acharnä wird also ebenso ein ursprünglich
karischer Ortsname sein, den Theokrit an einen attischen, d. h.
18*
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276 Jahresbericht über die griechischen Lyriker. (Sitzler.)
literarisch bekannten, angeähnelt hat (vgl. Halasarna). SchwartzT
S. 301 , Anm. 1 , kann an die koischen Lokalitäten nicht glauben,
sondern denkt an wandernde Musiker, wofür aber bei Theokrit nichts
spricht; denn nach diesem wohnen die Personen auf Kos.
Id. XI, 72 f. faßt der Scholiast als Selbstanrede des Kyklopen,
der sich wieder auf sich selbst besinnt, was gut in den Zusammenhang
paßt und auch mit den Angaben des Dichters übereinstimmt; denn
da sich V. 80: outo> toi IloXocpotfioc xxl. offenbar auf V. 18 aaiSs
Toiaütot zurückbezieht, so wird alles Dazwischenliegende als Gesang
des Kyklopen bezeichnet. Sinko denkt zu Inel x^cuv ocvtw^ai
(V. 71) (tn aÖTtj? hinzu und nimmt dann V. 7,2 f. als Worte der
Mutter , die Polyphemos anführe , um zu zeigen , wie er von ihr ge-
kränkt werde. Diese Auffassung scheitert an dem Widerspruche,
in dem dann die V. 72 f. mit dem Vorhergehenden stehen ; nach
jenen beklagt sich Polyphemos nur darüber, daß seine Mutter nicht
mit empfehlenden Worten bei seiner Geliebten für ihn eintritt; nach
diesen würde sie ihn auf das Törichte seiner Liebe aufmerksam
machen, um ihn davon abzubringen. Es kommt noch dazu, daß der
Kyklop, wenn er die von ihm mißbilligten Worte seiner Mutter hier
anführen würde, gewiß nicht weiterfahren würde iroXXat aujxirataösv
pe xtX., wie er es V. 77 f. tut. Diese Erwägung hindert mich auch,
Wilamowitz beizustimmen, der zu V. 72 f. bemerkt: „interpellier
ab alia persona, ad certum hominem omnino non relata, quaerendas
esse alias puellas\ Wäre dies der Fall, so würde der Kyklop
darauf eine scharf zurückweisende Antwort geben, wenigstens nach
den Worten zu schließen, die er im Vorhergehenden über seine Mutter,
gebraucht hat. Außerdem verstößt die Annahme einer zweiten Person
als Sprecherin, wie ich oben schon sagte, gegen die ausdrückliche
Einkleidung des Polyphemos- Liedes durch den Dichter.
Id. XII, 22 f. sind fehlerhaft überliefert und noch nicht be-
friedigend hergestellt; das Beste ist bis jetzt, nach Oöpavto»ve« zu
interpungieren und dann mit P i c c o 1 o s fhfaovö' zu lesen st.
euaovO'. Aber ich nehme auch an dem Gebrauch von uiriptepot
Anstoß und vermute daher toutwv uiv urap Öeoi Oöpavuovsc
j^aovi)' a>? idiXouaiv. Über dieses Idyll spricht Wilamowitz
in der vierten Beilage; der Eingang erinnert nach ihm an
Sappho, und es ist mit dem Hylas (Id. XIII) der Form wegen
zusammengestellt und den bukolischen Gedichten angefügt. Beide
Gedichte sind eine Apologie auf die Knabenliebe, an Nikias ge-
richtet, der dem Theokrit, wie es scheint, in dieser Hinsicht Vor-
würfe machte.
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Jahresbericht über die griechischen Lyriker. (Sitzler.) 277
Id. XIII behandelt Wilamowitz ebenfalls in der vierteu Bei-
lage; er weist darauf hin, daß Apollonios' Darstellung des Hylas den
Theokrit zur Wahl des gleichen Themas bestimmte, „um es besser
zu machen". V. 7 nimmt er an den Worten- xoo tAv nXoxa|M8a
oopaovxo?, die als ein Kennzeichen des Hylas dastehen, mit Recht
Anstoß. Ich vergleiche Id. V. 91, wo von dem schönen Kratidas
gesagt wird : Xircotpa 8fc -«p' oi/eva setex' iÖsipa, und betrachte dem-
nach xou (bzw. t») xdv für verschrieben aus tcoßpÄv = t& aßpav ;
die üppigen Flechten waren ein besonderer Schmuck des Hylas. —
V. 15 vermutet Tucker ansprechend aöxoO o' eu e?xd>v U dXafhviv
avop' flfccoßotfoj st. aoxu} 8' so 2Xxu>v; leichter ist noch die Änderung
aüx<ji 3' 60 efxck: „ihm selbst wohl gleichend". — Große Schwierig-
keit machen die V. 68 f. Sicher ist jedenfalls , daß in V. 69 die
Abfahrt der Argonauten erzählt wird; daher muß in V. 70 jj^vovts;
aus Xuc^vxec entstanden sein; sie lassen bei ihrer Abfahrt den
Herakles zurück, wie auch das Folgende zeigt. Was war nun in
V. 68 gesagt? Doch wohl, daß sie reisefertig warteten, ob er noch
komme: es wäre also zu lesen: votö? o' e^sv' apjisv' lyouot fxetapata
i:Xü> (bzw. irXoü) iraps<5vTo; „das Schiff wartete reisefertig, da die
Zeit zur Abfahrt da war; um Mitternacht aber entfalteten die Helden
die Segel, Herakles zurücklassend".
Id. XIV, 33 steckt in ifairrfi ein alter Fehler, offenbar daher»
rührend, daß der ursprüngliche Schreiber auf dca-iva? in der vor-
hergehenden Zeile abirrte; denn von sechsjährigen Mädchen kann
man doch x6lr>ou £<rifto|A9jaai nicht mehr sagen. Es wird rpiivrfi
oder ähnlich gelautet haben. — V. 88, wo r^vtp xsä öaxpoa }xaX*
pe'ovxi überliefert ist , beschäftigte die Gelehrten schon vielfach.
B. 0. Foster, The symbolism of the apple in Classical
Antiquity, Harvard studies X, S. 39 f., nimmt die Überlieferung
in Schutz, indem er V, 124 und 126 vergleicht: „deine Tränen fließen
als Liebeszeichen für ihn", was wenig passend ist. Wilamowitz,
Textgesch., S. 40, Anm. , schlägt rqvq» xeit Saxpoot; dXXa pe<$vx«ö
vor: „ihm fließen deine Tränen? So sollen sie fließen!". Daß aber
dies in [i.aX* verschrieben worden wäre, ist wenig wahrscheinlich.
Vielleicht verbirgt sich Xat^fia in fiaXa, vgl. Hcsych.: Xaifu-axa*
ixi\x\iaxa ispo, airapfpata und Suidas Xcuu.cc* xo fepov, OOjjta; die
Tränen werden dann von dem erbitterten Aeschines als Erstlings-
opfer bezeichnet, die Kyniska ihrem neuen Liebhaber darbringt.
Id. XV, 4 wird von Wilamowitz, Textgesch., S. 48, Anm. 1,
erklärt; w xa? d\e\idx<o ^o^ac bedeutet nicht, wie man es gewöhnlich
faßt, „o das bißchen Leben", sondern „o über die töricht-eitle Seele" ;
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278 Jahresbericht über die griechischen Lyriker. (Sitzler.)
Gorgo schilt damit ihre eitle Tollheit, daß sie sich auf die Expedition
eingelassen hat; schon den ersten Gang hat sie kaum Uberstanden. —
V. 7 ist tö o' exaatepu) sy.' drcoixsic überliefert, was keinen Sinn
gibt; ich lese sxaa?£pa> ot&v d7rotxeic „du wohnst immer weiter von
mir weg", ein Vorwurf, den Praxinoa auf ihren Mann schiebt (vgl.
8 f.). — V. 30 nimmt Wilamowitz E. Schwartz' Konjektur
XatSTpt st. aTrXijare auf. — V. 87 : tow ö° ep^oi? xtX. erklärt Vahlen:
„ich habe aber auch alle Mühe an die Arbeit gesetzt" , dem Zu-
sammenhang entsprechend. — V. 60 lautet die beste Überlieferung,
die man auch bisher beibehalten hat: i'^v u> -cixva. — rapev^etv
eöjxaps? ; dafür nimmt Wilamowitz aus anderen Hs. i^wv x^xvot. —
tha tt. xtX. auf, weil er meint, daß der Hiatus -zixva etxa die
Schreibung Ifutv a> Tixva ir. xtX. veranlaßt habe. Näher liegt es
aber doch, die Lesart xIxvol et-oc darauf zurückzuführen, daß w nach
i-ycuv ausfiel und mit eha die so entstandene Lücke ausgefüllt wurde,
eine Annahme, die dadurch sicher wird, daß elta, das Wilamo-
witz für vortrefflich erklärt, hier nicht paßt (vgl. Kühner gr. Gr.
§ 587, 15); eha in der Frage würde j^aXeirov st. zbpapis verlangen:
die Alte ist aus dem Hofe gekommen, und da sollte es für uns
schwierig sein, hinein zu kommen? — V. 84 f. nimmt Kaibel mit
Recht an der Verbindung die' dpfop^a? xXisuui Anstoß; er ergänzt
zu dpfup&xc etwa xXtv>}; und hält xXt3}iui für verschrieben aus apjiot
(vgl. Callim. fr. 44. Apoll. 1, 972); ich glaube, daß xXisiicü aus
irgendeinem Grunde an die Stelle von xXt'va? getreten ist (vgl. V. 127).
Id. XVI, 24 schreibt Wilamowitz mit <1> xb U -o-j im; ohne
Zweifel ist aber dem t6 jxfcv 'l'Stf gegenüber mit den anderen Hs.
to ofc xol( Ttvt ooDvoct vorzuziehen. Überdies ist doiocov am Schlüsse
des Verses unrichtig überliefert; denn die Sänger folgen erst V. 29.
Das Ursprüngliche scheint d^eiöSc gewesen zu sein. — V. t>l
schützt V a h 1 e n die Überlieferung jxe-ra ^Xauxa? dXoc durch Hinweis
auf Strabon I, 8 und Livius XXVI, 45, 8: Wind und Meer treiben
die Wellen an das Gestade. Derselbe vergleicht zu V. 86 f. Horn.
11. XII, 73, Diod. XI, 23, 2. 24, 2, XIII, 21, 3, XIV, 67. 1, Livius
IV, 10, 5, V, 49, 6, X, 26, 10.
Id. XVII. 57 nennt Theokrit die ältere Berenike dp^Xo;; das-
selbe Wort gebraucht Kallimachos Epigr. 51 von der jüngeren
Berenike. Daraus zieht Wilamowitz den Schluß, daß sich Kalli-
machos an Theokrit angeschlossen und das Attribut von ihm über-
nommen habe. Mir erscheint dies zweifelhaft; denn dpi'^Xoc ist
auch sonst nicht gerade selten. Es wird mit Vorliebe von Sternen
gebraucht, und da Kallimachos die unter die Gestirne versetzte Locke
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Jahresbericht über die griechischen Lyriker. (Sitzler.) 279
der Berenike besang, so lag ihm das Wort, wo es sich um Berenike
handelte, doch nahe genug, auch ohne Anschluß an Theokrit. —
V. 66 f. erklärt W i 1 a m o w i t z gut ; allein er geht auch hier in
seinen Folgerungen zu weit, wenn er meint, Knidos und Rhodos
würden hier mit Rheneia verglichen, und daraus den Schluß zieht,
daß Theokrit von Kos her die Verhältnisse beurteile. Ein solcher
Gedanke liegt unserem Dichter ganz fern, der nur die Liebe des
Ptolemäos zu Kos und Umgegend hervorheben will und sich dazu
des Hinweises auf die Liebe des Apollon zu Delos und Umgegend
bedient. — Zu V. 82 f. weist Wilamowitz auf Diodor I, 31, wo
mehr als 83 000 Städte, und auf die Homerschol. BT zu I, 383
hin, wo 33 030 Dörfer genannt werden, wohl durch Schuld des
Schreibers st. 33 333. Die Quelle für beide ist Hekatäos von Abdera;
denn u>? hh Kdxeuv taxopst ist verschrieben aus «>c 8' 4xa = 'Exotxato?.
Die hohe Zahl stammt aus der amtlichen Statistik des Ptolemäos. —
V. 124 f. sind, wie Usener bemerkt, die vergöttlichten Herrscher
Nothelfer für alle Menschen geworden, sowie es die Heroen ihren
Nachkommen und Verehrern sind ; denn die Fürsprache der Heiligen
hat im Altertum ihr Vorbild. — V. 137 hält Wilamowitz die
Überlieferung dpexr,v ?e \ikv ix At6c ahzü für ursprünglich, mit Un-
recht, wie mir scheint ; denn nach den Worten j(oupe avac IlxoXsjAaie •
ö£&ev 8' lyta Taa xai aXXtov }ivaao(iat rpiMwv, öoxeco 8' sito? oux
cnr<5ßX7(Tov cpDsYcojjioi iaao|xevoi? erwartet man nicht das einschränkende
und bedingende : „jedoch flehe zu Gott um Segen" , sondern das
zuversichtlich - prophetische : „sicherlich wirst du von Zeus Segen
haben" ; nur so schließt das Ganze befriedigend ab. Für iUis tritt
auch Schwartz ein.
Id. XVIII, 25 ist xav oüo' av xtc ajxwjxo; überliefert , wofür
Wilamowitz du.u>v ouxic d. vorschlägt ; ich glaube aber , daß xav
als Relat. im Anschluß an das Vorhergehende beibehalten werden
kann , und vermute demnach xav oö p.dv Tic d. Im folgenden Vers
schreibt Wilamowitz du»? als Genet. , abh. von xaX6v irpoGtorcov,
und versteht dtu? von der Abendröte. Ich erinnere mich nicht, von
einem xctXov irptfaturov du>? gelesen zu haben; die Erwähnung der
-oxvia vuc in Verbindung mit xaX&v 8ts<pavs irp<5cjumov weist vielmehr
auf jx^vac st. d<&c hin. Die Nacht läßt des Mondes schönes Antlitz
wie den lichten Frühling nach dem Winter erscheinen, und so er-
schien auch Helena unter ihren Gespielen (vgl. Sappho 3).
Id. XIX , 5 korrigiert Wilamowitz gut oeusv £dv oSuvav
xai iuifA'fexo st. xdv und jiifxcpexo. Zu V. 8 bemerkt er:
„vereor ne eei? = ei sibi indulserit scriptor". Mir scheint es
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280 Jahresbericht über die griechischen Lyriker. (Sitzler.)
wahrscheinlicher, daß üb» aus xeX£&et? (oder xsX£ds?) ver-
schrieben ist.
Id. XX, 22 schreibt Wilamowitz mit Hermann izuxaCov;
aber die Änderung von xitwo? in xt33<5v erscheint unnötig, da zu ok
xi33o? ttqxi Tzpipvov die Ergänzung iruxivfo Itciv nahe liegt. — V. 26
ändert Wilamowitz "*XuxepttVtepov , das aus dem folgenden Vers
durch ein Versehen des Schreibers eingedrungen ist, gut in ^Xacpopeu-
xspov; aber weniger gelungen scheint mir seine Änderung in V. 39,
wo er xal ek iraiBl xa'ÖsuBs in xal efe £a -atöixa v»u3e korrigiert.
Da der durch das überlieferte iratSl xdöeuSs angedeutete Sinn dem
Zusammenhang vortrefflich entspricht, so möchte ich lieber xaX(j> auv
raiol xa&eoSeiv lesen, final zu r/ös.
Id. XXI, 10 ist xa ^oxtoevxa' xs Xifta überliefert ; Wilamowitz
bemerkt dazu: „vereor ne Xtva prava produetione scripserit". Bei
dem korrupten Zustand, in dem uns dieses Gedicht überliefert ist,
glaube ich dies nicht. Vielleicht steckt x' dfpijva in te Xifra ;
or/pTjvtSv „Fangnetz". — V. 49 schreibt Wilamowitz gut ira»;
dvsXw für zuic \tlv iXto.
Id. XXII behandelt Wilamowitz in der fünften Beilage der
Textgeschichte. Er weist darauf hin , daß es kein Kultlied ist,
. sondern zum mündlichen Vortrag bestimmt. Die Stichomythie V. 54 f.
ist ganz dramatisch gestaltet, was auch sonst bei Theokrit der Fall
ist. Auch die Quellen, die Theokrit benützte, untersucht Wilamo-
witz und legt die Abweichungen von diesen dar. Das Gedicht ist
nach ihm gegen Apollonios gerichtet, aber nicht aus persönlicher
Animosität, sondern als Protest der freien Kunst gegen unfreie Nach-
ahmung. Nach V. 170 ist, wie der Verfasser überzeugend nachweist,
eine größere Lücke.
Id. XXIII, 30 und 31 nimmt Wilamowitz erfolgreich gegen
M. Haupts Verdächtigungen in Schutz und ändert xal tdxsxat richtig
in xaxaxa'xexai ; ebenso gelungen ist V. 51 ivtaXXa st, IßaXXe und
V. 57 2x7jXa st. Xe.
Id. XXVI bespricht Wilamowitz in der achten Beilage der
Textgeschichte. Er weist mit Recht die Ansicht zurück, als ob wir
es hier mit einem Hymnus auf Dionysos zu tun hätten ; aber auch
seiner Erklärung des Gedichtes kann ich nicht zustimmen. Er meint
nämlich, ein Kind sei umgebracht worden, die Mörder hätten An-
feindung gefunden , und da habe der Dichter ihre Partei ergriffen
und die Tat als Gott wohlgefällig hingestellt. Diese Erklärung wäre
nur annehmbar, wenn man wüßte, wer das Kind und die Mörder
waren, warum sie die Tat vollbrachten und was Dionysos damit zu
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Jahresbericht über die griechischen Lyriker. (Sitzler.) 281
tun hatte. So aber kennt man nicht einmal den Dichter, der diese
Verse machte, und wird daher am besten tun, bei dem Wortlaut des
Gedichtes stehen zu bleiben. Auch der Vers 29 scheint nur die
Worte jATjo' d yaXsiccoxepa x&vSe jAO-jr^ai verstärken zu wollen:
Bund erst neunjährig wäre oder das zehnte anträte", also in noch
unschuldigem Alter und damit übler daran als Pentheus, der doch
eine Verschuldung gegen den Gott auf sich geladen hatte.
Id. XXVII gibt Wilamowitz im wesentlichen in der Form,
die er Hermes XIII (1878) 276 festgestellt hat. V. 23 schreibt er
v<5ov 8' iufcv oü»tk fafvet, wie schon Meineke vorschlug. Die Hs.
haben detoeu was auf Ia8e führt; die Verderbnis in dsioei zog den
Accus, voov £fi6v nach sich. Es ist also mit Fritz sc he v&p 8'
iucjj oSxk Sotoev zu lesen , was auch dem Sinn mehr entspricht. —
V. 59 ist xdfxriyovov st. xdji-lyovov zu lesen, das xai mit Beziehung
auf V. 55 xav juxpav dir^d/tsac ; daher hatte Wilamowitz mit
dieser Stelle nicht V. 72 xdv aupi-^a xedv schützen sollen. Statt xdv
muß es wohl jidv heißen, und V. 73 steckt in xuiv eher vOv als xa,
wie Wilamowitz schreibt, der für Beibehaltung der Verse 72 und
73 eintritt.
Id. XXIX, 19 nimmt Wilamowitz mit Recht die Verbesserung
vod Ahrens dizlp dvop£av auf; das davorstehende unhaltbare dv8pu>v
Toiv verwandelt er in dvftpwrtDv. Da von dvop£a die Rede ist, ver-
dient dvSpSv den Vorzug vor dv&ptortov, in xuiv aber wird jidv
stecken, das als Beteuerungspartikel hier gut am Platze ist.
Id. XXX, 4 ist xai vOv {i&v xo xaxov xofc jxfcv eysi xai? 8'
überliefert, dem Wortlaut nach entstellt, der Sinn aber ergibt sich
aus den folgenden Versen; jetzt läßt ihm die Liebe wenigstens
manchmal noch Ruhe, bald aber wird sie ihn ständig quälen und
nicht einmal mehr schlafen lassen. Diesen Gedanken gewinnt man,
wenn man xb xaxiv xavtV l/et, xavtxa 8' oo \i sysi schreibt. —
V. 10 läßt sich §Xxo? eyu>v (xatvov ivl cppeat) vervollständigen. —
V. 13 vermutet Wilamowitz gut fAlrpV st. Imzür^V. V. 32
Cholmeley a xe <Ö^) »opei, wie Wilamowitz schreibt.
Mit den Scholien beschäftigen sich
1. P. Egenolff, Zu Lentz' Herodian IL Philologus
1902, S, 540 f.
2. H. W. Pre scott, Notes on theScholiaandthe
Text of Theocritus. Class. Rev. 1903, S. 107 f.
Egenolff liest, S. 546, im Schol. zu XI, 78 (S. 75): xtyXt'Covxi*
s?o8pa 7«XÄ£Ji xai afoypoopifoöai. Prescott dagegen behandelt die
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282 Jahresbericht über die griechischen Lyriker. (Sitzler.)
Scholien , die sich auf Daphnis beziehen , und stellt dabei einige
Aasführungen seines in den Harvard Studies X veröffentlichten Auf-
satzes (vgl. oben) richtig. Zunächst bespricht er die Scholien zu
I, 65, 66, 69, 81—85, 97 und VIII, 93, die alle den Zweck haben,
Theokrits Darstellung der Daphnis-Sage mit der gewöhnlichen Sage
in Übereinstimmung zu bringen, allerdings ohne Erfolg, da Theokrit,
wie oben schon nachgewiesen ist, seine eigene Sagenform hat. Dabei
bemerkt der Verfasser mit Recht, daß kein Grund vorliege, im ersten
Idyll eine unerwiderte Liebe des Daphnis anzunehmen. In der
zweiten Abhandlung weist er nach, daß das Schol. zu VIII, 55 auf
einem Mißverständnis des Theokrit-Textes beruht , also eine recht
zweifelhafte Grundlage für die Nachricht, daß Hermesianax Daphnis
und Menalkas miteinander verbunden habe, sei: der euböische
Menalkas habe mit dem Theokritischen nichts zu tun.
Den Inhalt der Theokritischen Gedichte raachen
1. Sutphen in Studies in honour of Basil L. Gilders-
leeve 1902,
2. R. Dedo, De antiquorum superstitione amatoria.
Diss. Greifswald 1904,
3. E. Rieß, Studies in superstition. Am. Journ. of
Phil. 1903, S. 423 f.,
zum Gegenstand ihrer Untersuchungen, um zu sehen, was sich daraus
für die Erkenntnis des Aberglaubens und der Volksreligion jener
Zeit gewinnen läßt. Sutphen behandelt den Liebeszauber bei
Theokrit und Virgil, ohne wesentlich Neues vorzubringen. Umfassender
ist die Arbeit von Dedo, die alle alten Zeugnisse über den Liebes-
zauber sammelt und die Spuren davon bis herab auf Horaz und die
lateinischen Elegiker verfolgt. Rieß dagegen faßt das ganze Gebiet
des Aberglaubens ins Auge, das bei Theokrit allerdings keine große
Rolle spielt. Er erwähnt die Göttin dvoqxi) XVI, 82 f. , die in
Korinth verehrt wurde (vgl. Paus. II, 4, 6), die Traumdeutung
'AXietc XXI (vgl. Artemidoros I, 8. Plut. quaest. conv. VIII, 3, 1),
die dankbaren Bienen VII, 78 f. , die die Musen vertreten, wie der
Verfasser gegen A. Marx, Märchen von dankbaren Tiereu,
S. 124a und Olck s. v. Biene in Pauly-Wissowas Realencyklopädie
bemerkt, das Schlummerlied XXIV, 7, 9 mit der Bitte, daß das
Kind aus dem Schlaf wieder erwachen möge, den Dämon Alter XXIX,
26 f., die Bedrohung der Götter VII, 106 f. (vgl. Wesseley in der
Denkschrift d. Wien. Akad. XXXVI, 27 f.), die Unsterblichkeit ver-
leihende Ambrosia XV. 105 f., die goldsammelnden Ameisen XVII, 107,
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Jahresbericht über die griechischen Lyriker. (Sitzler.) 283
die Äpfel als Liebeszeichen II, 120, III, 10, V, 88, VI, 6 (vgl. auch
B. 0. Foster, The symbolism of the apple in classical
antiquity. Harvard studies X, S. 39 f.), Apotropäa VI, 23 f.,
Artcmis-Hekate-Hades II, 30, dairoXaöo? in Reinigungen XXIV, 87,
assyrische Wahrsager II, 162, ßatoc bei Reinigungen XXIV, 88,
barbarische Zauberinnen III, 31, Lorbeerblätter beim Zauber II, 1,
23 f., die Entstehung der Bienen aus den Leichen von Rindern
Syrinx 3, Liebeszauber II, 2, Asche bei Reinigungen XXIV, 93,
Metall zum Iynx-Rad II, 30 und gegen Gespenster II, 36, die Ver-
wendung und Wirkung der Zauberkünste II, 61, 159 f., 15, Kreuz-
wege II, 36, Cyklamen V, 123, dreimaliges Rufen der Toten beim
Begräbnis XX11I, 44, Herbstgebräuche X, 46 f., Wahrnehmung der
Geister durch Hunde II, 12, 35, die prophetische Bedeutung des
Adlers XVII, 71 f.. die l|x::opo{iavTeta II, 24 f., den bösen Blick III,
37, V, 12, VI, 39, VIII, 39 f., die bei der Geburt zu beobachtenden
Gebräuche XVII, 60 f., die heilende Wirkung des Speichels VII, 126,
die Entstehung von Blasen auf der Zunge infolge von Lügen IX, 30,
XII, 24, die Neunzahl XXX, 26 f., das Spucken XXIX, 26 f., die
glückverheißende Bedeutung der Sternschnuppen XIV , 49 f. , die
Dreizahl XVII, 82 f., V, 43, VI, 39, XVII, 71, XXII, 4, XXIII, 44,
XXIV, 63, die Begegnung eines Wolfs XIV, 22.
Die Frage nach der Echtheit der einzelnen Gedichte
prüfen, von den Untersuchungen von Wilamowitz abgesehen.
1. E. Fairon, De l'auth enticite de l'idylle VIII
durecueildeTheocrite. Rev. de l'instruct. publ. en Beige 43,
S. 237 f.
2. C. Kattein, Theocriti idyllis octavo et nono
cur abroganda sit fides Theocritea. These. Paris 1901.
3. M. Rannow, De carminum Theocriti XXIV et
XXV compositione. Festschrift für Vahlen. Berlin 1900,
S. 87 f.
Fairon verficht die Ansicht, daß das achte Gedicht aus langen
Bruchstücken eines Theokritischen Gedichtes bestehe, die ein späterer
Grammatiker durch eigene Verse miteinander verbunden habe; diese
vermittelnden Verse seien 28 — 32 , 61 und 62 , vielleicht auch 92
und 93. Dagegen ist Kattein der Ansicht, daß das Idyll aus
Bruchstücken verschiedener Dichter zusammengesetzt sei, von denen
vielleicht die V. 63—70, 72 und 73, 76, 78—80, 82—87 von
Theokrit herrührten. Daß auch diese Annahme unhaltbar ist, zeigt
M. Rannow Wocbenschr. f. klass. Piniol. 1902, Nr. 47, S. 1280 f.
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284 Jahresbericht über die griethischen Lyriker. (Sitzler.)
Bas zuerst von Valckenaer ausgesprochene und dann ziemlich
allgemein gebilligte Urteil, das die Verse dem Theokrit abspricht,
ist wohl begründet, wie auch Wilamowitz Textgesch. . S. 122 f.,
eingehend nachweist; nach diesem Gelehrten stammt das Gedicht,
das einheitlich ist, wenn man mit G. Hermann die V. 57 — 60
auswirft, von einem kenntnisreichen hellenistischen Poeten.
Das neunte Idyll spricht K a 1 1 e i n in Übereinstimmung mit allen
Forschern dem Theokrit ab; nur Rannow a. a. 0. sucht es als
theokritisch zu erweisen. Wilamowitz widmet diesem Gedicht
die siebente Beilage; er tritt darin für die Einheit dieses Idylles ein,
wie auch ich es im letzten Jahresb. Bd. CIV (1900), S. 151 getan
habe. Die V. 28 f. faßt er so, als ob der Dichter damit ein Lied,
das er früher gesungen, aber bis jetzt nicht veröffentlicht habe —
daher V. 30 — , dem Vorhergehenden anfüge ; der Sinn von oai'vett,
zu dem er jaoi ergänzt, sei: „zeiget es mir", eine poetische Wendung
für: „da fällt mir ein"; das Lied selbst folge in V. 31 f. Ich kann
diesen Ausführungen nicht beistimmen, einmal weil ich an diese Be-
deutung von yatvexe nicht glauben kann; wenn er das Lied früher
gesungen hat, so brauchen es ihm die Musen doch jetzt nicht ©at'vetv.
Sodann weil — angenommen, daß man V. 31 f. als Lied bezeichnen
kann — doch auch das Vorhergehende ein Lied des Dichters ist.
Allerdings hat er es so dargestellt, als ob jene Verse dem Daphnis
und Menalkas gehören, also die Unwahrheit gesagt, aber jetzt stellt
er dies richtig und daher V. 30. Mit qiöav, ifw xtL ist
also das ganze Idyll gemeint, um dessen Verbreitung und Bekannt-
machung er hier die Musen bittet: <patvsxe „zeiget es, macht es be-
kannt"; den Grund zur Bitte enthalten die V. 31 f.; der Dichter ist
eil. Freund und Verehrer der Musen.
Die Gedichte 19, 20, 21, 23, 26 und 27 betrachtet auch
Wilamowitz, wie andere Gelehrte, als nicht theokritisch; 19,
20, 21 und 23 sind nach ihm in der Zeit um und nach Bion ent-
standen.
Id. XXIV behandeln Rannow und Wilamowitz. Textgesch.,
S. 96 f. und 237 f. Das Gedicht ist nach Überlieferung und Be-
schaffenheit theokritisch; aber Rannow findet in der Erzählung
sowohl als in der sprachlichen Form Härten und Lücken und glaubt
daher, daß es stückweise entstanden sei und unvollständig vorliege.
Die meisten der von Rannow erhobenen Bedenken fallen nicht
schwer ins Gewicht; so z. B. wenn er meint, nach V. 10 fehle ein
Hinweis darauf, daß auch die Eltern sich schlafen legten, in V. 22
werde der Grund, warum es im Zimmer hell wird, nicht ausgesprochen.
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Jahresbericht über die griechischen Lyriker. (Sitzler.), 285
V. 84 stehe mit 13 f. im "Widerspruch, weil hier Hera, dort die
cWotvcTOt die Schlangen schicken, oder V. 85 und 92 mit 16, weil
es V. 16 'fa^siv, V. 85 otaSifjX^aaaöai und 92 xavetv von der gleichen
Sache heiße, V. 60 f. falle es auf, daß kein Wort der Anerkennung
oder des Lobes über die Tat des Herakles beigefügt werde , und
V. 101 f., daß Teiresias abgehe, ohne daß Alkmene antwortet oder
über die Erfüllung der Prophezeiung etwas angegeben wird — lauter
Ausstellungen, für die der Charakter der alexandrinischen Poesie
oder die Eigenart des Dichters die Verantwortung trägt. Anderes,
woran man Anstoß nahm , wie der Gedankenzusammenhang Y. 34 f.,
50 f.. 86 f., erläutert Wilamowitz gut; V. 86 f. erklärt sich auch
Ran no w gegen die Annahme einer Lücke. Daß ein besonderer
Schluß so wenig notwendig war wie ein besonderer Anfang, hebt
nach anderen auch Wilamowitz mit Recht hervor. Das Gedicht
ist ein Ganzes für sich . eine echt alexandrinische Rhapsodie , kein
Teil einer Herakleia, wie auch Rannow bemerkt. — Über £>aoa
V. 8 spricht F. Bechtel, Hermes 1901, S. 422f.; er lehnt die
gewohnliche Erklärung „wohlbehalten" ab und gibt unter Vergleichung
von Hesych. s. v. die Deutung „einer der sich leicht bewegt", taxeiov
6p|A/1v irpo? ai»;Tjatv eytuv. Dagegen bemerkt Wilamowitz, S. 97,
Anm. 2, daß die afärfiis in dem Worte nicht liege; die Mutier
wünsche nicht , daß die Kleinen sich bloß strampeln . sondern daß
sie „wohlbehalten" die Nacht durchschlafen. — V. 31 sind die
Worte uTtb Tpo<p<j> mit faXaftr^v zu verbinden, wie Wilamowitz
nachweist.
Id. XXV wird von Rannow und Wilamowitz, Textgesch.
Beilage 9 besprochen. Rannow weist es, wie andere vor ihm,
dem Theokrit zu, was in der Überlieferung, wie Hill er zeigte,
keinen Rückhalt hat. Eine Vergleichung, die er zwischen diesem
und dem 24. Gedicht anstellt, ergibt, daß Id. 25 in seinen Teilen
vollständig ist, weniger Dorismen und mehr Homerisches enthält und
in der Erzählung eine gewisse epische Breite verrät. Es besteht
aus drei Teilen, die, wie Wilamowitz nachweist, ihre Vervoll-
ständigung in den Überschriften finden, der erste Teil 'HpaxXr,;
Ttpbi aYpotx6v, der zweite Teil irurwXTjatc , für den dritten Teil ist
die Überschrift verloren. Wir haben also auch hier alexandrinische
Rhapsodien und dürfen aus dem Fehlen von Einleitung und Schluß,
sowie dem Mangel jeder Verbindung zwischen den einzelnen Teilen
nicht folgern, daß wir Stücke eines, wenn auch nur beabsichtigten,
größeren Ganzen, etwa einer Augeias, vor uns hätten. — V. 27
verbessert Wilamowitz ot roXoep-^ot gut in aji-eXospYOt, ebenso 99
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286 Jahresbericht über die griechischen Lyriker. (Sitzler.)
otüAdc in a'jXiac und 120 otajnrepiaK ßotd in oiau.rsp&c sußora. —
V. 164 überliefern die Iis. korrupt <5>c v£o? (oder jiisoc) dxu/qv (oder
oixfxr^); Wilamowitz bemerkt richtig, wie ich glaube: „dictum
erat, quando ille venisset". Demnach scheint etea in vioc oder fi£aoc
zu stecken , zu dem mit dem verdorbenen u>; das Zahlwort an-
gegeben wurde: Sc*, die Worte stV dxjrqv bilden einen Zwischen-
satz: „es sind gerade eben sechs Jahreu. — V. 216 vermutet
Cholmeley ansprechend xai ouS£ irg fyvwt xtX. st. ouö' ÄmQ.
'Über die Epigramme handelt Wilamowitz ausführlich
Textgesch., S. 113 f.; nach ihm gab es keine authentische Sammlung
dieser Gedichte, die von dem Dichter selbst hergestellt worden wäre,
sondern die in den Iis. überlieferte Sammlung, die schon in der
kommentierten Ausgabe stand , wurde nach des Dichters Tod aus
Epigrammen, die man auf ihn zurückführte, hergestellt; sie entstand
erst nach Meleager; denn sonst hätte dieser sie benützt. Damit
urteilt Wilamowitz jedenfalls richtiger als Rcitzenstein, der
die Sammlung Meleager bekannt sein läßt. Jedoch hätte ich ge-
glaubt, Wilamowitz werde von diesen Voraussetzungen aus dazu
kommen , die ganze Sammlung für zweifelhaft zu erklären und dem-
nach nur die Epigramme als theokritisch anzuerkennen, deren Echt-
heit sich bestimmt nachweisen läßt; denn wenn sich auch bei dem
einen oder anderen die Erinnerung an den Verfasser erhalten haben
mochte, bei den meisten war dies gewiß unmöglich. Statt dessen
hält Wilamowitz alle Epigramme für echt, deren Unechtheit nicht
erweisbar ist. Dem Theokrit spricht er nur die Epigramme 2, 4,
5. 6, 12, 16 und 23 ab; die Autorschaft des elften Epigrammes bleibt
nach ihm zweifelhaft. Selbst Epigr. 24, das in den Theokrit-Hs.
nicht steht und in der Anthologia Pal. mit aXXo bezeichnet wird,
weist er dem Theokrit zu, trotzdem es auch mit seinen Verbesserungen:
V. 1 7u»7t6Mü>vi, 2, 3 und 4 tou u.ev ... xoö M, 5 toasäaS' dpiOu.6;
(st. totj<5ijÖ£ fdp vtv) keinen befriedigenden Sinn gibt; denn so sind
die meisten dvaf>^|iocTa eben nicht apyena, wie es V. 1 heißt, sondern
vacutepa, wie die Basis. Unbeanstandet seitens der Gelehrten sind
bis jetzt, soviel ich sehe, nur Epigr. 1, 8, 10, 13, 17, 18, 19 und
22 nach Wilamowitz* Zählung, die mit der Zieglers übereinstimmt;
aber auch von diesen enthalten nur Epigr. 8 und 11 Beziehungen
zu Theokrit , jenes wegen der Nennung des Nikias, dieses wegen
der Verherrlichung Epicharms. Die Anordnung der Gedichte läßt
sich ebensowenig wie die Polymetrie mit Wilamowitz als Beweis
der Echtheit anführen , da die letztere von verschiedenen Dichtern
angewandt wurde, die erstere ja vom Sammler herrührt. An das
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Jahresbericht über die griechischen Lyriker. (Sitzler.) 287
Epigramm auf Epicharm konnte der Sammler andere auf frühere
Dichter, an das für Nikias ähnliche Weiheepigramme anreihen, und
die bukolischen Epigramme sprach er ihm als Bukoliker zu. Wenn
man bei einigen zweifelte, ob sie dem Theokrit oder dem Leonidas
von Tarent gehörten, so war dazu der Inhalt die Veranlassung; denn
auch Leonidas behandelte ländliche Motive, wenn auch in anderer
Weise als Theokrit.
Dem vierten Epigramm hat W i 1 a m o w i t z die sechste Beilage
seiner Textgeschichte gewidmet. Er weist nach , wie hier mehrere
Motive hellenistischer Epigrammatik zu einer Elegie verarbeitet
werden, die den Elegien des Properz nahesteht. Insofern ist dieses
Gedichtchen sehr interessant; man sieht daraus, wie weit damals
schon die Griechen auf dem Wege von Kallimachos zu Properz
waren. — Außerdem erklärt Wilamowitz Epigr. 8 auf S. 118,
Anm. 1, Epigr. 13 ebenda Anm. 2 und Epigr. 14 auf S. 119, Anm. 2.
Über die Techno pägnien spricht Wilamowitz in der
elften Beilage seiner Textgeschichte, nachdem er darüber schon früher
in dem Jahrbuch des kais. deutsch. Archäolog. Instituts Bd. XIV,
S. 51 f., gehandelt hat. Er verteidigt seine hier ausgesprochene
Ansicht gegen Reitzenstein, der in dem Artikel Epigramm in
Pauly - Wissowas Kealencyklopädie die Technopägnien für Buch-
epigramme erklärt. Wilamowitz halt sie, wie vor ihm schon
Hecker, für wirkliche Aufschriften; Simias greift nämlich zu den
verschieden langen lyrischen Versen , um den Raum zu füllen , der
ihm gegeben war : die Schneide des Beiles , die Flügel der Statue,
die Fläche des Eies. Ebenso ist Theokrits Syrinx zur Aufschrift
auf eine Syrinx bestimmt, die dem Pan geweiht wird. Dagegen be-
zeichnet der dorische Altar des Dosiadas den Fortschritt zum carmen
figuratum; die Verse standen nicht auf dem als Ort für sie an-
gegebenen Altar der Chryse auf den Neä bei Lemnos, sondern er-
wecken nur den Schein, als ob sie durch die Raumverhältnisse jenes
Altars bedingt seien. Noch weiter geht der ionische Altar, der jede
Fiktion aufgibt. In dem als Verfasser überlieferten Be^antinos ver-
mutete Häb erlin den Julius Vestinus. der vom Vorsteher des
alexandrinischen Museums zum ab epistulis avanciert ist, und Wila-
mowitz hält diese Vermutung für recht wahrscheinlich. A. Franke,
De Pallada epigrammatographo, üiss. Lips. 1899, S. 10 f.,
hält dagegen an Besantinos als Dichternamen • unter Zurückweisung
der lokalen Deutung fest und G. Knaack im Nachtrag zu Pauly-
Wissowas Realenc. s. v. stimmt ihm bei; vgl. übrigens auch H. Stadt-
mtiller, Wochenschr. f. kl. Piniol. 1900, S. 825 f., der A. P. IX,
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288 Jahresbericht über die griechischen Lyriker. (Sitzler.)
118 Br(aavnvou als Bezeichnung der Heimat des Dichters Palladas
faßt. Daß auch das Versmaß der Technopägnien beachtenswert ist,
besonders das des Eies, legt Wilamowitz ausführlich dar. Die
von H. Omont in den Monuments Piot XII, 1 herausgegebenen und
Rev. des Stüdes gr. XVI, 496 aus dem Altertum hergeleiteten
Miniaturen zu den Technopägnien sind nach W i 1 a m o w i t z , . S. 9,
Anm. 1, erst aus späterer Zeit. — Am Schlüsse von Sijm'oo r&sxuc
schreibt Wilamowitz jj.at6u.svoc st. {xaGvoc, in den Uxipofei 9 oo8*
"Apeoc st. 8' "Äpeoc, im *i2i4v 3, 4 : ttj too' axpiov veov Atopta; a7jö<5vo;,
15 rcaaat st. iraXai, 16 l<; avtpa, 17 Ba^ajiav lAoyoiwwp , 19 xqk*
toxa, in Br^aavTivoo ßcuu6< 10 Xaßovte. — Über Dosiadas vgl.
It. Reitzen stein in Pauly-Wissowas Encykl. Bd. V, S. 1596 f.,
wo die Ergebnisse der Forschung übersichtlich zusammengestellt sind.
Gegen Lykos von Rhegion als Vorbild des Theokrit für das Lied auf
Komatas (VII, 83 f.) spricht sich E. Schwartz aus, vgl. oben S. 267 f.
Mit dem Leben und der Dichtkunst Theokrits beschäftigt
sich, abgesehen von den schon genannten Schriften von Wilamowitz
und E. Schwartz, auch
C. Wendel, De nominibus bu coli eis. Abdruck aus
dem 26. Supplementband der Jahrb. f. klass. Philologie. Leipzig
1900 [Der erste Teil erschien als Haller Dissert. 1899] und
Theocritea. Piniol. 1905, S. 269 f.
Wilamowitz hat die Ergebnisse seiner Forschungen in der dritten
Beilage seiner Textgeschichte, die „Zeitbestimmung der Gedichte
Theokrits" betitelt ist, zusammengestellt, in mancher Hinsicht seine
früheren Ansichten berichtigend. Als Heimat Theokrits steht Syrakus
durch das Selbstzeugnis des Dichters in der Spindel und ini Kyklop
fest; mit Orchomenos hat er nach Wilamowitz nichts zu tun.
Dagegen greift Wendel im Philol. a. a. 0. die auf Orchomenos
bezügliche Notiz des Scholiasten zu VII, 21 auf. um seine Ansicht
über den Namen Simichidas damit zu stützen. Da nämlich hier ein
Simichidas, Sohn des Perikles, aus Orchomenos genannt wird, so hält
er es für möglich, daß dieser der Stifter eines ui'aaoc 2tu.tyt6&v auf
Kos war, dem Theokrit angehört habe und als dessen Mitglied er
sich 2tfuxßctc genannt habe. Ebenso will er SixeMöct? auf einen
Waoo? 2ixeXto&v zurückführen. Das Bedenken, daß die sonst über-
lieferten Namen von Vereinen nicht patronymisch, sondern auf -axij?
oder adjektivisch gebildet sind, will er durch den Hinweis auf die
dichterische Freiheit und auf Namen wie 'AoxX^ma'Äat und 'O^piöai
entschuldigen. Nach der Analogie von 'O^pßai und 'Asx/^inaoai
wären die Simichiden und Sikeliden Männer, die sich vereinigt hätten,
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Jahresbericht über die griechischen Lyriker. (Sitzler.) 280
am die Tätigkeit des Simichos und Sikelos fortzusetzen; dies würde
eine hervorragende Stellung und Bedeutung dieser Stifter voraus-
setzen, wie es bei Asklepios und Homer der Fall war; wir hören
aber nichts von ihnen, und ebensowenig von den von ihnen gestifteten
Vereinen, trotzdem diesen Dichter wie Theokrit und Asklepiades
angehört hätten. Außerdem wäre jedes Mitglied eines solchen Vereins
ein Ztptxtöac oder StxsXtoac; wären das also für den einzelnen be-
zeichnende Namen? Wilamowitz hält es für wahrscheinlich, daß
ein Zusammenhang zwischen Asklepiades -Sikelidas und Theokrit-
Simichidas obwaltet, gesteht aber, daß wir nicht imstande sind, ihn
zu durchschauen; „nicht einmal soviel ist gesichert, daß Theokrit,
bevor er die Thalysia dichtete, oder auch nachher. Simichidas genannt
worden ist, zumal der Name mit der Hirtenmaske verbunden ist".
Seine Heimat verließ Theokrit früh, um sich seine Bildung im
Osten zu holen; hier schloß er auch seine Freundschaft mit Nikias.
Wilamowitz weist also auch jetzt noch die Annahme, daß Theokrit
in Kos bei Philetas studiert habe , zurück , obwohl sie doch , wenn
der Dichter im Osten gebildet wurde , als die wahrscheinlichste er-
scheint. Von da reiste Theokrit wieder nach Sizilien zurück, wo er
im Jahre 275/4 die Chariten an Hieron richtete; in diesen Aufenthalt
fällt auch der Kyklop und die Spindel. Schwartz hat unrecht,
wenn er die Chariten in den alexandrinischen Aufenthalt des Dichters
verlegt. Als Theokrits Versuch, Hofdichter Hieruns zu werden,
mißglückt war, reiste er zu seinem Freunde Nikias nach Milet und
von da nach Alexandria ; unterwegs besuchte er einer Notiz des
Scholiasten zufolge Kos. In Alexandria entstanden die Adoniazusen
und etwas später das Enkomion auf Ptolemäos: hier kann er auch
die Bekanntschaft des Kallimachos gemacht haben, die in den Ge-
dichten zum Ausdruck kommt, wie im Thyrsis, wo sich Kallimachos
unter dem Namen Chromis verbirgt. Aber auch in Alexandria hatte
Theokrit keinen bleibenden Aufenthalt; wir finden ihn in der nächsten
Zeit in den dorischen Gegenden Asiens, wo auch der Schauplatz
einiger seiner Gedichte ist ; so der des Thyrsis, der Pharmakeutria,
und auch die Kameen des fünften Gedichtes weisen dahin, ebenso
die Ergatinä. Einen längeren Aufenthalt auf Kos setzen die Thalysia
voraus. Von einer Verbindung mit Sizilien ist keine Rede mehr. Das
Todesjahr des Dichters ist ebenso unbekannt wie das Geburtsjahr;
aber da seine Gedichte in die Jahre 274—260, vielleicht auch noch
etwas später, fallen, scheint er nicht gerade alt geworden zu sein.
Wilamowitz spricht dem Theokrit Originalität in der Er-
findung ab und meint, er tibernehme immer nur fremde Motive. Ich
JabrMb*richt für AItertum»wisgen»chaft. Bd. CXXXIII. (1907. I.) 19
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290 Jahresbericht über die griechischen Lyriker. (Sitzler.)
habe oben schon bemerkt, daß sich dieses Urteil dem Erfinder des
Hirtenmimns und der Bukolik gegenüber nicht aufrecht erhalten läßt.
Die Vorzüge Theokrits in der Behandlung seiner Stoffe erkennt auch
W i 1 a m o w i t z an, und Schwartz weist eingehend nach, mit welcher
Kunst sich unser Dichter in die verschiedensten Situationen zu finden
und überall den rechten Ton zu treffen weiß. Als Dichter vertritt
Theokrit die Grundsätze des Kallimachos gegen Apollonios; so in
den Thalysien, dem Hylas und den Dioskuren. Daher hätte Schwartz
den Hylas nicht in die voralexandrinische Zeit des Dichters ver-
legen sollen.
Die Frage nach der strophischen Gliederung der Theokritischen
Gedichte , die von früheren Gelehrten zu großem Schaden des über-
lieferten Textes behandelt worden war. bespricht Wilamowitz in
der zweiten Beilage in ganz vortrefflicher Weise; er zeigt, daß sie
von unserem Dichter bei passender Gelegenheit angewandt wurde,
aber nicht als ein leeres Spiel mit Zahlen und auch nicht überall.
Besonders interessant sind die Darlegungen über die musikalische
Wirkung des Refrains oder der Schaltverse. Auch Wendel tritt
für die Aunahme strophischer Gliederung ein, wenn der Fehler, jedes
Idyll in ein festes Zahlenschema, womöglich mit Gewalt, einzupressen,
vermieden wird. Wenn er aber weiter aus der in Q neben VIII, 88
stehenden Randbemerkung ocvxiaTpo?/, schließen will, daß die V. 88
bis 93 als Gegenstrophe zu 82 — 87 als Strophe aufgefaßt worden
seien, und daß demnach der Versuch, Strophen bei Theokrit fest-
zustellen, das Recht der Überlieferung für sich in Anspruch nehme,
so übersieht er, daß chmaxpo^ an dieser Stelle kein metrischer
Terminus ist, sondern ein grammatischer, der auf die Umkehrung
der Form der Gleichnisse in V. 88 f. die Aufmerksamkeit der Leser
hinlenken will, also dasselbe bezweckt wie das Schul., das Ähren s,
S. 301, zu der Stelle anführt: tarrstai Ii IvaUa'S, -pfoepov to a»c
veßpfc? &)Xzxai iiü ttjv {iijx^pa, (sTxa to> o3to> xal 6 7cat; &ydprt. Über
avTiaxpo^ vgl. jetzt auch W. Rutherford, a chapter in the
history of annotation 1905, S. ;U4.
Wie der strophischen Gliederung der Gedichte, so haben die
Gelehrten auch den in den Gedichten vorkommenden Eigennamen
ihre Tätigkeit zugewandt. Hier handelt es sich besonders darum,
festzustellen , mit welchen Namen der Dichter wirkliche Personen
bezeichnete, und wer die Personen sind, denen er diese Namen bei-
legte. Wendel hat diese Frage von neuem untersucht und ist
dabei zu dorn Ergebnis ^kommen, daß nur Phrasidamos, Antigenes,
Lykoreus, Philetas, Eukritos, AmynUs, Lykidas, Ageanax, Myrto,
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i
Jahresbericht über die griechischen Lyriker. (Sitzler.) 291
Aratos, Philinos, Molo, Aristis, Glauke, Pyrrhos, Milon, Praxiteles
wirkliche Personen benennen; die anderen Namen sind erdichteten
Personen beigelegt, nur daß Sikelidas den Asklepiades and Simichidas
den Theokrit bezeichnet, worüber ich schon oben sprach. Dasselbe
Thema behandelt Wilamowitz in der ersten Beilage , die auch
einige Versehen Wendeis berichtigt; er weist mit Recht darauf
hin , daß man auch die sprachlich bedenklichen Namen aus dem
grammatischen Grunde allein nicht antasten dürfe. Im Gegensatz
zu Wendel hält er, S. 165 f., daran fest, daß auch Lykidas und
Tityros Pseudonyme seien , wie Simichidas und Sikelidas , und
Schwartz stimmt ihm darin bei. Wilamowitz beruft sich dabei
besonders auf Id. III , 3 , wo zu Titupe die Worte euiv x6 xaXov
KS<pt).auivs beigefügt werden, die gewiß auf keine „Füllfigur" hin-
deuteten; offenbar habe Theokrit damit das dritte Gedicht dem
Genossen gewidmet, den er Tityros genannt habe, bzw. der in seinem
Kreise so genannt worden sei. Wer dieser Tityros sei, sagt Wila-
mowitz nicht, aber daß Lykidas Pseudonym für Dosiadas sei, be-
trachtet er auch jetzt noch als wahrscheinlich. Schwartz bringt
den Namen Tityros mit -rvcupivoc zusammen, womit die italischen
Dorer die Flöte mit einem Rohr, sowie den, der sie spielte, benannten.
Ebenso hält er auch Glauke und Pyrrhos nicht für Dichter, sondern
für Musiker, und den Thyrsis für einen umherreisenden Sänger
Wilamowitz bemerkt S. 1 33 f. , daß mythische Personen bei
Theokrit nur in den Reden oder Liedern der handelnden Personen
vorkommen; wo sonst derartige Namen erscheinen, gehören sie be-
liebigen Hirten an. Die Annahme, daß mit dem gleichen Namen bei
unserem Dichter nicht immer die gleiche Person gemeint ist, wurde
durch Wendeis and Wilamowitz' Untersuchungen bestätigt.
Über das Verhältnis Theokrits zu Homer spricht
Kattein im zweiten Exkurs seiner oben erwähnten Schrift. Er
knüpft dabei an Futh, De Theocriti studiis Homericis.
Halle 1876 und an Stanger, Homer im Theokrit, Blätter f.
d. bayer. Gymnasial*. 1867, S. 201 f., an. Katt eins Untersuchung
bestätigt die Tatsache, daß die mimischen und bukolischen Gedichte
an Nachahmungen Homers ärmer sind als die epischen.
Das Verhältnis zwischen Theokrit und seinen Nach-
ahmern untersucht Wendel, und zwar hinsichtlich der griechischen
im zweiten Teil , hinsichtlich der römischen im dritten Teil seiner
genannten Abhandlung.
Zum Schluß erwähne ich noch, daß Wendel im ersten Aufsatze
seiner oben angeführten Theocritea auch das Verhältnis, in dem die
19*
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I
292 Jahresbericht über die griechischen Lyriker. (Sitzler.)
drei in den Jahren 1596, 1608 und 1604 erschienen Comme-
linschen Ausgaben der Bukoliker zueinander stehen, eingehend
behandelt. Dabei ergibt sich, daß die Ausgabe von 1603 weder eine
neue Ausgabe noch ein neuer Abdruck der früheren Ausgabe ist,
sondern daß Commelin im Jahre 1608 die noch vorhandenen Exemplare
der Ausgabe von 1596 samt den Emendationen von Scaliger und
Casaubonus ans dem gleichen Jahre unter das Publikum zu bringen
suchte, indem er sie mit den zwei Jahre vorher erschienenen Scholien
und den neuen Emendationen von D. Heinsius zu einem Korpus ver-
einigte und dabei das alte Titelblatt bzw. die Jahreszahl beseitigte.
Wer den Text der Ausgabe von 1596 — 1608 besorgte, ist unbekannt.
Von der Heinsiusschen Ausgabe weicht er erheblich ab, jedoch bat
Heinsius keine Hs. benutzt, sondern nur die Lesungen älterer Aus-
gaben gemischt und Konjekturen, die im wesentlichen einen reineren
Dorismus bezwecken, beigefügt.
Bion.
Den 'KitiTflKpto? Ä8<uvt8oc behandelt
U. v. Wilamo wit z-Moellen dorff , Bion von Smyrna.
Adonis. Deutsch und Griechisch. Berlin 1900.
An die Spitze ist die deutsche Umdichtung des griechischen Liedes
gestellt. Dann folgt die Einleitung, in welcher der Verfasser über
den Dichter und das Gedicht spricht. Das Gedicht bildete keinen
Teil der gottesdienstlichen Handlung, obwohl es das Fest zur Voraus-
setzung hat, sondern wurde offenbar anläßlich des Festes öffentlich
vorgetragen; es gehörte zu jenen, gerade in der alexandrinischen
Zeit nicht seltenen Gedichten, die „gottesdienstliche Stoffe in der
Weise behandelten, daß sie ein Abbild der heiligen Zerimonie vor-
führten, auch mit dem ganzen Wechsel der Stimmungen, die ihrem
typischen Verlaufe entsprachen". Daran schließt sich die Analysb
des Gedichtes und seine Einreihung in die Poesiegattungen jener
Zeit. Hierauf wird der griechische Text mit kritischen Fußnoten
abgedruckt, und Bemerkungen über die hs. Überlieferung, über
Sprache und Metrum, sowie über einzelne Stellen beigefügt. Mit
Recht bemerkt Wilamo witz, daß der Schaltvers keine Strophen
abtrennt, sondern nur die Stimmung trotz dem Wechsel der Bilder
immer wieder zu dem Grundton der Klage zurückführt (vgl. auch
Textgeschichte, S. 146 f.). V. 73 weist der Verfasser £fif/>}, das
J. H. Voß vermutete, mit Hecht zurück; aber auch die Überlieferung
ipoyfiu ist nicht zu halten. Man erwaitet gKesxev oder ayejxev.
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Jahresbericht über die griechischen Lyriker. (Sitzler.) 293
Im übrigen vgl. meine Anzeige in N. Phil. Rundschau 190 1,
S. 193 f.
In dem Epithalamios des Achilleus und der Deidameia ist V. 9
unverständlich ar^v^a-za überliefert, was Wilamowitz in avop'
ijjvsi xata abändert ; richtiger erscheint mir syvo> an Stelle von -fivst :
„sie lernte ihn als Mann kennen".
Ein neues Gedicht Bions, Orpheus, will G. Knaack
aus dem Moschos zugeschriebenen Epitaphios Bionis V. 14 f. er-
schließen (vgl. Pauly-Wissowas Realencyklop. Bd. II, S. 481). Ihm
folgte Fr. Skutsch, Aus Vergils Früh zeit, Leipzig 1901,
S. 56 f. Diese Vermutung weist J. Heumann, De epyllio
Alexandrino, S. 37, mit Recht zurück. G. Knaack, Ein
verlorenes Idyll des Bion von Smyrna. Hermes 1905,
8. 336 f., sucht seine Ansicht in ausführlicher Darstellung von neuem
wahrscheinlich zu machen, jedoch ohne Erfolg, wie auch Wilamo-
witz, Textgeschichte, S. 241 f., dartut, der zu dem Ergebnis
kommt, daß überhaupt jeder Anhalt fehlt, an einen Orpheus des
Bion zu denken.
Moschos. »
Im *Epu>? 8pair£nje V. 22 emendiert Wilamowitz gut itoXo
7cXeov dt öai? a&T«j>. Den letzten Vers des Gedichtes aläX xoi xo
ütßapov, o xöv xtX. schließt er aber ohne Grund als unpassend ein;
st. alaX ist oafet zu schreiben : „sie entzünden sogar das Eisen, das
den Feurigen festhalten soll", die unwiderstehliche Macht des Eros
charakterisierend und so das Ganze gut abschließend.
Europa V. 61 schreibt Wilamowitz xap<j<fr st. xotpaoT?, aber
V. 83 behält er oöSfc ulv ofo? fort? ü7:oö[i7j&£i? dptSet iroX'jtpoptov
flbtr]v>jv bei. Meiner Meinung nach ist fort? uiroöjiij&et'? aus oait\rflfi
Zprfltb entstellt. Den V. 140 erklärt Wilamowitz für interpoliert,
weil er einen geschlossenen Zusammenhang unterbreche, und Europa
keine Veranlassung habe, in dem Stier einen Gott zu sehen (vgl.
Textgesch., S. 101). Ich kann mich von der Richtigkeit dieser
Ausstellungen nicht überzeugen. Wenn die Jungfrau das Verhalten
des Stiers zuvor auf dem Lande und jetzt im Meere erwägt, so muß
sie auf den Gedanken kommen, nicht nur daß es ein Wunderstier
ist, sondern daß sich ein Gott unter dieser Maske verberge, um so
mehr als sie ja die Geschichte der Jo, die auf ihrem Blumenkorb
dargestellt ist, kennt; Jo als schwimmende Kuh und Zeus als
schwimmender Stier hat der Dichter absichtlich einander gegenüber-
gestellt. Den Grund für ihren Verdacht gibt sie in den Worten
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2t»4
.Jahresbericht über die griechischen Lyriker. (Sitzler.)
ösoTc 8' ireotxota plCeic an , die im folgenden aasgeführt werden ;
so wenig wie die Delphine auf das Land, gehen wirkliche Stiere in
das Meer; diesem Stier aber ist Land, Meer, ja sogar der Luftraum
zugänglich, wie einem Gott. Man sieht, wie passend dieser V. 140
zwischen dem Vorhergehenden und Folgenden vermittelt. Der Schluß
des Gedichtes ist verstümmelt; die Worte aortxa 71'vsTo fi^Tijp sind
eine Nachahmung von yivEx' auxixa vtSjicpYj im vorhergehenden Vers
und, wie Wilamowitz bemerkt, zur Ergänzung einer Lücke bei-
gefügt, in der über die Königswürde der Söhne der Europa ge-
sprochen wurde, also etwa xat Kpovt&o xe'xe raioo? cfyaxXstTO'i? ßaaiX^a?.
Über den 'Eiatacptoc Btcovoc spricht Wilamowitz, Text-
geschichte, S. 146 f. und S. 241 f. An der ersteren Stelle legt er
die Bedeutung des Schaltverses dar, welcher tiberall da steht, wo
eine Pause angemessen ist ; so auch nach V. 112, wo der Dichter
etwas verschweigt und sagt, daß er etwas verschweigen wolle. An
der letzteren Stelle begründet er die Änderung von ^pu? äeiSsv
V. 16 in Y^pa? detäst. V. 93 schreibt er ei ok lupaxoai'oisi Hs6xptxoc
st. Iv Si 1., eine Konjektur, deren Richtigkeit er Hermes 1905,
S. 141, nachzuweisen sucht : „für Syrakus bist du, Bion, Theokritos" ;
einfacher und besser scheint es mir, iv in 7jv zu ändern: „es war*, ist
aber jetzt nicht mehr, da Bion an seine Stelle getreten ist.
Megara V. 57 schreibt Wilamowitz xaxa •('kayupwv st.
ßXe<pdpa>v; damit ist u.^X<ov „Wangen" zu verbinden (vgl. Text-
geschichte, S. 41, Anm.). Auch vjyop fyo (st. ousp.evs'tov) V. 77
ist recht ansprechend.
Zu dem Moschos zugeschriebenen Epigramm (Anth. Plan. IV,
200) bemerkt Wilamowitz: „nec pictura talis nec epigramma
Moschi Siculi temporibus convenit".
Das Anakreonteum sf? vsxpöv "Aöu>viv
verlegt W i 1 a m 0 w i t z in die frühbyzantinische Zeit, in das 4. — 0. Jahr-
hundert. V. 32 ist korrupt; Wilamowitz erwartet: „und da hat
mein Hauer das Unheil angestiftet" (vgl. Textgeschichte, S. 71, Anm.).
Ich glaube, in xaxesiva^e steckt xax23T'JYvaC£ „laß deinen Unmut an
mir aus" ; dann bildet dieser Vers nicht den Abschluß des Vorher-
gehenden . sondern den Beginn der folgenden Worte. Das Verb
xataTcuYvaCeiv paßt in die byzantinische Abfassungszeit.
Ein neues Idyll
veröffentlicht J. Sturm, Ein unbekanntes griechisches
Idyll aus der Milte des XV. Jahrhunderts aus dem cod.
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Jahresbericht über die griechischen Lyriker. (Sitzler.) 295
Vaticanus gr. 1898 in der Byzant. Zeitschrift X (1901), S. 43a f.
Es sind 63 Hexameter; der Dichter ahmt darin die alte bnkolische
Dichtung nach.
IV. Anthologie.
Über den cod. Marcianus 481, das Autographon des
Planudes, macht
K. Radinger, Zur griechischen Anthologie. Rhein.
Museum 1903, S. 294 f.,
einige Mitteilungen. Auf dem vorderen Umschlageblatt stehen In-
schriftenkopien, die auf die Scheden des Cyriacus von Ancona zurück-
gehen. Der Verfasser teilt diese mit. Wie aus der Unterschrift
der Nonnos-Metaphrase des Johannesevangeliums , die auch in dem
codex enthalten ist, hervorgeht, wurde die Hs. im September 1301
vollendet. Am Schlüsse der Anthologie steht das bekannte Epigramm
auf die Bibliothek des Apollodor. Eine Randnotiz auf fol. 46v be-
sagt, daß Planudes aus Exzerpten das Kapitel ete a^aX^a-a deaiv an
unrichtiger Stelle eingefügt habe, und ähnliche Redaktionsfehler finden
sich auch sonst. Die Anordnung des Kapitels eis d^aX^axa 8su>v
ist alphabetisch nach den Götternamen, aber im Nachtrag fol. 98r bis
fol. 98v eine freie. Reste der Primärquellen lassen sich da und
dort noch entdecken, su aus dem Meleagerkranz, aus dem Kranz des
Philippos und aus dem Kyklos des Agathias. Die Verfassernamen
weichen öfter von denen der Palatina ab; nach Radinger gehört
Plan. 186 dem Xenokritos, von dem auch Vll. 291 stammt ; der
Dichter Xenokrates ist zu streichen. Plan. 235 muß man dem
Apollonios von Smyrna lassen; Plan. 213 ist von Meleagros, wie
Plan. 251, und Plan. 249 dichtete entweder Anyte selbst oder einer
ihrer Nachahmer, wie Mnasalkas oder Nikias. Zum Schluß fügt der
Verfasser noch eine Reihe von Bemerkungen zu einzelnen Gedichten
bei, von denen ich erwähne IX, 332, 3 rioXtap/tc st. floXoapxfc.
Plan. 239. 3 «Dupfyayoc st. <J>oX6>axoc. Plan. 238, 2 Eyjroyt5/;c
st. EuTU/tör)?. IX, 701, 1 ouU T' "OXujxiro? st. oöö' <5v "O. Plan.
322, 1 <Üi'PfA0? und «Pt'pjiov, wie CJA III, 721 a.
Daran reihe ich
E. Jovy, P. Herbert et ses travaux ine*dits sur
TAnthologie de Planude. Soc. d. sciences et arts de
Vitry-le-Francois XX, 1900. S. 10 f.,
die uns zwar wenig Neues bringen, aber für die Geschichte der
Anthologie - Forschung wertvoll sind. Herbert beschäftigte sich
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290 Jahresbericht über die griechischen Lyriker. (Sitzler.)
sein Leben lang — er starb 1872 — mit dem griechischen Epigramm.
Er übertrug Epigramme aus Planudes in französische Prosa und
stellte Untersuchungen über Entstehung und Entwicklung des Epi-
gramms an, besonders in den sechs Abhandlungen: 1. L'£pigramme
chez les Grecs, les Latins et les Francais. 2. Des commencements,
de la perfection et de la däcadence de l'gpigramme grecque. 3. Des
öpigrammatistes grecs anciens. 4. Sources diverses d'oü viennent
les e"pigrammes grecques. 5. Des recueils d'äpigrammes grecques.
6. Interpretation et critique des textes de 1' Anthologie de Planude.
Am wertvollsten ist die zuletzt genannte Abhandlung, die eine
charakterisierende Aufzählung aller von Herbert benützten editiones
Planudeae enthält und auch sonst einige beachtenswerte Mitteilungen
bringt, so z. B. die Notiz, daß Herbert zu Troyes die Florentina
des Franciscus Pithoeus entdeckte, aus der die griechischen (Musurus)-
Scholien der Wecheliana stammen; der cod. Marcianus 481 blieb
Herbert unbekannt. Als Zugabe zu den Planudea kommt noch
hinzu: 1. Eine biographische Skizze über Jean Brodeau von Tours.
2 Biographische Mitteilungen über Pierre Gilly. 3. Eine nicht
edierte Übersetzung der griechischen Anthologie in lat. Verse (Suppl.
grec 448 E), die, nach dem Text der Stephaniana gefertigt, aus der
Zeit von 1560—1570 stammt und Chardon de la Rochette gehörte.
4. Das Epigramm in Indien, eine von Jovy herrührende Über-
setzung der Vorrede des von P. E. Moore im Jahre 1899 ver-
öffentlichten Buches A Century of Indian Epigrams chiefly froin the
sanskrit of Bhartrihari, der die Übertragung einer Anzahl indischer
Epigramme ins Französische von Jovy beigefügt wurde.
An neuen Ausgaben liegen vor
1. Anthologia Graeca epigram matum Palatina
cum Planudea edidit H. Stadtmüller. Vol. II pars prior
Palatinae 1. VII Planudeae 1. III continens. Leipzig 1899 und
2. A. Veniero, I poeti de l'Antologia Palatina
sec. III a. C. Vol. I parte 1. Asclepiade. Callimaco,
Dioscoride, Leonida Tarentino, Posidippo. Testo,
versione e commento. Con introduzione su la genesi de l'epigramma
epidittico ed erotico. Catania 1905.
Der zweite Band setzt Stadt müllers grundlegende Ausgabe
der griechischen Anthologie in derselben Weise fort , wie ihn der
erste Band begonnen hat; es genügt, darüber auf Jahresb. Bd. 92
(1897), S. 168 f., zu verweisen. Leider hat jetzt der Tod den
verdienten Gelehrten dahingerafft, ehe er noch sein Lebenswerk,
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Jahresbericht über die griechischen Lyriker. (Sitzler.) 297
die Ausgabe der Anthologia, vollenden und die Ergebnisse seiner
jahrelangen Studien in zusammenfassender Darstellung veröffentlichen
konnte.
Veniero hat seiner Ausgabe eine Abhandlung über das epi-
deiktische und erotisch-sympotische Epigramm der Griechen voraus-
geschickt, die für die spätere Zeit mehr befriedigt als für die ältere,
in deren Behandlung sie der Überlieferung nicht kritisch genug gegen-
übersteht; jedoch kommen Sprache und Versmaß nicht zur Behand-
lung, die Einwirkung der spateren Komödie auf das Epigramm ist
nicht beachtet, und der Unterschied zwischen Elegie und Epigramm
bei den Alexandrinern ist nicht gebührend hervorgehoben. Der Text
hält sich möglichst an die Überlieferung; doch beachtet der Verfasser,
wo es ihm notwendig erscheint, auch die vorgebrachten Verbesserungen
oder bessert selbst , das letztere allerdings nur selten. In dem Ge-
dicht des Asklepiades V, 187, 7 f. ergänzt er iratVca tot ercra und
liest ota Xifw 3x<5u.ßpoi de? 8uo xal <jj(aÖ6ve?; aber auch von der
Konstruktion abgesehen, ist es nicht wahrscheinlich, daß die einzelnen
Posten so genau angegeben wurden; denn sonst wären die Worte
des nächsten Verses oupiov a:M xaXtö? XoYiouu.e&a überflüssig. Es
müssen also Worte fehlen, die diesen Zusatz nötig machen, etwa
t&v S' oTToXotTreuv | qid, Xcryto? , axo^ßpoi, (jyjaajiße?, axaöovec Als
Metrum für seine Übersetzung bedient sich Veniero der Versform
der italienischen Epigramme. Die beigegebenen Anmerkungen be-
schäftigen sich mit Ausgaben, Abhandlungen, Lesarten, Autorschaft
nnd Erklärungen der Epigramme ; das Leben der Dichter wird nicht
behandelt.
Einzelne Dichter behandeln
A. Franke, De Pallada epigrammatogr apho. Diss.
Lips. 1899.
Im ersten Kapitel untersucht der Verfasser, welche Epigramme
der Anthologie unserem Dichter zuzuweisen sind, wobei er in lobens-
werter Weise das sichere Eigentum des Palladas von dem zweifel-
haften scharf sondert; das erstere besteht in 144 Gedichten, das
letztere in 28. Ein Versehen ist dem Verfasser bei X, 45 unter-
laufen, insofern es nicht der cod. Palat. , wie der Verfasser meint,
sondern nur Planudes dem Palladas zuweist. Ein Grund, die Echt-
heit von X, 88 anzuzweifeln, liegt nicht vor, wenn man nur mit
Stadt mttller, Wochenschr. f. kl. Philol. 1900, S. 824, annimmt,
daß der Dichter hier nicht in seinem Sinne spricht, sondern im Sinne
des Philosophen, dem er die Verse widmet; Stadtmüller möchte
das Epigramm geradezu als Motto zu Piatons Phaedon bezeichnen.
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298 Jahresbericht über die griechischen Lyriker. (Sitzler.)
Dagegen ist IX, 397 nach Stadtmüller jedenfalls nicht von
Palladas , sondern vielleicht von Paulus Silentiarius. Übrigens ist
Frankes Tadel, S. 7, Anm. 8, gegen Du ebner unbegründet; das
Epigramm ist wirklich zu VII, 223 auf den unteren Rand der Hs.
geschrieben, nicht zu VII, 230, das am Ende der S. 241 des Pal.
beginnt (vgl. II. Stadtmüller zu VII, 229, S. 156, Z. 10).
Besonders wertvoll ist das zweite Kapitel , das im ersten Teil
über Palladas Epigramm gegen Themistios XI, 292, im zweiten Über
das Leben des Dichters handelt. Der Verfasser weist überzeugend
nach, daß das genannte Epigramm im Jahre 384 n. Chr. gegen den
damaligen Stadtpräfekten von Konstantinopel Themistios gerichtet wurde
und gewinnt dadurch einen sicheren Anhaltspunkt , die Lebenszeit
des Palladas zu bestimmen. Das Epigr. IX, 400 auf die Philosophin
Hypatia ist vor 415. IX, 528 auf den Palast der Marina, der jüngsten
Tochter des Kaisers Arkadios , die im Jahre 403 geboren wurde,
nach 420 gedichtet, und XI, 281 geht auf den Arzt Magnus, der
im 4. Jahrhundert n. Chr. zu Alexandria lebte. Da nun Palladas
nach X, 97 72 Jabre alt ist, so wurde er etwa um 350—365 ge-
boren und starb um 420 — 440, lebte also am Ende des 4. und
Anfang des 5. Jahrhunderts n. Chr. Mit Palladios darf er nicht
zusammengeworfen werden. Das Lemma zu IX , 528 gibt ihm den
Beinamen 6 {iet&opoc, den im Lemma zu IX, 481 auch Julianos
Scholastikos erhält; der Verfasser will in dieser Bezeichnung einen
Tadel des Dichters wegen seines Hasses gegen die Christen erblicken,
während Fr. Jacobs darin eine ehrende Benennung sah. Eine be-
friedigende Erklärung ist bis jetzt noch nicht gefunden. Palladas
wird nach seiner Heimat und seinem Aufenthaltsort Alexandriner
und Ägyptier genannt; er war aber auch in Konstantinopel. Er be-
zeichnet sich selbst als Grammatiker, war jedoch mit diesem Berufe
unzufrieden und scheint später einen anderen ergriffen zu haben,
nach dein Scholion einer Münchener Iis., das allerdings wertlos ist,
die Rhetorik und Gerichtsrede (vgl. 11. Stadtmüller a. a. O.,
S. 822). Er war unglücklich verheiratet, worüber er in vielen Ge-
dichten klagt. Vom Christentum und den Christen wollte er nichts
wissen, sondern neigte dem Epikureismus zu.
Eine schwere Aufgabe stellt sich das dritte Kapitel, nämlich zu
erforschen, wie die Gedichte des Palladas in die Anthologie des
Kepbalas gekommen sind. Dali eine Palladas-Saininlung vorhanden
war, die auch die Späteren noch kannten, steht längst fest; dafür
zeugen die Palladas-Keihen der Anthologie , dafür zeugt auch das
Scholion zu VII, 339: ÄOTjXov, &it\ -ivt toOto ^^pctircat • tt/^v fot iv
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Jahresbericht über die griechischen Lyriker. (Sitzler.) 299
toi? toG FlaXXaSa iTrifpajJ-jia^iv e6p£&7) xet'jievov {i^ttote 8& Aouxiavou
icrav. Aus diesem Scholion schließt der Verfasser, daß außer Palladas
auch noch andere Dichter in der Sammlung enthalten gewesen seien,
wie Lukian, Eutolmios, Nestor von Laranda, Tiberius Ulustris,
Julian Imperator, Cyrillus und viele a&qXa, mit Unrecht, wie ich
glaube; denn wäre dies der Fall gewesen, so hätte der Scholiast ja
nur nachzusehen brauchen, von wem das betreffende Epigramm ist.
Seine Bemerkung deutet also an, daß die Sammlung nur Palladas-
Epigramme enthielt, aber nicht von dem Dichter selbst gesammelt
und herausgegeben, sondern von einem anderen, der auch Unechtes
unter Palladas' Namen mit aufnahm; nur in diesem Fall konnte der
Scholiast über ein in der Palladas-Sammlung vorhandenes Epigramm
die Vermutung aussprechen: ^itöts 5e AouxtavoO iaxiv. Und das-
selbe Ergebnis liefert die Anthologie, in der Palladas mit Lukian
oder den anderen erwähnten Dichtern nirgends so innig verbunden
ist, daß auf eine Sammlung zu schließen wäre; auch in der Reihe X,
26 — 43 ist nur ein Palladas-Epigramm. Anders verhält sich die
Sache dagegen, wenn man Palladas und den Kyklos des Agathias
ins Auge faßt; hier findet eine vollkommene Verschmelzung des
Palladas mit den Dichtern des Kyklos statt (vgl. z. B. die Reihe VI,
54—86, X, 64—76, XI, 349—354 und 865—387). Franke hätte
also nicht sagen sollen, Palladas sei aus dem Kyklos des Agathias
ausgeschlossen gewesen. In Wahrheit ist es so, daß Agathias den
Palladas benutzte, daß aber daneben noch eine Sammlung unter des
Palladas' Namen fortbestand, deren sich Kephalas ebenfalls bediente ;
aus ihr stammen die langen Palladas-Reihen.
Kann ich so dem Verfasser in diesen Punkten nicht beistimmen,
so erkenne ich doch gerne an, daß seine Arbeit auch in diesem Kapitel
nicht vergeblich gewesen ist. Er legt die Komposition des zehnten
und elften Buches der Palatinischen Anthologie klar dar und be-
richtigt Sakolowski (vgl. Jahresber. Bd. 92 (1897], S. 169) in
dieser Hinsicht vielfach, er scheidet den Lucillius von Luc i an. indem
er diesem die Epigramme des zehnten, jenem die des elften Buches
zuweist und liefert auch im einzelnen schätzbare Beiträge. Mit Recht
bemerkt er, daß die Epigramme XI, 27 und 39 in dem alphabetisch
geordneten Bruchstücke aus Philipps Kranz dem Makedonios nicht
angehören können; das erstere spricht Stadtmüller dem Maecius
(juintus zu, das letztere ist das einzige, das zu Max^Sovioo noch Öeaaa-
Xovtx^to? hinzusetzt; es wird wohl von Pbilippos oder Antipatros
sein. XI, 72 vermutet Stadtmtiller, daß die Überschrift Boaooo
Sjiupvafou aus Basaou rt Muptvoo entstanden sei. Auch weist er
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300 Jahresbericht Uber die griechischen Lyriker. (Sitzler.)
nicht, wie Verfasser angibt, XI, 198 dem Meleagrischen Kranze zu,
sondern scheidet den hier genannten Theodoros wohl von dem des
Epigramms VI, 282. Das Gedicht XI, 213 wird wie 214 dem
Lucillius angehören, wie schon Set ti vermutete. Demselben Lucillius
weist der Verfasser XI, 267, 268 und 316 zu, dem Palladas IX,
499, 500, XJ, 342, außerdem X, 105, 111, 113, 115 und vielleicht
1 Di— 119. Dazu fügt Stadtmüller noch IX, 530, 133 und 164,
eine Parallele zu XI, 386. Nach demselben Gelehrten ist XI, 7
und 8 von Nikarchos, XI, 270 von Julian.
Die zwei letzten Kapitel handeln über die Arten von Epi-
grammen , die Palladas dichtete . über die Stoffe , die er behandelte,
über Wortspiele und Parodien, deren er sich bediente, über die Vor-
bilder, die er hatte, über die Sprichwörter, die sich bei ihm rinden,
über sein Verhältnis zu den Römern, besonders Martial und Ausonius,
über seine Bedeutung als Dichter, über seine Nachahmung durch die
Späteren, über Sprache und Metrik seiner Epigramme und geben so
ein vollständiges Bild von dem dichterischen Schaffen und der
Eigenart unseres Epigrammatikers.
Ein Gedicht des Palladas (X, 87) ist bei den österreichischen
Ausgrabungen in Ephesos als Inschrift aufgefunden worden (vgl.
Jahresh. d. österr. arch. Instituts V, Beiblatt 33 f.). Hier lautet der
zweite Vers mvwvre? >j Tpu<p£vte? r, keXoo^vot. E. Kaiinka hat
in den Wien. Stud. 1902, S. 292 f., das Gedichtchen ausführlich be-
sprochen. Am Anfang möchte er <5v jit) ^ iXcujxev st. äv u)j 7sXS»}j.sv
lesen, wovon ihn schon y hätte abhalten sollen: y^&jjlsv tiv ßiov
xtX. erklärt Palladas in Epigr. X, 72: axijvr, ira? 6 ßto? xal zaqvtov
t, jiaöe irai'Csiv | tijv airooÖTjv jiexaÖsic rt cplps tic 48uvac. Was das
Leben und das Schicksal bringt, sagt der Dichter, muß man als
Scherz und Spiel auffassen, worüber man lacht und wodurch man
sich den Genuß des Lebens nicht verderben läßt; wollte man es
ernst nehmen und darüber nachdenken, so würde man sich nur das
Leben verbittern, da man überall Willkür und Ungerechtigkeit fände.
Derselbe Gedanke ist auch X, 77 und 96 ausgedrückt.
Maria Joanna Raale, Studia in Anvtes poetriae
vi tarn et carminum reliquias. Diss. Amstelodam. 1903.
Die Verfasserin behandelt nicht nur das, was sie neu gefunden
zu haben glaubt , sondern auch das , was sogar ihrer Meinung nach
längst bekannt ist, mit gleicher Ausführlichkeit, und dadurch ist die
Abhandlung über Gebühr lang geworden ; immerhin enthält sie gute
Beobachtungen. Das erste Kapitel über das Leben Anvtes bringt
nichts Neues; beachtenswert sind aber die Ausführungen, mit denen
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Jahresbericht über die griechischen Lyriker. (Sitzler.) 301
sie Kalkmanns Bedenken gegen die Richtigkeit der Angabe Tatians,
Anyte sei von den Künstlern Euthykrates und Kephisodotos bildlich
dargestellt worden, bekämpft; sie glaubt an die Wahrheit dieser
Mitteilung und nimmt zwei Statuen der Anyte an, eine aus Mannor
von Kephisodotos und eine aus Erz von Euthykrates. Der Name
der byzantinischen, mit Anyte etwa gleichzeitigen Dichterin lautete
nach ihr Myro, nicht Moiro, und in diesem Glauben macht sie nicht
einmal die Wahrnehmung schwankend, daß durch Einführung von
Myro st. Moiro das Metrum verletzt würde (A. P. II, 410, IV. 1, 5,
IX, 26, a); sie hilft sich durch die Annahme, die Dichter hätten
aus Mißverständnis oder Not die erste Silbe von Myro lang- gebraucht,
über dieses Hedenken hinweg. Wenn man aber weiter noch be-
achtet, worauf auch die Verfasserin hinweist, daß Moiro ein seltener,
Myro dagegen ein ganz gewöhnlicher Name war, so wird man die
Verschreibung bzw. Abänderung von Moiro in Myro selbstverständlich
finden, während man nach einem Grund, Myro in Moiro zu bessern,
vergeblich suchen wird. Man wird also gut tun, an Moiro als Namen
der Dichterin festzuhalten, zumal da er auch etymologisch an den
anderen mit Motpo- Leginnenden Namen einen Rückhalt hat. Was
die Verfasserin über Beziehungen zwischen Anyte und Moiro oder
gar innige Freundschaft zwischen ihnen sagt, schwebt vollständig
in der Luft; die Überlieferung weiß von einem Verkehr zwischen
beiden nichts.
Das zweite Kapitel , Mitteilungen über die Palatina , Planudea
und andere .Sammlungen im Anschluß an die bis jetzt vorliegende
gelehrte Forschung, könnte ohne Schaden fehlen; dagegen stellt das
dritte Kapitel eingehende Untersuchungen über Sprache, Metrum und
Echtheit der Anyte zugeschriebenen Gedichte an. Besonders wichtig
sind hier die Beobachtungen Uber die attische Korreption und den
Gebrauch von Daktylen und Spondeen; interessant die Nachweise
über Anklänge an Homer und die Tragiker. Außer den 17 der
Anyte von der Überlieferung einheitlich zugewiesenen Epigrammen
gehören ihr noch IX, 313, VII, 190 und 649 aus der Zahl der
Gedichte, hinsichtlich deren die Überlieferung schwankt; aber VII,
189, 232, 236, 238, 492, 538 und XVI, 229 haben mit unserer
Dichterin nichts zu tun. Dies Ergebnis stimmt mit den bisherigen
Annahmen tiberein ; nur daß S t a d t m ü 1 1 e r VII, 1 90 dem Alexandriner
Leonidas geben wollte, da es isopseph ist, wenn man im zweiten Vers
ixtuyt st. stcüH und im vierten -aiyvi 6 st. ratt-yvta liest. Die letztere
Verbesserung ist gut und auch von B aale aufgenommen; die erstere
weist sie aber mit Recht zurück, da der Aorist hier ganz an seinem
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302 Jahresbericht über die griechischen Lyriker. (Sitzler.)
Platze ist. Übrigens würde das Epigramm auch durch die Schreibung
ärfiovi im ersten Vers, wie sie in der Hs. steht, und durch die
Änderung 8i$d fäp auxq. st. hiaacL ^ap aoxa? im dritten Vers unter
Beibehaltung von irai'fvi' 6 isopseph ; aber seinem ganzen Charakter
nach gehört es nicht dem Alexandriner. Epigr. VII, 492 sprach
Stadtmüller dem Antonius Thallus zu, was ßaale nicht billigt.
VI , 123 , 2 hält sie an Soucov als Anapäst fest und sucht diese
Quantität zu verteidigen, trotz jAeveöaioo mit langem o in VII, 208, 1 ;
empfehlenswerter erscheint es mir mit Umstellung zu lesen TtotCe
oovov 5otü>v xeftxeov djA<p' ovo^a. IX, 313 liest die Verfasserin unter
Verwertung der Verbesserung Reitzensteins richtig: fCeo taaS'
M xtL, ebenso XVI, 228, 3 tyuypdv st. tyuyjAv vgl. IX, 315, 2,
aber VII, 215, 6 ist dCotX&xv st. hh paSivav nicht zu billigen; man
braucht ein Wort, das den Gegensatz zu der früheren Tätigkeit des
Delphins zum Ausdruck bringt, also 8' dfyavimv „untätig, kraftlos".
K. Radinger, Leonidas von Taren t. Rhein. Museum
1903, S. 294 f.
Die Arbeit des Verfassers ist eine willkommene Berichtigung
und Ergänzung der Untersuchungen Sakolowskis, Settis und
Piccolominis (vgl. vor. Jahresb. Bd. 92, S. 171 f. und S. 180f.);
freilich hätte der Verfasser diese etwas mehr berücksichtigen dürfen.
Einen Anhalt zur Bestimmung der Lebenszeit des Leonidas findet
er in Epigr. IX, 349, das nach ihm an Kaiser Claudius im Jahre 53
gerichtet wurde; denn dieser war am 1. August geboren, Vespasian
dagegen, auf den man das Gedicht gewöhnlich bezieht, am 18. November,
also zu einer Jahreszeit, wo man das Abruzzenbad Cutiliae nicht be-
suchen konnte; auch die Bezeichnung „Großvater* paßt auf Claudius
besser als auf Vespasianus. Aber die Isopsephie des Epigrammes
stimmt nicht; ergänzt man mit Heringa -rrdXiv in V. 3, so fehlen
im ersten Distichon noch 400, und der Verfasser hat diese Differenz
nicht ausgeglichen. Dübner schlug KoxoXeia st. Koxt'Xeta vor, aber
auch so bleibt noch ein Rest von 10, den man beseitigen kann, indem
man KouxiXeia liest, oo als Umschreibung des kurzen lateinischen u,
wie auch sonst (vgl. z. B. IX, 791, 6 IIoVtodjxq?. XVII, 160, 5
Ilo*j8evTa<; und Kühner-Blaß gr. Gr. I, S. 55, 11).
Dann wendet sich der Verfasser den Gedichten des Leonidas
zu und bezeichnet es als verfehlt, daß Stadtmüller dem Alexan-
driner VI, 200. 262, VII, 19, 17:!, 190, 656, 660 und IX, 337 zu-
gewiesen habe. Daß ich hinsichtlich des Epigr. VII, 190 derselben
Ansicht bin, habe ich schon oben gesagt, und auch hinsichtlich der
anderen, abgesehen von VII, 173 und IX, 337, stimme ich Radinger
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Jahresbericht über die griechischen Lyriker. (Sitzler.) 303
bei; denn die durch Abänderung der Überlieferung hergestellte
Isopsephie kann ich für kein sicheres Kennzeichen der Autorschaft
halten , da sie sich , wie mir ein Versuch zeigte , auch bei anderen
Dichtern erreichen läßt. Schwierig ist die Frage, wie die Isopsepha
in unsere Anthologie kamen. In Meleagers Kranz waren sie nicht
eingereiht, wie ich schon im vor. Jahresb. a. a. 0., S. 172, aus-
führte. Radinger spricht sie auch dem Kranze des Philippos und
dem Anthologion des Diogenian ab und teilt die Vermutung Wcigands,
daß sie Kephalas dem Sammelwerke des Leonidas selbst entnommen
habe, wofür auch die längeren Reihen VI, 321—329, VII, 547—550,
IX. 78—80, 344—356 sprächen. Gewiß ist das Gewicht dieser
Beobachtung nicht zu unterschätzen, und es wurde von mir auch
schon oben bei Palladas gewürdigt; aber anderseits ist doch auch
eine Verbindung des Leonidas mit Dichtern des Philippischen Kranzes
in unserer Anthologie nicht zu verkennen; so VII, 173: Leonidas,
174: Erykios, 175, 176: Antiphilos, eine Stelle, die allerdings für
den Verfasser nicht in Betracht kommt, da er VII, 173 dem Alexan-
driner abspricht ; aber auch IX, 10: Antipater Thess., 11: Philippus,
12: Leonidas und noch mehr IX, 77: Antipater Thess., 78—80:
Leonidas, 81: Krinagoras, 82: Antipater Thess. usw. tritt diese
Verbindung zutage. Ich neige mich also der Annahme zu, daß auch
Philippos Gedichte des Leonidas von Alexandria in seinen Kranz
aufnahm , daß daneben aber auch noch Leonidas' Sammlung selbst
dem Autor unserer Anthologie zur Verfügung stand. Ähnlich liegt
der Fall ja auch bei Palladas, wie ich oben dartat.
Als Dichter ist der Alexandriner, wie Radinger nachweist,
sklavischer Nachahmer der älteren Epigrammatiker, am häutigsten
des Philippos, in den Skoptika auch des Lucillius. Etwas freier
und selbständiger als in der Wahl der Stoffe zeigt er sich in der
Ausführung der Gedanken, jedoch hat er auch hier manches aus
Kallimachos herübergenommen. Auch Selbst Wiederholungen sind bei
Leonidas nicht ausgeschlossen. Im Sprachschatz hat er manche
Neuerungen, so das pass. gebrauchte töovw VI, 328, 3, wpoo^peiv
mit Akk. IX, 344, 4, Toiof IX, 354, 2. Ob Leonidas Nachfolger
auf dem Gebiet der Isopsephie gefunden hat, wissen wir nicht.
Rubensohn wollte die Sitte, fo<fy>)<pa zu dichten, auf orientalische
Einflüsse zurückführen; ich halte dies mit Radinger für unnötig,
da sie nur ein Glied in der Kette jener Künsteleien bilden, die von
den Simonideischen ypZyoi über die carmina figurata zu den Akrosticha
des Eudoxos und Dionysios und zu den Anastrephonta des Nikodemos
von Heraklea leitet.
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304 Jahresbericht über die griechischen Lyriker. (Sitzler.)
Zum Schlüsse prüft Radinger die Isopsephie der erhaltenen
Gedichte nach. Ohne Änderung stimmen VII, 547 (72(*»7), 068
(6576), 675 (3702), IX, 12 (7666), 80 (6501), 123 (7523), 314
(6600). 348 (4173), 351 (7302), XI, 70 (7246), 199 (6863), XII,
20 (6749). Änderungen sind nötig bei VII, 548, 1 AdjAtuv st.
Aatutov (7150). 549, 1, wo Rad in g er IdCsi st. afa'Cei schreibt;
ich lese f)pr,voi3t veaCsi (6828). Anders Stadtmüller. 550, 2 mit
Piccolomini Oösuuttjv st. <l>duoT»)v und V. 4 str^ec mit Plan.
(9722). IX, 345 schlägt Radinger <A?v>aöa>a? vor (6422); mir
gefällt alv 'Attalas besser. 350, 1 besserte Toup /tovwSea st.
«TOv<Ä8sa (8035). 352, 1 Dübner Öußpioo? st. eujißptooc (7218).
353, 1 Reiske ßeßai6TaTov und V. 4 Heringa dotöoi^Xoc (5161).
354, 4 Radinger <hrij(i)fo|i' (8316). 355, 1 schlug ich früher
schon uei'fATjfAa st. fjLtfX7jjj.a vor, um Isopsephie zu erlangen (6422).
356 stellte Piccolomini die Isopsephie durch die Schreibung &c
1* dpuasa&ai her (7380); noch einfacher gewinnt man diese, wenn
man nach x^x IX, 347, 2 hier im vierten Vers xr^' st. xefe schreibt
(7673). Radinger verwandelt im ersten Vers kzip^ in tsp%; so
fehlen aber immer noch zwei. XI, 9 liest Radinger V. 1 jaoü st.
jioi, V. 2 avxa st. apta, V. 3 «qpoTrovoitJi st. ipf 07c(5votai , dies mit
Casaubonus, jenes mit Piccolos, und erhält so 8170. XI, 187, 1
macht Settis Stfitt-oXoc st. 2fyioXoc isopseph (10011). IX, 42 wird
isopseph, wenn man xat^öoffe st. oY eöuas V. 3 liest (7911); nach
V. 2 ist stark, nach ved»c tporav leicht zu interpungieren. Damit
erledigen sich Settis und Piccolominis Versuche (vgl. vor.
Jahresber. a. a. 0., S. 182). Radinger will V. 3 ap^sur^c 0'
sßuse v. Tp67rtv, dairtö' dvrßa | a<j»0el? xtX. , wobei immer noch zwei
fehlen. IX, 78, 3 vermutete Hermann xXaostuai st. xXaSfoiai; dazu
fügte Sctti V. 1 fraXirouaav st. öa'XXooaav und V. 3 6<p&xet st.
icp^/.xei; so fehlen an der Isopsephie noch fünf, die man durch Ein-
rechnen des apostrophierten s in V. 1 gewinnen kann; richtiger
aber wird meiner Ansicht nach V. 3 ufo? d<p£Xxet st. aXXo? i<p£Xxei
geschrieben , wodurch die Isopsephie vollständig ist ; otä? verlangt
schon der Gegensatz pTjtpf V. 4. Die Summe ist 5903. IX , 79
stellt S t ad t m ü 1 1 e r durch Verwandlung von irctvcoTe V. 2 in irotüsov
her (7230); ebenso IX, 106 durch (iv)s'fXsce und totj^vö' V. 1, rqv f*
V. 4; ähnlich auch Setti und Piccolomini; die Summe ist 5307.
Auch in IX, 179 fand Stadt müller die Isopsephie, indem er in
V. 3 iroo st. irM' und xefoai st. xetxot schrieb (8540). XI, 200
vermutet Ra d i n g e r xctTotxdato st. xatexatVco, wodurch die Differenz
bis auf eins zusammenschmilzt; jedoch ist Orep/aXdiai nicht zu halten,
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Jahresbericht über die griechischen Lyriker. (Sitzler.) 305
sondern mit Scaliger oirex/aXaaat zu ändern. Um bei dieser
Emendation die Isopsephie zu erhalten, verwandelt Piccolomini
Ztjvoysvouc am Anfang in O^vo^evoo?, was schon wegen des folgenden
olxoc unwahrscheinlich ist; allerdings scheint der Fehler in den Namen
zu liegen. Ebensowenig sind bis jetzt IX, 346 und 347 sicher
hergestellt; denn Stadtmüllers und Piccolominis Versuche
fuhren zu weit abseits. Liest man in 346, 2 mit der Hs. ^paurcr,?,
so ergibt das erste Distichon 7563; im zweiten erhält man 7564,
wenn man im dritten Vers ty>xaXi'8a>v st. opTaXt^cuv und x^vfe st. x^vöe
schreibt und außerdem U voll rechnet. IX, 347, 2 lese ich mit
Piccolomini dveXxojieda st. IcpsXx^jieöa ; rechnet man dXXa voll,
so erhält man im ersten Distichon 4705 ; und dieselbe Summe findet
man im zweiten, wenn man fpeaiij? st. e?pe<Ji>j? rechnet.
Anhangsweise erwähne ich hier kurz
A. Sogliano, Isopsepha Pompeiana. Rendiconti della
Reale Accademia dei Lincei X (1901), S. 256 f.,
der aber nicht von isopsephen Gedichten in der Art des Leonidas
spricht, sondern Inschriften anführt, auf denen der Name durch eine
Zahl ausgedrückt ist, wie man dies aus der Apokalypse XIII, 16 bis
18 kennt.
G. Setti, Una congettura dello Scaligero e gli
epigrammi di Agatia scolastico. Atti e memorie della
R. Accad. di Padova vol. XVI, 1900, S. 227 f.
Scaliger schlug vor, A. P. V, 217, 2 TXoxIpa? st. YXuxepÄ?
oder Y^xepoo? zu lesen. Diese Vermutung weist II. Weil im Journal
des savants 1900, S. 49, zurück, aber Setti nimmt sie in Schutz,
indem er auf das Menanderfragment in den Oxyrh. Pap. II, Nr. CXI
[IleptxeipojxevrJ verweist, wo die Geliebte des Polemon den Namen
Glykera trägt. Im Anschluß daran stellt er eine Betrachtung über
die Epigramme des Agathias an, die sich auf den Gebrauch von
•fXux'j? und fXoxspo"?, auf die Benennung der Haare und auf die Eigen-
namen bei Agathias erstreckt. Die sich daran knüpfende Durch-
forschung seiner Epigramme ergibt 23 erotische, 20 epideiktische,
18 epitymbische , 7 skoptische, 5 protreptische und 2 sympotische;
dazu kommen noch 8 artistische aus Planudes und das Einleitungs-
gedicht A. P. IV, 3. Zuletzt gibt Setti eine wohlgelungene Charakte-
ristik des Agathias als Epigrammatiker. Im Bollet. di Filol. class. VI,
S. 278 f., weist er A. P. V, 241 mit St ernbach dem Agathias zu,
was man nur billigen kann.
R. Reitzenstein behandelt im vierten und fünften Band von
Jahresbericht für Altertumiiwissenschift. Bd. CXXXIII. (1907. I.) 20
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306 Jahresbericht über die griechischen Lyriker. (Sitzler.)
Pauly-Wissowas Realencyklopädie die Dichter der Anthologie, deren
Namen mit D und E (teilweise) anfangen. Die Artikel orientieren
über den Stand der jetzigen Forschung, teilweise ergänzt und ver-
vollständigt durch des Verfassers eigene Untersuchungen. Am Schlüsse
des Artikels über Damagetos (Bd. IV, S. 2027) hebt R. mit Recht
hervor, daß die Anklänge seiner Epigramme an Nossis, Kallimachos,
Theätet und die Simonideische Sammlung allgemein und unsicher
sind, wahrend die Epigr. VII, 9 auf Orpheus als Erfinder der Mysterien
und des Hexameters und VII, 432. XVI. 1 auf spartanische Tapfer-
keit zeigen, daß er in der Wahl seiner Stoffe von Dioskorides be-
einflußt wurde. — In dem Artikel über Diodoros (Bd. V, S. 660 f.)
macht R. den lobenswerten Versuch, das Diodorische Gut der Antho-
logie unter die drei Diodori, die beiden Sardianer und den Tarser,
zu verteilen. Was nun die Zuweisungen an den Grammatiker aus
Sardes betrifft, so trifft der Verfasser in der Hauptsache mit Stadt-
müller Anth. Pal. Bd. II, S. XIX, zusammen; schwieriger ist die
Scheidung zwischen den zwei Rednern aus Sardes, was auch R. nicht
verkennt; ich zweifle, ob sie mit unseren Mitteln überhaupt möglich
ist. — Dioskorides wird von R. Bd. V, S. 1125 f., ausführlich
besprochen, im ganzen gewiß richtig; nur halte ich es für Willkür,
aus VII, 37 und 707 schließen zu wollen, daß unser Dichter auch
auf Pratinas, den Erfinder des Satyrspieles, ein Epigramm gemacht
habe, und ebensowenig erscheint es mir berechtigt, auf Grund von
VII, 410, 4 anzunehmen, Dioskorides habe vor Thespis noch Susarion
und zwischen den Tragikern die Komiker erwähnt. Wie bei den
literarischen Epigrammen, so hätte Reitzenstein auch bei den
historischen, vornehmlich bei denen auf spartanische Tapferkeit, darauf
hinweisen können, daß auch sie in dem Charakter jener Zeit be-
gründet waren. Von unserem Dioskorides will R. den Dioskorides
von Nikopolis, der als Verfasser von VII. 178 angegeben wird,
trennen; aber schon Stadtmüller in seiner Ausgabe wies darauf
hin, daß Epigr. 178 von demselben Dichter herrühren müsse wie
Epigr. 162: auch VII, 167 gehört nach diesem Gelehrten dem gleichen
Dioskorides. In der Einleitung zu seiner Ausgabe Bd. II , S. XX,
spricht Stadtmüller die Vermutung aus, daß der. Epigrammatiker
Dioskorides wohl aus Nikopolis stamme, was nach Steph. Byz. s. v.
'Iaa6c spätere Bezeichnung für Issos ist. Zu VII, 162 bemerkt
Wilamowitz, Hermes 1905, S. 142. der Sprechende betone deshalb
seine Abstammung von persischen Eltern und seine echt persische
Nationalität so sehr, weil damals in Ägypten viele Perser xr^ iirrj-ovTp
lebten, die ganz hollenisiert waren. — Der Artikel über Diotimos
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Jahresbericht über die griechischen Lyriker. (Sitzler.) 307
(Bd. V, S. 1149 f.) nimmt drei Dichter mit Namen Diotimos an, einen
Athener, Sohn des Diopeithes, auf Grund von VII, 420, einen
Adramyttener und einen Milesier, die beiden ersteren Dichter des
Meleagrischen , der letztere des Philippischen Kranzes. Hätte aber
Meleager zwei Diotimoi in seinen Kranz aufgenommen, so hätte er
dies im Widmungsgedicht anzugeben gewiß nicht vergessen. Es kommt
noch dazu, daß das Lemma zu VII, 420 von C auf Rasur geschrieben
ist. Stadt müller glaubt, es sei aus Pseudo-Plut. Leben der zehn
attischen Redner, p. 844 am Schlüsse der vita Lykurgs entnommen;
aber der Name Diotimos Sohn des Diopeithes aus Athen war zu
bekannt, um eine besondere Quelle nötig zu machen. Anklänge des
Gedichtes an andere Epigramme des Diotimos weist Stadtmüller
nach. So bleiben also für die Anthologie nur der Adramyttener
des Meleagrischen und der Milesier des Philippischen Kranzes übrig,
unter die man die Gedichte verteilen muß. Dem Adramyttener
schreibt Stadtmülier auch VII, 228 zu, aber VII, 173 gehört,
wie wir oben sahen, als isopseph dem Alexandriner Leonidas (vgl.
Stadtmüller Bd. II, S. XX f.).
Hieran reihe ich
M. Boas, De epigrammatis Simonideis. Pars
prior: commentatio critica de epigrammatum traditione. Groningae
1905,
da sich ein großer Teil der Abhandlung mit der Anthologie be-
schäftigt. Der Verfasser, der den Korrektor C, trotzdem er bisweilen
nicht die nötige Sorgfalt anwendet und auch eigene Vermutungen
vorbringt, im ganzen doch für glaubwürdig hält, behandelt S. 151 f.
die Lücken, die sich im cod. Pal. finden. Er geht hierbei von der
Lücke nach VI, 143 aus, wo folgender Tatbestand vorliegt. Nach
VI, 143 läßt der Schreiber A eine Lücke von sechs Zeilen, auf die
dann VI, 144 mit der Überschrift xou au-oO folgt. Zu diesem xou»
aÖTOü bemerkt Stadtmüller: „quo Anacreon — die vorhergehenden
Gedichte sind nämlich dem Anakreon zugewiesen — non magis
significatur quam quivis poeta alius, cuius epigramma post A. P. VI,
143 excidisse librarius A testatur" , eine Bemerkung, der gewiß
jeder zustimmen wird. Der Korrektor C fügt zur Lücke bei: 06
Xsfaei u>; otpai oö6*& Svxau&a, mit ooöl auf seine ähnliche Bemerkung
zu der Lücke nach VI, 125 zurückverweisend. Nun ist das Epigr. VI,
144, vor der die Lücke ist, nach VI, 213 wiederholt, gleichfalls mit
dem Lemma toO gcotoG, und zwar in einer Simonideischen Reihe, also
mit tot} aötoO ebenfalls dem Simonides zugewiesen. Drängt sich da
nicht von selbst der Schluß auf, daß nach VI, 143 ein Simonideisches
20*
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308 Jahresbericht über die griechischen Lyriker. (Sitzler.)
Epigramm ausgefallen ist, auf dessen Überschrift sich toi> aotou des
144. Epigrammes bezieht?
Und nun sehe man, wie Boas diesen einfachen Tatbestand sich
zurechtlegt 1 Zunächst folgert er aus too <x&toD des 144. Epigrammes,
das doch der Schreiber A einfach seiner Vorlage entnahm, und aus
der Notiz des Korrektors, der doch nur das Vorhandensein einer
Lücke in Abrede stellt, daß beide VI, 144 für anakreontisch gehalten
hätten. Infolgedessen läßt er die alphabetisch geordnete Anakreon-
Keihe bis 144 gehen , obgleich 143 die alphabetische Anordnung
unterbricht; in diesem Fall mußte er auch noch 145, vom Korrektor
ebenfalls mit toö aOxoo bezeichnet , hinzuuehmen und eine zweite
Unterbrechung der Reihenfolge anerkennen. Dann wendet er sich
der Simonides-Reibe VI, 212 f. zu. Da das choregische Epigramm
CJA III, 82 a. p. 484, nicht nur VI, 213 a = VI, 144 nachahmt,
sondern auch Simonides epigr. 147 Bergk — das letztere wird
übrigens meiner Meinung nach durch das allgemein poetische Sairexo
xuSoc nicht hinreichend bewiesen — , so standen diese beiden Gedichte
in der von dem Verfasser jener Verse benützten Sammlung nach
Boas beisammen. Gerade als ob dies die condicio sine qua non für
Benützung und Nachahmung wäre ! Und mußte denn der Nachahmer
überhaupt eine Sammlung benützen V Die Sammlung erklärt Boas
für den Meleagrischen Kranz, und so schließt er, daß Meleager VI,
213 und Simon, ep. 147 in seinen Kranz aufgenommen hatte, von
denen Kephalas das 147. Epigramm wegließ. Meleager hatte also
VI, 144 zweimal, einmal in der Anakreon- und einmal als VI, 213 a
in der Simonides-Reihe nach den zwei choregischen Epigrammen des
Simouides; da er es aber nicht verschiedenen Dichtern beilegen
konnte, so muß mit toO aotou auch bei der Wiederholung in der
Simonides-Reihe Anakreon bezeichnet gewesen sein. Und auch dies
bringt Boas fertig, indem er einfach annimmt, daß VI, 213a durch
Zufall hinter 213 gekommen sei, während es ursprünglich zu VI, 212
wegen des Inhaltes hinzugefügt gewesen sei, und daraus ergibt sich
dann wieder die weitere Annahme, daß VI, 212 ursprünglich dem
Anakreon gehöre und erst später, als es in die Simonides-Reihe mit-
einbezogen wurde, diesem Dichter beigelegt worden sei. Es sei ein
Zwillingsgedicht zu VI, 143, und wie dies hier VI, 213 a, so sei
jenes dort auch gegen die alphabetische Reihenfolge VI, 144 von
Meleager vorangestellt worden.
Außer der Lücke nach VI, 143 finden sich in dem cod. Pal.,
soweit wir bis jetzt wissen, noch drei Lücken, nämlich nach VI, 125
eine von sechs Zeilen, wo der Korrektor bemerkt: ou XEttcet toc
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Jahresbericht über die griechischen Lyriker. (Sitzler.) 309
oluoti, nach VI, 157 eine von sieben Zeilen, zu der der Korrektor
schreibt: C" <ni'xX 2v8exa (st. §irra) und eine von drei Zeilen nach
dem ersten Distichon von V, 4, ausgefüllt durch Wiederholung der-
selben Verse. Die Lücken gehen auf die Vorlage von A und C
zurück ; jedoch waren sie vielleicht in dem von C benützten Exemplar
nach VI, 143 und 125 nicht vorhanden und daher sein oo Xefrtei.
Boas ist der Ansicht, daß an allen diesen Stellen, auch bei V, 4,
ein Epigramm entfernt worden sei . und glaubt , diese entfernten
Epigramme im 13. Buch unserer Anthologie wieder zu finden, und
zwar für die erste Lücke XIII, 4, zwei Zeilen, für die zweite XIII, 7,
drei Zeilen , für die dritte XIII , 8 , zwei Zeilen und für die vierte
XIII, 1, fünf Zeilen. Gegen diese Annahme spricht einmal der Um-
stand , daß keines der vier beigezogenen Gedichte der Verszahl der
Lücke gerecht wird, sodann daß das für die erste Lücke nach VI,
143 bestimmte ein iiciTüjißiov statt des erwarteten dvaÖTjfiaxixov ist,
und endlich daß dieses in die alphabetische Reihenfolge der Ana-
kreontischen Gedichte ebensowenig paßt, wie XIII, 1 nach dem ersten
Distichon von V, 4. Den letzten Anstoß sucht der Verfasser durch
den Nachweis zu beseitigen, daß die Lücken in unserer Hs. nicht mehr
an der Stelle seien, aus welcher ursprünglich das Epigramm entfernt
worden sei. Der Abschreiber, der die Zeilenzahl seiner Vorlage auf
jeder Seite genau eingehalten habe, habe nämlich die Lücken jeweils
ans Ende der Seiten verlegt, also auch mitten in ein Gedicht, wenn
es sich gerade so traf. Die späteren Abschreiber hätten dann die
Lücken an den ihnen angewiesenen Stellen beibehalten, aber die
Zeilenzahl der Seiten geändert, so daß jene auch an anderen Stellen
der Seiten, nicht mehr nur am Ende waren. Aber sein Beweis für
diese gekünstelte Annahme stimmt nicht, da er statt der Zeilenzahl
der Lücken die Verszahl der von ihm eingesetzten Gedichte in
Rechnung stellt und dabei noch voraussetzen muß. daß VI, 144 zur
Zeit, wo diese Umschreibung stattfand, aus einem Distichon bestand,
was sich nicht beweisen läßt. Welche Gedichte in den Lücken fehlen,
bleibt also auch weiter unbekannt ; V, 4 scheint nur eine Dittographie
ausgelassen zu sein. Die im fünften und sechsten Buch den Epigrammen
jeweils von zehn zu zehn beigesetzten Zahlen deuten keinen Ausfall von
Gedichten an; sie stammen also aus späterer Zeit. Daß VII, 344 a
und b ein Gedicht ist und auch als solches gerechnet wurde, bemerkt
Boas mit Recht gegen Stadtmüller, der die Wiederholung von
VII, 187 übersah; beachtenswert ist auch seine Zuweisung von VII,
350 an Kalliraachos.
Mit den bisherigen Darlegungen ist schon angedeutet, wie sich
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310 Jahresbericht über die griechischen Lyriker. (SiUler.)
Boas die Entstehung des 13. Baches der Anthologie denkt; nach
ihm entfernte jemand aas der Sammlung des Kephalas gewisse Ge-
dichte in verschiedenen Metren und stellte sie zu einer besonderen
Sammlung zusammen. Um dies wahrscheinlich zu machen , hätte
Boas den Grund, warum jemand dies tat, sowie den Plan, nach dem
er dabei verfuhr , angeben müssen. Beides hat er unterlassen ; da-
gegen meint er in der Lage zu sein, Beweise für seine Ansicht bei-
bringen zu können. XIII , 28 liest man KaXXtfioc^ou iiri tq> aOxip
xexpa|iixpq> £v$sxaaoXXaßov , ohne daß ein entsprechendes Gedicht
angeführt wäre, and VII, 728 i*l xq> aÖT<j> xexpaiiixpcp ivSexaauXXaßov,.
ohne daß diese metrische Bemerkung im Vorhergehenden ihre Erklärung
fände. Diese Tatsache deutet Boas so, daß der Sammler des
13. Buches VII, 728 in seine Sammlung aufnehmen wollte und nach
XIII, 27 schon den Titel geschrieben hatte; dann reute ihn aber
sein Vorhaben, vielleicht weil der dritte Vers am Ende lückenhaft
ist, und er ließ das Epigramm an seiner Stelle, strich aber den Titel
und die metrische Bemerkung nicht nur nicht aus, sondern schrieb
die letztere auch noch zu VII, 728 hinzu. Für mich folgt aus den
genannten Stellen, daß VII, 728 aus XIII entnommen ist, wo nur
der Titel mit der metrischen Notiz zurückblieb, und ebenso urteilt
Stadtmüller zu VII, 728. Und nicht triftiger ist der Beweis,
den Boas aus der hs. Numerierung des VII. und aas den Lücken
des V. and VI. Buches entnehmen will; denn daraas. daß Epigramme
in jenen Büchern fehlen, folgt doch nicht, daß diese Epigramme ins
XIII. Buch übernommen worden sind. Boas weiß in der Tat auch
die Gedichte des XIII. Baches nicht alle in unserer Anthologie
unterzubringen. Ich bleibe also bei der von Wilamowitz über
das 13. Buch ausgesprochenen Ansicht, nur daß ich darin kein
dürftiges Exzerpt aus einer Sammlung ix owtcpopwv uixp«>v, die
schon vor Kephalas angelegt wurde, sehe, sondern den Überschuß
der Epigramme, die Kephalas in seine Sammlung nicht aufnahm;
so erklärt es sich auch, daß kein Gedicht des 13. Buches in der
Anthologie steht.
Von Einzelheiten erwähne ich noch, daß Boas, S. 172, die
Ansicht ausspricht, Meleager habe auch eine Sammlung inschriftlicher
Epigramme benützt; diese habe er als d$e*aroxa bezeichnet; später
sei diese Bezeichnung ohne Unterschied gleichbedeutend mit 0875X01
gebraucht worden, das eigentlich nur den Epigrammen zukomme, die
aus irgendeinem Grund den Namen des Verfassers eingebüßt haben.
An den Gebrauch inschriftlicher Epigramme durch Meleager dachte
auch schon Jacobs und Weißhäupl. — Über Mnasalkas als
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Jahresbericht über die griechischen Lyriker. (Sitzler.)
311
Nachahmer des Simonides handelt Boas S. 210 f.; er weist diesem
VII, 301, 442, 443 und VI, 2 zu. — Dem Antipater Sidonios gibt
er S. 137, Anm. 103 die Epigramme VII, 20 (mit Stadtmüller),
24, 25, 344 a und b; 514, XIII, 11. Anth. Plan. 23, 24.
Nicht zur Verfügung stand mir
R. Weißhäupl, Zum Kranz des Philippos. Festschr.
zur Feier des 200 jährigen Bestandes des K. K. Staatsgymn. im
VIII. Bezirk Wiens 1901. S. 57 f.
Kritische und exegetische Beiträge zur Antho-
logie liefern
1. H. v. Herwerden, Ad Anthologiae Graecae
librum VII. Mnemosyne 28, S. 24 f.
2. J. B. Bury, Notes on the seventh book of the
greek Anthology. Class. Rev. 1900, S. 148 f.
3. R. £11 is [VII. Buch]. Class. Rev. 1899, S. 446 f.
4. Th. Korsch, Ad Anthologiam Pal. VII, 492, 5.
Fil. obozr. 16, S. 182.
5. J. P. Postgate, On two epigram ms of the greek
Anthology. Class. Rev. 1900, S. 153 [V, 100, 187].
6. M. Rubensohn, Ad Anthologiam Graecam capita
duo. Festschr. für Vahlen 1900. Beitrag 7 [IX, 405, Philippos
Thessal.].
7. R. G. Bury, Anthol. Pal. V, 13, 197. Class. Rev.
1901, S. 221.
8. M. Gitlbauer, Studia critica in Anthologiam
Pal. Wien. Stud. 1901, S. 169 f. [VII, 64, 59, 2 b, 146].
9. G. A. Papabasileios, xpitixcti irapatTjp^aet? ef?
ttjv 'EXXtjvixyjv ÄvöoXoffav [VII, 495]. Athena 14, S. 148.
10. W. Headlam, Various conjectures. Journal of
Philol. 1898, S. 97 [Append. 84]. S. 100 f. [Buch V, VII, IX,
X, XI, XIII, XIV, XVI].
11. W. Headlam, xox£«>v *a parent' and the kindred
forms. Class. Rev. 1901, S. 401 f. [VII, 79, 408]. — Trans-
position of words in Mss. Class. Rev. 1902, S. 245 [VII,
48]. — Metaphor with a note on transference of
cpithets. Class. Rev. 1902, S. 437 [VII, 49].
12. K. Ohlert, Zur antiken Rätselpoesie. Philologus
57, S. 599 f. [XIV, 161.
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312 Jahresbericht über die griechischen Lyriker. (Sitzler.)
13. E. N. Gardiner, Phayllus and his recordjumb
[Append. 297]. Journal of bellen, studies XXIV, S. 70 f.
14. R. Holland, Die Sage von Dädalos and Ikaros.
Progr. Leipzig 1902, S. 30, Anm. 3 [VII, 699].
15. G. Kaibel, Sepulcralia. Hermes 1900, S. 567
[VII, 500].
16. R. Arnoldt, Zu griechischen Schriftstellern.
Festschrift der 48. Versammlung deutsch. Philol. u. Schulmänner
in Hamburg dargebracht vom Lehrerkollegium des Christianeums
zu Altona 1905, S. 4 [VII, 27].
17. Ph. Legrand, Sur quelques öpigrammes du
troisieme siecle. Rev. des Stüdes anciennes 1901, S. 185 f.
Von diesen Arbeiten verdient die zuletzt genannte von Legrand
besondere Erwähnung, die sich mit Epigrammen des 3. Jahrhunderts
v. Ch. , welche die Geschichte Griechenlands zum Inhalt haben , be-
schäftigt. Zunächst untersucht er die Gedichte des Damagetos und
findet , daß die gewöhnliche Annahme , als ob dieser Dichter mit
seinen Sympathien auf seiten der Achäer gegen die Ätolier gestanden
sei. sich nicht aufrecht erhalten läßt; nur VII, 438 verherrlicht einen
Achäer. Ich glaube demnach, daß Damagetos neutral blieb und die
Tapferkeit pries , wo er sie fand. Der Verfasser hält den Dichter
für einen Eleer. Dann wendet er sich den Epigrammen zu , welche
Großtaten der Lakedämonier verherrlichen , an erster Stelle denen
des Dioskorides, hierauf denen des Nikander, des Tymnes und dem
döisroxov VII, 723, das er mit Bergk dem Messenier Alkäos zu-
schreibt. Nach ihm sind diese Gedichte durch die Erhebung Spartas
unter Agis und Kleomenes, die auch ihren Eindruck am Hofe in
Alexandria nicht verfehlten , hervorgerufen. Dioskorides' Lebenszeit
möchte Legrand etwas früher ansetzen, als es Knaack in Suse-
mihl. Geschichte der gr. LH. in der Alexandrinerzeit, Bd. II,
S. 543 f., getan hat. Die Tätigkeit des Nikander, der in Ätolien
lebte, fallt in die Zeit des achäiscb-ätolischen Krieges (220 — 217)
(vgl. Pomp low. Kitein. Museum 1894, S. 581 f.. Jahrb. f. Phil.
18M. S. 631): das Epigr. VII, 435 paßt allerdings nicht wörtlich,
da Messenien selbst nicht angegriffen war. Dem Tymnes legt die
Überlieferung VII, 433 bei; die Vermutung Stad tmtille rs, daß
ihm nur das dritte Distichon gehöre, während die drei anderen
Disticha ein vollständiges Epigramm des Damagetos seien, hält
Legrand für nicht ganz überzeugend; wenn er sie aber noch durch
den Hinweis darauf stützen will, daß in dem aus diesen drei Distichen
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Jahresbericht über die griechischen Lyriker. (Sitzler.) 313
bestehenden Epigramm alles für Sparta Nachteilige ängstlich ver-
mieden sei, so darf man nicht vergessen, was ich schon oben betonte,
daß Damagetos nicht der Lobredner Spartas um jeden Preis war.
Mit Recht bemerkt Legrand aber, daß IX, 61, eine Nachahmung
des Tymnes bzw. Damagetos und des Antipater von Thessalonike
(vgl. VII, 531), dem Dioskorides nicht zugewiesen werden dürfe,
und daß VII , 723 sich nicht auf die Ereignisse des Jahres 188,
wie man gewöhnlich annimmt, sondern des Jahres 207 beziehe (vgl.
Polyb. XI, 18, 8—9.
Aus den anderen aufgezählten Arbeiten führe ich folgendes an :
Headlam sucht das Wort xoxs*u>ve* „Eltern" im Griechischen nach-
zuweisen; er findet es VII, 79, 3 ?ox£u)vac lui ;lve und 408, 3
xoxecove ßaufoc; aber im letzteren Fall ist der Dual anstößig, im
ersteren stellt der Vorschlag den Vers nicht her. G. H. Ren dal 1,
Cl. Rev. 1902, S. 28, weist noch auf Antonin. IV, 46 hin, wo über-
liefert ist : oxi oft Ö£t TOXtöa? toxecovcov xxX. — Rubensohn zeigt,
daß IX, 405 auf den jüngeren Drusus geht (vgl. Sueton. Tib. 54
und Tac. ann. IV, 60) und gibt dem Philippus von Thessalonike die
Epigr. VI, 236, 251. IX, 533, die zum „iter Actiacum" gehören;
außerdem schreibt er ihm das Epigramm auf die Schlacht bei Actium
in den Pap. Brit Mus. CCVI (Kenyon, Rev. de phil. XIX, 177) zu.
V, 13, 3 ist dXX' iptsaaa | t6 ax6|xa xTjv «}oyrjv lz ivtS^wv dva'yei
überliefert; R. G. Bury bessert dXX' iiri?Gaa, nur hätte er auch
xo Gxopa tJjv ''wrp in xo> jxojxocxi 'iu^v ändern sollen. — 197, 5
ergänzt er unter Vergleichung von 178, 2: ooxexi aoi (ixuOixTj)
tpap&cpij ttx. foaxoo? | xpäirxei; besser paßt in den Zusammenhang
©aplxpr^ (xsveij) oder <xo xuxo?) »apsxpTjc
VII im Lemma berichtigt Headlam die verdorbenen Worte
oüö° dvoxpeX^ XaXr^at xe xxX. gut in dXX' rfiai xs. — 17, 6 schreibt
Herwerden Xeiuaxo?, wodurch das anstößige Sctijiovo? beseitigt
wird. — 25, 9 wünscht J. B. Bury dXX' ex' exsivoic, sc. xot? vexpotc,
was nicht in die Konstruktion paßt; ich vermute iV deiötov im An-
schluß an das Vorhergehende; auch 28, 2, wo derselbe Gelehrte
für das tiberlieferte xzpui>v eintritt, wird man besser -pouitov lesen. —
48, 1 liest man gewöhnlich aMaXsoto irupö? odpxe? pnrfjai, indem man
das am Ende des Verses überlieferte adpxe? nach irup<5? stellt; besser
ist Hcadlams Umstellung adpxe? 6ir' atöaXs*oto rupoc Im letzten
Verse ist mit Bury ttovo? in wS&os zu ändern. — Epigr. 49 erklärt
Headlam gut, indem er das zweite Distichon von einem Blitzschlag
versteht, der die Inschrift, den Hinweis auf die Sterblichkeit des
Dichters, vertilgte; damit erledigen sich alle Koujekturen zu Övaxav
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314 Jahresbericht über die griechischen Lyriker. (Sitzler.)
a^p-otTO? foropiav. — 51, 6 ändert Bury in engem Anschloß an die
Überlieferung in ax^vd? £ji.ßoX' IpeiSofiiva? ab, wozu er Eur. Bakch.
591 vergleicht, und 79, 6 vermutet er Trdxpac Xa*P£ ?^«c 'E^esoo,
wo ich die Verbindung von irdTpac mit dem Vorhergehenden und die
Lesung X<*ipy d> 5Xa£ 'E^aoo (st. /atpe ob S' £c 'E.) vorziehe; gerade
5X«c ist hier nach dem Vorhergehenden ganz an seinem Platze. —
87, 2 macht Herw erden die Überlieferung <Sv x<5vi? d<rcd/oec durch
die Schreibung äv3x<x.y6u „producit fruges" coli. Apoll. Rhotl. IV,
271 verständlich; derselbe Gelehrte schlägt 106, 3 xal tot' axp^TOv
st. des anstößigen t6v vor und 113 aptxTov st. dcjfiijXTOV, ohue Zweifel
richtig. Den fehlerhaft überlieferten Vers 116, 2 stelle ich her, indem
ich ika$i pi (ti> xovdptov (st. xovöc d^ptov) o8dc lese — 132, 2
berichtigt Bury Xpr^a gut in xvrjOpa oder xvfop.a im Gegensatz zu
xtTpuiaxov. — 233, 3 f. wird von Her werden durch T^ppa
d<poxxov | etSev, dp. ijx<pavtoac töojv, | icf^ev utcö xtX. vortrefflich her-
gestellt; vorausgegangen war ihm Stadtmüller mit r^dvis' ecV
fSt'ijv. — 279, 2 ist al&v unhaltbar; es ist wohl aus rfa verschrieben. —
286, 4 empfiehlt sich Burys Vorschlag zur Ergänzung der Lücke:
<ppoG8', <d{xa xal) ndsrjc ; auch an drö xal, Tmesis st. dra$Xa>Xs, ließe
sich denken. — 302, 2 vermutet Bury riaXetc als Namen der Stadt,
und 381, 1 wünscht El Iis 4>X<up7); st. Gpoupr,;. — 382, 5 ver-
wandelt Bury xevoooa richtig in ja' eXoGöa, wie der Gegensatz
7:apa8oG(Ja zeigt. — 886, 4 vermutet Ellis ansprechend r,v t^xov
st. rt t^xov; danach ist aber nur Komma zu setzen und w st. <» zu
schreiben, da Niobe mit pe-rdtajc Xetyava itopxatv sich selbst meint. —
403, 6 schlägt Her werden aejiva (bzw. a^jiv' «) X&oyx« v£xo? im
Sinne von a^ßeiv xpr, touc Td^ouc und 409, 8 dXX' dXuov st dJhtvdTwv
vor, beides passend. — 411, 5 f. wünscht Bury u> otojx*
Sefcov, dpx«t'oic xtX. , worin im Dilthey mit rdvra»; (st. itdvTwv)
vorausgegangen ist, und Her werden w Jr«S{ia icdvTtov | xpttrcov
xdpxat«>v oder ^ptspov, dpyauov xtX.; aber der Fehler liegt in
rdv-cov, wofür M009&V zu schreiben ist. Äschylos wird als STopa
Mous&v bezeichnet wie 4, 1 Homer. 75, 1 Stesichoros und IX, 184, 1
Pindar ; zu äpyaiwv r^iHtov als Bezeichnung der .alten Dichter vgl.
409, 2. 708, 3. — 422. 8 verbessert He ad Um 7s pr,v in 7evijv,
richtiger vielleicht fevTjv (vgl. Kallim. fr. 241). — 444, 1 nimmt
Bury da* überlieferte ofvoiOsvra mit Iiecht gegen Änderungsversuche
in Schutz. — 46ü , 7 wird Herwerden mit tJV( (st. efijc) das
Hichtige treft'eu. — 467, 3 ändert Bury tu irovov in i( irvoov, was
zu dem Folgenden rc£p vorzüglich stimmt; rvoo? — tcvo^ erwähnt
Hesych. — 472, 15 schlügt Ellis aiel touto tosgv peuvr.p^vo? vor,
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Jahresbericht über die griechischen Lyriker. (Sitzler.) 315
passender als xoüx' iv feiy; xoaov entspricht dem Folgenden ar/pis
ojxiX^c Ccuoi?. — 500. Kai bei vergleicht Anth. Lat. II, 982. —
534, 5 ist efAiropc»?, das aus dem vorhergehenden Vers wiederholt
ist, mit Herwerden in djj.ji.opoc zu ändern: „zu deinem Unglück;
denn" usw.; auch mit der Vermutung wird Herwerden recht
haben, daß in dem Schol. zu 555, 2 Cofi'ooc = oopavt'oo? in oopaviooc
eine Verschreibung aus xolc yapioos vorliegt. — 614, 6 schreibt
Herwerden exxeivev st. sxxave, wodurch die Ergänzung von o^,
die Stadtmüller vornimmt, unnötig wird. — 642, 1 vermutet
El Iis Tejißpou xal Net'Xoio, das letztere mit Heringa; Tembros
ist eine Stadt auf Kypros. Diese Lesung kommt der Überlieferung
näher als 2upou xal AijXoio. Derselbe Gelehrte emendiert 648, &
ävaxrj a'jfdCa>v ansprechend in Ivoxauj vdtjcHov. — 650, 4 verbessert
Herwerden dvöpo? IhtXv vortrefflich in dvSpi jxoXeiv, und recht be-
achtenswert ist auch seine Vermutung zu 654 , 3 oöx s'jöatjiovt (st.
sfrn'oyi): „onus domino navis non felix, sed exitiosum futurum erat". —
679, 8 ist mit Herwerden oöx Ijaoö . . . oö8' kxiptov oder out' . . .
ouÖ' st. oü8* . . . o08' zu schreiben und 698, 12 itofteei (st. &ir6&ei):
„reliquit sui desiderium omnibus, quos nunc ipse plus quam parentes
desiderat". — 726, 6 ändert Bury xeivov gut in Ssivov bzw. oTvov
und 727, 2 Herwerden eaxe Öocvtq in esxe davev, indem er 6
<pb. xXatsxw als Zwischensatz faßt. — 733, 6 kommt El Iis mit afc
opfy 4er Überlieferung iaoa(7j am nächsten. — 735, 2 will Bury
Ii dxpofexov vuxxa in d^puxxov ändern; ich wünsche axpuxov oder
ijXityov.
IX, 26, 9 schreibt Headlam richtig Ivvia o' au xd? (st.,
ayxds). — 830, 7 unterbricht er die Rede nach w o^jav', indem er
oO Xe;ei? dem Pan gibt, wodurch ein besserer Sinn erreicht wird,
als wenn man o-j X&te L X^ov noch mit u> aipv* verbindet. —
Zu 839 vergleicht er Zenob. IV, 60. — 423, 8 schlägt er ujov
TxeaÖe xeXo? vor ; mit fxeaÖe (st. IxetaOs) trifft er sicher das Richtige ;
aber feov (st. eis iv) ist unnötig, da efc gv die gleiche Bedeutung
hat und auch den Dativ zu sich nehmen kann. Übrigens ist im
siebenten Vers zu lesen BoGp' aXao' tj ö' 'EXt'xr, xcxXuajxivai (st.
BoGpa xal efe 'EXix/;v xexXacjiiva). — 490, 2 wünscht er xav dd6xr,xa,
was nicht augeht; etwa xwvx' = xal ovx\ — 709, 6 ändert er
xu>|idCeiv gut in xujiaivstv und ebenso ist 710, 3 axpo^TtuTia (st.
dxpa jxixw-a) ganz passend.
X, 56, 15 wünscht Headlam rjXixfo xoi'vov rßrt xpivet (st.
f/ixta toivüv rfis. xpivex'); aber xotvov mit langer letzter Silbe ist
anstößig. Ich vermute r^ixioL xotvov x68e <xi;> xpivei.
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316 Jahresbericht über die griechischen Lyriker. (Sitzler.)
XI, 108, 2 liest er iv ttJ 5e xUv^ (st. xXtv^ U), um die
Quantität von xXi'vtj zu wahren. — 162, 1 schlägt er icXe6(Tfl (st.
xXeuaai oder -Xeuaot) vor, 234, 1 ou xat (st. oux av), was einen
besseren Sinn gibt als oüx apa , wie man gewöhnlich liest , und
388, 1 und 3 S6xet (st. 8oxeT), wodurch das Gedicht wesentlich
gewinnt.
XII, 48, 2 macht Headlam darauf aufmerksam, daß man
<p£peiv von oT8a abhängig machen und es auch zu ol8a xctt Ifiiropa
x6£a ergänzen müsse. — 120 , 4 verbessert er irapatac<$u.evov (st.
rapatacaasvov) und 157, 3 xeifiatvei öe ßapuc irv. II., wie 167, 3. —
166, 6 wünscht er lz 6(jia>v toütoiv 2v *yi xx ßoüXo|A' £X£IV ^es
hs. etreti), was für mich keinen befriedigenden Sinn ergibt. Meiner
Meinung nach ist aXXo xi als Frage zu lesen. Der Dichter will von
den Eroten getötet werden, um seiner Pein ledig zu sein.
XIV ; 16 vy}3oc 8X>j, jiuxrjfia ßoöc ©<ov^ te 5aveiatoo deutet
Ohlert auf Moxovo?, was wahrscheinlich ist. Die tpcovTj öavei'oroo
findet er in ovo? = eins, d. h. das Aß auf dem Würfel und meint,
daß in den Buden der Wechsler auch das Würfelspiel üblich war.
Ich möchte darin lieber eine Anspielung auf Konnos sehen, der
sprichwörtlich zur Bezeichnung eines armen Teufels genannt wurde,
vgl. Schol. zu Aristoph. Ritter 534 und Wespen 675. Suidas s. v.
Kovva?. Die reichen Bankiers mögen diesen wohl im Munde geführt
haben. — 102, 4 schlägt Headlam ßpottuv Tts'pi irav3o<pov aXXcov
vor, wodurch das anstößige ttoXu vor zovaocpov beseitigt wird.
Planudea 126, 1 schreibt Headlam 6 7:ai5<5-aopoc (st. 6 itotlc
6 TctSpoc); dies wird durch XII, 42, 2 iraiSoxopoc; bestätigt. — 265, 6
ist mit ihm £irl t« t&v ice'Xac e&xuxfa zu lesen; die Iis. hat IttI ta?
T&v 7t. eixo/ia?, was unmöglich ist.
Appendix 297 hält Gardiner, der die Nachrichten über den
Sprung des Phayllos prüft, für unglaubwürdig; alle Mitteilungen der
Scholiasten und Lexikographen gehen auf unser Epigramm zurück,
das eine rhetorische Übertreibung ist.
Außerdem erwähne ich
W. H. D. Rouse, Greek votive offerings. An essay
in the history of greek religion. Cambridge 1902,
der nach Feststellung des Begriffes Weihgeschenk die verschiedenen
Anlässe aufzählt, bei denen Weihgeschenke gestiftet wurden, sowie
die Weiheformeln und die Art der Weihung mitteilt. Die ausführ-
lichen Indices geben eine Übersicht über die Weihgeschenke, die in
den verschiedenen Heiligtümern Griechenlands aufgefunden wurden,
und ebenso über die, welche in der Anthologie enthalten sind.
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Jahresbericht über die griechischen Lyriker. (Sitzler.) 317
L. Arata, La poesia e l'arte dei sepolcri negli
epigrammi del VII. libro dell' Antologia Palatina.
Pesaro 1904,
das mir nicht zur Verfügung stand. Eine Rezension darüber von
Cessi steht in Riv. di stor. ant. N. S. IX, S. 470—472.
Br. Lier, Topica carminum sepulcralium Latinorum.
Philologus 62, S. 445 f., 63, S. 54 f.,
der im ersten Teil den Schmerz und die Trauer der Überlebenden,
im zweiten Teil die Trostgründe und im dritten Teil Verschiedenes
behandelt, wie das Empfindungsvermögen und Bewußtsein der Manen,
die Störung der Ruhe der Toten durch zu große Klage, die Auf-
forderung der Toten an die Lebenden, das Leben zu genießen, die
Mahnung, an den Tod zu denken. Dabei wird überall auf die
griechischen Vorbilder hingewiesen. Über die Grabschrift des
Sardanapallos handelt der Verfasser, S. 60 f., eingehend. Vgl. auch
E. Meyer, Forschungen I, S. 208 f. und II, 541 f., der die Inschrift
dem jüngeren Chörilos zuschreibt, und E. Maaß, Orpheus, S. 210 f.,
der richtiger den älteren Chörilos für den Verfasser hält.
Zu Kaibels epigrammata Graeca ex lapidibus con-
lecta lieferten Beiträge
1. A. Wilhelm [Epigr. 214]. Jahresh. des österr. archäol.
Instituts 1901. Beiblatt 17.
2. U. v. Wilamowitz [Epigr. 254]. Hermes 1898, S. 519.
3. P. N. Papageorgiu, Emendatur epigramma
Mytilenarum [Epigr. 329 ~ Paton inscript. Gr. 458]. Herl,
philol. Wochenschr. 1899, Nr. 50, S. 1566 f.
4. E. Bormann, Zu CJA I, 333 [Epigr. 749 = Hoffmann
266]. Festschrift für Th. Gomperz. Wien 1902, S. 474 f.
5. W. H. Roscher, Ephialtes. Abh. d. Kgl. Sächs.
Gesellschaft der Wiss. Bd. XX, 1900 [Epigr. 802] ; dazu R. Wünsch,
Wochenschr. f. Klass. Philol. 1901, S. 230.
6. E. Groag [Epigr. 888 a]. Festschrift f. E. Bormann.
Wiener Studien XXIV, 1902.
Wilhelm stellt den Inhalt des Epigr. 214 dahin fest, daß die
beiden Brüder Pharnakes und Myron von Amisos sich bei einem
Sturme an die Insel Seriphos retteten, hier aber von den Bewohnern
getötet wurdeu; Protos errichtet ihnen ein Kcnotaphion mit einer
Säule. In diesem Sinne ergänzt er den Text. — Wilamowitz
macht darauf aufmerksam, daß nach einer neuen Abschrift 254, 2
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318 Jahresbericht über die griechischen Lyriker. (Sitzler.)
tatptov, <l>at8av, 3 tp wrcplc Tiveöo? zn lesen sei, vgl. Journal of
hell, studies IX, 259. — Papageorgiu ergänzt 329, 2 <jx6<Xa>xa
mit Komma nach rfl xaxa wodurch der Text gewinnt. —
Bor mann weist darauf hin, daß nach der technischen Beobachtung
Dörpfelds das zweite Distichonpaar des Epigr. 749 ein späterer
Nachtrag sei, daß man es also mit zwei getrennten Gedichten, einem
früheren und einem späteren, zu tun habe, von denen sich das
erstere auf die Schlacht bei Marathon , das letztere auf die Kämpfe
bei den Thermopylen beziehe ; dementsprechend ergänzt er das
zweite. — Epigr. 802, 5, wo E. Curtius die Ergänzung Iv texisiaiv
vorgeschlagen hatte, wurde bisher h xnjvsaaiv oder sfv #£33iv ver-
mutet, indem man den Genesenen für einen Hirten hielt; Roscher
denkt auch an £v axoXaxsaatv, wonach er ein Jäger wäre. Dagegen
bemerkt Wünsch mit Recht, daß ein mit einer dpfaUr^ vot>öq> (V. 8)
Behafteter weder auf die Jagd noch auf die Weide gehe; er schlägt
daher ouv aX-yssatv vor, wobei aber oüv nicht ohne Bedenken ist. —
Groag erblickt in dem 888 a erwähnten Hadrianus und Severus nicht
den Kaiser Hadrian und den Catilius Severus, was die bis jetzt
herrschende allgemeine Ansicht ist, sondern die Sophisten Hadrian
und Claudius Severus.
Mit der Verbesserung der Epigramme in E. C o u g n y s
Sammlung beschäftigten sich
1. W. Headlam, Various conjectures. Journal of
Philology 26 (1898), S. 107 f. [B. I— V].
2. Tb. Reinach (Epigr. I, 128 b, S. 587]. Rev. des «Stüdes
grecques XV, S. 36.
Reinach teilt das Epigr. 128 b, S. 587. nach einem neuen
Abklatsch des Konservators Tacchella mit; V. 2 akzentuiert er
'A^oXXtuvic = 'AttoXXiuvio? , und V. 3 faßt er rctipeiJo*; als Ait<$XXa>v
llatpmo;. — Headlam weist darauf hin, daß I, 61 dirrrtz nicht —
involucris ist, wie Cougny erklärt, sondern — airrco;, wenn es
nicht geradezu aus diesem entstellt ist (vgl. A. 1*. IX, 588, 6). —
11, 198 b, 13 (S. 591) liest er richtig xw p' ajxoxov xXatovTsc. —
Zu 257 b (S. 593) vergleicht er A. P. VII, 253, das Vorbild für
unsere Verse. — 295 stellt er her durch die Lesung : <px&""> Xswro-
t£pot; G|xvot» ttyWzi. |x' flfyöfov | dftflvotTO'j;. — 850. 5 ergänzt und
interpungiert er gut -aCzo 5' dXXok rca-sp OpTjvtuv 'f t'Xs, "atieo tir/rsp i
ripstjAfj'evsi' xtX. — 351, 1 verbessert er Sinn und Metrum, indem
er schreibt Ttjio.0eo», to lla'tpa; oaiov ?»o;. — 111, 74, 27 vermutet
er passend r/S upsvai'ou; (st. £v5sösy|*£vou;).
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Jahresbericht über die griechischen Lyriker. (Sitzler.) 319
An neuen Funden liegen vor
A. W. Verra 11, Two unpublishedinscriptionsfrom
Herodotus. Class. Rev. XVII, S. 98 f.
Der Verfasser glaubt, in der Prosa Herodots zwei metrische
Inschriften entdeckt zu haben, die erste IX, 76, die Bitte der Koerin
an Pausanias um Kettung nach der Schlacht bei Platää, die zweite
VIII, 114, die Forderung der Spartaner an Xerxes, ihnen für die
Tötung des Leonidas Genugtuung zu geben. Aber von Inschriften
kann keine Rede sein; höchstens wären es epideiktische Epigramme
nach der Form -cfva? Äv sfroi rt Kyrt xtX. (vgl. IX , 453 f.).
In Wirklichkeit sind es eigene Schöpfungen Verralls im Anschluß
an Herodots Worte.
D. Bassi, Sette epigrammi greci inediti. Riv. di
Filologia 1898, S. 385 f.
Der Verfasser hat die sieben Epigramme im cod. Ambros. D 538
der Vitae parallelae des Plutarch gefunden; sechs davon sind von
dem Archiatros Constantinos Amentianos, das siebente von Georgios
Kydones. Die zwei längsten beziehen sich auf Demetrios Kasandrenos,
der von 1291/92—1361/62 lebte, die anderen auf Nikephoros Angelos
Kanates und dessen Gemahlin Maria, der Tochter des Demetrios
Kasandrenos.
B. Grenfell and A. S. Hunt, The Oxyrhynchus
Papyri. Part III, London 1903. Part IV, London 1904.
Der dritte Teil bringt unter Nr. 464 kurze Reste von etwa
sieben astrologischen Epigrammen aus einer Sammlung des 3. Jahr-
hunderts n. Chr.; jedes trägt eine Überschrift, die den Inhalt an-
gibt. — Der vierte Teil, Nr. 662, enthält zunächst das Ende der
Zeilen von Leonidas' Epigr. A. P. VH, 163 und von Antipaters
Epigr. VII, 164; dann zwei Epigramme von Amyntas, das erste auf
Prexo (vgl. A. P. VII, 163, 164, 165), das zweite auf die Eroberung
von Sparta durch Philopömen im Jahre 188 v. Chr.; Amyntas, von
dem sonst nichts bekannt ist, lebte also im 2. Jahrhundert v. Chr.;
ferner zwei neue Epigramme, Weihungen der Jägerin Glenis, das
eine von Leonidas, das andere von Antipater, und schließlich Reste
eines weiteren Epigrammes des Leonidas. Der Text stammt aus der
Zeit des Augustus. — Die Nr. 671 besteht aus trümmerhaften Stücken
eines epideiktischen Epigrammes.
B. Grenfell and J. G. Smyly, The Tebtunis Papyri.
Part I, London 1902.
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320 Jahresbericht über die griechischen Lyriker. (Sitzler.)
Unter Nr. 3 werden Überreste von Epigrammen veröffentlicht;
darunter befindet sich auch A. P. IX, 588, das Alkäos von Messene
auf den Pankratiasten Kleitomachos von Theben verfaßte , mit den
Varianten V. 5 ßpayeiovac st. izw\i(oa<; und TraXataac st. iraXsuaac.
H. v. Her werden, Rhein. Museum 1904, S. 143, macht dazu
einige Konjekturen.
Mulang es Nicole. Genf 1905.
S. 615 — 624 veröffentlichen G.-A. Gerhard und 0. Crusius
aus dem Heidelberger Papyrus, Nr. 1271, sechs Epigramme mytho-
logischen Inhaltes nach der rhetorischen Schablone xiva? äv ef-oi
xtX. ohne poetischen Wert,
U. v. Wilamowitz, Zwei Gedichte aus der Zeit
Euergetes II. Archiv für Papyrusforschung I (1901), S. 219 f.
Der Verfasser behandelt die zwei Grabschriften, die P. Jouget
im Bulletin de correspondance helle'nique XX, S. 191, bekannt ge-
macht und F. v. Bis sing dann nachverglichen hat. Sie bestehen
aus Distichen , das erste 24 Verse umfassend , mit der Unterschrift
Ä^poSiaia /pijOTTj X°"f6- HptoOTj? e-^pa^ev, das zweite 22 Verse, mit
der Unterschrift 'AroXXwvts yjprtazh x^P8* HpwÖTjf. Der Dichter
Herodes ist unbekannt; Aphrodisia war die Frau, Apollonios der
Sohn des Ptolemäos. eines oirfvevr,?, womit ein Adel bezeichnet wird,
der persönlich nicht erblich war.
D. Comparetti, Su alcune epigrafi metriche
cretesi. Wiener Studien 1902. S. 265—275, 1903, S. 1—4.
Der Verfasser bespricht eingehend drei metrische Inschriften,
die in dem von L. S a v i g n 0 n i und G. De Sanctis herausgegebenen
Werke: Esplorazione archeologicadelleprovincieocci-
dentali di Creta. Roma 1902 enthalten sind. Die wichtigste,
die schon Halbherr veröffentlicht hatte, stammt von dem Metroon
in Phaestos ; sie gehört der Mitte des 2. Jahrhunderts v. Chr. an.
Th. Rein ach, lnscriptions grecques. Rev. des
«Hudes grecques 1903, S. 180 f.
Es werden zwei neue Epigramme aus Thasos und vier aus
Ägypten behandelt.
0. Kern, De epigrammate Larisaeo commen-
tariolus. Gratulationsschrift für Greifswald. Rostock 1906.
Das Distichon bezieht sich auf Melia, die Mutter Hamons.
0. Schröder besprach in der Januarsitzung der Archäolog.
Gesellschaft zu Berlin 1902 die Polyzalos-Iusehrift (vgl. Wochen-
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Jahresbericht über die griechischen Lyriker. (Sitzler.) 321
schrift f. klass. Philol. 1902, Nr. 9, S. 253 f., Archäol. Anzeiger
1902, S. 11 f.).
Außer dem schon genannten Herodes wurden noch die Namen
anderer Epigrammendichter bzw. Epigrammensammler
bekannt.
A. Wilhelm. Der Dichter Antiphon aus Athen.
Jahreshefte des österr. archäolog. Instituts 1900, S. 98 f.,
behandelt zwei Epigramme mit der Unterschrift Ävtt<pumoc : das
erste steht bei Cougny I, 216, das zweite blieb bis jetzt unbeachtet.
Antiphon ist nach ihm der bekannte Dichter der neuen Komödie im
2. Jahrhundert n. Chr.
W. Radtke, Aristodemos' i7ci7pa'u.jiaTaBr/ßoixot.
Hermes 1901, S. 36 f.,
weist nach, daß das Werk des Aristarcheers Aristodemos, das den
Titel OijßaixA ^Ypctfitiata trug, als Grundstock Epigramme enthielt
und so stofflich neben Polemons repl tSv xaxa 7t<5Xeic iT^pappfotov,
Philochoros' ir^pd^axa Ärctxa und den aristotelischen Peplos tritt.
Die von Aristodemos gesammelten Gedichte gehören dem 4. Jahr-
hundert und vielleicht schon dessen Anfang an ; sie standen in Theben
auf Steinen oder waren doch für diesen Zweck bestimmt, und ihr
Inhalt betraf thebanische Örtlichkeiten. Aristodemos prüfte sie an
der maßgebenden literarischen Überlieferung, besonders an Homer,
und entschied sich dann entweder für oder gegen die Angabe seiner
Epigramme. Die Fragmente dieser Epigramme stellt Kadtke fest
und vermehrt sie durch neue.
J. Pomptow, Die Ly sander-Inschrift in Delphi
Archäolog. Anzeiger 1902, S. 18 f. Berl. phil. Wochenschrift
1901, S. 734,
spricht über das Epigramm, das Lysander nach der Besiegun* der
Athener bei Ägospotamoi auf die von ihm nach Delphi geweihte
Statue setzte. Nach der Unterschrift ist es von einem bisher un-
bekannten Dichter Jon von Saroos verfaßt, dem H o m o 1 1 e , der das
Epigramm zuerst in den Comptes rendus de l'acad. des inscriptions
1901, S. 681, veröffentlichte, auch Pausan. VI, 8, 14 und III, 17, 4
zuweisen möchte. Jon würde dann zur Schar der Lysander-Dichter
gehören, ans der wir Chörilos, Antilochos, Antimachos von Kolophon
und Nikeratos von Heraklea kennen. Vgl. auch E. Bor mann
Jahresh. d. öst. arch. Instituts VI, 1908, S. 248.
Zum Schlüsse erwähne ich noch
J. M. Stowasser, Griechische Schnadahüpfeln.
Wien 1908.
J»hreib«rkht für Altertnmswissonwbaft. Bd. CXXXHI. (1907. I.) 21
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322 Jahresbericht über die griechischen Lyriker. (Sitzler.)
Der Verfasser ist der Ansicht, daß dem griechischen „Zwei-
zeiligen" bei uns das „Vierzeilige4* völlig entspricht, daß also der
deutsche Umformer, um volkstümlich zu bleiben, die antiken Disticha
in Schnadahüpfeln verwandeln muß. Dies sucht er theoretisch aus
einer Betrachtung der Natur und des "Wesens der Disticha und
praktisch durch die Übertragung einer großen Zahl von Gedichtchen
aus dem Griechischen in das Deutsche und umgekehrt zu erweisen,
von denen viele recht gelungen sind. Nur übersieht er, daß das
Distichon prinzipiell dem Schnadahüpfel nicht gleichgestellt werden
darf; dieses ist immer volkstümlich, mit sangesartigem Vortrag ver-
bunden, das Epigramm aber als literarische Gattung zeigt eine Kunst
und Feinheit, die den schärfsten Gegensatz zum Volkstümlichen
bildet; es ist für die Gelehrten und Gebildeten bestimmt.
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JAHRESBERICHT
über die
Fortschritte der klassischen
Altertumswissenschaft
begründet von
Conrad Bursian
herausgegeben von
W. Kroll.
Hundertvierunddreißigster Band.
Fünfunddreißigster Jahrgang 1907.
Zweite Abteilung.
LATEINISCHE AUTOREN.
LEIPZIG 1907.
O. R. REISLAND.
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Altsnburg
Piereroohe Hof huchdrucker«i
St«ph»n G«ib«l & Co
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Inhaltsverzeichnis
des hundertvierunddreißigsten Bandes.
Seite
Bericht über die römischen Juristen für 1901 — 1905
(1906). Von Wilhelm Kalb in Nürnberg . . 1—122
Bericht über die Literatur zu Ciceros Reden aus den Jahren
1908—1906. Von J. May in Durlach .... 123—195
Bericht über die nachaugusteischen Epiker, Senecas Tragö-
dien, Ausonius. die Bukoliker und die lateinische
Anthologie von 1903—1906. Von Johannes Tol-
kiehn in Königsberg i. Pr 196—236
Bericht über die Literatur zu Suetonius von 1897—1906.
Von Th. Opitz in Zwickau 237—270
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Jahresbericht
über die römischen Juristen für 1901-1905 (1906).
Von
Wilhelm Kalb in Nürnberg.
Ungewöhnlichere Abkürzungen.
BphW. = Berliner philologische Wochenschrift.
Bull. = Bullettino delP Istituto di diritto Romano.
Jhber. = Jahresbericht über die Fortschritte der klassischen Altertums-
wissenschaft.
Krit. Viertelj. = Kritische Vierteljahresschrift für Gesetzgebung und Rechts-
wissenschaft.
Nouv. ReT. = Xoivelle Revue historique de droit francais et etranger.
Sav.-Z. = Zeitschrift der Savignystiftung für Rechtsgeschichte, rom. Abt.
WklPh. = Wochenschrift für klassische Philologie.
Paul, sent 4, 2, 2 (Gai. insu ülp. reg.) = Fragment aus Justinians Digesten.
Paul. Sent 1, 21, 1, Gai. Insu Ulp. Reg. bezieht sich auf die einzeln er-
haltenen Schriften des Paulus usw.
Vorbemerkung:.
In dem Quinquennium 1901 — 1905 ist die Zahl solcher Arbeiten,
welche die römische Rechtsgeschichte zu fördern imstande sind, er-
heblich zurückgegangen, da manche von den bedentendsten deutschen
Romanisten dauernd durch das Bürgerliche Gesetzbuch in Anspruch
genommen sind. Zum Ersätze des Ausfalls ist auf allen Seiten eine
doppelte Menge von (soweit uns ein Urleil zusteht) geringwertigeren
Abhandlungen aufgetaucht, denen auch hervorragende Zeitschriften ihre
Spalten öffneten. So kam es, daß der Berichterstatter diesmal eine
schwerere Aufgabe hatte als sonst. Hätten wir uns nicht große Be-
schränkungen auferlegt, so hätte unser Bericht viel umfangreicher werden
müssen als die beiden vorhergehenden (in diesem Jhber. LXXXIX
206 — 305; C1X 17 — 84). Ein eigenartiges Gepräge erhält unser
Quinquennium durch eine Kritik, die sich an fundamentale, kaum zu
erschütternde Annahmen heranmacht und dazu zwingt, die Grundlage
solcher Annahmen einer neuen Prüfung zu unterziehen. Daneben
Jahresbericht für AH*rtanuwiM*a«<:h»ft. Bd. CXXXIV. (1907. II.) 1
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2
W. Kalb: Römische Juristen.
wird jene Digestenkritik, welche Worte der klassischen Juristen ohne
weiteres für Justinianische Einschiebsel erklärt , wenn sie zu einem
selbstgemachten System nicht passen wollen, erfreulicherweise bereits
etwas seltener, wenn sie auch immer noch einzelne Blüten treibt.
Entsprechend dem in diesem Jhber. CIX 18 aufgestellten Grund-
satz haben wir aus der italienischen Literatur nur einige Proben
gegeben durch Anführung von solchen Erscheinungen, die entweder
durch ihre Bedeutung ganz besonders hervorragen oder speziell für
uns interessanter waren; wir gestatteten uns diese Beschränkung im
Hinblick auf die periodischen Berichte über die italienische Romanistik,
welche A. Schneider in der Kritischen Vierteljahresschrift hoffent-
lich auch weiterhin erstattet.
Neben Italien ist Frankreich unter Führung von P. F. Girard
in den Wettbewerb mit Deutschland um die erste Stelle auf unserem
Gebiete [in der geschichtlichen Erforschung des römischen Rechts] ein-
getreten. Für England und Spanien scheinen wenigstens die aller-
ersten Grundlagen zu einem künftigen Wettbewerb gelegt.
Daß der Tod Th. Mommsens*) (f 1. Nov. 1903), dessen
Wissen seine Wurzel im Corpus iuris hatte, um sich von dort über
alle Bereiche der Philologie zu verbreiten, für unser Gebiet einen
besonders schweren Verlust bedeutet, braucht wohl nicht gesagt
zu werden. Ein Jahr vor Mommsen (am 17. Okt. 1902) starb
C. Ferrini (zu Suna am Langensee), welcher auf dem Gebiete der
römischen Rechtsliteratur ein italienischer Mommsen zu werden ver-
sprochen hatte.
Bezüglich der Besprechung von einzelnen Werken und Abhandlungen
bitten wir zu beachten, daß wir nicht über das römische Recht oder gar
über das gemeine deutsche Recht, sondern über die römische Rechts-
literatur zu berichten haben. Deshalb mußte gar oft bei der Besprechung
eines Werkes gerade der Hauptinhalt trotz seiner Trefflichkeit ohne
Würdigung bleiben. Außerdem mußte sich unser Bericht auf die uns zur
Verfügung stehenden Werke und Zeitschriften beschränken. Dank sei an
dieser Stelle der Leitung der Kgl. Universitätsbibliothek Würzburg gesagt,
welche uns sowohl andere Werke als vor allem die neueren Zeitschriften, so
weit vorhanden, in liberalster Weise zur Benützung überließ. Ebenso danken
*) Von den vielen Ehrungen Mommsens möchten wir hier nur eine
erwähnen, weil wir sie in deutschen Zeitschriften nicht erwähnt gefunden
haben: E. Costa, Teodoro Mommsen. Discorso inaugurale per Tanno di
studi 1904 — 05. Bologna, 1904, 90 §., wo nach Aufzählung von Mommsens
Verdiensten und Werken ein Anhang interessante Briefe Mommsens an
B. Borghesi veröffentlicht Die ersten beiden der abgedruckten Briefe (1845)
sind französisch geschrieben. Von 1846 an zeigen die Briefe italienische
Sprache.
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Allgemeine Werke.
3
wir Verfassern und Verlegern für die Unterstützung unserer Berichterstattung
durch gütige Zusendung von neuen Erscheinungen. Da wir unser Referat
jetzt niederlegen, bitten wir, durch ähnliche Zusendungen (zu Händen von
Herrn Prof. W. Kroll in Münster i. W.) auch unserem Nachfolger die Arbeit
erleichtern zu wollen.
Das Stellenverzeichnis zum Corpus iuris, welches in unseren beiden
vorhergegangenen Berichten die kritisch besprochenen Stellen möglichst
vollständig zu bringen suchte, haben wir diesmal weggelassen, zunächst um
Platz zu sparen , sodann weil wir durch Hinweis auf Vorgänger manchem,
welcher eine neue Interpolation gefunden zu haben glaubt, die Freude ver-
derben könnten.
I. Allgemeine Werke.
1. Cesare Bertolini, Le obbligazioni. Parte speciale. 1.
Contratti ; patti ; quasicontratti. (Appunti didattici di diritto Romano,
Universita di Torino 1904/5, 1905/6.) 4 Hefte, behandelt Nexum,
Dotis dictio, Jus iurandum liberti, Stipulatio, Nomina transscripticia,
Chirographa nnd Syngraphae, Mutuum, Fidncia, Commodatam, Depo-
situm, Pignus, Pennutatio, Aestimatio, Precarium. — Wir werden in
unserem Bericht mehrmals Gelegenheit haben, Bertolinis Stellung-
nahme zu Streitfragen anzuführen. — Forts, s. Nachträge.
2. *BiagioBrugi, Istituzione di diritto privato Giustinianeo.
Parte II. Verona-Padova 1901 gibt sich nach Binder, Krit. Viertelj.
1905 S. 392 ff. absichtlich mit der Darlegung der historischen Ent-
wicklung des röm. Rechts weniger ab.
3. E. Costa, Corso di storia del diritto romano dalle origini
alle compilazioni Giustinianee. Bologna. *Vol. I (Le fonti, la fa-
miglia a la persona nel diritto privato) 1901 u. *Vol. II (I diritti
reali, le obligazioni, le successioni) 1903, ist von L. Weng er in
der Sav.-Z. XXIV 471—478 besprochen, der u. a. die sorgfältige
Berücksichtigung der Papyrusfunde rühmt. Im einzelnen nimmt C.
zu Streitfragen folgende Stellung ein: Die (echten) XII Tafeln sind
von griechischer Kultur beeinflußt; Gaius war kaum ein Provinzial-
jurist; das Zitiergesetz beweist nur für die westliche Hälfte des
röm. Reiches einen Tiefstand der Jurisprudenz; die Gliederung
der Servitutes in serv. personales und serv. praediales stammt ver-
mutlich erst von den Kompilatoren der Digesten: der ususfructns
gehörte vorher (?) gar nicht zu den Servituten. (Hier wird C. Longo,
* Bull. XI 281 ff. zitiert.)
4. K. von Czyhlarz, Lehrb. der Institutionen des röm.
Rechts. 7. und 8. Auflage. Wien 1902.
1*
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4
W. Kalb: Römische Juristen.
5. P. F. Girard, Manuel eUementaire de droit romain. 4me
öd. Paris 1906. — Im Laufe von etwa zehn Jahren wurden drei
Auflagen des praktischen und billigen Handbuchs mit über 10 000 Ex.
abgesetzt , in der Hauptsache vermutlich in Frankreich , wo das
Studium des röm. Rechts zu immer größerer Blüte kommt. Jetzt
schickt sich das Werk an, die ganze Welt zu erobern; eine deutsche
und eine englische Übersetzung sind in Vorbereitung, und die ge-
drängte historische und literaturgeschichtliche Einleitung (Livre I.
Introduction historique, p. 1 — 89) ist bereits englisch in Canada er-
schienen. Der Vf. hat zwar sein Manuel in erster Linie für die
Studierenden des Rechts bestimmt; aber es ist doch ein streng
wissenschaftliches Werk, und die Anmerkungen führen nicht nur die
einschlägigen Stellen aus den römischen Schriftstellern an, sondern
sie geben auch Aufschluß Uber die neue und allerneueste Literatur,
wobei freilich die philologische Seite neben der juristischen zu kurz
kommt: in der Bibliographie generale (p. IX— XVI) und sonst ver-
mißt man die Erwähnung mancher Arbeit*), die nicht fehlen würde,
wenn der Hauptzweck nicht eine Darlegung des Systems des römischen
Privatrechts wäre, auf welche gegen u/i2 des ganzen Werkes fällt.
Der Jahresbericht für die klass. Altertumswissenschaft hätte, soweit
er das röm. Recht betrifft, vielleicht trotzdem erwähnt werden können,
um dem Benutzer des Manuel Gelegenheit zu geben, diejenige neuere
Literatur kennen zu lernen, welche Vf. nach dem Plane des Werkes
übergehen zu müssen glaubte. — Ein Index von 30 Seiten Umfang
erleichtert die Benutzung.
6. P. F. Girard, Histoire de i'organisation judiciaire des
Romains. *Vol. I. Les six premiers siecles de Rome. Paris 1901,
ist nach der Anzeige von 0. Geib in BphW. 1905 S. 691—695 der
erste von vier beabsichtigten Bänden, von denen der zweite das letzte
Jahrhundert der Republik seit der Lex Aebutia einschließlich, der
dritte die Kaiserzeit bis zum Untergang des weströmischen Kaiser-
reiches behandeln soll. Der vierte Band, der zunächst erscheinen
soll, wird eine zusammenstellende Liste der Magistrate, der Ge-
schworenen und der Gerichtsbezirke bieten. Der erste Band faßt
das Thema in weiter Ausdehnung an, so daß er zugleich eine Ge-
schichte des Legisaktionenprozesses gibt. Nach Geib schließt sich
der Vf. in seinem vortrefflichen Werke zwar vielfach an Mommsens
Auffassung an, nimmt jedoch oft auch eine selbständige Stellung ein.
7. Th. Kipp, Geschichte der Quellen des röm. Rechts. Zweite,
*) Z. B. S. 64 zu Papinian.
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Allgemeine Werke. 5
umgearbeitete Auflage. Leipzig 1903. Das ausgezeichnete Buch,
welches einerseits im eigentlichen Text (auf kurzen Raum zusammen-
gedrängt und doch in leicht verstandlicher Darlegung) alles bringt,
was der ersten Einführung in die röm. Rechtsliteratur dienen kann,
anderseits in den Anmerkungen auch der Wissenschaft Rechnung
trägt, ist zum erstenmal 1896 erschienen (Jhber. LXXX1X 208 f.).
Auch die neue Ausgabe berücksichtigt alle wissenschaftlichen
Äußerungen bis unmittelbar an die Zeit ihres Erscheinens hin und
zeigt eine treffende Beurteilung derselben. Ref. hat deshalb im
folgenden Bericht, um Platz zu sparen, sich nicht selten mit einer
Verweisung auf Kipps Geschichte der Quellen begnügt. — Als
Kuriosum mag ein Satz aus einer Anzeige von Kipps Buch durch
G. Testaud in Nouv. Revue XXIX 687 aufgeführt sein: „le chapitre
cinquieme, fort court, est consacre" aux leges Romanorum promu4gu6es
dans les royaumes barbares d'occident, dans lesquels, faisant tres
patriotiquement violence ä l'histoire, M. Kipp voit deja l'empire
germanique: la loi romaine des Wisigoths" usw. Kipp spricht von
„germanischen Reichen auf römischem Boden" ; seine „Fälschung"
besteht vermutlich darin, daß er nicht von barbarischen Reichen
auf französischem Boden sprach.
8. Th. Moramsen, Gesammelte Schriften. Berlin 1905. —
Die beiden ersten Bände von Mommsens gesammelten Schriften sind
gleichzeitig die beiden ersten Bände von Mommsens juristischen Auf-
sätzen, die bisher in verschiedenen Zeitschriften verstreut waren.
Da die allgemeinen Weisungen für die Herausgabe noch Mommsen
selbst gab, sind ephemere Sachen weggelassen. (Der * erste Band
umfaßt die Aufsätze Mommsens, welche sich auf inschriftlich erhaltene
Einzelgesetze und andere Rechtsurkunden beziehen.) Der zweite
Band ist von B. K Übler herausgegeben, welchen sich Mommsen 1902
selbst zum Mitarbeiter für diesen Zweck erwählt hatte. Er umfaßt
die Abhandlungen Mommsens über Juristen, Juristenschriften und
(kodizierende) Gesetzeswerke sowie Funde, die zur Erläuterung der-
selben dienen können. Nur verhältnismäßig selten hat B. Kübler
[in zweieckigen Klammern] Zusätze (über die neuere Literatur) ge-
macht. (Zusätze von Mommsens eigener Hand, die sich zuweilen in
Mommsens Handexemplaren fanden, bezeichneten die Herausgeber
mit eineckigen Klammern.) Der älteste aufgenommene Aufsatz (Die
Wiener Fragmente von Ulpians Institutionen) stammt aus dem Jahre
1850 , der jüngste (AcuSsxaSeXroc) aus dem Jahre 1903 (wobei wir
absehen von den Bemerkungen über Sanctio pragraatica, die aus
Mommsens Nachlaß erst 1904 herausgegeben wurden). Besonders
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W. Kalb: Römische Juristen.
wer nicht in der Lage ist, eine größere Bibliothek mit den ver-
schiedenen Zeitschriften, in denen Mommsens Aufsätze erschienen
sind, zur Verfügung zu haben, wird die Ausgabe bei wissenschaft-
lichen Arbeiten auf unserem Gebiet nicht gerne entbehren.
9. Paulys Realenzyklopädie der klassischen Altertums-
wissenschaft. Neue Bearb., hrg. v. Wissowa, ist bis zum zehnten
Halbband fertiggestellt, bis Ephoroi. Im fünften Band (1905) ist
behandelt unter anderem von Leonhard dictio dotis, dominium,
donatio, von Jörs digesta und als der 88 te Domitius auf S. 1485
bis 1509 Ulpian, von Kipp edictum, von Weng er editio actionis usw.
10. A. Pernice, Labeo. Römisches Privatrecht im ersten
Jahrhunderte der Kaiserzeit. II. Abt. II, 1. 2. Aufl. Halle 1900.
(Vgl. diesen Jhber. LXXXIX 269, CIX 66.) Der Tod des be-
deutenden Romanisten hat die Vollendung der Neubearbeitung dieses
Werkes verhindert. Der vorliegende Abschnitt desselben umfaßt das
achte Buch, welches den Spezialtitel führt „Verschulden und Verzug".
Für Philologen interessant ist besonders das erste Kapitel, welches
Über den Sprachgebrauch von culpa, inprudentia, noxa und noxia,
neglegentia, mora, stat per eum quominus handelt — Begriffe, die
freilich erst in den folgenden Darlegungen ihre richtige Gestalt ge-
winnen können. Das zweite Kapitel behandelt das fahrlässige Ver-
gehen, wobei solche religiöser Art von weltlichen geschieden werden.
Das dritte Kapitel mit der Überschrift „Die Fahrlässigkeit im Rechts-
verkehr", welches den Hauptinhalt des Bandes bildet (S. 67 ff.),
schlägt mehr als die vorhergehenden ins speziell juristische Gebiet
ein. Die vielen Digestenst eilen, welche (besonders in diesem letzten
Kapitel) besprochen sind, zählt ein Stellenregister auf.
11. Henry John Roby, Roman private law in the times of
Cicero and of the Antonines. Cambridge 1902, 2 Bde., will nach
L. Wenger, Sav.-Z. XXV 420—430 ein System des röm. Rechts
zur Zeit der klassischen Juristen bieten , so daß also die Justinia-
nischen Neuerungen und Interpolationen (für deren Feststellung
übrigens Vf. zur Vorsicht mahnt) nicht in Betracht kommen. — Nach
der Anzeige von G. May, Nouv. Revue XXVIII 225—228 scheint
der wissenschaftliche Wert gering zu sein , da dem Vf. historischer
Sinn mangelt und das Bewußtsein abgeht, daß von Cicero bis auf
Ulpian sich wesentliche Änderungen im röm. Recht vollzogen. Die
deutschen Gelehrten verspottet er d'avoir Foeil assez per^ant pour
voir dans l'obscur et Tesprit assez inge'nieux pour faire de rien
quelque chose. — Ohne das Streben nach Aufhellung vorhandener
Dunkelheit gibt es keine Wissenschaftlichkeit. Es ist kaum eine
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Allgemeines. Sprache der Jurisprudenz.
7
Kunst, die offen darliegenden Lehren der Institutionen werke breit-
zutreten.
12. M. Voigt, Römische Rechtsgeschichte. III. (Schlußband)
1902, scheint nach WklPh. 1904 S. 126 nichts in unser Gebiet Ein-
schlägiges zu enthalten. (Bd. II ist in diesem Jhber. CIX 19 be-
sprochen.) Hervorzuheben ist eine Würdigung von Voigts gesamtem
Lebenswerk durch H. Erman in BphW. 1905 S. 63 ff., worin ge-
zeigt wird, daß Voigt zwar vielfach auch nutzbringende und die
"Wissenschaft fördernde Anregungen gab, öfter aber durch seine als
sichere Tatsachen hingestellten Hypothesen irregeführt hat.
13. * Folgende Schriften, die dem Ref. nur dem Titel nach be-
kannt wurden, seien wenigstens registriert:
P. Bonfante, Storia del diritto roraano. Milano. — Ders. ,
Istituzioni di diritto romano. 3* edizione. Milano. — E. Costa,
Storia del diritto romano privato. Firenze 1903. — F. Gas-
parola, Jus civile romanum. Vol. V. Senis 1904. — G. Pacchi-
oni, Corso di diritto Romano. I. La costituzione e le fonti del
diritto. Innsbruck 1905. — Fr. Prestidonato, Le azioni
populari. I. romano. Palermo 1904. — Fr. Zoll, Geschichte
der römischen Gesetzgebung. I. (Polnisch.) —
Zusatz: Sprache der Jurisprudenz. (Vgl. auch Nr. 25—40.)
14. W. Kalb hat über Erscheinungen und gelegentliche Be-
merkungen auf dem Gebiet des Juristenlatein s (im weiteren
Sinne) Bericht erstattet in Vollmöllers Rom. Jahresbericht VI 1
S. 133-135 (1899—1901), VII 1 S. 75-78 (1902—1903), VIII
(noch im Druck) 1904—1905.
15. Vocabularium iurisprudentiae Romanae (vgl.
diesen Jhber. LXXX1X 243; CIX 53) ist von 1894—1903 erst mit
dem Buchstaben C fertig geworden und damit mit dem ersten Bande.
Die Arbeit lag zuletzt allein auf den Schultern von B. Kübler;
so erklärt sich das langsame Fortschreiten. Genauer haben wir in
WklPh. 1904 S. 376 ff. und in Vollmöllers Rom. Jhber. VII 1 S. 77 f.
über die vierte Lieferung berichtet. Im Interesse der rascheren
Fertigstellung wird man es gerne mit in den Kauf nehmen, wenn
die Disposition zuweilen etwas äußerlich ist, wenn z. B. bei den
Konjunktionen in der Regel keine Rücksicht darauf genommen wird,
ob der Konjunktiv in direkter Rede oder in indirekter Ausführung
(also vielleicht in Vertretung eines Indikatives der direkten Rede)
gesetzt ist.
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1
8 W. Kalb: Römische Juristen.
H. Brunner, Die Savignystiftung seit 1880, Sav.-Z. XXII S. X
berichtet unter anderem auch über das Vocabularium iurispr. Rom.
Wir erfahren daraus, daß für das Wörterbuch seit 1886 — 1901 von
der Savignystiftung allein schon 29 300 M. aufgewendet wurden.
Dabei war die wichtigste Vorarbeit, die Herstellung eines Wortindex
zu den Digesten, 1886 bereits nahezu fertig. Man ist geneigt, hier
eine Parallele mit den Wörterbüchern von Merguet zu ziehen , der
kaum solche Mittel zur Verfügung hatte.
Um die Fertigstellung des Vocabulariums zu beschleunigen, wurde
für die ferneren Bände die Arbeit unter vier neugewonnene Mitarbeiter
so verteilt, daß Band II (D — G) Ed. Grupe, Band III (H— M)
R. Hesky, Band IV (N— Q) St. Braßloff, Band V (R— Z)
£. Volkmar herstellen soll, während die Generalredaktion sämt-
licher Bände , die gleichzeitig in Angriff genommen werden , in den
erprobten .Händen von B. K übler liegt. Ed. Grupe hat von
seinem Pensum bereits Dactyliotheca — doceo erledigt: = Tom. II
fasc. I (Sp. 1—320, Berlin 1906), besprochen von W. Kalb, WklPh.
1907 Sp. 599 f.
1 6. Nur dem Titel nach ist uns bekannt Edgar S. Shumway,
Zum Juristenlatein. Proceedings of the American Philological Association
1901, Philadelphia Dez. 1900.
17. Erwähnt sei auch Otto Gradenwitz, Laterculi vocum
latinarum. Lpz. 1904. — Die erste Hälfte, S. 1—278, gibt nach
Wölfflins Archiv f. lat. Lex. u. Gr. XIH 585 ein Wörterverzeichnis
nach der gewöhnlichen Reihenfolge, beginnend mit a, schließend mit
zythum, die zweite ein Wörterbuch, das alphabetisch nach dem
letzten Buchstaben jeden Wortes geordnet ist, also beginnt mit oT
faba und schließt mit asty (wobei die Flexionsendungen natürlich
nicht berücksichtigt sind). Zweck dieses Wörterbuchs ist in erster
Linie nicht, wie man vermuten könnte, das Reimen zu erleichtern,
sondern ein äußerliches Hilfsmittel zu bieten für die Ergänzung von.
fragmentarischen Papyri.
17 a. L. Hahn, Rom und Romanismus im griechisch-römischen
Osten. Mit bes. Berücksichtigung der Sprache. Bis auf die Zeit
Hadrians. Leipzig 1906 s. Nachträge.
II. Fontes iuris.
a) Sammelwerke.
18. P. F. Girard, Textes de droit roraain. 3*me eU revue
et augmenttfe. Das Werk, welches um billigen Preis gleichzeitig
die Urkunden von Bruns Fontes iuris und die juristischen Schriften
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Fontes iuris. Leges. Allgemeines
9
der Collectio librorum iuris Anteiustiniani bietet, ist in der neuen
Auflage um fast 60 Seiten vermehrt. Von neuen Funden (vgl.
Jhber. CIX 22 ff.) sind zu erwähnen Lex municipii Tarentini (S. 61 ff.) ;
Oratio Claudii über das erforderliche Alter der Rekuperatoren ; ein
griechisches Edikt des Praefectus Aegypti M. Mettius Rufus (89 n. Chr.) ;
ein griechisches Reskript von Severos und Caracalla über die longae
possessionis praescriptio ; ein kaiserliches Edikt über die Fristen bei
Appellationen an den Kaiser, das von den früheren Herausgebern
ins erste Jahrhundert gesetzt wurde (Ref. hatte a. 0. S. 30 darauf
hingewiesen, daß die Sprache zu jener Zeit nicht zu passen scheine ;
nach Girard setzte es Mommsen aus sprachlichen Gründen ins dritte
Jahrhundert); das 1897 von Grenfell und Hunt veröffentlichte, jetzt
in Oxford befindliche Fragment aus Paul. Ed. (vgl. D. 17, 2, 65, 16
und 17, 2, 67, 1), vgl. u. Nr. 154; die von Wessely 1898 ver-
öffentlichten Randbemerkungen zu einem verlorenen Werke R(ubrica).
Catenatus esse debet, non tarnen ut in carcere agat, nisi suspecta
sit persona. || R(ubrica). Cowfestim excusare debet apud principem
praeses qui appellantem non distulit; weiter eine Reihe von Privat-
urkunden Über Kauf, Quittung usw. — In einer Appendix auf S. 849 f.
veröffentlicht Seyraour de Ricci ein im Jahre 1903 von Lord
Amherst erworbenes Diptychon aus Hermupolis maior, das eine
(lateinische) Notitia über Freilassung inter amicos enthält mit
darunterstehendem griechischen Chirographum des Freilassers.
Girards Werk bietet also manches, das der Benützer von Bruns,
Fontes und Huschke. Jurispr. Antejust. in diesen Ausgaben noch
nicht findet.
Erwähnt sei auch 19. Dareste, Haussoullier, Th. Rei-
nach, *Recueil des inscriptions juridiques (scheint nach Rev. er.
1906 S. 64 f. vorzeitig abgeschlossen worden zu sein).
b) Legres.
Zu verschiedenen Gesetzen.
Allgemeines:
20. E. Costa, Le figurazioni allusive alle leggi sopra le
monete consolari romane, Roma 1903 bespricht nach G. May, Nouv.
Revue XXVlir382 ff. die Erscheinung, daß auf den spätrepublikanischen
Münzen (seit 104 v. Chr.) die Triumviri monetales zwar zuweilen
an ein staatsrechtliches Gesetz zum Ruhm ihrer Familie erinnern,
z. B. ein P. Porcius Laeca auf einer Münze durch die Darstellung
eines Kriegers, eines Liktors und eines Bürgers sowie die Unter-
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10
W. Kalb: Römische Juristen.
schrift provoco an die Lex Porcia, daß dagegen auf keines der vielen
zivilrechtlichen Gesetze angespielt wird — was eigentlich selbst-
verständlich scheint.
21. P. Huvelin, Les tablettes magiques et le droit romain
in den Ann. intern, d'hist. Paris 1901 scheint nach P. C ollin et,
Nouvelle Revue XXVI 621 den Versuch zu machen, eine Parallele
zwischen Ausdrücken der in den Papyri gefundenen oder sonst be-
kannten Verhexungsformeln und solchen des röm. Rechts zu suchen.
Schloßmann, Nexum S. 33 Anm. 1 erwähnt daraus das häufige
Auftreten von obligare, damnare, damnas esto in Devotionstafeln und
fügt hinzu, daß sich obligare auch in einer Devotionstafel findet,
die in Hadrumetum gefunden und von 22. Fr. Bü che ler im Rhein.
Museum f. Phil. LV1II (1903) S. 624 ff. mitgeteilt ist.
23. F. Senn, *Leges perfectae, minus quam perfectae et
imperfectae. Paris 1902.
24. M. Voigt, *Die röm. Baugesetze. Berichte über die
Verh. der Kgl. Sächs. Gesellsch. d. Wiss., 1903, V p. 175—198.
Über einzelne Ausdrücke und Begriffe des Kurialstils.
25. A. Döhring, Vindex, iudex und Verwandtes. Archiv f.
lat. Lex. XIV 186—138 hält die Ableitung des vindex aus vin +
dex für irrig und führt das Wort zurück auf die (nasalierte) Wurzel
vid = „teilen44, „scheiden" (dividere, vidua) und die Nachsilbe -ex = dt.
-er, wozu er pod-ex und ind-ex vergleicht; vi(n)d-ex ist ihm also
„der Teilende, Trennende, Scheidende44 ; sibi partem vindicat = „er
teilt sich einen Teil zu*4. Freilich scheint schon aus diesem Beispiel
zu erhellen, daß die bekannte Bedeutung von vindicare hier erst durch
den Dativ sibi hereinkäme , während in den alten Legisaktions-
sprüchen (Gai. 4 16) ein solcher Dativ fehlt: z. B. Postulo, anne
dicas, qua ex causa vindieaveris. (Vindicta soll den Trennungsstab
bedeuten.) Gerade in der Rechtssprache, die ja anerkanntermaßen
besonders konservativ ist und der außerdem das Wort vindicare von
Hause aus angehört, läßt sich die Bedeutung von vindex und vin-
dicare kaum mit äußerstem Zwang auf die Bedeutung „teilen" zurück-
führen, was bei der Ableitung von vis „Gewalt" (wenn auch nicht
von vim-öeocvjvai, so doch von vira-däre — vim-xtBevat) weniger der
Fall ist. — Iudex kommt nach D. nicht von ins und dico, sondern
vom Stamm joudh, der auch in iubeo liegt (vgl. ruber mit ipuöpoc u. a.).
Dieser Stamm ist auch im griechischen eoöüc, Mus vorhanden ; Pindar
sagt XaoC? otxa? so&uvet; iubere = „gerade auf etwas hinweisen44.
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Leges. Einzelne Ausdrücke. 11
26. v. Grienb erger, Idg. Forschungen XVI 27—35 faßt
nach WklPh. 1904 Sp. 718 in der Duenosinschrift ast = „cum",
„siu. (Dieses ast kommt auch in den Leges regiae und XII Tab. vor.)
27. 0. Küspert, Über Bedeutung und Gebrauch des Wortes
„caput" im älteren Latein. Progr. Hof 1903 (WklPh. 1904 S. 251).
28. Lenel, Zur Ableitung der Worte vas und praes, Sav.-Z.
XXIV 414 will nicht mit Mommsen vas von vadere, praes von prae-
videre ableiten, sondern er bringt vas mit wadi — „Wette" zu-
sammen und erklärt praes aus prai-vads (praivas) == Vorzugspfand. —
Ihm tritt entgegen
29. Schloßmann, Praes, vas, vindex. Sav.-Z. XXVI 285 bis
815 (vgl. Ref. in Vollmöllers Rom. Jhber. VIII).
30. Th. Mommsen bespricnt Sav.-Z. XXIII 438—441 die
ursprüngliche Bedeutung von mancipium (in der ältesten Zeit
bildeten die Sklaven den wichtigsten Teil des beweglichen Privat-
eigentums, da das Großvieh wohl in Geschlechtsbesitz stand)
und manceps, bei welchem Wort die anzunehmende ursprüngliche
Bedeutung (Eigentumserwerber durch Handgriff) nirgends vorkommt;
es bedeutet den Nehmer bei den staatlichen Lizitationen; diese
Übernahme hat aber die Eigentumserwerbung keineswegs als not-
wendige oder auch nur regelmäßige Folge, wenn auch in den ältesten
Fällen der Verkauf von Kriegsgefangenen einen wichtigen (vielleicht
sogar den wichtigsten?) Bestandteil der Lizitationen bildete. Der
praes, den Mommsen nicht von praevas, sondern von praevideo
ableitet, ist von manceps nicht zu trennen. Er bedeutet die für-
sorgende Person, praedium die Vorsichts-Sache, welche bei einer
Versteigerung besonders dann neben dem manceps notwendig sein
mußten, wenn der Steigerer ein Unfreier oder Ausländer war. Die
Bedeutung von manceps, praes, praedium entstammt wohl dem ins
praediatorium , das neben dem ius civile (in dem das mancipium
seinen Ursprung hat) in ähnlicher Selbständigkeit des Sprachgebrauchs
stand wie heute Börsenusance neben Gerichtsgebrauch.
31. Silvio Perozzi sprach nach R. Caillemer, Nouv. Revue
XXIX 689 in einer Abhandlung „Problemi di origini" in Studi pubbl.
in onore di Vitt. Scialoja, Milano 1905, II 167 über Freilassung,
confarreatio, coemptio, Tutel, Prädialservituten.
32. Mich. Pokrowskij lehrt (nach WklPh. 1902 S. 956)
in Kuhns Zeitschrift XXXVIII 261 — 277 u. a., daß vindicta nicht
von vindicare abgeleitet ist, sondern zu vindicit in den XII Tab.
gehört — was man auch wohl bisher schon vermutete.
83. S. Schloßmann, Stipulari, Rhein. Museum LIX 346
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\V. Kall): Komische Juristen.
bis 372 stellt nach WklPh 1904 S. 1209 die Ansicht auf, die ur-
sprüngliche Bedeutung von stips und stipula, wovon er stipulari ab-
leitet, sei „Halm". Natürlich kann er dann die Bedeutung von
stipulari bei den Juristen nur durch einen abenteuerlichen Bedeutungs-
wandel erklären. (Über die verschiedenen' Etymologien der Alten,
von denen die Ableitung aus der Wurzel sta wohl die beste ist,
s. Bertolini, o. Nr. 1, S. 47).
34. Sigm. Schloßmann, Tri bat um, tribuere, tribus,
Archiv f. lat. Lex. XIV (1905) S. 25—40 erklärt für die Grund-
bedeutung des Verbums tribuere die bei Georges zuletzt stehende
einteilen, verteilen, ohne Dativ. Er führt für diese (wohl nicht zu
bestreitende) Ansicht außer sprach-logischen Gründen auch das Vor-
kommen in der actio tributoria an, die den Gläubigern eine recht-
mäßige Teilung der Activa bei Insolvenz eines Handelspeculiums
sichert. Tributum ist nicht das, was der Steuerzahler der Staats-
kasse (als schuldige Zahlung) zuerteilt, oder was die Staatskasse dem
einzelnen als Last zuerteilt, sondern es bedeutet einfach das Geteilte
oder das auf mehrere Verteilte. Es war ein allgemeiner Ausdruck,
der sich für die spezielle Verteilung der Steuerlasten ebenso ein-
bürgerte, wie man das allgemeine Wort Dividende für die spezielle
Verteilung von einem Gewinn gebraucht: das tributum ist gleichsam
eine Passivdividende (also eben im letzten Grund doch das, was die
Staatskasse den einzelnen als Last zuteilt?). — Zwischen tributum
und tribus besteht kein direkter sachlicher Zusammenhang, aber doch
eine Verwandtschaft. S. bespricht etymologische Erklärungen des
Wortes tribus und zieht zur Erklärung der Grundbedeutung die
iguvinischcn Tafeln berbei, auf welchen trifu, freilich nur eine
Trifu, im Gegensatz zur tota (= civitas) gebraucht ist. Ob trifu
hier, wie schon Huschke glaubte, die Gemeindeflur (welche verteilt
gedacht werden muß) und tota die eigentliche Stadt ist, oder ob
trifu neben tota so zu denken ist wie plebs neben dem (alten)
populus Romanus als die geteilte (?) Volksmenge, oder ob trifu
identisch ist mit poplo, darüber fällt S. kein bestimmtes Urteil. —
Schließlich stellt Schi, die Ableitung von tres insofern als möglich
hin, als die Dreizahl auf ganz alten Kulturstufen identisch mit dem
Plural ist : tribus würde dann nicht ein Drittel bezeichnen, sondern
einen (Viel)teil, ähnlich wie wir „entz weischlagen" gebrauchen, auch
wenn etwas in viele Teile zerschlagen wird.
35. S. Schloßmann, Der Vindex bei der in ins vocatio.
Sav.-Z. XXIV 279—329 möchte (besonders gegen Lenel) nach-
weisen, daß im klassischen Recht (anders nach Schi, in XII Tab.,
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Leges. Einzelne Ausdrücke.
13
s. u. S. 26) vindex lediglich einen Bürgen bezeichnet habe , und
zwar in allgemeiner Weise and nicht in dem speziellen Sinn eines
solchen Bürgen, der an Stelle des in ius vocatns selbst mit dem
Kläger zum Prätor geht usw., wie ihn Lenel in seinem Edictum per-
petuum, französ. Ausgabe S. 74 anschaulich darstellt. Wenn Gai.
Inst. 4, 46 schreibt (formulae) velut adversus eum, qui in ius vocatus
neque venerit neque vindicem dederit, so hätte Gaius auch neque
satisdederit schreiben können. Der Vindex in der Lex Rubria 21 Z.
21 sq., welcher einem zum vadimonium cum satisdatione Verpflichteten
die Erfüllung seiner Satisdationspflicht ermöglicht, und der Vindex
in der Lex Col. Gen. Jul. 61, der für einen verhafteten Schuldner
eintritt, um ihn aus der Haft freizumachen, werde die Bürgschaft in
der regelmäßigen Form, der Stipulation, geleistet haben.
36. 0. Lenel, Der Vindex bei der in ius vocatio, Sav.-Z.
XXV 232—254 nimmt hiegegen Stellung. Schloßmanns Annahme
scheitert vor allem an der vom Prätor gegen den Vindex ge-
gebenen Actio in factum, statt deren man eine Actio ex stipulatu
finden müßte; Schloßmanns Hinweis auf die Actio in factum
(neben in ius) concepta beim Depositum beseitigt diesen Einwand
nicht. — Lenel nimmt jetzt folgendes Vorgehen an: „Wer eine in
ius vocatio vornehmen wollte, wird sich in der Regel von Zeugen
haben begleiten lassen. Dies war notwendig, nicht bloß um das
etwaige Eintreten eines vindex, sondern schon um den einfachen
Ungehorsamsfall — die Weigerung des Geladenen, mitzugehen —
zu konstatieren. Den durch den vindex befreiten vocatus traf die
Pflicht, sich zur Verfügung des Klägers zu halten — „sui potestatem
facere" (Schloßmann setzt sich nach L. in Widerspruch mit D. 42,
4, 2 pr. u. 1 u. 2, wenn er behauptet, das potestatem sui facere
bedeute im Sinne des Edikts „das Erscheinen vor dem Gerichte"). —
. . . „Verletzte er diese Pflicht — durch latitatio oder absentia
ohne Sorge für Defension — , so unterlag er nach dem Edikt der
missio in bona. Aber dem Kläger lag nicht ob, den Gegner lange
zu suchen ; er konnte statt dessen den vindex in ius vozieren und
beim Prätor beantragen , daß dem vindex aufgegeben werde , den
Gegner zu bestimmtem Termine zu stellen (D. 2, 8, 4). Erfolgte
die Gestellung nicht , so gewährte der Prätor actio in factum wider
den vindex auf quanti ea res erit, D. 2. 8, 2, 5." Nach Paul, ad
Plaut. 2, 11, 10 pr. hätte der beklagte vindex die Möglichkeit ge-
habt, noch nach der Litiscontestatio durch Stellung des eigentlichen
Schuldners sich der Haftung zu entziehen; aber die Worte ut vel
exhibeam eum vel defendam sind nach Lenels Vermutung inter-
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I
14 W. Kalb: Römische Juristen.
poliert. — Schloßmann, Praes, vas und vindex (s. o. Nr. 29)
erörtert den Unterschied zwischen vas lind vindex nach seiner Auf-
fassang.
37. J. H. Schmalz, BphW. 1903 S. 574 sagt, ihm leuchte
Skutschs Erklärung ein, wonach zur Erklärung des nec in nec
mancipi eine Unterdrückung des positiven Teiles anzunehmen sei,
also res [mancipi] nec mancipi. Dagegen Ref. in Vollmöllers
Jhber. VII 1 S. 77.
38. W. Stintzing, Über die Mancipatio, Leipzig 1904 be-
trachtet nach B. Kubier, Sav.-Z. XXVII 548 ff. als den ursprünglichen
Hauptzweck der Mancipatio die Übernahme der Gewähr gegen
Eviktion — eine kaum haltbare Ansicht.
39. * Zitiert sei auch E. P. Garofalo, A Livio III 55 7. Sui
decemviri stlitibus iudicandis. Bull XV 313. — D. M a g i e ,
De Romanorum iuris publici sacrique vocabulis sollemnibus in
graecum sermonera conversis. Leipzig. — Ad. Menzel,
Homo sui iuris. Zeitschr. f. d. Privat- u. öff. Recht der Gegen-
wart XXXII 78—98. — Siegm. Schloßmann, *In iure cessio
und Mancipatio. Kiel 1904. — Zocco Rosa, La sponsio nel
primitivo diritto R. privato, Annuario di storia nel diritto Rom. di
Catania VIU (1901/2) S. 89 ff. —
Nachtrag zu unserem letzten Bericht:
40. A. Becker, De facetiis iuridicis apud scriptores Latinos.
Paris 1896, eine Pariser Dissertation, ist — wenn auch verspätet —
deshalb zu nennen, weil sie (in gefälligem Latein und hübscher Dar-
legung) zeigt, wie viele Ausdrücke aus dem Kurialstil die nicht-
juristischen Klassiker teils unbewußt, teils mit bewußter Anspielung
in übertragenem Sinne gebrauchen.
b) Legres.
Leges regiae.
Pomp. ench. 1, 2, 2, 2 nennt einen Papirius zur Zeit der Ver-
treibung der Könige als den Urheber einer noch zu seiner Zeit vor-
handenen Sammlung der leges regiae (= Jus Papirianum). Man hat
die Unmöglichkeit dieser Angabe schon längst erkannt. Aber man
ist in der Kritik neuerdings so weit gegangen, daß man den Kompi-
latoren der Digesten die eingeklammerten Worte bei Pomp. ench. 1,
2, 2, 2 zuschrieb : leges regum . . . conscriptae ex tan t in libro Sexti
Papirii [qui fuit Ulis temporibus, quibus Superbus Demarati Corinthii
filius] (Bremer, Jurispr. Antehadr. I 182). Das ist willkürlich; denn
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Legis regiae.
15
schon Dion. Hai. nennt 3, 86, 4 einen Pontifex maximus G. Papirius,
welcher fiexot t^v ixßoXr^v tu>v ßaaiXetov die leges regiae wieder ge-
sammelt der Öffentlichkeit Übergab (vgl. Kalb in BphW. 1897 S. 203).
Anderseits ist es freilich nicht nur möglich, sondern nach der Sprache
der Leges regiae gewiß, daß jene (noch zur Zeit des Pomp, vor-
handene ?) Sammlung von leges regiae nicht aus der ältesten Zeit
der Republik stammt. Nun hat
41. 0. Hirschfeld, Sitzungberichte der Berl. Ak. 1903
S. 2 ff. (vgl. Mitteis, Sav.-Z. XXIV 419 ff.) zu zeigen versucht, daß
eine solche Legende wenigstens unter Beiziehung des
Namens Papirius auch dem Cicero noch nicht bekannt war. Denn
Cic. Farn. 9, 21 (wahrscheinlich aus dem Jahre 46) will dem L. Papirius
nachweisen, daß dieser unrecht habe, wenn er in seinem Briefe seine
Gens Papiria als eine durchaus plebeische bezeichne. Zu diesem
Zweck führt Cicero aus alter Vorzeit eine Anzahl von Papirii
(Papisii) an, die kurulische Ämter bekleideten zu einer Zeit, wo
solche dem Plebejer noch nicht zugänglich waren. Wäre ihm die
Sage von jenem Papirius des Dion. Hai. bekannt gewesen, so hätte
er doch gewiß jenen Pontifex maximus aus etwa 509 v. Chr. nicht
unerwähnt gelassen. Dagegen kannte Cicero, wie Hirschfeld überzeugend
nachgewiesen hat (s. u. Nr. 133), eine andere Sammlung von Gesetzen
des Numa in den Monumenta des Manilius (Konsul 149), Cic. Rep.
2, 14, 26; 5, 2, 3, und erwähnt dort mit keinem Worte einer Samm-
lung des Papirius.
Die Legende von einem Papirius, der 509 (oder 449) Pontifex
Maximus gewesen sei , geht nach Hirschfeld möglicherweise auf den
älteren Zeitgenossen des Cicero Valerius Antias zurück, den Cicero
nie nennt. Möglich sei ja freilich auch, daß diese Geschichtsfälschung
von dem uns unbekannten Veranstalter der Sammlung der Königs-
gesetze unter dem Namen Jus Papirianum auf eigene Hand begangen
worden ist, um derselben ein ehrwürdigeres Ansehen zu geben. Wann
diese Sammlung entstand, läßt H. dahingestellt; jedenfalls aber ist
das Jus Papirianum nach H. frühestens am Ende der republikanischen
Zeit, wenn nicht noch später entstanden, wahrscheinlich in Anlehnung
an die Manilischen Monumenta. — Ihm tritt im allgemeinen T h. K i p p
bei (Geschichte der Quellen des röm. Rechts a S. 25 A.). — Wir
möchten die Folgerungen wesentlich etnschränken. Denn die Nicht-
erwähnung bei Cic. Fam. a. o. beweist nur, daß dem Cicero kein Jus
rapiriannm bekannt war, das vor Beendigung des Stände-
streits (300) entstanden gewesen wäre, daß er also nur von jenem
Papirius, der um 509 oder 449 Pontifex maximus gewesen sein soll,
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W. Kalb: Römische Juristen.
noch nichts wußte. Daß jene mit dem Schleier des Geheimnisses be-
deckten Regeln des rituellen Herkommens vor der Lex Ogulnia (300),
welche den Plebejern auch die meisten Priesterstellen eröffnete, hätte
veröffentlicht werden können, ist ohnehin unwahrscheinlich; es hätte
höchstens ein plebeischer scriba wie Flavius ins Geheimnis eingeweiht
sein müssen. Wenn aber ein Plebejer Papirius nach 300 als
Herausgeber der Leges Regiae dem Cicero bekannt war, so durfte
er diesen doch für seinen Beweis nicht anfuhren. — Anderseits spricht
auch gegen die Annahme der Entstehung des Jus Papirianum in
der Zeit nach Cicero die Erwähnung bei Dion. Hai. (s. o.), der um
70 v. Chr. geboren wurde. Den umstrittenen Granius Flaccus können
wir dabei außer Ansatz lassen. Man müßte höchstens an eine Fund-
fälschung wie bei der Krone des Saitaphernes denken — eine An-
nahme, die doch nur möglich wäre, wenn man Leute wie Labeo und
Capito für so beschränkt hielte, daß sie sich damit anschwindeln ließen.
Dagegen konnte ein Valerius Antias oder ein anderer selbständig
denkender Geschichtschreiber gar wohl, wenn er vom Jus Papirianum,
d. h. einer Sammlung von Leges regiae unter dem Namen Papirius,
aus unbekannter Zeit Kenntnis hatte, den Schluß machen, daß der
Autor unmittelbar nach der Königszeit gelebt haben müsse oder
spätestens zu jener Zeit, wo auch die XII Tab. veröffentlicht wurden.
Daß der Sammler Pontifex maximus gewesen sein müsse, war auch
eine ganz einfache Vermutung, die sogar wohl richtig ist. — Die
Nichterwähnung des Jus Papirianum bei Cic. Rep. 2, 14, 26 beweist kaum,
daß Cicero das Jus Pap. nicht kannte. Denn sie geschieht in einem
Gespräche zwischen dem jüngeren Africanus und M. Manilius. Wenn
die Sammlung nach dem Tode des Manilius erschienen wäre und eine
Neubearbeitung der Monumenta des Manilius war, konnte Cicero diesen
wohl nicht von ihr sprechen lassen, selbst wenn Cicero sie kannte.
Wenn aber umgekehrt, was an und für sich wahrscheinlich ist, weil
auch das Jus Aelianum und Jus Flavianura die ersten juristischen
Werke ihrer Art waren, Manilius in seinen Monumenta das Werk des
Papirius nur neu bearbeitet hatte, so konnte der Redende schon aus
Höflichkeit nicht die „Quelle" des Manilius nennen, jedenfalls aber
war auch kein Grund dazu da. Denn wer bei den Alten eine Schrift
„verbessert und vermehrt" herausgab, betrachtete sehr häufig sich
selbst als den Verfasser. Bei uns ist es übrigens nicht viel anders. —
Wenn Cic. Rep. 5, 2, 3 den Africanus Minor sagen läßt diuturna
pax Numae, qui legum etiam scriptor fuit, quas scitis extare,
so betrachtet Hirschfeld dies als ein Kompliment gegen den an-
wesenden Vf. der Monumenta. Aber aus dieser Stelle drängt
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XII Tabulae. Echtheit und Geschichte.
17
sich uns noch ein weiterer Gedanke auf: Hätte Cic. wohl von den
XII Tab. jemanden sagen lassen quas scitis extare? Gewiß nicht,
denn jedermann kannte sie; man lernte sie in der Schule. Folglich,
so könnte man nach quas scitis extare vermuten, kannte man
die Gesetze des Numa und der Könige zu C i c e r o s Zeit nicht mehr alle,
wenigstens nicht wörtlich. Es ging wohl wie später mit den XII Tab. :
die Kommentare, zu denen (nach Hirschfelds Beweis) die Monumenta
des Manilius gehörten, machten den Text der Gesetze zuletzt Über-
flüssig. So dürfen wir also vielleicht Hirschfelds Darlegung dahin
modifizieren, daß ein Papirius zwischen 300 und 200 die leges regiae
aus der Tradition der Pontifices zuerst veröffentlichte, teils wörtlich
(soweit er sie wörtlich im Archiv der Pontifices vorzufinden glaubte),
teils ihrem Inhalte nach, und daß um 150 Manilius in seinen Monu-
menta sie nen herausgab und bearbeitete. — Zitiert sei hier auch
G. Baviera, *I monumenta di Manilio e il Jus Papirianum,
Archivio giuridico LXXI 255—276.
XII Tabulae.
Name des Gesetzwerkes.
42. Th. Mommsen, AcoSexaöeXxoc MClanges Boissier 1908
p. 1—3 = Gesammelte Schriften von Th. M. S. 141—143 (eine der
letzten Veröffentlichungen Mommsens) erinnert daran, daß das Gesetz-
werk der XII Tafeln von den Klassikern nicht Lex XII tabularum
genannt wurde (dies bezeichnet vielmehr ein bestimmtes Gesetz aus
den XII Tafeln), sondern XII tabulae, auch mit Ellipse von
tabulae; korrekt, doch selten, ist auch leges XU tabularum (Pomp.
D. 1, 2, 2, 4). Aber seit dem zweiten Jahrhundert n. Chr. kam
der Mißbrauch auf, daß man mit Lex XII tab. das ganze Gesetzes-
werk (le Code lui-meme) bezeichnete. Gaius nannte seinen Kommentar
selbst Ati>8exa8&Too libri sex, aber die Kompilatoren der Digesten
änderten diesen Titel in (libri) ad legem XII tab.
Echtheit und Geschichte der XII Tab.
43. EttorePais, Storia d' Italia dai tempi piü antichi alla
fine delle guerre puniche (I 1, 1894, II 1, 1, 1898, n 1, 2, 1899)
machte (nach H. Erman, Sav.-Z. XXIII 450 ff.) mit der ganzen römi-
schen Überlieferung bis nach 300 v. Chr. tabula rasa. Dementsprechend
erklärte er die XII Tab. neben der historischen Publikation des
Cn. Flavius für eine ähnliche rückspiegelnde Verdoppelung dieses
geschichtlichen Ereignisses durch die Legende, wie wir sie an-
Jitaabericht ftr AlUrtumawisMWflchaft. Bd. CXXXIV. (1907. II.) 2
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W. Kalb: Römische Juristen.
geblich finden bei dem Bericht von einer dreimaligen Gesetzgebung
darüber, ut quod tributim plebs iussisset, Universum populum teneret
in der Lex Valeria Horatia und Publilia Philonis hinter der Hortensia
von 287, von denen nur das letzte Gesetz historisch sein soll. Die
Kritik habe schon längst die mosaische Gesetzgebung, die muhammeda-
nische, in Rom auch die Leges regiae als solche RQckspiegelungen
historischer Tatsachen in eine vorhistorische Zeit erwiesen. Die
Dezemvirallegende gipfele in einem Freiheitsprozesse ; sie sei bloß
eine verschönende Erweiterung von Vorkommnissen unter den ur-
sprünglichen plebeischen Friedensrichtern, den X viri stlitibus diiudi-
candis. In unserem letzten Bericht (Jhber. CIX 21) glaubten wir,
die ganze Hypothese mit ein paar Worten erledigen zu können. Aber
dem italienischen Hyperkritiker trat in Frankreich Ed. Lambert bei,
dessen Schriften ziemliches Aufsehen machten.
44 a. Ed. Larabert, La question de l'authenticite' des XII tables
et les annales maximi. Nouvelle Revue de droit fr. et 6tr. XXVI
(1902) p. 149—200. —
44b. Derselbe, *Le probleme de 1'origine des XII tables,
Revue generale de droit, 1902 p. 385 ff., 481 ff. —
44c. Derselbe, L'histoire traditionelle des XII tables et les
criteres d'inauthencite" des traditions en usage dans l'äcole de
Mommsen, Mölanges Ch. Appleton. Lyon 1908. (Entgegnung auf
Mays, Appletons, Girards noch zu erwähnende Widerlegungen.) Vgl.
den Bericht hierüber in Nouvelle Revue XXIII 619.
Lambert ging noch über Pais hinaus: er stellte den Satz auf,
daß die XII Tafeln die Schöpfung ihres angeblichen Kommentators
S. Aelius Paetus, des Vf. der Tripertita, um 200 v. Chr. gewesen
seien — wahrscheinlich eine bona fide gemachte Privatsammlung,
der erst Spätere den Namen und Charakter von Gesetzen gaben
(Ref. ist hier wieder dem Bericht von H. Erman a. a. 0. gefolgt).
Man dürfe die Leges XII tab. nicht mit anderem Maßstabe messen
als die leges regiae, die man jetzt allgemein für unecht halte. Es
sei (so fügt er in L'hist. trad. des XII tables hinzu) unlogisch, wenn
man einerseits nach Mommsenscher Methode die Erzählung von Ver-
ginia oder auch die Sendung einer Kommission nach Griechenland
als legendär bezeichne, anderseits die Erzählung von der Kodifikation
der XII tab. durch X viri für völlig wahrheitsgetreu erkläre. Die
Legende von den X viri legibus scribundis könne wohl eine Rück-
Spiegelung der decem legati sein, welche seit 246 bei den Friedens-
schlüssen und bei der Organisation der Provinzen als Beirat des
Feldherrn more maiorum (Liv. 33, 24) mitwirkten, und die ursprünglich
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XII Tabulae. Echtheit und Geschichte. 19
vom Volk gewählt worden seien, erst später vom Senat bestimmt
wurden. Zwischen diesen und den X viri (III viri, V viri) agris
dandis adsignandis, welche Cicero (De lege agc 2, 6, 15; 2, 11,
29; 2, 13, 83; 2, 14, 85) decem reges, regnum decemvirale nenne,
habe eine natürliche Verwandtschaft bestanden. Außerdem befänden
sich unter den Bestimmungen der XII Tab. einige, welche ins Bereich
von anderen Magistraten mit dem Namen X viri einschlugen. Die
sogenannten XII Tafelgesetze seien lediglich Gewohnheitsrecht ge-
wesen, und deshalb ohne nähere Bezeichnung einfach mit dem Worte
lex bezeichnet worden (legis actio u. a.). So komme es auch, daß
die sogenannten XII Tab. Anordnungen aufstellen, die sich auf ganz
verschiedene Kulturstufen beziehen: wir haben einerseits die Ge-
stattung der Zerstücklung des Schuldners, die doch nur einer ganz
niederen Kulturstufe angehören könne, anderseits einschränkende
Bestimmungen über den Aufwand bei Beerdigungen, die eine fort-
geschrittene Entwicklung beweisen. Das in den XII Tab. aus-
gesprochene Verbot der Beerdigung innerhalb der Stadt sei (Lambert
verweist auf * Le Probleme de l'orig. des XII tables p. 37 — 48) erst
260 veröffentlicht worden usw.
Einzelne dieser Gründe scheinen uns einer etwas eingehenderen
Prüfung wert. Lambert hat seine Position dadurch unhaltbar gemacht,
daß er den Satz nicht beachtete : qui plus petit, causa cadit. Denn
beispielsweise das Gesetz hominem mortuum in urbe ne sepelito neve
urito ist auch uns schon längst wegen seiner modernen Fassung etwas
verdächtig vorgekommen; aber wir haben daraus doch nur den
Schluß gezogen: vielleicht hat Cicero, wenn er es den XII Tab. zu-
schreibt, sich geirrt, indem er die XII Tab. und ein anderes Gesetz,
vielleicht die sogenannten leges regiae verwechselte. Und wenn es
tatsächlich sicher ist, daß die Erlaubnis zur Zerstücklung des
zahlungsunfähigen Schuldners mit jener Kulturstufe in Widerspruch
steht, die sonst aus den XII Tab. zu erschließen ist — dann ist
eben die Erklärung tertiis nundinis partis secanto trotz der e"cole
de Mommsen nicht vom Zerschneiden des Leibes zu verstehen, sondern
vom Zerteilen des Vermögens (vgl. u. zu Tab. III).
Es sind dies nicht die einzigen Gründe, die L. vorführt; aber
solche, die unseres Wissens nicht in Diskussion kamen oder nach
unserer Meinung nicht in Diskussion kommen können, müssen wir,
da unserem Berichte nach Zeit und nach Raum Schranken gesetzt
sind, beiseite lassen. Einige werden wir bei Besprechung der
Widerlegungen noch kennen lernen. Auf den Nachweis von Wider-
sprüchen hinsichtlich der Überlieferung über die X viri und die
2*
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20
W. Kalb: Römische Juristen.
XII Tab. verwendet L. in Histoire trad. etwa 60 Seiten. Wer sich
einigermaßen in die Art und Weise hineinversetzt , wie die ersten
Familiengeschichten in Rom zustande gekommen sein mögen, wie
man hier nicht etwa ausschließlich auf Grund der kurzen Auf-
zeichnungen im Staatsarchiv schrieb, sondern auch die Erinnerung
alter Leute herbeizog und ihre Widersprüche irgendwie auszugleichen
suchte, wie dann die folgenden „Historiker" ihre Quelle aus dem
Gedächtnis benützten, wie man aus gleichen Namen selbständige
Schlüsse zog, wie man zur Ausschmückung Anekdoten aus anderen
Völkern und anderem Zusammenhang zu Tatsachen umprägte (wie
z. B. Cäsar die den Germanen zugeschriebene Methode, Elentiere
zu fangen durch Ansägen des Baumes, an den die Tiere sich nachts
anlehnen, nach Caes. B.G. 6, 24, 2 vgl. mit Dion. Hai. 3, 27 dem
alexandrinischen Jägerlatein entlehnt hat, ohne daß man deshalb
Cäsars Rheinübergang für legendenhaft ansehen darf), der wird
Widersprüche in Nebensachen, d. h. in solchen, die nicht zu den
wichtigsten, in den Staatsarchiven verzeichneten Tatsachen gehören,
für selbstverständlich halten. Auch L. gesteht S. 105 gegenüber
Girards Widerlegung (s. u.) zu, daß solche Gründe nur geringe Be-
deutung haben.
Nicht als Grund für die Unechtheit, aber zum Beweis für die
absence de garanties externes d'antiquite führt L. an, daß die XII Tab.
bei den ältesten Schriftstellern (Plaut., Enn., Cato) nie erwähnt
werden — der erste Gewährsmann sei Cassius Hemina, nach 146
(Hist. trad. S. 145).
Auffallend erscheint es, daß L. auch nicht die Sprache der
XII Tab. als Beweis dafür anerkennen will, daß sie im allgemeinen *)
älter sind als die ältesten überlieferten Literaturerzeugnisse der
Römer. Für den Philologen bedarf es hier kaum langen Beweises.
Doch * scheint 45 a. Michel Br6al ihn geführt zu haben. Von
ihm finden wir zitiert eine Abhandlung über „die Sprache des
Zwölftafelgesetzes", AcadCmie des inscriptions 29. August 1902 und
5. Oktober 1902, sowie unter dem gleichen Titel im Journal des
savants Nov. 1902 p. 599—688. Nach WklPh. 1902 S. 1432 und
1903 S. 19 sowie nach Lambert, Hist. trad. p. 25 ff. verteidigt er
die Echtheit der XII Tafeln, wenn auch ihre Sprache mit der Zeit
sich etwas modernisierte und manche Glossen bisher verkannt seien.
*) Daß man hone in hunc, oino in unum, ploiromei in plurimi usw.
modernisierte (vgl. Lenel, Sav.-Z. XXVI 500), ist ganz selbstverständlich.
Man hat mit Recht auf die fortschreitende Modernisierung von Luthers
Bibelübersetzung hingewiesen.
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XII Tabulae. Echtheit und Geschichte.
21
(Dagegen die Geschichte der Dezemvirn ist auch nach Br. zum Teil
sagenhaft.)
Lamberts Hypothese wurde in Deutschland zuerst nur kurz
widerlegt. 45b. H. Ermann, Sind die XII Tafeln echt? Sav.-Z.
XXIII 450 — 457 gab eine Darlegung von Pais-Lamberts Aufstellungen
und deren Widerlegung durch Girard; 45c. Lenel sprach davon
in Holtzendorffs Enzykl. 6. Aufl. 1903 S. 96 Anm. 1; 45 d. Kipp,
Geschichte der Quellen, 2. Aufl. 1903 S. 32 f. zeigte in einer An-
merkung von lVa Seiten ihre ünhaltbarkeit ; 45 e. F. Cauer,
BphW. 1903 S. 1607. ff. widmete ihr 3 Seiten.
Dagegen in Frankreich rief die Schrift mehrere neue Abhand-
lungen zu der Frage hervor, und auch in der rechtsgeschichtlichen
Sektion des internationalen Historikerkongresses 2.-9. April 1903
zu Rom wurde die Frage zur Diskussion gestellt, an welcher sich
Chr. Apple ton, Leonhard, Zocco-Rosa, Scialoja, Ricco-
bono, Semeraro,E. Cuq beteiligten (nach Nouv. Revue XVII 1 908
S. 473). Literarisch traten in Frankreich außer M. Bröal (s. o.)
auch G. May, Chr. Appleton und P. F. Girard in die
Schranken.
So wie die Hypothese von Lambert zuerst aufgestellt gewesen
zu sein scheint (1902), ist sie überhaupt nicht diskutierbar. Eine
private Rechtsaufzeichnung aus dem Jahr etwa 200 v. Chr., deren
Inhalt man erst s p ä t e r für Gesetze gehalten habe, können die XII Tab.
unmöglich gewesen sein; enthielten sie doch (wie sofort eingewendet
wurde) z. B. ein Wort , lessum , das der angebliche Verfasser jener
angeblichen Rechtsaufzeichnung, Sex. Aelius, selbst nicht mehr zu
verstehen erklärte (Cic. Leg. 2 , 59). Es wäre undenkbar , daß ein
Mann, der um 200 die Gesetze verfaßt hätte, die Sprache so archaisch
gestaltet haben könnte, während einem Sprachkünstler wie Cicero die
Nachahmung der alten Gesetze in De legibus nur mangelhaft gelang.
(Vgl. Erman a. a. O.). Unerklärlich wäre für 200 der Satz, daß
der zahlungsunfähige Schuldner trans Tiberim peregre verkauft werden
konnte, da zwar noch 338 vornehme Latiner zur Strafe trans Tiberim
relegiert wurden, dagegen um 200 der Tiber in keiner Hinsicht mehr
Grenzfluß war (Kipp a. a. O.) usw. usw.
Aber Lambert änderte seine Ansicht im Jahre 1903 infolge der
erhobenen Einwendungen wesentlich. Besonders Mays Gründe scheinen
Eindruck auf L. gemacht zu haben. Nämlich 46. Gas ton May,
*La question de rauthenticite' des XII Tables (Annales de la
Facultö des Lettres de Bordeaux 1902 =) Revue des ötudes an-
ciennes IV 201—212 nahm (nach WklPh. 1902 S. 1352) in recht
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22 W. Kalb: Römische Juristen.
besonnener Weise, doch entschieden, Stellung gegen Lamberts
Hyperkritik and zog zum Vergleiche nach Inhalt und Sprache
einige neugefundene Inschriften herbei. Er glaubte (wie wir aus
Lambert, Hist. trad. S. 17 Anm. 3 entnehmen) die zeitliche In-
kongruenz der verschiedenen Gesetze der XII Tab. so zu erklären,
daß die uns bekannten Reste der XII Tab. auf einen Auszug (som-
maire) der XQ Tab. zurückgehen, der Änderungen und Zusätze aus
späterer Zeit erhielt.
In Hist trad. p. 19 modifizierte Lambert seine Hypothese
dahin: „II est possible de discerner, au travers des XU Tables,
plusieurs coutumiers (Aufzeichnungen des Gewohnheitsrechts) de dates
diiförentes que le compilateur definitif s'est borne ä rgunir, et dont
les plus anciens s'Ctaient probablement agglomöres les uns aux autres
des avant lui."
Vielleicht geht L. später noch einmal einen Schritt weiter; wenn
er zenturiatgesetzlicbe Zusätze zu den XII Tab. von 451/449 an-
nähme, die, weil einfache Änderungen jener Kodifikation, als Bestand-
teile derselben gegolten hätten (Lenel, Sav.-Z. XXVI 508 Anm. 2 zieht
zum Vergleiche die verschiedenen Bearbeitungen der Lex Salica bei),
dann könnte seine Hypothese der Kritik leichter standhalten. (Vgl.
F. Cauer, BphW. 1903 S. 1607 — 1609.) Da er aber auch jetzt
noch dem Grundstock der XII Tab. die Eigenschaft eines Gesetzwerkes
aus dem 5. Jahrhundert abstreitet, so müssen wir auch die wichtigsten
der hiergegen gemachten Einwendungen, soweit sie uns durch die
erwähnte Modifikation nicht oder nicht genügend entkräftet zu sein
scheinen, kurz registrieren.
47. P. F. Girard, L'histoire des XII Tables. Paris 1902
(= Nouv. Revue XXVI) zeigte , daß Lamberts Schluß von der Un-
echtheit der Leges regiae auf die ünechtheit der Leges XII Tab.
nicht besser ist, als wenn man die Beweise für die Nichtexistenz
des Gottes Apollo mit Dupuis benützt, um Napoleon I. als eine
mythische Figur zu beweisen. — Aus dem Schweigen der archaischen
Dichter oder Catos könnte man nur in dem Falle den Schluß ziehen,
daß ihnen die XII Tab. unbekannt gewesen seien, wenn sie die XII Tab.
an irgendeiner Stelle- hätten nennen müssen, oder wenn man die
Erwähnung der XII Tab. an irgendeiner bestimmten Stelle wenigstens
vermissen könnte. — Den Beweis, den die Erwähnung der X viri
legibus scribundis in den kapitolinischen Fasten für deren Existenz
bietet, darf man, wie Girard zeigt, nicht so leichter Hand abschütteln,
wie es Lambert getan. Man mag zugeben, daß die Fasten aus
Atticus oder Verrius Flaccus oder einem anderen Schriftsteller ge-
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XII Tabulae. Echtheit und Geschichte.
23
schöpft sind; man muß auch zugeben, daß einzelnes, wie die Ein-
fügung der Cognomina für die Zeit vor der Mitte des siebenten
Jahrhunderts der Stadt, erst späteren Ursprungs ist: in der Haupt-
sache aber gehen sie gewiß mindestens auf die Zeit vor dem Aufkommen
des Rhotazismus zurück (der erste Papisius, der sich nach Cicero
Papirius schrieb, war Konsul 340 v. Chr.; nach anderen führte
Appius Claudius, Censor 312, diesen Rhotazismus ein). Denn die
älteren Teile der Fasten kennen den Rhotazismus noch nicht. Ein
anderer Beweis dafür, daß die Fasten nicht etwa erst im ersten Jahr-
hundert v. Chr. zusammengestellt sind, ist das Vorkommen von
Familiennamen in den älteren Teilen der Fasten, welche sich später
nicht mehr finden. So wird unter den X viri ein Curiatius, ein
Rorailius, ein Sextius aufgeführt. Das sind unwiderlegliche Beweise
dafür, daß die XII Tafeln nicht erst von S. Aelius Paetus um
200 v. Chr. zusammengestellt sein können (Lambert), auch nicht
von Cn. Flavius um 300 (Pais). Zwar für 451/449 ist damit, wie
H. Erman, Sav.-Z. XXIII 450 ff. wohl nicht im Gegensatz zu Girard
bemerkt , zunächst noch nichts erwiesen , und die Geschichte von
Verginia und andere Ausschmückungen kann für unecht halten , wer
will. Aber was die Namen und das Amt der X viri betrifft, so
kann man daran nicht rütteln. — Die letzte Gruppe von Girards
Echtheitsbeweisen ist juristischer Art: Der Inhalt der XII Tafeln
paßt nämlich nach G., dem sich Erman (s. o. Nr. 44 e) anschließt,
viel besser ins Jahr 450 als ins Jahr 300 oder gar 200. Außerdem
haben sich manche Bestimmungen des XII Tafelgesetzes, z. B.
Testamentum per aes et libram, Emanzipation und Adoption, weiter-
entwickelt, wozu eine längere Zeit nötig war. Einzelne Gesetze,
welche Bestimmungen der XII Tafeln derogieren, liegen außerdem
höchstwahrscheinlich vor S. Aelius, die Lex Poetelia nach Girard
schon vor Cn. Flavius. Erman fügt hinzu, daß auch die zwölf
Tafeln als Werk von zehn Männern durchaus nicht wie Erfindung
aussehen. —
48. Ch. Apple ton, Le testament Romain. La möthode du
droit compare* et l'authenticite* des XII tables. Paris 1903, weiß die
von anderen bereits geltend gemachten Gründe gegen Lamberts
Hypothese durch noch weitere zu verstärken und weist besonders
an der X. Tafel, die nach Lambert S. Aelius den Solonischen Ge-
setzen entnommen hätte, nach, in welche Widersprüche eine solche
Annahme verwickelt. Vor allem aber widerlegt er Lamberts Be-
hauptung (Lambert, La tradition romaine sur la succession des
formes du testament devant l'histoire comparative, Paris 1901), nach
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W. Kalb: Römische Juristen.
welcher der Begriff des Testaments im eigentlichen Sinne bei den
Römern im vierten Jahrhundert der Stadt noch nicht habe existieren
können. Lambert stützt sich für seine kühne Hypothese auf die
vergleichende Rechtsgeschichte, besonders das Recht germanischer
Völker. Appleton weist dagegen nach, daß das Recht sich durchaus
nicht bei allen Völkern in gleicher Weise entwickeln muß. Ins
einzelne können wir den beiden Gelehrten hier nicht folgen, da uns
und unserem Berichterstattungsgebiet der Stoff zu ferne liegt.
49. Nachträglich finden wir auch noch eine gründliche Wider-
legung Lamberts durch Lenel in Sav.-Z. XXVI 498—524. Er
widerlegt besonders die Aufstellung, auf welche Lambert besonderes
Gewicht legt, daß nämlich in den XII Tafeln Bestimmungen vereinigt
sind, die nicht in dem gleichen Gesetze gestanden haben können,
weil sie, wie die vergleichende Rechtswissenschaft lehre, verschiedenen
Stufen der sozialen Entwicklung angehörten. Lenel bespricht die
angebliche Zerstücklung des Schuldners ; die Talion, die sich irgend-
wann und irgendwie bei den meisten Völkern der Erde findet, im
russischen Recht noch im 17. Jahrhundert, und die in den XII Tab.
in dem ni cum eo pacit ihre Milderung fand; die angeblich all-
gemein-vereinsgesetzliche Bestimmung bei Gai. tab. 47, 22, 4, die
sich nur auf Kultvereine bezieht; die Regelung des Begräbnisaufwandes,
deren Übereinstimmung mit der Solonischen Gesetzgebung nach Lenel
durch die Vermittlung der Etrusker zu erklären ist. Sodann wider-
legt Lenel die Behauptung, daß im 5. Jahrhundert zu Rom eine Gesetz-
gebung durch vom Volke erwählte Dezemvirn überhaupt unmöglich
gewesen sei, weil noch bis um 300 das Priesterkollegium der
pontifices (die doch wohl vom Volke gewählt waren?) das Monopol
der interpretatio iuris gehabt hätte. Auch hier ist es uns nicht
gestattet, auf das rechtsvergleichende Gebiet näher einzugehen.
50. * Außerdem nahmen Stellung gegen Lambert in kürzeren
Besprechungen: P. Bonfante, Boll, di filol. cl. X 181—183, XI
132 — 134; Glasson in Söances et travaux de l'Acad. des sc. mor.
et pol. 1904 S. 533—535 (nach WklPh. 1904 S. 777 und 1905
S. 307); Woltjer im Museum, Maandblad voor Philologie XII
Ulf., der auf die Funde auf dem Forum hinwies, nach WklPh.
1905 S. 325.
Th Mommsen, Au>$exa§sXTQc (s. o. Nr. 42) erinnert daran,
daß lex in vielen Verbindungen speziell eine lex der XII Tab. be-
zeichnet : z. ß. in tutor legitimus (dagegen tutor Atilianus nach der
Lex Atilia) ; iudicium legitimum ; legitimus heres. Ebenso versteht
Mommsen lex publica nicht nur in den Formeln bei Gai. Inst. 2,
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XII Tabulae. Echtheit und Geschichte. 25
104; 3, 174, sondern auch bei Cato fragm. ed. Jordan S. 21 und
in Inschriften, welche den Besuch von Begräbnisstätten regeln. Daß
in dieser Ausdrucksweise ein Beweis für die Echtheit der XII Tafeln
liegt, den freilich Lambert ins Gegenteil umzukehren versuchte, s. o.
S. 19, läßt Mommsen zwischen den Zeilen lesen, wenn er die
XII Tafeln nennt „combattues et malmenees par notre chere jeunesse,
plus z6le*e que röfle*chiea.
51. D. H. Müller, Die Gesetze Hammurabis und ihr Ver-
hältnis zur mosaischen Gesetzgebung sowie zu den XII Tafeln, Wien
1903, besprochen von L. M i tteis, Das syrisch-römische Rechtsbuch
und Hammurabi, Sav.-Z. XXV 284—297.
D. H. Müller, ein Orientalist, hat den Versuch gemacht, den
Einfluß Hammurabis nicht bloß für das hebräische Recht, sondern
auch für das röm. Zwölftafelgesetz nachzuweisen. Die Ausführungen
über einen Einfluß auf das Zwölftafelgesetz, der im besten Fall nur
bei Annahme von unbekannten Vermittlungsgliedern denkbar erschiene,
würdigt Mitteis gar nicht einer näheren Besprechung. Dagegen weist
er die Haltlosigkeit der Behauptung nach, daß das Syrisch-römische
Rechtsbuch Spuren des Einflusses von Hammurabi zeige. Die beiden
Bestandteile dieses Rechtsbuches sind vielmehr, wie Mitteis bereits
in seinem „Reichsrecht und Volksrechtu gezeigt, römisches Recht
und griechisches Provinzialrecht.
Die Frage, ob die XII Tab. nach dem gall. Brand neu
in Erz gegraben wurden, ist Girard, Nouv. Revue 1908 p. 412
zu bejahen geneigt, nach Kipp, Gesch. der Quellen S. 34 Anm. 10,
der die Erneuerung für unwahrscheinlich hält. — S. Schloßmann,
Altröm. Schuldrecht (s. u. Nr. 60) S. 67 sagt : „Die Zwölftafeln
waren im gallischen Brande untergegangen , und sind nicht wieder
erneuert worden. Nur im Gedächtnis der Römer lebten sie fort,
und in den Kommentaren und sonstigen Schriften der Juristen" usw.
"Woher weiß dies gerade Schi, so gewiß? Daß die auf dem Forum
aufgestellten Tafeln zugrunde gingen, das ist ja gewiß ; aber es wäre
doch eine etwas naive Auffassung, zu glauben, die Römer in Veji
oder Alba Longa seien vor dem gallischen Brand immer nach Rom
gefahren, wenn sie in ihrem „B.G.B." etwas nachsehen wollten. Man
schrieb sie doch selbstverständlich ab, vielleicht konnte man sie
sogar im Buchhandel kaufen. Ganz abgesehen davon war, wenn auch
nicht auf dem Kapitol, so doch im Archive der Pontifices vermutlich
die Urschrift deponiert. Sollten die Senatoren, die nach der sagen-
umwobenen Überlieferung weder Kopf noch Herz verloren, sollten
die Pontifices nicht auch an die Rettung von Urkunden gedacht haben ?
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2<j
W. Kalb.: Römische Juristen.
Tab. I.
Schloßmann, Der Vindex bei der in ius vocatio (s. o. Nr. 35)
behauptete unter Hinweis auf sein Altrömisches Schuldrecht (s. u.
