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Full text of "Jahresbericht über die Fortschritte der klassischen Altertumswissenschaft"

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Jahresbericht 
über  die 

Fortschritte 
der 

klassischen .. 


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JAHRESBERICHT 

über  die 

Fortschritte  der  klassischen 

Altertumswissenschaft 

begründet  von 

Conrad  Bursian 

herausgegeben  von 

W.  Kroll. 


Hundertdrciunddreißigster  Band. 

Fünfunddreißigster  Jahrgang  1907. 

Erste  Abteilang. 

GRIECHISCHE  AUTOREN. 


LEIPZIG  1907. 

O.  R.  REISLAND. 


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Altenburg 
Pierersche  Hofbuchdruckeroi 
Stephan  Geil>«l  &  Co. 


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Inhaltsverzeichnis 

des  hundertdreiunddreißigsten  Bandes. 


Seite 

Jahresbericht  über  die  Literatur  zu  den  attischen  Rednern 
aus  den  Jahren  1886—1904.  Von  Kurt  Em- 
minger  in  München   1 — 108 

Jahresbericht  über  die  griechischen  Lyriker  (mit  Ausnahme 
Pindars),  die  Bukoliker  und  die  Epigrammsamm- 
lungen für  1898—1906.  Von  J.  Sitzlcr  in  Frei- 
burg i.  Br   104—822 


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Bericht  Ober  die  Literatur  zu  den  attischen  Rednern  aus 

den  Jahren  1886—1904. 

Von 

Kurt  Eraminger  in  München. 


Erster  Teil. 

(Allgemeines.    Von  Gorgias  bis  zu  Lysias*).) 

Bei  dem  Bericht  über  einen  Zeitraum  von  fast  zwanzig  Jahren  mußte 
ich  mich  natürlich  im  allgemeinen  großer  Kürze  befleißigen;  Ungleichmäßig- 
keit  war  unvermeidlich. 

Von  der  erschienenen  Literatur  hoffe  ich  nicht  viel  übersehen  zu 
haben;  Autoren,  die  sich  nicht  genannt  finden,  verpflichten  mich  zu  Dank» 
wenn  sie  durch  Zusendung  ihrer  Arbeiten,  besonders  der  in  Zeitschriften 
versteckten  Artikel,  oder  —  noch  lieber  —  kurzer  Inhaltsangaben  für 
einen  Nachtrag  gelegentlich  der  zweiten  Hälfte  des  Berichtes  die  Voll- 
ständigkeit fördern. 

Ebenso  erbitte  ich  mir  Dissertationen,  Programme  und  andere  Ab- 
handlungen, die  sich  auf  die  noch  nicht  besprochenen  Redner  beziehen, 
oder  —  besser  —  kurze  Skizzen  davon,  welche  besonders  ersehen  lassen, 
was  der  Verfasser  zeigen  wollte  und  welche  neuen  Ideen  er 
ans  Tageslicht  förderte. 

Das  war  auch  im  folgenden  mein  Hauptbestreben,  die  Intentionen 
der  Autoren  herauszuheben.  Bei  der  zeitlichen  Ausdehnung  des  Berichtes 
erschien  es  mir  das  einzig  Angezeigte,  mich  ganz  auf  den  referierenden 
Stand  pu  nkt  zu  stellen:  daher  auch  häufige  wörtliche  Zitate.  —  Die  Artikel 
in  PauIy-Wi88owas  Realenzyklopädie  sind  nicht  berücksichtigt.  —  Ber. 
mit  dem  Namen  des  Berichterstatters  bezieht  sich  auf  diese  Jahresberichte. 
Die  sonstigen  Abkürzungen  sind  die  hier  üblichen.  — 

I.  Zu  allen  Rednern. 

Bei  irgendwelchen  auf  die  attischen  Redner  bezüglichen  Fragen 
wird  sich ,  soweit  dieselben  nicht  ganz  spezielle  sind ,  ein  Blick  in 
die  Grammatik,  Rhetorik  und  Literaturgeschichte  verlohnen. 

*)  Der  erste  Teil  des  Rednerberichtes  —  von  Gorgias  bis  zu  Lysias 
einschließlich,  entsprechend  dem  1.  Bd.  der  AB  von  Blaß  —  ist  seit 
Weihnachten  1905  in  Händen  der  Redaktion  bzw.  Druckerei. 

Jahresbericht  für  Altertumswissenschaft,   Bd.  CXXXIII.   (1907.   I.)  1 


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I 


2  Bericht  Uber  die  Literatur  zu  den  attischen  Rednern 

Berichte  hierüber  finden  sich: 

1.  zur  griech.  Grammatik:  für  die  Literatur  von  1890 — 1908  von 
E.  Schwyzer,  im  120.  Band  XXXII  =  1904,  S.  1—152; 

2.  zur  Rhetorik:  von  Hammer,  im  62.  Band  XVIII  —  1890  S.  45 
bis  106,  hier  von  Interesse  8.  45—64;  im  83.  Band  XXIII  _  1895  S.  108 
bis  180;  für  die  Literatur  von  1894—1900  von  Lehnert,  im  125.  Band 
XXXIII  =  1905  S.  86—165; 

3.  zur  griech.  Literaturgeschichte:  von  Haeberlin,  über  die 
Jahre  1879—1893  im  85.  Band  XXIII  =  1895  S.  39—142,  über  die  Jahre 
1894-1899  im  106.  Band  XXVIII  =  1900  S.  234—289,  besonders  8.  264 
bis  269. 

Desgleichen  wird  für  die  sachliche  Seite  im  allgemeinen  auf  die 
Berichte  zur  Geschichte,  zu  den  Altertümern  und  zu  den  Inschriften 
verwiesen. 

Ausgaben.  Text. 

1.  *  R.  Jebb,  selections  from  Antiphon,  Andokides,  Lysias, 
Isokrates  and  Isaios.    New  edition.    London  1888.  — 

[Rez.:  CR  III  —  1889,  S.  406/8,  Sandys.] 

2.  *  L.  Bodin,  extraits  des  orateurs  Attiques,  texte  grec, 
publik  avec  une  introduction ,  des  öclaircissements  historiques,  an 
index  et  des  notes.    Paris  1.  tirage  1899,  3.  tirage  revue  1903.  — 

[Rez. :  RPh  XXIII,  S.  95  Haussoullier.] 

3.  *  A.  P.  Lemercier,  extraits  des  orateurs  Attiques,  Lysias 
Isocrate  Eschine  Hypöride;  nouv.  gdit.  suivie  d'un  appendice  et  con- 
tenant  des  notes  historiques  phüologiques  et  litteraires.  Paris  1900.  — 

[Rez.:  BBP  V  «=  1901,  S.  291  Mallinger.] 

4.  *  J.  H.  Th.  Hemstege,  Attische  Redenaars,  eerste  deel. 
Antiphon,  Lysias  en  Isaeus.    Kerkrade-Heerlen  1901.  — 

[Rez.:  RJP  XLV  =  1902,  S.  335t.] 

5.  *  F.  Dürrbach,  extraits  des  orateurs  Attiques,  Lysias 
Isocrate  Eschine  Hyperide.  Texte  grec  avec  une  introduction,  des 
notices  et  des  notes.  Paris. 

6.  K.  Boekmeijer,  adnotationes  criticae  in  orat.  Atticos. 
Diss.  Groningae  1895.  — 

[Rez.:  BphW  XVI  =  1896,  Sp.  577  ff.  Thalheim.] 
Eine  Gesamtausgabe  der  Redner  ist  in  der  Berichtszeit  nicht  er- 
schienen.    Nur  zu  verzeichnen  sind  die  im  Ausland  erschienenen 
Auswahlausgaben  von: 

Jebb  (1)  —  Druckfehler-  und  methodische  Verbesserungen 
zu  der  Schulausgabe  gibt  die  Besprechung  von  Sandys  — 

Bodin  (2)  —  von  Interesse  mag  die  beigegebene  Faksimile- 
seite eines  Hypereidespapyrus  sein  — 


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aus  den  Jahren  1886—1904.  (Emmingen) 


3 


Lemercier  (3)  —  Teubner-Text,  erwähnenswert  vergleichende 
Hinweise  auf  andere  antike  and  moderne  Schriftsteller  — 

Hem Stege  (4)  —  Text  für  die  antiphontischen  und  9  lysianische 
Reden  nach  v.  Herwerden,  für  Isaios  nach  Nassau-Noordewier. 

Kritische  Bemerkungen  zu  folgenden  Rednern:  Antiph.,  Gorgias, 
Isaios,  Lysias,  Demosth. ,  Aisehin.,  Deinarch.,  Demad. ,  Lykurg., 
Andok.,  Hypereides  gibt 

Boekmeijer  (6).  S.  die  einzelnen  unten.  Nach  Thal- 
heim  (Rez.)  sind  die  Vorschläge  teils  billigenswert,  teils  beachtbar, 
teils  verfehlt  oder  überflüssig. 

Lexikalisches. 

7.  J.  Th.  Weiert,  zur  Geschichte  der  attischen  Prosa  des 
V.  Jahrh.  vor  Chr.  in  FO  X  1896  S.  21—48  (russisch). 

8.  Joh.  Schmid,  de  conviciis  a  X  oratoribus  Atticis  usur- 
patis.    Prgr.  Amberg  I  1895;  II  1899. 

9.  C.  Brandstaetter,  de  notionum  uomtixo?  et  soyizzffi  usu 
rhetorico.    Leipz.  St.  XV  1894,  p.  129—274. 

10.  K.  Koch,  quae  fuerit  ante  Socratem  vocabuli  apetr,  notio. 
Diss.  Jena  1900. 

11.  *  H.  J.  Flips  e,  de  vocis  quae  est  ^670?  significatione  atquc 
usu.    Diss.  Leyden  1902.  — 

[Rez.:  BphW  XXII  1902,  Sp.  1429/32  Schmekel.] 

12.  Joh.  Jobst,  de  vocabulorum  iudiciariorum ,  quae  in  ora- 
toribus Atticis  inveniuntur,  usu  et  vi.    Diss.  München  1902. 

13.  Konr.  Schodorf,  Beiträge  zur  genaueren  Kenntnis  der 
attischen  Gerichtssprache  aus  den  zehn  Rednern,  in:  Beitr.  zur  hist. 
Synt.  der  griech.  Spr.,  herausgeg.  von  M.  v.  Schanz,  Heft  17. 
Würzburg  1905. 

14.  Mich.  Rost,  de  vocibus  quibusdam  publici  iuris  Attici 
(diroxeipoTovia,  Siar/eipotovia .  l-t/stpo-ovia .  xataysipoTovia ,  rpoxei- 
poxovia).    Prgr.  München  1905. 

Zusammenstellungen  über  die  Entwicklung  der  attischen  Prosa 
in  dem  Sinne  der  sxJ.o^  &vo(iaTa>v  während  des  5.  Jahrhunderts 
bietet  Weiert  (7)  * ).    Die  Arbeit  bringt  demnach  auch  nur  für 

•)  Über  dor.  u.  jon.  Formen  u.  Wörter  bei  d.  Trag.  u.  alt.  Redn.  vgl. 
Rogers,  AJPh  25,  S.  285 ff. 

1* 


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4 


Bericht  über  die  Literatur  zu  den  attischen  Rednern 


Gorgias,  den  „Sophisten"  Antiphon  und  Alkidamas  hier  Einschlägiges, 
hauptsächlich  im  dritten  Teil.  Zweckdienliche  Bemerkungen  finden  sich 
auch  zerstreut  für  Isokrates,  Andokides  und  Lysias,  zumeist  freilich, 
wie  es  scheint,  nach  Blaß.  Jedesmal  werden  die  von  dem  betreffenden 
Schriftsteller  neu  gebrauchten  oder  nicht  attischen  von  ihm  verwendeten 
Wörter  zusammengestellt.  — 

Zwei  in  erster  Linie  philosophische  Begriffe,  dpct^  und  X&j-os, 
werden  lexikalisch  behandelt  von  Koch  (10)  und  Flipse(ll).  Da 
Koch  nur  bis  Sokrates  heruntergeht,  kommt  er  hier  nur  für  die 
sophistischen  Anfange  der  attischen  Beredsamkeit  in  Betracht.  Die 
Untersuchung  schwankt  zwischen  der  Entwicklungsgeschichte  eines 
.  Atpenq-Begriffes  und  des  Wortes  dperq.  Bei  den  in  Frage  kommenden 
Sophisten  ist  das  Wort  auf  der  zweiten  Stufe,  der  notio  politica  et 
vulgaris,  angelangt;  diese  Bedeutung  unterscheidet  sich  von  der 
früheren  notio  epica  zunächst  dadurch,  daß  letztere  einen  Zustand, 
erstere  vorwiegend  eine  Fähigkeit  ausdrückt,  dann  aber  durch  die 
Beziehung  des  früheren  Gebrauches  auf  Körper  und  Geist,  des  nun- 
mehrigen fast  ausschließlich  auf  den  Geist  allein.  Beiden  gegenüber 
steht  die  dritte  Stufe  der  notio  philosophica.  —  Flipses  Abhand- 
lung zerfällt  in  drei  Abschnitte ;  der  erste ,  längste ,  gibt  in  acht 
Kapiteln  die  Bedeutungsgeschichte  von  und  seinen  Ableitungen 

von  Homer  bis  Philo;  die  mannigfachen  Bedeutungen  werden  aus 
den  Literaturdenkmälern  dargestellt  und  aus  den  Grundbedeutungen 
ratio  und  oratio  abgeleitet.  Vom  Vorkommen  bei  den  Rednern 
Antiph.,  Andok.,  Lysias,  Isokr. ,  Gorgias,  Antisth. ,  Alkid.  handelt 
das  fünfte,  von  Demosth.  und  den  ihm  zeitgenössischen  Rednern  das 
siebente  Kapitel;  der  Verfasser  geht  dabei  auf  alle  wichtigeren 
Stellen  ein. 

Eine  Vorarbeit  zu  einem  lexicon  technologicum  der  griechischen 
Rhetoren  gibt  Brandstaetter  (9)  in  seiner  Untersuchung  von 
iroXraxoc  und  öocpiarr^.  Er  beginnt  in  beiden  Abschnitten  mit  Be- 
deutung und  Gebrauch  dieser  Wörter  bei  Isokrates ;  außerdem  findet 
von  den  zehn  Rednern  noch  xDemosthenes  besondere  Beachtung. 

Wörter  aus  der  Gerichtssprache  der  attischen  Redner  sammeln, 
gruppieren  und  untersuchen  historisch  die  Abhandlungen  von  Jobst  (lg) 
und  Schodorf  (13).    Jobst  will  eis  vocabulis  animum  advertere, 
quae  non  usurpantur  nisi  in  foro  et  eis,  quae  in  sermone  iudiciali 
notionem  ac  vim  sibi  asciscunt  alienam  ab  ea,  quam  in  aliis  dicendi 
generibus,  quae  vocant  /.6700c  aufißou/vSOTixo'j;  et  iriSeixtixooc ,  sibi 
yindicant.    Dazu  verfolgt  er  die  Vorgänge  vor  Gericht,  zählt  die 
einschlägigen  termini  technici  auf  und  belegt  sie  mit  Stellen ,  die 


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aus  den  Jahren  1886—1904.  (Emminger.)  5 

zuweilen  auch  besprochen  und  erklärt  werden.    Einen  Index ,  der 
bei  Jobst  vermißt  wird,  bietet  die  das  gleiche  Thema  behandelnde 
Arbeit   Schodorfs,   die  ohne  Kenntnis  von  Jobsts  Dissertation 
abgefaßt  ist.  Sch.  nimmt  als  Hauptdispositionsgrund  die  verschiedenen 
Rechtsverhältnisse  und  gibt  hierzu  die  jeweilige  Terminologie.  — 
Beide  Arbeiten  gehören  dem  Grenzgebiet  zwischen  „Altertümern" 
und  „Rednern"  an,  so  daß  sie  auch  zur  sachlichen  Erklärung  der 
Redner  werden  mit  Nutzen  herangezogen  werden  können,  umgekehrt 
wie  sie  serbst  die  Redner  mehr  als  Quelle  denn  als  Ziel  betrachten.  — 
Rost  (14)  untersucht  das  Vorkommen  der  Zusammensetzungen  mit 
yeipoTOvetv,  wobei  atac-,  5ict%  im-,  xa-axetpotoveiv  keine  Schwierig- 
keiten bieten;  rpoysipotovta  dagegen  muß  an  verschiedenen  Stellen 
verschiedene  Bedeutung  haben,  teils  =  irpoTepa  ystpo-covfa,  teils  = 
Vorfrage.    Belege  bietet  vor  allem  Demosthenes. 
Nicht  nur  aufzählen  und  gruppieren  will 

Schmid  (8)  die  von  den  zehn  Rednern  gebrauchten  Schimpf- 
wörter, er  will  auch  versuchen,  daraus  Schlüsse  sowohl  auf  Echtheit 
oder  Unechtheit  einer  Rede  sowie  auf  den  Charakter  des  Redners 
zu  ziehen.  Antiphon  gebraucht  convicia  nur  sparsam  —  ebenso  die 
Tetralogien.  Bei  Andokides  kommen  II  und  III  als  deliberative 
Reden  nicht  in  Betracht;  in  I  sind  ebenso  wie  in  IV  Schmähworte 
häufiger  und  besonders  schwerer  als  bei  Antiphon.  Letzterem  da- 
gegen ähnlich  im  spärlichen  Gebrauch  derselben  ist  Lysias  —  ihm 
fehlt  eben  der  ardor  animi!  Bei  Isokrates  steht  natürlich  die 
Schüchternheit  und  Urbanität  dem  häufigen  Gebrauch  scharfer  Aus- 
drücke im  Wege ;  für  ihn  auffallend  ist  schon  XVII ,  8  —  doch 
das  ist  Recht  der  Gerichtsrede*).  Wie  dieses  sein  Vorbild  Isokr. 
gebraucht  auch  Lykurg  fast  keine  wahren,  schwereren  convicia. 
Hypereides  hat,  in  den  erhaltenen  Reden  wenigstens,  nur  sehr  mäßig 
schmähende  Worte  angewandt,  wenn  aber,  dann  sehr  passende! 
Isaios  ist  fast  stets  einfach  und  natürlich.  Demosthenis  orationes 
redundant  convieiis:  doch  wird  in  den  Staatsreden  mehr  in  Metaphern, 
in  den  Privatreden  mehr  in  den  gewöhnlichen  Ausdrücken  ge- 
schimpft**). Aischines  vollends  findet  kein  Maß,  auch  steigt  er  viel 

*)  S.  13  Note  3  gibt  Sch.  gelegentlich  eine  Zusammenstellung  der 
allocutiones,  deren  der  Trapezitikos  ebenfalls  auffallend  viel  mehr  als  die 
andern  Reden  autweist.  —  Dafür  vgl.  bes.  C.  J.  Rockel,  de  allocutionis  usu 
qualig  sit  apud  Thucy  didem  Xenophontem  oratoresAtticos  etc.  Königs- 
berg 1884. 

**)  Die  convicia  sind  auch  Kriterium  für  die  Echtheit  von  Reden  S. 
bei  Demosthenes. 


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Bericht  Uber  die  Literatur  zu  den  attischen  Rednern 


häufiger  als  Deraosthenes  zu  Verleumdungen  herab.  Demosthenes 
hat  auch  hier  eine  gewisse  Kraft  in  sich ,  Aischines  affektiert  sie. 
Mit  Aischines  hat  Deinarchos  viel  gemein,  unterscheidet  sich  jedoch 
von  ihm  und  Demosthenes  zu  seinem  Vorteil  dadurch,  daß  er  es 
unterläßt  das  Privatleben  des  Gegners  mit  Schmähungen  anzugreifen, 
und  daß  er  auch  vor  Unanständigem  sich  hütet*). 

Zur  Grammatik  der  Redner. 
1886. 

15.  P.  P  o  1  a  c  k ,  de  enuntiatorum  interrogativorum  apud  Antiph. 
et  Andoc.  usu.  Diss.  Halle. 

1887. 

16.  *  L.  Egger,  die  Parenthese  bei  den  attischen  Rednern 
(von  Antiphon  bis  Demosthenes).    Wien,  in:  Mittelschule  1.  Heft, 

S.  22—32.  — 

[Rez.:  WklPh  V  =  1888  Sp.  456  Hergel.] 

17.  J.  Zycha,  zum  Gebrauch  von  Tztpi  bei  den  Histor.  u. 
Rednern.    23.  Jhrber.  des  Leopoldstädt.  Gymn.  in  Wien. 

18.  L.  Lutz,  die  Präpositionen  bei  d.  att.  Redn.  Ein  Beitr. 
z.  histor.  Gramm,  d.  griech.  Spr.  Prgr.  Neustadt  a.  H. 

1888. 

19.  L.  G  r ü  n  e n  w  al  d ,  der  freie  formelhafte  Infin.  d.  Limitation 
im  Griech.  Würzburg. 

[==  Schanz  Beitr.  Heft  6.] 

20.  Fr.  Birk  lein,  Entwicklungsgesch.  des  Substantiv.  Infinit. 
Würzburg. 

[=  Schanz  Beitr.  Heft  7.] 

21.  E.  R.  Schulze,  de  figurae  etymologicae  apud  or.  Att.  usu, 
in:  Comment.  in  honorem  Ribbeckii.    Leipzig.    S.  155 — 171. 

*  1889. 

22.  N.  S  j  ö  s  t  r  a  n  d ,  de  oratorum  Att.  in  oratione  obliqua  tem- 
porum  ac  modorum  usu.  Comment.  ex  actis  universit.  Lundensis 
seors.  expr.    Lund.  — 

[Rez.:  BphW  XI  1891  Sp.  1361  Thalheim  ] 

23.  E.  C.  Marchan t,  the  agent  in  the  Attic  or.  CR  UI  1889 
S.  250  a  —  251b  und  S.  436  a  —  489  b. 

24.  E.  R.  Schulze,  quaestiunculae  grammaticae  ad  or.  Att. 
spectantes.    Prgr.  Bautzen. 

*)  Zu  den  „Schmähungen"  vgl.  auch  J.  Bruns  (71). 


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7 


1890. 

25.  A.  Gentsch.  de  ennntiatorttin  condicion.  apud  Antipa.. 
Andoc.  Lysiam  formis  et  äs«,  in:  Ccmment.  piuI  L  Jeneas.  IV  = 
1890.  S.  211—310. 

26  H.  Kallenberg,  der  Artikel  bei  Kimen  Ton  Lindern. 
Städten  and  Meeren  in  der  gr.  Prosa.  Ph.  IL  1890  =  NF.  III, 
S.  515— 547. 

27.  E»  K alink*,  de  usu  conhinct.  qaarundam  apad  Script. 
Attic.  antiquissimos.  in:  Dissen,  philol.  Vindob.  U.  S.  145—212. 

1891. 

28.  J.  R.  Wheeler.  the  partieipial  eonstroction  with  Tvrx*w 
md  xo&eIv,  in:  Harvard  stodies  in  dass.  philology  II.  S.  143—157. 
Boston. 

29.  CaroL  Schmidt,  de  usa  partic.  -es  earumque.  quae  cum 
rot  compositae  sunt  apod  or.  Attic.    Bisa.  Rostock. 

30.  L.  Lötz,  die  Casusadrerbien  bei  den  att.  Rednern.  Ein 
Beitr.  zur  histor.  Gramm,  der  griech.  Sprache.  Prgr.  Neu.  Gymn. 
Würz  bürg.  — 

[Bez.:  BphW  XII  =  1892  Sp.  43  Stolz.] 

1892. 

31.  *  L.  Egger,  aber  den  Gebrauch  der  Parenthese  bei  Aichines» 
Lyk.,  Dein,  im  Vergleich  mit  den  andern  att.  Rednern.  Prgr.  Wien. 

32.  J.  H.  T.  Main,  locatire  expressions  in  the  Attic  or. 
Dks.  Johns  Hopkins  Univ.  Baltimore. 

1893. 

33.  A.  Dyroff ,  Geschichte  des  Pron.  reflexivom  [1.  Abteil.  Von 
Homer  bis  zur  att.  Prosa  1892],  2.  Abteü.  Die  att.  Prosa  and  Schlaft- 
ergebnisse.  1893. 

[=  Schanz  Beitr.  HH.  9  u.  10  ] 

34.  J.  Eibel,  de  vocativi  usn  apod  X  or.  Att.  Prgr.  Würzburg. 

35.  0.  Schwab,  historische  Syntax  der  griech.  Komparation 
io  der  klass.  Lit.  3  HH.  1893-1895. 

[=  Schanz  Beitr.  HH.  11—13.] 

36.  C.  W.  E.  Miller,  the  Hmitation  of  the  imperative  in  the 
Attic  orators.  Johns  Hopkins  Univ.  Circ  XII  (Nr.  102,  Jan.  1903) 
Baltimore. 

1896. 

37.  W.  A.  Eckels,  Ära  in  the  orators  with  special  reference 
to  Isocrates. 

[=  Nr.  16  auf  p.  XXXV  der  proceedings  for  Jnly  =  appendix  der 
TrAPhA  XXVII] 


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8 


Bericht  Uber  die  Literatur  zu  den  attischen  Rednern 


38.  R.  S.  Radford,  Personifikation  and  the  use  of  abstract 
subjects  in  the  Att.  or.  and  Thukydides  I.  Diss.  Johns  Hopkins 
Univ.  Baltimore.  — 

[Rez.  z.  B.:  BphW  XXIII  =  1903,  Sp.  1093  Fuhr.] 

39.  W.  A.  Eckels,  &ax&  as  an  index  of  style  in  the  orators. 
Diss.  Johns  Hopkins  Univ.  Baltimore.  — 

[Rez.  z.  B.:  WklPh  XX  =  1903,  Sp.  822  Sitzler.] 

1902. 

40.  K.  Fuhr,  Besprechung  des  Vorhergehenden  BphW  XXII 
=  1902  Sp.  870—874. 

41.  A.  Fuchs,  die  Temporalsätze  mit  den  Konjunkt.  „bis"  und 
„solange  alsw. 

[=  Schanz  Beitr.  H.  14*).] 

Ich  beginne  mit  der  Formenlehre,  liier  ist  zunächst  das 
vierte  Kapitel  von  S  c  h  u  1  z  e  s  (24)  quaestiunculae  einschlägig :  (quem- 
admodum  oratores  Attici  comparativos  in  —  ttov  cadentes  decli- 
naverint).  Nach  Meisterhans  (Gr.  d.  A.  J.)  finden  sich  im  Zeit- 
raum 440—410  in  den  Inschriften  fast  nur  die  kürzeren  Formen : 
wie  steht  es  bei  Antiphon,  Andokides,  Lysias?  Andok.  gebraucht 
die  längeren  Formen  nicht,  ebensowenig  Lysias,  außer  in  der 
XIX.  Rede:  hier  sei  dementsprechend  XIX  37  iXarcco  av**)  mit 
Sauppe  und  Rauchenstein  zu  schreiben,  ebenso  XIX  15  ßeXtito***) 
und  XIX  35  7rX£ovf)  zu  ändern.  Anthiphon,  „ut  qui  multa  mira 
habeat",  hat  beide  Fonnen.  —  Isokrates  liebt  die  kürzeren  Formen; 
bei  seiner  anerkannten  Sorgfalt  in  Ausarbeitung  seiner  Reden  seien 
wohl  an  den  übrigen  Stellen,  wo  die  längeren  Formen  noch  stehen, 
die  kürzeren  herzustellen.  Isaios  hat  beide  —  hier  dürfe  man  wohl 
nicht  ändern,  nachdem  auch  Demosthenes  beide  zugelassen.  Wollte 
man  bei  diesem  selbst  für  die  aufgelösten  Formen  die  zusammen- 
gezogenen herstellen,  entstünde  häufig  Hiatus;  nicht  gebraucht  werden 
die  aufgelösten  Formen  im  nom.  plur.  gen.  masc.  —  Hypereides 
wiederum  scheint  die  längern  Formen  nicht  gebraucht  zu  haben.  Bei 
Lykurg,  Aischines  und  Deinarch  erscheinen  etwa  die  gleichen  Ver- 
hältnisse wie  bei  Demosthenes. 

Derselbe  Schulze  (24)  untersucht  ziemlich  ausführlich  im 


*)  Diesem  Heft  von  Schanz  Beitr.  ist  ein  Prospekt  über  die 
HH.  1 — 13  mit  Rezensionenverz.  beigefügt. 
••)  Thalheim  ed.  O.tyn*  dfv. 
•••)  So  auch  Th. 
t)  Th.  nXdv. 


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aus  den  Jahren  1886—1904.  (Emmingen) 


0 


ersten  Kapitel  der  quaestiunculae ,  quae  fuerit  oratorum  Atticorum 
consuetudo  in  ponendis  adiedivis  verbalibus  secundis  (auf  — reo?). 
Nirgends,  am  wenigsten  aber  bei  den  älteren  Rednern,  sind  sie 
häufig  gebraucht;  merkwürdig  ist,  daß  sie  auch  von  seltneren  Verben 
gebildet  werden.  Von  allen  bei  den  or.  Att.  sich  findenden  Verbal- 
adjektiven gibt  Sch.  ein  Verzeichnis.  —  Sowohl  die  persönliche  wie 
die  anpersönliche  Konstruktion  findet  sich  bei  den  Rednern,  letztere 
jedoch  nicht  in  Plural  (wie  häufig  bei  Thukydides).  Es  werden 
sodann  sechs  Spezialfälle  untersucht:  A)  Alle  Redner  mit  Aus- 
nahme von  Lysias  und  Lykurg  lassen  hxtv  auch  aus,  tun  es  aber 
lieber  bei  der  unpersönlichen  als  bei  der  persönlichen  Konstruktion. 
B)  Andere  Formen  von  efvai  können  nicht  fehlen,  außer  wenn  das 
adi.  verb.  die  Stelle  eines  part.  vertritt.  C)  Auch  zwei  und  drei 
Verbaladj.  werden  verbunden.  D)  Gegen  Kühner  und  Krüger,  welche 
meinen ,  die  persönliche  Konstruktion  werde  dann  angewandt ,  wenn 
das  Subjekt  besonders  betont  werden  solle ,  stellt  Sch.  für  die 
attischen  Redner  acht  Fälle  auf,  in  denen  die  unpersönliche  Kon- 
struktion nötig  ist.  £)  Die  Kopula  steht  meist  nach  der  Negation 
vor  dem  adi.  verb.  F)  Die  Person ,  welche  die  im  adi.  verb.  aus- 
gedrückte Handlung  zu  tun  hat,  steht  nur  bei  besonderem  Grund, 
z.  B.  Häufung  von  Dat.,  im  Akkus.,  sonst  immer  im  Dat. 

Von  Dyroffs  (33)  Geschichte  des  Pronomen  reflexivttm  kommt 
hier  aus  der  zweiten  Abteilung  Kap.  VIII  (=  S.  38—76)  und  das 
abschließende  Kap.  X  (S.  110—186*)  in  betracht.  Die  Abhandlung 
gibt  sowohl  zur  Textkonstitution  wie  für  Echtheitsfragen  interessante 
Beobachtungen  und  Beiträge;  so  weisen  z.  B.  (S.  37)  die  Tetralogien 
von  den  zusammengerückten  Formen  des  Reflex,  im  Plur.  nicht  nur 
den  Gen.,  wie  Antiphon,  sondern  auch  den  Akkus,  auf;  und  über  die 
vierte  Rede  des  Andokides  sagt  D.  selbst  (S.  42):  „Daß  &ai>T<j>  für 
ot  und  aoTwv  einmal  für  a»kwv  steht,  dient  im  Zusammen- 

halt mit  anderen  Gründen  zur  Charakteristik  der  unechten  Rede  **)u. 
Natürlich  steht  im  Vordergrund  die  sprachgeschichtliche  Entwicklung 
des  Pronomens  innerhalb  der  Dekas  und  der  einzelnen  Redner. 

Hier  mag  das  zweite  Kapitel  von  Schulzes  (24)  quaestiunculae 
eingereiht  sein,  das  dem  Pronomen  ofo?  bezw.  oio?  ts  bei  den  att. 
Rednern  sechs  Abschnitte  widmet.    Beispielsweise  hebe  ich  davon 

*)  Besonders  S.  128,  134  f.,  139  f.,  144  f.,  147,  152  f.,  155-159,  176. 
*•)  Es    kommt  mir  bei  Zitierung  solcher  grammatischer  Arbeiten, 
namentlich  aus  der  Sammlung  von  Schanz,  vor  allem  darauf  an  auf  sie 
hinzuweisen  und  an  Beispielen  zu  zeigen,  wie  nützlich  sie  auch  für  das 
Studium  der  Redner  unter  Umständen  sein  können. 


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10 


Bericht  Uber  die  Literatur  zu  den  attischen  Rednern 


heraus:  (B)  elvai  steht  vor  der  Formel  nur  zweimal  bei  Isokrates 
(IV,  180  und  XI,  16)  und:  (F)  in  den  vielen  Fällen,  in  denen 
otfc  te  als  Adjektiv  gebraucht  wird,  steht  —  von  einigen  Fällen  bei 
Demosthenes  abgesehen  —  bei  der  persönlichen  Konstruktion  immer 
eine  Form  von  slvat  oder  Yfyvsa&at,  bei  der  unpersönlichen  nur  dann 
nicht  notwendig,  wenn  die  dritte  pers.  sing,  verlangt  ist. 

Hier  Einschlägiges  bringt  auch  das  dritte  Kapitel  von  Eckels 
(39)  Dissertation,  s.  unten  S.  12. 

Das  dritte  Kapitel  der  mehrfach  genannten  Abhandlung 
Schulzes  (24)  ist  dem  Verbum  gewidmet:  (quem  admodum  orat.- 
Attici  eÖr^xct  et  eScoxa  pluraliter  declinarint).  Die  Analogieformen 
(1.  Aor.)  sind  Eigentümlichkeit  wie  der  jüngeren  Inschriften,  so  der 
jüngeren  Redner  etwa  von  339  an,  dementsprechend  bei  Andok.  III, 
34  und  Antiph.  V,  77  die  älteren  Formen  herzustellen,  bezw.  zu 
korrigieren. 

Zu  den  Partikeln  übergehend,  erwähne  ich  zuerst  die  Dissertation 
von  Main  (32).  Sie  bringt  im  ersten  Teil  eine  vollkommene 
Statistik  der  als  Ortsadverbien  verwendeten  Eigennamen,  und  zwar 
Adverbien  mit  den  Endungen  -dev,  -8e,  -Cs ;  -aot ;  -ot,  und  Dative 
als  Lokativadverbien  (MapaÖwvt)  aus  allen  einzelnen  Rednern  und 
Reden.  Beispielsweise  sei  darauf  hingewiesen,  daß  von  den  demosthe- 
nischen  Ortsadverbien  mehr  als  78°/o  auf  die  bei  Blaß  als  unecht 
bezeichneten  Reden  entfallen.  Auf  die  nach  den  Rednern  angeordnete 
Statistik  folgt  eine  zweite,  nach  den  Ortsadverbienjangelegt.  Ein  zweiter 
Teil  gibt  die  näheren  Erläuterungen  und  Untersuchungen  zu  diesen 
statistischen  Angaben. 

In  weiterer  Ausführung  seiner  Dissertation  von  1883*)  unter- 
sucht Lutz  (18)  die  Präpositionen  bei  den  attischen  Rednern.  Ergänzt 
wird  dieses  Programm  durch  ein  folgendes  über  die  Kasusadverbien  (30). 
In  beiden  Schriften  erhalten  wir  Zusammenstellungen  und  zusammen- 
fassende Bemerkungen  über  Bedeutung,  Vorkommen  und  Gebrauch 
bei  den  einzelnen  Rednern.  Der  Schlüsse  aus  seinem  Material,  z.  B. 
auf  Charakterisierung  der  einzelnen  Redner,  enthält  sich  der  Ver- 
fasser im  allgemeinen. 

Nach  einer  Einteilung,  die  für  das  nicht  allzu  ausgedehnte  Be- 
obachtungsfeld allzusehr  nur  an  den  Stoff  herangetragen  anstatt  aus 
ihm  herausgewachsen  zu  sein  scheint,  gruppiert  Zycha(l7)  in  sehr 
sorgfältiger  Arbeit  die  Verwendungsarten  der  Präposition  irept  bei 


*)  Allgemeine  Beobachtungen  über  die  Präpositionen  bei  den  att. 
Rednern. 


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aus  den  Jahren  1886—1904.  (Emminger.,) 


11 


Thukydides,  Xenoph.,  Plato  und  bei  den  Rednern  Lysias,  Isokrates, 
Isaios,  Demosthenes. 

Den  Gebrauch  von  vno  bezvo.  ix  mit  Gen.  beim  perf.  pass.  und 
bei  entsprechenden  intransitiven  Verben  und  des  dat.  auctoris  unter- 
sucht Marchant  (23).  Die  Resultate  sind  etwa  folgende:  für 
Antiphon  und  Andokides  (Inhalt  des  ersten  Artikels):  1.  Dinge  stehen 
mit  u7tö\  2.  Bei  Personen  als  Urhebern  ist  zu  unterscheiden:  bei 
persönlichem  Subjekt  steht  gleichfalls  otto* ;  bei  unpersönlichem  Subjekt 
steht  in  26  Fällen  der  Dativ,  und  zwar  besonders  bei  den  Verben 
irpaYteiv,  Xlfeiv  und  bedeutungsähnlichen ;  nur  in  drei  Fällen  6rc6,  was 
M.  als  Zeichen  von  Emphase  auffaßt.  3.  ix  steht  identisch  mit  uiro* 
nur  bei  Antiphon ;  sonst  ist  die  Identität  nur  scheinbar,  die  Bedeutung 
von  ex  =  infolge,  entsprechend,  gemäß.  —  Ähnliche,  auf  alle  Redner 
aasgedehnte  Beobachtungen  gibt  der  zweite  Artikel. 

Die  Untersuchungen  zu  den  Konjunktionen  sind  ziemlich  aus- 
giebig*). E.  Kaiinka  (27)  behandelt  die  Kausal'  und  Konsekutiv- 
Partikeln  bei  Gorgias,  Antiphon,  (Thukyd.),  (iroXiteia  Wb^vaimv), 
Andok.,  (tituli);  vergleichsweise  werden  auch  (Herodot),  Lysias, 
Isokr. ,  Demosth. ,  (Xenoph.),  (Piaton)  herangezogen.  Aus  diesen 
Schriftstellern  bringt  K.  die  interessanten  Stellen  für  fdp  (einschl. 
Verbindungen  mit  fop  wie  d/Ai  *pcp,  xctl  fctp),  oöv  (mit  Verbindungen), 
Tot'vov  —  dies  letztere  erscheint  e  sermone  vulgari  receptum,  so  bei 
Andokides  und  in  einigen  Reden  des  Lysias  häufig,  —  5^  (auch  S^ta), 
dpa,  Toryaptoi  und  ToqapoÖv.  —  Die  Abhandlung  trifft  in  einigen 
Teilen  zusammen  mit  der  von 

Schmidt  (29),  welche  den  Gebrauch  der  Partikel  ts  und  der 
Zusammensetzungen  mit  toi  (toiyopoGv,  Toifaptoi,  xafroi,  uivcot,  xoi'vov) 
zum  Gegenstand  hat.  Antiphon,  der  schon  früher**)  eigens  nach 
dieser  Rücksicht  durchforscht  worden  war,  ist  hier  unberücksichtigt 
geblieben;  sonst  bietet  die  Dissertation  neben  geordneter  Zusammen- 
stellung der  einzelnen  Fälle,  bei  denen  auf  die  Überlieferung  Rück- 
sicht genommen  ist,  auch  gelegentlich  Vorschläge  zur  Textgestaltung 
and  Hinweis  auf  Auffälliges. 

Über  wate  handelt,  in  Ergänzung  der  von  Schwyzer  (Ber.  1904 
S.  126  f.)  mit  gebührendem  Lob  hervorgehobenen  Arbeiten  von 
W.  Berdolt,  der  Schüler  Gildersleeves  Eckels  (37  u.  39);  der  kurze 
Überblick  in  den  TrAPhA  gibt  zugleich  —  nur  in  der  Hauptsache 


*)  Keinen  Ertrag  für  die  Redner  geben  die  beiden  Aufsätze  von 
0.  Navarre,  REA  1904,  S.  77/98  und  S.  320/28. 
*♦)  1877  von  Schäfer. 


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12  Bericht  über  die  Literatur  zu  den  attischen  Rednern 

auf  Isokrates  beschränkt  —  den  Gedankengang  des  ersten  und 
Hauptteils  der  Dissertation  (36).  Eckels  verglich  den  Gebranch  von 
Äffte  bei  Isokr.  mit  dem  anderer  Redner,  die  einzelnen  Klassen  von 
Reden  des  Isokrates,  in  diesen  Klassen  wieder  die  einzelnen  Reden  und 
in  den  Reden  jeweils  wieder  die  verschiedenen  Teile.  Es  ergaben 
sich  drei  Einteilungspunkte:  der  Gebrauch  der  modi,  der  Gebrauch 
oder  das  Fehlen  des  Korrelativums  und  die  Häufigkeit  des  Vor- 
kommens im  allgemeinen.  Nach  dem  Vorkommen  der  Konjunktion 
stünden  sich  z.  B.  Lysias  und  Isokrates  und  von  Isokr.  selbst  wieder 
Euthyn.  und  Helen.  —  ganz  verschiedene  Schriftsteller  bezw.  Werke  — 
nahe ;  dagegen  gibt  ein  unseren  Erwartungen  entsprechendes  Resultat 
das  Verhältnis  der  Korrelation  zu  Äffte.  Je  einfacher  die  Rede 
ihrem  Charakter  nach,  desto  weniger  waren  natürlich  die  Korrelative 
und  umgekehrt.  Abweichende  Zahlen  innerhalb  der  einzelnen  Gruppen 
lassen  sich  erklären :  z.  B.  weist  der  Archidamos  relativ  wenig  Korr. 
auf:  die  -poffeoiroirotfo  mochte  es  so  fordero.  Der  reinsten  Gerichts- 
rede (Euthyn.),  die  für  den  Mangel  an  Korr.  das  Extrem  ist,  steht 
unter  den  Gerichtsreden  de  bigis  gegenüber  —  in  Wahrheit  ein 
Enkomion*).  —  In  Eckels  Diss.  folgt  sodann  Diskussion  und 
Gruppierung  besonderer  Fälle  des  Äffte,  als  dritter  Teil  ein  Exkurs 
über  Ausdrücke  ähnlicher  Bedeutung  wie  outtuc  fati?.  totooto?  ofo* 
usw.  (s.  oben  S.  10).  Ein  vierter  Teil  sucht  auch  die  modi  im  Satz 
mit  Äffte  nach  bestimmten  Gesichtspunkten  zu  ordnen  und  stilistisch 
zu  verwerten.  Äffte  bei  Demosthenes  bildet  den  Inhalt  des  letzten 
Abschnittes,  jedoch  mit  Beschränkung  darauf  Belege  zu  dem  bei 
anderen  Schriftstellern  Gefundenen  auch  aus  Demosthenes  beizubringen 
und  zu  eruieren,  inwieweit  der  Gebrauch  von  Äffte  zur  Entscheidung 
über  die  Echtheit  einer  Rede  mitsprechen  kann.  —  Von  besonderem 
Werte  ist  hierzu  die  Besprechung  von  Fuhr  (40).  Er  gibt  für  die 
Beobachtung  von  Gildersleeve  und  Eckels,  daß  das  stilistisch  Wichtige 
in  der  Korrelation  liegt,  die  Erklärung:  Die  alte  Sprache  reiht  einfach 
an ;  auch  Äffte  —  und  so,  itaque  ist  Anreihung ;  so  die  alten  Schrift- 
steller. Äffte  ist  aber  auch  =  wie,  dementsprechend  auch  outwe  — 
Äffte  möglich :  daun  ist  aus  der  Xe*£tc  efpope'vrj  eine  Periode  geworden. 
Der  angespannte  Geist  des  Redners  aber  liebt  es  zusammenzufassen; 
so  ist  es  erklärlich,  daß  die  Redner  die  Korrelation  besonders  lieben. 
Daß  also  der  korrel.  Gebrauch  das  Wichtige  ist,  ist  richtig,  daß  aber 


•)  Die  Demonicea  fällt  auf,  schon  durch  die  geringe  Zahl  der  Aare  gegen- 
über II:  „the  fact  perhaps  deserves  to  be  considered  in  connection  with 
the  questions  that  have  been  raised  as  to  the  genuines«  of  the  work". 


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aus  den  Jahren  1886—1904.  (Emminger.) 


Eckels  nur  die  Verhältniszahlen  zwischen  korr.  und  nichtkorr. 
Gebrauch  aufgestellt  und  daraus  Schlüsse  gezogen  hat,  ist  falsch. 
Demzufolge  gibt  Fuhrs  eigene  Darstellung  für  das  Verhalten  der 
Redner  in  dieser  Frage  ein  einigermaßen  anderes  Bild*). 


Ich  gehe  über  zur  Syntax,  zunächst  des  Nomens.  Da  die 
Redner  mitbehandelt  sind,  sei  kurz  hingewiesen  auf 

Kallenbergs  (26)  Abhandlung;  K.  stellt  als  Prinzip  für  die 
Setzung  des  Artikels  bei  den  Namen  von  Ländern,  Städten  und 
Meeren  folgendes  auf:  Die  Wörter  x^Pa  un(*  können  nicht  wie 
iroXtc,  ~OT0t}i<Sc,  opo?  erklärend  zu  jedem  beliebigen  Namen  treten, 
sondern  nur  zu  solchen,  die  als  Adjektiva  betrachtet  und  auch  von 
uns  noch  als  solche  zu  erkennen  sind.  Ausnahmen  sind  höchst  selten 
und  weisen  stets  auf  Fehler  in  der  Überlieferung  hin;  demnach  ver- 
bessert K.  z.  B.  Hypereides  III,  36**)  u.  a. 

Die  Verbindung  eines  unpersönlichen  Substantivs  als  Subjekt  mit 
Verben  der  Tätigkeit  untersucht  fürs  Griechische  —  auf  die  echten  ***) 
Werke  der  attischen  Redner  und  Thukydides  beschränkt  —  zum 
erstenmal  Radford  (38).  Er  gibt  die  Gesamtzahlen  für  die  ver- 
schiedenen Fälle  und  sucht,  soweit  möglich,  den  stilistischen  Effekt 
dieses  Gebrauchs  klarzulegen.  Dabei  unterscheidet  er  folgende  Klassen : 
Erster  Teil  (bis  jetzt  allein  erschienen):  1.  Subjekte  sind  Natur- 
gegenstände oder  -erscheinungen,  in  denen  die  Naturkraft  sich  wirkend 
zeigt  (Beispiel  Thuk.  IV  3,  1).  2.  Ausdrücke,  die  der  Sprache  einer 
bestimmten  Menschenklasse  oder  Geschäftsart  angehören  (v«5|io?  ki^ei). 
3.  Fälle,  in  denen  die  Handlung  oder  der  Zustand  von  Personen 
bewußt  unbelebten  Dingen  zugeschrieben  wird  —  eigentliche  Per- 
sonifikation. 4.  Fälle,  in  welchen  die  Rolle  einer  Person  hervor- 
stechenden Eigenschaften  derselben  beigelegt  wird  —  Periphrasis. 
Letztere  beiden  Gruppen  gehören  eng  zusammen  und  repräsentieren 
den  rhetorischen  Gebrauch  der  Erscheinung.  Der  zweite  Teil  wird 
die  übrigen  Fälle  nach  Verben  ordnen ;  er  soll  zeigen,  daß  abstrakte 
Subjekte  ganz  gewöhnlich  mit  gewissen  Klassen  von  Verben  verbunden 
werden.  —  Fuhrs  zitierte  Besprechung  in  der  BphW,  die  besonders 
den  Stilunterschied  ,  der  sich  hierbei  zwischen  den  Tetralogien  und 


*)  Die  Tetralogien,  Andokides  IV  u.  Lysias  Rede  gegen  Polystratos  (XX.) 
fallen  auf! 

**)  Mit  Cobet  streicht  er  ^  VI.,  nicht 
***)  Dabei  folgt  er  Blaß  mit  einer  Ausnahme:  den  Epitaphios  (-=  II.) 
des  Lysias  nimmt  er  mit  auf. 


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14  Bericht  über  die  Literatur  zu  den  attischen  Rednern 

den  Werken  des  Antiphon  zeigt,  hervorhebt,  ist  wiederum  besonders 
lesenswert. 

Man  wundert  sich,  daß  die  Redner  nicht  gar  häufig  von  der 
dem  Griechischen  doch  eigentümlichen  figura  etymologiea  Gebrauch 
machen;  der  Gedanke  bewog  Schulze  (21)*),  die  einzelnen  Redner 
daraufhin  durchzuarbeiten.  Als  Frucht  seines  Studiums  erhalten  wir 
zuerst  eine  Aufzählung  der  Fälle  dieser  Figur  —  nur  solcher  jedoch, 
bei  denen  Substantiv  und  Verb  vom  gleichen  Stamm  sind  —  bei  den 
einzelnen  Rednern,  zeitlich  geordnet;  daraus  die  Bestätigung  des 
allgemeinen  Eindrucks,  daß  die  Erscheinung  sich  nicht  häufig  findet ; 
am  stärksten  beteiligt  sind  Demosthenes  und  Aischines,  vermieden 
erscheint  die  figura  von  Isokrates  und  Lykurgos.  Die  Regel  der 
Grammatik,  daß  der  Begriff  des  Substantivs  ein  eingeschränkterer 
sein  müsse  als  der  des  Verbums,  wird  auch  aus  den  Rednern  be- 
stätigt gefunden. 

Der  Gebrauch  des  Vokativs  bei  den  Rednern  oder  besser  in  dm 
Ausgaben  der  Redner**),  einschließlich  der  unechten  Schriften,  die 
hier  nach  des  Verfassers  Meinung  mit  den  echten  übereinstimmen, 
ist  das  Thema  für  die  Dissertation  von  Ei  bei  (34).  In  18  Punkten 
werden  wir  unterrichtet  über  Zweck,  Vorkommen,  Art,  Stellung  des 
Vokativs  —  z.  B.  setzen  ihn  Deinarchos  und  Antiphon  nie  nach 
Toi'vov,  Isokr.  und  Isaios  nie  nach  oov  —  Wirkung  und  Ergänzung 
solcher  Anredeformeln. 

Die  historische  Syntax  der  Komparation  ist  bearbeitet  von 
Schwab  (35).  Wenn  auch  nach  seinem  Zweck  „ein  rein  chrono- 
logischer Gang  der  Untersuchung  von  Autor  zu  Autor  ausgeschlossen 
war",  sich  also  die  auf  den  Gebrauch  der  Redner  bezüglichen  Resultate 
nicht  unmittelbar  entnehmen  lassen,  so  „liefert  die  Abhandlung  doch 
auch  für  diese  Aufgabe"  allenthalben  „Beiträge". 

Im  Übergang  zur  Syntax  des  Verbums  sei  der  Aufsatz  von 
Wheeler  (28)  erwähnt,  der  statistische  Zusammenstellungen  über 
das  sogenannte  ergänzende  Partizip  bei  Tu^avstv  und  xopeiv  gibt. 

Es  fällt  auf.  daß  sich  bei  den  Rednern  nicht  viele  Imperative 
finden:  auf  einer  Seite  Teubnertext  nach  Millers  (36)  Berechnung 
im  Durchschnitt  nur  einer !  ,Zum  Ersatz  desselben  dienen  verschiedene 
Verba  (Seofiai  —  Sei,  yp^  u.  ä.),  Adverbien  mit  Potent,  (z.  B. 

*)  W.  Schneid awinds  Pirmasenser  Progr.:  Über  den  Akkus,  des 
Inhalts  bei  den  griech.  Prosaikern.  Würzburg  1886  behandelt  Thukyd , 
Plato,  Demosthenes. 

**)  (Restat  ut  profitear  me  .  .  .  .  satis  habuisse  editiones  manuversare 
et  modo  eas  allocutiones  respicere  quas  hi  commendant  editores)! 


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aus  den  Jahren  1886—1904.  (Emminger.) 


15 


«ixott'wc  av),  das  adi.  verb.  auf  -r£ov,  auch  Kondizionalsätze  (eav 
c.  coni. ,  e?  c.  opt.)  *).  Daß  der  Imperativ  aber  mit  Bewußtsein 
gemieden  wurde,  ergibt  sich  aus  den  Einschränkungen,  Milderungen, 
limitations ,  die  ihm  beigefügt  werden ,  wenn  er  einmal  verwendet 
wird.  An  Zeugen,  Schreiber  konnte  man  ja  wohl  den  bloßen  Imperat. 
richten,  nicht  aber  an  die  Personen,  vor  denen  gesprochen  wurde. 
Unterscheidet  man  drei  Fälle  des  Gebrauches  dieser  Form:  den  Imp. 
beim  Befehl,  bei  der  Ermahnung,  bei  der  Bitte,  so  fehlen  Belege  für 
die  erste  Gruppe  —  Befehl  —  eigentlich  ganz,  für  die  zweite  ver- 
langte die  Urbanität  eine  Milderung  entweder  durch  Beifügung  von 
Wörtern  wie  Mo\un  oder  durch  die  Alltäglichkeit  des  Gebrauches 
wie  in  axo7reiTe;  das  rein  epideiktische  genus  (Beisp.  Isokr.)  weist 
ganz  wenig  Imper.  auf,  mehr  die  Paränesen  (Isokr.  [I)-1II).  Auch 
in  den  symbuleutischen  Reden  ist  der  Gebrauch  beschränkt  (Beisp. 
Demosth. :  auf  100  Seiten  Teubnert.  nur  44)  ;  ziemlich  häufig  ist  er 
dagegen  in  den  gerichtlichen  Reden  und  hier  wieder  stärker  in  denen, 
die  Fälle  des  öffentlichen  Rechtes  behandeln.  —  Durch  die  Ver- 
schiedenheit der  Redegattung  wird  auch  in  erster  Linie  der  Unter- 
schied zwischen  den  einzelnen  Reden  bewirkt.  —  Verschiedenheiten 
in  den  Reden  gleicher  Art  des  gleichen  Autors  hängen  doch  noch  von 
so  vielen  Umständen  ab,  daß  eine  allgemeine  Statistik  wohl  nicht  zu 
machen  ist!  —  **) 

Zum  substantivierten  Infinitiv  verweise  ich  außer  auf  Wagner***) 
und  Gildersleeve f)  auf  die  zusammenfassende  Darstellung  von  Birk- 
lein  (20)  und  zwar  auf  die  SS.  58  —  75,  sowie  auf  den  Rückblick 
von  S.  90  an,  bes.  S.  91.  B.  nimmt  jedesmal  auf  die  Echtheits- 
fragen besondere  Rücksicht,  mit  ausgesprochenem  Resultat  allerdings 
nur  für  Pseudoisokrates  irpöc  Ar^^vtxov.  —  Für  den  bei  den  Rednern 
in  keiner  seiner  Erscheinungsarten  besonders  beliebten  formelhaften 
Infinitiv  der  Limitation  zitiere  ich  Grünenwald  (19),  der  aller- 
dings die  Redner  nicht  gesondert  behandelt;  doch  vergl.  bes.  SS.  2, 
6—9,  12,  19,  20,  28,  24,  80,  32—85. 

Die  Fragesätze,  —  um  damit  zur  Syntax  des  Satzes  über- 
zugehen — ,   untersucht  wenigstens  für  Antiphon,  Andokides ff), 


*)  Cf.  AJPh  XIII  S.  404. 

**)  Nur  Anzeige  und  Inhaltsangabe  von  Wagner  (s.  Hüttner,  Ber.  1886) 
ist  B.  L.  Gildersleeve,  the  articular  infinitive  again,  AJPh  VIII  =  1887 
S.  329—887. 

••*)  Cf.  Hüttner,  Ber.  1886  S.  12. 
t)  S.  Birklein,  S.  2.  Anm.  1. 

tt)  Andok.  IV,  als  ca.  50  v.  Chr.  entstanden,  bleibt  unberücksichtigt. 


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Itj  Bericht  über  die  Literatur  zu  den  attischen  Rednern 

'Athjvafov  woXtrefot,  Gorgias  und  dessen  Schüler,  zu  denen  er  Polos. 
Likymnios,  Agatho  und  Thrasymachos  zählt,  Polack  (15).  Die 
direkten  Fragesätze  dienen  bei  den  Rednern  in  erster  Linie  rhetorischen 
Zwecken;  dementsprechend  pflegen  im  Prooimion  keine  zu  stehen. 
Die  narratio  weist  bei  Antiphon,  mit  zwei  Ausnahmen  in  VI,  ebenfalls 
keine  Fragen ,  bei  Andok.  dagegen  ziemlich  viele  auf.    Diese  all- 
gemeine  Übersicht  des  ersten  Kapitels  ergänzt  später  das  fünfte. 
Gegenüber  der  Ansicht  von  Kaikilios  von  Kaiakte  und  Blaß  sei  doch 
auch  schon  bei  Antiphon  ein  bewußtes  Streben  zu  konstatieren,  die 
Fragesätze  rhetorisch  zu  benutzen.    Auch  hierbei  ergeben  sich  Bei- 
träge zur  Charakteristik   der  Tetralogien   und    des  gorgianischen 
Palamedes.    Für  die  Satzfragen  resultiert  entgegen  der  allgemeinen 
Regel  (z.  B.  bei  Kühner-Blaß),  daß  bei  den  untersuchten  Schrift- 
stellern die  geringere  Zahl  von  Sätzen  durch  Partikeln  eingeleitet 
wird.  —  Das  zweite  Kapitel  ist  den  Fragewörtern  (Antiphon  et 
tetralogiarum  auctor  maxime  adverbis  ttöc  favent  —  qualis  consensus 
raro  existere  solet),   das  dritte  der  Stellung  derselben  gewidmet. 
Während  Antiphon  ähnlich  wie  Gorgias  die  freiere  Stellung  —  das 
Fragewort  nicht  am  Anfang  des  Fragesatzes  —  sehr  selten  verwendet, 
gibt  es  in  den  Tetralogien  überhaupt  nur  drei  normal  gestellte  Fälle 
unter  18.    Auch  im  Gebrauch  der  tempora  und  modi  (viertes  Kap.) 
zeigen  sich  Differenzen:  optat.  mit  av  findet  sich  in  den  Tetr.  weit 
häufiger  als  bei  Antiph.,  und  während  in  den  Tetr.  optat.  aor.  über- 
wiegt, hat  bei  Antiph.  der  opt.  prajes.  das  Übergewicht.  —  Kürzer 
unterrichtet  der  zweite  Hauptteil  über  das  wichtigste  von  den  in- 
direkten Fragesätzen:  an  eine  Zusammenstellung  der  Fragewörter 
schließt  sich  eine  Erörterung  über  die  Stellung  und  zum  Schluß  über 
tempora  und  modi  in  ihnen  an. 

Aus  der  Abhandlung  von  Fuchs  (41)  über  die  Temporalsätze 
mit  „bis"  und  „solange  als"  ist  hier  das  siebente  Kapitel  S.  89  — 10^ 
einschlägig.  Es  empfiehlt  sich  die  Beiziehung  von  Fuhrs  notierter 
Besprechung  *). 

In  der  Hauptsache  eine  nach  si  und  lav ,  tempora  und  mr 
geordnete    Zusammenstellung    der  Kondizionahätee    bei  Antiphon, 
Andok.,  Lysias  bietet  Gents  ch  (25)**). 

*)  B.  L.  Gildersleeves  Aufs.:  temporal  sentences  of  limit  in  greek, 
AJPh  XXIV  4  S.  388—407  gibt  Berichtigungen  zu  Fuchs,  mit  besonderer 
Beziehung  auf  die  Redner  S.  403/5. 

**)  St.  Langdon,  history  of  the  use  of  Wv  for  <?v  in  relative  clauses, 
AJPh  XXIV  4  S.  447—451  kann  aus  den  Rednern  nur  auf  Lys.  24,  18  ver- 
weisen. 


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aus  den  Jahren  1886—1904.  (Emminger.) 


17 


Sjöstrands  (22)  Arbeit  beschränkt  sich  —  nach  Thalheims 
Rezension  —  auf  modi  und  tempora  derjenigen  Sätze,  welche  von 
tempora  der  Vergangenheit  abhängen.  Es  finden  sich  hierbei  „bei 
demselben  Schriftsteller  je  nach  dem  Gegenstand  and  der  Gelegenheit 
auffallende  Verschiedenheiten.  Im  ganzen  ist  jedoch  bemerkbar,  daß 
der  Optat.  allmählich  an  Boden  verliert,  und  daß  die  jüngeren  Redner 
tempns  und  modus  der  direkten  Rede  häutiger  beibehalten  als  die 
älteren"*). 

Die  parenthetischen  Sätze  bei  den  Rednern  untersucht  Egger  (16) 
nach  fünf  Gesichtspunkten:  1.  nach  ihrem  Vorkommen:  Antiphon  und 
Demosth.  weisen  die  meisten,  Lysias  und  Isokr.  die  wenigsten  auf; 
2.  nach  besonderen  Eigentümlichkeiten  des  Gebrauches:  so  benutzt 
Antiph.  die  P.  mit  Vorliebe  zu  „ Zwischenbegründungen M,  Lysias 
stellt  sie  gerne  unmittelbar  vor  den  Vokativ,  von  Isokr.  an  steigt 
ihr  Gebrauch  im  Nebensatz;  3.  nach  dem  Umfang:  während  die  P. 
bei  Antiph.,  Isaios  und  auch  bei  Lysias  selten  umfangreich  sind, 
findet  man  bei  Andok.  nur  ausnahmsweise  kurze  P. ;  4.  zur  Einführung 
der  P.  dient  am  häufigsten  ^ap,  bes.  bei  Demosth.,  ferner  8£,  xaf, 
apa,  dann  xa(  =  auch  (Demosth.),  ö*^  (ebenso  Demosth.)  und  o>? 
(Isaios);  5.  bei  den  Rednern  mindestens  muß  die  Par.  auch  als 
technischer  Kunstgriff  aufgefaßt  werden  zum  Zweck  der  Hervorhebung 
(so  bes.  bei  Tadel,  Lob,  Zweifel,  Anspielung,  bitteren  Bemerkungen)  **). 

Kunstprosa.  Beredsamkeit. 
1887  (ff.). 

42.  Fr.  Blaß,  die  attische  Beredsamkeit.  I.  Abteil.  Von 
Gorgias  bis  zu  Lysias,  2.  Aufl.  Leipzig  1887.  (II8  1892,  III,  1* 
1893,  III,  2 2  1898). 

1890. 

43.  P.  Wendland,  die  Tendenz  des  platonischen  Menexenos, 
v  XXV,  S.  171—195. 


*)  Beiläufig  erwähne  ich  hier  H.  Vandaele,  l'optative  grec,  essai  de 
syntax  historique.  These.  Paris  1897,  der  unter  Benutzung  des  Materials 
von  Weber  — Schanz  Beitr.  H.  5,  1885  —  namentlich  für  die  op tat i  vi  sehen 
Finalsätze  bei  den  Rednern  nützliche  Zusammenstellungen  gibt,  in  der 
Hauptsache  aber  das  Wesen  des  Optativs  zu  erkennen  sucht. 

**)  Eggers  2.  Prgr.  (81)  blieb  mir  unzugänglich.  —  Für  Demosth. 
vgl.  bes.  F.  Heerdegen  i.  d.  Festschr.  d.  Univ.  Erlangen.  Leipzig  1901  und 
die  Kontroverse  mit  Fuhr,  BphW  1902,  Sp.  417  u.  606,  cf.  unten  bei  Demosth. 

Jahresbericht  für  Altertunwwiswtuchatt.   Bd.  CXXX1II.    (1907.   I.)  2 


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18  Bericht  über  die  Literatur  zu  den  attischen  Rednern 

1891. 

44.  G.  Roberti,  la  eloquenza  greca.  Vol.  I.  Pericle,  Lisia, 
Isocrate.  Turin  1891.  [Vol.  II  Eschine,  Demostene.  Palenno  1895.) 

45.  *  J.  Chaillet,  de  orationibus,  quae  Athenis  in  funeribus 
publicis  habebantur.    Diss.  Leyden. 

1893. 

46.  *  R.  C.  Jebb,  the  Attic  orators  from  Antiphon  to  Isaeus. 
2.  ed.,  2  volums.  London. 

1896. 

47.  *  L.  L  e  a  r  s ,  the  history  of  oratory  from  the  ages  of  Pericles 
to  the  present  time.  Chicago. 

48.  *  H.  Hardwicke,  a  history  of  oratory  and  orators ;  a  study 
of  the  influence  of  oratory  on  politics  and  literature.  New- York 
and  London. 

49.  Fr.  W.  Müller,  über  die  Beredsamkeit  mit  besonderer 
Beziehung  auf  das  klassische  Altertum.  Regensburg. 

1897. 

50.  L.  Kadermacher,  Studien  zur  Geschichte  der  griech. 
Rhetorik.  RnMPh  N.F.  LH  (S.  412—424);  hier  I.  Timaeus  und 
die  Überlieferung  über  den  Ursprung  der  Rhetorik,  S.  412 — 419. 

1898. 

51.  £.  Norden,  die  antike  Kunstprosa  vom  6.  Jahrh.  v.  Chr. 
bis  in  die  Zeit  der  Renaiss.    2  Bände.  — 

[Rex.  z.  B.:  von  Schund,  8.  unten  Nr.  58.] 

52.  H.  Peter,  Rhetorik  und  Poesie  im  klassischen  Altertum. 
NJklA  I  =  1898  1.  Abteil.,  S.  687—654. 

1899. 

53.  W.  S  c  h  m  i  d ,  Besprech.  v.  Norden  AK.  BphW  XIX  =  1899, 
Sp.  225—239. 

1900. 

54.  0.  Navarre,  essai  sur  la  rhötorique  grecque  avant  Aristote. 
These.   Paris.  — 

[Bez.:  BphW  XXIII  =  1908,  Sp.  1510,  Radermacher.] 

1901. 

55.  R.  Nitzsche,  über  die  griech.  Grabreden  der  klassischen 
Zeit.    I.  Teil.    Prgr.  Altenburg. 

56.  E.  Drerup,  die  Anfänge  der  rhetor.  Kunstprosa,  in: 
„Untersuchungen  zur  älteren  griech.  Prosaliteratur.    Festschr.  für 


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aus  den  Jahren  1886—1904.  (Emmingen) 


19 


Christ.44    (Erster  Teil:  Theodoras  von  Byzanz).    Leipzig  (1901)  — 
Jahrb.  f.  class.  Philol.    Suppl.  Bd.  XXVII,  S.  219—351.  — 
[Rez.  z.  B.:  BphW  XXIII  =  1903,  Sp.  97  ff.,  Schwartz-1 

1902. 

57.  T.  C.  Burgeß,  epideictic  literature.  Studies  in  class.  philol. 
III,  S.  89—261,  Chicago.  — 

IRez.  z.  B.:  BphW  XXIII  =  1903,  Sp.  1539,  Lehnert.J 

Als  die  drei  wesentlichsten  Charakteristika  der  antiken  Kunstprosa 
stellt  Norden  (51),  über  dessen  bekanntes  Werk  ich  mich  hier  kurz 
fassen  kann,  folgende  auf:  die  gorgianischen  Redefiguren,  die  Aus- 
stattung mit  poetischen  Wörtern,  den  Rhythmus.  Er  verfolgt  den  Ur- 
sprung dieser  Postulate  und  leitet  dabei  die  ersten  beiden,  wenigstens 
über  Gorgias,  auf  heraklitische  Einflüsse  zurück.  Die  Einführung 
rhythmischer,  d.  i.  periodisierter  Prosa  schreibt  er  nach  alten 
Zeugnissen  dem  Thrasymachos  zu  und  untersucht  nun  nach  der  Er- 
füllung dieser  Forderungen  —  im  alten,  neuen  und  Vermittlüngsstil  — 
Blüte  und  Verfall  der  antiken  Beredsamkeit  in  ihrer  Gesamtheit  bis 
zur  Renaissance.  Anhänge  handeln  I.  Uber  die  Geschichte  des 
Reimes  —  er  ist  aus  dem  Homoioteleuton  hervorgegangen  — ; 
II.  über  die  Geschichte  des  rhythmischen  Satzschlusses  (in  ihm  ruht 
hauptsächlich  der  Rhythmus). 

Eine  sehr  eingehende  und  nützliche  Besprechung  dieses  Werkes 
besitzen  wir  von  W.  Schmid  (53).  Nordens  Definition  der  Kunst- 
prosa erscheint  ihm  zwar  zu  eng,  doch  gibt  N.  „tatsächlich  eine 
Übersicht  über  den  Gebrauch  jener  uralten  volkstümlichen  .  .  . 
Mittel,  welche  als  echte  Sophisten  Gorgias  und  Thrasymachos  aus 
der  kunstloseren  populären  Verwendung  bezw.  aus  der  Kunstpoesie 
aufgenommen  und  mit  Bewußtsein  in  den  Dienst  der  sophistischen 
Überredungskunst  gestellt  haben".  Nur  schade,  daß  „der  technische 
Zusammenhang  von  Gorgias  bis  Guevara  und  Marini"  eine  unüber- 
brückte  Lücke  hat! 

Ergänzend  schließt  sich  an  Norden  Peter  (52)  an ;  er  will  das 
Verhältnis  der  Literaturgattungen  —  Poesie  und  Prosa  -  zueinander 
untersuchen.  Er  meint,  man  solle  für  die  antike  Zeit  den  einen  Teil 
der  Prosa,  die  kunstmäßige,  oratio,  mit  der  Poesie  in  unmittelbare 
Verbindung  bringen  und  den  sermo,  die  kunstlose  Prosa,  etwa  der 
Geschichte  der  Wissenschaften  zuteilen.  Für  den  vollen  Begriff  der 
Kunstprosa  nun  vermißt  er  bei  Norden  vor  allem  noch  als  Postulate 
die  Kunst  der  Gestaltung  und  Gliederung  des  Stoffes  sowie  die  kunst- 
gemäße Verbindung  der  einzelnen  Teile,  so  daß  Norden  von  der  K.P. 
nur  das  verlangt,  was  von  der  Poesie  die  Metrik,  nicht  aber  was 

2* 


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20 


Bericht  über  die  Literatur  zu  den  attischen  Rednern 


die  Poetik  fordert.  Jedenfalls  hat  aber  auch  nach  seinem  Urteil 
Norden  „zuerst  die  Entwicklung  des  dem  modernen  Gefühl  am  fernsten 
stehenden  Teiles  der  antiken  Formgebung  kunstmäßiger  Prosa  .  .  . 
verfolgt".  IsokrateB  hat  des  Gorgias  Spielen  mit  dichterischen  Mitteln 
zur  bewußten  Kunst  ausgebildet.  Seine  Absicht  war,  den  Hörern 
ästhetischen  Genuß  zu  bereiten.  Seine  Rhetorik  stellte  (XIII,  16) 
drei  Aufgaben  :  1.  angemessene  Ausschmückung  der  Rede  (poetische 
Steigerung  des  Ausdruckes  und  gorgianische  Figuren :  —  1.  u.  2.  Postulat 
Nordens);  2.  rhythmische,  3.  musikalische  Gestaltung  der  Rede.  Er 
streifte  also  das  Metrum  der  Poesie  ab  und  behielt  nur  den  Rhythmus; 
„dieser  war  bedingt  durch  die  Periode,  deren  Ausdehnung  in  den 
Gedanken  und  im  Atem  ihre  Grenze  fand ;  in  ihrem  Aufbau  aus  den 
einzelnen  Gliedern,  die,  wie  sie  erst  durch  die  Einfügung  in  die 
ganze  Reihe  ihre  volle  Bedeutung  erhielten,  so  durch  ihr  Zahlen- 
und  Größenverhältnis  zueinander  und  durch  die  zwischen  ihnen  zu 
machenden  Pausen  den  Wohlklang  hervorbrachten,  zeigte  sich  der 
eine  Teil  der  Kunst  des  Redemeisters;  der  andere  bestand  in  dem 
rhythmischen  Tonfall  der  einzelnen  Glieder  zu  Anfang  und  besonders 
am  Schluß".  Wie  wurde  die  Forderung  des  u.ouaixä>?  staeiv  erfüllt? 
Hauptsächlich  durch  Vermeidung  des  Hiat,  der  ^aXivot,  durch  Be- 
nutzung schöner  Wörter,  durch  den  Tonfall  (Akzent)  des  Vortrages.  — 
Die  weiteren  Ausführungen  Peters  geben  zu  dieser  Gedankenreihe 
(was  hat  die  Rhetorik  von  der  Poesie?)  das  Gegenstück  (Wirkung 
der  Rhetorik  auf  die  Poesie)  und  schließlich  Betrachtungen  über  die 
Annäherung  beider,  auch  dem  Inhalt  nach,  in  der  Römerzeit. 

Den  Anfängen  der  rhetorischen  Kunstprosa  widmet  E.  Drerup  (56) 
seine  Untersuchungen.  Er  will  über  die  „Betrachtung  schriftstellerischer 
Eigentümlichkeiten"  des  einzelnen  Autors  und  dessen  stilistische  Ana- 
lyse „zu  genetischen  Entwicklungsreihen  in  der  Abfolge  der  Schrift- 
steller und  Zeitalter  gelangen",  durch  „historische  Betrachtungsweise 
über  die  im  Altertum  gewonnene  Erkenntnis  hinausführen".  Dem- 
entsprechend ist  sein  Streben  „die  Gesamtheit  der  Erscheinungen 
mit  kritischem  Blick  umfassend,  das  Einzelfaktum  historisch  zu  be- 
greifen und  in  seiner  allgemeinen  Bedeutung  zu  würdigen".  Die 
beiden  Stilrichtungen,  „deren  Kampf  miteinander  in  der  späteren 
Zeit"  Norden  (in  dem  eben  genannten  Buche)  „uns  vor  Augen  ge- 
stellt hat",  führt  er  in  die  ältere  Sophistik  hinauf,  da  „die  Begründung 
der  attischen  Kunstprosa  zur  Sophistenzeit  nur  in  dem  Kampf  dieser 
beiden  um  die  Herrschaft  ringenden  Stilarten  begriffen  werden  kann,  des 
periodisch-rhythmischen  Stiles  des  Thrasymachos  von  Chalkedon  und 
des  poetisierenden  Antithesenstiles  des  Gorgias  von  Leontinoi".  Die 


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aus  den  Jahren  1886—1904.  (Emmingen) 


21 


antiken  Kunsturteile  nur  zum  Vergleich  heranziehend,  „zergliedert 
er  nach  den  Gesichtspunkten  Dialekt,  Wortwahl,  Wortzusammen- 
setzung, Verwendung  der  gorgianischen  Figuren,  Verwendung  der 
belebenden  Wort-  und  Sinnfiguren  die  Schriften  der  ältesten  Rhetoren". 

Nur  nennen  will  ich  hier  die  Neuauflage  von  Volkmanns 
Griech.  Rhetorik  (Leipzig  1885),  ferner  A.  Ed.  Chaignet,  la 
rhltorique  et  son  histoire  (Paris  1888),  welche  beide  die  Rhetorik 
in  erster  Linie  systematisch,  nach  ihrer  Gestalt  in  einem  gewissen 
Zeitpunkt,  darstellen.  Im  Gegensatz  zu  ihnen,  vielmehr  im  Anschluß 
an  Spengels  tJovaYorpj  xeyvwv,  versucht  Oct.  Navarre  (54)  die 
fortschreitende  Entwicklung  dieser  Kunst  zu  verfolgen,  jedoch  nur 
bis  Aristoteles.  Über  Spengel  hinausgehend  erschließt  er  außer  den 
Fragmenten  der  voraristotelischen  Techne  und  den  ältesten  Zeugnissen 
über  diese  Rhetoren  zwei  neue  Quellen:  die  attischen  Redner  und 
die  nacharistotelische  Rhetorik.  Für  die  Benutzung  der  ersteren 
liegt  die  Berechtigung  in  dem  Umstand,  „daß  die  bedeutendsten 
Redner  Athens  —  Antiph. ,  Lysias ,  Isokr. ,  Isaios ,  vielleicht  auch 
Demosth.  —  auch  Lehrer  der  Rhetorik  waren".  Indem  N.  also  aus 
der  Praxis  die  Theorie  rekonstruiert,  sucht  er  in  großen  Zügen  die 
Rhetorik  des  Gorgias,  Antiphon,  Isokrates  wiederherzustellen.  — 
Das  Buch  umfaßt  zwei  Teile:  der  erste  zeichnet  die  Entwicklung 
hauptsächlich  der  gerichtlichen  Rhetorik  oder  vielmehr  einzelner 
wesentlichen  Phasen  dieser  Geschichte,  die  sich  an  die  Namen  Korax, 
Protagoras,  Gorgias,  Antiphon,  Isokrates  anschließen*);  der  zweite 
Teil  rekonstruiert  hypothetisch  eine  Rhetorik  des  vierten  Jahr- 
hunderts. —  Immerhin  bleibt  der  Satz  bestehen:  „die  wichtigsten 
Quellen  für  unsere  Kenntnis  der  Anfänge  der  griechischen  Kunst- 
beredsamkeit sind  Nachrichten,  die  in  letzter  Linie  auf  Aristoteles 
zurückgehen":  so  L.  Radermacher  (50).  Dieser  weist  aber  auch 
auf  rhetorische  Scholien  bei  Walz  hin,  deren  Inhalt  sich  nicht  mit 
der  Überlieferung  des  Aristoteles  deckt.  Durch  Vergleichung  mit 
Quintilian  und  Sextus  Emp.  ergibt  sich  ihm  als  Quelle  dafür  ein 
Buch,  „das  wahrscheinlich  vom  stoischen  Standpunkt  aus  geschrieben 
war  und  die  verschiedenen  Definitionen  der  Rhetorik  kritisch  be- 
leuchtete; in  letzter  Linie  gehen  sie  auf  Timaios,  den  Geschicht- 
schreiber Siziliens,  zurück". 


*)  Thrasymachos  fehlt,  obwohl  Navarre  zugibt,  daß  er  vielleicht 
auch  unter  die  töprcaf,  nicht  unter  die  bloßen  ^eturrat  (nach  Dion.  Hai.) 
gehört». 


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22  Bericht  über  die  Literatur  zu  den  attischen  Rednern 

Wissenschaftlich  ohne  jeden  Nutzen  ist  F.  W.  Müllers  (49) 
(Dr.  med.)  Stellensammlung  „über  die  Beredsamkeit  mit  besonderer 
Beziehung  auf  das  klassische  Altertum." 

Von  den  Darstellungen  der  attischen  Beredsamkeit  steht  unüber- 
troffen voran  die  von  Fr.  Blaß  (42).  In  der  Berichtszeit  ist  die 
neue,  zweite  Auflage  erschienen.  Eine  Skizzierung  des  Inhaltes  kann 
bei  dem  Werke,  das  ohnehin  jeder  zur  Hand  hat,  der  sich  mit  den 
attischen  Rednern  eingehender  beschäftigt,  füglich  unterbleiben.  Der 
Hauptinhalt  der  einzelnen  Bände  ist  aus  den  Untertiteln  ersichtlich. 
Hingewiesen  sei  aber  auf  die  zuweilen  übersehenen  „Nachträge"  zu 
Abt.  I,  II,  III.  1,  die  der  Abt.  III,  2  von  S.  856  an  beigegeben 
sind.  —  Für  England  spielt  eine  ähnliche  Rolle  das  allerdings  nur 
bis  Isaios  reichende  Buch  von 

Jebh  (46).  Auch  von  ihm  ist  (1893)  eine  zweite  Auflage 
herausgekommen,  die  sich  jedoch  nach  Keelhoofs  Anzeige  (RPh  XIX  == 
1895,  S.  83)  auffallend  wenig  von  der  ersten  unterscheidet.  (Mir 
blieb  diese  zweite  Auflage  unzugänglich.) 

Von  Hardwicke*)  (48)  und  L e a r s  (47)  kann  ich  nicht  mehr 
als  die  Namen  geben. 

Anderer  Art  ist  die  „griechische  Beredsamkeit"  des  Italieners 
Roberti  (44).  Sie  beabsichtigt  nur  den  einen  oder  anderen  zum 
Studium  der  Redner  aufzumuntern  oder  Leuten,  die  das  Griechische 
nicht  genügend  beherrschen,  einen  Einblick  zu  geben.  Dementsprechend 
bietet  das  Buch  für  die  im  Titel  genannten  Autoren  jeweils  Lebens- 
beschreibung, Inhaltsangabe  einzelner  Reden,  Übersetzung  der  Rede 
und  Noten  dazu.  Hierfür  sind  ausgewählt:  Periklcs  Epitaph,  (b.  Thuk.) ; 
Lysias  I,  XII,  XIII;  Isokr.  VII,  IV;  Aisch.  III;  Demosth.  IV,  VI, 
IX,  XVIII. 

Von  einem  Zweig  der  rednerischen  Kunstprosa,  der  epideiktischen 
Beredsamkeit,  versucht  Burgeß  (57)  die  Geschichte  zu  zeichnen. 
Nach  Lehnerts  Rez.  ist  der  Inhalt  etwa  der  folgende:  Bedeutung 
von  epideiktisch  und  &7rt8sixvo}xt  namentlich  bei  Isokrates;  allgemeine 
Übersicht;  die  Theorie,  mit  Anaximenes  und  Aristoteles  beginnend 
(statt  mit  Gorgias  und  Isokrates,  wie  Lehnert  richtig  hervorhebt); 
die  Haupttypen  reichen  schon  bis  in  die  erste  Zeit  der  Gattung 
zurück ;  epideiktische  Literatur  und  Poesie ;  Epideixis  und  Geschicht- 
schreibung (kannte  der  Verfasser  H.Peters  „geschichtl.  Literatur"  **)?); 

*)  Von  Haeberlin,  Ber.  1900,  8.  265,  als  oberflächlich  und  unselbständig 
bezeichnet. 

•*)  Geschichtliche  Literatur  über  die  rem.  Kaiserzeit  bis  Theodosios  I. 
und  ihre  Quellen.    Zwei  Bände.   Leipzig  1897. 


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aus  den  Jahren  1886—1904.  (Emminger.) 


23 


die  epideik tischen  Elemente  in  der  Philosophie.  —  Gerade  auf  den 
von  Bürge  ß  verkannten  Anfang  der  epideiktischen  Beredsamkeit  fällt 
ein  bedeutsames  Licht  durch  die  Untersuchungen  von 

Wendland  (43):  der  Menexenos,  dieser  ironische  Epitaphios 
Piatons,  ist  nach  Form,  Disposition  und  Inhalt  an  Gorgias'  Muster 
angelehnt.  „So  läßt  sich  der  Menexenos  verwerten,  um  eine  ungefähre 
Vorstellung  von  dem  Stoff  sich  zu  bilden,  den  die  ältere  Epideiktik 
in  den  Kreis  ihrer  Betrachtungen  gezogen  hat."  Diese  einzelnen 
Gedanken  nimmt  W.  heraus  und  verfolgt  sie  durch  die  zeitlich  näher- 
stehende, namentlich  epideiktische  Literatur.  (Original  erscheint 
Piaton  in  der  Schilderung  der  Ereignisse  nach  dem  antalkidischen 
Frieden,  „weil  für  die  Geschichte  der  nächsten  Vergangenheit  noch 
keine  stereotypen  rhetorischen  Formen  ausgeprägt  waren" ;  als  Zeit 
der  Abfassung  wird  387 — 380  erschlossen.)  Der  Aufsatz  selbst 
könnte  als  Vorarbeit  zur  Geschichte  der  Epitaphien  oder  weiterhin 
der  epideiktischen  Reden,  ihrer  Gedanken  und  deren  Ausfuhrung 
gelten.  —  Das  hier  sich  anschließende  Programm  von  Nitz  sehe  (55) 
wird  unter  Lysias  wieder  erwähnt  werden*). 

• 

Einzelne  Eunstmittel. 
1893. 

58.  J.  C.  Robertson,  the  Gorgianic  figures  in  early  greek 
prose.    Diss.  Johns  Hopkins  Univ.  Baltimore. 

1896. 

59.  A.  Roschatt,  die  synonymen  Verbindungen  bei  den 
attischen  Rednern.    Prgr.  Freising  i.  B. 

1899. 

60.  E.  Henrich,  die  sogenannte  polare  Ausdrucksweise  im 
Griechischen.    Prgr.  Neustadt  a.  H. 

61.  L.  Previtera,  de  numero  sive  clausula  sive  struetura 
sive  cursu.    Syracusis.  — 

[Rez.:  Boßel  VII  =  1900/1,  p.  126,  RaBi.  -  BphW  XXIV  =  1904, 
,Sp.  1550,  Kroll.] 

62.  W.  Crönert,  über  rhythmische  und  akzentuierte  Satz- 
schlüsse der  griech.  Prosa  in  ihren  Wechselbeziehungen,  in  VVDPh  (45). 
(Leipzig  1900),  S.  66. 


*)  Unzugänglich  sind  mir  geblieben  Chaillets  (46)  Diss.  über  die 
athen.  Grabreden  und  Fr.  Schmidt,  die  epideiktischen  Reden  der  alten 
Athener,  Zeitschr.  rar  allgem.  Geschichte,  Nr.  8,  Jahrgang? 


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24 


Bericht  über  die  Literatur  zu  den  attischen  Rednern 


1900. 

63.  Fr.  Blaß,  der  Rhythmus  bei  den  attischen  Rednern. 
NJklA  V  =  1900,  1.  Abt.,  S.  416—431.  Cf.  Lehnert,  Ber.  1905 
Nr.  69,  S.  108. 

64.  U.  v.  W  i  1  a  m  o  w  i  t  z  -  Moellendorff,  Asianismus  n.  Attizismns. 
H.  XXXV  S.  1.    Cf.  Lehnert,  Ber.  1905  Nr.  34,  S.  89. 

1901. 

65.  *  J.  Werner,  über  die  Alliteration  in  der  ältesten  griech. 
Kunstprosa.    Prgr.  Lundenburg. 

66.  Fr.  Blaß,  die  Rhythmen  der  attischen  Kunstprosa:  Iso- 
krates,  Demosthenes,  Piaton.    Leipzig  — 

[Rez. :  BphW  1902,  Sp.  1845,  Ammon.  —  LC  1902,  Sp.  804,  0.  J.  — 
ZöGy  1903,  S.  203,  Schenkt.] 

1902. 

67.  Fr.  Blaß,  in:  Album  gratulatorium  in  honorem  Henrici 
van  Herwerden  etc.    Utrecht.    Hier  p.  22—31. 

1903. 

68.  E.  Kemme r,  die  polare  Ausdrucksweise  in  der  griech. 
Literatur  (als  Dissert.  Wilrzburg  1900)  =  Schanz  Beitr.  H.  15. 

69.  H.  Bornecque,  wie  soll  man  die  metrischen  Klauseln 
studieren?    RhMPh  NF.  LVIII,  S.  371—881. 

70.  L.  Previtera,  il  metodo  statistico  nelle  nuove  ricerche 
della  prosa  metrica  Latina  e  Greca.    Giarre.  — 

iRez.:  BphW  XXIV  —  1904,  Sp.  1550,  Kroll.] 

71.  J.  Bruns,  das  literarische  Porträt  der  Griech.  im  fünften 
und  vierten  Jahrh.  v.  Chr.  Berlin  1896.  Cf.  Lehnert,  Ber.  1905, 
Nr.  16,  S.  90. 

72.  Fr.  Leo,  die  griech.-röm.  Biographie  nach  ihrer  literar. 
Form.    Leipzig  1901. 

Blaß  hatte  früher  schon  auf  die  Beobachtung  des  Rhythmus  großen 
Wert  gelegt;  einzelne  Redner  waren  nach  dieser  Rücksicht  untersucht  u.  a. 
von  C.  Josephy*),  Blaß,  Adams,  Wichmann,  J.  May.  Die  Aufstellungen 
von  Blaß  in  der  A.B2.  haben  dann  eine  Diskussion  zwischen  Drerup**; 

*)  Der  orator.  Numerus  bei  Isokr.  und  Demosth.  Zürich  1887;  zur 
Literatur  vgl.  außerdem  die  Besprach.  Ammons  zu  Blaß,  Rhythmen:  BphW 
XXII  -=  1902,  Sp.  1346,  des  Gleichen  Ber.  CV  =  1900,  II,  S.  244  ff.,  zu  May 
vgl.  Lehnert,  Ber.  1905,  Nr.  58,  S.  103. 
**)  BphW  XIX  =  1899,  Sp.  1-10. 


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aus  den  Jahren  1886—1904.  (EmmiDger.) 


25 


und  Thalheim*)  einerseits,  Blaß  (63)  anderseits  hervorgerufen: 
hierüber  berichtet  Lehnert,  Ber.  1905  zu  den  Nr.  45,  67,  69, 
S.  103  f. 

Durch  Norden  (51)  war  inzwischen  die  Frage  noch  brennender 
geworden.  Auf  der  45.  Versammlung  deutscher  Philol.  und  Schulm. 
schloß  sich  an  einen  Vortrag  von  W.  Crönert  (62),  der  an  und 
für  sich  nicht  hier  einschlägt,  ein  Meinungsaustausch,  in  dem  „Direktor 
May  betonte,  daß  man  den  Rhythmus  nicht  nur  am  Schluß  einer 
Periode,  sondern  auch  in  deren  Innerem  suchen  müsse  (wie  für  Cicero 
namentlich  eine  genaue  Untersuchung  des  Orators  beweise).  Gegen 
ihn  wandten  sich  die  Herren  Skutsch- Breslau ,  Schwartz-Straß- 
liurg  und  Stahl-Münster,  die  sich  auf  den  Standpunkt  E.  Nordens 
stellen,  der  den  Rhythmus  nur  am  Ende  des  Satzes  annimmt  und 
die  rhythmische  Gestaltung  des  Satzinnern  verwirft"  —  so  nach  dem 
Bericht. 

Im  Anschluß  an  Norden  verweise  ich  zunächst  wieder  auf 
Peter  (52). 

Zu  gleicher  Zeit  etwa  hat  ein  Italiener ,  Previtera  (61)  ein, 
wie  es  scheint,  dem  unklaren  Titel  entsprechendes  Büchlein  erscheinen 
lassen :  er  scheint  (cf.  Rasi  und  Kroll)  den  Rhythmus  nicht  in  den 
Klauseln,  sondern  im  Ganzen,  in  cursu,  zu  finden.  Doch  blieb  der 
Aufsatz  ohne  weitere  Wirkung  bei  uns. 

Wilamowitz  (64)  brachte  seine  von  Norden  und  Blaß 
differierende  Meinung  in  einem  Aufsatz  des  Hermes  zum  Ausdruck, 
s.  darüber  Lehnert  Ber.  1905  S.  135. 

Drerup  (56)  nahm  zur  Rhythmusfrage  neuerdings  Stellung  in 
den  „Untersuchungen"  bes.  S.  233—250,  262,  272. 

Sein  gegenwärtig  letztes  Urteil  gab  dann  Blaß  (66,  67)**)  in  der 
Untersuchung  über  die  Rhythmen  bei  Isokrates,  Demosthenes,  Piaton 
(und  im  Hermes  XXXVI  ==  1901  S.  580  ff.).  Nach  der  Einleitung 
über  die  antike  Theorie  des  Rhythmus,  besonders  der  Prosa,  folgen 
hier  rhythmische  Analysen  von  je  drei  Stücken  der  genannten  drei 
Schriftsteller,  woraus  die  neue  Theorie  abgeleitet  wird ;  Betrachtungen 
über  Responsion,  Rhythmusgliedmessung  und  Lizenzen,  die  einzelnen 
Rhythmusglieder  und  ihre  Entsprechung.  Der  Rhythmus  basiert  nach 
Blaß  auf  den  Entsprechungen  von  Wortkomplexen,  die  mit  Perioden 
und  Kolen  nicht  zusammenfallen,  auch  nicht  in  unmittelbarer  Folge 


*)  Der  Rh.  bei  Lykurg.  Hirschberg  1900  =  Lehnert,  Ber.  1905,  Nr.  67. 
*•)  Vgl.  jetzt  noch :  Blaß,  d.  Rhythmen  d.  asian.  u.  röm.  K.P.  1905  S.  1—9. 


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26 


Bericht  über  die  Literatur  zu  den  attischen  Rednern 


einander  respondieren  müssen,  sondern  durch  andere  Entsprechungen 
oder  Responsionsglieder  getrennt  sein  können,  die  auch  nicht  so  fest 
geschlossen  sind,  daß  nicht  Schlüsse  der  Glieder  einer  Responsion  Anfang 
oder  Teile  einer  anderen  Responsion  sein  könnten.  Diese  seine  Ent- 
deckung glaubt  Blaß  in  Übereinstimmung  mit  den  antiken  Nachrichten, 
da  seit  dem  Aufkommen  der  „asianischen"  Beredsamkeit  das  richtige 
Verständnis  für  Rhythmik  verloren  war.  Die  Textkritik  soll  an  den 
Beobachtungen  über  den  Rhythmus  eine  Stütze  haben. 

Neben  der  genannten  Besprechung  von  Ammon  sind  für  uns 
von  besonderem  Interesse  die  von  0.  I(mmisch)  und  II.  Sehen  kl. 
0.  I.  betont  gegenüber  Blaß's  Hauptlehre,  der  Rhythmus  liege  in 
Responsion :  der  Rhythmus  liegt  schon  in  der  Zeile  selbst.  „Wenn 
die  Reihe  a  nicht  schon  an  sich  Rhythmus  hat,  dann  empfindet  der 
Hörer  günstigenfalls  erst  nach  Ablauf  der  Reihe  a  die  rhythmische 
Wirkung  —  und  wenn  gar  zwischen  a  und  a  noch  bb'  .  .  .  sich 
einschiebt,  .  .  .  welches  Ohr  soll  dann  noch  a  als  Komplement  zu  a 
zu  erkennen  vermögen."  *).  Gegenüber  der  Abgrenzung  der  Rhythmus- 
glieder ohne  jede  Rücksicht  auf  Sutzgliederung  bleibt  0.  J.  dabei, 
Cicero  habe  den  Aristoteles  richtiger  interpretiert  als  Blaß.  Die 
Prosodie  vollends  habe  zu  viel  Willkürlichkeiten.  —  Schenkl  be- 
zeichnet als  schwächsten  Tunkt  in  Blaß'  Abhandlung  den  über  die 
Techne  des  Altertums.  Bl.  tue  den  Zeugnissen  Gewalt  an,  um  sie 
passend  zu  machen. 

Ich  erwähne  noch,  weil  schwer  zu  finden,  die  Verteidigung 
Blaß''  gegen  Diels  in  der  Festschrift  für  Herwerden  (1902).  Sein 
Grundsatz  für  die  Verwertung  des  Rhythmus  für  die  Textgestaltung 

ist  hiernach  der:  „rhythmi  saepe  monstrant  quid  verum  esse 

non  possit,  rursusque  quid  possit.  Quid  verum  sit  nunquam  per  se 
monstrant,  sed  id  ut  fiat  Semper  aliquid  ad  rhythmorum  testimonium 
accedat  oportet,  vel  librorum  tides  vel  ratio".  Vgl.  Kroll  BphW  1903, 139. 

Über  eine  besondere  Theorie  von  den  rhythmischen  Klauseln,  die 
im  Gegensatz  zu  Norden  —  Skutsch  —  Wolff  eine  (  wenn  ich  so  sagen 
darf)  französische  Schule**):  (Wuest)  —  Havet  —  Bornecque 


*)  Freilich  behauptet  Blaß  —  etwas  Richtiges  liegt  dem  unzweifelhaft 
zugrunde  —  der  Rhythmus  solle  in  der  Regel  nicht  gesehen  oder  „gemerkt" 
werden,  sondern  es  solle  nur  gefühlt  werden,  daß  überhaupt  Rhythmus 
vorhanden  ist.  Aber  wie  steht  es  dann  mit  der  bewußten  Kunst  des 
Rhythmus,  ist  ein  Nachweis  derselben  überhaupt  möglich? 

**)  Cf.  auch  H.  Weil,  (Hudes  de  litte>ature  et  de  rhythmique  grecque. 
Textes  litte'raires  sur  papyrus  et  sur  pierre.  Rhythmique.  Paris  1902, 
namentlich  zweiter  Teil,  Nr.  2,  3,  7. 


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aus  den  Jahren  1886—1904.  (Emmingen) 


27 


aufstellt,  orientiert  der  letztgenannte  (69):  die  Franzosen  achten  auf 
die  metrische  Form  des  Schlußwortes  und  auf  den  Einfluß,  den  es 
auf  die  vorhergehenden  Wörter  ausübt.  Nicht  einmal  beim  gleichen 
Schriftsteller,  noch  weniger  bei  verschiedenen  Autoren  sind  die  an- 
gewandten Gesetze  die  gleichen.  Die  nämlichen  Verbindungen  von 
Längen  und  Kürzen  können  metrisch  sein  oder  nicht  je  nach  der 
Verteilung  der  einzelnen  Silben  auf  die  Wörter.  „Man  kann  sagen, 
daß  die  Klauseln  eines  Schriftstellers  in  einem  bestimmten  Werk 
metrisch  sind,  wenn  er  vor  den  Schlußwörtern  mit  gleicher  metrischer 
Form  solche  Wörter  oder  Wortgruppen  annimmt,  welche  bestimmte 
Füße  bilden  und  fast  ausnahmslos  alle  anderen  ausschließt."  Freilich 
bezieht  sich  das  alles  in  erster  Linie  auf  das  Lateinische,  ebenso  auch 

Previteras  (70)  zweite  Abhandlung,  die  sich  gegen  Bornecques 
Rezension  und  gegen  Wolff  wendet. 

Ich  denke,  in  der  Hauptfrage,  wo  der  Rhythmus  zu  suchen  ist, 
kann  man  im  wesentlichen  vier,  nicht  unvermittelt  aneinanderstoßende 
Meinungen  unterscheiden;  je  zwei  davon  stehen  sich  näher.  A.  Blaß 
findet  den  Rhythmus  im  Innern  des  Satzes  in  der  Entsprechung 
von  Rhythmusgliedern.  (Ihm  steht  vielleicht  nahe  Previtera.) 
B.  Drerup  sieht  den  Rhythmus  gleichfalls  im  Lauf  des  Ganzen,  im 
rhythmischen  Fluß  des  einzelnen  Kolons,  nicht  in  Entsprechungen! 
Ihm  glaube  ich  näher  stellen  zu  dürfen  0.  I(mmisch).  In  der  zweiten 
Gruppe  anerkennen  C.  Havet-Bornecque  als  Hauptsitz  des 
Rhythmus  Klauseln,  jedoch  keine  allgemein  gültigen  Typen  oder 
Formen  dafür,  wie  sie  D.  in  Konsequenz  zu  Norden  (nach  Müller) 
durch  Wolff,  wenigstens  fürs  Lateinische  herausgearbeitet  wurden  *).  — 
Wilamowitz  scheint  entsprechend  der  Zweiheit  der  kommatischen 
und  periodisierten  Kompositionsart  die  beiden  Ansichten  in  gewissem 
Sinne  zu  versöhnen**). 

Über  das  Kunstmittel  der  gorgiani sehen  Figuren  nenne  ich  die 
Dissert.  von  Robertson  (58).  Der  erste  Teil  —  definition  — 
wiederholt  Bekanntes  über  Wesen  und  Wirkung  der  bekannten 
Figuren  an  der  Hand  der  alten  Rhetorik.   Darauf  folgt  die  illustration 


*)  Dazu  vgl.  jetzt  besonders  Th.  Zielinski,  das  Klauselgesetz  in 
Ciceros  Reden.  Grundzüge  einer  oratorischen  Rhythmik.  Ph.  Suppl.  IX 
1904,  S.  58t) — 844. 

**)  Ich  will  nicht  versäumen,  auf  K.  Marbes  Vortr.  über  den  Rhythmus 
der  Prosa  hinzuweisen  (gehalten  auf  d.  ersten  d.  Kongreß  für  exper.  Psychol. 
zu  Gießen,  gedr.  1904). 


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28  Bericht  über  die  Literatur  zu  den  attischen  Rednern 


durch  Beispiele  aus  den  „ältesten  Prosaisten0 :  Gorgias ,  Atbjvattov 
iroXitefo,  Herodotos  und  Thukydides,  nicht  aber  Antiphon.  Cf.  auch 
W.  Barczat,  de  figur.  disciplina  atque  auct.  Diss.  Göttingen  1904. 

Zum  besonderen  Schmuck  der  Rede  dient  die  Alliteration.  Hier- 
uber existiert  eine  mir  unzugängliche  Abhandlung  von  Werner  (65). 
Nicht  selten  ist  sie  verknüpft  mit  einer  eigentümlichen  Gegensatz- 
verbindung, die  m.  W.  durch  Schanz  mit  dem  freilich  nicht  ganz 
leicht  verständlichen  Namen  der  polaren  Ausdrucksweise  bezeichnet 
ist*).    Hierüber  haben 

E.  Henrich  (60)  und  £.  Hemmer  (68)  geschrieben,  zu 
welch  letzterem  die  Besprechung  von  Henrich  zu  vergleichen  von 
Interesse  ist**). 

Schließlich  nenne  ich  noch  A.  Roschatt  (59),  der  sein  Pro- 
gramm über  die  Verbindungen  synonymer  Worte  bei  den  attischen 
Rednern  ausdrüklich  als  einen  Beitrag  zur  attischen  Kunstprosa 
bezeichnet.  Derartige  Erweiterungen  verfolgen  die  dreifache  Absicht 
der  Verstärkung ,  der  Verdeutlichung ,  der  Abrundung  der  Periode. 
Die  Redner  zeigen  im  Gebrauch  natürlich  Unterschiede ;  sie  legen 
eine  Einteilung  in  drei  zeitlich  aufeinander  folgende  Gruppen  nahe 
(deren  zweite  mit  Isokrates,  deren  dritte  bei  Demosthenes  beginnt). 
Im  allgemeinen  ist  hierbei  ein  Fortschreiten  in  Zahl  und  Kühnheit 
der  synonymen  Verbindungen  zu  beobachten***). 


Nur  hinweisen  will  ich  in  diesem  Abschnitt  noch  auf  die  zwei 
in  erster  Linie  für  die  technische  bezw.  künstlerische  Seite  mancher 
Redner  wichtigen  Werke  von  J.  Bruns  (71)  und  Fr.  Leo  (72),  die 
im  folgenden  gegebenenfalls  zitiert  sind. 

Einiges  zur  sachlichen  Erklärung  der  Redner. 

73.  M.  H.  E.  M e i e r - G.  F.  Schömann,  Der  attische  Prozeß. 
Neubearb.  v.  J.  H.  Lipsius,  Leipzig  1888—1887. 

74.  H.  Meuß,  Die  Vorstellungen  von  Gottheit  und  Schicksal 


*)  Wie  z.  B.  »jung  und  alt",  „arm  und  reich",  *KXX?jve«  xol  ßcfpßapot  -=  alle ! 
**)  Die  Beispiele  für  die  Redner  sind  allenthalben  zusammen  zu  suchen! 
***)  Für  Aischines  ist  Blaß  AB  III,  2«,  S.  231  dahin  zu  berichtigen, 
daß  die  Synon.-Verbind.  so  ziemlich  in  allen  Reden  gleichmäßig  gebraucht 
werden;  hinwiederum  zu  Deinarchos  III,  2",  S.  325  dahin,  daß  die  Be- 
merkung über  die  Häufigkeit  der  Synon.-Verbind.  nur  für  die  erste  Rede 
zutrifft. 


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aus  den  Jahren  1886—1904.  (Emminger.) 


29 


bei  den  attischen  Rednern.  NJklPh  CXXXIX  =  1889  S.  445-476 
und  S.  801—815. 

75.  U.  v.  Wilamo witz -Moellendorff,  Aristoteles  nnd 
Athen.    Zwei  Bände.    Berlin  1898.  — 

fCf.  Lehnen,  Ber.  1905,  Nr.  2,  S.  87.] 

76.  E.  Drerup,  Über  die  bei  den  att.  Rednern  eingelegten 
Urkunden.    Hab.-Schr.   München  1897. 

[«  NJklPh  Suppl.  XXIV,  S.  223—365.] 

77.  A.  Don  gl.  Thomson,  Euripides  and  the  Attic  orators. 
A  comparison.    London  1898. 

78.  J.  R  e  n  t  z  s  c  h ,  de  86oq  <|/eo8o|iapTopfo»v  in  inre  Attico  com- 
paratis  Piatonis  imprimis  legnm  libris  cum  orat.  Atticis.  Diss. 
Leipzig  1901. 

79.  C.  M  e  d  e  r  1  e ,  de  iurisiurandi  in  lite  Attica  decem  oratorum 
aetate  usu.    Diss.    München  1902. 

80.  J.  H.  Lipsius,  Das  attische  Recht  und  Rechtsverfahren 
mit  Benutzung  des  Attischen  Prozesses  von  M.  H.  E.  Meier  und 
G.  F.  Schömann  dargest.    Erster  Band.    Leipzig  1905. 

Viel  dringender  noch  als  bisher  muß  ich  für  diesen  Abschnitt 
auf  die  entsprechenden  Einzel  berichte  verweisen:  für  Geschichte, 
Altertümer,  Inschriften. 

Ich  nenne  hier,  um  später  im  einzelnen  darauf  zu  verweisen, 
vor  allem  das  nach  so  vielen  Richtungen  anregende  und  belehrende 
Werk  von  U.  v.  Wilamo witz-Moellendorff  (75)  Aristoteles 
und  Athen. 

Die  Redner  in  ihrem  Verhältnis  zur  griechischen  Volksreligion, 
zugleich  als  Quelle  für  dieselbe,  weil  sie  allgemeingültige  An- 
schauungen aussprechen  mußten,  untersucht  H.  Meuß  (74):  Wider- 
sprüche bei  den  Rednern  erscheinen  ihm  als  Abspiegelungen  von 
Widersprüchen  im  Volksglauben  selbst;  soweit  die  Reden,  echte  wie 
unechte,  in  die  Zeit  von  425 — 325  fallen,  sieht  er  vollgültige  Zeugen 
in  ihnen.  Der  erste  Teil  behandelt  die  Vorstellungen  von  der  Gott- 
heit, ihrem  Sein  und  Wesen  und  ihrem  Verhältnis  zum  Menschen 
(Recht,  Schuld,  Sühne;  Frömmigkeit,  Orakel,  Gebet;  Schicksal).  — 
Ein  Anhang  unterrichtet,  ebenfalls  durch  sorgfältige  und  übersichtliche 
Zusammenstellung,  über  formelhafte  Beteuerungen  und  Götteranrufungen 
bei  den  attischen  Rednern.  —  Der  zweite  Teil  gibt  vom  Standpunkt 
der  attischen  Redner  einen  Einblick  in  die  Anschauungen  der  Griechen 


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Bericht  über  die  Literatur  zu  den  attischen  Rednern 


vom  Dasein  nach  dem  Tod;  daran  schließt  sich  das  Wenige,  was 
wir  ans  den  Rednern  Uber  die  Eleasinien  erfahren. 

Mit  griechischem  bezw.  attischem  Recht  und  Gerichtswesen  muß 
vertraut  sein  vor  allem,  wer  die  Reden  des  Stxavtxöv  ^£vo?  liest. 
Nach  dieser  Richtung  ist  stets  zu  Rate  zu  ziehen  der  Attische  Prozeß 
von  Meier-Schömann-Lipsius  (78)  und  jetzt  besonders  die 
Neubearbeitung  dieses  Werkes  von  Lipsius  (80).  Der  bisher 
erschienene  erste  Band  bringt  die  Einleitung  und  das  erste  Buch: 
die  Gerichtsverfassung;  dieses  umfaßt  folgende  sechs  Hauptstücke: 
die  Beamten,  die  Blutgerichte,  die  Geschworenengerichte,  die  Gerichts- 
höfe, die  Gerichtsbarkeit  des  Volkes  und  Rates,  die  Schiedsrichter. 

Von  der  speziellen  Literatur  greife  ich  einige  Arbeiten  heraus, 
die  sich  ausschließlich  oder  vorzugsweise  mit  den  bei  den  Rednern 
bestehenden  Rechts-  und  Gerichtsverhältnissen  beschäftigen.  Für  alle 
Redner  zugleich  kommen  die  schon  genannten  Abhandlungen  von 
Jobst  (12)  und  Schodorf  (13)  in  Betracht;  dann  erwähne  ich 
Mederle  (79):  präzise  und  mit  guter  Ordnung  werden  wir  von  ihm 
über  die  Verwendung  der  verschiedenen  Arten  des  Eides  bei  den 
Rednern  unterrichte!,  Über  otwuoata  und  avTcujAoata ,  über  Parteieid 
und  Schwur  der  Zeugen. 

Ein  wichtiges  Beweismittel  sind  die  Urkunden.  Über  die  Echt- 
heit der  in  den  Reden  überlieferten  handelt  D  r  e  r  u  p  (76),  auf  ihn  und 
Lipsius  (80)  S.  48, 123, 151  f.,  212,  221  f.  kann  ich  zugleich  für  alle  vor- 
ausgehende Literatur,  die  auch  in  der  Berichtszeit  nicht  gering  ist,  ver- 
weisen, ja  auch  zur  Ergänzung  der  Literatur  für  das  Thema  Mederles. 
Dr.  strebt  aus  der  Untersuchung  von  Form  und  Inhalt  der  Dokumente 
allein  ein  endgültiges  Urteil  über  Echtheit  oder  Unechtheit  an.  Der 
erste  Teil  bespricht  die  Gesetze  (Gesetzgebung  und  Heliasteneid  — 
Blutgesetze  —  Familien-  und  Erbrecht  —  die  Reden  gegen  Meidias 
und  Timarch),  der  zweite  die  Prozeßurkunden  in  den  demosthenischen 
Reden  gegen  Lakritos,  Pantainetos,  Makartatos ,  Stephanos,  Neaira, 
sowie  die  in  den  Prozeßurkunden  vorkommenden  Eigennamen. 

Für  eine  Reihe  von  Rednern  einschlägig  ist  auch  die  Arbeit 
von  Rentzsch  (78),  der  den  Spezialfall  der  67x7]  ^euSou-aproptcov 
behandelt  und  dabei  natürlich  auch  die  Fragen,  wer  Zeuge  gewesen, 
ob  Sklaven  schwören  konnten  u.  a.  untersucht. 


Im  Gegensatz  zu  seinen  beiden  großen  Vorgängern  in  der  Tragödie 
spiegelt  —  so  sagt  ungefähr  Thomson  (77)  —  Euripides  die  „neue 
Zeit"  wieder,  the  new  culture.  Ähnliches  läßt  sich  von  den  Rednern 
behaupten;  es  ist  also  kein  Wunder,  wenn  der  Dichter  mit  ihnen 


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aus  den  Jahren  1886—1904.  (Emminger.) 


31 


vieles  gemein  hat  in  style  and  in  thought.  Th.  beschränkt  sich 
darauf,  den  Gedankeninhalt  des  Eurip.  und  der  Redner  in  Vergleich 
zu  setzen  und  zusammenzustellen,  was  wir  aus  Dichter  und  Redner 
gleicherweise  erfahren  über  Philosophie,  Religion,  Tod  und  Fortleben 
nach  demselben,  über  das  Leben  des  einzelnen  in  seinen  verschiedenen 
Gestalten,  über  Ethik,  öffentliches  Leben  und  Politik.  Also  haupt- 
sächlich eine  Sammlung  von  Parallelstellen,  keine  Diskussion  der 
Verschiedenheiten. 


Redner-Kanon. 

81.  Fr.  St  riller,  de  Stoicorum  studiis  rhetoricis.  Breslau  1886. 

82.  0.  Weise,  quaestiones  Caecilianae.  1888. 

83.  W.  Studemund,  scholion  Plautinum  neubearbeitet.  1888. 

84.  P.  Hart  mann,  de  canone  X  oratorum.  Diss.  Güttingen 
1891.  — 

[Rez.:  BphW  XII  1892,  Sp.  1609,  Cohn.] 

85.  A.  Busse,  zur  Quellenkunde  von  Piatons  Leben.  RhMPh 
XLIX  1894,  S.  72.  — 

[Cf.  Lehnet  Ber.  1905,  Nr.  185,  S.  146.] 

86.  0.  Kröhnert,  canonesne  poetarum,  scriptorum,  artificum 
per  antiquitatem  fuerint.    Königsberg  1897.  — 

[Cf.  Lehnert,  Ber.  1905,  Nr.  187,  S.  146.] 

87.  H.  Usener  et  L.  Radermacher,  ed.  Dionysii  Hali- 
carnassei  opuscula  vol.  pr.    Leipzig  1899.  — 

[Rez.:  cf.  Lehnert,  Ber.  1905,  Nr.  171,  S.  141.] 

88.  Guil.  Heydenreich,  de  Quintiliani  institutionis  oratoriae 
libro  X.,  de  Dionysii  Halicarnassensis  de  imitatione  libro  II.,  de  canone 
qui  dicitur  Alexandrino  quaestiones.  Diss.  Erlangen  1900.  (IV.  Teil  = 
epimetrum  de  canone  X  oratorum  Atticorum.)  — 

fCf.  Lehnert,  Ber.  1905,  Nr.  183,  S.  141  und  148.] 

Ich  kann  mich  um  so  eher  mit  der  bloßen  Aufzählung  dieser 
Arbeiten  begnügen,  als  sie  zumeist  in  diesen  Berichten  schon  be- 
sprochen sind  von  Hammer  (Rhetorik-Ber.)  1895,  S.  110  ff. ,  von 
Ammon  (Quintil.-Ber.)  1901 ,  S.  134 ,  oder  von  Lehnert  (Rhet.-Ber.) 
1905,  S.  147  f.*). 


*)  Vgl.  auch  noch  Fr.  Susemihl,  Geschichte  der  griech.  Lit.  in  der 
Alexandrinerzeit.  Leipzig  1892,  II,  S.  485  und  694,  sowie  Volkmann- 
Hammer,  Rhetor.  d.  Gr.  u.  R.  (Müllers  Handb.),  3.  Aufl.  1901,  S.  8. 


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34 


Bericht  über  die  Literatur  zu  den  attischen  Rednern 


Für  die  Sophistenfragmente  bei  Jamblichos  scheint  Protagoras 
andeutungsweise  als  Urheber  in  Frage  gezogen  von  Wilamowitz 
A.  und  A.  I,  173*).  — 

Vom  Osten  zum  Westen !  Nr.  410  der  Oxyrhynchus  papyri  III  (94) 
bietet  das  Fragment  einer  ?&XV7i  *n  dorischem  Dialekt.  Dazu  ver- 
gleiche man  Fuhrs  Anzeige,  der  das  Wichtigste  aus  dem  Inhalt 
mitteilt  und  namentlich  auf  Beziehungen  zu  Lysias  aufmerksam  macht. 

Roberts  (95)  hebt  die  Beziehungen  des  Fragments  zur  Techne 
des  Korax  und  Teisias  hervor;  seine  Erhaltung  wird  nach  R.  jeden- 
falls der  auvorytofT)  xexv&w  des  Aristoteles  verdankt. 

Der  älteste  attische  (vorgorgianische)  Redelehrer  war  nach 
E.  Schwartz(97)  Thrasymachos,  freilich  auch  er  kein  Athener  von 
Geburt;  s.  darüber  jetzt  Lehn  er  t,  Ber.  S.  111/112.  Gegen  Schwartz 
ist  außer  den  von  Lehnert  angeführten  Gelehrten  Keil**)  und 
Norden  (51),  S.  45  ff.,  noch  mit  Widerspruch  im  einzelnen  aufgetreten 

Reuter  (148),  der  die  antiphontischen  Dispositionen  nicht  nach 
dem  Muster  des  Thrasymachos  angelegt  glaubt.  Gegen  Schw.  spricht 
sich  auch  Drerup  (56),  S.  226,  aus.  —  Scheel  (96),  S.  22  f.,  ver- 
mutet, daß  des  Thrasymachos  IXeoi  (fortasse)  die  gemeinsame  Quelle 
für  die  Schilderung  des  Jammers  im  Exil  im  Plataikos  des  Isokrates 
(XIV  45—55)  und  in  or.  XII  96  ff.  und  XIII  45  des  Lysias  seien. 

Geburtsjahr  der  attischen  Beredsamkeit  wurde  früher  (zu  Un- 
recht) das  Jahr  genannt,  in  welchem  Gorgias  in  Athen  auftrat. 

Zuerst  zur  Echtheitsfrage  der  unter  seinem  Namen  noch  er- 
haltenen irafyvia,  Helena  und  Palamedes !  Blaß  nimmt  jetzt  AB  1 8, 
S.  72  und  75  ff.  die  beiden  Reden  für  echt.  Ebenso  E.  Maaß  (99): 
I.  Eine  im  hippokratischen  Korpus  überlieferte  Schrift  rcepi 
909a>v  zeigt  scharfe  Disposition  und  zugespitzte  Sprache,  beides 
gorgianische  Eigentümlichkeiten.  In  dieser  Schrift  wird  der  drtp 
metaphorisch  als  öovddr^c  bezeichnet.  Dieser  kühne  Gebrauch  wird 
um  so  auffälliger,  als  er  mit  den  zwei  anderen  rhetorischen  Mitteln 
der  Personifikation  eines  körperlichen  Wesens  und  der  Wiederholung 
des  gleichen  Stammes  an  gleicher  Stelle  und  zwar  am  Schluß  der 

*)  Zu  dem  Anfang  des  fr.  tapl  0cüv  achlägt  Lincke  (Ol)  vor  zu  lesen 
oOx  lyw  «bretv  statt  ota  fy«»  eMvat.  —  Die  Vermutung,  Prodikos  von  Keos 
habe  eine  Lobrede  auf  den  Landbau  geschrieben,  verwirft  K.  Kalbfleisch, 
Festschr.  f.  Gomperz  1902  S.  94  f. 

**)  Hermes  XXIX  =  1894  ,  8.  341  (187):  „Vieles,  was  Schwartz  auf 
Thrasymachos  zurückfuhrt,  halte  ich  für  vorthrasy machisch ,  attisch." 
Susemihl  (108),  S.  9,  Anm.  11,  erinnert  neben  Thrasym.  an  die  Möglichkeit 
des  Einflusses  von  Teisias  auf  Euripides. 


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aus  den  Jahren  1886—1904.  (Emmingen) 


35 


beiden  folgenden  Sätze  kombiniert  ist.  Die  gleiche  Kombination 
findet  sich  auch  Helena  8;  der  Hippokrateer  hat  eben  diese  Glanz- 
stelle der  gorgianiscben  Schrift  nachgebildet,  (cf.  Blaß  AB  I8,  S.  90f  ) 
Für  gorgianischen  Ursprung  der  Helena  spricht  außerdem  Disposition, 
starker  Figurenschmuck ,  Preis  des  Xofo; ,  Allgemeinheit  der  Ver- 
teidigung :  Gorgias  wollte  eine  Musterrede  geben ;  «Tat^vioy  ist  t  er  minus 
technicus,  nicht  =  Scherz.  II.  Den  gleichen  Zweck  hat  auch  der 
Palamedes ;  er  soll  Typus  sein  für  die  Verteidigungsrede  gegen  Hoch- 
verrat, überhaupt  bei  Kapitalverbrechen :  damit  erklärt  sich  der  Mangel 
an  konkretem  Inhalt  ebenso  wie  das  Fehlen  einer  Nachricht,  daß 
Gorgias  Gerichtsreden  verfaßte.  Aus  der  Hiatvermeidung  ergibt  sich 
die  spätere  Abfassungszeit.  III.  Ähnlichkeiten  von  Antiphon  V  91, 
88  mit  Palamedes  (namentl.  §§  84 ff.)  zeigen  nach  Maaß  „deutlich, 
daß  der  Schüler  das  Musterformular  des  Meisters  gut  zu  benutzen 
verstand".  Vor  411  also  muß  Gorgias  jedenfalls  den  Palamedes 
und  wieder  früher  die  Helena  veröffentlicht  haben.  —  Nach 

Suse  mihi  (103),  S.  18  Anm.  30,  hat  Maaß  jedoch  mit  all  dem 
nur  so  viel  bewiesen,  daß  „die  beiden  Schüler  des  Gorgias,  welche 
die  Helene  und  den  Palamedes  (wenn  anders  nicht  letzterer  doch 
von  Gorgias  selbst  herrührt)  verfaßten,  so  vollkommen  der  gorgia- 
nischen Stilistik  sich  bedienten,  daß  insoweit  Gorgias  selbst  recht  gut 
der  Verfasser  gewesen  sein  könnte."  „Warum  er  selber  es  wenigstens 
von  der  Helene  nicht  gewesen  sein  kann,"  scheint  Susemihl  sowohl  wie 

Wilamowitz  (75),  S.  172*),  und  Gomperz**)  von  Spengel 
unwiderleglich  bewiesen.  Norden  (51),  S.  64.  ist  für  die  Echtheit, 
Mün scher***)  gegen  Echtheit  der  Helena,  N a v a r r e  (54)  verwirft 
beide.    Beiden  Reden  ersteht  ein  Verteidiger  in 

Thiele  (104).  Zum  besseren  Verständnis  der  Persönlichkeit 
des  Gorgias  schiebt  er  zwischen  die  bisher  angenommenen  zwei 
Perioden  seiner  Tätigkeit,  die  empedokleisch-physikalische  und  die 
eleatisch-skeptische  oder  rhetorische ,  eine  sophistisch-protagoreische 
ein.  Die  beiden  Schriften  anlangend  will  er  durch  „eingehende 
stilistische  Analyse  beweisen,  daß  nicht  nur  Helena  und  Pala- 
medes  von  einem  und  demselben  Verfasser  stammen ,  sondern  daß 
auch  für  die  beiden  Stücke  besonders  charakteristische  Stileigen- 
tümlichkeiten in  den  sonstigen  Fragmenten  des  Gorgias  wiederkehren."  — 
Zu  demselben  Resultate  gelangt  die  stilistische  Untersuchung  der 

*)  Cf.  auch  II,  236,  Anm.  20. 
•*)  Griechische  Denker  I,  S.  383,  475  f.;  ebenso  0«),  S.  165. 
•♦*)  RhMPh  UV  =  1899,  S.276,  cf.  Lehnert,  Ber.  1895,  Nr.  82,  S.  110. 
Cf.  auch  Nr.  84,  8.  110. 


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36  Bericht  Ober  die  Literatur  zu  den  attischen  Rednern 

beiden  Reden  durch  Drerup  (56),  S.  265  f.,  der  sie  dem  Anfang 
des  vierten  Jahrb.  (Helena  älter  als  Palamedes  auch  rücksichtlich  des 
Rhythmus)  zuweist. 

Beispiele  für  die  stilistischen  Eigentümlichkeiten  des  Oorgias  sind 
zusammengestellt  bei  Wundt  (98),  S.  20:  apposita  supervacanea ; 
S.  24  f.:  Yertauschung  der  gramm.  Kategorien;  S.  29:  gesuchte 
Metaphern;  S.  34:  Personifikationen;  S.  52  ff.  und  56  ff.:  wirklich 
gorgianische  a^jiaxa  Top-ftetet. 

Vorschläge  zur  Textoerbesserung  des  Gorgias  bringen  D  i  e  1  s  (101) 
zum  fr.  d.  Olymp,  (to  irXfyu-a  für  t6  afvryu.a), 

Schulze  (24),  S.  15  Anm.  1  (aol  u.ev  oux  oWv  te  u.6vov  jiapxopac, 
oder  noch  lieber  aoi  uiv  oMv  t'     oft  \i6vov  jxapTupa?)  u.Naber  s.  S.58***). 

Zur  Überlieferungsgeschichte  der  Helena  vgl.  Drerup  (105),  der 
auf  Coisl.  249  aufmerksam  macht;  wie  jedoch  Fuhr  (106)  bemerkt, 
ist  dieser  cod.  =  V  Imm.  Bekkers.  „Für  die  Textkritik  bietet  der 
Kodex  keinen  positiven  Ertrag" :  darin  sind  die  beiden  einig. 

Eine  sprachliche  Analyse  zum  Frg.  des  Epitaphios  erhalten  wir 
von  Navarre  (54),  S.  87  f. 

Als  Abfassungseeit  des  'Okuu-Triax^;  nimmt  Wilamowitz 
A.  u.  A.  I  172  gegen  Blaß  408,  nicht  392  an*). 

Über  die  Techne  des  Gorgias  hat  sich  neuerdings  eine  Kontro- 
verse erhoben.  Während  Blaß  AB  I2  S.  53  ff.,  bes.  S.  57,  ihm  zwar 
texvat,  Sammlungen  von  Musterstücken,  nicht  aber  eine  xe*xvrj  zu- 
schreibt, tritt 

G  e  r  c  k  e  (102)  für  die  Existenz  einer  wirklichen  Te*xv>}  ein,  die 
allerdings  im  wesentlichen  in  rhetorischen  Musterstücken  bestanden 
habe.  Siehe  darüber  Haeberlin,  Ber.  1900,  S.  266,  und  Lehnert, 
Ber.  1905,  Nr.  76,  S.  109.  —  Ihm  widersprechen 

Blaß  im  Anhang  der  AB  III  2 2  S.  356,  und 

Suse  mihi  (103):  Gorgias  hat  eine  Mustersammlung  hinterlassen, 
xoivol  toiroi,  wohl  auch  mit  einer  Einleitung  technischer  Art.  Dieses 
Buch  kann  aber  streng  genommen  nicht  als  t^vij  bezeichnet  werden; 
so  tut  es  auch  Aristoteles  nicht,  auch  nicht  Dionys.,  der  nur  von 
xiyyax  xivec  redet.  Piaton  freilich  kann  mit  freierem  Gebrauch  des 
Wortes  (Phaedr.  261,  B.  C.)auch  davon  als  von  einer  xe*j(VY)  sprechen  **). 

Zu  Text  und  Sprache  der  philosophischen  Fragmente  des  Gorgias 
vgl.  Apelt  (100),  bes.  S.  206—211,  und  Drerup  (56),  S.  268  f. 

*)  Zu  Palam.  20  vergleicht  Wilamowitz  A.  u.  A.  II  286  Anm.  20 
Pseudoandokides  (IV)  37. 

**)  Das  Fragment  von  Oxyrbynchos  hat  große  Teile  einer  wirklichen 
uralten  gerettet,  die  Theorie  enthält! 


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aus  den  Jahren  1886—1904.  (Emmingen) 


37 


Das  Fortwirken  des  Gorgias*)  verfolgt  Scheel  (96)  im  1.  Kap. 
bei  Isokrates,  wobei  namentlich  die  Znsammenstellungen  der  gleichen 
Gedanken,  die,  wenn  auch  in  verschiedenen  Formen,  bei  beiden 
wiederkehren,  und  die  Sammlung  der  Parallelen  in  den  Figuren 
interessant  sind;  sodann  im  2.  bei  Polos,  Likymnios,  Agathon, 
Alkidamas,  Antisthenes,  Archytas,  den  Pseudohippokrateern,  Lysias, 
Thukydides,  Antiphon. 

Anzuführen  habe  ich  noch  den  Versuch,  den  Theodoros  von 
Bytantion  durch  Zuteilung  pseudepigrapher  Schriften  in  die  Literatur 
einzuführen.  Während  Blaß  AB  III,  28,  S.  366,  es  nur  wie  einen 
Einfall  anmerkt,  daß  von  ihm  vielleicht  die  Tetralogien  stammen 
könnten,  will 

D  r  e  r  u  p  (56),  S.  334  f.,  ihm  Ps.-Lysias  (VI)  und  -Isokr.  (I)  zuweisen, 
für  Ps.-Lys.  VI  gestützt  auf  Suidas,  s.  v.  6e68<opoc  (so  schon  Bergk), 
für  Ps.-Isokr.  I  auf  eine  Identifikation  von  §  38  rapaaxeuaCe  aeaotov 
xxk  mit  einem  Zitat  des  Kephisodoros  bei  Athen.  III,  122b.  Dort 
siehe  auch  die  eingehendere  Charakterisierung  des  Theodoros  und  die 
Stilanalyse  jener  Reden. 

Von  Kritias,  dem  Sophistenschüler,  dem  bei  Blaß  AB  I8  die 
Seiten  263 — 275  gewidmet  sind**),  wollte  Dümmler  (107)  zu  den 
sicher  verbürgten  itoXixeiai  der  Lakedaimonier  und  Thessaler  eine 
'Adrjvotfcov  iroXtieia  in  erster  Linie  bei  Aristoteles  wiedergefunden 
haben ;  (nebenbei  führt  er  auch  Stellen  bei  Isokrates  und  in  Plutarchs 
Perikles  darauf  zurück.)  —  Gegen  ihn  wendet  sich  besonders 

Patrick  (108),  dessen  sorgfältige  Dissert.  auch  durch  Sammlung 
der  Nachrichten  über  Kritias  und  seiner  Fragmente  von  Wert  ist; 
hierzu  tritt  Blaß  III,  28,  S.  369,  mit  einem  Nachtrag.  —  Als  Ver- 
fasser der  ps.-xenophont.  iroXit.  AO^v.  sucht  den  Kritias  neuerdings 

Drerup  (56),  S.  313  ff.,  zu  erweisen  mit  einer  Stilanalyse  der 
echten  Fragmente  des  Kritias. 

In  besonderer  Studie  behandelt  diesen  von  Xenophon  und  Lysias 
so  ganz  anders  als  von  Piaton  und  Aristoteles  beurteilten  Mann 
N|estle  (109),  in  der  Absicht,  „den  Inhalt  der  Schriften,  soweit  er 

*)  Ich  mache  aufmerksam  auf  K.  Morawski,  parallelismoi  sive  de 
locutionum  aliquot  usu  et  fatis  apud  auctores  Graecos  nec  non  Latinos. 
Sep.  Abdr.  aus  d.  Ber.  der  Krakauer  Akad.  Krakau  1902.  -  Rez. :  BphW 
1903,  Sp.  262,  Kroll. 

**)  Er  trägt  auch  ein  frg.  nach  S.  259,  Anm.  4  (nach  Bernhard))  — 
Patrick,  Nr.  5. 


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38 


Bericht  über  die  Literatur  zu  den  attischen  Rednern 


aus  den  Bruchstücken  zu  erkennen,  zu  dem  Charakter,  der  Bildungs- 
laufbahn und  der  Politik  ihres  Verfassers  in  Beziehung  zu  setzen, 
zugleich  unsere  gegenüber  früheren  Zeiten  doch  stark  veränderten 
Anschauungen  über  die  Sophistik  und  über  die  griechische,  speziell 
attische  w5Xi?  hierfür  zu  verwerten."  Schade,  daß  er  Patricks  Diss. 
übersehen  hat!  Als  Wendepunkt  im  Leben  und  Denken  des  Kritias 
erscheint  ihm  ähnlich  wie  Xenophon  und  Blaß  AB  I2  267  die  Ver- 
bannung mit  dem  darauffolgenden  Aufenthalt  in  Thessalien  und  dem 
Eintreten  in  die  Sphäre  des  Gorgias  und  Thrasymachos.  Dort  wurde 
Kritias  der  „Tyrann".  —  Was  seinen  schriftstellerischen  Charakter 
anlangt,  so  folgt  Nestle  Dionys,  v.  Hai.,  der  ihn  im  Gegensatz  zu 
Andokides,  Antiphon  und  Lysias  mit  Antisthenes  und  Xenophon  zu 
den  Vertretern  des  besten  jüngeren  attischen  Dialektes  zählt. 

III.  Antiphon. 

1885/ 

110.  A.  Nieschke,  de  Thucydide  Antiphontis  discipulo  et 
Homeri  imitatore.    Prgr.  Münden  1885. 

111.  J.  Kohm,  ein  Beitrag  zur  Frage  über  die  Echtheit  der 
Tetralogien  des  Redners  Antiphon.  Erster  Teil,  Arnau  1885,  zweiter 
Teil,  Hohenelbe  1886.  — 

[Rez.:  DL  VII  —  1886,  Sp.  1820,  Wilamowitz-M.] 

1886. 

112.  J.  Kohm,  kritisch  -  exegetische  Studien  zu  Antiphon« 
WSt  VIII,  S.  87—60  (geschr.  Januar  1885). 

113.  P.  Po  lack,  de  enuntiatorum  interrogativ,  apud  Antiph. 
et  Andoc.  usu.    Diss.  Halle. 

114.  Ch.  Cucuel,  essai  sur  la  langue  et  le  style  de  l'orateur 
Antiph.    These.    Paris.  — 

(Rez.:  WklPh  VI  =  1889,  Sp.  284 ff.,  319 ff..  Kohm.J 

115.  H.  Sauppe,  ad  Antiphontis  orat.  VI:  quaestiones  criticae 
Nr.  5,  index  schol.  hibern.    Göttingen.  — 

[=  Ausgew.  Schriften,  Berlin  1896,  S.  785.] 

116.  A.  Bohl  mann,  Antiphontis  de  caede  Herodis  oratio  ex 
fide  Cripps.  maxime  cod.  recogn.  et  in  ling.  German,  conversa.  Pars  I 
contin.  §§  1 — 48.    Prgr.  der  Ritterakademie  Liegnitz. 

1887. 

117.  U.  v.  W  ilamo  witz-Moellendorff,  die  erste  Rede 
des  Antiphon.    H  XXII,  S.  194—210. 


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aus  den  Jahren  1886—1905.  (Emrainger.)  39 

118.  Fr.  J.  Brückner,  de  tetralogiis  Anthiphonti  Rhamn. 
ascriptis.    Diss.  Bautzen. 

119.  B.  Keil,  Antiph.  xaxÄ  tfJ?  uTjTputac.  NJklPh  CXXXV, 
2.  Heft,  S.  89—102. 

120.  Car.  Baresch,   consolationum  a  Graecis  Romanisque 

i 

script.  hi6toria  critica.    Leipzig  St.  IX,  S.  1 — 170. 

1888. 

121.  B.  Brinkmann,  de  Antiph.  oratione  de  choreuta  comm. 
philol.    Leipziger  Diss.  Jena. 

122.  Er.  Sonne,  Anthipho  Tot  2.  Genethliacon  Gottingense. 
Halle,  S.  162  f. 

128.  J.  Brandenburger,  de  Antiph.  Rhamn.  tetralogiis. 
Prgr.  Schneidemühl.  — 

[Rez.:  WklPh  X  =  1893,  Sp.  1314,  Kohm.] 

124.  Ch.  Cucuel,  oeuvres  completes  d'A.,  traduction,  in: 
Mölanges  grecs  (Bibliotheque  de  la  Facultö  des  lettres  de  Lyon, 
tome  V),  p.  1—86.  Paris. 

125.  J.  Kohm,  Antiphons  Tetralogien.  Deutsch.  Prgr.  Arnau. 

1889. 

126.  Fr.  Schierlinger,  die  unterordnende  Satzverbindung 
bei  dem  Redner  A.    Prgr.  Schweinfurt 

127.  C.  Wetz  eil,  lexici  Antiphontei  specimen.  Laubacher 
Prgr.  Grünberg. 

128.  U.  v.  Wilamo  witz-M. ,  commentariolum  gramm.  IV.  ind. 
schol.  hib.    Göttingen.   S.  16—20. 

129.  Fr.  Blaß,  comment.  de  Antiph.  sophista  Jamblichi  auctore. 
Ünivers.-Schrift.  Kiel. 

130.  A.  Bienwald,  de  Crippsiano  et  Oxoniensi  Antiphontis, 
Dinarchi,  Lycurgi  codic.    Breslauer  Diss.  Görlitz. 

1890. 

131.  H.  W  e  i  s  e ,  über  die  erste  Rede  des  Antiph.   Prgr.  Stettin. 

132.  J.  Kohm,  zur  Kritik  und  Erklärung  des  Redners  Antiph. 
WSt  XII  =  1890,  S.  159—189. 

1892. 

133.  J.  H.  T.  Hemstege,  analecta  Antiphontea.  Diss.  Leyden. 

134.  Fr.  Hausen,  de  Antiphontis  tetralogiis.    Prgr.  Berlin. 


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40 


Bericht  über  die  Literatur  zu  den  attischen  Reduern 


1894. 

135.  W.  Rosenthal,  de  Antiph.  in  particularum  usu  pro- 
prietate.    Rostocker  Diss.  Berlin.  — 

[Rez.:  BphW  XV  =  1895,  Sp.  1478  f.,  Thalheim.] 

186.  Br.  Keil,  Athens  Amtsjahre  und  Kalenderjahre  im  fünften 
Jahrh.    H  XXIX,  S.  32—81. 

137.  Br.  Keil,  das  System  des  kleisthenischen  Staatskalenders. 
H  XXIX,  S.  321—372. 

1895. 

138.  Fr.  L.  vanCleef,  index  Antiphontens.  Cornell  stud.  in 
class.  Philology  N.  V.    Boston.  — 

[Rez.  z.  B.:  BphW  XVI  =  1896,  Sp.  713,  Thalheim.  WklPh  XIII  = 
1896,  Sp.  566,  Fuhr.] 

1896. 

139.  E.  Szanto,  za  den  Tetral.  des  Antiph.  Archaeol.- 
epigr.  Mitt.  aus  Österr.-U.  XIX,  S.  71—77. 

140.  W.  Dittenberger,  Antiphons  Tetralogien  und  das 
attische  Kriminalrecht.    I.  H  XXXI,  S.  271—277. 

1897. 

141.  Idem.  II.  III.  H  XXXII,  S.  1—41. 

1898. 

142.  *  St.  Schneider,  sofista  Antyfont  jako  psychiatra.  Eos 
IV,  S.  129. 

1899. 

143.  J.  Kohm,  neue  Antiphonstudien.    Prgr.  Wien. 

1900. 

144.  U.  v.  Wila  mowitz-M.,  die  sechste  Rede  des  Antiphon. 
SPrA  XXI,  S.  397—416. 

1901. 

146.*  A.  Mayr,  Antiphons  Rede  gegen  die  Stiefmutter.  Prgr. 
Klagenfurt. 

1902. 

146.  *  St.  Schneider,  die  Ethik  des  Demokritos  und  der 
Redner  Antiphon.    Eos  VIII,  S.  54—64  (tsch). 

147.  *  K.  Töpfer,  die  sogen.  Fragmente  des  Soph.  Antiph. 
bei  Jamblichos.    Prgr.  Arnau. 

1903. 

148.  A.  Reuter,  Beobachtungen  zur  Technik  des  Antiphon. 
H  XXXVIII,  S.  481—497. 


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aus  den  Jahren  1886-1905.  (Emmingen) 


41 


1904. 

149.  idem  Forts,  zu  Nr.  148.    H  XXXIX,  S.  348—356. 

150.  St.  Schneider,  ein  sozialpolitischer  Traktat  und  sein 
Verfasser.    WSt  XXVI  S.  14—32. 

151.  J.  II.  Lipsius,  über  Antiphons  Tetralogien.  BSG  LVI 
S.  191—204. 

1905. 

152.  W.  D ittenberger,  zu  Antiphons  Tetralogien.  H  XL 
S.  450—470. 

Eine  auf  die  Lebensumstände  des  Antiphon  bezügliche  eigene 
Abhandlung  ist  seit  dem  letzten  Bericht  nicht  erschienen. 

Von  Blaß  AB  ist  einschlägig  Ia,  S.  91—102,  sowie  Nachtrag 
S.  645,  ferner  III,  2«,  S.  357—368. 

In  der  Frage  der  Überlieferung  *)  ist  die  Dissertation  von  B  i  e  n  - 
wald  (130)  hier  zu  nennen.  Er  wendet  sich  gegen  eine  Über- 
schätzung von  A  und  Unterschätzung  von  N ,  dessen  Schreiber  man 
zuviel  Gelehrsamkeit  zuschreibt.  Eine  Berücksichtigung  beider  Hss. 
führt  uns  am  ehesten  zum  Archetypos  und  zur  rechten  Entscheidung. 

Einen  etwas  von  Blaß  (ed.  altera  1881  praefat.  S.  XXV)  ab- 
weichenden Stammbaum  der  Handschriften  gibt  C  u  c  u  e  1  im  essai  (114), 
wiederholt  in  der  Übersetzung  (124): 

OL  OL 

(non  fragmentaire)  (fragmentaire) 
N         Apr  A 1  A 2       Q  (Isaei) 


Dazu  ist  zu  bemerken :  a  bot  schon  durchaus  keinen  vollkommenen 
Text  mehr;  N  ist  mit  mehr  Sorgfalt  kopiert  als  A.    Es  gewinnt  bei 


•)  Nachdem  für  Deinarchos  und  Lykurgos  die  nämliche  Überlieferung 
besteht,  sind  mit  Nutzen  zu  vgl.  z.  B.  Th.  Thalheim,  de  Dinarchi  codic. 
Prgr.  Breslau  1886.  Th.  Thalheim,  Dinarchi  or.  III,  Berlin  1887.  Fr.  Blaß, 
Dinarchi  orationes,  Leipzig  1888.  Fr.  Blaß,  Lycurgi  orat.  in  Leoer.,  Leipzig 
1899,  in  den  Praefationes.  Dazu  von  den  Bez.:  ZöGy  XXXIX  —  1888, 
S.  32—36  .1.  Kohm  ;  DL  IX  =  1888,  Sp.  627,  Fuhr. 


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42 


Bericht  über  die  Literatur  zu  den  attischen  Rednern 


dieser  Aufstellung  vor  allem  A 2.  Als  Grundlage  des  Textes  er- 
achtet C.  N,  verbessert  und  vervollständigt  durch  die  verschiedenen 
Überlieferungen  von  A*). 

Dagegen  wünschte  Hemstege  (133)  in  der  Einleitung  seiner 
Analecta  den  cod.  A  mehr  berücksichtigt,  als  es  bei  Jernstedt  und 
Blaß  geschieht**). 

Eine  Probe  einer  Ausgabe,  die,  Sauppe  folgend,  A  zur  Grundlage 
des  Textes  nimmt,  gibt  Bohlmann  (116)***)  für  die  §§  1—48 
der  or.  V.  r.epl  too  'Hpujooo  <povoo.  Etwa  ein  halbes  Hundert  Ver- 
schiedenheiten von  Blaßens  Text  finden  sich  in  dem  verhältnismäßig 
kleinen  Abschnitt  (=  19  Teubnerseiten),  wovon  mindestens  4/s  durch 
die  Zugrundelegung  von  A  veranlaßt  ist.  —  Eine  deutsche  Über- 
setzung des  Abschnittes  folgt  dem  griechischen  Text. 

Ins  Französische  sind  Antiphons  Werke  übersetzt  von  C  ucuel  (124). 

Hier  füge  ich  die  Doppelfrage  ein :  Sind  Redner  und  Sophist 
Antiphon  eine  Persönlichkeit  oder  zwei  verschiedene?  Und:  Wie 
steht  es  mit  den  bei  Jamblichos  bewahrten  Fragmenten  älterer  sophistischer 
Prosa,  die  von  Blaß  (129)  dem  Sophisten  Antiphon  beigelegt  werden  ? 

Blaß  AB  I2,  S.  108 — 114,  hält  an  der  Trennung  der  Personen 
fest  und  kommt  betreffs  der  Verteilung  der  Schriften  nach  Erwägung 
von  Inhalt  und  poetisierender  Form  der  Schriften  irepi  otXrjösiac,  -spi 
&jiovofa?  und  iroXmxo?  und  ihrer  Vergleichnng  mit  den  ^ovtxof  zu 
dem  gleichen  Resultat,  wie  Sauppe  durch  Streichung  der  Sijjirjoptxol 
—  bei  Hermog.  414,  8  Sp.  —  aus  den  Werken  des  Sophisten. 
Demgegenüber  schließt 

Drerup  (56),  S.  300 — 306,  aus  der  zitierten  Hermogenesstelle 
vorläufig  nur,  daß  dem  Redner  von  Hermog.  keine  Schriften  sophistischen 
Inhalts  zugeschrieben  worden  sind.  Also  können  sicher  die  Fragmente 
bei  Stobaios  (flor.)  dem  —  angenommenen  —  Sophisten  gegeben 
werden,  gleichviel  welchem  von  den  einzelnen  Werken  desselben  sie 
zuzuteilen  wären.  Diese  frg.  nun  untersucht  Dr.  nach  der  stilistischen 
Seite  und  konstatiert  bei  historischer  Betrachtungsweise  nur  einen 
graduellen,  nicht  einen  prinzipiellen  Unterschied  vom  Stilcharakter 


*)  Beachtenswert  ist  die  zitierte  Besprechung  des  Essai  durch  J.  Kohm. 
**)  Er  bringt  auch  Belege  bei,  aus  denen  hervorgehe  „in  Universum 
cod.  Crippsianum  multo  fideliorem  ducem  esse".  Übrigens  sprechen  auch 
Keil  und  Wilamowitz  in  den  zu  besprechenden  Abh.  mehr  für  A,  wenigstens 
gegen  Überschätzung  von  N,  wie  sie  bei  Jernstedt  und  auch  noch  bei  BlalJ 
vorliege.  —  Über  das  Alter  von  A  vgl.  Drerup  (105)  S.  322  Anm.  1. 
••♦)  Cf.  Hüttner,  Ber.  1886,  Nr.  17,  S.  4. 


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aus  den  Jahren  1886—1904.  (Emmingen) 


43 


des  Verfassers  der  <povixol  X&pt.  Infolgedessen  würde  er,  „wenn  er 
sicher  wüßte  (was  er  als  sehr  wahrscheinlich  annimmt),  daß  aoch 
Didymos  und  die  aXXoi  oox  äXfyoi  (die  Gewährsmänner  des  Hermogenes) 
die  Trennung  der  Persönlichkeit  nur  auf  das  Stilurteil  hin  vor- 
genommen haben",  und  wenn  nicht  „anderseits  nicht  bloß  der  Name 
Antiphon  im  Athen  des  fünften  Jahrhunderts  ziemlich  häufig  vorkäme, 
sondern  auch  der  Stil  unserer  sophistischen  Fragmente  ohne  individu- 
elles Gepräge  .  .  .  wäre",  „die  Identifizierung  der  beiden  als  positiv 
erwiesen  bezeichnen",  für  die  er  so  nur  hohe  Wahrscheinlichkeit  in 
Anspruch  nimmt. 

Buresch  (120),  S.  75 — 86,  dagegen  war  bei  der  Zweiteilung 
geblieben,  hatte  den  icoXmxfo  dem  Redner,  dagegen  die  frg.,  die 
unter  dem  Namen  Antiphon  bei  Stobaios  erhalten  sind  —  aber  auch 
die  t^vt)  —  dem  Sophisten  zugeschrieben ,  und  dies  aus  dem  nach 
Ungewöhnlichem  suchenden,  auffallenden  Stil  —  dem  Charakteristikum 
des  Sophisten,  nicht  des  Redners  —  zu  beweisen  gesucht.  Der  Sophist 
Antiphon,  nicht  der  Redner,  war  auch  der  Lehrer  des  Thukydides  — ,  und 
nun  fragt  sich's,  ob  nicht  auch  die  Tetralogien  dem  Sophisten  gehören. 

Für  die  sechs  Fragmente  einer  sophistischeu  Abhandlung,  die 
Blaß  (129)  aus  dem  20.  Kap.  des  irpotpsircixoc  des  Jamblichos*) 
herausgelöst  hat,  schloß  er  aus  sprachlichen  Kriterien  auf  einen 
Autor  um  die  Zeit  des  Gorgias  und  Antiphon.  Mit  Ausschluß  anderer 
Schriftsteller  der  Zeit  (Gorgias,  Kritias,  Thrasymachos,  Hippias)  er- 
klärte er  sich  dann  für  den  Sophisten  Antiphon  als  Verfasser  und 
bezeichnete  wenigstens  für  die  ersten  drei  Fragmente  das  erste  Buch 
ÄXij&ef«?  als  Quelle.  —  Im  Nachtrag  der  AB  III,  2 a,  S.  358  ff. 
hat  er  seine  Ansicht  über  die  Urheberschaft  des  Antiphon  nochmals 
begründet,  den  Inhalt  der  Fragmente  kurz  analysiert  und  es  fürs 
beste  erklärt,  „die  sämtlichen  Exzerpte  des  Jamblichos  dem  7toXtTtx6c 
zuzuweisen". 

Wie  Wilamowitz  A.  und  A.  I  174  zugibt,  daß  die  frg. 
wirklich  sophistische  Prosa  aus  dem  fünften  Jahrhundert  sind**),  so 
stimmt  auch 

Drerup  (56),  S.  806  f.,  Blaß  insofern  bei,  als  er  für  erwiesen 
hält,  daß  die  .  .  .  „Exzerpte  einer  moralischen  Abhandlung  des 
fünften  Jahrh.  entstammen";  die  Indizien  aber  für  Antiphon  erscheinen 
ihm  zu  schwach. 


*)  S.  95,  12—24;  S.  96,  1-97,  8;  S.  97,  16—98,  12;  S.  98,  18—99,  15 
und  S.  99,  18—28;  S.  100,  5—101,  6;  S.  101,  11—104,  14  (Pistelli). 
**)  Cf.  jedoch  oben  bei  Protagoras  8.  34. 


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44  Bericht  über  die  Literatur  zu  den  attischen  Rednern 

Gegen  Blaß'  Hypothese  wendet  sich  auch  Töpfer  (147),  nach- 
dem er  Text  und  Übersetzung  der  frg.  mit  ausfuhrlichen  textkritischen 
und  erläuternden  Bemerkungen  gegeben  hat*).  Er  hält  es  für  un- 
möglich, daß  der  Autor  der  opovotot  und  des  frg.  181  mit  unserem 
Anonymus  ein  und  dieselbe  Person  sei. 

Die  Hauptgedanken  der  Studie  von  St.  Schneider  (150)  sind 
diese:  icepl  bpovolas  gehört  dem  Redner  Antiphon,  ist  also  von 
den  neugefundenen  Fragmenten  ebenso  wie  vom  Sophisten 
Antiphon  zu  sondern.  Die  frg.  bei  Jamblichos  stehen  ihrem  Inhalt 
nach  nicht,  wie  Diels  (89),  S.  597,  meint,  den  Abderiten  Protagoras 
und  Demokrit  am  nächsten,  sie  passen  am  besten  zum  Sophisten 
Antiphon ;  namentlich  fällt  beiderseits  häufiges  Zusammenstimmen  mit 
Euripides  auf.  Sie  sind  höchst  wahrscheinlich  aus  der  ÄXTfi&eta  ent- 
nommen. Auf  dieser  Hypothese  nun  baut  er  ein  kühnes  Gebäude 
literarischer  Fehden  auf:  Antiphons  „Wahrheit"  und  Herodots 
„Maskerade"  (im  persischen  Rat)  seien  eine  Replik  von  gemeinsamem 
Geist  auf  die  ÄX^ftewi  des  Protagoras,  in  dessen  Sinn  Thukydides 
den  Perikles  in  seiner  Leichenrede  eine  Duplik  vortragen  lasse,  worin 
ihm  der  anonyme  Verfasser  der  pseudoxenophontischen  Ädijvafav 
itoXiTsfa  sekundiere. 

Zum  Gegenstand  spezieller  Untersuchung  wurde  die  erste  Bede 
xetTdkTijcfj.riTpotäc  gemacht  von  Wilarao  witz  (117),  Keil  (119), 
Weise  (131). 

Die  Abhandlung  von  Wilamowitz  erstrebt  „die  Einsicht  in 
den  Rechtshandel,  für  den  die  Rede  verfaßt  ist",  um  „die  Grundlage 
zu  gewinnen,  auf  welcher  das  Urteil  über  dieselbe  allein  aufgebaut 
werden  kann".  Zu  dem  Zweck  wird  der  Rechtsfall  dargelegt;  dem 
folgt  „die  Analyse  der  ältesten  attischen  Gerichtsrede". 

Gleichfalls  in  zwei  Hauptteile,  deren  erster  den  Rechtsfall  als 
ßouXeumc  erklärt,  deren  zweiter  die  übrigen  Teile  der  Rede  behandelt, 
zerfällt  Keils  Aufsatz.  Weise  handelt  über  Gedankengang  und 
Forum  der  Rede,  die  echt  und  nicht  Übungsrede  ist.  —  Was  das 
verwandtschaftliche  Verhältnis  des  Sprechenden,  sein  Alter  und  die 
die  Vergiftung  begründende  Eifersucht  der  Angeklagten  betrifft,  so 
nimmt  ihn  Wilamowitz  als  Bastard,  entsprossen  einem  während  der 
Ehe  angeknüpften  unerlaubten  Verhältnis;  dem  stellt  Weise  bes. 
§  19  (i&rjtpuia!)  entgegen.  —  Als  Forum  wird  der  Areopag  an- 
genommen.   Der  Fall  selbst  wird  qualifiziert  als  <p<W  exooiioc  — 


*)  Für  den  Text  ist  Schenkls  Rezension  nicht  ohne  Interesse! 


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aus  den  Jahren  1886—1904.  (Emroinger.) 


45 


wie  mindestens  der  ßaaiXeuc  die  Sache  in  seinem  Vorurteil,  dem 
Ankläger  folgend,  aufgefaßt  haben  mußte  (Wilamowitz)  —  oder  als 
ßouXeoai?  unter  Erklärung  des  xeipoopYifaaoa  §  20  von  der  An- 
geklagten im  dramatischen  Pathos  des  sophistischen  Verfassers,  aber 
ate  ßooXeooi?  ^dvou  ßwtfoo  jietä  7cpovota?  (Keil  trotz  Passow  *) ;  ebenso 
Weise,  S.  6  f.).  —  Daß  die  Sache  des  Klägers  auf  schwachen  Füßen 
steht,  indem  Grundlage  des  Urteils  nur  die  Überzeugung  des  Toten 
ist,  betonen  Wilamowitz  und  Keil  und  folglich  Weise;  die  Rede  ist 
ein  dpa'pTopoc.  Dem  muß  die  kunstvolle  Anlage  und  Darstellung 
entsprechen.  Wilamowitz  hebt  besonders  das  Ethos  und  die  drama- 
tische Färbung  der  Kede  hervor  —  überhaupt  ist  zum  Verständnis 
des  Antiphon  das  der  Tragödie  nötig  - ,  Keil  die  kunstvoll  sophistische 
Ausführung. 

Mayrs  (145)  Programm  blieb  mir  unzugänglich. 

Für  die  Tetralogien  steht  noch  immer  die  Frage  nach  ihrer 
Echtheit  im  Mittelpunkt  des  Interesses**). 

Kohm  (111)  benutzt  zum  Beweis  der  Echtheit  der  T.  vor  allem 
die  sogenannten  testimonia  der  Lexikographen  bis  ins  zweite  Jahrh. ; 
er  führt  diese  auf  eine  vor  Hermogenes  zu  setzende  Quelle,  wahr- 
scheinlich das  ativTafp-a  irepl  Avxt<pSvToc  des  Kaikilios  von  Kaieakte 
zurück.  Als  Übungsstücke  aufgefaßt,  widersprechen  die  T.  dem 
Charakter  des  Antiphon  —  der  eine  tIx^  fotopix^  geschrieben 
hat  —  durchaus  nicht;  sie  verstoßen  nicht  gegen  die  sonstige  Rechts- 
überlieferung ;  die  sprachlichen  Abweichungen  sind  nicht  von  Be- 
deutung. Ein  Zeichen  der  Echtheit  ist  die  Gleichartigkeit  der  Beweis- 
führung in  den  T.  und  den  anderen  Reden  des  Antiphon***). 

Cucuel  (114)  findet  (im  dritten  Teil  seines  essai)  zwar  „lexique, 
grammaire,  style"  in  den  Tetral.  vollkommen  denen  der  Reden  ent- 
sprechend, wenn  beim  Vergleich  im  Auge  behalten  wird,  daß  die 
Tetralogien  nach  Gattung  und  Zweck  von  den  Reden  sehr  verschieden 
und  keine  Meisterwerke  sind;  im  allgemeinen  aber  erkennt  er  selbst 


*)  De  crimine  3ou)>tuaeu>c-  Dias.  Leipzig  1886.  —  Cf.  J.  A.  Heikel, 
über  die  sogenannte  ßo6Xeu«c  in  Mordprozestfen.  Helsingfors  1886.  Die 
Abhandlung  ist  auch  für  die  Tetralogien  von  Interesse. 

**)  Aus  den  im  ersten  Abschnitt  aufgezählten,  namentlich  den  gramma- 
tischen Arbeiten  laßt  sich  manches  auch  in  dieser  Frage  Zweckdienliche 
entnehmen. 

••*)  Von  Kohm  (125)  ist  auch  eine  Übersetzung  der  Tetralogien  er- 
schienen. 


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! 


46  Bericht  über  die  Literatur  zu  den  attischen  Rednern 

den  stilistischen  Kriterien  keine  ausschlaggebende  Bedeutung  zu; 
trotzdem  geht  er  auf  die  Sach-  and  Rechtsverhältnisse  nicht  ein. 

Auch  Schierlinger  (126),  s.  unten  S.  54,  hält  trotz  Ab- 
weichungen im  Gebrauch  der  Nebensätze  an  der  Authentizität  der 
T.  fest. 

Brückners  Hauptargument  für  die  Unechtheit  der  T.  liegt  in 
der  elocutio.  Mit  Benutzung  von  Ignatius  (de  A.  Rh.  elocutione) 
stellt  er  auffallende  poetische  Wörter,  Neologismen  (besonders  Zu- 
sammensetzungen), Jonismen,  dann  Besonderheiten  in  der  auv&eatc 
^vojictTu»  zusammen;  als  Maßstab  der  Beurteilung  dient  neben 
Antiphon  Thukydides ;  Fälle,  die  ihre  Analoga  nur  bei  Dichtern  oder 
Herodot  haben,  können  hier  so  wenig  wie  bei  Thukydides  Ver- 
anlassung sein,  die  T.  als  unattisch  zu  bezeichnen.  Als  Resultat 
ergibt  sich,  daß  der  attische  Verfasser  der  T.  jedenfalls  Zeitgenosse 
des  Herodot  und  Thukydides  war.  Kann  es  Antiphon  gewesen 
sein?  Nein:  (Tetralogiarum  scriptor  et  Antiphon  non  modo  saepius 
eandem  notionem  diversis  vocabulis  efferunt,  non  modo  quas  voces 
pervulgatas  alter  abunde  adhibet,  alter  plane  neglegit;  non  modo 
singulae  formae,  singulae  dictiones  aliae  nie  aliae  illic  exstant; 
non  modo  non  Semper  idem  verborum  ordo  reperitur,  sed  etiam  id 
quod  maximi  momenti  putarim ,  particularum  usu  consuetudo  tetra- 
logiarum  ab  orationibus  eximie  recedit.)  Vielleicht  war  ein  Schüler 
Antiphons  Verfasser  der  T. 

Diesen  Verfasser  findet  Buresch  (120)  in  einem  Exkurs,  S.  133  ff., 
definitiv  in  dem  Sophisten  Antiphon.  Gerade  eine  ältere  Marburger 
Dissertation  von  Both  (1875),  in  der  die  tetr.  und  Reden  miteinander 
ohne  Scheidung  mit  des  Thukydides  Stil  und  Sprachgebrauch  verglichen 
werden,  hat  ihm  bewiesen,  daß  die  Tetralogien  unecht  sind  und 
dem  Sophisten  Antiphon  gehören.  Denn  alle  ungewöhnlichen  und 
poetischen  Wendungen,  die  aus  „Antiphon"  zu  Thukydides  in  Parallele 
angeführt  werden,  sind  aus  den  Tetralogien.  Beispiele  davon  sind 
angefügt. 

Nach  Jahresfrist  schon  erhält  A.,  der  Rhamnusier,  seine  Tetra- 
logien zurück  durch  Brandenburger  (123).  Gegen  den  oben 
genannten  Brückner  macht  er  in  einer  Note  geltend,  die  Bedenken 
seines  zweiten  Teiles  schwänden  bei  der  Annahme ,  daß  die  T.  vor 
or.  V  und  VI  verfaßt  seien.  Hauptsächlich  wendet  sich  Br.  gegen 
v.  Herwerden  und  Dittenberger  *).  Sicher  ist  jedenfalls  der  Übungs- 


*)  Cf.  Blaß,  Ber.  1882,  S.  224 


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aus  den  Jahren  1886—1904.  (Emminger.) 


47 


zweck  der  Tetralogien.  Gegen  Herwerden  jedoch,  der  dieselben  satis 
recenti  aetati  zugeschrieben  hatte,  weist  er  für  eine  Reihe  von 
Wörtern  nach ,  daß  sie  weder  abweichend  vom  sonstigen  Gebrauch 
attischer  Werke,  noch  viel  weniger  labentis  graecitatis  seien.  Die 
Zahl  dichterischer  oder  ungewöhnlicher  Ausdrücke  darf  in  den  Tetr. 
größer  sein,  wenn  man  sie  nur  an  den  Anfang  der  schriftstellerischen 
Tätigkeit  des  Antiphon  setzt.  Gegen  Dittenberger  untersucht  Br. 
sententias  et  argumenta,  die  Disposition,  besonders  die  rechtlichen 
Verhältnisse ;  so  wird  z.  B.  die  Möglichkeit  des  Prozesses  in  B  (=  HI), 
obwohl  fahrlässige  Tötung  iv  aöXot?  vorliegt,  durch  Heranziehung  von 
Demosthenes'  Gesetzerläuterung  (Aristokr.  54)  gegenüber  dem  viel- 
leicht gefälschten  Gesetz  erklärt,  Pf  4  te-d  8e  usw.  als  Interpolation 
getilgt;  auf  ähnliche  Weise  werden  sachliche  Schwierigkeiten  aus 
allen  T.  behoben. 

Hausen  (184)  hinwiederum  will  Herwerden  und  Dittenberger 
ergänzen  und  bestätigen.  Die  „testimonia"  erklärt  er  für  wertlos, 
bespricht  die  Meinungen  neuerer  Gelehrten  über  das  Verhältnis  des 
Zwiegesprächs  zwischen  Perikles  und  Protagoras  zu  B  (=  III),  über 
Eingliederung  der  Tetralogien  in  die  fragliche  xfyvr)  fatoptxT,  des 
Antiphon,  über  Auffassung  derselben  als  Übungs-  oder  Musterreden.  Die 
Untersuchung  der  Rechtsverhältnisse  gibt  ihm  das  Resultat,  der  Autor 
der  T.  habe  weder  Kenntnis  noch  Übung  in  gerichtlichen  Dingen 
besessen,  überhaupt  sei  alles  dunkel,  verworren,  unzusammenhängend. 
Antiphon  kann  ihr  Autor  nicht  sein. 

Vor  allem  von  der  sachlichen  Seite  greift  Dittenberger  (140/ 1 ) 
in  zwei  aufeinanderfolgenden  Aufsätzen  des  Hermes  die  Tetralogien 
an*).  Seine  erste  Frage  ist:  Sind  die  Tetr.,  gleichgültig,  wer  ihr 
Verfasser  ist,  eine  zuverlässige  Quelle  für  das  zur  Zeit  ihrer  Ent- 
stehung in  Athen  geltende  Recht?.  Der  Satz  (etwa):  6  vo^o?  sXpyzi 
jatqtc  dhixü>i  ji^xe  5ixa(u>;  droxTstvetv  und  die  Verteidigungsmethode, 
die  sich  nirgends  „auf  die  Straflosigkeit  der  gerechten  Tötung  beruft", 
beweisen,  „daß  der  Verfasser  der  T.  ein  Gesetz  als  geltend  voraus- 
setzte ,  welches  den  Stxotto?  tpovoc  ebensowohl  wie  den  aöixoc  verbot 
und  unter  Strafe  stellte".  Aber  der  Grundsatz  der  Straflosigkeit  der 
gerechten  Tötung  hat  im  attischen  Recht  zu  allen  Zeiten  Geltung 
gehabt.  Dieser  Widerspruch  besteht  auch  trotz  Blaß  AB  1 2  164  Anm.  3 
und  Brandenburger.  Es  ist  also  „die  Fiktion,  die  für  die  Tat- 
bestände der  Fälle  evident  ist,  auch  auf  die  rechtlichen  Normen 


*)  Auch  Wilamowitz  trat  in  der  Akademieabhandlung  (144)  entgegen 
seiner  früheren  Meinung  Dittenberger  bei. 


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48 


Bericht  über  die  Literatur  zu  den  attischen  Kednern 


ausgedehnt."  Damit  scheiden  die  T.  aus  der  Zahl  der  Quellen  für 
das  attische  Recht  aus.  In  Konsequenz  davon  können  die  T.  fortan 
auch  nicht  mehr  zur  Korrektur  sonst  ganz  zuverlässig  überlieferter 
Gesetzes  Vorschriften  verleiten.  Kann  für  einzelne  solcher  Fälle 
Irrtum  angenommen  werden,  so  liegt  gerade  für  die  wichtigsten 
Punkte  j, absichtliche  Ignorierung  des  bestehenden  Rechtes"  vor. 
Dann  können  die  T.  auch  nicht  zu  Unterrichtszwecken  verfaßt  sein ; 
es  bleibt  also  die  Annahme  eines  allerdings  für  diese  Zeit  höchst 
auffälligen,  aber  in  der  Sophistenära  durchaus  nicht  unerklärlichen 
lusus  ingenii.  Jedenfalls  erwachen  Zweifel  an  der  Überlieferung, 
„wonach  die  T.  von  dem  bekannten  Staatsmann  und  Redner 
Antiphon",  der  (Thuk.  VIII  68)  „durch  und  durch  Praktiker  war 
und  Schriftsteller  erst  in  vorgerückten  Jahren  auf  eine  äußere 
Veranlassung"  (Gorgias  427)  „und  zu  praktischen  Zwecken  geworden 
ist",  herrühren  sollen.  Muß  man  aber  die  Tetralogien  wie  alle 
anderen  schriftstellerischen  Leistungen  Antiphons  in  seine  letzte  Lebens- 
zeit setzen,  so  schneidet  man  sich  die  Möglichkeit  ab,  „die  auf- 
fallenden Verschiedenheiten  der  Sprache  unter  Voraussetzung  der 
Identität  des  Verfassers  plausibel  zu  inachen".  Diese  Sprache 
schließt  1.  ihre  Herkunft  vom  Verfasser  der  or.  I.  V.  VI.,  2.  ihre 
Abfassung  durch  einen  geborenen  Athener  absolut  aus.  Was  man 
durch  zeitlichen  Unterschied  erklären  wollte,  ist  in  einem  solchen 
des  Ortes  begründet,  man  wird  nach  Ionien  gewiesen.  Schlußergebnis 
ist:  „Die  Tetralogien  sind  in  Athen  von  einem  dort  lebenden,  aber 
aus  dem  ionisch  redenden  Osten  der  hellenischen  Kulturwelt  ent- 
stammenden Manne  zu  Ende  des  perikleischen  Zeitalters  oder  wahr- 
scheinlicher während  des  peloponnesischen  Krieges  verfaßt;  derselbe 
war  gebildet  und  namentlich  von  der  sophistischen  Zeitströmung  nicht 
unberührt,  besaß  aber  keine  genauere,  auf  praktischer  Erfahrung 
beruhende  Kenntnis  des  Rechts-  und  Gerichtswesens ;  er  bediente  sich 
des  attischen  Dialektes,  aber  nicht  ohne  unabsichtlich  mancherlei 
aus  seiner  eigenen  Muttersprache  einfließen  zu  lassen." 

Parallel  hiermit  gehen  die  Ausführungen  von  Szanto  (139); 
nach  ihm  sind  mit  Absicht  nicht  wirklich  bestehende  Gesetze  und 
Rechtsverhältnisse  zugrunde  gelegt ,  um  rein  theoretisch  das  Ver- 
hältnis von  Schuld  und  Sühne  zu  diskutieren  und  die  Reformbedürftig- 
keit des  attischen  Kriminal  rechtes  zu  erweisen. 

Blaß  weist  in  den  Nachträgen  Aß  III  28,  S.  358  ff.,  gerade 
die  rechtlichen  Gründe  Dittenbergers  gegen  die  Authentizität  zurück, 
anerkennt  aber  das  Verdienst  der  Beobachtung  bei  (Herwerden  und) 
Dittenberger  namentlich  nach  der  sprachlichen  Seite.  Gleichwohl 


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i 


aus  den  Jahren  1886—1904.  (Emminger.)  49 

hält  er  die  Unechtheit  noch  immer  nicht  für  erwiesen,  zumal  da  kein 
besser  passender  Autor  gefunden  wurde. 

Gerade  nach  der  sprachlichen  Seite  wird  diese  Zurückweisung 
der  inhaltlichen  Verdachtsmomente  ergänzt  durch  die  Verteidigung,  die 
Drerup  (56)  nach  kurzer  Besprechung  der  juristischen  Streitfrage 
aus  der  historischen  Stilbetrachtung  für  die  Echtheit  der  T.  gewinnt. 

Lipsius  (151)  nimmt  nun  die  Frage  von  der  juristischen  Seite 
wieder  auf  (I).  Zuerst  handelt  es  sich  wieder  um  das  angebliche 
Gesetz,  das  gerechte  und  ungerechte  Tötung  gleichmäßig  verbietet. 
L.  gibt  nun  zwar  zu,  daß  kein  attisches  Gesetz  bekannt  ist,  das  jede 
Tötung  für  strafbar  erklärt.  Aber  entscheidend  ist  das  richtige 
Verständnis  der  einschlägigen  Stellen  in  T:  „so  wenig  wird  ein  Gesetz 
anerkannt,  das  auch  die  gerechtfertigte  Tötung  für  strafbar  erkärt, 
daß  vielmehr  die  Berechtigung  zur  Tötung  aus  dem  Recht  der  Not- 
wehr in  allerentschiedenster  Weise  behauptet  und  daraus  im  folgenden 
die  Notwendigkeit  der  Freisprechung  gefolgert  wird."  Der  Kläger 
kann  also  kein  bestimmtes  Gesetz  meinen,  „sondern  er  kann  nur  die 
Blutgesetzgebung  als  Ganzes  im  Sinne  haben,  die  auf  Verhütung 
jeder  Tötung  geht." 

Auch  die  übrigen  Argumente  Dittenbergers  fallen:  (II)  gegen  die 
Interpretation  des  dTrevtauTKJjAOC  im  wörtlichen  Sinne  führt  er  ein  Scholion 
zu  B  665  ins  Feld,  das  die  Verweisung  auf  fünf  Jahre  ausdehnt ;  den 
Widerspruch  aus  Tetr.  A  mit  den  attischen  Gesetzen  löst  er  dadurch, 
daß  er  {gpoouXfa  (Entwendung  heiligen  Gutes  aus  heiliger  Stätte) 
und  xXoirij  Eep&v  xpi^u-otTov  als  zwei  verschiedene  Verbrechen  scheidet, 
die  auch  verschieden  bestraft  werden.  Wenn  nun  auch  sprachliche 
Differenzen  bleiben,  so  ist  L.  doch  überzeugt,  daß  der  attische 
Rechtsbrauch  den  Boden  bildet,  auf  dem  die  Tetr.  erwachsen  sind. 

Hält  das  Ditten berger  (152)  auch  gerade  nach  den  sprach- 
lichen Unterschieden  (bes.  dbceAof^fbjv)  nicht  für  möglich,  so  will  er 
doch  auch  nicht  den  Hauptnachdruck  darauf  legen.  Während  er  auf 
die  Zerlegung  des  Sacrilegiums  in  zwei  Arten  mit  Vorbehalt  eingeht 
(III)  und  gegen  das  Scholion  (II)  die  geringe  Glaubwürdigkeit  ins 
Feld  führt,  ist  sein  Hauptargument  gegen  die  Erklärung,  die  L.  für 
das  jede  Tötung  verbietende  „Gesetz"  gibt:  „es  hat  noch  niemand 
die  Gründe  widerlegt,  aus  denen  ich  überhaupt  das  Vorhandensein 
eines  direkten  generellen  Verbotes  der  Tötung  in  dem  drakontischen 
Kodex  in  Abrede  gestellt  habe". 

Etwa  vorbereitet  durch  Kohm  ist  die  Ansicht  Gerck es  (102), 
daß  wir  in  den  Tetr.  die  t^vt)  des  Antiphon  wiederfinden  dürften. 

JthratWicfct  fOr  AltortaiRswisaeotthaft.    Bd.  CXXXIII.    (1907.   1.)  4 


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50  Bericht  über  die  Literatur  zu  den  attischen  Rednern 

Navarre  (54)  betont  für  den  ganzen  Antiphon  besonders  die 
Wirkung  auf  die  praktische  Rhetorik,  den  Lehrzweck;  ihm  sind  die 
T.  Reste  aus  einer  wahrscheinlich  größeren  Zahl  verbesserter 
Schülerarbeiten. 

Das  Verständnis  der  zweiten  Tetralogie,  deren  Rechtsfall  mit  der 
Kontroverse  zwischen  Perikles  und  Protagoras  zusammentrifft,  fördert 
die  Darlegung  ihres  Gedankenganges  durch  Wilamowitz  (128), 
der  abermals  als  Grundbedingung  für  die  Beurteilung  des  Antiphou 
das  Verständnis  der  Kunst  der  Tragiker  betont.  (Protagoras  leges 
ab  hominibus  datas  iniustas  esse  xortd  tov  työörciTOv  X<ypv  saepe 
declamavit .  .  .  Antiphon,  qui  patriarum  legum  semper  agit  laudatorem, 
hic  quoque  ostendit  leges  quidem  laudandas  esse,  sed  opus  esse 
perita  ac  subtili  iuris  interpretatione). 

Kritisch-exegetische  Beiträge  zu  den  Tetralogien  gibt  K  oh m  (112) 
in  Fortsetzung  seiner  Studien  in  ZöGy  XXXV  =  1884,  S.  81—99, 
worüber  Hüttner  Ber.  1886,  S.  21. 

Bei  der  fünften  Rede  handelt  es  sich  zunächst  um  Bestimmung 
der  Art  des  Prozesses,  für  den  sie  geschrieben  ist.  Neben  Lipsius  (73), 
S.  270,  kommt  hierfür  Sorof*)  und  Schwartz  (203)  besonders 
in  Betracht.  Wir  haben  die  Klageform  der  d-na^m^.  Diese  war 
ursprünglich  nur  gegen  xctxoup-pi  statthaft,  welche  die  Öffentliche 
Sicherheit  gefährdeten,  fand  später  aber  auch  auf  Mordprozesse  An- 
wendung, wobei  dann  der  Täter  nach  dem  stehenden  Ausdruck 
ctüTO<pc&pq>  ergriffen  sein  mußte.  Sorof  nun  hält  für  die  Erklärung 
des  Falles  an  der  älteren  Form  fest,  muß  demnach  das  Wort 
xaxoöpYOC  betonen.  Aus  §  9,  wo  die  Zeugen  nicht  bestätigen 
können,  daß  der  Angeklagte  ein  Raubmörder  sei,  schließt  er,  daß 
wenigstens  die  Anklageschrift  eine  solche  Behauptung  aufgestellt  habe 
und  der  Angeklagte  deshalb  vor  die  Elfmänner,  nicht  vor  den  Areopag 
gekommen  sei.  (Blaß  AB  I8,  S.  177,  Anm.  1,  bemerkt  dazu  §  9 
jActpTope;  sei  mißverstanden.) 

Schwartz  (203)  läßt  zur  Zeit  des  Prozesses  die  Klageform  in 
die  Entwicklung  zu  ihrer  späteren  Anwendung  bereits  eingetreten 
sein;  er  erklärt  daher  das  ir'  a&TO<p<op«u  dahin,  daß  der  Kläger  ;>ich 
auf  Autopsie  oder  auf  zwingenden  Indizienbeweis  stützen  konnte,  der 
Ausdruck  4ir'  aot.  somit  nicht  allein  auf  das  Ergreifen  in  flagranti  zu 
beziehen  sei.  —  Hierzu  vgl.  man  die  Berichtigung  von  Lipsius  (161) 
und  überhaupt  unten  zu  Lys.  XIII. 

•)  M.  Sorof,  die  iztrf.  in  Mordprozessen.  NJklPh  127,  2  S.  105-113. 


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aus  den  Jahren  1886—1904.  (Emminger.) 


51 


Als  den  Mytilenäer,  für  den  die  Rede  geschrieben  wurde,  nennt 
Bohl  mann  (116)  nach  Mätzner  und  Meuß  einen  Euxitheos  (Sopatros, 
IV  316  Walz).  Bedenken  äußert  hiegegen  Wilamowitz  A.  u.  A. 
II  369  Anm.  3.    Cf.  Blaß  ABI2,  Nachtrag  S.  645. 

Die  Echtheit  der  sechsten  Rede  war  1870  von  Wagener  an- 
gezweifelt worden ;  er  glaubte  sie  von  einem  späteren  Rhetor  verfaßt. 
Gegen  ihn  wendet  sich  Brinkmann  (121).  Zuerst  untersucht  er 
den  Rechtsfall,  den  er  als  ßouXsoat;  ^voo  avso  Ttpovoia?  auffaßt; 
ßQtSXsotJi;  erklärt  er  dabei  als  intellektuelle  Urheberschaft,  stellt 
ßo'jXsust;  <p<Svoo  aveo  7tpovota?  mit  ßooXeoai?  cpovoo  dxouafa  gleich  und 
setzt  sich  auf  dieser  Grundlage  besonders  mit  Wagener,  Philippi, 
Herrlich,  Passow  auseinander.  —  Die  Rede  selbst  ist  verstümmelt: 
§  51  ist  untergeschoben;  nach  §  50  folgte  ursprünglich  eine  kurze 
Darlegung  über  die  Bestechung  des  Ph.  durch  die  Finanzunter- 
beamten und  Beweis  hierfür,  darauf  die  Ausführungen  außer  der 
Rechtssache  und  schließlich  ein  Epilog.  —  Ein  drittes  und  viertes 
Kap.  wenden  sich  gegen  die  in  der  Sache  und  Disposition  begründeten 
Anstöße,  die  Wagener  zur  Athetese  veranlaßten.  —  Wie  dieser  ver- 
gleicht er  dann  or.  V  und  VI  nach  der  Seite  der  elocutio ;  er  stellt  fest, 
daß  in  VI  der  Periodenumfang  größer  sei,  während  Figuren,  besonders 
Antithesen,  in  V  sich  zahlreicher  fänden;  daß  der  Infinitiv  mit  Ar- 
tikel in  VI  nie,  in  V  mehrmals  gebraucht  werde.  Doch  hält  er  eine 
so  rasche  Entwicklung  vom  Stil  der  V.  zu  dem  der  VI.  Rede, 
wie  sie  sich  aus  dem  Vergleich  ergäbe,  bei  dem  schon  alten  Antiphon 
nicht  für  wahrscheinlich,  vielmehr  scheint  es  Brinkmann,  Antiphontis 
ingenium  complura  dicendi  genera,  qualia  quidem  in  uno  oratore 
esse  possunt,  complexura  esse.  Similiter  iam  Hoppius  de  oratoris 
^Öoicoua  quae  vocatur  judicavit. 

Eine  mehrfach  erörterte  Frage  ist  die  nach  der  Abfassungszeit 
der  Choreutenrede.  Mit  Sauppe  in  den  Or.  Att.  II  144  hatte 
R.  Schöll*)  als  Jahr  Olymp.  92,  1  =  412'11  aufgestellt.  Als 
Frühgrenze  wurde  die  sizilische  Niederlage  angenommen,  nachdem 
für  die  damalige  Zeit  der  Not  Zuteilung  zweier  Phylen  an  einen 
Choregen  und  Ausrüstung  der  Theten  als  Hopliten  zu  passen  schien. 
Als  Spätgrenze  mußte  die  oligarchische  Umwälzung  vom  Jahr  412/11 
gelten.  Die  Thargelien  der  Rede  waren  also  die  des  Jahres  412, 
Ende  412. 

*)  Comment.  philol.  in  hon.  Theod.  Momnisenii.  Berlin  1877  (S.  451 
-470). 

4* 


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52 


Bericht  über  die  Literatur  zu  den  attischen  Rednern 


B.  Keil  (130)  nun  führt  gegen  den  ersten  Grund  des  terminus 
post  quem  unsere  aus  Arist.  'Afhjv.  iroXtteta  56  geschöpfte  Erkenntnis 
von  der  Ordnungsmäßigkeit  dieser  Choregiezuteilung  ins  Feld  und 
gegen  den  anderen  die  Möglichkeit  des  öfteren  Eintretens  dieses  Zu- 
standes.  Es  ist  also  die  Festsetzung  auf  412  unerwiesen  —  nach 
den  Berechnungen  Keils  sogar  unmöglich.  In  der  ganzen  92.  Olympiade 
wichen  die  athenischen  Amtsjahre  von  den  entsprechenden  Kalender- 
jahren ab,  und  zwar  so,  daß  die  Anfangs-  und  Endtermine  der  Amts- 
jahre vor  den  gleichen  Terminen  der  Kalenderjahre  lagen.  Die 
Amtsjahre  aber,  von  welchen  unsere  Rede  berichtet  (§§  45  und  44), 
beginnen  nicht  vor,  sondern  nach  dem  entsprechenden  Kalenderjahr; 
die  Jahresreihe  415/10  ist  also  ausgeschlossen.  —  Aus  CIA  I  273 
wird  berechnet,  daß  während  des  Quadrienniums  Ol.  88,  3  —  89,  2 
(=  427/6—424/3)  der  Anfang  der  Amtsjahre  nach  dem  gleichen 
Termin  der  entsprechenden  Kalenderjahre  fiel:  dieselbe  Erscheinung 
wie  in  der  antiphontischen  Rede.  „Es  scheint  damit  etwa  die  Epoche 
indiziert,  welcher  die  Rede  angehört."  Diesem  Ansatz  widersprechend 
könnte  jemand  aus  stilistischen  Gründen  die  Choreutenrede  für  die 
jüngste  der  erhaltenen  erklären  wollen.  Aber  „es  ist  nicht  aus- 
geschlossen, daß  Antiphon  unter  dem  Druck,  den  die  junge  thrasy- 
machische  Schule  nach  dem  lauten  Zeugnis  des  Aristophanes  schon 
frühe  machte,  in  einer  Periode  seiner  rednerischen  Entwicklung 
dieses  oder  jenes  von  der  neuen  Richtung  annahm,  dann  aber  zu 
einer  älteren  Weise  zurückkehrte"  wie  Thukydides. 

In  einem  zweiten  Aufsatz  vom  gleichen  Jahr  sucht  Keil  (137) 
auf  Grund  dessen,  was  er  als  Ursache  der  Verschiedenheit  des  Amts- 
und Kalenderjahres  (A.-J.  um  412  vor,  um  425  nach  K.-J.)  übrr 
System  und  Einführungsjahr  (503)  des  kleisthenischen  Kalenders  be- 
rechnet hat,  die  Abfassungszeit  unserer  Rede  genauer  zu  bestimmen. 
Nach  seiner  Tabelle  kommen  in  Betracht  425,  430,  435.  VI  ist 
einige  Monate  jünger  als  die  philinischc  Rede  (s.  unten  S.  53),  diese 
erst  nach  427:  es  bleibt  also  425  übrig*). 

Dadurch  wird  einmal  der  politische  Zusammenhang  der  Rede 
beleuchtet:  der  Prozeß,  in  dem  sie  gehalten  wurde,  ist  „ein  demo- 
kratischer Kontrecoup  in  dem  Kampf"  der  Aristokratie  gegen  die 
Demokratie,  der  am  17.  Thargelion  412  zum  Sieg  der  Oligarchie 
führt.  Zweitens  aber  rückt  damit  die  Rede  nahe  an  die  Daitaleis, 
„in  denen  wir  den  bedeutenden  Eindruck,  den  Thrasy machos 


*)  §  44  demnach:  7rap«tcav  xai  tojtov  toü  fAT//,;  (?pe?c  xal)  efxoaiv: 
23.  Metageitn.,  etwa  16.— 18.  Dezember  425. 


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aus  den  Jahren  1886—1904.  (Emmingen) 


53 


gerade  in  jenen  Jahren  machte,  erkennen".  Noch  wichtiger  aber  ist, 
daß  auf  eine  Technik  zu  schließen  ist,  „die  Antiphon  in  Athen  von 
Athenern  gelernt  hat,  die,  wie  wir  jetzt  nicht  mehr  zu  vermuten 
brauchen,  sondern  sehen  können,  lange  bestanden  haben  muß,  ehedem 
ein  Thrasy machos  oder  gar  ein  Gorgias  auf  dem  Plan  erschienen". 
Es  folgen  Bemerkungen  über  das  Verhältnis  dieser  „attischen" 
Beredsamkeit  zu  der  des  Thrasymachos  und  Gorgias,  wozu  vor  allem 
Drerup  (56),  S.  278  zu  vergleichen  ist. 

Blaß  im  Nachtrag  AB  III,  22,  367  f.,  schließt  sich  im 
wesentlichen  Keil  an. 

Wilamowitz  (144)*)  hat  sich  von  Keils  Ansatz  nicht  über- 
zeugt fühlen  können.  Beispielsweise  stimme  die  Rechnung  für  das 
Jahr  der  Marathonschlacht  nicht.  „So  deutlich  es  ist,  daß  das  Rats- 
jahr um  viele  Tage  nachging,  so  unmöglich  ist  es,  mit  unserem 
Material  das  Jahr  festzustellen  **)."  Im  übrigen  ist  der  Inhalt  dieses 
Akademievortrags  im  Bericht  selbst  kurz  dahin  angegeben :  „  Aus  der 
Analyse  der  Rede  ergibt  sich,  daß  sie  vollständig  ist,  aber  die  ersten 
sechs  Paragraphen  ein  Proömium,  das  auf  diesen  Fall  gar  nicht  paßt, 
vermutlich  aus  den  Proömien  des  Antiphon  stammend.  Die  in  der 
Rede  gegebenen  Daten  sind  heil,  genügen  aber  nicht  zur  Fixierung 
des  Jahres". 

Daß  die  Rede  xata  OiUvoo  ein  Prozeß  x^o^Tj?  war,  wird  bestätigt 
durch  schol.  BT  zu  T  368  (?  369) :  Wilamowitz  A.  u.  A.  II  347,  Anm  3. 

Zu  irpöc  NixoxXla  irept  ffptuv  cf.  Wilamowitz  a.  a.  0.  I  218. 

Die  Rede  irept  toD  AtvÖfu>v  <p6pou  ist  (unter  Vergleich  von  CIA  I  233) 
nach  Bannier  bei  Keil  (137),  S.  339,  ins  Jahr  425/4  zu  setzen. 

Zur  Textkonstitvtion  und  Erklärung  einzelner  Partien  der  Werke 
Antiphons  trugen  außer  den  gelegentlich  zitierten  bei: 

Sonne  (122)  (zu  Ta  2:  vor  dseßeiv  uiv  lies  rcepl  xöv  öe<Sv); 
H.  Seume  bei  Sauppe  (115)  zu  2; 
Wilamowitz  A.  und  A.  II  347  zu  VI,  36:  d»c  autou  6.  >j. 
Kohm  (132  und  143)  zur  I.  V.  und  VI.  Rede; 
Hemstege  (133)  und  neuestens  Naber***)  zu  sämtlichen 
Schriften. 


*)  Cf.  auch  A.  u.  A.  II  347  (u.  Anm.  3). 
**)  Zu  dem  hier  wichtigen  §  44  hat  eine  Textveränderung  Sauppe  (115) 
vorgeschlagen:  .  .  toü  fx^vo«  xpet;  (aut  T^aaapo«)  fyiipac;  dann  bjiv.  otjtoic 
xActv  rpuhcovra. 

***)  S.  A.  Naber.  adnot.  critic.  Mn  XXXIII  =  1905  S.  157-185. 


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54 


Bericht  über  die  Literatur  zu  den  attischen  Rednern 


Einen  vortrefflichen  Index  Antiphonteus  besitzen  wir  von 
van  Cleef  (138).  —  Die  Lexikonprobe  von 

Wetzeil  (127)  reicht  bis  djAtpoTepoi :  findet  man  sich  einmal 
zurecht,  so  kann  man  vieles  finden! 

Auf  Antiphon  als  Stilisten  und  seine  Entwicklung  ist  vielfach  in 
den  bereits  aufgeführten  Abhandlungen  Rücksicht  genommen  (z.  B. 
bei  Brinkmann,  Keil,  Wilamowitz,  natürlich  auch  Blaß  AB.) 

Mit  den  Partikeln  im  besonderen  beschäftigt  sich  die  Diss.  von 
Rosenthal  (135).  Es  sind  die  Konjunktionen  xat  -ck  otäi  oute; 
>j  etre;  dUa  U  jt&v  —  U;  ji^  mit  Zusammensetzungen;  701p  eicet; 
ouv  tofvov  apa  xotfaptoi  Toiyotpouv  aus  allen  Schriften  des  Antiphon 
gesammelt  und  nach  ihrer  verschiedenen  Verbindung,  Stellung  und 
Wirkung  gruppiert,  eine  Vorarbeit  für  ein  Antiphonlexikon.  Da- 
zwischen ist  eine  Untersuchung  de  negationibus  eingeschoben.  Zwei 
kleine  Tabellen  für  xat  —  xa(  und  70p  erleichtern  die  Übersicht. 
Auf  das  Vorkommen  und  die  Verwendung  der  Partikeln  in  den 
Tetralogien  ist  ein  besonderes  Augenmerk  gerichtet;  alle  Reden 
gelten  dem  Verfasser  als  echt. 

Über  Po  lack  (15)  und  Gentsch  (25),  s.  oben  S.  16.  Ihre 
Untersuchungen  beziehen  sich  auf  die  Frage-  bezw.  Kondizionalsätze. 

Schierlingers  (126)  Plan  geht  dahin,  „durch  möglichst  voll- 
ständige Zusammenstellung  und  Vergleichung  der  unterordnenden 
Satzverbindung,  wie  sie  uns  in  den  Gerichtsreden  und  den  Tetralogien 
entgegentritt,  das  Verhältnis  der  einzelnen  Reden  zueinander  näher 
zu  beleuchten".  Nur  wenige  Beispiele  zum  Vergleiche  stehen  aus 
den  Tetralogien  für  Konsekutiv-  und  Kausalsätze  zu  Gebote ,  Final-. 
Komparativ-  und  Relativsätze  zeigen  keine  Abweichungen,  wohl  aber 
die  übrigen.  Aber  da  die  T.  „nicht  als  vollendete  zum  Gebrauch 
fertige  Reden,  sondern  hauptsächlich  als  Entwürfe  anzusehen  sind", 
können  sie  doch  „mit  Sicherheit  als  Schriften  des  berühmten  Redners 
Antiphon  bezeichnet  werden". 

Umfassender  ist  der  Essai  über  die  Sprache  des  Antiphon  von 
Cucuel  (114).  Die  Einleitung,  deren  S.  41  bereits  Erwähnung 
getan  ist,  handelt  von  den  Handschriften  und  ihrem  relativen  Wert. 
Der  Hauptteil  zerfällt  in  drei  Abschnitte,  deren  erstere  beide  mit 
allgemeinerer  Tendenz  den  Zweck  verfolgen  „de  re'unir  des  materiaux 
qui  serviront  ä  composer  un  jour  un  chapitre  de  la  syntaxe  historique 
du  dialecte  attique."  In  dieser  Absicht  ist  im  ersten  Teil  „le  lexique" 
(Komposita,  Abstrakta,  Wortbedeutung,  poetische  Ausdrücke,  faa$ 
efpr^eva,  Synonyma,  Metaphern  und,  gewissermaßen  zusammenfassend, 


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aus  den  Jahren  1886—1904.  (Emmingen) 


55 


Tarcbaisme  d'Antiphon),  im  zweiten  Teil  die  Syntax  des  Antiphon 
nach  den  gewöhnlichen  Unterabteilungen  behandelt.  —  Beigefügt  ist 
eine  —  nicht  sehr  einläßliche  —  Studie  über  die  Echtheit  der 
Tetralogien,  die  angenommen  wird. 

In  zwei  Aufsätzen  beschäftigt  sich  Reuter  (148,  149)  mit  der 
Technik  des  Antiphon ,  das  heißt  mit  der  Frage  nach  den  Mitteln, 
mit  welchen  der  Aufbau  seiner  Reden  hergestellt  ist.  Gegenüber 
Schwartz  (96),  der  das  Schema  des  gorgianischen  Palamedes  bei 
Antiphon  wiederzufinden  glanbte,  entdeckt  R.  des  Antiphon  Kunst- 
regel aus  der  Zusammenstellung  von  Plato  Phaedr.  266  D  ff.  und 
Antiph.  VI  30  f.  Aus  den  Reden  wird  dann  die  Probe  auf  das 
gefundene  Schema  gemacht.  Doch  muß  R.  einräumen,  daß  die  ge- 
wonnene Norm  bedeutende  Erweiterungen  in  der  Praxis  der  drei 
Reden  erfährt  und  trotzdem  manches  sich  nicht  gut  unterbringen 
läßt.  Gleichwohl  „erschließt  sich  eine  Symmetrie,  die  darum  nicht 
minder  reizvoll  ist,  weil  sie  sich  verbirgt."  —  Der  zweite  Abschnitt 
behandelt  die  Elemente  des  Plaidoyers.  An  der  Staate  von  V 
19—24,  31—35,  VI  11—15,  34—41,  läßt  sich  die  Beobachtung 
machen,  daß  häufig  „stimraungmachende  Bemerkungen  die  reinen 
Tatsachen  der  Erzählung  überwuchern"  und  „wo  das  nicht  der  Fall 
ist,  wie  in  I,  der  scheinbar  objektive  Ton  nicht  wenig  subjektiv  und 
tendenziös  gefärbt"  sich  zeigt.  Ähnlich  ist  beim  Beweisverfahren 
sowohl  mittels  Texjx^piov,  wie  1%  xou  efxöroc  die  Überredung,  Be- 
einflussung der  Zuhörer  die  Hauptabsicht ;  „durch  die  Zuversichtlich- 
keit und  den  scheinbaren  Scharfsinn",  womit  „ein  ganz  bestimmtes 
Verfahren  oder  Verhalten  als  das  einzig  Normale  hingestellt  wird", 
womit  „die  eine  Möglichkeit  als  die  einzige  behauptet  wird", 
wird  der  Hörer  verhindert,  andere  Möglichkeiten  zu  erwägen.  Ebenso 
kommt  es  bei  der  Erläuterung  der  Zeugenaussagen,  der  Abwägung 
von  Klage  und  Verteidigung  und  natürlich  beim  Ausfall  auf  den 
Gegner  ausgesprochen  „auf  einen  moralischen  Effekt"  an. 

Ein  dritter  Abschnitt:  „Die  psychischen  Elemente  der  Rede 
und  das  Stichwort"  mustert  diejenigen  Teile  der  Reden,  „in  denen 
das  impulsive  Element  überwiegt",  d.  h.  zunächst  Einleitung  und 
Schluß,  aber  auch  Stellen  des  Plaidoyers,  die  „bei  näherem  Zusehen 
als  Appell  an  das  Gemüt  aufzufassen  sind".  Dazu  bedient  sich  A. 
der  Stichwörter.  Reuter  zeigt,  wie  sich  diese,  wie  musikalische 
Motive,  mit  ihren  Variationen  ineinander  verschlingen,  wiederholen, 
zusammenfließen.  Nach  diesen  Stichwörtern  geht  er  die  Reden  durch. 
Sie  helfen  vielfach  auch  über  Lücken  im  Zusammenhang  hinweg. 
Hat  A.  vielleicht  auch  hier  eine  Regel  befolgt,  etwa  die  des  Thrasy- 


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5(5  Bericht  über  die  Literatur  zu  den  attischen  Rednern 


machos  (Phaedr.  267  CD),  der,  namentlich  durch  Swßa'Metv,  Mitleid 
und  Zorn  erregte?    Reuter  läßt  die  Frage  offen. 

Drerup  (56)  spricht  S.  275—300  von  dem  Rhamnusier. 
„Wesen  und  Eigenart  der  antiphontischen  Beredsamkeit  tritt  uns 
unverfälscht  nur  in  seinen  ältesten  Reden,  den  Tetralogien,  entgegen." 
Die  Gründe,  die  gegen  ihre  Echtheit  vorgebracht  wurden,  werden 
zurückgewiesen:  Die  Stildifferenzen  der  Tetralogien  von  den  anderen 
Reden  sind  zwar  zweifellos  bedeutend ,  nichts  hindert  indes ,  die 
Tetralogien  schon  um  430  anzusetzen:  Bei  der  Verpflanzung  der 
sophistischen  Schriftstelierei  auf  attischen  Boden  sind  dann  Jonismen 
natürlich.  Dazu  kommt  die  Anlehnung  an  die  Dichtersprache,  die 
sich  vorzüglich  auch  in  der  Prägnanz  des  Ausdrucks,  einem  Cha- 
rakteristikum des  ganzen  Antiphon,  kundgibt.  Bei  solcher  zeitlichen 
Datierung  und  Betrachtungsweise  erscheint  der  Unterschied  der 
Gerichtsreden  I  und  V  von  den  Tetralogien  nur  als  ein  gradueller.  — 
Ein  wesentlicher  Fortschritt  liegt  in  der  bewußten  Verwendung  der 
sogenannten  gorgianischen  Figuren.  Aus  dem  Zusammenhalt  von  I 
und  V  mit  den  Tetr.  erhellt  es  als  falsch,  „den  Antiphon  ohne 
weiteres  zu  einem  Gorgianer  zu  stempeln,  wenn  schon  die  Grundlage 
seines  Stiles  dieselbe  ist  wie  bei  Gorgias;  Antiphon  gehört  vielmehr 
seiner  Grundrichtung  nach  einer  vor  Gorgias  liegenden  Periode  der 
Beredsamkeit  an.  Erst  in  seiner  Spätzeit  hat  er  mit  voller  Absicht 
hier  und  da  Anklänge  an  die  gorgianische  Manier  gesucht ,  wie  das 
gerade  dem  Geschmacke  seines  Publikums  angemessen  war".  —  Wie 
schließt  sich  nun  dieser  Folge :  Tetralogien,  or.  I,  or.  V  die  VI.  Rede 
an,  „deren  völlig  abweichender  Stilcharakter  ein  fast  thrasymachisches 
Gepräge  trägt"  ?  Antiphon,  „im  Grunde  ein  sophistischer  Rhetor  der 
alten  Schule",  war  in  seiner  innerlichen  Entwicklung  soweit  ab- 
geschlossen, „daß  eine  entschiedene  Stellungnahme  in  dem  .  . .  Streit 
der  Kunstschulen  (Gorgias  —  Thrasymachos)  von  ihm  nicht  notwendig 
zu  erwarten  ist".  „Seine  sophistisch(-eristische)  Vergangenheit  zwar 
drängte  ihn  zur  Richtung  des  Gorgias  (des  Antithetikers)  hin"  —  kein 
Wunder  aber,  „wenn  Antiphon  .  .  .  sich  einmal  in  dem  von  Thrasy- 
machos gepflegten  freieren  Periodenstil  versucht  hat",  (vgl.  Keil  oben 
S.  52)  zumal  da  sich  dieser  „iu  sehr  viel  höherem  Maße  als  der 
gorgianische  für  den  Gerichtsgebrauch  eignete". 

Das  Verhältnis  von  Thukydides  und  Antiphon  (besonders  auch 
das  hohe  Lob  des  Ant.  bei  Thukyd.  *)  und  Homer  als  beider  Vorbild 


*)  Cf.  Buresch '  Ansicht  oben  S.  43. 


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aus  den  Jahren  1886—1904.  (Einminger.) 


57 


namentlich  auch  für  die  J^nata)  behandelt  das  Programm  von 
N  i  e  s  c  h  k  e  (100).  Sein  Resultat  ist :  quodsi  non  est  cur  coni- 
ciamus  Thucydidem  et  Antiphontem  a  Gorgia  studiis  rhetoricis  imbutos 
aut  in  usu  figurarum  eum  imitatos  esse,  ne  probabile  quidem  esse 
mihi  videtur  utrumque  obsoletas  ac  peregrinas  formas  Attici  sermonis 
auctore  Gorgia  hic  illic  usurpavisse.  Certe  et  Antiphontem  et  Thucy- 
didem, antequam  Gorgias  Athenas  princeps  legationis  missus  est, 
tragicorum  auctoritatem  secutos,  quorum  quidem  studia  nonnullis  locis 
elucere  videntur,  eisdem  fere  formis,  quas  apud  tragicos  usitatos  esse 
viderent  usos  esse  censeo.  Den  Antiphon  speziell^  anlangend  sagt 
er  .  .  .  probabile  nobis  videtur  Thucydidem,  licet  genus  scribendi 
tamquam  ex  ipsius  scriptoris  ingenio  procreatum  vel  exortum  sit, 
tarnen  pauca  exAntiphontis  consuetudine,  multa  cum  ex 
poetarum  studiis  tum  ex  Homericis  accepisse,  at  nihil  Gorgiae  acceptum 
rettulisse. 

Über  das  Nachleben  des  Antiphon  in  späterer  Literatur  vgl.  man 
Keil  (136),  S.  82  Anm. 

IV.  Andokides. 

1885. 

153.  *  A.  Cinquini,  de  codice  Q  Andocideo.  Giomale  di 
filologia  classica  I,  4/5,  p.  284/90. 

1886. 

154.  *  A.  Cinquini,  Andocidis  de  codicibus  qui  in  bibliotheca 
Ambrosiana  exstant.    Milano.  — 

[Rez.:  BphW  VII  — <  1887,  Sp.  1366,  Lewy.] 

H.  Sauppe:  s.  Nr.  115  (1886). 

1887. 

155.  *  Joh.  Zelenka,  vom  Leben  und  der  Wirksamkeit  des 
Redners  Andokides,  Übersetzung  und  Erklärung  seiner  Rede  „von 
den  Mysterien".   Prgr.  des  K.  K.  Staatsobergymn.  Klattau  (Böhm.).  — 

[Rez.:  ZöGy  XXXIX  —  1888  S.  1047,  Drechsler.] 

156.  R.  Hoyer,  Alkibiades  Vater  und  Sohn  in  der  Rhetoren- 
schule    Prgr.  Kreuznach. 

1888. 

157.  J.  H.  L ipsius,  Andocidis  orationes  ed.  Edit.  stereot. 
Leipzig.  — 

[Rez.  z.  B.:  BphW  X  -  1890,  Sp.  77/8,  Thalheim.l 


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58 


Bericht  über  die  Literatur  zu  den  attischen  Rednern 


158.  W.  Francke,  über  die  Echtheit  der  Friedensrede  des 
A.  Gymn.-Prgr.  Greifswald. 

1889. 

159.  E.  C.  Marchant,  Andocides  de  mysteriis  and  de  reditu. 
London,  1.  Aufl.  1889,  2.  Aufl.  1900.  — 

[Rez.  z.  B.:  BphW  XI  =  1891  Sp.  391,  Thalheim.J 

160.  U.  Köhler,  Beiträge  zur  Geschichte  der  Pentekont.aetie. 
H  XXIV,  S.  85—100,  hier  S.  92  ff. 

161.  J.  H.  Lipsius,  zu  Demosthenes.  Leipzig.  St.  XI 
S.  351/7,  hier  S.  356  7. 

1891. 

162.  J.  M.  Stahl,  zum  Psephisma  des  Demophantos.  RhMPh 
XLVI,  S.  614  7. 

163.  G.  Zutt,  die  Rede  des  A.  nepl  täv  poor^ptcDV  und  die 
Rede  des  Lysias  xocV  ÄvooxiSoo.  erster  Teil.  Prgr.  für  Mannheim, 
Leipzig. 

164.  H.  Morris  Morgan,  some  constructions  in  Andocides. 
HSt  II  S.  57—69. 

1894. 

165.  G.  M.  Sakorraphos,  observationes  criticae  ad  Aeschinis 
orationes.    Ph  LH  S.  435—441,  hier  S.  436. 

1896. 

166.  R.  u.  F.  Schöll,  zu  Andokides'  Mysterienrede.  Jahrb. 
für  Philol.  u.  Paedag.    CLIII,  S.  545—552. 

H.  Sauppe,  ausgewählte  Schriften:  quaest.  crit.  Nr.  6  S.  787. 

Ind.  schol.  hib.  Göttingen  1886.J 
Cf.  Nr.  115. 

1897. 

167.  L.  L.  Forman,  index  Andocideus,  Lycurgeus,  Dinarcheus. 
Oxonii. 

168.  M.  Nieder  mann,  quae  sit  causa  cur  in  iudicanda  Ando- 
cidis  patria  inter  duos  pagos  fluctuet  Pseudoplutarchus.  RPh  XXI, 
S.  167—172. 

1899. 

169.  S.  Sh.  Kingsbury,  a  rhetorical  study  of  the  style  of 
Andocides.    Diss.  Baltimore. 

1900. 

170.  A.  Kilpeläinen,  quaestiones  Andocideae  cum  specimine 
lexici.    Kirchhainiae  Lusatiae.  — 

IRez.:  DL  XXII  -  1901  S.  603,  Heikel.] 


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aus  den  Jahren  1886—1904.  (Emmingen) 


59 


1901. 

171.  A.  Schroff,  zur  Echtheitsfrage  der  vierten  Rede  des  A. 
Diss.  Erlangen. 

172.  L.  Radermacher,  Andocideum.  RhMPh  LVI,  S.  139 
—141. 

173.  A.  Wilhelm,  Vermutungen  II.  Ph  LX  NF  XIV  S.  485 
—487. 

1903. 

174.  E.  Fuhr,  zur  Echtheitsfrage  der  Rede  des  Andokides 
gegen  Alkibiades.    BphW  XXIII  S.  411—416. 

1904. 

175.  H.  Diels  u.  W.  Schubart,  Didymos  Kommentar  zu 
Demosthenes  (Pap.  9780)  nebst  Wörterb.  zu  Demosth.  Aristokr. 
(Pap.  5008)  bearb.  Berl.  Klassiken.  I.  Berlin. 

176.  H.  Diels  et  W.  Schubart,  Didymi  de  Demosthene 
commenta  cum  anonymi  in  Aristocrateam  lexico  post  ed.  Berol.  recogn. 
Vol.  Aegypt.  ord.  IV.  gramm.  pars  I.  Leipzig. 

177.  K.  Fuhr,  Anzeigen  von  Nr.  175  u.  176.  BphW,  Sp.  1121 
—1131. 

1905. 

178.  S.  A.  Naber,  adnotationes  criticae  ad  Andocidis  orationes. 
Mn  XXXIII  S.  269—292. 

Über  den  Großvater  des  Andokides  und  dessen  Tätigkeit*)  wahr- 
scheinlich 446  gegen  die  abgefallenen  Megarer  berichtet  nach  CIA  II 
1675  Köhler  (160),  ebenso  über  seine  Teilnahme  an  den  Friedens- 
unterhandlungen des  gleichen  Jahres  mit  Bezugnahme  auf  Andok.  III,  6. 

Der  Redner  gehörte  einem  alten  Geschlecht  an;  daß  er  nicht 
Keryke  war,  darüber  stimmt  gegen  Töpffer  (A.  Geneal.)  und  D itten- 
berger (Herrn.  XX  32)  mit  Blaß  AB  I8  281,  Anm.  2  und 
Lipsius  (in  der  Ausgabe),  Wilamowitz  (75  II  74  Anm.  5) 
überein.  Die  Verwechslung  ist  daraus  zu  erklären,  daß  der  Ahnherr 
der  gleiche  (sc.  Hermes)  war:  ein  Keryke  hätte  I  127  nicht  sprechen 
können. 

Wegen  der  Demos  angehörigkeit  des  Redners  hatte  der  Biograph 
Zweifel:  xov  hl  Sf^ov  KoSaO^vato?  7)  Bopeo«.  Für  uns  steht  sicher, 
daß  Andokides  Kydathenäer  war;  woher  aber  kommt  das  Schwanken? 
Stahl**)  hatte  vermutet,  außer  des  Andokides  Vater  Leogoras,  der 


•)  Cf.  Blaß  AB  I*  S.  282. 
**)  RhMPh  XL  —  1885  S.  439. 


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<30 


Bericht  über  die  Literatur  zu  den  attischen  Rednern 


KuSafhjvaieü?  war,  habe  es  noch  einen  anderen  Leogoras  8opatefo 
(Oopsuc)  gegeben;  er  stützte  sich  dabei  auf  CIA  I  179,  eine 
Inschrift,  die  er  im  Zusammenhang  mit  einer  Ergänzung  von 
Thuc.  I  51  gleichfalls  ergänzte.  Niedermann  (168)  weist  dem- 
gegenüber darauf  hin,  daß  Andokides  von  Odysseus  und  noch  weiter 
von  Hermes  abstammte,  dessen  Sohn  K£<paXoc  .  .  .  Iv  Oopcuitov 
(Wilamowitz  für  Oopiltov)  xaT<i>xei.  Daher  der  Zweifel  beim  Biographen. 

Über  das  böhmische  Programm  von  Zelenka  (155)  entnehme 
ich  der  Rezension  von  Fr.  Drechsler :  Der  erste  Teil  der  Abhandlung 
bringt  eine  im  Rahmen  des  Herkömmlichen  gehaltene  Biographie  des 
Redners  mit  Exkurs  über  die  politischen  Hetärien  ganz  nach  Büttner, 
sowie  mit  Gliederung  und  Inhaltsangabe  der  Reden,  dann  ein  Ver- 
zeichnis der  unter  des  Andokides  Namen  erhaltenen  Schriften,  eine 
summarische  Charakteristik  seines  genus  dicendi ,  schließlich  eine 
Zusammenstellung  der  Ausgaben.  Im  zweiten  Teil  wird  eine  Über- 
setzung der  ersten  69  Kapitel  der  ersten  Rede  geboten,  woran  sich 
als  dritter  Teil  hierauf  bezügliche  kritisch-exegetische  Bemerkungen 
anschließen. 

Zwei  Handschrißen  kommen  für  Andokides  in  Betracht:  A  (Cripp- 
sianus)  und  Q  (ein  Ambrosianus).  Über  Q  hatte  Cinquini  (153) 
in  einem  mir  unzugänglichen  Aufsatz  berichtet,  und  danach  (154) 
eine  Abhandlung  über  die  ambrosianischen  Handschriften  des  Andokides 
im  allgemeinen  veröffentlicht :  Lipsius  urteilt  darüber  (Einl<  der  Aus- 
gabe 157,  p.  XVIII) :  (etiam)  huius  codicis  lectiones  satis  neglegenter 
exscriptas  edidit. 

Herausgegeben  wurden  die  Reden  des  Andokides  grundlegend 
von  J.  H.  Lipsius  (157).  In  der  sehr  lesenswerten  Einleitung 
werden  wir  über  das  Leben,  die  Schriften  (IV  unecht!),  die  bis- 
herigen Ausgaben  und  die  Grundlagen  der  eigenen  Ausgabe  unter- 
richtet. Neben  A,  über  dessen  Lesarten  nach  mehrmaliger  Vergleichung 
kaum  mehr  Unsicherheit  bestehen  kann,  ist  Q  (Ambros.  D  42  sup.) 
zum  erstenmal  ausgiebig  herangezogen. 

Eine  selbständige  Ausgabe  der  ersten  beiden  Reden  liegt  vor 
von  Marchant  (159).  Der  Herausgeber  hat  das  Bedürfnis  von 
Studenten  der  Universität  und  höheren  Schulen  im  Auge  gehabt,  will 
jedoch  auch  das  Augenmerk  Reiferer  auf  die  Lektüre  dieser  1.  im 
Umgangsattisch  geschriebenen  und  2.  als  Quelle  für  die  attische 
Geschichte  interessanten  Reden  lenken.  Die  Textkonstitution  ist  sehr 
konservativ  unter  Benutzung  von  Blaß  und  Lipsius.  Von  lebendiger 
Auffassung  auch  der  Person  des  Andokides,  des  gentleman  orator, 
eines  typical  Athenian  of  the  decline,  zeugt  die  Beschreibung  seines 


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aus  den  Jahren  1886—1904.  (Emminger.) 


(51 


Lebens.  —  Die  Einleitung  in  die  Mysterienrede  handelt  von  der 
Natur  des  Falles,  vom  Anklagegrund  (dtaeßeiac),  von  den  Beziehungen 
des  A.  zu  seinen  Anklägern;  sie  bringt  sodann  eine  Analyse  der 
Rede  und  Bemerkungen,  die  besonders  das  Fehlen  des  rhetorical 
training  bei  Andokides  betonen  und  daher  den  Charakter  seiner 
Sprache  als  der  Umgangssprache  nahestehend  bezeichnen;  Erläuterungen 
über  die  politische  Lage  in  Athen  zwischen  403  und  399  bzw.  398 
schließen  sich  an.  —  Die  Einleitung  zu  II.  de  reditu  bestimmt  das 
Jahr  der  Rede  mit  Jebb  auf  410,  die  Rede  selbst  als  öi^t opfe ;  auf 
die  Disposition  folgen  Bemerkungen  technischer  Art,  denen  zufolge 
diese  Rede  besser  ausgearbeitet  ist  und  weniger  das  Eigentümliche 
der  Umgangssprache  zeigt  als  die  I.  und  trotz  Mangels  eines  rheto- 
rischen Planes  doch  wohl  angelegt  erscheint;  angefügt  sind  auch 
hier  Untersuchungen  über  die  Lage  im  Jahre  410.  Unter  dem  Text 
stehen  die  kritischen  Noten,  erklärende  folgen  demselben,  ferner  zwei 
indices :  der  Vokabeln  und  der  Eigennamen  und  Sachen. 

Die  literarische  Kritik  hat  dem  Andokides  natürlich  schon  alle 
vier  Reden  abgesprochen;  auch  die  erste.  In  ihrem  Verhältnis  zu 
Pseudolys.  VI  untersucht  Zutt  (163)*)  die  Mysterienrede  und  dabei 
auch  die  Frage  ihrer  Echtheit.  1.  Andokides  I  ist  Gegenrede 
zu  Pseudolys.  VI.  Sluiter  hatte  Verdacht  geschöpft  aus  Andok.  I 
137  —  [Lys.]  VI  19.  Nach  Zutt  erhält  im  Gegenteil  „die  Rede 
icept  jAucmjptav  in  einer  Reihe  von  Stellen  nicht  nur  ihre  Pointe  erst 
durch  die  Rede  xat'  AvSoxföou,  sondern  wird  sogar  erst  durch  sie 
verständlich".  „Andokides  hatte,  als  er  seine  Rede  repl  täv  {ao<jtT|- 
pfouv  überarbeitete,  die  Rede  des  Klägers  vor  sich  liegen."  — 
Francken  —  gegen  ihn  richtet  sich  der  zweite  Abschnitt  —  hatte 
die  status  causae  der  Reden  mißverstanden.  Nach  Z.  erklären  sich 
2.  Unklarheiten  und  sachliche  Unrichtigkeiten  durch  Annahme  der 
Überarbeitung,  für  die  besonders  an  einer  Wahrung  der  Prozeß- 
formen nichts  mehr  lag;  alle  Widersprüche  mit  den  Historikern 
hängen  mit  dem  Charakter  der  Rede  als  tendenziöser  Rechtfertigungs- 
schrift zusammen:  Andokides  lügt  absichtlich  und  kunstvoll.  —  Die 
folgenden  beiden  Kapitel  befassen  sich  vorzüglich  mit  der  pseudo- 
lysianischen  Rede,  indem  sie  aus  den  bisherigen  Thesen  (1.  und  2.) 
den  Schluß  ziehen,  auch  Lysias  xat'  'AvSoxtöoo  müsse  für  echt  gelten, 
wenigstens  als  Auszug  der  ursprünglichen  alten  Rede.  —  Auch 
Naber  (178)  hält  die  Rede  nunmehr  für  echt,  aber  von  einem 
Rhetor  überarbeitet. 


•)  Cf.  auch  V.  Schneider  unten  (268)  Ber.  zu  Lysias. 


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62  Bericht  über  die  Literatur  zu  den  attischen  Rednern 

Fünf  weitere  kleine  Abhandlongen  zur  ersten  Rede  ordne  ich  so, 
daß  sich  ein  Weiterschreiten  vom  Sachlichen  zum  Sprachlichen 
ergibt.  —  Zu  §§  96 — 99  und  §  95  (Psephisma  des  Demophantos) 
erhebt  Stahl  (162)  die  Frage:  „Warum  wird  in  dem  Bürgereide 
der  Fall  der  Tyrannenherrschaft  noch  besonders  und  wie  es  scheint, 
ganz  überflüssigerweise,  erwähnt?"  ....  Die  Eidesformel  schließt 
sich  „in  ihrem  Wortlaut,  zum  Teil  wenigstens,  an  eine  ältere  an,  die 
durch  einen  Volksbeschluß  vorgeschrieben  war",  veranlaßt  durch  eine 
vorhergegangene  Tyrannenherrschaft  und  zwar  die  der  Peisistratiden. 
§  95  xaxa'  7s  t6v  26lo>vot  v^ov  ist  dann  zu  streichen,  auch  (r^tiea) 
xa  xp^jioxa  lyzw  zu  schreiben. 

Nach  §§  17,  18  und  vor  §  19  sind  zwei  Tatsachen  durch  Zeugnis 
klargestellt  worden :  daß  Lydos  der  Anzeiger  war,  und  daß  Andokides 
den  Vater  aufs  dringendste  gebeten  hat  zu  bleiben;  dementsprechend 
verlangt  Radermacher  (172)  nach  2x£cpavov  starke  Interpunktion  und 
mindestens  eine  Pause,  wenn  man  nicht  (Mapxupsc)  danach  einsetzen  will. 

Zu  der  Namenliste  des  §  47  vermutete  schon  Schöll  (s.  gl. 
nachher)  in  dem  ^p^aa'fiEvo?  einen  Vatersnamen;  Wilhelm  (173) 
liest  Opuviyoc  6  'Op/^^ajAevou  und  bringt  Beispiele  für  Partizipien  als 
Namen  ohne  Anlehnung  an  Vollnamengruppen. 

F.  Schöll  (166)  selbst  bringt  seines  Bruders  und  eigene  Vor- 
schläge zur  Textänderung. 

Sauppe  (115)  versetzte  §  80  xai  \iexa  xaöxa  .  .  xaxeXaßov  in 
§81:  £7retöy}  8e  (jiexd  xa5xa  .  .  xax&aßov  xai)  ETzoLvr,)^.;  dagegen 
Lipsius  (157)  p.  XXIV. 

Drerup  (NJklPh,  Suppl.  XXII,  841  Anm.  1)  tilgt  §  15  xai  .  . 
xal  itept  x.  'Eppcuv  .  .  ijjSet  als  Interp.  aus  §  34. 

Zur  zweiten  Bede,  §  27,  vgl.  Lipsius  (161)  gegen  Schwartz. 

Die  Friedensrede  hat  ihren  schärfsten  Gegner  in  K.  S  i  1 1 1  **) 
gefunden.  Ihm  treten  entgegen  Blaß  AB  1 2  329  und  W.  F  r  a  n  c  k  e  (158), 
der  die  Rede  in  erster  Linie  nach  ihrem  Inhalt  prüft:  die  genaue 
Kenntnis  der  politischen  Lage  kann  als  positiver  Beweis  für  die 
Urheberschaft  des  Andokides  verwertet  werden.  Besonders  aus 
Dingen,  die  an  und  für  sich  nebensächlich  sind,  läßt  sich  die  Echt- 
heit ersehen.  Franckes  Schluß  ist:  „Die  Friedensrede,  die  dem 
Andokides  zugeschrieben  wird,  konnte  so,  wie  wir  sie  haben,  gehalten 
werden  und  ist  wirklich  gehalten  worden.  Ist  sie  aber  gehalten 
worden,  so  kann  über  ihren  Verfasser  kein  Zweifel  walten." 

*)  Über  den  Gerichtshof  cf.  Br.  Keil,  die  solonische  Verfassung  in 
Aristoteles'  Verfassungsgeschichte  Athens.   Berlin  1892,  S.  110. 

•*)  Gesch.  der  griech.  Lit.  bis  auf  Alex.  d.  Gr.  München,  3  Bd.  1887  ff- 


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aus  den  Jahren  1886—1904.  (Emminger.) 


03 


Für  die  Zeitbestimmung  der  Rede  ist  ein  neues  Philochoros- 
fragment  in  dem  kürzlich  gefundenen  Demostheneskommentar 
des  Didyraos  (175  und  176)  von  Wichtigkeit:  col.  VII  19  f. 
berichtet  von  den  Friedensverhandlungen  im  korinthischen  Krieg,  von 
denen  Xenophon  und  Diodor  schweigen.  Die  Verhandlungen  haben 
stattgefunden  unter  dem  Archon  Philokles  (392/1):  so  schon  Fuhr 
in  seinen  animadversiones  1877:  „Aber  diese  Verhandlungen  ordnen 
sich  anders  in  den  geschichtlichen  Zusammenhang  ein,  als  ich  an- 
genommen hatte,  sie  schließen  sich  nämlich  an  die  Gesandtschaft  des 
Antalkides  an,  von  der  Xen.  Hell.  IV  8,  12  ff.  erzählt."  Entgegen 
dem  Zeugnis  des  Xenophon  ist  damals  in  Sparta  weiter  verhandelt 
worden.  „Die  athenischen  Gesandten,  die  dahin  geschickt  waren, 
hatten  dem  Frieden  zugestimmt,  wozu  sie  als  7rp&jßet?  aOtoxpatopec 
berechtigt  waren;  sie  hatten  aber  eine  Frist  von  40  Tagen  zur 
Beratung  ausbedungen  (Andok.  §§  33,  40).  Die  Athener  jedoch 
verwarfen  den  Frieden,  weil  sie  die  kleinasiatischen  Griechen  den 
Persern  nicht  preisgeben  wollten  (col.  VIT,  20),  und  die  Gesandten 
wurden  auf  Antrag  des  Kallistratos  —  doch  wohl  des  späterhin 
berühmten  Redners  —  vom  Volk,  da  sie  sich  dem  Gericht  nicht 
stellten,  mit  Verbannung  bestraft.  Bekannt  war  von  ihnen  bisher 
nur  Andokides;  jetzt  erfahren  wir  die  Namen  der  drei  anderen:"  so 
Fuhr  (177),  Sp.  1123. 

Zum  Text  des  §  31  der  dritten  Rede  cf.  Sakorraphos  (165): 
er  tilgt  Äp^eToc. 

Während  für  die  drei  ersten  Reden  die  allgemeine  Ansicht 
Authentizität  behauptet,  spricht  sie  die  vierte  Rede  dem  Andokides 
ab.  Cf.  Blaß  AB  I2  336  ff.  Auch  nach  dem  Urteil  Hoyers  (156) 
kann  die  Rede  nicht  gehalten  sein,  muß  vielmehr  von  einem  Rhetor 
oder  Sophisten,  vielleicht  nur  einem  Rhetorenschüler ,  verfaßt  sein 
und  ist  jedenfalls  als  Muster  einer  Schulrede  zn  betrachten.  Die 
Hauptsache  sind  Anekdoten  über  das  Leben  des  Alkibiades  *). 

Doch  auch  die  Rede  xat  ÄXxtßiaooo  hat  ihre  Verteidiger  gefunden. 
A.  Schroff  (171)  versucht  zu  zeigen,  „daß  die  Überlieferung  des 
Harpokration  und  Photios  sich  nicht  nur  gegen  die  Angriffe  der 
Neueren  verteidigen  läßt,  sondern  auch  manches  Positive  für  sich 
hat."  So  behandelt  denn  die  Dissertation  im  ersten  Teile  die  „äußeren 
Schwierigkeiten"  (417—415;  Andokides  —  Phaiax),  die  Gelegenheit 

*)  Über  die  Tendenz  der  Rede  als  Bewunderung  im  Angriff,  cf.  B  r  un  s  (71), 
S.  514/18.  Nach  Br.  ist  die  Rede  ein  „Dokument  jener  .  . .  Richtung,  die  in 
diesem  Staatsmann  ein  dämonisches  Wesen  verehrte";  ihre  Zeit  etwa  Mitte 
des  vierten  Jahrh. 


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64  Bericht  über  die  Literatur  zu  den  attischen  Rednern 


zur  Rede.  Im  zweiten  Teil  werden  „innere  Fragen"  besprochen : 
1.  Historisches:  Das  argumentum  ex  silentio  ist  nicht  zu  sehr  zu 
betonen;  Andokides  ist  Redner  in  eigener  Angelegenheit,  nicht 
Historiker.  2.  Psychisches  und  Formales.  Formale  Unterschiede 
zwischen  IV  einerseits,  I  und  III  andererseits,  sind  nicht  zu  leugnen : 
II  dagegen  steht  zeitlich  und  stilistisch  näher;  beachtenswert  ist 
Antiphons  Einfluß.  Andokides  war  überhaupt  kein  schulmäßig  ge- 
bildeter Rhetor,  daher  auch  keine  regelrechte  Entwicklung  bei  ihm. 
Nach  allem  ist  Schroffs  Meinung,  es  „bestehe  vorläufig  die  Möglichkeit, 
daß  sich  Andokides  in  der  unserer  Rede  zugrunde  liegenden  Situation 
befand  und  hierbei  die  Rede  hielt.  Phaiax  hereinzuziehen  ist  kein 
Grund  vorhanden.  Was  die  inneren  Fragen  betrifft,  so  sind  von 
Meiers*)  Einwendungen  historischer  Natur  mehrere  inzwischen  ver- 
altet, viele  nur  einer  falschen  Behandlung  des  Redners  entsprungen, 
keine  ist  gänzlich  unwiderlegbar.  Das  Psychische  und  Formale  der 
Rede  steht  im  Einklang  mit  dem  Charakter  des  Andokides  und  der 
Eigenart  seiner  rednerischen  Entwicklung.  Solange  also  der  Annahme 
der  Echtheit  nicht  absolut  unlösbare  Schwierigkeiten  im  Wege  stehen, 
erscheint  es  zum  mindesten  nicht  angezeigt,  die  bestimmte  Über- 
lieferung, daß  unsere  Rede  von  Andokides  stamme,  als  unzweifelhaft 
falsch  zu  bezeichnen." 

Gleichfalls  für  andokideisch  sieht  die  Rede  Drerup  (56)  in 
den  „Untersuchungen"  S.  327 — 331  an,  gegen  den  Fuhr  (174)  auf 
die  alten  Gründe  verweist.  Von  der  Auffassung  Schroffs  ist  freilich 
die  Drerups  sehr  verschieden.  „Soviel  ist"  auch  nach  Drerup  (ent- 
gegen Schroff),  „sicher,  daß  Veranlassung  und  Abfassungszeit  der 
Rede  tingiert  sind;  ...  die  historischen  Ungereimtheiten  machen  es 
vielmehr  gewiß,  daß  die  Rede  einer  späteren  Zeit  und  zwar  frühestens 
dem  Anfange  des  vierten  Jahrhunderts  angehört."  Als  Sprecher 
gedacht  nimmt  Dr.  den  Phaiax  an.  Wir  haben  also  eine  XotSopta 
xat'  ÄXxtßtctöou.  Trotzdem  kann  Andokides  der  Verfasser  der  In- 
vektive  gewesen  sein.  Die  Stilkritik  spricht  dafür;  Periodenbau, 
Hiatvermeidung  und  Gebrauch  der  gorgianischen  Figuren  stellen  sie 
am  nächsten  mit  der  Friedensrede  zusammen;  kleine  Verschieden- 
heiten weisen  sie  in  noch  etwas  jüngere  Jahre.  Hier  beginnt  nun 
schon  bei  dem  Thrasymacheer  Andokides  der  Einfluß  der  isokratischen 
Schule  —  damit  stimmen  Beobachtungen  an  der  Rede  überein:  So 
unterliegt  „unsere  Rede,  als  das  jüngste,  unter  dem  Einfluß  des 
Isokrates  entstandene  Werk  des  Andokides  betrachtet,  nicht  mehr 


*)  Cf.  Blaß  AB  I»,  281,  Anm.  1. 


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aus  den  Jahren  1886  —  1904.  (Emminger.) 


dem  geringsten  Verdacht  einer  Fälschung" ,  vielmehr  kann  sie  dazu 
dienen,  „das  Bild  der  Stilentwicklung  des  Andokides  um  einen 
wichtigen  Zug  reicher  zu  gestalten,  indem  unser  Redner,  wie  wir 
übrigens  auch  schon  an  den  älteren  Reden  erkannten,  nicht  als  eine 
kraftvolle  Künstlernatur  sich  darstellt  ,  die  sich  ihren  individuellen 
Stil  schafft  und  dem  Publikum  aufzwingt  wie  ein  Tbrasymachos  und 
Gorgias,  oder  aber  nach  Gutdünken  eine  beliebige  Stilform  wählt, 
weil  sie  alle  beherrscht ,  wie  ein  Antiphon ,  sondern  als  ein  Kunst- 
redner zwar,  aber  als  ein  talentvoller,  nicht  selbst  schöpferischer 
Dilettant,  als  ein  Mitläufer  in  dem  Heerhaufen  einer  bestimmten 
Kunstschule,  der  ihre  Wandlungen  widerstandslos  mitmacht  und  nach 
der  jeweils  herrschenden  Mode  schreibt  und  redet." 

Damit  haben  wir  zugleich  das  jüngste  Gesamturteil  über  den 
Stil  des  Andokides.  Von  Arbeiten,  die  im  einzelnen  die  Sprache  des 
Redners  zum  Gegenstand  haben,  nenne  ich  zuerst  die  von  Morgan  (164) : 
Der  Artikel  ist  nach  des  Verfassers  eigener  Bemerkung  rein  statistischer 
Natur.  Er  gibt  Auskunft  über  das  Vorkommen  1.  des  Infinitivs 
nach  unpersönlichen  Verben,  2.  des  Infinitivs  nach  <iiXXu>,  3.  der 
modi  in  der  direkten  Rede,  letztere  Sammlung  sehr  nahestehend  etwa 
einer  Zusammenstellung  der  „Daßsätze  bei  Andokides".  Eine  Tabelle 
erleichtert  die  Übersicht. 

Das  Werkchen  von  Kilpeläinen  (170)  zerfällt  in  drei  Teile. 
Der  erste  bespricht  sprachliche  Unterschiede  der  Reden,  besonders 
Vorkommen  von  Elision  und  Hiatus  wird  in  Tabellen  zusammengestellt 
und  danach  diskutiert.  In  der  ersten  und  zweiten  Rede  ist  der 
Sprachgebrauch  der  gleiche  (quartam  autem  orationem,  si  sermonis 
formam  spectes,  non  posse  eiusdem  esse  scriptoris  elucet.  videmus 
etiam  in  III.  oratione  quasdam  dissimilitudines  inesse,  quibus 
commoveamur  ut  iam  dubitanter  eam  Andocidi  tribuaraus).  —  Der 
zweite  Teil  gibt  quaestiones  criticae  zu  einzelnen  Stellen;  der  dritte 
bringt  ein  speeimen  lexici  und  zwar  bis  öeu>  (Set).  Die  Substantive  sind 
in  sich  nach  den  Kasus  geordnet,  mit  Angabe  der  Abhängigkeit  und 
Verbindung;  beim  Adjektiv  ist  das  syntaktische  Verhältnis  (ob  attri- 
butiv, präd.  usw.),  Verbindung  und  Stellung  notiert;  die  Verba  sind 
teils  nach  genus,  modus,  tempus,  teils  nach  den  Bedeutungen  ein- 
geteilt. Bei  den  Partikeln  ersieht  man  Stellung  und  Verbindung 
(o£  z.  B.  nimmt  dadurch  den  Raum  von  S.  127  med.  bis  141  m.  ein!). 
Jedesmal  ist  ein  zum  Verständnis  hinreichender  Teil  der  Textstellen 
aufgenommen;  bei  verschiedener  Lesart  —  wobei  Blaß  und  Lipsius 
und  ihre  Noten  berücksichtigt  werden  —  sind  die  Stellen  ganz  aus- 
geschrieben.   Im  allgemeinen  liegt  die  Ausgabe  von  Fr.  Blaß  zu- 

JahrestH-rieht  für  Altertumswissenschaft.    Bd.  CXXXI1I.    (1907.   I.)  5 


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66  Bericht  über  die  Literatur  zu  den  attischen  Rednern 

gründe  —  leider  sogar  so  weit,  daß  nach  Seiten  und  Zeilen  derselben 
statt  nach  Paragraphen  zitiert  wird. 

Nicht  ein  Lexikon,  wohl  aber  einen  genauen  Index  Andocideus 
besitzen  wir  von  Form  an  (167).  Konjekturen  sind  nicht  berück- 
sichtigt, die  verschiedenen  Lesarten  nur  zum  Teil  aufgenommen. 

Diesen  in  erster  Linie  der  Wortwahl  gewidmeten  Arbeiten 
schließen  sich  Abhandlungen  an,  die  das  Satzgefüge  bei  Andokides 
behandeln.  Hierher  gehören  P  o  1  a  c  k  (15)  und  G  e  n  t  s  c  h  (25),  siehe 
oben  S.  16. 

Außer  Drerup,  der  oben  genannt  wurde,  untersucht  den  Stil  des 
Andokides  in  seiner  Gesamtheit  Kingsbury  (169).  Seine  Disser- 
tation bestimmt  zunächst  den  Charakter,  die  Umgebung  des  Redners 
und  die  Elemente  seines  Stiles;  dieser  ist  eine  Mischung  der  Umgangs- 
sprache mit  Reminiszenzen  aus  der  Sprache  der  tragischen  Dichter. 
Dem  entspricht  der  Wortschatz  —  Analogon  oder  Muster  ist  Aristo- 
phanes;  natürlich  finden  sich  viele  sonst  bei  den  Rednern  nicht 
gebräuchliche  Wörter.  Von  den  Tropen  und  Figuren  gebraucht 
Andokides  solche,  die  besonders  der  kunstlosen  Prosa  oder  den 
Werken  der  dramatischen  Dichter  eignen,  um  die  Erzählung  zu 
beleben  oder  emphatisch  zu  gestalten.  Von  den  sogenannten  gor- 
gianischen  Figuren  „wendet  er  .  .  .  hauptsächlich  die  an ,  welche 
man  schon  in  der  Sprache  lange  vor  Gorgias  reichlich  finden  kann. 
Außerdem  erscheint  ihre  Verwendung  so,  wie  sie  der  Sprache  natur- 
eigentümlich  sind,  und  nicht  nach  der  künstlichen  Manier  des 
Gorgias",  mit  dem  Alter  nachlassend.  So  hat  auch  die  früheste 
Rede  überhaupt  am  meisten  dichterisches  Kolorit,  später  verblaßt  es 
zugunsten  des  volksmäßigen  Elementes.  Von  den  beiden  Schluß- 
kapiteln führt  das  fünfte  einen  kurzen  Vergleich  zwischen  Äschines 
und  Andokides  durch,  dem  Paar  nicht  zunftmäßiger ,  dilettantischer 
Redner  im  Kanon  der  Zehn,  während  das  sechste  die  Unechtheit 
der  vierten  Rede  behauptet.  — 

V.  Lysias. 

1885. 

179.  *  Fr.  Binder,  ausgewählte  Reden  des  Lysias  (gegen 
Eratosthenes)  übersetzt.    3.  Aufl.  (Langenscheidt.) 

180.  W.  Kocks  - R.  Schnee,  ausgewählte  Reden ,  für  den 
Schulgebrauch  erklärt.    Gotha,  2.  Aufl.  1885/7.    8.  Aufl.  1904. 

181.  *  E.  J.  Shuckburgh,  orationes  XVI  with  analysis,  notes, 
appendices  and  indices.    New  edit.  London. 

[Rez.:  Jabresber.  d.  Berl.  philol.  Ver.  1888  S.  198  Albrecht.] 


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aus  den  Jahren  1886—1904.  (Emminger.) 


67 


1886.  I 

182.  *  0.  Aurenghi,  )e  orazioni  contro  Eratostene  e  contro 
Agorato;  traduz.  e  note.    Turin.    2.  ed. 

183.  R.  Rauchenstein-K.  Fuhr,  ausgewählte  Reden  des  L., 
erklärt;  Berlin,  I11  1899,  II9  1886,  II 10  1897. 

184.  G.  Sachse,  über  die  dreißigste  Rede  des  Lysias.  Prgr. 
Posen.  — 

[Rez.:  JBphV  1888  S.  210—215  Altirecht.] 

185.  U.  v.  Wilamo witz-Moellendorff ,  de  Gorgiae  epi- 
taphio  ab  Aristotele  citato  (Anhang  zu  Diels,  Uber  das  3.  Buch  d. 
aristot.  Rhetor.)  SPrA  IV  S.  35—37. 

1887. 

186.  G.  Müller,  contro  Erat,  e  contro  Agorato  pell'  uso  d. 
scuola.    2.  Ausg.;  cf.  Htittner,  Ber.  1886  S.  82. 

187.  *  F.  J.  Snell,  epitaphios  (II)  ed.  Oxford.  — 
IRez.:  BphW  IX  =  1889  Sp.  47  Stutzer.] 

188.  P.  Thomaschik,  de  Lysiae  epitaphii  authentia  verisimili. 
Diss.  Breslau  1887. 

189.  E.  Maaß,  Rezension  von  Blaß  AB  I2,  DL  VI  11 
Sp.  1545/47. 

190.  Hallen  sieben,  de  orationis,  quae  inter  Lysiacus  fertur 
octava,  ratione  et  tempore  comra.    Prgr.  Arnstadt. 

191.  R.  Hoyer,  Alkibiades  Vater  und  Sohn  in  der  Rhetoren- 
schule.    Prgr.  Kreuznach. 

192.  R.  Hirzel,  Polykrates'  Anklage  und  Lysias1  Verteidigung 
des  Sokrates.    RhMPh  XLII  S.  239—250. 

1888. 

193.  A.  Weidner,  Lysiae  orat.  selectae.  Mit  Einleitungen, 
erklärendem  Index  und  Anhang  aus  Xenophons  griechischer  Geschichte 
für  den  Schulgebrauch  herausgegeben.  Leipzig.  2.  Aufl.  1905  bes. 
v.  P.  Vogel. 

194.  P.  H.  DamsU,  ad  Lysiae  or.  I  18,  Mn.  N.S.  XVI  S.  398. 

195.  C.  S  c  h  1  i  a  c  k ,  Proben  von  Erklärungs-  bezw.  Emendierungs- 
versuchen  zu  einigen  Stellen  griechischer  und  römischer  Klassiker. 
Prgr.  Cottbus,  hier  S.  9:  zu  Lysias  XIII  86. 

1%.  Fr.  Nowack,  de  Isocratis  rapi  xoö  Ceu^ou;  oratione  et 
Lysiae  xctt*  ÄXxtßwt8ot>  priore  (XIV)  quaestiones  epicriticae.  In: 
Comment.  philol.  quibus  0.  Ribbeckio  ....  congratulantur  discip. 
Leipzig  S.  465—485. 

5* 


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68  Bericht  über  die  Literatur  zu  den  attischen  Rednern 


197.  A.  Weidner,  za  Lysias.  NJklPh  CXXXVII  S.  305—323. 

198.  P.  R.  Müller,  zu  Lysias.    NJklPh  CXXXVII  S.  471. 

199.  W.  Kocks,  kritische  und  exegetische  Bemerkungen  zu 
Lysias.    Prgr.  Friedr.  Wilh.  Gymn.  Köln. 

1889. 

200.  R.  Schoell,  Mitteilungen  aus  Hss.  1.  zu  Lysias'  Epi- 
taphios.  SMA  1889  II  S.  26—38. 

201.  M.Erdmann,  zum  Epitaphios  des  Pseudolysias.  WklPh  VI 
Sp.  1184—1189. 

202.  A.  Nauck,  analecta  critica.  H  XXIV  S.  446— 472,  hier 
S.  456. 

203.  E.  Schwartz,  Quellenuntersuchungen  zur  griech.  Ge- 
schichte. RhMPh  XLIV  S.  104—126. 

J.  II.  Lipsius  =  Nr.  161  S.  58. 

1890. 

204.  *  A.  Cinquini,  orazione  contro  Eratostene  con  note. 
Milano. 

205.  *  E.  R.,  I.  Rede  gegen  Eratosthenes,  wortgetreu  nach  U.R. 
Mecklenburgs  Grundsätzen  aus  dem  Griech.  übers.  II.  Rede  gegen 
Agoratos.  Berlin. 

206.  O.  R.  P  a  b  s  t ,  de  orationis  u7rep  xoG  orpaTwoTOo  (IX),  quae 
inter  Lysiacas  tradita  est,  causa,  authentia,  integritate.  Leipziger 
Diss.  1890  S.  3—56. 

207.  C  Haeberlin,  Lysias  XIII,  4.  Ph  IL  =  NF  III 
S.  180. 

208.  G.  Haeberlin,  in  Lysiam.    NJklPh  CXLI  S.  183. 

209.  Fr.  Nowack,  de  orationum  quae  inter  Lysiacas  feruntur 
XIV  et  XV  authentia.    Leipz.  St.  XII  S.  1—110. 

1891. 

210.  Th.  Bern  dt,  zu  Lysias,  in:  kritische  Bemerkungen  zu 
griech.  und  röm.  Schriftstellern,  Fcstschr.  von  Herford  1890  1  S.  4  5. 

211.  *  (Anonymus),  orazione  contro  Eratostene,  testo,  versione 
e  note.  Verona. 

Zutt  ==  Nr.  163  s.  S.  58. 

212.  P.  II  i  1  d  e  b  r  a  n  d  t ,  de  causa  Polystrati,  in :  commentationes 
philol.  conventui  philologorum  Monachii  congregatorum  obtulerunt 
sodales  seminarii  philol.  Monacensis.    München  S.  177 — 181. 


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aus  den  Jahren  1886—1904.  (Emmingen) 


(39 


213.  H.  Weil,  du  discours  de  Lysias  sur  le  rötablissement  de 
la  d^mocratie  ath^nienne.    RPh  XV  S.  1 — 5. 

214.  M.  Erdmann,  Lysiaca.   Prgr.  d.  Prot.  Gymn.  Straßburg. 

1892. 

215.  H.  Frohberger  -  (G.  Gebauer-)  Th.  Thalheim, 
ausgewählte  Reden  für  den  Schulgebrauch  erklärt.  II2  1892  (I8 
1895). 

216.  *  G.  Zaccagnini,  orazioni  contro  Eratostene  e  Agorato, 
tradotte.  Pistoia. 

217.  *  C.  Canilli,  orazione  c.  Agorato  con  note.  Verona. 

218.  M.  H.  Morgan,  Lysias  XVI,  10.  HSt  III  =  1892 
S.  191  f. 

219.  W.  L.  Devries,  Ethopoiia:  a  rhetorical  study  of  the 
types  of  character  in  the  orations  of  Lysias.    Diss.  Baltimore.  — 

[Rez.:  CR  VII  =  1893  S.  64  Wright.] 

220.  *  ?  Caccialanza,  due  orazioni  tradotte.   Acqui.  1892? 

1893. 

221.  *  Inamae  Ramorino,  orazioni  scelte,  in  biblioth.  script. 
Graecor.  et  Roman.    Hoepliana.  Mailand. 

222.  L.  P.  Roegholt,  Ps.  Lysiae  oratio  contra  Andocidem. 
Groningae.  — 

[Rez.:  BphW  XIV  =  1894  Sp.  1063  Thalheim.] 

223.  M.  L.  Earle,  emendations  in  Lysias.    CR  VII  S.  19  f. 

224.  P.  Hundeck,  quaestiones  Lysiacae.    Prgr.  Luckau. 

1894. 

225.  Fr.  Reuß,  zu  Lysias.    Ph  LH  =  NF  VI  S.  600-615. 

226.  *  G.  Crispi,  oraz.  contro  Eratostene  ed  Agorato,  traduz. 
letterale  preceduta  della  vita  dell'  autore  scritta  da  Plutarco.  Neapel. 

227.  A.  Masson  et  J.  Hombert,  discours  choisis.  Tournai. 

228.  *  Cerny,  fec"  Lysiova  proti  Eratostenovi.  Prgr.  Raud- 
nitz.  (tsch.)  — 

[Rez.:  ZöGy  XL VII  =  1896  S.  .553.1 

229.  H.  Keller,  die  Rechtsfrage  in  Lysias'  9.  Rede.  Prgr. 
Realgymn.  Nürnberg. 

230.  M.  H.  Morgan,  Notes  on  Lysias.    HSt  V  S    49— 5»>. 

231.  Rutten,  ä  propos  d'un  passage  de  Lysias.  RJP  XXXVII 
S.  136—138. 


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70  Bericht  über  die  Literatur  zu  den  attischen  Rednern 

232.  A.  Büchle,  Lysias  Rede  gegen  Philon.  Prgr.  Durlach 
1893/4. 

1895. 

233.  K.  Fuhr,  zum  cod.  Palat.  des  Lysias.  RhMPh  L 
S.  304—8. 

234.  M.  H.  Morgan,  eight  orations  ed.  with  introductions 
notes  and  append.    Boston.  — 

[Rez.:  AJPh  XVI  =  1895  S.  396  f.] 

235.  E.  Wolff,  quae  ratio  intercedat  inter  Lysiae  epitaphium 
et  Isocratis  panegyricum.    Diss.  Berlin.  — 

[Rez.:  BphW  XVII  —  1897  Sp.  33  Thalheim.] 

236*  Nat.  Vianello,  T  ottava  orazione  di  Lisia  e  le  societä 
private  Ateniesi.  Genova. 

237.  0.  Crusius,  (Ansichten  über  die  Echtheit  homerischer 
Dichtungen.)    Ph  LIV  =  NF  VIII,  hier  S.  733  Anm.  53. 

238.  H.  Holmes,  index  Lysiacus.    Bonn.  — 

[Rez.:  WklPh  XV  —  1898  Sp.  394—9  Fuhr.  Diese  Rez.  auch  sonst 
von  Wert:  cf.  S.  95.] 

1896. 

239.  H.  Schenk  1,  zur  ersten  Rede  des  Lysias.  WSt  XVIII 
S.  160  (Miszellen). 

240.  P.  R.  Müller,  zu  Lysias  und  Lukianos.  NJklPh  CL11I 
S.  300—304,  hier  300  f. 

241.  L.  L.  Form  an,  ethopoiia  in  Lysias.    CR  X  S.  105. 

1897. 

242.  *  J.  A.  Prout,  epitaphios  (funeral  oration)  aud  xai' 
'EpctToaO^voo;  lit.  transl.  London. 

243.  H.  van  Herwerden,  Lysiaca.  Mn  NS  XXV  S.  209—236. 

1898. 

244.  E.  Ziebarth,  Inschriften  aus  Athen.  MAJ  1898  S.24— 37, 
hier  S.  27. 

245.  *  W.  H.  W  a  i  t ,  ten  selected  orations  ed.  New  York. 

246.  *  P.  P.  Hruby,  Ree  Lysiova  proti  Agoratovi.  Prgr. 
Slauem  (tsch). 

247.  C  Hude,  ad  Lysiam.    NTF  VI  S.  56. 

1899. 

248.  E.  Drerup,  de  Philisci  in  honorem  Lysiae  epigrammate. 
MB  III  S.  207—11. 


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aus  den  Jahren  1886—1904.  (Eraminger.) 


71 


249.  II.  van  Herwerden,  Lysiae  orationes  in  quibus  etiam 
amatoria  a  Piatone  servata  cum  fragm.  brevi  adnotatione  instructa, 
scholarum  in  usum  ed.  (1863  *)  Groningen.  — 

[Cf.  BphW  XXI  =  1901  Sp.  1513  f.] 

250.  H.  Traut,  Zeitbestimmung  und  Gedankenordnung  der 
XIX.  Rede  des  Lysias  über  das  Vermögen  des  Aristophanes.  Gy  XVII 
Sp.  697—708. 

251.  J.  C.  Vollgraff,  Lysiaca.    Mn  NS  XXVII  p.  222 — 4. 

252.  Achille  Cosattini,  1'  epitafio  di  Lisia  e  la  sua  auten- 
ticita.    Studi  italiani  di  filol.  class.  VII  S.  1—36. 

1900. 

253.  *  J.  Thompson  and  T.  R.  Mills,  Eratosthenes  and 
Agoratos  ed.  Introduction,  text,  notes  (Translation  by  W.  H.  Balgarni). 
London. 

254.  S.  Rossi,  orazioni  scelte  ad  uso  dei  licei  connnentate 
(VII,  XXIII).    Torino.  — 

[Rez.:  BphW  XXII  =  1902  Sp.  124  Fr.  Müller.l 

255.  W.  Weber,  de  Lysiae  quae  fertur  contra  Andocidera 
oratione  (VI).    Diss.  Leipzig.  — 

fRez.:  BphW  XXI  =  1901  Sp.  257  Drerup.] 

256.  Th.  Thal  heim,  zu  Lykurgos  und  Lysias.  Prgr.  Hirsch- 
berg i.  Schi. 

257.  U.  v.  Wilamowitz -Moellendorff,  Lesefrüchte. 
H  XXXV  S.  532—566,  hier  S.  536. 

1901. 

258.  Th.  Thalheim,  Lysiae  orationes.  Leipzig,  Teubner. — 
[Rez.:  BphW  XXI  =  1901  Sp.  1508  f.  1537  f.  Fuhr.] 

259.  *  J.  Bassi,  le  orazioni  contro  Eratostene  e  contro  Nicomaco 
annotate.  Torino. 

260.  *  J.  Bassi,  le  orazioni  contro  Agorato  e  contro  Filone, 
annotate.  Torino. 

261.  *  A.  Cosattini,  1'  epitafio.    Florenz.  — 
[Rez.:  AeR  Aprile  1901  S.  134.] 

262.  R.  Nitz  sehe,  über  die  griechischen  Grabreden  der 
klassischen  Zeit  I.  Teil.    Prgr.  Altenburg. 

263.  *  G.  Wörpel,  de  Lysiae  oratione  u-&p  toü  douvaTou  quaest. 
Leipzig.  — 

[Rez.:  BphW  XXII  =  1902  Sp.  548  Fuhr.l 

264.  H.  J.  Polak,  paraliporaena  Lysiaca.  Mn  NS  XXIX  = 
1901  S.  412—443  (Forts.  XXX  =  1902  S.  367—386  und  XXXI  = 
1903  S.  157—184). 


72 


Bericht  über  die  Literatur  zu  den  attischen  Rednern 


265.  Fr.  Vogel,  Analecta  I  aus  griech.  Schriftstellern.  Prgr. 
Fürth  i.  B.    3.  Abschn.:  zu  Lysias  S.  33—56. 

1902. 

266.  E.  Ferrai-G.  Fraccaroli,  orazioni  scelte  conmi.  vol.  I2 
le  accuse  d'Eratostene  e  d'Agorato.  Torino. 

[Rez.  z.  B.:  BphW  XXII  =  1902  Sp.  643  Fuhr.] 

267.  *  J.  A.  Prout,  pro  Mantitheo  and  pro  Invalido  litteraly 
translated.  London. 

268.  V.  Schneider,  Ps.  Lysias  xa-'  'Avooxtooo  ass^sia*  (VI.) 
NJklPh  Suppl.  XXVII  (1901)  1902  S.  352—372.    Cf.  Nr.  56. 

269.  W.  D ittenberger,  die  Familie  des  Alkibiades.  H 
XXXVII  S.  1—13. 

270.  W.  Dittenberger,  'KXaoosTtx-o;.  H  XXXVII  S.  29« 
—301. 

H.  J.  Polak  s.  oben  Nr.  264  S.  71. 

1903. 

271.  E.  Sewera,  Rede  gegen  Eratosthenes  und  über  den  Öl- 
baum.   Samml.  Meisterw.  d.  Griech.  u.  R.  Leipzig. 

272.  O.  Crusius,  Kleinigkeiten  zur  alten  Sprach-  und  Natur- 
geschichte. Ph  LXII  —  NF  XVI  S.  125  —  140,  hier  Nr.  1  D.asomxTo; 
S.  125—131. 

273.  P.  Wolters,  iXa<p6anxxo?.    H  XXXVIII  S.  265-273. 

274.  J.  V  a  h  1  e  n ,  üler  die  Rede  des  Lysias  in  Piatos  Phaedrus. 
SPrA  2.  Bd.  S.  788—816. 

H.  J.  Polak  s.  oben  Nr.  264  S.  71. 

275.  Cl.  Matzura,  die  Konsekutiv-  u.  Finalsätze  bei  Lysias, 
31.  Jahresber.  d.  niedeiösterr.  Landes-Real-  u.  Obergymn.  Horn. 

1904. 

276.  *  Kleffner,   Lysias'  ausgew.   Reden,  f.  d.  Schulgebr.; 

Text  1903,  Komm.  1905.    Münster  i.  W. 
|Rez.:  Gy  1905  Sp.  90  2  Wirmer.] 

277.  *  U.  Nottola,  l'apologia  del  povero  invalido  tradotta.  Alba. 
278*  S.  A.  Naber,  Lysias  Rede  für  Mantitheos  (XVI).  Mn 

XI  S.  310. 

279.  *  V.  Löwenthal,  die  Stellung  der  Platüer  in  Athen  und 
die  23.  Rede  des  Lysias.    Prgr.  Böhm.-Leipa. 

1905. 

280.  *  C.  G.  Tobet -J.  J.  Hart  mann.  L.  orationes  in  usum 
studiosae  iuvent.    4.  Autl.    Leyden.  — 

[Bez.:  BphW  XXV  -  1905  Sp.  1297  Fuhr.) 


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aus  dun  Jahren  1886—1904.  (Emminger.) 


73 


281.  A.  Röhl  ecke,  zur  Erklärung  der  14.  und  15.  Rede  des 
Lysias.    Prgr.  Wilh.  Gym.  Magdeburg. 

282.  S.  A.  Naber,  adnot.  erit.  ad  Lysiae  or.  Mn.  KS  XXXIII 
S.  68—98. 

283.  W.  Mötsch  mann,  Die  Charaktere  bei  Lysias.  Diss. 
München. 

[Itez.:  NphR  196  S.  289  Wörpel.] 

Das  Jahr  des  Erscheinens  war  nicht  festzustellen  bei 

284.  C.  Gelders,  discours  contre  Erat.  etc.  text  revu  et 
annote".  Bnixelles. 

285.  A.  Mottet,  discours  contre  Eratost.  etc.  text  grec,  revu 
avec  sommaire,  analyse  et  notes.  Paris. 

286.  Westermann,  ausgewählte  Reden  d.  Ly s.  verd.  Langen- 
scheidt.   1.  u.  2.  Lf.  3.  Aufl. 

Bei  den  Lebensverhältnissen  des  Lysias  ist  einschlägig  Zie- 
barth  (244),  der  das  Fragment  eines  Volksbeschlusses  aus  dem 
Jahre  401/0  veröffentlicht.  Hiedurch  ist  einer  Anzahl  von  Männern, 
030t  aoYxaTTjXdov  dirö  ^oXr^,  das  Bürgerrecht  verliehen  worden  und 
den  Kämpfern  bei  Munychia  eine  nicht  näher  zu  bestimmende  Ehrang 
zuteil  geworden  (cf.  Aesch.  III  187);  die  Namenliste  der  Geehrten 
ist  nur  zum  kleinsten  Teil  erhalten.  Eine  Beziehung  zum  Psephisma 
des  Thrasybulos  „für  Lysias"  (dazu  vgl.  jetzt  Aristot.  roXit.  Äutjv. 
c.  42.  2)  zu  vermuten  liegt  nahe;  ob  jedoch  Lysias  an  jener  Ehrung 
Anteil  gehabt  hat,  entzieht  sich  unserer  Kenntnis*) 

Von  Philiskos,  dem  Freund  des  Lysias,  bringt  Ps.  Plut.  vit.  X 
orat.  p.  836  C  ein  Epigramm  auf  den  Redner,  dessen  Verständnis 
trotz  mehrfacher  Heilungs-  und  Erklärungsversuche  —  unter  denen 
besonders  die  Textverbesserungen  des  Salmasius  zu  nennen  sind  — 
in  den  Einzelheiten  wenigstens  ein  sehr  schwieriges  Problem  blieb! 
Drerup  (248)  liest  nun  vor  allem  in  der  5.  Zeile  statt  des  über- 
lieferten oeT  3y  apsTTj?  texeiv:  Kfooxpaxrj?  ( =,hoxpatrJc) 

x^puxa  -Xsxot  xtva  und  dann  mit  Salmasius  Auat'a  ujavov:  so  wird 
der  erste  Meister  der  Lobrede  zu  einem  l-pctupiov  auf  Lysias  auf- 
gefordert. Damit  ist  auch  der  Zweck  des  Zitates  bei  Ps.-Plut.  erklärt : 
der  Lobredner  mußte  jünger  sein  als  der  Tote,  dem  die  Rede  galt. 

Die  Textgrundlage  für  den  Redner  bildet  der  cod.  Pal.  X; 
nachverglichen**)  wurde  die  Hs  in  der  Berichtszeit  von  Weidner  (193) 

*)  Cf.  dazu  auch  A.  Körte,  zu  dem  Ehrendekret  für  die  Phyle- 
kämpfer,  MAJ  XXV  =  1900  S.  392  ff. 

**)  S.  auch  Lysiae  or.  ed.  Th.  Thalheim.  Leipzig  1901  praefatio  p.  V  f. 


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74 


Bericht  über  die  Literatur  zu  den  attischen  Rednern 


für  seine  Ausgabe  ausgewählter  Reden  1888;  Reuß  (225)  endlich 
veröffentlichte  1894  die  nach  Lampros  und  Schöll  noch  unbekannten 
Lesarten  der  Handschrift  nach  dem  Handexemplar  des  Gymnasial- 
direktors C.  A.  Pertz,  der  schon  1874/6  eine  Vergleichung  der  Reden  1 
und  3 — 25  vorgenommen  hatte;  Fuhr  (233)  gab  Nachträge  1895. 

Für  den  Epitaphios  (II.)  im  besonderen  hatte  Erdmann  in 
seiner  Dissertation  und  der  darauffolgenden  Ausgabe  (cf.  Blaß,  Ber. 
1882  S.  227  f.)  die  ganze  Überlieferung  dargestellt.  Nur  die  Über- 
lieferung des  Marcianus  F  war  aus  der  Ausgabe  nicht  vollkommen 
zu  beurteilen;  diese  Lücke  hat  Schöll  (200)  ausgefüllt.  Nach 
Schölls  Untersuchung  fällt  f  (Vat.  Gr.  09)  weg;  auch  g  (ein  Laur.) 
verliert.  F  erscheint  als  ältester  und  bester  von  acht  Vettern,  die 
die  Klasse  11 n  darstellen.  Während  nun  aber  Schöll  der  Hs  F 
selbständigen  Wert  beimißt  und  sie  sogar  V  vorzieht  (etwa  dem 
Standpunkt  Bekkers  entsprechend),  stimmt  Er d mann  (201)  Wila- 
mowitz  bei,  Fg  entstamme  der  byzantinischen  Bearbeitung  eines 
Bruders  von  XV  und  sei  darum  nirgendwo  als  Grundlage  des  Textes 
zu  nehmen.  (Ähnlich  urteilen  auch  Fuhr  und  Seliger,  die  F  gering- 
schätzen.) Parallelstellen  seien  nützlicher  für  die  Verbesserung  des 
Textes. 

Einen  anderen  Zweig  der  Überlieferung,  Randbemerkungen 
aldinischer  Drucke,  behandelt  Er d mann  in  den  Lysiaca  (214). 
Sechs  solcher  Exemplare  sind  Erdmann  bekannt  geworden;  davon 
siud  zwei  in  Cambridge  und  eines  in  Weimar  als  auf  Klasse  II* 
weisend  ohne  Bedeutung.  Ein  Pariser  Exemplar  war  nicht  zugänglich ; 
die  Randbemerkungen  des  Hamburger  Exemplars  endlich  sind  aus 
dem  Leydener  entlehnt.  Diese  Leydener  Noten  sind  alle  von 
einer  Hand  in  Venedig  geschrieben,  vielleicht  von  Paulus  Manutius, 
jedenfalls  von  einem  des  Griechischen  und  Lateinischen  kundigen 
Gelehrten.  Ihr  Schreiber  benutzte  neben  zahlreichen  Konjekturen 
des  Victorius  und  Muretus  mehrere  alte  Handschriften,  für  den 
Epitaphios  mindestens  zwei.  Reichhaltig  sind  die  Marginalnoten  für 
die  beiden  ersten  Reden.  Eine  der  benutzten  Hss  ist  mit  vv  (vetus 
venetus)  angedeutet.  —  Kennzeichen  der  X- Familie  ist  im  Epi- 
taphios die  Lücke  §  24 — 28  (in  X  selbst  eine  fast  unleserliche  Seite), 
für  die  Klasse  II*  das  Fehlen  von  §  25  rt  —  cpoßoojievoc :  zu  keiner 
von  diesen  beiden  Gruppen  gehört  der  eine  Kodex  der  Marginal- 
noten, da  die  ganze  Lücke  aus  ihm  mit  Tinte  am  Rande  ergänzt 
ist.  Diesen  cod.  Venetus  hatte  auch  Muretus  nach  var.  lect.  XVII 
11.  —  Die  andere,  schlechtere  der  beiden  Epitaphioshss  in  den 
Randnoten  ist  als  G  (Marc.  417,  zu  II*  gehörig)  nach  Bekkers 


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aus  den  Jahren  1886—1904.  Emmingen) 


75 


kritischem  Apparat  za  erkennen.  —  Erduiann  macht  sehr  genaue 
Mitteilung  über  diese  Marginalien.  Viele  der  Lesarten  sind  jedoch 
schon  bekannt,  so  daß  für  den  Epitaphios  „in  summa  etwa  ein 
Dutzend  Stellen"  sich  ergeben,  „an  welchen  die  Lesarten  des  Venetus 
der  Marginalien  in  den  Text  gesetzt  zu  werden  verdienen w.  Die 
Handschrift  selbst  „ist  neben  X  und  V  zu  stellen". 

Als  4.  Kapitel  ist  Erdmanns  Aufsatz  eine  Übersicht  und  ein 
Stemma  der  Hss  zum  Epitaphios  angefügt: 


Arch.  I  Arch.  II 


X  A  V     Byzant.  Bearbeit. 


F 


Margin.       g  G 

Ausgaben  des  Lysias  sind  in  der  Berichtszeit  nahezu  zwei 
Dutzend  verschiedensten  Umfangs  und  verschiedensten  Wertes  heraus- 
gekommen. 

Nur  für  den  Schulgebrauch  gedacht  ist  die  Ausgabe  (1885  f.) 
von  Kocks  (180). 

Gleichfalls  für  die  Schule  ausgewählte  Reden  bringt  1888 
Weidner  (198),  und  zwar  24.  7.  10.  16.  12.  25.  13.  19.  32.  31. 
30.  22.  23.  1.  in  dieser  Reihenfolge.  Xenoph.  Hell.  II  2,  3  ff .  ist 
zum  Vergleich  mit  orr.  12  und  25  angefügt,  ebenso  ein  Sach-  und 
Namensregister. 

Von  der  bekannten  Aaswahl  mit  Erklärung  von  Rauchenstein- 
Fuhr  (183)  ist  1886  die  9.  Aufl.  des  2.  Bändchens,  1899  bereits 
die  11.  Aufl.  des  1.  Bändchens  erschienen. 

Von  der  Ausgabe  von  Frohberger-Gebauer-Thalheim  (215) 
liegt  die  3.  von  Thalheim  besorgte  Auflage  vor. 

Außer  einem  Neudruck  des  Scheibeschen  Textes  erschien  bei 
Teubner  die  kritische  Ausgabe  von  Thal  he  im  (258),  die  allgemein 
als  Fortschritt  in  der  Gestaltung  des  Lysiastextes  anerkannt  worden 
ist.  Grundlage  ist  natürlich  der  Kodex  X,  der  in  Zweifelsfällen  für 
Thalheim  neuerdings  von  Stadtmüller  eingesehen  wurde.  Über  ihn 
und  die  aus  ihm  abgeleiteten  Hss,  ferner  über  die  Hss  zum  Epi- 
taphios (s.  unten)  und  die  handschriftliche  Grundlage  der  bei  Dion. 