Nr. 60) S. 20, die Worte ADSIDUO VINDEX ADSIDUUS ESTO (die
man nach Schloßmann ohne Grund zur tab. I statt zu tab. III rechnet)
bezögen sich nicht, wie man meist annimmt, auf die in ius vocatio,
sondern auf die manus iniectio iudicati; adsiduus bedeute nicht (wie
später) einen wohlhabenden Mann, sondern nur den Ansässigen (wie
nach Schloßmann, Nexum, auch andere bereits annahmen), und der
Zwölftafelsatz habe verhindern wollen, daß ein erbsässiger Grund-
besitzer in das mancipium eines „proletarius", eines Nichtansässigen,
gerate ; denn die Tätigkeit des vindex bei der Manus iniectio iudicati
habe darin bestanden, daß er den vom Kläger ergriffenen Nexus vom
Gläubiger loskaufte und ihn sich in iure zedieren ließ, um dafür von
diesem späterhin vielleicht nicht nur Ersatz, sondern auch noch weitere
Vorteile zu erlangen. Gegen Schloßmann:
52. 0. Lenel, Sav.-Z. XXV 895—405. Schloßmanns Auffassung des
Vindex bei der Manus iniectio als eines eigennützigen Spekulanten
ist zum Teil auf Gai. 4, 21 gegründet: vindicem dabat qui pro se
(nicht pro eo) causam agere solebat, das nur bedeuten könne, daß
er für sich, in eigener Angelegenheit den Prozeß führte. Aber dieser
Deutung wiederspricht nach L. der ganze Zusammenhang. Der Vindex
führt vielmehr an Stelle des iudicatus den Prozeß. (Kübler, WklPh.
1904 S. 769 zeigt, dass ein solches se statt eo auch bei Cic. und
Caes. vorkommt. Lenel weist hin auf die Definition bei Boeth. in
Cic. Top. 2, 10 Vindex est qui alterius causam suseipit vindicandam,
veluti quos nunc procuratores vocamus.)
58. Th. Mommsen sprach über iumentum in Hermes 1903
S. 151—153.
Tab. HI.
AER1S CONFESSI Tab. III 1 bezeichnet nach Schloßmann,
Altr. Schuldrecht S. 129 (s. u. Nr. 60) nicht, wie man es all-
gemein faßt, eine eingestandene Geldschuld, denn nicht aes heißt
Schuld, sondern nur aes alienum. Schi, betont das con, das in den
XII Tab. noch nicht bedeutungslos sei wie oft im späteren Latein,
sondern immer seine ursprüngliche Bedeutung (zusammen) habe. Aes
confessum bedeutete demnach ein vereinbartes Geld, d. h. eine
durch Vertrag begründete Geldschuld. Da nun Schi, nexum manci-
piumque für den einzigen in den XII Tab. anerkannten Vertrag hält,
so folgert er kühn weiter, daß aes confessum weiter nichts sei als
eine nexu maneipioque festgestellte Geldschuld.
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XII Tab. Zu Tab. 3.
27
In der 3. Tafel könnte nach Schloßmann, Altr. Schuldrecht
S. 139) gestanden haben (vgl. Gell. 20, 1, 42) AERIS CON-
FESSI NEXIQUE (statt REBÜSQUE) JURE JUDICATIS. Die Aus-
führungen in Schl.s Nexum (s. u. Nr. 61) S. 46 gegen B. Kubier (s. u.
Nr. 61 a) sind nicht ganz unbegründet : es ist sprachlich kaum denk-
bar, daß eine Art von Gen. abs. neben einem Abi. abs. stehe; doch
auch Lenel, Sav.-Z. XXV 395 ff. tritt nicht auf Schl.s Seite. (Viel-
leicht bildet rebusque iure iudicatis einen Zusatz, den ein späteres
Gesetz machte. Denn aeris confessi triginta dies iusti sunto hat
guten Sinn, und rebus iure iudicatis trig. dies iusti sunto ebenfalls.
Gerade bei Zusätzen, freilich auch bei solchen zu eigenen Nieder-
schriften, kommen gerne solche Unebenheiten vor. Ref.) Mit ganz
besonderer Gründlichkeit, und wie wir glauben, endgültig überzeugend,
tritt Schloßmann, AltrÖm. Schuldr. S. 61 ff. der von Huschke „albern"
genannten Auffassung des Satzes entgegen TERT1IS NUNDINIS
PARTIS SECANTO. SI PLUS MINUSVE SECUERUNT, SE FRAUDE
ESTO, als hätten die Gläubiger das formelle Recht gehabt, den in-
solventen Schuldner zuletzt zu zerstückeln. Besonders beachtenswert
ist der Hinweis darauf, daß bloß in diesem Satze der Tab. III von
einer Mehrzahl von Gläubigem die Rede ist ; also einer allein hatte
das Recht zum secare nicht: von einem Tötungsrecht kann also gar
nicht die Rede sein. Da nun auch noch in späterer Zeit sectio
bonorum, Verkauf des Vermögens, das Endergebnis der Insolvenz
war, verstand Huschke mit Recht partis secanto von der Verteilung
des Vermögens. Hier hätte Schi. Halt machen sollen. Er stellt aber
noch die weiteren Möglichkeiten auf, daß der Satz der XII Tab. eine
Fälschung sein könne oder eine Erfindung der Rhetorenschulen. Wozu
dies? Genügte es nicht, wenn Belletristen, um interessant zu sein,
oder Gelehrte aus Irrtum den echten Satz falsch deuteten, was sie
um so leichter konnten, als man von dem um 328 abgekommenen
Schuldrecht wenig mehr wußte?
54. F. Eleineidam, Die Personalexekution der Zwölf Tafeln.
Breslau 1904*, bringt nach H. Erman, Sav.-Z. XXVI 556—564
manche originelle, wenn auch nicht haltbare Erklärungen zu den
XU Tab. Da er das Wort secta in mittelalterlicher Weise von secare
ableitet, wird es ihm nicht schwer, PARTIS SECANTO zu fassen =
sie sollen abstimmen, indem er an die itio in partes denkt. — II. Erman
vergleicht damit die Erklärung Schulins secanto = secunto (-= sie
sollen ansagen [welchen Teil jeder in Anspruch nimmt] , wobei Sch.
an virum mihi Camoena insece denkt). Anerkennenswert ist es immer-
hin, daß Kl. dem Dogma von der Zerstückelung des Schuldners ent-
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28
W. Kalb: Römische Juristen.
gegentritt. Nach Kl. gaben die XII Tab. dem Gläubiger (mit Puchta,
gegen Mommsen) gegenüber einem verstockten Schuldner nur die
Wahl einerseits zwischen Tötung oder Verkauf nummo uno trans
Tiberim oder anderseits Loslassung des Schuldners.
L e n e 1 (s. o. Nr. 49) S. 508 tritt ebenfalls der gruseligen Zer-
stücklung des Schuldners entgegen und zeigt, daß auch von einer
Tötung desselben (Kleineidam) nirgends die Rede ist. In den zwei
Sätzen SI PLUS MINÜSVE SECUERUNT, SE FRAUDE ESTO findet
L. einen Wechsel des Subjektsnumerus: „. . . dann soll ihn keine
Schuld treffen". Vielleicht hatte nach L. der betreibende Gläubiger
bei der Verteilung des Vermögens eine besondere Rolle. (Andere
denken sich als Subjekt zu esto „es", das sich auf den ganzen Wenn-
satz bezieht.) — Für die Zerstückelung jedoch Bekker, s. Nach-
träge.
Tab. IV.
B. Kübler, Sav.-Z. XXIV 454—457 bespricht
55. HansStockar, Entzug der väterlichen Gewalt im r. R.
Zürich 1908. Stockar sieht in dem Satze der XII Tafeln SI PATER
FILIUM TER VENUM DUUIT FILIUS A PATRE LIBER ESTO
eine Erweiterung der väterlichen Gewalt, da diese vorher konsequenter-
weise schon mit der ersten Manzipation geendet habe, Kübler da-
gegen mit den meisten Rechtshistorikern eine Beschränkung der väter-
lichen Gewalt: der verkaufte Sohn kehrte, wenn ihn der Käufer
freigelassen hatte, quasi iure postliminii in die Gewalt seines Vaters
zurück, und zwar ursprünglich nicht bloß zweimal.
Tab. VI.
CUM NEXUM FACIET MANC1PIUM QUE, UTI LINGUA
NUNCUPASIT, ITA IUS ESTO.
56. L. Mitteis, Über das Nexum. Sav.-Z. XXII 125—189.
57. 0. Lencl, Das Nexum. Sav.-Z. XXIII 84—101.
58. E. I. Bekker, Über die Objekte und die Kraft der Schuld-
verhältnisse. Sav.-Z. XXm 1—30, 429—480.
59. Th. Mommsen, Nexum. Sav.-Z. XXEH 348—855.
Seit Huschke ging die vorwiegende Meinung dahin, das Wesent-
liche des Nexum sei gewesen, daß es per aes et libram eine publi-
zistische, einem Urteil gleichkommende Obligation begründet habe,
so daß der Gläubiger, wenn die Schuld fällig wurde, sofort zur Legis
actio per manus iniectionem , bei welcher der Ergriffene sich nicht
mehr selbst verteidigen durfte, habe schreiten können. Die Meinung
Huschkes wurde neuerdings von verschiedenen Seiten angefochten.
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XII Tab. Zu Tab. 6.
29
Zuerst war es Mitteis, der die Ansicht vertrat, daß das
Nexum, ein Wort, welches in der ältesten Zeit auch den solennen
Kauf bezeichnet habe, eine Selbstverpfändung, d. h. einen bedingten
Selbstverkauf des Schuldners bedeutet habe, wie auch vorHuschke
schon Kiebuhr und andere gemeint hatten. Der Gläubiger konnte
also bei Fälligkeit der Schuld kurzweg den Schuldner als Eigentum
vindizieren. (In Sav.-Z. XXV 282 ändert Mitteis seine Meinung
dahin etwas ab, daß unter Nexum nicht ein bedingter, sondern ein
unbedingter Selbstverkauf des Schuldners zu verstehen sei, der erst
nach Fälligkeit des Darlehens bei eingetretener Zahlungsunfähigkeit
vorgekommen ist.) — Nexum und mancipium sind, wie besonders
Lenel a. a. 0. ausführte, nicht Begriffe, die einander ausschließen,
sondern sinnverwandte Wörter, deren zweites das erste lediglich vor
Mißdeutung schützen soll, so daß sie einen einzigen Begriff bilden:
„wenn einer Wägegeschäft und Zugriff vornimmt". Maßgebend ist Varro
L. 1. 7, 105: Nexum Manilius scribit omne quod per libram etaes geritur,
in quo sint mancipia (Lenel: = „in welchem die Manzipationen
nur inbegriffen sind"); Mucius, quae per aes et libram fiant ut obli-
gentur (Mommsen S. 849 obligetur), praeterquam (praeter quom
Mommsen nach A. Spengel; praeterquam quod liest unnötigerweise
Lenel) manclpio detur (d. h. nach Lenel: „was per aes et libram
noch neben dem Mancipium geschieht mit dem Effekt, daß daraus eine
Obligation entsteht".) — Die feineren Unterschiede, die Lenel macht
unter Hinweis auf die Wadiation, können wir hier nicht darlegen.
Daß das nexum nicht als identisch mit einer körperlichen Haft be-
trachtet wurde, sondern als ein Vorgang, auf welchen bloß unter be-
stimmten Bedingungen die Hingabe an den Gläubiger folgte, d. h. bei
Insolvenz nach Fälligkeit der Schuld, das scheint die Darstellung
bei Liv. 2, 27 zu beweisen. Der plebeierfeindliche Konsul Appius
(493) dachte nach dem Sieg über die Feinde nicht im entferntesten
daran, die Versprechungen seines Kollegen einzulösen, mit welchen
dieser die Plebs zur Teilnahme am Kriege bewogen hatte: vielmehr
quam asperrime poterat ius de creditis pecuniis dicere. Deinceps
(nacheinander) et, qui ante (vor dem Feldzug) nexi fuerant credi-
toribus tradebantur, et nectebantur alii. E. I. Bekker gibt eine
anschauliche Darlegung des Negotium per aes et libram und des
Nexum, wobei er an Mitteis manche Konzessionen macht; im ganzen
aber steht er auf Huschkeschem Standpunkt : Der wegen Nichtbezahlens
einer Schuld mit manus iniectio (damnati) Ergriffene konnte sich den
schlimmen Folgen , die zuletzt zum Verkauf trans Tiberim führen
konnten, in der Regel wohl durch pacisci entziehen, am leichtesten,
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30 W. Kalb: Römische Juristen.
*
wenn er noch Hab und Gut hatte, um sie dem Gläubiger zu manzi-
pieren gegen precario - Überlassung. Er weist besonders auf rechts-
geschichtliche Schwierigkeiten hin, welche dem ansprechenden Ge-
danken von Mitteis, „die Brücke vom Libripens ins Ergastulum kürzer
zn schlagen" entgegenzustehen scheinen.
Th. Mommsen hatte im Jahre 1857 sich als Anhänger der
Huschkeschen Theorie geäußert, hat aber in der Abhandlung „Bürger-
liche und peregrinische Freiheit im römischen Staat", Festgabe für
Beseler 1885 S. 256, 261 die Schuldverpflichtung in der ältesten
Zeit als bedingten Selbstverkauf bezeichnet. Mommsens weitere Aus-
führungen gehören nicht mehr zu unserem Referat. —
Der Selbstverkaufstheorie gegenüber vertreten die Huschkesche
Auffassung mit größeren oder geringeren Abweichungen außer
E. I. Bekker auch C. Bertolini (s. Nr. 1), P. F. Girard (nach
Schloßmann s. u. Nr. 60), B. K übler (s. u. Nr. 61a) und wie es
scheint auch F. Senn (s. u. Nr. 62).
60. S. Schloßmann, Altrömisches Schuldrecht und Schuld-
verfahren. Leipzig 1904. — 61. Derselbe, Nexum. Nachträgliches
zum Altrömischen Schuldrecht. Leipzig 1904.
Wir können hier aus den beiden interessanten Schriften (in
denen Schi, nur etwas zu wörtlich dem Satz Mommsens folgt, daß
die Phantasie aller Historie Mutter sei) nur solche Punkte anführen,
die für Philologen Interesse haben können. Huschkes Aufstellung,
daß das Nexum (oder auch das Damnationslegat) beim Verfall der
Schuld die Wirkung eines Urteils gehabt habe und ohne wirkliches
richterliches Urteil sofort zur manus iniectio pro iudicato unter Ausschluß
aller Selbstverteidigung geführt habe, ist nach Schi, (dem hier auch
Lenel, Sav.-Z. XXV 895—405 beitritt) für einen Rechtsstaat un-
möglich. Selbst der harmloseste Mensch hätte sich immer von einem
Vindex begleiten lassen müssen. (Anders bei der In ius vocatio,
welcher mutatis mutandis in jedem Rechtsstaat Folge geleistet werden
muß.) Bekker hat zwar nach Schi, die Sache dadurch erklären zu
können geglaubt, daß das Nexum infolge der Beiziehung von fünf
Zeugen stadtkundig geworden sei : aber abgesehen von der Ausdehnung
Roms konnte ja auch durch Lüge manches „stadtkundig" werden. (Ob
wir aber nicht vielleicht, wenn Rom ein ähnliches Klima hätte wie
Ägypten, über solche mündliche Verträge vor Zeugen auch in Rom
schriftliche Beweise fänden? Ob nicht auch die Gemeindetafel eine
Rolle spielte?) Schi, erhebt freilich selbst einen Einwand: daß ja
auch ein Freier von der Straße weg als Sklave hätte in Anspruch
genommen werden können, der dann, wenn er keinen adsertor fand,
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XII Tab. Zu Tab. 6.
31
in ähnlicher Weise wie der von ihm in Schutz genommene pro iudi-
cata Gefaßte rechtlos dem Vergewaltiger verfallen gewesen wäre.
Er hält auch hier einen solchen Rechtszustand für undenkbar. Wir
haben aber aus Cod. Just, (wenn wir nicht irren aus der Zeit des
Alexander Severus) einen Fall in der Erinnerung, wo tatsächlich ein
Freier, sogar von seinen eigenen Sklaven, auf dem Sklavenmarkte
verkauft wurde. — Im großen und ganzen tritt Schi, in der Er-
klärung des Nexum Mitteis bei, von dem er in einzelnem freilich ab-
weicht. Nicht für möglich halten wir Schl.s Erklärung der Varro-
stelle L. 1. 7, 105 (oben S. 29 abgedruckt): bei der Definition des
Manilius faßt er nexum = das Nexusgeschäft, bei der Definition des
Mucius ergänzt er sich nexa = nektierte Gegenstände und faßt
quae . . . fiant ut obligentur als pleonastische Ausdrucksweise für
quae obligentur: „Nektierte Sachen sind Sachen, die obligiert, d. h.
verpfändet werden," und das folgende praeterquam (quod)mancipio
de<n)tur (so verbessert Schi.) versteht er, „wenn man bei ihrer Be-
nennung als nexa davon absieht, daß sie (dem Gläubiger) auch man-
zipiert werden". Den Pluralis fiant (statt fiat ut, was er in seiner
ersten Abhandlung als eine „nicht lateinische" Vermutung Spengels be-
zeichnet, in der zweiten freilich nicht mehr) will er rechtfertigen mit
einer Attraktion, wie sie nach griechischer Analogie häufig ist in te
faciam ut scias. Hier wie auch sonst verweist er auf Grammatiken :
aber kein Nachschlagewerk kann jenes Sprachgefühl ersetzen, das
aus der fortgesetzten Beschäftigung mit einer Sprache sich ergibt. —
Geistreichen Luftritten Schl.s zu folgen, verbietet uns die unserem
Berichte gesetzte Schranke (vgl. 0. Lenel, Sav.-Z. XXV 395—405);
doch zu einigen besonders erwähnenswerten Ausführungen konnten
wir an anderen Orten unseres Berichts Stellung nehmen.
Schloßmanns Altr. Schuldrecht wurde besprochen von 61a
B.K üb ler, WklPh. 1904 S. 175 ff., Schloßmanns Nexum von dem-
selben 61b in WklPh. 1904 S. 764 ff. ; ferner veröffentlichte 61c
Kübler in Sav.-Z. XXV 255 — 281 „Kritische Bemerkungen zum
Nexum". Er zeigt die Unhaltbarkeit von Schloßraanns Erklärung
der Varrostelle. Er selbst übersetzt : Unter Nexum versteht Manilius
alle Libralgeschäfte, also einschließlich der Manzipationen, Scaevola
dagegen nur die obligatorischen, also abgesehen von der Manzipation.
Als solche sind nach K. freilich nur das Darlehensnexum und etwa
noch die entsprechende nexi liberatio zu verstehen. Zweifellos hat
einerseits K. das Richtige getroffen, wenn er in den beiden Er-
klärungen, der des Manilius und der des Scaevola, die Gegensätze
findet: Man.: omne quod per aes et libram geritur, in quo sunt
I
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W. Kalb: Römische Jurifiten.
raancipia — Scaev. : nur quae per aes et librara fiunt ut o b 1 i -
getur, praeterquam raancipio detur, und hier, in diesem
Punkte, opponiert ihm Schloßmann, Nexum S. 41 in einer geradezu
unverständlichen Weise: „um zu einer Beschränkung der Dinge (?)
quae tiant ut obligentur auf Libralgeschäfte zu gelangen, müßte es
möglich sein, zu diesem Relativsätze ein Beziehungswort zu ergänzen,
das den Begriff Libralgeschäft ausdrückt " — als ob per aes et libram
nicht klar und deutlich auch in der Definition des Mucius stünde ! —
Weiter dagegen können wir Kübler nicht folgen. Er folgert,
Uuschkes Ansicht sei demnach doch richtig, nexum und mancipium
seien zwei getrennte Rechtsgeschäfte, und Lenel, Mitteis u. a. hätten
mit Unrecht angenommen, daß nexum und mancipium von jeher nur
zwei Bestandteile eines und des nämlichen Rechtsgeschäfts gewesen
seien. Wohl, was das que in nexum mancipiumque betrifft, hat
Kübler recht: que und ve bedeutet das gleiche, aus que kann man
gar keine Schlüsse ziehen. Aber was obligare und was mancipium
bedeutet, darüber kann man anderer Meinung sein. In der Be-
sprechung von Schl.s Nexum sagt Kübler, es sei selbstverständlich,
daß unter die mancipia fallen außer dem Testamentum per aes et
libram auch die Adoption, Emanzipation, Coemptio, soweit sie hierher
gehören. Das ist durchaus nicht selbstverständlich. Manilius, ja,
er faßte dies alles darunter. Aber Mucius Scaevola hatte vermutlich
für jedes derselben seinen eigenen Namen, geradeso wie er nexum
und mancipium trennt, und nannte die mancipia vielleicht nur a parte
inaiore. Mancipium halten wir nicht für dasselbe wie mancipatio,
wie Kübler will ; es ist, im Sinne des Scaevola wenigstens, ein engerer
Begriff = Manzipations k a u f von res mancipii. Mit dieser Modi-
fikation paßt Küblers Erklärung der Varrostelle auch zu der Er-
klärung des Nexum durch Mitteis und Lenel. Der Bedeutungswechsel,
der sich in den Auffassungen von Manilius und Scaevola darzustellen
scheint (hierüber Bekker S. 14), wäre dann derselbe Bedeutungs-
wechsel, den wir für die meisten zweigliederigen Asyndeta annehmen
(Juristenlat. S. 37 Anm. 1): ursprünglich (umgekehrt Schloßmann,
Nexum S. 44) bezeichnete man alle „Libralgeschäfte" mit dem einen
Worte nexus; irgendein Gesetz (vielleicht die XII Tab. selbst)
wollte, da man begann, von nexi als Verschuldeten zu sprechen, jedes
Mißverständnis ausschließen und setzte mancipium dazu; wir würden
es in Klammern setzen „Wägegeschäft (Zugriff)". Später schied
man dann, ähnlich wie bei usus (fruetus), die zwei Worte aus-
einander. — Ob an der Varrostelle obligare verpflichten (Kübler)
oder verpfänden (Schloßmann) bedeutet, ob also Varro schließlich
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XII Tab. Zu Tab. 6. Zu Tab. 8.
33
für Huschke oder für Mitteis spricht, das zu entscheiden, reicht das
Sprachgefühl nicht aus; hier kommt es auf den Sprachgebrauch der
Mucianischen Zeit an; ihn festzustellen, überlassen wir anderen.
(Vgl. über die Bedeutung von obligare Manigk, Zur Geschichte
der röm. Hypothek I 54 ff.; 18 Anm. 1. Auf S. 96 f. stellt Manigk
fest, daß Gaius das Wort obligare, wenn von Pfand die Rede ist,
nie vom Faustpfande, sondern nur von einer Hypothek, die ja die
wichtigsten Zwecke der alten Fiducia nur in praktischererweise
erfüllte, angewendet hat.)
62. Zuletzt hat sich über das Nexum geäußert F. Senn,
Le Nexum. Nouvelle Revue XXIX 49 — 95. Er steht im ganzen
auf Huschkeschem Standpunkt, sucht jedoch einzelne von den Wider-
sprüchen in den Quellen durch die allmähliche geschichtliche Ent-
wicklung zu erklären. Der Darleiher sprach bei der Zuwägung des
Edelmetalls (die nach Einführung des geprägten Geldes eine reine
Form wurde, zu welcher die tatsächliche Summe mit Worten hinzu-
gefügt werden mußte, das bedeute der Satz: Uti lingua nuncupasit,
ita ius esto) gleichzeitig eine damnatio gegen den Schuldner aus (damnas
esto) usw. Die Lex Poetelia Papiria (Liv. 8) schaffte nach S. zwar
das Nexum nicht ab, benahm ihm aber seine exekutorische Kraft ; man
mußte seitdem, wie bei anderer Schuld, einen Richterspruch herbeiführen.
So kam das Nexum allmählich außer Gebrauch, weil einfachere Wege
zum gleichen Ziele führten. (Die entgegenstehenden Ansichten über
die Lex Poetelia berührt Senn kurz in einer Anm.) Mit der Sache
kam auch der Name nexum außer Gebrauch. Das freigewordene
Wort nexum konnte deshalb jetzt, was bei Nichtjuristen am wenigsten
auffallen kann , gebraucht werden für das noch weiter bestehende
negotium per aes et libram, die mancipatio, besonders wenn sie die
obligatio auctoritatis herbeiführte. In den Digesten und im Codex
hat nexum überhaupt keine Beziehung mehr zum negotium per aes
et libram ; es bedeutet einfach obligatio. (Es scheint bei den Juristen
erst aufzutreten, als man [seit Papinian] die gewöhnlichen Ausdrücke
immer mehr durch gewählte zu ersetzen begann , wo necterc eine
erwünschte rhetorische Abwechslung mit dem gewöhnlichen obligare
bot. Ref.)
Tab. Vm.
63. M. Breal, Une disposition de la loi des XII tables
relative au client. Nouv. Revue XXVI (1902) S. 147 f. erkennt in
dem Satze PATRONUS SI CLIENTI FRAUDEM FECERIT, SACER
ESTO das fraudem facere als die Versäumnis des dem Klienten vor
Gericht geschuldeten Beistandes.
Jahre«bericht für Alt«rtun.«wis8eiiich»ft. Ud. CXXXIV. (1907. II.) 3
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W. Kalb: Römische Juristen.
-64. Paul Huvelin, La notion de r„iniuriaa dans le tres
ancien droit romain. Lyon 1908. Angezeigt von L. Seuffert (in Archiv
für lat. Lex. XIII 587—589). H. weist nach, daß in dem XII Tafel-
satze SI INIURIAM FAXSIT, XXV POENAE SÜNTO das Wort
iniuria ursprünglich nicht, wie es Cicero und andere erklärten, die
Beleidigung bedeutete, sondern den rechtswidrigen körperlichen An-
griff auf eine Person. Auch im sonstigen Altlatein bedeute iniuria
nach dem Ausweis von 104 Stellen immer entweder das Unrecht in
allgemeinerem Sinne oder im spezielleren die widerrechtliche Tätlich-
keit. Entsprechend bedeutete auch occentatio und carmen famosura
nicht eine einfache Beleidigung durch Spottlieder und Schmähgedichte,
sondern Zauberlieder. Man hat also nicht nötig, eine Scheidewand
zu ziehen zwischen incantare (excantare) und occentare. Weitere
Erörterungen beziehen sich auf flagitium und flagitatio, convicium
und contumelia.
65. M. W 1 a s s a k , Der Gerichtsmagistrat im gesetzlichen Spruch-
verfahren, Sav.-Z. XXV bespricht auf S. 95 — 102 die Strafe gegen
den für manifestus (XII Tab. 8, 14) nach Gell. 11, 18, 8 und
Gai. 3, 189. Das Gesetz kann nicht befohlen haben Verberatus
addicitor (in Schuldknechtschaft), cui furtum factum est. Die Strafe
der Schuldknechtschaft, eingesetzt statt der von den XII Tab. tat-
sächlich vorgesehenen Sklaverei, war vielmehr eine nachträgliche
rein theoretische Erfindung der Veteres, die erst aufkam, als die
Strafe des Vierfachen den Satz der XII Tab. verdrängt hatte. Ur-
sprünglich mag das Gesetz ganz allgemein verordnet haben: libero
si furtum manif. faxit capital esto; d. h. er sollte die Freiheit ver-
lieren. Wenn die addictio noch besonders erwähnt war, so konnte
dies nur in dem Sinne geschehen sein , daß der Prätor seine Ge-
nehmigung hinzutreten ließ (ad-dicere = idem dicere) „zum formu-
lierten klägerischen Spruche, mittels dessen der Verletzte sein aus
dem Delikt entsprungenes Recht gegen den Dieb in Anspruch
nimmt". Ihre Spitze kehrte diese Vorschrift gegen die Selbsthilfe.
66. E. I. Bekker, Zur Lehre von den Legisaktionen. Sav.-Z.
XXV (1904) S. 55—80 gehört zwar seinem Inhalte nach nicht zu
unserem Referat, sondern zur Geschichte des römischen Prozesses.
Auch nicht deshalb erwähnen wir die Abhandlung,, weil, wer einiger-
maßen einen Begriff von dem mutmaßlichen Inhalte der altrömischen
Gesetze, die den Zivilprozeß betreffen, bekommen will, diese Abhandlung
kennen muß: Denn sonst hätten wir in den bisherigen Referaten
Jus civile Flavianum.
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Jus Flavianum. Gesetze zwischen XII Tab. und Sulla. 35
schon manche andere Schrift dieser ersten Autorität auf dem Gebiete
der römischen Aktionen anzeigen müssen. Aber in den einleitenden
Worten erzählt E. I. Bekker, Mommsen habe in einem Gespräch
gesagt, wenn er einmal einen röm. Strafprozeß zu schreiben hätte,
so würde er die Hauptaufgabe in der Rekonstruktion der
Formeln, Spruch- und Schriftformeln, suchen. Denn wenn sich
von den alten S p r u c h formein der Legisaktionen durch scharfsinnige
Kombination noch wesentlich mehr erraten ließe als bisher bekannt
ist, dann könnte ein phantasievoller Kopf vielleicht an eine Rekon-
struktion jenes Buches denken, in welchem App. Claudius die Actiones
zusammengestellt hatte, und das Cn. Flavius veröffentlichte. Aber
Bekker hält die alten Formeln für zu buntscheckig, als daß das
Mommsensche Problem gelöst werden könnte.
Gesetze zwischen XII Tab. und Sulla.
67. F. Kleineidam, Beiträge zur Kenntnis der Lex Poe-
telia. (S.-A. aus der Festgabe für Felix Dahn. IL) Breslau 1905
scheint nach der Besprechung durch H. Erman, Sav.-Z. XXVI 556 ff.
nicht unanfechtbare Aufstellungen zu bieten.
68. P. F. Girard, Histoire de l'organisation judiciaire des
Romains. I. Paris 1901 sucht nach H. Krüger, Sav.-Z. XXIII
493 die Lex Plaetoria genauer zu datieren. Terminus post
quem: 512 = 241 v. Chr. In diesem Jahre wurde der praetor
peregrinus eingesetzt, und von einem praetor urbanus, der in der
Lex Plaet. erwähnt ist, sprach man doch wohl erst nach der Ein»
führung des praetor peregrinus (nach H. Krüger könnte er auch im
Gegensatz zu den zu Felde ziehenden Konsuln so genannt sein).
Terminus ante quem: 570 = 180 v. Chr., Todesjahr des Plautus,
der auf das Gesetz offenbar anspielt. Am meisten scheint dem Vf.
für die Zeit um 512 = 241 v. Chr. oder um 527 = 236 v. Chr.
zu sprechen. — Vgl. auch Geibs Anzeige BphW. 1903 S. 694.
69. E. P. Garofalo, *La lex Cincia de donis et muneribus-
Bull. XV 310—312 (1903).
70a. R. Hesky, Anmerkungen zur Lex Acilia repetun,
darum, Wiener Studien XXV 272—87 nimmt u. a. gegen einzelne
Vermutungen Mommsens (C. I. L. I 49—5 4) Stellung.
70b. St. Braßloff, Beiträge zur Erklärung der Lex Acilia,
Wiener Studien XXVI 106—117 handelt, mehrfach gegen Hesky
sich wendend, I. De patrono repudiando. Er glaubt, auf diesen
Titel sei ein Abschnitt gefolgt, worin die Exkusationsgründe vom
Amt des patronus festgestellt waren. II. Lex Acilia und Lex Cincia.
3*
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3(5 W. Kalb: Römische Juristen.
Br. glaubt, daß sich Z. 28 (Gestattung des pecuniam capere ex h. 1.)
auf die lex Cincia bezieht, welche den gewöhnlichen patroni verbot,
Honorar anzunehmen. III. Über das Verhältnis der Lex Acilia zur
Lex Calpurnia und Lex Junia. Br. bleibt bei Mommsens Ansicht,
daß die Lex Acilia auch für das prozessuale Verfahren keine rück-
wirkende Kraft hatte.
70c. Nach Braßloff (s. Nr. 70b) ist ein neues Bruchstück
der Lex Acilia von Borman in der * Festschrift für Hirschfeld
S. 432 f. publiziert worden.
71. Ch. Appleton, Les lois romaines sur le cautionnement.
Sav.-Z. XXVI 1 — 48, der über die Leges Appuleia, Furia, Vallia
spricht und die früher schon von ihm vertretene Ansicht, daß die
Lex Furia auf das Tribunat des P. Furius von 654 zurückgehe,
wieder aufnimmt (widerlegt von P. F. Girard, Une exception usw.,
s. u. Nr. 178 a), erhebt wohl nicht den Anspruch auf Beachtung
durch Philologen, denn er spricht S. 47 die Behauptung nach, welche
jüngst ein Jurist gegen einen Philologen in der entschuldigenden
Hitze des Gefechts aussprach, „daß nur wer ein geltendes Recht
beherrscht und in seiner praktischen Anwendung studiert hat,
zu rechtshistorischer Forschung fähig ist". Appletons Spruch kann
übrigens gegen uns Philologen von anderen Seiten mit dem gleichen
Recht ausgespielt werden: es müßte doch, wer über Caes. B. G.
schreibt, mindestens einmal einen Krieg praktisch durchgemacht
haben; wer über die Werke des Phidias forscht, müßte selbst den
Meißel in der Hand gehabt haben ; über die Geschichte einer Cloaca
maxima könnte nur ein Latrinenreiniger ein Urteil haben.
Die (Bruchstücke der) Lex munieipii Tarentini, welche
1894 gefunden worden sind (vgl. diesen Jhber. C1X 22), ist mittler-
weile neu herausgegeben und kommentiert worden von
72. Th. Mommsen, Ephemeris epigraphica IX (1903) S. 1—11.
Näheres bei Girard, Textes8 S. 61.
Gesetze aus der Zeit von Sulla bis Casar.
73. J. K e i 1 , Zur Lex Cornelia de vigintiquaestoribus.
Wiener Studien XXIV 548—551. (Vgl. WklPh. 1903 S. 35 f.)
74. II. Erman, D. (44, 2) 21 §4. Stüdes de droit classique
et byzantin, = Mölanges Ch. Appleton S. 201—304, Lyon 1903
zeigt, daß der Satz der Lex Cornelia von 76 v. Chr. ut praetores
ex edictis suis perpetuis ius dicerent die Prätoren nicht so sehr ein-
geschränkt hat, wie man vielfach glaubt, und zitiert R. Schott,
Das Gewähren des Rechtsschutzes im röm. Civilprozeß, Jena 1903, S. 7.
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Gesetze von Sulla bis Caesar.
37
Gesetze des Casar.
Zur Lex Antonia de Termessibus hat nach Girard,
Textes S. 851 75. Bor mann in der Festschrift für Hirschfeld 1903
S. 484—439 die Bemerkung gemacht, daß die Ergänzungen, welche
Accursius nach einer Mailänder Hs. zur Lex gab, nicht daher rühren,
daß er die heute verstümmelte Inschrift in besserem Zustande vor-
fand, sondern aus seiner eigenen Kombinationsgabe. Girard glaubt
daraufhin seine Lesung berichtigen zu müssen.
Lex Julia „municipalis". Th. Mommsen hat in Ephem.
epigr. IX 5 (s. Nr. 72) bezüglich der Tabula Heracleensis,
die einen großen Teil von einem Gesetze Cäsars aus dem Jahre 45
enthält, darauf hingewiesen, daß die seit Savigny übliche Identifi-
zierung mit einer anderwärts genannten Lex Julia municipalis will-
kürlich ist. Für das Nähere sowie für 76. Hackel, Die Hypothesen
über die Lex Julia municipalis, Wiener Studien XXIV (1902) S. 552
bis 562 können wir auf Girard, Textes8 S. 78 f. verweisen. „In-
dessen sind die allgemeinen Bestimmungen des Gesetzes über die Ver-
fassung der Bürgergemeinden doch so zahlreich, daß man (gegen
Mommsen) sehr wohl sagen kann, dasselbe enthalte eine allgemeine
Städteordnung, die freilich der Ergänzung durch die speziellen Ord-
nungen der einzelnen Städte bedurfte." Th. Kipp, Gesch. der
Quellen S. 39 f.
77. 2. ß dt a>jf, Römische Forschungen XXXVII. 'Afbjva XIV
(1902) S. 371 f. legt nach WklPh. 1903 S. 329 dar, daß in der Lex
Julia municipalis Z. 26 rationem habere und renuntiare dasselbe be-
zeichne.
Lex Rubria und verwandte Gesetze.
78. C. Apple ton, Le fragment d'Este, extrait de la Revue
gönörale du droit (Paris 1900) scheint wenig Neues zu bieten. Doch
vgl. B. Kühler, Sav.-Z. XXII 200 ff.; Girard, Textes8 S. 77.
Über das Verhältnis zur Lex Rubria, zu welcher das Fragment
nicht gehört, von der eine seiner Bestimmungen vielmehr ab-
geschafft wurde, spricht Kipp, Gesch. der Quellen S. 89 Anm. 12.
79. Th. Mommsen hat (vgl. Girard, Textes S. 71) in den
Wiener Studien XXIV (1902) S. 238 f. und Eph. ep. IX (1903) S. 4
gesagt, daß das Gesetz auf der veleja tischen Tafel, das man
bisher mit Lex Rubria bezeichnete , nicht eine lex rogata , sondern
eine lex data gewesen sei, und daß der Name lex Rubria, der aus
Kap. XX erschlossen wird, ihm wohl nicht gebühre; die dort in
einer Formel erwähnte Lex Rubria scheine vielmehr ein anderes
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W. Kalb: Römische Juristen.
Gesetz gewesen zu sein, das sich wahrscheinlich auf damnum in-
fectum bezogen habe. Doch T h. Kipp vertritt in seiner Gesch. der
Quellen S. 88 Anm. 10 die Richtigkeit der bisherigen Ansicht, daß
die velejatische Tafel wirklich Reste der Lex Rubria enthält. —
80. Lex Rubria c. XXI bespricht 0. Lenel in Sav.-Z. XXV
244 und die dort zitierten Gelehrten.
Gesetze des Augustus.
Lex Julia de maritandis ordin. — Windscheid - Kipp,
Pandekten § 509 hatte im Anschluß an Alibrandi das Verbot der
Schenkungen unter Ehegatten auf die Lex Julia de marit. ordin.
zurückgeführt. Diese wie alle anderen Meinungen über Entstehung
des Verbotes nach der Lex Cincia (vgl. Vat. fr. § 804) suchte nach
81. A. von Tuhr,Krit. Vierteljahresschr. 1904 S. 165 Nikolsky
(Die Schenkungen unter Ehegatten nach röm. Recht I 1. Peters b.
1903, russisch) zu widerlegen, besonders mit dem Hinweis auf Panl.
ad S. 1, 3, 86 immo magnae auctoritatis hoc ius habetur, quod in
tantum probatum est, ut non fuerit necesse scripto id comprehendere :
Denn diese Stelle bezieht Lenel in der Palingenesia auf jenes
Schenkungsverbot ; da er die von Alibrandi für interpoliert (der Be-
ziehung auf die Lex Jul. de marit. ord. entkleidet) erklärte Stelle
Ulp. ad S. 24, 1, 1 Moribus apud nos receptum est ne inter v. et
u. donationes valerent (wohl mit Recht) für echt hält.
Lex Fufia Caninia. — Nach WklPh. 1906 S. 671 berichtet
82. Lanciani in * Athenäum vom 16. Mai 1906 (S. 617) über
einen Altar, den man in der Nähe des Kolosseums gefunden. Der-
selbe war unter dem Konsulate des Caninius Gallus und des Fufius
Geminus errichtet worden im Jahre 2 n. Chr. Der Konsulmann
Fufius Geminus für dieses Jahr war bisher noch nicht bekannt Von
diesem Konsulpaare stammt die Lex Fufia Caninia, welche Frei-
lassungen in Testamenten über einen gewissen Prozentsatz der Sklaven
hinaus verbot. Sie war bisher nicht bestimmt datierbar; durch den
neuen Fund erfahren wir also, daß sie der Lex Aelia Sentia, die
auch die Freilassungen unter Lebenden beschränkte, um fünf Jahre
vorherging. Weiterhin wird niemand mehr auf den Gedanken
kommen, mit älteren Ausgaben bei Just. Inst. 1, 7 zu lesen De lege
Furia Caninia sublata. Vgl. Gatti in Bull. XVHI 115 ff.
88. Hier sei auch zitiert C. Ferrini, I commentari di Terenzio
demente e di Gajo ad legem Juliam et Papiam. Rendiconti d.
R. htit. Lombardo ser. 2» vol. XXXIV fasc. 4. — Derselbe,
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Gesetze nach Augustus. Domänenordnungen, c) Senatusconsulta. 39
I commentari di Ulpiano e di Paolo ad legem Juliam et Papiam.
Rendiconti ser. 2a vol. XXXIV fasc. 6.
Gesetze nach Augustus.
84. He 11 eins, '"Lex de imperio Vespasiani, Diss. , Chicago
1902, ist nach WklPh. 1904 S. 556 in der Revue critique von J. T.
als fleißige Zusammenstellung ohne neue Ergebnisse bezeichnet
85. H. Dessau, *Zu den spanischen Stadtrechten. Wiener
Studien XXIV (1902) S. 240 — 247 behandelt nach WklPh. 1908
S. 353 1. die Frage, wie die Lex Salpensana nach Malaca kam,
2. die Interpolationen der Lex Ursonensis, 3. ein neues Fragment
eines spanischen Stadtrechts. „Eine bei Sevilla gefundene Bronze-
tafel gehört einem aus der Lex Malacitana bekannten Kapitel an,
durch welches die Inschrift ergänzt wird." — S. Nachträge.
86. R. Dareste, La Lex Rhodia. Nouvelle Revue XXIX
429—448 wiederholt einen in der Revue de philologie Jan. 1905
(XXIX 1 — 29) veröffentlichten Aufsatz über die rhodische Seeordnung,
die, obwohl griechisch, unser Gebiet insofern berührt, als sie für das
röm. Recht von Augustus und auch späteren Kaisern rezipiert wurde.
In der * Revue de philol. gibt D. auch den griechischen Text der
byzantinischen Zusammenstellung von Bestimmungen der Lex Rhodia
(zuletzt mit vielen Fehlern herausgegeben von Pardessus, Lois maritimes I
1847), und zwar nach dem Codex Ambrosianus Nr. 68 saec. XI, der
ihm weitaus die beste Hs. zu sein scheint (vgl. diesen Jhber. CIX 52).
Domänenordnungen.
87. A. Schulten, Zur Lex Manciana, Rh. Museum LVII 4
„wendet sich" nach WklPh. 1903 S. 296 „gegen Seecks Entgegnung
(Rh. Mus. LVI 477 f.) auf des Vf. Kritik (ebenda LVI 120 f.) und
beharrt bei seiner Behauptung, daß der Altar der Lex Manciana pro
salute imperatoris dediziert worden sei." — * Pernot, L'inscription
d'Henchir- Mettich = Meianges d'archeologie et d'histoire, Rome
1901, p. 67—95.
88. N. Vulic, Zur Inschrift von Ain- Wassel. Wiener Studien
1905 S. 138—140 glaubt (gegen Schulten, s. diesen Jhber. LXXXIX
218), daß die Lex jener Inschrift nicht eine Kopie aus der in ihr
erwähnten Lex Hadriana sei.
c) Senatusconsulta.
89. Unter den Senatusconsulta bringt Girard, Textes S. 125 bis
128 auch die Reste der zwei im Senat gehaltenen Reden des
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W. Kalb: Römische Juristen.
Claudius (?) über das erforderliche Alter der Rekuperatoren und
die Erledigung von Strafprozessen, welche zuerst von Gradenwitz und
Krebs, Ägypt. Urk. a. d. Kgl. Museen zu Berlin II Nr. 611 heraus-
gegeben sind (vgl. diesen Jhber. CIX 8). Nach Girards Textes, auf
welche wir verweisen, handelten hierüber in unserem Berichts-
quinquennium Dareste, Nouvelles eludes d'histoire du droit 1902
S. 207—211; Braßloff, Aetas legitima (s. u. Nr. 165).
d) Edlcta.
Das Ediotum perpetuum.
90. Otto Lenel, Essai de reconstitution de l'edit perpetuel,
traduit en francais par Peltier sur un texte revu par Tauteur,
2 vol., Paris 1901—1903. — Da Lenel die französische Ausgabe
seines 1880 zuerst erschienenen „Edictum perpetuum" nicht nur mit
den Ergebnissen von solchen Forschungen bereichert hat, die er in der
Sa vigny Zeitschrift seit 1881 veröffentlicht, sondern auch mit neuen
Zusätzen, die noch nirgends gedruckt stehen, so muß zurzeit von
Rechts wegen auch der deutsche Spezialforscher die französische
Ausgabe heranziehen. Über die Bedeutung von Lenels Restitution
des Ediktes spricht
91a. Girard, L'eMit perpötuel, Nouv. Revue XXVIII (1904)
p. 117—164. Er legt zuerst die Methode dar, welche Lenel mit
so großartigem Erfolge angewendet hat, und die man stets werde bei-
behalten müssen ; in einzelnen untergeordneten Punkten würde freilich
Girard nicht ganz den gleichen Weg gehen : beispielsweise die Regel,
daß in den Juristenwerken eine Materie nicht in das nachfolgende
oder vorhergehende Buch überzugreifen pflegt, möchte G. weniger
streng gelten lassen wie Lenel (II 288) , der übrigens (in seiner
Palingenesia) auch einzelne Ausnahmen zulasse (Pomp. Paling. fr. 55,
56, 57). So sei das Edict über das vadimonium von Paulus offenbar
kommentiert im Schluß von (ed.) Buch 1 und in Buch 2, von Ulpian
(ed.) in seinem ganzen Buch 2 und dem Beginne von 3; das ergebe
sich besonders aus der Vergleicbung von Ulp. fr. 215 mit Paul,
fr. 94 und 105 (Erklärung von nomen und res). Sodann spricht G. von
dem hohen Wert der Lenelschen Ediktsrekonstruktion. Zuletzt er-
örtert er die Frage, ob das vorjulianische Album die Edikte im
engeren Sinne (z. B. actionem dabo) mit den Prozeßformeln ver-
mischt aufzeigte (was für das Julianische Edikt als sicher anzunehmen
ist), eine Meinung, die Ferrini unter Lenels Zustimmung vertrat,
oder ob die Edikte im engeren Sinne (das „Programm" des Beamten)
völlig getrennt waren von den Formeln, was u. a. Wlassak (1882)
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Edicta. 41
vertrat. Der letzteren Meinung schließt sich auch G. an, weil man
sonst nicht recht verstünde, was die Ausdrücke (Julianus) edictum
composuit, ordinavit bedeuten sollen, wenn er nicht die Formeln
an ihren Platz bei den Edikten im engeren Sinne setzte; denn die
sonstige Ordnung des alten Ediktes übernahm Julian in sein Edikt
einfach herüber. Sodann führt G. für seine Ansicht an , daß im
Julianischen Edikt (nach Lenels Wiederherstellung) in den einzelnen
Titeln die Formeln, die sich an Edikte anschließen, den isolierten
(an eine actio civilis sich anschließenden) Formeln vorhergehen ; Julian
habe also offenbar die im Formel -Album stehenden Formeln zu-
nächst bei den entsprechenden Edikten untergebracht, den Rest dann
unten angefügt. Endlich führt Girard für Wlassaks Meinung an, daß bei
den vorjulianischen Juristen keine Erklärung einer Formel mit der
Erklärung eines Ediktes i. e. Sinne vereint auftritt, und daß die Noten
-des Valerius Probus unter 24 Abkürzungen von Ediktswendungen
keine einzige Abkürzung einer Formel aufzuweisen. — 91b. Nach
A. Audibert, Nouv. Revue XXV 642—659 finden sich Ab-
weichungen von der deutschen Ausgabe unter anderem in den Titeln
De in ius vocando (Bedeutung des vindex), De cognitoribus et
procuratoribus , im Paragraphen De noxalibus actionibus, im Titel
De rebus creditis. Bezüglich der Condictio certi, die sich auf certa
pecunia beschränkte, hält Lenel Dig. 12, 1, 9 für stark interpoliert.
Geändert hat sich seine Auffassung bezüglich der condictio incerti
infolge der neueren Untersuchungen, bes. von Trampedach (vgl. diesen
Jhber. CLX 66 f.). Die Lehre von der condictio incerti ist , wenn
auch nicht eine Schöpfung der Kompilatoren der Digesten, so doch
zu jung, als daß schon der Prätor in seinem Edikt eine Formel
dafür aufgestellt haben könnte. — 91 c. Zu erwähnen ist noch die
Besprechung der französischen Ausgabe von Lenels Edictum durch
0. Geib, BphW. 1904 S. 979 ff. — Unbekannt geblieben ist dem
Ref. A. Zocco-Rosa, La ricostruzione dell' Edictum perpetuum
Hadriani, Rivista italiana per la scienze giuridiche. XXXIII (1902)
S. 897-418.
92. M. C ollinet (Lille) sprach beim internationalen Kongreß
tir die hist. Wissenschaften (Rom 1900) über das Fortleben der
Klageformeln in der späteren Kaiserzeit (nach Nouv. Revue XXVII 473).
Einzelne Sfitze des prfitorischen Ediktes.
98. Adrien Audibert, Nouvelle 6tude sur la formule des
actions familiae herciscundae et communi dividundo. Nouv. Revue
XXVIII (1904) S. 273—305, 401—439, 649—697 bezeichnet seine
Digitized by Google
42
W. Kalb: Römische Juristen.
Studie als eine Fortsetzung seiner Abhandlungen „* L'eVolution de la
formale des actions familiae erciscundae et communi dividundo" in
Mölanges Ch. Appleton, Lyon-Paris 1908 S. 1 — 87, welche nach dem
Berichte von B. Kubier in Sav.-Z. XXV 446 — 449 so weit als
möglich die Prozeßformeln für die Teilungsklagen nach ihrer zeitlichen
Entwicklung feststellen will. Aud. unterscheidet , ob bei den ge-
nannten Klagen die Formel auf Teilung abzielte oder auf die Regelung
von Leistungen. Im ersten Falle war die Klage 1. natürlich doppel-
seitig, 2. sie ist bonae fidei erst unter Justinian geworden, 3. sie
hatte die Merkmale einer actio in rem. Im zweiten Falle war sie
1. nicht notwendig doppelseitig, 2. sie war bonae fidei, 3. in personam.
Das Ergebnis wird zum Teil durch eine Annahme von „ Interpolationen u
erzielt, die nicht immer der Kritik standhält (s. u. Nr. 164 a).
94. H. Erman erhebt Sav.-Z. XXIII 449 f. gegen von Seelers
Rekonstruktion des publicianischen Ediktes (Dig. 6, 2, 1 ; vgl. Jhber.
CIX 27) verschiedene grammatische und logische Einwendungen und
bleibt dabei stehen, daß non a domino von den Kompilatoren ein-
geschoben wurde, um von vornherein die Abschaffung der Bonitarier-
publiciana zu proklamieren.
95. Einen Anwendungsfall des Ediktes De inspiciendo ventre
haben nach Girard, Manuel 1072 neuerdings Mitteis und Wilcken
entdeckt (Wilcken, Arch. f. Pap. III 873 ff., 1905) in den zwei
schon 1894 vom Eigentümer Prof. Nicole in Genf (Revue arch.
XXIV 65—75) und von H. Erman (Sav.-Z. XV 241-255) ver-
öffentlichten Papyrusstücken.
96. 0. Gradenwitz, Ältere und neuere forraula arbitraria.
Sav.-Z. XXIV 238—251 nimmt für die formula arbitraria (de eo
quod certo loco darf oportet) eine geschichtliche Entwicklung an; auf
den Vordersatz Si paret Num Num A° A° Ephesi decem dare oportere
neque Nu* Nu8 A° A° arbitratu tuo satisfaciat sei in der älteren Zeit
sofort die Condemnatio gefolgt: Num Num A° A° decem condemna
s. n. p. a., in der neueren Zeit, seitdem Julian (bei Ulp. ed. 13, 4,
2 , 8) Labeos Rücksicht auch auf des Klägers Interesse an der
Zahlung an einem bestimmten Ort zur Geltung gebracht, dafür:
Num Nntn A° A° decem et si quid A* A1 (actoris) interfuit eam
pecuniam Ephesi potius quam hic solvi.
Das Verfahren in iure.
97. M. Wlassak, Der Gerichtsmagistrat im gesetzlichen
Spruchverfahren. Sav.-Z. XXV 81 — 188 sucht für eine Reihe von
Fällen des alten Legisaktionsverfahrens größere Klarheit festzustellen.
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Kdicta.
43
Besonders interessant sind die Ausführungen über die tria verba
praetoris: do, dico, addico, von denen eines bei jeder Legis-
actio einer der begleitenden Sprüche des Beamten aufwies. Denn
auch der Prätor war hierbei an herkömmliche Spruchformeln gebunden.
Das farbloseste und allgemeinste ist dicere, das im Grunde genommen
die beiden anderen in sich schließt. Der Magistrat gebraucht es in
seinem Spruche z. B. bei der Grundstücksvindikation (istam viam
dico, Cic. pro Mut. 12, 26), dann im vindicias dicere. Beides er-
scheint „als eine die Ordnung des Prozeßverhältnisses, die vornehmlich
Sache der Litiganten ist, ergänzende Tätigkeit des Magistrats u —
also nicht ein Urteil. Addico ist nicht in dem sonst häufigen Sinne =
„zusprechen", „übereignen" zu fassen, sondern in der Grundbedeutung
(Festus S. 18 M.) = idem dicere et approbare dicendo. Es ist
also notwendig, daß ein Antrag vorhergeht, dem der Prätor zustimmt.
(Diese Bedeutung ist nach Wl. auch für XII Tab. 8 anzunehmen:
Gell. 11, 18, 8 ex ceteris . . manifestis furibus liberos verberari
addicique — iusserunt ei cui furtum factum esset; vgl. o. Nr. 65.)
Dieses addicere gebrauchte der Prätor bei der In iure cessio (und
vermutlich auch bei der Confessio in iure), „als staatliche Genehmigung
und Bekräftigung des von den Parteien gesetzten Geschäftes". Des
Wortes dico „bedient sich der Beamte, wo er durch seinen Spruch
allein eine Anordnung trifft; dagegen ist eine ad-dictio nur denkbar
unter Bezugnahme auf eine schon gesetzte Parteihandlung, weil sie
ohne diese inhaltsleer wäre". Anders nach Vf. Rudorf f, R. Rechts-
gesch. II 133, 24 undBechmann, Legisactio sacramenti S. 32. —
(Die versprochene Forts, ist leider in Sav.-Z. XXVI und XXVII
nicht erschienen.)
98. Josef Partsch, Die Schriftformel im röm. Provinzial-
prozesse. Breslauer Diss. 1905 sucht nach der Anzeige von
L. W e n g e r in Sav.-Z. XXVI 530 ff. zu beweisen , daß die Schrift-
formeln schon vor der Lex Aebutia ein Vorbild hatten in Anweisungen
zu Schiedssprüchen, welche beim Streite zwischen provinzialen Ge-
meinden der römische Senat eine andere Gemeinde zu fällen be-
auftragte. — Für die Schriftformel des röm. Privatrechtes kann
Wenger der Meinung von Partsch und Lenel (s. u. Nr. 102) nicht
beistimmen, daß in der Streiturkunde das „Titius iudex esto" nicht
gestanden habe.
99. Ehrlich, * Recht und Prätor. Zeitschr. f. Privat- u. öff.
Recht XXXI 331—364.
100. P. F. Girard, Les assises de Ciceron en Cilicie.
Paris 1003 (S.-A. aus Mölanges Boissier) zeigt, was man aus
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44 "NV. Kalb: Römische Juristen.
Cicero betreffs der Anwendung der Conventus in den Provinzen
lernen kann.
101. Ed. Holder, Die Litis contestatio des Formularprozeäses.
Sav.-Z. XXIV 197—237.
102. 0. Lenel, Zur Form der klassischen Litiskontestation.
Sav.-Z. XXIV 329—343.
103. E. I. Bekker, Streitfragen aus dem Aktionenprozeßrecht.
Sav.-Z. XXIV 344—374.
Der Ansicht Kellers, wonach die im Legisaktionsverfahren
vorhandene „Zeugenaufrufungtt im Formularprozesse das Gesamt-
verfahren in iure, speziell den ideellen Endpunkt des Verfahrens be-
deutete, der mit dem Moment der schriftlichen Erteilung der Formula
durch den Magistrat zusammenfalle, war von Wlassak eine andere
Auffassung entgegengestellt worden, wonach die Litisc. auch im
Formularprozesse noch eio wirklicher, von den Parteien vollzogener
Formalakt gewesen sei, und zwar ein zweiseitiger Privatakt, welcher
der Forraelerteilung nachfolgte (edere und accipere iudicium).
Lenel pflichtet im wesentlichen Wlassak bei: die Lftis contestatio.
die ursprünglich mit der Aufrufung der Zeugen begann, bedeutete
die Akzeptation der vom Prätor erteilten Formel durch den Be-
klagten. Die Ernennung des iudex war in der datio iudicii und
litis contestatio nicht enthalten, sondern sie wurde erst in einem
späteren Termine vollzogen. — Eine ähnliche Auffassung von der
Litisc. hat im allgemeinen auch Kipp in Windscheids Pandekten
(nach Holder, Krit. Vicrtelj. 1904 S. 234) und (nach Schloßmann,
Litis contestatio S. 1) auch R. Schott, Rom. Zivilproz. (1904)
S. 43 ff.
Dagegen auf Kellers Standpunkt stellen sich im wesentlichen
Ed. Ilölder und E. I. Bekker. Ins einzelne die Differenzpunkte
verfolgen, hieße die Grenzen unseres Berichtes überschreiten. Erwähnt
sei jedoch E. I. Bekkers Mahnung, die Frage nicht allzusehr auf
hypothetische Nebensächlichkeiten und Begleiterscheinungen aus-
zudehnen, sondern sich hier mit Ignoramus zu begnügen.
104. S. Schloßmann, Litis contestatio. Leipzig 1905. Be-
sprochen u. a. von 104a. II. Krüger, Sav.-Z. XXVI 541 — 549.
Schi, sucht besonders sprachliche Untersuchungen zu benutzen, um
über die Form der Litis contestatio ins klare zukommen. Aber
gerade die sprachlichen Untersuchungen bilden die schwächste Seite
des Buches. Er kommt zu folgender Aufstellung : Die Litis contestatio
ist nicht als ideeller Zeitpunkt zu betrachten (Keller), sondern sie
war eine selbständige formale Handlung (Wlassak). Aber als solche
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Edicta.
45
gehörte sie nicht mehr zum Verfahren in iure (wie allgemein, auch
von Wlassak und Lenel, angenommen wird), sondern sie bildete den
Beginn des Verfahrens in iudicio. (Die Beweise für diese Meinung
sind freilich kaum durchaus stichhaltig; vgl. H. Krüger, Sav.-Z.
XXVI 549.) Der Iudex war nach Schi, in der Regel anwesend, wenn
der Prätor das Verfahren in iure schloß mit der mündlichen Ver-
kündung des Wortlautes der Formel, welche unter Mitwirkung der
Parteien vom Prätor gutgeheißen und festgestellt worden war. Der
Judex trat nun sofort in seine Tätigkeit, indem er das Verfahren
vornahm, das in den Quellen (nach einem nebensächlichen Akte, s. u.)
Litis contestatio genannt wird. Wenn der iudex nicht in iure an-
wesend war, so mußte für die Ernennung des Geschworenen sowie
die Litis contestatio und damit für den Prozeßbeginn ein neuer Termin
vom Prätor angesetzt werden. Denn die Worte neque enim in ad-
dicendo praesentia vel scientia iudicis necessaria est bei Pap. q. 5,
1, 89 glaubt Schi, für Tribonianisches Einschiebsel erklären zu
dürfen. Diese sogenannte Litis contestatio denkt sich nun Schi, so:
der Kläger dictabat iudicium, d. h. er sprach die Formel,
deren schriftliche Abfassung seitens des Tribunals oder seitens
der Parteien durchaus keine rechtliche Notwendigkeit war (gegen
Wlassak u. a.), dem Beklagten vor; ob ganz oder bloß soweit sie
ihn betraf, läßt Schi, dahingestellt; er änderte jedoch vermutlich die
vom Prätor erhaltene Formel insoweit um, daß er von sich in der
ersten, vom Beklagten in der zweiten, vom Richter in der dritten
Person sprach (z. B. Te mihi dare oportere). Der Beklagte
sprach sie, ebenfalls subjektiv umgeändert, nach: concepit verba
(eine Bedeutung von concipere, die trotz vielen angeführten Stellen
kaum zu halten ist), oder accepit iudicium. Schi, gründet seine
Theorie vor allem auf die fast ganz in der Luft stehende Hypothese,
iudicium dictare und iudicium accipere seien zwei korrelative Begriffe,
die sich entsprochen hätten wie stipulari und spondere. Für iudicium
dictare läßt sich die angenommene Bedeutung, wie Schi, selbst zu-
gibt, aus den Rechtsquellen nicht durch Stellen erweisen, und es
mutet sonderbar an, wenn Schi, sich nun flüchtet zu dem Latein der
Elementarschulen, wo aber magister dictat wohl auch nicht das Vor-
sprechen, sondern nur das energische Sprechen bedeutete (vgl. dictator),
und zu einzelnen Stellen von Dichtern. Anderseits schließt iud*
accipere gelegentlich auch die Tätigkeit des Klägers mit ein, z. B.
Gai. 4, 104 Legitima iudicia <xj quae inter omnes cives Romanos
accipiuntur, vgl. Lex Rubr. XX Z. 48, was Schi. S. 121, wie es
scheint, als eine Art Synekdoche aus seinem hypothetischen Ganzen
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46
W. Kalb: Kölnische Juristen.
dictare et accipere rechtfertigen will. Doch folgen wir Schloßmanns
Phantasie weiter! „In Verbindung mit diesem Aktett (des iadicium
dictare nnd accipere) „erfolgt regelmäßig, aber wohl nicht notwendig, die
Litis contestatio im eigentlichen Sinne, d. b. jede von beiden Parteien
fordert die von ihr mitgebrachten Zeugen0 (die wir uns als Rechts-
berater zu denken haben) „auf, dem Prozesse als ihr Beistand bei-
zuwohnen.8 Von diesem Aufruf hat nach Schi, das dictare et accipere
iudicium den Namen Litis contestatio bekommen, also wieder eine
Synekdoche, und zwar, da die Litis contestatio „im eigentlichen
Sinne" gar nicht unbedingt nötig war, eine doppelte. (Mit solcher
synekdochischen Methode könnte man alles mögliche beweisen.) Nach
dieser Zeugenaufrufung konnte sofort zur Verhandlung geschritten
werden, wenn sie nicht aus bestimmten Gründen vertagt wurde.
Was es für einen Zweck haben sollte, den Streitpunkt zweimal
festzustellen, und wie man es machte, daß bei der zweiten Fest-
stellung (in iudicio) einem nachträglichen schlaueren Gedanken einer
Partei ein Riegel vorgeschoben werden konnte, das bleibt bei Schl.8
Aufstellung unklar. Ein Fortschritt ist dagegen enthalten in dem
methodischen Beweis dafür, daß die formulae ursprünglich nicht als
schriftlich ausgefertigt zu denken seien (was nach H. Krüger
schon B. K übler und H. Er man gelegentlich vermutet hatten):
vor allem nämlich fehlt in der gesamten Formel-Terminologie der
Begriff des Schreibens, denn die scheinbare Ausnahme praescriptio
(pro reo u. ä.) bedeutet lediglich „Einschränkung", wie H. Krüger
gut nachweist; man hat bei praescriptio = praefinitio so wenig an
den Begriff „Schreiben" gedacht wie bei circumscribere = circum-
venire. Von geringerer Bedeutung ist der Hinweis darauf, daß keine
schriftlichen Formulae uns erhalten sind neben ungezählten Manzi-
pations- und Stipulationsurkunden ; denn die letzteren waren tausend-
mal häufiger, auch hatte ja die formula eine beweisende Kraft in der
Regel nur für kurze Zeit, und sobald der Streit entschieden war,
kam es meistens bloß noch auf das Urteil an. Und daß auch schon
zur Zeit der Verschüttung von Pompeji die Formulae, wenn auch nicht
notwendigerweise , so doch tatsächlich in der Regel schriftlich aus-
gefertigt wurden, das hat wohl auch Schi, nicht bestreiten wollen.
Darum versteht man aber auch nicht, weshalb Schi, es auffallend
findet, wenn ein Nichtjurist abweichend von der juristischen Termi-
nologie sagte formulam scribam, und weshalb er die Stelle Quint.
Inst. Or. 6, 3, 83 ihres Humors entkleidet. In der späteren Zeit,
wo sich das Schreiben der formulae eingebürgert hatte, ist auch der
Ausdruck praescriptis verbis agere entstanden (H. Krüger), wo
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Kaiserliche Erlasse. 47
praescribere eine ganz andere Bedeatnng hat als in der erwähnten
praescriptio.
104a. E. I. Becker, Anfang und Ende des „in iure" -Ver-
fahrens, Sav.-Z. XXVII 1—45 s. Nachträge.
105. S. Schloßmann bezieht im Rhein. Museum LX, vgl.
dessen Litis contestatio (s. o. Nr. 104) S. 83, die tabulae bei Hör.
S. 2, 1, 79 f. nicht mit Erman auf die Schriftformeln, sondern solventur
tabulae soll beißen, die vorläufig mit Beschlag belegte Schrift wird
(im Kognitionenverfahren vom Caesar selbst) wieder freigegeben.
S. Nachtrag. 106. S. Schloßmann, Der Vindex bei der in ins
vocatio. — 107. 0. Lenel, Der Vindex bei der In ins vocatio
s. o. Nr. 81b und 81c.
■
Edictmn censorum.
108. G. Bloch, L'authenticite* de l'ädit censorial de 92 avant
J. C. contre les rhöteurs latins, in den „Beiträgen zur alten Geschichte"
III 68—78 hat nach WklPh. 1903 S. 804 „die von Marx gegen
die Echtheit des Ediktes der Censoren Cn. Domitius Ahenobarbus
und L. Licinius Crassus gegen die lateinischen Rhetoren (Suet. De clar.
or. 1, Gell. 15, 11) vorgebrachten Gründe" entkr&ftigt. — Girard
hat aber wohl mit Recht das Edictum nicht in seine Fontes auf-
genommen (bei Bruns, Fontes findet es sich in den älteren Auflagen).
Die Sprache beweist die Unechtheit wenigstens des Wortlauts.
e) Kaiserliche Erlasse.
Über die Rede des Claudius in den Ägypt. Urk. a. d. Kgl.
Museen zu Berlin II Nr. 611 s. o. Nr. 89.
109. C. Calle waert, *Le rescrit d'Uadrien a Minucius
Fundanus. Revue de l'histoire des religions 1903, II p. 152 — 189
sei registriert.
110. Th. Mommsen druckte Sav.-Z. XXII 195—197 ein
Bruchstück eines Kaisererlasses ab, vielleicht aus dem
Constantinischen Kreise (wegen des in der Überschrift erhaltenen
Const), das sich im zweiten Band der von Grenfell und Hunt heraus-
gegebenen Amherst papyri (London 1901) S. 70 findet. Von den
9 teilweise lesbaren Zeilen lauten die ersten, deren Entzifferung
hoffentlich noch nicht abgeschlossen ist, debere
pat. qd . . bus fiet ac Const cc osul : hdtop.
h. . || Aurelio Severo e . . e rescripto . . .
m se .... ationibus impetratum . . . |j si contra reum
narratio falsi eligitur . posse nocere constat : neque litem institutam ||
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48
W. Kalb: Römische Juristen.
diu trahi iura j)ermittunt : si quidem contra eum etiam qui post litemt
institutam desti-j tit . huiusmodi passis quaestionem c . . . operies tuo>
destitutori a . . . r . o . s consulan-|jtur: propter quod aditus rector
provinciae usw. (Der Rest bietet noch weniger Zusammenhang.)
Außer dem erwähnten Papyrus druckt Mommsen a. a. 0. auch
noch ein zweites Stück ab, das aus drei kleinen nicht zusammen-
schließenden Fragmenten eines Papyrusblattes besteht; von den
Fragmenten umfassen die zwei längsten 8 Zeilen, aber von jeder
Zeile sind nur ein paar Wortfragmente oder im besten Falle einzelne
Wörter erhalten.
111. A. Schneider, Zu dem von Mommsen Sav.-Z. XXII 195
abgedruckten Papyrus. Sav.-Z. XXIV 414—416 erkennt in dem
Papyrus eine Konstitution aus dem Jahre 294 ; der Papyrus berühre
sich mit den Konstitutionen dieses Jahres auch sprachlich. Das
Datum CC consulibus ist dann zu lesen Caesaribus consulibus.
112. 0. Graden witz, Reskripte auf Papyrus. I. Amherst II 27.
Sav.-Z. XXIII 356 — 879 unterzieht den in Nr. 110 an erster
Stelle erwähnten Papyrus (d. h. das Faksimile) einer eingehenden
Untersuchung, wobei er zum Verständnis des Inhalts vor allem den
Sprachgebrauch anderer Erlasse mit ähnlichen Wendungen herbeizieht.
Der Papyrus stellt vermutlich ein Stück aus einer Sammlung von
Kaisererlassen dar. Die ersten Worte bildeten wohl die Sub-
scriptio unter einem Kaiserreskript (vielleicht von Constantin, a. 821
Crispo II et Constantino II CC. conss.); ihm schließt sich ein anderer
Erlaß an, nach dem Sprachgebrauche vielleicht von Diokletian.
118. Vom Diokletianischen Maximaltarif (vgl. diesen
Jhber. LXXX1X 220 f. und CIX 31) hat nach WklPh. 1906 S. 198
Arvanitopoullos zu Tegea ein neues Bruchstück gefunden, das
die Preise für Wohlgerüchc, Arzeneien u. ä. enthält, und darüber
in der *Ht>7jva XVIII berichtet.
114a. Über ein anderes Stück (in lateinischer Sprache), das
sich deckt mit einem bereits bekannten Abschnitte (in Mommsen-
Blümners Maximaltarif des Diocl. S. 7 — 8) und das zu Oetylus an
der Westseite des Messenischen Golfs gefunden wurde, berichtet nach
WklPh. 1906 S. 440 Edward S. Forster, A fragment of the
„Edictum Dioletiani" im Journal of Hellenic Studies XXV (1905)
S. 260—262.
114b. R. Paribeni bespricht nach WklPh. 1903 S. 246
in der 'K^jispl? dp/atoXo^ix^ 1902 S. 11 — 16 ein athenisches
Fragment des Diokletianischen Tarifs.
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Vertragsurkunden u. ä.
49
Registriert sei auch eine Bemerkung über Diokletians Maximal -
tarif von 114 c. C. Rolfe im American Journal of Archaeology
VI 23 ff.
114d. Von Blümner ist der Artikel Edictum Diocletiani in
Pauly-Wissowas Realencykl. V 1948—1957 behandelt.
Zusatz: Treueide.
115. R. de Ruggiero, Un nuovo giuramento di fedeltä all'
imperatore Augusto, recentemente scoperto. Roma, Pasqualueci, 7 S.
(Bull. XIII fasc. II — VI) zeigt, daß Mommsens Vermutung zu den
zwei bisher bekannten Treueiden für Caligula, daß sie nach älterer
Schablone gemacht seien, durch die neue Entdeckung Franz Cumonts,
die er in Ve*zir-Keupreu in Kleinasien gemacht, bestätigt wird. (Cumont,
Revue des Stüdes grecques, XIV 26 — 45.) Ja, R. de R. vermutet
sogar, daß der erhaltene (griechische) Text zurückgeht auf einen
Treueid, den die orientalischen Völkerschaften schon ihren früheren
Herrschern schworen; denn Augustus wird schon ganz den Göttern
gleich behandelt. — Zitiert sei Fr. Cumont, Communication du
texte d'un sermont de fide'lite' ä l'empereur Auguste, texte döcouvert
dans l'ancienne Paphlagonie. Comptes rendus de l'Acadömie des
inscriptions et belles-lettres. 1900. Nov.-De'c. p. 687—691.
f) Vertragrsurkunden u. ä.
116. Ch. Apple ton, La clause „Apochatum pro uncis duabus".
Prato 1904. (Extrait des „Studi in onore di Vittorio Scialoja")
beweist (nach B. K übler, Sav.-Z. XXVI 536 f.), daß in der
Wendung apochatum pro uncis duabus , welche sich in zwei sieben-
btirgischen Manzipationsurkunden über Sklavenverkäufe findet , die
zwei Unzen formelhaft gesetzt sind und so viel bedeuten wie auf
anderen Manzipationsurkunden die Worte sestertio uno. (Mommseu,
der bloß Eine Urkunde kannte, hatte es als wirklichen Kaufpreis
betrachtet und zwei Goldunzen darunter verstanden.)
117. Ed. Cuq, Une fondation en faveur des Colleges munieipaux
de Preneste, Nouv. Revue XXVIII (1904) S. 265—272 bespricht
eine in Palestrina auf dem Markt des alten Präneste gefundene In-
schrift aus etwa 350 n. Chr., welche G. Gatti in den Notizie degli
Scavi (1903 S. 575) publiziert hat. Sie war angebracht auf dem
Sockel einer statua togata, welche die „collegiati" von Präneste zu
Ehren des mit 18 Jahren gestorbenen P. Aelius Apollinaris Arlenius
gesetzt hatten, weil dieser (oder vielmehr auf seine Bitte sein Vater,
Jahresbericht fftr Altertumswissenschaft. Bd. CXXXIV. (1907. in 4
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W. Kalb: Römische Juristen.
actor causarum der Stadt und praeses provinciae Corsicae, sowie
praefectus vigilibus) eine Stiftung (bestehend in Grundstücken) er-
richtet hatte, aus deren Erträgnis den collegia Praenestinae civitatis
jährlich am Geburts- und Todestag des jungen Apollinaris con[v]ivia
exhiberentur. Ed. Cuq benützt die Inschrift zu einer Illustration
der in der späteren Kaiserzeit über Geschenke geltenden Bestimmungen
(vgl. Frgm. Vat. 249; Cod. Th. 8, 12, 1; Constantinus (316) Cod.
Just. 8, 53, 25.
Besprochen ist die Inschrift auch von Mitteis in der Sav.-Z.
XXV 874—379.
118. H. Erman, Zum antiken Urkundenwesen. Sav.-Z. XXVI
456 — 478 bespricht u. a. die Geschichte, den Zweck und die Art
des Verschlusses der alten Urkunden, ihre Fälschung und die Tätig-
keit der Zeugen.
119. L. M(itteis), Neue Urkunden. Sav.-Z. XXV 376—379.
1. Ein Dokument, veröffentlicht von Grenfell und Hunt im
IV. Band der Oxyrrhynchus-Papyri als Nr. 720, besprochen von
"Wilcken, Arch. f. Pap.-Forsch. III 313, enthält ein (lateinisches)
Gesuch um Vormundschaftsbestellung vom Jahr 247 n. Chr., gerichtet
an den praeses provinciae. Ein Plutamonn (der sich aus Versehen,
wie die Petentin , Aurelia [?] unterschreibt) , erklärt sich (mit
griechischen Worten) zur Übernahme bereit, und der praef. Aegypti
gibt (mit lateinischen Worten) den Vormund unter dem Vorbehalt,
daß diese magistratische Tutorbestelluug nur bei wirklichem Mangel
eines anderweitigen Tutor gelten soll.
2. s. u. Nr. 129. 3. Ein Diptychon aus Hcrmupolis maior, Notitia
über Freilassung inter amicos mit darunterstehendem griechischen Chii o-
graphum des Freilassers ist schon bei Girard, Textes 3 S. 849 f. von
S. de Kicci veröffentlicht, weiterhin von demselben mit lehrreichen
Erläuterungen herausgegeben in den Proceedings of the society of
bibl. Archeology Mai/ Juni 1904.
4. s. u. Nr. 128. 5. s. o. Nr. 117. 6. In den Comptes
rendues de l'Acad. des Inscriptions et helles lettres 1904 März/April
S. 177 macht P. Cagnat vorläufige Mitteilung von einer zu Cortegana
in Spanien gefundenen Bronzetafel, in der mehrmals iudicia fieri,
iudicare u. ä. vorkommt, die aber erst noch genauer entziffert
werden muß.
7. Eine in Arausio gefundene Inschrift bezieht sich auf Ver-
pachtung öffentlicher Ländereien (Parzellen, merides). Die * Be-
sprechungen von Digonnet in den Mtfmoires de TAcad. de Vaucluse
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I
Vertragsurkunden u. ä. 51
and von E. Espgrandieu in der Revue Epigraph, waren, wie
L. M. mittelt, beim Druck seiner Mitteilungen noch nicht ver-
öffentlicht.
120. Seymour de Ricci und P. F. Girard, Textes juridiques
Latins inödits. Nouv. Revue 1906 S. 477—498. — Auf einer Studien-
reise nach Ägypten, die er im Auftrage des französischen Ministeriums
unternommen, fand S. de Ricci unter anderem im Museum von Kairo
vier Wachstafeln (drei Diptycha und eine einfache) mit lateinischer
Schrift, auf welchen nicht nur das Wachs auf der Innenseite, sondern
auch die wachsfreien Außenseiten, zuweilen auch der Rand der Innen-
seite (diese mit Tinte) beschrieben sind. Hierüber erstattet er in
Form eines Briefes an P. F. Girard Bericht, und Girard knüpft daran
Bemerkungen. Die vereinzelte Tafel, im Museum zu Kairo, Nr. 29 811,
enthält die Entlassungsurkunde eines Reiters, die nicht vom Kaiser
ausgestellt ist, wie die bis jetzt bekannten aus Bronze, sondern vom
Präfectus 'Aegypti am 4. Januar 122 n. Chr.; ihre hübsche Er-
klärung durch Girard schlägt nicht in unser Gebiet ein. — Das
Diptychon Nr. 29 808, 115 X 140 mm., vom 29. September 170 n. Chr.,
enthält die Bezeugung des Erbschaftsantritts der (oi^Xixoj oustj?)
Valeria Serapias. Die Innenseiten, wo die Schriftzüge nur auf dem
Wachs stehen und durchaus erhalten sind, lauten VALERIA SERA-
PIAS ANTINOIS VIRGO PER PROCUR ATORE L. VAL. LUCRE-
TIANO MATID10 QE (= qui et?) PLUTINIO ANTINOENSIO
FRATRE EIUS TESTATA ES<T> SE UEREDITATEM FLAVIAE
VALERIAE MATRIS EIUS ADISSE CREVISSAEQ. SEQ. HEREDES
(= heredem) ESSE SECUNDUM TABULAE (— tabulas) T. (= testa-
menti) EIUS. ACTUM AEG. (= Aegypto) NOMO ARSIN01TE
METROPOLI III. KAL. OCT. M. CORNELIO CETHEGO. SERV1L10.
CLARO COS. Die wachslosen Außenseiten enthalten, mit Tinte ge-
schrieben und daher zum Teil verblaßt, im wesentlichen das gleiche ;
nur steht beim Datum auch noch das Regierungsjahr des Kaisers
und die ägyptische Bezeichnung des Monats. Dem Hauptinhalt voran
gingen vermutlich die Namen der Zeugen (ganz unleserlich) und der
Platz für die Siegel („non signat Aegyptus", Erman, Sav.-Z. XXVI
460); eine griechische Bezeichnung des Inhaltes schloß sich unten
an. — Das Diptychon Nr. 29 810 ist fast gleich mit dem vorher-
gehenden. Nur enthält es die Annahme der Erbschaft von der
Großmutter der Serapias, vom gleichen Datum. Auf der ersten
Seite sind die Namen der sieben Zeugen, die im Genitiv dem Siegel-
platz beigesetzt waren, größtenteils erhalten. — Das Diptychon
Nr. 29 807 (175 X 124 mm) aus dem Jahre 148 n. Chr. enthält
4*
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52 W. Kalb: Römische Juristen.
einen beglaubigten Auszug aus dem standesamtlichen Geburtsregister
zu Alexandria. Es hat noch die alte Schnur und rechts unten auf
der ersten Seite ein vereinzeltes Siegel. Näheres s. u. Nr. 136.
Über griechisch© Papyri*).
Von den juristischen Papyri gehören in unser Berichterstattungs-
gebiet zunächst nur die verschwindend wenigen lateinischen, die wir
an ihrer Stelle besprochen haben oder besprechen werden. Die
vielen griechischen dürfen aber doch nicht völlig übergangen werden,
da sie für das Verständnis mancher römischen Itechtsquellen förderlich
sind. Folgende Schriften seien deshalb angeführt:
121. L. W enger, Papyrusforschung und Rechtswissenschaft.
Ein Vortrag, gehalten im Grazer Juristenverein. Graz 1903, führt
in fesselnder Weise zuerst ganz allgemein in das Gebiet der Papyri
ein, deren Entdeckung für alle Fakultäten irgend etwas Neues
zutage gefördert hat, um sodann an der Hand der wichtigsten
Papyri zu zeigen, wie das römische Recht durch den Einfluß ein-
heimischen Rechts in Ägypten sich praktisch gestaltete. Wir bekommen
in ungemein anschaulicher Darstellung Illustrationen zur Vollinachts-
erteilung, zum Grundbuchrecht, das durchaus nicht etwa eine speziell
germanische Einrichtung ist, zum Pfandrecht, zum Kauf, zur Pacht usw.,
zum Familien- und Erbrecht. — Ein sechs Seiten umfassender An-
hang gibt dem Leser Fingerzeige darüber, wo er über einzelne Punkte
nähere Aufschlüsse erhalten kann. Aus den Zitaten sei erwähnt eine
Darlegung von 122. L. Mitteis, Aus den griechischen Papyrus-
urkur.den, Vortrag auf der 6. Versammlung deutscher Historiker zu
Halle, Leipzig 1900.
123. Biagio Brugi, I papiri greci d'Egitto e la storia del
diritto Rom., Atti del Reale Istituto Veneto LXI 1 S. 807—814
bespricht in ähnlicher Weise den Wert der Papyri für die rechts-
geschichtliche Forschung. Besonders beachtenswert ist der Hinweis
darauf, dali durch die Rücksicht auf die tatsächliche Praxis schon
lange vor Justinian viele Einschiebsel oder Korrekturen an den
geläufigsten Juristentexten veranlaßt wurden, welche Justinian dann
in sein Corpus mit aufnahm. Er verweist u. a. auf Wenger, Zur
Lehre von der actio iudicati. Graz 1901.
124. Roberto de Ruggiero**), II diritto Romano e la
papirologia. Bull. XIV (1901) hat sich das Verdienst erworben, die
*) Vgl. den Bericht von Viereck in Bd. 131 [W. K.].
**) Hier sei zu unserem letzten Bericht nachgetragen P. Bonfanto e
R. de Ituggiero, La Petizione di Dionysia, Bull. XIII fasc. 1, 33 S.
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Vertragsurkunden u. ä.
gesamte Literatur zusammenzustellen, soweit sie die Papyri
betrifft. Nachdem er zuerst die wichtigsten allgemeinen Werke be-
sprochen, welche die Einführung in die Papyruskunde oder die
einschlügige Paläographie betreffen, bringt er auf zwölf Seiten zuerst die
Schriften, welche über den Inhalt der einzelnen Sammlungen (1. London,
2. Oxford, 8. Dublin, 4. Berlin usw.) orientieren, sodann ein alpha-
betisches Verzeichnis von erläuternden Abhandlungen, welches
nach WklPh. 190* S. 538 N. Hohlwein in Bullet. Helge 1902
S. 438 vervollständigt. — Dazu neuerdings P. Viereck, Bericht über
die griech. Pap.-Urk. 1899 bis 1905 indiesem Jhber. CXXXI 36 ff. —
Mitteis, Neue Urkunden. Sav.-Z. XX VII 340 ff.
125. E. Costa, Le locazioni dei fondi nei papiri greco-egizi.
Roma, Ist. di dir. R. 1902. (S.-A. aus Bull.) Nach G. May, Nouv.
Revue XXVIII 453 ist besonders der Hinweis auf die Kautelen in
ägyptischen Papyri interessant, in denen der Verpächter eines Grund-
stücks, der dasselbe gegen Quotenabgabe (in der Regel 3'4) ver-
pachtet, dem Pächter (colonus partiarius) gegenüber sich ausbedingt,
daß er dxt'vSovo? irctvco? xivdovou sein sollte; nach röm. Recht gilt
nämlich (falls nicht Gegenteiliges vereinbart ist) der Rechtssaiz
(Gai. prov. 19, 2, 25, 6): partiarius colonus quasi societatis iure et
damnum et lucrum cum domino fundi partitur. G. May zitiert für
diese Papyri auch Wilcken, Archiv für Papyrusforschung, 1902
S. 128 — 139, ebenso Jouguet und Lefebvre, Bulletin de corre-
spondance hellönique 1902 S. 98—116. Letztere veröffentlichen
Papyri aus Magdöla, in welchen sich der Vorbehalt des dxtvSovov
ebenfalls findet, jedoch mit dem Zusatz hXtjv aßpo^oo xal xaxaßpoxoo.
Die Herausgeber setzen die letzterwähnten Papyri in das 3. Jahr-
hundert vor Chr.: damals also scheint in Ägypten schon ein ähn-
licher Rechtssatz gegolten zu haben, wie er oben aus Gai. angeführt
ist. Es ist vielleicht kein Zufall, dalJ die Stelle aus dem Kommentar
ad edictum provinciale stammt. —
126. E. Costa, Mutui ipotecari Greco-egizi. Estrato dal
Bull. XVII (1905) 9 S. bespricht einen griechischen Hypotheken-
vertrag aus Ägypten vom Jahre 153 n. Chr., welchen Vitelli schon
früher in Atene e Roma und neuerdings im ersten Heft der Papiri
fiorentini, die von der R. Accademia dei Lincei unter der Direktion
von D. Comparetti und G. Vitelli herausgegeben werden (Documenti
pubblici e privati d e 1 1' eta romana e bizantina a cura
di Girolamo Vitelli), abgedruckt hat und einen ebensolchen vom
Jahre 103, welchen Vitelli in Atene e Roma VI (1903) S. 383 ff.
besprochen hat. Durch beide wird der Pap. von Oxyrr. n. t506,
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54
W. Kalb: Römische Juristen.
Vol. III 232 ff. (vom Jahre 143 n. Chr.) noch klarer. Außerdem"
bespricht E. Costa ein 6r6jxvrJ}xa von Hermupolis aus der Zeit
Domitians , veröffentlicht von Breccia , Rendiconti della R. Accad.
dei Lincei, Gasse di sc. mor. stör, e filol. XIII Ser. 5, fasc. 5, 1904.
Es stellt dies eine Eingabe an die einschlägige Behörde dar zum
Zwecke der Verfolgung einer fälligen Hypothek, die zwischen
82 und 86 n. Chr. abgeschlossen wurde. Vf. erörtert im Anschluß
daran den Einfluß des römischen Rechts, welches sich auf der alten
Subscriptio praediorum aufbaute, auf das griechische Recht, das aus-
ging von der irpaat? ircl Xuaet, der sich zu zeigen scheint zwischen
der Zeit des letzterwähnten Hypothekenvertrags und den Jahren 103
bzw. 153. Einen Widerhall des Konflikts beider Rechte sieht Vf.
z. B. noch bei Marci. hyp. 20, 1, 16, 9. — S. Nachtrag.
127. E. Costa, *Sul papiro fiorentino num. 1, Roma, Ist. di rom.
1902, 7 S. (Separatauszug aus Bull.) ist besprochen von G. May in Nouv.
Revue XXVII 454 f., wo auch Mitteis, Sav.-Z. XXIII 300—304
als über die gleiche Sache sprechend zitiert wird. Der Papyrus be-
trifft einen Leihkontrakt vom 25. März 153 n. Chr., der ein Beispiel
von einer lex commissoria bietet. —
128. Grenfell und Hunt, die so große Erfolge auf dem
weiten Gebiete der Papyri erzielten, haben jetzt (nach Mitteis,
Sav.-Z. XXV 374—879) auch den Papyrus Cattavi in Alexandria
(vgl. diesen Jhber. LXXXIX 223) in befriedigender Weise entziffert;
Archiv f. Papyrusforsch. III 55. P. Meyer hat einen lehrreichen
Kommentar beigegeben. Der Papyrus enthält besonders Protokolle
über gerichtliche Verhandlungen, die das Eherecht der Soldaten be-
treffen.
129. U. Wilcken, Die Berliner Papyrusgrahungen in Herakleo-
polis Magna im Winter 1898/99. Archiv f. Papyrusforsch. II 294
bis 336. — Ders. hat nach Mitteis. Sav.-Z. XXV 374 im Archiv
f. Papyrusforsch. III 244 f. eine griechische Urkunde aus dem Jahre 168
n. Chr. (— Pap. Lond. 470, Kenyon II 212) entziffert: eine Frau
(Römerin) erläßt unter Beizichung eines tutor mulieris mit Ge-
nehmigung ihres gräkoägyptischen Mannes einem Schuldner eine
Stipulationsschuld.
130. * Zitiert seien noch folgende Titel : 0. G r a d e n w i t z ,
Zwei Bankanweisungen aus den Berliner Papyri. Archiv für Papyrus-
forschung 11 (1902) S. 96 — 116. — L. Mitteis. Adoptionsurkunde
vom Jahre 381 n. Chr., ebenda III 173—184 (1904). — Derselbe,
Über die Freilassung durch den Teileigentümer eines Sklaven, ebenda
III 252—256. — L. Mitteis und U. Wilcken, P. Lipsiensis 13,
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Die beiden Juristenschulen.
— Manilius.
55
ebenda III 106 — 112. — J. C. Naber, Observatiunculae ad papyros
iuridicae, ebenda II 32 — 40 nnd III 6 — 21. — J. Nicole, Compte
d'un soldat romain, ebenda II 63 — 69. — R. deRuggiero, I papiri
greci e la stipulatio duplae, ebenda (vgl. u. Nr. 226). — R. di
Rnggiero, Studi papirologici sul matrimonio e sul divorgio nell' Egitto
Greco-romano. Bull. XV 104 ff. , 180 ff. (1903), besprochen von
J. Declareuil, Nouv. Revue XXIX 679—684. — L. Wenger,
Zu den Rechtsurkunden in der Sammlung des Lord Amherst, Archiv
f. Pap. II 41 — 62. — L. Wenger, Rechtshistorische Papyrus-
studien, besprochen im Litt. Centralbl. 50 (1902) S. 1684 f. —
L. Wenger, Rechtsurkunden aus Tebtynis, Arch. f. Pap. II 483
bis 514. — U. Wilcken, Papyrus-Urkunden. Arch. f. Pap. II 117
bis 147 (bespricht verschiedene Schriften über Papyrusforschung).
III. Die einzelnen klassischen Juristen.
a) Sabinianer und Proculianer.
131. Giovanni Baviera, Sul nome dei Proculiani e dei
Sabiniani (in Studi di diritto Romano pubbl. in onore di Vitt. Scialoja,
Milano 1905, II 759) zeigt (nach Caillemer, Nouv. Revue XXIX 689),
daß der Name Sabinianer neuer ist und die Klassiker immer (?) von
Cassianern sprechen (vgL Kipp, Sav.-Z. XXI 392 ff. , angezeigt in
diesem Jhber. CIX 34).
132. Ed. Wölfflin, Beiträge zur lat. Lexikographie (Sitzungsb.
der Akad. der Wiss., München 1900, lieft 1) ist geneigt, den Namen
unserer Spezereihandlungen auf die Prokulianer zurückzuführen,
welche bei der Spezifikation als species Wein, Öl und Mehl (soweit
man bei frumentum an Mehl denken darf) nennen; auch weiterhin
werden species besonders durch Spezifikation entstandene Artikel
genannt. Doch hat zur schließlichen Bedeutungsannahme für species
auch der Zolltarif beigetragen, der die einzelnen Nummern als species
bezeichnet, eine Bedeutung, die dann auch auf andere Handelsartikel
überging. Besonders die Wohlgerüche werden hier erwähnt.
b) Manilius.
133. 0. Hirsch feld, Sitzungsb. der Berliner Akad., 1903
S. 2 ff. hat (vgl. L. M(itteis), Sav.-Z. XXIV 419 ff.) die Worte bei
Pomp. ench. 1, 2, 2, 39 et extant Volumina (in)scripta Manilii monu-
menta" erklärt und geklärt durch den Hinweis auf Cic. Rep. 2, 14,
26, wo der jüngere Scipio Afr. von König Numa sagt: „idemque Pompilius
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W. Kalb: Römische Juristen.
animos propositis legibus his quas in monumentis habemus,
ardentes . . cupiditate bellandi religionum caerimoniis mitigavit". Da
Cicero unmittelbar nachher den Juristen M. Manilius redend ein-
führt , so dürfen wir wohl bei den monumenta in Cic. Rep. an das
Werk des Manilius denken, das bei Pomp. ench. erwähnt ist. Offen-
bar haben also die Monumenta des Manilius (nach Hirschfeld) die
Gesetze des Numa enthalten, wenn auch nicht diese allein, sondern
daneben vielleicht auch wissenschaftliche Erörterungen. Vgl. oben
Nr. 41.
c) Celsus.
184. H. Erman, P. Juventius Celsus und das Kammergericht.
Zeitschr. f. d. Privat- u. öff. Recht XXXI 569—588.
Zwei Kammergerichtsurteile, welche Testamente für ungültig er-
klärt haben infolge von allzuwörtlicher Interpretation des B.G.B.,
würden nach E. seitens des Juristen Celsus wohl eine ähnliche Kritik
erfahren, wie er sie als Antwort auf die berühmte Quaestio Domitiana
gibt (Dig. 28, 1, 27): aut non intellego quid sit de quo me con-
sulueris, aut validc stulta est consultatio tua: plus enim quam ridi-
culum est dubitare, an aliquis iure testis adhibitus sit, quoniam idem
et tabulas testamenti scripscrit. Denn in seiner Antwort zeigt sich
Celsus als Todfeind des Formalismus, wie Vf. in seiner neuen Er-
klärung der Stelle zeigt. — Ein Satz des Sabinas, der bis auf
Celsus allgemeine Geltung hatte, und den Celsus natürlich gut
kannte, besagte (D. 28, 1, 21, 2): In testamentis, in quibus teste*
rogati adesse debent, ut testamentum riat, alterius rei causa
forte rogatos ad testandum non esse idoneos placet. Als nun
einmal ein Testament angefochten wurde, weil man einen Mann als
einen der Zeugen hatte unterschreiben lassen, qui alterius rei causa
(nämlich zum Zweck des Schreibens) beigezogen worden war, mögen
die Interessenten sich an Celsus gewendet haben. Dem Celsus schien
es ungerecht, wegen einer so geringfügigen Sache ein Testament um-
zustoßen; und da er anderswo sagt ius est ars aequi et boni, „so
wird es nichts als ein Mittel zum Zwecke, ein bloßer Kunstgriff sein,
wenn er sich hier dumm stellt und grob wird". Die an ihn ge-
richtete Frage hatte gelautet: Quaero an testium numero habendus
sit is, qui cum rogatus est ad testamentum scribendum,
idem quoque cum tabulas scripsisset, signaverit. Celsus verdrehte
(nach E.) die Worte der Anfrage und ließ gerade das beiseite, was
den Fragesteller zu seiner Frage veranlaßt hatte; dafür spielte er
den ungenaueren Schluß aus „cum tabulas scripsisset", indem er sagt :
das Schreiben des Testamentes kann unmöglich jene schwere Folge
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Celsus. Julianus.
57
haben. Diese nicht ganz lautere Art , wie er dem Recht zum Sieg
verhilft, paßt nach E. ganz zum Charakter des Celsus, welcher als
Mitverschworener gegen Domitian „dem Domitian als dominus et deus
huldigte, sich als Spitzel ihm anbot, um dann unter immer neuen Vor-
wänden, ohne irgend jemand anzuzeigen, die Sache in die Länge und
sich selbst aus der Gefahr zu ziehen (Dio 67, 13)". Daß er jene
Anfrage, die doch im Sinne von Sabinus gestellt wird, „valide stulta"
nennt, hat seine Parallele in Vat. fr. 75. wonach Celsus eine andere
Meinung des Sabinus ut stolidam reprehendit. — Nach Celsus modifi-
zierte man dann (vielleicht durch die responsio Celsina veranlaßt)
den erwähnten Satz des Sabinus: Ulp. ad S. 28, 1, 21, 2 setzt die
Nota bei: Quod sie aeeipiendum est, ut, licet ad aliam rem sint
rogati vel collecti, si tarnen ante testimonium certiorentur. ad testa-
mentum se adhibitos, posse eos testimonium suum recte perhibere.
Daß diese Stelle mit Unrecht für ein Justinianisches Einschiebsel ge-
halten wurde, wird in einem Exkurs über certiorare gezeigt. — (Die
Erklärung E.s ist höchst einleuchtend bis auf die Annahme jenes
jesuitischen Kunstgriffes. Dieser ist aber wohl kein integrierender
Bestandteil der neuen Iuterpretation. Möglicherweise hat Celsus jene
Schulregel des Sabinus absichtlich mit Stillschweigen tibergangen,
weil sie auf den vorliegenden Fall gar nicht paßte : denn der scriba
ist vielleicht gar nicht alterius rei causa, sondern testamenti causa
rogatus. Alterius rei causa rogatus wäre etwa der Arzt, der natur-
gemäß sein Augenmerk auf etwas anderes als das Testament richtet
und deshalb testis non idoneus est. Ref.)
d) Julianus.
135. L. Boulard, * Salvius Julianus, son ceuvre, ses doctrines
sur la personnalite* juridique. These de Paris. 1903. Solche Disser-
tationen pflegen nichts Neues zu bringen.
136. Th. Mommsen, Salvius Julianus. Sav.-Z. XXIII (1902)
S. 54—60.
Am 9. Juli 1899 wurde in Afrika, in Sidi-el-Abiod, dem alten
Pupput, welches Mommsen als einen vicus des etwa 45 Milien ent-
fernten Hadrumetum, der Heimat Julians, betrachtet, die Inschrift einer
dem Julian zu Ehren von seinen Landsleuten errichteten Bildsäule
gefunden , aus der wir Julians genaue Namen und manches Neue
über seine Ämterlaufbahn erfahren. Sie ist von P. Gau ekler in
den Comptes-rendus der Pariser Acadöniie des inscriptions et belies
lettres, 4m* sörie, Band 27 (1899) S. 366 herausgegeben und lautet
nach Mommsen : L. Octavio Cornelio P. F. Salvio Juliano Aemiliano,
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W. Kalb: Römische Juristen
xviro, quaestori imp(eratoris) Uadriani, cui divos Hadrianus soli
salarium quaesturae duplicavit propter insignem doctrinam, trib(uno)
plebis, pr(aetori), praef(ecto) aerar(ii) Saturni, item mil(itari), co(n)-
s(uli) , pontif(ici) , sodali Hadrianali , sodali Antoniniano , cnratori
aedium sacrarum , legato imp(eratoris) Antonini Aug. Pii Germaniae
inferioris, legato imp. Antonini Ang. et Veri Aug. Hispaniae citerioris,
proco(n)s(uli) provinciae Africae, patrono d(ecreto) d(ecurionum)
p(ecunia) p(ublica). Julians Heimatgemeinde Hadrumetum ehrte
sich selbst und ihren Mitbürger, wenn sie ihm (in seinem Geburts-
dorfe ?) ein Denkmal setzte. Daß Julianus aus Hadrumetum stammte,
hat man bereits aus der Vita des Kaisers Julian erschlossen; wenn
freilich diese Vita die Clara Aemilia (Mutter des Kaisers) und deren
Bruder Salvius Julianus (wahrscheinlich Konsul 175) Enkel des
Juristen sein läßt, so hält Mommsen dies für einen Irrtum; es
waren (nach Eutrop. 8, 17) vielmehr Kinder des Rechtsgelehrten.
Was Mommsen von den einzelnen Ämtern sagt, die Julian bekleidete
(vgl. Kipp, Gesch. der Quellen S. 109), kann nicht alles angeführt
werden; auf die Zeit seiner Statthalterschaft in Germania inferior
geht die Inschrift aus den Rheinlandcn zurück Q. Aelio Egrilio
Euareto philosopho amico Salvi Juliani usw. bei Brambach 449, vgl.
Borghesi Opp. VU 532. — Fittings Ansetzung von Julians Konsulat
in das Jahr 148 (mit Borghesi), gegen welche Mommsen früher
Einwendungen erhoben hatte, hält er jetzt für gesichert, da er nach
der afrikanischen Inschrift nicht vor der Regierung von Marcus und
Verus zum Prokonsulat von Afrika gelangt ist. Nach der Vita des
Kaisers Julian wäre er noch ejn zweites Mal Konsul gewesen; das
hält Mommsen für höchst unwahrscheinlich; der ordentliche Konsul
des Jahres 175 P. Salvius Julianus ist allem Anschein nach (s. o.)
sein Sohn. Mommsen betrachtet das Reskript von Marcus und Verus
(Dig. 37, 14, 17) als einen Fingerzeig dafür, daß der Redaktor des
Edikts noch unter der gemeinsamen Regierung der divi fratres, also
vor 169, starb, weil die Kaiser sagen: sed et Salvi Juliani amici
nostri clarissimi viri hanc sententiam fuisse. Mit Recht sagt er
aber, daß dies nicht ganz entscheidend ist. Konnte man doch auch
aus Gai. Inst. 2, 280 scio tarnen Juliano placuisse, in eo legato quod
sinendi modo relinquitur, idem iuris esse quod in tideicommissis ;
quam sententiam et bis temporibus magis optinere video die Ver-
mutung schöpfen , Julianus sei bei Abfassung der Gaianischen Insti-
tutionen (161) bereits tot gewesen: die neugefundene Inschrift lehrt
uns, daß er nach 161 noch Statthalter in Spanien und Prokonsul
in Afrika war. Mommsen schließt: „Vermutlich starb er hochbejahrt.
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Julianus.
Ob das Denkmal von Pupput dem Julianus von den Hadrumetinern bei
seinen Lebzeiten gesetzt ist, als der berühmte Landsmann als Statthalter
in seine Heimat zurückkam, oder nach seinem Ableben, das, wie es
scheint, bald nachher erfolgte, läßt sich nicht mit Sicherheit entscheiden."
Mommsen glaubte, daß der Konsul des Jahres 148 auf einer
längst wieder verlorenen Inschrift*) (C. I. L. VI 375), bis 1899
der einzigen, welche den Vornamen des Konsuls 148 nennt, nur durch
ein Versehen des Abschreibers den Vornamen P. erhielt, während
die verlorene Inschrift selbst L. gehabt hätte, daß also jene Inschrift
ebenfalls von unserem Juristen spreche, der demnach 148 Konsul
gewesen sein müßte. Der Annahme eines solchen Abschreibe-
versehens gegenüber wies Girard schon in seinem Manuel4 S. 1072
auf ein neugefundenes Diptychon aus Ägypten hin, das er neuestens
im Anschluß an die Veröffentlichung durch S. de Ricci in Nouv.
Revue besprach (s. o. Nr. 120). Dieses, ein Auszug aus dem
standesamtlichen Register zu Alexandria von 148 n. Chr., gibt den
Namen des zweiten Konsuls viermal: zweimal auf den (ursprünglich
zugesiegelten) Innenseiten, auf denen die eigentliche Urkunde sich
befindet , und zweimal auf den Außenseiten , auf welchen hier wie
sonst der Inhalt noch einmal, größtenteils mit gleichen Worten wieder-
holt ist. Die beiden Innenseiten, in Wachs geschrieben und bis auf
ein paar Buchstaben sehr gut erhalten , lauten , soweit sie uns hier
interessieren, nach S. de Ricci folgendermaßen (wobei statt unseres
E und I in der Regel das Zeichen n, statt U ein V und die Wörter
nicht getrennt zu denken sind):
C • BELLICIO CALPURNIOJTORQUATO
C SALVIO IÜLIANO COS • III NON NOVEM
BRES • ANNO XII IMP CAESARIS T AE
LI HADRIANI ANTONINI AUG • PI
MENSE ATHYR die VII ALEXAnDRE
GYPTUM RESCRIPTUM ET RECOGNI
TI M FACTUM EX TABULA ALBI PROFESSI
ONUM LIBERORUM NATORUM QUA[EJTRAS
SKIPTUM-FUIT ID QUOD INFR ASRIPTUM
EST C • BELLICIO CALPURNIO TORQUA
(p. Ü) TO C SALVIO IÜLIANO COS ANNO XII IM
PERATOR CAESARIS T • AELI HADRIANI AN
TONINI AUG PI M PETRONIO HO
NORATO PRAEF. AEG. PROFEESSIONIS
LIBERORUM ACCEPTAE CITRA CAU
SARÜM COGNITIONEN! TABULA V ET
POST ALIA PAGINA III usw.
*) C • BELLICIO • TORQ . P • SALL . COS •
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60
W. Kalb: Römische Juristen.
Die Außenseiten sind mit Tinte geschrieben und weniger gut
erhalten. S. de Ricci sagt S. 485 von dem ganzen Diptychon : je ne
veux pas präsenter comme definitive une copie que j'ai <5t6 obligä
d'executer assez rapidement. — Auf den Außenseiten findet sich
das erstemal, beim Datum der Ausstellung des Auszugs aus dem
Familienstandsregister, beim Konsulat der Name P-SALVIO IULIANO,
das anderemal, bei der Wiedergabe der Worte des standesamtlichen
Registers, GSALVIO JULIANO. Auf den Innenseiten heißt der
Vorname beidemale Gaius. Nun glaubt Girard, daß der Vor-
name Gaius durch die" Erinnerung an den Vornamen des erstgenannten
Konsuls („G. Bellicio Calpurnio Torquato") dem Schreiber in den
Griffel gegeben worden sei, während das Richtige Publio sei. Die
neugefundene Urkunde würde also, wie Girard glaubt, die Richtigkeit
der von Mommsen verdächtigten Wiedergabe jener verlorenen Inschrift
beweisen. Da nun Mommsens Gründe für die Identität des Juristen
Julianus mit dem Konsul von 148 doch schwerer wiegen, so
ist Girard geneigt, zwei Vornamen für den Juristen Julianus
anzunehmen, wie man bei der Adoption zwei Namen hatte. Aber
dies ist schon an und für sich wohl unwahrscheinlich; außerdem
müßte der afrikanischen Inschrift bei dieser Annahme doch eine Un-
genauigkeit zugeschrieben werden, da sie bei ihrer Ausführlichkeit
beide Namen hätte nennen müssen. Geradesogut können wir an-
nehmen, daß die afrikanische Inschrift den Vornamen falsch gibt.
Wollen wir nun unter den drei Vornamen Publius, Lucius, Gaius den-
jenigen heraussuchen, der die größte Beglaubigung hat, so könnte
man zunächst auf Publius kommen, da dieser Name auf der Abschrift
der verlorenen Inschrift ebenso wie auf der Außenseite, d. h. der
Abschrift, des Diptychons vorkommt. Aber wägen wir die drei
Namen nach dem Wert ihrer Beglaubigung ab, so müssen wir das
Original der standesamtlichen Urkunde, d. h. die scriptura interior,
als das am besten beglaubigte Zeugnis erklären : die Wahrscheinlich-
keit scheint uns dafür zu sprechen, daß der Jurist den Vornamen
Gaius hatte, wenn er wirklich 148 Konsul war — und wenn auf
den Innenseiten der Urkunde wirklich Gaius, nicht Publius zu lesen
ist. S. Nachtrag.
Daß die scriptura exterior das erstemal den Vornamen P.
hatte, kann dagegen wohl überhaupt nicht in Betracht gezogen werden.
Bietet sie doch das erstemal sogar einen unrichtigen Vornamen des
Kaisers (IMP-CAESARIS L-AELI IIADRIANI ANTOXINI AUG-
PI) ! Die Außenseite wurde offenbar nicht so sorgfältig wie die Innen-
seite geschrieben und offiziell vielleicht gar nicht verglichen; sie
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Sextus Pedius.
t)l
war ja auch keine eigentliche Urkunde, sondern sollte nur den In-
halt der Urkunde angeben. Dagegen die eigentlichen standesamt-
lichen Urkunden, hier die Innenseiten des Diptychons, wurden wahr-
scheinlich auch zu Alexandria ähnlich wie bei uns mit besonderer Sorgfalt
geschrieben und mit dem Originale verglichen; ein Schreibversehen
wäre also auf den Innenseiten bei der Vergleichung entdeckt worden.
Ganz ausgeschlossen ist die Möglichkeit, daß der Schreiber der Innen-
seiten den Vornamen nicht gewußt hätte; denn er schrieb ihn täglich
vielleicht dutzendmale. Dagegen beim afrikanischen Stein ist Unkenntnis
des Vornamens ebenso leicht denkbar wie ein Versehen. Denn erstens
konnte sich der Magistratsbeamte, der die Inschrift entwarf, im Vor-
namen des Juristen irren. Zwar zog er offenbar an sicherer Quelle
über die Ämter des Juristen Erkundigung ein; aber sein Gewährs-
mann mochte die Vornamen, als selbstverständlich bekannt, un-
erwähnt lassen, und man sah sich deshalb in Iladrumentum auf
eigenes Wissen angewiesen. (Wie viele gibt es auch bei uns, welche
die Vornamen z. B. von Ministern nicht wissen!) Zweitens konnte
auch der Steinmetz aus Versehen in seiner Vorlage leicht statt C
ein L lesen. — Endlich die verlorene Inschrift hätte, auch wenn die
Abschrift mit dem Vornamen P. als richtig angenommen würde, schon
wegen des zweiten Fehlers Sali, statt Salv. geringere Beweiskraft.
Außerdem war nichts leichter denkbar als eine Verwechslung der Vor-
namen von Vater und Sohn: der Vater des Juristen hieß Publius,
vermutlich auch sein Sohn (s. oben S. 58).
e) Sextue Pedius.
137. Girard, L'ödit perpötucl (s. Nr. 91a) S. 159 hält die
Meinung von P. Krüger (die auch Kipp, Gesch. der Quellen, 2. Aufl.,
S. 110 Nr. 95 übernommen habe) nicht für einwandfrei, wonach der
Ediktskommentar des Pedius zwischen die Digesten des Julianus und
den Ediktskommentar des Pomponius falle. Denn Paul. ed. 4, 8,
32, 16 Julianus impune non pareri (dicit) . . . Idem Pedius probat
(Mo. : Pedius id improbat) scheint ihm nicht beweisend.
Dagegen könne Sextus Pedius nicht nach Domitian angesetzt
werden, weil Valerius Probus die Abkürzung aufweist S. P. M. Sexti
Pedii Medivani, die man nicht auf einen anderen Pedius beziehen
kann, und weil Val. Probus, wie G. in einer ausführlichen Note be-
gründet, spätestens bis in die Zeit Domitians schriftstellerisch tätig
war. (Aber sollte S. P. M. wirklich, wie die Iis. gibt , Sexti Pedii
Medivani bedeutet haben? Das scheint uns im Hinblick auf den
Zusammenhang sowie den Zweck der Noten ganz unwahrscheinlich. Ref.)
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<i2
W. Kalb: Römische Juristen.
f) Gaius.
138. Gai Institution am commentarü quattuor. Separatim
ex Jurispr. anteiustin. reliquiarum a Ph. Ed. Huschke compositarum
ed. sexta ed. E. Seckel et B. Kuebler. Leipzig 1903, ist von
uns bereits in BphW. 1904 S. 877 besprochen. Dem Hinweis auf
die Vorzüge der Ausgabe stehen nur wenige Ausstellungen gegenüber.
139. Gailnstitutiones — with a translation and commen-
tary by the late E. Poste. 4th ed., revised and enlarged by
E. A. W h i 1 1 u ck. With an historical introduction by J. G r e e n i d g e.
Oxford 1904.
Ein eigenartiges Werk, das für die Einführung in die Anfangs-
gründe des röm. Rechtes ganz besonders geeignet ist. Es wird
immer zuerst ein Kapitel (Rubrica) aus Gai. Inst, (das entweder nur
einen Paragraphen umfaßt, in der Regel aber mehrere, einigeraale
über 30 Paragraphen) auf der einen Halbseite in lateinischem Text
nach Krüger -Studemunds letzter Ausgabe, auf der anderen Seite in
englischer Übersetzung gegeben. Daran schließt sich eine Erklärung
des Absatzes, welche die im Texte vorkommenden Regeln gründlich,
oft sehr ausführlich, erläutert und die vorkommenden Begriffe be-
spricht und gelegentlich auch zweckmäßige Exkurse macht: z. B. zu
1, 7 (Ilesponsa prudentium sunt usw.) ist auf vier Seiten eine kurze
Geschichte der röm. Rechtslitteratur bis auf Modestin gegeben. Diese
Art der Darstellung scheint eine nicht zu unterschätzende didaktische
Bedeutung zu haben. Denn die Erläuterungen geben vielfach Antwort
auf Fragen, die sich der anfangende Leser des Gaius selbst vor-
legt; sie kommen also dem Interesse entgegen: gar mancher wird so
Kenntnisse in sich aufnehmen, die er der systematischen Darlegung
unserer Institutionenwerke infolge mangelnden Interesses nicht ab-
gewinnen würde. Da das Werk Anfänger in die röm. Rechtswissen-
schaft einführen will, war es nicht immer nötig. Streitfragen der
modernen Gelehrten zu erwähnen oder die eigene Auffassung zu be-
gründen. Z. B. zu 1, 5 (S. 6) ist bemerkt In the time of Gaius they
(edicta principum) had only binding force during the life of the
emperor who issued them, requiring the confirmation of Iiis successor
for their continuing validity . . Hier ist z. B. Tu. Kipp anderer
Meinung (Gesch. der Quellen des r. Rechts2 S. 61); Proculus wird
S. 11 Sempronius Proculus genannt, obwohl heute nur wenige die
Grundlage für diese Annahme als haltbar erklären werden. Wo es
nötig scliicn, ist dagegen eine solche Meinungsverschiedenheit auch
wohl angedeutet. — Die historische und rechtsgeschichtliche Ein-
leitung auf S. IX— LV ist ein Zusatz der neuen Auflage, den
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Gaius. 63
J. Greenidge verfaßte. Damit beginnt das Werk , wenn wir
uns nicht irren, seine eigenartige Methode zu verlassen, um in die
ausgetretenen Bahnen der systematischen Institutionenwerke einzu-
lenken. Wenigstens enthält der neue Anbau manches, das in anderer
Form im alten Gebäude sich auch schon findet , wenn auch etwas
kürzer oder anders; vorsichtiger als an der oben angeführten Stelle
(S. 6) heißt es S. XLV11 : An edict of an emperor did not necessarily
bind his successors ; but, if usw. — In den Bemerkungen über Leben
und Werke des Gaius (S. LIII — LV) wird Berücksichtigung der
neueren Litteratur und des Jahresberichtes für die klassische
Altertumswissenschaft vermißt.
Zur Gaiusparaphrase von Autun.
140. Fragmenta interpretationis Gai institutionum
Augustodunensia post Aemilii Chatelain et Pauli Krueger curas
ediderunt C. Ferrfni et V. Scialoja. Roma 1901 (Estratto dal
Bull. XJTI fasc. 1).
141. R Krüger, Der Kommentar zu Gai Institutiones in
Autun. Sav.-Z. XXIV 376—408.
Die 1899 gefundene Gaiusparaphrase, die sich auf 15 in Autun
und 4 in Paris aufbewahrten Palimpsestblättern befindet, und deren
erster Abdruck in Krügers Ausgabe des Gaius ist in diesem Jhber.
C1X 37 f. besprochen. Nach 1900 erschien die neue Ausgabe von
Ferrini und Scialoja, die sich auf Photographien stützt, welche
der Entdecker der Handschrift, E. Chatelain, den beiden italieni-
schen Gelehrten zur Verfügung gestellt hatte. Diese italienische Aus-
gabe bot für P. Krüger das handschriftliche Material zu einer Neu-
bearbeitung in der angeführten Abhandlung. Die neue Ausgabe weist
zwar zuweilen in weiten Lücken eine Silbe oder ein paar Wörter
mehr auf als die frühere, und bei engeren Lücken sind zuweilen sogar
so viele Silben neu entziffert, daß man in Versuchung kommt, sie
durch eine Konjektur zu überbrücken; aber wirklich ausgefüllt ist
noch keine Lücke so , daß wir neuere Ergebnisse für die römische
Rechtsgeschichte gewinnen könnten. Zu diesem Behuf müßte erst ein
Gelehrter von Studemundscher Art über die Handschrift selbst kommen,
welche durch Photographien eben doch nicht völlig ersetzt werden
kann. Vielleicht unternimmt dies einmal V. Scialoja. Zwar glaubt
ein Kenner wie P. Krüger, daß die Bedeutung des Werkes eine der-
artige Genauigkeit nicht rechtfertige; sein wissenschaftlicher Wert
stehe erheblich hinter den „sonst nächstverwandten u Interpr. zu Cod.
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04
W. Kalb: Römische Juristen.
Th. and Paul. Sent. sowie hinter dem Institutionenkommentar des
Theophilus. Aber wenn Ref. den Gaius Aug. in den neuen Ausgaben
vergleicht mit dem drei Jahre früher vorliegenden , so gewinnt er
den Eindruck, als wenn jenes barbarische Gewand doch schon an manchen
Stellen vermodert zusammengefallen wäre, um unter der schlechten
Hülle allmählich einen besseren Kern hervorschimmern zu lassen.
So wird sich vielleicht auch das Urteil auf S. 406 weiterhin noch
etwas milder gestalten: „In einigen Erläuterungen gehen die selb-
ständigen Gedanken des Vf. fehl. So bei der Erklärung des Ver-
kaufs nummo uno an den Universalfideikommissar (Gai. Inst. 2, 252) :
in Erinnerung daran, daß Gaius die mancipatio als Scheinkauf be-
zeichnet (Inst. 1, 113. 119), und daß diese auch als mancipatio
nummo uno verwendet wurde . . ., gestaltet er den Verkauf zwischen
Erben und Fideikommissar zur mancipatio nummo uno. Noch gröber
ist das Mißverständnis in § 6. 7 [so dürfen wir wohl lesen statt 67], daß
die generelle Erteilung des römischen Bürgerrechtes nur als ins Latii
in Frage komme." — Die Ausgabe der Gaiusparaph rase in Girards
Textes gründet sich auf die eben besprochene.
142. V. S cialoja, „Sulla noxae deditio" del cadavere. Breve
nota ai framm. d'Autun. Roma, Pasqualucci 1901. 5 S. (Estratto
dal Bull. XIII fasc. 1.)
143. Derselbe, L'abuso della consegna nossale da parte dello
schiavo. Roma 1901. 7 S. Rivista Italiana di sociologia V
fasc. III) zeigt unter Hinweis auf afrikanische Völker, zu welchem
Mißbrauch die Noxae deditio führen kann. In Chartum braucht ein
Sklave, der mit seinem bisherigen Herrn unzufrieden ist, blofs einem
Kamele des erstrebten neuen Herrn ein Ohr abzuschneiden, so wird
er dessen Sklave ; in Futatoro kann er auch dem gewünschten Herrn
selbst ein Ohr abschneiden (was freilich einem schlechten Witz sehr
ähnlieh sieht), und er wird sofort dessen Sklave. Die Wieder-
einlösung solcher Sklaven durch den früheren Herrn ist außer-
ordentlich schwierig. Solchem Mißbrauch kamen die Römer dadurch
zuvor, daß sie die noxae deditio mortui gestatteten. Hiertiber klärt
uns die Gaiusparaphrase von Autun näher auf. Ein Sklave, der
wußte, daß er dem gewünschten Herrn vielleicht erst werde aus-
geliefert werden, nachdem er selbst zu Tode gepeitscht sei, hütete sich
wohl, eine solche Schikane zu beginnen. Da bei Tieren eine so bös-
willige Absicht nicht angenommen werden kann, fällt bei ihnen
auch die deditio cadaveris weg. — Vielleicht hatte nach Sc. die Aus-
lieferung des Leichnams ursprünglich den Zweck, den Geschädigten
noch am Leichnam seine Rache ausüben zu lassen. — Besonders er-
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GaiuB.
05
wähnenswert ist auch der Hinweis auf Liv. 8, 39, 14; 9, 1, 6 ff.,
wonach die aufständischen Samniter durch Auslieferung vom Leich-
nam des Rädelsführers Genugtuung leisten wollten. Danach wäre also
die Noxae deditio im Privatrecht vielleicht aus dem altitalischen
Völkerrecht entstammt ; in der ältesten Zeit zählte ja oft eine Familie
nicht viel weniger Köpfe als ein „populus".
144. * Zitiert sei F. Buonamici, Un* altra nota aggiunta a
quelle di C. Ferrini e di V. Scialoja per la interpretazione dei
frammenti d' Autun, Bull. XIII (1901) S. 294—299.
145. In der Frage, ob Gaius noster (gemeint ist hier Gaius
Cassius) bei Pomp, ad Muc. 45, 3, 39 Justinianische Interpolation
sei, oder ob Justinian in seinen Institutionen den Ausdruck Gaius
noster (Just, nennt den Institutionenverfasser so) vielmehr aus jener
Pomponiusstelle sich angeeignet habe, stellt sich Th. Kipp, Gesch.
der Quellen S. 111 A. 1 auf die Seite derer, die das erstere an-
nehmen (Lenel Paling. II 72, Seckel und Kübler, Ausgabe des Gaius
S. 3); wir sehen aber keinen Grund für eine solche Interpolation,
während Justinian in seinen Institutionen auch sonst zuweilen von der
Ausdrucksweise der klassischen Juristen sich beeinflussen ließ.
Gegen die Ansicht, daß die Werke des Gaius Neubearbeitungen
von Werken des Gaius Cassius seien (vgl. diesen Jhber. LXXXIX
232, CIX 40), bringt Th. Kipp, Gesch. der Q. S. 113 verschiedene
Gründe vor, darunter zwei von schwererem Gewicht: 1. es wäre kein
Grund abzusehen, weshalb der Neubearbeiter (um 161) sich unter
die Anonymität versteckt hätte (aber wahrscheinlich war der Xeu-
bearbeiter gar kein wissenschaftlich bedeutender Jurist — die Über-
arbeitung, d. h. der Gaius in seiner jetzigen Gestalt wird ja auch
von keinem Juristen genannt — , sondern nur ein praktischer Kopf,
der absichtlich spitzfindigen Fragen aus dem Wege ging und nur
lehren wollte, was man „fürs Haus braucht"), und 2. es wäre un-
verständlich, weshalb er den Gaius Cassius in seinen eigenen Werken
nicht auch Gaius, sondern Cassius nannte. Aus diesem Einwand er-
gibt sich jedenfalls als sicher, daß der vermutete Neubearbeiter um 161
selbst nicht gewußt hätte, daß Gaius und Cassius identisch sind. Er
konnte zwar seine Ergänzungen zum alten Werke einfach aus anderen,
nachcassianischen Schriften nehmen, ohne etwas zu ändern ; aber wer
an der ursprünglichen Identität des Gaius mit Cassius auch weiterhin
festhalten wollte, müßte dafür in Anbetracht von solchen Einwendungen
noch mehr positive Gründe finden, als bisher vorgebracht worden sind.
J»hre«btricht für Altertumswissenschaft. Bd. CXXXIV. (19W. II.) 5
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6(3 W. Kalb: Römische Juristen.
Zu einzelnen Stollen von Gai. Inst.
146. Ehrlich, Die Anfänge des testamentum per aes et libram.
Bericht, erstattet dem Historikerkongreß in Rom, rechtshistor. Ab-
teilung, 1903, S. 11 scheint nach Nouv. Revue XXIX 413 ff. die Dar-
Stellung des Gaius Inst. 2, 103 (olim familiae emptor <v heredis
locum optinebat usw.) nicht für historisch zu halten.
147. Graden witz bezeichnet in der Festschrift der jur.
Fakultät zu Königsberg für J. Th. Schirmer zum 1. August 1900
nach II. Krüger Sav.-Z. XXIII 485 Gai. Inst. 2, 66—79 als ein
Gaianisches Einschiebsel in die ursprüngliche Vorlage, durch dessen
Ausschaltung das Einteilungsprinzip in res mancipi und nec mancipi
klar hervortritt, so daß eine Umstellung der Paragraphen unnötig ist.
148. P. Krüger, Zur Stellung von Gai. 2, 62—64, Sav.-Z.
XXII (1901) S. 49—51 verteidigt die Umstellung der §§ 62 — 64
hinter § 79, die er in seiner Ausgabe nach dem Vorgang Heimbachs
vorgenommen, gegen Gradenwitz, obwohl er Mommsens Annahme, die
Paragraphen seien ein späterer Nachtrag des Gaius (vielleicht zu
seiner Quellschrift), nicht ganz ablehnen will.
149. J. C. Naber, Observ. de iure Romano LXXXIX. De
pignoris historici origine (in Mnemosyne XXXI 211 — 233) bespricht
nach WklPh. u. a. auch Stellen aus Gaius.
Senn, Le Nexum (s. o. Nr. 62) bespricht verschiedene Gaius-
stellen, die mit der legis actio per manus iniectionem in Zusammen-
hang stehen, z. B. Gai. Inst. 4, 21.
S. Schloßmann, Litis contestatio S. 49 ff. (s. o. Nr. 104)
faßt bei Gai. Inst. 4, 30 Per legem Aebutiam <v effectum est, ut
per concepta verba, id est per formuias, litigemus die Worte concepta
verba — „nachgesprochene Worte", indem er vota concipere u. a.
Ausdrücke herbeizieht. Wie er sich das „Nachsprechen" denkt, ist
oben S. 45 gezeigt. [H. Krüger (s. o. Nr. 104) übersetzt v. c.
„zusammengefaßte Worte"; aber es ist nicht einzusehen, weshalb
concipere hier etwas anderes als sonst bei den Juristen bedeuten
soll; per verba conc. bedeutet eben „mit formulierten Worten". J Auf
der angenommenen Bedeutung von conc. baut Schi, sofort noch weitere
Hypothesen auf : vielleicht hat auch das furtum conceptum (Gai. Inst.
3. 183 ff.) von einem formellen zweiseitigen Verbalakt, der mit dem
Suchen mit lanx und licium verbunden war, seinen Namen (hier
drückt sich Vf. freilich recht vorsichtig aus), und auch das receptum
argentarii könnte von einem solchen zweiseitigen Akt, der etwa die
Form hatte: „Recipisnett und „Recipio" seine Bezeichnung erhalten
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Venuleius Saturninus u. Claudius Saturninus. Papinianus. Ulpianus. 67
haben. Hier ihm weiter zu folgen, verbietet die Grenze unseres Be- •
richterstattungsgebietes.
Über die westgotische Gaiusbearbeitung s. u. — Über Scaevola
s. Nachtrag.
g) Venuleius Saturninus und Claudius Saturninus.
Th. Kipp, Gesch. der Quellen S. 117 hält den Schluß, den
wir mit Kariowa aus der Wendung Venul. stip. 45, 1, 188 pr. Procains
et ceteri diversae scholae auctores zogen, als wäre demnach Venuleius
zu den Sabinianern zu rechnen, nicht für ganz glatt.
h) Papinianus.
Nikolsky rekonstruiert in der unter Nr. 81 erwähnten Schrift
die Rede des Kaisers Sept. Severus, die er (206) im Senat über
Konvaleszenz der Schenkungen zwischen Ehegatten hielt. Diese er-
weist sich deutlich als von Papinian verfaßt durch vita decedere
Dig. 24, 1, 82, 14 (Kalb, Bekannte Federn — Commentationes Wölffli-
nianae S. 332) und concordium Dig. 24, 1, 8 pr. (vgl. Leipold,
Sprache des Jur. Papinianus S. 48 Anm. 3), welches Nikolsky S. 299
wohl mit Recht als Afrizismus erklärt, da dieses Neutrum sonst bis-
her nur auf einer afrikanischen Inschrift nachgewiesen ist. (Doch
vgl. discordium bei Calpurnius Siculus 1, 57.) — Wenn Ulpian den
Papinian als Verfasser der Rede kannte, so erklärt sich daraus, daß
er die Rede bald dem Sept. Severus zuschreibt (Ulp. ad. S. 24, 1, 23),
bald dem Caracalla (Ulp. ad S. 24, 1, 82, 1); vermutlich hat
Papinian sie nicht nur verfaßt, sondern auch im Senate vorgelesen.
i) Ulplanus.
150. Otto Lenel hat neue Bruchstücke aus einem Juristen,
wie er überzeugend nachweist , aus Ulpians Disputationen,
auf einem halb zerstörten Pergamentblatt entziffert, welches die Straß-
burger Universitäts- und Landesbibliothek unter anderen ägyptischen
Stücken erworben hat. Lenel hat den Fund in den Sitzungsberichten
der Berliner Akademie 1903 (XL1 922 ff. nebst Nachtrag im gleichen
Band S. 1034 — 1035) unter Beigabe eines Lichtdruckes eingehend be-
sprochen und hat den Text auch weiterhin in der Sav.-Z. XXIV 416 be-
kannt gegeben. Das Blatt war in zwei Kolumnen beschrieben: von
der äußeren Kolumne haben sich nur die Anfangsbuchstaben bzw. die
letzten Buchstaben (oder Worte) von sieben Zeilen erhalten; die
wenigen Reste von zwei Zeilen lassen Ulp. disp. 27, 8, 2 erkennen
und beweisen, daß diese Digestenstelle von Justinians Räten gekürzt
5*
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08
W. Kalb: Römische Juristen.
ist. Die inneren Kolumnen sind fast vollständig erhalten. Lenel
liest die eine:
facit, tunc eum et sequenti condemnandum: sie fieri, ut sua, inquit,
culpa ah altera hona eius veneant aut, ut quibusdam, inquit, videtur,
ducatur. sed venu« est nec post condemnationem maritum facile duet
| [ 1 1 1 1 1 nec ducitur nudus. sed melius est sie dicere utriusque rationem
habendam, etiamsi altera postea litem sit contestata, ut post condem-
nationem alterius in bonorum venditione aequas partes ferant, cum sine
metu vinculorum sit futurum, si&ique injwtet, qui poterat se liberare
a sequenti condemnatione, si 9atis fecisset priori sententiae. — Marcellus
tarnen libro VII digestorum putat, si haec fuit patrimonii qualitas, ut
difficile esset explicari pecunia, aequissimum esse, etiamsi sequenti fuerat
condemnatus, denegari sequenti iudicationem aut certc . . .
Die erhaltene Kolumne auf der anderen Seite des Pergament-
blattes liest Lenel:
(ita demum excussis)facultatibus tutorum satis ei fieri non potuerit,
eamque actionem causa cognita in eos dandam scribü (sc Ms.; vgl. Lenel,
Sav.-Z. XXV 374) divumque Pium rescripsisse et in heredes eorum
ttidem causa cognita, quamvis Julianus in heredem magistratus non
putaverit tribuendam actionem, cum idem heredem iurftet«, qui litem suam
fect'aset, teneri existimaverit. sed utrumque contra est, cwm heres magi-
stratus teneatur et iudicis non teneatur. et magistratus [ | [ non ut tutorea
tenentur: denique in bonis eorum Privilegium cessare proeul dufeio est.
| quaestionis fuisBe, ut sponsores an potius ut fideius«ores deberent
teneri. et Julianum quidem ut fideiussores conveniendos putasse, Mar-
cellum vero magis sponsorum locum optinere apud Julianum notare.
Marcelli sententiam ratione iurari negari non posse : sufneere enim, si in
locum eorum succedant, quos aeeipi neglexerunt uel quos minus idoneos
aeeeperunt.
151. Weiterhin erwarb die Straßburger Bibliothek zwei Pergament-
fetzen , einen großen und einen ganz kleinen , die offenbar zu der
gleichen Handschrift gehörten. Ausführlich hat diese neuen Bruch-
stücke aus Ulpians Disputationen Lenel besprochen in den
Sitzungsberichten der Berl. Akad. 1904 S. 1156, wo sie auch im
Lichtdruck reproduziert sind ; kürzer Lenel, Sav.-Z. XXV 368 — 374.
Auf dem kleineren Fetzen sind auf jeder Seite nur Stücke von etwa
15 Wörtern erhalten, die auf der einen den Zeilenaufang , auf der
anderen den Zeilenschluß bilden. Die eine ergänzt Lenel so : sed et
si duo sint fruetuarii vel bonae fidei possessores , alierwn conventum
alterum liberare Jtdianus ait, quamvis non maiom peetdii quam penes
eum (geändert aus se) est, condemnari debeat. Sed licet hoc iure
exmtingat, tarnen aequitas dictat resciasoriuw tutfreium in eos dari,
qui occasione iuris liberantur. Es entspricht dies der Digestenstelle
ülp. disp. 15, 1, 32 pr. Das Interessante an der Sache ist, daß man
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Ulpianus.
69
die Digestenstelle neuerdings von verschiedenen Seiten für „inter-
poliert" durch Justinian erklärt hatte; der Pergamentfetzen beweist die
Echtheit, und der Fund verstärkt also die Seite derer, die zur Vor-
sicht in der Annahme von Interpolationsvermutungen rieten.
Die Rückseite dieses kleineren Stückes enthält nach Lenel die
Worte
conventus e
mque tractat
Pomponius ad
t in pe
renditor conve
7icet condemna«
rem consu
Ulpian erörterte nach Lenel die Frage, wie dem Gläubiger zu
helfen sei, der durch erfolglose Klage gegen den Verkäufer des
Sklaven die actio de peculio auch gegen den Käufer verloren hat#
Das größere Stück liest Lenel, unter Hinweis auf das Proble-
matische der Ergänzungen, so:
*
pignolris dandi in Italia contra
ctus est, sed si pigmis in Italia con
fractum est, hoc est conven
fio de pignore: ut in Furi
a lege spectamus ubi spotwor
acceptus est, non ubi 6h\\ga
tio confracta, cui sponsus acce
cht. Denique ex duobus
sj>onsoribus, quorum alter in Italia
alter in provincia acceptus est
ettm rfemum relevat qut
ifalicus est.
Si in Italia pignus dafuro est,
convenit tarnen, ut in provw
cia solvatur, puto nomine et«* ex
ceptionem locum habere: sed in
provincia datum [st] convenertf
ixt in Italia solvatur, magis
Italicum pignus tndebitur.
Unde si renovata pactione
licet in provincia heres re
dement, cessare exceptionem
p/ncet: e contrario si re
dement exceptionem lotwm
Äaoituram.
Nam si Romae pignus ac
ceptum sit, in provincia eadera res.
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70
W. Kalb: Römische Juristen.
Die Exceptio, welche hier erwähnt wird, ist nach Lenel die
exceptio longae possessionis , die der heutigen sog. Ersitzung der
Pfandfreiheit entspricht. (Vgl. Ulp. disp. 44, 3, 5, 1.) Wir er-
fahren die neue Tatsache, daß bei beweglichen Pfändern jene
Exceptio nur stattfand , wenn die Verpfändung in der Provinz er-
folgt war. — Vgl. neuerdings Lenel, Sav.-Z. XXVII 71 — 82.
Da auf der Rückseite dieses Stückes Lenel in seinen Ergänzungen
größere Lücken läßt, so wird das bisher Abgedruckte wohl hin-
reichen, um die Art des neuen Fundes zu kennzeichnen. Lenel hofft
auf Erwerb noch weiterer Stücke von jener Handschrift von Ulpians
Disputationes, zu der die neuen Funde einst gehörten.
152. Nach der Art, wie bei Ulp. ed. die Kaiser zitiert sind
(z. B. divus Severus, oder imperator Severus), nahm man an,
daß Ulp. von seinem Ediktskommentar zu Lebzeiten des Severus
einen ersten Entwurf fertigte, und daß bei der Schlußredaktion unter
Caracalla aus Versehen einige Hinweise auf Severus als einen Lebenden
stehen blieben. Th. Kipp, Gesch. der Quellen S. 122 Anm. 53
vermutet, daß das ganze Werk von Ulp. zweimal herausgegeben ist,
das erstemal vor dem Tode des Septimius Severus, das zweitemal
nachher und nach dem Tode Caracallas. Diese Annahme wird wohl
das Richtige treffen; denn es ist bei der raschen Arbeitsweise des
Ulp. unwahrscheinlich, daß er von seinen Werken überhaupt erst einen
„Entwurf" machte. — Vgl. jetzt auch Girard, Mölanges Gerardin (1907)
S. 279 Anm. 1.
k) Paulus.
153. 0. Gradenwitz, Glossierte Paulusreste im Zuge der
Digesten. Sav.-Z. XXIII 458 f. G r a d e n w i t z und Dr. G. A. G e r -
hard entdeckten, daß ein Papyrusblatt in der Großherzogl. Bibliothek
zu Heidelberg einige Zeilenreste (immer nur höchstens ein paar Buch-
staben vom Anfang oder Ende der Zeilen) von Paul. q. 5, 2, 17. 1
und den beiden folgenden Digestenstellen Paul, inoff. 5, 2, 18 und
Paul. q. 5, 2, 19 enthält. Am vollständiger erhaltenen Rand finden
sich einige griechische Glossen von zusammen 21 Zeilen. Es ist nach
Gr. das erste Stück eines schon im Altertum glossierten Digesten-
exemplars (vielleicht aus dem 6. Jahrhundert), das uns vor Augen
kommt. „Ausführlichere Besprechung wird an anderem Ort erfolgen.**
154. Das in diesem Jhber. CIX 47 als neuer Fund angezeigte
Fragment (des Paulus, s. a. 0.), das jetzt in der Bodleianischen
Bibliothek zu Oxford aufbewahrt wird, hat Seymour de Ricci neu
kollationiert. Er hat nach seiner gütigen Mitteilung dabei zwei
wichtige neue Lesarten gewonnen:
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Taulus. Marcianus. — Justiniani Digesta: Abfassung. Überlieferung. 71
Zeile 6 si DECESSERIT SOCIUS MEUS ET
„ 7 CUM PUTAREM HEREDITAT
und „ 14 TISNOMINE MURICESTIAM
(oder T? PSE? UV )
Zeile 6 and 7 ist demnach klar zu lesen; Zeile 14 noch nicht.
Auch Girard, Textes* S. 435 verzichtet für diese Zeile noch immer
auf sichere Lesung; er schreibt Lab(eo) ita interpretatur (ur sichert
nach S. de R. Häkchen über T) ut societa / tis nomine tum ipse tum(?) . .
155. G. A. Gerhard, Scriptura interior und exterior. Sav.-Z.
XXV 382—389 behandelt die Stelle Paul. Sent. 5,25, 6 Amplissimus ordo
decrevit eas tabulas, quae publici vel privati contractus scripturam
continent, adhibitis testibus ita signari, ut in summa marginis ad
mediam partem perforatae triplici lino constringantur atque impositae
supra linum cerae signa imprimantur, ut exteriori scripturae fidem
interior servet (Mo. reseret, Girard, Textes8 S. 851). Nach einer
Besprechung der bisherigen Erklärungsversuche liest er ut scripturae
fidem integriorem servent. Dagegen zeigt H. Er man, Sav.-Z. XXVI
467, daß die bisherige Lesung, welche durch die älteste Breviar-
handschrift, Cod. Monac. aus dem 7. Jahrhundert, beglaubigt wird,
allein vollständig befriedigen kann.
I) Marcianus.
156. C. Ferrini hat in einer Abhandlung über die Institutionen
Marcians in den Rendiconti del R. Istituto Lombardo Ser. II,
Vol. XXXIV (1901) nach B. K übler, Sav.-Z. XXIII 509 nachzu-
weisen gesucht, daß das Institutionenwerk Marcians nicht, wie P e r n i c e
in seiner Abhandlung über die res communes omnium (Festgabe für
Dernburg 1900) vermutet, „als Lern- und Nachschlagebuch für an-
gehende kaiserliche Verwaltungsbeamte gedacht war" , sondern daß
es vielmehr für den Gebrauch der Provinzialen des Ostens bestimmt
war, denen es die Kenntnis des römischen Rechtes vermitteln sollte.
— S. Nachträge.
IV. Justiniani Digesta.
a) Abfassung- und Überlieferung der Digesten.
157. Franz Hofmann, Die Kompilation der Digesten
Justinians, nach des Vf. Tode hgg. von Ivo Pfaff. Wien 1900. (Vgl.
den Bericht in diesem Jhber. CTX S. 50 f.)
158. Ehrenzweig, Zeitschrift für Privat- und off. Recht
XXVIII (1901) S. 313 ff.
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72
W. Kalb: Römische Juristen.
159. Th. Mo minsen, Hofmann versus Blnme. Sav.-Z. XXII
(1901) S. 2—11.
160. P. Krüger, Über die Reihenfolge der Lcges in den
Titeln der Digesten Justinians. Sav.-Z. XXII (1901) S. 12—49.
Hofmanns Arbeit ist nur ein Teil eines von ihm beabsichtigten
Werkes. Es ist ziemlich selbstverständlich, daß der Vf. es vor der
Ausgabe noch einmal gründlich revidiert hätte, wenn er das Leben
gehabt hätte. Was der Vf. nicht konnte, der Herausgeber aus Pietät
nicht durfte , das muß der Leser zum Teil nachholen. Z. B. daß
Justinian behauptet in § 17 der Const. Tanta, die Kompilatoren der
Digesten hätten alle die zur Verfügung stehenden Schriften durch-
gelesen usw., das nennt Vf. eine ungeheuerliche Lüge. Dafür hätte
er vielleicht gesagt: es entspricht nicht genau den Tatsachen, oder
es darf nicht zu wörtlich verstanden werden. Vermutlich hätte er
auch den Vorwurf unglaublicher Kritiklosigkeit, den er gegen die
Romanisten seit Bluhme, von Hugo und Savigny bis zu P. Krüger
und Th. Mommsen erhebt, wieder gestrichen; ja vielleicht hätte er
sogar sein Endresultat nachgeprüft und abgeändert, weil es ohne die
Annahme einer solchen Kritiklosigkeit nicht bestehen kann.
Das Endresultat seiner Abhandlung ist: Bluhrnes Dreimassen-
theorie ist falsch; sie ist bloß in einer recht bestechenden Form
vorgetragen (er hat z. B. an die Spitze seiner Beweisführung die
hierfür besonders geeigneten Titel D. 50, 16; 50, 17; 45, 1 gestellt
[Hofmann S. 114]), und nur die besondere Protektion durch Hugo
und andere hat ihr zur allgemeinen Annahme verholfen. Die Arbeit
der Digestenkompilation wurde nicht von drei Kommissionen aus-
geführt, die alle in den Digesten zitierten Bücher durchsahen, sondern
die Grundlage bildeten — zwei „Massen", die Hofmann den
Bluhmeschen entgegensetzt — Ulpians Werke ad edictum und ad
Sabinum. Daneben wurden noch eine Anzahl anderer Werke direkt
bentitzt, aus denen besonders die größeren und größten Fragmente
geschöpft sind. Eine große Menge von Juristenschriften dagegen,
vor allem die kürzeren Exzerpte aus unbekannteren Autoren, haben
die Kompilatoren gar nicht persönlich durchgelesen, sondern be-
sonders aus Randglossen herübergenommen oder aus Anthologien ge-
schöpft, auf deren Vorhandensein man u. a. aus der Existenz der
Fragm. Vat. schließen darf.
Hofmanns End resultat nun ist falsch. Das weisen
T h. Mommsen und besonders P. Krüger in den oben an-
geführten Abhandlungen nach, und zwar so, daß sich kaum ein Ver-
teidiger desselben mehr finden wird. Die Bluhmesche Einteilung
■
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Justiniani Digesta: Abfassung. Überlieferung. 73
aller Digestenfragmente in drei voneinander getrennte Hauptmassen
hatte Hofmann noch nicht nachgeprüft ; sonst hätte er sie nicht als
eine Erfindung hingestellt. P. Krüger gibt sich die Mühe, den Weg,
welcher Bluhme zu seinem 'Resultate geführt hat, noch einmal zu
zeigen. Wer aber trotz allem noch an der Richtigkeit der Drei-
massentheorie zweifelt, dem empfehlen wir, die Fragm. Vaticana —
die man ja nach ihrer Anlage entfernt mit den Digesten vergleichen
könnte — nach der Bluhmeschen Ordnung zu betrachten. Denn wenn
das Bluhmesche Schema einem Zufall entstammt, der nur durch Fest-
stellung von ungezählten Ausnahmen zu einer Regel umgektinstelt
wäre, dann müßte man doch ähnlich auch bei Vat. umkünsteln können.
Wir erhalten folgendes Bild (wobei wir die Kaisererlasse mit Imp.
bezeichnen) :
Vat. fr.
(Tit. 10 Ex empto v.
Sab. 3 (?)
Pap. 181
(Imp.)
(Tit. II.) De usufr.
(Imp.)
Sab. 41
Pap. 220
Pap. 220
Sab. 1
Pap. 181
Pap. 241
Pap. 188
Sab. 1
(Imp)
Sab. 1
Lücke
Sab. 1
App. (?) 274 (?)
App. (?) 274 (?)
App. (?) 274 (?)
Lücke
(Tit III.) De re ux.
Pap. 186
Pap. 188
Imp.
Pap. 188
Sab. 47
Sab. 4
Pap. 181
Vat. fr.
(Tit. IV.) De excus.
Ed. 148
Lücke
? ?
Pap. 207
Ed. 142
Pap. 180
Pap. 183
Imp.
Pap. 235
Sab. 82
Ed. 142
Pap. (?) 225 (?)
fehlt in Dig.; bloß In-
dex.
Ed. 142
Ed. 142
Ed. 142
Sab. 82
fehlt in Dig.
(Tit. V.) Quando
Donator usw.
Imp.
Pap. 181
(Tit. VI.) <Ad legem
Cinciam.)
Pap. 181
Sab. 4
Imp.
Vat. fr. -
? ?
Sab. 1
Imp.
Pap. 181
Imp.
Pap. 181
Imp.
Ed. 96.
Ed. (fehlt in Dig.)
Imp.
(Tit. VII.) De cogni-
toribus.
? ?
Sab. 4
Ed. (?) 96 (?)
Sab. (?) 4 (?)
Imp.
? ?
Pap. 181
? ?
Lücke
? ?
Ed. (?) 95 (?j
Pap. 205
Imp.
Ed. 95
? ?
Ed. (?) 95 (?)
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74 W. Kalb: Römische Juristen.
Von den Titeln der Fr. Vat. hat am meisten Exzerpte aus
Juristen der Tit. De excus. Vergleichen wir mit diesem den ent-
sprechenden Digestentitel (27, 1), so erhalten wir für diesen
folgendes Bild.
Dig. De excus.
(1. 1-10 wechseln Ed. 141, Ed. 142 und Ed. 143 ab; sodann
folgen Fragmente aus:)
Sab. 82
Sab. 14
Sab. 22
Pap. 207
Ed. 141
Sab. 22
Pap. 181
Pap. 221
Ed. 141
Sab. 38
Pap. 188
Pap. 207
Ed. 141
Sab. 41
Pap. 183
Pap. 208
Ed. 141
ap. 180
Pap. 183
Pap. 225
Ed. 141
Sab. 47
Pap. 183
Pap. '208
Ed. 159
Sab. 82
Pap. 183
Pap. 219
Ed. 161
Sab. 44
Pap. 188
Pap. 219
Sab. 4
Pap. 181
Pap. 189
Pap. 225
Ob sich die verschwindend wenigen Ausnahmen, z. B. Dig. I
Tit. 3, wo man schwer die Bluhmeschen Massen herausfinden kann,
mit Bluhme aus eingehenderer Überarbeitung erklären lassen, oder
so wie wir es im nachfolgenden tun, oder ob man hier etwa doch
an Hofmann eine kleine Konzession machen könnte, bleibt für das
Ganze gleichgültig. Jene verschiedenen Sammlungen, aus denen nach
Hofmann die große Masse besonders der kleineren Fragmente ge-
schöpft sein soll, hätten jedenfalls auch nach den Bluhmeschen Massen
geordnet sein müssen. Das wäre unerklärlich.
Ehrenzweig nimmt deshalb an, daß die Kompilatoren ein
einziges älteres Digestenwerk benützten, welches die Fragmente
bereits in der Bluhmeschen Ordnung aufführte, jedoch trotz der an-
nähernd gleichen Zahl von Exzerpten einen ganz wesentlich geringeren
Umfang hatte , weil es nur kleinere Fragmente enthielt. Die Kom-
pilatoren erweiterten ihre Vorlage um vielleicht das Sechsfache, indem
sie die Exzerpte durch Nachträge aus dem Originalwerk ergänzten
und auch neue Fragmente einschoben — besonders solche, die heute
die Bluhmesche Ordnung stören. Möglicherweise ist die zugrunde
liegende Collectio nach E. in den Digesten gemeint mit den „Leges".
die nach der Const. Omnem 1 im zweiten und noch im dritten Uni-
versitätsjahr vor Einführung der Justinianischen Digesten gelesen wurden
(unsere Erklärung der „Leges1* nach Bluhme s. u.). Dann schätzt E.
ihren Umfang auf sex libri (die nach a. O. gelesen wurden) -f Septem libris
semotis (so liest E. ib.), + libri singulares quattuor (ib.) = 17 Bücher.
Aus diesem älteren Sammelweik schöpfte nach Ehrenzweig Priscian
seine Zitate; dieses Werk benützte auch Lydus: denn von dessen
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Justiniani Digesta: Abfassung. Überlieferung.
Zitaten finden sich die meisten auch in den Digesten, aber so, daß
Lydus unmöglich aus den Digesten geschöpft haben kann ; diejenigen,
welche sich nicht in den Digesten finden, passen alle in den Titel I 2
De origine iuris. Dieser Titel bestand in jener angenommenen Quelle
aus einer großen Menge verschiedener Fragmente, welche die Kom-
pilatoren strichen, da sie nach Erweiterung des fr. 2 (Pomp, ench.)
aus dem Originalwerk unnötig waren. — Ehrenzweigs Aufstellung ist
so unmöglich. Denn wenn — wie E. offenbar annimmt — jenes
Quellenwerk allgemein bekannt war, dann hätte Justinian einen anderen
Schwindel aufbringen müssen, als wie wir ihn in Const. Tanta § 17
bei Ehrenzweigs Auffassung annehmen müßten (e tantis . . voluminibus,
quorum et nomina antiquiores non dicimus nesciebant, sed nec unquam
audiebant). Wenn aber jenes Quellenwerk niemandem bekannt war und
von Tribonian irgendwo gefunden wurde, dann hätte er für sein
Plagiat keine 16 Mitwisser, für die Ausführung keine 16 juristi-
schen Mitarbeiter, sondern einfache Schreiber gewählt. Doch nach
P. Krügers Ausführungen ist hierüber wenig mehr zu sagen. Nur
das eine glauben wir behaupten zu können, daß für jenes angebliche
Quellenwerk die Zusammensetzung nach den Bluhmeschen Massen
rätselhafter wäre, als sie so ist.
Ehrenzweig kam zu seiner Aufstellung durch die Erkenntnis, daß
Hofmann recht hatte*), wenn er sagte: das Digestenwerk
konnte unmöglich in drei Jahren fertig werden, wenn keine Grundlage
vorhanden war, auf der die Kompilatoren aufbauen konnten. Jeder hätte
im Durchschnitt 1 70 000 Zeilen lesen und exzerpieren müssen, das ist
mehr als unsere Digesten — und dann wäre erst noch das Zusammen-
stellen und Überarbeiten gekommen. Aber der tatsächlich voraus-
zusetzende Grundstock ergibt sich auf viel einfachere Weise, als Hof-
mann und Ehrenzweig annehmen: den Grundstock bildete das, was
schon damals den Studenten in die Hand gegeben wurde. — Es
waren nach der Const. Omnem § 1 ff. sechs Werke, in welchen Ab-
schnitte aus wenigen Juristen gesammelt waren: 1. Gaius, bestimmt
für das erste Jahr; 2. prima pars legum (seil. Ulpiani ed.), 3. de
iudieiis (seil. Ulp. ed.), 4. de rebus (?), diese für das zweite Jahr
bestimmt; 5. Pap. resp., 6. Paul, resp., für das dritte Jahr. Da
aus diesen Werken, obwohl sie selbst schon gekürzt waren, im Unter-
richt vieles weggelassen wurde, so hat wohl buchhändlerische Speku-
•) B. Brugi (s. o. Nr. 123) hat bemerkt: „Avrä esagerato lo Hofmann:
ma niuno, a mente calma, poträ asserire che fosse possibile interpolare
celennente tanti frammenti se non vi era qualche cosa di pronto."
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76
W. Kalb: Römische Juristen.
lation oder studentische Sparsamkeit auch verkürzte Ausgaben, die
für die einzelnen Jabre bestimmt waren, veranstaltet. Das, was tat-
sächlich behandelt wurde, dürfen wir als die Grundlage annehmen,
auf welcher die Kompilatoren arbeiteten : die Professoren, denen nach
Bluhme der Löwenanteil der Arbeit zufiel, wußten dieses Kompendium
so ziemlich auswendig, und auch den Advokaten war es mindestens
von ihrer Universitätszeit her wohlbekannt. Was lag näher, als daß
die Kompilatoren die Jahrgänge des Kompendiums unter sich ver-
teilten? Ein Professor, dem das Pensum des ersten Jahrganges be-
sonders geläufig war, übernahm die Gaiusabteilung , der zweite die
Schriften des zweiten Jahrganges, d. i. die Ediktsabteilung, der dritte
das Pensum des dritten Jahrganges. (Nach der Const. Tanta waren
zwar vier Rechtslehrer beteiligt; aber einer davon kam wohl erst im
Laufe der Arbeit hinzu ; darauf scheint hinzudeuten § 9 Anatolium . . .
qui . . . ad hoc opus a 1 1 ectus est.) Die anderen Mitarbeiter mochten
sich nach ihrer Neigung hier oder dort angliedern. Die einzelnen
Abteilungen verteilten nun die Tribonianische Bibliothek unter sich.
Natürlich war Tribonian nicht so unvorsichtig, an Gelehrte ein Buch
auszuleihen. Die drei „Kommissionen" werden drei Arbeitsräume
gehabt haben, wo natürlich auch die für sie ausgewählten Bücher,
nach ihren Katalognummern geordnet, standen. Für die Exzerpierungs-
arbeit legten sie nun vermutlich nicht ein von vornherein hergestelltes
Gerüste zugrunde, das aus den Titeln des Ediktes und des Codex
abgenommen gewesen wäre, wie man meist annimmt; denn auf solcher
Grundlage wäre die Arbeit als lückenloses, gleichmäßiges Ganzes in
drei Jahren nur dann herstellbar gewesen, wenn die Exzerptoren
mit den zu exzerpierenden Schriften vertrauter gewesen wären, als
man aus Const. Tanta § 17 schließen darf; in diesem Punkte ist
Hofmanns Aufstellung auch durch den Hinweis auf die leicht auf-
findbaren Rubricae in den Schriften kaum völlig widerlegt (hierüber
Jörs bei Pauly-Wissowa , s. v. digesta, V 496 ff.; wohl aber mögen
sich die Exzerptoren von vornherein über einzelne Punkte geeinigt
haben, z. B. die legata nicht von den fideicommissa getrennt zu be-
handeln, Jörs a. 0.). Ihre Grundlage haben vielmehr eben jene Schul-
werke gebildet und die dort aufgestellten Rubriken, welche jede
Kommission unter ihre Mitglieder verteilen mochte. Ihrer Ergänzung
und Erweiterung galt die nächste Arbeit der Exzerptoren, welchen zu
diesem Zweck vermutlich die Bibliothekdiener die vorhandenen Bücher
der Reihe nach herholten , um sie nach Benützung für die jeweilige
Rubrik (das Abschreiben besorgten natürlich Hilfskräfte) wieder an
den richtigen Ort zu stellen. Wenn einer der Gelehrten die Bücher
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Justiniani Digesta: Abfassung. Überlieferung.
77
nicht nach ihrer Stehreihe benützen wollte, so stand an und für sich
nichts im Wege. Aber nach kurzer Arbeit mußte er linden, daß er
so manches Werk doppelt vornahm, andere ausließ, so daß er wieder
zur Ordnung zurückkehrte.
Wenn der Exzerptor der Gaiusmasse mit einer Rubrik fertig war
und die anderen Mitglieder seiner Kommission nichts mehr dazu-
zusetzen hatten, so gab er den Entwurf an die Ediktsabteilung und
diese gab ihn an die Papinianabteilung und entsprechend auch um-
gekehrt, damit auch aus den Werken der anderen Kommissionen noch
Zusätze gemacht werden konnten. Die ursprüngliche Absicht, das
Elaborat der Gaiusabteilung auch für die Zukunft zur ersten Ein-
führung zu benützen, mußte bald wieder aufgegeben werden, als sich
zeigte, daß nach den Ergänzungen aus anderen Werken die Gaius-
abteilung zu diesem Zweck viel zu ausführlich wurde. So erklärt es
sich, daß der Plan zu den Justininanischen Institutionen erst während
der Herstellung der Digesten entstand. So erklärt es sich wohl auch,
daß einzelne Titel von verschiedenen Kommissionen gleichzeitig in
Angriff genommen wurden, z. B. De legatis 1 von der ersten Abteilung,
De legatis 2 von der zweiten, De legatis 3 von der Papiniankommission.
(Daß die drei Bearbeitungen (= Dig. 80; 81; 32) nebeneinander-
gestellt wurden, mochte sich erst im Verlaufe der Arbeit als zweck-
mäßig ergeben.) Zum Zwecke der Zusammenarbeitung solcher Dupli-
kate und zur Ordnung der Titel nach bestimmmten Grundsätzen
mochte die Kooptation eines vierten Rechtslehrers sich empfehlen
(Anatolium . . . qui ... ad hoc opus alle ctus est), der außerdem die
mittlerweile neu hinzugekommenen Schriften zur Durchsicht Über-
nahm (Bluhmes Appendix) und solche Exzerpte, welche die drei
Kommissionen für aufnahmswert fanden, ohne sie in einen bestimmten
Titel einzugliedern, nötigenfalls in besonderen Titeln zusammenstellte.
— Entsprechend den Änderungen im ursprünglichen Plane, die sich
im Laufe der Arbeit ergaben, mußte die Const. Deo auctore (De
conceptione Digestorum) nachträglich etwas abgeändert werden. —
Mit diesen Erklärungen glauben wir einerseits in den Spuren der Be-
weise und Nachweise von Blnhme (der auch auf die Ähnlichkeit seiner
drei Massen mit den drei Lehr - Jahrgängen hinweist) , sowie von
P. Krüger und Th. Mommsen zu wandeln, anderseits aber auch das
Richtige aus den Nachweisungen von Hofmann und Ehrenzweig be-
rücksichtigt zu haben. —
160 a. Zu den Aufstellungen von Hofmann und Ehrenzweig
nimmt auch in ausführlicher Weise Stellung Jörs (s. v. digesta) in
Pauly-Wissowas Realenzykl. V 496 ff.
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78
W. Kalb: Römische Juristen.
A. Ehrenzweig (9. 0. Nr. 158) S. 328 will in Const. Omnem
§ 1 lesen: his autem sex libris Gai nostri institutiones et libri singu-
lares quattuor connumerabantur. Dagegen P. Krüger, Sav.-Z.
XXII 12 ff.
161. *Digestorum seu Pandectarura codex Floren-
tinas olim Pisanas phototypice expressus, a cura della
commissione ministeriale per la riproduzione delle Pandette. Volume I,
fasc. 8. Roma 1903. Die Reproduktion der berühmten Digesten-
handschrift war 1893 auf sieben Jahre berechnet (s. diesen Jhber.
LXXXIX 240) Doch erschien das zweite Heft erst 1902, das
dritte (s. 0.) 1903. Das ist im Hinblick auf die Kosten eines solchen
Werkes, dessen Anschaffung sich auch wohl nicht allzuviele Bibliotheken
gestatten können, leicht verständlich. — Nach Nouv. Revue XXVII
473 haben auf dem internationalen Historikerkongreß in der rechts-
geschichtlichen Sektion Buonamici und Scialoja über ihr großes Unter-
nehmen berichtet. Die Versammlung hat dem aufopferungsvollen Werke
ihre Glückwünsche gewidmet.
162. *Die Titel seien erwähnt von F. Buonamici, L'opera
deir imperatore Giustiniano, Rivista italiana per le scienze giuridiche
XXXIV (1902) p. 89—97. — F. Buonamici, Süll' indice degli
autori e dei libri che servirono alla compilazione delle Pandette.
Pisa 1901. — S. di Marzo, Sulla compilazione dei digesti di Giusti-
niano, Circolo giuridico XXXII (1901) S. 308—318. — Zocco-
R 0 s a sprach auf dem internationalen Historikerkongreß zu Rom im
April 1903 über neue Beobachtungen hinsichtlich der von den Kora-
pilatoren der Justinianischen Digesten eingeschlagenen Methode, nach
Nouv. Revue XXV11 474.
b) Gesamtkommentare und Obersetzungren.
163. F. Glück, *Commentario alle Pandette, tradotto ed
arrichito di note e confronti col Codice civile dcl regno d'Italia.
Direttori C. F a d d a e P. C 0 g 1 i 0 1 0. Milano, ist nach den Anzeigen
in Nouv. Revue bis zu fasc. 461 und 465— 466 (finedellibro XXXVIII,
parte dei libro XXXIX) vorgeschritten.
164. The Digest ofJustinian translated by C h. H. M 0 n r 0.
Vol. I. Cambridge 1904 haben wir in BphW. 1905 S. 634 eingehender
besprochen. Der I. Band enthält Buch 1 — 6 der Digesten. Möge
Vf. überall dem Interesse begegnen, ohne das die Durchführung eines
so schwierigen Unternehmens nur selten möglich ist ! Wir halten es
für einen Vorteil des verdienstvollen Werkes , daß es solche Aus-
drücke, für welche im Englischen ein völlig gleichbedeutendes Wrort
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Just. Dig.: Kommentare u. Übersetzungen. Exegese u. Kritik. 79
nicht vorhanden ist, in der Regel unübersetzt läßt. (Ein Anhang am
Schlüsse des Werkes soll seinerzeit über solche Ausdrücke aufklären.)
Andere Grundsätze befolgt die deutsche Übersetzung von Otto,
Schilling. Sintenis — die freilich ohnehin in vielen Punkten veraltet
ist. — Monros Grundsätze scheint im großen und ganzen auch
H. Krüger für die richtigen zu halten in einer Besprechung von
M. Conrat, Breviarium Alaricianum (Sav.-Z. XXV 413), wo er zwar
sagt, daß man nicht „ohne Not" lateinische Ausdrücke einfach Über-
nehmen dürfe, doch die „Not" bei manchen, z. B. dotis dictio, litis
contestatio, zugesteht.
e) Exegese und Kritik einzelner Stellen.
Adrien Audibert, Nouvelle Ctude usw. (s. o. Nr. 93)
erklärt u. a. Paul, ad PI. 10, 3, 14, 1 (Impendia autem)
S. 287 ff. , wo er die Worte quia bonae fidei iudicium est communi
dividundo und weiterhin noch vier Zeilen (quae cum ita sint rectissime
dicitur ctiam impendiorum nomine utile iudicium dari bis impendo)
für Justinianische Interpolation hält, obwohl z. B. rectissime in
Justinians Erlassen fehlt und impendia durch expensae völlig ver-
drängt ist (vgl. Kalb, Roms Jur. S. 99). Ebenso scheint ihm (S. 426)
interpoliert bei Jul. d. 10, 3, 24 pr. und in der Parallelstelle Gai.
prov. 41, 1, 45 (Communis servus si ex re alterius dominorum ad-
quisierit usw.) quia (Gai. nam) fidei bonae convenit, ut unusquisque
praeeipuum habeat, quod ex re eius servus adquisierit. Dabei er-
. klärt er nicht, durch welchen Zufall es kommen konnte, daß die Re-
daktionskommission an zwei soweit voneinander entfernten Stellen
wörtlich das Gleiche interpolierte; außerdem steht an beiden
Stellen fidei bonae; die Stellung fides bona statt bona fides ist (vgl.
Kalb, Juristenlatein 2 S. 47) zwar im Kurialstil üblich, findet sich
aber schon bei den nachjulianischen Juristen (abgesehen von e x fide
bona) selten. Justinian aber, der f. b. an den beiden genannten
Stellen interpoliert haben soll, stellt ausnahmslos bona vor fides.
Außerdem findet Vf. Interpolationen bei Ulp. ed. 10, 3, 4, 2 ;
Gord. Cod. J. 3, 36, 9 und bei Diocl. Cod. J. 3. 38, 3, wo Consult. 2, 6
gründliche Änderung durch Justinian beweist.
C. Bertolini, Le obbligazioni (s. o. Nr. 1) geht hinsichtlich der
Annahme von Interpolationen vielfach mit A. Pernice und Lenel. Der
Ansicht von Gradenwitz jedoch, daß das Substantiv pracscriptis verbis
actio immer interpoliert sei, stimmt er nicht bei. Eine Interpolations-
annahme, die uns bis jetzt unbekannt war, finden wir S. 64 zu Ulp.
ad. S. 45, 1, 1, 4 (Si stipulanti mihi „decem" tu „viginti" re-
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80
W. Kalb: Römische Juristen.
spondeas usw.) für die Worte licet enim oportet congmere summ am,
attamen manifestissimum est viginti et decem inesse (doch vgl. unten
Nr. 181); zu Ulp. ed. 13, 6, 17, 3 (Sicut autem voluntatis usw.)
hält B. die Worte aut etiara sciens vitiosa commodaveris für Glossem
oder Interpolation.
165. Stephan Braßloff, Aetas legitima, Sav.-Z. XXII 169
bis 179 (vgl. o. Nr. 89) sucht den Widerspruch aufzuklären, der
darin liegt, daß die in einem Papyrus erhaltene Senatsrede des
Kaisers Claudius (oder Caligula) nach den Ergänzungen der Heraus-
geber als die Schutzaltersgrenze der Lex Plaetoria das 24. Jahr be-
zeichnet, während man aus Plaut. Rud. 5, 4, 24 (cedo quicum habeam
iudicem, ni dolo malo instipulatus sis, nive etiam dum siem quinquc
et viginti annos natus) schließt, daß das Gesetz noch die jungen
Leute bis zum 25. Jahr einschließlich schützte. Er sucht zunächst
eine Erklärung von Dareste zu Widerlegen und dann selbst nachzu-
weisen, daß dieses Schutzalter in der Augusteischen Reformperiode
auf 24 Jahre herabgesetzt, später unter Marc Aurel (oder Antoninus
Pius) wieder erhöht worden sei. Zum Nachweis benützt er besonders
einen eigentümlichen logischen Schlüssel, der mehrmals angewendet
wird; wenn nämlich ein Jurist sagt: „dies ist so und so zu ver-
stehen", so gehe daraus hervor, daß man früher die umgekehrte
Anschauung gehabt habe: „dies ist nicht so zu verstehen". Z. B.
Ulp. adult. 48, 5, 16, 6 sagt (von der Lex Julia de adulteriis):
minorem XXV annis (quem lex accusare prohibet) etiam eum aeeipimus,
qui vicensimum quintum annum aetatis agit : folglich habe unmittelbar
vor ülpian dieser Grundsatz noch nicht oder nicht mehr gegolten.
Damit stimme das Staatsrecht der früheren Kaiserzeit Uberein, welches
den Beginn des 25. Jahres zur Übernahme der Quästur für ge-
nügend erklärte (annus coeptus pro completo habetur). Doch der
Raum verbietet uns, den wenn auch kaum haltbaren, so doch höchst
anregenden Begründungen und den eigenartigen Interpretationen von
Digestenstellen hier weiter nachzugehen. Nur eins sei noch er-
wähnt. Für den eben erwähnten Satz: annus coeptus pro completo
habetur, der in der früheren Kaiserzeit für das ius eivile allgemeine
Geltung gehabt haben soll, habe die Grundlage gebildet der andere
Satz: nasciturus pro iam nato habetur; d. h. man habe die zehn
Monate der Maximalzeit des „intrauterinen Lebens" zum Alter hin-
zugerechnet, und zehn Monate seien in der alten Zeit ein Jahr ge-
wesen; anniculus war also ein Kind sofort nach der Geburt . . .
usw. usw. Welcher Arzt es war, der gerade etwa unter Augustus
diesen Grundsatz aufbrachte, erfahren wir nicht; aber abgeschafft
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Justiniani Digesta: Exegese und Kritik.
81
wurde er nach Br. S. 194 vielleicht unter einem gewissen Einfluß
von Marc Aurels Zeitgenossen Galenus, der den nasciturus nicht als
animal gelten lassen wollte — und damit sei auch dem anderen Satz
coeptus annus pro completo habetur die Grundlage entzogen worden. —
166. St. Braßloff, Textkritisches zu römischen Rechtsquellen.
Wiener Studien XXIV (1902) S. 563—571 bespricht die Erklärungs-
versuche zu Ulp. ed. 17, 2, 52, 2 und löst den Widerspruch mit
Gai. cott. 17, 2, 72 dadurch, daß er bei Ulp. a. a. 0. Celsus . . .
ita scripsit: socios inter se dolum [et culpaml praestare oportet die
eingeschlossenen Worte für Justinianische Interpolation erklärt statt
tantum, wobei er sich auch auf die Basilica berufen kann.
167. Buckland, Manumissio vindicta par un fils de famille.
Nouv. Revue XXVII (1903) p. 737—744. Mitteis hatte Sav.-Z. XXI
199—212 (vgl. diesen Jber. CIX 63) im Hinblick auf den Satz
nemo alieno nomine lege agere potest bestritten, daß der Haussohn
bei der Manumissio vindicta statt des Pater familias habe eintreten
können. Die widerstreitenden Stellen hatte er durch Änderungen
seitens der Digestenkompilatoren erklärt. Ihm tritt Buckland ent-
gegen; er hält die Stellen für unverdorben und erklärt die Ab-
weichung von jenem Fundamentalsatz daraus, daß tatsächlich die
Manumissio vindicta schon in der Zeit der klassischen Juristen so
gehandhabt wurde, daß man gar nichts mehr von einer legis actio,
einem förmlichem Prozeß, sah, und daß auch andere Abweichungen
von den für Prozesse geltenden Regeln allgemein zugestanden waren.
Dabei weist B. hin auf Just. Cod. 7, 15, 1, 3 ut explosa antiqua
personarum differentia liceat pareutibus tarn feminis quam
masculis filiis filiabus . . . mandatum imponere, quatenus servos in
libertatem producant. Sodann erweist B. die Echtheit von Paul, ad
leg. Juliam (nicht zu schreiben Juniam mit Mitteis) 40, 9, 15, 1
und Paul. q. 40, 2, 22 ; Jul. d. 40, 2, 4 pr. ist zwar von Tribonian
stark überarbeitet, aber § 2 beweist, daß die Stelle nicht von einer
formlosen Freilassung, sondern von einer Vindicta-manumissio spricht
(Minor viginti annis dominus nec communem quidem servum sine
consilio recte manumittit); unerfindlich ist es für B., wie Mitteis
für Mod. reg. 40, 1, 16 den Bezug auf die Man. viud. in Abrede
stellen kann, da doch von einem minor annis viginti und einer causae
probatio gesprochen wird. — Daß der filius familias mit Willen des
paterfamilias vindicta manumittere kann, belegt B. weiter durch
folgende Stellen: Paul, ad Plaut. 40, 2, 18, 2 (tilius quoque voluntate
patris apud patrem manumittere potest spricht aber nicht notwendig
von Vertretung des Vaters durch den Sohn bei dieser legis actio,
Jahresbericht für Altertomswiisenschafl. Bd. CXXXIV. (1907. II.) 6
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82
W. Kalb.: Römische Juristen.
denn der Vater — als Konsul u. ä. — apnd s e manumittere potest ; es
beruht vielmehr vielleicht auf dem Satz volenti non fit iniuria); Lic.
Ruf. reg. 23, 2, 51, 1 (ein Vater wird seinem Sohn gewiß nicht be-
fohlen haben, eine Sklavin, die der Sohn heiraten soll, anders als so
freizulassen, daß sie civis Romana wird)*); Paul. a. s. 40, 9, 16, 5;
Marci. reg. 40, 2, 10 (Surdi vel muti patris filius iussu eins manu*
mittere potest).
1C8. L. Mitte is, Die Manumissio vindicta durch den Haus-
sohn. Sav.-Z. XXV 379—382 stellt die von Buckland ins Feld ge-
führten Gründe als völlig haltlos hin. Er verzichtet darauf, im
einzelnen durchweg zu replizieren. „Zur Begründung dieses Ver-
zichtes genügt der Hinweis darauf, daß, wenn ich zur erstgenannten
Stelle (gemeint ist D. 40, 9, 15, 1) die Tatsache namhaft mache,
daß die Inskription ad legem Juliam in Flor. 2 (soll heißen im Index
Flor., von F. 2) korrigiert ist in Juniam, was eben auf die Junianische
Freilassung hindeutet, Vf. mir entgegenhält 1. daß weder Mommsen
noch Lenel eine Korrektur in der Inskription für angebracht befunden
haben, 2. daß es wahrscheinlicher sei, daß der Korrektor sich hier
geirrt habe." —
Die Stelle Paul, ad Plaut. 40, 2, 18, 2 Filius quoque voluntate
patris apud patrem manumittere potest zweifelt Mitteis hinsichtlich
ihrer Echtheit an ; sie habe sich vielleicht ursprünglich nur auf Frei-
lassung aus dem kastrensischen Peculium bezogen, und Justinian habe
sie verallgemeinert. (Müßte sich dann nicht auch ib. pr. ursprüng-
lich auf das kastrensische Peculium bezogen haben Apud filium
familias magistratum manumitti potest, etiamsi ipse tilius familias
manumittere non potest?) Für verdächtig hält er die Erwähnung
der voluntas, wie auch bei Jul. d. 21, 2, 39, 1 si Titius servum
peticrit et ideo victus sit, quod servus tuus in tradendo sine voluntate
tua proprietatem hominis transferre non potuisset (mit Lenels Zu-
stimmung) eine Interpolation zu erkennen ist.
169. P. Collinet, Gontributions du droit romain (vgl. diesen
Jhber. CIX 56) hat eine zweite Fortsetzung in der Nouv. Revue
XXVI veröffentlicht. Eine dritte Forts, in Nouv. Revue XXIX 171
bis 194 führt die Überschrift „L'histoire de la confessio in iure".
Er glaubt , daß die Rechtsregel Confessus pro iudicato habetur erst
durch Justinian zu der allgemeinen Bedeutung kam, in der sie uns
*) In der Entgegnung Sav.-Z. XXV 3b0 sagt Mitteis, was es für ein
Hedenken haben solle, hier eine Ehe des tilius mit einer Latina anzu-
nehmen, sei nicht abzusehen.
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Justiniani Digesta: Exegese und Kritik.
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in den Digesten entgegentritt. Er hält sie für interpoliert bei Ulp.
ed. 42, 1, 56 und sonst. Bei Ulp. trib. 42, 2, 6 sind nach seiner
Meinung Lenel und Pernice, von denen er in Einzelheiten abweicht,
mit der Annahme von Justinianischer Interpolation nicht weit genug
gegangen. — 170. A. Giffard, La loi 6 De confessis (D 42,2)
et r„oratio divi Marcitf, Nouv. Revue de droit XXIX 449—475,
hält zwar Ulp. trib. 42, 2, 6 und Ulp. ed. 42, 1, 56 mit
P. Collinet für stark interpoliert, weicht aber im einzelnen ab von
P. Collinet. — Collinet und Giffard zitieren mehrfach die Doktor-
arbeit von Giffard, La „confessio in iureu dans la procedura
formulaire, Paris 1900.
171. Eisele, Zum röm. Sklavenrecht (L. 25 § 1 De usufr. 7, 1),
Sav.-Z. XXVI 66—83, gibt für Ulp. ed. S. 7, 1, 25, 1, wo er früher
die Worte cum plus pretium solvit scrvus, non faciet nummos ac-
cipientis für Interpolation gehalten hatte, eine gründliche Erklärung,
wodurch die Annahme einer Interpolation überflüssig gemacht wird.
172. Ehrlich, Beiträge zur Theorie der Rechtsquellen I 47
(Berlin 1902) will nach Kipp, Gesch. der Quellen S. 94 Anm. 83
den Ausdruck ius civile ausschließlich für das Juristenrecht (ein-
geschlossen das von den Juristen anerkannte Gewohnheitsrecht) in
Anspruch nehmen und behauptet, ius civile bedeute nie (?) das
positive Gesetzesrecht; Pap. def. 1, 1, 7 pr. Jus autem civile est,
quod ex legibus usw. sucht er als interpoliert zu verdächtigen. Da-
gegen Kipp a. a. 0. Vgl. auch II. Erman u. Nr. 176.
173. H. Erman, Dig. 18, 1, 1 pr. Sav.-Z. XXII 161—168.
Die Worte bei Paul. ed. 18, 1, 1 pr. (Origo emendi vendendique usw.)
eaque materia (d. h. das Geld) . . . usum dominiumque non tarn ex
substantia praebet quam ex quantitate spielen wohl einerseits an
auf den Gegensatz zwischen der vollwichtigen Münze, die „usum ex
substantia praebet" und der untergewichtigen, die nur „ex quantitate
usum praebet", anderseits aber — bei dominium praebet — be-
deutet quantitas hier die Fungibilität , so schief es auch war, als
Gegensatz hiezu substantia zu gebrauchen, statt wie sonst corpora*
Paulus erscheint darnach schuldig, mit demselben Gegensatz: „quantitas"
und „substantia" zwei grundverschiedene Dinge bezeichnet zu haben.
174. H. Erman, Noch einmal die „actiones in factum", Sav.-Z.
XXIII 445 ff. (vgl. diesen Jhber. CIX 58). Obwohl in factum actio
ein Lieblingsausdruck Justinians ist, so ist die Sache doch nicht eino
Justinianische Neuschöpfung, was H. Krüger, Zeitschrift f. Privat- u.
öff. Recht XXVII 471 f. trotz Ermans früheren Ausführungen immer
noch für diskutabel hält. Die in factum actio findet sich ja auch
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W. Kalb: Römische Juristen.
bei Ulp. in Coli. 12, 7 (vielleicht nach Proculus), and gegen die
Coli, besteht gar kein Überarbeitungsverdacht. Auch die Gaius-
bearbeitung von Antun (zu Gai. 4, 107 ff.) kennt die in factum actio,
und zwar vertritt sie die formula in factum concepta des Veronenser
Gaius, und eine ähnliche Ersetzung oder Umbildung finden wir auch
bei Ulp. reg. 44, 7, 25, 1, vgl. mit Gai. 4, 46. Ob freilich Ulpian
selbst sie schon kannte, soll damit nicht behauptet sein; die Stelle
scheint kein Originalsatz (weder Ulpians noch Tribonians), sondern
ein Streichungsprodukt zu sein von einem Bearbeiter von Ulpians
Regulae, der dem Bearbeiter des Gaius von Autun geistesverwandt
war. Justinian verdrängte mit der actio in factum gelegentlich eine
ungeläufig gewordene Klage wie die actio fictitia bei Ulp. ed. 39, 2,
17, 3.
175. H. Erman, D. (44, 2) 21 § 4 = Mölanges Ch. Appleton
S. 201—304. Angezeigt von Ref. in BphW. 1905 S. 416.
Pomp. ad. S. 44, 2, 21, 4 Si pro servo meo fideiusseris et
mecum de peculio actum sit, si postea tecum eo nomine agatur, ex-
cipiendum est de re iudicata mag man im Sinne Justinians vielleicht mit
Proc. ep. 46, 3, 84 (Egisti de peculio servi nomine cum domino:
non esse liberatos fideiussores eius respondit) in Einklang zu bringen
versuchen, tatsächlich aber ist ein Widerspruch vorhanden, und mög-
licherweise hat Pomp., weil er sich des Gegensatzes zur herrschenden
Lehre bewußt war, seinem Klienten geraten, eine Exceptio zu be-
wirken, während er sonst vielleicht auch die ipso-iure-Konsumption
hätte erwähnen können. Übrigens hielten nach E. die Proculianer
an der alten, strengen Auffassung von der konsumierenden Wirkung
der Intentio bei der Litiskontestation fest, während die Sabinianer
eine etwas freiere Auffassung einführten, wie wir aus Gai. 4, 114
folgern dürfen. Wenn Ulp. ed. 15, 1, 30, 4 schreibt Is, qui semel
de peculio egit, rursus aueto peculio de residuo debiti agere potest,
so entspricht dies der Sabinianischen Ansicht; man braucht nicht
mit Ferrini die Justinianische Streichung eines non vor potest anzu-
nehmen, weil andere Digestenstellen diese Proculianische Ausicht ver-
treten. Überhaupt soll man Justinianische Interpolationen nicht immer
gleich annehmen, wenn man etwas nicht erklären kann, sondern nur,
wenn auch das Recht Justinians und die Sprache die Annahme nahe-
legen. Möchten E.s Grundsätze bald allgemeiner werden ! — Die
vielen in der Arbeit besprochenen Stellen aus dem Corpus iuris und
aus Gaius sind auf der letzten Seite der Abhaudlung in einem Index
zusammengestellt. Vgl. auch die Anzeige der Abhandlung durch
B. K übler, Sav.-Z. XXV 436—444.
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Justiniani Digesta: Exegese und Kritik. 85
176. H. Erman, Recht und Prätor. Sav.-Z. XXIV 421— 440.
Mit Beziehung auf E. Ehrlich, Beiträge zur Theorie der Rechts-
quellen, I, Berlin 1902, VII und 258 S. bespricht E. die Begriffe
von ius und civilis (welches auch das fehlende iuralis ersetzt) und
ins civile in seinen verschiedenen Bedeutungen und Beziehungen.
Dabei verteidigt er die Echtheit von Pap. def. (Buch 2) 1, 1, 7 Jus
civile est, quod usw. gegen Ehrlich (s. o. Nr. 172) gewiß mit Recht.
(Wenn eine solche Definition im zweiten Buch statt im ersten auffallen
muß, so dürfen wir statt libro II wohl unbedenklich libro I lesen.)
177. H. Erman, Entstammt B.G.B. § 226 Tribonian oder
Celsus? Sav.-Z. XXV 352—365. Der Gedanke von B.G.B. § 226:
„Die Ausübung eines Rechtes ist unzulässig, wenn sie nur den Zweck
haben kann, einem anderen Schaden zuzufügen", findet sich ähnlich
bei Cels. d. 6, 1, 38. Pernice und andere haben ihn für Tribonianisch
erklärt. Erman beweist die Echtheit, zum Teil mit sprachlichen
Gründen ähnlich wie Kalb, Jagd nach Interpolationen S. 26, Sonder-
abdruck S. 17.
II. Erman behandelt in dem Aufsatz „P. Juventius Celsus und
das Kammergericht" (s. o. Nr. 134) in einem Exkurs auf S. 578 — 588
certiorare in den Digesten. Gradenwitz hatte seinerzeit alle Stellen
mit certiorare für verdächtig erklärt, von Justinian interpoliert zu
sein. Wölfflin und Kalb hatten certiorare umgekehrt nahezu als Echt-
heitsbeweis hingestellt, da sich die 18 Stellen mit cert. in den
Digesten auf Marcellus , Ulpian und Modestinus beschränken, die in
engen Beziehungen zueinander stehen, und da Justinian es nur ein
einziges Mal aufweist. Erman weist nun darauf hin, daß Justinian das
dem certiorare bei den älteren Juristen entsprechende certiorem
facere gar nicht aufweist (certum facere nur einmal): es sei also
Justinians Gesetzen die Sache fremd, nicht das Wort ; wenn er trotz-
dem- certiorare in den erhaltenen Erlassen einmal schreibe, so ergebe
sich „eher Vorliebe als Widerwille Tribonians für certiorare". Dem-
entsprechend hält E. das Wort an den meisten Digestenstellen für klassisch,
für Justinianisch dagegen bei Ulp. disp. 12, 4, 5, 1 ; ed. 13, 6, 5, 8
(hier tritt ihm auch Bertolini, s. o. Nr. 1 S. 273 Anm. 2 bei);
ed. 13, 7, 36, 1; disp. 17, 1, 29 pr. Was ülp. disp. 12, 4, 5, 1
betrifft, so kann die Möglichkeit einer Interpolation vielleicht zu-
gegeben werden; an den anderen drei Stellen spricht nach wie vor
kein innerer Grund für gerade Justinianische Interpolation und jede
Wahrscheinlichkeit dagegen. Denn wenn dem Justinian „die Sache"
(also wohl der Begriff) des cert. fremd wäre, so hätte er die fremde
Sache kaum so oft interpoliert. Der Begriff ist ihm aber gar nicht
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W. Kalb: Römische Juristen.
fremd ; das klassische certiorem facere war jener gekünstelten Sprache
bloß zu wenig gewählt. Certiorare hätte sich z. B. verwenden lassen
bei Just. Cod. 1, 27, 2, 13 cum . . . docuerit nos de omni ordi-
natione . . dioeceseos; 2, 55, 5, 1 attestatio . . . per quam mani-
festum ei fiat definitionem non esse amplectendam; 1, 1,8, 12 manifestum
facimus vestrae sanctitati, ähnl. § 22. Ersatz ist manifestare an
folgenden Stellen: 8, 86, 5, 1 cum non emptori manifestaverit rem
in iudicium deductara fuisse; 4, 30, 14, 4 querellam non numeratae
pecuniae manifestare ei (ähnl. 1, 4, 21, 1); 6, 2, 20 pr. . . . Si
6ervus . . hoc doraino manifestaverit (vgl. Ulp. ed. 5, 3, 20, 11
nisi forte is cui denuntiatum est eum certioraverit) *).
178. Fitting, Zur Kritik des Digestentextes. Sav.-Z. XXVI
49—53 gibt ansprechende Konjekturen zu 10 Digestenstellen.
Giffard s. o. Nr. 170.
178a. P. F. Girard, Une exception ä la division de la loi
„Furia de sponsu", Naples 1905, Estratto dagli Studi in onore di
C. Fadda zeigt, daß für Pap. q. 46, 6, 12 Si plures fideiussores a
tutore pupillo dati sunt usw., wo Lenel in seiner Palingenesia die fide-
iussores nicht als Justinianischen Ersatz der sponsores betrachtet,
noch nicht Gai. Inst, verwertet sind. Die Lex Furia de sponsu, eine
Lex minus quam perfecta, setzte nach Gai. 4, 22 eine manus iniectio
pro iudicato fest adversus eum, qui a Sponsore plus quam
virilem partem exegisset; die actio auf das Ganze war demnach
durch die Lex Furia an und für sich nicht verboten; wohl aber
hat der Prätor die Konsequenzen gezogen und bei einer Klage auf
das Ganze in der Regel sofort eine Exceptio im Sinne der Lex Furia
gegeben (Gai. 3, 121). Diese Exceptio erklärte Papinian für un-
billig bei der satisdatio rem pupilli salvam fore. Nimmt man so an,
daß Pap. ursprünglich von sponsores sprach, so erklärt sich das Frag-
ment Papinians viel leichter, als wenn er von fideiussores gesprochen
*) Auf 9. 583 dieser interessanten Abhandlung macht Erman die Be-
merkung, certiorare gehöre in Dig. 19, 1,39 nicht dem Modestin selbst, sondern
dem ihn fragenden Juristen, dessen Anfrage Modestin seiner Art nach wörtlich
wiedergebe, ähnlich wie resp. 50. 1, 36 (unbeantwortete Fragen); 2, 14, 35
(„pecuniam auream"); 10, 2, 30 (erste Person); 31, 34, 3 („post multos dies");
34, 1, 4 pr. (griechisch-breite Ausführungen). Tatsächlich scheinen die An-
tragen mehr Vulgarismen zu haben als die eigenen Ausführungen Modestins;
die Vulgarismen in den Anfragen an Juristen würden ein dankbares
Thema für eine philologische Doktorarbeit geben. Daß der Jurist aber
(soweit es sich nicht ohnehin um bloß fingierte Anfragen handelt) die Worte
der Anfragenden nach freiem Ermessen umändert, will E. wohl nicht be-
streiten. (Vgl. für 8caevola jetzt Samter, Sav.-Z. XXVII 151 ff. s. Nachtrag.)
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Justiniani Digesta: Exegese und Kritik. 87
hätte; die fideiussores sind also auch in der 1. c. Justinianischer Er-
satz der sponsores.
179. 0. Graden witz, Natur und Sklave bei der naturalis
obligatio in der * Festgabe für J. Th. Schirraer zum 1. Aug. 1900
(besprochen von H. Kruger in Sav.-Z. XXIII 481 ff.) erklärt (auch
aus sprachlichen Gründen) bei Jul. d. 46, 1, 16, 4 (Naturales obli-
gationes usw.) die Worte naturales debitores als Einschiebung
Tribonians statt des ursprünglichen servi. Er gibt dabei lexiko-
graphischen Aufschluß über das Vorkommen von natura (mit naturalis,
naturaliter) in den Digesten.
180. 0. Gradenwitz, Libertatem imponere. Sav.-Z. XXIII 337
bis 347. Libertatem imponere, häufig bei Justinian (nach Gr. in An-
lehnung an vindictam oder festucam imponere gebraucht oder im
Gegensatz zu servitutem imponere gebildet) entspricht dann nicht dem
Sprachgebrauch der klassischen Juristen, wenn die libertas nicht als
Last gefaßt werden kann. Es kommt in den Digesten viermal vor.
Jul. d. 40, 2, 4 pr. erweist sich als von den Kompilatoren um-
gearbeitet durch eine Parallelstelle (vgl. diesen Jhber. CIX 63),
Pap. q. 38, 2, 41 (vgl. Kalb, Juristenlat. S. 75) verrät auch durch
den Inhalt die Hand Tribonians; weniger entschieden kann man die
Interpolation behaupten für Ulp. ad S. (Pap.) 24, 1, 7, 8 und Ulp. ed.
4, 4, 11, 1, da hier das imponere der Freiheit immerhin als eine
Last für den Käufer (freilich nicht für den Sklaven, worauf es eigent-
lich ankäme) gefaßt werden kann.
0. Gradenwitz, Sav.-Z. XXIV 249 (s. o. Nr. 96) will bei
Ulp. ed. 13, 4, 2 pr. : quod si rei interest, minoris fit pecuniae con-
demnatio quam intentum est, aut si actoris, maioris pecuniae tiat
nicht mit Hai. die beiden letzten Worte streichen, sondern lieber
sich denken minoris fit arbitratus quam intentum est, aut (at?) si
actoris, maioris pecuniae fiat condemnatio. Er zitiert auch Cohn,
Actio de eo quod certo loco S. 191, der die Stelle für „zugerichtet"
hält, vielleicht durch Streichungen. — Mit dieser Stelle verträgt sich
nach I. C. Naber, Mnemosyne XXX 321 nicht Ulp. cd. 18, 4, 2, 8.
Nach Gradenwitz war hier der komplizierte Mechanismus der Formeln
erläutert, und die Kompilatoren mußten deshalb streichen und ändern.
181. 0. Gradenwitz, Licet enim legibus soluti sumus attamen
legibus vivimus. Sav.-Z. XXVI 847—366 glaubt, daß licet . . . attamen
in den Digesten in der Regel von Justinian interpoliert ist, besonders
wenn die subtilitas iuris dem aequnm et bonum weichen muß. Die
Aufstellung ist nicht ganz neu; nur für vier Stellen (an denen die
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W. Kalb: Römische Juristen.
Interpolationsannahme sogar einem Anton Faber unmöglich gedünkt
zu haben scheint) sind uns keine Vorgänger bekannt.
181a. Derselbe bespricht in Sav.-Z. XXVII 228 ff. (Zur actio
de peculio) u. a. Ulp. ed. 15, 1, 30, 4 (s. Nr. 175).
182. Hell mann, Zur Terminologie der römischen Rechts-
quellen in der Lehre von der Unwirksamkeit der juristischen Tat-
sachen, Sav.-Z. XXI11 380—430, XXIV 50—121 hat vermutlich für
den Juristen in manchen Abschnitten größeres Interesse als für den
Philologen. Denn für Philologen kann es kaum einen wesentlichen
Zweck haben, daß im ersten Abschnitt in vielteiliger , wörterbuch-
ähnlicher Disposition eine ungezählte Menge von Ausdrücken wie rata
erit traditio, valebit donatio und andere, die sich auf die Gültigkeit
von Rechtsgeschäften beziehen, zusammengestellt werden. Der Philo-
loge möchte weniger eine Statistik als die Ergebnisse der Statistik
vor sich sehen. Als ein solches sei angeführt, daß die Rechtssprache
22 Ausdrücke gebraucht, welche die Nichtigkeit eines Rechts-
geschäftes (oder nach dem Vf. genauer: „die Unwirksamkeit einer
juristischen Tatsache") bezeichnen: non consistit, corrumpitur, in-
firmatur, vitiatur, effectutn non habet, inefficax est, non est, nullus est,
locum non habet, irritus est usw. Bei den häufigsten Rechtsgeschäften
kommen naturgemäß die meisten Ausdrücke zur Verwendung, z. 13.
für legatum alle mit Ausnahme von inane esse, nihil agi, non esse,
non videri factum. Aber es scheint sich doch auch ein bestimmter
Sprachgebrauch gebildet zu haben : z. B. servari non oportet wird
nach H. fast ausschließlich für pactum, nihil agi nur für Hand-
lungen inter vivos angewendet. — Nullus est wird zwar auch zur
Bezeichnung des Nichtdaseins von Tatsachen verwendet, z. B. Jul.
ad Urs. 30, 104, 1 si tabulae nullae fueruut, wenn keine Urkunde
existiert. Aber wo es sich um ein Urteil über die (juristische)
Wirkungsfähigkeit eines Tatbestandes handelt, weist es nach H. immer
auf den Mangel der Wirkungsfähigkeit und nicht auf den Mangel
des Tatbestandes hin (oder, wie H. S. 70 sagt, sprachlich bleibe es
korrekt, von der Existenz eines Tatbestandes zu reden, obwohl er
unvollendet sei). Nulluni fideicommissum erit heißt also nach H.
nicht : es wird kein Fideikommiß vorhanden sein, sondern : das Fidei-
kommiß hat nicht seine normale Wirkungsfähigkeit. Der Nichtjurist
wird die Tragweite solcher Feststellungen schwerer einschätzen können.
Und wenn Vf. die Richtigkeit von Leonhards Aufstellung (Irrtum S. 297
bis 338) bestreitet, daß das attributive nullus in der Regel bedeute „keinu,
das prädikative dagegen „nichtig14, so könnte dies dem Nichtjuristen
für die sprachliche (und wohl auch die exegetische) Seite ein Streit
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.Tustiniani Digesta: Exegese und Kritik.
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um des Kaisers Bart scheinen, zumal das prädikative Adjektiv aus
dem attributiven hervorgegangen ist. Aber der gelehrte Jurist
zielt vermutlich auf systematische Ergebnisse ab , die unserem Ge-
biete fernerliegen. — Im letzten Abschnitt bespricht H. die Ausdrücke,
welche die Anfechtbarkeit der Rechtsgeschäfte (oder genauer
„der juristischen Tatsachen") bezeichnen. Es sind dies retractare
(retractatio), das „in einem anderen Sinne als in dem eines auf Rück-
gängigmachung bereits eingetretener Rechtswirkungen gerichteten
Angriffs überhaupt nicht vorkommt *, sodann rescindere (rescissio)
und revocare (revocatio), die auch zuweilen die Nichtigkeit eines
Rechtsgeschäftes bezeichnen *). —
183. E. G. Herreros, La sucesion contractual. (Prölogo
de R. de Urena.) Madrid 1902.
Die Arbeit, eine gekrönte Preisschrift, ist dem Andenken von
A. Comas gewidmet, zu dessen Ehrung die Preisaufgabe gestellt war:
Es aplicable la forma jurfdica del contrato ä todas las instituciones
de la sucesion mortis causa? Romanische und germanische Rechtssysteme
werden herangezogen, und schließlich werden als Anhang Verbesserungs-
vorschläge zu den entsprechenden Paragraphen des Cödigo civil Espaflol
gemacht. Die vielseitige Arbeit berührt demnach unserGebiet nur wenig.
184. Houtsma handelte nach WklPh. 1904 S. 125 in der Kgl.
holl. Akademie der ■Wissenschalten vom 9. Sept. 1903 über den von
Ulpian off. proc. 47, 11, 9 erwähnten Skopelismus in Arabien, den
er mit der schon vor Mohammed bestehenden Sitte des Steinwerfens
in Verbindung bringt.
185. P. Krüger, Bemerkungen zu Dig. 40, 7, 29 § 1. Sav.-Z.
XXIV 193 — 197. Pomp, ad Q. Mucium 1. c. sagt: Q. Mucius
scribit: Paterfamilias in testamento scripserat : „Si Andronicus servus
meus heredi meo dederit decem, Uber esto". Deindc de bis bonis
coeperat controversia esse .... Si viginti heredi scripto dedisset
et res contra possessorem (i. e. contra hunc) iudicata esset, illum in
Servitute fore usw. Die Stelle war bisher schwer zu verstehen und
sie widersprach anderen Digcstenstellen. Auf einfache Weise hilft
P. Krüger ab, indem er liest Deinde de (h.is =) heredis bonis
coeperat controversia esse. — Den Schluß des Fragments hat
A. Faber schon von sed verissimum est an ohne genügenden Grund
für unecht erklärt ; wohl mag etwa verissimum est kürzend eingesetzt
*) Nach einer Andeutung auf S. 120 scheint der vorliegenden Veröffent-
lichung eine weitere Arbeit folgen zu sollen, worin die Frage beantwortet
wird, welche praktischen Konsequenzen von der Aufstellung des Begriffs der
„Anfechtbarkeit" zu erwarten sind.
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W. Kalb: Römische Juristen.
sein, aber anstößig sind erst im letzten Satz die Worte: hunc aotem,
id est possessorem hereditatis.
0. Lenel, Zur Form der klass. Litiskontestation (s. o. Nr. 102)
erklärt Ulp. ed.' 46, 7, 3 pr. si quis apud aliquem iudicem iturus
stipulatus est iudicatum solvi et agit apud alternm, non committitur
stipulatio für interpolationsverdächtig; die Stelle werde ursprünglich
von der Ersetzung der Centumviri durch einen Einzelgeschworenen
oder umgekehrt gehandelt haben.
186. Ernst Levy, Zur Lehre von der Muciana cautio im
klass. röm. Recht, Sav.-Z. XXIV 122—151 beweist zunächst, daß die
herrschende Lehre richtig ist, wonach die Muciana cautio nicht ein
Institut des prätorischen, sondern des Volksrechtes (Juristenrechtes)
ist. Von den weiteren Ausführungen, die alle recht anregend sind,
wenn uns auch der Raum verbietet, näher darauf einzugehen, sind
einige kaum haltbar. Gewiß mit Unrecht erklärt er für interpoliert
Gai. prov. 85, 1, 18 Is cui sub condicione non faciendi aliquid re-
lictum est, ei scilicet cavere dehet Muciana cautione, ad quem iure
civili deficiente condicione hoc legatum eave hereditas pertinere potest.
Die sachlichen Gründe sind, soweit unser Urteil reicht, hinfällig, so-
bald man die Stelle cum grano salis versteht, und haltlos ist der
sprachliche Hinweis auf cautione cavere, den er für die Zeit des Gaius
als 3ira& sfprjuivov bezeichnet. Denn bei Justinian, der es interpoliert
haben soll, wäre es erst recht ein ohrac sfpr^uivov; dieser sagte nicht
nur nie so (sondern cautionem oder cautelam praestare, exponere,
auch dare und facere), sondern er gebrauchte auch cavere allein
fast nie im Sinne von cautionem interponere, sondern im Sinne von
„anordnen", seltener „sich hüten", „sich enthalten4* (weshalb bei-
läufig bemerkt auch cavere in iudicio sisti bei Ulp. ed. 5, 1, 2, 6
kaum erst von Justinian in Ulpians Text statt vadimonium facere ein-
gesetzt sein kann). Dagegen lesen wir in den Digesten bei Herrao-
gcnian (epit. 46, 8, 6) cautione[m?] ratam rem dominum habiturum
cavere compellendus est. Damit findet sich Vf. leicht ab: „ohne An-
gabe eines hinreichenden Grundes" würden von Kipp, Quellenkunde9
S. 125 die Fragmente, die wir unter Hermogenians Namen haben,
(der Sprache nach) der klassischen Zeit zugerechnet. Kipp hat seine
Gründe durch Verweisung angegeben*). — Weiterhin wittert L. eine
*) Jedenfalls ist zu cautione cavere nur noch ein Schritt von der
folgenden Konstruktion: Ulp. ed. 5, 1, 2, 6 debebit cavere in iudicio sisti
;s. o.) . . . Sed utrum nuda cautione an satisdato, Marcellus dubitat.
Sogar Gaius selbst schreibt urb. 30, 69, 5 ut cautio interponeretur , qua
heres caveret. Übrigens hat der Abi. bei der etymologischen Figur gar
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Justiniani Digesta: Exegese und Kritik. 91
Interpolation bei Ulp. ad S. 35, 1, 7 pr. Mucianae cautionis utilitas
consistit in condicionibus (das darf man natürlich nicht mit L. über-
setzen „besteht in Bedingungen" : son9t wäre es allerdings „durchaus
unlogisch" ; sondern es heißt: „die Anwendung tritt ein bei B.a) quae in
non faciendo sunt conceptae, ut puta „si in Capitolium non ascenderit" usw.
— wo Ulpian nicht entfernt daran denkt, die Grenzen der Muciana
cautio zu erweitern; er hat vermutlich im weiteren Verlauf gesagt:
Sed non in omnibus condicionibus, quae in non faciendum sunt con-
ceptae, Muciana cautio locum habet, sed in his tantummodo, quae
nisi fine vitae impleri non possunt oder ähnlich. Ebenso soll in § 1
die zweite Begründung interpoliert sein nam iure ipso videtur impleta
condicio eo, quod non est, quem possit de dote convenire ipse ade-
undo hereditatem. Im übrigen müssen wir unser Manuskript kürzen
und auf den Aufsatz selbst verweisen.
187. A. Manigk, Zur Geschichte der römischen Hypothek I.
Die pfandrechtliche Terminologie und Literatur der Römer. Breslau
1904. Gegenüber der seit lange herrschenden Meiuung, daß die
Schutzklagen für den Gläubiger bei der Verpfändung einer Sache
durch bloßen Vertrag (statt durch Übergabe als Faustpfand oder
durch Fiducia) ihren Ursprung mehr oder weniger lange vor Ende
der Republik gehabt hätten und bloß der Name hypotheca für jenes
Vertragspfand erst später entstanden sei, hat sich neuerdings eine ent-
gegengesetzte Auffassung geltendgemacht (Kuntze, Voigt), und zu-
letzt hat N. Herzen als Entstehungszeit jener Schutzklagen die Zeit
etwa zwischen 30 v. Chr. und 70 n. Chr. nachzuweisen versucht (vgl.
diesen Jhber. CIX 28). Manigk zeigt, daß Kuntze und Voigt nur
einen Teil der Quellen berücksichtigten und hier zuweilen falsch
interpretierten. Er selbst schafft sich für die Erforschung der römischen
Hypothek zunächst eine feste Grundlage , indem er mit Hilfe des
Berliner Wörterbuches und Index zu den Digesten und an der Hand
der Lenelschen Palingenesia alle auf das Pfandrecht bezüglichen
Rechtsquellen zusammenstellt und nun die Stellen nach den einzelnen
Juristen katalogartig bespricht. Da kommen denn ganz andere Er-
nichts Auffallendes ; er durfte nur wegen des Akkusativs noxam nocere u. ä.
bei Kalb, Juristenlatein2 S. 36 nicht unerwähnt bleiben. Der Abi. der figura
etymologica findet sich wohl zu allen Zeiten gelegentlich angewendet, weil
er eine bequeme Hilfe ist, wenn die anderen möglichen Verba gerade nicht
zur Hand sind. Den a. a. 0. beigegebenen Wendungen fügen wir bei multa
multettir bei Ulp. ed- 11, 5, 1, 4; puniendus ea poena Ulp. ed. 26, 10, 3, 15;
una cludatur clausula Ulp. disp. 46, 7, 13 pr.; für actione agere gibt Küblers
Vocabularium iurispr. Rom. ungezählte Belege.
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92
W. Kalb: Komische Juristen.
gebnisse zutage, als Voigt und Kuntze sie gefunden. — Was sich
für die Terminologie von pignus und hypotheca ergibt , wird in
einem ersten Kapitel vorausgeschickt. Pignus bedeutete ursprünglich
das Faustpfand, weshalb Gaius es von pugnus ableitete. Als weiter-
hin das Vertragspfand aufkam , zunächst für die invecta illata , be-
zeichnete man auch dieses als pignus, weil man eben keinen anderen
Ausdruck hatte; so lauten Formeln für den Pfandvertrag über ein-
gebrachte Sachen des Gutspächters bei Cato R. r. 146 donicum solutum
erit aut satisdatum erit, pignori sunto oder ähnlich*). Bei den
Juristen wird pignus oft im Sinne von hypotheca gebraucht, wo aus
dem Zusammenhang sich ergibt, daß ein Vertragspfand gemeint ist.
Einige Stellen sagen ausdrücklich, daß kein Bedeutungsunterschied sei.
Erst spät wird pignus als Faustpfand gelegentlich auch in Gegensatz
gebracht zu hypotheca als Vertragspfand, z. B. Ulp. ed. 13, 7, 9, 2
proprie (= im engeren Sinne) pignus dicimus quod ad creditorem
transit, hypothecam cum non transit nec possessio (ins. nec dominium ?>
ad creditorem. — Mit Vorliebe, doch durchaus nicht immer, werden
vom Vertragspfande gebraucht pignus obligare und pignori rem obli-
gare (vgl. oben S. 83), ebenso, aber durchaus nicht so regelmäßig,
wie Voigt will, pignori accipere und dare vom Faustpfand. Aus
der oben angeführten Formel bei Cato erklärt es sich, daß convenit
ut res pignori esset und ähnliche Wendungen gerne vom Vertrags-
pfande, speziell für die invecta illata, gebraucht werden, so auch bei
Gai. 4, 147 (s. u., Anm.), wo pignori pepigisset nicht zusammengehört. Im
ganzen stellt Vf. etwa 60 Verbindungen zusammen, welche das Ver-
pfänden betreffen; sie berechtigen ihn zu dem Schluß, daß pignoris
causa tradere und accipere durchaus nicht immer interpoliert sein
muß, wie man gemeint hatte. — Die Verba, mit denen hypotheca ver-
bunden wird, sind im ganzen die gleichen wie bei pignus (hypothecae
dare usw.). Schon daraus geht hervor, daß es bloß ein gelegent-
liches Ersatzwort für pignus ist. Das Wort hypotheca (hypothecarius)
wurde übrigens bei den römischen Juristen im allgemeinen nicht recht
*) Herzen, Bericht über das vorliegende Buch in Sav.-Z. XXV 4o0
will hier kein Vertragspfand, sondern ein gewöhnliches Faustpfand er-
kennen, so daß der Eigentümer des Grundstückes gleichzeitig als Besitzer
der invecta et illata betrachtet worden wäre. Aber schon in dem vor-
liegenden Teile nimmt M. gegen diese Auffassung Stellung. Wenn für den
Catonianischen Vertrag der Besitzschutz auagereicht hätte, wie Kuntze u. a.
glauben, so wäre nicht abzusehen, weshalb man später noch ein besonderes
Schutzedikt erlussen hätte: Gai. 4, 147 (Interdicto . . . Salviano) utitur
dominus fundi de rebus coloni, quas is pro mercedibus fundi pignori futuras
pepigisset.
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Justiniani Digesta: Exegese und Kritik.
heimisch. Julian gebraucht es, obwohl mehrere Stellen auch vom
Vertragspfande handeln, nur einmal; Afr. nicht; Gaius nicht, außer
in dem Werk ad form. hyp. , hier aber 1 9 mal; Marcellus nicht;
Scaevola nur 4 mal, trotz seinen sonstigen Gräzismen, und zwar 3 mal
in Verbindung mit pignus (p. sive h. u. ä.); Pap. nur 6 mal (nie
actio hypothecaria , sondern dafür Serviana); Ulp. nur 7 mal (trotz
ISO pfandrechtlichen Stellen!); Paul, nur 5 mal (trotz 81 pfand-
rechtlichen Fragmenten); Marcian nicht — außer in seiner Mono-
graphie zur form, hyp., hier aber sogar 6 2 mal. Hierausgeht
hervor, daß man aus dem späten Auftreten des Wortes hypotheca
keinen Schluß ziehen darf auf spätes Auftreten des Vertragspfands,
welches man ja heute überall (bei uns beschränkt auf Immobilien)
Hypothek nennt. Weshalb hypotheca eigentlich nur in den Werken
ad form. hyp. des Griechen Gaius und des Marcianus sich wirklich
heimisch zeigt — zwei Juristen, von denen keiner ihrer Zeitgenossen
etwas erwähnt, da man von Gaius noster bei Pomp, und von den Re-
skripten an einen Marcianus wohl absehen darf — , das wird M. wohl
im zweiten Teil erklären ; er wird vermutlich auch daran erinnern, daß
für die «hypotheca, d. h. das Vertragspfand, abgesehen von den in-
vecta et illata außerhalb Italiens ein besonderes Bedürfnis vor-
lag für die Grundstücke, die, der römischen Eigentumsübertragung
durch mancipatio und in iure cessio entrückt, mit fiducia nicht verpfändet
werden konnten. Dieses Bedürfnis machte sich vermutlich schon bald
nach Erwerbung der ersten Provinzen geltend. Die Römer erblickten
in diesem Vertragspfande nicht von Anfang au eine griechische
Hypothek; es hatte vielmehr nationalen Ursprung. Direkte Zeug-
nisse für den dinglichen Klagschutz des Vertragspfandes (der Hypothek)
finden sich zwar nach Manigk erst seit Celsus. Doch werden auch
andere alte Rechtsinstitute bei den ältesten Pandektenjuristen nicht er-
wähnt. Wir haben eben nur wenig Reste von ihnen. Jedenfalls aber
treten schon bei den ersten Juristen, die jenen Klagschutz erwähnen,
kompliziertere Fälle auf, welche eine längere Entwicklung des Rechts-
institutes voraussetzen. Julians Fragmente über das Pfandrecht
haben nach Zahl und Bedeutung den Vorrang vor denen des Pomponius
(gegen Kuntze). Lenels Annahme, daß das ganze 85. Buch von
Pomp, ad Sab. von der fiducia gehandelt habe, beruht nach M. auf
dem Mißverständnis von ein paar Stellen*). — Wir haben hier
*) Für M.s besonnene und selbständige Auffassung der Digesten-
fragmente bringen wir als Beispiel statt vieler Stellen eine, Pomp, ad S. 13,
7» 6 pr. (Quamvis convenerit, ut fundum pigneraticium tibi vendere liceret
usw.). Hier hat man seit Cuiacius (Obs. VII 139) und A. Faber (Conj. VIII,
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W. Kalb: Römische Juristen.
wieder eine jener (leider!) seltener gewordenen Monographien vor
uns, die, wie es wissenschaftlicher Sinn verlangt, zuerst die Quellen
prüfen, um darauf ihre Schlüsse aufzubauen, während man anderweit
zuweilen zuerst sich irgendeine Hypothese ausdenkt, um dann die
Quellen, die nicht dazu stimmen wollen, für falsch zu erklären.
188. N. Herzen, Sav.-Z. XXV 449 — 457 ist dagegen mit dem
Gesamtergebnis nicht in allen Punkten ganz einverstanden. — Zu er-
wähnen ist auch die (im ganzen anerkennende) Anzeige durch
H. Erman in BphW. 1905 S. 1409—1417.
189. R. v. Mayr, Condictio incerti. Sav.-Z. XXIV 258—278,
XXV 188—232 bringt für die Digestenkritik wenig vollständig Neues. Die
Kompilatoren sollen allenthalben eine besondere Vorliebe für die con-
dictio bekunden. Die condictio hält Vf. für identisch mit der actio
certae creditae pecuniae, nur bezeichnet actio c. c. p. regelmäßig den An-
spruch, condictio dagegen das Verfahren. Mit Recht hält Vf. S. 266 die
♦Stint zingsche (Beiträge z. röm. Rechtsgesch., Jena 1901) (An-
nahme einer) Interpolation bei Paul. ed. 12, 2, 14 für „kaum über-
zeugend begründet". Die „berüchtigte" Stelle Ulp. ed. 12, 1, 9 pr.
u. 3 Certi condictio competit usw. hält v. M. mit manchen • anderen
immer noch für interpoliert. An der „Schwesterstelle", Paul. ed.
46, 2, 12, hält v. M. zunächst nur die Ausdrücke condictio certi und
incerti für verdächtig (s. u.). Die Condictio triticaria (Dig. 13 tit. 3)
hält v. M., was den Ausdruck betrifft, mit Naber (dag. Kalb, Jhber.
LXXXIX 265) für Justinianische Schöpfung.
Ebenso hält er, was den Ausdruck betrifft, die condictio incerti
für eine Erfindung der Kompilatoren, wenn sie auch sachlich schon
in einer Zeit zulässig wurde, die infolge Verschwindens des Formular-
prozesses das Verständnis für das besondere Kondiktionenverfahren
verloren hatte und ungeschent condictio mit actio in personam über-
haupt identifizieren konnte. Im klassischen Recht entsprach der
Trichotomie Justinians (cond. certi, ine, trit.) vermutlich der Gegen-
satz von einerseits condictio (= actio certae pecuniae) und ander-
14 u. 18) nachgewiesen, daß Justinianisch seien die Worte melius autem est
dici eum, qui dederit pignus, posse vendere et aeeepta pecunia solvere id
quod debeatur, ita tarnen ut creditor necessitatem habeat ostendere rem
pigneratam (der folgende Wennsat« hängt nach M. vom nachfolgenden
c. praestanda ab); «t mobüis «tt, prius idonea cautela a debiiore pro indemm-
tote ei praestanda. Invitum enim creditorem cogi vendere satis inhumanum
est. M. weist nach, daß die Stelle, wenn man so wie er interpungiert, an
Einheitlichkeit und Logik nichts zu wünschen läßt. Er hält sie für echt
Ulpianisch, und hier hat er wohl recht (bis auf si mobilis sit, prius . .
cautela . . praestanda, vgl. Kalb, Roms Jur. S. 139).
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Justiniani Digesta: Exegese und Kritik.
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seits actio incerti (wenn Trampedach dafür incerta actio ursprüng-
lich geschrieben denkt, so gesteht R. v. M. nur so viel zu, daß
manchenorts, nicht immer, die Genitivform Tribonianisch sein kann). —
Die besprochenen Stellen anzuführen, fehlt der Raum.
190. H. H. Pflüger, Ciceros Rede pro Q. Roscio Comoedo
rechtlich beleuchtet und verwertet. Leipzig 1904 ist u. a. besprochen
von W. Kalb, WklPh. 1905 S. 900—905 und von E. I. Bekker in
Sav.-Z. XXV 390—395. Der Auffassung, daß die Kondiktionenlehre
sich aufbauen lasse auf dem Ciceronianischen Gedanken „haec pecunia
necesse est aut data aut expensa lata aut stipulata sit" (von
dem aus Pfl. für die condictio rei weiter folgert, daß die res aut
data aut stipulata aut contrectata sein müsse) setzt E. I. B. erneut
den Hinweis entgegen auf Ulp. cd. 12, 1, 11, 2 und begründet den
Einwand stichhaltig. Für die Condictio ist nicht immer nötig vorher-
gegangene datio (pecuniae), es genügt auch, wenn pecunia (oder res)
mea ad te pervenit. — Wenn eine Digestenstelle zu jenem von Pfl.
aufgestellten Satze (wobei er freilich hinsichtlich des Erfordernisses
des datum ziemlich weitherzig ist) nicht paßt, so erkennt er darin
Justinians Hand. So mustert er alle Stellen mit condicere und con-
dictio durch. Aber wir haben a. a. O. darauf hingewiesen, daß das
Recht von Cicero bis zu Ulpian sich doch gewiß weiterentwickelte, und
daß anderseits Justinian, wie aus seinen Konstitutionen hervorgeht, den
Begriff der condictio nicht besonders liebt. Das Wort condictio gebraucht
Justinian nur 10 mal (darunter 3 mal condictio ex lege), das Verbum con-
dicere fehlt bei ihm völlig. — E. I. Bekker erinnert daran, daß die Kom-
pilatoren nicht die Zeit hatten, unnötige Änderungen in größerer Zahl zu
raachen; gar manches, das uns als Justinianische Neuerung erscheint, ist
schon vor Justianian durch den Einfluß der Wissenschaft und nach deren
Erlöschen durch die Praxis ins Leben gerufen worden. Erwiesen ist
z. B., wie B. beiläufig bemerkt, durch das Syrisch-römische Rechts-
buch, daß Justinians Verordnungen über die donatio propter nuptias
nicht neues Recht geschaffen, sondern nur frühere Bräuche gesetzlich
bestätigt haben. — Trotzdem hält Bertolini noch 1905 (s. o. Nr. 1)
die condictio certi und incerti für Neuschöpfungen der Kompilatoren.
191. R. v. Mayr, Vindicatio utilis. Sav.-Z. XXVI 83—124
bespricht eine Reihe von Digestenstellen kritisch und exegetisch. Die
vindicatio utilis (die man nach den Quellen nicht rei vindicatio utilis
nennen darf), in den Quellen in der Regel utilis in rem actio oder in rem
utilis oder utilis actio ad rem vindicandam, zuweilen schlechthin utilis
actio genannt , doch nicht identisch mit der Publiciana , ist von
Mancaleoni, Contributo alla storia ed alla teoria della rei vindi-
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W. Kalb: Römische Juristen.
catio utilis, Studi Sassaresi, I 1, 1901, S. 1 ff., 80 ff., zögernd auch
von Lenel, an einzelnen Stellen auch vom Vf. selbst als Inter-
polationswerk bezeichnet worden. Das Fragment Gai. prov. 24, 1,
80 (es besteht aus vier Wörtern) utilem tarnen viro competere ist nach
R. v. M. mit Unrecht für interpoliert erklärt worden. Bei Ulp. ed.
39, 6, 29 u. 30 ist er eher geneigt, an irgendeine Änderung zu
denken. Bei Gai. cott. 41, 1, 9, 2 (Sed non uti litterae chartis
membranisve cedunt usw.) will R. v. M. einen Gegensatz finden zu
Gai. Inst. 2, 78. Es ist aber kaum einer vorhanden. Denn si petas
imaginem tuam esse bei Gai. Inst, kann im Hinblick auf die Vindi-
kationsformel unmöglich auf eine persönliche Klage gedeutet werden ;
vgl. Kalb, Juristenlatein2 S. 55; es bedeutet genau dasselbe wie die
recta vindicatio bei Gai. cott., wo also recta von R. v. M. ohne Grund
verdächtigt wird. Als echt wird verteidigt Ulp. op. 26, 9, 2 (Si tutor
vel curator usw.) gegen Eisele, Phil. Cod. Just. 3, 32, 8 (Si, ut pro-
ponis usw.) gegen Mancaleoni.
191 a. A. de Medio, * I Tribonianismi avvertiti da Antonio Fabre,
Bull. XIII (1901) S. 208—242 gibt nach Jörs, Paoli-Wissowas Real-
enzyklop. V 522 ein Verzeichnis der von A. Faber als interpoliert
bezeichneten Stellen, Ausdrücke und Redewendungen.
192. L. Mitteis, Textkritische Miszellen. Sav.-Z. XXII 125
bis 139 bespricht Proc. ep. 23, 3, 67 Ancilla quae nupsit usw., die
nicht so stark interpoliert ist, wie A. Pernice annahm: interpoliert
mag sein nisi forte usucapta est, echt ist dagegen Quod si vir eam
pecuniam pro suo possidendo usucepit; interpoliert ist nach Mitteis
(Kalb, Jagd S. 16 [26] scheint unbekannt) utique si antequam matrimonium
esse inciperet, usucepit: d.h. nicht die usucapio pro suo ist Justinianische
Neuschöpfung, sondern die Lehre von der dos tacita bei konvalidierten
Sklavenehen. Diese ist auch Justinianische Einfügung bei Ulp. ed.
23, 3, 39 pr. (Si serva servo quasi dotem dederit usw.), wo die
Iuterpolation beginnen soll mit den Worten ita res moderetur usw.
(Die Sprache hat aber nicht entfernt Justinianisches Gepräge. Ref.) —
Bei Just. Inst. 3, 15, 3 si ita stipuleris „Decem aureos annuos
quoad vivam dare spondes" ? et pure facta obligatio intelligitur et
perpetuatur, quia ad tempus deberi non potest ist annuos erst von
den Kompositoren der Institutionen eingesetzt. — Bei Ulp. ed. 43,
32, 1, 4 (Si pensio nondum debeatur usw.) hält M. die Worte ita
tarnen si conventio specialis facta est in conductione domus, ut non
liceat ante finitura annum vel certum tempus migrare für interpoliert.
(Auch hier spricht die Latinität kaum für die Annahme.)
193. Mitteis, Zur Geschichte der Erbpacht im Altertum (Abh.
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Ju8tiniani Digesta: Exegese und Kritik.
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der kgl. sächs. Ges. d. Wiss. XX 1901), besprochen von H. Er man,
Krit. Viertelj. 1904 S. 171—177 berührt unser Gebiet nur insofern,
als M. zeigt, daß Justinian zu einigen Änderungen der überkommenen
Rechtsquellen (s. Dig. VI Tit. 8; Cod. Just. 1, 33, 2; 11, 62, 12)
genötigt war, weil seit Ende des vierten Jahrhunderts der Eraphyteuta
(nach M. ursprünglich Zeitpächter von Äckern des kaiserlichen
Patrimonium) dem Perpetuarier (schon lange Erbpächter der kaiser-
lichen res privata) gleichgestellt worden sei. — Vgl. auch Nr. 194.
Mitteis s. auch u. Nr. 168.
194. T h. M o m m s e n , Zur Geschichte der Erbpacht (Sav.-Z. XXI II
441 — 443) verteidigt mit klaren Gründen die Echtheit von Paul. ed.
(6, 3, 1, 1 und) 6, 3, 3 (placuit competere eis in rem actionem ad-
versus quemvis possessorem, sed et adversus ipsos municipes) . . et
si ad teinpus habuerint conductum nec tempus conductionis finitum
sit, gegen Mitteis, Zur Geschichte der Erbpacht im Altertum, s. o.
Nr. 193.
195. A. v. Nolde (Petersburg) bespricht Sav.-Z. XXIV 441 bis
451 die russisch geschriebene Abhandlung von Nikolsky über die
Schenkungen zwischen Ehegatten (s. o. Nr. 81), der er wissenschaft-
lichen Wert abspricht.
H. H. Pflüger s. o. Nr. 190.
196. E. Habel, Die Haftung des Verkäufers. I. Geschicht-
liche Studien über den Haftungserfolg, Leipzig 1902 bespricht nach
H. Erman Sav.-Z. XXV 457 ff. auch einige Digestenstellen. Seine
Annahme , daß Paul. resp. 5 , 1 , 49 ursprünglich begonnen habe
nicht Venditor ab emptore denuntiatus sondern Venditor ab emptore
in ius vocatus, wird von E. widerlegt, ebenso die andere, bei Ulp.
ed. 19, 1, 11, 18 habe Justinian geschrieben Qui autem habere licerc
vendidit statt des Ulpianischen Qui a. h. 1. spopondit. Auch bei
Ulp. ed. 44, 4, 4, 31 (sed hoc in emptore solo servabimus usw.) ver-
teidigt E. gegen R. die Echtheit, dagegen ebenso die Unechtheit
bei Scaev. q. 45, 1, 131, 1 des traditus, für welches Lenel in seiner
Palingenesia mit Recht mancipatus eingesetzt hat.
197. R. Samter, Probatio operis. Sav.-Z. XXVI 125—144
stellt zu Flor. inst. 19, 2, 36 (Opus quod aversione locatum est usw.)
die aus sprachlichen Gründen kaum haltbare Meinung auf, bei et in
utraque causa nociturum locatori usw. sei nicht esse sondern est zu
ergänzen, und glaubt, daß das Mißverständnis dieser Stelle auch in
das Bürgerliche (§ 644) übergegangen sei.
198. Schloßmann, Nemo sibi ipse causam possessionis mutarc
potest, Sav.-Z. XXIV 13—49, will glaublich machen, daß diese alte
Jahresbericht für Altertum»™ «wehaft. Bd. CXXX1V. (1907. II.) 7
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W. Kalb: Kömische Juristen-
Regula iuris bedeute (S. 37): „Der auf Grund eines Vertretungs-
verhältnisses oder eines sonstigen Verhältnisses zur Verfügung über
eine fremde Sache Befugte kann diese Befugnis mit rechtlicher Wirkung
nur im Verhältnis zu Dritten, nicht zu sich und zu eigenen Gunsten
ausüben/ Die klassischen Juristen verstanden diese Regel nicht
richtig, weil sie zu ihrer Zeit längst durch andere Rechtssätze un-
nötig geworden war. Die Erklärung Julians (d. 41, 3, 33, 1), auf
die sich Savigny stützte, wie die des Marcellus (d. -11, 2, 19. 1),
welcher Jhering sich anschloß, gibt zu Einwendungen Anlaß, und
andere klass. Juristen wenden nach Schi, die Regel sogar an ganz
unpassenden Stellen an.
Andere Gelehrte pflegen, wenn die Digesten nicht zu ihren An-
sichten stimmen, Justinianische Interpolationen anzunehmen. Das tut
Schi, erfreulicherweise hier nicht. Bloß bei Jul. d. 41, 3, 33, 1
hält er totiens verum est, quotiens quis sciret *e bona ride non
possidere für eine Änderung des Julianischen Urtextes, der vielleicht
gelautet habe quotiens quis sciret se bona non possidere oder se
bonorum possessorem non esse. Kaum mit Grund.
199. Schloßmann, Zur Geschichte des römischen Kaufes,
Sav.-Z. XXIV 152—193 sucht den Widerspruch zwischen Paul. q. 19,
5, 5, 1 Si quidem pecuniain dem ut rem accipiam und Cels. d. 12,
4, 16 Dedi tibi pecuniam, ut mihi Stichum (mancipio? Schl.)dares:
utrum id contractus gcnus proportione (so liest Schi, gut statt pro portionc,
wozu pro consule — proconsule zu vergleichen ist) emptionis et ven-
ditionis est an nulla liic alia obligatio est quam ob rem dati re non
secuta? In quod proclivior sum anders, als es bisher geschehen ist,
zu lösen: die von Celsus gegebene Entscheidung erklärt sich als
Überbleibsel von einem (damals nicht mehr bestehenden) Recht, das
die Emptio venditio noch nicht als Konsensualkontrakt kennt (?).
sondern in der Mancipatio des Sklaven den eigentlichen Kontrakt
findet. Celsus hatte nach Schi, in der Fortsetzung geschrieben Finge
alienum esse Stichum, scd te cum tuntum tradidisse (tradidisse halte
Lenel irrtümlich für interpoliert statt mancipasse): repetere a te pe-
cuniam potero, quia homiuem non mancipavcris: et rursus , si tuus
est Stichus et mancipare eum non vis, non liberaberis {ut non pro-
hibcar) quominus a te pecuniam repetere possim. — Dare in dare
läcere oportere, fundum Tusculanum dari spondes u. ä. erklärt die
herrschende Meinung nach Schi, irrtümlich von der Übertragung des
Eigentums. — Gegen Schi, führt gute Gründe an H. Ermau,
Sav.-Z. XXV 467.
0. Lenel hatte für zahlreiche Digestenstelleu, in welchen wir
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Justiniani Digesta: Exegese und Kritik.
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einen fideiussor qoi in iudicio sistere promisit n. ä. finden, die Ver-
mutung aufgestellt, daß mit diesen Worten Jnstinian den vindex der
klassischen Juristen bei der in ius vocatio verdrängt habe. Schloß-
mann. Der Vindex bei der Iniusvocatio (s. o. Nr. 35) meint , daß
an jenen Stellen sich das Wort vindex ursprünglich nicht befunden
habe; doch gesteht er zu, daß durch die Justinianische Prozeß-
ordnung hier Interpolationen bedingt wurden: fideiussor ist in den
erwähnten Ausdrücken Justinianisch, ebenso in iudicio statt in iure.
Aber wie Justinian auf den Gedanken kommen konnte, den i s qui ...
sisti promisit zu ersetzen durch einen fideiussor, qui . . . sisti
promisit, dafür reicht Schl.s Erklärung nicht aus: vgl. Lenel, Sav.-Z.
XXV 232 ff. — Außerdem glaubt Schi. Justinianische Interpolationen
zu sehen in Dig. II Tit. 6 In ius vocati ut eant aut satis v e 1
cautum dent, wo Lenel wohl mit Recht ein ursprüngliches ut eant aut
vindicem dent angenommen hatte; bei Paul. sent. 2, 4, 17 erkennt Schi,
vorjustinianische Überarbeitung von Paul. Sent., vielleicht mit Recht.
Auch bei Paul. ed. 2, 8, 16 Qui iurato promisit iudicio sisti non
videtur peierasse, si ex concessa causa hoc deseruerit sind nach
Schi, höchstens die Worte qui promisit echt. Dig. II Tit. 8 Qui satis-
dare cogantur vel iurato promittant scheint Schi, deutlich Justiniani-
schen Stempel zu tragen, und bei Paul. ed. 12, 2, 15 Ad personas
egregias domum mitti oportet ad iurandum stammt das egregias
von den Kompilatoren, da die egregii erst in der konstantinischen
Rangordnung eine bestimmte Kategorie von Personen darstellen.