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76 


Bericht  über  die  Literatur  zu  den  attischen  Rednern 


Hai.  erhaltenen  Fragmente  (codd.  FMT ;  G),  gibt  die  Einleitung  kurze 
Auskunft.  Es  folgen  Verzeichnisse  der  früheren  Ausgaben  und  der 
neueren  Arbeiten  zu  Lysias.  Den  Reden  vorausgeschickt  sind  des 
Dion.  Hai.  de  Lysia  iudicium , « die  vita  des  Ps.  Plutarch  und  kurze 
Inhaltsangaben  zu  den  einzelnen  Reden ,  die  zugleich  über  die 
wichtigsten  an  die  einzelnen  Reden  sich  anknüpfenden  Streit- 
fragen und  die  Literatur  dazu  orientieren.  —  Der  kritische  Apparat 
steht  unter  dem  Text ,  Parallelstellen  sind  am  Rand  notiert.  —  Die 
Fragmente  sind  nach  Scheibe  (bis  116),  am  Rande  nach  Sauppe 
(bis  335)  numeriert.  —  Den  Schluß  bildet  ein  index  nominum  et  rerum. 

Auf  der  Grundlage  der  kritischen  Ausgaben  beruht  die  Be- 
arbeitung der  or.  XII.  (gegen  Eratosthenes)  und  VII.  (über  den 
Ölbaum)  durch  E.  Sewera  (271)  in  den  „Meisterwerken  der  Griechen 
und  Römer"  *).  Schöner  Druck  und  elegante  Ausstattung,  Einleitungen, 
eingehender  Kommentar  und  reichliches  Wörterverzeichnis  laden  die 
gewandteren  Gymnasiasten  zur  Privatlektüre  ein. 

Die  Ausgabe  von  Kleff ner  (276)  enthält  die  Reden  12,  13,  16 
zur  Illustrierung  der  Verfassungskämpfe,  u.  7,  22,  24  zur  Einführung 
in  die  sozialen  Verhältn.  Athens. 

Große  Vorliebe  wird  neuestens  dem  Lysias  von  den  Italienern 
entgegengebracht;  in  ihren  Mittelschulen  wird  seine  Lektüre  eifrig 
gepflegt.  Diesem  Bedürfnis  in  erster  Linie  kommen  die  Ausgaben  von 
G.  M  ül  1  e r  (186)  =  or.  XII,  XIII :  1887 ;  C  i n q u i n i  (204)  =  or.  XII : 
1890;  einem  Anonymus  (211)  =  or.  XII :  1891;  Canilli  (217)  ~ 
or.  X1U:  1892;  Inama  und  Ramorino  (221)  1893;  Rossi(254) 
1900;  Cosattini  (261)  =  or.  II:  1901;  Bassi  (259/60)  =  XII, 
XXX,  XIII,  XXXI:  1901;  Ferrai-Fraccaroli  (266)  2.  Aufl.  1902 
entgegen.  Keine  davon  gibt  den  ganzen  Redner.  Die  beiden  letzt- 
genannten Ausgaben  haben  auch  bei  uns  Aufmerksamkeit  gefunden. 
Die  Bearbeitung  durch  Ferrai-Fr. ,  die  sich  allerdings  stark  an 
deutsche  Vorbilder  hält  (ein  Beispiel  in  Fuhrs  Bespr.!),  kann  man 
wohl  als  die  italienische  Hauptausgabe  bezeichnen;  ihre  erste  Auf- 
lage (1885)  bot  den  ersten  Lysiastext  in  Italien  seit  der  Aldina. 
Die  Änderungen  Fraccarolis  an  Ferrais  Arbeit  betreffen  vor  allem 
den  Text,  den  er  viel  konservativer  gestaltet,  und  den  Kommentar: 
die  Erläuterungen  sind  vielfach  kürzer  und  auch  präziser  gefaßt.  — 
Bei  der  Auslese  wurden  die  unechten  und  zweifelhaften  Reden  II, 
VI,  VIII,  XI,  XV,  XX,  XXI  ausgeschlossen,  ferner  die  wegen  ihres 
Gegenstandes  für  die  Schule  ungeeigneten  Reden  (III  und  IV),  sowie 

*)  Die  Abweichungen  vom  Codex  X  sind  S.  39—42  mitgeteilt. 


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aus  den  Jahren  1886—1904.  (Emmingen) 


77 


diejenigen,  welche  sachlich  allzuviel  voraussetzen,  übergangen.  Das 
erste  Bändchen  (2.  Aufl.  1902)  bringt  or.  Xll  und  XIII.  —  Das 
zweite  Bändchen  ist  in  der  1.  Auflage  noch  von  der  Hand  Ferrais 
bearbeitet  (1895).  Ein  drittes  Bändchen  sollte  anhangsweise  auch 
eine  Neuvergleichung  des  cod.  Laur.  C*)  bringen,  ist  aber  m.  W. 
nicht  erschienen.  —  Die  Absicht  F.s,  der  selbst  nicht  viel  Neues  zu 
geben  hoffte,  geht  dahin:  einmal  die  Reden  in  den  historischen 
Zusammenhang  zu  stellen  —  in  den  Einleitungen  — ,  sodann  die 
Kunstprosa  des  Lysias  ins  rechte  Licht  zu  setzen. 

In  englischer  Sprache  liegt  aus  dem  Jahre  1885  die  2.  Aus- 
gabe von  16  Reden  durch  Shuckburgh  (181)  vor.  Albrechts  Urteil 
zufolge  ist  in  derselben  weder  für  die  Textgestaltung  noch  für  die 
Erklärung  ein  Fortschritt  begründet.  Dazu  kommen  die  Ausgaben 
von  Snell  (187)  =  or.  II,  Thompson  und  M i  1 1  (253)  =  or.  XII, 
XIII,  W.  H.  Wait  (245)  =  10  Reden  und  Morgan  (234)  = 
8  Reden;  darunter  wiederum  keine  Gesamtausgabe. 

Von  französischen  Ausgaben  sind  zu  verzeichnen  die  Aus- 
wahlen von  Masson  (227),  Mottet  (284)  und  Gelders  (283), 
letztere  beiden  nur  die  Rede  gegen  Eratosthenes  enthaltend. 

Auch  van  Herwerden  (249)  hat  eine  Neuausgabe  der  Reden 
einschl.  des  Erotikos  und  der  Fragmente  erscheinen  lassen;  die 
meisten  seiner  Konjekturen  hatte  er  schon  Mn  XXV  (243)  ver- 
öffentlicht. 

Eine  vierte  —  nicht  verbesserte  —  Auflage  von  Cobets  Aus- 
gabe hat  neuestens  Hartmann  (280)  veranstaltet. 

Den  Text  der  [VI.]  Rede  —  ohne  Neuvergleichung  von  X  — 
bringt  auch  Roegholt  (222). 

Auch  Übersetzungen  ausgewählter  Reden  sind  ziemlich  viele  er- 
schienen ;  sie  mögen  hier  nur  genannt  sein :  in  deutscher  Sprache  von 
Westermann  (285),  Binder  (179),  E.  R.  (205)  (or.  XII,  XIII): 
italienisch  von  Caccialanza  (220),  Aurenghi  (182),  Zacca- 
gnini  (216),  Crispi  (226),  Nottola  (277);  englisch  in  der  Aus- 
gäbe  von  Mills  (253)  und  von  Prout  (242  u.  267),  von  II  und 
XII  sowie  von  XVI  und  XXIV;  böhmisch  von  Cerny  (228),  die 
jedoch  nach  der  Besprechung  in  der  ZöGy  samt  Einleitung  und 
Erklärung  wertlos  ist. 

Ich  komme  zum  Bericht  über  Abhandlungen  und  Notizen,  die 
sich  auf  einzelne  Reden  oder  einzelne  Stellen  derselben  beziehen. 


*)  Auch  von  Thalheim  nicht  neu  verglichen,  cf.  praef.  ed.  p.  VI 
und  n.  **. 


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78  Bericht  über  die  Literatur  zu  den  attischen  Rednern 

Zu  or.  I  (vntQ  zov  'EQazoo&ivovg  yovov)  machten  textkritische 
Vorschläge:  zu  §  18  Dam  st  6  (194);  zu  §  19  H.  Schenkl  (239); 
der  spätere  Herausgeber  Thalheim  (256)  zu  §§  7,  41;  P.  R. 
Müller  (198)  zu  §§  21,  26;  Weidner  (197)  zu  §§  7,  88;  Naber 
(282)  zu  §§  6.  9.  18.  14.  16.  22.  24.  31*). 

Zu  den  Handschriften  und  der  Textgestaltung  des  Epüaphios 
sind  die  Arbeiten  von  Schöll,  Erdmann,  Reuß  oben  bereits 
angeführt.  —  Die  Rede  (§  60)  scheint  schon  von  Aristoteles  in  der 
Rhetorik  (III  10  1411  a  31)  ohne  Verfassername  (iv  t<j>  taitayiVp) 
zitiert  zu  sein.  Wilamowitz  (185)  erklärt  das  so:  laudat  Aristot 
eum  epitaphium,  qui  solus  aut  princeps  hac  appellatione  dignus  est, 
quem  cum  alii  multi  tum  Lysias  personatus  imitatione  dum  superare 
volunt  corruperunt,  epitaphium  Gorgiae ;  Aristoteles  also  bezieht  sich 
nicht  auf  den  Epitaphios,  quem  Charisii  aequalis  nescio  quis  Lysiae 
supposuit.  Blaß  „verschmäht  diese  Auskunft4*  AB  ls  S.  438,  er 
hält  aber  den  Ep.  für  unecht.  (AB  I2  S.  444).  „Sein  Hauptargument 
ist"  —  ich  lasse  hiezu  Maaß  (189)  in  der  Rezension  von  Blaß' 
"Werk  sprechen  —  „der  stilistische  Gegensatz  dieser  Epideixls  zu  den 
einfachen  Gerichtsreden  des  Lysias  ....  Eingeführt  bat  jenen 
stilistischen  Gegensatz  in  die  Literatur  Gorgias  und  Thrasymachos ; 
Lysias  fand  sie  beide  bereits  entwickelt  vor,  ganz  wie  Piaton  und 
Thukydides.  Wie  diese,  so  hat  auch  Lysias  die  beiden  sich  aus» 
schließenden  Stile  erlernt  und  sie ,  ganz  wie  jene ,  je  nach  den 
Umständen  angewandt."  Maaß  tritt  also  für  die  Echtheit  der  Grab- 
rede ein,  weil  er  in  der  Verschiedenheit  der  Redegattung  die  Er- 
klärung für  die  stilistischen  Verschiedenheiten  findet.  —  Ohnedies 
findet  alles  in  schönster  Harmonie  Thomaschik  (188).  Man  macht 
dem  Epitaphios  den  Vorwurf  der  Gedankenarmut,  die  sich  hinter 
Wortschwall  verstecke.  Diesem  für  die  Rede  ungünstigen  Vergleich 
mit  Lysias  liegt  nach  Th.  eine  zu  hohe  Schätzung  des  Redners  selbst 
zugrunde.  Aus  der  Untersuchung  über  beider  Reden  inventio  (Inhalt), 
compositio,  ornatus,  sermo,  anacolutha,  collocatio  verborum  ergibt  sich 
ihm  aber,  daß  der  Epit.  das  getreue  Spiegelbild  lysianischer  Art  ist. 
Dem  Isokrates  hat  bei  Abfassung  des  Panegyrikos  der  E.  vorgelegen. 
Schlußurteil :  der  E.  müßte  selbst  ohne  jede  Bestätigung  durch  alte 
Zeugnisse  dem  Lysias  vindiziert  werden. 

Ein  Beweismoment  gegen  die  Echtheit  leitet  Erdmann  (201) 
in  dem  schon  angeführten  Aufsatz  aus  einer  Vergleichung  der  pseudo- 
demosthenischen ,  perikleischen  und  hypereideischen  Grabrede,  zu- 

•)  Über  den  Gerichtshof  cf.  Br.  Keil,  die  solon.  Verfassung  in  Aristoteles 
Verfassungsgesch.  Athens.   Berlin  1892  S.  111. 


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aus  den  Jahren  1886—1904.  (Emminger.) 


79 


sanimengenommen  mit  Dioii.  Hai.  ars  rhet.  VI,  2  p.  278,  15  ff.  UR 
(auveXoVri  p-sv  ouv  6  imrdy toc  etc.)  ab :  unser  Redner  ist  sehr  ausführ- 
lich (ganz  im  Gegensatz  zu  den  anderen)  im  Lobe  der  rpo^ovot,  macht 
dagegen  das  Lob  der  zu  Begrabenden  in  2  §§  ab  (§§  6.  7):  nur  er- 
klärlich bei  einer  u-eXerij  eines  späten  Rhetors,  unbegreiflich  bei  Lysias. 

Über  die  Beziehungen  des  Epit.  zu  Isokrates  bringt  Reuß  (225) 
einen  Zusatz  zu  seinen  Ausführungen  im  RhMPh  XXX VIII  S.  148 
(s.  Hüttner  Ber.  1886  S.  30  und  Blaß  AB  Ia  S.  443).  Der  Ver- 
fasser des  Epit.  hat  nicht  nur  den  Areopagitikos  des  Isokrates  be- 
nutzt, sondern  auch  den  Archidaraos  (Isoer.  VI  100.  ~  Epit.  32). 
„Daß  Isokrates  zu  den  verschiedensten  Zeiten  (386,  365,  353)  immer 
wieder  auf  den  Epitaphios  zurückgegriffen  habe,  um  durch  Herüber- 
nahme einzelner  Sätze  seine  eigene  Darstellung  zu  schmücken,  scheint 
ausgeschlossen  zu  sein,  vielmehr  dienten  seine  Reden  der  Gedanken- 
armut eines  späten  Rhetors  als  Fundgrube." 

Dieselbe  Frage  behandelt  Wolff  (285)  in  seiner  Dissertation. 
Er  nimmt  hier  aus  den  früheren  Untersuchungen  Uber  die  Echtheit 
des  Epit.  fünf  Argumente  heraus,  die  gegen  lysianischen  Ursprung 
ins  Feld  geführt  wurden.  Während  er  nun  den  ersten  vier  hievon 
[1.  sprachliche  Unterschiede  —  Wortschwall;  2.  geschichtliche 
Mängel;  3.  Undatierbarkeit  der  Rede;  4.  das  Dilemma:  Lysias  als 
Nichtvollbürger  Sprecher  der  Rede,  oder  der  auserwählte  Sprecher 
eines  Logographen  bedürftig]  nicht  die  genügende  Beweiskraft  zumißt, 
hält  er  einen  fünften  Punkt,  die  Ähnlichkeiten  zum  Panegyrikos  des 
Isokrates  für  ausschlaggebend.  Nicht  Isokrates  hat  den  E.  benutzt; 
wahrscheinlicher  ist  beiderseits  Beziehung  zu  Gorgias !  Aus  der  Ver- 
gleichung  des  Inhalts  beider  Reden  mit  besonderer  Berücksichtigung 
der  drei  Hauptpunkte:  der  Prinzipat  für  Athen;  die  panhellenische 
Politik ;  die  Stellung  zu  den  Lazedämoniern ,  im  Zusammenhalt  mit 
den  Zeitverhältnissen  ergibt  sich  als  Resultat:  der  Epit.  ist  nach 
dem  Panegyrikos,  also  nach  330,  geschrieben  und  deshalb  höchst 
wahrscheinlich  nicht  von  Lysias.  Eine  Spätgrenze  ist  schwer  zu  be- 
stimmen; die  Nichterwähnung  des  kimonischen  Friedens  und  das 
Vorkommen  der  gorgianischen  Figuren  sprechen  immerhin  für  hohes 
Alter  der  Rede. 

Cosattini  (252)  untersucht  nach  einer  kurzen  Geschichte  der 
Kontroverse  die  Sitte  der  Epitaphien,  die  Überlieferung  der  Rede, 
die  antiken  Zitate  der  Rede  (Aristot.  rhet.  III,  10,  7  S.  1411a  31), 
die  Rede  selbst  nach  ihrer  rhetorischen  Struktur,  ihrer  Veranlassung 
und  Abfassungszeit  (387  oder  wenig  später),  den  historischen  An- 
spielungen und  dem  Stil,  mit  dem  Ergebnis:  dall'  esame  istituito  di 


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80 


Bericht  über  die  Literatur  zu  den  attischen  Rednern 


tutte  le  obbiezioni  fatte  .  .  .  risulta  che  di  esse  nulla  o  ben  poco 
rimane.   Die  Rede  ist  echt  lysianisch,  wenngleich  kein  Meisterstück. 

Neuestens*)  schließlich  hat  Nitz  sehe  (262)  die  griech.  Grab- 
reden der  klassischen  Zeit  im  Zusammenhang  untersucht  oder  vielmehr 
zu  untersuchen  angefangen;  denn  von  seiner  Arbeit  liegt  bisher  nur 
der  erste  Teil  vor,  der  sich  mit  dem  [lysianischen)  Epit.  beschäftigt. 
Ein  Kapitel  über  die  „Gebräuche  bei  den  öffentlichen  Bestattungen 
in  Athen"  führt  ein  in  die  Erörterungen  über  „Echtheit  und  Ab- 
fassungszeit der  erhaltenen  Grabreden".  Während  für  Hypereides 
(323)  und  Perikles-Thukydides  (431)  —  letztere  Rede  betrachtet  als 
eine  aufs  engste  an  den  originalen  Wortlaut  sich  anschließende 
Kopie  —  die  Verhältnisse  einfach  liegen,  erfordern  sie  bei  den 
anderen  Reden  eine  eingehende  Untersuchung.  Für  die  Grabrede 
unter  Lysias'  Namen  sind  folgende  Gesichtspunkte  zu  berücksichtigen**): 
1.  Von  den  äußeren  Zeugnissen  könnte  eventuell  das  des  Aristoteles 
für  beweiskräftig  angesehen  werden;  N.  schließt  sich  jedoch  in  der 
Auffassung  dieses  Zitates  Wilamowitz  (s.  oben  S.  78)  an.  2.  Der 
Stil  führt  bei  der  unleugbaren  Menge  echt  lysianischer  Merkmale, 
die  neben  den  Verschiedenheiten  stehen,  zu  keinem  vollständig  über- 
zeugenden Resultate.  3.  Wie  Lysias  ist  der  Verfasser  des  E. 
Demokrat,  ein  so  eifriger  sogar,  daß  er  einerseits  vor  Geschichts- 
fälschung nicht  zurückschreckt;  anderseits  „fällt  er  aus  der  Rolle 
und  erwähnt  Tatsachen,  wie  sie  zur  Zeit  des  korinthischen  Krieges 
überhaupt  kein  Athener,  geschweige  denn  ein  entschiedener  Ver- 
treter der  demokratischen  Partei  in  einer  öffentlichen  Rede  vorbringen 
konnte"  ***).  4.  Im  Anschluß  an  Wolff  (s.  oben  S.  79)  bezeichnet 
N.  als  besonders  beweiskräftig  für  die  Abhängigkeit  des  E.  von 
Isokr.  einen  Vergleich  der  beiden  Stellen  Epit.  55 — 59  und  Isokr. 
103 — 106,  107 — 109;  aus  der  Gegenüberstellung  ergibt  sich  nämlich, 
„daß  die  lysianische  Stelle  der  Reihe  nach  aus  Gedanken  zusammen- 
gestellt ist,  die  sich  im  Panegyrikos  in  den  §§  106  (resp.  104), 
105,  106,  117,  118,  106  und  103  finden.  Hiedurch  wird  eine 
Abhängigkeit  des  lsokrates  von  Lysias  sehr  unwahrscheinlich;  denn 
ersterer  hätte,  wenn  er  Lysias  folgen  wollte,  keinen  Grund  gehabt, 
die  Gedankenfolge  zu  ändern;  dagegen  ist  viel  eher  anzunehmen,  es 


*)  Chaillet8  (45)  Dissert.  1891  blieb  mir  unzugänglich. 
**)  Lebeau  1863  ist  durch  Sauppe  widerlegt. 

***)  Eifriger  Demokrat  z.  B.  §§  63  ,  56;  dagegen  cf.  §  59  (Sieg  bei 
Knidos).  —  Historische  Veraehen  außerdem  nicht  §  21,  wohl  aber  §  27  (Xerxes 
für  DareiosX  §§  32—34  (Lage  der  Athener  bei  dem  Heranrücken  der  Perser). 


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aus  den  Jahren  1886—1904.  (Emminger.) 


81 


habe  der  Verfasser  des  Epik,  dem  es  vor  allem  auf  kunstvolle  Form 
der  Darstellung  ....  ankam,  seine  Gedanken  und  Phrasen  dem 
Panegyrikos  entnommen  und  sie  dann  seinem  Zweck  gemäß  geordnet". 
5.  Über  die  Abfassungszeit  des  [lys.]  Epit.  läßt  sich  vorläufig  nur 
sagen,  daß  er  nicht  allzulang  nach  des  Lysias  Tode  entstanden  sein 
wird.  Die  genauere  Untersuchung  ist  zusammen  mit  der  Frage  nach 
der  Entstehungszeit  der  Grabrede  überhaupt  einem  zweiten  Teil  vor- 
behalten —  der  bis  jetzt  noch  nicht  vorliegt*). 

Zur  Verbesserung  des  Textes  der  Rede  hat  Thal  heim  (256) 
für  §§  3,  13,  35,  79,  Naber  (282)  zu  §§  9,  13,  15,  50  Vorschläge 
gemacht. 

Zur  dritten  Bede  (tcqÖq  2i/Mova  anokoyia)  liegen  nur  einige 
Konjekturen  vor:  von  P.  R.  Müller  (198)  zu  §  15,  von  Thal- 
heim (256)  zu  §§  9,  18,  23,  39  und  von  Naber  (282)  zu  §§  10, 
17,  28,  39,  44,  45. 

Ebenso  zu  or.  TV  (neQi  TQavficttog  tx  rcgovolag  xrf):  Thal- 
heim  (256)  zu  §  11,  Naber  (282)  zu  §§  1,  5,  8. 

Eine  Doppelfrage  ist  mit  der  sechsten  Rede  im  lysianischen 
Korpus  (xcrx  IdvÖo'Aidov  aaeßeiag)  verknüpft:  1.  Wurde  die  Rede 
vor  Gericht  gehalten  (vom  Verfasser  eventuell  bei  der  Herausgabe 
noch  einmal  durchkorrigiert),  oder  ist  sie  von  Anfang  an  eine  nur 
zum  Lesen  bestimmte  Invektive  gewesen  ?  2.  Stammt  sie  von  Lysias, 
und  wenn  nicht,  von  wem  sonst  oder  aus  welchem  Kreis? 

Nach  Blaß'  Urteil  (AB  Ia  S.  562—570)  ist  Lysias  nicht  ihr 
Verfasser,  wohl  aber  ist  sie  als  SeoTepoXof  (a  in  jenem  Prozeß,  in  dem 
auch  Andokides'  Mysterienrede  gehalten  wurde,  anzusehen. 

Von  den  hier  zu  nennenden  Spezialuntersuchungen  läßt  Roegholt 
die  Rede  vor  Gericht  gehalten  sein,  verfaßt  wahrscheinlich  (nach 
Bergk)  von  Theodoros  von  Byzanz ;  Weber  betrachtet  sie  als 
Invektive  eines  Zeitgenossen;  Drerup-Schneider  gleichfalls**), 
indem  sie  als  Verfasser  den  Theodoros  annehmen;  Zutt  endlich  er- 
klärt sie  als  Epitome. 

*)  F.  Dümmler,  „Die 'Atojvafov  TtoXiTefo  des  Kritias",  Hermes  XXVII  = 
1892  S.  282  Anm.  2  (=  Kl.  Schriften  II  1901  S.  439  Anm.)  „kann  die  Unechtheit 
der  Rede  nicht  für  'erwiesen  halten"  und  gebraucht  sie  darum  als  „einen 
wichtigen  Terminus  ante  quem  für  den  gorgianischen  Epitaphios  (394)",  der 
„gewissermaßen  die  feierliche  Einführungsrede  der  neuen  Demokratie  war, 
von  Archinos  am  ersten  Konstitutionsfeste  gehalten".  Gründe  für  die  Echt- 
heit der  Lysianischen  Rede  führt  D.  nicht  an. 

**)  Auch  Brun 8  (71)  glaubt  nicht,  daß  die  Rede  vor  Gericht  gehalten 
ist:  S.  479/80,  cf.  S.  521—524. 

Jahresbericht  fftr  Altertwiwwiasenschaft.    Bd.  CXXXIII.    (1907.   I.)  6 


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82  Bericht  über  die  Literatur  zu  den  attischen  Rednern 

Zutts  (163)  Gedankengang  ist  oben  S.  61  kurz  dargelegt.  — 
Den  Inhalt  von  Roegholts  (222)  Dissertation  gibt  der  Verfasser 
selbst  kurz  in  der  1.  seiner  Thesen:  Pseudolysiae  oratio  xax'  äv- 
öoxtoou  ab  aequali  Lysiae  scripta  et  in  Ute  contra  Andocidem  pro- 
nuntiata  est.  Unmöglich  scheint  es  R. ,  die  Rede  einem  Rhetor 
späterer  Zeit  zuzuschreiben.  Wer  aber  war  der  Redner?  War 
es  Epichares  oder  Meietos?  Jedenfalls  hat  keiner  von  den  beiden 
die  Rede  selbst  verfaßt ,  sondern  ein  zeitgenössischer  Logograph. 
Dürfen  wir  der  Suidasnotiz  trauen?  Theodoros  schrieb  eine  Rede 
gegen  A. ;  ob  es  die  vorliegende  war,  ist  nicht  ausgemacht,  wenn- 
gleich wahrscheinlich.  Denn  die  Rede  ist  ieiuna,  d.  i.  —  nach 
Blaß  —  allgemein  kraftlos  und  unbedeutend,  nach  Cicero  ein 
Charakteristikum  für  die  Werke  des  Theodoros.  —  Bemerkungen 
über  die  handschriftliche  Grundlage  leiten  über  zum  Text  der  Rede, 
für  deren  Rezension  jedoch  cod.  X  nicht  neu  verglichen  ist. 

Weber  (255)  stellt  zunächst  zusammen,  was  die  Mysterienrede 
über  den  gegen  Andokides  angestrengten  Prozeß  uns  lehrt.  Dann 
geht  er  an  den  Beweis  auctorem  invectivae  ipso  illo  tempore 
vixisse,  quo  actio  adversus  Andocidem  intenta  est.  Während  von 
vielen  behauptet  worden  ist,  die  Rede  sei  eine  Deuterologie  (cl.  §  42), 
kommt  W.  zur  Überzeugung,  die  Rede  könne  überhaupt  nicht  vor 
Gericht  gehalten  sein,  zumal  nicht  von  einem  der  Mitkläger.  Zutts 
Argumente,  die  die  Rede  als  Exzerpt  aus  der  Protologia  erweisen 
sollen,  erscheinen  für  W.  nicht  überzeugend.  W.s  eigene  Meinung 
geht  dahin  post  litem  mysteriorum  violatorum  orationem  conscriptam 
esse.  Wahrscheinlich  hat  der  Autor  die  Verteidigungsrede  ein- 
gesehen. Er  legt  viel  Gewicht  auf  die  Religion,  Hauptsache  aber 
ist  ihm  die  Parteiangehörigkeit  des  Andokides:  ein  aristokratischer 
Zeitgenosse  des  Andokides  hat  die  Rede  geschrieben.  Is  qui  eam 
conscripsit  ....  opus  confecit  forsan  eo  consilio,  ut  oratoris  studiis 
auetoritatis  in  civibus  adipiscendae  quam  maxime  noceret ,  quoniam 
fieri  non  potuerat .  ut  causa  mysteriorum  profanatorum  nobiles  pro- 
ditionem  eius  adversus  sodales  Euphileti  hetaeriae  commissam  ulci- 
scerentur. 

Gleichfalls  als  „Werk  eines  Zeitgenossen  des  Lysias" ,  als 
„sophistische  Invektiveu,  „die  von  einem  Rhetor  jener  Zeit 
herrührt",  betrachtet  V.  Schneider  (268)  die  Rede:  sie  ist  nicht 
lysianisch,  —  das  „altertümlich  Gesuchte1*  ihrer  Sprache  fällt  be- 
sonders auf.  Doch  ist  ihr  Stil  auch  nicht  der  asianische  eines 
späten  Rhetors,  wie  besonders  Sluiter  meinte.  Letzterer  fand  auch 
mit  Unrecht  in  der  Nennung  des  'Epjxr^  irarptoo?  Anlaß,  die  Rede 


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aus  den  Jahren  1886—1904.  (Emminger.) 


83 


in  spätere  Zeit  zu  verweisen;  gerade  die  Anführung  nebensächlicher 
Fakta  spricht  für  Gleichzeitigkeit  mit  dem  Prozeß.  Deswegen  braucht 
die  Rede  jedoch  nicht  vor  Gericht  gehalten  zu  sein:  der  Widerspruch 
in  den  §§  42  und  19  macht  das  sogar  ganz  unwahrscheinlich. 
Argumente,  die  für  die  Gerichtsrede  unmöglich  sind,  und  „geschichtliche 
Ungenauigkeiten  finden  eine  leichte  und  hinreichende  Erklärung"  in 
der  Annahme,  die  Rede  sei  eine  sophistische  Invektive.  Jedenfalls 
liegt  diese  Erklärung  näher  als  die  Annahme  nachträglicher  Über- 
arbeitung. Die  Invektive  wird  dann  auf  Grund  der  Suidasnotiz  und 
der  Stilanalyse  von  Drerup  (56)  S.  338 — 340  dem  Theodoros 
v.  Byzanz  zugewiesen  —  zuerst  hatte  diesen  Gedanken  ausgesprochen 
Th.  Bergk,  Griech.  Liter.-Gesch.  IV  1887  S.  356  f. 

Für  den  Text  der  VI.  Rede  bringt  Konjekturen  Thal  he  im  (256) 
zu  §§  3,  7,  11,  44,  51,  53  und  Naber  (282)  zu  §§  3,  26,  34,  45,  46. 

Mehrfache  Verbesserungsvorschläge  liegen  zur  siebenten  Bede  negi 
tov  ar^ov  vor:  von  Kocks  (199)  zu  §§  6,  12,  14,  18,  20  u.  22, 
23;  Weidner  (197)  zu  §§  12,  (31),  18,  29,  30,  34,  39;  Hun- 
deck (224)  zu  §§  3,  22,  26;  Morgan  (230)  zu  §  39;  R.  P.  Müller 
(198)  zu  §  2;  Vollgraff  (251)  zu  §§  1,  5;  Thalheim  (256) 
zu  §  29;  Nabe r  (282)  zu  §§  1,  6,  18,  27,  31,  35. 

Der  Verlust  der  achten  Hede  —  xairjyoQict  ngög  toi-g  ovvov- 
ataarag  xaxoloyiwv  —  würde  die  griechische  Literatur  um  nichts 
ärmer  machen,  so  urteilt  Blaß  und  übereinstimmend  mit  ihm 
Hallen sl eben  (190).  Lysias  hat  sich  zu  einer  solchen  Nichtigkeit 
kaum  hergegeben.  Mit  der  Annahme  eines  Exzerptes  (Stutzers 
Hypothese)  wird  der  Echtheitsfrage  nur  ausgewichen;  denn  auch 
dann  ist  jedenfalls  die  Rede,  wie  wir  sie  haben,  nicht  lysianisch. 
Unlysianisch  ist  vor  allem  die  Hiatvermeidung ;  doch  ist  hierauf  bei 
dem  schlechten  Zustand  der  Überlieferung  nicht  allzuviel  Verlaß. 
Unlysianisch  ist  aber  auch  der  Sprachgebrauch*).  —  Die  Rede  ist 
auch  keine  ueX£n),  „sed  habita  in  coetu  amicorum";  nur  mit  dieser 
Annahme  lasseu  sich  die  vielfach  aufstoßenden  Unklarheiten  und 

*)  Namentlich  nimmt  H.  Anstoß  an  dem  Übermaß  der  Antithesen  und 
rhetor.  Fragen;  dem  Gebrauch  des  Plurals  für  eine  Person;  dem  Mangel 
der  Vokative  zur  Anrede;  an  Ungereimtheiten  uud  Sophistereien  wie  §§  4 
und  8;  lästigen  Wiederholungen  des  gleichen  Wortes,  überhaupt  einer  loquax 
verbositas;  an  sprachl.  Einzelheiten  wie  der  Vorliebe  für  Komposita  (Lysias 
zieht  simpl.  vor),  Konstruktion  bezw.  Gebrauch  von  (jtifrfcoöai  (mit  Dat.)» 
itp^Ttpov,  tiyoLy  ivavrfov,  iropfCeoöai,  xatetiretv:  einem  gewissen  color  poeticus 
des  ganzen. 

6* 


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i 
I 


84  Bericht  über  die  Literatur  zu  den  attischen  Rednern 

Dunkelheiten  erklären.  Vor  den  Richtern  gehalten  wie  als  rhetorische 
Übung  müßte  die  Rede  klarer  sein;  als  Übung  würde  sie  auch  mehr 
Gemeinplätze  enthalten.  Über  Autor  und  Zeit  läßt  sich  nichts  Sicheres 
ausmachen;  vielleicht  stammt  sie  aus  der  isokratischen  Schule  — 
jedenfalls  nicht  von  Lysias.  —  In  ihrem  Zusammenhang  mit  den 
Privatgesellschaften  Athens  behandelt  die  Rede  Vianeil o  (236). 
Ferrai  (Boficl  1895,  101)  berichtet  über  diese  Untersuchung  und  be- 
dauert, daß  V.  nach  Wiederholung  bekannter  Dinge  auch  über  certe 
irregolarita  di  sintassi  e  di  stile  nur  Allgemeinheiten  vorbringt,  da 
ihn  doch  eine  genauere  Untersuchung  abgehalten  hätte  die  Echtheit 
der  Rede  zu  behaupten,  oder  ihn  wenigstens  zur  Anerkennung  einer 
starken  Überarbeitung  des  antiken  Textes  hätte  führen  müssen; 
ferner,  daß  Vianello  auch  im  zweiten  Teile  sich  begnüge  wieder- 
zuerzählen, was  wir  längst  schon  über  die  verschiedenen  Korporationen 
jeglicher  Art  im  alten  Athen  wußten,  ohne  auch  nur  zu  sagen,  in 
was  für  einer  Versammlung  nun  die  Rede  gehalten  wurde.  Thal- 
heim (256)  gibt  auch  zu  dieser  Rede  Konjekturen  zu  §§  1,  4, 19,  20*). 

Im  Grunde  dieselben  Fragen  wie  bei  der  achten  Rede  erheben 
sich  wieder  bei  der  neunten:  vrteQ  tov  atQauwtov.  Ist  die  Rede 
vor  den  Richtern  gehalten,  ist  sie  echt,  lysianisch  —  lassen  sich 
schließlich  etwaige  Auffälligkeiten  einem  Herausgeber,  Epitomator 
zur  Last  legen?  —  Nachdem  Pabst  (206)  kurz  das  Argumentum 
der  Rede  angegeben,  tritt  er  in  die  Erörterung  der  dem  Prozeß  zu- 
grunde liegenden  causa  ein;  und  zwar  fragt  es  sich:  1.  durfte  Poly- 
ainos  von  den  Strategen  nochmals  zu  den  Waffen  einberufen  werden ; 
2.  was  versteht  man  unter  emßoX^  **)  —  ist  diese  dem  Polyainos  von 
den  Strategen  wegen  der  Schmähungen  auferlegt  worden ?  Durch- 
führung der  Sache  und  Art  der  Strafe  widersprechen,  kurz  gesagt, 
nach  P.  den  uns  bekannten  Gesetzen  nicht  auffällig,  die  Strafe  war 
in  dem  gegebenen  Falle  auch  nicht  unbillig***).  —  Anders  ist  das 
Resultat  aus  der  Untersuchung  der  Rede  nach  der  formalen  Seite :  Ver- 


•)  Zu  VIII  11  cf.  A.  Römer  SMA  1901,  34  Anm.  1  xal  fttd  toüto 
(auTo)  lirparrov  (für  dyrtoparcov). 

**)  Hiezu  vgl.  8iegfried,  de  multa  quae  fatßo^  dicitur.  Diss. 
Berlin  1876. 

•**)  Damit  sind  Einzelausführungen  veranlaßt  über  die  lirißoX/j,  die  drei 
Gesetze  betr.  Verbalinjurien,  Über  die  Tofxfai,  warum  ihnen  die  inißoAVj  von 
den  Strategen  übertragen  wurde  und  welches  ihre  Machtbefugnisse  waren; 
über  die  dnoypcnp^,  die  die  Strategen  gegen  Polyainos  anstrengten;  über  den 
Ort  des  Prozesses  (abhangig  von  der  Zeit  der  Rede),  über  die  §§  15,  17,  18, 
die  Pabst  auf  den  gegenwärtigen  Prozeß  bezieht. 


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aus  den  Jahren  1886—1904.  (Emminger.) 


85 


Btöße  gegen  die  Reinheit  der  Sprache,  in  der  Satzfügnng  eine  über- 
große Menge  von  Antithesen,  (sententiarum  niraia  modo  brevitas 
modo  verbositas),  fallen  ebensosehr  auf  wie  das  Fehlen  der  dem 
Lysias  eigentümlichen  evap-feia,  ^foicotfa,  X*Pl*:  l*«ter  Dinge,  die 
einzeln  vielleicht  noch  nicht  von  entscheidendem  Gewicht  wären, 
in  ihrer  Gesamtheit  aber  zur  Athetierung  führen.  —  Als  Jahr  der 
Abfassung  wird  aus  der  Erwähnung  des  Ktesikles  §  6,  der  als 
Archon  des  Jahres  884/3  aufgefaßt  wird,  333/2  gewonnen*).  — 
Gewiß  hat  der  Text  der  Rede  gelitten ;  jedoch  sieht  P.  nach  Unter- 
suchung der  Stellen,  an  denen  man  wegen  ihrer  Dunkelheit  oder 
allzugroßen  Kürze  Anstoß  nimmt  [„plurimi  eorum  locorum  .... 
partim  certo  partim  verisimili  modo  interpretari  possunt"]  und  be- 
sonders im  Vergleich  mit  der  11.  Rede  keine  Veranlassung,  die 
Rede  als  bloßen  Auszug  aufzufassen.  Sicher  ist  aber  Lysias  nicht 
ihr  Verfasser. 

Die  Rechtsfrage  allein  erörtert  namentlich  im  Hinblick  auf  die 
Bedürfnisse  Lysias  lesender  Schüler  H.  K  e  1 1  e  r  (229).  Seine  Kapitel 
handeln  über  a)  die  Sachlage,  b)  die  dtiroYpa<p^,  c)  den  Ankläger, 
d)  die  Verteidigung.  —  Terminus  post  quem  ist  ihm  403**),  als 
Spätgrenze  erscheint  393.  —  Vorausgeschickt  ist  eine  Übersetzung 
der  Rede  ins  Deutsche,  angefügt  eine  chronologische  Tafel  und  in 
einem  Nachtrag  einige  Beobachtungen  zur  rhetorischen  Kunst  der 
Rede  nach  Cicero  und  dem  auctor  ad  Herenniuro. 

Zum  Text  der  IX.  Rede  vgl.  Thal  heim  (256)  zu  §§  16,  17, 
18,  19;  Naber  (282)  zu  §§  5,  19. 

Die  Echtheit  der  zehnten  Hede  v.axa  Geo^vrjatov  ist  neuerlich 
bestritten  von  J.  Bruns  (71)  S.  460,  der  sie  für  eine  Übungsrede 
hält.  Sprecher  ist  der  Ankläger;  aber  gegen  alle  Gewohnheit  des 
Lysias  charakterisiert  er  sich  selbst  sehr  scharf,  und  zwar  —  wieder 
gegen  Lysias  —  sehr  zu  seinen  Ungunsten  als  „aufbrausender,  petu- 
lanter"  Mensch.  Auch  der  Angeklagte  wird  unsachlich  behandelt 
und  seine  Individualität  ungewöhnlicherweise  geschildert***). 


*)  Schon  Francken  hatte  in  gleicher  Weise  argumentiert  unter  Wider- 
spruch von  Blaß  AB  I»  599  und  Anm.  4. 

**)  Als  Jahr,  vor  welches  keine  lysianische  Rede  fällt.  Keller  nimmt 
die  Rede  für  echt,  schließt  folglich  —  gerade  umgekehrt  wie  Pabst  —  aus 
dem  Amtsjahr  des  Archonten  Ktesikles,  daß  dieser  nicht  gemeint  sein 
könne,  da  ja  damals  Lysias  nicht  mehr  lebte. 

***)  Cf.  unten  S.  92  zu  or.  XXIV  und  S.  97  zu  fr.  I. 


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86 


Bericht  über  die  Literatur  zu  den  attischen  Rednern 


Konjekturen  zu  X.  bringt  Weidner  (197)  zu  §§  10,  13,  26, 
28,  31,  1,  29,  2;  Naber  (282)  zu  §§  2,  3*). 

Bei  der  berühmten  12.  Bede  mar  *EQatöo&£vovg  stand  Gerichts- 
hof und  Art  der  Klage  in  Frage :  ist  die  Rede  in  einem  Mordprozeß 
oder  in  einem  Rechenschaftsprozeß  gehatten  worden?  Ich  brauche 
nur  Thalheims  wenige  Worte  —  die  mit  Morgan  (230)  über- 
einstimmen —  zu  zitieren,  um  den  Fortschritt  der  Wissenschaft  in 
dieser  Frage  zu  kennzeichnen  und  zugleich  zu  erklären;  er  sagt: 
(ed.  p.  XLI)  hanc  rationem  (sc.  in  rationibus  reddendis  contra 
Eratosthenem  Lysiam  exstitisse)  veram  esse  Aristotelis  de 
Atheniensium  republica  libellus  testatur.  Wilamowitz 
AA  II  218 ff.  sagt  dazu:  „Eratosthenes  hat  von  der  Klausel  der 
Versöhnungsurkunde  Gebrauch  gemacht,  die  den  80  Amnestie  verhieß, 
wenn  sie  sich  der  Rechenschaftsablage  unterzögen".  In  dem  Rechen- 
schaftsprozeß nun  steht  der  Isotele  Lysias  auf  und  führt  die  Klage, 
wie  jeder  es  konnte.  Wie  schon  früher  Schwartz  (203)  in  den 
beiden  Reden  XII  und  XIII  eine  tendenziöse  „Verfälschung  der 
Tradition"  begründet  glaubte,  der  dann  Xenophon  in  seiner  Dar- 
stellung der  Zeit  der  Dreißig  entgegentrat,  so  gibt  auch  Wilamowitz 
der  Rede  außer  dem  persönlichen  einen  politischen  Untergrund.  „Die 
Rede  ist  aufzufassen  als  Vorstoß  der  radikalen  Partei  auf  formal 
gesetzlichem  Boden  gegen  das  Versöhnungswerk;  die  Klausel,  die 
den  30  die  Möglichkeit  der  Amnestie  gewährte,  sollte  unwirksam 
gemacht  werden."  Dem  widerspricht  Blaß  AB  III,  2 2  S.  372  ff., 
der  dem  Lysias  auch  in  seinen  Angaben  über  Theramenes  **) ,  als 
dem  gleichzeitigen  Bericht ,  lieber  traut  als  dem  Aristoteles 
bezw.  dessen  späterem  Gewährsmann  (etwa  Androtion). 

Zum  Text  dieser  12.  Rede  bringen  Vorschläge:  Weidner  (197) 
zu  §§  32,  61,  92;  Kocks  (199)  zu  25,  35,  53,  78,  81  ; 
Morgan  (230)  zu  16,  44,  60,  63,  77;  Nauck  (202)  zu  32; 
C.  Hude  (247)  zu  88;  Thalhei m  (256)  zu  58;  II emstege  (133) 
Thesis  VII  S.  116  zu  §  10;  Naber  (282)  zu  1,  7,  14,  16,  19,  24, 
43,  46,  53,  60,  83,  89,  99. 

Über  den  historischen  Hintergrund  und  die  Prozeßform  der 
XIII.  Bede  xar  l^yogatov  ist  wiederum  Schwartz  (203)  zu  ver- 
gleichen, dagegen  dann  aber  Lipsius  (161). 

*)  Zum  altattischen  Sprachschatz  der  Rede  cf.  Br.  Keil,  d.  solon. 
Verfass.  in  Ariatot.  Verfassungsgesch.  Athens.   Berlin  1892,  S.  59  n. 

**)  Zur  Beurteilung  des  Theramenes  in  or.  XII  cf.  Bruns  (71)  S.  492. 


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aus  den  Jahren  1886—1904.  (Emminger.) 


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Der,  wenn  ich  so  sagen  darf,  auch  kulturhistorisch  interessante, 
schwer  erklärbare  Beiname  des  Vaters  des  Theokritos  (XIII,  19) 
hat  mehrere  Gelehrte  zu  Untersuchungen  gereizt.  0.  C  r  u  s  i  u  s  (237) 
hatte  schon  vor  längerer  Zeit  festgestellt,  'EXoKpoonxToc  sei  nicht 
Name  eines  Bärgers,  vielmehr  Spitzname  eines  Freigelassenen.  Von 
Dittenberger  (269)  war  das  Wort  dann  gleich  eXa?ov  ^«jti^voc 
gedeutet:  mit  einem  Brandmal  in  Gestalt  eines  Hirsches  gezeichnet; 
er  denkt  sich  den  Vater  des  Theokritos  demnach  als  einen  aTifjAaTiac, 
einen  Sklaven,  der  entlief,  aber  erwischt  und  zur  Erschwerung  aber- 
maliger Flucht  mit  einem  dergestaltigen  Mal  gekennzeichnet  wurde. 
Crusius  (272)  ergänzt  diese  Deutung  wieder  dahin,  daß  er  an- 
nimmt, „nicht  das  Wort  eXa<poc,  sondern  den  tuico?  habe  der  dunkle 
Ehrenmann  bei  Lysias  auf  der  Stirne  getragen.  Vielleicht  sollte  er 
dadurch  als  ßctpßotpo?  bezeichnet  werden,  noch  eher  aber  als  unsteter, 
landfluchtiger  ,  Wildfang',  als  Sklave".  Wolters  (278)  erscheint 
die  Wahl  eines  Hirsches  als  Mal  in  dem  Fall,  den  Dittenberger  an- 
nimmt, nicht  wahrscheinlich.  Er  deutet  den  Namen  als  den  mit  dem 
Bild  des  Hirsches  Tätowierten  —  ähnliche  Verzierungen  des  Körpers 
finden  sich  auf  Vasenbildern  besonders  bei  Thrakerinnen  —  und 
schließt  damit  auf  barbarische  Herkunft  des  Trägers  dieses  Schmuckes, 
der  demselben  in  Athen  den  Spitznamen  einbrachte. 

Konjekturen  bezw.  Vorschläge  zur  Textgestaltung  liegen  vor  von 
Weidner  (197)  zu  97;  Kocks  (199)  zu  63,  74,  79,  86; 
P.  R.  Müller  (198)  zu  19,  88;  Haeberlin  (207,  208)  zu  4,  23; 
Schliack  (195)  zu  86;  Dittenberger  (270)  zu  19;  Voll- 
graf (251)  zu  18;  Thalheim  (256)  zu  96;  Kütten  (231)  zu  §9: 
hier  zugleich  eine  Sammlung  von  Fällen,  in  denen  fttt,  aber  auch  «>?, 
erst  #ts,  sowie  die  Relativpronomina  in  der  oratio  obliqua  den  In- 
finitiv nach  sich  haben;  Hude  (247)  zu  88;  Matzura  (275  S.  15 
u.  21)  zu  9,  51;  Naber  (282)  zu  8,  12,  14,  18,  22,  23,  83,  45,  68). 

Über  die  Sonderausgaben  der  XII.  und  XIII.  Rede,  die  wegen 
der  Bedeutung  dieser  Reden  für  die  Geschichte  und  zugleich  für  die 
Persönlichkeit  des  Lysias  sehr  häufig  veranstaltet  worden  sind,  vgl. 
oben  S.  75  f. 

Bei  den  zusammengehörenden  Reden  XJV  xot  Iflxtßidöov  (Ä) 
Xutota$iov  und  XV  xctt  siXxißtddov  (B)  datgareias  handelt  es 
sich  um  verschiedene  Fragen:  nach  ihrem  lysianischen  Ursprung  — 
gleichzeitig  nach  Einheit  oder  Verschiedenheit  des  Autors  für  beide ; 
nach  der  Auffassung  und  Erklärung  des  Klagegrundes ;  schließlich  nach 


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88 


Bericht  über  die  Literatur  zu  den  attischen  Rednern 


ihrem  Platz  im  Kreis  der  Alkibiadesreden ,  wobei  die  Beantwortung 
einer  Frage  die  der  anderen  mit  beeinflußt. 

Allgemein  —  Hoyer  (191)  ausgenommen  —  ist  man  davon 
abgekommen,  or.  XV  den  Charakter  einer  selbständigen  Prozeßrede 
abzusprechen ;  Blaß  AB  1 9  S.  496  teilt  beide  dem  gleichen  Verfasser 
zu  —  „ist  die  erste  Rede  (XIV)  von  Lysias,  so  wird  es  auch  die 
zweite  (XV)  sein" :  der  lysianische  Ursprung  freilich  erscheint  Blaß 
S.  492  fr.  sehr  zweifelhaft. 

Dieser  Frage  nach  der  Echtheit  beider  Reden  widmet  N  o  w  a  c  k 
(209)  eine  Spezialuntersuchung.  Auch  für  andere  Untersuchungen  . 
sind  die  Zusammenstellungen  aller  Wörter  dieser  beiden  Reden  — 
ein  kleiner  Spezialindex  zu  XIV  und  XV  —  vielleicht  von  Nutzen; 
sie  erfolgen  in  drei  Gruppen :  Wörter,  die  auch  in  anderen  lysianischen 
Reden  vorkommen ;  Wörter,  die  nicht  unlysianisch  erscheinen,  bei  Lysias 
sonst  aber  keine  Belege  finden ;  vom  lysianischen  Sprachgebrauch  ab- 
weichende Wörter.  Im  allgemeinen  ergibt  sich  im  Wortgebrauch  Über- 
einstimmung mit  Lysias;  die  wenigen  Besonderheiten  können  nur  bei 
anderen  Dinerenzen  verstärkend  in  Betracht  kommen.  Auch  stimmen 
die  beiden  Reden  unter  sich  überein.  —  Anders  in  der  Syntaxis 
verborum.  „or.  XV  laborat  nimia  subsidiorum  rhetoricorum  ab- 
stinentia".  Das  ist  nicht  Zeichen  ihrer  Echtheit,  sondern  der 
egestas.  —  Ebenso  fällt  die  Rede  auf  durch  „inopia  ornatus  et 
argumentorum  amplitudine",  während  der  Verfasser  der  XIV.  Rede 
alle  Schmuckmittel,  die  Lysias  in  seinen  gesamten  Reden  verwendet, 
in  dieser  einen  im  üppigsten  Maße  gebraucht.  —  Der  XV.  Rede 
fehlen  sodann  —  das  ergibt  sich  aus  einem  Vergleich  der  Vorzüge 
und  Mängel  des  Lysias  und  der  Verfasser  der  beiden  Reden  unter 
Führung  des  Dion.  Halic.  —  sententiarum  brevitas,  argumentorum 
perspicuitas  et  Tudavorij?,  periodorum  elegantia,  orationis  venustas  et 
suavitas.  So  wird  ein  verwerfendes  Urteil  bei  XV  dem  Verfasser 
leicht  —  nicht  so  bei  XIV.  Zwar  ist  er  dem  Gefühl  nach  gleichfalls 
von  ihrer  Unechtheit  überzeugt,  doch  scheint  ihm  ein  so  sicherer 
Beweis  dafür  wie  bei  XV  nicht  möglich.  Sicher  ist  jedoch  gegen 
Blaß  festzuhalten,  daß  die  Reden  nicht  vom  gleichen  Ver- 
fasser stammen! 

Ohne  Rücksichtnahme  auf  die  Autorschaft  der  Reden  legt  sich 
R  ö  h  1  e  c  k  e  (281)  die  Frage  vor :  „warum  hat  man  denn  Alkibiades  nicht 
nur  als  (x5ox(uaa?o ;  iiriteoc;«?,  sondern  in  erster  Linie  auch  als 
Xi-tbv  tijv  -d?iv  angeklagt  ?tt  Seine  Gegner  wollten  ihn  —  so  erklärt 
R.  das  —  möglichst  hart  treffen.  Aber :  in  beiden  Fällen  wäre  doch 
die  Strafe  dtiui'a  gewesen  —  ja  nach  dem  Text  von  XIV,  9  wäre 


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aas  den  Jahren  1886-1904.  (Emmingen) 


89 


unbefugter  Reiterdienst  sogar  mit  ö^ji£U3tc  geahndet  worden!  Dem 
zweiten  Selbsteinwurf  tritt  Röhlecke  mit  Thalheim  durch  Streichung 
des  Passus  entgegen,  dem  ersten  durch  Verweis  auf  die  zwei  Arten 
der  dxtu.t'a,  die  große  vollständige,  mit  der  die  Ankläger  den  Alki- 
biades  belegt  wissen  wollten,  und  die  teilweise,  die  den  „ungeprüften 
Ritter"  traf. 

Außer  Lysias  wird  Isokrates  eine  Rede  (XVI)  beigelegt,  die 
einen  Prozeß  des  jüngeren  Alkibiades  betrifft.  Isokrates  und 
Lysias  zitieren  sich  beide  wechselseitig.  Nowack  (1%)  meint:  „Iso- 
krates zwar  zitiere  in  seiner  später  herausgegebenen  Rede  den  Lysias, 
Lysias  aber  habe  nicht  die  isokratische  Rede,  sondern  nur  häufig  wieder- 
holte Äußerungen  des  jüngeren  Alkibiades  im  Sinn".  Dazu  bemerkt 
Bruns  (71):  „indessen  ist  die  Bezugnahme  bei  beiden  gleich  deutlich 
und  läßt  nur  den  Schluß  zu:  als  Isokrates  seine  Rede  veröffentlichte, 
nahm  er  auf  das  noch  nicht  veröffentlichte  Plaidoyer  Bezug,  als 
Lysias  die  seine  herausgab,  lag  ihm  die  isokratische  Publikation 
vor".  Beide  Reden  aber  sind  ihm  literarische  Produktionen.  Die 
Folge  der  Ereignisse  denkt  er  sich  so:  899/6  Alkibiades  spricht  gegen 
Teisias  nach  Konzept  des  Isokrates ;  395  Klage  des  Archestratides : 
ein  Mitkläger  spricht  „auf  Grund  filier  von  Lysias  geschriebenen 
Rede.  Im  Wortlaut  kennen  wir  diese  nicht,  aber  ein  Teil  von  ihr 
deckt  sich  inhaltlich  mit  §§  1  —  22  der  XIV.  Rede".  Während  bis 
hierher  gegen  den  Vater  nur  Seitenhiebe  fielen,  „spielte  jetzt  Isokrates 
den  Streit  in  die  Literatur  hinüber,  und  damit  tritt  der  Vater  als 
das  eigentliche  Kampfobjekt  deutlich  hervor".  „Isokrates  schrieb 
das  Enkomion  auf  ihn,  Lysias  antwortete  mit  der  Invektive  gegen 
Vater  und  Sohn."  Als  solche  ist  letztere  für  lysianisch  zu  nehmen; 
(S.  500)  „unter  der  Voraussetzung",  daß  sie  Gerichtsrede  sei,  „müßte 
sie  allerdings  die  gewichtigsten  Bedenken  erregen".  (Vgl.  übrigens 
auch  zu  Isokrates  XVI.) 

Gleichfalls  als  nie  vor  Gericht  gehaltene  —  auch  nicht  zu 
haltende  —  Buchreden  faßt  Hoyer  (191)  alle  uns  überlieferten 
auf  Alkibiades  bezüglichen  Reden*).  Wie  für  Andoc.  IV,  „das  Muster 
einer  Schulrede",  „verfaßt  von  einem  Rhetor  oder  Sophisten4*, 
Anekdoten  über  das  Leben  des  Alkibiades  die  Hauptsache  sind,  so 
auch  für  die  Gespannrede  des  Isokrates.  Zu  dieser  aber,  einem 
rhetorischen  Kunststück,  einer  fingierten  Deuterologie,  die  aber  trotz- 
dem sehr  wohl  von  Isokrates  herrühren  kann,  ist  von  der  andokideischen 
Rede  her  ein  entschiedener  Fortschritt  zu  bemerken.    Nicht  minder 


*)  Auch  die  Frg.  (IV  Scheibe  =  V  Thalheim)  sind  beigezogen. 


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00  Bericht  über  die  Literatur  zu  den  attischen  Rednern 

ist  das  der  Fall  für  Lys.  XIV;  XV  ist  ans  ihr  entlehnt.  —  Alle 
drei  Reden  gehören  demnach  zum  f^vo?  eirtSeuxixov  —  „ geschicht- 
licher Glaube  kann  ihnen  nur  bedingungsweise  gezollt  werden".  — 
Alle  Nachrichten,  die  wir  über  den  jüngeren  Alkibiades  haben,  er- 
scheinen den  Anekdoten  über  den  Vater  entlehnt  oder  nachgebildet. 
Das  legt  H.  die  Folgerung  nahe,  „daß  die  Person  des  gleichnamigen 
Sohnes,  .  .  .  überhaupt  fingiert  sei.  Der  junge  Alkibiades  der 
Komödie  ging  von  der  Bühne  in  die  Rhetorenschulen  über  und  hat 
dort  sicherlich  noch  weit  umfangreicheren  Stoff  zu  Übungsreden  ge- 
boten, als  uns  erhalten  ist.    Ob  Alkibiades,  der  athenische 

Staatsmann,  überhaupt  einen  gleichnamigen  Sohn  gehabt,  läßt  sich 
so  wenig  behaupten  wie  verneinen". 

Den  Familienstammbaum  des  Alkibiades  stellt  Dittenberger 
(269)  auf;  er  unterscheidet  vier  Männer  dieses  Namens :  die  Stamm- 
tafel selbst  mag  eine  Übersicht  geben: 

Alk  ib.  I.  (ca.  550-510) 
 Iaokr.  XVI  26.  

Kloinias  I.  Alkib.  Ü~(feb"  um  510)'. 

Lysias  XIV.  39. 
AtvIoc.  IV.  34. 
Demosth.  XX.  115. 
/—       ■                  '      ■  * 
 Kleiniaa  II.  (?  480-44'i).   Axiocb.  <?  485— 40<i). 

Alk.  111.  der  berühmte  1450—404).      K lein ias  III.  (geb.  ?  449).   Kleinias  IV. 
Alk!  IV.  (geb.  ?  417). 

Lysias  XIV  39  (zweimaliger  Ostrakism.)  ist  demnach  auf  den  Groß- 
vater des  berühmten  Alkibiades  bezogen. 

Textkritische  Bemerkungen  zu  or.  XIV  16,  31  gibt  R.  K.  Boek- 
meijer  (6)  S.  14  f.,  zu  2  Matzura  (275),  zu  25  Naher  (282); 
zu  XV  5  Earle  (22S). 

Für  die  XVI.  Rede  vtifq  Marti&iov  machen  textkritische 
Vorschläge  Weidner  (197)  zu  13;  Hund  eck  (224)  zu  13,  16, 
18;  Morgan  (218  II.  St.  vol.  III)  zu  10;  der  näml.  (230  H.  St. 
vol.  V)  zu  6,  7;  Naber  (282)  zu  5,  7,  18;  Naber  (278  Mu, 
sie)  blieb  mir  noch  unbekannt. 

Zu  XVII  (dr^oaUov  ddixt^aziov)  §  5  cf.  Naber  (282). 

Ob  die  XVIII.  Hede  (xorra  Ilokovxov)  rreQi  rtjg  dr^evaeiog 
(tvtv)  (£tx0crTOic)  roi*  Nixiov  ddelyoi  f;rikoyog  vollständig  ist,  wird 
bei  Blaß  AB  1 2  S.  523  ff.  erörtert.  Boekmeijer  (6)  hat  auch 
hiezu  (§  7)  eine  Konjektur  gemacht;  vorher  war  ein  Vorschlag  von 
Earle  (223)  zu  §  1  vorgelegt  worden.  Vgl.  Naber  (282)  zu  lü,  20,  24. 


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aus  den  Jahren  1886—1904.  (Emminger.) 


91 


Die  Zeit  der  XIX.  Rede  vjteQ  iwy  l4QiotO(pdvovg  xQrjtdxiov 
7cq6q  to  drjuooiov  bestimmt  H.  Traut  (250)  nach  dem  Vorkommen 
eines  Diomedes,  der  Befehlshaber  der  athenischen  Flotte  im  Hellespont 
war,  Ol.  98,  1  =  888  als  Frühgrenze  und  nach  dem  antalkidischen 
Frieden  als  Terminus  ante  quem  auf  388  oder  887.  Dann  spricht  er 
über  den  Gedankengang  der  Rede  nach  den  gewohnten  Gesichtspunkten, 
mit  Abschweifungen  extra  causam. 

Zum  Text  von  XIX  bringen  Weidner  (197)  zu  23,  38,  57, 
62;  Kocks  (199)  zum  Proöm.  23,  25,  41,  62;  Earle  (223)  zu 
25:  P.  R.  Müller  (198)  zu  18,  21,  51,  62;  Thalheim  (256)  zu 
63,  57,  61;  Boekme,ijer  (6  p.  14—17)  zu  35;  Vogl  (265) 
zu  50;  Naber  (282)  zu  3,  15,  18,  26.  38,  45,  54,  61  Vermutungen 
und  Erläuterungen. 

Plurimum  hac  de  oratione  disputatum  est,  sagt  Thalheim  (edit. 
p.  XLV)  von  der  XX.  Bede  inig  TIoXvatQdtov:  die  Berichtszeit 
hat  nur  eine  Spezialabhandlung  gebracht:  von  Hildebrandt  (212). 
Gegen  eine  Auffassung  des  §  18  (spyju-ov  ....  a&tov  Xaßovxec),  als 
ob  Polystratos  in  Abwesenheit  verurteilt  worden  sei,  scheinen  ihm 
§§  21  und  22  zu  sprechen.  —  Ein  zweites  Problem  betrifft  den  Zu- 
sammenhang des  vorliegenden  Rechtsfalles  (etwa  vom  Jahr  410) 
mit  einem  früheren.  Allgemein  verlassen  ist  die  Meinung,  die  Rede 
sei  in  einem  Prozesse  ^eoSoptaptopitöv *)  gehalten:  dagegen  spricht 
schon,  daß  P.  reus,  nicht  accusator  ist.  Thalheim  denkt  an  einen 
Prozeß  diroYpoKp7jc,  weil  die  auferlegte  Buße  noch  nicht  bezahlt  ist; 
nach  H.  ist  jedoch  nicht  erwiesen,  daß  die  Strafe  noch  nicht  be- 
zahlt ist:  zum  Teil  mit  Pohl  nimmt  Hildebrandt,  gestützt  auf  Äristot. 

'A8tjv.  iroX.  48  an,  „priorem  causam  in  compendiario  iudicio 

rationum  reddendarum  actam  esseu,  in  dem  Prozeß  aber,  für  den  die 
XX.  Rede  verfaßt  ist,  „post  sollemne  euthynarum  iudicium  iterum 
Ypa<p7)v  irepl  Eoftovcuv  intendi".  Dabei  sei  die  Wahrscheinlichkeit 
noch  größer,  es  handle  sich  in  beiden  Fällen  nicht  um  das  gleiche 
Vergehen,  sondern  um  verschiedene. 

Wilamowitz  A.  u.  A.  II  S.  356—367**)  untersucht  die  Rede 
in  Verbindung  mit  dem  Bericht  des  Thukydides  über  die  Ereignisse 
des  Jahres  411  und  den  „Urkunden"  (der  7toXiteta  cap.  29,  30,  31). 
Mit  der  Wahl  zum  xataXo^etj?  war  Polystratos  zugleich  Ratsherr 
geworden;  während  dessen  konnte  er  dazu  auch  noch  «ppoupap/oc 
in  Eretria  sein.  Er  verlor  diese  Festung  und  wurde  bei  der  Rechen- 

•)  Cf.  über  diese  Prozeßart  Rentzsch  (7*). 
**)  Cf.  auch  I  S.  101—108. 


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92  Bericht  über  die  Literatur  zu  den  attischen  Rednern 

Schaftsablage  zu  einer  hohen  Summe  verurteilt,  die  er,  ein  reicher 
Mann ,  bezahlen  konnte.  —  Es  kommt  zu  einer  zweiten  Anklage 
(410),  bei  der  eine  unbezahlbar  hohe  Strafsumme  beantragt  wird: 
„aus  diesem  Prozeß  besitzen  wir  einen  Teil  der  Verteidigungsreden" 
unter  dem  Titel  6irip  IloXoJTpatoo  o^poo  xaraXucreu)?  dicohoflz 
(Harpokr.).  Ein  Sohn  führt  hier  das  Wort.  Polystratos  hat  auch 
selbst  gesprochen ;  da  seine  Rede  aber  verloren  ist,  wissen  wir  über 
die  Verteidigung  gegen  die  eigentliche  Anklage  nur  wenig.  Was 
wir  haben,  ist  nicht  von  Lysias  geschrieben.  Es  setzt  sich  aus  zwei 
selbständigen  Teilen  §§  1—10  und  §§  11  ff.,  die  zwei  Sprechern 
gehören,  zusammen.  „Als  sie  unter  den  schützenden  Namen  des 
Lysias  getreten  waren,  teilten  sie  das  Schicksal  von  dessen  Reden; 
zu  beiden  ist  jedenfalls  der  Text  nicht  in  bester  Ordnung."  So  ist 
§  0  hinter  irpo£3a>xe  eine  größere  Lücke,  „in  der  mindestens  die 
dpXT}  £v  'Epexpta  erwähnt  war".  §  19  ist  wohl  der  Eigenname  bei 
Verbreitung  der  Rede  durch  dvhp(  =  NN  ersetzt  worden.  —  Zu 
§  29  ein  Vorschlag  II  S.  861  Anm.  14. 

Weitere  kritische  Bemerkungen  zu  §§  17,  36  von  Thalheim  (256). 

Über  den  Prozeßfall  der  XXI.  Rede  —  d/ioloyia  dioQodoxiag 
anaqda^fAOg  — ,  ob  Rechenschaftsklage  oder  drtQfpxtpft ,  sind  die 
Meinungen  geteilt.  Gegen  Blaß  AB  I3  498.  der  das  erstere  annimmt, 
vgl.  Thalheim  ed.  p.  XLV. 

Aus  §  11  der  Rede  schließt  V o  g e  1  (265)  „es  hätten  sich  zwölf 
Schiffe  von  Aigospotamoi  nach  Athen  gerettet,  während  Konon  allein 
zu  Euagoras  entkam 

Vorschläge  zum  Text  von  P.  R.  Müller  (198)  zu  25;  Thal- 
heim  (256)  zu  23;  Naber  (282)  zu  3,  5,  8,  16,  18,  20,  24. 

Der  ebengenanntc  Vogel  (265)  versucht  aus  §  5  der  XXII.  Rede 
xara  zwv  oiTontoXiov  die  ursprüngliche  Formel  des  Verhörs  zu  ge- 
winnen, tut  aber  nach  Kroll  (BphW  1902  Sp.  774)  der  Überlieferung 
Gewalt  an. 

Bemerkungen  zum  Text  der  Rede  werden  verdankt  Weidner(197) 
zu  1,  9,  11;  Kocks  (199)  zu  8;  Hundeck  (224)  zu  2,  15;  Thal- 
heim (256)  zu  11,  12,  17. 

Über  die  XXIII.  Rede  %cttd  IlayxXiioiog  oti  oüx  tjv  IlXxcaie^ 
urteilt  Thalheim  ed.  p.  XLVI:  tempus  incertum  est.  unter  Hinweis 
auf  Wilamowitz  A.  u.  A.  11  368—378.  Dieser  tiibt  eine  Er- 
läuterung der  Rede  durch  kurze  Darlegung  des  Sachverhaltes.  In 
der  Geschichte  des  attischen  Rechtes  tritt  die  Rede  als  drittes  Bei- 


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aus  den  Jahren  1886—1904.  (Emmingen) 


93 


spiel  einer  TtctpctYpoup^  neben  Isoer.  XVIII  und  Antiph.  V.  —  Löwen- 
thal (279)  blieb  mir  unzugänglich. 

Zum  Text  Weidner  (197)  zu  3;  Earle  (228)  zu  14;  Naber 
(282)  zu  3,  5. 

Auch  in  den  Schulausgaben  findet  man  häufig  wegen  ihres  witzigen 
Tones  und  ihrer  Anpassung  an  den  Charakter  des  Sprechenden  die 
XXIV.  Rede  vrteQ  %ov  aövvarov.  J.  Bruns  (71)  S.  460  hat,  wie 
schon  A.  Boeckh*)  und  von  den  Alten  Harpokration,  die  Echtheit 
der  Rede  bezweifelt.  Br.  stellt  für  Lysias  und  seine  Zeit  die  Regel 
auf:  Der  Gegner  als  Angeklagter  wird  nur  in  seinem  Typus 
charakterisiert;  der  Gegner  als  Kläger  wird  niemals  charakterisiert  — 
eine  Folge  des  allgemeinen  Satzes :  nicht  von  der  Sache  abschweifen ! 
Dagegen  verfehlt  sich  (wie  X)  or.  XXIV.:  der  Sprecher  verteidigt 
sich,  „greift  aber  den  Kläger  beständig  aufs  gröblichste  an\  Zudem 
sind  diese  Insulte  völlig  inhaltslos.  Noch  zwei  andere  Gründe  sprechen 
für  Verwerfung:  einmal  „die  prononcierte  Selbstcharakteristik  des 
Sprechers11 ;  sodann  die  Entlehnung  der  Einleitungsphrase  aus  or.  XVI ; 
dort  paßt  sie,  hier  nicht. 

Gegen  Bruns  polemisiert  —  nach  einem  begeisterten  Nachruf 
auf  den  feinsinnigen  Lehrer  —  in  den  §§  3 — 5  seiner  Abhandlung 
G.  Wörpel  (263):  Auch  unsere  Rede  wie  XVI  ist  bei  Gelegenheit 
der  Dokimasie  gehalten.  Die  §§1  und  2  handeln  über  die  Unordnung 
der  Rede,  wogegen  Fuhr  in  seiner  Besprechung  einfach  auf  Froh- 
bergers  Ausgabe  verweist.  In  §  6  vermutet  W. ,  Lysias  habe  die 
Verteidigung  des  Krüppels  deswegen  übernommen,  weil  er  sein 
Parteigenosse  war.  Die  §§  7 — 9  beschäftigen  sich  mit  dem  sprach- 
lichen Ausdruck,  dem  Gebrauch  der  gorgianiseben  Figuren  und  dem 
Satzbau  in  der  Rede. 

Textvorschläge  zu  or.  XXIV  stammen  von  Weidner  (197)  zu 
13,  14;  Kocks  (199)  zu  9;  Berndt  (210)  zu  13;  Naber  (282) 
zu  5,  6,  9,  10,  11,  25. 

Zu  Bede  XXV  —  [dfyov  KaxaMomg]  anoloyla  —  sind  Er- 
läuterungen und  Konjekturen  von  Weidner  (197)  zu  15,  23,  33; 
Kocks  (199)  zu  22;  Müller  (198)  zu  11;  Boekmeijer  (6, 
Lysias  p.  14—17)  zu  7;  Nah  er  (282)  zu  11,  13,  24  zu  verzeichnen. 

E.  Schwartz  (203)  schlägt  zu  §  25  statt  KXeiao^v  KXeqev>)v 


*)  Staatshaush.  der  Ath.  I«  S.  309;  cf.  Thalheim  ed.  praef.  p.  XLVI. 
—  Auch  Naber  (283)  glaubt,  XXIV  sei  nur  Übungsrede. 


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94  Bericht  über  die  Literatur  zu  den  attischen  Rednern 

und  statt  ^Tjjiocpavr^  Art\i6yavxos  vor,  der  das  bei  Andoc.  I  96  er- 
haltene Psephisma  einbrachte. 

Vgl.  auch  Wilamowitz  A.  u.  A.  II  361  n.  12. 

Auch  die  Reden  XXVI*)  —  XXIX  haben  in  der  Berichtszeit 
keine  eingehendere  Behandlung  erfahren;  ich  zitiere  zu  XXVI  12 
Thalheim  (256)  und  Matzura  (275),  zu  13,  21  Naber  (282); 
zu  XXVIII  9,  15,  14  Kocks  (199),  zu  5  Thalheim  (256),  zu  9,  17 
Na  her  (282). 

Um  so  eingehender  befaßte  sich  Sachse  (184)  mit  der  XXX.  Rede 
Tiara  NiTiOfidxov.  S.  hält  mit  Harpokration  die  Rede  für  unlysianisch. 
Wenn  Lysias  eine  Rede  gegen  Nikomachos  geschrieben  hat,  so  ist 
sie  „so  sinnlos  verändert  worden,  daß  man  des  Lysias  klare,  ein- 
fache Darstellung  nicht  mehr  erkennt.  Aber  auf  keinen  Fall  ist  in 
unserer  Rede  nur  die  Tätigkeit  eines  Epitomators  zu  erkennen".  — 
Die  Untersuchung  betrifft  zuerst  die  Stellung  des  N.  in  seiner  ersten 
Anitsperiode  (nach  dein  Sturz  der  400):  dvotYpcrpeT?  und  vojioöetai 
waren  damals  in  Athen  identisch,  ihr  Amt  ist  nicht  oTCTjpeaia,  sondern 
dpx^  darum  rechenschaftspflichtig.  —  Auch  in  der  zweiten  Amts- 
periode nach  der  Rückkehr  der  Demokraten  in  die  Stadt  war  N. 
dvaYpa?e'S?  oder  vopoMxrfi.  — 

Nachdem  er  ein  Amt  verwaltet,  also  in  der  Öoxifxotai'a  bestanden 
haben  muß,  kann  sein  Vorleben  keinen  Anstoß  mehr  gegeben 
haben;  sein  Vater  war  wahrscheinlich  mit  dem  Bürgerrecht  be- 
schenkt worden.  —  Gegen  die  erste  Amtstätigkeit  des  Nikomachos 
aber  richten  sich  drei  Vorwürfe:  1.  xoo?  jjiv  £v(dv-)£ypacpe ,  tobt  Zk 
#^Xei?e  (vo*}iooc);  2.  er  blieb  6  Jahre  im  Amt;  3.  er  nahm  Geld: 
von  diesen  Vergehen  „hat  das  Volk  nach  Lysias"  1.  und  3.  „einer 
Untersuchung  gar  nicht  gewürdigt" ,  nur  2.  „ist  wiederholt  Ver- 
anlassung zu  allerdings  erfolglosen  Bestrafungen  gewesen".  „Ein 
solches  Verfahren  ist  in  Athen  undenkbar",  jeder  Satz  der  §§  2 
und  3  ist  voller  Unklarheiten  und  Widersprüche.  —  Nicht  weniger 
verworren  erscheint  nach  Sachses  Ausführungen,  was  wir  über  die 
zweite  Amtsperiode  und  des  N.  Verfehlungen  in  ihr  erfahren: 
hauptsächlich  widersprechen  sich  die  §§  4/5  und  19/22:  in  den 
erst eren  handelt  es  sich  um  Übergriffe  in  das  Gebiet  der  Amts- 
genossen, in  19/22  um  solche  in  des  Nikomachos  eigenem  Amts- 
bereiche.   Nach  §§  4/5  wäre  die  ganze  vierjährige  Amtszeit  un- 

•)  Von  Wilamowitz  A.  u.  A.  1204  Anra.  30  als  besonders  sykophantisch 
bezeichnet. 


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aus  den  Jahren  1886—1904.  (Emmingen) 


95 


gesetzmäßig,  nach  19/22  nur  die  letzten  zwei  Jahre,  die  ersten  zwei 
dagegen  vorwurfsfrei.  Mit  diesen  beiden  Tatsachengruppen  nicht  zu 
vereinigen  ist  dann  noch  §  7.  „Eine  so  unklare  und  die  einfachsten 
Gedankenregeln  nicht  beobachtende  Rede"  hat  nach  S.  „vor  Gericht 
irgendwelchen  Erfolg  nicht  erringen  können" ;  er  „billigt  also 
Schoemanns  Ansicht,  daß  die  Rede  gar  nicht  vor  Gericht  gehalten 
ist".  Die  Frage,  ob  sie  eine  Schmähschrift  gegen  N.  ist,  läßt  er  offen. 

Um  die  Rede,  die  als  Hauptrede  nicht  zu  denken  ist,  aber  auch 
als  Deuterologie  „zu  unklar  und  unsinnig"  erscheint,  doch  für  Lysias 
zu  retten,  wollte  man  sie  als  Epitome  ansehen :  dagegen  spricht  aber 
neben  dem  ganzen  Inhalt  auch  die  Form.  Ihre  Mangelhaftigkeit 
ergibt  sich  besonders  aus  der  Gegenüberstellung*)  der  Nikomachos- 
rede  mit  echt  lysianischen  und  aus  der  Untersuchung  der  ungenügenden 
Disposition. 

An  Bemerkungen  zum  Text  der  or.  XXX  sind  zu  verzeichnen 
die  von  Weidner  (197)  zu  6;  Kocks  (199)  zu  9,  28  ff.; 
Hundeck  (224)  zu  6,  7;  Earle  (223)  zu  24;  Boekmeijer  (6) 
zu  6,  10;  Thalheim  (256)  zu  9**);  Naber  (282)  zu  20,  29. 

Scheibes  Verwerfung  der  XXXI.  Rede  xorrcr  (btlatvog  wurde 
neuerdings  von  Buchte  (232)  wiederholt.  Die  Rede  enthält  drei 
Erzählungen  (I.).  Die  erste  zeiht  den  Philo  der  Parteilosigkeit :  ihr 
mangelt  die  Rücksichtnahme  auf  bestimmte  Ereignisse  und  Zeiten, 
sie  ist  farblos  und  nicht  individuell.  Die  zweite  bezieht  sich  auf  die 
Beraubung  der  alten  Bürger  durch  Ph. :  auch  sie  erhält  das  Prädikat 
leblos.  Die  dritte  endlich  soll  dem  Angeklagten  die  Nichterfüllung 
der  notwendigen  Pflichten  vorwerfen;  auch  hiebei  hören  wir  von  Ph. 
selbst  gar  nichts.  „So  steht  B.  nicht  an  zu  behaupten,  daß  die  Art, 
wie  in  dieser  Rede  die  Tatsachen  erzählt  oder  behandelt  werden, 
mit  Lysias'  Kunst  nicht  übereinstimmt."  —  Allerhand  Ausstellungen 
sind  an  der  „Gliederung"  (II.)  der  Rede  zu  machen;  sie  versäumtes, 
sich  auf  einschlägige  Gesetze  zu  stützen,  bringt  dafür  vielmehr  all- 
gemeine Erörterungen  (III.):  „das  alles  spricht  jedoch  noch  nicht 
gegen  Lysias".  —  Einzelne  auffällige  Erscheinungen,  davon  84 
im  IV.  Abschnitt  zusammengestellt,  wie  man  sie  sich  etwa  beim 
Lesen  zuweilen  anstreicht,  führen  den  Autor  zu  dem  Schlüsse:  es 


♦J  In  Ergänzung  von  Blaß  AB  Is  S.  468  und  Schultze  (cf.  Hüttner, 
Ber.  1885  S.  26)  vor  allem 

XXX,  1  XIV  24  XXX,  27    ...   .   XIV  23 

23/24    .    .   .   XXVII  7,  5  26    ...    .   XIV  25 

29    ...   .   XXVI  11  26    ...   •   XIV  41 

•*)  Cf.  zu  XXX,  19  auch  Ziebarth  (244)  S.  27. 


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96  Bericht  über  die  Literatur  zu  den  attischen  Rednern 


mangelt  „des  Lysias  vielgerühmte  Kunst  der  natnrwahren  Charakter- 
schilderung" ,  „dagegen  sind  alle  rhetorischen  Mittel  fast 

bis  zum  Ekel  übertrieben u.  „Diese  Häufung  alles  Technischen  weist 
auf  den  Ursprung  der  Rede  hin";  „sie  ist  ...  .  eine  Übungsrede, 
aber  aus  wirklichen  lysianischen  Flicken  meist  nicht  immer  glücklich 
zusammengesetzt"  *). 

Auch  Vogel  (265)  S.  46—54  verwirft  die  Rede.  Sie  ist  ihm 
eine  Schulübung  aus  jüngerer  Zeit;  daher  sind  auch  die  geschicht- 
lichen Personen  nicht  greifbar,  die  Zeitverhältnisse  unklar  geschildert. 
Besonders  nimmt  V.  Anstoß  an  den  zahlreichen  und  gesuchten  Wort- 
Spielereien,  den  vielen  Gemeinplätzen  und  Sentenzen,  den  schablonen- 
haften Übergängen.  Ebenso  verraten  den  Fälscher  Euphemismen,  die 
durch  r^oiroife  nicht  mehr  zu  entschuldigen  sind,  lexikalische  und 
grammatische  Unterschiede  von  Lysias  (Gebrauch  von  av,  irept  mit 
Acc,  pronom.  demonstr.  stellvertretend  für  Verbalausdruck,  sub- 
stantivierter Infinit,  nach  Praepos.),  schließlich  logische  Mängel  im 
einzelnen  und  im  Aufbau. 

Cf.  außerdem  zum  Text  der  Rede  W  e  i  d  n  e  r  (19?)  zu  9,  32, 
6;  Kocks  (199)  zu  24,  31;  Hundeck  (224)  zu  24,  26;  Thal- 
heim (256)  zu  26;  Fuhr  WklPh  XV  =  1898  Sp.  398  f. 
zu  34;  Naher  (282)  zu  17,  18,  31. 

Zur  XXXII.  Rede  yunä  Jioyeirovog  sind  Textverbesserungs- 
vorschläge von  Wilamowitz  (257)  zu  7,  5,  20,  von  Thalheim 
(256)  zu  3,  13  und  von  Naber  (282)  zu  18,  16  zu  verzeichnen. 

Der  'OAtjuTiaxoc,  die  XXXIII.  Rede,  hat  in  der  Berichtszeit  keine 
eigene  Behandlung  erfahren,  abgesehen  von  der  Neuherausgabe  der 
Werke  des  Dionys,  ilal.  durch  Usener  und  Radermacher. 

Zu  §  4  vgl.  Thalheim  (256). 

Eine  französische  Ausgabe  des  dionysianischen  Urteils  über  Lysias 
von  Desrousseaux  und  M.  Egger  hat  H.  Weil  (213)  veranlaßt,  Gedanken- 
gang und  Hauptinhalt  der  XXXIV.  Rede  über  die  Aufrechterhaltung  der 
Demokratie  (mqi  tov  ity  yLceraltvat  ttjv  jtoxqiov  nohxiLavlid^üi) 
darzulegen.  Dionys,  selbst  zweifelt,  ob  er  die  Rede  für  wirklich  vor 
dem  Volk  gehalten  oder  als  Flugschrift  auffassen  soll.  Weil  erscheint 
es  für  die  Auffassung  vor  allem  wichtig,  daß  der  Redner  vor  den 
„Grundbesitzern"  (proprie*tairs)  spricht  und  diesen  darlegt,  daß  es 
ihr  eigener  Vorteil  sei,  die  Demokratie  voll  herzustellen.    Alles  ist 


*)  Von  der  Schullektüre  schließt  er  die  Rede  aus. 


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aus  den  Jahren  1886—1904.  (Eraminger.) 


97 


dementsprechend  auf  das  eigene  Interesse  der  Zuhörer  berechnet, 
keine  Rede  von  Gerechtigkeit  oder  anderen  Idealmotiven. 

Ähnlich  urteilt  Wilamowitz  A.  u.  A.  II  225,  der  die  Rede 
als  Volksrede  einer  bestimmten  Person  in  den  Mund  legt:  das  Volk 
aber  waren  die  Ttu^jicrca  Tcapi^ovrecr ,  wie  in  der  Xll.  Rede.  Vor 
die  Nomotheten  hatte  die  Rede  E.  Schwartz  verwiesen  RhMPh 
XUV  =  1889  S.  625. 

Den  Erotikos,  der  in  Piatons  Phaedros  als  lysianisches  Werk 
eingelegt  ist,  hat  v.  Her  werden  in  seine  Ausgabe  aufgenommen, 
Holmes  in  seinen  Index  verarbeitet ,  während  er  bei  Thal- 
heim  fehlt. 

Gegenüber  E.  Norden  (Minne.  Felix  1897  S.  27)  und  F.  Thiele 
(Hermes  XXXVI  =  1901  S.  268),  die  gelegentlich  den  lysianischen 
Ursprung  des  Erotikos  geleugnet  haben  auf  Grund  der  Überzeugung,  so 
sicher  wie  txGOo?  und  X^o?  in  Protagoras  und  Symposion  sei  auch  die 
Liebesrede  ein  Werk  der  nachahmenden  Kunst  Piatons,  betont  Vahlen 
(274)  zunächst  den  großen  Unterschied  in  der  Komposition  dieser  Werke 
und  des  Phaedros.  Letzterer  ist  kein  erzähltes,  sondern  ein  dramatisches 
Gespräch.  „Der  Plan  des  Dialogs  kann  nach  V.  nicht  bestehen 
mit  der  Annahme,  der  des  Lysias  sei  eine  Parodie  oder  eine 

Karikatur  von  Piatons  Hand."  Im  Theaitetos  wird  ausdrücklich  be- 
tont, es  seien  „Aufzeichnungen",  was  vorgelesen  wird.  —  Ein  festes 
Urteil  jedoch  ist  nur  zu  gewinnen  aus  der  Prüfung  „der  Art  und 
Qualität  der  vorgelesenen  Rede  des  Lysias  an  sich  und  in  ihrem 
Verhältnis  zu  seiner  sonstigen  Schriftstellerei",  und  „der  Anwendung, 
die  Plato  von  dem  Vorgelesenen  macht".  „Durch  Zeugnis  steht  fest, 
daß  Lysias  in  seiner  früheren  Periode  ....  auch  ipumxo'jc  verfaßt 
hat"  Wie  überhaupt  den  geschickten  Sachwalter  die  Verteidigung  der 
schlechteren  Sache  reizen  mochte,  so  hier  den  Lysias  das  Thema, 
die  Vorzüge  der  Hingabe  an  den  Nichtverliebten  zu  empfehlen.  Die 
Argumente  sind  nicht  zahlreich,  aber  eindringlich.  Die  Ordnung 
ist  nicht  von  innerer  Notwendigkeit  eingegeben  und  Wiederholungen 
ausschließend.  Die  Darstellung  ist  klar,  sogar  fast  eintönig,  und 
dem  Zweck  angemessen.  Man  muß  also  ohne  Furcht  für  den  Ruhm 
des  Lysias  seine  Arbeit  darin  erkennen.  Proben  lysianischer  Stellen, 
die  sich  unserer  Rede  vergleichen  lassen,  sollen  zeigen,  „daß  der 
Xo^os,  so  wie  er  ist,  von  Lysias  nach  seiner  ganzen  Stilweise  ge- 
schrieben sein  konnte.  Daß  er  ihn  wirklich  geschrieben  hat,  erweist 
der  Gebrauch,  den  Plato  von  demselben  macht".  Sokrates'  Rede 
überbietet  die  lysianische  an  Beredsamkeit;  aber  die  lysianische  ist 

Jahresbericht  für  Altertnmswieteiuchafl.   Bd.  CXXXIII.  (1907.   I.)  7 


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98  Bericht  über  die  Literatur  zu  den  attischen  Rednern 

nicht  schlecht.  Die  Kritik  an  der  Rede  des  Lysias  ist  scharf,  fast 
beleidigend;  aber  sie  ist  ungerecht,  weil  von  dem  Redner  verlangt 
wird,  was  dieser  als  wirkungslos  von  sich  weisen  würde.  — 

Nicht  nur  Lysias  wurde  von  Piaton  angezogen,  sondern  auch 
umgekehrt:  Aristid.  Rhet.  46  p.  407  Dindorf  schreibt:  ou  Aosfa? 
riXocxcova  ao<ptcrrijv  xaXet  xal  ttg&iv  Afexi'v>jv;  „diese  letztere  Angabe 
bezieht  sich  auf  die  Rede  gegen  Aischines,  Fragment  I,  5.  (Wo  .  . 
Lysias  Piatons  gedacht  habe,  läßt  sich  nicht  sagen.)  ....  Jedenfalls 
muß  das  Wort  unter  die  Fragmente  aufgenommen  werden",  so  Fuhr 
BphW  XXII  =  1902  Sp.  647  (so  auch  schon  Hölscher  p.  127)  — 
Bruns  (71)  S.  464  verwirft  diese  Rede  gegen  den  Sokratiker 
Aischines:  „sie  stellt  den  Aischines  direkt  als  Lumpen  hin;  das  ist  aus 
der  lysianischen  Zeit  unmöglich;  in  demosthenischer  Zeit  würde  der 
Ton  keinen  Anstoß  erregen".  Mit  Welcker  ist  die  Rede  für  ein 
literarisches  Pasquill  zu  halten.  — 

Noch  auf  ein  weiteres  Fragmentchen  weist  Fuhr  hin  WklPh 
XV  =r=  1898  Sp.  394—9 :  eVt  vtpv  •  dvxi  toü  rpXv  <jüv  tu}  i  zapa 
Auaiq, :  Miller  mölanges  p.  122  =  Reitzenstein,  Geschichte  der  griech. 
Etymologica  S.  292. 

Zu  Frg.  V  (Thalheim)  cf.  Hoyer  (191)  und  oben  S.  89. 

Nach  Mötsch  mann  (283)  hat  Lysias  zufolge  der  Scholiasten- 
notiz  RhG  IV  352,  5—11  W  in  einer  irapaaxeuai  betitelten  Schrift 
die  typischen  Charaktereigenschaften  größerer  Menschenklassen  nieder- 
gelegt. 


Es  ist  leicht  verständlich,  daß  ein  Text,  der  im  wesentlichen  auf 
einer  einzigen  Hs.  (X)  beruht,  zur  Konjekturalkritik  einlädt;  dieser 
Beiträge  ist  —  mit  zwei  Ausnahmen  —  bei  den  einzelnen  Reden 
Erwähnung  getan*).    Zusammenfassend  nenne  ich  hier 

Kocks  1888  (199),  Weidner  1888  (197), 

Damstä  1888  (194),  Nauck  1889  (202), 

Haeberlin  1890  (208),  Hundeck  1893  (224), 
Müller  1890  (240),  Vollgraff  1899  (251), 

Thal  he  im  1900  (256):  Diese  Arbeiten  sind  auch  Thalheini 
bekannt  gewesen  und  in  seiner  Ausgabe  ausgenutzt  **),  indirekt  viel- 


*)  Ich  erinnere  nochmals  an  die  Nachlese  aus  dem  cod.  X  durch 
Pertz-ReulJ  (225)  und  dazu  Fuhr  (288),  sowie  an  die  Ausnutzung  der 
Leydener  Marginalnoten  durch  Erdmann  (214). 
**)  Vgl.  hier  das  Literaturverzeichnis  p.  IX— XII. 


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aus  den  Jahren  1886—1904.  (Emmingen) 


99 


leicht  auch  Morgan  1892  und  1894  (218  u.  230)  durch  dessen 
Ausgabe  1895  (cf.  Thalheim  praef.  ed.  p.  VIII)*). 

Nicht  berücksichtigt  scheinen  in  Thalheims  Ausgabe  zu  sein  oder 
erst  später  erschienen  sind :  Müller  1888  (198)  zu  XXI;  Schliack 
1888  (195)  zu  XIII;  Berndt  1891  (210)  zu  XXIV;  Rutten  1894 
(231)  zu  XIII;  H.  Schenkl  1896  (239)  zu  I;  Hude  1898  (247) 
zu  XII;  Wilamowitz  1900  (257)  zu  XXXII;  Dittenberger 
1902  (269)  zu  XIII;  ferner  Earle  1893  (223)  zu  den  Reden  XV, 

XVIII,  XIX,  XXIII,  XXX,  Boekmeijer  1893  (6)  zu  XIV,  XVIII, 

XIX,  XXV  (dieser  zitiert  im  Apparat  zu  or.  XXX,  6),  Naber  (282) 
zu  fast  sämtlichen  Reden.  —  In  diesen  Abschnitt  gehören  auch  die 
bei  den  einzelnen  Reden  von  mir  noch  nicht  verzeichneten  Arbeiten 
von  van  Herwerden  1897  (243)  und  Polack  (264).  Herwerdens 
Lysiaca  sind  als  Vorläufer  seiner  neuen  Ausgabe  (1899)  anzusehen; 
nur  die  Reden  V,  XI,  XVII,  XXXII  bleiben  ohne  kritische  oder 
exegetische  Bemerkungen.  —  Polack  knüpft  ausdrücklich  an  das  Er- 
scheinen der  beiden  Ausgaben  von  Herwerden  und  Thalheim  an ; 
bereits  durch  drei  Bände  (1901  -  3)  der  Mnemosyne  ergießen  sich  die 
Fluten  seiner  kritischen  Beiträge  zu  den  lysianischen  Reden;  und 
doch  ist  P.  nach  ca.  77  Seiten  erst  bei  or.  XII  angelangt;  allerdings 
hat  er  nur  die  V.  Rede,  bis  jetzt  wenigstens,  unberührt  gelassen  **). 

Einen  brauchbaren***)  Index  zu  Lysias  haben  wir  in  der 
Berichtszeit  von  Holmes  (238)  erhalten.  Zu  den  Reden  gegen 
Eratosthenes  und  Agoratos  gibt  die  Ausgabe  von  Mills  (253)  einen 
solchen.  Einem  Index  zu  XIV  und  XV  kommt  das  1.  Kapitel  von 
Isowacks  Abhandlung  (209)  nahezu  gleich. 

Ein  Beitrag  zur  lysianischen  Syntax  ist  das  Programm  von 
Matzura  (275),  das  auf  der  Grundlage  von  Thalhcims  Ausgabe  die 
Konsekutiv-  und  Finalsätze  verzeichnet  und  gruppiert.  M.  bemerkt 
sogleich  selbst,  daß  Thalheim  die  selbständigen  und  abhängigen 
Konsekutiv- {{ha-zt-)  Sätze  nicht  nach  einem  festen  Prinzip  geschieden 
habe.  Indem  M.  die  sämtlichen  230  Fälle  in  zwei  Gruppen  teilt: 
A  wate  cum  verbo  tinito ,  B  äste  cum  infinit. ,  findet  er  für  den 
Gebrauch  der  beiden  Konstruktionen  folgende  Regeln:  A  ist  vor- 
wiegend, wenn  kein  Korrelativum  im  Hauptsatz  steht;  B  überwiegt, 
wenn  der  ome-Satz  abhängig  ist  von  einem  Verbuni  des  Könnens 
oder  Bewirkens  oder  entsprechenden  Adjektiven  oder  einem  Infinitiv ; 

*)  Im  Apparat  allerdings  habe  ich  M.  nicht  verzeichnet  gefunden. 
**)  Durch  Nennung  dieser  Reden  glaube  ich  mich  hei  den  anderen  der 
jedesmaligen  Erwähnung  Heiwerdens  und  Polack»  tiberhoben. 
***)  Vgl.  jedoch  Kührs  Rez. 

7* 


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100  Bericht  über  die  Literatur  zu  den  attischen  Rednern 

nach  dem  Optativ  der  innerlichen  Abhängigkeit  ist  nnr  diese  Kon- 
struktion B  verwendet.  A  und  B  finden  sich  gleichmäßig,  wenn  im 
übergeordneten  Satz  ein  Korrelativum  steht,  oder  wenn  der  über- 
geordnete Satz  negativ  oder  selbst  schon  abhängig  ist.  Im  ganzen 
steht  der  Modus  der  Aussagesätze  in  155,  der  Infinitiv  in  75  Fällen. 

Die  Finalsätee  sind  geschieden  in  solche  mit  Iva,  fva  pty  jnj,  <$»c 
und  solche  mit  &fta>c  Da  sich  nach  einem  historischen  Tempus  bei 
Lysias  29  Finalsätze  mit  optat.,  26  mit  coni.  finden,  so  gilt  für  diesen 
Redner  die  allgemeine  Regel  nicht,  daß  in  Finalsätzen  gewöhnlich 
der  Optativ  stehe,  wenn  sie  von  Nebenzeiten  abhängig  sind. 

* 

Die  rhetorische  Kunst  des  Lysias  findet  vielfache  Behandlung 
in  den  S.  7  ff.  aufgezählten  allgemeinen  Schriften  zu  den  Rednern. 
Hier  ist  zunächst  eine  Abhandlung  und  eine  kurze  Notiz  zu  erwähnen, 
die  von  dem  speziell  lysianischen  Vorzug  der  Ethopoiia  handeln. 
Devries  (219)  definiert  Ethopoiia  als  dramatische  Zeichnung  des 
Charakters,  speziell  der  Persönlichkeit  des  Klienten,  für  den  eine 
Rede  verfaßt  ist ;  er  erläutert  den  Begriff  9j8oc  näher  und  stellt  der 
7:poaa>^07rowa,  etöwXoicoua  und  besonders  dem  7rpijrov  als  dem  weiteren 
Begriff  die  nur  den  Charakter  des  Sprechers  betreffende  ^doirotfo  ent- 
gegen. Der  Wert  dieser  „Figur"  war  natürlich  wegen  ihres  Reizes 
für  die  praktische  Beredsamkeit  namentlich  Athens  sehr  groß:  Lysias 
hat  ihn  ausgenutzt;  ihr  Einfluß  macht  sich  auch  in  seinem  Stil 
geltend,  vor  allem  im  Schmuck  der  Rede.  Ein  auffallendes  Beispiel 
hiefür  ist  die  in  eigener  Sache  gehaltene  or.  XII. 

Sechs  Typen  von  Männercharak'teren  werden  von  D.  unterschieden,- 
ihre  Züge  prägen  sich  in  Gedanken,  Sprache  und  Komposition  der 
einschlägigen  Reden  aus.  Dieselben  sind:  1.  Der  patriotische  Mann  — 
er  ist  cptXoTtfioc  im  guten  Sinne  — ,  oft  von  Lysias  mit  Grund  und 
Erfolg  bei  den  Richtern  gezeichnet.  Muster  ist  Mantitheos  (or.  XVI) ; 
hiezu  Personen  aus  den  Reden*)  VII,  XVI,  XVII,  XIX,  XXI,  XXV, 
XXVI,  XXXI.  2.  Der  bescheidene  Bürger,  z.  B.  Euphiletos  der 
I.  Rede  und  Gestalten  aus  XIII,  XXXII  ;  dazu  in  Parallele  solche 
aus  VII,  XVI,  XIX,  XXI.  3.  Der  gescheite,  sarkastische  Mann  (the 
clever  man)  in  drei  Variationen  der  Reden  X,  XXIV,  XXX.  4.  Der 
Mann  niedriger  Herkunft:  orr.  XIII,  XXIII,  XXX  und  I,  XXIV. 
5.  Der  unsittliche  Mann:  orr.  I,  III,  IV.  6.  Der  junge  Mann:  orr. 
XVIII,  XVI,  XIX.  —  Beigefügt  ist  ein  Abschnitt  über  die  Frauen- 

*)  Nur  die  echten  Gerichtsreden  sind  herangezogen,  davon  I,  XVI, 
XXIV  besonders  studiert,  III,  IV,  VII,  X,  XVII,  XVIII,  XIX,  XXI,  XXIII, 
XXV,  XXVI,  XXXI,  XXXII  mehr  zur  Bestätigung  benutzt. 


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aus  den  Jahren  1886—1904.   (Emminger.)  101 

typen:  die  I.  Rede  bringt  vier  verschiedene  Charaktere  von  Frauen*)  — 
alle  unsympathisch  (unsavoury) ;  mit  der  Schilderung  der  edlen  Mutter 
der  XXXII.  Rede  schließt  die  Abhandlung. 

Mit  Rücksicht  auf  Devries  hat  dann  Morgan  in  seiner  Ausgabe 
die  ^Boicoua  stark  betont.  Nach  Formans  (241)  Nachweisen 
ist  sie  auch  an  kleinen  Hilfsmitteln  zu  erkennen,  z.  B.  in  der 
XXIV.  Rede  an  der  Stellung  von  Nur  in  dieser  Rede  findet 

sich  die  Wortfolge:  nomen  (pronomen)  -f  verbum  -f-  ira?;  so  ist 
r>Troua  daraus  offensichtlich  §§  13,  14,  19,  21,  27. 

Hierzu  ist  zu  vergleichen  J.  Bruns  (71)  bes.  S.  428 — 524,  der 
individuelle  oder  persönliche  und  typische  Charakterisierung  (s.  oben 
S.  93)  scharf  scheidet**)  und  diese  Scheidung  auch  zur  Grundlage 
der  höheren  Kritik  nimmt  (oben  S.  85,  93,  98);  ähnlich  Motsch- 
mann  (283),  der  jedoch  außer  in  or.  XIV  und  frg.  I  nirgends  Uber 
das  Typische  hinausgehende  Charaktere  findet  und  so  auch  X  (S.  28  9) 
ood  XXIV  (S.  47  ff.)  für  echt  erklärt. 

Was  die  Beziehungen  des  Lysias  und  seiner  Werke  zu  anderen 
Autoren  anlangt,  so  ist  hier  einmal  Hirz  eis  (192)  Untersuchung 
Ober  des  Redners  Verhältnis  zu  Polykrates  im  Sokratesprozeß  zu 
nennen  ***).  Die  Rede,  gegen  wejche  sich  Libanios  in  seiner  Verteidigung 
des  Sokrates  (gleichfalls  einer  fingierten  Gerichtsrede)  wendet,  kann 
keine  andere  sein,  als  die  des  Polykrates,  die  dieser  dem  Anytos  in 
den  Mund  gelegt  hatte;  denn  „von  dieser  Rede  eine  Anklageschrift 
zu  unterscheiden,  die  Polykrates  in  eigenem  Namen  gegen  Sokrates 
richtete,  liegt  gar  kein  Grund  vor" ;  und  das,  „was  uns  von  anderer 
Seite  über  die  Rede  des  Polykrates  bekannt  wird,  stimmt  überein 
mit  dem  ,  was  wir  uns  aus  der  Verteidigung  des  Libanios  in  betreff 
der  hierin  berücksichtigten  Anklagerede  entnehmen  können".  Es  ist 
von  vorneherein  wahrscheinlich,  daß  auch  zur  Verteidigung  Libanios 
ältere  Vorlagen  genommen  hat :  vieles  geht  auf  Piaton  und  Xenophon 
zurück,  einiges  aber  auch  auf  andere  Quellen,  vor  allem  auf  des 
Lysias  Rede  gegen  Polykrates  f) : 

1.  Schol.  z.  Plato  S.  330  Bekker  —  Liban.  S.  11,  7.  10,  2. 

2.  „     codd  BD  z.  Arist.  p.  319,  35  ff.  Dind.     Liban.  S.  :J6,  5 
Or.  Att.  Baiter  Sauppe  II,  204  (cf.  Schol.  ?  und 

C  Dind.  p.  320,  23.)  S.  37,  3  u.  8. 

*)  Dazu  das  schreiende  Kind. 

**)  Bruns  selbst  spricht  über  den  Unterschied  der  persönlichen 
Charakteristik  von  der  Ethopoiia  S.  433. 

*••)  Cf.  R.  Hirzel,  der  Dialog.  Ein  literarhistorischer  Versuch.  1.  Teil 
S.  142  u.  bes.  Note  1. 

t)  'jrip  Stuxpcbo'j;  npö;  llo/.yxpaTr^  cf.  BlaB  AB  PS.  351. 


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102 


Bericht  Über  die  Literatur  zu  den  attischen  Rednern 


Kein  Grund  ist  vorhanden,  zwischen  einer  Rede  des  Lysias, 
die  Sokrates  vor  Gericht  halten  sollte,  und  einer  mehrere  Jahre  nach 
seinein  Tod  verfaßten  Verteidigungsschrift  zu  unterscheiden.  Lysias 
hat  eben  auch  an  der  Fiktion  einer  Gerichtsrede  festgehalten*). 

In  der  Absicht,  an  der  „Tradition  Uber  die  Ereignisse  von  der 
Schlacht  bei  Aigospotamoi  bis  zur  Einsetzung  der  Dreißig  in  Athen a 
konsequente  und  methodische  Geschichtsbehandlung  zu  zeigen ,  stellt 
Schwartz  (203)  Xenoph.  Hell.  II  2,  10—8,  11  in  Parallele  mit 
Lysias  XII  62 — 78  und  XIII  5 — 35.  Sein  Resultat  faßt  er  selbst 
dahin  zusammen:  „Lysias  kennt  nur  eine  Sendung  des  Theramenes". 
Hiefür  (cf.  XII  69,  XIII  9)  wie  bei  den  Volksversammlungen  vor 
und  nach  der  Kapitulation  der  Stadt  (cf.  XII  71)  lag  es  im  ad- 
vokatischen Interesse  des  Lysias,  den  Theramenes  möglichst  schwarz 
zu  malen.  „Xenophon  hält  beide  (Sendungen)  genau  auseinander, 
gibt  auch  ausdrücklich  seine  Quelle  an,  um  die  Zuverlässigkeit  seiner 
Angaben  zu  erhärten.  Lysias  erzählt  vom  Widerspruch,  den  Strom- 
bichides und  andere  gleich  bei  Theramenes'  Rückkehr  gegen  den 
von  ihm  mitgebrachten  Frieden  erhoben :  Xenophon  berichtet ,  daß 
viel  Volkes  die  Gesandten  mit  Freuden  begrüßt  hätte.  Lysias  ver- 
breitet über  die  Zeit  der  Ekklesie,  die  den  Frieden  beschloß,  ab- 
sichtlich Unklarheit:  Xenophon  gibt  ausdrücklich  an,  daß  sie  am 
Tage  nach  der  Rückkehr  der  Gesandten  stattfand.  Nach  Lysias 
vertraten  die  Gegner  des  Friedens  die  Demokratie :  durch  Xenophon 
wissen  wir,  daß  sie  stark  in  der  Minorität  blieben.  Lysias  Be- 
schuldigung, daß  Theramenes  die  Beratung  über  die  Volksversammlung 
hinausgeschoben  habe,  wird  durch  Xenophons  Zeitbestimmung  hin- 
fällig. Sollte  das  alles  Zufall  sein?  Sollte  sich  die  Vermutung  ganz 
abweisen  lassen,  daß  Xenophon  seine  Darstellung  absichtlich  so  ein- 
richtete, um  der  Verfälschung  der  Tradition  entgegen  zu  treten, 
welche  infolge  der  beiden  Reden  des  Lysias  immer  mehr  um  sich  zu 
greifen  drohte?" 

Freilich  ist  Blaß  AB  III,  2 8  S.  372  anderer  Meinung.  Er 
mißtraut  lieber  der  Quelle  des  Xenophon  als  dem  zeitgenössischen 
Lysias,  der  „sich  geradezu  auf  das  Mitwissen  der  Richter  beruft". 

Über  Zutts  (163)  Untersuchungen  über  das  Verhältnis  der  Rede 
xat  'AvoWSoo  (VI.)  zur  andokideischen Mysterienrede  undWolffs  (235) 

*)  Hirzel  vermutet,  neben  des  Lysias  Apologie  und  Xenoph.  Memor. 
sei  —  durch  des  Polykr.  Angriff  hervorgerufen  —  wohl  die  Anytosepisode  des 
Menon  (Plato  90 Alf.)  zu  stellen,  während  Tlatons  Apologie,  weil  schon 
früher  verfaßt,  dieser  Gruppe  nicht  beizuzählen  ist. 


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aus  den  Jahren  1886—1904.   (Emminger.)  103 

Dissertation  über  die  Beziehungen  des  Epitaphios  zum  Panegyrikos 
des  Isokrates  ist  oben  S.  61  bzw.  81  und  79  berichtet. 

Zum  Fortleben  von  Pseudolys.  Epitaphios  vgl.  neuestens 
X.  Hürth,  de  Gregorii  Nazianzeni  orationibus  funebribus.  Straß- 
burg 1907  (=  Diss.  Argentor.  XII  1),  bes.  p.  5,  9  ff.,  13. 

Literaturberichte  zu  Lysias  liegen  vor  von  E.  A 1  b  r  e  c  h  t  in  den 
Jahresberichten  des  ßerl.  philol.  Vereins  XIV  =  1888  S.  162—216, 
XV  =  1889  S.  307—318,  XVIII  =  1892  S.  157—161. 


Den  Herren  Prof.  Dr.  D  r  e  r  u  p ,  München,  und  Koll.  Schreiner, 
Straubing,  bin  ich  für  freundliche  Hilfe  zu  vielem  Dank  verpflichtet. 


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Jahresbericht  über  die  griechischen  Lyriker  (mit  Ausnahme 
Pindars),  die  Bukoliker,  die  Anthologia  Palatina  und  die 
Epigrammsammlungen  für  1898—1905. 

Von 

J.  Sitzler  in  Freiburg  i.  Br. 


Von  den  Arbeiten  ans  dem  Jahre  1898  werden  hier  alle  berück- 
sichtigt, die  im  vorigen  Jahresbericht  keine  Erwähnung  mehr  finden 
konnten,  von  denen  aus  dem  Jahre  1905  dagegen  nur  die,  welche 
dem  Ref.  zugänglich  waren. 

A.  Arbeiten,  die  sich  auf  das  ganze  Gebiet  erstrecken. 

Unter  diesen  ist  an  erster  Stelle 

U.  v.  Wilamowitz-Moellendorff,  Die  Textgeschichte 
der  griechischen  Lyriker.  Abb.  der  kgl.  Gesellsch.  der 
Wissenschaften  zu  Göttingen.  Philol.-hist.  kl.  N.F.  Bd.  IV,  Nr.  3. 
Berlin,  1900, 

zu  nennen;  denn  wenn  sich  diese  Untersuchungen  auch  der  Haupt- 
sache nach  auf  die  Meliker  beziehen,  so  werden  doch  besonders  in 
den  Exkursen  auch  die  elegischen  und  iambischen  Dichter  berührt. 

Der  Verfasser  beginnt  damit,  die  schon  früher  von  ihm  aus- 
gesprochene Behauptung,  daß  der  sogen.  Kanon  der  neun  Lyriker 
keine  Auswahl,  sondern  den  ganzen  zur  Zeit  seiner  Entstehung  noch 
vorhandenen  Bestand  an  griechischen  Lyrikern  darstelle,  zu  beweisen. 
Zunächst  beruft  er  sich  auf  das  Epigramm  Anth.  Pal.  IX,  184,  wo 
es  nach  namentlicher  Aufführung  der  neun  Lyriker  V.  9 f.  heißt: 
tXaxe  iraa?jc  dpyrtv  o?  Xupixij;  xal  rdpas  iazdaaLTt.  Diese  Worte  um- 
schreibt er  mit  eupsts  xal  iteXewojaxs  und  folgert  daraus:  „also  sind 
sie  keine  Auswahl,  sondern  die  Lyriker  alle".  Eine  solche  Er- 
klärung könnte  man  sich  gefallen  lassen,  wenn  die  hier  genannten 
Dichter  auch  sonst  als  eopsral  xal  TsXeitoxal  -rifc  Xupixr,«  bezeichnet 
würden;  so  aber  wird  man  sie  bei  dem  Epigrammatiker,  den  Wila- 


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Jahresbericht  über  die  griechischen  Lyriker.  (Sitzler.)  105 

mowiu  „am  100  v.  Chr.  mit  weitem  Spielraum  auf  und  ab"  ansetzt, 
nicht  für  richtig  halten.  Die  genannten  nenn  Dichter  gelten  sonst 
als  die  tüchtigsten  Vertreter  der  gesamten  Lyrik,  und  dasselbe  be- 
sagen auch  die  angeführten  Worte  des  Epigramms;  denn  dpyrp  xat 
idpas  ist  polare  Ausdrucksweise  für  to  8Xov,  die  sich  auch  sonst 
findet,  vgl.  z.  B.  Pind.  P.  X,  10  x£Xo?  dp/d  tb.   Scythin.  1  (Diels). 

Wird  so  die  Auffassung  des  Kanons  als  einer  Auswahl  durch 
dieses  Gedicht  bestätigt,  so  spricht  dafür  auch  die  Analogie  der 
Kanon  es  in  den  anderen  Literaturgattungen,  vgl.  darüber  den  ersten 
Exkurs,  ferner  die  Königsberger  Diss.  von  0.  K röhner t,  Canonesne 
poetarum  scriptorum  artificum  per  antiquitatem  fuerunt?  1897  und 
L.  Radermacher,  Rhein.  Museum  1902,  S.  140  f.  Nur  darf  man 
nicht  glauben,  daß  die  alexandrinischen  Gelehrten  damit  etwas  ganz 
Neues  geschaffen  haben;  sie  fußten  auch  hier,  wie  in  allem  anderen, 
auf  der  gelehrten  Arbeit  der  früheren  Zeit,  die  sie  weiterführten  und 
in  ihren  Ergebnissen  feststellten,  so  wie  von  ihnen  wieder  die  perga- 
menischen  und  römischen  Gelehrten  abhingen.  Auch  muß  man  sich 
hüten,  was  W.,  wie  mir  scheint,  nicht  getan  hat,  die  als  die  be- 
zeichnendsten Vertreter  der  einzelnen  Literaturgattungen  ausgewählten 
Dichter  und  Schriftsteller  mit  den  rparcouevot  zu  identifizieren;  die 
alten  Gelehrten  beschäftigten  sich  auch  mit  solchen,  die  nicht  in  die 
Kanones  aufgenommen  waren,  ebenso  wie  es  anderseits  vorkommen 
konnte ,  daß  ein  im  Kanon  stehender  einer  besonderen  wissenschaft- 
lichen Arbeit  nicht  bedurfte.  Was  insbesondere  die  Lyriker  betrifft, 
so  zeigt  die  Siebenzahl  bei  Hygin  und  die  Vierzahl  bei  Dionysios 
und  Quintilian,  auf  die  W.  selbst  hinweist,  daß  Auswahlen  aus  ihnen 
getroffen  wurden. 

Um  die  Richtigkeit  seiner  Ansicht  über  den  Kanon  der  Lyriker 
zu  bekräftigen,  wirft  W.  die  Frage  auf,  wer  davon  ausgeschlossen 
sei.  Darauf  könnte  man  mit  der  Gegenfrage  antworten,  ob  er  bei 
dem  Zustand  unserer  Überlieferung  sich  getraue,  bis  ins  einzelne 
genau  anzugeben,  was  den  Alexandrinern  von  der  früheren  Literatur 
bekannt  gewesen  sei.  Und  doch  sind  auch  so  Namen  und  Fragmente 
mancher  Lyriker  auf  uns  gekommen,  die  nicht  in  den  Kanon  auf- 
genommen waren.  Nach  W.  sind  dies  entweder  Fälschungen  oder 
Zitate,  die  sich  in  anderen  Werken  fanden  und  von  da  übernommen 
wurden.  Aber  von  Korinna  muß  er  zugeben,  daß  sie  später  von 
einigen  als  zehnte  zu  den  neun  Lyrikern  hinzugefügt  worden  sei. 
Freilich  bezeichnet  er  es  als  „bare  Gedankenlosigkeit",  zu  glauben, 
daß  sie  ihres  poetischen  Weites  wegen  ausgewählt  worden  sei. 
Worauf  er  aber  dieses  Urteil  gründet,  sagt  er  nicht ;  die  Überlieferung 


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10(5         Jahresbericht  über  die  griechischen  Lyriker.  (Sitzler.) 

wenigstens  läßt  Korinna  den  Sieg  über  Pindar  davontragen,  und 
die  wenigen  Fragmente ,  die  wir  besitzen ,  genügen  nicht ,  ihr  zu 
widersprechen.  Aber  auch  wo  wir  in  der  Lage  sind,  selbständig 
urteilen  zu  können,  wie  z.  B.  bei  Bakchylides,  müssen  wir  neben 
unserem  Urteil  das  der  Alten  berücksichtigen,  wenn  wir  den  Dichtern 
und  Schriftstellern  jener  Zeit  gerecht  werden  wollen.  Ich  kann 
daher  auch  das  wegwerfende  Urteil  des  Verfassers  über  Bakchylides 
nicht  teilen,  den  doch  ein  Hieron  dem  Simonides  und  Pindar  vorzog, 
um  sich  von  ihm  verherrlichen  zu  lassen. 

Die  Folgen,  welche  die  Aufstellung  des  Kanons,  den  ich  auf 
Grund  der  angeführten  Erwägungen  auch  ferner  als  eine  Auswahl  be- 
trachte, für  die  Erhaltung  und  Überlieferung  der  darin  aufgenommenen 
Lyriker  hatte,  setzt  W.  klar  auseinander.  Er  betont  mit  Recht,  daß 
die  Zuweisungen  von  Gedichten  an  einzelne  Dichter  durch  die 
Alexandriner  im  allgemeinen  Glauben  verdienen,  und  hätte  dies  auch 
bei  Alkman  und  Anakreon  nicht  bezweifeln  sollen;  denn  wenn  diese 
jetzt  die  einzigen  Vertreter  der  lakonischen  und  ionischen  Lieder- 
dichtung sind,  so  erklärt  sich  dies  aus  ihrer  Überlegenheit  über  die 
anderen  und  der  auf  Grund  davon  erfolgten  Aufnahme  in  den  Kanon 
zur  Genüge,  berechtigt  aber  nicht  dazu,  sie  mit  W.  für  Kollektiva 
zu  halten,  unter  deren  Namen  der  gesamte  Nachlaß  der  lakonischen 
und  ionischen  Liederdichtung  auf  uns  gekommen  sei;  gegen  diese 
Annahme  spricht  auch  die  einheitliche  und  gleichmäßige  Beschaffen- 
heit der  erhaltenen  Fragmente.  Den  gleichen  Vorgang  sehen  wir 
bei  Sappho,  von  deren  Nebenbuhlerinnen  sich  auch  nichts  erhalten 
hat.  Ja,  selbst  hinsichtlich  der  Epigramme  kann  ich  die  Ansicht 
des  Verfassers  nicht  teilen,  daß  nämlich  keine  Möglichkeit  abzusehen 
sei ,  wie  sich  die  Tradition  des  Ursprungs  bei  so  gleichgültigen 
Stiftungen  erhalten  sollte ;  denn  meiner  Überzeugung  nach  wurden  diese 
von  ihren  Verfassern  ebenso  aufbewahrt  wie  die  anderen  Gedichte 
und  erhielten  sich  demnach  auch  auf  die  gleiche  Weise  wie  diese. 
Besonders  gilt  dies  von  Simonides. 

Hinsichtlich  der  Sprachform  kann  ich  W.  fast  Überall  beistimmen ; 
nur  glaube  ich  nicht,  daß  Stesichoros  und  Ibykos  ihre  heimische 
Rede  mit  epischen  Bestandteilen  aus  Homer  und  Äolismen  versetzt 
haben,  sondern  gerade  umgekehrt  die  epische  Sprache  mit  Dorismen, 
Ibykos  auch  mit  Äolismen;  denn  sonst  wäre  der  Gesarateindruck 
ihrer  Sprache  nicht  der  epische.  Die  Psilose  bei  den  Äoliern  durch- 
zuführen, bei  Anakreon  aber  nicht,  hält  W.  für  inkonsequent;  meiner 
Meinung  nach  darf  man  hierin  so  wenig  wie  in  der  Akzentuation  und 
in  betreff  des  Digammas  von  der  Überlieferung  der  Grammatiker  ab- 


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Jahresbericht  über  die  griechischen  Lyriker.   (Sitzler.)  107 

weichen,  die  gewiß  ihre  Gründe  für  ihr  Verfahren  hatten,  wenn  wir 
sie  auch  nicht  mehr  kennen. 

Auf  Einzelheiten  werde  ich  im  Laufe  des  Berichtes  bei  Be- 
sprechung der  einzelnen  Dichter  zurückkommen,  und  dort  werden 
auch  die  Exkurse,  soweit  sie  die  Lyriker  betreffen,  entsprechende 
Berücksichtigung  finden. 

Eine  Auswahl  aus  dem  ganzen  Gebiete  gibt 

Fr.  Bucherer,  Anthologie  aus  den  griechischen 
Lyrikern.    Gotha  1904, 

zunächt  zwar  für  den  Schulgebrauch  bestimmt,  aber  wegen  der  neuen 
Konjekturen  des  Verfassers  und  besonders  II.  Stadtmüllers  auch  hier 
zu  nennen.  Darin  sind  die  bedeutendsten  Elegiker,  Jambographen 
und  Meliker  mit  ihren  wichtigsten  auf  uns  gekommenen  Gedichten 
oder  Fragmenten  vertreten,  auch  Bakchylides  und  Pindar,  außerdem 
Epigramme,  Volkslieder,  Skolien  und  Anakreonteen. 

Mit  der  Grammatik  der  Lyriker  beschäftigen  sich 

1.  J.  A.  Scott,  III.  Addition alnotes  onthevocative. 
Am.  Journ.  of  Philol.  XXVI,  S.  32  f. 

2.  A.  Fuchs,  Die  Temporalsätze  mit  den  Kon- 
junktionen' „bis"  und  „so  lange  bis".  Beitr.  z.  hist.  Synt. 
der  griech.  Sprache,  hrsg.  von  M.  Schanz  Heft  14.  Würz- 
burg 1902. 

Scott  stellt  auf  Grund  des  gesamten  bei  den  Lyrikern  vor- 
liegenden Materials  fest,  daß  der  Vokativ  auch  bei  diesen  gewöhnlich 
ohne  die  Interjektiou  tu  gebraucht  wird;  wo  die  Interjektion  hinzu- 
gefügt wird ,  ist  eine  besondere  Wirkung  beabsichtigt ,  wie  der  Aus- 
druck der  Vertraulichkeit,  der  Ungeduld,  der  Erregung.  Daher  findet 
sich  der  Vokativ  mit  w  besonders  bei  Alkäos ,  Anakreon ,  in  den 
Skolien  und  in  den  Volksliedern.  Bemerkenswert  ist,  daß  bei  Theognis 
im  ersten  Teil  der  Vokativ.  123  mal  ohne  und  nur  5  mal  mit  <J,  im 
zweiten  Teil  dagegen  7  mal  ohne  und  17  mal  mit  <u  steht. 

Fuchs  behandelt  im  dritten  Kapitel  seiner  Untersuchungen  die 
lyrischen  Dichter.  Bei  diesen  finden  sich  an  neuen  Konjunktionen 
sfoxe  Archiloch.  14  und  i^Xpi  ou  Philox.  2,  2;  hinsichtlich  der 
Tempora  und  Modi  bieten  sie  nichts  Bemerkenswertes.  Da  oeppa  nie 
av  oder  xi  bei  sich  hat,  so  ist  dies  auch  Theog.  252  zu  streichen. 

Zu  vergleichen  ist  auch  die  tüchtige  Arbeit  von 

E.  Kemmer,  Die  polare  Ausdrucks  weise  in  der 
griechischen  Literatur.  Beitr.  z.  hist.  Synt.  d.  griech. 
Sprache,  hrsg.  von  M.  Schanz.    Heft  15.    Würzburg  1903. 


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108 


Jahresbericht  über  die  griechischen  Lyriker.  (Sitzler.) 


die  den  Lyrikern  zwar  kein  besonderes  Kapitel  widmet,  aber  sie 
fiberall  neben  den  anderen  Dichtern  und  Schriftstellern  ebenfalls  be- 
rücksichtigt. Die  Lyriker  halten  sich  in  betreff  dieser  Ausdrucks- 
weise innerhalb  der  sonst  geltenden  Grenzen. 

Der  Erforschung  des  Inhalts  wendet  sich 

W.  Schräder,  Die  Seelenlehre  der  Griechen  in 
der  älteren  Lyrik.  Philosoph.  Abhandlangen.  Dem  Andenken 
R.  Hayms  gewidmet  von  Freunden  und  Schülein.  Halle  1902. 
S.  1  f., 

zu,  womit  er  seine  in  den  Jahrb.  f.  klass.  Phil.  1885,  S.  145  f.,  ver- 
öffentlichten Untersuchungen  über  denselben  Gegenstand  in  dem 
älteren  griechischen  Epos  fortsetzt.  Er  stellt  in  der  vorliegenden 
Abhandlung  die  psychologischen  Vorstellungen  der  griechischen 
Lyriker  durch  drei  Jahrhunderte  hindurch  übersichtlich  zusammen, 
und  zwar  in  drei  Gruppen  gegliedert,  zuerst  die  Zeit  von  750  —  680, 
dann  630—530  und  zuletzt  530—450  v.  Chr.  Trotz  der  trümmer- 
haften Überlieferung  der  lyrischen  Gedichte  zeigt  sich  doch  ein 
stetiger  und  notwendiger  Fortschritt  der  psychologischen  Vorstellungen 
bei  den  Griechen  von  ihrer  natürlichen  Wurzel  zu  sittlicher  Ent- 
faltung, bis  sich  zu  ihrer  Ergänzung  von  fremdher  und  gleichsam 
offenbarungsweise  Anschauungen  und  Lehren  über  das  Geisterreich 
gesellten,  die  über  dieses  Leben  hinauswiesen  und  doch  das  Jenseits 
mit  dem  Diesseits  in  Verbindung  hielten.  Die  Marksteine  sind 
Theognis  und  Pindar. 

Außerdem  erwähne  ich 

T.  S t i c k n e y ,  Los  sentences  dans  lapo^siegrecque 
d' Homere  ä  Euripide.    Paris  1903. 

Diese  Arbeit  macht  es  sich  zur  Aufgabe ,  die  Verwendung  und 
Bedeutung  der  Reflexion  und  des  gnomischen  Elements  im  weitesten 
Sinn  in  den  einzelnen  Gattungen  der  griechischen  Poesie  festzustellen. 
Der  dritte  Abschnitt  behandelt  die  elegische  Dichtung,  der  vierte 
Abschnitt  die  melische  Poesie  in  ihren  am  besten  erhaltenen  Ver- 
tretern Pindar  und  Bakchylides.  Etwas  wesentlich  Neues  auf  diesen 
Gebieten  fördert  die  gründlich  geführte  Untersuchung  nicht  zutage ; 
aber  die  zusammenhängende  Behandlung  der  Frage,  die  freilich  bis- 
weilen zu  sehr  in  die  Breite  geht ,  ist  dankenswert  und  enthält 
interessante  Ausführungen. 

A.  Pischinger,  Der  Vogelgesang  bei  den  griechi- 
schen Dichtern  des  klassischen  Altertums.  Progr. 
Eichstätt  1901  und 


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Jahresbericht  über  die  griechischen  Lyriker.  (Sitzler.)  109 

A.  Pischinger,  Der  Vogelzug  bei  den  griechischen 
Dichtern  des  klassischen  Altertoms.  Progr.  Eichstätt 
1904. 

Der  Verfasser  bezeichnet  seine  fleißigen  und  sorgfältigen  Ab- 
handlungen als  Beiträge  zur  Würdigung  des  Naturgefühls  in  der 
antiken  Poesie.  In  der  ersten  betrachtet  er  den  Vogelgesang  nach 
drei  Seiten,  nämlich  als  einfachen  Naturlaut,  als  sprechenden  Emp- 
find ungslaut ,  besonders  als  Klage,  und  als  kunstvolle,  der  mensch- 
lichen Kunstübung  verwandte  Musik;  die  zweite  Abhandlung  be- 
schäftigt sich  im  ersten  Kapitel  mit  dem  Frühjahrszug  der  Vögel, 
im  zweiten  mit  dem  Herbstzug  und  Winteraufenthalt,  im  dritten  mit 
dem  Zug  im  allgemeinen,  im  vierten  mit  der  volkstümlichen  Ansicht 
vom  Winterschlafe  der  Vögel  und  im  fünften  mit  der  Verwandlung 
der  Vögel  in  andere  Vögel.  Überall  sind  die  einschlägigen  Stellen 
mit  Sorgfalt  gesammelt,  unter  denen  die  aus  den  Bukolikern,  Babrius 
und  der  Anthologie  einen  breiten  Raum  einnehmen.  Es  zeigt  sich, 
daß  in  der  Auffassung  des  Vogelgesangs  von  der  ältesten  bis  in 
späte  Zeit  eine  Entwicklung  und  Fortbildung  nicht  vorkommt,  und 
daß  der  Frühjahrszug  der  Vögel  der  Natur  des  Landes  entsprechend 
nur  geringe  Bedeutung  hat;  wenigstens  wird  er  in  der  Poesie  kaum 
berücksichtigt. 

B.  Die  einzelnen  Gattungen  der  Poesie. 

I.  Elegiker  und  Jambographen. 

a)  Allgemeines. 

Über  die  Benennung  der  elegischen  Dichtung  handelt 

K.  Zacher,  Beiträge  zur  griechischen  Wort- 
forschung.   Philologus  57,  S.  8  f., 

der  mit  Recht  die  Ansichten  H.  Useners,  0.  Immischs  und 
F.  Dümmlers  über  die  Entstehung  der  Elegie  zurückweist,  vgl. 
den  Jahresbericht  Bd.  LXXXXII  (1897),  S.  7  f.  Er  weist  darauf 
hin,  daß  die  in  Distichen  abgefaßten  Gedichte  ursprünglich  Imj 
hießen,  nnd  daß  die  Bezeichnung  iXz^Xov  bzw.  eXe^eta  für  die 
distichische  Form  erst  im  fünften  Jahrhundert  aufkam;  die  älteste 
Belegstelle  ist  Pherekrates  Xetpcov  153  K.  Das  Adj.  £kz-{£<K  gehört 
zu  D.e^oc,  das  ein  zur  Flöte  gesungenes  Klagelied,  im  engeren  Sinn 
eine  Totenklage  bedeutet.  „Da  nun",  so  fährt  Z.  fort,  „die  els^eTa 
mit  dem  sXs-yo;  inhaltlich  ihrem  Wesen  nach  nichts  zu  tun  haben. 


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110 


Jahresbericht  über  die  griechischen  Lyriker.  (Siizler.) 


so  maß  es  die  Form  gewesen  sein,  welche  beiden  Dichtungsgattungen 
gemeinsam  war,  and  dieser  Schiaß  wird  dadurch  bestätigt,  daß  sich 
der  Name  £Xe*jeiov  nur  auf  die  metrische  Form  bezieht.  Es  ergibt 
sich  also,  daß  auch  die  IXefot  in  elegischen  Distichen  abgefaßt  waren, 
ja  daß  das  elegische  Distichon  die  charakteristische  Form  für  den 
eXe^o;  war4. 

Diese  Schlußfolgerung  kann  ich  nicht  für  zwingend  halten ;  denn 
im  fünften  Jahrhundert,  wo  die  Disticha  eXa^eia  genannt  wurden, 
standen  sie  inhaltlich  in  engster  Beziehung  zu  den  aXe^ot:  sie  waren 
größtenteils  Klagelieder  bzw.  Totenklagen,  und  weil  sie  demnach 
in  dieser  Zeit  wirklich  die  charakteristische  Form  für  den  eXs-ps 
waren,  wurden  sie  iXe-^eTa  genannt,  ihrer  hauptsächlichsten  Ver- 
wendung entsprechend.  Daraus  läßt  sich  also  kein  Schluß  auf  die 
Form  der  eigentlichen  und  ursprünglichen  D^ot  ziehen.  Ja,  mir 
scheint  es  im  höchsten  Grad  unwahrscheinlich,  daß  das  Distichon, 
wenn  es  von  Haus  aus  den  eXe-pi  eigentümlich  war,  je  andere  ver- 
wandt worden  wäre,  und  daß  die  distichischen  Gedichte  den  Namen 
STtyj  statt  IXs-pt  erhalten  hätten.  War  dagegen  das  Distichon,  aus 
dem  Epos  hervorgegangen,  eine  lyrische  Form  zum  Ausdruck  der 
Gefühle  und  Empfindungen  des  menschlichen  Herzens,  so  ist  nicht  nur 
seine  Verwendung  zur  Klage  verständlich,  sondern  auch  seine  ur- 
sprüngliche Benennung  enj  ebensowohl,  wie  seine  Umbenennung  in 
iXs-fsta  in  späterer  Zeit,  wo  die  darin  ausgedrückte  Klage  über- 
wiegend war  und  die  beginnende  literarische  Forschung  eine  genauere 
Bezeichnung  zur  Unterscheidung  vom  epischen  Vers  nötig  machte. 

Damit  fallen  auch  die  Folgerungen ,  die  Z.  an  seine  Hypothese 
knüpft,  nämlich  daß  das  elegische  Distichon  für  den  auletischen 
Elegos  geschaffen  worden  sei ,  daß  der  Hexameter  von  dem  Flöten- 
spieler bzw.  Sänger  vorgetragen  worden  sei,  an  den  sich  dann 
jedesmal  zwei  ^XoXt>7(i.ot  des  Chores  angeschlossen  hätten,  und  daß 
als  Epiphonem  zhe.ft  (oder  ^Xs-j-e)  verwendet  worden  sei,  ursprünglich 
eine  an  sich  bedeutungslose  Zusammenstellung  von  Silben,  wie  -rqvsXXot, 
afXtvov,  i/veXeü,  dXaXat,  ^Xejis,  welaga  usw.  Auf  die  Schwierigkeit, 
die  der  kurze  Anlaut  bei  eXc^o?  bereitet,  hat  Z.  selbst  hingewiesen; 
ich  kann  aber  auch  an  die  „bedeutungslose  Zusammenstellung  von 
Silben"  nicht  glauben. 

In  neuer  Auflage  erschien 

Anthologie  aus  den  Lyrikern  der  Griechen  von 
Dr.  E.  Buchholz.  Erstes  Bändchen:  Die  Elegiker  und  Jambo- 
graphen  enthaltend.  Fünfte  umgearb.  Aufl.  bes.  von  H.  Pepp- 
müller.    Leipzig  1900, 


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Jahresbericht  über  die  griechischen  Lyriker.   (Sitzler.)  \l\ 

in  Text  und  Kommentar  vielfach  verbessert,  um  den  Didaskalos  des 
Herodas  erweitert  und  im  Anhang  ergänzt. 

Außerdem  erwähne  ich 

Poetarom  philosophorum  fragmenta  edidit  H.  D i e  1  s. 
Berlin  1901, 

da  darin  auch  Xenophanes,  Skythinos  und  Krates  neu  heraus- 
gegeben sind. 

Mit  der  Sprache  der  Elegiker  und  Jambographen  befassen  sich 

1.  A.  Thumb,  Zur  Geschichte  des  griechischen 
Digamma.    Indogerman.  Forschungen  IX,  S.  294 f. 

2.  M.  Fuochi,  De  vocalium  in  dialecto  Jonica 
concursu  observati  unculae.    Florenz  u.  Rom  1899. 

8.  0.  Ho  ff  mann,  Die  griechischen  Dialekte.  Dritter 
Band:  Der  ionische  Dialekt.    Göttingen  1898. 

4.  A.  v.  Meß,  Quaestiones  de  epigrammate  Attico 
et  tragoedia  antiquiore  dialecticae.    Diss.  Bonn  1898. 

Thumb  weist  darauf  hin,  daß  sich  das  Digamma  im  Ionischen 
noch  finde ;  zuerst  sei  es  im  ionischen  Kleinasien  (um  900 — 800  v. 
Chr.),  dann  auf  den  Inseln  und  in  Attika  (im  achten  und  siebenten 
Jahrhundert  v.  Chr.)  geschwunden.  Vgl.  dazu  H.  W.  Smyth,  On 
Digamma  in  post-homeric  Jonic,  Jahresb.  LXXV,  Bd.  (1893)  I, 
S.  119.  —  Fuochi,  der  schon  in  seiner  Abhandlung:  De  titulorum 
Iunicorum  dialecto  in  Studi  italiani  1894,  S.  209  f. ,  den  Dialekt 
der  ionischen  Inschriften  erforschte,  untersucht  jetzt  das  Verhältnis 
der  Vokalkontraktion  auf  den  Inschriften  zu  den  entsprechenden 
Lehren  der  Grammatiker.  Er  findet,  daß  diese  viel  Unrichtiges  und 
Verkehrtes  bieten,  das  man  beseitigen  müsse.  —  Derselben  Ansicht 
neigt  auch  Hoff  mann  zu,  nur  daß  er  sie  auch  auf  die  ionischen 
Dichter,  die  er  in  selbständiger  Bearbeitung  seinem  Werke  einverleibt 
hat,  anwendet.  Die  Abänderung  der  hs.  Überlieferung  der  Dichter 
und  Schriftsteller  nach  den  Inschriften  hielte  ich  dann  für  berechtigt, 
wenn  der  sprachliche  Charakter  der  letzteren  und  ersteren  im  ganzen 
miteinander  tibereinstimmen  würde.  Nun  hat  aber  II.  Stein  im 
ersten  Bande  seiner  kommentierten  Herodotausgabe,  sechste  Auflage 
1901,  S.  LVf.,  nachgewiesen,  daß  die  hs.  Überlieferung  nur  in  der 
Ersetzung  des  ä  durch  7j  mit  allen  Gruppen  der  ionischen  Inschriften 
zusammentrifft,  während  sich  die  Psilosis  nur  auf  den  Inschriften  der 
kleinasiatischen  Dodekapolis  durchgängig  zeigt,  der  Pronominalstamm 
xo,  der  Diphthong  a»o,  die  mit  ?  anlautenden  Formen  des  Kelativs 
nnd  die  Unterlassung  der  Kontraktion  aber  auf  allen  Inschriften  in 


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112        Jahresbericht  über  die  griechischen  Lyriker.  (Sitzler.) 

der  Regel  fehlt.  Daraus  ergibt  sich,  daß  die  Dichter  and  Schrift- 
steller, nicht  die  durch  die  Inschriften  vertretene  Volkssprache,, 
sondern  eine  allen  Ionikern  in  der  Hauptsache  gemeinsame  Literatur- 
sprache gebrauchten.  —  Meß  kommt  in  seiner  Untersuchung  über 
den  Gebrauch  von  ü  =  ion.  >j  bei  den  attischen  Dichtern  zu  dem 
theoretisch  gewiß  richtigen  Ergebnis,  daß  man  sich  vor  Unifonnierung 
boten  und  eine  in  der  Entstehungs-  und  Entwicklungsart  dieser 
Poesie  begründete  Mannigfaltigkeit  in  der  Verwendung  von  ä  und 
zulassen  müsse ;  aber  in  der  praktischen  Durchführung  dieses  Grund- 
satzes geht  er  zu  weit,  insofern  er  ij  auch  in  Wörtern  duldet,  auf 
die  der  von  ihm  selbst  aufgestellte  Grundsatz  keine  Anwendung 
finden  kann;  homerischer  Einnuß  kann  sich  nur  in  homerischen 
Wörtern  und  Wortverbindungen  äußern.  Auch  in  den  Dichtungen 
des  Solon  darf  ö  und  in  den  Endungen  nicht  beliebig  wechseln, 
wie  der  Verfasser  unter  Hinweis  auf  homerisches  dt«,  Afvetac  u.  a. 
neben  gewöhnlichem  verlangt;  im  Gegenteil,  gerade  weil  bei 
Homer  schon  eine  so  feste  und  bestimmte  Norm  hinsichtlich  der 
Endungen  herrscht,  muß  man  annehmen,  daß  dies  auch  bei  den 
Elegikern  und  sonst  der  Fall  war. 

Metrische  Fragen  aus  dem  Gebiet  der  elegischen  und 
jambischen  Dichtung  behandeln: 

1.  A.  v.  Meß,  Zur  Positionslänge  vor  muta  cum 
liquida  bei  den  attischen  Dichtern.  Rhein.  Museum  58, 
S.  270  f. 

2.  G.  Schulz,  Beiträge  zur  Theorie  der  antiken 
Metrik.    Hermes  35,  S.  308. 

3.  K.  F.  Smith,  Some  irregularformsofthe  elegiac 
di  stich.    Am.  Journal  of  Philol.  22,  S.  165  f. 

4.  J.  Mesk,  Satz  und  Vers  im  elegischen  Distichon 
der  Griechen.    Programm  Brünn  1900. 

5.  A.  Taccone,  11  trimetro  giambico  nella  poesia 
greca.  Accad.  R.  delle  science  di  Torino.  Ser.  U,  tom.  L1V, 
S.  29  f. 

6.  H.  R.  Fairclough,  The  connection  between 
music  and  poetry  in  early  greek  literature.  Stud.  in 
hon.  of  B.  L.  Gildersleeve.    Baltimore  1902,  Nr.  18. 

Meß  stellt  sich  die  Aufgabe  nachzuweisen,  wie  sich  die  Be- 
handlung der  positio  debilis,  die  in  der  attischen  Dichtersprache, 
vornehmlich  in  der  Tragödie,  zutage  tritt,  im  Laufe  der  Zeit  all- 
mählich entwickelt  hat.    Dabei  betrachtet  er,  von  der  homerischen 


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Jahresbericht  über  die  griechischen  Lyriker.  (Sitzler.)  H3 

Poesie  ausgehend,  die  Elegie,  die  jambische  Dichtung  und  das  ältere 
Epigramm;  aber  nur  hinsichtlich  des  letzteren  kann  er  Neues  bieten, 
da  ihm  auf  den  anderen  Gebieten  Frühere  zuvorgekommen  sind. 
Er  zeigt,  wie  das  Epigramm  die  Längung  vor  muta  cum  liquida  auf 
gewisse  Fälle  beschränkt,  vor  anlautender  muta  und  liquida  aber 
vermieden  hat  und  so  die  Übergangsstufe  von  der  älteren  zur  späteren 
attischen  Dichtung  bildet,  die  sich  von  dem  früheren  Zwange  los- 
gelöst hat.  —  Schulz  führt  zum  Nachweis,  daß  die  Alten  keinen 
Versakzent,  sondern  nur  lange  und  kurze  Silben  kannten,  auch  den 
Pentameter  an,  der  sonst  Hexameter  heißen  müßte;  aber  diese  Be- 
nennung stammt  doch  ohne  Zweifel  nur  von  Metrikern,  die  den  Vers 
in  Füße  zerlegten,  unbekümmert  um  den  Rhythmus,  den  er  beim 
Vortrag  hatte,  vgl.  auch  H.  Weil,  fitudes  de  litterature  et  de 
rhythmique  grecques.  Paris  1902,  S.  171  f.  —  Die  Verwendung  des 
Pentameters  in  der  Poesie  untersucht  Smith,  und  zwar  betrachtet 
er  ihn  zunächst  außerhalb  des  Distichons,  wo  er  in  Verbindung  mit 
anderen  Versen,  als  Monostichon  und  xatÄ  atfyov  vorkommt.  Für 
monostichisch  hält  er  die  Pentameter  des  Hipparchos,  was  zweifel- 
haft bleibt,  da  diese  mit  der  Aufschrift  auf  der  linken  Seite  der 
Henne  ein  Distichon  gebildet  haben  können;  auch  Preger  257  ist 
nicht  sicher;  jedenfalls  waren  aber  Solon  7,  Kritias  6,  Fragm.  adesp.  12 
(Hill.-Crus.),  Simonid.  87  keine  Monosticha,  und  ebensowenig  Euenos  6, 
da  die  Korrektur  Doehners  Plut.  de  am.  prol.  4:  touto  t6  \kov6- 
onyov  Irffpappa  zu  dem  folg.  dXk*  fyxroc,  das  einen  Gegensatz  im 
Vorhergehenden  verlangt,  nicht  paßt,  etwa  toöto  jjIv  u>?  eö  e^pa^ev? 
Zu  dem  xatä  aifyov  gebrauchten  Pentameter  vgl.  auch  L.  Rader- 
macher, Philologns  60,  S.  476  f.  Hierauf  geht  der  Verfasser  zur 
Besprechung  des  Pentameters  in  Verbindung  mit  dem  Hexameter 
über  und  zählt  außer  dem  Distichon  auch  die  seltenen  Verbindungen, 
die  in  der  Anthologia  Pal.  und  bei  Eaibel  begegnen,  auf.  —  Mesk 
stellt  das  Verhältnis,  in  dem  Distichon  und  Gedankenabschluß  zu- 
einander stehen,  dar,  wobei  er  die  ältere  und  spätere  Elegie,  die 
Epigramme,  Kallimachos  Hymn.  V  und  Theokrit  Id.  Vffl  in  den 
Bereich  seiner  Untersuchung  zieht.  Er  findet,  daß  bei  Archilochos 
und  Mimnermos  selten,  bei  Tyrtäos  und  den  folgenden  Elegikern 
häufig,  aber  bei  den  Alexandrinern  wieder  selten  Hexameter  und 
Pentameter  je  einen  Sinnesabschnitt  enthalten.  Zwei-,  Drei-  und 
Mehrteilung  des  Distichons  durch  den  darin  ausgedrückten  Gedanken 
ist  häufig,  besonders  bei  den  Alexandrinern  und  unter  diesen  wieder 
bei  Kallimachos;  dabei  zweigt  der  Gedanke  mit  Vorliebe  von  der 
bukolischen  Cäsur  des  Hexameters  ab.   Fälle,  in  denen  das  Distichon 

JihrMbericht  fttr  Altertumiwisien*ch»ft.   Bd.  CXXXIII.    (1907.   I.)  8 


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114         Jahresbericht  über  die  griechischen  Lyriker.  (8iUler.) 

nur  einen  Gedanken  enthält,  sind  selten,  am  häufigsten  noch  bei 
Simonides;  dagegen  finden  sich  inhaltliche  Verbindungen  von  zwei 
und  mehr  Distichen  besonders  bei  den  Alexandrinern  nnd  bei  Mim- 
nermos,  der  als  bevorzugter  Liebling  der  Alexandriner  erscheint.  — 
Dem  Trimeter  widmet  T  a  c  c  o  n  e  eine  fleißige  und  verständige  Unter- 
suchung; hinsichtlich  des  Versiktus  entscheidet  er  sich  mit  Recht 
für  die  geraden  Füße,  wie  er  auch  im  Choliambus  die  Betonung  der 
vorletzten  Silbe  verwirft.  —  Faircloughs  Aufsatz  beschäftigt  sich 
hauptsächlich  mit  der  homerischen  Poesie,  weist  aber  auch  darauf 
hin,  daß  noch  in  der  Jambendichtung  des  Archilochos  Musik  und 
Poesie  nicht  ganz  geschieden  waren. 

Eine  fleißige  und  schön  geordnete  Übersicht  über  den  ethischen 
Gedankengehalt  der  elegischen  und  jambischen  Poesie  gibt 

M.  Schulze,  Der  ethische  Gedankengehalt  der  griechi- 
schen Elegiker  und  Jambographen.   Progr.  Freiberg  1899, 

in  fünf  Kapiteln,  welche  die  Überschriften  tragen:  Der  Weg  zur 
Tugend,  Begriff  und  Arten  der  Tugend,  Die  sittliche  Verfehlung, 
ihre  Ursachen  und  Folgen,  Lebensgüter  und  Lebensübel,  Die  be- 
sonderen Lebenspflichten;  aber  die  Mitteilungen  über  die  Ergebnisse 
der  wissenschaftlichen  Forschung,  besonders  auf  S.  2  und  3,  leiden 
an  manchen  Ungenauigkeiten. 

b)  Die  einzelnen  Dichter. 

Kallinos. 

J.  M.  Schulhof,  Callinus  und  Tyrtäus.  Class.  Review. 
1900,  S.  103  f., 

weist,  wie  schon  andere  vor  ihm,  nach,  daß  das  Fragment  des  Kallinos 
seinem  Inhalt  und  seiner  Form  nach  nicht  dem  Tyrtäos  zugeschrieben 
werden  könne.  Wenn  er  aber  weiter  den  Tyrtäos  in  das  sechste 
Jahrhundert  v.  Chr.  versetzt  und  meint,  er  sei  kaum  mehr  als  ein 
geschickter  Verskünstler  gewesen,  der  den  Hexameter  dem  Homer, 
den  Pentameter  dem  Kallinos  entlehnt  habe,  so  wird  er  nicht  viel 
Zustimmung  finden. 

Archilochos. 

Mit  dem  Leben  und  den  Dichtungen  des  Archilochos  be- 
schäftigen sich 

1.  H.  Jurenka,  Archilochos  von  Paros.    Aus  den 
Fragmenten  dargestellt.    Progr.  Wien  1900. 

2.  U.  Bahntje,  Quaestiones  Archilocheae.  Diss. 
Göttingen  1900. 


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Jahresbericht  über  die  griechischen  Lyriker.   (Sitzler.)  H5 

8.  A.  Hauvette,  Archiloque.  Sa  vie  et  ses  poesies. 
Paris  1905. 

4.  A.  Hauvette,  A  propos  de  la  pre* tendue  raention 
d'Archiloque  dans  la  chronique  de  Paros.  Bullet,  de 
la  Society  nationale  des  Antiquaires  1901,  S.  138  f. 

5.  A.  Hauvette,  Me'langes  Perrot.  Paris  1903, 
S.  161  f.,  vgl.  auch  Rev.  des  (Hades  gr.  Sitzung  vom  9.  Januar  1902, 
S.  113  f.  [Pind.  P.  H,  49  f.]. 

6.  A.  Hauvette,  Sur  un  vers  d'Archiloque  [fr.  31]. 
Festschrift  Th.  Gomperz  dargebracht.    Wien  1902,  S.  216  f. 

7.  H.  Dettmer,  De  arte  metrica  Archilochi  quae- 
stiones.    Diss.  Marburg  1900. 

8.  S.  A.  Naber,  Mnemosyne  1899,  S.  155  f.  [fr.  3,  4.  5]. 

9.  U.  v.  Wilamowitz,  Hermes  1898,  S.  515  [fr.  32,  2]. 

Die  Chronologie  des  Archilochos  untersucht  Hauvette  in  dem 
ersten  Kapitel  der  unter  3  angeführten  Schrift  von  neuem ,  ohne 
jedoch  zu  sicheren  Ergebnissen  zu  kommen.  Wenn  er  die  Erwähnung 
des  Gyges  fr.  25,  1  —  Herod.  I,  12  ist  interpoliert,  wie  er  mit 
Recht  bemerkt  —  als  festen  Punkt  zur  Datierung  zurückweist,  so 
darf  er  auf  allgemeine  Zustimmung  rechnen ;  aber  an  der  Festsetzung 
der  fr.  74  erwähnten  Sonnenfinsternis  auf  den  0.  April  648  hätte  er 
festhalten  sollen,  da  die  Worte  jeden  Zweifel  an  der  Autopsie  aus- 
schließen und  ebenso  an  der  Beziehung  der  Mafv^tcuv  xaxd  fr.  20 
auf  die  Zerstörung  Magnesias  durch  die  Kimmerier,  weil  dies  das 
schwerste  und  bekannteste  Unglück  war,  das  die  Stadt  in  jener  Zeit 
traf.  Folgt  man  der  Berechnung  Geizers,  so  geschah  dies  im 
Jahre  651 ,  ein  Jahr  nach  dem  Tode  des  Gyges ,  dessen  sprich- 
wörtliche Nennung  in  fr.  25  also  damit  in  bestem  Einklang  steht. 
Nach  dem  Verfasser  freilich  erlebte  Archilochos  den  Einfall  der 
Kimmerier  nicht  mehr,  sondern  starb  vorher,  noch  jung.  Seine 
Geburt  setzt  er  um  708  an,  hält  ihn  also  für  älter  als  Kallinos,  was 
bei  den  uns  zu  Gebote  stehenden  Mitteln  dahingestellt  bleiben  muß; 
denn  die  Notiz  Strab.  XIV,  647,  ist  nur  eine  unsichere  Vermutung. 

Die  Lebensschicksale  des  Dichters  behandeln  Bahnt  je  und  im 
Anschluß  an  ihn  Hauvette,  indem  sie  für  die  Wahrheit  der  auf 
uns  gekommenen  Nachrichten  eintreten,  Hauvette  unter  Hinweis 
auf  die  Inschrift  auf  dem  von  H i  1 1  e r  v.  Gärtringen  entdeckten 
ArchilochossDcnkmal.  Jurenka  dagegen,  der  sich  gegen  die  Über- 
lieferung ungläubiger  verhält,  sucht  durch  Neuordnung  der  Fragmente 
und  Vergleichung  mit  Alkäos  und  Theognis  das  Leben  des  Archi- 


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116         Jahresbericht  über  die  griechischen  Lyriker.  (Sitzler.) 

lochos  aufzuklären,  ein  geistreicher  und  recht  interessanter,  aber,  wie 
der  Verfasser  selbst  zogibt ,  im  einzelnen  problematischer  Versuch. 
An  Telesikles  als  Gründer  der  Kolonie  halten  B a h n t j e  und  Hau* 
vette  mit  Recht  fest,  ebenso  daran,  daß  Enipo  die  Mutter  des 
Dichters  war,  daß  er  wegen  Armut  mit  seinem  Vater  nach  Thasos 
ging,  sowie  daß  er  im  Kriege  mit  Xaxos  durch  Kalondas  den  Tod 
fand;  aber  mit  Unrecht  leugnen  sie,  daß  er  an  den  Kämpfen  auf 
Euböa  teilgenommen  habe,  indem  sie  aus  xeivoi  fr.  3,  4  und  aus  den 
Futura  schließen,  daß  das  Gedicht  in  Faros  oder  doch  in  der  Ferne 
auf  die  Kunde  des  Strab.  X,  448,  überlieferten  Vertrages  hin  gemacht 
sei.  Dagegen  macht  schon  Jurenka,  Zeitschr.  f.  österr.  Gymn. 
1901  S.  119  f.,  geltend,  daß  das  Gedicht  in  diesem  Falle  ja  nur 
eine  Paraphrase  des  genannten  Vertrages  wäre.  Ich  füge  hinzu,  daß 
die  Annahme,  eine  solche  Kunde  hätte  den  abwesenden  Archilochos 
zu  einem  die  zukünftige  Kriegführung  schildernden  Gedicht  begeistern 
können,  mit  dessen  ganzer  Dichtung  im  Widerspruch  steht ;  es  kommt 
noch  dazu,  daß  V.  4  u.  5  diese  Kampfesweise  als  bei  jenen  Völkern 
schon  vorhanden  und  den  Dichter  mit  dieser  Tatsache  wohlbekannt 
zeigen.  Ich  glaube  also,  daß  Archilochos  wirklich  auf  Euböa  kämpfte 
und  in  diesen  Versen  auf  die  bevorstehende  Schlacht,  die  ja  in  V.  2 
eoV  Äv  8$)  xtL  klar  angedeutet  ist,  hinweist  und  gegen  die  Feinde 
(xetvot)  ermutigt.  Ebenso  folgt  für  mich  wie  für  Jurenka  ans 
fr.  24 ,  daß  Archilochos  Söldnerdienste  tat ,  was  Hauvette  gleich- 
falls bestreitet.  In  welche  Zeit  das  Verhältnis  des  Dichters  zu 
Neobule  fällt,  bleibt  zweifelhaft;  Hauvette  sagt  nur:  „dans  la 
force  de  Tage  et  du  talent"  des  Archilochos,  Jurenka  dagegen 
verlegt  es  in  die  Zeit  vor  der  Auswanderung  des  Dichters  nach 
Thasos ;  mir  erscheint  die  Zeit  nach  der  Rückkehr  nach  Paros  an- 
gemessener, weil  die  Überlieferung  ihn  den  Lykambes  und  dessen 
Familie  mit  Hohn  und  Spott  überschütten  und  verfolgen  l&ßt,  was 
den  Aufenthalt  in  Paros  voraussetzt,  und  wer  mit  mir  in  der  Auf- 
fassung der  fr.  74  erwähnten  Sonnenfinsternis  übereinstimmt,  kann 
diese  Verse,  in  denen  Lykambes  jener  Sonnenfinsternis  gedenkt,  zum 
Beweise  dafür  anführen. 

Mit  den  Dichtungen  des  Archilochos  befassen  sich  Bahnt  je  und 
Hauvette  in  den  übrigen  Teilen  ihrer  Schriften.  Sie  besprechen 
die  Art  ihrer  Entstehung  und  ihres  Vortrages,  ihr  Fortleben  in  der 
späteren  Zeit  und  ihre  Überlieferung,  ihre  Zusammenfassung  und 
Anordnung  in  der  Ausgabe  der  Alexandriner,  die  wissenschaftliche 
Beschäftigung  der  Gelehrten  mit  ihnen,  sowie  die  auf  uns  gekommenen 
Fragmente.    Etwas  wesentlich  Neues  wird  dabei  nicht  vorgebracht; 


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Jahresbericht  über  die  griechischen  Lyriker.  (Sitzler.)  117 

Bahntje  vermutet,  daß  es  drei  Bücher  Jamben  gab,  welche  die 
Überschriften  xptjiexpa,  Terpajietpa  und  eucpSof  trugen,  und  Hau- 
vette  betrachtet  auch  die  Epigramme  als  echt  und  läßt  sie  in  der 
Ausgabe  den  Elegien  angefügt  sein.  Die  Ausgabe  war  noch  in  den 
Händen  des  Plutarch  und  Lukian,  nach  Bahntje  auch  in  der  Zeit 
Julians  noch  vorhanden;  aber  der  Scholiast  des  Aristides  kannte  sie 
nicht  mehr.  Unter  den  Fragmenten  hält  Hauvette  die  elegischen 
und  jambischen  für  die  am  besten  beglaubigten. 

Die  Verdienste  des  Archilochos  um  die  griechische  Poesie  nach 
Inhalt  und  Form  hebt  Hauvette  treffend  hervor;  aber  hinsichtlich 
des  Dialekts  will  er  Aspiration  und  Psilose,  den  Pronominalstamm 
ico  und  xo  nebeneinander  zulassen,  was  innerhalb  derselben  Dicht- 
gattung Dicht  angeht;  für  ot?  und  aic  tritt  auch  Bahntje  ein,  und 
im  Distichon  sind  diese  Endungen  neben  oist  und  iqii  unbedenklich, 
da  sie  schon  bei  Homer  vorkommen;  aber  im  Jambos  bleiben  sie 
zweifelhaft.  Den  Wortschatz  untersucht  Bahntje  im  vierten  Kapitel 
seiner  Dissertatio  aufs  genaueste,  jedoch  scheint  ihm  die  Arbeit 
G.  Settis  (vgl.  Jahre8b.  Bd.  104,  S.  99)  entgangen  zu  sein;  be- 
sonders dankenswert  ist  der  vollständige  Index  [vocabulorum] ,  den 
er  am  Schlüsse  beifügt.  Verbesserungen  zu  Archilochos  liefern 
Wilamowitz,  Naber,  Jurenka  und  Bahntje;  von  diesen 
wird  Wilamowitz  mit  epoCe  fr.  32  das  Richtige  getroffen  haben, 
Bahntje  mit  der  Bemerkung,  daß  die  zwei  von  Bergk  unter  fr.  21 
vereinigten  Bruchstücke  nicht  unmittelbar  aufeinander  folgten;  auch 
fr.  181  bringt  der  letztere  in  wohlbegründete  Beziehung  zu  fr.  147,  nur 
darf  der  Name  Äpx&oxoc  (sc.  X^et)  nicht  in  ÄxeXcjJoc  geändert 
werden.  Eine  sorgfältige  Untersuchung  der  Metra  des  Archilochos 
liefert  De  Um  er,  und  Hauvette  legt  dar,  wie  sie  vom  Dichter 
zum  Ausdruck  seiner  Gedanken  und  Stimmungen  verwendet  wurden. 

Die  Gedankenwelt  und  das  Empfindungsleben  des  Dichters  be- 
handelt Hauvette  im  dritten  Kapitel  seines  Buches.  Er  spricht 
da  über  die  Verwendung  von  Sagen,  Beschreibung  und  Fabeln  in 
der  Poesie  des  Archilochos,  setzt  die  religiösen  und  politischen  An- 
sichten, sowie  das  Privatleben  des  Dichters  nach  seinen  verschiedenen 
tSeiten  hin  auseinander  und  schildert  den  Ursprung  und  Charakter 
seiner  Satire.  Er  kommt  dabei  zu  dem  Ergebnis,  daß  die  der 
epischen  Poesie  oder  dem  Volksglauben  entnommenen  Gottheiten  für 
Archilochos  nur  Symbole  der  Naturkräfte  oder  Personifikationen  der 
menschlichen  Tätigkeit  sind ,  daß  der  Dichter  von  sich  selbst  nichts 
Unanständiges  oder  sittlich  Anstößiges  sagte ,  und  daß  er  auch 
Neobule   mit   seiner  Satire   verschonte.     Icji  kann  dem  Verfasser 


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118         Jahresbericht  über  die  griechischen  Lyriker.  (Sitzler.) 

hierin  nicht  beistimmen ;  denn  die  von  ihm  selbst  gesammelten  Stellen 
über  die  Götter  zeigen,  daß  sich  Archilochos,  weit  entfernt  von  allem 
Rationalismus,  seine  Götter  als  persönliche,  in  der  Natur  und  in  der 
Menschenwelt  wirkende  Wesen  vorstellte,  das  unanfechtbare  Zeugnis 
des  Kritias  bei  Aelian.  v.  h.  X,  13,  beweist,  daß  er  sich  nicht  anders 
behandelte  als  die  anderen,  und  die  einstimmige  Überlieferung  weiß 
nichts  von  einer  Rücksicht,  die  er  auf  seine  frühere  Braut  ge- 
nommen hätte;  solche  Gefühle  lagen  ihm  fern.  Die  Betrachtung  der 
Kunst  des  Archilochos  in  Sprache  und  Versmaß,  in  Komposition  und 
Stil  bildet  den  Inhalt  des  letzten  Kapitels  der  Hau vett eschen 
Schrift. 

Als  neue  Fragmente  weist  Fr.  Blaß,  Hermes  83,  S.  656, 
nach  Di  eis  dem  Archilochos  die  verstümmelten  Überrest«  in 
Flinders-Petrie  pap.  ed.  Mahaffy  I,  tab.  IV,  2  zu.  Im  Rhein. 
Mus.  1900,  S.  102,  veröffentlicht  er  Nachträge  dazu,  welche  die 
frühere  Lesung  berichtigen,  aber  immer  noch  kein  Verständnis  er- 
möglichen; soviel  steht  indes  nach  der  neuen  Vergleichung  fest,  daß 
col.  II,  3,  zl  f&p  u>  [c  .  .  .  mit  fr.  71  nicht  identisch  ist,  da  die 
Buchstabengruppe,  aus  der  bisher  nur  v  bekannt  war,  etvr,  heißt. 
Col.  II,  8,  steht  twv  xatvwv,  das  also  auch  außerhalb  des  Attischen 
gebraucht  wurde,  vgl.  auch  Bakch.  18,  9. 

Vollständiger  sind  zwei  andere  Funde  erhalten,  die 

R.  R  eitzenstein,  Zw  ei  neue  Fragmente  der  Epoden 
des  Archilochos.  Mit  einer  Tafel.  Sitzungsber.  der  K.  Preuß. 
Akad.  d.  Wiss.  1899,  S.  857  f.  und 

F.  Hiller  v.  Gärtringen,  Archilochos-Inschrift 
aus  Paros.  Mit  drei  Tafeln.  Mitteil.  d.  K.  Deutsch.  Archäol. 
Inst.  att.  Abt.  1900,  S.  1  f.  und  dazu  als  Nachtrag:  Archilochos- 
Denkmal  aus  Paros.  Sitzungsber.  d.  K.  Preuß.  Akad.  d. 
Wiss.  1904,  S.  1236  f., 

machten,  der  erstere  auf  einem  Papyrusstreifen  der  Straßburger 
Universität  aus  dem  zweiten  Jahrhundert  v.  Chr. ,  der  letztere  auf 
einem  Denkmal  auf  Paros,  das  Sostheus  (oder  Sosthenes),  der  Sohn 
des  Prosthenes,  wahrscheinlich  im  ersten  Jahrhundert  v.  Chr.  zu 
Ehren  des  Archilochos  errichten  ließ,  wie  aus  dem  Widmungs- 
epigramm hervorgeht.  Mit  diesen  Funden  haben  sich  außer 
Jorenka  und  H  a  u  v  e  1 1  e  in  den  angeführten  Schriften  be- 
schäftigt: 

1.  A.  Gercke,  Zwei  neue  Fragmente  der  Epoden 
des  Archilochos.    Wochenschr.  f.  klass.  Philol.  1900,  S.  28  f. 


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Jahresbericht  über  die  griechischen  Lyriker.   (Sitzler.)  H9 


2.  E.  Piccolomini,  Un  frammento  nuovo  diArchi- 
locho.    Nuova  Antologia  1900,  Januar. 

3.  Fr.  Blaß,  Rhein.  Mos.  1900,  S.  102,  Anm.  1  und 
S.  341  f. 

4.  0.  Schultheß,  Zum  ersten  Straßburger  Archi- 
lochos-Fragment.    Rhein.  Mus.  1902,  S.  157  f. 

5.  A.  Hauvette,  Les  nouveauxfragmentsd'Archi- 
1  o  q  u  e  publiäs  par  Reitzenstein  et  Hiller  v.  Gärtringen.  Rev.  des 
«Stüdes  gr.  1901,  S.  71  f. 

6.  F.  Leo,  De  Horatio  et  Archilocho.  Progr. 
Göttingen  1900. 

Reitzensteins  Zuweisung  an  Archilochos  wurde  von  allen 
gebilligt  außer  von  Blaß  und  J  u  r  e  n  k  a ;  der  erstere,  der  die  links 
vom  Ende  des  ersten  bzw.  vom  Anfang  des  zweiten  Fragm.  stehenden 
Buchstaben  ftatvei  |  .  .  .  .  icaX  zu  aryiatvet  tov  BounaXov  ergänzt,  weist 
beide,  der  letztere  das  zweite  Fragm.  dem  Hipponax  zu,  in  ihrer 
Meinung  noch  dadurch  bestärkt,  daß  im  zweiten  Fragm.  ein  Hipponax 
genannt  ist.    Da  von  diesem  Dichter  aber  keine  Epoden  bekannt 
sind ,  so  wird  die  Ergänzung  unrichtig  und  der  erwähnte  Hipponax 
nicht  der  Dichter  sein,  vgl.  auch  R.  Reitzenstein,  Hermes  1900, 
S.  621,  Anm.  2.    Gercke  möchte  beide  Fragm.  einem  Gedichte 
zuweisen,  wogegen  sich  Hauvette  mit  Erfolg  wendet.    Die  Be- 
deutung des  Fundes  liegt  nicht  nur  darin,  daß  jetzt  ein  größeres 
und  charakteristisches  Bruchstück  der  Archilochischen  Epoden  vor- 
liegt, sondern  noch  mehr  darin,  daß  dieses  Bruchstück  das  Vorbild 
für  die  zehnte  Epode  des  Horaz  ist  und  uns  so  über  das  Verhältnis 
der  beiden  Dichtet  zueinander  aufklärt.    Mit  dieser  Frage  befaßte 
sich  Leo,  der  zu  dem  Ergebnis  gelangt,  daß  Horaz  die  Schärfe  des 
Archilochos  durch  die  sanftere  Tonart  der  Elegie  mildere  und  auch 
im  Versmaß  sich  manche  Änderung  gestatte.    Zum  Schluß  füge  ich 
noch  bei,  daß  im  ersten  Fragm.  V.  12  xaGt  ftd&oip'  3v  töeiv  als 
Zwischensatz  zu  fassen  ist;  V.  13  8?  jx'  ifiUrpt  schließt  sich  an 
V.  11  an. 

Die  Fragmente  der  Inschrift,  die  auch  in  der  Inscript.  Graec. 
vol.  XII,  fasc.  V,  Nr.  445,  abgedruckt  ist,  sind  weniger  gut  erhalten 
und  infolgedessen  in  ihren  Beziehungen  unklar.  In  einem  ist  von 
Verrat  und  Beraubung  der  Thrakier  die  Rede ;  aber  diese  Vergehen 
wurden,  wie  Hauvette  zeigt,  von  einer  Bande  unter  Führung  des 
Sohnes  eines  Peisistratos  verübt ,  dürfen  also  nicht  mit  H  i  1 1  e  r 
v.  Gärtringen  dem  Archilochos  zur  Last  gelegt  werden.  Daß 


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120        Jahresbericht  über  die  griechischen  Lyriker.  (Sitzler.) 

die  Kämpfe  auf  Thasos  lange  dauerten  nnd  schwer  waren,  geht  aus 
der  Inschrift  hervor.  Das  wichtigste  ist  aber,  daß  sie  ans  den  Be- 
weis dafür  liefert,  daß  die  alexandrinischen  Gelehrten  in  ihren  chrono- 
graphischen und  biographischen  Angaben  nicht  immer  auf  eigene 
Kombinationen  angewiesen  waren,  sondern  sich  auch  auf  eine  Über- 
lieferung stützen  durften,  die  freilich  mit  Legenden  und  Irrtümern 
durchsetzt  sein  konnte;  denn  wir  ersehen  aus  ihr,  daß  ein  bis  jetzt 
unbekannter  Historiker  Demeas,  den  H  i  1 1  e  r  in  die  erste  Hälfte  des 
dritten  Jahrhunderts  v.  Chr.,  Hauvette  mit  Recht  früher  ansetzt, 
das  Leben  des  Archilochos  zum  Gegenstand  seines  besonderen  Studiums 
machte  und  in  die  pansche  Chronologie  einfügte. 

Semonides. 

Die  Ausgabe  von 

P.  Malusa,   Simonide  Amorgin o.    I  frammenti  con 
proemio  e  note.    Venezia  1900, 

beruht  auf  fleißiger  und  besonnener  Benützung  dessen,  was  die  Kritik 
und  Exegese  des  Dichters  zutage  gefördert  hat,  bringt  aber  für  den 
Kenner  nichts  Neues.  Einen  Nachtrag  mit  Verbesserungen  enthält 
die  Abhandlung  des  Verfassers:  Simonidis  Cei  Carmen  85  Amorgino 
non  est  tribuendum,  Venezia  1900,  am  Schlüsse. 

Ein  neues  Gedicht  erschließt 

R.  Reitzenstein,  Das  Trostgedicht  des  Semonides. 
Philologus  57,  S.  42  f., 

indem  er  Plut.  consol.  ad  Apollonium  cap.  17:  x6  xs  rroXü  ft^itouftev 
xtX.  und  cap.  31 :  7csirai8eo|iiva>v  8'  iax\v  xxX.  unter  Vergleichung  von 
Senec.  ad  Marc,  de  consol.  21  zur  Herstellung  der  Verse:  itpoc  8v 

(sc.  t6v  otfcova)  xck  x8^1'  *i  T^  H^pt'  *ffT'  ^tea  I  ^Tf1^  ^  *t  arciT!Jl% 
ppa^otepov  er  -{£  xi  benützt ,  an  die  er  unmittelbar  fr.  3  tcoXXoc  yäp 
ajxjxiv  xxX.  anreiht,  mit  Verweisung  auf  Leonid.  Tarent.  A.  P.  VII, 
472 ;  den  Anfang  des  Gedichts  bildet  fr.  1 ,  und  auch  fr.  2  und  4 
stammen  aus  ihm,  möglicherweise  auch  Simon,  fr.  210  ß,  da  es  in 
dem  Trauerepigramm  Kallimachos  14  (W.)  berücksichtigt  ist.  Als 
Parallele  zu  diesem  Gedicht  vergleicht  er  die  Elegie  des  Archilochos 
irpoc  rieptxUa. 

Was  nun  die  von  R.  hergestellten  Verse  betrifft,  so  zeigen  sie 
kein  semonideisches  Gepräge;  man  vergleiche  nur  die  Apostrophie- 
rungen im  ersten,  den  Mangel  einer  Caesur  und  die  Schlußworte 
etfl  Tt  im  zweiten  Vers.  Doch  diese  Ausstellungen  ließen  sich  vielleicht 
durch  eine  andere  Gestaltung  der  Verse  beseitigen.    Schwerer  ins 


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Jahresbericht  über  die  griechischen  Lyriker.   (Sitzler.)  121 

-Gewicht  fällt,  daß  bei  Plntarch  gar  nichts  auf  Jamben  und  Semonides 
hinweist.  Die  Worte  xaxd  2ifi(uvf8>jv  wird  man  ohne  weiteres  mit 
denselben  Worten  cap.  11:  6  fouv  2ifiü>vt'57)<;  in  Beziehung  bringen, 
um  so  mehr,  da  die  beiden  Zitate  sich  auch  inhaltlich  nahe  stehen, 
und  daß  der  cap.  17  ausgesprochene  Gedanke  dem  Keier  nicht  fern 
liegt,  zeigt  Stob.  96,  41  und  Strabon  XV,  711.  Es  kommt  dazu, 
daß  Plutarch,  worauf  schon  Bergk  aufmerksam  gemacht  hat,  den 
Semonides  sonst  nicht  zitiert;  denn  fr.  5  gehört  sicher  dem  Lyriker 
Simonides  und  ist  vermutlich  einem  Hyporchem  entnommen,  vgl. 
fr.  29  f.  Ich  kann  also  an  das  erschlossene  Trostgedicht  des  Semonides 
nicht  glauben  und  führe  zum  Schlüsse  auch  noch  die  Bemerkung 
Bergk s  zu  fr.  196  (=  Plut.  cons.  ad  Apoll.  17)  an:  „nisi  hoc 
inter  apophthegmata  est  referendum". 

Über  das  Verhältnis  des  Semonides  zu  Euripides  spricht 
W.  Nestle,    Untersuchungen   über  die  philoso- 
phischen Quellen  des  Euripides.    Leipzig  1902.  (Ab- 
druck aus  Philologus  Ergänzungsband  VIII,  S.  629  f.). 

Beide  Dichter  stimmen  in  ihrer  Beurteilung  des  weiblichen  Geschlechts 
miteinander  tiberein,  wofür  der  Verfasser  Parallelstellen  beibringt. 

Tyrtäos. 

Beiträge  zur  Verbesserung  und  Erklärung  des  Textes  liefern 

1.  R.  Peppmüller,  Tyrtäos  fr.  4.  Berl.  phil.  Wochensch. 
1899,  Nr.  25,  S.  794  f. 

2.  G.  F.  Abbott,  On  Tyrtäus  SfißotxTjpia  2,  2.  Class. 
Rev.  1900,  S.  263. 

3.  S.  A.  Naber,  Mnemosyne  1904,  S.  357  [fr.  10,  25]. 
Während  Abbott  ohne  Erfolg  für  die  Überlieferung  iroXiijxat 

als  Apposition  zu  xoupot  iraxe*ptov  in  fr.  15,  2  eintritt,  da  itax£po>v 
nicht  ohne  Attribut  stehen  kann,  hält  Peppmüller  fr.  4,  9  f.  für 
unecht,  weil  sie  mit  Vv.  5  f.  im  Widerspruch  ständen;  ein  gefähr- 
licher Volksbeschluß  habe  nämlich  aufgehoben  werden  können.  Dieser 
Widerspruch  ist  aber  nicht  vorhanden,  wenn  man  die  Überlieferung 
&q[ioo  xe  xxX.  beibehält  und  diese  Verse  in  engen  Zusammenhang 
mit  den  vorhergehenden  bringt:  „und  so",  d.  h.  wenn  das  in  Vv.  5  f. 
Gesagte  eintritt,  „soll  der  Volksgemeinde  die  Entscheidung  zustehen". 
Damit  fällt  die  weitere  Vermutung  des  Verfassers ,  daß  fr.  3,  2  f. 
8t,  fdp  dpYop6\o$oc  xxL  sich  an  V.  8  anreihten.  Vgl.  übrigens 
auch  Busolt,  Griech.  Gesch  I2,  S.  544,  Anm.  2.  Wilamowitz 
a.  a.  O.,  S.  107  f. 


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122        Jahresbericht  über  die  griechischen  Lyriker.  (SiUler.) 

Ein  lebhafter  Meinungsaustausch  fand  unter  den  Gelehrten  über 
die  Lebenszeit  des  Tyrtäos  und  das  Alter  der  unter  seinem  Namen 
überlieferten  Gedichte  statt.    Daran  beteiligten  sich 

1.  E.  Schwartz,  Tyrtäos.    Hermes  34,  427  f. 

2.  H.  Weil,  Les  ölögies  de  Tyrtöe.  Leur  authenticite\ 
leur  ftge.  Journ.  des  Savants  1899,  S.  558  f.  [Abgedruckt  in 
fitudes  sur  l'antiquitä  grecque.  Paris  1900.]  Vgl.  auch  Acad. 
des  Inscript.  25,  VIII,  99,  S.  548. 

3.  E.  Meyer,  Forschungen  zur  alten  Geschichte. 
II.  Bd.    Halle  1899. 

4.  J.  Beloch,  Zur  Geschichte  des  Eury pontiden- 
h  aus  es.    Hermes  35,  S.  254  f. 

5.  U.  v.  Wilamowitz  -  Moellend  orff,  Die  Text- 
geschichte der  griech.  Lyriker.    Berlin  1900,  S.  96  f. 

6.  H.  Pistelli,  D e  recentio rum  studiis  in  Tyrtaeum 
collatis.  Firenze  1901.  [Estratto  dagli  Studi  italiani  di  Filol. 
class.  IX,  S.  485  f.] 

7.  H.  Grögoire,  Les  recherches  röcentes  sur  la 
question  d  e  T  y  r  1 6  e.  Bev.  de  l'inßtruction  publ.  en  Belgique  48, 
S.  309  f. 

Nachdem  Verrall  den  mißglückten  Versuch  gemacht  hatte,  auf 
Grund  von  Lykurg,  c.  Leoer.  102  den  Tyrtäos  und  seine  Gedichte 
in  den  sogen,  dritten  Messenischen  Krieg  nach  den  Perserkriegen 
zu  setzen,  vgl.  vor.  Jahresb.  Bd.  104,  S.  80  f.,  behandelt  Schwartz 
die  Frage  eingehend  nach  allen  Seiten  hin.  Die  Untersuchung  der 
Überlieferung  Uber  den  zweiten  Messenischen  Krieg  und  die  Be- 
trachtung der  Gedichte  nach  Form  und  Inhalt  führen  ihn  zu  der 
Schlußfolgerung,  daß  die  uns  als  tyrtäisch  überlieferten  Verse  in 
Athen  entstanden  seien,  und  zwar  habe  sie  ein  Athener  aus  der  Zeit 
des  Peloponnesischen  Krieges  einem  Spartiaten,  dessen  politische  und 
militärische  Stellung  er  unbestimmt  ließ,  in  den  Mund  gelegt;  Dichter 
und  Gedichte  seien  also  gefälscht. 

Diese  Ausführungen  widerlegen  Beloch,  Meyer  und  Weil, 
wie  mir  scheint,  mit  vollem  Erfolg.  Beloch  weist  darauf  hin,  daß 
mit  dem  bei  Rhianos  erwähnten  Leotychides  nicht  der  in  Sparta  von 
498—476  herrschende  Leotychides  gemeint  sei,  sondern  ein  älterer, 
der  nach  Herodot  gleichzeitig  mit  Anaxandros  war.  Damit  ist  be- 
wiesen, daß  auch  Rhianos  den  zweiten  Messenischen  Krieg  in  das 
siebente  Jahrhundert  setzte ;  denn  die  Annahme  von  W  i  1  a  m  o  w  i  t  z , 


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Jahresbericht  über  die  griechischen  Lyriker.  (Sitzler.)  123 

der  „Überarbeiter"  habe  den  von  Rhianos  gemeinten  Leotychides  II 
in  Leotychides  I  umgesetzt  und  auch  Anaxilas  und  Damagetos  durch 
neue  Fictionen  verdoppelt,  entbehrt  jeder  Grundlage  und  Glaubwürdig- 
keit; vgl.  auch  V.  Cos  tanz  i  in  Riv.  di  filol.  1904,  S.  33  f.  In 
diesem  Kriege  lebte  Tyrtäos,  wie  aus  seinen  eigenen  Worten  fr.  5,  6 
itate'ptov  j;{j.eT£pcov  irar£pec  hervorgeht,  die  man  nicht  mitSchwartz 
im  Sinne  von  „Vorfahren"  fassen  darf,  und  dichtete  die  Verse,  die 
unter  seinem  Namen  auf  uns  gekommen  sind ;  die  gegen  ihre  Echtheit 
vorgebrachten  Gründe  lassen  sich  weder  dem  Inhalt  noch  der  Form 
nach  aufrecht  erhalten.  So  urteilt  auch  Grägoire.  Daß  manche 
Verse  interpoliert  sind,  stellt  Weil  nicht  in  Abrede. 

Mit  dem  ersten  Teil  dieser  Darlegungen  ist  auch  W  i  1  a  m  o  w  i  t  z 
und  im  Anschluß  an  ihn  Pistelli  einverstanden;  aber  hinsichtlich 
der  überlieferten  Gedichte  haben  sie  eine  abweichende  Ansicht. 
Wilamo  witz  schreibt  die  Eovofifa  dem  Tyrtäos  zu;  sie  ist,  wie 
er  gegen  Schwartz  bemerkt,  Vorbild,  nicht  Nachahmung  der 
Solonschen.  Die  Verbindung  der  drei  in  fr.  5  miteinander  ver- 
einigten Fragmente  billigt  er  nicht;  ich  hahe  Jahresbericht  Bd.  75, 
S.  122,  dieselbe  Meinung  ausgesprochen.  Was  die  anderen  Gedichte 
betrifft,  so  hält  Wilamo  witz  fr.  10,  wie  es  vorliegt,  nicht  für  ein- 
heitlich; denn  nach  V.  14  reiße  jeder  Zusammenhang  ab.  Gewiß 
richtig,  und  deshalb  habe  ich  schon  vor  Jahren  den  Vorschlag  ge- 
macht, mit  den  Vv.  13 — 14  zu  beginnen,  damit  unbewußt  eine  Ver- 
mutung Wasenberghs  erneuernd.  Das  Ganze  paßt  nach  Wila- 
mo witz  allein  für  einen  schweren  Verteidigungskrieg;  ein  solcher 
war  meiner  Ansicht  nach  der  zweite  Messenische  Krieg,  in  dem  die 
Spartiaten  ihren  früher  erworbenen  Besitz  gegen  schwere  Angriffe  zu 
verteidigen  hatten.  W.  hält  das  Gedicht  für  überarbeitet;  es  stört 
ihn  sowohl  die  Allgemeinheit  der  Ermahnungen  als  auch  das  V.  18 
gebrauchte  Wort  tpikotyuxtTv.  Daß  dieses  Wort  spätes  Gepräge  zeigt, 
muß  man  dem  Verfasser  zugeben ;  aber  kann  es  nicht  ein  Verderbnis 
sein,  etwa  für  (xtj  <pei5<b  ■j'oxv,  sc.  iroietaöe,  das  im  vorhergehenden 
Verse  steht  ?  Auch  die  Mahnungen  sind  für  den  vorliegenden  Zweck 
bezeichnend,  wie  Wilamo  witz'  Bemerkung  über  den  schweren 
Verteidigungskrieg  beweist.  Wie  treffend  ist  der  Hinweis  auf  die 
Leiden  des  mit  Frau  und  Kind  von  Haus  und  Hof  Vertriebenen,  wie 
echt  spartanisch  die  an  die  vioi  gerichteten  Worte !  Ich  kann  also  ■ 
an  die  Überarbeitung  nicht  glauben;  nur  das  letzte  Distichon  erscheint 
mir  als  späterer  Zusatz, 

Fr.  1 1  betrachtet  auch  W  i  1  a  m  o  w  i  t  z  als  echt.  Wenn  er  aber 
Vv.  15 — 18  auswerfen  will,  so  kann  ich  nicht  beistimmen;  denn  man 


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124        Jahresbericht  über  die  griechischen  Lyriker.  (Sitzler.) 

vermißt  dann  die  notwendige  Ausführung  zu  V.  14:  rata'  dit6Xa»X* 
dper^  und  das  [leta^pevov  SafCeiv  vor  dem  folg.  v£xu?  xaxxef|ievoc. 
V.  16  lese  ich:  flaaa  8tj  afs/pa  ira&r,  ffyvexat  dvBpl  xaxtf,  während 
ich  V.  17  dpfakiov  beibehalte  unter  Verweisung  auf  Nitzsch  Od.  2, 
244:  „denn  kaum  zu  ertragen  ist  es  (nämlich  für  den  Fliehenden), 
wenn  einer"  usw.  Auch  die  Vv.  29 — 84  lassen  sich  nicht  mit  Weil 
und  Wilamowitz  auswerfen,  vielmehr  muß  29 — 30  beibehalten 
werden,  da  man  sonst  nach  (xtqS*  extoc  ßeX£a>v  xtX.  die  positive  An- 
gabe vermißt:  dXkd  xi?  &nüc  liav  xxX. ;  die  Interpolation  beschränkt 
sich  also  auf  Vv.  31—34.  Ebenso  möchte  ich  für  das  Schlußdistichon, 
das  die  beiden  Gelehrten  beseitigen,  eintreten,  da  es  das  Vorher- 
gehende in  passender  Weise  näher  ausführt ;  denn  zu  den  Feldsteinen 
fügt  es  die  Wurfspeere,  und  V.  38  xoiöi  Trav<5irXotai  7rXi)o(ov  fsxajisvoi 
findet  in  6it*  döirtöoc  irx<6aaovxe?  seine  Erklärung.  Von  einer  ver- 
schiedenen Aufstellung,  die  Wilamowitz  hier  im  Gegensatz  zu  den 
vorangehenden  Versen  herausliest,  hier  geschlossene  Phalanxstellung, 
vorher  mehr  Einzelkampf  hinter  dem  riesigen  Telaraonschild,  ist  also 
keine  Rede;  übrigens  kam  auch  bei  dem  Gebrauch  des  Telamon- 
schildes  schon  in  der  llias  Phalanxstellung  vor,  vgl.  Reichel, 
Horn.  Waffen  2,  S.  33  f.,  und  die  Spartaner  sollen  diesen  Schild  bis 
auf  Kleomenes  III  herab  als  nationale  Waffe  beibehalten  haben,  vgl. 
ebenda  S.  45. 

Das  zwölfte  Fragment  spricht  auch  Wilamowitz  dem  Tyrtäos 
ab.  Zunächst  vermißt  er  darin  das  eigentümlich  Spartanische;  aber 
kann  es  etwas  Spartanischeres  geben  als  die  Erhebung  der  kriegerischen 
Tüchtigkeit  über  alle  anderen  körperlichen  und  geistigen  Vorzüge 
und  die  Ehrung  des  Helden  vor  allen  anderen  Bürgern?  Sodann 
nimmt  er  am  Inhalt  Anstoß.  Er  meint,  in  Sparta  würde  man  schwer- 
lich den  Tantaliden  Pelops  den  königlichsten  Mann  genannt  haben 
und  die  im  Gedicht  vorkommende  Erwähnung  der  Phalanx,  des  runden 
Schildes  und  des  Panzers  spreche  gegen  Tyrtäos.  Was  nun  den 
Pelops  betrifft,  so  steht  er,  wie  mir  scheint,  Sparta  sehr  nahe,  da 
er  nicht  nur  der  gewaltige  Beherrscher  des  ganzen  Peloponnes  war, 
der  sein  Szepter  von  Zeus  selbst  erhalten  hatte,  sondern  auch  der 
Stammvater  der  Atriden  und  des  Herakles,  dessen  Macht  und  Reich- 
tum sprichwörtlich  war.  Von  einem  runden  Schilde  ist  im  Gedicht 
keine  Rede;  denn  fycpaXoesact  wird  auch  vom  Telamonschild  gesagt, 
und  mit  diesem  ist  auch  in  der  llias  der  Panzer  verbunden.  Ebenso 
bezeichnet  der  Ausdruck  8oajAev&i>v  dvop&v  ydlorflas  nicht  das,  was 
W.  Phalanx  nennt,  sondern  allgemein  die  Reihen  oder  Scharen,  wie 
auch  bei  Homer.    An  der  Richtigkeit  dieser  vom  Heerwesen  her- 


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J 


Jahresbericht  über  die  griechischen  Lyriker.  (Sitzler.)  125 

genommenen  Beweise  zweifelt  auch  Pistelli,  der  im  übrigen 
Wilamowitz  beistimmt.  So  bleibt  noch  die  Sprache  übrig,  an 
der  manche  rhetorische  Einwirkungen  wahrnehmen  wollen  und  die 
auch  Th.  Reinach,  Rev.  des  elud.  gr.  1901,  S.  110  f.,  verdächtig 
vorkommt,  trotz  der  gegenteiligen  Darlegungen  H.  Weils,  der  mit 
Recht  auf  das  schon  bei  Homer  so  stark  hervortretende  rhetorische 
Element  hinweist.  Ein  Vergleich  von  fr.  12  mit  Archilochos  und 
Kallinos,  Solon  und  Xenophanes  muß  jeden  Zweifel  beseitigen,  als 
ob  diese  Verse  vor  dem  Aufkommen  der  Rhetorik  nicht  hätten  ge- 
schrieben werden  können. 

Bei  diesem  Sachverhalt  kann  ich  mich  den  Folgerungen  nicht 
anschließen,  die  W  i  1  a  m  o  w  i  t  z  aus  seinen  Ausführungen  zieht,  näm- 
lich daß  das  Buch  Tyrtäos,  das  Piaton  und  Lykurg  gelesen  haben, 
sich  zum  wirklichen  Tyrtäos  wie  unser  Theognis  zum  wirklichen 
verhalten  habe;  denn  ein  Beweis  dafür  läßt  sich  aus  unseren  Frag- 
menten nicht  führen ,  und  wäre  eine  solche  Sammlung  im  vierten 
Jahrhundert  in  Athen  so  verbreitet  und  bekannt  gewesen,  wie  der 
Verfasser  will,  so  wüßten  wir  sicherlich  mehr  davon.  Ganz  unwahr- 
scheinlich ist  mir,  daß  auf  Grund  dieser  athenischen  Tyrtäos-Sammlung 
die  Sage  von  der  athenischen  Abstammung  des  Tyrtäos  entstanden  sein 
soll ;  eine  solche  Erfindung  hätte  doch  die  Ansprüche  der  Athener 
auf  die  in  Sparta  gedichteten  Lieder  nicht  rechtfertigen  und  die 
Authentizität  der  Sammlung  nicht  beglaubigen  können,  da  ja  Tyrtäos 
anerkanntermaßen  bei  den  Spartanern  lebte  und  sang. 

Hinsichtlich  der  spartanischen  Embateria  nimmt  Wilamowitz 
mit  Recht  an,  daß  sie  gesammelt  und  bekannt  waren,  daß  aber  die 
erhaltenen  den  ursprünglichen  Dialekt  nicht  mehr  zeigen.  Ich  sehe 
auch  hier  keinen  Grund  ein,  die  Überlieferung,  daß  Tyrtäos  solche 
dichtete,  zu  bezweifeln  ;  fr.  15  kann  wohl  auf  ihn  zurückgehen. 

Solon. 

Mit  der  Kritik  und  Erklärung  des  Solon  beschäftigen  sich 

1.  J.  Kraßnig,  ZurErklärung  der  in  Aristoteles' 
ÄÖTjvafcuv  iroXttefa  enthaltenen  Fragmente  Solons. 
Progr.  Mähr.-Ostrau  1898. 

2.  A.  Ludwich,  Zu  den  Solonischen  Fragmenten 
in  deriroXitefa  Äd^vafcov.  Berl.  philol.  Wochenschrift  1903, 
S.  700,  732  f.,  765. 

3.  A.  Platt,  On  a  fragment  of  Solon  [36,  1  in  äOyjv. 
tcoK.  12].    Journal  of  Philol.  1898,  S.  64  f. 


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126 


Jahresbericht  über  die  griechischen  Lyriker.  (Sitzler.) 


4.  S.  Larsen,  Eine  Solonische  Studie.  Festskrift 
til  J.  L.  üssing.  Kopenhagen  1900,  S.  168  f.  [13,  51  f.,  5,  4  f., 
36,  8  f.], 

5.  J.  J.  H(artmann).    Mnemosyne  1902,  S.  364  [11,  2]. 

6.  W.  S.  Hadley,  A  correction  in  Solon.  Class.  Rev. 
1903,  S.  209  [fr.  11,  6]. 

7.  J.  v.  Leeuwen.  Mnemosyne  1904,  S.  259f.  [fr.  13,  34]. 

8.  H.  Diels,  Onomatologisches.  Hermes  1902,  ö.  480  f. 
[fr.  20,  3]. 

9.  J.E.Hammer,  AdSolonem.  Nord.  Tidsskrift  1902  3, 
S.  47  [fr.  38—41]. 

Ich  hebe  daraus  hervor,  daß  Kraßnig  für  die  Überlieferung 
bei  Aristoteles  eintritt ,  der  er  den  Vorzug  vor  der  sonstigen  Über- 
lieferung Solonischer  Verse  zuerkennt.   Lud  wich  nimmt  fr.  27c,  4 
(Hill.-Crus.)  Kenyons  Ergänzung  tdU'  laetat  in  Schutz,  indem 
er  erklärt:   „auf  Maßvolles  richtet  euren  Hochsinn;  denn  weder 
werden  wir  zu '  leiden  haben ,  noch  wird  euch  das  andere  (das 
Maßlose)  für  angemessen  gelten".    Aber  diese  zwei  Gedanken  hätte 
Solon  kaum  mit  oute  .  .  .  ouxe  verbunden,  sondern  vielmehr  gesagt: 
„denn  dann  werden  wir  nicht  zu  leiden  haben  und  für  euch  wird 
dies  angemessen  (schön)  sein".    Ich  halte  oute  .  .  .  ouxe  für  un- 
richtig und  lese:  oö  f&p  £&*  7)jj.eTc  |  iceia^jjteö'  ou8'  6{uv  aptta  iravr* 
e'aetat :  „denn  wir  werden  nicht  mehr  gehorchen  und  euch  wird  nicht 
alles  entsprechend  (nach  Wunsch)  sein",  vgl.  4,  33.  40.    Fr.  36,  2 
vermutet  Lud  wich  5$ov'  ^faTov  I  Sr^v  te  toütcuv  xtL,  wodurch 
diese  schwierige  Stelle  auch  noch  nicht  in  Ordnung  gebracht  wird. 
Fr.  36,  21  (32  b,  3  Hill.-Crus.)  leitet  er  dvTapcc&ac  von  dvc-apajJo» 
ab:  „bis  er  den  Demos  von  der  Milchschüssel  zurückgestoßen  und 
den  Rahm  für  sich  abgeschöpft  hätte",  weder  zum  Vorhergehenden 
noch  zum  Folgenden  passend;  jedenfalls  müßte  es  statt  Demos  die 
Vornehmen  heißen,  denn  zur  Zurückdrängung  dieser  und  zur  Er- 
langung der  Herrschaft  für  sich  selbst  hätte  ein  anderer  das  Volk 
benützt   Läßt  sich  aber  dieser  Begriff  zu  dvTapdfcx?  ergänzen  ?  Diels 
hält  20,  3  AiYuaatdÖT)  für  ein  Scherzkompositum,  das  man  AtTu^araför, 
zu  schreiben  habe,  abgeleitet  von  AqucfaT^c,  die  Zugehörigkeit  zur 
Zunft  der  „hellen  Sänger  "  bezeichnend.    Die  Erklärung  ist  gewiß 
richtig;  aber  der  Ableitung  und  infolgedessen  der  Schreibung  mit  i 
subskript.  kann  ich  nicht  zustimmen,  da  ich  an  eine  Bildung  aTnj? 
von  qtöeo,  zumal  zu  Solons  Zeit,  nicht  glauben  kann.   Meiner  Meinung 
nach  ist  das  Patronymikon  unmittelbar  von  Xquc  gebildet.  Hammer 


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Jahresbericht  über  die  griechischen  Lyriker.  (Sitzler.)  127 

vergleicht  zu  fwpooq  (88,  3)  Hesych.  ■ycopouToir  aapxot  und  schließt 
daraus,  daß  «papot  =  aa'pxec  „  Fleischstücke  Ä  seien,  was  mit  dem 
Zeugnis  des  Athen.  XIV,  645  F  foopoc  frei  icXaxoövxoc  etöo?  im 
Widerspruch  steht.  Die  fr.  38—41  hält  er  nach  Form  und  Inhalt 
für  Angriffe  auf  reiche  und  verschwenderische  Leute,  wohl  solche, 
die  gegen  ihn  auftraten,  eine  Vermutung,  die  mir  sehr  beachtenswert 
scheint;  ähnlich  freilich  schon  Härtung. 

Mit  der  Sprache  Solons  beschäftigt  sich 

N.  Riedy,  Solonis  elocutio  quatenus  pendeat  ab 
exemplo  Homer i.  Accedit  index  Soloneus.  Progr.  München 
1903/4, 

der  das  Verhältnis  unseres  Dichters  zu  Homer  eingehend  untersucht, 
und  zwar  im  ersten  Teil  hinsichtlich  der  Übereinstimmungen,  im 
zweiten  Teil  hinsichtlich  der  Abweichungen;  auch  die  Frage  nach 
etwaigen  anderen  Quellen  hat  er  im  letzten  Kapitel  gestellt  und  mit 
Recht  auf  Hesiod  als  solche  hingewiesen,  mit  Unrecht  auf  Tyrtäos, 
der,  sprachlich  von  denselben  Dichtern  wie  Solon  abhängig,  höchstens 
in  der  Anregung  zur  Euvojita  für  diesen  in  Betracht  kommt.  Unter 
den  Ergebnissen,  welche  die  Untersuchung  liefert,  ist  der  Nachweis, 
daß  sich  in  dem  Verhältnis  Solons  zu  Homer  ein  Unterschied  zwischen 
den  früheren  und  späteren  Gedichten  nicht  feststellen  läßt,  und  daß 
die  Solonschen  Anklänge  die  Ilias  und  Odyssee  in  ihrem  ganzen  Um- 
fange voraussetzen,  am  wichtigsten;  dagegen  scheinen  mir  die  an- 
geführten Stellen  nicht  zu  genügen,  um  zu  beweisen,  daß  der  Hymnus 
auf  Demeter  vor  Solon  abgefaßt  sei.  Der  am  Schluß  beigegebene 
index  Soloneus  erhöht  noch  den  Wert  der  fleißigen  Arbeit 

Ein  anschauliches  Bild  der  dichterischen  Tätigkeit 
Solons  entwirft 

R.  Peppmüller,  Solons  Gedichte.  Progr.  Stralsund 
1904, 

indem  er  uns  den  Dichter  zuerst  in  seiner  politischen  Wirksamkeit, 
dann  in  seinem  Fühlen  und  Denken  als  Menschen  vorführt,  beides 
dargelegt  an  seinen  Gedichten,  die  der  Verfasser  in  wohlklingenden 
deutschen  Versen  wiedergibt. 

Vom  Gesichtspunkt  der  Moral  und  Sittlichkeit  aus  untersucht 

M.  Croiset,  La  morale  et  la  cite"  dans  les  poe'sies 
de  Solon.    Acad.  des  Inscript.  1903,  S.  581  f., 

die  Dichtungen  des  Solon,  in  denen  er  noch  den  Fortschritt  wahr- 
nehmen zu  können  glaubt,  den  das  Leben  der  Großstadt  auf  die 
Entwicklung  besonders  des  Gerechtigkeitsbegriffes  ausgeübt 


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128         Jahresbericht  über  die  griechischen  Lyriker.  (Sitzler.) 

habe;  im  13.  Fr.  nämlich,  das  er  für  eines  der  ersten  Gedichte 
Solons,  also  für  den  Beweis  seiner  frühesten  Anschaanng  hält,  werde 
die  Gerechtigkeit  noch  von  einem  ganz  individuellen  und  privaten 
Gesichtspunkt  aus  behandelt  und  regle  nur  die  Beziehungen  zwischen 
Privatleuten,  ohne  die  Gesellschaft  im  ganzen  zu  interessieren,  während 
in  dem  Gedicht  'ABijv.  tcoX.  5  der  erste  Appell  an  eine  soziale 
Gerechtigkeit  erscheine,  der  dann  in  der  Euvopla  noch  deutlicher 
zum  Ausdruck  komme;  dies  sei  die  Folge  der  sozialen  Entwicklung 
der  Verhältnisse,  die  ihn  zu  der  Einsicht  geführt  habe,  daß  die  Dike 
allein  einen  dauernden  Zustand  schaffen  könne,  und  daher  zu  dem 
festen  Entschlüsse,  zwischen  den  Ständen  auszugleichen.  Daß  die 
sozialen  Zustände  seiner  Vaterstadt  Solon  zu  seiner  Gesetzgebung 
veranlaßten,  und  daß  er  dieser  seine  Begriffe  von  sozialer  Gerechtig- 
keit zugrunde  legte,  ist  bekannt  und  natürlich ;  das  tut  jeder  Gesetz- 
geber. In  seinen  Gedichten  läßt  sich  aber  eine  solche  Entwicklung 
des  Gerechtigkeitsbegriffs,  wie  der  Verfasser  sie  darlegt,  nicht  nach- 
weisen. Das  13.  Gedicht,  das  er  an  den  Anfang  der  poetischen 
Tätigkeit  Solons  setzt,  wird  allgemein  und  mit  guten  Gründen  an 
das  Ende  derselben  gelegt,  und  der  Begriff  der  oixrj  in  ihm  und  der 
Eüvojita  ist  der  gleiche,  das  den  Menschen  von  der  Gottheit  gesetzte 
Recht,  das  einzelne  aus  Übermut  durch  ungerechte  Handlungen  über- 
treten, um  sich  zu  bereichern;  von  der  Verletzung  des  Rechts  eines 
Standes  durch  einen  anderen  im  allgemeinen  ist  auch  in  der  E6vo|ita 
nicht  die  Rede.  Wohl  aber  spricht  Solon  wiederholt  davon,  welchen 
Schutz  seine  Gesetze  dem  Volk  und  den  Vornehmen  gewähren. 

Das    Verhältnis    zwischen    Solon    und  Euripides 
bespricht 

W.  Nestle,  Untersuchungen  über  die  philosophi- 
schen Quellen  des  Euripides.    Leipzig  1902. 

Er  vergleicht  fr.  29  mit  Herakl.  1346,  fr.  13,  25  f.  mit  Bakch.  1348.  ' 
Hippol.  120,  fr.  13,  55  f.  mit  fr.  3—7.    Hik.  238  f.    Orest.  917  f., 
fr.  13,  7  und  71  f.  (vgl.  Theogn.  145  f.,  718  f.)  mit  Hei.  903  f. 
Phoen.  555.    Erechth.  fr.  362,  11  f. 

K  leobulina. 

U.  v.  Wilamowitz,  Hermes  1898,  S.  219,  liest  in  dem  ZusaU 
zu  fr.  2  richtig  sv  TtoXa  xaGta  st.  ira'Xai  taGto  und  versteht  das 
Rätsel  von  dem  Ringkampf.  Was  die  Dichterin  selbst  betrifft,  so 
wiederholt  er  die  Vermutung  Hartungs,  Griech.  Lyriker  VI,  S.  115, 
daß  sie  aus  Kratinos'  KXeoßooXtvoi  stamme,  der  sie  mit  Anlehnung 


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Jahresbericht  über  die  griechischen  Lyriker.   (Sitzler.)  129 

an  den  Namen  Kleobulos  erfunden  habe;  im  vierten  Jahrhundert  sei 
sie  dann  in  die  Novelle  von  den  „"Sieben"  eingeführt  worden.  Dem- 
nach nimmt  er  nachträgliche  Einführung  der  Kleobulina  in  die  Novelle 
an,  die  früher,  nach  0.  Crusius,  Anthol.  lyr.  S.  XX,  in  der  Zeit 
zwischen  Solon  und  Herodot,  entstanden  ist.  Ich  halte  dies  für 
unwahrscheinlich,  für  ebenso  unwahrscheinlich  aber  auch  die  Er- 
findung der  Dichterin  durch  Kratinos;  denn  wie  die  'Oöuaffijc  des- 
selben Dichters  einen  Odysseus,  die  Xei'ptovec  einen  Cheiron,  die 
'ApyiXoxot  einen  Archilochos,  so  scheinen  mir  auch  die  KXeoßouXTvat 
eine  Kleobuline  vorauszusetzen,  und  daß  ich  bis  jetzt  keinen  Grund 
einsehe,  dieser  die  historische  Persönlichkeit  abzusprechen,  habe  ich 
im  vor.  Jahresb.  Bd.  104,  S.  86,  dargelegt. 

Pseudophocylidca. 

J.  N  i  c  o  1  e  teilt  in  dem  Album  gratulatoriuminhonorem 
H.  v.  Her  werden,  Utrecht  1902  mit,  daß  er  in  einer  jungen 
Genfer  Hs.  Auszüge  aus  den  Pseudophocylidea  entdeckt  habe;  es 
seien  drei  Gruppen,  und  vor  der  ersten  stehe  der  Name  Phokylides, 
vor  der  zweiten  aber  ITpoxXo?  Me^apeuc  6  irotr,T^  und  vor  der  dritten 
'Hpcooiavou  p^topoc,  Namen,  die  er  an  diesen  Stellen  nicht  erklären 
könne.    Sonst  bieten  die  Auszüge  nichts  Bemerkenswertes. 

Mit  der  hs.  Überlieferung  der  Pseudophocylidea  beschäftigt  sich 
A.  Ludwich,  Über  das  Spruchbuch  des  falschen 
Phokylides.    Ind.  lect.  Königsberg  1904  und  Quaestionum 
Pseudophocylidearum  pars  altera.    Progr.  Königsberg 
1904  [Fortsetzung  der  zuerst  genannten  Schrift]. 

Auf  Grund  einer  eingehenden  Prüfung  kommt  der  Verfasser  zu 
dem  Ergebnis,  daß  der  Vindobonensis  V  bei  weitem  die  lauterste 
und  beste  Quelle  der  Pseudophocylidea  darstelle;  in  zweiter  Linie 
komme  OP  (LF),  in  dritter  MB  (fP2'H),  in  vierter  L!L21YXJ 
(TWAM*b),  die  unzuverlässigste  und  schlechteste  Quelle  aber  sei 
jedoch  seien  bei  der  Feststellung  des  Textes  auch  die  schlechteren 
und  schlechtesten  Hs.  nicht  ganz  zu  entbehren.  Daß  bei  der  Unter- 
suchung auch  manches  für  die  Kritik  und  Erklärung  des  Gedichts 
abfällt,  braucht  kaum  besonders  erwähnt  zu  werden.  Zum  Schluß 
kommt  der  Verfasser  auch  auf  die  Anordnung  der  Sprüche  und  die 
Konfession  des  Dichters  zu  sprechen;  von  einer  logischen  Gliederung 
des  Ganzen  findet  er  ebensowenig  eine  Spur,  wie  von  der  Zugehörig- 
keit des  Verfassers  zum  Judentum  oder  Christentum ;  was  auf  letzteres 
hinweist,  ist  von  W  durch  Interpolation  hereingebracht.  Der  Dichter 

Jahresbericht  für  Altertumswissenschaft.    Bd.  CXXXIll.    (1907-   I.)  9 


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130         Jahresbericht  über  die  griechischen  Lyriker.  (Sitzler.) 

war  ohne  Zweifel  ein  heidnischer  Grieche,  dessen  polytheistische 
Anschauung  in  seinen  Versen  zum  Ausdruck  kommt. 

Zum  Schlüsse  nenne  ich  noch 

K.  F.  A.  Lincke,  Samaria  und  seine  Propheten. 
Ein  religionsgeschichtlicher  Versuch.  Mit  einer  Textbeilage:  Die 
Weisheitslehre  des  Phokylides,  griechisch  und  deutsch.  Tübingen 
1903. 

Xenophanes. 

Die  Metrik  des  Xenophanes  behandelt 

Jacobs,  De  Xenophanis  arte  metrica.  Progr. 
Schneidemühl  1904. 

Nachdem  er  die  Fragmente  nach  der  Ausgabe  von  H.  Di  eis  mit- 
geteilt hat,  untersucht  er  in  Kap.  1 — III  den  daktylischen  Hexameter, 
der,  wie  er  findet,  dem  in  der  Odyssee  nahe  steht  und  von  dem  der 
Alexandriner  weit  abweicht.  Mit  Kap.  IV  geht  er  dann  zum  Distichon 
über,  dessen  Cäsuren  in  Kap.  V  und  VI  besprochen  werden;  die 
trochäische  steht  bei  Xenophanes  der  männlichen  nach,  und  Drei- 
teilung ist  unserem  Dichter  eigentümlich.  In  Kap.  VII  und  VIII 
wird  das  Verhältnis  von  Daktylus  und  Spondeus  im  Hexameter  und 
Pentameter  dargelegt,  und  Kap.  IX  ist  der  Betrachtung  des  Hiatus 
gewidmet,  ohne  daß  neue  Ergebnisse  zutage  gefördert  werden. 

Die  Frage,  ob  unser  Dichter  zu  den  Sillographen  gehört,  wirft 

G.  Voghera,  Senofane  e  i  cinici  autori  di  Silloi. 
Contributo  alla  storia  della  poesia  sillografica.  Studi  ital.  di  filol. 
class.  1908,  S.  1  f., 

von  neuem  auf  und  verneint  sie,  da  die  zwei  Merkmale  der  Sillen, 
Spott  und  homerische  Parodie,  in  den  zu  den  Sillen  gerechneten 
Versen  fehlten;  als  Sillographen  nenne  ihn  die  Überlieferung  nur 
infolge  eines  Mißverständnisses,  weil  er  nämlich  im  zweiten  und 
dritten  Buch  der  Sillen  des  Timon  als  Sprecher  eingeführt  sei.  Aber 
warum  hat  ihm  denn  Timon  wohl  diese  Holle  übertragen  ?  Vermutlich 
weil  er  sein  Vorgänger  in  dieser  Art  von  Poesie  war.  Wenn  der 
Verfasser  den  Charakter  der  Sillen  in  den  vorhandenen  Fragmenten 
des  Xenophanes  vermißt,  so  darf  man  nicht  vergessen,  daß  nur  kurze 
Bruchstücke  auf  uns  gekommen  sind,  die  nicht  genügen,  das  Wesen 
dieser  Gedichte  des  Kolophoniers  vollständig  klar  zu  machen.  Auch 
haben  sie,  worauf  schon  C.  Wachsmuth  hinweist,  offenbar  bei  ihm 
noch  nicht  den  Titel  2(k\oi  getragen,  ja  überhaupt  keinen  besonderen 
Titel ,  weshalb  sie  auch  von  andereu  "Ictfißot  und  riapmou«  genannt 


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Jahresbericht  über  die  griechischen  Lyriker.  (Sitzler.)  131 

wurden.  Daher  hätte  H.  D  i  e  1  s  die  Überschrift  FlaptpStai  über  fr.  22 
weglassen  und  die  Konjektur  Tiap^ör^a;  ta  'O^poo  nicht  erwähnen 
sollen.  Die  von  F.  P  a  u  1  ausgesprochene,  von  dem  Verfasser  wieder- 
holte Meinung,  diese  Verspottungen  seien  da  und  dort  in  den 
Dichtungen  des  Xenophanes  zerstreut  vorgekommen,  wird  schon  da- 
durch widerlegt,  daß  sie  mit  einem  besonderen  Titel,  sei  es  nun 
Kk'Koij  naptpäfat  oder  "Iajxßoi,  bezeichnet  werden;  sie  müssen  also 
eine  besondere  Gruppe  für  sich  gebildet  haben. 

T  h  e  o  g  n  i  s. 

Mit  der  hs.  Überlieferung  der  Theognidea  beschäftigt  sich 

T.  H.  Williams.  A  note  on  theMutinensisMs.  of 
Theognis.    Class.  Rev.  1903,  S.  285  f., 

der  die  bis  jetzt  vorliegenden  Vergleichungen  des  A  für  noch  nicht 
genügend  hält.  Was  er  aber  zum  Beweise  dafür  vorbringt,  ist  nicht 
geeignet,  große  Hoffnung  auf  Gewinn  zu  erregen;  denn  sowohl  V.  104 
als  auch  V.  111  bringen,  mit  PLGr.  Bergk4  verglichen,  uns  keine 
neue  Kenntnis,  abgesehen  davon,  daß  die  ursprüngliche  Lesart  in  A 
xo'3  pi^a  doovai  Hkot  verdorben  ist. 

Die  Theognisfrage  behandeln  von  neuem 

1.  J.  Heinemann,  Theognidea.  Hermes  1899,  S.  590  f. 
(Vgl.  dazu  auch  Die  Elegiensammlung  des  Theognis  und 
ihre  Entstehung.  Ber.  des  Freien  Deutschen  Hochstifts  zu 
Frankfurt  a.  M.,  N.F.  XV); 

2.  F.  Wendorff,  Ex  usu  convivali  Theognideam 
syllogen  fluxisse  demonstratur.    Diss.  Berlin  1902; 

3.  E.  Harrison,  Studies  in  Theognis,  together 
with  a  text  of  tue  Poems.    London  1902; 

4.  T.  H.  Williams,  Theognis  and  Iiis  poeras.  Journal 
of  Hell.  Studies  1903,  S.  1  f., 

nur  daß  E.  Harrison  auf  S.  18  —  84  noch  den  Text  der  Gedichte 
beifügt  samt  den  in  den  Hs.  sich  findenden  Wiederholungen,  was 
man  nur  billigen  kann,  jedoch  ohne  Benützung  der  Abschrift  von  O 
durch  W.  Studeraund,  worüber  man  sich  wundern  muß.  Neues 
von  Belang  wird  dabei  nirgends  geboten. 

In  der  Behandlung  der  Theognisfrage  ist  besonders  Harrison 
sehr  breit,  selbst  da,  wo  er  nichts  Neues  zu  sagen  hat.  Ich  will 
mich  bei  der  Berichterstattung  auf  das  beschränken,  was  entweder 
neu  ist  oder  der  endgültigen  Entscheidung  näher  gebracht  wird. 

9* 


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132         Jahresbericht  über  die  griechischen  Lyriker.  (Sitzler.) 

Daher  erwähne  ich  nur  kurz ,  daß  H  a  r  r  i  s  o  n  und  Williams  an 
dem  nisäischcn  Megara  als  Heimat  des  Dichters  festhalten,  während 
Wendorff  im  Anschluß  an  Bei  och  für  das  sizilische  eintritt,  daß 
Wendorff  und  Williams  hinsichtlich  der  Lebenszeit  bei  der 
Überlieferung  stehen  bleiben,  während  Harri son  das  Leben  des 
Theognis  bis  zum  Jahre  480  v.  Chr.  sich  erstrecken  läßt,  und  daß 
auch  K.  Joel,  Der  echte  und  der  xenoph onti sehe  Sokrates. 
Berlin  1901,  Bd.  II,  Teil  1,  S.  849,  die  bei  Stobäus  genannte  Schrift 
des  Xenophon  über  Theognis  dem  Antisthenes  zuschreibt;  jedoch 
hätte  Williams  die  V.  773  f.  nicht  mit  Kyros'  Angriffen  auf  die 
asiatischen  Griechen  in  Verbindung  bringen  sollen,  vgl.  auch  E.  Meyer, 
Geschichte  des  Altertums  Bd.  III,  erste  Hälfte,  S.  368. 

Allein  unter  allen  Theognis-Forschern  steht  Harri  son,  der  die 
Ansicht  vertritt,  daß  der  Dichter  alle  oder  doch  nahezu  alle  Verse 
geschrieben  habe,  die  unter  seinem  Namen  vorhanden  seien.  Da 
sich  nun  aber  in  unserer  Sammlung  unleugbar  viel  fremdes  Eigentum 
findet,  Wiederholungen  früherer  Verse  an  späteren  Stellen  nicht  selten 
sind  und  öfters  auch  Verse  vorkommen,  die  im  Gegensatz  zu  den 
vorhergehenden  stehen  oder  überhaupt  irgendein  Urteil  über  sie  ab- 
geben, so  schreibt  er  auch  alle  diese  Verse  dem  Theognis  zu,  der 
sie  den  Werken  älterer  Dichter  oder  auch  seinem  eigenen  entnommen 
habe,  um  sie  an  passender  Stelle  zu  verwenden  oder  wieder  zu  ver- 
wenden, teils  unverändert,  teils  mehr  oder  weniger  abgeändert,  dem 
neuen  Zusammenhang  entsprechend.  Um  die  Berechtigung  dieses 
Vorgebens  darzutun,  beruft  er  sich  auf  das  bekannte  Gedicht  des 
Solon  an  Mimnermos  (20).  das  doch  ganz  anderer  Art  ist,  sowie  auf 
Clem.  Alex,  ström.  IV  p.  740,  wo  gesagt  wird,  daß  Theognis  die 
V.  153 — 154  aus  Solonischen  abgeändert  habe,  eine  Stelle,  die  ihn 
hätte  darauf  hinweisen  können,  daß  die  von  ihm  vorausgesetzte  Be- 
nützung anderer  Dichter  durch  Theognis  den  alten  Schriftstellern 
sicherlich  nicht  entgangen  wäre.  Ja,  auch  die  Verse  769  f.  will  er 
für  sich  verwerten,  indem  er  iroieTv  von  den  Gedichten  versteht,  die 
wenig  oder  nichts  von  älteren  Dichtern  entlehnten,  fi&a&ai  und 
Öeixvuvat  dagegen  von  denen,  in  denen  ältere  Vorlagen  zur  Ver- 
wendung kamen,  und  zwar  soll  p&oftai  auf  die  Anpassung  an  den 
neuen  Zusammenhang,  8etxv6vat  auf  die  Klarlegung  des  Gedankens 
gehen.  Aber  trotz  alledem  muß  er  zugestehen,  daß  das  lange  Gedicht 
903  f.  ein  späterer  Zusatz  ist,  und  damit  selbst  seiner  Hypothese 
das  Urteil  sprechen;  denn  die  zweifellose  Einschiebung  eines  so 
umfangreichen  Gedichts  macht  auch  die  Einschiebung  der  unter  fremden 
Namen  überlieferten  Gedichte  der  Sammlung  zweifellos,  und  damit 


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Jahresbericht  über  die  griechischen  Lyriker.   (Sitzler.)  133 

anch  die  vieler  anderen  Verse  wahrscheinlich.  So  kann  auch  fortan 
kein  Gedicht  der  Sammlung  ohne  Beweis  für  theognideisch  angesehen 
werden.  Nicht  glücklicher  ist  Harrison  mit  seiner  Beurteilung 
der  Gedichte,  die  er  alle  für  vollständig  hält,  abgesehen  von  fünf, 
nämlich  563—6,  857—60,  895—6,  971-2  und  1063-8.  Die 
Sammlung  ist  nach  ihm  nicht  für  Schulzwecke  bestimmt,  und  die 
a^pr^tc  besteht  in  der  Nennung  des  Namens  Theognis.  Vgl.  auch, 
was  Williams  am  Schlüsse  seines  Aufsatzes  gegen  Harrison 
ausführt. 

Daß  die  auf  uns  gekommene  Sammlung  nicht  der  ursprüngliche 
Theognis  ist,  darüber  kann  kein  Zweifel  herrschen;  die  Frage  ist 
nur,  wie  man  sich  die  Entstehung  dieser  Sammlung  zu  denken  hat. 
Wendorff  nimmt  an,  daß  sie  sich  aus  der  ursprünglichen  durch 
Auslassungen,  Zusätze  und  Umgestaltungen  jeder  Art  allmählich  heraus- 
gebildet habe,  und  auch  ich  teilte  früher  diese  Ansicht,  nur  daß 
ich  die  Veränderung  aus  dem  Gebrauche  des  Theognis  beim  Unter- 
richt herleitete,  während  sie  Wendorff  der  Verwendung  des  Buches 
beim  Gelage  zuschreibt,  da  er  mit  lt.  Keitzenstein  der  Meinung 
ist .  daß  nicht  nur  unsere  Sammlung ,  sondern  auch  das  echte  Buch 
von  Theognis  selbst  für  Gelagezwecke  bestimmt  gewesen  sei,  vgl. 
darüber  den  Jahresber.  Bd.  92,  S.  21  f.  Diese  Ansicht  über  die 
Entstehung  unserer  Theognis-Samralung  läßt  sich  aber  nicht  aufrecht 
erhalten ;  denn  sie  erklärt  weder  die  Form ,  in  der  die  in  der 
Sammlung  wiederholten  Verse  überliefert  werden,  noch  die  Stelle, 
die  sie  darin  einnehmen.  Die  wiederholten  Verse,  im  ganzen  48, 
stimmen  nämlich  im  Wortlaut  mit  den  ursprünglichen  nicht  überein, 
sondern  weichen  von  ihnen  zum  Teil  erheblich  ab,  ohne  daß  sich 
ein  Grund  für  die  Abänderung  erkennen  läßt;  außerdem  finden  sich 
42  davon  in  den  letzten  200  Versen  der  Sammlung,  während  auf 
den  vorhergehenden  Teil  nur  sechs  kommen;  endlich  ist  zwar  die 
Wiederholung  dieser  sechs  Verse  im  Zusammenhang  der  betreffenden 
Stellen  begründet,  nicht  aber  die  der  meisten  jener  42  Verse.  Diese 
Tatsachen  machen,  wie  mir  jetzt  scheint,  die  Annahme  einer  zweiten 
Sammlung  nötig,  die  teilweise  dieselben  Verse  wie  die  erste,  aber 
in  verschiedener  Rezension  enthielt.  Beide  wurden  dann  zu  einer 
Sammlung  vereinigt,  und  der  Überschüssige  Rest  der  zweiten  wurde 
als  Schluß  der  neuen  Sammlung  angehängt.  Nach  diesem  Schluß 
zu  urteilen,  war  die  zweite  Sammlung  nach  Form  und  Inhalt  von 
der  ersten  sehr  verschieden;  der  Wortlaut  war  mehr  oder  weniger 
stark  geändert,  manche  Stücke  völlig  umgearbeitet,  neue  Distichen 
nach  dem  Muster  alter  und  unter  Benützung  vorhandener  Verse  bei- 


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134         Jahresbericht  über  die  griechischen  Lyriker.  (Sitzler.) 

gefügt,  wie  z.  B.  1039—40  und  1069—70,  1153—4  und  1155—6, 
1095 — 6  und  1160  ab,  1105  und  1164g,  Wein,  Liebe,  besonders 
auch  Knabenliebe  waren  darin  verherrlicht.  Man  darf  daher  an- 
nehmen, daß  die  in  diese  Gebiete  einschlagenden  Verse  des  voraus- 
liegenden Teils  unserer  Sammlung  ebenfalls  aus  der  zweiten  Sammlung 
stammen,  besonders  auch  237  f.  Aber  ich  glaube,  man  darf  noch 
weiter  gehen  und  die  Vermutung  aussprechen ,  daß  die  Sammlung 
iXr^euüv  ß  aus  dieser  zweiten  Sammlung  ausgezogen  ist;  denn  es 
finden  sich  darin  vier  Disticha  (1151—2  nach  1238,  1101 — 2  und 
949-50  nach  1278  und  1107 — 8  nach  1318),  die  mit  solchen  der 
zweiten  Sammlung  wörtlich  übereinstimmen ;  die  Abweichung  in  1 108 
kann  nämlich  kaum  in  Betracht  kommen. 

Die  Entstehung  unserer  Sammlung  aus  zwei  Sammlungen  nimmt 
auch  Williams  an,  der  gegen  das  Stichwort-Prinzip  vielleicht  zu 
stark  zu  Felde  zieht ;  denn  ganz  ableugnen  läßt  sich  seine  Anwendung 
ja  doch  nicht.  Er  glaubt,  daß  die  V.  1 — 254  eine  kleine  Sammlung 
für  sich  sind,  womit  freilich  für  die  Erklärung  der  ganzen  Sammlung 
nichts  gewonnen  ist  Tiefer  geht  Heinemann,  der  auf  Grund  ein- 
gehender Würdigung  der  Wiederholungen  zwei  heterogene  Bestandteile 
unserer  Sammlung  annimmt,  nämlich  die  in  Originalversen  mitgeteilten 
Gedichte  des  Theognis  und  eine  Bearbeitung  ausgewählter  Distichen 
der  verschiedensten  Elegiker,  Theognis  mit  inbegriffen,  für  alle  Freunde 
vaterländischer  Dichtung  zusammengestellt.  Diese  letztere  leidet  nach 
ihm  an  groben  Fehlem,  die  er  der  zeitweiligen  mündlichen  Über- 
lieferung der  in  ihr  zusammengefaßten  Gedichte  zuschreibt.  Noch 
weniger  als  die  mündliche  Fortpflanzung  wird  man  die  Vermutung 
billigen,  daß  der  Redaktor,  der  die  zwei  Bücher  unter  dem  Namen 
Theognis  verband ,  die  verschiedenen  Versionen  der  wiederholten 
Verse  stets  durch  Zwischenräume  von  mindestens  100  Versen  von- 
einander trennte,  damit  nicht  gleich  jedermann  beim  ersten  Durchlesen 
die  Blöße  seines  Werkes  ins  Auge  falle;  denn  diesen  Zweck  hätte 
er  doch  durch  einfaches  Weglassen  der  Wiederholungen  viel  sicherer 
erreicht.  Die  Entstehungszeit  der  Sammlung  setzt  Heine  mann 
zwischen  Aristoteles  und  Stobäus.  Wilamowitz,  Textgeschichte 
der  griech.  Lyriker,  S.  58  f.,  sagt,  daß  unser  Theognis  „nichts  anderes 
sei  als  zunächst  das  mannigfach  vermehrte  und  veränderte  Buch  des 
Theognis  von  Megara,  das  Piaton  und  Xenophon  gekannt  haben,  ein 
Buch,  das  doch  auch  nicht  der  Dichter  selbst  geordnet  hatte  — 
verträgt  sich  dies  mit  V.  19  f.?  — ,  sondern  eine  Sammlung,  wie  sie 
die  Grundlagen  für  die  Ausgaben  des  Anakreon  oder  Alkaios  ge- 
wesen <ein  werden;  dann  ein  anderes  Buch  ähnlicher  Art,  vieler 


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Jahresbericht  über  die  griechischen  Lyriker.  (Sitzler.)  135 

Dichter,  auch  des  Theognis,  Sprüche  umfassend,  oft  zu  moralischem 
Zwecke  umgeformt,  darunter  Erzeugnisse  der  Sophistenzeit,  endlich 
die  reizvolle  (?)  jxooaa  iraiSix^  des  zweiten  Buches,  Trinksprüche, 
die  so  recht  dem  Leben  des  frühen  fünften  Jahrhunderts  entsprechen", 
ein  aus  diesen  disparaten  Stücken  zusammengewachsenes  o^^vr^a, 
das  einem  Athener  des  vierten  Jahrhunderts  die  rezitative  Poesie 
lieferte,  die  er  beim  Weine  brauchte,  zur  Begleitung  der  Flöten- 
spielerin. 

Kritische  und  exegetische  Beiträge  liefern 

1.  J.  L.,  Quelques  corrections  au  texte  de  Theogni  s. 
Rev.  de  Piniol.  1901,  S.  45  f.  [V.  310  f.,  359,  729,  846,  903, 
1032,  1194].; 

2.  H.  Röhl,  Zu  griechischen  Texten.  Progr.  Halber- 
stadt 1908.    [S.  16:  V.  118,  1063]; 

3.  R.  El  Iis  in  Proceedings  of  the  Oxford  Philol.  Society 
1004,  25.  Febr.    [V.  894,  897  f.,  1085]; 

4.  R.  C.  Kukula,  Theognidea.  Wiener  Studien  1904, 
S.  338  f.    [V.  729  f.,  1259  f.]; 

jedoch  ist  der  wirkliche  Ertrag  gering.  Ich  erwähne  846,  wo  J.  L. 
su  0£usvott  Zh  xaxföv  xstjxsvov,  sc.  avöpct.  vorschlägt,  1194,  wo  er 
cuvov  7',  zl  dxfojpov  xtX.  liest  unter  Verweis  auf  Parmenides  fr.  14 
(Mull.):  covov  8£  (xot  laxtv,  b-nittbzv  opccojiat,  und  1260,  wo  Kukula 
d-voituv  Torheiten,  Fehler"  st.  ct7v<o}i<ov  vermutet,  indem  er  bemerkt: 
„Das  Bild  ist  zweifellos  vom  Agon  entlehnt;  aber  an  Stelle  des 
, Tugendkranzes4  ist  ein  ,Kranz  der  Untugenden4  getreten." 

Die  Verwendung  des  Theognis  im  Unterricht  bespricht 

G.  S.  Castagnola,  Un  poeta  gnomico  nella  tradi- 
zione  educativa.    Catania  1899, 

ohne  jedoch  auf  die  Theognis-Frage  einzugehen.  Das  erste  Kapitel 
behandelt  die  Erziehung  bei  den  Griechen,  die  einen  den  praktischen 
Zwecken  angepaßten  Auszug  aus  dem  echten  Theognis  gebrauchten, 
der  infolge  der  Aufnahme  von  Versen  anderer  Dichter  zu  einer 
Anthologie  griechischer  Elegiker  wurde.  Den  Einfluß  und  die  Spuren 
dieser  Sammlung  in  der  römischen  Schule  und  Erziehung  verfolgt 
das  zweite  Kapitel,  während  das  dritte  Kapitel  nachweist,  daß  Theognis 
im  Mittelalter  verschwunden  war. 

Eine  Beziehung  des  Theognis  zu  denSophisten  glaubt 

R.  Reitzenstein,  Literarhistorische  Kleinig- 
keiten.   Philologus  1898.  S.  45  f., 


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136         Jahresbericht  über  die  griechischen  Lyriker.  (Sitzler.) 


zu  entdecken.  Da  nämlich  bei  Theognis  43  f.  und  Herodot  III,  80 
die  Reihenfolge  atotoif,  ^ovo?  sy^uXos,  txovapxoc  vorkommt,  so  folgert 
er,  daß  beide  dieselbe  Quelle  benutzten,  und  auf  diese  "Quelle  gehe 
auch  die  sophistische  Schrift  irept  eovotuac,  von  der  noch  ein  Fragment 
vorhanden  sei,  zurück.  Theognis  wende  sich  ebenso  wie  der  Ver- 
fasser dieser  Schrift  gegen  einen  älteren  ionischen  Schriftsteller,  der 
nicht  lange  nach  der  Vertreibung  der  Tyrannen  durch  die  Perser 
und  der  Einführung  der  minder  verdächtigen  Demokratien  in  Ionien 
für  die  Tyrannis  eingetreten  sei.  Spricht  schon  diese  Zeitbestimmung 
gegen  die  Berücksichtigung  der  Schrift  durch  Theognis,  so  noch 
mehr  die  Tatsache,  daß  der  megarische  Dichter  die  wirklichen  Ver- 
hältnisse seiner  Vaterstadt  im  Auge  hat,  nicht  die  Bekämpfung  irgend- 
welcher theoretischen  Streitfragen,  ganz  abgesehen  davon,  daß  eine 
so  natürliche  Reihenfolge  wie  ataatc,  »ovo;  sjicpu/.o;  und  {i6vapyo% 
solche  Schlüsse  nicht  stützen  kann. 

Auf  das  Verhältnis  des  Euripides  zu  Theognis  hat 
früher  schon  F.  Hofiuger  kurz  hingewiesen,  vgl.  Jahresber.  Bd.  104, 
S.  90;  jetzt  behandelt  es  ausführlich 

W.  Nestle  (S.  o.), 
der  zeigt,  daß  außer  jenen  unbewußten  Reminiszenzen  bei  Euripides 
auch  wirkliche  Nachahmungen  vorhanden  sind.  Beide  Dichter 
heben  hervor,  wie  schwierig  es  ist,  den  Sinn  der  Menschen  zu  er- 
kennen (vgl.  Th.  119  f.,  Eur.  Med.  516  f.,  El.  550,  Her.  669  f., 
Hippol.  925  f.),  wie  oft  die  Gerechten  unglücklich,  die  Frevler  glücklich 
sind  (vgl.  Th.  743  und  Eur.  Belleroph.  fr.  286,  293,  Phrix.  fr.  832), 
wie  die  Sünden  der  Väter  sich  an  den  Kindern  rächen  (vgl.  Th.  731  f., 
Eur.  Hipp.  1329  f.),  wie  die  Menschen  nur  die  Werkzeuge  in  der 
Hand  der  Götter  sind  (vgl.  Th.  133  f.,  Eur.  Hik.  734  f.,  El.  830  f. ). 
wie  der  Umgang  den  Charakter  beeinflußt  (vgl.  Th.  31  f.  Eur. 
Androm.  683  1.,  Ägeus  fr.  7,  Bell.  fr.  296,  Pel.  609,  Phoin.  812, 
1067,  1024),  wie  hoch  die  dpsnj  über  dem  Reichtum  steht  (vgl. 
Th.  317,  Eurip.  El.  941),  da  man  sie  einem  nicht  nehmen  kann,  ja 
sie  sogar  den  Tod  überdauert  (vgl.  Th.  867,  Eur.  Temen,  fr.  867), 
wie  natürlich  der  Haß  der  Feinde  und  die  Freude  über  ihre  Be- 
siegung ist  (vgl.  Th.  327  f.,  Eur.  Her.  732  f.,  Herakl.  881  f.,  Bakch. 
877  f.),  wie  es  das  beste  sei,  nicht  geboren  zu  sein,  das  zweitbeste 
aber,  möglichst  frühe  zu  sterben  (vgl.  Th.  425  [Hes.  cert.  74  f., 
Bakch.  fr.  2,  Soph.  Öd.  Col.  1224],  Eur.  Bell.  fr.  285.  1.  908),  wie 
die  Hoffnung  den  Menschen  durch  das  Leben  hindurchhilft  (vgl. 
Th.  1135,  Eur.  Ino  fr.  408,  Hypsip.  fr.  761,  Phoin.  fr.  826).  Theognis 
und  Euripides  fühlen  sich  als  Dichter,  vgl.  Th.  789  f..  Eur.  Her.  674  f., 


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Jahresbericht  über  die  griechischen  Lyriker.  (Sitzler.) 


137 


fr.  910.  Aber  es  besteht  auch  ein  Unterschied  zwischen  beiden ; 
Theognis  hält  edle  Gesinnung  und  edle  Geburt  für  zusammenfallende 
DiDge,  während  Euripides  von  dem  Geburtsadel  nicht  viel  wissen 
will,  vgl.  Dikt.  fr.  336,  Alex.  fr.  52,  El.  367  f. 

Sophokles. 

Th.  Gomperz,  Herodote  et  Sophocle.  Mölanges  Henri 
Weil.  Paris  1898,  S.  141  f.,  ergänzt  im  fünften  Fragm.  ir£vr  im 
irevrqxovft'  (kzdxiz  iTrca^tei),  indem  er  ungenaue  Ausdrucksweise  an- 
nimmt, da  nach  Pamphilas  Angabe  der  Altersunterschied  zwischen 
Sophokles  und  Herodot  zwölf  Jahre  betrug.  Geistreich,  aber  ohne 
sichere  Gewähr,  weil  auch  andere  Ergänzungen  möglich  sind. 

Jon. 

Th.  Reinach,  Un  fragment  d'Jon  de  Chios.  Rev.  des 
Stüdes  gr.  1901,  S.  8  f.,  vermutet  fr.  3,  2  tu>v  aufKptovoua&v  dpjj.oviÄv 
xpioSoo?  „trident  de  tetrachordes  consonnants  entre  euxu.  Einfacher 
ändert  Wilamowitz,  Hermes  19C2,  S.  305  f.,  ta?  aujicptovouaac 
in  efc  a.,  „die  du  für  die  symphonischen  Dreiwege  der  Harmonie 
eine  zehnstufige  Ordnung  hast" ;  die  Anlage  von  zehn  Intervallen 
ermöglicht  drei  Tetrachorde.  Aber  das  äolische  e^oua  hätte  er  bei 
Jon  nicht  verteidigen  sollen. 

K  r  i  t  i  a  s. 

W.  Nestle,  Kritias.  N.  Jahrb.  f.  klass.  Altert.  1903, 
S.  94  f..  spricht  über  die  Elegien  des  Kritias,  als  dessen  Vorbilder 
auf  dem  Gebiet  der  politischen  Elegie  er  Solon  und  Theognis  be- 
trachtet. Fragment  1  über  die  Erfindungen  führt  er  auf  Protagoras 
rspt  twv  iv  dpfä  xaiaaiaSEcov  zurück. 

A  n  t  i  in  a  c  h  o  s. 

E.  Roh  de,  Der  g  riech.  Roman2,  S.  77  f.,  bezeichnet  den 
Antimachos  mit  Rücksicht  auf  seine  Lyde  als  den  eigentlichen  Be- 
gründer jener  Kunst  einer  lyrischen  Erzählung,  richtiger  vielleicht, 
einer  erzählten  Lyrik,  wie  sie,  im  vollen  Gegensatz  zum  reinen  Epos 
der  alten  Zeit,  von  den  alexandrinischen  Dichtern  eifrig  ausgebildet 
wurde.    Die  Richtigkeit  dieses  Urteils  prüft 

E.  Romagnoli,  L'elegia  alessandrina  prima  di 
Callimaco.    Atene  e  Roma  1899,  S.  177  f., 


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1 


138         Jahresbericht  über  die  griechischen  Lyriker.  (Sitzler  ) 

nach.  Dabei  gelangt  er  zu  dem  Ergebnis,  daß  unser  Dichter  die 
mythischen  Stoffe  nur  wegen  ihrer  Seltenheit  und  Entlegenheit,  nicht 
wegen  ihres  erotischen  Charakters  ausgewählt  habe;  sein  Verdienst 
bestehe  also  nur  darin,  weniger  bekannte  Mythen  in  Distichen  dar- 
gestellt zu  haben,  und  insofern  deute  er  zwar  auf  die  alexandrinische 
Zeit  hin,  sei  aber  kein  Vorgänger  der  Alexandriner,  da  er  im 
klassischen  Fahrwasser  bleibe.  Zum  Beweise  beruft  er  sich  auf 
Plut.  consol.  ad  Apoll.  S.  106  B,  eine  Stelle,  aus  der  doch  im 
Zusammenhang  hervorgeht,  daß  Antimachos  die  Liebesleiden  anderer 
besang,  und  dasselbe  folgt  aus  Hermesian.  fr.  2,  41  f.,  wo  mau  -pwv 
mit  dem  Verfasser  nicht  von  den  Klagen  des  Dichters  verstehen  darf, 
sondern  von  den  Klagen  derer,  die  er  darstellte.  Wenn  die  erotische 
Seite  in  den  erhaltenen  Fragmenten  nicht  so  stark  hervortritt,  wie 
man  vielleicht  erwartet,  so  darf  man  nicht  vergessen,  daß  wir  nur 
spärliche  Überreste  besitzen,  die  uns  über  die  Art  der  Behandlung 
der  Sagen  keinen  Aufschluß  geben.  Ebensowenig  läßt  sich  angesichts 
der  Überlieferung  der  Einfluß  der  Lyde  auf  die  Alexandriner  in 
Abrede  stellen,  den  ja  schon  die  Elegie  Leontion  des  Hermesianax 
bezeugt.  So  wird  Roh  de  recht  behalten,  der  übrigens  die  Be- 
deutung des  Philetas  für  die  Alexandriner  so  wenig  wie  der  Ver- 
fasser verkennt;  denn  er  nennt  ihn  den  eigentlichen  Archeget  der 
spezifisch  hellenistischen  Dichtung. 

Piaton. 

D.  Fava,  Gli  epigrammi  di  Piatone  (testo,  varianti, 
versione)  preceduti  da  uno  studio  sull'  autenticita  di 
essi.    Milano  1901. 

Der  Verfasser  untersucht,  von  der  im  Jahre  1834  erschienenen 
Abhandlung  Wernikes  ausgehend,  die  Frage  nach  der  Echtheit 
der  dem  Piaton  zugeschriebenen  Epigramme.  Das  Ergebnis  stimmt 
mit  dem  früherer  Forscher  überein ,  nämlich  alle  Epigramme  seien 
dem  Piaton  abzusprechen ;  daß  eine  solche  Kritik  zu  weit  geht,  habe 
ich  im  Jahresber.  Bd.  92,  S.  32,  dargelegt.  Auch  die  Erklärung, 
die  der  Verfasser  für  die  Zuweisung  von  Epigrammen  an  den 
Philosophen  anführt,  genügt  nicht;  er  meint  nämlich,  in  der  zweiten 
Hälfte  des  dritten  Jahrhunderts  habe  ein  Rhetor,  um  Piaton  in 
ein  schlimmes  Licht  zu  setzen,  unter  seinem  Namen  Epigramme, 
welche  die  natürliche  und  unnatürliche  Liebe  verherrlichen,  verbreitet. 
Aber  selbst,  wenn  man  diese  gewiß  nicht  sehr  wahrscheinliche 
Hypothese  gelten  läßt,  muß  man  nach  dem  Grunde  fragen,  warum 
Piaton  die  nicht  erotischen  Epigramme,  die  ja  viel  zahlreicher  sind, 


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Jahresbericht  über  die  griechischen  Lyriker.   (Sitzler.)  139 

zugeschrieben  wurden ,  und  darauf  erhält  man  von  dem  Verfasser 
keine  Antwort.  Der  Text  der  Epigramme  ist  von  einem  kritischen 
Apparat  und  einer  italienischen  Übersetzung  begleitet. 

P  h  i  1  i  s  k  o  s. 

E.  Drerup,  De  Philisci  in  honorem  Lysiae  epi- 
grammate.  Musöe  beige  1899,  S.  206  f.,  will  aus  Ps.-Plut.  X. 
orat  vitae  p.  836  C  schließen ,  Isokrates  sei  in  dem  Gedicht  des 
Philiskos  so  erwähnt  gewesen,  daß  man  ihn  für  jünger  als  Lysias 
habe  halten  müssen.  Dies  ist  unrichtig;  der  Schreiber  folgert  aus 
der  Tatsache,  daß  Philiskos,  der  'ItjoxpdTOu?  \ikv  piopiuo?,  itaipo; 
Aoafou  war,  den  Nachruf  auf  den  verstorbenen  Lysias  verfaßte,  daß 
dieser  älter  als  Isokrates  war.  Aber  auch  die  Vermutungen  zu  V.  5  f. 
an  und  für  sich:  'laoxpat/;?  x^puxa  rXsxot  tivä  Auata  ujxvov,  $oVra 
xXe'oc  Xajxitpiv  xal  aocp<j5  dOavaxov  sind  nicht  zu  billigen ;  denn  nach 
Ps.-Plutarch  schreibt  Philiskos,  nicht  Isokrates,  den  Hymnos,  worauf 
auch  die  Anrede  in  V.  1  f.  hindeutet ;  sodann  sind  die  Änderungen 
willkürlich  und  gewaltsam,  und  die  Redensart  Sovta  xXeo;  vom  Hymnos 
ungewöhnlich.  Ich  lese,  indem  ich  nach  V.  4  keine  Lücke  annehme, 
sondern  mit  S  a  1  m  a  s  i  u  s  und  anderen  V.  8  xij>  -j-dtp  .  .  .  }Ae8ap|Aoa&£vTt, 
jedoch  V.  4  Itepov  in  e-raptp  (vgl.  Ps.-Plut.  itaipo;  5&  Aoiiou)  ändere, 
in  V.  6  SuvTot  xaTayötjjivcov  xd?  (oder  xefc)  Co<pov,  d&avaxov  und  in 
V.  7  67roiov  st.  ctaaaiv,  um  das  Zusammentreffen  von  ät-naaiv  und  iraai 
(V.  8)  zu  vermeiden:  die  Phrontis  soll  zu  Ehren  des  verstorbenen 
Lysias  einen  Hymnos  schaffen,  der  sogar  hinab  in  das  Dunkel  des 
Hades  dringt  und  unsterblich  ist,  also  überall  und  immer  ertönt. 

[Demosthenes.] 

Das  in  Demosthenes'  Kranzrede  §  289  eingelegte  Epigramm 
auf  die  bei  Chäroneia  Gefallenen  behandelt 

R.  Peppmüller,  Zu  Demosthenes  de  Corona  289. 
Philologus  1899,  S.  469  f. 

Er  nimmt  mit  Recht  an,  daß  es  nicht  gefälscht,  sondern  vom  Original 
abgeschrieben  sei,  vgl.  Jahresber.  Bd.  75,  S.  143  f.:  aber  manches 
sei  auf  dem  Steine  unleserlich  gewesen,  und  das  habe  der,  welcher 
das  Epigramm  abschrieb  und  in  die  Rede  einschob,  auf  eigene  Faust 
hergestellt;  so  sei  V.  5  tiij  iirl  £o*(bv  aty^vi  (Hvxec  st.  cü>?  jjlyj  Coyov 
xxX.  und  V.  8  mit  Polyb.  V,  10,  ocrr£'  st.  acojiat  zu  lesen,  das 
letztere  gut,  das  erstere  kaum  nötig,  weil  betvai  hier  poetisch  den 
Sinn  des  Kompositums  im&etvai  hat. 


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140        Jahresbericht  über  die  griechischen  Lyriker.  (Sitzler.) 


Äschrion. 

Dem  Äschrion  weist 
W.  Headlam,  On  Herodas.  Class.  Rev.  1899,  S.  151  f., 
die  Fragmente  bei  Cramer  Anecdot.  II,  371.  480.  488  zu,  nämlich 
vom  Salamander:  C<j>ov  Iv  itopi  crxaTpov,  ferner  r,v  voxtec  ^apt'Covrar 
voxtepivai  aoujiaTtuv  auvouctfau  eine  Zuweisung,  die  natürlich  unsicher 
bleibt. 

Philetas. 
Über  den  Namen  spricht 

W.  Crönert,  Philitas  von  Kos.   Hermes  1902,  S.  212  f., 

der  Philitas  als  richtige  Form  verlangt,  worin  ihm  Wilamowitz 
in  seiner  griechischen  Literaturgeschichte  gefolgt  ist.  Doch  ist  die 
Sache  meiner  Meinung  nach  noch  nicht  sicher ;  denn  die  Überlieferung 
schwankt  zwischen  Philetas,  Philitas  und  Phileitas,  und  aus  ursprüng- 
lichem Philetas  konnte  infolge  des  Itazismus  ebensogut  Philitas  und 
Phileitas  werden  wie  umgekehrt.  Die  Schreibart  bei  den  römischen 
Dichtern  scheint  mehr  für  Philetas  zu  sprechen,  und  die  Auffindung 
des  Namens  Philitas  auf  einer  koischen  Inschrift  entscheidet  die 
Frage  auch  noch  nicht,  weil  beide  Namen  nebeneinander  möglich 
sind,  wie  z.  B.  Onites  neben  Onetes,  Komitas  neben  Kometas. 
Philetas  ist  gebildet  wie  Kometas,  Niketas,  Onatas ;  das  Appellativuni 
yikrtxfti  steht  Anth.  Pal.  V,  270.  Auch  ist  die  Bildung  keine  späte, 
wie  Onatas  zeigt. 

Die  Dichtkunst  des  Philetas  nach  Form  und  Inhalt  würdigt 
E.  Romagnoli,    L'elegia   alessandrina  prima  di 
Calümaco.    Atene  e  Roma  1899,  S.  177  f. 

Er  schreibt  ihm  das  Verdienst  zu ,  in  die  alten  Sagen  die  neuen 
Liebesgeschichten  eingeflochten  zu  haben ,  und  leugnet  damit  seine 
Beeinflussung  durch  Antimachos,  mit  Unrecht  ,  wie  ich  bei  der  Be- 
sprechung des  letztgenannten  hervorhob,  wenn  ich  auch  gerne  zugebe, 
daß  er  auf  der  von  seinem  Vorgänger  eingeschlagenen  Bahn  viel 
weiter  gegangen  ist.  Mit  Recht  betont  er,  wenn  auch  nicht  zuerst, 
seine  Vorliebe  für  das  Wunderbare  und  Entlegene,  sowie  die  durch 
ihn  erfolgte  Einführung  des  bukolischen  Elementes  in  die  Elegie. 
Auch  darin  bin  ich  mit  ihm  einverstanden,  daß  die  Poesie  des 
Philetas  nicht  nur  das  Erzeugnis  mühseliger  Anstrengung  ist,  wie 
Couat  meint,  sondern  auch  einer  namhaften  poetischen  Begabung, 
die  es  ihm  ermöglichte,  einer  der  ersten  oder  geradezu  der  erste 
unter  den  gelehrten  alexandrinischen  Dichtern  zu  werden.    Ob  er 


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Jahresbericht  über  die  griechischen  Lyriker.  (Sitzler.)  141 

jedoch  neben  Büchern  auch  noch  andere  direkte  Quellen  benützte, 
um  seine  Stoffe  daraus  zu  schöpfen,  wie  der  Verfasser  annimmt,  er- 
scheint mir  zweifelhaft.  In  der  Darlegung  der  Metrik  und  der  Sprache 
des  Philetas  folgt  der  Verfasser  Couat,  und  er  hätte  auch  hin- 
sichtlich der  metrischen  Form  des  Hermes  nicht  von  ihm  abweichen 
und  die  Abfassung  dieses  Gedichtes  in  daktylischen  Hexametern  nicht 
bezweifeln  sollen.  Der  Hermes  ist  ein  Epyllion ,  wie  sie  bei  den 
Alexandrinern  nicht  selten  sind,  vgl.  J.  Heumann,  De  epyllio 
Alexandrin o.  Diss.  Lips.  1904.  Zum  Schlüsse  bemerke  ich 
noch  kurz,  daß  K.  K  u  i  p  e  r  in  dem  Album  gratulatorium  in  honorem 
H.  v.  Herwerden,  Utrecht  1902  über  den  Hermes  des  Philetas  handelt. 

II  e  r  m  e  s  i  a  n  a  x. 
Mit  der  Erklärung  und  Verbesserung  des  bei  Athen.  XIII, 
597  erhaltenen  fr.  2  (Bergk),  3  (Härtung)  beschäftigen  sich 

1.  W.  Headlam,  Journal  of  Philology  1898,  S.  94  f. 

2.  A.  Lud  wich,  Coniectaneorum  in  Athenaeum 
fasc.  UjHermesianactisfragmentumcontinens.  Königs- 
berg 1902. 

Von  den  Vorschlägen  des  letzteren  Gelehrten  erwähne  ich  V.  4 
dx6prl\>  st.  dxorjv,  28  ex«>v  Ö'  st.  k%6vb\  25  Tra'aac  8'  iXl^tov  st.  Ih 
Xöpov,  55  to  hi  vo  jitov  st.  to  ok  fiuptov,  82  jao*xö«>v  st.  {a6Öu>v, 
96  aty'  töavijc  st.  die'  töav9j?,  von  denen  des  ersteren  66  ap^eutov  st. 
afyetav;  aber  V.  8,  wo  Lud  wich  iravTot'ou?  in  irav  Sotob?  ändert, 
ist  eher  iccrptotTotc  zu  lesen. 

Eine  Würdigung  des  Hermesianax  als  Dichter  gibt 
E.  Romagnoli,  L'elegia  alessandrina  prima  di 
Callimaco.  Atene  e  Roma  1899,  S.  177  f. 
Er  schätzt  seine  Phantasie,  sein  plastisches  Talent  und  seinen 
Geschmack  ziemlich  niedrig  ein,  schlägt  aber  seine  Bedeutung  für 
die  Entwicklung  der  Elegie  hoch  an,  weil  er  zuerst  seine  Poesie 
vom  Mythos  frei  gemacht  habe,  wenn  er  auch  seine  Hauptpersonen 
noch  zum  Teil  von  den  alten  Heroen  abstammen  lasse,  um  so  den 
Zusammenhang  mit  den  Klassikern  herzustellen.  Ich  glaube,  daß 
der  Verfasser  mit  dieser  Annahme  zu  weit  geht;  Hermesianax  be- 
handelt allerdings  nicht  die  alten  Sagen,  aber  er  setzt  an  ihre  Stelle 
nur  andere  Sagen  und  Erzählungen,  die  den  Reiz  der  Neuheit 
haben,  und  schreitet  so  auf  dem  von  Philetas  betretenen  Weg 
weiter,  ohne  sich  in  der  Art  der  gewählten  Stoffe  wesentlich  von 
ihm  zu  unterscheiden.    Von  dem  Mythos  und  der  Sage  hat  sich  die 


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142         Jahresbericht  über  die  griechischen  Lyriker.  (Sitzler.) 

alexandrinische  Elegie  nie  freigemacht,  nur  hat  sie  immer  entlegenere 
und  gelehrtere  Sagen  gesucht. 

Alexander  Ätolus. 

U.  v.  Wilamowitz,  Lesefrüchte.  Hermes  1902,  S.  o03, 
behandelt  das  bei  Macrob.  saturn.  V,  22,  erhaltene  Fragment  der 
Musen,  fr.  2  (Bergk  und  Härtung).  V.  4  vermutet  er  afpcuv  (st.  spijv), 
indem  er  erklärt:  „als  das  Volk  in  der  Lage  ist,  1000  Schekel, 
Dareiken,  zu  erheben,  beschließt  man,  den  ausgezeichneten  Dichter 
zur  Abfassung  eines  Kultliedes  zu  bestimmen".  Daß  in  ep^v  ein 
Partizip  steckt,  ist  gewiß  richtig,  aber  afpeiv  wird  sich  kaum  in  der 
hier  verlangten  Bedeutung  finden.  Man  braucht  ein  Kompositum  des 
seltenen  ipa<o,  also  aovep&v  =  aujx^ptov;  der  Ausfall  von  tjv  nach 
Xpoaefatv  kann  nicht  auffallen. 

Über  die  poetischen  Verdienste  des  Alexander  spricht 

E.  Romagnoli  a.  a.  0. 

Er  wirft  ihm  vollständigen  Mangel  nicht  nur  des  poetischen  Gefühls, 
sondern  auch  des  guten  Geschmacks  vor,  und  beides  mag  für  uns 
zutreffen.  Um  jedoch  den  alten  Dichtern  und  Schriftstellern  gerecht 
zu  werden,  dürfen  wir  sie  nicht  allein  mit  unserem  Maßstabe  be- 
messen, sondern  müssen  auch  das  Urteil  ihrer  Zeitgenossen  über  sie 
berücksichtigen,  und  das  war  für  Ätolus  entschieden  günstiger.  Was 
der  Verfasser  an  ihm  besonders  verurteilt,  nämlich  daß  er  in  seinem 
„Apollon"  die  Geschichten  dem  Gotte  selbst  in  den  Mund  legt,  galt 
zu  seiner  Zeit  gewiß  für  einen  Vorzug;  Lykophron  mit  seiner 
„Alexandra"  war  ihm  darin  vorangegangen. 

Höher  schätzt  E.  Romagnoli  a.  a.  0.  den 

P  h  a  n  o  k  1  e  s 

ein,  dem  er  Phantasie,  Erfindungsgabe  und  anziehende  Darstellungs- 
weise zuerkennt,  aber  das  dramatische  Talent,  die  Fähigkeit,  die 
Gestalten  plastisch  vor  Augen  treten  zu  lassen,  abspricht,  beides  im 
Anschluß  an  Couat.  Aber  auf  eine  Frage  ist  der  Verfasser  bei 
seiner  Übersicht  über  die  alexandrinische  Elegie  von  Kallimachos 
nicht  eingegangen,  die  jetzt  eine  große  Rolle  spielt,  nämlich  wie  sie 
sich  zur  römischen  Elegie  verhält;  über  die  Beziehung  zwischen 
der  griechischen  und  römischen  Liebeselegie  einige 
Worte. 

Fr.  Leo  hat  in  seinen  „Plautinischen  Forschungen"  1895  die 
Ansicht  ausgesprochen,  daß  die  römischen  Elegiker  nicht  unmittelbar 
aus  den  attischen  bzw.  aus  <Jpn  auf  ihnen  beruhenden  römischen 


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Jahresbericht  über  die  griechischen  Lyriker.  (Sitzler.)  143 

Komödien  geschöpft  haben,  sondern  nur  mittelbar  infolge  ihrer  Be- 
nützung der  alexandrinischen  Elegie,  die  Liebesszenen  der  attischen 
und  neuen  Komödie  nachgeahmt  habe,  vgl.  auch  Gött.  Gel.  Anz.  1898, 
S.  47  f.  722  f.  Rhein.  Museum  1900,  S.  604  f.  Rom.  Literatur  1905, 
S.  349.   Der  Gedanke  wurde  von  anderen  weiter  ausgeführt,  so  von 

Fr.  Wilhelm  in  der  Satura  Viadrina  1896  und  im 
Philologus  1901,  S.  579  f. 

V.  Hölzer,  De  poesi  amatoria  a  comicis  Atticis 
exculta,  ab  elegiacis  imitatione  expressa.  Diss. 
Marburg  1899. 

R.  Bürger,  De  Ovidi  carminuin  amatoriorum  in- 
ventione  et  arte.    Diss.  Wolfenbüttel  1901. 

Wenn  wir  aber  die  alexandrinische  Liebeselegie,  soweit  sie  uns 
aus  den  Überresten  und  der  Überlieferung  bekannt  ist,  mit  der 
römischen  Elegie  vergleichen,  so  zeigt  sich  ein  großer  Unterschied; 
sie  zeigt  keine  Spur  von  der  subjektiven  Erotik  der  Römer,  sondem 
beschränkt  sich  in  der  Hauptsache  auf  Liebesgeschichten  aus  Mythos 
und  Sage,  wozu  Phanokles  noch  die  Knabenliebe  hinzufügt.  Eine 
Abhängigkeit  von  der  Komödie  läßt  sich  nirgends  nachweisen,  und 
die  Berührung  der  römischen  Elegie  mit  ihr  beschränkt  sich  auf  die 
Einflechtung  von  Mythen,  die  jedoch  hier  nur  Ausschmückung  und 
gelehrtes  Beiwerk,  nicht  die  Hauptsache  wie  bei  den  Alexandrinern 
ist,  oder  auf  die  Beimischung  eines  bukolischen  Elementes. 

Die  Übereinstimmung  zwischen  der  römischen  Elegie  und  der 
griechischen  Komödie  auf  dem  Gebiet  der  subjektiven  Erotik  kann 
also  nicht  aus  der  alexandrinischen  Liebeselegie  abgeleitet  werden ; 
ebensowenig  kann  sie  aber,  wie  Leo  richtig  gesehen  hat,  auf  direkter 
Benützung  beruhen.  Das  Bindeglied  ist  das  griechische  Epigramm, 
das  die  Liebesmotive  der  Komödie  aufnahm  und  nach  allen  Seiten 
hin  weiter  ausgestaltete;  aus  ihm  schöpften  die  römischen  Elegiker. 
Dies  führt  weiter  aus  F.  Jacob y,  Zur  Entstehung  der 
römischen  Elegie.  Rhein.  Museum  1905,  S.  88  f.;  vgl.  auch 
U.  v.  Wilamowitz,  Griech.  Literatur  1905,  S.  140. 

Archelaos. 

Zwei  neue  Fragmente  des  Archelaos  wurden  im  cod.  Vatic.  1087, 
S.  300  f.  unter  den  'Aoreptau-ol  (lexa  -r^  ipjiTjveia;  xal  ?<Kop(a?  ent- 
deckt, wo  zu  Nr.  XXXIV  irepl  toö  Aa-^tuoD  am  Schlüsse  die  Worte 
beigefügt  sind :  xbv  a&TOv  Tptaov  xal  Äp^IXao?  lv  toi?  Idtocpueai 
Tautet  Ö7)/>ot\  und  zu  Nr.  XLI  itspt  toO  "Vopou,  &p'  <o  Kpaxr(p  xal 
• 


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144         Jahresbericht  über  die  griechischen  Lyriker.  (Sitzler.) 


Kopac  ähnlich:  xai  *Apj(lXaoc  b£  ^tjGiv  6}iQia>?  4v  toi?  'loio^^aiv, 
vgl.  A.  Rehm,  Eratosthenis  catasterismorum  fragmenta  Vaticana. 
Progr.  Ansbach  1899,  S.  12  und  15  und  E.  Maaß,  Commentariorum 
in  Aratuni  reliquiae,  Berlin  1898,  S.  254  und  267.  580.  Vgl.  auch 
noch  S.  79,  6.  7  Adn.  zu  Achillis  fr.  6,  wo  Maaß  bemerkt,  daß 
Archelaos  auch  noch  an  anderen  Stellen  in  den  Arat-Kommentaren 
erwähnt  gewesen  sei. 

Kalli  machos. 
Eine  neue  Hs.  des  Kallimachos  bespricht 

U.  v.  Wilamowitz,  Eine  Handschrift  des  Kalli- 
machos.   Herraes  1901,  S.  309. 

Sie  ist  als  cod.  Perusinus  scr.  23,  Nr.  57,  bezeichnet,  und  eine 
sorgfältige  Vergleichung  von  ihr  fand  sich  im  Nachlasse  T  y  c  h  o 
Mommsens.  Da  sie  aber,  wie  sich  herausgestellt  hat,  nur  eine 
Abschrift  der  editio  prineeps  ist,  so  ist  sie  ohne  Wert. 

Zur  Kritik  und  Erklärung  der  Gedichte  tragen  bei 

1.  G.  Wörpel,  Eine  Anspielung  in  dem  Zeus- 
hymnus des  Kallimachos.  Rhein.  Museum  1902,  S.  460  f. 
[V.  79  f.] 

2.  C.  Cessi,Spigolaturealessandrine,lI,  Callimaco  I, 
78 — 80.    In  Memoria  di  Oddone  Ravenna.    Padova  1904. 

3.  0.  A.  Danielsson,  Callimachea.  Eranos.  Acta 
phil.  Suecana  edenda  curavit  W.  Lund ström  IV.  Upsala  1900 
bis  1902,  S.  77  f.    [Konjekturen  zu  Hymn.  2—6.] 

4.  L.  Radermacher,  Griechischer  Sprachgebrauch. 
Philologus  1901,  S.  500  f.    [Hymn.  Apoll.  97  f.] 

5.  G.  Wörpel,  TextkritischeszumArtemishymnus 
des  Kallimachos.  Wochenschr.  f.  klass.  Piniol.  1902,  Nr.  15, 
S.  420  f. 