200. Sc bloß mann. Persona und UpfoeuTcov im Recht und
im christlichen Dogma, Kiliae 1906 bespricht in recht interessanter
Weise die Bedeutung und Etymologie von persona. Wir können den
Leser „den dornenvollen Weg" vom Gebiet des Altlateins durch die
christologischen Streitigkeiten nicht noch einmal führen, weil er
zuletzt doch zu keinem rechten Ziele führt. Wenn Theophilus sagt
ofxfwti dzpo3u):rot efatv, so bedeutet dies nach Schi, einfach: „Sklaven
haben keine Existenz" (natürlich für das Gesetz). Aber dem Begriff
persona selbst gehe jede Beziehung auf das Recht ab. Wenn
römische Juristen sagen servi personam non habent, so ist persona
in dieser Verbindung nur die Übersetzung des griechischen zp6aa>irov
usw. Aus den Aufstellungen soll hervorgehen, daß die Bezeichnung
„juristische Person" für Gemeinden sich trotz Frontin , De controv.
agr. II (Gromatici ed. Rudorff I 54 Z. 23), Agenius Urbicus 8, 6
(ebenda I 16) und Ulp. ed. 4, 2, 9, 1 nicht auf die römische Rechts-
sprache berufen dürfe. Man kann zwar bis jetzt aus den Aus-
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W. Kalb: Römische Juristen.
führungen des Vf. eher auf das Gegenteil schließen, doch will er
seine Erörterungen noch fortsetzen. — Fr. Schulz s. Nachtrag.
201. Vittorio Scialoja, Nota critica sul testo dell' Editto
edilitio „de ferisu. Roma 1901. (Aus Bull. XIII 1.)
Das Ädilenedikt bei Ulp. ed. aed. 21, 1, 40, 1 Ne quis canem
verrem vel minorem aprum lupum ursuin usw. qua volgo iter tiet, ita
habuisse velit, ut cuiquam nocere . . possit hatte Huschke ver-
bessert Ne quis canem verrem vel maiulem aprum usw. Sc zeigt,
daß diese Stelle, ohne daß es Huschke wußte, auch schon von
Cuiacius behandelt worden ist, der vel minorem als Glossem be-
trachtete. Sc. erklärt in einleuchtender Weise, wie leicht ein Ab-
schreiber, welcher fand CANEM VERREM infolge undeutlicher
Schrift seiner Vorlage zweifeln konnte, ob verrem zu lesen sei oder
minorem; er schrieb das eine und setzte gewissenhaft darüber „oder
minorem?4 So konnte es in den Text kommen. (Ebenso begreif-
lich wäre es, wenn vel minorem vor verrem eingesetzt worden wäre
als ironisch fragende Glosse zu canem. Zunächst erwartet man näm-
lich zu canem ein Attribut, das „wild" bedeutet; Bas. xuva
a^piov. Ref.) Ähnliche unbeabsichtigte Glossen zeigt Sc. noch an
mehreren Stellen.
202. Siber, Krit. Viertelj. 1904 S. 308 ff. bespricht auf
18 Seiten eine 75 Seiten umfassende Arbeit von Koeppen über Ne-
gotium mixtum cum donatione und scheint diesem zuzustimmen in
der (kaum begründeten) Annahme Justinianischer Interpolation bei
ülp. ed. 39, 5, 18 pr. und ad S. 24, 1, 5, 5 hactenus quatenus
locupletior quis eorum factus sit (dieses hactenus quatenus fehlt bei
Justinian).
203. *Studi di diritto, pubblicati in onore di V. Scialoja ,
Milano 1905, 2 voll., enthält (nach R. Caillemer, Nouv. Revue XXIX
690) unter anderem folgende Aufsätze:
R. de Ruggiero Sulla cautio usufruetuaria (I 71); S. Riccobono
über den Begriff des Usus im klassischen Recht (I 579), wobei eine Justiniani-
sche Interpolation für Ulp. D. 7, 8, 12, 1 gewittert wird; A. As coli, Sulla
prescrizioue estintiva e la rei vindicatio (I 478); Zucari, Sulla proprieta
dei singoli piani di un edificio (I 737) unter Verfolgung des Satzes super-
ficies solo cedit bis ins moderne Recht; Ev. Carusi, Sul concetto dell'
obligazione; Ch. Apple ton, Apochatum pro uncis duabus (II 503) s. o.
Nr. 116; E. Ehrlich, Ulpians Otafe- Theorie II 731 (bespricht Ulp. ad
S. 18, 1, 9, 2); C. Arno, La massima „dolus auctoris bona fide emptori
non nocet" nella Const. 3, Cod. 4, 48 (I 341); A. F. Sorrentino, Sulla
responsabilitä del „periculum rei" nel commodato solidale, zu Afr. q. 13, 6,
21, 1 (I 643); A. de Medio über die Actio legis Aquiliae (I 27); P. Bon -
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Justiniani Digesta: Exegese und Kritik.
101
fante über den Begriff Successio in Universum ius und Universitas (I 531;
das klass. Recht kannte nach 6. nur die successio in ius; Justinian führte den
Begriff der universitas bei der successio ein und interpolierte (?)ihn auch in den
Digesten); 8. di Marco spricht (II 51) Uber die Lehre von der hereditas
iacens, welche nach ihm erst Justinian durch Interpolationen zu einer
juristischen Person (domina) gemacht haben soll (?); G. Segre, Note esege-
tiche sui legati (l 289); G. Bonelli, Garanzia evizionale tra fratelli nella
divisione paterna (II 681, über Pap. resp. 31, 77, 8 Evictis praediis usw.);
F. Mancaleoni, Sülle donazioni tra vivi e la legittiraa del patrono
(II 609); C. Manenti, Sulla regola Sabiniana relativa alle condizioni impossi*
bili, illecite e turpi in dir. Rom. (I 391); C. Longo, II criterio Giustinianeo
della „natura actionis" (I 605) spricht von den actiones stricti iuris und bonae
tidei und scheint dabei auch Justinianische Interpolationen in den Digesten
nachzuweisen; A. March i, II giuramento in lite e la stima della cosa
perita nei giudizi di stretto diritto sucht eine Justinianische Interpolation
bei Marci. reg. 12, 3, 5, 4 (Plane interdum usw.) nachzuweisen (I 165):
S. Solazzi handelt I 663 ff. über das Edictum de fructu praediorum ven-
dendo locandove.
204. L. Wenger, Zur Lehre von der actio iudicati. Graz 1901.
Ders., Rechtshistorische Papyrusstudien. Graz 1902 ist von
H. Er man, Sav.-Z. XXII 241 ff. besprochen. Erman hebt hervor,
daß Wenger mit Gründlichkeit und Scharfsinn festes, umfassendes
Wissen vereinigt. Interpolationen weist er nach bei Ulp. ed. 26, 7,
I, 2; Ulp. ed. 2, 14, 7, 13. In ägyptischen Urkunden weist er Vor-
läufer nach z. B. für den Justinianischen Gebrauch von fideiussio
(iudicio sistendi causa). Auch sonst wird das Justinianische Recht
vorbereitet durch provinzial- und vulgärrechtliche Weiterbildungen
von klassischen Instituten. Wenn einzelne klassische Institute Cod.
Theod. ignorierte, während sie sich bei Just, finden (z. B. exceptio,
actio utilis) , so war Cod. Th. radikaler als die Praxis seiner Zeit.
Freilich darf man daneben nicht vergessen, daß von Just, auch
manches tatsächlich Verschollene zu offiziellem Scheindasein erweckt
wurde, und sodann vor allem, „daß unter den byzantinischen Juristen
und so auch in Justinians Kommission zwei entgegengesetzte Strömungen
waren, die schulmäßig-romantische, die möglichst viel herüberzuretten
suchte, und die modernistisch-praktische von Paul. ed. 3, 5, 46, lu
[nach alter Annahme von Just, interpoliert : in extraordinariis iudiciis . .
haec suptilitas (Unterschied zwischen directa und utilis actio) super-
vacua est usw.], „die am liebsten den ganzen Urväterhausrat des
formellen Aktionenrechtes über Bord geworfen hätte".
205. L. Wenger, Zur Vormundschaft der Mutter, Sav.-Z. XXVI
449 — 456 möchte plerumque bei Gai. prov. 26, 1, 16 pr. (Tutela
pleraraque virile officium est) nicht (mit Lenel und der ersten
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W. Kalb: Kömische Juristen.
Meinung Wissenbachs) für unecht halten, sondern (mit Wissenbachs
späterer Ansicht) als echt erklären und zwar nicht nur durch Hin-
weis auf Ner. reg. 26, 1, 18, wo kaiserliche Dispense erwähnt
werden, sondem besonders durch Hinweis auf Papyrusurkunden aus
Ägypten, welche zeigen, daß in diesem Punkte das Provinzialrecht
mit dem römischen kollidiert, und daß es hieraus sich erklärt, daß
Pap. resp. 26, 2, 26 pr. Fälle im Auge hat, wo der provinciae
praeses imperitia lapsus im Hinblick auf einen testamentarischen
Wunsch eines verstorbenen Vaters die Mutter zur Vormünderin er-
klärte.
M. Wlassak, Der Gerichtsmagistrat im gesetzlichen Spruch-
verfahren. Sav.-Z. XXV 81—188 (s. o. Nr. 97) behandelt u. a.
Gai. Inst. 3, 189; Ulp. ed. 2, 3, 1, 1 (si quis rem mobilem vindicari
a se passus non est) vgl. mit Gai. Inst. 3, 169; vind. a se non pati
ist gleichbedeutend mit rem non defendere (vgl. auch Anth. ed. 6,
1, 80 mit Ulp. ed. 50, 17, 156 pr.). Zum defendere gehört als
Wichtigstes das iudicium (actionem) accipere, d. h. die Mitwirkung
bei der Streitbefestigung in der Rolle des Beklagten (S. 125). (Ein
ganz anderes defendere ist das, zu welchem der Auktor dem Käufer
verpflichtet ist, = Beistandschaft, das selbst wieder vielleicht Justiniani-
scher Ersatz war für eine uns noch unbekannte Wendung des klassi-
schen Rechts). Bei Gai. tab. 2, 4, 22 kann defendet nach W. nicht -
mit Lenel das Eintreten des Vindex für den Geladenen bezeichnen,
wegen des Futurs.
206. *Eine Reihe von Abhandlungen und Werken sind dem Ref.
nur dem Titel nach bekannt geworden, z.B. C. A r n ö , Sul fr. 3 § 1
Dig. 26, 1, Archivio giuridico LXXI 320—848. —
V. Justiniani Institutiones.
207. C. Ferrini, Sülle fonti delle lstituzioni di Giustiniano.
Bull. XXIII (1900) S. 101—207, besprochen von
208. B. K übler, Sav.-Z. XXIII 508—526, veröffentlicht eine
vielfach verbesserte und ergänzte Neubearbeitung seiner Abhandlung
Sülle fonti delle lstituzioni von 1891 (vgl. diesen Jhber. LXXXIX 286).
Ferrini weist (gegen Kalb) mit Hecht Inst. 1, 1, 2 dem Gaius zu. Das
beweist statiin ab initio, das, wie Kühler nachgewiesen hat, nur Gaius kennt.
Inst. 1, 2, 8 weist Ferrini dem Ulpian zu. Kubier führt als Beweis hiefür
die speziell Ulpianische Wendung an ut est constitutum. Inst. 1, 4, 1 könnte
man nach Kühler vielleicht auch dem Ulpian (statt mit Ferrini und Kalb
dem Marcian) zuschreiben, der allein (zwar nur einmal, doch vgl. ut est
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Justini ani Digesta: Exegese und Kritik. — Justiniani Institutiones. 103
constitutum) saepissime constitutum est gebraucht. Weitere Einwendungen
erhebt Kühler (teils gegen das Resultat, teils hloß gegen Ferrinis Beweis-
führung) zu 1, 20, 3 u. 4 (Ferr. : Marcian); 1, 24, 1 — 4 (imperialis ist ein
Lieblingswort Justinians); 2, 1, 25 (media sententia bei der Spezifikationslehre
hält Ferrini ohne genügenden Beweis für Entlehnung aus Paulus); 2, 1, 35 usw.
— Inst. % 5, 2 schreibt Ferrini wegen nec non nicht dem Gaius, sondern
dem Ulpian zu, Kübler hält sie für Gaianisch, wegen convenienter, während
nec non eine Justinianische Modifikation sei; vielleicht wäre auch eine media
sententia existimantium möglich, daß die Umrahmung Gaianisch sei, der im
Folgenden mit liegendem U eingeschlossene Satz ein Zusatz aus L'lpian ist:
[der Inhaber der habitatio darf das Haus nur soweit benützen, daß er cum
uxore sua liberisque suis <Gai. hatte hier wohl eingeschoben et servis,
qui cottidiani usus causa habentuV) d item libertis nec non aliis liberis
personis quibus non minus quam servis utitur P habitandi ius habeat;
2, 6, 4 wird von Kübler — übrigens mit A. Faber, Err. 40, 10 — (mit
Unrecht, wegen utique) für Justinianisch gehalten; 2,6, 12 ist nach Kübler,
wenn von Marcian, jedenfalls stark interpoliert: in Inst. 2, 14, 5 spricht
Kübler quantascumque = quoteunque dem Ulpian ab; 2, 14, 9 stammt nach
Ferrini von Ulpian, auf welchen diesen die Lesart denique statt diemque
Kr. geführt, nach K. frei nach Marcian, vgl. D. 28, 7, 14; 2, 18, 1 ist wegen
Just. Cod. 3, 28, 27 nach K. nicht von Marcian, sondern von Just.; in 2,
18, 3 hält K. alles, nicht nur wie F. vieles, für Justinianisch. (Dann müßten
sich aber noch mehr Justinianismen finden. Falsch überlieferte Modi sind
nicht ohne weiteres als Justinianismen zu betrachten, da solche sich auch
im Veronenser Gaius sehr viele fänden, wenn die Herausgeber sie nicht ver-
bessert hätten. Vgl. Kalb in Vollmöllers Rom. Jahresber. IV 1 S. 97.) Wenn
zu 2, 20, 8 Kübler Bedenken erhebt: „Wenn es hier heißt alio quolibet
modo, so entspricht das nicht dem Sprachgebrauche des Gaius, welcher
quilibet vor alius zu stellen pflegt", so hat er sich vielleicht durch seinen
Artikel über alius im Vocab. iurispr. Rom. irreführen lassen, der zwar auf
Seite 373, 11 keine Gaianische Stelle für alius quilibet aufweist, wohl aber
auf S. 386, 54: Gai. iul. pap. 35, I, 63 pr. alii cuilibet. Wenn dies auch
kein Subst. bei sich hat, so verbietet es doch im Verein mit Gai. Inst. 2,
87 ex aliqualibet causa eine Stelle wegen alius quilibet dem Gaius abzu-
sprechen. Vgl. Kalb, WklPh. 1904 S. 377.
Zu 2, 23, 9 weist Kübler hin auf die weitere Gaianische Sprach-
gewohnbeit una aliqua le vgl. efc t\i\ 3, 2, 8 in. parens, qui . . . filium vel
riliam, nepotem vel neptem ac deineeps emaneipat hält F. für Gaianisch:
Kübler erklärt dagegen, Gaius kenne ac deineeps „in dieser absoluten
Fassung" nicht. Er schließt auf Ulp. oder Just. Wenn für diesen Gebrauch
von deineeps das Vocab. iurispr. Rom II 143 nur Stellen aus Ulpian an-
führt, so könnte dies Zufall sein; denn bei Ulpian wird es nur 6 mal nach-
gewiesen, und wir haben von ihm doch etwa 8 mal soviel als von Gaius;
d. h. wenn wir von Ulpian nur soviel hätten wie von Gaius, so fänden wir
bei ihm jenen Gebrauch von deineeps auch nur höchstens einmal, und jeden-
falls ist aus Ulp. nur et deineeps und einmal deineepsque nachgewiesen, nicht
ac d. Inst. 3, 8, 2 sc hreibt Kübler wegen alii plerique dem Ulpian zu,
während Ferrini den Autor wohl mit Recht in Gaius erkennt. Kübler stützt
sich darauf, daß alii plerique zweimal bei Ulpian vorkommt. Aber nach
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W. Kalb: Römische Juristen.
der Wahrscheinlichkeitsrechnung dürfen wir wieder annehmen, daß es bei
Ulpian auch nicht vorkäme, wenn von ihm nicht viel mehr erhalten wäre
als von Gaius. Von Inst. 3, 11 spricht K. dem Ulp. auch den Anfang zu.
wegen certe si, welches er als Lieblingswendung von Ulpian nachweist Inst
3, 13 pr. hält F. für Florentinisch; K. denkt an Papinian, dessen Ausführung
freilich auch durch Florentins Vermittelung herübergenommen sein könne.
Zu 3, 15, 2 — 7 hält K. die Beweise für Florentins Urheberschaft mit Recht
nicht für ausreichend; K. selbst denkt an Ulpian, und von seinen Gründen
ist besonders die Ähnlichkeit der Stelle mit einer Stelle Modestins (Mod.
reg. 45, 1, 100) hervorzuheben, da Mod. nicht selten den Ulp. ausgeschrieben
hat, wie F. selbst anderswo nachweist. Vom Titel 3, 19, 27 kommt nach
Kübler der Grundstock von Gaius, nicht, wie F. will, von Florentius ;
3, 26 pr. ist = Gai. cott. 17, 1,2; nach Kübler ist — wie nach seiner
Meinung fast überall bei solchen Parallelstellen — die Lesart der In-
stitutionen für die echtere zu halten; anders Ferrini. Für die Worte [man-
datum contrahitur] quinque modis und vielleicht auch für die Schlußworte
nec inandati inter nos [Just, vos] actio nascitur wird Kübler recht haben;
diese Worte strichen die Kompilatoren der Digesten als überflüssig. Aber
die anderen Abweichungen der Institutionen sind Änderungen Justinians
nach dem bekannten Grundsatz, daß er seine Majestät nicht als Beispiel in
der ersten Person anführen will, sondern dafür die zweite Person setzt oder
anderen Ersatz schafft. Inst. 8, 27, 1 ist nach Kübler = Gai. cott 44, 7,
5 pr. Kübler sagt: „Auch hier ist der Digestentext stärker interpoliert als
der der Institutionen." Aber an der Digestenstelle hat Kübler einige
Wendungen mit Unrecht für Justinianisch gehalten, vgl. Kalb in Vollraöllers
Rom. Jhber. VII 1 S. 7. Den in Inst 4, 6, 2 erwähnten unus casus — vgl.
diesen Jhber. CIX 71 — sucht Ferrini mit Kühlers Zustimmung in einer
verlorenen Stelle des Gaius. In 4, 6, 6 glaubt K. die Schreibweise des Gaius
zu erkennen. Inst 4, 6, 21—27 hält Ferrini wohl mit Recht für Gaianisch,
besonders wegen et denique; zwar weist Kübler, der die Stelle für Justinianisch
hält mit Gaianischem Aufputz, auf aut denique hin, das dem Gaius fehlt,
aber aut denique ist überhaupt keine charaktei istische Verbindung (vgl.
Hand. Turs. II 270), und reiner Zufall ist es, daß wir es in den Digesten nach
Kübler nur bei Scaev. d. 32 , 35 , 3 (doch aut aerea denique supellcctili
Cels. d. 33, 10, 7, 1) antreffen. Justinian hat in Cod. und Nov. denique
überhaupt nie gebraucht. Gegen die Zuweisung der zweiten Hälfte von 4,
17, 2 an Gaius erhebt Kübler mit Recht Einwendungen.
209. L(udwig) M(itteis) weist Sav.-Z. XX11I 443 f. darauf
hin, daß die bei Justinian (Inst. 2, 10, 3) sich findende Dreiquellig-
keit des Rechtes aus ius civile, ius praetorium und den Kaiser-
konstitutionen schon in einer „Weiheinschrift" für den Statt-
halter Valerius Dalmatius der provincia Lugdunensis tertia auftritt,
die aus 400 — 410 n. Chr. stammt, 1901 in der Nähe von Magyar
Iioly gefunden und in den Sitzungsbcr. der Berl. Akad. 1902 S. 836 f.
von Tb. Mommsen veröffentlicht wurde. Denn auf der Dedikations-
urkunde rühmen folgende Verse die Rechtskenntnis des Gefeierten:
Jus ad iustitiam revocare aequumque tueri Dalmatio lex est, quam
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Justiniani Institutiooes. — Codd. Greg., Herrn. Cod. Theod. usw. 105
dedit alma fides. Bis sex scripta (= XII tab.) tenet praetorisque
omne Volumen, Doctus et a sanctis condita principibus. Hic idem
interpres legum legumque minister Quam prudens callet tarn bonus
exequitur.
210. Zitiert sei wenigstens der Titel von J. B. Moyle, Im-
peratoris Justiniani lnstitutionum libri IV. 4th ed. Oxford 1904. —
J. Pastor y Alvira, Manual de derecho romano segün el orden
de las Instituciones de Justiniano. III. ed. Madrid.
VI. Codd. Gregorianus, Hermogenianus,
Theodosianus. Notitia dignitatum.
a) Cod. Greg, und Herrn.
211. Th. Mommsen, Die Heimat des Gregorianus. Sav. -Z.
XXII (1901) S. 139—144.
Daß Gregorius, der Sammler der Erlasse im Cod. Greg., in der
unter Diokletian stehenden Reichshälfte die Erlasse zusammengestellt
hat, ist bekannt; dagegen ist nach M. noch nicht hervorgehoben
worden, daß von sechs bestimmbaren Adressaten, die in den In-
skriptionen erwähnt sind, vier Statthalter der Provinz Syria Phoenice
waren. Vielleicht war also Gregorius Lehrer an der Rechtsschule
zu Beryt; denn der Sammler hat sein Material nicht direkt aus dem
kaiserlichen Archiv bezogen , wie aus der Behandlung der kaiser-
lichen Erlasse hervorgeht, bezüglich deren Mommsen noch einiges zu
einem früheren Aufsatz (Sav.-Z. XII 244 f.) nachträgt. — T h. Kipp,
Geschichte der Quellen S. 79 Anm. 14 begründet (zum Teil gegen
Mommsen, vgl. diesen Jhber. CIX 73) die Ansicht, daß der Cod.
Herrn, nicht sowohl ein Nachtrag (den Mommsen und Krüger, früher
auch Kipp, zwischen 314 und 324 datierten), als ein Seitenstück des
Cod. Gr. war und beide Codd. in ihrem Material mit 294 in der
Hauptsache abschlössen, beide im Orient geschrieben sind und später
(Cod. Greg, sicher auch im Occident) Nachträge von anderer Hand
erhielten.
b) Cod. Theod. und Novellen dazu.
212a. Theodosiani libri XVI cum constitutionibus Sirmondianis
et Leges novellae ad Theodosianum pertinentes cd.
Th. Mommsen et P. M. Meyer. Berlin, Weidmann. Zwei
Volumina von wesentlich verschiedenem Umfang. Vol. II ist unter
Nr. 214 besprochen; Vol. I führt den Spezialtitel :
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I
106 W. Kalb: Römische Juristen.
212 b. Theodosiani libri XVI cum constitutionibus Sirmondianis
edidit adsumpto apparatu P. Kruegeri Th. Mommsen.
Es war Mommsen beschieden, die neue Aasgabe des Cod. Th.,
woran er seit 1896 arbeitete, im Mannskript vollenden zu können
und den Druck bis gegen den Abschluß fortschreiten zu sehen. Er
erklärt zwar auf S. CXVII sq., daß er das Werk nicht zu unter-
nehmen gewagt hätte, wenn nicht die Ausgabe des Cod. Th. von
Hänel (Bonn 1842) vorangegangen wäre. Aber er hat auch die
Mängel jener Ausgabe ebenda gekennzeichnet: in der überfüllten
Variantensammlung schied Hänel den Weizen zu wenig von der Spreu,
oft war er zu allgemein in der Angabe der Handschriften für eine
bestimmte Lesart („multi" . . . „alii"), und auf seine Mitteilungen
ist nicht immer Verlaß.
Moramsens Pars prior, deren Seiten lateinisch numeriert sind,
gibt Prolegomena. Die Handschriften, welche zu Rate gezogen werden
konnten (vgl. hierüber den Bericht in diesem Jhber. C1X, 1901 II,
S. 73 f.) , zerfallen in solche des eigentlichen Codex Theodosianus
und in solche des Breviarium. Die sechs Handschriften des eigent-
lichen Theod. enthalten sämtlich nur größere oder kleinere Teile oder
Stücke des Cod. Th. Die wichtigsten und umfangreichsten befinden
sich zu Turin (T), Paris (R) und im Vatikan (V). Sie machen für
die betreffenden Teile die Textkritik ziemlich leicht. Aber wo sie
alle fehlen, muß der Herausgeber auf den (vielen) Handschriften der
Lex Romana Visigothorum fußen, jenem Gesetzbuch („Breviarium")
Alarichs II., in welches u. a. eine Verkürzung des Cod. Th. auf-
genommen ist. Wenn der Justinianische Codex solche Stellen eben-
falls überliefert (es sind deren nicht wenige), ist an den nicht von
Just, interpolierten Stellen seine Lesart in der Regel die richtige;
Mommsen befolgt also den Grundsatz, den wir in diesem Jhber.
LXX1X 293 gegenüber einem Aufsatz von E. Grupe betonen mußten.
Auch da, wo nur Hss. des Breviarium den Text haben, glaubt
Mommsen wenigstens den Text des westgothischen Theodosianus, der
ja vom ursprünglichen vielfach abweichen mußte, im allgemeinen her-
gestellt zu haben. Mommsen verzichtet darauf, weitverzweigte Hand-
schriftenfamilien festzustellen mit Stammbaum, wie man es bei anderen
Schriftstellern tun konnte: denn da das Breviarium in Spanien bis
654, in Gallien bis über Karl den Großen hinaus für die Recht-
sprechung praktische Bedeutung hatte, so wurden die verschiedensten
Exemplare miteinander verglichen, und es wurden (wenigstens in
Gallien) Ergänzungen oder Verbesserungen aus dem vollständigen
Cod. Theod. oder aus eigener Konjektur miteinander ausgetauscht.
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Cod. Theod. und Novellen dazu.
107
Doch stellt Mommsen zwei Hauptklassen der Hss. fest, deren eine
häutiger den besseren Text bietet als die andere. Gute Lesarten,
die möglicherweise erst spät aus dem echten Cod. Theod. in das
Breviarium eingetragen wurden, kommen dem Zweck der vorliegenden
Ausgabe natürlich ebenso erwünscht, als wenn sie sich schon im
Exemplar Alarichs gefunden hätten. Durch seine Ergänzungen aus
dem vollständigen Cod. Theod. hat z. B. der Ambrosianus (saec. 9)
allein den Anfang uns gerettet. —
Von den Breviarhandschriften bewertet Mommsen besonders drei
in einer erwähnenswerten Weise. Codex Oxoniensis (0), obwohl erst
1125 geschrieben, teilt nach M. oft allein von allen Breviarhand-
schriften gute Lesarten des eigentlichen Cod. Th., und er scheint an
vielen Stellen allein Spuren von der Lesart der Breviar - Urschrift
aufzuweisen (?). Dagegen Cod. Paris. 4403 (L) hält Mommsen für
bisher zu hoch eingeschätzt. Was diese Handschrift allein aufweist,
geht nach M. nicht auf die Breviarurschrift zurück, ist also kein
Vorzug, sondern freie Zutat nach noch vorhandenen Quellen.
Hänels Stelle Cod. Th. 3, 18, 2 Si mater defensorera usw. hat des-
halb im Texte selbst keine Aufnahme gefunden. — Verhältnismäßig
gering wird von Mommsen der fragmentarische Codex Legionensis
(H) eingeschätzt, welcher erst 1887 im Archiv der Kathedrale zu
Leou entdeckt wurde (vgl. diesen Jhber. LXXX1X 308 f.) und im
Auftrag der Madrider Akademie 1896 mit großen Kosten veröffent-
licht wurde. Die Madrider Ausgabe scheint Mommsen nur dort zu-
verlässig zu sein, wo sie von Hänels Text abweicht. Obwohl eine
Neuvergleichung nicht möglich war, glaubt Mommsen doch das Urteil
fällen zu können, librum ^> non contemnendura quidem esse (er
rechnet ihn zu der besseren Klasse), sed nequaquam inter breviarii
Codices primarium locum tenere. Dieses Urteil muß tiberraschen nicht
etwa, weil die Madrider Akademie besondere Ausgaben darauf wandte ;
denn hiefür ist ein genügender Grund der, daß es der erste juristische
Palimpsest ist, der in Spanien gefunden wurde, und die einzige vor-
handene Hs. des Breviarium in Spanien, wo es doch lange in Geltung
war. Wohl aber gehört sie zu den ältesten Hss. der Lex Korn. Vis.,
sie hat vermutlich Spanien nie verlassen, und es trennen sie von der
Urschrift höchstens 100 Jahre. Deshalb war einerseits kein Grund*),
*> Mommsen: Additamenta ~ ex Theodosiano hic codex non exhibet
excepta una constitutione omnium postrema 16, 10 (lies 11), 3. Da dieser
Erlaß verfügt, daß sämtliche früheren Verfügungen circa catholicam legem
Geltung haben sollen, dürfen wir vermuten, daß König Reccared, als er 589
zum katholischen Glauben übergetreten war, die Aufnahme dieses Erlasses
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108
W. Kalb: Römische Juristen.
sie nach dein echten Cod. Theod. umzuändern; denn in Spanien galt
das Breviarium nur als solches, weil autorisiert von den West-
gotenkönigen. In Frankreich dagegen (soweit es nicht oder nicht
mehr zum Westgotenreiche gehörte) berief man sich auf das Breviar
nicht deshalb, weil es von Alarich II. zum Gesetzbuch gemacht war,
sondern weil darin römisches Recht, vor allem Cod. Th., aufgezeichnet
war (vgl. A. de Wretschko in Mommsens Ausg. p. CCCXIII sqq.);
in Frankreich wurden deshalb die Breviarhandschriften nach dem voll-
ständigen Cod. Th. vielfach verbessert, und sie müssen ceteris paribus
für Mommsens Zweck schon deshalb größeren Wert haben. Aber
wenn es sich einmal später um eine Ausgabe des echten Breviar-
textes handelt, wird der Palimpsest von Leon, mit dem in fehlerhaften
Kleinigkeiten nach Mommsen besonders die Handschrift in Maihingen-
Wallerstein und die in Gotha Ubereinstimmen, vielleicht bessere
Dienste leisten können. So glauben wir z. B. 9, 14, 1 in den
Worten dieser Hs. capitale supplicium sustinebit die Lesart des echten
Breviars zu erkennen. Denn die gespreizten und zweideutigen Worte
des Theod., die vermutlich aus diesem erst nachträglich in die
jüngeren Hss. des Brev. hineingekommen sind, erit capitale istud
malum, verlangten bei der Aufnahme in ein Gesetzbuch dringend eine
redaktionelle Änderung, wie ja auch Justinian bei der Aufnahme des
Gesetzes in seinen Codex änderte: sciat se capitali supplicio esse
puniendum. — Unberechtigt ist, wie auch P. Krüger urteilt, der Titel
der Sammlung: Theodosianus ohne Codex (vgl. p. XI sq.), den
Mommsen dem Gesetzbuch gibt. So hat er gewiß in späterer Zeit
geheißen, aber der Kaiser Theodosius selbst bzw. seine Räte haben
ihn (Theodosianus Codex und) Codex Theodosianus genannt; so
(Cod. Th.) vor allem in den Gesta senatus Romani von 430
(Mommsen S. 1 ff.) § 4 in., die man die Geburtsurkunde des Cod.
Theod. nennen könnte. (In den Hss. des echten Cod. Theod. ist der
Titel nicht erhalten, und einige Bücherexplicit beweisen kaum irgend
etwas.) — Eine chronologische Ordnung der Erlasse mit Angabe des
Ortes und der Adressaten füllt p. CCIX bis CCCVI aus. P. CCCVII
in sein Gesetzbuch verfügte, ähnlich wie 546 der König Theudis einen
eigenen Erlaß aufnehmen ließ. — Paul Krüger nimmt in Sav.-Z. XXVI 328
(s. u. Nr. 213) an, auch 15, 1, 9 sei die richtige Inscriptio Imp. Julianus A.
in H (und drei anderen Hss-) aus Cod. Theod. nachgetragen. Aber vielleicht
liegt die Annahme näher, daß umgekehrt die anderen Hss. ihr (falsches)
Idem aus dem Cod. Th. geschöpft haben, in welchem ein Erlaß Julians
vorherging, den Alarichs Kommission nicht aufnahm, weil er in ihr Gesetz-
buch nicht paßte.
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Cod. Theod. und Novellen dazu. 109
bis CCCLX enthält eine Abhandlung von A. de Wretschko, De
usu breviarii Alariciani forensi et scholastico per Hispaniam, Galliam,
Italiam regionesque vicinas adiecto indice locorum ex Breviario ad-
hibitorum.
Die Pars posterior gibt den Text. Die Ausgabe ist viel
handlicher und übersichtlicher als die Hänels. Obwohl sie größere
Genauigkeit in der Angabe der wichtigen Varianten anstrebt und
weniger an Platz spart, umfaßt sie doch nicht so viele Lexikonoktav-
seiten als Hänels Ausgabe Hochquartspalten. — Eine erfreuliche Zu-
gabe ist eine Mappe mit sechs Lichtdrucktafeln in Großfolio, Proben
aus vier Handschriften, welche Leop. Traube zusammengestellt und
erklärt hat. Je ein Blatt enthält eine vollständige (cum grano salis)
Seite von Cod. Parisinus lat. 9643 (= 1t) und Vaticanus Reg. Lat.
880 (•= V), Handschriften des ursprünglichen Cod. Theod., sowie
von Berolinensis Philippsianus (Traube: Philippici) 1761 (= P) und
Monacensis Lat 22 501 (= M), zwei alten Handschriften des
Breviars etwa aus dem 6. Jahrhundert. Die zwei letzten Tafeln
geben neun einzelne interessante Spezialproben aus den genannten
vier Handschriften, die nach Traube (Mommsen) möglicherweise alle
jn Lyon oder nicht weit entfernt entstanden sind. — Über den An-
teil P. Krügers an der Herstellung der Ausgabe berichtet dieser
in der Sav.-Z. XXVI 816—331:
213. P. Krüger, Über Mommsens Ausgabe des Codex
Theodosianus.
Der Titel von Mommsens Ausgabe des Cod. Th. enthält den Beisatz:
adeumpto apparatu P. Kruegeri edidit. l iier Krügers Mitarbeit hätte
Mommsen vermutlich in den Prolegomena von Pars I noch näher sich ver-
breitet, wenn ihm der Abschluß auch dieser beschieden gewesen wäre.
P. Krüger, mit welchem sich Th. Mommsen immer in die Herausgabe der
Juristenschriften geteilt hatte (Corpus iuris wie die vorjustinianischen
Juristen in der W eidmannschen Sammlung), wäre, wenn nicht das Bürger-
liche dazwischengetreten wäre, auch der Mitherausgeber des Cod. Theod.
geworden, und im Anfange betrachtete ihn Mommsen auch als solchen: vgl.
p. XXXIX Paulo Kruegero operis nostri socio. Nämlich durch seine
Herausgabe des Cod. Ju6t. war P. Krüger zu einer Vergleichung der wich-
tigsten Hss. des Cod. Th. (der von den Räten Justinians als Grundlage be-
nützt wurde) geradezu genötigt worden (veröffentlicht wurde ein Abdruck
des Turiner Palimpsestes von Cod. Th. Buch 2-5), und nach der Fertig-
stellung des Cod. Just, faßte er den Plan, den Cod. Theod. neu heraus-
zugeben. Zu diesem Zweck suchte er den kritischen Apparat zu vervoll-
ständigen. Da aber die Savignystiftung keine Mittel zur Verfügung stellen
konnte, um zu diesem Zwecke auch fremde Hilfe gewinnen zu können, so
stellte Krüger zunächst (bis 1896) Buch 6 — 16 und teilweise Buch 1 zum
Druck fertig, da hierfür die sämtlich von ihm nachverglichenen nss.
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110
W. Kalb: Römische Juristen.
die Grundlage bildeten. Als Moinmsen, der von diesen weitergehenden
Arbeiten Krügers keine Kenntnis hatte, ihn um Überlassung seines Materiales
bat, stellte ihm Krüger sein ganzes Manuskript und seine Vergleichungen
zur Verfügung. Nun begnügte sich aber Mommsen nicht damit, solche Hss.
zu vergleichen oder vergleichen zu lassen, die Krüger noch nicht ver-
glichen hatte, sondern er nahm auch Krügers Hss. größtenteils noch einmal
vor; wenn er dabei mit seinen eigenen Augen, die doch vermutlich bei
seinem hohen Alter an Schärfe nachgelassen hatten, etwas nicht mehr fand,
das Krüger (und seine Vorgänger) gelesen hatten, so verließ er sich nur auf
das von ihm selbst Gesehene. Dabei wurde er natürlich gelegentlich zu
irrigen Ergänzungen verleitet, so 8, 18, 4. Zu 6, 3, 19 (lies 6, 2, 19?) ist
Krügers Bemerkung übersehen, daß ein Teil des von Cuiacius gegebenen
Textes noch beute als Spiegelbild auf dem folgenden Blatte zu lesen ist. —
Bei eingehenderer Nutzung von Krügers Vergleichung wären auch noch
einige andere Versehen vermieden worden. — 1'. Krüger glaubt auch,
Mommsen hätte für Buch 1 — 8 nicht auf die Ergänzung des Textes nach
(Jod. Just, verzichten sollen. — Da Mommsen ursprünglich sich Krüger als
Mitarbeiter dachte, wie er diesen auch bis 1900 immer über das Fort-
schreiten der Arbeit auf dem Laufenden erhielt, war es erklärlich, daß er
Emendationen und Ergänzungen Krügers nicht mit dessen Namen be-
zeichnete. — P. Krüger schließt seine Bemerkungen mit den Worten: „Die
früheren Ausgaben sind durch die neue in jeder Beziehung überholt und
veraltet; nur der Kommentar von J. Gothofredus behält seinen Wert."
214. Theodosiani libri XVI usw. (s. o. Nr. 212) Vol. II mit
dem Spezialtitel : Leges novcllae ad Theodosianum pertinentes
edidit adiutore Th. Mommseuo P. M. Meyer. Berlin 1905 ersetzt
Hänels Novellae constitutiones impp. Theod. II, Valent. III usw. durch
eine neue Ausgabe. Bei der Besprechung der Codices konnte der
Hgbr. oft auf Vol. I verweisen, da auch hier die Lex Rom. Visig.
eine ähnliche Ersatzrolle spielt wie beim Cod. Tb. Dabei wird die
Hs. L der Lex Rom. Vis. für die in ihr überlieferten Novellen besser
eingeschätzt, als es Mommsen für Cod. Theod. tat (s. o. b. 107). —
Der Text zerfällt in drei Abschnitte: I. Corpus legum novellarum
Theodosii II, Valentiniani Iii, Maioriani in occidente a Maioriano
conditum. (Dieses Corpus Maiorianum umfaßt den Hauptteil des
Textes bis S. 178.) II. Legum novellarum in Oriente promulgatamm
Marciani in Epitomen Alaricianam reeeptae (S. 179 — 196); III. Aue-
tarium, leges novellas extravagantes continens Severi et Anthemii. S. 197
bis 211. Corrigenda et addenda (auch zu Vol. 1 - Codex Theodos. ed.
Mommsen) auf S. 213—219 schließen das Werk. In der Vorrede
erklärt der Herausgeber, daß er nach Mommseus Tod häufig von
O. Seeck beraten worden sei. — Die unter dem Texte immer an-
gegebenen Varianten der Hss. regen zu sprachlichen Untersuchungen an.
215. II. 'Ipatßavtivä;. Zupfo)^ teioptxr, ef; ~r,v sp|ir(v£iav
too Öe3|jL0'j tt;; -«xtixt;; dzpo»-opt3TO'j rspiouaia? tiov 'j7rs;o'j3icuv.
■
*
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Cod. Theod. und Novellen dazu. Notitia dignitatum. — Cod. Just. Hl
'Adr,vat 1902, sucht nach K. Triantaphyllopoulos, Sav.-Z. XXV 40G
bis 409 durch neue Gründe die Ansicht zu stützen, daß Konstantin
durch die Verordnung Cod. Th. 8, 18, 1 eine Veränderung der
väterlichen Rechte an den bona materna derart vorgenommen habe,
daß das Muttergut nicht mehr dem Vater, sondern dem Kind zustehen
solle. Es werden dabei auch einige andere Stellen von Cod. Th. be-
sprochen; bei Pap. resp. 29, 2, 86 pr. liest Vf.: divum . . Pium
contra constituisse ... in eo, qui legationis causa Romae erat et
filio (statt filium qui) matris" delatam possessionem absens amiserat usw.
Stephan Braßloff (s. o. Nr. 165) liest in Cod. Th. 12, 1,
18 filios . . militarium . . . aut patris militiam assequi volumus aut,
si detrectaverint militare et triginta quinque annos impleverint,
curiis mancipari statt XXXV nicht mit Gothofred und Seeck XXV,
sondern XXIV; Br. erklärt die Verwechselung von XXIV mit XXXV
paläographisch durch versehentliche Verlängerung des Zehner-
querstriches.
216. Chauvin, La Constitution du Code Thtfodosien sur les
agri deserti et le droit arabe. Möns, 1900.
217. Edouard Cuq sprach beim internationalen Kongreß für
die historischen Wissenschaften (Rom, April 1903) über den Nutzen
der Borghesischen Listen der Praefecti praetorio für
die Geschichte der Gesetzgebung in der späteren Kaiserzeit. (Nach
Nouv. Revue XXVII 474.)
c) Notitia digrnltatum.
218. Die Notitia dignitatum hat nach Mommsen, Hermes
XXXVI 547 ihre letzte Redaktion um das Jahr 425 n. Chr. er-
halten. (Vgl. WklPh. 1902 S. 525.)
219. J. Schöne, Zur Notitia dignitatum, Hermes XXXVII 271
bis 277 konstatiert nach WklPh. 1902 S. 1295 „zwischen der Not.-
dign. per orientem und der per occidentem auch von sprachlichen
Gesichtspunkten aus dasselbe Verhältnis, das Mommsen und Seeck
schon aus sachlichen Gründen festgelegt haben." (Vgl. auch Kipp.
Gesch. der Quellen S. 132.) — * Zitiert sei hier P. Koch, Die
byzantinischen Beamtentitel von 400—700, Jena 1904 (WklPh. 1904
S. 222).
VII. Codex Justinianus
und Syrisch - römisches Rechtsbuch.
a) Cod. Just.
219. Wladimir Benesche witz, [Codex Justineus V), Sav.-Z.
XXIV 409—414 wirft die Frage auf, ob der heilige Theodor bzw.
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112
W. Kalb: Römische Juristen.
dessen Vita nicht vielleicht den Nachweis liefern könnte, daß es
schon einen Cod. Jnstineus gegeben hätte. Es ist kaum anzunehmen,
daß man den Hinweis auf (nicht Justins, sondern) Justinians Pan-
dekten und Codex und Novellen verkennen wird in den Worten :
Ouxos 6 ittax&caToc ßaadeu? 'louaxivtavoc, rcpo tt,? autou aö-toxpatia?,
in Cävto? tou iaotoD öetoo, ^vfxa xai oi iraXaiol v6*pot dvexaivtaftr^aav
[= Dig.] xal r, veapd (sie galt also noch zur Zeit des Hagiographen)
vofioöeaia £7pa<p>) [= Cod.] xal r^tuö^aav iravxa iv uwt ßtjftcp (ir.i-
TLkrfikv to ßißXt'ov r, via xlXeoaic [= Novellae constitutiones, wobei der
Hagiograph offenbar jene Sammlung der Novellen im Sinne hatte, die
auch einige Erlasse von Justin II aufgenommen hat] täv ßaaiXeo-
oVccuv [nicht ßaaikeuaaVccuv]) , töts . . . OeoSwpav £aotcj> -p^aiav
220. B. Brugi, II nome deir azione nel „libellus conventionisu
Giustinianeo. 5 S. (Aus der Festgabe für J. Pepere, Napoli 1900)
glaubt, daß die Nennung des Namens der beabsichtigten Klage im
Klageschriftsatz nicht fakultativ und überflüssig war (wie E. I. Bekker
aus Cod Just. 2, 57, 1 schloß), sondern, abgesehen von bestimmten
Fällen, obligatorisch.
221. Ch. Diehl, Justinien et la civilisation byzantine au
VIe siecle. Paris, 1901, bringt nach G. May, Nouv. Revue XXVT
über die gesetzgebende Tätigkeit Justinians nichts Neues.
222. H. Fitting berichtet in Sav.-Z. XXIII 434—438 über
Reste einer Handschrift des Justinianischen Codex mit voraccursischen
Glossen aus dem Ende des 12. Jahrhunderts, die Prof. Cantor zu
Halle in den Einband eines Buches eingearbeitet fand. Sie umfassen
30 — 40 Zeilen von Krügers großer Ausgabe und stimmen mit der
Vulgata überein.
223. P. Krüger, Zu Cod. Just. 5, 1, 5, Sav.-Z. XXII (1901)
S. 52 — 55 verteidigt gegen Riccobonos Annahme einer Justinianischen
Interpolation die Echtheit des Erlasses von Leo aus dem Jahre 472,
worin dieser die Strafe des quadruplum auf das duplum der Arra
sponsalicia mindert.
224. P. Krüger, Beitrag zur accessio temporis bei der Er-
sitzung, Sav.-Z. XXVI 144—148 erinnert u. a. daran, daß für Just.
Cod. 7, 31, 3 seine kritische Ausgabe in der Stereotypausgabe ver-
bessert ist. Außerdem weist er eine Aufstellung von Zanzucchi,
Archivio giuridico LXXII 177 ff. über die Anrechnung der Besitzzeit
zurück.
225. B. K übler beanstandet Sav.-Z. XXIV eine Übersetzung
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i
Cod. Just. Syrisch-römisches Rechtsbuch.
113
Stockars (s. o. Nr. 55) von Just. Cod. 11, 41, 6 (Lenones patres et
dominos usw.)
226. R. de Ruggiero, 1 papiri Greci e la „stipulatio duplae".
Estratto dal Bull. XIV (1901) fasc. 2 liefert nach B. Kübler, Sav.-Z. XXIV
451 ff. durch Besprechung eines griechischen Kaufkontraktes aus dem
Jahre 454 n. Chr. (vgl. Wilcken, Arch. f. Pap. II 142) eine Illustration
der Zustände, die den Kaiser Justinian zu dem Erlaß von Just. Cod.
7, 47 bestimmten. Denn während im kiass. Recht der Verkäufer,
wenn überhaupt stipuliert wird, in der Regel nur die Erstattung des
doppelten Kaufpreises zusichert für den Fall der Entwehrung (stipulatio
duplae), verspricht er in der angeführten Urkunde auch noch die
doppelten dvaX(ufj.axa und Bairav^u-ara. Dazu ließ sich ein Verkäufer
jedenfalls erst herbei, als man mit der actio emti vom Verkäufer im
Falle der Entwehrung das ganze Interesse erlangen konnte, also
unter Umständen dasselbe oder sogar noch mehr, als durch die ge-
wöhnliche actio ex stipulatu duplae. Jetzt war ein vorsichtiger Käufer
nicht mehr zufrieden mit der gewöhnlichen stipulatio duplae; denn
die Form der Stipulation sollte ihm ja besondere Garantien bieten,
die er sonst nicht gehabt hätte. So läßt er sich denn auch noch das
Doppelte der impensae versprechen (in anderen Urkunden auch noch
die Haftung wegen ßXotßij, damna). So habe sich der Käufer im Falle
der Entwehrung unter Umständen unrechtmäßig bereichert, und diesem
Abusus trat Just. Cod. 7 , 47 entgegen : hoc quod interest dupli
quantitatem minime excedere.
•Zitiert sei E. de Angelis, Sulla legge C. 2, De resc. vend.,
4, 44. Circulo giuridico 1900. XXXI 361—867. — C. Arnö, La
const. 2 Cod. 4, 48 nella Summa Perusina. Modena 1902. 4°.
14 S. — C. Arnö, Comento ad Cod. De peric. et coram. rei ven-
ditae (4, 48) Const. 1. Archivio giur. LXV 301—304. — G. Pfann-
müller, Die kirchliche Gesetzgebung Justinians. Bespr. in ThLZ.
21 (1902) S. 571.
b) Syrisch-römisches Rechtsbuch.
228. Ferrini, Beiträge zur Kenntnis des sog. Syrisch-römischen
Rechtsbuches, Sav.-Z. XXIII 1902 S. 101 ff. ist von Kipp, Gesch. d.
Quellen S. 134 Anm. 39 erwähnt.
229. L. Mitteis, Über drei neue Handschriften des Syrisch-
römischen Rechtsbuches. Abh. d. preuß. Akad. d. Wiss. 1905,
59 S.
Jahresbericht fnr Altertumswissenschaft. B<1. CXXXIV. (1907. II.) 8
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114
W. Kalb: Römische Juristen.
VIII. Germanisch-römische Rechtsquellen.
a) Das gesamte Westgotenrecht.
230a. Rafael de Urefta y Smenjaud, La legislaciön
Götico-Hispana. (Leges antiquiores. . — Liber iudicioram.) Madrid
1905.
Der Absicht, anläßlich der Vollendung von Zeumers Ausgabe der
Leges Visigothorum im Anschluß an akademische Vorlesungen eine
Abhandlung von 50 oder 100 Seiten zu bieten, ist ein umfangreiches
Werk (588 S.) entsprungen, welches den Manen von Th. Moramsen und
E. Pe"roz Pujol gewidmet ist. Zunächst gibt der gelehrte Verfasser
eine Übersicht über die Literatur zur westgotischen Gesetzgebung im
vorigen Jahrhundert ; in einem zweiten Kapitel bespricht er die Aus-
gaben jener Gesetze bis auf Zeumer sowie die Funde einzelner Stücke ;
das dritte Kapitel behandelt die Weiterentwicklung des Westgoten-
rechtes (S. 108 — 586), und hier ist Vf. Spezialist von hervorragender
Gelehrsamkeit und Bedeutung. Im vierten Kapitel (Apöndice) druckt
R.. de ürena u. a. auch ein von Zeumer in seiner Ausgabe über-
gangenes, von der span. Akademie 1815 veröffentlichtes Stück ab.
Interessant ist auch die phototypische Wiedergabe von drei
Blättern von Hss.: wir haben vor uns 1. ein vereinzeltes, mit dem
Cod. Legionensis vereinigtes Blatt aus einem Codex des 10. Jahr-
hunderts vom Liber iudiciorum, 2. und 8. Vorder- und Rückseite von
Fol. 158 des Cod. B 32 der Biblioth. VallicelL zu Rom, von der
Lectio legum, aus dem 10. Jahrhundert (vgl. Gaudenzi, Riv. ital. per
le scienze giur. VI [1888] S. 284 ff.). — Wir sind leider in diesem
Grenzgebiet des röm. Rechtes so wenig bewandert, daß wir uns damit
begnügen müssen, in so allgemeiner Weise den Fachleuten von dem
Werke Kenntnis zu geben.
280b. R. de Urefta y Smenjaud, Observaciones acerca del
desenvolvimento de los estudios de Uistoria del Derecho Espafiol.
Discurso leldo en la solemne inauguraciön del curso acad£mico de
1906/07. Madrid 1906 ist ebenfalls ein Werk bibliographischen In-
halts, durch welches der gelehrte Vf. das Studium der spanischen
Rechtsgeschichte zur früheren Höhe zurückzuführen sucht. Möge es
ihm gelingen, den Gelehrtennachwuchs mit seinem Geiste zu erfüllen !
231. K. Zeumer, Geschichte der west gotischen Gesetzgebung.
Neues Archiv für ältere Geschichtskunde XXVI (1900,1901) S. 91
bis 149.
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Germanisch-römische Rechtsquellen.
115
b) Lex Romana Vislgothorum.
232. Max Conrat (Cohn), Breviarium Alaricianum. Römisches
Recht im fränkischen Reich in systematischer Darstellung. Leipzig
1903 ist uns nur aus der Anzeige von H. Krüger, Sav.-Z. XXV
410 — 420, bekannt. Das Werk bietet keine freie Bearbeitung des
Stoffes, sondern füllt ein nach neueren Begriffen hergestelltes System
(Einleitung: Quellen des Rechtes; Privatrecht, Zivilprozeßrecht, Straf-
recht, Staats- und Kirchenrecht) mit den Worten des Breviariums aus,
und zwar, soweit die „Interpretatio" vorhanden, mit einer (nach H. Krüger
oft nur allzu wörtlichen und nicht durchaus einwandfreien) Übersetzung
der Interpretatio. „Anmerkungen" verzeichnen die wesentlichen Ab-
weichungen der Interpretatio vom eigentlichen Legaltext; „Noten"
unter den Anmerkungen enthalten den vollständigen lateinischen Text
des Breviariums samt der Interpretatio, nach der Hänelschen Aus-
gabe. Wenn ein Text in mehrere Materien eingreift, ist er mehrere
Male abgedruckt, soweit nötig. — H. Krüger fügt einige Winke bei,
wie die Übersetzung Conrats hätte verbessert werden können. Vgl. o.
Nr. 164 (S. 79).
233. Max Conrat (Cohn), Die Entstehung des Westgotischen
Gaius, Verhandelingen der Akademie van Wetenschappen te
Amsterdam, Afd. Letterkunde, N. R. VI 4 (1905) ist im Nachtrag
besprochen.
234. Th. Mommsen, Eine verlorene Breviarhandschrift. Sav.-Z.
XXII (1901) S. 55 — 58. Aus einer nicht mehr vorhandenen Hand-
schrift der Lex Rom. Vis. sind in einem Exemplar der Sichardschen
Ausgabe (Pariser Bibliothek Reserve F 4) Einträge von Petrus
Pithoeus (1496/97-1553/54) gemacht.
Vgl. auch oben Nr. 212 — 214.
235. *Der Titel sei erwähnt von E. Besta, Per la determina-
zione dell' eta e della patria della cosidetta Lex Romana Rhaetica
Curiensis, Rivista italiana per le scienze giuridiche XXX (1900) 309
bis 374 und XXXI (1901) 3—64. — C. Calisse, II Breviario
Alariciano, Archivio giuridico LXXII 143-147.
e) Leg-es Vlslgothorum.
236. Die schon länger vorbereitete (vgl. diesen Jhber. CIX 83)
Ausgabe der Leg es Visigothorum von Zeumer ist in den
Monumente Germaniae historica, Legum Sectio I, erschienen.
8»
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11U
\V. Kalb: Römische Juristen.
d) Leg-es Alamannorum.
237. B. Schröder, Romanische Elemente in dem Latein der
Leges Alamannorum, Diss. Rostock 1898, 72 S. ist uns nur aus dem
Bericht von W. Meyer- Lübke in Vollmöllers Rom. Jhbcr. VI 1,
S. 123 bekannt.
IX. Agrfmensoren.
Im Hinblick auf den neuen Stoff, den Papyri und (in Deutsch-
land) das Bürgerliche Gesetzbuch den Romanisten bieten, kann es nicht
wundernehmen, daß hinsichtlich der Feldmesser die Forschung ruhte.
Nur weniges ist zu verzeichnen.
238. B. Brugi, Nuovi studi sugli agrimensori romani, Rendi-
conti della Reale Accademia dei Lincei XI (1902) S. 334 — 341 gibt
einige Nachträge zu seinem von der Accad. dei Lincei preisgekrönten
Werke Le dottrine giuridiche degli agrimensori romani, Verona-
Padova 1897. Er bespricht I. Un termine graccano delT ager Cam-
panus. II. Fiumi pubblici compresi nella limitazione. III. Pascua
fundorum publica. — Forts, ebenda XII (1903) 293—300.
239. Fr. Stolz, Zum latein. Wortschatz, Indogerman. For-
schungen XVII 85—98 glaubt nach WklPh. 1904 S. 1263, daß arci-
finius ager, „das neutrale Grenzgebiet", erwachsen sei aus arcae
finium, d. i. „Marksteine der Grenzen".
240. H. Schöne, Das Visierinstrument der röm. Feldmesser.
Mit 1 Tafel und 6 Abbildungen. Jahrbuch des deutschen archäol.
Instituts 1901, III 127—132.
Nachträge.
Seit Einlieferung des Ms. hat Ref. zwar auf systematische Durchsicht
der neueren Literatur auf unserem Gebiete verzichtet, aber trotzdem glaubt
er, wenigstens die wichtigeren oder interessanteren von den Veröffent-
lichungen, die ihm bis Juli 1907 bekannt wurden, erwähnen zu sollen.
Zu S. 3 (Nr. 1). C. Bertolini, Le obbligazioni fasc. 5 und 6
(bis S. 689), Torino 1906/07 behandelt von den Konsensualkontrakten
Kauf und Miete. Auch in dieser Fortsetzung zeigt sich eine staunens-
werte Kenntnis der neuen (besonders auch deutschen) Literatur. —
Auf S. 673 erfahren wir, daß Cicogna, * Sulla cosidetta relocatio.
tacita, Archivio giur. LXXIV (1905) S. 259 ff. bei Ulp. ed. 19, 2, 14
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Nachträge.
117
et huiusmodi contractus neque verba neque scripturam utique desi-
derant für interpoliert erklärt. Aber Jnstinian hat es wohl nicht inter-
poliert, wegen utique, vgl. Kalb, Jagd S. 16 f. (26 f.)
Zu S. 8 (Nr. 17 a). L. Hahn, Rom und Romanismus im
griechisch-römischen Osten. Mit besonderer Berücksichtigung der
Sprache. Bis auf die Zeit Hadrians. Leipzig 1906 bietet eine Studie
über den Einfluß des römischen Geistes und des römischen Wesens
auf die griechisch redende Welt. Die Ausbreitung des römischen
Rechtes wird dabei nur gelegentlich gestreift. Interessant ist jedoch
der Nachweis, daß gerade auch Wörter aus dem römischen Rechts-
und Staatsleben in größerer Zahl in die griechische Sprache Eingang
fanden, und zwar nicht erst in spätrömischer Zeit (vgl. Kalb, Roms
Jur. S. 1). Polybios zwar hält sich noch ziemlich zurück und be-
schränkt sich auf Wörter, für welche das Griechische keinen völlig
deckenden Ausdruck hatte, wie oixtaxcop, iratpfxio?; spätere Schrift-
steller aber sowie Inschriften lieferten größere Ausbeute. Ein Index
von lateinischen Fremdwörtern auf S. 270 — 274 führt unter etwa
820 Wörtern auf: alpaptov, tä axxeirta, Ssitoaita, eotxxa, xapxapa,
xoupaTopsuu), xtoö'txsXXoc, jxotrov, o'jtvStxta, TexouXta, titXoc.
Zu S. 17 ff. (Nr. 43—49). Ch. Collard, De fauthenticite* de
la loi des XII Tables. Louvain 1907 gibt auf 58 S. in ausführ-
licherer Weise, als uns es der Raum gestattete, eine Darlegung des
Versuches, die XII Tab. als unecht zu erklären, sowie die Nachweise
seiner Unhaltbarkeit.
Zu S. 27 f. Für die wörtliche Auffassung des secare = »Zer-
stückeln" tritt neuerdings ein E. I. Bekker (s. o. Nr. 104a), indem
er die Erbitterung gegen den zahlungsunfähigen Schuldner mit leb-
haften Farben malt. Den Pluralis secanto erklärt B. damit, daß ein
einzelner Gläubiger den „Lumpen" trans Tiberim verkauft haben
wird ; wenn mehrere Gläubiger auftraten, wollte mau unnütze Streitig-
keiten vermeiden und gab die Parole aus: „Schlagt den Hund tot!"
— Der Hinweis darauf, daß schon Plautus secare = zerstückeln
faßte oder vielmehr von dem Auditorium so gefaßt wissen wollte,
scheint weniger zu beweisen, weil das mißverständliche secare in der
längst veralteten Verordnung zu Witzen geradezu herausforderte.
Zu S. 34 (Nr. 64). P. F. Girard, Les jurSs de Pactum d'in-
jures — Me'langes Gerardin 1907 S. 255 ff. zeigt u. a., wie sich die
Injurienklage, die sich in den XII Tab. nur auf Tätlichkeiten bezog,
allmählich auf alle Beleidigungen ausdehnte.
Zu S. 39. Mitteis druckt in Sav.-Z. XXVII 355—357 ein
neues Bruchstück (fast zwei Druckseiten) der sog. Lex metalli
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W. Kalb: Römische Juristen.
Vipascensis ab, im Anschloß an Cagnat, Jonrn. des Sa?. 1906
p. 441 — 448. (Vgl. Bruns, Fontes I 266 ; Kipp, Gesch. der Quellen *
S. 43 f.)
Zu S. 44 ff. (Nr. 104 a). E. I. Bekker nimmt in Sav.-Z. XXVII
in manchen Punkten eine vermittelnde Stellung ein. Die Litis
contestatio hat ihren Namen aus den Legisaktionen , wo die
Zeugenaufrufung ein „mundliches Protokoll" herstellte. Im Formular-
prozeß bedeutet die 1. c. den Abschluß der Erteilung einer Formula
(Keller); die Formula ist als Befehl des Beamten gestaltet und wird
nach Vereinbarung mit den Parteien erlassen ; der Befehl bedarf aber
zur Erlangung der Rechtskraft „noch einer nachträglichen" (das Ende
der Verhandlungen in iure bildenden) „Billigung seitens der Parteien,
die ihren Ausdruck findet in dem (uns formell unbekannten) litem
contestari, das der Actor im Einverständnis mit dem Reus vor-
zunehmen hat Auf diese Erklärung des Einverständnisses ist der
Name und sind die Folgen der 1. c. übertragen". Daß im Formular-
prozeß der actor das eigentliche Subjekt des contestari war, be-
weist E. I. B. aus dem Vocab. iurispr. — Zu erwähnen ist auch
B.s Annahme, daß das häufige ius dicito usw. in Gesetzen darauf hin-
zuweisen scheine, daß ius dicere ursprünglich einen mehr oder minder
feierlichen Eröffnungsakt des Magistrats bedeutet habe, welcher den
rechtsverbindlichen Äußerungen der Parteien (und der datio iudicü)
vorherging. (Busz, s. d. F., S. 46 zieht geradezu eine Parallele zwischen
den tria verba praetoris do dico addico und den Worten von Ge-
setzen ITA IUS DICITO IUDIC1A DATO IUDICARE IÜBETO oder
IURIS DICTIO REC UPERATORUM DATIO ADD1CTIO ESTO u. ä.)
H. Busz, Die Form der Litiscontestatio. Diss., Münster 1907
kommt in einer gründlichen Abhandlung Uber die ganze Frage (B. ist
Schüler von H. Erman) im wesentlichen zum gleichen Ergebnis wie
E. I. Bekker, dessen Abhandlung er nur noch zitieren konnte. Er
weist u. a. darauf hin, daß die Grundlage zu einer Vereinbarung
über die formula in der editio actionis lag. Die datio actionis durch
den Prätor erfolgte allen Anzeichen nach mündlich; auch dafür, daß
das daran anknüpfende litem contestari des Klägers oder das iu-
dicium accipere des Beklagten im Formularprozeß von Anfang an
schriftlich geschehen mußte, liegt nach B. kein Beweis vor, da man
praescriptio auf die Voranschrift im prätorischen Album beziehen
könne, woraus sich vielleicht die übertragene Bedeutung „Begrenzung"
(s. o. S. 46) entwickelte. Der Zeugenaufruf mit Testes estote (als münd-
liches Protokoll Über die Formula gedacht) bestand nach B. auch im
Formularprozeß zunächst noch fort, wenn er auch in der klass. Zeit
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Nachtrage.
119
vermutlich allmählich fortfiel, so daß die vorher nur übliche Aufzeich-
nung der formula Rechtseinrichtung wurde. — Die Echtheit des Wort-
lautes bei Sev. und Carac. Cod. 3, 9, 1 si tantum postulatio simplex
celebrata sit scheint dem Vf. kaum anfechtbar (so ist wohl zu lesen
statt „annehmbar"), da sich nach Carlo Longos Vocab. die Wendung
postulationem celebrare bei Just, nicht finde. Aber celebrare = facere
(z. B. venditionem) findet sich bei Just, oft (vgl. Kalb, Juristenlatein
S. 68). — In einem Anhang nimmt B. Stellung gegen Ausführungen
in Schloßmanns neuester Schrift * Praescriptiones und praescripta
verba, Leipzig 1907.
Zu S. 47 (Nr. 105). St. Braßloff, Zu Hör. Serm. 2, 1,
74 ff. will tabulae in dem Verse solventur risu tabulae nicht
mit Erman auf die Urkunde der Formula beziehen, sondern als
testificationes verstehen (vgl Paul. resp. 3, 2, 21 pr.), worin Augustus
bezeugt, daß die carmina des Horaz bona seien und andere Personen
die Integrität seines Charakters und die ehrlose Gesinnung der
Prozeßgegner bestätigen.
Zu S. 54 (Nr. 127). Emilio Costa, I papiri fiorentini. Atti
del lt. Istituto Veneto di scienze, lettere ed arti, Anno accad. 1906 — 07.
Tom. LXVI parte II 91 — 118 behandelt aus den Papyri zu Florenz,
welche Girolamo Vitelli 1906 herausgegeben hat, Urkunden über
Verpachtung von Immobilien , über locatio operarum , mutuum , ven-
ditio, pcrmutatio und andere Verträge, sodann aus dem Familien-
recht usw. Zitiert wird
L. Wenger, Die Stellvertretung im Rechte der Papyri, Fest-
schrift der Univ. Graz vom 15. Nov. 1906, Leipzig 1906.
Zu S. 60. Während des Druckes teilt Herr Dr. Fried r.
Zucker, der die Güte hatte, das Diptychon aus 148 in Kairo ein-
zusehen, uns mit , daß zwar die Lesung P(ublius) der Außenseite
sicher sei, daß er aber auf den Innenseiten — soweit er bei der
schlechten Beleuchtung des Arbeitszimmers im Museum überhaupt ein
Urteil abgeben könne — eher geneigt gewesen sei, ebenfalls
P(ublius) zu lesen. „Das P hat eine Form, die, besonders allerdings
wenn continuo geschrieben ist, zur Verwechslung mit C. führen kann."
Herr Dr. Z. weist hin auf die fast völlig gleiche Schrift des Papyrus
Nr. CVIII (Tafel V) bei Grenfell-Hunt, New classical fragments
and other Greek and Latin papyri, Oxford 1897 (aus 167 n. Chr.),
besonders auf das p in Zeile 8 und auf der letzten Zeile.
Zu S. 67. R. Samt er, Das Verhältnis zwischen Scaevolas
Digesten und Responsen. Sav.-Z. XXVII (1906) S. 151—210 scheidet
zunächst die Anfragen von den Bescheiden und zeigt, daß (besonders
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120
W. Kalb: Römische Juristen.
in den Digesten) die Anfragen durch ihre oft unbeholfene oder vul-
gäre Ausdrucksweise und durch Unkenntnis des juristischen Sprach-
gebrauchs, durch Anführung von Punkten, die für die Rechtslage ganz
gleichgültig sind, sich deutlich von den Antworten unterscheiden, und
glaubt, daß Scaevola selbst diese Verstöße (vgl. oben S. 86 Anm.)
in seinen Antworten zuweilen richtig stelle oder persifliere. In den
Responsen sind diese Anfragen von Scaevola oder einem seiner
Studiosi überarbeitet. Die Digesten dagegen hält S. für ein posthumcs
Nachschlagewerk , zusammengestellt aus selbständig gesammelten
Originalakten usw. unter Einverleibung der (echten) Responsen und
anderer Sammlungen.
Zu S. 71. H. Dessau, Sav.-Z. XXVII 420 teilt mit, daß im
Sept. oder Okt. 1906 zu Saloniki eine Inschrift gefunden wurde 'A^aö^
to^Ti Aixtvviov 'Poucpeivov, xöv xpattSTOv xol Xatirpoxatov xai ivr.ti-
potatov vojxtov OiraTtxov, KXau&io? Mevtov t6v eoepfsnjv. Die In-
schrift bezieht sich auf den Pandektenjuristen Licinnius Rufinus,
der zu Anfang des 8. Jahrhunderts lebte. Dazu stimmt nach D. die
Zeit des Claudius Menon, der auch in anderen Inschriften genannt
wird. Der Jurist Lic. Ruf. ist nach D. auch identisch mit
M.Gnaeus Licinius Rufinus, der in mehreren Inschriften von Thyatira
ebenfalls 6 XajxrpfootTO? Giratixo? genannt wird.
Zu S. 84 (Nr. 175). In Sav.-Z. XXVII 405—419 begründet
H. Erman einige seiner Aufstellungen näher gelegentlich einer Be-
sprechung von R. Leonhard, Die Replik des Prozeßgewinnes (Fest-
gabe für F. Dahn II 65—106, Breslau 1905). — Vgl. auch Nr. 181 a.
Zu S. 99 (Nr. 200). Schloß mann, Nachträgliches zu persona
und Trp6au>rcov, Sav.-Z. XXVII 358 — 360 widerlegt die Ableitung von
persona aus sona (= Cwvtj) durch Stowasser und Walde und erwähnt
die Erklärung aus dem etrusk. ?ersu durch Skutsch, Arch. f. lat.
Lex. XV 145.
Zu S. 100. Fritz Schulz, Klagen -Zession im Interesse de*
Zessionars, Sav.-Z. XXVI I 82—150 bespricht kritisch und exegetisch
eine Reihe von Digestenstellen. Interpolationen nimmt er u. a. an bei
Afr. q. 46, 1, 21 pr. ideoque in utraque specie transeunt obligationes.
Zu S. 106 (Z. 21) und S. 110 (Nr. 214). Der Turiner Palimp-
sest des Cod. Th. ist im Bibliothekbrande 1903 untergegangen, nach
P. Krüger, Krit. Viertelj. XLVII (1906) S. 37. — Hier bespricht
P. Krüger auf S. 36 — 42 die neue Ausgabe des Cod. Th. und be-
sonders P. M. Meyers Ausg. der Novellae ad Theod. pert. Meyer
hatte auf die Benutzung von Krügers ihm angebotenen Vergleichungen
verzichtet*, wie seine Lesung von der Krügers in vielen Einzelheiten
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Nachträge. 121
auscim .äergeht, zeigt Kr. für Vat. reg. 1023 an der Hand von Nov.
Theod. 24. — Zum Schluß regt Kr. die Schaffung einer kritischen
Palingenesia sämtlicher Kaisererlasse (an Stelle des Hänelschen Corpus
legum) an, die er hoffentlich selbst in die Hand nimmt.
P. M. Meyers Ausgabe ist (ausführlich) auch besprochen von
B. K übler, Sav.-Z. XXVII 877—394.
Zu S. 115 (Nr. 233). Max Conrat (Cohn), Die Entstehung
des westgotischen Gaius. Nachdem C. in gründlicher Weise eine
Charakteristik des westgotischen Gaius (= Epitome von Gai. Inst,
in der Lex Romana Visigothoruin) und seiner Abweichungen von Gai.
Inst, gegeben hat, kritisiert er weiterhin zunächst die „herrschende"
Meinung, nach welcher die Kompilatoren der Lex Rom. Vfs. die Be-
arbeitung des Gaius, die sie in das Gesetzbuch aufnahmen, im großen
und ganzen schon vorfanden (S. 47—83). Dieser gegenüber glaubt
C. beweisen zu können, daß die westgotische Gaiusepitome vom west-
gotischen Gesetzgeber selbst aus den Gaianischen Institutionen her-
gestellt worden sei*).
*) Von den Beweisen, die freilich nicht alle stichhaltig sind, seien
folgende angeführt : 1. Die westgotische Gaiusepitome ist nach Erlassung der
Novelle Valentinians III. vom Jahre 447 (in der Ausgabe von Mommsen
Cod. Theod. II 119 = Nov. Val. 25, 2, in Lex Rom. Vis. = Nov. Val. 6,
1, 2) entstanden, weil in 1, 1, 6 das durch sie geschaffene Erbrecht sich findet.
In der Zeit zwischen 450 und 506 war zwar im Osten des Reiches eine Art
von Renaissance der Rechtswissenschaft, nicht jedoch im Westen. Die
Epitome von Gaius scheint dem Vf. aber (wohl mit Recht) im Westen ent-
standen (nicht in Rom, da beispielsweise der praetor vor dem praeses pro-
vinciae gestrichen zu sein scheint, 1, 6, 3). 2. Die westgotische Gaius-
epitome scheint dem Vf. mehrmals auf andere Stellen der Lex Rom. Visig.
Bezug zu nehmen: so werden 2, 1,4 bei der Besprechung des Satzes super-
ficies solo cedit im Gegensatz zu Gai. 2, 73, dagegen mit Lex. Rom. Vis.
Cod. Greg. 6, 1 die Weinstöcke erwähnt. Mehrmals glaubt Vf. vor allem
einen Anklang an den Wortlaut der Interpretatio Legis Rom. Vis. feststellen
zu können. In der westgot. Epitome des Gaius heißt es z. B. 2, 9, 17
Dissolvitur societas . . . capitis diminutione, id est, si unus ex soeiis, sicut
frequ enter supra diximus, oapite fuerit diminutus. Dies kann sich nach
Vf. nicht auf die eine Stelle Gai. Vis. 2, 3, 5 si . . capite minuatur, id est
aut ab hostibus capiatur aut pro crimine in exsilium deputetur allein be-
ziehen. Vf. glaubt, das frequenter habe auch noch die Interpretatio zu Vis.
Cod. Th. 2, 19, 1 im Auge: — und das wäre nahezu allein ein Beweis dafür,
daß der Kodifikator der Lex Rom. Vis. selbst die Epitome verfaßt hat,
wenn nicht die gleiche Wahrscheinlichkeit dafür spräche, daß frequenter
supra diximus sich außer auf Gai. Vis. 2, 3, 5 auch auf eine der Stelle Gai.
1, 160 entsprechende Stelle der westgotischen Epitome bezog, welche der
Kodifikator in der von ihm bereits vorgefundenen Epitome strich. (Daß
die Verweisung trotzdem stehen blieb, hätte eine Art von Parallele z. B.
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122
W. Kalb: Römische Juristen.
Vf. sacht nicht mit blendender Dialektik einen Augenblickserfolg
zu erzielen, sondern bringt immer auch (and dieser Punkt gibt dem
Buch seinen großen wissenschaftlichen Wert) die Einwendungen, die
man gegen seine Gründe ins Feld fahren könnte, um sie dann nach
Möglichkeit zu widerlegen. Vielleicht der schwerwiegendste Einwand
ist der, daß die meisten Gründe des Vf. ihre Geltung behalten auch
bei der Annahme, daß der Kodifikator der Lex Rom. Vis. eine Gaius-
überarbeitung vorfand und diese durch Streichungen und gelegentliche
Einschiebungen für sein Gesetzbuch zustutzte. — Betrachten wir den
letzten Titel von Gai. Vis. (2, 10, 1), so heißt es hier: Ex delicto
nascuntur obligationes, si aliquis furtum fecerit, vel bona aliena ra-
puerit, vel damnum alteri dederit, aut iniuriam fecerit ... § 2.
Furtorum autem genera sunt quatuor usw.; bis zum Ende wird nur
vom furtum gesprochen, die anderen Delikte werden gar nicht er-
wähnt. Hätte der Koditikator den alten Gaius selbst epitomiert, so
hätte er vermutlich entweder die bona rapta und das damnum datum
in § 1 ganz weggelassen, oder er hätte am Schiasse (nach § 6) hin-
zugefügt de reliquis delictis alio loco referemus oder ähnlich. Da-
gegen ergab sich die jetzige Form ganz von selbst, wenn der Kodi-
fikator der Lex Rom. Vis. eine Gaiusepitome, die nicht lange vorher
in Südgallien oder Spanien entstand, schon vorfand und sie nur für
seine Zwecke zurechtmachte.
in dem bekannten uous casus bei Just. Inst. 4, 2, 5). — 3. Auch die Lücken,
welche die westg. Gaiusepitome im Vergleich mit Gai. Inst, aufweist, erklärt
Vf. so, daß der Kodifikator in seinem Exzerpt außer Veraltetem fast nur
solches weggelassen habe, was bereits sonst in der Lex Rom. Vis. stand.
Daß man den Satz beiseite ließ (Gai. 2, 69) Quae ex hostibus capiuntur
naturali ratione nostra fiunt glaubt Vf. am besten aus der Annahme zu er-
klären, daß der Vf. der Gaiusepitome eben ein germanischer Gesetzgeber
war; denn jener Satz habe germanischer Rechtsanschauung widersprochen,
was dem Laien etwas auffallend erscheinen wird.
Druckfehler.
S. 3 Z. 20 v. u. sollte stehen Istituzioni.
S. 36 Z. 8 v. o. „ „ Bormann.
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Bericht über die Literatur zu Ciceros Reden aus den
Jahren 1903—1906.
Von
J. May in Durlach.
In der Literatur über Ciceros Reden kommt diesmal am meisten
das kritisch -rhetorisch -rhythmische Moment in Betracht. Durch
A. Clarks und auch durch W. Petersons Forschungen über den
Cluniacensis und andere Handschriften und durch die infolge davon
eingetretene Änderung in der Schätzung derselben wird die sonst wohl
ziemlich gesicherte kritische Grundlage der Reden Ciceros mannig-
fach berührt, obwohl diese Studien noch nicht abgeschlossen sind.
Dazu kommen die Forschungen Uber den Rhythmus, die jedoch erst
in der Entwicklung begriffen sind und noch zu keinem festen Re-
sultate geführt haben. Ja es herrscht nicht einmal Einverständnis
über die Methode der Untersuchung, weil innerhalb der Periode der
Begriff dessen, was rhythmisch ist, noch nicht mit Sicherheit fest-
gestellt ist. Jedenfalls darf sich dieser Begriff nicht auf die Klausel
beschränken. Wenn in dem folgenden Referat bei den einzelnen Be-
sprechungen der rhythmische Gesichtspunkt stark hervortritt, so ge-
schieht dies, weil für dies neue Substrat der Cicerokritik erst Bahn
geschafft werden muß. Erfreulich ist, daß die neuere Kritik auf
Grund von Ciceros Schriften auch das rhetorische Moment mehr, als
dies in den seitherigen Ciceroausgaben geschieht, berücksichtigt.
Ebenso ist für die sachliche Erklärung der Reden selbst in juristischer
Beziehung manches geschehen; ferner hat des Redners politische
Stellung und Bedeutung eine Erörterung gefunden. Von den be-
zeichneten Bestrebungen soll das nachfolgende Referat Zeugnis ab-
legen.
1. Anecdota Oxoniensia. Classical Series, Part. X. The vetus
Cluniacensis of Poggio by A. C. Clark. Oxford 1905.
2. Von demselben Verfasser: M. Tulli Ciceronis orationes: Pro
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124
Bericht über die Literatur zu Cicen>3 Reden
Sex. Roscio. De Imperio Cn. Pompei. Pro Cluentio. In Catilinam.
Pro Murena. Pro Caelio. Oxford 1905.
Ans dem durch seine Stellung und Verdienste um die Kultur des
Mittelalters berühmten Kloster Cluny stammt eine Handschrift zu
Ciceros Reden, die zur Zeit des Humanisten Poggio, der dort von ihr
Einsicht nahm (1415), noch vorhanden war, dann aber verschwand
und bis auf den heutigen Tag nicht wieder zum Vorschein kam. Den
Spuren dieser Handschrift ist der um die Kritik der Reden Ciceros
hochverdiente und unermüdliche Oxforder Gelehrte Clark auf Grund
einer in dem Cluniacenser Katalog unter Nr. 496 erhaltenen Notiz*)
nachgegangen und hat Resultate erzielt, die geeignet sind, wenigstens
die Rosciana und Mtircniana auf eine neue kritische Grundlage zu
stellen. Die Resultate seiner Forschung, die sich aber auch auf die
Reden pro Cluentio, pro Caelio und pro Milone beziehen, sind in
den bezeichneten Werken niedergelegt, unter denen die aneedota die
Vorarbeit zu der Ausgabe bilden. Clarks diesbezügliche Arbeiten
erstreben und erreichen für Cicero das, was bei seinem griechischen
Vorbild, Demosthenes, so not tut, nämlich eine reinliche Scheidung
der verschiedenen Überlieferungsklassen. Wenn man früher, wie es
bei vielen Schriftstellern auch jetzt noch geschieht, die verschiedensten
Lesarten einfach nebeneinander stellte, um daraus zu wählen, so hat
Clark durch seine historisch zu Werk gehende Methode den vor-
handenen Handschriften den ihnen gebührenden Platz angewiesen und
für die aus dem Cluniacensis abgeleiteten als Führer den cod. paris.
2 = 14 749 erwiesen, während bisher W als solcher galt. Auch
enthält 2 wichtige Marginalien , die offenbar aus dem Cluniacensis
stammen und Lücken in 1' ausfüllen sollen. Aus 2 selbst sind aber
auch noch andere Handschriften, so paris. 6369 und 7777 und W
205 , abgeleitet. Clark ging jedoch auch noch anderen nach Italien
führenden Spuren des Clun. nach und fand solche in cod. Laur.
LIV 5, einer Sammlung von Exzerpten aus den Reden für Rose, Mur.,
Cluent., Mil. und Cael., welche Poggios Freund und Mitarbeiter
Bartolommeo da Montepulciano aus dem Clun. veranstaltete**), wobei
sich für die Miloniana Übereinstimmung der Lesarten mit Harl. 2682
zeigt. Cluniacensischen Ursprungs ist auch Laur. 48 (Lag. 10), 1415
von Joh. Arrctinus geschrieben. Cl. bespricht jedoch auch noch
andere Handschriften, namentlich italienische, und legt das unter-
*) 496: Cicero pro Milone et pro Avito et pro Murena et pro quibus-
dam aliis.
**) Aneedota Ox. S. 1—14 (excerpta Montepolitiana).
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!
i
aus den Jahren 1903—1000. ^May.) 125
einander und namentlich mit dem Cluniac. bestehende Verhältnis dar.
Die zweite Hälfte der anecdota enthält außer den exc. Montepol. für
die 5 Reden eine Sammlung von Varianten aus 2 (S. 16 — 57). Bei-
gegeben ist je ein Facsimile aus £ zu den Reden pro Caelio und
pro Murena. Es ist nun in hohem Grade interessant, vielleicht auch
da und dort fördernd, dem sowohl in den anecdota als auch in der
Ausgabe dargebotenen reichen Material nachzugehen und zu be-
obachten, wie die Stellung der einzelnen Handschriften zu 2 und da-
durch zum Cluniacensis ist. Natürlich kann diese Durchsicht, nament-
lich in der Ausgabe, sich nicht auf alle Reden erstrecken.
a) Anecdota: Die Ergänzung lückenhafter Stellen in 1 ist, um mit Gl.
zu reden, ein „perculosae plenum opus aleae". Richtig mag Mur. § 66
(p. XXIV) die Ausfüllung der Lücke durch fuit sein; aber Rose. § 44 scheint
die Einschiebung tu nach factum überflüssig; denn id odio factum criminaris
entspricht id quasi novum reprehendis :
_ _ | _ ^ _ - io
2 ~ w v w | ~ vy v^/ — d
Mehr Silben dürfen in die Reihe 1 nicht hineingebraucht werden. Der
ditroch. Klausel geht hier, wie so oft, ein cret. (in schwerer Form) voraus.
Durch Einschiebung von tu würde das rhythmische Verhältnis anders. R. 2
heroische Klausel. — esse mit der Lücke steht nicht Rose. § 83, sondern
84, 3*). — Mur. § 56 scheint betreffs inimico einige Verwirrung zu herrschen.
Da wo Cl. cod. V1 (Gadd. XC sup. 69) bespricht**) (p. 48), führt er aus
V1 die Lesart inimicorum an, während in der Ausgabe aus V1 inimico
notiert ist. Letztere Angabe scheint unrichtig. Der letzte Satz des § 56
exitio vix cuiquam inimico esse deberet respondiert dem vorhergehenden
Gegensatz: (ut) ingenium praesidio multis etiam alienis:
Vielleicht ist diese Responsion besser als die mit inimicorum sich er-
gebende, weil die zwei wie ein Cholose wirkenden Längen der zweiten
Klausel unmittelbar unter die kontrastierenden Kürzen kommen. — Aus den
Stellen, wo Cl. die Übereinstimmung von H X, also des Cun. mit dem Har-
leianus beweist (p. XXV), hebe ich heraus Mil. § 14: si e re publica
oppressa sunt,
Responsion: rem publicam tarnen volnerarunt
| — - - w — dicr.
^ - ^ - | - ^ - ^ ditr. mit vorherg. cret.
Die gewiß genaue Responsion ist nur möglich durch Beibehaltung von
e und durch Nichtelision von si. Das Richtige geben also hier weder H
noch £. In X aber ist est oflenbar nur durch unrichtiges Lesen entstanden,
*) In dieser Beziehung sind in den sonst ziemlich genauen Zitaten der
anecdota einige Verstöße, welche ich mir erlaube zu notieren.
**) V „sbows traces of a fresh examination of the Cluniacensih."
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12U
Bericht über die Literatur zu Ciceros Reden
indem der Schreiber e und e* verwechselte. — Mil. § 46 (nicht 47): Dali
omnes oder homines scilicet (X H) Lanuvini Glosse ist, wie schon Lambin
gesehen, zeigt auch die Responsion:
flaminem necesse esse.
facillime scire posset.
— vy | — w — — ~ cret.-tr.
w — ^ — | — w - — ditr. mit cret.
Zu dieser Klausel paßt kein Zusatz mehr. — H gestützt von 2: Mil.
§16: ingemuit.
Quis tum non ingemuit,
quis non arsit dolore,
— — — — w w —
p. XXVI: Mil. §81: vestri (2 H) richtig'), nicht vestri ordinis:
esse vobis sui se capitis
quam vestri defensorem fuisse.
| - - — ditr. mit cret.
B H: in huius salute (m) nicht § 101, sondern 100. — § 101 erweist
die Responsion, daß die gewöhnliche Lesart animo eritis besser ist als die
von B II, worauf schon die Homoioteleuta hinweisen:
1 quo tandem animo eritis?
2 Milonis retin ebitis,
3 ipsum eicietis?
^ w ^ ^ - spond. = cret. (Auflös.)
v^l ^ ^ - w — ebenso.
^ w - — ebenso.
Allerdings ist die Auflösung der Kretiker in den 3 Reihen nicht gleich,
was eben Cic. liebt. — § 105: Die Richtigkeit von exceperit erweist sich
durch Paronomasie:
exceperit,
eiecerit
amiserit
w —
w — , also nicht excipiet.
In demselben Paragraph wäre sentitis (2 B H) unrichtig : Responsion :
quod sentietis,
id audeatis.
^ — w
w - v> - - Dies würde durch sentitis zerstört.
Es ist sehr die Frage, ob nicht Mil. 58 fuissent (2) richtig ist.
Quos nisi manu misisset,
etiam dedendi fuissent
- w w w | — disp.
^ | — ^ — — ditr.
*) In der Variantensammlung S. 56 ist dies nicht verzeichnet. —
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aus den Jahren 190$— 1906. (May.) 127
Der ditr.- Klausel geht in den beiden Reihen je ein cret. voraus, ver-
schieden in den beiden Reihen (1. Auflös., 2. erschwert). Eigentümlicher-
weise steht diesmal, was selten, die Cholose (disp.) vor dem regulären
ditr. Wenn auch fuissent, wie Clark mit Recht sagt, „an inferior
reading" ist, so bedingt der Rhythmus manche Ausdrucksweise, über die
die Stilistiker sich den Kopf zerbrechen. — Die 3 § 70 in Betracht kommenden
Lesarten ergeben alle eine gute Responsion, so daß hieraus kein Schluß
gezogen werden kann:
1. Vulg: absolvi a vobis oporteret, 10
ut omnes confitentur, liceret. 10 '
| - w cl. cret. = tr.
^ w - | - ^ - - dicr.
2. 1 mit oportet — licet.
| - - - ditr. mit cret.
^ - - | - w - - ^ - ditr.
3. H mit oportet und liceret.
| - ^ -
^ — — — w
:,::-)
ditr. mit je vorausgeh. cret.
Bei der Lesart 3 gleicht sich der Rhythmus der Füße am meisten.
Berücksichtigt man aber nur die Grammatik, so ist natürlich die Vulg. vor-
zuziehen, wie auch Cl. sagt: „The vulgate seems preferable." — Mil. 98:
hic (H 2) wird weder inhaltlich noch durch die Responsion gestützt, inhalt-
lich nicht, weil omnibus in terris doch wohl zu den beiden folgenden Sätzen
gehört. Die Responsion aber ist folgende:
quoniam omnibus in terris et | iam versatur
et semper habitabit nominis mei gloria
wv^-o»v_/ — | — disp. mit cret.
— — w v_y w — - - u | — w — ~ \j ~ dicr.
Bemerkenswert ist, daß da, wo die genaue Responsion beginnt (omnibus
in terris und habitabit nominis meiX diese durch die Einschiebung von hic
gestört würde. — Eigentümlich ist das Verhältnis bei Mil. 105 nämlich bei
der Frage, ob delegit (2 B), elegit (H F), legit (E> Volle Gleichheit der Re-
sponsion ergibt legit.
is maxime comprobavit,
fortissimum quemque legit.
— \ — \J — —
- | - u - - Kl. Ditr. mit vorhergeh. cret.
Besser aber wirkt die von Cic. in der Responsion so häufig angewandte
Cholose, also elegit:
Aber auch delegit ergibt gute Responsion:
W — | - — CT
--^-1-----
Dann steht der ditr.- Klausel eine cret.-troch. gegenüber, was eben-
falls häufig. Das Beste ist das, was die Herausgeber gewählt haben. — Ea
vis nicht Mil § 80, sondern 84. — 12: Cael. § 54 (p. XXIX): für die hier
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128
Bericht über die Literatur zu Ciceros Reden
in Betracht kommende Responsion ist es gleichgültig, ob man domi stiae
IT 2) oder suae domi liest:
quod in agris locisve publicis factum reprehenderet
id in urbe ac domi suae coeptum esse leniter ferret.
— v_/ — w — w — — | — — w~ daktyl."Cret.
\s \^ — — \y — \j — — — v^/| — — — — cret.-tr.
praetermitteret (T 2) ist richtig:
periculo non praetermitteret,
hominis dissimulandum putaret?
w-w - | w — dicr.
w u - | - — w - - ditr. mit chori.
Diese zweite Klausel wäre nach Ziel, eine Ableitung und zu bezeichnen
mit L 8tr (Klauselgesetz S. 100). — labor offendit (p. XXXL) steht nicht
Cael. § 47, sondern 46. —
Lesarten, aus alten Ausgaben stammend, scheinen indirekt durch
italienische Kollation auf den Clun. zurückzuführen (p. XXXI): Cael. § 29: et
copiose et graviter (2 Naugerius*). Ergibt Responsion:
Ut tibi reum neminem, sed vitia | ista**) proponas,
res tarnen ipsa et copiose et graviter ac | cusari potest.
"Www w - - O ^ | — v»/ - — —
- - - - <s wo w — | w —
Am deutlichsten ist die Responsion gerade bei copiose et graviter. Kl.
kret.-troch. und umgekehrt — § 69: a Caelio non est factum (2 und
vett. edd.). Jedenfalls richtig. Die Wiederholung factum hebt mit Nach-
druck hervor, und beides respondiert:
Quod etiam si est factum,
quidem***) non est factum —
w - si est ohne Elision. —
Richtig ist auch § 77 iam res, iam dies (X edd. vett); denn iam dies
mitigarit respondiert deutlich zu iam ista deferverint:
- v> w — — ditr. mit cret
- v> w — dicr.
1 B: Cluent § 183 (p. XXXV): posset entspricht der Konstruktion des
Satzes, welcher in 8 Teilen respondiert:
Quod si aut confidens astutia 10
aut callida esset audacia, 10
vix ullo obaisti modo posset 10
- ■ — — — — \J —
— — v_/ — w — — w —
^ — Diese Responsion erfordert mit B
die Weglassung von iis. —
*) So aber auch Orelli (ed. prior).
••) So Clark.
***) So Cl. nach H'.-
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aus den Jahren 1903—1906. (May.)
129
§ 124 Stellung der Vulg. richtig in cum re coniunctum esse:
(cens)oriam amplexato,
esse defendito:
— U W
Zu § 190 ist bemerkt: accusatorem om. XT, während in der Ausgabe
über £ das Gegenteil gesagt ist. — a Stratone steht nicht § 177, sondern
178. — p. XXXVI: § 29: Auch die Responsion scheint für de eo de quo zu
sprechen:
de eo de quo iurati sententias ferre debebant,
de eo cuius praesentis nefariam et consceleratum
w - - | — \j —
w - — - -w-w- - w w — -
Die Rhythmen entsprechen sich ziemlich genau. Klausel in Reihe 1
kret = tr., für R. 2 aber voltum intuebantur (-) - w ^ außerhalb der
Responsion, jedoch gleiche Klausel mit R. 1. — § 140: STB.: posset negare
nicht posset se negare:
ab se esse dictum,
posset negare
§ 5 (nicht 3) puniatur. Der gleiche Klauselausgang scheint die Richtig-
keit von ponatur zu erweisen:
1 et sine invidia | culpa plectatur,
2 et sine culpa invidia ponatur.
— W — \J \-/ — \ ~ — — —
— \J w — I — w — — ü
1 Kl. kret = tr. 2 dikret. mit Auflös. — p. XXXVII: § 180: Sehr
beachtenswert ist die Lesart H^a homines quaerebant wodurch fieri potuisset
von einer Klausel befreit würde, die gar nicht paßt. Responsion:
animadverteretur,
fieri potuisset.
\J - | - ^ — —
I _ —
Der heroischen Periodenschlußklausel steht ein ditr. gegenüber. Es
mag quaerebant eine Konjektur sein, wie Clark *) meint, aber jedenfalls hat
2 richtig quaerebant am Schluß nicht Folglich paßt auch requirebant
nicht Mit -et requirebant, das Cl. als Konjektur Z.s in der Ausgabe be-
zeichnet wird dieser cl. V. 1 ß konstruiert haben.
censorium st nicht § 124, sondern 123. — p. XL1: A hat „proprii
errores", „which I have not found in other ltalian MSS", z. B. Rose. § 6
et fortissimo om. A. fortissimo et respondiert aber
clariBsimo
- — v/ -
-
•) Class. Rev. XIX 168.
Jahresbericht für Altertumswissenschaft. Bd. CXXXIV. (1907._II.) 9
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130
Bericht über die Literatur zu Ciceros Reden
r. (p. XLIV): Rose. Am. § 76 ist zu arcessnnt bemerkt Ar, in der Aus-
gabe aber A<p. — Zu V (p. XLVIII): Mur. § 60 ergibt patiatur (<^) eine viel
bessere Klausel als patitur:
ut mihi videtur,
natura patiatur.
— N-/ ^ W — —
v_/ ^ v_
hominis est nicht § 61 sondern 62. — § 30 non nunc 1 (Ausgabe); anec-
dota non nunc 2 ohne die Zeichen der Tilgung. — § 80: Das Zitat aus
Quintilian IX 2, 18 steht wohl in den aneedot., aber nicht in der Ausgabe
an der richtigen Stelle. — § 60 (p. XL1X): non possum (¥"«S) ist richtig.
Responsion :
vituperare non possum;
leviter emendare possim.
v>v^w| — - - — cret. = tr.
v^v^vy — - | — v-» — — ditr.
quod iter nicht Rose. § 141, sondern 140. — p. L: Verwandtschaft von
S mit V: In beiden fehlt, bzw. ist getilgt Mur. § 35: quasi .... fecerit.
Unrichtig. Beweis 1. Gegenseitige Beziehung der Sätze durch fit — factum
esse . . fecerit. 2. folgende Responsion:
aliud atque existimaris,
populus admiretur,
quasi vero non ipse fecerit.
^ ^ | - v-/ - — ditr.
w \^ v_/ | — disp.
\y - - - | — w — w — troch. cret.
Es wird nicht verkannt werden können, daß hier respondierender
Rhythmus herrscht. — p LI steht perdito nicht Mil. § 62, sondern 63. —
In b (S. marc. 255) p. LH ist die alte Lesart in manchen Fällen darüber
geschrieben. Mil. 2 paßt oratori gut in den Rhythmus:
cederem tempori,
oratori locum.
— N_/ — — —
Mil. 40 ist factus est auch durch die Responsion erfordert:
impetus factus est,
opprimendi fuit.
—»^f — — w —
- w - - v> * dikret. Kl.
p. LIII Cael. § 71 wird referretur auch durch die Responsion bestätigt :
fabula referretur,
causa renovata?
" w u u
— V-/ W \_/
In beiden Reihen aufgelöster cret. zuerst mit cret. in schwerer Form,
dann mit tr. — p. LV: Manche Lesarten werden gestützt von 6* 6"s, so
Clu. § 29:
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aus den Jahren 1903—1906. (May.)
131
auditis non sine testibus, das paßt zu
auditis non ab inimico
I - w w - ^ - dactyl. cret.
| - w c*= - - cret. tr.
§ 86 ergibt accusationem Cluentius eine sehr gute Klausel, aber nicht
mit dem Zusatz poterat; auch die Responsion mit accusatore poterat Albius
spricht für Weglassung von poterat.
w - | - v_> - w — tr. cret.
u | cc ^ - w - tr. cret. (mit Auflösung).
§ 58 tarnen interdum nbn defendere, 10
sed praevaricari videretur. 10 "
w w | w ^ 8p. er.
w - | - ^ er. sp.
Lesart in a (? 1) richtig; Zusatz in M.ua falsch. — Sehr schade, daß
Cl. p. LV nur zwei Fälle veränderter Wortstellung aus ST angibt; es könnte
jedenfalls durch Rhythmus und Responsion manches auf seine Richtigkeit
geprüft werden. So ist z. B. § 27 die Stellung in publico valens visus esset
besser als die andere, weil Cic. es liebt, alliterierende Wörter nebeneinander
zu stellen: in publico valens visus esset,
ante quam luceret combustus est:
- - w - ^ - | ~ ^ - - ditr.
- w | w - sp. = cret.
Ziel. S. 200 admonitus lesend und et vor gratiae streichend behält
also im wesentlichen die überlieferten Worte bei und konstruiert aus
gratiae fabulam die Kl. V 2 als gut. Die dikret Klausel ist ganz richtig.
Ref. teilt aber, wie gezeigt, anders ab und behält et bei. Schlecht kann
Ref. vom Standpunkt der Klausel Kaysers admonitus est nicht finden; es
respondiert sogar zu exeogitarit:
- | - w - - ditr.
- W W W ebenfalls mit Auflösung.
§ 25: terrebantur (Mb^) gibt einen besseren Schluß gegenüber dem re-
spondierenden Worte : ceteri proscriptionis
mortis metu terrebantur.
- w | - w - w ditr.
w - | — dispond., welcher gegenüber dem
ditr. eine passende Cholose bildet. — Ti. ST steht nicht § 97, sondern
98. — p. LVII § 123, Ob quis, wie Cl. konjiziert, gerade notwendig, kann
man bezweifeln; dagegen ist ne . . . delinqueret richtig:
hostium metu delinqneret,
a maioribus constitutus
w
- w - w — w —
w - I - w - - ditr. mit cret.
ferner: poenam capitis subirent,
sortitio comparata est.
- — W^| — —
- - w — | - w - — beide Kl. ditr., in Reihe 2 mit cret,
in 1 mit daktyl. — Rose. Am. § 6 omnemque metum w Halm. Ref. gelangte
9*
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132
Bericht über die Literatur zu Ciceros Reden
in seiner Schrift „Rhythmische Analyse der Rosciana" S. 20 auch zu dieser
Lesart. —
b) Ausgabe: In dieser stehen außer der Rosciana und Mureniana,
deren historisch-kri.ische Erforschung den Hauptinhalt der anecdota bildet
und außer den Reden pro Cluentio und Caelio, zu denen, wie auch zur
Miloniana dort aus den cluniacensischen Handschriften ebenfalls kritische
Beitrage gegeben werden, noch die Poiupeiana und die Catiiinarien, welch
letztere in dem von W. Peterson iu Holkham entdeckten cod. 498 enthalten
sind. Aber auch die Pompeiana, insofern sie auf den gleichen Handschriften
beruht wie die Miloniana, geht indirekt auf cluniacensischen Ursprung
zurück. Wie nun durch Clark s Forschungen die Stellung der Handschriften
eine andere geworden ist, insofern z. B. die Vorherrschaft von W gebrochen
ist, so hat Clark unter Beizug alter bisher über Gebühr vernachlässigter
Ausgaben selbst zahlreiche Textverbesserungen vorgenommen, wobei er
Zielinaki8 Theorie unbedingt zu trauen scheint, wenn er auch in die von
Z. aufgestellten Gesetze noch Zweifel setzt. Ref. hat nun viele Stellen der
Ausgabe untersucht, begreiflicherweise zuerst diejenigen, in denen Gl. auf
Ziel, verweist. Es möge der prinzipiellen Wichtigkeit der Sache wegen ge-
stattet sein, einige zu behandeln. So schreibt Gl. Cat. 1, § 28 nach Ziel,
iveris. Daß hier Rhythmen vorliegen, kann man schon an dem symmetrischen
Bau der Sätze sehen (si . . si . . . ):
si id feceris, vir molem istius invidiae,
si in exilium iussu consulis ieris, sustinebo.
— — ^ — — — — — — WW —
-w>jv>w-|-v-0
■ % - 1
•
ieris ist hier als Responsion zu den Kürzen von invidiae ganz be-
rechtigt und vom Redner gerade deswegen gewählt. Offenbar zieht Z. iveiis
deshalb vor, weil er einen cret. vor dem ditr. erhält. Dieser ist aber auch
bei ieris vorhanden, nur ist die erste Länge des cret. aufgelöst, sustinebo
steht außerhalb der bezeichneten Responsion, auch ein Beweis, daß die
ditr. Klausel als etwas für sich Bestehendes zu gelten hat. — Mur. § 83
nimmt Gl. sustinendum auf (Völkel) und verweist dabei auf Ziel. S. 204,
welcher transigendum oder sustinendum als V 3 empfiehlt und Halms
beispielsweise angeführte Verbesserung als M 9 1 * verwirft. Nun respondiert
der Periodenschluß dem Vorhergehenden, wenn man exequendum festhält,
in auffallender Weise:
scientia ad bellum gerendum,
velis negotium exequendum.
- ^ - - | - ^ - ==
Diese Responsion ist auch inhaltlich begründet, weil Wissen und
praktische Erfahrung bei Murena miteinander in Beziehung stehen. Die
beiden Klauseln sind ditr. mit vorausgehendem spond. bzw. troch. Eine
genauere und inhaltlich wie formell passendere Responsion gibt es nicht.
Die durch exequendum entstehende Klausel bezeichnet aber Ziel, als
mala 91* (Klauselgesetz § 138). Die Hauptform IX der M-KUuse ist auch
wieder so lang, daß sie kein Mensch als Klausel empfinden kann. Von
welchem Gesichtspunkte übrigens Halm bei der Annahme der Symmetrie
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aus den Jahren 1903—1906. (May.)
13:3
ausgeht, ist dem Ref. nicht bekannt, aber vom Standpunkte der Responsion
ist er durchaus im Recht. — Cael. § 14 scheint die Lesart quibusdam 1
richtig, nicht q. etiam PrS:
commune cum multis
et cum quibusdam bonis.
_ _
- | - o w - Kl. dicret.
Dadurch entseht mit Ausnahme der Form Wörter est enim eine rhyth-
mische Beziehung zwischen multi und quidam boni, und zwar entsprechen
sich cret. = tr. und dicret. Die Ähnlichkeit des Inhaltes wird so durch
verwandte metrische Fonnen ausgedrückt. Ziel, konstruiert Kl. 2* (Typus 7t),
indem er ohne jede Beziehung zu cum multis nur Bruchstücke von Wörtern
berücksichtigt. Daß - busdam etiam bonis Klausel sei, kann Ref. nicht
mitempfinden. Man erwartet doch wenigstens cum quibusdam etiam bonis.
Das wäre ein Schluß, der auch dem Sinn entspricht. Um die Kl. 2* zu
konstruieren, bedarf Ziel, auch noch der Annahme einer vom dicret. ab-
weichenden Entfaltungsform (- ^ w - ^ - Dactyl. cret.), während nach
unserer Analyse der dicr. ganz rein erscheint. — Sehr richtig behält Cl.
Cat III, § 22 potuerunt bei. Denn dies ergibt die einzig mögliche Klausel
gegenüber der Responsion:
1 id non divinitus esse factum putatis,
2 sed tacendo super|are potuerunt.
^u|-u--u--
-w uu|-\>ww - —
Der erste Teil der bezeichneten Responsion bedarf keiner weiteren
Erklärung; dann aber stehen sich cret. = ditr. in 1 und cret = tr. mit
Auflösung des cret. in 2 gegenüber; in 2 entsteht dadurch die bekannte
Form gleich esse videatur. Um diese Klauselform zu erzielen, hat Cic. offen-
bar den in solcher Verbindung ungewöhnlichen Indikativ beibehalten; durch
potuerint würde diese Klauselform zerstört. Ziel, konstruiert aber S. 128
wieder eine ganz andere Klausel, nämlich (la)cendo superare potuerint,
während nach unserer Analyse bloß — 0 superare potuerunt in Betracht
kommt. Z.s Form 4*4, die er als cl. mala bezeichnet, wird kaum von jemand
als Klausel empfunden werden, so wenig als M 4'* Rose. Am. § 76, (prae)
sertim conficere, potuerit; denn auch dort liegt die Sache wieder anders.
Nur conficere pot. ist Klausel und respondiert zu inter homines fuerit.
— ^ ü= cto — Beides dikret. Klauseln mit Auflösung.
esse factum ist sehr richtig; die Stelle qui praes. — potuerint aber mit
Eberh. zu streichen, wird widerraten durch die gute Responsion, also nicht
cl. mala, sondern optima. Um in Zielinskischer Terminologie zu reden,
liegt hier nicht M 4S4, sondern LI" vor. Dies ist doch wenigstens eine
cl. licita. — Cluent. § 44: Die von Cl. wohl mit Recht aufgenommene Ver-
besserung demoveri (Klotz) ergibt eine sehr einfache, häufig vorkommende
Klausel, nämlich:
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134
Bericht über die Literatur zu Ciceros Reden
Martialium demoveri.
mentem maxime commovebat.
Ditr. mit vorausgehenden Kretikern.
Auf die Responsion weisen schon die Komposita von movere hin.
Z. (S. 166) bezeichnet unter Beibehaltung von removeri die cl. Martialium
removeri als P P 3, d. h. als cl. pessima mit unregelmäßiger Basis, während
nach unserer Analyse mit demov. eine bei Cic. sehr häufige gute Klausel
daraus wird. Aber selbst, wenn man removeri beibehält, wird die Sache anders:
commovebat verhält sich zu rem. wie eine Biegung (Cholose), indem
der ersten Kürze des daetyl. in 1 eine Länge in 2 entspricht, was eben wie
eine Biegung wirkt. Dieses Verhältnis der beiden Komposita zueinander
kann man aber nicht als schlecht bezeichnen, sobald man den Zusammen-
hang der Stelle in Betracht zieht. Warum aber die Basis vor der heroischen
Kl. unregelmäßig sein soll, wenn sie ein Ditr. ist, kann man auch nicht ein-
sehen; denn die troch. = daetyl. Verbindung ist sehr natürlich. Z. scheint
aber nicht das ganze Wort Martialium zu berücksichtigen, sondern nur
(Martialium. Das ist aber unnatürlich und widerspricht auch der Symmetrie.
Ref. bleibt aber als dem Natürlichsten bei demoveri. — De imper. Cn. P.
§ 68: Einverstanden ist Ref. mit Zielinski in der Ansetzung der Klausel esse
nemo debeat, obgleich man nach S. 199 wieder eine längere Kl. annehmen
muß mit gravior. Wenn er aber sie mit L 2 tr bezeichnet, so kann nur jene
gemeint sein. Genauer müßte sie aber nach S. 87 bezeichnet sein mit
L 2 tr ß 5. auf esse nemo debeat kommt aber Ref. durch die Responsion
(terr)a marique exstiterunt, also:
1 ditr. mit cret. 2 wäre nach Ziel. cret. mit vorausgehendem epitrit,
einer Entfaltung des cret. — Ebenda § 42 ist cognoscitis, das auch Ziel,
beachtenswert findet, allein richtig; dann ist folgende Responsion genau :
Jedenfalls hat Cic, um diese genaue Responsion zu erzielen, cognoscitis
gewählt, — Ebenda § 22 ist nur retardavit richtig:
rex ipse e | manibus effugit.
hos laetijtia retardavit.
Ziel, bezeichnet dies gegenüber tardavit als L 1 1 ß mit schlechtem
Anlauf. Warum aber das Moment der Raschheit, das durch die Kürzen
in beiden Klauseln bezeichnet werden soll, ein schlechter Anlauf sein soll,
ist unverständlich. Im Gegenteil, der Anlauf ist ausgezeichnet, weil er eben
quaedam dignitas imperatoria,
hoc ipso ex loco saepe cognoscitis.
- w K~ u Kl. cret. — tr.
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aus den Jahren 1903—1906. (May.) 135
jenes Moment in der glücklichsten Weise ausdrückt, -r- Den hier gegebenen
Beispielen zufolge wird Clark vielleicht zugestehen, daß der Zielinskischen
Theorie gegenüber große Vorsicht geboten ist, denn Z. hat nicht nur die
Responsion der Klausel nicht berücksichtigt, sondern auch gar nicht be-
achtet, daß die metrische Form einer Klausel auch durch den Inhalt des
Auszudrückenden bedingt sein kann. Darauf ist genau zu achten und zu
sehen, ob und wie dies stattfindet. Das ist freilich nicht immer der Fall.
Manchmal ist die metrische Form einer Klausel nur durch das Streben be-
dingt, gegenüber der Responsion Varietät zu erzielen. Aber überall ist die
Responsion zu beachten, denn von dieser hängt die Beschaffenheit der
Klausel, z. B. ihre Länge, ab. Das Gefühl allein ist nicht maßgebend.
Ref. hat bei den in Betracht kommenden Stellen stets Z.s Kap. II
„Folgerungen für die Textkritik" berücksichtigt; es wird dies, aber nicht
hier, in noch weiterem Umfange geschehen müssen, denn die Zielinskischen
Resultate bedürfen notwendig einer Richtigstellung, die man freilich nicht
kurzer Hand abmachen kann, weil jede Stelle einer Erklärung bedarf, warum
so und nicht anders. Ol. wird vielleicht der Berücksichtigung Zielinskis
so lange Einhalt tun, bis dies geschehen ist. Jedenfalls wäre Ref. dafür
dankbar, zu wissen, wie sich Cl. nunmehr zu der Sache stellt; „nam sentio
Ws impendere in quibus profecto vojaoB^c noster fortiter proeliaturus
est" sagt Clark. Ref. hat schon betont, daß es angesichts der auf sicherster
Grundlage ruhenden kritischen Methode Clarks eine angenehme Aufgabe
ist, seine in der Ausgabe niedergelegten Resultate durchzugehen und mit
dem Instrument des Rhythmus auch da und dort zu prüfen. Ja, Ref.
möchte dies deshalb für notwendig halten, weil Clarks Ausgabe epoche-
machend ist und die Grundlage bilden muß für alle anderen späteren
Cicero- Ausgaben, wozu ich natürlich auch die Schulausgaben rechne.
Wenn jemand glaubt, ein Scherflein zur Verbesserung beitragen zu können,
so dürfte es Pflicht sein, dies zu tun. Ref. darf aber seine Arbeit nicht zu
weit ausdehnen, deshalb beschränkt er sich hier auf die Rosciana, obgleich
er auch viele Stellen in anderen Reden untersucht hat.
Rose. § 4: neglegere debebam. Cl. bevorzugt Ernestis Konjektur de-
bebam und bezieht sich dabei auf Zielinski, S. 191. Dieser bezeichnet
(neg)legere debebam, was er als Klausel anzusehen scheint, als L l1 p,
während ihm debeam als schlecht gilt. Erstens ist das rhythmische Ver-
hältnis ein ganz anderes, als Z. annimmt. Es findet Responsion sowohl
zwischen den Verben:
ignorare ^
aspernari
neglegere — ^ ^ ^
als auch zwischen den beiden letzten Satzteilen:
auetoritatem aspernari 9
voluntatem neglegere 8 | debebam.
^ ~ Z ! - ^ - oder
\j — — ■ v> \_> ]
Zu den schweren Rhythmen der entsprechenden Verba (ignor. und
aspern.) bildeten die Kürzen in neglegere einen beabsichtigten Gegensatz;
somit findet unter den Verben Responsion statt. Die Periodenschlußklause
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130
Bericht über die Literatur zu Ciceros Reden
aber ist dikretisch, wobei es rhythmisch ganz gleichgültig ist, ob man de-
bebara oder debeam liest; denn beides sind Kretiker, jenes ein schwerer,
dies ein regulärer, also beißt die dikret. Klausel Jj^. ~ ~ 3. Das
Hilfszeitwort (deb.) steht hier außerhalb der Responsion wirksam für sich
allein, bildet aber mit neglegere die Periodenklausel; Ref. neigt sich zu
debebam, aber nur deshalb, weil es einen wuchtigen Gegensatz (Cholose) zu
neglegere bildet. Sonst ist neglegere debeam nach Ziel, selbst eine aus-
gezeichnete Klausel, nämlich: 2*S (S. 72), wenn man nämlich nicht
(neg)legere debeam als solche statuiert, was offenbar falsch ist. Man wäre
also hier geneigt, Z. durch Z. zu korrigieren. Wir mit unserer einfachen
Terminologie sagen einfach: die Klausel ist hier dikretisch mit Auflösung
des ersten creticus, der deshalb aufgelöst, weil das Verbum im rhythmischen
Kontrast stehen soll zu ignor. und aspernari. Das Schlußwort ist auch
ein cret., aber unentschieden, ob ein schwerer oder regulärer. Wenigstens
kann für die Richtigkeit der einen oder anderen Lesart aus dem Rhythmus
hier gar nichts geschlossen werden. — § 8: Rhythmisch ist es ganz gleich,
ob man consuerant (Ernesti) oder consuerunt liest, welches letztere auch
Clark aufgenommen hat, denn beides ergibt den an dieser Stelle sehr be-
rechtigten Ditroch., weil Responsion zu adsequantur stattfindet. Während
aber vor cons. ein cret. steht, was ja sehr häufig der Fall, geht dem ditr.
adsequantur ein Troch. voraus, was auch vorkommt:
iusque iurandum id adsequantur
et ferro adsequi consuerunt.
I ~
In den Rhythmen vor der Klausel findet umgekehrtes Verhältnis statt:
Reihe 1 cret. = tr. und 2 troch. (sp.) cret.
Die Responsion erlaubt also hier nur einen ditroch., aber nicht con-
sueverant, was Ziel, als L 2 tr allerdings unter Zweifeln aufgenommen hat.
Daß übrigens Ernesti so lese, ist mir unbekannt. —
§ 22: Zu in|stare praeparet (- =) ist eine Responsion erforder-
lich, die unmöglich sunt sanet oder reparet sein kann; denn einer troch.-
kret. Klausel entspricht in der Regel nur ditr. oder creU-troch. Statt des
ditr. kann auch eine dispond. eintreten. Sulla ist damit beschäftigt, zu
gleicher Zeit das Vergangene wiederherzustellen und das Kommende vor-
zubereiten. Es scheint ferner ein Wort erforderlich, das im Verhältnis eines
Homoiotel. zu praeparet steht, vielleicht instauret. Vielleicht verhilft der
Anklang an instare dem Wortspiel instauret zur Beachtung. Das Wort
nach sunt kann wegen Ähnlichkeit der Schreibung ausgefallen sein: st
Der Schreiber erkannte wegen Ähnlichkeit der Schreibung das zweite inSt
nicht als verschiedenes Wort, meinte, dies sei das gleiche Wort wie St und
ließ es weg. Der Redner scheint auch Silbenresponsion beabsichtigt zu
haben:
et ea — inst auret 12
et ea — praeparet 13
§ 24: flagitiosa kann mit cod. Lambini sehr wohl zu possessio gesetzt
werden und bezieht sich dann dem Sinne nach auch auf die folgenden Sub-
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aus den Jahren 1903—1906. (May.)
137
stantive; neuerdings vermißte man zu bonorum emptio mit Recht ein Ad-
jektiv, anders aber ist die Sache, wenn man bonorum ademptio liest nach
§ 90: bona adempta. Die Responsion ist folgende:
flagitiosa possessio,
furta, rapinae, donationes.
Diese Responsion ist sehr genau, auch mit dem ditr. am Schluß der
zweiten Reihe, der oft einem cret. gegenübersteht. —
Eine mit Figuren verbundene ResponBion steht § H8:
et Titam Titiis flagitiisque omnibus deditam,
et denique omnia ad perniciem profligata atque perdita ?
I I =
Teilt man anders ab und läßt man namentlich et vor denique weg
(Madvig), so entsteht die bezeichnete Responsion nicht, die doch, nament-
lich vom ersten Strich ab, sehr genau ist. Außerdem ist deutlich erkenn-
bar, daß jenes et nur gesetzt ist, weil die Teile der ganzen Partition mit
et verbunden sind. Klausel dikr. und tr.-kret Daraus wie auch aus der
Zugehörigkeit des letzten et zur zweiten Reihe würde folgen, daß deditam
voll auszusprechen und nicht mit et durch Synizese zu verbinden sei.
Außerdem ist auch die Alliteration zu beachten. —
§ 54: Vere nihil potes dicere; nichts sagen und erdichten stehen sich
gegenüber, also:
vere nihil potes dicere;
finge aliquid saltem commode,
I-
Liest man dicere, so stehen in Kl. 1 in natürlicher Folge zwei Kretiker
nebeneinander, denen in Kl. 2 spond.-cret., was sehr häufig, gegenüberstehen,
edicere würde in diese Klausel gar nicht passen ; elicere ergäbe, wenn man
die letzte Silbe lang mißt, auch einen cret., was an dieser Stelle etwas un-
gewöhnlich sein dürfte. An vorletzter Stelle mit folgendem Troch. ist eine
solche Auflösung häufig, an letzter aber nicht. — § 56: Novak tilgt das
zweite tarnen (nach suspicione> Wenn man den Rhythmus nicht in Be-
tracht zieht, so ist es allerdings unnötig, aber die Responsion ist folgende:
verum tarnen, quamquam abest a culpa, 11
suspicione tarnen non raret; 10
Die beiden tarnen stehen in beiden Reihen an gleicher Stelle-, das
zweite wird also durch die Responsion veranlaßt sein, tarnen kann aber
sebon wegen der gleichen Bildung der Sätze nicht fehlen: verum tarnen ..
tarnen; tametsi . . . tarnen. —
§ 85: natura non tarn propensus ad misericordiam 15
quam appiieatus ad si veritatem videbatur. 15
-I ^ Kl. di er. u. er. tr.
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138
Bericht über die Literatur zu Ciceros Reden
Die beste Lesart scheint inclinatus zu sein, das auch bei Cic. vor-
kommt (inclinatus ad düigendum) und an das handschriftliche implicatus
anklingt. — § 98. 99:
ut Capitoni quam | primum nuntiet?
quod Capitonem primum I scire voluerit?
Capitonem in his bonis | esse socium.
An dieser Stelle ist der maßgebende Gesichtspunkt, an dem einzusetzen
ist, die dreimalige Wiederholung des Wortes Capito. Warum hat der
Redner nicht auch einmal illum gesagt? Solche Wiederholungen geschehen
natürlich, sagt man, des Nachdrucks wegen. Diese Erklärung reicht aber
nicht aus. Cic. wollte mit der Wiederholung Rhythmen verbinden. Dabei
ereignet sich nun der Fall, daß vom rhythmischen Standpunkt aus die hand-
schriftliche Lesart voluerit die beste ist:
— <- w I - — — ~ = sp. cret.
— I — - ~ ~ ~ — tr. er. (Auf lös.)
(_) _ _ | _ . x ditr. (Auflös.)
Erstens steht der Eigenname jedesmal antistrophisch an der gleichen
Stelle ; zweitens sind die drei Reihen rhythmisch ziemlich gleich ; da wo sie
nicht gleich scheinen, entsprechen sie sich in der Auflösung. So entsteht
eine schöne Responsion in Anfang, Mitte und Ende. Darum glaubt Ref.,
daß die Handschriften recht haben, und daß sowohl voluit als vellet abzu-
weisen sind. Wenn voluit (Müller) richtig ist, muß man auch voluerit sagen
können. Ziel, bezeichnet letzteres grammatisch und klauseltechnisch als
schlecht (M 44). Ref. findet es in letzterer Beziehung ausgezeichnet und
glaubt, daß Cic. gerade aus diesem Grund die weniger gute Form gewählt
hat. Die Klausel M 44 (Capiton)em primum scire voluerit ist auch wieder
viel zu lang, abgesehen davon, daß die Responsion eine ganz andere An-
nahme erfordert —
§ 115: Form der conduplicatio, welche T. Roscio erfordert. Gegen-
überstellung:
Sex. Roscius mandavit
T. Roscio mandatus est;
§ 124: Ziel, bezeichnet S. 192 und S. 161 (plu)res laesos se esse
putent als schlechte Klausel P 2. Aus dem Rhythmus kann man aber be-
weisen, daß die Paronomasie attinet und putent auch rhythmisch gehalten
ist; ebenso ist infolge der Responsion nil zu sprechen und esse, so gut
c iceronianisch Ctarks se putent auch ist, zu belassen:
id quod ad j me nil attinet,
plures laes|os se esse putent.
I = sp. er.
= ditr. mit Auflös.).
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aus den Jahren 1903—1906. (May.)
130
Es ist ganz in Ordnung, daß das Sich-verletzt-fühlen durch einen leb-
haften Rhythmus am Schluß bezeichnet wird. Dem sp. er. in Reihe 1
steht, was häufig vorkommt, ein ditr. gegenüber, welchem, was ja
ganz der Theorie Ziel.s entspräche, ein cret. vorausgeht. Für viel besser
hält Ref. die von Z. aufgestellte, aber mit einem Fragezeichen versehene
V 2- Klausei se esse putent. Die Responsion erfordert aber die oben be-
zeichnete. — § 128: Wie richtig reduviam eurem ist, kann man aus
folgender Responsion sehen:
tempus, iudices, haec scrutari et prope modum errare
(Sex)ti Rosci mederi debeam, reduviam eurem.
: : — o Kl. cret. aufgelöst tr.
. — — — w — — — w . — j ^jr~^ ^— - - — —
Hier bieten also weder 1 noch G das Beste, sondern Vulgathandschriften.
§ 130: Sehr richtig Clark:
partim improbante
partim imprudente
Derartige gleichartige Zusammenstellungen entsprechen sich in der
Regel auch rhythmisch. —
Auf die beiden besprochenen Werke, Zielinskis Klauselgesetz und
Clarks Ciceroausgaben, sollte und wird auch vielleicht noch näher ein-
gegangen werden, teils um Zielinskis Klauselstatuierung zu modifizieren, teils
um Clarks Resultaten nachzugehen, die gerade, weil sie auf eingehender
Forschung beruhen, durch die Klauseltheorie vielfach bestätigt werden.
Vberall aber ist dieses Instrument nicht anwendbar. Bis jetzt hat Ref. den
Eindruck, daß die Vulgathandschriften häufig sehr Beachtenswertes bieten
und weder 1 noch W immer den Vorzug verdienen. —
Ree: DL 1905, Nr. 24, S. 1491-93 v. Zielinski. -
W. Peterson, The vatican codex of Ciceros Verrines. American
Journal of Philology. S. 409—436.
Der um die Erforschung der kritischen Grundlage von Ciceros
Reden (Cluniacensis 498) verdiente Gelehrte bringt hier im Gegen-
satz zn Meusels und C. F. W. Müllers verdammendem Urteil (falla-
cissimus auetor und foedissime interpolatus est) eine Handschrift (V)
von hoher Wichtigkeit zu Ehren. Keinesfalls kann die zu den ältesten
lateinischen Handschriften überhaupt zählende und ins dritte oder
vierte Jahrhundert zurückgehende Handschrift zu den Codices de-
teriores (8) gerechnet werden, wie die beiden Gelehrten tun. Von
Wichtigkeit ist dabei auch die Heranziehung des clun. 498 für das '
zweite und dritte Buch der Verrinen, soweit dessen Lesarten aus den
codd. Nannianus, Metellianus und Fabricianus rekonstruiert werden
können. Der Vf. würdigt aber auch die anderen in Betracht kommenden
Handschriften; namentlich Par. 7775 (S). SD (Par. 7823) sind autoritativ
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140
Bericht über die Literatur zu Ciceros Reden
für die früheren Reden wie R (Reginensis 2077) für die späteren.
Das günstige Urteil des Vf.s über V nun ist im allgemeinen durchaus
berechtigt, aber es zeigt sich hier das Gleiche, was wir auch bei
Besprechung der Anecdota oxoniensia von Clark hervorhoben, daß auch
die anderen Handschriften, sogar die codd. deteriores, manches Be-
achtenswerte bieten, das durchaus nicht vernachlässigt werden darf.
"Weder V noch das, was aus dem cluniacensis eruiert werden kann,
ist allein entscheidend. Es bedarf dies jedoch genaueren Nachweises
im einzelnen, wobei auch des Vf.s Geneigtheit, auf Zielinskis Klausel-
gesetz einzugehen, berücksichtigt werden muß. Der Vf. mag dann
selbst entscheiden, ob man mit der Theorie Zielinskis sicheren Boden
gewinnen kann.
Aus dem vom Vf. zuerst behandelten Fragment docet hominem II, 1
§ 105 bis usitata satis § 114 seien folgende Stellen hervorgehoben: Müller
180, 8: reprehendiV sol. Dies ist natürlich richtig und unter Veränderung
der Wortstellung von den Herausgebern auch angenommen. — Wahrschein-
lich ist aber reprendi zu lesen:
neque post edictum reprendi
neque ante edictum provideri potuit,
2 | —
Klausel in 1 ditr. mit vorausgehendem irregul. cret., in 2 dicr. mit
Auflösung des zweiten, repreh. würde heroi. Klausel ergeben, cret-ditr. ist
aber, abgesehen von der besseren Responsion bei Cic. eine sehr häutige
Klausel. 179, 22 wird singularis (V u. a.) durch den Rhythmus bestätigt:
tarne tsi singularis | est audaciae,
tarnen ad pupillae majtrem sum mittebat.
2 , *
Auf die Responsion weisen die gleichlautenden Anfänge hin. Die
Klauseln sind gleich (spond. = cret.), wobei cret. in 1 regulär, in 2 irregulär
ist. Mit singulari würde vorstehende Responsion nicht erzielt. — 179, 29
simul ohne et V. Dieses fällt zwar nicht in die Responsion, aber in dem
gleichen Satze folgendes, das als treffendes Beispiel angeführt werden möge:
tarn improbum non | arbitrabantur;
appellati | pernegaverunt.
I =
179, 31: Mit a (liberis SDp) ergeben sich gleiche Rhythmen in:
ereptum a liberis,
(e) dictum conscripserit
quaeso cognoscite.
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aus den Jahren 1903—1906. (May.)
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Dieselben Rhythmen allerdings auch ohne a (V). Besserer rhythmischer
Laut allerdings mit a. Doch ist dies subjektiv. — 179, 35 scripsit V sol.
fecit SDp. Der Vf. bezeichnet richtig ersteres als bemerkenswerte Lesart.
"Wenn er aber aus anderen Beispielen, in denen das Verhältnis der Hand-
schriften das gleiche ist wie hier, auf die Richtigkeit von scripsit schließt,
weil seine Beispiele eine gute Klausel ergäben, so bedarf dies doch einer
näheren Untersuchung jedes einzelnen Falles, die der Vf. aber nicht an-
stellt; er sagt bloß: „either reading gives a good clausula: and it is in
teresting to speculate, whether the motive of the change, in this and
similar instances, was the wish on the part of some copyist to conforme
more closely to some law of prose rhythm, such as has recently been ex-
pounded by Zielinski". Bisher fand Ref. noch in keinem Fall bestätigt, daß
ein Abschreiber eine Änderung vornahm, um eine gute Klausel zu erzielen;
im Gegenteil, die Abschreiber verderben oft eher eine solche. Gerade in
den von dem Vf. angezogenen Stellen scheint die Richtigkeit eher auf
sehen von SDp zu sein als bei V: 181, 8,
Quia non generis,
verbis amplecteris, —
iure esse commotum.
ampl. Paronomasie zu generis ; ferner verbis ampl. dikr. Schluß einer
Reihe, welchem als Cholose cret tr. gegenübersteht. — 186, 22 fügt sich
cognostis (p) besser in die Responsion als didicistis:
coniecturam facere possitis,
actione cognostis, audile.
Kret.-tr.-Klausel in beiden Reihen, in 1 mit Auflösung, welcher gegen-
über die Responsion als Cholose wirkt An der Stelle nun, von welcher
der Vf. ausgeht, kann aus dem Rhythmus gar nichts geschlossen werden;
denn beide Verben ergeben den gleichen:
mulieres fecit, (scripsit)
• scriptum videretur.
Kl. beide Male kret.-tr., in 1 mit Auflösung. — 219, 17 scheint abiret (V)
allerdings besser als discederet:
(pal)aestricum vidistis;
nnctior abiret.
epitr. tr. stehen einem aufgelösten cret. mit tr. gegenüber. Epitrit tritt
oft statt des cret. ein, also kann man wieder gleiche Klauseln statuieren.
— Wenn die Herausgeber 186, 35 venissent (p) gegenüber fuissent (V) be-
vorzugen, so tun sie dies jedenfalls, um die dreimalige Wiederholung des
gleichen Wortes (fuissent, fuisset, fuisse) zu vermeiden; es ist aber sehr
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Bericht über die Literatur zu Ciceros Reden
fraglich, ob diese Paronomasie nicht beabsichtigt ist. Mit fuisset wird die
rhythmische Responsion gleich:
(ante) eum praetorem fuissent,
aditurum non fuisse.
also beide Male ditr.-Klausel mit vorausgehendem spond.
292, 11 deberet (pqO Par. 4588), vellet V, haberet 5. deberet auch
dem Sinne nach wohl allein richtig; denn es handelt sich nicht darum, datf
Grospus soviel Getreide gab, als er wollte oder hatte, sondern als er
mußte; er wurde aber gezwungen, noch mehr zu geben, als er eigentlich
schuldig gewesen wäre. Responsion:
•
ut frumenti daret, 6 1
non quantum deberet, 6 | S'
sed quantum cogeretur. 7
Diese 3 Reihen beginnen alle irregulär kretisch, 2 davon enden auch
kretisch, die letzte ditr. Die letzte Reihe hat häufig eine Silbe mehr. —
180, 30 patietur V. Richtig. Responsion :
(si quis) novi quid instituit
rata esse patietur.
esse patietur ist die bei Cic. in der Responsion beliebte kret.-tr. Kl.
mit Auflösung des cret. patitur würde die Kl. zerstören. — 181, 12: dis-
crimen V sol. ist richtig; aber auch Müllers Vermutung sed tarnen st. tum.
tum entstand aus der Schreibung tft in den Handschriften. Dadurch
folgende Responsion:
1 sed tarnen vituperari posset, 10
2 in discrimen venire non posset. 10 *
Wahrscheinlich auch noch
3 nemo enim committeret.
In 1 und 2 weisen die Gleichheit der Silbenzahl und das Homoiotel.
auf die Responsion hin. Klauseln sind in 1. disp., 2. cret. tr., 3. spond.
cret bei Cic beliebte Variationen. — Sehr richtig 181, 17 inventus est (V)
„the first of a considerable number of transposition variants" mit genauer
Responsion zweier Reihen:
(pro)oeroio esset ornatum, ecquis inventus est
postea praetor, qui idem illud ediceret
— w — | ^ _ "
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aus den Jahren 1903—1906. (May.)
143
In beiden Reihen dikret. Klauseln. — 181, 20:
multi testamenta eodem modo fecerunt —
testamento fecit heredem filiam.
Malier bezeichnet die Lesart der ersten Reihe (SDp) als wahrschein-
lich richtiger denn als die von V („nescio an veius"). Ref. ist der gleichen
Ansicht Die Gleichheit der gesperrt gedruckten Wörter spricht nicht gegen die
Lesart, sondern für ihre Richtigkeit, da Cic. antistroph. Beziehungen, aus-
gedrückt durch Wortgleichheit, häufig anwendet. Responsion:
_ I
■ — I - Kl. dicr. u. spont. cret.
Ein solches rhythmisches Verhältnis ergäbe sich bei der Lesart V nicht,
überhaupt gar keines. — Bei dieser Gelegenheit möge zu § 111 beispielsweise
noch folgende Responsion verzeichnet werden:
sua sponte instituisset,
id neminem metuisse, «omoiot.
Fefiier: (corr)igere testamenta vivorum,
nisi etiam rescinderes mortuorum. "omoiot-
w w | — cret. tr.
— — ■ | — ditr. mit cret.
Diese gewiß genau respondierende Stelle beweist auch, daß ein Re-
sponsionsteil über den anderen hinausgehen kann, ohne daß dadurch die
Responsion aufgehoben würde; denn der letzte Troch. ist dazu unerläßlich
notwendig. —
ex improviso si quae res nata esset,
ex urbano edicto decernere.
Die beiden Schlußkürzen markieren den Schluß durch den gegensätz-
lichen Rhythmus. — 186, 16: Durch homo sit (V) schwindet der Hiatus,
der auch den Rhythmus stört:
de sella vir optimus dixit:
libertinus homo sit heres.
^ I — cret. tr.
— | ^ ditr. mit Auf lös. und voraus-
gehendem tr. nicht cret.
Aus den anderen Stellen, die der Vf. noch aus dem ersten Buch an-
gibt, an denen außer V besonders Par. 7776 (p) berücksichtigt ist, mögen
folgende hervorgehoben werden. 182, 17:
nostra iniuria doleremus,
in foro non esset relictum.
I— w cret. tr.
— ■ — I ditr. mit vorausg. cret.
nullam (V) ist sachlich wirksamer. Rhythmisch aber sind beide gleich.
185, 12 perfacete (VO) jedenfalls richtig:
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144
Bericht über die Literatur zu Ciceros Heden
neque enim perfacete dicta
neque porro hac severitate digna (sunt)
I - disp.
i — — ditr.
sunt hält Ref. für eine Glosse, weil es das Ilomoiot stört — 185 23:
produxit richtig, weil es egit entspricht:
in contione egit
Romani produxit;
Klauseln gleich (cret tr.); 11 cret. irregulär, wodurch die II. Kl. als
Cholose wirkt; also produxisset (V) unrichtig. Zur Stütze von V verweist
der Vf. auf Zielinskis Klausel S 3; dies beweist aber nichts; denn an und
für sich ist S 3 ebensogut als S 2. Kriterium ist aber nur die Responsion,
die Z. nicht kennt. Nach dieser ergibt sich weder S 3 noch S 2, sondern
cret. tr. Dies wäre nach Z.s Terminologie V 1. — 186, 17 igt der Vf. für
surrexerit (V), wobei er sich wieder auf Ziel, beruft („probably right"). Be-
wiesen ist aber damit nichts. Vielmehr bildet surrexit' Homoiotel. mit dixit
Responsion, wobei eine schon behandelte Stelle in Betracht kommt:
de sella vir optimus dixit: 9
Iibertinus homo sit heres? 9
quod illinc vivus surrexit. 8
2
3 I ~ cret. tr. wie 1; 2 ditr.
In der III. Reihe als Schluß schwere Rhythmen. —
187, 80: Entweder dubitavit (V pq1) oder dubitarit (Kayser) aber nicht
dubitaverit (Ziel.), denn das Verbum respondiert zu putavit:
quos numquam liberos putavit,
pecuniam non dubitavit.
non dub. ist allerdings die „verpönte" heroische Klausel, die aber bei
Cic. nicht selten ist Zur Vermeidung derselben schreibt Z. dubitaverit
das nicht in die Responsion paßt. Der Vf. sagt übrigens selbst: „P 3 is
of not infrequent occurrence in the Verrines". — Bei 190, 37 hat man sich
zu entscheiden, ob man die Paronomasie alii nummos numerabant, alii tab.
obsigaabant annehmen will. Es ist möglich, daß in V die Änderung ge-
macht wurde, um jene zu vermeiden, die aber Cic. vielleicht gerade be-
absichtigte. — 191, 5 bietet nicht V das Beste, sondern pr u. a.; denn es
besteht Responsion zu:
serlmocinaturam;
esse facturam,
Durch se facturam würde diese zerstört. — Falsch zitiert ist 192, 2
st. 192 , 22. — Eine sehr ansprechende Konjektur proponicrt der Vf.
zu 192, 36: Quid? est in multis etc. — 193, 27: petijtfem (9 Priscian) als
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aus den Jahren 1903—1906. (May.) 145
Korrelat zu putassem ist jedenfalls richtig, petivissem aber falsch. Der
Rhythmus erzielt nämlich in beiden Reihen Ditr.- Klauseln, die nur durch
Ausscheidung der Silbe vi möglich sind:
(pecuni)a columnas dealbari putassem,
certe numquam aedilitatem petissem.
t----
1 -
In den beiden Reihen vor der Klausel cret. bzw. epitr. — Für suae (V)
198, 14 gibt der Vf. anfangs den richtigen Gesichtspunkt an: „the word
should probably be retained: there seems to be a point in the repetition
suorum — suum suae", möchte dann aber secundae schreiben st suae;
letzteres ist jedoch allein richtig:
homo amentissiinus suorum —
putavit per sodalem suum —
iudicem quaestionis suae;
2
Bestimmend ist namentlich 2 und 8, die beide dikret. enden; ohne
suae würde die Reihe vor dem Schluß abbrechen. — 198, 17 erepta esset
facultas eorum bringt einen neuen Nachsatz herein, der eine Emendation,
wie sie der Vf. vorschlägt. Nun besteht aber gemäß der Fassung V folgende
Responsion :
quam largissime [ factum oportebat, — -
sine causa sub | sortiebatur.
■ - [ - — - Klauseln cret.tr. mit jeweils vorausgeh.Kretikern.
— I — —
Allerdings brauchte an diesen Stellen auch bei der LA p. nichts ge-
ändert zu werden; nähme man aber den Zusatz p an, so würde der be-
stehenden Übung gemäß dieser dem Schluß sine c. s. respondieren; denn
Satzschluß respondiert dem Periodenschluß. Nach obiger Responsion re-
spondiert aber der Periodenschluß dem Satzschluß q. 1. f. oportebat; folg-
lich hat er. esset f. eorum auszuscheiden. Diese Worte sind eine Ein-
schiebung, welche die Geschlossenheit der Periode empfindlich stört; also
bietet hier V das Bessere. — Auch aus den folgenden Büchern der
Verrinen gibt Vf. Beispiele zugunsten von V, worauf wir noch eingehen
wollen. 221, 28 occasionem calumniae scheint doch nicht so unbedingt
abzuweisen, da Ref. findet, daß der Anfang des Satzes mit dem Schluß
harmoniert:
Iste amplam occasionem calumniae nactuB, —
in primis actionem daturum.
~ _ _ , ^
Ohne occasionem cal. wäre diese Responsion unmöglich. In Ordnung
ist auch die Kl. der I. Reihe (kret. tr.J; in 2 ditr. mit cret. Auch ist der
Gebrauch von ampla keineswegs über jeden Zweifel erhaben, wie Müller zu
d. St. nachweist. — Auch 280 , 9 ist nicht jeder Zweifel ausgeschlossen,
dolore z. B. ist zur Responsion notwendig; ferner ist die Wiederholung von
J»hre8b*ricbt für Altertrnnswis.eimhatt. Bd. CXXXIV. (1907. II.) 10
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140
Bericht über die Literatur zu Ciceros Reden
tarnen nicht abzuweisen. Ref. beobachtete nämlich an anderen Stellen, daß
Wiederholungen, die sachlich nicht notwendig scheinen, oft nur der Sym-
metrie wegen eintreten. Darnach wäre die Responsion folgende:
(angebatur) tarnen animi dolore necessario —
tarnen dolorem suum nemini impertiebat
Allerdings ergibt auch (anim) i necessario eine gute (dikr.) Klausel,
aber die Reihenresponsion wird durch V gestört. — Trotz der Superiorität
von V unterlaufen auch Irrtümer (Dittographie), die der Vf. aber nicht als
Ungenauigkeit , sondern im Gegenteil als übertriebene Gewissenhaftigkeit
bezeichnet. Unrichtig zitiert ist unam domo, das 222, 31 steht, nicht 21.
— Für Buch II und III gibt der Vf. drei Listen von Lesarten: 1. sichere
aus V, 2. zweifelhafte, 3. Umstellungen. Es möge gestattet sein, daraus
noch einige in Kürze zu behandeln. — 214, 25 ist postridie (V) richtig:
postridie venit in mentem,
sortiri dicas oportere.
I Kl. gleich.
223, 30 ist Vf. für se (V): „this would seem to make a better clausula
than sese". Dies mußte bewiesen werden. Wahrscheinlich meint der Vf.
ditr. mit vorausgehendem cret.; Vf. statuiert natürlich nach Z.s Theorie
ohne Rücksicht auf Responsion. Die beiden Formen daturum weisen aber
auch auf solche hin (Homoiotel).:
iudicem de sua cohorte daturum,
actionem rei sese daturum.
. _ ' ~
Die rhythmische Beziehung der beiden Reihen ist bis zu den Klauseln
deutlich. Von diesen ist die erste die verpönte heroische, die zweite ditr.
mit vorausgehendem spond. Ziel, würde hier zwar Epitrit als Entfaltung
des Kret. annehmen. Wenn die Klauseln nicht gleich sind, so ist dies bei
Cic. nicht selten, der nach Varietät strebt. Zu der bezeichneten Responsion
ist aber sese nötig, also nicht wegen der Klausel, sondern wegen der ganzen
Reihe.
Es wären noch manche Stellen zu besprechen, doch soll dies auf eine
andere Gelegenheit verspart werden.
1. Th. Zielinski, Das Klauselgesetz in Ciceros Reden. Grund-
züge einer metrischen Rhythmik. Leipzig 1904.
2. F. Blass, Die Rhythmen der asianischen und römischen
Kunstprosa. Leipzig 1905.
3. H. Borne cque, Les clausules me'triques dans l'orator.
Revue de philol. 29, S. 40—50.
4. H. Bornecque, Wie soll man die metrischen Klauseln
studieren? Rhein. Mus. 58, S. 371—81.
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■
aus den Jahren 1903—1906. (May.) 147
5. J. May, Rhythmische Analyse der Rede Ciceros pro
S. Roscio Amerino. Leipzig 1905.
6. J. May, Die Rhythmen in Ciceros Reden pro Archia (§ 1
bis 15). Progr. Dnrlach 1906.
I.
Durch die Untersuchungen über Rhythmus und Klauseltechnik
ist in die Erklärung der Reden Ciceros ein neues Moment ge-
kommen, dem sich die Herausgeber in Zukunft nicht mehr entziehen
können, auch deshalb nicht, weil die Textkritik davon berührt wird.
"Wenn man auch nicht so weit gehen will wie Zielinski, der im Vor-
wort seines Buches S. 3 sagt, „daß kein Ciceroherausgeber ohne ge-
naues Studium des Klauselgesetzes seiner Aufgabe gewachsen ist",
so ist doch der Rhythmus , aber nicht allein die Klausel , ein
Instrument der Prüfung für manche überlieferte Lesart und Konjektur.
Freilich ist die Sache noch im Werden und weder in bezug auf den
„konstruktiven" Rhythmus noch auf die Klausel zum Abschluß ge-
bracht, welches letztere man im Hinblick auf das Zielinskische Buch
vielleicht verwunderlich finden wird. Aber das ist gewiß, der
rhetorisch-rhythmische Gesichtspunkt und die lumina orationis, worin
des Demosthenes Kraft besteht, dem Cicero nacheifert, werden in den
Ausgaben zu wenig berücksichtigt, indem die Erklärung sich meist
auf den Inhalt, auf den sprachlichen Ausdruck und die Beschaffenheit
des Textes beschränkt. Und doch legt Cicero auf die numerosa
oratio den allergrößten Wert. Gewiß sind in rhythmischer Beziehung
manche Ausgaben ergiebige Fundstätten, unter den älteren die von
Garatoni, unter den neueren der Kommentar zur Rosciana von Land-
graf. In Zukunft muß aber noch die Rhythmik hinzukommen , und
zwar ist es nach den bis jetzt gemachten Vorarbeiten von Plüß,
E. Müller, Norden, I. Wolff, Zielinski und Blaß, unter den Franzosen
L. Havet und H. Bornecque nicht so schwer, wenigstens über die
Klausel ins reine zu kommen, obgleich über die einzelnen Formen
derselben noch keine volle Übereinstimmung herrscht. Einen end-
gültigen Abschluß glaubt nun Zielinski in seinem Buch Über das
Klauselgesetz gegeben zu haben. Er zieht darin alle Reden Ciceros.
in Betracht und eruiert 17902 Klauseln, die er mit einer erstaunlichen
Klassifikationskunst rubriziert und zwar so subtil, daß Blaß in dem
unter 2 erwähnten Buch S. 113 meint, in diesen „{lupjATjxo; dtpaicot"
finde sich kein Kopf zurecht außer dem des Vf.s. So verwickelt
jedoch ist die Theorie nicht, daß man sie nicht durchschauen könnte,
ja, A. Clark hat in seiner neuesten ausgezeichneten Ausgabe Ciceroniani-
10*
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148 Bericht über die Literatur zu Ciceros Reden
scher Reden (1905) schon angefangen, kritische Proben zu einzelnen
Stellen aus dem Zielinskischen Buche zu übernehmen. Anerkannt
werden muß die frische und geistreiche Art, in der das Buch ge-
schrieben ist. Z. selbst ist von großer Zuversicht betreffs der
Richtigkeit seiner Lehre erfüllt und stellt seine Gesetze mit apodik-
tischer Gewißheit auf. Da nun das Zielinskische Buch voraussicht-
lich auf lange Zeit bei den Klauseltechnikern im Vordergrund des
Interesses stehen wird, indem die einen die Resultate annehmen und
gutheißen, andere, wie Blaß, sie strikte verwerfen, so kann sich Ref.
nicht auf eine bloße Inhaltsangabe des Buches beschränken, sondern
es muß die Theorie auf ihre Haltbarkeit besonders an Beispielen ge-
prüft werden.
Dem Vf. ist, was auch schon W. Meyer postulierte, der creticus
das klauselbildende Element, und jede der fünf Hauptformen hat als
Basis einen creticus, wozu Kadenzen von verschiedener Form kommen,
die mit der Basis zusammen das Wesen der Hauptform bestimmen.
Nach Feststellung jeder Hauptform behandelt der Vf. jeweils sehr
eingehend das typologische Moment, d. h. die Frage, wie bestimmte
Worttypen zur Klauselbildung verwendet sind. Aus der Verschieden-
heit dieser Typen entwickeln sich wieder Unterformen, deren Zahl
ziemlich bedeutend ist. Im Anschluß daran werden zahlreiche Ge-
setze aufgestellt. Am Ende jeder Hauptform gibt der Vf. eine
interessante Geschichte der jedesmaligen Hauptform. Auf die Theorie
der Klausel folgt in mehreren Abschnitten die Anwendung derselben.
Eine Grund- und Vorfrage nun, die vor allem behandelt werden
muß, und mit der das ganze System steht und fällt, ist: Sind die
Klauseln richtig aufgestellt ? Ziel, läßt sich dabei, wie er S. 7 selbst
sagt, nur vom Gefühle leiten. „Wo die Periode schließt, sagt uns,
wie dem Redner selbst, lediglich unser rednerisches Gefühl". Dali
aber das Gefühl eine unsichere Sache ist, dürfte klar sein. Kann
für den Umfang der Klausel kein anderes Kriterium gewonnen werden
als das Gefühl, so wird nie eine Einigung über die Klausel zustande
kommen. Tatsächlich sind auch die Klauseltheoretiker in der
Statuierung der Klauselformen durchaus nicht einig. Dies kommt
vom Mangel an einem Kriterium; und dies ist die Responsion. Wo
keine Responsion stattfindet, ist auch kein Rhythmus. Jene ist das
Wesen des Rhythmus. So auch bei der Klausel. Dieses Moment ist,
wenn es auch von den Klauseltheoretikern bisher gar nicht berück-
sichtigt wurde, das allernotwendigste. Ohne Berücksichtigung des-
selben ist die Aufstellung einer Theorie der Klausel gar nicht mög-
lich. Wie viele Klauseln haben z. B. Norden oder I. Wolff
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aus den Jahren 190&— 1906. (May.)
149
zusammengestellt, ohne zu merken, daß diese oder jene Kl. mit einer
anderen korrespondiert. Nun sagt Z. S. 6, er untersuche bloß den
Periodenschlußrhythmus. Aber auch dieser hat seine Itesponsion wie
der Satz- oder Kommaschlußrhythmus. Wenn der Periodenschluß-
rhythmus keine Responsion hat, dann mag das Zielinskische Gebäude
richtig sein, hat er aber jeweils eine solche, dann sind die Klauseln,
wie er sie annimmt, großenteils falsch. Ref. kommt auf Grund der
Responsion bei seiner Untersuchung der Zielinskischen Klauseln zum
Resultat, daß unter 10 Klauseln ungefähr 8 falsch angesetzt sind,
mit anderen Worten, daß die Responsion unter 10 Klauseln 8 mal
ein anderes Resultat ergibt, als Z. annimmt. Da dieser Punkt grund-
legend ist, so nimmt auch Ref. wie Z. die Caeciniana vor, aus welcher
dieser S. 9 ff. die vorhandenen Klauseln ausschreibt. Dann möge der
Leser selbst entscheiden. Sehr richtig stellt zwar Z. S. 8 die Vorfrage :
„Wo beginnt in der Periode die Klausel ?tt Antwort: „Dort wo die
Regelmäßigkeit in der Gestalt des Schlusses beginnt" Diese Be-
hauptung könnte man fast für unsere Meinung in Anspruch nehmen.
So meint es aber Z. nicht. Nach ihm beginnt die Klausel da, wo
die Basis der Uauptform beginnt, die er annimmt; diese Basis ist
aber immer der creticus; was darauf folgt, gleichviel wie lang, ist
nach ihm Kadenz. Diese kann in Hauptform I aus 3Vs Trochäen
und noch mehr bestehen. Ref. meint dagegen, der Beginn der
Klausel hängt von der Responsion ab ; wo in dieser die Gleichmäßig-
keit beginnt, beginnt auch die Klausel. Die respondierenden Formen
dürfen aber nicht zu weit entfernt sein; sonst hört man sie nicht;
denn erste Bedingung des Rhythmus ist, daß er ins Gehör fällt*).
Wir treten nun in die Prüfung der von Z. aus der Caeciniana an-
geführten Beispiele ein, wobei aber jedesmal eine Erklärung notwendig ist.
Deshalb ist es auch nicht möglich, so viele Beispiele zu behandeln, als Ref.
eigentlich möchte. — Eins der sonderbarsten Beispiele scheint uns § 81 —
tur, sed id quod dicitur, valebit, ein Beispiel, das wohl kaum jemand als
Klausel, als Abschluß eines Gedankens empfinden wird. Mit der Responsion
lautet die Stelle so:
non id, quod intelligitur, 8
sed id, quod dicitur, valebit. 9
intelligitur steht zu dicitur im Kontrast, welches Verhältnis noch durch
Paronomasie illustriert wird.
*) orat. 67: quidquid est, quod sub aurium mensuram aliquam cadat,
— numerus vocatur.
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150
Bericht über die Literatur zu Ciceros Reden
Dem Ditr. der zweiten Reihe entspricht in der ersten intelligitur (spond.
und aufgelöster tr.). Es mag hier die Bemerkung vorausgeschickt werden,
daß dem Ditrochäus in Reihe 2 kein cret. vorausgeht, sondern ein tr., ob-
gleich es Z. in den Bemerkungen zur Hauptform III als Gesetz bezeichnet,
daß dem Ditr. stets ein cret. vorausgehen müsse. Zur Veranschaulichung
der von ihm statuierten Klausel bedarf er folgender Zeichen : 5 tr M 5ij *),
während in der einfachsten Kürze gesagt werden kann: Die Klausel in
Reihe 2 ist ditr. und in Reihe 1 spond. - troch. mit Auflösung des Troch.
Hinzugefügt kann noch werden, daß das spond.-tr.-Maß dem gleichen y*vo;
angehört wie der Ditrch. Also sind die beiden Klauseln metrisch nicht so
weit voneinander entfernt. — § 3 bezeichnet Z. als Periodenklausel : illorum
testibus. Gerade an dieser Stelle aber liegt nicht nur Klausel-, sondern
eine weitergehende Responsion vor, nämlich:
confessione I adversarii; 10
nunc vero in ill | orum testibus: 10
|
Wie man sieht, ist die Responsion ganz genau, die sich aber nicht
bloß auf die Klausel, sondern auch auf das Vorhergehende erstreckt. Nun
geht der spont. -kret Klausel je ein kret. voraus, was häufig, aber nicht
immer, der Fall ist. Der Grund, warum das kret. so häufig vor dem troch.
Maße, also auch vor dem ditr. steht, liegt 1. in der leichten Verwendbarkeit
desselben (or. 215: creticus — quam commodissime putatur in solutam
orationem illigari), 2. darin, weil in der Klausel nur Rhythmen ver-
wendet werden, die mit dem cret. oft zusammen gebraucht werden. Dahin
gehört in erster Linie der troch. In dieser Beziehung gilt der Satz im or.
§ 199: ad hunc exitum tarnen a prinCipio ferri debet illa comprehensio et
tota a capite ita fluere, ut ad extremum veniens ipsa consistat. Der Aus-
druck dieses Satzes (tota a capite fluere) ist so gehalten, daß, wenn eia
troch. oder cret. oder spond. dem ditr. vorausgeht, kein Einschnitt oder
Pause angenommen werden darf. Der Fluß der Rede darf dadurch nicht
unterbrochen werden. Weil Cic. vor dem Ditr. verwandte Maße wählt, so
ist der Übergang natürlich und ungezwungen.
Diese natürliche Uberleitung fand Ref. in der Rosciana und in der
Archiana überall bestätigt. Obige Klausel heißt nun — orum testibus, nicht
illorum testibus. — Ein anderes Beispiel respondierender Klauseln, das
aber bei Z. nicht verzeichnet ist, weil er bloß den Periodenschluß beachtet,
steht in demselben § 3 nämlich:
si probi ex|istimarentur,
quod dixiss | ent, probarent.
*) Angesichts der zahlreichen Zeichen, die Ziel, erfunden, ist es un-
möglich, auf alle einzugehen. Hier aber, da es die erste Veranlassung ist,
soll es geschehen. — M = mala clausula; 5 bezeichnet die Klasse der
Integrationsformel (S. 18); tr. gibt an, daß diese Klasse in ihrer Kadens
troch. endet, 5ij sollen mnemotechnische Mittel sein und von a an gerechnet
die soundsovielte Stelle des Einschnittes bezeichnen, also hier die vierte
und siebente.
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aus den Jahren 1903—1906. (May.) 151
Die wechselseitige Beziehung der beiden Reihen tritt schon in der
antithetischen Form des Satzes hervor: (improbi — falsi — probi — pro-
barent). Es steht kret.-tr. Klausel einer ditr. gegenüber. Cic. wechselt
nämlich in der Klauselresponsion häufig mit den Formen, um Einförmig-
keit zu vermeiden (or. § 215: primum enim numerus agnoscitur, deinde
satiat, postea cognita facilitate contemnitur), und doch kann man nicht
sagen, daß dadurch ein anderes genus entstehe. Solche rhythmische Re-
sponsion kommt am Schluß der Periode nicht mehr vor, als innerhalb der-
selben, ja es sind nicht selten die Rhythmen hier eklatanter als am Schluß.
Nach Ansicht des Vf.s heißt der Periodenschluß dieses § 3 — um fide
derogatur. Auch das ist unrichtig, wenn man das unmittelbar Voran-
gehende ansieht, worauf schon der Doppelgebrauch des Wortes fides führen
mußte :
sive fides | non habetur,
testium fide | derogatur.
Beide Reihen sind inhaltlich eng verbunden und haben ditr. Klausel.
Dem Ditr. in Reihe 1 geht ein Choriambus, in R. 2 ein creticus voraus.
Dies entspricht an und für sich der Theorie des Vf.s, der S. 100 unter
Hauptform 3 die Ableitungen zu dieser Form angibt. Das Vorausgehen
eines chori. vor dem Ditr. bezeichnet er dort als L 3tr, d. h. als clausula
licita; 3 = HauptformB. tr. = troch (— ~ | — — ). Hiezu mag nur ganz kurz
bemerkt werden, daß, wenn eine Form durch den Gedanken notwendig be-
dingt ist, wie hier, man nicht das Recht hat, dies als cl. licita zu be-
zeichnen. Cic. wird der Meinung gewesen sein, daß der Ausdruck hier
notwendig sei, gleichviel, welcher Rhythmus daraus entsteht. Den Redner
aber derart meistern zu wollen, daß man eine durch den Gedanken bedingte
Ausdrucksform als cl. licita oder mala oder pessima bezeichnet, scheint denn
doch ein unzulässiges Verfahren. — Ein anderes Beispiel entnehmen wir
dem § 5 (Caecin.), wo der Verf., diesmal richtig, zwei Klauseln statuiert:
— amque praestarem u.
— um requiratur.
An dieser Stelle kommen aber 4 Reihen in Betracht:
idoneum esse me defensorem, 10
diligentiamque praestarem: — 9 *
in re praesertim aperta ac simplici, 12
quod excellens ingenium requiratur. 12
^ j ^ w w
Bemerkenswert in diesen 4 zusammengehörigen Reihen ist, was ja
auch Cic. in der schon angeführten Stelle des or. verlangt, die natür-
liche und den Rhythmen der Klausel entsprechende Überleitung zu diesen.
Die Rhythmen in den 3 ersten Reihen vor der Klausel sind cret.-tr., wobei
statt des tr. auch einmal ein sp. verwendet werden kann. In der vierten
Reihe steht vor der Kl. ein Daktylus. Es herrscht also darin Mannig-
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152
Bericht über die Literatur zu Ciceros Reden
faltigkeit und doch Einheit, wie es Cic. verlaugt. Aber zu verlangen
wie Bornecque in dem erwähnten Aufsatz, daß vor einer bestimmten
Klause] nur dieser oder jener Versfuß erlaubt sei, widerspricht der Lehre
Ciceros und seinem ausgesprochenen Streben nach Abwechslung und
ist auch an und für sich ein Unding. Die Überleitungen sind an kein be-
stimmtes Maß gebunden und sollen den Übergang nur in natürlicher Weise
vollziehen. — Aus § 12 führt der Vf. folgende Klauseln an: esse licuisset
und ipsa capiebat; diese 2 Klauseln, mit deren Statuierung Ref. einverstanden
ist, setzt der Vf. unmittelbar untereinander, aber außer aller Verbindung,
weil er keine Klauselresponsion kennt. Es ist aber sehr leicht zu erkennen,
daß hier folgende Beziehung herrscht, die schon durch die Homoioteleuta
angedeutet ist:
iucundus | mulieri fuisset,
esse licuisset;
~ ~ - - tr. (aufgelöst) u. ditr.
— - - cret, (aufgel.) tr.
esse cupiebat
ipsa capiebat
_ Z Z~ - - } cret- tr- mit Auflös.
Klauselstatuierung und Responsion werden wohl richtig sein. Ziel,
hätte aber wahrscheinlich, wenn er mulieri fuisset einbezogen hätte, auch
noch iucundus dazu genommen und daraus die Hauptform V als clausula
mala konstruiert. Das vorliegende Beispiel hätte er jedenfalls zu dem
Typus Sc (S. 132) gerechnet. Ref. untersuchte noch viele Klauselformen in
der Caeciniana, aber es ist nicht möglich, hier alle zu behandeln. Aus der
bisherigen Untersuchung ergab sich mit Hilfe der notwendigerweise zu be-
rücksichtigenden Responsion, 1., daß es nicht ausreichend ist, bloß die
Periodenklausel zu berücksichtigen, weil diese selbst anderen Satzteilen re-
spondiert, 2. ergeben sich ganz dieselben Klauselformen in den Schlüssen
der Sätze und Satzteile, 3. sind die von Ziel, aufgestellten Schlüsse ent-
weder unrichtig oder, wenn sie richtig sind, unvollständig, weil die dazu
gehörige Responsion nicht berücksichtigt ist. Es muß nun auch auf andere
Punkte eingegangen werden, die der Vf. bespricht Dahin gehört die Cho-
lose (S. 16). „Durch die abnorme Erschwerung des letzten creticus bekommt
die V-(era)-KlauseI eine eigentümliche Wucht". Das ist richtig; die Wucht
entsteht aber erst durch das Verhältnis der Erschwerung zu der kor-
respondierenden Stelle. Wie der Begriff Erschwerung überhaupt nur ein
relativer ist und etwas Leichteres voraussetzt, so ist es auch bei der Klause).
Wenn der Verf. Rab. p. r. 18 (popu)li Romani interfectum ! als „abnorme Er-
schwerung des letzten creticus" bezeichnet, so ist 1. die Stelle falsch
analysiert, 2. tritt die Cholose erst dadurch ein, daß der respondierende
Ditroch. durch den Dispondeus erschwert wird:
ut possem hoc praedicare,
(popu)li Romani, interfectum
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aus den Jahren 1903—1906. (May.)
1JW
Es ist doch leicht erkennbar, daß dem Ditr. hier nicht ein cret.,
sondern ein dispondens reapondiert. Die Wucht entsteht nun dadurch, daß
der ersten Kürze des ditr. an der bezüglichen Stelle eine Länge gegenüber-
steht. Also Cholose ist kein absoluter, sondern ein Verhältnisbegriff. Zu
bemerken ist noch, daß der Klausel jeweils ein irregulärer cret., wie so
häufig, vorhergeht.
Ebenso ist die Cholose nur verständlich, wenn man bei der S. 17 aus
Verr. IV 53 zitierten Stelle die Responsion heranzieht. Dann muß das Zitat
aber bei avertere beginnen, wovon folgendes in Betracht kommt:
per ma|gistratum solebant:
occulte auferebant:
(tam)en condemnabantur.
_ S
Die Klauseln der drei Reihen sind ditroch. mit Erschwerung am Schluß
eben zur Erzieluug der Wucht. Diese wird also erst erreicht durch ibr
Verhältnis zu den Ditrochäen der zwei ersten Reihen. Wenn Ziel, zu dieser
Stelle bemerkt, derartige Klauseln seien „gewiß nicht schlecht, aber nicht
gerade häufig", und wenn er sie deshalb als „gesucht" bezeichnet, so ist
dies ein Irrtum, weil die Cholose bei Cic. häufig vorkommt, da sie ein wirk-
sames rhetorisches Mittel ist Und warum „gesucht"? Da wo die Rede
wuchtig werden soll, tritt eben Erschwerung ein. Dann müßte man über-
haupt das Streben, wuchtig zu reden, als gesucht bezeichnen.
Zweifelhaften Wertes ist auch Z.s Einteilung der Klausel in Wert-
klassen, indem er S. 15 clausulae verae, licitae, malae (gemiedene), pessimae
(verpönt), selectae (gesucht) unterscheidet. Nach seiner Lehre verliert jede
Klausel durch Auflösung, Entfaltung, wie er sagt, an Wert. „Durch jede
Ableitung wird der Klauselwert um einen Grad vermindert". Aber „durch
die abnorme Entfaltung im letzten cret. büßt die V- Klausel ihren ganzen
Wert ein und wird zur P -(eBsimaJKlausel". Darnach müßte also z. B. or.
pro Quinctio § 76: non vendiderit eine ganz schlechte Klausel sein. Z. bringt
aber diese Klausel nicht, weil sie nicht Periodenschluß ist. An dieser
Stelle kommen jedoch außer dem Periodenschluß, den Z. S. 55 anführt,
noch folgende 3 Klauseln in Betracht:
non transegerit,
non vendiderit,
nemo accesserit,
1 ~ — spond.-cr.
2 ^ ^ ditr. (Auf lös.)
8 wie 1.
Die „Entfaltung" in 2 ist gegenüber 1 und 3 eine variatio, wie sie Cic.
häufig eintreten läßt. Als Periodenklausel, die Z. unter der Bezeichnung
L 12, d. h. als erlaubt mit Doppelauflösung anfuhrt, sollen an dieser Stelle
die Worte (trans)igere potuisse gelten; sie heißt aber nicht so, sondern
transigere potuisse und zwar mit Responsion:
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154
Bericht über die Literatur zu Ciceros Reden
neque tarn temer|arium quemquam fuisse,
perseverare et | fransigere potuisse.
Kespon6ion auch äußerlich an der Paronomasie fuisse — potuisse er-
kennbar. Die Doppelauflösung aber ist veranlaßt durch die gegenüber
(quemquam fu — ) und dabei (persöveiärö et) stehenden schweren Rhythmen.
Eine solche Auflösung ist aber durch den ganzen Zusammenhang der Stelle
sehr berechtigt. Z , indem er trans- außer acht läßt, bezeichnet -igere po-
tuisse als cl. licita; hätte er aber trans- dazu genommen, so hätte er sie
nach S. 32 wahrscheinlich als M 1 88 bezeichnet, d. h. als schlechte Klausel.
Nach des Ref. Auffassung ist sie aber, in Z.s Terminologie zu reden, eine
cl. vera ersten Ranges, weil sie nicht bloß eine wohltuende Abwechslung
bringt, sondern auch gerade durch die Auflösung ganz energisch die statt-
gehabte Möglichkeit der Abmachung betont. Z. aber sagt: „Durch Auf-
lösung usw. verliert die Klausel an ihrer individuellen Präzision" und be-
zeichnet solche Klauseln als malae oder pessimae. Wir sind vom Gegenteil
überzeugt.
Nur noch eine Stelle. Bei der Statistik der Typologie der Kl. L 1 1 ß 1
(§ 32) wählt Z. aus der Rede Qu. R. com. das Beispiel (es)se patiebantur.
Das ist ein Irrtum. Der Ausdruck kommt in der ganzen Rede nicht vor*),
sondern steht in der Singularform Rose Am. 45, wo mit Rücksicht auf den
darzustellenden Gedanken folgender Rhythmus angewendet ist:
alterum a se | non dimittebat,
alterum ruri | esse patiebatur.
I — cret. tr. —
I — ■ — dicr. mit Auflösung und Erschwerung.
Das Nichtentlassen ist sachgemäß in schweren Rhythmen aus-
gedrückt, das Gegenteil in leichten. Wie man nun in der zweiten Reihe
messen will, darauf kommt es weniger an als auf den Kontrast. Die Haupt-
sache ist, daß da, wo der Kontrast einsetzt, Längen und Kürzen einander
entgegengestellt werden. Solche Beispiele inhaltlich bedingter Entfaltung
und Auflösung gibt es überall, z. B. Rose. Am. 60 innerhalb der Periode:
aperiri bonorum | emptionem,
vexari pessime | societatem,
. - | ~ ditr.
1 ditr. mit Auflös.
Man darf wohl annehmen, daß die Auflösung des II. Ditr. durch den
Inhalt begründet ist, weil die Entlarvung der Gesellschaft betont werden
soll. Wo die Entfaltung nicht durch den Inhalt bedingt ist, waltet das
Streben nach Abwechslung oh. Kann aber ein sachlicher Grund für die
Auflösung angegeben werden, dann darf man Absicht des Redners an-
nehmen; dann liegt aber auch keine minderwertige, am wenigsten eine
schlechte Kl. vor. Man ist deswegen berechtigt, die ganze, einen breiten
Raum im Zielinskiscben Buche einnehmende Einteilung der Klauseln in
•) Sonst ist Z. in den Zitaten zuverlässig, aber redivivus constitueretur
(S. 46) steht auch naht Verr. 1, 48. —
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aus den Jahren 1908—1906. (May.) 155
Wertklassen zu verwerfen. Jedenfalls aber hat ein Kritiker, der keine
Klausel auf ihren inhaltlichen Wert geprüft und sich an keiner Stelle ge-
fragt hat, warum wohl der Redner hier eine Auflösung eintreten ließ, kein
Recht, von schlechten Klauseln zu sprechen. Wenn nun Z. bloß die
Periodenklausel in Betracht zieht ohne Rücksicht auf die Kolonklausel*)
der anderen Sätze, so kann er auch kaum allgemein bindende Gesetze daraus
ableiten. Ob Z. sein Gleichgewichtsgesetz (8. 81) so versteht wie ich, weiß ich
gar nicht. „Die Erschwerung oder Erleichterung der Klausel erweckt das
Streben, durch entsprechende Entlastung oder Belastung des unmittelbar
benachbarten Gebietes das metrische Gleichgewicht wieder herzustellen".
Den diesem Gesetz zugrunde liegenden Gedanken versteht Ref. so, daß eine
schwere Klausel durch die Responsion wieder erleichtert wird und umgekehrt.
Da nun die schwere Klausel in der Responsion meist einen Gegensatz hat,
so könnte man dies auch Kontrastgesetz nennen. Das Gleichgewicht wird
durch den Kontrast wieder hergestellt. So wird es aber Z. nicht meinen**).
Und was beißt „unmittelbar benachbartes Gebiet"? Das ist ein sehr weiter
Begriff, mit dem Hei', gar nichts anfangen kann. Wenn ferner Z. im Distanz-
gesetz (S. 81) sagt: »Die Strenge in der Observanz der Klauselgesetze nimmt
mit zunehmender Entfernung vom Klauselschlusse ab", so ist das ganz
natürlich, sonst käme man auf volle rhythmische Gleichheit der Kola, was
nur in wenigen Fällen zutrifft, anderseits kann man aus Cic. or. § 199 den
Satz ableiten, daß, je mehr sich die Rhythmen der Klausel nähern, sie
dieser desto ähnlicher werden, was so ziemlich das Gleiche sagt wie das
Z.sche Gesetz. Daß die Ableitungen (F pathol. Korrespondenzgesetz) „im
allgemeinen das Bestreben haben, sich in Hinsicht auf ihre Typologie nach
der Grundform zu richten", ist wohl natürlich. Auch das Häufigkeitsgesetz
ist richtig, daß die relative Bevorzugung des einen oder anderen Klausel-
typus in direktem Verhältnis stehe zur relativen Häufigkeit der Wörter, die
zu seiner Bildung notwendig sind. Das Auf lösungsgesetz aber (S. 84X dem-
zufolge „die Auflösungssilben nicht dadurch auseinandergerissen werden
dürfen, daß sie sich auf End- und Anfangssilben zwei- oder mehrgliedriger
Wörter verteilen", hält nicht Stand bei Rose. Am. 44 in dem offenbar sym-
metrisch gehaltenen Satz:
id quasi novum reprehendis;
id odio factum criminaris;
w ^ I her. Kl.
I = ditr.
Die für das Gesetz in Betracht kommenden Füße sind eigentümlicher-
weise Päone, welche sich in Reihe 1 und 2 auf je 2 Wörter verteilen.
Ebenso Arch. 28 famjamque pe netrare ( — =rc; - -); auch Arch. 22 — laude
decorantur (— ~ ! =^=> — -). Dagegen nicht 24 (peten)tem repudiasset
(_ | _ w ~ — -\ Die Stelle der Auflösungen ist sehr verschieden und kann,
an kein Gesetz gebunden werden.
*) Dieser von Clark in seinem Referat über das Zielinskische Buch
gebrauchte Ausdruck dürfte das Richtige treffen (Classical Rev. XIX 8
S. 169: „I would prefer to call it the rhythm of the colon".
**) Ein Kontrastgesetz stellt Z. S. 88 unter G auch auf, aber natürlich
wieder unter einem anderen Gesichtspunkte.
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156
Beriebt über die Literatur zu Ciceros Reden
Wenn wir nun schon die übergroße Ausdehnungsmöglichkeit der
Kadenz in der Integrationsklausel nicht billigen können, weil sie, wie die aus
der Caeciniana angeführten Beispiele beweisen, durch die Hesponsion nicht
bestätigt wird, so noch viel weniger die III. Hauptform überhaupt. Wir
behalten mit Norden und I. Wolff den Ditrochüus als selbständige Klausel
bei und berufen uns einfach auf die bekannten Beispiele im or. 214, wo
comprobavit und persolutas auch als selbständige Klauseln betrachtet sind.
Ks ist ja richtig, daß dem ditr. besonders häufig ein cret. vorausgeht, aber
nicht immer, es wurde schon oben hervorgehoben, daß dem ditr. ein diesem
Genus verwandtes Maß vorausgehe, also außer dem cret. auch spnnd. und
troch., weil nach Cic. or. § 199 natürliche Überleitung erforderlich ist.
Denkt jemand Rose. Am. 1 daran, daß der wuchtige Periodenscbluß com-
parandus (— -) keine selbständige Klausel sei? Ziel, bringt, soweit
Ref. sieht, dieses Beispiel gar nicht in seiner Sammlung. Nach seiner
Theorie aber müßte das vorhergehende qui sedcant als Basis zu der Kadenz
comparandus hinzukommen und als choriambische Klausel betrachtet
werden, das Ganze mit dem Zeichen L 3*' ß'. Nach des Ref. Ansicht ge-
hört aber qui sedeant gar nicht zu comparandus, sondern respondiert zu
(nobilissim)i sedeant
qui sedeant* D,ese ,>e,dcn " endungen gehören offenbar zusammen,
bezeichnen auch die gleichen Personen und haben demgemäß mit comparandus
rhythmisch gar nichts zu tun. Ein anderes Beispiel, das Z. auch nicht
aufführt, steht ebenda 7: propulsetis. Dies ist selbständige Klausel und
nicht mit intenditur zu verbinden. Die Klausel, ein schwerer Ditr.
(Dispondeus) korrespondiert vielmehr mit (calamita)tem levetis (8X auch mit
(Rosci periclum (sie!) 2 und mit (sceler) i resistatis (1). Das Ganze so:
1 = cret. tr. im Wechsel mit Ditrochäen.
2
3
Der Dispondeus am Schluß steht in rhythmischer Beziehung zu den
bezeichneten Ditr., und nicht zu (in)tenditur, das allerdings kretisch ist.
Nun Beispiele dafür, daß dem Ditr. auch andere Füße als ein cret. vorher-
gehen können. Rose. Am. 28:
multa palam domum suam auferebat,
plura clam de raedio removebat;
Vor dem ditr. hier ein troch., die Sache liegt jedoch so, daß die Reihe
im Anlauf in lebhafter Weise daktylisch ist und dann in Trochäen über-
geht, worunter eben auch die Klausel fällt, die korrespondierende Reihe
ist daktyl.-tr. (heroische Klausel). Dem ditr. geht ein Daktylus vorher § 89 :
(ad) hoc scelus impulerunt (— ~ -). Es wäre hier ganz unnatürlich,
um einen cret. vor dem ditr. herauszubringen, syllaba aneeps anzunehmen.
Jeder muß merken, daß das daktyl.-tr.-Schlußmaß hier eng verbunden ist,
ebenso § 40: perspicuam fuisse. Die Annahme eines Hiatus würde eben-
falls den von Cic. in jenem § 199 verlangten Fluß der Rede stören (tota a
capite ita fluere ut.). Wenn wirklich einmal vor dem ditr. Pause anzunehmen,
dann gehört der vorhergehende creticus oder das, was Ziel, als Ersatz der
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aus den Jahren 1903—1906. (May.) 157
Entfaltung annimmt, nicht zu dem ditr., wie in dem Beispiel Rose. Am. § 1,
wo qui sedeant mit comparandus rhythmisch nichts zu tun hat. Durch die
Einbeziehung des cret., namentlich aber des choriambischen oder epi-
tritischen Ersatzes werden die Klauseln auch zu lang, so daß sie als solche
nicht mehr empfunden werden können.
Es wäre interessant, auch den Typen Z.s nachzugehen und sie mit
dem Ergebnis unserer Methode zu vergleichen ; es ist dies aber im Rahmen
des Referats nicht möglich, weil jede Stelle der Erklärung bedarf.
Interessant sind die Darlegungen zur Geschichte der einzelnen Haupt»
formen, worin sich Z. aber weniger mit Cic. selbst, namentlich mit dessen
orator auseinandersetzt als mit seinen Vorgängern in der Klauselforschung.
Im zweiten Teil des Buches folgt die „Anwendung", d. h. aus seiner
Klauseltheorie zieht Z. Folgerungen für Orthographie, Prosodie, Textkritik
und Akzentlehre. Was er darin, abgesehen von seiner Klauseltheorie,
Wissenschaftliches vorbringt, ist richtig; da aber alle Einzelfälle nach
dieser Theorie bemessen werden, so sind die Resultate ebenso angreif-
bar wie die besprochene Theorie selbst. Auch hier sind wieder auffallend
subtile Einteilungen gemacht; so unterscheidet er, wenn bei einem Wort
doppelte Messung möglich, drei Fälle, 1. neutrale, 2. wenig belangreiche,
8. durchschlagende Fälle. Die neutralen Fälle werden S. 172 wieder drei-
fach geteilt. Man würde sich auch dies gefallen lassen, wenn man mit den
Resultaten dieser subtilen Einteilung einverstanden sein könnte. Aber so-
fort erhebt sich der Konflikt, so S. 172 gleich bei dem ersten prosodischen
Beispiel. Z. sagt hier: „c) Relativ gleichwertige Klauseln. Es stehe zur
Entscheidung patriae: pätriae. Letzteres ist ein anapästisches Wort, das
überhaupt in keiner V(era)-K lausei möglich ist; für pätriae beweist demnach
eine L(icita)-Klausel gerade soviel, wie für pätriae die entsprechende V, so daß
z. B. in Flacc. 104 et patriae debuisse die Klauseln V 3 (pätriae) und L 3tr
(patriae) tatsächlich gleichwertig sind. Die Sache liegt aber folgender-
maßen, wobei natürlich von der Stelle auszugehen ist:
et patriae debuisse:
Responsion: iudices providete.
Die beiden einander gegenüberstehenden ditroch. entsprechen sich
genau. Dem Chori. et patriae (- — ) steht in der Responsion ein
creticus gegenüber, der häufig für einen chori. eintreten kann, patriae ist
zwar für sich betrachtet ein anapästisches Wort, im Zusammenhang der
Stelle entsteht aber mit et ein Chori. Nun wird man zugeben müssen, daß
man unter Umständen schließlich auch pätriae messen kann; aber pätriae
ergibt die bessere Klausel und nicht bloß eine licita 3tr. Z. rechnet aber
pätriae zu den cl. verae, was kaum gebilligt werden dürfte.
Durchschlagend findet Z. solche Fälle, wo die eine Bildung eine gute,
die andere eine schlechte Klausel ergibt, wo also V(era) oder L(icita) mit
M(ala) oder P(essima) konkurrieren. Beispiel redueo gegen reddueo.
Phil. II, 10 ergibt Caesaris lege reduetus, also die leichte Wortform, die
ganz schlechte claus. heroica (P 3), die schwere dagegen die ausgezeichnete
V 1, also müsse es reddueo heißen. Die Responsion ergibt folgendes:
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158
Bericht über die Literatur zu Ciceros Reden
(leges) ullae possent coercere?
Caesaris lege reductus?
Die schwere Wortform erzeugt hier Gleichheit der Klauselresponsion,
die leichte dagegen die heroische Klausel, die Cicero durchaus nicht so
selten anwendet, und die hier Mannigfaltigkeit des Rhythmus erzeugt. Cic.
variiert aber viel häufiger, als daß er die beiden Klauseln gleichmacht.
Nach des Ref. Ansicht liegt hier Gleichwertigkeit vor.
Direkt unrichtig ist aber S. 173 aus Qu. 1 (medi)öcriter pertimesco als
neutral zu bezeichnen. Denn dies respondiert zu:
nonnihil commoveor
=, also ist o hier lang.
S. 184 Synkopierte Verbalstämme. Hier tritt Z. für surpere ein und
vergleicht act. 1, 4 satis esset surpuisset. Durch die Responsion kann
man aber beweisen, daß surripuissent ganz richtig ist:
qui quod ipsis solis satis | esset surripuissent
ut | id multis satis esse possit
Die Klausel liegt bloß in surripuissent und in esse possit, die Re-
sponsion geht aber, wie man sieht, weiter. Daß die Daktylen sich anti-
strophisch entsprechen, müßte doch zu bedenken geben, ob man nicht der
„verpönten" heroischen Klausel etwas toleranter gegenüberstehen sollte.
Unter dejcere figuriert wieder eine ganz unmögliche Klausel: Caec. 90 —
at, negas dejci posse (S 3 eine gesuchte Klausel). Responsion:
quemquam | deici posse,
negas deici posse
Die beiderseitigen Klauseln sind gar nicht gesucht, sondern wenn
man nicht synkopiert kret.-tr., synkopiert man aber ^, was an sich
nicht falsch wäre, aber das Hereinbringen einer Kürze entspricht mehr dem
Inhalt, darum bin ich nicht für die Synkope.
Ziel, gibt dann noch eine kritische Durchsicht der Reden Ciceros auf
Grund seiner Klauseltheorie und findet, daß die Ausgabe C. F. Müllers „als
die beste und zuverlässigste vor dem Klauselgericht weitaus am besten be-
standen hat". Wenn aber eine Ausgabe ohne jedwede Berücksichtigung des
Rhythmus zustande gekommen ist, so müßte gerade Müller eine merkwürdige
Divinitionsgabe entwickelt haben. Ref. stellt in dieser Beziehung Müllers
Ausgabe nicht höher und nicht niederer als die von Baiter-Halm. Diese
Ausgaben haben nur den Zweck, auf Grund von Handschriften eine mög-
lichst sichere Grundlage des Textes herzustellen. Eine namhafte Stütze
für den Rhythmus bieten aber weder die Ausgaben noch die Handschriften.
Keiner der librarii hat mehr ein Bewußtsein davon gehabt, daß Cic. nach
rhythmischen Gesichtspunkten sprach. Auch in den Demosthenes- Hand-
schriften finden sich keine Anhaltspunkte; denn die Zeichen am Schluß der
Reden beziehen sich bloß auf die Zeilenzahl und nicht auf die Kolometrie.
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aus den Jahreu 1903— 1906. (May.)
159
Was die Akzentuation betrifft, so liegt kein Grund vor, von den durch
die lat. Grammatik festgelegten Betonungsregeln abzugehen. Der rednerische
Akzent ist weder poetisch noch vulgär. Auch in dieser Beziehung kann uns Cic.
im or. einigermaßen Führer sein. Er sagt dort § 195: neque numerosa esse ut
poema, neque extra numerum, ut sermo vulgi, esse debet oratio und § 227 :
Numerus autem (saepe enim hoc testandum) est non modo non poetice
iunctus, verum etiam fugiens illum eique omnium dissimillimus, non quin
eidem sint numeri non modo oratorum et poetarum etc. Auch so 198. Cic.
beobachtet also die herkömmlichen Betonungsregeln. Wenn aber Ziel.
S. 240 meint, aus der Betonung drs Anfanges der ersteu Catilinaria, wie
er sie gibt, und gegen welche gar nicht viel einzuwenden, müsse jeder, der
es überhaupt könne, die numeris contorta fulmina erkennen, so ist dies
sehr unrichtig; denn erstens braucht Cic. jenen Ausdruck in bezug auf
Rhythmen des Demosthenes, zweitens versteht Cic. unter fulmina orationis
etwaB ganz anderes, als Ziel, meint; er versteht darunter den von ihm sehr
weit gefaßten Begriff des numerus, wozu auch die lumina orationis (Figuren
aller Art) gehören, was Cic. im or. des Genaueren darlegt. Niemals kann
die Akzentuation als Fundgrube der fulmina orationis im Demosthenisehen
Sinne angesehen werden. Übrigens ist Ref. mit der Akzentuation mancher
Beispiele, die Ziel. S. 225—243 gibt, einverstanden, nur kommt er wieder
auf einem anderen Wege zu seinem Resultat als Ziel. Dieser statuiert
(S. 232) Fälle, wo der Satzschluß in den Periodenschluß hineinrage, z. B.
Verr. III 13:
(fortu) nis tuiB prospiceres, excitavit.
Hier sei prospiceres choriambischer Satzschluß, der mit dem Perioden-
schluß excitavit zu verbinden sei (P 2 — L 3 tr): - sei wieder
cl. pessima der II. Hauptform und i — cl. licita der
III. Hauptform. Nun ist dieses Beispiel überhaupt nur Satzschluß, nicht
auch Periodenschluß, respondiert aber dem Periodenschluß, der jedoch anders
lautet, uämlich so:
prospiceres excitavit
ne fieret, laborasti
So wird die Akzentuation lauten; im Chori. ist nicht die erste Kürze
zu betonen, sondern die erste Länge, während - es Nebenton hat. In dieser
ganzen Responsion kann aber weder von cl. pessima, noch von licita die
Rede sein, sondern die Längen in laborasti sind ein wirksamer Abschluß,
während die Kürzen in prospiceres, excitavit sich dazu wie ein Auftakt ver-
halten.
Was das Wort memoria betrifft, rücksichtlich dessen Z. S. 239 noch
Zweifel ausspricht, so möchte Ref. noch zwei Beispiele aus „konstruktivem
Rhythmus" zur Erwägung anheimgeben: Arch. § 8:
et de hominum memoria tenere, 12.
litterarum memoriam flagitare, 12 S.
Die Stelle ist ein seltenes Beispiel für konstruktiven Rhythmus und
besonders für antistrophische Responsion des gleichen Wortes, wobei das
Wort memoria in der ersten Reihe mit der Schlußsilbe noch zur ditroch.
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1Ü0
Bericht über die Literatur zu Ciceros Reden
Klausel gehört, während dasselbe Wort in der II. Reihe außerhalb der
Klausel steht, die rhythmisch der ersten gleich ist. Es wäre nun sonderbar,
wenn das erstemal memoria, das zweitemal wieder anders zu betonen wäre,
memoriä deswegen, weil -ä die Basis der Klausel ist, ferner ebenda § 30:
spargere me ac disseminare arbitrabar
(in) orbis terrae memoriam sempiternam
Hier wäre memoriam, als Responsion zu (dis)semina(re) ein aufgelöster
creticus, die richtige Betonung, weil bedingt durch die Stellung in
rhythmischen Satzganzen. Dann ergäben sich in den angeführten Bei-
spielen drei verschiedene Betonungsmöglichkeiten. Zuzugeben ist mit
Lindsay (S. 199), daß der Akzent, den ein Wort in der Vereinzelung hat,
von dem Akzent verschieden sein kann, der diesem Wort in Verbindung
mit anderen Worten im Satzganzen zukommt. Daraus aber einen besonderen
oratorisch- poetischen Akzent abzuleiten, geht zu weit Auch kann keine
allgemein bindende Regel darüber aufgestellt werden, weil dies von der
jeweiligen Verbindung der Worte abhängt.
Was am Schluß die Konkordanztabellen betrifft, so ist die erschreckend
große Zahl von M- und P-Klauseln auffallend. Ein SyBtem aber, das unter
128 Formen 40 M- und 22 P- Klauseln ergibt, dagegen nur 22 V- Klauseln,
kann unmöglich richtig sein. Den Zweifel an der Richtigkeit seiner Schemata
deutet Z. bei manchen Formen selbst durch Fragezeichen an. Bei zahl-
• reichen Nummern kann aber Ref. nicht einsehen, warum sie, wenn von Cic.
gebraucht, schlecht sein sollen, namentlich dann nicht, wenn sie inhaltlich
und symmetrisch erklärt werden können, wie im Vorstehenden geschehen
ist. Die typolog. Konkordanztabelle steht auf dem Standpunkt Bornecques,
wonach das letzte Wort den Typus des vorletzten bestimmt, „indem dieses
(fügt Ziel, hinzu) dasjenige Schema enthält, wodurch jenes zur bestmög-
lichen Klause] wird". Dies ist ein der Lehre Ciceros diametral entgegen«
gesetzter Weg, der nach or. § 199 seinen Rhythmus nicht vom letzten Wort
aus bestimmt, sondern ihn, was auch der natürliche Gang ist, entweder vom
Anfang oder von der Mitte aus auf den Schluß hinüberleitet, dessen Form
möglichst rhythmisch sein soll. Dabei ist in vielen Fällen nicht bloß die
Klausel, sondern auch das Vorhergehende, dies aber in größter Mannig-
faltigkeit, rhythmisch, weshalb beides nicht getrennt behandelt werden
sollte; denn es ist aufs engste verbunden. Die Klausel allein gibt ein un-
vollständiges Bild des Kolonrhythmus.
Ree: CR XIX 3 S. 164—172 v. A. C. Clark. Bph Nr. 52 S. 1659—62 v.
Kroll. WklPh. 05 Nr. 12 S. 316-19 v. May. - AlPh. XXV 4 p. 453-63
v. K. Fl. Smith. - Rcr. 05 Nr. 51 S. 472-82 v. P. Lejay.
II.
Bornecques Methode der Klauseluntersuchung unterscheidet
sich von der E. Müllers, wie auch von der Zielinskis prinzipiell da-
durch, daß er bei der Statuierung der Klausel von der metrischen
Form des Schlußwortes ausgeht und dadurch die metrische Form
des vorhergehenden Wortes bestimmt sein läßt, während die anderen
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aas den Jahren 190»— 1906. (May.)
1(31
Klaoseltheoretiker eben bestimmte regelmäßig wiederkehrende Klausel-
fonnen annehmen, deren Zahl nicht gleich ist, verschieden bei
E. Müller und I. Wolff und bei Ziel. Dieser nähert sich nur in der
Hauptform III dem Bornecqueschen Standpunkte, indem er behauptet,
daß der dem Ditr. vorausgehende Fuß (cret.) durch die ditroch.
Schlußform bestimmt sei. Bornecque gibt nun eine Liste der Klauseln
nach I. Wolff und untersucht zweierlei: 1. ob alle in dieser Liste
enthaltenen Klauseln metrisch seien, 2. ob diese Liste sämtliche
Klauseln enthalte. Bei der Untersuchung zu 1. behauptet er, daß
der Typus 2 ( ~ dispond.) niemals vorkomme. Dem gegenüber
muß konstatiert werden, daß dieser Typus sehr häufig ist, daß er
aber nicht bestimmt wird durch das, was neben ihm steht, sondern
durch das, was gegenübersteht, was ihm respondiert. Dieser Punkt
ist bei der Cholose Zielinskis schon behandelt. Der Dispondeus ist
eine sehr wirksame Erschwerung respondierender leichter Rhythmen,
den ein Redner an solchen Stellen anwendet, in welche er eine be-
sondere Wucht gelegt wissen will. Für Typus 7 böten die metri-
schen Schriftsteller auch kein Beispiel. Rose. Am. § 126 steht aber
am Schluß venierint quaero (— ~ -). Daß dies metrisch ist,
wird nicht bestritten werden können. Was die Cäsur betrifft, so ist
kaum anzunehmen, daß sich die metrischen Schriftsteller so binden
lassen, wie Bornecque annimmt. Warum soll z. B. Typus 14 nicht
mehr metrisch sein, wenn er in der Form — ~ 1 — — vorkommt ?
Rose. Am. 126 praesidiis fuit; das ist die Verbindung des Chori. mit
einzelnem Jambus. Das Wichtigste in diesem Typus ist der Chori.,
der sachgemäß durch ein Wort gebildet wird , wozu als Anhängsel
noch der Jambus fuit kommt. So ist es auch mit anderen Typen,
deren metrische Richtigkeit von der Stelle des Einschnittes abhängen
soll. Die metrische Richtigkeit einer Klausel wird wesentlich mit-
bestimmt durch die Responsion. Wenn ein Klauseltypus inhaltlich
und formell einem anderen respondiert, so ist er richtig, gleichviel,
wo und welche Cäsur angewendet ist. Typus 1 steht mit der Cäsur
nach - - z. B. Rose. Am. 5: de]sertus esset (-) - - n - =). Gerade
die Formen von esse sind sehr geeignet zur Verwendung im Schluß
einer ditroch. Klausel mit der „vermiedenen" Cäsur - - n - ^.
Die allerdings nicht in der Klausel stehende Responsion zu de-
sertus esset heißt (praesidi)o defensus. Denn es ist sichtbar, daß
defensus inhaltlich im schärfsten Kontrast zu desertus steht; es kann
deshalb rhythmisch sehr wohl:
(praesidi)o defensus und
(de)sertus esset gegenübergestellt werden.
Jahre«b«richt für AlfcrtomawUwiwclwft. Bd. CXXX1V. (MW- "•) 11
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1(52
Bericht über die Literatur zu Ciceros Reden
(-)
So sehen wir schon in diesen wenigen Beispielen die Cäsar
anders gestaltet als in den Formen, die Bornecqne verzeichnet. Was
die Frage betrifft, ob jene Liste sämtliche metrischen Klauseln ent-
hält, so ist dies deshalb nicht wahrscheinlich, weil andere wieder
andere Klauseln aufgestellt haben, so Zielinski, der zu seinen Klauseln
durch sein anders geartetes System kam. Wolff berücksichtigt auch
zu wenig die Auflösungen, die Ziel, die poetischen Klauseln nennt
und als malae oder pessimae bezeichnet. Werden einmal alle Auf-
lösungsmöglichkeiten zusammengestellt, so baut vielleicht jemand auch
darauf ein System und kann die Klauselzahl leicht vermehren. Die
Auflösungen sind aber meist auf die einfachen , gewöhnlich vor-
kommenden Klauselformen zurückzuführen. Doch bedürfte dies auch
einer näheren Untersuchung; kurz, es gibt noch viele andere Ge-
sichtspunkte für die Klauselforschung. Was die Schlußfolgerungen
Bomecques betrifft, so ist richtig, daß vor der Feststellung der Klausel-
theorie, die ein Autor angewendet habe, das Studium des ganzen
Werkes notwendig, wobei aber die Beobachtung der Responsion die
condicio sine qua non ist. Daß Cicero jedoch in einer Schrift andere
Klauseln angewendet habe als in der anderen, hält Ref. für unmög-
lich. Die Klauseln, die Cic. braucht, sind nicht von ihm festgestellt,
sondern von den Griechen, und Cic. selbst nähert sich am meisten
Demosthene8, z. B. irepl t&v iv xefäovfpy § 12:
tJjv f*4v lyßpav xal t6 ßoiXtaftai xwXyetv <v3c3«fxdat,
tertpfCovrac M täv Ipftov afapvrjv itpooo<pXwxrfvtiv.
Responsion ist hier ganz genau. Klauseln verschieden wie bei
Cicero. Ein gleiches Beispiel auch Cic. Rose. Am. § 147:
(ut), quanto honore ipsa ex illorum dignitate adficeretur,
non minora illis ornamenta ex sua laude redderat.
1
- . | _
Nach Bornecqne hängt die Richtigkeit eines Klauseltypus von
der Zahl der vor dem Schlußwort stehenden Füße ab; ist sie eine
höhere, als man erwarten sollte, oder gleiche, so [ist sie für eine
metrische Klausel zu halten. Ist sie eine kleinere, dann nicht.
Bornecque hat doch wenigstens ein Kriterium für seine Klauseln;
Ziel.s Maßstab ist bloß das Gefühl. Der Maßstab des Ref. geht aus
dem hervor, was in der Responsion des Zielinskischen Buches gesagt
ist. Ohne Beachtung der Responsion, aber nicht der daneben-, sondern
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aus (Jen Jahren 1903—1906. (May.)
1(33
der gegenüberstehenden, auch inhaltlich entsprechenden Responsion
hält jedoch Ref. die Statuieruug einer Klausel nicht fttr möglich.
Diese Klauselresponsion ist in den beiden oben bezeichneten Analysen
der Rosciana and Archiana fiberall beobachtet and hervorgehoben;
ebenso ist dem Satze Ciceros im or. § 199 zufolge stets darauf ge-
sehen, ob und wie die Rhythmen zur Klausel hinleiten. Zu be-
stimmten Forderungen oder Gesetzen darüber, welche Füße vor den
Klauseln stehen können, ist Ref. nicht gelangt. Es kommen alle
diejenigen Füße in Betracht, welche in einem rhythmisch gleichen
oder ähnlichen Verhältnis zur Klausel stehen. Was die Klausel
selbst anlangt', so hat Ref. am meisten die von E. Müller, Norden
und I. Wölfl aufgestellten bestätigt gefunden; es sind immer die
kretisch-trochäischen Formen mit all den Verschiedenheiten, die durch
Auflösung und Erschwerungen möglich sind. Ref. konnte um so
weniger zu bestimmten Gesetzen gelangen und gelangen wollen, als
er bei der Untersuchung der Rhythmen stets vom Inhalt ausgeht ; so
mannigfach dieser ist, für ebenso mannigfach hält er die Rhythmen,
wobei aber in der Klausel, wie gesagt, das kret.-troch. Maß im
weitesten Sinne genommen das herrschende ist.
in.
Blaß gibt eine interessante Darstellung über die Entwicklung
der Rhythmen der asianischen und der darauf fußenden römischen
Kunstprosa. Unseres Wissens ist Blaß der erste, der diese Entwick-
lung wissenschaftlich behandelt. Indem er von der attischen Kunst-
prosa ausgeht, deren Rhythmen er in früheren Werken [behandelt,
beschränkt er seinen hier dargelegten Standpunkt, mit dem eigent-
lich, wie Blaß selbst zugesteht, niemand recht einverstanden war, und
zwar liegt der Grund, wie Dittenberger ganz richtig erkannte, 1. in
der angenommenen Unabhängigkeit der Rhythmen von der Satz-
gliederung, 2. dem ständigen Übergreifen derselben. Meines Wissens
sagte Bl. selbst einmal, es dürften die respondierenden Rhythmen
nicht zu weit voneinander entfernt sein, sonst merke man sie nicht.
Jetzt steht er auf einem anderen Standpunkt und sagt S. 2:
„Rhythmen, die ineinander tibergreifen und sich nicht voneinander
sondern, sind keine Rhythmen mehr; Rhythmen aber, deren Enden
und Anfänge nie nach der natürlichen Gliederung der Gedanken ge-
richtet sind, müssen schlechte Rhythmen heißen". Das ist auch der
Standpunkt Ciceros, dessen Rhythmen nie ineinander übergreifen, sich
streng an die Satzgliederung halten und sich von der altgriechischen
Weise vielleicht nur durch die größere Einförmigkeit der Klausel-
11*
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164
Bericht über die Literatur zu Ciceros Reden
form unterscheiden. Demosthenes und die griechischen Redner haben
ja auch Klaasein, aber keine so festgebundenen wie Cicero und die
Asianer. Die Rhythmen jenes sind mannigfaltiger, wie es auch ihre
poetischen Formen sind. Die „lumina orationisu sind zahlreicher ver-
treten. Doch kann darauf nicht näher eingegangen werden. Sehr
richtig verbindet Bl. Ciceros Lehre mit der attischen Theorie; „Cic.
habe sich, da es ihm auf die Sache sehr ankam, in der Literatur
ordentlich umgesehen". In der Praxis trennt aber Bl. scharf Ciceros
Weise von der attischen; dessen Rhythmen beschränkten sich bloß
auf die Klausel ; er folge also ganz ausschließlich asianischen Mustern.
Dem kann ich nicht beistimmen. Es ist doch an sich unwahrschein-
lich, daß Cic. , ein Bewunderer des Demosth. gar nie in dieser Art
geschrieben haben sollte. Tatsächlich finden wir Rhythmen „in tota
continuatione" so gut wie in den Klauseln; wir finden die Anwendung
der x&Xa und x<5uu,ata, ihre Gliederung und scharfe Trennung von-
einander und die rhythmische Responsion derselben; wir begegnen
auch der Nuancierung der Rhythmen durch den Gedanken, der An-
wendung schwerer Rhythmen und solcher leichterer Art, nament-
lich auch der Redefiguren in Verbindung mit den Rhythmen, wie bei
Demosth., vielfach auch des „zweigeteilten Ausdruckes", des „be-
kannten Parallelismus der Runstrede *), der nach Blaß auf die texvrj
des Anaximenes zurückgehe, ja Aristoteles' irepi'o&oc sei auch nichts
anderes als derselbe zweigeteilte Ausdruck, der das Verhältnis
vom Entgegengesetzten zum Entgegengesetzten oder von Verwandtem
und Entsprechendem zu Verwandtem und Entsprechendem zumjAus-
drack bringe**). Kurz, der „konstruktive Rhythmus" äußert* sich
bei Cic. in sehr mannigfaltiger Weise. Es ist deshalb verfehlt, ihn
auf die Klausel zu beschränken. Es wird dies am besten aus
Ciceros Reden selbst bewiesen. Wir wählen sie aus einer erst kürz-
lich vorgenommenen Durchsuchung der Rede pro Archia poeta.
Ein eklatantes Beispiel genauer metrischer, sogar antistrophisch ge-
haltener durchgehender Responsion steht § 27:
qui cum Aetolis Ennio comite belli avit, Fulvius, 17
non dubitavit Martis manubias Musis eonsecrare. 17
Die beiden Päone entsprechen einander an der gleichen Stelle. Darauf
folgt in Reihe 1 eine spond.-kret. Klausel, welcher in Reihe % wie so häufig
*) BlaB 8. 16.
**) Ein Beispiel dazu aus Demosth. und Cicero gab ich S. 162.
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aus den Jahren 1903—1906. (May.)
1(35
m der Responsion, eine ditrocb. gegenübersteht (consecrare). Daß der
Rhythmus vor den Päonen nicht ganz gleich ist, wird keiner weiteren Er-
klärung bedürfen; deswegen ist die Responsion doch genau, denn das
{jjtfxrcpov gehört zum gleichen -j^voc, und Cic. sagt or. § 195: Nec enim effugere
possemus animadversionem, si semper isdem (pedibus) uteremur, quia neque
numerosa esse, ut poema, neque extra numerum, ut sermo vulgi, esse debet
oratio.
Es muß nun gesagt werden, daß solche sich genau entsprechende Kola
nicht zahlreich sind wieder der Lehre Ciceros gemäß or. § 222 : sed quoniam
non modo non frequenter, verum etiam raro in veris causis — circum-
Bcripte numeroseque dicendum est — etc. Dagegen ist, was schon in der
Rosciana auffällig hervortrat, der „zweigeteilte Ausdruck" (Parallelismus)
häufig, der auch rhythmisch zum Ausdruck gebracht wird, z. B. § 8:
quae depravari nullo modo possunt, repudiare, 16
(tabulas) quas idem dicis solere corrumpi, desiderare. 16
Dieser Parallelismus entspricht sich auch rhythmisch sehr genau und
ist bezeichnet durch Anaphora und Paronomasie, was, nebenbei gesagt,
nicht selten Anzeichen einer rhythmischen Gestaltung der Sätze.
§ 9: Immo vero iis tabulis professus,
quae solae ex illa professione
~l ~
. I _ _
Solche Parallelen könnten noch viele erwähnt werden; es gehören
dazu auch die an erster Stelle angeführten. Bestätigt gefunden habe ich
dabei die Lehre Ciceros über die membra (§ 221): Haec enim in veris
causis maxumam partem orationis obtinent. Wenn aber Cic. weiter
sagt, eine .volle Periode besteht „quatuor fere partibus, so ist fere zu be-
tonen, denn es gibt auch solche von zwei Teilen, vgl. Demetr. de eloc. 16:
tüv 3& rapitöuiv al pixrfp?epai piv ix äuolv xuAotv auvtfÖevxui, al \tiyiaxai %k
ht, TCTTctpcuv. Cicero : quamquam utrumque nonnunquam vel potius saepe ac-
cidit, ut aut citius insistendum sit aut longius procedendum. Die Kola
einer comprehensio erstrecken sich manchmal sehr weit von 10 bis 24, ja 30,
manchmal bis 34 Silben. Wenn nun bei einer Zwei- oder Dreiteilung ge-
naue Responsion stattfindet, so ist in der Regel auch die Silbenzahl gleich.
Das ist am Ende natürlich. Aber auch, wenn keine genaue rhythmische
Responsion herrscht, sind zusammengehörige Kola oft an Silben gleich.
Wenn das der Fall, so muß es hervorgehoben werden, denn es ist von Cic.
beabsichtigt or. § 147: De verbis enim componendis et de syllabis pro-
pemodum dinumerandis et dimetiendis loquemur; quae etiamsi
sunt, sicuti mihi videntur, necessaria, tarnen fiunt magnificentius quam
docentur. Das ist es eben; seine angewandten Rhythmen zeigen eine
größere Vielgestaltigkeit, als er im or. sagt. Man nimmt ja auch an, daß
er hier nichts von Responsion sagt, und doch beruhen alle seine Rhythmen
darauf; denn ohne Responsion gibt es keinen Rhythmus. Seine zahlreichen
Bemerkungen über concinnitas verborum, ferner die häufig im or. vor-
kommende Forderung, ut verba verbis quasi dimensa et paria re.
spondeant, ut crebro conferantur pugnantia comparenturque contraria
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166 Bericht über die Literatur zu Ciceros Reden
weisen ja deutlich darauf hin. In dieser Weise werden xrfjAfierra und xüXa
miteinander verbunden, an welche auch der Rhythmus gebunden ist Nun
gibt es ja einen Maßstab für die Größe der Kommata und Kola, und das
ist der Rhythmus und die Responsion; diese beiden sind maßgebend und
dann der Gedanke, ob er selbständig oder unselbständig ist, geschlossen
oder nicht Die nodi continuationis sind eben die Klauseln. Wo eine
solche steht, endet %6ynia oder xtäXov, wie Cic. § 228 sagt: quae incisim aut
membratim efferuntur, ea vel aptissume cadere debent Nun ist freilich die
Teilung in Kola nicht überall sicher, und man kann an verschiedenen Stellen
verschiedener Ansicht sein. Auch in der Stelle aus Dionys, k. ouvth
p. 124, die Blaß S. 19 ff. angibt, kann man oft bezüglich der Einteilung ver-
schiedener Ansicht sein. Es sind auch hier wieder respondierende Stellen
auseinandergerissen, so wenn 1 mit 6 übereinstimmen soll. 6 stimmt bloft
mit 5 überein und zwar auch nicht so, wie Bl. annimmt, sondern:
(ev) 6c ouWxßaXrtv xal to «Xtj 8oc
(ouJtt) au veopapev eic tö To?.fjtav
Dann kommen die beiden sv>v-, von denen Blaß das erste ganz außer
Responsion setzen will, sehr passend zusammen. Freilich bekommt auch
cic to ToXfiäv eine andere Beziehnung, als Blaß annimmt, de to roXfxav kann
mit M gar keine Beziehung haben. Auch 7. 8 teile ich anders ab:
dv^jp yip teüv ?t oXefj.hu v
('A).)^C«^POV fAT^^OTe XIV —
Auch die Schlüsse von 7. 8 sind anders:
— sat itpiixtpov oOtcoc
12. 18 Ta Trrepuyia toü Otopaxoc
— — ■ Dann die Klausel xatpiuiTa'Tijv, der in 14
cmto; «TrwXeacv entspricht;
— w> — — —
, wodurch eine Varietät herein-
kommt.
Auch 16 und 17 werden ganz auseinandergerissen, während beide
Reihen unter sich respondieren :
touc o'aXXot»« ip7^j TtpGVfrcoc i~\ TtaXaiaTc
ouTüi^ip excEotou tov fXeov icfaT^sev
Blaß dagegen: — toc enl ra).ataTc — oOtujydp ixeforou. iUirrflv* allein
gleich dem Anfang von 18 ^ toü t4Xiaij. Kurz ich suche mehr das inhaltlich
Verwandte und beisammen Stehende zu vereinigen, während Bl. ohne jede
Rücksicht auf den Inhalt alles auseinanderreißt und Rhythmen hervor-
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r
aus den Jahren 1903-1906. (May.) 167
bringt, die niemand merken kann. Auch über die Statuierung der Klausel
kann man verschiedener Ansicht sein; so bezeichnet Bl. v. 7 den Schluß
als Auflösung einer ditr. Klausel; es ist aber — aai irpdrepov oSxtuc, die Auf-
lösung eines cret., also : — — ^= — — (kret.-tr.), denn Responsion ist 8 ei«
ydvara ou-ptapupftelc (— — c^r dikr.). Bl. statuiert hier aber als Klausel:
Ferner sind die aufgelösten Kürzen in 16 ein aufgelöster cret. mit
troch., dem in 17 gegenübersteht: &eov «Efonjocv 1 ^ dicret.),
wobei der zweite cret. irregulär ist. So ist es noch in anderen Fällen, auf
die aber nicht eingegangen werden kann. — Die Beispiele aus Cic. haben
vor allem den Fehler, daß es Bruchstücke aus Reden sind und keine ein-
heitliche Analyse einer Rede. Zweitens werden auch hier die Rhythmen
auseinandergerissen und offenbar Zusammengehöriges nicht beachtet
Um bei dem von Blaß selbst gegebenen Beispiele zu bleiben, so ist
seine Korrektur div. 32 (S. 132), seine Versetzung von aliquid offenbar un-
richtig und die Überlieferung aliquid a me requirerent richtig; denn die Re-
sponsion ist:
a | me requirerent,
me non defuturum.
1
Es entsprechen sich bei Cic. nämlich oft ditr. und tr.-cret., gerade um
Gleichheit der Klausel zu vermeiden. Mit esse actorem putabit hat me
non defuturum gar nichts zu tun; denn putabit gehört rhythmisch zu pro-
babit und zu nichts anderem.
H. Pflüger, Ciceros Rede pro Q. Roscio Comoedo. Rechtlich
beleuchtet uud verwertet. Leipzig 1904.
Th. Zielinski, Zeitbestimmung der Rede Ciceros pro Q. Roscio
comoedo. Philologus N. F. XVIII S. 15—16.
Th. HUbner, De Ciceronis oratione pro Q. Roscio comoedo
quaestiones rhetoricae. Regimonti 1906.
I. Die von Juristen in sachlicher Beziehung viel behandelte
Rede ist von dem Vf. neuerdings zum Gegenstand einer genauen
und in ihrem Endresultat neues Licht verbreitenden Untersuchung
gemacht worden. Ob zwar dieses Resultat überall bei den Fach-
genossen Anklang finden wird, ist nach dem bisherigen Verlauf der
Streitfrage zweifelhaft; denn so oft auch der Rechtsfall behandelt
wurde, Übereinstimmung wurde nicht erzielt. Der in der Rede dar-
gestellte Rechtsstreit entwickelte sich aus einem Sozietätsverhältnis
zwischen Roscius und Fannius Chaerea, welche miteinander einen
Sklaven Panurgus besaßen, den ersterer in der Schauspielkunst unter-
richtete, der aber von Flavius getötet wurde. Gegen den Zerstörer
ihrer Hoffnungen strengten beide einen Prozeß an, bei welchem
Fannius als cognitor die Vertretung des Roscius übernahm. Ohne
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t
168 Bericht über die Literatur zu Ciceros Reden
aber den Ausgang des Prozesses abzuwarten, verglich sich R. nit
Flavius und erhielt an Zahlungsstatt ein Grundstück, das im Anfang
beinahe nichts wert war, dann aber durch glückliche Konjunkturen
im Preise gewaltig stieg. Nun klagte seinerseits Fannius gegen
Roscius. Dieser Prozeß wurde offenbar durch ein Schiedsgericht,
nicht gerichtlich entschieden und zwar dahin, daß Rose, an Fannius
die verhältnißmäßig ungeheure Summe von 100000 Sesterzen zahlen,
Fannius dagegen von dem, was er noch von Flavius beitreiben
würde, an Rose, die Hälfte abgeben sollte. Aus diesem Vergleich
entwickelte sich der Prozeß, weil Rose, zwar die erste Rate mit
50 000 Sest. zahlte, aber nicht die zweite.
Fannius klagte. Die Klage war eine condictio, genauer eine
actio certae creditae pecuniae. Wie begründet aber Fannius seine
Klage? Dem Nachweis, daß diese überhaupt unbegründet sei, ist
der I. Teil von Ciceros Rede gewidmet. Cicero sagt, es gebe nur
drei Möglichkeiten zur Klage: 1. aus Darlehen (pecunia necesse est
aut data), 2. Literalkontrakt (aut expensa lata), 3. Stipulation
(aut stipulata sit). Der erste Punkt scheidet aus, denn datam non
esse Fannius coufitetur. Der Vf. meint (S. 102), des dritten Klage-
grundes hätte Fannius sich wohl bedienen können, aber jedenfalls
keinen Gebrauch davon gemacht. Bleibt also nur der Literalkontrakt,
dessen sich nach Ansicht des Vf. Fannius jedenfalls bedient, ob-
gleich sich Cic. die größte Mühe gebe, diesen Fall als nicht vorhanden
darzustellen. In Abschn. IX beweist der Vf. näher, daß der eine
bestehende Geldschuld voraussetzende Literalkontrakt hier vorliege,
und daß Fannius darauf seine Anklage gegründet habe. Folgt der
II. Teil der Rede, von welchem Cic. c. 5 § 15 sagt, daß er eigent-
lich ganz überflüssig, und daß es ihm nur darum zu tun sei, die von
Fannius angegriffene Ehre des Roscius wiederherzustellen. Indes
sind die Juristen nicht einmal über Sinn und Absicht des IL Teiles
einig. Der Vf. gibt gegenüber den anderen Ansichten über den
II. Teil, die alle so ziemlich darauf hinauslaufen, Fannius habe seine
Klage entweder ex causa furtiva nämlich aus der dolosen Unter-
schlagung einer der Sozietät gehörenden Summe oder als condictio
sine causa aus der widerrechtlichen Bereicherung des Rose, her-
geleitet, nur das zu, daß Cic. allerdings erst im II. Teil auf die Vor-
geschichte des Prozesses und damit auf das ehemalige Gesellschafts-
vcrhältnis unter den Parteien zu reden kam. Cic. tat dies des-
wegen, weil er ja nachweisen wollte, daß Rose, dem Fannius nichts
schulde. Dafür bringt der Redner drei Gründe vor, die der Vf. alle
gleich schlagend findet. Wenn z. B. Rose, bei seinem Vergleich mit
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aus den Jahren 1903—1906. (May.)
109
Flavius im Namen des Fannius gehandelt hat, warum hat denn
Flavius sich keine Sicherheit geben lassen, daß Fannius mit dem
Vergleich einverstanden sein und ihn nicht weiter in Anspruch nehmen
werde? Ferner hat Fannius unbekümmert um den Vergleich den
Prozeß gegen Flavius fortgesetzt, hat auch von diesem 100 000 Sest.
erhalten, die er dem Rose, verheimlicht. Kurz, Fannius handelte
seit jenem Vergleich stets für sich, folglich hat er auch jetzt von
Rose, nichts zu beanspruchen. So Cicero. Der Vf. rühmt dann noch
die unvergleichlich geschickte Art, wie Cic. den Rose, verteidigt, und
wie er aus jeder Schwäche eine Stärke zu machen verstehe. Wenn
nun aber Rose, dem Fannius nichts schuldig war, warum ließ er sich
zu dem Vergleich herbei, an diesen 100 000 Sest. zu zahlen, von
denen er, wie wir wissen, 50 000 erlegt, während er mit den anderen
50 000 zurückhielt, auf deren Bezahlung eben der Kläger drang?
Nun sind aber, wie der Vf. darlegt, die 100 000 Sest., welche immer als
Gewinn des Rose, bezeichnet werden, sicher falsch. Th. Mommsen
hat nämlich in den Handschriften die Entdeckung gemacht, daß neben
dem Zeichen für 100 000 noch das erst durch die Inschriften re-
habilitierte Zeichen j> für quingenta milia zu bemerken ist. Statt
100 000 müssen wir lesen 600 000. Auf diese Höhe ist das Grund-
stück durch die Gunst der folgenden Zeiten gekommen. Im Verhält-
nis zu dieser Zahl konnte jetzt auf einmal die Summe, die Rose, an
Fannius zu zahlen hatte, zu niedrig erscheinen. Denn beide teilen
ja auf halb und halb, wie man auch daraus sieht, daß das Versprechen
des Fannius, die Hälfte dessen, was er von Flavius erhalten würde,
an Roscius abzugeben, auf halb und halb schließen läßt. Ist das
aber so, warum verlangt der Schiedsrichter nicht auf einmal
800000 Sest.? Antwort: weil es sich um einen Vergleich und um
einen billigen Ausgleich handelt. Hätte der Schiedsrichter gefunden
und festgesetzt (S. 154), daß Roscius verpflichtet sei, mit ihm zu
teilen, so hätte Rose, selbstverständlich entweder Fannius zum Mit-
eigentümer des Grundstückes machen oder die Hälfte des vollen
Wertes an ihn auszahlen müssen. Der Schiedsrichter hätte dann
aber keinen Vergleich vorgeschlagen, sondern Roscius verurteilt. Bei
einem Vergleich, der doch nur möglich war, wenn die Frage, ob
Roscius teilen müsse, offen blieb — mochte der Schiedsrichter sie
auch nur deshalb absichtlich offen lassen, um Flavius nicht abweisen
zu müssen, sondern einen billigen Ausgleich zu versuchen — bei
einem Vergleich konnte Roscius nicht zugemutet werden, in derselben
Weise zu teilen, wie wenn seine Verpflichtung feststände. Wohl aber
konnte man, und so erklärt sich in der Tat die Vergleichssumme
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170
Bericht über die Literatur zu Cicero« Reden
von 100000 Sest., wenn man teilen wollte, den Betrag dessenr
was man teilte, nach Belieben festsetzen.
Indem Ref. im vorstehenden die Darlegung des Vf. in den
wesentlichen Punkten rekapitulierte, muß er es als auffallend be-
zeichnen, daß Pfluger und seine Fachgenossen die Ansicht Ciceros,
des Anwaltes des Roscius, ohne weiteres sich zu eigen machten, daß
Rosaus dem Fannius nichts schuldig, und daß die Summe, die
Roscius dem Fannius zu zahlen sich erbot, ein Akt der Freiwilligkeit
gewesen sei. Diese Ansicht unterliegt doch ernsten Bedenken. Wozu
war denn das Schiedsgericht? Schon in dem Wort Schiedsgericht
liegt, daß Roscius sich dem Fannius gegenüber verpflichtet fühlte.
Sonst hätte man sich doch auf kein Schiedsgericht eingelassen.
Diesem Gesichtspunkt mußte unseres Erachtens Pflüger besondere
Aufmerksamkeit zuwenden. Zweitens ist auffallend, daß Pflüger in
seiner Schrift die Cicerostelle c. 13, 88 stets mit den Worten pro
opera labore zitiert, ein Ausdruck, dessen Sonderbarkeit jedem auf-
fallen muß. Es ist richtig, daß dies handschriftlich bezeugt ist,
aber ebenso richtig, daß der Ausdruck kaum möglich ist. Schon
Manutius schrieb deshalb pro opera, pro labore. Halm-Baiter: pro
opera et labore. Eines von diesen beiden, aber nicht pro opera,
labore. Was nun den Streitfall selbst betrifft, so ist er durchaus
keine Ausnahme. Etwas Ähnliches ist auch in unseren Tagen mög-
lich; nur kann der erste Grund eines solchen Falles natürlich nicht
im Besitz eines Sklaven liegen. Daß aber aus einem Sozietäts-
Verhältnis wegen eines plötzlich im Werte außerordentlich gestiegenen
Grundstückes („unverdienter Wertzuwachs") ein Prozeß entsteht,
kann in Städten mit großem Gebietskomplex jeden Tag vorkommen.
Dem Umfang nach den größten Teil der im vorstehenden be-
sprochenen Schrift (S. 16—100) nimmt jedoch nicht der Rechtsfall
selbst ein, sondern die Frage der Interpolationen in den Digesten,
welche an der Hand zahlreicher Stellen kritisch besprochen werden.
Der Schluß dieser ganzen „quellenkritischen Walpurgisnacht" ist,
daß Ciceros Rede pro Roscio Comoedo „den Schlüssel des klassischen
Kondiktionenrechts enthält". •
rec: BphW. 05 Nr. 11 S. 664—73 v. B. Kühler. WkPh. 05 Nr. 33/34
v. W. Kalb. -
2. Was die Zeit der Rede betrifft, so kann aus der Stelle bei
Macrob. III 14, 13, wonach Roscius von Sulla in den Ritterstand er-
hoben wurde, „ferner aus der Tatsache, daß Rose, „proximis his
annis", wie Cic. in der Rede § 28 sagt, sich des schauspielerischen
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aus den Jahren 1903—1906. (May.)
171
Erwerbes enthielt, womit Ehrlosigkeit verbanden war, allerdings mit
Recht geschlossen werden, daß unter den letzten Jahren nicht die Zeit
zwischen 78 und 68 gemeint sei, denn dies wäre eine Verringerung der
tatsächlichen Dauer, sondern daß Cic. die mehr allgemein gemeinte and
auch in diesem Sinne vorkommende Zahl 10 gewählt bat, am die
Zeit, die sich ja über 10 ausdehnt, zu bezeichnen, während welcher
sich Rose, seiner schauspielerischen Tätigkeit enthalten hat. Man
kann z. B. die Zeit von 88 — 76 auch noch anter den Begriff 10
unterbringen, ganz besonders, wenn man die Zeit der Cinnanischen
Wirren abrechnet. Jedenfalls aber spricht nichts für 68. Zielinski
sagt: „Damit (nämlich mit der Erhebung des Roscius in den Ritter-
stand durch Sulla) „ist jedoch der zweite Ansatz (68) ausgeschlossen :
es lag nicht im Interesse des Verteidigers, die 15 Jahre zwischen
82 und 68 zu 10 zu verringern, wohl aber die 7 Jahre zwischen 82
und 76 zu 10 auszudehnen."
3. Von der Rechtsfrage absehend, behandelt Hübner, nachdem
er in der Einleitung die Abfassungszeit bestimmt, ausschließlich rhe-
torische Gesichtspunkte, und zwar spricht er cap. I de orationis
genere dicendi, cap. II a) de abundantia, b) de synonymis copulatis,
c) de concinnitate, d) de figuris. Was die Zeit der Rede betrifft,
die auch er ins Jahr 76 setzt, so akzeptiert er das von Sternkopf
beigebrachte Moment, daß die Rede aus einer Zeit stammen müsse,
von der das Wort gelten könne, das § 83 stehe: „nunc deum im-
mortalium benignitate omnium fortunae sunt certae". So könne aber
vor 77 nicht gesprochen werden. Nun sei der Redner 77 von seiner
asiatischen Reise zurückgekehrt and 75 als Quästor in Lilybäum ge-
wesen, also bleibt entweder 76 oder 74/73. Nach letzterem Zeit-
punkt sei der Gladiatorenkrieg ausgebrochen, wo die Verhältnisse
von neuem unsicher gewesen seien. Wenn nun aber gemäß Cic.
Brut. 92, 318 eine gewisse Reife der Kunst nach 75 eingetreten sei,
so könne die Rede, weil in ihr diese Reife noch nicht vorhanden sei,
nicht nach 75 gehalten sein. Bevor nun der Vf. zur Darstellung der
einzelnen rhetorischen Mittel übergeht, macht er viele Worte über
den Asianismus, ohne dessen Wesen genau definieren zu können.
Dem Vf. gilt Hortensias als Repräsentant dieser rednerischen
Richtung, der Cic. sich nach der asiatischen Reise ebenso hin-
gegeben habe wie vorher. „Vehementer errat, si quis coniciat
Ciceronem in animo habuisse omnino Asianis renuntiare: mirum
enim profecto fecisset, si hanc ob causam in ipsam Asiam pro-
fectus esset (S. 9). Er sei also gar nicht deshalb nach Asien
gegangen, sondern wie man aus Brut. 92, 312 ff. ersehe, mehr aus
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172
Bericht über die Literatur zu Ciceros Reden
äußeren Gründen , aus Rücksicht auf seine Gesundheit und um sich
im Sprechen mäßigen zu lernen (temperatius dicere). Seine asianische
Kichtung sei davon unberührt geblieben. Das ist eben gerade sehr
zu bezweifeln. Was man aus den Erstlingsreden eruieren kann, ist,
wie Cic. selbst sagt, eine gewisse iuvenilis redundantia. Aber Kom-
position, Redefiguren und Konzinnität sind in allen Reden gleich,
weil die rhetorischen Kunstmittel teils auf hergebrachter Übung be-
ruhten , teils auf griechischer Überlieferung und Studien. Es soll
die vorliegende Rede noch ganz in der Manier der Asianer geschrieben
sein; dies ist eine unbegründete und auch unbewiesene Behauptung.
Von diesem Gesichtspunkt aus wäre es sehr zu empfehlen gewesen,
wenn der Yf. sein Studium auch auf andere, mindestens aber die
zeitlich benachbarten Reden gerichtet hätte. Er würde gefunden
haben, daß die redundantia sich ebenso sehr z. B. in der Rede pro
Sexto Rose. Am. findet, ja daß sie, wenn auch nicht mehr in dem
Maße, eine spezielle Eigentümlichkeit der Ciceronianischen Beredsam-
keit ist. Eigentlich asianisch ist aber keine Rede Ciceros, denn er
bekämpfte ja die langweilige Art der Asianer, z. B. den stets gleichen
Satzschluß ihrer Stilart. Was der Vf. im II. Kap. über die Rede-
figuren sagt, muß als dürftig bezeichnet werden. Er behandelt zwar
rednerische Figuren und gibt auch ansprechende Beispiele, aber den
wichtigen Punkt de concinnitate fertigt er viel zu kurz ab, indem
er aus der Rede p. R. c. einige wenige Beispiele anführt. Statt
dessen mußte wenigstens diese eine Rede untersucht, aber auch der
numerus beachtet werden, überhaupt die Gesichtspunkte, welche Cic.
im orator behandelt Rhythmus, numerus und Klausel scheinen aber
für den Vf. gar nicht zu existieren, überhaupt gerade das, was in den
letzten Jahren auf diesem Gebiete getan oder wenigstens erstrebt
worden ist.
H. Bögli. Über Ciceros Rede für A. Caecina. Burgdorf 1906.
Dieselbe Verschiedenheit der Ansichten Uber die Rechtsfrage wie
bei der Rede pro Roscio comoedo besteht zurzeit noch unter den
Juristen bezüglich der Caeciniana, welche der Vf. zum Gegenstand
einer interessanten rechtsgeschichtlichen Untersuchung gemacht hat.
Darin setzt er sich bloß mit seinen Fachgenossen , besonders mit
Keller, Savigny, Kariowa und Mommsen auseinander, während er den
gelegentlichen Bemerkungen der Philologen nicht viel Beachtung schenkt.
Die Vorgeschichte des Erbschaftsstreits ist nach der im I. Kap.
behandelten Narratio der Rede folgende: M. Fulcinius, ein Bankier
(argentarius) in Rom, hat die in barem Gclde zugebrachte Mitgift
(dos uxoris numerata) seiner Frau Caesennia dadurch sichergestellt,
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aus den Jahren 1903—1906. (May.)
173
daß er ihr ein Landgnt bei Tarquinii in Etrurien käuflich zu Eigen-
tum Überließ. Er selbst kaufte für sich einige an dieses Landgut
anstoßende Grundstücke. Sein Erbe und Rechtsnachfolger war sein
Sohn, mit welchem dessen Mutter Caesennia den Nießbrauch am ge-
samten Vermögen teilen sollte. Der Sohn starb bald nach dem Vater,
und sein Testamentserbe war ein gewisser P. Caesennius, während
seine Frau und seine Mutter Caesennia Vermächtnisse erhielten. Zum
Zwecke der Auseinandersetzung fand in Rom eine Erbschaftssteigerung
(anctio hereditaria) statt, bei welcher Sex. Aebutius diejenigen Grund-
stücke ersteigerte, die Fulcinius zu dem Landgut seiner Frau hinzu-
gekauft hatte; sie werden als fundus Fulcinianus bezeichnet. Diese
bilden den Gegenstand des späteren Rechtsstreites, in welchem Cicero
als Kläger für Caecina auftrat. Mit letzterem hatte sich Caesennia
nach dem Tode des M. Fulcinius verheiratet, und er erhielt, als sie
vier Jahre nach der Erbschaftssteigerung starb, testamentarisch 69/72
ihres Vermögens, während einem gewissen M. Fulcinius, Frei-
gelassenen ihres ersten Mannes, ah* und dem Sex. Aebutius 1hs
laut Testament zufielen.
Cicero spricht nun in der narratio von einem vorausgegangenen
Erbschaftsstreit zwischen Caecina und Aebutius, der sein Erbteil über
Gebühr habe ausdehnen wollen: „cum . . . sextulam suam nimium
exaggeraret". Keller und die allgemeine Meinung nimmt an, Caecina
als Erbe und Besitzer der Erbschaft habe gegen Aebutius auf gericht-
liche Erbteilung durch einen arbiter familiae erciscundae angetragen.
Der Vf. sucht nachzuweisen, daß nicht Caecina, sondern Aebutius die
Teilungsklage (actio familiae erciscundae) angestellt habe. Wie dieser
Streit erledigt wurde und welche Rolle dabei der fundus Fulcinianus
spielte, ist nicht ersichtlich.
In dem von Cic. für Caecina geführten Prozeß handelt es sich
lediglich um den fundus Fulcinianus. Aebutius behauptet nämlich,
daß er denselben in jener Erbschaftssteigerung auf Ableben de*
jungen Fulcinius, Sohn der Caesennia, für sich zu Eigentum ersteigert
habe, während Caecina geltend machte, Aebutius, welcher der Ver-
traute und Berater der Caesennia gewesen sei, habe nur im Auftrag
und Namen der letzteren gehandelt und nur für diese den fundus er-
worben. War die Behauptung des Aebutius richtig, so war er Allein-
eigentümer des fundus, und dieser fiel nicht in den Nachlaß der
Caesennia. Andernfalls hatte Aebutius nur V72 an diesem fundus wie
überhaupt an diesem Nachlaß der Caesennia zu beanspruchen. Der
Vf. führt nun aus : Caecina habe durch Cicero im Interdiktenverfahren
klagen lassen, obwohl er weder das Eigentum an dem fraglichen
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Bericht über die Literatur zu Ciceros Reden
Grundstück gehabt habe, noch in dessen juristischem Besitze gewesen
sei; wenigstens seien die Beweise für diesen Besitz äußerst dürftig
gewesen. Aufgabe Ciceros sei es daher gewesen, die Richter (Re-
kuperatoren) durch juristische Kunstgriffe zu überzeugen, daß der
Antrag seines Klienten, ihn gemäß dem interdictum de vi horainibus
coactis armatisve in den Besitz des streitigen Grundstückes zu re-
stituieren, auch für den Fall begründet sei, daß weder dessen Eigen-
tum noch dessen früherer Besitz ?on den Richtern angenommen
werde. Cic. habe sich seiner Aufgabe durch rabulistische Entstellung
des Sachverhaltes und spitzfindige dem Geiste des römischen Rechtes
widerstreitende Auslegung des Gesetzes zu entledigen gesucht.