6.  G.  Kaibel,  Sepulcralia.  Hermes  1900,  S.  567. 
[Epigr.  28.] 

7.  W.  G.  Headlam,  Various  conjectures.  Journal 
of  Philology  1898,  S.  909.    [Fr.  808,  Epigr.  28.] 

8.  U.  v.  Wilamowitz,  Lesefrüchte.  Herraes  1902, 
S.  314  [fr.  536.  525],  327  [fr.  481]. 

Daraus  führe  ich  folgendes  an:  Wörpel  erkennt  zwar  an,  daß 
h.  I,  79  f.,  allgemein  gehalten  ist,  meint  aber  doch,  daß  der  Dichter 
dabei  den  Philadelphos,  den  besonderen  Liebling  des  Zeus,  im  Auge 


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Jahresbericht  über  die  griechischen  Lyriker.   (Sitzler.)  145 

hatte,  und  daß  auch  die  Leser  bzw.  Hörer  an  diesen  denken  mußten; 
daraus  schließt  er,  daß  unser  Hymnus  nicht  viel  nach  270  abgefaßt 
ist.  Ich  halte  mit  Vahlen,  Susemihl  ü.  a.  diese  Beziehung 
für  irrig  und  demnach  auch  die  daraus  abgeleitete  Abfassungszeit. 
Danielsson  vermutet  h.  HI,  218,  gut  Iiu'xXtjtov  st.  i7rtx\irrQi; 
IV,  180  f.,  weist  er  mit  Recht  darauf  hin,  daß  aus  den  Worten 
Ttapä  tpt7i68eaaiv  ijieto  „bei  meinem  Heiligtum"  nicht  geschlossen 
werden  dürfe,  daß  die  Gallierhorden  in  das  Tempelgebäude  ein- 
gedrungen seien,  und  VI,  92,  schützt  er  die  Überlieferung  ett  jxetCov 
durch  Verweisung  auf  Eurip.  Hec.  1120  f.  Radermacher  meint, 
die  Worte  II ,  97  f. ,  fij  Hj  7ratr,ov  hätten  nur  einen  Sinn ,  wenn  sich 
eine  etymologische  Spielerei  darunter  verberge  =  fet  fei  Trat  töv, 
erklärt  vom  Dichter  mit  hi  (J&oc,  woraus  dann  folgen  würde,  daß 
7)  si  und  1  schon  zu  Kallimachos'  Zeiten  aneinander  angeklungen 
hätten;  ich  könnte  diese  Auffassung  nur  teilen,  wenn  die  Worte  hi 
ße'Xoc  nicht  auch  dem  Volke  in  den  Mund  gelegt  wären,  sondern 
vom  Dichter  zur  Erklärung  von  Wj  tjov  beigefügt  wären;  so  können 
irt  lrt  iroi^ov  nur  ein  ermunternder  Zuruf  an  den  Päeon  sein,  der 
Aufforderung  fet  ß&oc  vorausgeschickt,  ein  Zuruf,  aus  dem  Kallimachos 
das  Ephymnion  der  Apollonlieder  ableitet.  Wörpel  liest  h.  III,  4, 
dpxöjievo;  free,  indem  er  coc  für  Dittographie  der  Endung  von  dpx<Vevoc 
erklärt.  Kai  bei  vergleicht  mit  Epigr.  28  Bücheler  carm.  epigr.  991. 
1321;  an  Kallimachos  schließt  sich  Meleager  Anth.  P.  VII,  461,  an, 
womit  vgl.  Martial  V,  8»,  und  Diodor.  Anth.  P.  VH,  632,  mit  dem 
Bücheler  carm.  epigr.  1152  und  1192  zu  vergleichen  sind.  Daß 
Epigr.  28,  3  f.,  richtig  sind,  zeigt  Headlam  durch  Verweis  auf 
Aeschyl.  Pers.  643.  031,  Choeph.  125.  398.  Wilamowitz  schreibt 
fr.  536  lot,  xrfita  und  hält  es  für  ein  Bruchstück  aus  lou?  acptcic 
Fr.  525  vermutet  er  iraaaio  und  zu  fr.  481  vergleicht  er  Gregor  v.  Naz. 
an  Nikobulus  ep.  2,  9:  xi  70p;  rt  t{  Ilepoix^  axotvtp  fietpeTadat  Sei 
T7)V  orj<p(av  XXK. 

Neue  Scholien  zum  Artemishymnus  veröffentlichen 

B.P.Grenfell  and  A.S.Hunt,  The  Amherst  Papyri. 
Part.  U.    London  1901, 

unter  Nr.  20;  sie  beginnen  mit  V.  107,  sind  mit  den  schon  bisher 
bekannten  verwandt,  aber  reichhaltiger  und  bringen  zwei  unbedeutende 
Abweichungen  im  griechischen  Text  des  Hymnos.  Behandelt  sind  sie 
mit  Beiträgen  zu  V.  107,  188,  143,  172  f.  und  178  von 

L.  Radermacher  im  Rhein.  Museum  1902,  S.  141  f. 

Zu  den  Beiträgen  hat  auch  H.  Usener  beigesteuert. 

Jahresbericht  für  AltertnmiiwWseiuchaft.   Bd.  CXXXIII.    (1907.    I.)  10 


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146         Jahresbericht  über  die  griechischen  Lyriker.  (Sitzler.) 

Mit  der  Feststellung  des  Inhalts  einiger  Gedichte  der 
Aitien  beschäftigen  sich 

1.  S.  Eitrem,  Observationes  niy thologicae  ad 
Ovidium  spectantes.   Philologus  1 899,  S.  45 1  f.  [ 'loa?  a<ptfo] . 

2.  G.  Koaack,  Hero  und  Leander.  Festgabe  für 
Fr.  Su8emihl.    Leipzig  1898,  S.  46  f. 

3.  R.  Holland,  Die  Sage  von  Dädalos  und  Ikaros 
Progr.  Leipzig  1902  und  dazu 

4.  G.  Knaack,  Zur  Sage  von  Dädalos  und  Ikaros. 
Hermes  1902.  S.  598  f. 

5.  J.  Nicole,  Un  fragment  des  Aetia  de  Calli- 
maque.  Collection  de  la  ville  de  Geneve  Nr.  97.  Rev.  des 
«Stüdes  gr.  1904,  S.  215  f. 

Eitrem  nimmt  als  Inhalt  der  'loöc  dfytcic  die  erste  Ankunft 
der  Io  in  Ägypten  an;  das  afnov  war  nach  ihm  die  Verwandlung 
der  Io  in  die  Isis.  Außerdem  glaubt  er,  daß  in  dem  Gedicht  die 
Versetzung  der  Io  unter  die  Gestirne  erwähnt  und  auch  ihre  der 
Ankunft  vorausliegenden  Schicksale,  und  zwar  von  Hera  selbst,  er- 
zählt worden  seien.  Danach  weist  er  diesem  Gedichte  eine  Anzahl 
der  erhaltenen  Fragmente  zu,  von  denen  die  meisten  aber  so  un- 
bestimmten Inhalts  sind,  daß  ihre  Zugehörigkeit  zur  'Ioöc  acptgt?  zweifel- 
haft bleiben  muß. 

Knaack  nimmt  eine  von  J.  Klemm,  De  fabulae,  quae 
est  deHerus  etLeandri  amoribus,  fönte  et  auctore.  Diss. 
Leipzig  1879  ausgesprochene  Vermutung,  nämlich  daß  Ps.-Ovid  ep. 
17  f.  und  Musäos'  Epyllion  Hero  und  Leander  auf  die  Ätien  des 
Kallimachos  als  Quelle  zurückgehen,  wieder  auf  und  sucht  sie  möglichst 
wahrscheinlich  zu  machen,  gesteht  aber  selbst,  daß  das  uns  dafttr 
zur  Verfügung  stehende  Material  nicht  ausreicht.  Die  Elegie  des 
Kallimachos  enthielt  nach  ihm  die  erste  Bekanntschaft  der  Liebenden, 
Leanders  Schwimmen  über  das  Meer  zur  Nachtzeit  und  den  Tod  des 
Paares.    Die  fr.  anon.  12  und  61  weist  er  diesem  Gedicht  zu. 

Holland  bekämpft  R.  Wagner,  der  in  der  epitome  Vaticana 
ex  Apollodori  bibliotheca,  Leipzig  1891,  S.  133  f.  Kallimachos  in 
seinen  Ätien  als  Vorbild  Ovids  in  der  Darstellung  der  Sage  von 
Dädalos  und  Ikaros  bezeichnet  hat,  indem  er  aus  Schol.  A  Horn.  B  145 
und  Diodor  IV,  77,  eine  Version  der  Sage  konstruiert,  die  mit 
Apollodor  und  Ovid  im  Widerspruch  steht  und  von  ihm  als  kaliima- 
cheisch  in  Anspruch  genommen  wird.  Knaack  zeigt,  daß  diese  mit 
Kallimachos  nichts  zu  tun  hat,  während  die  von  Ovid  dem  Dädalos 


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Jahresbericht  über  die  griechischen  Lyriker.  (Sitzler.)  147 

in  den  Mund  gelegten  Anweisungen  an  Ikaros  Uber  den  Flug  mit 
Apollodor  übereinstimmen  und  auch  dem  Kallimachos  zugeschrieben 
werden  dürfen,  da  sie  auf  die  Erklärung  des  'Ixapiov  ir£Xa*jOC  hinaus- 
laufen. Wagner  wird  also  mit  seiner  Annahme  recht  behalten, 
obgleich  auch  hier  bei  dem  Mangel  an  beweiskräftigen  Fragmenten 
aas  der  Dichtung  des  Kallimachos  keine  Sicherheit  zu  erlangen  ist. 
Daß  aber  Ovid  neben  dem  Kyrenäer  noch  andere  Quellen,  besonders 
die  Tragödien,  benützte,  gibt  auchKnaack  zu.  Holland  schreibt 
fr.  178  im  fauxv  st.  Iiti  aimjv,  das  durch  Dithographie  von  im  aus 
h\  -^v  entstanden  sei. 

Ein  neues  Fragment  der  Ätien  hat  Nicole  auf  einem  zu  Gizeh 
gefundenen,  von  Genf  angekauften  Pergaraentstück  entdeckt,  das  nach 
dem  Charakter  der  Schrift  dem  fünften  oder  sechsten  Jahrhundert 
n.  Chr.  angehört  und  neben  dem  distichischen  Text  Scholien  gramma- 
tischen, mythologischen  und  geographischen  Inhalts  aufweist.  Da  in 
den  Versen  Äetes  und  Arete  genannt  werden,  die  bei  Apoll.  Rhod.  IV, 
9B0  f. ,  vereinigt  sind ,  so  stammen  sie  aus  den  Argonauten  des 
Kallimachos  und  schildern  die  Zeit,  wo  diese  auf  Scheda  ankommen 
and  Alkinoos  zwischen  ihnen  und  den  Gesandten  des  Äetes  das 
Urteil  fallt.  Den  Anfang  erklärt  der  Verfasser  für  ein  Gespräch 
zwischen  Hera  und  Iris,  das  Folgende  für  ein  Gespräch  der  Hera 
mit  Jason  und  Medea.  Das  Gedicht  muß  umfangreich  gewesen  sein, 
da  im  Scholion  ein  33.  Teil  erwähnt  wird.  Die  Verse  tragen  zur 
Aufklärung  des  Verhältnisses  zwischen  Kallimachos  und  Apollonios 
bei,  die  nicht  miteinander  übereinstimmen. 

Den  Gebrauch  der  Präpositionen  bei  Kallimachos 
nntersucht 

P.  Priewasser,  Die  Präpositionen  bei  Kallimachos 
und  Herondas,  verglichen  mit  denen  bei  Bakchylides  und  dem 
bereits  für  Pindar  bekannten  Resultate.  Progr.  Hall  1903, 
ohne  jedoch  die  Überlieferung  genügend  zu  berücksichtigen  und  das 
Verhältnis  des  Dichters  im  Gebrauch  der  Präpositionen  zu  den 
früheren  und  späteren  Dichtern  gebührend  hervorzuheben;  auch 
Pindar  und  Bakchylides  sind  trotz  des  Titels  nur  wenig  zum  Ver- 
gleich herangezogen.  Der  erste  Teil  beschäftigt  sich  in  zwei  Kapiteln, 
einem  allgemeinen  und  besonderen  Teile,  mit  Kallimachos.  Die 
statistische  Übersicht  zeigt,  daß  iv  und  im  die  Lieblingspräpositionen 
des  Dichters  sind;  xaxa  mit  Gen.,  avd  mit  Dat.  und  |ieTa  mit  Gen. 
gebraucht  er  nicht.  Wiederholung  der  Präposition  bei  mehreren 
Satzgliedern  ist  selten,  gewöhnlich  steht  sie  nur  beim  ersten  Glied, 
h.  III,  246  nur  beim  zweiten  Glied;  doch  findet  sich  bei  xk  xat, 

10* 


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Jahresbericht  über  die  griechischen  Lyriker.  (Sitzler.) 


xl  te,  tj,  oute  oute,  prfii  und  der  Präp.  £v  auch  Wiederholung. 
Ebenso  selten  ist  die  Verbindung  von  Präposition  mit  Adverb ,  wie 
iUxu,  ££6te,  efceri,  ec  xraXiv,  icpuTcepde,  xadu7rep0e,  oder  axP'tt  H-eXP1» 
jjiacpa,  laxe  mit  I?,  irt,  icott.  Einschiebungen  zwischen  Präpos.  und 
Nomen  stimmen  mit  dem  sonstigen  Gebrauche  überein  und  ebenso 
die  Vermeidung  des  Hiatus,  der  nur  bei  xat  und  rt  vor  einer  Prä- 
position, bei  der  Nachstellung  von  evt  und  6ic6,  bei  der  Zwischenstellung 
von  ev,  eirt  und  öir<5,  bei  evSoöi,  diro\,  ek,  i^rt,  iv,  ex,  tiirep,  eaa>,  e^tt, 
sowie  vor  §  und  of  vorkommt.  Bemerkenswert  ist  iv  euseftetuv 
ep.  10,  4. 

Die  Mythologie  des  Kallimachos  behandelt 

K.  Kuiper,  Studia  Callimachea,  II.  De  Callimachi 
theologumenis.  Lugduni  ßatavorum  1898,  VIII,  159,  S.  8. 
In  13  Abschnitten  legt  er  dar,  wie  Kallimachos  das  Wesen  der 
Gottheiten  schildert,  zeigt,  daß  der  Dichter  bestrebt  ist,  seinen 
Göttern  griechische  Abstammung  zu  sichern,  betont  die  Vorliebe,  die 
Kallimachos  für  das  Altertümliche,  besonders  für  die  Sagen  und 
Kulte  der  Minyer,  der  Urahnen  der  Kyrenäer,  hat,  weist  darauf  hin, 
wie  angelegentlich  er  den  delischen  Kult  allen  anderen  vorzieht,  setzt 
auseinander,  daß  Kallimachos  weder  von  einer  Verschmelzung  der 
griechischen  mit  den  ägyptischen  Gottheiten  noch  vom  Synkretismus, 
Orphismus,  der  naturalistischen  Erklärung  der  Götter  und  dem 
Euhemerismus  etwas  wissen  will,  und  macht  uns  mit  den  eigenen 
religiösen  Anschauungen  des  Dichters,  mit  den  von  ihm  vorgenommenen 
Änderungen  des  überlieferten  Sagenstoffes  und  mit  seinen  Ansichten 
über  Macht  und  Heiligkeit  der  Götter,  über  Leben  und  Tod  der 
Menschen  bekannt.  Die  Darlegungen  des  Verfassers  sind  verdienstlich 
und  dankenswert,  insbesondere  seine  Nachweise  über  das  Verhalten 
des  Kallimachos  gegen  die  Bestrebungen  derer ,  die  die  griechische 
Religion  mit  der  ägyptischen  vermischen  wollten ;  um  so  bedauerlicher 
ist  es,  daß  er  es  unterlassen  hat,  alle  Abweichungen  des  Dichters 
von  der  Überlieferung  zusammen  zu  stellen  und  uns  so  ein  ab- 
schließendes Urteil  zu  ermöglichen,  und  daß  er  auf  Grund  der  von 
ihm  gewählten  Disposition  öfter  Zusammengehöriges  auseinander- 
gerissen hat.  Im  einzelnen  erwähne  ich,  daß  er  die  Verlegung  des 
Wohnsitzes  des  Hephastos  nach  Lipare  den  gelehrten  Studien  des 
Dichters  zuschreibt,  der  von  den  Wundern  dieser  Insel  bei  Theophrast, 
Kallias  und  Pytheas  Massiliotes  gelesen  habe,  daß  er  den  Artemis- 
hymnus, den  er  S.  21  f.  behandelt,  auf  die  arkadische  Diana  ge- 
dichtet sein  läßt,  daß  er  einen  engeren  Anschluß  des  Dichters  an 
die  Überlieferung  in  den  Hymnen  als  in  den  anderen  Gedichten 


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Jahresbericht  über  die  griechischen  Lyriker.  (Sitzler.)  149 

findet,  daß  er  den  sechsten  Hymnus  auf  die  Thesmophorienfeier  in 
Kyrene  bezieht;  beachtenswert  ist  auch  der  Hinweis  darauf,  daß  der 
Gebrauch  der  alten  Namen  und  Bezeichnungen  nicht  immer  aus  dem 
Streben,  Gelehrsamkeit  zu  zeigen,  entsprungen  ist,  sondern  auch  aus 
dem  Wunsche,  damit  einen  Beweis  für  die  älteste  Kultstätte  des 
Gottes  zu  erbringen,  und  recht  interessant  ist  die  Aufzählung  von 
Anachronismen  bei  Kallimachos  S.  31  f.  Die  fr.  561  und  556  spricht 
Kuiper  unserem  Dichter  ab. 

Über  Leben  und  Werke  des  Kallimachos  stellt  neue  Unter- 
suchungen an 

C.  Cessi,  Studi  Callimachei.  Studi  italiani  di  filologia 
class.  1899,  S.  301  f. 
Hinsichtlich  des  Geburtsjahres  stimmt  er  mit  Fr.  Susemi  hl  u.  a. 
überein,  indem  er  es  in  das  Jahr  310  verlegt;  aber  seinen  Tod  setzt 
er  mit  245/6  entschieden  zu  früh  an.  Um  290  studierte  Kallimachos  mit 
Aratos  in  Athen,  bereiste  dann  Griechenland  und  war  etwa  von 
284—270  veavfoxds  rf^  aöXr^  in  Alexandreia,  eine  Bezeichnung, 
deren  Aufklärung  auch  dem  Verfasser  nicht  gelungen  ist.  Daß  er 
nie  Bibliothekar  war,  wird  mit  Recht  bemerkt.  Indem  Cessi  dann 
zur  Betrachtung  der  Werke  des  Kallimachos  übergeht,  wendet  er 
sich  zunächst  den  Hymnen  zu,  die  er  in  zwei  Gruppen  zerlegt;  den 
5..  6.  und  den  durch  die  fr.  146  a.  b.  c.  vertretenen  auf  Persephone, 
für  Argos,  Kos  und  Syrakus  geschrieben,  läßt  er,  bei  h.  5  und  6 
dem  Vorgang  Spiros  folgend,  in  der  Zeit  vor  dem  Aufenthalt  des 
Dichters  am  Hofe  der  Ptolemäer  verfaßt  sein.  Sie  unterscheiden 
sich  nach  ihm  von  den  anderen  dadurch,  daß  sie  noch  kein  Bestreben 
nach  Vermischung  griechischen  und  ägyptischen  Kultus  zeigen,  um 
dadurch  in  religiöser  und  moralischer  Hinsicht  die  Politik  des  Königs 
zu  unterstützen.  Die  letztere  Ansicht  ist  nach  den  Darlegungen 
Kuipers  zurückzuweisen,  aber  auch  die  erstere  bleibt  aus  Mangel 
an  ausreichenden  Beweisen  zweifelhaft.  Dies  gilt  auch  für  die 
folgenden  chronologischen  Bestimmungen.  Der  Hymnus  auf  Zeus, 
nach  Hesiod  mit  polemischer  Spitze  gegen  Homer  gedichtet,  fällt 
nach  ihm  in  die  Jahre  266/3,  in  dieselbe  Zeit  auch  der  Hymnus  auf 
Delos,  der  auf  Artemis  um  das  Jahr  260  und  der  auf  Apollon  in 
die  Jahre  247/6.  In  der  Annahme  politischer  Anspielungen  ist  er, 
der  Mahnungen  Vahlens  eingedenk,  mit  Recht  vorsichtig,  wie  auch 
Kuiper.  Die  Epigr.  46  und  32  fallen  in  284/75,  Epigr.  2  in 
260/50,  Epigr.  21,  28,  7  und  8  nach  260,  Epigr.  5  und  10  in 
250/45,  Epigr.  48  in  290  284,  Epigr.  27  in  278,70,  fr.  70  und  74 
nach  290,  Epigr.  52  in  260  oder  247,  Epigr.  59  in  247  6.    In  die 


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150         Jahresbericht  über  die  griechischen  Lyriker.  (Sitzler.) 

Jahre  284—270  verlegt  er  Elegeia  und  Grapheion,  278—270  die 
Ätien,  276  den  Epithalamios  auf  Arsinoe  und  fr.  196,  in  262  den 
Beginn  des  Streites  mit  Apollonios,  in  260  die  Abreise  des  Apollonios 
von  Alexandria,  in  255 — 247  den  Ibis  und  in  245  die  Locke  der 
Berenike. 

Eine  Würdigung  der  Dichtkunst  des  Kallimachos  geben 

1.  F.  Kortz,  Die  Eigentümlichkeiten  der  Kalli- 
machei sehen  Dichtkunst.  Eine  Studie  zum  Artemishymnus 
des  Kallimachus  und  Catulls  carm.  66.  Progr.  Cöln-Ehrenfeld  1902. 

2.  P.  Cesareo,  ün  decadente  de  IT  antichitä.  Riv. 
di  filol.  1903,  S.  285  f.;  1904,  S.  74  f. 

3.  Th.  Zielinski,  Marginalien.  Philologus  1901,  S.  13f. 

Kortz,  der  in  der  Einleitung  über  das  Leben  und  die  Dichtkunst 
des  Kallimachos  spricht  und  dann  den  Artemishymnus  und  die  Locke 
der  Berenice  griechisch ,  bzw.  lateinisch  und  deutsch  mitteilt ,  und 
Cesareo  stellen  die  charakteristischen  Merkmale  der  alexandrinischen 
Poesie  übersichtlich  zusammen  und  belegen  sie  mit  Beispielen  aus 
unserem  Dichter,  Cesareo,  indem  er  sie  aus  der  Beschaffenheit 
und  den  Verhältnissen  jener  Zeit  ableitet,  Kortz,  indem  er  zum 
Schlüsse  noch  zeigt,  mit  welcher  Kunst  es  unser  Dichter  verstanden 
hat,  die  Artemis  nach  den  verschiedenen  Seiten  ihrer  Verehrung  und 
Wirksamkeit  hin  in  unserem  Gedichte  zu  verherrlichen ;  allerdings 
scheint  ihm  dabei  entgangen  zu  sein,  wie  wenig  die  hier  zusammen« 
gestellten  Züge  zu  einem  einheitlichen  Bilde  passen,  worüber  Kui per 
S.  21  f.  zu  vergleichen  ist.  Wenn  dabei  auch  nicht  gerade  neues 
zutage  gefördert  wird,  so  ist  doch  besonders  die  Arbeit  Cesareos 
wegen  der  Art  der  Auffassung  und  Erklärung  recht  lesenswert. 
Zielinski  macht  im  Anschluß  an  h.  5,  70  f.  noch  auf  den  Stimmungs- 
zauber aufmerksam,  der  dadurch  erreicht  wird,  daß  der  Dichter  einen 
schonen  Moment  mit  leicht  variierten  Ausdrücken  noch  einmal  schildert 
und  so  zu  längerem  Verweilen  nötigt. 

Die  Frage  narh  dem  Zweck  der  Hymnendichtung  des 
Kallimachos  wirft 

Ph.-E.  Legrand,  Problemcs  Alexandrins,  I.  Pourquoi 
furent  composös  les  hymnes  de  CallimaqueV  Rev.  des  6tud.  gr. 
1901,  S.  281  f., 

auf  und  beantwortet  sie  dahin ,  daß  der  zweite ,  fünfte  und  sechste 
Hymnus  nur  zum  Lesen,  die  drei  anderen  dagegen  für  Feste  geschrieben 
worden  seien,  und  zwar  der  erste  für  die  ßaaiXsia  in  Alexandreia,  um 
bei  dem  dabei  stattfindenden  Agon  vorgetragen  zu  werden,  der  dritte 


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Jahresbericht  über  die  griechischen  Lyriker.  (Sitzler.)  151 

für  einen  Agon  in  Ephesos  and  der  vierte  für  einen  solchen  auf 
Delos.  Die  schon  von  Conat  ausgesprochene  Ansicht,  daß  der 
dritte  Hymnos  för  Ephesos  geschrieben  sei,  wird  sich  nicht  aufrecht- 
halten lassen;  richtiger  wird  es  sein,  ihn  mit  Kyrene  in  Verbindung 
zu  bringen,  wie  auch  Kuiper  tut.  Ebensowenig  kann  ich  aber  der 
von  dem  Verfasser  schon  in  seinen  Studien  über  Theokrit,  S.  429, 
Anzn.  4,  vorgetragenen  Hypothese  über  den  zweiten,  fünften  und  sechsten 
Hymnos  beistimmen.  Zu  ihrer  Begründung  betrachtet  er  zunächst  den 
fünften  Hymnos,  der  einen  Widerspruch  zwischen  Text  und  begleitender 
Handlung  zeige  und  in  eine  ganz  unpassende  Zeit  verlegt  werde; 
die  darin  behandelte  Sage  stehe  nicht  in  engem  Zusammenhang  mit 
der  Handlung,  es  seien  zu  viele  Worte  über  die  Gebräuche  gemacht, 
und  daß  diese  gerade  an  die  Xwtpoxoot  gerichtet  würden,  sei  wenig 
geschickt.  Dasselbe  gelte  von  dem  sechsten  Hymnus.  Gibt  man 
nun  auch  alles  dies  dem  Verfasser  zu,  so  drängt  sich  doch  von  selbst 
die  Frage  auf,  ob  sich  denn  diese  Ungeschicklichkeiten  und  Fehler 
beim  Lesen,  für  das  doch  die  Illusion  der  Aufführung  vorausgesetzt 
wird,  weniger  fühlbar  machen.  Ich  kann  mich  davon  nicht  über- 
zeugen, aber  bei  einem  Dichter  wie  Kallimachos,  dem  es  doch  weder 
an  Sachkenntnis  noch  an  Überlegung  und  Berechnung  fehlte,  auch 
an  so  schwere  Verstöße  nicht  glauben.  Gegen  den  zweiten  Hymnos 
erhebt  der  Verfasser  auch  keinen  solchen  Tadel,  sondern  findet  nur 
die  Art  des  Vortrags  mit  Schwierigkeiten  verknüpft,  eine  Ausstellung, 
die  gewiß  nicht  schwer  ins  Gewicht  fallen  kann,  zumal  wenn  man 
bedenkt,  daß  der  Verfasser  selbst  annimmt,  der  Hymnos  sei  gegen 
Rivalen  gerichtet,  denen  gegenüber  Kallimachos  sich  gewiß  keine 
Blöße  gab.  Den  Gedanken  an  Aufführung  dieser  drei  Hymnen  bei 
den  ftfcuve?  ÖufAsXuot  oder  an  Rezitation  weist  der  Verfasser  mit 
Recht  zurück ,  um  dann  ihre  Abfassung  und  Verbreitung  in  Buch- 
form zu  rechtfertigen.  Dagegen  erhebt  sich  aber  das  Bedenken, 
daß  Hymnen  in  damaliger  Zeit  schwerlich  die  Dichtgattung  bildeten, 
zu  der  man  griff,  wenn  man  nur  des  Dichtens  wegen  dichtete.  So- 
dann fallt  der  zweite  Hymnos  mit  seiner  Anspielung  auf  den  Streit 
mit  Apollonius,  sowie  auf  Euergetes  und  Berenice  in  eine  Zeit,  wo 
Kallimachos  ohne  besondere  Absicht  gewiß  keine  Hymnen  mehr 
schrieb.  So  blieben  nur  der  fünfte  und  sechste  Hymnos  übrig,  die 
ja  in  Dialekt,  Komposition  und  Mangel  an  Anspielungen  einander 
ähnlich  sind;  aber  auch  bei  diesen  liegt  kein  Grund  vor,  sie  hin- 
sichtlich ihrer  Entstehung  von  den  anderen  zu  trennen. 

Das  Verhältnis  zwischen  Kallimachos  und  Quintus 
Smyrnaeus  betrachtet 


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152        Jahresbericht  über  die  griechischen  Lyriker.  (Sitzler.) 

A.  Taccone,  Quinto  Smirneo  e  Calliraaco.  Bolletino 
di  filologia  class.  1904/5,  S.  205  f.. 

der  gegen  F.  Kehmptzow,  De  Quinti  Smyrnaei  fontibus 
ac  mythopoeia.  Diss.  Kiel  1891,  unter  Berufung  auf  R.Wagner, 
Mythographi  Graeci,  I,  S.  173  f.,  nachweist,  daß  sich  die  An- 
nahme, Quintus  habe  die  Schändung  der  Kassandra  durch  Aias  im 
Tempel  der  Athene,  das  Verschweigen  der  ihm  von  Poseidon  beim 
Schiffbruch  geleisteten  Hilfe  und  die  Zertrümmerung  seines  Schiffes 
mit  dem  Blitz  durch  Athene  aus  Kalliraachos  geschöpft,  nicht  be- 
weisen lasse;  denn  der  Epiker  kann  auch  ein  mythologisches  Hand- 
buch benutzt  haben. 

Zum  Schlüsse  verweise  ich  noch  für  die  Geschichte  der 
Alexandriner  auf 

1.  J.  Beloch,  Griechische  Geschichte.    III.  Bd.  I. 
und  II.  Abteilung.    [Diadochenzeit.]    Straßburg  1904. 

2.  A.  Bouche"-Leclercq,    Histoire    des  Lagides. 
Bd.  I  und  II.    [823—30  v.  Chr.]    Paris  1903  04. 

Phoenix. 

W.  G.  Headlam,  Various  conjectures.  Journal  of  Philol. 
1898,  S.  97  f.,  vermutet  fr.  2,  4:  8?  o6x  ß'  aste'  oöte  v£v  k^rpo 
oder  8?  oöx  föe  C&v  ior^p'  oö8'  iM&fco,  das  erstere  mit  Bezug  auf 
das  homerische  ttoXXäv  8'  dvftp({»7ra>v  fSsv  aateot  xai  voov  vp<o;  aber 
gerade  der  mit  noXX&v  ausgedrückte  Begriff  fehlt  hier.  Es  ist  wohl 
zu  lesen:  8?  oox  W  datct'S'  ot>8'  töetv  i8t'C>jTo;  denn  daß  er  sich  um 
Heer  und  Krieg  nicht  kümmerte,  war  doch  an  erster  Stelle  hervor- 
zuheben. —  V.  17  ergänzt  er,  indem  er  V.  16  mit  Kai  bei  iirataot 
liest;  fyt&xoW  IBcuxa  ^airpl)  £<ox6V  ^pda{b;v. 

Herodas. 

Neue  hs.  Mitteilungen  zu  Herondas  veröffentlicht 

F.  G.  Kenyon,  So  nie  new  fragraents  of  Herodas. 
Archiv  für  Papyrusforschung  1901,  S.  379  f. 

Sie  wurden  auf  zum  Teil  recht  kleinen  Papyrusstreifen  entdeckt  und 
vom  Herausgeber  im  Anschluß  an  die  früher  veröffentlichten  Fragmente 
mit  den  Nummern  12 — 56  bezeichnet.  Durch  genaue  Untersuchung 
der  Papyrusfasern  gelang  es  K eny  on ,  die  fr.  12 — 30  den  Kolumnen  42, 
43  und  44  zuzuweisen  und  so  dem  achten  Mimiambus  einzureihen, 
dessen  Verständnis  dadurch  bedeutend  gewinnt ,  freilich  noch  lange 
nicht  vollständig  wird;  der  Herausgeber  hat  ihn  in  der  jetzt  fest- 


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Jahresbericht  über  die  griechischen  Lyriker.  (Sitzler.)  153 

stehenden  Gestalt  am  Ende  seiner  Veröffentlichung  beigefügt.  Die 
fr.  81 — 56  sind  bis  jetzt  noch  nicht  untergebracht;  dagegen  hat  sich 
ergeben,  daß  die  Einfügung  des  fr.  10  in  die  drei  ersten  Zeilen  der 
Kolumne  35,  dieCrusius  vornahm,  richtig  ist;  aber  ans  Ende  der- 
selben Kolumne  gehört  auch  das  kleine  Stück,  das  bisher  ans  Ende 
der  42.  Kolumne  gestellt  wurde,  so  daß  Mim.  VII,  22  f.  lauten: 
£pijft\  Sttcoc  Kimflt  xi™™  ff]<p>)v[krxots  |  e'frjpxuüxai  icaGcr  xo[6  xd]uiv 
x[aX]»c,  |  xd  8*  oö^l  xaXu>c,  AAAAÜ A  .  T1CA1X  .  .  .  .  C  | .  x6  zpü>p<* 
8'  ooriuc  6ji[I]v  IIa[XXÄc]  8ofy  xxX.  In  V.  24  vermutet  Kenyon 
dkk'  dirapxtiai  x«>tafc-    Diese  Fragmente  bespricht 

H.  Weil,  Nouveaux  papyrus  litteraires.  Journal 
des  savants  1901,  S.  745  f., 

der  Mim.  VIII,  11:  ji-Jj  x£  epia  ak  xpuxooaiv,  60:  ^Xtq  xax*  töu  r{ 
ßaxx^pt^  x6^«>,  69:  j*'  d^peovxo,  70:  eSetxvovxo,  71 :  auxvoo?  ji^x^oo?, 
72:  ÄS*  lfm  v<6xa>v,  78:  eu86xeov  sx"»*»  75 :        «epr^a  ergänzt. 
Hieran  schließe  ich 

A.  Ludwich,  Über  zwei  Scholien  zu  Herondas. 
Ind.  lect.    Königsberg  1902/03. 

Der  Verfasser  liest  die  Buchstaben  auf  dem  Rande  zu  I,  25:  xuXijc 
mit  darübergeschriebenem  Xixoc  und  zu  I,  79:  xotjv  mit  nachträglich 
übergeschriebenen  X  und  dann  xot.  Die  Scholien  hießen  also  ur- 
sprünglich x6Xtj?  und  xoXijv,  eine  andere  Form  für  das  gewöhnlichere 
xuXtxo?  und  xäXixa,  wie  eine  spätere  Hand  korrigierte.  Die  Form 
xoXtj  sucht  der  Verfasser  wahrscheinlich  zu  machen. 
An  Ausgaben  liegen  vor 

I.  Herondae  Mimiambi.  Accedunt  Phoenicis  Coronistae, 
Mattii  mimiamborum  fragmenta.  Tertium  edidit  0.  Crusius. 
Editio  minor,  exemplar  emendatum.    Leipzig  1900, 

mit  verkürzter  Einleitung  und  ohne  den  vollständigen  Wortindex, 
aber  mit  manchen  Verbesserungen  des  Textes,  die  zum  Teil  einer 
erneuten  Durchsicht  des  Papyrus  verdankt  werden. 

2.  The  mimes  of  Herodas.  Edited  with  introduetion, 
critical  notes  and  excurses  by  J.  A.  Nairn.  Together  with  faesi- 
miles  of  the  recently  discovered  fragments  and  other  illustrations. 
Oxford  1904. 

Der  Verfasser  hat  die  einschlägige  Literatur  fleißig  und  im  ganzen 
mit  gesundem  Urteil  benützt,  wenn  es  auch  an  Versehen  im  einzelnen 
nicht  fehlt.  Die  etwas  breite  Einleitung  klärt  über  Mimen,  aber 
ohne  die  Untersuchungen  von  H.  Reich  beizuziehen ,  über  Mimi- 
amben,  über  die  Persönlichkeit  des  Dichters,  über  Zeit  und  Ort 


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154 


Jahresbericht  über  die  griechischen  Lyriker.  (Sitzler.) 


seiner  Tätigkeit,  über  seine  literarischen  Vorbilder,  jedoch  ohne  die 
Arbeit  von  H.  Krakert  zu  kennen,  und  über  die  Vortragsweise 
seiner  Gedichte,  auf  die  ich  weiter  unten  zurückkommen  werde,  auf. 
Was  den  Namen  des  Dichters  anlangt,  so  hält  er  die  Form  Herodas 
für  die  richtige.  Hinsichtlich  der  im  Papyrus  sich  findenden 
Korrekturen  vertritt  er  die  Ansicht,  daß  man  jede  einzelne  für  sich 
auf  ihre  Echtheit  prüfen  müsse,  worin  ich  ihm,  wie  ich  schon  öfter 
darlegte,  beistimme.  Der  Text  bietet  wenig  Neues,  wie  I,  82:  ot> 
irapaXXarceiv  [  irefaooaa  xtX«,  recht  ansprechend,  wenn  man  napoX^arretv 
auf  die  Veränderlichkeit  und  Untreue  in  der  Liebe  bezieht,  was  der 
Herausgeber  freilich  nicht  tut,  indem  er  „to  go  astray,  desipere" 
erklärt ;  aber  die  Behandlung  des  Dialekts,  die  neben  Jonismen  auch 
Dorismen  und  Attizismen  zuläßt,  befriedigt  nicht.  Die  Erklärung 
schöpft  besonders  aus  Crusius  und  Headlam.  Einen  wesentlichen 
Fortschritt  bedeutet  die  Ausgabe  nicht. 

Mit  der  K  r  i  t  i  k  u  n  d  E  r  k  1  ä  r  u  n  g  der  Mimiamben  befassen  sich 

1.  W.  Headlam,  On  Herodas.  Class.  Rev.  1899,  S.  151  f. 
und  1904,  S.  308  f.    [Zu  allen  Mimiamben.] 

2.  A.  Ludwich,  Zum  ersten  Mimus  des  Herondas. 
Rerl.  phil.  Wochenschr.  1902,  Nr.  27,  S.  860  f.  —  Zum  sechsten 
Mimus  des  Herondas.  Ebenda  Nr.  18,  S.  575.  —  Zum 
siebenten  Mimus  des  Herondas.   Ebenda  Nr.  20,  S.  685  f. 

3.  R.  El  Iis,  Herondas  III,  24  f.  Journal  of  Philol  28, 
S.  17. 

4.  A.  Huemer,  Zu  Herondas  StSaaxaXoc,  V.  60  f. 
Zeitschr.  für  Österreich.  Gymn.  1899,  S.  585  f. 

5.  W.  J.  M.  Starki  e,  II  erondas  IV,  45  f.  Hermathena  24, 
S.  247  f. 

6.  L.  Rader m acher,  BAVBÜ.  Rhein.  Museum  1904, 
S.  811  f. 

7.  J.  J.  Beare,  Class.  Rev.  1904,  S.  287  f.  [VII,  96]. 

A.Brinkmann,  Ein  Schreibgebrauch  und  seine 
Bedeutung  für  die  Textkritik.  Rhein.  Museum  1902, 
S.  481  f.  [VII,  99]. 

Für  besonders  erwähnenswert  unter  den  hier  vorgebrachten  Ver- 
besserungsvorschlägen halte  ich  I,  78:  aXXoo  ok  tooteuv  xtX.  „etwas 
anderes  aber  als"  usw.  von  Lud  wich,  II,  8:  Iv  öotjjxevehjj  8'  icrrl 
T/jC  t:6\w  x^to,  da  die  Hs.  CMKMHAKCTI  hat,  von  Headlam, 
von  demselben  II,  16:  X^froo;  }ii]v,  17:  e^w  oh  zopvac  ix 


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Jahresbericht  über  die  griechischen  Lyriker.  (Sitzler.)  155 

Tupoo*  xt  x<j>  ö7jji(ü  |  xoux*  Iüti;,  73:  6  ßpeoxo?  =  ßpouxo?  eine  Heu- 
schreckenart als  Ausdruck  der  Verachtung,  vgl.  Athen.  163  d,  810  d. 
Anth.  Pal.  XI,  265.  Plaut.  Cas.  239.  Photios  s.  v.  xpl;,  xifovtov. 
Hesych.  p.  398,  400  f.,  das  Ganze  eine  Anspielung  auf  das  Sprichwort 
x6v  ev  Zot{x<()  xojAijxijv,  vgl.  Kock,  com.  att.  fr.  III,  S.  749 ;  Battaros 
vergleicht  sich  mit  diesem  xojngxi}?,  und  da  xofi^xijc  gewöhnlich  den 
Begriff  xfvat&o?  einschließt,  so  erklärt  sich  75X3?  V.  74.  Huemer 
erklärt  III,  60  f. :  r%  \\.  asXT|VaiTfl  —  x<5  i?pa>xx(j)  coli.  Zenob.  1,  52 : 
'Axeafac  xbv  irptoxx&v  fdaaxo,  also  „um  ihn  mit  der  Scheibe  des  Akesias 
zu  präsentieren".  Mim.  V,  77:  ttjv  xupotvvov  bezieht  II e ad  1  am  auf 
Hera,  indem  er  Zeus  xopavvoc  vergleicht.  Ebenderselbe  vermutet 
V.  80  xal  ÄYpajvi'  =  Ä^piavta,  ein  Totenfest  bei  den  Argivern;  er 
weist  darauf  hin,  daß  ein  koischer  Monat  'Afpiavio?  heißt  (vgl. 
Paton,  Inscript.  of  Cos.,  S.  326  f.),  an  dem  1.  dem  König  Nikomedes 
geopfert  wird,  2.  dem  Hippokrates,  dessen  Geburtstag  auf  den  27. 
oder  26.  Tag  dieses  Monats  fällt,  vgl.  Westermann,  Biogr.,  S.  449. 
Mim.  VI,  12  liest  Headlam  Taut'  i}iol  C07&V,  wohl  richtig;  V.  16 
faßt  er  v<oßuaxpa  ^  vooßuaxtxat,  Gegensatz  von  Tryphiod.  450 : 
d^paBiiQ  xe  ߣjtooxo  jieöijjioauvTQ  xs  xe^vei  rcaaa  -<$Xi?:  sie  lernen 
ihrer  Herren  Geheimnisse  und  lauern.  Das  Wort  ßaußtuva,  V.  19, 
bringt  Radermacher  in  Verbindung  mit  Botoßto,  die  er  für  eine 
dämonische  Hündin  im  Gefolge  der  Nachtgöttin  hält,  unserem  „Wau 
wau"  vergleichbar.  V.  41  schlägt  Headlam  xt'  rcoXXa  „kurztt  vor. 
V.  94  liest  Lud  wich:  xaöxiQ  -ydp,  faßt,  r^ur,  ar^v,  Mijxpot  und 
V.  99  Headlam  mit  Diels:  ctGxr,  au,  veoaaoit&Xi.  Mim.  VH,  26 
ergänzt  Headlam  xaXwv  (iaÖX&v)  fouivirep,  47:  xaXXa  5*  d^6\pu>? 
rjvxat.  57:  Noaai'6sc,  Xtat  coli.  Schmidt,  Hesych.  IV,  S.  286. 
V.  96  schlägt  Beare  vor:  (o<jx*  ix  }jlv  r^ituv  AfoXioc  irX£u>  Trp-^eic, 
indem  er  bemerkt :  A?oXeu?  entweder  als  6  xaxi'a?  aveji-a?  Hesych.  s.  v. 
oder  als  „prince  of  extortioners",  vgl.  afoXfCeiv.  Zu  V.  99  weist 
Brinkmann  darauf  hin ,  daß  der  Schreiber  ascooxoü  ausgelassen 
hatte,  dann  es  aber  auf  dem  freien  Raum  über  Columna  40  nachtrug, 
zugleich  mit  dem  Wort,  vor  dem  es  einzuschalten  ist,  nämlich 
cjxaxTjpa?;  dazu  setzte  er  das  Verweisungszeichen,  das  O.  Crusius 
als  outcü?  las. 

Zur  Kenntnis  der  Grammatik  des  Herondas  liefern  Beiträge 

1.  L.  Valmaggi,  De  casuum  syntaxi  apud  Herodam. 
Rivista  di  filol.  class.  1898,  S.  37  f. 

2.  P.  Prie wasser,  Die  Präpositionen  bei  Kalli- 
machos  und  Herondas,  verglichen  mit  denen  bei  Bakchylides 
und  dem  bereits  für  Pindar  bekannten  Resultate.  Progr.  Hall.  1903. 


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150        Jahresbericht  über  die  griechischen  Lyriker.  (Sitzler.) 

Valmaggi  behandelt  den  statt  des  Vokativ  stehenden  Nominativ, 
den  Vokativ ,  den  Akkusativ,  den  Genetiv  und  Dativ  nach  den  ver- 
schiedenen Seiten  ihres  Gebrauchs,  indem  er  jeweils  die  bei  Herondas 
vorkommenden  Beispiele  zusammenstellt  und  die  zweifelhaften  Fälle 
kurz  bespricht.  Die  dankenswerten  Sammlungen  zeigen,  daß  Besonder- 
heiten im  Gebrauche  der  Kasus  bei  Herondas  nicht  vorkommen; 
auch  Tztiabrpai  mit  Gen.  I,  66  ist  ionisch.  In  die  Sammlungen 
haben  sich  einige  Ungenauigkeiten  eingeschlichen;  so  ist  z.  B.  II,  36 
xäv  iropve*u>v  Gen.  part.  und  nicht  abh.  von  Xaßetv,  IV,  48  und 
V,  50  verdanken  die  bei  Xe^eiv  stehenden  Gen.  ihre  Entstehung  der 
Assimilation  und  VII,  64  hängt  der  Gen.  von  direinroXijv,  nicht  von 
ypei'Ceiv  ab. 

Priewasser  behandelt  die  Präpositionen  bei  Herondas  wie  die 
bei  Kallimachos,  wovon  ich  bei  diesem  Dichter  gesprochen  habe. 
Nach  ihm  kommen  irepf,  dvd  und  djxcpt  bei  Herondas  nicht  vor, 
während  efe,  rcp6?,  ix  und  iv  sehr  häufig  sind,  und  zwar  et;  mit  34, 
die  anderen  mit  25 — 24  Beispielen.  Am  öftesten  findet  sich  bei 
den  Präpositionen  der  Akkusativ,  dann  folgt  der  Genetiv  und  zuletzt 
der  Dativ;  aber  $ta  mit  Akk.,  6ir6  mit  Gen.  und  Dat.  und  jicxa  mit 
Dativ  werden  nicht  gebraucht;  ebensowenig  Wiederholungen  der 
Präpositionen  bei  mehreren  Satzgliedern.  Besonderheiten  in  der 
Stellung  der  Präpositionen  finden  sich  nicht  ;  IV,  18  steht  <ju,  V,  76 
pico  StxatW  zwischen  Präpos.  und  Substantiv.  Der  Hiatus  wird  durch 
die  gewöhnlichen  Mittel  beseitigt,  so  auch  bei  xcti  IV,  80,  93,  dXXa 
I,  88,  im  EU,  4,  16,  21,  IV,  75,  93,  iv  V,  15  und  Gicep  X,  3.  Auf- 
fallend sind  irap'  r^tov  I,  2  und  U  neu  HI,  78. 

Das  Verhältnis  des  Herondas  zu  anderen  Dichtern 
und  Schriftstellern  untersuchen 

1.  0.  Hense,  Zum  zweiten  Mimiamb  des  Herodas. 
Rhein.  Museum  1900,  S.  222  f. 

2.  H.  Krakert,  Herodas  in  miraiambis  quatenus 
comoediam  Graecam  respexisse  videatur.  Progr. 
Tauberbischofsheim  1902. 

Hense  hat  in  einem  Aufsatze  des  Rhein.  Museums  1895, 
S.  140  f.,  die  attische  Gerichtsrede  als  Vorbild  des  zweiten  Mimiambos 
des  Herodas  bezeichnet,  vgl.  vor.  Jahresber.  Bd.  104,  S.  103  f.  Diese 
Ansicht  verteidigt  er  jetzt  mit  Erfolg  gegen  R.  Herzog,  der  in 
seinen  koischen  Forschungen  und  Funden,  Leipzig  1899,  S.  214,  in 
der  Rede  des  Pornoboskos  speziell  den  'VTrspei&stoc  ^apax-ijp  finden 
will.    Dabei  modiBziert  er  aber  auch  seine  eigene  Ansicht;  der 


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Jahresbericht  über  die  griechischen  Lyriker.  (Sitzler.)  157 


Mimiambos  ist  ihm  jetzt  keine  Travestie  der  attischen  GerichUrede 
mehr,  „vielmehr  soll  der  kunstreiche  Apparat  dieser  Beredsamkeit 
und  ihr  bisweilen  hochgegriffener  Ton  in  komischen  Kontrast  treten 
wie  schon  zu  dem  Namen  des  Battaros  und  seiner  sittlichen  Ver- 
kommenheit und  Halbbildung,  so  insbesondere  zu  der  Niedrigkeit  und 
Geringfügigkeit  des  Objekts";  denn  die  Kontrastwirkung  ist  der 
Lebensnerv  der  Herodasschen  Kunst. 

In  demselben  Aufsatz  wies  Hense  auch  auf  die  mannigfachen 
Berührungspunkte  hin,  die  zwischen  den  Mimiamben  des  Herondas 
und  der  griechischen  Komödie  bestehen.  Dieses  Thema  behandelt 
K  r  a  k  e  r  t ,  einer  seiner  Schüler ,  in  seiner  Arbeit ,  einer  Freiburger 
Dissertation.  Er  zeigt,  wie  nicht  nur  im  allgemeinen  die  von  Herondas 
behandelten  Themen,  Situationen  und  Personen  mit  denen  der  Komödie 
übereinstimmen,  sondern  daß  sich  diese  Ähnlichkeit  selbst  auf  Ge- 
danken und  Wörter  erstreckt.  Die  Untersuchungen  des  Verfassers 
sind  verdienstlich;  nur  darf  man  sie  nicht  so  auffassen,  als  ob  der 
Dichter  bei  Abfassung  seiner  Mimiamben  bis  ins  einzelne  Anlehen 
bei  der  Komödie  gemacht  habe ;  sie  zeigen  nur  die  große  Verwandt- 
schaft zwischen  Mimiambos  und  Komödie  hinsichtlich  der  Wahl  der 
Stoffe  und  der  Art  ihrer  Behandlung. 

Ein  lebhafter  Meinungsaustausch  fand  über  dieArtundWeise, 
wie  die  Mimiamben  zum  Vortrag  gebrachtwurden,  statt, 
ohne  bis  jetzt  zu  einem  allseitig  angenommenen  Ergebnis  zu  führen. 
Daran  beteiligten  sich 

1.  C.  Hertling,  Quaestiones  mimicae.  Diss.  Straß- 
burg 1899. 

2.  Ph.  Legrand,  Problemes  alexandrins,  U.  A 
quelle  espece  de  publicite*  Herondas  destinait-il  ses 
mimes?    Rev.  des  Stüdes  anciennes  1902,  S.  5  f.  ■ 

3.  C.  Watzinger,  Mimologen.  Mit  einer  Tafel.  Mitteil, 
d.  arch.  Instituts  ath.  Abteil.  26,  S.  381  f. 

4.  0.  Crusius,  Die  Anagnostikoi.  Festschrift  für 
Th.  Gomperz.   Wien  1902,  S.  1  f. 

5.  R.  Herzog,  Zur  Geschichte  des  Mimus.  Philologus 
1903,  S.  35  f. 

6.  U.  v.  Wilamowitz,  Hermes  1899,  S.  207  f. 

7.  J.  A.  Nairn  in  der  Einleitung  seiner  Ausgabe. 

8.  R.  Meister,  Berl.  phil.  Wochenschr.  1904,  Nr.  26, 
S.  801  f. 


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158        Jahresbericht  über  die  griechischen  Lyriker.  (Sitzler.) 

Hertling  sucht  in  seiner  fleißigen  Dissertation  zu  beweisen, 
daß  die  Mimiamben  nicht  für  die  Aufführung,  sondern  zum  Vortrag 
durch  einen  Mimen  mit  wechselnder  Stimme  bestimmt  gewesen  seien 
und  ihren  Platz  bei  den  dryaivec  öopeXocof  gehabt  hätten.  Legrand 
unterzieht  die  von  Hertling  vorgebrachten  Gründe  einer  eingehenden 
Prüfung.  Zunächst  weist  er  unter  Berufung  auf  J.  Frei,  De 
certaminibus  thyraelicis,  Basel  1900,  den  Vortrag  der  Mimi- 
amben bei  den  df&ve?  öofisfoxof  mit  vollem  Rechte  zurück;  aber 
auch  von  den  anderen  Gründen  stellen  sich  bei  der  Prüfung  manche 
als  unhaltbar  heraus.  Beachtenswert  erscheint  ihm  dagegen  der 
Umstand,  daß  einige  der  Mimiamben  bei  der  Annahme  einer  Auf- 
führung zu  viele  Schauspieler,  bzw.  stumme  Personen  erfordern  und 
keine  vollständige  Handlung  ergeben  würden.  Daher  lehnt  auch  er 
die  Aufführung  ab,  ohne  jedoch  Hertlings  Hypothese  für  mehr 
als  möglich  zu  erklären.  Entschieden  auf  Hertlings  Seite  treten 
Wilamowitz  und  Nairn,  welche  die  Mimiamben  von  einem  Manne 
mit  entsprechender  Gestikulation  und  dem  nötigen  Stimmenwechsel 
vorgetragen  sein  lassen.  Wenn  aber  Wilamowitz  die  Mimen 
geradezu  von  der  dramatischen  Gattung  ausschließen  will,  so  wird 
er  durch  Plut.  quaest.  symp.  VII,  8,  4  widerlegt,  wo  zwei  Arten 
unterschieden  werden,  wv  xouc  \ihv  oTrodlaetc,  tooc  Öfc  irctfyvtct  xatXoDsiv, 
beide  zur  Unterhaltung  beim  Mahle  nicht  geeignet,  die  erstere  5td 
ta  ja^xt)  tcdv  öpauarcouv,  die  icaffvta  wegen  des  Inhalts.  Mit  diesem 
schriftstellerischen  Zeugnis  stimmt  das  archäologische  überein,  das 
wir  Watzinger  verdanken;  dieser  hat  nämlich  am  Westabhang 
der  Akropolis  eine  Tonlampe  gefunden,  die,  dem  Ende  des  dritten 
Jahrhunderts  v.  Chr.  angehörend,  die  Darstellung  der  drei  Schau- 
spieler eines  Mimos  Hekyra  zeigt.  Herzog  macht  darauf  aufmerksam, 
daß  der  Titel  Hekyra  auf  den  engen  Zusammenhang  der  Mimen  der 
hellenistischen  Zeit  mit  den  Komödien  dieser  Zeit  hinweist.  Diese 
entsprachen  offenbar  den  Hypotheseis  bei  Plutarch,  und  aus  ihrer 
dramatischen  Aufführung  läßt  sich  kein  Schluß  auf  die  Vortragsweise 
der  hexametrischen  Mimiamben  des  Theokrit  oder  der  Mimiamben 
des  Herondas  nach  Herzog  machen.  Jedenfalls  widersprach  der 
Dialekt  und  das  Versmaß  des  Herondas  der  Aufführung  nicht ;  denn 
wie  Herzog  richtig  bemerkt,  dienen  diese  nur  dazu,  die  realistische 
Kunst  seiner  Charakterdarstellung  in  eine  freiere  Sphäre  zu  heben, 
da  ohne  diesen  Rahmen  der  Inhalt  zum  Teil  brutal  wirken  würde. 
Herzog  neigt  sich  demnach  dem  Standpunkt  von  Crusius  zu,  der 
für  Herondas  jedenfalls  lebendigen ,  schauspielerischen  Vortrag  in 
Anspruch  nimmt,  aber,  von  dem  vierten  Miiniambus  abgesehen,  auch 


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Jahresbericht  über  die  griechischen  Lyriker.  (Sitzler.)  159 

dramatische  Aufführung  mit  den  einfachsten  szenischen  Mitteln  in 
geschlossenem  Raarae,  bei  häuslichen  Festlichkeiten,  knrz,  was  wir 
jetzt  intim  nennen,  für  möglich  hält.  Nach  Herzog  gehören  sie 
ins  Kabarett  oder  aufs  Überbrettl.  Für  dramatische  Aufführung  tritt 
entschieden  Meister  ein,  und  ich  stimme  ihm  darin  bei;  denn  dies 
ist  an  sich  wahrscheinlich,  weil  der  dritte,  fünfte  und  siebente  Mimi- 
anibos  nur  bei  wirklicher  Aufführung  durch  mehrere  Personen  zum 
richtigen  Ausdruck  gebracht  werden  kann.  Die  Prügelszene  ohne 
realistische  Darstellung  ist  für  mich  undenkbar.  Sodann  scheint  mir 
aber  auch  die  Plutarchstelle  bei  beiden  Arten  von  Mimen  die  dramatische 
Aufführung  vorauszusetzen;  denn  es  wird  hier  nicht  Aufführung  und 
Nicht- Aufführung  einander  entgegengestellt,  sondern  Länge  und  Inhalt. 
Was  Legrand  über  die  große  Zahl  der  Schauspieler  und  die  Unvoll- 
ständigkeit  des  Inhalts  sagt,  steht  dieser  Ansicht  nicht  entgegen; 
kein  Stück  verlangt,  von  den  stummen  Personen  abgesehen,  mehr 
als  drei  Schauspieler,  und  das  Abgerissene  am  Anfang  und  am  Ende, 
ich  möchte  sagen  das  Rhapsodische,  stimmt  vortrefflich  zu  dem  ganzen 
Charakter  dieser  aus  dem  wirklichen  Leben  herausgegriffenen  Szenen. 
Die  Aufführung  kann  im  Theater,  auf  dem  Markte  und  intim  vor 
sich  gegangen  sein;  in  der  Inszenierung  hatte  man  hinsichtlich  des 
Mehr  oder  Weniger  freie  Hand,  selbst  beim  vierten  Mimiambos. 

Zum  Schlüsse  erwähne  ich  noch 

H.  Reich,  Der  Mimus.  Ein  entwicklungsgeschichtlicher 
Versuch.  I.  Bd.,  erster  Teil.  Theorie  des  Mimus.  Zweiter 
Teil.  Entwicklungsgeschichte  des  Mimus.  Berlin  1903,  und 

A.  Huemer,  Gibt  es  einen  Vers  jj.i|ifafj.ßoc?  Wiener 
Studien  XXVI,  S.  38  f., 

der  das  Vorhandensein  eines  solchen  Verses  in  Abrede  stellt,  da 
Mimiamben  eine  Dichtgattung  und  keine  Verse  seien;  die  Eigen- 
tümlichkeiten des  Herondas  führt  er  auf  ältere  Vorbilder  zurück. 

Parthenios. 

Als  neue  Ausgabe  ist 

Parthenii  Nicaeni  quae  supersunt  edidit  E.  Martini. 
Leipzig  1902, 

erschienen,  der  Bearbeitung  der  mythographi  Graeci  angehörend  wie 
die  Ausgabe  Sakolowskis,  aber  sorgfältiger  und  besser  als  diese ; 
sie  wird  von  jetzt  ab  die  Grundlage  für  die  Parthenios  -  Studien 
abgeben. 


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100         Jahresbericht  Über  die  griechischen  Lyriker.  (Sitzler.) 

Mit  der  Kritik  and  Erklärung  des  Parthenios  be- 
schäftigen sich 

1.  R.  Ellis,  New  conjectures  on  Parthenins  rcepl 
ipwxixcov  7:aÖ7j[xaTto v.  Americ.  Journal  of  Philology  XXIII, 
S.  204  f. 

2.  A.  K.  ZaYfOYtavvTjC,  Kpixixal  irapaxr,  pi^aeic  sf; 
Ilaptte'vtov  7tepl  &p«>xix<uv  itadij  [Aa'xu>  v.    ÄO^va  XII,  S.  459  f. 

8.  L. Radermacher,  Griechischer  sprachgebrauch. 
Philologus  1904,  S.  1  f. 

Die  Abhandlung  von  Za-pfOYiow^c  war  mir  leider  nicht  zugänglich; 
aus  den  anderen  erwähne  ich,  daß  Radermacher  im  Anfang  der 
ersten  Geschichte  irepl  Aopxou  mit  Recht  \i*<svr$4&  xe  xal  Ipeuv/xdc 
aXXouc  xa&Tjxev,  ev  8e  aöxo«  Aupxov  xxX.  in  Schutz  nimmt ;  allerdings 
hätte  er  sich  dafür  nicht  auf  Beispiele  wie  Lukian.  de  saltat.  9: 
exaipov  tirl  xqJ  xaXXet  xal  x$  äkx%  a&xoü  berufen  sollen,  die 
hier  nicht  zutreffen,  wie  schon  Meineke  zu  der  Stelle  bemerkt, 
sondern  er  hätte  an  Herodot,  das  Vorbild  des  Parthenios  in  vielen 
sprachlichen  Dingen,  erinnern  sollen,  der  oft  aXXoi  xe  oder  iroMol 
f*ev  xal  aXXot,  ev  h£  gebraucht,  vgl.  Stein  zu  I,  74;  jtaox^pa?  xe 
xal  ep.  an  unserer  Stelle  sind  Prädikativa  zu  aXXooc:  „andere  als 
Sucher  und  Nachforscher,  darunter  aber  besonders"  usw.  Ellis 
schlägt  in  der  27.  Geschichte  repl  ÄXxiv6rjc  in  der  Mitte  eic  xooooxov 
xt  e*Xdetv  und  in  der  29.  irepl  Aacpvtdoc  am  Anfang  oupifft  ef  8^  xtc 
Se&ifcc  xP^aa0^at  vor* 

Die  Sprache  des  Parthenios  untersucht  eingehend 

R.  Mayer-G'Schrey,  Parthenius  Nicaeensis  quäle 
in  fabularum  amatoriarum  breviario  dicendi  genus 
secutus  sit.    Diss.  Heidelberg  1898. 

► 

Er  betrachtet  in  gleicher  Weise  den  Dialekt,  die  Wortauswahl,  die 
Formenlehre,  die  Syntax,  die  Satzbildung,  den  Hiatus  und  die 
rhetorischen  Figuren,  überall  die  früheren  Dichter  und  Schriftsteller 
zum  Vergleiche  heranziehend.  Das  Ergebnis  faßt  er  auf  S.  68  dabin 
zusammen,  daß  die  Sprache  des  Parthenios  sowohl  den  Dichter  als 
auch  den  Grammatiker  verrät;  sie  ist  vielfach  mit  gelehrten  und 
poetischen  Ausdrücken  ausgeschmückt,  die  zum  Teil  aus  den  Vor- 
lagen genommen  sind.  Parthenios  ist  mit  den  Attikern  bekannt,  ins- 
besondere aber  mit  Herodot,  dessen  fXoxuxjjc  er  mit  der  dWXeta  der 
Mythographen  zu  verbinden  sucht.  Er  hält  sich  von  allem  Rhetorischen 
fern  und  gehört  auch  nicht  zu  den  Attizisten;  in  seiner  Darstellung 


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Jahresbericht  über  die  griechischen' Lyriker.  (Sitzler.)  161 

zeigt  er  Nachlässigkeit,  besonders  im  Grammatischen.  Daher  ist  bei 
der  Behandlung  des  Textes  Vorsicht  geboten. 

Bisher  nahm  man  mit  H  e  r  c  h  e  r  allgemein  an,  daß  die  auf  dem 
Rand  der  Hs.  Überlieferten  Quellenangaben  zu  den  Geschichten 
des  Parthenios  (und  Antoninus)  nicht  von  dem  Verfasser  selbst, 
sondern  von  einem  belesenen  Grammatiker  etwa  des  dritten  Jahr- 
hunderts n.  Chr.  stammen.    Dagegen  wendet  sich  jetzt 

E.  Bethe,  Die  Quellenangaben  zuParthenios  und 
Antoninus  Liberalis.    Hermes  1903,  S.  608  f. 

Er  hält  die  Angabe  der  Quellen  durch  Parthenios,  wenn  er  mit  seiner 
Schrift  den  Cornelius  Gallus  im  Dichten  unterstützen  wollte,  für  un- 
bedingt notwendig;  die  Quellenangaben  müssen  also  von  ihm  selbst 
herrühren.  Wenn  wir  sie  trotzdem  nur  selten  im  Text  finden,  so 
erklärt  sich  dies  daraus,  daß  Parthenios  uns  nur  im  Auszug  vorliegt. 
Auf  dem  Rand  dieses  Auszugs  fügte  ein  interessierter  Mann,  etwa 
Arethas,  aus  einem  vollständigeren  Exemplar  die  Quellenangaben, 
die  er  darin  fand,  bei ;  wo  keine  verzeichnet  waren,  schrieb  er  8  =  n'j 
bei.  So  kommt  es,  daß  sie  bei  den  meisten  Stücken  vorhanden 
sind,  bei  anderen  aber  fehlen,  und  daß  zuweilen  die  Angaben  auf 
dem  Rande  von  denen  im  Text  verschieden  sind,  beide  sich  also 
ergänzen.  Ein  solches  Exemplar  ist  im  Heidelberger  cod.  398  auf 
uns  gekommen. 

Mit  den  Gedichten  des  Parthenios  befassen  sich 

1.  R.  Sabbadini,  Parte nio  ed  il  Moretum.  Rivista 
di  filologia  class.  1903,  S.  471  f. 

2.  G.  Knaack,  Hellenistische  Studien.  I.  Nisos 
und  Skylla  in  der  hellenistischen  Dichtung.  Rhein. 
Museum  1902,  S.  205  f. 

Sabbadini  weist  darauf  hin,  daß  J.  G.  V  o  s  s  i  u  s  das  Scholium, 
das  er  de  poetis  Graec.  p.  70  veröffentlichte,  dem  cod.  Ambros.  T  21 
suppl.  chart.  saec.  XV  entnahm,  wo  auf  S.  33  oben  geschrieben 
steht :  Parthenius  moretum  scripsit  in  graeco  quem  Virgilius  imitatus 
ist.  Die  Notiz  ist  nach  ihm  wertlos,  da  sie  sich  aus  der  interpolierten 
Stelle  bei  Macrob.  sat.  V,  17,  18:  versus  est  Parthenii,  quo  grammatico 
in  Graecis  Virgilius  usus  est  und  aus  dem  Kommentar  des  Eustathius 
zu  Perieges.  Dionys.  420:  <S?  97^1  Uapbinot  6  tAc  fiexapopcpiuaeic 
fpctyai  Xe^jievoc,  herleitet.  Aus  der  letzteren  Stelle  hätte  man  auf  die 
Ciris,  nicht  auf  das  Moretum  schließen  sollen.  Damit  fällt  der  bisher 
schon  von  allen  Seiten  angezweifelte  Murctoxo«  des  Parthenios. 

JalireiberirM  für  AlUrturaiwi^enichaft.    Bd.  CXXX1II.    (1907.   ].)  11 


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162         Jahresbericht  über  die  griechischen  Lyriker.  (Sitzler.) 

Die  Ciris  des  Pseudo- Virgil  führte  schon  Heyne  auf  Parthenins 
zurück,  dem  £.  Rohde  nnd  Fr.  Skutsch  in  seiner  Schrift  „Aus 
Vergils  Frühzeit"  folgen.  Daß  der  Römer  aber  keine  Übersetzung, 
sondern  eine  freie  Bearbeitung  lieferte,  weist  Knaack  nach,  der  den 
von  Antoninus  exzerpierten  Bericht  als  Quelle  des  Parthenios  an- 
nimmt. Nach  ihm  geht  die  älteste  Gestaltung  der  Sage  auf  einen 
Epiker  zurück,  dessen  Darstellung  schon  alle  Züge  der  späteren 
Ausbildung  im  Keime  enthielt.  Die  weitere  Entwicklung  übernahm 
die  Tragödie,  die  das  Liebesmotiv  ausgestaltete,  und  die  hellenistische 
Dichtung,  als  deren  letzter  Vertreter  Parthenios  noch  einmal  alle 
Momente  zu  einem  wirksamen  und  ergreifenden  Seelengemälde 
zusammenfaßte. 

B  a  b  r  i  o  s. 

Neue  hs.  Mitteilungen  zu  Babrios  macht 

A.  Hausrath,   Ad  Babrii  editionem  novissimam 
additamentaduo.    Philologus  1899,  S.  258  f., 

aus  dem  cod.  27  des  St.  Basils  Kloster  zu  Grottaferrata  und  aus  dem 
cod.  Vatic.  gr.  949  fol.  99 — 106.  Der  erstere,  eine  Abschrift  des 
cod.  Cryptoferratensis,  enthält  die  Anfange  von  folgenden  20  Fabeln 
der  Crusi us sehen  Ausgabe:  12,  3, 17, 143 :  cd  8pi>c  tzot£  efc  Rpotfairov. 
10:  GttoxpaT^c.   5:  dXeVnop.   7,  34,  11:  dX<oirq€  fydpav.   1,  22,  20, 

13,  27,  29,  89,  85,  52,  43  ?  (&a<poc  xfc).  147 :  exiv  faxopYOc.  Drei 
von  diesen  Fabeln  sind  im  Vatican. :  1  =  Vat.  216,  12  =  Vat.  18, 
14  =  Vat.  30.  Sechzehn  stimmen  mit  dem  Athous  ungefähr  überein. 
Bei  5  bleibt  es  zweifelhaft,  ob  die  Fabel  5  bei  Crusius  oder  213: 
dXexxpuävec  xal  i?6p$tc  gemeint  ist;  ähnlich  ist  es  mit  Fabel  43. 
Damit  wird  bestätigt,  was  Crusius  proleg.  p.  X  sagt,  nämlich  daß 
es  Hs.  gegeben  habe,  die  nicht  aus  dem  jetzt  verstümmelt  vorliegenden 
Athous  abgeleitet  seien. 

Der  cod.  Vatic.  gr.  949  enthält  die  bis  jetzt  nicht  veröffent- 
lichten Paraphrasen  zu  folgenden  89  Fabeln  bei  Crusius:  143,  7, 

14,  23,  18,  31,  144,  37,  145,  42,  38,  36,  35,  52,  53,  49,  45—47, 
54,  50,  59,  58,  148,  62,  64,  75,  71,  150,  76,  151,  152,  78,  83, 
153,  84,  104,  103,  95,  154.  Sie  stimmen  in  der  Regel  mit  den 
Paraphrasen  des  Bodl.  überein ;  wo  aber  beide  voneinander  abweichen, 
schließt  sich  der  Bodl.  enger  an  Babrios  an.  Der  Vatic.  hat  den 
Bodl.  benützt,  aber  auch  den  Babrios  selbst  beigezogen;  daher  kann 
manches  aus  ihm  gewonnen  werden,  was  im  Bodl.  verdorben  oder 
ausgelassen  ist. 


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Jahresbericht  über  die  griechischen  Lyriker.  (Sitzler.)  163 


Daran  schließe  ich 

The  Amherst  Papyri  by  B.  P.  Grenfell  and  A.  S.  Hunt. 
Part.  II.    London  1901, 

wo  als  Nr.  26  drei  Fabeln  des  Babrios  (11,  16,  17)  veröffentlicht 
werden,  denen  eine  lateinische  Übersetzung  beigegeben  ist.  Alle 
drei  fangen  mit  A  an,  stehen  aber  hinsichtlich  des  Textes  dem  Athous 
nach;  17,  2:  xopoxoc  oia  =  xcftpoxoc  ofa  (st.  u>c  ftuXaxäc  Tic) ;  16,  9: 
&c  *plv  efc&deic,  wie  Bergk  schrieb  (st.  Äarcep  efafc&ijc);  11,  1: 
fydpdv  dpireX  .  .  .  xe  xal  x^rcoo,  wo  die  lat.  Interlinearübersetzung 
auf  dpite'Xfov  fuhrt ;  5 :  tou  ßaX^vtoc,  wie  der  Athous.  Das  prosaische 
Epimythion  zu  17  und  16  fehlt,  das  poetische  zu  11  dagegen  ist 
vorhanden.  Der  Papyrus  stammt  aus  der  Zeit  um  400  n.  Chr.  Vgl. 
dazu  H.  Weil  im  Journal  des  savants  1901,  S.  736  f.  Nach 
L.  Radermacher,  Aus  dem  zweiten  Bande  der  Amherst 
Papyri.  Rhein.  Museum  1902,  S.  142  f.,  sind  es  Schulübungen. 
Zum  Beweise,  daß  Babrios  in  der  Schule  gebraucht  wurde,  weist 
Radermacher  auf  den  cod.  Paris,  gr.  425,  eine  Miscellanhs.,  hin, 
die  am  Schlüsse  Institutiones  grammaticae  latino  -  graecae  und  als 
Fortsetzung  drei  äsopische  Fabeln,  ebenfalls  griechisch  und  lateinisch, 
enthält,  deren  mittlere  er  mitteilt.  Mit  der  den  Fabeln  in  den 
Amherst  Papyri  beigegebenen  lat.  Übersetzung,  die  viel  Auffallendes 
bietet,  beschäftigen  sich 

1.  M.  Ihm,  Eine  lateinische  Babrios-Übersetzung. 
Hermes  1902,  S.  147  f. 

2.  R.  E 1 1  i  s  in  dem  Album  gratulatorium  in  honorem  H.  v.  Her- 
werden.   Utrecht  1902. 

3.  A.  Klotz,  sorsus.  Archiv  für  lat.  Lexikographie  und 
Grammatik  XIII,  S.  117. 

4.  W.  Heraeus,  Aus  einer  lateinischen  Babrios- 
Üb  ersetzung.    Ebenda  S.  129. 

In  neuer  Auflage  liegt  vor 

Babrius,  Fable s.  Texte  grec,  publik  ä  l'usage  des  classes, 
avec  une  introduction ,  des  notes  et  un  lexique,  par  A.  M.  Des- 
rousseaux.  4.  Edition,  revue  et  corrigee.  Paris  1902,  XX, 
239  S. 

Beiträge  zur  Erklärung  und  Kritik  des  Babrios  liefern 

1.  O.  Immisch,  Babriana  ad  Ottonem  Crusium. 
Philologus  1899,  S.  401  f. 

2.  H.  v.  Herwerden,  Babriana.  Mnemosyne  1900,  S.  1 57 f. 

11* 


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164        Jahresbericht  über  die  griechischen  Lyriker.  (Sitzler.) 

3.  R.  E Iiis  in  Class.  Review.  1898,  S.  119  f. 

4.  A.   Lud  wich,    Über  einige   Verderbnisse  bei 
Babrios.    Ind.  lect.    Königsberg  1902  03. 

Daraas  führe  ich  als  besonders  bemerkenswert  folgende  an. 
Proöm.  I,  5  nimmt  I  m  m  i  s  c  h  mit  Recht  fiepTmfi  in  Schutz,  während 
V.  17  f.  Lud  wichs  Schreibung:  wv  vuv  fxaaxov  avdefi1  eia'  ejif 
jivr^iQ  |  [i.  v<p  t6  x.  &ija<o  kaum  Billigung  finden  kann ;  ich  schlage 
«iv  vöv  §xa<rrov,  t,v  Mktf  iyziv  i^vr^,  ja.  3<p  v<|5  xi  xijpt'ov  d.  vor, 
lx«v  iiv^jatq  „mit  dem  Gedächtnis  festhalten,  sich  merken",  wie  <ppedv 
&X«v  Horn.  B  33.  v«j>  Zytiv  Plat.  de  rep.  VI,  p.  490  a.  Auch  was 
derselbe  Gelehrte  1,  11  zur  Vermeidung  von  xouxoo  und  xaöxij?  (12) 
vermutet:  xpuxoC  paßt  für  Babrios  nicht;  V.  12  ist  vielmehr  xij? 
8'  auxe  dapaeTv  xxX.  zu  lesen,  vgl.  12,  19.  —  6,  5  will  Lud  wich 
den  Anstoß  durch  fcxxoc  sfc  xdfrpw  xxX.  heben;  ich  ziehe  oux  ovx' 
efc  x.  wpaiov  vor.  —  11,  5  schreibt  Her  werden  richtig  ßXdßovxoc 
(st.  ßXaftövxo?).  —  12,  17  f.  schlägt  Lud  wich  xal  xaupa  OdXrei, 
Ilava  8'  dfpoTTfjv  x^xst  und  jatj  XGaov  vor;  im  letzteren  Verse  ist  ohne 
Zweifel  dfy6  8tj  aeaimjv  aocpd  XaXouaa  8iJXq>3ov  zu  lesen,  vgl.  Herod. 
IV,  42  AißuT)  StjXoi  itooTTjv  ioöaa  repippoxoc;  V.  17  vermute  ich 
OaXiret  rcdvxa  XP")|*a  auvx^xet.  —  27,  1  korrigiert  Lud  wich:  xal 
irvt£a>v  |  eirrjfev  oSaxt  xqJ  'v  auva-yx^  xotT^.  —  28,  4  ändert  Her- 
werden ansprechend  dpxt  -jfdp  dro  xr,?  /<up>;c  i.  e.  ab  agro  (st.  rcpo 
xt4c  &p>)c.  —  29,  5  ersetzt  Lud  wich  das  metrisch  anstößige  Xtav 
durch  \rt\L  ;  näher  liegt  d^av,  so  daß  jxtj  d"fav  m^  Synizese  gelesen 
werden.  —  44,  2  emendiert  derselbe  richtig  2ve8peu<bv  st.  &<ps8peu<»v.  — 
45,  8  wünscht  Her  werden,  metrisch  bedenklich,  xd?  Ii  töiacd^ptjxe, 
Lud  wich  mit  Umstellung  IKas  hl  X7ja8'  d<p?jxe;  aber  xal?  jjIv  und 
xae  W  sind  zu  halten,  dagegen  verlangt  V.  7:  <p£po>v  eßaXXs  ÖaXXov 
4c  5X>jc  in  V.  8  die  Änderung  xdc  5'  ivSeew-  dcprjxs  xxX.  —  47,  8 
vermutet  Lud  wich  gut  :  efx'  (oö  *jdp  l8ovav?o)*  xaxd  xxX.  —  66,  6 
liest  Ellis  töfo>v  8'  omadsv,  >jxic  f,v  8Xq>  jieiCwv  (st.  roXu  j*.);  ich 
schlage  x<5aq>  ja.  vor.  —  70,  3  korrigiert  Lud  wich  >jv  xaPe^  *• 
st.  dpijc;  V.  7  uud  8  ist  mit  Her  werden  "Vßpif  und  N&epoc  zu 
schreiben.  —  72,  20  entschuldigt  Crusius  die  metrische  Unregel- 
mäßigkeit xal  xopoSaXXö?  ouv  x.  mit  der  Freiheit  im  Gebrauch  der 
Eigennamen;  richtiger  Lud  wich  xdxt  xopi>88c  06  v  x.  —  76,  12 
ändert  Ellis  x'  lx£Xeue  gut  in  x*  exXstCs.  —  89,  5  liest  Her  werden 
8?  x68'  sxoe  st-  Sc  itc*  exoe.  —  95,  8  stellt  man  gewöhnlich  um 
yeTpac  eic  ijiac  ffiti,  was  nicht  angeht,  wie  L  u  d  w  i  c  h  bemerkt ;  aber 
st.  efc  X«pÄ;  ifxdc,  was  er  vorschlägt,  ist  besser  efc  dupac  ipdc»  vgl. 
97,  6:  licl  däpatc  Xeovxefoic.  —  111,  12  schlägt  Lud  wich  KaXt|iß«&- 


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Jahresbericht  über  die  griechischen  Lyriker.  (Sitzler.)  165 

Xouc  st.  des  überlieferten  :raXtv  8X00?  vor,  was  dem  Sinne  nach  zu 
weit  abliegt;  der  Fehler  liegt  in  xaT^eöe  xal,  wofür  xat^eoev,  eka 
(oder  xat^irfiae  xaxa)  zu  lesen  ist.  —  115,  4  ändert  derselbe  Gelehrte 
ix  7rrox^?  sX.  afet&c  Taupoo,  wo  der  Sing,  icrox^  und  der  Tauros 
mißfallt;  es  fehlt  der  Begriff  „hören",  der  in  ix  toxtjc  stecken  muß, 
also  -z%  hl  xXutov  IX.  —  128,  10  emendiert  Ludwich  gut:  taut' 
d»c  aDv^xcoa'  f(  xucov  xtX.,  aber  129,  9  paßt  xpivftefc  st.  xptÖac  nicht; 
man  muß  expo>Y6v  a^opa  lesen,  vgl.  76,  9 :  In  cr/upotoi  Suax^votc  — 
138,  2  schreibt  Herwerden  iaidpr^  fe  8.  Außerdem  behandelt 
er  die  Metrik  des  Babrios  und  versucht,  eine  ganze  Reihe 
von  Paraphrasen  wieder  in  Verse  zu  bringen. 

Das  Leben  und  die  Dichtungen  des  Babrios  behandelt 

M.  Marchiano,  Babrio,  fortuna  de'  suoi  mitiambi, 
etä  e  patria  del  poeta.    Trani  1899. 

Der  Verfasser  schließt  sich  im  wesentlichen  an  0.  Crusius  an. 
Sein  Buch  bringt  dem  Kenner  nichts  Neues,  ist  aber  zur  Verbreitung 
der  Kenntnis  des  Babrios  unter  seinen  Landsleuten  nicht  ohne  Wert, 
vgl.  die  ausführliche  Besprechung  von  L.  A.  Michelangeli  in 
Rivista  di  storia  antica  N.  S.  V,  S.  8  f. 

Zum  Schlüsse  erwähne  ich  noch 

M.  Marchianö,  L'origine  della  favola  greca  e  i 
suoi  rapporti  con  le  favole  orientali.    Trani  1900, 

der  in  übermäßig  breiter  Ausführung  zu  beweisen  sucht,  daß  die 
griechische  Fabel  rein  einheimischen  Ursprungs  sei,  was  ihm  natürlich 
nicht  gelingt  und  auch  nicht  gelingen  konnte. 

Neue  Funde. 

Zu  der  von  H.  Diels  veröffentlichten  Elegie  des  Posei- 
dippos  (vgl.  vor.  Jahresber.  Bd.  104,  S.  164)  gibt 

R.  Ellis,  Notes  on  the  newly  discovered  elegy  of 
Poseidippos.    Amer.  Journal  of  Philology  1900,  S.  77  f., 
eine  Reihe  von  Verbesserungen. 

B.  P.  Grenfell  and  A.  S.  Hunt,  The  Oxyrhynchos 
Papyri  with  eight  plates.    London  1898, 

veröffentlichen  unter  Nr.  14  achtzehn  zum  Teil  sehr  verstümmelte 
Verse  einer  hellenistischen  Elegie ,  welche  die  einfache  Lebensweise 
der  ersten  Menschen  preisen.  Vgl.  darüber  U.  v.  Wilamowitz  in 
Gött.  gel.  Anz.  1898,  S.  659.  G.  Fraccaroli,  Un  elegia  di 
Archiloco  (?).    Bollet.  di  filol.  class.  V,  S.  108  f.    H.  Weil, 

Jahresbericht  für  Altertumswissenschaft.    Kd.  CXXXIII.   (1901.   I.)  11** 


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1(56        Jahresbericht  über  die  griechischen  Lyriker.  (Sitzler.) 


Sur  an  texte  poe*tique  conserve"  sur  papyrus.  Rev.  des 
6tud.  gr.  1898,  S.  239  f.,  abgedruckt  in  Stüdes  de  litterature 
et  de  rhythmique  Grecques.    Paris  1902,  S.  25  f. 

P.  N.  Papageorgiu,  Zwei  iambische  Gedichte  saec. 
XIII  und  XIV.    Byzant.  Zeitschrift  VIII,  S.  672  f. 

Das  erste,  10  Verse,  steht  am  Ende  eines  codex  und  ist  das  Gebet 
des  Abschreibers,  Kp^tr,?  rpoeopoc  Nix7,96poc,  um  Gottes  Segen  für 
seine  Mühe.  Das  zweite  befindet  sich  am  Anfang  von  Kaiser  Michael 
Paläologos  Tuttixöv  rr^  ir\  too  ßoovou  xou  AoSevtfoo  öeßa3|i6zc  jiov^c 
Mtx«^  tou  'Apxa^eXoo,  ein  Gebet  an  den  Erzengel  Michael  um 
Beistand  in  108  Versen. 

H.  v.  Herwerden,  Mnemosyne  1900,  S.  24  f.,  erkennt  in 
Plutarch  Lacaen.  apophthegm.,  p.  241  A  (Bernad.)  das  Distichon: 
SeiXoi  xXaieö&oxJav  •  lf<»  U  oe,  t&vov,  dtöaxpo?  [xal  JXapd]  |  dairrto 
xöv  xai  4(aov  xal  Aaxefaipävtov. 

U.  v.  Wilamowitz,  Hermes  1902,  S.  324,  entdeckte  in 
Apoüonios  über  die  Konjunktionen  S.  251  (Sehn.)  den  unvollständigen 
Pentameter  a<&<ppa>v  rcep  (i><ov  to5t<5  f£  jxoi  xapisou 

W.  Headlam,  Class.  Rev.  1899,  S.  151  f.,  am  Schlüsse  seines 
Aufsatzes  liest  das  Sprichwort  det  jjie  xotoi  (st.  totootot)  iroXijwoi 
Suoxotev  und  führt  es  auf  eine  Fabel  zurück. 

II.  Melische  Dichter. 

a)  Allgemeines. 

An  neuen  Ausgaben  sind  erschienen 

1.  Greek  melic  poets  by  H.  W.  Smyth.  London, 
Macmillan  and  Co.  1900. 

2.  Antologia  della  melica  Greca  con  introduzione, 
comento  e  appendice  critica  del  A.  Taccone.  Törino,  E.  Loescher 
1904. 

Beide  Ausgaben  verfolgen  denselben  Zweck,  nämlich  in  das 
Studium  der  indischen  Dichter  der  Griechen  einzuführen.  Die  Ein- 
leitung klärt  über  den  Begriff  Melik  und  die  verschiedenen  Arten 
der  griechischen  Melik  auf.  Daran  schließt  sich  bei  beiden  eine 
ausführliche  Bibliographie.  Die  Fragmente  sind  nicht  vollständig, 
sondern  nur  in  Auswahl  aufgenommen ;  Smyth  fügt  in  einem  Anhang 
noch  die  Skolien  der  Weisen,  eine  Anzahl  Anakreonteen,  den  delphischen 
Päan  auf  Dionysos,  den  Päan  des  Aristonoos  und  den  des  Isyllos  von 
Epidauros,  außerdem  die  zwei  delphischen  Hymnen  auf  Apollon  mit 


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Jahresbericht  über  die  griechischen  Lyriker.  (Sitzler.) 


107 


Noten  bei;  auch  die  Fragmente  Pindars,  sowie  die  neu  aufgefundenen 
Gedichte  des  Bakchylides  hat  er  berücksichtigt,  von  denen  er  3,  5, 
«..,  9,  11,  18,  14,  15,  17  und  18  (bei  Kenyon)  bebandelt  hat. 
Taccone  hat  Bakchylides,  Pindar,  die  genannten  Hymnen  und 
Päane,  sowie  die  Anakreonteen  und  Skolien  der  Weisen  beiseite 
gelassen,  dafür  aber  ein  Stück  aus  den  neu  gefundenen  Persern  des 
Timotheos  mitgeteilt.  Der  Kommentar,  bei  Taccone  an  die  einzelnen 
Fragmente  angeschlossen,  bei  Smyth  hinter  die  Fragmentsammlung 
gestellt,  ist  vorwiegend  exegetisch;  doch  ist  auch  die  Erörterung 
kritischer  Fragen  nicht  ausgeschlossen  und  immer  eine  kurze  Bio- 
graphie der  einzelnen  Dichter  beigegeben.  Smyth  dehnt  ihn  sehr 
weit  aus,  zieht  Parallelen  aus  Homer,  Theokrit  und  Horaz  bei  und 
widmet  auch  der  Sprachgeschichte  und  Etymologie  einen  großen 
Raum.  Hinsichtlich  der  Metrik  zeigt  sich  Smyth  konservativ, 
während  Taccone  die  neuen  Grundsätze  mit  gutem  Erfolg  durch- 
führt. Auf  einzelnes  werde  ich  bei  Besprechung  der  Dichter  zurück- 
kommen. 

Eine  außerordentlich  rege  Tätigkeit  herrschte  in  den  letzten 
Jahren  auf  dem  Gebiet  der  griechischen  Metrik  und  Rhythmik, 
indem  man  bestrebt  war,  an  die  Stelle  der  jetzt  herrschenden  Theorie, 
die  aber  auch  ihre  Verteidiger  fand,  die  Grundsätze  der  Griechen 
selbst  zu  setzen.  Hier  können  jedoch  nur  die  Arbeiten  Berück- 
sichtigung finden,  die  sich  speziell  auf  die  melischen  Dichter  be- 
ziehen. 

Den  Hiatus  in  der  melischen  Poesie  der  Griechen  untersucht 
E.  B.  Clapp,  Hiatus  in  greekmelicpoetry.  University 
of  California  publications.    Classical  Philology.   Vol.  I,  S.  1—84. 
Berkeley  1904. 

Der  Verfasser  stellt  alle  Fälle,  wo  bei  den  Melikern  auf 
vokalischen  Auslaut  des  einen  Wortes  vokalischer  Anlaut  des  nächsten 
folgt,  zusammen.  Dabei  trennt  er  Pindar,  von  dem  uns  am  meisten 
erhalten  ist,  von  den  anderen  Lyrikern.  Die  Fälle  von  Hiatus  teilt 
er  ein  in  scheinbaren  Hiatus,  in  Hiatus  nach  einem  Diphthong  oder 
langen  Vokal  und  in  Hiatus  nach  einem  kurzen  Vokal.  In  der  ersten 
Gruppe  handelt  es  sich  um  Wörter,  die  ursprünglich  mit  Digamma 
anlauteten,  und  eine  Vergleichung  der  Meliker  einerseits  mit  Homer, 
anderseits  untereinander  zeigt,  daß  die  Wirkung  des  Digamma  mit 
der  Zeit  immer  seltener  wird.  Die  zweite  Gruppe  weist  den  Diphthong 
oder  langen  Vokal  bei  Pindar  in  16  Fällen  als  Länge,  212  als  Kürze, 
bei  den  anderen  Melikern  in  12  Fällen  als  Länge,  in  140  als  Kürze 
auf.    Die  Verkürzung  ist  fast  ausschließlich  auf  den  Daktylus  und 


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168 


Jahresbericht  über  die  griechischen  Lyriker.  (Sitzler.) 


hier  wieder  in  der  überwiegenden  Zahl  der  Fälle  auf  die  zweite 
Kürze  beschränkt;  anf  den  Tribrachys  treffen  5,  anf  den  Creticus  4 
und  auf  den  Trochäus  5  Fälle,  die  letzteren  zweifelhaft.  Die  dritte 
Gruppe  umfaßt  nur  wenige,  teilweise  unsichere  Ausnahmeerscheinungen. 
Viele  Mühe  gibt  sich  der  Verfasser  mit  der  Erklärung  der  Gründe, 
die  in  der  zweiten  Gruppe  zur  Beibehaltung  der  Länge  oder  zur 
Verkürzung  führten,  meiner  Meinung  nach  ohne  Not;  diese  Frage 
mag  man  für  die  alten  Dichter,  wie  Homer,  stellen,  die  Meliker  aber 
waren  hier,  wie  in  den  Fällen  vor  ursprünglichem  Digamma,  nur 
Nachahmer.  Auch  der  Verfasser  kommt  um  das  Zugeständnis  nicht 
herum,  daß  manche  Fälle  eben  auf  früherer  Übung  beruhen.  Dali 
Korinna  2  x<6pav  t'  dbc'  eoCc  itaaav  a>voü{U)vev  fehlerhaft  überliefert 
ist,  wird  mit  Recht  bemerkt;  ich  vermute  y<Lpav  te  eou?  (te  ^eoSc) 
irotaav  cov. 

Mit  den  äo  Ii  sehen  Versmaßen  beschäftigen  sich 

1.  C.  Fries,   Das    Skolienmetrum    und  Alkaios. 
Wochenschrift  für  klass.  Philol.  1904,  S.  1019  f. 

2.  0.  Schröder,  Die  alkäische  und  sapphische 
Strophe.    Berl.  phil.  Wochenschrift  1904,  S.  1628  f. 

3.  F.   Blaß,    Die   Punkte    zur    Bezeichnung  des 
metrischen  Iktus.    Hermes  1900,  S.  842  f. 

Fries  hat  in  seinem  Aufsatze  Symbola  metrica  im  Philol.  1902, 
S.  508  f.,  auf  die  Ähnlichkeit  des  sapphischen  Elfsilbers  mit  der 
indischen  Trishtubhreihe  hingewiesen.  Im  Zusammenhang  damit  sucht 
er  jetzt  nachzuweisen,  daß  die  Skolienstrophe  und  das  nach  Alkaios 
benannte  System  eine  Fortbildung  ostarischer  Metrik  sei,  aus  der- 
selben Trishbuthzeile  hervorgegangen.  Den  3.  Vers  der  Skolien- 
strophe faßt  er  nämlich  als  2  iambische  Dipodien,  den  4.  Vers  als 
Doppelsetzung  der  2.  Hälfte  des  Sapphicus  mit  Katalexis;  der  auf- 
steigende Rhythmus  in  der  Schlußhälfte  der  Skolienstrophe  aber 
stamme  aus  der  meistens  aufsteigenden  Trishbuthzeile.  Ähnlich  sei 
es  im  Alcaicum,  wo  im  1.  und  2.  Vers  der  aufsteigende  Rhythmus 
auf  das  Ganze  übertragen  sei,  während  der  3.  und  4.  Vers  wie  in 
der  Skolienstrophe  aus  der  Doppelsetzung  der  beiden  Vershälften 
mit  Verkürzung  entstanden  sei.  Als  Mittelglied  zwischen  Indien  und 
Griechenland  betrachtet  Fries  die  kleinasiatischen  Rhythmen. 

Die  historische  Metrik  wird  Fries  für  den  Hinweis  auf  die 
Ähnlichkeit  zwischen  der  Trishtubhzeile  und  dem  sapphischen  Hende- 
kasyllabon  dankbar  sein.  Eine  Übertragung  des  indischen  Verses 
auf  griechischen  Boden  durch  Kleinasien  läßt  sich  aber  nicht  nach- 


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Jahresbericht  über  die  griechischen  Lyriker.  (Sitzler.)  100 

weisen  and  ist  auch  an  sich  unwahrscheinlich ;  die  beiden  Verse  haben 
sich  anabhängig  voneinander  bei  den  Gliedern  desselben  Sprach- 
stammes entwickelt.  Das  gleiche  gilt  auch  von  dem  Skolionmetrum 
and  der  alkäischen  Strophe.  Die  Skolionstrophe  zeigt  xo  xotta 
ßaxxetov  eI8os ,  aus  3  +  3  -f  2  +  3  Dipodien  bestehend ;  die  sapphische 
and  alkäische  Strophe  aber  wird  nach  den  bisherigen  Forschungen 
am  besten  als  iambisch  mit  Umstellungen  gefaßt  Hephaestion  nennt 
den  sapphischen  Elfsilber  epichoriambischen,  den  alkäischen  epionischen 
Trimeter,  jeweils  vom  2.  Metrum  ausgehend.  W.  Döhrmann,  De 
versunm  lyricorum  incisionibas  quaestiones  selectae.  Diss.  Göttingen 
1902  (vgl.  Jahrb.  f.  klass.  Philol.  Supplementb.  XXV1Ü,  S.  251  f.) 
rechnet  den  sapphischen  Vers  mit  Unrecht  unter  die  ionischen,  vgl. 
0.  Schröder,  Die  enhoplischen  Strophen  Pindars.  Hermes  1903. 
S.  202  f.,  wo  aber  an  dem  ionischen  Charakter  des  alkäischen  Verses 
festgehalten  wird. 

Gegen  die  übliche  Vereinigung  des  3.  und  4.  Verses  der 
sapphischen  und  alkäischen  Strophe  wendet  sich  0.  Schröder;  er 
erklärt  den  Adonius  in  der  sapphischen  Strophe  für  einen  alten 
Zweisilber,  dazu  bestimmt,  die  drei  vorhergehenden  Elfer  zu  einer 
Einheit  zusammenzufassen,  das  ganze  also,  wenn  man  will,  drei  Stollen 
mit  Abgesang,  eine  Bildung,  die  auffallen  muß,  da  nach  demselben 
Gelehrten  im  Philologus  1903,  S.  161  f.,  die  Strophen  sonst  in  zwei 
Stollen  mit  Abgesang  zerfallen.  Die  alkäische  Strophe  besteht  nach 
ihm  aus  drei  Fünfhebern  (Elfern  und  Neunern),  die  mit  ihrer 
Anzipität  der  5.  Silbe  auf  steigenden  Zwei-  und  Dreiheber,  auf 
Jambikon  und  Telesilleion,  hinweisen,  und  aus  einem  Vierheber  oder 
Dimetron,  dem  daktylisch-trochäischen  Zehner.  Dabei  faßt  er  den 
Daktylos  als  dreizeitig,  dem  Trochäus  entsprechend,  vgl.  Berl.  phil. 
Wochenschr.  1903,  S.  1490  f.  Von  der  Richtigkeit  dieser  Annahme 
kann  ich  mich  bis  jetzt  nicht  überzeugen  und  ziehe  daher  die  Drei- 
teilung der  Strophe  mit  dipodischer  Taktmessung  zu  je  6  Zeiten  vor. 

Der  Trimeter  iambicus  hat  jeweils  auf  dem  zweiten  Jambus  des 
Metrons  den  Iktus;  darüber  kann  kein  Zweifel  mehr  sein.  Nun  sagt 
aber  der  Anonymus  Bellermanni  irepl  {aooguxt;? ,  daß  die  metrische 
Arsis,  der  unbetonte  Taktteil,  durch  einen  Punkt  über  der  Note  be- 
zeichnet werde,  während  bei  der  Thesis  der  Punkt  fehle.  In  dem 
Seikelos-Liedchen  nun  steht  der  Punkt  auf  dem  2.  Jambos.  Daraus 
wollte  H.  Weil  schließen,  daß  Bentley  recht  habe,  wenn  er  den 
Ton  im  Trimeter  auf  dem  1.  Jambus  ruhen  lasse,  vgl.  H.  Weil, 
ßtudes  de  litterature  et  de  rhythmique  grecques.  Paris  1902, 
S.  138  f.    F.  Blaß  (vgl.  auch  Bacchylides  carmina.    Lipsiae  1900, 


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170        Jahresbericht  über  die  griechischen  Lyriker.  (Siteler.) 

S.  50  f.)  weist  aber  darauf  hin,  daß  der  Anonymus  nicht  den  Trimeter, 
sondern  den  oaxxoXoc  xatd  fopßov  meine ;  dieser  sei  auf  dem  1.  Jambos 
betont.  Damit  stimme  die  Bezeichnung  des  Seikelos-Liedchens  und 
Herondas  I  40,  wo  die  Punkte  zur  Bezeichnung  der  betonten  Silbe 
unten  stehen;  gewöhnlich  habe  man  aber  nicht  betonte  und  unbetonte 
Silben  bezeichnet,  also  Punkte  über  und  unter  die  Silbe  gesetzt, 
sondern  sich  mit  den  oberen  begnügt  und  nur  da,  wo  Noten  hinzu- 
kamen, die  unteren  gewählt,  weil  oben  schon  die  Noten  standen. 
Demnach  besteht  in  der  Betonung  ein  Unterschied  zwischen  dem 
melischen  Dijambus  und  der  iambischen  Dipodie  im  Trimeter;  der 
erstere  vertritt  den  schweren  Ionikus. 
Mit  der  Sprache  beschäftigen  sich 

1.  R.  Meister,  Dorer  und  Achäer.  I.  Teil.  Leipzig 
1904.  [Abh.  der  K.  sächsischen  Ges.  d.  Wissensch.  XXIV 
Bd.  Nr.  3]. 

2.  Ch.  Lambert,  De  dialecto  aeolica  quaestiones 
ad  graramaticam  pertinentes.    Dijon  1903. 

Meister  geht  von  der  Voraussetzung  aus,  daß  sich  in  den 
von  den  Dorern  eroberten  Gebieten  noch  Überreste  der  Sprache  des 
achäischen  Volksstammes  erkennen  lassen.  Zu  den  echt  dorischen 
Eigentümlichkeiten  rechnet  er  1.  die  Verhauchung  des  intervokalischen  s 
in  Lakonien  und  Argos,  aber  nicht  in  Kreta;  2.  die  spirantische  Aus- 
sprache des  8;  3.  die  spirantische  Aussprache  des  8  und  die  Ver- 
tretung des  C  durch  88  (8);  4.  die  Schreibung  ß  für  J1;  5.  den 
Übergang  des  ursprünglich  durch  a  oder  7  getrenntan  e  in  t  vor  0- 
und  A-Lauten.  Das  Vorkommen  von  3  und  h  nebeneinander  auf 
lakonischen  Inschriften  erklärt  sich  daraus,  daß  in  Lakonien,  Argos 
und  Kreta  auch  noch  in  späterer  Zeit  verschiedene  Dialekte  neben- 
einander bestanden,  eine  für  die  richtige  Beurteilung  der  Sprach- 
überreste wichtige  Beobachtung. 

Lambert  behandelt  zunächst  die  Laute  £  und  08;  C  ist  die 
explosive  Sonans  -f-  i,  neben  der  <j  8  lange  bestand,  bis  es  dann  all- 
mählich  mit  ihr  verschmolz.  Hierauf  wendet  er  sich  der  Betrachtung 
der  Diphthonge  zu.  Das  Digamma  verschwand  nach  ihm  im  7.  Jahr- 
hundert v.  Chr.  aus  der  Sprache  der  Äolier,  das  1  in  den  Laut- 
gruppen tji  at  tot  aio  (ho  ijto  eto  im  4.  Jahrhundert  v.  Chr. 

Hieran  reihe  ich 

G.  E.  Rizzo,  Saggio  su  lmerio  il  sofista.    Riv.  di 
filologia  1898,  S.  518  f., 
der  im  1.  Teil  die  poetischen  Quellen  des  Himerios  behandelt,  im 


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Jahresbericht  über  die  griechischen  Lyriker.  (Sitzler.)  171 


2.  Teil  eine  Betrachtung  des  e7ndaXa'(uo;  zk  leßijpov  anstellt.  Der 
Verfasser  meint,  daß  man  dem  Himerius,  der  von  der  Schönheit  nnd 
der  großartigen  Wirkung  der  griechischen  Poesie  durchdrangen  sei, 
in  seinen  Zitaten  aus  den  Dichtern  glauben  dürfe,  allerdings  mit 
einer  gewissen  Vorsicht.  Ich  kann  dem  nicht  zustimmen;  denn  wenn 
auch  die  von  dem  Sophisten  behandelten  Stoffe  den  Dichtern  ent- 
nommen sind,  so  hat  Himerios  doch  in  der  Wahl  der  Worte  die 
einzelnen  Dichter  so  wenig  voneinander  geschieden  und  so  viel 
eigenes  beigemischt,  daß  Zuweisungen  an  den  oder  jenen  Dichter 
ganz  unsicher  bleiben  müssen.  Man  kann  aus  ihm  nur  ein  Bild, 
wie  die  Dichter  Uberhaupt  einen  Stoff  behandelten,  gewinnen,  nicht 
aber  unterscheiden,  was  davon  den  einzelnen  Dichtern  oder  dem 
Himerios  selbst  angehört. 

Auch  einige  Gattungen  der  melischenPoesie  wurden, 
zum  Teil  auf  Grund  neuerer  Funde,  wieder  untersucht,  um  ihr  Wesen 
richtiger  zu  bestimmen  und  ihr  Verhältnis  zu  den  andern  genauer 
darzulegen.    Dahin  gehören 

A.  Fairbanks,  A  study  of  the  greek  Paean.  New 
York  1900.  (=  Cornell  studies  in  classical  philology  Nr.  XII), 
der  unter  Berücksichtigung  der  delphischen  Funde  den  Päan  zum 
Gegenstand  eingehender  Forschung  macht.  Die  Arbeit  ist  verdienstlich, 
besonders  auch  durch  die  fast  vollständige  Zusammenstellung  der 
alten  Zeugnisse,  S.  69  f.,  und  die  Mitteilung  der  erhaltenen  Päane 
oder  Reste  von  Päanen,  S.  99  f.,  dankenswert,  wenn  auch  nicht  völlig 
befriedigend.  Der  Verfasser  läßt  den  Päan  ursprünglich  an  den  alten 
Heilgott  Päeon  gerichtet  sein,  was  an  sich  unwahrscheinlich  ist  und 
auch  in  unserer  ältesten  Quelle  Homer  keinen  Rückhalt  findet  (vgl. 
meine  Bemerkungen  in  der  Wochenschr.  f.  klass.  Philol.  1901, 
S.  59  f.).  Hier  ist  er  ein  Lied,  durch  das  man  eine  Gottheit  um  Ab- 
wendung eines  Unglücks  bittet  oder  ihr  Dank  und  Freude  für  geleistete 
Hilfe  ausspricht.  Über  die  Form  dieses  Päan  läßt  sich  allerdings 
kein  sicheres  Urteil  abgeben;  aber  der  Verfasser  hätte  doch  darauf 
hinweisen  sollen,  daß  sich  aus  X  891  mit  großer  Wahrscheinlichkeit 
die  Vortragsweise  durch  einen  itdpyjav  ergibt,  wobei  die  Menge  in 
den  Refrain,  von  dem  der  Päan  seinen  Namen  hat,  einstimmt.  Das- 
selbe wird  man  für  A  473  annehmen,  wenn  man  die  Stelle  mit 
Alkman  22  und  Archilochos  76  in  Zusammenhang  bringt.  Auch 
später  werden  noch  Päane  an  verschiedene  Götter  gedichtet;  aber 
der  Gott,  zu  dessen  Verehrung  sie  an  erster  Stelle  gehören,  ist 
Apollon,  der  eigentliche  öeo?  dXefcxaxoc,  der  von  dem  Lied  geradezu 
den  Namen  Päan  erhielt.   Der  Anstoß  zu  dieser  Änderung  ging  von 


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172        Jahresbericht  über  die  griechischen  Lyriker.  (Sitzler.) 


Kreta,  neben  Lesbos  dem  Hauptsitz  des  Päan,  und  von  Thaletas  und 
seiner  Schule  aus,  was  der  Verfasser  nicht  gebührend  hervorhebt; 
von  hier  verbreitete  sich  der  Päan  in  alle  Teile  Griechenlands,  wofür 
schon  Name  und  Versmaß  sprechen,  besonders  auch  nach  Delphi, 
dem  Sitze  des  Pythischen  Apollon,  dem  Mittelpunkt  der  Verehrung 
des  Apollon  Päan  in  der  folgenden  Zeit,  wo  auch  dessen  Verbindung 
mit  Dionysos  zustande  kam.  Die  Form  dieses  Päan  war  chorisch. 
Die  einzelnen  Arten  des  Päan  hat  der  Verfasser  zu  sehr  auseinander- 
gerissen; sie  gehen  alle  auf  das  ursprüngliche  Wesen  des  Päan,  das 
Bitte,  Dank  und  Freude  in  sich  vereinigte,  zurück.  Besondere  Dar- 
legung hätte  das  Verhältnis  des  Päan  zu  dem  Dithyrambos  verdient, 
da  nach  den  Andeutungen  bei  Plat.  leg.  700  D  die  Grenzen  zwischen 
den  beiden  Dichtungsarten  verwischt  wurden;  dabei  wäre  Verfasser 
dann  auch  auf  Bakchyl.  17  zu  sprechen  gekommen,  eine  Stelle,  die 
er  übersehen  hat. 

Besonders  lebhaft  war,  hauptsächlich  im  Anschluß  an  Bakchylides, 
die  Beschäftigung  mit  dem  Dithyrambos.   Damit  befaßten  sich 

1.  0.  Crusius,  Dithyrambos.    Pauly-Wissowas  Realen- 
cyklop.    Bd.  V,  S.  1208  f. 

2.  W.  Schmid,  Zur  Geschichte  des  griechischen 
Dithyrambos.    Progr.  Tübingen  1901. 

8.  G.  £.  Rizzo,  Studi  archeologici  sulla  tragedia 
e  sul  Ditirambo.    Riv.  di  Filol.  1902,  S.  447  f. 

4.  D.  Comparetti,  Les  Dithyrambes  de  Bacchylide. 
MeUanges  H.  Weil.    Paris  1898,  S.  25  f. 

5.  H.Jurenka,  Die  Dithyramben  des  Bakchylides. 
Wiener  Studien  1899,  S.  8  f. 

Das  Wesen  und  die  Geschichte  des  Dithyrambos  legt  Crusius 
vortrefflich  dar.  Durch  die  Auffindung  der  Gedichte  des  Bakchy- 
lides ist  unser  Verständnis  dieser  Dichtungsart  bedeutend  gefördert, 
wenn  auch  nicht  vollständig  erreicht  worden.  F.  Blaß,  der,  auf 
das  Servius-Zitat  zu  Aen.  VI,  22  gestützt,  die  sechs  letzten  Gedichte 
unter  dem  Titel  Dithyramben  in  seiner  Ausgabe  zusammenfaßt  ,  be- 
zweifelt in  der  Praefatio  zu  seiner  Ausgabe  doch ,  ob  sie  alle  wirk- 
liche Dithyramben  sind,  vgl.  auch  U.  v.  Wilamowitz,  Gott.  Gel. 
Anz.  1898,  S.  145;  dagegen  treten  Comparetti  und  Schmid  für 
ihre  Echtheit  ein.  Jurenka  prüfte  diese  Frage  genauer  und  kam 
zu  dem  Ergebnis,  daß  man  19  (18)  als  Dithyramb  ansehen  könne, 
auch  18  (17)  stehe  als  lyrisches  Drama  den  Dithyramben  nahe,  aber 
20  (19)  sei  ein  Epithalamios,  17  (16)  ein  Hymnus,  16  (15)  ein  Päan 


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Jahresbericht  über  die  griechischen  Lyriker.   (Sitzler.)  173 

und  15  (14)  lasse  sich  nicht  genauer  bestimmen.  Man  sieht  also, 
daß  die  griechischen  Grammatiker  ganz  verschiedenartige  Gedichte 
mit  dem  Namen  Dithyramben  bezeichneten,  was  wir  ja  auch  aus  der 
literarischen  Überlieferung  wissen.  Der  Grund  davon  liegt  darin, 
daß  die  rjponxYj  üwSdeoi?  das  eigentlich  Charakteristische  des  Dithy- 
rambos  war,  und  daß  man  demgemäß  alle  Gedichte  ohne  bestimmt 
ausgesprochenen  Charakter,  wenn  sie  eine  ■fjpunxTj  Girrest?  enthielten, 
eben  zu  den  Dithyramben  rechnete.  Schmid  hat  nun  die  Frage 
aufgeworfen,  wie  es  kam,  daß  in  dem  Dithyrambos,  dessen  eigent- 
lichen Inhalt  doch  tj  Atovoaoo  Y^vsat?  (Plat.  leg.  III,  700)  ausmachte, 
außer  den  Sagen  dieses  Gottes  auch  die  übrige  Heroensage  Behand- 
lung fand.  Er  betrachtet  dies  als  das  Werk  der  Tyrannen,  die  durch 
Einführung  der  beim  Adel  beliebten  Heroensage  in  das  volkstümliche 
Dionysoslied  beide  Stände  miteinander  verbinden  und  für  sich  ge- 
winnen wollten.  AberCrusius  macht  mit  Recht  darauf  aufmerksam, 
daß  die  Verwendung  der  Heldensage  im  Dithyrambos  schon  vor  das 
Auftreten  der  Tyrannen  falle,  vgl.  Sp.  1208.  Auch  über  den  Dionysos- 
kult urteilt  Schmid  nicht  richtig,  wenn  er  ihn  nur  dem  niederen 
Volke  zuweist;  er  war  auch  in  dem  Adelsstaat  ein  Hauptkult,  vgl. 
Crusius  Sp.  1215;  galt  doch  Dionysos  als  Herr  der  Seelen  und 
Schützer  der  Ahnen,  der  das  Fortbestehen  der  Adelsfamilien  und  des 
Königshauses  sicherte,  vgl.  Sp.  1208.  Jedoch  geht  Crusius  zu 
weit,  wenn  er  auch  tt,v  Aiovuaou  -jiveotv  als  Inhalt  der  ursprünglichen 
Dithyramben  in  Abrede  stellen  will ;  darin  muß  man  Piaton  Glauben 
schenken.  Allerdings  scheint  der  Kreis  der  Mythen  für  den  Dithy- 
rambos bald  erweitert  worden  zu  sein,  und  wie  dies  kam,  deutet 
Crusius  gut  an,  wenn  er  darauf  hinweist,  daß  ja  auch  Dionysos 
von  Haus  aus  ein  Heros  war.  Überdies  sehen  wir  in  der  Tragödie 
denselben  Vorgang,  so  daß  diese  Erscheinung  für  uns  kaum  mehr 
etwas  Auffallendes  haben  kann.  Dithyrambenstoffe  finden  sich  nicht 
selten  auf  Vasen  dargestellt,  wie  R  i  z  z  o  dartut,  der  die  Darstellungen 
auf  den  Vasen  auf  die  Pinakes  zurückführt,  welche  die  Dichter 
weihten. 

b)  Die  einzelnen  Dichter. 

Terpander. 

U.  v.  Wilamowitz,  Textgesch.  d.  griech.  Lyriker,  S.  7  f., 
läßt  es  dahin  gestellt,  ob  sich  echte  oder  angebliche  Kompositionen 
des  Terpander  bis  in  die  Zeit  der  Alexandriner  erhalten  haben; 
die  alexandrinischen  Ausgaben  berücksichtigten  ja  die  Musik  nicht. 
Dagegen  bezweifelt  er  nicht,  daß  kitharodische  Prooimia  —  er  konnte 


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174         Jahresbericht  über  die  griechischen  Lyriker.  (Sitzler.) 

noch  hinzufügen :  und  Nomen  —  unter  Terpanders  Namen  vorhanden 
waren ;  nur  glaubt  er,  die  alexandrinischen  Kritiker  hätten  alle  diese 
für  unecht  erklärt.  Zum  Beweise  dafür  verweist  er  auf  ihr  Urteil 
über  die  rhapsodischen  Prooimia  Homers  und  auf  die  Worte  Strabons 
XIII,  618:  lv  tote  ävacpspojjivotc  eirecnv  efc  o6t6v  (sc.  Te'picavopov). 
Dies  genügt  aber  nicht ;  denn  die  zuletzt  angeführten  Worte  beziehen 
sich  nur  auf  die  zitierten  Verse,  und  zwischen  der  dichterischen 
Persönlichkeit  Homers  und  Terpanders  ist  doch  ein  großer  Unter- 
schied. Es  kommt  noch  dazu,  daß  Terpander  in  dem  konservativen 
Sparta  wirkte,  und  zwar  auf  religiösem  Gebiete,  wo  man  am  Über- 
lieferten zähe  festhielt.  Was  insbesondere  seine  Nomen  betrifft,  so 
hatten  diese  in  der  Sphragis  auch  für  die  Späteren  ein  sicheres 
Erkennungszeichen.  Ich  halte  daher  die  Vermutung  von  0.  Crusius 
in  Pauly-Wissowa,  Bd.  V,  Sp.  1225*  für  recht  wahrscheinlich,  daß 
es  ein  spartanisches  Liederbuch  gegeben  habe,  dessen  Hauptbestand- 
teile man  —  wohl  auf  Selbstzeugnisse  in  der  Sphragis  hin  —  dem 
Terpander  zuschrieb;  dieses  habe  typische  Formen  der  Nomenpoesie 
enthalten  und  neben  den  ionischen  Hymnen  dem  Kallimachos  als 
Vorbild  für  seine  archaisierende  Hymnendichtung  gedient.  Auf  diese 
Sammlung  gehen  die  Mitteilungen  der  Alexandriner  über  Terpanders 
Nomen-  und  Prooimienpoesie  zurück. 

J.  J.  H(artmann),  Mnemosyne  1902,  S.  168,  tritt  fUrBergks 
Konjektur  eü&uoryuta  st.  supuayoia  fr.  6,  2  ein,  wofür  Smyth  Solon 
4,  37  und  Pind.  P.  4,  153  anführt.  Daß  sie  aber  unnötig  sei,  er- 
kennt Smyth  und  Taccone  an. 

Alkman. 

Kritische  und  exegetische  Beiträge  zu  Alkman  liefern 
außer  den  Herausgebern  Smyth  und  Taccone 

1.  F.   Blaß,    Vermischtes    zu  den  griechischen 
Lyrikern  und  aus  Papyri.    Rhein.  Mus.  1900,  S.  91  f. 

2.  PÄ  Egenolff  in  Rhein.  Mus.  1901,  S.  287  f. 

8.  W.  Headlam,  Notes  on  the  greek  lyric  poets. 
Class.  Rev.  1900,  S.  5  f. 

Blaß  weist  darauf  hin,  daß  bei  Alkman  Gleichklänge  an  den- 
selben Versstellen  der  Strophen  vorkommen,  so  XX1I1,  53  IracvOet 
und  81  Naivst,  57  jikv  auta  und  85  jxev  aoxa,  64  iropcpupa;  und  78 
xaXXfe<pupoc.  Einen  solchen  Gleichklang  findet  er  auch  in  fr.  9 
hnrfoa  ao<p<o  und  fr.  24  Tiapa  ao<poiatv;  daraus  schließt  er,  daß  beide 
Bruchstücke  demselben  Gedichte  angehören.    Ebendasselbe  vermutet 


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Jahresbericht  über  die  griechischen  Lyriker.  (Sit2ler.)  175 

er  von  fr.  4  and  fr.  48,  wo  er  xal  iravöta?  leXava;  liest,  wegen  des 
Gleichklangs  2eparvo?  und  2eXdva?.  Ich  kann  solchen  Anklängen 
kein  Gewicht  beilegen.  XXIII,  26  vermutet  er  i^apiov  =  eicsS^oov. 

Smyth  meint  fr.  33,  5,  ich  hätte  rap  eadei  (st.  r^paaÖYj)  nur 
vermutet,  weil  ich  glaubte,  auf  den  gnomischen  Aorist  könne  kein 
Präsens  folgen.  Er  hat  also  die  Hauptgründe  ganz  übersehen,  die 
darin  liegen,  daß  ^paadr,  hier  den  Akkusativ  bei  sich  hat  und  über- 
dies eine  jüngere  Form  für  das  ältere  ^pdatJato  ist.  —  Fr.  34  leitet 
er  iroXu<pavoc  von  <pav6«  „ Fackel14  ab  und  erklärt  cttpixpov  =  adpuircov 
unter  Hinweis  auf  aptov  TeTpaxptxpov  Hes.  ep^a  442,  beides  gut.  — 
Fr.  86  schlägt  er  v6q>  st.  5o*jiq>  vor,  was  ich  schon  vor  20  Jahren 
getan  habe. 

Egenolff  schlägt  fr.  44  vor:  xql  ol  aeioji^vav  Oed  xdpav  j 
ifijxaitla»;  lma&,  sich  ziemlich  eng  an  die  Hs.  anschließend. 

Headlam  liest  fr.  145  recht  ansprechend  Aopx<&v,  Acc.  von 
Aopxcu,  st.  66pxov. 

Im  1.  Band  der  Oxyrhynchos-Papyri  Nr.  8  wurden  einige  Hexa- 
meter veröffentlicht,  die  F.  Blaß  dem  Alkman  zuwies.  Sie  wurden 
behandelt  von 

1.  ü.  v.  Wilamowitz,  Gött.  Gel.  Anzeigen  1898,  S.  673  f. 

2.  H.  Di  eis,  Sitzungsber.  der  Berl.  Akad.  der  Wissensch. 

1898,  7.  Juli. 

3.  F.  Blaß,  Neuestes  aus  Oxyrhynchos.    N.  Jahrb. 

1899,  S.  30  f.,  80. 

4.  J.  v.  Leeuwen,  Mnemosyne  1899,  S.  221  f. 

5.  H.  Jurenka,  Zum  neuen  Alkmanfragment.  Wien. 
Stud.  1900,  S.  25  f. 

Die  drei  ersten  Zeilen  des  Bruchstückes  sind  stark  verstümmelt. 
Nach  ihnen  steht  die  Paragraphos  auf  dem  linken  Rande;  sie  bilden 
also  den  Schluß  eines  Gedichtes.  Anderer  Meinung  ist  freilich 
Jurenka,  nach  dem  die  Paragraphos  die  Stelle  bezeichnet,  wo  die 
obligate  mythische  Erzählung  des  Partheneion  zu  Ende  ist  und  die 
Jungfrauen  ihr  neckendes  Spiel  untereinander  beginnen;  die  letzten 
Worte  liest  er  oö  paXaxäv  ti  TUiK&aa;  |  ßr^vai  dp'  avSp*  d<prVjt{  te 
oüxivov  iv  vexowatv.  Aber  darin  hat  Jurenka  recht,  daß  die  vier 
auf  die  Paragraphos  folgenden  Hexameter  einem  Partheneion  an- 
gehören, und  zwar  bilden  sie  dessen  Anfang;  Blaß  wollte  sie  als 
eine  Erzählung  aus  fremder  Person  fassen,  die  von  Alkman  zur 
Zither  vorgetragen  worden  sei.  Es  sind  neun  Mädchen,  die  erzählen, 
daß  sie,  festlich  geschmückt,  in  den  Tempel  der  großen  Demeter 


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17G         Jahresbericht  über  die  griechischen  Lyriker.  (Sitzler.) 

gekommen  sind.  Am  Schlüsse  ist  mit  Blaß  und  Leen  wen  afyXa 
zu  lesen.  Für  den  Verfasser  halten  Blaß  und  Jurenka  Alkman, 
was  zuerst  Wilamowitz  und  dann,  soweit  ich  sehe,  auch  alle 
anderen  bezweifelt  haben.  Auch  ich  stimme  diesen  bei;  denn  der 
Charakter  der  Verse  ist  nicht  alkmanisch.  L  e  e  u  w  e  n  bemerkt,  daß 
in  demselben  Verse  nicht  xaXa  als  Pyrrhichius  gemessen  und  i^axa 
mitDigamma  begönnet!  werden  durfte.  Dazu  kommt  der  rhetorische 
Aufputz,  die  Anaphora  irotiaai  rap&evixat,  7rai3at  xaXA  i^ax1  «"xotaat 
mit  der  Epanaphora  xaXot  jiev  sjAiia-'  ^/otsai,  dpnrp£7r£ot;  8k  xtX. 
Allerdings  fehlt  eine  solche  Epanaphora  auch  bei  Homer  nicht,  vgl. 
X,  116 f.,  allein  in  unserem  Gedicht  macht  sie  den  Eindruck  des 
Gesuchten,  der  durch  deii  gekünstelten  Quantitätswechsel  xaXdt  und 
xäXd  noch  gesteigert  wird,  wozu  man  auch  ^jAnax'  und  Ifijjtax' 
rechnen  kann.  Solch  gesuchte  Künstelei  ist  das  Charakteristikum 
der  Alexandriner;  von  einem  Nachahmer  aus  dieser  Zeit  müssen 
also  die  Verse  stammen.  Übrigens  gibt  Blaß,  S.  80,  zu,  daß  die 
Verse  auch  von  Erinna  sein  können. 

[Arion.] 

Taccone  in  seiner  [Ausgabe  schreibt  V.  3  f.  ifxujAOv*  oXuctv 
ßp^TX101  ^P*  ae*  7*  ^Xoreol  dijpe?  /opetiooai  xuxXcp,  worin  ipcopov' 
<5Xfxav  von  irept  und  <si  von  /opeoooat  abhängen  soll.  Ich  habe  früher 
iv  xuu.ctJt  TiotXjAu  ßpu/toif  xtX.  vermutet;  mit  Rücksicht  auf  das  Vers- 
maß lese  ich  jetzt  £7x0(1$  irotX|io,  ßp«TXKOt  K8pl  08  TC^tt>x°i  xt^m  indem 
ich  zu  lifXü{ioc  vergleiche  svaijio?  ev3icsp|A0?  evfftopo?  svaa>poc. 

S  a  p  p  h  0. 

Mit  der  Kritik  und  Exegese  der  schon  bisher  bekannten 
Fragmente  beschäftigen  sich 

1.  0.  Wöhlermann,  In  Sapphus  carmen  II  quaestiones 
criticae.    Progr.  Stettin  1903. 

2.  L.  Cerrato.    Riv.  di  Filolog.  1898,  S.  130  f.  [fr.  2,  7, 
fr.  4,  95]. 

3.  W.  R.  Paton,  TwoeraendationsofSappho.  Class. 
Rev.  1900,  8.  228  f.  [fr.  2,  IG.  28,  3]. 

4.  C.  Robert,  Die  Knöchelspielerinnen  des  Alexan- 
dros.    Halle  1897  [fr.  31]. 

5.  P.  Egenolff.    Rhein.  Mus.  1901,  S.  303  [fr.  35]. 

t>.  U.  v.  Wilamowitz,  Textgeschichte  der  griech. 
Lyriker.    Exkurs  2  [fr.  50,  81,  67]. 

7.   H.  Usener.    Rhein.  Mus.  1900,  S.  288  f.  (fr.  109]. 


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Jahresbericht  über  die  griechischen  Lyriker.   (Sitzler.)  177 


Daraus  erwähne  ich,  daß  Faton  2,  16  ^ou'vofi'  'A^aXXf  vor- 
schlägt, der  Überlieferung  näher  als  Hermanns  cpaivojiGu  ÄtfK; 
aber  der  Abschluß  des  Gedichtes  mit  der  Anrede  der  Person,  an 
die  es  gerichtet  ist,  gefällt  mir  nicht;  ich  ziehe  Bergks  aXXa  vor, 
das  auch  Smyth  aufnahm.  Damit  ist  nämlich  meiner  Meinung  nach 
das  Gedicht  beendigt ;  die  folgenden  Worte  ~äv  ToXjxatov  Ittel  izivr^a. 
o'j  Öaujxa'Cet?  xxX.  gehören  dem  Longinos  und  sind  wahrscheinlich 
verschrieben  aus  irav  xb  aa|iaxiov  ey*  el~k  ö^toc  o&  OaupaCei?  xtX.  ; 
to  aajiaTiov  hat  schon  Hersel  gefunden:  „was  das  ganze  Lied  be- 
trifft, wohlan  sage  doch,  wunderst  du  dich  nicht"  usw.  —  Cerrato 
vergleicht  zu  fr.  4,  wo  er  t}/Gxpov  mit  Recht  auf  die  Luft  bezieht, 
Hör.  epod.  2,  27.  Quintil.  X,  3,  24.  —  Robert  vermutet  unter 
Berufung  auf  fr.  31 ,  daß  die  Dichterin  die  Entstehung  der  Feind- 
schaft zwischen  Leto  und  Niobe  darstellte,  die,  einst  Jugendfreunde, 
sich  beim  Spiele  entzweiten,  wie  es  Alexandros  in  seinen  Knöchel- 
spielerinnen schildere;  aber  diese  Darstellung  geht  doch  eher  auf 
eine  epische  Quelle  zurück,  die  auch  Sappho  benützt.  —  Egenolff 
liest  fr.  35  aXXav  jiot  peraXuvso  öaxTuXitu  r.ipi  in  engem  Anschluß 
an  die  Überlieferung,  aber  ^akitvtabai  xtva  ungewöhnlich.  — 
Wilamowitz  hält  fr.  50  und  81  für  ein  Fragment,  indem  er 
rjXav  xaaroXeo)  für  eine  nachgetragene  Verbesserung  zu  toXav  aicoXecu 
ansieht,  und  liest  e^w  Ö'ittl  (u*Xt)axav  |  xuXav  xaa-oXea>  fiele'  af  xe 
xa^  xea,  den  Schluß  frei  gestaltend.  Aber  warum  soll  die  Dichterin 
nicht  einmal  xöXav  ciroX£o>  jxeXeot,  ein  anderes  Mal  xuXav  xaoiroX£a> 
gesagt  und  Herodian  beide  Stellen  angeführt  haben?  Ich  halte  also 
daran  fest,  daß  wir  hier  zwei  Bruchstücke  haben,  was  Herodian 
gewiß  auch  äußerlich  kenntlich  gemacht  hatte,  wenn  es  infolge  von 
Verderbnis  auch  jetzt  Tiicht  mehr  klar  hervortritt.  Etwa  xat*  ai  jiiv 
ts?  Jedenfalls  kann  das  ausdrücklich  bezeugte  xe  nicht  einfach  be- 
seitigt werden,  wie  'js  Wilamowitz  tut.  Fr.  67  schreibt  er  unter 
Berufung  auf  Pollux  X,  10,  78:  -e'XXtxa  |  xdvapi&jia  ~orqpia  xat 
ttta'Xatc,  das  letztere  mit  Hermann.    Ich  habe  schon  früher  darauf 

T 

hingewiesen,  daß  in  dem  überlieferten  xaXcu?ic  oder  xaXXafot?  nicht 
sowohl  xai  cptaXat?  stecke,  als  vielmehr  xotX'  oder  xotXX'  aarcpiv,  vgl. 
Jahresber.  Bd.  75,  S.  213.  Woraus  iroXXa  verschrieben  ist,  läßt  sich 
nicht  erraten:  woeXXa,  moeXXs?  —  Fr.  68,  2  schreibt  Bucherer 
in  seiner  Anthologie  recht  ansprechend  oööe  TO$f)a  k$  oaxepov.  — 
Usener  erkennt  in  fr.  109  einen  feststehenden  Hochzeitsbrauch; 
ein  Mädchen  des  Brautchors  stellte  die  Jungfrauschaft  dar  und 
schickt«  sich  zum  Weggehen  an;  die  Braut  rief  ihr  klagend  nach, 
aber  jene  erklärte,  nie  mehr  zurückzukommen.  Dazu  vgl.  R.  Reitzen- 

Jahrwbericht  für  Altertumswissenschaft.   Bd.  CXXXIII.   (1907.   I.)  12 


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178         Jahresbericht  über  die  griechischen  Lyriker.  (Sitzler.) 

stein,  Die  Hochzeit  des  Peleus  und  der  Thetis,  Hermes 
1899,  S.  78 f.,  wo  über  Hochzeitslieder  und  ihre  Motive  von  der 
ältesten  bis  in  späte  Zeit  eingehend  gehandelt  wird. 
Als  neues  Fragment  weist 

E.  Schwyzer,  Varia  zur  griechischenund  lateini- 
schen Grammatik.    Indogerm.  Forschungen  XIV,  S.  24  f., 

die  Glosse  bei  Hesych  u>p<zva*  ysXioovtuv  ipospij  der  Sappho  zu;  er 
bringt  das  Wort  mit  äol.  eopavo?  „Himmel"  zusammen  und  vergleicht 
damit  schweizerisch  „Himmel"  =  Dachraum  für  Geflügel. 

Recht  ergiebig  für  die  lesbische  Dichterin  waren  die  neuen 
Funde.    Die  erste  Bereicherung  brachten 

B.  P.  Grenfell  and  A.  S.  Hunt,  The  Oxyrbynchus 
Papyri.    London  1898, 

die  unter  Nr.  VII  aus  einem  von  ihnen  in  das  8.  Jahrhundert  v.  Chr. 
gesetzten  Papyrus  5  sapphische  Strophen,  leider  keine  vollständig, 
veröffentlichten.  Mit  ihrer  Erklärung  und  Ergänzung  beschäftigten  sich 

1.  H.  Diels,  Zu  den  Oxy rhyn chus-Papyri.  Sitzungs- 
ber.  der  Berl.  Akad.  der  Wiss.  1898.    7.  Juli.    XXXV,  S.  497. 

2.  U.  v.  W  i  1  a  m  o  w  i  t  z  -  M  ö  1 1  e  n  d  o  r  f  f.  Gött.  Gel.  Anzeigen 

1898,  S.  697. 

8.  Fr.  Blaß,  Neuestes  aus  Oxy rhynch os.  N.  Jahrb. 

1899,  S.  30  f. 

4.  H.  Jurenka,  Die  neugefundeneOdederSappho. 
Wiener  Studien  1899,  S.  1  f. 

5.  G.  Fraccaroli,   L'ode  di  Saffo  recentemente 
scoperta.    Boll,  di  Filol.  class.  V,  S.  83  f. 

In  dieser  Ode  bittet  Sappho  die  Nereiden  um  glückliche  Heim- 
kehr für  ihren  Bruder;  daß  Charaxos  —  vgl.  Über  ihn  fr.  138  — 
gemeint  ist,  hätte  Wilamowitz  nicht  bezweifeln  sollen,  vgl.  be- 
sonders Jurenka,  S.  8  f.  Die  letzte  Strophe  ist  zu  verstümmelt, 
um  wiederhergestellt  zu  werden ;  aber  auch  die  bis  jetzt  vorgebrachten 
Ergänzungen  zu  den  vier  ersten  Strophen  befriedigen  nicht  durchweg. 