Für die Dürftigkeit seiner Beweisführung sprechen auch die
Digressionen , die so zahlreich sind, daß mehr als Vs der Rede aus
ihnen besteht; eine solche ist nach Bethmann- Hollweg § 50 — 85,
durch welche der Redner offenbar die Aufmerksamkeit von dem ent-
scheidenden Punkt ablenken wolle; ebenso § 95 — 103 über das
römische Bürgerrecht, wonach Cic. an den Stolz der Richter als
römische Bürger appelliert und „ein ihm günstiges, wenn auch nicht
eigentlich zur Sache gehöriges Terrain aufsucht"; ebenso bezeichnet
Mommsen § 34 als teilweise sophistisch.
Ob Cic. seinen Zweck erreicht, hält der Vf. für ungewiß. Vor
dem Richterstuhl der Wissenschaft habe der Gegner den Prozeß ge-
wonnen.
J. Hilberg, Ein verkanntes Bruchstück von Ciceros Rede
pro Q. Gallio. Wiener Studien XXVII S. 93—94.
E. H a u 1 e r , Die in Ciceros Galliana erwähnten Convivia poetarum
ac philosophorum und ihr Verfasser. Ebenda S. 95 — 105.
In ein Cicerofragment aus der Rede pro Gallio, das in
Hieronymus' Brief an Nepotianus (Ep. 52, c. 8) enthalten ist, bringt
Hilberg, der von der Wiener Akademie mit der Herausgabe von
Hieronymus* Briefen beauftragt ist, neues Licht. In dem neuen Text
werden die entscheidenden Worte, ohne daß der Herausgeber eine
Korrektur vorzunehmen braucht, anders lauten. Nach attende folgt
st. ne his fraudibus ludaris: „Loquor enim, quae sum nuper expertus :
unus quidam poeta nominatus, homo perlitteratus , cuius sunt illa
colloquia poetarum ac philosophorum Folgendes : His autem ludis
(loquor enim, quae sum ipse nuper expertus) unus quidam poeta
dorainatur, homo perlitteratus, cuius sunt illa convivia etc.
ferner fuisse disiunetas. Atque his quantus plausus . . .
Jetzt erhält loquor enim eine richtige Stelle, und da st. des Partizips
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aus den Jahren 1903—1906. (May.) 175
nominatus ein verbum finitum (dominatnr) folgt, so mußte nachher
mit atque ein neuer Satz beginnen. Sehr richtig bezieht der Vf. das
Fragm. 5 bei C. F. W. Muller auf dieselben ludi wie in Fragm. 2. Die
Frage Hilbergs um 1. was waren dies für ludi? 2. wer war der Vf.
jener convivia ? beantwortet in interessanter Weise E. Hauler in der
unter 2 bezeichneten Abhandlung in demselben Heft 1. Nach Hauler
waren die Spiele theatralischer Art. Beweis das Folgende : plausus
«t clamores und in theatro. Das Noniusfragment weist auf ein
komisches, an Wortwitzen reiches Stuck. Ferner habe man an einen
mimus zu denken und zwar des Publilius Syrus. Der Ausdruck homo
perlitteratus sei sarkastisch gemeint, wie aus dem zeitlichen Schnitzer,
den jener begangen haben soll, hervorgehe; ferner müsse der unus
quidam poeta den niederen Schichten angehören, und dies passe vor-
trefflich auf Publilius Syrus, der 93 geboren und 83 nach Rom ge-
kommen sei und zwar als Skiare eines libertinus, bevor er selbst frei-
gelassen und sorgfältig erzogen worden.
Unter convivia poetarum ac philosophorum sei jedenfalls ein
mimus mit lustiger Darstellung eines Gelages zu verstehen, wobei
8okrates und Epikur als Unterredner fungiert hätten. Namentlich
ersterer habe besonders als Bühnenfigur gepaßt und sei auch als
solche dargestellt worden. Zweitens stimme ein uns erhaltener
Bühnentitel zu dem Inhalt jener Stelle, wenn man statt Publilius
Pntatoribus lese Puhl. Potatoribus. Dies ist sehr wahrscheinlich;
ebenso ansprechend ist auch Haulers weitere Vermutung, daß an den
Floralien (28. April bis 3. Mai), einem tollen, mit ausgelassener
Lustbarkeit gefeierten Weinfest, das Zecherstück Potatores oder viel-
mehr, wofür der Plural (convivia) spreche, zwei Gelagszenen
zu Anfang und zu Ende einer etwas größeren Posse von dem
Mimendichter Publilius Syrus zur Aufführung gebracht worden
SC * ou
So 6ind Hilbers und Haulers Erklärung ein wertvoller Beitrag
zur Erklärung der Gallianafragmente.
Fr. Cauer, Ciceros politisches Denken. Berlin 1903.
Wenn der Vf. Ciceros politisches Denken als sein Thema be-
zeichnet, das er aus dessen Schriften, namentlich den philosophischen,
entwickelt, so kann er sich doch, wie natürlich, der Berücksichtigung
des politischen Tuns nicht entschlagen, was namentlich in dem
II. Teil der Schrift geschieht. Ciceros politische Theorie ist aus
den erhaltenen Teilen der Schrift de republica und de legibus er-
klärt, wobei freilich wie auch in den rhetorischen Schriften die Frage
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176
Bericht über die Literatur zu Ciceros Keilen
offen bleibt, wie viel von den in jenen Schriften ausgesprochenen An-
sichten auf Rechnung der Quellen zu setzen, und was davon sieb
Cicero zu eigen gemacht hat. Wie man nämlich dessen rhetorischen
Schriften die Entlehnung aus griechischen Quellen deutlich anmerkt,
ohne daß er die darin ausgesprochene Theorie auch immer sich zu
eigen macht und praktisch ausübt, so wird es auch in seinen
politischen Darlegungen sein.
Wenn nun der Vf. einleitend bemerkt, die moderne harte Kritik
über Cic. sei von realpolitischer Auffassung eingegeben, die zusammen-
hänge mit dem in der Neuzeit hervorgetretenen Streben der Deutschen
nach Betätigung solcher, und wenn der Vf. zur Erklärung dieser Er-
scheinung das Beispiel Bismarckischer Realpolitik heranzieht, so müßt©
Mommsen, der die härteste Kritik an Cicero geübt, wenigstens Bis-
marck gegenüber gerecht gewesen sein. Unseres Wissens aber ge-
hörte Mommsen derselben politischen Partei an wie Virchow, über
dessen Lippen nie ein anerkennendes Wort über Bismarck kam. Bis-
marck beklagte sich wenigstens nicht selten über Mangel an gerechter
Würdigung seiner Politik seitens der Partei, die sich die freisinnige;
oder Volkspartei nennt. Mancher ist zwar Realpolitiker in der
Theorie, aber nicht in der Praxis. Der Vf. vorliegender Schrift be-
handelt nun Cic. nicht ungerecht und sucht aus Wort und Schrift
dessen politische Stellung zu erklären. Sehr richtig sagt er, daß
unter 100 wohl 99 in solch schweren Krisen, wie sie Cic. durchlebt,
auch nicht anders gehandelt hätten. Im Jahre 1866 schwankten in
Deutschland , namentlich im Süden , wohl ebensoviele und gelangten
zu fester Stellung erst, als sie Erfolg sahen, ohne daß man ihnen den
Vorwurf politischer Charakterlosigkeit machte. Es ist ja leicht, über
Cic.s politische Schwankungen den Stab zu brechen, und die schärfsten
Kritiker sind immer die Doktrinäre, die in der praktischen Politik
niemals etwas geleistet haben. Bei Cic. muß man verschiedene sein
Wesen bedingende und durch sein Leben hindurchgehende Gesichts-
punkte im Auge behalten: 1. war er zeitlebens Optimat, woran er
in allen Krisen festhielt ; 2. ließ sich seine sensitive Natur zu sehr
von gloria leiten (Arch. § 26 : optimusquisque maxime gloria ducitur)
und von den Parteien benützen, woher es auch kam. daß Cäsar und
Pompeius ihn auf ihre Seite zu ziehen suchten, um aus seiner Rede-
gabe und seinem politischen Einfluß Nutzen zu ziehen ; er war nicht
stark genug, um allen diesen Lockungen zu widerstehen, daher sein
zeitweiser Abfall von den Optimaten (i. J. 55), überhaupt sein häufiges
Schwanken. Bei einem der schwersten Fehler seines Lebens, der
Hinrichtung der Katilinarier , war er doch eigentlich der von den
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aus den Jahren 1903-1906. (May.) 177
Optimaten Vorgeschobene, die ihn nachher im Stich ließen, was die
Ursache neuer Schwankungen war. Cic. war aber auch drittens
natürlich in den Ideen seiner Zeit befangen. Ein politischer Re-
formator war er nicht, sondern eher eine Gelehrtennatur, die vermöge
ihrer Beredsamkeit und der ihm innewohnenden Ruhmsucht sich zu
sehr in das politische Leben hineinreißen ließ. Weil aber keine in
sich gefestigte Natur, trieb ihn das Schiff im Sturm der Wellen dahin
und dorthin. Aber auch in Wissenschaft und Kunst war er kein
Reformator, sondern ein Mann, der die wunderbare Fähigkeit besaß,
alle fremden Formen wissenschaftlichen Denkens sich zu assimilieren
und daraus wieder selbst Systeme zu bilden. Wie befangen Cic. in
den Ideen seiner Zeit war, sieht man aus seiner Stellung zur Agrar-
frage, worauf der Vf. näher eingeht. Ciceros Standpunkt war darin
so einseitig wie der eines Patriziers aus alter Zeit. Dazu kam, daß
die agrarischen Reformen vielfach von Männern ausgingen, die Demo-
kraten waren, denen Cic, wie der Vf. hervorhebt, immer abhold war.
Cic. betrachtet die Besitzer des ager publicus als in ihren Rechten befind-
lich, ein Standpunkt, von dem er nie abwich. Der Vf. macht ihm
daraus einen Vorwurf. Liegen denn aber heutzutage die Verhältnisse
in Italien viel anders als in alter Zeit? Ist heute jemand imstande,
den Bann der Großgrundbesitzer zu brechen und der notleidenden
bäuerlichen Bevölkerung, die vielfach außer Landes Arbeit sucht, zu
Besitz zu verhelfen?
Wie eng das politische Tun mit dem Denken verbunden ist,
sieht man daran, daß der Vf. in Abschn. III und IV 1. praktische
Eonsequenzen aus dessen theoretischen Ansichten zieht, 2. Ciceros
Haltung gegenüber den Mächten seiner Zeit behandelt, während er
in I und II das philosophische und historische Ideal des Redners
darstellt. Abschnitt I erfreut sich einer ansprechenden Darlegung,
nur ist mit den Abschnitten Recht und Sitte, Sitte und Moral,
Moral und Trieb, Recht und Moral für eine scharfe Umgrenzung
des philosophischen Ideals nicht viel gewonnen, zumal da die Bücher
de republica nur zum Teil erhalten sind und man auch nicht über
den Grad der Abhängigkeit von seinen griechischen Quellen unter-
richtet ist. Wenn nun aber der Vf. für die Darlegung der politischen
Denkungsweise Ciceros die Reden ausschließt, „weil Cic. in den
Reden die Dinge nicht darlegt, wie er sie ansieht", sondern wie er
„sie von seinem Publikum angesehen wissen will", so dürfte dieser
Standpunkt kaum richtig sein, denn die Reden enthalten doch recht
viel Material zur Kennzeichnung des politischen Standpunktes Ciceros.
Es lassen sich aus diesen Reden politische und für Leben und
Jahresbericht för Altertumswissenschaft. Bd. CXXXIV. (18U7. II.) 12
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178 Bericht über die Literatur zu Ciceros Reden
Stellung Ciceros wichtige Gesichtspunkte gewinnen, sogar aus der
Rede pro Plancio, auch pro Murena, pro Sestio, pro lege Manilia,
pro Marcello u. a. Mir scheint dies ein Punkt zu sein, der in der
Schrift mit Unrecht zu sehr zurücktritt. Bezeichnend, aber nicht
richtig ist, daß er unter Ausschluß der Reden unter allen Quellen
die Briefe am meisten benützt. So weit ging selbst Drumann nicht,
der sich in seinem für Cicero allerdings ungünstigen Gesamturteil
vielfach auf die Reden bezog. Zwar sind die Konsequenzen, die
Cauer zieht, nicht so schroff wie die Drumanns ; er sucht im Gegen-
teil dem Redner gerecht zu werden, nur insofern nicht, als er von
ihm verlangt, er hätte sich in Fragen, die der Vf. z. B. in Ab-
schnitt IV bespricht, über die Vorurteile seiner Zeit erheben sollen.
Das ist von Cicero, der kein Staatsmann war wie Cäsar, zu viel ver-
langt. Wenigstens hat er nie wissenschaftliche Errungenschaften auf
politischem Gebiete ins praktische Leben zu übertragen versucht,
schon deswegen nicht, weil er zu keiner Zeit die Macht dazu besaß.
Er dient bloß den Parteien , beherrscht aber keine. Bestimmte
politische Ansichten hatte er, die er zeitlebens unbedingt festhielt,
auch Antonius gegenüber , und zwar gerade diesem gegenüber fester
als gegen jeden anderen. Aber das Streben , Einfluß zu gewinuen
und zu behalten auch da, wo für ihn kein Boden mehr war, führte
ihn zu Schwankungen, die dem scharfen Kritiker Mangel an Einsicht
und Absicht zu sein scheinen. So scharf aber urteilt Cauer nicht,
dessen anregend geschriebene Schrift vom Streben nach Objektivität
begleitet ist.
rec: WklPh. 04 Nr. 21 v. Th. Zielinski.
G. Ammon, Cicero als Katurschilderer. In: Festschrift zum
25 jähr. Stiftungsfest des Histor. - philolog. Vereins zu München.
S. 21 u. f.
In einem feinsinnigen Aufsatz behandelt der Vf. Ciceros Natur-
schilderungen. Diese dürfen wir freilich nicht ganz mit unserem
Maßstabe messen; denn wir verbinden mit Naturschilderungen leicht
den Begriff des Romantischen, auch Phantastischen. Dieser Begriff
schwärmerischer Sentimentalität, wie sie z. B. in Matthissons Ge-
dichten hervortritt, ist dem Altertum fremd. Das Altertum faßt die
Natur objektiver ; es fehlt ihm wohl auch der Sinn für Detailmalerei.
Hat z. B. ein Antiker Schriftsteller eine Schilderung der Alpen ge-
geben, wie sie in unserem Zeitalter gang und gäbe ist V Daß Horaz
einmal ein adäquates Wort für die Großartigkeit der Alpennatur
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aus den Jahren 1903—1906. (May.)
170
fände, erwartet man vergebens. Bekannt ist sein Wort aus den
Satiren , das auch der Vf. anführt. Es fehlt den Alten wie auch
Cicero „die Ruhe des Versenkens, die Geschlossenheit der Gefühle,
mithin auch die Harmonie des Naturgenussesu, S. 37. „Den Aufbau
einer Landschaft zeichnet Cic. kaum irgendwo4*. „Cic. betrachtet die
Landschaft nicht mit den Augen des Geologen, sondern eher mit dem
Blick des Theologen. Ihm ist die Welt ein wirklicher x<5au,o? (mundus
Ordnung), überall erblickt er in ihr die ordnende, zwecksetzende
Hand des all weisen Gottes". Von diesem Gesichtspunkt, der noch
erweitert wird durch den teleologischen, sind Ciceros meiste Natur-
schilderungen durchzogen; eher treffen wir noch bei dem alten
Cato Schilderungen, die mit ästhetischem Behagen gegeben sind.
Dennoch aber finden sich in Ciceros Schriften zahlreiche Stellen, die
als Naturschilderungen bezeichnet werden können. Diese hat der
Vf. mit viel Geschick zusammengestellt und zu verschiedenen Bildern
gruppiert, und so spricht er im vorliegenden Aufsatz über den
„Redner und Naturschilderer", über „die Grundlage der Natur-
schilderungen Ciceros* und gibt mannigfaltige Proben davon; zuletzt
handelt er auch über die Sprachkunst der Schilderungen. Aus der
Behandlung des Gegenstandes durch den Vf. ergibt sich die Richtig-
keit seines Wortes, daß die edelsten Keime zur Naturschilderung
ins Altertum hinaufreichen; darum setzt er sehr richtig seine Unter-
suchung bei dem Schriftsteller ein, „bei dem die meisten Saiten des
Lebens und Fühlens anklingen, und den man zugleich den modernsten
unter den antiken Menschen genannt hat". Es finden sich also die
edelsten und ersten Keime der modernen Naturbetrachtung bei diesem,
es muß aber auch gesagt werden, daß seine Naturschilderungen mehr
philosophischer und theologischer Art sind, als daß sie von einem
eingehenden Versenken in den Naturgegenstand zeugen, was mehr
moderne Art ist.
K. Hachtmann, Die Verwertung der IV. Rede Ciceros gegen Verres
(de signis) für Unterweisungen in der antiken Kunst Gotha 1904.
H. bespricht im Anschluß an die in der bezeichneten Rede erwähnten
Künstler deren Bedeutung. Von einer Behandlung der einschlägigen Kunst-
werke kann aber nicht die Rede sein, denn kein einziges der von Cicero
erwähnten Werke ist erhalten, vielleicht mit Ausnahme der Sappho Silanios,
von der nach Winters Annahme eine Büste in der Villa Albani sei. Streng
genommen entspricht eine Behandlung, wie sie H. zu den betreffenden
Stellen der Lektüre im Auge hat, den bei der Interpretation zu be-
obachtenden Gesichtspunkten nicht, da doch nur das erklärt werden soll,
was darin steht. Die Darstellung des Vf.s über Myron, Polyklet und
Praxiteles , über Götter- und Heroenbilder ist ja sehr interessant und mit
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Bericht über die Literatur zu Ciceros Reden
Benutzung aller Quellen durchaus wissenschaftlich gehalten, aber ein großer
Teil davon (Zeus usw.) war schon im Geschichtsunterricht zu absolvieren.
Wenn des Vf.s Darstellung im Anschluß an Sekunda in Prima — denn nur
für dieBe Klasse kann wohl die Rede de signis in Betracht kommen — den
Zweck einer Repetition und Erweiterung haben soll, so ist, wenn Zeit zur
Verfügung steht, nichts dagegen einzuwenden. Daß die Schüler der Prima
aber über Myron, Polyklet und Praxiteles orientiert werden, ist durchaus
zu billigen.
I. Mesk, Ciceros Nachruf an die legio Martia (Phil. XIV 30
bis 35).
Es ist möglich, daß in diesem Nachruf griechische Gedanken,
wie der Vf. beweisen will, verarbeitet sind, obgleich die griechischen
eTCxa<pioi mit den lateinischen orationes funebres nichts gemein
haben. Was Cic. in dem Nachruf vorbringt, sind, abgesehen von
dem, was sich speziell auf die legio Martia und das ihr zu setzende
Denkmal bezieht, zwar sehr passende, aber allgemeine Gedanken, die
wohl jeder bei einem solchen Anlaß ausspricht, wie der Vf. selbst
sagt. Aber er findet Anklänge an griechische Epitaphien, namentlich
an die Grabrede des Hypereides, was er durch Beispiele beweist.
Die Stelle § 35 at memoria bene redditae vitae sempiterna entspricht
der im dicrtctcp. des Lysias § 79 xai -yotp toi a^pa-cot u.ev aÖT&v at
jivr^ai. Einleitend gibt der Vf. auch eine Inhaltsübersicht des Cicero-
nianischen Passus, die jedoch genaner Disposition ermangelt. Cicero
teilt seine laudatio selbst in zwei Teile (§ 31), deren Unter-
abteilungen leicht zu erkennen sind. Beachtenswert ist, daß Cic.
neue Punkte viermal durch atque utinam und den Schluß durch atque
etiam einleitet.
P. Romuald Banz. Die Würdigung Ciceros in Sallusts Ge-
schichte der katilinarischen Verschwörung. Einsiedeln.
Daß Sallust kein Freund Ciceros war, ist bekannt. Man erkennt
dies aus den orationes invectivae, welche, wenn sie auch offenbar
aus Rhetorenkreisen stammen, doch auf Sachkenntnis beruhen. Der
Vf. obiger Schrift sucht nun darzutun, daß Sallust in seinem bellum
Catilinae der Bedeutung Ciceros und seiner Wirksamkeit in der
katilinarischen Krise nicht nur nicht gerecht geworden sei, sondern
seine Tätigkeit teils durch das, was er sage, teils durch das, was
er verschweige , in das schlechteste Licht zu setzen gesucht habe.
Es ist nun nicht zu leugnen, daß Ciceros Wirken gegenüber den
Vorstellungen, die wir uns von seiner Person und Bedeutung machen,
nicht genügend hervortritt. Zu bedenken aber bleibt, daß Ciceros
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aus den Jahren 1903—1906. (May.) 181
politische Stellung gerade nm die Zeit, wo Sallust schrieb (a. 46),
heftige Angriffe erfahr, durch welche sein Bild eine starke Trübung
erfahren mußte. Man tadelte namentlich seine schwankende Haltung
in verschiedenen Krisen. Der Vf. obiger Schrift übertreibt aber.
Sallust hat ja wohl Ciceros Reden gekannt, aber das Bild von Be-
ziehungen Sallusts zu Ciceros Reden, das der Vf. entwirft, ist jeden-
falls nicht richtig. Wenigstens gewinnt man aus der Gegenüber-
stellung der einzelnen Stellen keineswegs den Eindruck der Ent-
lehnung durch Sallust. Man muß vielmehr Mommsen und John durch-
aus beistimmen, daß die Benützung von Ciceros Reden durch Sallust
eine höchst oberflächliche sei. Aus gewissen ähnlichen Ausdrücken
in ähnlicher Situation kann man nicht sogleich auf Entlehnung
schließen. Vor derartigen Annahmen ist bei der typischen Aus-
drucksweise der antiken und mittelalterlichen lateinisch schreibenden
Schriftsteller von sachkundiger Seite oft genug gewarnt worden. Ge-
hässig ist Sallust Cicero gegenüber nirgends, sondern objektiv, viel-
leicht kalt. Daß aber aus der Kritik der am 8. Nov. 63 gehaltenen
Rede Ciceros (c. 31) kalter Hohn spreche, ist vollends unrichtig. In
„utilem reipublicae" liegt keine Ironie. Hyperkritisch ist auch, wenn
der Vf. noch darüber streiten möchte, ob cap. 23 „si eum (con-
sulatum) quamvis egregius homo novos adeptus foret" überhaupt auf
Cic. zu beziehen sei. Auf wen denn? Zuzugeben ist, daß Sallust
seine Quellen recht oberflächlich studiert, woher es auch kommt, daß
er in der Besprechung der Einzelereignisse nicht immer die richtige.
Reihenfolge innehielt. Es ist ja richtig, was der Vf. sagt, daß
Sallust mehr eine dramatische Darstellung gab, als strenge Ge-
schichte. Daß er aber darauf ausging, seinen Gegner zu vernichten,
davon kann gar keine Rede sein. Wäre dies richtig, so hätte er
c. 22 nicht geschrieben: nobis ea res pro raagnitudine parum com-
perta est, sondern hätte eher gesagt, daß der anläßlich der katil.
Verschwörung gegen Cicero entstandene Haß durch Märchen wie das
vorher erzählte nicht gemildert werden könne. Auch kann bei der
oberflächlichen Quellenbenutzung durch Sallust aus dem, was dieser
verschweigt, nicht ohne weiteres auf die Absicht, schaden zu wollen,
geschlossen werden. Aus diesem Grunde kann auch die Verschiebung
von Tatsachen, z. B. der Umstand, daß die Versammlung in Laecas
Haus und der Mordanschlag auf Cicero zu früh erzählt werden, nicht
mit einer solchen Absicht verbunden werden. Sallust ist weder ein
Freund der Aristokratie noch der Demokratie; er ist bloß Freund
einzelner Personen, besonders Cäsars, oder achtet markante Persön-
lichkeiten wie Cato. Cicero dagegen behandelt er nicht in einer
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Bericht über die Literatur zu Ciceros Reden
Beiner Persönlichkeit entsprechenden Weise. Daß er ihn aber zu
„vernichten" strebt, ist zu viel behauptet.
H. Detter, Ciceros Leben und Schriften. Hannover 1904. Frei-
beilage zu Cicero. 5 S.
Es ist natürlich, daß eine so kurz gefaßte Biographie die Zusammen-
hänge in den einzelnen Lebensabschnitten nicht darstellen kann. In der
vorliegenden sollte man aber doch mehr Deutlichkeit erwarten. „Da er
Cicero) nach seiner Rückkehr (aus Kilikien) einsah, daß der Kampf der
Parteien mit dem Schwerte entschieden werden müsse, schloß er sich dem
Pompeius an. So ohne weiteres sah er das nicht ein, denn er arbeitete
immer auf Aufrechterhaltung des Friedens hin und wollte den Vermittler
spielen, was allerdings nicht gelang. Zweitens war der Anschluß an Pora-
pejus gar nicht so selbstverständlich, sondern Cic. kämpfte, wie aus den
Briefen an Attikus hervorgeht, lange mit sich, bevor er sich an Pompejus
anschloß. Auch den Satz „Cic. erwarb während seiner Tätigkeit im öffent-
lichen Leben bedeutende Reichtümer" kann man mißverstehen; denn er
war, trotzdem er zahlreiche Villen besaß, oder vielleicht gerade deswegen*
oft in finanziellen Schwierigkeiten, aus denen Attikus immer wieder heraus-
helfen mußte. Wenn der Vf. vom J. 45 sprechend den Ausdruck gebraucht,
„er förderte mit rastlosem Eifer seine eigene Ausbildung", so ist dies eine
für den 61jährigen Mann wenig angemessene Bezeichnung. Cicero entfaltete
damals eine reiche schriftstellerische Tätigkeit. Bezüglich der philosophischen
Schriften ist S. 5 gesagt, Cic. gebe in ihnen die griech. Quellen in freier
Weise wieder. Darin besteht doch ein Unterschied. Die Bücher de re-
publica z. B. können nicht einfach als freie Wiedergabe bezeichnet werden.
Die Schrift Deiters sollte auch bei der Kürze, die er ihr gegeben, eine
etwas tiefere Auffassung bekunden.
1. Fr. Rohde. Cicero quae de inventione praecepit, quatenus
secutns sit in orationibus generis iudicialis. Königsberg 1903.
2. Rudolf Preiswerk, Do inventione orationum Ciceroni-
anarom. Diss. inang. Basel 1905.
Ein sehr wichtiger Gesichtspunkt für die Erklärung der Reden
Ciceros, den die modernen Ausgaben zu wenig berücksichtigen, ist die
Verknüpfung der Abschnitte und Teile der Rede mit den Vorschriften
der alten Rhetoren. In früherer Zeit geschah dies mehr als jetzt.
In den Halmschen Ausgaben*) fehlt dieser Gesichtspunkt ganz,
während es doch für den Lernenden von hohem Interesse ist, za
wissen, wie die einzelnen Redegattungen zu scheiden, und welchen
Gesichtspunkten die Teile der Rede ihren Stoff entnehmen. Die
beiden bezeichneten, denselben Gegenstand darstellenden Arbeiten
unterscheiden sich darin, daß Rhode nur die Gerichtsreden behandelt,
*) „editiones Caroli Halm paene sine fructu inspexi." Preiswerk.
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aus den Jahren 1903—1906. (May.)
183
während Preiswerk jede Redegattung, also nicht bloß das genas
iadiciale, sondern auch das g. deliberativnm und demonstrativem in
Betracht zieht. Führer sind beiden natürlich Ciceros rhetorische
Schriften de inventione, bzw. auctor ad Herennium. Eigentümlich
ist, daß beide sich so ganz der Berücksichtigung einschlägiger
rhetorischer Schriften der Griechen enthalten haben. Man vermißt
das ganz besonders bei dem schwierigen Kapitel de constitutionibus,
das von den Griechen viel gründlicher erörtert wird als von Cicero.
Wenn auch, wie Rhode ganz richtig sagt, die meisten Gerichtsreden
dem Status coniecturalis angehören , so ist das Grenzgebiet der
einzelnen statns doch nicht so klar, daß es nicht einer genaueren
Erörterung bedürfte. Es gibt auch Unterabteilungen des st. con-
iecturalis. So ist wohl auch der Status negotialis nicht als selb-
ständiger Status zu fassen, sondern als Unterabteilung zum Status
iuridicialis. Beide Vf. geben aber unter Anknüpfung an die Vor-
schriften der Rhetorik eine reiche Zahl von Beispielen zum exordium,
zur narratio, argumentatio, reprehensio und conclusio und erörtern,
wie diese Teile in den einzelnen Reden behandelt sind, worauf hier
im einzelnen nicht eingegangen werden kann. Neu ist, was Preiswerk
S. 26, 27 nachweist, daß in der Ciceronianischen narratio das Vor-
bild der römischen Komödie zu erkennen sei. Eigentümlicherweise
werden bei Preisw. exordium und peroratio zusammen behandelt: „quae
spatio maxime distant, arguraento artissime cohaerent" (S. 7). Dies
stimmt bei manchen Reden, insofern der Redner in der peroratio
auf den im exordium ausgesprochenen Gedanken zurückkommt und
in Anknüpfung daran den eigentlichen Schlußgedanken bringt; z. B.
Phil. I wird in exordium die Ursache der Reise und Rückkehr
Ciceros erörtert und in der sehr kurz gefaßten peroratio bloß gesagt :
cepi fructura reversionis meae. Unrichtig ist der Gedanke des
exordium zu Phil. II dargestellt: „narratur, quomodo Clodius,
Antonius in Ciceronera invecti sint" (S. 13). Clodius wird hier nur
nebensächlich erwähnt Eigentümlich ist, daß Preisw. aus späteren
Teilen einer Rede Gesichtepunkte für das exordium herleitet, so Rose.
Am. § 10 und 83. Dasselbe tut Rohde, dessen für das exordium
aufgestellte Gesichtspunkte ganz sachgemäß sind, der aber in der
Zahl derselben zu weit geht und seine Beispiele sehr zersplittert. So
werden bei Rohde die Punkte des exordium zu jener Rede an 12 ver-
schiedenen Stellen behandelt. Auch kann man verschiedener Ansicht
sein, ob alle von R. angeführten Punkte dem exordium zuzuteilen
sind, z. B. Rose. Am. 2, 6: Cicero Chrysogonum Sex. Roscio dam-
nato et eiecto Patrimonium, quod adeptus sit per scelus, id per
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Bericht über die Literatur zu Ciceros Reden
luxuriam effundere se posse sperare dicit. Es scheint also die
Klassifizierung der Teile der Rede nicht überall sicher. So sagt R.,
in der Rede pro Archia fehle die propositio. Diese in Verbindung
mit der partitio ist aber enthalten in § 4: Quodsi mihi etc. Das
exordium der Archiana erscheint bei Pr. zweimal, § 10 unter dem
Gesichtspunkt qua necessitate cum reo coniunctus sit, dann als ratio-
cinatio tripertita; letzteres ist zu bezweifeln. Richtig ist aber, was
Pr. hervorhebt, daß Cic. sich bemüht habe, wie er im or. ausführe,
seinen Gegenstand der speziellen Färbung zu entkleiden und auf eine
höhere philosophische Stufe zu erheben. Dies gilt besonders für den
II. Teil der Rede pro Archia, bezüglich dessen man aber wieder
zweifelhaft sein kann, ob man ihn als egressio (irocp£xßa3t;) betrachten
soll oder als integrierenden für die Sache des Archias in Betracht
kommenden Bestandteil. Was nun Pr. S. 115 über die kunstvolle
Form der Antithese „eleganterquc sibi respondentes sententias
gratissimas ac quasi rotundastt, also über die angewandte Konzinnität
sagt, ist weder klar, noch ausreichend. Es kann niemand einsehen,
was der Vf. unter „nova quaedam partim solutior ac suavior, partim
gravior (sc. concinnitas) versteht, wenn er dies nicht selbst unter-
sucht oder wenigstens einigermaßen angedeutet hat, was er damit
meint. Von „sescentae aliae observationes", die er anführen könnte,
bringt er keine mehr bei; er sagt nur „quae (quaestio) cobaeret cum
ea quae est de clausulis numerosis". Dafür mußte er wenigstens ein
Beispiel anführen. Gerade die Konzinnität kommt am meisten nicht
durch eine abgerissene Klausel, sondern durch symmetrische Ge-
staltung der Sätze zum Ausdruck. Auch die dictio asiatica (Brut. 325)
ist ein schwieriger Punkt, den man nicht so kurz abtun kann. Im
allgemeinen aber muß man sagen, daß die beiden Schriften eine ein-
gehende Kenntnis der Reden Ciceros und der rhetorischen Vorschriften
zeigen, und daß die Subsumtion der zahlreichen Beispiele meist sach-
gemäß und richtig ist. Die Erklärung der Reden Ciceros wird durch
diese Schriften gewiß gefördert.
1. G. Peiser, De invectivis quae Sallustii et Ciceronis nomi-
nibus feruntur. Progr. Posen 1903.
2. Th. Ziclinski, Die Cicerokarikatur im Altertum. In:
Festschrift zum 25 jähr. Stiftungsfest des Histor.-philol. Vereins zu
München. 1905. S. 14—20.
Das von „ineptiae" strotzende Machwerk eines Rhetors 1. in
M. Tullium Ciceronem declamatio, 2. in C. Sallustium Cr. contro-
versia erregt immer wieder die Aufmerksamkeit der Gelehrten. Merk-
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aus den Jahren 1903—1906. (May.)
185
würdigerweise hielt Quintilian die ersten Invektive für echt und
zitierte inst. or. IV 1 , 68 daraus eine Stelle. Peiser bespricht in
seiner Schrift zuerst die verschiedenen Zeugnisse der Alten über die
beiden Invektiven, verwirft in der Stelle bei dem Grammatiker Dio-
medes den Namen Didius, aber auch den des Epidius, liest statt
sed Didius im Anschluß an Jordan sit Tullius, so daß also, was die
Alten betrifft, die Frage darin gelöst scheint, daß Quintilian den
Sallust als Vf. der ersten Invektive annimmt, Diomedes den Cic.
als Vf. der zweiten. Davon kann natürlich keine Rede sein. Wenn
auch die Invektiven im Ausdruck hie und da an die bezüglichen
Autoren anklingen, so sind doch wieder, wie der Vf. S. 6 nachweist,
Ausdrücke darin, die weder des einen noch des anderen würdig
sind. Im allgemeinen aber herrscht sallustianische Ausdrucksweise
bei beiden vor, nur habe der Deklamator der zweiten Invektive seine
Sallustkenntnisse ungeschickt verwertet. Der Vf. der beiden sei aber
eine und dieselbe Person. Dann streift der Vf. kurz die „ineptiae"
der beiden Reden, um das bisher wenig erörterte Zeitverhältnis zu be-
rühren. In der ersten weist kein Ereignis auf die Zeit nach 54
v. Chr., in der zweiten aber vieles. Daraus sollte man auf Ver-
schiedenheit der Vf. schließen. Das tut aber Peiser nicht, sondern
wegen einer gewissen einheitlichen auf Sallustianischen Stil zurück-
gehenden Diktion bleibt er bei einem Vf., der aber nicht den Stoff
selbst gesammelt, sondern zur ersten Inv. eine Rede oder einen
Brief gegen Cicero oder zur zweiten eine nach dem Tode des
Sallust geschriebene Biographie benützt habe. Mit dieser Annahme
kann sich Ref. nicht einverstanden erklären; denn erstens müßte
diese Biographie eigens zur Schmähung des Toten geschrieben ge-
wesen sein, zweitens scheint mir denn doch der Stil der Inv. 2 zu
verschieden zu sein von 1, als daß ein Vf. angenommen werden
könnte. Peiser sagt S. 11 selbst: „in posteriore invectiva componenda
cum studio copiae Ciceronianae imitandae tum inopia rerum,
quibus criminibus in Ciceronem allatis responderet, ut verba con-
gereret, coactus est". Das ist auch unser Eindruck, daß nämlich
die zweite Inv. eine größere Wortfülle zeigt als die erste. Daraus
schließt Ref. auf Verschiedenheit des Vf.s. Der Annahmen sind
aber verschiedene möglich, z. B. die, daß die beiden Invektiven De-
klamationen aus einer Rhetorenschule sind, aber von verschiedenen
Verfassern; etwas Bestimmtes jedoch kann über den Ursprung nicht
gesagt werden. Was die Bewertung der zahlreichen Handschriften
betrifft, so unterscheidet sich Peiser nicht viel von Jordan, nur daß
er H 1 eine größere Selbständigkeit gegenüber A zuspricht als Jordau.
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180
Bericht über die Literatur zu Ciceros Reden
Alle Handschriften aber gehen auf einen nicht mehr vorhandenen
Archetyp zurück, die beiden Handschriftenklassen (1. H1 ATB,
2. H H2) auf verschiedene Exemplare des Archetyps. Zum Schloß
behandelt der Vf. eine nicht geringe Zahl von Stellen teils zur Er-
klärung, teils zur Textkritik. In letzterer Beziehung sei der Vf.
darauf aufmerksam gemacht} daß Zielinski in seinem Buch „Das
Klauselgesetz u S. 219, 220 aus dem Prozentsatz der clausulae malae,
licitae und selectae auf die Unechtbeit der Invektive Ciceros gegen
Sallust schließt. Da aber Ziel, bloß Zahlen angibt, ohne auch nur
eine einzige Stelle zu erklären, so ist es mir unmöglich, nachzuprüfen.
Ein anderer wird dies wohl auch nicht können *). Statt dessen prüfte
ich nach meiner Methode mehrere Stellen, die auch kritisch in Be-
tracht kommen, in Hinsicht auf den durchgehenden Rhythmus und
kam dabei zu dem Resultat, daß in den beiden Invektiven die
Rhythmen nicht anders sind als in echten Reden Ciceros ; namentlich
scheint mir dies in Inv. 2 der Fall zu sein.
Inv. 1. I 1: maledicta tua paterer, M. Tulli,
morbo animi petulantia ista uti;
pet ista uti auch II 1 ATB. Peiser sagt S. 15, sonst stehe iste, wenn
es betont sei, voraus, tritt aber mit Recht an dieser Stelle für die Lesart
der bezeichneten Handschriften ein. H: ista pet. Die Klauselresponsion
(ditr. und kret.-tr.), ein beliebter "Wechsel, spricht auch für pet ista. Vor
den Klauseln ist auch Rhythmenresponsion. — Im Folgenden weist gleicher
Bau der Satzteile auf Rhythmen hin:
(dicend)o voluptatem cepisti,
(e)am male | audiendo amittas.
dikret. Klausel in schwerer Form.
Mit Recht tilgte Peiser nach dem Vorgang Wölfflins quos implorem.
Sehr viel Ansprechendes hat ferner Eussners Konjektur esse praedae st
esse perfidiae; diese Konjektur ist inhaltlich viel besser als esse perfidiae;
zweitens ergibt sie einen besseren rhythmischen Schluß. Bei Weglassung
von quos impl. nun entspricht sich die Silbenzahl der beiden Satzteile
(ubi — r. publ. 16, atque — praedae 15). Rhythmen:
") Zielinski kann nicht erwarten, daß jemand bei seinem ohnehin ver-
wickelten Zeichensystem weiß, welche Stellen gemeint sind, wenn er S. 220
die Klauseln folgendermaßen darstellt: „V : 22 + L : 28 + M : 27 + 8 : 14 +
P:ll". Auch aus der Anm. 32 wird man nicht klüger. Das bezeichnete
Klauselverhältnis soll aber nach Ziel, das Zeichen „einer sicher unechten*1
Kede sein.
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' aus den Jahren 1903—1906. (May.)
187
conscripti, diripji rempublicam
atque audacissim|o cuique esse praedae?
1 ~ -
— I ~ — — Klauseln spond.-kret. und spond.-ditroch.
Peiser verwirft die von Baiter und Jordan aufgenommene Lesart der
Hss. reperticiuB und stimmt der Lesart der Aldina bei: repticius. i — e.
reptando ingressus. Gestützt wird diese Lesart rhythmisch durch die Re-
sponsion:
ac non repticius accitus
ac paulo ante insitus huic urbi civis.
II, 3 weist die dreifache Paronomasie — erat auch auf Rhythmen hin:
(op)pugnatum venerat,
(sen)atui fecerat,
(de e)o tui compertum erat.
Dies sind nur die Klauseln der Stellen, und zwar jedesmal Dikretiker,
wobei der erste Kretiker der dritten Reihe zu einem Epitrit erweitert
ist — II, 4:
— acceperis — —
— accreverit, — —
aedificaveris, — c
(pecuni)a domum paraveris, — — — —
civium paraveris? — • =
IV, 7: Es entsprechen sich:
(quem tandem locum) in hac I civitate obtines?
(quae tibi partes) rei|publicae placent?
^ | ^ w
- — I — — — - - Die Klauseln sind dikr. und troch.-kret —
Es sind in dieser ersten Sallust-Invektive gegen Cic. noch andere Stellen,
die eine rhythmisch-kritische Besprechung verdienen, worauf aber hier nicht
eingegangen werden kann, da auch einige Stellen aus der zweiten Invektive
(gegen Sallust) gewürdigt werden müssen, um zu zeigen, ob auch hier
Rhythmen vorhanden sind. Hier sind derartige Stellen zahlreicher, wie der
Stil überhaupt eine größere Wortfülle zeigt. 1, 1 :
ac tu loqui potest,
vita honestiore est.
- j
Das Abgetrennte sind die Klauseln zu den betreffenden Sätzen. —
conviciajtori respondero,
omnem ae|tatem nudavero,
Die Klauseln sind in völliger Entsprechung beide Male dikretisch. —
J bb
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188 Bericht über die Literatur zu Ciceros Reden
I, 2: et pro me minimo cum fastidijo respondeam, 15
et in hunc minime mentitum | esse videatur. 15.
Klauseln : spond.-kret. und kret. (aufgelöst) = troch. Vom rhythm.
Gesichtspunkte ausgehend, möchte man diese „controversia" für ein Er-
zeugnis Ciceros halten. Auffallig ist nämlich 1. die antistrophische Re-
sponsion (minimo und minime), wie sie auch in den echten Reden Ciceros
vorkommt, 2. in der zweiten Klausel die aus Cicero bekannte Auflösung des
Kretikers, die dort gern geradeso wie hier gebraucht wird, nämlich in der
Responsion. — Zu mentitum esse bemerkt Baiter: „quidni mentitum passive
hic quidem scriptor usurpaverit?". Feiger möchte ementitum, was ich
wegen des Zusammentreffens der beiden e am Schluß und am Anfang der
Wörter nicht für angebracht halte. —
1, 3: non ex oratione, 7
sed ex moribus suis, 7 *
spectare debebitis. 7
— ~l Z
Der eigentliche Satzschluß ist repräsentiert durch die dritte Reihe,
womit jedoch das Vorhergehende in der bezeichneten Weise übereinstimmt,
und zwar so, daß, was auch Cicero liebt, keine Klausel der anderen gleich
ist, 1. ditroch., 2. troch.-kret., 3. dikret.
II, 4: Mit Recht tritt der Vf. für die Weglassung von „de" bei nobis
ein. respondet „nobis" praecedenti „illis"; die Responsion besteht aber
überhaupt in der Gleichheit der Silbenzahl der beiderseitigen Sätze:
Quod si bis dignitatis und cuius bis acta je 19 Silben. Die beiden Reihen
enden ditrochäisch (integ) errime acta und dignitatis. —
II, 7: qui togatus [armatus]
et pace bellum oppressi?
Die Einklammerung rührt auf Grund von c von Baiter her. armatus
ist aber ganz richtig, da die Ausdrücke sich inhaltlich und rhythmisch ent-
sprechen:
qui togatus armatos
et pace bellum oppressi?
Besonders stehen sich als Kretiker in schwerer Form armatos und
oppressi gegenüber. Die Responsion geht aber weiter, da sich troch.-cret.
und dicr. gegenüberstehen. — III: Nach dem Rhythmus ist nichts zu
ändern, weder illum zu scribentem hinzuzufügen, wie Peiser meint, noch
illum vor palam zu streichen, wie Baiter möchte:
An turpius est scribentem mentiri
quam illum palam in hoc ordine dicentem?
! =
Die Responsion ist vollständig. Daß in der zweiten Reihe ein Chori-
ambus steht, ist bedingt durch das Streben nach Abwechslung gegenüber
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aus den Jahren 1903- 1906. (May.)
189
dem respondierenden dicreticus. — 8 Daß nocens, das der Vf. mit Kurte als
Glosse streichen möchte, richtig ist, dürfte aus der Responsion hervorgehen :
ausus sis eloquentiam | ut vitium obicere,
cuius semper nocens eguis|ti patrocinio?
Gerade nocenB respondiert sehr gut. In den Klauseln stehen sich
dactyl. und paeon (cret.) und troch. mit paeon (cret.) gegenüber. Was die
Sache betrifft, so ist es, wenn der Hedner einmal einen solchen Vorwurf
erhebt, daß der Gegner seines Schutzes immer bedurft habe, ganz einerlei,
ob er noch nocens dazu setzt oder nicht. —
IV, 12: Ein Beispiel prosodischen Reims in den folgenden Klauseln:
(pati)cntiam culpavi
(aut virtutibus) Caesaris favi;
- • dicret.
— ~ cret.-tr.
Es ist hier nicht der Ort, alle Stellen zu behandeln, die kritisch
oder rhythmisch in Betracht kommen. Aber die behandelten zeigen,
daß wenigstens in der 2. Invektive die Rhythmen ganz die gleichen
sind wie bei Cic. Ein stringenter Schluß kann freilich daraus nicht
gezogen werden. Den Vf. aber möchte ich anregen, bei einer Revision
seiner Arbeit diesen Gesichtspunkt im Auge zu behalten; denn bei
der Beurteilung der Echtheitsfrage kommt er mit in Betracht. Aus
dem, was Ziel, in seinem „ Klauselgesetz u S. 219 über die Invektive
sagt, wird er freilich nicht viel ersehen können, weil Z. keine Stelle
wirklich erklärt, sondern nur, wie er so gern tut, mit Zahlen operiert
und nur die Paragraphen angibt, wo diese oder jene von ihm gemeinte
Klausel sich findet. Damit kann man aber nicht viel anfangen. —
2. Zielinski behandelt die pseudosallust. Invektive in Ver-
bindung mit der Rede des Fufius Calenus bei Cassius Dio XLVI ff.
als Beispiel einer antiken Cicerokarikatur. Die enge Verbindung
dieser beiden Invektiven gehe daraus hervor, daß hier wie dort die-
selben Vorwürfe wiederkehren , was er an einigen Beispielen nach-
weist. Sehr richtig findet der Vf. zunächst S. 14, daß der Autor dor
pseudosallust. Invektive „aus einem wohlunterrichteten Gewährsmann"
schöpfe. Tendenz und Fassung derselben — dies gilt aber auch für
die Calenusrede — machen entschieden den Eindruck, daß die In-
vektiven aus Cicero feindlichem Parteilager hervorgingen, wo man
die Schwächen von Ciceros Charakter und Handeln sehr wohl kannte
und mit scharfem Auge erspähte. Was z. B. dem Cicero in politischer
Beziehung vorgeworfen wird, kann nur ein mitten im Parteileben
stehender Mann wissen. Wie bissig ist Romule Arpinas! Cicero,
der zweite Gründer des römischen Staates, bezieht sich natürlich auf
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190
Bericht über die Literatur zu Ciceros Reden
die Entdeckung der katilinarischen Verschwörung. Qui Scipiones
superasti : In der Tat, die Scipionenzeit war Ciceros Ideal sein ganzes
Leben hindurch. Bei manchen Ausdrücken ist man im Zweifel, wer
oder was gemeint sei. Im Zusammenhang der Stelle sollte man
glauben, quos tyrannos appellabas beziehe sich auf die Optimaten,
während auch Cäsar dafür in Betracht kommen kann. Der Satz qui
tibi ante optimates videbantur, eosdem nunc dementes ac furiosos
vocas geht wohl auf die Zeit, wo die Optimaten Cic. gegen Clodius
im Stich ließen, also 58. Mit quem maxime odisti, ei maxime ob-
sequeris ist wohl Cäsar gemeint. Bezüglich des Jahres aber kann
man zweifeln, ob der Autor das Jahr 55 oder 45 im Sinne hat:
levissime transfuga! So kann er genannt werden zur Zeit der Rede
pro Marcello. Es ist überhaupt interessant, die einzelnen Punkte
der Rede zu durchgehen, wenn man sie auch nicht immer auf einen
bestimmten Zeitpunkt festlegen kann. Aber die Grundlage der In-
vektiven ist gewiß römisch und aus dem Parteileben heraus ge-
schaffen. Das beweisen noch andere Punkte als die angeführten.
Recht haben wird Ziel, mit der Annahme, daß der Autor im Lager
des Asinius Pollio zu suchen sei, wobe*i er dem Rhetor der augustei-
schen Zeit L. Cestius Pius eine Rolle vindiziert. Was die Mangel-
haftigkeit der Anlage und Fassung, ferner die Störungen in einzelnen
Abschnitten anlangt, so kann dies in der defekten Überlieferung seinen
Grund haben. Daß aber auch Pseudosallust auf griechische Über-
lieferung zurückgehe, ist schwer zu glauben. Dafür ist der bei-
gebrachte Beweis zu schwach.
J. C. Nicol, Ciceronis pro S. Roscio oratio. Cambridge 1905.
Eine sorgfältig gearbeitete Schulausgabe, „well adapted for school
useu, die sich vielfach, sowohl in der Erklärung, als auch in den
kritisch-zweifelhaften Stellen an Landgrafs Kommentar anlehnt.
Ciceros ausgewählte Reden. Erklärt von Halm. Sechster Band.
Die erste und zweite Philippische Rede. Achte Auflage von G. Laub-
mann. Berlin 1905.
Zur Empfehlung der vielgebrauchten Halmschen Ausgaben der
Reden Ciceros noch ein Wort zu sagen, ist Uberflüssig. Auch die
neueren Auflagen, von G. Laubmann besorgt, sind in ihren Vorzügen,
hauptsächlich in Verwertung der modernen Forschungen auf sachlichem,
wie textkritischem Gebiet vielfach lobend besprochen worden. Auf
einen Mangel möchte ich aber doch hinweisen, nämlich auf die Ab-
wesenheit jeder Erklärung, die sich auf das rhetorische Gebiet,
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aus den Jahren 1903—1906. (May.)
191
von dem rhythmischen gar nicht zu reden, bezieht. Wohl liest man
liie und da von Oxymoren oder Litotes, aber das, was den Kunst-
wert der Reden Ciceros ausmacht, tritt doch in den Halmschen Aus-
gaben ungebührlich zurück. Und das war von jeher so. Es er-
wuchsen aber doch seit Halms Zeit der Erklärung neue Aufgaben,
deren Lösung in dem rhetorischen Moment gesucht werden muß, wozu
Garatoni den Grund gelegt, und wozu in dieser oder jener Ausgabe %
dann und wann ein Baustein beigetragen worden ist oder noch wird.
Denn der Wert der Reden Ciceros liegt doch mindestens ebenso sehr,
vielleicht mehr, in der Form als in der Sache. Zum mindesten muß
«inmal damit der Anfang gemacht werden, an der Hand von Ciceros
orator und anderen rhetorischen Schriften zu untersuchen, wo Cicero
ein rednerisches Kunstmittel angewandt hat. Denn der große Beifall,
den er errang, ist doch in allererster Linie, wie man aus dem orator
merkt, der Redekunst zuzuschreiben. Mit ausschließlich sachlich-
kritischen Bemerkungen kommt man aber an diese nicht heran. Die
Klauseltheorie z. B. ist jetzt so weit gediehen, daß die Beispiele,
auch in ihrer Responsion, überall massenhaft zu Gebote stehen.
Da aber hier nicht der Ort ist , näher darauf einzugehen , so bietet
vielleicht die Besprechung des „kritischen Anhanges" zu vorliegender
Ausgabe hie und da Gelegenheit, damit zu operieren. Sehr richtig
ist I, 2 zu reperiebatur die Bemerkung: „wohl absichtlich unbestimmt,
„man fand". Auch die Rhythmen beweisen dies; es entsprechen sich
nämlich commentariis | reperiebatur;
quae quaesita erant, | respondebat
Klausel 1 kret.-troch. mit Auflösung; dieser steht Kl. 2 ein
Ditr. (disp.) gegenüber. Gerade den drei Kürzen in 1 stehen in 2 sehr
wirksam drei Längen gegenüber. Damit ist die Responsion der
beiden Yerba auch durch metrische Responsion zum richtigen Aus-
druck gebfaucht. Eine weitere Änderung ist nicht nötig. Die Längen
respondebat sind ein Cholose, wie es Zielinski nennt, oder infraction
(Bornecque) oder Biegung. Ferner bestätigt eine ganz genaue Re-
sponsion I, 4 die Richtigkeit der Festhaltung Laubmanns an der her-
kömmlichen Lesart und seiner Erklärung: „quod . . fuisset: konzessiv
iustum rechtmäßig, solange Diktatoren ad tempus gewählt wurden".
Alle zu der Stelle gemachten Konjekturen sind hinfällig:
quod saepe iustum fuisset,
republica sustulisset.
I - ■
Beide Male ditroch. Klausel mit genauer Responsion.
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192
Bericht über die Literatur zu Ciceros Reden
I, 9: ibi velle tuto esse,
ubi ille non posset.
non posset ist, wie aus dieser Responsion hervorgeht, ganz
richtig. —
I, 16: ne prolatis quidem,
sed tantumraodo dictis,
• ^
Respondiert ganz gut; eine weitere Konjektur ist unnötig, da
die Ausdrucksweise sehr gut erklärt werden kann.
W. Sternkopf, Gedankengang und Gliederung der Divinaüo
in Q. Caecilium. Progr. Dortmund 1904/05.
In dieser Programrabeilage , die in der Hauptsache Gedanken-
gang und Disposition der divinatio darstellt, bespricht der Vf. an-
hangsweise zur Kritik und Erklärung einige Stellen; so tritt er § 25
für die Beibehaltung von tarnen ein, das, wie er sagt, alle Herausgeber
gestrichen hätten. Aber in der II. Auflage der Orellischcn Ausgabe,
besorgt von Baiter und Halm, steht tarnen im Text. Eigentlich fehlt
das Wort in den Handschriften, nur in G 1 und anderen geringeren
Handschriften steht cam, das als tarnen gedeutet wird ; es kann aber
auch causam sein, während Halm darauf hin eam vermutet. Daß
tarnen so, wie Sternkopf tut, erklärt werden kann, ist kein Zweifel:
„und dabei doch". Trotzdem bin ich aus Responsionsgründen nicht
für Beibehaltung:
totam esse mutandam, 7
S
et ita mutandam, 6
Die beiden Formen mutandam entsprechen sich , wozu die bei-
gesetzten Wörter gehören, tarnen würde diesen Rhythmus verderben. —
§31: Der Vf. verteidigt mit Recht suspicionem criminis auch durch
Hinweis auf act. pr. 17, 52, wo derselbe Ausdruck gebraucht ist.
Außerdem kann man suspicionem gegen alle Änderungsversuche auch
durch den Rhythmus rechtfertigen , indem non modo suspicionem
(- ~ -) der Klausel ipsam pertinescat ( -) ent-
spricht. — § 60 Quare cum incertum sit de iniuria. Cicero macht
am Schluß, wenn er auch selbst nicht dieser Ansicht ist, das Zu-
geständnis des Unrechtes, da er ja selbst im vorhergehenden Satz
mit qui si summam iniuriam ab ille aeeepisti diese Möglichkeit
■
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aus den Jahren 1903—1906. (May.)
193
hypothetisch ausgesprochen hat. Also wird quare cum ineertum sit
beizubehalten sein. Dagegen glaube ich, daß unmittelbar vorher mit
Schütz und Kahnt sine vituperatione zu lesen ist unter Tilgung von
ulla. Die Ausdrücke sine vitup. und sine scelere werden dann am
Schluß in gleicher Form noch einmal gesetzt. Außerdem entsteht
durch Tilgung von ulla folgende auffallende Responsion:
sine vituperatione | accusare:
sine scelere eum accus|are non potes.
-I dispond. 1
_ Ä „ . , ^ tr..cret. \ Klauseln.
Auch bei der Wiederholung ist Rhythmus und Responsion deutlich:
sine vituperatione
quam cum scelere discedere?
I "W
■w ^ j _r w w w-—
i ^ ~ - dikret. Periodenklausel mit Re-
sponsion zum Vorhergehenden. — Die divinatio bietet noch viel An-
laß zur Textkritik, wenn man das rhetorisch-rhythmische Moment be-
rücksichtigt. Wenn übrigens der Vf. in der Einleitung bemerkt, die
divinatio eigne sich „wie keine zweite zur ersten Einführung in
die Cicerolektüre", so steht Ref. vielmehr auf dem Standpunkt der
Lehrpläne von 1901, die sie für die Obersekunda empfehlen. Schon
der Stoff, der Streit zwischen Cicero und Caecilius, wer Verres ver-
teidigen soll, eignet sich besser als Einleitung in die Lektüre der
Verrinen in Prima. In Obersekunda kann man von diesem Gesichts-
punkt aus Interesse dafür erwecken, in Untersekunda dagegen als
Anfangslektüre aber kaum. Für den Anfang eignen sich besser
kleinere Reden, die auch stofflich leichter faßbar sind, wie die pro
Archia, pro Ligario u. a.
Reinhardt, Bemerkungen zu Ciceros Rede für Plancius.
Programm. Wohlau.
Der Vf. behandelt hier als Anhang zu seiner Ausgabe der Rede
eine Anzahl kritisch unsicherer Stellen. Mit aequum in § 7 kann
man sich einverstanden erklären. Daß aber in der Bedeutung ein
wesentlicher Unterschied sei zwischen tune (Wunder) und tu (Lambin),
st nicht einzusehen. Tu aequum ist aber ein Hiatus, den Cic.
schwerlich angewendet haben dürfte; denn orat. § 151 sagt er,
nachdem er betont, daß Demosthenes den Hiatus als fehlerhaft ver-
mieden: Sed Graeci viderint : nobis, ne si cupimus quidem, distra-
here voces conceditur.
§ 34. Der Vf. bezeichnet den Satz communis ille sensus bis
et lingua „als eine schlechte Wiederholung des ersten (omnibus bis
Jahresbericht für Altertumswissenschaft. M. CXXXIV. (1907. II.) IS
194
Bericht über die Literatur zu Ciceroß Reden
apertius). Ref. stößt sich an dem zweiten Satze gar nicht, weil von
Cicero Parallelismen der Gedanken sehr gern angewendet werden, was
keines näheren Beweises mehr bedarf. Der Sinn der beiden Sätze ist :
Alle Staatspächter schmerzte jenes Unrecht, aber dieser trug den
Schmerz offener zur Schau. Von allen diesen mochten andere jenes
Gefühl, obgleich es in allen vorhanden war, mehr verbergen, dieser
zeigt es aber offener als die anderen (ceteri); ceteri ist eine Rück-
beziehung auf die genannten alii. Außerdem besteht zwischen den
Sätzen :
omnibus illa iniuria dolori fuit publicanis
und Communis ille sensus in aliis fortasse latuit
rhythmische Beziehung :
Klausel in Reihe 1 ditr. mit vorausgehendem cret. Reihe 2
wieder Ditr. mit Auflösung. Daß das den Klauseln Vorangehende
auch rhythmische Beziehung hat, ist sichtbar; ebenso scheinen auch
folgende Sätze zu harmonieren:
sed eum ipsum dolorem hic tulit paulo apertius.
hic quod cum ceteris animo sentiebat.
ww | =- Kl. tr.-kret.
-- — ~ | - w — ^ ditroch. mit vorausgeh. Chori-
ambus, Ersatz für cret.
Diesem Chori. steht in der Responsiou ein cret. gegenüber; vor-
her entsprechen sich auch noch 2 Kretiker, Beweis genug, daß die
beiden Reihen untereinander Beziehung haben. Was der Verf. über
ceteri und alii sagt, ist gesucht. —
Bei § 48 supponiert der Vf. schon wieder eine Interpolation,
an die bis jetzt noch niemand gedacht hat. Der Vf. sollte es mit
advokatischen Fiktionen nicht so streng nehmen. Im allgemeinen
aber muß hier bemerkt werden, daß die Überlieferung der Reden
Ciceros weniger an Interpolationen leidet, sondern vielmehr an sehr
unerwünschten Auslassungen. Sehr zu verwundern ist, warum der
Vf. an § 60 Anstoß nimmt. Die Worte Ciceros deutet er so: „Zum
Ruhme kann nur der Mann von vornehmer Geburt gelangen, der Weg
zum Ruhme ist dem niedrig Geborenen verschlossen." Das meint
Cic. aber nicht, sondern die Stufen des Ruhmes seien deshalb ver-
schieden , weil die virtus verschieden sei : etenim , sagt Cic. gleich
nachher, in virtute multi sunt adscensus ut is maxime gloria excellat,
qui virtute plurimum praestet. Das ist ein so klarer Gedauke, daß
darüber gar kein Zweifel möglich ist. Darum ist summis hominibus
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aus den Jahren 1903—1906. (May.)
195
et infimis gan2 richtig und nicht in omnibus umzuändern. Responsion
ist übrigens folgende vorhanden:
infimis sunt pares,
gloriae dispares.
W ' '
w w w
§ 55, 57. Es ist richtig, daß hier eine etwas auffällige Wieder-
holung vorliegt. Indes nahm bis jetzt noch niemand Anstoß daran;
außerdem sind die Rhythmen ganz ciceronianisch, namentlich im
zweiten Teil:
multi communes obtrectatores
atque omnium invidi multa nnxerunt.
I
I
Kl. kret.-tr. , welcher ein dispond. gegenübersteht. Ferner
weisen Köpke - Landgraf auf die beliebte Parataxe multi -multa hin.
Noch besser rhythmisch sind die beiden ersten Zeilen:
multi amici accusatoris,
nonnulli etiam nostri iniqui,
l_
Die beiden Klauseln sind gleich ditroch., {wobei es für die Re-
sponsion keinen Unterschied macht, ob statt des einen Troch. ein
Spond. steht. Vor diesem Ditr. stehen aber gerade solche Füße, die
Zielinski als regelrechte Rhythmen vor einem Ditr. bezeichnet, näm-
lich in der ersten Reihe ein Epitrit und in der zweiten ein Chori.
Beide Füße betrachtet Ziel, als häufig vorkommenden Ersatz, bzw.
Entfaltung eines Kretikers, der nach der Theorie Ziel.s eigentlich
stehen müßte. Wäre die Stelle eine Interpolation, wie der Vf. meint,
so wären die rhythmischen Regeln kaum so streng beobachtet worden.
Mit Wiederholungen, namentlich wenn sie formell doch einen Unter-
schied zeigen wie hier, sollte man bei einem Redner nicht so streng
ins Gericht gehen. Auf keinen Fall darf an multi communes
obtrect. etc. gerührt werden, denn obtrectator kommt § 55 gar nicht
vor, und atque omnium etc. ist selbständige Gestaltung eines im Vor-
hergehenden allerdings schon berührten Gedankens.
13*
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Jahresbericht über die nachaugusteischen Epiker, Senecas
Tragödien, Ausonius, die Bukoliker und die lateinische
Anthologie von 1903—1906.
Von
Johannes Tolkiehn in Königsberg i. Pr.
i. Senecas Tragödien.
Bereits das Jahr 1902 hat die nach dem Tode R. Peipers von
G. Richter allein beendete zweite Auflage der einst von beiden Ge-
lehrten gemeinschaftlich veranstalteten Ausgabe gebracht (Leipzig,
Teubner). Diese ist ausführlich besprochen von
Fr. Leo Gött. gel. Anz. 1903, S. 1—11 und
0. Roßbach Berl. phil. Wochenschr. 1904 S. 326—333 und
361—369.
Leo bestreitet die Richtigkeit des Verfahrens, welches Richter
in der Adnotatio critica bei der Mitteilung der Varianten aus den
interpolierten Hss. angewandt hat, und verlangt, „daß der ursprüng-
liche A-Text aus der trüben und breiten Überlieferung, soweit es
möglich ist, klar herausgestellt werde".
Roßbach zeigt, daß die Lesarten der A-K lasse in viel weiterem
Umfange Berücksichtigung verdienen, als man bisher zugegeben hat,
und betont , wie notwendig es sei . daß alle Hss. dieser Klasse ge-
nügend durchforscht werden, was bisher kaum für die italienischen
und einen Teil der deutschen der Fall ist. Bis das aber geschehen,
ist ein abschließendes Urteil über unsere Überlieferung unmöglich.
Über eine derartige Iis., den Dresdensis R 52", macht Mit-
teilungen
M. Manitius, Handschriftliches zu Vergil und Seneca Trag.
Piniol. 1904. S. 313—315.
Fol. 39 und 40 sind zwei Blätter aus einer Senecahs., die im
14. Jahrhundert in Italien geschrieben wurde, enthaltend Troad. 315
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Jahresbericht über die nachaugusteischen Epiker. (Tolkiehn.) 197
bis 422, 1142 bis Ende und Medea 1—70. Ein paarmal findet sich
Übereinstimmung mit den Lesarten von E.
Was die Gestaltung des Textes im einzelnen anlangt, so hat
Roßbach S. 361 ff. dargetan , daß eine ganze Reihe von Stellen
irrtümlich für verderbt erklärt worden, daß bei richtiger Erklärung
oder Interpunktion aber die Überlieferung vollkommen in Ordnung ist.
Von den von ihm vorgeschlagenen Änderungen erwähne ich
Herc. für. 353 „posse (et) invidiam pati".
Troad. 304 „amore subido" (st. subito nach Valerius Aedituus
bei Gell. XIX 9, 11), die Umstellung von Med. 362 und 363
Agam. 91 „nimium ventos" st. „ventos nimium".
Auch M. Schmitt- Hartlieb, Zu Seneca Troades 783. Rh.
Mus. 1906, S. 634 f.
hat die Überlieferung „morte dira" in Schutz genommen.
Mit der Kritik einzelner Stellen der Medea hat sich
Charles Knapp, Notes on Seneca's Medea Class. Rev.
1903 p. 44—47
beschäftigt. Er verteidigt u. a. Med. 22. 23 die Überlieferung gegen
die auch von Peiper-Richter gebilligte Umstellung Leos und zeigt in
Übereinstimmung mit Michael Müller, In Senecae tragoedias
quaestiones criticae, Berlin 1898, p. 22 f., daß innerhalb der V. 301
bis 339 jede Änderung der in den Hss. gebotenen Reihenfolge un-
nötig ist.
Einen sprachlich-exegetischen Beitrag liefert
I. P. Postgate, On Horace Epode XV 5 and Seneca Herc.
Oct. 335 sqq. Class. Rev. 1903 p. 337 f.,
indem er unter Berufung auf Tibull II 2, 19 f. ausführt, daß in den
Versen „Indos ante glacialis polus — Scythasve tepida Phoebus in-
ficiet votau kein Zeugma vorliege, wie Housman und Alton behauptet
haben.
Auf dem Gebiete der höheren Kritik bewegen sich zwei Arbeiten,
welche sich unabhängig voneinander mit der Echtheitsfrage des
Hercules Oetaeus beschäftigen.
1. Walter C. Summers, The autorship of the Hercules
Oetaeus. Class. Rev. 1905 p. 40—54.
2. Aemilius Ackermann, De Senecae Hercule Oetaeo Piniol.
Suppl. X 3 p. 325—428.
Summers beginnt mit einer Kritik der bisher aufgestellten An-
sichten. Er gibt vor allem eine Übersicht über die Argumente, mit
198 Jahresbericht über die nachaugusteischen Epiker. (Tolkiehn.)
denen Leo im ersten Bande seiner Ausgabe die Unechtheit der
zweiten Hälfte der Tragödie darzutun bemüht gewesen ist, und hebt
hervor, was er an dessen Verfahren auszusetzen hat. Namentlich
wirft er ihm vor, daß er die vielen Schwächen der ersten Hälfte
nicht beachtet habe. M e 1 z e r s Ausführungen gegen Leo in dem
Programm De Hercule Oetaeo, Chemnitz 1890 scheinen ihm glück-
lich, insofern sie sich gegen die Folgerungen wenden, welche dieser
aus dem Wortschatz gezogen hat , dagegen irrtümlich , wenn er be-
hauptet, daß die ^imitatio im Hercules Oetaeus fast dieselbe wie in
den anderen Stücken sei. Summers versucht nun Klarheit darüber
zu schaffen, wie Seneca in diesem Punkte sich sonst zeigt. Er stellt
zu dem Zwecke die Wiederholungen von halben Versen und kleineren
Versteilen aus den übrigen Stücken zusammen, die ihm im Hercules
Furens und in der Troades aufgestoßen sind , und macht außerdem
noch auf einige besonders interessante Fälle aufmerksam. Mit ein
paar Beispielen will er ferner uns davon überzeugen, daß sprachliche
Wendungen sich nicht häufiger in Senecas Tragödien wiederholen als
in anderen lateinischen Schriften. Daß bei der öfteren Behandlung
bestimmter loci sich der Dichter immer wieder einer ähnlichen Sprache
bedient, wie Verf. bemerkt haben will, ist glaublich; daß er aber
bei der Wiederholung von sententiae den Ausdruck jedesmal sorgfältig
zu ändern pflege, diese Behauptung kann durch den einen heran-
gezogenen Fall schlechterdings nicht gesichert werden.
Es liegt somit auf der Hand, daß Summers mit unzureichendem
Material an die Aufgabe, die er sich gestellt hat, herangegangen ist.
Es ist schon deshalb auch kein besonderes Gewicht darauf zu legen,
wenn er nunmehr als sicher verkündet, daß der Hercules Oetaeus von
der eben charakterisierten Gepflogenheit Senecas beträchtlich ab-
weiche, indem er fünf Beispiele für die Entlehnung fast vollständiger
Verse aus anderen Tragödien biete und auch sprachliche Wieder-
holungen aus diesem Stücke in großer Zahl vorkämen und besonders
dicht gesät seien. In V. 173 ff. sieht er einen Cento aus dem Aga-
memno und anderweitigen Anleihen; dagegen hält er Leos Ansicht
für irrig, daß V. 863 ff. ein unverschämtes Plagiat aus Phaedra 1104
seien. Auch gibt er Melzer recht, welcher die Gedankenfolge an den
von Leo beanstandeten Stellen vollkommen befriedigend gefunden hat;
ebenso hält er jenes Protest gegen G. Richter für gerechtfertigt,
welcher (De Seneca tragoediarum auetore, Bonn 1862) den Hercules
Oetaeus wegen des Fehlens gewisser Partikeln verdächtigt hat, und
damit wendet Verf. sich der Betrachtung des Wortschatzes zu.
Trotz der schweren Bedenken, so etwa führt er aus, die schon
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Jahresbericht über die nachaugusteischen Epiker. (Tolkiehn.) 196
oft hinsichtlich der Latinität des Stückes erhoben worden, sind doch
die auffallendsten Punkte im Vokabular bisher den Augen der
Kritiker entgangen. Das ist der Gebrauch 1. von quotus V. 95 f. :
„quota est mundi plaga — oriens subactus aut quota est Gorgon
fera?" 2. von iecur synonym mit cor und pectus (4 mal), 8. von siccus
ohne Tränen V. 1268, 4. von pensare = meinen V. 1747 f.,
5. von gigans = Riese V. 1759. Es ist aber nicht einzusehen,
weshalb Seneca nicht so soll geschrieben haben können, zumal im
zweiten und fünften Falle, da ja auch f^irap und in gleicher
Bedeutung verwendet werden.
Summers aber kommt auf Grund der angestellten Erwägungen
nunmehr zu dem Schluß, daß Melzers Theorie, wonach uns nur ein
roher Entwurf des Hercules Oetaeus mit doppelt ausgeführten Szenen
enthalten sein soll, unter denen Seneca eventuell habe wählen wollen,
nicht ansreicht zu der Erklärung der drei auffallenden Erscheinungen,
die er als „pointlessness", „patchwork" und „bad Latinity" be-
zeichnet.
Nachdem er noch einige Bemerkungen über den Gebrauch der
Anaphora im Hercules Oetaeus und in den anderen Dramen hinzu-
gefügt hat — der Unterschied ist, beiläufig bemerkt, recht gering —
kommt Summers dazu, seine eigene Lösung der Frage zu entwickeln.
Er betrachtet das Stück als ein Flickwerk, das dadurch entstanden
sei, daß ein späterer Herausgeber eine Reihe von Partieen, die von
Seneca selbst herrühren, mittelst eigener Zutaten zu einem Ganzen
verbunden habe. Die Zeit dieses Redaktors läßt er unbestimmt.
Um seinen Standpunkt eingehender auseinanderzusetzen, prüft er
zuerst den Prolog V. 1 — 103. In diesem machen ihm V. 1 — 27 den
schlimmsten Eindruck, während V. 28—46 dem Seneca recht wohl
angehören können. V. 47 — 71 haben wir lauter Schlacken, V. 72
bis 88 und die erste Hälfte von V. 89 bilden einen Glanzpunkt ;
von da ab sinkt der Ton wieder herab.
Einen klaren Fall derselben Kontamination sieht Summers in
der Rede der Amme V. 233 — 255: die ersten 7 Verse hält er für
Senecas Eigentum , den mit Phrasen aus der Medea durchsetzten
Rest setzt er auf Rechnung des Editor. Dabei muß er, um die ur-
sprüngliche Form wiederzugewinnen, zur Textesänderung greifen.
In gleicher Weise versucht er nun auch das übrige in seine
beiden Bestandteile zu zerlegen. Ich muß mich hier darauf be-
schränken, in Kürze seine Ergebnisse anzudeuten.
Die lange Szene zwischen Deianira und ihrer Amme V. 256 bis
582 ist reich an Stellen, die auf Seneca selbst zurückgehen. Spuren
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2UU Jahresbericht über die naehaugusteischen Epiker. (Tolkiehn.)
der NichtVollendung sind in V. 307 und 407 bemerkbar. Wie weit
sich die Tätigkeit des Herausgebers erstrecken soll, vermag Summers
vielfach nicht mit Sicherheit anzugeben. In dem von Leo ganz ver-
worfenen Teile der Tragödie können V. 710 — 14 von Seneca sein,
706 — 709 nicht. Schlecht genug ist der Beginn des Auftrittes zwischen
Hvllus und seiner Mutter V. 742 ff., namentlich V. 751 — 754 erweisen
sich als Flickwerk. Einen besseren Eindruck machen V. 775 ff. ;
V. 808 — 812 stören den Zusammenhang; der Rest der Erzählung
bis V. 841 ist wieder echt; ebenso nimmt Summers das Folgende,
die Rede der Deiauira V. 842 ff. und den Dialog V. 889 ff. für
Seneca in Anspruch. Aber von V. 910 an zeigt sich klar die Hand
des Editor; mit V. 949 — 968 kehren wir zu Seneca zurück (V. 954
greift Summers wieder unnötigerweise zur Konjektur „uteri tui" f.
„veram tui"). V. 1000-1006 scheinen ganz in Senecas Manier zu
sein, V. 1007 — 1030 rühren von Editor her.
Von nun an bis zum Schluß herrscht lauter Schutt vor, nur sieben
Stellen stehen in bemerkenswertem Gegensatz zu ihrer Umgebung:
1. 1100—1127, 2. 1249—1268 (didicit), 3. der Dialog 1852 ff.,
4. 1564-1592, 5. 1619—1641, 6. 1693—1707 (erubesco), 7. 1863
bis 1898.
Der Verf. dürfte schwerlich viele zu seiner Ansicht bekehren.
Was er vorbringt, ist vielfach in hohem Grade subjektiv und zum
Teil unrichtig aufgefaßt, so daß sein Verfahren nimmermehr von einer
vorsichtigen Kritik gebilligt werden kann.
Ganz anderer Art ist die sorgfältige, wenn auch nicht er-
schöpfende Arbeit von Ackermann. Er hat die Anregung dazu
von Birt empfangen, der seine frühere Ansicht von der Unechtheit
des Hercules Oetaeus im Laufe der Zeiten geändert hat. In dem
Kapitel De Herculis auetore (p. 826—386) entkräftet A. in sehr ge-
schickter Weise die Gründe, welche Leo mit Rücksicht auf die äußere
Beschaffenheit des Stückes gegen die Autorschaft Senecas geltend
gemacht hat. Wenn z. B. dieser mit Bentley daran Anstoß ge-
nommen hat, daß der Hercules und die Octavia allein mit einem
Canticum schließen, so entgegnet er darauf, daß Phaedra und Octavia
die einzigen Stücke seien, denen ein Prolog fehlt, und darum doch
niemand die Phaedra für unecht halten werde. Der Grund aber,
den man aus den vielen darin enthaltenen Nachahmungen gegen die
Echtheit des Hercules Oetaeus hergeleitet hat, wird hinfällig durch
die Beobachtung, daß auch die Medea in gleichem Verhältnis zu den
anderen Stücken steht, daß in den übrigen Tragödien Wiederholungen
ebenfalls an der Tagesordnung sind und dieses Verfahren auch den
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Jahresbericht über tlie iiachaugusteischen Epiker. (Tolkiehn.) 201
Griechen nicht fremd ist. Des weiteren widerlegt A. die Bedenken,
welche sich nach D. Heinsius, Birt und Tachau hinsichtlich des Aus-
druckes an manchen Stellen ergeben haben . indem er Melzers Aus-
führungen zum Teil modifiziert. Auch der Vorwurf der Torheit,
welcher mehrfach gegen den Autor des Dramas erhoben worden ist,
hat nichts auf sich, und die Nachlässigkeiten im Stil sind nicht
größer als sonst bei Seneca. Eine genaue Prüfung der Metrik und
Prosodie aber ergibt, daß in dieser Hinsicht nur solche Verse An-
stoß geben, die einer Korrektur bedürfen. Nachdem A. noch die
Unwichtigkeit orthographischer Dinge mit Kecht betont hat , recht-
fertigt er den Sprachgebrauch im einzelnen gegen die von ver-
schiedenen Seiten erhobenen Verdächtigungen.
Im 2. Kapitel De unitate tragoediae (p. 387 — 408) kommen die
Ansichten derjenigen an die Reihe, welche die Einheit der Kom-
position geleugnet und einen oder den anderen Teil des Stückes für
unecht erklärt haben. Was nach dieser Seite auffallen könnte, ent-
schuldigt A. durch die wohl schwer von der Hand zu weisende An-
nahme, daß wir es hier mit einem zur Rezitation, nicht aber zur
Aufführung bestimmten Drama zu tun haben, wie ein solches auch in
der Phaedra des Seneca vorliege.
Im 8. Kapitel De consilio poetae (p. 408 — 422) sucht A. die
Entstehung des Stückes aus der philosophischen Richtung Senecas zu
erklären. Er weist darauf hin, daß die Stoiker gerade im Hercules
ihr Ideal sahen, und so, meint er, habe der Dichter diesen Heroen
seinen Lesern als nachahmenswertes Muster vorführen wollen. Dann
aber brauchte er den Hercules Oetaeus als notwendige Ergänzung
des Hercules Furens. Damit bringt A. zugleich eine Erklärung für
die übermäßige Länge des ersteren und für die durch den Einfluß
der Rhetorik verschuldete Schwülstigkeit der Diktion. Es läßt sich
nicht leugnen, daß auch diese Betrachtungen die Wahrscheinlichkeit
der Autorschaft Senecas zu erhöhen geeignet sind.
Über die Bedeutung des Chores bei Seneca handelt, dem Titel
nach zu schließen
*A. Romizi, La Urica nel teatro di Seneca. Biblioteca
delle scuole italiane. X 13.
Für die Würdigung Senecas als Dramatikers ist wichtig der Auf-
satz von
Antonio Lima, Intonio alle tragedie di Seneca Riv. fil.
1904 p. 237—259.
Der erste Teil enthält nämlich „Osservazioni sull' uso della per-
sona mutalU.
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202 Jahresbericht über die naehaugusteischen Epiker. (Tolkiehn.)
Die Bewunderung, deren sich Seneca in den verflossenen Jahr-
hunderten erfreute, hat heutzutage einer weniger günstigen Beurteilung
Platz gemacht , welche in seinen Stücken lediglich Deklamationen in
dramatischer Form sieht. Diese Auffassung ist nach Cima nicht
richtig. Er meint, daß sich vielfach Stellen bei dem Tragiker finden,
die auf eine szenische Wirkung berechnet sind, und daß daher kein
Zweifel bleibe, daß Seneca wirkliche Dramen schreiben wollte. Von
besonderer Wichtigkeit scheint ihm in dieser Beziehunng die schon
von Weil bemerkte Tatsache , daß Seneca die Regel von den drei
Schauspielern beobachtet hat. Indem Cima nun die einzelnen Fälle
eingehend bespricht, gelangt er zu dem Ergebnis, daß Seneca bei
der Anwendung der persona muta nicht die dramatische Wahrheit
verletzt hat, daß er in den Spuren der griechischen Tragiker wandelt,
indem er die Regel von den drei Schauspielern mit einer manchmal
an Pedanterie streifenden Strenge befolgt, die aber durch den Vor-
gang seiner griechischen Muster gerechtfertigt erscheint. Doch hat
unserer Ansicht nach Verf. damit keineswegs bewiesen, daß Senecas
Dramen für die Aufführung bestimmt gewesen sind. Denn die Be-
obachtung jener Regel von den drei Schauspielern mußte gerade bei einer
Rezitation für das Verständnis von besonderem Vorteile sein, indem
dadurch an die geistige Anspannung der Zuhörer geringere An-
forderungen gestellt wurden und sie leichter dem Vorgetragenen zu
folgen vermochten als bei dem 'gleichzeitigen Auftreten einer größeren
Zahl handelnder Schauspieler.
Der zweite Teil „Sulla composizione delle ,Troiane'K handelt kurz
von der Szenenfolge in den Troades, welche nach Cima uns nur in
provisorischer Gestalt vorliegen, und erörtert dann die Frage nach
der Quelle, welcher der Dichter bei der Schilderung des Streites
zwischen Pyrrhus und Agamemnon gefolgt ist. Cima meint, Seneca
habe das Motiv aus Euripides' Hecuba übernommen und mit Zutaten
eigener Erfindung ausgestattet, und weist auf die ähnliche Behand-
lung der Person der Helena hin. Das erfordert aber noch eine ge-
nauere Untersuchung.
Der dritte Teil endlich, „Sulla composizione delle ,Fenicietu, wirft
die Frage auf, ob die unter dem Titel Phoenissae vereinigten Frag-
mente einer oder zwei Tragödien angehören. Cima wendet sich
gegen die verschiedentlich behauptete Abhängigkeit des ersten Teiles
von Sophokles' Oedipus Coloneus, indem er richtig auseinandersetzt,
daß nur die Begleitung des Oedipus durch Antigone Sophokles und
Seneca gemeinsam ist. Letzterer scheint vielmehr durch Euripides'
Phoenissen beeinflußt zu sein. Da Cima annimmt, daß bei V. 820
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Jahresbericht über die nachaugusteisehen Epiker. (Tolkiehn.) 203
Antigone weiterredet, nicht ein Bote, so muß er auch annehmen, daß
das Folgende unabhängig vom Vorhergehenden entstanden ist.
Ein anderer Aufsatz von
*Cima, La „Medea" di Seneca c la „Medea" di Ovidio,
Atene e Roma 1904, p. 224—229
richtet sich gegen Leos Zurück fuhrung der Abweichungen Senecas
von Euripides auf Ovid. Dieselbe ist in der Tat unsicher; vgl.
meine Bemerkungen Zur XII Heroide Ovids, Wochenschr. f. kl. Phil.
1906 S. 1208 f.
Das Fortleben des Tragikers in einer bestimmten Periode der
Neuzeit verfolgt das beinahe 400 Seiten umfassende Buch von
Paul Stachel. Seneca und das deutsche Renaissancedrama.
Studien zur Literatur- und Stilgeschichte des 16. und 17. Jahr-
hunderts. Palaestra, Bd. XL VI, Berlin 1907.
Von diesem Buche, das in den Jahren 1903 und 1904 ent-
standen ist, war die Einleitung und der Anfang des 2. Kapitels
bereits 1905 als Berliner Dissertation erschienen. Kap. I (S. 4 — 29)
versucht auf Grund älterer Arbeiten in nicht immer einwandfreier
Weise Seneca als Dramatiker zu würdigen und bietet eine eingehendere
Betrachtung seines rhetorischen Stils. Kap. II (S. 30 — 136) behandelt
Seneca im deutschen Schuldrama. Die erste Entlehnung, die man
hier nachweisen kann, ist seltsamerweise travestierend. Sie findet
sich in Pirkheimers „Eccius dedolatus" vom Jahre 1520. Zunächst
vermag St. überhaupt nur auf Einzelheiten hinzuweisen und hat darauf
verzichtet, „die zahlreichen wenig untersuchten Dramen des 16. Jahr-
hunderts, in denen nie das Tragische das bestimmende Element ist,
auf gelegentliche Entdeckungen hin zu prüfen." Erst gegen Ende
des Jahrhunderts hat man im Hinblick auf moderne Muster des Aus-
landes im Geist und Stile Senecas zu dichten begonnen. Hierher
gehören die Tragödien des Altdorfer Professors Michael Virdung, der
Straßburger, unter denen der kaiserliche Poet Casper Brülow die
hervorragendste Erscheinung ist, und des Pfarrers zu Asselheim
bei Worms, Theodor Rhode. Kap. III (S. 137 — 179) zieht mit Recht
das stammesgleiche Holland in den Kreis der Betrachtung. Wir be-
gegnen da so glänzenden Namen wie denen eines Daniel Heinsius, Hugo
Grotius und Joost van den Vondel, des größten Dichters unter den
Holländern. Kap. IV (S. 180 — 350) geht auf das deutsche Drama
im 17. Jahrhundert ein. Es behandelt ausführlich die Übersetzung
der Troades durch Martin Opitz , beschäftigt sich besonders ein-
gehend mit Andreas Gryphius , berührt den Nürnberger Poetenkreis
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204 Jahresbericht über die nachaugusteischen Epiker. (Tolkiehn.)
und gibt sich wieder eingehender mit Caspar von Lohenstein ab.
Den Schluß endlich bilden Iiallmann und Haugwitz.
Daneben kommt St. auf viele Dinge zu sprechen, die mit
seinem eigentlichen Thema in mehr oder minder engem Zusammen-
hange stehen. So geht er z. B. gelegentlich auf die Senecastudien
des Rektors der Meißener Fürstenschule Georg Fabricius, auf den
Caesar des bekannten Franzosen Muret, auf die Beurteilung Senecas
durch die Holländer u. a. m. ein. Inwieweit er bei seinen Angaben
Vollständigkeit erreicht hat , entzieht sich meiner Kenntnis. Zu er-
wägen bleibt m. £., ob nicht vielfach da, wo Anlehnungen an Seneca
konstatiert werden, Ovid die ursprüngliche Quelle gewesen sein dürfte.
Für englische Studenten bestimmt ist
Seneca, The tragedies rendered into English verse by Ella
Isabel Harris. London, Oxford, New York 1904.
Diese durchweg auch für die lyrischen Partieen, den fünffüßigen
Jambas benutzende Übersetzung, der Leos Text zugrunde liegt, ist
mir nur aus der sehr anerkennenden Anzeige von W. Gern oll,
Wochenschr. f. kl. Philol. 1905 S. 543 f. und der geradezu ver-
nichtenden Beurteilung von C. Summers, Class. Rev. 1905 S. 124 f.
bekannt. Letzterer zeigt an einer Reihe unzulänglich, irrtümlich oder
nachlässig wiedergegebener Stellen, daß die Übersetzerin ihrer Auf-
gabe ganz und gar nicht gewachsen gewesen ist.
2. Octavia.
Nicht weniger als 4 Schriften sind über die Quellen der Octavia
erschienen.
1. *AntonioCima, La tragedia Romana Octavia e gli Annali
di Tacito. Pisa 1904. Vgl. Hosius Berl. phil. Woch. 1905.
S. 1145 f.
2. Friedrich Ladek, Zur Frage über die historischen Quellen
der Octavia. Zeitschr. f. d. österr. Gymn., 1905, S. 673 bis
701, 865—883, 961-972.
3. Vincenzo Ussani, Su l'Octavia Riv. fil. 1905, p. 449—470.
4. Antonio Cima, Octaviana. Nuovi appunti sulle relazioni
della tragedia „Octavia" cogli „Annali" di Tacito, ebd. 1906,
p. 529—564.
Bereits in seiner Dissertation De Octavia praetexta, Wien 1891
hatte Ladek den Nachweis zu führen unternommen, daß die Octavia
kurz nach Neros Tode von einem durch und durch rhetorisch ge-
bildeten Manne geschrieben , möglicherweise in einer Rhetorenschule
Jahresbericht über die nachaugusteischen Epiker. (Tolkiehn.) 205
entstanden sei. Gleichzeitig hatte Nordmeyer in der Schedae
Usenero oblatae 1891 die Ansicht ausgesprochen, da» der Dichter
nicht die Annalen des Tacitus , sondern die Geschichtswerke des
Cluvius Rufus und Fabius liusticus benutzt habe; in einer späteren
Abhandlung Fleckeis. Jahrb. Suppl. XIX hielt er diese Ansicht
wenigstens in bezug auf Cluvius aufrecht. Die Ausführungen beider
Gelehrten hat Cima in dem zuerst genannten Schriftchen zu wider-
legen und die dereinst von Fr. Vater und W. Braun vertretene An-
sicht wieder zu Ehren zu bringen sich bemüht, wonach der Prae-
texta die Darstellung des Tacitus zugrunde liegen und das Stück
dem 2. oder 8. Jahrhundert angehören soll.
Demgegenüber hat Ladek noch einmal das Wort in dieser Frage
ergriften und untersucht, ob die Meinung, daß das Stück gleich nach
Neros Tod verfaßt sei, nunmehr aufgegeben werden müsse. Er be-
spricht zunächst sämtliche Stellen, die für die Ansicht herangezogen
worden sind, daß Tacitus die Quelle der Octavia sei, und zeigt klar
und deutlich, daß durch jene nichts bewiesen wird. Überhaupt findet
sich kein Anhaltspunkt dafür, daß der Dichter, dessen Darstellung
vom Ende der jüngeren Agrippina die allereinfachste ist, aus einem
Historiker schöpfte ; vielmehr scheint die Praetexta für die erfundenen
letzten Worte der Agrippina in unserer Überlieferung Quelle geworden
zu sein Für erfunden hält L. auch die Darstellung des Schiffs-
unfalles V. 310 — 3öt>, und auf sie gehe, meint er, in letzter Linie
Dios Bericht zurück. Jedenfalls spricht nicht das geringste dafür,
daß der Dichter hier von einer historischen Vorlage abhängig ist.
Auch sonst enthält das Stück keine Stellen, die mit Notwendigkeit
auf eine historische Quelle bezogen werden müßten. „Der Dichter hat
es eben nicht nötig gehabt , für die Darstellung des Schicksals der
Octavia und dessen, was damit zusammenhängt, ein historisches Werk
nachzuschlagen, weil er all das selbst miterlebt hat. In dem Chor-
liede aber, das den Schiffbruch und den Tod der jüngeren Agrippina
behandelt, haben wir es vielleicht sogar mit originellen Angaben zu
tun, die möglicherweise nicht ohne Einfluß auf spätere Darstellungen
geblieben sind."
Cima aber hat sich damit nicht zufrieden gegeben und in seinem
späteren Aufsatze sich noch einmal, wenn auch ohne Erfolg, die
Abhängigkeit der Octavia von Tacitus darzulegen bestrebt. Da-
gegen hat er seinerseits recht, wenn er behauptet, Ladeks Hypothese,
daß der Verfasser der Praetexta selbsterlebte Ereignisse dargestellt
habe, stehe auf schwachen Füßen.
Auch Ussani verhält sich den Ausführungen Cimas gegenüber
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206 Jahresbericht über die nachaugusteischen Epiker. (Tolkiehn.)
ungläubig. Wenn dieser auch gezeigt habe , daß die Situationen
in der Octavia , welche dem Berichte der Annalen nicht genau ent-
sprechen, sich oft als poetische Einkleidungen ein und derselben Er-
zählung erweisen, so findet U. doch in den auf Agrippina sich beziehenden
Widersprüchen zwischen beiden Autoren genügende Gründe , derent-
halbcn die Tragödie nicht von Tacitus abhängig sein könne. Von
ganz besonderer Wichtigkeit ist es aber, wenn er darauf hinweist,
daß die Charakteristiken der Poppaea und Octavia bei dem Dichter
und Historiker wesentlich verschieden sind. Dazu komme , daß die
Untersuchung der Sprache eine Reihe von Momenten ergebe, die für
die Priorität der Octavia sprächen. Die Übereinstimmungen mit
Seneca ferner und die Nachahmungen anderer Dichter, deren letzter
Lucan ist, führen U. dazu, den Verfasser des Stückes in die zweite
Hälfte des 1. Jahrhunderts der Kaiserzeit zu setzen. So weit kann
man ihm beistimmen ; nicht jedoch ist das möglich bei den folgenden
Auseinandersetzungen. Die Übereinstimmungen mit Tacitus nämlich
erklärt er aus der Benutzung einer gemeinsamen Quelle, für die er
in Übereinstimmung mit Gercke, wenn auch aus anderen Gründen,
Plinius' Werk A fine Aufidii Bassi hält. Daraus aber, daß der Dichter
von der sündhaften Leidenschaft Neros für seine Mutter, von der
Fabius Rusticus zu berichten wußte, nichts verlauten lasse, folgert U.,
daß Fabius damals sein Werk noch nicht veröffentlicht gehabt habe
und die Octavia zwischen dem Erscheinen des letzteren und Plinius'
Geschichtswerk, d. h. zwischen 79 und 83 entstanden sei, was natür-
lich eine ganz unbeweisbare Hypothese ist.
Textkritische Bemerkungen bietet
F. Leo, Couiectanea Herrn. 1903 p. 310 f.
Er empfiehlt V. 487 die Änderung des Avantius „votum estu und
konjiziert V. 489 „orbem prospere sacrum regis" und V. 011 im An-
schluß an Grotius „memoris meiu.
3. Lucanus.
Mit der Tradition, welche Seneca als Verfasser der ersten sieben
Verse der Pharsalia bezeichnet, sucht sich
V. Ussani, Su i versi 1 — 7 (Lib. I) del poema Lucaneo Riv.
til. 1903 p. 463—469
abzufinden. Er weist darauf hin, daß sie sich bis ins 9. Jahrhundert
zurückverfolgen läßt. Dagegen weiß Beda , De arte metrica VII
p. 245 , 8 K. augenscheinlich noch nichts von ihr. Sie kann also
schon im 8. Jahrhundert entstanden sein und hat sich dann wohl
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Jahresbericht über die nachaugusteischen Epiker. (Tolkiehn.) 207
schnell verbreitet. Zur Erklärung ihres Aufkommens zieht Ussaui
die von Manitius aus einer Dresdener Hs. veröffentlichten Lucan-
scholien heran , welche vorwiegend Parallelstellen aus anderen
Dichtern und Lucan selber enthalten und meint, ein am Rande zu
V. 5 f. beigeschriebenes Zitat aus Seneca Phoen. 298 habe die Ent-
stehung jener Nachricht veranlaßt. Sehr wahrscheinlich klingt das nicht.
Die vielen Konjekturen, die in dem Schriftenverzeichnis der
Vacca-Vita im Anschluß an das überlieferte appamata oder ippamata
gemacht worden sind, hat um eine nicht gerade sehr wahrschein-
liche vermehrt
G. Gundermann, Lucans Epigramme, Rh. Mus. 1904,
S. 148. 149.
Er liest dpd^\iixa und denkt dabei an Gesangsvorträge mit Musik-
begleitung.
Die Abfassungszeit einzelner Partien sucht zu bestimmen
Albert Collignon, Remarques sur deux passages de la
„Pharsale" de Lucain. Mölanges Boissier 121 — 125.
Ausgehend von der Annahme, daß Lucan in Buch IV — X auch
einige Stücke aufgenommen habe, die er schon früher, schon vor dem
Zerwürfnis mit Nero vollendet hatte, findet er ein solches Stück IX
950 ff. (Besuch Casars in den Ruinen Trojas und Opfer), dessen Ton
ihm nicht zur Umgebung zu passen scheint. Die andere Stelle , die
er behandelt, ist VII Anf. (Traum des Pompeius vor der Schlacht
bei Pharsalus). Er sieht in V. 9 ff. eine Reminiszenz an des Dichters
eigene dichterischen Erfolge im Theater des Pompeius und meint,
die Stelle sei geschrieben zur Zeit, als jener sich infolge seiner Be-
teiligung an der pisonischen Verschwörung und infolge der Be-
sorgnis vor einem tragischen Ausgange in gedrückter Stimmung
befunden habe.
Auf den Tod Lucans bezieht sich
V. Ussani, L'ultima voce di Lucano (Tacito Ann. XV 70).
Riv. fil. 1903, p. 545—554.
Er wendet sich gegen eine Behauptung von Kortte, die heute
wohl kaum Anhänger haben dürfte, daß nämlich der Bericht bei
Tacitus über die letzten Augenblicke Lucans eine von „otiosi litteratores"
gemachte Erfindung sei, und sieht in der Stelle Phars. IV 56V) ff. die
Verse, welche der Dichter bei jener Gelegenheit rezitiert habe. Ihre
Beziehung zu Tacitus ist aber ganz oberflächlich, während die ge-
wöhnlich mit diesem in Zusammenhang gebrachten Verse III 638 ff.
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208 Jahresbericht über die nachangusteischen Epiker. (Tolkiehn.)
vollkommen in Einklang mit ihm stehen, was Ussani selbst nicht ent-
gangen ist.
Derselbe Gelehrte hat die vielerörterte Frage nach den Quellen
und der damit zusammenhängenden Zuverlässigkeit des Dichters in
Angriff genommen in dem Buche
Sul valore storico del poema lucaneo, Koma 1903.
Der geschichtliche Wert des Gedichtes läßt sich nur auf Grund
von genauer Kenntnis der darin benutzten Quellen bestimmen. Es ,
ist deshalb so schwierig, hierüber Klarheit zu erhalten, weil Lucans
Vorgänger unter den Historikern bis auf Cäsar verloren sind und
die späteren Darstellungen vielfach das Epos selbst in höherem oder
geringerem Grade herangezogen haben. Dazu gehören Florus, Appian,
Dio. Dali Orosius zu diesen von Ussani fälschlich gerechnet wird,
hat schon Hosius, Herl. phil. Woch. 1904 S. 842 gezeigt Nicht
recht klar ist sich Verf. Über die Art und Weise, in der Livius vom
Dichter benutzt ist. Diesem soll nicht das Originalwerk des Ge-
schichtschreibers, sondern eine mit anderen Quellen, namentlich Asinius
Pollio kontaminierte Epitome vorgelegen haben. Daneben glaubt er
noch direkte Benutzung des Asinius annehmen zu müssen. Vollends
unwahrscheinlich ist seine Annahme, daß Cäsars und Ciceros Brief-
wechsel dem Dichter als Quellen gedient hätten. Vgl. Hosius a. a. 0.
S. 843. In Bd. II und IX hingegen kann Lucan unter der Ein-
wirkung des Thrasea Paetus stehen.
Für die Beurteilung des geschichtlichen Wertes der Pharsalia
ist der Umstand von besonderer Wichtigkeit, daß Lucan gar nicht
Geschichte zu schreiben beabsichtigte und sich daher auch nicht an
die Wirklichkeit zu halten brauchte. Ussani zählt zunächst eine
Reihe von Ungenauigkeiten auf, die sich in Bd. I — III und VII finden.
Schwerer wiegen schon die Erfindungen des Dichters, die künstlerisch-
rhetorischen Zwecken dienen und unter denen besonders die ein-
gestreuten Reden hervortreten. Noch bedenklicher ist es, daß mehrere
einander ähnliche Ereignisse bisweilen in eins zusammengezogen,
andere Ereignisse gar nicht berücksichtigt werden. Am schlimmsten
jedoch sind die Geschichtsfälschungen , die der Dichter von seinem
politischen Parteistandpunkte aus vorgenommen hat. Nur da, wo es
sich um bloße Berichte von Tatsachen handelt, ist Lucans Dar-
stellung zuverlässig, und da bietet er manchmal Ergänzungen zu den
Berichten unserer anderen Quellen.
Ferner hat Ussani einen wertvollen Beitrag zur Beurteilung der
Scholien geliefert :
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Jahresbericht über die nachaugusteischen Epiker. (Tolkiehn.) 209
II testo Lucaneo e gli scolii Bernensi. Studi Ital. 1903 S. 29
bis 83.
Nach einem Bericht über die verschiedenen Ansichten, die über
den Wert nnd das gegenseitige Verhältnis der Hss. aufgestellt worden
sind, geht er daran, den Text, den die Scholien, vor allem die von
Usener herausgegebenen Berner aufweisen, für die Textkritik zu ver-
werten. Die Lemmata kommen dabei nicht in Frage , da sie , wie
schon Francken bemerkte, nur die Bedeutung eines Kodex vom Aus-
gange des 10. Jahrhunderts besitzen; anders steht es mit den
Erklärungen. Ussani betont mit Recht, daß keine genügenden
Gründe vorhanden sind, ihre Hauptmasse dem Vacca zuzuschreiben,
daß im Gegenteil manches dagegen spricht. Auch Paulus von
Konstantinopel kann nicht ihr Urheber sein. Aus der Bemerkung
zu VIII 824 schließt Ussani, daß der Verfasser vielmehr ein West-
römer war und für Weströnier schrieb. Als seine Zeit sieht er das
4. Jahrhundert an. Ich glaube, daß man bei näherem Zusehen noch
weiter kommen kann und sich ein nicht unwesentlicher Teil der
Scholien auf den Kommentar das Porphyrio zurückführen lassen wird.
Der Text, den die Scholien bieten, schwankt zwischen der
paulinisohen und der nichtpaulinischen Rezension. Ussani versucht
etwas Genaueres aus den nichtberticksichtigten Versen zu ermitteln.
Es ist aber keineswegs ausgemacht, daß Verse, die nicht kommentiert
werden, auch nicht im Texte des Kommentars gestanden haben.
Den zweiten Teil der Abhandlung bildet ein sorgfältiges Vor-
zeichnis aller Lesarten, auf denen die Erklärung des Scholiasten
fußt, mit Zwischenbemerkungen Ussanis.
Mit einem einer viel späteren Zeit angehörenden Kommentar hat
es der Aufsatz desselben Gelehrten zu tun:
Le Annotazioni di Pomponio Leto a Lucano. Rendiconti dell'
Accad. dei Lincei, 1904, p. 366—385.
Der Codex Vaticanus 3285 enthält außer einem minderwertigen
Text des Epos den letzten geschriebenen Lucankommentar, der Pom-
ponius Laetus zum Verfasser hat. Allerdings ist die Arbeit des
Humanisten nicht beendet, sondern hört bei VIII 753 auf; oftmals
stehen verschiedene Erklärungen darin nebeneinander. Ussani teilt
als Probe die Anmerkungen zu I 1 — 100 mit. Von der unmittel-
baren Betrachtung der zu erklärenden Stelle schweift der Verfasser
oft ab, um die mannigfaltigsten Notizen aus allen möglichen Schrift-
stellern beizubringen, und kommt dabei vielfach auf Dinge zu sprechen,
die zu dem eigentlichen Gegenstande so recht keine Beziehung mehr
haben.
Jahresbericht für Altertunwwis^nschaft. Bd. CXXXIV. (1907. II.) 14
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210 Jahresbericht über die nachaugusteischen Epiker. (Tolkiehn.)
Die wichtigste Erscheinung der gesainten Literatur Aber Lucan
in der hier behandelten Periode ist ohne Zweifel
M. A n n a e i Lucani de hello civili libri decem iterum edidit
Carolus Hosius. Lipsiae 1905.
Eine Neubearbeitung der bereits 1892 erschienenen ersten Aus-
gabe war aus mehrfachen Gründen dringend erwünscht. Einmal
waren die Exemplare schon längst im Buchhandel vergriffen, sodann
hatte Hosius damals das Handschriftenmaterial nicht in wünschens-
wertem Umfange herangezogen , und endlich war seit jenem Jahre
auf diesem Gebiete viel Neues erschienen, was berücksichtigt werden
mußte. Auch heute bildet noch immer der Montepessulanus die
Grundlage für die Gestaltung des Textes; er ist von Bonnet von
neuem eingesehen. Dagegen hat Hosius nunmehr sein Urteil über
das Verhältnis verschiedener Hss. zu M wesentlich geändert; die
Praefatio gibt darüber Aufschluß. Er findet die zweitbeste Quelle in
Parisinus 10 314 s. IX (Z), ihm. stellt er Paris. 7502 s. X zunächst.
In einem geringen Zwischenräume läßt er Vossianus XIX f. 63 s. X (U ),
in einem weiteren Vossianus XIX q. 51 s. X (V) folgen. Mit M.
hängt außerdem aufs engste das fraginentum Lucani im Parisin. 10 403
s. IX (Q) zusammen, welches das Stück VIII 575 — IX 124 zum Teil
in sehr verstümmeltem Zustande enthält. Bisweilen haben auch die
Korrektoren von M und Z Brauchbares geliefert. Auf die un-
gleiche Behandlung der Orthographie habe ich Berl. phil. Wochenschr.
1907 S. 7 f. hingewiesen.
Einzelbemerkungen, welche der Erklärung und Textkritik dienen
sollen, enthalten folgende Arbeiten:
1. A. Colli gnon, Note sur Lucain Pharsalia II 93 — 96. Rev.
des Stüdes anciennes 1904 p. 42 — 46.
Er erklärt die Worte „Libycas sibi colligit iras" mit dem Com-
mentum Bernense: „Romanis scilicet collegit inimicos secum Afros\
und den Ausdruck „conflato ferro" mit Haskins: „les fers des ergastules
forgös en 6p6es annorent ces mains feroces8.
2. Alex. Wough Young, Two notes on Lucan. Class. Rev.
1905 p. 112
will I 123 überflüssigerweise „te, Caesar, opes ususque laborum-erigit41,
dagegen scheint mir die Änderung U 665 „maris Aegusae" sehr
glücklich.
3. Adolf Haslauer, Zu Lucans Pharsalia Üb. \rn. Pr. von
Burghausen IO^.j
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Jahresbericht über die nachaugusteischen Epiker. (Tolkiehn.) 211
bebandelt für das Buch des Epos, welches mit der Erzählung von
der Entscheidungsschlacht den eigentlichen Mittelpunkt des Ganzen
bildet, einzelne fragliche Lesarten und Erklärungen, namentlich unter
Berücksichtigung der neuesten Ausgaben von Haskins, Hosius (1892),
Francken und Postgate. Seine Ausführungen sind verständig und
vorsichtig, wenngleich sie sich nicht ausnahmslos allgemeiner Billigung
erfreuen werden. Da, wo er die Überlieferung gegen unnötige
Änderungen verteidigt, wie z. B. V. 12, 128, 764 f., 801, wird man
ihm meist ohne weiteres beistimmen können. V. 488 — 521 tritt er
wohl mit Recht gegen Hosius und Postgate für die Reihenfolge in
MV ein. Gut ist auch seine Erklärung von V. 462 f. „quo sua pila
cadant aut quam sibi fata minentur — inde manum spectant" (gleich
„in wessen Schußlinie sie stehen"). Empfehlenswert ist auch die
Y. 199 f. vorgeschlagene Interpunktion: „seu lumen in aethere
maestum — solis, in obscuro pugnam pallore notavit".
4. RobertusSamse, Interpretationes Lucaneae. Diss. Göttingen
1905
hat sich vielfach um die richtige Erklärung einzelner Stellen verdient
gemacht und namentlich solche mit abweichender Überlieferung in
den Kreis der Betrachtung gezogen. In manchen Punkten berührt
er sich mit Haslauer, der ihn aber an Klarheit übertrifft. Wenn
er in bezug auf die Wertschätzung der Hss. zu Steinharts und
Hosius' Ansicht von der Vortrefflichkeit des Montepessulanus sich
bekennt, wird man ihm im großen und ganzen beipflichten; zur
Unterstützung dieser Ansicht hat er manche nützliche Bemerkung
beigesteuert und gezeigt, daß diejenigen Kritiker irren, welche be-
haupten, daß Paulus von Konstantinopel den Text durch Konjekturen
entstellt habe. Im einzelnen sei folgendes erwähnt: Die Überlieferung
nimmt er mehrfach gegen überflüssige Konjekturen in Schutz, so
IV 559, VI 18, 126, IX 580, 592, 762, 944, III 379. VI 200 zieht
er die Lesarten von M vor. IX 338 setzt er wohl richtig mit Leo
ein Komma hinter mare. I 103 hält er Isthmos für das Subjekt zu
frangent. I 531 bezieht er tenso auf die intentio der Luft, VI 708
erklärt er plena = iusta. VII 125 konjiziert er „laxat ceu", was
sehr unwahrscheinlich ist. Ganz mißglückt scheint mir die Behand-
lung von VII 460 ff. Hier will er die Stellung von M beibehalten,
übersetzt V. 462 tempus ungeheuerlicherweise mit „Schläfe", wozu
„vultus" Glosse sei, und billigt Leos Konjektur „tempus cognoscere
possint", muß aber selbst zugestehen, daß dabei ein „audacissiraum
dicendi genus" herauskomme usw. Ich verweise demgegenüber auf
Haslauers natürliche Erklärung. VIII 157 verteidigt Samse richtig
14 ♦
212 Jahresbericht über die nachaugusteischen Epiker. (Tolkiehn.)
die Lesart „summissa nimis" gegen Hosius, daß aber turba = optoc
sein kann, dafür ist er den Beweis schuldig geblieben.
Ganz zuletzt spricht er sich für die Echtheit des Proömiums
aus. Die Notiz von der Autorschaft Senecas, meint er, sei erfunden,
um Lucan gegen Frontos Angriff (p. 157 Nab.) zu verteidigen.
5. J. Cornu, Zu Lucan 6, 558. Arch. f. lat. Lexikogr., 1906
S. 184
empfiehlt die Lesung der Fragmenta Neapolitana „vacabat", was
wegen der Bedeutung des Verbums sehr bedenklich ist.
Als einen Beitrag zur Erklärung Lucans kann man auch noch
bezeichnen die Veröffentlichung von
J. P. Postgate, Pharsalia nostra. Class. Rev. 1905, p. 257
bis 260.
Er hält schwerlich mit Recht die Angaben der antiken Schrift-
steller für zu unbestimmt, als daß man daraus irgend etwas Sicheres
über die Örtlichkeit der Entscheidungsschlacht zwischen Cäsar und
Pompeius folgern könnte. Seine Behauptung aber, daß der Dichter
Thessalia vollkommen synonym mit Pharsalia brauche, ist nicht stich-
haltig.
Nicht zugänglich gewesen sind mir folgende Arbeiten:
*W. K. Clement, Der Gebrauch des Infinitivs bei Lucan,
Valerius Flaccns, Statius und Juvenal. Proceedings of the American
Philol. Assoc. XXXIV, p. 36.
*J. W. Basore, Direct speech in Lucan as an element of
epical technic, ebd. XXXV, p. XCIV— XCVI.
♦Lucano poema tradotto da U. Ussani. Fase. VII 1. VII,
Torino 1903.
* Lucan. Pharsalia Translated into blank verse by Ed. Ridley.
London 1905.
* P. Thomas, Notes sur Lucain , Suötone et le Quärolus.
Mölanges Paul Frödericqs. Brüssel 1904.
•
4. Valerius Flaccus.
Über das Leben des Dichters hat geschrieben
♦Caesar Giarratano,De Valerii Flacci vita commentatio.
Rendiconti della R. Accad. di Archaeol. Neapel 1903.
Nach dem Berichte von Amatucci, Riv. fil. 1905 p. 607 f.
scheint das Schriftchen identisch mit dem zweiten Kapitel der Pro-
legomena in der tüchtigeu Ausgabe desselben Gelehrten:
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Jahresbericht über die nachaugusteischen Epiker. (Tolkiehn.) 213
C. Valerii Flacci Balbi Setini Argonauticou libri VIII. Re-
cognovit Caesar Giarratano. Mediolani-Panormi-Neapoli 1904
Sehr nützlich ist der vorausgeschickte „Index scriptorum ad
Valerium Flaccum pertinentium", welcher die seit 1724 erschienenen
Schriften mitsamt den über sie veröffentlichten Besprechungen in chrono-
logischer Reihenfolge verzeichnet. Die Schriften, welche vor dieses Jahr
fallen, erwähnt das erste Kapitel der Prolegomena, indem zugleich die
früheren Ausgaben besprochen werden. Das dritte untersucht sorg-
fältig die handschriftliche Überlieferung und entwickelt die Grund-
sätze, von denen sich der Herausgeber bei der Gestaltung des Textes
bat leiten lassen. Danach ist der Vaticanus 3277 die vornehmste
Quelle, unter seinen Abschriften beansprucht der Monacensis den
ersten Rang; wo der Vaticanus offenbar verderbt ist, kommt der
Sangallensis an die Reihe, wo beide versagen, ist die Handschrift
Carrions, aber nur mit der äußersten Vorsicht, zu Rate zu ziehen;
den Interpolationen des Sangallensis und liber Carrionis gegenüber ver-
dienen die leichten Emendationen im Vaticanus den Vorzug. Die Härte
des Ausdruckes bei Valerius bringt es mit sich, daß öfters eine
richtige Erklärung statt einer Korrektur nottut; daraus ergibt sich
für den Herausgeber die Pflicht, .tunlichst der Schreibung des Vati-
canus zu folgen, wo aber emendiert werden muß, von den tiber-
lieferten Buchstaben möglichst wenig abzuweichen.
Das vierte Kapitel behandelt eine Reihe einzelner Stellen. Im
fünften sucht Giarratano die Frage zu lösen, ob das Epos vollendet
ist oder nicht. Er kommt dabei zu dem Ergebnis, daß Heinsius'
Ansicht, wonach das Fehlen des Schlusses auf Rechnung der Über-
lieferung zu setzen sei, das meiste für sich habe.
Was den darauf folgenden Text, unter dem ein reichhaltiger
Apparat steht, anlangt, so zeigt der Herausgeber hier eine lobens-
werte Vorsicht und einen anerkennenswerten Konservativismus.
Zur Kritik und Exegese sind folgende Schriften namhaft zu
machen :
1. Fr. Leo, Coniectanea Herrn. 1903, p. 307—310.
2. J. B. Hu blocher, Enarravit Petrus Langen C. Valerii
Flacci Argonauticon libros VIII. Pr. Landshut 1904.
3. H. Stroh, Studien zu Valerius Flaccus, besonders über
dessen Verhältnis zu Vergil. Diss. München. Augsburg 1905.
4. *E. H. Renkeina, Observationes criticae et exegeticae in
C. Valerii Flacci Argonautica. Diss. Utrecht 1906. Vgl.
die Rezension von Hublocher, Wochenschr. f. kl. PhiloL
1907 S. 484 ff.
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214 Jahresbericht über die nacbaugusteischen Epiker. (Tolkiehn.)
5. * J o h. Samuelsson, Studia in Yaleriura Flaccura, Eranos VI,
p. 72 — 100. Upsala 1906. Vgl. die Rezension von 0. Helm,
Wochenschr. f. kl. Philol. 1906 S. 908 f.
Leo behandelt etwa ein halbes Dutzend einzelner Stellen, indem
er teils die Überlieferung durch richtige Erklärung verteidigt, teils
eigene Textesänderungen vorschlägt, die auch Giarratano in der Ad-
notatio critica zu seiner Ausgabe mitgeteilt hat.
Hublocher und Stroh geben Nachträge zu dem bekannten
Kommentar von Langen. Ersterer bringt nach einer allgemeinen
Beurteilung dieses Buches, die ja nur günstig ausfallen konnte, Be-
obachtungen zu ausgewählten Stellen. Da er vielfach nur seine sub-
jektive Ansicht ohne Anführung von Gründen vorbringt, so ist ein
großer Teil seiner Arbeit vollkommen wertlos, nur ab und zu findet
man einige Weizenkörner unter der Spreu. Einen viel vorteil-
hafteren Eindruck macht der kritische Anhang, den Stroh seiner
Arbeit angehängt hat. Er räumt mit einer Reihe von Konjekturen
auf, die von den Herausgebern zu Unrecht auf Kosten der richtigen
Überlieferung in den Text gesetzt worden sind. I 6 J z. B. liest er
getrennt „ex terno (st. externo) liventia mella veneno" (= infolge
dreier Arten von Gift), indem er auf die Bedeutung der Zahl 8 im
antiken Zauberwesen hinweist. VI 552 hält er das überlieferte
„atris" in der Bedeutung „verhängnisvoll, furchtbar" u. a. m.
Die Arbeit von Renkema bezeichnet Hublocher als einen schätzens-
werten Beitrag zur Valeriusliteratur. Eine dreifache Aufgabe hat
sich nach seinem Bericht der Verf. gestellt. Die erste, die darin
besteht, durch Erklärung das Verständnis derjenigen Stellen des Ge-
dichtes zu fördern, deren Sinn noch nicht genügend erkannt ist,
habe R. durchweg glücklich gelöst. In bezug auf die zweite Aufgabe
aber, den verderbten Stellen durch Emendation aufzuhelfen, habe er
häufig ohne Rücksicht auf die Eigenart des Dichters an der Über-
lieferung auch da, wo es nicht am Platze sei, gerüttelt. Ein wirk-
liches Verdienst endlich habe er sich dadurch erworben, daß er an
verschiedenen Stellen die Authentizität der ohne Grund angefochtenen
Worte des Dichters verteidige.
Bei Samuelsson nimmt den Hauptteil der Arbeit, wie aus Helms
Bericht hervorgeht, die Besprechung einzelner Stellen ein. Außerdem
aber bietet er auf Grund von einer eigenen Kollation des Vat.
3277 Nachträge zu den handschriftlichen Lesarten im Anschluß an
Thilos Ausgabe und prüft die Frage nach dem Wert des Sangallensis
und der Hs. Carrions aufs neue, wobei er gegen Giarratano polemisiert.
Er „vertritt die alte Ansicht von Thilo, daß der Sangallensis aus dem
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Jahresbericht über die nachaugusteischen Epiker. (Tolkiehn.) 215
Vaticanus selber stammt." Aach in betreff des über Carrionis wendet
er sich gegen den italienischen Gelehrten, der meint, daß diese Hs.
aus demselben Archetypus wie der Vaticanus oder einem sehr ähn-
lichen abgeschrieben sei.
Die Beziehungen des Valerius zu Vergil sind in Langens
Kommentar ziemlich eingehend verwertet worden. Daß aber die
Nachahmung dieses Dichters noch weiter geht, als die Angaben des
Erklärers erkennen lassen, ist schon von Karl Wey man, Bl. f. d.
layr. Gymnasialw. 1898 S. 628 ausgesprochen worden. Auf An-
regung dieses Gelehrten hat Stroh in der oben angeführten Disser-
tation die Frage nochmals untersucht. Nach möglichst genauer Prüfung
der vorhandenen Literatur führt er im 1. Abschnitt (S. 7 — 27) die-
jenigen Stellen an, die außer den von Langen angegebenen im
Kommentar hätten Platz finden können; im 2. Abschnitt (S. 28 — 52)
macht er auf eine Anzahl bisher noch nicht herangezogener Parallelen
aufmerksam, und zwar ordnet er sie nach dem Sitz der imitatio im
Verse. Zahlreiche Anklänge an Vergilische Verse treten uns am
Anfange des Hexameters vor der Cäsur entgegen, weitaus die zahl-
reichsten zeigen sich aber im Ausgange des Verses, seltener ist Über-
einstimmung am Anfange und Schluß des Hexameters zugleich. In
nicht wenigen Versen endlich finden wir gleichklingende Worte vor einer
der drei gewöhnlichen Cäsuren und in dem letzten Fuße des Hexameters.
Besonders häufig ist die Erscheinung, daß ein Attribut vor der Cäsur,
das zugehörige Adjektiv aber am Schlüsse zu stehen kommt. Der
3. Abschnitt (S. 53—74) beschäftigt sich mit den Variationen Vergili-
scher Verse. „Hiebei leiteten den Dichter zum Teil metrische Gründe,
zum Teil auch das Bestreben, den Schein eines sklavischen Nach-
ahmens zu vermeiden. Vielfach wählt er für das Wort seines großen
Vorgängers ein gleichbedeutendes, oft sucht er durch Heranziehung
eines anderen Bildes oder einer poetischen Figur dem Verse eine
andere Färbung zu verleihen." Der 4. Abschnitt (S. 72 — 77) zeigt,
wie Valerius sein Vorbild an Kraft des rhetorischen Ausdruckes noch
zu übertreffen bemüht ist. Der 5. Abschnitt endlich (S. 78 —83) be-
handelt diejenigen Stellen, an denen der Dichter Teile verschiedener
Vergilischer Hexameter, besonders Anfangsworte und Versschlüsse in
einem einzigen Verse verwendet hat.
5. 5üius Italicus.
Eine Ausgabe der Punica ist erschienen in dem
Corpus poetarum latinorum ed. Postgate. Vol. II Tart. 4.
London 1904.
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216 Jahresbericht über die nachaugusteischen Epiker. (Tolkiehn.,
Der Herausgeber W. C. Summers stützt sich auf die Sammlungen
von H. Blaß und die Ausgabe von L. Bauer und bringt selbst nicht
viel Neues.
Textkritischer Natur sind die Aufsätze von
1. H.W. Garrod, Some emendations of Silius Italiens. Class.
Rev. 1905, p. 858.
2. J. P. P o s t g a t e , Yews and suicide, ebd. p. 358 f.
Unter den von Garrod angestellten Verbesserungsversuchen
scheint mir nur I 613 ff. „menta" st. „mensa" beachtenswert. Gegen
seine Konjektur „fas est" III 329 st. „saxo" wendet sich Postgate,
der Kupertis Vorschlag „taxo" billigt.
Vermischten Inhalts ist die Arbeit von
A. T. Lindblom, In Silii Italici Punica quaestiones.
Commentatio academ. Upsaliac 1906.
Sie zeugt von ausgebreiteter Literaturkenntnis und zerfallt in
3 Teile. Der erste handelt vom Gebrauch der Modi und Tempora
in Hauptsätzen, der zweite von demselben Gegenstande in bezug auf
Nebensätze, der dritte bringt „Adnotationes variae ad criticam maxime
rem spectantes" meist von konservativem, die Überlieferung billigendem
Staudpunkte aus.
Nicht zu meiner Kenntnis gelangt ist das Programm von
*Z. ßaudnik, Die epische Technik des Silius Italicus im
Verhältnis zu seinen Vorbildern. Teil I. Krumau 1906.
6. Statius.
Eine Gesamtausgabe der Gedichte des Statius liegt vor in dem
Corpus poetarum latinorum ed. Postgate. Vol. II Fase. IV.
London 1904.
Die Thebais und Achilleis ist von A. S. Wilkins besorgt, welcher
den Puteaneus selbst verglichen hat, ebenso die beiden Codices, die
sich in Canterbury belinden. Im übrigen liegt Kohlmanns Apparat
dem seinigen zugrunde. — Die Silvae haben Postgate und G. A. Davies
gemeinsam bearbeitet. Ihre Quelle ist die Ausgabe von Klotz.
In den Silvae hat die Handschriftenfrage eine lebhafte Kontro-
verse hervorgerufen. Alfred Klotz in seiner Ausgabe der Silvae
Leipzig, Teubner 1900, p. LXXIII hatte behauptet, daß der codex
Matritensis (M) die einzige und älteste Quelle unserer Überlieferung
sei, da er identisch sei mit dem Sangallensis, von dem Poggio während
des Kostnitzer Konzils eine ziemlich liederliche Abschrift nach Italien
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Jahresbericht über die nachaugusteischeu Epiker. (Tolkiehn.) 217
geschickt habe, and dessen Lesarten bekannt seien durch die vou
Angelo Poliziano aus dieser Abschrift in einem Exemplar der Edit.
princ. — jetzt in der Bibliotheca Orsiniana in Rom befindlich —
gemachten Eintragungen.
Demgegenüber trat A. E n g e 1 m a n n , De Statii Silvarum codieibus,
Leipz. Stud. XX, 1902, S. 1—144 für die Selbständigkeit und den
Wert der Kollation Polizianos ein.
Auf seine Seite stellte sich sein Lehrer Wach smuth, Zu den
Handschriften der Silven des Statius, ebd. S. 203—214, nur wich er
insofern von Engelmann ab, als er sich darzulegen bemühte, daß
Poggio wirklich den alten Kodex und nicht nur eine Abschrift nach
Italien gebracht und Poliziano in der Tat diesen alten Schweizer
Kodex selbst benutzt habe.
An der Lösung dieser Frage haben sich weiter beteiligt:
1. Fr. Vollmer, Zur Überlieferung von Statius' Silvae. Hermes,
1903, S. 134—139.
2. A. Engel mann. Über "die Handschriften der Silven des
Statius, ebd. S. 285—291.
3. A. Klotz, Zur Überlieferung der Silvae des Statius, ebd.
S. 468—480.
4. J. P. Postgate, The manuscript problem in the Silvae of
Statius. Class. Rev. 1903, S. 344—351.
Postgate erörtert zunächst, was wir unter der alten Iis. des Poggio
zu verstehen haben; er nimmt in Übereinstimmung mit Vollmer wohl
mit Recht an , daß in der Tat nur eine Abschrift , nicht aber der
alte Kodex selbst durch Vermittelung des gelehrten Florentiners nach
Italien gekommen sei. Als er das Ms. dorthin sandte, hatte Poggio
nach seinem eigenen, in einem Schreiben an Francesco Barbaro ent-
haltenen Zeugnis es nur bis zum 13. Buche der Punica des Silius
Italiens, die auch darin enthalten waren, durchgesehen, bis zu den
Silvae war er noch nicht gelangt und hat vermutlich zur Fortsetzung
der Textesrevision nicht vor dem Jahre 1431 oder 1432 Gelegenheit
gehabt. Bis zu seinem im Jahre 1459 erfolgten Tode ist die Hs.
wohl in seinem Besitz geblieben. Dann hören wir nur noch einmal
von ihr durch die Mitteilung Polizianos in seinem Kollationsexemplar,
dem Über Corsinianus „incidi in exemplar Statii Sylvarum, quod ex
Gallia Poggius Gallica scriptum manu attulerat. A quo videlicet
uno licet mendoso depravatoque et (ut arbitior) etiam dimidiato
reliqui omnes Codices, qui sunt in manibus emanarunt". Mit dieser
Annahme soll sich nach Vollmer, dem Klotz beistimmt, Poliziano
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218 Jahresbericht Uber die nachaugusteischen Epiker. (Tolkiehn.)
gründlich getäuscht haben. Demgegenüber betont Postgate mit ge-
wichtigen Gründen, daß Poliziano zweifelsohne den codex Poggii ge-
funden hat. Dann aber folgt notwendig, daß dieser nicht mit dem
Matritensis identisch sein kann. Denn bei aller Übereinstimmung
finden sich doch mehrere Unterschiede zwischen beiden, die ;sich
durch diese Annahme nicht [aus dem Wege schaffen lassen. Gegen
ihre Identität spricht der Umstand, daß der Vers I 4, 68 a „attollam
cantu gaudet thrasymennus et alpes8 in M steht, während Poliziano
ausdrücklich sagt: „hic versus deest i libro vetustissimo poggii qui
e Germania in Italiä e relatus", woran wir nicht zweifeln dürfen.
Außerdem schien Poliziano der Kodex, den er benutzte, unvollständig
(dimidiatus) , während M die Subscriptio enthält: „FINIS ADEST
VERE PRECIVM VVLT SCRIPTOR HABERE". Endlich teilt Post-
gate mit, daß u. a. Kenyon auf eine diesbezügliche Anfrage erklärt
habe, der Matritensis sei vermutlich um das Jahr 1480 in Italien
geschrieben, also nicht „gallica manu" wie die von Poliziano be-
schriebene Hs.
Nach diesen Auseinandersetzungen gelangt Postgate zu dem
Schlüsse: -„that the Madrid codex is a copy of the Vetus Poggii
made after its arrival in Italy", und man wird zugeben, daß mit
dieser Annahme die bislang bestehenden Schwierigkeiten gehoben zu
sein scheinen. Daß in der Praefatio zu Bd. I in M eine Lücke von
elf Buchstaben vorhanden ist, während am Rande des Corsinianus die
Ergänzung „oportet huius" steht, wovon das erste o von der Hand
Polizianos herrührt, kann man daher erklären, daß Poliziano nur noch
diesen Buchstaben lesen konnte, der Schreiber des Matritensis auch
nicht einmal diesen mehr. X)ie Lücke ist auch von Wichtigkeit für
die Beurteilung der Stellung der übrigen Hss. zu M. und dem alten
codex des Poggio.
Was den Vers 14, 86a betrifft, so haben Vollmer und Klotz
recht, die ihn gegen Engelmanns Athetierung in Schutz nehmen. Er
stand vermutlich in der Hs. des Poggio, als M daraus abgeschrieben
wurde, und ward späterhin ausradiert. In bezug auf den Ursprung
der Hs. des Poggio schließt sich Postgate der Ansicht L. Traubes
an, welcher sie für eine Abschrift hält, die ein irischer Schreiber
von einem St. Gallener Ms. des 9. oder 10. Jahrhunderts genommen habe.
Und was folgt aus alledem für die Gestaltung des Textes der
Silvae? „Neben M, den man nicht überschätzen darf, ist Polizianos
Kollation zu berücksichtigen" *).
*) Daß diese ganz wertlos ist und nur der cod. Matrit. die Grundlage
des Textes bildet, zeigt P. Thielscher, Philol. N. F. XX 85 ff. W. K.
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Jahresbericht über die nachaugusteischen Epiker. (Tolkiehn.) 219
Auf diesem Standpunkt steht auch die neueste englische Ausgabe
P. Papini Stati Silvae. Recognovit brevique adnotatione
critica instruxit J. S. Phillimore. Oxonii 1904,
wo in der Praefatio die Frage nach dem Verhältnis zwischen jenen
beiden Zeugen der Überlieferung von neuem aufgerollt wird. Neu
sind hier im Apparatus criticus Marginalien, die von Gelehrten des
15. oder 16. Jahrhunderts in einigen Ausgaben der Bodleiana und
einer Domitiana sich vorfinden. Wie wenig glücklich Phillimore in
der Gestaltung des Textes gewesen, hat Alfred Klotz, Berl.
philo!. Wochenschr. 1906 S. 461 ff. ausführlich dargetan.
Auf einen in der neueren Zeit unbeachtet gebliebenen Kodex
der Silvae hat hingewiesen
A. Elter, Eine Statiushandschrift in Palma. Berl. phil.
Wochenschr. 1905 S. 1100 f.
Sein Verhältnis zu den übrigen Hss. hat auf Grund von Photo-
graphieen zweier Seiten daraus aufgeklärt
A. Klotz, ebd. S. 1101 f.
Er ist erst in der zweiten Hälfte das 15. Jahrhunderts ge-
schrieben und vermutlich ein Zwillingsbruder des Kodex, aus dem
die Edit. pr. stammt.
Ganz besonders zahlreich sind die Bemühungen um einzelne
Stellen der Silven, doch haben sie nicht gerade viel brauchbare Er-
gebnisse gezeitigt. Wir verzeichnen sie nachstehend in chronologischer
Reihenfolge :
1. A. Klotz, Jubatus. Arch. f. lat. Lexikogr. 1904 S. 286.
2. W. R. Hardie, Notes on the Silvae of Statius. Class. Rev.
1904 p. 156-158.
3. Job. P. Postgate, Ad Silvas Statianas silvula. Philol., 1905
p. 116—136.
4. A. Schilling, Lucubrationum Statianarum Pars I. Progr.
Rixdorf 1905.
5. R. Törnebladh, Ad Statium adnotationes. Commentat.
philol. in honorem J. Paulson. Gotoburgi 1905 p. 41 — 54.
6. A. E. Ho as man, The silvae of Statius. Class. Rev. 1906
p. 37—47.
7. D. A. Slater, Conjectural emendations in the silvae of
Statius. Journ. of Philol. 1906 p. 133 — 160.
8. J. P. P o s t g a t e , On three passages of the Silvae of Statius.
Class. Rev. 1906 p. 306, 307.
220 Jahresbericht über die nachauguste^chen Epiker. (Tolkiehn.)
Klotz erklärt Silv. V 1, 83 iubatus „vom Haupthaar umwallt".
Hardie weist I 4, 39 f. „quae tum patrumque equitumque notavi-
lumina et ignarae plebis lugere potentes" die Auffassung Vollmers
von lumina (= Leuchten) und ignarus (= unbekannt, obskur)
zurück und erklärt : „ What eyes I observed — that is ,what sadness
I read in the eyes of senator and knight and of the commons, un-
wont as they are to show sympathy for the 'great'". In II 2, 100
bis 106 sieht er im Gegensatz zu Vollmer zwei voneinander ganz
verschiedene Bilder. V. 100 — 103 schildern eine Vereide mitten im
Weinberge, die mit einem blätterreichen Zweige sich das Salzwasser
aus dem Gesicht wischt. V. 104—106 zeigen uns Satyre und Pane
auf der Verfolgung einer anderen Nymphe namens Doris. Die Worte
„sparsa est vindemia fluctu" bedeuten: „der Schaum des Meeres be-
spritzt die reifen Trauben". Hier ist H.s Auffassung wohl natür-
licher. In demselben Gedicht V. 147 f. schlägt er die Ergänzung
vor: „Tuque nurus inter longe praedocta Latinas — parque viro
mentem, cui non praecordia curae" etc. Das ist selbstredend eine
hypothetische Ergänzung wie jede andere; doch hat H. wohl darin
recht, daß „nurus" in der Bedeutung „Frauen" nicht ohne einen die
Herkunft bezeichnenden Zusatz gebraucht wird.
Postgates Aufsatz im Philologus enthält eine Reihe ganz geist-
reicher Einfälle, die aber meist ohne praktischen Nutzen sind. Seine
Koujekturen stützen sich vorwiegend auf die von Engelraann be-
obachteten und klassifizierten Verschreibungen in Matritensis. Eine
besondere Vorliebe hat er für die Vertauschung metrisch gleich-
wertiger Worte innerhalb zweier aufeinander folgender Verse. Be-
achtenswert scheint mir seine Behandlung von 14, 61, wo er das
überlieferte „progressus" halten und „morast"? (= num moraris?)
schreiben will, ferner II 1, 64, 65 die Vertauschuug der Präpositionen
ad und in, II 6, 50 der Vorschlag „repetisse" für das verderbte
„potasse" und IV 5, 9 die Interpunktion „nunc cuncta veris: fron-
dibus" etc.
Schilling, der in der Einleitung einen überschwenglichen Lobes-
hymnus auf Statius anstimmt, behandelt der Reihe nach Silv. I 3. 5.
II 3 — 5. IV 5. 7. 9. V 4, indem er jedesmal einige Stellen zuvor
bespricht und dann den Text mit Übersetzung folgen läßt. Die Vor-
bemerkungen sind jedoch recht unbedeutend , seine Verbesserungs-
vorschläge entbehrlich und die Übertragung erscheint wenig gewandt.
Törnebladh geht von dem gewiß zu billigenden Grundsatze aus,
daß die Autorität der IIss. im allgemeinen höher stehen müsse als
Emendationsversuche, doch dürfe man darüber nicht unberücksichtigt
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Jahresbericht über die nachaugusteischen Epiker. (Tolkiehn.) 221
lassen, was der Zusammenhang oder der Sprachgebrauch fordere.
Dementsprechend nimmt er sich an mehreren Stellen der durch Kon-
jekturen gefährdeten Überlieferung an und teilt nützliche Beobachtungen
über den Sprachgebrauch des Dichters mit. Auch die Erklärung
hat er in mehrfacher Hinsicht gefördert , und man wird ihm z. B.
I 1, 37 — 39 und 100, wo er von Vollmer abweicht, gern beistimmen.
Zu 12, 138 sucht er darzutun, daß Violentilla Witwe gewesen sei,
durch Vergleichen der Ausdrücke, deren Vergil sich über Dido bedient.
Wenig Gutes ist über Housmans Leistung zu sagen. Seine Vor-
schläge sind meist überflüssig, und dabei gestattet er sich zum Teil
ganz gewaltsame Eingriffe in den überlieferten Text. Doch fällt auch
ab und zu etwas Brauchbares ab. Ich notiere II 1 , 28 „crudi
comitem sociumque doloris", IV 8, 49, wo er im Anschluß an eumeliss
M unter Hinweis darauf, daß Parthenope nicht des Eumelus, sondern
des Achelous Tochter war, „Eumelus" schreibt, und V 3, 49. wo
er „Cyclopum scopuli" wohl mit Recht als zyklopische Bauten er-
klärt. Ähnliches gilt von Slaters Bemühungen, der viel Scharfsinn
umsonst aufgewendet hat. Er überschüttet den Leser förmlich mit
Konjekturen, hauptsächlich paläographischen, die vollkommen ent-
behrlich sind. Das hindert ihn aber nicht, sehr absprechend sich über
Vollmers Verdienste zu äußern: „The stolid conscrvatism of Dr. Vollmer"
heißt es auf p. 159, und doch hat der deutsche Gelehrte auf mancher
Seite seines Kommentars die Statiusforschung mehr gefördert als
Slater durch seine ganze Arbeit. Erwähnenswert ist vielleicht
IV 6. 43 „dant spatium" und V 3, 94 „idem animus" für cydalibem.
Die drei von Postgate in dem späteren Aufsatz behandelten
Stellen sind U 1, 230, wo er die Worte „comes ille" für aus „coma
s(a)euau („the snaky feil of Cerberus") entstanden ansieht, II 7, 100,
wo er die Interpunktion in der Ausgabe seines Corpus: „sie et tu
rabidi nefas tyranni, — iussus praeeipitem subire Lethen" durch den
Hinweis auf Lucan Phars. VIII 549 rechtfertigt, und IV 4, 69 ff.
Hier will er V. 73 avos M beibehalten als die alte Nominativform.
In dem avus sieht P. den Großvater mütterlicherseits Cn. Hosidius
Geta, der consul suffectus 45 oder 46 war und 95, als dieses Gedicht
geschrieben ward, wohl nicht mehr unter den Lebenden weilte. „Poscit
is more impressive if the claim comes from the dead. The con-
struetion praestat novisse appears to be on the pattern of ,dat habere',
,tradam portare' etc.; but praestat may govern novisse directly'".
Nach bestimmten Gesichtspunkten hin sind die Silvae durch-
forscht worden in der Dissertation von
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222 Jahresbericht über die nachaugusteischen Epiker. (Tolkiehn.)
H. Lohrisch, De Statii silvarum poetae studiis rhetoricis.
Halis Saxonum 1905.
Der Verf. verfolgt das Ziel, die ausgedehnte rhetorische Bildung
des Dichters darzulegen, was trotz vieler Vorarbeiten bisher noch
nicht in» Zusammenhange geschehen war. Er versucht das zunächst
an Einzelheiten darzutun, die sich auf das Lob von Personen be-
ziehen, dann an den carmina funebria, nuptialia, natalicia, propemptica
und in einem besonderen Kapitel an den' Beschreibungen. Das Schluß-
kapitel geht auf die Gleichnisse und sonstigen Redeschinuck ein.
Die Überlieferung von Statins' Epen haben folgende Arbeiten
zum Gegenstande:
1. 0. Müller, Aus alten Handschriften des Statins. Wochenschr.
f. klass. Thilol. 1903 S. 191—197.
2. M. Manitius, Handschriftliches zum Texte des Statins. Rh.
Mus. 1904 S. 588—596.
3. — Dresdener Scholien zu Statins' Achilleis, ebd. 1904 S. 597
bis 602.
4. H. W. Garrod, The S. John's College (Cambridge) MS.
of the Thebaid. Class. Rev. 1904, p. 38—42.
5. A. Klotz, Die Barthschen Statiushandschriften. Rh. Mus.
1904 S. 373-390.
6. — Zur Überlieferungsgeschichte der Epen des Statins. Philol.
1904, S. 157—160.
7. — Probleme der Textgeschichte des Statins. Herrn. 19Ö5,
S. 341—372.
Müller macht äußerst interessante Mitteilungen über musikalische
Zeichen (Neuinen), die sich in einer Hs. der Kasseler Bibliothek zu
Theb. XII 325—335 (Klage der Argia an der Leiche des Polynices) und
im Puteaneus und in einer Münchener fas. 6896 zu Theb. V 608 bis
616 (Klage der Hypsipyle über den Tod des Archemorus) finden,
ferner über die Benutzung eines Distichon des Cato als Schreib-
vorlage auf dem letzten Blatt des Puteaneus und stellt die irrtüm-
lichen Angaben Kohlmanns zu Theb. VIII 743 richtig.
Manitius behandelt die Handschrift der Königl. Bibliothek zu
Dresden Dc 156. Sie enthält zwei Exemplare der Thebais, die zu
verschiedenen Zeiten geschrieben sind. Die Kollation mit der Aus-
gabe von Kohlmann hat ergeben, daß beide sich im allgemeinen nahe
stehen, ja von Ende Buch X an gleich werden, um dann am Schluß
wieder zu divergieren. Beide, oder auch nur eine von ihnen, haben
sehr viele Lesarten mit dem Puteanus gemein, wo dieser nach Kohl-
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Jahresbericht über die nachaugusteischen Epiker. (Tolkiehn.) 223
mann ganz allein steht, und die einzig richtige Überlieferung ver-
tritt. Ja, zuweilen geht die Überlieferung des Dresdensis Uber den
Puteanus hinaus und bietet handschriftliche Unterlagen für Emen-
dationen, die längst dem Statiustext angehören.
Die zweite Veröffentlichung desselben Gelehrten stammt aus dem
Dresdensis Dc 157, welcher im 13. Jahrhundert in Italien ge-
schrieben ist. Der Wert dieser Hs. besteht in den Scholien, welche
bis I 164 ziemlich reichlich sind, dann aber sehr große Lücken auf-
weisen und fast zu Glossen herabsinken. Das Vaterland der Hs.
ergibt sich nicht nur aus der Schrift selbst, sondern auch aus
mehreren italienischen WoPten, die in den Scholien stehen. Diese
selbst sind durchaus gleichzeitig in sehr kleiner Schrift geschrieben
und verraten oft genug große Nachlässigkeit.
Klotz bricht im Rh. Mus eine Lanze für Barths Angaben über
die von ihm benutzten Hss. der Thebais und Achilleis, deren
Existenz Otto Müller geleugnet hat. Er zeigt, daß im allgemeinen
jener Glauben verdient; zugleich aber ergibt sich auch die Wert-
losigkeit der Barthschen membrauae optimae für die recensio, und
eine neue Ausgabe der Thebais braucht den kritischen Apparat nicht
mit deren Lesarten zu belasten. Ungewiß bleibt noch, ob die Barth-
schen Hss. für die Scholien irgendwelche Bedeutung haben; eine
Untersuchung darüber, die durchaus notwendig ist, steht noch aus.
Derselbe Gelehrte versucht in Philol. die Genealogie des für die
Überlieferung von Statins' Thebais und Achilleis so wertvollen codex
Puteaneus weiter zurückzuverfolgen. In der subscriptio des vierten
Buches der Thebais_findet sich eine Notiz über den Eigentümer
CODEX 1VLIANI VC. Vollmer, Rh. Mus. 1896 S. 27 Anm. 1
hatte vermutet, dieser Julianus sei identisch mit dem Adressaten
von Priscians grammatischem Hauptwerk. K. sucht diese Vermutung
zu stützen, indem er wahrscheinlich zu machen sich bemüht, daß die
Vorlage der Hs., aus der der Puteaneus abgeschrieben ist, durch
den Erzbischof Aelberth von York (f 780) von Rom nach York ge-
bracht worden sei. Lebte jener Julianus in Rom, so stand er ver-
mutlich zum Kreise der Syminachi in Beziehung. Im Herrn, endlich
bespricht Klotz die Differenzen zwischen den Statiuszitaten bei
Priscian und dem Puteaneus. Diese sind, abgesehen von denjenigen
Stellen, an denen sich in letzterem Schreibfehler linden, nur gering.
Nur II p. 72, 22 zitiert Priscian aus Theb. IV V. 415 und 417,
während er den in P. überlieferten, zwar sprachlich und metrisch
unanstößigen , aber die Konstruktion des Satzes störenden V. 416
ausläßt. Dieser Vers ist vor nicht langer Zeit auch in der eng-
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224 Jahresbericht über die nachaugusteischen Epiker. (Tolkiehn.)
lischen Hs. zum Vorschein gekommen, über die Garrod im Class. Rev.
berichtet bat. Sie stammt aus dem 10. Jahrhundert und gehörte
nach der Bemerkung „lib(er) monachorum de Dovorya" und des
alten , jetzt in der Bodleiana befindlichen Eataloges der Priorei von
Dover. Hier ist nach V. 715 zu lesen: „apta ruit phaetbontis eqnos
magnumque laborem". Dasselbe bietet nach Garrods Mitteilung die
Hs. von P. Vlamingius am Rande mit Einsetzung von „longumque"
für „magnumque". Eine weitere Spur hat G. in dem Cod. Corp.
Christi zu Oxford (s. X11I/XIV zu finden gemeint, in dem zwar
V. 716 fehlt, 717 aber diese Form hat:
fuit
Haec quoquc secreta nutrit langia sub mubra.
G. nimmt an, daß die Glosse fuit zu dem ausgelassenen V. 716
gehört, wo sie als Variante zu ruit beigeschrieben gewesen sei.
Licht wird in diese Frage gebracht durch den Codex repert. I 12
der Leipziger Stadtbibliothek, den Klotz im Herbst 1903 verglichen
hat. Die im 11. Jahrhundert geschriebene Hs. gehört wie die
Doversche Hs. zur Klasse der älteren Vulgata. Da stehen hinter
V. 713 nicht weniger als 7 Verse mehr als in den anderen Hss., an
dritter Stelle steht der im Puteaneus zwischen 715 und 716 über-
lieferte Vers mit der Lesung „fuit" st. „ruit" und zwar so, daß er
ohne Änderung eines Buchstabens sich in den Zusammenhang fügt.
Klotz zeigt des weiteren, daß die Versgruppe in der Leipziger Hs.
an unrechter Stelle auftritt, und meint, da V. 716 im Puteaneus ein
versprengter Rest dieser Versgruppe sei, daß sich auch hier Überein-
stimmung zwischen dem Puteaneus und Priscian ergebe. Eine hieran
sich anschließende Betrachtung aller derjenigen Stellen, an denen
Verse in einer Reihe von Hss. fehlen, führt Klotz zu der Ansicht,
daß jene Verse unecht sind. Doch erscheint das noch nicht so ganz
ausgemacht.
Eine kritische Ausgabe der Epen des Statins ist in England
erschienen :
C. Papini Stati Thebais et Achilleis. Recognovit brevique
adnotatione critica instruxit H. W. Garrod. Oxonii 1906.
Die Überlieferung der Thebais zerfällt in zwei Klassen; die erste
wird von Puteaneus , die zweite von BDKNQS gebildet. Beide
gehen auf einen gemeinschaftlichen Archetypus (r) zurück. Dieser
war in Minuskeln vermutlich s. VIII aus einem Exemplar in Kapital-
schrift (p) abgeschrieben, enthielt auch die Achilleis und wahrschein-
lich je 30 Verse auf der Seite, verstreute Glossen, an vielen Stellen
aber zwischen den Zeilen geschriebene Varianten. Dagegen ist Garrod
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Jahresbericht über die nachaugusteischen Epiker. (Tolkiehn.) 225
nicht dafür, daß der Kommentar des Lactantius an seinem Rande
gestanden habe. Ob tc oder p der „codex Juliani v. c.tt ge-
wesen, läßt er unentschieden. Aus ir ist s. IX P entsprungen, Ende
des 8. oder Anfang des 9. Jahrhunderts tu*, welcher die gemeinsame
Quelle von B, D, K, N, Q (a>) und S war. Sodann kommt der Heraus-
geber zu der Vermutung, daß in P die zweite Rezension des Statins
selbst vorliege. Die ganze Textesgestaltung muß daher auf dieser
Hs. beruhen, doch will G. auch ein möglichst treues Bild der ersten
Rezension in seinen Noten geben. Die nach s. XI geschriebenen
Hss. hält er für ganz unglaubwürdig, da sie alle aus a> S stammen
und interpoliert sind. In der Achilleis hat G. den von Klotz heran-
gezogenen Kodex C gar nicht berücksichtigt, dagegen den von Klotz
beinahe ganz unbeachtet gelassenen Etonensis (E) verglichen, und er
hält ihn für wertvoll, indem er den beiden Schenkl vorwirft, un-
richtige Angaben darüber gemacht zu haben.
Einzelne Stellen sind behandelt von
1. Garrod, Some emendations in Statuis' Thebaid. Class. Rev.
1904, p. 300—301.
2. Postgate, On Statins Thebaid IX 501, ebd. p. 301.
3. A. Rivoiro, La casa del sonno (Ovidio Me tarn. XI 951 sgg.
Stazio Thebaide X 84). Classici e Neolatini I 1.
Von Garrods Vorschlägen erwähne ich IV 757 f.
„tu nunc undis — pluvioque rogaris | pro Jove — tu refugas" etc.
Zum Schluß erwähnt er eine Hs. der Phillips Library of Cheltenham,
welche im 10. Jahrhundert geschrieben ist; nur I und II 1 — 62
rühren von jener Hand des 12. Jahrhunderts her; er hält sie für
nahe verwandt mit G 2 — K. Die Subscriptio lautet :
LI HER REVENMI DNI DNI D (Name ausradiert)
CARDINALIS PRAESTANTISSIMI
CIARPALLEONE VULGARITER NUNCÜPATUS
NICOLAUS FULGINAS DOC. ARTIUM.
Postgate will Theb. IX 501 für das im CPL vorgeschlagene
„passa vadum" jetzt „passa salum" setzen.
Im Anschluß hieran möge noch erwähnt werden der Aufsatz von
H.W. Garrod, Metrical stopgaps in Statius' Thebaid. Journ.
of Philol. 1904, p. 253—262.
Er stellt den Grundsatz auf: „Where the MSS. offer a diver-
sity of readings, all of which give apparently an equal sense, that
reading is to be preferred of which the initial or final letters re-
Jahreatwricht für Altortuwiiriseenachaft. Bd. CXXX1V. (1907. II.) 15
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22(3 Jahresbericht über die nachaugusteischen Epiker. (Tolkiehn.)
semble the letters of the word, or words, following or preceding" und
zählt sodann die Stellen her, wo die meisten Heraasgeber mit Recht
in derartigem Falle sich P angeschlossen haben; nur VII 258 will
er „vetus" und VIII 129 „nulli" mit <o (statt media P) lesen. Endlich
teilt er eine Reihe eigener Konjekturen mit, die er an Stelle ver-
meintlicher metrischer Lückenbüßer setzen möchte: 1 457 — 460 stellt
er also her:
pariter stabulare bimembres
Centauros unaque ferunt Cyclopas in Aetna
compositos (sunt et rabidis iura insita monstris
fasque suum ut nobis) sociare cubilia terrae.
V 646 schreibt er: „exciderant Cirrhae (= cire) ante adytis
accepta profundis". Die Echtheit von VI 177 — 185 scheint er mir
mit Recht zu verteidigen, indem er V. 180 — 183 im allgemeinen der
Lesung von P folgt und V. 181 „tori, Archemoritt, 182 „paranti"
und 185 „exsequias" ändert.
Ein umfangreiches Buch von 365 Seiten über die Thebais hat
verfaßt
L6on Legras, Etüde sur la Thöbaide de Stace. Paris 1905.
Die Introduction (p. 1—13) enthält Betrachtungen über das
Leben des Dichters und die damaligen Zeitverhältnisse. Die I. Partie
(p. 15-144) ist betitelt „Le sujet et les sources de la Thöbaide"
und zerfällt in zwei Kapitel, von denen das eine „La lögende avant
Stace" kurze Angaben über Antimachus, Callimachus, Theokrit,
Apollodor und Seneca macht, während das zweite eine Analyse des
Gedichtes gibt, indem erörtert wird, welche Quellen in den einzelnen
Abschnitten benutzt sind. Daß hierbei manches zweifelhaft bleibt,
liegt in der Natur der Sache. Ein Anhang stellt den Zeitraum fest,
über den sich die Handlung des Gedichtes erstreckt: B. I— IV um-
fassen ungefähr drei Jahre, V — VII nur 24 Tage. In der II. Partie:
„L'öxöcution" (p. 145—345) faßt Verf. zuerst die Komposition ins
Auge und bemerkt richtig, daß SUUius sein Epos nach Analogie der
Äneide in 12 Gesänge geteilt, ihm aber keine Einheit zu geben ver-
mocht hat, weil ein Mittelpunkt fehlt. Ferner begegnen viele un-
nötige Episoden, und ein dritter Fehler besteht im Mangel an Zu-
sammenhang. Kap. 2 „Le merveilleux dans la Tltfbaide" gibt Aus-
kunft über den philosophischen Standpunkt des Dichters, der sich
den stoischen Anschauungen nähert, und zeigt, daß er in der Ver-
wendung der Mythologie Vergil und bisweilen Homer zum Muster
nimmt. Die Unfähigkeit des Epikers tritt aber ganz besonders hervor
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Jahresbericht über die nachaugusteischen Epiker. (Tolkiehn.) 227
in Kap. 3 „Les personnages de la ThÄbaide". „Aucun personnage",
so lautet das Urteil des Verfassers, „ne s'impose ä notre memoire;
poete de peu de glnie il n'a pas su en göneral faire agir ni parier ses
heros d'une fac,on originale et forte" ; Kap. 4 „L'esprit et les nsages
romains dans la Thlbaide" weist auf die vielen Anachronismen hin,
an denen das Gedicht reich ist : Statins kann sich nicht von der Ge-
wohnheit freimachen, den Maßstab seiner Zeit anzulegen, aber er
schildert nicht ausschließlich römische Sitten, wie behauptet worden,
sondern sucht auch hier Anlehnung an Homer. Kap. 5 „Les
ornements epiques dans la Thöbaide" führt aus, einen wie un-
verhältnismäßig großen Platz die ornamenta bei Statius einnehmen.
Kap. 6 „Le style de la Thöbaide" kommt zu dem Ergebnis „que si
Stace a fort bien us£ en genöral de la langue poötique latine, si meine
il a rencontre parfois des tournures tres energiques et neuves, cependant
son style ne prösente pas dans l'ensemble cette originalite* vigoureuse
qui fait les grands e"crivains et surtout les grands poetes öpiques".
Es folgt noch eine „Note sur la prosodie et la mötrique de Stace"
mit einer kurzen Polemik gegen Moerners Ausführungen De
P. Stati Thebaide p. 62 ff., doch bleibt dessen Resultat bestehen,
daß der 5. Gesang in . metrischer Hinsicht am gelungensten ist. Die
„Conclusion" (p. 347 — 349) stellt den Dichter als das echte Kind
seiner Zeit hin.
Nur in dürftigem Auszuge ist gegeben die Abhandlung von
Kirby Flower Smith, The influence of art upon certain
traditional passages in the epic poetry of Statius. Amer. Journ. of
Archaeol. 1903, p. 93.
Es heißt darin: „The object of this paper was not the source,
but the effect and meaning of artistic influence in Statius".
Die Beziehungen zwischen Statius und Silius Italiens, welche
schon oft die Aufmerksamkeit der Gelehrten auf sich gelenkt haben,
ohne daß hier ein sicheres Ergebnis erzielt worden wäre, hat in ein
klareres Licht zu rücken unternommen
L6on Leg ras, Les „Puniques" et la „Thöbaide". Rev. des
Stüdes anciennes, 1905, p. 131 — 146, 357—371.
Ausgehend von der Datierung der Punica kommt Legras zu
folgenden Schlüssen, daß
1. die Punica vollständig unter Domitian publiziert sind,
2. Buch I — XII zuerst erschienen ist,
3. die Epen des Silius und Statius ungefähr gleichzeitig be-
gonnen sind und keines auf das andere einen merklichen Einfluß aus-
geübt hat.
15*
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228 Jahresbericht Uber die nachaugusteischen Epiker. (Tolkiehn.)
Zur ersten Schlußfolgerung gelangt er durch die Erwägung, daß,
da Silius im Jahre 68 Konsul und nach dem damals üblichen Zwischen-
raum von neun Jahren 77 Prokonsul war, er etwa von 79 an sich emst-
lich mit seinem Epos beschäftigt habe und, jedes Jahr ein Buch voll-
endeud, ÖG mit dem Ganzen fertig geworden sei. Da Martini VJI 63
(Ende 92) bereits die Veröffentlichung eines Abschnittes voraussetzt,
Sil. XIV 68<j ff. aber nicht vor 93 verfaßt sein können, so hindert nichts
anzunehmen, daß B. I — XII zuerst veröffentlicht sind, außer III 607
bis 629, welche auf das Jahr 96 hinzudeuten scheinen. Es bleibt dann
nichts anderes Übrig, als eine spätere Entstehung und Hinzufügung
dieser Stelle anzunehmen. Es ist möglich, daß die Dinge in Wirk-
lichkeit so liegen, wenngleich die von Legras beigebrachten Gründe
nicht besonders beweiskräftig sind. Haben Nachahmungen statt-
gefunden, so kommen danach für Statins nur die letzten 5 Bücher
der Punica, für Silius nur die Achilleis und die beiden letzten Bücher
der Silvae in Frage; und eine Betrachtung der vorhandenen Parallelen
bestätigt dieses Verhältnis.
Eine Beurteilung des dichterischen Wertes der Erzeugnisse des
Statius versucht
E. Eissfeld t, Zu den Vorbildern des Statius. Piniol. 1904
S. 378 424.
„Die vorliegende Arbeit hat weniger den Zweck, etwas ganz
Neues zu bieten ; vielmehr sollen die bisherigen Forschungen auf dem
Gebiete der Vorbilder des Statius übersichtlich zusammengestellt und,
soweit es möglich ist, abgeschlossen werden; ferner sollen daraus
Schlüsse gezogen werden, was von Statius als Dichter zu halten sei.
Es wird daher an einer einzelnen Silve und ebenso an einem Buche
der Thebais alles zusammengetragen, was Statius von anderen Dichtern
entlehnt hat. Dann wird zusammengefaßt werden, wie weit der
Dichter seinem Hauptvorbild , dem Vergil , im allgemeinen nach-
geahmt hat, und endlich wird eine Übersicht über alle Bücher der
Thebais gegeben und darin kurz alles aufgeführt, was Eigentum
anderer Dichter ist. Nachdem so ein klares Bild gewonnen ist, wie
weit Statius die Nachahmung und Entlehnung treibt, wird es mög-
lich sein, ein Urteil Uber seine Selbständigkeit und dichterische Be-
gabung zu fällen."
Mit diesen Worten entwickelt der Verfasser sein Programm, das
er dann im Anschluß an Silv. III 2 und Theb. VI im einzelnen aus-
zuführen bestrebt ist. Doch hat er sich die Sache viel zu leicht ge-
macht. Die Scholien hat er überhaupt nicht berücksichtigt, auch
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Jahresbericht über die nachangusteischen Epiker. (Tolkiehn.) 229
kennt er wichtige frühere Arbeiten, wie z. B. die tüchtige Disser-
tation von Fr. M oerner, De Papinii Statii Thebaide quaestiones,
Königsberg 1890 nicht. Vielfach ist er in der Annahme von Nach-
ahmungen zu weitgegangen; denn Parallelen zwischen zwei Dichtern
beruhen nicht immer auf Benutzung des einen durch den anderen.
Wenn er ferner dem Statius in der Thebais Mangel an Originalität
vorwirft und meint, daß dieser wie kein anderer sich an seine Vor-
gänger angelehnt habe, so bedenkt er nicht, daß Statius das Unglück
gehabt hat, daß uns eine große Zahl seiner Vorgänger erhalten ist,
während es z. B. mit Vergil umgekehrt steht.
7. Ausonius.
Die Annahme , daß eine Statue des Ausonius erhalten sei , hat
beseitigt
Ph. Lau zun, La prötendue statue d'Ausone au Musee
d'Auch. Rev. des ötudes anciennes. 1906, p. 52.
Er betont , daß es keinen Anhaltspunkt dafür gibt , daß die in
der Ebene von Gers gefundene Statue den Dichter darstellt, wie
Chaudruc de Crazannes geglaubt hat. Sie dürfte eher dem 2. als
dem 4. Jahrhundert angehören.
Für die Echtheit einiger angezweifelten Gedichte hat sich ver-
wendet
Lucien Villani, Quelques observations sur les chants
chrötiens d'Ausone, ebd. 1906 p. 325—337.
Äußere Gründe, sowie Sprache und Inhalt sprechen danach für
die Autorschaft des Ausonius bei der Oratio, die in der Ephemeris
an dritter Stelle steht. V. zeigt ferner, daß die Zweifel an der
Echtheit der Versus paschales wenig oder gar nichts bedeuten. Auch
die Oratio consulis Ausonii versibus rhopalicis ist von Scaliger und
neuerdings wieder von Brandes und Peiper dem Dichter mit Unrecht
abgesprochen worden. V. erklärt die darin herrschende barbarische
Latinität durch den Zwang, der Ausonius durch die seltsame Form
auferlegt wurde. Das läßt sich hören; auch die Handhabung der
Prosodie erscheint für jene Zeit nicht ungewöhnlich.
Derselbe Gelehrte hat sich auch mit der Textkritik einiger Ge-
dichte abgegeben in seiner
Note al testo di Ausonio. Riv. fil. 1904, p. 267—272,
und zwar hat er mehrfach mit Glück sich der verdächtigten Über-
lieferung angenommen, wie Caes. Tetrast, XI 4, Epist. XI 1,
230 Jahresbericht aber die nachaugusteischen Epiker. (Tolkiehn.)
XIV 98 usw.; an anderen Stellen empfiehlt er mit weniger Glück
altere Konjekturen. Eigene Vermutungen bietet er nicht.
L. Havet, Ausonius Technopaegnion 12, 25. Rev. fil. 1904,
p. 125
pflichtet H. Weil bei, der meint, daß Techn. XIII 25 (ed. Peiper)
„Haec corucis effigies Palamedia porrigitur <P" statt <PF zu schreiben
und Fau zu lesen sei. Dann aber sei „corucis" in „crucis" zu ändern,
was übrigens schon Scaliger vorgeschlagen hat.
Ans Epigr. 52, 1 (ed. Peiper) „orta salo, suscepta solo, patre
edita Caelo" zieht
0. Hey, Znr Aussprache des C. Arch. f. lat. Lexikogr. 1906
S. 112
den Schluß, daß „caek>M sehr ahnlich „selo" geklungen habe und
somit der Assibilierungsprozeß des C vor hellen und i- verwandten
Vokalen im Gallien des 4. Jahrhunderts schon im wesentlichen voll-
zogen gewesen sei.
Die Stellung des Ausonius zur Astrologie ist besprochen im
4. Kapitel der Abhandlung von
H. de la Ville de Mirmont, L'astrologie chez les Gallo-
Romains. Rev. des Stüdes anciennes. 1903, p. 255 — 275.
Er durchmustert die einzelnen Werke des Dichters und zeigt,
daß dieser in den offiziellen Schriften alle astrologischen Anspielungen
ängstlich vermieden hat, während er sich solche in den Gedichten
privaten Charakters häufig gestattet*, sie scheinen in der damaligen
Umgangssprache der Gebildeten gang und gäbe gewesen zu sein,
während gesetzlich alle geheimen Wissenschaften verboten waren.
Mirmont gibt die einzelnen hierher gehörenden Stellen an und er-
klärt sie meist. V. 76 f. des Griphus ternarii numeri :
et modus et genetrix modulorum musica triplex:
mixta libris secreta astris vulgata theatris
erläutert er also: Les trois modes sont: le mode dorien, le mode
lydien et le mode phrygien; la musique est mixte en puissance et
non en acte dans les livres — dans la partition oü eile est notee; —
eile devient la possession du vulgaire, quand passant de la puissance
a l'acte du livre muet ä Texe'cution eile est jouee au thöätre. Elle
est secrete, eile est inconnue aux horames, quand eile est la musique
des spheres ehestes cette musique dont il est si souvent question dans
les thCories platoniciennes" . Für die Frage nach dem Christentum
des Ausonius hätte auf das Programm von Brandes, Beiträge zu
Ausonius, Wolfenbttttel 1895 verwiesen werden müssen.
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Jahresbericht über die nachaugusteischen Epiker. (Tolkiehn.) 231
8. Querolus.
In der Voraussetzung, daß die anonyme Komödie Querolus
wenige Jahre nach der Veröffentlichung des Liber eclogarum des
Ausonius in Gallien entstanden sei, fügt Mirniont den Ausführungen Über
Ausonius ebd. p. 275 — 285 ein Kapitel unter dem Titel „L'astrologie
dans le Querolus" hinzu. Eine Hauptrolle in dem Stück spielt ja
Madrogerus, der sich für einen magus und mathematicus (= Astro-
logen) ausgibt, und so ist natürlich auch hier vielfach von astrologischen
Dingen die Rede. Mirmont polemisiert namentlich gegen Klinckhamer,
welcher in V. 23 ff. satirische Anspielungen auf die Verhältnisse des
Kaiserreiches hat sehen wollen.
9. Claudius Claudianus.
Hier ist nur zu verzeichnen die Mitteilung von
Arturo Galanti, I tempi e le opere di Claudio Claudiano.
Atti del congresso internationale di scienze storiche. Vol. II. Roma
1905, p. 125-128.
Galanti ist der Ansicht, daß die Bedeutung Claudians als eines
der letzten heidnischen römischen Dichter und Panegyrikers des
Honorius, Manlius Theodoras, Olybrius, Probinus und Stilicho bisher
noch nicht genügend [gewürdigt worden sei , und stellt ein ausführ-
liches Werk über ihn in Aussicht, dessen Inhalt er skizziert. Es
wird in 5 Bücher zerfallen, von denen B. 1 sich mit dem Leben und
der literarischen Tätigkeit Claudians beschäftigen, ß. II von seinem
Heidentum handeln, B. III die Darstellung der römischen Geschichte
in Claudians Gedichten untersuchen, B. IV seine Wichtigkeit als
historische Quelle für die Jahre 395 — 404 dartun und B. V endlich
die Vorbilder und Nachahmer des Dichters, sowie seine Stellung im
Mittelalter besprechen soll. Als Abschluß des Ganzen wird eine voll-
ständige Bibliographie zu Claudian von der Renaissance bis auf die
Gegenwart verheißen.
10. Calpurnius Siculus.
Eine willkommene Ausgabe der Bucolica des Calpurnius ist ent-
halten in dem
Corpus poetarum Latinorum ed. Postgate. Vol. II Part IV.
London 1904.
H. Schenkl hat sich in dankenswerter Weise der Aufgabe unter-
zogen, die Neubearbeitung vorzunehmen. Er fußt dabei auf seiner
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232 Jahresbericht über die nachaugusteischen Epiker. (Tolkiehu.,
1885 in Leipzig und Prag erschienenen größeren Ausgabe. Daß im
Apparatus criticus die Angaben über verschiedene Lesarten in beiden
Ausgaben bisweilen nicht übereinstimmen, erklärt sich daraus, daß
der Herausgeber den Neapolitanus, Gaddianus, die Randbemerkungen
des Riccardianus und Harleianus von neuem verglichen oder ein-
gesehen hat.
In die Werkstätte des Dichters versucht einzudringen
F. Fritzsche, De Calpurnii Eclogis I — III. Pr. Schwerin
1908.
Die erste Ekloge des Calpurnius verrät eine unverkennbare Über-
einstimmung in der Anlage mit der fünften Vergils , aber auch in
bezug auf einzelne Gedanken und Ausdrücke finden Anlehnungen
statt. Wenn Fritzsche daneben den Einfluß von Theokrit Id. I nach-
zuweisen sich bemüht, so gelingt ihm das nicht, da die Überein-
stimmungen zu allgemeiner Natur sind. Klarer hingegen wird die
Benutzung des griechischen Bukolikers in der zweiten Ekloge. Hier
weist der erste Teil vielfach Verwandtschaft mit dem achten und der
zweite Teil solche mit dem fünften Idyll Theokrits auf. In der
dritten Ekloge wiederum ist die Ähnlichkeit mit Id. XIV nur gering,
dagegen zeigen sich deutliche Parallelen mit Ovid und Vergil.
Gegen die von Haupt aufgestellte Hypothese, derzufolge der Ver-
fasser des Lobgedichtes auf Piso mit dem Bukoliker identisch sein
soll, hat sich gewendet
* Giovanni Ferra ra, Calpurnio Siculo e il panegirico a
Calpurnio Pisone. Pavia 1905.
W. Kroll, Deutsche Literaturz. 1907, S. 731 und
R. Helm, Wochenschr. f. kl. Philol. 1906 8. 183 bekunden
übereinstimmend, daß der Angriff gelungen ist.
Der Aufsatz von
*0. Jirani, 0 fivotö T. Calpurnia Sicula., Listy filolol. 1904
S. 321—327
kann wegen der Sprache, in der er geschrieben ist, nicht berück-
sichtigt werden.
Ii. Die bukolische Dichtung: des Nemesianus.
Auch von seiner Ausgabe der Bucolica des Nemesianus hat
II. Schenkl in Postgates Corpus poetarum Latinorum Part. V, London
1905 eine verbesserte Neuauflage veranstaltet.
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Jahresbericht über die nachaugusteischen Epiker. (Tolkiehn.) 233
■
12. Anthologia Latina.
Hier sind folgende teils kritische teils exegetische Schriften zu
verzeichnen
1. M. Manitius, Handschriftliches zur Anthologia latina. Philol.
1903 S. 640.
Der Cod. Monacensis lat. 22 227 saec. XII überliefert am Ende
fol. 207 » aus der lateinischen Anthologie Nr. 390, 494 und 670 (ed.
Riese). Im ersten Gedichte gibt er V. 15 allein die richtige, schon
von Meyer gefundene Lesung „despectis" und in der Überschrift des
zweiten die Verbesserung „dedicatum".
2. W. M. Lindsay, Anthologie latine I, XXVI. M^langes
Boissier, Paris 1903, p. 361—364.
Das Gedicht „Rure morans quid agam" ist im Codex Salmasianus
unter dem Titel „de habitatione ruris" und im Vossianus und Thuaneus
unter den Exzerpten aus Martial mit der Überschrift „poeta de
^ese ad librum suum" überliefert ; außerdem wird es in einer anderen
Gruppe von Hss. des 9. und 10. Jahrhunderts dem Avianus oder Avienus
zugeteilt. Lindsay stellt jede Beziehung zwischen den beiden ersten
Quellen in Abrede. Er hat wohl recht, wenn er meint, daß der
Thuaneus direkt abgeschrieben sei aus einer Wiener Hs. N. 277
(vgl. Traube, Berl. phil. Woch. XVI S. 1050). Diese enthält u. a.
1. Exzerpte aus einem vollständigen Martial, 2. Exzerpte aus einer
unvollständigen Abschrift der salmasianischen Anthologie: ebenso sei
der Vossianus entstanden, aber die Exzerpte seines Archetypus seien
weniger zahlreich und die aus Martial zum Teil andere als die in der
Wiener Hs. gewesen.
Die Zuweisung des Gedichtes 126 (ed. Riese) an Avianus erklärt
Lindsay also: Im Vossianus stehen die Fabeln des Avianus vor den
Martialexzerpten. In diesen letzteren liegt eine Unordnung vor,
indem B. V ff. den früheren Büchern voraufgehen ; da an der Spitze
von B. V das „Rure morans" stand, konnte dieses leicht noch zu den
Gedichten Avians gezogen werden. Lindsays Vermutung, daß in der
auf die Spectacula bezüglichen Notiz einiger Hss. : „Hü versus in
quodam vetustissimo allali inveniuntur, qui ab aliis deerant" für
„allali" nicht „Martiali", sondern „Aviani" zu lesen sei, scheint mir
nicht glücklich. Daß I 26 auch Cato, Horaz und Ovid beigelegt wird,
hat er nicht berücksichtigt.
3. Julius Ziehen, Geschichtlich -textkritische Studien zur
Salmasianus- Anthologie, Philol. XVII S. 362-377
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234 Jahresbericht über die nachaugusteischen Epiker. (Tolkiehn.)
bringt exegetische und textkritische Bemerkungen zu einer Reihe von
äußerst interessanten Gedichten, welche für die innere Geschichte
des Vandalenreiches in Afrika in Frage kommen, und zwar bietet er
nacheinander eine Erklärung folgender Nummern aus dem ersten
Bande der Rieseschen Anthologie: 1. Nr. 203, 2. Nr. 376; hier nimmt
er die Überlieferung, in V. 23 „dilectis", V. 26 „cortice" und V. 37
„manet" gegen Rieses Änderungen in Schutz. V. 29 „in regem"
und 35 „et neptere" hält er für noch ungelöste Schwierigkeiten.
3. Nr. 377: V. 7 verteidigt er das überlieferte „ignis amoenus";
trefflich scheint mir seine Konjektur in V. 15: „Haec Tibilis monu-
inenta tibi natisque manebunt" mit Hinweis auf die in dem Itinerariuni
Antonini und Augustini genannte numidische Stadt Tibilis an der
Straße von Cirta nach Karthago, das heutige Hammum Mescutin,
dessen heiße Quellen im Altertum bereits bekannt waren und das
also sehr gut das afrikanische Baiae sein kann, von dem das Gedicht
handelt.
In V. 16 schlägt Ziehen vor zu lesen: „et decorata manent
claros per saccla nepotes" oder „et decorata magis claros per
saecla nepotes"; in V. 17 bleibt er bei der Überlieferung „tu tarnen
excelsus" gegenüber Traubes „tuta senex caldis".
Den Dichter von Nr. 200 glaubt ausfindig gemacht zu haben
L. Raqaettius, De auctore carminis Pervigilium Veneris»
inscripti. Class. Rev. 1905, p. 224, 225.
Er liest V. 73 f.:
unde Ramnes et Quirites et proque prole postera
Romoli patrem crearet et Nepotem Caesarem
und versteht unter „Romoli pater" Orestes den Vater des Romulus
Augustulus und unter Nepos Caesar den Kaiser Julius Nepos, der
vom 24. Juni 474 — 31. Oktober 475 regierte. Da das Gedicht am
letzten März geschrieben ist, muß es in das Jahr 476 fallen; denn
am 28. August dieses Jahres wurde Orestes getötet. In jener Zeit
aber gab es keinen Dichter, dem man ein solches Gedicht zutrauen
könnte, außer Sidonius Apollinaris, und dieser soll sonach der Ver-
fasser des Pervigilium Veneris sein. Sidonius hatte eine Tochter
Roscia, die Alethius heiratete. Anspielungen auf beider Namen sind
V. 14—26 die Beschreibung der rosa und V. 8 und 84 „alites", und
das Gedicht entpuppt sich schließlich als ein Epithalamium.
Auf die Haltlosigkeit dieser Kombinationen hat hingewiesen
J. B. Bury, On the pervigilium Veneris ebd. p. 304.
Dessen eigene Konjektur in V. 74 „mater" ( Venus) befriedigt
auch nicht.
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Jahresbericht über die nach augusteischen Epiker. (Toikiehn.) 235
i3. Rutiiius Namatianus.
Eine sehr umfangreiche Bearbeitung des Rutiiius enthält die
These von J. Vess ereau, Cl. Rutiiius Namatianus. Edition critique
accompagneö d'mne Traduction francaise et d'un Index et suivie d'une
6tude historique et litteraire sur l'oeuvre et l'auteur. Paris 1904.
Die vorangeschickte Bibliographie, welche solche Werke verzeichnet,
die entweder unmittelbar und ausschließlich sich mit Rutiiius' Person,
Gedicht und Umgebung beschäftigen oder bei den verschiedenen ihn
betreffenden Fragen eingesehen werden können, ist nicht ganz voll-
ständig. Es folgt die Ausgabe, deren kritischer Apparat sich von
der sonst üblichen Anlage sehr unterscheidet. Er zerfällt nämlich in
zwei gesonderte Abteilungen, deren erste die handschriftlichen Les-
arten bietet und zwar auch sämtliche Varianten des von V. aber-
schätzten Romanus, während in der zweiten die Lesungen und Kon-
jekturen der früheren Herausgeber und Rutiliusforscher in ganz
maßloser Weise angehäuft sind. Dankenswert ist der Index ver-
borum plenissimns. Die Übersetzung ist in Prosa abgefaßt und nicht
immer genau. Den Hauptteil bildet die Studie über das Werk des
Rutiiius (p. 73 — 437). Die erste Partie behandelt die Geschichte des
Gedichtes. Kap. 1 berichtet von der Auffindung der nachmals wieder
verloren gegangenen Hs. im Kloster zu Bobbio im Jahre 1493. Auf
diese geht unsere gesamte Überlieferung zurück, worüber Kap. 2
Auskunft erteilt. Kap. 3 enthält einen Überblick über die Rutilius-
studien seit dem Ende des 15. Jahrhunderts bis auf die Gegenwart.
Kap. 4 verbreitet sich über die Ausgaben in der Zeit von 1520 bis
1883, die in 6 Perioden eingeteilt wird.
Die zweite Partie zieht die Persönlichkeit des Dichters, seine
Verwandten, Freunde und Bekannten in den Kreis der Betrachtung.
Die dritte Partie ist dem Gedichte selbst gewidmet und behandelt
die Reise des Rutiiius, die Exkurse über Mönche und Juden, die
historischen Exkurse und Reminiscenzen, die verschiedenen An-
spielungen und endlich eine Reihe ähnlich angelegter Werke von
Lucilius bis auf Addison und Cooper. Die letzte Partie hat es mit
der Form des Gedichtes zu tun. Kap. 1 bespricht den Titel, der
nicht sicher zu ermitteln ist, die Lücken, Interpolationen und Vers-
umstellungen. Kap. 2 befaßt sich mit der Komposition, dem Wort-
schatz, der Grammatik, sodann namentlich mit der Allitteration und
mit den Nachahmungen der früheren Dichter. V. schließt mit den
gewiß richtigen Worten : „On ne peut donc pas voir en lui un grand
poete; il est sürement comme le dit L. Müller, un praestantissimus
versificator".
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23ö Jahresbericht über die nachaugustuischen Epiker. (Tolkiehn.)
Eine Ergänzung zu dieser Ausgabe liegt vor in dem Aufsatz von
J. Vessereau et P. D im off, Rutiiiana. Rev. phil. 1906,
p. 61—70.
Im ersten Teile wird gezeigt, daß die Annahme der Benediktiner,
Poitiers sei des Rutilius Vaterstadt, jeder festen Grundlage entbehrt.
Ebensowenig kommt des Dichters Name in den Inschriften von Toulouse
und Umgegend vor, von wo die meisten seinen Ursprung herleiten;
der Name ist in Aquitanien überhaupt sehr selten. Es werden dann
alle Inschriften aufgezählt, in denen der Name Rutilius bzw. Rutilia,
Namatianus, Exuperantius und Palladius (des Vaters seines Freundes
und dieses selbst) vorkommen : Sie weisen auf die Gallia Narbonensis
als Heimat des Dichters hin ; und wahrscheinlich stammt er aus
Narbonne. Doch darf man auf die Inschriften nicht, wie die Ver-
fasser getan haben, allzuviel Gewicht legen, und die Sache ist sehr
unsicher.
Der zweite Teil will das Datum der Reise des Rutilius feststellen.
Seine Ankunft in Falerii fällt auf den 1. November; dann ist er am
13. Oktober von Rom aufgebrochen, hat sich vom 14. bis 18. in Porto
aufgehalten und ist am 29. zu Schilf gegangen. Die Reise fällt in
das Jahr 417, wie man vor A. W. Zunipt allgemein annahm: denn
1 135 f. rechnet der Dichter nach der catonischen , nicht nach der
varronianischen Ära.
Unbekanut geblieben sind mir
♦Pascal, Di una probabile fönte di Rutilio Namatiano.
Napoli 1903.
*Manfredi, L'ultimo poeta classico di Roma Claudio Rutilio
Naraaziano. Intra 1904.
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>
Bericht über die Literatur zu Suetonius von 1897—1906.
Von
Th. Opitz in Zwickau.
I. Allgemeines.
Mace, Essai sur Suötone. Paris 1900.
Aas dem reichen Inhalte des sehr ausführlichen Werkes kann
ich nur das Wichtigste hervorheben:
Kapitel I: Suetone avant les lettres de Pline
(69 — 97). Suetons Vater hieß Suetonius Laetus, er war Ritter
und Tribun der 13. Legion. Sueton ist vermutlich in Rom geboren,
vielleicht schon 69. Jedenfalls ergibt Mommsens sich auf Plin.
ep. III 8 stützende Annahme, daß er erst 77 geboren sei, ein zu
spätes Jahr. Denn S. war nach seiner eigenen Angabe 88 adu-
lescens, auch konnte ihn bei einem Altersunterschied von 15 Jahren
Plinius schwerlich contubernalis nennen, schließlich stimmt auch das
ihm von Trajan 113 verliehene jus trium liberorum besser zu dem
früheren Geburtsjahr.
Kapitel II: Suetone et Pline (97—113). Die sechs in
Betracht kommenden Briefe des Plinius werden datiert und be-
sprochen. An Einzelheiten sei folgendes erwähnt: Die Bitte Suetons,
ihn von der Übernahme des Militärtribunats zu entbinden (III 8), ist
jedenfalls erfüllt worden. Das erste große Werk, das S. veröffent-
lichte, war de viris illustribus, das sicher nicht vor 109 und ver-
mutlich nicht vor 113 erschien. In diesem Werke wurde Plinius
nicht erwähnt, wohl deshalb, weil er bei dessen Veröffentlichung noch
lebte. Aus der Bezeichnung contubernalis (I 24, 1) ergibt sich
nicht, daß S. mit Plinius in Bithynien gewesen wäre. Durch Plinius
hat S. sicher Tacitus, obwohl er ihn nirgends nennt, und viele Leute
kennen gelernt, von denen er manche Einzelheiten aus der Zeit Neros,
dem Dreikaiserjahr und der Herrschaft der Klavier erfuhr.
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238 Bericht über die Literatur zu Suetonius von 1897—1906. (Opitz.)
Kapitel III: Suötone ä la cour d'Hadrien. Vermutlich
durch Vermittlung des Septicius Claras, eines Freundes des Plinius,
erhielt S. bei Hadrian, vielleicht 119, die Stelle ab epistulis. Beide
Männer stimmten in vielen Punkten überein. Am Hofe trat S. zu
manchen Vertretern der Literatur in Beziehung, z. B. zu Florus.
Kapitel IV: Le sgcretaire ab epistulis auxarchives
im'pgriales. Wenn auch S. als ab epistulis nicht zugleich Vor-
stand des kaiserlichen Archivs war, welches Amt vermutlich der
a studiis bekleidete, so hatte er doch leicht Zutritt dazu. In ihm
lernte er z. B. unveröffentlichte Briefe des Augustus kennen, ferner
die Testamente des Caesar, Augustus und Tiberius. Den index rerum
(monumentum Ancyranum) hat S. in einzelnen Fällen benutzt, anderseits
fehlt es aber auch nicht an Widersprüchen. (Vgl. unten.) Auch Caesars
Briefwechsel hat S. kennen gelernt, dagegen teilt er von Tiberius,
Gaius und Claudius nichts Unveröffentlichtes mit, in den letzten sechs
Biographien erwähnt er fast kein Schriftstück der Kaiser. Übrigens
waren die Caesares im wesentlichen wohl abgeschlossen, als S. das
Amt ab epistulis erhielt. So hat er nur in den ersten Biographien
manches eingefügt. Acta senatus, acta diurna und dergl. brauchte S.
nicht im Archive einzusehen, da diese veröffentlicht waren.
Kapitel V: Suötone publie les XII Casars. Sa dis-
gracc. Ses dernieres annöes. Son caractere. Die
Caesares sind 121 herausgegeben und zwar auf einmal. Die An-
nahme, daß sie vor der Veröffentlichung von Tacitus' Annalen er-
schienen sein müßten, weil S. sonst manches geändert haben würde,
wird dadurch widerlegt, daß sich bei ihm auch den Historien gegen-
über Irrtümer finden, die er ruhig hat stehen lassen. Vor 119
können die Caesares nicht veröffentlicht sein, da S. erst in diesem
Jahre Zutritt zum Archiv erhielt. Während Hadrian in Britannien
war, fiel S. zugleich mit seinem Gönner Septicius in Ungnade und
zwar für immer. Gestorben ist er gegen 141, denn der bei Fronto
erwähnte Tranquillus ist nicht S.
Kapitel VI: Le polygraphe (S. 242—356). Die übrigen
Werke Suetons zerfallen in vier Klassen : Grammatik und Lexiko-
graphie, Archäologie und institutions , Geschichte, Naturgeschichte.
1. Klasse: Das Werk de viris illustribus, 113 veröffentlicht, um-
faßte Dichter, Redner, Historiker, Philosophen, Grammatiker und
Rhetoren, in den einzelnen Teilen in chronologischer Reihenfolge. Als
Quellen nennt S. selbst Varro, Santra, Nepos, benutzt hat er gewiß
auch Hyginus, wohl auch Asconius und von Seneca die controversiae.
— [lepl Tuiv iv ßtßXfotc <J7jii.efav, nicht ein Anhang zu de viris illustribus,
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Bericht über die Literatur zu Suetonius von 1897—1906. (Opit».) 239
sondern eine selbständige Schrift. — llepl §oc<p^|Mov X££eo>v ^tot ßXa-
<j<pr((Mu>v xai it6btv ^xa<mj, vermutlich in griechischer Sprache verfaßt.
Dieses Werk wird sehr oft zitiert. Von ihm ist ein Auszug erhalten
bei Miller, Mllanges de littärature grecque (1868), den Reifferscheid
noch nicht kannte. — De rebus variis. — 2. Klasse: llepl xfiiv
irop' "EXX^at irat8tu>v, ebenfalls griechisch geschrieben, ebenfalls ein
kleiner Auszug bei Miller. — llepl xrtt Koreprovo? 7co/.iT£ia? , eine
Verteidigung von Ciceros Werk de republica gegen Didymos Chalken-
teros, wie denn überhaupt S. Cicero sehr freundlich gesinnt ist und
vermutlich dessen sämtliche Werke gelesen hat. — De institutione
officiorum, wohl mit Benutzung der magistratuum libri des C. Sem-
pronius Tuditanus. — Die vier Schriften irepl 'Pcojiijc xal t&v ev aörjj
voufficov xal ^Ö&v, de genere vestium, irepl toG xata 'Ptojiatoo? iviaotoo
und historia ludicra bildeten jedenfalls ein Ganzes für sich und nicht
einen Teil der Prata. Die Schrift über das Jahr ist viel von Späteren
ausgeschrieben worden, in der über die Spiele benutzte S. außer
Varro u. a. vielleicht auch die OsatptxTj loropia des Königs Juba. —
3. Klasse: De regibus behandelte in drei Büchern die Könige von
Europa, Asien und Afrika. — llepl eirto^jAcov TropvÄv, wohl lateinisch ge-
schrieben, besprach z. B. Circe und Omphale, Aspasia und Phryne. —
4. Klasse: Prata, nicht Pratum; denn der Plural ist besser be-
zeugt Die von Schanz herrührende Rekonstruktion dieses Werkes
ist wahrscheinlicher als die Reifferscheidsche, wenngleich im einzelnen
vielfach unsicher. — Am Schlüsse dieses ausführlichen Kapitels er-
wähnt der Verfasser noch sechs apogryphe Werke, d. h. solche, die
von irgendwem dem S. zugeschrieben werden. Z. B. tragen in
manchen Handschriften Caesars Bücher über den gallischen Krieg
Suetons Namen, ein Irrtum, den sogar Orosius und Sidonius Apolli-
naris teilen, ebenso die Schrift differentiae verborum in der Hand-
schrift von Montpellier, der einzigen, in der sie erhalten ist. Weiter-
hin erwähnt Lionardo Bruni eine Rede Suetons, manche legen ihm
den dialogus de oratoribus oder das Schriftchen de viris illustribus
bei. Wenn schließlich Reifferscheid eine historia bellorum civilium
als ein Werk Suetons ansah, so ist das unbegründet; denn die bei
Hieronymus vorhandenen Stellen gehen auf eine Livius-Epitome zurück,
und die Zitate bei Gellius und Servius beziehen sich auf andere
Schriften Suetons.
K&pitel VII: Observations sur les sources des
XII Cösars. Im Caesar und Augustus nennt S. mehr Autoren als
in allen anderen vitae zusammen, und zwar nur Zeitgenossen dieser
beiden Caesaren. Das letztere gilt auch für die übrigen Kaiser. Der
240 Bericht über die Literatur zu Suetonius von 1897—1906. (Opitz.)
einzige spätere Schriftsteller, der erwähnt wird, ist der altere Plinius.
In den Biographien der ersten beiden Caesaren, für die S. überhaupt
ein ganz besonderes Interesse hat, ist nicht eine Hauptquelle anzu-
nehmen, sondein der Stoff ist aus vielen Quellen zusammengetragen,
und zwar aus einer größeren Zahl, als genannt werden. Dagegen
folgt S. in den Biographien von Tiberius bis Vitellius einer Haupt-
quelle, die unter den von ihm nicht namhaft gemachten Schriftstellern
zu suchen ist. Für Tiberius, Gaius und Claudius ist diese vielleicht
Servilius Nonianus, für Nero wohl Fabius Rusticus, für das Drei-
kaiserjahr wohl sicher die Historien des älteren Plinius. In den
Biographien der Flavier sind vor allem primäre Quellen benutzt.
— Fabius Rusticus ist zwischen 92 und 98 gestorben. Der beim
Tode des Tiberius genannte Seneca ist der Rhetor. Die Historien
de« Tacitus kannte S. natürlich , aber hat sie nie als Hauptquelle
benutzt.
Kapitel VIII: La prose mötrique et le style de
Sa ö tone. Daß auch S. rhythmische Prosa geschrieben hat, sucht
der Verfasser an Satzausgängen nach der Formel perferre oder re-
ferre zu erweisen. Indem er sich nach Roths Interpunktion ge-
richtet hat, hat er von jeder Sorte 113 Beispiele gefunden. Kr ver-
langt, daß die ganze Frage weiter untersucht werden soll. Die Be-
merkungen Uber den Stil sind ganz allgemeiner Natur.
Kapitel IX: La röputation de Suetone en occident
et en Orient. 1. Römische Literatur: Schon im 2. Jahr-
hundert zeigen Bekanntschaft mit S. Schriftsteller wie Fronto, Gellius,
Marius Maximus, die scriptores historiae Augustae, weiterhin
Censorinus, Solinus, Ammianus, Victor, Eutropius, Hieronymus,
Orosius. Cassiodorius , Priscianus, Isidorus u. a. Während Paulas
Diaconus die Caesares nicht kannte, ahmte Einhard sie nach. Aus
dieser Zeit stammt der Memmianus. 2. Griechische Literatur:
Plutarch hat zwar die Caesares nicht benutzt, erwähnt aber das Werk
de viris illustribus im Leben Ciceros. Dagegen zeigt bei Polyaenus sich
Benutzung der vitae. Zwischen Dio und S. finden sich oft Wider-
sprüche, so daß von ihm S., wenn überhaupt, so nur ganz selten zu
Rate gezogen worden ist. Dagegen ist Benutzung mit größerer oder
geringerer Sicherheit anzunehmen unter anderem bei Hesychius, Lydus,
Photius, in den Etymologicis, ferner bei Suidas, Eustathius, Tzetzes.
Ein Anhang enthält eine Zusammenstellung von „passages
correspondants" des S. mit solchen des monumentum Ancyranum, des
Tacitus, Dio und Plutarch. Den Schluß bildet ein ausführlicher
Index.
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Bericht über die Literatur zu Suetonius von 1897—1906. (Opitz.) 241
Peter, Die Geschichtschreiber der römischen Kaiserzeit.
2 Bände.
Naturgemäß ist an vielen Stellen dieses weitschichtigen Werkes
von Sueton die Rede. Die wichtigsten sind etwa folgende: I, 122:
über die Vielseitigkeit seiner Schriftstellern und ein Überblick über
diese. — II, 67: Die Caesares sind vermutlich 119 — 121 veröffent-
licht. S. ist mehr Antiquar als Politiker und sucht mit seiner Person
in den Hintergrund zu treten. Da er dieselben Quellen wie Tacitus
, benutzte, so finden wir auch bei ihm „die Illusionen jenes senatorischen
Kreises" wieder. Bei seiner Gewissenhaftigkeit hat er absichtlich
nichts Unwahres berichtet; freilich hat er Neigung zum Klatsch. —
II, 328 : S. faßt „den Kaiser als Persönlichkeit für sich" und sieht in
ihm den alleinigen Leiter des Staates, wobei eine „gerechte Würdigung
des Charakters freilich nicht möglich ist". Von der vita Augusti
gibt der Verfasser eine ganz genaue Disposition und bemerkt dazu,
daß diese in den übrigen Viten nicht so genau durchgeführt sei. —
I, 465 : Zweifellose Entlehnungen aus dem monumentum Ancyranum
sind durch die ganze vita Augusti zerstreut. Vgl. unten. — Sueton
ist von Eutrop teils ziemlich wörtlich , teils freier benutzt worden,
ebenso auch in den Breviarien des 4. Jahrhunderts. In der Epitome
ist vielleicht ein Suetonius auetus ausgeschrieben worden.
Leo, Die griechisch-römische Biographie.
Mit Sueton beschäftigen sich drei Abschnitte, S. 1 — 10 (Caesares)
S. 11—16 (die literarischen Biographien), S. 136-145 (von Varro
bis Sueton). Das Wesentlichste dürfte Folgendes sein: In der
römischen Geschichtschreibung ist durch Sueton die Biographie an
Stelle der Historie getreten. Das Schema ist „Name, Taten, Lebens-
führung, Tod", doch verschiebt es sich hier und da. Am schärfsten
ist es durchgeführt in der vita Augusti, am meisten weicht die
vita Titi insofern ab, als sie ein prooemium und einen eigentlichen
Schluß hat. Die literarischen Biographien sind nach demselben Grund-
satze disponiert. Doch wird das Schema nur dann ausgefüllt, wenn
S. in der betreffenden Rubrik etwas zu sagen weiß. Daher gehören
die Caesares und die literarischen Biographien zu derselben literarischen
Gattung, obwohl es an Verschiedenheiten im einzelnen nicht fehlt
S. hat also die Anwendung einer für Dichter und Philosophen er-
fundenen und brauchbaren Form und Behandlungsweise auf die Be-
herrscher des römischen Reiches durchgeführt, nicht gerade zum Vor-
teile der Sache. Die Caesares sind das einzige Beispiel einer ohne
biographische Vorgänger direkt aus den Quellen herausgearbeiteten
zusammenhängenden Folge von Biographien wissenschaftlichen Stils.
Jahresbericht fftr Altertumawiaaenschaft. Bd. CXXXIV. (1907. II.) 16
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242 Bericht über die Literatur zu Suetonius von 1897—1906. (Opitz.)
Peter, Die Literatur der Witzworte in Rom und die ge-
flügelten Worte im Munde Caesars. Neue Jahrbücher für Philologie
Bd. 155 (1897) S. 853 — 860.
Von Caesar sind über 30 Witzworte überliefert, besonders bei
Sueton und Plutarch. Von einer Sammlung wissen wir zwar nichts,
aber gewiß hat es eine gegeben. Von Einzelheiten sei erwähnt, daß
Suet. Caes. 32 mit Erasmus iacta alea csto statt est gelesen werden
soll wegen Plut. Pomp. 60 avepptspfho xußo? (so auch bei Meuander).
Bergmanns, Die Quellen der vita Tiberii (Buch 57 der
histuria romana des Cassius Dio). Heidelberger Dissertation 1903.
Durch eine ganz genaue Analyse der einzelnen Kapitel Dios
kommt der Verfasser zu dem Ergebnis, daß Sueton nie direkt von
Dio benutzt worden ist. Die Tatsachen, in deren Bericht beide und
zum Teil Tacitus als dritter übereinstimmen, gehen auf gemeinsame
Quellen zurück. Als solche nimmt der Verfasser zwei biographische
und eine annalistische an. Die erste ist von Sueton besonders für
Tib. 26 — 35, die zweite für Tib. 61 — 67, die dritte, aber nur in ge-
ringem Maße, für Tib. 34 — 37 benutzt.
W. D e n n i s o n , The epigraphic sources of the writing of Gaius
Suetonius Tranquillus. Reprint from the American Journal of
Archaeology. New York 1898.
Einleitungsweise spricht der Verfasser über die von Sueton selbst
genannten Quellen im allgemeinen.
Der 1. Hauptteil behandelt das Verhältnis Suetons zum monu-
mentum Ancyranum oder, genau genommen, zu dessen Original. Die
hier erörterte Frage, ob Sueton die Mausoleumsinschrift oder das
dieser zugrunde liegende volumen des Augustus benutzt habe, ist für
die eigentliche Frage , um die es sich handelt , ziemlich belanglos.
Alsdann werden 47 Stellen des monumentum Ancyranum mit ent-
sprechenden Stellen Suetons zusammengestellt und drei Grade der
Ähnlichkeit angenommen: wörtliche Übereinstimmung, Ähnlichkeit des
Ausdrucks, Ähnlichkeit in Auszügen. Am wichtigsten ist Aug. 43
fecisse se ludos ait suo nomine quater, pro alüs magistratibus,
qui aut abessent aut non sufficerent, ter et vicies und mon. Anc. IV 35
ludos feci meo nomine quater, aliorum autem magistratuum vicem ter et
viciens, denn der Zusatz bei Sueton qui aut abessent aut non sufficerent
ist völlig nichtssagend und wird wohl von ihm selbst stammen. Von
den übrigen Stellen sind nur wenige beweiskräftig , namentlich ent-
halten manche Angaben Suetons selbständige Einzelheiten, die darauf
hinweisen , daß eine andere Quelle als das monumentum Ancyranum
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Bericht über die Literatur zu Suetonius von 1897—1906. (Opitz.) 243
zugrunde liegt. Anderseits fehlt es auch nicht an direkten Wider-
sprüchen. Als Resultat ergibt sich also, daß Sueton von dem Original
des monumentum Ancyranuin Gebrauch gemacht hat, aber doch nur in
sehr bescheidenem Umfange.
Der 2. Hauptteil beschäftigt sich unter folgenden sieben Ge-
sichtspunkten mit Suetons Verhältnis zu anderen Inschriften: 1. Stellen,
die sich auf Inschriften zu beziehen scheinen, die wirklich von Sueton
eingesehen worden sind ; 2. solche, die sich auf Inschriften beziehen,
die Sueton sehr wahrscheinlich eingesehen hat; 3. solche, die sich
auf Inschriften beziehen, die Sueton wahrscheinlich nicht eingesehen
hat ; 4. solche, die sich ganz im allgemeinen auf Inschriften selbst oder
auf Denkmäler mit Inschriften beziehen ; 5. solche, die eine Ähnlich-
keit mit erhaltenen Inschriften aufweisen; 6. verschiedene Bel
Ziehungen; 7. Beinamen und Titel der Kaiser, die bei Sueton stehen
und durch Inschriften bestätigt werden. Abgesehen von den vier
unter die erste Rubrik gehörigen Stellen (Aug. 7, Tib. 5, Cal. 23,
Claud. 41), denen man noch einige der zweiten zugesellen könnte,
z. B. Dom. 5 und 13, sind auch hier die Resultate, wie der Verfasser
selbst zugibt, recht wenig sicher. Vielfach dienen ja die angeführten
Inschriften in geeigneter Weise dazu, die betreffenden Suetonstellen
zu erläutern, daß sie ihnen aber als Quellen zugrunde liegen, wird
sich nur ganz vereinzelt behaupten lassen.
Be ck , De monumento Ancyrano sententiae controversae. Mnemo-
syne XXV S. 349—360 und XXVI S. 238—257.
Dem Verfasser erscheint es im höchsten Grade zweifelhaft,
ob das monumentum Ancyranum eine Kopie der Inschrift auf dem
Mausoleum Augusti ist (S. 247 monumentum Ancyranum et titulum
Mausolei quendam congruere adhuc non satis constat). Für ganz
unwahrscheinlich erklärt er ferner eine Benutzung desselben durch
Sueton, geht also in dieser Hinsicht noch einen Schritt weiter als
Dennison. Auch er stellt S. 247 — 257 mehr als 30 Stellen neben-
einander, in denen Sueton und das monumentum dieselben Tatsachen
berichten und kommt ebenfalls zu dem Ergebnisse, daß Suetons Bericht
vielfach Einzelheiten enthält, die im monumentum fehlen. Daß Sueton
diese aus irgendeiner anderen Quelle hinzugefügt habe, erklärt er für
sehr unwahrscheinlich. Dabei wird besonders der Gesichtspunkt be-
tont, daß Sueton in seiner Eigenschaft als Geheimschreiber doch ganz
andere Quellen zur Verfügung hatte als das monumentum. Aus der
großen Zahl der Stellen liebt der Verfasser (S. 355 f.) drei als auch im Aus-
druck einander besonders ähnelnd hervor, und zwar außer den oben schon
16*
244 Bericht über die Literatur zu Suetonius von 1897—1906. (Opitz.)
angeführten Aug. 43 und mon. Anc. IV 35 noch Aug. 43 navale
proelium circa Tiberim, cavato solo, in quo nunc Caesarnm nemus
est und mon. Anc. IV 43 navalis proeli spectaclum populo dedi trans
Tiberim, in quo loco nunc nemus est Caesarnm, cavato solo e. q. s.,
sowie Aug. 21 nec ulli genti sine iustis et necessariis causis bellum
intulit und mon Anc. V 12 Alpes .... pacari feci nulli genti
bello per iniuriam inlato. Aber auch diese Parallelen sind nach der
Ansicht des Verfassers nicht von der Art, daß man deshalb eine
direkte Benutzung anzunehmen genötigt wäre.
H. Wölfflin, Sueton und das monumentum Ancyranum.
Archiv für lat. Lexikographie XIII S. 193—199.
Um zu entscheiden, ob Sueton aus dem monumentum Ancyranum
geschöpft hat, vergleicht der Verfasser Suet. Aug. 52 exque iis
cortinas Apollini Palatino dedicavit mit mon. Anc. 4, 53 exque ea pecunia
dona aurea in aede Apollinis . . . posui und erörtert im Anschluß
daran die Frage, an welche einsilbige Präpositionen que angehängt
wird. Ergebnis : an ab, ob, sub tritt que nie, ebensowenig an a d ,
mit ganz vereinzelter Ausnahme; cum que ist archaisch und findet
sich bei Cicero nur ganz selten nnd auch dann nur mit Formen von
is, bei Sueton fehlt es; postque kommt vor Vellerns und Valerius
Maximus nicht vor; bei in und per ist der Gebrauch schwankend;
exque, das in der Kurialsprache üblich war und aus dieser sich <
bei Cicero findet, verschwindet mit dem Ende der Republik aus der
guten Prosa, so daß es bei Livius, Curtius, Seneca. Quintilian und
Tacitus sowie bei Sueton und Ammian fehlt. Also stammt die oben
angeführte Stelle mit exque aus dem monumentum Ancyranum.
F. Gottan k a, Suetons Verhältnis zu der Denkschrift des Augustus
(monumentum Ancyranum). Programm des K. Luitpold-Gymnasiums
in München. 1904.
Einleitungsweise zählt der Verf. die Schriftsteller und sonstigen
Quellen auf, die Sueton in der Biographie des Augustus selbst
nennt, und stellt die bisher aufgestellten Ansichten über das vor-
liegende Thema zusammen. Dann werden alle Stellen, an denen die
beiden Berichte Vergleichspunkte bieten, im Wortlaute abgedruckt.
Der Verf. teilt sie in fünf Klassen ein: 1. Stellen (30) mit bloß
„materieller Übereinstimmung", 2. solche (12), die „in stilistischer
Hinsicht eine Beeinflussung Suetons durch die Denkschrift des Augustus
vermuten lassen", 3. solche (6), die „eine größere stilistische Ähn-
lichkeit zeigen, wobei jedoch Sueton gleichsam bestrebt ist, eine
Variation in den Worten anzuwenden", 4. solche (5), wo „Sueton
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Bericht über die Literatur zu Suetonius von 1897—1906. (Opitz.) 245
fast dieselben Worte gebraucht wie das monumentum" und 5. solche (9),
an denen „Sueton vom inonumentum abweicht". Meist werden nicht
bloß die Stellen nebeneinander gestellt, sondern allerlei erläuternde
Bemerkungen beigefügt.
Die Stellen der 1. und 2. Klasse können meistens nicht viel be-
weisen, zumal da wiederholt Sueton Einzelheiten hat, die im monu-
mentum fehlen. Da hat doch die Annahme sehr viel für sich, daß
Sueton diese nicht dem Berichte des monumentum aus einer anderen
Quelle hinzugefügt, sondern aus dieser alles entnommen hat. Wirk-
lich beweiskräftig sind nur die Stellen der 4. Klasse, namentlich die
schon angeführten navalis — solo und ludos — viciens verglichen
mit den entsprechenden Worten Suetons. Das Endergebnis der Unter-
suchung ist, daß Sueton die Denkschrift des Augustus direkt benutzt
hat, wenn auch in bescheidenem Umfange.
W. Fürst, Suetons Verhältnis zu der Denkschrift des
Augustus (monumentum Ancyranum). Erlanger Dissertation. Ans-
bach 1904.
In der Einleitung seiner nach Gottanka erschienenen Dissertation
stellt der Verf. ebenfalls die bisher veröffentlichten Ansichten zu-
sammen. Die in Betracht kommenden Stellen des monumentum und
Suetons werden zunächst ohne Abdruck des Wortlautes verzeichnet.
Der Inhalt der eigentlichen Abhandlung ist in 7 Abschnitte ge-
gliedert: 1. Übereinstimmungen in Form und Inhalt; 2. solche in
Inhalt und Anlehnungen in der Form ; 3. Widersprüche ; 4. a) Identität
des monumentum mit der Urschrift, b) der von Sueton benutzte Text
4er Denkschrift; 5. das von Sueton entnommene Material; 6. dessen
Verarbeitung und Umgestaltung; 7. der Index und die späteren
Historiker der Kaiserzeit. Im 1. Abschnitte wird natürlich besonderer
Nachdruck ebenfalls auf die Stelle ludos — viciens gelegt. Unter den
Stellen des 2. sind nicht wenige, die recht wenig beweisen. Über
sie ist dasselbe zu sagen wie über die aus der 1. und 2. Klasse bei
Gottanka. Im 3. ist interessant die Vergleichung von mon. Anc. 3
victorque omnibus [superstitibjus civibus peperci mit Suet. Aug. 13
in splendidissimum quemque captivum non sine verborum contumelia
saeviit. Hier vermutet nämlich der Verfasser, daß Sueton den be-
schönigenden Worten des Augustus absichtlich widerspricht. Übrigens
folgt aus den Widersprüchen keineswegs die Nichtbenutzung über-
haupt. Denn Sueton brauchte sich doch nicht in allem an das monu-
mentum anzuschließen. Im 4. Abschnitte versucht der Verfasser den
Nachweis, daß Sueton einerseits aus der im kaiserlichen Archiv auf-
bewahrten Urschrift des Augustus, anderseits aus einem Exemplar
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246 Bericht Ober die Literatur zu Suetonius von 1897—1906. (Opitz.)
geschöpft hat, das „den nach des Kaisers Tode redigierten Wortlaut
aufwies (vermutlich die Erzinschrift am Mausoleum selbst)". Mag
man über diese Vermutung urteilen, wie man will, mit seinem Haupt-
ergebnis hat der Verfasser, gerade wie Gottanka, gewiß das Richtige
getroffen.
G. K ö r t g e , In Suetonii de viris illustribus libros inquisitionum
capita tria. Dissertationes philologicae Haienses. Halis Saxonum
Vol. XIV (1901) S. 187—284.
Im 1. Kapitel sucht der Verfasser festzustellen, was in den fünf
erhaltenen vitae des Vergilius und den zwei des Lucanus auf Sueton
zurückgeht. Von den ersteren kommen nur die des Probus und
Donatus in Betracht, da Hieronymus, Servius und Focas nichts Selb-
ständiges haben. Die beiden vitae Lucani , deren eine von Vacca
stammt, hat ein Unbekannter zusammengeschweißt. Der Verfasser
hebt dann die Besonderheiten in der Behandlung des Stoffes hervor,
die sich in den erhaltenen Teilen der Schrift de viris illustribus
finden. Indem er nun damit die vitae Vergilii und Lucani, erstere
sehr eingehend, vergleicht, wird es im höchsten Grade wahrscheinlich,
daß der größte Teil ihres Inhaltes auf Sueton zurückgeht. Auch in
der vita Persii erinnert mancherlei sehr an Suetons Art. — Das
2. Kapitel hat weniger mit Sueton zu tun. Doch wird nachgewiesen,
daß er in den vitae Juvenalis nachgeahmt ist. — Das 3. Kapitel
handelt zunächst über Suetons römische Quellen : Varro, Santra, Fene-
stella, Asconius, Briefe des Augustus und anderer, wohl auch die
acta senatus. Die ganze Art der biographischen Schriftstellerei
Suetons ist auf peripatetische Biographen zurückzuführen (Dicäarchus.
Aristoxenus, Hernrippus u. a.). Zum Schlüsse werden die von diesen
hervorgehobenen Gesichtspunkte zusammengestellt.
P. Weber, Quaestionum Suetonianarum capita duo. Halis
Saxonum 1903.
I. Decommentis latinis, quae suntdenotiscriticis.
Das anecdotum Parisinura (cod. 7530) über 21 kritische Noten, das
schon Bergk auf Sueton zurückgeführt hat, stammt nach Reifferscheid
aus dessen Schrift irepl xwv £v ßiß)aot; stjjasicov. Aus derselben Quelle
leitet dieser auch Isidorus 1 20 , 21 und 24 . abgesehen von den
christlichen Noten , ab. Gegen die Richtigkeit dieser Ansicht hegt
der Verfasser schon aus dem Grunde Bedenken, weil Isidor dem aus-
geschriebenen Autor nichts oder nur ganz wenig hinzuzufügen pflegt.
Auch finden sich zwischen dem aneedoton und Isidorus mancherlei Ab-
weichungen. Hinzu kommt das von Kettner herausgegebene anecdotum
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Bericht über die Literatur zu Suetonius von 1897—1906. (Opitz.) 247
Monacense (cod. 14429). Die drei Texte druckt der Verfasser neben-
einander ab und kommt nach gründlicher Untersuchung zu folgendem
Ergebnis: die ersten 12 notae des anecdotum Parisinum gehen auf
Sueton zurück. Zu ihnen wurden später 9 hinzugefügt. Aus diesem
commentum stammt das anecdotum Parisinum und, indem noch christ-
liche notae hinzukamen, das anecdotum Monacense und Isidorus. Vgl.
unten.
II. De Pratorum dispositione. Der Verfasser geht darauf
aus, die von Schanz gegebene Disposition des Pratum (vgl. in diesen
Jb. Bd. 97 S. 102) als unmöglich zu erweisen. Die Annahme, daß
der 1. Teil (Buch 1—4) über den Menschen und der 2. Teil
(Buch 5—8) über die Zeit gehandelt habe, sei völlig unbegründet.
Auch die von Schanz aufgestellte Behauptung, daß die Prata die
Hauptquelle für Censorinus de die natali seien, sucht er zurück-
zuweisen. Vielmehr führt er mit Wissowa den 1. Teil dieser Schrift
im wesentlichen auf Varros Tubero sive de origine humana zurück.
Für den 2. Teil erkennt er mit Schanz Suetons Schrift de anno
Romanorum als Quelle an, lehnt aber auch hier die Prata als solche
ab und erklärt Varros antiquitates humanae , sowie für das 2- und
3. Kapitel desselben Atticus sive de numeris dafür.
F. Bücheler, Neptunia prata. Rheinisches Museum Bd. 59
(1904) S. §21—328.
Im Katalog des Musge Aloui zu Tunis S. 32 Nr. 166 wird ein Mosaik
mit Darstellungen von römischen Schiffen verschiedener Art beschrieben.
Den Bildern sind 17 verschiedene Ausdrücke für Schiffe, lateinisch,
zum Teil auch griechisch, beigeschrieben. Der Verfasser macht es nun
wahrscheinlich, daß das Verzeichnis dieser Ausdrücke auf Suetons
Prata zurückgeht. Beiläufig bemerkt er gegen Macö, daß Suetons
Schrift TTSpA tt,? Ktx£pa>vo? roXiTsta? nicht dessen Werk de re publica
gegen Didymus in Schutz nehmen sollte, sondern eine Schutzschrift
„über Ciceros Verhalten im Staate" war.
Traube, Die Geschichte der tironischen Noten bei Suetonius
und Isidorus. Berlin 1901 (S.-A. aus Archiv für Stenographie
Bd. 53).
Isidorus 1 21 (uher die kritischen Zeichen) stammt im wesent-
lichen, abgesehen von den christlichen Zeichen, aus Sueton. Vgl. oben.
Es wäre aber falsch, alle Paragraphen und die Reihenfolge als suetonisch
anzusehen. Dieser Fehler aber ist vielfach hei Isidorus I 22 (über
die stenographischen Zeichen) gemacht worden. Dieser Abschnitt
besteht aus 6 Sätzen. Von diesen ist der 6. aus Augustinus, der
8. im wesentlichen aus Hieronymus geflossen, der seinerseits aus
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248 Bericht über die Literatur zu Suetonius von 1897—1906. (Opitz.)
Suetons vita Ciceronis in dem Buche de viris illustribus geschöpft
hat. Satz 1 und 4 sowie die Worte Komae und sed tantum prae-
positionum gehen auf Sueton zurück, wohl auch Satz 2. Satz 5
stammt von einem unbekannten christlichen Gewährsmann.
Die in den übrigen Kapiteln Isidors de notis enthaltenen Stücke
antiquarischen Inhalts sind vermutlich aus Sueton, irepl tu>v iv tote
ßißXtoi? ar4}j.st(ov geflossen. Überhaupt hat Isidor viel Suetonisches
Eigentum, z. B. zitiert er zweimal die Prata. Aber alle diese
Schriften hat er nicht selbst benutzt. Offenbar hat es einen Auszug
aus Suetons kleinen Schriften gegeben, von dessen Benutzung sich
auch sonst Spuren zeigen.
II. Handschriftliche Überlieferung.
Preud'homme, Premiere 6tude sur l'histoire du texte de
Su&one de vita Caesarum. Bulletin de l'Acadämie royale de
Belgique. Bruxelles 1902 S. 299—328.
Derselbe, Seconde «Hude usw. Daselbst S. 544 — 551.
Derselbe, Troisieme «Hude usw. Daselbst 1904. (Sonder-
abzug 94 S.).
Im ersten Abschnitte der ersten Studie beschäftigt sich der
Verfasser mit den von Bentley benutzten Handschriften (vgl. Ihm): er
weist nach, daß dessen R und R2 — Regius 15 C III und C IV im
britischen Museum sind; ferner Si und 82 = 2 Hdschr. aus dem
College von Sion, jetzt ebenfalls in London, L = Lincoln College
Lat. 93 in der Bodleiana, M und M2 oder L = Del 10, 41 und
KK 5, 24 in der Universitätsbibliothek zu Cambridge. S2 ist R2
sehr ähnlich, S 1 nahe verwandt mit einem Parisinus und dem Prae-
monstratensis. R ist bereits von Vossius benutzt , in einem jetzt in
Leyden befindlichen Exemplar der Ausgabe des Torrentius von 1591.
Wahrscheinlich hat Graevius Mitteilungen aus Me oder E gemacht.
Im zweiten Abschnitt wendet sich der Verf. gegen die Be-
hauptung von Smith (siehe unten), daß auch die Hdschr. des
15. Jahrhunderts im besonderen V5 (Vaticanus 1905) Beachtung
verdienen. Ferner weist er nach , daß bei der Herstellung des von
Howard (siehe unten) herangezogenen Parisinus 5809 gedruckte Aus-
gaben benutzt worden sind. Also sind die Hdschr. des 15. Jahr-
hunderts für die Kritik wertlos (so schon Roth).
In der zweiten Studie spricht der Verf. über die von Roth
erwähnten excerpta Lislaeana, Bongarsiana, Cuiaciana. Die an erster
und zweiter Stelle genannten stammen nicht aus einem von Casaubonus
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Bericht über die Literatur zu Suetonius von 1897—1906. (Opitz.) 249
benutzten Cuiacianus, sondern einer jetzt auf der Stadtbibliothek in
Soissons befindlichen Handschrift. Diese ist nicht nur von Bongars,
sondern auch von Lislaeus benutzt worden. Dagegen ist der Cuia-
cianus identisch mit Parisinus 5804.
Die dritte Studie ist die wichtigste. Sie bringt die Klassifi-
kation der vom Verf. benutzten Hdschr. Sie zerfallen in 2 Klassen :
X und Z. Die Berechtigung dieser Einteilung sucht er an mehr als
400 Stellen nachzuweisen, an denen die beiden Gruppen in Lücken,
Interpolationen, Wortstellungen und sonstigen Abweichungen aus-
einander gehen.
Die erste Klasse X ist die wesentlich bessere. Ihr teilt der
Verf. 8 Hdschr. zu: A (Memmianus), B (Vat. 1904), C (Wolfenb.
268), D (Par. 5804), a (Laur. 68, 7), b (Par. 5801), c (Laur. 66,
39), f (Montpellier 117). — a, b, c, f stammen aus demselben Arche-
typus x *, der mit B aus demselben Originale X abzuleiten ist.
a ist die beste Hdschr. dieser Gruppe. — C ist von Becker tiber-
schätzt worden. — Die von ihm veröffentlichten excerpta scheinen
aus einer Hdschr. der Klasse x 1 B zu stammen.
Z, der Archetypus der zweiten Klasse, war jünger als X, ist
also schon deshalb von geringerem Werte, hat aber auch gute Les-
arten. Die zahlreichen Vertreter dieser Klasse stammen meistens aus
dem 14. und 15. Jahrhundert. Von den älteren hat Verf. 10 heran-
gezogen. Deren bester ist a (Brit. Mus. 15 C III), dann kommen
zunächst e (Soissons 19), ß (Paris. 6116) und 7 (Laur. 64, 8);
doch haben sie viele Fehler. Auf Grund dieser Untersuchungen wird
S. 61 der Stammbaum aufgestellt.
Der 1. Anhang bietet eine nach Jahrhunderten geordnete Über-
sicht aller dem Verf. bekannt gewordenen Hdschr. mit Angaben über
Alter, Herkunft und bisherige Benutzung. Von ihnen weist er 53
der ersten und 72 der zweiten Klasse zu; bei weiteren 21 verzichtet
er auf Entscheidung. — Der 2. Anhang beschäftigt sich mit P, dem
Archetypus aller Hdschr., und ß, der (Quelle von P.
M. Ihm, Beiträge zur Textesgeschichte des Sueton. Hermes
36 (1901) S. 343-363, 37 (1902) S. 590 f. , 40 (1905) S. 177
-190.
1. DieSuetonexzerpte des Heiric vonAuxerre. Von
Heiric (geboren 841) gibt es Exzerpte aus Sueton , die auf dem
Diktate des Lupus von Ferneres beruhen. Letzterer entnahm sein
Diktat aus einer Suetonhandschrift in Fulda. Die beste Handschrift
dieser Exzerpte, die aus allen Viten außer denen des Claudius, Galba
und Otho gemacht sind, ist der Parisinus 8118 (sacc. X 1) = cc.
250 Bericht über die Literatur zu Suetonius von 1897—1906. (Opitz.)
Ebenso alt ist Brit. Mus. add. 19 835 — ß. Dahinter zurück steht der
Leipziger Kodex Rep. I 4. 48 — 7, während Parisinus 13 432 = S
wertlos ist. Auf diese allgemeinen Bemerkungen folgt der Text der
Exzerpte mit Variantenverzeichnis.
2. Glossen in Suetonhandschriften. Im Memmianus
stehen Scholien nur auf den ersten Blättern, spätestens von einer
Hand des 12. Jahrhunderts, meist Wort erklärungen, gelegentlich auch
längere Erklärungen. Im ganzen sind sie belanglos, aber nicht un-
interessant wegen Übereinstimmung mit Glossaren. Ähnlich sind die
ebenfalls aus dem 12. Jahrhundert stammenden Glossen iraVaticanus
Lipsii. Einige Scholien waren bereits in den Text des Archetypus
eingedrungen. Erklärungen zu griechischen Wörtern kommen erst
seit dem 12. Jahrhundert öfter vor.
3. Humanistenhandschriften. Das Urteil Roths, daß
diese wertlos und die in ihnen sich etwa findenden guten Lesarten
als Konjekturen anzusehen seien, hat sich dem Verfasser, der gegen
hundert solche Handschriften auf bestimmte Lesarten hin geprüft hat
oder hat prüfen lassen, durchaus bestätigt. Daher sind die Versuche
einzelner Kritiker (Veldhuis, Moddermann, Howard), eine oder die
andere dieser Handschriften zur Geltung zu bringen, als verfehlt zu
bezeichnen. Im besonderen ist der von Smith (vgl. unten) empfohlene
Mon. 5977 saec. XV (m) aus G abgeschrieben. Einige richtige Les-
arten, die G nicht kannte, beruhen auf Konjektur.
4. Die „maßgebenden" Handschriften. Als frei von
Interpolationen dürfen nur M und V angesehen werden. Schon G
hat manche eigenmächtige Änderungen, gehört aber immer noch zur
Sonderklasse. Die Bedeutung der sonst in Betracht kommenden Hand-
schriften ist den genannten gegenüber eine sekundäre. Die eine
Klasse (X) umfaßt LPST, die andere (Y) I1QR. L ist der beste
Vertreter von X. In Y finden sich allein in den Viten Caesars und
der Flavier über 30 Interpolationen.
Im Anschluß hieran bespricht der Verfasser einige orthographische
Fragen wie magno opere und acc. plur. auf is. Ferner weist er
nach , daß an einer ganzen Reihe von Stellen die kopulative Kon-
junktion schon im Archetypus fehlte, ebenso mitunter die Präposition.
An mehreren Stellen, wie Caes. 49, Cal. 50, Aug. 40, an denen jetzt
ac vor einem mit c anfangenden Worte im Texte steht, muß statt
dessen at geschrieben werden.
Schließlich bespricht der Verf. einige einzelne Stellen. Mit Recht
setzt er die handschriftliche Lesart Nero 22 prasini rectorem und
Galba 16 universis ordinibus offensis ein. Zweifelhaft bleibt mir
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Bericht über die Literatur zu Suetonius von 1897—1906. (Opitz.) 251
Claud. 1 navi (novi Vulg.) et immensi operis. Beachtenswert sind
die Konjekturen auf Grund der Überlieferung Aug. 17 ad (so MGX1)
desideria militum omnia ordinarentur , Aug. 88 protinus virili toga
sumpta, Dom. 2 quin et e sex consulatibus.
Smith, Harvard studies XII (1901) S. 19 f. Ein kürzerer
Bericht steht in Transactions and proceedings of the american
philological association. XXXII (1901) S. XXVI f.
Der Verf. hat über 30 Hdschr. selbst untersucht: 20 in der
Vaticana, 5 in der Laurentiana, 4 in der Marciana, 5 im britischen
Museum, je 1 in München und Leyden.
In eine Klasse gehören A (Memmianus), G 2 (Gudianus 268) =
C bei Preud'homme, Monacensis, V4 (Vaticanus 1904) — B, M8 (Med.
68, 7) = a, M1 (Med. 66, 39) = c, R1 (Reginae Suecorum 833). Der
Verf. stimmt also in der Zusammenstellung von AV4 G2 M8 M 1 mit
Preud'homme überein, fügt aber seinerseits noch etliche hinzu. Engere
Gruppen bilden A Mon G2 und M8 M 1 R1, während V4 in der
Mitte steht. Besonders eng verwandt sind Mon und G2, ohne daß
jedoch ersterer eine Abschrift des letzteren ist. Ebenfalls enge Be-
ziehungen bestehen zwischen M8 und M1 (ebenso Preud'homme).
In der 2. Klasse bilden eine Gruppe V° (Vat. 1860), V1 (Vat.
7310), M 2 (Med. 64, 8) = 8, Bibl. s. Crucis XX sin. 3 — M4
und Med. 64 , 9 = M 5. Unter diesen stehen einerseits V 0 V *,
anderseits M8 M4 M5 in engeren Beziehungen. Dazu gehören auch
noch B 1 (Brit. Mus. 15 C III) = a und 15 C IV = X. Die übrigen
Handschriften stammen aus dem 15. Jahrhundert. Besonders wichtig
ist V8 (Vat. 1905). Die Handschriften des 15. Jahrhunderts werden
von Roth unterschätzt. Es ist unmöglich, daß die in ihnen ent-
haltenen richtigen Lesarten sämtlich von Gelehrten des 15. Jahr-
hunderts stammen (ebenso Howard, dagegen siehe Preud'homme und Ihm).
Derselbe, Daselbst XVI S. 1—14.
Vat. 6896, 15. Jahrhundert , gehört zu der in der 1. Abhand-
lung aus 7 Hdschr. gebildeten Urbinasgruppe. — Das in dieser über
V 4 gefällte Urteil ist durch erneute Untersuchung bestätigt. —
B3 (Brit. Mus. Lat. Class. 31914), B4 (desgl. 12009), Am (Ambro-
sianus H 90) und L (Leidensis), alle dem 15. Jahrhundert angehörig,
bilden eine Gruppe in der 2. Klasse. — Ambrosianus H. 144 ist
wertlos. — B* (Brit. Mus. Lat. Class. Arundel 32), 15. Jahrhundert,
steht M8 sehr nahe, gehört also in die 1. Klasse. — B7 (Brit. Mus.
Lat. Clas. 21098), 15. Jahrhundert, stammt aus 2 Quellen: 1. Teil
(bis pag. 97, 33) gehört in die 1. Klasse zur Gruppe M8, 2. Teil
steht V° nahe.
252 Bericht über die Literatur zu Suetonius von 1897—1906. (Opitz.)
Zum Schlüsse wendet sich der Verf. von neuem gegen Roths
Ansicht von der Wertlosigkeit der Handschr. des 15. Jahrh. Für die
2. Klasse sind sie gar nicht zu entbehren, da keine ihr angehörende
Hdschr. über das 12. Jahrh. hinausgeht.
Howard, Notes on a fifteenth Century manuscript of Suetonius
Harvard Studies XII (1901) S. 261—265).
Die Hdschr. des 15. Jahrhunderts dürfen nicht vernachlässigt
werden. Besonders bemerkenswert ist Parisinus 5809. Er hat
11 richtige Lesarten, die Roth auf Sabellicus, 30, die dieser auf
Beroaldus, und etliche, die dieser auf Pontianus oder alte Ausgaben
zurückführt. Diese kann der Schreiber nicht erfunden haben : sie
stammen aus alter Quelle (vgl. dagegen Preud'homme und Ihm).
von Radinger, Eine verschollene Handschrift des Sueton.
Jahresbericht des Realgymnasiums. Korneuburg 1905.
Die Handschrift Vat. 1904 kann nicht gut als „verschollen" be-
zeichnet werden, denn sie ist bereits von Ihm, Smith und Preud'homme
behandelt. Geschrieben ist sie im 9. bis 10. Jahrhundert in Flavigny.
Sie enthält die ersten drei vitae und vom Caligula den Anfang. Der
Verf. gibt vom Tiberius eine vollständige Kollation, von den übrigen
vitae eine sich aufs Wichtigste beschränkende. Die Orthographie
ist noch nicht sehr verwildert, aber inkonsequent. Es finden sich
ziemlich viele Auslassungen. Den griechischen Zitaten ist oft eine
Interlinearversion übergeschrieben. Sehr nahe steht Med.8 dem Vat.
Ergebnis : Vat. ist die nachlässige Kopie einer Handschrift der besten
Überlieferung.
M. Ihm, Richard Bentleys Suetonkritik. Sitzungsberichte der
Preuß. Akademie der Wissenschaften. 1901, XXVII, S. 677—695.
Im ganzen gibt es 5 Handexemplare Bentleys (vgl. Preud'homme),
die teils mit Kollationen, teils mit Konjekturen, teils mit Randbemerkungen
aller Art versehen, zum Teil auch bereits für den Druck zurecht gemacht
sind. Die von ihm benutzten Handschriften sind: M (Eliensis Epi-
scopi), R (Regius), R2 (Regius), M2 (Eliensis Episcopi), SS (2 collegii
Sionensis), E (Eliensis) = Ma. Abgesehen von R sind sie minder-
wertig. Sie zu klassifizieren ist zwecklos. Die meisten Konjekturen,
die allerdings vielfach mit forte oder an versehen sind, sind verfehlt.
S. 679—695 sind alle Bemerkungen Bentleys abgedruckt und
zum Teil vom Verfasser mit weiteren versehen. Daraus ergibt sich,
daß Bentleysche Konjekturen und Lesarten nicht selten von späteren,
natürlich unwissentlich, wiederholt worden sind. Einzelheiten hervor-
zuheben ist hier unmöglich. Doch sieht man auch hieraus von neuem,
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Bericht über die Literatur zu Suetonius von 1897—1906. (Opitz.) 253
welche gründlichen Vorstudien der Verf. für seine demnächst zu er-
wartende Suetonausgabe gemacht hat.
Einen Nachtrag dazu bietet
Derselbe, Bentleys Noten zu Suetons Schrift De grammaticis
et rhetoribus. Rhein. Mus. 56 (1901) S. 635 f.
Ein Handexemplar Bentleys enthält eine Kollation des jetzigen
Par. 1773 (früher Bibl. Colbertinae 6150). In 2 anderen Exemplaren
stehen Randbemerkungen. Nicht wenige der in ihnen enthaltenen
Konjekturen sind schon von anderen vorweggenommen. Manche stehen
bei Reifferscheid im Texte, natürlich, ohne daß dieser von ihnen
Kenntnis hatte.
Derselbe, Zur Überlieferung und Textkritik von Suetons
Schrift De grammaticis et rhetoribus. Rhein. Mus. 61 (1906)
S. 543—553.
Die von Reifferscheid der Textesrezension zugrunde gelegten
2 guten und 4 geringeren Handschriften genügen nicht. Es gibt
mindestens 18 Handschriften. Namentlich müssen diejenigen genau
untersucht werden, die den index capitum enthalten, sie sind besser
als die übrigen deteriores. Aber vielleicht ergeben auch diese etwas.
Im besonderen behandelt der Verfasser die von Huemer ans Licht ge-
zogene Wiener Handschrift aus dem Jahre 1466 (Haus-, Hof- und
Staatsarchiv Nr. 711) = W. Sie enthält die Lesarten, die Reiffer-
scheid aus den 4 Handschriften NOGJ aufgenommen hat, sämt-
lich. Auch etliche andere derartige verdienen Beachtung. Auch in
orthographischer Hinsicht ist W gut, daher muß er auch in Kleinigkeiten
beachtet werden. Jedenfalls hat der Schreiber nie absichtlich geändert.
Am engsten sind die Beziehungen zwischen W und O(ttobonianus).
Von den zahlreichen Einzelheiten können hier nur einige hervor-
gehoben werden: Kap. 4 haben WO titulo; Kap. 10 hat W nebst
GJ nihil, was richtig ist, da bei Sueton nil nie vorkommt; Kap. 14
steht das ergänzte non vor possit in WO; Kap. 22 liest W cum
ex oratione Tiberius verbum reprehendisset, was für die Richtigkeit
von Madvigs Tiberii verbum spricht ; Kap. 23 hat W allein vicetinus ;
Kap. 28 steht nucerino in WO.
III. Kritik.
Veldhuis, Annotationes criticae ad Suetonium. Lugduni
Batavorum 1897.
Der positive Ertrag dieser Abhandlung ist nicht sehr groß. Die
zahlreichen besprochenen Stellen lassen sich in drei Gruppen zer-
254 Bericht über die Literatur zu Suctonius von 1897—1906. (Opitz.)
legen: 1. Die Lesarten einzelner Handschriften werden
für richtig erklärt. Da es sich hierbei fast ausschließlich um
deteriores handelt , namentlich um den von dem Verfasser sehr be-
vorzugten Vind.1, so haben die empfohlenen Lesarten nur ganz geringe
oder vielmehr gar keine Autorität für sich , können also nicht den
Anspruch erheben, als handschriftliche Überlieferung in den Text
eingesetzt zu werden. Wenn trotzdem die eine oder andere solcher
Lesarten immerhin beachtenswert oder gar empfehlenswert ist,
so hat sie nur die Bedeutung einer guten Konjektur. Dies gilt
etwa von Caes. 87 pro pullo pulleiaceum statt apud pullum p.
und Claud. 21 qualis est cum mit Streichung von ut. Bei allen
andern ist nicht daran zu denken, daß sie richtig seien, z. B.
Aug. 28 magistratibus e senatu statt ac senatu, Claud. 1 magna
vi statt novi, Nero 5 mitiorem statt certiorem. Etwas anderes
ist es Caes. 25, denn da steht quadringcntics im Vat. — 2. Der
Verfasser empfiehlt die Konjekturen anderer, nament-
lich älterer Herausgeber. Auch hier hat das meiste wenig Wahr-
scheinlichkeit für sich. Am ehesten möchte ich als empfehlenswert
bezeichnen: Claud. 29 Streichung von se (Graevius), Nero 10 omnes
senatores ordine statt omnes ordines (Lipsius). Nero 14 tanquam
nullo residuo hello (derselbe), Nero 21 non dubitavit etiam . . . .
dare (Oudendorp), Nero 32 cogeretur si qui (Lipsius), vielleicht auch
noch Cal. 1 dedisset statt devicisset (derselbe), Cal. 44 sex milium
statt sexccntorum milium (derselbe) und Cul. 49 intra quintum
mensem statt quartum (Ryck). — 3. Eigene Konjekturen:
Sicher ist meines Erachtens keine, beachtenswert sind etwa Claud. 42
Musio novum additum, was übrigens in ähnlicher Weise schon von
Drechsler vorgeschlagen ist, Nero 14 interiecto annuo spatio statt
inter annua spatiu, vielleicht auch Cal. 26 pegmatibus quoque
patres .... obiciebat statt paegniaris.
Ihm, Die sogenannte „villa Iouis" des Tiberius auf Capri
und andere Suetoniana. Hermes 36 (1901) S. 287—304.
S. 289 A. 2 erteilt der Verf. Auskunft über die Handschriften,
auf denen er den Suetontext zu konstituieren gedenkt.
Im übrigen ist der Inhalt des Aufsatzes etwa folgender: Tib. 65
ist nicht überliefert uilla quae vocatur Iouis, sondern Ionis. Viel-
leicht hieß sie nach einem die Geschichte der lo darstellenden Ge-
mälde so. Ist diese Lesart richtig, so fällt natürlich die bekannte
Kombination in sich zusammen, daß die 12 Villen auf Capri die
Namen der 12 Götter trugen. — Der Archetypus hatte mancherlei
Lücken. Ansprechend sind die Ergänzungen Galba 6 (legatus Ger-
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Bericht über die Literatur zu SuetoniuB von 1897—1906. (Opitz.) 255
maniae in locum Gaetulici) substitutiv and Dom. 3 Domitian), ex qua
in secundo suo consulatu filium tulerat alteroque anno (principatns
amisit), consalutauit Augustam. Ferner wird der Versach gemacht,
mit Hilfe teils des Mem., teils des Gud. die Zeilenlänge des Arche-
typus festzustellen. Außerdem fanden sich im Archetypus auch kleinere
Lücken. Sehr einleuchtend ist z. B. Caes. 43 obsonia contra vetitum
(proposita) und Claud. 20 opera magna potius et (überl. ist quam)
necessaria quam multa perfecit. — Von den Autoren, die Sueton
benutzt haben, ist nur Einhard für die Kritik noch nicht verwendet
worden. Aug. 65 wird Moddermanns Vermutung mortes quam de-
decora suorum durch Einhards Worte mortes filiorum ac fiiiae . . .
patienter tulit gestützt. Doch hält Ihm in diesem Punkte mit Recht
sehr Maß. — Der Archetypus hatte ferner Umstellungen von Buch-
staben, Silben und Worten. Mit Recht wird vorgeschlagen Cal. 57
vomuit statt vomit (vomitu MG), Nero 14 tanquam nullo residuo
hello mit Lipsius statt tarn nullo quam residuo und Cal. 35 uxorio
nomine <non prius) dignatus est. — Da in Kapital- und Unzialschrift
S und B leicht verwechselt werden, so ist Aug. 35 excusantibus statt
excusatis (Roth nach schlechten Handschriften) zu lesen, indem
die gute Überlieferung excusantis (excusantib) hat. Ebenso findet
sich Verwechslung von D und R. Daher ist Caes. 24 prospere ce-
dentibus rebus statt decedentibus zu schreiben.
Wölfflin, Archiv für lat. Lex. X S. 149
empfiehlt mit Recht Suet. Aug. 86 die Lesart verbis statt urbibus.
Ihm, Zu Suetons Caesares. Rhein. Museum 53 S. 495 f.
Infolge der eben erwähnten Leichtigkeit der Verwechslung von
S and B ist Claud. 19 civibus, nicht civi (civis die Handschriften)
zu lesen und Wölfflins verbis statt urbibus zu billigen.
Helmreich, Zu Suet. Cal. 20. Berl. philol. Wochenschrift
1903, 43, S. 1374
liest lingua velut spongea statt spongea linguave; paläographisch
wenig wahrscheinlich. Überdies würde velut spongea ein ganz über-
flüssiger Zusatz sein.
Thomas, Notes sur Lucain , Suötone et le Querolus. M6-
langes Paul Fredericq (Bruxelles 1904) S. 37 — 41.
3 Konjekturen zu Sueton. Sachlich gut ist Nero 33 venenorum
artifice, weicht aber zu sehr von der Überlieferung ab; unsicher ist
Tib. 59 sed re magis statt sed et magis, überflüssig Aug. 3 a senatu
statt in senatu.
256 Bericht über die Literatur zu Suetonius von 1897—1906. (Opitz.)
Prend'homme, Notes sur SueHone. Daselbst S. 43 — 49.
Trotz Roths Genauigkeit gibt es in seinem Texte mehr als
70 Stellen, an denen Lesarten der deteriores oder Konjekturen
stehen, von denen er annahm, daß sie dem Memmianus oder anderen
guten Handschriften angehörten. — Die guten Handschriften schreiben
stets sestertius und sestertium aus; letztere Form haben sie auch
dann, wenn es sich um Genetiv oder Ablativ handelt. Daraus folgt,
daß Sueton stets HS geschrieben hat. Und dies wird wohl in den
Text einzusetzen sein. — Die Zahlangaben sind meist in Worten
ausgeschrieben, seltener finden sich Zahlzeichen. Mitunter erklären
sich die verschiedenen Lesarten daraus, daß Zahlzeichen standen und
verschieden aufgelöst wurden. Im Anschluß daran empfiehlt der
Verfasser u. a. Jul. 42 mit Casaubonus minorve LX statt decem und
Aug. 32 mit Shuckburgh a XXV aetatis anno statt XXX zu lesen.
Andresen, Agermus. Wochenschrift für klass. Philol. 1905,
43, S. 11 78 f.
Der Nero 34 erwähnte Freigelassene heißt nicht L. Agerinus,
sondern L. Agermus. Auf diese Namensform führt die Über-
lieferung bei Sueton und Tacitus (ann. XIV 6, 7, 8 und 10).
Ihm, Berliner philologische Wochenschr. 1906, 47, S. 1480.
Caes. 77 haben alte Handschriften amprius. — Cacs. 81 ut illo
statt Iulo mit Turnebus und Bentley. — Aug. 27 haben alle Hand-
schriften Julius Saturninus. — Claud. 42 nomine novum mit Drechsler.
Büchel er, Netyr^ov. Rhein. Museum. 61 (1906) S. 307.
Suet. Nero 39 ist zu lesen :
ve6^i)9ov. NEPÜN iliav aTjtipa d^xxeivs, „hier ein novum ac
repertum des Calculs, Neros Name bezeichnet arithmetisch den Mutter-
mörder." (N£p<i>v hat den Zahlenwert 1005 , die folgenden Worte
tötav jA^tepa obr&ctsivs den Wert 75 + 454 + 476 = 1005.)
Ihm, Zu Suetons vita Lucani. Hermes 37 S. 487 f.
pag. 299, 27 Roth ist zu lesen: clariore crepitu ventris emisso.
Vahlen, Varia XLIX. Daselbst 33 S. 245 f.
Am Ende der Horazbiographie ist zu lesen : decessit V kal. De-
cembris C. Marcio Censorino et C. Asinio Gallo consulibus post nonum
et quinquagesimum (diern quam Maecenas obierat, aetatis agens sep-
timum et quinquagesimum). Zum Ausdruck ist Titus 11 und Vesp. 24
zu vergleichen.
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Bericht über die Literatur zu Suetonius von 1897—1906. (OpiU.) 257
Stow asser, Porcius Licinus über Terenz. Zeitschrift für
die österreichischen Gymnasien. Bd. 51 (1900) S. 1069—1075.
Die Verse des Porcius Licinns in Suetons vita Terentii (pag. 292
ed. Roth) stellt der Verfasser folgendermaßen her:
Düm lasciviäm nobilium et fücosas laudes petit,
dum Africani vöce divinä inhiat avidis aüribus,
dum äd Philum se cenitare et Laelium pulchrum putat,
düm se ab his amari credit <öb venam ditem ingeni,
5. r£da> crebro in Albanum [?] rapitur ad florem aetatis suae.
Is pös sublatis rebus ad summam niopiam redactus est
Itaque ex conspectu ömnium abiit in Graecam terram ültimam,
mörtuus [t] Stymphali Arcadiae. Oppido nihil Scipio
6i profuit, nihil illi Laelius, nihil Fürius,
10. tr£s per id tcmpus qui agitabant nöbilcs facillime<i>.
Der Text ist nicht mit Ritsehl auf den Parisinus 7920 (saec. XI ).
sondern durchaus auf die jüngeren Handschriften des 15. Jahrhunderts
zu basieren. Für die Herstellung der Worte ist festzuhalten, daß
man aus ihnen nach Suetons Worten ein unreines Verhältnis zwischen
Scipio und Laelius herauslesen kann, aber nicht muß.
IV. Zur sachlichen Erklärung.
Mnsotto, Intorno alla tradizione della morte di Germanica,
tiglio di Druso, presso Tacito, Dione Cassio e Suetonio. Rivista
di storia antica. N. S. Anno LX (1904) S. 1—4.
Die Berichte des Tacitus, Dio und Sueton über die Vergiftung
des Germanikus stammen aus einer dem Tiberius feindlich gesinnten
Quelle. Die für diese angeführten Gründe sind nicht ausreichend,
auch die Behauptung Suetons nicht, daß das Herz des Germanikus
nicht verbrannt und dies ein Beweis für den Giftmord sei. Er ist
nicht vergiftet worden, sondern an einer Krankheit gestorben.
Stowasser, Rezension von Fisch, Tarracina - Anxur und
Kaiser Galba im Romane des Petronius. Zeitschrift für österreichische
Gymnasien. 49. Band. S. 614.
Aus Tib. 39 iuxta Tarracinam in praetorio, cui Speluncae nomen
est, geht nicht hervor, daß in Tarracina praetores gewaltet hätten,
sondern praetorium bedeutet „Palast".
Willrich, Caligula. Klio III (1903) S. 85—118, 288—317,
397—470.
Eine eingehende Würdigung dieser hochbedeutenden Aufsätze
(1. Jugend und Jugendeindrücke; 2. Gaius und Tiberius; 3. Re-
Jahresbericht fftr Altertumswissenschaft. Bd. CXXX1V. (1907. II.) 17
258 Bericht über die Literatur zu Suetonius von 1897 — 1906. (Opitz.)
gierungsanfang ; 4. Gaius und seine Familie; 5. Der Orient unter
Gaius; 6. Gaius und der Westen; 7. Die Juden; 8. Verwaltung und
Justiz; 9. Religionspolitik; 10. Gaius und die drei Stände; 11. Gaius1
Persönlichkeit) gehört in einen anderen Bericht. Hier sei nur er-
wähnt , was der Verf. über die Quellen sagt : Ein flüchtiger Blick
genügt, zu bemerken, daß Dio von Sueton nicht beeinflußt ist. daß
vielmehr beiden schon ausgeführte Charakterzeichnungen des Kaisers
vorgelegen haben. Man kann sagen, daß ihn die Nachwelt durch die
Brille Senecas sieht.
Haussoullier, Caligula et le temple d'Apollon Didymöen.
Re*vue de philologie XXIII S. 147—168.
Schon länger als drei Jahrhunderte war man mit dem Neubau
des Tempels des Apollo zu Didyma bei Milet beschäftigt, und noch
war kein Ende abzusehen. Da entschloß sich zu dessen Vollendung
Caligula (Suet. Cal. 21), und zwar wollte er tatsächlich dadurch
einen Tempel für sich haben (Dio 59, 28). Zu dem Zwecke ordnete
er an, daß die Provinz Asien die Kosten zu tragen habe. Der Verf.
vermutet nun, daß die in einer von ihm zuerst veröffentlichten In-
schrift von Didyma (Nr. 30) erwähnte Schenkung eines nicht genannten
Kaisers von Caligula gemacht worden sei. Hierzu stimmt auch, daß es
milesische Münzen aus der Zeit Caligulas gibt, auf denen ein Hexastylos
abgebildet ist, mit dem doch offenbar das Didymeion gemeint ist.
Infolge alles dessen beschlossen die Milesier für Caligulas Schwester
Drusilla (f 38) göttliche Ehren. Vielleicht waren auch die in einer
anderen Inschrift von Milet (rövue XXI S. 42 Nr. 17) genannten
Kaiaa'peia dem Caligula geweiht.
H. Bodewig, Ein Trevererdorf im Coblenzer Stadtwalde.
Westdeutsche Zeitschrift XIX (1900) S. 1—67, im besonderen
S. 56—67.
Den Cal. 8 erwähnten vicus Ambitarvius supra Confluentes glaubt
der Verfasser im Coblenzer Stadtwalde aufgefunden zu haben. Con-
fluentes muß , da es keinen weiteren Zusatz hat , sich auf Coblenz
beziehen. Der gefundene vicus stellt sich als eine Anhäufung von
Einzelgehöften dar, in denen jeder Eigentümer sich durch Mauer
und Zaun von der übrigen Welt abzusondern sucht (keltisch). Der
Altar ob Agrippinac Puerperium bezieht sich auf einen Ende 14 oder
Anfang 15 n. Chr. dort geborenen, früh verstorbenen Sohn des
Germanikus und auf die Ende 16 n. Chr. dort geborene Drusilla.
Er ist vermutlich nicht von diesem selbst gestiftet.
Cr am er, Der vicus Ambitarvius. Daselbst XXII (1903)
S. 274—286.
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Bericht über die Literatur zu Suetonius von 1897—1906. (Opitz.) 259
Der Verfasser bezeichnet Bodewigs Ausgrabungen als sehr
wichtig. Indem er dann Ambitarvius mit Ambitrebius (Bezirk auf
beiden Seiten der Trebia) vergleicht, erklärt er es als einen Gau zu
beiden Seiten eines Baches, der etwa Tarva oder Tarvos hieß. Als
Flußname ist dieses Wort zwar verschwunden, es lebt aber fort in
dem Siedlungsnamen Zerf, mittellateinisch Cervia. Dort ist auch ein
Bach, der unterhalb von Niederzerf in die Ruwer fließt, während
diese unterhalb von Trier in die Mosel mündet. Bei genauer Lokal-
betrachtung ergibt sich, daß der Ausdruck supra confluentes durchaus
angemessen ist Confluentes oder Ad Confluentes kommt nicht nur
zur Bezeichnung von Coblenz vor.
Boot, Verslagen en mededeelingen der koninklijke Akademie
vom vetenschapen XII 8 (exzerpiert in Woch. für klass. Philol.
1897 S. 15)
bespricht im Anschluß an Cal. 37 (fabricavit et deceris Liburnicas)
die Funde im Nemisee. Die Länge des aufgefundenen Prachtschiffes
wird von Tauchern auf 68 m bei einer Mittelbreite von 20 m an-
gegeben. Gefunden wurden u. a. Bronzeverzierungen, die auf runden
oder viereckigen Pfeilern gesteckt haben, ein Bronzezylinder mit
Löwenköpfen und einem Ring zum Befestigen von Ketten oder
Stricken. Ein zweites und größeres Schiff liegt 150 m vom Ufer
entfernt.
Siebe rt, Die ältesten Zeugnisse Uber das Christentum bei
den römischen Schriftstellern. Charlottenburg, Programm des
Augustagymnasiums 1897. S. 6 — 7.
Judaeos impulsore Chresto usw. (Claud. 25) bezieht sich, indem
Chrestus vermutlich „eine in Rom bekannte jüdische Persönlichkeit
(daher nicht Chresto quodam) dieses Namens" bezeichnet, nicht auf
eine Christenverfolgung, sondern auf die auch bei Lukas (Apostel-
geschichte 18, 2) erwähnte Judenvertreibung. Vielleicht ist diese
ins Jahr 52 zu setzen.
P. Werner, De incendiis urbis Romae aetate imperatorum.
Leipziger Dissertation 1906.
Der Verfasser stellt in sehr fleißiger Weise alle über die Brände
Roms in der Kaiserzeit sich findenden Angaben zusammen. Dabei
wird naturgemäß besonders ausführlich der große Brand unter Nero
besprochen, namentlich eingehend seine Ausbreitung. Doch trifft
der Verfasser keine Entscheidung in der Frage Uber die Urheber-
schaft. Über diese Frage ist in den letzten Jahren eine außer-
17*
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260 Bericht über die Literatur zu Suetonius von 1897—1906. (Opitz.)
ordentlich ausgebreitete Literatur entstanden , die hier nicht be-
sprochen werden kann. Ich nenne nur das 748 Seiten umfassende Werk
A. Profumo, Le fonti ed i tempi dello incendio Neroniano.
Roma 1905
und verweise im übrigen auf die letzten Jahresberichte Andresens
über Tacitus.
Marks, Neros great ship-canal. Athenaeum Nr. 3746
(12. Aug. 1899) S. 233 f.
Der Anfang des bei Suet. Nero 31 (und Tac. ann. XV 42) er-
wähnten Kanals, den Nero vom Arvernersee nach Ostia bauen
wollte, ist in der grotta di Pace zu seheu, die an der Nordwestseite
des Sees beginnt. Bis jetzt hat man diese nach Strabo für ein Werk
des Cocceius, eines Ingenieurs des Agrippa, gehalten, aber mit Un-
recht. Denn dessen Werk ist vielmehr in der grotta della Sibilla
erhalten. Die grotta di Pace hat gerade die Richtung, die der
Schiffskanal einschlagen mußte. Die Vermutung des Verfassers, daß
aus deren Breite (16 engl. Fuß = ca. 5 m) und der Notiz Suetons,
daß auf dem Kanäle contrariac quinqueremes commearent, sich viel-
leicht ein Schluß auf die Breite solcher Schiffe ziehen lasse, entbehrt
jeder Wahrscheinlichkeit. Denn dann könnten zwei quinqueremes
zusammen nur 5 m breit gewesen sein.
Fabia, N6ron acteur. Bulletin de la socidte" des ainis de
l'universite" de Lyon. Bd. XIX (1906) S. 27—52.
So lange Agrippina lebte, wagte Nero nicht, öffentlich aufzutreten.
Doch studierte er unter der Leitung des Terpnus mit großem Eifer.
Nach ihrem Tode trat er zuerst bei den Juvenalien in den Vatikani-
schen Gärten vor Eingeladenen auf, 64 zum ersten Male in Neapel, später
auch in Rom , z. B. bei der Anwesenheit des Tiridates. 67 unter-
nahm er seine Kunstreise nach Griechenland. Alle vier großen Fest-
spiele waren auf dieses Jahr verlegt worden, in Olympia wurde ein
besonderer musikalischer Agon eingelegt. Mit 1808 Kränzen kehrte
er nach Rom zurück und feierte einen glänzenden Triumph. Bei den
dazu gehörigen Spielen trat er selbst wieder auf. Kurz darauf er-
folgte sein Ende. Er besaß ein bescheidenes Talent, das jedoch seine
maßlose Selbstüberschätzung zu einem Genie aufbauschte. Trotzdem
hatte er vor jedem Auftreten eine tüchtige Angst. Daher führte er
eine wohlorganisierte Claque mit sich.
Derselbe, Coniment Poppte devint impöratrice. Rev. de
philol. XXI (1897) S. 221—239.
Die Beziehungen zwischen Nero und Poppaea (vgl. diesen Jahres-
bericht Bd. 97 S. 109) begannen ,r»8. Damals war Poppaea etwas
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Bericht über die Literatur zu Suetonius von 1897— 1'JOü. (Opitz.) 2t» l
über 25 Jahre alt, Nero dagegen erst 21. Ihre Schönheit war ebenso
hervorragend wie ihr Streben, diese sich zu erhalten. Sehr ergeben
war sie den Astrologen , auch zeigte sie eine gewisse Neigung zum
Judentum. „Impudiqueu war sie „par calcul et non par instinct". Daher
liebte sie nicht Neros Person, sondern nur seine Stellung und strebte,
nachdem sie dessen Geliebte geworden war, nach dem Throne. In
diesem Streben stieß sie auf drei Hindernisse: Agrippina, Burrus,
Octavia. Agrippina suchte ihren erschütterten Einfluß zu wahren,
indem sie Nero zum Incest verleiden wollte. Aber gerade dies be-
nutzte Poppaea, um Nero gegenüber ihre Behauptung, daß Agrippina
«ine Verschwörung plane , zu stützen. So entschloß sich Nero zum
Muttermord. Hinsichtlich des Todes des Burrus erklärt es der
Verf. für das Wahrscheinlichste (so Sueton Nero 35), daß auch er.
an Angina erkrankt, durch ein vergiftetes Mittel beseitigt wurde.
Von Octavia trennte sich Nero, nachdem er sie des Ehebruchs mit
dem Flötenspieler Eucaerus beschuldigt hatte, und heiratete
12 Tage darauf Poppaea. Alsdann wurde Octavia nach Campanien
verbannt. Da aber das Gerücht von ihrer Zurückberufung das Volk
dazu veranlaßt hatte, die Bildsäulen der Poppaea zu stürzen und die
der Octavia aufzustellen, wurde letzterer Ehebruch mit Anicetus vor-
geworfen. Die Strafe war die Verbannung nach Pandateria, wo sie
ihren Tod durch Mörderhand fand. Als Poppaea ihr abgeschlagenes
Haupt mit eigenen Augen sah, fühlte sie sich endlich als Kaiserin.
Derselbe, Le regne et la raort de Poppte. Daselbst
XXII S. 333-345.
Als Poppaea einer Prinzessin das Leben gegeben hatte, wett-
eiferten der Senat, die Arvalen usw. in Schmeicheleien. Beide,
Mutter wie Tochter, erhielten von Nero den Titel Augusta. Aber
das Kind starh noch vor Vollendung des vierten Monats. Trotzdem
wußte Poppaea ihren Einfluß immer mehr zu steigern. So veranlaßte
sie im Bunde mit Tigelliuus den Tod Senecas. Auch wird sie bei
ihren Beziehungen zu den Juden wohl die Verfolgungen der Christen
mit veranlaßt haben, da diese ja den Juden verhaßt waren. Dagegen
hinderte sie weder Neros öffentliches Auftreten noch die Fortsetzung
seines sittenlosen Lebens. Daß Poppaea durch Nero vergiftet worden
sei (so Tacitus nach gewissen Quellen), ist bei seiner Liebe zu ihr
und bei seinem brennenden Wunsche, Kinder zu bekommen, unwahr-
scheinlich. Dagegen ist die Überlieferung, daß er ohne eigentliche
böse Absicht durch einen Fußtritt ihren Tod veranlaßt habe (so
Sueton Nero 35, Dio und Tacitus nach anderen Quellen), wohl glaub-
lich. Auch empfand er dauernde Keue. Dies beweisen die Ehren,
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262 Bericht über die Literatur zu Suetonius von 1897—1906. (Opitz.)
die er der Getöteten erwies, z. B. weihte er ihr noch 68 — 65 war
sie gestorben — einen Tempel. Wenn er trotzdem recht bald Messa-
lina heiratete, so hat diese doch seinem Herzen nie so nahe gestanden
wie Poppaea. In seiner nächsten Umgebung hatte er Sporns, weil
dieser ihr sehr ähnlich war. Aach bewahrte er immer eine nach-
trägliche Eifersucht auf ihren früheren Gatten Crispinus, den er des-
halb nicht nur nach Sardinien verbannte, sondern auch sich zu töten
veranlaßte. Welch eine Macht Poppaea Uber die Männer ausgeübt
hat, geht übrigens auch daraus hervor, daß Otho ihre Bildsäulen
wieder aufrichten ließ.
Paul, Kaiser Marcus Salvius Otho. Rh. Mus. 57 (1902)
S. 76—136.
Den Anfang des interessant geschriebenen Aufsatzes machen
einige Bemerkungen über die Familie Othos. Wenn seine Charakteristik
bei Sueton (Kap. 12) und Tacitus nicht übereinstimmen, so erklärt dies
sich daraus, daß Sueton auf die städtische Skandalchronik Rücksicht
nimmt. Ausführlich spricht dann der Verfasser über das Verhältnis
Othos zu Poppaea Sabina, wobei ihm der Aufsatz von Fabia (vgl.
diesen Jb. Bd. 97 S. 109) unbekannt geblieben ist. Sie war ein
Weib, das ein „vollendeter Roue" wie Otho leicht reizen und an sich
locken konnte". Hauptsächlich aber ließ sie sich wohl durch den
Einfluß bestimmen, den Otho bei Nero besaß. Und so gelang es ihr,
auch diesen für sich zu gewinnen. Um nicht im Wege zu sein,
wurde Otho Statthalter von Lusitanien, ein Amt, das er 58 — 68 in
tüchtiger Weise verwaltete. Als Galba auftrat, schloß er sich sofort
an ihn an, offenbar aus Rachsucht (Suet. 4), und gewann durch Leut-
seligkeit die Truppen für sich. Dadurch, daß Galba nicht ihn,
sondern Piso adoptierte, fühlte er sich schwer verletzt. Auch setzten
ihm seine Freigelassenen sowie die Sterndeuter zu. So ließ er sich
zum Kaiser ausrufen. Die damit zusammenhängenden Ereignisse
werden vom Verfasser ausführlich dargestellt , im wesentlichen nach
Tacitus, jedoch unter Heranziehung von Sueton und Plutarch sowie
Dio. Als dann Vitellius' Truppen heranzogen, kam es zur Schlacht
bei Betriacum. Wenn sich nach ihr Otho selbst den Tod gab, so
sieht der Verfasser den Hauptgrund in dem Zweifel, ob er die Sache
durchführen könnte.
Fabia, Le gentilice de Tigellin. R6v. de philol. XXI
S. 160—166.
Tigellinus (Suet. Galba 16) hieß nicht Sophonius Tug., sondern
Ofonius, wie bei Tac. hist. I 72 und ann. XIV 51 handschriftlich
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Bericht über die Literatur zu Suetonius von 1897—1906. (Opitz.) 2C3
überliefert ist. Die gens Ofonia ist überdies zweimal inschriftlich
bezeugt, die Sophonia nirgends.
Newton, The egigraphical evidence for the reigns of Ves-
pasian and Titus. Cornell studies XVI (1901).
Diese fleißige Zusammenstellung und Erläuterung aller aus der
Zeit des Vespasianus und Titus erhaltenen Inschriften (366 Nummern)
kann hier und da auch zur sachlichen Erklärung Suetons heran-
gezogen werden, z. B. Nr. 89 — 98 über Vespasians Bautätigkeit zu
Suet. Yesp. 8 und 9, Nr. 220 über Vespasians Mutter Polla zu
Vesp. 1 , Nr. 228 — 283 über Flavia Domitilla Mutter, Tochter und
Enkelin zu Vesp. 3 und Dom. 15, Nr. 236 über Domitia zu Dom. 3,
Nr. 237 und 238 über Caenis zu Vesp. 2 , Nr. 274 über Helvidius
Pilsens zu Vesp. 15.
Sanders, The younger Ennius. Transactions and procee-
dings of the american philological association. XXXII (1901)
S. XXIII.
Zu de gramm. 1. Der jüngere Ennius ist zwischen 140 und
100 v. Chr. anzusetzen. Ihm ist die Übersetzung des Euhemerus
zuzuweisen.
Cantarelli, Sopra un passo di Suetonio. Boll, di philol.
classica IV 110.
Aus De gramm. 16 Q. Caecilius Epirota cum filiara
patroni nuptam M. Agrippae doceret, suspectus in ea et ab hoc
remotus folgert Drumann, daß die Ehe zwischen Agrippa und Pom-
ponia geschieden worden sei. C. weist mit Recht darauf hin,
daß aus den Worten Suetons nicht einmal hervorgeht, daß Pomponia
überhaupt ein Verdacht getroffen habe.
H. Wölfflin, Salsamentarius. Archiv für lat. Lex. XII
S. 866.
Salsamentarins (vita Horatii) ist ein Händler mit Schinken,
Würsten usw. Denn die Terenzscholien und Glossen erklären sal-
samenta durch aut salsi pisces sunt aut lavidum oder carnes sale con-
ditaß oder omnes res salsae.
Lucas, Die Herkunft Bions und Horazens. Philol. 58
(N. F. 12) S. 622—624.
Die Worte der vita Horatii : cum illi quidam se emun-
gentem sind unbedingt echt. Wie sich aus der Vergleichung dessen,
was Diog. Laert. IV 7, 46 über Bion berichtet, ergibt, war es die
Sitte der Freigelassenen, sich mit dem Ellbogen die Nase zu wischen.
Der dem Horaz gemachte Vorwurf bezieht sich also nur darauf, daß
sein Vater ein Freigelassener war.
264 Bericht über die Literatur zu Suetonius von 1897—1906. (0pit2.)
V. Sprachgebrauch.
Dalmasso, La grammatica di C. Suetonio Tranquillo.
Torino 1906.
Außer einem Vorwort ist noch eine introduzione vorausgeschickt.
Deren wesentlicher Inhalt ist folgender : Sueton war weder der neuen
Richtung (Seneca), noch der archaisierenden sehr geneigt ; er ist maß-
voll konservativ und schließt sich mehr an Cicero an. Wenn ihm
das nicht so gelingt wie z. B. Quintilian, so liegt das an dem da-
zwischenliegenden halben Jahrhundert. Außerdem hängt jeder Schrift-
steller von dem Zustande der Sprache ab, den er vorfindet. Was
archaisch erscheint, ist oft Volkssprache. Das von Quintilian vom
Historiker verlangte poetische Element findet sich bei Sueton seltener.
Das liegt an der ganzen Art seiner Geschichtschreibung.
Darauf folgt die Grammatik in 247 Paragraphen ganz nach dem
Schema einer lateinischen Grammatik. Daß der Verfasser auf diese
Zusammenstellungen viel Fleiß verwendet hat, ist unleugbar. Eine
vollständige Sammlung aller Beispiele war offenbar nicht beabsichtigt,
sondern nur eine solche der Abweichungen vom regelmäßigen Sprach-
gebrauch. Daß dies nicht ausreicht, sondern daß es notwendig ist,
auch das Verhältnis der unregelmäßigen zu den regelmäßigen Er-
scheinungen anzugeben und ferner zu erwähnen, welche Worte oder
Konstruktionen fehlen, möge das Beispiel der Präpositionen zeigen:
nicht behandelt werden circum, eis, erga, extra, infra, prope, trans,
ultra sowie clam sine subter. Und doch wäre der Schluß, daß
Sueton diese gar nicht gebraucht, falsch. Nach der clavis Suetoniana
fehlen nur eis, erga und subter. Wer also an eine solche Grammatik
nur das Verlangen stellt, daß man sich über das von den gewöhn-
lichen Regeln Abweichende schnell orientieren kann, wird auch mit
der vorliegenden völlig zufrieden sein.
Der Syntax sind auch stilistische Bemerkungen beigefügt: Kürze
(z. B. Ellipse), Ungenauigkeit (z. B. Pleonasmus und Inkonzinnität),
dichterisches Kolorit, Neuerungen, griechische Ausdrücke, Wortstellung.
In den Anmerkungen wird gelegentlich auf Kritik eingegangen.
W. Freund, De C. Suetonii Tranquilli usu atque genere
dicendi. Breslauer Dissertation 1901.
Der wesentliche Inhalt dieser umfänglichen Dissertation ist etwa
folgender :
Pars I. De universa clocutione. S. 3 — 43.
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Bericht über die Liteiatur zu Suetonius von 1897—1906. (Opitz.) 265
1. De perspicuitate: Sueton vermeidet lange Perioden, z. B
Aug. 94, 13—17 und Tib. 11, 22—25, wo andere Schriftsteller un-
bedingt die Periodisierung angewendet hätten ; Zitate stehen oft nicht
im Abhängigkeitsverhältnis, sondern mit ut und einem Verbum ; An-
akoluthe sind selten ; an den Spitzen der einzelnen Teile stehen Stich-
worte. 2. De brevitate sermonis: Das tibermäßige Streben
nach Kürze führt mitunter zu Dunkelheit; sehr ausgedehnt ist der
Gebrauch des Partizipiums. 3. De copia verborum: Nachträge
zu Baumgarten-Crusius. 4. De detractionibus: Häufig ist die
Ellipse von esse und fuisse sowie von is in Hauptsätzen und beim
Infinitiv, bei letzterem auch die von se. 5. De collocatione
verborum: Das Attribut ist oft vom Substantivum getrennt; die
Amts- und Verwandtschaftsbezeichnung steht vielfach vor dem Eigen-
namen , der Beiname Magnus stets. 6. De ornatu sermonis:
Verba und Substantive stehen oft in übertragenem Sinne ; rhetorische
Figuren werden selten angewendet. 7. De concinnitate: In-
konzinnität ist sehr gebräuchlich. 8. De dissolutione: Das
Asyndeton ist sehr beliebt, daher wird das satzverknüpfende autem
wenig gebraucht; relative Anküpfung wird vermieden; Polysyndeta
sind ganz selten. 9. De clausulis numerosis: Der Verfasser
stellt aus der vita Augusti zahlreiche rhythmische Satzausgäuge zu-
sammen.
Pars II. De quibusdam proprietati bus sermonis
Suetoniani S. 44—68.
1. De substantivis: Von Substantiven hängen oft ab Prä-
positionen, Infinitive, Sätze; bei Eigennamen stehen oft gen. oder
abl. qual. 2. De adiectivis: Viele Adjectiva sind mit per oder
prae zusammengesetzt; Komparative ohne eigentliche komparative Be-
deutung; seltene Superlative; verschiedene Steigerungsgrade werden
zusammengestellt ; Neutra mit Präpositionen werden als Adverbia
verwendet; Präpositionen hängen von Adjektiven ab; es heißt nie
alius ac , sondern alius quam ; negiertes alius ist sehr beliebt.
3. De adverbiis: Adverbia der Ähnlichkeit stehen mit quam oder
ac; sehr beliebt sind item, frequenter, non temere, amplius, mox. 4. De
nominibus numeralibus: Oft kommt uuus atque alter vor. 5. D e
pronominibus: Suus im prägnanten Sinne (Livia sua); is = ille ;
Besonderheiten des Relativums. 6. De verbis: Einzelne Verba
werden besprochen , z. B. consulere = consultare , offensus , facere
und reddere mit Adjektiven, foret und forent, verba frequentativa.
unpersönliches Passivum, unpersönliche Konstruktionen. 7.*ÄzaS ti-
pij|i£ va: Nomina, Adverbia, Verba. 8. De sy ntaxi congruentiae,
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266 Bericht über die Literatur zu Suetonius von 1897—1906. (Opitz.)
9. Decasibus, 10. De praepositionibus bieten einige Nach-
träge zu Thimms und Bagges Zusammenstellungen. 11. De con-
iunctionibus: Besprochen werden besonders ut beim Relativum,
quotiensque, quamquam und quamvis, quasi und tauquam zur Angabe
der subjektiven Meinung. 12. De quaestionibus: Nachträge.
13. De particulis: et = et quidem, que an Präpositionen an-
gehängt, etiam = quoque, quoque steigernd, neque = ne quidem,
non modo sed, Stellung von autem, Gebrauch von ergo, igitur und nam.
0. Siesbye, Nordisk Tidsskrift for Filologi XI (1902)
S. 152—155
behandelt den Nero 37 non amplius quam horarum spatium und
Dom. 3 secretum sibi horarum sumere solebat vorkommenden Ge-
brauch von horae ohne weiteren Zusatz (vgl. S. 269).
Funaioli, Der Lokativ und seine Auflösung. Archiv für
lat. Lexikographie. XIII S. 301-372.
apud = in z. B. Tib. 40 apud Fidenas, Titus 5 apud Memphim,
bei einer Insel Aug. 92 apud Capreas, bei einem Lande Vesp. 5 apud
Iudaeam.
circa = apud: Jul. 4 circa Pharmacussam , Otto 9 circa Pla-
centiam.
Steele, Affirmative final clauses in the latin historians.
American journal of Philology XLX S. 255—284.
Zur Bezeichnung des finalen Verhältnisses bietet bei Sueton
ut 67, ad 91, qui 25, quo 49, causa 22, Supinum 4, part. fut 10,
Gerundivum 27, Dativ des Gerundivs 5 Beispiele. Dagegen fehlt der
Genetiv des Gerundivs.
Reissinger, Über Bedeutung und Verwendung der Prä-
positionen ob und propter. II. Teil. Speyer, Gymnasium. 1900.
S. 86 f. und 56.
Sueton hat, abgesehen von den Formeln ob 48 mal verwendet
(meist kausal , 9 mal zur Vergeltung , 1 mal in geschäftlicher Be-
deutung Caes. 11). Dagegen propter, ohne Formeln, 30 mal. Be-
merkenswert ist mit Gerundivum Tib. 2 ob expellendum Ciceronem.
B e n n e 1 1 , Die mit tanquam und quasi eingeleiteten Substaotiv-
sätze. Archiv für lat. Lex. XI S. 410 und 415.
Bei Sueton finden sich für tanquam zwei Beispiele (Aug. 6
und 94), für quasi zwölf, z. B. Aug. 6, 14, 16, 28, 94.
Lane, Hidden versus in Suetonius. Harvard studies LX.
S. 17—26.
Der Aufsatz enthält eine Sammlung der Stellen, die sich in
Lanes Nachlaß vorgefunden hat. Ausgearbeitet ist nur die Einleitung.
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Bericht über die Literatur zu Suetonius von 1897-1906. (Opitz.) 267
Ausgehend von einer Vergleichung des Virgilzitats Cal. 45 mit dem
Originale nimmt der Verfasser an, daß man in Zitaten bei Sueton,
in denen man Verse vermutet, kleine Änderungen vorzunehmen be-
rechtigt sei. Er zerlegt die in Betracht kommenden Zitate in vier
Klassen: 1. Verse ohne Änderung; 2. V. mit leichter Änderung in
der Wortstellung; 3. V. mit Änderung in einem Worte; 4. V., die
in oratio obliqua angeführt werden. Vieles bleibt ganz unsicher.
Sollte z. B. Spurinna wirklich in einem Verse Caesar vor den Iden
des März gewarnt haben (Caes. 81) V
Howard, Metrical passages in Suetonius. Daselbst X S. 23
—28.
Der Verf. bewegt sich auf ähnlichen Pfaden wie Lane. Auch
hier Uberwiegt das Unsichere. Ich erwähne als Beispiel die Ver-
mutung, daß Caesars Worte am Rubico (Jul. 32) etwa in der Form
eätur quo deörum ostenta et inimicorum iniquitas
vocät. acta Jalea est (oder esto)
aus einer Tragödie stammen (vgl. S. 242).
VI. Ausgaben.
C. Suetonii Tranquilli de vita Cacsarum libri VIII. Recensuit
Leo Preud'homme. Groningae 1906.
Preud'homme hat in drei Abhandlungen (vgl. oben S. 248) gründ-
liche Vorstudien über die Überlieferung Suctons angestellt. Die
Frucht ist die vorliegende Ausgabe. Sie ruht auf der von ihm nach-
gewiesenen Einteilung der maßgebenden Handschriften in zwei Klassen
(X und Z), denen gegenüber die deteriores sehr in den Hintergrund
treten. Über die Zuverlässigkeit des kritischen Apparates, wie über
die ganze Ausgabe, spricht sich Ihm in der Berliner philologischen
Wochenschrift 1906, 18, 552 556 ziemlich wegwerfend aus, während
Stangl in der Wochenschrift für klassische Philologie 1906, 39, 1057
— 1062 günstiger urteilt. Daß sie jedenfalls gegenüber Roths Aus-
gabe (1857) einen nicht unwesentlichen Fortschritt bezeichnet, halie
ich bereits im Literarischen Centralblatt 1907, 8, 272 gesagt.
Die wichtigsten Abweichungen vom Rot lisch en Texte in den vitae
des Tiberius, Claudius und Nero (zusammen reichlich 100 Seiten) sind
etwa folgende:
1. Aus allen Handschriften: Tib. 34 consueyerat st. consuerat,
51 his st. iis, 67 quia st. qui, 72 subvectus est; Claud. 4 nuneu-
paret legatoque an einer freilich ganz unsicheren Stelle, 13 aquila st.
268 Bericht über die Literatur zu Suetonius von 1897—1906. (Opitz.)
aqnilae, wobei der Singular immerhin befremdlich ist, 29 ut cum;
21 Nioban, 31 paseuis; Nero 12 Pasiphaan.
2. Aus XZ (gegen die geringeren Handschriften): Tib. 46
Graecorum st. gratorum, Claud. 12 confirmarent ; (gegen x l): Nero 42
animoque male facto st. fracto, eigentlich sind beide Ausdrücke gleich
befremdlich.
8. aus X: Tib. 12 etenim vero, Nero 22 ampliari st. ampliarc,
obwohl letzteres mehr dem Sinne entspricht.
4. aus A (und einer oder der anderen Hdschr.): Tib. 30 di-
scriptione st. descriptione, 85 e st. et, 61a liberis suis; Claud. 17
M. Crassus.
5. Aus Handschriften der Klasse X, aber gegen A : Tib. 56 com-
perissetque richtig ; Claud. 34 cum et spectare, wohl richtig ; Nero 35
et dolo unsicher.
6. Aus einzelnen Handschriften: Tib. 21 laudo aus cod. Ursini
eingeschoben, schwerlich mit Recht; Tib. 26 Vencrios iocos st. locus
aus Dbcf, hat etwas Bestechendes, ist aber doch wohl unnötig;
Tib. 65 lovis aus Da, vielmehr ionis, vgl. Ihm S. 254:
Claud. 32 ut more veteri statt qui m. v. aus DC , wohl richtig ;
Nero 5 repentem st. repente aus D, nicht übel, aber doch zu schlecht
bezeugt: Nero 6 et eosdem. kaum richtig; Nero 33 venenorum aus s,
also ganz schlecht überliefert (vgl. unter 7); Nero 37 iocabatur st.
vocabatur, sehr unsicher.
7. Fremde Konjekturen : Tib. 28 si qui de nie (Madvig), richtig ;
Tib. 43 quem (Becker), wenig wahrscheinlich, denn der Beiname
Caprineus bezieht sich doch schwerlich auf den habitus Paniscorum
et Nympharum ; Tib. 45 obscenitate moris (Heinsius), wohl richtig:
Claud. 20 magna potius atque necessaria (Kraffert), dem Sinne
nach richtig; Claud. 30 non defuit ei, verum stanti (Bentley), richtig;
Claud. 41 [et] Torrentius, wohl richtig: Nero 33 venenorum artince
(Thomas) , (vgl. oben unter 6) , besser überliefert ist venenariorum,
aus indicc läßt sich dann am besten principe (Koscher) machen, aber
unsicher bleibt auch dieses; Nero 35 [inter] Torrentius, gut; Nero 3S
[ut] Wolf, gut.
8. Eigene Konjekturen: Tib. 52 altcrius vitiis (alterius virtutibus),
während sonst diese beiden Worte vorher eingeschoben werden;
Claud. 11 at fratris, memoria per omnem occasionem celebrata,
comoediam .... doeuit. Daß darnach die comoedia als ein Werk
des Bruders, d. h. des Germanikas, erscheint, ist unbedenklich, aber
hart erscheint der abl. abs. und ungeeignet at.
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Bericht über die Literatur zu Suetonius von 1897—1906. (Opitz.) 209
9. Ein Sternchen zur Bezeichnung, daß die Stelle noch un-
geheilt ist, mit Recht beseitigt Nero 5, mit Recht neu gesetzt, Tib. 40,
Nero 14, obwohl hier tanquam nullo (Faernus) sehr nahe liegt (vgl.
S. 254) und Claud. 4.
C. Suetonii Tranquilli vitae Galbae Othonis Vitellii. Commen-
tario instruxit Cornelius Hofstee. Groningae 1898.
Der Hauptnachdruck dieser Ausgabe liegt auf der sachlichen
Erklärung. Zu dem Zwecke sind zunächst unter dem Texte Parallel-
stellen anderer römischer und griechischer Historiker abgedruckt,
dann folgen die Anmerkungen in zwei Kolumnen. Die Nachweise
über die einzelnen Personen scheinen mir vielfach zu ausführlich zu
sein. Sprachliche Anmerkungen finden sich nur in ganz geringer An-
zahl, kritische in etwas größerer. Die Abweichungen vom Rothschen
Texte sind, soweit es sich aus den Anmerkungen erkennen läßt, nicht
sehr zahlreich. Mit Recht wird Galba 20 in gremium abdidit statt
addidit nach den Handschriften geschrieben, wohl auch Galba 22 libi-
dinis — pronioris statt pronior mit Stephanus. Dagegen hätte Vit. 12
die Form circumforaneo nicht aus Roth übernommen, sondern mit den
Handschriften circumforano geschrieben werden sollen. Unbegründet
ist auch Vit. 3 die Lesart spintriae cognomine, da hier spintheriae
überliefert ist (Tib. 43 spintria, Cal. 16 psinthria). Eigene Kon-
jekturen werden in den Anmerkungen vorgetragen. Überflüssig sind
Vit. 11 de dominicis statt de dominico und Vit. 15 septimo statt
octavo, nicht übel ist Galba 3 vel eloquentissimus statt et. These IX
schlägt Vit. 10 vor: vario coronarum genere statt va darum coronarum
genere.
Gadern an, Latin literature of the empire. New York and
London. Harper & Brothers publishers. 1898. S. 357 — 395
enthält die vita Terentii, sowie Abschnitte aus den vitae Caesaris
und Neronis. Der Text ist im wesentlichen der Rothsche. Mit Recht
wird Caes. 84 idoneum statt ad donum (Heinsius) und Nero 49 tur-
pittr pereo statt turpiter* geschrieben. Mindestens unsicher möchte
ich Nero 37 duarum horarum statt horarum (vgl. S. 266) und 39
tujTpoxTOvoi statt jr/jTpoxTOvo? nennen. Viel zahlreicher sind die
Änderungen in der Tereuzbiographie. Hier scheint mir richtig nur
pag. 292, 30 (ed. Roth) dicitur (mit Mommsen) statt dictus est.
Stets unsicher wird die Herstellung der angeführten Verse bleiben.
Aber auch die meisten der Ritschlschen Konjekturen, die der Heraus-
geber aufgenommen hat, können kaum darauf Anspruch machen, als
notwendig bezeichnet zu werden, so 292, 31 in subsellio statt sub-
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270 Bericht über die Literatur zu Suetonius von 1897—1906. (Opitz.)
sellio, 293, 15 levius se statt se levius, 293, 18 pro se . . . . inquit
statt pro se ait qui.
Kunze, Die Germanen in der antiken Literatur I. Leipzig
und Wien 1906, S. 84—87
druckt folgende Stellen Suetons vollständig oder teilweise ab : Aug. 28 ;
Tib. 9, 17, 37; Cal. 43, 51; Claud. 1, 24; Galba 6 ; Titus 5;
Dom. 6.
JAHRESBERICHT
über die
Fortschritte der klassischen
Altertumswissenschaft
begründet von
Conrad Bursian
herausgegeben von
W. Kroll.
Hundertfünfunddreißigster Band.
Fünfunddreißigster Jahrgang 1907.
Dritte Abteilung.
ALTERTUMSWISSENSCHAFT.
LEIPZIG 1908.
O. R. REISLAND.
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Inhaltsverzeichnis
des hundertf ünfunddreißigsten Bandes.
Seite
Bericht Uber die griechische Dialektforschung von 1899
bis 1906. Von W. Prellwitz in Rastenburg . 1—14
Bericht Uber Paläographie und Handschriftenkunde (1903
bis 1906). Von Wilh. Weinberger in Iglau . 15 — 53
Bericht Uber griechische Geschichte (1903 — 1906). Von
Thomas Lenschau in Berlin 54 — 261
Register Uber Abteilung I— III (Bde. 133—135) . . . 263—276
Jahresbericht
über die griechische Dialektforschung von 1899-1906.
Von
Walther Prellwitz.
Im meinem letzten Berichte über die Fortschritte der griechischen
Dialektforschung (Bd. CVI 1900 S. 70 ff.) ist mehrmals (z. B. S. 95,
96) davon die Rede gewesen, daß zur Erklärung mundartlicher Ver-
schiedenheiten bisweilen auf die vorgriechische Bevölkerung zurück-
zugehen sei, deren verschiedene Bestände sich mit den griechischen
Volksteilen in verschiedener Weise gemischt haben dürften.
Das Verdienst, die Frage nach den für uns hier also auch wich-
tigen vorgriechischen Bewohnern des Landes jetzt energisch angefaßt
zu haben, gehört dem verehrten Altmeister griechischer Sprachforschung,
August Fick in seinem Buche: Vorgriechische Ortsnamen
als Quelle für die Vorgeschichte Griechenlands.
Als sein Ergebnis bezeichnet er, daß es eine hettitische (süd-
kleinasiatische) Grundschicht der Bevölkerung in Kreta, Thessalien.
Phokis, Böotien, Attika, Megaris und der Ostseite des Peloponnes
gegeben habe, während die Westhälfte des Landes eine lelegische
Grundschicht der Bevölkerung eingenommen habe, die übrigens mit
jener durch Verwandtschaft verknüpft gewesen sei. Von Norden in
Westhellas vordringende lllyrier hätten diese Leleger über den
Parnassos und die arkadischen Gebirge hinweg nach Osten zu und
weiterhin auf die Inseln und die Gestade Westkleinasiens getrieben.
Im Osten hätten sich Pelasger (Pelagonen vom Norden Make-
doniens), dem Drucke thrakisch-phrygischer Indogermanen nachgebend,
rings um die Gestade des ägeischen Meeres bis nach Kreta hin aus
gebreitet. Auf der Athoshalbinsel , den Inseln und den asiatischen
Küsten werden sie auch als Tyrsaner bezeichnet, und die beiden
alten, leider ganz unverständlichen Inschriften von Lemnos geben
uns einen Begriff von ihrer Sprache, die nicht etruskisch ist, wie
Jahresbericht für AlUrtum»wie«en»chaft. Bd. CIXXV. 1
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2
Walther Prellwitz.
auch die Verbindung, die die Alten zwischen Tyrrhenern und Etruskeru
vermuteten, nur auf dein Anklang der Namen zu beruhen scheint.
Eine entfernte Verwandtschaft scheint allerdings vorhanden zu sein,
aber diese erklärt sich aus dem gemeinsamen Ursprünge von einer
alpinen Rasse, deren Glieder durch den Einbruch der indogermanischen
lllyrier auseinandergerissen wurden. Den nicht griechischen Charakter
der Eteokreter beleuchtet eine Inschrift von Praisos in ihrer Sprache.
Den Pelasgern folgten übrigens thrakisch-phrygische Stämme auch
über das Meer nach und vermischten sich hier mit ihnen, noch bevor
die Griechen die Inseln besetzten. Auch in Makedonien gibt es unter
der späteren Schicht griechischer Namen ältere, nicht indogermanische
Namen, doch ist dieses Völkergewirr der Balkanhalbinsel nicht mehr
aufzulösen.
Natürlich bietet das Buch kritischer Skepsis manchen Anhalt,
aber die Frage mit neuem, umfangreichem und übersichtlich geordnetem
Material in Angriff genommen zu haben, wird immer ein Verdienst
bleiben.
Daß die zweifellos indogermanischen Makedonen echte Griechen
sind, hat jetzt ausführlich bewiesen: 0. II offmann, Die Make-
donen, ihre Sprache und ihr Volkstum, nachdem schon
Hatzidakis in kürzeren Aufsätzen dasselbe darzutun bemüht gewesen
war: Ilspl xod ' EXX^viajjLOu xu>v dy/aimv Maxsä6vo>v. 'Afhfjva, 1896
VIII 3 — 62, deutsch : Zur Abstammung der alten Makedonien Eine
ethnologische Studie, Athen 1897; vgl. ferner Indogermanische For-
schungen XI 313 ff. und Kuhns Zeitschrift f. vergl. Spr. 37, 150 ff.
Dieser alten Ansicht waren Kretschnier in seiner Einleitung in die
Geschichte der griechischen Sprache und Solmsen entgegengetreten,
weil die Ersetzung der Aspiraten durch Medien in einer Zeit ge-
schehen sein müsse, als noch die alte Media aspirata gesprochen sei.
Für das Urgriechische bereits müsse jedoch Wandel dieser in die
Tenuis aspirata angenommen werden.
Hoffmann bemüht sich zunächst in anerkennenswerter Weise um
ein möglichst zuverlässiges und vollständiges Material. Zu diesem
Zwecke sammelt er die Namen bestimmter Stände und Berufsklassen,
die nur Vollblutmakedonern zugänglich waren, aus einer bestimmten
Periode. Man wird ihm zugeben müssen, daß dann ein so klärlich
griechischer Name wie Ntxavöpo? dieselbe Beweiskraft erhält wie
weniger durchsichtige, z. B. Aa^oc aus Aa.^orp;. Und fast alle jene
Namen erweisen sich als rein griechisch, und zwar mit einer dialek-
tischen Färbung, die das Makedonische dem Thessalischen am meisten
nähert.
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Jahresbericht über d. griechische Dialektforschung von 1899—1906. 3
Die Schwierigkeit der Erklärung jener Medien statt der Aspiraten
hebt Hoffmann im Anschluß an Meillet (La Parole 1901. Nr. 8)
auf eine fast überraschende Art. Auch die griechischen Aspiraten
seien in ältester Zeit nicht stimmlose, harte Tenues, sondern stimm-
lose weiche Explosivlaute mit nachklingendem Hauche gewesen. Durch
Dissimilation zweier Aspiraten sei die stimmlose Media ohne Hauch
entstanden, für die es dem Griechen an einem besonderen Zeichen
gefehlt habe. Denn weder die Tenues noch die Aspiraten, die sich
beide geschrieben finden, entsprechen dem wirklichen Laute, der sich
allerdings später im Griechischen in die Tenuis verwandelte, während
er im Makedonischen , wo der Hauch nach jeder Aspirata in ge-
schichtlicher Zeit eingebüßt wurde, erhalten blieb und in der Regel
als Media geschrieben wurde. Mir leuchtet dies ein. Maked. Bepe-
vtxa steht also neben <I>epevi'xi] wie griech. oi»8et? neben oGDsfc für
oOÖ'stc, daß sie aber zunächst eine geraeinsame Entwicklung durch-
gemacht haben , zeigt xeßaXoc = xecpaXrj , für das man unweigerlicli
•ysßaXd erwarten müßte, wenn es direkt auf ghebhalä zurückginge.
Dies ist aber zunächst zu ^e^paXa geworden, dessen erster Explosiv-
laut die stimm- und hauchlose Media, der zweite die gehauchte
stimmlose Media war. Im Griechischen wurde die stimmlose Media
in beiden Fällen zur Tenuis: xecpaXVj; im Makedonischen blieb die
stimmlose Media an der ersten Stelle, und sie wurde entweder durch
x (xsßaXa) oder durch 7 (-yaßaXd) ausgedrückt, während an der
zweiten Stelle die Media eintrat. Daß die Aspiration umspringt, ist
eine gewöhnliche Erscheinung. So konnte dpia|ißoc als Tpiafißo? ge-
sprochen werden, was zu triam p hos wurde, worauf lat. triumphus
zurückgeht. So konnte im Makedonischen, ehe der Hauch schwand,
B'oXaxpoc zu BaXax poc werden und die gehauchte Tenuis x scheint
dann von der gehauchten stimmlosen Media y kaum verschieden ge-
wesen zu sein, so daß wir BdXafpo? neben BaXaxpo? wie ^afkcXa
neben xsßaXd finden. Ebenso erklärt sich vielleicht x^jxßo; für 76(190?
aus 7'ojjLßo?. Yojißoc, xdvaöo? für ^va^oc Allerdings findet sich diese
doppelte Schreibung nur bei x 7 , nicht bei iz ß , - 0 , und da sie sich
auch ohne Mitwirkung des Hauches in -y&ircte = cjxÄTra; und dpx<5;
für dp^c findet, bleiben andere Möglichkeiten der Erklärung be-
stehen.
Daß im einzelnen von Hoffmann zwar manches Rätsel gelöst
w ird , recht viel aber auch noch zu lösen bleibt , erhöht den Reiz
seines Buches. Der dritte Monat nach der Herbst-Tag- und Nacht-
gleiche heißt AGovotToc Er dürfte nach einem Fest aöovaTa benannt
sein, dies nach auSva, das vielleicht die Winterkälte bedeutet hat.
1*
4
Walther Prellwitz.
Dann stellt sich dies Wort zu altbaktr. aota- kalt, ai. o man Kälte
(Neißer BB 17, 62); noch näher vielleicht zu lit. audra Orkan,
Windsbraut (vgl. zur Bedeutung j(£tfj.«i>v) , at-auszta es wird kühl;
vielleicht gehört auch aypr4. lat. aura dazu, wie ich jedenfalls die
Wurzel dieser Wörter eher in a v e wehen als in dem von Johansson
I, 2, 62 A. angesetzten eue „nass sein" erkennen möchte.
Für näheren Zusammenhang mit dem Thessalischen (Nord-
achäischen) sprechen Formen wie Kopotwi? (241), liltw; (? 1 74 ff.),
Alphas (160; zu lett d ards scheckig?) dxpoovoi, xoovoo7re6c, Bouptos*
(244), die Entwicklung eines a zwischen Liquida oder Nasal und
Explosivlaut (vgl. thess. ÄaxaXairto?) und die weitgehende Apokope
der Präpositionen (246).
Zur Erkenntnis der thessalischen Sprachgeschichte, besonders
des Gegensatzes zwischen der Th es sali Otis, die viel mehr dorische
Elemente zeigt, und der Pe las gi Otis, bringt einen ausgezeichneten
Beitrag der Aufsatz von F. So Imsen im Rhein. Mus. 58; 1903,
S. 598 — 623 : Thessaliotis und Pelasgiotis. Er war zunächst
Gegenstand eines Vortrags auf der Hamburger Philologenversammlung
1903. Vgl. die Verhandlungen derselben, S. 146 — 147.
Der Genetiv auf -oio, den die alten Grammatiker als den thessa-
lischen bezeichnen, ist jetzt wirklich auf Inschriften belegt. Ec^fi.
dp/. 1901, S. 132 heißt es in einem Ehrendekret noXipoto xoci ipdvot;,
einer der Beamten heißt darin im Gen. Mapauoco '\va$i7:iroio. Ferner
steht nach einer Mitteilung 0. Kerns an Bechtel (Hermes 37, 1902.
S. 631, An in.) Samml. d. gr. Dial. Inschr. 1328 «PiXctYpoio Meveoratoi.
Damit sind die Gelehrten , die in dem -oi einen Locativ oder einen
alten, auch im Illyrischen und Italischen erhaltenen Genetiv erkennen
wollten (Kretschmer Einl. 277), endgültig widerlegt und die An-
schauung von Ahrens, daß in -oi eine Verkürzung von -oio zu er-
kennen sei, als richtig erwiesen. Wie man sich den Gang des
Wandels vorzustellen hat. zeigt wohl die Grabinschrift, in der der
Name selbst die volle Endung, das patronymische Adjektiv die Ver-
kürzung zeigt. So konnten, wie Hoffmann (Philol. 59, 421) zu
Alkaios 5 v. 2 xoputpaiaiv dfyvat? im Anschluß an Ahrens ausführt,
auch im Äolischen Adjektiva und Artikel vor oder nach dem Sub-
stantiv mit voller Endung -otai, awi, die kürzere Form -oic, aic zeigen.
In betreff der Gen. masc. gen. auf -aq und ->jc (^Epexpatr^ liest
Hoffmann in der Sotairosinschrift Philol. N. F. 15, 245 ff.) erhebt
Bechtel (Hermes 37, 6ül) Zweifel, die jedoch Hoffmann (Philol.
16, 155) mit Glück abweist. Für seine Annahme, daß die erste
Zeile der Inschrift aus Ende gehöre, spricht allerdings der Strich,
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Jahresbericht über d. griechische Dialektforschung von 1899—1906. 5
den die Abbildung der Inschrift in der höchst dankenswerten Aus-
gabe von 0. Kern (Inscriptionum Thessalicarum antiquissimarum
sylloge. Index lect. Rostock 1902) ganz deutlich hinter der ersten
Zeile zeigt. Zu Nr. 17 bei Kern eine Ergänzung: Matepo? eöycuXav,
Atauvis, toI x68' araXua IlaTpoxXias dv&hjxs. '0 ui Xa[oc 'Opejcmsi-
dxa? (=6 8i Xaoc).
Mit den thessalischen Endungen xet, a&eiv, vöeiv und dem Wandel
von at zu ei in Effioov beschäftigt sich in scharfsinniger und gelehrter,
aber nicht überzeugender Untersuchung M. Nacinovich, Note sul
vocalismo dei dialetti di Larisa e di Gortyna. Roma 1905. Der
zweite Teil handelt von dem Wandel von at zu ae, ij und e zu t.
Auf S. 9 erwähnt er übrigens eine mir noch unbekannte Inschrift
(Mon. ant. VIII 5 ff. , Nr. 67) mit einem Verzeichnis der f-evi) von
Larisa, die dem, der etwa an der Undeutbarkeit einiger makedonischer
Namen bei Hoffmann Anstoß nehmen sollte, zum Studium empfohlen
sei. Schon die IxxiSai auf Txxoc (equus), Pinto? zu beziehen, wird
man in Thessalien Bedenken tragen, für die 'Ayufpifai, Stpßoföjai,
rioiötÖat, Bpooiaxat fehlt auch der entfernteste Anhalt. Hier dürften
noch unbekannte, vielleicht vorgriechische Ortsnamen zugrunde liegen,
wie ich es für die KavSadai zufällig nachweisen kann. Über die Ab-
leitung solcher Namen auf -a8a? von Ortsnamen spricht Sadee De
ßoeotiae titul. dialecto 10G. Die Thespier Qspaäa; und OapaSa?
leiten ihr Geschlecht von den OspaTot und den Oapatst; her. So
stammen die KavSa'Sat von Kavöa oder KavSala, worauf das Ethnikon
KavScttetuv einer xotv^-Iuschrift aus Thessalien ('E<p. dp%. 1901, 123)
hinweist. Auf das neue Wort xsXixpa derselben Inschrift, das Halde
(vgl. xXi'vco in meinem et. Wb.2 228) zu bedeuten scheint, und die
Adjektiva irpocxopo? und irX7)<Jto*xopo? (vß1- Hom- sty^X0?0*) sei
gleichfalls aufmerksam gemacht.
Eine Erweiterung unserer Erkenntnis des südachäischen Dialekts
bringt der Aufsatz von 0. Hoff mann, Zwei neue arkadische In-
schriften. Philol. 59, 201 ff. Es sind zwei Verwünschungstafeln, die
Hoffmann an der 2. Sing, xefoi „du liegst" als arkadisch erkennt,
woneben das kontrahierte dv^YVojasi (aus asoi) zeigt, daß die En-
dungen tot, aot einzelmundartlicher Entstehung sind. Dieselbe arka-
dische Endung will Karl Meister, der rühmlich auf den Plan
tretende Sohn des um die griechische Sprachwissenschaft so ver-
dienten Forschers Richard Meister, in dem überlieferten und bisher
korrigierten d|i<ptX^ovtoi der Xuthias-Inschrift erkennen (Indog. Forsch.
18, 83); was dadurch noch wahrscheinlicher wird, daß er auch in
den gleichfalls bisher korrigierten xCeTpaxaTiat eine besondere Schreibung
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Walther Prellwitz.
des aus q vor hellem Vokal entstandenen Palatals sieht, wie sie das
Arkadische in ene, ti? zeigt. Vgl. den vor. Ber. S. 79.
Ein besonders für die Erforschung des Dorischen wichtiges
Ereignis ist die Vollendung der Collitz-Bechtelschen Samm-
lung der griechischenDialektinschriften, Göttingen. Die
zweite Hälfte des dritten Bandes bringt in Heft I die Inschriften von
Lakonien, Tarent, Herakleia und Messenien in der Bearbeitung von
R. Meister; in Heft 2 die Inschriften von Thera und Mclos von
F. Blaß bearbeitet; Heft 3 enthält die kretischen Inschriften von
demselben; Heft 4, die von Sizilien und Abu-Simbel von 0. Hoff-
mann; Heft 5 endlich die ionischen Inschriften von F. Bechtel,
der sich seit 21 Jahren mit diesem Stoffe beschäftigt und ihn wie
kein anderer beherrscht. — Aber daß die „Sammlung" jetzt bereits
sehr unvollständig aussieht, ist bei den zahlreichen neuen Funden
natürlich. Hoffentlich entschließen sich Herausgeber und Verleger
zu periodischen Nachträgen.
1901 erschien als Heft 2 des vierten Bandes das Wortregister
zum 2. bis 6. Heft des zweiten Bandes, d. h. den Inschriften von
Dodona, Achaja und Delphi. Das Register zu den Inschriften von
Delphi von C. Wendel gibt zugleich eine Übersicht über die
Grammatik nach Laut- und Formenlehre , Syntax und Wortformen.
Letztere allerdings sind nur in knapper Zahl aufgenommen, doch
bietet das praktisch eingerichtete Wörterverzeichnis vollständigen
Ersatz dafür.
Ausführlicher, aber sehr oberflächlich behandelt diese Mundart
J. Valaori. Der Delphische Dialekt. Gött. Vandenhoeck und
Ruprecht 1901, der ich eine ausführliche Besprechung in den Bei-
trägen zur Kunde der indogerm. Spr. 26 , S. 325 gewidmet habe.
Dali ein Schüler J. Schmidts die Vokalassimilation in revrofiapt-
TeCeiv neben d\i£pa mit betontem s und in <l>avatet>? neben attischem
4>avoTe6? nicht erkennt, ist Zeichen höchst oberflächlicher Betrachtung.
Die Breslauer Doktorarbeit von E. Hanisch, de titulorum
Argolicorum dialecto. Prior pars. Gött. 1903 konnte sich außer
auf meine Ausgabe der Inschriften in der Collitz-Bechtelchen Samm-
lung auf den ersten Band des Corpus inscriptionum Grae-
carum Peloponnesi et insularum stützen. Sie bietet die
Lautlehre in der üblichen Anordnuug und im allgemeinen gründlicher
Behandlung. Die Literatur ist nicht immer vollständig bekannt, sonst
hätte zur Erklärung von H^oato?: 'AC^atoc nicht 70V0;: y£ve3t; und
zur Etymologie mit Keil yCsa gären, herangezogen werden können.
Ich habe diesen Monatsnamen des iroXoStyiov "Ap^oc von dtCetv. dörren
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Jahresbericht über d. griechische Dialektforschung von 1899—1906. 7
hergeleitet. Zunächst dürfte ein Fest dtCeaia einer Göttin ÄCeata
anzunehmen sein. Diesen Namen lesen wir bei Lebas Voy. archäol.
Inscr. 2, Nr. 146 b. Es verhält sich dCoxo? Dürre zu äCsToc ds. wie
S^jaot^c zu Sott^xa? (Carpath. I. Gr. Ins. I, 1022, 9, 14), kret. ßfexoc
zu ßioTO?; maked. poußoxfc (Hoffmann Maked. S. 73) zu ostoc, vt'fs-
xoc, xorexo^, ra^ex^?, aopcpexo?. Vgl. Beitr. zur Kunde der indog.
Spr. 26, 326. Die Anmerkung 2 zu S. 46, in der für das Etymon
von ävtaux<fc auf mein etymologisches Wörterbuch verwiesen wird,
war 1903 eine Prolepsis der 1905 erschienenen zweiten Auflage. Zu
den in dieser gegebenen Beweisen für die Bedeutung „Jahreswieder-
kehr" möchte ich jetzt noch kret. irpö xu> IviaoxÄ (Gort. IV 4/s
S. Gr. D. Inschr. 4991) hinzufügen. Für die Aspiration in xotö* Itoc,
xa&' biauxov (S. 46) ist vor allem die häufige Verbindung xaö'
Exaaxov [sxo? , £viaux<5v verantwortlich zu machen. Sie schwebte vor,
auch wo man der Kürze wegen fxacrxov nicht aussprach. Richtiger
wäre es also xaO' exo?, xaÖ' Ivtauxov zu schreiben. Die Substantiva
haben den Asper vicht gehabt. Vgl. meine Darlegung in Vollmöllers
Roman. Jahresber. VI, I, 65—67. AstxoopYta? (S. 25) zeigt doch
wohl attischen Einfluß (vgl. mein etym. Wb2 259 unter Xao?), nicht
auch k<i>prt im Anlaut (S. 21)? Es scheint mir jetzt nicht mehr so
unmöglich, 'hier „dorische Kontraktion am Ende und attische Um-
stellung der Quantität am Anfange" anzunehmen. Unachtsam wird
das mittlere a in dpy-a-^exat als suffixal, das erste in dXiaia für
wurzelhaft erklärt, beachtenswert ist aber die Erklärung von xdt xdxav
(S. 13) und top | p£u? (S. 38).
Was Hanisch über die Verwandlung von 3 im Wortinnern in
den Hauchlaut (S. 47), über die Erhaltung von va (S. 39) und den
Wandel von s vor Vokalen in 1 (S. 22) sagt, geht über die Fest-
stellung des vereinzelten Vorkommens dieser Erscheinungen nicht
hinaus.
Diesen merkwürdigen, einer einheitlichen Auffassung der Mund-
art durchaus widerstrebenden Erscheinungen wendet sein besonderes
Augenmerk R. Meister zu, in der wichtigen Abhandlung
Dorer und Achäer I (24. Bd. der Abh. der sächs. G. d. W.)
Leipzig 1904. „Bereits in den frühesten Zeiten, die uns Spuren der
Dialekte liefern, sind infolge mannigfacher Trennungen und Ver-
bindungen, Isolierungen und Mischungen an Stelle der früheren Stamm-
gemeinschaften neue politische Gemeinschaften getreten, in denen die
Dialekteigentümlichkeiten verschiedener Stämme weiter lebten. Bisher
sind gewöhnlich die Dialekte dieser politischen Gemeinschaften, z. B.
der attische, lakonische, argivische, kretische, elische, böotische,
8
Walt her Prellwitz.
thessalische Dialekt, als Einheiten aufgefaßt und dargestellt worden,
ohne daß man die Erkenntnis genügend nutzbar gemacht hat, daß
diese politischen Einheiten erst in verhältnismäßig später Zeit ent-
standen sind; und wenn es auch an einzelnen Versuchen, Dialekt-
abweichungen auf Grund geographischer und ethnographischer Ver-
schiedenheiten in derselben Landschaft nachzuweisen, nicht gefehlt
hat, so ist doch die Erklärung solcher Dialektverschiedenheiten durch
die Annahme chronologischer Entwicklung innerhalb des
landschaftlichen Dialekts bisher das herrschende Prinzip gewesen.
Im folgenden sollen zunächst Verschiedenheiten innerhalb des
lakonischen Dialekts genauer auf Zeit und Ort ihres Vorkommens
hin untersucht werden. Wenn sich dabei ergibt, daß die voneinander
verschiedenen Dialektformen nicht chronologisch, sondern topographisch
in zwei Gruppen zu scheiden sind, daß die eine Gruppe nach Sparta,
die andere in das Periökenland gehört, und daß somit Verschieden-
heiten des Dialekts der Spartaner von dem Dialekt der Periöken in
ihnen zu erkennen sind, so werden wir daraus schließen, daß Spar-
taner und Periöken zwei verschiedenen Stämmen angehörten, und
eine Bestätigung der Tradition, daß die Spartaner Dorer, die Periöken
Achäer gewesen seien, in dieser sprachlichen Tatsache erblicken. In
Argolis, wo sich nach der Tradition in ähnlicher Weise die Dorer
als Herrenvolk in Argos und Mykenä niedergelassen hatten, während
die Landschaft den achäischen Periöken verblieben war, werden wir
bei genauerer Prüfung der Dialekturkunden dieselben Gegensätze
finden, die ebenso wie in Lakedämon den Dialekt und Stamm der
Hauptstätte von dem der Landschaft unterscheiden. Daß endlich die
Periöken in Lakedämon, Messenien und Argolis mit Recht als Ab-
kömmlinge der Achäer bezeichnet worden sind, wird die genaue Über-
einstimmung ihres Dialekts mit dem Dialekt der Achäer in den beiden
achäischen Landschaften und in den achäischen Kolonien bestätigen.
Die Existenz aber derselben für den dorischen Stamm charakteristi-
schen Dialckteigentümlichkeiten in Argolis wie in Sparta wird uns
das hohe Alter dieser Dialekteigentümlichkeiten zeigen und zum Be-
weise dafür dienen, daß die Tradition einer den politischen Grün-
dungen der Dorer in Argolis und Sparta vorausliegenden dorischen
Stammgemeinschaft kein leerer Wahn ist. Haben wir so in Sparta
und Argolis den Dialekt und Stamm der Dorer von dem Dialekt und
Stamm der Achäer geschieden und jeden für sich kennen gelernt, so
werden wir sie auch in anderen Landschaften erkennen, in denen
ihre Anwesenheit und geographische Verteilung durch die Tradition
und politische Organisation weniger deutlich angegeben wird. So
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Jahresbericht über d. griechische Dialektforschung von 1899—1906. 9
wird es uns möglich sein, auch auf der Insel Kreta eine Scheidung
nach Dialekten und Stämmen vorzunehmen" (S. 5 f.). Folgende fünf
Lauterscheinungen erklärt Meister für unzweifelhaft echt dorische
Besonderheiten :
1. Die Verhauchung des Sigraas zwischen Vokalen;
2. die spirantische, dem <j ähnliche Aussprache des &, außer
a) wo es im Wortauslaut vor aspiriertem Anlaut aus x entstanden ist ;
b) im Anfange einer Silbe, wenn die nächste Silbe mit a beginnt;
c) in den Gruppen ab und vö;
8. die Schreibung des C als 88, d, h. spirantische Aussprache
des C md des 8;
4. p (d. h. spirantisches t oder w) für Jz ;
5. Verwandlung des bereits im Urgriechischen vor einem Vokal
stehenden s in i.
Diese Eigenheiten der Sprache der Spartiaten finden sich in
der Landschaft, wo die Periöken wohnen, nur in wenigen Spuren
(s. Meister Ber. d. k. sächs. Ges. d. W. 1904, 280 f., dazu aber
das von mir unten S. 11 dagegen bemerkte), die wohl von Spartiaten
selbst herrühren ; in Kreta hat sich die dorische Einwanderung nach
der Mitte der Insel, besonders nach Gortyn und Knossos gerichtet.
Hier findet sich zwar kein Beispiel der Verhauchung von a, aber
sichere Beweise spirantischer Geltung des 0 (in Gortyn sogar in oft),
die Vertretung des C durch 88 (C, xx), ß für ezo t, wo es schon
urgriechisch (d. h. nach Ausfall von a oder j) vor Vokalen gestanden.
Daß dieser letzte Wandel auf Zentralkreta beschränkt ist, hatte schon
F. Solmsen (K.Z. 32, 513 ff. Über den Wandel von e in i vor Vokalen
in den griechischen Mundarten) bemerkt. In einer Anzeige dieser
Abhandlung Meisters Indogerm. Anzeiger 18, 46 findet E. Schwyzer,
daß ihr bleibender Wert in den Uberall eingestreuten Einzel-
beobachtungen liege , während er die Hauptsätze Meisters nicht als
bewiesen anerkennt. Er hält es für möglich, daß gerade die Ver-
hauchung des a nicht ein dorisches, sondern ein altachäisches Merk-
mal sei, wie Thumb erklärt hat, und gibt gelehrte Anmerkungen dazu
über romanische und germanische Dialektforschungen, Sprachkarten
und Sprachgrenzen. Demgegenüber möchte ich nachdrücklich auf
das schon im vorigen Jahresberichte gezogene Ergebnis der griechi-
schen Dialektforschung hinweisen, daß nicht allgemeine Theorien und
Vergleiche, sondern die Verbindung der sprachlichen Tatsachen mit
den geschichtlichen Überlieferungen der Griechen uns hier zu einer
relativen Gewißheit führen können und, allgemein gesprochen, bin ich
mit diesem Ergebnis sehr zufrieden. Würde nur noch immer mehr
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Walther Prellwitz.
in Deutschland erkannt, daß Einzelwesen und Einzelfragen nur
durch eingehende Vertiefung in ihre Eigenart, in den Stoff, den sie
selbst darbieten, nicht mit allgemeinen Theorien gelöst werden können.
Übrigens können Vergleiche sehr anregen; ich würde aber nicht
romanische oder westdeutsche, sondern die Verhältnisse des östlichen
Deutschlands heranziehen, wo es öfters mehrere Schichten von Kolo-
nisten, neben- und übereinander gibt, daneben die Nachkommen der
älteren Bevölkerungen. Auf die Fragen, die Schwyzer am Schlüsse
seiner Besprechung des ersten Teiles der Untersuchung Meister stellt,
wird Meister erst in den nächsten Teilen die Antwort bringen können.
Wir sehen ihnen gespannt entgegen.
Ich möchte aber hier im Anschluß an die Ausführungen meines
vorigen Berichtes (S. 74) und an die hier besprochenen Bücher von
Kick, Hoffmann und Meister anregen, eine Sammlung aller von den
Griechen selbst herrührenden Überlieferungen über ihre Sprache und
die ihrer Nachbarn und Miteinwohner zu veranstalten. Dieselben
sind von Homer ab über die ganze Literatur verstreut, so daß es
unmöglich ist, sich ohne besondere Studien ein klares Bild über ihre
Anschauungen in diesem Punkte zu bilden. Eine nach Quellen und
Zeiten geordnete Übersicht wäre sehr dankenswert. Überlieferungen
über Stammesgeschichte und Kolonisation, wie sie z. ß. bei Herodot
sich so vielfach (z. B. VII, 90 ff.) finden , gehören natürlich auch
hierher. Hier fände sich Stoff für eine Reihe von Doktorarbeiten.
Auch seine wertvollen „Beiträge zur griechischen Epigraphik
und Dialektologie" in den Berichten der K. sächs. G. d. W. hat
R. Meister fortgesetzt. Nr. 11 (Bd. 53, 1901. S. 21 ff.) behandelt
die Trözenischc Entschädigungs-Urkunde, die Legrand
im Bulletin d. corr. hell. 24. S. 190, Nr. 5 veröffentlicht hat. Die
besonders schwierige Form -ersjijiivoic ti wird in Nr. III (1903,
S. 2 ff.) als Participium Perfecti Medii von rlvouoti, bearbeite ein
Land, überzeugend gedeutet. Ganz besonderes Lob aber verdient
Nr. IV (1904, S. 3 ff. Sitzung vom 4. Mai). „Die Inschrift von
Sillyon und der pamphy Ii sc he Dialekt. u Hier wird dieses
größte Zeugnis derjenigen altgriechischen Mundart, die sich von der
Schriftsprache am meisten entfernt und zugleich dem Neugriechischen
auffallend nahesteht, von dem man aber bisher nur einzelne Wörter,
keinen einzigen Satz verstand, soweit es einigermaßen vollständig
erhalten ist, gedeutet und erläutert. Ein schönes Ergebnis liebevoller
Vertiefung gelehrten Scharfsinnes! Nr. V (Bd. 57, 1905. S. 272 ff.)
bringt zunächst die Erklärung der Legende zweier Didrachmen des
pamphylischen Aspendos iNUvsto? eXu^a — of NUvt,to? rfXixJ/ov ; so-
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Jahresbericht über d. griechische Dialektforschung von 1899—1906. 11
dann eine Weiheinschrift eines Geronten Nikosthenidas , im alten
Thalamae bei dem alten Traumorakel der Pasiphae (Natya) ge-
funden. „Sprachlich'4, sagt Meister (S. 279) merkwürdigerweise,
„ist die Inschrift vor allem deshalb interessant, weil sie in dem alt-
dorischen Dialekt abgefaßt ist, den wir bisher fast nur aus Sparta
kannten" .... „Außerhalb Spartas kannten wir bisher nur wenige
vereinzelte Beispiele dieses Dialekts in Lakonien ; ihre Zahl ist jetzt . . .
vermehrt worden, so daß sie nicht als spartanische Eindringlinge,
sondern als Zeugen einer weiteren Verbreitung des dorischen Dia-
lekts im Lande der achäischen Periöken ähnlich wie in der Argolis
zu betrachten sind." Ja, aber welche Sprache soll denn ein Spartiate,
der -j-epovxstjtüv in Thalamai eine Weiheinschrift auf ein Standbild
setzen läßt, anwenden, als eben seine eigene, echt spartanische?
Das ist doch ebenso klar, wie daß gerade diese Sprache mit ihrem
h = ei, a = 0, ß = J-, £o> = ia> nicht altachäisch, sondern rein dorisch
ist. Und ebenso dürften die übrigen Spuren dieser Mundart im Lande
der Periöken größtenteils von Mitgliedern des Herrenstandes unmittelbar
herrühren, die natürlich ihre Mundart nie verleugnet haben. Meisters
angeführte Worte offenbaren ein merkwürdiges Zurückbleiben hinter
der von ihm selbst errungenen Erkenntnis, oder es muß auch ihm
gegenüber noch betont werden, nicht topographisch, sondern
sozial sind die Unterschiede des Dialekts aufzufassen. — Endlich
enthält Nr. V noch die Ergänzung einer Inschrift aus Thespiae und
Bemerkungen zu böotischen Eigennamen.
Daß im Böotischen eine wirkliche Mischung verschiedener Mund-
arten, nicht etwa bloß ein Nebeneinander verschiedener Mundarten
voneinander geschiedener Schichten der Bevölkerung vorliegt, ist
zweifellos. Das geht auf das deutlichste auch aus der Arbeit des
Dr. Leopold Sadge, De Boeotiac titulorum dialecto (Halis Sax.
1903), hervor, der eine vollständige, auf sorgfältigem Studium des
Stoffes beruhende Darstellung der Mundart gibt, wie man es bei
einer Friedrich Bechtel gewidmeten Arbeit erwartet.
Sie zeigt auch nicht die übliche schematische Einteilung, sondern
zerlegt den Dialekt sogleich in seine Komponenten. Der erste Teil
behandelt die Spracherscheinungen, die dem Böotischen mit dem
Leobischen und Thessalischen gemeinsam sind, der zweite das, was
aus dem Westgriechischen stammt. Einiges Böotisch-Dorische ent-
hält ja auch das Thessalische , anderes die Landschaften Mittel-
griechenlands, anderes ist allen Doriern gemeinsam. Der dritte Teil
behandelt Besonderheiten der Flexion; der vierte, was die Böoter
an Altertümlichkeiten bewahrt, der fünfte, was sie geneuert haben.
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12
Walther Prellwitz.
Dabei wird manches Problem, wie das von vd statt vx (S. 22), das
von 8106 Nujietvto? (0 nach Vokalen wird u 84 f.), Atotöoxo? (S. 86)
gelöst oder doch gefördert und die Schärfe, mit der auf noch un-
gelöste Fragen hingewiesen wird (wie böot. dt S. 89) ist besonders
lobenswert. Über das späte dzauxu aus Chaeronea scheint Sad£e
die Meinung Wackernagels zu teilen. Ich möchte eher im Anschluß
an Meister I, 247, den Wackernagel bekämpft, glauben, daß das
unbetonte au der ersten Silbe der Dissimilation zu a unterlegen ist.
Als ähnlichen Fall führe ich die von mir Etym. Wb.« 73 erklärten
Parallelformen ßavausoc und ßauvaso? an, die auf ßaovaoaoc „Ofen-
brenner", Nom. ßatSvaaoc, Gen. ßavaosou zurückweisen. — Ob nun
das 88 für C und das t für s vor Vokal nach Ausfall von a und j
auch auf dorischem Einfluß beruht? Nach seinen Darlegungen auf
S. 80 ff. wird Sadöe diese Frage verneinen müssen. Warten wir
Meisters Untersuchung ab.
Mit der bisher wenig beachteten Syntax der Dialektinschriften
beschäftigt sich Edith Frances Claflin, The syntax of the
Boeotion Dialects inscriptions (Bryn Mawr College Monographs
Vol. III, 1905). Es werden in der sorgfältigen Arbeit die syntaktisch
bemerkenswerten Erscheinungen übersichtlich zusammengestellt, ohne
daß gerade überraschende Ergebnisse herauskämen, was bei der im
ganzen einfachen Sprache des ziemlich einförmigen Stoffes ja nicht
wunderbar ist. Daß sxxe „bis" nicht aus (efe) + xe = qe sein
kann, wird nicht bemerkt (S. 61, 80). Steht es für e;: (= im) -f- xe ?
Bechles Vergleich mit s^asi? für ejxT^rasi? und Zurückführung auf
eVxxe fördert nicht, weil xxe auf qe nicht zurückgehen kann, also
ganz unklar bleibt (Hermes 36, 426). Doch dies gehört nicht zur
Syntax. Ein syntaktischer Irrtum aber ist es, wenn S. 92 gesagt
wird, daß 8x1 nach <pavepov eaxi indirekte Rede einleite, wo das Bei-
spiel einen die einfache Tatsache bezeichnenden Subjektsatz bringt.
Ein viel ergiebigeres Feld für syntaktische Untersuchungen ist
natürlich das Kretische mit seinen die verschiedensten Lebensgebiete
berührenden Gesetzestafeln. Karl Meisters Abhandlung „Der
syntaktische Gebrauch desGenetivs in den kretischen
Dialektinschriften" (JF. 18, 133 ff.) umfaßt daher 71 Seiten und
bietet eine Fülle sehr interessanter Tatsachen , die durch die ge-
diegene Beurteilung des gelehrten Verfassers in das rechte Licht ge-
rückt werden. Besonders mache ich auf den nicht aus einer Ellipse
erklärten Genetiv bei £v, sfc und ähnlichen Richtungswörtem auf-
merksam (S. 148 ff.) und auf den Genetivus partitivus, der gewiß
mit Recht zunächst als Subjekt oder Objekt des Verbs gefaßt wird,
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Jahresbericht über d. griechische Dialektforschung von 1899—1906. 13
dem die Bestimmung des betroffenen Teiles im Nominativ oder Akku-
sativ, d. h. als Apposition, beigefügt war (S. 177). Die Voranstellung
dieses Genetivs in den älteren Beispielen zeugt entschieden für diese
Auffassung. Auch die anderen alten Dialektinschriften werden heran-
gezogen, so daß die Abhandlung für die gesamte Syntax des Genetivs
von erheblicher Bedeutung wird.
Für den ionischen Dialekt habe ich noch über den Herodottext
von Adolf Fritzsch (nicht Fritzsche; für diese falsche Schreibung
im vorigen Berichte S. 98 bitte ich um freundliche Nachsicht) zu be-
richten, die schon früher hätte erwähnt werden sollen; denn wenn
es auch zunächst nur ein Schultext ist (Bibliotheca Teubneriana.
Leipzig 1899), so darf er doch Anspruch auf Würdigung als eine
wissenschaftliche Leistung erheben. Fritzsch hat den Text von
Buch V — IX im wesentlichen nach den Grundsätzen, die er 1838 in
seinem Hamburger Programm „Zum Vokalismus des Uerodoti-
schen Dialekts" dargelegt hat, von den Hyperionismen der hand-
schriftlichen Überlieferung und besonders der modernen Ausgaben
befreit und sogar die Psilose im Texte durchgeführt. Daß dies theo-
retisch richtig ist, kann nicht bezweifelt werden, ob man in der
Praxis besser dem Beispiel der Neugriechen folgt, die den Asper
auch nicht sprechen und doch schreiben, kann mindestens in Frage
gestellt werden. Denn wenn man TiTaiat liest, kommt einem xaxt'yca-
tai eiuSr,?» irtano?, d-Y]7etaöai usw. ganz natürlich vor, und der Gegen-
satz der alten Composita sfye&poc, e^opoc xa&eoSto, xaör^ai, xaOaK»
aooaorjC, aüö£vn;c hiezu tritt um so klarer hervor. Im übrigen ist an
der Überlieferung oft gegenüber den neueren Ausgaben festgehalten,
und der Text liest sich nicht nur angenehmer, sondern auch leichter
wegen seiner wissenschaftlichen Folgerichtigkeit. Bei der Erörterung
über diesen Gegenstand auf der Philologenversammlung iu Bonn 1899
haben die Grundsätze des Herausgebers in allen wesentlichen Punkten
Beifall gefunden. Dem Text vorangeschickt ist eine kurze Darstellung
des Dialektes, der ja auch in dieser gereinigten Gestalt noch manches
Rätsel bietet. Aber das ist bei einer so stilisierten Sprache, nicht
anders zu erwarten.
Zum Schluß seien hier zwei Arbeiten erwähnt, die sich mit dem
Vorkommen mundartlicher Ausdrücke bei den attischen Dichtern be-
schäftigen.
A. v. Meß stellt in seiner Dissertation Quaestiones de epi-
grammate Attico et tragoedia antiquiore dialecticae
(Bonn 1898) das Vorkommen ionischer, epischer und dorischer Sprach-
eigentümlichkeiten auch in den älteren attischen Grabinschriften fest
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14 Walther Prellwitz: Jahresbericht üb. d. griech. Dialektforschung.
und bespricht namentlich die Endungen aiai, >j<ji, aic bei den Tragikern
und einige merkwürdige Fälle von ij in den lyrischen Stellen, von ot in
den iambischen Trimetern der Tragödie. Auch hier zeigen sich ganz
besondere euphonische oder noch häufiger literarische Veranlassungen
für die scheinbaren Abweichungen von dem Sprachgesetz.
W. A 1 y , De Ae^schyli copia verborum capita selecta.
Berlin 1906 behandelt die aus dem Dorischen, Sizilischen, Äolischen
und besonders die aus dem Ionischen stammenden Wörter bei
Äschylus. Es findet sich eine Reihe guter Beobachtungen darin.
Rastenburg.
Walther Prellwitz.
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Bericht über Paläographie und Handschriftenkunde
(1903-1906).
Von
Wilh. Weinberger
in Iglau.
In dem vorliegenden Berichte konnte ich mich auf eine Orientierung
über wichtigere Werke beschränken, da es mir dank einem vom k. k. Unter-
richtsministeri um gewährten Urlaub möglich sein wird, auf Einzel-
heiten und auf Arbeiten, die der Kürze halber einstweilen übergangen
werden konnten, in „Beiträgen zur Handschriftenkunde" zurückzukommen.
Dafs ich ausführliche Inhaltsangaben in einigen Fällen gegeben habe, wo
sie unnützes Suchen ersparen können, wird man hoffentlich gerechtfertigt
linden.
Für einzelue Autoren verweise ich hier auf die Nummern des Berichtes
bezw. Ortsnamen. Äsop 7, 96; Aristides: Raudnitz; Aristophanes 7, 8;
Ansegisus 96; Augustin 31, Bamberg, Cambridge; Basilius 132; Boetius 85,
119; Chrysostomus 119, 132; Cicero 9 (schol. Bobiens.). 74, 86, 90, 111 ; Colu-
mella: Moskau; Cyprian: Oxford (2 Hss.); Dioskurides 7, 122, 123, Oxford;
Dictys Cretensis 99; Eusebius 39; Fronto 9; Galeu 24; Gregor 32, 119, 132,
Athos, Cambridge; Herondas 24; Hieronymus 39, Bamberg; Homer 15 u.
(Batrachoin.) Capodistria; Horaz 96; Hrabanus 92, Cambridge; Hygin 49;
Julius Valerius 96; Juvenal 9; Libanius: Raudnitz; Livius 31, 35—37, 43;
Ovid 84, 96, 146; Palaephatus: Alexandrien; Palladius 84, Athos; Persius
9, 128, 146; Plato: Raudnitz; Porcius Latro 129; Properz: Moskau; Pruden-
tius 31, 33, 119; Quintus Smyrn. 136; Sallust 100, 138; Smaragdus: Berlin;
Sueton: Cheltenham; Symmachus 9; Tacitus 84, 99, 108; Terenz S. 30 A. 1;
Tertullian: Rom; Theodoret J37; Theophil: Athos; Valerius Maximus 146;
Vergil 96, London; vgl. die bei 108 angeführte Anzeige.
Von Abkürzungen sind zu erwähnen:
N(eues) Archiv (der Gesellschaft für ältere deutsche Geschichte).
Arch(iv für) Sten(ographie).
Bibl. — Bibliot(h)eca, Bibliothek, Bibliotheque.
Bibl. d(e l'ecole des) chartes.
B( y z antinisch e) Z(e i ts c h rift).
C. = Catalogo, Catalogue, Catalogus.
C(entralblatt für) B(ibliothekswesen).
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16
Wilh. Weinberger.
C. D. =»■ C. general des mss. des bibl. publiques de France. De-
partements.
J(ahr)h(undert).
(The) J(ournal of) Th(eological) Süudies).
K( atalog).
Ms., Mss., = Manuscript(u8X manuscrit, manoscritto, Manuskripte usw.
N(eos) H(ellenomnemon).
Pal. = Paläographie, Paleographie usw.; pal. = paläographisch usw.
Revue (des bibl.).
Revue (des bibl. et archives de) Belg(ique).
Studi (Italiani di filologia classica).
Bei Verweisungen auf die früheren Berichte steht nach Bd. 98 (106, 127)
entweder die blofse Nummer oder S. mit der Seitenzahl. Werke, die nicht
vorgelegen haben, werden mit einem Stern bezeichnet.
1. A. Hortzschansky, Bibliographie des Bibliotheks- und
Buchwesens. C.B. Beiheft 29 (1904), 31 f. (1905 f.). (II 8 Schriften
über mehrere Bibl. III. Einzelne Bibl. IV 1 Schriftwesen, 2 Hsskunde :
im allgem., einzelne Hss., Miniaturen, Faksimilia. XII 3
Privatbibl. ; ähnlich sind die Literaturübersichten in den einzelnen
Heften des C.B. angeordnet).
2. H. Omont, Listes des recueils de fac-simile's et des repro-
ductions de mss. conserve's ä la Bibl. Nationale. Revue XIII (1903)
111—178.
3. K. Krumbacher, Die Photographie im Dienste der Geistes-
wissenschaften. N. Jahrb. XVII (1906) 601—659, 727.
Fünfzehn beigegebene Tafeln veranschaulichen die Vor- und Nach-
teile verschiedener Reproduktionsarten und die Möglichkeit der Reduk-
tion (vgl. unten Nr. 32 f.), welche die Kosten der Faksimilia etwa
auf Vio herabsetzen und die Verwendung von Photographien an
Stelle der Kollationen gestalten könnte; vgl.
4. K. Wiederaann, Über Photographien von Hss. und Druck-
sachen. C.B. XXIII (1906) 22—25, 247.
5. Actes du Congres international pour la reproduction des mss.
des monnaies et des sceaux tenu a Liege le 21, 22 et 23 Aoüt 1905.
Publications de la Revue Belg. I. Brüssel 1905.
Aus 5 sei R. A. Reiß, La reconstitution photographique des
documents mal conserve's ou brules hervorgehoben (S. 193 — 202, vgl.
Bibliographe VIII 343 f. über Reiß, La Photographie judiciaire. Paris
1904). Man kann die Spuren von Schriftzügen, die auf mechanischem
oder chemischem Wege entfernt worden sind, durch Photographien
(ohne Verwendung von Reagenzien) feststellen, auch bei verbrannten
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Bericht über Paläographie und Handschriftenkunde (1903—1906). 17
Stöcken (sofern sie nicht zu Staub zerfallen sind). Hieran reihe ich
die auch Literaturangaben bietende, durch den Brand der Turiner
Universitätsbibl. veranlagte Arbeit von
6. 1. Guareschi, Deila pergamena con osservazioni ed esperienze
su) ricupero e sul restauro dei codici daneggiati negli incendi e
notizie storiche. S.A. aus Supplemento annuale dell' Enciclopedia
di Chimica XXI (Turin 1905). 44 &. u. 20 T. (Erweiterung zu
Memorie d. R. Accad. di Torino 2. Ser. LIV. Scienze fisiche 423
bis 458).
Für das in 6 dargelegte und durch die Tafeln (die namentlich
den Erfolg der Glättung in der Feuchtkammer zeigen) veranschau-
lichte Verfahren vgl. die Inhaltsangaben: C.B. XXII 122—129 und
Bibl. d. chartes LXVI 435, ferner P. Giacosa, Relazione dei lavori
intrapresi al laboratorio di Materia Medica per il ricupero e ristauro
dei codici appartenenti alla Bibl. di Torino. Atti d. R. Accad. di
Torino XXXIX 1070—1078, für die Verwendung von Zapon C.B.
XX 67 u. 255, für die Behandlung von Palimpsesten Wiener
S.Ber. CXLVIII (1904) I 9.
7. (Bd. 127, 3) Codices graec. et lat. photographice depicti
duce S. de Vries. 1904 erschien der 9. Band: der Ravennas des
Aristophanes s. X/XI mit einer wesentlich textkritischen Ein-
leitung von Leen wen (vgl. auch
8. '\p1aT09avoo? xa>a<udtai. Facsimile of the Codex Venetus
Marcianus 474 with . . an introduction by Th. \V. Allen. London
u. Boston 1902 [sämtliche Hände werden ins 11. Jh. gesetzt]),
1905 das 3. Supplement: der illustrierte lat. Äsop des Ademar
(Voss. lat. O 15 f. 195 — 205) mit einer literar- und kunsthistorischen
Einleitung von Thiele, 1906 der 10. Band: die beiläufig 512 für
Anicia Iuliana, die Enkelin Valentinians III. angefertigte Wiener
Dioskurides-Hs. Die von Premerstein, Wessely und Mantuani
verfaßte Einleitung ist auch besonders erschienen, s. unten zu 15; für
literar- und kunsthistorische Fragen verweise ich auf meine Be-
sprechung : Z. f. d. öst. Gymn. 1906, 695 ff.
9. (Bd. 127, 17) Codices e Vaticanis selecti.
Der 3. und der 5. Band (für Matthias Corvinus bestimmtes
Pontificale: Ottob.] 501 [1903] — Josuarotulus: Palat. 431
[1905] mit zahlreichen Abbildungen aus den Vat. 746 u. 747) sind
fast nur wegen der bildlichen Darstellungen bemerkenswert ; die T. 3a.
6a, IIa, 18a des 5. Bandes sind koloriert. Der 4. Band, dessen
Einleitung mir noch nicht vorgelegen hat, enthält den Bibelkodex B :
Jahresbericht fOr AlUrtumxwi^enschaft. Bd. CXXXV. 2
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18
Wilh. Weinberger.
Vat. gr. 1209. Der 6. Band bietet eine Petrarca-Hs, der 7.
(1906) den Front o-Palimpsest (Vat. 5750 aus Bobbio; vgl.
Ambros. E 147 sup.). Die untere Schrift ist Unziale (Fr. [auch ein
griech. Brief], Scholiasta Bobiensis, arianischcr Traktat), Halbunziale
(Symmachus) und Kapitale (Juvenal und Persius), die obere
(Acta concilii Chalcedonensis) Halbunziale und Halbkursive. Auf die
pal. wichtige Einleitung kommen wir bei der Kursive und bei den
Nationalschriften zurück. Aus der Verwendung weniger Blätter eines
Werkes, die auch sonst bei Bobbiescr Palimpsesten vorkommt, wird
S. 7 geschlossen, daß nicht ganze B. Hss. abgeschabt wurden, sondern ab-
geschabte Blätter in einem „promptuarium" zu finden waren; s. 142 T. 9.
10. Collezione pal. Vaticana. I. Mailand, 1905. 13 S., 22 T.
bietet mit einer kunstgeschichtlich wichtigen Einleitung (wie
9 V) die Miniaturen des Vat. Reg. gr. 1 (s. X; Bibel) und des Pal.
gr. 381 (s. XII/XIII; Psalter).
11. The New Pal. Society. Facsimiles of Ancient Mss.
4 Lief. London 1903—1906. 100 T. enthält Faksimilia griech.
und lat. Papyri, Hss und Urkunden aus englischen, deutschen und
französischen Sammlungen, ferner aus den Athos-Klöstern , Brüssel,
Leiden und dem Prodromos-Kloster in Serres (Inhaltsangabe der
T. 1—73 Bibl. d. chartes LXVI 620). Hervorzuheben ist T. 17:
Signaturen englischer Klosterbibl. (14. u. 15. Jahrh.) ; dem Timotheos-
Papyrus (T. 22 f.) ist eine Zusammenstellung von Alphabeten bei-
gegeben.
Für Papyri und Ostraka ist im allgemeinen wieder auf das
Archiv für Papyrusforschung und Seymour de Riccis Berichte in der
Rev. d. Stüdes grecques zu verweisen (vgl. auch die Übersicht in
den Jahresber. d. Geschichtsw. XXVII 1, 192 f. Nr. 1142 — 1201).
Die von W e s s e 1 y herausgegebenen
12. (Bd. 127, 14). Studien zur Pal. und Papyruskunde. III bis
VI (1904 — 1906) sind wegen der pal. Indizes zu nennen, IV auch
wegen des Literaturverz. III 1 enthält griech. Papyrusurkunden kleineren
Formats mit (autographierten) Überresten griech. Tachygraphie. —
Wir wenden uns nun der griech. Unziale zu (vgl. unten Nr. :>8,
116 und die Zusammenstellung von Bibel-Fragmenten auf Papyrus
und auf Pergament in der Rev. arch. 4. Ser. III 160).
13. K. Lake, Facsimiles of the Athos Fragments of Codex
II of the Pauline epistles. Oxford 1905, 16 T. (für die anderen in
Kiew, Moskau, Paris und Petersburg befindlichen Teile der dem 5.
oder eher dem 6. Jh. angehörigen Hs vgl. Omout, Notices et ex-
traits XXXIII 145 ff.).
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Bericht über Paläographie und Handschriftenkunde (1903-1906). 19
14. A. Bauer and J. Strzygowski, Eine alexandrinische
Weltchronik. Text und Miniaturen eines griech. Papyrus der Samm-
lung GoleniScew. Wiener Denkschriften LI (1906) III (auch Proben
aus dem Vat. gr. 699).
B. tritt S. 14 für Wilckens Deutung von £$6pof/oc yapaxvqp
ein. Nun ist eine alte schräge Unziale sicher, vielleicht auch eine
spitzbogige; aber die Deutung scheint nach dem Bd. 127, 218 Bei-
gebrachten falsch.
15. Homeri lliadis pictae fragmenta Ambrosiana phototypice
edita cura doctorum M. Geriani et A. Ratti. Mailand 1904. VII,
45 S. 104 T.
Es sind 58 Bilder und 310 Verse erhalten; ein Hinweis auf die
farbige Wiedergabe in Bd. 127 Nr. 28 fehlt. Die spärlichen Akzent-
und Interpunktionszeichen (auch)Spiritus , t, ü dienen ebenso wie im
Dioskurides-Kodex , wo sie weit häufiger sind, der Wort- bezw. der
Silbentrennung; vgl. Z. f. d. öst. Gymn. 1906, 696, Index pal. in
12 V und die Einleitung zum Theätet-Papyrus (Berl. Klassikertexte
II S. IX). Die Schrift, die R. Pietschmann, Das Buch (Kultur der
Gegenwart 1 524) noch dem 5. Jh. zuweist, wird, mit literarischen
Papyris verglichen, nicht ohne Grund ins 3. oder 4. Jh. gesetzt. Da-
gegen kann ich nicht unbedingt beistimmen, wenn aus den schlanken
und schräggeneigten Buchstaben geschlossen wird, der Schreiber
sei ein Italiener gewesen; vgl. Wilamowitz, Das älteste Denkmal
antiker Buch-Illustration. DLZ 1906, 2861—2865. Die griech. Pal.
ist zu einer sicheren Scheidung von Schreibschulen, namentlich
der unteritalienischen, trotz Batiffol (Bd. 106, 21) noch nicht ge-
langt, und wenn wir auch in den Zweifeln nicht so weit wie
16. V. Gardthausen, National- und Provinzialschriften. BZ.
XV (1906) 227—242 gehen*) und die Berücksichtigung der Tinte
und des Pergaments, historischer und textkritischer Argumente nicht
verschmähen werden, bleibt doch Vorsicht geboten. Über den italie-
nischen Ursprung des Codex Bezae, der sich wahrscheinlich schon
im 9. Jh. in Lyon befand, im 16. sicher nur als Lugdunensis be-
zeichnet wurde (H. Quentin, Revue B6n6dictine XXIII 1 — 25), und
der sogenannten Ferrar-Gruppe vgl. Bd. 127, Nr. 93 (S. 132 ff.
wird auf zwei von Amalfitanern, bezw. Kalabrern gegründete Klöster
hingewiesen , die mit dem Athos in Beziehung standeu) , Texts and
•) Bei der Polemik gegen Zereteli (Bd. 106, 22) ist Wesselys
wichtige Bemerkung (Bd. 127 S. 118 f.) nicht berücksichtigt.
2*
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20 Wilh. Weinberger.
Stadie8 VII 3 (1902) L1V, JThSt I 117—120, 441—454. III 501
bis 513.
17. S. Gassisi, 1 mss. autografi di S. Nilo Juniore, fondatore
del monastero di S. Maria di Grottaferrata. Orieus Christianus IV
(1904) 308 — 370 macht auf mehrere Hss des 10. und 11. Jh. auf-
merksam (Grottaferrata, Monte Cassino, Vatican), die mit größerer
oder geringerer Wahrscheinlichkeit auf den h. Nilus zurückgeführt
werden können ; mehrere Faksimilia sind beigegeben. (In der vierten
Zeile des akrostichischen Gedichtes vermutet Maas B.Z. XIII 620
to xTi'arxa statt oxiata). Für diese Schreibschule kommt ferner in
Betracht :
18. K. Lake, The Greek Monasteries in South Italy. JThSt
IV (1903) 345, 517 (The development of Scriptoria). V 22, 189
(The Libraries of the Basilian Monasteries).
Im Anschluß an die in 11 T. 81, 27 T. 47 gegebenen Beispiele
abendländischer griech. Unziale (s. 16 S. 240) kann auf
die Verwendung und Bezeichnung griechischer Zahlzeichen (Enacos
statt Sampi) im Mittelalter hingewiesen werden: Berl. phil. Wocb.
1906, 92, 477, 1020 (Gardthausen, griech. Pal. 167). ferner auf lat.
Subskriptionen mit griech. Buchstaben: 30 T. 3o, 73
(Manchester 99),
19. H. Omont, Note sur un recueil de grammairiens latins
copiC par une femme au X* siecle. Comptes rendus de l'Acad. d.
Inscr. 1905, 15—19,
20. A. Meister, Die Anfänge der modernen diplomatischen
Geheimschrift. Paderborn 1902, 9 f.
Meister spricht S. 2 — 10 über verschiedene Arten antiker Krypto-
graphie; vgl. auch desselben Arbeit über die Geheimschrift im
Dienste der päpstlichen Kurie (Quellen und Forsch, aus dem Gebiete
der Gesch., hgg. v. der Görresgesellschaft XI 1906) und für die Er-
setzung der Vokale durch Punkte in lat. Hss:
21. W. M. Lindsay, Geheimschrift im Codex Lucensis (jetzt
Berl. lat. fol. 612) des Martial. C.B. XXI 278.
Ein auf Zerlegung des Zahlenwertes in zwei gleiche oder auch
ungleiche Teile beruhendes System haben
22. C. Wessely, Ein neues System griech. Geheimschrift.
Wien. Stud. XXVII (1905) 185-189;
23. V. Gardthausen, Zur byzant. Kryptographie. B.Z. XIV
(1905) 616—619 aufgeklärt, xx = f*, tx = \\ dabei wird das Zeichen
für V« zu i oder a, so daß o durch ti oder as ersetzt wird. Für
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Bericht über Paläographie und Handschriftenkunde (1903—1906). 21
eine besondere Kryptographie in Athos-Hss (mit beigegebenem Schlüssel)
s. Nr. 78 ; für das Grenzgebiet von Krypto- und Tachygraphie Nr. 48.
24. A. Brinkmann, Aau.ß8a -epteanYjiivov. Rh.M. 59? 159 f.
deutet -A- (Herondas-Papyms , Galen XVI 799 K) als ein auf
den Rand verweisendes kritisches Zeichen; hier/u wird B.Z. XIII 393
der Monac. 374 s. XV herangezogen.
25. B. Bretholz, Lat. Pal. im Grundriß der Geschichtswiss.,
hgg. v. A. Meister I (Leipzig 1906) 21 — 130 bietet eine gute, in
Literaturangaben und Beispielen auch auf Einzelheiten eingehende
Einführung (namentlich für das Schriftwesen). Für die erste Ein-
führung kann auch
26. H. Breßlau, Die schriftl. Quellen der romanischen Philo-
logie. Gröbers Grundriß d. rom. Phil. I2 (1904) 212—253
genannt werden (s. unten S. 24), ebenso Gundermanns Berichte
über Pal. und Hsswesen (Jahresber. roman. Phil.). Eine knappe
Einleitung enthält das Tafelwerk von
27. F. Steffens, Lat. Pal. Freiburg 1903—6. XL1I S. 107 T.
(Übersicht über Bibl. und Schreibstoffe in der Anzeige von Brandi,
Gött. Anz. 1905, 968—971, wo auch Mängel der Reproduktion be-
rührt werden). Zur Besprechung der Einleitung sind die anderen
Tafelwerke heranzuziehen :
28. A. Chroust, Monumenta pal. 11.— 24. Lief. München
1903 ff. (11. Wiener Hofbibl., 12. u. 18. Wiener Haus- und Staats-
archiv, 14.— 17. St. Gallner, 18. u. 21.— 23. Bamberger, 19. u. 20.
Reichenauer Hss, 24 Nürnberger Urkunden).
29. Archivio pal. Italiano diretto da E. Monac i. 19.— 25. Lief.
Rom 1903 ff. (II 62, 66, 73—100; Index angekündigt. HI 43—100.
V: Monumenti epigratici di Roma 1—12, [62, 66]. VI: päpstliche
Urkunden 1—13. VII 1-8).
80. Arndt- Tan gl, Schrifttafeln zur Erlernung der lat. Pal.
4. Aufl. Berlin 1903 (1) u. 1906. 45 S. 70 T.
Die Erläuterungen sind entsprechend dem Stande der Forschung
namentlich in der Terminologie wesentlich geändert ; bei allen irgendwie
schwierigen Stellen ist eine Transkription beigegeben. Neu hinzu-
gekommen sind 26a : die älteste datierbare Verwendung arabischer
Ziffern (vgl. 27 S. XXXIX, A. Huemer, Zur Einführung des
indisch-arabischen Zahlensystems, Z. f. d. öst. Gymn. LV 1093 bis
1104, *M. Campagne, De l'emploi des chiffres dits arabes au
moyen äge. Revue de r Agenais XXXI (1904) 5 — 42 und unten zu
Athen), 30a Humanistenschrift (Poggio: Nachahmung des 11. Jh.
vgl. 27 T. 91), 30c: Fälschung des 18. Jh., 32a: von H. Breßlau
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22 Wilh. Weinberger.
(Ein lat. Empfehlungsbrief. Archiv f. Papyrusf. III 168 — 172) heraus-
gegebener Straßburger Papyrus, dessen Unzialkursive aus inhaltlichen
Gründen wahrscheinlich vor 362 anzusetzen ist, 49 a: Ostertafel.
31. M. Prou, Manuel de pal. Recueil de facsimiles du Ve an
XVIIe siecle (Mss. latins, francais, proven^aux). Paris 1904. IV S.
30 T. mit Erläuterung und Umschrift. Für uns kommen in Be-
tracht: II (Kapitale: Prudentius). 1 u. IV (ünziale: Livius, Vie de
S. Wandrille). III u. V (merovingische Schrift: Lectionarium Galli-
canum, Pergamentstreifen zur Bezeichnung der Reliquien). VI, XI,
XII, XVIII (Minuskel des 9.— 13. Jh.: Ecclesiast., Collectio canonum,
Augustin).
32. Bibl. Nationale. Departement des Mss. a) Histoire des
Francs de Gr^goire de Tours. Reproduction röduite du ms. en
onciale lat. 1 7 654 de la Bibl. Nat. — *b) Anthologie des poetes
latins dite de Saumaise. R. du ms. lat. 10 318 de la B. N. Paris,
Berthaud (ohne Jahreszahl; Einleitung von H. Omont).
Zu dieser Sammlung, der ein entsprechender Gesamttitel fehlt,
gehören auch Bd. 127, 6 und lat. Psalter (Par. 8846, 10 525); s. Bibl.
d. chartes LXVI1 593. In verkleinertem Maßstab (vgl. Bd. 106,
*28 ; Neuauflage 1906), sind auch Proben aus einer Anzahl von
Kodizes gegeben bei
33. R. Stettiner, Die illustrierten Hss des Prudentius.
Berlin 1905. 200 T.
Aus Bibl. d. chartes LXV1I 597 und Bibliographe IX 405 habe
ich Kenntnis von Codices belgici selecti (für die Auswahl
vgl. auch 5 S. 125 — 138, 280ff.; eine Probe der Caesarius-Hs Nr. 11
T. 28 f.); vgl. unten Nr. 142. — Für nicht ganz reine Kapitale er-
weist die Ähnlichkeit der Hälften von M mit einem A als Fehlerquelle
34. L. Havet, Les moitiös de M. Rev. phil. XXVIII (1904) 61».
35. F. W. Shipley, Certain sources of corruption in Latin
Mss. American Journal of Arch. 2 Ser. VII (1903) 1—25, 157 bis
197, 405 — 428, eine auf den Puteanus des Livius (s. V) und dessen
Abschrift (Regin. s. IX) bezügliche Arbeit, kommt ebenso für die
aus den Buchstabenformen der Unziale entspringenden Fehler wie
für fahrlässige und absichtliche Abweichungen derkarolingischen
Abschreiber in Betracht (vgl. die Anzeige von Traube, Berl.
phil. Woch. 1904, 942 f.). Die bei Zahlzeichen unterlaufenden Ver-
sehen (S. 176 ff.) hatte Sh. schon in den *Transactions and Proceed-
ings of the Amer. Phil. Assoc. XXXI11 (1902) 45—54 behandelt.
Die runden Formen der Unziale treten in der diokletianischen
Zeit (vgl. 30 S. 4 mit Hinweis auf Bd. 106, 35 T. 13) an die Stelle
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Bericht über Paläographie und Handschriftenkunde (1908-1906). 23
der eckigen Formen der Steinschrift. Die bei Hieronymus (praef. in
lob; für die Lesart initiales s. M6m. pre'sente's a l'Acad. d. inscr.
1. Ser. XI 2 S. 19) und im 5. Briefe des Lupus von Ferneres über-
lieferte Bezeichnung unciales litterae befriedigt, wie Madan (Class.
Rev. XVIII [1904] 48) bei Bekämpfung von Aliens Konjektur: un-
cinalis (ebds. XVII 387) zugeben muß, nicht ganz. Faksimilia bei
36. L. Traube, Pal. Forschungen IV: Bamberger Fragmente
der 4. Dekade des Livius. Abh. d. bayer. Akad. histor. Kl. XXIV 1,
1 — 56. (S. 28: Die Hs kann ebensogut älter sein als das 5. Jh.,
wie sie nicht jünger sein kann als das 6. Jh. ; für hohes Alter spricht
auch die bei klassischen Texten ganz seltene Teilung in 3 Kolumnen.)
37. M. Vattasso, Frammenti d'un Livio del V secolo recente-
mente scoperti (Cod. Vat. lat. 10 696; 1. XXXIV). Studi e testi 18
(1906).
38. Iustiniani Augusti Digestorum seu Pandectarum codex
Florentinus phototypice expressus. A cura della commissione ministe-
riale per la riproduzione delle Pandette. Rom 1902 ff. (F und R
sehr groß, am Zeilenende manchmal kursives r und s).
39. The Bodleian Ms. of Jerome's Version of the Chronicle
of Eusebius reproduced in collotype with an introduction by
J. K. Fotheringham. Oxford 1905.
Diese von Traube (7 Suppl. II S. 11 vgl. Bd. 127 S. 216) in
die erste Hälfte des 5. Jh. gesetzte Hs dürfte einer späteren Zeit*)
angehören (nach links verlaufende Schäfte bei P und am Ende vom M).
Daß die Rekapitulation nur bis zum Jahre 442 reicht, ist kein ent-
scheidendes Argument und kommt mehr für den Archetypus des Bodl.
als für diesen selbst in Betracht (vgl. auch die Anzeige von Schwartz.
phil. Woch. 1906, 745). T. gibt betreffs der Kursivschrift im Bodl.
selbst zu, daß ähnliche Beispiele (vgl. die Zusammenstellung kursiver
Scholienschrift in 9 VII S. 25) eher dem 6. Jh. angehören.
Es ist allerdings nicht unmöglich, daß neue Funde und Forschungen
die Entwicklung der Kursive hinaufrücken lassen; dabei wäre
zwischen rechtsgeneigter Unziale oder Halbunziale und Kursive strenger
zu scheiden. Die Unzialkursive entwickelte sich, wie schon bei Nr. 30
erwähnt wurde, gleichzeitig mit der Unziale. Wo äußere Umstände
(Raummangel oder mangelhafte Kenntnis der lat. Schrift) an die Stelle
der gewöhnlichen epigraphischen Formen die Kursive, die Schrift der
Vorlage, treten lassen, zeigen sich frühzeitig Minuskelformen (b, m);
*) Die Abkürzungen DÄD, 1 S L , ILM (von denen S. 63 gesagt wird,
dafs sie auf eine Zeit und Gegend weisen, in der griech.-christl. Schrift
direkt auf die lat. einwirkte) möchte ich hiefür nicht anführen.
■
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24
Wilh. Weinberger
vgl. 27 T. 11, 12; 29 V 3 b (De Rossi Inscr. Christ, urbis Romae
I 50 aus dem Jahre 338), 5 ff. (C I L III 459 a. 362, Sappl.
S. 1913: edict. Dioclet. aus Platää; Faksimile auch Pal. Soc. II
127 f.). Faksimile der kursiven Inschrift CIL III 14 206 83 (Suppl.
2316 48) bei Lambros, N. H. II 277, 503.
Für die Übergangsschrift en von der Kursive zur Minuskel
hat T a n g 1 die Bezeichnung Kursiv-Minuskel, Steffens Halb-
kursive vorgeschlagen; lotztere scheint wegen der Analogie zu
Ualbunziale den Vorzug zu verdienen. Sowohl dieÜbergangsschriften
als auch die Minuskel sind lokal differenziert, und Bezeichnungen wie
westgotisch (vgl. unten zu Wolfenbüttel), merovingisch , die nicht
leicht ausgemerzt werden können, bringen es wohl mit sich, daß
Steffens S. VIII noch immer von National Schriften spricht, „nicht
als ob sie von den Nationen erfunden worden wären, sondern weil
sie, wie gesagt, nationale Eigentümlichkeiten haben." Der von Traube
wiederholt (auch 36 S. 24 ff.) bekämpfte Mißbrauch, der besonders
mit der Bezeichnung langobardisch getrieben wurde, indem man
sie auf insulare Schrift, auf jede eigentümliche (s. auch 11, T. 28 ff.,
28 XVII 6 u. 7) und überhaupt auf jede Minuskel bezog, hat zur
Folge, daß die durch Brechungen und Einkerbungen charakterisierte
Schrift (27 T. 62, 28 XXIII 1—3, 29 III 65—73, 36 S. 8 und 11)
jetzt langobardisch-beneventanisch oder montecassine-
sisch-beneventanisch genannt wird; besser wäre wohl die
von Breßlau (26 S. 215) vorgeschlagene Bezeichnung: süd-
italienisch. In der Einleitung zum Fronto-Palimpsest (7 IX
S. 21 f.) wird allerdings bei Besprechung der kursiven und halb-
kursiven Bücherschrift, die bereits Elemente der sogenannten National-
schriften enthalte, behauptet, langobardische Schrift sei auch in Nord-
italien üblich gewesen. Es dürfte sich aber nur um insulare Ele-
mente handeln, die aus der Mischschrift von Bobbio, auf die wir
noch zurückkommen, in die süditalienische aufgenommen wurden. Für
den Augiensis CIX s. den unten bei Karlsruhe angeführten K. („Bene-
venter Vorlage s. VI") und die dort verzeichnete Literatur.
Für die insulare Schrift (die aus der Halbunziale hervor-
gegangen ist, vgl. 27 u.
40. W. Keller, Angelsächs. Pal. Palaestra XLIII (Berlin 1906)
1 [Einl. besonders S. 18; die Tafeln bieten nur angelsächs. Texte])
und ihre Bedeutung in der Überlieferungsgeschichte s. *Ch. U. Clark,
The text tradition of Ammianus Marcellinus. New Häven 1904 (An-
zeige von Schickinger, N. phil. Rundsch. 1904, 344 — 347),
Traube, Die Überlieferung des A. M. MClanges Boissier (Paris
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Bericht über Paläographie und Handschriftenkunde (1903—1906). 25
1903) 443—448 (u. oben Nr. 36 S. 24 ff.), P. v. Winterfeld,
Wie sah der Codex vetustissimus des Horaz aus? Rh. Mus. LX
(1905) 31 — 37, H. M. Bannister, Some recently discovered Frag-
ments of Irish Sacramentary. JThSt V (1904) 49—75 (Augiensis
CLXVI1 vielleicht aus Peronne, Hs von Piacenza), 11 T. 32—34,
91 X. 3 und das Faksimile des Voss. Q. lat. 69 bei Hessels,
A late eight- Century Latin-Anglo-Saxon Glossary preserved in the
Library of the Leiden University. Cambridge 1906 (die Erläuterung
S. XI ist durchaus nicht einwandfrei).
Man kann vor und nach der karolingischen Reform einzelne
Schreibschulen zu unterscheiden versuchen, aber man muß sich gegen-
wärtig halten, daß auch zur selben Zeit und an demselben Orte
individuelle, schon durch das verschiedene Lebensalter der Schreiber
gegebene Unterschiede bestehen (vgl. die St. Gallner IIss bei
Chroust; die Winithariusfrage XIV 1 bedarf einer nochmaligen
Untersuchung, patrare XV 6 u. 7 ist nicht auf das Schreiben zu
beziehen) und daß Mischschriften nicht ausbleiben konnten. Für
den Ragyndrudis-Codex in Fulda, der merovingische und insulare
Eigentümlichkeiten zeigt, s. unten Nr. 91 (Faksimile u. Erläuterungen).
Die irischen Schreiber, sagt Steffens S. XIV (vgl. T. 25), wurden
von der Schrift des Landes, in der sie lebten, beeinflußt. Traube
spricht (36 S. 17) von Schreibern, die in Bobbio, dieser Stätte halb
irischer, halb italienischer Kultur, ihre kalligraphische Schule durch-
laufen hatten (vgl. Madans K. zu 28 717 [Bodl. Add. C 152]) und
gewiß spielt außer Heimat und Bildung der Schreiber und dem Wechsel
ihres Aufenthaltsortes auch die jeweilige Vorlage eine Rolle.
Steffens ist der Ansicht, daß die Verwendung tironischer und
juristischer Noten zu Abkürzungen der gewöhnlichen Schrift nicht
den Iren überhaupt, sondern den Iren in ßobbio zuzuschreiben sei;
eine ähnliche Auffassung einiger Ligaturen s. in 141 S. 168; gleich
den Abkürzungen und Ligaturen kommen für Schreibschulen
auch orthographische Eigentümlichkeiten und künstlerische Aus-
schmückung in Betracht. Von der bei Chroust angeführten
kunsthistorischen Literatur sei hervorgehoben:
41. G. Swarzenski, Reichenauer Malerei und Ornamentik
im Übergang von der karolingischen zur ottonischen Zeit. Repert.
f. Kunstw. XXVI (1903) 389—410, 476—495.
Für die Schritt von Corbie s. 30 S. 3, für die von Luxe uil
36 (S. 15) und 91, für die Schreibschulen von Farfa u. Subiaco
29 (II 76—82) und 130. Die von
42. V. Lazzarini, Scuola calligrafica veronese del secolo IX.
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20
Wilb. Weinberger.
Memorie del R. Istituto Veneto XXVII (1904) 14 S. 8 T. aus den
Veron. 16, 86 u. 106 angeführten Eigentümlichkeiten scheinen zu
wenig charakteristisch ; der weiteren Entwicklung der angenommenen
Schule werden 16 Hss zugeschrieben.
43. W. C. F. Walters, On some symbols of Omission in Livian
Mss. Class. Rev. XVII 161 f. bringt Stellen bei, an denen his oder
haud aus h(ic) s(upple), bezw. h(ic) d(eest) entstanden sei.
44. R. Kau er, Die sogenannten Neumen im Codex Victorianus
des Terenz. Wiener Stud. XXVI (1904) 222—227 erklärt die frag-
lichen Zeichen als Konstruktionshilfen; für kritische Zeichen vgl. 27
T. 18 und 43.
Zeretelis Arbeit über die Abkürzungen in den griech.
Hss (Bd. 98, 654) ist 1904 in 2. Auflage erschienen (Schriften
[Zapiski] d. russ. archäol. Gesellsch. 3. Bd. d. klass. Abteil.). Die
Tafeln sind ohne Kenntnis der russischen Sprache benutzbar. Einen
Auszug aus der Einleitung gibt Wessely, Arch. Sten. LVI 137 bis
139. Diesen habe ich verwertet in einem zusammenfassenden Berichte:
45. Aus dem Archiv für Stenographie. Berl. phil. Woch. 1907,
60 — 62, 93 — 95, 125 — 128, auf den ich für alle Arbeiten verweise,
welche die Anwendung antiker Schnellschrift behandeln. Die
einleuchtende Bemerkung von Gardthausen (Tachygraphie oder
Brachygraphie d. Akropolis-Steines. Arch. Sten. LVI 81 — 84), daß
sich mit dem Akropolissystem vielleicht Raum- aber nimmer-
mehr Zeitersparnis erzielen ließ, erlaubte, von den Arbeiten von
Chr. Johnen (Maßgebliches und Unmaßgebliches zur Kurzschrift
des Akropolis-Steins. Arch. Sten. LV 35—49), W. Larfeld (Handb.
d. griech. Epigraphik II 537 ff., Korrespondenzbl. d. k. stenogr. In-
stituts zu Dresden L 53 — 58, 84 — 91), A. Mentz (Gitlbauer und
die Erforschung der griech. Tachygraphie. Korrespondenzbl. 49,
171—179; vgl. 50, 4—11, 152—155) und K. Riesenfeld (ebds.
49, 303—306; 50, 147—152) abzusehen. Die resultatlos verlaufen-
den Erörterungen über Stenogramme im Neuen Testament (Arch.
Sten. LV 130—132, 215) wurden absichtlich übergangen. Die er-
haltenen Reste griech. Tachygraphie sind zusammengestellt in dem
orientierenden Überblick von
46. V. Gardthausen, Geschichte d. griech. Tachygraphie.
Arch. Sten. LV1I 1—10, 49—56, der S. 51 f. (vgl. S. 206) Gassisis
(oben Nr. 17) Aufstellungen ül er die tachy graphische Tätigkeit des
h. Nilus mit Recht zurückweist. Auch die Bezeichnung: Grotta-
ferratasy stein läßt sich nicht aufrecht erhalten (vgl. 18 S. 525).
47. J. W. A 1 1 e n , Two taehygraphical notes. Class. Rew. XX 349
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Bericht über Paläographie und Handsthriftenkunde (1903—1906). 27
weist auf die Abkürzung der Formen von ct&tfo durch die Endung mit
darübergesetztem Strich (in Hss des 9. und 10. Jh.) und auf eine
bisher ausgelassene, tachygraphisch geschriebene Stelle eines gramma-
tischen Traktats (Barocc. 50 s. X/Xl) hin.
Die tach) graphischen Eintragungen am Schlüsse griech. Papyrus-
urkunden (oben Nr. 12 III) haben gewiß nicht schnellschriftlichen
Zwecken gedient; St. Waszynski, Die Bodenpacht. Leipzig und
Berlin 1905, S. 41, sieht darin ein Idiogramm oder Kanzleizeichen
des Notars. Für tironische Noten in Urkunden (s. Steffens
S. XXXI: Zu den ältesten erhaltenen tir. Noten gehören die in den
merovingischen Urkunden des 7. u. 8. Jh.) verzeichne ich in Er-
wartung der (N. Archiv XXXII 10) angekündigten zusammenfassenden
Arbeit von Tan gl die Aufsätze und Notizen: Bibl. d. chartes LXV
364, LXV1 361, 661. Arch. Sten. LVI 301, 390, Le Moyen ige
1901, 407; 1904, 478; vgl. auch
48. E. Chatelain und A. Spagnolo, La tachygraphie latine
des mss. de Vörone. Revue XV (1905) 339 — 358 (mit autographierten
Tafeln und Index der tachygraph. Zeichen; s. Bd. 127, 45), wo am
Schlüsse ausgeführt wird, es habe schon im 8. Jh. eine Silbenschrift
gegeben, die mehr krypto- als tachygraphisch gewesen sei und
jedenfalls bei der Entzifferung von Urkunden helfe. Für die Ver-
wendung der commentarii notarum Tironianarum in der
Karolingerzeit und den im Paris. 1597 A aufgefundenen Kommentar
verweise ich auf 45 S. 126; die Angaben von A. Mentz, Die
Stenographie zur Zeit der Karolinger. Arch. Sten. XV 225—235
■
sind meist sekundär. Für die literarischen Quellen der commentarii
s. Breidenbach, ebds. 97 — 104, 193 — 208. Von Hss mit einzelnen
tironischen Noten sind zu nennen Tours 10, 106, 286, 334.
49. E. Chatelain, Le ms. d'Hygin en notes tironiennes.
Revue XIII (1908) 224—228 (vgl. auch Comptes rendus de PAcad.
des Inscr. 1903, 169 — 174) glaubt eine von Bembo erwähnte Hs
(de sideribus) im Ambros. M 12 sup. wiederzuerkennen. Aus einem
anderen Teile dieses Ambros. (Beda) gibt 27 T. 48 eine Probe; vgl. für
tir. Noten noch 27 T. 37, 57, 102 u. 103, 9 VII S. 24 f., 30 T. 15a,
für Abkürzungen in lat. Hss oben S. 23 (A. 1) und 25.
Dem in 45 vorgelegten Materiale für die Anwendung der D i k t a t -
Stenographie zu amtlichen und literarischen Zwecken (1. — 6. Jh.)
habe ich nur eine Bemerkung über die Bd. 127, 55 erwähnte Grab-
schrift des Xanthias hinzuzufügen. Nach Wiederauffindung des
Steines ergab sich, daß die Inschrift nicht dem 1. oder 2., sondern
dem 3. oder 4. Jh. angehört. Von den Erklärungen fraglicher Stellen
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28
Wilh. Weinberger.
wäre die von Rubensohn*), daß sich der Vers iam nemo superaret
legens auf stenographische Tätigkeit beim Exzerpieren bezieht,
von allgemeinerem Interesse, wenn sie ausreichend begründet wäre,
ebenso die von Bücheler und Klinkenberg (vgl. noch Arch.
Sten. LVI 168 ff.), die an der Stelle iam voce erili coeperat ad omne
dictatum volans aurem vocari ad proximam die Worte aurem ad
proximam zu dictatum (= epistulam) ziehen und so eine stenographische
Korrespondenzschrift annehmen. Daß eine solche durchaus
unw ahrscheinlich ist, kommt für die Erklärung von Cic. ad Att. XIII
82 in Betracht (45 S. 126 f.); für die von Preisigke mit Unrecht
herangezogenen Papyri vgl. jetzt auch Archiv f. Papyrusforsch. IV 259.
Für den Übergang von der Rolle zum Kodex sind anzuführen:
50. G. A. Gerhard und 0. Graden witz, Ein neuer
juristischer Papyrus der Heidelberger Universitätsbibl. Neue Heidelb.
Jahrb. XII (1903) 141—183 (vgl. Birt, Buchrolle in der Kunst.
1907).
51. L. De Ii sie und L. Traube, Un feuillet retrouve du
recueil 6crit sur papyrus de lettres et de sermons de Saint-Augustin.
Bibl. d. chartes LXIV (1903) 453—480.
52 u. 53. S. Lambros, La stele d'un orthographe. Comptes
rendus du congres international d'arche'ol. I. Athen 1905, 192 f. —
Ai avaaxa^at toü Flava&r(vatxoD staStou xat 7j arr^Xr, toö ttpffofpdyoo.
N. H. II 266 ff. (III 256 Bemerkung zum Text von Tsountas).
Der Anzeige von 50 Berl. phil. Woch. 1904, 1107 füge ich
betreffs der Stelle, durch die Gerhard Pergamentkodizes des Apostels
Paulus erweisen will: 2 Tim. 4, 13, einen Hinweis auf Soltau,
N. Jahrb. XXIII 22 f. hinzu , der die Briefe an Timotheus um 120
ansetzt, ferner auf Basilius des Großen 231. Brief (M 32, 861 g;
angeführt von A. Schramm, Korrespondenzbl. d. sten. Instit. zu
Dresden XLVIII 244), wo Niederschrift Iv xqraQ und h <ja>}iattq>
gegenübergestellt wird, also Papyrus und Pergamentkodex ; über Ver-
luste beim Übergang von der Rolle zum Kodex vgl. unten Nr. 65.
Die wenigen erhaltenen Papyruskodizes des 6. u. 7. Jh. sind in
51 erwähnt (die Wiener Ulpianfragmente sind auf Pergament), ein
Doppelblatt eines alten griech. Papyruskodex (Ignatius) von Harn ack,
Thcol. L.Z. 1906, 596 f.; für die Seltenheit der Buchschrift auf Papyrus
im 5. Jh. s. auch 14 S. 13 f. — Die Stele, die einen aufrecht-
stehenden Jüngling mit einem Kodex zeigt, wird ins 2. Jh. gesetzt;
*) Arch. Sten. I.III 104—110. Korrespondenzbl. L 119—124; vgl.
Johnen, Arch. Sten. Uli 51 f., Die Stenographie im alten Köln (Schrift,
d. sten. Ges. zu K. 2) K. 1904, J. Klinkenberg, Arch. Sten. L1II 57— 64.
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Bericht über Paläographie und Handschriftenkunde (1903—1906). 29
sollte sich das ^pöo-ypasp&v, das L. (52 u. 53) ohne Belege im Sinne
von ßißXiOYpacpo? nimmt, auf das Aufrechtstehen beziehen? L. , der
sowohl literarische Belege als Denkmäler berücksichtigt, gibt auch
Zusammenstellungen für Wachstafeln, xiaxcu und Mapai. Für Holz-
tafeln nenne ich Bull. Corr. Hell. XXVIII 207, Philol. LXIV 146,
Oxford Nr. 31079 u. 32409; für Blei, ohne auf Bleitesserae und
Fluchtäfelchen eingehen zu wollen, A.Wilhelm, Der älteste griech.
Brief (4. Jh. v. Chr.). Jahreshefte des öst. archäol. Instituts VII
(1904) 94 — 104. J. Wiesner, Ein neuer Beitrag zur Geschichte
des Papiers. Wien. S.-Ber. CXLVIII (1904) VI, bezieht sich zu-
nächst auf ostasiatische Papiere. Bei der von Crum (in den Proceed-
ings der Society of Biblical Archaeology XXVII 166—171) ver-
öffentlichten koptischen Anweisung für Pergame ntbereitung handelt
es sich um geringe, schwer zu deutende Fragmente; vgl. 6, den 106.
Brief des Maximus Planudes (S. 142 ed. Treu): xo xäv xexpotöoiv
iic£|4^o|iev uixpov, u>« 8uo xoiaGxa xt4v {lefißpdvTjv iroteiv u. für xexpa'c
45, S. 94. Von 63 Lagen der Wiener Dioskurides-Hs (7 X) be-
ginnen nur fünf mit der Haarseite : auch Störungen der üblichen Auf-
einanderfolge je zweier Haar- oder Fleischseiten kommen nur in fünf
Lagen vor. Links oben auf der ersten Seite einer Lage findet sich
oft ein Kreuz oder eine Gebetsformel, vgl. 8 S. 9, 39 S. 27. Zu-
sammenstellung der lat. Palimpseste (s. auch 9 VII) bei
54. E. Chatelain, Les palimpsestes latins. Ecole pratique
des hautes etudes. Section des sciences histor. et philol. Annuaire
1904, 5 — 42. — Aus dem Vat. 914 s. XV wird eine axeuaoia uiXavoc.
xtvvaßapeaK xal xaxaaxaxou veröffentlicht N. H. I 370 f. ; ebds. I 242 f. ;
Bemerkungen über £-iYpa<peuc(rubricator), £puöpoYpa<poc, itpaatvofpacpoc,
XpoaoYpa'^oc. Von einer Tinte, die unsichtbar und wieder sichtbar gemacht
werden kann, handeln Philo, Bclop. 102, 31 (ed. Schöne, Berlin 1893),
Aen. Tact, 31, 10, Leo strateg. I 2. In einem andern Werke Philos
(Notices et extraits XXX VIII 1, 195) ist von einem durch Ringe
drehbaren Schreibzeug die Rede, in das man von jeder Seite
eintauchen kann ; für ein kunstvolles byzantinisches Tintenfaß s. C.ß.
XXH1 171 (L'Arte IX 35). Anweisungen für den Schreiber
finden wir in St. Gallner Hss (28 XV 8, 9, XVII 9). Nicht bloß
Anweisungen , sondern auch Skizzen für Bilder (vom chef
d'atelier) weist nach
55. H. Martin a) Observations sur la technique de l'illustra-
tion des livres au moyen äge. Comptes rendus de TAcad. d. inscr.
1904, 121 — 132. — b) Les esquisses des miniatures. Rev. archeol.
4. Ser. IV 17—45; vgl. 7 (X S. 50, Suppl. III 39) u. 96.
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30
Wilh. Weinberger.
56. I. Guareschi, Osservazioni sul De arte illuminandi. Atti
d. R. Accad. di Torino XL. Scienze fisiche 663 — 690 (zu einer
Arbeit über die Farben der Alten erweitert in *Storia della Chi-
mica V — Turin 1903 — 238—402; vgl. Bd. 98, 722 f., Revue
Belg. III 504 und den von C. Mazzi, Rivista delle bibl. XVII 31 bis
50 aus dem Riceardianus 1246 s. XV veröffentlichten trattatello di
Frate Domencio Baffo Del modo di comporre l'azzurro oltramarino).
Photographien von Miniaturen*) sind verzeichnet in
*57. G. Millet, La collection Chretienne et Byzantine des
hautes Stüdes. Paris 1903.
Für einzelne Schreiber sind anzuführen N. H. I 43, 209, 334;
II 203, 299; III 123, Nachträge zu Bd. 127, 90 in der *'EiteTrjpt?
toG LlapvaocJoO VIII (1904) 49-62,
58. 2. IL Aau.irp6c, cEXXtjvi8s> ßtßXiofpa'f ot xai xuptat xeuÖixaiv
xata to'j^ uiaou? ai&va? xol l-t Toupxoxpaxta?. Athen 1903 (Sd. aus
'KweTTjpfc xoD 'EÖv. UaveRtarr^i'oo). 36 S.
59. M. R. James, The Scribe of the Leicester Codex. JThSt
V (1904) 440-447. - Zu 58 Nr. 2 gibt
60. A. Papadop ulos-Kerameus, 'AvuTrapxto? xu>öt£ Maptac
ßaaiXtaaijc toO 800oö stouc. B.Z. XIV (1905) 260—270 eine wich-
tige Berichtigung, N. A. Bees im *NoixtXov ^jxepoX^iov xf(c oe-
airotvßo? Kativa? T. 'HXiaxo7to(jXoü (Athen 1905) Ergänzungen. —
James erkennt im Voss, graec. 56 (Demosth., Äschin., Plato) die
Schrift des Leicestrensis (69 of the Gospels), die Rendel Harris
(The origin of the Leicester Codex 1887, Further Research into the
Ferrar Group 1900) auch in zwei Psaltern (Gonvill and Caius Coli.
348, Trinity Coli. 314) und zwei Durhamer Hss (C 1 15 Aristot.,
C IV 2 Plato) nachgewiesen hat. Der Voss, wurde aber nach der
*) Für Miniaturhss s. 2, 6, 7 (zum 8. Bande vgl. Jahrb. d. archäol.
Instituts XVIII 93, Harvard Studio XIV 36—172 und O. Engelhardt.
Die Illustrationen der Terenzhss. Jena 1905), 9 f., 14, 15, 28, 41, 75 f., 120.
122 f. (andere Arbeiten von Muüoz sind Revue XV 383 verzeichnet), 135.
endlich London, ferner O. Wülfte eingehenden Bericht über I). Ainalow,
Die hellenistische Grundlage der byzantinischen Kunst (Petersburg 1901, russ.)
im Repert. f. Kunstw. XXVI (1903) 1:$5— 155, Atene e Roma 1905 , 295;
E. Bertaux, L'art dans l'Italie meridionale. Paris 1904; J. Ebersolt.
Miniaturen byzantins de Berlin Hamilton 246 s. X). Rev. archäol 4. Ser. VI
(1905) 55— 70, lliersemannb K. 330 (Mss. des Mittelalters und spaterer
Zeit. Leipzig 1900); i}. Schlumberger, L'cpopee Byzantine. Paris 1896
bis 1905. *V. Vulten, La miniatura sulla pergamena. Corso teorico-pra-
tico. Turin 1905. Die für Ende 1906 angekündigte Reproduktion des
Oktateuchs des Serails (B.Z. XIV 671, XV 712) hat mir nicht vorgelegen.
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Bericht über Paläographie und Handschriftenkunde (1903—1906). 31
Subskription von Emanuel von Konstantinopel 1468 geschrieben und
dem Erzbischof George Neville von York zum Geschenk gemacht.
Notizen über antike Bibl. in Delphi, Ephesus und Rom s. C.B.
XXI 458 f.; für Rom vgl. Grisar, Civiltä cattolica 18. Ser. VI 717 f.,
VII 715—723 (ebds. VIII 463—477 u. Z. f. kath. Theol. 1903,
131—138 über die ältesten christl. Bibl.), Hirschfeld, Die kaiserl.
Verwaltungsbeamten 2 (Berlin 1905) 298 ff.
61. R. Heberde y, Vorläufiger Bericht über die Ausgrabungen
in Ephesus. Jahreshefte d. öst. archäol. Instituts VIII Beiblatt
61 ff., stellt (vgl. Mitteil. d. öst. Vereins f. Bibl. X 97, Comptes
rendus du congres d'arche'ol. [Athen 1905] 186) eine eingehende
Untersuchung über antike Bibliotheksgebäude mit Berücksichtigung
von Pergamum, der Hadrianstoa in Athen und der Funde von Timgad
(vgl. Nr. 63) in Aussicht.
62. 0. M. R. Blomfield, L'emplacement du musäe et de la
bibl. des Ptolemees. Bull, de la Soc. archäol. d'Alexandrie N.S. 1
(1904) 15—26 (27 ff. englisch) bietet einen auch Rev. archäol. 4
II (1848) 758 (vgl. phil. Woch. 1907, 352) und von Botti, Plan de
la ville d'Alexandrie (1898) veröffentlichten Fundbericht. 1847 wurde
ein Steinblock von rechteckiger Form, 171/* Zoll lang, 151/* Zoll breit,
mit einer rechteckigen, 10 Zoll langen, 8 Zoll breiten und 3 Zoll tiefen
Aushöhlung gefunden; aus der Aufschrift A10CK0P1 AI IC 1 T0MOI wurde
geschlossen, daß er zur Aufnahme von Papyrusrollen bestimmt war.
Minder wichtig sind die Bemerkungen von Lumbroso (Rendiconti d.
Accad. d. Lincei XII 311 — 816) über unterschiedslosen Gebrauch von
JüißXiofhgxr, und dp^stov, die Erwähnung einer Bibl. in Alexandrien in
syrischen Texten des 7. Jh. und die neuerliche Widerlegung der
Fabel von der Bibliotheksverbrennung durch die Araber (vgl. Bd. 106,
188) bei A. J. Butler, The Arab conquest of Egypt. Oxford 1902
(Anzeigen B.Z. XII 607, Revue archeol. 4. Ser. III 455).
63. R. Cagnat, Les bibl. municipales dans l'empire Romain.
Memoires präsentes ä l'Acad. d. Inscr. XXXVI11 1 (1906; s. C.B.
XXIV 118).
64. Tn. Schermann, Griech. Iissbestände in den Bibl. der
christl. Kulturzentralen des 5. — 7. Jh. Oriens Christianus IV (1904)
151 — 163 stellt hauptsächlich nach Konzilsakten Hss. von Alexandrien,
Antiochien, Jerusalem, Konstantinopel und Rom zusammen. Hieran
schließe ich (vgl. Bd. 127, 71) einen Hinweis auf M. Roger,
L'euseignement des lettres classiques d'Ausone a Alcuin. Paris 1905,
206, 268—273, 388—398 (griech. Kenntnisse der Iren; vgl.
N. Archiv XXXI 784), und auf J. Gay, L'Italie mendionale et
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32
Wilh. Weinberger.
l'empire Byzantin (867 — 1071). Bibl. des fcoles francaises d'Athenes
et de Rome 90 (1904) 242 (im 9. Jh. sind in Neapel griech. Schreiber
zu finden, in Rom sehr selten). Für textkritische Tätigkeit der
Byzantiner vgl.
65. J. M e w a 1 d t , Maximus Planudes und die Textgeschichte
der Biographien Plutarchs. Berl. S.-Ber. 1906, 824—834; für die
Überlieferungsgeschichte des Livius 36 S. 15 ff., für J. E. Sandy s ,
A History of Classical Sholarship from the sixt Century b. Chr. to
the End of the Middle Ages. Cambridge 1903 (S. 594—650: The
mediaeval Copyists and the Classics; Hss und Bibl. im Index) Traube s
Anzeige der *2. Auflage: DLZ 1907, 334.
Inventare griech. Hss aus dem Mittelalter und späterer
Zeit werden im N. H. I 213, 295 behandelt. G. Meier gibt Nach-
träge zu Gottlieb: C.B. XX 89, 161; ebds. 221 regt F. Eichler
eine Quellensammlung zur Geschichte der deutschen Bibl. (750 bis
1815) an; dabei wird auch die bereits im Gange befindliche Heraus-
gabe der österreichischen mittelalterlichen K. durch die
Wiener Akademie erwähnt. Diese Arbeit wird in Verbindung mit
anderen Akademien weiter ausgedehnt werden. Daher glaube ich
mich nach Anführung von M. Manitius, Zur Überlieferungsgeschichte
mittelalterlicher Schulautoren. Mitteil. d. Ges. für deutsche Schul-
gesch. XVI (1906) 35—49, 232—277 (vgl. Woch. f. kl. Phil. 1907, 267)
auf einige wenige Inventare beschränken zu dürfen ; ich greife heraus :
66. A. Sorbelli, La bibl. capitolare della cattedrale di Bo-
logna nel secolo XV. Atti e memorie d. R. deputazione di storia
patria per le provincie di Romagna 3. Ser. XXI (1903) 493 — 016,
67. M. R. James, The Ancient Libraries of Canterbury
and Dover. Cambridge 1903. XCV, 552 S.,
68. G. Morin, Le c. des mss. de l'abbaye de Gorze au Xle
siecle. Revue B6n£dictine XXII (1905) 1 — 11 u. z. 66 wegen der Be-
ziehung auf den bibliographischen Kanon Tommaso Parentucellis
(Nikolaus V; vgl. 70 S. 200), 67 wegen der Ergebnisse für die An-
ordnung mittelalterlicher Bibl. und wegen der Identifikationen (für
übersichtlichere Darstellung vgl. Bayot, Revue Belg. II 234), 68
wegen des Alters und der Reichhaltigkeit des Inventars (Klassiker,
seltene oder unbekannte Patristica). Endlich sei
69. Ad. Schmidt, Hss der Reichsabtei Werden. C.B. XXII
(1905) 241—264 (auch in den Beiträgen zur Gesch. d. Stiftes W.
XI 113—137), der die von Hüpsch verzeichneten Hss in Berlin, Darm-
stadt, Düsseldorf und Münster nachweist, hier genannt wegen des be-
achtenswerten Vorschlages, in Provenienz-Registern auch die Signa -
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Bericht über Paläographie und Handschriftenkunde (1903—1906). 33
turen bestimmter oder nnbestimmter Bibl. genau zu beschreiben,
bezw. abzudrucken. Das wird an der charakteristischen Signatur von
Weingarten und anderen Beispielen verdeutlicht; vgl. 11 T. 17
und 150.
70. R. Sabbadini, Le scoperte dei codici latini e greci ne'
secoli XIV e XV. Bibl. storica del rinascimento II (Florenz 1905)
IX, 233 S. bietet ein anschauliches Bild der Entdeckungen der
Humanisten und reiche Literaturangaben über Hss.-Sammlungen , so
daß ein Index der Bibliotheken und Hss. vermißt wird (verzeichnet
sind a) antike und mittelalterliche Autoren; b) Entdecker, Sammler,
Besitzer und Schreiber); vgl. die Anzeigen von Clark, Class. Rev.
1906, 224—229 und Zippel, Giorn. stör, della lett. Ital. XLVIII
205 — 216); für Konstantin Laskaris die Bemerkungen von
A. Bauer, Texte und Untersuch. N. F. XIV 1 (1906) 5 ff. (mit Fak-
simile der Schrift), für Orsini E. König, Kardinal Giordano O.
Stud. u. Darstell, aus d. Gebiete d. Gesch. V 1 (Freiburg im B.
1906) 82 ff. ; für P e t r a r c a die Literaturübersicht von A. Della
Torre im Arch. stor. Ital. 5. Ser. XXXV 104 — 189 (namentlich
S. 151 Libri appartenuti alla bibl. di P.; bei Nolhac [Bd. 98, 217]
fehlt S. 324 apud vor Barlaam), für Sozomenos unten S. 34, für
Sammler des 16. Jh. s. Nr. 39 u. 51. In 39 stellt S. 48—63 (vgl.
25 ff. The History of the Bodleian Ms.) C. H. Turner 1 griech.,
1 hebr. und 12 lat. Hss. zusammen, die der Bischof von Brieuc
(später von Meaux) Jean du Till et (Ioannes Tilius) besessen oder
doch benutzt hat ; mehrere kamen durch Petau unter die Reginenses.
Die in 51 von Delisle zusammengestellten Notizen beziehen sich
zumeist auf Hss. von Nikolaus Faber (Le Fe vre); vgl. H. Qu entin,
Moyen Age XVII (1904) 97—114.
71. (H. Omont) C. alphabötique des livres imprime's mis ä la
disposition des lecteurs dans la salle de travail du dlpartement
des mss. de la Bibl. Nationale. 2. Aufl. Paris 1904. 110 S. ver-
zeichnet nicht nur Hss.-K., sondern auch Zeitschriften-Aufsätze (Archiv
d. Gesellsch. f. ält. deutsche Gesch.!) nach dem Alphabet der Orts-
namen; vgl. auch die Literaturangaben im 3. Bande des Jahrbuchs
der deutschen Bibl. (Bd. 127, 78) und die Nachträge zum österr.
Adreßbuch (Bd. 106, 194: Mitt. d. öst. Ver. f. Bibl. V 33, 79; VII
13, 126; VIII 39). Die Nachträge, die sich zu Gardthausen (Bd.
127, 72) aus dem schon dort S. 283 angeführten Werke von Soden
und aus Lambros' Anzeige N.H. I 105 — 115 ergeben, sollen an
anderem Orte exzerpiert werden; K. mehrerer peloponnesischer Bibl.
sind angekündigt N.H. I 513 (vgl. 11 378—381). Die durch
Jahresbericht für Altertumswissenschaft. B<1. CXXXV. 3
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34
Wilh. Weinberger.
72. E. Gollob, Verz. d. griech. Hss in Österreich außer-
halb Wiens. Wien. S.-Ber. CXLVI (1903) VII, 173 S., eine Arbeit,
auf die wir bei Capodistria, Nikolsburg, Prag und Raudnitz zurück-
kommen , gebotenen Nachträge sind in meiner Anzeige : Berl. phil.
Woch. 1905, 164, 1 angeführt; ebds. 1907, 296 über
73. (Bd. 106, 224). H. Schenkl, Bibl. patrum lat. Britannica
XII. Wien. S.-Ber. CL (1905) V. Auf dieses Heft, das den Text
der Bibl. Britannica mit der Behandlung von etwa 40 kleineren Bibl.
zum Abschluß bringt, kann nur bei Cambridge, London und Manchester
verwiesen werden. Die 9 griech. Hss — Reste der Sammlung
Canonici — enthaltende Bibl. des Rev. Walter Sneyd ist (nach
einem Nachtrage in 67) 1903 versteigert worden.
Zu dem fast abgeschlossenen K. der franz. Hss sind 1902 bis
1904 4 Supplementbände erschienen: CD. 40 — 43. Das Ver-
zeichnis sämtlicher Bibl. (43 XVI) ist auch Revue XIV 187 ab-
gedruckt. Wegen der wenigen älteren Hss (z. B. Evangelienfrag-
mente des 9. Jh. in Gre'noble) ist die Table g<m£rale heranzuziehen.
Wegen der Provenienz sind zu nennen: Macon 81 — 85 aus Cluny
(Fragment eines Kommentars zu Jesaias s. X, theol.-patristische Hss.
des 12. u. 13. Jh.), Romorantin 1 (Ovid des Sozomenos); die
Clarevallenses in Troyes kommen für uns nicht in Betracht.
74. M. Menändez y Pelayo, Bibliografia Hispauo-Latina
Cläsica. Biblioteca de la Revista de Archivos, Bibl. y Museos. I.
Madrid 1902 f., die mir bis S. 816 (Cicero) vorgelegen hat, verzeichnet
auch erhaltene und verschollene Hss nach gedruckten Quellen, wobei
die verstreuten Notizen über einzelne Escorialenses berücksichtigt
sind; die Cicero- Hss gehören meist dem 15. Jh. an. — Wegen der
guten über Alter und Provenienz der Hss orientierenden Indizes ist
zu erwähnen
75. Beschreibendes Verzeichnis der illuminierten Hss in Öster-
reich, hgg. v. F. Wickhoff (Publikationen des Inst. f. österr. Ge-
schichtsforschung). Leipzig 1905.
Aus Band I (Tirol ; H.J.Hermann) sind Innsbruck 88 (Ambros.
de off., Hieron. ep. de psalt., in lerem, s. XI) und 484 (Evangeliar
von Jnnichen s. VIII/IX), aus II (Salzburg; II. Tietze) Salzb. Studien-
bibl. V 1 B 18 (Hieron. de lihro psalm. s. IX) hervorzuheben; vgl.
auch das Hss- Verzeichnis in
76. St. Beissel, Geschichte der Evangelienbücher während
der ersten Hälfte des Mittelalters. 92 u. 93. Ergänzungsheft zu
den Stimmen aus Maria-Laach (1906).
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Bericht über Paläographie und Handschriftenkunde (1903—1906). 35
Eine Anzahl von Hss-K. enthält das von Gardthausen abhängige
Verzeichnis der ausgenutzten Bibl. bei H. Di eis, Die Hss. der an-
tiken Ärzte. Philos.-histor. Abhandl. d. preuß. Akad. 1906 I, XI bis
XXIII. — Ehe wir zu den einzelnen Bibl. übergehen, seien zwei
Behelfe fir die Beschreibung von Hss genannt: M. Vattasso,
Initia patrum aliorumque scriptorum ecclesiast. Lat. I (A-M). Studi
e testi XVI (1906), A. G. Little, Initia operum lat. quae saeculis
XHI, XIV, XV attribuuntur. Publications of the University of Man-
chester. Historical Series 2; vgl. 113 u. C.B. XXIV 69.
Adrianopel. 152 Hss der Gymnasialbibl. beschreibt ohne
Datierung und ohne Index
77. B. K. 2Ts<pavfö>}?, Ol xtoStxe? tt,< \\. B.Z. XIV (1905)
588—611, XVI 266—84. (Die Nummern 1, 34, 54, 55, 63, 66
(Palimpsest) , 69, 71, 73 sind Pergamenthss. ; Ergänzungen bietet
Bees, *nava^vat« 1906 S. 123).
Alexandrien. Über eine jetzt dem Museum geschenkte, von
Harris angefertigte Abschrift eines Palaephatus-Kodex s. Rh. Mus.
LVÜI 808, Atti del Congresso Storico II 155—160, Studi XII 446.
Athen. Lambros beschreibt (unter Mitwirkung einiger Schüler)
im N.H. I 89, 225, 353, 488; II 226, 357, 490; III 113, 243
bisher 63 Hss der BtßX. sffi BouXr^: Evangeliare des 11. u. 12. Jh.
(3 scheint aus Stroumnitza zu stammen), byzantinische und hagio-
graphische Stücke des 14. und späterer Jahrhunderte. Auf dem Deck-
blatt von 32 steht von einer Hand des 14. Jh. eine metrologische
Eintragung, bei der die Buchstaben dekadisch verwendet sind, so
daß Cß und ein besonderes Zeichen für die 0 für 720 steht (Fak-
simile II 229). Autoren und Vorbesitzer sind in den Indizes der
einzelnen Bände verzeichnet, I 112 die übrigen athenischen Bibl.,
deren Hss im NH beschrieben werden sollen.
Athos (vgl. 11, 13, 117). Die kanonistischen Hss der Klöster
Laura und Vatopedi (10. — 19. Jh.) katalogisiert V. N. Beneseviu
in der zweiten Beilage (-opa'pnjfia) zum 11. Bande der BoCavtTvct
Xpovtxa; Athanasios-Hss derselben Klöster im Index vom Texte und
Untersuch. N.F. XIV 2. Die hagiographischen Hss von Vatopedi
verzeichnet Th. Schmit in den Nachrichten (IzvSstija) des russ.
archäol. Inst, in Konstantinopel VIII (1903) 264 — 298 nach dem
Alphabet der Heiligennamen. Im Index der Verfasser sind die S. 265
beschriebenen Hss (Gregor, Palladius, Theophil) nicht berücksichtigt.
Eine Übersicht der Hss nach den Jahrhunderten geht voran. Einige
Nachträge zu Schmit bei
3*
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30
Wilh. Weinberger.
78. D. Serruys, Souscriptions et signatures dans les mss. des
X — Xllle Steeles conservös au monastere de Vatopödi. Revue XIV
(1904) 63-76.
Bamberg. Von dem K. (Bd. 106, 169) den nach Leitschuhs
Tod H. Fischer bearbeitet, erschien I 1, 3 (Kirchenväter und ältere
Theologen; Nr. 1 — 154 nach den Autoren, 155 — 165 Homilien-
sammlungen), 4 (theologische Schriftsteller vom 14. Jh. an), 5 kano-
nistische Hss des 9.— 15. Jh.), I 2, 4 (Philologie [unbedeutend],
astronomisch-math. Hss, Varia), 5 (juristische Hss); Nachträge und
Indizes zum I. Band sind in Vorbereitung. In der Vorrede zu I 1, 3
werden die Berichtigungen zu niedriger Datierungen Jaecks durch
Traube hervorgehoben; vgl. die Erläuterungen in 28 namentlich
zu Lief. 18, wo Chroust fUr die Datierung der Halbunziale von B
IV 21 (Hieron. vir. illnstr. , Augustin; 6. Jh.) Beweise von T. er-
wartet. Die Erläuterungen von 28 kommen auch für die Zusammen-
stellungen von Provenienzangaben über Bamberger Hss in 36 (Fulda,
Frankreich [Ioannes Scottus — Gerbert — Otto III. — Heinrich II.],
Italien) in Betracht. Der Bamberger Livius wurde im Einbände einer
jüngeren theol. Hs gefunden.
Berlin. Der 13. Band der Hss Verzeichnisse (lat. Hss der
kurfürstl. Bibl.) ist zum Abschluß gebracht worden : 2. Abt. (weitere
theol. Hss: 756 Smaragdus, regula Benedicti s. X) 1903, 3. Abt.
(historische Hss, etwa 30 klassische Hss aus den späteren Jh.) 1906.
Den Bd. 127, 95 genannten Heimstätten ist Himmerode hinzuzufügen;
für Werden vgl. 69. Auf die Corviniani und die Nachträge zu den
Meermanniani hoffe ich an anderem Orte zurückzukommen. Nach
B. gelangten auch zumeist die von
79. E. Jacobs, Die Hss-Sammlung Joseph Görres'. C.B. XXIII
(1906) 189—204 nach dem Auktionskatalog (Bd. 127, 145) und
anderen Quellen mit Angabe des gegenwärtigen Verbleibes verzeich-
neten 78 Hss. Einige kamen nach Paris (vgl. Bd. 127, 146, 189,
190), London und in Privatbibl. (Freiherr von Cramer-Klett , Eduard
Langer in Braunau, Frank Mac Lean in Rusthall House (Tunbridge
Wells); das Evangeliar von Prüm wurde (L.C.B. 1906, 1812 unter
„Verschiedenes") von einem amerikanischen Sammler erworben (etwa
von Pierpont Morgan, über dessen New Yorker Hss-Sammlung Revue
Belg. IV 338 zu vergleichen ist). Einzelne Erwerbungen der B. Bibl.
s. C.B. XXIII 89 (Miszellankodex Morbio), 454 (Donat. s. XV) und
80. Beiträge zur Bücherkunde und Philologie August Wilmanns
gewidmet. Leipzig 1903 (67 — 96: L. Stern, Mitteilungen aus der
Lübener Kirchenbibl.).
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Bericht über Paläographie und Handschriftenkunde (1903-1906). 37
Der K. von B e s a n s o n ist 1904 durch den Index (CD. XXXI1I/2)
abgeschlossen worden. — Bonn s. N. Archiv XXXII 509 (zu 69).
Bordeaux. Bd. 127, 101 ist Abdruck aus CD. 40 (Suppl.).
Brescia. Einige der jungen Hss bespricht in der Vorrede
eingehend
81. A. Beltrami, Index codicum class. lat. qui in bibl.
Queriniana Brixiensi adservantur. Studi XIV (1906) 17—96.
*82. Verz. d. Schausammlung d. k. u. Universitätsbibl. zu
Breslau. 1906 (vgl. DLZ 1906, 1867).
Brüssel. Von van den Gheyns K. (Bd. 127, 103) er-
schienen Band III (Theologie), IV ( Jurisprudence , Philosophie), V
(Histoire, Hagiographie), VI (Histoire des ordres religieux).
83. H. M o r e t u s , C. codicum hagiograph. lat. bibl. Bollandianae.
Anal. Bolland. XXIV (1905) 425—468 bezieht sich auf die seit
1837 gesammelte Bibl., die Hss der alten Bollandistenbibl. gelangten
nach Aufhebung des Jesuitenordens größtenteils in die k. Bibl. zu
Br. S. 467 f. wird eine Descriptio librorum Sanctae Rictrudis (bibl.
Marchianensis) s. XI/XII veröffentlicht; mehrfach können die Hss
mit den zu Douai erhaltenen identifiziert werdeu.
Cambridge. M. R. J a m e s hat nicht nur den K. des T r i n i t y
College (Bd. 127, 104) durch einen 4. (Index-)Band , der auch
17 Tafeln mit Faksimilien (vom 8. Jh. an) enthält, zum Abschlüsse
gebracht, sondern auch K. des Christs-, Cläre-, Emmanuel-,
Pembroke- und Queens -College veröffentlicht. Die 12 Hss des
Christs- u. die 34 des Queens-C. sind für uns von geringer Be-
deutung; von den 31 des Clare-C. wären ein griech. Lectionar, ein
Augustin s. X (de bono coniugali, virgin., nuptiis et concupisc.) und ein
Gregor s. XI zu nennen. Bedeutender ist der Descriptive C. of
the Western Mss in the Library of Emmanuel College; Ygl. Bibl.
Britannica (oben Nr. 73) II 2, 2 (Wien. S.-Ber. CXLIII, VIU) 35,
wo auch die wichtigsten Hss der anderen Colleges (zum Teil in
II 2, 1) behandelt sind. Von den Hss des Pembroke College gehören
einige dem 9. (darunter ein Rabanus aus Reims) und dem 11. Jh.
an; die meisten stammen aus Bury, einzelne aus Canterbury, Durham
und Ely. Die von William Smart 1599 geschenkten Hss sind zum
Teil in Oxford nachzuweisen oder zu vermuten. 73 bietet S. 62—75
einen Auszug aus J. Nasmiths schwer zugänglichem C librorum
mss. quos collegio Corporis Christi legavit Matth. Parker.
Cambridge 1777 (mit Berücksichtigung von M. R. James, The sources
of Archbishop Parkers collection of Mss. Cambridge Antiquarian So-
ciety. 8° Publications XXXII [1899]: darunter 3 griech. Hss).
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3b
Wilh. Weinberger.
In Cambridge (Massachusetts) befindet sich eine der ver-
steigerten Cheltenhamer Hss (Nr. 6748 s. XV); vgl.
84. E. K. Rand, A Harvard Ms of Ovid, Palladius and Tacitus.
The American. Journ. of Phil. XXVI (1905) 291—829 (für Ovid
♦Transactions of the American Phil. Assoc. XXXV (1904) 128 nnd
DLZ 1906, 148).
Capodistria s. 72 und B. Zilio tto, Codici Capodistriani con
particolare riflesso a an codice della Batracomiomachia. Archeografo
Triestino 3. Ser. II (1905) 8 — 40 (auch 3 unbedeutende lat. Hss;
Inhaltsangabe Rivista delle bibl. XVI 202).
Cheltenham. Die Versteigerung der Hss wird fortgesetzt;
vgl. C.B. XX 480, N. Archiv XXVIII 758, Cambridge (Mass.) und
Oxford. Die wenigen einschlägigen Hss, die von der Pariser Bibl.
erworben wurden (Revue XIII 189 ff.), sind jung. Eine versteigerte
Suetonhs wird von Preud'homme (Mömoires couronne*s . . . par
l'acad. ... de Belgique. Collection in 8° LXIII [1903/4] 63 ff.)
mit einem verschollenen Palatinus identifiziert.
Cluny s. oben S. 34 (Macon),
85. H. Stein, Le ms. de Boece revendique' par la Bibl. Nat.
Bibliographe VII (1903) 332 f.,
86. A. C. Clark, The vetus Cluniacensis of Poggio. Anecdota
Oxoniensia. Class. Series X (1905).
Beim Boethius-Kodex, der mit Hss der Jesuiten von Lvon feil-
geboten wurde, schien die Übereinstimmung mit dem K. von 1801
dem Gericht nicht ausreichend, um auf Rückstellung dieses Staats-
eigentums zu erkennen. 86 gibt eine Rekonstruktion einer Hss
ciceronianischer Reden (hauptsächlich auf Grund des Laur. LIV 5
und des Par. 14 749).
Unzureichende Angaben über die Reste der Bibl. von
Corvey bei
87. G. Bartels, Die Geschichtschreibung des Klosters C.
Veröffentl. d. hist. Komm. d. Prov. Westfalen (Münster 1906) 108—113.
Cues.
88. J. M a r x , Verz. der Hss-Sammlung des Hospitals zu C. bei
Bernkastel a. d. Mosel. Trier 1905. XII, 332 S. (Index S. 308).
5 Hss sind griech., 10 gehören dem 9. bis 11. Jh. an. Mängel
der Beschreibung rügt Jacobs C.B. XXIII 415. Bei 52 ist Hell -
mann, Anecdota aus dem Codex Cusanus C 14 nunc 37. N. Archiv
XXX 15 ff. (vgl. jetzt auch Z. f. Kirchengesch. XXVI 96—104,
Quellen und Untersuch, z. lat. Phil, im Mittelalter I [München 1905])
zwar zitiert, aber nicht gehörig verwertet. Aus der Bemerkung
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Bericht über Paläographie und Handschriftenkunde (1903-1906). 39
von H., daß dieser Cusanus, die Hss, die von Cnes nach Brüssel
gekommen sind, nnd ein Teil einer Darmstädter Hs, die au6 S. Jakob
in Lüttich*) stammt, die gleichen pal. Eigentümlichkeiten zeigen, ist
die Erwähnung der vier Brüsseler Hss in die Vorrede von M. ge-
kommen. Davon, daß zwischen 1723 und 1725 der bessere Teil der
Sammlung an Harley verkauft wurde, ist in der Vorrede nichts zu
linden (ebensowenig in der Festschrift des Priesterseminars zum
Bischofsjubiläura Trier 1906: N. v. C. und seine Stiftungen zu C.
und Deventer S. 178); vgl. außer Jacobs Anzeige 70 S. 112 f. und
den Harleianus 6402.
Darmstadt. Die durch 69 erregte Erwartung, wenigstens
über einen Teil der D. Hss Aufschluß zu erhalten, wird durch
89. Ad. Schmidt, Baron Hüpsch und sein Kabinett. Ein
Beitrag zur Gesch. d. D. Hofbibl. u. d. Museums zu D. (D. 1906)
enttäuscht, da Sch. zwar allerhand wenig Erbauliches von H. erzählt
(der eigentlich Honvlez hieß; vgl. auch 94), auf die Hss aber „aus
naheliegenden Gründen" nicht eingeht.
Dresden. E. Dobschütz, Eine Sammelhs des 16. Jh. B.Z. XV
243-274 beschreibt eingehend A 187. — Der 1906 veröffentlichte
3. Band des K. (Bd. 98, 310) kommt wegen einiger Fragmente in
Betracht.
Da ein ausreichender K. der lat. Escorialenses (vgl. auch 74)
noch nicht vorliegt, ist von älteren Inventaren Aufschluß über ein-
zelne Hss zu erwarten. R. Beer veröffentlicht im Jahrb. d. kunsthist.
Sammlungen des allerh. Kaiserhauses XXIII (1902) I— CXL ein
Inventar aus dem Jahre 1576, das von den 4000 Hss, die Philipp II.
dem Eskorial geschenkt hat, 1800 umfaßt, mit Anmerkungen (Identifi-
zierungen) und guten Indizes. Aus der lehrreichen Einleitung sind
die Ergänzungen zu Bd. 98, 199 (S. XV; mehrere Hss der arago-
nischen Bibl. kamen an Karl V.) und die Bemerkungen (S. XVIII)
über griech. von Montano in den Niederlanden erworbene Hss (vgl.
Jahrb. XXV, I, LXXV1) besonders hervorzuheben. B. Fernändez,
Antigua lista de mss. latinos y griegos inäditos del Escorial (Sd.
aus 'La Ciudad de Dios' 1901/2) hat ein im Anfang des 17. Jh. von
P. Alaejos verfaßtes Verzeichnis der Inedita gefunden und zwar
a) 194 lat Stücke mit alphabetischem Index, b) 237 alphabetisch
angeordnete griech. Hss. Die geringe Zahl von identifizierten Stücken
*) Dort hielt sich Nikolaus von Cues 1451 auf; vgl. *J. Paquay, La
mission du Cardinal-legat N. d. C. au diocese de Liege. Annales pour
gervir ä Thist. eccles. de la Belgique XXX (1904) 285.
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40
Wilh. Weinberger.
bei Beer und bei Ferniindez zeigt, wie viel der Brand von 1671 ver-
nichtet hat, wenn auch zu berücksichtigen ist, daß bei manchen er-
haltenen Stücken die Angaben der Inventare zur Bestimmung nicht
ausreichen. In Fernandez' Übersicht über die verschiedenen Signa-
turen (S. 31) sind nicht ganz 60 lat. Hss als erhalten ausgewiesen,
von denen nur 10 in der Bibl. patr. Lat. Hispaniensis vorkommen;
die Inedita betreffen eben meist mittellat. Literatur.
Feldkirch, Collegium Stella Matutina. Kollation von Deck-
blättern s. XI/XII bei
90. W. Fox, Bruchstücke einer bisher unbekannten Hs von
Ciceros Laelius. N. ph. Rundsch. 1904, 289—293.
Florenz. Für die Provenienz von Laurentiani kommen in
Betracht: 80 S. 329 (Erwerbungen von Cristoforo Buondelmonti im
Orient), E. Lasinio, Deila bibl. di Settimo. Rivista delle bibl.
XV (1904), 169—177 (vgl. Rivista XVI 157 u. *E. LM Un antico
inventario della bibl. di S. Florenz 1904; auch einige Barberiniani
und Sessoriani stammen aus S.), F. Baldasseroni und P. d'An-
cona, La bibl. della Basilica Fiorentina di San Lorenzo nei secoli
XIV e XV. Rivista XVI 175—201 (gute Inhaltsangabe C.B. XXII
412); vgl. *F. Pintor, La libreria di Cosimo de' Medici nel 1418.
Florenz 1902 (Nozze Della Torre-Guidotti) , Per la storia della
libreria Medicea nel Rinascimento. 1904 (Nozze Saluris-Parducci). —
Band 12 u. 13 von Mazzatintis Inventari (Bd. 106, 103) enthalten
einige junge klassische oder patristische Hss der Bibl. Naz.
Fulda. Über die pal. Bedeutung der von
91. C. Scherer, Die Codices Bonifatiani der Landesbibl. zu
F. Festgabe zum Bonifatius- Jubiläum F. 1905 beschriebenen Hss wurde
oben S. 25 gesprochen ; für den Inhalt (namentlich des dem Sessorianus
des Eucherius nahe verwandten Ragyndrudis-Codex) vgl. die An-
zeigen DLZ 1905, 2685 und Theol. LZ 1906, 307.
92. A. Boinet, Notice sur deux mss. Carolingiens ä minia-
tures ex<Scut<5s ä l'abbaye de F. Bibl. d. chartes LXV (1904) 355 bis
363 bezieht sich auf Amiens 223 und Paris 2423 (Hrabanus Maurus),
vgl. Bamberg und für die aus F. stammenden Parisini
93. F. Falk, Varia. C.B. XX (1903) 335—338.
Mehr als 50 Gotha er Hss, von denen es feststeht oder doch
wahrscheinlich ist, daß sie durch Maugtfrard nach G. kamen, werden
beschrieben bei
94. L. Traube und R. Ehwald, Jean-Baptiste Mauggrard.
Ein Beitrag zur Bibliotheksgesch. (Traube, Pal. Forsch. III). Abh.
d. bayer. Akad. III. Kl. XXIII'2 303-387.
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Bericht über Paläographie und Handschriftenkunde (1903—1906). 41
Die Hs8. stammen zumeist aus Echternach, Erfurt, Hildesheim.
Metz und Murbach; vgl. Bd. 127, 117 und meine Anzeige Z. f. d.
öst. Gymn. 1906, 215. Für die Beziehungen M.s zu Hüpsch (s.
Nr. 89) stellt T. 36 S. 55 einen Nachtrag in Aussicht,
95. K. W e i s k e , Mitteilungen über die Hss-Sammlung der Haupt-
bibl. in den Franckeschen Stiftungen zu H a 1 1 e a. S. (Aus d. Haupt-
bibl. d. Fr. St. zur Begrüßung der 47. Philologenvers., dargebracht
von d. Kollegium d. Hauptschule 1903, S. 7—24) ergänzt die auf
15 ältere (für uns unbedeutende) Hss bezüglichen Mitteilungen von
Bd. 106, 175 nach dem von G. A. Weiske 1877 fertiggestellten K.
96. (R. Münzel) Philologica Hamburgensia für die Mit-
glieder der 48. Philologenvers, ausgestellt von der Stadtbibl. zu H.
(1905, 58 S.).
Die Hss stammen von Holstein (S. 2 Berichtigungen zu Bd. 98,
305 und 324, S. 49 Briefwechsel des h. Senats mit dem Kardinal
Barberini, S. 54 C. librorum a Luca Holstenio Bibl. Hamburgensi
legatorum; von den 31 fehlen nur 2), Lindenbrog (S. 34 Leistungen
von Friedrich und Heinrich L., Johann von Wouver, Geverhart Elmen-
horst, vielfach Abschriften und Auszüge aus Scaligerschen Papieren)
und Uffenbach (S. 28 Uffenbach-Wolfsche Briefsammlung mit
Register). Hervorzuheben sind Ansegisus, Collectio capitularium und
Lex Salica s. IXX aus Corvey, jüngere patristische Hss aus
5. Pantaleon in Köln, ein Puteanus s. X (Horazfragmente), ein Sar-
ravianus s. X XI (Vergil, Ovid), ein unbenutzter Iulius Valerius s.
XI, endlich ein illustrierter Äsop. s. XIV mit Farbenanweisungen.
Heidelberg. In einem Einband aus Petershausen wurden dem
6. Jh. angehörige, aus der Reichenau stammende Fragmente gefunden; s.
97. R. Sillib, Ein Bruchstück der augustinischen Bibel. Z.
f. d. n. t. Wiss. VII (1906) 82—86.
Mitteilungen Uber die Holkhamer Bibl. sind von D o r e z zu
erwarten (Comptes rendus de l'Acad. d. Inscr. 1906, 385 f.).
98. H. Delehaye, C. cod. hagiogr. graec. bibl. comitis
de Leicester Holkhamiae in Anglia. Anal. Boll. XXV (1906) 451
bis 477.
Von der Tacitus-Hs von Jesi (Bd. 106, 125) werden nur mehr
8 Blätter (Agricola) ins 10. Jh. gesetzt, diese aber von
99. F. R a m o r i n o , De codice Taciti Aesino nuper reperto. Atti
del Congresso Storico II 227—232 und 70 S. 141, 19 für das
Original Enochs gehalten. Die vier beigegebenen Photographien
(I.Dictys Cretensis, angeblich 9. Jh., III. Agricola 10. Jh. [keine
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Wilh. Weinberger.
Variante], II. und IV. 15. Jh.) lassen auch an eine humanistische
Nachahmung der alten Hs denken; s. oben S. 21 u. den Nachtrag.
Karlsburg (früher Weißenburg). Eine Hs des Batthyaneums,
die ins 11. Jh. gesetzt wird, behandelt
100. J. Czeräp, Codicem Sallustii Albae-Iuliensem praecipuis
integrorum respondere. Egyetemes Philologiai Közlöny XXVI (1902}
449—454.
Karlsruhe. Vom 5. Teile des K. (Bd. 127, 126): Die
Reichenauer Hss beschrieben und erläutert von A. Holder, ist
der 1. Band: Die Pergamenthss (ohne Index) erschienen (Leipzig
1906); vgl. meine Anzeige Berl. phil. Woch. 1907, 894, wo auch auf
28, 41 und 97 verwiesen wird, und den Nachtrag.
Griech. Hss (des 18. Jh.) in Kastellorizo (Achilles S. Dia-
mantaras) werden erwähnt BZ XIV 614, XV 139.
Für Leiden vgl. Molhuysen, Tijdschrift vor boek-and biblio-
teeksw. II (1904) 33, 90, 153, 193, 227 (die auf die Geschichte
der Bibl. , zum Teil auch auf Hss bezüglichen Bemerkungen sind
auch besonders erschienen) und HI 71 — 74 (De Cyrillus Hss van
Bonaventura Vulcanius).
101. (Bd. 106, 178) K. d. Hss d. Universitätsbibl. zu Leipzig.
VI. Die lat. und deutschen Hss. IU. Die juristischen Hss (von
R. Helssig). L. 1906.
Der Haenelianus 1 ist ein Pithoeanus, der durch die Schloft-
bibl. von Rosny gegangen ist, 6 wahrscheinlich ein Sessorianus.
102 u. 103. A. Solari, Codici lat. della bibl. comunale di
Livorno anteriori al secolo XVII. Studi XII (1904) 1 — 9 (19 un-
bedeutende Hss). — II de viris illustribus attribuito ad Aurelio
Vittore collazionato col codice Livornese. Studi XI 84 — 92.
London. Der K. der Miniaturhss des Brit. Mus. (Bd. 127,
134) ist 1904 mit der 4. Lief, zum Abschluß gebracht worden;
Dorez veröffentlicht Revue XIV 145—184 eine Inhaltsangabe und
eine Übersetzung von Warners Einleitung. Ein K. der h agio-
graphischen Hss ist angekündigt Anal. Boll. XXV 495 ff.; für
Neuerwerbungen s. 79 und den Nachtrag — Wie lohnend eine
Untersuchung der Provenienz derllarleiani wäre, können die oben
bei Cues gemachten Bemerkungen, ferner die im JThSt III 102 =
Texte u. Untersuch. N. F. XIV 2, 6 (Erwerbungen von John Cowel,
Kaplan der englischen Botschaft in Konstantinopel) zeigen, ebenso
104. II. Omont, La bibl. de Pedro Gates chez les Jesuites
d?Agen. Journal d. Savants N. S. III (1905) 384 ff.
Eine Hs von G. (1537—1595) kam nachweisbar an das Jesuiten-
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Bericht über Paläographie und Handschriftenkunde (1903—1906). 43
kollegium in A. Es ist also wahrscheinlich, daß die 24 Harleiani
und 1 Bodleianus, die sich auf A. zurückführen lassen, von G.
stammen (von dem noch andere griech. Hss bekannt sind). — Von
W. C. Braithwaite wurde 1900 eine Evangelienhs s. IX erworben,
die sich früher in Kosinitza befand (Codex Macedonianus ; vgl. JThSt
III 308, V 265). — In 73 werden einige kleinere Bibl. besprochen
und S. 10—30 ein Auszag aus Todd, Archiepiscopal Mss in the
Library of Lambeth Palace (1812) gegeben mit Berücksichtigung
von M. R. James, The Mss in the L. at L. P. Cambridge Anti-
quarian Society. 8° Publications XXXÜI (1900). Griech. Hss finden
sich in L. P., Si on College und College of Arms; in letzterem
auch ein Palimpsest mit Virgilfragmenten s. X in angelsächsischer
Schrift.
Lund. Auf die Hs HLa Fol. 18 s. XII bezieht sich
105. L. Wählin, Collatio codicis Vegetii de re militari librorum
lundensis. Commentationes philologae in honorem Iohannis Paulsen
(Gotoburgi 1905) 106—123.
Madrid. Die von
106. M. Schiff, La bibl. du marquis de Santillane. Bibl. de
l'&ole des hautes Stüdes. Sciences hist. et philol. 153 (1905) be-
handelte Sammlung, der Grundstock der Bibl. Osuna, enthält wohl
Übersetzungen von, Klassikern und Kirchenvätern ; die wenigen lat.
Hss sind jung.
Mailand.
107. Aem. Martini und D. Bassi, C. codicum graec. bibl.
Ambrosianae. M. 1906. 2 Bde. XXXVI u. 1297 S.
Es werden 1093 Hss beschrieben, die mit wenigen Ausnahmen
vor 1609 von Federigo Borromeo erworben wurden, für den Gratia
Maria Gratius in Unteritalien, Antonius Salmatius im Orient sammelten.
Die Vorrede macht auf Vorbesitzer (Pinelli, Merula, Valla u. a.) und
auf Hss aufmerksam, die durch Alter (89 Palimpseste) oder Inhalt
merkwürdig sind. Zu den Indizes (S. 1162—1297) sei bemerkt, daß
die Konkordanz der Signaturen in eine Pars superior und eine Pars
inferior zerfällt. Daß bei T. 122 sup. f. 139 (Philostrati minoris)
Imagines angegeben werden, obwohl es sich um den älteren Philostrat
handelt und Efxove« «DiXoaTpotTou in der Hs steht (von Ceriani freund-
lich bestätigt), ist hoffentlich ein vereinzelter Fall.
108. R. Sabbadini, Spogli Ambrosiani lat. Studi XI (1904)
165 — 388 (mit gutem Index) spricht über einzelne weniger bekannte
Hss so vieler Autoren, daß nur auf die eingehende Besprechung von
Wessner, Woch. f. kl. Phil. 1905, 123 S. verwiesen werden kann.
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Wilh. Weinberger.
Dort wird mit Recht betont, daß zwar der Gewinn für die Textkritik
ein geringer ist, wohl aber vielfach die Textgeschichte aufgehellt
wird. Die Lücken im Mediceus des Tacitus werden durch den Parmensis
861 zeitlich fixiert; für Enoch von Ascoli vgl. oben 99. — Hier ist
zu erwähnen, daß S. 377 die einzige Klassikerhs des Archivs
von S. Ambrogio beschrieben und S. 377 ff. 65 jetzt in der
Ambrosiana befindliche Hss von Francesco Pizzolpasso (1435 bis
1443 Erzbischof von M.) verzeichnet werden; eine 66. bei 70 S. 218
(Nachtrag zu S. 121).
Die John Rylands Library in Manchester besitzt die früher
in Haigh Hall befindlichen Hss der Bibl. Lindesiana; wir finden
in 73 S. 53—60 wichtige patristische Stücke verzeichnet. Ab-
gesehen von Libri- und italienischen Hss sind an Heimstätten zu
nennen Himerode, Murbach (Cyprian), Stavelot, Tournai, Weissenau.
Einige Bibelhss in The J.R.L.M. C. of the Mss and Printed Books
exhibited on the occasion of the Visit of the National Council of the
Evangelish Free Churches (1905).
Im Staatsarchiv zu Mengeringhausen in Waldeck haben
sich in einem Einband dem 10. oder 11. Jh. angehörige Reste einer
Abschrift des Codex Claromontanus gefunden:
109. Codex Waldeccensis. Unbekannte Fragmente einer griech.-
lat. Bibelhs, hgg. von V. Schnitze. München 1903. 23 S. mit Faks.
Messina. Hss des 11. — 13. Jh. werden beschrieben von
110. H. Delebaye, C. codicum hagiogr. monasterii S. Sal-
vatoris nunc bibl. universitatis M. Anal. Boll. XXIII (1904) 19—73.
Unter den Vorarbeiten wird weder B.127, *188 noch E. Mal geri»
Spoglio di codici greci del monastero del S. Salvatore. Atti d'Accad.
Peloritana XIV (1900) 334 — 350 (eine nicht ausreichende Beschreibung
von 10 meist anderweitig bekannten Hss) erwähnt; vgl. noch Le
bibl. governative Italiane nel 1898 (Rom 1900) S. 318.
111. N. Pirrone, Un codice delle Epistolae ad familiäres di
Cicerone nel museo com. di M. Studi XI (1903) 447 — 454 nimmt
Bezug auf die Beschreibung dieser (s. XIV/XV) und 4 anderer lat.
Hss. im 2. Bande des *Archivio Stor. Mess.
Meteora-Klöster. A. Berendts bespricht Texte und Unter-
such. N. F. XI 8 (1904) 67 — 84 einige in einem aus Uspenskis
Nachlaß herausgegebenen russischen Werke erwähnte theologische
und byzantinische Hss, die sich im Athener K. vom Jahre 1892 nicht
finden. Es scheinen eben 1882 nicht (wie Bo'avriva Xpovua VII
300, 613 behauptet wird) alle Hss der Meteorischen und Ossa-
Olympischen Klöster nach Athen gebracht worden zu sein. Die
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Bericht über Paläographie und Handschriftenkunde (1903—1906). 45
Par. suppl. gr. 1257 — 1281 kamen 1897/8 aus thessalischen Klöstern
nach Paris; über die gleichfalls aus den Meteora-Klöstern stammende
jetzt im Brit. Mus. autbewahrte Curzonhs 99 s. XV s. N.H. II 368. Übrigens
sollen schon 1696 von Athanasius die besten Stücke nach Rom und
Venedig gebracht worden sein; vgl. unten 117, wo auch von Hss,
die nach Cheltenham gelangten, die Rede ist.
Metz (vgl. 11 T. 35-37).
112. Abbe* Paulus, Supplement au c. des mss. de la bibl. de
la ville de M. (Collection Salis). Le Bibliographe Moderne VII (1903)
401 — 416, verzeichnet die 118 Hss ohne Index nach den Angaben
von Salis, die nicht tiberall ausreichen. Über Kraus (Bonner Jahrb.
69, 72) geht er nur durch Angabe der Vorbesitzer, bezw. der Buch-
händler, bei denen die Hss gekauft wurden, und der Preise hinaus.
An Heimstätten seien genannt Anchin, Flavigny, Hörival, Liessies,
S. Pierremont, Sens. — Ein K. der übrigen Metzer Neuerwerbungen
wird in Aussicht gestellt.
Micy. Von den Bd. 127 zu S. 216 nachgetragenen Aufsätzen
ist der von Poncelet für uns ohne Bedeutung; der von Auvray
soll nach Bibliographe VIU 185 einige interessante Beobachtungen
zu Traubes Liste hinzufügen.
Monreale. Die wenigen noch vorhandenen Hss von S. Maria
Nuova in M., die G. Millunzi im Arch. Stör. Sicil. N.S. XXVIII
(1903/4) 41 ff. erwähnt, sind unbedeutend.
Moskau. Nach J. P. Postgate, Class. Rev. XVII (1903) 47
sind der Columella- und der Properz-Kodex der Bibl. Demidow (die
der M. Universitätsbibl. einverleibt worden war) 1812 verbrannt.
In München finden sich einige der von *Lambros 'Kx tt4c
ßißX. xou "Oöcovo? xal TT,? ÄfiaXux?. To "Aato 26. u. 27. Okt. 1908
erwähnten Hss: B.Z. XIII 598. — H. Simonsfeld, Einige kunst-
und literargesch. Funde. Münch. S.-Ber. 1902, 521—568 weist den
Monac. gr. 157 als Corvinianus nach.
New York s. 79. Nik Olsburg s. 72 (1 Hs des Patriarchen
Metrophanes, 1 von Theodosios Zygomalas geschrieben) u. 121 VI
(1 Hs); zu I 136 vgl. den beim Athos angeführten K. von Benesevic
98 f. (russ.).
Das griech. Gymnasium in Odessa besitzt (B.Z. XIV 318) drei
junge Miszellenhss , deren Inhalt *Sp. Papageorgios, K. peta
repiYpa'ftxoiv ar^eufoetov xu>v xtoStxtov tt,? &XXrjvixijc ayokrfi 'OoYjaaoo.
'E-et^pi? toC riapvaaaoG VIII (1904) 93—146 analysiert.
Oxford (vgl. 39 u. 104). Von Madans K. (Bd. 98, 464)
erschien 1905 der 5. Band, 1906 die 1. Hälfte des 6., die erst nach
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Wilh. Weinherger.
dem Abschloß des Werkes durch die Indizes recht verwertbar sein
werden. Der 5. Band verzeichnet die in der 2. Hälfte des 19. Jh.
einverleibten Sammlungen und (von S. 741 an) einzeln in der Zeit
von 1659 — 1890 erworbenen Hss (Nr. 24 831 — 81 000), darunter eine
Anzahl bisher nicht bekanntgemachter griech. Hss. Von den lat. Hss.
sind wenigstens die älteren in der Bibl. Britannica (oben Kr. 73)
verzeichnet; vielfach bietet aber Madan neue Provenienzangaben. Die
Hamilton- und die Libri-Hss sind jung (letztere mit Ausnahme eines
Cyprian des 10. und eines Homiliars aus Stavelot des 11. Jh.). 28 420
(Add. C 251) enthält K. von Hss und Büchern italienischer Privat -
bibl., 28 728 (Canon, ital. 802) Notizen über die Sammlung Canonici.
Im 6. Band sind die Accessions 1890—1904 (Nr. 31001—88 548)
innerhalb der einzelnen Jahre nach den Signaturen geordnet, so daß
Greek und Latin Mss leicht zu finden sind. Von den lat. verdienen
Erwerbungen aus Cheltenham hervorgehoben zu werden, von den griech.
alte Pergamentfragmente aus Ägypten — die Papyri sind mit knappen
Angaben besonders gestellt — und Photographien von Hss anderer
Bibl. (darunter 31528 Dioskorides-Fragmente [III 173 u. 175] aus
Edschmiadzin}. — Ein Pergament fragment des 4. Jh. (griech. Evang.)
befindet sich im Queens College (Woch. f. kl. Phil. 1906, 671),
ein zu den Turiner und Mailänder Cyprianfragmenten (s. V) gehöriges
Blatt im Besitze von Hartwell Grissel: JThSt III (1902) 576.
Die Pariser Neuerwerbungen sind, wie schon bei Cheltenham
angedeutet wurde, von geringer Bedeutung; aus
113. H. Omont, Nouvelles acquisitions du däpartement des mss.
pendant les annäes 1903/4. Bibl. d. chartes LXYI 5 — 69 seien die
Initia scriptorum lat. collecta a ß. Haureau (n. a. lat. 2392 — 2402)
genannt. Revue Belg. IV (1906) 482 werden Neophyti monachi cate-
cheses graece s. XII erwähnt. Von
114. R. Poup ardin, C. des mss. des collections Duchesne et
Brequigny. Paris 1905. XXVI, 338 S. interessieren uns mehr als die
meist historischen Hss, die von D. an Colbert und an die Königin
Christine gelangten, Kollationen von Br. und Arbeiten desselben über
verschiedene (auch griech.) Autoren, die im Index zu finden sind.
Wichtig ist dagegen
115. H. Omont, Concordances des numöros anciens et des
numeros actuels des mss. latins de la Bibl. Nat. pr<$c4dees d'une
notice sur les anciens c. Paris 1903.
S. 191 — 194 werden die verschollenen Sangermanenses zusammen-
gestellt (für das Blatt des aus S. Germain stammenden Augustin-
Papyrus, das sich in Petersburg gefunden hat, vgl. oben 51). Wie
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Bericht über Paläographie und Handschriftenkunde (1903— 1906). 47
bei der Besprechung der alten Signaturen und E. die Provenienz
eine Rolle spielt, so beschäftigt sich mit ihr auch
116 u. 117. H. 0., Ms. des Oeuvres de S. Denys l'Aröopagite
envoyä de Constantinople ä Louis le De'bonnaire en 827. Iiev. d.
Stüdes grecques 1904, 230—236 (m. Faks.) — (Bd. 127. 191),
Missions archöol. francaises en Orient aux XVII0 et XVllI6 siecles.
Collection de documents inödits sur l'histoire de France. 1. Ser. LXX.
Paris 1902.
In 117 erhalten wir nicht nur Aufschluß über Hss, die durch
P. Athanasius, Sevin, Fourmont, Galland und andere Gelehrte und
Diplomaten aus dem Orient (Athos, Konstantinopel, Kypern usw.)
nach Paris gebracht wurden , sondern werden auch (853 ff.) auf Hss
aufmerksam gemacht, die namentlich aus den Athos- und Meteoren-
klösteru in deutsche, englische, italienische und russische Bibl. ge-
langten. Für die Provenienz von Pariser Hss aus dem Orient vgl.
132 S. 13 ff. und die Angaben von
118. A. Gastouö, Curieuses annotations de quelques mss.
byzantins. Revue de l'Orient chrttien 2. Ser. I (1906) 317—327
(eine Pal. musicale byzantine mit C. des mss. de musique byz. des
bibl. publiques de France wird angekündigt), für Pariser Hss deutscher
Herkunft Nr. 93.
Petersburg s. 51. Prag.
119. I. Truhläf, C. codicum mss. lat. qui in c. r. bibl. publica
atque universitatis Pr. asservantur. 2 Bde. Prag 1905 u. 1906.
Die einzige griech. Hs. (1653) wird gegen 72 ins 14., bezw.
15. Jh. hinaufgerückt. Von den lat. ist die älteste ein Evangelien-
fragment s. VII/VIII. 7 gehören dem 9.— 11. Jh. an (Bibel [2426
Wy Sehrader Evangeliar], Boethius, Chrysostomus, Gregor, Prudentius),
85 dem 12. und 13. (2349: operculo adglutinatum est fragmentum
cuiusdam lexici [in Aeneidem ?] characteribus langobardicis aut
visigothicis saec. XU exarati); die Klassikerhss (bis herauf zum
14. Jh.) wurden schon 1872 von J. Kelle (Abh. d. böhm. Ges.
d. "Wiss. 6. Folge V) beschrieben. Der Provenienz-Index berück-
sichtigt nur die unmittelbare Herkunft der Hss; andere Vorbesitzer
sind im Index personarum locorum rerum zu suchen. Im Anschluß an
diesen K. gibt R. Wölk an in den Mitteil. d. öst. Vereins f. Bibl. IX
172 ff. eine Liste von mehr als 90 Hss böhmischer Provenienz, die in
zahlreichen Bibl. Österreichs, Deutschlands und Italiens zu finden sind.
120. A. Podlaha, Die Bibl. d. Metropolitankapitels (Topo-
graphie d. hist. und Kunstdenkmale im Königreiche Böhmen. Prag
II/ 2) Prag 1904.
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Wilh. Weinberger.
Ein Marcus-Evangelium gehört dem 6., einige Evangeliare dem
9. Jh. an, die übrigen (Miniaturen-) Hss sind jung.
Raudnitz, Lobkowitzsche Bibl. vgl. 72, wo auch für lat. Hss
ein Auszug aus dem hsl. K. gegeben wird, und dazu die Identifizierungen
von Förster (Berl. phil. Woch. 1905, 750 f., Libanius, Aristides)
und Diels, Berl. S.-Ber. 1906, 749, der den Plato-Kodex ins
15. Jh. setzt.
Reims: CD. 38, 39 (1 u. 2); Einleitung und Index stehen aus.
Rom. Zur Geschichte der vatikanischen Bibl. (die durch
den Brand vom 1. November 1903 in keiner Weise betroffen wurde)
sind Notizen über die Bibliothekare (unter Alexander VI.: Baum-
garten, Rom. Quartalschr. XX [1906] 97—100), Vizebibliothekare
und Kustoden (Novae patrum bibl. a Maio collectae tomus X [1905]
1, 385—417 mit den Bemerkungen von Mercati, Theol. Revue
1906, 267) zu verzeichnen. Die Vaticana berücksichtigt auch
121 (Bd. 127, 83). C. codicum astrolog. graec. V 1. Codicum
Rom. partem priorem descripserunt F. Cumont et F. Boll. Brüssel
1904. (V 2 [von W. Kroll; 1906] behandelt nur den cod. Vatic.
gr. 191).
Angelica, Casanatensis und Vallicelliani sind mit je
1 Hs vertreten; die übrigen Vat. und Barberiniani sollen im 3. Teil
beschrieben werden. — Abbildungen aus dem Vat. gr.699 finden wir
in Nr. 14, aus 755 und 1153 bei
122. A. Munoz, I codici greci miniati delle minori bibl. di R.
Bibl. della Rivista d'Arte I (Florenz 1906), der Ausdehnung seiner
Studien auf andere italienische Bibl. (farbige Wiedergabe des Rossa-
nensis) ankündigt und einen beachtenswerten Indice dei mss. citati
beigibt. Für die Chisiana (Dioskurides, Prophetenhss) vgl. den
auch lat. Hss behandelnden Aufsatz
123. A. M., I codici miniati della bibl. Chigi in R. Revue XV
(1905) 859-376.
124. A. Poncelet, C. codicum hagiogr. lat. bibl. Romanarum
praeterquam Vaticanae. (Beilage zum 24. und 25. Bande der Anal.
Boll., bisher 200 S.) berücksichtigt die Kapitulararchi ve S. Petri,
S. Iohannis in Laterauo (das bisher nicht gehörig ausgenutzt
scheint) und S. Mariae Maioris, die Bibl. Vittorio Eraanuele
(Sessoriani [vgl. Lasinios bei Florenz angeführte Arbeit und Nr. 101),
Farfenses, S. Andreae de Valle, S. Onuphrii) u. Alexandrina. —
Für die Vittorio Eraanuele gibt Lundström (105 S. 140—146)
in schwedischer Sprache einige Ergänzungen zu Nr. 1, 8, 14,
15, 17, 18 von Tarailias K. (Bd. 127, 178). Böhmer macht
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Bericht über Paläographie und Handschriftenkunde (1903—1906). 49
ThLZ 1903, 646 auf eine Tertullianhs (Apolog.) des 12. Jh. in
dem an wertvollen Hss ungemein reichen A r c h i v desMinoriten-
konvents San Isidoro de1 Irlandesi (Via de' Artisti) auf-
merksam. Pastors Bemerkungen Uber verstreute und noch bestehende
fürstliche und andere Privatbibl. in R. (Atti del congresso internazio-
nale di scienze storiche III 123—130; im Histor. Jahrb. 1906, 9 \9
wird ein erweiterter Abdruck gewünscht) sind, da auf philologisch
wichtige Hss nicht eingegangen wird, für uns von geringerer Bedeutung.
Rouen.
125. A. Poncelet, C. codicum hagiogr. lat. bibl. publ.
Rotomagensis. Anal. Boll. XXIII (1904) 129—275.
Schaff hausen. Eine Vita Columbani s. VIII irischen Ur-
sprungs wird Bibliographe VIII 46 f. herausgehoben aus
*126. Verz. d. Inkunabeln u. Hss d. Sch. Stadtbibl. Sch. 1903.
S i e n a. Zu
127—129. N. Terzaghi, De cod. lat. philologicis , qui Senis
in bibl. publica adservantur. Bull. Senese di Storia patria X (1903)
392—410. — Nota al cod. Sen. lat. 7. Ebds. XII 303—307. —
Index cod. lat. classicorum, qui S. in Bibl. publ. adserv. Studi XI
(1904) 401—431
sind die nicht zahlreichen, aber wichtigen Bemerkungen von
Wey man, Woch. f. kl. Phil. 1905, 242 f. heranzuziehen; von Be-
deutung scheint nur der Kodex zu sein, der die hsl. ziemlich
seltene Deklamation des Porcius Latro gegen Catilina enthält
(vgl. 70 S. 127, 6). Die Einleitung in 127 behandelt auch die
Vorbesitzer; 11 (von den 75) Hss (des 14. oder 15. Jh.) stammen
aus dem Kloster Montis Oliveti Maioris (vgl. auch Bull. Sen. IX
279, X 24, 206, 411), 5 von diesen sind Geschenke von Lodovico
da Terni (den Zippel, Giorn. stor. d. letter. ital. XLVIII 213, 1
mit Lodovico Pontano identifiziert).
Mit einem K. der Sinaihss (vgl. Bd. 106 S. 210) ist Th.
Bolides betraut: N. H. I 513.
Subiaco. Die Bibl. ist von Federici behandelt in
*130. 1 monasteri di S. a cura e spese del Ministero della pubbl.
Istruzione. 1904.
Das Therapnäkloster in Lakedaimon hat während der griech.
Befreiungskriege zahlreiche Hss erhalten (namentlich von der Metro-
polis Mistra), doch wurden viele durch die Türken vernichtet, andere
gingen durch Entwendung oder nachlässige Aufbewahrung verloren
(vor 20 Jahren wurde ein Neues Testament des 10. Jh. nach Ruß-
land verkauft). Von den 76 Hss, die
Jahresbericht für Altertumswissenschaft. Bd. CXXXV. 4
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50
Wilh. Weinberger.
*181. N. A. B£tj?, K. täv yeipQrfpdtptov xoSt'xtov t5)c 4v 0.
täv a-^cuv Teaaepaxovra. 'ETreTTjpl? toG flapvaaaou VIII (1904)
98 ff. beschreibt, gehören nach C. R. Gregorys Anzeige (L.C.B.
1906, 582) 2 dem 12., 4. dem 14. und 1. dem 15. Jh. an (liturgisch
oder theologisch).
Thessalonike. Den Bestand nach dem Brande von 1890
verzeichnet (mit guten Indizes)
132. D. Serruys, C. des mss. grecs conservös au gymnase
de Salonique. Revue XIII (1903) 12—92.
Die älteren Hss (s. X— XIII ; Basilius, Chrysostomus, Gregorius,
hagiograph.) stammen aus der erzbischöflichen Bibl. Die liturgischen
Hss werden summarisch beschrieben. S. 18 ff. kommen für ver-
schiedene Hss-Verz. des Mynas in Betracht.
Toledo. Alphabetisch geordnet ist
183. J. M. Octavio de Toledo, C. de la libreria del cabildo
Toledano. Bibl. de la Revista de Archivos, Bibl. y Museos III. Madrid
1903 ff.
Die Hss stammen zumeist von Kardinal Zelada und sind jung:
in dem (1869 abgefaßten) K. treten die Altersangaben zu wenig hervor.
Tours. CD. 37, 2 (1905) enthält außerdem Index S. 1055 ff.
Listen der Hss von S. Gatien, S. Martin und Marmoutier, eine Über-
sicht der Hss von Tours nach ihrer Herkunft und ein Verz. der Pariser
aus T. stammenden Hss (vgl. Bd. 98, 551).
Trapani. 10 Hss des 13.— 15. Jh. (darunter klassische und
humanistische) beschreibt
134. N. Pirrone, Codices lat. qui in publ. bibl. Drepanensi
adservantur. Studi XIII (1905) 59—66.
Trient. Eine der städt. Bibl. 1897 vererbte Hss soll die beim
Trienter Konzil benutzte Bibelhs sein:
135. M. Hetzenauer, Codex Bassetti Tridentinus. Bibl. Z. II
(1904) 225—233.
Über die Bibl. von Trapezunt und Umgebung macht F. Cumont
in seiner Anzeige von Gardthausen (Bd. 127, 72; Revue de Tin-
struct. publ. cn Belgique 1903, 16—20) einige Bemerkungen;
Vaseion, Pcristcra, Sumela (Ergänzungen zu Bd. 127, 180, wo eine
wesentlich kanonistische Hs des 13. Jh. fehlt).
Tübingen. 41 (meist Papier-) Hss beschreibt ausführlich
136 (Bd. 127, *181). W. Schmid, Verz. d. griech. Hss der Uni-
versitätsbil.l. T. Beilage zum Doktorenverz. d. philos. Fakultät. 1902.
die Crusiani allerdirys ohne Angabe des Originals (vgl. Nestle*
und Schmids Berichtigungen C.B. XX 277, 462); daß eine Hs des
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Bericht über Paläographie und Handschriftenkunde (1903—1906). 51
Quintus Smyrnaeus dem 14. Jh. angehöre, ist nicht wahrscheinlich.
Das Register berücksichtigt auch Vorbesitzer und Schreiber.
Turin. Durch den Brand vom 26. Jänner 1904 wurde etwa
die Hälfte der griech. und lat. Hss vernichtet, auch das vollständige
hsl. Verz., so daß für die 1300 bei Pasini nicht katalogisierten Hss
( darunter etwa 400 Pergamentkodizes) keine ausreichende Orientierung
vorhanden ist. Die erhaltenen Stücke haben durch Feuer und Wasser
stark gelitten. Der Grad der Beschädigung ist angegeben in
137. (C. Cipolla, C. Frati, G. de Sanctis) Inventario de
codici superstiti greci e lat. antichi della Bibl. Naz. di T. Rivista
di filol. XXXII (1904) 885—588 (ohne Index).
Ein Nachtrag (S. 582—586) zu den griech. Hss (S. 387—429)
berücksichtigt auch Fragmente, die durch die oben (Nr. 6) erwähnte
Tätigkeit von Chemikern erhalten und in Stand gesetzt worden sind.
Bisher konnten 284 (von 406) griech. Hss verzeichnet werden ; Theo-
doret ist fast unversehrt (s. XI nicht IX) , vom Kondakion ist etwa
ein Drittel in schlechtem Zustande erhalten. Auch sonst ergeben
sich einige Berichtigungen zu Krumbachers Darstellung (Allgem.
Zeit. 26. Feb. 1904 = Rev. d. etudes grecques XVII 12—17).
Von S. 430 an werden die erhaltenen lat. Hss verzeichnet: 59
Bobienses , die Hss des 11. — 14. Jh., die sicher aus der Abtei
Staffarda stammen (Nr. 60 — 84) und die jungen Hss des Kardinals
della Rovere (Nr. 85 — 155). Das Verzeichnis dieser 155 Hss ist
abgedruckt bei
138. G. Gorrini, L'incendio della B. N. di T. J. 1904 (ital.
und franz.) S. 278 f.; S. 38 A. 1 Verz. der verbrannten Bobienses
(vgl. 140, 142).
In 137 folgen die übrigen erhaltenen (mit Ausnahme einiger
weniger Patristica jungen) Pergament- und älteren Papierhss. (Nr. 156
bis 1067); einen Sallustkodex s. XV (Catilina), der geschenkt wurde,
erwähnt 188 S. 234. — Angesichts der großen Verluste gewinnt
die Bibliographie von
139. (Bd. 106, 162) A. Avetta, Secondo contributo di notizie
bibliograf. per una bibliogr. dei codici della B. N. di T. C.B. XX
(1903) 209—221 an Bedeutung und ihre Fortsetzung wäre wünschens-
wert; vgl. besonders
140. E. Chatelain, Notes sur quelques palimpsestes de T.
Eev. phil. XXVII (1903) 27—48,
141. W. Meyer, Das T. Bruchstück der ältesten irischen
Liturgie. Gott. Nachr. 1903, 163—214.
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52
Wilh. Weinberger.
Einige Bobienses sind dnrch Reproduktionen erhalten, die für die
142. Collezione pal. Bobbiese. I. Codici B. della Bibl. N. di
T. con illustrazione di C. Cipolla. 198 S. 90 T. Mailand 1907
angefertigt wurden. Auch sind Reproduktionen von Hss von Turin,
Jvrea und Vercelli in Aussicht genommen; vgl. Atti d. Accad. di T.
39, 404) (abgedruckt 138 S. 258), Für Miniaturhss s. 57 ; Proben
erhaltener Hss in 6 und 138.
Venedig.
143. H. Delehaye, C. cod. hagiograph. graec. bibl. D.
Marci. Anal. Boll. XXIV (1905) 169—256
bietet viele Provenienzangaben. Einige Angaben über Vorbesitzer
(s. oben Nr. 8 : vielleicht aus S. Nicola di Casole) auch bei
144. Laura Pittoni, La libreria di S. Marco. Pistoja 19<>3,
namentlich aber in der Festschrift:
145. La bibl. Marciana nella sua nova sede. Venedig ly06,
deren Bibliographie (S. 89 ff.) auch hsl. K. bezw. Vorarbeiten z. B.
zur Fortsetzung von Morellis K. (1802) berücksichtigt. Man ersieht,
daß von 532 griech. Hss der Appendice bei Castellani (Bd. 98, 269)
nur 78 beschrieben sind und auch von den lat. bei Valentinelli etwa
500 fehlen. Auch K. der einverleibten Bibl. werden erwähnt, z. B.
ein hsl. von S. Joannes in Viridario.
Verona (vgl. 42 u. 48). Den L.A. einiger Ovid-, Persius- u.
Valerius Maxinius-Hss des 13. u. 14. Jh. mißt Bedeutung bei
146. C. Marchesi, De codd. quibusdam adhuc uon compertis
qui V. in bibl. capitulari adservantur. Stndi XII (1904) 121 — 138.
Wells. Einige in der Bibl. Britannica (oben 73) III 1 (Wiener
S.-Ber. 131 X) S. 49 nicht erwähnte Hss nennt
147. T. W. Williams, W. Cathedral Library. The Library
Association Record VIII (1906) 372—377.
Wien (vgl. 7 X, 28). Die astrologischen griech. Hss der Hof-
bibl. beschreibt Kroll Nr. 121 VI (Brüssel 1903); für den Inhalt
vgl. DLZ 1903, 1837; Berl. phil. Woch. 1904, 1217.
148. F. MenCik, Die Neapolitaner Hss der Hofbibl. Mitteil,
d. öst. Vereins f. Bibl. VIII 133—148, 170—177, IX 31—37
druckt für 22 griech. und 90 lat. Hss, die 1718—1721 nach
Wien kamen, das von Cavalcanti angelegte Verz. ab. Darunter sind
Parrliasiani (2 Bobienses), die an Antonio Seripandi vererbt, durch
dessen Bruder Girolamo an das Kloster S. Ioannis de Carbonaria
kamen; andere stammen aus dem Severin- und dem Apostelkloster.
149. C. van de Vorst, Verz. d. griech. Hss der Bibl. Rossiana.
C.B. XXIII a906) 492—508, 537—550 beschreibt 43 Hss des 10.
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Bericht über Paläographie und Handschriftenkunde (1903-1906). 53
bis 16. Jh., die sich, aus dem Besitze von Giovanni Francesco de
Rossi stammend, seit 1877 im Wiener Jesuitenkollegium befinden.
Die Indizes berücksichtigen auch Schreiber und Vorbesitzer (darunter
Georgius comes). Das Verz. von Bethmann (Archiv XII 417: Commen-
datore Torquato Rossi, 22 Hss) ist nicht berücksichtigt; in der
Datierung bestehen einige Divergenzen, namentlich zwischen 15. und
16. Jh.
Wolfenbüttel. Der 8. Band von Heinemanns K. (Bd. 106,
192) enthält II 5 u. III sowie die Register zu den Augusteischen
und zu den Weißenburger Hss. Die Kodizes der Abtei Petri und
Pauli zu W. im Elsaß sind patristiseh (meist IX— XI); Nr. 64
(Isidor) stammt nach dem K. aus Spanien, die Herkunft aus Bobbio
(vgl. Bd. 127, 100) wird bezweifelt. Traube bestreitet (N. Archiv
XXIX 56G), daß die Kursive (ein Faksimile im K.) westgotisch sei,
und tritt für die Herkunft aus B. ein; unter der ersten Schrift so-
wohl dieses Palimpsests als auch des Vat. 5763 kommt nämlich zu-
sammenhängender Galentext vor, vgl. aber das in 9 VII über Palimp-
seste Bemerkte und dazu 142 T. 9 (erhaltener griech. Text). Als
endgültig entschieden kann die Frage nicht betrachtet werden.
Worcester.
150 u. 151. J. K. Floyer, The Mediaeval Library of tlie
Benedictine Priory of St. Mary in W. Cathedral Church. Archäo-
logia 2. Ser. VIII 2 (1903) 561—570. — *C. of Mss. preserved in
the Chapter library of W. Cathedral (W. Hist. Soc. 20). Oxford
1906. XVIII, 196 S.
283 Hss sind in W., 66 in anderen englischen Bibl. erhalten.
Die bei der Übersicht über die ersteren genannten Stücke sind zu-
meist auch in der Bibl. Britannica (oben 73) III 2 (Wien. S.-Ber.
139 IX) 44 beschrieben. Der gewöhnliche Einband und einige Ein-
tragungen der fratres in den Hss sind abgebildet.
Nachtrag-.
Zu S. 41 (Jesi). L'Agricola e la Germania di Cornelio Tacito
nel ms. lat. 8 della bibl. del Conte G. Balleani a cura di C. Anni-
baldi (1907) hat mir noch nicht vorgelegen.
Zu S. 42 (Karlsruhe). K. Künstle, Die Kunst des Klosters
Reichenau im IX. und X. Jh. Freiburg 1906 (16 ff.: Die R. Miniatur-
malerei).
London. C. of Additions to the Mss. in the British Museum
(s. Bd. 127 S. 256) XI (1907; 1900—1905: Add. Mss. 36298 bis
87232, Egerton Mss. 2827—2861).
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Jahresbericht über griechische Geschichte (1903—1906).
Von
Thomas Lensehau- Berlin.
Erstes Kapitel.
Die Anfänge der griechischen Kultur.
Ausgrabungen.
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vorhistorischen Schichten von Ilion 1870 — 94. Unter Mitwirkung von
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feld hrsg. v. W. Dörpfeld. Athen 1903.
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5(J Thomas Lenschau.
Drei Jahrzehnte unermüdlicher und erfolgreicher Durchforschung
des griechischen Bodens haben nach und nach eine ungeheure Masse
wertvollster Einzelfunde ans Licht gebracht, die für die helleuische
Urgeschichte von grundlegender Bedeutung geworden sind. Aber
immer schwieriger wird zugleich bei der gegenwärtigen Zerstreuung
des Materials in teilweis entlegenen, kostspieligen und schwer zu be-
schaffenden Publikationen der Überblick über die gesamte vorhandene
Fundmasse, und so ist es denn von hoher Bedeutung, daß in der
vergangenen Berichtsperiode wenigstens für zwei Fundstätten ab-
schließende Veröffentlichungen erfolgt sind, die das gesamte an einem
Orte gefundene Material in kritischer Durcharbeitung enthalten. Das
große Sammelwerk über Hissarlik-Troja, das Dörpfeld und
seine langjährigen Mitarbeiter in zwei Bänden herausgegeben
haben, legt in einer Reihe von musterhaft klaren und zugleich er-
schöpfenden Abhandlungen die ganze in 28 jähriger Arbeit gewonnene
Fundmasse vor. Nur der wichtige Abschnitt über die Töpferei von
Hubert Schmidt läßt, besonders was die Abbildungen betrifft, die
wünschenswerte Ausführlichkeit vermissen, was wohl der Rücksicht
auf den vorhandene* Raum zuzuschreiben ist; hier aber bietet der von
demselben Forscher verfaßte Katalog der Schliemannschen Sammlung
eine willkommene Ergänzung. Eine zweite Fundstätte, die zwar an
Bedeutung nicht mit Hissarlik-Troja zu vergleichen ist, aber ebenfalls auf
allgemeines Interesse Anspruch machen kann, ist die im vorigen Bericht
eingehend besprochene vorgeschichtliche Siedelung in Phylakopi
auf Melos, und für sie hat mit anerkennenswerter Schnelligkeit die
britische Schule in Athen die abschließende Publikation erfolgen
lassen, in der vor allem D. Mackenzies Aufsatz Beachtung verdient,
sofern hier zum erstenmal versucht ist , die für die gesamte Kultur-
entwicklung aus den Funden sich ergebenden Folgerungen zu ziehen.
Dagegen ist man in bezug auf die übrigen Fundstätten noch
immer im wesentlichen auf die mehr oder weniger ausführlichen
Berichte der Leiter der Ausgrabungen beschränkt , und unter ihnen
nimmt immer noch Knossos den ersten Rang ein. Eine Unter-
suchung des Zentralheiligtums im Haupthof des Palastes, die 1902 3
von Arthur J. Evans vorgenommen ward, ergab eine ganze Reihe
sakraler Funde, so vor allem das Bild der Schlangengöttin, das uns
zum erstenmal eine genaue Vorstellung der altkretischen Frauentracht
vermittelte, die von Lehmann nicht mit Unrecht auf babylonische
Vorbilder zurückgeführt wird. Aus den Einzelfunden, deren sakraler
Charakter übrigens von Dussaud lebhaft bestritten, von Reinach
(BCH 30, 150—160) durch Parallelen gestützt wird, hat Evans
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Jahresbericht über griechische Geschichte (1903—1906). 57
die Kultstätte selbst in ihrer äußeren Erscheinung zu rekonstruieren
versucht (Annual p. 92); eigentümlich ist dabei das Marmorkreuz
und das ungemein häufige Vorkommen der Swastika, die sich sonst
besonders häufig in Sizilien findet, wohin ja auch die Sage von Minos
Tod weist. Weiter kam eine von- allen Eingängen aus leicht zu
erreichende, mit Platten belegte Fläche zutage, zu der, abweichend
von der Anlage zu Phaistos, von allen Seiten Stufen hinabführen;
das Ganze erscheint als eine Art primitiven Theaters und wird vom
Entdecker mit dem Tanzplatz zusammengebracht, den der Sage nach
Daidalos für Ariadne baute (Ann. p. 109). Sodann untersuchte Evans
die Gebäude im NW. und NO. des Haupthofes; das NW.-Gebäude,
das zngleich die NO-Ecke des Westhofes bildet, erwies sich dabei
als Anlage von vielleicht sakralem Charakter, die aus dem älteren
Palast stammend unverändert in den Bauplan des jüngeren über-
nommen ward (Ann. 112), während im NO. eine mit besonderer
Pracht eingerichtete, infolge der Ostabdachung des Hügels mehrstöckig
angelegte Villa zum Vorschein kam, die offenbar einen der jüngsten
Bestandteile des Palastes bildet. In ihr befindet sich ein kleiner
Thronsaal, in dessen Gliederung Evans die Grundformen der christ-
lichen Basilika wiedererkennen will. Die folgende Kampagne (1904)
brachte dann die Untersuchung des Westhofes, unter dem die Funda-
mente noch viel älterer Bauten und endlich eine bis zu 7 m dicke
neolithische Schicht entdeckt ward, weiter die Auffindung einer Masse
von Tontäfelchen mit Inschriften, die eine Art Arsenalinventar dar-
stellen, und zuletzt die lange vermißte Entdeckung größerer Grab-
anlagen. Zunächst fanden sich auf einem etwas nördlich gelegenen
Hügel etwa 100 solcher Anlagen aus der letzten Zeit des Palastes,
die zum Teil sich als viereckige Kammern mit eingeschnittenen
Promos erwiesen und sowohl Tonsärge wie einfache Kisten mit
Skeletten in Hockerlage enthielten. Andre waren einfache Schacht-
gräber, zum Teil mit ausgemauerter Seitenhöhlung, alle mit aus-
gestreckt daliegenden Skeletten (Rep. p. 822). Wichtiger erscheint
ein einzelnes Grabmal, das auf derselben Hügelreihe etwa S1/* km
weiter nördlich entdeckt wurde. Den Zugang bildete ein imposanter
in den Fels eingeschnittener Dromos, an dessen Ende ein gewölbtes
Tor in die Eingangshalle mit zwei Nischen rechts und links führte,
die ebenfalls zur Beisetzung gedient hatten. Dem Eingang gegenüber
lag die Tür zur Zentralzella, einer mit Kalksteinblöcken ausgesetzten
Kammer von 8X6 m. Die Funde waren vorwiegend ägyptische
Alabastergefäße aus dem mittleren und neuen Reich bis zur XIX. Dy-
nastie hinab. Evans denkt an das berühmte Grab des Idomeneus,
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58
Thomas Lenscbau.
doch erscheint ihm die zweite, in der Nähe liegende Grabkammer
für das im Altertum ebenfalls hochberühmte Grab des Meriones nicht
bedeutend genug. 1905 ist dann der Westhof genauer untersucht
worden; seine Südseite ward von einem Gebäude eingenommen, das
die Westfassade des Hauptpalastes in kleinem Maßstabe wiederholt ;
im W. lag ein großes Gebäude mit einem Säulenhof nach der Hof-
seite zu, von dem man durch fünf Türen in eine weite, von Säulen
umgebene Halle gelangte. Alle diese Gebäude gehören der letzten
Palastperiode an; ein dort gefundenes Siegel zeigt ein Schiff mit
Ruderern und darüber ein Pferd , was nach Evans die Einführung
des Pferdes in Kreta darstellen soll. Über die letzten Grabungen
ist ein Bericht bisher noch nicht erschienen.
Von nicht geringerer Bedeutung erscheinen die Entdeckungen der
Italiener, die unter der Leitung Halbherrs und Perniers ihre
Aufmerksamkeit dem Süden zuwandten und hier auf der Hügelkette,
die die Messaraebene westlich gegen das Meer abschließt, den der-
selben Zeit ungehörigen Palast vonPhaistos entdeckten, der eben-
falls bereits im letzten Bericht erwähnt wurde. Der zweite Bericht
Perniers über Phaistos zeigt, daß auch hier wie in Knossos zwei über-
einander geschichtete Anlagen zu erkennen sind, und gibt genauere
Auskunft über den prämykenischen Palast, der durch Feuersbrunst
zerstört worden ist. Doch standen seine Grundmauern noch, als der
zweite Palast erbaut ward, bei dessen Konstruktion der alte Grundriß
berücksichtigt wurde. Sodann fanden die Italiener im NW. von
Phaistos noch eine zweite ausgedehnte Anlage bei Hagia Triada,
die von ihnen als Sommerresidenz des Königs angesehen wird uud
eine Reihe erlesener Kunstwerke, dai unter die hervorragende Speck-
steinvase mit den heimkehrenden Kriegern, geliefert hat. Ziemlich
bedeutend sind auch die in der Nähe entdeckten Gräber, unter denen
ein Tholosgrab mit Gefäßen der Kamaresperiode das älteste ist; die
jüngeren zeigten bereits eine reichere Erzbearbeitung und eines von
ihnen enthielt das Siegel der Thii, der Lieblingsgattin Amenhoteps III.
(XV. Jahrh.), das in seiner Vereinzelung indessen nicht zur Datierung
verwandt werden kann. Weitere Gräberfelder, aber meist der jüngeren
Periode angehörig, lagen in der Umgebung des Palastes von Phaistos;
sie erweisen für das Volk eine Beisetzung in Tonsarkophagen, während
die Edlen in Kuppelgräbern, meist direkt auf dem Boden beigesetzt
wurden.
Im Osten Kretus hat die britische Schule unter Hogarths
Leitung ihre Forschungen in Palaikastro und Kato Zakro
fortgesetzt, wobei sich denn herausgestellt hat, daß beide Siedelungen
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Jahresbericht über griechische Geschichte (1903—1906). 59
bereits in die ältere Kamareszeit zurückgehen. Doch war jene die
frühere und Oberdauerte anderseits den Fall von Kato Zakro, der
um die Mitte des zweiten Jahrtausends v. Chr. eintrat, noch um ein
erhebliches. Eine ganze Reihe von Häusern und Straßen sind frei-
gelegt; interessant sind vor allem die nahegelegenen Friedhöfe, die
aber nur in älterer Zeit benutzt wurden und nur Kamarestöpferei,
Steingefäße und Obsidian werk zeuge, dagegen keine Metall reste lieferten.
Die Untersuchung der erhaltenen etwa 70 Schädel, die sämtlich also
den ältesten Bewohnern Kretas angehört haben müssen, durch Mr.
Duck worth hat ein eigentümliches Überwiegen von Langköpfigkeit
festgestellt; der Prozentsatz von 65,3 bei den Männern stieg bei den
Frauen auf 70,6. Die Körpergröße war gering, eine genauere Be-
stimmung war deshalb nicht möglich, weil es fraglich erschien, ob die
einzelnen Knochen von Männern oder Frauen herrührten. Duckworth
rechnet nach diesem Befunde die Ureinwohner Kretas zur dolicho-
cephalen Mittelmeerrasse ; immerhin bleiben weitere Schlüsse bei der
verhältnismäßig geringen Anzahl der untersuchten Schädel (78) proble-
matisch. Noch ältere Reste wurden bei der Kapelle Hagios Nikolaos
gefunden , die ebenfalls von Duckworth behandelt worden sind. —
Im übrigen mag hier zum Schluß noch darauf hingewiesen werden,
daß die im zweiten Kapitel zu erwähnenden Ausgrabungen Furt-
wänglers in Aigina und Vollgraffs in Argos ebenfalls noch manche
Überbleibsel der Urzeit zutage gefördert haben; besonderes Interesse
erregt die prähistorische Anlage auf der Höhe des Oros in Aigina,
die merkwürdige Berührungen mit trojanischen Funden erkennen läßt.