Die  Bruchstücke  von  drei  weiteren  Gedichten  der  Sappho  ent- 
deckte W.  Schubart  auf  einer  Pergamentrolle,  die  er  dem  6.  oder 
auch  dem  7.  Jahrhundert  n.  Chr.  zuschreibt,  die  aber  K.  Wesse ly 
für  älter  hält,  und  veröffentlichte  sie,  von  Wilamowitz  unter- 
stützt, in  den  Sitzungsber.  der  Preuß.  Akademie  der  Wissensch.  1902, 
S.  195  f.  Die  beiden  ersten  Gedichte  sind  etwas  vollständiger,  das 
dritte  sehr  trümmerhaft  erhalten.     Sie  bestehen  aus  dreizeiligen 


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Jahresbericht  über  die  griechischen  Lyriker.  (Sitzler.)  179 

Strophen;  die  Strophe  des  ersten  Gedichtes  enthält  zwei  Glykoneen 
und  einen  Vers,  der  um  einen  Daktylos  länger  als  der  Glykoneus 
ist,  das  afoXixöv  Tetpajietpov  axataX^xxov ,  vgl.  Hephaest.  7;  die 
beiden  anderen  haben  das  gleiche  Metron.  einen  bis  jetzt  unbekannten 
Vers,  bestehend  aus  Creticus  und  Glykoneus,  einen  Glykoneus  und 
einen  Phaläceus,  zu  einer  Strophe  vereinigt.  Die  Oden  stammen  also 
aus  dem  fünften  Buche  der  Sappho- Ausgabe.  Sie  beziehen  sich,  wie 
es  scheint,  alle  auf  Atthis ;  im  ersten  Gedicht  ruft  sich  die  Dichterin 
den  Abschied  von  ihr  ins  Gedächtnis  zurück,  im  zweiten  gibt  sie 
ihrer  Sehnsucht  nach  der  in  Lydien  Weilenden  Ausdruck. 

Mit  der  Erklärung  und  Herstellung  der  Bruchstücke  befaßten  sich 

1.  Fr.  Blaß,  Die  Berliner  Fragmente  derSappho. 
Hermes  87,  S.  456  f. 

2.  H.  Jurenka,  Die  neuen  Bruchstücke  der  Sappho 
und  des  Alkäos.  Zeitschr.  f.  österr.  Gymn.  1902,  S.  289  f., 
1903,  S.  481  f. 

3.  Th.  Reinach,  Nouveaux  fragments  de  Sappho. 
Rev.  des  Stüdes  grecques  1902,  S.  60  f. 

4.  G.  Fraccaroli,  I  nuovi  frammenti  di  Saffo  nei 
papiri  berlinesi.    Boll,  di  Filol.  class.  VIII,  S.  252  f. 

5.  F.  Solmsen,  Die  Berliner  Bruchstücke  der 
Sappho.    Rhein.  Mus.  57,  S.  328  f. 

6.  G.  Wörpel,  Zu  Sappho.  Wochenschr.  f.  klass.  Philol. 
1902,  Nr.  21,  S.  588  f. 

7.  J.  Nicastro  e  L.  Castiglioni,  Nuovi  frammenti 
di  Saffo.    Atene  e  Roma  1902,  S.  541  f. 

8.  V.  Hahn,  Die  neugefundenen  Sappho-Verse. 
Eos  VIII,  S.  38  f. 

Der  Anfang  des  ersten  Gedichtes  fehlt.  Den  ersten  erhaltenen 
Vers  spricht  Sappho ,  wie  Fraccaroli  und  Jurenka  gegen 
Schubart  und  Solmsen,  die  ihn  der  scheidenden  Schülerin  zu- 
weisen wollen,  mit  Recht  bemerken.  In  V.  3  stellt  Blaß  als  hs. 
Lesart  esi7c,  nicht  esv,  wie  Schubart  las,  fest ;  er  ergänzt  demnach 
itnzi  (ioi,  während  Jurenka  Ist-'  ujioi  wünscht,  uuot  =  otioo. 
V.  8  und  10  hat  die  Hs.  irrtümlich  ^[ivaidö'  und  fyivaisat,  was  mit 
Blaß  und  Solmsen  in  ji£{ivad>'  und  ö^ivaaai  zu  korrigieren  ist; 
asjivaaÖat  steht  imperativisch.  V.  9  f.  ergänzt  Blaß,  der  sah,  daß 
die  Hs.  8£Xü>,  nicht  Oeeov,  und  ji  .  .  .  ^sat,  nicht  \  .  .  .  tyzn  hat, 

vortrefflich :  al  os  ji^ ,  dl\k  bilio  0&ü>  |  6  jivasai ,  tu  o'  c&jietysai  | 

12* 


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180         Jahresbericht  über  die  griechischen  Lyriker.  (Sitzler.) 

T6t>c "  „wSXXa  ts  x«l  xaV  ^da/ojASv".  V.  13  hat  die  Hs.  nach 
Schubart  .  .  .  xto>v  xoXXoi,  nach  Blaß  axuuv  *f  ü}ioi;  daher  liest 
Blaß  xal  ßp6Su>v  dxt'vw  t'  ujxoi  und  Y.  14  xdvvqxco;  möglich  ist  auch 
Taccones  xdvöp'jffxcuv  und  Jurenkas  xal  xptvtov.  Am  Ende  des 
Verses  hat  Jurenka  das  hs.  ^ape&^xao  gut  in  Tcspsfh^xao  gebessert. 
Die  V.  15  und  16  sind  bei  Athen.  XV,  674  d  überliefert,  vgl.  fr.  46. 
V.  17  ist  mit  Blaß  nach  den  hs.  Spuren  dvöe*oiv  r^apiveov  zu  lesen, 

und  V.  18  f.  bietet  die  Hs.  xal  ttoXXw  ?  H-^W  |  ßpevÖet'q> 

padi>.Tjtq>  (vgl.  Athen.  XV,  690  e,  wo  diese  Worte  überliefert  sind, 
fr.  49)  |  Izdktityao  x  .  .  was  Blaß  durch  Einfügung  von  8ä>axtc 
und  Beifügung  von  xaXXtxojiov  xdpa  vervollständigt.  Für  ddjiaxic 
schreibt  Jurenka  besser  Xtirdptoc  und  wünscht  auch  xaXXtxo|AOv  xdpa 
durch  xal  xa'pa  xal  6£pav  (oder  xafyeva)  ersetzt,  was  mir  weniger 
gefällt.  Wörpels  Vorschlag,  V.  18  xdirdXaic  8£  <p6ßatc  jiupq>  zu 
lesen,  zerstört  die  Anaphora  uoXXaic,  vgl.  V.  12  und  15.  Von  V.  21 
ab  ist  eine  auch  nur  einigermaßen  sichere  Ergänzung  unmöglich. 

Auch  das  zweite  Gedicht  ist  am  Anfang  unvollständig  und  rief 
dadurch  Meinungsverschiedenheiten  unter  den  Gelehrten  über  die 
Auffassung  der  ersten  Verse  hervor.  Schubart  erblickte  darin 
eine  Anrede  an  eine  gemeinsame  Freundin  der  Sappho  und  Atthis, 
„die  es  besonders  schmerzlich  empfinde,  daß  Atthis  jetzt  im  fernen 
Lydien  ist14,  und  Wilamowitz  will  in  dieser  Freundin  Andromeda 
erkennen.  Diese  Auffassung  weisen  Jurenka  und  Fraccaroli 
mit  Recht  zurück.  Fraccaroli  glaubt,  Sappho  spreche  von  sich 
in  der  dritten  Person  und  rede  die  abwesende  Atthis  wie  anwesend 
an,  Jurenka  aber  faßt  apt^veuxa  jioX-a  als  Subjekt  und  liest :  u>; 
zot'  eu  C<«ofiev  ooxi'|a«>  o'  sjiev  |  ah  Oea  J ix£Xav  dpi  |  ifvtoxay  aol 
Zh  (AocXtat'  s/atpe  jx6Xira,  unter  der  Angeredeten  Atthis  verstehend. 
Beidemal  ist  der  Übergang  zum  folgenden,  wo  von  Atthis  in  der 
dritten  Person  gesprochen  wird,  hart.  Ich  stimme  daher  Blaß  bei, 
daß  auch  im  vorhergehenden  die  dritte  Person  Atthis  bezeichnet  und 
mit  der  zweiten  Person  die  Dichterin  sich  selbst  anredet.  Blaß 
liest  auf  Grund  seiner  Vergleichung  der  Hs.  dirü  2ap8uuv  |  irpoc 
TroXXaxi  xutoe  vu>v  l^oisa,  |  <u?  Trox'  £C<uO(isv  ouo,  xti>?  v^jiev  |  ah  0eai 
J'vU'kav  dpi  |  YVtoxa,  aa  os  jidXiJx'  e/atpe  ftö'XTra,  worin  aber  das  in 
der  Hs.  hinter  Cwofiev  stehende  Satzzeichen  unberücksichtigt  bleibt, 
«pqv<oxa  ohne  Beziehung  steht  und  der  ganze  erste  Satz  xu»?  v^jiev 
xxX.  zu  farblos  ist.  Fraccaroli  hat  mit  Recht  dpt'/vwxa  mit  Bezug 
auf  ai  geschrieben;  mit  Aufnahme  dieser  Verbesserung  lese  ich  «j? 
tcot'  ICwojiev  8ua£pa>c  xX^sv  |  ah  ös'a  ^ix^Xav  dpi^vaixa,  3a  8£  xxX. ; 
zu  xXesv  ah  dea  J^xIXav  dpqvtoxa  vgl.  Horn.  0  873:  soxai  fiav  ox* 


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Jahresbericht  über  die  griechischen  Lyriker.  (Sitzler.)  181 

äv  «Ste  9&r(v  7Xaox((»iTioa  efng.  Die  folgenden  Verse  sind  richtig 
überliefert.  V.  18/14  erkannte  Blaß  in  der  Hs.  xarcotX'  av  |  öpuaxa, 
wozu  er  Athen.  XV,  685  b  nnd  c  vergleicht,  und  ein  glänzendes  Er- 
gebnis lieferte  seine  Nachprüfung  der  Hs.  V.  15  f.  Cacpoixotts'  dryava? 
l~i  |  ixva<j&2t7>  ....  |  Xeirrav  jxoi  <»p£va  xapSta  ßdprjxai,  wo  Schubart 
Ca^pOYrai?  cfyavat  r'itt  .  .  .  /iirtav  «oi  .  .  .  ßa>.>jxai  gelesen  hatte. 
Das  folgende  ist  zu  verstümmelt,  um  es  zu  ergänzen. 

Ebendasselbe  gilt  vom  dritten  Gedicht,  das  durch  Blaß'  Lesung 
gleichfalls  gewonnen  hat.  Im  vierten  Vers  wird  Gongyla,  eine  andere 
Schülerin  der  Sappho  genannt,  an  die,  wie  es  scheint^  die  Verse  ge- 
richtet waren.  Jurenka  schließt  aus  den  Resten  der  V.  7  f.,  daß 
von  der  Epiphanie  einer  Gottheit,  die  Rede  ist,  der  Sappho  ihre  Not 
klagt,  dem  Vorgang  von  Blaß  folgend,  der  an  Hermes  dachte  wegen 
«o  o^aitox'  V.  8.  Ob  dies  auch  für  <«  8aa~0Tt  stehen  kann,  wie 
Jurenka  vermutet,  der  an  Aphrodite  denkt,  ist  sehr  zweifelhaft. 
Klar  ist  V.  11  xsftvdxrv  6*'  ip.sp6;  xi;  iysi  jis,  und  man  kann 
Jurenka  beistimmen,  wenn  er  in  den  nächsten  Worten  die  Angabe 
des  Grundes  für  diesen  Wunsch  vermutet;  der  Wortlaut  allerdings 
läßt  sich  nicht  mehr  feststellen.  * 

Solmsen  untersucht,  inwieweit  die  Ansichten,  die  er  in  seinen 
Untersuchungen  zur  griechischen  Laut-  und  Verslehre,  S.  137  f.,  über 
das  Digamma  bei  den  lesbischen  Lyrikern  ausgesprochen  hat,  durch 
die  neuen  Funde  bestätigt  bzw.  widerlegt  werden.  Seine  Aus- 
einandersetzungen liefen  darauf  hinaus,  daß  das  Digamma  im  Anlaut 
noch  durchweg  vorhanden  sei  und  auch  alle  die  Wirkungen  ausübe, 
die  es  auf  griechischem  Boden  überhaupt  jemals  ausgeübt  habe,  also 
seine  konsonantische  Kraft  überall  zur  Geltung  bringe,  nur  daß  eine 
kurze  konsonantisch  schließende  Silbe  in  der  Senkung  dadurch  nicht 
gelängt  werde.  Sieht  man  von  V.  12  des  zweiten  Gedichtes  ab,  wo 
sich  d  hl  Ipaa  lesen  läßt,  so  widerspricht  nur  V.  8  des  ersten  Ge- 
dichtes liiiAvaaft'*  oTsöa;  Solmsen  ändert  |ii}iva*  J^tcJ&a,  jjijiva 
Imperativ  aus  plfivao,  was  wenig  wahrscheinlich  ist.  Was  das  Wort- 
innere  betrifft,  so  hat  0.  Ho  ff  mann,  Dialekte  Bd.  II,  S.  461  f., 
festgestellt,  daß  ursprünglich  durch  J1  getrennte  Vokale  in  den  Texten 
der  lesbischen  Lyriker  niemals  kontrahiert  erscheinen,  wenn  der 
erste  von  ihnen  kurz  war,  während  bei  langem  ersten  Vokal  gelegent- 
lich Kontraktion,  bei  Diphthong  gelegentlich  Verkürzung  eintritt. 
Daraus  schloß  Solmsen,  daß  das  Digamma  in  der  zuerstgenannten 
Stellung  zur  Zeit  der  Sappho  und  des  Alkäos  noch  tatsächlich  vor- 
handen gewesen  sei,  und  damit  stimmt  auch  das  neue  Material 
überein. 


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182         Jahresbericht  über  die  griechischen  Lyriker.  (Sitzler.) 

Zum  Schluß  bemerke  ich  noch,  daß  auch  im  dritten  Band  der 
Oxyrhynchus  Papyri  unter  Nr.  424  Reste  von  drei  sapphischen 
Strophen  mitgeteilt  werden,  die  wahrscheinlich  von  Sappho  selbst 
herrühren.  Der  Papyrus,  dem  sie  entnommen  sind,  gehört  dem 
8.  Jahrhundert  n.  Chr.  an. 

Das  Leben  und  die  dichterische  Tätigkeit  der 
Sappho  schildert 

P.  Brandt,  Sappho.  Ein  Lebensbild  aus  den  Frühlings- 
tagen altgriechischer  Dichtung.  Leipzig, 
für  weitere  Kreise,  aber  auf  wissenschaftlicher  Grundlage.  Da  er 
darauf  ausgeht,  dem  Leser  ein  möglichst  vollständiges  Bild  jener 
Zeit  zu  entwerfen,  so  zieht  er  vieles  in  den  Kreis  seiner  Betrachtung, 
was,  streng  genommen,  nicht  dazu  gehört,  wie  die  Schilderung  von 
Lesbos  und  dessen  Bewohnern,  die  soziale  Stellung  der  Frauen  auf 
Lesbos,  die  griechischen  Dichterinnen  usw.  Die  Lieder  der  Sappho 
sind  teils  in  fremder,  teils  in  eigener  Übertragung  ins  Deutsche  ein- 
gefügt; dabei  sind  die  Hochzeitslieder  besonders  ausführlich  be- 
handelt. Im  einzelnen  durfte  der  Verfasser  etwas  zurückhaltender 
sein,  so  z.  B.  in  der  Bezeichnung  der  Kleis  als  Tochter  und  des 
Kerkylos  als  Mann  der  Sappho,  sowie  in  der  Behauptung,  sie  habe 
ihrem  Bruder  Vorwürfe  gemacht,  oder  Alkäos  habe  um  sie  gefreit. 
Im  ganzen  aber  liest  sich  die  Darstellung  gut  und  erfüllt  ihren  Zweck. 

Nicht  zur  Verfügung  stand  mir 

A.  Stringer,  Hephaestus  Persephone  at  Enna  and 
Sappho  at  Leucadia.    London  1903. 

Über  die  Bucheinteilung  der  alexandrinischen  Sappho- 
Ausgabe  handelt 

U. v. Wilamowitz,  Textgeschichte  der  griechischen 
Lyriker.    Zweiter  Exkurs. 

Die  bisherige  Annahme,  daß  das  Versmaß  das  Einteilungsprinzip  war, 
wird  durch  die  neue  Untersuchung  bestätigt;  die  Epithalamien 
füllten  das  achte  Buch.  Der  Verfasser  meint,  weil  sie  viele  oder 
doch  mehrere  Maße  mischten.  Den  Beweis  entnimmt  er  aus  den 
Fr.  98,  94,  95  und  91,  die  er  auf  Grund  von  Catulls  bekanntem 
Gedicht  miteinander  einem  einzigen  Epithalamios  angehören  läßt,  was 
durchaus  unwahrscheinlich  ist;  ebensowenig  stammen  Fr.  99,  100 
und  105  aus  einem  Gedicht.  Es  wäre  doch  auch  wunderbar,  wenn 
bei  der  großen  Zahl  von  Epithalamien,  die  Sappho  dichtete,  unsere 
Fragmente  einem  oder  zwei  entnommen  wären!  Von  einer  Mischung 
verschiedener  Versmaße  in  einem  Epithalamios  weiß  unsere  Über- 


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Jahresbericht  über  die  griechischen  Lyriker.  (Sitzler.)  183 

lieferung  nichts ;  nach  allem,  was  uns  bekannt  ist,  hatte  jedes  Gedicht 
sein  Versmaß,  was  Theokrit  und  Catullus  bezeugen.  Dagegen  scheinen 
diese  Gedichte  in  einem  besonderen  Buche  zusammengestellt  worden 
zu  sein,  weil  sie  gleicher,  d.  h.  chorischer  Form  und  gleichen  Inhalts 
waren.  Der  Erklärer  der  Sappho  und  des  Alkäos,  Kallias  von 
Mytilene,  lebte,  wie  der  dritte  Exkurs  dartut,  nach  Aristophanes  dem 
Grammatiker,  nicht  vor  diesem,  wie  man  bisher  annahm. 

Über  diebildlichenDarstellungenderSappho  handeln 

1.  L.  Forrer,  Les  portraits  de  Sappho  sur  les 
monnaies.    Rev.  Beige  de  numismatique  1901,  S.  413  f. 

2.  G.E.Rizzo,  Sur  le  prötendu  portrait  de  Sappho. 
Rev.  archöol.  1901,  S.  301  f. 

Forrer  beschreibt  die  Münzen  von  Eresos  und  Mytilene,  die 
den  Kopf  oder  die  ganze  Figur  der  Sappho  darstellen ;  von  mehreren 
gibt  er  auch  Nachbildungen.  Alle  stammen  aus  der  Kaiserzeit. 
Rizzo  dagegen  behandelt  den  Marmorkopf  der  Sammlung  Biscari 
in  Katania,  der  unter  dem  Namen  der  lesbischen  Dichterin  geht  und 
bis  jetzt  noch  nicht  veröffentlicht  ist.  Die  Herkunft  des  Kopfes  ist 
unbekannt,  die  Arbeit  unvollkommen,  die  Erhaltung  gut.  Der  Kopf 
ist  die  Kopie  des  Kopfes  einer  Muse  oder  Nymphe.  Eine  Nach- 
bildung der  Sappho  des  Silanion ,  ja  überhaupt  eine  Darstellung  der 
Sappho  ist  nach  Rizzo  bis  jetzt  nicht  sicher  nachgewiesen;  denn 
keine  der  sogenannten  Sappho-Büsten  geht  auf  ein  authentisches 
Original  zurück. 

E  rinna. 

F.  Blaß,  N.  Jahrb.  1899,  S.  80,  stellt  es  als  möglich  hin,  daß 
die  im  ersten  Band  der  Oxyrh.  Pap.  Nr.  VIII  veröffentlichten  und 
gewöhnlich  —  allerdings  mit  Unrecht,  vgl.  unter  Alkman  —  dem 
Alkman  zugewiesenen  Hexameter  von  Erinna  seien;  dagegen  scheint 
mir  Form  und  Inhalt  in  gleicher  Weise  zu  sprechen. 

Alkäos. 

Beiträge  zur  Kritik  und  Erklärung  liefern 

1.  Br.  Keil,  Zu  Alkäos  [5,  2],    Hermes  1899,  S.  479. 

2.  0.  Hoffmann,  Zum   äolischen  Dialekt   [5,  2]. 
Philol.  1900,  S.  41  f. 

3.  F.  Solmsen,  Zu  Alkäos  [9,  2.  66.  37  A].  Rhein. 
Mus.  1900,  S.  310  f. 

4.  L.  Cerrato  in  Riv.  di  Filologia  1898,  S.  130  f.  [fr.  18,  1]. 


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184         Jahresbericht  über  die  griechischen  Lyriker.  (Sitzler.) 


5.  W.  Headlam,  Notes  011  the  greek  lyric  poets. 
Class.  Rev.  1900,  S.  5  f.  [fr.  50]. 

6.  P.  Egenolff.    Rhein.  Mus.  1901,  S.  303  [fr.  86]. 

Daraus  führe  ich  an,  daß  Hoff  mann  jetzt  die  Überlieferung 
in  fr.  5,  2,  die  er  früher  in  xopu?a;  In  a^atc  änderte,  für  tadellos 
hält,  während  Keil  xopucpat?  ov  o^vai?  verlangt,  was  inhaltlich 
unmöglich  ist,  vgl.  Jahresb.  Bd.  92,  S.  123.  —  So  Imsen  liest  9,  2 
a  iro>;  ttü>  =  7:00.  Dasselbe  wünscht  er  auch  fr.  66,  ohne  die  ver- 
dorbenen Worte  jedoch  zu  verbessern.  Ich  vermute,  mich  möglichst 
an  die  Überlieferung  haltend ;  ^  iro>  aovzf'  av8pa>v  Caitevecov  oxpfoov  | 
v6[aoi?  emitveuoiaa  (Öixav  xe  Oitov),  Worte,  die  einen  zur  Wahrung 
von  Sitte  und  Recht  unternommenen  Zug  schildern.  —  37  A,  2  leitet 
Solmsen  6t/6X<o  von  yak  (vgl.  x«*«v)  a*>  Qnd  erklärt  „der  keine 
Ruhe  beschieden  ist"  unter  Hinweis  auf  Hes.  ^aXia*  r^uyia.  — 
Headlam  schlägt  in  dem  trostlos  Uberlieferten  Bruchstück  50,  2 
oTvoc  oxXuoxaxoc  und  4  irsSaxpooiievoc  t  aj^suij,  xb  6*  o6xsxi  vor.  — 
Egenolff  schreibt  fr.  86  IXthß,  at>  oh  cp^c;  ebenso  Hiller,  nur 
daß  dieser  richtiger  <paU  schrieb. 

Neue  Bruchstücke  von  zwei  oder  drei  Gedichten  des  Alkäos 
veröffentlichte  W.  Schubart  in  den  Sitzungsber.  der  Preuß.  Akademie 
der  Wiss.  vom  20.  Februar  1902  aus  einem  Berliner  Papyrus  des 
1.  oder  2.  Jahrhunderts  n.  Chr.  Sie  sind  auch  abgedruckt  in 
Th.  Reinachs  Aufsatz  Nouveaux  fragments  de  Sappho  in  Rev.  des 
(Hudes  gr.  1902,  S.  68  f.  Einige  Bemerkungen  dazu  gibt  H.  Jurenkn 
in  der  Zeitschrift  f.  die  österr.  Gymnasien  1903,  S.  492.  Der  Zu- 
stand der  Fragmente  ist  so  trümmerhaft,  daß  an  Ergänzung  und 
Erschließung  des  Inhaltes  nicht  gedacht  werden  kann.  Der  zehnte 
Vers  des  ersten  Bruchstückes  ist  das  23.  fr.  Bgk.,  dessen  Wortlaut 
avopec  7<ip  thSXioc  wSp-p?  «ipe-iiot  jetzt  festgestellt  ist.  Daraus  ersieht 
man,  daß  das  Gedicht  aus  kleineren  Asklepiadeen  bestand  und  zu 
den  Stasiotika  gehörte. 

Den  Versen  sind  einige  Scholien  beigegeben,  von  denen  das 
folgende  wichtig  ist:  xaxi  xijv  ywjp  xt)V  irpioxijv,  2x'  lz\  MupatXov 
xaxaaxioaaa'fievoi  ^-ißoo/.rjV  oi  xxspl  x&v  'AXxaiov  x,  cpavspa;  ?Ä  yt- 
voji^v/(?  <pftdaavxe>  Trptv  6ix7)v  orojyetv  scpo^ov  elz  (luppav;  denn 
es  ermöglicht  uns  einen  interessanten  Einblick  in  die  damaligen 
politischen  Kämpfe  auf  Lesbos  und  zeigt,  daß  die  Aristokraten  auch 
unter  der  Tyrannis  des  Myrsilos  schon  fliehen  mußten;  man  kannte 
mehrere  omai  derselben.  Zugleich  fällt  neues  Licht  auf  das  Jubel- 
lied  des  Alkäos  über  den  Tod  des  Myrsilos  (fr.  20). 


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Jahresbericht  über  die  griechischen  Lyriker.  (Sitzler.)  185 

Ein  weiteres  Bruchstück  enthält  der  zweite  Band  der  Oxyrhynchos 
Papyri  von  Grenfell  und  Hunt,  London  1899,  unter  Nr.  221, 
Col.  XI,  9:  arevco  jxiv  Iavl>o>  jtöos  U  Öa'Xasaav  fxotv*. 

Chilon. 

W.  Headlam,  Notes  on  the  greek  lyric  poets.  Class. 
Rev.  1900,  S.  5  f.,  vermutet  V.  3  iv  XP'W'  was  einen  geläufigen 
Gedanken  ergibt,  aber  gewiß  nicht  nötig  ist;  die  Überlieferung  h 
Zk  /puaqJ  gestaltet  den  Gedanken  des  Gedichtchens  einheitlicher. 

Stesichoros. 

Zur  G  e  r  y  o  n  e  i  s  fr.  5  f.  vergleiche  man  E.  It  o  m  a  g  n  o  1  i , 
L'impresa  d'  Eracle  contro  Gerione  su  la  coppa 
<TEufronio.  Riv.  di  filol.  class.  1902,  S.  249  f.,  der  die  Ansicht 
ausspricht,  daß  in  der  Darstellung  der  Geryoneis  auf  dem  Euphronios- 
Becher  die  vier  Hopliten  auf  dem  zweiten  Bilde,  die  gegen  fünf 
Rinder  vordringen,  nicht  Gefährten  des  Herakles  seien,  wie  man  ge- 
wöhnlich annimmt,  sondern  Neleus  mit  drei  Söhnen,  welche  die  Rinder 
4em  Herakles  rauben,  vgl.  Horn.  A  690  f.  Isokrat.  Archidam.  19.  — 
Die  in  fr.  8  geschilderte  Szene,  Herakles  im  Sonnenbecher,  weist 
P.  Hartwig,  Mitteil,  des  K.  deutsch,  archäol.  Instituts,  Röm.  Abt. 
1902,  S.  107  f.,  auf  einer  in  seinem  Besitze  befindlichen  schwarz- 
tigurigen  attischen  Kanne  aus  dem  6.  Jahrhundert  nach;  bisher  war 
nur  eine  Darstellung  auf  einer  rotfigurigen  Trinkschale  bekannt,  vgl. 
Roscher,  Lexikon  I,  S.  2204. 

Über  die  Oresteia,  fr.  34  f.,  handelt  A.  Olivieri,  Sul 
mito  di  Orestc  nella  letteratura  classica,  Riv.  di  Filol. 
1898,  S.  266  f.,  indem  er  den  Gang  der  Handlung  festzustellen  sucht 
und  das  Verhältnis  des  Stesichoros  zu  den  Epikern  und  Tragikern 
erforscht.  Stesichoros  ist  für  uns  der  erste,  der  den  Tod  Againemnons 
mit  der  Opferung  Iphigeneias  in  Zusammenhang  bringt.  Wenn  aber 
der  Verfasser  Iphigcneia  Nichte  des  Agamemnon  nennt,  so  stimmt 
dies  zwar  für  die  Dichtung  Helena,  in  der  Iphigeneia  nach  dem 
Zeugnis  des  Pausanias  II,  22,  6  als  Tochter  des  Theseus  und  der 
Helena  bezeichnet  wurde,  vgl.  fr.  27,  nicht  aber  für  die  Oresteia, 
die  nach  Angabe  des  Philodemos  rspt  eoaeß.,  p.  24,  Iphigeneia  als 
Tochter  des  Agamemnon  kennt,  vgl.  fr.  88.  Dies  verlangte  auch  die 
Motivierung  der  Tötung  des  Agamemnon,  und  wir  sehen,  daß 
Stesichoros,  wie  andere  Dichter,  jeweils  die  Sagenform  wählt,  die 
seinen  Zwecken  am  meisten  entspricht.  Die  Ermordung  des  Agamemnon 
fand  in  Sparta  statt,  vgl.  fr.  39,  die  Rettung  des  Orestes  durch  die 


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180         Jahresbericht  über  die  griechischen  Lyriker.  (Sitzler.) 

Amme  Laomedeia,  vgl.  fr.  41.  In  der  Darstellung  der  folgenden 
Ereignisse  schließt  sich  der  Dichter  an  die  Nosten  an;  nur  daß  er 
den  Apollon  dem  Orestes  seinen  Bogen  zum  Schutze  gegen  die  Erinyen 
geben  läßt,  vgl.  fr.  40. 

Fr.  60  und  62  führt  H.  Usener  im  Rhein.  Museum  1901, 
S.  186,  auf  ein  hesiodisches  Gedicht  Typhon  zurück,  das  im  Hymn. 
in  Apoll.  Pyth.  127 — 176  ausgeschrieben  sei.  Bei  Stesichoros  liege 
eine  Verschmelzung  der  älteren  Sage  von  der  Geburt  der  Athene 
(vgl.  Galen,  de  Hippoer.  et  Plat.  dogm.  III,  8,  Bd.  V,  p.  320  Iwan 
Müller)  mit  der  späteren,  die  wir  in  Hesiods  Theogonie  finden,  vor. 

Über  das  Verhältnis  zwischen  Euripides  und  Stesi- 
choros spricht 

W.  Nestle,  Untersuchungen  über  die  philosophi- 
schen Quellen  des  Euripides.  Philologus  Ergänzungsb.  VIII, 
S.  629  f. 

Euripides  schloß  sich  in  der  Behandlung  der  Helena -Sage  an 
Stesichoros  an;  der  Palinodie  entnahm  er  das  Eidolon,  das  er  be- 
nützt, um  die  Soge  lächerlich  zu  machen. 

I  b  y  k  o  s. 

Fr.  2  will  C.  Häberlin  in  der  Wochenschr.  f.  kl.  Philol.  1899, 
Nr.  7,  S.  176,  da  Responsion  und  Katalexe  unverkennbar  seien,  in 
zwei  einander  entsprechende  Teile  von  je  vier  Versen  zerlegen: 
"Epo?  .  .  .  dzb  |  ßXE<pdpotc  ....  5epx6jj,svo«  |  xr(Xrjjiaat  .  .  .  .  U 
dilti-  |  pova  .  .  .  Kuirptöoc  IXxsi  und  rt  iidtv  .  .  .  ^epxojxsvov,  |  waft' 
ftnroc  deuXo^popo?  -o?i  -rij-  |  pai  ßaivs  tpspsCoTfo;  ^5'  dsxcov  |  ouv 
oxca'f 1  öooT?  U  a{iiXXav ;  man  sieht,  daß  in  den  letzten  drei  Versen  be- 
deutende Umstellungen  und  Änderungen  nötig  werden.  Die  Schreibung 
Ktiirptooc  £Xxei  V.  4  stammt  von  Blaydes.  —  Fr.  7  verlangte 
W.  Headlam  früher  i^&ipr^ai  xsXiöovac;  jetzt  verweist  er  Class. 
Rev.  1900,  S.  5  f.,  auf  Eurip.  Phaeth.  fr.  773,  23  zum  Beweise  da- 
für, daß  die  Nachtigall  auch  als  Vogel  des  Morgens  genannt  werde. 

Anakreon. 

Fr.  49  lautet,  wie  P.  Egenolff,  Zu  Anakreon.  Philol. 
1900,  S.  618  f.,  mitteilt,  in  der  noch  nicht  veröffentlichten  Ortho- 
graphie des  Joannes  Charax,  p.  745,  des  cod.  Hauniensis  1965: 
6pixijv  tjiovtot  x-»  w»s  der  Verfasser  in  ujpixrjv  abändert  und  dann  die 
Frage  aufwirft,  ob  diese  Lesart  oder  die  bisher  bekannte  Bp^xtijv 
richtiger  sei.    Meiner  Meinung  nach  könnte  ein  Zweifel  nuF  ent- 


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Jahresbericht  über  die  griechischen  Lyriker.  (Sitzler.)  187 

stehen,  wenn  &pixr>  in  der  Hs.  stände;  so  aber  stellt  sich  opixijv 
nur  als  verschrieben  aus  8p^xo;v  dar,  zu  dem  Egenolff  Anth. 
Pal.  VII,  10,  4.  25,  8.  27,  6  vergleicht.  —  Zu  fr.  136  bemerkt 
W.  Headlam,  Notes  on  the  greek  lyric  poets.  Class.  Rev. 
1900,  S.  5  f.,  mit  Recht,  daß,  wie  sich  aus  dem  Wortlaut  des  Et. 
M.  514,  28  ergibt,  xÄxvax'Q  st.  tu>xiv«x^  zu  schreiben  sei.  Übrigens 
legt  der  Zusatz  wazep  u>  "ArcoUov  "QrcoXXov  die  Vermutung  nahe,  daß 
es  ursprünglich  wxvaxrj  (als  Vokativ)  hieß. 

Telesilla. 

Die  Nachricht  von  Telesillas  heldenmütiger  Verteidigung  der 
Stadt  Argos  gegen  Kleomenes  (vgl.  Paus.  II,  20.  Plut.  -pv.  dpet.  4) 
fand  verschiedene  Beurteilung,  indem  die  einen  sie  als  historisch  be- 
trachteten, so  Duncker  VII5,  72  f.,  die  anderen  sie  für  eine  spätere 
Sage  hielten,  unter  diesen  auch  Busolt  gr.  Gesch.  II2,  S.  563. 
Wilaraowitz,  Textgeschichte  der  griechischen  Lyriker 
Exkurs  4  verteidigt  von  neuem  die  Überlieferung  als  geschichtlich, 
gewiß  mit  Recht,  wenigstens  was  ihren  Kern  anlangt.  Auffallend 
bleibt  allerdings,  wie  sie  dem  Herodot  entgehen  konnte,  der  doch 
nach  VI,  75  fin.  mit  der  argivischen  Darstellung  bekannt  war  ;  denn 
diese  Notiz  Herodots  einfach  als  unwahr  zu  bezeichnen,  wie  es  z.  B. 
Macan  z.  d.  Stelle  tut,  geht  nicht  an.  Wilamowitz  äußert  sich 
darüber  überhaupt  nicht. 

Fr.  2  will  Wilamowitz  im  Hermes  1902,  S.  313,  ydrjota? 
st.  <piX7}Xtac  schreiben ;  es  sei  ein  Lied  an  den  Philesios ;  denn  wenn 
dieser  Kultname  des  Apollon  auch  nur  für  Milet  bezeugt  sei,  so  dürfe 
man  doch  annehmen,  daß  auch  ein  Gedicht  aus  Argos  an  ihn  ge- 
richtet sei.  Aber  zu  dieser  —  doch  immerhin  gewagten  —  Änderung 
liegt  kein  Grund  vor,  wenn  man  sich  erinnert,  wie  Apollon  und  Helios 
schon  im  5.  Jahrhundert  ineinander  flössen  (vgl.  carm.  pop.  22  A,  12. 
Timotheos  13).  Danach  konnte  ein  Gedicht  an  Apollon  wohl  <ptXij- 
Xia?  genannt  werden. 

Simon  i  des. 

Kritische  und  exegetische  Beiträge  zu  den  Fragmenten 
des  Simonides  liefern 

1.  U.  v.  Wilamowitz,  Das  Skolion  des  Simonides 
an  Skopas  [fr.  5].    Gott.  Gel.  Nachr.  1898,  S.  204  f. 

2.  Th.  Reinach,  Deux  fragments  d'  hyporchemes 
anonymes.  Mölanges  Henri  Weil.  Paris  1898,  S.  418  f. 
[fr.  29,  30,  31]. 


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188 


Jahresbericht  über  die  griechischen  Lyriker.  (Sitzler.) 


3.  W.  Headlam,  Notes  on  the  greek  lyric  poets. 
Class.  Rev.  1900,  S.  5  f.  [fr.  37]. 

4.  G.  E.  Marindin,  The  word  yXwpatSyyjv  in  Simo- 
nides and  Bacchylides.    Class.  Rev.  1898,  S.  37  [fr.  73]. 

5.  P.  Malusa,  Simonidis  Cei  carmen  LXXXV  Amor- 
gino  non  est  tribuendum.    Venezia  1900. 

Fr.  5  wird  von  Wilamowitz  eingehend  behandelt.  An  den 
von  Sokrates  zwischen  feviaÖat  nnd  ejijievat  gemachten  Unterschied 
glaubt  er  nicht;  denn  sonst  hätte  Simonides  auch  zwischen  d^fto? 
und  hb\6s  ebenso  scharf  unterscheiden  und  die  Möglichkeit  des 
fsvlö&at  im  folgenden  ebenso  deutlich  nachweisen  müssen,  wie  die 
Unmöglichkeit  des  e|iji«vai.  Dagegen  bemerkt  N.  Festa  in  Atene 
e  Roma  1898,  S.  238 f.,  mit  Recht,  daß  beides  geschehen  sei; 
V.  16  f.  sage  der  Dichter,  wer  ein  d^ado?  dv^p  sei,  am  Anfang  gebe 
er  aber  die  Definition  des  $30X6?,  der  dem  irava>a>fio?  näher  stehe 
als  dem  d^adtk,  und  auch  die  Möglichkeit  des  fsviaftat  sei  dargelegt, 
nämlich  in  dem  Hinweis  auf  die  Gunst  oder  Ungunst  des  Himmels. 
Ich  füge  noch  hinzu,  daß  die  Unterscheidung  zwischen  «fsviaftai  und 
ejijievai  seitens  des  Simonides  ihm  durchaus  nicht  die  Notwendigkeit, 
auch  zwischen  dfaftoc  und  iaftXä*  zu  unterscheiden,  auferlegte ;  denn 
jener  Unterschied  ist  ganz  anderer  Art  als  dieser,  und  es  kommt 
dem  Dichter  nur  auf  die  Hervorhebung  des  Werdens  und  Seins 
an.    Ein  Widerspruch  liegt  also  in  dem  Gedichte  nicht. 

Wilamowitz  muß  bei  seiner  Auffassung  natürlich  an  dem  von 
Protagon»  nachgewiesenen  Widerspruch  festhalten,  und  da  man  nicht 
annehmen  kann,  Simonides  habe  ihn  nicht  bemerkt,  so  muß  er  eine 
Erklärung  dafür  suchen,  warum  er  ihn  gewollt  habe.  Simonides 
geht  nach  Wilamowitz  von  dem  Satze  des  Pittakos  aus,  dem  er, 
wie  jiiv  zeigt,  einen  anderen  Gedanken  entgegenstellen  will.  Da  be- 
merkt er  aber,  daß  jener  Satz  nicht  völlig  der  Wahrheit  entspricht 
und  daß  es  döovatov  statt  yakzidv  heißen  müßte.  Daher  bekämpft 
er  den  Pittakos  nicht,  sondern  ergänzt  ihn  und  fügt  schließlich  seine 
Ansicht  bei:  dXXd  tuoi  ££apxet  xtX.  Daß  Wilamowitz  im  Gegen- 
satz zu  Sokrates  in  den  letzten  Worten  keine  Polemik  des  Simonides 
gegen  Pittakos  annimmt,  muß  man  billigen;  auffällig  bleibt  nur,  daß 
der  Dichter,  der  doch  den  Spruch  des  Pittakos  vorher  schon  kannte 
und  überlegte,  erst  nach  Beginn  seines  Gedichtes  einsah,  daß  er  nicht 
ganz  der  Wahrheit  entspricht,  und  ebenso  auffällig  ist  die  Ver- 
anlassung, die  Simonides  nach  der  Meinung  von  Wilamowitz  zur 
Abfassung  unseres  Gedichtes  hatte ;  Skopas,  der  sich  in  seinen  Muße- 
stunden mit  dem  Wesen  und  der  Wirklichkeit  der  dpetr,  beschäftigte, 


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Jahresbericht  über  die  griechischen  Lyriker.  (Sitzler.)  189 


habe  nämlich  an  den  Dichter  die  Frage  nach  seiner  Meinung  über 
die  Ansicht  des  Pittakos  gerichtet,  and  unser  Gedicht  sei  die  Ant- 
wort auf  diese  Frage,  die  sich  kurz  in  die  Worte  zusammenfassen 
lasse :  „Verzichten  wir  auf  die  Heroen,  aber  wir  wollen  rechtschaffene 
Menschen".  Wilamowitz  hält  das  Lied  mit  Blaß  für  ein  Skolion, 
trotzdem  wir  von  Skolien  des  Simonides  nichts  hören  und  Plato 
Protagor.  346  B  sagt  StfitovtOTjc  fj^saxo  xai  aöxo?  xupavvov  rt  aMov 
xtva  tü»v  xotouxtuv  iraiviaai  xal  ^xwutasat  ouy  £x<uv.  Smyth  tritt 
denen  bei,  die  es  für  ein  Enkomion  halten. 

Fr.  29  verbindet  Rein  ach,  wie  vor  ihm  schon  G.  S.  Farne  11, 
mit  30.  Ich  kann  dies  nicht  bilHgen,  da  es  ohne  große  Willkür  nicht 
möglich  ist;  zunächst  muß  er  die  hinter  £uuxa>v  überlieferten  Worte 
7j  t6  (E  töv  fiiv)  einfach  weglassen,  dann  ofoc,  was  durch  [xavuwv 
gestutzt  wird,  in  oi'  und  jiavowv  in  jiavoota'  ändern,  endlich  eopsfiev 
vor  jiavowv  tilgen.  Hält  man  da  nicht  besser  an  zwei  Fragmenten 
fest  ?  Fr.  30,  4  f.  liest  er  xav  o'  ao/evi  axp£<pw<jav  eopev  8v  xapa 
xax'  oTaov,  und  fr.  31  beginnt  er  mit  llzypbv  fy'/rp,  ohne  die  vorher- 
gehenden Worte  zu  berücksichtigen.  Die  drei  Fragmente  spricht  er 
dem  Simonides  ab.  was,  wie  er  meint,  schon  aus  der  Art  und  Weise, 
wie  sie  bei  Plutarch  zitiert  werden,  hervorgehe,  und  weist  sie  dem 
Bakchylides  zu,  zu  dessen  fr.  23  sie  vielleicht  gehören.  Auf  diese 
Zugehörigkeit  zu  fr.  23  deutet  weder  Form  noch  Inhalt;  auch  ist 
bei  Plutarch  an  der  ganzen  Stelle  von  Bakchylides  keine  Rede, 
während  dagegen  von  Simonides  unmittelbar  zuvor  gesprochen  wird, 
so  daß  man  die  Worte  hr^ol  oi  6  jiaXtaxa  xaxcupÖcaxsvat  Ö«5;ac  Iv 
üTrop^Tjjiaat  xxX.  unwillkürlich  auf  ihn  bezieht,  zumal  sie  auf  ihn 
besser  als  auf  seinen  Vetter  passen.  Ich  bleibe  also  bei  der  Autor- 
schaft des  Simonides,  trotzdem  Weil  und  Wilamowitz  dem  Ver- 
fasser beistimmen. 

Fr.  37,  19  schlägt  Headlam  zfyopau  tht  v6a<pt  81'xac  vor; 
ähnlich  schon  Ahrens  t)  v<5a?i  0.  —  Zu  fr.  73  (und  Bakchyl.  V, 
172)  führt  Marin din  aus,  daß  /Xtopauyijv  nicht  von  der  Farbe 
gebraucht  sei,  sondern  entweder  die  Gestalt  „supple-necked,  flexible- 
necked"  oder  die  Stimme  „clear-voiced ,  liquid-voicedu  bezeichne. 
Anders  J.  v.  Leeuwen,  Mnemosyne  1903,  S.  114 f.:  x^">Pa^XTiv  von 
/Xwpo;  vegetus,  floridus,  hinc  de  colore  novorum  foliorum  et  her- 
barum,  tum  de  puellae  collo.  —  Fr.  85  verteidigt  Malusa  gut  gegen 
das  Bestreben,  das  Gedicht  dem  Amorginer  zuzuweisen. 

Die  Frage  nach  der  Echtheit  der  dem  Simonides  bei- 
gelegten Epigramme  ist  immer  noch  nicht  gelöst.  Es  äußern 
sich  dazu 


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190         Jahresbericht  über  die  griechischen  Lyriker.  (Sitzler.) 

1.  G.  Setti,  Simonide  di  Ceo  e  l'autenticitä  de' 
suoi  epigrammi.    Riv.  di  Filol.  class.  1900,  S.  471  f. 

2.  M.  Boas,  De  epigrammatis  Simonideis.  Pars 
prior:  commentatio  critica  de  epigramraatum  traditione.  Groningae 
1905. 

Setti  glaubt  nicht,  daß  man  den  Angaben  der  Anth.  Pal.  und 
Plan,  bezüglich  der  Verfasser  der  Epigramme  schon  von  vornherein 
jeden  Glauben  absprechen  dürfe.  Nach  seiner  Ansicht  legt  A.  Hau- 
vette  (vgl.  vor.  Jahresber.  Bd.  CIV  1900,  S.  128  f.)  zu  großes 
Gewicht  auf  die  ästhetische  Beurteilung,  was  bei  diesen  kleinen 
Gedichten  nicht  wohl  angehe,  und  beachtet  die  Beziehung  der  Epi- 
gramme zu  den  lyrischen  Fragmenten  des  Simonides  nicht,  die  auch 
manchen  Aufschluß  bringen  könne.  Setti  hält  im  ganzen  21  Epi- 
gramme für  sicher  echt:  89,  92,  94,  99,  100,  103,  111,  112,  130, 
131,  136,  187,  140,  147,  149,  152,  153,  155,  157,  143,  169,  von 
denen  die  Untersuchung  ausgehen  müsse,  mit  Hauvette  stimmt  er 
also  in  92,  94,  111,  130,  131,  186,  137,  147,  157  überein.  Vgl. 
dazu  H.  Stadtmüller,  Anth.  Pal.  Bd.  II,  S.  LXVII  f.,  der  von  den 
Simonideischen  Epigrammen  des  siebenten  Buches  der  Anth.  Pal.  — 
nach  Bergks  Zählung  —  91,  92,  109,  121,  169,  114,  124,  118, 
120,  94  als  echt,  bzw.  möglicherweise  echt  anerkennt. 

Anderer  Art  ist  die  Arbeit  von  Boas,  der  die  Frage  nach  der 
Echtheit  der  unter  Siraonides  Namen  überlieferten  Epigramme  in  ihrem 
ganzen  Umfange  gründlich  untersuchen  und  zum  Abschluß  bringen 
will.  Der  vorliegende  erste  Band  behandelt  die  Überlieferung  der 
Epigramme.  Der  Verfasser  geht  dabei  von  Herodot  VII,  228  aus, 
wo  er  richtig  erklärt:  die  Amphiktyonen  errichteten  die  drei  Denk- 
mäler, ließen  aber  nur  auf  zwei  Inschriften  anbringen,  während  dies 
auf  dem  dritten  für  Megistias  Simonides  tat;  denn  auf  seinen  ver- 
unglückten Erklärungsversuch  der  Worte  l$ci>  rt  xh  toO  {iocvtioc  i-i- 
fpajijAa  brauche  ich  hier  als  für  unsere  Frage  belanglos  nicht  ein- 
zugehen. Wenn  er  nun  aber  weiter  im  Anschluß  an  diese  Erklärung 
meint,  Simonides  sei  nur  deshalb  als  derjenige  genannt,  der  die 
Inschrift  auf  den  Gedenkstein  für  Megistias  setzte,  weil  er  das  Epi- 
gramm den  Amphiktyonen  unentgeltlich  zur  Verfügung  gestellt  habe, 
so  stimmt  dies  mit  seiner  eigenen  Erklärung  von  iittypacpstv  „darauf 
schreiben  oder  darauf  schreiben  lassen"  nicht  Uberein;  denn  in  diesem 
Fall  waren  die  Amphiktyonen  ot  iiRfpa^avrs?,  er  nur  6  roiijaa;.  An 
unserer  Stelle  wird  also,  was  den  Simonides  betrifft,  nur  bezeugt, 
daß  er  die  Inschrift  auf  die  Grabstele  seines  Freundes,  welche  die 
Amphiktyonen  setzten,  anbrachte  bzw.  anbringen  ließ;  alles  weitere 


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Jahresbericht  über  die  griechischen  Lyriker.  (Sitzler.)  191 


müssen  wir  durch  Schlüsse  gewinnen.  Als  sicher  ergibt  sich,  daß  er 
das  Epigramm,  das  er  auf  den  Stein  setzen  ließ,  auch  selbst  dichtete, 
als  höchst  wahrscheinlich,  daß  er  auch  die  beiden  anderen  Epi- 
gramme den  Amphiktyonen  geliefert  haben  wird ;  ob  gegen  Bezahlung, 
wie  der  Verfasser  annimmt,  ist  zweifelhaft,  ja  unglaublich  bei  dem 
Zusammenwirken  der  Amphiktyonen  und  des  Dichters  zur  Schmückung 
der  Gräber  der  Gefallenen,  unter  denen  auch  der  Freund  des 
Simonides  war. 

So  ist  nach  Herodot  die  Abfassung  des  Epigramms  94  durch 
Simonides  sicher,  die  der  Epigramme  91  und  92  wahrscheinlich, 
vorausgesetzt,  daß  die  Quelle  des  Geschichtsschreibers  glaubhaft  ist. 
Welches  ist  nun  diese  ?  Nach  dem  Verfasser  die  spartanische  Über- 
lieferung, richtiger  die  amphiktyonische  oder  delphische,  an  deren 
Wahrheit  zu  zweifeln  kein  Grund  vorliegt.  Der  Verfasser  hält  sie 
in  dem  Punkte  für  irrig,  weil  sie  nur  von  drei  Säulen  spreche  statt 
von  fünf,  wie  Strabo  IX,  4,  2,  p.  425;  aber  ursprünglich  scheinen 
tatsächlich  nur  drei  vorhanden  gewesen  zu  sein,  eine  für  die  Gesamt- 
heit, eine  besondere  für  die  Spartaner  und  die  für  Megistias;  erst 
später  wurde  die  Zahl  vermehrt,  als  andere  Städte,  dem  Beispiel 
Spartas  folgend,  ihre  Gefallenen  auch  besonders  geehrt  wissen  wollten. 
Dieser  Umstand  läßt  sich  nicht  mit  dem  Verfasser  als  Beweis  dafür 
verwenden,  daß  Herodot  die  Säulen  nicht  selbst  gesehen  habe.  Sicher 
ist  dagegen,  daß  er  den  Namen  Simonides  nicht  darauf  gefunden  hat; 
diesen  lieferte  ihm  die  Tradition,  die  in  keiner  Weise  eine  schrift- 
liche gewesen  zu  sein  braucht.  Daraus  sieht  man  aber  auch,  daß 
der  Verfasser  zu  weit  geht,  wenn  er  für  seine  Untersuchung  den 
Grundsatz  aufstellt,  daß  alle  inschriftlich  überlieferten  Epigramme 
namenlos,  alle  literarisch  überlieferten  mit  Namen  versehen  seien; 
auch  mit  dem  Denkmal  kann  die  Überlieferung  den  Namen  des 
Dichters  verknüpfen,  ebenso  wie  ein  Schriftsteller  bei  Benützung  einer 
Epigrammensammlung  den  Namen  des  Verfassers  beiseite  lassen  kann ; 
Beifügung  oder  Weglassung  des  Dichternamens  ist  also  an  sich  noch 
kein  sicheres  Kriterium  für  literarische  oder  inschriftliche  Über- 
lieferung. 

Man  sieht,  daß  man  aus  Herodot  zur  Entscheidung  der  Frage 
über  die  Sammlung  der  Simonideischen  Epigramme  nichts  gewinnt. 
Die  Annahme,  daß  sie  von  dem  Dichter  selbst  bzw.  von  einem  seiner 
Verwandten  oder  Freunde  veröffentlicht  worden  seien,  weist  der 
Verfasser  mit  der  Begründung  zurück,  „cum  antiqui  epigrammatis 
Status  rationem  non  näheret".  Was  er  damit  meint,  deutet  er  durch 
die  Verweisung  auf  §  19  und  §  34  seines  Buches  an;  an  der  ersteren 


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192         Jahresbericht  über  die  griechischen  Lyriker.  (Sitzler.) 

Stelle  führt  er  nämlich  aus,  daß  man  zur  Zeit  des  Simonides  die 
Epigramme  noch  nicht  mit  dem  Namen  des  Dichters,  sondern  nur 
mit  dem  des  Stifters  verbunden  habe ,  an  der  letzteren ,  daß  man 
sich  unter  dem  Sammler  der  Epigramme  keinen  Periegeten  vorstellen 
dürfe.  Hinsichtlich  des  letzten  Punktes  stimme  ich  dem  Verfasser 
bei;  aber  was  den  ersten  betrifft,  sehe  ich  nicht  ein,  wie  die  Sitte, 
den  Dichter  auf  dem  Denkmal  nicht  zu  nennen,  diesen  hätte  hindern 
sollen,  seine  Epigramme  ebenso  wie  seine  anderen  Gedichte  auf- 
zubewahren und  zu  veröffentlichen.  Daß  man  für  den  Dichter  der 
Epigramme  kein  Interesse  gehabt  habe,  ist  unrichtig;  dies  beweist 
die  Tatsache,  daß  sein  Name  in  der  Tradition  mit  der  Stiftung  weiter 
lebte,  wie  z.  B.  in  dem  oben  besprochenen  Fall  bei  Herodot.  Diese 
an  besonders  bemerkenswerten  Denkmälern  haftende  Tradition  genügt 
aber  nicht,  die  Zuweisung  ganzer  Sammlungen  an  bestimmte  Dichter 
zu  erklären,  wie  an  Anakreon  und  Simonides;  dies  war  nur  möglich, 
wenn  von  diesen  Dichtern  Epigramme  vorlagen,  an  die  sich  namenlose 
Epigramme  anschließen  konnten.  Ich  halte  also  an  der  Meinung  fest, 
daß  die  unter  Simonides  Namen  vorhandene  Epigrammensammlung 
auf  den  Dichter  selbst  zurückgeht,  wenn  sie  auch  bald  mit  vielen 
fremden  Bestandteilen  erweitert  wurde. 

Nach  dem  Verfasser  ist  die  Sammlung  erst  entstanden,  als  man 
Sammlungen  epideiktischer  Gedichte  hatte,  also  nicht  vor  der  Zeit 
Alexanders  des  Großen.  Eine  genauere  Zeitbestimmung  gewinnt  er 
aus  der  Untersuchung  der  Überlieferung  des  187.  Epigramms.  Dieses 
stand  nach  ihm  mit  den  vier  anderen  Epigrammen,  die  Plut.  de  Herod. 
malign,  39  anführt,  bei  Ephoros  in  der  Form,  welche  die  inschrift- 
liche Überlieferung  hatte ;  aus  diesem  Schriftsteller  übernahm  es  der 
Veranstalter  der  Simonideischen  Sammlung  mit  den  anderen  Epi- 
grammen, jedoch  in  veränderter  Gestalt,  und  so  zitierte  es  —  aller- 
dings wieder  mit  eigener  Abänderung  —  Timäos.  Da  nun  aber  ferner 
Aristoteles  rhetor.  I,  9,  p.  1367  b  das  163.  Epigramm  namenlos, 
Aristophan.  Byz.  bei  Eustath.  ad  Od.,  p.  1761,  25  dagegen  mit  dem 
Namen  des  Simonides  erwähnt,  so  schließt  der  Verfasser,  daß  die 
Sammlung  auch  nach  Aristoteles  Rhetorik  verfaßt  sei;  denn  aus  dieser 
habe  der  Sammler  das  Epigramm  entnommen,  das  er  versehentlich 
den  Simonideischen  einverleibt  habe,  weil  das  bei  Aristoteles  darauf- 
folgende (111)  dem  Simonides  zugeschrieben  sei.  So  falle  die  Ent- 
stehung der  Sammlung  zwischen  335 — 300,  etwa  in  das  Jahr  310; 
sie  sei  in  Athen  von  einem  Peripatetiker  verfertigt,  in  die  alexan- 
drinische  Bibliothek  aufgenommen,  von  Meleager  benützt  und  auf 
diese  Weise  in  die  Anthol.  Pal.  gekommen. 


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Jahresbericht  über  die  griechischen  Lyriker.   (Sitzler.)  1<)3 

Macht  schon  diese  genaue  Zeitbestimmung  bei  einer  so  dunklen 
Sache  argwöhnisch,  so  erweist  sie  sich  bei  einer  genaueren  Prüfung 
als  nicht  stichhaltig.  Was  zunächst  das  Epigramm  163  betrifft,  so 
bezeichnet  es  Aristoteles  allerdings  nicht  als  Simonideisch ,  aber  er 
weist  das  folgende  Epigramm  111  dem  Simonides  zu,  wie  der  Ver- 
fasser meint,  auf  eigene  Faust,  da  er  einen  Gewährsmann  brauchte, 
richtiger  auf  Grund  der  Sammlung,  der  er  auch  das  163.  Epigramm 
verdankt.  Daß  er  bei  dem  letzteren  den  Verfasser  nicht  nennt,  rührt 
daher,  weil  der  Olympionikes,  den  das  Epigramm  verherrlicht,  redend 
eingeführt  war.  So  konnte  er  dies  Gedicht  als  -6  too  'Oaujittiovixoo 
anführen  wie  das  vorhergehende  xb  toD  'l<ptxpaTou?  und  hatte  dadurch 
den  Vorteil,  drei  Zeugen  für  seine  Ansicht  zu  erhalten.  Bestand 
demnach  die  Sammlung  schon  vor  Aristoteles,  so  ist  es  wahrscheinlich, 
daß  sie  auch  schon  von  Thukydides  benützt  wurde.  Bei  diesem  finden 
sich  die  Epigramme  111  und  138,  beide  ohne  des  Simonides  Namen. 
Das  erste  konnte  dem  Geschichtsschreiber  infolge  seiner  Beziehungen 
zu  den  Peisistratiden  bekannt  sein;  von  dem  zweiten  erklärt  der 
Verfasser,  daß  er  nicht  wisse,  woher  es  Thukydides  habe,  da  es  vom 
Denkmal  nicht  abgeschrieben  sein  könne,  von  dem  es  ja  die  Lake- 
dämonier  sofort  entfernten.  Erhaltung  durch  mündliche  Überlieferung 
erscheint  unter  diesen  Umständen  als  kaum  wahrscheinlich;  es  muß 
aus  der  Simonideischen  Sammlung  stammen.  Wie  kam  es  aber  in 
diese?  Durch  inschriftliche  Überlieferung  nicht,  da  es  auf  keinem 
Denkmal  stand,  aus  einem  Schriftsteller  auch  nicht,  da  keiner  es 
mitteilen  konnte,  also  nur  durch  den  Dichter  selbst :  denn  daß  Simo- 
nides  der  Verfasser  ist ,  läßt  sich  bei  den  freundschaftlichen  Be- 
ziehungen zwischen  ihm  und  Pausanias  nicht  in  Abrede  stellen  (vgl. 
Simonidis  Cei  carm.  rell.  ed.  Schneidewin,  S.  XIX).  So  haben  wir 
hier  einen  direkten  Beweis  dafür,  daß  die  ursprüngliche  Sammlung 
auf  Simonides  selbst  zurückgeht,  und  daß  die  Schriftsteller  sie  be- 
nützten, auch  ohne  den  Namen  des  Dichters  zu  erwähnen. 

Ähnlich  verhält  es  sich  mit  dem  aus  dem  137.  Epigramm  ent- 
nommenen Beweis.  Angenommen  —  was  der  Verfasser  allerdings 
nicht  bewiesen  hat  —  daß  die  fünf  bei  Plutarch  a.  a.  0.  angeführten 
Epigramme  in  der  inschriftlichen  Fassung  bei  Ephoros  standen,  wie 
will  der  Verfasser  die  Behauptung,  der  Sammler  habe  sie  als  Ganzes 
daher  entnommen ,  begründen ,  zumal  da  er  noch  annehmen  muß, 
der  Sammler  habe  sie  bei  der  Übernahme  abgeändert,  wozu  wohl  ein 
Schriftsteller,  der  eine  Belegstelle  mit  seinen  Darlegungen  in  Über- 
einstimmung bringen  muß,  nie  aber  ein  Sammler  Veranlassung  hat  ? 
Ist  es  da  nicht  wahrscheinlicher,  daß  sie  anderswoher  stammen,  und 

Jahreshtrioht  für  AltertiimKwift-iMiffehaft.    B<1.  «  XXXIII.    il%7.    I.)  13 


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104         Jahresbericht  über  die  griechischen  Lyriker.  (Sitzler.) 

müssen  sie  denn  als  Ganzes,  können  sie  nicht  auch  einzeln  entlehnt 
sein?  Damit  fällt  aber  die  Bestimmung  des  Terminus  post  quem, 
und  nicht  fester  steht  der  Terminus  ante  quem,  weil  Timäos  tat- 
sächlich in  gar  keiner  Beziehung  zu  den  Epigrammen  steht,  wie  sich 
sogleich  zeigen  wird. 

Chamäleon  bei  Athen.  XIII,  p.  573  c,  spricht  über  die  Teilnahme 
der  Korinthischen  fcxatpai  an  den  an  Aphrodite  gerichteten  Gebeten 
der  Stadt  und  erzählt  unter  Berufung  auf  Theopomp  und  Timäos, 
daß  sie  auch  beim  Zug  der  Perser  gegen  Griechenland  zu  Aphrodite 
um  die  Kettung  der  Griechen  gebetet  hätten.  Zum  Beweise  dafür 
verweist  er  auf  das  ihnen  zur  Ehre  von  den  Korinthiern  gestiftete 
Weihegeschenk  mit  der  Inschrift  des  Simonides  (137).  Dieselbe  In- 
schrift wird  von  dem  Schol.  zu  Pind.  Ol.  13,  33  und  von  Plut.  de 
Herod.  mal.  39  beim  gleichen  Anlaß  im  Anschluß  an  Theopomp  an- 
geführt. Wäre  nun  die  Stelle  bei  Chamäleon  aus  Theopomp  und 
Timäos,  die  nach  der  Art  des  Zitates  doch  übereinstimmten,  genommen, 
so  müßte  sie  mit  den  Stellen  bei  Plutarch  und  dem  Scholiasten  zu- 
sammentreffen ;  so  aber  weichen  alle  drei  sowohl  hinsichtlich  des 
Weihegeschenkes  als  auch  hinsichtlich  des  Textes  voneinander  ab, 
jedoch  so,  daß  sich  Plutarch  und  Chamäleon  näher  stehen.  Es 
scheint  also,  daß  jeder  das  Epigramm  nach  seiner  Auflassung  für 
seine  Zwecke  verwandte.  Demnach  trifft  auch  Bergk  mit  der 
Änderung  von  sTvai  xal  vuv  in  san  hh  xal  vuv  das  Richtige;  es 
liegt  hier  kein  Zitat  aus  Theopomp ,  sondern  ein  Zusatz  des  Schol. 
vor.  Daß  dem  wirklich  so  ist.  zeigt  auch  der  Umstand,  daß  das 
Epigramm  nur  von  Chamäleon  richtig  erklärt  und  benutzt  wird,  der 
von  einem  mva£  als  Weihegeschenk  spricht  und  von  kxaipzi ,  auf 
welche  die  Worte  a?3'  vitlp  'EXXa'vtov  -s  xal  eoöoua/tuv  iroXtijTav  xxX. 
passen,  nicht  aber  von  dem  Schol.  und  Plutarch,  die  berichten  ta? 
-yovaixa?  xwv  Koptvftuuv  s'j;aaöai  rft  Äopooir^  sptota  IjirsaEtv  roi? 
dvSpaaiv  autuiv  jxa'xe^at  oirfcp  tr^  'EXXa'öo;  tot?  Mr]ooic,  was  aus 
den  Worten  des  Epigrammes  nicht  hervorgeht  und  durch  diese  nicht 
bewiesen  wird.  Damit  soll  aber  die  Richtigkeit  von  pvoixec  bei 
Plutarch  und  dem  Schol.  nicht  angezweifelt  werden;  dies  ist  sowohl 
durch  den  Wortlaut  des  Gebetes  gesichert,  als  auch  durch  den 
Zweck  der  Anführung,  der  darin  besteht,  die  Tapferkeit  der  Männer 
durch  Hinweis  auf  die  mutige  Gesinnung  der  Frauen  zu  beweisen. 
Erwägt  man  nun,  daß  der  Schol.  (und  Plutarch)  ebenso  wie 
Chamäleon  Theopomp  als  Gewährsmann  für  ihre  Darstellung  an- 
geben, so  wird  man  zu  der  Vermutung  gedrängt  werden,  daß 
Theopomp  beides,  das  Gebet  der  Frauen  und  das  der  Hetären, 


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Jahresbericht  über  die  griechischen  Lyriker.  (Sitzler.)  195 

berichtete,  seine  Ausschreiber  aber  nur  das  anführten,  was  sie  gerade 
brauchten. 

Nach  der  Feststellung  der  Abfassungszeit  der  Sammlung  geht 
der  Verfasser  dazu  über,  die  Zeugnisse,  durch  die  dem  Simonides 
Epigramme  zugewiesen  werden,  auf  ihren  Ursprung  und  ihre  Glaub- 
würdigkeit hin  zu  untersuchen,  und  zwar  zunächst  die  Inschriften, 
dann  die  Schriftsteller,  hierauf  die  Nachahmungen  und  schließlich 
die  Stellen,  in  denen  von  Simonides  als  Epigrammendichter  die  Rede 
ist.  Hier  findet  sich  manche  gute  Bemerkung,  auf  die  ich  bei  Be- 
sprechung der  einzelnen  Gedichte  und  der  Anthol.  Pal.  zurückkommen 
werde.  Im  ganzen  wurden  von  dem  Sammler  nach  dem  Verfasser 
34  Epigramme  in  die  Sammlung  aufgenommen;  für  echt  hält  er  11, 
nämlich  91,  92,  94,  96,  97,  102,  107,  137,  145,  147,  149. 

Über  einzelne  Epigramme  handeln  außer  M.  Boas  noch 

1.  A.  "Wilhelm,  Simonideische  Gedichte.  Jahresh. 
d.  österr.  arch.  Instituts  Bd.  II  (1899),  S.  221  f.  [108,  96,  150,  107]. 

2.  A.  B.  Cook  in  Class.  Rev.  1901,  S.  338  f.  [148]. 

3.  Th.  Homolle,  Les  offrandes  delphiques  des 
fils  deDeinomgnes  et  l'öpigramme  de  Simonide  [141], 
Mälanges  Weil.    Paris  1898.  S.  207  f. 

4.  Th.  Rein  ach,  Les  tröpieds  de  Ge'lon  et  de  ses 
fr  eres.    Rev.  des  Stüdes  gr.  XVI  (1903),  S.  18  f.  [141]. 

5.  W.  II  ea  dl  am,  Various  Conj  ectures.  Journal  of 
Philol.  26,  S.  93  f.  [159]. 

 Notes  on  the  greek  lyric  poets.    Class.  Rev. 

1900,  S.  5  f.  [151,  155,  159,  174]. 

 Transposition  of  wordsin  Mss.  Class.  Rev.  1902, 

S.  243  f.  [148]. 

Daraus  erwähne  ich  folgendes :  Epigr.  89,  3  und  4  nimmt  Boas, 
8.  235,  Anm.  8,  mit  Recht  gegen  Wilhelms  Verdächtigung,  als 
ob  dies  Distichon  unecht  sei,  in  Schutz.  —  90  ist  in  dem  einen  cod. 
der  Aristides-Scholien,  in  dem  es  sich  findet,  cod.  Paris.  D  Frommel 
289  —  die  anderen  Codices  haben  das  Epigramm  nicht  —  späterer 
Zusatz,  wie  Boas  richtig  sah;  wenn  er  aber  mit  Berufung  auf 
Justin  II,  9,  20,  der  nach  E.  Meyer  III,  332  auf  Ephoros  fußt, 
efxoai  jxoptaS«?  für  die  alte  Lesart  erklärt,  die  Aristides  II,  511  nach- 
lässig durch  hvioL  ersetzt  habe,  so  übersieht  er,  daß  Aristides  ja 
gerade  Beispiele  von  prahlerischer  Übertreibung  an  dieser  Stelle 
zusammenstellt  und  demgemäß  gewiß  nicht  £w£a  geschrieben  hätte, 

13* 


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}W        .Jahresbericht  über  die  griechischen  Lyrik«-.  (Steter.) 

wenn  ihm  tbwsi  bekannt  gewesen  wäre.  Die  Lesart  tvvea  maß  also 
nach  wie  vor  für  die  ältere  gelten,  aus  der  erst  spätere  Übertreibung 
elxooi  »achte;  wenn  sie  aoch  von  keinem  Schriftsteller  als  Zahl  der 
gefallenen  Feinde  angegeben  wird,  läßt  sie  sich  doeh  leicht  erklären 
als  da«  Zehnfache  der  Zahl  der  Athener,  die  9000  waren  (vgl.  Plut. 
parull.  1:  auf  jeden  Athener  kanten  zehn  Tote).  —  95  schreibt  Boas, 
S.  219  f.,  dem  Mnasalkas,  dem  bekannten  Nachahmer  des  Simonides 
(vgl.  Anth.  Va\.  XIII,  21),  zu  ud  weist  A.  Wilhelm,  der  das  letzte 
Distiehon  flir  späteren  Zusatz  erklärt,  zurück,  worin  ich  ihm  bei- 
stimme. —  99  ist  in  der  im  Bullet,  de  corr.  Hell.  1889.  S.  59,  ver- 
öffentlichten Inschrift  vo»  Knosos  aus  der  römischen  Zeit  nachgeahmt 
(vgl.  II.  Stadtmüller,  Anth.  P.  Bd.  II,  S.  LXXV1  und  Boas, 
S.  222  f.) ;  ebenso  von  Mnasalkas  A.  P.  VII,  242  (vgl.  Boas,  S.  21 1  f.)  — 
103  rührt  nach  Boas,  S.  216 f.,  von  Mnasalkas  her  als  Nachahmuug 
von  102;  die  Worte  Tva  39131  jat,  x.  xxX.  erklärt  er:  ne  Graecia  iis 
(acpi'at,  cf.  0  jam  ^spa*  olyz-n  aX/.^)  a  capite  suo  extincto  coronam 
libertatis  deriperet,  eine  geschraubte  Ausdrucksweise  für:  ne  Graecia 
eis  in  Servituten»  redigeretur.  Aber  nicht  nur  an  dieser,  auch  an 
der  für  xv%ilrtvii  angenommenen  Bedeutung  nehme  ich  Anstoß.  Ich 
jasse  xpotTO*  in  übertragener  Bedeutung  als  „ Haupt,  Burg",  wie  das 
hom.  xapr,va  (vgl.  auch  Herod.  VII,  140,  148)  und  beziehe  es  auf 
Tegea,  das  hier  hyperbolisch  als  Burg  der  Freiheit  Griechenlands 
gefeiert  wird;  xaHs)^?«  ist  aus  dem  seltenen  xotBo<p7jxai  verschrieben: 
sie  fielen  als  Schirmer  Tegeas ,  Lanzenschwinger  zum  Schutze  der 
Stadt,  damit  ihnen  nicht  Hellas,  wenn  die  Burg  vernichtet,  die  Frei- 
heit preisgebe.  —  205  verteidigt  Boas,  S.  235,  Anm.  8,  gegen 
A.  Wilhelm,  der  das  zweite  Distichon  als  unecht  verdächtigte, 
indem  er  darauf  hinweist,  daß  so  der  Gegensatz  zwischen  Ti&o<pop«ov 
und  «tyjiTpit  verloren  gehe.  —  106  ist  nach  Boas,  S.  213  f.,  eine 
Nachahmung  von  105  durch  Mnasalkas ;  das  Adj.  axov:o36xo?  erklärt 
er  mit  hasta  iustructus.  also  —  «i/u.rlv^c.  unter  Hinweis  auf  toooxo>. 
Ich  fasse  es  im  Sinne  von :  0?  axovti  oi/gtai  (  toI»?  ro/.E}iioo;),  stelle 
also  da«  Kompositum  zusammen  mit  £isoxrow,;.  roXe^ocpMpo?.  ooj/j- 
f**/.o»,  ftoj>.uxT<Svo?  und  ähnlichen,  bei  denen  das  erste  Wort  instrumental 
zum  zweiten  tritt.  Etym.  Magn.  50,  51  und  Schol.  ad  11.  II,  361 
sind  zur  Erklärung  unserer  Stelle,  wie  Boas  mit  Hecht  bemerkt, 
unbrauchbar.  —  107  lag  bisher  nur  in  der  Abschrift  Fourmonts 
vor;  Wilhelm  hat  im  Jahre  189*  zu  Paläochori  in  der  Landschaft 
Megaris  *iu  der  Kirche  des  hl.  Athanasios  die  Inschrift  wieder  auf- 
gefunden und  von  neuem  mit  Erfolg  verglichen.  Die  Überschrift  hat 
nach  'EX>.4w;  h  ap/ispso;  die  Worte  err/pa^vat  irotVjOev  t;  tstw^v 


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Jahresbericht  Uber  die  griechischen  Lyriker.  (Sitzler.) 


197 


tmv  xstfjJvtov  xat  zrt$  t:6\&w$.  Di  ja«  vi  or^  asottt,  V.  1  bietet  der  Steift 
richtig  TAXfltöi,  3       EGffoia  xai  Ualüp  (aber  ohne  Jota  subscript>, 
4  apac   und   to£ocpopoo,   6  ist  tatsächlich  verloren ,  7  BouotiVd, 
9  UyaXtp  dji?t'f  and  10  Nti3t'u>v  stropav  Xaoöoxurv  d^op^.  Die  Unter- 
schrift lautet  *y  r,u.u>v  t,  r&i*  -aOpov  ivo^iZzv.    Der  letzte 
Vers  ist  fehlerhaft ;  von  dem  ionischen  orfopifj  abgesehen ,  w anseht 
man.  wie  Wilhelm  bemerkt,  XaoMxo?  auf  d^opd  bezogen  und  zu 
<At?*kr*  einen  Genetiv.    Wilhelm  glaubt,  Helladios  habe  sich  bei 
der  Herstellung  der  Inschrift  einer  literarischen  Überlieferung  bedient, 
und  Boas,  S.  78  f.,  stimmt  ihm  darin  bei,  indem  er  Meleagers  Kranz 
nennt.  Ich  habe  Bedenken;  in  der  literarischen  Überlieferung  fehlte 
sicherlich  der  sechste  Vers  nicht,  sondern  war,  wenn  nötig,  jedenfalls 
ergänzt;  hätte  ihn  der  Steinmetz  weggelassen,  so  wäre  dies  dem 
«pXtsptfc  nicht  entgangen.    Ich  schreibe  das  Fehlen  dem  dffoXiattoi 
?<ö  /povto  zn ,  das  die  Überschrift  bezeugt ,  und  nehme  demgemäß 
Herstellung  der  Inschrift  aus  den  Spuren  der  froheren  an.  Der 
Name  Simonides  haftete  in  der  mündlichen  Überlieferung  an  der 
Inschrift,  durch  die  in  der  Unterschrift  erwähnten  jährlichen  Opfer 
zo  Ehren  der  Toten  un vergeblich  erhalten.    Wilhelm  und  Bons 
halten  nor  das  erste  Distichon  für  ursprünglich,  die  anderen  Verse 
für  spätere  Erweiterung,  was  ich  nicht  billige,  da  das  Epigramm  so 
unvollständig  wird.  —  108  erkannte  Wilhelm  in  den  von  C  Köhler, 
CJA  II,  1677  veröffentlichten  Resten  einer  Marmorinsrhrift  wieder; 
wir  sehen  daraus,  daß  auch  in  Athen  Formen  wie  trHosßva  vorkamen. 
l)as  Epigramm  bezieht  Wilh el m  auf  die  Schlacht  bei  Tanagra  457; 
die  Schrift  zeichen  deuten  auf  die  Mitte  des  5.  Jahrhunderts.  Vgl. 
anch  Ephemeris  vom  6./18.  Februar  1899  und  Sitz.-Ber.  d.  deutschen 
arch.  Instit.  zu  Athen  15,  II,  1899.  —  110  weist  Boas,  S.  162  f., 
dem  Antipater  Sidonius  zu,  indem  er  die  zwei  Distichen  für  ein  ein- 
heitliches Gedicht  hält;  zum  zweiten  Distichon  verglich  schon  Stadt- 
roüller  Antipater  (vgl.  Anth.  P.  II,  S.  231),  war  in  der  Zuweisung 
aber  vorsichtiger  als  der  Verfasser.  —  Auch  120  gehört  nach  Boas, 
S.  137,  Anm.  103,  dem  Antipater  Sidonius.  —  122  ist  nach  Boas, 
S.  165,  Anm.  138,  von  Kallimachus,  130  von  Simmias  (vgl.  S.  115 
bis  125).     Dandes'  Siege  fallen  in  die  Jahre  470  und  472  (vgl. 
C.Robert,  Hermes  1900,  S.  164).  —  128  ist  nachgeahmt  in  einer 
bei  Paton-Hicks,  Nr.  324,  mitgeteilten  koischen  Inschrift  der  römischen 
Zeit  und  in  einer  zu  Panticapäum  gefundenen  Inschrift,  ebenfalls  der 
römischen  Zeit,  die  Recueil  des  publications  de  la  coinmisson  arch. 
rosse.  Petersburg  1892,  S.  47,  veröffentlicht  wurde  (vgl.  E.  Zie- 
barth,   Philol.  1895,  S.  149.  296  -----  Boas,  S.  223  f.).  —  136 


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198         Jahresbericht  über  die  griechischen  Lyriker.  (Sitzler.) 


hält  auch  Boas,  S.  86  f.,  für  kein  Epigramm;  er  meint,  die  Naxier 
hätten  es  auf  eigene  Faust  für  Simonideisch  ausgegeben.  —  140,  1 
vermutet  Boas,  S.  233  f. ,  vi'xtq  xpcrcspsp-yoG  *Apr4o?  st.  vtxij?  xporst 
epY«i  A. ;  aber  ep^q)  'A.  —  pdyjQ  ist  nicht  zu  tadeln,  während  vtxrj 
xp.  "ApTjo?  befremdliche  Ausdrucksweise  ist;  verschrieben  ist  offenbar 
xpcrrei,  ich  glaube  aus  xapiv;  zu  vixr^  /a'piv  vgl.  Soph.  Ai.  177. 

Am  meisten  wurde  das  141.  Epigramm  behandelt,  auf  das  auch 
im  Anschluß  an  Bakchyl.  III,  18  f.  F.  Blaß  in  der  Praefatio  seiner 
Ausgabe ,  S.  LVI  f. ,  P.  D  e  s  s  o  u  1  a  v  y ,  Bacchylide  et  la  troisieme 
%  ode.  Neuchatel  1903,  S.  18  f.  und  R.  Jebb  in  seiner  Ausgabe 
Appendix,  S.  452  f.,  eingehen.  Das  Gedicht  ist  in  zwei  Überlieferungen 
auf  uns  gekommen,  von  denen  die  eine,  ohne  den  Namen  des  Ver- 
fassers, bei  dem  Schol.  Pind.  P.  I,  155,  die  andere,  mit  der  Zuweisung 
an  Simonides,  in  der  Anth.  Pal.  VI,  214  steht;  die  letztere  findet 
sich  auch  bei  Suidas  s.  v.  Aapstiou.  Beide  sind  voneinander  ver- 
schieden; das  Ende  des  zweiten  Verses  lautet  beim  Schol.  xou? 
Tpi-o&a;  Oijievai,  in  der  A.  P.  tov  xpiuoo'  dvo^uevai,  und  das  zweite 
Distichon  gibt  dort  die  Veranlassung  der  Widmung  ßdpfäapa  vtx^sav-ra? 
eftvr,  xtX.,  hier  das  Gewicht  des  Weihegeschenkes  Ii  ixatov  Xtxpcbv 
xtL  an.  Boas,  S.  128  f.,  will  die  bei  dem  Schol.  vorliegende  Fassung 
des  Epigrammes  auf  Ephoros  zurückführen,  der  vom  Schol.  zu  V.  147 
erwähnt  wird ;  aber  was  hier  berichtet  wird,  hat  mit  dem  Epigramm 
nichts  zu  tun,  und  auch  die  Ausdrucksweise  <paai  ös  x?X.  spricht 
dagegen;  wäre  Ephoros  gemeint,  so  hätte  ihn  der  Schol.  auch  hier 
wie  kurz  zuvor  genannt.  Die  Gelehrten  nun,  gestützt  auf  die  wider- 
sprechende Form  des  zweiten  Distichons,  halten  teils,  wie  z.  B. 
Wilamowitz,  nur  das  erste  Distichon  für  das  Epigramm,  obgleich 
dieses  so  unvollständig  ist,  teils  verwerfen  sie  nur  die  eine  Fassung 
des  zweiten  Distichons,  nehmen  aber  die  andere  an,  wie  z.  B. 
Horn  olle  dem  Schol.,  Hei  nach  der  Anth.  P.  recht  gibt,  teils 
fügen  sie  die  drei  Distichen  zu  einem  einheitlichen  Gedicht  zusammen. 
Obwohl  Horn  olles  Fassung  an  sich  möglich  ist,  liegt  doch  kein 
Grund  zur  Verwerfung  des  in  der  A.  P.  Überlieferten  Distichons  vor, 
wie  Hein  ach  nachweist.  Das  nach  sizilischem  System  angegebene 
Gewicht  von  50  Talenten  und  100  Liträ  entspricht,  die  Litra  zu 
273  g  und  das  Talent  dementsprechend  zu  32  kg  75  g  gerechnet, 
einem  Gesamtgewicht  von  1664  kg;  auf  die  vier  Tripodes  gleich- 
mäßig verteilt,  kommt  auf  jeden  416  kg  =  16  attische  Talente,  das 
Talent  zu  26  kg  gerechnet,  also  genau  das  Gewicht,  das  Diodor  XI,  26 
für  den  Dreifuß  des  Gelon  angibt.  Auch  die  sprachlichen  Anstoße 
sen  sich  beseitigen.    Mit  der  Lesung  Aauapita;,  für  die  Boas, 


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Jahresbericht  über  die  griechischen  Lyriker.  (Sitzler.)  109 

S.  234  f.,  eintritt,  ist  es  allerdings  nicht  getan,  weil  nicht  das  ganze 
Gewicht  als  Gold  der  Damarete  bezeichnet  werden  kann,  wohl  aber 
entspricht  das  von  R  e  i  n  a  c  h  empfohlene  SapeixoC  =  eta^Oou  (vgl. 
Pollux  XII,  98).  Ebenso  steckt  in  den  Worten  t5«  Sexaxac  öexaxav 
ein  Fehler;  denn  wenn  die  1664  kg  reinen  Goldes  der  100.  Teil 
der  Beute  wäre,  müßte  diese,  wie  Reinach  bemerkt,  unglaublich 
groß  sein.  Mir  erscheint  xac  osxa'xa?  aus  xq5  'Exa'xw  verschrieben, 
eine  Benennung  des  pythischen  Gottes,  die  ausdrücklich  für  Simonides 
bezeugt  ist  (vgl.  fr.  26);  so  erfährt  man  auch,  wem  die  Weihung 
galt.  Das  zweite  Distichon  des  Schol.  möchte  ich  aber  als  Schluß 
des  Epigramme s  zur  Angajje  des  Grundes  der  Weihung  nicht  missen; 
nur  ist,  wie  ich  schon  früher  betonte,  mit  P reger  -ap^ayov  st. 
ropaT/etv  zu  lesen. 

Aus  der  bisherigen  Darlegung  geht  hervor,  daß  die  Überlieferung 
des  Schol.  xoC?  xpnroöac  öl^svai  richtig,  die  der  A.  P.  x&v  xptiroö' 
avusjxevat  daraus  verschrieben  oder  korrigiert  ist,  und  dies  wird  auch 
durch  den  Ausgrabungsbefund  bestätigt.  Horn  olle  fand  nämlich  in 
Delphi  vier  Sockel  für  Dreifüße,  zwei  größere  mit  Aufschrift  und 
Basis  und  zwei  kleinere  ohne  Aufschrift  und  Basis.  Der  erste  der 
größeren  Sockel  zeigt  den  Namen  Gelon,  auf  dem  zweiten  ergänzt 
H  o  m  o  1 1  e  ohne  Zweifel  richtig  ilieron,  während  er  die  beiden  anderen 
mit  großer  Wahrscheinlichkeit  dem  Polyzelos  und  Thrasybulos  zuweist 
und  annimmt,  daß  die  Aufschrift,  eben  unser  Epigramm,  auf  der  jetzt 
fehlenden  Basis  stand.  Die  Verschiedenheit  der  Größe  der  Sockel 
erklärt  Reinach  daraus,  daß  die  für  Gelon  und  Hieron  noch  die 
Nike  neben  dem  Dreifuß  zu  tragen  hatten.  Dieser  Annahme  Horn  oll  es 
widersprechen  weder  Theopompos  und  Phanias  bei  Athen.  VI,  p.  231  f., 
noch  Diodor  a.  a.  0. ;  jene  erwähnen  von  Gelon  und  Hieron  Dreifüße 
und  Niken,  dieser  von  Gelon,  schweigen  aber  von  den  Dreifüßen  des 
Polyzelos  und  Thrasybulos,  zu  deren  Nennung  sie  keine  Veranlassung 
hatten.  Blaß,  der  drei  von  den  vier  Denkmälern  dem  Hieron  als 
Weihungen  anläßlich  seiner  drei  pythischen  Siege  zuschreiben  will, 
wird  von  Jebb  gut  widerlegt. 

Schwierig  ist  die  Frage  nach  dem  Stifter  und  der  Zeit  der 
Stiftung.  Es  steht  fest,  daß  Gelon  nach  dem  Sieg  bei  Himera  einen 
Dreifuß  mit  Nike  aufstellte.  Nach  dem  Pindar-Schol.  hätte  er  aus 
Liebe  auch  seine  Brüder  an  der  Weihung  teilnehmen  lassen,  indem 
er  auch  für  einen  jeden  von  ihnen  einen  Dreifuß  gestiftet  hätte. 
Dagegen  erheben  sich  aber,  auch  von  der  Nichterwähnung  der  Niken 
des  Gelon  und  Hieron  abgesehen,  gewichtige  Bedenken;  die  Weihe- 
geschenke für  die  Brüder  sind  verschieden,  und  die  Buchstabenform 


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200         Jahresbericht  über  die  griechischen  Lyriker.  (Sitzler.) 


der  Aufschrift  Hierons  deutet  auf  eine  spatere  Zeit  als  die  der  Auf- 
schrift Gelons,  womit  auch,  was  Jebb  hervorhebt,  die  Überlieferung 
bei  Athenäus  stimmt,  die  nur  Gelons  Weihegeschenk  in  die  Zeit  des 
Xerxeszuges  verlegt.  Diesen  Tatsachen  wird  auch  Homolles  An- 
nahme nicht  gerecht,  Ilieron  habe  es  bei  Gelon  durchzusetzen  gewußt, 
daß  sein  Weihegeschenk  neben  das  Gelons.  dessen  Basis  zu  diesem 
Zwecke  erweitert  wurde ,  gesetzt  worden  sei ,  und  daraufhin  habe 
Gelon  an  derselben  Stelle  auch  den  jüngeren  Brüdern  kleinere  Drei- 
füße, ihrem  jüngeren  Alter  entsprechend,  aufstellen  lassen.  Meiner 
Meinung  nach  ist  im  Schol.  'lipwva  an  Stelle  von  ri'Ktova  zu  schreiben; 
Hieron  wird  nach  dem  Sieg  bei  Kume  im  Jahre  474  das  gleiche 
Weihegeschenk  wie  Gelon  nach  dem  Sieg  bei  Himera  nach  Delphi 
geweiht  und  neben  dem  des  Gelon  auf  derselben  Basis  aufgestellt 
und  mit  ähnlicher  Inschrift  versehen  haben.  Daneben  hat  er  aber, 
wenn  man  den  Worten  des  Scholiasten  Glauben  schenken  darf,  auch 
für  seine  Brüder  Dreifüße  gestiftet  und  so  ein  Denkmal  aller  vier 
Deinomeniden  geschaffen,  was  das  Epigramm  auf  der  Basis  der  zwei 
kleineren  Dreifüße  zum  Ausdruck  bringt.  Mit  cp^jit  xtL  ist  die 
Mitteilung  dem  Denkmal  selbst  in  den  Mund  gelegt;  die  Verse  mit 
Boas  für  epideiktiseh  zu  halten,  ist  nicht  notwendig. 

Epigramm  142  wird  von  Boas,  S.  104  f.,  behandelt;  er  tritt 
besonders  für  die  Ursprünglichkeit  von  h  KtSitptp  ein,  das  meiner 
Meinung  nach  eine  Erklärung  oder  Korrektur  st.  iv  ^ity  ist.  Das 
Gedicht  ist  auf  der  Xanthos-Säule  nachgeahmt ,  kurz  nach  412  (vgl. 
0.  Benndorf,  Zur  Stele  Xanthia,  Jahresh.  d.  öst.  arch.  Instit. 
Bd.  III  [1900].  S.  98  f.).  —  148  gehört  nach  Boas,  S.  221,  dem 
Mnasalkas.  —  147  findet  sich,  worauf  Boas,  S.  134,  hinweist,  auch 
bei  dem  Schol.  Hermog.  VII,  1084  Walz:  dieses  Epigramm  ist  zu- 
sammen mit  150  in  der  choregischen  Inschrift  (  JA  III,  82  a,  S.  484, 
nachgeahmt,  wie  W  i  1  h  e  1  m ,  S.  232  und  B  o  a  s ,  S.  224  f.,  bemerken.  — 
li8.  5  f.  vermutet  W.  He  ad  1  am,  um  die  Annahme  einer  Lücke  zu 
vermeiden,  mit  Umstellung  Of^xav  o£  tpizoSot  .  .  .  diWhov  |  oi  tov«, 
xstvoo?  'AvTryevTjc  xt/».  ;  aber  das  Nachhinken  von  oi  tovoe  ist  störend, 
leichter  wäre  t^v3'  oi  Tptirooot  .  .  .  eÖsvto,  xefvou;  'A.  xt/,.  — 
150  war.  wie  Boas,  S.  150  f.,  in  einer  für  mich  nicht  Uberzeugenden 
Beweisführung  darzutun  sucht,  nie  dem  Simonides,  sondern  nur  dem 
Anakreon  zugeschrieben.  Wilhelm  erkannte  das  Epigramm  auf  der 
von  A.  Mi  Ichhöf  er  1897  im  Hause  des  Georgios  A.  Petros  zu 
Markopulo  in  der  attischen  Mesogeia  aufgefundenen  verstümmelten 
archäischen  Henne,  welche  die  Buchstaben  trägt  .  .  .  tootfl  ...  ~  .  i 
...  to  ....  jii  A20  |  H»pu»t  xa).Xtxo;iO'j»  ojx  c).aH»?;  er 


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Jahresbericht  über  die  griechischen  Lyriker.  (Sitzler.)  201 


hält  das  Epigramm  damit  für  abgeschlossen  uiid  glaubt,  daß  nie  mehr 
auf  der  Herme  gestanden  habe.  Boas  stimmt  dem  bei  und  bestreitet, 
daß  die  Herme  je  etwas  mit  der  Akademie  zu  tun  gehabt  habe  (vgl. 
auch  A.  Hauvette,  Bull,  de  la  soc.  nat.  des  antiquaires  de  la 
France  1900  fasc.  1  und  E.  Bormann,  Jahresh.  d.  öst.  arch. 
Instit.  VI,  1908,  S.  247).  Es  läßt  sich  jedoch  nicht  leugnen,  daß 
das  zweite  Distichon  inhaltlich  gut  zum  ersten  paßt  und  auch  seiner 
Form  und  Sprache  nach  keinen  Falscher  verrät,  vgl.  den  gewählten 
Ausdruck  rrfi  iv  d-pa-tcp  und  das  bezeichnende  Attribut  itoXo^aÖl«, 
das  ich  gerade  auf  diese  Stiftung  beziehe.  Infolgedessen  ist  mir  die 
spätere  Beifügung  des  zweiten  Distichons  zweifelhaft,  zumal  da  die 
Beschaffenheit  und  Beschreibungsweise  der  Hermen  noch  nicht  hin- 
reichend bekannt  ist;  das  Distichon  kann  in  einer  zweiten  Reihe 
(vgl.  Fourmonts  Herme  CJA  I,  522)  oder  auf  dem  jetzt  fehlenden 
Teil  angebracht  gewesen  sein.  Eine  Nachahmung  ist  CJA  III.  82  a, 
S.  484.  —  154  und  156  weist  Boas,  S.  187,  Anm.  103,  dem 
Antipater  Sidonius  zu.  —  155,  5  f.  wünscht  He  ad  1  am  imsyzpm^ 
t'  i-yevovro  |  dxxeiviov  tojaiSmv  icot'  aftXou  Die  Überlieferung 
ist  unzweifelhaft  verdorben,  aber  eine  solche  antiquarische  Bemerkung 
paßt  in  unser  Gedicht  nicht;  ich  vermute  o&8'  Ifivovxo  |  dxtfvtDV 
tomüw  irot'  aOXot  als  Zwischenbemerkung:  „und  niemals  fanden  so 
strahlenglänzende  W.  statt44.  —  159  schlägt  Headlam  vor  'Epu.T,v 
xovS'  ov#)>)  Ar^tpio?  'OpfhdSou  xsv  |  iv  npoftupoi?  mit  Trennung  von 
av£0rjxtv  durch  ATjirqxpio?  '0.  Beispiele  für  derartiges  kann  er 
natürlich  nicht  anführen,  und  das  Zeugnis  des  Ps.-Trypho,  der  das 
Hyperbaton  in  opötot  8*  oux  st.  ojx  opÖia  8£  angibt,  spricht  dagegen; 
trotzdem  stimmt  Boas,  S.  194  f.,  bei.  Der  Fehler  der  Überlieferung 
steckt  offenbar  im  Eigennamen.  —  164  war  nach  Boas,  S.  156, 
das  Vorbild  für  Anth.  P.  VI,  143.  Das  letzte  Distichon  erklärt 
Wilamowitz  in  den  Nachr.  d.  Gött.  Ges.  ph.-hist.  Kl.  VI  (1897), 
S.  318,  Anm.  1 :  „demselben  (d.  h.  dem  Kyton)  haben  die  korinthischen 
Bürger  und  Metöken  durch  Kränze,  die  sie  ihm  votiert  haben,  ihren 
Dank  ausgesprochen :  itijiijcjav  ^itaivcuv  xpoa£oic  iTecpa'voi?,  fva  oatvotto 
6  STjfiOC  (xfc  xotviv)  xaPlTflK  flbro8t8ot>?  xot«  repi  a&t^v  <pi>.OTi;j.0K 
7£7SV7j|i£voi?tt,  gewiß  richtig.  Boas  ist  aber  damit  nicht  einverstanden; 
im  Anschluß  an  Wilhelm,  der  Epigramm  150  o'jx  IXctlte?  Xaprra; 
erklärt:  „dem  Stifter  solle  der  Dank  des  Gottes  und  der  ihm  zu- 
gesellten Chariten  (soll  heißen:  der  Dank  der  Chariten  und  der 
Akademie)  nicht  fehlen",  liest  er  auch  hier  Xctpitrov  und  läßt  dies 
von  alvov  abhängen:  „Gratiae,  cum  cives  peregrinique  tibi  coronis 
grates  agerent  pro  donario  Apollini  dedicato,  testificatae  sunt  se  tibi 


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202         Jahresbericht  über  die  griechischen  Lyriker.  (Sitzler.) 

tuaeque  dedicationi  faventes  affuisse",  was  nicht  in  den  Worten  liegt 
und  zum  Gedanken  nicht  paßt,  der  kurz  ausgedruckt  lautet:  Der 
Gott  möge  sich  über  das  Weihegeschenk  ebenso  freuen  wie  Bürger 
und  Fremde,  die  ihre  Freude  durch  Dankeskränze  aussprachen.  — 
160  Boas,  S.  131  f.,  vermutet,  daß  das  von  Aristoderaos  erwähnte 
Epigramm  auf  dem  Denkmal  stand,  das  dem  Sogenes  zu  Ehren  nach 
seinem  pythischen  Sieg  im  Jahre  467  von  den  Ägineten  errichtet 
wurde.  —  177  sind  von  Tzetzes  auf  eigene  Faust  dem  Simonides 
zugewiesen  (vgl.  Boas,  S.  89,  197).  —  180,  183,  184  und  187 
weist  Boas,  S.  137,  Anm.  103,  dem  Antipater  Sidonius  zu;  Stadt- 
müller  stimmt  bei  180  mit  ihm  überein,  183  möchte  er  aber  dem 
Simmias  oder  Dioskorides  und  184  dem  Alkäus  geben.  Man  sieht, 
wie  unsicher  solche  Zuweisungen  sind.  —  Neu  tritt  zu  den  Simonidea 
nach  dem  Zeugnis  II.  Stadtmüllers  Anth.  P.  VII,  349,  eine  Nach- 
ahmung des  Epigramms  169. 

Einen  Beitrag  zur  Lebensgeschichte  des  Simonid  es  liefert 

H.  N.  Fowler,  The  Visits  ofSimonides,  Pindar  and 
Bacchylides  at  the  court  of  Hiero.  Proceedings  of  the 
Am.  philol.  assoc.  held  at  Philadelphia  1900  and  at  Cambridge 
1901,  P.  XXX, 

der  die  Meinung  vertritt,  Simonides  sei  die  ganze  Zeit  über  von 
seiner  Ankunft  in  Sizilien  im  Jahre  476/5  bis  zu  seinem  Tode  im 
Jahre  467  an  den  Höfen  der  sizilischen  Fürsten  geblieben;  dagegen 
seien  Pindar  und  Bakchylides  im  Jahre  476  wahrscheinlich  nicht 
dorthin  gegangen,  sondern  sonst  mehrere  Male,  ohne  sich  jedoch 
jedesmal  lange  dort  aufzuhalten. 

T  i  m  o  k  r  e  o  n. 

F.  Blaß,  Vermischtes  zu  den  griechischen  Lyrikern 
und  aus  Papyri.    Ith.  Mus.  1900,  S.  91  f., 

glaubt  mit  Härtung,  daß  das  erste  Gedicht  nicht  aus  Strophe, 
Aniistrophe  und  Epodos,  sondern  aus  drei  gleichen  Strophen  bestehe ; 
dies  sei  bei  einem  für  den  Gesang,  nicht  zur  Aufführung  bestimmten 
Gedicht  schon  von  vornherein  wahrscheinlich;  außerdem  seien  die 
Unterschiede  zwischen  den  Strophen  und  der  Epode  nur  gering,  und 
dazu  kämen  noch  deutliche  Gleichklänge :  1  und  9 :  afvcT;  und  xatvcuv, 
6  und  lo:  ap-ppiotat  und  dpppuov,  4  und  12:  HeiuatoxXr,  und 
HsfiistoxXsü;.  Was  diese  Anklänge  beweisen  sollen,  ist  mir  unklar; 
derartiges  tindet  sich  auch  zwischen  Strophen  und  Epoden.  Wichtiger 
ist,  daß  Gleichheit  des  Rhythmus,  die  doch  in  monodischen  Strophen 


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Jahresbericht  über  die  griechischen  Lyriker.   (Sitzler.)  203 

Regel  ist,  nur  gewaltsam  hergestellt  werden  kann.  Auch  Wilamo- 
witz,  Textgeschichte  der  griechischen  Lyriker  1900,  S.  50,  Anm.  2, 
hält  an  der  triadischen  Komposition  fest,  und  warum  sollte  diese 
nicht  auch  damals  in  Skolien  gebraucht  worden  sein  V  Pindar  wandte 
sie  ja  auch  an.  Was  den  Text  des  Gedichtes  betrifft,  so  hat  der 
cod.  Seitenstettensis ,  wie  Wilamowitz  bemerkt,  in  V.  1  und  2 
Tü-/a  erhalten,  was  Ahrens  verlangte  und  Blaß  empfiehlt.  V.  4 
ist  mit  W ilamowitz  HsjaijtoxX^v  zu  lesen.  V.  7  vermutet  Blaß 
ec  -crrptöa  ^«Uoaov ;  einfacher  und  richtiger  ist  es,  das  i  in  'IaXuaov 
als  Länge  zu  betrachten,  wie  auch  Wilamowitz  tut,  der  V.  10 
durch  die  Umstellung  von  Tiavooxeoe  ^eXotW  ebenfalls  herstellt: 
opvupiou  fi'  Or.orXeuK  'iaDjiGt  ysXoudc  -avöoxeus  (dpYuptoo  U  Fa.). 

K  o  r  i  n  n  a. 
Zu  Korinna  lieferten  Beiträge 

1.  U.  v.  Wilamowitz,  Textgeschichte  der  griechi- 
schen Lyriker.    Berlin  1900,  S.  21  f. 

2.  P.  Egenoltf,  Zu  Lentz'  Herodian.    Piniol.  1900, 
S.  249  [fr.  23]. 

3.  W.  Headlam,  Notes  on  thc  Greek  lyric  Poets. 
Class.  Rev.  1900,  S.  5  f.  [fr.  34]. 

Daraus  ergibt  sich  folgendes :  fr.  7  überschrieb  B  e  r  g  k  auf  das 
Zeugnis  bei  Antonin.  Lib.  25  hin  'Ivcspoia,  sprach  aber  die  Ver- 
mutung aus,  dali  das  Wort  etepouov  nach  Kopivva  aus  dem  vorher- 
gehenden s?epotGU|ASV(ov  versehentlich  in  den  Text  gekommen  sei ;  er 
hätte  noch  etwas  weiter  gehen  können ,  da  auch  die  auf  exepottuv 
folgende  Buchbezeichnung  oc  offenbar  dem  hinter  STspoiouuiveuv  stehenden 
G*  seine  Entstehung  verdankt.  Zur  Bestätigung  dafür,  daß  diese  Worte 
hier  irrtümlich  beigefügt  sind,  dient  Kap.  10,  wo  auch  an  Ni'xavSpoc 
&TspGtoo{iivu»v  o'  nur  xal  Kopivva  angereiht  ist.  Ich  kann  es  daher 
nicht  billigen,  daß  auch  Wilamowitz,  dem  Beispiel  Herchers 
im  Hermes  XU,  S.  315  f.,  sich  anschließend,  der  hs.  Korrektur 
YSpöuov  aus  etepot'cov  Wert  beilegt  und  einen  Liedertitel  -ylpoia  bei 
Korinna  annimmt,  der  allerdings  scheinbar  durch  fr.  20,  1,  wo  fs'pota 
neben  -(ipua  überliefert  ist,  Unterstützung  erhält.  Aber  ^£pota  ist 
der  Form  und  der  Bedeutung  nach  anstößig;  eine  so  anomale 
Bildung  wäre  den  Grammatikern,  zumal  wenn  sie  Überschrift  einer 
Gedichtsammlung  gewesen  wäre,  nicht  entgangen  und  von  ihnen 
ebensogut  wie  7,0105  -atpoto;  /,poio;  und  ähnliche  angemerkt  worden. 
Die  Bedeutung  soll  „Geschichten  der  alten  Leute"  sein,  d.  h,  wie 


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I 


204         Jahresbericht  über  die  griechischen  Lyriker.  (Sitzler.) 

sie  alte  Leute  erzählen;  wenn  es  wenigstens  noch  „Geschichten  von 
den  Leuten  der  alten  Zeit",  den  xkia  itpoxiptav  dvtpSiV  entsprechend, 
bedeuten  würde!  Fr.  20.  1  ist  das  Wort  sicher  verschrieben,  ent- 
weder aus  j(opsta  oder,  was  mir  besser  gefällt,  xaXa  7a  .Hpf«  bzw. 
xaXa  te  ./^pva;  Ruhmestaten  der  Heroen  und  Heroinen  besang 
Korinna  (vgl.  fr.  10).  Unter  diesen  Umständen  erscheint  es  mir 
nicht  ratsam,  auf  das  zweifelhafte  Zeugnis  des  Anton.  Lib.  hin  — 
über  die  Unzuverlässigkeit  der  zu  Nikander  oder  Bous  noch  hinzu- 
gefügten Quellenangaben  vgl.  £.  Martini  in  der  Praefatio  seiner 
Ausgabe,  S.  LVI  —  einen  Titel  ^spota  oder  rcepota  anzunehmen.  — 
Fr.  23  berücksichtigt  Herodian  nach  dem  Zeugnis  Egenolff9  in 
den  Worten:  xb  8s  Hlawst«  6  *Upo?  01a  too  «t  StcpBfSYYOo  TpdKpst  T<f 
twv  irporcapo;üT($Vü>v  xav<5vi.  '0  hl  'HpcuStavö?  iv  rtj  'OjATjptx^  rpoJtoOia 
810  tot»  1  -j-pa'fsi*  It:*^  xat  sopijxai  fj  m  auXXap7j  3ov83taX}jivi)  to; 
rapa  Koptvviß  (cod.  Kopivtop):  Hsjma. —  Fr.  34  vermutet  Headl am 
i-\  tou  riivoapoo  (st.  *3tI),  wodurch  das  Schol.  in  leichter  Weise 
hergestellt  wird;  Korinna  gebrauchte  mit  Beziehung  auf  Pindar  das 
attische  Verb.  d-ppaCetv,  um  ihn  zu  verspotten,  weil  er  es  im  ersten 
Buch  seiner  Parthenien  angewandt  hatte.  Ein  interessantes  Beispiel 
von  Dichterkritik! 

Ein  neues  Gedicht  Korinnas  auf  den  Schild  der  Athene  will 
Wilamowitz  aus  Anth.  P.  IX,  26,  wo  es  heißt:  xai  Koptvva, 
OoOptv  'AfHfjvanfj?  atarloa  ;i«X']»a[*ivav ,  erschlielien.  Dagegen  spricht 
aber  nicht  nur  die  Hinzufügung  von  Oouptv  zu  dztz&i,  sondern  auch 
der  Inhalt  des  Epigramme  s,  das  die  Dichterinnen  aufzählen  und  kurz 
charakterisieren,  nicht  aber  ihre  Werke  anführen  will.  Die  richtige 
Deutung  der  ausgeschriebenen  Worte  hat  schon  B  e  r  g  k ,  Griech, 
Literaturgeschichte  II,  8.  379,  Anm.  160,  gegeben,  indem  er  sie  auf 
den  kriegerischen  Geist  der  Gesänge  Korinnas  bezog;  man  kann 
dabei  vornehmlich  an  die  Dichtung  "Eirt'  iid  flijßat;  denken,  in  der 
Athene  als  Beschützerin  des  Tydeus  eine  besondere  Rolle  spielte. 

Zum  Schlüsse  erwähne  ich  H.  Lee  hat,  der  in  der  Rev.  des 
(Hudes  gr.  XII J  (1900),  8.  896  f.,  den  weiblichen  Kopf  der  Sammlung 
F.  A.  von  Kaulbach,  den  P.  Arndt  in  der  Zeitschr.  d.  Münch. 
Altert.-Vereins  XI  (1900)  zweifelnd  für  Korinna  erklärte,  auf  Grund 
seiner  Ähnlichkeit  mit  der  Korinna  von  Compiegne  (vgl.  Rev.  des 
et.  gr.  1899,  S.  199)  mit  Sicherheit  für  den  der  Dichterin  hält. 

Pratinas. 

P.  Girard,  Remarques  sur  Pratinas.  MÄlanges  Henri 
Weil.   Paris  1898,  S.  131  f.,  tritt  für  die  Ansicht  0.  Müllers  und 


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Jahresbericht  über  die  griechischen  Lyriker.  (Sitzler.)  205 

Fr.  Blaß'  ein,  daß  das  Hyporchem  einem  Satyrdrama  entnommen 
sei,  meiner  Meinung  nach  mit  Hecht  (vgl.  vor.  Jahresb.  Bd.  CIV, 
S.  181  f.).  0.  Crusius  in  Pauly- Wissowas  ReaLencykl.  Bd.  V, 
Sp.  1223  freilich  ist  auch  jetzt  noch  nicht  davon  überzeugt. 

Lamprokles. 

Die  Überlieferung  des  Hymnos  auf  Athene  (fr.  1)  bespricht 
Wilamowitz,  Textgeschichte  der  gr.  Lyriker,  S.  84  f.  Er  weist 
mit  Recht  darauf  hin,  daß  der  in  den  Scholien  zu  Aristophan. 
Nub.  967  und  Aristid.  217  (Ddf.)  erwähnte  Phrynichos  nicht  der 
Tragiker  und  Lyriker,  sondern  der  Komiker  ist.  Aristophanes  und 
Phrynichos  zitierten  also  den  Hymnos,  Aristophanes  Nub.  967  die 
drei  ersten  Worte,  Phrynichos  nach  dem  Zeugnis  des  Eratosthenes 
mehrere  Verse,  und  die  bei  diesen  erhaltene  Fassung  des  Textes 
darf  unbedenklich  als  die  ursprüngliche  angesehen  werden;  nur  daß 
roxi  vor  xtap'o»  verschrieben  ist.  wie  ich  glaube,  aus  rotvav  oder, 
wenn  man  an  diesem  Akkusativ  Anstoß  nimmt,  aus  iroTvtav  mit 
Synizese,  und  daß  das  Schol.  Aristid.  noch  die  Worte  atatov  rap&svov 
hinzufügt,  aiSTov  vielleicht  entstellt  aus  atpea-ov.  Wie  aus  diesem 
ursprünglichen  Text  der  im  Schol.  UV  erhaltene  wurde,  ist  leicht  zu 
erkenneu;  die  Zeile  osivrjv  ftibv  iifpsx'j3oi}iov  irotvav  fiel  aus,  ein 
Versehen,  wie  es  auch  sonst  vorkommt  ;  daher  kann  ich  in  der  Ver- 
schiedenheit der  beiden  Fassungen  auch  nicht  mit  Wilamowitz 
.einen  frappanten  Beleg  für  die  Unsicherheit  solcher  Überlieferung, 
für  die  Kritik  und  Unkritik  der  antiken  Grammatik"  finden.  Die 
gekürzte  Form  beuützte  auch  der  Schol.  Anstid.,  teilte  sie  aber  voll- 
ständiger als  der  Schol.  RV  mit,  wie  ja  auch  der  Schol.  Aid.  mehr 
als  RV,  aber  weniger  als  Aristid.  gibt.  Daß  die  von  dem  Schol. 
Aristid.  mitgeteilte  Form  des  Hymnos  auf  Rufus  und  Dionysios 
zurückgehen,  wie  Wilamowitz  meint,  wird  im  Schol.  nicht  gesagt, 
wo  diese  Grammatiker  nur  als  Zeugen  für  den  Verfasser  des  Hymnos 
angeführt  werden ;  auf  keinen  Fall  läßt  sich  aber  mit  Wilamowitz 
annehmen,  daß  ihnen  das  wirkliche  Gedicht  noch  zugänglich  war,  da 
sie  sonst  weder  über  den  Wortlaut  noch  über  den  Verfasser  hätten 
im  unklaren  sein  können.  Ja,  schon  aus  Phrynichos  hätten  sie  den 
Dichter  erfahren ,  der  nach  dem  Zeugnis  des  Eratosthenes ,  worauf 
Wilamowitz  gut  hinweist,  Lamprokles  ausdrücklich  als  Verfasser 
nannte:  xat  „xa~a  AajATrpoxXs'a'*  oroTiOr^t  xaxa  ).£;iv.  An  die  Stelle 
des  Lamprokles  trat  später  Phrynichos,  weil  er  den  Hymnos  in  einer 
seiner  Komödien  verwendet  hatte,  und  nun  lag  auch  die  Vertauschung 
des  Komikers  Phrynichos  mit  dem  Tragiker  nahe;  Stesichoros  aber 


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20(5         Jahresbericht  über  die  griechischen  Lyriker.  (Sitzler.) 

wurde  nur  wegen  des  Metrums  als  Verfasser  genannt.  Daher  ist 
Bergks  Vermutung,  Stesichoros.  Lamprokles  und  Phrynichos  hätten 
alle  drei  Hymnen  auf  Athene  mit  dem  gleichen  Anfang  gedichtet, 
unbegründet,  und  Phrynichos  fr.  1  (bei  Bergk)  zu  streichen.  Da 
auch  fr.  2  wahrscheinlich  einer  Tragödie  angehört,  so  sind  uns  lyrische 
Fragmente  des  Phrynichos  nicht  erhalten.  An  dem  Athen.  VT,  S.  250  b, 
erwähnten  Paan  möchte  ich  allerdings  nicht  zweifeln. 

Diagoras. 

E.  Well  mann  in  Pauly-Wissowas  Realenc.  Bd.  V,  Sp.  810  f., 
sammelt  und  bespricht,  was  uns  von  Diagoras'  Leben  und  Werken 
erhalten  ist.  Dazu  ist  W  i  1  a  ra  o  w  i  t  z ,  Textgesch.  d.  gr.  Lyr.,  S.  80  f., 
zu  vergleichen,  der  nachweist,  da»  sich  die  Angaben  der  Chrono- 
graphen hinsichtlich  der  Blüte  des  Dichters  (468)  und  Diodors  über 
seine  Verurteilung  in  Athen  (415)  wohl  miteinander  vereinigen  lassen, 
und  nebenbei  noch  für  die  Lesart  3t'  d-ppac  st.  Ai*y,pas  bei 
Aristoph.  Frösche  320  eintritt.  Der  Titel  -to'jc  xot/.oouevoo?  Äiw- 
7ropYuovrac  Xo-pu?  bei  Suidas,  den  Wilamowitz  nicht  zu  ver- 
stehen erklärt,  halte  ich  für  verschrieben  aus  l\iro9p'J7uovta?,  einer 
anderen  Bezeichnung  der  bei  Tatian  28  genannten  ^po^io».  K&pt;  zu 
d-orppt>t(fav  vergleiche  dkoax'jftsCsiv. 

Pra  x  i  1 1  a. 

0.  Crusius  in  Pauly-Wiss.  Realenc,  Sp.  1214,  weist  darauf 
hin ,  daß  die  dithyrambenartigen  Dichtungen  der  Sikyonierin  für 
den  Kult  bestimmt  waren,  daß  also  schon  aus  diesem  Grunde  Praxi  IIa 
keine  Hetäre  gewesen  sein  könne,  wie  Wilamowit  z,  Herakl.  I,  71 
meint.  In  fr.  1  ist  nach  ihm  Iv  cofrg  im^p.  'A/tXXs'j?  möglicherweise 
Korrektur  der  ungenauen  ersten  Bezeichnung  h  &tf>opafj.ßoi?. 

B  a  k  c  h  y  1  i  d  e  s. 

Der  Bakchylides-Papy ros  wurde,  wie  wir  aus 

Fayftm  towns  and  their  papyri  by  B.  P.  G renfeil, 
A.  S.  Hunt  and  D.  G.  Hoggart.    London  1900,  S.  19, 

erfahren,  in  Ashmune'n  gefunden;  damit  sind  wir  jetzt  auch  über 
den  Fundort  dieser  wertvollen  Hs. ,  der  bisher  unbekannt  war,  auf- 
geklärt. 

In  zweiter  und  dritter  Auflage  liegt  vor 

Bacchylidis  carmina  cum  fragmentis  ed.  Fr.  Blaß, 
Lipsiae,  iterum  1900,  S.  8,  tertium  1904. 


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Jahresbericht  über  die  griechischen  Lyriker.  (Sitzler.)  207 


Beide  Auflagen  sind  nur  wenig  voneinander  verschieden;  schon  jn 
der  zweiten  sind  die  kleinen  Überreste  auf  abgetrennten  Papyros- 
stückchen,  die  Keny  on  in  der  editio  prineeps  als  besondere  Fragmente 
veröffentlicht  hatte,  an  ihren  ursprünglichen  Stellen  im  Papyros  — 
einige  allerdings  nur  vermutungsweise  —  eingefügt.  Die  dritte  Auf- 
lage bringt  eine  Anzahl  Berichtigungen,  Ergänzungen  und  Zusätze, 
größtenteils  den  neuen  Forschungen  der  Gelehrten  zu  Bakchylides 
entnommen.  Auf  einzelnes  werde  ich  unten  zurückkommen. 
Eine  Auswahl  aus  Bakchylides  veröffentlichen 

1.  H.  W.  Smyth,  Greek  melic  poets.  London,  Mac- 
millan  1900, 

derEpin.  3,  5,  6,  9  (8),  11  (10),  13  (12),  71  (104)  —  174  (207), 
14  (13),  15  (14),  37  f.,  17  (16),  18  (17)  nebst  einer  Anzahl  Frag- 
mente in  seine  Ausgabe  der  griechischen  Meliker  aufgenommen  hat. 

2.  Odi  scelte  di  Bacchilide  commentate  da  D.  Nessi. 
Milano  1900, 

eine  Ausgabe  der  Gedichte  1,  13—46,  2,  3,  28—62,  5,  9  (8),  1—52, 
11  (10),  15  (14),  37—63,  17  (16),  18  (17),  19  (18).  1—25,  weder 
in  der  Textesgestaltung  noch  im  Kommentar  bedeutend,  in  letzter 
Zeit  in  neuer  Auflage  erschienen. 

Daran  schließe  ich  die  Übersetzungen 

1.  E.  Ii o in a g n o  1  i ,  Bacchilide.  Saggio  critico  e  versione 
poetica  delle  odi.    Koma  1899. 

2.  A.  Hausrath,  Übersetzungsproben  aus  Pindar 
und  Bakchylides.  Festschrift  des  Gymnasiums  zu  Karlsruhe 
1902,  S.  40. 

Enthält  poetische  Nachbildungen  von  III,  10-67,  XVI  (XV), 
15-35,  XVII  (XVI)  und  XVIII  (XVII). 

3.  N.  Möller,  Digte  af  Bacchylides.  Nord.  Tidskrift 
f.  Filol.  VI,  S.  145  f. 

Poetische  Übersetzung  von  II,  III  und  XVII  ins  Dänische. 
Kritische  und  exegetische  Beiträge  liefern 

1.  St.  N.  Dragumis.    Äör,va  X,  S.  413  f.,  556  f. 

2.  D.  Nessi,  Osservazioni  Bacchilide e.  Bollet.  di 
Filol.  class.  V,  S.  183  f.,  229  f.,  VI,  S.  38  f. 

3.  J.  B.  Bury.  Class.  Rev.  1899,  S.  272  [XIX  (XVIII),  33. 
34],  Class.  Rev.  1900,  S.  62  [XI  (X)  118]. 

4.  U.  v.  Wilamowitz.    Hermes  84,  S.  637  [XIII,  119 
(XII,  152)]. 


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208         Jahresbericht  über  die  griechischen  Lyriker.  (Sitzler.) 


5.  T h.  Z  i e  1  i n  s k  i ,  Bacchylidea.    Eos  V,  S.  25  f. 

6.  A.  B.  D  räch  mann,  Bacchylidea.  Nord.  Tidskrift  f. 
Filol.  VI,  S.  160  f. 

7.  G.  Fraccaroli,  Come  si  fa  un'  edizione  di 
Bacchilide.  Riv.  di  Filol.  1899,  S.  513  f.,  gerichtet  gegen 
N.  Festa,  und  dazu  die  Erklärung  G.  V i t  e  1 1  i s  ebenda  1900,  S.  93. 

8.  F.  BlalJ,  On  some  passages  of  Bacchylides. 
Hermathena  25,  S.  356  f. 

—  Nachlese  zu  Bakchylides.    Hermes  36,  S.  272  f. 

9.  Ch.  Wald  stein,  The  Argive  Heraeum  and 
Bacchylides  XI  (X),  43—84.  Class  Rev.  1900,  S.  473  f. 
Athenäum  1900,  S.  709  f. 

10.  E.  Schwartz,  Zu  Bakchylides.  Hermes  1904, 
S.  629  f. 

11.  0.  Hen.se,  Bakchylides  VIII  (IX),  36.  Rhein.  Mus. 
56,  S.  305  f. 

12.  A.  Mancini,  Note  su  Bacchilide.  Lucca  1901, 
35  S.  [Estr.  d.  Atti  d.  R.  Acc.  Lucchese  di  scienze,  lettere  ed 
arti  vol.  XXXI]. 

13.  W.  F.  R.  Shilleto,  dxpejia  (crcpeu-si)  =  slightly,  leniter 
(V,  7].  Class.  Rev.  1902,  S.  284.  Dazu  A.  W.  Mair  und 
W.  Headlam  ebenda,  S.  319. 

14.  W.Schäfer,  Üissertatio  de  tertio  Bacchylidis 
carmine.    Erlangen  1901. 

15.  P.  Dessoulavy,  Bacchilide  et  la  lllme  Ode. 
Neuchatel  1903. 

16.  A.  Wolff,  Bacchylidea.    Patavii  1901. 

17.  J.  v.  Leeuwen,  (£uid  significat  Xetptoc  sive 
Xetpiosu?    [XII 1  (XVI),  94].    Mnemosyne        S.  114  f. 

18.  C.  Häberlin.  Wochenschr.  f.  klass.  Philol.  1899, 
S.  177  f. 

19.  W.  Headlam.  Class.  Rev.  1900,  S.  10 f.,  1902,  S.  247  f. 

20.  H.  Jurenka,  Sind  Bakchyl.  VI  und  VII  auf  einen 
Sieger  gedichtet  oder  auf  zwei?  Festschrift  für  Gomperz. 
Wien  1902,  S.  220  f. 

21.  J.  A.  Nairn.    Class.  Rev.  1899,  S.  167  f. 

22.  G.  Kai  bei,  Sententiarum  Uber  ultimus.  Hermes 
19ni,  s.  t)0»;  f.  [Xli,  si  f.]. 


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Jahresbericht  über  die  griechischen  Lyriker.  (Sitzler.)  209 

23.  H.  v.  Her  werden.    Mnemosyne  27,  S'.  1  f .  —  Museum 
1899,  Nr.  12. 

24.  H.  Diels.    Hermes  1898,  S.  334  f.  [X,  119]. 

25.  R.  C.  Jebb.    Album  gratulatorium  in  honorem  H.  v.  Her- 
werdeni.    Utrecht  1902. 

Man  sieht,  daß  eine  ausgedehnte  Tätigkeit  auf  Bakchylides  ver- 
wandt wurde,  die  der  zweiten  und  dritten  Auflage  von  Blaß  zugute 
kam.  Das  erste  Gedicht,  das  in  der  editio  prineeps  Kenyons  mit 
dem  Vers,  der  in  der  Ausgabe  von  Blaß  als  111.  bezeichnet  ist, 
begann,  wurde  von  Blaß  aus  verschiedenen  Papyrusresten  in  seinem 
Anfang  ergänzt.  Dabei  stützte  sich  Blaß  auf  das  Metrum,  den 
Sinn  und  die  Farbe  und  Schrift  des  Papyrus,  drei  Beweise,  die  bei 
kleinen  Stücken,  wie  sie  hier  zum  Teil  vorliegen,  nicht  genügen,  um 
Sicherheit  zu  geben.  Jedenfalls  muß  man  sich,  was  Blaß  nicht 
immer  getan  hat,  bei  der  Herstellung  genau  an  die  Ibis-Scholien 
halten,  die  meiner  Überzeugung  nach  den  Gedankengang  des  Bak- 
chylideischen  Gedichtes  getreu  wiedergeben.  Danach  war  nach  der 
Einleitung  zuerst  die  Ankunft  des  Zeus  und  Apollon  bei  den  Teichinen 
und  ihre  gastliche  Aufnahme  durch  die  Tochter  Dämons,  des  Fürsten 
der  Teichinen,  erzählt:  dann  folgte  der  Bericht  über  die  Errettung 
der  Töchter,  die,  nach  V.  49  f.  zu  schließen,  durch  einen  Traum  be- 
wirkt wurde,  den  Zeus  einer  von  ihnen  schickte;  diese  teilte  ihn 
den  andern  mit,  und  alle  beschlossen,  ihm  zu  folgen  und  ihre  Heimat 
zu  verlassen,  außer  Makelo,  die  nach  V.  81  ihre  Schwestern  zur 
Flucht  aufforderte ,  selbst  aber  bei  ihrem  Bräutigam  zurückblieb ; 
daran  schloß  sich  die  Schilderung  der  Bestrafung  der  Teichinen,  bei 
der  auch  Makelo  mit  umkam,  und  hier  setzten  dann  die  erhaltenen 
Verse  Ulf.  ein,  die  von  der  Ankunft  des  Minos  an  dem  neuen 
Wohnort  der  Töchter  und  der  Geburt  des  Euxantios  handeln.  V.  142 
ergänzt  Her  werden  dxji>jxa  Xsovxo;  f)oji.öv  ;  mir  gefällt  dojir/ca 
besser  (vgl.  fr.  84,  1).  Schwartz  wünscht  6{au>?  xe,  ebenfalls  besser 
als  Headlams  law  xs.  das  Blaß  aufnahm.  Auch  V.  144  ist 
Blaß'  Ergänzung  ozoxe  /petfe  £  xepftoXoi  pd/ac  nicht  zu  billigen; 
denn  xepßoXstv  bedeutet  nicht  „antreiben",  st.  xspftoXoi  erwartet  man 
xspßoXeoi.  und  die  Silbe  ßoX  sollte  nach  Ausweis  der  anderen  ent- 
sprechenden Verse  lang  sein.  Demnach  muß  das  überlieferte  ßoXoi 
verschrieben  sei;  etwa  /peioj  xt  aojißdXXoi  ja. ?  V.  180  verstößt  die 
Überlieferung  faaov  dv  Ca>Ti  XP*V0V»  ™'jZ  Xdysv  xifxdv  gegen  die 
Responsion;  daher  hat  Housman  Xdxe  xovoe  /povov  x.  umgestellt, 
und  Headlam  tritt  nachdrücklich  für  diese  Umstellung  ein,  weshalb 

Jahresbericht  für  Altertumswi.Men«ohaft.    Bd.  CXXXIII.    (19<)7.    F.)  14 


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210         Jahresbericht  aber  die  griechischen  Lyriker.  (Sitzler.) 


Blaß8  sie  auch  ihm,  wie  es  scheint,  zuschreibt.  Mir  gefällt  die 
dadurch  entstehende  etwas  gezwungene  Wortstellung  nicht,  und 
deshalb  ilndere  ich  lieber  xö\»8s  in  «joe  „auf  diese  Weise",  nämlich 
xoo'foxaxat?  {lepqxvotis  •  «io*  wurde  im  Anschluß  an  yp6vnv  zu  r6vot. 
Blaß  zieht  der  Schreibung  xijxav  die  getrennte  xt  }xav,  auf  die  der 
Papyros  hinweist,  vor;  aber  diese  Frage,  welche  die  einander  gegen- 
übergestellten Sätze  (faaov  äv  'ihrj  und  xal  suxs  Öa'v^)  auseinander- 
reißt, ist  hier  störend. 

Epin.  JI,  1  ergänzt  Blaß  im  Anschluß  an  andere  Gelehrte 
at'csv  a  a.  <l>^aa ;  denn,  wie  es  in  der  Praefatio  zum  zweiten  Gedicht 
Anm.  2  heißt,  „certe  dveji-vajsv  (6),  etsi  ad  Argium  referatur  (sicut 
0paao8<no;  ejivaaav  est  apud  Pind.  P.  XI.  13),  utique  Ceos  habet 
obiectum;  itaque  non  veniet  nuntius,  sed  venit".  Aber  den  Keern 
brauchte  Argeios  die  Siege  ihrer  Landsleute  sicherlich  nicht  ins 
Gedächtnis  zurückzurufen,  und  ebensowenig  die  <I>r]jia,  wenn  man 
diese  als  Subjekt  zu  dvijivajev  etwa  betrachtet;  denn  diese  hatten 
sie  gewiß  nicht  vergessen.  Wer  Erinnerung  brauchte,  war  die  Fest- 
versammlung, der  bei  dem  neuen  Sieg  des  Keers  auch  die  früheren 
keischen  Siege  wieder  einfielen.  Spricht  also  dieser  Umstand  nicht 
gegen  Kenyons  Ergänzung,  so  empfiehlt  sie  die  Erwägung,  daß 
das  kurze  Gedicht  zur  Begrüßung  des  Siegers  an  Ort  und  Stelle 
geeigneter  ist  als  zu  Hause,  und  daß  diaaeiv  zur  Bezeichnung  des 
Aufbruches  eher  als  zur  Bezeichnung  der  Ankunft  paßt,  wie  schon 
0.  Schröder  bemerkt  hat.  Die  letzten  Verse  xaXei  oe  xxX. ,  in 
dichterischer  Weise  als  selbständiger  Satz  angefügt ,  stehen  final ; 
daher  ist  weder  eine  Änderung  nötig,  noch  läßt  sich  daraus  auf 
Anwesenheit  des  Dichters  in  Keos  schließen.  Nebenbei  bemerke  ich, 
daß  die  Ergänzung  jxa'x«?  (4)  schon  in  meiner  Ausgabe  der  Buch- 
holzschen  Anthologie  steht. 

Epin.  III,  16  hat  der  Pap.  cptXo&vta;,  wofür  manche  Gelehrten 
<ptXo£sviai?  wünschten,  und  in  der  Tat  ist  die  Stelle  anstößig;  denn 
ßpustv  verbindet  Bakchylides  sonst  nur  mit  dem  Dativ,  ein  Wechsel 
in  der  Konstruktion  des  tVerbums,  wie  hier  zwischen  Dativ  und 
Genet.  bei  ßpuetv  in  den  verschiedenen  Satzgliedern,  findet  sich  sonst 
bei  unserem  Dichter  nicht,  und  ebensowenig  die  Weglassung  vou  U 
in  der  Epanaphora  nach  u£v,  die  überhaupt  äußerst  selten  ist.  Ich 
vermute  daher  «iXo&svfe  o'  st.  ©iXo&evta?;  die  Stellung  von  U  an 
dritter  Stelle  war  Grund  der  Verschreibung.  V.  18  empfiehlt  sich 
Blaß'  u^iootiSoXcov  st.  6<{/toatöctXxa>v ,  um  die  richtige  Responsion 
herzustellen.  Aus  ebendemselben  Grunde  läßt  sich  V.  64  ou  jAr^ti- 
vr,xs  'Uptov  nicht  halten,  da  man  an  vierter  Stelle  eine  kurze  Silbe 


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Jahresbericht  Uber  die  griechischen  Lyriker.  (Siteler.)  211 

erwartet;  es  kommt  noch  der  unerträgliche  Hiatus  mit  Längung  des  s 
hinzu.  Beachtet  man  nun,  daß  in  V.  62  die  Silbe  dv  vor  eVs^e, 
in  V.  63  das  Wörtchen  nach  oaot  fehlt,  so  scheint  es  wahrscheinlich, 
daß  auch  in  unserem  Vers  die  Verderbnis  von  der  Auslassung  einer 
Silbe  herrührt,  also  p^ytor'  dfqzi  bzw.  fisfiaxaYijxe  zu  schreiben  ist, 
mit  Wegfall  des  «  vor  'Hptuv.  Schwierig  ist  der  Wortlaut  der  V.  26  f. 
herzustellen,  wenn  auch  der  Sinn  nicht  zweifelhaft  ist.  Blaß  schreibt 
x£v  ?:eirp<ojA8vav  |  Ztjvoc  xeXefoo  vsujiaoiv  |  Zdpois?  Hepsav  utt*  Ixrt'jAtrXav 
axpaxtjJ,  so  daß  die  Zerstörung  der  Stadt  nur  angedeutet  wäre,  die 
man  doch  hier  deutlich  ausgesprochen  wünscht;  auch  mißfällt  das 
Äschyleische  veujxaaiv  und  ist  nach  der  langen  Endsilbe  des  vorher- 
gehenden Wortes  metrisch  nicht  unbedenklich.  Daher  versuche  ich 
Zijvöc  xsXe'jx&aai  <ppe3iv  |  2.  flepaav  ipeucovxo  axpaxqT  Wenn  Blaß 
den  folgenden  Satz  mit  fap  anknüpft,  aber  jaöY  wv  liest,  so  übersieht 
er,  daß  ?dp  mit  roXoSdxpoov  oöx  sjieXXa  fiffiveiv  xxX.  verbunden  werden 
muß;  außerdem  ist  wy  nicht  Bakchylideisch  und  jtoXeTv  mit  Accus, 
in  übertragener  Bedeutung  ungewöhnlich.  Deshalb  ist  Jebbs  Her- 
stellung 6  8'  U  aeXirxov  djiap  |  fxoX<ov  icoXoodxpuov  xxX.  vorzuziehen, 
und  auch  SouXoouvav,  das  derselbe  Gelehrte  V.  31  schreibt,  ist  be- 
zeichnender als  Blaß'  8u3<ppoa6vav ;  denn  gerade  die  Furcht  vor 
der  8ouXo3ov7j  bestimmte  sein  Tun ,  nicht  vor  der  outNpposovr, ,  der 
kein  Mensch  entgehen  kann.  Ansprechend  ist  V.  43  H  e  r  w  e  r  d  e  n  s 
üeoxipov  asxo,  richtig  V.  47  F raccaro Ii s  Tilgung  des  überlieferten 
0'  nach  rpoaöev;  denn  wir  haben  hier,  der  Aufregung  des  Königs 
entsprechend,  lauter  kurze,  unverbundene  Sätze.  Auch  darin  scheinen 
jetzt  die  meisten  Gelehrten  übereinzustimmen ,  daß  V.  48  dßpoßdxav 
ein  Appellativum  ist,  das  den  orientalischen  Palastsklaven  nach  seinem 
weichlichen  Gange  bezeichnet.  Vgl.  z.  B.  Eur.  Troad.  820,  wo  es 
von  Ganymedes  heißt:  /pooiaic  iv  otoo^oat?  dßpd  ßat'vtov;  an  eine 
weiche  Fußbekleidung  darf  man  dabei  nicht  denken ,  wie  es  B  u  r  y 
tut.  V.  58  will  Herwerden  xeö^si  in  xeoxTi  ändern  unter  Berufung 
auf  XVI,  118;  daß  dies  unnötig  ist,  bemerkt  W.  Schäfer  mit  Recht, 
Blaß  hätte  es  also  nicht  in  den  Text  setzen  sollen.  Auch  V.  69 
ist  Herwerdens  Oeo<ptX^,  trotzdem  es  auch  bei  Blaß  Billigung  fand, 
zweifelhaft  wegen  des  Mißklanges  tteo<ptXr,  <pt'Xnr7rov,  worauf  Dessou- 
lavy  hinweist;  man  muß  ein  anderes  Wort  auf  Xij  suchen,  etwa 
ooa-aXi)  „schwer  niederzwingen,  unüberwindbar",  wie  es  für  den  dvrjp 
äprttos  paßt.  Hieron  wird  als  unüberwindlicher  Kriegsmann  und  Freund 
der  musischen  Künste  gepriesen :  dieser  Gegensatz  ist  in  V.  72  f. 
ausgeführt,  wie  Blaß  gesehen  hat.  Jedoch  ist  xoxi  meiner  Meinung 
nach  unmöglich;  die  Ode  fällt  in  das  Jahr  468  und  die  Besiegung 

14* 


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Jahresbericht  über  die  griechischen  Lyriker.  (Sitzler.) 


der  Etrusker  bei  Cumae  in  das  Jahr  474,  und  überhaupt  kann  der 
Dichter  die  kriegerische  Tätigkeit  des  Hieron  nicht  mit  iro-ri  als  der 
Vergangenheit  angehörend  bezeichnen.  Ich  ergänze  daher  das  über- 
lieferte t:ot  zu  iroxi  „außer,  neben",  wozu  ein  Begriff  wie  xXcrpl 
8oupa>v  oder  poi'Cto  4f*/-tt>v  trat«  Ebensowenig  scheint  mir  V.  73 
i*a>epov  richtig ;  dieses  Wort  folgt  V.  76  in  £<pau,epfav.  Ich  schlage 
5u.epov  vor,  ajiepo?  im  Gegensatz  zu  dem  vorhergehenden  SsijiaXsoc 
V.  77  weist  Blaß  die,  wie  es  scheint,  allgemein  gebilligte  Ergänzung 
Kenyons  6  ßoux<&o?  mit  Recht  zurück;  dieses  Attribut,  das  auf 
das  Verhältnis  zwischen  Apollon  und  Admetos  hinweisen  soll,  ist  hier 
völlig  bedeutungslos,  während  das  von  Blaß  vorgeschlagene  <ptXo>  zur 
Empfehlung  der  Mahnung  Apollons  wesentlich  beiträgt;  denn  der  Freund 
rät  dem  Freund  das  Beste.  Vor  <p&oc  fehlt  wohl  ein  Attribut  zu  «ßlpijtoc 
uti,  wie  xXoT<p.  Der  Nachdruck  in  den  Worten  Apollons  liegt  auf  oiia 
op<uv,  was  von  vielen  nicht  beachtet  wurde ;  das  Rechttun,  die  apsTo, 
wie  es  im  folgenden  heißt,  wird  dem  Menschen  empfohlen,  und  dieses 
soll  die  Richtschnur  für  das  eu^paivsiv  $o\i6v  bilden;  denn  nur  so 
erlangt  er  Unsterblichkeit.  Daraus  ergibt  sich,  daß  die  V.  85  f.  an- 
geführten drei  Beispiele  —  Äther,  Meer  und  Gold  —  nur  erwähnt 
sind,  um  im  Gegensatz  zu  ihrer  Unvergänglichkeit  die  Vergänglichkeit 
des  Menschen  mehr  hervortreten  zu  lassen  und  so  beim  schnellen 
Dahinschwinden  des  Körpers  die  Notwendigkeit  und  den  Wert  der 
apeta  stärker  zu  betonen.  Damit  ist  aber  auch  klar,  daß  die  Über- 
lieferung eOcppoaova  3'  6  ypuao;  unhaltbar  ist,  mag  man  nun  mit 
Kenyon  „gold  is  a  joy  for  evertt  —  dieses  „for  ever"  steht  nicht 
im  Text  — ,  oder  mit  Schäfer  „aurum  purissimum  hilaritati  animi 
comparandum  estu  oder  mit  Schwartz  „Festesfreude  ist  das  Vor- 
trefflichste, wie  Himmel,  Wasser  und  Gold"  erklären;  denn  selbst 
wenn  man  die  beiden  zuletzt  genannten  Erklärungen  mit  dem  Texte 
für  vereinbar  hält,  passen  sie  nicht,  weil  der  Zusammenhang  den 
Hinweis  auf  die  Unvergänglichkeit  des  Goldes  verlangt.  Blaß 
schreibt  daher  suypoa-jvot  5'  h  ypuso;,  wofür  es  doch  —  das  sonst 
nicht  vorkommende  eu/pos-jvet  als  möglich  zugegeben  —  t<o  yjjoatu 
heißen  müßte.  Ich  betrachte  eOcppoauva  für  verschrieben,  entweder 
wegen  des  vorhergehenden  s-jcppatvE  Öouov  oder  wegen  einer  bei- 
gefügten Erklärung,  und  halte  £j/po  o;  3fc  yj>'j3o;  für  das  ursprüng- 
liche. Ebenso  glaube  ich,  daß  in  V.  90  das  Kut.  pivoosi  hergestellt 
werden  muß,  da  das  Praes.  utvjtlei  gegen  die  Bespon>ion  verstößt; 
der  Aor.  Pass.  von  jxivjst  ist  V,  151  st.  fiivovfta  zu  lesen.  In  V.  96 
aber  darf  man  xaXmv  nicht  als  Particip.  fassen,  wie  viele  tun;  es 
ist  vielmehr  Neutr.  Plur.    Die  richtige  Erklärung  deutet  Blaß  an: 


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Jahresbericht  über  die  griechischen  Lyriker.  (Sitzler.)  213 


referenda  haec  ad  veram  gloriam  ab  Hierone  partam.  Der  Dichter 
sagt  also,  daß  man  zugleich  mit  dem  wahren  Ruhme  Hierons  auch 
seine  anmutigen  Loblieder  auf  ihn  preisen  wird. 

Epin.  IV ,  6  vergleicht  Drachmann  zu  dps-ci"  fircuov ,  das 
Crusius  und  andere  ergänzten,  Horn.  W  276;  ich  füge  Pind.  P.  X,  23 
dpexa. ttoö&v  bei.  Fr.  22  K.,  das  Blaß  in  der  ersten  Auflage  nach 
V.  7  eingereiht  hatte,  verweist  er  jetzt  in  das  14.  Gedicht  nach  V.  23. 
Das  Zeichen  vor  a?  in  V.  8  hält  er  für  einen  Apostroph;  es  kann 
aber  ebensogut  der  Überrest  eines  Akzentes  oder  ein  Flecken  sein, 
und  deshalb  ist  d?,  wie  er  schreibt,  zweifelhaft.  Auch  kann  ich  es 
nicht  billigen,  daß  er  jetzt  in  V.  13  das  nach  Asivojiiveo?  überlieferte 
x'  streicht;  die  ganze  Stelle  ist  so  lückenhaft,  daß  sich  nicht  einmal 
der  Sinn  erraten  läßt;  selbt  die  Einreihung  des  fr.  19  K.  an  dieser 
Stelle  ist  ganz  unsicher. 

Epin.  V  zeigt  mehrere  Verstöße  gegen  die  Uesponsion,  die  meiner 
Überzeugung  nach  alle  durch  Textesverderbnis  entstanden  sind;  V.  8 
emendiert  Richards  richtig  $ird&p>jaov  st.  döpTjaov;  Kenyons 
C'jv  v&p  st.  v*5a>  ist  metrisch  bedenklich,  da  dem  Versschluß  dbv  voq> 
regelmäßig  eine  Kürze  als  Endsilbe  des  vorhergehenden  Wortes  voran- 
gehen müßte.  V.  1 1  f.  ist  mit  Änderung  der  Stellung  und  Vers- 
teilung zu  lesen  ujAe-cipav  |  ?:e;j.irei  ls  xXstvav  r>6hvy  wodurch  auch 
der  metrische  Anstoß  —  Creticus  nach  langer  Endsilbe  —  gehoben 
wird;  entsprechend  ist  dann  in  V.  26 f.  das  auffallende  Medium 
vomaxai  mit  Walker  und  anderen  Gelehrten  in  vu>-ua  zu  ändern. 

i  IT 

V.  30  ist  das  unerklärliche  jast  vor  dv&pa>TCQi?  zu  streichen  und  dp(- 
fvioroc  dvöptoroi?  herzustellen,  aber  schwieriger  ist  die  Sache  in  V.  14; 
Tilgung  des  überlieferten  o£  ergibt  einen  unerträglichen  Hiatus.  Ich 
glaube,  in  lüi'hzi  steckt  3  DsXst;  die  seltene  Maskulinform  des  Relat. 
o  veranlagte  die  Verschreibung  in  &ft£Xet  und  dann  die  Hinzufügung 
von  ZI,  die  jiex'  in  V.  30  nach  sich  zog.  Daß  in  V.  151  ;juvuv&* 
aus  juvoffo],  dem  pass.  Aor.  zu  aivuro  (vgl.  III,  90),  verschrieben  ist, 
habe  ich  schon  erwähnt.  V.  115  hat  Kenyon  gewiß  richtig  o5? 
st.  xouc  hergestellt,  für  das  unter  anderen  auch  Schwartz  eintritt, 
und  das  Blaß  nicht  hätte  zurückweisen  sollen. 

Aber  auch  abgesehen  von  der  Uesponsion  enthält  das  Gedicht 
manche  Schwierigkeiten.  V.  7  wollte  Mair  dxpeua  im  Sinne  von 
„slightly"  fassen;  es  steht  aber  in  seiner  ursprünglichen  Bedeutung, 
die  Folge  des  dp-ao3a?  bezeichnend,  =  &zz%  «Tpsjiac  Zytiv.  V.  9 
liest  Blaß  ^  indem  er  bemerkt:  „yj  iuterrogat.  (in  interrogationibus 
obliquis  simplieibus)  et  ap.  Horn,  est  et  in  titulis  Doricis" ;  die 
letzteren  kommen  hier  kaum  in  Betracht,  bei  Homer  und  den  epischen 


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Jahresbericht  über  die  griechischen  Lyriker.  (SiUler.) 


Dichtern  aber  findet  sich  dieser  Gebrauch  von  ^J,  das  hier  besser 
paßt  als  Kenyons  {  (vgl.  Jl.  8,  111,  Od.  16,  137);  diese  mag 
Bakchylides  nachgeahmt  haben  (vgl.  auch  Kühner,  Gr.  Gramm.  II*, 
S.  1034,  Anm.  26).  V.  13  ist  xXetvfc  wegen  des  vorhergehenden 
i;  xXsivdv  iroav  offenbar  verschrieben;  das  Richtige  ist  btXot  (vgl. 
VIII,  3  Mooaav  deioc  itpo<pata;).  Die  schöne  Vergleichnng  V.  16  f. 
erklärt  Blaß,  S.  XV  f.,  richtig,  indem  er  sagt:  „non  eo  tendit,  ut  se  ei 
avi  assimulet,  id  quod  merito  Pindaro  relinquit,  sed  ampla  materies 
carminis  com  immenso  aSris  spatio,  in  quo  volat  aquila,  comparat" ; 
dies  zeigen  deutlich  die  V.  31  f.  Aber  V.  3^  betont  er  mit  Unrecht 
die  Bezeichnung  tt&Xo?,  die  dem  Renner  Pherenikos  gegeben  wird; 
dies  Wort  steht  hier  poetisch  für  fcnroc  und  spricht  daher  nicht 
gegen  die  Annahme,  daß  Pherenikos  auch  im  Jahre  482  den  pythischen 
Sieg  errang.  Ja,  dasselbe  Pferd  kann  sogar  im  Jahre  472  zu  Olympia 
zum  zweiten  Male  gesiegt  haben  (vgl.  Herod.  VI,  103  und  Pelagonius 
ars  veterin.,  p.  32,  auf  den  W.  Christ  hinweist);  jedoch  haben  wir 
darüber  keine  Überlieferung.  Das  Adj.  vsoxpotov  V.  48  erklärte 
Kenyon  „celebrated  by  new  Glamours  of  applause",  andere,  wie 
Blaß  und  Sm yth  vergleichen  Pind.  fr.  194  xexpoTTjxat  ypoaia  xpipi'?, 
so  daß  es  „neugehämmert,  frisch"  bedeutet;  ich  möchte  xp6to?  auf  das 
Stampfen  der  Rosseshufe  beziehen  (vgl.  z.  B.  Eurip.  Herakl.  783:  xpoxoc 
roowv  vom  Tanzen),  veexpoto;  also  „neuschallend".  V.  75  ist  eceiXs- 
totov  überliefert,  das  man  gewöhnlich  in  icetXst'  I6v  umschreibt  und 
den  so  entstehenden  Hiatus  damit  entschuldigt,  daß  die  Analogie 
von  I6i  „Gift*  und  tov  „Veilchen"  eingewirkt  habe;  ähnliches  findet 
sich  sonst  bei  unserem  Dichter  nicht  und  ist  hier  um  so  unwahr» 
scheinlicher,  als  Horn.  A  116,  der  ihm  vorschwebte,  ihn  vor  einem 
solchen  Irrtum  bewahren  mußte,  um  so  mehr,  da  ecelXet'  ii'tftov  so 
nahe  lag;  friatov  schrieb  er  auch  in  dem  entsprechenden  V.  82.  Mir 
scheint  also  in  der  Überlieferung  ein  Schreibfehler  zu  stecken.  Zu 
V.  109  bemerkt  Wilainowitz,  daß  wilde  Eber  keine  Schafe  an- 
greifen, und  nimmt  deshalb  ein  Versehen  des  Dichters  an,  das  einer 
Reminiszenz  an  Horn.  I,  542  entstamme ;  aber  dieser  Zug  gehört  zur 
Sage  (vgl.  Ovid  Met.  VIII,  296),  worauf  Schöne  verweist,  und 
Apollod.  I,  8,  2.  Ebensowenig  darf  man  V.  119  mit  Wilamo w itz 
Sv  an  die  Stelle  von  ouc  der  Editio  princeps  setzen;  denn  was  der 
Relativsatz  aussagt,  gilt  von  allen  Brüdern  des  Meleager,  nicht  nur 
von  Agelaos.  An  die  bei  der  Jagd  erlittenen  Verluste  reihen  V.  121  f. 
die  durch  den  Kampf  zwischen  den  Ätolern  und  Kureten  um  die 
Eberhaut  verursachten.  Da  von  diesen  beide  Parteien  betroffen 
wurden,  können  sich  V.  121  f.  nicht  nur  auf  Meleager  oder  dessen 


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Jahresbericht  über  die  griechischen  Lyriker.  (Sitrier.)  215 

Brüder  beziehen;  daher  ist  die  Ergänzung  von  Schwartz  xajA* 
wXsat  und  von  Lud  wich  iravtac,  die  Blaß  aufnahm,  unmöglich. 
Passend  ist  nur  irX£ovac,  wie  ich  in  Buchholz'  Anthologie  schrieb, 
oder  TcXsüvac,  wie  Ho us man  vermutet,  als  Gegensatz  zu  den  zwei 
schon  genannten  Gefallenen.  Wie  aber  dieser  Satz  an  den  vorher- 
gehenden angeknüpft  war,  ist  zweifelhaft;  Blatt  schreibt  jetzt  vüv  5' 
in  Übereinstimmung  mit  itavtac,  das  ich  nicht  billigen  kann.  Ich  ver- 
mute xal  ö'  „aber  auch  noch  mehr  vernichtete"  usw.  Zu  V.  129 
verweist  Smyth  auf  Ovid  Metam.  8,  340,  wo  Lynkeus  und  Idas 
„duo  Thestiadae,  proles  Aphareia"  genannt  werden,  ihr  Vater  Aphares 
(oder  Aphareus)  also  unter  die  Söhne  des  Thestios  gerechnet  wird; 
sonst  gilt  dieser  für  einen  Sohn  des  Perieres  und  der  Gorgophone. 
Übrigens  ist  Aphares  auch  im  Schol.  zu  Horn.  11.  9,  567  genannt, 
wie  Schwartz  bemerkt.  V.  142  wurde  das  überlieferte  i^Xauaado, 
das  J  e  b  b  gut  in  dyxXatiaaaa  änderte,  vielfach  zu  emendieren  gesucht, 
um  ein  zu  dem  auffälligen  oouöaXlac  ix  Xapvaxoc  zu  konstruierendes 
Partizip  zu  erhalten ;  W  i  1  a  m  o  w  i  t  z  schlug  äfXuaaaa ,  Schwartz 
ifXaßoOoa  vor ,  beides  unwahrscheinlich.  V.  184  hat  llousman 
mit  Recht  U  vor  suitupfoo?  eingefügt;  Blaß  nahm  dies  auf  und 
schreibt  auch  richtig  Sopotxosaa?  st.  Sopaxooaaac,  das  Uerwerden 
als  ionisch  schützen  will ;  die  ionische  Form  heißt  £op^xousou.  Als 
diejenigen,  welche  zu  V.  186  auf  Pind.  J.  VII  (VIII),  43  verwiesen, 
nennt  Blaß  Tyrrell  und  Bury;  dieser  Hinweis  steht  auch  in 
meiner  Ausgabe  von  Buchholz'  Anthologie.  Einfacher,  als  an  die 
syrakusanische  Art  der  Abstimmung  zu  denken,  ist  es  aber,  unter 
TtsxaXov  den  Olivenkranz  zu  verstehen,  das  Zeichen  des  Sieges  und 
damit  des  Glückes  für  den  Sieger.  V.  191  hat  Blaß  die  Konjektur 
E.  Brunns  aufgenommen,  für  die  fr.  28  (Bergk)  spricht,  fXoxsiav  .  .  . 
Mouaav,  und  auch  nicht  unerwähnt  gelassen,  daß  eine  entsprechende 
Stelle  in  den  erhaltenen  Gedichten  Hesiods  nicht  gefunden  wird ;  sie 
muß  in  seinen  verlorenen  Werken  gestanden  haben;  denn  Theog.  81  f. 
ist  zu  allgemein,  um  hier  gemeint  zu  sein.  Blaß  meint  Theognis  169: 
ov  di  dsol  njinia',  Sv  xal  ji«o|i.t6|i3vo?  afvet  sei  unserer  Stelle  ähnlich ; 
aber  dann  müßte  xal  [AcutAeuiisvoc  fehlen,  ein  Begriff,  der  hier  ganz 
fern  liegt.  Auch  kann  man  es  nicht  billigen,  wenn  er  V.  195  das 
tiberlieferte  irert>ou.at  in  -st06jief>',  V.  196  das  von  J  e  b  b  und  D  räch - 
mann  ergänzte  extoc  Stxa?  in  ixxoc  öe&v  ändert,  nur  weil  V.  3t> 
f)e«fc  am  Ende  steht,  und  weil  er  in  »si^fieö'  dieselben  Vokale  wie 
in  Aeivopiveoc  V.  35  haben  will;  der  Dichter  spricht  hier  nur  von 
sich  und  seinem  Lied,  das  dem  Hieron  gerechtes  Lob  spendet  und 
für  immer  begründeten  Ruhm  sichert.    Schwartz  vergleicht  zum 


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2Hi        Jahresbericht  über  die  griechischen  Lyriker.  (Sitzler.) 

Gedanken  Pind.  N.  VII.  50.  In  den  V.  198  und  200  ergänzen 
Jurcnka  u.  a.  richtig  IsdX&v  und  ©uXoticrot,  wie  auch  Blaß  hat, 

Epin.  VI,  8  schreibt  Blaß  irpoxoaun  vixwv,  weil  im  dritten  Vers 
der  Antistrophe  am  Schlüsse  vua?  steht;  infolgedessen  muß  er  V.  4 
oV  faaa  als  Ausruf  fassen,  was  an  unserer  Stelle  und  überhaupt  bei 
unserem  Dichter  wenig  wahrscheinlich  ist.  Ich  vermute  öst£a?  oder 
q>a(vtt>v  „all  die  Vorzüge  zeigend,  infolge  deren  us\v.a.  In  V.  14 
ist  jetzt  Blaß  zur  Überlieferung  irpooojiot?  zurückgekehrt,  die  gewiß 
nicht  in  TtpoSpoiioi?  geändert  werden  darf;  das  Liedchen  wurde  bei 
der  Heimkehr  des  Siegers  als  Ständchen  vor  seinem  Hause  gesungen. 

Epin.  Vll  und  VIII  verherrlichen  nach  der  Überschrift  denselben 
Sieger;  daher  hat  Blaß  sie  unter  VII  vereinigt.  Es  kann  nämlich 
als  sicher  gelten,  daß  auf  der  fehlenden  Seite  zwischen  VII  und  VIII, 
die  etwa  24  Verse  enthielt,  keine  neue  Überschrift  war;  Blaß  hat 
von  diesen  24  Versen  die  Überreste  von  15  in  den  Fr.  XII  und  VII 
bei  Ken  von  mit  großer  Wahrscheinlichkeit  nachgewiesen.  Dazu 
kommt,  daß  Vll,  wenn  VIII  ein  neues  Gedicht  begönne,  nur  ganz 
kurz  wäre,  was  unwahrscheinlich  ist,  da  Bakchylides  den  Lachon 
nicht  in  zwei  kurzen  Gedichten  gefeiert  haben  wird;  auf  das  kürzere  (VI) 
wird  ein  längeres  (VII)  gefolgt  sein.  Man  hat  aber  auch  keinen  Grund 
zu  der  Annahme,  daß  VII  und  VIII  unvollständig  im  Papyros  ent- 
halten gewesen  seien,  VII  am  Schlüsse,  VIII  am  Anfang  verstümmelt. 
W.  K.  Prent ice,  De  Bacchylide  Pindari  artis  socio  et  imitatore 
1900,  S.  51  f.,  weist  noch  darauf  hin,  daß  sowohl  in  VII  wie  in  VIII 
Pindar  Ol.  III  dem  Dichter  vorschwebte ;  ist  dieses  Argument  für  die 
Zugehörigkeit  der  beiden  Fragmente  zu  einem  Gedicht  auch  nicht 
beweiskräftig,  so  ist  es  doch  als  Zugabe  willkommen. 

Hält  man  VII  und  VIII  für  ein  Gedicht,  so  entsteht  sofort  die 
weitere  Frage  nach  dessen  metrischer  Form.  Blaß,  der  früher 
strophische  Gliederung  annahm ,  spricht  sich  in  der  dritten  Auflage 
für  droXeXüjjtsva  aus,  ohne  jedoch  Zustimmung  zu  finden.  O.  Crusius 
in  Pauly-Wissowas  llealencykl.  Bd.  V,  Sp.  1215,  macht  darauf  auf- 
merksam, wie  unwahrscheinlich  dTroXsXoji^va  in  einem  Epinikion  seien, 
da  ja  sogar  die  Dithyramben  strophische  Gliederung  zeigten,  und 
auch  P.  Maas  Philol.  1904,  S.  308,  der  an  der  Annahme  zweier 
Gedichte  festhält,  glaubt,  daß  jedes  Strophe  und  Antistrophe  gehabt 
habe,  wie  Epin.  IV.  Die  Spuren  davon  lassen  sich  meiner  Über- 
zeugung nach  in  den  Überresten  noch  auffinden;  VII,  1  entspricht 
metrisch  VII,  8,  wenn  man  vipq;  st.  veijatq?  schreibt;  ebenso  Vll,  2 
und  9,  soweit  sie  überliefert  sind,  und  auch  VII,  3  und  10,  wenn 
man  im  ersten  Fuß  neben   -  zuläßt;  allerdings  kann 


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Jahresbericht  über  die  griechischen  Lyriker.  (Sitzler.)  217 

dann  die  Ergänzung  iroXoC>j[Xa>To;  nicht  richtig  sein.  Weiter  ent- 
spricht aber  auch  VIII,  1—3  den  Versen  VII,  6  und  7,  wenn  man  mit 

Nsjjls  |  av  den  ersten  Vers  schließt  und  die  Füße  neben 

 und  neben  annimmt.    Die  erste  Strophe 

umfaßt  VII,  1—7,  die  zweite  VII,  8  f.;  VIII,  1-3  sind  die  zwei 
letzten  Verse  einer  Antistrophe  und  mit  VIII,  4  beginnt  die  Epodos. 
VIII,  9  schreibt  Blaß  vi'xa?  natürlicher  ist  es,  In  mit  dv&pw- 
xoistv  zu  verbinden,  im  Sinne  des  häufigen  &x  dv&pwirooc;  jedoch 
kann  ich  diese  Konstruktion  nicht  belegen,  und  so  ist  es  vielleicht 
besser,  mit  Housroan  in  in  iv  zu  ändern.  Jurenka,  der  VIII 
von  VII  trennt,  weist  ebenfalls  auf  die  antistrophische  Gliederung 
von  VII  hin. 

VIII  (IX),  2  schreibt  Blaß  richtig  ircet;  dabei  ist  aber  das 
folgende  ts  unmöglich.  Am  nächsten  liegt  fs,  wie  Blaß  in  der 
ersten,  oder  tot ,  wie  er  in  der  dritten  Auflage  ändert ;  jedoch  sind 
diese  Partikeln  hier  ihrer  Bedeutung  nach  nicht  am  Platze.  Wila- 
mowitz  nahm  daher  eine  größere  Verderbnis  der  Überlieferung  an 
und  las  sXixoßXecpdptuv  st.  ts  foßXs'f dpu>v ,  worin  ihm  Smyth  folgte. 
Man  könnte  auch  an  dfavoßXscpdp<Dv  oder  iavoßXsodpcov  (vgl. 
Alkm.  23,  69)  denken;  war  soty  nach  aav  ausgefallen,  so  lag  die 
Änderung  xs  foßX.  durch  willkürliche  Konjektur  nahe.  Noch 
schwieriger  ist  es,  V.  10  herzustellen;  das  erhaltene  vuaj^ios;.  das 
nach  Ken  von  und  Blaß  hinsichtlich  der  Lesung  keinem  Zweifel 
unterliegt,  läßt  nur  die  Ergänzung  in  cpoivixdamöe?  zu,  die  aus  zwei 
Gründen  bedenklich  ist«,  einmal  weil  die  Krieger  Adrasts  sonst  „weiß- 
beschildet"  genannt  werden  und  „purpurrote"  Schilde  überhaupt 
nirgends  erwähnt  sind,  sodann  weil  man  eine  Partikel  vermißt,  die 
diesen  Satz  zum  vorhergehenden  in  Beziehung  setzt.  Ich  betrachte 
daher  vtx  für  verschrieben  aus  y ')*kr, da™5e*,  wieNairn  vermutet,  oder 
aus  dlx(da~ioe?  vgl.  xopyftdi;  u.  a.  und  lese  xsttte  v.a\  y.  oder  dixd- 
g-iosc,  das  letztere  mit  Synizesis  von  xat  d.  Am  Schlüsse  von  V.  20 
ergänzt  Blaß  ida-ptTm  und  reiht  fr.  35  (Kenyon)  irpo;svov  an;  aber 
die  lange  Silbe  vor  irpocevov  ist  metrisch  anstößig.  Offenbar  gehört 
dieses  Fragment  gar  nicht  an  unsere  Stelle,  an  der  richtiger  irXa$i--<o 
©tXov  gelesen  wird.  V.  28  behält  jetzt  Blaß  mit  Recht  die  Über- 
lieferung Siaxptvet  —  der  Akzent  ist  tiberliefert  —  ?drt  bei.  Die 
Bedeutung  von  Staxptaiv  ist  freilich  sonst  nirgends  belegt,  aber  nicht 
unerklärbar:  „er  strahlte  unter  den  Mitkämpfern  hervor,  wie  der 
helleuchtende  Mond  in  einer  Vollmondsnacht,  der  der  Sterne  Licht 
absondert,  in  Abstand  von  sich  hält,  hinter  sich  zurückläßt4*.  V.  36 
stellt  Hense  durch  die  Änderung  von  TsXsoxaia?  in  TsXs'jtdja;  gut 


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218        Jahresbericht  aber  die  griechischen  Lyriker.  (Sitzler.) 

her;  nur  muß  dann  der  Punkt  hinter  Xot&v  (35)  getilgt  werden,  der 
hei  Blaß  infolge  eines  Versehens  stehen  geblieben  ist;  Stahl  ver- 
langte ixteXsuTaaa;  x\  was  zu  weit  geht. 

Epin.  IX  (X),  dessen  Überschrift  nicht  erhalten  ist,  verherrlicht 
einen  Athener,  der  am  Isthmus  im  Laufe  siegte;  Blaß  hat  in  V.  9 
iA-ftaup  als  Namen  hergestellt;  ist  dies  richtig,  so  muß  man  ÄfXd',  <j> 
lesen,  damit  die  V.  13  f.  zweite  Person  eine  Beziehung  hat.  Mir 
scheint  aber  das  Adjektiv  dfXauJ  die  Einleitung,  die  das  Verdienst 
der  Q>ri\ioL  um  den  Nachruhm  der  Menschen  preist,  abzuschließen  und 
xol  vGv  zu  dem  vorliegenden  Fall,  dem  Lob  des  Siegers,  überzuleiten. 
Wilamowitz  u.  a.  wollten  nun  den  Namen  in  V.  10  finden,  indem 
sie  vaai&xiv  in  Uaiia,  xlv  änderten;  aber  dann  vermißt  man  die 
nähere  Bezeichnung  zu  Xquyöo^ov  uiXiaaav,  die  eben  in  vaat&xiv 
liegt.  So  bleibt  nichts  übrig,  als  mit  Jurenka  u.  a.  in  dem  unvoll- 
ständig erhaltenen  Anfang  von  V.  11  den  Namen  zu  erblicken,  nach 
Jurenka  E-j/stpes,  was  allerdings  nach  den  Buchstabenresten 
zweifelhaft  ist.  Keinesfalls  kann  man  mit  Blaß  ayzipU  als  Attribut 
zu  aYaXjxa  lesen;  man  müßte  vielmehr  äxtipU  „unaufreibbar,  ewig" 
schreiben  und  dann  aöa'vctxov,  wie  Blaß  vorschlägt,  in  dOavaxwv 
verwandeln.  Kann  aber  nicht  A/st'p^  oder  Äxsipijs  auch  Eigenname 
sein?  Mit  V.  19  f.  beginnt  die  Ausführung  von  V.  15  f.  oaaaxtc  xxX.; 
da  V.  20  die  zweite  Person,  dem  Vorhergehenden  entsprechend,  ge- 
braucht ist,  kann  in  den  folgenden  Versen  nicht  unvermittelt  die 
dritte  Person  eintreten,  eine  Vermittlung  aber  ist  nicht  vorhanden; 
daher  ist  V.  23  etfxa?  zu  schreiben  und  die  Korrektur  8*  aoxs  für 
8'  atcs  als  richtig  anzusehen,  während  die  Ergänzungen  in  der  dritten 
Person  V.  26,  27  und  31  unhaltbar  sind.  V.  20  schreibt  Blaß 
eoö'j?  Ev8et£a?  xxX. ;  dabei  vermisse  ich  aber  den  Hinweis  auf  den 
Sieg  und  möchte  daher  irafpcpa-rrjC  osT;ac  lesen  (vgl.  Aesch.  Ag.  1648 
ira^xparr,?  <poveoc).  Am  Schlüsse  des  Verses  ist  mit  Lud  wich  u.a. 
der  Kesponsion  wegen  oppav  ta/stav  umzustellen.  V.  23  f.  i6t  eßps;ac 
(oder  oiava?)  6'  orixe  .  .  .  U  syxpoxov  xxX.  zu  lesen  und  daran 
xsxpoteXixxov  ItzzX  xdjA«}a?  op6jiov  anzuschließen;  denn  mit  oatXoc  kann 
nur  die  Menge  der  eben  erwähnten  Zuschauer  gemeint  sein,  die  ihn 
nach  Beendigung  des  fc-to;  8po,uo;  mit  lautem  Beifall  aufnahm.  Die 
Folge  drücken  V.  26  f.  'la^jjiiovtxotv  xxX.  aus;  V.  27  ergänze  ich  Sic 
vov  erprapoeav  sußo-jXtuv  a'  a7«>vapxav  rcpo'fdxat;  vuv  folgernd  wie  18,  8, 
jedoch  liegt  auch  Xry*  nahe.  V.  31  ist  Öexxo  067'  xxX.  der  Ergänzung 
von  vuv  vorzuziehen.  Zu  V.  35  f.  vgl.  Solon  13,  43  f.  In  V.  42 
hat  Blaß  in  der  dritten  Auflage  seine  schon  in  der  ersten  Auflage 
gemachte  schöne  Verbesserung  im  rcaat  (st.  zaia()  mit  Recht  wieder- 


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Jahresbericht  über  die  griechischen  Lyriker.  (Sitzler.)  219 

hergestellt;  dagegen  hätte  er  V.  46  das  Überlieferte  dxptxouc,  das 
Wilamowitz  und  Herwerden  richtig  erklären:  „die  Zukunft 
bringt  Ausgänge,  hinsichtlich  deren  noch  nicht  entschieden  ist,  wie 
das  Schicksal  ausschlagen  wird",  nicht  in  dxpixoic  ändern  sollen;  denn 
die  Zukunft  ist  für  alle,  nicht  bloß  für  die  dxpixoi  unsicher. 

Epin.  X  (XI),  31  ist  im  Papyros  verloren  gegangen.  Blaß 
schlägt  als  Ergänzung  dvxnrdXto  86'  iirei  vor,  weder  den  Worten  noch 
dem  Zusammenhang  nach  glücklich;  auch  Festas  oo  xi  5oXo<ppoauva 
genügt  nicht.  Man  erwartet  eine  Überleitung  von  V.  26  f.  owa? 
xeXeuöov  ei  fwfi  xt?  d^xpairev  4pDa?  zu  V.  84  f.  dXX'  rt  öeoc  xxX. 
Palm  er  vermutete  dXXa  xux<x  «pftovepd;  aber  dXXi  (vgl.  V.  84)  und 
die  Einführung  der  xu^r,  stört;  die  Kampfrichter  mußten  gegen  den 
Verdacht  absichtlicher  Ungerechtigkeit  in  Schutz  genommen  werden; 
ich  lese  also  oo  Ii  86avoia  oder  oo8e  vooo  xocxoxa?;  auch  an  ou8e* 
•ys  vouc  <pdov«po;  kann  man  denken;  mit  irotxiXat  xiyyaa.  werden  die 
schlechten  Mittel  bezeichnet,  die  einen  um  die  Ehre  des  Sieges 
bringen  können,  während  mit  iv  ytoovl  xaXXi^opq)  Olympia  angedeutet 
wird.  V.  52  bietet  die  Hs.  eüpußia,  woran  die  meisten  Gelehrten 
festhalten,  und  daß  dies  Epitheton  mit  itXouxq>  verbunden  werden 
kann,  zeigt  Pind.  P.  V,  1  und  Bakch.  XV,  31;  aber  an  unserer 
Stelle  vermißt  man  kein  Attribut  zu  irXouxq>,  und  die  von  diesem 
Substantiv  weitentfernte  Stellung  des  Attributs  hinter  Aibs  spricht 
entschieden  für  supußfa  und  Verbindung  mit  Aio;.  V.  77  ist  aus 
metrischen  Gründen  mit  Platt  xduov  in  xduovx'  zu  ändern :  so  findet 
sich  das  Medium  auch  bei  Späteren,  offenbar  in  Nachahmung  früheren 
Gebrauches.  V.  98  änderte  Kenyon  das  überlieferte  ^X6xxa£ov  in 
TjXuxxaCov,  und  so  schrieb  Blaß,  nur  daß  er  ohne  Not  das  Augment 
wegließ;  in  der  dritten  Auflage  korrigiert  er  dXuaxaCov,  mit  Recht, 
wie  ich  glaube;  denn  es  handelt  sich  hier  darum,  daß  sie  den  Be- 
mühungen ihres  Vaters,  sie  wieder  nach  Hause  zurückzuführen, 
immer  auswichen  und  zu  entgehen  wußten,  wie  die  folgenden  Verse 
zeigen;  jedoch  sehe  ich  keinen  Grund,  das  Augment  zu  beseitigen. 
V.  114  schiebt  Jebb  vor  imroxp^ov  die  Präpos.  U  ein  und  ver- 
mutet itfaiop  st.  7r«5Xtv,  um  das  Versmaß  herzustellen.  Aus  dem- 
selben Grunde  schreibt  L u d w i c h  r.6hvo\  das  Blaß  in  der  zweiten 
Auflage  „dubitanter"  aufnahm;  jetzt  liest  er  tc^Xtv  x\  dem  dXuo?  xe 
V.  118  entsprechend,  indem  er  V.  115  f.  auv  54  xxX.  als  Parenthese 
faßt.  Dies  geht  aber  nicht  an,  da  iaiteo  erst  in  tu  ypuaia  Siairoivct 
Xa&v  seine  Erklärung  findet,  der  Satz  auv  54  xxX.  also  aufs  engste 
mit  dem  vorhergehenden  verbunden  ist,  und  auch  ohne  dies  ist  die 
Verbindung  der  zwei  Satzglieder  durch  zi  .  .  .  xe  hier  wenig  passend  • 


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220         Jahresbericht  über  die  griechischen  Lyriker.  (Sitzler.) 


Ich  halte  iroXtv  für  verschrieben;  Ho  asm  an  und  Hense  schlagen 
7roiov  vor,  ich  vojaoiv  ;  das  allgemeine  iz  iTcitoxp^cpov  vojjuäv  wird  durch 
das  unmittelbar  folgende  Mexairovriov  bestimmt.  Einen  Fehler  zeigt 
die  Überlieferung  auch  in  V.  119,  wo  zpo-j-ovoi  weder  dem  Metrum 
noch  dem  Sinne  nach  paßt ;  denn  die  den  Hain  weihten .  sind  doch 
dieselben  wie  die  vorher  genannten.  Das  Wort  ist  offenbar  aus 
einer  Erklärung  in  den  Satz  gekommen  und  hat  das  notwendige 
Verbum,  etwa  TraOjiaaavTo  (vgl.  Pind.  0.  X,  45),  verdrangt ;  rpo^vcov 
essauivtov,  wie  Wilamowitz  und  Blaß  verbessern,  heben  den 
metrischen  Fehler  nicht  und  belassen  das  anstößige  7rpoYovoi.  Der 
Kasas,  vielleicht  der  Kr/jo«  des  Suidas  s.  v.,  heißt  bei  Plin.  n.  h.  III, 
15,  3  Casuentus.  jetzt  Basiento  (vgl.  Di  eis  Hermes  XXXIII, 
S.  :J34f.).  Nach  Wald  stein,  unter  dessen  Leitung  das  argivische 
Heräum  ausgegraben  wurde,  war  dieses  weder  für  Mykenä  noch  für 
Argos  gebaut,  sondern  für  Tiryns  und  Midea;  es  war  der  älteste 
politische  und  religiöse  Mittelpunkt  des  argivischen  Landes,  wie  das 
Bakchylideische  Gedicht  beweist. 

Epin.  XI  (XII)  auf  Teisios  von  Ägina,  den  Sieger  im  Ring- 
kampf zu  Nemea,  ist  bis  auf  die  acht  ersten  Verse  verloren.  V.  6 
hat  der  Papyros  d^ap^81»  wozu  J  c  b  b  Anth.  Pal.  IX,  189  vergleicht: 
u|i[M  V  aTTccpcst  Zarcpu»  „Sappho  wird  euch  (beim  Tanze)  anführen". 
Offenbar  ist  cnrdpyei  verschrieben;  Crusius  und  Jebb  vermuten 
cnraipsi,  Jebb  außerdem  dtTcaiT&i,  was  beides  möglich  ist,  aber  die 
Korruptel  nicht  erklärt.  Ich  halte  dicaptof  für  das  ursprüngliche, 
von  äzapxdui  „entfernen,  wegführen1*,  von  Sachen  Demosth.  18,  59; 
intrans.  findet  es  sich  Thuk.  VI,  21;  häufiger  steht  so  das  Passiv. 
Die  seltene  trans.  Form  war  Ursache  der  Versehreibung.  Dein 
elften  Epin.  gehörte  meiner  Überzeugung  nach  auch  fr.  4  (Bergk) 
an,  wo  <oc  8'  a-a;  |  sfiteiv,  eppsva  xat  7roxtvav  (tö)  |  xlp5o*  dvDpcuJreuv 
ßtatat  zu  schreiben  ist.  den  V.  4 — 6  der  Strophe  bzw.  Antistrophe 
entsprechend.  Diese  Worte  in' -Verbindung  mit  der  Tatsache,  daß 
Äginete  in  dem  Gedicht  gefeiert  wurde,  lassen  auch  einen  Schluß 
auf  den  im  Epinikion  behandelten  Mythos  zu ;  es  waren  die  Ruhmes- 
taten Telamons  bei  der  Eroberung  Trojas  und  der  Bestrafung  des 
durch  Gewinnsucht  verblendeten  Laomedon  durch  Herakles;  an 
Laomedons  Unrecht  aus  Gewinnsucht  knüpfen  die  erhaltenen  Worte 
an.  Das  Gedicht  muß  also  ziemlich  umfangreich  gewesen  sein,  worauf 
auch  die  Art  der  Einleitung  hinweist. 

Epin.  XU  (XIII)  hat  am  Anfang  nach  Blaß'  wahrscheinlicher 
Berechnung  43  Verse  bis  auf  drei  kleiue  Trümmer  vollständig  ein- 
gebüßt.   V.  44  f.  gehören  einer  Hede  an,  in  der  ein  Augenzeuge 


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.Jahresbericht  über  die  griechischen  Lyriker.  (Sitzler.)  221 

Herakles'  Kampf  mit  dem  Ncineischen  Löwen  schildert  und  Weis- 
sagungen Uber  des  Helden  zukünftiges  Wirken  nnd  die  Einsetzung 
der  Nemeischen  Festspiele  daran  knüpft.    Nach  Blaß  und  Wila- 
mowitz  ist  die  Sprecherin  Nemea ;  ich  halte  dies  für  unwahrschein- 
lich, weil  Nemea,  die  am  Kampf  und  an  den  Spielen  persönlich  be- 
teiligt war,  gewiß  einen  Hinweis  darauf  nicht  unterlassen  hätte.  Eher 
kann  es  Athena,  die  Beschützerin  des  Herakles,  gewesen  sein,  an 
die  Jebb,  der  früher  eine  Weissagung  des  Teiresias  angenommen 
hatte,  auf  Grund  von  Vasenbildern  jetzt  denkt  (vgl.  Proceedings  of 
the  British  Academy  vol.  I  [1904]  29.  Juni).    Gewöhnlich  läßt  man 
die  Rede  mit  V.  57  (24)  enden.    Wäre  dies  richtig,  so  müßte  im 
folgenden  Vers  in  irgendeiner  Weise  darauf  hingewiesen  sein;  es 
kommt  noch  dazu,  daß  man  die  Festspiele  genauer  gekennzeichnet 
wünscht  und  zapa  ßwfxov  Aio?  dpiTzdpyw  ganz  unwillkürlich  mit  dem 
Vorhergehenden  verbindet  (vgl.  IX.  J9  f.).    Daher  ziehe  ich  die  Epode 
bis  V.  66  (33)  noch  zur  Rede,  deren  Ende  mit  V.  67  ttov  xoti  cro 
to/iov  xtX.  klar  bezeichnet  ist,  indem  der  Dichter,  an  die  Rede  an- 
knüpfend, zu  dem  Sieger  Pytheas  übergeht.    V.  58  ist  vor  irapd 
ßcou-iv  etwa  ct^vov  (vgL  IX,  29)  oder  xXstvov  zu  ergänzen  unter 
Tilgung  des  Punktes  nach  =3saJ)ai  und  V.  59/60  ctv  |  Spairoosiv,  Dat. 
Plur.  im  Anschluß  an  '  DAavscniv  von  dvaop^ra),  einem  zwar  erst 
bei  Späteren  belegten,  aber  auch  für  die  ältere  Zeit  unbedenklichen 
Kompositum  von  op«iro>;  die  Ergänzung  von  Blaß  dvöpa»rot5iv  ist 
metrisch  zweifelhaft.    So  erhält  man  die  notwendige  Bestimmung  zu 
dem  sonst  alleinstehenden  'KXXdvssitv:  „für  die  Griechen,  die  am 
Altar  des  Zeus  des  hochehrenden  Sieges  Blumen  pflücken  wollen", 
und  daran  schließt  sich  dann  das  folgende ,  die  hohe  Ehrung  des 
Siegers  darlegend.    V.  61  ergänze  ich  ta  xXotav  und  mit  Jebb  h 
atövi,  dem  die  Worte  xal  oxav  Havatoto  xtX.  gegenüberstehen;  aber 
am  Anfang  des  V.  63  gefällt  mir  o?ot(v)  besser  als  *k(,  und  s  und  <s 
6ehen  sich  im  Pap.  sehr  ähnlich.    V.  69  ist  7:avi>aXs«>v  dorisch  — 
iravfbjXetov  (vgl.  Anth.  P.  IX.  182,  6);  der  Vers  stimmt  also  metrisch 
mit  den  anderen  ihm  entsprechenden  überein.    V.  71  schreibt  jetzt 
Blaß  fsosi?,  nachdem  er  in  der  zweiten  Auflage  a-^si?,  in  der 
ersten  Auflage  voatsT?  ergänzt  hatte:  das  letzte  scheint  mir  das 
wahrscheinlichste,  weil  die  V.  67  f.  dazu  am  besten  stimmen;  jedoch 
ziehe  ich  die  Ergänzung  von  Schwartz  r^Xbec  vor.    Von  diesem 
Verbum  hängt  der  Akkus.  -oXiv  04.  ab ;  es  ist  daher  in  den  folgenden 
Versen  ein  Verbum  zu  ergänzen,  von  dem  der  Akkus,  izzxpyav  vaaov 
abhängt;  denn  diesen  zu  cpaiveov  zu  ziehen,  ergibt  eine  unklare  und 
unnatürliche  Konstruktion,  da  man  dann  o-spßtov  prädikativ  zu  v*3ov 


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222 


Jahresbericht  über  die  griechischen  Lyriker.  (Sitzler.) 


und  It/6v  als  Akk.  der  Beziehung  zu  u^pßtov  fassen  muß,  während 
doch  sprachlich  die  Verbindung  uirlpßiov  layw  am  nächsten  liegt, 
und  auch  sachlich  der  Hinweis  auf  des  Pankratiasten  überlegene 
Körperkraft  viel  naturgemäßer  ist.    Es  wird  also  am  Anfang  des 
V.  72,  wo  Blaß  AfaxoG  liest,  ein  Partie,  wie  mpirXIcov  ausgefallen 
sein;  auch  an  {Aeqvutov  könnte  man  denken,  wenn  man  V.  73  otjXcov 
l>m  t'  dsp3iv6u>v  x.  liest,  ctsp  mit  Synizesis.    Das  Adj.  dspatv4o>v  hat 
Blaß  gut  ergänzt,  und  ebenso  stimme  ich  ihm  V.  76  ratjijia/t'av  dva 
bei,  worauf  der  Akzent  der  Iis.  hindeutet;  andere  lesen  irafipa/iav. 
V.  82  schreibt  Blaß  *njX.e  «patvoiv:  da  aber  in  allen  entsprechenden 
Versen  die  betreffenden  Silben  lang  sind,  so  ist  tr^s  bedenklich. 
Besser  ist  Kenyons  dXxdv;  doch  erscheint  mir  auch  dieses  nach 
tijidv  entbehrlich  und  eher  Xapicpa'v  im  Anschluß  an  tijw'v  am  Platze : 
„die  er  überall  helleuchtend  wie  ein  Feuerzeichen  den  H.  erscheinen 
läßtu.    Wie  Blaß  jetzt  die  V.  83  f.  auffaßt,  wird  nicht  ganz  klar. 
Die  Deutung  der  V.  84  erwähnten  x6pct  als  Athene  hat  er  mit  Recht 
aufgegeben;  dagegen  muß  man  aus  seinen  Worten:  „reliqua  supplevi 
sec.  Pausan.  II,  30,  3  usw.u  schließen,  daß  er  jetzt  unter  der  x<5pa 
die  Artemis- Aphaia  versteht  und  daher  V.  85  aTsfyoos'  «vi  %xk. 
schreibt  und  V.  90  an  der  Ergänzung  NtSpcpatc  festhält.  Dagegen 
spricht  aber  einmal  die  Bezeichnung  ti?  o^auxV  x6pa,  dann  aber 
besonders  die  Vergleichung  mit  vsßp&c  ditevdrjc,  die  doch  kaum  einer 
Göttin  gelten  kann.    Es  ist  hier  die  Rede  von  einer  Tochter  des 
Landes,  die  sich  mit  ihren  Gespielinnen  auf  den  blumigen  Gefilden 
vergnügt  unter  Lobpreisung  der  Ägina  und  Endais,  der  Göttin  und 
der  Königin,  wie  es  den  Mädchen  geziemt.    Daher  ist  V.  85  am 
Anfang  ein  Attribut  zu  roSoeaon  zu  ergänzen,  wie  xaXot;,  Xsoxot?  und 
V.  90  Kenyons  Vorschlag  df<xx\zixxXs  eratpai?  beizubehalten.  V.  97 
kann  man  zu  Palmers  und  Jebbs  Ergänzung  £tixtev  n^Xia  den 
V.  64  vergleichen;  sicherer  wird  man  aber  mit  Rücksicht  auf  die 
Metrik  etixte  schreiben,  vorausgesetzt,  daß  die  Ergänzung  überhaupt 
richtig  ist.    Im  folgenden  Verse  schlägt  Schwartz  passend  ßiotdv 
vor,  und  im  nächsten  Vers  ist  gewiß  lv  eüva  besser  als  Blaß'  ivTjet. 
V.  100  wurde  von  Jebb  zwischen  tu>v  und  uias,  wie  Christ  das 
überlieferte  oUa?  richtig  verbesserte,  ö'  eingeschoben,  um  auch  diese 
Verse  noch  von  fx£X.iroo3t  abhängen  zu  lassen ;  Blaß  nahm  dies  auf 
und  schrieb  daher  V.  103  ßoatdv.   Aber  die  Mädcheu  besingen,  wie 
schon  gesagt,  nur  Ägina  und  Endais ;  die  Verherrlichung  des  Achilleus 
und  Aias  ist  das  Thema  des  Dichters,  wie  ja  das  Folgende  zeigt. 
Ich  halte  daher  mit  Housman  u.  a.  V.  103  ßodora»  für  richtig,  auf 
das  auch  der  Pap.,  der  kein  0'  hat,  hinweist  ;  ein  weiteres  Attribut 


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Jahresbericht  über  die  griechischen  Lyriker.  (Sitzler.)  22tt 

braucht  man  hier  nicht.  V.  112  f.  ergänzt  Blaß  Tpcooi  ok  mtvt' 
sXuasv  alvd.  Dieser  Gebrauch  von  ctfva  ist  auffällig,  und  der  Gedanke 
nicht  richtig;  denn  von  allem  Schrecklichen  wurden  die  Trojaner 
nicht  erlöst.  Dies  gilt  auch  gegen  den  Vorschlag  Desrousseaux' 
AapoaviSa»  x*  sXosev  ata?.  Auf  richtigem  Wege  ist  Kai  bei,  der 
Aapoctvt'Sotic  t*  zk'jzz  va'pxav  vermutet;  nur  daß  unser  Dichter  va'pxr, 
kaum  gebraucht  haben  wird ;  in  gleichem  Sinne  ergänzt  J  e  b  b  AapSa- 
vtoav  x'  IX.  dXxav.  Ich  ziehe  Accp8avt8av  x'  IXussv  'Äpsa  vor:  „ent- 
fesselte den  Kampf  der  D.tt,  wie  das  Folgende  zeigt.  Die  V.  124  f. 
paraphrasieren  Horn.  0  624  f.,  wie  Schwartz  bemerkt.  Gut  ist 
V.  128  die  Ergänzung  dvaxsMo^va? ,  mit  vuxtö?  zu  verbinden,  die 
auch  Schwartz  vorschlägt,  und  die  Interpungierung  hinter  ttovtov 
V.  129;  oOpfe  (V.  130)  gehört  zu  ttvo*.  Aber  Blaß*  Vermutung 
oopwu  nvootf  halte  ich  für  verfehlt;  denn  sie  bedingt  einen  harten 
Subjektswechsel  und  verkennt  die  Tätigkeit  der  Schiffer,  die  erst 
nach  dem  Sturme  die  Segel  wieder  aufziehen,  damit  sie  der  günstige 
Wind  schwellen  kann.  V.  155  f.  schreibt  Blaß  jetzt  irr^a  jjif' 
rpiMoiz  AgsTav  laoMtov  8t'  opjxav  mit  Jebb,  während  er  früher, 
metrisch  weniger  sicher,  ßapeiav  vorschlug ;  er  bemerkt  dazu :  „nempc 
Achillis  et  Agamemnonis",  gewiß  unrichtig,  da  man  doch  nach  dem 
Vorausgehenden  und  Folgenden  bei  faoÖlwv  8t'  6pu.av  nur  an  den 
siegreichen  Hektor  und  die  Seinen  denken  kann.  Aber  auch  die 
appositive  Anknüpfung  ist  hier  nicht  am  Platze,  ja  geradezu  unmöglich, 
da  so  die  Worte  l'ii*v  teoDsrov  8i'  6p;xav  überflüssig  werden.  Passender 
ergänzt  Schwartz  fjV  pif*  r4;nÖ£oi3iv  -£vl>o?  toot).  xxX.,  der  auch 
die  Wiederherstellung  der  folgenden  ganz  lückenhaft  überlieferten 
Verse  versucht.  V.  158  hätte  Blaß  mit  Jurenka  und  Lud  wich 
irvsiovxe?  st.  ttv^ovxs?  schreiben  sollen,  da  in  allen  entsprechenden 
Versen,  soweit  sie  erhalten  sind,  die  erste  Silbe  lang  ist. 

Epin.  XIII  (XIV),  3  ist  £<jö)>6v  x'  mit  Jebb  zu  lesen,  da  ov, 
wie  die  Gegenstrophe  zeigt,  lang  sein  muß.  V.  5  hat  die  erste  Hand 
geschrieben  .  .  .  ovrjSr^^tttavr, ;  der  Korrektor  tilgte  tjStj  und  schrieb 
darüber  xett,  und  in  der  Tat  kann  rfirif  wie  das  Versmaß  zeigt,  an 
dieser  Stelle  nicht  richtig  sein.  Blaß  glaubt,  es  stecke  rfii  darin 
and  liest  rt  xoSpov  rfi'  6.  gegen  das  Metrum;  andere  ersetzen  es 
durch  IV.  Richtiger  vermutet  Sch  wartz  r(  töv  xaxhv  6. ;  nur  bleibt 
so  yjSt)  unerklärt,  und  auch  rt  am  Anfang  ist  wenig  passend.  Meiner 
Meinung  nach  ist  rfa  durch  Umstellung,  die  ja  in  dem  Pap.  nicht 
gerade  selten  ist.  an  seine  jetzige  Stellung  gekommen;  ursprünglich 
hieß  es  wohl  x^or,  xaxov  u'J/i'fav?,  xsOUv  x.;  xso/ei  fanden  Blaß  u.  a. 
V.  10  schreibt  Blaß  jetzt  mit  Headlam  zl  xa,  in  der  zweiten 


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224         Jahresbericht  über  die  griechischen  Lyriker.  (Sitzler.) 


Auflage  hatte  er  a  ra:  richtiger  ist  vielleicht  o;  ta,  wie  Wilamo- 
witz  und  E.  Bruhn  vorschlugen. 

Dith.  XIV  (XV)  ist  am  Anfang  hoffnungslos  verstümmelt.  In 
diese  Lücke  gehört  nach  Blaß  fr.  9  K  e  n  y  o  n ;  ob  dies  aber  gerade 
den  Schluß  des  zweiten  Verses  der  zweiten  Strophe  bildete,  muß 
dahin  gestellt  bleiben.  Vermutungsweise  spricht  Blaß  auch  fr.  22 
Kenyon  und  fr.  59  B e r g k  unserem  Gedicht  zu.  Dem  fr.  26 
B  e  r  g  k ,  das  Hill  auf  Grund  des  Versmaßes  mit  Recht  dem  Dithy- 
rambus zugesprochen  hat,  obwohl  Schwartz  die  Zugehörigkeit  in 
Abrede  stellt,  weist  Blaß  seine  Stelle  in  der  zweiten  Antistrophe 
V.  2 — 3  zu,  was  bei  dem  trümmerhaften  Zustand  des  Gedichtes 
ebenfalls  unsicher  ist.  V.  38  ändert  Blaß  die  Überlieferung  <sa- 
jaouvsv  ohne  Grund  in  aduav2v;  wir  haben  hier  eine  Schilderung  wie 
oqov  und  doXXtCov  dartun.  V.  50 — 56  ist  fr.  29  Bergk,  mit  den  Ab- 
weichungen V.  54  fii'xav  tösiav  (st.  6atav)  und  V.  56  aipeGvtai  (st. 
sOpovTSf).  Crusius,  Blaß  und  die  meisten  Gelehrten  halten  das 
Gedicht  für  vollständig;  der  Dichter  habe  einen  kleinen  Abschnitt 
aus  der  Sage  herausgegriffen  und  als  Bild  für  sich  dargestellt.  Dann 
sollte  man  aber  doch  meinen,  daß  er  alles,  was  zu  diesem  Bild  nicht 
paßt,  weggelassen  hätte;  Worte,  wie  V.  47  VloDao,  TiV  ~pwxo?  X67CUV 
dp^ev  otxauov,  fordern  eine  entsprechende  Gestaltung  des  Folgenden, 
was  in  unserem  Gedichte  nicht  geschieht.  Ich  halte  es  also  mit 
Wilamowitz  und  Tb.  Reinach  für  unvollständig. 

Dith.  XV  (XVI)  ist  ebenfalls  in  den  ersten  Versen  verstümmelt. 
Blaß  ergänzt  UufKoo  d-f  otjx\  indem  er  zu  otfio*  Pind.  0.  IX,  47 
vergleicht.  Was  der  Dichter  in  diesen  ersten  Versen  sagte,  wird 
aus  e-si  «Xxa'8'  sttsja^v  xtX..  aus  21V  dp'  £V  x-X.  und  aus  fx^j  rair^ovtuv 
xtX.  klar;  der  Dichter,  der  Lieder  auf  Apollon  hat.  ruft  den  in  der 
Ferne  weilenden  Gott  herbei,  um  sie  entgegenzunehmen.  Dazu  stimmt 
auch  V.  13  f.  rcpi'v  7*  xUoasv;  bis  zum  Erscheinen  des  Gottes  will  er  ein 
anderes  Lied  singen.  Dementsprechend  vermute  ich  rioÖtou  dvax-', 
IkeX  .  .  .  Gjavüiv,  attsu>  (oder  dvtopai,  oqxaXsto),  *tr'  dp'  £tt'  dv&Sfiosiösi 
"Eßpm  I  xo;ü)  cqfdXXeTai  .  .  .  xuxv<p  ,  ßoa  dosta  (vgl.  Aristoph.  Av.  772  f.) 
.  .  .  xspTTojisvo? •  epsp'  o^tu?  oTxao'  Txiq  xtX.  V.  5  ist  dvD'jiOcVti  "Kßp'p 
verschrieben;  der  Hiatus  wird  durch  dvOsfj.0 218 2t  gehoben;  21  ist  kurz, 
und  in  der  Antistrophe  entschuldigt  der  Eigenname  K^vaup  die  un- 
regelmäßige Länge.  0.  M  e  i  s  e  r ,  Mythologische  Untersuchungen  zu 
B.  Diss.  München  1904,  schlägt  dvOsjioevTt  Srpofißip  vor,  Sxpojißo? 
als  alter  Name  für  'Eßpo?.  Blaß  fügt  gegen  das  Metrum  nach 
dvll*ji02v:t  das  Wörtchen  iroo  ein.  V.  6  ergänzt  Blaß  od'f va,  dem 
ich  to£(u  vorziehe;  Jagd  und  Gesang,  Bogen  und  Singschwan  sind 


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Jahresbericht  über  die  griechischen  Lyriker.  (Sitzler.)  225 


die  Freude  des  Gottes.  Daher  kann  ich  auch  V.  7  Blaß'  o<pp'  äv 
nicht  billigen  und  ebensowenig  V.  8  fort  IIud6<x$\  was  dem  Versmaß 
der  Antistrophe  nicht  entspricht.  Nach  Y.  10  ist  starker  zu  inter- 
pungieren;  denn  wie  der  Aorist  xeXa&ijaav  zeigt,  sind  die  Worte 
xoaa  x°P°^  XT^>  kausal  zu  dem  Vorangehenden:  so  laut  riefen  dich 
ja  die  Chöre  zu  deinem  Tempel.  Blaß  faßt  x6oa  Relativ  mit 
Hinweis  auf  I,  147.  V.  13  ist  Blaß  jetzt  zur  überlieferten  Lesart 
xXeojiev  und  zur  Erklärung  Jurenkas  zurückgekehrt.  V.  20  fügte 
er  aber  nach  ißpijiooepxeT  unnötigerweise  7'  ein;  eine  kurze  Silbe 
ist  hier  unanstößig  und  überdies  auch,  wie  J  u  r  e  n  k  a  bemerkt,  V.  8 
in  7tau]6va>v  möglich.  Das  Gedicht  zeigt  rhapsodenhaften  Charakter, 
braucht  aber  nicht  mit  Wilamowitz  und  Th.  Reinach  für  un- 
vollständig gehalten  zu  werden;  jedenfalls  liegen  keine  inneren  Be- 
weise dafür  vor  wie  beim  vorhergehenden.  Dies  ist  auch  die  Ansicht 
M  e  i  s  e  r  b  a.  a.  0.,  der  außerdem  noch  über  die  Verteilung  des  Fest- 
jahres zu  Delphi  zwischen  Apollon  und  Dionysos  ausführlich  spricht. 

Dith.  XVI  (XVII),  10  schreibt  Blaß  jetzt  d-pot  $<opa;  dies 
kann  an  sich  ohne  Zweifel  von  den  Gaben  der  Kypris  gesagt  werden, 
aber  gewiß  nicht  in  unserem  Fall,  wo  sie  das  Gegenteil  von  tifvd 
sind;  ich  halte  daher  an  Kenyons  alvd  fest,  das  auch  Homer  von 
heftigen  Leidenschaften  gebraucht,  die  einen  mit  unwiderstehlicher 
Macht  erfassen  (vgl.  V.  11  f.).  V.  14  f.  schlägt  Schwartz  xaXxoapea 
vor  (st.  xaXxofcopaxa),  um  die  Responsion  mit  37  f.  herzustellen ;  es 
scheint  aber  an  letzterer  Stelle  eine  Verderbnis  vorzuliegen.  Die 
V.  28  f.  teilt  Blaß  in  der  neuen  Auflage  nach  tl  und  xe'xev ;  aber 
die  Trennung  von  e?  xal  ist  hart,  jedenfalls  ist  es  sicherer,  hier 
sowohl  wie  V.  5  f.  die  überlieferte  Abteilung  der  Verse  beizubehalten. 
Überdies  verlangt  der  Sinn  nach  jujxtv  eine  stärkere  Interpunktion 
und  nach  cp^ptatov  eine  schwächere,  da  si  xou  und  dXXd  xdjii  einander 
entgegenstehen.  V.  37  f.,  verglichen  mit  den  entsprechenden  Versen, 
sind  um  eine  Silbe  zu  kurz;  daher  vermutet  Lud  wich  xaXufxn'  aSu ; 
richtiger  ist  wohl,  in  xaXufA^a  eine  Verschreibung  aus  xaXuirrijpa  zu 
sehen.  V.  39  ändert  Blaß  die  Überlieferung  Kvcoauov  ohne  Grund 
in  Kv<6aie;  Kvtoauuv.  mit  Synizesis  gelesen,  entspricht  den  V.  16, 
82  und  105.  V.  43  ist  ind  ziemlich  sicher  mit  Herwerden  in 
«V  tl  zu  verbessern.  V.  47  billigt  Blaß  Wackernagels  Er- 
klärung von  ip^TotXH-oc  =  «ip^atxjioc  =  dpeax6{j,svo?  -rfi  afyrMli 
Wackernagel  vergleicht  &p£oav5po?  und  hätte  auch  noch  'Ape'aiiniof 
beifügen  können ;  zum  Übergang  von  a  in  t  verweist  er  auf  ßamctvetpa, 
was  offenbar  nicht  paßt,  da  hier  x  nicht  aus  a  entstanden  ist.  Man 
wird  also  bei  der  Ableitung  aus  dptxr^  und  aty^  stehen  bleiben 

J.kTMb«richt  für  AltertumswiMentchaft.   Bd.  CXXX1II.  (1907.   I.)  15 


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226         Jahresbericht  über  die  griechischen  Lyriker.  (Sitzler.) 

müssen.  V.  62  und  63  hat  Blaß  der  Responsion  wegen  umgestellt, 
indem  er  vor  ßadetac  <5tX<k  noch  ix  einfügte;  so  erhalten  sowohl 
x<5dfiov  wie  wxxpoc  4c  86poo;  ihre  richtige  Stellung.  V.  67  liest 
Blaß  im  Pap.  a|ieircov  und  schreibt  daher  mit  Her  werden 
o|i£}nrcov  „probatum  sibitt;  bezeichnender  für  Minos'  Gebet  ist  aber 
fltjietpov,  wie  K  e  n  y  o  n  las.  Im  folgenden  Vers  verstößt  Mfvuu  gegen 
das  Metrum,  das  einen  Kretikus  erfordert;  Wilamowitz  gewinnt 
ihn  durch  die  bedenkliche  Messung  -  ~  -.  Ich  halte  Mtvtot  für  ein 
Glossem,  das  die  ursprüngliche  Lesart  verdrängt  hat,  etwa  oi  rax^p. 
Ben  folgenden  Dat.  <piXq>  roxtöt  änderte  Housman  gut  in  <pi'Xov 
ratio«;  Blaß  folgt  ihm.  V.  71  f.  und  entsprechend  94 f.  teilt  Blaß 
in  der  dritten  Auflage  anders  ab,  meiner  Meinung  nach  ohne  Not; 
auch  stimmt  so  V.  72  nicht  mit  95  überein,  trotz  der  Änderung  von 
Xeipot?  in  X^poc?.  Die  Überlieferung  läßt  sich  festhalten,  wenn  man 
V.  72  mit  Wilamowitz  u.  a.  XeVa^  i^xotaoe  in  ir£caae  Xe*-Pa? 
ändert  und  V.  95  mit  5a  aufhören  läßt,  so  daß  xpo  yiov  in  den 
nächsten  Yers  kommt.  Die  V.  74  f.  sind  um  eine  Silbe  zu  kurz ; 
Blaß  schreibt  daher  mit  Richards  (x&v  |  sßXerec;  in  diesem  Fall 
erwartet  man  aber  den  Aorist  st.  des  Iraperf.,  das  sonst  zum  Hinweis 
auf  gerade  Geschehenes  nicht  gebraucht  wird.  Auch  Jebbs  Ein- 
schiebung  von  ot>  vor  xa8e  ist  wegen  des  folgenden  <jt>  8'  wenig 
wahrscheinlich.  Demnach  muß  man  entweder  mit  Platt  xaT  ifxd  | 
pfcv  oder,  was  mir  besser  gefällt,  jifcv  |  oo  ß)ii:etc  mit  Fragezeichen 
hinter  8Spa  lesen.  V.  86  erkennt  Blaß  im  Pap.  sichere  Spuren 
des  <p;  tot<pev,  wie  Pearson  u.  a.  vermuteten,  steht  also  fest.  V.  87  f. 
nimmt  Blaß  mit  Hinweis  auf  Pollux  I,  82  §xot7<$vTopov  ayfiv  auf; 
denn  „remis  navis  cohibenda  erat  ;  hinc  epitheton" ,  eine  leichte 
Änderung,  die  einen  besseren  Sinn  ergibt  als  die  Überlieferung  xax' 
oopov  faxetv,  die  indes  auch  möglich  ist.  V.  93  fehlt  eine  Silbe; 
daher  hat  Weil  fa?,  Ken  von  besser  -av  vor  flvoc  eingeschoben; 
aber  Äöavauov  i^Mwv  irav  yivos  ist  von  den  14  jungen  Leuten  doch 
auffällig  gesagt,  und  auch  die  Konstruktion  xpiaaav  .  .  .  fivoc  ist 
bei  Bakchylides  ungewöhnlich.  Ich  glaube,  daß  infolge  des  Ausfalles 
nach  rfibitov  auch  f£voc  entstellt  ist,  und  lese  rtibiwv  8£st  cpplvec, 
8£ei  mit  Synizesis  (vgl.  124  f.)  Das  Adj.  Xstpio;  V.  94  bezieht 
L  e  e  u  w  e  n  mit  Recht  auf  den  Glanz  und  Schimmer  der  jugendlichen 
Augen :  „qui  nativo  fulgore  splendere  solebant  oculi ,  dolore  iam 
lacrimisque  offuscabantur".  Y.  100  haben  Housman  u.  a.  gut  um- 
gestellt: {ji^aplv  xe  Östuv  ji^Xev  und  ebenso  Richards  u.  a.  V.  102 
söeia'  iXßtoio  Nrj-p^o?  x4pac.  V.  105  hat  der  Pap.,  wie  Blaß  sah, 
uuxe,  d.  h.  <J»xe,  nicht  &<rce,  wie  Ken  von  las,  und  107  Siv^vxo,  was 


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Jahresbericht  über  die  griechischen  Lyriker.  (Sitzler.)  227 

Blaß  richtig  in  Swjvto  korrigierte  von  äol.  ötvTjfu:  „wanden  sich", 
malerischer  als  „waren  gewunden";  aber  V.  108  hätte  er  Kenrons 
UYpotoi  iroajtv  nicht  zurückweisen  sollen,  da  h  in  dem  überlieferten 
ÖYpotoiv  Iv  7ro3tv  offenbar  Dittographie  ist.  V.  110  verstößt  die 
Überlieferung  aefxvdv  ßo&iuv  gegen  das  Versmaß ;  ich  sehe  in  aejtvav 
eine  Erklärung  zu  ßotoirtv,  die  das  ursprüngliche  Ösav  verdrängte. 
Unerklärt  ist  bis  jetzt  noch  V.  112  «{KpeßaXXev  äi"6va  rcop<pupsav. 
Ich  nehme  eine  Verschreibung  aus  du.<p£ßaXe  Xatdv  r.  oder  Xaiov 
7rop<p6psov  bzw.  Xäov  aXir<5p<pupov  an,  das  letztere  weniger  wahr- 
scheinlich, weil  in  den  entsprechenden  Versen  die  Länge  nicht  auf- 
gelöst ist.  Zu  Xawt  und  Xaiov  vgl.  Suidas  s.  v.  Xata  und  Xrjiov;  das 
Wort  ist  verwandt  mit  X^oo?,  dor.  Xötöo?,  XtqSiov  usw.  Das  Anfangs-X 
des  seltenen  Wortes  konnte  leicht'  zu  v  werden,  und  dann  lag 
äi6va  nahe.  V.  116  nimmt  Blaß  Weils  Upplvov  in  der  Form 
e?pjiivov  auf  st.  des  überlieferten  £p£jiv6v;  aber  so  entsteht  die  Auf- 
fassung, als  ob  der  Kranz  aus  Rosen  gewunden  gewesen  wäre,  während 
er  doch  golden  war,  dicht  mit  daran  befestigten  dunkeln  Rosen  be- 
setzt und  von  diesen  überschattet,  daher  p68ot?  epejivov.  Der  Dichter 
schildert  hier  einen  Kopfschmuck,  wie  wir  ihn  in  der  „prachtvollen 
Krone  von  Gold",  gefunden  auf  dem  Haupte  einer  der  drei  in  dem 
dritten  Grabe  zu  Mykenä  beigesetzten  Personen,  kennen  (rgl.  Schlie- 
mann, Mykenä,  S.  215,  Abb.  281.  Schuchhardt,  S.  214, 
Abb.  163). 

Dith.  XVII  (XVIII)  ist,  wie  man  jetzt  allgemein  annimmt,  ein 
Zwiegespräch  zwischen  Ägeus  und  dem  Chor  der  Athener  bzw.  einem 
der  Choreuten,  der  für  die  anderen  das  Wort  führt.  V.  28  will 
Blaß  hinter  atpupav  interpungieren,  so  daß  dieser  Akkus,  noch  von 
£<T/&v  abhängt;  zu  dem  folgenden  £££ßocXsv  ergänzt  er  ihn  und  hält 
Prokoptas  für  einen  Beinamen  des  Polypemon,  beide  dieselbe  Person 
bezeichnend.  Ist  schon  die  asyndetische  Nebeneinanderstellung  dieser 
zwei  nur  einen  Gedanken  enthaltenden  Sätze  unerträglich,  so  noch 
mehr  die  Bezeichnung  der  gleichen  Person  mit  zwei  verschiedenen 
Namen  unmittelbar  hintereinander  ohne  irgendeinen  sichtbaren  Grund. 
Am  besten  betrachtet  man  mit  Ovid  Ibis  409  Prokoptas  oder,  wie 
er  sonst  genannt  wird,  Prokrustes  als  Sohn  des  Polypemon,  der  den 
Hammer  von  seinem  Vater  erbte.  V.  35  ist  mit  W  e  i  1 ,  G  o  1  i  g  h  e  r  u.  a. 
Indooiv  st.  forXotaiv  zu  schreiben,  und  V.  39  mit  Platt  8?  to3outu>v, 
was  Blaß  jetzt  aufgenommen  hat.  V.  48  ergänzt  Desrousseaux  auf 
Grund  von  Ovid  met.  VU,  421  passend  IXecpavxoxomov.  V.  50  läßt 
sich  das  tiberlieferte  xt^jtoxtov,  das  Kenyon  in  xjjutuxov  änderte 
(vgl.  VUI,  4),  halten  (vgl.  V.  35),  wo  die  zweite  Silbe  auch  lang  ist. 

15* 


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228        Jahresbericht  über  die  griechischen  Lyriker.  (Sitzler.) 

Dith.  XVIII  (XIX),  9  hat  der  Pap.  xaivov,  and  ein  Grand  zur 
Änderung  liegt  nicht  vor;  das  Adj.  xaivoc  ist  durchaus  nicht  bloß 
attisch.  Der  Korrektor,  der  Uber  at  s  schrieb,  scheint  xXstvov  haben 
bessern  zu  wollen,  und  dies  nimmt  Blaß  auf.  Auch  V.  15  ist  xi 
j)v  sowohl  dem  Metrum  als  dem  Inhalt  nach  auffallend;  wenigsten» 
beginnt  der  entsprechende  V.  33  mit  einem  Trochäus,  und  eine 
passende  Bedeutung  von  xl  läßt  sich  nicht  gewinnen;  denn  x(  fjv 
ist  nicht  =  x(  e-ye'vrco.  Es  wurden  viele  Änderungsvorschläge  ge- 
macht; aber  alle,  welche  in  den  Worten  einen  Zusatz  zum  Vorher- 
gehenden finden,  sind  unwahrscheinlich.  Blaß  hält  *Äp*yoc  ^  «oft* 
8ö'  für  möglich,  was  ich  mit  Rücksicht  auf  die  Euphonie  nicht 
billigen  kann.  Besser  ist  Headlams  t,sv;  ob  aber  unser  Dichter 
^sv  gebrauchte?  Ich  glaube,  xi  fjv  ist  verschrieben  aus  = 
jie^tveo  —  fii|ivijao,  Fortführung  der  Anrede:  „gedenke  der  Zeit 
wo"  usw.  Von  V.  29  ab  fehlt  fast  überall  das  Ende  der  Verse, 
das  in  den  meisten  Fällen  nur  beispielshalber  ergänzt  werden  kann. 
V.  43  ist  die  richtige  Lesart  des  Pap.  \ivoax6ktuv,  nicht  atvocn&aiv,. 
wie  Kenyon  hat;  XtvcVroXoi  ist  Epitheton  der  Ägypter,  wie  Blaß 
bemerkt,  der  auf  Herod.  II,  37,  81,  Plut.  de  Is.  et  Osir.  3.  Kaibel 
epigr.  1028,  zum  Teil  nach  dem  Vorgang  Jurenkas  und  Jebbs, 
hinweist.  Weitere  Verse  scheinen  am  Schlüsse  des  Gedichtes  nicht 
zu  fehlen,  sondern  das  Gedicht  der  Verszahl  nach  vollständig: 
zu  sein. 

Dith.  XIX  (XX)  ist  nur  in  seinen  Anfangsversen  erhalten,  und 
auch  diese  sind  am  Ende  verstümmelt.  Der  Anfang  erinnert  an  den 
Hymenäos  bei  Aristophan.  av.  1727  f.;  ob  das  Gedicht  aber  ein 
Hymeuäos  war,  wie  C.  Robert  und  Pin  gel  annehmen,  muß  dahin 
gestellt  bleiben.  Aus  V.  3  toiävos  jiiXoc  kann  man  ziemlich  sicher 
schließen,  daß  Bakchylides  den  Inhalt  des  Liedes  angab.  Ich  halte 
es  aber  für  wahrscheinlich,  daß  er  dabei  nicht  stehen  blieb,  sondern 
auch  noch  auf  die  Taten  des  Idas  einging:  vgl.  fr.  61  Bergk,  das 
Blaß  mit  Recht  auf  unser  Gedicht  bezieht.  So  ist  das  Gedicht  mit 
Recht  unter  die  Dithyramben  eingereiht. 

Unter  XX  fügt  B 1  a  ß  ein  Fragment  an,  das  er  vermittels  fr.  41 
Bergk  ergänzt;  dazu  zieht  er  auch  fr.  18,  38  und  42.  In  dem. 
Dithyrambos,  dem  er  diese  Stücke  zuschreibt,  erkennt  er  das  von 
Porpbyrio  erwähnte  Vorbild  für  Ho  rat.  carm.  I,  15:  hac  ode  Bacchy- 
lidem  imitatur ;  nam  ut  ille  Cassandram  fecit  vaticinari  futura  belli 
Troiani,  ita  hic  Proteum,  und  vermutet  daher,  daß  er  die  Aufschrift 
KdaoavSpa  trug;  als  Inhalt  nimmt  er  die  Aufzählung  der  griechischen 
Truppen  und  Führer  an  wie  bei  Horaz. 


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Jahresbericht  über  die  griechischen  Lyriker.  (Sitzler.)  229 

Die  Zahl  der  bei  Bergk  abgedruckten  Fragmente  ist  mit 
der  Auffindung  des  Papyros  bedeutend  gemindert ;  von  den  Epinikien 
bleibt  keines  übrig  :  1  =  V,  50  f.,  2,  1—2  =  V,  160  f.,  6  =  V,  37  f., 

8  =  1,  76:  wpoa<p<6vei  xi  vtv;  lid  vfoaic  ist  aus  emvfitotc  entstellt, 

9  =  X,  1,  4  f.;  außerdem  hat  Blaß  7  zu  Epin.  I,  ich  4  zu  Epin.  XI 
gezogen;  10  bezieht  sich  auf  XVI,  38  f.,  5  ist  als  unglaublich  seinem 
Inhalt  nach  zurückzuweisen,  und  2,  3  und  3  gehören  nicht  zu  den 
Epinikien.  Von  den  Dithyramben  bezieht  sich  fr.  17  auf  XVI,  2, 
18  nach  Blaß  auf  XX.  Unter  den  aforjka  sfö>]  wurde  29  in  XIV, 
50  f.,  30  in  1,  159  (49)  f.  und  47  in  V,  26  gefunden;  ferner  weist 
Blaß,  dem  Vorgange  Hills  folgend,  35  dem  Epin.  XIV  zu;  46 
gehört  nach  ihm  zu  XII,  205;  38  und  42  zu  XX,  aus  dem  fr.  41 
stammt,  52  bezieht  sich  auf  XII,  58,  59  nach  Blaß  auf  XIV  und  61 
nach  demselben  auf  XIX. 

Fr.  10  enthält  ein  Zitat  des  Ammonios  aus  Didyraos'  Kommentar 
zu  Bakchylides  Epinikien,  nach  dem  manche  Alten  einen  Unterschied 
machten  zwischen  NyjpijiSec  und  Nr,plo>c  Oofax^ps?;  daß  ein  solcher 
zu  XVI,  38  und  102  nicht  stimme,  sondern  beide  Stellen  dieselben 
Personen  bezeichnen,  bemerkt  Nairn  mit  Recht.  —  Aus  fr.  16 
schließt  Blaß  auf  einen  Dithyrambos  des  Bakchylides  mit  dem  Titel 
Philoktetes;  dies  ist  wahrscheinlich.  Wenn  er  aber  auf  Grund  von 
fr.  32  einen  Dithyrambos  Laokoon  und  auf  Grund  von  fr.  56  einen 
Dithyrambos  Europe  annimmt,  so  übersieht  er,  daß  diese  Zeugnisse 
nicht  von  Dithyramben  sprechen  und  die  angeführten  Tatsachen  auch 
in  anderen  Gedichten  vorgekommen  sein  können.  E.  Schwartz 
stellt  den  Dithyrambos  Europe  entschieden  in  Abrede  unter  Hinweis 
auf  den  Ind.  Rostoch.  1890.  —  Fr.  27,  6  schreibt  Blaß  eöxTijievav 
itoXt'cov  xpaSs|xva  Xoaeiv,  weil  er  glaubt,  daß  Bakchylides  Xuei  mit 
langem  o  so  wenig  wie  Pindar  gebraucht  habe ;  aber  vgl.  Horn.  II.  23, 
513,  Od.  7,  74.  Jedenfalls  wird  so  die  Kraft  der  Rede  abgeschwächt, 
der  auch  am  Anfang  des  Verses  Kai b eis  auxixa  p&v  angemessener 
ist.  —  Fr.  81  schreibt  Blaß  des  Metrums  wegen  den  Dithyramben 
zu,  mit  Recht,  wie  ich  glaube ;  auch  seine  Lesart  <o  rcspfxXeixe  A5X\ 
d^vo^aetv  xxX.  unter  Verweisung  auf  fr.  57  ist  sehr  wahrscheinlich.  — 
Epigr.  49  spricht  Blaß  mit  Recht  dem  Bakchylides  ab;  es  ist  offenbar 
«in  epideiktisches  Epigramm.  —  Fr.  62  bezweifelt  Blaß:  „nisi 
alius  hic  est  Bacchylides" ;  dazu  liegt  angesichts  des  bestimmten 
Zeugnisses  bei  Bakchylides'  Verhalten  gegen  Mythologie  und  Lokal- 
sagen kein  Grund  vor.  —  Fr.  69  bringt  Blaß  mit  Recht  mit  dem 
ersten  Epinikion  in  Zusammenhang. 

Als  neue  Fragmente  werden  dem  Bakchylides  zugewiesen 


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230         Jahresbericht  über  die  griechischen  Lyriker.  (Sitzler.) 


von  Blaß  Adespota  86  B  and  das  bei  Bergk ,  p.  743 ,  ans  Gem. 
Alex,  paedag.  I,  154  angeführte  Fragment  apsxa  «ptp  xtX.;  mit  der 
Änderung  dpexÄ  8'  aiveupiva  8£v8peov  &c  dlSetat  paßt  es  zum  ersten 
Gedicht;  ferner  Plut.  de  mus.  17  nnd  Apnleius  de  magia  8,  wo  et 
Cins  (st.  civis)  zu  lesen  ist;  von  Headlam  Adesp.  97,  von  P.  Maas, 
Philol.  1904,  S.  808,  Oxyrhynchos  Pap.  III,  Nr.  426,  das  die  Heraus- 
geber und  Blaß  dem  Pindar  geben,  dessen  Kolometrie  aber  für 
unseren  Dichter  stimmt,  endlich  von  H.  Weil  die  drei  kurzen 
Fragmente  aus  Aristot.  rhet.  III,  8,  die  Bergk  als  Nr.  26  B  unter 
die  Fragmente  des  Simonides  einreihte. 

Die  Sprache  des  Bakchylides  untersuchen 

1.  H.  v.  Herwerden.    Mnemosyne  27,  S.  36  f. 

2.  J.  Schöne,  DedialectaBacchylidea.  Diss.  Leipzig; 
1899.    (Auch  in  Leipz.  Stud.  z.  klass.  Philol.  XIX,  S.  181  f.). 

3.  B.  Reynolds,  [Das  Digamma  bei  Bakchylides]. 
Proceedings  of  the  Amer.  Philol.  Association  1901,  S.  LV. 

4.  H.  Mrose,  De  syntaxi  Bacchylidea.   Diss.  Leipzig 
1902. 

Herwerden  spricht  über  Dialekt,  Position,  Synizesis  und  Tmesis, 
sowie  Digamma.  Darüber  handelt  auch  Schöne,  der  aber  seine 
Abhandlung  auch  auf  v  ^eXxoatix^v ,  Elision,  Hiatus  und  die  ganze 
sogenannte  Formenlehre  ausdehnt.  Die  Syntax  betrachtet  Mrose, 
um  zu  zeigen,  was  unser  Dichter  mit  Homer,  Pindar  und  den 
Tragikern  gemeinsam  und  was  er  eigenes  für  sich  hat;  jedoch  be- 
gnügt er  sich  mit  der  Sammlung  des  Bemerkenswertesten.  Im  Epi- 
logus  fügt  er  noch  bei,  was  Bakchylides  dem  epischen  Dialekt  und 
was  er  dem  Attischen  entnommen  hat,  und  in  der  Appendix  weist 
er  auf  die  Übereinstimmung  im  Wortgebrauch  mit  Homer,  Herodot 
und  den  Attikern  hin  und  stellt  die  nur  bei  Bakchylides  oder  etwa 
wieder  später  vorkommenden  Epitheta  zusammen. 

Aus  diesen  Arbeiten  ergibt  sich,  daß  sich  Bakchylides  mehr  als 
Pindar  dem  ionischen  Dialekt  zuneigt ;  jedoch  zeigt  die  Syntax  nichts 
speziell  Ionisches.  Mit  Homer  hat  er  vieles ,  mit  Herodot  weniger, 
mit  Pindar  sehr  wenig  gemeinsam  (vgl.  auch  H.  Schultz.  De 
elocutionis  Pindaricae  colore  epico.  Diss.  Göttingen  1905).  Das 
Digamma  verwendet  er  nach  Bedarf,  benützt  es  aber  nie,  um  Position 
zu  bewirken,  was  auch  bei  Pindar  sehr  selten  ist.  Attische  Correption 
kommt  im  Wortinnern  ziemlich  selten  vor,  häufiger  am  Anfang;  im 
ganzen  kommt  etwa  eine  Kürzung  auf  dreieinhalb  Längungen,  also 
eine  viel  seltenere  Anwendung  der  Kürzungen  als  bei  Pindar.  Da- 


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Jahresbericht  über  die  griechischen  Lyriker.  (Sitzler.) 


231 


gegen  ist  die  Synizesis  häufig  and  zum  Teil  sehr  kühn;  auch  bisher 
unbekannte  Fälle  von  Diäresen  finden  sich,  wie  aSeuj  XV,  7.  Elision 
und  Hiatus  bieten  nichts  Besonderes. 

Beiträge  zur  Metrik  undRhythmik  unseres  Dichters  liefern 

1.  C.  A.  Fennel,  The  scansion  ofBacchylides  XVII. 
Class.  Rev.  1899,  S.  182. 

2.  W.  Christ,  Grundfragen  der  indischen  Metrik 
der  Griechen.  Abh.  der  Bayr.  Akad.  d.  Wiss.  1.  Kl.  Bd.  XXII, 
S.  211  f.,  Anhang:  Bakchylides  XVII  (XVIII)  (vgl.  Sitzungsb.  der 
Akad.  1898,  S.  32  f.). 

3.  P.  Maas,  Koloraetrie  in  den  Dakty loepitriten 
des  Bakchylides.    Philol.  1904,  S.  297  f. 

Während  Fenn  eil  nur  das  metrische  Schema  des  17.  (16.)  Ge- 
dichtes, das  er  für  päonisch  hält,  gibt  und  Christ  die  Strophe  des 
ionischen  17.  (18.)  Gedichtes  erklärt,  indem  er  es  in  zwei  zwei- 
gliedrige, zwei  dreigliedrige,  zwei  zweigliedrige  Kola  und  einen  Ab- 
schluß aus  drei  Doppelfüßen  zerlegt,  unterwirft  Maas  den  metrischen 
Bau  der  daktyloepitritischen  Kola  einer  sorgfältigen  und  ergebnis- 
reichen Untersuchung.  Er  findet ,  daß  Bakchylides  innerhalb  der 
daktyloepitritischen  Perioden  Wortschluß  nach  einer  langen  unbetonten 
Silbe  vor  der  Hebung  des  zweiten  und  hinter  der  des  vorletzten 
Metrums  mied;  in  Dimetern  und  Trimetern  sind  diese  Wortschlüsse 
also  überhaupt  aus  dem  Innern  der  Periode  verbannt,  in  Tetrametern 
nur  an  einer  Stelle  möglich.  Ausnahmen  von  dieser  Regel  sind 
selten ,  wie  ich  glaube ,  teilweise  durch  Verderbnis  entstanden ,  wie 
V,  12;  nur  in  I  sind  sie  zahlreicher,  was  daher  rührt,  daß  Bakchy- 
lides hier  Pindars  Technik  nachahmt;  denn  dieser  ist  der  erste,  der 
sich  von  diesem  auch  in  der  älteren  Lyrik  herrschenden  Gesetze  frei 
macht,  einem  Gesetze,  das  dem  Porsonschen  für  den  iambischen 
Trimeter  entspricht.  Was  nun  die  innerhalb  einer  daktyloepitritischen 
Periode  möglichen  Einschnitte  betrifft,  so  zerfallen  sie  in  solche,  die 
auch  zwischen  zwei  Perioden  möglich  wären,  und  in  die  übrigen; 
die  letzteren  nennt  Maas  unrhythmisch,  die  ersteren  rhythmisch. 
Bakchylides  zeigt  das  Bestreben,  jede  Periode  von  mehr  als  drei 
Metren  rhythmisch  in  Glieder  von  je  zwei  oder  drei  Metren  zu  teilen ; 
ungeteilt  bleiben  solche  Tetrameter,  die  eine  rhythmische  Teilung 
nicht  zulassen,  und  mit  dieser  vom  Dichter  bevorzugten  Teilung  ist 
die  im  Papyros  durchgeführte  identisch.  Für  die  Wahl  der  Stelle 
zur  rhythmischen  Teilung  war  Vermeidung  der  Wortbrechung,  soweit 
als  möglich,  Regel. 


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232        Jahresbericht  über  die  griechischen  Lyriker.  (Sitaler.) 

Viel  Arbeit  wurde  den  von  dem  Dichter  behandelten  Mythen 
gewidmet;  ich  erwähne 

1.  M.  Groiset,  Sur  les  origines  du  röcit  relatif  a 
M616agre  dans  1'odeV  de  Bacchylide.  Mölanges  H.  Weil. 
Paris  1898,  S.  73  f. 

2.  R.-C.  Jebb,  ßacchylidea.    Ebenda  S.  225  f. 

3.  — ,  Bacchylides.  From  the  Proceedings  of  the  British 
Academy  vol.  I.    London  1904,  29.  Juni. 

4.  A.  Olivieri,  A  proposto  di  Teseo  e  Meleagro 
in  Bacchilide.    Bologna  1899. 

5.  E.  Romagnoli,  L'epinicio  X  di  Bacchilide.  Atene 
e  Roma  I  (1898),  S.  278  f. 

6.  W.  Christ,  Die  Mythologie  des  Apollodor  und 
der  neugefundene  Bakchylides.  Sitzungsb.  der  phü.-hist. 
Klass.  d.  Bayr.  Akad.  der  Wissensch.  1900,  S.  97  f. 

7.  G. Mellen,  De  Jus  fabulacapitaselecta.  Comment. 
academ.  üpsala  1901.    [Dithyr.  XVHI  (XIX)]. 

8.  H.  Preuß,  De  fabulis  apud  Bacchylidem.  Diss. 
Königsberg  1902. 

9.  O.  Meiser,  Mythologische  Untersuchungen  zu 
Bakchylides.    Diss.  München  1904. 

10.  S.  Wide,  Theseus  und  der  Meeressprung.  Fest- 
schrift f.  0.  Benndorf.    Wien  1899. 

11.  A.  H.  Smith,  Illustrations  to  Bacchylides. 
Journal  of  Hell.  Studies  1898,  S.  267  f. 

Das  erste  Gedicht  behandelt  die  Sage  des  Euxantios,  deren 
Aufklärung  wir  El  Iis  und  v.  Wilamowitz  verdanken.  Er  war 
der  Sohn  des  Minos  und  der  Dexithea,  der  Heros  von  Eeos,  das 
nach  ihm  II,  8  Eöcavrlc  vaaoc  genannt  wird.  Ob  in  der  Sage  Minos 
an  Stelle  des  ursprünglich  als  Vater  genannten  Zeus  trat,  wie  Wila- 
mowitz aus  dem  Namen  Dexithea  schließen  will,  muß  dahin  gestellt 
bleiben.  Jebb  bringt  Euxantios  mit  den  milesischen  Euxantiden  in 
Verbindung  und  gründet  auf  den  Umstand,  daß  Apollodor  den 
Euxantios  nicht  nennt,  die  Vermutung,  dieser  sei  eine  Erdichtung 
der  Euxantiden,  die  einen  göttlichen  Ahnherrn  haben  wollten;  das 
Scholion  zu  Apoll.  Rhod.  I,  186  bezeichnet  Euxantios  als  Vater  des 
Miletos.  Dagegen  bemerkt  Preuß  richtig,  daß  Stammessagen  und 
Lokalheroen  von  Schriftstellern  öfter  nicht  erwähnt  werden,  da  sie 
ja  nur  auf  einen  engen  Raum  beschränkt  sind. 


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Jahresbericht  über  die  griechischen  Lyriker.  (Sitzler.)  233 

Das  dritte  Gedicht  enthält  die  Erzählung,  wie  Apollon  den 
Krösos  von  dem  selbstgewählten  Scheiterhaufen  in  das  Land  der 
Hyperboreer  verset2t.  Eine  bildliche  Darstellung  des  Vorganges 
findet  sich  auf  einer  rotfigurigen  Amphora  des  Louvre  (Nr.  194), 
die  in  die  Zeit  vor  490  fallt;  jedoch  mit  dem  Unterschied,  daß  hier 
Krösos  allein  auf  dem  Scheiterhaufen  sitzt,  nicht  mit  der  ganzen 
Familie,  wie  bei  Bakchylides.  Ein  Sklave  Euthymos  Bandet  den 
Scheiterhaufen  gerade  an.  Gewöhnlich  führt  man  den  Teil  der 
Legende,  der  den  Entschluß  des  besiegten  Krösos,  mit  seiner  Familie 
auf  dem  Scheiterhaufen  zu  sterben,  berichtet,  als  orientalisch  auf 
lydischen  Ursprung  zurück;  daran  habe  die  delphische  Priesterschaft 
dann  die  Entrückung  des  frommen  Königs  ins  Land  der  Hyperboreer 
durch  Apollon  angefügt,  um  zu  zeigen,  wie  der  Gott  seine  Verehrer 
belohnt.  Ich  halte  die  Beiziehung  der  Lydier  für  unnötig;  die  ge- 
wandte ,  land-  und  völkerkundige  delphische  Priesterschaft  genügte 
gewiß  zur  Erfindung  der  Legende.  P  r  e  u  ß  will  auch  die  aus  Herodot 
bekannte  Fabel  über  die  Errettung  des  Krösos.  vom  Tod  auf  dem 
Scheiterhaufen  als  delphisch  in  Anspruch  nehmen,  indem  er  glaubt, 
sie  sei  später,  als  man  hörte,  daß  Krösos  bei  den  Persern  lebe, 
der  ersteren  untergeschoben  worden.  Ich  kann  diese  Ansicht  nicht 
teilen ;  denn  der  Zweck  der  herodotischen  Erzählung  ist  doch  offenbar 
die  Verherrlichung  des  Solon ;  die  Nennung  seines  Namens  infolge 
der  Erinnerung  an  sein  weises  Wort  rettet  den  in  die  äußerste 
Lebensgefahr  geratenen  König,  und  um  dies  zu  ermöglichen,  ist  der 
selbstgewählte  Tod  auf  dem  Scheiterhaufen  zu  einer  Verurteilung  zu 
diesem  geworden.  Die  Geschichte  ist  ohne  Zweifel  später  als  die 
bakchylideische  und  gehört  zu  dem  Kreise  jener  Sagen,  die  sich  an 
die  Sieben  Weisen  anschlössen;  sie  will  beweisen,  welchen  Wert  ein 
Wort  eines  solchen  Weisen  hat,  auch  wenn  es  für  den  Augenblick 
nicht  verstanden  oder  nicht  beachtet  wird. 

Der  Mythus  des  fünften  Gedichtes,  das  Zusammentreffen  Meleagers 
und  des  Herakles  in  der  Unterwelt,  kam  nach  dem  Schol.  zu  O  194 
auch  bei  Pindar  vor,  mit  dem  Unterschied,  daß  bei  Pindar  Meleager 
den  Herakles  bittet,  seine  Schwester  Deianira  zu  heiraten,  während 
bei  Bakchylides  Herakles  den  Meleager  fragt,  ob  er  nicht  eine 
Schwester  habe,  die  er  heiraten  könne.  Ich  halte  die  für  Pindar 
bezeugte  Form  der  Sage  für  die  ursprüngliche,  weil  es  das  Natür- 
lichste ist,  wenn  Meleager  den  Herakles,  den  er  bei  dessen  Besuch 
in  der  Unterwelt  trifft,  um  Heirat  und  damit  um  Beschützung  seiner 
Schwester  angeht,  und  glaube  darin  mit  M.  Croiset  zusammen- 
zutreffen ;  Bakchylides  änderte  diese  Erzählung  seinem  Zwecke  gemäß 


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234         Jahresbericht  über  die  griechischen  Lyriker.  (Sitzler.) 


ab.  Er  will  den  Hieron  in  seinem  Leide  trösten  nnd  weist  ihn 
daher  auf  die  gefeiertsten  Helden  Meleager  nnd  Herakles  hin,  die 
anch  nicht  in  allen  Stücken  glücklich  waren,  sondern  dem  Verhängnis- 
sich  beugen  mußten,  der  erstere  dem  Holzscheit,  der  letztere  der 
Deianira,  die  er  sich  in  ganz  anderer  Absicht  selbst  in  der  Unter- 
welt erwählt  hatte.  Beide  Dichter,  Pindar  und  Bakchylides,  ent- 
nahmen dieses  Zusammentreffen  der  beiden  Helden  in  der  Unterwelt, 
wie  man  jetzt  allgemein  annimmt,  einer  epischen  Quelle,  der  Minyas 
oder  den  Eöen.  In  diesen  wurde  aber  Meleager  von  Apollon  ge- 
tötet, und  dies  war  nach  der  Ansicht  Croisets  die  ursprüngliche 
Sage.  Jebb  und  Preuß  machen  jedoch  mit  Recht  darauf  auf- 
merksam, daß  das  Epos  den  ätolischen  Helden  verherrlichen  wollte 
und  so  den  Apollon  an  Stelle  des  Holzscheits  setzte,  das  ja  auch 
an  die  Yolkssage,  die  Seelen-  und  Lebenslichter,  erinnert.  Aus  dieser 
Volkssage  schöpfte  der  Tragiker  Phrynichos,  der  nach  Paus  X,  31,  4 
zuerst  das  Holzscheit  erwähnte  irpoaouj/ajievo?  autoo  ja6vov,  also  nur 
nebenbei,  und  auf  sie  gehen  auch  Äschylos  und  Bakchylides  zurück. 
Croiset  hat  also  nicht  recht,  wenn  er  die  Einführung  des  Holz- 
scheits dem  Stesichoros  zuschreibt.  Preuß  bemerkt  noch,  daß  die 
Darstellung  der  Tötung  Meleagers  bei  Bakchylides  zwischen  den 
beiden  schon  bekannten,  nämlich  der  Tötung  im  Kampfe  und  der 
Tötung  durch  das  Scheit,  vermittle. 

In  dem  achten  Gedicht  wird  zwar  nicht  als  Hauptmythus,  aber 
doch  nebenbei  das  Schicksal  des  Archemoros  erwähnt.  Y.  13  heißt 
es  von  ihm  rcitpv'  daafcoovxa  Spaxcov,  daa-f&Oovxa  aus  dacryepovra 
korrigiert ;  Neils  wahrscheinliche  Verbesserung  dcuteoovTa  gibt  leider 
auch  keinen  Aufschluß  Über  den  Zustand,  in  dem  Archemoros  getötet 
wurde;  denn  nach  Hesych.  dcuteuetv  dhravötCeadai  wäre  dies  geschehen, 
während  der  Knabe  Blumen  pflückte,  wozu  sich  Plut.  de  amic.  rault., 
p.  93  D,  vergleichen  läßt  =  Eurip.  fr.  754.  Näher  aber  liegt  noch, 
dcuteueiv  für  eine  Nebenform  von  atoteiv  zu  halten  und  anzunehmen, 
daß  Opheltes  gerade  schlief,  womit  Pausan.  II,  15,  2  und  Stat.  Theb.  V, 
502  f.  übereinstimmen.  Die  eigentliche  Sage,  die  in  das  Gedicht 
verwoben  ist,  behandelt  die  Töchter  des  Asopos,  des  Flusses  bei 
Phlios  (vgl.  Diod.  IV,  72),  nicht  in  Böotien,  wie  Jebb  bemerkt. 

Im  zehnten  Gedicht  wird  die  Sage  von  den  Prötiden,  den  Töchtern 
des  Königs  PrÖtos  von  Tiryns ,  behandelt,  die  von  Meiser  er- 
schöpfend besprochen  wurde.  Apollod.  II,  24  (=  II,  2,  1  Heyne) 
berichtet,  daß  Akrisios  und  PrÖtos  xcttä  "raarpoc  jUv  fti  ovrec  icrraafoCov 
Trpöc  dXXr^ooc  Christ  glaubt,  daß  dieser  Bericht  aus  V.  64  f. 
stammt,  indem  man  die  Worte  ßXr^paf  dn*  dp/ac  fälschlich  als 


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Jahresbericht  über  die  griechischen  Lyriker.   (Sitzler.)  235 


„tenera  a  pueritia"  anstatt  „ans  schwachem  Anlaß"  im  Gegensatz  zu 
vetxo?  diiatjiaxexov  (vgl.  Horn  II.  XXII,  116)  deutete.  Diese  Ver- 
mutung weist  Meiser  mit  Recht  zurück;  Apollodor  hatte  für  seine 
Angabe  ohne  Zweifel  andere  Quellen,  und  nur  weil  solche  vorlagen, 
wollte  man  auch  Bakchylides'  Worte  mit  ihnen  in  Einklang  bringen. 
Ebenso  begründet  ist  Meisers  Zurückweisung  der  Ansicht  Wald- 
steins,  der  Americ.  Journal  of  Archaeol.  1900,  S.  55,  aus  den 
V.  50  f.  auf  feindliche  Wettbestrebungen  zwischen  Tiryns  und  dem 
Heräon,  das  er  mit  Argos  identifiziert,  schließt  und  so  die  Schuld 
der  Prötiden  auf  die  alten  Familienstreitigkeiten  zurückführt;  eine 
solche  Gleichsetzung  des  Heräons  mit  Argos  läßt  sich  durch  nichts 
rechtfertigen.  In  der  Darstellung  der  Sage  weicht  Bakchylides  etwas 
von  den  anderen  Gewährsmännern  ab.  Zunächst  scheidet  er  den 
Seher  Melampus,  der  nach  den  anderen  Berichten  die  Heilung  der 
Töchter  gegen  hohes  Entgelt  vollzog,  aus  seiner  Erzählung  aus,  weil 
er,  wie  Preuß  sagt,  der  einheimischen  Sage  folgte,  Melampus  aber, 
worauf  Meiser  hinweist,  kein  Achäer,  sondern  ein  Thessaler,  ein 
Nachkomme  des  Äolos,  war.  Dazu  kommt  noch  die  treffende  Be- 
obachtung Meisers,  daß  unseres  Dichters  Bestreben  dahin  geht, 
das  Wesen  der  Sage  freundlicher  zu  gestalten;  daher  stellt  er  den 
Streit  der  Brüder  menschlicher  und  die  Krankheit  der  Töchter  milder 
dar ,  indem  "er  an  Stelle  der  dionysischen  [iavia  die  von  Artemis 
erregte  setzt,  die  nur  scheues,  einsames  Umherschweifen  der  Töchter 
zur  Folge  hatte.  Dadurch  wird  Melampus  entbehrlich  ;  die  Göttin 
bewirkt  selbst  auf  die  Bitte  des  Königs  die  Heilung.  So  ist  der 
Grundzug  der  Sage  die  p&Ta$o\rt  1$  dtu/toc?  efe  eOTuj(tav  durch 
Artemis,  die  auch  im  neuen  Lande,  d.  h.  in  Metapont,  ebenso  hilft 
wie  im  alten.  In  den  V.  118  f.  will  Meiser  eine  Anspielung  auf 
die  Beziehungen  zwischen  der  Heimat  des  Siegers  Metapont  und  der 
Heimat  des  Dichters  Keos  erkennen,  da  jene  Stadt  nach  Strab.  VI, 
p.  264,  von  Nestor  gegründet  wurde,  der  auch  auf  Keos  den  Tempel 
der  Athene  Nedusia  stiftete.  Diese  Beziehung  würde  die  Lesart 
Ttp^ovoi  voraussetzen,  die  ich  nicht  für  richtig  halten  kann.  Dagegen 
stimme  ich  M  e  i  s  e  r  in  der  Zuweisung  von  Oxyrh.  Pap.  III,  Nr.  426 
an  Bakchylides  zu,  eine  Zuweisung,  die,  wie  schon  erwähnt,  auch 
P.Maas  befürwortet;  der  Dichter  hat,  wie  man  daraus  ersieht,  die- 
selbe Sache  je  nach  Bedarf  verschieden  behandelt. 

Das  14.  Gedicht,  die  Antenoriden,  führt  Jebb  seinem  Inhalte 
nach  mit  Recht  auf  die  Kyprien  zurück ;  aber  auch  hier  verfuhr  der 
Dichter  frei.  So  ersehen  wir  aus  fr.  59,  daß  er  50  Söhne  des 
Antenor  und  der  Theano  annahm.    Etwa  mit  Rücksicht  auf  den 


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28(3         Jahresbericht  über  die  griechischen  Lyriker.  (Sitzler.) 

Dithyrambenchor?  Daraus  würde  sich  auch  die  Überschrift  erklären. 
Die  Bezeichnung  des  Menelaos  als  nXeiTrevt'&a?  (V.  48)  erinnert  an 
Stesichoros,  der  den  Bakchylides  ebenfalls  beeinflußt  hat.  In  der 
Einleitung  zum  15.  Gedicht  erkennt  Jebb  Anlehnung  an  Alkäos 
(vgl.  fr.  2,  8,  4  und  109)  und  findet  diese  durch  die  Form  nzüoiyytXv 
bestätigt,  die  unser  Dichter  nur  hier  gebraucht,  während  er  sonst' 
immer  jxeta  hat.  Der  Mythos,  nämlich  der  durch  Deianira  un- 
absichtlich herbeigeführte  Tod  des  Herakles,  ist  nach  Jebb  der 
Olx*\lat  o&axJtc  des  Kreophilos  von  Samos  entnommen. 

Die  Fabel  des  16.  Gedichtes,  Theseus'  Besuch  bei  Amphitrite, 
ist  in  keinem  anderen  Gedicht  auf  uns  gekommen;  wir  kennen  sie 
nur  aus  Pausanias  und  Hyginus,  sowie  aus  bildlichen  Darstellungen, 
aus  denen  aber  die  Francois-Schale,  die  den  ^apavoc-Tanz  auf  Delos 
nachbildet,  auszuscheiden  ist  (vgl.  Plut.  Thes.  21).  Am  ausführ- 
lichsten behandelt  auf  Grund  früherer  Untersuchungen,  besonders 
K.Roberts,  Preuß  die  Fabel.  Bakchylides  stimmt  mit  Hellanikos 
(vgl.  Plut.  Thes.  17)  darin  überein,  daß  er  den  Minos  selbst  in  Athen 
die  14  Opfer  für  Minotauros  aussuchen  läßt,  weicht  aber  darin  von 
ihm  und  Hygin  ab,  daß  er  den  Thcseus  nicht  dazu  rechnet.  In 
welcher  Eigenschaft  und  Absicht  Theseus  mitfuhr,  wird  aus  dem 
Gedichte  nicht  klar;  ich  vermute  aus  der  Art,  wie  er  für  Eriböa 
eintritt,  und  aus  dem  Verhältnis,  in  dem  ihn  die  Säge  zu  dieser 
stehen  läßt,  daß  er  im  Auftrage  des  athenischen  Königs  die  als  Opfer 
Ausgewählten  begleitete,  um  darüber  zu  wachen,  daß  sie  ihrer  Be- 
stimmung richtig  zugeführt  würden,  mit  der  geheimen  Absicht,  sie 
von  ihrem  schrecklieben  Lose  zu  befreien;  als  Vorbereitung  darauf 
ist  unsere  Szene,  die  ihn  als  mutigen  Beschützer  und  unerschrockenen 
Sohn  des  Poseidon  zeigt,  vorzüglich  am  Platze.  Daraus  schließe  ich, 
daß  der  Meeressprung  des  Theseus  nachträglich  als  Episode  in  die 
Wegführung  der  Athener  durch  Minos  eingelegt  wurde  und  dann 
für  immer  fest  damit  verbunden  blieb.  Die  Fabel  ist  bekanntlich 
auf  dem  Becher  des  Euphronios  (500 — 490),  auf  dem  Gemälde  des 
Mikon  (474 — 470) ,  auf  das  vermutlich  der  Krater  von  Bologna 
zurückgeht,  und  in  etwas  abweichender  Form  auf  dem  Krater  von 
Agrigent  und  der  Vase  Trikase  dargestellt.  Auf  dem  Becher  des 
Euphronios  und  dem  Krater  von  Bologna  wird  Theseus  von  einem 
Triton  in  die  Behausung  des  Meergottes  gebracht;  Bakchylides  hat 
den  Triton  durch  Delphine  ersetzt,  weil  diese,  worauf  Preuß  gut 
hinweist,  dem  Apollon  heilig  sind  und  das  Gedicht  den  Apollon 
feiert.  Dagegen  stimmt  unser  Dichter  mit  diesen  bildlichen  Dar- 
stellungen darin  überein ,  daß  er  den  Poseidon  und  den  Ring  un- 


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Jahresbericht  über  die  griechischen  Lyriker.  (Sitzler.)  237 

beachtet  läßt;  der  Krater  von  Bologna  zeigt  Poseidon  mit  dem  Eroa 
ganz  im  Hintergrande,  und  auf  dem  Becher  des  Euphronios  fehlt  er 
vollständig,  während  er  auf  dem  Krater  von  Agrigent  und  der  Vase 
Trikase  seinen  Sohn  begrüßt  und  dieser  auf  der  letzteren  vielleicht 
auch  den  Ring  in  der  linken  Hand  hat.  Der  Ring  wird  von  dem 
Dichter  nach  dem  einstimmigen  Urteil  aller  Gelehrten  nicht  mehr 
erwähnt,  weil  er  neben  den  anderen  Beweisen  bedeutungslos  geworden 
ist,  ja  seine  Zurückbringung  des  Theseus  geradezu  unwürdig  wäre; 
Pausanias  und  Hyginus  freilich  vergessen  in  ihren  Berichten  die 
Erwähnung  des  Ringes  nicht.  Daß  das  Ringmotiv  keine  Erfindung 
des  Bakchylides  ist,  betont  Jebb  mit  Recht;  wenn  er  es  aber  erst 
später,  jedoch  noch  vor  der  Zeit  des  Mikon  in  die  Sage  eingeführt 
sein  läßt,  so  irrt  er;  Preuß  zeigt,  daß  dies  ein  indogermanischer 
Zug  des  Märchens  ist  In  der  freundlichen  Aufnahme  des  Theseus 
durch  Amphitrite  sind  alle  Quellen  einig,  ein  Zug  der  Sage,  der  in 
scharfem,  wohl  beabsichtigtem  Gegensatz  zu  dem  Verhalten  Heras 
gegen  Herakles  steht.  Auf  den  bildlichen  Darstellungen  ist  als 
Geschenk  an  Theseus  ein  Kranz  angegeben;  diesen  hält  auf  dem 
Becher  des  Kuphronios  Amphitrite  in  ihrer  Linken,  wie  Preuß 
unter  Verweis  auf  Furtwängler  und  Reichold,  griech.  Vasen- 
malerei fasc.  I,  tab.  5  bemerkt.  Ob  dieser  ursprünglich  von  Ariadne 
anstatt  von  Amphitrite  dem  Theseus  gegeben  wurde,  wie  Robert 
and  Jebb  vermuten,  muß  nach  Preuß  dahin  gestellt  bleiben.  Der 
Dichter  fügt  als  weiteres  Geschenk  noch  ein  purpurnes  Kleidungs- 
stück bei ,  wie  ich  glaube ,  in  Erinnerung  an  das  xp^SejAvov ,  das 
Ino-Leukothea  e  351  dem  Odysseus  gab,  und  an  die  purpurnen  tarnet, 
welche  in  Samothrake  die  Mysten  zum  Zeichen  der  göttlichen  Hilfe, 
die  ihnen  gegen  Seegefahren  zuteil  wird,  trugen  (vgl.  Schol.  Apoll. 
Rhod.  I,  917).  Als  Quelle  unseres  Dichters  für  die  Theseus-Fabel 
nimmt  Preuß  ein  in  Attika  verbreitetes  episches  Gedicht  an,  aus 
dem  auch  die  Künstler  schöpften.  Wir  haben  aber  gesehen,  daß 
Bakchylides  seine  Quelle,  sei  sie  nun  ein  Gedicht  oder  die  Volkssage, 
selbständig  benützte. 

In  dem  eben  behandelten  Gedicht  ist  Theseus  der  Sohn  Poseidons, 
im  17.  dagegen  der  Sohn  des  Ägeus,  der  auf  der  Reise  von  Trözen 
zu  seinem  Vater  ist,  wieder  ein  Beweis  dafür,  wie  der  Dichter  seinen 
Mythus  je  nach  Bedarf  wählt.  Ägeus'  Gemahlin  wird  Kreusa  genaunt, 
nicht  Pylia,  wie  sonst,  und  die  Tötung  des  Periphetes  fehlt  unter 
den  Heldentaten,  wie  auch  auf  den  älteren  bildlichen  Darstellungen, 
weil  sie,  wie  Robert  bemerkt,  den  andern  noch  nicht  eingefügt 
war;  die  älteste  Abbildung  findet  sich  auf  einer  Vase  aus  der  Zeit 


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238         Jahresbericht  über  die  griechischen  Lyriker.  (Sitzler.) 

450 — 440.  Auch  darin  stimmt  Bakchylides  mit  den  Vasenbildnern 
überein,  daß  er  dem  Theseus  zwei  Begleiter,  vermutlich  Peirithoos 
und  Phorbas,  gibt.  Da  dies  der  ursprünglichen  Sage  widerspricht, 
so  sieht  man  daraus,  wie  sich  unser  Dichter  an  die  verbreitete  Sagen- 
form  hält.    Preuß  nimmt  ein  episches  Gedicht  als  Quelle  an. 

Das  18.  Gedicht,  das  die  lo-Sage  behandelt,  bringt  nichts  Neues, 
wie  Mellen  zeigt,  beweist  aber,  daß  schon  verschiedene  Über- 
lieferungen dem  Dichter  vorlagen.  Nach  Jebb  ist  es  inhaltlich  und 
sprachlich  von  Äschylos  beeinflußt.  Preuß  schließt  sich  an 
J.  C.  Koppin  in  Harvard  Studies  in  Class.  Philol.  1901,  S.  835, 
an,  glaubt  aber,  daß  der  Stoff  schon  vor  Äschylos  tragisch  bebandelt 
wurde;  nach  ihm  folgt  Bakchylides  keiner  tragischen  Quelle,  was 
vielleicht  doch  zu  weit  geht. 

Über  den  Mythus  des  19.  Gedichtes  spricht  Jebb;  er  weist 
darauf  hin ,  daß  die  Apharetiden  messenische  Lichtgottheiten  waren, 
wie  die  Dioskuren  spartanische.  In  der  Sage  von  beiden  spiegelt 
sich  die  politische  Geschichte  der  beiden  Länder;  die  Messenier 
unterlagen  den  Spartanern.  Die  Geschichte  der  Marpessa  zeigt 
jedoch,  daß  die  Lakedämonier  die  messenische  Sage  herübernahmen 
(vgl.  auch  Paus.  III,  13,  1).  Meiser  will  aus  dem  Schol.  zu  Horn. 
IL  1  557  f.  (vgl.  Simonid.  fr.  216)  den  Inhalt  unseres  Gedichtes 
wiedergewinnen,  ohne  daß  es  ihm  jedoch  gelingt,  irgendwo  festen 
Boden  unter  die  Füße  zu  bekommen. 

Preuß  kommt  bei  seiner  Untersuchung  über  die  Mythen  des 
Bakchylides  zu  dem  Ergebnis,  daß  unser  Dichter  in  der  Regel  die 
ältere  Sagenform  wählte,  weil  sie  die  allgemein  bekannte  war.  Seine 
Hauptquellen  waren  Homer,  der  epische  Kyklos,  alte  epische  Gedichte 
der  Athener  und  Lokalmythen.  Die  Tragiker  schließt  Preuß  aus, 
jedoch  mit  Unrecht,  und  auch  Stesichoros  hätte  er  unter  den  Quellen 
nennen  dürfen.  Die  Sagen  er  zählt  Bakchylides  in  der  zu  seiner  Zeit 
üblichen  Form,  ohne  jedoch  vor  Änderungen,  wie  sie  seinen  Zwecken 
dienen,  zurückzuschrecken.  Ich  füge  noch  bei,  daß  er  auch  ver- 
schiedene Sagenformen  verwandte,  wo  es  ihm  nötig  oder  passend  schien. 

Mit  dem  Leben  und  Wirken  des  Bakchylides  beschäftigen  sich 

1.  A.  Baumstark,  Zur  Chronologie  des  Bakchy- 
lides.   N.  Heidelberger,  Jahrb.  VIII,  1898,  S.  123  f. 

2.  R.  C.  Jebb  in  MeManges  H.  Weil,  vgl.  oben. 

3.  U.  v.  Wilamo  witz  -  Möllendorff,  Hieron  und 
Pin  dar os.  Sitzungsb.  der  Kgl.  Preuß.  Akad.  der  Wissensch. 
1901,  S.  1273  f. 


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Jahresbericht  über  die  griechischen  Lyriker.  (Sitzler.)  239 

4.  The  Oxyrhynchos  Papyri,  part  II.  Edited  by 
Grenfell  and  Hunt.    London  1899,  N.  222. 

Baumstark  behandelt  die  drei  Ansätze  der  dxfi^  des  Bakchy- 
lides,  die  auf  uns  gekommen  sind,  um  zu  sehen,  welche  Tatsachen  ihnen 
zugrunde  liegen.  Den  ersten  Ansatz  des  Eusebios  in  Ol.  78,  1  (=  468) 
bezieht  er,  wie  andere  vor  ihm,  auf  das  dritte  Gedicht,  das  Hierons 
Wagensieg  in  Olympia  feiert.  In  einem  zweiten  Ansatz  in  Ol.  82,  2 
(=  451)  wird  der  Dichter  mit  Praxilla,  Telesilla  und  Kleobuline 
zusammengestellt ;  dies  ist  vielleicht  die  Zeit,  wo  er  aus  seiner  Heimat 
verbannt  wurde  und  im  Peloponnes  seinen  Aufenthalt  nahm.  Dagegen 
ist  mit  dem  zweiten  Ansatz  des  Eusebius  in  Ol.  87,  3  (=  430) 
nach  dem  Verfasser  nichts  anzufangen,  wenn  er  nicht  etwa  das 
Todesjahr  des  Dichters  angibt.  Den  Ansatz  des  Chronikon  Paschale 
in  Ol.  74  berücksichtigt  der  Verfasser,  wie  man  sieht,  nicht.  Epin.  X, 
118  f.  will  Jebb  mit  Palmer  rp6fovoi  faaav  (ö£aaav)  ipot  lesen 
und  daraus  unter  Hinweis  auf  Metaponts  Gründung  durch  Nestor  und 
die  Erbauung  des  Heiligtums  der  Athene  Nedusia  auf  Keos  durch 
denselben  Helden  schließen,  daß  Bakchylides  sein  Geschlecht  auf  die 
Neleiden  zurückführte  wie  Pindar  auf  die  Ägiden;  ich  kann  weder 
die  Lesart  noch  die  Folgerung  billigen,  da  ein  solcher  Umstand  der 
Überlieferung  sicher  nicht  entgangen  wäre.  An  dem  Streit  zwischen 
Simonides  und  Bakchylides  einerseits  und  Pindar  anderseits  hält 
auch  Wilamowitz  fest ;  aber  er  glaubt,  daß  schon  die  Chronologie 
verbiete ,  Pind.  OH,  86  f.  darauf  zu  beziehen ,  und  billigt  daher 
Bergks  fapu^wov.  Wie  zweifelhaft  eine  solche  Form  ist,  zeigt  die 
Zusammenstellung  bei  Kühner-Blaß,  griech.  Gramm.8  II,  S.  50; 
die  Chronologie  aber  steht  der  Überlieferung  der  Scholiasten,  die 
sich  auf  ältere  Angaben  stützten  (vgl.  z.  B.  das  von  Hill  er 
v.  Gärtringen  aufgefundene  Archilochos-Denkmal)  gewiß  nicht 
entgegen;  denn  Pindars  zweite  olympische  Ode  fällt  in  das  Jahr  476, 
eine  Zeit,  wo  Simonides  und  selbst  Bakchylides  schon  länger  tätig 
waren  und  gewiß  auch  schon  Gelegenheit  zu  gegenseitigen  Anfeindungen 
hatten;  ich  erinnere  nur  daran,  daß  Pindar  und  Bakchylides  den 
nemeischen  Sieg  des  Ägineten  Pytheas  verherrlichten. 

Für  die  Chronologie  des  Bakchylides  ist  die  Auffindung  der 
Liste  der  olympischen  Sieger  aus  den  Jahren  480 — 448  v.  Chr.,  die 
in  den  Oxyrh.  Pap.  II,  Nr.  222  veröffentlicht  wurde,  außerordentlich 
wichtig.  Durch  sie  ist  die  Frage  nach  dem  Anfang  der  Pythiaden 
entschieden,  die  Ol.  49,  3  (=  582)  beginnen,  und  die  Abfassung  von 
Bakchylides  V  im  Jahre  476,  IV  im  Jahre  470,  III  im  Jahre  468 
und  VI  und  VU  im  Jahre  452  bewiesen.    Die  Liste  geht,  wie 


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240        Jahresbericht  über  die  griechischen  Lyriker.  (Sitzler.) 


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H.  Diels  Hermes  86,  S.  72,  dartut,  nicht  anf  Phlegon,  sondern  auf 
ein  Handbuch  der  Kaiserzeit  zurück ,  das  die  gelehrte  Ausstattung 
der  Verzeichnisse  des  Aristoteles  und  Eratosthenes  nicht  mehr  ent- 
hielt; die  darin  befindlichen  Abkürzungen  bedeuten:  outük  Kpa'-nrjc 
Iv  ö,  ootok  O&tatoc,  o5t<d?  KaXXiadevTjc.  Aber  nicht  bloß  unmittelbar, 
sondern  auch  mittelbar  erweist  sich  die  Liste  nützlich,  insofern  sie 
feste  Anhaltspunkte  für  weitere  Schlüsse  bietet.  So  können  wir  aus 
der  Notiz  der  Liste,  daß  das  sechste  Oedichtchen,  das  seinem  ganzen 
Inhalt  nach  auf  Keos  entstand,  im  Jahre  452  abgefaßt  wurde,  mit 
Sicherheit  schließen,  daß  Bakchylides  in  diesem  Jahr  nicht  verbannt 
war,  daß  also  seine  Verbannung  in  die  frühere  oder  spätere  Zeit 
fallen  muß.  Nun  sagt  Pindar  in  Is.  I,  das  man  gewöhnlich  in  das 
Jahr  458  verlegt,  daß  ihm  die  Keer  die  Abfassung  eines  Liedes  auf 
Apollon  übertragen  hätten.  Hält  man  diese  beiden  Tatsachen  zu- 
sammen, so  wird  man  geneigt  sein,  die  Verbannung  des  Dichters  m 
die  Zeit  vor  452  zu  setzen;  denn  die  Keer  hätten  sich  gewiß  nicht 
an  Pindar  gewandt,  wenn  sie  ihren  berühmten  Sänger  noch  als  Mit- 
bürger gehabt  hätten.  Die  Verbannung  wird  um  das  Jahr  452 
wieder  aufgehoben  worden  sein,  und  auf  diese  Zurückberufung  aus 
dem  Peloponnes  deutet  vielleicht  der  oben  erwähnte  Ansatz  seiner 
dxpiij  in  Ol.  82. 

Unter  den  anderen  Epinikien  läßt  sich  nur  über  die  Abfassungs- 
zeit von  XII  etwas  Genaueres  sagen ,  das  den  nemeischen  Sieg  de» 
Pytheas  von  Ägina  verherrlicht,  den  auch  Pindar  N.  V  besungen 
hat.  Daß  Pytheas  ihn  nicht  als  itafr,  sondern  als  dfivetoc  gewann, 
bemerkt  Blaß  mit  Recht  Fraccaroli  Pind.,  S.  568,  und  Riv. 
di  fil.  XXIX  fasc.  3,  S.  29  f.  im  Separatabdruck,  setzt  das  Gedicht 
in  das  Jahr  484.  Blaß  bemerkt  dagegen ,  daß  vor  der  Schlacht 
bei  Salamis  ständig  Feindseligkeiten  zwischen  Athen  und  Ägina  be- 
standen hätten,  und  daß  es  daher  wenig  wahrscheinlich  sei,  daß 
Lampon  seinen  Sohn  während  dieser  Zeit  nach  Athen  zu  Menandros 
zu  seiner  Ausbildung  gesandt  und  Bakchylides  in  seinem  Gedichte 
den  Athener  gelobt  habe;  er  schreibt  daher  das  Gedicht  dem  Jahre 
479  oder  477  zu.  Aber  daß  sich  dieser  Ansatz  mit  Pind.  Is.  V, 
das  in  das  Jahr  480  fällt  und  unserem  Gedicht  um  mehrere  Jahre 
vorhergeht,  nicht  verträgt,  zeigt  C.  Gaspar,  Essai  de  Chronologie 
Pind.  1900,  S.  60  f.  Nichtsdestoweniger  bleibt  der  Hauptgrund,  den 
Blaß  anführt,  das  zur  Zeit  der  Feindschaft  zwischen  Athen  und 
Ägina  auffällige  Lob  des  Atheners,  bestehen;  denn  an  Stelle  der 
Sendung  des  Pytheas  nach  Athen  kann  man  ja  auch  annehmen,  daß 
Lampon  den  Menandros  nach  Ägina  kommen  ließ.    Ich  glaube  daher, 


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Jahresbericht  über  die  griechischen  Lyriker.   (Sitzler.)  241 

daß  das  Gedicht  vor  Ausbruch  der  Feindseligkeiten,  die  im  Jahre  487 
ihren  Anfang  nahmen,  entstanden  ist;  der  Dichter  war  damals 
mindestens  20  Jahre  alt,  und  mit  20  Jahren  hat  auch  Pindar  P.  X 
geschrieben,  das  nicht  einmal  sein  erstes  Gedicht  war.  Gaspar 
setzt  das  Gedicht  in  das  Jahr  489. 

In  höherem  Grade  als  der  Chronologie  wandten  sich  die  Studien 
der  Gelehrten  der  dichterischen  Kunst  des  Bakchylides  zu; 
hierher  gehören: 

1.  R.  C.  Jebb  in  Mölanges  H.  Weil  vgl.  oben. 

2.  L.  Millinger,  Lecaractere,  la  Philosophie  et 
l'art  de  Bacchylide.    Musee  Beige  1899,  S.  21  f. 

3.  H.  Jurenka,  Der  Mythus  in  Pindars  erster 
olympischer  Ode  und  in  Bakchylides  III.  Philol.  1900, 
S.  813  f. 