Inzwischen hat natürlich die Verarbeitung der Funde begonnen,
wiewohl abschließende Veröffentlichungen noch jahrelang auf sich
warten lassen werden, und zwar hat in erster Linie die Töpferei
Beachtung gefunden, da sie bei einigermaßen lückenloser Entwicklung
immer eine relative Zeitbestimmung gewährt, die dann durch einzelne
glückliche Koinzidenzen sich leicht in eine absolute verwandeln kann.
Über die in Knossos gefundenen Tongefäße hat Mackenzie ge-
handelt , der im ganzen nach den verschiedenen Schichten drei
große Perioden unterscheidet: die neolithische Schicht, die hier in
Knossos dicker ist als irgendwo im Umkreis des ägäischen Meeres
und damit die Stätte als einen der hervorragendsten Kulturmittel-
punkte auch in allerältester Zeit erweist, zweitens die früh- und
mittelminoische Schicht und endlich die spätminoische , deren letzte
Lagen etwa dem gleichzusetzen sind, was man sonst als mykenisch
bezeichnet. Die älteste Schicht enthält nur handpolierte, ungebrannte
Gefäße ohne jede Verzierung; in ihren oberen Lagen, etwa vom
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60
Thomas Lenschau.
dritten und vierten Meter ab, tauchen Einritzungen in geometrischer
Musterung auf, die etwa 3 v. H. der gesamten Gefäße ausmachen.
Vom fünften Meter ah werden diese Einritzungen mit Weiß gefüllt,
eine wichtige Neuerung; daneben finden sich schüchterne Anfänge
der Bemalung (meist ein helles Orange) und bei andern Gefäßen die
nach und nach häufiger werdende Reifelung der Oberfläche (IHSt. 25,
p. 159 ff.). Die zweite Periode setzt sofort mit gebrannten Gefäßen
ein , wobei sich jedoch die Dekorationsweise der Steinzeit zunächst
erhält. Dann wird die Verwendung der Farbe häufiger, und nun
unterscheidet man von vornherein zwei Dekorationsweisen, die eine
glanzlos weiß auf glänzend schwarzem Grunde, die andre wird durch
ein glänzend schwarzes oder braunes Dekor auf hellgelbem Grunde
hervorgebracht. Die "Weiterentwicklung läßt sich nicht vollständig
lückenlos überblicken ; indem bei der ersten Dekorationsweise nach
und nach neben dem glanzlosen Weiß noch Gelb, Rot, Orange, Karmin
zur Anwendung kommen, entwickelt sich der polychrome Stil, während
der monochrome sein glänzendes Schwarz auf Hellgelb beibehält und
offenbar mehr bei schnellerer Dekoration verwandt wird. Allmählich
aber bildet sich der polychrome Stil durch das Fortfallen andrer
Farben ebenfalls zu einem monochromen um, so daß zum Schluß die
einfarbige Dekorationsweise allein herrscht. In dieser Entwicklung
nun erlauben einige Punkte eine absolute, wenn auch nur annähernde
Festlegung, indem die kretischen Gefäße aus Kahun, die M. auf etwa
2500 ansetzt, noch den besten polychromen Stil zeigen, der also
etwa von 3000—2000 geblüht haben mag. Die Anfänge der dritten
Periode, die durch die Alleinherrschaft des monochromen Stils be-
zeichnet ist, setzt M. gleichzeitig mit den Schachtgräbern von Mykene
und der Hyksosherrschaft an, also etwa 1800; der Verfall beginnt
mit der Einführung der Bügelkanne, die in ägyptischen Gräbern seit
dein XV. Jahrhundert auftritt. — Nach diesen Ergebnissen wären
dann die Ausführungen von D a w k i n s über die Töpferei von Zakro
zu berichtigen; wenn er behauptet, daß hier Kamares- und mykenische
Vasen in ganz gleicher Technik gleichzeitig vorkommen, so lost sich
dies Rätsel leicht durch den Nachweis Mackcnzies, daß in der älteren
Zeit polychrome und monochrome (mykenische) Dekorationsweise
nebeneinander hergehen , während man bisher die monochrome Art
durchweg als die spätere ansehen mußte.
Was Mackenzies Zeitbestimmung betrifft, so ist die erste,
die die Blüte des alten polychromen Stils auf etwa 2500 festlegt, ganz
ansprechend, und sie würde noch eine besondere Stütze durch die
Ausführungen Halls erhalten, der das kretische Labyrinth — denn
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Jahresbericht über griechische Geschichte (1903—1906). (>1
als dieses hat sich ja der Palast ton Knossos erwiesen — , und zwar
in seiner alteren Gestalt, mit dem ägyptischen Labyrinth zusammen-
bringt, das von Amenemhat III. erbaut ist. Hall halt dieses für das
frühere und sucht nun in der Bauweise und Technik zwischen dem
älteren Palast in Knossos und der ägyptischen Architektur der XI.
und XII. Dynastie enge Zusammenhänge zu erweisen; ja er meint,
daß sowohl an dem kretischen wie an dem ägyptischen Labyrinth
dieselben Baumeister tätig gewesen sind. Dies berührt sich mit seiner
Gesamtanschauung, die er in seinem beim vorigen Bericht mir leider
noch nicht zugänglichen Buche niedergelegt hat, und die eine starke
Beeinflussung der altkretischen Kultur durch die ägyptische haupt-
sächlich über Cypern (Alaschiya) her annimmt. Doch scheint Hall
jetzt an direkte Einwirkung zu denken, da er die Hanebu im
25. Jahrhundert mit den Keftiu im Iß. und den Milesiern im 8. Jahr-
hundert vergleicht; alle drei Erwähnungen deuten doch wohl auf einen
direkten Handelsverkehr. Auch die zweite Ausetzung Mackenzies
kann man innerhalb gewisser Grenzen gutheißen ; sie beruht bekanntlich
darauf, daß auf den Wandgemälden des Rekhmaragrabes , das der
Regierung Dhutmes III. um 1550 entstammt, tributbringende Keftiu
und „Männer von den Inseln mitten im Meer" Gefäße tragen, die
durchaus mykenischen Formen gleichen. Dagegen wird die Grenze
gegen die ältere Periode natürlich immer nur annähernd zu ziehen sein.
Eben dieser € h ara k t e r als Annäherungswert überhaupt,
den die meisten Daten in dieser vorgeschichtlichen Zeit tragen müssen,
läßt es unrichtig erscheinen, derartig viele Unterabteilungen und
Perioden anzunehmen, wie es Evans tut. der in seinen drei minoischen
Perioden noch wieder je drei Unterabteilungen trennt, und zugleich
erhebt sich die kürzlich abermals von Dörpfeld (Mitt. 30) auf-
geworfene Frage, ob es nicht angezeigt ist, durchweg einheitliche
Benennungen einzuführen. Wie die Dinge gegenwärtig liegen, zeigt
die umstehende Tabelle mit den wichtigsten Fundstätten. Das
Mißliche in derartigen Gleichsetzungen tritt allerdings sofort zutage,
insofern gleiche Kulturschichten keineswegs chronologische Gleich-
heit bedingen, die nur für die großen Kulturzentren zutrifft; bei-
spielsweise ist es ja sehr möglich , daß auf abgelegenen Inseln wie
Amorgos die primitive Kultur gleichzeitig mit viel entwickelteren
Stufen in den Kulturmittelpunkten bestehen konnte. Immerhin sondern
sich doch schon jetzt deutlich drei große Perioden, die allgemein
so genannte neolithische , eine ältere, die im wesentlichen mit der
Zerstörung der ersten kretischen Paläste abschließt und ihre glänzendste
Entfaltung im alten Kreta erfahren hat. und eine jüngere, der die
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02
Thomas Lenschau.
Kreta Troja
I. Neolithische Schicht L Stadt
M ykene
Kistengräber von Pelos.
Älteste Fundschiebt in
Phylakopi.
Inselkultur
II. Frlihminoische Peri- II. Stadt
ode
Kistengräber von Paros.
I. Stadt in Phylakopi,
Amorgos.
a)
0
Mittelminoische Pe-
riode
a)
b) Erbauung d. äl-
teren Palastes
zu Knossos.
c)
Spätminoische Peri-
ode
a)
b) Zerstörung des
älteren,
c) Erbauung d.jün- VI. Stadt, Schachtgräber
geren Paläste in
Knossos , Phai-
stos, Hagia Tria-
auf den Ruinen der älteren Bauwerke gegründeten späteren Paläste
in Knossos, Phaistos, Hagia Triada angehören, die aber ihren Hittel-
punkt doch in Mykene findet. Demgemäß wäre die neolithische
Periode etwa bis 3500, die kretische (3500 — 1700) und die mykenische
(1700 — 1000) Periode zu unterscheiden, wie dies Dörpfeld zum Teil
nach Noacks Vorgang vorgeschlagen hat, und in der Praxis geschieht
dies schon überall: Evans trennt früh- und mittelminoisch stets von
spättninoisch, und ebenso sprechen die Italiener stets von einer prä-
mykenischen oder Kamareskultur im Gegensatz zur eigentlich myke-
nischen Zu bemerken ist noch, daß die oben angegebenen absoluten
Zahlen nur als Annäherungswerte aufzufassen sind.
Eine weitere Hauptfrage ist die nach den verschiedenen Ein-
flüssen, denen die ägäische Kultur ausgesetzt gewesen ist, und da
lag es bei der verhältnismäßig bedeutenden Anzahl ägyptischer
Funde an den ägäischen Kulturstätten, der eine geringere Anzahl
ägäischer Kulturüberreste in Ägypten gegenübersteht, in der ersten
Zeit unzweifelhaft nahe, die Einwirkung des Nillandes in den Vorder-
Kuppelgräber III. Stadt in Phylakopi.
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Jahresbericht aber griechische Geschichte (1903—1906). 63
grand zu stellen, wie dies Hall in seinem eingangs erwähnten Bache
getan hat; vor allem macht er auf die Steintechnik der kretischen
Paläste aufmerksam, die eine entschiedene Einwirkung der großartigen
ägyptischen Technik zeigt. Dazu sind nun in den letzten Jahren neue
Funde hinzugekommen ; außer einer Dioritschale der III. und IV. Dy-
nastie (ca. 8500), jene neben der Statue der Schlangengöttin (p. 41 ff.)
gefundenen Gegenstände aus hellblauer Fayence, die bei einheimischer
Technik — die Hohlformen sind dabei gefunden — im Material die
größte Ähnlichkeit mit der ägyptischen blauen Fayence zeigen, wie
sie sich von den ältesten Gräbern an bis zur XU. Dynastie (ca. 2500)
findet. Allein nach und nach kommen, worauf C. F. Lehmann
(S. 387) hinweist, doch auch babylonische Einflüsse zum Vor-
schein, in der Steinschneidetechnik, in der weiblichen Tracht, wie
wir sie aus der kleinen Statue der Schlangengöttin kennen gelernt
haben, an der Lady Evans sogar den Schnitt der einzelnen Kleidungs-
stücke feststellen konnte, vor allem aber an dem Gebrauch der Ton-
tafel als Schreibmaterial. Die Schrift selbst zeigt keinerlei Ein-
wirkung, übrigens ist weder bei dem älteren noch bei den beiden
jüngeren Schriftsystemen bis jetzt eine Entzifferung gelungen. An
sich wäre es ja auch wunderbar, wenn die große babylonische Kultur
nicht auch Kreta in ihre Kreise gezogen hatte, und in diesem Zusammen-
hang gewinnt jene Notiz in der Omensammlung Wert, wonach Sargon
v. Agade (um 2800) nicht bloß den Westen unterworfen, sondern
auch jenseits des Meeres drei Jahre verweilt hat , wie es scheint
(Winkler S. 80). Orientalischen Einfluß schlechthin dagegen , ohne
daß man sagen kann , ob er direkt von Babylon aus oder über
Ägypten gewirkt hat, zeigt die Anlage der ältesten kretischen Paläste.
Über sie wird später im Anschluß an Noacks Forschungen noch
weiter zu sprechen sein, doch ist das ganze Problem neuerdings in
weiterem Umfange von Pfuhl aufgenommen. In seiner sehr lesens-
werten Untersuchung erkennt er als die ursprünglich europäische
Grundform des Hauses den Rundbau an, der auch auf dem Boden
der ägäischen Kultur überall zu Hause ist und z. B. in der bekannten
melischen Hausurne zutage tritt. Doch ist schon früh an seine Stelle
der im Orient erfundene viereckige Hausbau getreten, der eine be-
queme Erweiterung des Hauses ermöglichte und überall den alten
Rundbau verdrängte; dieser hielt sich nun in Grabanlagen, Wirt-
schaftsgebäuden oder Kultstätten, bis ihn die hellenistische Zeit im
Teinpelbau wieder zu neuem Leben erweckte. Da uns nun schon
bei den ältesten Bauwerken der ägäischen Kultur die Anwendung
der viereckigen Forin entgegentritt, so muß in dem Übergang von
04
Thomas Lenschau.
der Stein- zur Bronzezeit die neue Hausform mit dem Steinbau zu-
gleich von Osten her eingewandert sein. So erklären sich nach Pfuhl
auch die eigentümlichen aus Rundbau und Viereckform gemischten
Grundrisse mancher ältesten Grabformen. Ob zur Steinzeit schon
der Steinbau in Europa existierte, ist in der Tat zweifelhaft. Weder
auf Melos noch in Kreta haben sich in den neolithischen Schichten
irgendwelche Reste von Mauerwerk gefunden, was sich doch am
besten dadurch erklärt . daß man bis dahin nur Hütten von ver-
gänglichem Material kannte. Allerdings wissen wir damit auch nichts
über ihre Form, doch macht es die Darstellung der melischen Haus-
urne wahrscheinlich, daß das erste der Rundbau und die Verbindung
mehrerer Rundbauten miteinander gewesen ist.
Indessen noch von einer dritten Seite her gönnte eine Einwirkung
gekommen sein. Im Gegensatz zu Sophus Müller, der in seinem
eingangs genannten Werke den Satz verficht, daß die gesarate ägäische
Kultur im wesentlichen für Europa nur den Vermittler orientalischer
Kulturerrungenschaften bilde, die stets über das ägäische Meer,
wenn auch auf verschiedenen Wegen, nach Europa Eingang gefunden
hätten, hat Hubert Schmidt das umgekehrte Verhältnis darzutun
gesucht, indem er aus der eigentümlichen Form der Hängespiralen,
wie sie in gleicher Ausbildung in Siebenbürgen, Troja II, den Schacht-
gräbern von Mykene und noch später am Kaukasus sich vorfinden, eine
Einwirkung dieser in Siebenbürgen entstandenen Schmuckform auf
die ägäische Kultur erschließt, die er (wohl zu spät) etwa um das Jahr
2000 setzt; als Träger der Vermittlung nimmt er das Thrakervolk
an, dessen Erz- und Waffentechnik noch bei Homer in hohem Ansehen
steht. Von diesem Standpunkt aus gesehen erscheinen nun auch die
Berührungen, die zwischen der neolithischen Keramik und der Weiß-
malerei, wie sie in den ältesten Schichten von Phylakopi, Kreta, in
Amorgos und Troja II vorkommt, in einem wesentlich anderen Lichte;
wie die Hängespirale um 2000, so kann auch Jahrhunderte früher
die Weißmalereitechnik aus den Donauländern in die ägäische Kultur
eingedrungen sein, und zwar wahrscheinlich durch nördliche, ans
ägäische Meer vordringende Stämme, unter denen sicher auch die
Thraker waren. Das Hauptverdienst der Schmidtschen Arbeit liegt
darin, daß sie der verbreitetsten Ansicht, die in Müllers Buch einen
klassischen Ausdruck gefunden hat, gegenüber auch das Vorhandensein
neuer Möglichkeiten zeigt, und in einer Hinsicht hat die Forschung auch
bereits eine Bestätigung seiner Ansicht gebracht. Immer mehr stellt
sich der Zusammenhang der phrygisch-thrakiseken Volksgruppe heraus,
die in den Osten der Balkanhalbinsel eingewandert , von hier nach
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Jahresbericht Uber griechische Geschichte (1903— 1906). I>5
Nordkleinasicn bis tief ins Innere hinein hinübergriff. Die im vorigen
Jahresbericht erwähnte Entdeckung Körtes, der in Bosöjük und
Gordion eine der troischen identische Keramik vorfand, stimmt vor-
trefflich dazu, daß die vielen Tumuli in der makedonischen Axios-
ebene nach den Untersuchungen Trägers ebenfalls starke Be-
rührungen mit der troischen Töpferware aufweisen, so daß nach
Hnl ert Schmidt hier auf eine Identität des Volkstums geschlossen
werden muß. Ob aber diese phrygisch-thrakische Völkerwelle als
eine der griechischen nahe verwandte anzusehen ist. wie im vorigen
Bericht geschlossen ward, muß einstweilen dahingestellt bleiben : die
von Kießling hervorgehobene Zugehörigkeit der thrakisch-phry-
gischen Völker zu der ostindogermanischen Gruppe der Satemsprachen,
während die illyrisch-griechischen Stämme zur westindogermanischen
Gruppe der Kentumsprachen gehören, würde nicht gerade dafür
sprechen. Immerhin nimmt auch Kießling bei der Entstehung des
griechischen Volkstums einen thrakischen Einschlag an.
Trotz aller Einflüsse indes, die die ägäische Kultur erlitten
haben mag, steht ihre Einheitlichkeit ganz außer Frage, wie
dies noch kürzlich von Noack und Dörpfeld hervorgehoben ist: von
der ältesten neolithischen Zeit herab läßt sich ihre Entwicklung nahezu
lückenlos bis zur dorischen Wanderung verfolgeu, die dann nicht bloß
in Altgriechenland sie vernichtete, sondern sie auch von ihrem Ver-
breitungsgebiet im Westen abschnitt, wohin Mayer Beziehungen in der
älteren kretischen, Gut scher nnd Dawkins (JHSt. 24, 125 ff.)
in spätmykenischer Zeit aufgedeckt haben. Dies Gebiet reichte nach
den bisherigen Funden im W. bis Spanien, im 0. bis Teil el Sah*
in Südpalästina und Utsch-Öjück bei Konia, im S. bis zum ägyptischen
Theben, während im N. die Funde bis Dalmatien hinaufgehen. Dagegen
erhielt sich die mykenische Kultur im Osten an der kleinasiatischen Küste,
wo aus ihr die ionische (altrhodische, altsamische) Kunst erwuchs: in
der kretischen Schwarzmalerei auf hellem Grunde erkennt Mackenzie
nnd andere mit ihm die Vorläuferin der schwarzfigurigen Vasenmalerei
Athens (vgl. bes. über das Erbe, das Athen antrat, Walters I,
234 — 464). Aber jene Kontinuität der Kultur bedingt
nicht Kontinuität der Rasse, und so könnte es doch sein,
daß zwischen den ursprünglichen Trägern der ägäischen Kultur und
den späteren Griechen ein Rassenunterschied vorhanden gewesen ist.
Dieser schon im vorigen Bericht ausgesprochene Gedanke hat
eine neue Stütze durch die tiefeinschneidenden Untersuchungen
Ferdinand Noacks erfahren, die er der Architektur der ver-
schiedenen , nach und nach aufgedeckten mykenischen Paläste ge-
^ Jahresbericht fttr AltflrtuinswisaenichÄft. Bd. CXXXV. 5
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66
Thomas Lenschau.
widmet hat, und als deren Ergebnis sich das Vorhandensein eines
zweifachen Grundtypns der Palastarchitektur herausgestellt hat. Auf
der einen Seite steht die südliche kretische Grundform , die durch-
gehende Baufluchtlinien und durchweg direkte Verbindung zwischen
Haupt- und Nebenraum durch Öffnungen in den Zwischenwänden auf-
weist ; dazu sind die meisten Räume breiter als lang, und die Front
zeigt entweder eine Zwei- oder eine Vierteilung. Demgegenüber
zeichnet sich der nördliche Typus, wie er in seiner einfachsten Form
in Troja II, dann weite/gebildet in Arne (so Noack ; die Identität der
Örtlichkeit wird von de Ridder BCH 18, 446 bestritten), Tiryns und
Mykene vorliegt, durch vollkommene Abgeschlossenheit des Ilaupt-
raumes aus, mit dem die Nebenräume vielmehr durch ein System
der Hauptachse des Megaron gleichlaufender Korridore verbunden
sind. Die Räume selber sind mehr tief als breit, Dreiteiligkeit der
Front bildet die Regel, von der fast nirgends abgewichen wird. Nun
ist in jener ersten Form das orientalische Vorbild nicht zu verkennen,
wie denn auch Noack auf Sendschirli und ägyptische Bauten verweist :
ihm konnte der von Cl. Fisher in Nippur aufgedeckte sog. mykenische
Palast aus der Kassitenzeit (1700—1150 nach Winkler, p. 12) noch
nicht bekannt sein, der in dem völligen Fehlen des Korridorsystems
seine Identität mit dem ersten Typus zeigt. Doch wird man kaum
darin mit dem Entdecker das Werk eines mykenischen, richtiger also
kretischen Baumeisters, als vielmehr das orientalische Urbild er-
kennen, von dem die kretischen Palastanlagen abgeleitet sind. Für
das weitere charakteristische Merkmal, die Zweiteilung des Einganges,
bilden die ältesten lykischen Grabanlagen die beste Parallele, die durch
die literarische Überlieferung von ehemaligen Beziehungen zwischen
Lykien und Kreta gestützt wird. Anderseits ist der nördliche Typus
auf griechischem Boden erwachsen, und wenn Noack p. 36 besonders
seine Verwandtschaft mit dem ostgermanischen, skandinavischen Haus-
typus betont, so berührt er sich da in seltsamer Weise mit den Dar-
legungen H. Schmidts, der ja ebenfalls eine Einwirkung Osteuropas
auf die ägäische Kultur annimmt.
Diese Forschungen Noacks nun sind in sehr erwünschter Weise
von Dörpfeld (MDAJ. 30) modifiziert und erweitert worden. Manche
Abweichungen in der Bauart der kretischen Paläste von ihrer typischen
Grundform , deren Erklärung Noack noch Schwierigkeiten bereitete,
werden sofort verständlich, wenn man mit Dörpfeld sowohl in Knossos
wie in Phaistos beide Bauperioden unterscheidet, wie dies für Ph.
erst durch Perniers Bericht möglich geworden ist, den Noack noch
nicht kennen konnte. Es zeigt sich dann nämlich sofort, daß jene
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Jahresbericht über griechische Geschichte (1903—1906). 07
scheinba ren Abweichungen spätere Zutaten sind, daß vielmehr sowohl
in Knossos wie in Phaistos und Hagia Triada über der älteren, streng
dem kretischen Typus mit seinen Pfeilersälen usw. folgenden Anlage
ein zweiter Palast errichtet ist, der durchaus den nördlichen
mykenischen Typus, vor allem in der Abgeschlossenheit des Megaron,
zeigt. In andern Dingen dagegen erscheint die nördliche Grundform
der altkretischen südlichen angenähert, und wenn man nun hinzu-
nimmt, daß die Art des Mauerwerks, die Steinbehandlung, die Säulen-
gestalt, die Art und Ornamentierung des Wandputzes, kurz die ge-
samte künstlerische Ausstattung in den neuen Bauten dieselbe ist wie
in den alten, so wird man allerdings zu dem Schlüsse gedrängt, daß
diese zweite Palastanlage von einem fremden Volke herrührt, das zwar
in der Umwelt des täglichen Lebens sich der höheren Kultur an-
bequemte, die es vorfand, aber an seinem Hausplan mit der Sonder-
stellung des Hauptraumes festhielt, so daß dem einheimischen Archi-
tekten nichts weiter übrig blieb, als sich dem Verlangen der neuen
Herren nach dieser Seite hin so gut wie möglich anzubequemen. In
* diesen neuen Herren sieht Dörpfeld die Achäer, d. h. die ersten Griechen-
stämme, die die Seeherrschaft Kretas vernichteten und alsdann der
Kultur der Besiegten erlagen. — Doch darf nicht verschwiegen
werden, daß ein so besonnener Forscher wie Duncan Mackenzie
neuerdings (Annual of the Brit. school vol. 11, 180—223) die Grund-
lagen von Dörpl'elds Beweisführung in Zweifel gezogen hat, indem er
in dem sog. jüngeren Megaron von Phaistos gar kein Megaron, sondern
einen in der bekannten altkretischen Weise durch Luftschächte er-
leuchteten Portikus erblickt. Auch die sog. jüngere Schicht geht
nach ihm der mykenischen Einwanderung vorher, die viel zu spät
kam, um an der altkretischen Kunst noch wesentliches zu ändern.
Ich kann die abweichende Ansicht M.s hier nur verzeichnen : wer
recht hat, er oder Dörpfeld, könnte nur durch eine erneute Unter-
suchung an Ort und Stelle entschieden werden, die wir vielleicht von
Pernier erhoffen dürfen.
Schon im vorigen Bericht ist darauf hingewiesen , daß die An-
nahme eiues solchen Wechsels an den sprachlichen Verhält-
nissen eine wertvolle Unterstützung findet: Kretschmer hat schon
1896 aus den Ortsnamen des ägäischen Kulturgebietes das Vor-
handensein eines nichtindogermanischen Volkes erwiesen, das in vor-
geschichtlicher Zeit einen großen Teil Kleinasiens, das griechische
Festlaud sowie die Inseln bedeckte und wahrscheinlich als der ur-
sprüngliche Träger der ägäischen Zivilisation anzusehen ist. Dieser
Gedanke ist nun von Fick in seinem Buche systematisch weiter
5*
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I
68 Thomas Lenschau.
verfolgt worden, obwohl dieses in einem Punkte mir einen Rück-
schritt zu bezeichnen scheint, in dem Versuche nämlich, auf Grund
sprachlicher Eigentümlichkeiten nun auch noch verschiedene Dialekte
dieses Urvolkes zu konstruieren, die dann als karisch, pelasgisch,
lelegisch usw. bezeichnet werden. Jedenfalls hat Fick den Angaben
der Alten über die ehemaligen Sitze dieser Urvölker viel zu viel
Glauben beigemessen. Auch kann man aus einer Namensgleichheit
nicht ohne weiteres auf Stammesgleichheit oder wohl gar Zuwanderung
aus entfernten Gegenden schließen : .so bedeutungsvoll uns die Gleichung
Priansos — Priene, Milatos — Milet erscheint, so ist das doch
nur deshalb der Fall, weil uns aus dem Altertum eine wirkliche
Überlieferung Über den Zusammenhang der Lykier und Karer mit den
Ureinwohnern Kretas vorliegt, der vielleicht einmal für die Entzifferung
der knosischen Schrift einen wertvollen Fingerzeig geben mag. Übrigens
sieht sich auch F. schließlich genötigt, eine Verwandtschaft aller der von
ihm statuierten Völker zuzugeben, und so wird es sicherer sein, zunächst
einmal nur das Vorhandensein einer nichthellenischen oder vielmehr
nichtindogermanischen Unterschicht festzustellen , wobei wenig darauf
ankommt, ob man diese nun als hethitisch-lelegisch oder karisch-
lykisck bezeichnet. Wenn allerdings Kießling zur weiteren Be-
gründung dieser Annahme auf den ursprünglichen geographischen
Zusammenhang Griechenlands mit Kleinasien, der noch in der Diluvial-
zeit vorhanden war, und ebenso auf die ursprüngliche Trennung der
Balkanhalbinsel von Europa durch das die ungarische Ebene ein-
nehmende Binnenmeer hinweist, so erscheint es mir doch fraglich, ob
man derartig entfernte, Zehntausende von Jahren zurückliegende Ört-
liche Verhältnisse zur Erklärung der ägäischen Kultur heranziehen
darf. Für wertvoll dagegen halte ich Kießlings Bemerkung, daß auch
im nördlichen Kleinasien unter der thrakisch-phrygischen Oberschiebt
überall noch die Spuren der südkleinasiatisch-griechischen Urrasse
zu erkennen sind. Möglich , daß sich diese einst über das ganze
Mittelmeerbecken ausdehnte ; doch genügen einzelne Funde , wie sie
z. B. von Mayer gemacht sind, noch nicht, die Tatsache mit Sicher-
heit zu erweisen.
Steht also das Vorhandensein einer nichtindogermanischen
Bevölkerung in der ältesten Zeit fest, so deutet allerdings
der oben mitgeteilte Befund der kretischen Paläste darauf hin, daß
die von Norden her kommenden Völker, die der kretischen Sce-
herrschaft ein Ende machten, eben bereits Griechen waren, und dann
erhebt sich die Frage, ob sie mit den Achäern Homers identisch
sind oder nicht. Für das erste hat sich noch letzthin wieder Dörp-
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Jahresbericht Uber griechische Geschichte (1908—1906).
«9
feld sehr energisch ausgesprochen, und darin wird man ihm recht
geben müssen , wenn er den Ausführungen Noaeks . der zwischen
mykenischen und homerischen Palästen einen Wesensgegensatz kon-
struiert, entgegentritt und auf die weitgehende Übereinstimmung
Leider hinweist (Mitt. S. 278 ff.). Einen andern Einwand, der sich
auf den Unterschied der Bestattungsweise — Beisetzung hei den
Mykehäern, Verbrennung bei Homer — stützt, hat er in der Ethnol.
Ztschr. zu entkräften gesucht, indem er es unternimmt, nachzuweisen,
daß bei den Griechen immer dieselbe Bestattungsweise, erst Brennung
oder besser Räucherung (xapt)reuetv) , dann Beisetzung, im Gebrauch
gewesen ist ; nur die Schwierigkeit, an den beigesetzten Skeletten die
vorangegangene Brennung zu erkennen und nachzuweisen, hat nach
ihm zu einer falschen Beurteilung des Sachverhalts geführt. Dagegen
ist zunächst hervorzuheben, daß Drag endo rff (Thera 11, 83 ff.) die
vollständige Verbrennung als einen von Kleinasien herkommenden
Brauch erwiesen hat, der allmählich auf die Inseln übergriff: der
Friedhof von Assarlik. die Gräber von Thera zeigen immer völlige
Verbrennung, und auch nach Kreta hat dieser Brauch Eingang ge-
funden. Gerade auf dem Gebiet also, das man bisher für die Heimal
der homerischen Dichtungen gehalten hat, an der kleinasiatischen
Ostküste ist die totale Verbrennung eingebürgert, und insofern wäre
allerdings der Gegensatz in der Bestattungsweise zwischen Mykenäern
und homerischen Achäern vorhanden. Auch in Argos hat Vollgraff
(BCH. 28, 398) beide Bestattungsweisen nebeneinander gefunden.
Allein ist es nötig, daraus auf einen Rassengegensatz zu schließen?
Offenbar nicht, da es doch möglich ist, daß dasselbe Volk seine Be-
stattungsgebräuche gewechselt hat. Daß dabei religiöse Überzeugungen
im Spiel waren, wie Rohde, Psyche I, 29 ff. 37 ff., gemeint hat, glaube ich
ebensowenig wie Dragcndorff, dessen Erklärungsversuche allerdings
auch nicht befriedigen : das wahrscheinlichste bleibt doch immer, daß
der Übergang von der Bestattung zur Verbrennung dann eintritt, wenn
ein bis dahin seßhaftes Volk in eine Periode dauernder Wanderungen
eintritt, so daß es sich gezwungen sieht, die Reste seiner Toten mit
sich zu führen, falls es sie nicht in fremder Erde ruhen lassen will.
Dies mag auch der Fall der Mykenäer gewesen sein, und insofern
stehen die Bestattungsgebräuche einer Gleichsetzung der My-
kenäer und der homerischen Griechen nicht im Wege. Dann
aber ergibt sich eine ziemlich reinliche Scheidung : die kretische* Kultur
ist nicht griechischen , wahrscheinlich sogar nicht indogermanischen
Ursprungs, während die mykenische bereits einen unzweifelhaft
griechischen Einschlag zeigt. Auf Grund dieser Unterscheidung hat
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70
Thomas Lenschau.
es dann Vollgraff in seinem geistvollen Aufsatz unternommen, den
Umfang der künstlerischen Begabung der Urrasse und ihre Nach-
wirkung bis in die Kultur unserer Tage hinein darzustellen.
Danach wird man sich das Eindringen der Griechen in
ihr späteres Gebiet etwa so vorzustellen haben, daß die von Norden
her kommenden ostindogermanischen, wohl den Thrakern verwandten
Scharen zunächst die auf den Inseln und dem Festland sitzenden
Urstämme, die sich bereits im Besitz einer hohen, für uns durch
die altkretischen Funde repräsentierten Kultur befanden, unterwarfen
und auf Grund dieser Kultur die mykenische Mischkultur erzeugten.
Um etwa 1500 (nach Evans; nach Dörpfeld um 1800) gelang es
ihnen, endlich auch die Hochburg und den letzten Hort der alten
Kultur, Kreta, zu unterwerfen und hier ebenfalls die ihnen eigen-
tümliche Mischkultur zum Siege zu bringen. Auf diese traf dann
der zweite Hauptstoß der — nach Kießling — den Illyriern ver-
wandten westindogermanischen Dorier mit dem Ergebnis, daß die
eigentümlich mykenische Kultur auf dem Festlande und Kreta voll-
ständig vernichtet ward : sie hielt sich nur in Kleinasien , wo dann
auf spätmykenischer Kulturstufe die homerischen Dichtungen ent-
standen sind. Allerdings ist gerade diese letzte Behauptung in letzter
Zeit sehr lebhaft bestritten worden, und zwar von Dörpfeld:
wenigstens ist dies das für die Geschichte Wesentliche in seiner viel,
vor allem von Wilamowitz, bekämpften Leukas-Ithakahypothese.
Auf die Einzelheiten kann hier im Rahmen des Jahresberichts über
griechische Geschichte kaum eingegangen werden, so viel jedoch
muß gesagt werden, daß beide Forscher auf einem grundsätzlich ver-
schiedenen Standpunkt stehen, der eine Verständigung unmöglich
erscheinen läßt. Wilamowitz geht von der bisher allgemein ge-
teilten Voraussetzung aus, daß die Odyssee in Kleinasien entstanden
ist, und daß folglich ihre geographischen Angaben über Ithaka eine
scharfe Interpretation gar nicht vertragen, da „dem Dichter nur
einige Ortsnamen und vage Vorstellungen zu Gebote standen , sonst
nichts." Anders Dörpfeld, dem „Homer die Literatur der jüngeren
mykenischen Epoche ist", und dem wenigstens die Odyssee als in
Westgriechenland in unmittelbarer Anschauung der geschilderten
Gegenden entstanden gilt: für ihn sind die Angaben der Odyssee
Über die Lage lthakas vollkommen genau, und da sie auf Ithaka
nicht, besser dagegen auf Leukas passen, so muß eben dieses das
homerische Ithaka sein, das durch einen Zufall seinen Namen an das
kleine Felseneiland verloren hat. Schließlich liegt der einen Ansicht
so gut eine petitio principii zugrunde wie der andern, and nur
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Jahresbericht über griechische Geschichte (1903—1906).
71
das läßt sich sagen : sollte es DörpfelöV gelingen , durch Grabungen,
wie er sie tatsächlich auf Leukas angestellt hat, oder sonstwie durch
unzweifelhafte Beweise seine These zu stützen, so würde dadurch die
herrschende Theorie, die Ilias wie Odyssee in Kleinasien entstanden
sein läßt, allerdings stark erschüttert werden. Gegen Dörpfelds These
sind Michael, Lang und Gruhn aufgetreten, für sie vor allem Goeßler
und W. v. Marpes.
Wie dem aber auch sein möge: daß jener Stoß der Griechen
von Norden her, der die kretische oder altägäische Kulturwelt traf,
mannigfache Völkerverschiebungen erzeugt hat, liegt auf der Hand,
and als seine letzte Nachwirkung betrachtet man jene Völkerwellen,
die unter Merenptah und Ramses III. bis nach Ägypten gelangten.
Daß unter den Aquaiwascha der ägyptischen Inschriften die Achäer
zu verstehen sind, gilt gegenwärtig als ausgemacht ; dagegen werden
die Schardana nicht mehr von Sardinien , sondern von Sardes ab-
geleitet, und in den Tuirscha oder Turuscha erblickt man die Tyrrhener,
die Lehmann wie Dörpfeld beide durch den Vorstoß der Achäer aus
Kreta oder Kleinasien verdrängt nach ihren späteren Wohnsitzen ge-
langen lassen. Sonach wären also die Etrusker tatsächlich wie Lykier
und Karer, Eteokreter u. a. ein Überbleibsel jener alten vorgriechischen
und nichtindogermanischen Bevölkerung, der die Anfänge der ägäischen
Kultur zuzuschreiben sind (vgl. die später angeführten Schriften
Schjetts S. 77). Dagegen hat schon Hall in seinem Buche den
Einwand erhoben, daß sich die Einwanderung der Etrusker aus
Mitteleuropa über das Potal nach Etrurien noch heute deutlich ver-
folgen lasse (Anc. Civ. p. 174), ein Bedenken, das doch nicht so
ohne weiteres von der Hand gewiesen werden kann. Im übrigen ist
es klar, daß bereits jener erste Stoß der Achäer die ursprünglichen
Völkerverhältnisse im Gebiet des ägäischen Meeres stark gegen-
einander verschoben hat, und diese Verwirrung hat sich dann noch
gesteigert, als der zweite Stoß der dorischen Wanderung dieselben
Gegenden traf und abermals alles durcheinanderschob. Am stärksten
war die Verwirrung an der kleinasiatischen Ostküste und aus dem
Chaos der hier zusammengeschobenen Völkersplitter hat sich nach
v. W i 1 a m o w i t z endlich der ionische Stamm entwickelt (S. 1 2 ff.).
Die Sache erscheint durchaus plausibel, wenn man eine Analogie aus
der deutschen Geschichte herbeizieht : aus den mannigfachen Völker-
resten und versprengten Trümmern , die sich im Norden der großen
Heerstraße über den Brenner in der Völkerwanderungszeit absetzten,
ist allmählich ein Stamm von so starker Individualität wie die Bavern
erwachsen . deren Name doch wohl den damals längst verschollenen
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I
72
Thomas Leuschau.
Bojern entnommen ist. Die Möglichkeit, daß die Ionier auf diese
Weise entstanden sind , wird man zugehen müssen ; sieht man vou
der Anknüpfung an Athen und Achaia ab , die v. Wilamowitz
unzweifelhaft richtig als Reflex späterer Verhältnisse betrachtet,
so jzeben die einheimischen Sagen ein geradezu chaotisches Gewirr,
indem Ansiedler aus beinahe sämtlichen Gegenden Griechenlands er-
wähnt werden. Immerhin heben sich doch noch einige Schichten
deutlich ab, so daß hier vielleicht die Forschung noch über die
v. Wilamowitz erzielten Ergebnisse hinausgeführt werden kann.
Dali ursprünglich das ionische Gebiet besonders nach Süden hin
weiter ging als später, hat v. Wilamowitz mit Recht betont, und auch
das kann richtig sein, daß der loniername erst mit dem später ge-
schlossenen Runde am Panionion aufkam. Indessen würde sich da-
durch die Gründung dieses Bundes ziemlich weit ins 8. Jahrhundert
hinauf verschieben, da die bisher ersten Erwähnungen des Ioniernamens
nach Winkler (S. 81) unter Saigon 709 und Senacherib 695 fallen.
So viel dagegen scheint festzustehen, daß der größte Teil der
ionischen Städte bereits vor der dorischen Wanderung, also
noch in mykenischer Zeit, besiedelt worden sind, und um dieselbe
Zeit scheinen auch vom Südpeloponnes herüber Griechen nach Kyrene
gegangen zu sein, wofür Gercke allerhand Material beigebracht hat.
Im ganzen können — darin hat v. Wilamowitz zweifellos recht —
nur Einzeluutei suchungen über die zwölf Städte die wünschenswerten
Aufschlüsse über Ionien geben ; dennoch wird er schwerlich mit der
Art der Behandlung zufrieden sein, die die Urgeschichte von Ephesos
unter Rädels Händen, man darf wohl sagen, erlitten hat. Was
hier Über die ältesten Schicksale der Stadt gesagt wird, ist bare Kon-
struktion ohne die geringste Grundlage ; dem delphischen Orakel wird
bei der Gründung im 11. Jahrhundert bereits eine Rolle zugeschrieben,
wie sie das Heiligtum etwa im 7. und 6. Jahrhundert ausübte ; geradezu
beängstigend aber wirkt das Jonglieren mit derartig vagen Völker-
bezeichnungen wie Pelasgern und Lelegern. Dazu kommt nun eine
ganz unberechtigte Neigung, die hier gewonnenen Ergebnisse zu
verallgemeinern: en somme, sagt der Vf. zum Schluß, topographique-
ment et historiquement Ephese nous re'pre'sente un des types les plus
saisissants et les plus complets des colouies grecques de Tage höroique.
Recounaissances preUiminaires d'aventuriers, essais et dCboires de ces
e'claireurs, consultation du dieu de Delphes et response de l'oracle, choix
d'un roi de famille sainte, investi du commandement et du sacerdoce,
expödition reguliere sous la conduite de l'oekiste ofticiel, utiiisations de
postes ou de'barcaderes phcjiiciens, negociations diplomatiques entre
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Jahresbericht über griechische Geschichte (1908—1906). 73
l'Üot parasitaire et le sanctuaire d'en face, avances au clergö de l'asile,
traitös d'alliance devant l'autel de la grande deesse cosmopolite avec
la classe turbulente des me*teques, guerre aux notables de la Haute
ville et aux nobles du chäteau, prise de l'acropole, refoulement des
indigenes, partage du pays conquis, gdification de temples, syncrötis-
me religieux installation d'une bourgade rurale ä proximite*
du port et de Tagora, campagnes de frontiere pour donner de Tair a
l'Etat nouveau: enfin dernier trait, construction de l'hgroon du fon-
dateur — voilä quels sont les öpisodes significatifs de la colonisation
d'Ephese. Und das alles soll typisch sein für diese ältesten An-
siedelungen, die doch unter den verschiedensten Formen vor sich
gegangen sind! Typisch ist es höchstens für die Art. wie sich
spätere Geschichtschreiber den Beginn der Kolonisation vorstellten,
und sicher bilden der Artikel Bürchners und die Ausführungen
Benndorfs eine bedeutend bessere Grundlage für unsere Kenntnis
der Geschichte von Ephesos als Radets phantasievolle, aber der
Kritik nirgends standhaltende Darstellung.
Zweites Kapitel.
Das griechische Mittelalter.
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Wilamowitz, Panionion. S. Ber. Beil. Ak. 1906. S. 38—57.
Wenn auch der Verlauf der dorischen Wanderung noch keines-
wegs in allen Punkten aufgehellt ist, so beginnen wir doch jetzt all-
mählich im einzelnen klarer zu sehen und einzelne Etappen auf dem
Wege der westgriechischen Scharen genauer zu erkennen. Daß
Thessalien eine wichtige Station auf diesem Zuge war, darauf hat
bereits Kern, auf religionsgeschichtliche Gründe gestützt, hingewiesen;
auch Kornemann nimmt in der im vorigen Kapitel erwähnten Ab-
handlung an, daß die erste griechische Einwanderung von dort über
die Kykladen nach Kreta ging. Einen weiteren wichtigen Beitrag
hat H e i d e m a n n geliefert. Er geht davon aus, daß schon im Schiffs-
katalog Südmessenien einen Teil des spartanischen Gesamtstaates
bildet und begründet dann die zuerst von Wilamowitz und Schwartz
ausgesprochene Ansicht (vgl. d. vor. Ber.), daß Messenien von der
Stidostecke aus erobert worden ist, unmittelbar im Anschluß an die
dorische Wanderung. Der Weg, den die Eroberer dabei einschlugen,
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7(3
Thomas Lenschau.
ging von Las hinüber nach Oitylos durch eine tiefe Talspalte, die
den eigentlichen Taygetos von seinem südlichen Ausläufer trennt
(S. 16 f) ; die Landstriche, die sie eroberten, wurden dem Reich von
Pylos abgenommen, das durch die eindringenden Dorier schwere
Verluste erlitt, wie man schon lange aus der bekannten Erzählung
Nestors von der Vernichtung des Neleidengeschlechts durch Herakles
geschlossen hatte. Die geschlagene Bevölkerung, deren ursprünglicher
Name Kaukonen war, ging zum Teil in Pylos auf die Schiffe, zum
Teil zog sie sich nordwärts nach Triphylien zurück und gründete
hier ein zweites Pylos. Dessen Existenz ist nun der Anlaß für
Apollodor zu seiner eigentümlichen Auffassung von Nestors Reich
geworden , nach der dieses mit dem messenischen Pylos nicht das
geringste zu tun haben sollte, eine Auffassung, die, wie bekannt,
Strabo in seiner Geographie sehr stark beeinflußt hat. So weit
Heidemann; bedenklich scheint bei der Sache zunächst eines: wenn
das messenische Pylos , dessen Namen H. übrigens wohl richtig als
Tor der Unterwelt erklärt (S. 24), tatsächlich nur eine Durchgangs-
station war (S. 36), wie kam es dann, daß die Kaukonen von dieser
Stadt gerade den Namen erhielten , und daß der neue Name Pylier
den alten so vollständig verdrängen konnte? Das scheint doch eher
darauf hinzudeuten, daß das messenische Pylos einmal eine viel
wichtigere Rolle in der Geschichte der Kaukonen gespielt hat. Und
weiter sehe ich nicht ein, wieso 11. auf S. 42 die Erwartung aus-
sprechen kann, daß im triphyüschen Pylos Grabungen auf Überreste
aus mykenischer Zeit wohl auf die Dauer erfolglos sein würden.
Gerade wenn seine Darstellung richtig ist, woran ich im großen und
ganzen nicht zweifle, würde man doch hier Spuren vordorischer,
mykenischer Kultur erwarten, die die Kaukonen hierher mitbrachten.
Sollten sich keine finden, so würde nichts im Wege stehen, alle jene
von IL meines Erachtens durchaus richtig dargestellten Vorgänge
ein paar Jahrhunderte später zu legen und die Eroberung Süd*
messeniens nicht ins 10. und 11. Jahrhundert, sondern ins 8. zu
verlegen, so daß sie nicht den letzten Akt der dorischen Wanderang,
sondern den ersten Akt der messenischen Kriege darstellt, wie denn
K. J. Neumann diese Vorgänge tatsächlich in den Beginn des
8. Jahrhunderts, kurz vor die lykurgische Verfassung verlegt. In-
zwischen scheint die Frage der Entscheidung sich zu nähern: Zeitungs-
notizen zufolge hat Dörpfeld das triphylische Pylos entdeckt, und
wenn man den Nachrichten trauen darf (Voss. Zeitung vom 15. 6. 07),
bedeutende my kenische Überreste gefunden. Dadurch würde der
Auffassung H.s, das triphylische Pylos sei eine spätere Gründung,
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Jahresbericht über griechische Geschichte (1903—1906).
77
um reisenden Griechen die Stätte, wo Nestor gelebt, zeigen zu können
(S. 36), allerdings der Boden entzogen sein.
Auch Heidemann ist übrigens der Ansicht, daß der Stoß der
Dorer von der Argolis her über die Parnonpässe das obere Eurotastal
traf, wie sich denn die ganze Wanderung größtenteils doch wohl zu
Lande und über den Isthmos vollzogen hat. Während der schweren
Kämpfe, die sie hervorrief, ist den Griechen die Seeherrschaft ver-
loren gegangen und an ihre Stelle schoben sich die P h ö n i z i e r , die in
den homerischen Gedichten als das vorwiegende Handelsvolk er-
scheinen. Über ihre Stellung im Völkerleben hat W. von Landau
gehandelt und auch er huldigt der jetzt herrschenden Ansicht, daß
ihre Einwirkung auf Griechenland verhältnismäßig gering gewesen
ist, während früher mit der Annahme phönizischer Siedelungen in
Griechenland geradezu Mißbrauch getrieben wurde. Neuerdings aber
hat sich der Zweifel sogar gegen die einzige Position gerichtet, die
bisher für sicher phönizisch in Griechenland galt: von dem an sich
richtigen Grundsatz ausgehend , daß Götternamen zunächst aus der
Sprache des Volkes zu erklären seien, das sie verehrt, hat Maaß den
Namen des Melikertes auf dem Isthmus, den man bisher dem tyrischen
Stadtgott Melqart gleichsetzte, von und xefpeiv abgeleitet und den
„Honigschneider" selbst als eine altheimisch ländliche Gottheit auf-
gefaßt, eine Erklärung, die freilich nicht jeden befriedigen wird. Da-
gegen hat Börards Buch, der überall in der Odyssee die Spuren der
Phönizier findet, besonders nach der linguistischen Seite hin in
Deutschland fast allgemeine Ablehnung erfahren : die Behandlung der
Probleme erinnert unwillkürlich an Movers' bekanntes Werk, dessen
Einfluß bei uns jetzt wohl völlig überwunden ist. Eigentümlich ist
die Wendung, die Schjatt neuerdings dem Gedanken einer Be-
einflussung Griechenlands von Osten her gegeben hat. Ungefähr im
14. vorchristlichen Jahrhundert sind nämlich seiner Ansicht nach
zwei Typen von Staatsverfassungen unter den nordsyrischen Völker-
schaften ausgebildet worden. Den nördlichen, der eine Zwölfteilung
des Volkes zugrunde legt und auch in der Stammeseinteilung Israels
zutage tritt, tibertrugen die Kutennu, die Vorfahren der Tyrrhener
oder Etrusker (Rasenna-Kutennu), nach Etrurien und Athen (Dode-
kapolis), und in der Tat zeigen ja attische Lokalsagen starke Spuren
tyrrhenischen Einflusses; den südlichen (3 Phylen zu 10 Phratrien
zu 10 Geschlechtern) will Sch. in Sparta, Rom und Karthago wieder-
finden, wohin er durch phönizische Vermittelung gelangt ist. Im
allgemeinen bewegt sich hier sowohl wie in seinen später zu er-
wähnenden Ausführungen über die Ausbildung des athenischen Staates
78 Thomas Lenschau.
der Vf. durchaus auf dem Boden der Konstruktion; er verschmäht
es, seine Ansichten im einzelnen zu begründen, da sie nach seiner
Meinung ihre Begründung in sich tragen, und in der Tat läßt sich
nicht leugnen, daß er einige interessante Parallelen aufgedeckt hat
Allein so bestechend derartige Konstruktionen in aphoristischer Form
auch sind, so können sie doch eine eingehende, das gesamte Material
umfassende Darstellung nicht ersetzen, und solange Sch. diese nicht
gibt, wird man seine Forschungsergebnisse sowohl für die griechische
wie für die römische Geschichte ablehnen müssen.
Überhaupt ist die Frage nach den ältesten Lebensformen der
hellenischen Stämme noch nicht geklärt. Über die Phylen hat
Szanto ausführlich gehandelt und zunächst daraufhingewiesen, daß
wir für weite Gebiete Griechenlands, z. B. Boiotien, und große Gebiete
des Peloponnes sicher ursprüngliche Phylen gar nicht kennen: ein
wirkliches Leben zeigen sie nur bei Doriern und Ioniern, wo aber zu-
gleich eine tiefe Wesensverschiedenheit zutage tritt. Die drei dorischen
Phylen sind nach Sz. nicht als ursprüglich verschiedene Stämme aufzu-
fassen, aus denen das Gesamtvolk zusammenwuchs, sondern sie sind
einem zur Zeit der dorischen Wanderung bestehenden Besiedelungs-
prinzip entsprungen, und daher sind sie auch überall dort verbreitet,
wo sich Dorier ansiedelten. Vielfach aber trat neben die drei dorischen
Phylen noch eine vierte, in der die früheren Bewohner vereinigt
waren, und so entstand ein Übergang zur gentilizischen Einteilung,
indem auch bei jenen drei dorischen Phylen sich aus dem ius soli
ein ius sanguinis entwickelte. Anders die ionischen Phylen, die aber
besser attische zu nennen wären, da sie nur in Attika bodenständig
erwachsen sind. Hier stellt sich Sz. den Urzustand des Landes als
eine Amphiktionie selbständiger Staaten vor — ob es gerade zwölf
waren, wie die Sage behauptet, bleibt zweifelhaft — , die sich dann
zum Einheitsstaat zusammenschlössen, der nunmehr die vier attischen
Phylen als lokale Unterabteilungen entwickelte. Dieser lokale Charakter
wirkt auch später noch nach, so in der Kaukrarieneinteilung ; im ganzen
aber hat auch hier eine Entwicklung des ius soli zum ius sanguinis
stattgefunden, so daß die Phylen später als gentilizisch erscheinen.
Eine Möglichkeit der Erklärung der Phylennamen fällt dann freilich
fort, und auf sie verzichtet Sz. auch; schwieriger ist es bei seiner
Ansicht allerdings, das Vorkommen der Phylen in den ionischen
Städten zu erklären. Nattirlich setzt er eine Zuwanderung aus Attika
voraus, aber gerade hier ist ein wirklich historischer Zusammenhang
besonders in dem Umfang, wie ihn das Altertum annahm, doch mehr
als zweifelhaft. Immerhin behält die Zusammenstellung des Materials
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Jahresbericht über griechische Geschichte (1903—1906). 79
in Sz.s Arbeit auch dann ihren Wert, wenn man seine Ansicht über
die Entstehung der Phylen nicht zu teilen vermag, und wichtig vor
allem scheint der Gedanke, daß aus dem ius soli tatsächlich im Laufe
der Jahrhunderte ein ius sanguinis hervorgehen kann.
Die ursprüngliche Regierungsform ist bei den griechischen
Stämmen unstreitig das K ö n i g t u m gewesen : indes schon bei Homer
unterliegt die Königsgewait bedeutenden Beschränkungen durch die
Aristokratie, wie Finsler hervorgehoben hat; in der Ilias, die
übrigens im Schiffskatalog und im Schild das Königtum überhaupt
nicht kennt, scheint zwar noch eine Erinnerung an das mächtige
Königtum der mykenischen Zeit durchzuklingen , im ganzen aber ist
hier und mehr noch in der Odyssee der König ein Regent von Adels
Gnaden. Das aber legt nach F. die Vermutung nahe, daß die
Weiterentwicklung, die allmählich zu immer stärkerer Beschränkung,
ja zur Abschaffung des Königtums führte, rascher vor sich gegangen
sein muß, als man gewöhnlich glaubt, und nicht bis ins 8. Jahr-
hundert hinabreicht. Doch beruht diese Ansicht wohl auf einer
Unterschätzung der Lebenskraft sozialer Einrichtungen: in Eleusis
bestand ein Sonderkönigtum noch im 8. Jahrhundert, und nach
Seecks Ansicht hat es auch um dieselbe Zeit noch in Athen be-
standen. S. schließt nämlich (S. 292 ff.) aus der auch später noch
im Archonteneid üblichen Formel (rt jx^v tot &k Äxaattp xx£), daß
Medon und Akastos die ersten Jahresarchonten waren, die an die
Stelle des Königtums traten, und daß also die sog. zehnjährigen
Archonten in Wirklichkeit nur einjährige sind, daß somit der Sturz
des Königtums 711 stattfand. Als man nun später sah, daß bei
Anwendung des chronologischen Systems in der athenischen Geschichte
zwischen Kodros, dem letzten König, und dem ersten Archonten eine
mehrhundertjährige Lücke entstand, half man »ich dadurch, daß man
die 28 ersten Namen der Archontenliste hernahm und ihre Inhaber
zu zehnjährigen Archonten machte, so daß jetzt die Liste der Jahres-
archonten mit Kreon 683 begann. Die Ansicht hat unzweifelhaft
einiges für sich . und jedenfalls mit Gründen aus der allgemeinen
Entwicklung wird man ihr nicht beikommen können.
Dennoch wird man im allgemeinen nicht fehlgehen, wenn man
das 8. Jahrhundert als die Zeit betrachtet, in der die Adels-
herrschaft sich durchsetzte, nicht bloß gegenüber dem Königtum,
sondern auch im Kampf mit der Volksversammlung, die doch in der
llias noch eine beschließende Funktion hat, wie Seymour im Gegen-
satz zu der aristotelischen Auffassung sich darzutun bemüht. Zugleich
beginnen die inneren Kämpfe, die dann eine der Hauptursachen der
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I
80 Thomas Lenschau.
Kolonisation ausmachen, die etwa das Jahrhundert von 750—650
einnimmt. Freilich lassen sich die einzelnen Daten nicht unbedingt
feststellen, möglich ist ja, daß Sinope wie Robinson meint, der der
Stadt eine eingehende Darstellung gewidmet hat, bereits im An-
fang des 8. Jahrhunderts von Griechen besetzt worden ist; doch
beruht die Ansetzung nur auf der von Xenophon mitgeteilten Tat-
sache, dato Trapezus, das nach Eusebios 756 begründet sein soll, eine
Kolonie von Sinope war. In die spätere Zeit führt dann die Koloui-
sierung von Kyrene, über die Malten gehandelt hat; er befaßt sich
zunächst hauptsächlich mit der Sagengeschichte der Stadt, während
Gercke bereits eine Ansiedelung aus mykenischer Zeit an dieser Stelle
wahrscheinlich gemacht hat (s. oben S. 72). Begründetere Ergebnisse
haben Bonfiglios Forschungen über das ältere Akragas gezeitigt;
danach lag die Griechenstadt allein auf dem östlichen Hügel, und das
heutige Girgenti fiel ganz aus dem Mauerring der Stadt heraus. Viel-
mehr lag auf dem Hügel, auf dem sich heute G. erhebt, die alte Sikeler-
stadt Kamikos, die in der Minossage eine so bedeutende Rolle spielt,
und wir hätten demnach hier ein interessantes Beispiel für das sicher
öfter vorgekommene Nebeneinanderbestehen von Griechen- und Bar-
barenstadt, die erst allmählich miteinander verschmolzen. Allerdings
hat dann die Burg von Akragas auf der jetzt sogenannten Rupe
Atenea gelegen, der höchsten, an Flächeninhalt nur geringen Er-
hebung des östlichen Hügels, was zwar mit den antiken Zeugnissen,
nicht aber mit den Ansichten der neueren Forscher stimmt, die die
Topographie von Akragas behandelt haben.
Die letzte Phase der antiken Staatenentwicklung vor dem Siege
der Demokratie ist die Tyrann is, über die neuerdings Nord in
gehandelt hat, und in der er eine Art Neuschöpfung des Königtums
auf demokratischer Grundlage erkennt. Ein staatsrechtbcher Unter-
schied zwischen Königswürde, Aisymnetie und Tyrannis ist nach N.
nirgends nachzuweisen; Aristoteles' bekannte Nebeneinanderstellung
und Trennung in der Politik beruht auf staatsrechtlichen Fiktionen,
die er iu den späteren Schriften selber wieder aufgegeben hat. Die
Wurzel der Tyrannis erkennt N. in dem Aufkommen der Macht des
Großkapitals, eine an sich richtige Bemerkung, die indessen Ure
nicht übertreiben und als allgemein gültig hinstellen durfte. Auch
ist der Nachweis, daß der Tyrann der Großkapitalistenklasse an-
gehört , Ure nur für Samos gelungen ; bei Athen hapert es schon
bedenklich mit der Beweisführung, und die Gleichsetzung der oiaxptoi
mit Bergleuten im technischen Sinne wird er trotz des Beispiels von
Cardin*, wo die im Kohlenbergbau beschäftigten Leute als people up
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Jahresbericht über griechische Geschichte (1903—1906). 81
the hüls bezeichnet werden, wenig Beifall finden. Für die übrigen
Tyrannen ist das von U. (S. 139 f.) beigebrachte Material zu gering,
um so weitgehende Schlüsse zu rechtfertigen, wie er daraus zieht.
Im allgemeinen aber wird gegenwärtig der Einfluß der Tyrannis auf
die griechische Geschichte viel höher eingeschätzt, als noch vor
zwanzig Jahren; mit Recht weist U. gelegentlich darauf hin, daß es
lediglich der Einäscherung durch die Perser zuzuschreiben ist, wenn
das spätere Athen die Züge der perikleischen und nicht der Pei-
sistratidenherrschaft getragen hat.
Große Schwierigkeiten bietet die Chronologie dieser Jahr-
hunderte, und da ist von großer Wichtigkeit, daß ein Ereignis,
dessen Datierung als vollkommen sicher galt, neuerdings wieder
chronologisch zweifelhaft geworden ist: der Beginn der Olympiaden-
rechnung im Jahre 776. Nach der Untersuchung A. Kört es kann
es keinem Zweifel unterliegen, daß unsere Olympionikenliste, wie
sie Hippias feststellte, und wie sie dann allgemeine Anerkennung
fand, für die ältere Zeit ein ziemlich willkürliches Machwerk ist;
offizielle Aufzeichnungen standen Hippias nicht zu Gebote einfach aus
dem Grunde, weil es keine gab. Woher er sein Material hatte,
wissen wir nicht; jedenfalls ist es nicht mehr gestattet, aus der Be-
schaffenheit der Liste irgendwelche Schlüsse zu ziehen, wie man sie
z. B. aus dem Fehlen der messenischen Sieger in späterer Zeit ge-
zogen hat. Leider läßt uns auch ein zweites Denkmal, das für uns
von großem Werte sein könnte, eben infolge seiner Beschaffenheit im
Stich. John L. Myres hat gezeigt, daß die bei Eusebios vor-
liegende Liste der Thalassokratien auf eine Zusammenstellung aus
perikleischer Zeit zurückgeht; seine scharfsinnigen Rekonstruktions-
versuche werden indessen dadurch stark beeinträchtigt, daß die Liste
in der Mitte sehr verdorben ist. Natürlich haftet auch den Ver-
suchen M.s, hier das Ursprüngliche wiederherzustellen, bei allem
aufgewandten Scharfsinn eine nicht zu vermeidende Unsicherheit
an; immerhin hat er viel wichtiges Material beigebracht, das im
folgenden noch zu verwenden sein wird.
Wenden wir uns nunmehr den Einzelstaaten und zunächst
den dorischen zu, so stehen hier neben Furtwänglers und Wald-
steins Ausgrabungen , die manches Licht auf die ältere Geschichte
von Aigina und Argos werfen , im Vordergrund des Interesses die
Arbeiten über altspartanische Geschichte. Im allgemeinen kam die
Forschung in den letzten Jahren immer mehr zu der Überzeugung,
daß die gesamte Lykurgtradition, wie sie am vollständigsten in
Plutarchs Lykurgos vorliegt, als eine Konstruktion durch Rückdatierung
Jahresbericht für Altertumswissenschaft. Bd. CXXXV. 6
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I
82 Thomas Lenschau.
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ans verhältnismäßig später Zeit betrachtet werden müsse , in der es
für nns schwer sei, Fiktion und geschichtliche Wahrheit zu unter-
scheiden ; insbesondere galt Lykurgos' Persönlichkeit als durchaus
unhistorisch, trotz des lebhaften Protestes, den der verstorbene Töpffer
in einer nachgelassenen Abhandlung dagegen erhob. Eine starke
Reaktion gegen diese Richtung bezeichnet K. J. Neumanns Aufsatz,
der aus einem auf der Historikerversammlung zu Salzburg gehaltenen
Vortrage hervorgegangen ist. Auch N. nimmt an, daß die Eroberung des
Eurotastales und Südmesseniens zeitlich zusammengehören, und erkennt
in diesen beiden räumlich durch die hohe Mauer des Taygetos von-
einander geschiedenen Gebietsteilen die Wurzel des spartanischen
Doppelkönigtums. Unmittelbar auf die Eroberung aber ist nach >\
die Landaufteilung gefolgt, und bei dieser Gelegenheit ist an die
Stelle der drei alten Phylen , die nur noch sakrale Bedeutung be-
hielten, die lokale Komen- oder Phylenverfassung getreten, die nun-
mehr das grundlegende Element der Verfassung ward. Es gab fünf
Komen oder Phylen in Sparta: Pitane, Mesoa, Limnai, Konoura und
Dyme, und ihre Unterabteilungen bildeten die zweifellos lokalen Oben,
indem diejenigen Spartaner, deren Landlose in derselben Obe lagen,
auch derselben spartanischen Phyle angehörten , die ihrerseits aber
natürlich mehrere Oben, vielleicht in verschiedenen Landesteilen, um-
faßte. Jede Phyle bildete den Rekrutierungsbezirk für einen der
fünf Lochen (Edolos, Sinis, Arimas, Ploas und Mesoates) , aus denen
sich das spartanische Heer zusammensetzte, und an ihrer Spitze
stand jedesmal ein Ephor. deren Ftinfzahl sich eben auf diese Weise
erklärt. Aus dieser inneren Übereinstimmung der verschiedenen
Elemente schließt nun Neumann, daß es sich um eine einmalige Ein-
richtung gehandelt, deren Datierung er aus dem Anfang der offiziellen
Ephorenliste (754) gewinnt. Danach haben also im Beginn des
8. Jahrhunderts kurz nacheinander erst die Eroberung des Eurotas-
tales, dann die von Südmessenien , dann die Landverteilung statt-
gefunden, und auf dieser beruht erst die Verfassung, die in ihrer
Geschlossenheit und Folgerichtigkeit nur das Werk eines einzigen
Mannes sein kann. Ob dieser Mann wirklich Lykurgos hieß, ist
dabei eine Frage von sekundärer Wichtigkeit.
So bestechend die Ansicht auf den ersten Blick erscheint, so
leidet sie doch zunächst an einer chronologischen Schwierigkeit.
Nimmt man mit N. — und dies halte auch ich für ein gesichertes
Ergebnis der Heidemannschen Arbeit — einen unmittelbaren Zu-
sammenhang zwischen der Eroberung Lakoniens und Südmessenien*
an, so ist man aus einem doppelten Grunde genötigt, mit der Datierung
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Jahresbericht über griechische Geschichte (1903—1906). 83
bis ins X. Jahrhundert hinaufzugehen, einmal, weil in dem triphy-
lischen Pylos, das von einem Teil der südmessenischen Pylier be-
gründet ward, sich vorwiegend mykenische Reste gefunden haben,
was doch im VIII. Jahrhundert undenkbar ist, sodann'aber, weil nach
der allgemeinen Überlieferung, an der zu zweifeln kein Grund vor-
liegt, Thera von Lakedaimon aus besiedelt ist; hier aber steht es
nach den Forschungen Drageitdorffs in der Nekropole sicher, daß die
älteste dorische Ansiedelung auf dem Messavuno noch ins IX. Jahr-
hundert gehört (Hiller von Gärtringen, Thera III c. 1). Damit aber
schwindet bereits der unmittelbare zeitliche Zusammenhang zwischen
der Landaufteilung , die der Eroberung folgte , und der Verfassung,
indem zwischen beiden ein Zeitraum von mindestens 150 Jahren liegt,
was der Glaubwürdigkeit von N.s Hypothese entschieden Eintrag tut.
Weiter beruht auch jene auffallende Zahlenübereinstimmung, auf die
übrigens gelegentlich schon Niccolini (Riv. stor. ant. IX) hingewiesen
hat, auf wenig sicherer Grundlage. Pausanias nennt (3, 16, 9) nur
vier Phylen, die aber sämtlich auch inschriftlich nachgewiesen sind,
Pitane, Mesoa, Limnai, Kynosura, übrigens offenbar alles lokale Be-
zeichnungen: Mesoa die Mittelebene, Limnai die Küstenebene,
Kynosura die Parnonhalbinsel , während mit Pitane der restliche
Teil, vielleicht also Südmessenien gemeint ist. Für eine fünfte Phyle
ist eigentlich kein Raum, und ihr Name ist tatsächlich nur bei Hesych
überliefert, was niemand für eine sehr glänzende Beglaubigung halten
wird. Unsicher ist die Sache auch mit den fünf Lochen; die Zahl
geben die Schol. bei Ar. Lysistr. 454 und Thuc. 4, 8 , vielleicht
aus Aristoteles (vgl. Hesych. /vfyot), und dazu würden Herodots
5000 Spartiaten bei Plataiai ja passen. Aber 418 bei Manttneia
sind es sieben, was man damit erklärt, daß infolge des notorischen
Rückganges der Spartiatenzahl im 5. Jahrhundert die Periöken in die
Lochen eingereiht wären und deren Zahl dann um zwei vermehrt sei,
wofür indessen eigentlich kein Grund ersichtlich ist. Weiter nimmt
N. infolge der Namensübereinstimmung der Phyle Mea6ot mit dem
Xfyo? Meaorftij? an, daß die fünf Phylen die Aushebungsbezirke der
Lochen gewesen sind, und das ist insofern ganz plausibel, als sich
dann der bekannte Widerspruch des Thuk. gegen den Xo/o? riitavaTijf
des Herodot erklärt : der offizielle Name war freilich anders, da sich
der Lochos aber aus Pitane rekrutierte, so begreift man, wie Her.
zu der Bezeichnung kam. Dies aber zugegeben, entsteht eine neue
Schwierigkeit. N. führt sehr richtig aus — und dies halte ich für
einen wirkliehen Gewinn seiner Untersuchungen — , daß die ländlichen
Oben, deren lokale Natur feststeht, eben vermöge des Systems der
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Thomas Lenschau.
Grundherrschaft sich in die städtischen Komen oder Phylen eingliedern
konnten, und erinnert ganz gut an Kleisthenes' Zusammenfassung
lokaler Demen zu einer Phyle. Wie aber erklärt sich dann Xen. hell.
4. 5. 11 , wonach Agesilaos ix raaij? ti); atpa-nac to'jc AjioxXaiou«
xaxsXtTisv iv Asgaup? Denn da es eine inschriftlich bezeugte tupa
tu>v 'A^uxXauuv gab, so müßten doch unter der Voraussetzung fester
Aushebungsbezirke sämtliche Arayklaier in ein und demselben Heeres-
teil vereinigt gewesen sein, was aber offenbar Xenophons Worten
widerspricht. Der einzige Ausweg für N. wäre der, daß er annähme,
bei der Heeresreform, durch die an Stelle des Xo/oc die fiopct trat,
seien eben geradezu die Grundlagen der ganzen Heeresverfassung um-
geworfen, wovon doch sonst keine Spuren vorliegen (vgl. unten Kap. 4).
Einstweilen möchte ich also weder an die Fünfzahl der Komen
noch der Lochen glauben ; die Angaben der Scholiasten scheinen mir
nicht sicher genug, um sie zur Grundlage so weitgehender Speku-
lationen zu machen. Allein mit der Zahlenübereinstimmung fällt auch
das beste Argument N.s, denn gerade sie erregt den Eindruck einer
bewußten Neuordnung nach bestimmtem Schema, und so glaube ich
denn, daß Neumanns scharfsinniger Versuch, der bisherigen Tendenz
der Forschung entgegen zu treten, mißlungen ist. Im übrigen bezieht
sich alles Gesagte ja nur auf die Verfassung im engeren Sinne; die
Vorschriften über die spartanische Erziehung, die die Sage ebenfalls
auf denselben Gesetzgeber zurückführt, enthalten Elemente, die teil-
weise noch aus der Urzeit des Volkes stammen. Mit Recht haben
Schurz und nach ihm Kazarow darauf hingewiesen , daß manche
Gebräuche, wie die Scheidung der Altersklassen, die Siajj.astt'j'toatf und
die Syssitien ihre nächste Analogie in ähnlichen Erscheinungen haben,
( Jtinglingsweihen , Münnerhäuser usw.), wie sie noch jetzt bei den
primitiven Völkern der Südsee im Gebrauch sind , und in mancher
Beziehung kann man Schurz beistimmen, wenn er Sparta „ein wahres
Museum älterer, sonst überall von der Kultur beseitigter Sitten"
nennt (Alterskl. S. 98). — WTas endlich die Anzahl der ursprünglichen
Eroberer betrifft, so geht Neumanns Ansicht, der sie auf 8 — 10 000
schätzt, wohl weit über die richtige Zahl hinaus, während Niccolinis
Ansatz (1000) ebensosehr darunter bleibt, weil er die Grenze des
für die Spartiaten zur Verfügung stehenden Landes viel zu eug an-
nimmt. Immerhin verdient sein Versuch, die Größe des spartanischen
Landloses zu bestimmen (14 ha), einige Beachtung, wenngleich er zu
hoch gegriffen erscheint.
An dieser Stelle aber sind vor allem Nieses Untersuchungen
über die lakedaimonischen Periöken zu erwähnen, die ich nicht an-
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Jahresbericht über griechische Geschichte (1903—1906).
85
stehe als einen der wichtigsten Beiträge zur altspartanischen Ge-
schichte zu bezeichnen. Der Verf. betont zunächst, daß Periöken
und Spartiaten nicht bloß durch gemeinsame Abstammung und Religion
miteinander verbunden waren, sondern auch durch gemeinsame Sprache,
was er gegen Meister (Dorier und Achäer SB. Sachs. Ges. Wiss.
Ph.-hist. Kl. 1904 S. 1 ff.) erweist (S. 137 ff.). Dann geht er dazu
über, den Umfang des Periökenlandes zu bestimmen; von der aus
dem Altertum überlieferten Hundertzahl gelingt es ihm, achtzig sicher
und weitere zehn mit Wahrscheinlichkeit nachzuweisen. Nicht größer,
aber von besserer Beschaffenheit war das Spartiatenland, das zu beiden
Seiten des Taygetos lag, keine Stadt enthielt und — das ist das
Eigentümliche — rings vom Periökenland umschlossen war. Das
Absichtliche dieser Anordnung springt in die Augen: die Periöken-
städte, die übrigens im Altertum als spartanische Kolonien galten, bilden
einen Schutzwall um das Spartiatenland; nur nach W., wo große
Viehweiden lagen, reichte es bis ans Meer, und das Fehlen des
Schutzwalls hat sich hier 425 unangenehm genug bemerkbar gemacht.
Als Sparta diese Anordnung schuf — der Schluß ist zwingend — ,
war es bereits der Mittelpunkt des Staates, der demnach aus der
Stadt erwachsen ist ; ob dagegen die Anordnung auch die Eroberung
Messeniens voraussetzt, wie N. will, ist mir zweifelhaft. An sich
kann die Einrichtung, die ursprünglich nur für Lakonien gedacht
war. später auf das eroberte Messenien Übertragen sein, und vielleicht
erklärt sich die Lücke bei Pylos gerade aus dem Umstand, daß die
vorhandene reriökenzahl nicht mehr ausreichte, auch hier einen voll-
ständigen Ringwall zu schaffen.
Während der folgenden Jahrhunderte vollzieht sich in der
spartanischen Politik ein tiefgreifender Wandel, indem nach außen hin
an die Stelle der Eroberungs- die Bundespolitik tritt , während im
Innern die Königsmacht mehr und mehr zugunsten der Ephoren ein-
geschränkt wird. Den erstgenannten Vorgang behandelt Nicco-
lini (in den Rendic); die Wendung tritt nach ihm bald nach den
messenischen Kriegen ein , für die übrigens nach allem bisher Ge-
sagten die Bezeichnung als „Bruderkrieg" nicht mehr verwendbar
ist. Den Grund zum Umschlag sieht N. in einer Koalition, die von
Pisa, Arkadien und Argos um die Zeit des messenischen Krieges zur
Verhinderung der spartanischen Eroberungspolitik geschlossen wird.
Um diesen Bund zu sprengen, geht Sparta um 560 das Bündnis mit
Elis ein, das dann die Grundlage der Bundespolitik geworden ist.
Nach und nach wird der ganze Peloponnes dafür gewonnen; nur
Argos schließt sich aus, wird aber durch die furchtbare Niederlage
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Thomas Lenschau.
von Sepcia gelähmt, die Wells mit entscheidenden Gründen
in den Anfang der Regierung Kleomenes I. verlegt und mit den
Plänen des Königs in Mittelgriechenland zusammenbringt. Über den
Kampf zwischen Königtum und Ephorat handeln Niccolini und
Solari (S. 153 ff.); danach ging zuerst die Regelung auswärtiger
Beziehungen und der Verträge mit fremden Staaten auf die Ephoren
über, dann folgten militärische Beschränkungen und Herabsetzung
der Kommandogewalt, bis endlich in der ersten Hälfte des 4. Jahr-
hunderts die Unterordnung der königlichen Gewalt unter die der
Ephoren als vollendete Tatsache erscheint. Szantos Artikel be-
handelt hauptsächlich die Entstehung des Ephorats; seine spätere
Entwicklung wird nur ganz kurz gestreift.
Wie bei Sparta, so sind auch bei Athen die ersten geschicht-
lichen Anfänge in Dunkelheit gehüllt; doch ist so viel sicher, daß
wenigstens die Stadt schon bis in die mykenische Zeit zurückgeht.
Über ihre Entstehung hat sich neuerdings ein Streit erhoben; gestützt
auf einige Reste auf der Pnyx, die er für mykenisch erklärt, hat
Drerup hier eine besondere Ansiedelung angenommen, die in uiyke-
nischer Zeit eine Art Unterstadt zu der eigentlichen Polis auf dem
Akropolishügel gebildet habe. Das widerspricht indessen der Äußerung
des Thuk. II, 15, dem zufolge die ältere Stadt xb u-' aöxTjv (nämlich
der Akropolis) irpo? v<5tov uaXiaxa TETpajijiivov umfaßt habe, und diese
Worte haben in Dörpfeld einen Verteidiger gefunden, der die von
Drerup als mykenisch angesprochenen Trümmer auf der Pnyx für
später, teilweise allerdings für vorperikleisch erklärt und darauf auf-
merksam macht, daß sich nur Vasenscherben aus klassischer Zeit auf
der Pnyx gefunden haben. Seiner Ansicht nach war die alte Akro-
polis eine kleine, von den Ureinwohnern (Pelasgern sagt D.) erbaute
Burg , wie es damals mehrere in Attika gab. Sie bestand aus einer
Oberburg, der späteren Akropolis, und einer Unterburg, die D. mit
etwas liberaler Auslegung des Begriffes voxo? von der Klepsydra an
der NW.-Ecke der Burg, bis zur zweiten Quelle im SO. beim Asklc-
pieion reichen und ebenfalls stark befestigt sein läßt (dies das sog.
Enneapylon). Rings um beide herum entwickelte sich später eine
offene atxxu, die dann von Themistokles ummauert und nun als Unter-
stadt betrachtet wurde. Dörpfelds Erklärung erscheint im ganzen
viel überzeugender; indessen kann auf diese topographischen Fragen
nicht genauer eingegangen werden. Eine umfassende Erörterung der
einschlägigen Verhältnisse geben Judeich und in kürzerer Fassung
auch das Buch von Fougeres.
Ebensowenig sind die Anfänge des athenischen Staates bisher
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Jahresbericht über griechische Geschichte (1903—1906). 87
völlig geklärt, und die neueste Theorie von Schjatt ist eher ge-
eignet, wieder Verwirrung zu stiften, indem er die Entstehung des
Staates auf die nach ihm erfolgreich verlaufene dorische Invasion
zurückführt. Ursprünglich nimmt auch er wie Szanto eine Zwölf-
teilung des Landes an zu der Zeit, da noch tyrrhenische Pelasger
und Semiten im Lande wohnten. Zu diesen beiden Stämmen, die
später als cqpotxol und o^u-tooppl bezeichnet wurden, kamen als
dorisch-hellenisches Element bei der gewaltsamen Kolonisation Athens
durch die Dorier die 360 Familien der eupatridischen «reu>urtpoi, deren
Landlose über ganz Attika verteilt wurden. Doch blieb die alte
Zwölfteilung, jetzt mit dem Namen <ppaxpta bezeichnet, in Kraft, in-
dem das dorische Verfassungsschema (s. S. 77) den attischen Ver-
hältnissen angepaßt ward ; aus ihnen gingen im Anfang des 7. Jahr-
hunderts die Naukrarien hervor, deren Vorsteher, die Prytanen der
Naukraren mit den drei an Stelle des Königtums getretenen Archonten,
die 51 Epheten bildeten, das eigentlich ausführende Organ der
Adelsherrschaft, während der Rat der Vier-, später Fünfhundert nur
der geschäftsführende Ausschuß der Volksversammlung war. Auch
von diesen Ausführungen Schjatts gilt das schon früher Gesagte, daß
sie neben einzelnen ansprechenden Erklärungen nur Hypothesen ent-
halten, deren Begründung der Vf. verschmäht, da er sie für un-
mittelbar einleuchtend hält.
Unter dem Adelsregiment, dessen völlige Durchführung an das
Ende des VIII. Jahrhunderts fällt (s. S. 79), haben sich in Athen un-
erträgliche soziale Mißstände gebildet, die in erster Linie den
ländlichen Grundbesitz betroffen haben, deren Natur jedoch noch nicht
völlig klar erkannt worden ist. Dies gilt besonders von der Klasse der
Hektemorier, von der schon im vorigen Bericht die Rede war (S. 150);
die neueren Arbeiten neigen sich doch der Ansicht zu, daß es Pächter
waren, die gegen Abgabe eines Sechstels das Land bebauten; das
Drückende lag, wie ich schon im letzten Bericht betonte, in der
Kleinheit der Pachtparzellen , deren Ertrag nur eben zureichte , den
Lebensunterhalt zu bestreiten. Abweichend hiervon erklärt Swoboda
die Hektemorier für hörige Kolonen, glebae adscripti, für die der
Staat ein für allemal die bestimmte Abgabenquote festgesetzt hatte,
die aber sonst persönlich frei waren. Den naheliegenden Einwand,
daß dabei kaum von einer Härte gesprochen werden könne, beseitigt
S. damit . daß er sagt , die Härte habe eben nicht in der Höhe der
Abgabe , sondern in der relativen Unfreiheit gelegen , die ihrerseits
auf eine freiwillige Ergebung zurückzuführen sei. Abgesehen davon,
daß die Quellen von einem derartigen Verhältnis nichts wissen, scheint
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Thomas Lenschau.
mir die ganze Darstellung Swobodas stark durch Analogien beeinflußt,
die der Entstehung des mittelalterlichen Lehnswesens entnommen sind.
Ob das zulässig ist, jnag man bezweifeln; an sich ist es durchaus
möglich, alle Formen der Hörigkeit bzw. der Schuldknechtschaft bei
den Griechen aus der Hypothekar- oder Personalverschuldung ab-
zuleiten. Übrigens erkennt S. das Vorhandensein der Hypothekar-
verschuldung in vorsolonischer Zeit an, im Gegensatz zur französischen
Schule (Fustel de Coulanges, Beauchct, Glotz), die bis auf Solon herab
nur ein Familieneigentum statuiert, bei dem natürlich eine Hypothekar-
Verschuldung in dem gewöhnlichen Wortsinn nicht möglich war. Doch
wird über diese Frage noch später zu handeln sein. — Über Drakon
und seine Tätigkeit ist jetzt der Artikel v. Miller (Pauly-Wissowas
Realenc. Bd. V. 1905) zu vergleichen, der nach eingehender Revision
der Frage es für unwahrscheinlich erklärt, daß Dr. eine Verfassung
gegeben hat.
Dali das Verfassungswerk Solons mit einem allgemeinen
Schuldenerlaß begann, hat kürzlich noch Seeck wieder festgestellt,
und insofern bezeichnet es einen Rückschritt, wenn Babelon
wieder zu der alten Ansicht des Androtion und Aristoteles zurück-
gekehrt ist, wonach die Seisachtheia in der Einführung eines neuen
Münzfußes bestand. Nur insofern modifiziert er die antike Ansicht,
als er das Vorhandensein des euboeischen Münzfußes in Attika vor
Solon nachweist : Solon gestattete also nur, die nach dem schwereren
Münzfuß kontrahierten Schulden in dem euboeischen leichteren Gelde
abzutragen. Richtiger beurteilt Seeck die Sache, der ebenfalls die
Existenz eines doppelten Münzfußes in Attika vor Solon annimmt ;
einer galt im Westen im Handel mit Aigina, der andere im Osten des
Landes im euboeischen Verkehr. Diese Verschiedenheit benutzt nun
S. in sehr ansprechender Weise dazu, zu erklären, wieso Androtion
und Aristoteles zu ihrer Ansicht gekommen sind. Da beide in Solon
den Vater der echten, alten gemäßigten Demokratie sahen, glaubten
sie ihm eine so radikale Maßregel wie einen allgemeinen Schulden-
erlaß, die Forderung der revolutionären Massen des ausgehenden
4. Jahrhunderts, gar nicht zutrauen zu dürfen, und die Existenz eiues
doppelten Münzfußes zu Solons Zeit brachte sie auf die Idee , der
leichtere von beiden sei erst von Solon selber und zwar zum Zwecke
der Schuldenerleichterung. eingeführt. In Wirklichkeit hat Solon an
der Münze gar nichts geändert. Die erste Änderung, die erwähnt
wird, fand vielmehr nach S. erst unter Hippias statt und war lediglich
eine Finanzoperation, um die leere Kasse des Tyrannen zu füllen,
indem er die alten Stücke zu einem niedrigeren Zwangskurs einzog
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Jahresbericht über griechische Geschichte (1908-1906). 80
»
und neue, nach demselben Münzfuß geprägte zum vollen Kurswert
wieder ausgab (Ar. oec. II, 2, 4 1347 a). Da nun aber doch eine
Kontrolle nötig und anderseits wegen der Beliebtheit der attischen
Münze eine größere Veränderung des Münzbildes untunlich war, so
bringt S. mit dieser Operation die einzige Änderung zusammen, die
unseres Wissens im Gepräge bei den älteren attischen Münzen vor-
genommen ist : nämlich die ziemlich unauffällige Anbringung der drei
Olivenblätter am Helm der Athena. Die Erklärung erscheint durch-
aus plausibel, vorausgesetzt, daß es möglich ist, die Münzen mit den
Olivenblättern so hoch hinaufzusetzen. Babelon hält sie erst für
nachmarathonisch. Dagegen kann ich mich der allgemeinen Ansicht
Seecks über Solons Reformen, der in ihnen eine agrarisch-reaktionäre
Tendenz erkennt (S. 315 ff.), in keiner Weiße anschließen; mit den
rXooatot, gegen die sich Solon so oft in seinen Gedichten wendet,
sind nicht etwa die Großkapitalisten, sondern die Großgrundbesitzer
gemeint, die ihre Macht den wirtschaftlich Schwächeren gegenüber
rücksichtslos ausnützten. Wäre S.s Ansicht richtig, so hätte doch
gerade der Teil seines Verfassungswerkes, in dem diese agrarisch-
reaktionäre Tendenz noch am ersten zu entdecken wäre, die lediglich
auf dem ländlichen Besitz beruhende Abstufung der bürgerlichen
Rechte und Pflichten , dem Andrängen der Gegner zum Opfer fallen
müssen. Aber gerade die Klasseneinteilung hielt sich unverändert
bis ins V. Jahrhundert, ein Beweis, daß sie nicht aus einer reaktio-
nären Tendenz hervorging, sondern den Verhältnissen des Landes
entsprach , das damals noch wesentlich agrarisch war und der Be-
tätigung des Kapitalismus in Handel und Industrie noch sehr geringen
Spielraum gewährte.
Den Grund zur wirtschaftlichen Blüte Athens hat erst die Herr-
schaft des Peisistratos gelegt, über den eine Monographie von
Oddo vorliegt, die sich in ihrem ersten und letzten Kapitel haupt-
sächlich mit der Quellenzusammenstellung und Literaturnachweisen
beschäftigt. Der Hauptteil befaßt sich mit der immer noch sehr
streitigen Chronologie der Regierung des Tyrannen. Wenn 0. für die
Verbannung — er nimmt mit Bcloch natürlich nur eine einzige an —
die Jahre 556/5 — 542/1 gewinnt, so wird die Wahrscheinlichkeit
dieses Ergebnisses einigermaßen dadurch beeinträchtigt, daß er die
c. 14, 15 der athenischen Verfassungsgeschichte ganz beiseite läßt.
Zwar erscheint die darin vorhandene Verwirrung auf den ersten
Blick fast hoffnungslos; dennoch liegt hier vielleicht der Schlüssel,
wie ich im vorigen Bericht (S. 168 ff.) zu zeigen versucht habe.
Allerdings ist nach Secck auf Einzelheiten hier überhaupt kein
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Thomas Lenschau.
Verlaß, sondern die ganze Chronologie ist vom Vertreibungsjabr rück-
wärts durch Generationenrechnung — 1 * für die Söhne = 161 2 Jahre
(527—510), eine ganze von 33 Jahren für Peisistratos selber (560
bis 527) — künstlich hergestellt worden. Allein, wenn ich auch
glaube, daß S. in vielem, was er über die Atthis sagt (S. 292 ff.),
Recht hat, so ist es doch ganz wohl möglich, daß sich der Archonten-
name des Jahres der Verbannung und der Rückkehr im Gedächtnis
erhalten hat, und daß insofern die Angaben bei Ar. Ath. pol. c. 14 f.
nicht aus der Luft gegriffen sind, die m. E. auf 538 als Jahr der Rück-
kehr führen. Streitig war ferner lange das Jahr des Bündnisses
zwischen Athen und Plataiai, das den Wendepunkt in der Politik der
Peisistratiden bildet: die klare Angabe des Thuk., die von Grote u.
A. verworfen, dann aber von Ed. Meyer wieder aufgenommen wurde,
ist kürzlich von Wells mit guten Wahrscheinlichkeitsgründen ver-
teidigt worden.
Bekannt ist die glänzende Bautätigkeit des Tyrannen und seiner
Söhne, deren genauere Besprechung in den Jahresbericht über Archäologie
gehört; hier sei nur noch erwähnt, daß Athen ihnen den Ausbau
der Enneakrunos und die Wasserversorgung verdankt, worüber die
Aufsätze Graebers zu vergleichen sind. Weiter ist aber auch
der große, unvollendete Athenatempel auf der Burg, auf dessen
Fundamenten später der perikleische Parthenon errichtet ward, und
dessen Beginn man der Zeit unmittelbar nach den Perserkriegen
zuschrieb (themistökleischer Parthenon Furtwänglers), neuerdings dicht
an die Peisistratidenzeit herangerückt. Dörpfelds genaue Unter-
suchung hat ergeben, daß der aus Porös hergestellte Unterbau in
die kleistbenische Zeit, vielleicht unmittelbar nach den Siegen der
jungen Demokratie fällt; später nach Marathon hat man dann die
Weiterführung in Marmor beschlossen, die aber noch nicht sehr weit
gediehen war, als die Zerstörung durch die Perser alles vernichtete.
Der Tempel hat dann unvollendet gelegen, bis 447 der Ausbau des
perikleischen Parthenons begann. Ist dies richtig, so wäre die im
vorigen Bericht S. 208 erwähnte Auslegung der Stelle des Anon.
Argent. durch Foucart, der 469 den Wiederbeginn der Arbeiten an-
setzen wollte, zurückzuweisen und Bruno Keils Ausführungen der
Vorzug zu geben. — Zuletzt mag an dieser Stelle noch Geyers
Schrift über Euboia erwähnt werden , die das vorhandene Material
über die Geographie der Insel zusammengestellt und manche Fragen
glücklich gefördert hat. Hierunter möchte ich den Kachweis rechnen,
daß das italische Kyme von dem später untergegangenen euboeischen
Kynie gegründet worden ist. Dagegen scheint in den eigentlich
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Jahresbericht über griechische Geschichte (1903—1900).
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historischen Problemen der Vf. weniger zu Hanse zu sein, sonst wäre
seine Darstellung des lelantischen Krieges, fast des einzigen größeren
Ereignisses der früheren Zeit, an dem Euboia einen entscheidenden
Anteil genommen hat, wohl weniger unbefriedigend ausgefallen.
Auch für die Geschichte der Ostgriechen haben die Aus-
grabungen sehr beachtenswerte Ergebnisse geliefert. Vun den Öster-
reichern in Ephesos ist oben schon die Rede gewesen; seit Herbst
1899 graben die Deutschen unter Wiegands Leitung in Milet, und
als erste Frucht dieser Arbeiten ist kürzlich die vortreffliche Karte
Wilskis erschienen. Unter den Ausgrabungsberichten ist für die ältere
Geschichte der Stadt besonders der vierte wesentlich: er berichtet
zunächst die Auffindung des heiligen Athenabezirks aus archaischer
Zeit, wie die gefundenen Vasenfragmente beweisen, die neben dem geo-
metrischen vor allem den sog. rhodischen und Fikelluratypus zeigen.
Weiter wurden in dem heiligen Bezirk des Apollon Delphinios sechs
Fragmente einer Beamtenliste gefunden : zwei ergeben in lückenloser
Abfolge die Eponymen der Stadt (Tce<pav7]96poi oi xal atsojivr^xai)
von 523 — 260 v. Chr., ein drittes Namen aus der Mitte des 2. Jahr-
hunderts , die drei letzten umfassen die Zeit von 89 v. Chr. bis 20-
n. Chr. Weitere interessante Funde, die den späteren Jahrhunderten
angehören, werden später Erwähnung finden.
In die ältere Zeit Ioniens führen die Untersuchungen, die
v. Wilamowitz unter dein Titel Panionion der Entstehung des
ionischen Bundes gewidmet hat. Nachdem er zunächst den
politischen Charakter des Bundes festgestellt hat, zeigt W. , daß er
sich zuerst bei der Zerstörung der Stadt Melia betätigte, die nördlich
vom Mykale ein ziemlich bedeutendes Stadtgebiet besaß. Nach der
Zerstörung des Ortes wurde dieses unter die Eroberer geteilt; das
Hauptheiligtum der Stadt dagegen, das natürlich erhalten werden
mußte, ward zum Bundesheiligtum erhoben, dessen Besorgung das
südlich vom Mykaleberg gelegene Priene übernahm. Später folgtenr
nachdem der Trerensturm vorübergebraust war, um einzelne Teile
des Gebietes heftige Kämpfe zwischen Samos, Priene und Milet, die
endlich mit einer schweren Niederlage von Priene endeten. Unsere
Kenntnis dieser Ereignisse beruht im wesentlichen auf einigen um-
fangreichen Inschriften späterer Zeit, die in Priene gefunden sind
und eine Darstellung des alten, vor verschiedenen Schiedsrichtern
verhandelten Streites zwischen Samos und Priene enthalten. Ich
kann an den Ergebnissen v. Wilamowitzens um so weniger etwas
aussetzen, als seine glänzenden Ausführungen eine früher einmal von
mir (Lpz. Stud. XII.) geäußerte Vermutung bestätigt haben. Was die Zeit-
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92
Thomas Lenschau.
bestiinmung betrifft, so ist die untere Grenze ja in dem Trereneinfall
unter Lygdamis (Tugdammu der assyrischen Inschriften) gegeben, den
Winkler (S. 60) auf 650 ansetzt. Nach oben hin ist sie zunächst nur
aus allgemeinen Erwägungen zu gewinnen , die natürlich etwas Un-
sicheres haben. Zugestanden muß werden, daß ein wichtiger Anlaß
zum Zusammenschluß in dem Aufkommen der größeren Hinterland-
staaten gegeben war ; ob aber dieser Fall schon unter Mita v. Mnski
(spätestens 715, s. Winkler S. 59) oder unter Guggu v. Lydien ein-
trat , können wir nicht wissen. Immerhin ist es erfreulich , aus den
assyrischen Annalen die wirkliche Existenz des Gyges bestätigt zu
sehen. In welchem Maße die griechische Überlieferung seine Gestalt
mit Sagen und Mythen tibersponnen hat, ist von Smith überzeugend
nachgewiesen worden.
Hier aber tritt nun weiter die Liste der Thalassokratien.
die bereits oben erwähnt ward, in ihrer Wichtigkeit für die Früh-
geschichte loniens hervor. In den unteren Partien, wo die Über-
lieferung einigermaßen übereinstimmt, d. h. etwa bis zur Seeherrschaft
der Phokaier, erweist sie sich als durchaus zuverlässig, abgesehen
von dem einen Kardinalfehler, daß das untere Ende zu tief herab-
gerückt ist. Wie die Dinge liegen, dauert nach Eusebios die Herr-
schaft von Eretria von 500 — 485, die von Aigina 485 — 475, während
es doch klar ist , daß für jene die Zerstörung Eretrias 490 , für
diese Salamis den Endpunkt gebildet haben muß. Indessen ober-
halb des Ansatzes der Phokaier beginnen die Lücken und starken
Abweichungen zwischen der Chronographie, dem Kanon, Synkellos und
der armenischen sowohl wie der lateinischen Übersetzung, und hier
kommen denn auch die beiden Bearbeiter, W i n k 1 e r und Myres, zu
ganz verschiedenen Ergebnissen, die ich hier einander gegenüberstelle :
Rhodier
nach W. 757—734,
nach M. 800—767,
Phryger
n
„ 734—709,
„ 767—742,
Cyprier
••
„ 709-676,
u 742—709,
Phoeniker
n
„ 676—631,
„ 709—664,
Ägypter
-
„ 631—605,
„ 664—604,
Milesier 1
„ 605—587,
„ 604—586,
Carer I
Lesbier
n
* 587
w 586 — 578,
Phokaier
„ 578—534.
Der Hauptunterschied liegt darin, daß W. die überlieferten Daten
beibehält, während Myres an einer Stelle abweicht, nämlich darin, daß
er die ägyptische Seeherrschaft über sechzig Jahre erstreckt, was ich
im wesentlichen für richtig halte. Was indessen für uns hauptsächlich
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Jahresbericht über griechische Geschichte (1908—1906).
93
in Betracht kommt, ist dies : Myres hat es in der Tat wahrscheinlich
gemacht, daß die Schlacht zwischen Kyaxares und Alyattes 585 einen
Umschwung der politischen Verhältnisse zu Ungunsten der Milesier
herbeiführte und das Ende der Seeherrschaft, die sie naturgemäß seit
dem Zusammenbruch der ägyptischen Macht bei Karchemisch 604 er-
worben hatten. Möglich, daß zugleich der Sturz des Thrasybulos
stattfand, wie M. meint; jedenfalls folgten nun zwei Geschlechter
hindurch jene Parteiungen und Zwist igkeiten, von denen Her. 5, 28
spricht, und die wahrscheinlich erst durch die Tyrannis des Histiaios
ein Ende nahmen. Natürlich beeinträchtigten sie die Machtentfaltung
der Stadt nach außen, und das ist der Grund, weswegen in dieser
Zeit Phokaia an die Spitze der griechischen Städte Ioniens trat.
Die Richtigkeit des Datums der Seeherrschaft von Phokaia
578—534 ist wohl bezweifelt worden, und allerdings gestattet Her.s
Darstellung kaum, den Zeitpunkt der Eroberung durch Harpagos viel
später als 541 oder 540 anzusetzen; Myres geht da jedenfalls zu
tief hinab. Allein der Fall Phokaias war keineswegs eine Zerstörung,
und Clerc hat mit vollkommenem Recht nachgewiesen, daß die
ganze Erzählung Herodots von der Auswanderung der Phokaier an
schweren inneren Widersprüchen krankt. Dem mag sein wie ihm
wolle, jedenfalls konnte eine Stadt nicht der Seeherrschaft ver-
lustig gehen, deren Flotte noch sechzig Segel stark auf dem Wasser
schwamm. Erst die Vernichtung dieser Flotte, meine ich, vor Alalia
im Jahre 535/4 kann mit Fug als das Ende der phokaischen Thalasso-
kratie bezeichnet werden, so daß also mindestens der Endpunkt, den
die Liste gibt, durchaus einwandfrei erscheint. Eine andere
Schwierigkeit in chronologischer Hinsicht geben die Beziehungen der
Phokaier zu Arganthonios von Tartessos, dem Her. eine Regierungs-
dauer von 80, eine Lebensdauer von 120 Jahren zuschreibt. Nun ist
ja diese letztgenannte Zahl entschieden nur durch die axu-Tj-Berechnung
gefunden ; daß dagegen die 80 Kegierungsjahre ganz wohl auf Wahr-
heit beruhen können, darin wird man Clerc beistimmen, der auf
Ludwigs XIV. 72 Jahre verweist. Um sie zu beseitigen, hatte
Rad et vermutet, Herodot habe in seiner Erzählung von dem An-
erbieten des Königs beim Herannahen der Meder seinen Gewährs-
mann Hekataios mißverstanden; dieser habe mit dem Meder Kyaxares,
nicht Harpagos gemeint und die Sache falle also in den Anfang der
achtziger Jahre. Diese Vermutung, die auf den ersten Blick die
Schwierigkeit zu lösen scheint, ist aber nicht nur unnötig, sondern
direkt falsch, indem Herodots Erzählung von der Einnahme Phokaias
voraussetzt, daß der Tod des Arganthonios noch nicht so sehr lange
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94
Thomas Lenschau.
erfolgt ist (1, 165). Man wird demnach die Regierung des Argan-
thonios etwa von 625—545 ansetzen müssen, und hier fällt nun auf.
daß die Phokaier das Anerbieten des Königs, eine Kolonie an der
Mündung des Guadalquivir zu gründen, nicht annahmen, später dann
aber doch Mainake, Abdera und Hemeroskopion an der spanischen
Küste gründeten, die doch offenbar bestimmt waren, über das iberische
Scheidegebirge hinweg und die Sierra Nevada den Verkehr mit dem
oberen Tal des Guadalquivir zu pflegen, wo die großen Silbergnil en
lagen. Juli i an wie Clerc erklären dies übereinstimmend damit,
daß nach der Ablehnung der Phokaier eine karthagische Reaktion
Am Hofe des Königs erfolgt sei , so daß der direkte Weg zu den
Silberminen den Griechen verschlossen blieb, und auch darin stimmen
beide überein, daß diese spanischen Kolonien direkt und nicht von
Massilia gegründet worden sind. Im übrigen beruhen alle diese
chronologischen Bestimmungen auf einem festen Punkt, auf dem Zu-
sammenstoß zwischen Alyattes und Kyaxares, der durch die dabei
erwähnte Sonnenfinsternis auf 585 festgelegt erscheint. Diese aber
setzt Wink ler neuerdings an zwei Stellen seines Buches (S. 61
und 85) ins Jahr 557, und das befremdet um so mehr, als er sie
beide Male unter Kyaxares' Regierung erwähnt, die er in Über-
einstimmung mit der hergebrachten Chronologie von 624 — 585 dauern
läßt. Man würde S. 85 an einen Druckfehler glauben, wenn nicht
S. 60 eigens hervorgehoben wäre, daß die Schlacht 557, nicht 585,
geliefert worden sei.
Die Zeit der Gründung Massilias läßt sich nicht genau be-
stimmen. Daß es nur einmal von Phokaia aus Bewohner erhalten
hat, zeigt Clerc; die gegenteilige Behauptung beruht auf einer alten
Verderbnis bei Strabo 6, 1. 1. (Antiochos), wo ÄXaXtav statt
MotaaaMotv zu lesen ist , wie schon Casaubonus sah. Dennoch sind
alle diese Ktistengegenden schon vor den Phokaiern besiedelt worden,
und zwar, wie es scheint, von Kretern und Rhodiern, die auch bei der
Gründung von Gela zusammen tätig gewesen sind. Dies ist das
Ergebnis der von Maaß geführten Untersuchungen, in denen er
beweist, daß die gesamte Nomenklatur an der Rhonemündung
hellenisch ist ; zugleich beweist die Rolle, die gerade diese Gegenden
in der Heraklessage spielen, sowie die zahlreichen Heraklestempel
an der Riviera. daß hier dorische Ansiedler die ersten waren, und
daß ihre Spur erst später durch die darüber liegende Schicht der
ionischen Kolonisation verdeckt ist.
Nimmt man 534 als Ende der phokaischen^Seeherrschaft an. so
schließt sich unmittelbar daran die samische , die mit der Regierung
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Jahresbericht über griechische Geschichte (1903—1906).
95
des Polykrates zusammenfällt. Daß P. als Vertreter des Groß-
kapitalismus aufzufassen ist, wird man Ure glauben dürfen (s. S. 80);
interessant ist es, daß kürzlich von C u r t i u s die Statue seines Vaters
Aiakes , Sohn des Bryson , aufgefunden ist mit einer Inschrift , die
m. E. allerdings noch nicht ganz genügend erklärt ist.
Drittes Kapitel.
Die Perserkriege und das Emporsteigjen der attischen
Seemacht.
Bannier, Wilh., zu den attischen Rechnungsurkunden des 5. Jahrhunderts.
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Rev. Stor. Ant. XII, 357—362. 1903.
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659—672.
— , l'anno attico della battaglia presso l'Eurimedonte. Riv. di fil. Nuova
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Dahms, Rud., de Atheniensium sociorum tributis quacstiones septem.
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Mommsen, Aug., attische Jahrbestinimung. Philol. N. F. 17, 162 — 185.
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Jahrb. d. Erfurter Akad. gemeinnütz. Wissensch. 29, 207—216.
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Wright, II. B., the campaign of Plataea. New Häven 1904. 148 S.
Je höber der Rang ist, den unter den Quellen der Perserzeit
Herodots Darstellung einnimmt, um so wichtiger ist die Frage
nach dem Wert oder Unwert seiner Berichte, und da ist nicht zu
leugnen, daß an die Stelle der früheren Überschätzung allmählich
eher das Gegenteil zu treten beginnt. Seit den Untersuchungen
von Nordin und Meyer wissen wir. daß eine antispartanisebe Tendenz
Herodots Erzählung der Perserkriege beherrscht, und diese muß
natürlich bei dem Ereignis am stärksten hervortreten, das wie
kein anderes immer als die glänzendste Ruhmestat der Spartaner im
Befreiungskriege angesehen worden ist, bei der Schlacht von Plataiai.
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Jahresbericht über griechische Geschichte (1903—1906). 97
In sorgfältiger Untersuchung hat Wright gezeigt, daß hier in der
ursprünglichen perikleischen Überlieferung, die ein im ganzen durch-
aus zutreffendes Bild des Schlachtverlaufes gah, von Herodot eine
ganze Reihe späterer Bestandteile hineinverwoben sind, die dazu
bestimmt waren, Athens Anteil an dem gewaltigen Ereignis über
Gebühr zu vergrößern. Erst die großen Geschichtschreiber des IV. Jahr-
hunderts haben die Tendenz erkannt und sich infolgedessen an die
vorperikleische Tradition gehalten. Die Scheidung der verschiedenen
Berichte ist m. E. dem Verfasser durchaus gelungen; sollte sein Ver-
fahren Nachahmung finden, so wird es uns vielleicht einmal möglich
sein , den genauen Umfang der athenischen Mache festzustellen , die
auf Herodots Darstellung einen so tiefgehenden Einfluß gewonnen hat.
Dagegen ist man mit der Annahme schriftlicher Quellen und
Gewährsmänner bei Herodot entschieden vorsichtiger geworden als
früher. Auf Hekataios hat kürzlich Prasek hingewiesen, indem er
in der herodoteischen Erzählung vom Sturz des Mederreichs zwei
Versionen unterscheidet, eine, die den llarpagos zu entlasten bestrebt ist,
und eine zweite ziemlich einfache und den Tatsachen entsprechende
Volksüberlieferung; jene beruht nach I\s Ansicht, die vor ihm zum
Teil schon Schubert ausgesprochen hat (1890), auf der Darstellung
der Familie des Harpagos, die später in Ionien ansässig war, und ist
zunächst in das Geschichtswerk des Hekataios, von da in Herodots
Bericht übergegangen. Ob Dionysios von Milet bei Herodot benutzt
ist, bleibt zweifelhaft, ebenso wie die Frage, ob sein Hauptwerk
rUpaixa mit dem zweiten uns überlieferten Titel tä jistA AapsTov zu
identifizieren ist. Während Lipsius die Frage bejaht, möchte
C. F. Lehmann den zweiten Titel als eine Fortsetzung des ersten
Werkes auffassen, dessen Bezeichnung dann für Arrians ta jxei'
ÄXlcotvopov das Muster abgab; seine Benutzung bei Herodot hat in
einem Falle wenigstens (I, 153) Lehmann ziemlich wahrscheinlich
gemacht. Endlich hat Lipsius auch die Frage nach dem Abschluß
des herodoteischen Geschichtswerkes aufgerollt. Mit Recht weist er
darauf hin, daß ein eigentlicher Abschluß fehlt, und daß Herodot
vielmehr erst mit der Gründung des delischen Bundes zu schließen
beabsichtigte. Das Werk ist also unvollendet , dennoch würden die
'Aaaoptoi Xo^oi, auf die Her. einmal verweist , keinen Platz darin ge-
funden haben; dies für uns verlorene Werk hat vielmehr selbständig
existiert und ist wenigstens an einer Stelle erwähnt, in der hist.
anim. von Ar. p. 601b i. A., wo freilich alle Handschriften mit
Ausnahme einer einzigen 'HatoSc? bietet. Indessen zeigt L., daß an
dieser Stelle unmöglich von einem Dichter die Rede sein kann, und
Jahresbericht für Altertumswissenschaft. Bd. CXXXV. 7
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98
Thomas Lenschau.
da das hier angeführte Ereignis genau das ist, welches Herod. in
Äddupioi I6ft* zu erzählen verspricht, so ist es allerdings wahr-
scheinlich, daß hier der in 'einer Hs. erhaltene Name Herodots ein-
zusetzen ist. Was die Abfassungszeit von Herodots Werk betrifft,
so beruht die genaue Ansetzung bei Wright (Buch I— III 426.
IV— VI 425, VII— IX 424/3) auf gewissen Anspielungen, die der Vf.
nach Steins Vorgang in den Stücken des Aristophanes findet ; indessen
ist in diesen Dingen schwerlich mehr als eine subjektive Überzeugung
erreichbar.
Als zweite Hauptquelle für diese Zeit käme, wenn uns eins von
seinen Werken erhalten wäre, Hellanikos in Betracht. Gegenüber
der Unzahl der unter seinem Namen überlieferten Titel hat S e e c k
(S. 289) mit Recht zur Vorsicht gemahnt; wahrscheinlich sind Unter-
titel einzelner Bücher von größeren Werken in dem Suidasartikel
als selbständige Schriften mit aufgeführt. Ähnlich glaubt auch
Perrin, daß in den beiden großen chronologischen Werken des H..
den 'Ups tat und der Atthis, wesentlich dasselbe Material verarbeitet
war; jenes reichte nur bis zum Brande des argivischen Heraions (424).
worauf dann der Verf. noch einmal den gesamten chronologischen
Stoff nach Archonten ordnete. Daß beide Werke manche überein-
stimmenden Partien enthielten, ist ja wohl selbstverständlich. — Für
die Zeit des Hellanikos haben wir das bekannte Zeugnis der Pamphila
bei Gellius, in welchem der Ansatz von Hellanikos Geburtsjahr un-
zweifelhaft durch Rechnung erschlossen ist, einerlei, ob man da*
Schlußjahr der Atthis 411 mit dem Todesjahr gleichsetzte und damit
die von Lukian erhaltene Angabe des Lebensalters kombinierte (so
Lehmann) oder ob man es einfach mit Hilfe der Akmereclinung
gewann, wie das bei den gleichzeitig gegebenen Ansätzen für Herodot
und Thukydides unstreitig der Fall ist (Rühl). Im übrigen hält
Lehmann wie vor ihm auch Perrin Herodot und Hellanikos wesentlich
für Zeitgenossen , und allerdings deutet der ungewöhnliche Name
daraufhin, daß Hell, bald nach dem großen Jahr 480 geboren sein
muß; die Persika fielen vor, die Atthis nach Herodots Geschichtswerk ;
das letztg nannte Werk vermochte Thukydides noch in einer späteren
Einlage — als solche faßt L. die Pentekontaetie — noch zu benutzen.
Über Thukydides und sein Werk hat erschöpfend wie immer
Busolt im 3. Band seiner griechischen Geschichte alles Material zu-
sammengestellt ; da indessen diese Partie des Werkes bereits ab-
geschlossen war, als Meyers Forschungen zur Griech. Geschichte
Band II erschienen, so konnten diese m. E. grundlegenden Unter-
suchungen nicht mehr benutzt werden. Bei der geradezu einzigartigen
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I
Jahresbericht über griechische Geschichte (1903—1906). 9f)
Stellung des Thukydides kann es nicht fehlen, daß seine Darstellung
immer wieder auf ihre Grundlagen geprüft wird , und so hat denn
auch diesmal wieder E. v. Stern in" der Frage des themistokleischen
Mauerbaus Thukydides' Glaubwürdigkeit bemängelt, ein Angriff, der
indessen durch Meyers und vor allem durch Busolts Verteidigung
als abgeschlagen gelten kann. Dagegen scheint allerdings bei der
Darstellung der Schicksale des Pausanias dem Historiker kein sehr
gutes Material zur Verfügung gestanden zu haben; die drei letzten
Bearbeiter der Geschichte des spartanischen Regenten, Reuther,
Fräul. Lanzani und Niccolini erklären übereinstimmend den Brief-
wechsel des Pausanias mit dem Könige entweder für gefälscht oder
mindestens für eine Komposition des Thukydides nach Art seiner
Reden, und ebenso erscheint die Darstellung vom Ende des Regenten
sensationell ausgeschmückt. Indessen Thuk. wußte zu gut, was ein
Aktenstück war. als daß er selber eins hergestellt hätte, und so
möchte ich eher glauben, daß Thuk. aus den Prozeßakten des
Pausanias schöpfte, die ja auch gegen Themistokles verwandt wurden ;
es waren behördliche begangene Fälschungen, durch die Thuk. getäuscht
ward. Auf eine Benutzung ähnlicher Quellen führt Seeck (S. 319 ff.)
Thuk. Darstellung des kylonischen Frevels zurück, die deutlich eine
gegen die Alkmeoniden gerichtete Spitze zeigt : er meint, Thuk. habe
sich an die Anklagerede in dem 508 verhandelten Prozesse gehalten,
während Aristoteles die Verteidigungsrede seinem Bericht in der
Verfassungsgeschichte zugrunde legte. Ob indessen die Akten eines
Staatsprozesses in Athen noch 80 oder gar 150 Jahre nachher einem
Forscher zu Gebote gestanden haben, mag freilich zweifelhaft sein,
doch denkt auch S. wohl an Mittelglieder, und tatsächlich muß ja
kurz vor dem Ausbruch des peloponnesischen Krieges die Sache in-
folge der bekannten lakedaimonischen Forderung wieder sehr aktuell
geworden sein. Immerhin erscheint Thuk. Stellungnahme gegen die
Alkmeoniden bei der Verehrung, die er für Themistokles hegte, schon
an sich ganz begreiflich. Wichtiger erscheint mir eine andere Be-
merkung Seecks, der die Frage aufwirft, wie es kommt, daß Thuk.,
der doch die chronologische Ungenauigkeit des Hellanikos in der
Pentekontaetie tadelt, bei seiner eigenen Darstellung nur mit ganz
vagen Zeitbestimmungen operiert. Der Schluß liegt nahe, daß er
keine besseren hatte , und wenn dein so ist , so erscheint allerdings
die Annahme einer offiziellen attischen Chronik in einem einigermaßen
bedenklichen Lichte ; von den genaueren Datierungen im t>. Jahr-
hundert hält Seeck nur die des Solon und des Kleisthenes für sicher,
da beide zufällig Archonten waren.
7*
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100
Thomas Lenschau
Von den Historikern des dritten Jahrhunderts kommt für diese
Zeit besonders Ephoros in Betracht, der in seiner Darstellung der
Perserkriege nicht zu seinem Vorteil Ktesias heranzog, wie das
Holzapfel und neuerdings v. Meß erwiesen haben. Übrigens wendet
sich v. Meß zunächst den Spuren des Ktesias in der Darstellung der
Expedition des jüngeren Kyros zu, und hier berührt er sich voll-
ständig mit der oben angeführten Arbeit Frl. Lanzanis. Wenn ich
nun auch dieser bei der Bestimmung der Quellen im einzelnen den
Vorzug geben möchte, so scheint mir doch die Grundanschauung bei
v. Meß richtiger, der eine starke Einarbeitung des Ktesias durch
Ephoros in den xeuophontischen Grundstock der Darstellung annimmt.
Anders Frl. Lanzani: sie meint, daß diese Einarbeitung erst durch
Diodor geschehen sei, und daß sich ihre Spuren überall dort fänden,
wo in die knappe, summarische Erzählung plötzlich ausführliche
Partien eingesprengt sind. Das widerspricht der bisherigen Auf-
fassung, die man von Diodor gehabt und die kürzlich erst wieder
Schwartz in seinem Artikel festgelegt hat; entscheidend aber ist
m. E., daß bei Diod. 14, 22 eine Zahlangabe direkt auf Ephoros
zurückgeführt wird, während sich aus der Parallelstelle in Plut.
Artox ergibt, daß sie aus Ktesias stammte. Was Frl. Lanzani
S. 591 vorbringt, um dies Argument zu widerlegen, sind kaum mehr
als Verlegenheitsausflüchte. Im übrigen hat gerade in bezug auf
Ktesias Frl. L. sich insofern ein Verdienst erworben, als sie die
kolossalen Irrtümer in der Darstellung der Perserkriege, die ihm
gewöhnlich untergeschoben werden , in ganz plausibler Weise damit
erklärt, daß es dem erklärten Spartanerfreunde in erster Linie darauf
angekommen sei, den Anteil Spartas möglichst hervorzuheben, daß
er dagegen die Ereignisse, an denen Athen das Hauptverdienst zufiel,
nur nachträglich und ganz kurz behandelte. So würde sich die Fort-
lassung von Artemision und Mykale ganz gut erklären, vor allem
aber auch der merkwürdige Umstand, daß Ktesias in seinem Bericht
Salamis erst nach Plataiai schilderte.
Über die Verfassungsgeschichte Athens von Aristoteles handelt
im Zusammenhang die schon mehrfach erwälmte Abhandlung
von Seeck, in der er die bis dahin geltende Ansicht Busolts, da/i
Androtion die Hauptquelle sei, durch eine andre zu ersetzen
sucht. Allerdings ist es ja auffallend, daß der historische Teil
kein Ereignis erwähnt, das später fiele als 39;2, während der
systematische bis 324 hinabgeht, und auf den ersten Blick wird mau
mit Seeck geneigt sein, darin keinen Zufall, sondern den Beweis zu
sehen, daß die Quelle das Werk eines uns unbekannten Verfassers
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Jahresbericht über griechische Geschichte (1903—1906) 101
gewesen ist, der kurz nach 392 schrieb und ein Freund und Ge-
sinnungsgenosse der Dreißig war; daher auch Ar.s Vorliebe für
Theramenes. Allein aus c. 41 ergibt sich ganz deutlich, daß nach
Ar s Auffassung die Verfassung aus dem Archontat des Pythodoros
noch in seiner Zeit zu recht bestand mit ein paar unwesentlichen
Abweichungen, die er am Ende des Kapitels zusammenstellte; er
konnte also seinen geschiphtlichen Abriß mit dem Jahre 404 ab-
schließen, so daß sich hierdürch die Nichterwähnung späterer Er-
eignisse auf eine ganz ungezwungene Weise erklärt. Dagegen scheint
mir S in einer andern Hinsicht das Richtige getroffen zu haben,
wenn er in diesem ersten Teil eine Reihe von Einschiebseln erkennt,
die Ar. selber erst nachträglich gemacht hat. Als solche bezeichnet
er c. 3,1 — 5,1 — hier genügt wohl die Tilgung von c. 4 mit den
Worten T?jc irpo Apaxovxo? — c. 7,8 8,4. c. 10. c. 13,1—3. c. 22,5.
c. 41,2; dazu kämen nach Carcopino noch die Worte xoüxo —
Gtnepov in c. 24,2. Den Vorgang stellt sich S. so vor, daß diese
Zusätze Nachträge sind, die sich Ar. in seinem Handexemplar machte,
und zwar stammten sie, wie S. wahrscheinlich zu machen sucht, aus
der Lektüre der Werke des Phalereers Demetrios Bei der Herausgabe
nach seinem Tode gelangten sie dann in den Text. Ich stimme dieser
Ansicht um so lieber zu, als ich im vor. Bericht die chronologische
Verwirrung der Peisistratidengeschichte auf einen ganz ähnlichen
Vorgang zurückführen zu können geglaubt habe.
Von den Lebensbeschreibungen des Plutarch endlich, die sich
auf diese Zeit beziehen, ist die des Perikles von Busolt (Griech.
Gesch. III, 727) einer eingehenden Analyse unterzogen, die auf
sämtliche früheren Arbeiten Bezug nimmt. Zugrunde liegt nach B.
das Kapitel des Theopomp über die Demagogen in Buch 10 der
Philippischen Geschichten; doch hat Plut. für Kriegsereignisse auch
Kphoros herangezogen und dabei noch viel andres Material benutzt,
dessen Herkunft nicht mehr genau zu bestimmen ist.
Den Übergang zu den inschriftlichen Quellen bildet die
cova^Y); ^r^iaiAaxwv des Krateros, über die Dahms S. 35 eine
Reihe einleuchtender Bemerkungen gemacht hat, wodurch nicht bloß
eine genauere Beziehung einzelner, auf die Schätzung der Bundes-
genossen bezüglicher Fragmente, sondern auch eine bessere Anordnung
des Gesamtwerks ermöglicht wird. Ferner hat das M a r m o r P a r i u m
durch Jacoby eine neue handliche Ausgabe erfahren, die außer
dem Text die gesamte Parallelüberlieferung in sachlicher wie in
chronologischer Hinsicht bringt. Die Quellenuntersuchung Jacoby s
hat ergeben, daß neben einer Atthis, die vielleicht der zweiten Hälfte
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102 Thomas Lenschau
des 4. Jahrhunderts angehört, in erster Linie Ephoros in Frage
kommt, sicher für die universalgeschichtlichen Notizen, wahrscheinlich
auch für die verschiedenen eup^axa, wobei dann an eine Spezial-
schrift des Historikers zu denken wäre. Dagegen hat die Quelle der
literarhistorischen Notizen sich nicht mit Sicherheit feststellen lassen;
wahrscheinlich sind hier mehrere Schriften benutzt worden. Über
die attischen Dekrete hat Mommsen gehandelt, und zwar sowohl
über «die Datierung nach dem Archonten bzw. dem Schreiber der
Prytanie, als auch die über Gestaltung der Praeskripte ; dabei ergeben
sich einige Anhaltspunkte, die zu genauerer chronologischer Fixierung
dienen können. Ähnliches hat für die Rechnungsurkunden des
5. Jahrhunderts Bannier geleistet, der zu dem Ergebnis kommt,
daß die älteren Urkunden stets für das ganze Jahr ausgestellt und
danach disponiert wurden, allmählich aber beginnen Abweichungen von
der Regel, bis dann zwischen Ol. 90,2 und 89,3 die neue Anordnung
nach Prytanieen eingeführt und von da an immer beibehalten worden
ist. Von wichtigen Inschriften des 5. Jahrhunderts sind besonders
zwei bei den Ausgrabungen von Milet hinzugekommen ; die eine ent-
hält Bestimmungen über geflüchtete Mörder und wird von Wiegand
(s. d. 5. Bericht) hoch ins 5. Jahrhundert hinaufdatiert; die zweite
von U. v. Wilamowitz (SB. Preuß. Ak. 1904 S. 619 ff.) behandelte
enthält die Satzungen einer Sängergilde und ist eine spätere Kopie
eines bis 448 v. Chr. hinaufgehenden Originals. Dazu kommt ein
neues Bruchstück der Tributlisten, dessen Zugehörigkeit zu JG. I, 256
(aus dem Jahre 428/7) Tod erwiesen hat.
Die Anfänge des persischen Reiches sind für uns in das Dunkel
der Sage gehüllt, und nur so viel steht sicher, daß Kyros sich an
der Spitze der Perser erhob und durch die Einnahme von Ekbatana
der Mederherrschaft ein Ende machte ; beide Ereignisse fixiert Winkler
(S. 54, 85) auf 503 und 550, so daß also der Krieg gegen Kroisos
unmittelbar auf den Sturz des Mederreichs gefolgt sein müßte. Alle*
andere, was über Kyros Abstammung, seine wunderbare Aussetzung
und Errettung von Herodot erzählt wird, ist unhistorisch: nach
Schuberts Vorgang hat Hü sing ein ungeheures Material zusammen-
gebracht, aus dem sich ergibt , daß wir es mit einer von Irland bis
Japan bekannten Sagenform zu tun haben, die erst nachträglich an
Kyros' Persönlichkeit angeknüpft worden ist. Daß gewisse geschicht-
liche Züge dazu den Anlaß gegeben haben , leidet keinen Zweifel ;
welche es aber sind, entzieht sich bisher unsrer Kenntnis. Übrigens
•Jahresbericht über griechische Geschichte (1903—1906).
103
hat die Sage auch noch auf Kambyses Gestalt übergegriffen, und erst
mit Dareios großer Inschrift von Behistun rückt Persien in das volle
Licht der Geschichte.
Der erste Zusammenstoß zwischen Persern und Griechen erfolgte
im ionischen Aufstand, für den Herodot fast unsere einzige
Quelle bildet. Daher die chronologische Unsicherheit, die sich be-
sonders gegen das Ende hin bemerklich macht; Herodots Ansetzung
der Schlacht von Lade auf 496 und der Eroberung auf 494 gibt
eine durchaus unwahrscheinliche Länge der Belagerung. Zur Abhilfe
schlägt Costanzi vor, den Fall Milets schon ins Jahr 495 zu
rücken; dann würde Miltiades Ankunft in Athen bereits 494,
Mardonios Auszug 498, seine Katastrophe am Athos Frühjahr (nicht
Herbst) 492 fallen. Umgekehrt möchte Migliazzu die Schlacht
von Lade ins Jahr 495 hinabrücken, was zu der überlieferten Chrono-
logie besser paßt , insofern der Fall Milets , der Sturz der Alkmeo-
niden und die Wahl des Themistokles zum Archonten für 493/2 doch
in einem untrennbaren und unmittelbaren Zusammenhang stehen.
Übrigens ist es für die Stellung Athens zum ionischen Aufstand
einigermaßen von Belang, ob man annimmt, daß Athen damals zum
lakedaemonischen Bunde gehörte oder nicht. Dafür haben sich
Lehmann* Haupt und selbstverständlich Schjett, dagegen E. v. Stern
ausgesprochen; auch Niccolini nimmt kein Bundesverhältnis, sondern
nur eine im^a/ta an. Doch lassen die beiderseits ins Feld geführten
Gründe eine sichere Entscheidung der Frage nicht zu.
Natürlich hängt von ihr auch die Beurteilung des Verhaltens der
Spartaner bei Marathon ab; um es zu erklären, hat Niccolini
die inneren Verhältnisse Spartas herangezogen. Die Notiz Piatos
(legg. 3,692 d. 698 c), daß damals gerade ein messenischer Aufstand
stattgefunden habe, verwirft auch er, macht aber auf den tiefgehenden
Zwist zwischen den beiden Königshäusern aufmerksam, der in den
letzten Jahren des Kleomenes begann und nicht lange vor der
Schlacht (Juli 490) mit Demaratos' Verbannung seinen Höhepunkt
erreichte. Daß indessen damit die Unruhen keineswegs vorüber
waren, zeigen Kleomenes' weitere Umtriebe, seine Verbannung, Rück-
kehr und Tod, in dem übrigens N. nicht Selbstmord, sondern ein
politisches Verbrechen der Gegenpartei erkennt. So richtig die
Darstellung der Verhältnisse bei N. ist, so hat doch schon Meyer
darauf hingewiesen, daß eine künstliche Erklärung des Zuspätkommens
der Lakedaimonier nicht nötig ist ; die Mobilmachung hatte sechs Tage
gedauert und dadurch verzögerte sich der Abmarsch , so daß das
Kontingent zu spät kam. Den Grund, den Herodot angibt, halte ich
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104
Thomas Lenschau.
für athenische Mache; die Fadenscheinigkeit des Vorwandes sollte
die Böswilligkeit Spartas ins rechte Licht stellen.
Zehn Jahre später erfolgte der Zug des Xerxes, der mit dem
glänzenden Siege des Königs in der Doppelschlacht Thermopylai-
Artemision eröffnet ward. In der Seeschlacht bei Euboia soll nach
dem von Wilcken Herrn. 41, 103 ff. herausgegebenen Fragment des
Sosylos (xcov irept Ävvtßou rpaSeouv 8') auch Herakleides von Mylasa
mitgefochten haben , wovon Herodot merkwürdigerweise nichts sagt,
obwohl er doch sonst über karische Dynasten sehr gut Bescheid
weiß und gerade diesen als Führer des nächtlichen Überfalls im
Jahre 497 nennt, der die blutige Niederlage der Perser herbeiführte.
Gegenüber den Verdächtigungen Herodots, die Wilcken an die Nicht-
erwähnung des Her. knüpft, erklärt Rühl die Sacheso, daß hier eine
Verwechslung vorliegt; in irgendeiner Strategemensammlung mag die
geschilderte List angeführt und mit der Angabe r, Ix ftptefits&p jiajpj
irgendein karisches Artemision gemeint sein, vielleicht das von Strabo
XIV, 51 westlich vom Glaukosbusen erwähnte, das dann später mit dem
berühmten Artemision verwechselt ward — Für die Schlacht von Sa-
lamis hat Bauer eine ganz neue, von der bisherigen, durch Loeschke
begründeten, abweichende Ansicht aufgestellt. Er geht von der Fahrt
des Umgehungsgeschwaders aus, das auf Xerxes Befehl den Griechen
den Abzug nach Norden verlegte, und erklärt es für unmöglich, daß
die Schiffe bei der Umsegelung infolge der kurzen ihnen zu Gebote
stehenden Zeit auch nur bis zur Trupikabucht (30 km) gelangten.
Infolgedessen , so schließt er weiter , kann die Umgehung nicht hier,
sondern nur im Osten von Salamis, vom Peiraieus nordwärts an der
attischen Küste entlang stattgefunden haben , und zwar mit dem Er-
gebnis, daß das Umgehungsgeschwader nördlich quer über den Sund
etwa von H. Georgios bis zum Aigaleos stand, während die Haupt-
flotte südlich von Psyttaleia quer hinüber von Kynosura bis zum
Peiraieus den Ausgang sperrte, so daß also die von Salamis aus der
Bucht von Ambilaki ansegelnde Griechenflottc sofort zwischen beide
persische Linien geriet. Diese Ansicht wird von Laird und Thiele
ohne weiteres angenommen. Allein mit Recht hat Raase dagegen
die Worte des Aischylos (Pers. 1368) dlhas oe xjx).q> vr,oov Afav-o;
Tr^pic geltend gemacht, die allerdings am besten von einer Umfahrt
um Salamis zu verstehen sind. Übrigens lassen sich m. E. aus der
Erzählung des Aescliylos noch andere Momente gewinnen, die sich
gerade gegen den Ausgangspunkt von Bauers Kritik richten; aus
3*54 ff. und 377 ergibt sich zur Genüge, daß die Umsegelung sofort
mit dem Einbruch des Dunkels, d. h. etwa um 7 Uhr abends, begann.
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Jahresbericht über griechische Geschichte (1903—1906). 105
wogegen Her. (8,76) abweichende Darstellung, wonach die Fahrt erst
um Mitternacht anfing, nicht aufkommen kann ; es war also reichlich
Zeit, nicht bloß bis zur Trupikabucht, sondern sogar noch weiter zu
gelangen. Weiter ist nicht recht ersichtlich ; wie es den Griechen,
die doch nach Bauers Ansicht sofort von Norden und Süden her an-
gegriffen sein müssen, dennoch ihrerseits gelang, eine Umgehung des
persischen Geschwaders auszuführen (vs. 417); dazu müssen sie doch
wenigstens nach Norden zu den Rücken frei gehabt haben. Ebenso
wenig ist llaases Ansicht, nach der die Perserflotte von der Spitze
Kynosuras nordwärts etwa bis zum Aigaleos der Richtung der attischen
Küste parallel stand und die Griechen in der Ealamakibucht ab-
sperrte , mit dem Bericht des Aischylos zu vereinigen. Denn dann
wäre doch die anfahrende Griechenflotte den Persern sofort in ihrer
ganzen Ausdehnung zu Gesicht gekommen, während dies nach Aesch.
erst nach und nach geschah, offenbar indem sie, den rechten Flügel
voran, um die Spitze von Kynosura umbog und hier mit der Front
nach Süden der persischen Flotte gegenüber auffuhr. Es wird also
einstweilen bei der bisherigen Ansicht verbleiben müssen.
Auch in der Schlacht von Plataiai ist neuerdings die Un-
zulänglichkeit des herodoteischen Berichts vollständig erkannt; gerade
in diesem Punkte stimmen die beiden neuesten Arbeiten von Munro
undWright völlig überein. M. beginnnt mit der Vorgeschichte der
Schlacht und sieht in dem Strategenwechsel in Athen— Aristeides und
Xanthippos statt Themistokles für 479 — eine verabredete Maßregel,
nicht wie Meyer eine Niederlage des Themistokles. Weiter erklärt
er das Zögern der Spartaner, das Meyer damit motiviert, daß auch
für diesmal die Entscheidung zur See in Ionien gesucht werden sollte,
mit der Furcht vor der medischen Gesinnung von Argos, Mantineia,
Elis, wozu allerdings die Heimlichkeit des Auszuges, dessen Route
bis zuletzt niemandem bekannt war, sehr wohl stimmen würde ; doch
ist auch er der Ansicht, daß die endliche Entscheidung der Spartaner
durch die absichtliche Saumseligkeit der athenischen Flotte hervor-
gerufen ward. Was den Verlauf der Schlacht selbst betrifft, so
versucht M. die drei aufeinanderfolgenden Stellungen der Griechen
näher zu bestimmen, wobei er in der Fixierung der Örtlichkeiten von
Skolus, Hysiai, Erythrai und der Gargaphia den Ansätzen Leakes folgt.
Das Reitertreffen fand bei Hysiai am äußersten rechten Flügel statt,
der Hauptangriff des Mardonios erfolgte, als die Griechen, im Begriff,
die dritte Stellung einzunehmen, durch das Ungeschick der Athener
in zwei getrennte Heerhaufen gespalten waren. Überall tritt M. der
athenischen Legendenbildung entgegen, die hauptsächlich dazu bestimmt
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106 Thomas Lenschau.
war, das Ungeschick und die Fehler des athenischen Kontingents zu
verschleiern. Allein die richtige Konsequenz in der Aufspürung der
athenische Mache verratenden Einschiebsel hat erst Wright be-
wiesen; nach ihrer Abscheidung bleibt ein durchaus verständlicher
Schlachtbericht übrig und zwar erscheint die Sache so, als ol>
Pausanias durch eine fingierte Rückzugsbewegung Mardonios zum
Angriff verlockte, auf einem ebenen, von hohen Hügeln umgebeneu
Gelände, das der Entwicklung der persischen Reiterei wenig günstig
war. Mit dem fingierten Rückzug mag es seine Richtigkeit haben:
wenn aber W. dabei besonders auf Plat. Lach. 191b fußt, so muß
doch gesagt werden, daß es sich hier nicht um eine Bewegung de»
ganzen Heeres, die die Schlacht herbeiführt, sondern um ein Manöver
des lakedaimonischen Kontingents während des Kampfes selber handelt,
was doch zwei recht verschiedene Dinge sind. In einem aber stimmen
alle Neueren, auch M. und W., überein, daß vorwiegend der genialen
Führung des Pausanias der Sieg zu verdanken gewesen ist.
In den Winter nach Plataeae fällt die Wiederherstellung Athens
und vor allem der Mauerbau, der entgegen dem spartanischen
Einspruch durch Themistokles List durchgesetzt ward. Gegen die
Erzählung des Thukydides, die von Beloch in Zweifel gezogen, Ton
Br. Keil verteidigt worden ist, hat sich neuerdings E. v. Stern
gewandt, indem er zunächst mit Recht zwei Versionen der Erzählung
bei Thuk. und Ephoros statuiert und daraus bereits ein Verdachts
moment herleitet. Dazu kommen nach v. St. innere Gründe-, den
Spartanern muß doch klar gewesen sein, daß sie entweder einen
schweren Krieg oder mindestens eine schroffe Ablehnung riskierten:
den Bundesgenossen, die angeblich hetzten, konnte die UmmaueroD|.'
Athens gleichgültig sein, für sie war lediglich die Secherrschaft Athen-
bedrohlich, die mit der Befestigung wenig zu tun hatte; endlich ist da*
Motiv, das die Spartaner angaben, doch recht kindlich. Das aller-
schwerste Bedenken aber ist technischer Natur, wie sollte in der kurzen
Zeit von 4 — 6 Wochen — höchstens so lange konnte Themistokles seic
Doppelspiel in Sparta aufrecht halten — eine 10 km lange, 2— o m
breite Mauer bis zu Manneshöhe aufgeführt sein, zumal auch die
Ziegel großenteils erst herzustellen waren? Die ganze Erzählung ist
im Anfang des peloponnesischen Krieges entstanden, als man die
Mauern revidierte und dabei die offenbar sehr rasch bewerkstelligte
Erbauung bemerkte, die man natürlich aus einer drohenden Gefahr
herleitete. Da sie von den Persern nicht herrühren konnte, so kam
sie von Sparta, und zu ihrer Beseitigung ward dann selbstverständlich
Themistokles bemüht. Ebendamals hat auch Thuk. die Geschichte
GooqI
Jahresbericht über griechische Geschichte (1908-1906). 107
gehört und sie bei seiner Vorliebe für den großen Staatsmann un-
besehen als wahr angenommen.
Man hat mit Recht darauf hingewiesen, wie bedenklich eine
derartige Annahme für unsere Wertschätzung des Thukydides sein
müßte, und so hat Meyer seine Verteidigung übernommen; obwohl
auch er die tendenziöse Färbung der Geschichte nicht in Abrede
stellt, so hält er doch an der Hauptsache, dem Einspruch der
Spartaner, fest. v. Stern verkennt eben, daß die tumultuarisch, Hals
über Kopf hergestellte Mauer nun doch einmal vorhanden war und
zum Teil noch ist, und so läßt sich seine Argumentation auch um-
drehen; gerade der Zustand der Mauer, der nicht anders erklärt
werden kann, ist der Beweis für die Wahrscheinlichkeit der Erzählung
vom Einspruch der Spartaner. Übrigens hatten die Bundesgenossen
wirklich allerhand Grund zur Furcht, wenn das seegewaltige Athen
sich nun noch in eine uneinnehmbare Festung verwandelte, und in-
sofern ist ihre Haltung ganz begreiflich. Was aber endlich das
Motiv des spartanischen Einspruchs betrifft, so mußte gerade die
alberne Begründung den Argwohn erwecken, als ob mehr dahinter
stecke ; daß die Spartaner vor einem Eingriff nicht zurückschreckten,
wußte man seit den Tagen des Kleisthenes. Ähnlich macht auch
Busolt die Übergriffe des Kleomenes nach Mittelhellas geltend, um
die Besorgnis der Athener zu erklären, und zeigt die innere Halt-
losigkeit der v. St.schen Argumentation; sein Hauptverdienst bleibt
aber, daß er das technische Bedenken aus dem Wrege geschafft hat.
An der Hand von eigenen, wohlbegründeten Schätzungen und ferner
von Gutachten sachverständiger Baufirmen, die auch gegenwärtig der-
artige umfangreiche Maurerarbeit rasch zu liefern haben, zeigt er,
daß der Bau in der durch v. St. angegebenen Frist nicht bloß möglich
war, sondern auch gar nicht einmal als eine so besondere Leistung
anzusehen ist. Durch die auch technisch interessanten Ausführungen
B.s halte ich v. Sterns Angriffe auf Thuk. Glaubwürdigkeit für voll-
kommen widerlegt.
Nicht ganz so haltbar erweisen sich , wie schon bemerkt wurde,
die Grundlagen der thukydideischen Darstellung beim Untergang des
Pausanias; sowohl Niccolini wie Frl. Lanzani kommen hier
zu Ergebnissen , die für den Regenten wesentlich günstiger sind , als
man bisher angenommen hat. Danach erscheint P. als das Haupt
der spartanischen Kriegspartei, die lür Sparta die Früchte des großen
Sieges einheimsen und im Gegensatz zu Athen auch die Seeherrschaft
gewinnen wollte. An persische Hilfe dachte der Regent zunächst
wohl nicht — tatsächlich konnte ihm bei seinem ersten Prozeß nach
108
Thomas Lenschau.
dieser Richtung nichts nachgewiesen werden — , erst später, als er
von den Athenern vertrieben in Kolone sich befand , scheint er die
Verhandlungen mit Persien angeknüpft zu haben, deren Spitze sich
indessen auch jetzt noch vorwiegend gegen Athen richtete. Daneben
wird er sich mit den Heloten ins Einvernehmen gesetzt haben, die das
Rudereniiaterial für die zur Behauptung der Seegewalt nötige Flotte
abgeben mußten; daß eine Durchführung seiner Absichten ohne eine
durchgreifende Änderung der spartanischen Verfassung im demo-
kratischen Sinne unmöglich war, kann dem Regenten nicht entgangen
sein. Aber damit rührte er an die Grundlagen des Staates, und so
fiel er denn einer Koalition der spartanischen Friedenspartei mit
den Ephoren und Athen zum Opfer, die sich alle drei gleich bedroht
fühlten. Sein Fall zog den Sturz des Themistokles nach sich, dem
man vermutlich aus — möglicherweise noch gefälschten — Äußerungen
des Perserkönigs den Strick drehte; an eine wirkliche Verbindung
zwischen Themistokles und Pausanias ist, wie Frl. Lanzani mit Recht
hervorhebt, bei dem diametralen Gegensatz in den Zielen beider
Männer nicht zu denken. Auch das ist charakteristisch und mit
Recht von Reuther hervorgehoben, daß sehr bald nach seinem
Tode eine Reaktion zugunsten des Pausanias eintrat; man sah bald
in Sp. ein, daß man nur die Geschäfte Athens besorgt hatte, dem
der fähige Mann ein Dorn im Auge gewesen war. Im ganzen bat
die neuere Forschung Pausanias sowohl als Feldherrn wie als Staats-
mann so rehabilitiert, daß Meyers Urteil (IV S. 518) doch als zu
hart erscheinen muß.
Leider ist die Chronologie gerade dieser Ereignisse sehr
unsicher. Die meisten halten an der von Justin überlieferten Ansicht
einer siebenjährigen Dauer der Herrschaft des Pausanias fest, und zwar
rechnen die einen von der ersten Einnahme der Stadt 478/7 ab , so
daß die Vertreibung 472/1, der Tod etwa ein Jahr später fiele; für
471 hat sich Lehmann-Haupt erklärt. Andere wie Meyer reebnen
von 476/5 ab, dem Jahre der Rückkehr des Pausanias von seinem
ersten Verhör — Costanzis Ansicht, Paus, sei 476/5 bereits aas
Byzanz vertrieben gewesen, beruht auf einem Mißverständnis von
Diod. 11.60 — und kommen dann auf 469/8 als Todesjahr. Damit
hängt nun auch die Ansetzung der starken antilakonischen Bewegung
zusammen, die sich um diese Zeit im Peloponnes erhob; nimmt man
mit Meyer das spätere Datum, so erscheint die Bewegung als das
Werk des Themistokles, der damals schon verbannt war, und fällt
somit vor Pausanias Tod. Ist anderseits Paus. 471/0 gestorben, so
bildete wahrscheinlich sein Tod den Anlaß zum Sturz des Them.
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Jahresbericht über griechische Geschichte (1903—1906). 1Q£>
wie zu den Unruhen im Peloponnes, und diese würden mit Co-
sta nzi etwa von 471 — 468 anzusetzen sein. Dazu würde stimmen,
daß Tiryns, das im Verlauf dieser Unruhen von den Argivern zer-
stört ward , im Sommer 468 noch nach Ausweis der olympischen
Siegerliste existierte. Die Sache ist mit unsern Mitteln ebensowenig
zu entscheiden, wie das Jahr der Eurymedonschlacht. Allerdings
darf der Angriff des Königs wohl als eine Wirkung der Verhandlungen
mit Pausanias angesehen werden , daher wird man auch hier sich
entweder für 469 oder 467 entscheiden. Costanzi wählt das
frühere Datum . weil er den Aufstand der Thasier auf 466/5 legt
und der Ansicht ist, daß es unmittelbar nach dem Siege nicht gleich
zum Abfall kommen konnte. Von der Beute der Schlacht ward dann
die kimonische Südmauer der Burg gebaut, nicht aber, wieFoucart
meinte (vgl. Ber. S. 208 ff.), auch die Grundlagen des vorperikleischen
(nach Furtwängler themistokleischen) Parthenon. Nach Dörpfelds
eingehender Untersuchung ist dies ein Porosbau aus der Zeit des
Kleisthenes, der dann nach 490 in Marmor fortgesetzt ward, aber
noch nicht über die unteren Wände und Säulentrommeln hinaus-
gediehen war, als der Brand von 480 alles vernichtete. Von einer
späteren Bautätigkeit zwischen 480 und dem Beginn des perikleischen
Baues ist nach D. keine Spur erhalten.
Um dieselbe Zeit etwa wie die Eurymeden-Schlacbt fällt auch
der Sturz der westlichen Tyrannen. Das chronologische Material
hat am bequemsten Jacoby (Mar. Par. S. 178) zusammengestellt, daraus
ergibt sich, daß die bei Diodor vorhandenen Angaben des Timaios
(Gelon 485/4—478/7, Hieron 478/7—467 6, Thrasybul 467/6-466/5)
die einzig brauchbaren sind. An die Vertreibung der Tyrannen
schließen sich die Versuche des Duketios zur Begründung eines
Sikulerreichs, über die Quinci gehandelt hat. Wir kennen sie nur
aus Diodor, der die Geschichte des Duketios unter den Jahren 459/8,
453 2 und 451/0, seine Rückkehr und Tod unter 446 5 und 440/39
erzählt. Diese Datierung sucht Q. durchweg hinaufzusetzen, so daß
die erste Erhebung unmittelbar nach der Vertreibung der Tyrannen
im Jahre 466/5, die Gründung von Palike 458, seine Niederlage und
Verbannung 457, seine Rückkehr 453, sein Tod 447 erfolgt wäre.
Das Eigentümliche dabei ist, daß Diodors chronologische Angaben
gerade hier eine starke Abweichung im Ansatz der römischen
Konsuln zeigen, und daß merkwürdigerweise diese mit den Ver-
schiebungen, die Q. in der Geschichte des Duketios aus inneren
Gründen annimmt, übereinstimmen, so daß es fast scheinen könnte,
die Angaben Diodors Über Duketios seien einer nach römischen Konsuln
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110
Thomas Lenschau.
datierenden Quelle entnommen. Q. hat sich über diesen Punkt nicht
ausgelassen.
Der Friede von 446, der den Wendepunkt in der Politik des
Perikles bezeichnet, gab den Anlaß zu einer Reihe von Anfeindungen des
großen Staatsmannes, die in der Verbannung des Thukydides, Melesias
Sohn, mit seinem Siege endeten. In diesem Zusammenhang mag auch
die von Plutarch und Aristoteles erwähnte Verbannung des
Dämon oder Damonides fallen, der als einer der vertrauten Ratgeber
des Perikles geschildert wird. Den ganzen Vorgang hat Carco-
pino bezweifelt auf Grund einer genauen Analyse der in Frage
kommenden Stellen. Die erste ist Plut. Per. c. 4, wo er von Dämon,
dem Musiklehrer des Perikles spricht, der zugleich sein politischer
Katgebcr war und deshalb von den Athenern verbannt ward ; da die
abweichende Ansicht des Aristoteles angeführt wird, so kann die
Stelle nicht aus Aristoteles entnommen sein. Dagegen beruft sich
Plut. in c. 9 , wo er ebenfalls Damonides von Oie als Katgeber des
Perikles anführt , direkt auf Artistoteles und hier findet sich in der
Aristotelesstelle (Verfass. Ath. 27,4) die Notiz angefügt oc looxv
täv rcoM&v zforfl^xrfi elvai T(j> FlspixXst • 8tö xal tuaxpaxiaav «befrei v
u3T£pov. Indem nun C. annimmt, daß Plutarch Dämon in c. 4 und
Damonides in c. 9 für verschiedene Personen hielt, wundert er sich,
daß Plut. an der zweiten Stelle nichts über die doch sicher auffallende
Tatsache bemerkt, daß zwei Katgeber des Perikles mit so ähnlichem
Namen beide vom Volk verbannt wurden, und schließt weiter daraus,
daß in dem Exemplar der Verfassungsgeschichte, das Plut. benutzte,
der Zusatz 8? £Ö6xei — uaxspov fehlte. Wir haben es also mit einem
späteren Einschiebsel zu tun, und da dieses bisher das einzige Zeugnis
von Gewicht ist, so wird die Sache damit überhaupt zweifelhaft. Der
Schluß ist ein Schluß ex silentio und folglich an sich mißlich , das
Anfechtbare aber liegt in der Prämisse. Wie, wenn Plut. Dämon in
c. 4 und Damonides in c. 9 für ein und dieselbe Person hielt V
Dann hat es nichts Auffallendes, wenn Plut. in c. 9 beim Zitieren des
Aristoteles die Erwähnung des Ostrakismos fortließ, obwohl sie in
seiner Quelle stand; hierüber glaubte er sich in c. 4 bereits genügend
ausgesprochen zu haben. Liegt also kein Grund vor, die Worte in
Ar. rep. Ath. 29,4 und damit die Tatsache anzuzweifeln, so macht
doch die chronologische Ansetzung einige Schwierigkeiten. Daß die
früheren Versuche nicht das Kichtige treffen, hat Carcopino erwiesen :
Beloch verzichtet darauf ein bestimmtes Jahr zu nennen. Am
angemessensten erscheint immer noch Meyers Ansatz (446/5 oder
kurz danach), der die Sache mit dem Verfahren gegen den Friedens-
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Jahresbericht über griechische Geschichte (1903—1906). Hl
Vermittler Kallias und der Empörung über die damalige Wendung in
der athenischen Politik zusammenbringt.
In der folgenden Friedenszeit ist das Bestreben des Perikles
hauptsächlich auf den festeren Ausbau des Reiches gegangen,
über dessen Verhältnisse Dahms in einer inhaltreichen Dissertation
mancherlei Neues und großenteil Richtiges beibringt. Zunächst ist
ihm der Nachweis gelungen, daß die Kleruchien vom Tribut befreit
waren ; die scheinbar entgegenstehenden Argumente hat er mit Glück
weggeräumt. Weiter berührt er die Frage der Neueinschätzung oder
besser Revisionen, die ordnungsmäßig alle vier Jahre stattzufinden
hatten; als außerordentliche Maßregeln haben die Neueinschätzung
zu gelten, die 443/2 mit der neuen Provinzialeinteilung vorgenommen
ward, und die Erhöhung 425. Wahrscheinlich aber hatten sie auf die
regelmäßige Abfolge der Schätzungen keinen Einfluß ; ich glaube daher,
daß die letzte Schätzung vor Einführung der sfoo<rcfy auf die Dahms
mit Recht Crat. fragm. 12—14 bezieht, 414/3 im ordnungsmäßigen
Revisionsjahr vorgenommen worden ist. Weiter erklärt der Verfasser
die in den Tributlisten vorkommenden Rubriken roXet? aOxal taSatxevai
und ™&et? a? at loiw-zm lv^pa»}av <p6pov <p£peiv aus dem Verfahren
der Athener nach der Niederwerfung aufständischer Bundesgenossen ;
das Vorrecht, sich selbst zu schätzen, erhielten die von jenen wider-
rechtlich geknechteten Städte, während man die auvxeXeT? ebenfalls
der rebellischen Stadt entzog, indem man hier mit der Schätzung
athenische Privatleute beauftragte. Die Erklärung erscheint mir etwas
künstlich und umständlich und dasselbe gilt von den Gedanken, die
D. im zweiten Kapitel über die Finanzbehörden und die verschiedenen
Kassen in Athen bemerkt; doch hat er die Angaben d's Anonymus
Argent. über Höhe und Überführung des Bundesschatzes mit Glück
verteidigt. Auch unterliegt es keinem Zweifel, daß der Vf. mit Recht
aus der verschiedenen Tributhöhe allerlei Schlüsse über die innere
Geschichte des Bundes gezogen hat, wenngleich seine Ergebnisse
nicht immer ganz einwandsfrei sind. So schließt er z. B. aus der
Tributhöhe ganz richtig, daß die Thasier 446/5 ihren Landbesitz
wieder erhalten haben ; daß dies aber eine der Bedingungen gewesen
sei, die Sparta im Frieden von 446 stellte, wird sich schwerlich er-
weisen lassen. Vielleicht handelten die Athener aus freien Stücken
so, da nach dem Frieden die Rückgabe gefahrlos erschien, wie denn
der Verfasser für Erythrai einen ähnlichen Vorgang statuiert.
Eigentümlich ist das Verhalten der Athener gegen die Bundes-
genossen in betreff des Rechtes der Münzprägung gewesen. Head
behauptet — und dies ist die herrschende Ansicht — , daß es den
112
Thomas Lenschau.
i
i
Bundesgenossen überhaupt verboten war, Silbermünzen zu schlagen.
Daß dies auch im großen und ganzen richtig ist, hat Weil an der
Hand der Inschrift (Inscr. mar. aeg. V, 480) von Siphnos gezeigt, in der
festgesetzt wird, wie die von außen in das Bundesgebiet einströmenden
Münzsorten zu beseitigen sind. Offenbar haben die Athener es sich
zugetraut, den ganzen Bedarf an Kurant zu decken. Als dies nach
413 nicht mehr ging, begannen einzelne Städte ohne Erlaubnis wieder
zu münzen; dies ist für Ainos, Abdera u. a. Orte festgestellt. Vor
allem nahm Kyzikos mit seiner Goldprägung eine Sonderstellung ein ;
da Athen damals noch keine Goldmünzen schlug, so war es offiziell
eine Art zweiter Münzstätte des Reiches, und die amtlichen Zahlungen
erfolgten, wenn sie in Gold gemacht wurden, in kyzikenischen
Stateren.
Endlich ist hier noch eines vornehmlich in chronologischer
Hinsicht wichtigen Ereignisses zu gedenken : der von 0 p p e r t be-
haupteten Einführung des metonischen Zyklus im Jahre des
Apseudes 433/2. Unter diesem Jahre bringt Diodor die Notiz lv §k xal;
lUÜrps ttjv ovojxaCojA^vr v lvveaxai8exaeTr,ptoa, T7)V apxV iroir1aajj.*vo:
dtco jj^vö? h 'AO^vai? 2xtpo<popiu>vo? tpifxaiosxctTr^. Wenn sie aber,
so schließt 0., am 13. Skirophorion begann, so trat sie ja also erst
im folgenden Jahre wirklich in Kraft, wozu erwähnt sie denn Diodor
bereits unter Apseudes und nicht unter seinem Nachfolger Pythodoros .'
Und was soll das sinnlose h Äör>ai;? Vielmehr ist festzuhalten,
daß das Jahr des Apseudes tatsächlich das erste Jahr des metonischen
Zyklus ist — wie auch schon A. Mommsen angenommen hat — , und
um dies auch im Diodortext bestätigt zu sehen, genügt die leichte
Änderung TpicxaiBsxdxr^ in Ssxdxoo , so daß das Wort auf p.7)voc zu
beziehen ist, und in dem müßigen Zusatz Iv 'Aö^vatc steckt etod? toO
efiicpotjbsv oder irgendeine derartige Bemerkung. Es ist also zu über-
setzen, „indem er mit dem 13. Monat des vorhergehenden Jahres
dem Skirophorion begann", den er also fortfallen ließ. Weiter be-
trachtet nun 0. den Charakter der Reform Metons und erkennt ihn
darin, daß M. eine trieterische Periode zwischen zwei oktaeterische
einschaltete, um die entgegengesetzten Fehler beider sich aufheben
zu lassen; als Schaltjahre erhielt er dann 3, 6, 8, 11, 14, 17, 19.
Nun sind in unserer Überlieferung als Schaltjahre nachzuweisen 426 5
aus Ar. nub. 584, d. i. das 8. Jahr des ersten Zyklus, weiter 382 1
aus Ptol. 4, 10, 275, d. i. das 14. des dritten und endlich 320/19
das 19. des sechsten Zyklus. Dadurch werden aber auch 11 und X
als Schaltjahre festgelegt, und es bleibt nur zweifelhaft, ob 6 oder 7.
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_ I
.Jahresbericht über griechische Geschichte (1903—1906). H3
16 oder 17 ein Schaltjahr war. Allein schon Petavius wies auf den
Osterzyklus des nicenischen Konzils als Analogon hin, und so ergab
sich ihm die jetzt von Oppert — übrigens auch von Unger — an-
genommene Schaltung des metonischen Zyklus. Zugleich aber sieht
nun 0. darin auch den Beweis, daß tatsächlich seit dem Beginn des
Archontenjahres 433/2 von Apseudes in Athen nach der Enneakaide-
kaeteris gerechnet ward, während man bisher annahm, daß die
Oktaeteris ruhig beibehalten und erst zu Alexanders Zeit der meto-
nische Zyklus eingeführt ward, und berechnet demnach dessen Anfangs-
punkt auf den 28. (jul.) bzw. 23. (greg.) Juli 433 = 22 Pharmuthi
,315 der Ära Nabonassars. Soweit Oppert, allein die Sache hat ihren
Haken. Wäre tatsächlich 433/2 der metonische Zyklus eingeführt,
so müßten sowohl Ol. 91,2 — 415/4 als letztes Jahr des ersten und
Ol. 108,3 = 346/5 als elftes Jahr des fünften Zyklus Schaltjahre
gewesen sein ; beides aber waren nach Unger (Chronol. § 86) Gemein-
jahre. Überhaupt aber kann in dieser Zeit gar nicht nach dem
metonischen Zyklus gerechnet sein, da zwei durch eine volle doppelte
Ennaeteris getrennte Jahre 414/8 und 876/5 nicht etwa den gleichen
Anfang, sondern ganz verschiedene Daten des Beginns zeigen (28. Juni
bzw. 27. Juli). Endlich müßte, wenn tatsächlich 483/2 die Einführung
des meton. Zyklus in der von 0. angegebenen Weise stattfand , das
Jahr 434/8 ein Schaltjahr gewesen sein ; indes auch dieses ist nach
der bisherigen Annahme ein Gemeinjahr. Dann ist aber die Änderung
tpiaxaiBexotTou unmöglich und bei Lichte besehen ist auch die Er-
wähnung des 13. Skiroph. 433/2 gar nicht so seltsam, denn dies
war, wie wir jetzt aus dem in Milet gefundenen, von Di eis und
Kehm behandelten (S. Ber. Pr. Akad. 1904 S. 92 ff.) Parapegmen-
fragment wissen, das von Meton für die Sommersonnenwende dieses
Jahres berechnete Datum ; vgl. die Worte öepivrjc xporr^ ysvojjl^vij? izi
'A^eoSouf apxovto? DxipocpoptSvo? tf, t^tic f4v xa-d touc Afyuirctouc fita
xal x too «Dajxsvcod , Itu? t9jc ^svo^vt)? lizl rioXoxXstTOo (110/9)
2xtpo^optu>voc 10, xotTa 8e xohq A^uRttoo? wj Tlauvi t9}? 18 xxs. Mit
vollkommenem Recht betrachtet Diodor dies als den Anfangspunkt
des metonischen Zyklus, wenn es auch nicht gerade das Anfangs-
datum ist; dies war vielmehr der erste Neumond nach dem 13. Skir.
483. Auch der Zusatz iv Äftr^vaic ist insofern nicht müßig, als be-
kanntlich nicht bloß der Monatsname, sondern auch die Tagzählung
in den griechischen Staaten verschieden war. Sonach wäre also
weder an der Diodorstelle noch an der bisherigen Ansicht von der
Einführung der Enneakaidekaeteris etwas zu ändern. Zum Schluß
aber ist hier wohl ein Hinweis auf die vortrefflichen Erläuterungen
Jahresbericht für Alt«rtum«wM«en*chiift. Bd. CXXXV. 8
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114
»Thomas Lenschau
der Parapegmenfragmente von Rehm am Platze, aas denen man znm
ersten Male eine anschauliche Vorstellung davon erhält, wie die
öffentlichen Kalender in damaliger Zeit gehandhabt wurden.
Viertes Kapitel.
Der Kampf um die Vorherrschaft 431 — 338.
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Über die literarischen Quellen des peloponnesischen Krieges
hat Busolt in der Einleitung seines größeren Werkes (S. 569 — 578)
eine eingehende Übersicht gegeben, die eine vollständige Aufarbeitung
des Materials enthält, soweit es bis zum Jahre 1900 etwa vorlag.
Fortlaufend zu vergleichen sind daher die bereits im vorigen Bericht
besprochenen Arbeiten Ed. Meyers, die den Stand der Frage in
wesentlichen Punkten verändern, und die oben mehrfach erwähnte
Quellenuntersuchung zur athenischen Verfassungsgeschichte des Aristo-
teles von Seeck. Nachträglich hat dann in der wichtigen Frage
Aristoteles oder Thukydides bei der Schilderung der Umwälzung im
Jahre 411 Busolt noch einmal das Wort ergriffen (S. 1476 Anm. 4),
und hier sind auch Meyers Forschungen benutzt. Danach nimmt
Busolt hier eine Art Mittelstellung zwischen Meyer und Köhler-
v. Wilamowitz ein. Thukydides bietet ein lebensvolles Bild jder Ver-
schwörung, indem der Staatsstreich nach mancherlei Vorbereitungen
an einem Tage zu Ende geführt wird ; doch enthält seine Darstellung
mancherlei Irrtümer und Ungenauigkeiten. Aristoteles dagegen bietet
ein Gerippe ohne Fleisch und Blut unter Übergehung der ganzen
Vorgeschichte; nach ihm vollzieht sich die Verfassungsänderung
stufenweise in einigen Wochen. Die von ihm mitgeteilten Volks-
beschlüsse und aktenmäßigen Angaben enthalten viel wertvolles ur-
kundliches Material, nicht aber die volle Wahrheit. Daraus ergibt
sich Bus. der methodische Grundsatz: „Durch die urkundlichen An-
ngaben ist die Darstellung des Th. zu berichtigen, jedoch nur insoweit,
„als sie mit ihnen in einem wirklich unvereinbaren, nicht bloß
„scheinbaren, durch die offizielle Form bedingten Widerspruch steht.
„Was dagegen bei Ar. weder urkundlich bezeugt noch durch die bald
„nach dem Sturze der 400 gehaltene Rede für Polvstratos bestätigt
8*
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11(5
Thomas Lenschau.
„wird, muß durch die Angaben des Historikers ergänzt und berichtigt
„werden." In der Praxis stellt sich dann die Sache auch bei B.
noch etwas günstiger für Thukydides, und in dem Hauptpunkte, der
Frage, ob die Fünftausend wirklich berufen sind oder nicht, erklärt
B. sich gegen die aristotelische Darstellung (S. 1484 Anm.).
Ziemlich kompliziert ist die Quellenfrage bei der Expedition
des Kyros. Bei dem Hauptwerk, der Anabasis Xenophons, nimmt
Cousin eine doppelte Rezension an : eine kurz nach den Ereignissen
niedergeschriebene, aus der sich die Frische und Anschaulichkeit
des Buches erklärt, und eine zweite, viel später, wahrscheinlich nach
dem Aufenthalt in Skillus verfaßte, deren Veranlassung darin lag,
daß Xen. in den damals bereits über die Expedition verfaßten
Schriften sich zu sehr übergangen glaubte. Erst damals ist die selbst-
verherrlichende Tendenz hineingekommen, die sich allerdings stark
fühlbar macht, während Diodors Bericht zeigt, daß X. keineswegs
eine entscheidende, ja kaum überhaupt eine Rolle spielte. Daß die
erste Ausgabe unter dem Pseudonym des Themistogenes aus Syrakus
herausgekommen sei, verneint der Vf. m. E. mit Recht; allein sein
Hauptgrund, daß man einen Syrakusier unmöglich ein so reines
Attisch habe zutrauen können, erscheint wenig stichhaltig; auch
Georgias redet in den platonischen Dialogen ein reines Attisch, ohne
daß die Zeitgenossen daran Anstoß nahmen. Dagegen kann eine
andere Bemerkung C.s weiterführen; wenn er mit Recht hervorhebt,
daß die Anabasis, was die Auswahl der vom Vf. berichteten Tat-
sache betreifen, den Eindruck eines militärischen Leitfadens für eine
zweite Invasion mache , so legt das doch den Gedanken nahe , daß
Xen. gleich nach der Rückkehr für Agesilaos eine derartige Schrift
verfaßte, deren Nutzanwendung freilich dann durch den Ausbruch des
korinthischen Krieges vereitelt ward. Ob X. bei der zweiten Be-
arbeitung noch weitere Quellen herangezogen hat, ist zweifelhaft;
daß Ktesias nicht darunter war, scheint mir Frl. Pancritius erwiesen
zu haben (S. 3 ff.). Auch über das Verhältnis der Anabasis zur
Kyrupaideia macht C. eine interessante Bemerkung, die er durch
Parallelen zu stützen sucht. In der Anabasis zeigt X. den Kyros,
wie er ihm erschien, in der Kyr. schildert er unter dem Bilde des
Ahnherrn, wie Kyros sich entwickelt haben würde, wenn er am Leben
geblieben wäre.
Die zweite Hauptquelle über diese Ereignisse, Ktesias. bildet
eine wichtige Grundlage in dem Bericht des Diodor, und nur das ist
die Frage, ob wir es mit direkter oder indirekter Benutzung durch
Diodor zu tun haben. Schon oben (S. 100) ist bemerkt worden, daß
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Jahresbericht über griechische Geschichte (1903— 1900).
117
v. Meß mit der Annahme indirekter Benutzung das Richtige getroffen
hat. Dasselbe gilt auch von $ophainetos, von dem sowohl Cousin
wie Frl. Lanzani Spuren bei Diodor entdecken, die ebenfalls durch
Ephoros hindurchgegangen sein mögen. Allerdings behauptet auch
hier Frl. Lanzani das Gegenteil, daß Diodor in das kurze xeno-
phontische Exzerpt des Ephoros selbständig die Notizen aus Ktesias,
Sophainetos, Deinon eingelegt habe, und das wird sich ja nicht leugnen
lassen: es mehren sich die Anzeichen dafür, daß Yolquardsens Ein-
quellentheorie nicht mehr ganz zureicht. Wenn ein so scharfsinniger
und genauer Forscher wie Schubert sich genötigt sieht, in der Ge-
schichte Philipps II. mehrere Quellen anzunehmen, die Diodor selb-
ständig zusammengearbeitet hat, so läßt sich die Ansicht nicht ab-
weisen, daß er in den früheren Büchern dasselbe getan hat, und so
wäre es wohl an der Zeit, daß die Einquellentheorie einmal von
neuem gründlich durchgeprüft würde.
Was endlich die Wertschätzung der Quellen betrifft, so ist man
neuerdings geneigt, Ktesias, dessen Werk mit Bruchstücken aus
Deinon vermischt in Plutarchs Artoxerxes vorliegt, erheblich mehr
Glauben zuzumessen, als es das Altertum und neuere Historiker getan
haben. Sicherlich war er, wie Cousin hervorhebt, bei seiner Stellung
in der Lage, mancherlei zu wissen, was den übrigen griechischen
Augenzeugen infolge ihrer mangelhaften Kenntnis der persischen
Sprache und der allgemeinen Verhältnisse entging. Und gerade hier,
wo er selber Augenzeuge war und mit den gefangenen Führern ver-
kehrte, verdient er häufig Glauben, soweit nicht seine Abhängigkeit
von der offiziellen persischen Version und seine Lakonerfreundlichkeit
in Frage kommt. Diesen an sich richtigen methodischen Grundsatz
hat nun aber C. in der Praxis übertrieben , so daß sich sein Buch
stellenweise wie ein Pamphlet auf Kyros und Xenophon liest. Den-
noch liegt ein zweifelloses Verdienst darin, daß er einmal energisch
auf die Kehrseite der Medaille hingewiesen und den persischen
Standpunkt zu Ehren gebracht hat. Unleugbar hat persönliche Eitel-
keit und ehrliche Begeisterung für den Prinzen, dem er diente, X.
häufig verführt, sich selbst in den Vordergrund zu drängen und die
Gestalt seines Helden zu idealisieren. So ist denn das Bild, das C.
von beiden zeichnet, viel weniger lichtvoll, aber, wenn man von den
Übertreibungen absieht , entschieden wahrer ausgefallen als in den
bisherigen Darstellungen.
Für die Folgezeit beruht unsere Kenntnis vorwiegend auf Xeno-
phons griechischer Geschichte, was in chronologischer Hinsicht seine
Schattenseiten hat; wünschenswert wäre es, wenn sich die Nachricht
118
Thomas Lenschau.
bestätigen sollte, daß sich unter den Grenfell- und Huntschen Papyrus-
fanden auch ein größeres 8tück des Theopompos über boiotische
Verhältnisse des vierten Jahrhunderts gefunden habe. Reichlicher
beginnen die Quellen erst wieder mit dem Auftreten Philipps von
Makedonien zu fließen, bei denen Schuberts Arbeit einsetzt, an
das gesamte Material einer kritischen Durcharbeitung zu unterziehen.
Er geht davon aus, daß sich sowohl bei Diodor wie bei Justin starke
Spuren des Theopomp [finden, der eine Hauptquelle für beide ab-
gegeben haben muß. Allein die Erzählung von Philipps Benehmen
am Abend von Chaironeia bei Diodor zeigt plötzlich ein mit Theopomp
nicht vereinbares Bestreben , Ph. herabzusetzen ; eine Vergleich«!*
mit Plut. Dem. 20 fuhrt auf die Vermutung, daß hier Duris vorliegt,
der sich ebenfalls in der romanhaften Ausschmückung der Er-
mordung Philipps bei Diod. XVI c. 92 — 94 verrät. Hier aber be-
gegnet man auch zuerst den Spuren einer dritten Quelle, die allmählich
erkennbar wird, auch bei Justin; sie führt auf einen Schriftsteller,
der ziemlich spät , wahrscheinlich nach dem Galliereinfall , schrieb.
Philipp sehr ungünstig behandelte, dagegen den Phokiem und vor
allem den Athenern wohlwollte. Der Verfasser erkennt in ihn
Diyllos, wofür wenigstens ein direktes Fragment spricht (Müll. Diyllos
fr. 3 bei Ath. IV, 155 a = Diod. 19, 52, 5), und führt auf ihn auch
die häufig durchscheinende Benutzung der attischen Redner bei Diodor
und Plutarch in der Demosthenesvita zurück. Sodann geht Seh.
zur Analyse der Nachrichten über den heiligen Krieg bei Diodor.
Pausanias und Justin über, in deren Anfang sich deutlich drei Ver-
sionen scheiden: die eine (Paus.) schrieb die Schuld des Krieges des
Thessalern, die zweite (Just.) den Thebanern zu, die dritte (Diod.)
nennt ebenfalls die Thebaner, daneben aber als eigentlichen Anstifter
den Philomelos, so daß hier zwei Versionen kontaminiert erscheinen.
Dieselbe Verschiedenheit zeigen die Nachrichten über den Tempelraub:
nach der einen ist Philomelos ganz unschuldig (Diod.), nach der
zweiten wird er von den Thebanern gezwungen (Just, und ebenfalls
Diod.), nach der dritten hat er von vornherein ungescheut die Tempel-
schätze angegriffen, um für sich persönlich die Tyrannis zu gewinnen.
Es gelingt Sch., von diesen drei Versionen, deren Vorkommen nicht
auf diese beiden Stellen beschränkt ist , die erste auf Demophilos,
Ephoros Sohn und Fortsetzer, die zweite auf Diyllos, dessen Spuren
sich auch sonst hei Diod. und Paus, finden, die letzte auf Theopomp
zurückzuführen, und er zeigt nun, wie bei Diod. alle diese drei Quellen,
bei Justin nur Demophilos und Diyllos zusammengearbeitet sind,
während Paus, vorwiegend Theopomp gefolgt ist. Natürlich läßt sich
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Jahresbericht über griechische Geschichte ( 1903— 1906). 119
im einzelnen manches aussetzen, und Renß hat daher Sch. Spitz-
findigkeit und tibermäßige Schärfe vorgeworfen (Wkl. Ph. 1905 No. 5);
allein wenn irgendwo, so darf man bei derartigen Quellenuntersuchungen
nicht an Einzelheiten haften, und im ganzen machen Sch.s Ausführungen
einen überzeugenden Eindruck. Gewiß handelt es sich hier immer
nur um Möglichkeiten, wie Niese (BphW. 1906, 494/5) in seiner
Besprechung betont; allein in der Kritik der Quellen zum heiligen
Kriege scheint mir Schubert doch über bloße Möglichkeiten hinaus-
gekommen zu sein, und hier wird auch die Forschung seine Ergebnisse
verwerten müssen. Eine ganze Reihe äußerst wichtiger Historiker-
bruchstücke für diese Zeit gibt der von Diels und Schubart heraus-
gegebene Didymoskommentar : besonders handelt es sich um Fragmente
des Philochoros, Theopomp, Anaximenes, Marsyas, Demon, deren
historischen Wert F. Stähelin, Klio V, 55 — 71, diskutiert hat.
Was die inschriftlichen Quellen des peloponnesischen Krieges
betrifft, so hat auch hier Busolt das Erreichbare sämtlich zusammen-
gestellt ; neu hinzu kämen eine bereits bekannte, aber zu spät datierte
Inschrift, die nun von Foucart ins 5. Jahrhundert hinaufgerückt ist
(s. u. S. 124). Unter den für die spätere Zeit neu hinzugekommenen
ist die wichtigste ein bei den Ausgrabungen v. Milet gefundener
Stein (s. Kekute, vorläuf. Bericht SB. Berl. Ak. 1900), auf dem ein
Satrap Ioniens Struses erwähnt wird, der einen Rechtsstreit zwischen
den Myessiern und Milesiern zugunsten dieser entscheidet. Der An-
fang der Inschrift, die übrigens auch juristisch interessant ist, enthält
die Richternamen, je fünf aus Chios, Erythrai, Klazomenai, Lebedos,
Ephesos; weggebrochen ist im Anfang noch mindestens eine Fünfzahl
und ein Stadtname. Da indessen nicht angegeben ist, wieviel oben
fehlt, so halte ich es durchaus nicht für ausgeschlossen, daß die
Sache im xotvov täv 'I(uvo>v im Panionion zur Sprache gekommen ist.
Dann müßten im Anfang noch vier Städte genannt sein, da Milet und
Myus als streitende ausschieden und Priene um diese Zeit — aller-
dings ist 392 das wahrscheinlichste Datum — doch wohl noch in
Trümmern lag. Interessant ist auch eine Inschrift von Karystos,
Eph. arch. 1905, 1—3, die in die Zeit herabgeht, wo der Einfluß
der Athener im zweiten Seebund zu sinken beginnt und die Bundes-
städte anderweitig Anschluß — hier an Boiotien — suchen. Andere
Urkunden werden später angeführt werden; hier zum Schluß ist noch
eines Werkes zu gedenken, das für das Studium der Inschriften und
ihre geschichtliche Verwertung ein geradezu unentbehrliches Hilfs-
mittel bildet: Joh. Kirchners Prosopographia attica. In der Haupt-
sache enthält das Buch ein Verzeichnis sämtlicher in attischen In-
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1 20
Thomas Lenschau.
Schriften vorkommenden Namen mit Nachweis der Stellen, an denen
sie sich finden ; bei den Persönlichkeiten , die ans den literarischen
Quellen bekannt sind, sind auch die Schriftstellerzeugnisse mit
seltener Ausführlichkeit und Genauigkeit angegeben. Wertvolle Bei-
gaben sind eine ganze Reihe von Kirchner ausgeführter Stammbäume
und endlich eine attische Archontenliste , die den damaligen Stand
der Forschung repräsentiert. Das Buch, ein Ergebnis 18jähriger
Arbeit, kommt wirklich — hier ist der Ausdruck am Platze — bei
der geringen Übersichtlichkeit der Indizes zum CIA einem all-
gemein gefühlten Bedürfnis entgegen. Einige Nachträge gibt Sund-
wall, Klio V, 181/2 u. 282/4.
Die neue Darstellung des peloponnesischen Krieges von Busolt
bringt das gesamte Material in derjenigen Ausführlichkeit und
Genauigkeit, die für das Werk bereits sprichwörtlich geworden ist.
vor allem aber auch in derselben energischen Verarbeitung, die die
früheren Bände auszeichnet. Es ist schwer, einem derartigen Riesen-
werk gegenüber einen Standpunkt zu gewinnen; vielleicht aber läßt
sich das Charakteristische des Werkes dahin umschreiben, daß es vor
allem darauf aus ist, die tatsächlichen Vorgänge so genau und so scharf
herauszuarbeiten, wie dies nach dem gegenwärtigen Stande unserer
Kenntnis möglich ist, und nach dieser Hinsicht hin hat B. , um es
kurz zu sagen, alles geleistet, was zu leisten war. Als ein besonderer
Vorzug, der aber schon aus den früheren Bänden bekannt ist, muß
es dabei gelten , daß die Untersuchung einzelner strittiger Punkte
stets mit der Vorlegung des gesamten Forschungsmaterials geführt
ist , so daß jeder in die Lage versetzt wird , sich ein eigenes Urteil
zu bilden, das dann oft genug mit dem des Vf. übereinstimmen wird.
Dagegen treten die allgemeinen Betrachtungen über die Weltlage, wie
man sie am Anfang des Krieges und dann nach dem Ausgang der
sizilischen Expedition gewünscht hätte, mehr zurück. Der kombinierte
Angriff der Mächte von Osten und Westen auf das Griechenvolk,
dessen Bollwerk mit der athenischen Macht gefallen war, kommt
nicht zum Ausdruck , und in dieser Beschränkung auf die rein
griechischen Verhältnisse, deren Vorbild Thukydides war, liegt es
wohl auch begründet, daß Nissens Theorie über die letzten Gründe
des peloponnesischen Krieges nicht stärker die Darstellung beeinflußt
hat. Noch ein Wort über den Ausdruck, auf den der Vf. nach seinem
eigenen Bekenntnis im Vorwort diesmal besondere Sorgfalt verwandt
hat. So sehr man anerkennen wird und muß, daß seine Bemühungen
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Jahresbericht über griechische Geschichte (1903—1906). 121
von Erfolg gekrönt gewesen sind, so ist es doch anderseits schon in
der Anlage des Werkes begründet, daß Vorzüge des Stiles bei ihm
nicht hervorzutreten vermögen, und so erneuere ich hier den schon
an anderer Stelle geäußerten Wunsch, daß es dem Verfasser vergönnt
sein möge, nach Abschluß der großen Arbeit, der er sein Leben ge-
widmet hat, die Ergebnisse noch einmal in einer kurzen, von allem
Anmerkungsballast befreiten Darstellung der Mitwelt vorzulegen.
Natürlich ist es unmöglich, hier auch nur annähernd eine Vor-
stellung von dem Reichtum des Stoffes, von der Zahl der glücklich
gelösten und der neu aufgeworfenen Probleme zu geben. Ohnehin wird
jeder, der in den peloponnesischen Krieg einschlagende Fragen bearbeitet,
genötigt sein, sich in erster Linie mit B. auseinanderzusetzen. Dennoch
möchte ich wenigstens einiges hervorheben und darunter vor allein
Busolts Berechnung der Streitkräfte Athens im Beginn des
Krieges, eins der Probleme, von dessen Lösung die richtige Be-
urteilung der Kriegsereignisse in erster Linie abhängt, und dazu
eines, in dem ich gern bekenne, durch B. zu der richtigen Auffassung
gekommen zu sein. Die Grundlage bildet die bekannte Stelle bei
Thuk. II, 13, in der die Feldarmee Athens auf 13 000 Hopliten an-
gegeben wird; daneben aber soll nach dem Zeugnis der Historiker
noch eine aus den ältesten und jüngsten Jahrgängen sowie aus den
Metöken gebildete Garnisonarmee von 16 000 Hopliten verfügbar
gewesen sein. Mit guten Gründen, die er in dem obenerwähnten
Aufsatz gelegentlich noch einmal zusammengefaßt hat (S. 348 ff.),
war zuerst Beloch dieser Behauptung entgegengetreten und hatte eine
Textverderbnis angenommen : das xcti jiopuov nach 'dem iSaxt^di'tuv
sei zu streichen. Dem gegenüber hatte Meyer den überlieferten Text
damit verteidigt, daß er darauf hinwies, für die ungeheuer lange
Befestigungslinie hätten 6000 Hopliten bei weitem nicht zur Ver-
teidigung gentigt, es sei daher an der höheren Zahl festzuhalten. Allein
mit Recht macht Busolt in seiner Epikrise der ganzen Frage (S. 880
A. 1) darauf aufmerksam, daß ja von der Feldarmee immer ein großer
Teil in Athen gewesen sei, und daß diesem naturgemäß die Ver-
teidigung der Stadt zugefallen wäre. Man hielt die Leute im Innern
der Stadt in konzentrierter Stellung beisammen, um sie au bedrohten
Punkten jederzeit einsetzen zu können; es war also nur eine Mauer-
wache (nicht eine Besatzung) nötig, und dazu reichten die 6000 völlig
aus. Es ist nicht zu leugnen, daß hiermit der Haupteinwand gegen
Belochs Streichung von xai fxupuuv hinfällig geworden ist.
Auch in der vielerörterten Frage über die Zeit des Kriegs-
anfanges scheint mir B. in der Anm. 2 zu S. 907 die' Sache zur
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122
Thomas Lenschau.
Entscheidung gebracht zn haben, indem er von seinem bereits im
vorigen Bericht (S. 225) erwähnten Hermesaufsatz ausgeht. Das
jetzt von ihm beigebrachte Material läßt m. E. keinen Zweifel zu.
daß sich seit dem Altertum ebenso wie in Italien so auch in Griechen-
land die Ernte um nahezu einen Monat nach rückwärts verschoben hat.
Damit aber ist auch die Frage entschieden, wann der Überfall von
Plataiai stattfand, der nach Thuk. 80 Tage vor die Schnittreife des
Getreides fiel. Wenn im Altertum die Ernte erst Mitte Juni statt-
fand, so kann von den beiden in Frage kommenden Neumonden
(9. März und 7. April) nur der letztgenannte in Frage kommen.
Auch die Vorgänge von 428 lassen erkennen, wie Busolt mit Recht
hervorhebt, daß die Schnittreife der Gerste in den Juni fiel.
Sehr richtig erscheint ferner die Hervorhebung der Bedeutung
des Kampfes bei Mantin-eia: „Der Sieg der Lakedämonier ist zu-
gleich ein Sieg der Oligarchie und insofern bedeutete die Schlacht
einen Wendepunkt in der politischen Entwicklung Griechenlands. . . .
Es setzte eine oligarchische Reaktion ein, die nach manchen Schwan-
kungen in ganz Hellas zur Herrschaft gelangte". Dagegen wird man
es dem Vf. nicht verargen, wenn er in der Frage des Herrn o-
kopidenprozesses ein bestimmtes Urteil nicht geäußert hat ; es
ist für uns wohl unmöglich, da Sicherheit zu erzielen, wo selbst die
Mitwelt im Dunkeln tappte. Interessant ist dagegen die Bestätigung
einer Vermutung Keils, daß die Tat nicht, wie aus dem Altertum
überliefert ist, am Neumond (also lO.'ll. Mai oder 8./9. Juni) verübt
sein könne, sofern der Betrug des falschen Angebers Diokleides nur
gelingen konnte', wenn in der Nacht Mondschein möglich war, sich
aber bei genauerer Untersuchung ergab, daß zu der Zeit, wo D. die
Verschwörer gesehen haben wollte, der Mond bereits untergegangen
war. Die Berechnung Ambronns (mitgeteilt bei B. S. 1289 Anm.)
ergibt, daß dies damals in der Tat der Fall war. Am besten paßt
die Nacht des 22. Mai. Im übrigen hat auch die letzte Behandlung
durch L e v i nichts wesentlich Neues ergeben ; sie befaßt sich haupt-
sächlich mit der Person des Andokides, den der Vf. für schuldig
hält, dagegen von dem Vorwurf freispricht, seinen eigenen Vater an-
gegeben zu haben. Fast nichts gibt das Bruchstück einer Alkibiades-
vita (Oxyrh. Pap. vol. III no. 411), das vom Hermokopidenprozeß
bis zu dem Rat, Dekeleia zu besetzen, reicht; um so wichtiger für
die Beurteilung des Andokides ist das Philochorosfragment bei
Didymos, das seine und seiner Mitgesandten Rolle im Jahre 392
beleuchtet.
Unter den Staatsmännern, die im letzten Teil des peloponnesischen
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Jahresbericht über griechische Geschichte (1903—1906). 123
Krieges hervortreten, hat Theramenes von jeher die verschiedenste
Beurteilung gefunden ; neuerdings aber beginnt die in ihrem Ursprung
noch nicht ganz aufgeklärte günstige Auffassung bei Ephoros und
Aristoteles die ältere zurückzudrängen, die im wesentlichen auf Lysias
Rede gegen Eratosthenes und den Angriffen der Komödie beruhte.
Dementsprechend hat auch Perrin eine Ehrenrettung des Mannes
versucht und, so viel wird man ihm zugeben müssen, nicht zum
wenigsten ist jenes ungünstige Urteil darauf zurückzuführen, daß
Th. eine mittlere gemäßigte Politik verfolgte und deshalb sowohl von
extrem oligarchischer Seite , wie von der radikalen Demokratie an*
gefochten ward. So kam er in den Ruf politischer Gesinnungslosigkeit,
den er nicht verdiente ; wenigstens liegt in den entscheidenden Jahren
411 und 404 seine Politik klar und deutlich vor uns. Wie er damals
die extreme Demokratie durch die Oligarchie stürzte, um dann diesen
an der Spitze der Mittelpartei dasselbe Schicksal zu bereiten, so
hatte er auch 404 zum entscheidenden Schlage gegen die bis dahin
siegreichen Oligarchen ausgeholt, als Kritias Energie ihm im letzten
Augenblick zuvorkam. Das alles kann auf den Charakter des Mannes
keinen Schatten werfen, sondern zeigt nur sein großes politische*
Geschick, dem auch Thuk. Beifall zollt. Im übrigen ist es ein
Irrtum, wenn P. behauptet, der Historiker beurteile Theramenes
günstig; mit Recht hebt Busolt (S. 1465) das kühle Urteil des Thuk.
hervor, der ihn schlechtweg zu den aus egoistischen Gründen
handelnden Staatsmännern zählt.
In der Tat aber gibt es zwei dunkle Punkte in Theramenes
politischer Laufbahn : 6ein Verhalten im Arginusenprozeß und die
Friedensgesandtschaft zu Lysander, durch die er seine Vaterstadt in
die äußerste Not brachte, um sie seinen Wünschen gefügig zu machen.
Die Verteidigung ist hier nicht leicht; und für den Arginusenprozeß
läuft sie bei Perrin darauf hinaus, daß Theramenes und sein Genosse
Thrasybulos in Notwehr handelten, als die angeklagten Feldherren,
die wirklich Fehler begangen hatten , ihnen die Schuld zuschieben
wollten. Allein wie kommt es denn , daß gerade Theramenes so oft
und mit so scharfen Worten sein Ränkespiel im Arginusenprozeß
vorgeworfen wird, während sich gegen Thrasybul nie auch nur eine
Hand geregt hat? Das läßt doch daraufschließen, daß Theram. eine
besonders gehässige Rolle gespielt hat, und dagegen verschlägt es
natürlich gar nichts , daß Lysias , worauf P. so viel Gewicht legt,
über sein Verhalten im Arginusenprozeß völlig schweigt Das gebot
ihm die Rücksicht auf den Befreier Thrasybulos, der doch auch in
jenen schlimmen Handel verwickelt war, und die Rücksicht auf die
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124
Thomas Lenschau.
Richter aas dem Volke, das sich nur ungern an jenen Blutbeschluß
erinnern ließ. Ebensowenig glücklich ist P.s Verteidigung in dem
zweiten Punkte. Es ist doch eitel Spiegelfechterei, wenn er es fftr
eine grobe Ungerechtigkeit des Lysias erklärt , daß dieser Ther. die
Motive unterschiebt, die Lysander bei jenem Herausziehen der Ent-
scheidung hatte. Denn damit sinkt Ther. auf den Standpunkt des
Bummkopfes herab, der sich von Lysander vier Monate lang nasführen
ließ , und das wird ihm niemand zutrauen. Vielmehr wird man an-
nehmen müssen, was auch Beloch bei seiner günstigen Beurteilung
des Ther. konsequenterweise getan hat , daß Theram. mit voller
Absicht die vier Monate vertrödelte, um die extremen Demokraten
mürbe zu machen, allerdings zum Besten des Staates. Politisch
gesinnungslos war Theramenes nicht ; aber die Mittel, die er anwandte,
sind doch derart, daß das überschwängliche Lob des Aristoteles nicht
gerechtfertigt erscheint. Sein Auftreten gegen die Dreißig und sein
tragischer Tod sind seinem Andenken zugute gekommen (Bus. S. 1465);
sein Altersgenosse Thukydides hat ihn wesentlich schärfer beurteilt.
Die letzten Jahre des peloponnesischen Krieges stehen bereit-
unter dem Einfluß der persischen Großmacht, den Solari zum
Gegenstand einer genaueren Darstellung gemacht hat; mit Recht hebt
er hervor, daß die Schaukelpolitik des Tissaphernes im persischen
Interesse richtiger war als das starke Attachement des Kyros an die
Lakedämonier , was natürlich auch Cousin nicht verfehlt hervor-
zuheben. Aber beide vergessen, daß die persischen Statthalter, sowohl
Tissaphernes wie Kyros, doch nach Weisungen aus Susa handelten:
es kam also vielmehr darauf an, die Politik des susischen Hofes and
ihre Wandlungen zu schildern, was in dem einen Falle Busolt wirklieb
getan hat (S. 1567 ff.). — In chronologischer Hinsicht hat
Lohse diese letzten Jahre behandelt, und dabei sich wie Beloch vor
ihm, der spartanischen Nauarchenliste als eines Hilfsmittels bedient;
die Einwürfe Judeichs und Solaris gegen den jährlichen Charakter
der Nauarchie hat er mit Glück widerlegt. Der Amtsantritt der
Nauarchen fand danach im Herbst statt, zum Beginn des spartanischen
Jahres ; doch war es den Ephoren erlaubt, wenn es ihnen zweckmäßig
erschien, den alten Nauarchen noch im Winter im Amt zu belassen,
so daß der neue dann im Frühjahr die Flotte übernahm. In dem
bekannten Dodwell-Haackeschen Streit, von denen jener Thrasvlls
Expedition ins Jahr 409, dieser sie ins Frühjahr 410 verlegt, ent-
scheiden sich Busolt und Lohse für Haacke. Dem entgegen steht
die Angabe des Dionysios v. Halikarnaß im Arg. or. Lys. 32, wonach
die Abfahrt unter Glaukippos erfolgte, d. h. Mai 409. Wenn Bus.
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Jahresbericht über griechische Geschichte (1903—1906). 125
hier einen Irrtum annehmen will und meint, in dem von Dion. be-
natzten Werk sei nur der spätere Verlauf der Expedition erwähnt,
so daß ihr Anfang doch noch ins Vorjahr fiele, so ist dagegen zu
erinnern, daß der Ausdruck des Dion. sehr bestimmt ist und weiter,
daß wir kein Recht haben, Dionys eine Nachlässigkeit aufzubürden,
die wir Diodor unbedenklich zutrauen würden. Daß anderseits auch
manches gegen die Dodwellsche Ansicht spricht (Bus. 1532 Anm.),
soll nicht geleugnet werden; die Sache ist eben auf diesem Wege
nicht zur Entscheidung zu bringen.
An das Ende des großen Krieges versetzt uns ein Aufsatz von
F o u c a r t , der von einem thasischen Dekret ausgeht, das seiner-
zeit Jacobs (Mitt. Arch. Inst. 1897) aus den Abschriften des Cyriakos
v. Ancona ans Licht gezogen hat. Es handelt sich darin um die
Vermögenskonfiskation bei fünf Bürgern, deren einer Apemantos ist,
wohl derselbe, der in einem attischen Dekret als Proxenos erscheint.
Bei dem Abfall der Insel bald nach 41 1 war er, wahrscheinlich einer
der Führer der athenischen Partei, vertrieben worden; doch scheint
er nach der Wiedereinnahme durch Thrasybulos wieder zurückgekehrt
und vor dem Ende des Krieges gestorben zu sein. Die Inschrift setzen
Fouc. wie Jacobs beide etwa ins Jahr 408. Nach Aigospotamois aber
trat die Reaktion ein ; die Söhne des Apemantos mußten flüchten, und
nach der Einsetzung der Dreißig hoben diese sogar das Proxenie-
dekret für den Vater auf. Doch gelang es den Söhnen, später nach
der Wiederherstellung der Demokratie die Erneuerung des Dekrets
zu erwirken (CIA II, 3). Einer von ihnen , Amyntor , scheint sich
dann in Athen niedergelassen und hier auch noch die Atelie erhalten
zu haben, was durch ein Dekret bezeugt wird, das Wilhelm im Eran.
Vindob. 1903 herausgegeben hat. Es heißt dort etvai xal toi?
aXXot? <ps6-püat jBaat'cuv lr' drtixiaum ttjv d-iX&iav xaÖcnrsp Mavxi-
vEuai .... cnroYpctyat auttov ta iv6\iaxa Naufxay°v xai "Ex^avxov ;
es folgen die übrigen Namen. Die Ergänzungen, größtenteils von
Wilhelm, sind ziemlich sicher. Nun bezieht sich Dem. in der Lept.
§51 auf dies Dekret und sagt, Ekphantos habe die Atelie für die
Verdienste erhalten, die er bei der Eroberung durch Thrasybulos sich
erworben habe. Wilhelm war der Ansicht, daß hiermit eine spätere
Einnahme von Thasos gemeint sei ; doch zeigt F. mit einleuchtenden
Gründen, daß es auf jene Einnahme 408/7 geht, und setzt deshalb
das Dekret für die Thasier auf 402, was ungefähr der Wahrheit
entsprechen dürfte.
Unmittelbar nach dem großen Kriege folgte der Zug des
Kyros, der Griechenland vor allem den Dienst erwies, daß die
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12(5
Thomas Lensthau.
plötzlich beschäftigungslos gewordenen Söldnermengen zum großen
Teil in eine auswärtige Unternehmung verwickelt und dadurch un-
schädlich gemacht wurden. Nicht die Expedition selbst, wohl aber
die Umstände, unter denen sie erfolgte, die treibenden Kräfte nnd
die Hauptpersonen hat Cousin in seinem umfänglichen Werke be-
handelt. Für unsere Kenntnis von dem Verlauf des Zuges ist es
von großer Wichtigkeit, daß C. bis Thapsakos am Euphrat der Route
der 10 000 gefolgt ist und seine Beobachtungen dabei in ein Reise-
journal eingetragen hat, das den zweiten Teil seines Buches bildet.
Über die Tendenz des Buches und die scharfe Kritik, die der Vf.
an Kyros und Xenophon übt, ist schon oben gesprochen worden.
Nicht viel besser kommen die Griechen weg, die als ein zuchtloser
Söldnerhaufe erscheinen, und deren Führer, Klearch nicht aus-
genommen, wenig mehr als gute Offiziere, jedenfalls keine Feldherren
waren. Immerhin bietet das den Söldnern gewidmete Kapitel des
ersten Teiles eine Menge wertvoller Einzelheiten ; u. a. weist der
Verfasser nach , daß der Sold der Kyreer keineswegs hoch war, und
erklärt dies auch ganz richtig durch das massenhafte Angebot , das
nach dem Ende des großen Krieges eintrat. Sehr viel mehr Licht
fällt auf die Asiaten, wie denn C. geflissentlich die Perser zu heben
sucht. Gegen ihn hat Frl. Pancritius die Verteidigung der alten
Ansicht nicht ohne Glück an einzelnen Stellen unternommen. Am
wichtigsten scheint mir das Kapitel, das sie den Uberlieferten Zahlen
gewidmet hat. Sie weist hier nach, daß man in Vorderasien schon
von der assyrischen Zeit her, wie die Keilinschriften beweisen, mit
der Bewegung gewaltiger Heeresmassen durchaus vertraut war, dali
also auch wahrscheinlich für die Verpflegung der Massen in besserer
Weise gesorgt war, als es unsere Überlieferung erkennen läßt. Nun
wird niemand — auch Frl. P. tut das nicht — die riesigen Zahlen
des königlichen Heeres in der Schlacht von Kunaxa (900 000!) für
bare Münze nehmen; aber derartige Tatsachen sind doch sehr ge-
eignet, der seit Delbrück und durch ihn in Mode gekommenen Unter-
schätzung antiker Zahlenangaben entgegenzuwirken. Auch die Angabe,
daß das asiatische Heer 100 000 betragen habe, kann, obwohl sicher
übertrieben (vgl. die lehrreiche Anm. 2 auf S. 28), doch nicht so
ganz verkehrt sein, daß man mit Meyer das asiatische Heer nicht viel
stärker als das griechische ansetzen dürfte; Xen. hat doch beide
zusammen manövrieren sehen. Übrigens bleiben im Verlauf der
Schlacht selber, dem Frl. P. ein Hauptinteresse entgegenbringt,
noch manche dunklen Punkte, von denen sie einige, z. B. das Ver-
schwinden der Heeresmassen des Königs nach der Schlacht, ganz
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Jahresbericht über griechische Geschichte (1903—1906). 127
plausibel erklärt. Sicher ist nur das eine, daß die Schuld an der
Niederlage in erster Linie Klearchos trifft.
Nicht lange nach dem Ausbruch des spartanisch-persischen
Krieges, der durch Spartas Hilfeleistung an Kyros hervorgerufen war,
beginnt mit dem korinthischen Kriege die lange Reihe der
Kämpfe, die endlich mit dem Untergang der griechischen Freiheit
bei Chaironeia endete. Um die einzelnen Ereignisse richtig beurteilen
zu können, ist es nötig, einen möglichst deutlichen Begriff von den
Machtmitteln der um die Vorherrschaft ringenden Staaten zu be-
kommen, und nach dieser Seite haben K rom ay ers Untersuchungen
aufklärend gewirkt, auch dadurch, daß sie die Gegenschriften von
Bei och und Busolt hervorgerufen haben. Kr. geht von dem
Grundsatz aus, daß auch die Angaben späterer, aber auf zeitgenössische
Quellen zurückgehender Schriftsteller, wenn nicht absichtliche Über-
treibung vorliegt, durchaus verwertbar sind, da bei der Kleinheit und
Übersichtlichkeit der griechischen Verhältnisse eine starke Verzeichnung
sofort, von den Zeitgenossen bemerkt worden Märe. Darin stimmt
ihm auch Beloch zu, jedoch mit der Einschränkung, daß nicht immer
die wirkliche Truppenzahl, sondern öfters nur die Sollstärke angegeben
wird. Was nun Athen und Theben betrifft , so erinnert Kr. daran,
daß ihre Streitkräfte an Hopliten etwa als gleich galten, und be-
rechnet alsdann für das Zweidrittelaufgebot Athens in den Jahrgängen
20 — 40 eine das ganze Jahrhundert hindurch sich so ziemlich gleich-
bleibende Stärke von 5 — 6000 Mann. Das würde einem ^av5>jjAei-
Aufgebot (20.— 50. Jahrgang) von 10 000 und einer Gesamtzahl aller
zur Verfügung stehenden Hopliten (18.— 60. Lebensjahr) von 13 000
entsprechen, so daß also die Angaben Diodors bei einzelnen Auszügen
der Athener mit 10 — 12 000 Mann durchaus nicht außerhalb aller
Wahrscheinlichkeit liegen. Demgemäß berechnet Kr. weiter das volle
Aufgebot für Theben allein auf 4500, für Ostbocotien auf 7000, für
Samtboeotien auf rund 10 000 Mann. Dabei bilden immer die Grund-
lage der Berechnungen Xenophons Angaben über die Streitkräfte in
der Schlacht am Nemeabach (394), wo Kr. durchweg Zweidrittel-
aufgebote der Jahrgänge 20—40 ansetzt. Indem Beloch das bestreitet
und durchweg Aufgebote von 20—50 Jahren annimmt, gelangt er für
Boiotien und Athen zu wesentlich geringeren Zahlen (rund 7—8000
Mann für das Gesamtaufgebot der Jahrgänge 20—50). Natürlich ist
die Frage nicht zu entscheiden; wir wissen eben nicht, ob am
Nemeabach die Mannschaften bis zum 40. oder bis zum 50. Jahre
aufgeboten waren. Dennoch möchte ich mich, vor allem, was die
Verwertung für die Bevölkerungsstatistik betrifft, für Belochs
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128 Thomas Lenschau.
geringere Zahlen erklären; für mich unterliegt es keinem Zweifel,
daß die meisten Staaten, sicherlich Athen, im Laufe dieser
Zeit mehr and mehr die Söldnerwirtschaft anfingen , und daß mithin
ihre Truppen nur noch zum Teil aus Bürgeraufgeboten bestanden.
Sonst wäre es völlig unerklärlich, wo plötzlich die riesigen Söldner-
massen herkamen, mit denen Philomelos seine Tyrannis begründete,
alle kann das Ende des großen Satrapenaufstandes auch nicht ge-
liefert haben.
Auf den so gewonnenen Zahlen für Athen und Boiotien fußend,
kommt nun Krom. zu dem Schlüsse, daß Spartas Heerbann nicht
wesentlich geringer gewesen sein kann, und da die beiden einzigen
uns erhaltenen genauen Angaben, Thuk. über die Schlacht bei
Mantineia und Xen. mit Bezug auf Leuktra. viel geringere Zahlen
ergeben, so folgert er weiter, daß es sich in beiden Fällen nur um
das stadtspartanische Aufgebot gehandelt habe, in dem Spartiaten und
Priöken zusammenstanden, daß aber daneben noch gesonderte Truppen-
körper von Neodamodcn und Periöken vorhanden gewesen sein müssen.
Hiervon weiß allerdings die Überlieferung nichts, die nur für Plataiai
gesonderte Periökenkontingentc kennt. — Gegen diese Ausführungen
Kr.s wendet sich Busolt, der in dem Aufgebot von 418 tatsächlich
den gesamten Heerbann Spartas bis zum 53. Jahre sieht und danach
eine Gesamtzahl von 4500 mit Einschluß der höheren Offiziere be-
rechnet, die alle Dienstpflichtigen vom 18. bis 60. Lebensjahr umfaßt;
das Verhältnis der Spartiaten zu den Periöken in den Lochen schätzt
er damals auf 2 : 3. Allein im Verlauf des 4. Jahrhunderts ver-
schlechtert sich dies Verhältnis zusehends, so daß es bei Leuktra nur
noch 1:5 ist , was mit der stärkeren Anspannung der Spartaner
durch die Pflichten der Hegemonie und mit Verlusten im korinthischen
Kriege zusammenhängt. Dieses Zusammenschmelzen ist auch der
eigentliche Beweggrund für die Heeresreform, die an Stelle der sieben
Lochen die sechs Moren setzte, und deren schrittweise Durchführung
Busolt darlegt. Umgekehrt hält Beloch an der Identität des sparta-
nischen Heerwesens bei Mantineia und Leuktra fest, berechnet aber
die Zahl von Mantineia etwas günstiger (5200—5700 mit Einschlufi der
Skiriten): dieses soll im wesentlichen die Streitkraft der Spartaner
geblieben sein. Ziemlich gleich schätzen Krom. und Beloch die Streit-
kräfte des peloponnesischen Bundes auf Grund der Organisation in
10 Armeekorps; nur bei Korinth gibt Krom. höhere Zahlen, aber
wohl mit Unrecht.
Doch berücksichtigen diese Berechnungen für eine Reihe von Staaten
nur den einen Machtfaktor, da diese zugleich noch über eine Flotte
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Jahresbericht über griechische Geschichte (1903-1906). 129
verfügten, und unter ihnen ist natürlich weitaus die bedeutendste die
athenische, die sich nach der Niederlage von 404 verhältnismäßig
rasch erholt hat. Der früheren Ansicht Böckhs, der schon im Jahre
der Gründung des Seebundes eine ansehnliche Flotte annahm, war
seinerseits Köhler mit der Behauptung entgegengetreten, damals habe
Athen nur etwa 100 Schiffe gehabt, und Keil hat ihm noch im Anon.
Arg. S. 205 zugestimmt. Beide sind indessen durch den Aufsatz von
Kolbe widerlegt, der auch sonst viel Interessantes über die attische
Marine in damaliger Zeit enthält, so z. B. über die Dauer der Dienst-
tüchtigkeit bei den Trieren, die er auf etwa 20 Jahre veranschlagt.
Vielmehr muß schon im Jahre des Nausinikos der Schiffsbestand be-
trächtlich gewesen sein; 357/6 waren es mindestens 283, vielleicht
383 (CIA. II, 793, Keil a. a. 0.); im Jahre 353/2 zählte die Flotte
349 Trieren. Doch gilt noch immer das Wort Köhlers: „Das Ver-
hängnis Athens wollte es, daß, während das Flottenmaterial beständig
„wuchs, sich das persönliche und die Handhabung der Marinegesetze,
„wie dies aus den Urkunden und den Angaben der Redner hervor-
geht, in umgekehrter Progression zunehmend verschlechterte. Durch
n dieses Mißverhältnis ist es möglich geworden, daß um die Mitte des
„4. Jahrhunderts im ägäischen Meere neben der athenischen eine
„zweite Seemacht in der makedonischen aufkommen konnte, die vom
„ersten Tage ihres Bestehens an gegen Athen gerichtet war." Der
Tag von Amorgos hat darüber entschieden, wem die Seegewalt im
ägäischen Meere gehörte.
Das waren etwa die Kriegsmittel der Staaten , die im Sommer
395 den verderblichen korinthischen Krieg begannen, dessen Ausgang
den Perserkönig zum ausschlaggebenden Faktor in der griechischen
Politik machen sollte. In der Chronologie des Krieges ist manches
kontrovers, da fast die einzige Quelle, Xenophon in der griechischen
Geschichte, nur bei den Landoperationen einigermaßen die Jahres-
abschnitte erkennen läßt; hier stimmen denn auch die Ansätze Loh ses
mit Ed. Meyer ziemlich überein. Doch verlegt er im Anschluß an eine
Notiz des Aristides, wonach zwischen den beiden Schlachten am
Nemeabach und bei Lechaion das Jahr des Eubulides lag (394/3), dies
letzte Ereignis in den Spätsommer 393 und nimmt eine zweimalige
Eroberung Lechaions durch die Spartaner an, was wohl richtig ist.
Schwieriger ist es, die Ereignisse des Seekrieges auf die einzelnen
Jahre zu verteilen, zumal L. aus der von Beloch für den Krieg auf-
gestellten Nauarchenliste drei Namen (Podanemos, Teleutias I. , Te-
leutias II.) ausscheidet, da sie von Xen. nie als Admirale bezeichnet
werden (S. 54). Seinerseits versucht nun L. die Wegnahme des
Jahresbericht für Alt«rtumswigB<>n8cliaft. Bd. CXXXV. 9
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130
Thomas Lenschau.
athenischen Hilfsgeschwaders für Euagoras auf Winteranfang 390 zu
fixieren (Hell. IV 8. 24). Aus einer genauen Bestimmung der Er-
eignisse vor Olynth und Phleius gewinnt er als Ansatz für Isokrates
Panegyrikos Spätherbst 380 ; da nun damals der Krieg in Kypros noch
nicht zu Ende war, so kann er bei der überlieferten zehnjährigen
Dauer nicht vor Winteranfang 390 begonnen haben, und somit fällt
die Entsendung dieses Geschwaders, das Teleutias abfing, nicht vor
diesen Zeitpunkt. Viel weniger glücklich ist L. auf S. 58 f., wo er
zu erweisen sucht, daß sie auch nicht lange nachher erfolgt sein kann;
Meyers Ansatz (Frühjahr 389) ist ebenfalls einwandfrei. Im übrigen
kann man L.s Verteilung der Ereignisse (S. 79) billigen; nur wird
Thrasybuls Tod schwerlich schon 388 fallen. Denn mit diesem Er-
eignis brachen alle vorher erzielten Erfolge zusammen, und die
Hoffnungen, denen Aristophanes im „Plutos" (Frühjahr 388) Ausdruck
gab, wären sehr wenig begründet gewesen.
Die durch den Königsfrieden gefestigte Macht Spartas erlitt ihren
ersten Stoß durch die Begründung des zweiten athenischen
Seehundes, dessen Spitze , wie das Aristoteles-Dekret in seinen
Eingangsworten zeigt, direkt gegen Sparta gerichtet war. Allerdings
gibt es Spuren einer sohon früher geschlossenen Vereinigung, der
Byzanz, Knidos, Rhodos, Samos, Jasos, Ephesos angehört haben: es
sind das die Bundesmtinzen dieser Städte mit der Inschrift 2VN, von
denen Regling gehandelt hat. Doch scheint dieser Bund in den
großen attischen Seebund aufgegangen zu sein, über den kürzlich
Marshall eine zusammenfassende Arbeit geliefert hat. Schon die
staatsrechtlichen Grundlagen des Bundes sind nicht völlig klar; so
hat bekanntlich Lipsius darauf aufmerksam gemacht, daß die Auf-
nahme neuer Mitglieder nur durch Athen möglich gewesen sei , und
hieraus auf ein Übergewicht Athens gleich beim Beginn geschlossen.
M. gibt das Faktum zu, leugnet aber die Notwendigkeit des Schlusses :
gerade in der Gleichberechtigung der Mitglieder und allerdings auch
in der Repräsentativverfassung erkennt er die Grundgedanken, die in
diesem zweiten Seebund einen wesentlichen Fortschritt nach dem Ziel
wirklicher Föderation erkennen lassen, wie sie dann in den großen
Bünden des 3. Jahrhunderts zutage tritt. Allerdings i.st die Ent-
wicklung dieser Grundgedanken dadurch vereitelt worden, daß Athen
mit allen Mitteln danach strebte, wieder die herrschende Stadt zu
werden , was von Lipsius zweifellos richtig hervorgehoben wird und
besonders in rechtlicher Hinsicht zu erkennen ist. Überhaupt
würde — darin ist M. recht zu geben — eine stärkere Ausgestaltung
des gemeinsamen Gerichtshofes eine einigende Wirkung hervorgebracht
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Jahresbericht über griechische Geschichte (1903—1906). 131
haben ; allein die Unerfahrenheit der Griechen in der Art der Wirkung
war noch so groß, daß man einen Fall, in dem die beiden theoretisch
gleichberechtigten Faktoren, das Synedrion und der Demos von Athen
einmal verschiedener Ansicht sein könnten, gar nicht in Betracht
gezogen hatte (Marshall p. 82). Somit trug der Bund den Keim der
Auflösung bereits in sich, und dazu kamen als schlimmstes Übel die
finanziellen Verlegenheiten, die von Anfang an auch in der glänzenden
ersten Periode von 377/6 bis 371 sich in der drückendsten Weise
fühlbar machten (Marsh. 75 ff.). Natürlich steigerte sich dieses
Finanzelend in der mittleren Periode des Bundes, die M. bis zum
Ausbruch des Bundesgenossenkrieges 357 rechnet. In dem Augenblick,
wo Sparta aufhörte furchtbar zu sein, fiel die Notwendigkeit der
ouvtaSst? für die meisten Bundesgenossen einfach fort, und die Geld-
verlegenheiten wurden chronisch. Wie sich einzelne Bundesgliedcr
ihren Pflichten zu entziehen wußten und anderweit Anschluß suchten,
zeigt die oben erwähnte Inschrift von Karystos (Eph. arch. 1905, 1 — 31).
Die Schlacht von Leuktra hat die Gruppierung der griechischen
Staaten von Grund aus verändert, die fortan nicht mehr von dem Gegen-
satz Athen/Sparta beherrscht wird : beide Staaten sind vielmehr gegen
die neuen Gewalten, die sich geltend machen, verbündet. Da man
auch für diese Zeit noch immer auf Xen angewiesen ist, so liegt
auch hier die C hronologie im argen, und gegen die hergebrachte,
auf Sievers zurückgehende Verteilung der Ereignisse hat sich Niese
gewandt, dessen Ansätze von Lohse und Marshall im wesentlichen
angenommen werden. N. kehrt zur alten Clintonschen Chronologie
zurück und setzt Epaminondas ersten Zug nach dem Peloponnes
ins Jahr 370 69. seinen Prozeß unmittelbar hinterher und 368 den
zweiten Zug; gleichzeitig greift Pelopidas in Thessalien ein. 367
fällt dann die Gefangennahme des Pelopidas und der zweimalige
Zug zu seiner Befreiung, ebenso Dionys' zweite Hilfssendung und sein
Tod, der erst im Sommer erfolgte, entgegen Diodors Notiz, der ihn
bald nach den attischen Lenaien , also im Frühjahr, sterben läßt.
Gegen N. halten Meyer und Swoboda an der alten Sieversschen
Ansicht fest. Danach fällt Ep. zweiter Zug und Pelopidas erstes Ein-
greifen in Thessalien noch ins Jahr 369 , im folgenden Jahre 368
erfolgt Pel.s Gefangennahme und Dionys' zweite Sendung, 867 Pelo-
pidas Befreiung und Tod des Dionys (Frühjahr 367). Nur darin
differieren beide, daß Meyer den Prozeß ans Ende des zweiten,
Swoboda an das des ersten Zuges legt. — Die Sache ist noch nicht
völlig geklärt, so viel aber wird man Niese zugeben müssen : Sind die
Angaben Xen. Hell. 4. 4. 34 über die thessalischen Ereignisse richtig,
9*
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132
Thomas Lenschau.
so können die Thebaner kaum vor 368 in Thessalien unter Pelopidas
eingegriffen haben. Aber gegen ihn spricht die zweimalige Entsendung
eines sizilischen Hilfskorps, die 369 und 368 anzusetzen ist. N. aller-
dings nimmt 368 und 367 an; da aber der Tyrann im Frühjahr starb,
so müßte die Sendung wirklich sehr früh, fast zum Ausgang des
Winters, von Syrakus abgefahren sein. Um dieser Unwahrscheinlich-
keit zu entgehen, sucht Niese den Tod des Dionys tiefer in den
Sommer hinabzurücken, indem er den bei Diod. gegebenen Zusammen-
hang für unglaubwürdig erklärt ; allein wenn irgendwo, so beruht hier
Diodor auf Timaios, und bei einem so wichtigen Ereignis, wie es der
Tod des großen Dionys war, wird die Zeit doch wohl genau chrono-
logisch festgestanden haben. Wenn Lohse einwendet, 368 habe
Dionys alle seine Kräfte für den bevorstehenden Karthagerkrieg
gebraucht, so ist dagegen zu erwidern, daß der sizilische Führer, wie
sich aus Xen. ergibt, in betreff des Zeitpunktes seiner Rückkehr sehr
bestimmte Ordre hatte, und daß dieser Zeitpunkt den Spartanern sehr
unerwartet kam ; er lag also sehr früh , und Dionys wollte seine
Truppen noch zeitig genug für den Karthagerkrieg zurück haben.
Kurze Zeit nach diesen Ereignissen entstanden heftige Kämpfe
in Delphi zwischen der thebanerfreundlichen Mehrheit und der
phokierfreundlichen Minderheit, die mit der Verbannung der Partei-
gänger der Phokier auf der Frühjahrspylaia 363 endeten , wie die?
Pomtow erwiesen hat. An der Spitze der Verbannten, die in Athen
Aufnahme fanden, stand Astykrates; wir besitzen noch das Ehren-
dekret für ihn und seine Genossen CIA. II, 54. Auch eine ganze
Reihe früher von Homolle (BCH. 23, 517 ff., 25, 104 ff.) veröffent-
lichter Inschriften werden von Pomtow mit diesen Vorgängen in
Verbindung gebracht; ebenso die Weigerung der Phokier, den
Thebanern im Frühjahr 362 Heeresfolge in den Peloponnes zu leisten
Den weiteren Verlauf der Angelegenheit, die erst 330 zur Ruhe kam.
hat Pomtow in dem zweiten Aufsatz dargelegt ; ihre Bedeutung beruht
darin, daß wir hier offenbar die Vorgänge vor uns haben, die am
letzten Ende den Ausbruch des heiligen Krieges herbeiführten.
An die Katastrophe von Mantineia knüpft sich eine sehr
lebhafte Kontroverse, die durch Kromayers eingehende Behandlung
des ganzen Feldzuges und seine Charakteristik des Epaminondas als
Vertreters der Niederwerfungsstrategie hervorgerufen ist (vgl. vor.
Ber. S. 245» ff.). Kr. hatte im Gegensatz zu Delbrück außer Xen.
auch noch Diodors Bericht über die Schlacht von Mantineia heran-
gezogen, der nach seiner Ansicht zur Aufhellung der Vorgänge auf dem
linken athenischen Flügel der Verbündeten beitragen konnte. Gegen
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Jahresbericht über griechische Geschichte (1908— 1906). 133
die ganze Forschungsmethode richtete zunächst Delbrück einen sehr
scharfen , aber ziemlich allgemein gehaltenen Artikel in den Preuß.
Jahrbüchern, der von Kroni. ebenso scharf zurückgewiesen ward,
ohne daß bei dem Streit etwas Wesentliches herauskam. Erst Del-
brücks Schüler G. Roloff wandte sich der Sache selber zu, indem
er zunächst die strategischen Probleme einer Betrachtung unterzog
und zu dem Schlüsse kam, daß von einer Niederwerfungsstrategie
bei Epaminondas keine Rede sei und auch deshalb nicht sein könne,
da die Kräfte des thebanischen Feldherrn dazu gar nicht ausgereicht
hätten. In taktischer Hinsicht betonte Roloff besonders, daß Epami-
nondas' Neuerung in der Verstärkung des linken Flügels lag, was
Kr. in Abrede gestellt hatte, da nach ihm jeweils die Umstände darüber
entschieden, ob der linke oder der rechte Flügel zu verstärken sei;
im übrigen beschränkte sich R. darauf, die bekannte Theorie Delbrücks
vom Rechtsziehen der Schlachtrcihen in den alten Frontschlachten
weiter auszuführen. Diese wird von Krom. in seiner ausführlichen
Anzeige der Roloffschen Schrift (BphW. 1904 S. 981—96) mit Recht
als übertrieben und in den Quellen nicht hinlänglich begründet an-
gesehen ; auch verteidigt er seine Auffassung des Epaminondas gegen
Roloff, der indes Epaminondas' numerische Schwäche vor der Schlacht
bei M. unzweifelhaft richtig erkannt hat. Rein vom taktischen Stand-
punkt bespricht Edm. Lamme rt die Schlacht ebenfalls in scharfem
Gegensatz gegen Krom. Indessen ist ein Teil seiner Aufstellungen
durch Krom. (Wien. Stud.) widerlegt , der nun aber seinerseits Ge-
legenheit genommen hat, seine Ansichten zu revidieren, und dadurch
zu einer wesentlich neuen Auffassung gekommen ist: es war keine
reguläre Schlacht mit Offensiv- und Defensivflügel, sondern Epami-
nondas hatte das ganze Heer zu einer einzigen Durchbruchskoloune
formiert, die links durch die Reiterei, rechts durch detachierte Truppen
in der Flanke gedeckt war. Es läßt sich nicht leugnen, daß dadurch
einige Schwierigkeiten der früheren Ansicht Kr.s fortfallen. Die Ab-
handlung Werenkas habe ich leider nicht einsehen können.
In die Zeit des planlosen Hin- und Herzerrens zwischen den
griechischen Staaten, das auf den Tod des Epaminondas folgte, ge-
hören die Kämpfe Athens mit König Kotys I. um den Chersones, die
Strazzulla behandelt hat. Einige Irrtümer, die ihm dabei unter-
gelaufen sind, hat der kürzlich verstorbene Hoeck hervorgehoben;
insbesondere hat er gezeigt, daß Kotys aus Privatrache ermordet
ward ; die Ansicht Strazzullas, wonach die Mörder den Tod von Kotys'
Vater Seuthes rächten, beruht auf Mißverständnis einer Stelle von
Ar. Politik. Soweit Athens Politik in diesen Jahren in Frage kommt,
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134
Thomas Lensihau.
ist auch Marsballs Darstellung heranzuziehen, der mit Recht den
Mangel an Nachrichten aus dieser Zeit beklagt. Erst mit Philipps
Anfängen und dem Beginn des heiligen Krieges erfahren wir
wieder mehr; Philomelos hat gleich nach seiner Erhebung Astykrates
und die Seinen zurückgerufen, die Gegenpartei der Thrakiden ihrer
Macht beraubt und eine durchaus geordnete Verwaltung auch des
Tempels eingeführt, wofür P o m t o w sehr interessante Beweise gibt.
Dasselbe haben auch Onomarchos und Phayllos aufrechtzuerhalten
versucht; sofort nach ihrem Antritt haben sie die Zahlungen an die
Naopoioi wieder aufgenommen, offenbar, um zu zeigen, daß sich
Phokis als Vormacht Delphis keiner Pflichtverletzung schuldig gemacht
habe. Was den Verlauf des Krieges betrifft, so scheinen die beiden
Niederlagen Philipps gegen Onomarchos, die kaum sehr schwer
gewesen sein können, in das Jahr 853, seine Siege über Phayllos
und die Entscheidungsschlacht gegen Onomarchos ins Folgejahr zu
fallen (Schub. S. 60 f.). Wie stark übrigens die Legendenbildung
die Überlieferung, besonders die vom Untergang der drei Söldner-
führer, Überwuchert hat, dafür gibt Schubert S. 65 interessante Belege.
Weiteren Aufschluß über einzelne Ereignisse dieser Zeit liefern die
Philochorusbruchstücke des Didymoskommentars , so über die Ab-
grenzung der heiligen Orgas gegen Megara 350/40 , über die hoch-
fahrende Abfertigung einer persischen Gesandtschaft durch die Athener
;J44'3 , wahrscheinlich auf Antrag des Androtion , der dafür später
verbannt ward, über den Handstreich Philipps während der Belagerung
von Byzanz 340/39, auf den sich Dem. 18, 72 u. 139 beziehen,
endlich über die Rückforderung Nikaias durch Philipp 339/8. Sehr
ausführlich nach verschiedenen Quellen ist das Ende des Hermias
erzählt, das ins Jahr 341 zu setzen ist.
Auch um die Aufhellung der letzten Katastrophe, die dem
makedonischen König die Hegemonie verliehen hat, der Schlacht
von Chaironeia, hat sich Kromayer manches Verdienst erworben,
besonders durch die Erschließung der recht komplizierten Vor-
geschichte. Dagegen haben seine Aufstellungen Über die Schlacht
selber ebenfalls in Holoff und Lammert sehr scharfe Beurteiler ge-
funden; insonderheit hat man das Zurückweichen der Phalangiten mit
der Front nach vom auf 600 Schritt Kromayer als eine einfache
Unmöglichkeit stark aufgemutzt. Aber ebensowenig wahrscheinlich ist,
was Lammert will, daß die antiken Heere auf Flankendeckung sehr
wenig bedacht gewesen sind. An Stelle der südnördlichen Richtung
quer über die Ebene, so daß sich die Flügel an Fluß und Gebirge
anlehnen, schlägt er eine ostwestliche Stellung vor, so daß die Ver-
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Jahresbericht über griechische Geschichte (1903-1906). 135
bündeten das Gebirge, Philipp den Fluß im Rücken hatte. Das oben
erwähnte Manöver des Philipp sucht auch L. zu erklären ; allein von
dem ursprünglichen Wortlaut bleibt dabei so gut wie nichts übrig.
Im übrigen haben sich sämtliche Vermutungen Über die genaue Lage
des Schlachtfeldes als verkehrt erwiesen durch die schöne Entdeckung
von Georgios Sotiriades, der den Grabhügel der Makedonen
wieder aufgefunden hat , in dessen Nähe die Schlacht stattgefunden
haben muß. Er liegt über 3 km östlich von Chaironeia, 1120 m
vom nächsten Punkt des Thuriongebirges , das die Ebene südwärts
begrenzt. Hier standen die beiden Heere einander gegenüber, das
makedonische im Norden etwa vom Hügel hinüber bis zum Keratapaß,
das griechische südlich, so daß die Niederlage sie vom Paß bald
abgedrängt haben muß. Das würde zugleich die schweren Verluste
auf verbündeter Seite erklären.
Fünftes Kapitel.
Die Begründung des Weltreichs und sein Zerfall.
336-301.
Ausgrabungen und Inschriften.
Delos. Vgl. die Berichte und Inschriften von DUrrbach und Jarde im Bull.
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Delphi. Fouilles de Dolphes, executres aux frais du Gouvernement franyais
sous la direction de M. Theophile Homolle. Tome II Topographie et
Architecture. Paris 1902. Vgl. dazu die fortlaufenden Veröffent-
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phil. Woeh. 1906, 1165—1182.
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1895 — 98 von Th. Wiegand und Hans Schräder unter Mitwirkung von
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— , Inschriften v. Priene, unter Mitwirkung von C. Fredrich, H. v. Prott,
H. Schräder, Th. Wiegand, H. Winnefeld, herausgegeben von F. Frhr.
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Sylloges inscriptionum graecarum. Vol. I Leipz. 1903, vol. II 1905.
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Delum fa8c. V. 1. Inscriptiones Cycladum praeter Tenum ed. Hiller
v. Gaertringen 1903. fasc. III. Suppl. Inscr. Symes, Teutlussae, Calymnae
Teli Nisyri Astypalaeae Anaphes Therae et Therasiae, Pholegandri,
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Jahresbericht über griechische Geschichte (1903—1906). 137
Im Verlauf der Geschichte des Hellenismus, die mit Alexanders
Übergang nach Asien beginnt, erscheint die Schlacht bei Ipsos als
ein erster natürlicher Ruhepunkt, insofern ihr Ausgang endgültig den
Untergang des Reichsgedankens besiegelt, dessen Träger der große
König und nach ihm außer Perdikkas vor allem der alte Antigonos
gewesen sind. Bis zu diesem Zeitpunkt „ist das Reich Alexanders
des Großen immer noch als ein Ganzes anzusehen, die Teilungen
waren so rasch aufeinander gefolgt, daß sich feste Territorien mit
sicheren Grenzen und ausgeprägten Eigenheiten nicht bilden konnten ;
jeder der neuen Könige hielt sich für berechtigt, nach Vermögen und
Gelegenheit seinen Teil zu vergrößern, ja selbst das Ganze in An-
spruch zu nehmen" (Niese II, S. 123). Mit dem Ausgang von Ipsos
ist das vorbei, und die Einzelstaaten beginnen eine Sonderexistenz
zu führen , indem unter der allen gemeinsamen , dünnen griechischen
Oberschicht sich die Kräfte der unterworfenen Völker zu regen be-
ginnen und schließlich, ihre eigene Natur durchsetzend, jene Mibdi-
kultur erzeugen, an der der Orient mindestens den gleichen Anteil
hat wie der Hellenismus. Dazu aber kommt noch ein äußerer
Grund, aus dem es sich empfiehlt, füf diesen Bericht das Jahr 801
als Schlußpunkt der ersten Periode des Hellenismus anzunehmen : mit
diesem Jahre, dem des Nikokles, schließt die Erzählung Diodors, die
bis dahin eine zusammenhängende Darstellung und ein leidlich zu-
verlässiges chronologisches Gerüst bietet. Von nun an wird unsere
Kenntnis so lückenhaft und vor allem die Chronologie so unsicher,
daß es umfassender Vorarbeiten bedurft hat, um hier einen einiger-
maßen sicheren Grund zu schaffen.
Wenige Perioden der griechischen Geschichte gibt es, in denen
das Qucllenverhältnis so klar vor uns liegt wie für die Zeit Alexanders
des Großen. Es ist nicht anzunehmen, daß in den einmal festgelegten
Grundzügen dieses Verhältnisses noch eine tiefgehende Veränderung
eintritt. Auf der einen Seite steht die arrianische Tradition, die zum
größten Teil auf Ptolemaios und Aristobulos zurückgeht; auf der
andern die sogenannte Alexandervulgata, die nach einer alten be-
währten Hypothese von Kleitarchos begründet ist und für uns durch
Diodor, Justin und Curtius repräsentiert wird. Einem Teil der
Vulgata ist eine alexanderfeindliche Tendenz eigen, die jedoch nicht
überall in gleichem Sinne hervortritt. Im übrigen sind beide Ver-
sionen nicht streng geschieden : wie Arrian häufig die Vulgata heran-
zieht, so ist diese mehrfach nach der arrianischen Version durch-
korrigiert , so daß in den einzelnen Quellen häufig Nachrichten von
sehr verschiedener Herkunft und verschiedenem Werte stehen. Noch
Thomas Lenschau.
nicht völlig geklärt ist die Stellung der plutarchischen Lebens-
beschreibung Alexanders, die wohl eine besondere Behandlung Ter-
dienen würde. Eine kurze, allgemeine Ubersicht der Quellen hat
Beloch im Anfang der Exkurse zu seiner Geschichte des Hellenismus
gegeben.
Wenn sonach die Beschaffenheit unserer Quellen es erlaubt , im
allgemeinen eine reinliche Scheidung der Nachrichten nach Herkunft
und Wert vorzunehmen, so ist es klar, daß der Fortschritt mehr in
der Bestimmung der Stellung einzelner Schriftsteller zur Gesamt-
überlieferung zu suchen ist, und dies Geschäft hat für Curtius
Ruf us Itüegg mit gutem Erfolge durchgeführt. Nachdem er
Kleitarch im wesentlichen eine rein panegyrische Tendenz zugewiesen
hat, gibt er eine sehr tüchtige Darstellung der vernichtenden Kritik,
die der Trogus-Justin zugrunde liegende Gewährsmann an Alexanders
Taten geübt hat, und weist alsdann als das charakteristische Merkmal
des Curtius die Vereinigung beider so ganz verschiedenen Versionen
nach. Natürlich ergab sich nur eine oberflächliche Verkittung mit
rhetorischen Übergängen und jene schillernde, aus Widersprüchen
zusammengesetzte Beurteilung der Taten Alexanders, die sich bei
Curtius findet. Dabei tritt das rhetorisierende Element besonders
in der schon von Schwartz (Art. Curtius in P. W. It. E.) betonten
Hervorhebung der tox*] hervor. Schwieriger dagegen ist es zu be-
stimmen, woher dieso verschiedenen Tendenzen zuerst in die Vulgata
hineingekommen sind ; und da der Vf. für Kleitarch rein panegyrische
Tendenz annimmt, so muß er als Zwischenglied zwischen Curtius und
Kleitarch eine Bearbeitung des letztgenannten Schriftstellers annehmen,
die sich sowohl in den gelegentlich eingestreuten universalgeschicht-
lichen Notizen wie in der makedonierfeindliehen — ich würde lieber
sagen griccheufreundlichen — Tendenz und in gelegentlichen An-
spielungen auf spätere Ereignisse besonders des Westens verrät. Die
Frage bleibt aber offen, ob hier wirklich eine Bearbeitung des
Kleitarchos durch Phylarch vorliegt , oder ob nicht die genannten
Eigentümlichkeiten eben dem Kleitarchos selber zuzuschreiben sind.
Rüegg entscheidet sich für die erste Ansicht, da er — aber aller-
dings mit ganz unzureichenden Gründen, S. 8 — annimmt, Kleitarch
habe vor Ptolemaios geschrieben und dieser bezöge sich bei der Dar-
stellung des Kampfes in der Mallerstadt auf seinen Vorgänger. Allein
Keuß hat im Vorbeigehen gezeigt (Rez. v. Rüegg, Bcrl. phil. Woch.
1906, S. 946), daß Kl. sich tatsächlich nicht auf Alexanders
Taten beschränkte, sondern daß sein Werk universalgeschichtlichen
Charakter trug und wahrscheinlich den Abschluß der ganzen Alexander-
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Jahresbericht über griechische Geschichte (1903—1906).
139
literator auf lange Zeit gebildet hat. Die Sache ist nicht so glatt
zu entscheiden, wichtig ist, daß jene Anschauung, wonach Alexanders
Taten im wesentlichen der xu^ zuzuschreiben seien, sich schon bei
Diodor (z. B. 17, 38, 4) und Liv. IX, 16 ff. findet, an dieser letzten
Stelle bereits in jener Mischung mit der andersgearteten Tendenz der
Quelle Justins, die sich bei Curtius zeigt. Man sieht, hier bleibt
noch einiges zu tun, und vielleicht liegt die Lösung in der Erforschung
der Vita des Plutarch. Eine willkommene Ergänzung zu Rüegg bietet
übrigens die Abhandlung von E. Keller, der ebenfalls von Curtius
ausgehend dessen Quellen darzulegen sucht, aber nur die Ereignisse
von Issos bis zur Eroberung Ägyptens betrachtet. Infolge dieser
Beschränkung ist nicht viel Xcues dabei herausgekommen; immerhin
zeigt K. an einigen interessanten Beispielen, wie Curtius das ihm
von der Vulgata überlieferte Material selbständig weiterbildet und
mit eigenen Erfindungen bereichert, so z. B. bei der angeblichen
Gesandtschaft der Karthager, die wohl auf sein eigenes Konto kommt.
Auch darauf hat der Vf. mit Recht aufmerksam gemacht (S. 65), daß
gerade die übertriebene panegyrische Darstellung bei Kallisthenes
und Hegesias einen Rückschlag hervorgerufen und damit den Anlaß
zu jener vernichtenden Kritik gegeben haben mag, die Trogus-Justin
zugrunde liegt. Deutlich tritt das bei den Vorgängen vor Gaza in
die Erscheinung; die hier bemerkbare Gleichsetzung Alexanders mit
Achillus scheint mir auf Kallisthenes zurückzugehen.
Daß übrigens manche Alexanderhistoriker für uns fast verschollen
sind, hat kürzlich noch die Ausgabe des Didymoskommentars an dem
Beispiel des Anaximenes v. Lampsakos erwiesen. Aus dem
Kommentar erfahren wir, daß die Schlacht von Issos im 9. Buch
seiner Alexandergeschichte erzählt war; ein zweites Bruchstück gibt
Harp., nach dem die Sendung des Alkimachos nach Athen, die etwa
o35 erfolgte , im zweiten Buch berichtet war. Umfaßte sonach die
Erzählung der Ereignisse zweier oder dreier Jahre bereits sieben
Bücher, so müßte, wie Körte hervorhebt, das Werk des Anaximenes
weit umfänglicher als die meisten andern Alexandergeschichten ge-
wesen sein. Da er es nun für unwahrscheinlich hält , daß ein so
umfängliches Werk bis auf so geringe Spuren verschollen sei, und da
uns außerdem bekannt ist, daß Anax. auch eine Geschichte Philipps
in mindestens 8 BB. geschrieben hat, so nimmt K. an, daß beide
Werke ein Ganzes gebildet hätten, und daß somit das 9. Buch des
Gesamtwerkes die Vorgänge bei Issos gebracht habe. Indessen ist
es dann ja wieder unwahrscheinlich, daß Alkimachos' Gesandtschaft
von 335/4 im 2. Buch bzw., wenn wir hier Zähluug der Alexander-
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140
Thomas Lenschau,
geschichte allein annehmen, im 10. Bach, d. h. nach Issos, erzählt
ward. Diese Schwierigkeit sucht K. dadurch zu umgehen, daß er
annimmt, Anax. habe erst im Zusammenhang die Ereignisse des Land-
krieges bis Issos im 9. Buch dargestellt und darauf den Seekrieg,
mit dem Alkimachos Sendung im Zusammenhang steht, im 10. Buch
nachgeholt. Mir erscheint die Annahme etwas künstlich und ebenso-
wenig scheint mir eine Änderung der bei Didymos überlieferten Zahl nötig
zu sein, was K. für unumgänglich hält, falls man seinen Vermittelungs-
vorschlag zurückwiese. Die übrigen Nachrichten, die wir aus dem
Didymoskommentar über Anaximenes schöpfen, zeigen, daß er un-
geheuer ausführlich war und ganze Aktenstücke, ja seitenlange Reden
seiner Darstellung einverleibte. Ich kann demnach nichts Auffälliges
darin sehen, daß er mit den Anfängen Alexanders bis Issos bereits
9 Bücher gefüllt hat.
Anders wie bei den Quellen der Alexanderhistorie liegt die
Sache bei den Quellen der Diadochengeschichte, die
Beloch ebenfalls einer kurzen Betrachtung unterzogen hat (III, 2,
4 ff.). Auch hier kann man zunächst zwei große Gruppen unter-
scheiden, indem allen übrigen hier Diodors Darlegung gegenübersteht,
die von Nietzold in seiner eingangs angeführten Schrift ausführlich
charakterisiert wird. Es ist eine Quelle ersten Ranges, die hier
zugrunde liegt, und die vor allem die militärischen Vorgänge in der
eingehendsten Weise schildert. Dazu kommt eine genaue Kenntnis
der Länder und Gegenden, in denen die Vorgänge spielen, sowie eine
verständnisvolle, echt historische Würdigung der Motive bei den
handelnden Personen, endlich ein starkes Bemühen um chronologische
Genauigkeit, das uns durch Angabe der Winterquartiere, genaue
Bestimmung der Jahreszeit usw. sogar ermöglicht, den Fehlern, die
Diodor bei der Einreihung in sein Jahresschema macht, auf den
Grund zu kommen (vgl. die Ausführung Uber die Chronologie der
Jahre 323 bis 301 bei Beloch III, 2, 187 ff.). Nimmt man hinzu, daß
der Kampf für die Einheit des Reichsgedankens, wie er von Perdikkas
und Eumenes, dann von Antigonos durchgefochten wird, bei Diodor
durchaus verstanden und gewürdigt erscheint, so drängt sich allerdings
die Erkenntnis auf, daß man es hier mit einem ganz hervorragenden
zeitgenössischen Schriftsteller zu tun hat, und als solcher kann nach
Reuß' grundlegenden Untersuchungen nur Hieronymus von
Kardia in Betracht kommen. Dazu stimmt, daß sich eine deutliche
Parteilichkeit für Eumenes, Antigonos und Demetrios bemerkbar
macht, indem die übrigen Diadochen nur insoweit erwähnt werden,
wie sie mit diesen Vertretern des Reichsgedankens in Berührung
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Jahresbericht Uber griechische Geschichte (190S— 1906). 141
kommen. Wie stark diese Parteilichkeit hervortritt, erkennt man
am besten in den umfangreichen Zusammenstellungen Nietzolds, der
alle auf die genannten Männer bezüglichen Stellen durch den Druck
hervorgehoben hat.
Die Frage ist nur die: hat Diodor Hieronymos selber
benutzt, wie N. annimmt, oder ist eine Mittelsperson zwischen
beiden anzunehmen? Die schon früher geäußerten Bedenken gegen
eine direkte Benutzung hat kürzlich Beloch noch einmal a. a. 0.
zusammengefaßt; es sind etwa folgende. Erstens bemüht sich D.
bei aller Vorliebe für Antigonos und sein Haus doch auch sehr,
Ptolemaios herauszustreichen, weiter sprechen die recht rhetorischen
Schlachtbeschreibungen nicht gerade für Hieronymos, drittens ist bei
Diod. 19, 44, 4 ganz offenbar Duris benutzt, viertens kann, was
Diod. 18, 50, 4 von Hieronymos schreibt, dieser unmöglich von sich
erzählt haben, und endlich deutet die Erwähnung der Satrap ie von
Idumaia 19, 98, 1, die es erst nach der Eroberung Koilesyriens durch
Antiochos III. gegeben haben kann, auf einen späteren Autor, bei-
spielsweise Agatharchides, den Diodor auch sonst benutzt hat.
Dennoch ist es fraglich, ob diese Gründe genügen. Wie Diod. nach-
weislich in den Bericht des Hieron. Einlagen gemacht hat — vor
allem die Belagerung von Rhodos und die Anfänge des pontischen
Königreiches (vgl. Nietzold S. 46 ff.) — , so ist es doch auch sehr
wohl möglich , daß er den Bericht selbständiger bearbeitet hat , als
man ihm gewöhnlich zutraut, und so mag er die Vorliebe für Ptolemaios,
für den er als einen Freund der Stoa viel übrig hatte, sowie die Rhetorik
der Schlachtschilderungen, die trotzdem ganz im Gegensatz zu denen
des Ephoros die Sachkenntnis nicht vermissen lassen, aus eigenem
hinzugefügt haben. Auch das Durisfragment ist nicht beweisend;
selbst wenn aus inneren und äußeren Gründen eine direkte Beziehung
zwischen Duris und Hier, ausgeschlossen wird, so bleibt doch immer
die Möglichkeit, daß beide aus derselben Quelle schöpften. Ähnlich
steht es mit der Satrapic Idumaia; möglich wäre es doch, daß man
in Koilesyrien als in einem Außenlande der ptolemaischen Herrschaft
die seleukischen Verwaltungsbezirke hätte bestehen lassen, wonach
dann also Idumaia zu den von Antigonos oder Seleukos vor 301
eingerichteten Bezirken gehört haben würde. Endlich aber sehe ich
auch nicht, wieso Hieronymos nicht selber seinen Vermittelungs-
versuch zwischen Antigonos und Eumenes erzählt haben kann; daß
er dafür von Antigonos beschenkt ward , versteht sich doch bei der
Sitte der damaligen Zeit von selbst, und er mag ja von seinem Stand-
punkt aus die Anbahnung freundlicherer Beziehungen zwischen beiden
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142
Thomas Lenschau.
Männern für sehr erwünscht gehalten haben. Die Ausdrucksweise,
das etwas bedenkliche (AS^aXai? Stopsat? zpoxaXeia'fievo? . kann auf
Diod. Konto kommen , ' der seinem Gewährsmann ein bißchen am
Zeuge flicken wollte. Ebensowenig sind die Bedenken, die Schwartz
{im Art. Diod.) gegen die direkte Benutzung des Hier, durch Diod.
erhebt, wirklich schwerwiegender Natur. Alles in allem genommen
steht der Annahme direkter Benutzung nichts im Wege, und die
Annahme einer Vermittlung durch Agatharchides, so plausibel sie an
sich ist, bleibt unnötig.
Wie steht es nun mit den übrigen Quellen? Auf Grund einer
sorgfältigen Vergleichung (S. 50 ff.) erkennt N. auch hier eine gemein-
same Grundlage, eine ähnliche Vulgata, wie wir sie bei den
Alexanderhistorikern finden. Ihr Hauptmerkmal ist das Rhetorisieren,
ihr Hauptzweck nicht die geschichtliche Belehrung, sondern die
Unterhaltung des Lesers, und da dem Verfasser die eigentlichen
Motive der handelnden Personen unbekannt sind , so treten Frauen-
schönheit und konventionelle Begriffe , wie Ehre und Ruhin , an ihre
Stelle ; vor allem aber spielt die tö^ij eine Rolle, der auch die häufige
Verwendung von Träumen entspricht. Dazu kommt übrigens noch
eine besonders bei Justin hervortretende Vorliebe für Seleukos und
Lysimachos , auf die schon Rüegg gelegentlich aufmerksam gemacht
hat; indessen ist es noch zu früh, einen bestimmten Namen zu nennen.
Übrigens nimmt Arrian, für den auch Beloch eine direkte Benutzung
des Hieron. zugibt, eine besondere Stellung ein, insofern sich bei
ihm auch Spuren der Vulgata finden. Es scheint demnach, als ob
Arr. auch hier ebenso wie in der Alexandergeschichte die XsytSjieva
mit heranzog. Freilich ist auch hier noch manches zu tun; eine
genauere Untersuchung Justins sowie der einschlagenden Lebens-
beschreibungen bei Plutarch und Nepos würde wahrscheinlich mehr
Licht in das Verhältnis der Quellen untereinander bringen.
So weit die literarischen Quellen ; die Ausbeute an Inschriften,
die der Zeit Alexanders und der Diadochen angehören, ist in der
Berichtsperiode nicht allzugroß gewesen: so interessante Urkunden
wie der 1899 gefundene Brief des Antigonos an die Skepsier fehlen
diesmal vollständig. Dafür aber haben wir ein Werk erhalten, in
dem nahezu sämtliche historisch wichtigen Inschriften aus dem Zeit-
alter des Hellenismus vereinigt und mit einem vortrefflichen Kommentar
versehen sind : Ditteu bergers Orientis graeci inscriptiones selectae.
Sie bilden ein Seitenstück zu der schon vor einigen Jahren er-
schienenen Neuauflage der Sylloge inscriptionum Graecarum und
sammeln — darin liegt ihre Hauptbedeutung — ein bis dahin in den
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Jahresbericht über griechische Geschichte (1903-1906). 143
verschiedensten Veröffentlichungen weit zerstreutes Material, dessen
Überblick von Jahr zu Jahr schwieriger ward. Gegenüber diesem
Vorteil tritt selbst das zurück , was D. für die Erklärung der In-
schriften in seinem unübertrefflich knappen Kommentar beigebracht
hat. Es ist vielleicht noch mehr als das, was er für die älteren In-
schriften der Syllügc leistete, und vom Standpunkt des Benutzers
bleibt nur der immerhin noch sehr hohe Preis zu bedauern, der die
Anschaffung beider Sammlungen erschwert. Da es nun keinem Zweifel
unterliegt, daß der verstorbene D. sich seine Werke als Handbücher
dachte, die die noch immer fehlende Minuskelausgabe des CIA.
ersetzen sollten, so erscheint es wünschenswert, daß die Verlags-
buchhandlung durch eine Lieferungsausgabe mit Nachträgen sie auch
weiteren Kreisen zugänglich macht. Weiterhin sind von dem großen
Corpus der Akademie , den Inscriptiones Graecae (IG.) zwei neue
Abteilungen erschienen , die von den Inschriften der Inseln des
ägäischeri Meeres (XII Ins. maris Aegaei) die der Kykladen und
nördlichen Sporaden enthalten. Die Herausgabe lag in den Händen
Hillers von Gärtringen, dessen erschöpfende und genaue Be-
arbeitung nur um so schmerzlicher den noch ausstehenden Band der
delischen Inschriften vermissen läßt. Diese muß man sich nach wie
vor aus den zahlreichen Bänden des BCH. zusammensuchen und
gerade die letzten Jahrgänge (29—30) bringen viel neues Material,
das meistenteils von Dürrbach und Jarde" bearbeitet ist. Ebenda
findet man auch die neuesten delphischen Funde verzeichnet. Endlich
ist noch eine abschließende Arbeit zu erwähnen, das schöne Werk
über Priene, das Uiller v. Gärtringen, Schräder und
Wiegand unter Mitwirkung einer ganzen Reihe anderer Gelehrten
herausgegeben haben. Der erste Band enthält die Beschreibung der
Landschaft von Priene und der baulichen Reste , vor allein den
interessanten Bauplan, das bisher beste Beispiel einer hellenistischen
Stadtanlage, der zweite, von v. Hillcr bearbeitete, die Stadtgeschichte
und die Inschriften, die sowohl in Zahl wie in der Erklärung einen
bedeutenden Fortschritt über die grundlegende Arbeit von Hicks in
den Inscriptions of the British Museum erkeunen lassen. Allerdings
ist die Menge der auf die Zeit von 334 — 301 bezüglichen Inschriften
nicht gerade sehr groß, da weitaus die meisten den späteren Jahr-
hunderten angehören; immerhin sind es 17 Stücke, darunter neben
den stereotypen Ehrendekreten doch auch so wichtige Urkunden, wie
der Beschluß für Antigonos (2) und der Brief des Lysimachos (15):
auch das Edikt Alexanders hat mit Wilamowitz' Hilfe eine bessere
Ergänzung erfahren. Die Chronologie (S. 13), die die Vf. aufgestellt
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144
Thomas Lenschau.
haben, ist zwar nicht ganz sicher, doch hält sich die Möglichkeit der
Fehler in so engen Grenzen, daß die historische Verwertung der
teilweise sehr beschädigten und vom Herausgeber mit großer Kunst
hergestellten Urkunden möglich ist. Auch der umfangreiche Schieds-
spruch der Rhodier hat eine erneute Behandlung erfahren, die freilich
gerade den historisch wichtigsten Teilen der jämmerlich zerstörten
Inschrift doch nur wenig neue Ergebnisse abgewinnen konnte. Sehr
interessant und förderlich sind die Zusammenstellungen aller erreich-
baren Nachrichten über Priene und ebenso die schönen Indices, die
den Band beschließen und eine bequeme Orientierung über den ge-
samten Inhalt gestatten. — Von einzelnen anderweitigen Inschriften,
die sich auf diesen Zeitraum beziehen, nenne ich die von Kirchner
herausgegebene attische Buleutenliste von 335/4 und das von Tod
mitgeteilte Ehrendekret aus dem Jahre des Pherekles 304/3, da:
über die staatlichen Zustände in Athen kurz vor der Katastrophe
von Issos einigen Aufschluß gewährt.
Die Beurteilung der weltgeschichtlichen Stellung Alexanders des
Großen wird immer bis zu einem gewissen Grade davon abhängen,
ob man in ihm und seinem Volke einen griechischen Stamm oder ein
völlig wesensverschiedenes Volk erkennt. Die Beantwortung dieser
vielbehandelten Frage ist neuerdings durch Otto II offmann auf eine
sichere Grundlage gestellt, der zum ersten Male unter Heranziehung
aller vorhandenen Sprachreste und sonstiger Nachrichten aus dem
Altertum Sprache und Volkstum der Makedonen genauer
untersucht hat. Das Ergebnis ist dies, daß der weitaus größte Teil
aller erhaltenen Sprachreste , insbesondere alle Ausdrücke des Heer-
wesens, der Verwaltung, der Rechtssprache, sowie die weitaus über-
wiegende Anzahl der auf den Götterkult, auf die Pflanzen- und Tierweh
bezüglichen Benennung rein griechischen Charakter an sich tragen.
Ganz vereinzelt finden sich barbarische Bezeichnungen bei fremd-
artigen Pflanzen und Tieren (7 — 8) sowie bei Speisen und Getränken
(0), noch weniger bei den Geräten (3) , in der Rüstung und Tracht
(2) sowie bei dem sicher aus Thrakien eingeführten Savadioskult.
Da nun der Lautstand der makedonischen Sprache und gewisse gramma-
tische Eigentümlichkeiten sich dem thessalischen Dialekt annähern,
so könnte die Sprache ja in sehr alter Zeit von den Thessalicm
entlehnt und auf ein nichtgriechisches Volk aufgepfropft sein. Aber
dem widerspricht es, daß sämtliche uns bekannten Namen echter
vollbürtiger Makedonen, insbesondere der Fürsten und des Adel?
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Jahresbericht über griechische Geschichte (1903-1906). 145
rein griechisch ohne eine Spur barbarischer Einwirkung sind. Viel-
mehr deutet alles darauf hin, daß wir in der makedonischen Sprache
einen Schwesterdialekt des Thessalischen vor uns haben. Die dem
Maked. eigentümlichen mediae aspiratae würden nur dann dagegen
sprechen, wenn das Gemeingriechische wirklich nur tenues aspiratae
gekannt hätte, eine Behauptung Kretschmars, die aber von H. lebhaft
bestritten wird, der statt dessen stimmlose Medien als urgriechisch
annimmt. Im ganzen machen H.s Ausführungen einen überzeugenden
Eindruck, wenn er die Makedonen als Griechen und die kleine Ebene
zwischen Bermios und Axios als den Ausgangspunkt ihres Staates
bezeichnet.
Für eine ganze Reihe von wichtigen Punkten des Alexanderzuges
sind die geographischen Grundlagen neu gelegt durch das Buch des
Obersten Janke, der seine Aufmerksamkeit vor allem den Schlacht-
feldern am Granikos und bei Issos zugewendet hat. Was das erst-
genannte Treffen angeht, so kann es nach seinen Ausführungen als
ausgemacht gelten, daß Alexanders Anmarsch von Kolone aus weder
nordwestlich den Küstenweg noch die südöstlich zum oberen Lauf
des Bigha Tschai (Granikos) führende Straße einschlug, sondern die
mittlere Route nördlich von dem damals noch nicht vorhandenen oder
bedeutend kleineren Sumpf Edje Giöl wählte, die ihn zum unteren
Granikos an die Stelle führte, wo auf dem linken Ufer die Berge
zurückweichen. Hier standen die Perser auf dem ziemlich steilen
4 m hohen rechten Ufer in Deckung hinter dem Flusse, der aber
an sich kein sehr bedeutendes Hindernis gebildet haben wird. Wenn
allerdings Janke, der die Stelle um die Jahreszeit der Schlacht, d. h.
Ende Mai, besuchte, den Fluß überall durchwaten konnte, so ist das für
die Verhältnisse im Jahre 334 nicht ganz maßgebend, wo die Witterung
ja eine andere gewesen sein kann, und insofern könnte Plutarchs
Schilderung doch richtig sein, der die Gewalt des Stromes mehrfach
hervorhebt. Allein sie ist an sich etwas verdächtig, da sie das auch
sonst mehrfach hervortretende Bestreben zeigt , die Ähnlichkeit der
Taten Alexanders mit seinem Vorbild Achill hervorzuheben; darauf
sind sicher die Übertreibungen Plutarchs bei seiner Schilderung
hervorzuheben. Die eigentliche Entscheidung fiel auf dem rechten
griechischen Flügel , mit dem AI. das persische Zentrum durchbrach
(Arr. 1, 16, 2), was leider auf dem beigegebenen Schlachtplan nicht
recht zu erkennen ist. Hier erhält man eher den Eindruck, als ob
AI. mit dem rechten Flügel eine Umfassungsbewegung ausgeführt habe.
Auch die Stelle Arr. 1, 14, 7 Xo^v ctel napaxsiW tijv xafcv i
tfapeTXxs t6 peöjia, fva 8tj jii) äxßafoovrt aotep ot Flspaat xaxa x£pac
Jahresbericht fOr AltertmnswlMPixcbaft. Bd. CXXXV. 10
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i
Uli
Thomas Lenscbau
7rpo?ri7TToiav übersetzt J. seltsam „er ließ seine Linie nach dem Laufe
des Flusses hin in schiefer Richtung abwärts sich ausdehnen, um
nicht beim Erklettern des rechten Ufers von den Persern in der
Flanke gefaßt zu werden", während die Worte doch nur sagen, daß
AI. den Fluß nicht senkrecht zur Uferrichtung, sondern schräg auf-
wärts gegen den Strom überschritt. Im ersten Falle würden die
Streiter schräg abgetrieben mit der rechten unbeschildeten Seite an
den Feind gekommen sein.
Der Weitermarsch des Königs an der Westküste entlang endete
mit dem Spätsommer 334; die Winterquartiere bezog er in der
damphylisch-pisidischen Landschaft, und hier beim Eintritt vollzog sich
jener heroische Kampf der Marmar er, von dem Diod. 17, 28, 1—5
berichtet, und dessen Örtlichkeit Rad et genauer festzustellen sucht.
Zunächst zeigt er, daß der von Diod. erwähnte Kampf mit der bei
Arr. 1, 24, 5 geschilderten Eroberung eines Kastells identisch ist.
Der Vorgang muß sich also in der Nähe von Phaseiis zugetragen
haben, und hier findet der Vf. nach Schönborns Vorgang die geeignete
Örtlichkeit in dem Dorfe Saradschick, das auf unzugänglichem Felsen
gelegen die Höhe des aus dem Tal des Alaghir Tschai in das des
Tschandyr-Tschai hinüberführenden Passes beherrscht. Diese Ver-
bindung zwischen Lykien und Pisidien wird hier durch eine zweite
Straße gekreuzt, die aus der alten Milyas nach Phaseiis führt. Auf
dieser Straße rückte A. heran, bezwang die den Phaseliten sicherlich
sehr unangenehme Burg des räuberischen Bergstammes und zog in
Phaseiis ein, von wo aus er dann die sogenannte Klimax , d. h. den
Küstenweg bis Perge, benutzte. Aus den Winterquartieren in Pam-
phylien brach er im folgenden Frühjahr nach Gordion auf und über-
schritt dann nordwärts, von den kleinasiatischen Hochebenen her-
kommend, hinter Tyana die kilikischen Pforten oder den Gülek
Boghas, jenen engen, aber vielbenutzten Taurospaß, der sowohl von
Ramsey wie von Janke (S. 97 ff.) sehr anschaulich beschrieben wird.
Es ist derselbe Paß, durch den der jüngere Kyros zog; daß auch der
ältere Kyros beim Anmarsch gegen Lydien ihn benutzte, scheint mir
ein Autoschediasma des guten Curtius oder seiner Quelle, das ich an
Jankes Stelle (S. 108) ihm lieber nicht glauben würde.
Damit sind wir nahe an das Schlachtfeld von Issos
herangekommen, dessen Lage diesmal den Anlaß zu einem lebhaften
Streit gegeben hat, bei dem aber schließlich ein ziemlich sicheres Er-
gebnis herausgekommen ist. Auf Grund einer genauen Aufnahme
des ganzen Geländes (vgl. Tafel I — II) ist Janke zu der Überzeugung
gekommen, daß Delbrücks Ansatz der Schlacht am Paias Tschai zu
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Jahresbericht über griechische Geschichte (1903—1906). 147
verwerfen ist, daß vielmehr in topographischer Hinsicht Adolf Bauer
das Richtige gesehen hat, dessen Ansicht ich im vorigen Jahresbericht
(S. 273 ff.) ausführlich auseinandergesetzt habe. Danach hat Dareios
die kilikische Ebene durch den Arslan-Boghaspaß über den nördlichen
Amanos betreten, während Alexander ihn vom Beilanpaß her er-
wartete und daher nur nach dieser Richtung hin aufklären ließ. Auf
diese Weise gelangten die Perser von Norden her in den Rücken des
Heeres, so daß schließlich Alexander kehrt machen und dem Feinde
entgegenrücken, die Schlacht also mit verkehrter Front etwa in der
Gegend des heutigen Deli Tschai schlagen mußte. Gegen diese Ansicht
wenden sich in sehr temperamentvoller Weise die Ausführungen
Gruhns; nach ihm kam Dareios wirklich über den Beilan und
marschierte zufällig an Alexander vorbei, der noch nicht weit über
das am Ausgang des Passes liegende Alexandrette — nach Gruhn das
alte Issos — hinaus bis Myriandos vorgerückt war. AI. machte kehrt
und zog nun hinter Dareios her, der seinerseits in dem engen Gelände
nördlich vom Paias Tschai ebenfalls kehrt machte. Hier kam es zur Ent-
scheidungsschlacht, die mit der Vernichtung des persischen Heeres endete.
Der erste Fehler Gruhns liegt in der verkehrten Ansctzung von
Issos, das er mit Alexandrette gleichsetzt, während es in Wirklich-
keit nach den Angaben sämtlicher antiken Schriftsteller an der Nord-
seite des innersten Golfes lag. Der Name AXs£av8psta xax"Ia<jov,
den Alexandrette führt, bedeutet nicht A. bei Issos, wie G. will,
sondern A. Issos gegenüber, womit seine Lage an der Südseite der
innersten Golfspitze gut bezeichnet ist. Damit hängt nun gleich ein
weiterer Irrtum G.s zusammen. Da uns überliefert ist, daß Dareios
unmittelbar vom Passe kommend nach Issos gelangte und hier die
verwundeten und kranken Makedonier massakrieren ließ, so kann
für G. der Übergang nur über den Beilan stattgefunden haben, an
dessen Ausgang ja sein Issos, das heutige Alexandrette, liegt. Ander-
seite, wenn Issos wirklich an der Nordseite des Golfs gelegen hat,
so kann, wie der Blick auf die Karte lehrt, nur der Arslan Boghas
für den Übergang in Betracht kommen. Daß aber Issos tatsächlich
am Nordufer der Bucht lag, das beweisen nicht nur, wie oben an-
geführt, die geographischen Nachrichten aus dem Altertum, soudern
vor allem auch Xenophons Angaben in der Anabasis, die übrigens
durch Cousins Itinerar vollkommen bestätigt werden. Nun sind ja,
worauf G. nicht verfehlt hinzuweisen, Xenophons Distanzangaben nicht
immer ganz verläßlich, da er die Entfernung meist nach der ver-
brauchten Zeit bemißt und daher in schwierigem Gelände oft zu
große Zahlen gibt. Hier aber, wo es sich von Tarsos bis zum Pajas
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148
Thomas Lenschau.
um einen Marsch in glatter Ebene handelt, ist schlechterdings kein
Grund anzunehmen, weshalb sich Xen. geirrt haben sollte. Sind aber
seine Angaben richtig , so kann Issos nur am Nordufer der inneren
Ducht gelegen haben, und Dareios kam wirklich Ober den Arslan
Boghas und nicht über den Beilan.
Ein zweiter Fehler Gruhns — und ihn begeht auch Janke — liegt
in der falschen Ansetzung von Alexanders letztem Nachtlager vor dem
Kampfe. Auf die Nachricht von Dareios Anmarsch kehrt AI. um,
und nachdem er noch einmal die Engen, d. h. das ganze Gelände
zwischen dem Strandpaß und dem Paß am Jonaspfeiler, aufgeklärt
und unbesetzt gefunden hat, führt er das Heer zurück und lagert auf
dem Engpaß, d. h., wie Janke und Gruhn übereinstimmend sagen, am
Jonaspfeiler, dem südlichen der beiden Pässe. Allein dann wird man
auch Gruhns Schlußfolgerung nicht abweisen können, daß der Marsch
bis zum Schlachtfeld beim Deli Tschai am folgenden Morgen viel zu
lang gewesen ist, In der Tat, da die Entfernung vom Jonaspfeiler
bis zum Deli Tschai ca. 22 km beträgt, so hätte AI. eines vollen Tages-
marsches (durchschnittlich 25 km) bedurft, um seine Truppen über-
haupt ans Schlachtfeld heranzubringen, was völlig unmöglich ist
(Gruhn S. 25 f.). Daraus aber folgt nicht, wie bei Gruhn, daß nicht
der Deli Tschai, sondern der 11 km südlicher fließende Paias Tschai
der Pinaros der Alten war , an dem die Schlacht stattfand, sondern
höchstens, daß sowohl Gruhn wie Janke den Ausgangspunkt des
Marsches, den AI. am Morgen des Schlachttages zu machen hatte,
falsch angenommen haben. Selbstverständlich hat AI. die größere
Marschleistung auf den Vorabend der Schlacht verlegt und ist sofort
bis zum Strandpaß, dem Pajas Eski Ras, vorgerückt. Da Janke und
seine Begleiter den Weg in wenig über 4 Stunden (Janke S. 18, 21),
Cousin ihn in etwa 6 Stunden (Cousin S. 285 f.) zurückgelegt haben, so
genügt die von Arrian gegebene Zeit vom Abend (Sonnenuntergang
zur Zeit der Schlacht in dieser Gegend etwa 5 Uhr 40 Min.) bis
Mitternacht vollkommen, den Marsch auszuführen, zumal der Weg
dem Heere bereits bekannt war. Auch eignet sich der lange und
breite Rücken, der vom Amanos westlich vorspringend im Ras Eski
Pajas ausläuft (Janke S. 18), viel besser zum Nachtlager des Heeres
als der steile Bergpaß am Jonaspfeiler. Von dort aus rückte er am
folgenden Morgen in aller Gemächlichkeit bis zum Schlachtfeld am
Deli Tschai, wo er gerade etwa gegen Mittag anlangte. — Im übrigen
hat Janke noch einmal S. 72 ff. alle die Gründe zusammengestellt,
die für den Deli Tschai und gegen den Pajas sprechen; besonders
kommt hier die Beschaffenheit der Ufer in Frage. Sic ist am oberen
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Jahresbericht über griechische Geschichte (1903—1906). \ [\)
Pnjas derartig, daß es absolut unmöglich ist, hier die Schlacht an-
zunehmen, während der Deli Tschai den Persern eine ganz ähnliche
Stellung wie am Granikos ermöglicht, was sowohl durch die Photo-
graphien wie durch die Skizze bei Janke sehr leicht erkennbar ist.
Im ganzen hat Gr. wenig Glück mit seinen Ausführungen gehabt, bei
denen die temperamentvolle Darstellung allzuoft das Gewicht der Gründe
ersetzen muß. Es ist nicht zu billigen, wenn man einen ernsthaften
und verdienten Forscher wie Janke in diesem Tone abzufertigen sucht.
Über den letzten Teil des großen indischen Feldzuges,
dessen erste Phasen er bereits früher besprochen hatte, handelt
Anspach, indem er es zunächst für einen müßigen Streit erklärt,
ob Porös nach seiner Besiegung als König oder als Satrap zu be-
zeichnen sei; nach Ansicht des Vf. blieb er König, aber natürlich
als Untergebener Alexanders, so daß er später, z. B. bei der Teilung
zu Triparadeisos, ganz wohl als Satrap bezeichnet werden konnte.
Weiter untersucht der Vf. nahezu alle Einzelheiten des Feldzuges,
wobei er unter Berücksichtigung seiner Vorgänger Lassen , Cunning-
ham und Mc. Crindle die Angaben der Quellen mit den gegenwärtigen
Verhältnissen in Einklang zu bringen sucht. Dasselbe Ziel verfolgt
Vincent A. Smith, der in seiner Geschichte Indiens von 600
v. Chr. bis zur mohammedanischen Eroberung einen beträchtlichen
Abschnitt (S. 42 — 106) dem indischen Unternehmen Alexanders ge-
widmet hat. Wertvoll erscheinen seine Darlegungen über die Örtlieh-
keiteu am Hydaspes. Die Cunningham-Mc Crindlesche Ansicht, wo-
nach der Übergang über den Strom bei Jalälpur stattfand, hat er
in. E. widerlegt und Jhelum als die Übergangsstelle erwiesen (S. 71 ff.).
Wreniger befriedigt seine Darstellung des Kampfes selber, da er hier
sehr zu seinem Schaden die Arbeiten seiner deutschen Vorgäuger
York v. Wartenburg, Delbrück und Schubert vernachlässigt hat. Auch
hei ihm hat Alexanders rechter Flügel, der zum Angriff bestimmt
war, die Deckung am Flusse, was absolut unnötig ist; vielmehr
spricht gerade dieser Umstand für York v. Wartenburgs Ansicht,
wonach der Übergang Alexanders unterhalb des Lagers stattfand
(vgl. den vor. Ber. S. 286). Ist sonach Smiths Schilderung der
Schlacht ein reines Phantasiegemälde , so hat er doch anderseits in
der chronologischen Bestimmung des Kampfes das Richtige gesehen.
(Gewöhnlich legt man die genaue Angabe Arrians V, 19 zugrunde,
mit der er seinen Schlachtbericht schließt. Danach soll der Kampf
unter Hegemon 327/6 im Munychion, d. h. Mai, spätestens, wenn
man Schaltung annimmt, Mai Juni stattgefunden haben (so auch
Beloch Frühling 326). Allein die ganze Erzählung zeigt, daß die
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150
Thomas Lenschan.
indische Regenzeit bereits eingetreten war, und V, 9 sagt Aman
ganz richtig jaetoc -cpoira?, was sicher nicht in xaxd mit Sint. zu ändern
ist. Man könnte also auf den Gedanken kommen, Diodor habe liier
das Richtige, der die Schlacht unter Chremes 326/5 setzt. Allein
Diodors Ansätze sind meist wenig zuverlässig, und in der Tat läßt sich
Arrians Angabe halten, wenn Hegemons Jahr nicht, wie Unger will,
am 15. Juni 326, sondern erst am 17. Juli endete. Sicher falsch
ist aber die Monatsangabe. Wenn unter Hegemon, so ist die Schlacht
in Skirophorion geschlagen, und da eine einigermaßen einleuchtende
Konjektur unmöglich ist, so wird wohl nichts anderes übrig bleiben
als die Annahme, daß die ursprüngliche Angabe nach dem make-
donischen Kalender schon von Arrians Quelle falsch geglichen ist.
Wenden wir uns nun der Allgemeinbetrachtung von Alexanders
Wirken zu, so fällt hier zuerst das eigentümliche Gesamturteil
auf, das Beloch (III. 1, S. 66) über Alexander gefallt hat, und
in dem er ihm sowohl den Ruhm des großen Feldherrn als auch den
des Staatsmannes fast vollkommen abspricht. Seine Erfolge über die
Perser verdankt er nach Beloch in erster Linie dem alten Parmenion,
wie das bei seiner Jugend ja auch gar nicht anders sein konnte,
und ebenso muß das so oft bewunderte Einsetzen der eigenen Per-
sönlichkeit als ein Beweis für sein mangelndes Feldherrntalent gelten.
Allein was die Jugend betrifft, — wenn der große Napoleon ohne
nennenswerte militärische Vorbildung mit 27 Jahren den schwierigen
italienischen Feldzug mit dem glänzendsten Erfolge durchführen
konnte, warum soll nicht Alexander, der von Jugend auf durch seinen
Vater militärisch durchgebildet war und bereits mit 18 Jahren bei
Chaironeia kommandierte, mit 22 oder 23 Jahren der Täter seiner
Taten gewesen sein? 4Jnd das rücksichtslose Einsetzen der eigenen
Persönlichkeit läßt sich doch noch aus einem wesentlich anderen
Gesichtspunkt betrachten. Sehr gut hat Delbrück (Geschichte der
Kriegskunst I, 198 ff.) gezeigt, daß die Pflicht des Oberfeldherra, in
erster Linie sich zu schonen, erst in dem Augenblicke beginnt, wo
in der Kriegsgeschichte die Reserven aufzutauchen beginnen. Iiis
dahin war der wichtigste Posten die Leitung des Offensivflügels, in-
sofern alles darauf ankam, den siegreichen Flügel im rechten Augen-
blick zum Aufrollen einschwenken zu lassen. Das ist bei einer
siegreichen Reiterei noch viel schwerer als bei einer Hoplitenphalanx,
und wenn sogar Epaminondas es für nötig hielt, diesen Posten selber
zu besetzen, so konnte eben Alexanders Platz nirgendwo anders sein
als an der Spitze der Hetärenreiterei, der er aus taktischen Gründen
den Offensivstoß in seinen Schlachten zuwies. Der Ausgang von
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Jahresbericht über griethische Geschichte (1903— 190öj.
151
Ipsos hat die Gefahr gezeigt, die darin lag, wenn der auf diesem
Posten stehende Führer seine Leute nicht fest in der Hand hielt
und etwas Ähnliches wie Demetrios wäre ja Alexander bei Gaugamela
auch beinahe passiert. Eines ist allerdings richtig: Neue strategische
Gesichtspunkte, wie sie die Kampagne von 1796 aufweist, sucht
man in den ersten Alexanderschlachten vergebens, sofern überall das
Schema der Durchbruchsschlacht des Epaminondas angewandt wird.
Erst das Treffen gegen Porös zeigt eine etwas andere Anlage und
läßt den Schluß zu, daß Alexander auch auf diesem Gebiete Neues
geschaffen haben würde, wenn ihm ein längeres Leben beschieden
gewesen wäre. Ähnlich steht es in taktischer Hinsicht ; die von AI.
zur Ausbildung gebrachte Taktik der verbundenen Waffen ist im
wesentlichen von Epaminondas (bei Mantineia) und König Philipp
gesebaflen worden. Aber A. erscheint als Vollender der griechischen
Taktik, die nach ihm kaum noch Fortschritte gemacht hat ; tatsächlich
zeigen Sellasia 222 und Mantineia 207 noch ganz dieselbe Anlage
wie Mantineia 362. Erst mit Hannibal beginnen die genialen
Neuerungen auf diesem Gebiete.
Allein auch das Urteil über Alexander als Staatsmann
ist zu hart, sobald man bedenkt, daß der König gerade da starb, als
der militärische Teil seiner Aufgabe vollendet war und die Arbeit
des Staatsmannes begann. Daß er die alte Verwaltung zunächst für
sich weiter arbeiten ließ und nur ihre schlimmsten Schäden beseitigte,
ist ein Beweis seiner staatsmännischen Selbstbescheidung, die die
notwendigen Reformen so lange zurückstellte, bis das wichtigste, die
militärische Okkupation durchgeführt war. Von der Weite seines
politischen Horizonts geben auch die von Beloch mit Recht hervor-
gehobenen Städtegründungen einen vorteilhaften Begriff. Manche
der von ihm gewählten Stätten sind noch heute nach Jahrtausenden
Mittelpunkte des Handels und Verkehrs. Im übrigen sind wir über
die staatsmännische Seite von AI. Tätigkeit bei weitem nicht so gut
unterrichtet wie über die militärische; jene bot der Vulgata mit ihren
panegyristischen oder alexanderfeindlichen Tendenzen keinerlei An-
griffspunkt und Arrian wendet sich so ausschließlich der kriegerischen
Tätigkeit Al.s zu. daß man über staatsmännische Maßnahmen nur
das allernotwendigste aus ihm erfährt. Immerhin sind trotz der
kurzen Regierungszeit Ansätze zu entdecken, die AI. auch als
schöpferischen Staatsmann erkennen lassen, und die von Köhler in
einem etwas umständlichen Aufsatz dargelegt sind. Richtig ist vor
allem der Ausgangspunkt gewählt: das Material, aus dem Alexander
schöpfte, war außer den staatlichen Verhältnissen der eigenen Heimat
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Thomas Lensehau.
in erster Linie die Verfassung und die Verwaltungstechnik des
persischen Reiches, das er unterwarf. Jenen entnahm er die Abstufung
des Untertanenverhältnisses, die seiner sonst zentralisierenden Tendenz
zuwiderlief und sich vor allem in der Belassung, ja sogar Neuschaffung
abhängiger Dynastien zeigt, eine Erscheinung, die übrigens vorher im
Perserreich und später unter der Seleukidenherrschaft ganz ebenso
hervortrat. Weiter ließ er die Satrapieneinteilung bestehen, suchte
aber dem alten Übel der Selbständigmachung einzelner Satrapien
dadurch entgegenzuwirken, daß er die Satrapengewalt teilte, das
militärische Kommando sowie die finanzielle Seite bestimmten Beamten
übergab und dem Satrapen nur die innere Verwaltung überließ.
Doch halte ich es nicht für richtig, mit Köhler diese Neuerung aut
Alexanders Konto zu setzen; wenigstens die Teilung zwischen Militär-
und Zivilgewalt war schon unter Dareios I. eingeführt, eine Ansicht,
die ich schon Vorjahren zu erweisen gesucht habe (Leipz. Stud. XII.
S. 187 f.), und die ich auch durch Meyers Bemerkungen in der Griech.
Geschichte (III. Anf.) nicht widerlegt finde. Wenn also AI., da die
Zweiteilung im sinkenden Perserreich nicht mehr genügte, nun auch
die finanzielle Seite einem besonderen Beamten übergab, so ist das
nur ein Schritt weiter auf dem bereits von Dareios eingeschlagenen
Wege. Das wirklich Schöpferische liegt dagegen in einem andern
Punkte, auf den Köhler mit Recht aufmerksam macht, nämlich darin,
daß er die Steuereinnehmer mehrerer Provinzen einem Oberbeamten
unterstellte; denn damit scheint mir der Übergang zum modernen
Staat mit seinen getrennten Verwaltungszweigen oder, um es vielleicht
noch schärfer auszudrücken , der Übergang vom Provinzial- zum
Ressortministersystem gegeben zu sein. Leider hat der frühe Tod
Alexanders diese und andere verheißungsvolle Ansätze vernichtet :
sofort griffen die Nachfolger auf das alte Satrapensystem zurück und
der Zerfall begann. Weder Perdikkas noch Antigonos, die doch beide
Vertreter der Reichseinheit waren, scheinen den Gedanken des großen
Königs wirklich erfaßt zu haben. Wie verhältnismäßig wenig über-
haupt von Alexanders Tätigkeit geblieben ist, davon wird noch aus-
führlich am Ende des siebenten Kapitels die Rede sein müssen.
Doch kehren wir wieder zu der Reihenfolge der geschichtlichen
Ereignisse zurück. Alexanders Beisetzung, die Arrhidaios
übertragen war, erfolgte erst zwei Jahre nach dem Tode, und zwar
in Memphis; die übrigen Angaben, die von einer zweimaligen Bei-
setzung in Alexandria reden, erklärt Jacoby mit Recht als durch
Mißverständnis hervorgerufen. Die Konstruktion des dabei benutzten
Wagens ist neuerdings eine archäologische Streitfrage geworden.
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Jahresbericht über griechische Geschichte (190iJ — 1906).
15tf
die durch die Dissertation von Müller eröffnet worden ist. Daran
hat sich eiue ganze Reihe von Erörterungen von v. Wilamowitz,
Petersen, Reuß und Bulle geschlossen, die ich hier übergehen kann,
da sie nicht ein historisches Interesse im engeren Sinne, sondern vor-
wiegend archäologische Bedeutung haben. Dasselbe gilt von den
Untersuchungen über die Bildnisse Alexanders des Großen, die uns
von Ujfalvy, Schreiber, Burrows und Bernoulli beschert sind. So
wichtig die Entwicklung der einzelnen Alexandertypen für die Kunst-
geschichte ist, so wenig lernt man daraus über das wirkliche Aus-
sehen des Königs, und nur dieses ist für den Historiker von Interesse.
Im großen und ganzen ergibt sich das eine, was II. v. Fritze in
seiner Besprechung des Schreiberschen Buches (WSkPh. 1904, S. 1107)
kürzlich erst wieder festgestellt hat, daß nämlich von wirklicher
Porträtähnlichkeit nur bei der kleinen Pariser Bronzefigur gesprochen
werden kann, deren Züge im wesentlichen mit dem Bilde stimmen,
das die gleichzeitigen Quellen von der physischen Erscheinung des
Königs geben. Im letzten Grunde wird sie wohl auf eine Arbeit des
Lysippos zurückgehen.
Die Reihenfolge der Ereignisse von Alexanders
Tod bis zur Schlacht von Issos, die im allgemeinen durch Diodor
sicher steht, hat Beloc h einer genauen, bis ins einzelne gehenden
Untersuchung unterworfen, die in allem Wesentlichen das Richtige
trifft (III, 2, Kap. 11). Insbesondere hat er mit scharfem Blick die
Seeschlacht von Amorgos als die Entscheidung des lamischen Krieges
erkannt, neben der die Kämpfe in Thessalien nur sekundäre Bedeutung
haben. Ins Jahr 320 fällt wahrscheinlich eine von B. nicht berück-
sichtigte Expedition des Kleitos nach Cypern , die im Dekret der
Nasioten CIG. 2166 e = Hicks, Greek hist. Inscr. 138 erwähnt ist;
es ist wohl dieselbe, bei der sich auch Phaidros' Vater Thymochares
auszeichnete (CIA. II, 331, 9). Offenbar war sie bestimmt, den in
Kleinasien kämpfenden Perdikkanern eine Diversion zu machen, was
auch gelang. Die Bedrohung im Rücken, nicht böser Wille, wie
Beloch und Bouche" Leclercq I, 33 wollen, war der Grund, weswegen
Alketas und Attalos Eumenes in der Schlacht von Orkynia nicht zu
Hilfe kamen. Auch in der Beurteilung des Friedensschlusses von 311
kann ich Beloch nicht folgen, wenn er meint, Seleukos sei nicht nur
in den Frieden mit einbegriffen, sondern auch als Herr der oberen
Provinzen anerkannt worden. Richtig ist, daß Diodors Schweigen
nichts beweist, weil er möglicherweise die bei Hieronymos vorhandene
Notiz einfach ausließ, und ebensowenig beweist die Nichterwähnung
des Seleukos in dem Briefe des Antigonos an die Skepsier, weil
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Thomas Lenschau.
möglicherweise im Augenblick des Schreibens die Verhandlungen mit
Seleukos noch nicht abgeschlossen waren. Allein wenn B. sagt,
die Bundesgenossen hätten Selenkos nicht ausschließen dürfen, und
wenn er ausgeschlossen wäre, so hätte sich Antigonos nach dem
Frieden sofort gegen Seleukos wenden müssen, so sind diese Gründe
nicht gerade zwingend. An der allerdings notwendigen Abrechnung
kann Antigonos durch den zwei Jahre nachher erfolgenden Wieder-
ausbruch des Krieges verhindert sein, und anderseits konnten die
Verbündeten Seleukos insofern mit einem Schein des Rechtes fallen
lassen, als er seit seiner Ankunft in Babylon überhaupt nicht mehr am
Kriege teilgenommen, sondern sich mit der Begründung seiner Herr-
schaft in den oberen Provinzen befaßt hatte. Sehr anständig war
das freilich von den Verbündeten nicht, besonders nicht von Ptole-
maios, und ihm wenigstens hat Seleukos den Streich mit Zinsen heim-
gezahlt : zehn Jahre später ward nach demselben Grundsatz Ptolemaios
von der Beute ausgeschlossen, da er, angeblich durch ein falsches
Gerücht getäuscht, an der Schlacht von Ipsos nicht teilgenommen
hatte. Will man also nicht mit Niese annehmen, daß zwischen Anti-
gonos und Seleukos ein Waffenstillstand abgeschlossen ward, was mir
ziemlich unwahrscheinlich vorkommt , so bleibt nur ein Ausweg : es
kann gegangen sein wie 1805 im Frieden zu Preßburg, der zwischen
Frankreich und Rußland kein Abkommen, sondern nur ein tatsäch-
liches Aufhören des Kriegszustandes herbeiführte. Ähnlich sieht
Bouche" (I, 54) die Sache an; die bei Arr. Ind. 48 zeitlos überlieferte
Hilfsexpedition des Ptolemaios an Seleukos verlegt er hinter den
Frieden von 311 und glaubt, dann, nach dem Wiederausbruch des
Krieges durch Polemaios' Abfall 309, sei ein Separatfriede zwischen
Antigonos und Seleukos geschlossen worden.
Um diese Zeit fällt auch der Abfall von Delos, den Belooh
gleich nach dem Freiheitsdekret des Antigonos 315, v. Schöffer und
Bouche*-Leclercq (1, 62 ff.) erst nach dem Befreiungszuge des Ptole-
maios 309 erfolgen lassen. Nun war der Abfall sicherlich ein Schlag
gegen das von Kassandros beherrschte Athen, also mittelbar für
Kassandros selber, und den wird man an sich eher dem Antigonos
als dem Ptolemaios zutrauen, der sich eben noch mit Kassandros im
Bunde befunden hatte. Überhaupt richtet sich ja die ägyptische
Expedition in erster Linie gegen Polyperchon, dem eine Reihe von
Städten abgenommen wurde. Wenn eine von diesen, Megara, ein
Jahr später in Kassandros Besitz erscheint, so braucht das nicht
durch eine Rückgabe im Frieden, wie Beloch III, 1, 150 will, ge-
schehen zu sein. Bei der Eile, mit der Ptolemaios auf die Nachricht
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Jahresbericht über griechische Geschichte (190$— 1906). 155
von Ophelas Tod (Boncne* I, 65) sein peloponnesisches Unternehmen
liquidierte, mag er dem mit ihm befreundeten Kassandros Megara
ohne sofortige Gegenleistung überlassen haben. Paßt also der Abfall
von Delos 309 nicht so recht in die politische Lage hinein, so spricht
für den früheren Termin auch die von Dürrbach nnd Jarde" mit-
geteilte älteste Verpachtungsurkunde der Hieropen in Delos (BCH.
29, 417 — 579 no. 143)v Die hier erwähnten Archontennamen, einer
auf -aprfi und Diaitos , fehlen in der für die Zeit von 301 — 216
vollständig erhaltenen Liste, sie müssen nach dem ganzen Aussehen
der Urkunden früher fallen, und zwar bedeutend früher, wie sich
aus den in ihnen enthaltenen Zahlenangaben schließen läßt. Nach
Dürrbach ist es nämlich eine durchgehende Erscheinung in den
Hieropenlisten des 3. Jahrhunderts, daß — ich setze die Worte her —
„le taux des fermages va constamment en s'abaissant, tandis que le
loyer des propriöte's bäties subit une hausse ä peu pres reguliere".
Zieht man nun die bis dahin älteste Hieropenurkunde aus dem Jahre
des Pyrrhichides 297 zum Vergleich heran, so ergibt sich ein so be-
deutender Unterschied zwischen den Zahlenangaben in dem oben be-
zeichneten Sinne, daß ein zwölfjähriger Zwischenraum kaum zu seiner
Erklärung genügen würde. Dürrbach ist daher geneigt, den Archon
Diaitos ins Jahr 314 zu setzen, womit dann die Entscheidung für
Belochs Ansatz gegeben wäre.
Damit erledigt sich auch der Verdacht, den Bouchä a. a. 0,
gegen Demetrios v. Phaleron ausgesprochen hat, daß er nämlich
beim Verlust von Delos für Athen seine Hände im Spiel gehabt habe.
Sein späterer Aufenthalt am Ptolemaierhof gibt dazu kaum eine Hand-
habe: er ging erst nach dem Tode seines Herrn Kassandros dorthin,
wohl weil der Aufenthalt in Alexandrien seinen literarischen Neigungen
am meisten zusagte. Tatsächlich ist das Verhältnis zwischen Demetrios
und Kassandros nie getrübt worden, was doch notwendigerweise hätte
eintreten müssen, wenn der Phalereer Ptolemaios die Insel in die
Hände gespielt hätte. Im Gegenteil, Demetrios war ein zuverlässiger
Diener seines Herrn, und von diesem Gesichtspunkt wird man auch
seine Verwaltung Athens betrachten müssen. Daß sie glänzend war,
daß Athen wahrscheinlich nie so gut regiert worden ist wie damals,
kann man Beloch (III, 1, 150 ff.) ruhig zugeben; allein die Macht
Athens, vor allem seine Flotte ist rettungslos in Verfall geraten, so
daß nach der Vertreibung des Phalereers eine große Reorganisation
nötig ward, zu der der alte Antigonos die Mittel stiftete. Geholfen
hat es freilich nicht mehr. Mit seiner auf die besitzenden Klassen
sich stützenden Politik ist Demetrios doch darauf ausgegangen, syste-
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150
Thomas Lcnschau.
matisch den Athenern den Großmachtkitzel and das Freiheitsgefühl
auszutreiben, das im chremonideischen Kriege noch einmal aufflammt,
um dann von den lediglich materiellen Interessen erstickt zu werden,
die er gepflegt hatte. Der materielle Aufschwung Athens darf über
diese politische Demoralisierung nicht hinwegtäuschen. Bis zum Tage
von Amorgos war Athen die erste Seemacht, die auf dem Meere
gebot; unter dem Phalereer hat sie sich höchstens noch gegen die
Piraten betätigt; ein Machtfaktor ist sie nie wieder geworden. Und
doch zeigt das Beispiel des kleineren Rhodos, daß eine energisch
geleitete Stadtrepublik auch damals noch eine hervorragende Rolle
zu spielen vermochte.
Die Belagerung von Rhodos 305/4 ist der Anfang jener glänzenden
Entwicklung, die sich über 150 Jahre erstreckte, bis die Römer ihr
durch die Ruinierung des rhodischen Handels ein Ziel setzten. Schon
gegen Ende des 4. Jahrhunderts hatte die Stadt überallhin ihre Be-
ziehungen, auch ins Westmeer und wahrscheinlich auch mit Rom;
dennoch bleibt es zweifelhaft, ob ein wirklicher Handelsvertrag zwischen
den beiden Städten damals schon existierte. Man schloß dies aus
Pol. 30, 5 — 6, wonach die Rhodier „140 Jahre mit den Römern zu-
gleich die herrlichsten und schönsten Dinge verrichtet haben". Allein
II o 1 1 e a u x und gleichzeitig etwa Beloch (I, 299, Anm. 2) haben gezeigt,
daß es sich hier doch nur um die Bundesgenossenschaft mit den
Römern seit dem zweiten makedonischen Kriege gehandelt haben
kann, und daß eben darum die Worte npbs tq!c exatov im Text des
Polybios zu streichen sind. Alsdann ist nur von den gemeinsamen
Kriegstaten der letzten „fast vierzig" Jahre 200 — 167 die Rede, und
es entfällt jede Nötigung, einen Handelsvertrag um 300 anzunehmen.
Wenn Colin dagegen geltend macht (Rome et la Grece p. 44, Anm. 4),
daß „fast vierzig" doch für 33 Jahre eine etwas seltsame Abrundung
sei , so steht der Annahme nichts im Wege , daß die Beziehungen
zwischen Rom und Rhodos bald nach der Beendigung des ersten
makedonischen Krieges 205 geknüpft worden sind. Wie vorsichtig der
Senat den zweiten Waffengang mit Philipp vorbereitete, hat Colin ja
selber am besten gezeigt. Wie die Worte 7:p6? toi; Ixotov in den
Text hineingekommen sind, bleibt allerdings unklar; jedenfalls aber
können sie nicht mehr als Unterlage für die Annahme eines Handels-
vertrages von 306 benutzt werden. Womit natürlich nicht gesagt
ist, daß damals auch keine Handelsbeziehungen zwischen Rhodos und
Born existiert hätten, wie Beloch mit Recht hervorhebt.
Um dieselbe Zeit haben die Herrscher des Ostens den Königs-
titel angenommen, indem sie dem Beispiel des Antigonos, der gleich
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Jahresbericht über griechische Geschichte (1903-1906). 157
nach dem Seesiege seines Sohnes bei Salamis das Diadem nahm, un-
mittelbar Folge leisteten, wie Diod. 20, 53 eigens hervorhebt. Damit
stimmt es nicht, daß der vordatierende ägyptische Königskanon
das erste Regierungsjahr Ptolemaios I. mit dem 1. Thot (7. Nov.)
305 beginnen läßt. Beide Angaben suchte Strack dadurch zu ver-
einigen, daß er die Annahme des Königstitels zwar sofort 306, die
feierliche Krönung in Memphis aber erst nach dem 7. Nov. 305 er-
folgen ließ, worin ihm Bouche^Leclercq 1, 71 f. beistimmt. Doch
scheint es richtiger, eine Ungenauigkeit Diodors anzunehmen, der an
die Erwähnung von Antigonos Annahme des Titels sofort die Namen
der übrigen Diadochen ohne Rücksicht auf die Zeit anschloß; auch
Agathokles und Seleukos können sich, wie Beloch II, 203 f. ausführt,
erst im Laufe des Jahres 305/4 den Königstitel beigelegt haben.
In die letzte Zeit vor die Katastrophe von Ipsos fällt der
Synoikismos von Teos und Lebedos, der nach einer sehr
einleuchtenden Vermutung Haussoulliers (Histoire de Milet S. 23)
mit dem großen Erdbeben zusammenzubringen ist, das nach dem
Marm. Par. 304/3 die Städte Kleinasiens verheerte. Im übrigen
gewinnt die alte Droysensche Ansicht, daß Antigonos den Griechen-
städten die Autonomie gewährt und sie überhaupt am besten be-
handelt hat , immer mehr an Boden , wie sie denn auch gerade in
der großen Inschrift , die wir über die Vereinigung von Teos und
Lebedos besitzen, besonders deutlich hervortritt. Schon früher (Lpz.
Stud. XIII, S. 174) habe ich die Ansicht ausgesprochen, daß der
König dem ganzen Tone nach in dieser Inschrift nicht verfügt, sondern
eher als Schiedsrichter auftritt : sie ist später von Köhler in einem
auch sonst mit meinen Ausführungen sich vielfach berührenden
Aufsatz wieder aufgenommen. Wenn Hauss. sie dadurch zu entkräften
glaubt, daß er auf die tatsächlichen Verhältnisse hinweist, die dem
König es leicht machten, seinen Willen durchzudrücken, und deshalb
dem Tone des Reskripts nicht viel entnehmen will, so verkennt er
doch gerade die Hauptsache: gerade der Ton ist es, der hier die
Musik macht, und daß Antigonos einen freundlichen Rat gibt, wo er
zweifellos befehlen konnte, zeigt am besten die Stellung, die die
Griechenstädte einnahmen. Durchaus paßt dazu die manchmal rührende
Art, mit der er in jenem andern von ihm erhaltenen Reskript den
Skepsiern seine Politik von der besten Seite zu zeigen sich bemüht.
Hier wie sonst ergibt es sich, daß Antigonos der einzige der Diadochen
gewesen ist, der die Hauptgedanken Alexanders begriffen hat: es
war der schlimmste Schlag für die Hellenisierung des Ostens, als
301 sein Reich auf der Wahlstatt von Ipsos zusammenbrach.
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158
Thomas Lenscliau.
Sechstes Kapitel.
Die hellenistischen Reiche des Ostens bis zum
Eingreifen Roms. 301-217.
a) Inschriften.
Bourguet, inscriptions de Delphes. Bull. Corr. Hell. 1903. 27, 5—61.
Dürrbach et Jarde, fouilles de Mos. Bull. Corr. Hell. 1904. 28, 93—188.
b) Papyrusurkunden.
Papyrus grecs et demotiques publii's par Th. Reinach, W. Spiegelberg.
Seymour de Ricci. Paris 1905.
The Oxyrhynchus Pap. edited with translation and notes by B. Grenfell and
A. S. Hunt. Vol. III. 1903, vol. IV. 1904. London.
The Hibeh Papyrus ed. with transl. and notes by B. Grenfell and A. S.
Hunt. London 1906. Tome I.
The Tebtunis Papyri ed. by B. Grenfell, A. S. Hunt, J. G. Smyly. Part. I.
Oxford 1902.
Jouguet et Lefebvre, Papyrus de Magdola. Bull. Corr. Hell. 1903. 27, 174
bis 205.
c) Münzen.
Macdonald, G. early Seleucid Portraits J. H. St. 1903. 23, 92—116.
Svoronos, rd vofAfa|jLara toü xprrouc tuiv ÜToXtfi-oftuv. iv 'A^vattc 1904.
Wace, Alan J. B., hellenistic royal portraits JHSt 1905. 25, 86—104.
d) Einzelschriften.
Bcloch, Bevan, Bouchä s. vor. Kap.
Breccia, Evaristo, il diritto dinastico nelle monarchie ellenistiche Roma,
1903.
Th. Büttner-Wobst, zur Geschichte des pyrrhischen Krieges. Klio. III, 164
—167. 1903.
Cardinali, Giuseppe, il regno di Pergamo. Torino 1906.
— , la guerra di Litto. Riv. fil. 8>% 519—551. 1905.
— , Crete e le grande potenze hellenistiche sino alla guerra di Litto. Riv.
stör. ant. IX, 69—94. 1904.
— , della terza guerra Siriaca e della guerra fraterna. Riv. fil. 1903. 31,
431-448.
Contoteon et Reinach, Decret d' los. Rev. £t. grecq. 1904. 17, 196—214.
Corradi, nota sulla guerra tra Tolomeo Euergete etc. Atti Real. Accad.
Tor. 40, 805—827.
Cuntz, Polybios und sein Werk. Leipzig 1903.
Delamarre, P., l'influence Mac<?donienne dans les Cyclades. Rev. de Philol.
1902, 304-325.
— , un nouveau document, rölatif ä la contederetion des Cyclades. Ib.
p. 291-300.
Ferguson, W. S., Athenian politics in the early third Century. Klio. V
155—179, mit Nachwort v. Ed. Meyer.
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Jahresbericht über griechische Geschickte (1903— 190G)
Ferguson, W. S., the priests of Asklepios. A new metkod of dating Atkcnian
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Gkione, note sul regno di Lisimaco. Atti Real. Accad. Torino 39, 619 — 628.
Graef, Botko, Antiockos Soter. Jakrb. Arck. Inst. 1902, S. 72—80.
Graindor, P., Dekret d'Ios. BCH. 27, 394—400. 1903, fouilles de Karthaia
ib. 30, 92-102. 1906.
Hiller v. Gaertringen, Fr., der Verein der Bacchisten und die Ptolemaeer-
kerrsckaft auf Tkera. Festschrift für O. Hirschfeld. S. 87—99. 1904.
Holleaux, Maur. remarques sur le papyrus de Gourob. (Flinders Petrie Pap.
II, 15 III, 144). Bull. Corr. Hell. 30, 330-348. 1906.
— , lltoAeuatoc Auoififltyoy. Ib. 28, 408 — 419.
— , Decret de Siphnos. Ib. 29, 319—828.
— , sur un passage de la vie d'Aratos Herrn. 1906, 475—78.
— , la preraiere expedition d'Antiochos-le-Grand cn Koilesyrie Me*l. Nicole.
Keil, Br., Krfpou retov. Rev. de Phil. 1902, 257-262.
Kolbe, Walter, die attiscken Arckonten von 293/2—271/0. Mitt. Arck. Inst.
Atken. 30, 73—112.
Kromayer, Jok., Antike Scklacktfelder in Grieckenland I. Berlin 1903.
Lammert, Edm., zu den grieckiscken Scklacktfelderstudien. Neue Jakrh. f.
d. klass. Alt. 1904, 112 ff., 195 ff., 252 ff.
Lekmann, C. F., zur Ckronologie des ckremonideiscken Krieges. Klio. III,
170-71.
— , nockmal8 die Ckronol. des ckrem. Krieges. Ib. IV, 121.
— , der erste syriscke Krieg und die Weltlage um 275. Klio. III, 491 — 547.
— , Seleukos, König der Makedonen. Klio. V, 244—254. 1905.
— , zur attiscken Politik vor dem ckremonideiscken Kriege. Ebd. 275 — 291.
Levi, L., la battaglie di Cos e di Andros Atti Real. Acc. Torino 39, 629—635.
Makaffy, .T. P.t tke progress of Hellenism in Alexanders empire. Ckicago
and London 1905.
— and J. G. Smyly, on tke Flinders Petrie papyri witk transcriptions,
commentaries and index. Royal Irisk Acad. Cunningkam Memoirs XI.
Dublin 1905.
Reinack, Tk., l'attaque de Delpkes par les Gaulois. Comptes rendus de
PAcad. des inscr. 1904, 158—172.
Roloff, G., Prokieme der antiken Kriegsgesckickte. Berlin 1904.
Smyly, J. G., on tke relation of tke Macedon to tke Egyptian calendar
Hermatkena 31, 393—98. 1905.
— , tke revenue years of Pkiladelpkus, Euergetes and Pkilopator. Ib. 32,
106—116. 1906.
Sokolow, Theod., zur Gesckickte des III. vorckristlicken Jakrkunderts. 1.
Alexander, Krateros Sokn. Klio. III, 119 — 130.
— , der Antiockos der Insckriften von Ilion. Klio. IV, 101 — HO.
— , das jakrlicke Nemeenfest. Klio. V, 219 — 228.
Soteriades, Georgios, Ävaexa<pai cv Blpjuup 'E^f*. dpyaw).. 1905. S. 55—100.
Sundwall, J., Epigraphische Beiträge zur sozial-polit. Geschickte Atkens im
Zeitalter des Demostkenes. Leipzig 1906.
Varese, P., II calendario Romano all' eta della prima guerra Punica. Studi
di Stor. Ant. Vol. IV. Roma 1906.
Wilcken, Ulr., die angeblicke Abdankung Euergetes I. Klio. IV, 386. 1904.
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Thomas LenM-hau.
Das dritte vorchristliche Jahrhundert ist in seinem größten Teile
eine der dunkelsten Perioden der griechischen Geschichte , was mit
dem nahezu vollständigen Aufhören der literarischen Quellen zusammen-
hängt. Von dem geradezu jammervollen Zustand unserer Überlieferung
gibt Beloch einen bei aller Knappheit vollständigen und zuverlässigen
Überblick (III, 2, S. 6 ff.). Erst die Verhältnisse des Mutterlandes
in den Jahren von 230 — 220 stehen wieder mit hinlänglicher Deutlich-
keit vor uns, dank der Darstellung Plutarchs in den Lebens-
beschreibungen von Arat, Agis und Kleomenes, über die noch immer
Klatts Forschungen (1878) das Beste bieten; auch Beloch greift
stete wieder auf ihn zurück. Mit dem Jahre 220, also erst ganz
am Ende des Zeitraumes, setzt dann Polybios ein, zweifellos trotz
aller Angriffe , die besonders seine Schlachtberichte in den letzten
Jahren erfahren haben, eine Quelle ersten Ranges, Über ihn haben
wir die eingehende Monographie von C u n t z erhalten, die allerdings
hauptsächlich den geographischen Problemen nachgeht, aber auch für
die Anlage und Entstehungszeit des Gesamtwerkes eine Reihe weit-
voller Bemerkungen enthält.
Je spärlicher die literarische Überlieferung ist, um so wichtiger
sind für uns die Inschriften, die infolge der systematisch ge-
leiteten Ausgrabungen in immer wachsender Anzahl zutage treten.
Vor allem fördern die Franzosen in Delos und Delphi ein gewaltig
anschwellendes Material zutage, das leider noch immer der Ver-
arbeitung harrt; nur für Delos halten Dürrbach und Jarde in ihren
fortlaufenden Veröffentlichungen im BCII. das Publikum anf dem
Laufenden, wodurch das Fehlen des betreffenden Bandes im Insel-
Korpus (IG. XII), dessen Bearbeitung die Franzosen übernommen
haben, immerhin einigermaßen ersetzt wird. Schlimmer steht es mit
den delphischen Inschriften IG. VIII, deren Bearbeitung ebenfalls
den Franzosen überlassen worden ist. Auch hier ruht die Aufgabe
allein auf den Schultern Homolies und Kontoleons, und es wäre sehr
zu wünschen, daß die französische Regierung bald genügend Arbeits-
kräfte mobil macht, um die Herausgabe des inschriftlichen Materials
zu beschleunigen. Welche Gefahren der gegenwärtige Zustand in
sich birgt, darauf hat Pomtow mit seinem im Eingang des vorigen
Kapitels erwähnten Bericht hingedeutet. Um so erfreulicher ist die
Schnelligkeit, mit der im letzten Jahre die Inschriften von Priene
erschienen sind; weitere kleine Funde, wie die Entdecknngen , die
Soteriades bei seiner Durchforschung des alten Thermon gemacht hat,
werden weiter unten zur Sprache kommen. Doch sei auch hier auf
Dittenbergers Orientis graeci inscriptiones hingewiesen, die das gesamte
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1
Jahresbericht über griechische Geschichte (1903-1906). 161
bis 1904 vorhandene Material historisch interessanter Inschriften in
bequemer Übersicht darbieten. Nicht so günstig sind wir für die
Münzen gestellt, da das Corpus numoram noch in den Anfängen
steckt; die bisher erschienenen Bände (die makedonischen Münzen
von Gaebler (1906) und die Münzen Moesiens und Dakiens v. Pick
(1899) bieten für die Geschichte des gegenwärtig in Rede stehenden
Zeitraumes nicht viel. Dagegen haben die Münzen der Ptolemaier
in Svoronos einen Bearbeiter gefunden, dessen Ergebnisse auch
der sachkundigen Beurteilung Kurt Keglings (Ztschr. für Numism.
25, 344—399) für die Zeit von 305—204 und für den Ausgang der
Dynastie 80 — 30 (Ptolemaios XIII und Kleopatra) als durchaus ge-
sichert gelten können. Einigermaßen trifft das auch auf die Zeit
von 204 — 180, weniger für die ersten Jahre 323 — 305 zu, während
für das Jahrhundert von 180 — 80 die endgültige Zuteilung noch nicht
gelungen ist. — Mit den Münzen der Seleukiden befaßt sich der
Aufsatz Macdonalds, der 34 Nummern der Münzstätte Alexandreia
Troas zusammenbringt, die alle zwischen 280—229 fallen und deren
Hauptmasse er Antiochos Hierax zuweist. Einen Überblick über das
Gesamtmaterial der hellenistischen Herrscherporträts gibt Wace.
Von den Seleukiden belegt er die ganze Reihe bis Antiochos VIII.
Grypos, von den Lagiden Ptolemaios I. und Berenike, Philadelphos,
Euergetes und Berenike d. J.. Philopator und Arsinoe, Ptolemaios V.,
Kleopatra I. und VI., dazu drei Attaliden (Philetairos , Attalos und
Apollonis), endlich Demetrios und Perseus aus dem Geschlecht des Anti-
gonos. Eine Porträtbüste Antiochos' I. (Soter) erkennt G rae f in dem vati-
kanischen Kopf bei Arndt- Bruckmann 105, 106 (Heibig, Führer 219).
Neben die Inschriften und Münzen treten als zeitgenössische
Quelle ersten Ranges die Papyrus Urkunden, von denen mehrere
Sammlungen neu erschienen sind. Allerdings sind die meisten nicht
direkt geschichtlicher Natur, sofern man besonders die politische
Geschichte im Auge hat; vielmehr beziehen sie sich in erster Linie
auf die Verwaltung des Pharaonenreiches. Immerhin finden sich
darunter auch so wichtige Stücke, wie der schon vor mehreren Jahren
in Gurob entdeckte Papyros mit dem militärischen Bericht über Vor-
gänge aus dem Beginn des dritten syrischen Krieges; andere, wie
besonders die von Jouguet und Lefebvre herausgegebenen Papyri
von Magdola sind durch genaue Datierungen wesentlich, die eine
schärfere chronologische Festlegung ermöglichen. Zu nennen sind
hier die Oxyrhynchos und Tebtunis Papyri, beide herausgegeben von
Grenfell und Hunt, die neben einem umfangreichen Urkundenmaterial
aus späterer Zeit (120—90 v. Chr.) auch einzelne frühere Stücke
Jahresbericht für AlWrtumswisaeDschaft. Bd. C.YXXV. 11
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Thomas Lenschau.
wie die Briefe Aber Steuereintreibung in Lesbos, Karien und Lykien
enthalten (Ende des 8. Jahrh.). Ferner die ebenfalls von Grenfeü
und Hunt herausgegebene Hibeh-Papyri , die fast nur Material aus
den Jahren 300—220 liefern, während die von Reinach, Spiegelberg
und Ricci edierten Urkunden in ihrem zweiten Teil sich wieder auf
die spätere Ptolemaierzeit (148 — 103) beziehen. Auch die Nen-
herausgabe der Flinders-Petrie Papyri mit dem Kommentar von
Mahaffy und Smyly wäre hier zu erwähnen ; über das gesamte täglich
anwachsende Material orientiert am besten Wilckens, Archiv für Papyrus-
forschung (bisher Bd. I— III 1901—1906). Die letzte eingehende
Bearbeitung gibt August Bouchö-Leclercq im dritten Band seiner
Geschichte der Lagiden.
Damit sind wir bei den neuen Bearbeitungen der Geschichte
des Hellenismus angelangt, unter denen Belochs Werk unstreitig den
ersten Rang einnimmt. Es umfaßt den Zeitraum von 830 — 217, der
zweite Band enthält eine große Anzahl von Einzelabhandlungen , die
dazu bestimmt sind , die Ansätze und Ergebnisse des Hauptwerkes
näher zu begründen und auszuführen. Das Werk ist dazu geschaffen,
auf lange Zeit die Grundlage unserer Kenntnis der hellenistischen
Zeit zu bilden ; immer wieder wird sich die Forschung an ihm orien-
tieren müssen, und man kann nur bedauern, daß der Verfasser sich
veranlaßt gesehen hat, schon mit dem Jahre 217 abzuschließen.
Innerhalb des von ihm behandelten Zeitraumes aber gibt es kein
Problem, zu dem er nicht Stellung genommen hat, und das ist um
so bewunderungswürdiger, als er sich keineswegs auf die politische
Geschichte beschränkt, sondern die gesamte wirtschaftliche und geistige
Entwicklung des Zeitraumes bebandelt. Sehr passend sind diese
inhaltreichen Übersichten gerade an der Stelle in die Darstellung
eingelegt, wo mit dem Jahre 280 ein bedeutsamer Abschnitt in der
Entwicklung des Hellenismus erreicht ist. Nicht überall standen dem
Verf. so gute Vorarbeiten wie Wilckens Ostraka und Meyers Heerwesen
für den Staat der Ptolemaeer, oder Breccias Diritto dinastico für
das Staatsrecht oder Vareses Arbeit für die Chronologie des ersten
punischen Krieges zu Gebote: daß er trotzdem ein lebensvolles Bild
der hellenistischen Kultur geschaffen hat, verdankt er einer Dax-
stellungskunst, die weit über das hinausgeht, was in historischen
Werken üblich ist. Auch in dieser Hinsicht bietet sein Werk ein
Gegenstück zu Mommsens römischer Geschichte, obwohl seine Grund-
auffassung sich fast nirgends mit der des großen römischen Historikers
deckt. Hierüber wie über alle Einzelfragen wird im Verlauf der
Darstellung zu sprechen sein.
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Jahresbericht über griechische Geschichte (1903—1906).
Allein die letzten Jahre haben auch eine Reihe wertvoller Einzel-
darstellungen gebracht, die insofern als Ergänzungen zu Belochs
großem Werke gelten können; unter ihnen sind in erster Linie Bevans
House ofSeleukos und Auguste Bouchö-Leclerqs Geschichte der
Lagiden zu nennen. Beide gehen auch auf die wirtschaftlichen und
Verwaltungsfragen ein, wobei indessen Bevan im Nachteil ist, da er
die wichtigen Untersuchungen Haussouilliers (Milet, chap. VI) nicht
mehr benutzen konnte, während Bouchös dritter Band, von dem erst
die Hälfte erschienen ist, eine vollständige Durcharbeitung des ge-
samten Materials zu werden verspricht. Was diese beiden Forscher
für die beiden Großreiche geleistet haben, leistet Cardinali für das
pergamenische Reich in einer äußerst sorgfältigen und erschöpfenden
Weise , so daß also nur das makedonische Reich einer eingehenden
Behandlung entbehrt, die auch Beloch als eine Notwendigkeit be-
zeichnet hat. Wie viel idie drei genannten Werke zur Erweiterung
unserer Kenntnisse beigetragen haben, vor allem Bouchö und Cardinali,
wird sich im Verlauf des Berichtes noch zeigen ; hier möge noch auf
das kleine Werk Mahaffys hingewiesen werden, das aus einer Reihe
von Vorträgen erwachsen ist und den Fortschritt des Hellenismus
im Alexanderreich behandelt. Den Glanzpunkt bildet die Darstellung
des Ptolcmaierreiches, zu dessen besten Kennern der Vf. zu zählen
ist. Allein auch da, wo die Kürze der Darstellung, die nur die
Hauptgesichtspunkte angibt, ihn zu phantastischen Konstruktionen
verführt, wie im letzten Kapitel, bleibt der Verf. iuteressant und
originell, obwohl er an mehr als einer Stelle zum Widerspruch heraus-
fordert.
Für die chronologischen Fragen, die bei dem fast voll-
ständigen Fehlen der Überlieferung für diese Zeit des Hellenismus im
Vordergrund stehen und daher hier im Anfang besonders abgehandelt
werden sollen, haben Belochs umfassende Untersuchungen zum ersten
Male einen Grund gelegt, auf dem sich ein einigermaßen solider Bau
errichten laßt. Er beginnt mit einer kurzen Auseinandersetzung
über Kalender und Acren, insbesondere über die Beziehungen
zwischen dem makedonischen und ägyptischen Kalender, die in allem
wesentlichen von Smyly bestätigt wird. Zunächst lief in Ägypten
der makedonische Kalender neben dem ägyptischen her , wie die
Doppeldatierungen ergeben . deren letztes sicheres Beispiel aus dem
9. Jahr des Epiphanes 197/6 (Stein v. Rosette) stammt. Dann ist
eine Gleichsetzung eingetreten, die zuerst im 18. Jahr des Epiphanes
188/7 erscheint und zwar auf einer Inschrift JG. XII, 3, 327. die
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Thomas Lenschau.
zwar von den Herausgebern dem Euergetes, von 'Beloch und Smyly
aber mit Recht Epiphanes zugewiesen wird. Danach glich man den
makedonischen Monat Dystros mit dem ägyptischen Thot. Später
beginnen die beiden Kalender wieder auseinanderzugehen und zwar
vom 8. Jahr Philometors ab (174/3), bis dann endlich die zuerst
im 85. Jahr Euergetes II. erscheinende endgültige Gleichsetzung
1 Dios = 1 Thot erfolgt ist (117/6). Übrigens gab es neben der
Zählung nach Regierungsjahren auch die nach Steuerjahren, die öfters
in den Papyrusurkunden vorkommt. Dies Steuerjahr begann, wie S.
in einem zweiten Aufsatz zu erweisen sucht, im Mecheir, und danach
muß es als wahrscheinlich gelten, daß Euergetes I. Tod zwischen
Mecheir und Thot fällt. Das stimmt nicht zu Belochs Ansatz , der
den Tod bis zum Ende des Kalenderjahres 221 hinausschieben will:
man wird ihn also kurz vor dem 1. Thot 221 ansetzen müssen, d. h.
Oktober, was sowohl zum Kanon wie zu den Ereignissen stimmt.
Hierauf geht Beloch zur Prüfung der Königslisten über,
unter denen besonders die ptolemäische und die seleukidische ge-
sicherte Ergebnisse liefern , sofern hier eine häufige Kontrolle nach
ägyptischen Papyrusurkunden und babylonischen Kontrakttäfelchen
möglich ist. Beide koinzidieren in zwei Punkten: 247/6 Tod des
Philadelphos und des Antiochos Theos, und 146/5 Tod Philometors
und Alexanders I. Bala, was durch die Quellen durchaus bestätigt
wird. Auch die makedonische Königsliste kann im allgemeinen als
von Beloch festgelegt gelten ; sie beruht auf dem Ansatz der Schlacht
von Kurupcdion auf 281. Allerdings rückt dadurch Keraunos' Tod
in 279, was streng genommen nicht zu Pol. II, 41, 1 stimmt, der
ihn in die 124. Olympiade, d. h. vor Mitte 280, setzt; doch läßt
der Ausdruck des Polybios xaipol Zk xaö' oOc eine gewisse Latitüde
der Auslegung zu. Weiter hat Beloch auch die achäische Strategen-
liste sichergestellt, indem er durchweg Klatts Ansätze gegen Niese
verteidigt (III, 2, 168 ff.), der vor allem darin irrt, daß er Sella>ia
ins Jahr 222 setzt. Sicher ist nämlich, daß das Jahr der Schlacht
ein Nemeenjahr ist , und daß die Nemeen in den ungeraden Jahren
gefeiert wurden ; da nun von 223 nicht die Rede sein kann, so bleibt
nur 221 für die Schlacht übrig. Diesem Schluß sucht Niese dadurch
zu entgehen, daß er annimmt, die Nemeenfeier 223 sei auf das Folge-
jahr verschoben. Aber mit Recht führt Sokolow dagegen aus, daß
eine derartige ungewöhnliche Maßregel in unseru Quellen erwähnt
sein müßte, zumal sie die viel geringere Verschiebung von 195 ge-
treulich registrieren. Trotzdem erklärt sich S. für Nieses Ansatz,
da seiner Ansicht nach 221 Mitte Euergetes schon tot war, der doch
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Jahresbericht über griechische Geschichte (1903— 1906).
165
nach PolybioB Zeugnis die Schlacht noch mehrere Monate überlebte,
und dem Einwurf, daß 222 kein Nemeenjahr war, begegnet er durch
die Annahme, daß die Nemecn jedes Jahr gefeiert wurden. Daß das mit
der Überlieferung streitet, liegt auf der Hand, und tatsächlich betont
auch S. den trieterischen Charakter des Festes. Aber die Annahme
ist auch völlig unnötig, da Euergetes nach dem Zeugnis der Papyri von
Magdola am Ende seines 26. Regierungsjahres, d. h. vor Mitte Okt.
221, starb; es würden auch bei Ansetzung der Schlacht auf 221 noch
genügend Raum für die Ereignisse bis zum Tode des Königs bleiben.
Anders faßt Holleaux das Problem an, indem er gegen Beloch
zeigt, daß zur Zeit der ersten Expedition des Antiochos gegen Koile-
syrien, die gewöhnlich ins Jahr 221 gesetzt wird, bereits Philopator
regierte und nicht mehr Euergetes. Der Beweis ist völlig gelungen,
indessen ergibt sich m. E. nur daraus , daß die Expedition gegen
Koilesyrien ein Jahr später anzusetzen ist.
Weniger gesichert scheinen mir Belochs Ergebnisse , soweit sie
die spartanische Königsreihe betreffen. Bekanntlich liegt die
Eurypontidenliste bei Diodor in einer doppelten Fassung vor, von
denen die eine bei feststehender Regierungszeit der einzelnen Herrscher
Archidamos III. Tod mit der Vernichtung der Phokier gleichsetzt,
wobei dann auf seinen Sohn Agis 15 Jahre entfallen, während die
zweite auf dem Synchronismus Archidamos Tod — Schlacht von
Chaironeia beruht. Nach den Ausführungen Ed. Meyers (Forsch, z.
Gr. Gesch. II, 502 ff.), der zugleich die Entstehung des Irrtums
aufdeckt , bringt die erste Ansetzung den Tod des Königs zu früh
und hat dadurch bewirkt, daß die Eurypontidenreihe durchweg um
8 Uhr Jahre hinaufgerückt ist ; korrigiert man den Fehler, so fallen
-die sämtlichen, auch von Beloch anerkannten Schwierigkeiten im
5. Jahrh. fort. Allerdings muß man dann annehmen, daß Diod. XIV,
88 einer andern Quelle folgt als sonst, was m. E. keine Schwierig-
keiten macht, da man in chronologischen Dingen sicher nicht mit der
Einquellentheorie bei Diodor auskommt. Anders Beloch, der in dem
Bericht über Archidamos Tod 346/5 bei Diod. XVI, 63 nur eine
begreifliche Vorausnahme sieht und die dort für Agis gegebene
Regierungszahl IE als aus E für 6 verschrieben ansieht, wodurch
Einklang zwischen beiden Fassungen erzielt wird. Da aber dann
doch die Schwierigkeiten im 5. Jahrhundert bestehen bleiben, so
möchte ich der Meyerschen Theorie, die auch diese löst, den Vorzug
geben.
Wir kommen zu den Listen dereponymenJahresbcamten,
unter denen natürlich die attische Archontenliste das meiste Interesse
166
Thomas Lenschau.
beansprucht. Für sie kommen zunächst zwei Hilfsmittel in Frage:
das eine ist die von Ferguson entdeckte regelmäßige Abfolge der
Phylen, die den Ratsschreiber stellten, das andere der 19jährige
metonische Schaltzyklus, deseen Beobachtung für diese Zeit nicht
mehr zweifelhaft ist und der eine bestimmte Abfolge von Schalt- und
Gemeinjahren verlangt. Leider aber sind beide Mittel nicht durchaus
zuverlässig. Fergusons Ansätze sind mittlerweile bereits in einigen
Punkten widerlegt worden und das ist ganz klar, wenn überhaupt
auch nur einmal eine Unregelmäßigkeit in der Phylenfolge nach-
gewiesen ist, so haben wir nicht die geringste Garantie, daß sie nicht
Öfter vorgekommen ist, ja bei dem politisch starkbewegten Charakter
der Zeit ist eine öftere Abweichung sogar ziemlich wahrscheinlich.
Das zweite Kriterium wäre der Schaltzyklus, der besonders von
Bei och verwertet wird (III, 2, 50 ff.); allein abgesehen davon, daß
seine Gestalt keineswegs über jeden Zweifel erhaben ist, so zeigt
doch die von B. aufgestellte Tafel (S. 53) so viel Abweichungen,
daß auch diesem Kriterium nur ein relativer Wert beizumessen ist
und es wenig geeignet erscheint, „der subjektiven Willkür Schranken
zu setzen" (Beloch S. 54). Vielmehr bemerkt Kolbe ganz richtig,
daß bei der Unregelmäßigkeit in der Abfolge von Schalt- und Gemein-
jahr eigentlich nur eins verbindlich bleibt, das Vorhandensein von
sieben Schaltjahren in einem Zyklus, und auch darin hat er recht, daß
für die Aufstellung der Archontenliste in erster Linie nur historische
Kriterien in Betracht kommen. Übrigens hat auch Beloch den lediglich
subsidiären Wert sowohl des Fergusonschen Gesetzes als auch des
Schaltzyklus anerkannt.
Der erste schwierige Punkt, bei dessen Festlegung Beloch sofort
von Ferguson und Kolbe differiert, ist die Bestimmung des Philippos-
jahres. Dionys gibt in der bekannten Stelle der Schrift irepl Aeivdpyo»
c. 4 ein Archontenverzeichnis von Nikophcmos 361/0 bis Philippos,
das 70 Namen zählen soll, aber nur 68 wirklich enthält; der eine
fehlende ist Hegesias 324/3, der andere hatte seine Stelle zwischen
den drei letzten Namen der Reihe, wie Beloch S. 38 richtig ausgeführt
hat. Allein es wäre ja möglich, daß Dionys, eben mit Ausnahme des
Hegesias. der doch auch später ausgefallen sein kann, die Namen
zwar richtig gab, aber beim Zusammenzählen sich versah und einen
zu viel herausrechnete. Dann würde Philippos in das Jahr 293 '2
fallen, und diesen Ansatz, den bereits Ferguson verteidigte, hat
kürzlich wieder Kolbe sich zu eigen gemacht. Aber dem entgegen
steht die früher ungerecht verdächtigte Menandrosinschrift JG. XIV,
1184 — CIG IV, 6084, in der die Geburt des Menandros unter
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Jahresbericht über griechische Geschichte (1903—1906). 107
Sosigenes (342/1), sein Lebensalter auf 52 Jahre, sein Tod unter
Philippos gesetzt wird, der sonach das Jahr 291/0 fallen müßte. Nun
wird aber in der Inschrift das Todesjahr dem 32. Jahr des Ptolemaios
Lagu gleichgesetzt, und dies benutzt Kolbe, um die Glaubwürdigkeit
der Inschrift zu erschüttern. Da der ägyptische Königskanon das erste
Jahr des Ptolemaios mit dem 1. Thot 305 beginnen läßt, so müssen
hier die Satrapenjahre mitgerechnet sein, d. h. seine Regierung setzte
unmittelbar nach Alexanders Tod ein, und sein erstes Jahr begann dem-
nach mit der bekannten ägyptischen Vordatierung, die dem Monarchen
das Sterbejahr seines Vorgängers zurechnet, am 1. Thot (7. Nov.)
324. Sein 32. also fing mit dem 1. Thot 293 an, und folglich fällt
das Archontat des Philippos 293/2. Freilich muß dann eine der beiden
andern Angaben der Inschrift falsch sein : entweder das Lebensalter ist
richtig, dann fiel Menandros Geburt unter Lykiskos (345/4) oder er
ist nicht im 52. , sondern im 50. Lebensjahr gestorben. — Gegen
diese Beweisführung aber läßt sich mit B. geltend machen, daß wir
ja gar nicht wissen, ob die Inschrift wirklich nach dem Königskanon
rechnet. Vielleicht zählte sie die Jahre des Ptolemaios von der
wirklichen Besitzergreifung, die erst 322 nach dem Tode des
Kleomenes eintrat; dann ist das Jahr des Philippos 291/0, und alle
Angaben der Inschrift befinden sich vollkommen in Einklang. Damit
soll keineswegs gesagt sein, daß das Jahr des Sosigenes 342/1 wirklich
Menandros Geburtsjahr war. Es kann sehr wohl aus dem einzigen
urkundlichen Zeugnis errechnet sein, das man über sein Leben hatte^
aus dem Ephebenkatalog, der seine Ephebie aufs Jahr des Philokles
322/1 fixierte, und dann hat es keine Gewähr, da wir nicht wissen,
ob damals die Eintragung in die Ephebenliste tatsächlich im 20. Jahre
stattfand (Kolbe S. 82). — Fassen wir also zusammen : auf der einen
Seite steht die in ihren Angaben als völlig übereinstimmend erwiesene
Menandrosinschrift, nach der Philippos im Jahre 291/0 Archon war;
auf der andern .das Zeugnis des Dionys, das zwar Philippos auf 298/2
fixiert, aber eingestandenermaßen mindestens einen Fehler enthält.
Die Entscheidung muß unter diesen Umständen doch wohl zu Belochs
Gunsten und für das Jahr 291/0 fallen. Die beiden Vorgänger des
Philippos wären dann Lysias und Kimon (Beloch p. 34); indessen
ist dies nach den Ausführungen Kolbes einigermaßen zweifelhaft ge-
worden, der das Dekret für Aristophanes CIA. IV, 2, 614 b in die
Zeit Demetrios II. setzen will und dann einen Kimon II. anzunehmen
genötigt ist.
Weiter handelt es sich sodann um die zusammenhängende Gruppe
Diokles, Diotimos, Isaios, Euthios, die von Beloch in die Jahre
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Thomas Lenschau.
288/7 — 285/4, von Kolbe ein Jahr später angesetzt wird. Beide
stimmen darin überein, daß sie unmittelbar nach dem Abfall Athens
von Demetrios fallen und mehr wird sich auch vorderhand nicht sagen
lassen. Denn die Schlüsse , die K. aus dem makedonischen Königs-
kanon gegen Beloch gezogen hat , wonach der Sturz des Demetrios
erst 287 erfolgt sei und somit Diokles frühestens 287/6 amtiert haben
könne, sind keineswegs zwingend ; es ist sehr wohl möglich, daß der
Kanon als das Ende von Demetrios Herrschaft seinen wirklichen
Verzicht im Jahre 287 annahm, während er tatsächlich schon 288'
aus Makedonien vertrieben ward. Auch das wird man Beloch zugeben
müssen, daß Athen bereits abgefallen sein wird, als Demetrios noch in
Makedonien sich befand, und daß man nicht bis zt^ seiner Vertreibung
nach Boiotien wartete, wo er nur wenig Tagemärsche von der Stadt
entfernt war. Der nächste feste Punkt ist das Jahr des Gorgias, von
Kolbe richtig auf 280/79 fixiert. Belochs Konjektur oder vielmehr
abweichende Lesung bei Plut. vit. X or. 847 d, die ihn auf 284/3 fest-
legt, ist zwar möglich, aber nicht notwendig; auch Anaxikrates und
Demokies sind durch Pausanias Olympiadenangaben an 279/8 und
278/7 gebunden. Polyeuktos ist durch Dittenberger auf 275/4 fixiert,
ihm folgt Hieron, während Pytharatos nach Apollodor ins Jahr 271 0
fällt. Für Eubulos sind die Jahre 276/5 und 272/1 möglich, doch
spricht die Wahrscheinlichkeit für das frühere Datum. Damit aber ist
auch alles einigermaßen sichere erschöpft ; die Verteilung der übrigen
uns überlieferten Namen muß aus mehr oder minder guten Wahrscheinlich-
keitsgründen vorgenommen werden, und so ist es kein Wunder, wenn
Beloch und Kolbe hier stark differieren.
Unter diesen Umständen erscheint eine Entdeckung von höchster
Wichtigkeit, die vor kurzem Sund wall und Ferguson unabhängig
voneinander gemacht haben : die Entdeckung nämlich , daß ebenso
wie die Ratsschreiber auch die Asklepiospriester nach der offiziellen
Phylenfolge jährlich wechselten. Ferguson geht von der Inschrift
IG. II, 886 aus, in der die Namen von 14 Asklepiospriestern stehen,
die in der offiziellen Phylenordnung aufeinander folgen, allerdings
mit einer Ausnahme, indem der vierte und fünfte derselben Phyle
angehören. Aber gerade diese Ausnahme macht eine genauere Be-
stimmung möglich; denn da für die Abfolge der Priester nur die
Jahre 265/4—253/2 oder 253/2—241/0 in Frage kommen können
(Ferg. p. 139), so muß die Entscheidung für den ersten Zeitraum
fallen, da alsdann die beiden Priester derselben Phyle, von denen
der zweite offenbar suffectus war, in das Jahr 262/1 gehören, d. h.
nach Ferguson das Jahr, in dem der chremonideische Krieg beendet
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Jahresbericht über griechische Geschichte (1903-1906). 169
wurde und Athen wieder in die Gewalt des Antigonos geriet. Als-
dann erklärt sich die Nachwahl sehr leicht, indem Antigonos damals,
wie wir wissen, Sorge trug, alle wichtigen Ämter neu zu besetzen,
und zwar selbstverständlich mit makedonischen Parteigängern. Aber
war wirklich 262/1 das Ende des chremonideischen Krieges? Die
Hauptstelle darüber enthalten die Fragmente Philodems irspi t&v
aTQHX&v (Vol. Herc. VIII) col. III, wonach Athen In ÄvxtraTpoo xoö
eV &ppevei8oo übergeben ward, und col. IV, wonach von Klearchos
301/0 bis auf Zenons Tod im Jahre des Arrheneides 39 Jahre und
drei Monate verflossen waren. Danach hat Beloch Arrheneides auf
262/1 fixiert, und leugnen läßt sich nicht, daß das die natürlichste
Auffassung ist, während Ferguson exklusive Rechnung annimmt, d. h.
vom Ende des Klearchosjahres , und so auf 261/0 für Arrheneides
kommt (p. 153). Die Möglichkeit, daß die Zählung so zu fassen ist,
kann nicht bestritten werden, und die übrigen Ausführungen Fergusons
sind geeignet, seine Gesamtansicht zu stutzen. Ich lasse daher die
Archonten von 294/3—261/0 in der neuen von ihm festgesetzten, von
Kirchner gebilligten Anordnung folgen, ohne auf das sehr interessante
Detail seiner Untersuchung, die die ganze Reihe bis 40/39 umfaßt,
hier genauer eingehen zu können.
294/3
Olympiodoros
277/6
— laios ?
293/2
Charinos
276/5
Eubulos
292/1
Philippos
275/4
Polyeuktos
291/0
Kimon I.
274/3
Hieron
290/89
Diokles
273/2
289/8
Diotimos
272/1
288/7
Isaios
271/0
Pytharatos
287/6
Euthios
270/69
286/5
Xenophon
269/8
285/4
Urios
268/7
Philokrates
284/3
Telokles ?
267/6
283/2
Menekles
266^5
Peithidernos
282/1
Nikias v. Otryne
265/4
281/0
Aristonymos
264/3
Diognetos
280/79
Gorgias
263 2
279'8
Anaxikrates
262/1
Antipatros
278/7
Demokies
261/0
Arrheneides.
Sundwall, der die Entdeckung ebenfalls gemacht hat, gelangt zu
wesentlich andern Ergebnissen, da er den Namen in IG. II, 836
eine wesentlich andere Datierung gibt, die aber von Ferguson zu-
gunsten seiner eigenen Ansicht m. E. mit Erfolg bekämpft wird
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170
Thomas Lenschau.
(S. 168 ff.)- Daß wenigstens die Bestimmung von Menandros' Todes-
jahr in der Inschrift dnreh das entsprechende Jahr Ptolemaios' I. auch
unter den Voraussetzungen Fergusons möglich bleibt, will ich nur
beiläufig erwähnen.
Auch die delphische Archontenliste, die im wesentlichen
auf Pomtows Aufstellungen beruht, hat Beloch einer Rekonstruktion
unterworfen, obwohl der Gewinn für die allgemeine Chronologie nicht
sehr groß ist. Dabei geht er von der wechselnden Zahl der delphischen
Hieromnamonen aus, und indem er auf der Annahme fußt, daß der
ätolische Bund sich nach und nach ohne erhebliche Rückschläge zu
der Machthöhe emporgearbeitet hat , die er am Ende des 3. Jahrh.
einnahm, ergibt sich ihm als leitender Satz, daß mit gewissen Ein-
schränkungen natürlich die einzelnen Dekrete um so früher anzusetzen
sind , je geringer in ihnen die Zahl der ätolischen Hieramnamonen
erscheint. Daher hat er die Archonten von Archiadas bis Peithagoras
(Pomtows Gruppe C), unter denen die Ätoler 5 — 7 Vertreter haben,
auf die Jahre 272 — 263 verteilt und ihnen sofort die Archonten der
Soterienkataloge (Gruppe B) folgen lassen. Dagegen hatte Pomtow —
allerdings ohne Grund , wie man Beloch S. 836 f. zugeben muß —
einen nahen zeitlichen Zusammenhang zwischen Peithagoras und
Herys (ca. 230) angenommen und somit die erstgenannte Gruppe in
die dreißiger Jahre des Jahrhunderts hinabgerückt. Den Rückgaug
der Stimmen, die unter Traochos (Mitte 3. Jahrh.) noch 9 betragen
hatten, erklärte er durch eine furchtbare Niederlage der Ätoler im
Kriege gegen Demetrius II., die ihnen die Hälfte des Besitzstandes
gekostet habe, was nach B. ganz unwahrscheinlich ist. Mittlerweile
hat sich ßourguet in der Ansetzung des Archiadas auf 273/2 an
B. angeschlossen; Herakleidas amtierte nach ihm 287, da unter ihm
drei Boioticr erscheinen, was nur mit der Rückgabe der Freiheit an
das Land durch König Demetrios I. in diesem Jahre zusammenhängen
kann. Dann fiele Athambos wahrscheinlich zwischen 299 — 290, und für
die Zeit von 240 — 230 wäre ein Athambos II. anzunehmen (S. 46 ff.).
Wesentlich gesichertere Resultate haben Belochs Untersuchungen
zur Chronologie des ersten punischen Krieges ergeben, obwohl sie
auf den ersten Blick geradezu revolutionär erscheinen (III, 2, 203
bis 235). Im Anschluß an Varese führt Beloch aus, daß der römische
Kalender seit seiner Feststellung durch den Aedilen Cn. Flavius im
Jahre 804 infolge falscher Berechnung des vierjährigen Schaltzyklus,
der um vier Tage zu groß war. jährlich um einen Tag zurück blieb.
Demnach begann das römische Konsulat, dessen Anfangstermin offiziell
auf den 1. Mai fiel, tatsächlich zur Zeit des ersten punischen Krieges
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Jahresbericht Uber griechische Geschichte (1903 — 1906).
171
erst am Mittsommer, and von diesem Gesichtspunkt aus ergibt sich
dann eine ganz abweichende Chronologie des großen Kampfes am
Sizilien. Sein Beginn fällt ins Jahr 263, bald nach der Schlacht am
Longanos, die Beloch auf 265 ansetzt, indem er die Angabe des
Polybios über Hieron irsvrqxovta xal xiaaapa ivr\ ßaaiXeuaac auf die
Gesamtregierang , nicht nur auf die Zeit , wo er König war, bezieht.
Weiter rückt das überlieferte Datum der Schlacht an den ägatischen
Inseln, a. d. Yl. Id. Mart. , in den Mai desselben Jahres (10. Mai
241), was sicher richtiger ist, da eine so große Seeschlacht unmöglich
Anfang März geschlagen sein kann. In ähnlicher Weise behandelt
B. die gesamte Chronologie des ersten punischen Krieges und erhält
auf diese Weise eine bedeutend bessere Verknüpfung der Ereignisse,
als sie die ältere Methode geben kann , die an dem offiziellen Kon-
sulatsanfang festhält, sich damit aber in fast unlösbare Schwierigkeiten
verwickelt. Übrigens muß kurz nach den illyrischen Kriegen den
Römern der Unterschied zwischen Kalender und wirklicher Jahres-
zeit zu groß geworden sein — er betrug ca. 2V2 Monate — , und sie
stellten durch einen Eingriff die Übereinstimmung wieder her, womit
es nach Beloch zusammenhängt, daß im Frühjahr 222 der Beginn
des Konsulatsjahres offiziell auf den 15. März verlegt wurde.
Einer der größten Fehler, die die früheren Geschichtsschreiber
des Hellenismus und vor allem Droysen begangen haben, ist die
Unterschätzung des Mutterlandes und der Rolle, die es in den
Diadochenkämpfen gespielt hat. Seitdem zuerst Holm diesen Irrtum
aufdeckte, haben wir allmählich gelernt, daß Griechenland für die Groß-
mächte jener Zeit nicht bloß als Menschenreservoir in Betracht kam,
dem sie die nötigen Krieger und Beamten zur Beherrschung ihrer
riesigen Ländergebiete entnahmen , sondern daß es der Mittelpunkt
der Bildung und das Herz der Nation war, die der Welt ihren
Stempel aufgedrückt hatte (Beloch III, 1, 123 ff.). Eben darum lag
jener Forderung nach Freiheit und Autonomie der Griechenstädte,
die immer von neuem fast formelhaft in den Staatsverträgen der
Diadochen wiederkehrt, und die auch zu Flamininus' Zeit ihren Zauber
noch nicht verloren hatte, ein höchst realer Sinn zugrunde, nämlich
der, daß Griechenland frei bleiben müsse, weil sein Besitz jeder der
konkurrierenden Mächte das Übergewicht über die Rivalen gesichert
haben würde. Tatsächlich haben alle um diesen Besitz gerungen, und
nur dem Umstand, daß es einen mehr oder minder großen Teil
Griechenlands beherrschte, verdankt das spätere Makedonien seinen
Platz als ebenbürtige Großmacht neben Ägypten und Syrien. Achtungs-
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172
Thomas Lenschau.
wert bleibt es doch auch immer, daß aus ihren verfahrenen Verhält-
nissen heraus die Griechen noch die Kraft fanden, eine neue Form
der Staatenbildung , den Staatenbund auf Grundlage der Gleich-
berechtigung, zu entwickeln. Es ist also verkehrt und ein Rückfall
in überlebte Anschauungen, wenn man sie lediglich als das verderb-
liche Element im Schöße der makedonischen Großmacht betrachtet,
wie Mahaffy tut, dem überhaupt die von ihm gezogene Parallele
Irland-Großbritannien = Griechenland-Makedonien den Blick einiger-
maßen getrübt hat. Eher mag man Griechenlands Stellung zu Make-
donien mit der Bedeutung vergleichen, die die Beherrschung Italiens
für die deutschen Kaiser bis zum Ende der Hohenstaufenzeit besaß.
Ihre weltbehcrrschende Stellung beruhte darauf, daß sie wirtschaftlich
und politisch über Italien geboten, und ebenso sehen wir Makedonien
in einem fortwährenden Kampf um Griechenland begriffen, der nur
vorübergehend unter Doson und in den Anfängen Philipps von einem
vollen Erfolge begleitet gewesen ist.
Unter diesen Umständen lag es in der Bedeutung der Stadt
sowohl auf materiellem als auch auf geistigem Gebiet begründet, daß
in den ersten Jahrzehnten der Diadochenzeit Athen das hervor-
ragendste Objekt der makedonischen Politik in Griechenland sein
mußte, und hier war in erster Linie ja auch die aristokratische
Partei darauf angewiesen, wie bisher ihren hauptsächlichen Rückhalt
in Makedonien zu suchen. Die mannigfach wechselnden Phasen der
athenischen Politik in dieser Zeit hat Ferguson in einem Aufsatz
behandelt, der wie manche andere Arbeiten der neueren Forscher
erst durch Kirchners Prosopographia attica ermöglicht worden ist. Den
sichersten Ausgangspunkt bieten nach F. die Namen der Antragsteller
in den vielen uns erhaltenen Dekreten ; indem er annimmt, daß diese
der herrschenden Partei angehörten, und daß vielfach wie auch noch
heute die politische Richtung innerhalb der einzelnen athenischen
Familien sich vererbte, gelingt es ihm, ein Bild des Ganges der
athenischen Politik in den ersten Jahrzehnten des 3. Jahrhunderts zu
gewinnen . das in manchen Dingen von der bisherigen Annahme ab-
weicht. Die Schwierigkeit, mit der die makedonisch-aristokratische Partei
in Athen zu kämpfen hatte, lag demnach wesentlich darin, daß die
Demokratie ihr nicht mehr wie früher isoliert gegenüberstand, sondern
daß diese jetzt andere auswärtige Mächte gegen Makedonien aus-
spielen konnte, was zum ersten Male 308 7 geschah, als der Be-
lagerer Dnnetrios unter dem Jubel des athenischen Volkes in den
Haien einfuhr und der von seinem Namensvetter ausgeübten make-
donischen Herrschaft ein Ende bereitete. Doch brachte schon der
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Jahresbericht über griechische Geschichte (1903—1906).
173
Ausgang von Ipsos einen Umschwung, indem die Männer der extremen
Demokratie, die Demochares, Stratokies, Diotimos verschwinden und
stramme Oligarchen, wie Diopeithes (so schon 300/299) an ihre Stelle
treten. Allerdings muß dann eine Spaltung eingetreten sein, sofern
die Aristokraten, unter denen bald Lachares eine tyrannische Stellung
gewann, sich auf die Stadt beschränkten, während der Demos den
Peiraieus besetzte, von wo er 296 mit König Demetrios anknüpfte.
So Ferguson ; nach seiner Auffassung gehört also Lacharcs der aristo-
kratischen Partei an, und Pausanias, der ihn irpoaxatr^ xot> o^fxou
nennt, braucht den Ausdruck nur mißverständlich für Tzpoardxr^ vr^
-oXeük. Allein wahrscheinlicher ist M ey er s Ansicht, daß 301 nicht
die reine Aristokratie, sondern eine Art Kompromißregierung ans
Ruder kam, in der sich gemäßigte Aristokraten und gemäßigte Demo-
kraten vereinigten. Das würde zugleich erklären, woran Beloch III,
2, 875 f. mit Recht Anstoß nimmt , daß die 808/7 verbannten Oli-
garchen nicht 301 zurückkehrten. Diese Ultras konnte eine Kom-
promißregierung ebensowenig brauchen wie die Radikalen vom Schlage
des Demochares. Vielmehr erfolgte ihre Rückkehr erst einige Jahre
später unter Philippos, nachdem sich plötzlich ein starkes Anschwellen
des aristokratischen Einflusses geltend gemacht hatte, das F. sehr
ansprechend mit der Erwerbung Makedoniens durch Demetrios zu-
sammenbringt. Denn so sehr König Demetrios auch bis dahin mit
den athenischen Demokraten liiert war, infolge seiner Thronbesteigung
im Jahre 294 sah er sich genötigt, in die traditionelle Politik der
makedonischen Könige einzulenken, die in Athen eben die aristo-
kratische Partei begünstigte, eine Wandlung, die von den Führern
der Demokratie nur Stratokies mitgemacht hat, der eben mit König
Demetrios durch dick und dünn ging. So kommt es, daß der Abfall
Athens, den ich mit Beloch und Ferguson noch vor die Vertreibung
des Demetrios aus Makedonien setzen möchte, diesmal die Demokraten
ans Ruder brachte, die noch unter Gorgias 280/79 herrschten, unter
dessen Archontat das bekannte Ehrendekret für Demochares fällt.
Erst 275/4 in dem großen Phaidrosdekret finden sich die ersten
Spuren einer aristokratischen Reaktion, die wohl mit der endgültigen
Etablierung des Antigonos auf dein makedonischen Königsthron 276
zusammenhängt; 274/3 ist sie in vollem Gange und wird auch durch
den Versuch der Demokratie, Anschluß bei Pyrrhos zu suchen
(Gesandtschaft 273), nicht mehr aufgehalten. Seltsam bleibt es aller-
dings, daß unter diesen Umständen 271/0 der bekannte, im Leben
der zehn Redner überlieferte Beschluß des Ladies für Demochares
durchgehen konnte; dennoch scheint es mir nicht nötig, wie F. tut,
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174
Thomas Lenschau.
jeden Erklärungsversuch aufzugeben. Entweder fühlte sich die aristo-
kratische Partei, damals im Bunde mit Antigonos, Sparta und Ptolemaios,
so sicher, daß sie den Demokraten die unschädliche Demonstration
gestatten zu können glaubte (C. F. Lehmann), oder das beginnende
Erstarken der Demokratie, die wenige Jahre darauf den chremoni-
deischen Krieg entfesselte, ließ es der aristokratischen Regierung
rätlich erscheinen, dis Zügel nicht zu straff zu halten. — Es würden
also nach Ferguson (und Meyer) folgende Phasen der attischen Politik
zu unterscheiden sein:
317 — 308/7 Aristokratie. Demetrios von Phaleron.
308/7 Sturz des Demetrios, von 307 — 301 Demokratie.
301 — 295/4 Kompromiß regierung, dann Tyrannis d. Lachares.
295/4 — 289/8. Nach kurzer demokratischer Reaktion Aristo-
kratie, gestützt auf die demokratischen Anhänger des Deme-
trios mit Stratokies an der Spitze. Rückkehr der Verbannten.
288 — 276/5 Demokratie.
275/4 Beginn des Umschwunges zur A ristokratie , die nach und
nach erst in eine Kompromißregierung, dann in die volle Demo-
kratie übergeht , die den chremonideischen- Krieg herbeiführt.
Es ist natürlich, daß die mannigfachen Änderungen der politischen
Richtung auch mannigfache Verfassungsänderungen im Gefolge gehabt
haben, was dann im einzelnen von Sund wall für die frühere, von
Ferguson für die spätere Zeit erwiesen ist. Zu den wichtigeren
Änderungen gehört die Einsetzung des obersten Finanzbeamten,
6 im rffi 8ioix^3eü>?, der zuerst 307/6 erwähnt, aber von beiden
Forschern noch in die Regierung des Demetrios zurückdatiert wird.
Allerdings paßt das Amt in den aristokratischen Rahmen besser, doch
blieb es während der ersten Demokratie und der Kompromißregierung.
295/4 mit dem Beginn der demokratischen Reaktion wurde es durch
ein Kollegium ersetzt (ol £-t t5j? 8iotxr,asa>c), die dann erst 275/4 unter
der zweiten aristokratischen Periode dem Einzelbeamten wieder Platz
machen. Eine ebenfalls nur vorübergehende Existenz haben der
^exaJT^c und die Tpircuapyot gehabt, die 301 an die Stelle des
T«{j.iac toö SiJitou treten, aber schon 295/4 auch ihrerseits durch ein
Kollegium ersetzt werden. Im übrigen stimmt mit dem Gesagten
auch das Democharesdekret, das zwei Perioden bezeichnet, in denen
1). nicht am Staatsleben teilnahm; während der ersten war er verbaunt.
d. h. offenbar unter der Kompromißregierung 301 — 294, mit der zweiten
muß die Zeit von 294 — 288 gemeint sein, als der demetrianische
Flügel der Partei unter Stratokies mit den Aristokraten gemeinsame
Sache machte. Erst 288 kamen die Unentwegten der demokratischen
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Jahresbericht über griechische Geschichte (1903 — 19045).
175
Partei, die Gesinnungsgenossen des Demochares, wieder ans Ruder. —
Schließlich freilich ist zu alledem doch zu bemerken, daß derartige
Darstellungen der Geschichte Athens, wie sie Kolbe und Ferguson
gegeben haben, so anregend sie auch sein mögen, doch immer nur
auf einen problematischen Wert Anspruch machen können, ehe nicht
die Datierung der einzelnen Archonten wenigstens in den Haupt-
punkten endgültig festgelegt ist. Damit aber hat es, wie wir vorhin
gesehen haben, einstweilen noch gute Wege.
Wenden wir uns indessen von den Verhältnissen Athens , das
nach dem chremonideischen Krieg politisch genommen wenig mehr
war als eine makedonische Provinzialstadt , wieder dem Gange der
großen Weltereignisse zu, den wir am Ende des vorigen Kapitels
bei der Schlacht von Ipsos verlassen haben. Es muß als wahrscheinlich
angesehen werden, daß die siegreiche Koalition bereits vor der Ent-
scheidung die Bedingungen festgesetzt hatte , nach der die Teilung
der Länder des Antigonos erfolgen sollte, und diese hat sich denn
auch, soweit wir sehen, ohne größere Schwierigkeit vollzogen. Aller-
dings hatte der eine der drei Dundesgenossen die Koalition schmählich
im Stich gelassen und war dadurch seines Anspruches auf Ent-
schädigung verlustig gegangen, tatsächlich aber hatte Ptolemaios es
bereits verstanden, sich in den Besitz des südlichen Syriens' zu setzen,
und als nun Seleukos Miene machte, ihn von dort zu vertreiben,
fand sofort zwischen Ptolemaios, Kassandros und Lysimachos eine
politische Annäherung statt, der Seleukos nur eine Koalition mit dem
eben besiegten Demetrios entgegensetzen konnte. Der Leidtragende
bei den nun folgenden Kämpfen war in erster Linie Kassandros
Bruder Pleistarch, dessen Reich an der kleinasiatischen Südküste
von Demetrios erobert ward; doch wußte sich Lysimachos den west-
lichen Teil, Lykien und ramphylien, zu sichern (vgl. Beloch III, 2
c. 24). Nunmehr wandte sich Demetrios gegen Ptolemaios und griff
dessen Stellung im südlichen Syrien an, brach aber diesen Kampf
plötzlich ab, um sich auf das durch das Aussterben von Kassandros
Geschlecht verwaiste Makedonien zu stürzen. So begründet dieser
Entschluß in Demetrios Natur ist, so unklar erscheint die Notiz
unserer Quellen, daß der Friede zwischen ihm und Ptolemaios durch
Seleukos vermittelt wurde, sofern dieser ja gerade an der Fortsetzung
des Kampfes da» allergrößte Interesse haben mußte. Allerdings
nimmt Beloch (III, 1, 150 f.) hier eine politische Entfremdung zwischen
Seleukos und Demetrios an, als deren ferneres Anzeichen er auch die
damals erfolgte Trennung der eben geschlossenen Ehe zwischen
Seleukos und Stratonike, der Tochter des Demetrios, ansieht. Allein
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176
Thomas Lenschau.
wenn Seleukos damit „politisch von Demetrios abrücken wollte", so
durfte er doch Stratonike nicht seinem Sohn und Thronfolger zur
Frau geben, zumal die Sache doch entschieden etwas das naturliche
Gefühl Verletzendes hat. Auch hier steht man vor einem Rätsel,
wenn man mit Beloch die bekannte Geschichte von der Leidenschaft
des Antiochos für seine Stiefmutter als abgeschmackt verwirft. Aber
abgeschmackt ist nur die Ausschmückung, an der Sache selber wird
doch wohl etwas daran gewesen sein und somit, wenn von einer
Entfremdung zwischen Seleukos und Demetrios keine Rede sein kann,
bleibt für die Friedensvermittelung des Seleukos nur ein zweifaches
Motiv: entweder es war ihm unbequem, daß sein Schwiegervater un-
mittelbar vor den Toren seiner Hauptstadt sich ein Reich begründete,
und er suchte deswegen dessen Tatkraft nach Europa abzulenken,
oder das Ganze ist eine weitschauende politische Maßregel und gehört
in die Kette der Maßnahmen, mit denen Seleukos die Stellung des
Lysimachos untergrub, ehe er den entscheidenden Schlag gegen ihn
führte. Von vorn durch Seleukos, im Rücken durch Demetrios
gepackt, hatte Lysimachos allerdings wenig Aussicht, sich erfolgreich
verteidigen zu können. Inzwischen aber begann auch die Minierarbeit
in Kleinasien; die von Haussouillier, S. 34, herausgegebene und von
ihm noch" vor 293 angesetzte Inschrift zeigt, daß Seleukos schon
damals begann, sich in den klcinasiatischen Städten jene Sympathieen
zu erwerben, die später bei Lysimachos Sturz eine so große Rolle
spielten. Beiläufig ergibt sich aus vs. 42 der Inschrift, wenn die Er-
gänzung H.s richtig ist — und eine andere kann kaum gedacht
werden — , daß Antiochos damals schon vermählt war; es muß also
die Heirat mit Stratonike seiner Erhebung zum Mitregenten voraus-
gegangen sein. Diese Annahme empfiehlt sich auch durch die Rück-
sicht auf das Lebensalter des erstgeborenen Sohnes Beider, des
Seleukos, der bereits 280 zum Mitregenten ernannt ward. Nun ist
es allerdings richtig, daß damals die Verhältnisse Antiochos I. nötigten,
einen Mitregenten für die oberen Provinzen zu ernennen, und daß
er deshalb die Mündigkeit seines Sohnes, die nach Breccia
(S. 165) etwa mit 18 Jahren eintrat, nicht abwarten konnte; aber die
Sache wird doch erklärlicher, wenn der junge Seleukos damals 15 — 16,
als wenn er 13 Jahre alt war. Ich glaube daher im Gegensatz zu
Beloch (III, 2, 150 f.), der die Gleichzeitigkeit beider Ereignisse an-
nimmt, daß die Heirat des Antiochos mit Stratonike schon etwa 297 6.
seine Erhebung zum Mitregenten aber frühestens 293 stattgefunden
hat. Zwischen beide Termine würde die milesische Inschrift fallen,
die Antiochos noch nicht den Königsnamen gibt.
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Jahresbericht über griechische Geschichte (190)— 1906). 177
Indessen, es gelang Lysimachos noch für diesmal, den Kopf aus
der Schlinge zu ziehen; man darf ihn als die Seele der Koalition
betrachten, die 288 gegen Demetrios zusammentrat, und der sich auch
Seleukos nicht entzog, obwohl er, charakteristisch genug, am Kriege
nicht aktiv teilgenommen hat. In raschen Schlägen zertrümmerte
Lysimachos das makedonische Reich des Demetrios, und sein Sohn
Agathokles gab ihm den Rest, als er den Krieg auf das asiatische
Gebiet seines Feindes hinüberspielte; den gefallenen Mann konnte
Seleukos nicht mehr brauchen, hat ihm aber eine Art St. Helena in
seinem Reiche beschert, wo er langsam zugrunde ging. Mächtiger
als je war Lysimachos aus dem Kampfe hervorgegangen ; sein Reich
dehnte sich von den Taurospässen bis zu den Bergen, die Makedonien
von Epeiros und Illyrien trennen, und erfreute sich einer straffen und
tüchtigen Verwaltung. Daß in ihr die von Alexander beliebte Teilung
der Provinzialgewalten , wie Ghione meint, wieder zugunsten einer
strafferen Zentralisierung aufgehoben sei, möchte ich nicht so ohne weiteres
glauben; die finanzielle Verwaltung war doch wohl sicher getrennt.
Möglicherweise aber deutet — darin kann man Gh. recht geben —
das Bestehen zweier Hanptkassen, der einen für Europa in Tirizis,
der andern für Asien in Pergamon, darauf hin, daß die asiatischen
Landesteile eine administrative Einheit unter Agathokles bildeten.
Dazu würde es auch passen, daß die Exkönigin von Ägypten, Eurydike,
mit ihren Kindern Aufnahme in Milet bei ihrem Schwiegersohn fand,
und dies mag den ersten Anlaß zu jenen Familienzwistigkeiten gegeben
haben, die endlich die Herrschaft des Lysimachos vernichteten.
Damals mag Arsinon den Plan gefaßt haben, Agathokles, der mit
ihren Stiefgeschwistern allzu eng liiert war und der Nachfolge ihrer
eigenen Kinder im Wege stand, aus der Welt zu schaffen, was ihr
denn auch in der Tat gelungen ist. Allein, daß Keraunos dabei seine
tätige Mithilfe lieh, der doch an sich keinen Grund hatte, zu seiner
Stiefschwester zu stehen, das deutet doch noch auf fremde Einflüsse
hin, und man braucht die Stelle nicht weit zu suchen, von wo sie
kamen. Denn nach vollbrachter Tat suchten sowohl der Mörder wie
auch Frau und Kinder seines Opfers Zuflucht bei Seleukos, und zu spät
erkannte die Ägypterin, daß sie nur die Geschäfte des alten Fuchses
in Antiochia besorgt hatte. Als Rächer des ermordeten Kronprinzen
rückte Seleukos 282 in Kleinasien, dessen Herrschaftsbereich, ein,
wo ihm alles bereitwillig die Tore öffnete, und auf dem Kurosfelde
verlor Lysimachos Krone und Leben (281). Der Ort der Schlacht
ist neuerdings durch die von Keil behandelte Grabinschrift des
Menas festgestellt, aber auch nicht mehr. Ob der Kampf, in dem
Jahresbericht fftr AlUrtum«wiis«B8chaft. Bd. CXXXV. 12
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178
Thomas Lenscliau.
Menas fiel, wirklich die Schlacht zwischen Seleukos und Lysimachos
oder eines der späteren Treffen zwischen Bithynern und Pergamenern
gewesen ist, bleibt ganz unsicher, worauf Bevan mit Recht auf-
merksam macht (I, 323 f.).
Hier aber erhebt sich nun eine Frage, nach deren Beantwortung
man auch bei Beloch vergeblich sucht, wo war Ägypten, als die Ent-
scheidung auf dem Kurosfelde fiel ? Unzweifelhaft mußte der Ausgang
des Kampfes das bisherige Gleichgewicht der Mächte nach der einen
oder nach der andern Seite hin verschieben, war es da Oberhaupt
möglich, daß der Ptolemaier sich vollkommen passiv verhielt? Und
wenn nicht, warum trat er dann nicht offen auf die Seite des Lysi-
machos, mit dem er sowohl politisch wie verwandtschaftlich verbunden
war, während der von ihm verdrängte, besser berechtigte Thronerbe
bei Seleukos Aufnahme gefunden hatte? Die Erklärung hängt von
der Beantwortung einer andern Frage ab, der nach den Ursachen
des ersten syrischen Krieges, Ober die C. F. Lehmann
besonders eingehend gehandelt hat. Er kommt zu dem Schlüsse, daß
die Ursache des jahrhundertelangen, hartnäckigen Kampfes um das süd-
liche Syrien in den unklaren Verhältnissen lag, die der Tag von Ipsos
geschaffen hatte. Daß Ptolemaios I. damals als Preis seines Beistandes
das südliche Syrien zugesichert war, unterliegt wohl keinem Zweifel, und
daß darüber ein schriftlicher Vertrag existiert hat, wird man L. eben-
falls zugeben. Allein wie konnten sich die Lagiden später auf diesen
Vertrag berufen, dessen Voraussetzung die doch eben nicht geleistete
Hilfe bei Ipsos war? Anderseits aber, wie erklärt es sich, daß die
Seleukiden nie den Rechtsstandpunkt geltend machen, während doch
nach Lehmanns Erklärung die Sache durchaus zu ihren Gunsten lag.
ja, daß Pausanias sagen kann, Antiochos I. habe den Vertrag seines
Vaters mit Ptolemaios gebrochen, als er den syrischen Krieg begann V
Das Rätsel löst sich, sobald man annimmt, daß Seleukos kurz vor
Kurupedion, um sich den Rücken zu decken, mit Ägypten einen
Vertrag schloß, in dem er diesem den Besitz der Landschaften be-
stätigte, die es bereits seit 302 und 287 inne hatte, gegen das Ver-
sprechen, ihn seinen Strauß mit Lysimachos allein ausfechten zu lassen.
Ob Seleukos die Aufgabe dieser Provinzen als eine endgültige ansah,
wissen wir nicht ; ähnlich sieht es ihm nicht, und vielleicht wollte er
diese Aufgabe seinem Sohne hinterlassen, der denn auch sehr bald
nach dieser Seite hin die Politik des Vaters wieder aufnahm. Danach
würde also Niese im Recht sein, der in dem Vertrag bei Pausanias
einen Vertrag des Seleukos mit Philadelphos erkannte, seinen Ge-
danken aber nicht konsequent durchführte. Daß wir von dem Vertrage
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Jahresbericht über griechische Geschichte (1903—1906). 179
sonst nichts wissen , darf nicht wundernehmen : keiner der Herren
Kontrahenten hatte Veranlassung, die Sache an die große Glocke zu
hängen. Seleukos täuschte Keraunos, der sich von ihm Hilfe ver-
sprach, und für Philadelphos war Südsyrien der Judaslohn, um den
er Lysimachos verriet; persönliche Beziehungen banden ihn nicht,
wie seinen Vater, dessen Abdankung ihm auch nach dieser Richtung
hin freie Hand gesichert hatte.
Diese Hypothese würde übrigens noch nach einer andern Seite
hin Licht verbreiten, nämlich über die Motive, die Ptolemaios
Keraunos zur Ermordung des alten Seleukos bewogen haben.
Eine Erklärung haben neuerdings Beloch (DI, 1, 255) und Leh-
mann versucht; beide stimmen darin überein, daß das Hauptmotiv
in der Absicht des Ptolemaios lag, die Ansprüche der Kinder seiner
Schwester Lysandra aus ihrer Ehe mit Agathokles durchzusetzen.
In der Hoffnung, zu ihrem Rechte zu kommen, war Lysandra zu
Seleukos geflohen, und mit dem Vorwand, ihre Rechte zu vertreten,
war auch Seleukos ins Feld gertickt, jetzt, wo er Miene machte,
selber die Früchte des Feldzuges für sich allein einzuheimsen, traf
ihn der Dolch des Rächers. So ungefähr Beloch, noch schärfer hat
Lehmann die Sache herausgearbeitet. Nach ihm hatte Ptolemaios
ursprünglich nur die Absicht, nach Seleukos' Tod, nicht eher, die
Ansprüche seiner Schwesterkinder geltend zu machen. Allein, als er
erfuhr, daß Seleukos damit umging, sich auf Makedonien zu be-
schränken und seinem Sohne die asiatischen Besitzungen zu übergeben,
sah er seinen Plan vereitelt; denn daß es ihm, wenn Antiochos, durch
die Anordnungen seines Vaters genötigt, seine Regierung nach dem
Westen verlegen würde, niemals gelingen könne, gegen diesen nach
Seleukos" Tod die Ansprüche seiner Neffen durchzusetzen, das war
Keraunos von vornherein klar. Er führte also Seleukos' Tod, den
er sonst abgewartet hätte, in einem Augenblick herbei, wo Antiochos
noch fern in den oberen Provinzen weilte und die Sache somit für
ihn am günstigsten lag; tatsächlich gab ihm denn auch der Erfolg
recht. Ich gestehe, daß mir die Art, wie Lehmann die Tat als ein
Ergebnis kühlster politischer Berechnung darstellt, wenig zu dem
Charakter des Mannes zu stimmen scheint, der infolge seiner jähen
Entschlüsse und seiner zufahrenden Energie den Namen Keraunos
erhalten hat. Gewiß mag der Gedanke an die Kinder der Lysandra,
deren Vater er ermordet hatte, bei ihm aufgetaucht sein, aber wie
viel glaublicher wird alles, wenn Seleukos ihm die Wiedereinsetzung
in sein väterliches Reich versprochen, ihn dann getauscht und hinter
seinem Rücken sich mit dem Ägypter vertragen hatte ! Die Empörung,
12*
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180
Thomas Lenschau.
sich Jiintergangen zu sehen, vielleicht auch die Reue, um des Ver-
räters 'willen an seinem Schwager zum Schurken geworden zu sein,
das sind, meine ich, die Motive, die Keraunos den Dolch in die Han<l
gedrückt haben; er verdient eher unser Mitleid als sein Opfer, der
große Rechner, der diesmal sein Leben selbst hineingerechnet hatte. —
Daß übrigens Seleukos tatsächlich König der Makedonen gewesen ist.
hat Lehmann zuerst gezeigt und durch keilschriftliche Zeugnisse
erhärtet; daraus erklären sich auch die Ansprüche, die Ant iochos I.
später auf den makedonischen Thron erhob.
Mit den hier berührten Ereignissen steht bekanntlich auch die
Begründung der pergamenischen Herrschaft in Zusammen-
hang, die Beloch auf das Jahr 282 verlegt (in, 2, 158 f.). Aller-
dings kommt er dann ein wenig ins Gedränge, indem aller Wahr-
scheinlichkeit nach Eumenes noch 263/2 zur Regierung kam, was bei
20jähriger Dauer der Herrschaft des Philetairos nicht möglich ist.
Er sowohl wie Cardinali (S. 8 Anm. 8) nehmen an, daß die 20 eine
runde Zahl seien. Wahrscheinlich ist das gerade nicht, da die Übrigen
Zahlen der Herrscherliste genau sind ; m. E. aber hindert auch nichts.
Philetairos Abfall bereits in das Jahr 283/2 zu setzen : es würde nur
beweisen, wie früh bereits die Auflösung der Verhältnisse in den
asiatischen Landesteilen der Herrschaft des Lysimachos begann.
Dann fiele also Eumenes Regierungsantritt in 263/2, der des Attalo*
bei Vordatierung in 241/0, und zwar womöglich in den Anfang,
während der Tod ganz ins Ende 198/7 gefallen sein muß, so da»
dies Jahr bereits seinem Nachfolger zugerechnet ward. In der Liste
zählte seine Regierung 43 Jahre, faktisch aber waren es von kurz
nach Mittsommer 241 bis kurz vor Mittsommer 197 nahezu 44, und
so würde sich die Angabe des Polybios bei Livius erklären, der eben
diese Zahl nennt. — Übrigens sind fast alle die Inschriften (Ditt.
or. 310 — 312, 749), die man lange Zeit auf Philetairos, den dritten
Sohn Attalos I., deutete, neuerdings von Holleanx, und wohl mit
Recht auf den Gründer der Dynastie bezogen, eine Ansicht, der sich
endlich, wenngleich mit einigen Reserven, auch Dittenberger Or. graec
inscr. I, 655 sq. angeschlossen hat. Auch die größere von Smith und
Rustaffjael 1902 in JHSt. edierte Inschrift Ditt. or. 748 gehört in
diesen Zusammenhang.
Fast unmittelbar nach der Schlacht von Kurupedion, der die
hellenistische Welt ihre endgültige Gestaltung verdankt, erfolgte
eine jener gewaltsamen Katastrophen, wie sie die antike Welt mehr-
fach durch den Einbruch der Nordvölker zu erleiden gehabt hat : der
Einfall der Gallier, der Makedonien vernichtete und erst dorrh
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Jahresbericht über griechische Geschichte (190$— 1906). 181
die Kämpfe an den Thermopylen und bei Delphi zum Stehen kam.
Ein interessantes Dokument zu diesen Kämpfen ist kürzlich in Kos
entdeckt und von Herzog herausgegeben , die Einleitung dazu hat
Rein ach verfaßt. Die Inschrift, in der auf die Ereignisse von
Delphi hingewiesen wird, ordnet eine Festgesandtschaft der Koer zu
den Pythien an , worunter die im Bukatios (August) 278 gefeierten
gemeint sein müssen. Da nun der Angriff Herbst 279, vielleicht noch
später erfolgte und die Nachricht davon nach Ansicht der Heraus-
geber schwerlich vor Frühjahr 278 in Kos eintreffen konnte, so muß
der Beschluß zwischen April und Juli 278 gefaßt sein. Interessant
ist dabei, daß von einer Plünderung des delphischen Heiligtums gar
nicht die Rede ist. Die Nachrichten darüber, die sich bei Livius, Strabo,
Appian und Diodor finden, gehen nach Reinach entweder auf die
Plünderung einiger kleinerer Heiligtümer oder auf die übertriebenen
Gerüchte zurück, die im Winter 279/8 Griechenland beunruhigten.
Eher möchte ich glauben, daß die delphische Priesterschaft die un-
zweifelhaft vorgekommenen Schädigungen absichtlich übertrieb, um
einen desto erfolgreicheren Fischzug bei gütigen und wohltätigen
Spendern ins Werk setzen zu können. Noch interessanter ist die
Erwähnung der Imtpayetot des Apoll ; wenn Herzog meint, daß ein zu-
fällig während des Kampfes niedergehendes Gewitter bei der Erregt-
heit der Gemüter den Anlaß gab, daß man den Gott leibhaftig zu
sehen glaubte, so wird er darin recht haben. Wie schnell in solchen
Fällen die Legende arbeitet, zeigt das althochdeutsche Ludwiglied
über die Schlacht von Saucourt (3. 8. 881), das wenige Monate
höchstens nach der Schlacht gedichtet schon einen ganz legenden-
haften Charakter hat. Übrigens kann die Verlegung des in Kos be-
gangenen Jahresdankfestes in den Panamos doch wohl nur damit erklärt
werden, daß der Überfall des Heiligtums selber in den koischen
Panamos, d. h. (Paton Inscriptions of Cos p. 327) ans Ende des Jahres
fiel, das mit der Herbst-Tag- und -Nachtgleiche begann. In der Tat
wird der Schneefall, der allerdings auf eine spätere Jahreszeit deuten
würde, von den meisten Quellen erst bei der Verfolgung erwähnt,
die sich lange und weit nach Norden zu ausdehnte. Eine andere
Frage ist, ob die delphischen Soterien um dieselbe Zeit gefeiert
wurden; nach Beloch HI, 2, 416 f. war das Fest trieterisch und
wurde in den geraden Jahren umschichtig im Anschluß an die im
August stattfindenden Pythien gefeiert.
Bald nach den Vorgängen in Delphi setzte ein Haufe der
Gallier unter Lutarios und Leonnorios nach Asien hinüber , wo
er bald alles mit dem Schrecken seines Namens erfüllte. Ihre Spuren
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182
Thoraas Lenschau.
erscheinen in Nachrichten ans Erythrai, Milet — vgl. die Zusammen-
stellangen Haussouilliers S. 68 — und vor allem in Priene, wo die
nenentdeckte Sotasinschrift (Ditt. or. 765 , mit neuen Ergänzungen
Hillers von Oaertringen, Priene II, no. 17) von rühmlichen Taten der
Bewohner gegen die fremden Unholde zu berichten weiß. Gerufen
waren sie von der nordkleinasiatischen Liga, Bithynien, Herakleia,
Pontos, die damals mit Antiochos I. in Fehde lag, also von wesentlich
nichtgriechischen Völkerschaften, während die Griechen ihnen gegen-
über sich solidarisch fühlten ; sowohl in den Thermopylen wie in
Kleinasien haben sich alle Großmächte am Kampfe gegen die Barbaren
beteiligt. Auch Ptolemaios' Flotte entfaltete damals eine lebhafte
Tätigkeit im ägäischen Meer; in diese Zeit oder vielleicht noch etwas
früher fällt das von Graindor herausgegebene Dekret von los, in
dem ein gewisser Zenon, Befehlshaber der v^e? a^paxxot unter Bakchon,
belobt wird. Dieser Bakchon ist uns als Nesiarch schon aus andern
Inschriften bekannt, die alle etwa um 280 anzusetzen sind, neu ist
ein anderes von G. herausgegebenes, aber leider sehr lückenhaftes
Dekret (BCH. 80, 92 ff.). Doch läßt sich ihm so viel entnehmen,
daß Bakchons Anordnungen von Philokles bestätigt werden, dem be-
kannten König von Sidon, der in den achtziger Jahren Admiral des
Philadelphos in den ägäischen Gewässern war. Daß Bakchon später
ebenfalls dies Amt bekleidete, scheint mir von Kontoleon und Reinach
aus einer falschen Lesung geschlossen (vaoap/ou statt vijmapxou),
möglich bleibt es ja allerdings; sein Nachfolger wäre dann Hermias
gewesen, der von 276/69 in den delischen Listen erscheint.
Allein als der eigentliche Besieger der Gallier gilt Seleukos' Sohn.
Antiochos I., der davon den Beinamen Soter erhalten hat. Über
seine Anfänge sind wir durch einige Inschriften unterrichtet, die jetzt
am besten bei Ditt. or. 219 ff. zusammengestellt sind. Die drei ersten
davon, die sämtlich in Ilion gefunden sind, hat Sokolow dem
Antiochos I. abgesprochen und sie auf Antiochos III. bezogen. Die
in 220 erwähnte Verwundung kann natürlich dann nicht aus dem
Gallierkrieg herstammen, sondern rührt wahrscheinlich aus der
Schlacht am Berge Paneion her. Der Hauptgrund liegt für Sokolow
darin, daß die Gemahlin des Antiochos in diesen Inschriften al%
döeXcpr, ßaaiXtaaa bezeichnet wird. Stratonike, Antiochos I. Gemahlin,
war eben die Tochter des Demetrios Poliorketes. Nun wird freilich
zuweilen aus Polyaen 8. 50, wo Antiochos II. Gemahlin Laodike als
seine ctöeX?^ 6fAOwxtptoc bezeichnet wird, die Folgerung gezogen,
daß Antiochos I. neben (Ditt.) oder nach Stratonike noch eine zweite
Frau gehabt habe, eben die, welche in der Inschrift als dlzkrs^
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Jahresbericht über griechische Geschichte (1903—1906). ig3
ßaaÖUaoa bezeichnet werde; allein das ist nach dem, was wir von
Antiochos und Stratonike wissen, ziemlich unwahrscheinlich, und auch
Sokolow nimmt hier einen Irrtum Polyaens an. Ist also die Königin
gemeint, so kann der Antiochos der Inschrift nicht Antiochos I.
sein ; es bleibt dann eben nur Antiochos III., der tatsächlich mit einer
Schwester vermählt war. Unter dem im Beginn der Inschrift genannten
Aufstand ist sonach der berühmte Aufstand des Molon zu verstehen,
und die Seleukis ist also weder die von Strabo so bezeichnete Gegend
(Nordsyrien) noch die App. Syr. 56 sogenannte Gegend in Kappa-
dokien, wozu auch das 6iup£ßaXe toa Taöpov nicht paßt, sondern die
Gegend um Seleukeia am Tigris. Ich bedauere, mich der Ansicht
Sokolows nicht anschließen zu können. Nicht nur, daß wir den
Namen Seleukis für die Gegend am Tigris überhaupt nicht kennen
(vgl. Ditt. or. 219 b); vor allem erscheint die Sprache der Inschrift
für so gewaltige Erfolge, wie sie Antiochos III. im Osten errang, bei
weitem nicht enthusiastisch genug, auch konnte die Niederwerfung
des Achaios nicht so gleichsam gelegentlich in Vs. 12 mit den
nüchternen Worten «rijv efp^vijv xaxeaxeoaöev abgetan werden. Weiter
bleibt es einigermaßen merkwürdig, daß die Bewohner von Ilion bei
Ant. Thronbesteigung Opfer gebracht haben wollen; damals gehörten
sie selber zum Reiche des Attalos (Beloch III, 1, 709), während im
übrigen Kleinasien Achaios mit souveräner Machtfülle gebot , und
endlich müßte doch auch erklärt werden, wie Antiochos III. dazu
kommt, als atox^p der Stadt Ilion bezeichnet zu werden, was bei
Antiochos I. ohne weiteres begreiflich ist. Es wird also wohl bei
der alten Erklärung verbleiben müssen, wonach Antiochos eben
Antiochos I. ist, und der Friede, den er in Kleinasien herstellt, auf
die Beilegung des makedonischen Erbfolgekrieges zwischen ihm und
Antigonos Gonatas sich bezieht. Alsdann aber bleibt, wenn man nicht
mit Ditt. wirklich annehmen will, daß Antiochos neben Stratonike
noch eine zweite Frau gehabt hat, und daß diese seine Schwester
war (Ditt. or. 220, 107), nur der eine Ausweg, daß ctöeX?^ ßaaihaoa
hier lediglich als ein Titel aufzufassen ist, der nach ägyptischer Mode
der Stratonike beigelegt wird. Dafür entscheidet sich auch Breccia
S. 157 ff.
Mit dem Jahre 280 beginnt der Angriff des Königs Pyrrhos auf
Italien, der bereits im folgenden Jahre den Zusammenschluß der
beiden Westmächte, Rom und Karthago, zur Folge hatte. Den bei
Polybios überlieferten Text des Bündnisses hat zuerst Beloch richtig
interpretiert und auch gegenüber den Einwendungen von Büttner-
Wobst mit Recht an seiner ursprünglichen Erklärung festgehalten
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184
Thomas Lenschau.
(III, 2, 401 ff.). Daß die von demselben Forseber entdeckte Ver-
wirrung des römischen Kalenders anch für den Pyrrhoskrieg von
großer Bedeutung ist — die Verschiebung betrug damals fast einen
Monat — , kann hier nur angedeutet werden ; für die Geschichte des
Ostens gewinnt Pyrrhos erst wieder Bedeutung, als er nach der
Schlappe von Benevent wieder in die Heimat zurückkehrte, gleich-
zeitig etwa mit dem Ausbruch des ersten syrischen Krieges,
der sich dann bald zu einem allgemeinen Weltbrand erweiterte. Die
genauere Kenntnis des Krieges wird im wesentlichen C. F. Leh-
mann verdankt, der zuerst keilschriftliche, eine genaue Datierung
zulassende Dokumente herbeizog. Eines von ihnen — die Datierung
lautet: sattu 38 m An-ti-uk-su u™ Si-lu-ku Sar-rä-ni, d. h. Jahr 38
(der seleukidischen Ära vom 1. Dios 312, also 274/3) Antiochos und
Seleukos Könige — berichtet, daß Antiochos von Sapardu gekommen
sei und sich gegen die in Ebir-n&ri eingebrochenen Truppen gewendet
habe. Weiter werden dann die Hilfssendungen der Satrapen von
Babylonien und Baktrien erwähnt, sowie das Faktum, daß damals die
Krankheit ik-ki-tum im Lande war. Danach war also 274/3 Krieg
im Lande mit Ägypten ; daß es aber nicht der Anfang war, zeigt die
Pithomstele, die aus dem 11. Regierungsjahr des Philadelphos, d. h.
Nov. 275/4 bereits die Rückführung von Götterbildern aus Syrien
berichtet. Anderseits wissen wir, daß das Fest zu Ehren des Ptole-
muios Soter im Jahre 275 noch im Frieden begangen ward, der Krieg
muß also im Laufe des Sommers 275 ausgebrochen sein. Nicht so
genau ist sein Ende zu bestimmen; ein terminus ante quem ist daraus
zu erschließen, daß der Kanal des östlichen Landes in Ägypten, der
279/8 begonnen, dessen Bau aber durch den Ausbruch des Krieges
ins Stocken geraten war, 270/69 vollendet ward. Ebenso war nach
einer Keilschrifturkunde der Bau des Tempels von Esaggil schon
im Jahre 27, d. h. 275/4 beschlossen, aber 268 lag er noch in
den Anfängen , so daß auch hier eine Verzögerung durch den Krieg
anzunehmen ist. Anderseits herrscht in Theokrits bekanntem Gedicht,
das Arsinoe noch als lebend erwähnt und daher vor Sommer 270
verfaßt sein muß, tiefer Friede; dieser muß also schon 271 oder
272 abgeschlossen sein.
Über die Gründe des Krieges ist bereits oben gesprochen worden ;
was den Anlaß betrifft, so war der Angreifer jedenfalls Antiochos,
da sich das Streitobjekt, Koilesyrien, zu Beginn des Krieges in
Ptolemaios Händen befand. Offenbar plante der Syrer mit seinem
Schwiegersohn Magas v. Kyrene einen kombinierten Angrif auf Ägypten,
dir aber mißlang, weil Mngas zu früh losschlug; dadurch ward
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Jahresbericht über griechische Geschichte (1903—1906). 185
Antiochos seinerseits in die Defensive gedrängt. Über den Verlauf
des Krieges wissen wir nicht viel; nach Lehmann gehört in ihn die
Eroberung von Kaunos (so auch zweifelnd Beloch III, 2, 420; aber
Philokles war damals schwerlich noch Admiral), die Einnahme von
Erythrai und der Sieg des pontischen Herrschers mit Hilfe der Gallier
über ägyptische Truppen (S. 532), wenn diese abgerissen überlieferte
Notiz überhaupt Wert hat. Daß auch Milet damals unter ägyptische
Herrschaft gekommen ist, schließt Haussoullier a. a. 0. aus der Weih-
inschrift für Philotera, die aber auch in eine spätere Zeit fallen kann.
Nicht anders liegt die Sache mit Erythrai ; daß der Brief des Antiochos
Ditt. or. 223 auf Antiochos I. zu beziehen sei, habe ich schon früher
auseinandergesetzt und darin auch Dittenbergers Zustimmung ge-
funden, während Beloch (S. 273) und Cardinali (S. 223 Anm. 2) in
dem Vf. Antiochos II. erkennen. Ist aber jenes richtig, so muß Erythrai
doch eben um diese Zeit in den Händen des Antiochos gewesen sein,
und auch die Inschrift Ditt. syll 1 159 kann nicht das Gegenteil be-
weisen. Denn warum die dort erwähnten n-oXe|iaixol eine ägyptische
Besatzung sein sollen, ist nicht abzusehen, sie stehen auf derselben
Stufe wie die Söldner unter Hermokrates, und wahrscheinlich sind es
gerade diese, die, im Solde der Stadt stehend, ihre Besatzung bilden,
wie uns derartige städtische Söldner z. B. in Priene (Hiller no. 19 — 23)
entgegentreten. Möglicherweise hatte Ptolemaios seine Leute an-
gewiesen, in der furchtbaren Galliernot den Städten beizustehen, wo
sie konnten. Immerhin muß Philadelphos im ägäischen Meer und an
der Küste Kleinasiens nicht ohne Glück gekämpft haben, wie das
Dekret von Siphnos zeigt, in dem die Einwohner der Insel dem König
zu seinen Erfolgen gratulieren. Allerdings beziehen es die Heraus-
geber in den IG. auf Ptolemaios Philopator und seinen Sieg bei
Rhapheia, allein dann ist, wie Holleaux sehr richtig nachgewiesen
hat, die Erwähnung der Königin einigermaßen problematisch, da
Philopator Arsinoe erst 215/4 nach BoucheVLeclercq , nach Svoronos
«ar erst 211 heiratete. Auch fällt auf, daß der erwähnte Perigenes,
der mit Philopators Admiral (bei Pol. V, 68-69) identisch sein soll,
nicht als solcher bezeichnet wird. Infolgedessen denkt Holleaux an
die 70 er Jahre des Jahrhunderts (vor dem Tod der Arsinoe 270)
und das wird richtig sein; die Inschrift gehört also der Zeit des
ersten syrischen Krieges an. Wahrscheinlich (Beloch a. a. 0.) fällt
auch die von Polyaen 4, 15 erwähnte Eroberung der Stadt Damaskos
durch Antiochos, Seleukos' Sohn, in diesen Krieg, während Lehmann
sie in den Anfang des zweiten setzen möchte. Jedenfalls besaß
Philadelphos am Ende dieses Krieges nach Theokrit Pamphylien,
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18(5 Tbomas Lenschau.
Kilikien, Lykien und Karien, Gebiete die z. T. allerdings noch unter seiner
Regierung verloren gingen; wenn Ionien vom Dichter nicht erwähnt
wird, so spricht anch das gegen die Einnahme solcher Städte wie Erythrai
und Milet. So viel über den Verlauf des Krieges, dessen Darstellung bei
Bouchö-Leclercq 1, 171 ff. danach in einigen Punkten zu modifizieren wäre.
Allein die Bedeutung des Krieges beschränkt sich nicht allein
auf den Konflikt zwischen Syrien und Ägypten. Nach den ein-
leuchtenden Bemerkungen Lehmanns a. a. 0. unterliegt es wohl keinem
Zweifel, daß damals, wenn auch nicht überall durch ausdrückliche
Bündnisse, so doch durch stillschweigendes Einverständnis, die Welt
in zwei große Heerlager gespalten war. Auf der einen Seite standen
Magas , Antiochos , Pyrrhos , Tarent und Karthago , auf der andern
Ptolemaios, Antigonos, Athen, Sparta und seine Bundesgenossen,
endlich Rom, und so stark war der Gegensatz, daß er selbst alte
eingewurzelte Nachbarfehden, wie die zwischen Akarnanien und Aitolien,
für den Augenblick zum Stillstand brachte. Der große, in Thermon
aufgefundene Bündnisbeschluß beider Staaten wird von dem Entdecker
Sotiriades mit guten Gründen in die Zeit von 285—272, wahr-
scheinlich ins Jahr 278 gesetzt. Auch in Athen war damals infolge
dieser Gruppierung der Mächte der Gegensatz zu Makedonien aus-
geschaltet. Mit Recht hat Lehmann, wie schon oben erwähnt,
darauf aufmerksam gemacht, daß unter solchen Umständen das Dekret
für Demochares auch bei einer oligarchischen Regierung möglich
war. Ebenso beginnt schon damals der Antagonismus der eben noch
verbündeten Mächte Rom und Karthago, wie er in der karthagischen
Hilfssendung an Tarent nach Pyrrhos Abzug zum Ausdruck kam ;
sie mit Beloch III, 2, 25 für eine Erfindung der Annalisten zu halten,
liegt kein Grund vor. Nur die augenblickliche Gefahr hat die beiden
Gegner zusammengeführt; gleich nach Pyrrhos Abzug aus Sizilien
machte sich der natürliche Gegensatz wieder geltend, der dann 263
zum vollen Ausbruch kam. Erst der Friede zwischen Ptolemaios
und Antiochos hat die damalige Gruppierung der Weltmächte zerstört,
indem er den Übertritt des Antigonos auf die Gegenseite veranlaßt e,
der dann sehr bald zum chremonideischen Kriege geführt hat.
Die Frage nach den Gründen des chremonideischen Krieges
ist noch keineswegs geklärt, um so beachtenswerter ist Lehmanns
Ansicht, daß er im wesentlichen durcn die Intrigen der Königin
Arsinoe entstanden ist, die seit der Heirat mit ihrem Bruder (274)
auf dem Gipfel ihrer Macht angelangt, jetzt ihre alten Ansprüche
auf Makedonien geltend machen wollte, und zwar zugunsten ihres
ältesten Sohnes aus erster Ehe mit König Lysimachos, der den Namen
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Jahresbericht über griechische Geschichte (1908—1906). 187
Ptolemaios führte und infolge seiner Abwesenheit dem Blutbad in
Kassandreia (279) entgangen war. Daher erklärt sich die Erwähnung
der verstorbenen Königin in dem Psephisma des Chremonides, daher
auch die eigentümliche Erscheinung, daß gerade um diese Zeit
Antiochos in verschiedenen Keilschrifttäfelchen sein Anrecht auf
Makedonien wieder betont , indem er seinen Vater als Si-lu-uk-ku
sär Ma-ak-ka-du-na-aia sär Ba-bt-li, d. h. König von Makedonien,
König von Babylon bezeichnet (Lehm. S. 246); denn da seit 277
Antigonos und Antiochos nicht bloß in freundschaftlichen, sondern
auch in verwandtschaftlichen Beziehungen standen — der Makedonier
hatte Phila, Antiochos' Schwester und Stieftochter geheiratet — , so
kann diese Spitze sich nur gegen Ägypten gerichtet haben. Der Tod
der Königin (270) verzögerte den Krieg, der nach Lehmann 268/7,
nach Beloch 266/5 zum Ausbruch kam. Die Entscheidung hängt von
der Ansetzung des Peithidemos ab, unter dem das Psephisma des
Chremonides zur Annahme gelangte. Das Ende ist von Beloch nach
einer Notiz des Philodemos repl x&v stoux&v col. 8 auf den Archon
Antipatros festgelegt, der von ihm auf Grund von Philodem col. 4
a. a, 0. auf 263/2 fixiert wird. Die Verteilung der Ereignisse, die
dann B. S. 425 vornimmt, drängt diese allerdings stark zusammen
und ignoriert den Zug des Antigonos gegen Alexander v. Epeiros,
der freilich nur schwach (durch Justin) bezeugt wird und den er lieber
10 Jahre später setzen möchte; auch fällt Areus' Tod in der Ent-
scheidungsschlacht bei Korinth ins Jahr 264, was B. für möglich
hält, obwohl die spartanische Königsliste 266'5 als sein Todesjahr
angibt. Setzt man dagegen Areus Tod in 265, so gewinnt man Zeit
für die Expedition gegen Alexander; dann ist aber die Zeit für die
vorhergehenden Ereignisse zu kurz, und so gelangt Lehmann zu seinem
Ansatz des Peithidemos auf 268/7. Fergusons neuer Ansatz stimmt
auch hier zu Beloch ; Philokrates 268/7, Peithidemos 266/5 ; dagegen
differiert er in der Fixierung des Antipatros, der nach ihm 262/1
amtierte, was mit dem Wortlaut von Philod. col. 4 nur dann vereinbar
ist, wenn man exklusive Zählung annimmt. Nach Ferguson (S. 153)
erfolgte Athens Fall Ende 262, als mit der Kriegserklärung des
neuen syrischen Königs Antiochos II. an Ägypten jede Aussicht auf
ägyptische Hilfe verschwunden war. Der Schluß beruht auf der auch
von Beloch (III. 1, 612) geteilten Annahme, daß Antiochos I. sich
ganz vom chremonideischen Kriege ferngehalten habe, was mir ebenso-
wenig wie Lehmann wahrscheinlich vorkommt. So viel allerdings ist
zuzugeben, daß man von einem direkten Eingreifen des Syrers kaum
etwas weiß; immerhin stand, wie Lehmann wohl mit Recht aus keilschrift-
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188
Thomas Lenschau.
liehen Nachrichten geschlossen hat, 268 Antiochos wieder an der
Südgrenze seines Reiches, bereit, den Krieg gegen Ägypten zu be-
ginnen. Und auf seine fortwährend feindliche Haitang ist offenbar
die Lauheit der ägyptischen Unterstützung zurückzuführen, die Athens
Fall herbeiführte , und die Beloch a. a. 0. dem Charakter des Phila-
delphos zuschreibt ; nur sie hat Antigonos vollständigen Sieg ermöglicht.
Zu einem wirklich tatkräftigen Eingreifen ist es allerdings auf
Antiochos' Seite nicht gekommen. In diese Zeit fällt die Hinrichtung
seines älteren Sohnes Seleukos, die sicher mit einer schweren Er-
schütterung seines Reiches verbunden war (zwischen 268 und 266;
vgl. die Zusammenstellung bei Beloch IH, 2, 140), und weiter wußte
ihm der Ptolemaier im eigenen Lande eine schlimme Diversion zu
bereiten. 263/2 starb Philatairos von Pergamon und sofort trat in
den Beziehungen zum Seleukidenhause , die dieser Monarch während
seiner ganzen Regierung gepflegt hatte, eine plötzliche Wendung ein.
Sein Neffe und Nachfolger Eumenes I. erhob sich sofort gegen seinen
Souverain und besiegte den alten Antiochos I. unter den Mauern von
Sardes, unzweifelhaft im Einverständnis, wenn nicht tatkräftig unter-
stützt von Philadelphos , wie früher schon Meier vermutet hat und
sowohl von Beloch III, 1, 614 A., wie Cardinali S. 13 f. mit Recht
hervorgehoben wird. Mit der Erweiterung des pergamenischen Ge-
bietes zugleich sind damals wohl auch Ephesos und Milet in die
Hand Ägyptens gefallen. In Milet herrschte als Tyrann der ätolische
Söldnerführer Timarchos; in Ephesos finden wir etwas später als
Kommandanten der ägyptischen Streitkräfte einen gewissen Ptolemaios,
der als Sohn des Philadelphos bezeichnet wird.
Wer war dieser Ptolemaios von Ephesos? Ein Sohn des
Philadelphos aus erster Ehe kann er nicht gewesen sein, da aus ihr
nur drei Kinder existierten, Ptolemaios, der spätere Euergctes, Lysi-
machos und Berenike (Beloch III, 2, 130) ; ein Bastard (so Bouchtf
I, 206 und Ditt. or. 224 4) noch weniger, denn diese führten nicht
den Namen Ptolemaios (Breccia S. 147). Also, sagt Beloch, ist es
der Sohn der Arsinoe aus erster Ehe mit König Lysimachos, dem
sie im chremonideischen Krieg Makedonien verschaffen wollte , der
nach B. später mit Übergeh ang seiner leiblichen Kinder von Arsinoe (I.)
von Philadelphos adoptiert ward und wahrscheinlich derselbe, der in
den Papyrusurkunden von 267 — 259/8 als Mitregent des Ptolemaios
erscheint. Diese Identifikation, die schon vor Beloch von andern
(Gercke, v. Prott) versucht worden war, ist jetzt durch eine zwingende
Ergänzung von Holleaux als unrichtig erwiesen. In der Inschrift von
Telmissos, Ditt. or. 55 =- Mich. 40, die genau auf den Februar 240
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Jahresbericht über griechische Geschichte (1908-1900). •
datiert ist, wird ein n-roXifiato? AutJtjjLaxoo erwähnt, der dann in
ZI. 22/3 als iiciY . . . v bezeichnet wird. Die Ergänzung Holleaox
im'YOVov ist unzweifelhaft; danach ist also der hier erwähnte Ptolemaios,
der Herr von Telmissos, eben der Sohn des Königs Lysimachos, in-
sofern nach bekanntem Sprachgebrauch die Söhne der BtaSogGi eben
als Epigonen bezeichnet werden, und folglich nicht identisch mit dem
Kommandanten von Ephesos, der bereits 18 Jahre vor dem Datum
des Dekretes zugrunde ging. Der Telm. ist auch in der Durdurkar-
Inschrift gemeint (Ditt. or. 224), in der ein König Antiochos die
Oberpriesterinnenwürde eines Bezirkes an Beronike überträgt, IItoXs-
fiottoo toü Auoifxa^ou too rpoaijxovTO? jjjMV xaxA awflivziav Öo^axspa
vs. 29/30. Allerdings ist die Datierung des Dekretes nicht ganz
einfach; den gewöhnlichen Ansatz, daß der Antiochos der Inschrift
Antiochos II. sei, bekämpft Sokolow, der auch hier Antiochos III.
versteht. Allein der Ausdruck ßaat'Xioaa, der in der Inschrift von
Laodike gebraucht wird, kann keine Gegeninstanz gegen Antiochos II.
bilden ; denn einmal könnte das Dekret ja vor der Verstoßung ent-
standen sein, und zweitens ist es gar nicht sicher, daß L. tatsächlich
durch die Verstoßung des königlichen Titels verlustig ging. Sein
Fehlen in der großen Inschrift von Didyma, das Haussouillier damit
erklären wollte (S. 76), kann auch mit dem privaten Charakter der
Urkunde zusammenhängen (Beloch in, 1, 622 A, was Übrigens auch
Hauss. p. 87 anerkennt). Anderseits ist aber auch gegen die An-
nahme, Antiochos III. sei der Vf. des Briefes an den Satrapen, Posi-
tives kaum einzuwenden, und somit muß die Sache unentschieden
bleiben. Fällt die Inschrift unter Antiochos II., so ist die genannte
Beronike wohl die Tochter des Fürsten von Telmissos, obwohl dann
zunächst unerklärt bleibt, wieso Antiochos diesen seinen Verwandten
nennen kann. Er ward das erst durch die ägyptische Heirat
Antiochos II., und so würde ich die Inschrift gerade nach der Heirat
mit Beronike ansetzen, vielleicht, wegen der entschiedenen Verehrung
mit der Laodike behandelt wird, in der kurzen Zeit vor Antiochos'
Tod, als er eine Aussöhnung mit der verstoßenen Gattin anstrebte
und erreichte. Zu demselben Ergebnis, wenn auch aus andern Gründen,
gelangt Bouche* I, 212 A. 1. Entscheidet man sich für Antiochos III.,
so war Beronike wohl die Urenkelin des Vorgenannten und Tochter
des Ptolomaeus Telmessius, der 189 sein Fürstentum von den Römern
zurückerhielt, und von dem mehrere Weihungen in Delos vorhanden
sind. Wer dagegen der Kommandant von Ephesos war, muß vorder-
hand unaufgeklärt bleiben.
In den Zusammenhang dieser Ereignisse, die in den Beginn der
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100
Thomas Lenschau.
Regierung Antiochos II. fallen, gehört nun auch die zeitlos über-
lieferte Schlacht von Kos, um deren Datierung sich Beloch ver-
dient gemacht hat. Bekanntlich beruht unsere Kenntnis des Vorganges
nur auf einer Anekdote, die immer auf einen Antigonns, bald aber
auf die Schlacht von Kos, bald auf die von Andros bezogen wird
(Plut. v. Selbstlob c. 15., apopthegro. p. 183 Pelop. c. 2); dabei ist
es aber sicher, daß es sich in beiden Fällen um einen Sieg gehandelt
hat, weil sonst, wie Beloch treffend bemerkt, die Geschichte keine
Pointe haben würde. Auf die Schlacht von Kos bezieht sich. Ath. 5,
209 e, auf die von Andros Prol. Trog. 27, und aus der Stellung
dieser zweiten Notiz . in der sie zwischen den Tod des Ziaelas
(ca. 229) und des Hierax (227) eingeschoben erscheint, schließt
Beloch (III, 2, 428 ff.) , daß die Schlacht etwa ins Jahr 228 fällt
und von Doson gewonnen ist. Die Richtigkeit des Schlusses wird
von Levi bestritten, und das ist ja zuzugeben: zwingend ist er
nicht. Die Möglichkeit ist da, daß Trogus im 27. Buch mit dem
Krieg in Syrien begann, dann die Ereignisse des Bruderkrieges bis
Ancyra, darauf den Tod des Ziaelas erzählte, um nun, erst zum
Anfang zurückgreifend, die gleichzeitigen Vorgänge zur See nach-
zuholen. Dann fiele die Schlacht vielleicht noch vor 240, und
Antigonos wäre doch vielleicht noch der Gonatas. Bedenklicher
noch ist, daß die Notiz des Prol. Trog. 27, so wie sie überliefert
ist, gar nicht einmal den Ausgang erkennen läßt. Die Worte lauten :
Ut Ptolemaeus Adaeum denuo captum interfecerit et Antigonum Andro-
proelio navali opera oprona vicerit, was gewöhnlich mit Müller in
Antigonus und Soprona verbessert wird. Anders Levi, der nach
de Sanctis Vorgang per Soprona schreibt, natürlich mit Beibehaltung des
Antigonum, so daß dann gerade der entgegengesetzte Sinn, ein ägyp-
tischer Seesieg über Antigonos, herauskommt. Allein, daß es sich
auch bei Andros um den Sieg eines Antigonos handelt, scheint mir
durch die eingangs angeführte Bemerkung Belochs erwiesen und wird
unterstützt durch die Abhandlung Delamarres,der nach Zusammen-
stellung aller einschlägigen Dokumente zu dem Schluß kommt, daß
eben der Sieg von Andros es war, der den Makedonen das Über-
gewicht in den Kykladen gab, und daß also der in den Inschriften
der Inseln öfter erwähnte Antigonos eben Doson ist. Wunderbar
bleibt es freilich immer, wenn tatsächlich die Schlacht von Andros
228 fällt, wie schnell diese makedonische Seemacht zugrunde ging;
denn im ersten makedonischen Kriege war nichts mehr vorhanden,
und die Flotte, mit der Philipp 202 in den griechischen Gewässern
erschien, war eine Neuschöpfung, wie die Quellen noch ganz gut
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Jahresbericht über griechische Geschichte (1903—1906).
erkennen lassen. Immerhin spricht doch eine gewisse Wahrscheinlich-
keit — mehr allerdings auch nicht — für Belochs Ansatz von Andros
auf 228 und, nun erst kann man daran gehen, auch die Schlacht von
Kos zu bestimmen. Daß sie nicht vor den chremonideischen Krieg,
auch nicht gut in ihn fallen kann, hat Beloch wahrscheinlich gemacht,
als terminus post quem ergäbe sich also Ende 262 (s. o.). Ander-
seits beginnen in den delischen Tempelinventarien etwa seit 252
die Namen des makedonischen und seleukidischen Königshauses
häufiger zu erscheinen, was auf einen Rückgang der ptolemäischen
Macht hindeutet, die doch am passendsten mit der Niederlage von
Kos in Beziehung gesetzt wird. In diesen Zusammenhang gehört auch
wohl der von Dürrbach und Jarde* herausgegebene Beschluß des
Koinons der Nesioten (BCH. 28, 93 ff.)» in dem die Einführung eines
Festes der Demetrieia beschlossen wird; diese sollen ebenso aus-
gestaltet werden wie die bereits bestehenden Antigoneia und ab-
wechselnd mit ihnen gefeiert werden. Nachdem die Herausgeber
zunächst festgestellt haben , daß diese Feste als Feste des Koinons
der Nesioten von den speziell delischen Feiern gleichen Namens, die
in den Hieropenverzeichnissen erwähnt werden, durchaus zu scheiden
sind, suchen sie die Zeit zu bestimmen. Wäre das Dekret von 806 — 802
entstanden, wo Antigonos in den Kykladen gebot, so wäre nicht recht
abzusehen, warum nicht auch Demetrios sofort dieselbe Ehrung zuteil
geworden ist ; anderseits ist es wohl klar, daß der erwähnte Demetrios
kein König war, da Zeile 3 nur Platz für den Namen ohne den Titel
ftasiXect zu sein scheint. Also bliebe nur die Zeit vor 809 etwa
zurück bis 315, die aber wenig wahrscheinlich ist; viel richtiger
erscheint es, die Antigoneia als zu Ehren des Gonates eingesetzt an-
zusehen, denen der Bundesbeschluß nunmehr auch die Demetrieia
zu Ehren des Kronprinzen Demetrios anreiht. Auch für diesen
Beschluß paßt am besten die Zeit nach dem Siege von Kos, der
Delos dauernd in Antigonos Hand lieferte; von 252 ab finden sich
von ihm, seit 237 von seinem Sohn Demetrios jährlich Geschenke
aufgeführt. — Danach ist es immer noch das Wahrscheinlichste, daß
die Schlacht von Kos etwa 256 oder etwas früher geschlagen ward;
mit Recht macht Beloch darauf aufmerksam, daß die Zurückziehung
der makedonischen Besatzung aus Athen selber 255/4 mit dem ent-
scheidenden Siege des Königs in Zusammenhang stand, was Levi
S. 34 nicht hätte bezweifeln sollen.
Kurze Zeit nachher trat die entscheidende Wendung in der
seleukidischen Politik ein, die Syrien und Ägypten zusammen-
führte und endlich in der Verstoßung der bisherigen Königin Laodike
i
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192
Thoraas Lenschau
gipfelte, an deren Stellung die ägyptische Prinzessin Beronike trat.
Den Anlaß mag wohl die Rückkehr der makedonischen Kronprinzessin
gegeben haben, die, empört über die zweite Ehe ihres Gemahls mit
der Epirotin Phthia, den Hof ihres Bruders in Antiochia wieder auf-
suchte. Der Zeitpunkt aller dieser Ereignisse ist nicht mit Sicherheit
zu bestimmen, man müßte denn die große von Haussouillier S. 76
herausgegebenen Inschrift ans Didyma dazu verwerten. Diese Urkunde,
genau auf den 5. Dios des Jahres 60 der seleukidischen Ära, d. h.
Herbst 253 datiert, stellt sich als ein Kaufvertrag zwischen Laodike
und dem König dar, und es ist bisher von niemand bezweifelt, daß
diese Laodike eben die Gemahlin Antiochos II. ist. Da sie nun in
der Urkunde nur mit ihrem Namen, nicht als Königin bezeichnet ist,
so liegt es ja zunächst nahe, anzunehmen, daß sie damals bereits von
Antiochos verstoßen war ; allein schon Haussouillier S. 86 ff. hat
dagegen geltend gemacht, daß L. ja eben hier nicht als Königin
handelt, und daß es bei dem rein geschäftlichen Charakter der
Transaktion nicht nötig war, sie als solche zu bezeichnen, worin ihm
Beloch (in, 622, A. 1) offenbar beistimmt. Ich weiß nicht, ob man
das in Anbetracht der öffentlichen Aufstellung des Kaufvertrages in
Ilion, Ephesos, Sardes, Didyma und Samothrake aufrecht erhalten
kann; sollte es wirklich möglich gewesen sein, von der regierenden
Königin ohne jeden Titelzusatz zu sprechen? Daß anderseits da»
gewöhnlich für die ägyptische Heirat angenommene Datum (248) zo
spät ist, hat schon Niese (II, 139. Hieron zu Daniel c. 11, 6) festgestellt.
Dazu kommt nun der Charakter der Urkunde, in deren Beurteilung
ich mit Bouche* I, 212, A. 1 übereinstimme. Da es sich augen-
scheinlich um eine bedeutende Domäne handelt, so erscheint der
Preis 30 t sehr gering, und das Ganze stellt sich als eine Art Schein-
kauf dar, der die eigentliche vorliegende Schenkung im widerruflich
machen sollte. Ist das richtig, so muß 254 oder spätestens 253 jener
Umschwung in der seleukidischen Politik erfolgt sein, und dazu stimmt
auch die Auswahl der Aufstellungsstätten. Zu den vier sicher damals
im Besitz der Seleukiden befindlichen Orten kommt als fünfter nicht
Delos, wo damals bereits der Makedonier herrschte, sondern Samo-
thrake, wo der ägyptische Einfluß immer besonders stark gewesen
ist. Denn daß diese Insel damals ebenfalls seleukidisch war, wie
Haussoullier a. a. 0. behauptet, scheint mir sehr fraglich.
In die fünfziger Jahre des Jahrhunderts endlich, die Beloch
einmal mit Recht als die dunkelste Periode des Hellenismus be-
zeichnet, muß nun auch wohl der Abfall von Alexander, dem
Sohn desKrateros, gesetzt werden, der Antigonos Herrschaft
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Jahresbericht über griechische Geschichte (1 903 -1906). 193
über Griechenland eine Zeitlang aufs schwerste beeinträchtigte. Aller-
dings hat Sokolow dies Ereignis bereits auf 261 fixieren wollen,
allein mit Recht macht Beloch geltend, daß der Abfall nicht gut
unmittelbar vor die Schlacht von Kos fallen kann, da Alexander in
Korinth und Chalkis ja die beiden Hauptarsenale in Händen hatte,
und gleich nach der Entscheidung ist sein Abfall ebensowenig wahr-
scheinlich. Dagegen ist er ganz gut begreiflich, nachdem zwischen
Makedonien und Syrien ein Bruch eingetreten war. Übrigens ward AI.
sowohl von Antiochos wie von Ptolemaios unterstützt, und in der Tat
hatte der Ägypter allen Grund dazu, denn nur der Schwächung der
makedonischen Flotte, deren Waffenplätze in der Hand des Ab-
gefallenen waren, verdankt Euergetes Flotte die starken Erfolge, die
sie im Beginn des dritten syrischen Krieges im ägäischen Meere
davontrug. Daß in den letzten Jahren des Philadelphos Thera und
Astypalaia die letzten Außenposten der ptolemäischen Macht im
ägäischen Meere waren, wie Dürrbach und Jardö a. a. 0. meinen,
glaube ich nicht , vielmehr muß es schon damals Ägypten gelungen
sein, einen Teil des am Tage von Kos verlorenen Einflusses zurück-
zubringen, und es ist nicht recht abzusehen, wie auch Delamarre
a. a. 0. zu der Behauptung kommt, es sei nicht zu begreifen, auf
welche Weise die Herrschaft über die Kykladen, einmal verloren, von
den Ägyptern wieder gewonnen werden konnte. Es war der Abfall
des Alexandros und die Lähmung der makedonischen Seemacht, die
rhiladelphos gestattete, seine durch die Schlacht von Kos zertrümmerte
Macht im Archipel teilweise wiederherzustellen , wie denn auch das
Marmor Adulitanum die Kykladen als einen Teil des auf Euergetes
vererbten Besitzstandes nennt. Erst als nach dem Tode Alexanders —
247 nach Sokolow — sein Besitz, Korinth und Chalkis, an Antigonos
zurückfiel, begann die Reorganisation der makedonischen Flotte, und
der Tag von Andros entschied zum zweiten Male über die See-
herrschaft im ägäischen Meere.
Schwierig dagegen ist die Chronologie der Verhältnisse in
Kyrene. Nach dem Königskanon des Porphyrios, der allerdings
wenig Gewähr haben mag , regierte Magas etwa von 808 — 258, und
dies stimmt wenigstens zu einem bisher unerklärten Faktum aus-
gezeichnet, nämlich zu dem Mitregenten Ptolemaios, Sohn des Ptole-
maios, der, wie oben erwähnt, von 267 — 259/8 in den Papyrusurkunden
erscheint; dies ist dann eben Euergetes, dessen Mitregentschaft in
Ägypten natürlich in dem Moment aufhörte, wo er mit der Hand
der jungen Prinzessin Berenike den Thron von Kyrene gewann. Auch
paßt dazu das Alter der Apame, die etwa um 292 geboren war, 274
Jahresbericht fttr AlfertumgwiMenschaft. Bd. CXXXV. 13
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194
Thomas Lenscbau.
oder kurz vorher Magas heiratete und damals, als sie sich mit dem
schönen Demetrios einließ, etwa 34 Jahre zählte; wenn Justin sie
Arsinoe nennt, so könnte man das als eine seiner beliebten Flüchtig-
keiten ansehen. Aber dagegen hat Beloch neben anderen minder
wichtigen Zeugnissen ein sehr schwerwiegendes geltend gemacht (III.
2, 133 ff.). Nach Cat. 66, 10 ff., d. h. also nach dem zeitgenössischen
Zeugnis des Kallimachos, war Euergetes jung vermählt, als er seinen
großen Eroberungszug nach Asien antrat, und da die Heirat Berenikes
doch offenbar mit der Wiedergewinnung Kyrenes durch Euergetes in
Zusammenhang steht, so kann diese nicht allzulange vor 247 erfolgt
sein. Beloch setzt deshalb Magas Regierung etwa von 300 — 250.
und es läßt sich nicht leugnen, daß sowohl 259 wie 249 die poli-
tischen Verhältnisse für eine Diversion Makedoniens in Kyrene günstig
waren. Die Entscheidung ist sehr schwierig. Merkwürdig bleibt es
nur. daß Beloch bei seinem Ansatz (248 etwa) an dem Namen der
Apame festhält. Aber diese war damals 44 Jahre, also, um mit B.
zu reden (S. 135), nach griechischen Begriffen sicher eine alte Frau,
als Demetrios sich mit ihr einließ. Unmöglich ist das natürlich
nicht, aber immerhin unwahrscheinlich, und so wird man die Angabe
Justins, die Mutter Berenikes habe Arsinoe geheißen, nicht so ohne
weiteres mit B. von der Hand weisen dürfen. Magas wäre also in
zweiter Ehe mit einer Arsinoe vermählt gewesen, deren Tochter
Berenike 248 noch eine parva virgo, also etwa 14 jährig war. Wer
diese Arsinoe war, ist freilich nicht auszumachen. Niebuhrs Ver-
mutung, es sei die erste Gemahlin des Philadelphos gewesen, ist
wohl sicher unrichtig ; der Name kommt zuerst in der makedonischen
Familie der Argeaden vor (Beloch S. 125) und ist erst von dort ins
Lagidenhaus gekommen. Möglich wäre es also, daß diese Arsinoe
irgendwie einer Seitenlinie des alten Königshauses entstammte.
Mit dem dritten syrischen Kriege und dem Bruderkrieg
zwischen Seleukos Kallinikos und Antiochos Hierax betreten wir ein
Gebiet, das infolge der Mangelhaftigkeit unserer Quellen von jeher ein
Schauplatz der verschiedensten Konstruktionen gewesen ist. Zu den
vorhandenen Vermutungen, die Beloch (S. 451 f., vgl. bes. die gute
Übersicht G. Cardinalis a. a. 0.) aufzählt , kommen als neu seine
eigene, mit der Cardinalis Aufstellung sich im wesentlichen deckt,
und die von Corradi hinzu, der zuletzt das ganze Problem be-
handelt hat. Auszugehen wird von der großen smyrnäischen Inschrift
sein, in der erzählt wird, daß zu der Zeit, da König Seleukos &U tt>
SeXeoxtoa o7rep£pa/vev, die Stadt Smyrna trotz bedrängter äußerer
Umstände dem König die Treue gewahrt habe; deshalb habe auch
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Jahresbericht über griechische Geschichte (1903—1906).
105
der König die Stadt geehrt and in betreff der Asylie des Heiligtums
der Aphrodite Stratonikis an die hellenische Welt geschrieben ; jetzt
aber seien uitepßeßXTjxfooc tou ßa3tX£a>c, von Smyrna, am dem
König die Treue bewahren zu können, Verhandlungen mit Magnesia
eingeleitet usw. Nun ist der Zeitpunkt jenes königlichen Send-
schreibens ziemlich genau zu bestimmen, da wir die Antwort von
Delphi haben (Michel 258 = Dial. Inschr. II, 2783), worin die
Asylie bewilligt wird, und die Theoren o? x4 llüöia dra^e'XXovte?
den Auftrag erhalten, dem König die Anerkennung von Delphi aus-
zusprechen. Es handelt sich hier, wie Beloch richtig gesehen hat,
um die Pythien von 242, also fallen die schwierigen Umstände, in
denen die Stadt dem König die Treue wahrte, und der Brief des
Königs noch in 243. Bald darauf hat er den Übergang über den
Tauros in die Seleukis bewerkstelligt, wo er bedeutende Erfolge
erzielte. Damit stimmt die Nachricht von der Gründung von Kallinikon
am Euphrat, die nach dem Chronicon Paschale unter den Konsuln
von 242 stattfand, und eine zweite Notiz Über die Befreiung von
Orthosia und Damaskos, die nach Euseb. Arm. Übers. Ol. 134, 1,
d. h. 242/1 erfolgte. Darauf greift er Ägypten an, wird geschlagen
und tritt nunmehr seinem Bruder die Herrschaft über den Tauros
ab, worauf Euergetes sich veranlaßt sieht, Frieden zu schließen
(240/39 nach Niese und Bouche'-Leclercq). Die bisher genannten
Ereignisse bilden eine in sich zusammenhängende Kette, denn daß
mit dem öirepeßaXe der Inschrift und dem späteren ÖTrepßeßXrjxoTo?
dieselbe Unternehmung gemeint ist, wie auch Haussoullier S. 118 f.
hervorhebt, ist an sich klar und hätte von Beloch nicht bezweifelt
werden sollen. Dieser zusammenhängende Komplex von Tatsachen
muß den Angelpunkt der Chronologie bilden, und schon aus diesem
Grunde ist es wenig wahrscheinlich, daß das in der armen. Übers,
für die Befreiung von Orthosia und Damaskos angesetzte Datum
Ol. 134, 1 mit Beloch und Cardinali in Ol. 135, 1 zu ändern ist.
Welches sind nun die bedenklichen, im Anfang der Inschrift als
eoooo; tu»v 7roXejAio>v und t&v uTzapyovzwv dirtoXefa charakterisierten
Vorgänge, trotz deren die Stadt sich rühmt dem König die Treue
gewahrt zu haben? Die Antwort gibt Eusebios (arm. Übers.), der
vor den erwähnten Ereignissen die Anfänge des Bruderkrieges erzählt.
Laodike und Antiochos erheben sich gegen Seleukos, der in Lydien
siegt, aber weder das von Laodikens Bruder behauptete Sardes, noch
das von den Ägyptern besetzte Ephesos nehmen kann, sondern nach
diesen vergeblichen Versuchen, eine Operationsbasis zu gewinnen, eine
Niederlage erleidet, sich dann im Osten Kleinasiens auf die Seleukis
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Thomas Lenschau.
wirft und hier die vorhin erwähnten bedeutenden Erfolge erzielt.
Nimmt man für diese Ereignisse, die also den bedrängten Umständen
der Inschriften gleichzusetzen sind , die Jahre 245/3 an , so ergibt
sich eine mindestens partielle Gleichzeitigkeit des Bruderkrieges mit
Euergetes' Rachezug. Dieser war schon, wie das Fragment von Gurob
lehrt, in dem „die Schwester" sicher Berenike bezeichnet, und das
vielleicht den König selber zum Verfasser hat, in Syrien (nicht in
Kilikien, wie die Herausgeber wollten, vgl. Holleaux a. a. 0.), zu
Lebzeiten der Berenike im Gange, hatte also unmittelbar nach dem
Tode des Antiochos Theos II. begonnen. Auch an sich ist es nicht
gerade sehr wahrscheinlich, daß Euergetes sich auf eine so weit-
aussehende Unternehmung wie den Zug in die oberen Satrapieen, der
seine Rückzugslinien jedem Angriff von Kleinasien preisgab, überhaupt
eingelassen haben sollte, wenn er nicht genau gewußt hätte, daß die
selenkidische Hauptmacht in Kleinasien völlig durch den Bruder-
krieg gelähmt war. Um noch sicherer zu gehen, ließ er vielleicht
seine Flotte in Kleinasien den Empörer unterstützen ; das konnte ge-
schehen, wenn auch ein Einverständnis zwischen Euergetes und der
intellektuellen Mörderin seiner Schwester nicht vorausgesetzt werden
darf. Der hier entwickelten Ansicht steht unter den älteren die von
Köhler, unter den neueren die von Corradi am nächsten; doch kann
ich dessen Ansetzung der Schlacht von Andros auf 244/3 aus den
oben angeführten Gründen nicht billigen.
Anders Beloch und Cardinali, bei denen der syrische Krieg gegen
Ptolemaios und der Friedensschluß dem Bruderkriege vorausliegen.
Die Worte des smyrnaeischen Dekrets, in denen das Volk von sich
rühmt, es habe Seleukos die Treue gewahrt, oO xaTaicXa-j-el? ttjv t&v
Ivavrftuv fyoäov ouhk <ppovtisa? ttjs tcuv us:apy6vxa)v drcoXefa?, bezieht
B. III, 1, 700 A. nur auf die Erfolge, die die ptolemäische Flotte
am Anfang des Rachekrieges in Kleinasien erzielte. Allein dagegen
spricht m. E. einmal die bestimmte Angabe des Ens., der die Anfänge
des Bruderkrieges vorher erwähnt, und die Ausschließlichkeit, mit der
in der Inschrift stets Seleukos genannt wird. Laodike und Antiochos
werden gar nicht erwähnt, wozu kein Grund vorlag, wenn die Ver-
feindung damals noch nicht eingetreten war. Vor allem aber begreift
man eins nach der Anordnung von Bei. und Card, gar nicht: warum
rief Seleukos nach der verunglückten Unternehmung gegen Ägypten
seinen Bruder zu Hilfe ? Antiochos muß damals doch wohl über eine
recht bedeutende Macht verfügt haben, wenn von seinem Beitritt
Seleukos eine günstige Wendung der Dinge erhoffen, Ptolemaios sie
befürchten konnte, und wie soll er diese Macht sich angeeignet haben,
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Jahresbericht über griechische Geschichte (1903— 1906). 197
außer im Kampf mit dem rechtmäßigen Erben der Gesamtmonarchie,
d. h. mit Seleukos ? Hier erkennt man ganz deutlich, daß die ersten
Phasen des Bruderkrieges dem Rachezug gleichzeitig sind, und
Antiochos' Jugend kann sicher nicht dagegen ins Feld geführt werden.
Den Krieg führte für ihn seine Mutter Laodike, und mir wenigstens
ist es sehr wahrscheinlich, daß die Bezeichnung Aaoöfoetoc ito'Xefioc,
die sich in einer Inschrift von Priene findet (jetzt Priene no. 87, 134),
auf die erste Periode des Bruderkrieges und nicht, wie alle Forscher
getan haben, auf den Rachezug des Ägypters zu beziehen ist.
Wann der Friede mit Ptolemaios geschlossen ist, wissen wir
nicht genau; der oben gegebene Ansatz 240/39 kann noch ein paar
Jahre herabgedrückt werden, da durch die Notiz des Eutrop III, 12
der Abschluß nur innerhalb der Jahre 241 — 237 festgelegt ist (Bei.
III, 2, 453. Corradi a. a. 0.). In diese Zeit der Eintracht zwischen
den beiden Brüdern setzt B. auch die gemeinsame Schenkung
beider an das Didymeion, weil in der Urkunde beide als Könige
bezeichnet werden (Ditt. 1 170 = CIG. 2852, nach eigener Abschrift
bei Haussoullier S. 195 ff.). Dann ist es allerdings charakteristisch,
wie auch B. hervorhebt, daß Seleukos allein das Begleitschreiben
verfaßt, zumal Milet doch sicher zum Machtbereich des Antiochos
Hierax gehörte, dem alles Land bis zum Tauros abgetreten war; man
wird kaum umhin können, alsdann für Seleukos mit Bouch£-Leclercq
die Stellung als Oberkönig in Anspruch zu nehmen. Einfacher aber
erscheint es, die Schenkung ebenso wie das bei Haussoullier S. 114
abgedruckte Dekret mit diesem Forscher S. 130 den ersten Regierungs-
jahren Seleukos II. zuzuweisen, wo denn die Weglassung des damals
noch unmündigen Antiochos sich leichter erklärt. Jedenfalls hat das
gute Einvernehmen nicht lange gedauert; wie es scheint, war es
Seleukos, der den Frieden brach, sich aber im Kriege mit seinem
Bruder nur eine gewaltige Niederlage holte. Dies ist wahrscheinlich
die im Prol. Trog. 27 genannte Schlacht von Ankyra, von der sich
eine Spur auch in der Arm. Übersetzung findet, wenn auch an falscher
Stelle. Ich wüßte wenigstens nicht, worauf sich sonst die Nachricht
von einer Niederlage des Seleukos beziehen sollte, in der er
20 000 Mann gegen die Gallier verlor. Allerdings wird sie unmittelbar
vor seinem Übergang nach der Seleukis (Ende 243 oder Anfang 242),
erwähnt, was aber offenbar ein Irrtum ist. Es ist schwer zu
glauben, daß Seleukos unmittelbar nach einer so vernichtenden
Niederlage so glänzende Erfolge 242 und 241 in der Seleukos er-
zielen konnte. Vielleicht hat Eusebios auf ein kleines für Seleukos
ungünstiges Rückzugsgefecht beim Übergang die Verlustangaben von
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I
198 Thomas Lenschau.
Ankyra übertragen. Ist das richtig, so hat Sei. einen neuen Angriff
auf die Besitzungen seines Bruders nicht mehr unternommen und sieb
vielmehr der Konsolidierung seines Reiches in den oberen Satrapien
zugewandt. Wann die Schlacht anzusetzen ist, bleibt ungewiß, Belochs
Ansatz auf 237 hat manches für sich; indessen wird man nach den
oben Gesagten eher geneigt sein, noch etwas weiter hinabzugehen,
zumal wenn wirklich, wie es nach Justin erscheinen muß, der Krieg
des Attalos gegen die Gallier und Antiochos mit der
Schlacht von Ankyra in einem ursächlichen und zeitlichen Zusammen-
hang steht.
Gegen diesen Zusammenhang wendet sich Cardinali (il regno di
P. p. 21 f.) mit großer Schärfe, allein das liegt nur daran, daß er
die Schlacht von Ankyra ins Jahr 289/8 verlegt, wodurch dann freilich
der Krieg zwischen Attalos und Antiochos samt den Galliern eine
unwahrscheinliche Ausdehnung gewinnt. Geht man aber, wogegen
kein Grund vorliegt, mit Ankyra bis 235 hinab, so ist der Zusammen-
hang durchaus möglich. In die Folgejahre fallen Antiochos Unter-
nehmungen in Großphrygien, seine Gefangennahme durch die Galster.
sein Sieg bei Magnesia (welches ist gemeint?) und endlich sein
Bündnis mit den bisherigen Gegnern. Diese Ereignisse füllen ein
paar Jahre aus , und daran würde sich dann der Kampf des Per-
gameners gegen beide anschließen. Denn das halte ich allerdings für
einen Hauptgewinn aus Belochs (HI, 2, 458 ff.,) und Card inali*
(Perg. S. 28 f.) Ausführungen, daß von einem besonderen großen
Siege des Attalos über die Galater nicht die Rede sein kann, daß
dieser auch bei Polybios gelegentlich erwähnte Sieg nichts weiter
ist als der Niederschlag des Gesamtkampfes gegen Galater und
Antiochos. Die bewußte Absicht des Attalos, sich als den Champion
des Hellenentums gegen die Barbaren hinzustellen, hat allmählich jene
Auffassung bewirkt und den Anteil des Antiochos ganz eliminiert.
Attalos konnte nichts daran liegen, die Erinnerung an den Kampf
gegen den Seleukiden zu konservieren, dessen Geschlecht sich schon
früher wie er als den Hort des Griechentums gegen den Nationalfeind
erwiesen hatte. Sehr gut macht weiter Card. (S. 37 ff.) darauf auf-
merksam, daß die ganze Art, wie der Krieg entstand, diese Ent-
wicklung begünstigte, und daß wir auch hierin die schlaue Berechnung
des Attalos zu erkennen haben. Der Krieg ging zuerst nur gegen
die Galater, denen er den Tribut verweigerte. Allein er wnßte ganz
gut, daß nach dem bestehenden Bündnis Antiochos eingreifen mußte,
und das gerade war seine Absicht, denn nur im Kampf gegen ihn
konnte er sein eigentliches Ziel, die Eroberung Kleinasiens, erreichen.
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Jahresbericht über griechische Geschichte (1903-1906).
199
Antiochos aber war damit von vornherein in eine sehr ungünstige Position
gedrängt ; denn da er im Nationalkampf sich auf die Seite des Feindes
schlug, so mußte er sich damit die Sympathien der Völker gegen
das angestammte Herrscherhaus verscherzen. Was diese bedeuteten,
hat Attalos selber erfahren müssen, als wenige Jahre später seine
Macht elend vor Achaios zusammenbrach. Der Verlauf des Krieges
ergibt sich aas Eusebios, der aber hier, wo er von den Seleukiden
spricht, nur die Kämpfe zwischen Antiochos und Attalos erwähnt;
das waren zwei Schlachten in Lydien 229/8, dann der Kampf bei
Koloe wohl noch in demselben Jahre, endlich ein letzter Kampf in
Karien 228/7. Der Sieg über die Gallier an den Kaikosquellen und
über die Gallier mit Antiochos am Aphrodision fallen dann wohl
früher 231 und 230, so daß dem zeitlichen Zusammenhang dieser
Kämpfe mit Ankyra nichts im Wege steht.
Der Krieg zwischen Attalos und Antiochos Hierax war wohl noch
nicht ganz zu Ende, als auch der große Kampf zwischen Doson
und Euergetes ausbrach , der in der Schlacht bei Sellasia sein
Ende fund. Die Expedition Dosons nach Karien fixiert Beloch auf
227 , damals vernichtete der Sieg von Andros die ägyptische Herr-
schaft , nur in Thera hielt sie sich , wie H i 1 1 e r erwiesen hat , und
ebensowohl auch zum Teil in Kreta. Hier war es nach der Schlacht
von Kos Patroklos gelungen, im großen und ganzen die ptolemäische
Herrschaft oder besser das Protektorat des Ägypters über die Insel
aufrechtzuerhalten, wie Cardinali (Crete p. 80) zeigt. Allein schon
Demetrios II. faßte auch auf Kreta festen Fuß. wie der Vertrag
zwischen ihm einerseits und Gortyn und Genossen anderseits beweist
(Am. Journ. 1897, S. 118, no. 17). In dieselbe Zeit gehören die
attischen Dekrete bei Ditt. syll. 2 241 — 2-13, die bisher in die Jahre
219 — 217, d. h. in den Bundesgenossenkrieg gesetzt wurden. Aber
Card, zeigt, daß unter dem Archon Heliodor, nach dem die eine
Inschrift datiert ist, noch 12 Phylen vorhanden waren (CIA. IV, 2,
885 b); er fällt also vor 221/0, wo die 13. (Ptolemais) begründet ward.
Nach dem Schaltzyklus verlegt Card, ihn auf 231/0, nach Ferguson
kommt nur 229/8 in Betracht. Damals waren die Athener Freunde
des Demetrios II. , und so erklärt es sich denn auch , warum die
athenische Gesandtschaft nicht nach Gortyn geschickt ward ; dies war
damals schon ohnehin mit Demetrios befreundet. Etwas später sind
dann nach Card, die Verträge zwischen Eleutherna und Antigonos
anzusetzen, natürlich ist Doson gemeint, mit dessen Sieg bei Andros
sie in Zusammenhang stehen.
Für die Geschichte des unmittelbar hier anschließenden Krieges
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Thomas Lenschau.
des achäischen Bundes gegen Kleomenes haben sich die seinerzeit
von Klatt gelegten Grundlagen auch heute noch bewährt; dagegen
hat die Endkatastrophe, die Schlacht von Sellasia, durch
Eromayer eine eingebende Behandlung erfahren , die dann nicht
ohne starken Widerspruch von Seiten Roloffs und Lammerts ge-
blieben ist. Kromayer hat zunächst im Auschluß an Roß das
Gelände der Schlacht festgelegt und zwar auf der Stelle, wo der
Oinus-(j. Kelephina-)bach , ein Nebenfluß des Eurotas , nördlich von
Sellasia auf der rechten Seite einen kleinen Zufluß empfängt, dessen
tief eingerissenes Bett die im Schlachtbericht erwähnte Gorgylos-
schlucht bildet. Südlich erhebt sich unmittelbar und steil genug der
Euas, während gegenüber, am linken Ufer des Oinus , mit sanfteren
Abhängen der Olympos emporsteigt. Allein während Roß der Ansicht
war, daß eben durch die Gorgylosschlucht die antike Straße nach
Sparta führte, hat Krom. südlich vom Euas die Spuren der alten
Straße im Oinustal entdeckt, woraus hervorging, daß diese dem Lauf
des Oinus folgend zwischen Euas und Olympos hindurchging und dann
erst, au der Stelle, wo sich das Oinustal zu einer fast unpassierbaren
Klamm verengert, südöstlich nach Sparta abbiegend das Tal verließ.
Dies ist insofern wichtig, als uns überliefert ist (Pol. II, 65), die
Straße habe zwischen beiden Flügeln des Kleomenes hindurchgeführt,
was Kromayers Ansetzung von Euas und Olympos bestätigt, während
Roß, bei dem die Straße nördlich am Euas vorbeigeht, die rechts
nordwestlich davon gelegenen Turlahöben als den Euas in Anspruch
nehmen mußte. Weiter hat Krom. die Hauptmomente der Schlacht,
die nächtliche Umgehung des Euas, die Aufstellung beider Heere,
den Sturm auf den Euas , den Kampf im Zentrum , endlich den ent-
scheidenden Zusammenstoß der beiden Phalangen auf dem Olympo»
m. E. bis auf einige minder wichtige Nebenumstände durchaus zu-
treffend dargestellt, und es ist ganz charakteristisch, daß in allem,
was das Gelände (vgl. die vortreffliche Karte des Hauptmann Goppel
bei Kromayer) und den eigentlichen Schlachtverlauf betrifft, Roloff
sich an Krom. anschließt, ohne dies, wie es sich gerechterweise
gebührt hätte, genügend hervorzuheben.
Dagegen erklärt R. die Intentionen des Spartanerkönigs ganz
anders als Kr., der den Worten des Polybios (H, 65, 11), Kleomenes
Stellung habe der Auslage eines guten Fechters geglichen und sei zu
beidem, zum Angriff und zur Verteidigung gleich geeignet gewesen,
zu viel Bedeutung beimißt. Kr. läßt den Kleomenes schon beim
Beginn der Schlacht entschlossen sein, zum Angriff vorzugehen, was
scheinbar durch die Worte des Polybios unterstützt wird, daß beide
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Jahresbericht über griechische Geschichte (1903—1906). 201
Könige sich zum Angriff entschlossen hätten (c. 66, 4). Allein
dagegen wendet Kol. mit Recht ein, daß nach dem Schlachtbericht
des Polybios die Einnahme des Euas, mit der er nicht einen Augen-
blick gerechnet hatte, dem Kleomenes völlig überraschend kam, daß
er erst jetzt sich zum Angriff entschloß (c. 69, 6), und daß dieser
somit als eine vom Augenblick eingegebene Tat der Verzweiflung
erscheint. Diese Ansicht wird noch durch die Anlage der Feld-
befestigung auf dem Ol ympos unterstützt ; wäre Kleomenes von vorn-
herein entschlossen gewesen, zum Angriff vorzugehen, so konnte
ihm die Befestigung nur hinderlich sein, wie sie denn ja auch tat-
sächlich kurz vor dem Angriff beseitigt werden mußte. Ihre Anlage
deutet darauf hin, daß ursprünglich Kleomenes Antigonos Angriff
hinter seinen Wällen erwarten wollte, um ihn dann durch den Gegen-
stoß seiner Phalanx den Abhang hinunterzufegen. Die weiteren Be-
merkungen Roloffs betreffen mehr Kleinigkeiten; richtig ist die, daß
Krom. Philopoimens Anteil an der Schlacht ungebührlich herabsetzt
und an eine Parteilichkeit des Polybios zu glauben scheint. Antigonos
Äußerung zeigt doch, daß er dem Eingreifen des jungen Mannes
einen wichtigen Anteil am Erfolg zuschrieb , insofern dadurch der
kombinierte Angriff auf den Euas überhaupt möglich ward. Im
übrigen scheint mir Kleomenes Überraschung auch darin begründet,
daß er von seinem Standpunkt auf dem Olymp nur den Nord- und
Ostabhang des Euas übersah ; er erblickte wohl die hier ansteigenden
Stunnkolonnen, aber er sah auch den Rückenangriff seiner Leichten und
hielt dadurch den Sturmangriff des Feindes für gelähmt. Daß die
Gefahr von der ihm unsichtbaren Westseite des Euas drohte, hat er nicht
geahnt, wie es scheint, durch das Ergebnis einer von ihm angeordneten,
aber sehr mangelhaft ausgeführten Rekognoszierung getäuscht.
Anderseits hat sich nun L a m m e r t besonders gegen die Stellung
gewandt, die Kr. den einzelnen Truppenteilen anweist, und zunächst
die Ansetzung des makedonischen Lagers in der Oinusebene, 3 — 400 m
nördlich von der Gorgylosschlucht beanstandet. Die Worte des
Polybios, daß Antigonos die Schlucht als itpo'ßXijjj.a gewählt habe, zeigen
doch nach L. — und das ist richtig — , daß das Lager unmittelbar
hinter der Gorgylosschlucht lag; dies aber ist nach L. unmöglich,
da dann das makedonische Lager von dem überragenden Euas aus
beschossen werden konnte. Das stimmt, wenn Antigonos sein Lager
unmittelbar unter dem steilen Abhang im NW. des Berges anlegte;
allein so töricht wird er wohl nicht gewesen sein , sondern zum
Lagerplatz den Winkel zwischen Oinus und Gorgylos gewählt haben,
den beide beim Zusammenfluß bilden, und dieser lag, wie ein Blick auf
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Thomas Lenschau.
Goeppels Karte zeigt, reichlich 5 — 600 m von der Höhe des Euas
entfernt. Weiter ist die Nullfläcbc des Olymposabhanges , auf dem
der Zustammenstoß der beiden Phalangen erfolgte, nach L. zu klein,
da nach Plnt. im Leben des Kleom. Antigonos 900 m zurückgeworfen
ward, wozu allerdings der Platz in keiner Weise ausreicht. L. hat
daher auch hier, wie bei Mantineia, mit Benutzung von Kr.s topo-
graphischem Material eine wesentlich neue Anordnung der Schlacht
gegeben, die allerdings sehr unglücklich ausgefallen ist. Danach
stand Kleomenes Zentrum da, wo es auch Kr. ansetzt, an der Stelle,
wo sich das Oinustal plötzlich verengert, während beide Flügel weit
nach N. vorgeschoben waren. Eukleidas stand, wie schon Roß an-
genommen hatte, auf den Turlahöhen, WNW. von Kromayers Eaas.
Kleomenes dagegen auf der nördlichen höheren Kuppe des Olyrapos.
von der sich das Gelände in sanfter Neigung westlich zum Oinus
berabsenkt; die Gorgylosschlucht ist die kleine Schlucht nördlich
vom Khan des Krevatas. Der Angriff auf die Turlahöhen erfolgte von
W. und SW. ; dagegen ward Antigonos 900 m bis ins Oinustal beim
Zusammenstoß hinabgetrieben und erst, als sich seine Leute auf dem
andern Oinusufer wieder gesammelt hatten, erfolgte der Gegenstoß,
der Kleomenes 900 m den Berg hinauf und über die Kuppe des
Berges weg zurückwarf. Schon das klingt wenig wahrscheinlich, und
unbegreiflich bleibt es , wie die Leichten von Kleomenes Zentrum
überhaupt den Angriff auf die Turlahöhen bemerken konnten, der
doch auf der ihnen abgewandten Seite des Berges, von W. und SW.
erfolgte, und wie sie dann überhaupt xat' oOp&v angreifen konnten.
Selbst südlich um Krom. Euas herum hatte das seine Schwierig-
keit. Endlich aber ist die kaum 2 — 300 m lange Schlucht beim Khan
des Krevatas viel zu klein, um einen Hinterhalt von 4600 Soldaten zu
verbergen, ganz abgesehen davon, daß sie auch viel zu entfernt von
den Turlahöhen liegt, um die feindliche Stellung wirksam zu umfassen.
Nichts zeigt besser, als dieser Lammertsche Erklärungsversuch, daß
Kr. die topographischen Grundlagen der Schlacht richtig bestimmt hat.
Wenige Monate nach der Schlacht von Sellasia, die um Mittsommer
221 stattfand, starb König Ptolemaios Euergetes etwa im Herbst
desselben Jahres (s. o. S. 165), nachdem er bis zuletzt die Regierung
geführt hatte. Den Gedanken, den Wilcken im Vorübergehen auf
Grund einer Stelle in den Pap. von Magdola ausgesprochen hatte,
daß nämlich Euergetes gegen Ende seiner Regierung abgedankt habe,
hat er selber zurückgezogen, nachdem der Text der genannten Stelle
sich als auf falscher Lesung beruhend erwiesen hat. Der König
hinterließ bei seinem Tode, wie die von Soteriades in Thermon
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Jahresbericht über griechische Geschichte (1903-1906). 203
gefnndenen Basen der vom ätolischen Bunde geweihten Statnen
ergeben, vier Söhne : Ptolemaios, Magas, Alexandros und noch einen,
dessen Name nicht erhalten ist, sowie zwei Töchter, von denen die
eine Berenike, die zweite wohl Arsinoe hieß. Die Überlieferung nennt
drei Söhne und zwei, vielleicht auch drei Töchter, von denen dann
zwei den Namen Berenike geführt haben müssen ; von diesen war die
eine am 7. 3. 238 (Dekret von Kanopos) bereits gestorben. So
Beloch III, 2, 132, dessen Ausführungen über die Inschriften in
Thermon sich noch auf Soteriades vorläufigen Bericht (Panath. II,
S' 173) stützen mußten und durch die endgültige Veröffentlichung
etwas modifiziert werden. Die Ehrung des Königs durch die Ätoler
setzt Soter. wohl richtig zwischen das Bündnis der Acbäer mit Doson
zu Aigion 224 und den Tod des Königs Herbst 221.
Ganz ans Ende der hier behandelten Periode fällt der Krieg
um L y 1 1 o s , der Kreta wieder einmal in zwei Heerlager spaltete,
und von Cardinali eingehend behandelt worden ist. Die Hauptstelle
ist Pol. 4, 53 — 55, und Card, stellt zunächst die richtige Reihenfolge
der Ereignisse her, indem er beweist, daß alles, was Pol. von
c. 53, 3 — 55, 6 berichtet, dem im Eingang c. 53, 1 — 2 erwähnten
und auf den Herbst 220 anzusetzenden Ereignissen vorhergeht.
Die Zerstörung von Lyttos gelingt ihm mit einleuchtenden Gründen
auf Beginn 220 festzusetzen, während Beloch III, 1, 750 einen etwas
späteren Zeitpunkt anzunehmen scheint. Alsdann geht Card, zu
einer Prüfung der kretischen Inschriften über, die von Scrinzi,
Svoronos, Kern auf diesen Krieg bezogen worden sind •, da die sehr um-
sichtige epigraphische Untersuchung (S. 530—534) keine bestimmten
Indizien ergibt, so erörtert er ihren historischen Gehalt und kommt
zu dem Ergebnis, daß keine einzige der von den genannten Forschern
beigebrachten Inschriften mit Sicherheit auf den Krieg gedeutet
werden kann ; ja daß sich von manchen das Gegenteil beweisen läßt.
Dagegen gehört in den Krieg oder kurz danach das Ehrendekret der
Gortynier für den Arzt Hermias von Kos, das sich auf die Partei-
kämpfe in Gortyn zwischen Alten und Jungen bezieht, in des Ruinen
des Asklepieions zu Kos gefunden und von Herzog , Arch. Anz.
1903 S. 11, herausgegeben ist. Das milesische Ehrendekret für
Lichas scheint einer etwas späteren Periode anzugehören.
Bald nach 220 beginnt alsdann mit der Schlacht am Trasumennus
und dem darauffolgenden Bündnis Philipps mit Hannibal das Ein-
greifen der Römer in die Geschicke des Ostens-, der Friede von
Naupaktos, auf dem der Ätoler Agelaos seine warnende Stimme
erhob, ist das letzte Ereignis, mit dem Beloch seine Geschichte des
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Thomas Lenschau.
Hellenismus abgeschlossen hat. Kaum fünfzig Jahre haben genügt,
die hellenistische Welt unter Roms Joch zu zwingen, ein Erfolg, der
wesentlich der Uneinigkeit der griechischen Monarchien und Roms
geschickter Politik zuzuschreiben ist. Denn daß die Kräfte des
hellenischen Ostens nicht gering zu bemessen sind, das haben Belochs
instruktive Übersichten gelehrt, die vielleicht in einzelnen Punkten
sogar noch zu knapp veranschlagen. So scheint mir die Bevölkerungs-
zahl Ägyptens mit 10 Mill. einschließlich der Dependenzen, Kypros
und Kyrene, doch ziemlich unterschätzt. Heute ernährt Ägypten
etwa allein dieselbe Zahl, aber für das Altertum glaubt B. herab-
gehen zu müssen, da damals das Land Getreide exportierte, was heute
nicht mehr der Fall ist. Allein heute sind, wie Lord Cromers letzter
Bericht zeigt, reichlich 22 °/o des Areals mit Baumwollkulturen bedeckt ;
rechnet man dies für das Altertum dem Areal für Körnerbau hinzu,
so konnte auch bei nennenswertem Export die Bevölkerung Ägyptens
im Altertum ebensogroß sein, so daß also das Reich mit Einschluß
der Dependenzen ganz wohl 12 Mill. Einwohner gezählt haben kann.
Auf eine ähnliche Zahl — 10 Mill. für das eigentliche Ägypten bis
*Iepd ~oxaiuvo? im Altertum, heute bis Wadi Haifa — führen auch die
Angaben des Josephus, die Wachsmuth (BAG. III, 272 — 80) behandelt
und im wesentlichen als auf gutem Material beruhend nachgewiesen
hat. Um so wichtiger ist es, daß dieser geschlossenste und ver-
hältnismäßig volkreichste Staat sich von dem Konflikt zwischen den
Römern und dem Orient fast vollständig fernhielt. Die ganze Politik
der Ptolemaier, die sich um die Solidarität der griechischen Interessen
stets sehr wenig gekümmert hat, ist schon früh durch eine national-
ägyptische Reaktion beeinflußt. Auch die syrische Monarchie bot,
obwohl die Seleukiden stets die griechischen Interessen hoch hielten,
nur geringen Widerstand, zum Teil infolge der zentrifugalen Tendenzen,
die in ihr herrschten und die nie ganz zu unterdrücken waren, wie
das Beloch und Bevan sehr schön, auseinandergesetzt haben. Und
auch hier treffen wir schon auf den Beginn der nationalen Reaktion,
die die Kraft des Seleukidenreiches lähmte und den Römern den
Sieg erleichterte; weiter unten wird genauer zu erörtern sein, in-
wieweit überhaupt von einer Hellenisierung des Ostens die Rede sein
kann. So bleiben als wirkliche Gegner Roms nur die Antigonideu
übrig und das eigentliche Griechenland, die nach kurzer Einigung 217
sofort von neuem in den erbittertsten Kampf eintraten ; wenn trotzdem
Rom 50 Jahre gebraucht hat, Makedonien niederzuringen, so ist das
kein schlechtes Zeugnis für die zähe Widerstandskraft dieses Volkes,
das sich an der Kolonisation eines Weltteiles fast verblutet hatte.
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Jahresbericht über griechische Geschichte (1908—1906). 205
Siebentes Kapitel.
Die griechische Welt unter römischem Einfluß
217-146.
Brückner, Alfr., Wann ist der Altar von Pergamon errichtet worden?
Jahrb. d. Dtsch. Arch. Inst. 1904. Arch. Anz. 217—225.
— , zum Athenaios eines Psephismas aus Notion. Jahrb. d. Östr. Arch,
Inst. IX, Beiblatt 57—60.
Cardinali, Gius., Creta nel tramonto dell1 Ellenismo. Riv. di Fil. 35, 1—32.
1906.
Colin, Gustave, Rome et la Grece de 200 ä 146 av. J. Chr. 1905.
Cousin, Georges, et Maur. Holleaux, remarques sur les decrets trouväs dans
le sanctuaire de Zeus Panamarios. Bull. Corr. Hell. 28, 345—363. 1904.
Deiters, zwei kretische Inschriften aus Magnesia. Rh. Mus. 59, 565—579.
Demoulin, Hub., les Rhodiens ä Tenos. BCH. 27, 233—255. 1903.
Durrbach, F. et Jardä, fouilles de Delos (faites aux frais du duc de Loubat
en 1903) in BCH. 28, 265-807 ; 29, 169-257. 1904/5.
Egg, W., die Polybiosfragmente von Ol. 154. Progr. Gymn. Zweibrücken 1905.
Ferguson, W. S., the premature deification of Eumenes II. Public. Univ. of
California. Class. Philol. I, 231—234. 1906.
Foucart, P., le S. C. de Thisbe* Mem. Acad. inscr. t. 37. II, 1903.
Francotte, Henri, le conseil et l'assemble'e generale chez les Achtens. Mus.
Beige X, 4—21.
Graindor, Paul, les fouilles de Tenos. Mus. Beige X, 309—361, vgl. BCH.
27. 1903.
Holleaux, Maur., sur les assemblees ordinaires de la ligue e'tolienne. BCH.
29, 362—372. 1905.
— , note sur une inscription de Colophon nova. BCH. 30, 349 — 358. 1906.
— , sur un passage de la vie d'Aratos Herrn. 60, 475—478. 1906.
Kornemann, F., die neue Liviusepitome aus Oxyrhynchos. Klio, Beiheft II.
1904.
Kromayer, Johs., Antike Schlachtfelder in Griechenland II. 1907.
Mahaffy, John P., the progress ot Hellenism in Alexanders empire. Chicago
and London 1905.
Meischke, Kurt, zur Geschichte des Königs kEumenes II. von Pergamon.
Progr. Pirna 1905.
Mündt, König Nabis von Sparta. Diss. Münster i. W. 1903.
Niese, Bened., Geschichte der griechisch-makedonischen Staaten seit der
Schlacht von Chaeroneia. III. Von 188-120 v. Chr. Gotha 1903.
Papabasileios, EüßotxcL Ephem arch. 1903, 115— 134. 1905, 1—36.
Reinach, Th., remarques sur le döcret d'Athenes en honneur de Pharnaces I.
BCH. 30, 49-51.
Vollgraff, W., notes sur la fin et les consöquences de la guerre Etolienne.
Rev. PhU. 27, 236—244. 1903.
Wilhelm, Ad., Eißoixö. Eph. arch. 1904, 87—110.
Willrich, Hugo, der Geburtstag des Antiochos Epiph. BAG. IV, 116 f.
Digitized by Google
200
Thomas Lenschau.
Für die Periode der griechischen Geschichte vom Kongreß zu
Naupaktos bis zum Untergang der griechischen Freiheit bilden die
Hauptquelle die Bruchstücke des Polybios und die livianische Be-
arbeitung des Werkes, die uns Ms zur Schlacht von Pydna vollständig,
von da ab in dem kurzen Auszug der Periocben erhalten ist. Von
diesen sind kürzlich Bruchstücke einer neuen Bearbeitung in einem
Papyrus von Oxyrhynchos zutage getreten, die die Zeit von 189—137,
wenn auch nicht ganz vollständig umfassen und mit wertvollen Er-
läuterungen von Kornemann herausgegeben sind. Für die ersten
Jahre bis Pydna lehrt das Fragment nicht viel Neues, da hier die
livianische Darstellung erhalten ist, dann folgt eine Lücke, bis die
Epitome wieder mit Ende des 48. Buches und dem Jahre 150 ein-
setzt. Der Auszug geht dann weiter bis zum Beginn des 58. Buches,
d. h. bis zum Jahre 143, worauf abermals eine Lücke von einer
Kolumne folgt. Hier muß das Exzerpt sehr ausführlich gewesen sein,
da die Erzählung noch im 53. Buch Ende 142 wieder beginnt; sie wird
dann in einem Zuge bis zum 55. Buch, d. h. bis zum Jahre 137 hinab-
geführt. Obwohl natürlich der Hauptertrag der Bruchstücke der
römischen Geschichte zugute kommt , so fällt doch auch für die
griechische Geschichte manches ab. Insbesondere erfahren wir allerhand
Uber den letzten makedonischen Aufstand sowie über die Unterwerfung
Griechenlands und die Kriege in Syrien, worauf später an geeigneter
Stelle hinzuweisen sein wird.
Das geschichtliche Hauptproblem dieser Zeit ist die Beurteilung
der Politik, die die Römer den Griechen gegenüber eingeschlagen
haben. Es ist bekannt, daß die Auffassungen einander hier diametral
gegenüberstehen. Während Mommsen das Verhalten des Senats als
durchweg ehrlich und von echter Sympathie mit den Griechen ge-
tragen ansieht, einer Sympathie, die den verlotterten und verkommenen
Griechenstaaten gegeuüber fast in Schwäche ausartete, haben Duruy
und Peter es als einen Ausfluß feinsteV zugleich und niederträchtigster
Berechnung gebrandmarkt, als ein Meisterstück macchiavellistischer
Staatskunst, die die Griechen erst politisch demoralisierte, ehe sie
ihre Selbständigkeit vernichtete. Daß die Wahrheit auch hier in der
Mitte liegt, hat das schöne Werk von Colin erwiesen. Vor allem
hat er gezeigt, daß Korns Politik gegen die hellenistischen Großstaaten
durchaus von dem Verfahren zu trennen ist, das der Senat gegenüber
den Staaten des Mutterlandes beobachtete. Während jene reichlich
alle die Vorwürfe verdient, die gegen sie erhoben worden sind, war
dieses unzweifelhaft zunächst von wirklicher Freundlichkeit diktiert,
und erst der Abfall der Ätoler im syrischen Kriege hat einen Um-
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Jahresbericht über griechische Geschichte (1903—1906). 207
schwang zu Ungunsten der Griechen herbeigeführt. Allein auch
nachher ist das Verhalten Roms den Griechen gegenüber keineswegs
durchaus unfreundlich , vielmehr zeigt es eine ganz merkwürdige In-
konsequenz, und diese steht mit dem Anschwellen und Nachlassen
jener großen geistigen Bewegung Roms in Zusammenhang, die man
als den Philhellenismus bezeichnet, und deren erster und über-
zeugter Vertreter T. Quinctius Flamininus gewesen ist. Es ist das
Uauptverdienst Colins, daß er gezeigt bat, wie diese bereits seit der
Mitte des dritten Jahrhunderts beginnende Bewegung nach dem
syrisch-ätolischen Kriege einer Reaktion unterliegt, als deren Wort-
führer M. Porcius Cato betrachtet werden kann, um dann später
unter dem Einfluß des jüngeren Scipio und seines Kreises um so
stärker wieder anzuschwellen. Aus diesem Auf und Ab, das auch
von der Gier der römischen Kapitalisten nach Ausbeutung der Länder
des Ostens stark beeinflußt wird, entsteht die wechselvolle Politik
Roms gegen die Griechen, die jene eingangs erwähnte verschiedene
Beurteilung hervorgerufen hat und beiden Ansichten den Schein der
Berechtigung verleiht. Unzweifelhaft ist Colins Werk, trotz der zu-
weilen etwas ermüdenden Länge die bedeutendste Veröffentlichung,
die neben N i e s e s letztem Bande über diese Periode erschienen ist.
Nieses Werk ist in seinen Vorzügen und Nachteilen zu bekannt, als
daß ein Gesamturteil darüber hier am Platze wäre. Dieser letzte
Band ist schon deswegen von hervorragendem Wert, weil er die erste
Gesamtbehandlung der Geschichte des Ostens in diesem Zeitraum
gibt, zu der jedoch immer Bevans, Bouche*-Leclercqs und Cardinalis
schon früher genannte Spezialwerke zu vergleichen sind.
Die ziemlich wirren und unübersichtlichen Kämpfe, die wir unter
dem Namen des ersten makedonischen Krieges zusammen-
fassen , haben wenigstens in einem Punkte eine neue und besser be-
gründete Darstellung durch Kromayer gefunden, der die Schlacht
von M antin eia einer eingehenden und von vortrefflichem Karten-
material unterstützten Untersuchung unterzogen hat (Antike Schlacht!
Bd. I). Danach beabsichtigte der achäische Bundesfeldherr Philo-
poimen, wie auch die Aufstellung hinter dem Graben beweist, zunächst
sich in der Defensive zu halten, wozu er übrigens auch durch sein
bedeutend schlechteres Soldatenmaterial gezwungen ward; allein das
schloß den Gedanken einer kräftigen Offensive nicht aus, sobald sich
die Gelegenheit dazu bot, und hierzu hatte er den linken Flügel
bestimmt. Wider Erwarten ward er durch den Umstand, daß Macha-
nidas seine Front mit schwerem Geschütz bestreichen ließ, sofort zur
Offensive gezwungen, und diese mißglückte völlig, indem der linke
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208
Thomas Lenscliau.
Flügel der Achäer trotz seiner Überzahl von Machanidas überrannt
und bis nach Mantineia verfolgt ward. Dennoch gelang es Philo-
poimen, das Schicksal der Schlacht dadurch zu wenden, daß er den
Angriff der lakedaiinonischen Phalanx in den Graben zurückwarf und
dann den von der Verfolgung zurückkehrenden Machanidas vernichtete.
Gegen diese Darstellung der Schlacht hat R o 1 o f f (S. 76 ff.) einige
Einwendungen erhoben . die insofern berechtigt sind , als von einer
Überlegenheit des linken achäischen Flügels wohl kaum die Rede
sein kann ; dagegen befand sich dieser in überhöhter Stellung , wie
Polybios' Ausdruck uicepö^tot zeigt, was Krom. dem Sprachgebrauch
des Schriftstellers zuwider von einer Überflügelung versteht. Auch
über die Ausdehnung des Grabens scheint mir Roloffs Urteil richtiger;
doch betrifft alles das nur Nebenpunkte, und wenn die Schlacht-
berichte bei Polybios und Plutarch auch nicht auf alle Fragen Ant-
wort geben, so ist doch durchaus kein Grund vorhanden, sie mit
Delbrück als gänzlich widerspruchsvoll zu verwerfen. Wenn übrigens
Rol. fragt, warum die Katapelten ihren Aufmarseh nicht fortsetzten
(S. 186), so liegt da die Antwort ziemlich auf der Hand: der Sieg
des Machanidas machte ihn überflüssig, ja geradezu hinderlich für
den Stoß der lakedaimonischen Phalanx. Dieser aber mußte un-
mittelbar nach dem Siege des rechten Flügels erfolgen, da zu erwarten
war, daß sich Machanidas nach der Besiegung der ihm entgegen-
stehenden Truppen sofort auf die jetzt ungedeckte linke Flanke der
achäischen Phalanx werfen würde. Daß er das nicht tat, so wenig wie
Demetrios bei Ipsos, Antiochos bei Rhapheia und Magnesia, hat hier
ebenso wie in den übrigen genannten Fällen die Niederlage herbeigeführt.
Der Friede von 205, der den Kämpfen in Griechenland ein Ziel
setzte, ward sehr bald durch Na bis von Sparta gebrochen, dessen
Feindseligkeiten gegen die Achäer sofort das Wiederaufflackern des
Krieges im Peloponnes herbeiführten. Diesen Nabis schildert Polybios
als einen der elendesten Tyrannen seiner Zeit, was Mündt nicht
verhindert hat, an ihm die übliche Ehrenrettung zu vollziehen. So
viel ist allerdings wohl als sicher anzunehmen, daß Nabis aus könig-
lichem Geschlecht war; schon Homolle hat das (BCH. 1896, S. 502)
aus der delischen Weihinschrift ßoaiXeuc Naßi? AajAapatoo Aoxe5ai|x6vto^
geschlossen und ihn von der asiatischen Linie der Eurypontiden ab-
geleitet, die auf den vor 480 vertriebenen und später in Kleinasien
ansässigen König Damaratos zurückgeht. Daß sich Nabis auf das Volk
stützte und dieses im ganzen zu ihm stand (Mündt S. 34), ist richtig,
aber auch schon von andern bemerkt. Gewiß übertrieb Polybios,
dennoch aber kann der Umstand, daß von Verschwörungen gegen
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Jahresbericht über griechische Geschichte (1903—1906). 209
König Nabis nichts bekannt ist, während sie unter Lykurg 219 zwei-
mal vorkamen , ans noch nicht dazu berechtigen , Polybios Bericht
als ein Zerrbild zu betrachten. Wahrscheinlich war Nabis nicht
besser, aber auch nicht viel schlechter als die meisten Monarchen
seiner Zeit, die in den Mitteln alle wenig wählerisch waren, und daß
er mit den Seeräubern von Kreta in Verbindung stand, kann auch
Mündt nicht leugnen. Übrigens hatte in Kreta seit der Zerstörung
von Lyttos der Kampf nur vorübergehend aufgehört. Zwei Inschriften
von Magnesia (Kern 65a u. b), die der neueste Bearbeiter, Deiters,
in den Zeitraum von 216/5 bis 205/4 setzen möchte, zeigen, daß
damals Knossos und Gortyn wieder in erbitterter Fehde lagen.
Der Tod Philopators (205/4) führte in den Verhältnissen des
griechischen Ostens insofern eine bedeutende Änderung herbei, als die
unmittelbar folgenden Wirren und die Jugend seines Nachfolgers jenes
Bündnis zwischen Philipp und Antiochos hervorriefen, dessen aus-
gesprochener Zweck die Aufteilung der auswärtigen Besitzungen des
Ptolemäerreiches war. Die Aufteilung sollte in der Weise vor sich
gehen, daß Philipp Kyrene, die Kykladen und Ionien, Antiochos
Koilesyrien und die übrigen Besitzungen in Kleinasien und am
Hellespont erhielt. Während aber Antiochos ohne große Schwierig-
keiten Koilesyrien an sich riß und durch die Schlacht am Berge
Paneion behauptete, stieß Philipp auf einen energischen Widerstand,
zu dem sich König Attalos, die Rhodier und die freien Griechen,
zuletzt auch Athen vereinigten. Unter den Bundesgenossen war
Attalos unzweifelhaft der mächtigste, obwohl ihm von seiner einstigen
Eroberung Kleinasiens wenig mehr als die bereits vom Vater ererbten
Landschaften geblieben waren. Daß indessen nach Süden zu sein
Gebiet weiter reichte , als z. B. Beloch annahm , und sicher noch
Neukolophon (Notion) mit umfaßte, hat C a r d i n a 1 i (§. 86 ff. und 94)
erwiesen ; seine Ausführungen werden durch eine Inschrift bestätigt, die
zuerst von Macridy (Jahresh. d. östr. arch. Inst. VIII, 161 — 3), dann
vollständiger von H olle au x a. a. O. herausgegeben ist. Dieser
erkennt in ihr ein Dekret zu Ehren des Athenaios, des vierten Sohnes
von Attalos I. und Apollonis, und vermutet wohl mit Recht, daß es
noch vor 197 fällt , da sonst bei der Nennung seiner Brüder doch
Eumenes II. als König besonders hervorgehoben wäre. Anderseits
kann die Inschrift auch nicht wohl viel früher fallen, da Athenaios
zwischen 219 und 215 geboren ist; sie ist also um 200 anzusetzen.
Zu denselben Schlüssen in bezug auf Person und Inhalt des Dekrets
ist unabhängig von H. auch Brückner gekommen, der ebenfalls
eine Ergänzung der Inschrift bietet, die von der H.s in einigen
Jahresbericht för AltertuTnawisaenschan. Bd. CXXXV. H
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Thomas Lenscbau.
Punkten abweicht. — ÜbrigenB waren auch die Rhodier für Philipp
nicht zu verachtende Gegner; je mehr die Macht der Ptolemaier nach
und nach im ägäischen Meer unter Philopator in Verfall geraten war,
um so mehr hatte sich die ihre ausgebreitet. Besonders auf Tenos
haben sich davon dentliche Spuren in einer Reihe von Dekreten er-
halten, die Demoulin herausgegeben hat. Danach war die
Macht der Rhodier gegenüber den Inseln, die sich ihnen an-
schlössen, keineswegs gering. Wie es scheint, stellten sie den Ober-
befehlshaber der Bundesmarine und hatten auch sonst in militärischer
Hinsicht weitgehende Befugnisse, wie die Worte der Dekrete dttoora-
Xelc U x^v atpatMox (5>v auXtor^v od. fupvaaiav xai tijc iro*)Xea>?
iTOji&eiav bezeichnen. Doch möchte ich diese letzten Worte nicht
mit dem Herausgeber auf einen Eingriff in die städtische Ver-
fassung beziehen, sondern nur darauf, daß die Stadt in Verteidigungs-
zustand gesetzt werden sollte. Übrigens gehören die meisten dieser
Dekrete, wie auch D. betont, wohl erst der Blütezeit der rhodischen
Herrschaft an, die von Kynoskephalai bis Pydna reichte; sicher ist
das bei der von Graindor veröffentlichten Inschrift der Fall; der
in ihr erwähnte Agathagatos ist wohl identisch mit dem bei Pol. 27, 6.
28, 2 — 8 genannten, der in dem lykischen Feldzug der Rhodier eine
Rolle spielte. — Daß endlich auch Milet, das damals von ägyp-
tischer Herrschaft frei war, und Athen dem Bunde, wenn auch
nicht sofort beigetreten sind, darauf deutet das 1900 bei den deutschen
Ausgrabungen in Milet gefundene Ehrendekret für Lichas, das
Ha us so ulli er a. a. 0. wohl mit Recht bald nach der Schlacht
von Lade angesetzt hat. Einen Grund , sie mit den kretischen In-
schriften , die Deiters besprochen hat , in Beziehung zu setzen , wie
dieser will, kann ich beim besten Willen nicht entdecken.
Der Verlauf des Kampfes zwischen Philipp und der Koalition ist
in seinen Hauptzügen bekannt. Daß es Philipp gelang, seine Er-
oberung Karien auch nach seiner Rückkehr und trotz des
Krieges mit Rom noch eine ganze Zeitlang festzuhalten, ergeben die
von Cousin und H o 1 1 e a u x herausgegebenen Ehrendekrete aus dem
Heiligtum des Zeus Panamarios. Das erste, für den König selber,
fällt wohl unmittelbar nach der Eroberung von Stratonike, das zweite
geht auf einen militärischen Beamten Philipps Asklepiodoros und ist
vom Mai 198 datiert ; das dritte geht ebenfalls auf einen makedonischen
Offizier, der offenbar im Auftrage Philipps sich bemühte, die durch
ein Erdbeben, wahrscheinlich 199/8, entstandene Not zu lindern. Man
sieht, daß selbst auf diesen entlegenen Punkten seines Reiches
Philipps Herrschaft 198 noch völlig unerschüttert war. Die folgenden
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Jahresbericht über griechische Geschichte (1908—1906). 211
Dekrete Nr. 4—6 gehören dann bereits der rhodischen Herrschaft
an, die nach der Schlacht von Kynoskephalai diese Gegenden in ihren
Bereich zog.
Inzwischen hatten sich nach dem Rückzug des Königs im Jahre
200 die Verbündeten nach Athen gewandt, wo besonders Attalos mit
allen erdenklichen Ehren empfangen ward. In dieses Jahr fallt die
Einrichtung der neuen Phyle Attalis, der die Antigonis nnd Demetrias
weicheri mußten, wodurch die seit dem Ausgang des 4. Jahrhunderts
vorhandene Zwölfzahl wiederhergestellt ward. Wahrscheinlich stammt
das Demenverzeichnis CIA. II, 991 gerade aus dem Jahre 200 , wie
sowohl Schöffer (PWKE. Art Demetrias, Demoi) und Tod Annual.
Br. School IX, 154 — 175 gesehen haben. In diesem Augenblick trat
aber auch die Intervention der Römer ein. Die diplomatische
Vorgeschichte des zweiten makedonischen Krieges,
wie sie von Colin S. 53 ff. in sehr klarer und übersichtlicher Weise
behandelt worden ist, zeigt allerdings, in welch tödlicher Verlegenheit
sich der Senat befand, als es galt, einen Grund zum Einschreiten zu
finden, und wie er sich endlich mit einem elenden Vorwand begnügte,
der aber auch nur dadurch sich rechtfertigen ließ, daß Rom ohne
weiteres das Protektorat über die Griechenstaaten des Mutterlandes
übernahm. Es war keineswegs besonderes Wohlwollen gegenüber den
Griechen, das diesen Entschluß des Senats herbeiführte, sondern die
bare Unmöglichkeit, anderweitig einen Kriegsfall zu konstruieren, den
der Senat zur Ausführung seiner von langer Hand vorbereiteten Pläne
auf den Osten brauchte. So viel ist jedenfalls sicher: weder das
römische Volk das noch völlig genug vom Kampf mit Hannibal hatte,
wollte den Krieg , noch König Philipp , der sich tief in die Ver-
hältnisse des Ostens verstrickt hatte und in den späteren Verhand-
lungen oft seine Friedensliebe bewies. Der Ausbruch des Krieges
ist also lediglich der Absicht des Senates zuzuschreiben, die von
keinerlei besonderem Wohlwollen gegen die Griechen, sondern lediglich
von der Staatsraison diktiert war, die die Eroberung des Ostens
forderte. Dieser wahre Sachverhalt wird nur dadurch verschleiert,
daß die Ausführung der Absichten des Senats nachher T. Flamininus
zufiel, der als Haupt der griechenfreundlichen Partei diesen das
größte Wohlwollen entgegenbrachte. Erst seiD durch den Sieg ver-
mehrter Einfluß bewirkte, daß die Griechenfreunde im Senat das
Übergewicht erhielten und jene Politik des Wohlwollens inaugurierten,
die dann bis zum Krieg gegen Antiochos festgehalten ward.
Über den eigentlichen Verlauf des Krieges geht Colin
der Anlage seines Werkes gemäß kurz hinweg; um so wertvoller ist
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Thomas Lenschau.
es, daß wir hier von Kromayer eine genaue, auf sorgfältigen
Studien and vortrefflichem Kartenmaterial beruhende Darstellung er-
halten haben, die sowohl die allgemeinen Absichten Philipps wie
aueh deren Ausführung klar erkennen läßt Die Sachlage erforderte
es, daß Philipp durch strikte Einhaltung der Defensive den Krieg
hinziehen und den Römern die Überzeugung beizubringen suchen
mußte, eine Niederwerfung Makedoniens sei nur unter sehr schweren
Opfern möglich, die der Erfolg kaum rechtfertigen dürfte. Dies
Prinzip hat er zwei Jahre mit bestem Erfolge durchgeführt; der
römische Angriff auf Obermakedonien im Jahre 199 mißlang voll-
ständig und auch der Feldzug von 198 brachte ihm trotz seiner
Niederlage an den Aoospässen nicht allzustarke Verluste, sofern er
den größeren Teil Thessaliens in der Hand behielt und Makedonien
vom Kriege freigehalten hatte. Nicht mit Unrecht vergleicht Kro-
mayer seine Lage mit der Friedrichs des Großen im siebenjährigen
Kriege. Die Entscheidung liegt in der diplomatischen Arbeit, die
Flamininus während des Winters 198/7 in Griechenland leistete, und
durch die es ihm gelang, die mühsam von Antigonos Doson er-
richtete Hegemonie Makedoniens in Griechenland zu zertrümmern;
im Frühjahr 197 standen nur noch Chalkis und Korinth auf Seiten
des Königs. Um sein Prestige zum Teil wenigstens wieder zu ge-
winnen , sah sich Philipp genötigt, aus seiner Zurückhaltung heraus-
zutreten und zum Angriff überzugehen, der bei Kynoskephalai
mit dem Zusammenbruch endete. Das Schlachtfeld scheint mir Krom.
im Gegensatz zu Leake richtig auf 6 — 7 km westlich von Skotussa
bestimmt zu haben (S. 69 ff.), und ebenso klar ist seine Darstellung
der Schlacht. Der ungenannte römische Militärtribun , der zwei
Drittel der siegenden Legion des rechten Flügels der makedonischen
Phalanx in den Rücken führte, ist es gewesen, dem die Ehre des
Tages gebührt. Nicht ganz so glücklich ist die Zeitbestimmung der
Schlacht, die Kr. in Ende Mai oder Anfang Juni verlegt, da sie in
die Zeit der Getreidereife fiel. Dabei sind Busolts Ausführungen
übersehen (vgl. S. 122), die keinen Zweifel darüber lassen, daß für
Mittelgriechenland sich die Erntezeit um rund einen Monat gegen
das Altertum verschoben hat. Ähnliches wird auch für Thessalien
anzunehmen sein, so daß die Schlacht also etwa Anfang Juli ge-
schlagen sein wird. Damit stimmt es auch, daß die Verhandlungen
mit Philipp erst nach der Designation der neuen Konsuln, der Ab-
schluß erst nach ihrem Amtsantritt stattfand. Denn wenn dieser auch
offiziell auf den 15. März fiel, so hatte er sich doch infolge der
Unordnung des römischen Kalenders auf Nov./Dez. des Vorjahres
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Jahresbericht über griechische Geschichte (1903-1906). 213
verschoben (S. 106 ff.). Dann aber läßt sich mit einigem guten
Willen auch die Nachricht des Livius halten, der 33, 24, 3 sagt, die
Botschaft von der Schlacht sei gegen Ende des Jahres in Rom ein-
getroffen; kam sie im Anfang August und endete das Jahr im
November, so konnte Liv. das ganz gut als exitu ferme anni be-
zeichnen.
Die Vorgeschichte des ätolis ch-sy rischen Krieges zeigt
eine auffallende Ähnlichkeit mit der des Kampfes gegen Philipp.
Auch hier tritt sofort das Doppelgesicht der römischen Politik
hervor ; gegenüber den griechischen Staaten des Mutterlandes ist das
Benehmen des Senats eitel Freundlichkeit, und die philhellenische
Partei in Rom steht im Zenith ihres Einflusses. Zu den zahlreichen
Gunstbeweisen des Senats an griechische Städte und Heiligtümer
gehört auch die goldene Krone, die der ältere Afrikanus als atparrjoc
fcraTOC nach Delos weihte, wahrscheinlich im Laufe seines zweiten
Konsulats 194 (Dürrbach und Jard6 BGH. 1904, Bd. 28, 265 ff.).
In scharfem Gegensatz dazu steht das Verfahren gegen Antiochos,
mit dem man sich offenbar nur so lange freundlich gestellt hatte,
bis die Entscheidung gegen Philipp gefallen war. Gleich nachher
begann seitens des Senats seine systematische Brüskierung, die
schließlich darin gipfelte, daß Antiochos sich ganz aus Europa zurück-
ziehen und das Protektorat Roms über die Griechen anerkennen
sollte : Forderungen , die der König trotz aller Friedensliebe nicht
bewilligen konnte. Denn das geht allerdings aus der überein-
stimmenden Behandlung dieser Ereignisse bei Colin (S. 178 ff.) und
Kromaycr (S. 128 ff.) mit voller Deutlichkeit hervor, daß von einer
aggressiven Haltung Syriens, wie sie damals von Rom behauptet
ward — auch Bevan in Bd. II hat sich noch nicht ganz von dieser
Anschauung frei machen können — , nicht im entferntesten die
Rede sein kann. Als seine Lebensaufgabe betrachtete Antiochos die
Herstellung des Seleukidenreiches im Zeitpunkt seiner größten Aus-
dehnung unter Seleukos nach der Schlacht von Kurupedion. In
zwanzigjähriger Arbeit hatte er für den Osten der Monarchie diese
Aufgabe gelöst, als er sich 197 anschickte, sein Programm auch für
die Lande westlich vom Taurus durchzuführen. Dazu aber gehörte
auch die Okkupation Thrakiens und — wie Colin und Kromayer ver-
gessen hervorzuheben — Makedoniens, wie denn nicht nur Seleukos I.,
sondern noch Antiochos I. sich als Könige von Makedonien bezeichnet
haben (s. S. 180, 167). Darin liegt der tiefste Grund des eigentüm-
lichen Verhaltens der beiden Verbündeten zueinander, die noch 204
beim Tode Philopators eiu Herz und eine Seele gewesen waren.
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Thomas Lenschau.
Antiochos rührte keinen Finger im zweiten makedonischen Krieg, da
ihm eine Schwächung seines Rivalen nicht unlieb war, und Philipp
seinerseits hatte keinen Grund, 192 auf die Seite des Syrers zu
treten, der nicht minder wie die Römer sein natürlicher Feind war.
Allein alle angeblich weitergehenden Pläne des Antiochos, insbesondere
seine Absichten auf Italien erscheinen als eine völlig aus der Luft
gegriffene Behauptung, die der Senat aus sehr durchsichtigen Gründen,
ebenso wie seinerzeit gegen Philipp in Umlauf setzte, und die auch
durch die Aufnahme Hannibals am syrischen Hofe in keiner Weise
begründet werden kann. Daß Hannibal solche Pläne hegte, und daß
er den König dafür zu gewinnen suchte, ist sehr wohl möglich, ob-
wohl der Rat Hannibals, 10 000 Mann nach Italien zu werfen, recht
verdächtig klingt. Er würde in Rom wohl denselben Heiterkeitserfolg
gehabt haben, wie die angeblich vor einigen Jahren ausgesprochene
Absicht eines auswärtigen Monarchen, im Fall eines deutsch-
französischen Krieges 100 000 Mann nach Schleswig-Holstein zu
werfen. Hannibal, der die Kraft Roms kannte, hat unmöglich ge-
glaubt, mit einer solchen Handvoll den Siegern im zweiten punischen
Kriege auf ihrem eigenen Boden entgegentreten zu können, die Zahl
ist offenbar nach der Stärke des Kontingents angesetzt, das der
König nachher tatsächlich zur Insurgierung Griechenlands aufzubringen
vermochte. Aber sei dem, wie ihm wolle, sicher ist doch, daß diese
Pläne Hannibals ins Wasser fielen, worin sich m. £. nur die nüchterne
Politik des Königs zeigt, der sich auf so weitgehende Unternehmungen
mit Recht nicht einlassen wollte, nicht etwa seine Unfähigkeit, die
„einen Hannibal in ihren Diensten hatte und ihn nicht zu benutzen
verstand".
Der beste Beweis aber dafür, daß auch hier wie im Fall mit
Philipp der Senat den Krieg absichtlich herbeigeführt hat, liegt, wie
auch Colin S. 187 hervorhebt, im ganzen Verlaufe des Kon-
flikts selber. Noch im Jahre 192 schickt der Senat, auf das bloße
Gerücht hin, Antiochos habe den Hellespont überschritten — was
sich natürlich später als falsch erwies — ein konsularisches Heer,
d. h. etwa 25 000 Mann, nach Illyrien, ohne auch nur das Volk
darüber zu befragen, ob es den Krieg wolle. Jetzt sah sich auch
Antiochos genötigt, nach Griechenland zu gehen; daß er für diesen
Zweck nur 10 000 Mann aufbringen konnte, zeigt deutlich, wieviel
von der Annahme einer aggressiven Politik auf seiner Seite zu halten
ist. Schon am 26. Janr., also ganz ungewöhnlich früh, läßt Acilius
Glabrio das zweite konsularische Heer in Brundusium zusammen-
kommen, so daß die Römer bereits im März mit fünffacher Überlegenheit
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Jahresbericht über griechische Geschichte (1903-1906). 215
dem König entgegentreten können. Das alles zeigt, ganz abgesehen
von den sehr bedeutenden Konzessionen, zu denen sich der König
wiederholt bereit erklärte, doch hinlänglich deutlich, auf wessen Seite
der Wille zum Kriege vorhanden war. Was übrigens die Kenntnis
der kriegerischen Vorgänge selber betrifft, so ist sie durch die ein-
dringende Behandlung, die Kromayer auch diesem Feldzug hat an-
gedeihen lassen, wesentlich gefördert worden. Sowohl der Kampf
in den Thermopylen wie die Schlacht bei Magnesia geben keinen
geringen Begriff von den strategischen Fähigkeiten des Königs, der
insbesondere bei der Entscheidungsschlacht den Feind auf ein für
ihn wenig vorteilhaftes Gelände zu locken wußte. Die Darstellung
der Vorgänge vor dem Kampfe ist Krom. m. E. sehr gut gelungen,
weniger die des Kampfes selber. Daß Eumenes II. der Ruhm des
Tages gebührt, wird allerdings nicht zu bezweifeln sein; aber un-
begreiflich bleibt es, daß Antiochos trotz seines schnellen Sieges und
trotz der Nähe des römischen Lagers, vor dessen Wällen er sofort
umkehrte, doch zu spät kam, um seiner Phalanx im Zentrum Luft
zu machen. „Nur wenige hundert Meter trennten den Schauplatz
von Sieg und Niederlage", sagt Krom. (S. 195), so daß es sich nur
um Minuten gehandelt haben kann. Um so unbegreiflicher erscheint
es, daß die Phalanx , der doch auch Krom. gar keine unbedeutende
Widerstandskraft zutraut (S. 191 ff.), bereits in völliger Auflösung
war, als Antiochos eintraf. Das Unbefriedigende in dieser Darstellung
des Verlaufes scheint übrigens Krom. selbst nicht entgangen zu sein,
wie seine Schlußbemerkungen auf S. 195 erkennen lassen.
Unmittelbar nach der Schlacht unterwarf sich Antiochos den
Bedingungen der Römer; länger dauerte der Widerstand seiner
griechischen Bundesgenossen, bis endlich auch hier durch Vermittlung
von Athen und Rhodos der Friede mit den Ätolern zustande
kam. Indessen brachte er eine wesentliche Verschärfung; während
in den Präliminarien festgesetzt war, daß nur die seit dem Übergang
des L. Cornelius, d. h. seit 190 in die Gewalt der Römer geratenen
Städte ihnen verbleiben sollten, enthielt die vom Senat festgesetzte
endgültige Fassung die Bestimmung, daß alle unter L. Quinctius und
Cn. Domitius (192) oder später gewonnenen Städte von den Ätolern
abzutreten seien (Pol. 21, 30, 4 vgl. mit 32, 13). Nun macht Voll-
g raff mit Recht darauf aufmerksam, daß Liv. von dieser Verschärfung
nichts weiß, indem nach ihm gleich bei den Präliminarien (38, 9)
das Jahr 192 festgesetzt wird, und schließt daraus, Livius habe hier
absichtlich gefälscht, um die Milde des Senats mehr hervortreten zu
lassen. Ob es so ganz ausgeschlossen ist, daß Liv. hier einer andern
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Thomas Lenschau.
Quelle folgt, wie V. will, möchte ich nicht entscheiden ; möglich bleibt
auch, daß Liv. hier in eine seiner gewöhnlichen Flüchtigkeiten ver-
fallen ist und die endgültige Bestimmung versehentlich in die Prä-
liminarien hineinsetzte. Übrigens muß, da es unter diese Bestimmung
fiel, damals auch Herakleia in Trachis aus dem ätolischen Bunde
ausgetreten sein ; wenn es trotzdem nach den delphischen Freilassungs-
urkunden in den Jahren 184, 176, 175 als Bundesglied erscheint, so
schließt V. wohl mit Recht, daß es zu den südthessalischen Städten
gehörte, die Philipp in der Konvention von Tempe 185 wieder heraus-
geben mußte (Pol. 32, 9 = Liv. 39, 24), und sich dann den Ätolern
wieder anschloß. Beloch und Pomtow nehmen an, daß die Stadt erst
168 sich vom Bunde trennte.
Über die inneren Verhältnisse der beiden großen Bünde handeln
zwei Arbeiten, die zwar eigentlich unter den Staatsaltertümern zu
besprechen wären, aber wegen ihres historischen Interesses hier Er-
wähnung verdienen: in beiden dreht sich die Untersuchung um Zahl
und Kompetenz der Bundesversammlungen. Daß es neben der großen
Versammlung derÄtoler in Thermon, die unmittelbar nach der
Herbst-Tag- und Nachtgleiche stattfand, noch eine zweite gegeben hat,
ist von H o 1 1 e a u x aus inschriftlichen und literarischen Quellen er-
wiesen. Zwar in den erhaltenen Partieen des Polybios findet sieb
nichts, was darauf hindeutet, wohl aber nennt Liv. 31, 32 zwei Ver-
sammlungen, Panaetolicum et Pylaicum concilium, in denen allein über
Krieg und Frieden beschlossen werden konnte. Nun ist es seit
Nissens einleuchtender Bemerkung unzweifelhaft, daß Pylaicum con-
cilium ein Mißverständnis des Livius für rt tö>v Bepjux&v juvoö<k
ist, d. h. also für die große Herbstversammlung; was ist aber dann
das Panaetolicum? Beide zu identifizieren, verbieten Stellen wie
Liv. 31, 29, 1; 35, 32, 7, und da nun zugleich in mehreren In-
schriften die riavatTtoXoca erwähnt werden (Ditt. syll. 2 280 wohl ans
202 und IG IX \ 411 aus späterer Zeit), so wird man wohl mit Holl,
eine zweite Versammlung annehmen müssen, die nach der Reihenfolge
der Ereignisse bei Liv. 31, 28 u. 32 am Anfang des Jahres statt-
gefunden haben muß. Noch Genaueres ergibt die Vergleichung mit
BCH. XXVI, 282 ff., wonach sie kurz vor die Frühjahrspylaia, d. h.
Febr./März fiel. Der Ort wechselte wahrscheinlich im Gegensatz zur
großen Herbstversammlung, die stets in Thermon zusammenkam, und
es ist sehr wohl möglich, daß es dies Frühjahrskonzil war, nach
dessen Muster Philopoimen 189 auch im achäischen Bunde einen
Wechsel des Versammlungsortes einführte, wie Holl, annimmt.
Komplizierter liegt die Sache bei den achäischen Bundes-
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Jahresbericht über griechische Geschichte (1903—1906). 217
Versammlungen, über die zwei neue Abhandlungen von Beloch
(III, 2, 181 ff.) und Francotte vorliegen. Mit Recht geht Fr. von
der Stelle Polyb. 29, 23, dem Hilfsgesuch deT beiden Ptolemaier,
aus. Aus dem dort geschilderten Verfahren ergibt sich mit Sicher-
heit, daß in gewissen Fällen, die Pol. 22, 16 aufzählt (Krieg, Bündnis,
Botschaften vom Senat), die aövoSoc nicht kompetent war, sondern
daß alsdann eine 007x^x0* berufen werden mußte. Dazu stimmen
Polyb. 38, 9 — 11, wo der Krieg von 146 gegen Lakedaimon, in
Wirklichkeit gegen Rom, in einer ou-pri^to? beschlossen wird, und
die Inschrift Ditt. syll. 308, wonach die Oropier bei der auvoSo?
gewesen sind und von dieser an die aö-pcXifjTOc verwiesen werden.
Die beiden Kompetenzen waren demnach getrennt, und von vorn-
herein ist es daher nicht gerade wahrscheinlich, daß die auvo&o?
ebenfalls das Recht hatte , über Krieg und Frieden zu entscheiden,
worauf Fr. S. 8 mit Recht hinweist. Dies, aber behaupten bekanntlich
Lipsius und Busolt; Lipsius besonders im Hinblick auf die Stelle
Polyb. 33, 16, die indessen m. £. von Francotte S. 9 durchaus be-
friedigend erklärt wird, während Busolt für seine Ansicht, die aovoöoc
habe über Kriege zum Schutz des achäischen Besitzstandes die Ent-
scheidung gehabt, besonders die beiden Fälle aus älterer Zeit II,
46, 5 und IV, 25 — 26 heranzieht. Allein an diesen beiden Stellen
handelt es sich um einen besonderen Fall, den auch Fr. nicht ge-
nügend beachtet, nämlich darum, daß während der ordnungsmäßigen
Sitzung der auvoSoc zugleich auch die a&yxkTpQs tagt. Das ergibt sich
m. E. deutüch aus Pol. 4, 7, 1 ol 8' 'A^atot (d. h. die Gesamtheit),
xafojxoüCJTjc autoic {xrfi) ix täv v^ficov aov68ou (d. h. während der
gesetzmäßigen Tagung der guvoSoc) ^xov I; Afyov, aoveXö^vre? 8e efc
rijv ixxtajafatv (natürlich die Gesamtheit, die au-pd^-coc). Ebenso ist
IV, 26, 7 o£ 8' 'Ax*1^ <JoveX86vrsc & xr^v xafrqxoudav auvoSov zu über-
setzen „nachdem die Gesamtheit der Achäer zu der damals fälligen
Sitzung der <juvo8ocu zusammengekommen war. Es ist also an beiden
Stellen die ooyxXijtoc, nicht die auvo8oc, die hier über den Krieg
beschließt, und nur scheinbar widerspricht dem IV, 7, 5: wer hier
beschließt, ist die au^xX^xoc, und nur die Ausführung wird der Heeres-
versammlung übertragen, ebenso wie 146 die Ausführung des Krieges
den kommenden Strategen 38, 11, 7 übertragen ward, was Polybios
als ungesetzlich brandmarkt. Gab es also au*ptXi]Toc und auvoSoc mit
getrennten Befugnissen, so ist die dritte mehrfach von Polybios an-
gewandte Bezeichnung ßooXq offenbar mit einer der beiden erst-
genannten zu identifizieren, und dann kann dies nur, wie Beloch richtig
hervorhebt, die auvo8oc sein. Nimmt man das an, so löst sich die
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Thomas Lenschau.
Schwierigkeit bei Polyb. 28, 8, 7 — 10, die Lipsius und Francotte
zu schaffen macht. Die ixxXr^afo, zo der die römischen Gesandten
kommen, ist die airptXTjTo;, die ja für Botschaften vom Senat allein
zuständig ist , und die ßouXiq in Aigion ist die in der gesetzlichen
Zeit tagende auvoSoc Ebenso ist 4, 26, 7 zu erklären, und 22, 10
vereinigt sich sogar sehr gut damit, wo Eumenes die Mittel bereit
stellt für das juaöoSomadat ttjv ßooX?jv täv 'A^aiSv iit\ xatcxotvaK
oov68otc. Auf diese Weise erhält die Bundesverfassung etwas sehr
Durchsichtiges und dem Einzelstaat Konformes, indem die aovo&K
der ßooXig im Einzelstaat, die auptXr,Toc der IxxXr^ata entspricht,
woher es denn auch kommt, daß Polybios die Ausdrücke des Einzel-
staates für die Bundesbehörden einsetzt. Daß dies Verhältnis von
der Theorie geradezu gefordert wird, hat m. E. Francotte sehr schön
in der Auseinandersetzung S. 11 gezeigt; aHein er selber wirft dann
aovooo? und aufxX^xoc zusammen: beide sind ihm ihrer Zusammensetzung
nach identisch (S. 19). Aber hat es je in Griechenland irgendwo eine
engere und eine weitere Volksversammlung nebeneinander gegeben?
Unmittelbar nach dem Kriege gegen Antiochos begegnet man auch
im ägäischen Meere häufiger den Spuren der Römer. Dahin gehört
das Ehrendekret von Delos für P. Cornelius Scipio, offenbar den
Afrikaner, der sich damals auf der Rückreise nach Rom befand (BCH.
28, 271 ff.); noch etwas früher fällt das für P. Cornelius Scipio Cn.
(die Inschr. hat KA) filius, der als axpavrflbs Girato? bezeichnet und von
den Herausgebern (BCH. 29, 98) mit Nasica, dem Konsul von 191
identifiziert wird. Dennoch war der römische Einfluß hier noch
keineswegs vorherrschend. Um dieselbe Zeit, wo Scipio in Delos
geehrt ward, mißglückte ein römischer Einmischungsversuch auf
Kreta vollständig (Cardin ali, Creta p. 15 ff.); die Kreter wußten
die bereits während des Krieges mit Antiochos bewiesene Unabhängig-
keit zu bewahren. Fünf Jahre später, 184, hatten die Römer mehr
Glück, indem sie sich bei einem der vielen kleinen Kriege einmischten,
von denen die Insel dauernd zerrissen ward. Diesmal standen Kydonia
und Gortyn zusammen gegen Knossos, das 189 noch im Bund mit
Gortyn gegen Kydouia gewesen war, und es gelang den römischen
Gesandten, einen allgemeinen Landfrieden sowie ein Bundeagericht
herzustellen, dem die meisten Städte beitraten. Doch hielt sich
Kydonia fern, wie es auch bei dem großen Bunde nicht beteiligt
war, den 31 kretische Städte im Juni 183 mit König Eumenes
schlössen; offenbar war damals die Stadt das Haupt der römerfeind-
lichen Partei, wie Cardinali in seiner Darstellung dieser Vorgänge
a. a. 0. vermutet.
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Jahresbericht über griechische Geschichte (1903—1906). 21 9
Der Beweggrand zu dem oben genannten Bündnis lag für
Enmenes offenbar in den vielen Kriegen, die er damals kurz
hintereinander zu führen hatte. Sie begannen, wie Meischke
wahrscheinlich gemacht hat, 185 mit dem Kampf gegen Prusias, der
aber bereits 183 auf Geheiß der Römer beendet ward. Daß damals
zum Andenken an den Sieg über Prusias und seine gallischen Bundes-
genossen die Ntxr^öpia in Pergamon eingesetzt wurden, sucht
Cardinali zu zeigen (109 ff.). Es folgt unmittelbar darauf der Krieg
gegen Pharnakes I. von Pontos, der 188 Sinope überfiel und, wie es
scheint, durch Verrat eroberte, um es dann zu seiner Residenz zu
machen (Robinson, ancient Sinope p. 230 ff.). Gegen das Ende dieses
Kampfes entstanden die Differenzen mit den Rhodiera, die die Sperrung
des Hellesponts verhinderten, und gegen die der König wahrscheinlich
die Kreter gut brauchen konnte. Mit dem Jahre 179 schließen alle
diese Streitigkeiten für Eumenes günstig ab; sein Hauptgegner
Pharnakes I. hatte sich 172/1 noch nicht ganz von den erlittenen
Verlusten erholt, wie das große von Dürrbach und Jarde* heraus-
gegebene Ehrendekret der Athener für ihn beweist (BCH. 29, 169 ff.),
dessen Datierung übrigens gewisse Schwierigkeiten bietet. Der im
Anfang erwähnte Archon Tychandros kann nach dem Fergusonschen
Gesetz nur 172/1 oder 160/59 amtiert haben, und zwar kann, da es
sich um Pharnakes I. handelt, nur die erste Zahl in Betracht kommen.
Dem steht auch die zweite Inschrift aus dem Jahre des Tychandros
IG. II, 1, 436 nicht im Wege, insofern in ihr Dicht vom Tode des
Eumenes, sondern von einer vorübergehenden Abgabe der Regierung
die Rede ist, die gerade ins Jahr 172/1 fiel, und endlich wird die
Ansetzung auch durch den neuentdeckten Turnus der Asklepios-
priester bestätigt. Die Schwierigkeit liegt nur darin, daß dies
athenische Dekret in Dolos aufgestellt worden ist, ohne daß in ihm
die Einholung der Erlaubnis der delischen Behörden erwähnt wäre,
was nur unter der Voraussetzung zu erklären ist, daß die Insel bereits
wieder athenisch war. Allein diese Rückgabe fand erst 166 statt.
Dennoch wird man wohl an der Datierung der Herausgeber festhalten
müssen, zumal Pharnakes 166 aller Wahrscheinlichkeit gar nicht mehr
regierte. Möglicherweise ist der Beschluß nur eine Kopie des echten
Dekrets aus dem Jahre 172/1, die später nach 166 aus irgendwelchen
Gründen in Delos aufgestellt ward. Übrigens erkennen die Herausgeber
in der Königin Nysa, Tochter des Königs Antiochos und der Königin
Laodike, also unzweifelhaft einer seleukidischen Prinzessin, nicht die
vierte Tochter Antiochos III. und der Ladike, die bereits 193 Eumenes
angeboten ward und sich also schon damals im heiratsfähigen Alter
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Thomas Lenschau.
befand, sondern eher die Tochter seines Sohnes and Mitregenten
Antiochos, der mit seiner leiblichen Schwester Laodike verheiratet
war und 198 nach dreijähriger Ehe starb. Doch ist von Kindern
desselben sonst nichts Überliefert.
Inzwischen vollzog sich gegen die Mitte der siebziger Jahre ein
Umschwung in den politischen Verhältnissen des Ostens, der, wie es
scheint, mit der Unterstützung Antiochos IV. durch Euraenes einsetzt.
Diese erste Regung einer selbständigen Politik von seiten des er-
gebenen Römerfreundes legte wahrscheinlich den Grund zu einer
tiefen Verstimmung des Senats, der er denn freilich klugerweise erst
nach Pydna Ausdruck gab. Möglich ist es, daß hiermit auch die
Veränderung in Kreta zusammenhängt. Seit 174 herrschte trotz
aller Vermittlungsvorschläge Roms von neuem Krieg auf der Insel,
171, wie es scheint (Cardinali, Creta p. 24), war Apollonia von den
Kydoniaten zerstört, und diese waren dafür von Gortyn aus an-
gegriffen worden. In ihrer Not wandten sie sich an Eumenes IL,
der auch sofort Hilfe sandte, ein Beweis, daß damals die Gruppierung
tier Mächte sich wieder einmal gründlich geändert hatte; 188 noch
war Gortyn unter den 31 Verbündeten des Königs gewesen, während
damals Kydonia, die römerfeindliche, beiseite stand. Im übrigen
schlug der Versuch der Römer, die Insel in dem herannahenden
Kampf mit Perseus für sich zu gewinnen, wiederum völlig fehl;
wenn sich die Insel auch neutral hielt, so stand sie mit ihren Sym-
pathien doch völlig auf Seiten des Königs , wie sich aus der Stärke
der auf beiden Seiten kämpfenden Kontingente der Kreter ergibt.
Überhaupt ist es interessant, zu sehen, wie sich trotz aller inneren
Zwistigkeiten die Insel sofort fast instinktiv bei jedem Eingreifen der
Römer gegen diese zusammenschließt und auf diese Weise ihre Un-
abhängigkeit länger als irgendein anderer griechischer Stamm bewahrt
(Cardinali a. a. 0.). Anderseits herrschte im Osten der Insel, wo
das Ptolemäerreich in Itanos eine Art Protektorat besaß, immer
noch ägyptischer Einfluß, wovon unter anderem die Inschriften BCH.
1900, S. 238 und IG. XII 3, 466 Zeugnis ablegen (vgl. auch Hiller v. G.
in der S. 159 genannten Arbeit); erst nach Philometors Tode 145
wurde die ägyptische Besatzung zurückgezogen, worauf auch das
Protektorat ein Ende nahm.
Die zweite Hälfte der siebziger Jahre steht bereits unter dem
Zeichen des heraufziehenden Konflikts zwischen Rom und
Makedonien; gegen 172 hin nahm die Spannung einen stellenweise
unerträglichen Charakter an. Seit längerer Zeit hatte in Rom die
Reaktion gegen den Philhellenismus schärfer eingesetzt, und sie fand
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Jahresbericüt über griechische Geschichte (1903— 1906). 221
ihre beste Nahrung in dem Wiedererstarken des makedonischen
Königtums, das Rom vergeblich zu verhindern gesucht hatte. Je mehr
die Griechen die römische Freundschaft in der Nähe kennen lernten,
um so wünschenswerter mußte ihnen ein Zustand erscheinen, in dem
Rom und Makedonien einander die Wage hielten. Unter diesen Ver-
hältnissen war eine Auseinandersetzung beider Mächte unvermeidlich,
und nur das bleibt fraglich, ob Perseus wirklich, wie zuerst Polybios
zu zeigen versucht hat, die Schuld des Krieges beizumessen ist, oder ob
nicht auch hier der Senat aus Besorgnis vor der wachsenden Macht
des Königs zum Kriege gedrängt hat, wie Colin S. 383 ff. die Sache
darstellt. Für Colins Auffassung spricht ebensosehr die Politik der
Nadelstiche, die der Senat gegen Philipp und später gegen Perseus
anwandte, und die doch keinen andern Zweck haben konnte, als den
Gegner zum Kampf zu reizen, wie die oft bewiesene Friedensliebe
des Königs, der auch während des Krieges nicht müde ward, seine
Bereitwilligkeit zu Verhandlungen zu beteuern. In der Tat wäre eine
Verständigung möglich gewesen, da Perseus kaum mehr als anständige
Behandlung forderte. Anderseits spricht gegen die bewußte Absicht,
mit der der Senat den Krieg herbeigeführt haben soll, die ganz er-
bärmliche Kriegführung der Römer, die erst im dritten Jahr die
Kooperation der Flotte, im vierten die Aufstellung einer zweiten
Angriffsarmee ins Auge faßten (Krom. S. 254 ff.) Das läßt doch eher
darauf schließen, daß man in Rom recht schlecht vorbereitet war
und eher durch den Ausbruch des Krieges überrascht ward, woraus
sich denn auch psychologisch ganz gut das in Rom vielfach
herrschende Gefühl erklärt, daß man der angegriffene Teil sei. Wenn
also auch an Roms Bereitwilligkeit zum Kriege, der ohnehin in der
Richtung der römischen Politik lag, nicht zu zweifeln ist, so tragen
doch offenbar die Hauptschuld an dem schnellen Ausbruch des Krieges
die Hetzereien der Kleinstaaten, vor allem des Eumenes, der seit
Perseus' Heirat mit einer Tochter Seleukos IV. und seiner Ver-
schwägerung mit Prusias sich einer Politik der Einkreisung verfallen
glaubte und sich auf diese Weise seines gefährlichsten Feindes zu
entledigen hoffte. Eben um den Krieg zu schüren, ging er 172 nach
Rom; mit welchem Erfolge, zeigt die plötzliche Beschleunigung der
Entwicklung, die bereits im folgenden Jahre den Ausbruch des
Kampfes herbeiführte. Auch Perseus kannte offenbar seinen gefähr-
lichsten Gegner — auf dem Rückwege fiel Eumenes bei Delphi fast
einem Attentat zum Opfer, das niemals aufgeklärt worden ist. Die
Wunde war schwer , und der König genas nur langsam , so daß er
sogar eine Zeitlang totgesagt wurde, was dann zu allerhand lächer-
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Thomas Lenschau.
liehen Konsequenzen führte. Auf die falsche Nachricht hin hatte sein
Bruder Attalos bereits Thron und Königin in Besitz genommen , als
der Totgeglaubte plötzlich wieder in Pergamon erschien. Als einen
urkundlichen Beweis für diese Ereignisse betrachtet Ferguson die
eigentümliche Inschrift Ditt. or. 302 urfcp ßaai)iaK Eujjivoo? cpiXaö^Xcpou
deoö. Da das Oirip nur auf Lebende geht (Ditt. or. p. 648), ander-
seits die pergamenischen Herrscher erst nach ihrem Tode zu Göttern
erklärt wurden, so muß die Inschrift in einem Augenblick verfaßt
sein, als sich die Nachricht verbreitete, daß König Eumenes
lebe, während er offiziell noch als tot und göttlich betrachtet ward.
Ob der Schluß zwingend ist, muß nach der Auffindung des königlichen
Briefes an die Milesier (Berl. S. B. 1904, S. 86 f.) als zweifelhaft
erscheinen ; wenn Eumenes in Milet ein xiu-evoc erhielt, so ist er dort
doch wohl auch als Gott verehrt worden, und zwar bei seinen Leb-
zeiten. Über alle diese Dinge handelt ausführlich Cardinali (Pergamo
S. 145 ff.), der allerdings die genannte Inschrift in die Zeit Attalos 11.
verlegt (S. 153 A. 4), allein dann bleibt das öitfcp unerklärt, das nach
Dittenbergers feiner Beobachtung nur von Lebenden gebraucht wird.
Den Verlauf des Krieges hat Kromayer S. 231 — 345 in
seinen verschiedenen Phasen sehr anschaulich geschildert und dadurch
nicht bloß in einzelnen Punkten, sondern auch im ganzen eine viel
richtigere Beurteilung herbeigeführt. Vor allen Dingen erscheint
Perseus Strategie, der man so oft seit Polybios Tagen Kopflosigkeit
und Unfähigkeit vorgeworfen hat, in einem wesentlich andern Lichte.
Die anfängliche Beschränkung auf die strengste Defensive erscheint
durchaus geboten , und selbst so oft und hart verurteilte Maßregeln,
wie die Aufgabe des Tempepasses nach dem Olympübergang und die
Räumung der festen Stellung am Elpeos , lassen sich aus den Ver-
hältnissen vollkommen erklären. Auf der andern Seite verdient der
Olympübergang des Konsuls Q. Marcius Philippus keineswegs die
Vorwürfe, die Mommsen gegen den römischen Heerführer gerichtet
hat. Dennoch kommt im allgemeinen Perseus wohl zu gut bei Krom.
weg; so sehr man im Anfang die defensive Haltung des Königs
billigen muß, und so energisch er auch, besonders im zweiten Jahre,
die Verteidigung geführt hat, merkwürdig bleibt es doch, daß er
selbst dann, als seine zähe Verteidigung die gewünschte Wirkung
gehabt, als Griechenland, ja selbst Eumenes und die Rhodier wankend
geworden war, nicht den Mut zu einem energischen Vorstoß besaß,
sondern weiter bei seinem Verteidigungssystem beharrte, das endlich
doch, wenn er auf sich selbst gestellt blieb, in sich zusammenbrechen
mußte. Zu dem Bilde der Unentschlossenheit, das sich daraus ergibt,
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Jahresbericht über griechische Geschichte (1903-1906). 223
paßt es denn auch, daß er schließlich die Schlacht ganz ohne Not
annahm; auch Krom. hat nicht nachweisen können, daß er dazu
gezwungen oder durch besondere Vorteile bewogen ward. Hier macht
seine Führung wirklich den Eindruck der Kopflosigkeit und Unüber-
legtheit, die dann in seiner hastigen Flucht im Augenblick der Ent-
scheidung am augenfälligsten zutage tritt.
Wahrscheinlich in die Zeit kurz vor Pydna fällt ein von Papa-
basileios herausgegebenes Ehrendekret von Chalkis für
Herakleides von Soloi, der im Auftrag des älteren Ptolemaios eine
größere Getreidesendung für die in Chalkis stationierten Römer
dorthin gebracht hatte. Durch den Beisatz zpeaßürepo? wird ge-
wöhnlich entweder der erste Ptolemaios im Gegensatz zu seinem
Sohne Philadelphos bezeichnet, der zwei Jahre vor seines Vaters
Tode die Regierung übernahm, oder Ptolemaios VI. Philometor im
Unterschied von seinem Bruder Euergetes II. oder Physkon, die von
170/69 bis 164 geroeinsam Uber Ägypten herrschten. Demgemäß
zeigt Wilhelm, daß als Zeit des Dekrets nur die Jahre von 170/69
bis zur Schlacht von Pydna in Frage kommen können, als das
römische Heer in der Strandebene am Olympos lag und wohl zum
Teil von Chalkis her verproviantiert werden mußte. Damals suchten
beide Ptolemaier sowohl bei den Achäern wie bei den Römern Kriegs-
hilfe gegen Antiochos IV., und die Getreidesendung sollte wohl
das Hilfsgesuch unterstützen. Nun meint freilich Papabasileios, wenn
die Hilfe von beiden kam , so sei es seltsam , daß nur der ältere
erwähnt werde, und will deshalb die Inschrift entweder vor oder
hinter die gemeinsame Regierungszeit der beiden Könige datieren.
Allein vor 170'69 lag überhaupt kein Grund vor, Philometor als
irpcaßoxepoc zu charakterisieren, da sein Bruder Physkon damals noch
gar nicht mündig oder regierungsfähig war, und nach 164 ist wieder
kein Fall denkbar, daß ein römisches Heer in oder in der Nähe von
Chalkis gestanden hätte. Es muß also bei Wilhelms Ansatz sein
Bewenden haben ; entweder ging die Sendung wirklich nur von Philo-
metor aus oder dieser bandelte zugleich im Namen seines jüngeren
Bruders. Einem ähnlichen Fall sind wir oben in der seleukidischen
Geschichte begegnet (vgl. S. 197 f.). Noch etwas genauer läßt sich
die Zeit durch ein von FoucartS. 344 f. geltend gemachtes Moment
bestimmen; insofern nämlich die römische Flotte im Spätsommer 169
ihr bisheriges Standquartier Chalkis verließ, ist es allerdings wahr-
scheinlich, daß das Dekret in die erste Hälfte des Jahres 169 zu
setzen ist. Über die damaligen Vorgänge in Boiotien handelt Foucart
ausführlich in seiner Neubehandlung des SC. von Thisbe 170, die
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Thomas Lenschau.
indessen für das Verständnis der einzelnen Begebenheiten nicht viel
Neues bringt.
Die Schlacht von Pydna, die die Römer zu unbedingten Herren
des Orients machte, hat auch einen starken Umschwung ihrer Politik
herbeigeführt: rücksichtslos haben sie besonders in der ersten Zeit
nachher ihre Macht geltend gemacht und die Griechen mit einer Härte
behandelt wie nie zuvor, wozu nicht bloß ihr gesteigertes Macht-
bewußtsein, sondern auch die Erkenntnis beigetragen hat, wie un-
sicher ihre Position bis dahin gewesen, wie wenig es ihnen gelungen
war, den Dank der Griechen sich zu erwerben (Colin S. 447 f.).
Selbst Eumenes II. bekam es zu spüren, daß jetzt ein anderer Wind
wehte; man hatte ihm die selbständige Politik in Syrien beim Tode
des Seleukos nicht vergessen und noch weniger sein Schwanken
170/69, als er mit den Khodiern zugleich den Vermittlungsversuch
wagte, der beiden so übel bekommen sollte. Auch konnte es den
Römern ja nicht entgehen, daß das Ergebnis der drei Kriege die
Schaffung eines neuen griechischen Großstaates war, der sicher nicht
an materiellen Hilfsmitteln, wohl allerdings an nationaler Geschlossen-
heit Makedonien nachstand, der aber trotzdem geeignet erschien, die
Vormacht des Hellenentums zu werden. Sie begannen ihn also
schlecht zu behandeln, etwa so, wie Philipp nach Kynoskephalai
(Colin a. a. 0.) , und die Folge war eine dauernde Entfremdung
zwischen Pergamon und Rom, die erst mit dem Tode Eumenes II.
ein Ende nahm. Biese Mißhelligkeiten bilden für Brückner das
Mittel, die Entstehung des Telephosfrieses und die Anlage des
großen Altars zu Pergamon genauer zu bestimmen, und so
viel scheint mir nach seinen Ausführungen unzweifelhaft: die Er-
richtung fällt in eine Zeit, in der Pergamon sowohl mit Rhodos als
auch mit dem achäischen Bunde und Athen eng befreundet war.
Dadurch werden zunächst die Zeiten von 187/6 bis 170/69 aus-
geschlossen, in denen König Eumenes sehr schlecht zum achäischen
Bunde stand. In eben diese Zeit fällt auch der Gegensatz zwischen
den alten Bundesgenossen Rhodos und Pergamon, der zuerst 188 vor
dem römischen Senat hervortrat. Rhodier und Achäer haben von
diesem Zeitpunkt ab die Politik des Pergameners, der der ergebene
Schleppenträger Roms und, wenn einer, die treibende Kraft in der
Vernichtung der hellenistischen Reiche war, völlig richtig erkannt
und demgemäß gewertet. Also bleibt nur die Zeit vor 187/6 oder
nach 170/69, und für diese spätere Zeit entscheidet sich B. , da in
der Schilderung bei Philostratos auch Thraker als Bundesgenossen
erwähnt werden: „eine solche mythologische Hegemonie aber über
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Jahresbericht über griechische Geschichte (1903 — 1906).
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das binnenländische Thrakien konnte Eumenes nicht fingieren, so-
lange an die reale nicht zu denken war" (S. 221); d. h. also erst
nach der Vernichtung des Antigonidenreiches bei Pydna. Zu dieser
Zeit paßt al)er auch die völlige Ignorierung Roms, das doch genug
mythische Beziehungen nach der Troas hatte, und mit dem eben
Eumenes damals schwer brouilliert war; ebenso paßt der deutliche
Anlehnungsversuch gerade an Staaten wie Rhodos und den achäischen
Bund, die ebenfalls Roms Zorn nach 168 erfahren hatten. Somit
schließt sich der Versuch des Pergameners, die Griechen zu gewinnen,
der in dem ganzen zugrunde liegenden Mythos deutlich hervortritt,
an die großen Feste an, die 167 L. Aemilius Paullus in Amphipolis,
166 Antiochos IV. in Daphne gefeiert hatten. Für eine ähnliche
Feier, offenbar zur Verherrlichung der Galatersiege des Königs (166),
war der Mythos ersonnen , und bald nachher , noch vor dem Tode
Eumenes1 II. wird die Arbeit am Telephosfries begonnen sein. —
Mit dem Ergebnis dieser Ausführungen Brückners deckt sich auch
Cardinalis Ansatz (Pergamo S. 104 ff.), der allerdings auf anderem
Wege gewonnen ist; besonders macht er darauf aufmerksam, daß
eben jene glänzende Verherrlichung des Gallierkampfes in der perga-
menischen Kunst ein stummer Protest gegen die Handlungsweise des
Senats war, der den König um die Frucht seines Sieges betrogen
hatte, und daß gerade damals Eumenes den Beinamen Soter annahm.
Wenigstens glaube ich kaum, daß das ein Zufall ist ; vielleicht wollte
er sich den Griechen dadurch als Hort des Hellenentums empfehlen,
daß er den Beinamen des ersten Antiochos sich beilegte, der hundert
Jahre früher den Sieg gegen die fremden Unholde gewonnen hatte.
Wie wenig sich das für ihn schickte, der zur Demütigung des
glänzenden Seleukidenhauses am meisten beigetragen hatte, das hat
Eumenes schwerlich bedacht: Takt pflegt solchen Parvenüs, wie er
einer war, nun einmal nicht gegeben zu sein.
So scheint sich manches zusammenzuschließen, um Brückners
Vermutung zu bestätigen, wenn nicht schließlich ein Bedenken bliebe.
Konnte der Mann, der dreißig Jahre lang alles für die Vernichtung
der hellenischen Reiche des Ostens eingesetzt hatte, wirklich erwarten,
daß sein Liebeswerben um die Gunst der Griechen Erfolg habe?
Wußte doch jedermann, daß er den Judas gespielt hatte. Wenn der
achäische Bund auf Polybios Antrag ihm 170/69 die jahrelang ver-
sagten Ehren zurückgab, so geschah das eben in jenem ereignisvollen
Wfinter, der einen Augenblick den Traum einer Gesamterhebung des
griechischen Ostens gegen das verhaßte Rom zu verwirklichen schien.
Aber nach dem Sturz Makedoniens fiel der Groll der Griechenwelt
Jahresbericht für Altertumswissenschaft. Bd. CXXXV. 15
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Thomas Lenschau.
erst recht auf den Pergamener zurück ; wir haben Spuren genug, daß
Eumenes damals, und mit Recht, der bestgehaßte Mann des Ostens
war. Daran ändert auch die Bemerkung des Polybios 31, 10, 6
nichts, deren Zusammenhang wir nicht kennen, und die ohnehin erst
in die allerletzten Jahre des Königs gehört, noch auch der Umstand,
daß ihm Milet damals aus Gott weiß welchen Gründen ein t^jisvoc
weihte, wie sich das aus dem bei den deutschen Ausgrabungen ge-
fundenen Antwortschreiben ergibt (Berl. S. B. 1904). Im Gegenteil,
die Beflissenheit des Königs, der bei seinem Danke hervorhebt, daß
die Milesier die ersten seien, die ihn so geehrt hätten, läßt tief
blicken, wenn man bedenkt, wie gewöhnlich solche Ehrenverleihungen
waren. Es mag eine nette schmutzige Wäsche gewesen sein, die
damals zutage kam, als C. Sulpicius Gallus zehn Tage lang im Gym-
nasium zu Sardes saß und vergnüglich „allen Schimpf und alle Schande
anhörte, die gegen den König von den Griechenstädten zusammen-
getragen ward" (Polyb. a. a. 0. 10, 1 — 5). Sicherlich waren für den
Pergamener die Aussichten , der rpoGTcrnjc der Hellenen zu werden,
sehr gering. Nun mag ihn das ja trotzdem nicht von dem Versuch, diese
Stellung zu gewinnen, abgehalten haben ; aber unter diesen Umständen
wird man sich doch die Frage vorlegen müssen, ob es nicht noch
eine andere Periode in der Geschichte des Attalidenhauses gegeben
hat, in der es mit sehr viel mehr Hecht und bedeutend größerer
Aussicht auf Erfolg eine solche Vormachtstellung beanspruchen konnte.
Die Antwort kann nicht zweifelhaft sein : es ist die Zeit, in der die
glänzenden Taten Attalos' 1. ihm den Sieg über Antiochos Hierax
und die mit ihm verbündeten gallischen Erbfeinde verliehen, damals,
als er auch in Thrakien Eroberungen machte und sein Reich von dort
bis zum Tauros ausdehnte. Möglich ist, daß kunstgeschichtliche Er-
wägungen gegen eine solche Heraufdatierung sprechen : zur Konzeption
des Mythos und der Grundgedanken , die dem Altarfries zugrunde
liegen, war die Zeit um 225, als man noch nichts von Rom wulite.
sicherlich geeigneter als sechzig Jahre nachher, und die Ausführung
muß ja ohnehin längere Zeit in Anspruch genommen haben.
Das nächste wichtige Ereignis nach Pydna ist der Thronwechsel
in Syrien, der Tod des vierten Antiochos, dem sein Sohn
Eupator nur zu kurzer Regierung folgte, um bald dem rechtmäßigen
Thronerben aus der Hauptlinie, Demetrios, Platz zu machen. Der
Zeitpunkt des Todes ist nicht mit Sicherheit zu bestimmen ; während
Unger, gestützt auf das erste Makkabäerbuch , auf eine Notiz des
Granius Licinianus, wonach Antiochos' Tod ins zweite Konsulat des
Tib. Sempronius, d. h. 163/2, fiel, und auf Porphyrios, der 164' 3
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Jahresbericht über griechische Geschichte (1903—1906). 227
als sein letztes Jahr bezeichnet, das Ende des Königs in den Sep-
tember 163 setzte, hat Niese (III, 218 A. 7) an seiner früher ge-
gebenen Datierung (165/4) festgehalten, und Bevan ist ihm in seinem
großen Werke gefolgt. Ungers Ansicht wird von Egg bei seiner
Anordnung der Polybiosbruchstücke zu Ol. 154, 1 nach jeder Richtung
hin verteidigt, und in der Tat scheint mir Nieses Ansatz dadurch
widerlegt, daß er sich mit der Angabe des Gran. Lic. in keiner
Weise vereinigen läßt, zumal diese durch eine Münze Antiochos IV.
aus Sei. 149 (1. Okt. 164/3) gestützt wird. Dagegen setzen sich
Unger und Egg mit der allerdings unsicher überlieferten Angabe des
Porphyrios in Widerspruch, nach der Antiochos' V. Eupator
lVa Jahre regiert hat. Nach Beloch III, 2, 143 kann es keinem
Zweifel unterliegen, daß Demetrios I. im Laufe des Sommers 162 zur
Regierung gekommen ist; setzt man nun Epiphanes Tod in den Sept.
163, so schrumpft Eupators Zeit auf wenig mehr als Va Jahr zusammen.
Es empfiehlt sich daher der Mittelweg, Antiochos' Tod in den Anfang
der guten Jahreszeit 163, d. h. unter Sempronius' zweitem Konsulat
anzusetzen und ihn damit auch zugleich in die Nähe der Tempel-
weihe zu rücken, die ßevan (II, 299 Append. zu S. 180) auf den
25. Chislev — übrigens nach Willrich (Klio IV, 116 f.) der
Geburtstag des Königs — Dez. 164 fixiert hat. Allerdings wird
dadurch die Verteilung der Ereignisse von Ol. 154 bei Egg wesentlich
modifiziert, der nicht nur Antiochos' Tod in den Sept. 163. sondern
auch Demetrios Flucht aus Rom auf Frühjahr 161 ansetzt. Allein
das stimmt nicht zu Polyb. 3, 5, 3, wonach König Demetrios 12 Jahre
regierte; denn bis zu Alexander VI. Balas Regierungsantritt (spätestens
Sept. 150; vgl. Beloch III, 2, 140) kommen dann nur 11 Jahre
heraus, was allerdings mit Jos. Ant. 13, 2, 4 übereinstimmen
würde. Vielleicht belehren uns die Keilinschriften noch einmal eines
besseren, bis dahin aber würde etwa folgende Verteilung die Wahr-
scheinlichkeit für sich haben:
163 Mittsommer Antiochos' IV. Tod,
162 Herbstanfang Demetrios' I. Antritt,
150 Spätsommer Tod Demetrios' I.
Dann sind die VU Jahre Eupators bei Porphyrios auf eineinhalb
abgerundet, und ebenso die elfeinhalb des Demetrios bei Pol. auf
zwölf, während Josephus nur die vollen Jahre gerechnet hat.
Die Kämpfe der folgenden Jahre im griechischen Orient haben
bei Niese, Bevan und Bouche"-Leclercq eine neue Darstellung gefunden,
die manche Irrtümer berichtigt hat; auch Breccias Aufsatz über
Mithridates I. von Parthien gibt manche wertvolle Bemerkung zur
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Thomas Lenschau.
gleichzeitigen syrischen Geschichte. Auf ein meist unrichtig datiertes
Ereignis der kleinasiatischen Geschichte hat Th. Büttner-Wobst
hingewiesen, den bei Suid. unter ÄroXXomdc Xi'fivij erwähnten Kampf
des Attalos mit Nikomedes Monodus, welchen Niese III,
S. 865 A. 2 unter Attalos III. ansetzt. B.-W. zeigt, daß Suidas hier
auf Johannes Antiochenos zurückgeht, und da bei ihm am Schlüsse
Apollonis als Mutter des Attalos erwähnt wird, so ergibt sich, daß
wir es hier mit Attalos II. zu tun haben. Eine genauere Datierung
hat er nicht versucht ; leider ist sie noch nicht möglich, da die neue
Liviusepitome sie nicht erwähnt, die sonst über die Jahre von 149
ab manchen wertvollen Aufschluß gibt, besonders über die letzten
Kämpfe, die den Untergang der Selbständigkeit Griechen-
lands und Makedoniens herbeiführten. Zunächst lassen sich
die Ereignisse des makedonischen Krieges etwas genauer fixieren
(Korne mann S. 91); 149 fällt die Eroberung Makedoniens durch
Andriskos, sein Vordringen nach Thessalien und dessen Verteidigung
durch P. Cornelius Nasica; 148 sein Sieg über Juventius, seine
Niederlage durch Q. Caecilius Metellus und noch im selben Jahre
seine Gefangennahme. 147 erfolgte die Beleidigung der Gesandt-
schaft unter L. Aurelius Orestes durch den „ Prätor u der Achäer,
offenbar nicht Kritolaos, der erst Herbst 147 Strateg wird, sondern Diaios.
wie Cass. Dio 21, 72, 1 richtig angibt: welcher Art die Beleidigung
war, erfahrt man aber nicht. 146 folgt die Zerstörung und nachher
der Tod des Diaios . während unsere Quellen die Anordnung um-
gekehrt haben. Doch wird die Erzählung der Vorgänge, wie sie sich
bei Niese und Colin findet, dadurch nur in nebensächlichen Punkten
geändert ; vor allem bleibt Colins Grundauffassung bestehen, daß der
Senat ganz gegen seine frühere Gepflogenheit diesmal den Griechen
gegenüber eine ganz unglaubliche Milde und Langmut bewiesen hat.
Das schreibt Colin wesentlich dem Wiedererwachen des Philhellenismus
zu, dessen Vertreter damals der jüngere Scipio und sein Kreis waren
(S. 555 ff.). Allein so richtig das ist, so werden doch der schwere
Krieg in Spanien, dessen Furchtbarkeit die neue Liviusepitome be-
sonders hervortreten läßt (vgl. Kornemann-a. a. 0.), und der Kampf
gegen Karthago mit dazu beigetragen haben, daß der Senat diesmal
nur zögernd gegen Makedonien und den achäischen Bund vorging.
Es war ihm sichtlich unangenehm , vor der Beendigung jener Kriege
noch an einem dritten Punkt militärisch eingreifen zu müssen. Daß
dann nach der Niederwerfung des Aufstandes Griechenland zunächst
die volle Schwere des römischen Zornes zu erdulden hatte, ist richtig ;
allein die Zörstörung Korinths hat schon Mommsen auf die Eifersucht
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Jahresbericht über griechische Geschichte (1903—1906). 229
der römischen Handelskreise zurückgeführt, und im übrigen ist
Griechenland doch ziemlich, glimpflich davongekommen (Colin 640 ff.).
Insbesondere hat Colin mit Recht Mummius sowohl gegen den
Vorwurf der Grausamkeit wie gegen den der Lächerlichkeit und
Unbildung verteidigt (S. 626 ff.); in dieser letztgenannten Hinsicht
hat sich die Nachwelt geradezu in Erfindungen überboten. Ein
kulturell hochstehendes Volk, das unterliegt, hat dem Sieger gegen-
über kaum eine andere Waffe, als ihn lächerlich zu machen, wie wir
das 1870/71 ebenfalls hinlänglich zu unserem Schaden erfahren haben;
das wird man bei der Beurteilung eines Mannes wie Mummius stets
in Anschlag bringen müssen.
Achtes Kapitel.
Der griechische Osten unter der Herrschaft Roms
von 146-30 v. Chr.
Bevan, E. R., Antiochus III. and his title Great-King. Journ. Hell. Stud. 22,
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— , la province romaine proconsulaire d'Asie depuis ses origines. Paris 1904.
Colin, Gust., inscriptions de Delphes. Bull. Corr. Hell. 1903, p. 104—173.
— , inscriptions de Delphes. La throne athönienne ä Delphes BCH. 30,
161-329. 1906.
Ferguson, W. S., the Oligarchie revolution at Athens of the year 103/2. Klio
(BAG.) IV, 1—17. 1904.
Foucart, F., la formation de la province romaine d'Asie. Mem. de l'Acad.
des inscriptions et helles lettres t. 37, 1, 297—339. 1903.
— , un senate ur romain en Egypte sous le regne de Ptolemee X. MeUanges
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Holleaux, Maur., observations sur une inscription de Lebadeia. BCH. 30,
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Mahaffy, J. F., the silver age of the Greek world. Chicago and London 1906.
Tarn, W. W., notes on Hellenism in Bactria and India. Journ. Hell. Stud.
22, 268-293. 1902.
Die letzte Periode der griechischen Geschichte , die hier be-
handelt wird, reicht vom Verlust der Unabhängigkeit des Mutterlandes
bis zur Schlacht von Aktion, deren unmittelbare Folge die Ein-
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230 %
Thomas Lenschau
Verleihung des letzten großen hellenistischen Reiches in das römische
Imperium war. Eine Gesamtdarstellung dieses Zeitraumes fehlt, da
Nieses Werk mit dem Jahre 120 abbricht; in gewisser Weise wird
sie jedoch durch die Spezialgeschichten von Bouche*-Leclercq und
Bevan ersetzt, und diesen schließt sich, allerdings mehr der Kultur-
geschichte zugewandt, Mahaffys Werk an, eine Neubearbeitung seines
früher erschienenen Buches „the Greek world under Roman sway", das
mit seiner Darstellung denn freilich noch über die hier gesteckten
Grenzen bis in die Kaiserzeit hineinreicht.
In dem Augenblick, wo die politische Herrschaft des Ostens aus
den Händen der Griechen auf Rom übergeht, erhebt sich naturgemäß
eine Hauptfrage, die das Ergebnis der bisherigen Entwicklung fest-
zustellen sucht, die Frage nämlich, inwieweit es dem Griechentum
wirklich gelungen ist, den großen Gedanken Alexanders, die
Hellenisierung des Ostens, völlig durchzuführen. Die Ant-
wort darauf lautet heute bei weitem nicht mehr so zuversichtlich wie
zu Droysens Zeit. Unzweifelhaft haben von allen Diadochen nur die
Seleukiden dies Ziel Alexanders im Auge gehabt ; nicht bloß in ihrer
unbezähmbaren Kriegslust, sondern auch in ihrer Vorliebe für Städte-
gründungen gleichen sie dem Vorbild des großen Königs und, wie erT
haben auch sie in der Ansiedelung der Griechen mitten im Barbaren-
lande das geeignetste Mittel zur Hellenisierung dieser Gegenden
erkannt. Allein die Zahl der Griechen, die auf diese Weise an-
gesiedelt wurden, war doch nur gering im Vergleich zur Masse der
einheimischen Bevölkerung, vielleicht noch geringer als die Zahl der
Germanen in den von ihnen begründeten Reichen im Verhältnis zur
römischen Provinzialbevölkerung , und wie es diesen doch eben nur
gelang, die höheren Schichten des Volkes zu germanisieren, so wird
auch die Wirkung der hellenischen Kolonisation im Orient nicht all-
zu hoch angeschlagen werden dürfen, zumal die Kolonisten häufig
auf eingeborene Frauen angewiesen waren. Mit Recht hat Tarn
darauf aufmerksam gemacht, daß solche Gründungen, wenn sie nicht
zugleich mit griechischen Frauen besetzt wurden, meist schon inner-
halb weniger Generationen in der einheimischen Bevölkerung aufgehen
mußten, vor allem an den Grenzen des Reiches, da, wo der Zu-
sammenhang mit den griechischen Kulturzentren naturgemäß leicht
der Unterbrechung ausgesetzt war.
Das gilt in allererster Linie vom hellenischen Osten, der,
seit etwa 250 durch den Aufstand des Diodotos politisch losgetrennt,
bald durch die Anfänge der parthischen Herrschaft vollständig Tom
Westen abgeschnitten ward. Die Wiedereroberung dieser Gebiete
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Jahresbericht über griechische Geschichte (1903—1906). 231
durch Antiochos III., der eben dadurch nach Bevan den an die
Beherrschung Irans (vgl. Breccia S. 114) gebundenen Titel Großkönig
gewann, war von zu kurzer Dauer, als daß sie die Orientalisierung
dieser Gegenden hätte aufhalten können, die trotz einzelner hellenisti-
scher Rückschläge (Eukratides) unaufhaltsam ihren Gang nahm. Nur
die griechischen Münzen , die in großer Zahl und wunderbarer
Prägung von diesen Dynastien erhalten sind , haben immer wieder
den Gedanken nahegelegt, als habe hier im Osten jahrhundertelang
eine hohe griechische Kultur geblüht und indische Kunst und Literatur
in der nachhaltigsten Weise beeinflußt. Es ist ein Verdienst Tarns,
diesen Problemen energisch zu Leibe gegangen zu sein, und da hat
sich denn gezeigt, daß außer den Münzen fast gar nichts für eine
solche Annahme spricht. Mit Recht weist er zunächst darauf hin,
daß alles, was wir von den vier größten Kulturzentren dieser Gegenden,
von Baktra, Sagala, Taxila und Eul-tsche, der Hauptstadt Ta-yuans,
wissen, diese als Städte rein orientalischen und keineswegs hellenischen
Charakters kennzeichnet (S. 269 ff.). Schon die ersten Könige , die
in Baktra residierten, Diodotos und Euthydemos scheinen sich wesent-
lich auf die einheimische Bevölkerung gestützt zu haben. Nach
dieser Seite hin ist es besonders ckarakteristisch, daß der Usurpator
Eukratides, der eine Art hellenischer Reaktion herbeiführte, seinen
Sitz von Baktra nach der Neugründung Eukratideia verlegte, daß
dagegen sein Mörder und Nachfolger Heliokles wieder Baktra, die
alte Kapitale dieser Gegenden, zum Mittelpunkt des Reiches machte.
Weiter zeigt schon der Beiname von Sagala, der bei Ptol. p. 273
als E'j&ü<ji8eia erscheint (KuöuoWjfAeia ist müßige Konjektur) und
wahrscheinlich von Menandros (sanskr. Milinda) herrührt, die buddhisti-
schen Tendenzen dieses Fürsten, der im übrigen als der glänzendste
Vertreter des Griechentums in diesen Gegenden erscheint. Die dritte
Stadt, Taxila, ist in der indischen Geschichte dadurch bemerkenswert,
daß ihre Bewohner stets im Widerstand gegen die herrschende
Gewalt verharren, so unter Alexander, so auch wieder unter Vindusara.
A^okas Vater; wie sie damals die erste war, die sich Alexander
unterwarf, so mag sie zuerst auch den Rücktritt auf die Seite der
einheimischen Kultur vollzogen haben, was Tarn an den Münzen des
Königs Agathokles zu zeigen versucht. Endlich pflegt man wohl das
Ta-yuan der chinesischen Quellen mit den Yona oder Yavana der
indischen Literatur zusammenzubringen, die zum Teil zweifellos
Griechen bezeichnen sollen ; allein demgegenüber weist T. darauf hin,
daß schon Dareios' Inschrift zu Naksch-i-Rustem neben den Saka die
„helmtragenden Yuna" erwähnt, offenbar also einen östlichen Stamm,
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Thomas Lenschau.
der in der Nähe der Saka wohnte und von den indischen Quellen
Öfters mit ihnen zusammen genannt wird. Vielleicht war Ta-yuan der
Wohnsitz dieses Volkes, das mit den Griechen demnach gar nichts
zu tun hat. So bleiben also nur die Spuren griechischer Kunst in
Indien, die aber, wie Mahaffy hervorhebt p. 27 ff., weder sehr
zahlreich noch sehr alt sind; wenige gehen über 50 v. Chr. hinaus
und stehen also mit jenen hellenistischen Herrschern kaum in Be-
rührung, wie es denn auch unwahrscheinlich ist, daß die Griechen
damals viel Zeit für eine künstlerische Betätigung übrig hatten, in
dieser Zeit der Okkupation, „when every Greek man was requested either
as a fighting man or a goveraor" (Tarn a. a. 0.). Daß gewisse Ein-
flüsse vorhanden sind, soll nicht geleugnet werden; insbesondere für
das indische Drama hält Mahaffy im Anschluß an Weber und Windisch
an einer griechischen Einwirkung fest, die er sich durch dionysische
Künstlergesell6chaften vermittelt denkt, wie denn solche um die
Mitte des ersten vorchristlichen Jahrhunderts am parthischen Hofe
die Bakchen des Euripides aufführten. Allein ihre Spärlichkeit läßt
es sehr wohl möglich erscheinen, daß sie durch die indopersische
Kunst vermittelt sind, und so bleibt das Ergebnis im ganzen doch
das bereits von Tarn im Beginn seines Aufsatzes angedeutete, „daß
man viel mehr iranisches Wesen in diesen Gegenden findet und viel
weniger griechisches, wie man erwartete". Wären die Münzen
nicht, man würde nie dazu gekommen sein, eine starke Hellenisierung
hier im äußersten Osten anzunehmen.
Nicht viel anders als auf diesem vorgeschobenen Posten des
Hellenismus lag die Sache in Iran und überhaupt den Ländern jen-
seits des Euphrat, in denen Chapot den Spuren des Hellenis-
mus nachgegangen ist. Mit der Arsakidenherrschaft beginnt hier
eine stramme nationale Reaktion einzusetzen , die der griechischen
Kultur durchaus feindlich gegenübersteht : selbst die Kunst weist nur
geringe Spuren griechischer Einwirkung auf, so daß es einigermaßen
schwer hält, sich vorzustellen, wie griechische Kunst durch Iran hin-
durch auf Indien wirkte. Doch ist immerhin eine Besserung mit der
Zeit zu konstatieren: im letzten Jahrhundert vor Christo war eine
gewisse Bekanntschaft mit griechischer Literatur in den höheren
Ständen vorhanden, und ebenso hat mit dem Christentum zugleich auch
griechische Philosophie Eingang in die Länder jenseits des Euphrat
gefunden, soweit sie den Zwecken der neuen Religion dienen konnte,
die sie zu einer unfruchtbaren Scholastik mißbrauchte. Mit Recht
weist Chapot auf die äußerst geringe Anzahl von literarisch, wissen-
schaftlich, künstlerisch hervorragenden Männern hin, die den Land-
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Jahresbericht über griechische Geschichte (1903—1906).
233
schatten jenseits des Enphrat entstammten (S. 241 ff.); im wesent-
lichen waren es nur die technischen Fortschritte des Hellenismus,
die man sich zu eigen machte, während seine Kultur glattt abgelehnt
ward.
Etwas anders lag die Sache in Ä g y p t e n , wo unter den ersten
Lagiden das griechisch-makedonische Element in jeder Weise Uberwog
und sich durch griechische Heiraten rein erhielt, wie besonders die im
Fayüm angesiedelten Krieger deutlich erkennen lassen. Allein die
Könige waren doch von vornherein darauf bedacht, die ägyptische
Hauptmasse ihrer Untertanen, insbesondere die mächtige Priesterschaft,
nicht vor den Kopf zu stoßen, und so gerieten sie nach und nach ins
nationale Fahrwasser, besonders seit neben makedonisch-griechischen
Söldnern die einheimischen jJ.Gr/tuoi bei Rapheia den Sieg über den
Landesfeind gewonnen hatten. Unter Physkon kommt diese Nationali-
sierung zum vollen Durchbruch, tatsächlich waren in der zweiten Hälfte
des zweiten vorchristlichen Jahrhunderts Syrien und der größte Teil
Kleinasiens die einzigen Gebiete des asiatischen Alexanderreiches, in
denen der Hellenismus herrschte, und auch hier war die nationale
Reaktion der Makkabäer an der Arbeit, in Südsyrien das Werk der
Seleukiden und des Hellenismus zu vernichten (vgl. über diese Ent-
wicklung Mahaffy, Silver Age c. 3 und Progress c. 3). Solchen Er-
scheinungen gegenüber wird man fast geneigt sein, dem harten Urteil
Chapots zuzustimmen, der von einem totalen Mißerfolg, ja, einem
völligen Bankerott des Hellenisierungsgedankens spricht. In der Tat
war das Hellenentum gegen das Jahr 100 hin im Begriff, überall
den Orientalen zu erliegen. Da griff Rom ein, und so wenig sym-
pathisch es den Griechen war, so schwer seine Herrschaft auch auf
ihnen lastete, ein vollkommenes Versinken des Hellenismus ins Bar-
barentum bat es doch an manchen Stellen, z. B. in Palästina, glücklich
verhindert (Mahaffy, Silver age 1 ff.).
Es ist kein Zufall, daß der Niedergang des Hellenismus in der
zweiten Hälfte des zweiten vorchristlichen Jahrhunderts zeitlich mit
der beginnenden Auflösung im Seleukidenreich zusammenfällt,
die, hervorgerufen durch die Spaltung des Herrscherhauses in ver-
schiedene sich untereinander bekämpfende Linien, vorübergehend sogar
die Eroberung des Reiches durch Ptolemaios Philometor herbeiführte.
Unmittelbar nachher mit dem Jahre 144 setzt die neue Liviusepitome
ein, die in eine chronologische Schwierigkeit etwas mehr Licht
gebracht hat. Auch Liv. setzt hier, wie die gesamte Überlieferung,
den Tod des jungen Antiochos VI. Epiphaues, der von Diodotos
Tryphon ermordet ward, nach der Gefangennahme Demetrios II. durch
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Thomas Lenschau.
die Parther an, also nach 140/39. Nun aber wissen wir ans den
Münzen, deren Zeugnis durch 1. Makk. 13, 31 bestätigt wird, daß
tatsächlich 143/2 das Todesjahr' Antiochos VI. war, und so läßt sich
allerdings der Schluß Korneinanns kaum abweisen, daß die drei
Jahre Tryphons (nach Jos. Ant. XIII, 224), die von 143/2—140/39
reichen, dem Verstorbenen hinzugerechnet sind, daß also unsere
literarische Überlieferung Epiphanes' Regierungszeit von 146/5—140/39
erstreckt. Der Grund lag offenbar darin, daß der Usurpator, der
auch von Rom nicht anerkannt war, als Regent überhaupt ignoriert
ward. Im Prinzip stimmen damit auch Euseb. und Porphyrios.
die aber die drei Jahre von 143/2 bis 140/89 an Tryphons Gegner
Demetrios II. geben. Übrigens gibt es aus diesem Jahre auch noch
tyrische Münzen des Demetrios, während sich ebenda aus dem Jahre
139/8 schon Münzen des Antiochos v. Side finden (Babelon S. 127, 137).
Ungefähr um dieselbe Zeit, als dieser letzte kraftvolle Herrscher
Syriens im Kampf gegen die Parther ein ruhmvolles Ende fand, haben
sich die Römer zuerst auf asiatischem Boden festgesetzt. Das Testa-
ment des letzten Attaliden ist der Anlaß zur Gründung der
römischen Provinz Asien geworden. An der Realität des
Testamentes kann seit Auffindung der Inschrift Perg. 249 nicht mehr
gezweifelt werden; was Attalos' Motive betrifft, so hat Foucart
wohl recht, wenn er nicht sowohl Liebe zu den Römern als Hais
gegen Aristonikos für das treibende Moment hält: vielleicht waren
auch die Grausamkeiten des verbitterten und kinderlosen Herrschers
gegen vermeinte oder wirkliche Anhänger des Prätendenten gerichtet
(Fouc. S. 300 ff.). Das Testament verfügte, worauf es hier besonders
ankommt, die Freiheit sämtlicher Griechenstädte, nicht bloß derer,
die bis dahin frei und autonom gewesen waren, sondern auch der
tributären Schutzstädte, wie Ephesos und Tralles, endlich auch der-
jenigen städtischen Gemeinwesen, die dem äußeren Scheine nach frei,
in Wirklichkeit aber Bestandteile des Reiches waren wie Pergamon selber.
Alle drei Kategorien, wie sie Foucart S. 311 und ähnlich auch Car-
dinali (Perg. S. 226 ff.) unterscheiden, wurden also in gleicher Weise
für frei und unabhängig erklärt und als solche vom Senat bestätigt.
Diese Bestätigung, auf die sich später P. Servilius Isauricus bei
seinen Maßregeln im Jahre 48 berief, ist dann auch für M. Aquillius
maßgebend gewesen, als er 129 — 127 die Grundlagen der Provinz
schuf. Das zeigt sich in der Art. wie die Städte Differenzen unter-
einander beilegen; sie haben es nicht nötig, die Sache dem Senat
vorzulegen, obwohl natürlich auch das möglich war, wie denn z. B.
Rhodos und Stratonikeia Bargylia als iroXt; IxxXtjto? wählten (das
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Jahresbericht über griechische Geschichte (1903—1906). 235
Dekr. bei Fouc. S. 834 ff.) oder eine Streitigkeit zwischen Sardes
and Ephesos anter Vermittlung eines Pergameners beigelegt ward.
Zu diesen Beispielen Foucarts kommt noch ein sehr bezeichnendes
hinzu: der Streit Prienes mit den Steuerpächtern (5r4jAoaiu>vat) , in
dem der Senat sogar in einer römische Bürger angehenden Sache
Erythraia das Schiedsgericht tiberläßt (Priene 111, 120 ff.). Aller-
dings hat dann die lex Sempronia Asien den Zehnten auferlegt und
es der Ausbeutung durch die römische Geldaristokratie überliefert,
die ziemlich arg ge wirtschaftet haben muß, wie die Erbitterung im
mithridatischen Kriege beweist (Chapot S. 20 ff.). Allein für die
Städte läßt sich diese Bedrückung kaum beweisen; ihre Haltung im
mithridatischen Kriege, wo die Besitzenden durchaus auf römischer
Seite standen, spricht eigentlich mehr dagegen, wie Chapot S. 29 ff.
ausführt. Freilich brachte der Krieg gegen Aristonikos manche
von ihnen in Bedrängnis; denn daß er mit der Gefangennahme des
Aristonikos 180 durch M. Perperna (vgl. über ihn Priene 108, 223 ff.)
nicht zu Ende war, zeigt Foucart an der Hand zweier Ehrendekrete
aus Bargylia S. 327 ff. , deren Original leider verloren gegangen ist.
Die Städte senden hier xaxA aujAua/tav , was sehr bezeichnend ist,
ihre Kontingente an M. Aquillius, der sie im Kleinkriege verwendet.
Daß es sich übrigens hier keineswegs um die Niederwerfung eines
Prätendenten , sondern um eine tiefgreifende Bewegung gegen die
römische Herrschaft gehandelt hat, wird durch den Zusammenhang
wahrscheinlich, in den Mahaffy S. 8 ff. diesen Krieg mit dem gleich-
zeitigen Sklavenaufstand in Sizilien stellt. Alles in allem genommen,
in den 37 Friedensjahren, die von der Niederwerfung des Aristonikos
bis zum Einbruch des Mithradates währte, kann die Stellung wenigstens
der Griechen Städt e nicht schlecht gewesen sein; manche von ihnen
haben das Andenken an einzelne hervorragende Statthalter bewahrt.
Zu den von Chapot a. a. 0. angeführten Beispielen kommen die
Ehrungen für C. Julius Caesar, den Vater des Triumvirn, der in den
neunziger Jahren die Provinz verwaltete (BCH. 29, 88 in Delos;
vgl. auch die Erwähnung im freundlichen Sinne Priene 111, 21, 117).
Was übrigens die Persönlichkeit Attalos' III. angeht, so ist
auch durch die neueste Behandlung der Frage durch Breccia
S. 50 ff. und Cardinali (Perg. S. 129 ff.) die Sache noch keineswegs
völlig geklärt. Von den drei Möglichkeiten — Sohn Attalos H. und
der Stratonike aus ihrer kurzen, rechtlich ungültigen Ehe (vgl. oben
S. 221 , so Köpp und Wilcken) oder natürlicher Sohn Eumenes II.
oder in der Ehe geborener, folglich legitimer Sproß der Stratonike
4 wahrscheinlich doch auch des Eumenes — entscheidet sich
230
Thomas LenscLau.
Breccia für die zweite, Cardinali für die dritte Möglichkeit: beide
unter ausdrücklicher Verwerfung der Nachricht von der übereilten
Heirat des Attalos mit Stratonike. Doch sind ihre Argumente teilweise
sehr subjektiver Natur ; in Dingen, wie sie Breccia S. 52 als unmöglich
darstellt, dachte man im Altertum wohl wesentlich anders als heute.
Über die Verhältnisse im Mutterlande wissen wir um diese Zeit recht
wenig; hier und da sind einige Inschriften oder Neubearbeitungen von
Inschriften anzuführen. So hat Holleaux die Inschrift von Lebadeia
BCH. 25, 365, die von Vollgraff in die Zeit Ptolemaios Philopators,
also ans Ende des dritten Jahrhunderts gesetzt ward, neuerdings in be-
deutend spätere Zeit datiert. Er schwankt zwischen Ptolemaios XIII.
<piXoiraxü>p xal <piXa'8eX<poc (Auletes 80 — 51) oder Ptolemaios IX. veo?
^tXomfaop, der 121/0 — 117/6 Vizekönig von Kypros gewesen sein soll;
übrigens ist dieser letzte eine etwas rätselhafte Persönlichkeit , über
dessen Identifizierung sich Bouchö-Leclercq II, 56 ff. A. 2 und S. 80 ff.
ausführlich ausgesprochen hat. Eine Dedikation in Delos erwähnt
Ptolemaios X. Lathyros Soter II (BCH. 29, 77); sie fällt nach den
Herausgebern Dürrbach und Jarde" in die Zeit seiner Verbannung auf
Cypern (116 — 88). Wichtiger ist die Neubehandlung der großen
Wescherschen Inschrift von Delphi, die Colin vorgenommen
hat. Die in ihr enthaltenen Dekrete, die auf Anregung eines römischen
Beamten, wahrscheinlich des Statthalters von Makedonien (Colin S. 119).
gefaßt wurden, fallen sämtlich in die Jahre 117 und 116 und be-
fassen sich in erster Linie mit der Feststellung verschiedener Defizits,
die sich im Tempelschatz, bei einer anderen Kasse und im Bestand
der Tempelherden vorgefunden hatten; die Höhe des Fehlbetrages
im Schatz wird auf 53 1 35 Minen fixiert. Sodann folgt die Fest-
setzung von Geldbußen für 13 Delphier, lauter vornehme Leute, die
aber später in amtlicher Stellung nicht mehr vorkommen, wie Colin
ganz richtig bemerkt Merkwürdigerweise ist ihm aber entgangen,
daß die Gesamtsumme der verhängten Strafen, 50* 215 min, genau dem
Defizit des Tempelschatzes entspricht. Offenbar haben wir es hier
mit den Verwaltern des Schatzes zu tun, in deren Amtsführung die
Unregelmäßigkeiten entstanden waren, und die nun zur Deckung
herangezogen werden. In die Folge dieser finanziellen Beschlüsse
ist an zweiter Stelle der Beschluß über die Grenzfestsetzung ein-
geschoben, bei dem es sich darum handelt, ob die unter dem Archon
Ornichidas — 338 und 285, gemeint ist nach C. der erste, da nach
Chaironeia eine Grenzberichtigung stattgefunden haben muß —
oder die des Pausanias, der 195 ätolischer Strateg war und dem
Flamininus die Sache übergeben haben wird, maßgebend sein soll
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Jahresbericht über griechische Geschichte (1903—1906).
237
(Colin S. 144). In einer zweiten Abhandlung stellt Colin eine Reihe
von Synchronismen zwischen delphischen und attischen Archonten
auf: TijioxpaTr^ EtaXetöa — Timarchos (c. 134), nfypoc — Dionysios
6 jietd Auxfexov (128/7), Hevoxpaxijc Ä^diXcoo — Agathokles 106/5,
M£vro>p <lHXaiT«oXoo — Argeios I. (97/6), wobei nur zu bemerken ist,
daß Ferguson neuerdings Timarchos auf 138/7 festgesetzt hat.
Kurz vor der Jahrhundertwende ist in Athen jene eigentümliche
oligarchische Revolution eingetreten, die die Stellung der
Stadt im mithradatischen Kriege bedingte und von Ferguson ein-
gehend behandelt worden ist. Eine Reihe von Anzeichen in den
vorhandenen Dekreten läßt darauf schließen , daß kurz vor 101/0 in
Athen eine Verfassungsänderung eintrat. Dahin gehört die Ersetzung
des Loses bei der Archontenwahl durch Cheirotonie, die Änderung
in der Rechenschaftsablegung , für die plötzlich die Bule allein ent-
scheidend ist, die Aufgabe der offiziellen Phylenabfolge bei der Be-
setzung der Ämter des Prytanienschreibers und des Sarapispriesters
in Delos, endlich die Änderung in der Rangfolge der höheren Beamten,
indem der aTpa-nft&c lid ta ftrXa den Archonten vorgeht, der xTjpuS
ßouXyjc ttjc 1$ Äpet'oo 7toqoo ihnen gleichsteht — alles Anzeichen einer
der Demokratie feindlichen Staatsumwälzung. Damit stimmt es, daß
eine ganze Reihe altadeliger Familien, wie die Enrykleides-Mikion,
Diokles-Dromeas, Zenon-Asklepiades u. a., plötzlich aus den Ämtern
verschwinden und anderen Platz machen, von denen außer der des
Medeios keine über das Jahr 167 zurückreicht. Dagegen hatten
diese ausgezeichnete Beziehungen zu Delos, und Ferg. hält sie im
wesentlichen für reich gewordene Sklavenverkäufer, die mit Hilfe der
Römer, vielleicht bei Gelegenheit des Sklavenaufstandes in den Berg-
werken von Sunion (S. 12), jene Verfassungsänderung durchsetzten,
die auf eine Stärkung von Rat und Areopag sowie auf eine Schwächung
der Volksgerichte hinauslief. Vor allem aber sorgten sie durch Ab-
schaffung oder mindestens Einschränkung des Loses für die Besetzung
der wichtigsten Ämter mit ihren Parteigenossen ; so ist Argeios zwei-
mal 97/6 und 96/5, Medeios sogar dreimal 91/0 — 89/8 hintereinander
Archon gewesen. Eben dies aber scheint die Gegner in Bewegung
gesetzt zu haben, das Jahr 88/7 wird als dvapx^a bezeichnet; damals,
wohl Frühjahr 88, gelang es Athenion an der Spitze der antirömischen
Partei, die Stadt Mithradates in die Arme zu treiben. Athenion
scheint bald darauf (nach dem verunglückten Versuch auf Delos?)
gestürzt zu sein ; an seine Stelle trat Mithradates' Abgesandter Aristion.
Als dann nach der furchtbaren Belagerung durch Sulla Athen endlich
erstürmt ward, legte sich nach Plut. ein gewisser Meidias für die
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238
Thomas Lcnschau.
unglückliche Stadt ins Mittel. Man wird nicht Anstand nehmen, mit
Schebelew darin eine Textverderbnis für eben jenen Medeios zn er-
kennen. Sulla scheint die Verfassung von 108/2, wenn auch mit
gewissen Änderungen hergestellt zu haben; wenigstens deutet darauf
die hohe Stellung, die der Areopag zu Ciceros Zeit einnahm.
Der mithradatische Krieg bezeichnet die letzte Erhebung
des Hellenismus gegen Rom. Charakteristisch genug war es ein
Barbar, der die Sache des Griechentums vertrat, dessen legitime
Vormächte damals rettungslos ihrem Verfall durch dynastische Kämpfe
entgegeneilten. In Syrien herrschte bereits vollkommene Auflösung,
so daß das Land sogar Tigranes als Retter begrüßte — vgl. die
Darstellung der letzten Kämpfe bei Bevan — , und Ägypten, wenn-
gleich äußerlich noch in ungebrochener Macht, abgesehen vom Verlust
Kyrenes, das die Römer 96 eingezogen hatten, war nichts mehr als
ein willenloses Spielzeug in der Hand der großen Republik. Charak-
teristisch ist es, mit was für Umständen schon 112 ein Senator,
L. Memmius, der wahrscheinlich nur in Geschäften (Foucart a. a. 0.),
gar nicht einmal in politischer Sendung, in Ägypten erschien, von
der königlichen Verwaltung aufgenommen werden mußte. Gegenüber
diesen schwächlichen Vertretern des hellenischen Königtums erschien
Mithradates als der Retter, und die Sympathien, die er sofort in Klein-
asien und Griechenland fand, zeigen, wie verhaßt sich überall das
römische Aussaugesystem gemacht hatte. Die Entscheidung fiel in
der boiotischen Ebene in den Schlachten vonChaironeia und
Orchomenos. Bei der erstgenannten, bei der sich unser Haupt-
gewährsmann Plutarch auf heimischem Boden befand und daher über
eine genaue Kenntnis der Örtlichkeit verfügte, ist es Kromayer
in seinem mehrfach erwähnten Werke gelungen, den Verlauf des
Kampfes in überzeugender Weise zu rekonstruieren, während für das
Treffen von Orchomenos infolge der Unklarheiten Plutarchs auf eine
solche Wiederherstellung verzichtet werden muß. Der Ausgang des
Krieges war für die Griechen verhängnisvoll, weniger für die des
Mutterlandes, von denen nur Athen schwer zu leiden hatte, als vor
allem für die asiatischen Griechenstädte. Daß damals einer ganzen
Reihe von ihnen die Freiheit gonommen ward, unterliegt wohl keinem
Zweifel; daß Milet und Klazomenai dazu gehörten, ist wahrscheinlich,
doch möchte ich es nicht ohne weiteres mit Haussoullier S. 247 aus
dem SC. de Asclepiade (CIL. 1, 203) schließen, in dem der Senat
die Steuerfreiheit von Bürgern verfügt. Einzelne, wie Milet und
Pergamon, scheinen durch P. Servilius Isauricus später die Freiheit
wieder erlangt zu haben (Hauss. a. a. 0.); im großen und ganzen
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Jahresbericht über griechische Geschichte (1903—1906). 239
aber trifft wohl die Schilderung zu, die Chapot, hauptsächlich auf
Cic. pro Flacco und die Briefe des Redners an seinen Bruder gestützt,
von den Zuständen in der Provinz entworfen hat (S. 36 ff.). Eine
Erleichterung brachten Lucullus und Pompejus, der zu seiner
Beliebtheit im Osten während des dritten mithradatischen Krieges den
Grund gelegt haben muß. Schlimmer aber ward die Sache, als dann
Kleinasien in die Wirren des dritten Bürgerkrieges einbezogen ward,
wo es sogar eine Zeitlang Sitz der legitimen Regierung war. Auch
unter Antonius' schlaffer Herrschaft setzten sich die Heimsuchungen
noch fort — drangen doch sogar die Parther bis Kleinasien vor — ,
bis endlich der Tag von Aktion der Not ein Ende machte.
Die Schlacht von Aktion muß das Ziel dieses Berichtes
bilden. Ihre unmittelbare Folge war die Einverleibung Ägyptens in
das römische Reich, die Bouchä-Leclercq in musterhafter Weise ge-
schildert hat. Das Reich Alexanders war im Imperium Romanum
aufgegangen; Rom übernahm das Werk der Hellenisierung, das den
kraftlosen Händen der Nachfolger des großen Königs entsunken war.
Aber auch dem römischen Staate ist es nicht gelungen, den Gegensatz
zwischen Occident und Orient zu überbrücken; in verhängnisvoller
Weise durch das Aufkommen des Christentums verschärft, hat er
endlich auch das scheinbar so feste Gefüge des römischen Im-
periums zerrissen. Erst Theodosios' Teilung, die nur die offizielle
Anerkennung eines seit lange bestehenden Zwiespalts war, stellte die
von der Natur deutlich gesetzte Grenze wieder her, die die Eroberungs-
politik des Senats 600 Jahre vorher überschritten hatte.
Neuntes Kapitel.
Zur griechischen Wirtschaftsgeschichte.
Bannier, Wilh., vgl. S. 95.
Barbagallo , la produzione media relativa dei cereali e delle vite nelht
Grecia, nella Sicilia e nella Italia antica. Riv. Stor. Ant. 8, 477 — 504.
1904.
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Bourguct, P., l'administration financiere du sanetuaire Pythique au IV.
srtcle. Paris 1905.
Breccia, Evaristo, Storia delle banche e dei banchieri nell' eta classica.
Riv. Stor. Ant. 7, 107—133, 283—310. 1903.
Francotte, Henri, l'administration financiere deß citt;s grecques. Mi'm. cour.
de l'Acad. Belg. tom. 63. 1903.
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240
Thomas Lenschau.
Francotte, Henri, l'organisation des cites ä Rhodes et en Carie. Mus.
Beige X, 127—159.
— , le pain ä bon marche et le pain gratuit dans les cites grecques. Melanges
Nicole. S. 135—157. Genf.
— , <p<5poc, ouvTo$t«, efocfopd. Mus^e^Belge 1907.
Glotz, Gust., etudes sociales et juridiques snr l'antiquitä grecque. Paris
1906. (p. 187—229 l'exposition des enfants.)
Guiraud, P., etudes economiques sur l'antiquite\ Paris 1905.
Huch, Gregor, die Organisation der öffentlichen Arbeit im Altertum, I. Lpz.
Diss. Frankenstein i. Schles. 1903.
Kazarow, G., der liparische Kommunistenstaat. Philol. 62. NF. 16, 157—160.
Osborne, W. C, A history of the ancient working people. London 1904.
(Mir nicht zugänglich gewesen.)
Philippson, Alfred, das Mittelmeergebiet, seine geogr. und kulturelle Eigenart.
Leipzig 1904.
Pottier, E., le commerce des vases peints attiques au VL siecle. Rev.
Arch6ol. 1904, p. 45—51.
Riezler, Kurt, über Finanzen und Monopole im alten Griechenland. Berlin 1907.
Speck, E-, Handelsgeschichte des Altertums. 2. die Griechen. Leipzig 1902.
Sundwall, J., Epigraphische Beiträge zur sozialpolitischen Geschichte Athens
im Zeitalter des Demosthenes. Ak. Abhdlg. Lpzg. 1906.
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Thalheim, Th. , Gesetz von Samos über Getreideankauf und -Verteilung.
Herrn. 89, 604—610. 1904.
Wachsmuth, K., Zwei antike Bevölkerungsprobleme. Klio (BAG.) III, 272 — 80.
Waszynsky, Stefan, Die Bodenpacht, agrargeschichtliche Papyrusstudien.
Erster Band: die Privatpacht. Leipzig und Berlin 1905.
Wiegand, Th. und U. v. Wilamowitz-Moellendorf, ein Gesetz von Samos über
die Beschaffung von Brotkorn aus öffentl. Mitteln. SB. Berl. Akad. 1904.
(Auch separ.)
Willers, H., ein neuer Kämmereibericht aus Tauromenion. Rhein. Mus.
60, 321— 360. 1905.
Die Zahl der wirtschaftsgeschichtlichen Untersuchungen, die sich
dem griechischen Altertum zugewandt haben , ist auch diesmal gar
nicht so gering, aber sie verteilt sich sehr ungleichmäßig über das
ganze Gebiet. Während die industriellen und finanziellen Verhältnisse
in den letzten Jahren mehrfach und eingehend behandelt sind, bleibt
insbesondere die griechische Landwirtschaft nach wie vor das Aschen-
brödel, dem sich nur hier und da ein Forscher zuwendet. Das liegt
zum Teil sicher in der Beschaffenheit des Materials begründet , das
vielfach erst in vorläufigen, nicht jedem zugänglichen Veröffentlichungen
vorliegt ; dennoch aber würde die Ungleichmäßigkeit in der Behandlung
der verschiedenen Gebiete wohl verschwinden, wenn die berufeneu
Vertreter der alten Geschichte an unseren Universitäten ihre eigene
und die Aufmerksamkeit ihrer Schüler mehr, als dies gegenwärtig
Jahresbericht über griechische Geschichte (1903— 190K). 241
geschieht, den wirtschaftsgeschichtlichen Untersuchungen zuwenden
wollten. Gerade hier fehlt an manchen Punkten uoch die grund-
legende Zusammenstellung und Sichtung des Materials, die ganz wohl
auch von jüngeren Kräften geleistet werden kann. Eine erfreuliche
Ausnahme machen Julius Beloch und seine Schule , denen wir auch
diesmal einige einschlägige Arbeiten verdanken. Vor allem hat Beloch
selbst in den wirtschaftsgeschichtlichen Abschnitten des dritten Bandes
der griechischen Geschichte mit der ihm eigentümlichen Schärfe und
Übersichtlichkeit ein Bild der wirtschaftlichen Zustände in der
griechischen Welt des dritten vorchristlichen Jahrhunderts gegeben.
Verhältnismäßig das reichste Material haben wir in den Papyrus-
urkunden für das Ptolemaierreich ; hier ist neben Einzeluntersuchungen
wie Waszynskis Bodenpacht abermals eine Gesamtschilderung in
Arbeit, ich meine den dritten Band von Bouchö-Leclercqs Histoire
des Lagides, von dem aber bisher erst die erste Hälfte (1906) er-
schienen ist.
Weitaus am besten ist diesmal die griechische Finanz Wirt-
schaft weggekommen, der eine ganze Anzahl einschlägiger Ab-
handlungen, vornehmlich von Francotte, Bourguet und Riezler, ge-
widmet sind. Zunächst stellt Francotte fest, daß ein eigentliches
Budget in unserem Sinne in den griechischen Staaten gar nicht vor-
handen war; da die Einheit fehlte, gab es nur eine Reihe von
Spezialbudgets. Zu Anfang jeden Jahres ward die sogenannte ourcafo
vorgenommen, d. h. die und die regelmäßig wiederkehrenden Ausgaben
wurden auf bestimmte regelmäßige Einnahmen angewiesen. Es gab
also eine ganze Reihe von Einzelkassen, die das ganze Jahr mit den ein-
gehenden Geldern wirtschafteten und etwaige Restbestände (xa irepi<5vxa
in Athen) meist direkt in den Staatsschatz oder zur Verteilung unter
das Volk abführten; reichten die vorhandenen Gelder nicht, so wurden
allerhand Schiebungen vorgenommen, die die Rechnungslegung aufs
äußerste erschwerten. Das Ergebnis war in zwiefacher Hinsicht un-
angenehm: mangelnder Überblick über das finanzielle Gesamtergebnis
des Rechnungsjahres und jedesmalige Verlegenheit gegenüber den im
Laufe des Jahres erwachsenden außerordentlichen Ausgaben. Selten
traf man hierfür geeignete Vorkehrungen wie in Delos (2. Jahrh.),
wo ein Teil der Einnahmen nicht der Ztrixafc unterworfen ward , so
daß dann diese dStocTaxxa einen Fonds für unvorhergesehene Ausgaben
bildeten; anderswo wie in Athen mußte bei der Beschließung „un-
vorhergesehener Ausgaben immer auch gleich der Kredit mitbewilligt
werden, was der Natur der Sache nach entweder zu der Veräußerung
von Staatseigentum oder zu einer eteepopa — die aber sehr unbeliebt
Jahresbericht für Altertum-.wmenschuft. Bd. CXXXV. 16
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242
Thomas Lenscbau.
war und daher nur vorsichtig angewendet ward, vgl. darüber
Guiraud a. a. 0. — oder zur Aufnahme einer Anleihe führen mußte.
Die geschilderte Verzettelung der Einnahmen auf eine ganze Reihe
von Ausgabenposten des Ordinariums scheint allgemein griechische
Sitte gewesen zu sein, sie findet sich sowohl in Athen und Delos,
wie beim delphischen Heiligtum, dessen Finanzgeschichte in den
Jahren 360—306 von Bourguet behandelt worden ist. Hier ist
die Übersicht noch dadurch erschwert, daß fast niemals die Kasse
angegeben wird, aus der die Ausgaben geschöpft werden (S. 125),
doch macht der Verfasser mit Recht darauf aufmerksam, daß während
der von ihm geschilderten Zeit infolge des Tempelneubaues, der
Phokierherrschaft und der später eingehenden Strafgelder die Finanz-
verwaltung des Tempels einen sehr ausnahmsweisen Charakter trägt,
der nicht ohne weiteres zu Rückschlüssen auf die Verwaltung unter
normalen Verhältnissen berechtigt.
Immerhin sind die Schäden dieser Töpfchenwirtschaft den Griechen
nach und nach zum Bewußtsein gekommen. Etwa seit der Mitte des
4. Jahrhunderts spürt man sowohl in Athen als in Delphi das Be-
streben , aus der Verwirrung herauszukommen. Als Grundlage für
die Unifizierung des Budgets wird zunächst die Unifizierung der
Kasse angestrebt , d. h. die Einrichtung einer Hauptkasse , in die
sämtliche Einnahmen fließen und aus der letzthin alle Zahlungen zu
leisten sind. In Athen sieht Franc, darin wohl mit Recht den Einfluß
der großen Finanzmänner vom Schlage des Eubulos und Lykurgos,
die damals an Stelle des jährlich wechselnden Rats die Oberleitung
übernehmen ; mit ihnen trat die Gewandtheit des Finanziers, der mit
größeren Zeiträumen arbeiten kann , an die Stelle des blutigen
Dilettantismus einer jährlichen Bule, deren Maßregeln im wesentlichen
auf eine von der Hand in den Mund lebende Politik heraus-
kamen. Offenbar hat die chronische Geldverlegenheit des zweiten
Seebundes den Athenern endlich die Augen darüber geöffnet, wo
eigentlich der Schaden lag. In Delphi war es ein äußeres Ereignis,
das den Stein ins Rollen brachte, der Beginn der phokischen Buß-
zahlungen, die zu jeder Pylaia 30. jährlich 60 tal. der Tempelkasse
zuführten. Bald nachher, in der Herbstpylaia 339 (vgl. Bourg. 110 f.).
ward die internationale Behörde der Schatzmeister des Gottes ein-
gesetzt, die ursprünglich wohl als Vorsteher einer Zentralkasse
gedacht waren. Aber charakteristisch ist es doch, daß es in beiden
Fällen, in Delphi wie in Athen, nur gelang, einen Teil der Finanz-
geschäfte, die Ausgaben, zu unifizieren, indem in Delphi diese jetzt
sämtlich durch die Schatzmeister aus dem Fonds geleistet werden.
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Jahresbericht Ober griechische Geschichte (1903—1906). 243
der durch die Zahlungen der Phokier entstanden ist und dadurcli
auch regelmäßig wieder aufgefüllt wird. Dagegen fließen die Tempel-
einnahmen nach wie vor in verschiedene Kassen, so daß die Unifizierung
eben nur nach einer Seite hin wirklich erfolgt ist (Bourg. S. 126 f.).
Ähnlich ging die Sache in Athen, wo die Begründung der Theoriken-
kasse das Mittel war. In diese flössen alle Restbestände der Spezial-
kassen; erst dadurch ward es dem Vorsteher dieser Kasse möglich,
einen Gesamtüberblick über die regelmäßigen Jahresausgaben zu ge-
winnen, und zugleich besaß er in ihr einen Fonds für unvorher-
gesehene Ausgaben, weswegen denn auch Demosthenes ihre Um-
wandlung zur Kriegskasse durchsetzte. Die völlige Einigung aller
Ein- und Ausgänge aber und damit die Möglichkeit der Aufstellung
eines wirklichen Budgets ist wohl erst in den hellenistischen Monarchien
vorhanden gewesen, die auch nach dieser Seite hin einen bedeutenden
Fortschritt der Entwicklung zeigen.
Man sieht, der wunde Punkt in der Finanzwirtschaft der meisten
griechischen Staaten war die Deckung unvorhergesehener
Ausgaben, deren Entstehen die Entwicklung notgedrungen mit sich
brachte, und dieser Aufgabe gegenüber haben sich denn auch die
Finanzgenies der griechischen Stadtstaaten hauptsächlich betätigt.
Eine Anzahl der dabei gewonnenen „Lösungen" bietet der pseudo-
aristotelische Oikonomikos , der bald nach Alexanders Tode zu-
sammengestellt ist. Eine sorgfältige Untersuchung des darin ent-
haltenen Materials verdanken wir Kurt Riezler, der im ersten Teil
seiner Arbeit zunächst die Natur der durch die eigentümlich ab-
gerissene, exzerpierende Form der Darstellung ziemlich verdunkelten
Finanzkniffe festzustellen sucht. Es liegt in der Natur der Sache,
daß man hier nicht immer mit dem Verfasser übereinstimmen wird,
der dem griechischen Ausdruck doch manchmal etwas zu viel zu-
mutet, selbst wenn man einem Exzerpt gegenüber alle möglichen
Freiheiten walten läßt. Auch in der Sache selbst sind oft andere
Erklärungen möglich, wie denn der Finanzkniff des Hippias bei der
Einziehung des Staatssilbergeldes m. E. von Se eck richtiger als vom
Verfasser erkannt worden ist (vgl. oben S. 88 f.). Auf Grund des
so gewonnenen Materials geht aber lliezler dann S. 47 zu einer
Gesamtdarstellung griechischer Stadtwirtschaft über, die — ich will
das gleich von vornherein sagen — dem Gegenstande nicht gerecht
wird, weil sie in der Beurteilung der Schrift von einem unrichtigen
*
Standpunkt ausgeht. Danach sind die Mittel, durch die der Staat
zu Geld zu kommen sucht, sehr mangelhafter Natur: Verkauf oder
Verpachtung von Domänen und Gerechtsamen, d. h. also Verminderung
16*
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244
Thomas Lensehau.
der Staatsfonds; ferner wirtschaftliche Monopole, meist nur so lange
ausgeübt, wie die Not vorhielt, aber besonders schädlich, weil sie
eine Unsicherheit" aller kommerziellen und gewerblichen Verhaltnisse
schufen ; endlich direkte dayopai und Anleihen , aber beide nur in
geringem Maße. Jene wurden als eine partielle Vermögenskontiskation
aufgefaßt und als sehr drückend empfunden; Anleihen aber konnten
nur deswegen eine geringe Rolle spielen, da der Staat selbst durch
Nichtzahlung, Unterlassen des regelmäßigen Zinsendienstes usw. seine
Kreditfähigkeit in der gröblichsten "Weise schädigte: im allgemeinen
erfolgte nur dann Zahlung, wenn der Gläubigerstaat oder die Gläubiger
den Schuldnerstaat zu zwingen vermochten , was doch nur selten
vorkam Ich glaube, daß gerade nach dieser Seite hin R. die Zu-
stände viel zu düster gemalt hat. Vertrauensbrüche bankerotter
Länder sind doch auch in unseren Tagen gerade keine Seltenheit,
um vom Ausgang des Mittelalters gar nicht zu reden, wo der Staats-
bankerott ein sehr beliebtes Mittel war, die Finanzen zu sanieren.
Die Hauptsache ist aber doch die — und damit komme ich auf den
prinzipiellen Fehler, den Riezler m. E. begangen hat — , daß nämlich
die im Oikonomikos uns überlieferten Zustände nicht die Regel,
sondern die Ausnahme darstellen. Maßgebend für die Anlage der
Sammlung war die Freude der Griechen an allerhand Kniffen, Tricks
und Gaunereien , in denen sich die -avoop^ia oder geschäftliche
smartness zeigte , wie sie seit der Odyssee und dem Hymnos auf
Hermes oft genug in ihrer Literatur hervortritt; aber falsch wäre es
doch, in dieser Sammlung volkswirtschaftlicher Kuriositäten etwa eine
Anleitung zur Finanzpolitik zu erblicken; wenn auch der Vf. von c. 1
etwas derartiges beabsichtigt haben mag. so ist doch die angehängte
Beispielsammlung sicher nicht von ihm für seine Zwecke gemacht.
Leute wie Eubulos , Lykurgos, Kleomenes waren schließlich keine
Gauner, und ein Buch wie die Schrift irepl zoptuv, die uns unter
Xenophons Namen überliefert ist und auch vielleicht wirklich von
ihm stammt , gibt jedenfalls ein besseres Bild der wirtschaftlichen
Grundanschauungen, die um 350 herrschten. Man mag die Vorschläge
des Verfassers mit Böckh (Sth. 8 I, bl>8 ff.) als unpraktisch belächeln,
was ich übrigens gar nicht einmal für ganz richtig halte, die Gruiid-
anscliauung, daß man Handel und Industrie heben müsse, wenn man
dem Staat größere Einnahmen verschaffen wolle, ist doch gesund und
himmelweit von jenem volkswirtschaftlichen Raubbau entfernt, der die
Anekdoten des Oikonomikos charakterisiert. Übrigens weist der Vf.
au einzelnen Stellen, wie z. B. bei der Münzpolitik, mit vollem Recht
darauf hin, daß hier ein derartiger Raubbau unmöglich war; einer
Jahresbericht über griechische Geschichte (1903—1906). 245
systematischen Aneignung des Unterschiedes zwischen Kurs- und
Metallwert sind sehr enge Grenzen gezogen. Größere Staaten hielten
auf vollwertige Münze, so daß athenisches Geld um 350 noch Überali
beim Wechseln einen Agiogewinn erzielte, und unter der Unzahl uns
erhaltener Münzen sind unterwertig ausgebrachte Stücke doch ver-
hältnismäßig selten. Keinesfalls aber darf man mit R. sagen, daß
der Raub in der griechischen Stadtwirtschaft tatsächlich eine große
Rolle gespielt hat, wenn es auch immer hier und da kleine Gemein-
wesen gegeben hat, wie den famosen Kommunistenstaat auf Lipara.
dessen eigentümliche Verfassung eben auf der Piraterie beruhte, wie
Kazarow richtig gezeigt hat, der aber mit dem Aufhören dieser
seiner ursprünglichen Lebensgrundlage bald wesentliche andere Formen
annahm.
Aber R. geht noch einen Schritt weiter und sucht die von ihm
geschilderte Eigentümlichkeit der griechischen Stadtwirtschaft aus der
allgemeinen Entwicklung zu begreifen. Wir haben den Existenzkampf
der Polis vor uns, die ihre Daseinsgrundlagen schwinden sieht und
nun mit Gewalt sich aufrechtzuhalten sucht, eine überlebte Form,
die den veränderten wirtschaftlichen Verhältnissen nicht mehr ent-
spricht. Allein wenn R. als die drei grundlegenden Eigenschaften
der Polis ihre Allmacht den Mitgliedern gegenüber, ihre Autarkie
und den Willen zur Macht betrachtet, der sich in dem Bestreben
betätigt, andere Gemeinwesen zu knechten, so vergißt er doch, daß
dieser Wille zur Macht erst da hervorzutreten beginnt, wo die Lebens-
grundlage der Polis, ihre Autarkie, zerstört ist. Weil es seine
wachsende Bevölkerung nicht mehr ernähren konnte, begann Sparta
seine Eroberungspolitik , und weil es der Getreidezufuhr in einem
Maße bedurfte, wie keine andere hellenische Stadt, mußte Athen die
unbedingte Seeherrschaft zu behaupten suchen; es ist Themistokles
Verdienst, diese Notwendigkeit erkannt zu haben, wie R. auch richtig
hervorhebt. Das Unglück war, daß keiner von beiden Staaten die
Macht hatte, Griechenland nicht nur politisch, sondern auch wirt-
schaftlich zu einen. Ihre engherzige Bürgerrechtspolitik hat die Polis
zugrunde gerichtet, wie zuerst Ed. Meyer in seiner glänzenden Dar-
legung GdA. IV, 12 ff. gezeigt hat. Insofern hat R. ja recht: die
verlorene Autarkie herzustellen, war für die Polis unmöglich, da sie
nicht imstande war, sich auszudehnen, und die zu ihrem Unterhalt
notwendigen Gebiete wirklich zu inkorporieren. Also schließt er,
blieb ihr nur möglich, entweder sich abzuschließen und künstlich die
Autarkie wiederherzustellen oder gewaltsam die ihrer Existenz feindliche
Entwicklung zu stören; beides hat jene schweren, vernichtenden
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24(5
Thomas Lenschau.
Eingriffe hervorgerufen, die der griechischen Stadtwirtschaft eigen-
tümlich sind. Allein das trifft doch nur in erster Linie auf die kleinen
Gemeinwesen zu, für die im 4. Jahrh. die Zeit allerdings vorbei
war. Es ist charakteristisch und ebenfalls m. E. von Riezler nicht
genügend beachtet, daß die meisten Notizen des Oikonomikos dem
4. Jahrhundert entstammen und sich auf recht unbedeutende Städte
beziehen. So gilt das düstere Gemälde, das R. entworfen hat, eben
doch nur für die kleine Polis im Augenblick ihres Unterganges und
kann deshalb kein Bild einer normalen griechischen Stadtwirtschaft
darstellen. Indem ich damit von R.s Arbeit Abschied nehme, möchte
ich nur das eine hinzufügen : wenn auch in der vorhergehenden Kritik
naturgemäß der abweichende Standpunkt hervortritt, so bleibt die
Schrift doch immer einer der interessantesten und gehaltvollsten
Beiträge, die die diesmalige Berichtsperiode zur griechischen Wirt-
schaftsgeschichte geliefert hat.
■
Noch ein Punkt der städtischen Finanzwirtschaft verdient be-
sondere Aufmerksamkeit, die Beschaffung billigen Brot-
getreides für die Massen, die um so nötiger war, als mangel-
hafte Verbindungen und das Fehlen einer Warenbörse die Teuerungen
und Hungersnöte zu einer notwendigen Begleiterscheinung des wirt-
schaftlichen Lebens machten. Eingehend und im größeren Zusammen-
hang hat Francotte die Frage behandelt und unter vollständiger
Vorlegung des Materials die verschiedenen Mittel erörtert, mit denen
man solchen Teuerungen begegnete. Aber zugleich zeigt er auch,
wie das Verfahren, Getreide zu billigem Preise an Unbemittelte ab-
zugeben , schließlich mit Notwendigkeit zu Gratisverteilungen führen
mußte. Auch hier treffen wir auf den so oft erkennbaren Zusammen-
hang zwischen römischen und hellenistischen Einrichtungen. Ein
neues Beispiel für die verschiedenen Arten, wie man diese Getreide-
versorgung bewerkstelligte, hat das neuentdeckte vonWiegand und
v. W i 1 am o w i t z veröffentlichte Gesetz v. Samos gegeben, das nach dem
Urteil der Herausgeber in den Beginn des zweiten Jahrhunderts v. Chr.
gehört. Der in dem Gesetz, um dessen genauere Erklärung sich auch
Thalheim verdient gemacht hat, geschilderte Modus ist im großen
und ganzen folgender. Durch freiwillige Beiträge, d. h. also durch
eine Art Zwangsanleihe bei den reicheren Bürgern wird ein Fonds ge-
schaffen, dessen Zinsen zum Ankauf von Brotgetreide zu verwenden
sind; dabei soll in erster Linie das dem Tempel der Hera Anaia
(saniischer Besitz auf dem Festlande) zufließende Zehent- oder
richtiger Zwanzigstelgetreide berücksichtigt werden, was natürlich
dazu dient, dem Tempel einen sicheren Abnehmer zu zivilen Preisen
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Jahresbericht über griechische Geschichte (1903—1906). 247
(5Vs dr., offenbar für den Scheffel) zu verschaffen. Übrigens hatte
die Sache noch einen zweiten Vorteil: die vorhandenen Fonds, zam
Teil auch die noch nicht verbrauchten Zinsen werden gegen Bürg-
schaft ausgeliehen; sie dienten kleineren Gewerbe- und Handel-
treibenden dadurch als Betriebskapital, wovon sonst damals nicht
allzuviel vorhanden war. Mit Recht weist Wilara. in einer lehrreichen
Anmerkung (S. 928, A. 1) auf den Zusammenhang mit den römischen
Getreide Verteilungen und daneben auf die Ursache des Mangels an
Betriebskapital hin: es gab keine Börse, die den bequemen Umlauf
der immerhin in Tempel- und Privatbesitz vorhandenen Gelder
regelte.
Damit kommen wir auf den Geldhandel im Altertum zu
sprechen und seine wichtigsten Vermittler, die Bankiers, über die
ßreccia eine eingehende Studie geliefert hat. Nach Vorlegung des
gesamten Materials sucht er zunächst den Wirkungskreis der Privat-
bankiers zu umschreiben und geht hier von der Ähnlichkeit zwischen
der Geschäftsführung der Tempelkassen und der der Privatbanken
aus. Jene waren seiner Ansicht nach reine Depositenbanken, die
keinerlei Zins gaben, öfter noch eine Vergütung für die sichere Auf-
bewahrung forderten, und im übrigen die Depositengelder für sich
arbeiten ließen, diese garantierten einen festen Zinssatz, während sie
selber zu höheren Sätzen ausliehen. Ich muß gestehen, daß ich an
diesen Fundamentalunterschied Breccias nur bedingungsweise glaube,
sofern eine zinslose Übergabe mobiler Kapitalien an den Tempelschatz
mir nur für die älteste Zeit, wegen der damals allgemein herrschenden
Unsicherheit, denkbar erscheint. Später, besonders nach dem Auf-
kommen der Privatbanken, müssen sich die Tempel, wenn sie Kapital
anlocken wollten — und selbst ein so großes Heiligtum wie Delphi
erhielt an freiwilligen Spenden im 4. Jahrb. nach Bourguets Schätzung
kaum mehr als 4 tal. jährlich — doch dazu verstanden haben, einen
wenn auch nur mäßigen Zinsfuß zu garantieren. Die Anlage bei
ihnen galt eben, wie wir sagen würden, als pupillarisch sicher. Allein
abgesehen davon, daß im Depositengeschäft zwischen Privatbanken
und Tempelverwaltung kein grundsätzlicher Unterschied war, scheint
es mir überhaupt ziemlich unwahrscheinlich, daß das Depositen-
geschäft die Wurzel war, aus dem die Bank erwachsen ist. Vielmehr
war der Urtypus wohl der Geldwechsler, der Lei der Vielgestaltigkeit
der griechischen Münzprägung früh eine bedeutende Rolle gespielt
haben muß. Wahrscheinlich war der anfänglich von ihnen ge-
nommene Agiogewinn sehr bedeutend, und dies wird der Anlaß
gewesen sein, daß der Staat, um Bürger und Fremde im eigenen
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248
Thomas Lenschau.
Interesse zu schützen, ihnen nach dieser Seite hin gewisse Be-
schränkungen auferlegte; diese aber konnten um so eher ertragen
werden, wenn der Staat bestimmten Wechslern ein Monopol gewährte,
wie das z. B. in Byzanz der Fall war. Insbesondere muß Athen, das
in seinem Reiche nur die Zirkulation der eigenen Münze duldete, die
Hilfe der Privatbankiers benutzt haben, um das massenhaft ein-
strömende fremde Silbergeld zu beseitigen. So bildeten sich bald
feste Beziehungen zum Staat heraus, und diese haben ebenso wie der
sich ansammelnde Reichtum und die im ganzen reelle Geschäftsführung
schließlich bewirkt, daß man den Wechsler auch Depositen an-
vertraute. Diese völlig ausgebildete Form des Bankgeschäfts nimmt
Breccia wohl mit Recht schon für eine ziemlich frühe Zeit an. Daß
auch die Tempel mit Privatbanken in Verbindung standen, halte ich
für durchaus wahrscheinlich; so gut wie sie selbständig Kapital an-
legten, konnten sie auch den Bankiers Gelder zur Anlage übergeben.
Daß sie sich dabei vor allzu gewagten Unternehmungen zu schützen
suchten und ein Verzeichnis über die Art und Weise verlangten, wie
das Geld angelegt war, ist sehr wohl möglich; so verstehe ich die
viel behandelte Stelle in der koischen Inschrift xol dicoScixvüfievoi
öirö xwv xpareCixav rt aXXto? ra>«. Gemeint wären also die Tempel-
schuldner, die das Geld durch Vermittlung der Bankiers oder sonstwie,
auch direkt entliehen hatten. Wenig plausibel dagegen erscheint mir
Breccias Ansicht (S. 288 f.), xpaiceCa heiße einfach Kasse und so
werde xpaireCtx/;? auch von dem einer Staatskasse vorstehenden
Kassierer gebraucht; ö^posia xpa^eCa bedeute also nichts anderes als
öffentliche Kasse. Vielmehr liegt die Sache wohl so, daß bei den
mannigfachen Beziehungen zwischen Staat und Bankiers die Behörden
jährlich einige von ihnen ernannten, die deu Staat bedienten; diese
hatten dann das Recht , ihr Geschäft als Sr^osia xpaireCa zu be-
zeichnen. An Staatsbanken im heutigen Sinne glaube ich ebensowenig
wie Breccia. Weiterhin beschäftigt sich Breccia eingehend mit den
verschiedenen Geschäftszweigen einer Bank , besonders mit den Dar-
lehen , deren Form sehr vielseitig war. Es gab Darlehen gegen
Hypothek, gegen Bürgschaft usw.; vor allem aber war auch das
kleine Lombardgeschäft, dem jetzt unsere Leihhäuser dienen, damals
durchaus in den Händen des Bankiers. Übrigens bestreitet Br. wohl
mit Recht die hier und da aufgestellte Behauptung, daß die ordnungs-
mäßig geführten Bücher des Bankiers absolute Beweiskraft vor Gericht
gehabt hätten. Offenbar wurde ihnen nur da, wo andere Beweismittel
fehlten, ein Wahrscheinlichkeitswert zugebilligt.
Abgesehen vom Bankiergeschäft sind nur wenige Gebiete des
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Jahresbericht über griechische Geschichte (1903—1906).
249
antiken Handels eingehender bearbeitet. Die Handelsgeschichte von
Speck, deren zweiter Band die Griechen umfaßt, ist wenig mehr
als ein Lesebuch etwa für Handelshochschüler und hat nicht einmal
als Zusammenstellung des Materials Wert, da nur sehr selten Nach-
weise gegeben werden. Das ist um so bedauerlicher, als gerade eine
Sammlung aller bei den alten Schriftstellern vorkommenden Notizen
über Handel und Hundeisbeziehungen von großem Nutzen sein konnte.
Einen bestimmten Zweig des Handels, den attischen Handel
mit Ton vasen bespricht P o 1 1 i e r. Er geht von der durch Paolo
Orsi u. a. festgestellten Tatsache aus , daß in Italien und Sizilien
während des 6. Jahrhunderts nach und nach die korinthischen,
chalkidischen , ionischen Vasen verschwinden und plötzlich attische
an ihre Stelle treten. Die Ursache davon sucht er in der Unter-
werfung Ioniens durch Kyros, die vor allem auch Korinth und Chalkis
schwer geschädigt habe. Ob diese letzte Behauptung zutrifft, steht
doch noch sehr dahin; Chalkis hatte im lelantischen Kriege gelitten,
und Korinth hatte höchstens Vorteil davon, daß seine schärfsten
Konkurrenten mit den Persern zu tun bekamen. Aber so viel ist klar,
der Export ionischer Tongefäße nach dem Westen hat durch die
politischen Ereignisse in der zweiten Hälfte des 6. Jahrhunderts, vor
allem auch durch die Vernichtung von Sybaris, einen starken Stoß
bekommen. Nun ist es aber eigentümlich, daß von Handelsbeziehungen
Athens zu Etrurien nur sehr wenig zu erkennen ist. Je häufiger
archaische attische Münzen in Unteritalien sind, um so mehr überrascht
ihr gänzliches Fehlen in Etrurien und hieraus hat Heibig den Schluß
gezogen, daß im 6. Jahrh. ein direkter Vasenhandel zwischen Etrurien
und Athen Uberhaupt nicht bestand, daß vielmehr Syrakus den
Zwischenhändler zwischen beiden abgegeben habe. Dann aber ist
es doch sehr merkwürdig, wie P. mit Recht hervorhebt, daß sich fast
gar keine schwarzfigurigen attischen Vasen auf Sizilien gefunden
haben, und so kommt er zu dem Schluß, daß eben doch ein direkter
Verkehr zwischen Athen und Etrurien auch im 6. Jahrh. bestanden
haben muß. Allein er bezog sich keineswegs allein auf die Gefäße,
sondern auch auf das Öl, das darin versandt wurde, und dessen Export,
seit Solon die Erlaubnis dazu gegeben hatte, einen erheblichen Auf-
schwung nahm: später ward wahrscheinlich auch Wein ausgeführt,
da das solonisehe Verbot nicht allzulange vorgehalten zu haben
scheint. Das würde zugleich — dies scheint mir ebenfalls eine
richtige Bemerkung P.s — erklären, warum unter den attischen Vaseii
die Amphorenform dominiert. Der Inhalt bestimmte die Form des
Gefäßes, eine Beziehung, die auch bei den kleinen Salbenbüchsen von
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250
Thomas Lenschau.
Korinth und den Oinochoen aas Rhodos, weniger allerdings bei den
korinthischen Mischkrügen und den Bechern von Kyrene zu erkennen
ist. Die Ansicht Pottiers hat vieles für sich, nur ein Punkt bedarf
in. E. der Aufklärung: wenn etruskische Schiffe direkt nach dem
Peraieus gingen, um Öl und Wein zu holen, woraus bestand die
Hinfracht? Etruskische Bronzen, wie P. nach Loeschkes Vorgang
annimmt, dürften dazu kaum genügt haben, eher wohl noch Getreide.
Ich halte es für durchaus möglich, daß Athen im 6. Jahrhundert
seinen Getreidebedarf im Westen deckte und erst später, sicher schon
zur Zeit der Perserkriege die Pontosländer heranzog.
Einen weiteren wichtigen Beitrag zur Handelsgeschichte, allerdings
aas viel späterer Zeit gibt die im vorigen Kapitel erwähnte Ab-
handlung von Tarn, der S. 288 ff. zeigt, daß ein direkter
Verkehr Chinas mit dem Westen vor der Zeit des Kaisers
Wu-te (140 — 87 v. Chr.) bisher nicht nachgewiesen ist. Man ist
daher zunächst nur berechtigt, für die frühere Zeit indirekten Ver-
kehr anzunehmen. Auf diesen werden also wahrscheinlich die
griechisch-baktrischen Münzfunde zurückgehen , die im Tarimbecken
gemacht worden sind. Immerhin erinnert aber doch auch Tarn daran,
daß die Herrschaft der griechisch-baktrischen Könige im Nordosten
über die Hochflächen Innerasiens weg bis zum Altai gereicht haben
muß, was er aus ihrem Goldreichtum schließt; Eukratides hat die
größten griechischen Goldmünzen geprägt, die wir kennen. Wenn
das aber richtig ist, so müssen die Grenzen des griechisch-baktrischen
Reiches sich denen der Achtzehn Provinzen doch sehr genähert haben,
so daß die Möglichkeit eines direkten Verkehrs in früheren vor-
christlichen Jahrhunderten trotz der gegenteiligen chinesischen Zeug-
nisse nicht abzuweisen ist, wie übrigens auch T. zugibt.
Während in der vorigen Berichtsperiode eine ganze Reihe von
Arbeiten sich mit den industriellen Verhältnissen Griechen-
lands beschäftigte, kann diesmal nur eine einzige zur Besprechung
gelangen, da mir das Buch von Osborne nicht zugänglich gewesen
ist, die Dissertation nämlich von Gregor Huch über die Organi-
sation der öffentlichen Arbeit in Athen. Seltsamerweise scheint sie
gar keine Beachtung gefunden zu haben; mir wenigstens ist keine
Besprechung des Buches, ja kaum ein Zitat, bekannt geworden. Ich
halte dies Schicksal der aus einer Anregung Büchers hervorgegangenen
Arbeit für unverdient, trotz der etwas doktrinären Ausführungen des
ersten Teiles, die zu allerlei Ausstellungen Anlaß geben können:
immerhin ist die Art und Weise, wie hier das Verhältnis des Bau-
herrn zum Arbeiter, die verschiedenen Arten der auf einen Bau
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Jahresbericht über griechische Geschichte (1903—1906). 251
bezüglichen Urkunden, endlich das Schema der Urkunden selbst aus-
einandergesetzt wird, sowie die generelle Betrachtung der aus den
Urkunden sich ergebenden Schlüsse, in methodischer Hinsicht durch-
aus beachtenswert; in ihrer Gesamtheit bilden H.s Ausführungen eine
Art theoretischer Anleitung zur Behandlung von Bauurkunden, die
man nicht ohne Nutzen lesen wird. Allerdings bedarf seine Ansicht,
daß die Rechnungslegung der leitenden Behörde jedesmal am Schluß
des Amtsjahres zu erfolgen habe, eine Korrektur durch die oben an-
geführten Ergebnisse Banniers (s. o. S. 102). Im zweiten Teil geht
nun der Vf. dazu über, die attischen Bauinschriften des 5. Jahr-
hunderts, in erster Linie die große Erechtheioninschrift für seine Zwecke
zu verwerten und stellt zunächst die Lohnform fest, wobei sich ergibt,
daß der Zeitlohn meist für den ungelernten, der Stücklohn für den
gelernten Arbeiter angewandt wurde; insbesondere arbeiten Stein-
metzen, Bildhauer, Vergolder, Maler, Ornamentarbeiter nur im Stück-
lohn. Was die Lohnhöhe betrifft, so scheint beim Zeitlohn neben
dem vorwiegenden Satz von 1 dr. für den Tag auch ein niedrigerer von
5 ob. vorzukommen und zwar, was sehr befremdet, beide anscheinend
ohne Unterschied für gelernte und ungelernte Arbeit: der Architekt
(1 dr.) und der Hypogram mateus (5 ob.) bekommen nicht mehr als
der Handlanger. Ob dies mit Recht von IL auf die demokratische
Gleichheit zurückgeführt wird, ist mir zweifelhaft. Beim Akkordlohn
sind die Grundlagen verschieden; eine Vergleichung ergibt, daß er
auf den Tag berechnet fast das Dreifache des Zeitlohnes beträgt,
was H. damit erklärt, daß hier ein Meister mit Gesellen und Lehr-
lingen, auch wohl mit Sklaven zusammenarbeitete. Indessen können
es kaum mehrere gewesen sein, man wird meistens an den Meister
mit einem Gesellen oder zwei Sklaven zu denken haben; sonst wäre
ja die auf den Meister entfallende Quote zu gering, und er hätte
besser getan, im Zeitlohn zu arbeiten. Im großen und ganzen herrscht
also der Regiebetrieb vor mit sehr weitgehender Zerlegung der
Akkordarbeit in ihre kleinsten Teile, so daß einmal deren Ausführung
leicht zu überwachen und zweitens das Lohnquantum nach den zahl-
reichen feststehenden Akkordsätzen leicht zu berechnen ist. Einmal
aber findet sich daneben, im Fall des Dionysios von Mclite, ein
förmlicher Werkvertrag (CIA. I, 324 frgm. a col. I, II), indem eine
bestimmte Arbeit, hier die Ausmalung von 113 Fuß Hohlleiste am
inneren Epistyl, dem Genannten für eine Pauschalsumme überlassen
wird, wobei er einen Bürgen für tadellose Ausführung zu stellen hat.
Mit Reiht erkennt Huch hier den Keim der Auflösung des Regie-
betriebes und den Anfang des Submissionswesens, das notwendig zum
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252
Thomas Lenschau.
Unternehmtertum und zu einer Umgestaltung der ganzen Gewerbe-
verfassung führen mußte. Diese Feststellung scheint mir das
Wesentliche an H.s Arbeit ; wir erhalten damit zum ersten Male eine
annähernde Zeitbestimmung für einen wichtigen sozialen Vorgang, und
da man wohl annehmen darf, daß damals, als der Staat sich zu dieser
Änderung entschloß — es scheint ein Versuch gewesen zu sein — ,
in den Privatbetrieben das Unternehmertum schon Boden gewonnen
hatte, so würde also etwa die zweite Hälfte des 5. Jahrhunderts als
die Zeit anzusehen sein, wo in Athen der Kleinmeister allmählich
durch den Unternehmer verdrängt zu werden begann. — In den
Einzelheiten der technischen Erklärung, in der Behandlung einzelner
Stellen der Inschrift mögen Archäologen und Epigraphiker mit Huch
rechten; seine Hauptergebnisse in wirtschaftlicher Hinsicht halte ich
für ziemlich gesichert.
Verhältnismäßig am schlechtesten ist die antike Landwirt-
schaft weggekommen, außer dem wertvollen Nachweis von Busolt,
daß im Altertum die Ernte wesentlich später lag als jetzt, ist eigentlich
nur eine Abhandlung von Barbagallo zu erwähnen, in der dieser
den mittleren Bodenertrag einiger Kulturpflanzen im Altertum zu
bestimmen sucht. Über die allgemeinen Bedingungen des Ackerbaues,
Klima, Boden beschaffenheit usw. gibt das Buch von Philipp son
guten Aufschluß, dessen genauere Besprechung aber einem anderen
Gebiet der Jahresberichte vorbehalten bleiben muß. Mehr den recht-
lichen Verhältnissen in der Landwirtschaft sind die Untersuchungen
von Swoboda (Titel s. S. 75 oben) und Waszynski zugewandt, doch
gestatten ihre Ausführungen nebenbei allerlei Rückschlüsse auf
die Lage der Landwirtschaft. Swoboda bemüht sich in der schon
oben genannten Abhandlung mit Erfolg, die Existenz der Hypothek,
auch in der speziell attischen Form der irpaat? iizl Xuaei schon von
Solon zu erweisen, im Gegensatz zu Fustel de Coulanges, Glotz und
Wilbrandt , die vor Solon noch das Familieneigentum und folglich
Unmöglichkeit hypothekarischer Verschuldung des einzelnen annehmen.
Vielmehr war ihrer Ansicht nach vor Solon nur Personalverschuldung
möglich; Solons größte Tat wäre danach die Mobilisierung des
Familieneigentums durch die Testierfreiheit. Auf die Einzelheiten
der Widerlegung, die ich im wesentlichen für gelungen eachte, kann
ich hier nicht eingehen; Swobodas eigene Ansicht geht dahin, daß
vor Solon die kleinen Grundbesitzer im wesentlichen hypothekarisch
verschuldet waren, teils durch wirkliche Hypothek, teils in der Form
der irpaoic IttI Xosst, während bei Handel- und Gewerbetreibenden
die Form der Personal Verschuldung vorherrschte. — Auch bei der
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Jahresbericht über griechische Geschichte (1903—1906). 253
Arbeit von Waszynski ist es im Rahmen dieses Berichtes un-
möglich, auf einzelne juristische Fragen einzugehen; so viel aber
scheint sich doch als gesichertes Resultat in volkswirtschaftlicher
Hinsicht zu ergeben, daß dem Pächterstand, der im alten
Ägypten eine sehr gedrückte Stellung einnahm, wie die einseitige
Verpflichtung und die kurze Pachtdauer beweisen, die Einführung des
makedonisch-griechischen Rechts zugute kam. Von da ab beginnen
die zweiseitigen Verpflichtungen, von seiten des Verpächters so gut
wie des Pächters, und die längeren Fristen; beide ermöglichten es
dem Pächterstand, sich emporzuarbeiten und so eine bessere Stellung
zu gewinnen, die er dann in der ersten Römerzeit noch behauptete.
Inwieweit ähnliche Verhältnisse auch in den übrigen hellenistischen
Monarchien, insbesondere im Seleukidenreiche anzunehmen sind, bedarf
allerdings noch näherer Untersuchung , die zum Teil bereits durch
Francotte begonnen ist. Auch Be locus wirtschaftliche Übersicht
über die Zeit des Hellenismus (III, 1, 309 ff.) ist hier zu vergleichen.
Was die allgemeine wirtschaftliche Entwicklung
des Mutterlandes betrifft, so ist für die ältere Zeit nicht viel zu
erwähnen. Den Versuch Steins, einen Urkommunismus zu kon-
struieren und als ein Überbleibsel desselben in historischer Zeit den
liparischen Kommunistenstaat zu erweisen, ist von Kazarow wider-
legt worden , der dessen Existenz auf eigentümliche lokale Verhält-
nisse zurückführt. Für die älteste Zeit der Städtegründung und der
Synoikismen sind in vielfacher Hinsicht Francottes Ergebnisse
interessant und wertvoll , der eine Reihe ähnlicher Vorgänge , die
sich im vollen Lichte der Geschichte auf Rhodos und in Kurien ab-
spielen, eingehend dargestellt hat. Im übrigen aber hat sich die
Forschung auf diesem Gebiete mehr der späteren Zeit, dem Über-
gange zum Hellenismus, zugewendet. Seit Pöhlmanns Darstellung
gilt es als ausgemacht, daß im 4. Jahrhundert eine immer steigende
Proletarisierung der Massen eingetreten ist, die zum Teil mit dem
Steigen der Preise von 350 bis 300 zusammenhängt. Einzelne
Erscheinungen wie die oben erwähnte allmähliche Zersetzung des
Gewerbes durch die Zurückdrängung des Kleinmeisterstandes durch
den Unternehmer sind nur geeignet, diese Auffassung von dem all-
gemeinen Gange der Entwicklung zu bestätigen. Daß man aber
darum nicht ohne weiteres auf eine Einwirkung in der inneren Politik
schließen darf, als ob diese etwa jetzt vollkommen von dem Gegensatz
zwischen Besitzenden und Besitzlosen beherrscht wird, haben die
schönen Untersuchungen S u n d w a 1 1 s gelehrt. In statistischen Zu-
sammenstellungen, wie sie jetzt durch Kirchners Prosopographia attica
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254 Thomas Lenschau.
möglich geworden sind, zeigt er zunächst, daß in Athen auch von
360—322 ebenso wie in den vorhergehenden Jahren die Reichen und
Wohlhabenden bei der Besetzung des Rates und der Beamtenstellen
das Übergewicht haben ; insbesondere entstammen Feldherren, Staats-
männer, Gesandte, Redner durchaus den begüterten Klassen. Nur
die Marinebehörden scheinen sich aus dem Mittelstand oder den
niederen Schichten der Bevölkerung zusammengesetzt zu haben, und
damit bringt S. die Verwirrung und Ungenauigkeit der Seeurkunden
zusammen , was denn freilich dem Pflichtgefühl und der Fähigkeit
zur politischen und Verwaltungstätigkeit bei diesen Klassen kein sehr
günstiges Zeugnis ausstellt. Wenn sich nun aber die Führer der
demokratischen wie der makedonischen Partei wesentlich aus den-
selben Gesellschaftsklassen rekrutierten, so wird damit die Auffassung
hinfällig, als habe sich Philipps Politik wesentlich und ausschließlich
auf die besitzenden Klassen gestürzt. Vielmehr gehörte ein großer
Teil von ihnen auch zur Gegenpartei und man darf sagen, daß sie
auch in der Folgezeit die politische Gewalt über die Massen be-
hauptet haben. Überhaupt aber scheint im 3. Jahrhundert die
Proletarisierung der Massen nicht in demselben Maße vorwärts ge-
gangen zu sein, da die Auswanderung vielen es ermöglichte, sich im
Koloniallaude eine neue Existenz zu gründen.
Die wirtschaftliche Entwicklung der hundert Jahre nach Alexanders
Tod hat Bei och in einem meisterhaften Kapitel seiner Griechischen
Geschichte (III, 1, Kap. 8, S. 279—330) dargestellt. Vor allem hebt
er das Anwachsen des Weltverkehrs hervor, der sich gegen die
frühere Zeit mehr als verdoppelte, besonders durch die Verbesserung
der Handelswege und die Erschließung der Kulturländer des Ostens.
Während die Seleukiden die Straße des Landlmndcls sichern, die aus
dem Innern Asiens über die Hauptumschlagsplätze Seleukeia am
Tigris und Antiocheia das Meer erreicht (S. 288), wenden sich die
Ptolemaier dem Verkehr nach Indien zu. dessen Kopfstation Alexandreia
bildet, ohne doch die direkte Fahrt über das Rote Meer auszudehnen
(S. 293): offenbar haben hier die Himjariten ihre Stellung als
Zwischenhändler zwischen Ostafrika und Indien einerseits und Europa
anderseits gewahrt. Die Folge ist eine allmähliche Verschiebung des
Schwerpunktes im hellenischen Handel nach Osten: Rhodos am
Schnittpunkt der Verlängerung jener beiden Handelsstraßen wird der
erste Transitplatz, vor dem Athen trotz größeren Eigenhandels mehr
und mehr zurücktritt. Daneben steigt Korinth empor, nachdem die
Römer Rhodos durch die Errichtung des delischen Freihafen ruinierten,
unbestritten der erste Handelsplatz des Ostmeeres, bis der Neid der
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Jahresbericht über griechische Geschichte (1903—1906). 255
römischen Handelswelt ihm das Schicksal Karthagos bereitete. Ein
weiteres Moment, das B. mit Recht hervorhebt, ist das massenhafte
Einströmen des bis dahin in den persischen Schatzkammern lagernden
Edelmetalles in den Verkehr (S. 311), das denn freilich durch die
Thesaurierungspolitik , wie sie erst Lysimachos, dann die Attaliden
und Ptolemaier betrieben, einigermaßen eingeschränkt ward. Doch
glaube ich nicht, daß der Vf. das Rechte trifft, wenn er meint, der
ganze Zuwachs an Bargeld sei durch die Erweiterung des Verkehrs
absorbiert und eben darum sei ein Steigen der Preise nicht ein-
getreten. Allerdings ist es richtig, was ich früher bezweifelt habe,
daß ein Steigen des Getreidepreises nicht eingetreten ist; das
beweist der Satz in dem samischen Getreidegesetz — 5Vs dr. pro
Scheffel — der seiner Natur nach ein Durchschnittspreis ist und noch
nicht einmal die uns aus dem Ende des 4, Jahrh. bekannten Durch-
schnittssätze von Eleusis [6 dr. für Weizen) erreicht. Allein der
Grund dafür liegt wohl in dem gleichzeitigen Anwachsen der Getreide-
produktion ; die Hebung des ägyptischen Pächterstandes muß mit einer
kräftigen Vermehrung der Getreideerzeugung parallel gegangen sein,
und zugleich begann nordafrikanisches Getreide in die Märkte des
Ostens einzudringen. Bald nachher erscheint Massinissas Name in
Delos, wo auch eine namhafte Getreidespende von ihm erwähnt wird
(vgl. Francotte, le pain p. 1£3 ff.). Offenbar kam dagegen nicht in
Betracht, daß die Pontosländer damals aus der Reihe der getreide-
exportierenden Staaten ausschieden, wie Beloch richtig gesehen hat;
das Plus der Welterzeugung war imstande, den Getreidepreis auf dem
Stande von ca. 320 zu halten trotz der starken Vermehrung der
Metallbestände. Dieselbe Erscheinung hat sich auch bei uns in den
letzten Jahrzehnten gezeigt, wo das mächtige Anwachsen der Getreide-
produktion sowohl der Bevölkerungszunahme wie auch der Zunahme
an Edelmetallen gegenüber den Preis auf derselben Höhe gehalten
hat. Übrigens beginnt mit dem Ende des 3. Jahrh. v. Chr. ein
langsames und stetiges Ansteigen des Preises; aus den Angaben der
Papyri berechnet Barbagallo für das zweite Jahrhundert im Fayüni.
dem Zentrum der Weizenproduktion Ägyptens, einen Mittelpreis für
Weizen von 5 Mk., für Gerste von 3 Mk., während gegen das Ende
des 3* Jahrh. der Preis noch 4 bzw. 2,40 Mk. betfragen hatte. Im
ersten Jahrhundert steigt dann der Mittelpreis im Fayüm auf 0,8« >
bzw. 4,40 Mk., was in der Bevölkerungszunahme seinen Grund haben
kann, aber auch mit den unsicheren Verhältnissen Ägyptens i«
dieser Zeit zusammenhängen mag. Jedenfalls aber beweist der gleich-
bleibende Weizenpreis noch nichts für die Stabilität der übrigen
25H
Thomas Lenschau.
Preise im £L Jahrb. ; diese könnten immerhin gestiegen sein und das
würde um so schwerer ins Gewicht fallen, als die Löhne im Sinken
waren. Beloch allerdings glaubt auch hier eine stationäre Entwicklang
zu erkennen, allein bei seiner Berechnung auf S. 322 scheint insofern
ein Irrtum untergelaufen zu sein , als der Tagelohn von 4 ob. nicht
an Sklaven, die nur 2 ob. beziehen, sondern an freie Arbeiter gezahlt
worden ist, was übrigens, wenn man die Verzinsung des Kaufpreises,
Amortisation und Risikoprämie einrechnet, für beide Arten der Arbeit
so ziemlich denselben Satz ergibt. Auch das ist ein Zeichen der
fortschreitenden Proletarisierung. Sehr instruktiv sind ferner Belochs
Ausführungen über das Münzwesen der Diadochenzeit, für Sizilien
werden sie durch Willers' Ausführungen ergänzt, dessen Aufsatz
sich mit der Datierung der neuen Inschrift von Tauromenion (ca.
70 — 36 v. Chr.) und weiter mit der Einführung der römischen Silber-
münze auf Sizilien befaßt. Dabei wurde nach ihm ein festes Wert-
verhältnis zwischen Kupfer und Silber vo^n 120 : 1 angenommen, da>
etwa dem in Ägypten üblichen entsprach.
Mehrfach ist in den vorhergehenden Blättern auch das Be-
völkerungsproblem gestreift worden, dem hier an letzter Stellt
noch einige Worte gewidmet sein mögen. Im allgemeinen haben sich
auch hier Belochs vorsichtige Ansätze durchaus bestätigt, wie das in»
einzelnen für das Athen des peloponnesischen Krieges und für die
hauptsächlichsten Staaten Griechenlands im ±. Jahrh. aus den oben
gegebenen Übersichten (S. 121 f., 127 ff.) zur Genüge hervorgeht.
Dali Griechenland beim Beginn des Alexanderzuges sehr stark bevölkert
war, trotzdem die Neubesiedelung Siziliens und die kolonisatorische
Tätigkeit König Philipps schon bedeutende Mengen von Ansiedlern
absorbiert hatten, unterliegt keinem Zweifel. Allein sehr bemerkens-
wert ist es — und auch B. hebt das mit Recht hervor (III, 1, 288) —
daß trotz des ununterbrochenen Stromes von Ansiedlern, der sich fast
ein Jahrhundert lang über die neuerschlossenen Länder des Ostens
ergoß, die Bevölkerung Griechenlands und Makedoniens keine wesent-
liche Abnahme am Ende dieser Periode zeigt. Noch IM konnte der
achäische Bund, der damals die Peloponnes umfaßte, 30 — 40000 Mann
ins Feld stellen , also rund ebensoviel wie der lakedaimonische zwei
Jahrhunderte früher (s. o. S. 122 ff.) und Perseus' Heer bei Pydna
war auch ohne die Söldner nicht geringer als das Heer, mit dem der
große König die Eroberung der Welt begonnen hatte. Derartige
Erscheinungen muß man sich gegenwärtig halten, wenn man Ansichten,
wie sie Glotz in dem eingangs genannten Aufsatz vertritt , gegen-
über den richtigen Standpunkt gewinnen will. Der französische
Jahresbericht über griechische Geschichte (1903 — 1906). 257
Gelehrte führt hier aus, daß die Aussetzung von Kindern bei den
Griechen nicht bloß rechtlich erlaubt — woran natürlich nicht zu
zweifeln ist — , sondern auch tatsächlich in sehr weitem Umfange
ausgeübt worden sei. Ja er behauptet in seinem Schlußwort geradezu
das Vorhandensein malthusianistischer Bestrebungen in Griechenland :
die Aussetzung sei eben das bequemste Mittel gewesen, sich den un-
erwünschten Nachwuchs vom Halse zu schaffen, indem die größte
Anzahl der Kinder tatsächlich zugrunde ging. Natürlich ist ein in
großem Umfang geübter Kindermord mit der oben gekennzeichneten
Bevölkerungsentwicklung unvereinbar, und Gl.s Ansicht läßt sich kaum
anders als unter der Voraussetzung verstehen, daß er die Bestrebungen
und Sitten der späteren Kaiserzeit, insbesondere der nachchristlichen
Jahrhunderte schlankweg auch auf die Zeit bis ca. 1 r>0 v. Chr.
überträgt. Vor allem aber scheint ihn die Häufigkeit des Aussetzungs-
motives in der griechischen Tragödie nnd Komödie getäuscht zu
haben ; allein es liegt ja auf der Hund , daß das Motiv eine viel zu
bequeme dramatische Entwicklung gestattete, als daß man sich seiner
nicht häufig bedient hätte. Auf dieselbe Weise könnte man aus der
Häufigkeit, mit der in gewissen Fossen bei uns der Onkel aus Amerika
als deus ex machina benutzt wird, auf die Häufigkeit amerikanischer
Erbschaften schließen. Nirgend mehr als in der Bevölkerungsforschung
gilt es, sich an Tatsachen zu halten , und diese lassen zur Genüge
erkennen , daß bis zum Ende des dritten Jahrhunderts der Stamm
der griechischen Nation seine Triebkraft noch nicht eingebüßt hatte.
Erst der Eintritt der Bömerherrsehaft ist auch hierin der Anfang
vom Ende gewesen.
Sachregister.
Achaisehe Bundesversammlung lilli f.
Adelsherrschaft IIL
Ägypten, Bevölkerung 'J04. Nationale :
Beaktion
Atopischer Bund, Krieg gegen Kol«
21Ü f., Friede ZÜ» f.', Bundes-
versammlung lilü f .
Akragiis, Topographie ÜLL
Alexander d. Gr. am Granikos L4Ü f.,
in Lykien 146, bei Issos 141 f.. inj !
indischen Feldzug 14i>. Bedeutung ;
als Feldherr ÜÜ1 f., als Staatsmann
Lil f., Beisetzung K>2, Bildnisse !
Hill
•lahrestMfrii'ht für Altcrtinn^ni^rwhaft. Itd,
Alexander. Krateros Sohu liCi f-
Alexanderhistoriker Kliff.
Anaximenes von Larnpsakos 119. ]'M ü
Andros. Schlacht bei 13Ü f.
Antigonos (Monophthalmos), Friede
mit Seleukos IM f., Politik gegen
die Grieehenstadte 1.*»7.
Antigonos L Gonatas IM.
Antigonos II. Doson Hill f.
Antiochos L Soter., Porträt 101. An-
fänge HiL l£2n\, Ende l£L
Antiochos II. Theos, im f . 1Ü2.
Antiochos Hierax lfiL IM ff...
Antiochos III. Krieg mit Ägypten
cx xxv. II
25*
Thomas Lenschau.
209, Politik g. Rom 213 f., Krieg g.
Rom 214 f., sein Titel Großkönig231.
Antiochos IV. Epiphanes Tod 226 f.,
Geburtstag 222!
Antiochos VI. Epiphanes Regierungs-
zeit 233 f.
Aqaiwascha IL
Arbeiterfrage 250 ff. 255.
Archontenliste, attische lfififf. , del-
phische 170-
Argos, Ausgrabungen 02.
Aristonikos Aufstand 234. ff.
Aristoteles Schrift v. Staat d. Athener
100 f., Oikonomikos 243 ff.
Asien, römische Provinz 234 ff.
Athen, älteste Besiedelung 8üf., staat-
liche Anfange 80 f. , soziale Miß-
stände 87^ Solon 88 f., Mauerbau
IM f.» Ausbau des Reiches 111,
Streitkräfte im 4. Jahrh. 121 ff., See-
macht 128 f., Zweiter Seebund 13Qf.,
Schicksale in der Diadochenzeit
153 f. , im chremonideischen Krieg
18fi ff., Krieg gegen Philipp V.
208 ff., oligarcnische Revolution
231 f., im mithr. Kriege 23fi f. —
Archontenliste IM ff., Buleutenliste
144, Finanzwirtschaft 241 ff., Münz-
prägung 88 f. Ulf., Vasenhandel
249,
Attalos L gegen Antiochos Hierax
IM ff., Krieg gegen Philipp 202 f.,
Phyle Attalis in Athen 211, Erbauer
des Altars? 225 f.
Attalos II. Kampf mit Nikomedes 228,
Attalos III. 234 ff.
Bakchon 182.
Bankiergewerbe 241 ff.
Bevölkerung 204. 250.
Cbaironeia, Schlacht bei 134 f.. im
mithr. Krieg 238.
China, Verbindung mit dem griech.
Westen 250.
Ohremonideischer Krieg 18fi ff.
Chronologie, ältere Zeit 81 f. 22 ff.,
im 5. Jahrb. 1ÜH f. , im 4, Jahrh.
124 f. 122 f. 131 f., in der Diadochen-
zeit 153 f., der syrischen Könige
220 f. 2^2 f., Eponymenlistcn 103
—171, metonischer Zyklus LL2 ff.,
Parapegmenfragmente 11:1
Curtius Rufus 138 ff.
Dämon, Verbannung llü f.
Delos Abfall v. Athen IM f., In-
schriften 143, IM* f., Finanz-
wirtschatt 241 ff.
Delphi, Parteikampfe im 4. Jahrh.
132 . Archontenliste und lnschr. f.
d., Finanzverwaltung des Tempels
211 ff.
Demetrios v. Phaleron 155 f.
Diadochengeschichte , Quellen 140 ff.
Didymoskommentar 110.
Diodor 100. Uli f. LLL
Dionysios v. Milet 97,
Diyllos 11Ä.
Drakon 88.
i Duketios 102 f.
Epaminondas 131 ff. , bei Mantineia
132 f.
, Ephoros 100.
, Euboia 9lL
Eubulos, Finanzreform 243 ff.
Eumenes L, Krieg g. Antiochos 188.
Eumenes II., Kriege 219, Freund der
Römer 22L 224 f., selbständige
Politik, Zerfall mit Rom 220. 224 ff.
Finanzwirtschaft, griechische 241 ff.
i Galliereinfall ISO ff.
Geldhandel im Altertum 241 ff.
Getreidepreise 255 f.
Getreideverteilung in Griechenland
und Rom 240.
Griechen in Asien, Lage unter Anti-
gonos 157, unter den Pergamenern
234, unter den Römern 231 ff.
Griechenland, Besiedelung durch die
Griechen Dorische Wanderung
72, ihr Verlauf 15. ft., G.s Rolle in
der hellenistischen Zeit 111 f.,
Untergang der Selbständigkeit 228-
Gyges 22,
Handel 242 ff. 255.
i Hausformen, Rundbau 63, Palastbau
05 ff.
; Heiliger Krieg, Quellen 113, Anlaß
132 f., Verlauf 134,
I Hekataios 91.
\ Hellanikos 28,
Hellenisierung des Ostens, Umfang
und Dauer 230 ff., Reaktion 233 ff.
Herakleiiles v. Mylasa 104.
Hcrmokopidenprozeß 122,
Herodot 20 ff.
Hieronymos v. Kardia 140 ff.
' Hypothekenwesen in Athen 88, 252,
Industriearbeiter 250.
i Inschriften, Attika 101 ff., Delphi
IM f., 230 f.. Dolos 143. IM 100 f.,
Orientis graeci 142 f., Priene 143 f.
Ionier, Entstehung TJL Bündnis am
Pajiionion 21 f., Aufstand 103. im
4. Jahrh. 112 f.
Kalender, makedonischer in Ägypten
103, Fragmente 1 18.
; Karien. v. Philipp V. erobert 210 f.
Kolonisation, älteste in myk. Zeit
II tf., an der Hhonemündung 24*
Jahresbericht über griechische Geschichte (1903—1906). 259
Kommunismus 245.
Königtum 7JL
Korinthischer Krieg 122.
Korupedion, Schlacht bei 121 f.
Kos, Schlacht bei 190 f.
Kotys L 133 f.
Krateros 1ÜL
Kreta, Krieg um Lyttos 203 ff.,
spätere Schicksale 209. Ülfi f . 220.
Kretische Kultur 56 ff., Knossos 56,
Phaistos 58, Hagia Triada 58,
Grabfunde 58 f., Töpferei. Stilarten
59 f., Chronologie 60 ff., Einflüsse
von aufsen 62 ff., Beziehungen zum
Westen 65_, Übergang zur myk.
Zeit 65 ff. . Nationalität d. Träger
62 ff.
Ktesias 102. 116 f.
Kynoskephalai, Schlacht bei 212*
Kyrene. älteste Besiedelung in myk.
Zeit 70, Sagengeschichte 80, unter
Magas 123 f.
Kyros L 102 f.
Kyros d. Jüngere, Quellen 116 f.,
Politik 124 f., sein Zug 125 f.,
Kunaxa 126*
Landwirtschaft 240. 252,
Laodike, Gem. Antiochos II. 189. 192.
126 f.
Leukas-Ithakahypothese 20 f.
Lipara 245.
Liviusepitotne 206. 233 ff.
Lysimachos, Politik nach Ipsos 125 ff.
Lyttos, Krieg um 203 ff .
Makedonien, älteste Kultur 65i
Sprache, Volkstum 144 f.
Makedonischer Krieg, erster 202 ff..
zweiter 211 ff., dritter 220 ff., vierter
222*
Mantineia, Schlacht bei 132, die von I
206. 202 f.
Marmor Parium 101.
Massilia 2L
Milet, Ausgrabungen 9_L Zerstörung
108, Inschriften des 5. Jahrh. 102 f.,
des 4. Jahrh. 119. f., Eponymenliste
9_L Krieg gegen Philipp V. 210.
Mithridates VI., Eupator. 232 ff.
Mummius L. 222.
Müuzwesen, attisches ÖS f. 111 f., in
der Diadochen/.eit 256.
Mykenische Kultur, Beginn 65 ff,
Beziehungen zum Westen 65,
Nationalität der Träger 68.
Nabis v. Sparta 208 f.
Nippur, Palast zu 66.
Olympiadenrechnung 8L
Papyrusurkunden 161 f.
Parthenon 109.
Pausanias, der Regent 102 ff.
Peisistratos 88, Bautätigkeit 90,
Peloponncsischer Krieg 115. f. 121 ff.
Beginn 121 f. Mantineia 122.
Pergamon, Königshaus 1S1 (s. Atta-
los, Eumenes), Zeit d. großen Altars
224 ff.
Perserkriege IM ff. , Marathon 103,
Artemision 104. Salamis 104 f.,
Plataiai 105 f.
Pharnakes L 219 f.
Philipp III. v. Makedonien, Quellen
IIS f. 134 f.
Philipp V , Krieg g. Born 209 t.
Phokaia 93 f.
Phönizier in Griechenland TL
Phylen 2S f., in Sparta 82 f.
Plutarch loL
Polvbios liiL 2Ü0 ff.
Ptolemaier, Münzwesen 16L Königs-
liste 164.
Ptolemaios Keraunos 129 ff.
Ptolemaios II. Philadelphos, Pakt
mit Seleukos 128 f. . Herrschaft in
den Kykladen 182. 188 ff. 193.
Ptolemaios v. Ephesos 18S ff-
Ptolemaios III. Euergetes 199_, Ab-
dankung 202^ Familie 203
Ptolemaios VI. Philometor 221
Ptolemaios VII. Physkon 223.
Punischer Krieg, erster 110 f. *
Pylos d. homerische 26,
Rhodos, Kolonien an d. Rhone-
mündung 94_l Handelsvertrag mit
Rom 156_, Krieg g. Philipp 210,
Seeherrschaft 210.
Rom, Politik gegen die Hellenen 2Ü6 f.
211 ff. 220 ff.
8eleukiden, Münzen 101, Königsliste
164.
Seleukos L_« Friede mit Antigonos
153. Politik nach Ipsos 115. ff., Er-
mordung 129 ff.
Sellasia, Schlacht bei 2D0 ff.
Sepeia, Schlacht bei 9JL
Sinope 80.
Solon 88 ff.
Sparta, Eroberung 25 ff., Lykurgische
Verf. 81 ff, Überbleibsel 84, Periö-
ken 84 ff, Eroberungs-, dann
Bundespolitik 85, Ephorat 86, Zu-
stände Anfang 5. Jahrh. 103, Streit-
kräfte im 4. Jahrh. 128 f., Königs-
liste 165_, unter Areus 186. unter
Kleomenes III. 200 ff, Nabis 208 f.
Thalassokratie ÖL 22 ff.
Thasos 125.
Theben, Streitkräfte im L Jahrh.
122 ff.
17*
200
Thomas Lenschati.
Thera, älteste Zeit t>9_, in der helle-
nistischen Z» it 199.
Theramenes 122 ff.
Thrakischer Einfluß auf die ägäische
Kultur 64.
Thukydides 28 f . 115 f.
Troja 62. OL
Tyrannis M)f.
Vasenhandel, attiM-her 242 f.
Xenophon 1 Iß f.
Ansbach. F. 142.
Babelon 88 f.
Bannier. W. 102.
Barbagallo 252 ff. 255.
Bauer, Ad. IM.
Beloth, Jul. 122 ff. 140 ff. 150 ff. 153 ff.
usf.
Benndorf, 0. 23.
Berard, V. TL
Bernouilli 15H.
Bevan 163. 22X 230.
Bontiglio, S. 80.
Bouche-Leclercq , Aug. IM f. 157.
HÜ M lMf. 120, 24L
Bourguet 120. 241 f.
Breccia, E. 162. 160. 183. 188. 222 f.
235 f. 242 ft.
Brückner, A. 202. 224 ff.
Bulle 153.
Bürchner 23.
Burrow 153.
Busolt. G. 981 f . 1ÜL 102. 115 f . 120 ff.
122 ff.
Büttner-Wobst, Tb. IM f . 228.
Carcopino. Jer. HO f.
Cardinali, Gius. Ifi3 1S& 124 ff. 128 ff.
203. 202. 218 f 225. 235.
Chapot, V. 232 f. 235, 232.
Clcrc, Mich. 23 f.
Colin, G. 150. 200. 213 f. 220 ff. 228.
230.
Corradi, G. 124 ff.
Costanzi, V* 103. 102.
Cousin, G. 110 f. 120. 211L
Cuntz 100.
Curtius, L. 25.
Dahms, F. 1ÜL LLL
Dawkins 00. 05.
Deiters 202 f.
Delamarre 120. 12LL
Delbrück. IL 132.
Deinoulin 210.
Diels, II. 113.
Dittenberger 142 f. 100. 188.
Dörpfeld 50. 61 f. 20 f. 20 f. 80. 2LL lüü
Dragendorff 02.
Drerup 80.
Dürrbach 143. 154 L 12L 212.
Egg 221.
Evans 50 ff.
Ferguson 160 ff. 122 ff. 182. 222. 232.
Fick, Aug. 08.
Finsder, G. 22.
Fischer, Clarence 66.
Fouvait 102. 125. 223. 2M ff. 238.
Francotte 212 f. 241 f. 246 f. 253.
v. Fritze 153.
Gercke, A. 22.
Geyer 20. m
Ghione 17"
Glotz 250 f.
Goeßler TL
| Graeber 2iL
| Graef, Botho 10L
Graindor 182. 210.
j Gruhn 2L 142 ff.
! Guiraud, P. 242.
Gutscher 65.
Hall 02 f. 2L
Hanssoullier 152. 126. 182. 122. 122.
210.
Heidemann 25 ff.
Herzog 18L 203.
Hiller v. Gaertringen 143. 122.
Hoeck, Ad. 133.
Hoffmann, O. 144.
Holleaux. Maur. 156. 165. li<0. 185.
188 f. 126. 202 f. 216. 236.
Huck, Greg. 250 ff.
Hüsing 102 f.
Jarobv WL 15L
.lanke" 145 ff.
.larde 143. 154 f. 191. iMi*.
.1 ullian 24.
Kazarow 84. 245. 253.
Keil, Br. 128,
Keller 132.
Kern 25.
Kießling 05. 08.. 20.
Kirchner 112 f. LLL
Klatt 2<AL
Kohler. A. 151 f.
Kolbe, W. 122, 106 ff.
Kornemann 200. 228. 23L
Jahresbericht über griechische Geschichte (1908—1906).
201
Körte, Alfr. 8L 139.f.
Kromayer 121 ft. 132 ff". 2Ö0 ff. 202 ff.
212 ff. 220 ff . 23k
Laird 104,
Lammert 133. 201 f.
v. Landau 22.
Lanzani, Frl. C. lüü. 1112 f. III f.
Lehmann, C. F. 63. 92 f. 103. 10*.
174. 128 ff. 184 ff.
Levi, L. 122. 190.
Lipsius, J. II 92 f. 211 f.
Lohse, H. 125 f. 129 f. 132.
Maaß, E. 22. 94.
Macdonald 161.
Mackenzie 59 f. 62.
Mahaffy, J. P. 163. 122. 232 ff. 235.
Malten, L. 80,
v. Marees TL
Marshall. F. IL 13Qf.
Mayer, M. 65.
Meischke, K. 219.
Meister, F. 85 f.
v. Meß, A. lflÜ.
Meyer, Ed. 101 f. 129. 13L 165. 173.245.
Michael 2L
Migliazza KÜ
Mommsen, A. 102.
Müller, Kurt 153.
Müller, Sophus 64.
Mundt 203,
Munro 105.
Myres, .1. L. 8L 92 ff.
Neumann, K. «L 26. 83 ff.
Niccolini 83. 84 ff. 103 f. 1Ö2 f .
Niese, Ben. 84 f. 131 f. 132. 164 f. 226 ff.
Nietzold, W. L4Ü ff.
Noack," Ferd. 66 ff.
Nordin, R. 30 f.
Oddo, A. 89 f.
Oppert. Jules 112 f.
Osborne 250.
Pancritius, Frl. M. 126.
Papabasileios 223.
Perrin, B. 98. 123 f.
Petersen, E. 153.
Pfuhl, M. 63,
Philippson, A. 252.
Pomtow, iL 132. 134. m L71L
Pottier. E. 249
v. Praäek 92.
Quinci 109.
Raa st; lii4 f.
Radet, G. 2Ü. 91L Uli.
Regling, K. 130. 161 f.
Rehm, A. 113.
Reinach. T. 18L
Reuß, F. 138. 153.
Renther, F. 1D8.
i Kiezler. Kurt 243 ff.
Robinson 7JL
Roloff, G. 133 f. 200 ff. 2Ü8 ff.
Rüegg, A. 138.
, Rühl, F. 98, 104.
| Schebelew 229.
i Schjett. P. O. 25 f. 82. 103.
Schmidt. Hub. 64 ff.
v. Si höffer, V. 154. 2LL
Schräder, H. 143.
Schreiber, Th. 153.
i Schubert, F. Rud. 113 f. 134.
Schurz, IL 84. *
Schwartz, Ed. 1ÜÜ.
Seeck, O. 29. 88 ff. 98 ff. 243.
i Seymour 29.
Smith. IL F. 92.
Smith, Vincent, A. 149 f.
Smylv 163,
Sokolow. Th. 164 f. 182 f. 189. 123.
! Solari, A. 86. 124.
1 sotiriades, G. 135. 186. 202 f.
! Speck 248 f.
Spieker 136.
Stahelin, F. 112.
! v. Stern, E. 103, IM f.
Strazzulla, V. L3-L
Sundwall. J. 120. 168 ff. 124. 253 ff.
i Svoronos 161.
Swoboda, IL 82 f. 13L 252 f.
Szanto, E. 28 f.
Tarn, W. 233 ff. 250,
Thalheim, Th. 216.
Thitle, F. KM.
Tod, M. N. 1Ü2. 2JLL
Traeger 65,
üjfalw 153.
Ure, P. SO f.
Yollgi äff, W. 69 f. 215 f.
Ware, A. lüL
Wachsmuth, K. 204.
Walters.
Waszvnski, St. 2 ■">:<.
Weil, R. LU f.
Wells, .1. 86.
Werenka 113.
Wiegand. Th. 143. 241L
v. Wilamowitz-Möllendorf, [J. lütt.
91 f. 1D2. 152. 246 f.
Wilcken, U. 2D2.
Wilhelm. A. 223.
Willers 256.
Willrich, IL 222.
Wilski. P. 9L
Winkler, IL 66. U2 tf. 1112.
Wright 92 1 1D5 f .
Altenburg
Pierersche Hofbuohdraokerei
8t«ph*n G»ibel * Co.
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Verzeichnis
der in den Bänden 133, 134, 135 besprochenen Schriften.
(133 = L Abteilung. 134 = II. Abteilung. 13S = III. Abteilung.)
Abbott, on Tyrtäus fußarrjoia I 121
Ackermann, de Senecae * Hercule
Oetaeo II 122
Ainsworth, on Theocritus I 223.
Amtierst Papyri by Grenfell - Hunt
I lfi3
Ammon. Cic. als Naturschilderer II 178
Andocides, orationes ed. J. H. Lipsius
I ä2
Ansbach, de Alexandri Magni ex-
pedit. indica III. III IM
Antholoeia Graeca epigramm. Palat.
cum rlanudea ed. iL Stadtmüller
I 29fi
— della mclica Grcca . . . A. Taccone
I lfifi
Apelt, Gorgias bei Ps. -Arislot. und
Sextus Empir. I 32
Arnim, Leben n. Werke des Dio v.
Prusa I 32
Arnoldt, zu griech. Schriftstellern 1 312
Appleton, les lois rom. sur le caution-
nement II 3ü
— le testament rom. II 23
Audibert, de in ius vocando II IL
Ausgrabungen in Milet III 23
BaaTe, Anytes I 3QQ
Babelon, les origiues de la monnaie
III 23
Bahntje, quaest. Archilocheae I Iii
Bannier, zu d. att. Rechtsurk. des
5. Jh. III 95
Banz, Würdigung Ciceros in Sali.
katil. Verschwörung II lfiQ
Bauer, d. Seeschlacht v. Salamis
III 9£
Baumstark, z. Chronol. d. Bakchyl.
i m
Bechtel, varia 1 213
Beck, de monum. Ancyr. aentent. con-
troversae II 243
Jahresbericht für Altertumswissenscha
Bekker, z. Lehre v. d. Legisaktionen
II 34
— Litis contestatio II 118
— Objekte u. Kraft der Schuldver-
hältuisse II 28
Beloch, L, z. Gesch. des Eurypon-
tidenhauses I 122
— griech. Geschichte. III. III 13ß
— Jt griech. Aufgebote III 114
Beneschewitz, Codex Justin. II Iii
Benndorf, z. Ortskunde u. Stadt-
gesch. v. Ephesos III 54
BeYard, les Pheniciens et l'Odyssee
III 13
Berndt, zu Lysias 1 68
Bernoulli, d. erhaltenen Darstell.
Alexanders d. Gr. III 136
Bertolini, le obbligazioni II 3. 29
Bettie, Quellenangaben zu Parthenius
u. Anton. Liber. I lfil
Bevan, Antiochus III a. his title
Great-Kiug III 222
— the house of Seleucns III 136
Bienwaid, de Crippsiano et üxonienai
Antiphoutis, Diuarchi, Lycurgi cod.
I 3Ji
Birklein, Entwieklungsgesch. d. Sub-
stantiv. Infinit. I b
Blass, attische Beredsamkeit I 12 ff.
— Album gratul. in honor. IL v.
Herwerden I 24 ff.
— d. Rhythmus bei d. att. Rednern
1 24 ff.
— Rhythmen d. att. Kunstprosa
I 24ff.
— comm, de Ant iph. Jamblichi autore
I 39
— - Archilochos I Uü
— zur Bezeichnung des metr. Iktus
I liki
1 — die Berl. Fragm. der Sappho 1 179
t. Bd. CXXXV. 18
2<i4
Register.
Blass, zu d. griech. Lyrikern u. aus
Papyri I 2D3
— passagcs of Baechylides 1 208
— Nachlese zu Baechylides 1 208
— zu Timotheus I 242
— Rhythmen d. asian. u. röm. Kunst-
prosa II Uli
Boas, de epigramm. Simon. I 190- 301
Bodewig, e. Trevererdorf im Cob-
lenzer Stadtwald II 258
Bodrero, opere di Protagora I 32
Bohlmann, Antiphon I 38
Boekmeyer, adnotat. crit. in orat.
Atticos 1 2
Bonfiglio, uuest. Akragant. III 33
Boot, verslagen en mededeel. der
kou. Akad. d. Veteusch. II 25ü
Bornecque, clausules metr. dans
l'orator II IM
— wie soll man d. metr. Klauseln
studieren? II Uli
— metrische Klauseln I 24 ff.
Bouche-Leclercq, histoire des Lagides i
III IM
Bourguet, inscriptions de Delphes
III 158
Brandenburger, de Antiph. Khamn.
tetral. 1 39
Brandstaetter, de uotionum nolmxoe
et ootf totrjs usu rhetor. I 3
Brandt, Sappho I 182
Brassloff, aetas legitima II Öü
— Textkrit. zu röm. Rechtsquellen
II 81
Breccia, il diritto dinast. nelle mo-
narchie elleniat. III 158
Brinkmann, de Antiph. orat. de cho-
reuta comm. philol. I 39
Brückner. A., Altar v.Pergamon III 205 j
— z. AtlienaioH c. Psephismas aus j
Notion III 205
— F. J., de tetralogiis Antiph. Rhamn. i
ascriptis I 39
Brugi, papiri greei d'Egitto e la storia
del diritto Rom. II 52
Bruns, d. liter. Porträt d. Griechen
1 24 ff.
Bucheler, Neptunia prata II 241
Bucherer, Anthologie aus d. griech.
Lyrikern I 107
Bficnle, Lysias gegen Philon 1 IQ
Buckland, manumissimo vindicta par
uu fils de famille II 81
Bucolici Graeci, ed. Wilamowitz-
Möllendorff I 211
Bulle, d. Leichenwagen Alexanders
d. Gr. III 13fi
Bürchner, Ephesos III 54
Buresch, consolat. a Graecis Romauis-
que script. bist. crit. 1 39
Burgess, epideictic lit«»rature 1 19 tf.
Burrows, Alexander in the art III 13l
Bury, L B., Baechylides I 2ÜI
— !L oook of the Greek autholo^
I 311
— R. 0., Anthol. Palat. I 3LL 312
Busolt, griech. Geschichte III 114
— Spartas Heer u. Leuktra III LU
— Thucvdides u. d. Themistoki
Mauerbau III 95
Busz, die Form der Litiscoiitestati*
II LLH
Büttner- Wobst z- Gesch. d. pyr
rhischeii Krieges III 15S
Carcopino, Dämon III 95
Cardinali, il regno di Pergamo III 15;
— la truerre di Litto III 158
— Crete e le grande potenze hell**-
nist. III 158
— terza guerra Siriaca e guerra fra-
terna Iii 158
— Creta III 205
Castagnola, un poeta gnomico nella
tradizione educativa 1 135
Cauer, Ciceros polit. Denken II 17ö
Cerrato, Sappho I 176
Cesareo, uu decadente dell'anrichita
I 150
Cessi, spigolature alessaudi I 144
— studi Callimachei I 14Ü
Chaület, de oratiouibus, quae Athen i*
in funeribus publicis habebantur
I 18 ff.
Chapot, los destinfes de l'Helleuismo
au delä de l'Euphrate III 229
— la province rom. proconsul. d'Aaif
III 229
Christ, mel. Metrik d. Griechen I 231
— Mythol. des Apollodor u. d. ueu-
gefund. Bakchvl. I 232
— die überlief. Äusw. theokrit. Ge-
dichte I 210
Cicero, orat.: Pro Sex. Roscio . . .
by A. C. Clark II 124
— ausgew. Reden, erkl. v. Halm.
VI. Bd. II 190
Cima, intoruo alle tragedie di Seneea
II 2Ü1
— Octaviana II 204
Claflin, S\*ntax d. Dialektinschriften
III 12
Clapp, Hiatus in Greek melic poctrv
I Uli
Clark, Vt'tus Cluniacensis of Poggio
II 123
Cleef, index Antiph. I 40
Clerc, explor. phoc. daus la moditer-
rau£e orient. III 13
— la prise de Phocee par les Peraes
et ses consequences III 14
)Ogle
Register.
265
Colin, iuscriptious de Delphes III 229
— Rome et la Grece III 205 *]
Collignon, deux passages de la „Phar-
sale* de Lucain Ii 211
Collinet, contrih. du droit rom. II 82
Comparetti, dithyrambes de Bacchy-
lide I 122
Conrat, hreviarium Alaric. II 115
— Entstehung des westgot. Gaius
II 121
Contoleon-Reinach, decret d'Ios III 158 ;
Cook, Simonides I 1I£
— associated reminiscences I 278
Corradi, guerra tra Tolomeo Euer- |
gete etc. III IM
Cosattini, l'epitafio di Lisia I 21
Costa, storia dell diritto rom. II 3
— le tigurazioni allusive alle leggi
sopra le monete consol. rom. II 9
— le loeazioni dei fondi nei papiri
greco-egizi II 53
— mutui ipotecari Greeo-egizi II 53
Costanzi, ectemori ateniese III 21
— la uresa di Mileto e la battaglia
di Maratone II 05
— Tanno attico d. battaglia presso
rEuriraedonte III Üa
— testimonianza import. trascurata
III 95
— movimento autilaeou. nel Pelo-
poun. III 25
Cousin, Cvrus le jeune en Asie mi-
ueure Iii IM
— -Holleaox, decrets trouves dans
le sanctuaire de Zeus Panamarios
III 205
Cramer, vicus Ambitarvius II 258
Croiset, la morale et la citi* dans les :
poesies de Solon I 122
— orig. du recit relat. a Meleagre
dans l'ode V de Bacchvl. I 232
— les Perses de Timothee I 242
Crönerl Philitas v. Kos I Ul
— rhythm. u. akzent. Satzschlüsse
der griech. Prosa 1 ^ff.
Crusius, z. alten Sprach- u. Natur-
gesch. I 22
— Echtheit homer. Dichtungen 1 20
— DithyramboB 1 122
— die Anagnostiker I Ihl
Cucuel, languc et style d' Antiphon
1 38
— amvres completes d'Antiphon 1 39
Cuntz, Polybios u. s. Werk III 15S
Curtius, Saraiaca III 24
Czyhlarz, Lehrb. d. Instit. d. röm.
Rechts II 3
Dahms, de Atheuiensium sociorum
tribuis III 95
Dalmasso, grammatica di Suetonio
II 2fi4
Damste\ ad Lysiae orat. I 62
Danielssoll, Callimaehea I IM
— zu d. Persern des Timotheus I 24ti
Dawkins, the potterv from Zakro
III 54
Dedo, de antiquorum superstitione
amatoria I 282
Deitcr, Cic. Leben u. Schriften II 182
Deiters zwei kretische Inschriften
aus Magnesia III 2Ü5
Delamarre, riuHueuce Macedon. dans
les Cyclades III 158
— docutnent relat. a la eonfederatiou
des Cyclades III 153 •
Delbrück, theol. Philologie III 111
Demoulin, les Khodiens ä Tenos
III 205
Denntson, the epig^raphie sources of
the writing of Suetonius Tranqu.
II 212
Dessoulavy, Bacchilide e la III« ode
I 208
Dertmer, de arte metrica Archilochi
quaest. I 115
Devries, Ethopoiia I £9
Diels, Ataeta. I 32
— Fragmente der Vorsokratiker I 32
— Onomatologisches 1 12fi
— Baechylides I 209
— -Schubart, Didvnios' Komm, zu
Demostheues 1 iü9. III IM
— — Didymi de Demosth. comm. 1 5ü
Dittenberger, Antiphons Tetralog. u.
d. attische Krimiualrecht I 10
— zu Antiphons Tetralogien 1 41
— die Familie des Alkibiadcs I 22
— 'Kltttf oaxixroi I 22
— Orientis graeci iuscript. selectae
III 135
Döhring, vindex, iudex u. Verwandtes
II m
Dörpfeld, Troja u. Ilion III 54
— Altathen zur Königszeit III II
— die Zeit d. älteren Parthenon III 74
— d. kret., mykeu. u. homer. Paläste
III 55
— Verbrennuug u. Beerdigung der
Toten III 55
— Leukas III 55
Drachmann, Bacchylidea I 208
Dragoumis, Baechylides I 202
Drerup, Anfange d. rhetor. Kunst-
prosa I 18.
— üb. die bei d. att. Kedueru ein-
gel. Urkunden 1 29
— Bericht üb. e. Studienreise z. Er-
forsch, d. Demosthenes-Überliefe-
rung I 33
18*
200
Register.
Drerup, de Philisci in hon. Lyaiae
epigramm. I KL 139
— z. Topogr. v. Alt-Athen III 24
Dfimmler, 'Afhiva(w noXirela des
Kritias I 33
Durrbach -Jardi, fouilles de Delos
III 158. 205
Dussaud, questions myc£n. III 55
Dyroff, Gesch. d. Pron. reflex. I 1 ff.
Carle, Lysias I 6ä
Eckels, cSot« in the orators I 2 ff.
Egenolff, Sappho I 12fi
— zu Lentz1 Herodian I 202
Egg, Polybiosfragmente III 205
Ehren zweig, z. Abfassung u Uber-
lieferung der Digesten II U
Eibel, de vocativi usu apud X or.
Att I 7 ff.
Eissf eldt, zu d. Vorbildern des Statius
II 228
Eitrem, observat. mythol. ad Ovi-
dium spect. 1 14fi
Ellis, Babriana I IM
— Greek Anthology 1 311
Engelmann, Handschr. d. Silven des
Statius II 212
Erdmann, Lysiaca 1 6ä
— z. Epitaphios des Pseudolysias
I fi8
Erman, Juventius Celsus u. d. Kam-
mergericht II 5fi
— Dig. 18, 1{ 1 pr. II 83
— -actiones in factum" II 83
— D (4^ 2J 21 § 4 II 84
Evans, excavations atKnossos III 54
— pictogr. a. linear Script, of Minoic
Greta III 55
Excavations at Palaikastro III 54
— at Phylakopi in Melos III 54
Fabia, Neron acteur II 2£Ü
— Comment Poppee deviut impera-
trice II 2fiD
— regne et mort de Poppte II 2ßl
— gentilicc de Tigellin II 2fi2
Fairbanks, Greek Paean I 171
Fairclougn, the connection between
music a. poetry in early greek lit.
I 112
— aig . . . tue in Theoer. a. Homer
I 223
Fairon, authentic. de l'idylle VIII |
du recueil de Theocrite I 283
Faral, Theocrite imitateur de Sophron
I 223
Fava, gli epigrammi di Piatone I 138
Fennel, the scansion of Bacchyl. XVII.
I m
Ferguson, the premature deitication
of Eumenes II. III 205
Ferguson, Athenian politics III 15£
" — priests of Asklepios III 153
— the Oligarchie revolutionat Athens
III 223
Ferrini, sulle fonti d. Istit. di Giustin.
II 1Ü2
Fick, vorgriech. Ortsnamen als Quelle
für die Vorgesch. Griechenland«
III L 55
Finsler, d. homer. Königtum III 24
Fisher, the Mycen. palace at Nippur
III 55
Forman, indes Andoc. I 58
— ethopoiia in Lysias I 20
Foucart, Athenes et Thasos III Iii
— la formation de la province rom.
d'Asie III 22S
— un seuateur rom. en Egypte III 229
— le S. C. de Thisbe III 2Ö5
Fougeres, Athenes et ses envirous
in 24
Fouilles de Delphi . . . par Th. H«>-
molle III 135
Fraccaroli, framm. di Sappho I 179
— edizione di Bacchilide I 20s
Fragmenta interpretationis Gai in-
stitutionum Augustodun. . . . ed.
C. Ferrini et V. Scialoja II £3
Francke, Echtheit der Friedensrede
des Andocides I 58
Francott e. conseil et assemblee gene-
rales ches les Acheeus III 205
Franke, de Pallada epigramm. 1 222
Freund, de C. Suetonii Tranqu. usu
atque gener© docendi II 2ü4
Fries, Skolienmetrum u. Alkaios 1 168
Fritzsch. z. Vokalismus des Herodot.
Dialekts III 13
■ Fuchs, Temporalsätze mit „bis" u.
„so lange bis" I lül
— Temporalsätze mit „bis" u. so-
lange als" I 8 ff.
Fuhr, z. Überlieferung von Gorgias'
Helena I 33
— z. Echtheitsfrage der Rede d.
Andoc. gegen Alcib. I 52
— z. cod. Palat. des Lysias I 70
Fuochi, i Persiani di Timotco I 242
— de vocalium in dial. Ionica con-
cursu observat. I 111
Furtwängler, das Heiligtum d. Aphaia
III 23
Qai Institutionum comment. quattuor,
... ed. E. Seckel et B. Ivuebler
II fi2
— Institutiones . . . by E. Poste.
4* ed by E. A. Whittuck II fi2
Gardiner, Phayllus a-his record jumb
1 312
i
Register.
2hl
Garrod, S. Johu's College Ms. of the
Thebaid II 222
— metrical stopgaps in Statius Theb.
II 225
Gelders, discours contre Eratosth. I 23
Gentsch, de enuntiatorum condicion.
apud Antiph , Andoc, Lysiam for-
mis et usu I 7 ff.
Gercke, r//rij (Jijroptx»; I 32
— die Myrmidonen in Kyreue III 55
— 2 neue Fragm. d. Epoden des
Archichos I HS
Geyer, Topogr. u. Gesch. Euböas III 74
Ghione. sul regno di Lisimaco III 159
Gildersteeve, Timotheus I 212
Girard, manuel elem. de droit rom.114
— - hist. de Torganis. judic. des Ro-
mains II 4.
- — textes de droit romain II 8
— l'histoirc des XII tables II 22
— l'edit perpetuel II 40» ßl
— une exeeption a la division de la
loi „Furia de sponsu" II 8Ji
Gttlbauer, in Anthol. Pal. I 311
— stud. crit. iu Anthol. Pal. I 811
Gomperz, Beitr. z. Kritik u. Er-
klärung griech. Schriftst. I 32
— ■ Ht'^odotc et Sophocle I 132
Goessler, Leukas-Ithaka, die Heimat
des Odysseus III 55
Gottanka, Suetons Verhältnis zu der
Denkschrift des Augustus II 244
Graeber, Enneakrunos III 14
— Wasserleitung des Peisistratos u.
Wasserversorgung III 24.
Gradenwitz, LatiTeuTi vocum lat. II 8.
— gloss. Paulusreste im Zuge der
Digesten II IQ
• — libertatem imponere II ££2
— licet euim legibus soluti sumus
attaraen legibus vivimus II 87
Graef, Antiochos Soter III 152
Graindor, D«'-crct dTos III 152
— fouilles de Tenos III 205
Gregoire, les recherches recentes sur
la question de Tvrtee I 122
Gruhn, Leukas-Ithaka III 55
— die Schlaeht von Issos III 13fi
Grunenwald, d. freie formelhafte In-
fi n. d. Limitation im Griech. I ti
Gudeman, Latin literat. of the em-
pire II 2Ü2
Giltscher, Beziehungen Istricns und
Dalmaticns zu Italien u. Griechen-
land III 55
Haeberlin, Bacchylidea I 2ÜS
— Lysias 1 i>£
Hachtmann, Verwertung d. 4* Rede
Cic. g. Verr. für Unterw. in d. aut.
Kunst II liii
Hadley, a correction in Solon I 12ß
Hahn, neugefund.Sappho-Verse 1 179
Halbherr, resti dell'eta Micenea scop.
ad Haghia Triada III 54
Hall, the oldest civilization of Greece
III 55
— the two labyrints III 55
Hallensieben, de orat. Lys. I 02
i Hammer, ad Solonem I 126
Hanisch, de titulorum Argolic. dia-
lecto III ß
Hardie, Silvae of Statius II 212
Harrison, studies in Theognis I 131
Hartman, Solou I 12G
Haslauer, zu Luc. Pharsalia II 2Ü1
Hauler, die in Cic. Galliana erwähn-
ten Convivia poet. ac philos. II 124
Hausen, de Antiphontis tetralog. 132
Hausrath, ad Babrii ed. uov. I 1S2
Haussoullier, Caligula et le temple
d'Apollon Didymeen III 25Ö
— Histoire de Milet et du Didymeion
III 13ü
Hauvette, sur un vers d'Archiloque
I 115
— Archiloque L 115
— ä propos de la pretendue mention
d'Archiloque dans la chronique de
Paris I U5
— melanges Perrot I 115
— nouv. fragm. d'Archiloque I 112
Headlam, various conjeetures L 144
— Greck lvric poets 1 1*& 125. 203
— various conjeetures I 195. 81 1
— transposition of words I 125
— Bacchylidea 1208
— joxftov rn parent" a. the kindred
forms I 811
Heerwerden, Babriana I IM
Heidemann, die territor. Entwicklung
Lakedaemon. u. Messeniens III 24
Heinemann, Theognidea I 131
Hellmann, z.Ternunol. d. röm. Reehts-
gesch. II 88
] Helm, Daphnis bei Theukrit 1 2ß5
i Hemstege, analecta Antiph. 1 32
Henrich, d. sogen, polare Ausdrucks-
weise im Griech. I 23 ff.
Hense, z. zweiten Mimiamb des
Herodas l 15fi
— Bacchylides I 2ÖÖ
Herodas, The Mimes ... by J. A.
Nairn I 153
Herreros, la snccession contractual
II ö2
: Hertling, quaest. mimicae I 152
Herwerden, Lvsiaea 1 20
— ad Anthol." Graee. I 811
— Tim. Perser 105 I 247
— Bacchvlidea 1 ML
2(38
Register.
Herwerden, ad Theocritum I 212
Herzog, z. Gesch. d. Mimus I 152
Hibeh-Papyrus ed . . . by Grenfell-
Hunt-Smyley III 158
Hilberg, e. verkanntes Bruchstück
v. Cic. pro Gallio Ii HA
Hildebrandt, de causa Polystrati I 68
Hiller von üaertringen, Arehilochos-
Inschrift aus Paros I 118
— Thera Hl 23
— der Verein der Bacchisten u. die
Ptolemaeerherrschaft auf Thera
III läa
Hirschfeld, zu Cicero II 15
Hirzel, Polykrates' Anklage u. Lysias
Verteid." des Sokrates I 62
Hoeck, zur Geschichte des Thraker-
königs Kotys L III IM
Hoff mann, d. griech. Dialekte. III. Bd.
I Iii
— die Makedonen III 2. IM
Hofmann, die Kompilation der Di-
Sesten Justinians II Ii
land, Dädalos u. Ikaros I ML 312
Holleaux, le pretendu traite de com-
merce cutre les Rhodiens et les
Romains III 136
— papyrus de Gourub III 15Q
— ITioXittaiog Jvaifjttvov III 15Ü
— "decret de Siphnos III 1M1
— sur un passage de la vie d'Aratos
III 159. 2D5
— la I« exped. d'Antiochos le Gr.
en Koih'syrie III 159
— assemblees ordinaires de la ligue
etolienne III 205
— inscription tle Colophon uova
III 2üä
— inscription de Lebadeia III 22Ü
Holmes, iudex Lysiacus 1 2Q
Homert Iliadis picturae fragm. Am-
bros. phototyp. ed. cura doct. M.
Ceriani et A. Ratti III 19
Homolle, les offrandes delph. des fils
de Deinoment'S et l'epigramme de
Simonide I liiü
Housman, Silvae of Statius II 21£
Hoyer, Alkibiades Vater u. Sohn I 61
Hublocher, enarravit Petrus Langen
C. Valerii Flacei Argou. libr. VIII
II 2Li
Hübner, de Cic. orat. pro Q. Roscio
Com. II 1Ü2
Hude, ad Lvi*iam I IQ
Hundeck, quaest. Lysiaeae I 6ä
Husemann, zu Theocrit I 223
Hüsing, z. Kyrossage III 95
Huvelin, les tablettcs magi(iues et le
droit romain Ii 1Ü
Huvelin, „iniuria" dans le droit rom.
II 34
Jacobs, de Xeuophanis arte metriea
I LiÜ
lacoby, die Beisetzungen Alexanders
d. Gr. III 13fi ,
— d. Marmor Parium III 95
Janke, Topographie d. Schlachtfelder
bei Issos III 136
— Ergebnisse e. histor.-geop-. Stu-
dienreise in Kleinasien III lÜfi
— auf Alexanders d. Gr. Pfaden in
Kleinasien« III 136
Jebb, album gratul. in hon. Herwcr-
deni I 209
— ßacchvlides I 232. 238
Ihm, z. Textesgesch. des Sueton 11 249
— Bentley's Suetonkritik II 252
— z. Überlief, u. Textkrit. v. Sueton*
de gramm. et rhetor. II 253.
Immisch, Babriana ad Ottonem Cru-
sium I IM
— d. älteste griech. Buch I 24£
Inama, i Persiani di Timoteo I 242
Inscriptiones Graecae III 135
Jobst, de vocabulorum iudiciariorum.
quae in oratoribus Atticis inveni-
untnr, usu et vi I 3
Jouguet-Lefebvre, Papyrus de Mag-
dola III 158
Jovy, Herbert et ses travaux sur L'An-
thol. de Planude I 225
Judeich, Topographie v. Athen III 24
Jullian, thalassocratie phoc. III 2A.
Jurenka, Archilochos von Paros I 114
— Dithyramben des Bacchyl. I 122
— d. neuen Bruchstücke d. Sapph<>
u. des Alkaios I 129
— Bacchylides I 208
— Mythus in Pindar n. Bakchylides
1 241
— d. neuaufgef. Timotheus-Papyrus
u. d. ed. priueeps I 243
Kaibel, sepulcralia I 144. 312
— Bententiarum liber ultimus I 2Ü^
223
Kaiinka, de usu coniuuet. quarundara
apud script. Attic. antiuuiss. 1 2 ff.
Kallenberg, der Artikel bei Namen
v. Ländern. Städten u. Meeren in
d. gr. Prosa I 2 ff.
Kattein, Theoer. idyll. I 283
Kawerau, d. Heraion v. Argos III Ii
Kazarow, per la storia di Spam
III 24
Keil, Antiph. x«r« rrj; urjrpim* I *
— Athens Amtsjahre u. Kalender-
tage I 4Q
>Ogl
Register.
209
Keil , System d. kleisthen. Staats-
kalenders I 40
— Koqov ntdfov III 159
Keller, die Rechtsfrage in Lysias'
& Rede I 62
— Alexander d. Gr. nach d. Schlacht
von Issos III liili
Kemmer, d. polare Ausdrucksweise
in der griech. Lit. I 24» 102
Kenyon, new fragm. of Herodaa 1 152
Kern, die Landschaft Thessalien III 74
Kiessling, das ethnische Problem des
alten Griechenland III 55
Kilpeläinen, quaest. Andoc. I 58
Kingsbury, style of Andocides I 58
Kirchner, Prosopographia attica
III 114
— attische Ruleutenliste III 136
Kleineidam, die Personalexekution
der XII Tafeln II 22
Klotz, z. Überlief, der Silvae des
Statins II 212
— Jubatus II 21»
Knaack, Hero u. Leander L 14fi
— Dädalos u. Ikaros I 14fi
— hellen. Studien. L I 161
— Bukolik I 26Ü
— Daphnis 1 265
Koch, quae fuerit ante Socratem voca-
buli üotTTj notio 1 1
Kocks, zu Lysias 1 68
Köhler, z. Geschichte der Pente-
koutaetie I 58
— Reirhsverwaltung und Politik
Alexanders d. Gr. III IM
Kohm, d. Echtheit der Tetralog. Anti-
phons 1 38
— krit.- exeget. Stud. zu Antiphon
1 38
— z. Kritik u. Erklärung Antiphons
i m
— Antiphons Tetralogien I 39
— neue Antiphonstudicn 1 40
Kolbe, zur attischen Marine Verwal-
tung III Iii
— attische Archonten III IM
Kopp, Hannodios u. Aristogeitou 1 259
Kornemann, zu d. Sicdelungsverhält-
nissen d. myken. Epoche III 55
Korsch, ad Anthol. Palat. I all
Körte, die Entstehung der Olym-
pionikenliste III 24
— Anaximenes v. Lampsakos als
Alexanderhistoriker III IM
Körtge, in Suetonis de viris illustr.
libros inquisit. II 246
Kortz, Eigentümlichkeiten d. kalli-
roach. Dichtkunst I 150
Krakert, Herodas 1 156
Krassnig, z. Erkläruug der in Aristot.
'A&riv. nok. enthalt. Fragm. Solons
I 125
Kromayer, Wehrkraft u. Wehrver-
fassung der griech. Staaten III 111
— Wahre und falsche Sachkritik
III LL4
— zu d. griech. Schlachtfelderstudien
III U4
— antike Schlachtfelder in Griechen-
land III 15k 205
Kruger, der Kommentar zu Gai In-
stitutiones in Autun II 6Ü
— die Reihenfolge der Leges in den
Titeln der Digesten Justinians II 72
— zu Dig. 40, 7, 29 § 1 II 89
— Mommsens Ausg. des Codex
Theodos. II IM
I Kubler, zum Xexum II 31
— s. fonti d. Istit, di Giustin. II 1Ü2
Kuiper, studia Callimachea 1 148
Ladek, die histor. Quellen der Octavia
II 204
Laird, stud. in Herodotus III 95
Lambert de dialccto aeolica I 120
— l'autuenticitc des XII tables et
les annales maximi II 18
— l'histoire tradit. des XII tables
II 18
Lambros, la «tele d'un orthographe
III 28
Lammert, die neuesten Forschungen
auf antiken Schlachtfeldern in
Griechenland I1J 114
— zu d. griech. Schlachtfelderstudien
III 159
Landau, die Bedeutung der Phönizier
im Völkerleben III 24
Lang, z. Geographie der Odyssee
in 55
Lanzani, i Persica di Ctesia III 95
i — Pausanias III 95
— de fontibus Diodori in Cyri ex-
pedit. enarr. III 95
Larsen, e. Solon. Studie I 126
Leeuwen, Solon I 120.
— ktfotOQ, liigiöhii I 208
— ad Timothei IVrs. 1 242
Leges novella ad Theodos. pertin.
edd. Momm8en-Meyer II Hü
Legrand, problems Alexandrins 1 150
— ('pigmmmes du III« siecle I 1112
\ Legras, la Thebaide de Stace II 226
— les „Puniques" et la Thebaide"
II 222
Lehmann -Haupt, z. Gesch. u. Uber-
lief, d. ion. Aufstandes III 95
— Pausanias' Todesjahr III 95
270
Register.
Lehmann-Haupt, r« peru Juotiov des
Dionysios v. Milet III 05
— z. griech. Quellenkunde III 95
— Kreta III 55
— Karisch-Chaldisches III 55
— z. Chrono! d. chremonid. Krieges
mm h
— d. L syrische Krieg u. d. Welt-
lage um 225 III 159
— Seleukos, d. Köniir d. Makedonen
III 15S
— z. attischen Politik III 159
Lenel, der Vindex bei der in ius vo-
catio II lü
— Nexum II m
— reconstitution de l'edit perpetuel
II 4Q
— neue Bruchstücke aus ülpians
Disput. II öl
— z. klass. Litiskontestation II 9Q
Leo, die griech.-röm. Biographie 1 21 ff.
II 241
— de Horatio et Archilocho I 119.
— coniectanea II 213
Levi, intomo a Timoteo I 212
— Andocide e l'ermocopia III IM
— la battaglie di Cos e di Andros.
III 159
Levy, z. Muciana cautio im röm. Recht
Ii 9Q
Lincke, zu Protagoras 7it()\ deuiv I 32
Lindsay, Anthol. lat. II 233
Lipsius, d. attische Recht u. Rechts-
verfahren 1 29
— Antiphons Tetralogien I 41
— zu Demosthenes I 53
— das Ende d. herodot. Gesehichts-
werkes III Sß
Lohse, ad Xen. Hellen. III 111
Lucani de bello civili libri X iter.
ed. C. Hosius II 21Q
Ludwich, zu d. Solon-Fragm. in der
nol. AVriv. I 125
— Spruchbuch des falschen Phoky-
lides I 129
— einige Verderbnisse bei Babrios
I IM
Lutz, die Präpositionen bei d. att.
Rednern I ß
— Casusadverbien bei d
nern 1 2 ff.
Lysias, orationes .
I Ii
— orat. sei. ed. A.
— ausgew. Reden
Thalheim I Ü9
— ausgew. Reden, hrsg. v. Kocks
u. Schnee I Üfi
verd. v. Westermann I 23
att. Red-
. Th. Thalheim
Weidner I Ü2
v. Frohberger-
Lysias, orazioni scelte comm. . . . E.
Ferra i e G. Fraccaroli 1 22
— orazioni scelte . . . S. Rossi I 21
Maas, Kolometrie in d. Daktyloepi-
triten des Bakchyl. I 231
Maass, z. Gesch. d. griech. Prosa I 32
— Griechen u. Semiten auf d. Isth-
mos v. Korinth III 71
— die Griechen in Südgallien III 7_i
Macdonald, Seleueid-Porträts III 15ü
Maci, essai sur Suetone II 231
Mackenzie, the pottery of Knoasc«
III 5ä
Mahaffy, the progrcss of helleuisme in
Alexanders Empire III 114. 159. 205
— the silver age of the Greek world
III 229
— -Smyly, Flinders Petrie papyri
Main, locative expressions in thr
Attic or. L 2 ff.
Mallinger, Bacchylide I 211
Malten, Cyrenarum origines III 21
Malusa, Simouide Amorgino I 12Q
— Simon. Cei Carmen LXXXV 1 lK*
Mancini, su Bacchilide I 2Ü8
Manigk, z. Gesch. d. röm. Hvpothek
n 91
Manitius, Handschriftl. zu Statin-
II 222
— Dresd. Schol. zu Stat. AchilL II 222
Marchant, the agent in the Attic
orator I 6 ff.
— Andocides de mysteriis a. de re-
ditu 1 58
Marees, Ithakalegende auf Thiaki
III 55
Marindin, yl.<oijuvyi\v in Simonides a
Bacchyl.'I 183
Marks, Neros great ship-canal II 2ßü
Marshall, Athen, confederaey III in
Masson-Hombert, discours choisis I ß9
Matzura, Konsekutio- u. Finalsätze
bei Lysias I 22
May, rhythm. Anal. d. Rede Cic. pro
S. Roscio Amer. II 112
— d. Rhythmen in Cic. pro Archia
II 142
Mayer, aus d. alt. Zeit Grossgrieeh Un-
lands III 55
— -G'schrey, Partheuius Xicaeeusi*
1 1ÜÜ
Mayr, condictio incerti II 91
— vindicatio utilis II 95
Mazon, Tim. Perses I 211
Mederle, de iuris-itiraudi iu lite Attica
decem orat. aet. usu I 29
Meier -Schümann, attische Prozess.
1 28
Register.
271
Meischke, z. Gesch. d. Königs Eu-
menes II. v. Pergamon III 2Qü
Meiser, mvthol. Untersuch, zu Bak-
chvl. I &32
Meister, Dorer u. Achäer I 120, III 2
— z. griech. Epigraphik u. Dialektol.
III 1Ü
— syntakt. Gebrauch des Genetive
in d. kret. Dialektinschr. III 12
Melber, d. neuaufgef. kitharod. No-
mos des Timotheos I 241
Melic poets, Greek, by IL W. Smyth
I lfiß
Mellen, de ius fabula 1 232
Mesk, Satz u. Vers im eleg. Distichon
der Griechen I LL2
— Cic. Nachruf an die lcgio Martia
II 180
Mess, de epigramm. Attico et tra-
goedia antiquiore dialect. I 111
— z. Positionslänge von muta cum
liquida bei d. att. Dichtem 1 112
— Ephoros III M
— die Arbeitsweise Diodors III 2ß
Meuss, Vorstell, von Gottheit und
Schicksal bei d. att. Rednern I 28
Meyer, Forschungen z. alten Ge-
schichte I 122
— der Mauerbau des Themistokles
III 9fi
Michael, die Heimat des Odysseus
III 55
Migliazza, bnttaglia di Lade e presa
di Mileto III
Miller, the limitatioii of the impera-
tive in the Attie orators 1 2 ff.
Mitteis, Nexum 11 2a
— textkrit. Miscellen II [Hi
— z. Gesch. der Erbpacht II 2fi
— de manumissimo vindicta durch
den Haussohn II 83
Mommsen, A., attische Jahrbestim-
uiung III SU
— Formalieu d. attischen Volksbe-
schlüsse III äü
— - Th., gcs. Schriften II 5
— mancipium II 11
— .1<odtxi\d(iiot II 12
— Nexum II 28
— Salvius Juliauus II 52
— Hofmann versus Blume II 22
— die Heimat iles Gregorianus II 105
Morgan, constructions in Andncides
1 M
— Lvsias L fiO. 20
Mötsch mann, Charaktere bei Lysias
I 23
Mottet, Discours coutre Erathost. 1 23
Mrose, de syntaxi Bacchyl. I 230
Müller, C F., der Leichenwagen
Alexanders d. Gr. III 13fi
— D. HM die Gesetze Hammurabis,
die mos. Gesetzgebung und die
XII Tafeln II 25
— Fr. W., über die Beredsamkeit
I 18 ff.
— (L, contro Erat, e contro Agorato
I 6J
— 0., aus alten Statius-Handschrif-
ten II 222
— P. It, zu Lysias I ßS
— zu Lvsias u Lukianos I 2Ü
— S., Ürgeschichte Europas III 55
Mündt, König Nabis v. Sparta III 205
Munro, Pcrsian war III Öfi
Myres, the list of thalassocracies in
Eusebius III 25
Naber, ad Audoc. orationes I üÜ
— ad Lvsiae or. 1 23
— Archilochos I 115
— Tyrtäos 1 121
Nacinovich, sul vocalismo dei dialetti
di Larisa e di Gortyna III 5
Nairn, Bacchylides I 208
Nauck, analecta critica 1 68
Navarre, la rhetorique greequel 18 fl.
Nessi, osservaz. Bacchil. I 207
Nestle, Kritias 1 33
Neumann, die lykurg. Gesetzgebung
III 14
Newton, the epigraph. evidence for
the reigns of V cspasian a. Titus
II 2Ü3
Nicastro-Castiglioni, framm. di Sappho
1 m
Niccolini, gli ectemori aten. III 21
— per la storia di Sparta III 24
— l re e gli efori dt Sparta III 24
— Sparta III 26.
Nicole, un fragin. des Aetia de Calli-
maque I 146
Niedermann, Andocides I 58
Niescbke, de Thucydide Antiphontis
discipulo et Homeri imitatore 1 38
Niese, z. Gesch. u. Landeskunde
Lakcdaemons III 21
— z. griech. Geschichte III 114
— Gesch. d. griech.-makedon. Staaten
III 205
Nietzold, d. Überlieferung der Dia-
dochengeschichte III 13K
Nitzsche, griech. Grabreden I 18 ff.
— die griech. Grabreden d. klass.
Zeit 1 21
Noack, homer. Paläste III 55
Norden, antike Kunstprosa 1 18 ft.
Nordin, Aisymnetie u. IyrannislII 24
272
Register.
Nowack, Lysias I ß8
Oddo, Pisistrato III 24
Ohlert, z. antiken Rätselpoesie 1311
OHvieri, mito di Oreste il letter. class.
I 185
— Teseo e Meleagro in Bacchil. 1 232
Oppert, l'annee de Meton III 9Q
Oxyrhynchos Papyri, ed. by Grenfell
a. Hunt. P. II I 239, Iii laß
Part. III I 32
Pabst, vnts rov argaiKorov I 68
Pais, storia d'Italia II 13
Pancritius, die Sohlacht v. Kunaxa
III UA
Papabasiletos , ttg rrjv 'Ellr\v. yAv&o-
loyiav I 311
— xomxni 7ittQttTrig^a€ig (lg rqr
'EXXvv. Av9oXoy I Sil
— Eößotxd III 2Ü5
Papyrus grecs et demot. publ. par }
Tn. Remach-Spiegelberg-de Ricci i
III m
Pasella, la poesia conviv. dei Greci
I 259
Paton, emend. of Sappho 1 126
Patrick, de Critiae operibus pedestri
oratione conscriptis I 33
Paul, Marcus Solvius Otho II 262
Peiser, de iuvectivis quae Sali, et
Cic. uomin. fer. II IM
Peppmüller, Solons Gedichte I 121
— Tyrtäos fr. 4 1 121
— zu Demosthenes De cor. 289 1 139
Pcrnice, Labeo II ß
Pernier, seavi d. Miss. Ital. a Phais-
tos III bA
Pcrrln, the Uqucu of Hellanicus a.
the buniinj? of the Argive III 9fi
— the rchabilitation of Pausanias
III IIA
Peter, Rhetorik u. Poesie im klass.
Altertum I 18 ff.
— die Geschichtsschreiber d. röm.
Kaiserzeit II 241
Petersen, d. Leichenwagen Alexan-
ders d. Gr. III IM
Pflüger, Cic. pro Q. Roscio Com.
rechtlich beleuchtet II 95. 161
Pfuhl, z. Gesch. d. Kurvenbaues III 55
Piccolomini, un frarain. uuovo di
Archilocho I 119
Pischinger, d. Vogelgesang bei d.
griech. Dichtern I IM
— d. Vogelzug bei d. griech. Dich-
tem I 1D9
Pistelli, de recentiorum studiis in
Tyrtaeum collatis I 122
Platt, on a fragm. of Solon I 125
Polack, de enuntiatorum interrogati-
vorum apud Antiph. et Andoc.
usu I 6. 38
Polak, paralipomena Lysiaca I 21
— Lysias I 22
Pomtow, e. delphische Stasis L J.
363 v. Chr. III UA
Postgate,two epigramms of the Greek
Anthol. I all
— ^ ^P^sages 0f Silvae of Statins
— manuscript problem in the Silvae
of Statius II 212
— ad Silvas Statianas Silvula I 219.
Prasek, Hekataios als Herodots Quelle
III 96
Preiswerk, de inventione orat. Cic.
II 182
Prescott, Daphnismvth I 2fii
— scholia a. text of Theocritus I 273
Preud'homme, sur Su£tone II 256
Preuss, de fabulis apud Bacchyl. 1 222
Previtera, de numero sive clausula
sive structura sive cursu I 23 ff.
— il metodo statistico nelle nuove
ricerche d. prosa metr. Lat. e Greca
1 24ff.
Priene, Ergebnisse der Ausgrab. u.
Untersuch. III 135
Priewasser, Präposit. bei Kallimachos
u. Herondas i 147. 155
Prott, die Ebene von Sparta III 1A
Quinci, anacronismi diodorei nel pe-
riodo Ducey III 9fi
Raase, die Schlacht v. Salamis III iiß
Radermacher, z. Geschichte d. griech.
Rhetorik I 18 ff.
— Andocideum I 59
— griech. Sprachgebrauch I 144
Rad et, la colonisation d'Ephese par
les loniens III 55
— itinerairc d'Alexandre en Lycie
III IM
Radford, personif. and the use of
abstract subjects in the Att. or. a.
Thucydidcs 1 8 ff.
Radinger, z. griech. Anthologie 1 295
— Leonidas von Tarent I 302
— v. verscholl. Handschrift des
Sueton II 252
Rannow; de carm. Theoer. I 283
Raquettius, de auetore carm. Pervigil.
\ eneris inscr. II 234
Rauchenstein •Fuhr, ausgew. Reden
des Lysias I ül
Re^ling, e. Tridrachraon v. Byzanz
Reinach, un fragmeut d'.Jon de Chios
I 132
Register.
273
Reinach, deux fragra. d'hyporchemes
anon. I 187
— nouv. fragm. de Sappho I 119
— los trepieda de Gefon et de ses
frerea 1 125
— les Perses de Timoth£e I 242
— le decret d'Athenea en honneur
de Pharuaces L III 205
— l'attaque de Delphes par lea
Gaulois III 159
Reinhardt, zu Cic. für Plancius II 193
Reitzenstein, 2 neue Fragm. d. Epo-
den d. Archiloehos I H8
— d. Trostgedielit des Lemouidea
I 12Ü
— literarhistor. Kleinigkeiten I 135
Rentzsch, de tl«'x»j (fivdofittQTvgtaiv in
iure Attico I 29
Reuss, zu Lyaiaa I 69
— d. Leichenwagen Alexandere d.
Gr. III 136
Reuter, zur Technik dea Antiphon
I 49
Reuther, Pauaaniaa III 96
Reynolds, d. Digamma bei Bacchyl.
1 230
Riedy, Solonia elocutio I 122
Riess, atudiea in superatition I 283
Rizzo, Imerio il sohata I 120
— atudi archeol. aulla tragedia e
ditirambo 1 112
Robert, Knöchelapielerinnen de8
Alexandroa 1 Uli
Roberti, la eloquenza greca L IS ff.
Roberts, the new rhetor. fragin. I 32
Robertson, the Gorgianic tigurea in
early Greek proae I 23 ff.
Robinson, Sinope III 25
Roby, roman private law II 6
Röder, d. Lage von Daphnis 1 265
Roegholt Pa.-Lva. contro Andoc. I 69
Rohde, Cicero Ii 182
Rölilecke, z. 14. u. 15, Rede d. Lyaiaa
I 13
Roloff, Probleme d. griech. Kriegs-
gesch. III 115
— Probleme der antiken Kriege-
geachichte III ln9
Romagnoli, l'elegia aleaaandrina pri-
ma di Callimaco I m 140
— epinicio X di Bacehil. I 232
Roschatt, d. aynonymen Verbindun-
gen bei d. att. Rednern I 23 ff.
Rosenthal, de Antiph. in particul. uau
propr. 1 40
Rossbach, Theocritea I 223
Rossi, la compoa. tecn. d. odi di Bac-
chil. I 241
— ricostruz. di un xto&vßiav I 212
Rost, de vocibus quibusdam publi-
cia iuri8 Attici I 3
Rubensohn, ad Anthol. Graec, 1 Ü12
Ruggiero, un nuovo giuramento di
tedelta all'imper. Auguato II 49
— diritto Rom. e papirologia II 52
— papiri Greci o „stipulatio duplae"
III 113
Rühl, die Zeitanaätze für Hellanikoa
III 96
— Herakleidea v. Mvlasa III 96
Rutten. Lvaiaa 1 69
Sabbadini, Partenio ed il Moretum
1 161
— le scoperte dei codici lat. e greci
nel aec. XIV e XV III 33
Sachse, die 30, Rede dea Lyaiaa I 62
Sadee, «le Boeotiae titul. dial. III 11
Sakorraphos, ad Aeachinia orat, I 58
Samse, interpretat. Lucan. II 211
Samter, Scaevolaa Digeaten u. Rc-
sponaen II 119
Sauppe, ad Antiph. orat. VI I 38
Schater, de tertio Baeehylidi8 carm.
I m
Scheel, de Gorgianae disciplinae
vcatigiia £ 32
Schenkt, z. L Rede dea Lyaiaa I 20.
Schierlinger, d. unterordn. Satzver-
bindung bei Antiphon I 39
Schilling, lucubrat. Statian. II 212
Schjott, Stud. z. alten Geachichte III 75
Schtiack, Proben von Erklärunga-
bezw. Emendierungaversuchen 1 (V7
Schliemanns Sammlung trojan. Alter-
tümer III 54
Schlossmann, tributum, tribuere, tri-
bus II 12
— vindex bei der in iua vocatio
II 12, 26
— altröm. Schuldrecht u. Schuldvcr-
fahren II 25. 3Q
— Xexum II 3ö
— Litia conteatatio II 44
— nemo aibi ipae cauaam poasessionia
mutare poteat II 92
— z. Geach. d. röm. Kaufea II 98
— Peraona u. IlQÖaomov im Recht
o. chriatl. Dogma II 99
Schuld, J., de conviciia a X orato-
ribus Att. usurpatia I 3
— W., z. Geach. d. griech. Dithy-
rambos I 122
Schmidt, C, de uau partic. ri earum-
que, quae cum rol compoa. sunt
apud or. Attic. I 2
— Troja-My kenc-Ungara 1 1 1 55
— ö\ Keramik \i. makedon. Tumuli
III 55
274
Register.
Schneider, St, e. sozialpolit. Traktat
u. s. Verfasser I 41
— V., Ps. Lysias xai' l-irduxftfov
aaeßeins I 22
Schodorf, z. Kenntnis der attischen
Gerichtssprache aus den zehn
Rednern L_3 •
Schoell, zu Lysias I fiö
— zu Andok. Mysterienrede I 5Ü
Schöne, de dialect. Bacchyl. I 230
Schräder, die Seclenlehre d. Griechen
in d. ält. Lyrik I 108
Schreiber, d. Bildnis Alexanders d.
Gr. III ]M
Schröder, alkäische u. sapphische
Strophe I lfiä
— zu Timotheos I 241
Schroff, Echtheitsfrage d. L Rede
des Andoc. I 59
Schubert, die Quellen z. Geschichte
Philipps II. v. Makedon. III 115
Schulhof, Callinus u. Tyrtäus I 114
Schulthess, zum ersten Strassburger
Archilochos-Fragm. I IIS
Schulz, z. Theorie d. antiken Metrik
1 112
Schulze, E. R., quaest. gramm. ad.
or. Att. spectantes I ß
— de figurae etymol. apud or. Att.
usu 1 fiff.
— M., d. ethische Gedankengehalt
d. griech. Elegiker u. Jambigraphen
1 IM
Schurz, Urgesch. d. Kultur III 15
— Altersklassen und Mäunerbünde
III iL
Schwab, histor. Syntax d. gr. Kom-
paration in der klass. Lit. I 2 ff*.
Scnwartz, comm. de Thrasymacho
Chalced. 1 32
— z. griech. Geschichte 1 fiS
— Tyrtäos 1 122
— Theokrits Daphnis 1 2fi3. 2fi5
— zu Bakchyüdes 1 2QS
— Diodoros III 3ß* 13fi
Scialoja, „sulla noxae deditio" del
eadavere II 64
— l'abuso della consegna nossale da
parte dcllo schiavo II Ü4
— sul testo d. Editto edilitio „de
^ ferisu II lüü
Scott, additional notes on the voca-
tive I 1112
Seeck, Quellenstud, z. Aristot. Ver-
fassungsgesch. v. Athen III 25
Senn, Nexum II 33
Setti, Simonide di Cco e l'autentic.
de suoi epigr. I 190
— cougett. d. Scaligero e gli epi-
grammi di Agatia scolast. 1 305
Sewera, Rede gegen Erathosth. u.
üb. d. Ölbaum I 12
Seymour, the homer. assemblies a.
Aristotle III 7h
Seymour de Ricci-Girard, textes iurid.
Latin» iucdits II 51
Shilletto, «T(tfu«-slightly, leniter 1 208
Sinko, ad Theoer. XI, 22 fl. I 213
Sjöstrand, de orat. Att. in oratione
obliqua temporum ac modonim usu
I ß
Sitzler, zu Timotheos I 241
Slater, emendat. in the Silvae of
Statius II 212
Smith, A. illustr. to Bacchyl. I 232
— K. F- irregulär fomrs of the ele-
giac distich 1 112
— tale of Gyges a. king of Lydia
— V. A.f history of Iudia III 1H6
Smyly, relation of Macedon of the
Egyptian calendar III 159
— the revenue years of Philadel-
phus, Euergetes a. Philopator
III 159
Sokolow, z. Gesch. d. III. vorchri«tl.
Jahrh. L: Alexander, Krateros"
Sohn III 159
— der Autiochos der Inschriften von
Ilion III lä9
— d. jährl. Nemeenfest III 159
Solan, ricerche Spartane III 25.
— relaz. diplomat. tra la Grecia e la
Persia III 11h.
Solmsen, Berl. Bruchstücke d. Sappho
1 119
i Sonne, Autipho r« 2 1 39
, Soteriades, avaoxaya't tv &tqut>>\l\ 159
Sotiriades, d. Schlachtfeld' v. Chai-
roneia u. d. Grabhügel d. Make-
donen III 115
Spieker, Hof- u. Hofordnung Alexan-
ders d. Gr. III 13fi
Stachel, Seneca u. d. deutsche Renais-
sancedrama II 203
Stahl, Psephisma des Demophantos
i aa
l Stern, der Mauerbau in Athen u. die
List des Themistokles III 9fi
Sternkopf, Gedankengang u. Gliede-
rung d. Diviu. iu Q. Caee. II 192
Stickney, les sentences dans la poesie
grecque I 108
Strazzulla, i Persiani di Eschilo ed.
il uomo di Timoteo I 241
j — Kotys I e Kersebleptes III 115
Stroh, zu Valer. Flaccus II 213
Sudhaus, zu d. Persern des Timo-
theus 1 211
Register.
275
Suetonias, de vita Caes., rec. L. Prcud'-
homme II 2ßfi
— vitae Galbae Othonis Vitelli,
^ comm. C. Hofstee II 2Ü9
Summers, authorship of the Hercules
Oetaeus II 132
Sundwall, epigjraph. Beitr. z. sozial-
polit. Geschichte Athen« III 152
Susemihl, neue piaton. Forschungen
I 33
Sutphen, Stud. in hon. of Gildersleeve
I 282.
SvoroilOS, ra voufo/Jititt tov xgitTovs
nur flToltfiatütv III IM
Swoboda, z. griech. Rechtsgesch.
III 25
— Epaminondas III 115
Szanto, zu Antiphons Tetralog. I 40
— die griech. Phylen III 15
— Ephoroi III 15
Taccone, il triinetro giamb. nella
poes. greca 1 112
Tarn, heilenisni in Bactria a. India
III 222
Taubert, Skolion den Kallistratos 1 259
Terzaghi, Tiraoteo eu i Persiani 1 247
Thalheim, zu Lyknrgog u. Lysias I 71
Theocritus, idvlls . . . by B. J. Chol-
meley I 222
Theodosiani libri XVI . . . Th. Momm-
sen II lOfi
edd. Mommsen-Meyer II 105
Thiele, jonisch-attische Studien I 32
— z. griech. Gesch. III 96
Thomaschik, de Lvsiae epitaphii
authentia verisimili I 62
Thomson, Euripides a. the Attic
orators 1 22
Thumb, z. Gesch. d. griech. Digamma
I 111
Timotheus-Papyrus 1 245
Tod, Bruchstuck e. att. Tributliste
III 9ü
— Attic deeree III 13Ü
Törnebladh, ad Statium II 212
Traube, Gesch. d. tiron. Xoteu bei
Suetonius u. Isidorus II 2£7
Traut, Zeitbestimm, u. Gedanken-
ordnung der HL Rede des Lysias
1 20
Tucker, Theokrit I 273
Uifalvy, tvpe phvsimie d'Alexandre
le dl. Wik
Urc, origin of the tyrannis III 25
Urefia y Smenjaud, lcgislaeion Gotico-
Hispana II UA
Usener, Sappho I 12ß
— Theokr. XVII, 124, I 273
Ussani, su 1'Octavia II 204
— ultima voce di Lucano II 202
Ussani, sul valore storico del poema
lucaneo II 2l)S
— il testo Lucaneo e gli scolii Ber-
nensi II 2U3
— annotazioni di Pomponio Leto a
Lucano II 209.
Usteri, Aechtung u. Verbannung im
griech. Recht III 115
Vahlen, Rede des Lysias in Piatos
Phaedrus I 22
— varia I 222
Valerii Flacci Argonaut. Rec. C.
Giarratano II 213
Valmaggi, de casuum syntaxi apud
Herodam I 15Ü
Varese, il calendario Rom. III 159
Veldhuis, ad Suetouium II 25a
Veniero, i poeti de l'Antol. Palat.
I 292
Vessereau, Cl. Rutilins Xamatianus
II 235
— -Dimoff, Rutiiiaua II 23fi
Villani, sur les chanta chr^t. d'Ausone
II 229
Ville de Mirmont. l'aatrologie chez
les Gallo- Romains II 23»
Vocabularium iurisprudeutiae Ro-
manae II 2
Vogel, analecta aus griech. Schrift-
stellern 1 22
Voghera, Senofane e i cinici autori
di Silloi I 13Q
Vollgraff, over d. osprong onzer
Europ. besehaving III 55
— fouilles d'Argos III ü
— Lysiaca I 21
— sur la fin et les consequencea de
la guerre Etohenun III 205
Vollmer, z. Überlief, von Statins'
Silvae II 212
Wace, helleu. royal portraita III 158
Waldstein, The Argive Heraeum
l 208, III. 23
Walters, bist, of ancient nottery III 55
Watzinger, Mimologen l 152 "
Weber, P., quaest. Sueton. II 24£
— W., Lys. contra Andoc. 1 21
Weidner, zu Lysias I ß2
Weiert, z. Gesch. d. att. Prosa d.
V. Jahrh. 1 3
Weil, Lysias I fi8
— los »'lrgicH de Tyrtöe I 122
— d. Müuzmonopol Athens III Qü
Weise, L Rede (les Antiphon I 39
Wells, i'hronology of the reign of
Cleomenes III 15
Wendel, de nominibus bucol. I 265
— Theocritea I 223
Wendland, d. Tendenz d. plat. Mcuexe-
nos I 12 tf.
276
Register.
Wendorff, ex usu convivali Theogni-
deam syllogen fluxisse demon-
strantur I 131
Wenger, Papyrusforsehung u. Rechts-
wiss. II 52
— Lehre v. d. actio iudicatio II 101
— rechtsbist. Papyrusstudien II 101
— z. Vormundschaft der Mutter II 101
Weniger, olymp. Forschungen III 75
Werenka, die Sehlacht bei Mautinea
III 115
Werner, de ineendiis urbis Romae
aetat. imporat. II 259
Wetzell, lexici Antinh. spec. I 89
Wheeler, the partieipal eonstruetion
with ivyyavuv aud xigdv 1 7fl.
Wide, Theseus u. d. Meeressprung
I 282
Wiegand, Milet III 75
Wilamowitz-Möllendorff, Asianismua
u. -Attizismus I 24 ff.
— Aristoteles u. Athen I 29
— Reden Antiphons I. 38. 40
— commentar. gramm. IV. ind. schol.
hib. I 39
— de Gorgiae epitaphio ab Aristo-
tele citato I 67
— Lesefrüchte 1 71. 142. 272
— Archilochos I 115
— Textgesch. d. griech. Lyriker
I 105. 122. 173. 176. 203
— das Skolion des Simonides an
Skopas I 187
— Bacchylides l 207
— llieron u. Pindaros I 238
— Timotheos, die Perser I 245
— Textgesch. der griech. Bukoliker
I 263
— Bion v. Smyrna I 292
— Theocrits Hymnus auf Ptolemäus
1 272
— zu d. Thalvsien Theocrits I 272
— üb. d. ion. Wanderung III 55
— Dörpfclds Leukas - Ithaka - Hypo-
these III 55
— Panionion III 75
Wilamowitz-Möllendorff, d. Leichen-
wagen Alexanders d. Gr. III 156
Wilcken, Abdankung Euergetes I.
III 159
Wilhelm, Vermutungen I 59
— Simonid. Gedichte I 195
— Eußoixa III 205
Williams, the Mutiueusis ins. of
Theognis I 131
— Theognis a. his poems I 131
Willrich, Caligula II 257
— der Geburtstag des Antiochos
III 205
Winkler, Auszug a. d. vorderasiat.
Geschichte III 55
Wlassak, d. Gerichtsmagistrat im ge-
setzl. Spruch verfahren II 34. 42
Wöhlermann, in Sapphus carmeu II.
I 176
Wolff, Bacchylidea I 208
— E., Lysias u. Isokrates I 70
Wölfflin, Ed., z. lat. Lexikographie
II 55
— H., Sueton u. d. monum. Ancvr.
II 244
Wolters, Maycor ixt og I 12
Wörpel, e. Anspielung in d. Zeus-
hymnus des Kallimachos I 144
— z. Artemishymmis d. Kallim. I 144
— zu Sappho'l 179
Wright, the eampaigu of Piataea III 96
Wundt, de Herodoti elueotioue I 32
Zacher, zur griech. Wortforschung
I 109
Ziebarth, Inschriften I 70
ZielinskL Marginalien I 150
— Zeitbestimmung d. Rede Cic. pro
Q. Roscio Com. II 167
— Bacchylidea 1 208
— d. Klauselgesetz in Cic. Reden
II 146
— Cicerokarikatur II 184
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Karl W. Hierseinann, Buchhändler u. Rntiquar. Leipzig, Köniosstr.
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M. Tullii Ciceron IS« Opera quae supersunt omma
recensione 1. C. Orellii. Editio altera emendatior. Curaveru
I. Casp. Orellius, I. O. Baiterus, Carolus Halmius.
A. Textus. 4 Bände in 5 Teilen. 2. Auflage. 1845—61. 48 ML 20 Pf.
Libri rhetorici. Editio II. 1845. M. 8.—.
(2 Partes) Orationes ad Codices ex magna parte aut primu
itcrum collatos emendarunt I. Q. Baiterus et C. Halmius
1854—57. M. 18 80. Einzeln ä M. 9.40.
Epistolae Accedit historia critica epistolarum Ciccronis. E<
1845. M. 8.—.
Libri qui ad phiiosophiam ad rem publicam spectant. Ex
manuscriptis partim primum partim iterutn excussis emendave
O. Baiterus et C. Halmius. Accedunt fragmenta I. C. O
secundis curis recognita. 1861. M. 13.40.
M. Tullii Ciceronis scholiastae. C. Marius Victorinus,
C. Julius Victor, Boethius, Favonius, Eulogius, Asconius Pedianus,
Bobiensia, scholiasta Oronovianus ediderunt lo. C. Orellius et lo.
Baiterus. 2 vol. M. 24.—.
C. Onomasticon. Onomasticon Tullianum continens M. Tullii Ciceroni- \
historiam literarum, indicem geographicum et historicum indic
latinum, fastos consulares. Ciiraverunt lo. C. Orellius et lo. ucor^i
Baiterus. 3 vol. M. 27. - .
Die .~> Teile Text apart statt M. 48.20 für M. 10.—.
Ine Exemplare sind neu, aber etnas stockfleckig.
Leipzig, Mai 1907.
O. R. Reisland.
B. Scholia.
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Piererscho Hofhucbdruitkeroi Stephan <»?it.»l k Co. in Mu-nlxim.
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