4.  S.  Rossi,  La  composizione  teenica  delle  odi 
di  Bacchilide.    Riv.  di  stor.  antic.  1903,  S.  472  f. 

Die  Vorzüge  der  Bakchylideischen  Dichtkunst  schildern  Jebb 
und  M allinger  treffend;  sie  bestehen  in  der  durchsichtigen  Dis- 
position, in  der  einfachen  und  schönen  Sprache,  die  durch  Anwendung 
von  Metaphern  und  Figuren  geschmückt  ist,  in  der  Kunst  der  Er- 
zählung, die  oft  durch  Einschiebung  von  Gesprächen  belebt  wird,  in 
der  anschaulichen  Beschreibung  und  Ausmalung  des  einzelnen.  Die 
Epitheta  sind  fast  ausnahmslos  geschickt  gewählt,  oft  gehäuft;  jedoch 
fehlt  es  ihm,  wie  Jebb  sagt,  an  der  Phantasie,  um  schon  durch  die 
einfachsten  Wörter  glänzende  Bilder  hervorzuzaubern,  eine  Kunst, 
die  wir  an  Pindar  so  sehr  bewundern. 

Sind  nun  diese  künstlerischen  Vorzüge  des  Bakchylides  im  großen 
und  ganzen  schon  allgemein  bekannt,  so  harrt  die  Frage  Über  die 
Verwendung  des  Mythus  in  den  Epinikien  immer  noch  einer  all- 
gemein gebilligten  Lösung.  Die  früher  herrschende  Ansicht,  als  ob 
in  den  Mythus  politische  Beziehungen  oder  persönliche  Verhältnisse 
des  Siegers  vom  Dichter  hineingeheimnißt  seien,  scheint  jetzt  all- 
gemein aufgegeben  zu  sein.  Jurenka  weist  mit  Recht  darauf  hin, 
daß  das,  was  der  Dichter  mit  dem  Mythus  bezweckte,  jedem  Hörer 
oder  Leser  sofort  verständlich  sein  mußte.  Rossi  hält  den  Mythus 
für  ein  Bild,  das  der  Dichter  gebrauche,  um  die  von  ihm  gefeierte 
Person  größer  hervortreten  zu  lassen;  er  sei  sozusagen  das  andere 
Glied  einer  Vergleichung,  deren  eines  der  Sieger  sei;  je  großartiger 
und  wunderbarer  jenes  sei,  um  so  herrlicher  und  glänzender  stehe 
auch  dieser  da;  jedoch  sei  es  nicht  notwendig,  daß  sich  alle  Züge 

Jahresbericht  für  Altertumswissenschaft.   Bd.  CXXXIII.   (1007.   1.)  16 


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Jahresbericht  über  die  griechischen  Lyriker.  (Sitzler.) 


völlig  entsprechen;  eher  sei  eine  absichtlich  gesuchte  Unähnlichkeit 
bemerkbar,  weil  so  die  Wirklichkeit  mehr  hervortrete  und  die  Be- 
wunderung der  Hörer  in  höherem  Grade  auf  sich  ziehe  als  die 
mythische  Persönlichkeit.  Von  diesen  Grundsätzen  aus  mustert  er 
die  in  Betracht  kommenden  Gedichte  des  Bakchylides  durch,  um  so 
die  Richtigkeit  seiner  Ansicht  zu  erweisen.  In  III  besteht  nach  ihm 
das  Band  zwischen  Wirklichkeit  und  Mythus,  zwischen  Hieron  und 
Krösos  in  dem  Glück,  das  die  Götter  ihren  Verehrern  geben;  ähnlich 
findet  Jurenka  darin  den  Gedanken,  daß  auch  König  Hieron  zu 
den  Hyperboreern  kommen  werde.  Weniger  stimmt  schon  V,  in  dem 
nach  Rossi  das  Glück  des  Hieron  gepriesen  werde,  das  um  so  be- 
neidenswerter sei,  als  berühmte  Helden  nichts  weniger  als  glücklich 
gewesen  seien,  eine  Annahme,  die  gewiß  nur  wenige  teilen  werden, 
und  noch  schlimmer  steht  es  mit  der  Erklärung  von  VUI,  X  und  XII. 
Man  sieht  daraus,  daß  auch  R  o  s  s  i  s  Ansicht,  wenn  sie  auch  da  und 
dort  zu  passen  scheint,  als  allgemeine  Regel  unhaltbar  ist.  Der 
Mythus  ist  ein  feststehender  Teil  in  den  Festgedichten  zur  Feier 
von  Siegen  wie  in  den  anderen  Festgedichten;  er  dient  zur  Aus- 
schmückung und  Veranschaulichung  des  Grundgedankens  des  Ge- 
dichtes ;  da  dieser  mit  der  Feier  in  Beziehung  steht,  so  ist  dies  auch 
beim  Mythus  der  Fall,  und  je  mehr  dies  dem  Dichter  gelingt,  je 
inniger  die  Verbindung  zwischen  Lied  und  Feier  und  je  fester  die 
Einheit  des  Gedichtes  ist,  um  so  höher  stellen  wir  die  Kunst  des 
Dichters.  Dem  Bakchylides  ist  dies  in  III  und  V  am  besten,  in  VIII 
am  wenigsten  gelungen.  J  e  b  b  bemerkt  noch ,  daß  die  Mythen  bei 
unserem  Dichter  nicht  in  die  idealen  Regionen  einer  höheren  Poesie 
gerückt  sind  wie  bei  Pindar. 

Über  die  Charaktereigenschaften  und  philosophischen 
Grundsätze  des  Bakchylides'  handelt  eingehend 

L.  Mallinger,  Le  caracterc,  la  Philosophie  usw. 
vgl.  oben, 

der  Friedfertigkeit,  Liebe  zur  Wahrheit,  Tugend  und  Gerechtigkeit, 
Religiosität,  aristokratische  Gesinnung,  glühenden  Patriotismus,  pessi- 
mistische Weltanschauung,  Harmonie  in  allem  und  Abneigung  gegen 
jedes  Übermaß  an  ihm  hervorhebt  und  ihn  als  Mensch  über  seinen 
Oheim  Simonides  stellt,  und 

E.  Rieß,  Studies  in  Superstition.     Am.  Journ.  of 
Phil.  1903,  S.  423  f., 

sammelt  die  Spuren  von  Aberglauben,  die  sich  in  des  Dichters 
Werken  finden,  und  kommt  dabei  zu  dem  Ergebnis,  daß  sie  an  Zahl 


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Jahresbericht  über  die  griechischen  Lyriker.   (Sitzler.)  243 


and  Bedeutung  zu  gering  sind,  um  uns  zu  gestatten,  dem  Dichter 
hinsichtlich  seiner  religiösen  Ansichten  einen  bestimmten  Platz  an- 
zuweisen, vgl.  V,  42,  VIII,  3  f.,  XVI,  23  f.,  V,  19  f.,  187  f.,  XVII, 
103,  HI,  86  f.,  XVII,  72. 

Vielfach  wurde  das  Verhältnis  des  Dichters  zu  seinen 
Vorgängern  und  sein  Einfluß  auf  seine  Nachfolger 
untersucht.    Ich  erwähne 

1.  V.   Tominasini,    Imitazioni    e  Reminiszense 
Omeriche  in  Bacchilide.    Studi  ital.  1899,  S.  415  f. 

2.  W.  K.  Prentice,  De  Bacchylide  Pindari  artis 
socio  et  imitatore.    Diss.  Halle  1900. 

3.  R.  C.  Jcbb,  Bacchylide s.    From  the  Proceedings  of 
the  British  Academy  vol.  I,  1904.    [Verhältnis  zu  Pindar]. 

4.  L.  Maccari,  Bacchilide  e  Orazio.    Urbino  1899. 

5.  K.  Brandt,  De  Horatii  studiis  Bacchy lideis. 
Festschrift  für  Joh.  Vahlen.    Berlin  1900,  S.  297  f. 

6.  E.  Romagnoli,  Appunti  sulla  gnomica  Bacchi- 
lidea.    Fircnze  1899.    [Estr.  d.  Stud.  ital.  di  filol.  class.  VII.] 

7.  M.  Rubensohn,   Apollinische  Weisheit.  Berl. 
phil.  Wochenschr.  1899,  S.  1499  f.,  1631  f.   [Bakch.  III,  78—84.] 

8.  A.  Roersch,  Bacchylide  etles  poetes  neo-latins. 
Musee  Beige  1899,  S.  211. 

Bakchylides  ist,  wie  Tommasini  in  seiner  fleißigen  Abhandlung 
zeigt,  von  Homer  stark  abhängig,  sowohl  in  Mythen  und  Gleichnissen 
(vgl.  auch  E.  Schwartz,  Hermes  1904,  S.  630  f.,  zu  XIII,  91  f.), 
als  auch  in  einzelnen  Gedanken,  Formeln  und  Wörtern ;  jedoch  scheut 
er  sich  in  keiner  Weise  vor  Abänderungen ,  die  für  seine  Zwecke 
nötig  sind ,  und  bildet  auch  neue  Epitheta.  Dagegen  hat  er  nach 
Prenticcs  besonnenen  Darlegungen  nur  weniges  aus  Pindar  ge- 
nommen; das  meiste,  was  beide  gemeinsam  haben,  ist  Gemeingut 
der  Lyrik  überhaupt,  das  jeder  der  beiden  Dichter  in  seiner  Weise 
behandelt.  Daß  Bakchylides  aber  als  jüngerer  Dichter  von  dem 
älteren  angeregt  und  in  der  Komposition  seiner  Oden  gefördert  wurde, 
weist  Jebb  überzeugend  nach.  Aus  Porphyr,  zu  carm.  I,  15  wissen 
wir,  daß  Bakchylides  unter  den  Vorbildern  des  Horaz  war;  Brandt 
sammelt  nun  die  Ähnlichkeiten  und  Anklänge  zwischen  den  beiden 
Dichtern,  und  es  zeigt  sich,  daß  auch  der  Römer  dem  Griechen 
frei  gegenüberstand  und  ihn  mit  selbständigem  Urteil  benützte. 
Romagnoli  vergleicht  die  Sentenzen  des  Bakchylides  mit  denen 

16* 


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244         Jahresbericht  über  die  griechischen  Lyriker.  (Sitzler.) 


des  Solon  und  Theognis,  die  sich  vielfach  enge  berühren;  ohne 
Zweifel  hat  der  Keier  die  beiden  Elegiker  gekannt.  Die  Lehre,  die 
unser  Dichter  III,  76  f.  dem  Apollon  in  den  Mund  legt,  ist  in  anderer 
Fassung  auch  schon  früher  ausgesprochen,  wie  Rubensohn  darlegt, 
der  sie  durch  die  alte  und  neue  Literatur  hindurch  verfolgt.  Endlich 
macht  Roersch  darauf  aufmerksam,  daß  Fr.  Haemus  (1521 — 1585) 
in  seinen  poetischen  Werken  das  Fragment  auf  den  Frieden  Uber- 
setzt, H.  Grotius  aber  (1583 — 1646)  in  seinen  Dicta  poetarum. 
Paris  1623  alle  Verse  des  Bakchylides,  die  bei  Stobäus  vorkommen. 
Die  Übersetzung  des  Haemus  fügt  Roersch  bei. 

Zum  Schluß  führe  ich  noch  an 

1.  J.  B.  Bury.    Class.  Rev.  1899,  S.  98  f.  und 

2.  U.  v.  Wilamowitz,  Hieron  und  Pindaros  vgl.  oben, 

die  darauf  hinweisen,  daß  die  Tyrannen  Gelon  und  Hieron  verfassungs- 
mäßig den  Titel  ßotaiXsü?  nicht  führten,  wenn  sie  ihn  auch  gerne 
hörten.  Bury  vermutet,  daß  sie  atpatr^ol  aöxoxpaxope?  hießen, 
wobei  er  auf  die  Anrede  des  Hieron  bei  Bakchylides  besonderes 
Gewicht  legt;  ferner 

3.  C.  Robert,  Die  Ordnung  der  olympischen  Spiele 
und  die  Spieler  der  75. — 83.  Olympiade.  Herm«s  XXXV, 
S.  141  f.  und  dagegen 

4.  Fr.  Mie,  Die  Festordnung  der  olympischen 
Spiele.    Philol.  1901,  S.  161  f. 

5.  E.  N.  Gardiner,  The  method  of  deciding  the 
Pentathlon.    Journal  of  Hell.  Stud.  1903,  S.  54  f. 

6.  Ph.  Legrand,  La  victoire  au  pentathle,  ä  propos 
d'un  passage  de  Bacchilide  [VIII,  30].  Rev.  des  e*tud. 
anc.  III,  S.  1  f. 

Melanippides. 
4 ,  8  schlügt  W.  Headlam,  Notes  on  the  greek  ljric 
poets.  Class.  Rev.  1900,  S.  5  f.,  xa^a  8'  fj  ™'xa  st«  ^  V0IS  a^er 
9j  findet  sich  nietft  zur  Verstärkung  der  Epanadiplosis ,  und  hi  darf 
nicht  eingefügt  werden,  da  mit  V.  3  auch  der  Nachsatz  beginnen 
kann;  der  Vordersatz  wäre  dann  nicht  vollständig,  sondern  nur  in 
seinem  letzten  Teil  überliefert.  Zu  xdya  8r(  ^iya  vgl.  tote  8tj  t/5ts, 
das  öfter  den  Nachsatz  einleitet,  z.  B.  Demosth.  tr.  Tzerp.  47.  — 
Fr.  7  schreibt  Smith  zoÖou  st.  z*50ov  oder  i?4fhi>;  Bergk  ver- 
mutete 7c6f>a>v. 


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Jahresbericht  über  die  griechischen  Lyriker.  (Sitzler.)  245 

Philoxenos. 

Wilamowitz,  Textgeschichte  der  griech.  Lyriker, 
S.  85  f.,  nntersucht,  wer  der  Verfasser  des  unter  Philoxenos'  Namen 
gehenden  ÖeTirvov  ist;  er  weist  darauf  hin,  daß  es  die  Überlieferung 
unserem  Philoxenos  nicht  mit  Sicherheil  zuteile ;  denn  wenn  Athenäos 
auch  an  den  meisten  Stellen  6  Bi&upajißoiroio?  oder  6  Ko^pto?  dem 
Kamen  beifüge,  sage  er  doch  IV,  146 f.  efrrep  totrcoo  xat  6  xtupup- 
Siorcoto?  ÜXaTtov  Iv  x(j$  Oa'am  Ifxv^d)/;  xal  jxtj  too  AeoxaStoo  Odo- 
Uvou,  und  sonst  bezeichne  die  Überlieferung  den  Verfasser  Philoxenos 
nirgends  genauer.  Nimmt  man  noch  dazu,  daß  Inhalt  und  Versmaß 
zu  dem  Dithyrambendichter  nicht  passen,  so  wird  man  wohl  geneigt 
sein,  Wilamowitz  in  der  Aberkennung  des  Gedichtes  von  unserem 
Philoxenos  zuzustimmen.  Smith  und  Taccone  legen  es  dem 
Leukadier  bei,  was  wahrscheinlich  ist. 

Timotheos. 

Bei  der  von  der  Deutschen  Orientgesellschaft  unternommenen 
Aufdeckung  eines  Königsgrabes  des  alten  Reiches  samt  seiner  Um- 
gebung bei  dem  Dorfe  Abusir,  dem  alten  Busiris  bei  Memphis  in 
Ägypten,  fand  L.  Borchardt  am  1.  Februar  1902  eine  Papyrus- 
rolle, die  nach  Berlin  gebracht  und  hier  von  Ibscher,  Schubart 
und  Wilamowitz  studiert  wurde.  Es  stellte  sich  heraus,  daß  sie 
aus  der  Mitte  des  4.  Jahrhunderts  v.  Chr.  stammt,  also  das  älteste 
Buch  ist,  das  wir  bis  jetzt  besitzen,  daß  sie  aber  leider  nur  in 
ihrem  letzten  Teile  erhalten  ist,  also  weder  Titel  noch  Verfasser  des 
Gedichtes  enthält.  Trotzdem  konnte  über  beides  keinen  Augenblick 
ein  Zweifel  bestehen,  da  sich  der  Dichter  im  Gedichte  selbst  Timotheos 
nennt  und  ein  Gedicht  des  Timotheos,  in  dem  eine  Niederlage  der 
Perser  in  einer  Seeschlacht  gegen  die  Griechen  geschildert  wird,  nur 
dessen  berühmter  kitharodischer  Nomos  „die  Perser"  sein  kann. 

Der  kostbare  Fund,  den  die  Wochenschr.  f.  klass.  Phil.  1902, 
Kr.  36,  S.  990  und  die  Berl.  phil.  Wochenschr.  1902,  Nr.  45, 
S.  1404  f.,  anzeigten,  wurde  der  gelehrten  Welt  in  folgenden  Ver- 
öffentlichungen bekannt  gegeben 

1.  Der  Timotheos-Papyros.  Gefunden  bei  Abusir  am 
1.  Februar  1902.  Lichtdruckausgabe.  Leipzig  1903.  15  S. 
kl.  Folio  und  7  Lichtdrucktafeln.  Wissenschaftliche  Veröffent- 
lichungen der  Deutschen  Orientgesellschaft,  Heft  3. 

2.  U.  v.  Wilamowitz-Moellendorff,  Timotheos, 
Die  Perser.    Aus  einem  Papyrus  von  Abusir  im  Auftrage  der 


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246         Jahresbericht  Uber  die  griechischen  Lyriker.  (Sitzler.) 


Deutschen  Orientgesellschaft  herausgegeben.  Mit  1  Lichtdrucktafel. 
Leipzig  1903. 

Die  Faksimileausgabe  gibt  auf  7  Lichtdrucktafeln  ein  möglichst 
getreues  Abbild  des  Papyros;  jedoch  warnt  der  Herausgeber,  sich 
an  den  Stellen,  wo  nur  noch  Buchstabenreste  vorhanden  sind,  all- 
zusehr auf  die  Photographie  zu  verlassen. 

In  dem  den  Lichtdrucktafeln  beigegebenen  Text,  besonders  aber 
in  seiner  Timotheos-Ausgabe  bespricht  W  i  1  a  m  o  w  i  t  z  die  Bedeutung 
des  Fundes ;  er  ist  das  einzige  umfangreichere  Bruchstück ,  das  wir 
bis  jetzt  von  einem  Nomos  besitzen,  und  gibt  uns  infolgedessen  zum 
erstenmal  über  das  Wesen  dieser  Dichtungsart  näheren  Aufschluß. 
Das  Versmaß  besteht  aus  sogenannten  ct~oXeXufiiva,  und  die  Sprache 
zeigt  einen  festen  überlieferten,  wenn  auch  ausgearteten  und  manie- 
rierten Stil.  Besonders  eingehend  behandelt  Wilamowitz  die 
Entwicklung  der  Nomenpoesie  von  der  ältesten  Zeit  bis  herab  auf 
unseren  Dichter.  Durch  die  Perser  des  Timotheos  ist  der  epische 
Charakter  des  ^«paXo?  bestätigt,  und  sein  Inhalt  wird  jetzt  noch 
genauer  dahin  bestimmt,  daß  darin  Personen  redend  eingeführt  werden, 
um  so  verschiedene  Stimmungen  und  Gefühle  zum  Ausdruck  zu 
bringen.  Die  a<ppoqi?  aber  ist,  wie  sich  jetzt  zeigt,  wirklich  da9 
Siegel,  das  den  Namen  des  Dichters  nennt  und  so  sein  Eigenturas- 
recht an  der  Dichtung  wahrt.  Wie  die  aypvfo  rein  persönlicher 
Art  ist,  so  auch  der  kurze  Epilogos,  der  einen  Glück-  und  Segens- 
wunsch enthält. 

Der  Text  des  Papyrus,  der  nach  Wilamowitz  jedenfalls  nicht 
attischer,  wahrscheinlich  ionischer  Herkunft  ist  und  besonders  gegen 
Ende  manche  Fehler  und  Versehen  aufweist,  wird  zunächst  in  einer 
wortgetreuen  Abschrift  mit  genauer  Angabe  aller  unsicheren  und 
zweifelhaften  Buchstaben  mitgeteilt;  darauf  folgt  seine  Bearbeitung 
durch  Wilamowitz,  die  am  Fuße  jeder  Seite  eine  fortlaufende 
Paraphrase  des  Textes  im  Scholiastengriechisch  als  Erklärung  gibt. 
Auch  Ort  und  Zeit  der  Abfassung  des  Gedichtes  sucht  er  genau 
festzustellen,  worauf  ich  unten  zurückkommen  werde. 

Wilamowitz'  vortreffliche  Ausgabe  wurde  überall  freudig  und 
dankbar  begrüßt,  und  sofort  machten  sich  die  Gelehrten  daran,  die 
Kritik  und  Exegese  des  Fundes  weiter  zu  fördern.    So  erschienen 

1.  0.  I(m misch),  Das  älteste  griechische  Buch. 
N.  Jahrb.  f.  kl.  Altert.  100:1,  S.  65  f. 

2.  0.  A.  Danielsson,  Zu  den  Persern  des  Timo- 
theos.   Eranos  V.  1903,  S.  1  f.,  S.  98  f. 


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Jahresbericht  über  die  griechischen  Lyriker.  (Sitzler.)  247 


3.  Th.  Reinach,  Les  Perses  de  Timothy e.  Acad. 
des  Inscript.  27,  III,  1903.    Rev.  des  <Hud.  gr.  1903,  S.  62  f. 

4.  M.  Croiset,  Observations  sur  les  Perses  de 
Timothöe  de  Milet.    Rev.  des  etud.  gr.  1903,  S.  323  f. 

5.  B.  L.  Gilde rsleeve.  Amer.  Journal  of  Philol.  XXIV, 
S.  222  f. 

6.  V.  Inama,  I  Persiani  di  Timoteo  da  an  papiro 
di  Abusir.  Estr.  di  Rendiconti  del  R.  Istit.  Lamb.  di  scienze 
e  lettere.    Ser.  II,  vol.  XXXVI  1903,  S.  626  f. 

7.  M.  Fuochi,  I  Persiani  di  Timoteo.  Atene  e  Roma. 
1903,  S.  56  f. 

8.  L.  Levi,  Intornoa  Timoteo.  Riv.  di  stor.  ant.  N. 
S.  IX,  S.  14  f. 

9.  H.  Jurenka,  Der  neuaufgefundene  Timotheus- 
Papyrus  und  die  editioprinceps.  Zeitschr.  f.  österr.  Gymn. 
1903,  S.  5877  f. 

10.  S.  Sudhaus,  Zu  den  Persern  des  Timotheos. 
Rhein.  Mus.  1903,  S.  481  f. 

11.  Fr.  Blaß.    Gott.  gel.  Anzeigen  1903,  S.  653  f. 

12.  O.  Schröder.   Herl.  phil.  Wochenschr.  1903,  S.  897  f. 

13.  J.  Sitzler.    N.  phil.  Rundschau  1903,  S.  409  f. 

14.  J.  v.  Leeuwen,  AdTimotheiPersarum  carminis 
lyrici  fragmentum  nuper  repertum.  Mnemosyne  XXXI, 
S.  337  f. 

15.  H.  v.  Herwerden,  Timotheos'  Perser  105.  Berl. 
phil.  Wochenschr.  1903,  S.  896. 

16.  P.  Mazon,  Timothe"e  de  Milet  —  les  Perses  — 
traduction.    Rev.  de  Philol.  1903,  S.  209  f. 

17.  J.Melber,  Der  neuaufgefundene  kitharodische 
Nomos  des  Timotheos  von  Milet  „Die  Perser".  Blätter 
f.  das  Bayr.  Gymn.  1903,  S.  419  f. 

18.  N.  Terzaghi,  Timoteo  ed  i  Persiani.  Kuova 
Antologia  1,  IV,  1904, 

19.  V.  Strazzulla,  I  Persiani  di  Eschilo  ed  il 
nomo  di  Timoteo  volgarizzati  in  prosa  con  introduzione  storica. 
Messina  1904. 

Die  erste  Kolumne  ist  zu  verstümmelt,  um  daraus  etwas  Sicheres 
lesen  zu  können ;  die  zweite  Kolumne  ist  zwar  auch  lückenhaft,  aber 


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248         Jahresbericht  über  die  griechischen  Lyriker.  (Sitzler.) 


der  Sinn  läßt  sich  überall,  der  Wortlaut  in  den  meisten  Fällen  mit 
Wahrscheinlichkeit  feststellen.  In  den  sieben  ersten  Versen  wird  der 
Angriff  geschildert ,  und  zwar  zunächst  das  a;jv  £uß6Xotai  yoipdrcsiv, 
dann  das  irapaaupetv  xe?P*c  £Xa-tva?;  daher  ist  mit  Danielssou 
V.  6  al  U  zu  lesen.  In  demselben  Verse  ergänzt  Wilamowitz 
d^eTcsjAjiivcti ;  da  aber  das  7rapaaup£tv  die  rasche  Bewegung  des 
angreifenden  Schiffes  erfordert ,  so  ist  eher  dvOwpu^txsvat  oder  irsi- 
f  fysvcu  zu  lesen.  V.  4  f.  lautet  bei  Wilamowitz  Ttoal  U  fStföXof^ov 
o-Yxtofia  djA'^iöevTO  55ö*vTtt>v  .  <jt  .  .,  worin  YstaoXoy/ov  von  H.  D  i  e  1  s 
herrührt.   Danielsson  legt  die  Unzulänglichkeit  dieser  Lesung  dar 

und  vermutet  selbst  iroxl  öfc  icsvxiXofxov  äpyibzrzo  55<5vto>v 

axoXotc;  aber  irott  („und  dazu")  stört  den  Fortgang  der  Erzählung, 
und  was  D.  irevrlX.  liest,  fängt  im  Mscr.  sicher  mit  72  an.  Ich  möchte 
vorschlagen  irepl  5k  fstia  Xo^yosiSIcov  ct.  45.  cjtovu/'  „mit  den  Schnäbeln 
rissen  die  Schiffe  die  rapoppu|xaTa  auf  und  legten  um  die  tsis«  die 
Spitzen  ihrer  lanzenförmigen  Zähne  herum"  (vgl.  Eurip.  Or.  959 
xifteiaa  Xsoxöv  övuyat  5ia  rcapiji'ötov) ;  auch  an  oxovov  ließe  sich  denken: 
„und  ließen  um  die  7.  ihre  1.  Zähne  ringsherum  erdröhnen u. 

Mit  V.  8  beginnt  die  Schilderung  der  Abwehrmaßregeln,  zuerst 
gegen  den  Front-  und  dann  gegen  den  Flankenangriff.  V.  8  schlägt 
Wilamowitz  beispielshalber  dTrpo'fdauJro*  zur  Ergänzung  vor;  mir 
erscheint  tij  dvtuioro?  passender,  und  auch  V.  10,  wo  W.  pTjci'u-p* 
herstellt,  halte  ich  die  Erwähnung,  daß  der  Stoß  gegen  das  Vorder- 
deck geführt  wird,  für  nötig  und  wünsche  daher  pi^tVrofios  oder 
j>Tj;tTrp«)poc.  Im  folgenden  ergänzt  Danielsson  gut  irdvce?  iravl- 
Tcurtov  ixeiae  vai/cai,  und  ebenso  Wil.  V.  12.  W.  Schubart  er- 
kennt am  Ende  von  V.  13  im  Ms.  stuov  und  schließt  daraus,  daß 
hier  die  drcoat'iMoai?  (vgl.  Thuk.  4,  25,  5)  erwähnt  war.  Im  Anschluß 
daran  vermutet  Dan.  -irpö»  atji^v:  „sie  fuhren  seitwärts  von  der  viel- 
schlagenden Fichte  (dem  vielberuderten  Schiffe)  zurück".  So  ver- 
misse ich  aber  die  nähere  Bestimmung  zu  &?£povto,  während  mir  die 
Nennung  des  Schiffes,  von  dem  sie  zurückfuhren,  unnötig  erscheint, 
da  es  ja  im  Vordersatz  enthalten  ist.  Demnach  müßte  man  roXo- 
xpfoot?  im  atjiöv  Treoxat?  lesen;  doch  ist  bei  Timotheos  7:oXoxpotou? 
iirl  0.  Trsüxa?  tt.  i'^povto  vorzuziehen:  „sie  schlugen  (bewegten)  die 
vielrauschenden  Iiuder  nach  der  Seite  hin  (im  Bogen)  rückwärts", 
d.  h.  sie  ruderten  rückwärts  im  Bogen ;  zu  cplpstv  xturcotc  vgl.  Thuk.  2, 
84  und  Plut.  Dem.  53,  Anton.  24  rt  efpeaiet  dvot'f£peTcu. 

Hinter  V.  14  ist  stark  zu  interpungieren ;  denn  V.  15  f.  be- 
schreiben die  Wirkung  des  Angriffes  in  drei  Hauptsätzen  mit  7.1  oe, 
tA;  H  und  al  ö£,  wie  Danielsson  und  Gildersleeve  sahen; 


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Jahresbericht  über  die  griechischen  Lyriker.   (Sitzler.)  240 

die  erste  Gruppe  umfaßt  die  Schiffe  mit  lecker  Seite,  die  zweite  die 
vom  Fallklotz  getroffenen  und  die  dritte  die  seitwärts  umgefallenen. 
V.  15  ergänzt  Wilamowitz  al  8i  Trspl  raVcr,  701a  Sia^spouoai 
-Xsopdc  XivoCtocTtouf  s<paivov  und  erklärt:  Saat  8fc  xataöpaus&sta&v 
t5v  xu)7tü>v  Ssöpo  xdxeias  cpepofievai  -cot?  irXeupa?  xdc  oiaCtopaai  -spiei- 

Xyjjxulva?  i-pfAvouv  und  dazu  S.  57,  Anm.  3:   „die  irXsupal  X  

werden  erst  sichtbar,  wenn  sie  die  efpsitot  nicht  mehr  verbirgt"; 
Gildersleeve  macht  auf  das  Unzutreffende  dieser  Bemerkung  auf- 
merksam und  faßt  Sia'flpetv  in  der  Bedeutung  „trennen",  worin  ich 
ihm  folge :  ich  lese  demnach  >xl  eoauva-xa  701a  Stacpepouaa?  irXsupic 
x-X.:  „zeigen  die  Seiten  als  solche,  die  die  wohlgefügten  Glieder 
trennten",  d.  h.  sie  zeigten  klaffende  Fugen.  V.  17  stellen  Gilders- 
leeve und  Danielsso n  übereinstimmend  her:  tok  8£  jxoXyßoivov 
(oder  |ioXißivov  Dan.)  irru/aT?,  das  letztere  von  Wilamowitz,  der 
auch  das  Folgende  ergänzt  hat. 

Die  V.  22 — 35  geben  eine  lebhafte  Beschreibung  des  Kampfes 
der  l7nßotTai,  freilich  der  Zeit  des  Timotheos  entsprechend.  Sie  sind 
von  Wilamowitz  vortrefflich  ergänzt;  nur  hätte  er  die  va'i'ot 
araXo-fiAOt  V.  33  f.  von  Blutstropfen ,  nicht  Feuerfunken  verstehen 
sollen,  wie  so  ziemlich  alle  Gelehrten  bemerken.  V.  35  hat  der  Pap. 
nach  W.  aorai ;  ich  finde  tuirai.  W.  liest  also  xpau^oT  ßoa  ok  au^ii^rfi 
xatet/ev;  vergleicht  man  aber  Aesch.  P.  427:  alpm^  xtoxüjiotnv 
xottetxe  ireXa^tav  5Xa,  so  wird  man  imcvt'  fo^a  ßod  8£  xtX.  vorziehen, 
zumal  da  so  auch  die  Lücke  mit  vier  bis  fünf  Buchstaben  ausgefüllt 
wird,  die  für  xp  zu  breit  ist. 

Von  V.  36  an  folgen  einzelne  Stimmungsbilder  aus  der  Schlacht. 
Das  erste  zeigt  uns  einen  reichen  Perser,  der  beim  Angriff  auf  die 
Feinde  ins  Meer  stürzte  und  nun  auf  Schiffstrümmern  sich  zu  retten 
sucht,  aber  von  den  Fluten  verschlungen  wird,  nachdem  er  seinem 
Perserstolz  in  verächtlichen  Worten  gegen  das  Meer  Ausdruck  ge- 
geben hat.  V.  37  ergänzt  Wilamowitz  ajjLu.t?a  auxic;  da  aber 
noch  von  keinem  Unterbrechen  des  Angriffes  die  Rede  war,  gefällt 
mir  appt?'  dz(  ttox'  oder  aujuy'  aoxvo?  besser.  V.  38  ändert 
Danielsson  lyffoamyiai  gut  in  ty&oocrte?£ai ;  statt  liapjxapoirclpot?, 
-wie  Wil.  vermutet,  wünscht  er  aapjiapo^itXoif ,  besser  Leeuwen 
jiapjiapoirTuxoi?;  auch  an  jxapjxapoTrXaxot?  „marmorflächig,  glänzend" 
könnte  man  denken.  In  V.  40  verlangt  W  i  1.  mit  Recht  ein  Ethnikon 
zur  Ausfüllung  der  Lücke ;  aber  daß  der  Sprecher  kein  Phrygier  ist, 
verraten  seine  Worte  V.  83  f.  Ich  lese  £v&«  toi  ti?  Ileparr^.  Das 
Adj.  7t£8io?  erklärt  Danielsson  richtig  als  „Ebenenbewohner, 
Binnenländer"  im  Gegensatz  zu  vr^iwTTfj; ;  ob  aber  nicht  reStvfo  zu 


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250         Jahresbericht  über  die  griechischen  Lyriker.  (Sitzler.) 


lesen  ist?  Einzelne  Buchstaben  fehlen  im  Pap.  öfter.  Die  Worte 
duepo$p<5uoio  ya>p*?  ^votc  foß*  Wil.  richtig:  ossiroxr;?  d^pcov,  oSc 
u<5Xt?  dv  Y;uspa;  8p«5uoc  ixßatrj;  ähnlich  Th.  Rein  ach:  „maltre  d'une 
domaine  qu'il  fant  un  jour  entier  pour  traverser",  obgleich  er,  durch 
Wilamowitz'  Übersetzung:  „Herr  eines  Gebietes,  das  kaum  eine 
Tagereise  durchmaß"  getäuscht,  im  Widerspruch  zu  ihm  zu  stehen 
glaubt.  Auch  die  folgenden  Verse  hat  Wil.  vortrefflich  hergestellt; 
nur  möchte  ich  noch  darauf  hinweisen,  wie  geschickt  der  Dichter 
dpoüv  und  Wstv  (sc.  a<popa  ßwXoxo^) ,  die  gewöhnlichen  Be- 
schäftigungen des  Gutsbesitzers,  auf  seine  jetzige  Lage  tiberträgt. 
V.  46  ist  eher  Ttzlaya;  als  xouaxozX^;,  wie  Wil.  will,  am  Platze; 
denn  der  Begriff  des  xou*xot:Xt;;  ist  schon  hinlänglich  geschildert, 
während  man  zu  3ts;o8ou?  eine  Bestimmung  vermißt.  Nach  diesem 
Verse  darf  man  nicht  mit  Wilamowitz  interpungieren ,  da  die 
Schilderung  weiter  geht;  denn  in  x27raXeoo,  das  er  in  xe  7caX£uov 
auflöst,  steckt  xe  d~aXeu6usvo?;  cc  nach  z  ist  ausgelassen,  wie  ja 
Buchstabenauslassungen  im  Pap.  nicht  selten  sind.  Der  Perser  sucht 
dem  gleichen  Schicksal,  wie  es  die  anderen  trifft,  zu  entrinnen,  und 
in  seiner  Bedrängnis  wendet  er  sich  um  Hilfe  an  die  Götter.  Der 
Schluß  seines  Gebetes  läßt  sich  aus  V.  55  noch  gewir.nen:  fav  a<5ov 
rpoc  7raTpiöa  Ilspaav.  Das  Gebet  war  in  direkter  Rede  mitgeteilt, 
wie  aus  dem  Anfang  des  V.  56  folgt :  xoaaöx'  s/pa.  Den  Buchstaben 
dahinter  hält  W  i  1.  für  a,  er  ist  aber  eher  ein  x,  und  so  lassen  sich 
die  folgenden  Verse  beispielsweise  herstellen:  xai  pi*jfsQvxci  yui«  Trdvx' 
£xsxpctX7jXSt  ostud  viv  xeXaiwSv,  dußXb  o5  u>ypov  sTye  xd?  Trapijtoac 
xaxsa^pa-^fASvotc.  Der  Grund  für  die  Angst,  die  ihn  fesselt,  ist  in 
V.  60  f.  enthalten :  dmaxa  -j-dp  sitts  rauroXX&v  ßod  rvrjXou  xe  xp*5xo? 
dyyi  xaxd  vtoxou.  Dieser  plötzlich  drohenden  Gefahr  will  er  aus- 
weichen und  sucht  in  die  Mitte  seiner  Landsleute  zu  gelangen,  um 
einen  Schiffsbalken  sich  schmiegend :  6  ok  r/sot'  drotXstSwv  ostV  täiZrfl' 
(oder  iTraTTr^v'),  orou  ßdatuov  sopetv  Stooov  Suvaix'  k;  /£tpoc 
I  lepatoo?  du'ft  vatoi;  xp-rfsaiv  IXtyÖet;,  das  letzte  djxrpl  xxX.  mit 
Danielsson;  zu  dem  Akt.  d-aXsuto  vgl.  Aeschyl.  sept.  87,  141, 
suppl.  52!».  Doch  es  gelingt  ihm  nicht;  denn  der  Wind  treibt  ihn 
wieder  zurück:  dXXd  vtv  dijxou  Xdß'  sjiTraXiv  sxpssov  1rv2O.ua.  Jetzt 
kommen  von  Überall  die  Windstöße  ohne  Unterlaß  heran  und  über- 
schütten den  Perser  mit  dem  Seewasver,  dessen  er  sich  nicht  mehr 
erwehren  kann:  x<5xs  5s\  x*  Xei-otev  otopai,  xao'  IttEiasTu-xov,  cfcppusv 
ö*  dßayyt'wxo;  xxX.  Wil.  liest  Sxs  5s  xa  X.  aupat,  x5o'  lirsiaeVnrtsv 
d'fpcuSr^  otß.  xtX.  Daß  aber  das  hs.  l~£i«'~i-xov  mit  dem  Subjekt 
aupcti  zu  halten  sei,  hat  Sudhaus  gesehen,  und  die  Beziehung 


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Jahresbericht  über  die  griechischen  Lyriker.   (Sitzler.)  251 

x$  .  .  .  xaoe  wurde  von  Danietsson  erkannt,  der  auch  d<ppq>  8e 
(7:8pieCc3£v>  dß. .  wie  Sudhaus  das  überlieferte  a<ppü>ta8s  ändern 
wollte,  gut  zurückweist;  er  selbst  vermutet  a<ppst  8'  dß. ,  aber  der 
Überlieferung  und  dem  Versmaß  entsprechender  ist  ct9piCe(v)  8'  aß.; 
e  ging  in  a  über,  und  tC  wurde  a>i.    Noch  nicht  geheilt  ist  V.  79  f. 
diret'Xei  ifOfitpotc  Sjirpuov  jxifjLO'j}jLevo<;  Xujxsävi  at&fiaxo?  OaXdaaa,  wie 
Wilamowitz  st.  ÖaXaaa?  geschrieben  hat,  indem  er  erklart:  r^si'Xet 
ÖaXaiOTQ  tfj  t£>  aö>ua  6iaXojiaivojx£vT(j,  oia  futi^ascu?  ^oOv  toi?  ooouai 
xatairpuov.     Wie    unwahrscheinlich    diese    Auffassung    ist,  weist 
Danielsson  nach;  jujxoyjisvo?  =  oia  jxiji^aeeuc  ist,  so  gebraucht, 
unmöglich.    Sudhaus  verwandelt  den  Dativ  in  den  Accus,  abh. 
von  }ii}io'j|x£voc :  jai[io6{asvoc  XouE&va  a.  ddXaaaav:  „der  Barbar  hat 
mit  seinen  Evolutionen  dem  übermächtigen  Verderber  nachgeahmt; 
das  Folgende  ist  also  ein  öaXaaafyöo^o?  jxifio?,  und  das  muß  in  der 
Musik  dargestellt  gewesen  sein,  also  eine  Parallele  zu  der  Nauplios- 
partie,  in  der  Timotheos  mit  musikalischen  Mitteln  den  Sturm  am 
Kap  Kaphareus  darstellte  (Athen.  VIII,  338  a)u.    Ich  bezweifle  die 
Musikmalerei  an  unserer  Stelle  nicht,  wohl  aber,  daß  sie  der  Dichter 
als  von  dem  Ertrinkenden  beabsichtigt  hinstellte;  seine  irren  Reden 
sind  die  Folge  seiner  Verzweiflung  (vgl  V.  76  f.).  Danielsson 
will   das   unerklärliche  {xijioüjisvoc  in  ßpifio^svo?,   Leeuwen  in 
öojxo'jfievoc  verwandeln ,  was  möglich ,  aber  neben  fOfiooi?  ijnrpt'tov 
wenig  wahrscheinlich  ist.    Vielleicht  ist  {itjxoufxevo?  aus  einer  Bei- 
schrift zu  y»  £\LT>p(tov :  jxt|ioojA£vo?  töv  xaTrpov  t&v  xtX.  entstanden 
vgl.  V.  98  ßapßapo?.    Zu  y»  ^u.^pt«*v  darf  man  nicht  mit  Wil. 
fodXasaav  hinzu  denken ,  sondern  wenn  ein  Objekt  nötig  ist ,  was 
Danielsson  bestreitet,  nur  -pu/poo?.   V.  89  schreibt  Wil.  vojxdaiv 
aCryaC?,  was  nicht  genügt;  daher  haben  D an i e  1  ss on ,  Croiset  und 
ich  unabhängig  voneinander  vop.au  vautatc  gebessert,  und  das  scheint 
mir  auch  jetzt  noch  richtig.    Der  Hauptgedanke  der  Rede  ist  der, 
daß  „die  souveräne  Ungebundenheit  des  Meeres  eine  demütigende 
Beschränkung  erleiden  soll".    Das  Bild  ist  von  der  Behandlung  des 
unfolgsamen  8oOXoc  hergenommen;  wie  ein  solcher,  ist  das  Meer 
früher  wegen  seines  Ungehorsams  in  Fesseln  gelegt  worden .  ein 
Hinweis  auf  die  Überbrückung  des  Hellesponts,  und  auch  jetzt  wird 
es  wegen  der  neuen  Auflehnung  mit  Schlägen  und  Einkerkerung  be- 
straft werden;  das  Schlagen  wird  an  ihm  durch  die  Ruder,  die 
TcsOxat  opivovot,  vollzogen,  und  daher  ist  V.  86  wohl  avtapä&i  st. 
dvatapa'cei  zu  schreiben,  abgeleitet  von  dvx-apaaaeiv;  dVci'  „zur  Ver- 
geltung"; Schloß  und  Riegel  aber,  hinter  die  das  Meer  kommt, 
stellen  die  vou.d8ec  vaOxai  dar,  die  es  infolge  ihrer  Menge  unter  sich 


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252         Jahresbericht  über  die  prieehischen  Lyriker.  (Sitzler.) 


bedecken.  Das  Wort  mtXeojxtsijpa '  (V.  90)  erklärt  Wil.  zaXai  as 
{xsa^xa;  Danielsson  nimmt  richtiger  ein  von  raXatoc  getrenntes 
Adjektiv  ^aXeo?  „töricht,  toll"  an  und  übersetzt  „Tollscheusal u ; 
auch  in  der  Erklärung  von  amaxov  te  a7xaXtau.a  xXuat5po(ia'5o?  a-jpa*, 
die  bei  Wil.  lautet:  xal  irpoootixw?  7repißaXXoo3ocv  ÖaXasaav  u-sx* 
aopa?  ooxtoc  w/iux  i7rspyo<jivrjs  «oaxe  us  xaxaxXödat.  stimme  ich 
Danielsson  bei:  „und  tückischer  Buhle  des  im  Wellenspiel 
dahineilenden  Windes",  mit  dem  auch  Gildersleeve  zusammen- 
trifft. Daß  nach  V.  89  nur  mit  Komma  zu  interpungieren  ist,  be- 
merkt Danielsson. 

Das  nächste  Bild  (V.  97  f.)  stellt  die  Niederlage  und  Flucht 
der  Perser  samt  ihren  Klagen  dar.  In  V.  99  herrscht  große  Ver- 
schiedenheit in  der  Auffassung  von  aopxt?;  Wilamowitz  erklärt 
ocXXt}  $'  aXXijv  <juv^p«33e  ?opa  und  führt  dies  S.  44  weiter  aus:  „ein 
Strudel  von  Schiffen,  die  in  eine  Richtung  gerissen  sind  und  nun 
zusammenstoßend  zerschellen";  aber  gerade  dieses  „zusammenstoßend** 
sucht  man  im  griechischen  Text  umsonst  und  fragt  sich  dabei  un- 
willkürlich, wie  dies  möglich  ist,  wenn  die  Schiffe  „in  eine  Richtung 
gerissen  sind".  Inama  faßt  supxt?  als  „lunga  fila  di  navi"  und 
verbindet  damit  }j.axpauyev6irXou?  =  sopxi?  vewv  {xaxpa'jysvoirXotDv. 
Croiset  versteht  unter  atipxw  tiaxpaoyev6irXou?  „le  vaisseau  entratne' 
a  travers  le  long  col  du  dötroit",  Sudhaus  „die  Woge",  indem  er 
übersetzt:  „im  Wirbel  der  Brandung  zerschmettert  eine  Woge  die 
andere,  mit  langem  Kamme  heranrollend"  ,  und  die  Wogen  auch 
Subjekt  zu  dem  folgenden  exßaXXov  sein  läßt.  Alle  diese  Erklärer 
nehmen  aXXa  aXXav  reziprok ,  was  nicht  unmöglich  ist ,  aber  doch 
viel  seltener  als  die  distributive  Bedeutung.  Ihren  auseinander- 
gehenden Erklärungen  gegenüber  erscheint  es  als  das  Sicherste,  bei 
der  gewöhnlichen  Bedeutung  von  aupxi?  stehen  zu  bleiben,  nach  der 
es  eine  Sandbank  und  dann  allgemein  alles  bedeutet,  worin  ein  Schiff 
und  weiterhin  auch  anderes  scheitert;  zu  aXXotv  ist  vauv  zu  denken, 
und  jiaxpauyev<$7rXouc  gehört  zu  dem  folgenden  Satz  als  Attribut  zu 
den  Rudern ,  die  forXa  jxotxpou?  aOy£va;  lyovta  sind.  Ähnlich  ist 
Danielssons  Erklärung,  der  auf  Hesych.  aopxt?*  ?öopa  xai  Xuixtj 
hinweist  und  an  urtserer  Stelle  das  Wort  =  vauarrta  faßt  :  „das  eine 
Schiff  wurde  durch  diese,  das  andere  durch  jene  Art  von  Schiffbruch 
zertrümmert".  So  sehr  in  der  Auffassung  von  aupxt?  die  Meinungen 
auseinandergehen,  so  einmütig  sind  sie  in  der  Deutung  der  jictpaapo- 
«pe^eic  zatos?  (V.  103  f.).  unter  denen  Wilamowitz  auf  Anregung 
Di  eis'  „die  im  Dollenbord  (xpa?ij;'  xo  ttjc  vewe  ystXoc  Hesych; 
daher  ,der  Mund')  eingesetzten  Dollen  (<JxaXu.ot.  tuXoi)"  verstand, 


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Jahresbericht  über  die  griechischen  Lyriker.   (Sitzler.)  253 

„an  denen  die  Ruder  befestigt  sind,  und  die  weiß  sind,  weil  sie 
nicht  gestrichen  werden  können  und  durch  die  Huder  stark  gescheuert 
werden";  Kein  ach  u.  a.  denken  an  die  wirklichen  Zähne  im  Munde 
der  Schiffsleute ,  und  nur  Croiset  bezieht  die  Worte  auf  einen 
Schinuckgegenstand  am  Vorderdeck  des  Schiffes.  V.  106  hat  der 
Pap.  Äi-o-vor^  Xi  .  .  Tcspestv,  was  Wilamowitz  in  'l/uyouxsp^atv 
korrigierte,  indem  er  annahm,  daß  der  Schreiber  h  .  .  aus  Xi~o 
irrtümlich  wiederholte,  und  dies  ist  immer  noch  die  einfachste  Lösung 
der  Schwierigkeit.  Blaß  und  Sudhaus  lesen  Xivoorsplaiv ,  der 
erstere  mit  der  Abänderung  des  vorhergehenden  m^oicv^ö  in  £7X1- 
trorvooic,  ein  verstärktes  Xiuo7rvooi?.  sonst  nicht  vorkommend  und 
auch  seiner' Bildung  nach  singulär,  der  letztere  mit  der  Erklärung: 
„von  dem  Moment  ab,  wo  der  Wind  sich  gelegt  hat",  was  nicht 
paßt,  wie  Danielsson  nachweist;  dieser  selbst  aber  dachte  an 
XtPo3TEpeaiv  von  dem  sonst  nicht  vorkommenden  XißocrcepTjc  „tot", 
das  er  mit  dXißa?  zusammenbringt.  V.  112  ziehe  ich  dpo^»  dem  vom 
Herausgeber  ergänzten  76^  vor.  einmal  weil  so  der  Raum  besser 
ausgefüllt  wird,  dann  weil  unmittelbar  darauf  -pT^at  folgt,  und  endlich 
weil  Opoco  besser  zu  atepvoxTurcp,  das  nicht  in  atepvoxxoiroi  abgeändert 
zu  werden  braucht,  paßt.  Taccone  wünscht  Horn.  Auch  V.  114 
6cheint  mir  ^av  die  Lücke  nicht  auszufüllen;  etwa  yÖovaV  Freilich 
kann  auch  der  Lichtdruck  täuschen.  V.  117  ist  die  Überlieferung: 
poaasdl  fi'  •  £vö£v8s  vOv  d^tat?  <p  spftaefta  beizubehalten .  wie 
Danielsson  u.  a.  bemerken;  allerdings  wünscht  der  letztere 
tpepotjieÖa  und  möchte  auch  st.  ptSaaaöe  lieber  Optativ;  aber  daß 
der  Sturm  wirklich  tobt,  sagt  der  Dichter  ausdrücklich,  und  dieser 
droht  ihn  jetzt  mit  sich  fortzutragen;  da  muß  göttliche  Hilfe  ein« 
treten;  denn  sonst  wird  er  nicht  mehr  in  seine  Vaterstadt  gelangen, 
sondern  spurlos  verschwinden:  o»j  ^kp  ^  xxX. ,  mit  der  Ergänzung 
icoXt;,  die  Danielsson  st.  xo*vic  (Wil.)  vorschlägt;  an  icaipi?  dachte 
Inama  und  ich.  Die  Herstellung  der  V.  120  f.  ist  noch  nicht  ge- 
lungen. Sie  müssen  nach  dem  Zusammenhang  den  Grund  enthalten, 
warum  der  Sprecher  göttliche  Hilfe  anruft;  er  ist  zu  weit  von  der 
Heimat  entfernt,  um  sich  selbst  dahin  retten  zu  können.  Dieser 
Forderung  wird  Sudhaus'  Ergänzung  nicht  gerecht:  ji^ftev  yotp  )(ept, 
-tcrc£p  vop/f  aio^oV  'Opr^aifliov  avxpov  o?xu>v,  IvaV  "\a?ax\  a-ey'  dftoaaov 
efre  8  ßaOt/cepov  ttovtoio  ydap*  a-rsye  jia'xijiov  iaova;  außerdem 
stimmt  sie  mit  der  Wiederholung  von  draye  und  der  mythologischen 
Gelehrsamkeit  nicht  zur  Art  des  Timotheos,  und  endlich  ist  auch 
pefHv  (=  ijx^Osv  vgl.  Kaibel  com  Gr.  fr.,  S.  157)  und  'Iaova  im 
Munde  des  Asiaten  für  Athener  wenig  wahrscheinlich.    Aber  richtig 


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254         Jahresbericht  über  die  griechischen  Lyriker.  (Sitzler.) 


hat  Sudhaus  im  ersten  Wort  fr  vor  sv  gelesen,  ferner  <j  vor  ovstiso 
und  )ra3{ia  nach  i^vtoio  (st.  tipjAOt).    Danielssons  Ergänzung 
entspricht  dem  Gedanken,  wenn  man  sie  auch  nicht  in  allen  Einzel- 
heiten billigen  kann :  xsiöey  ydtp  /Epipporffi?  Nofi/f  aioy^viov  sxiov  dvtpov, 
SUev  IvaXt'ot?  xaid   ir^a?   jx^Xov.     elf)'  Z   ßaöüTSpov  /ds^ct  a~z/s, 
lia/t^ov  ttX*5i(xov  "EXXav*.    Für  richtig  halte  ich  xetus^),  das  an  das 
vorhergehende  icoXic  anschließt ;  wenn  er  aber  bei  vojrf  atoy.  dvtpov 
an  den  Athos-Kanal  des  Xerxes  denkt,  so  kann  ich  ihm  nicht  mehr 
folgen.    Ich  erblicke  darin  die  Bezeichnung  einer  als  tief  bekannten 
Stelle  des  Meeres,  über  die  die  feindliche  Flotte  hinweg  und  weiter 
fuhr;  die  letztere  ist  mit  ytpi  gemeint.    In  oioiTraxot  steckt  meiner 
Meinung  nach  mit  einem  kleinen  Versehen  öt£Tc/jxa,  das  mit  xstfhv 
verbunden  die  Entfernung  von  der  Heimat  des  Sprechenden  aus- 
drückt, also  etwa:  xsT&ey  ydp  yspi  ?'  aXeT  Nujicpotio-^vov  iv  auov 
ovTpov  6}iapTa)v  (oder  onaBüiv)  8i£3taxa  rlpav  tosov  (oder  drcEtpa 
tfoov,  TTgpi33<5v)  e^e  2r>  (nämlich  als  N.  dvtpov)  ß.      yaciaa  arcr/e 
{xa/ijxov  oa'iov;  der  jt.  oaio?  sind  die  Hellenen.   Damit  läßt  Sudhaus 
die  Rede  des  Mysiers  zu  Ende  sein  und  die  Klage  eines  Lydiers 
einsetzen.    V.  125  ergänzte  Wil.  s'jTwpj;  da  o  auf  dem  Faksimile 
nicht  vorhanden  ist,  sondern  nur  eine  Spur,  die  ebensogut  auf  i 
deuten  kann,  schlug  D an i e ls son  efi>£  ur,  vor,  was  vortrefflich  zum 
Vorhergehenden  und  Nächtigenden  paßt ;  dagegen  ist  Dan.s  ^jiitsXeo- 
Tropov  nicht  so  gut,  wie  Wil.  ttjXet.  oder  Sudhaus'  sxijXoteXsot:., 
und  auch  "KXXavd  t*  spetuv  "Apr,,  wie  Dan.  mit  dem  Pap.  liest,  gefällt 
weniger  als  Wil.  leichte  Korrektur  "EXXav'  drip^cov.   V.  132  nimmt 
Dan.  'IXtorco'po?  mit  Hecht  gegen  Sudhaus'  töioroSpo?  in  Schutz  und 
sieht  in  Xoat'a  =  Xu3i?  das  Subjekt  des  Satzes,  freilich  will  er  'iXto*- 
Tropof  schreiben,  was  ich  nicht  billige.    Die  Worte  zl  Sovatd  halte 
ich  für  einen  Zwischensatz,  so  daß  irpo?  u£Xajj.7reTaXo/tTa>va  xtX.  von 
'IXionopo?  xtX.  abhängt  in  finalem  Sinn:  rum  zu  fallen  und  usw.". 
In  V.  137  ist  ajKptßaXXtovXiackov  überliefert,  woraus  Wil.  d|A'.plßaXXov. 
XGaov  machte ;  aber  zu  rpö?  -faiii  tejsiv  gehört  notwendigerweise 
das  /Eipac  du^tßdXXeiv,  und  daraus  ist  meiner  Meinung  nach  die  über- 
lieferte Lesart  entstellt.    Danielsson  nimmt  an  sftcoXs'voo;  yjXpi^ 
das  der  Sprechende  von  sich  gebraucht,  Anstoß  und  schlägt  dti^t- 
ßdXXoi,  abh.  von  £?,  vor,  um  dieses  Glied  auf  die  Göttin  beziehen 
zu  können,  sprachlich  und  sachlich  gleich  bedenklich,  da  der  Subjekts- 
wechsel hart   und   das  dji'fißdXXsiv  xsTpac  tot?  ^6v<xzi  Sache  des 
Bittenden  ist.   Verbindungen  wie  eücoXevoi  /£tpe;,  auch  mit  Beziehung 
auf  den  Redenden  gebraucht ,  sind  bei  den  Griechen  schon  seit 
Homer  im  Gebrauch;  so  sagt  z.  B.  Eurip.  Hipp.  200  Phädra  mit 


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Jahresbericht  über  die  griechischen  Lyriker.   (Sitzler.)  255 

Beziehung  auf  sich  zu  den  Dienerinnen:  Xocßs-r'  eoir^yet;  yetpaj  und 
Bakch.  1206  Agaue  von  sich:  Xeoxoir^yeat  yeipwv  dxfiaTori.  Die  Ver- 
besserung von  Wilamowitz  Xoaov  ejiov  alwva  im  Sinne  von  aa>aov 
töv  £jxöv  ßfov  ist  zwar  nicht  unmöglich,  wie  auch  Dan.  in  der  Be- 
richtigung zu  S.  117  zugibt,  aber  doch  ungewöhnlich;  außerdem 
vermißt  man  die  Verbindung  mit  dein  Vorhergehenden.  Ich  glaube 
daher,  daß  Xiacrouv  nach  aXXeov  durch  Auslassung  und  Entstellung 
aus  dXXa  aokjov  (oder  aaa>V)  entstanden  ist;  die  Gleichheit  der 
Buchstaben  war  die  Ursache.  Sudhaus  nimmt  den  Ausfall  einer 
ganzen  Zeile  an :  dji'f ißaXXtov  Xt^arsaöat  as ,  udxoctpa ,  vuv  öuvaijxav 
Iposaa&at  öia)au>v  xtX.  Das  Adj.  jxr]3To>p  V.  143  scheint  Dan.  richtig 
mit  „kriegerisch,  streitbar"  zu  erklären  (vgl.  Ilesych.  ji^Trwp*  icoXe- 
fuonfc) ;  sonst  läge  die  Annahme  einer  Verschrcibung  aus  dXaaTopi 
nahe.  V.  147  f.  bezeichnet  «yoiiov  eI5o;  6?<mov  die  Kleidung,  wie 
Inama,  v.  Arnim  (bei  Jurenka)  u.  a.  sahen;  die  Abänderung 
von  eTBo?  in  gpxoc,  die  Sudhaus  verlangt,  erklärt  Dan.  mit  Recht 
für  unnötig. 

V.  151  f.  hören  wir  die  Klagen  eines  Phrygiers,  der  gefangen 
genommen  wird.  V.  156  hat  der  Pap.  cryst,  was  Diels  in  a^ev 
änderte;  da  aber  a-j-sv  nach  a-pi  auffallend  ist,  zieht  Danielsson 
die  Schreibung  dqot  st.  aif&i  auch  an  zweiter  Stelle  vor,  indem  er  an 
eine  Wiederholung  des  Verbums  im  Vordersatz  denkt  und  mit  V.  157 
6  8'  dp?l  x-X.  erst  den  Nachsatz  beginnen  läßt.  Das  letztere  halte 
ich  für  richtig,  nicht  aber  die  Wiederholung  des  a-pt,  das  aus  einem 
anderen  Wort,  etwa  aus  *«S  „mit  festem  Griff",  verschrieben  ist, 
unter  dem  Einfluß  des  gewöhnlichen  dfysiv  xO|x*i*  fcmaicasac  vgl.  Eur. 
Hei.  116,  Androm.  710,  Troad.  882.  In  der  Erklärung  von  V.  162 
I7&  jioi  ffoi  stimmt  Gild  er  sie  eve  Wil.  bei:  ao?  £?<ai?  indem 

er  bei  lyb  |ioi  an  eine  Krasis  aus  if<it  styti  nacli  Analogie  von  ^ujjiott 
denkt,  die  bei  dem  Phrygier  wohl  möglich  wäre;  -t  npo^a  faßt  er 
dann  im  Sinne  von  xi  6si  jas  iroietv.  Miller  dagegen  meint,  der 
Barbar  wollte  auf  seine  Art  nur  dem  Gedanken:  „was  habe  ich  mit 
dir  zu  tun?  Wir  haben  keinen  Streit"  Ausdruck  geben,  und  dieser 
Ansicht  bin  auch  ich;  das  Stottern  i^w  jioi  malt  die  Todesangst 
des  Phrygiers  vortrefflich.  Neben  den  Formen  sXf)w,  f^e,  epyu>, 
xatto»  darf  auch  fia/s?  nicht  mit  Wil,  in  pd/esO'  geändert  werden; 
es  ist  =  jiaylaai. 

Das  letzte  Bild  zeigt  uns  den  besiegten  König  und  die  sieg- 
reichen Hellenen.  V.  1 78  f.  bietet  der  Pap.  ovu;i ,  was  W  i  1.  in 
ovjyi  abändert;  dagegen  behält  er  das  Asyndeton  Ilepaioa  gtoXtjv  xtX. 
bei,  obgleich  es  unbegründet  ist.    Der  Fehler  steckt  in  der  Doppel- 


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250         Jahresbericht  über  die  griechischen  Lyriker.  (Sitzler.) 


Schreibung  von  ov  in  rpoffu>7:ov  ovo;,  und  in  der  Auslassung  von 
8s  nach  UspaiSa;  ich  lese  also  TTpoWir'  ovo£i,  üspaßa  hk  axoXijv 
xxX.  Sudhaus  hält  an  ovuyt  fest  und  schiebt  xal  vor  II  spat  oa  ein. 
V.  193,  wo  Wil.  at  schreibt,  wird  wohl  richtiger  al  „wehe"  zu  lesen 
sein.  Die  Annahme  einer  Lücke  nach  vasc  Ih  in  V.  195  halte  ich 
für  unnötig.  Was  der  Herausgeber  vermißt ,  deutet  er  mit  den 
Worten:  al  Tjfiixepai  xat  ctOxal  «TtoXtuXaatv  an,  und  Leeuwen  ergänzt 
d|A£T£pat  viv ;  aber  aus  dem  Zusammenhang  ergibt  sich  dies  von  selbst. 

Mit  V.  215  beginnt  die  icppaffc,  in  der  Timotheos  seine  Kunst 
verteidigt.  V.  235  hat  der  Pap.  irotxiXojxooaosopiuffuv ,  was  W Hä- 
mo witz  in  -oixtMjiooaov  'Opcpebc  yikuv  verbesserte;  Jurenka 
wünscht  Xupav;  Blaß  roixiXofiooaac  '0.  uavooc  (st.  x^ÜV)* 
der  immerhin  starken  Abweichung  von  der  Überlieferung  nehmen 
Th.  Rein  ach  und  Danielsson  Anstoß,  daher  vermutet  der 
erstere  ttoixiäojaoo aoxpoüatv ,  der  letztere  roixdojxooffoopiciT'Jv ,  zwei 
Vermutungen,  die  auch  eine  Änderung  des  Metrums  bedingen  würden. 
Die  Nennung  des  Orpheus  erscheint  mir  im  Gegensatz  zu  Dan.  mit 
Rücksicht  auf  die  genaue  Bezeichnung  des  Terpandros  und  Timotheos 
auch  hier  unerläßlich.  Aber  V.  230  nimmt  Dan.  mit  Recht  das 
überlieferte  xeüce  gegen  Csüce,  das  Wil.  aus  metrischen  Gründen 
herstellte,  in  Schutz;  ebenso  V.  248  zpoi-eeoe  gegen  M.  Croiset 
und  Blaß;  dagegen  ist  mit  dem  letzteren  Öpfyacja  st.  ttp^aa'  d  zu 
schreiben. 

Die  Perser  sind  nach  Wilamowitz  zwischen  398  und  396 
am  Feste  der  Panionien  im  Heiligtum  auf  Mykale  aufgeführt;  aber 
weder  Zeit  noch  Ort  läßt  sich  so  genau  bestimmen.  Aus  fr.  10 
(Bergk)  wissen  wir,  daß  sie  vor  396/95  gedichtet  sind,  und  daraus 
können  wir  auch  schließen,  daß  ihre  Abfassungszeit  nicht  zu  weit 
vor  diesem  Jahre  gelegen  war.  M.  Croiset  weist  darauf  hin,  daß 
die  Phrygierszenc  V.  162  f.  ihr  Vorbild  im  Orestes  des  Euripides 
habe;  dasselbe  bemerken  auch  Rein  ach  u.  a.  Ist  dies  richtig,  so 
gewinnen  wir  408 ,  das  Aufführungsjahr  des  Orestes ,  als  terminus 
post  quem.  .  Weiter  weist  Jurenka  auf  V.  226  f.  hin,  nach  denen 
der  Dichter  or/re  veo?  o£xe  fspoto?  ist ;  nimmt  man  als  sein  Alter 
rund  50  Jahre  und  als  sein  Todesjahr  360  an,  so  ergibt  sich  400 
als  Abfassungszeit,  da  er  90  Jahre  alt  wurde.  Die  Anhaltspunkte, 
die  Wilamowitz  aus  dem  athenerfeindlichen  und  spartanerfreund- 
lichen Inhalt  des  Gedichtes,  sowie  aus  dem  Bestreben  der  Dodekapolis, 
nicht  als  ionisch  zu  gelten,  gewinnt,  um  das  Jahr  der  Abfassung 
genauer  zu  bestimmen,  sind  nicht  beweiskräftig  genug,  wie  Jurenka 
darlegt. 


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Jahresbericht  über  die  griechischen  Lyriker.   (Sitzler.)  257 

Der  Ort  der  Aufführung  wird  mit  xavSe  7t<5Xiv  V.  250  angegeben; 
-welcher  dies  aber  ist,  läßt  sich  nicht  sagen,  nach  Rein  ach  nicht 
das  Poseidonheiligtum  auf  Mykale,  nach  Jurenka  jede  griechische 
Stadt,  auch  Sparta,  aber  nicht  Athen,  da  sonst  das  Verdienst  der 
Athener  um  den  Sieg  mehr  hervorgehoben  wäre.  Mit  Recht  betont 
aber  Jurenka,  daß  von  feindseliger  Gesinnung  gegen  diese  Stadt 
im  Gedichte  keine  Rede  sein  kann.  Ich  finde  dies  auch  durch  die 
erhaltenen  Fragmente  bestätigt;  als  Subjekt  zu  fr.  8  wollen  Rein  ach 
dtY<uv,  "Aprtz.  AuaavSpoc,  Groiset  Zeöc  oder  'WäXXcov  hinzudenken. 
Näher  liegt  doch  Themistokles ,  der  jedem  Unbefangenen  von  selbst 
in  den  Sinn  kommen  wird.  Auch  als  Sprecher  des  fr.  9  ist  niemand 
geeigneter  als  Themistokles,  und  in  der  Tat  legt  Croiset  diese 
Worte  auch  einem  griechischen  Führer  in  den  Mund,  während 
Reinach  sie  von  dem  Dichter  selbst  gesprochen  sein  läßt.  Fr.  10 
endlich  zeigt,  wie  bekannt  die  Dichtung  in  Athen  war  (vgl.  cod. 
Milleri  Mise.  363) ,  was  gewiß  nicht  der  Fall  gewesen  wäre ,  wenn 
sie  athenerfeindlich  gewesen  wäre.  Allerdings  ist  richtig ,  daß  in 
dem  erhaltenen  Teil  die  Athener,  Themistokles  und  Salamis  nicht 
genannt  werden ;  es  werden  aber  auch  keine  anderen  Griechen  ge- 
nannt, und  brauchten  auch  keine  genannt  zu  werden,  da  die  all- 
gemeine Bezeichnung  hier  genügte.  Anders  wird  es  dagegen  im 
vorlorenen  Teile  gewesen  sein ;  ich  bin  überzeugt,  daß  hier  deutliche 
Hinweise  nicht  fehlten. 

Das  Verhältnis  des  Nomos  zu  den  Persern  des  Aschylos  ist  von 
Wilamowitz,  Reinach,  Croiset  und  besonders  von  T e r z a g h i 
und  Strazzulla  untersucht;  doch  gehen  die  beiden  letzteren  in 
der  Annahme  der  Abhängigkeit  zu  weit.  Dem  Timotheos  kam  es 
nicht  auf  eine  wahrheitsgetreue  Schilderung  der  wirklichen  Schlacht 
an,  sondern  auf  musikalisch  wirksame  Empfindungen  und  Stimmungen ; 
die  Beschreibung  der  Schlacht  selbst  ist,  wie  Wilamowitz  sagt, 
typisch.  Damit  soll  aber  der  Einfluß  des  Tragikers  auf  unseren 
Dichter  nicht  geleugnet  werden,  der  sich  auch  in  der  Sprache  verrät, 
vgl.  Reinach,  S.  73,  Anm.  2.  Croiset  und  Strazzulla. 
Croiset  weist  auch  Nachahmungen  anderer  Dichter  nach,  wie  z.  B. 
Euripides'  Orestes.  Von  patriotischer  Begeisterung  für  die  Sieger 
oder  allgemein  menschlichem  Mitleid  mit  den  Besiegten  enthält  die 
Dichtung  nichts;  Timotheos  will  nur  Künstler,  keine  Autorität  in 
sittlich-moralischer  Hinsicht  sein,  wie  Croiset  sagt,  und  darin  liegt 
der  Unterschied  zwischen  ihm  und  den  früheren  Dichtern. 

Ich  gehe  jetzt  zu  den  Fragmenten  Uber,  die  Wilamowitz  mit 
in  seine  Ausgabe  der  Perser  aufnahm.    Fr.  1   (3  W.)  hält  Wil. 

Jahreabericht  far  AltertumswiBsenschaft.    Bd.  CXXXIII.   (190?.   I.)  17 


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258         Jahresbericht  über  die  griechischen  Lyriker.  (Sitzler.) 

mit  Recht  an  der  Stellang,  wie  sie  Plut.  de  superstit.  10  überliefert 
ist.  fest;  nur  wünscht  er  «poixaöa  6t.  <potßa8a.  Fr.  2  und  3  (28  und 
29  W.)  trennt  er  mit  Recht  von  dem  Artemishymnos,  dem  sie  auch 
die  Überlieferung  nicht  zuschreibt.  Als  fr.  5  führt  er  Aristot.  poet.  2 
an.  eine  Stelle,  die  Bergk  in  der  Einleitung  zu  Timotheos,  S.  619, 
ausschreibt.  W  i  1  a  m  o  w  i  t  z  billigt  die  Lesung  V  a  h  1  e  n  s  Sanep  f&p 
KuxXu>~a;  xtL  und  schließt  daraus,  daß  der  Kyklop  wahrscheinlich 
ein  Nomos  war.  Rein  ach  tritt  für  Vettoris  Konjektur  «oarcep 
Uspaa«  xai  KoxXüma?  ein,  und  Croiset  will  wjirep  ^pß-j-ac  xai  K. 
schreiben.  Um  6{aoudc  o&  xai  rcepl  too?  ßiöupajjßouc  xai  touc  v6|xoo? 
aber  zu  beweisen,  genügt  KoxXu>7rac,  wenn  der  Kyklop  des  einen 
Dichters  ein  Dithyrambos ,  der  des  anderen  ein  Noinos  war.  Fr.  6 
(11  W.)  weist  Wil.  die  Konjektur  Naucks  ipjia  st.  epojxa  gut 
zurück;  ich  glaube  aber  nicht,  daß  sich  die  Überlieferung  halten 
läßt;  vielleicht  ist  epßa*  iropftpW  ito^a  (oder  fatf  ^-rotfia)  zu  lesen 
(vgl.  Athen.  VIII,  341c  ywp&lv  8£  zopftfito'  dvaßoa  von  Charon  bei 
derselben  Gelegenheit).  Fr.  7  (24  W.)  ist  seiner  Herkunft  nach 
ungewiß;  auf  die  Beischrift  'OSiroefac  5'  ist  kein  Verlaß,  wie  Wil. 
bemerkt,  und  auch  die  Beziehung  der  Worte  ist  unklar.  Fr.  15 
(S.  115  W.)  streicht  Wil.  mit  Recht  aus  den  Fragmenten  unseres 
Dichters.  Fr.  18  (S.  115  W.)  bezieht  sich,  wie  Wil.  bemerkt,  auf 
Hermippos  'Afhjva?  -pvaf  4  (aus  dem  VI.  Seguerianum)  Xeirrooj  8ta- 
<{;atpou<ja  iriicXoo?. 

Neu  fügt  Wilamowitz  aus  CJA  II,  1246  nach  H.  Koehler 
Mitt.  Ath.  X,  231  den  Dithyrambos  Elpenor  bei,  der  im  J.  320/19 
in  Athen  zur  Wiederaufführung  kam.  Auf  eine  solche  Wieder- 
aufführung des  Afec  ifxuav^;  bezieht  sich  auch  Lukian.  Harmon.  1 
(vgl.  fr.  1  und  4  [W.]).  Als  fr.  17  und  18  stellt  er  zusammen,  was 
wir  von  dem  Dithyrambos  Skylla  wissen  (vgl.  Jahresb.  Bd.  LXXXXII 
[1897].  S.  138),  und  diesem  spricht  er  fr.  adesp.  124  (fr  19  W.) 
zu,  was  zweifelhaft  ist,  da  die  Worte  efra  axuXXa  (bzw.  efts  oxötat) 
immer  noch  der  Erklärung  harren.  Sicherlich  hat  der  Schol.  (Spengel  II, 
427)  keine  Beziehung  auf  Skylla  darin  erkannt. 

T  e  1  e  s  t  e  s. 

Fr.  8  ergänzt  Wilamowitz  Hermes  1898,  S.  521:  xai  TsX&mjc 
£v  Ali;  Y*>vaT;  to  aotfc  xai  Te'av  stt  .  .  .  (vgl.  Soph.  Phil.  392). 

M  e  1  i  n  n  o. 

H.  Usch  er  Rhein.  Mus.  1900,  S.  288  f. ,  setzt  die  Ode  auf 
Rom  mit  Th.  Birt  in  die  Zeit  nach  Uoraz  und  vor  Statius;  denn 


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Jahresbericht  über  die  griechischen  Lyriker.   (Sitzler.)  259 

13  von  den  15  Elfailbcrn  haben  den  Horazischen  Bau  , 

und  die  2  anderen  lassen  sich  leicht  korrigieren:  V.  8:  o<ppa  x* 
rfpavotov  und  V.  11:       8*  (st.  ai>  &')• 

Skolia. 

Über  die  Gelagepoesie  der  Griechen  im  ganzen  handelt 

P.  Pasella,  La  poesia  convivale  dei  Greci.  Livorno 
1901,  61  S.  8°, 

in  fleißiger  Zusammenstellung,  jedoch  ohne  Neues  zu  bringen.  Das 
erste  Kapitel  betrachtet  die  Entwicklung  der  Lyrik  von  Homer  und 
Hesiod  bis  Archilochos,  das  zweite  die  ionische  und  attische  Zeit, 
das  dritte  das  eigentliche  Skolion  nach  Entwicklung,  Benennung  und 
Verbreitung,  das  vierte  endlich  die  Chorlyrik,  Hybrias,  Timokreon, 
Simonides,  Pindar  und  Bakchylides.  Den  Schluß  bildet  eine  Zu- 
sammenstellung der  auf  uns  gekommenen  Überreste  der  griechischen 
Gelagepoesie  in  der  vom  Verfasser  für  richtig  gehaltenen  Gestalt, 
ohne  Angabe,  was  Überlieferung  und  was  Konjektur  ist. 

Zu  Skol.  5  vergleicht  W.  Headlam  Class.  Rev.  1900,  S.  5  f. 
Aristophan.  Thesmoph.  978  f. 

Mit  den  Skolien  9—12  beschäftigen  sich 

1.  Fr.  Köpp,  Harmodios  und  A ristoge i ton.  N.  Jahrb. 
f.  kl.  Altert.  1902,  S.  609  f. 

2.  Corssen.   Archäol.  Ges.  zu  Berlin.   Januar- Sitzung  1903. 
Wochenschr.  f.  kl.  Philol.  1903,  S.  136  f. 

3.  0.  Taubert,  Skolion  des  K  allistratos.  Partitur. 
Leipzig. 

Kopp  wendet  sich  zunächst  gegen  K.  Reit  zenstein,  der 
Epigramm  und  Skolion,  S.  3  f.,  die  Skoliensammlung  bei  Athen.  XV, 
694  f.  als  ein  altes  Kommersbuch  betrachtet,  und  sucht  diese  Ansicht 
mit  ähnlichen  Gründen,  wie  ich  im  Jahresb.  LXXXX11,  S.  138  f.,  zu 
widerlegen.  Dann  geht  er  auf  die  Skolien  auf  Ilarmodios  und 
Aristogeiton  genauer  ein,  die  er  für  eine  Parallcldichtung  in  vier- 
facher Form  erklärt.  Dafür  scheinen  mir  aber  die  Formen  zu  sehr 
zu  wechseln;  Paralleldichtung  können  nur  Strophe  9  und  11  und 
Strophe  10  und  12  sein,  und  zwar  ist  9  und  12  das  ursprüngliche 
Gedicht,  10  und  11  die  Paralleldichtung,  beide  je  Tat  und  Folge 
darstellend.  Smith  hält  die  vier  Strophen  für  ein  einziges  Gedicht, 
das  aus  zwei  Teilen  besteht,  von  denen  jeder  zwei  Strophen  umfaßt 
und  mit  dem  andern  verbunden  ist;  12,  4  wiederholt  9,  4,  der 
Schluß  den  Anfang.   Die  Abfassung  des  Gedichtes  durch  Kallistratos 


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2(30         Jahresbericht  über  die  griechischen  Lyriker.  (Sitsler.) 

bestreitet  Kopp  ohne  hinreichenden  Grand.  Darau  schließt  er  dann 
Betrachtungen  über  die  Tat  der  Tyrannenmörder  und  deren  bildliche 
Darstellungen.  Das  letztere  Thema  behandelt  auch  Corssen,  der 
für  die  Richtigkeit  des  Thukydideischen  Berichtes  gegenüber  der 
Darstellung  bei  Aristoteles  in  der  'A&yjvctuov  roXtxsfa  eintritt;  die 
gewöhnliche,  schon  im  Altertum  gegebene  Erklärung  der  Worte:  lv 
jxtipxou  xXocöl  to  ctcpo?  oop^aco  sei  falsch;  Aristoph.  Lys.  631  f.  zeige, 
daß  der  Sinn  sei :  ^selbst  beim  Opfer  werde  ich  das  Schwert  tragen, 
um  gegen  Tyrannenanschläge  gesichert  zu  sein".  Die  Aufstellung 
der  Gruppe  der  Tyrannenmörder,  deren  Schöpfer  Antenor  ist,  wurde 
nach  ihm  höchstwahrscheinlich  im  Jahre  487  im  Zusammenhang  mit 
der  Ächtung  des  Hipparchos  vom  Demos  beschlossen.  Vgl.  auch 
Pauly-Wissowa,  Supplem.  s.  v.  Aristogeiton. 

Carmina  popularia. 

Zu  41  bemerkt  G.  F.  Abbott  Athenäum  1899,  S.  460,  daß 
sich  die  Sitte  des  yeXiSovicjjAa  in  Griechenland  bis  auf  den  heutigen 
Tag  erhalten  habe ;  er  teilt  ein  Volkslied  mit,  das  Knaben  bei  dieser 
Gelegenheit  am  Feste  der  axaopo7rpox'jv7)3ic  xr,?  Me^a'Xr^  TsaaapaxoTnj? 
Ende  Februar  singen;  dabei  tragen  sie  eine  hölzerne  Schwalbe,  die 
um  einen  Zapfen  gedreht  wird,  und  bekommen  als  Geschenke  Eier, 
Käse  u.  dergl.  —  44.  51  verlangt  Headlam  Class.  Rev.  1900,  S.  5  f., 
zoXfeasiv  oder  TroXeaatv.  —  Den  Hymnos  auf  Attis  bei  Bergk,  S.  685  f., 
zerlegt  Wilamowitz  Hermes  1902.  S.  329.  in  seinem  ersten  Teil 
efre  Kpovoo  bis  dvipa  aopixxav  in  daktylische  Tetrameter,  indem  er 
V.  2  pzydhr^  yaip'  <«>>  xb  xaxTjcpfc*  xxX.  schreibt  —  besser  ist  Bergks 
ja.  o>  y/xXpz  xar^cp^f  — ,  V.  10  woxk  o'  wj  mit  Bergk  und  V.  12 
7j  x6v  iroXuxapiroi;  sxixxev  schreibt;  das  folgende  Stück  ist  nach  ihm 
spondeisch ,  d.  h.  es  sind  nach  unserer  Bezeichnung  Klaganapäste ; 
V.  3  f.  ist  zu  lesen :  oOx  ctOXw  'I.  K.  fj.oxijX<i. 

Fragmenta  adespota. 

W.  Headlam,  Notes  on  the  Greek  lyric  poets.  Class  Rev. 
1900,  S.  5  f. ,  gibt  Verbesserungen  zu  43  B  und  90,  wo  er  V.  4: 
xreXXoti  Xt'Oivot  xe  raöot  irXr^ftsv  o  *zavxec  vorschlägt.  Fr.  126  ver- 
mutet er:  <4veipu>v)  osa-oxa  llXooxfuv  usXavo1cx£puY,  «vxoyiSiv&v  ' 
Xtirapo-xep-JYcov  auxoitot^xa».  Neu  fügt  er  IMut.  de  fort.  Rom.  4, 
p.  318  e,  bei:  xr^  ol  Tu/.7!*  oft  ja^v  x6  xivijua  .  .  <?f>avooaa  8i 
t>jv  'ApexTjv  i^k  iaxtv,  o-j  „TrxepoTc  iXaopi'Cooaa  xo-j?oicu  iauxTjv  o08' 
„dxpwvo/ov  'j-rip  vyatyas"  xivi?  T/vo;  xaöeisa. 


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Jahresbericht  über  die  griechischen  Lyriker.   (Sitzler.)  201 


Neue  Funde. 

Diejenigen  neuen  Funde,  welche  bestimmten  Dichtern  zugewiesen 
werden  können,  habe  ich  schon  bei  Behandlung  dieser  Dichter  er- 
wähnt. Hier  stelle  ich  noch  die  namenlosen  Stücke  zusammen,  die 
in  den  Papyrus-Funden  enthalten  sind. 

Der  erste  Band  der  vonGrenfell  und  Hunt  im  Jahre 

* 

1 898  herausgegebenen  Oxyrhynchos  Papyri  bringt  unter 
Nr.  9  Bruchstücke  aus  den  po&jAtxot  crcot/sta  des  Aristoxenos,  in 
denen  Stellen  aus  lyrischen  Dichtern  als  Beispiele  eingestreut  sind, 
und  unter  Nr.  15  ein  lyrisches  Gedicht  in  vierzeiligen  Strophen, 
Moralsprüche  enthaltend ;  das  Metrum  ist  der  daktylische  Hexameter 
mit  Umbiegung  am  Ende,  der  sogenannte  jisi'oupoc,  und  die  Strophen 
sind  durch  das  dem  Skolienbrauch  entlehnte  au'Xei  jxoi  voneinander 
getrennt  (vgl.  G.  Fraccaroli,  Bollet.  di  filol.  class.  1898,  S.  112  f., 
Wilamowitz,  Gött,  gel.  Anz.  1898,  S.  695  f.).    Der  1903  er- 
schienene dritte  Band  enthält  unter  Nr.  425  einen  kurzen 
Auszug  aus  einem  lyrischen  Gedicht,  eine  Schulübung  aus  dem  2.  oder 
3.   Jahrhundert,   und   der  im  Jahre  1904  veröffentlichte 
vierte  Band  unter  Nr.  660  einen  Päan  in  verstümmeltem  Zustande 
aus  dem  1.  oder  2.  Jahrhundert,  den  Blaß  dem  Simonides  zu- 
schreiben möchte,  unter  Nr.  661  Reste  von  Epoden  in  dorischem 
Dialekt,  iambische  Trimeter  abwechselnd  mit  kürzeren  trochäischen 
Versen,  im  ganzen  28,  aus  dem  2.  Jahrhundert,  nach  Blaß  von 
Kalliraachos,  und  unter  Nr.  675  wieder  Reste  eines  Päan.  den  Blaß 
gleichfalls  dem  Kallimachos  zuweist.    Fayüm  towns  and  their 
papyri  by  Grenfell,   Hunt   and  Hoggart,   London  1900, 
teilen  unter  Nr.  U  das  Bruchstück  eines  lyrischen  Gedichtes  in 
logaödischem  Versmaß,  bzw.  Anapäst  mit  Jambus  im  letzten  Fuße, 
mit,  das  nach  f rusius  eine  Schilderung  der  Unterwelt  gibt.  Vgl. 
H.  W'eil,  Journal  des  savants  1901,  S.  24  f.  und  Th.  Rein  ach, 
Rev.  des  6tud.  gr.  1901,  S.  337  f.   TheTebtunis  Papyri  edited 
by  Grenfell,  Hunt  and  Smyly,  London  1902,  bringen  unter 
Nr.  1  und  2  Bruchstücke  einer  Anthologie,  wohl  Schulübungen,  da 
dasselbe  Stück  dreimal  vorkommt,  aus  der  Zeit  um  100  v.  Chr. 
Das  Metrum  des  ersten  Fragments  ist  kretisch;  Helena  macht  darin 
dem  Menelaos  Vorwürfe,  der  sie  nach  der  Rückkehr  von  Troja  ver- 
läßt.  Das  zweite  Fragment,  Anakreonteen  und  Ionici,  schildert  eine 
Landschaft  mit  singenden  Vögeln  und  summenden  Bienen.  Das  dritte 
Fragment  sind  Verse  auf  die  Liebe.    Vgl.  H.  v.  Her  wer  den, 
Rhein.  Mus.  1904,  S.  143. 


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2<32        Jahresbericht  über  die  griechischen  Lyriker.  (Sitzler.) 


Zum  Schiasse  erwähne  ich  noch 

Musici  scriptores  Graeci  rec.  C.  Janus.  Supple- 
mentura,  melodiarwn  reliquiae.    Leipzig  1899, 

worin  die  beiden  in  Delphi  gefundenen  Hymnen  auf  Apollon,  das 
Seikelos-Liedchen  und  Mesomedes'  Hymnen  an  die  Muse,  an  Helios 
und  an  Nemesis  musikalisch  bearbeitet  sind. 

0.  Fleischer,  Die  Reste  al< griechischer  Tonkunst. 
Leipzig  1899,  der  den  ersten  delphischen  Hymnos,  die  Hymnen  an 
Helios,  Nemesis  und  Kalliope,  Pindars  erste  pyth.  Ode,  das  Seikelos- 
lied  und  außerdem  zwei  der  Instrumentalspiele  des  Bellermannschen 
Anonymus  behandelt.  Den  Hymnus  an  die  Muse  Kalliope  schreibt 
er  noch  dem  Dionysios  zu,  trotzdem  doch  dieser  schon  lange  aus 
der  Zahl  der  Hymnendichter  und  Komponisten  gestrichen  ist,  vgl. 
0.  Crusius  in  Pauly-Wissowas  Realencykl.  Bd.  V,  S.  927  unter  100) 
Dionysios,  der  mit  Recht  in  Abrede  stellt,  daß  irgendein  Grund 
vorliege,  den  Hymnos  dem  Mesomedes  abzusprechen.  Diese  Be- 
merkung gilt  auch  für 

A.  Tierfelder,  Dionysios  an  Kalliope.  Bearbeitet 
und  mit  griechischem  und  deutschem  Text  herausgegeben.  Leipzig 
1901. 

Mit  der  musikalischen  Analyse  der  delphischen  Hymnen  be- 
schäftigen sich  außerdem 

F.  D.  A 1 1  e  n  in  Harvard  Studies  in  class.  philol.  IX,  S.  37  f. 

und 

E.  Poiröe,  Une  nouvelle  interpretation  rhyth- 
mique  du  second  hymne  delphique.    Solesmes  1900. 

Nachträge. 

Semonides  Amorg.  12  vermutet  H.  Stadtmüller  bei 
P.  Egenolff,  Zu  Lentz'  Herodian  III.  Philol.  19o3,  S.  44: 
C7da7Xv'  £y.<pa?<SvTe«  at/rix'  ixtivoo  oixijv  (st.  d\ntiyw~tz). 

Zu  Aristoteles'  Epigramm  und  Päan  auf  Hermias 
von  Atarneus  (4  und  7)  ist  jetzt  Didymi  de  Demosthene 
commenta.  Recognoverunt  H.  Diels  et  W.  Schubart.  Leipzig 
1904,  zu  vergleichen. 

Die  Abweichungen  im  Text  beschränken  sich  bei  dem  Epigramm 
auf  V.  3  cpavepa;  tarxijc  das  die  Herausgeber  in  <pavep3  X&ryjQ 
ändern,  sind  dagegen  im  Päan  zahlreich,  aber  wertlos-,  erwähnenswert 
ist  nur  V.  7  isadavortov  st.  £?c  «Oavatov.   Das  Leben  und  die  Schick- 


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Jahresbericht  über  die  griechischen  Lyriker.  (Sitzler.)  203 

sale  des  Hermias,  ebenso  die  Urteile  der  alten  Geschichtschreiber 
über  ihn  werden  von  Didymos  ausführlich  mitgeteilt. 

Außerdem  ist  in  der  Schrift  des  Didymos  das  Epigramm 
enthalten,  das  der  Chier  Theokrit,  wie  Bryon  in  seiner  Schrift 
über  Theokrit  sagt,  gegen  das  Epigramm  des  Aristoteles  verfaßte 
(Bergks  Anth.  lyr.2,  S.  180.  Anth.  Pal.  App.  38),  mit  der  be- 
merkenswerten Abweichung  in  V.  8:  8c  lavxpbs  TttxÄv  avopov  yüaiv. 

Zu  Herondes  I,  25  bemerkt  A.  Brinkmann,  AajxßSa 
irepteaTrjfyivov.  Rhein.  Mus.  1904,  S.  159  f.,  daß  das  übergeschriebene 
•A* ,  wie  schon  Palm  er  sah,  auf  die  Randbemerkung  hindeute;  da 
die  linke  Hasta  des  A  mit  dem  linken  Vertikalstrich  des  darunter 
stehenden  H  zusammengeflossen  sei ,  so  sei  *A*  im  Zusammenhang 
mit  dem  Text  geschrieben,  stamme  also  aus  der  Vorlage.  Dasselbe 
Zeichen  finde  sich  bei  Galen  im  Kommentar  zum  ersten  Prorhetikos 
des  Hippokrates.  A  TreptsTciYiiivov  se*  demnach  ein  Verweisungszeichen 
der  alten  Grammatiker  gewesen. 

Des  Mädchens  Klage  bespricht  C.  Fries,  Alexandri- 
ni sehe  Untersuchungen.  Rhein.  Mus.  1904,  S.  211  f.,  indem 
er  das  Gedicht  mit  ägyptischen  und  lateinischen  Parallelstellen  ver- 
gleicht, auch  das  Hohelied  beizieht  und  auf  das  ägyptische  Ostrakon 
hinweist,  das  Th.  Reinach  in  der  Sitzung  der  Acadömie  des 
inscriptions  et  belles-lettres  vom  23.  Mai  1902  behandelte.  Auf 
diesem  Ostrakon  stehen  14  Zeilen  eines  griechischen  Dialogs  in 
rhythmischer  Prosa,  deren  Inhalt  der  „Klage  des  Mädchens"  ganz 
ähnlich  ist  (vgl.  Wochenschr.  f.  klass.  Philologie  1902,  Sp.  885). 

III.  Bukoliker. 

a)  Allgemeines. 

Über  die  Entstehung  der  Bukolik  handeln 

1.  G.   Knaack,    Bukolik,   Pauly  - Wissowa  Realencykl. 
erster  Supplem.-Bd. 

2.  E.  Schwartz,  Theokrits  Daphnis.    Gött.  Nachr. 
Phil.-hist.  Kl.  1904,  S.  285  f. 

3.  U.  v.  Wilamowitz-Moellendorff ,  Textgeschichte 
der  griechischen  Bukoliker.    Berlin  1906,  S.  111  u.  165. 

Knaack  stimmt  in  dem  genannten  Nachtrag  zu  seinem  Artikel 
Bukolik  in  Pauly-Wissowas  Realencyklopädie  (vgl.  vor.  Jahresber. 
Bd.  CIV  1900,  S.  145  f.)  M.  Haupt  bei,  der  meint,  daß  alle  Er- 
zählungen der  Alten  über  die  Entstehung  des  Hirtengesangs  für  die 


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264 


Jahresbericht  über  die  griechischen  Lyriker.  (Sitzler.) 


Erklärung  des  Ursprungs  der  bukolischen  Poesie  unergiebig  seien, 
und  daß  aus  diesen  Volksliedern  die  Kunstpoesie  des  Theokrit  nicht 
hervorgegangen  sein  könne  (vgl.  Chr.  Belger.  M.  Haupt  als 
akademischer  Lehrer,  S.  226  f.).  Dieselbe  Ansicht  vertritt 
auch  Wilamo  witz.  Dali  diese  Gelehrten  damit  aber  zu  weit  gehen, 
habe  ich  schon  im  letzten  Jahresbericht  a.  a.  0.  betont.  Allerdings 
wird  man  ihnen  gerne  zugeben ,  daß  die  bukolische  Poesie  aus  den 
Hirtengesängen  an  den  Artemisfesten  nicht  in  derselben  Weise  hervor- 
ging wie  die  dramatische  Poesie  aus  den  Dionysosliedern ;  aber  ohne 
die  Überlieferung  bliebe  die  Einführung  der  Hirten  in  die  Poesie 
Theokrits  und  deren  Verwendung  unverständlich;  die  singenden  und 
musizierenden  und  sich  in  Musik  und  Gesang  miteinander  messenden 
Hirten  nahm  Theokrit  aus  dem  wirklichen  Leben,  wenn  er  sie  auch 
in  seiner  Weise  verwandte,  vgl.  auch  C.Wendel,  De  nominibus 
bueolicis.  Diss.  Halle  1899,  S.  21.  Wilamowitz  und  Knaack 
heben  den  Einfluß  Sophrons  auf  Theokrit  hervor.  Daß  dieser  nicht 
gering  ist,  zeigen  zur  Genüge  die  Pharmakeutria  und  die  Adouiazusen: 
aber  für  die  Hirtenmimen  ist  er  nicht  nachzuweisen.  Hirten  als 
Gegenstände  von  Mimen  scheint  Theokrits  eigene  Erfindung,  dessen 
Originalität  also  doch  wohl  höher  anzuschlagen  sein  wird ,  als  es 
Wilamowitz  tut.  Neben  dem  Mimus  weist  Schwanz  noch  auf 
die  Musik  hin,  wie  sie  sich  in  der  nomisch-dithyrambischen  Poesie 
entwickelt  hatte ;  aus  dieser  stammt  auch  die  Kleinmalerei.  An  einem 
poetischen  Hirtenverband  auf  Kos  hält  jetzt  auch  Knaack  nicht 
mehr  fest ;  Theokrit  war,  wie  S  c  h  w  a  r  t  z  schön  ausführt,  der  einzige, 
der  hier  Hirtenmimen  dichtete  und  in  diesen  auch  seine  Freunde  in 
der  Hirtenmaske  auftreten  ließ. 

Gegen  lt.  Keitzensteins  Annahme  einer  arkadischen  Bukolik, 
die  auch  Theokrit  beeinflußte  (vgl.  vor.  Jahresber. ,  S.  186  f.), 
wendet  sich 

Ph.-E.  Legrand,  l'Arcadie  et  l'idylle.  Rev.  des 
(Hudes  anciennes  1900,  S  101  f., 
mit  Erfolg.  Auf  Grund  einer  eingehenden  Betrachtung  der  Über- 
lieferung weist  er  nach ,  daß  von  einer  solchen  im  Altertum  keine 
Rede  sein  kann ;  erst  Virgil ,  der  nach  Wilamowitz  aus  den  mit 
dem  Theokritkommentar  verbundenen  Prolegomena  -spl  eupissuK 
pooxoXixÄv  schöpfte,  spricht  davon.  Auch  Knaack  und  Wilamo- 
witz verwerfen  sie. 

Eine  besonders  eingehende  Behandlung  von  Seiten  der  Gelehrten 
wurde  dem  bukolischen  Hirten  Daphnis  zuteil.  Mit  ihm  be- 
schäftigen eich 


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Jahresbericht  über  die  griechischen  Lyriker.  (Sitzler.)  205 


1.  R.   Helm,    Daphnis    bei    Theokrit.     Philol.  58, 
S.  111  f. 

2.  H.  W.  Prescott,  A  study  of  the  Daphnis-my th. 
Harvard  Studies  in  class.  philology  X,  S.  121  f. 

3.  Röder,  Über  die  Sage  von  Daphnis.  Festschrift 
für  Ussing,  S.  216  f. 

4.  E.  Schwartz,  Theokrits  Daphnis  vgl.  oben. 

5.  G.   Knaack,    Daphnis.     Pauly  -  Wissowas  Realency- 
klopädie. 

6.  Wilamowitz,    Textgeschichte   der    griech.  Hukoliker, 
S.  234  f.,  vgl.  oben. 

7.  C.  Wendel,  De  nominibus  bucolicis.    Diss.  Halle 
1899,  S.  22. 

Das  Schol.  zu  Theokr.  VIII,  53  überliefert,  Hermesianax  habe 
den  Daphnis  zum  Liebhaber  —  nicht  Geliebten,  wie  Knaack  sagt  — 
des  Menalkas  aus  Chalkis  auf  Euböa  gemacht.  Da  nun  nach  Älian 
v.  h.  X,  18  Stesichoros  aus  Ilimcra  zuerst  von  Daphnis  sang,  Himera 
aber  eine  Kolonie  von  Zankle  und  Chalkis  ist,  so  schließt  Knaack , 
daß  Stesichoros  diese  Sage  der  chalkidischen  Überlieferung  ent- 
nommen habe  und  daß  ihre  älteste  Gestalt  die  bei  Hermesianax  vor- 
liegende sei.  Dieser  Schlußfolgerung  kann  ich  nicht  beistimmen; 
denn  Stesichoros  kann  die  Daphnis-Sage  auch  in  Sizilien ,  wo  sie 
besonders  im  nordöstlichen  Teil  fest  lokalisiert  ist,  kennen  gelernt 
haben,  und  dies  ist  viel  wahrscheinlicher,  weil  er  die  Blendung  des 
Daphnis  durch  die  sizilische  Nymphe,  nicht  seinen  Verkehr  mit 
Menalkas  auf  Euböa  darstellte.  Von  Sizilien  wanderte  die  Sage 
dann  nach  Euböa  wie  nach  anderen  Ländern.  Prescott  vergleicht 
die  Verbindung  des  Daphnis  mit  Menalkas  gut  mit  der  des  Daphnis 
mit  Lityerses,  und  auch  Schwartz  nimmt  eine  Umarbeitung  der 
Daphnis-Sage  durch  Hermesianax  an,  die  nach  ihm  möglicher-, 
ja  wahrscheinlicherweise  noch  vor  die  Theokritische  Bearbeitung  der 
Sage  fällt.  Aus  der  Verlegung  der  Sage  von  Sizilien  nach  Chalkis 
erklärt  sich  auch  das  Hineintragen  des  Motivs  der  Knabenliebe,  die 
ja  hier  besonders  zu  Hause  ist  (vgl.  auch  Hypothesis  zu  Theokrit  IX). 

Der  älteste  Bearbeiter  der  Daphnis-Sage  ist  nach  unserer  Über- 
lieferung Stesichoros.  Prescott  raeint  allerdings,  aus  der  schon 
erwähnten  Stelle  ÄHans  folge  nicht  notwendig,  daß  Stesichoros  die 
Daphnis-Sage  behandelt  habe;  wenn  es  aber  bei  Älian  heißt:  £x  ok 
touxou  x&  ßooxoXudt  fiiXr,  icptoxov  "/jaöij  xal  efyev  oicoöeoiv  xb  ica&oc 
to  xaxok  xooc  öcp&aXfxoüc  auxou,  xal  2TTjat'xop<5v  ?e  x6v  'Ijiepatov  xr4c 


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206        Jahresbericht  über  die  griechischen  Lyriker.  (Sitzler.) 

towwttjc  jieXoitottac  uirdpSotaöai,  so  ist  jede  andere  Deutung  un- 
möglich; Älian  sagt,  die  ersten  Hirtenlieder  hatten  die  Blendung  des 
Daphnis  zum  Gegenstand,  und  Stesichoros  machte  die  ersten  Hirten- 
lieder, also  mußten  diese  doch  die  Blendung  des  Daphnis  zum  Gegen- 
stand haben.  Eine  andere  Frage  ist  freilich,  ob  diese  Überlieferung 
glaubwürdig  ist.  S  c  h  w  a  r  t  z  verwirft  sie,  indem  er  sich  auf  Apollodors 
Zeugnis  bei  Strabo  VUI,  347  beruft:  xoti  rt  TaöivTj  ös  [efe]  r,v 
ETTjafyopo?  ic otijaai  Soxet,  und  denkt  an  ein  altes  namenlos  über- 
liefertes Volkslied,  dem  man  des  Stesichoros  Namen  beigelegt  habe. 
Man  darf  aber  nicht  übersehen,  daß  Apollodor  nur  von  der  Rhadine 
spricht  und  auch  hier  nicht  avacpepexai  &k  2x.  sagt,  sondern  xoirpu 
Boxet,  womit  er  doch  ausdrückt,  daß  er  persönlich  der  Annahme  zu- 
neigt, Stesichoros  habe  die  Rhadine  gedichtet.  Neben  der  Rhadine 
steht  aber  die  Kalyke  und  der  Daphnis,  die  nicht  angezweifelt  sindT 
und  so  wird  man  am  sichersten  gehen,  wenn  man  bei  der  Über- 
lieferung bleibt. 

Die  Bearbeitung  der  Daphnis-Sage  durch  Stesichoros  bezeugt, 
daß  sie  alt  ist,  und  dies  ist  auch  die  Ansicht  der  Gelehrten;  nur 
Schwartz  hält  sie  für  „nicht  besonders  alt"  und  meint,  Epicharm 
habe  sie  noch  nicht  gekannt;  sie  sei  spätere  Erdichtung,  um  den 
Hirtenliedern  einen  Erfinder  zu  schaffen.  Wenn  Schwartz  aber 
auch  von  Stesichoros  absieht,  so  bleibt  doch  das  alte  Volkslied,  das 
man  nach  ihm  fälschlich  dem  Stesichoros  zugeschrieben  hat,  be- 
stehen; außerdem  stellt  er  den  Daphnis  mit  Figuren  wie  Linos, 
Lityerses ,  Hylas  und  Bonnos  zusammen ,  und  auch  dies  spricht  für 
das  Alter  der  Sage.  Daphnis  ist  offenbar  eine  uralte  Gestalt  der 
Hirtensage,  ein  idealisierter  Hirte,  das  menschliche  Gegenbild  des 
göttlichen  Hirten  Hermes,  dessen  Sohn  er  auch  heißt.  Ich  sprach 
früher  schon  die  Vermutung  aus,  daß  er  wohl  eine  Hypostase  dieses 
Gottes  sein  wird. 

An  den  Namen  des  Daphnis  knüpfen  sich  verschiedene  Sagen, 
dieKnaack  und  Prescott  zusammenstellen.  Trotzdem  ist  es  mir 
zweifelhaft,  ob  sich  die  Angabe  des  Schol.  zu  Theokr.  VIII,  78,  daß 
Chrysas  sein  Vater  sei ,  mit  Usener  gegen  Lenneps  Konjektur 
'KpjioG  aufrecht  erhalten  lassen  wird;  es  fällt  doch  schwer  ins  Gewicht, 
daß  sonst  nur  Hermes  als  Vater  des  Daphnis  genannt  wird.  Der 
Grund  für  die  Mannigfaltigkeit  der  Daphnis-Sagen  liegt  nach  W Hä- 
mo witz  in  dem  Mangel  einer  durchschlagenden  und  so  allgemein 
angenommenen  Bearbeitung.  Stesichoros  scheint  die  Fassung  gehabt 
zu  haben,  die  dann  durch  Timäos  in  Umlauf  kam.  Von  ihrem  ur- 
sprünglichen Sitze  im   nordöstlichen  Sizilien   verbreitete   sich  die 


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Jahresbericht  über  die  griechischen  Lyriker.  (Sitzler.)  267 

Sage  in  andere  Teile  der  griechischen  Welt,  wie  nach  Euböa,  Kreta, 
selbst  Asien,  wodurch  neue  Verbindungen  und  Umgestaltungen  ent- 
standen. Die  verschiedenen  Sagenformen  der  hellenistischen  Zeit 
untersucht  Röder,  der  auch  nachweist,  wie  das  Sagenraotiv  durch  die 
verschiedenen  Bearbeitungen  immer  mehr  vertieft  und  vergeistigt  wurde. 

Die  Theokritische  Darstellung  der  Daphnis-Sage  ist  nach  fast 
allgemeiner  Annahme  diesem  Dichter  eigentümlich;  er  lehnt  mit  ihr, 
worauf  Wilamowitz  hinweist,  die  durch  Timäos  verbreitete  Sage 
ab.    Mit  dem  Daphnis-Lied  im  ersten  Idyll  verbinden  Wendel  und 
Schwartz  mit  Recht  Id.  VII,  73  f.;  Theokrit  hat  nur  eine  Fassung 
der  Sage,  die  man  aus  sich  selbst  erklären  muß  und  mit  anderweitig 
bekannten  Fassungen  nicht  in  Zusammenhang  bringen  darf,  wie  es 
manche  tun.  Das  Motiv  der  eifersüchtigen  Nymphe  scheidet  Schwartz 
mit  Recht  als  unverträglich  mit  der  Theokritischen  Dichtung  aus; 
wenn  er  aber  mit  anderen  daran  festhält,  daß  es  sich  bei  Theokrit 
um  zwei  Mädchen  handle,  von  denen  das  eine  den  Daphnis  liebe, 
ohne  von  ihm  geliebt  zu  werden,  das  andere  von  Daphnis  geliebt 
werde,  ohne  ihn  zu  lieben,  und  daß  Daphnis  wegen  dieser  unerwiderten 
Liebe  an  gebrochenem  Herzen  sterbe,  so  steht  auch  dies  mit  der 
Theokritschen  Darstellung  nicht  im  Einklang.  Denn  in  diesem  Falle 
könnte  Daphnis  die  Worte  V.  105  f.,  die  Wilamowitz  vortrefflich 
erklärt,  nicht  sprechen,  weil  er  ja  in  derselben  Weise  wie  Aphrodite 
der  Liebe  erliegen  würde,  wenn  nur  das  Mädchen  darauf  einginge, 
noch  die  Worte  V.  100  f.,  weil  nicht  er,  sondern  das  Mädchen,  das 
seine  Liebe  zurückweist,  dem  Eros  Trotz  böte.    Es  ist  nur  von 
e i n e m  Mädchen,  der  Xenea,  wie  es  im  siebenten  Idyll  genannt  wird 
die  Rede.   In  dieses  haben  Eros  und  Aphrodite  den  Daphnis  sterblich 
verliebt  gemacht,  um  ihm  ihre  Macht  zu  zeigen,  weil  er  erklärt 
hatte,  ihnen  nicht  zu  erliegen;  um  die  Versuchung  für  ihn  noch  zu 
erhöhen,  haben  sie  auch  dem  Mädchen  leidenschaftliche  Liebe  zu  ihm 
eingeflößt  (vgl.  V.  82  f.),  wodurch  die  Gefahr  des  Erliegens  für  ihn 
größer  wird,  aber  auch  der  Ruhm  im  Falle  des  Sieges,  und  diesen 
gewinnt  er,  da  er  lieber  stirbt,  als  sich  der  Liebe  hingibt,  ein  zweiter 
Hippolytos.  Daß  dieser  Festigkeit  des  Daphnis  ein  Keuschheitsgelübde 
im  Dienste  der  Artemis  zugrunde  liegt,  bezweifeln  Wendel  und 
Prescott,  und  aus  Theokrits  Worten  läßt  es  sich  auch  nicht  be- 
weisen, obgleich  es  mir  nicht  unwahrscheinlich  ist.    Aus  diesen 
Darlegungen  ergibt  sich,  daß  V.  85  Catela',  das  Helm  ändern  will, 
ganz  passend  ist.    Die  Geschichte  des  Komatas  Id.  VII,  88  f.  ist, 
wie  Schwartz  im  Anschluß  an  die  Scholien  hervorhebt,  aus  der 
Daphnis-Sage  umgestaltet;  ob  Theokrit  dabei  aber  die  Wunder- 


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208         Jahresbericht  aber  die  griechischen  Lyriker.  (Sitzler.) 


gcschichtcn  des  Lykos  von  Rhegion  vor  Augen  hatte,  istSchwartz 
mit  Recht  sehr  fraglich,  da  gerade  das  Wesentliche,  die  Ernährung 
des  Dichters  durch  die  Bienen,  fehlt. 

Die  hs.  Überlieferung  der  Bukoliker  unterzieht 

U.  v.  Wilamowitz,  Die  Textgeschichte  dergriechi- 
schen  Bukoliker.  Berlin  1906, 
einer  eingehenden  Untersuchung,  wobei  er  auch  Oxyrhynchos  Papyri 
Bd.  IV,  London  1904,  Nr.  694:  Theokr.  XIII .  19—34  mit  der 
nennenswerten  Variante  V.  34  septv  Tcapsxsito  berücksichtigt  (vgl. 
dazu  auch  C.  Wendel,  Philol.  1905,  S.  275).  Einen  Nachtrag  dazu 
gibt  Wilamowitz  in  dem  Aufsatz :  De  antiquissimisTheocriti 
raembranis.  Class.  Review  1906,  S.  103  f.,  in  dem  er  vorher  von 
ihm  übersehene,  aber  für  den  Text  unwichtige  Hs.-Reste  bespricht, 
vgl.  auch  C.  Wessely  in  Berl.  phil.  Wochenschrift  1906,  S.  831; 
außerdem  C.  Wendel  a.  0.,  S.  276  f.,  der  einige  Mitteilungen  über 
die  Iis.  Q  macht,  insbesondere  daß  sie  wirklich  im  Jahre  1298 
geschrieben  ist,  wie  schon  Sanctamandus  angab,  sowie  über  die  hs. 
Personenverteilung  in  V,  72  f.,  IV.  44  f. 

Wilamowitz  zollt  den  Verdiensten  Ahrens'  um  die  griechi- 
schen Bukoliker  Anerkennung  und  schreitet  auf  der  von  ihm  be- 
tretenen Bahn  weiter,  um  zur  richtigen  Würdigung  unserer  Über- 
lieferung  zu  gelangen.  Mit  seiner  Gruppierung  und  Beurteilung  der 
Hs.  kann  man  tiberall  einverstanden  sein;  nur  im  Herakliskus  scheint 
er  mir  X  zu  niedrig  eingeschätzt  zu  haben,  wenn  er  ihn  für  wertlos 
hält;  denn  er  bietet  doch  mit  -:6z i'  V.  72  auch  nach  Wilamowitz' 
Urteil  das  Richtige,  mit  £ot?  V.  36  und  x£pa?  V.  66  meiner  Meinung 
nach  entschieden  das  Gewähltere  und  Bessere,  und  auch  Toot-e  V.  9 
würde  ich  bevorzugen,  wenn  fxoi-e  nicht  durch  Odyss.  17,  497  ge- 
schützt würde.  Wilamowitz  gelangt  zu  dem  Ergebnis,  daß  es  am 
Ausgang  des  Altertums  eine  kommentierte  Ausgabe  des  Theokrit  samt 
den  Technopägnien,  ferner  eine  Ausgabe  der  Bukolika  des  Moschos  und 
Bion  für  sich  und  endlich  eine  Ausgabe  von  Bukolika  des  Moschos, 
Bion  und  anonymer  Dichter  aus  der  alten  hellenistischen  Zeit  und 
um  die  Zeit  gleich  nach  Bions  Tod  gab,  die  vermutlich  ein  Anhang 
der  Theokritausgabe  war. 

Die  kommentierte  Ausgabe,  am  besten  durch  KB  vertreten,  be- 
steht aus  zwei  Teilen.  Die  ursprüngliche  Sammlung  enthielt  12  Ge- 
dichte, nämlich  1,  3 — 13,  von  denen  die  10  ersten  rein  bukolisch 
sind,  die  decem  eclogae  mere  rusticae  des  Servius,  während  die 
2  letzten  anderen  Charakter  zeigen.  Diese  12  Gedichte  haben  einen 
einheitlichen,  durch  grammatische  Kontrolle  gesicherten  Text.  Der 


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Jahresbericht  über  die  griechischen  Lyriker.   (Sitzler.)  209 


zweite  Teil,  ebenfalls  mit  Scholien  versehen,  umfaßt  die  Gedichte  14, 
2,  15 — 18.  An  diese  schließt  sich  der  Theokrit  zugeschriebene 
'EiriTot'910?  Btu>vo?,  der  seiner  Überlieferung  nach  zwar  noch  zur 
zweiten  Gruppe  gehört,  aber  weil  kein  Zitat  und  keine  Nachahmung 
daraus  bekannt  ist,  nicht  in  der  kommentierten  Ausgabe  stand,  sondern 
die  Reihe  der  Zusätze  eröffnet,  die  in  fl  und  <1>  erhalten  sind.  Beide, 
11  und  <l>,  gehen  auf  die  gleiche  Sammlung  unkommentierter  Gedichte 
zurück,  aus  der  in  der  Byzantinerzeit  die  Theokrit-Hs.  bereichert 
wurden;  aber  II  verband  sich  mit  einer  sehr  reichen  und  guten  Iis. 
der  kommentierten  Ausgabe,  während  <I>  auf  eine  geringere  Über- 
lieferung gepfropft  wurde. 

Theokrit  selbst  hat  bekanntlich  keine  Sammlung  seiner  Gedichte 
veranstaltet,  sondern  sie  einzeln  erscheinen  lassen;  daher  trägt  jedes 
seine  Überschrift,  und  daher  rührt  auch  die  Bezeichnung  etöo'XXi«, 
die  der  Bezeichnung  der  Pindarschen  Gedichte  als  stör,  entspricht. 
Die  älteste  Sammlung  stammt  von  Artemidoros  im  1.  Jahrhundert 
v.  Chr.:  auf  sie  geht  das  Epigramm  Anth.  Pal.  IX,  205:  ßooxoXixal 
{ioiaai  xtX.  Aber  Artemidoros  hatte  nicht  alle  Gedichte  aufgefunden ; 
Athen.  VII,  284  erwähnt  noch  fünf  Verse  aus  einer  Berenike,  und 
Suidas  nennt,  wohl  aus  Bibliothekskatalogen,  allerdings  mit  dem 
Zusatz  tivec  os  ava'fspooaiv  ei?  2üt6v  noch  Ilpot-rioe?,  'EXdos?  und 

Aus  der  Bukoliker- Ausgabe  des  Artemidoros  sonderte  dessen 
Sohn  Theon  das  Theokritische  Gut  aus  und  erklärte  es;  aus  diesem 
Kommentar  flössen  unsere  Scholien.  Jedoch  verschweigt  Wilamo- 
witz  die  Bedenken  nicht,  die  E.  Sehe  er,  Theon  und  Sextion. 
Progr.  Saarbrücken  1903  gegen  die  Abfassung  des  Theokrit-Kommcntars 
durch  Theon  erhebt.  Auf  Thcons  Ausgabe  bezieht  sich  das  Epigramm 
Anth.  Pal.  IX,  434:  aXXo?  6  Xtoc  i-j-tb  ol  Bsfoptto?  xxX.  Wenn 
aber  Wilamowitz  in  diesen  Versen  unter  Berufung  auf  Thcokr. 
VII,  47,  XXII,  218  unter  0  Xto?  Homer  versteht  und  erklärt:  „Homer 
ist  ein  anderer;  ich  bin  zwar  ein  Epiker,  aber  kein  Homeriker, 
sondern  habe  meine  eigene  Muse",  so  kann  ich  ihm  nicht  beistimmen. 
Theokrit  galt  den  Griechen  nicht  als  Epiker,  sondern  als  Bukoliker, 
als  Erfinder  der  Bukolik ;  keinesfalls  aber  hätten  sie  ihn  in  dieser 
Weise  dem  Homer  gegenübergestellt.  Sodann  ist  doch  gewiß  der 
Ausdruck  iOvst'yj  jjloo<5<x  von  der  Homerischen  Poesie  im  Munde  eines 
Griechen  mehr  als  auffällig;  ein  Grieche  hätte  den  Gedanken  anders 
gewendet.  Dagegen  hat  die  Gegenüberstellung  des  Chiers  und  Syra- 
Jc usaners  nichts  Überraschendes;  sie  findet  sich  auch  bei  Suidas  s.  v. 
Der  Sinn  der  Verse  ist  also  der,  daß  die  folgenden  Gedichte  nicht 


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270 


Jahresbericht  über  die  griechischen  Lyriker.  (Sitzler.) 


von  dem  Chier,  sondern  von  dem  Syrak usaner  Theokrit  sind,  der 
sie  nicht  aus  der  Fremde  holte,  sondern  der  Heimat  entnahm.  Die 
Bukolik  ist  Eigentum  der  Syrakusaner  and  Oberhaupt  Siziliens. 

Als  Anhang  sind  dem  Buche  elf  Beilagen  beigegeben ,  auf  die 
ich  bei  Besprechung  der  einzelnen  Bukoliker  zurückkommen  werde. 

Mit  Wilamowitz'  Untersuchung  berührt  sich  vielfach 

W.  Christ,  Die  überlieferte  Auswahl  theokriti- 
scher  Gedichte.  Sep.-Abdr.  a.  d.  Sitzungsber.  d.  philos.- 
philol.  und  d.  hist.  Kl.  der  kgl.  Bayer.  Akad.  d.  Wisseusch.  1908. 
Heft  III,  S.  381  f. 

Die  Schrift  besteht  aus  sieben  Aufsätzen,  von  denen  der  erste  über 
die  Preisgedichte  auf  Ptolemäus  und  Hieron  handelt.  Nach  Christ 
schloß  sich  ursprünglich  das  18.  Gedicht,  das  Epithalamion  auf 
Helena,  an  das  15.  an,  während  16  und  17  später  eingeschoben 
wurden,  und  zwar  zunächst  17,  dann  16,  so  daß  die  alte  Reihen- 
folge 17,  16  war.  Allein  ein  innerer  Zusammenhang  von  18  mit  15 
und  den  früheren  Gedichten  läßt  sich  kaum  entdecken,  und  wäre 
die  ursprüngliche  Stellung  17,  16  gewesen,  so  könnte  man  nur  schwer 
begreifen,  was  die  Umstellung  in  16,  17  in  anderen  Hs.  hervorgerufen 
haben  sollte.  Dagegen  liegt  der  Grund  zur  Anordnung  17,  16,  wenn 
die  anfängliche  Stellung  16,  17  war,  klar  zutage;  17  reiht  sich 
inhaltlich  gut  an  das  Ende  von  15  an.  Der  alte  Sammler  scheint 
an  die  Idyllen  und  Gedichte  mimischen  Charakters  die  EnRomien 
auf  Herrscher  angefügt  zu  haben,  und  zwar  in  zeitlicher  Folge  Hieron 
und  rtolemäos;  übrigens  trägt  das  dem  Hieron  vorangehende  Ge- 
dicht die  Aufschrift  Sopctxoariou ,  so  daß  es  auch  an  einem  äußeren 
Bande  nicht  fehlt. 

Der  zweite  Aufsatz  beschäftigt  sich  mit  den  Hymnen  Theokrits 
und  den  unechten  Heraklesgedichten,  der  dritte  mit  den  Heroinen. 
Zu  den  Hymnen  rechnet  Christ  die  Enkomien  auf  Ptolemäos  und 
Hieron  und  mit  mehr  Recht  die  Diosknren,  während  er  das  25.  Ge- 
dicht, den  'HpaxXrjC  Xeovrocpovo?,  für  unecht  erklärt,  worauf  ich  unten 
noch  zurückkommen  werde.  Zu  den  Heroinen  gehören  nach  ihm  das 
26.  Gedicht,  Aijvat  tj  Ba'xyai,  dann  das  24.,  der  'HpaxXtexo*, 
was  ihm  kaum  jemand  glauben  wird,  und  endlich  die  ßerenike, 
was  ebenso  unwahrscheinlich  ist  wie  die  Einreibung  des  Ptolemäos 
und  Hieron  unter  die  Hymnen.  Die  Megara  weist  Christ  dem 
Moschos  zu. 

Die  letzten  vier  Aufsätze  wollen  die  Sammlungen  der  Theokri- 
tischen Gedichte  feststellen,  soweit  wir  sie  noch  aus  unseren  Hs. 


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Jahresbericht  aber  die  griechischen  Lyriker.   (Sitiler.)  271 

and  anderweitigen  Nachrichten  erkennen  können.  Die  Ergebnisse 
dieser  Forschungen  sind  aber  unsicher  oder  geradezu  unhaltbar;  sie 
werden  besonders  durch  die  Annahme  Christs  beeinträchtigt,  daß 
Theokrit  seine  Bukolika  selbst  herausgegeben  habe.  Dies  soll  nach 
ihm  aus  der  kunstvollen  Anordnung  dieser  Gedichte  folgen;  was  er 
aber  zur  Begründung  dieser  Ansicht  vorbringt,  übersteigt  das  Maß 
dessen,  was  man  auch  einem  Sammler  zutrauen  kann,  nicht.  Das 
19.  Gedicht  weist  er  dem  Moschos,  das  28.  dem  Bion  zu,  während 
er  20  und  21  für  theokritisch  hält;  keinesfalls  kann  20  von  Moschos 
sein,  da  ein  Schüler  des  Aristarch  xpr^oov  (V.  19)  nicht  im  Sinne 
von  dlrtH^  gebraucht  hätte.  In  dem  Epigramm  allos  6  Xio?  xtX. 
will  er  [Aooaav  o'  iftvEfyv  ouxiv'  icpeXxuaa^v  von  dem  Ausschluß  jeden 
fremden  Elementes,  insbesondere  jedes  nicht  im  syrakusanischeu 
Dialekt  geschriebenen  Gedichtes  verstanden  wissen  —  eine  Ver- 
sicherung, die  zwar  für  einen  Sammler,  nicht  aber  für  den  Dichter 
(Z;  Tctö'  a^pa^ct)  passen  würde. 

Was  von  den  griechischen  Bukolikem  auf  uns  gekommen  ist,  hat 
U.  v.  Wilamo  witz-Moellendorff,  Bucolici  Graeci. 
Oxonii  [o.  J.], 

neu  herausgegeben ,  unter  Verwertung  der  Ergebnisse  seiner  Unter- 
suchungen über  die  Textgeschichte  der  griechischen  ßukoliker.  Die 
Praefatio  gibt  eine  kurze  Übersicht  über  die  hs.  Überlieferung  der 
Bukoliker. .  An  sie  schließt  sich  auf  S.  XII  und  XIII  ein  Verzeichnis 
der  bukolischen  Gedichte,  das  notwendig  .wurde,  weil  W  i  1  am  o  w  i  tz  , 
dem  Vorgange  von  Ahrens  folgend,  die  hs.  Anordnung  der  Gedichte 
beibehielt,  die  von  der  gewöhnlichen  abweicht.  Dann  folgt  die  Auf- 
zählung der  benützten  Hs.  und  alten  Ausgaben;  hier  hat  sich  aber 
ein  Fehler  eingeschlichen,  indem  als  Q  der  Parisinus  2885  saec.  XIV 
bezeichnet  wird  anstatt  der  Parisinus  2884  saec.  XIII  (vgl.  Text- 
geschichte, S.  8).  Hieran  reihen  sich  die  zwei  Epigramme,  das  des 
Artemidoros  und  das  auf  die  Bukolika  Thcokrits,  die  in  den  Scholien 
überliefert  und  von  da  in  die  Anthol.  Pal.  IX .  205  und  434  auf- 
genommen sind.  Darauf  wird  der  Text  der  Bukolika  nebst  den 
Epigrammen  Theokrits  und  den  Technopägnien  gegeben.  Bei  seiner 
Bearbeitung  ging  Wilamo witz  darauf  aus,  soviel  als  möglich  der 
Überlieferung  wieder  zu  ihrem  Rechte  zu  verhelfen;  alle  Abweichungen 
von  dieser  sind  in  der  kurzen  Adnotatio  critica,  die  sich  am  Fuße 
der  Seiten  befindet,  verzeichnet,  und  außerdem  ist  eine  Auswahl 
von  Verbesserungen  und  Verbesserungsvorschlägen  beigefügt,  darunter 
viele  von  Wilamo  witz  selbst.  Überdies  sind  die  Technopägnien 
von  einer  griechischen  Paraphrasis  begleitet,  um  ihr  Verständnis  zu 


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272         Jahresbericht  über  die  griechischen  Lyriker.  (Sitzler.) 

erleichtern.  Den  Schluß  der  Ausgabe  bilden  von  Wilamowitz 
verfaßte  lateinische  Argumenta  carminum,  die  außer  dem  Inhalt  auch 
noch  andere  das  Verständnis  fördernde  Angaben  enthalten. 

b)  Die  einzelnen  Dichter. 

Theokrit. 

An  neuen  Ausgaben  liegt  vor 

The  idylls  of  Theocritus.    Edited  with  introduetion  and 
notes  by  R.  J.  Cholmeley.    London  1901. 

Diese  Ausgabe ,  die  für  englische  Leser  dasselbe  sein  will ,  was  die 
Ausgabe  von  Fritzsche-Hiller  für  uns  Deutsche  ist,  besteht  aus  einer 
Einleitung,  die  in  vier  Abschnitten  über  Theokrits  Leben,  über  Vers, 
Stil  und  Dialekt,  über  Echtheit  der  Gedichte  und  über  die  Hirten- 
gedichte handelt,  aus  dem  Text,  der  von  einer  kurzen  adnotatio 
critica  in  lateinischer  Sprache  begleitet  ist,  aus  einem  ausführlichen 
Kommentar,  der  sprachliche  und  sachliche  Erklärungen  gibt  und  be- 
sonders an  Parallelen  aus  griechischen,  lateinischen  und  englischen 
Dichtern  reich  ist,  und  aus  einem  Index  zu  den  sprachlichen  Be- 
merkungen. Die  einschlägige  Literatur  ist  in  großem  Umfange,  wenn 
auch  nicht  vollständig  beigezogen;  so  fehlt  z.  B.  E.  Bethes  Aufsatz 
im  Rostocker  Lektionskatalog  von  1896  und  C.  Prinz'  Quaestiones 
de  Theocriti  carmine  XXV  et  Moschi  carmine  IV  in  den  Dissertat. 
Vindob.  V ,  S.  65  f.  Was  die  Bearbeitung  des  Textes  betrifft ,  so 
nimmt  Cholmeley  die  Überlieferung  öfters  mit  Erfolg  in  Schutz, 
noch  häufiger  aber  sind  unhaltbare  Lesarten  eigener  Erfindung.  Von 
den  Gedichten  verwirft  er  19,  20,  21,  23  und  27;  von  diesen  will 
er  21  dem  Leonidas  zuweisen. 

Mit  der  Kritik  und  Erklärung  des  Theokrit  beschäftigen 
sich  außer  den  schon  genannten  Schriften  von  Wilamowitz, 
S  c  h  w  a  r  t  z  und  Christ 

1.  J.  Vahlen,  Varia.    Hermes  1898,  S.  248  f.  |XVI,  62, 
83,  XV,  37]. 

2.  U.  v.  W  i  1  a  m  o  w  i  t  z ,  Theokrits  Hymnus  auf  Ptole- 
mäos.    Hermes  1898,  S.  520  f.  [XVII,  82  f.]. 

3.  — ,  Zu  den  Thalysien  des  Theokritos.  Hermes 
1899,  S.  615  f.  [VII,  70). 

4.  — ,  Lesefrüchte.   Hermes  1905,  S.  138  f.  [XXIV,  61]. 

5.  S.  Rossi,  Ricostruzione  di  un  xiffffußiov.  Riv. 
di  Storia  antica  IV,  S.  104  f.  [I,  27  f.]. 


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Jahresbericht  über  die  griechischen  Lyriker.  (Sitzler.)  273 

6.  H.  v.  Herwerden,  Ad  Theocritum  I,  78,  IV,  49, 
VIII,  58.    Mnemosyne  27,  S.  379  f. 

7.  — ,  ANHAinO(V)2:  (Theoer.  IV,  56).    Mnemosyne  28, 
S.  364. 

8.  —  ,  Theokrit  XXII,  95  f.    Rh.  Mus.  1904,  S.  143. 

9.  F.  Bechtel,  Varia.  I.  euaooc  [Theoer.  24,  8).  Hermes 
36,  S.  422  f. 

10.  A.  B.  Cook,  Associated  reminiscences.  Class. 
Rev.  1901,  S.  341  f.  [I,  5  f.].    Vgl.  W.  Everett  ebenda  S.  406. 

11.  E.  Roßbach,  Theocritea.    Berl.  phil.  Woch.  1901, 
Nr.  36,  S.  1117  f.  [XV,  127  f.,  XXI,  4,  58]. 

12.  6.  Kaibel,  Sentcntiarumliberultimus.  Hermes 
1901,  S.  606  f.  [III,  29,  XV,  84]. 

13.  Th.  Husemann.    Hermes  1901,  S.  607  [II,  48]. 

14.  \V.  Prescott,   Notes  on  the  scholia  and  the 
text  of  Theocritos.    Class.  Rev.  1903,  S.  107  f.  [XIV,  23]. 

15.  T.  G.  Tucker.    Class.  Rev.  1898,  S.  23  f.  [XD1,  15, 
XIV,  51,  XVU,  2,  XXIII,  50]. 

16.  H.  Usener,  Theo  kr.  XVII,  124.    Rh.  Mus.  1900, 
S.  288  f. 

17.  Th.  Sinko,  Ad  Theoc.  XI,  72  f.    Eos  X,  S.  112  f. 

18.  C.  Wendel,  Theocritea.    Philol.  1905,  S.  269  f. 
[XV,  V,  IV,  VIII]. 

19.  A.  B.  Ainsworth,  A  note  on  Theocritus  1,  51. 
Class.  Rev.  1905,  S.  251. 

20.  E.  Faral,   Th6ocrite   imitateur  de  Sophron. 
Rev.  de  Philol.  XXIX,  S.  289  f.  [II]. 

21.  H.  R.  Fairclough,  u>?  .  .  .  u>?  in  Theocritus  and 
Homer.    Class.  Rev.  1900,  S.  394  f. 

Von  den  Ergebnissen  dieser  Forschungen  hebe  ich  folgende  be- 
sonders hervor: 

Id.  1,  30  ist  xexovifiivo?  eine  zwar  alte,  aber  unhaltbare  Lesart, 
wie  Wilamowitz  in  der  zehnten  Beilage,  S.  223  f.,  nachweist. 
Meiner  Meinung  nach  hat  es  H  e  c  k  e  r  durch  xexojir^svo?  gut  ersetzt, 
vgl.  hyinn.  Cerer.  456:  ouOap  apoupr)?  ji&Xev  .  .  .  xoji^aeiv  daxa- 
Xoeaat.  Call.  Dian.  41:  opo?  xsxojat^vov  GX^.  Apoll.  Rhod.  1,  928: 
ctr-yeipoc  <pu'XXotatv  xopooxja;  der  eXt'ypuao;  bildete  sozusagen  den 
prangenden  Kopfschmuck  des  Epheus.    Zu  dem  hier  geschilderten 

Jahresbericht  für  Altertumswiweiuchaft.   Bd.  CXXXIII.   (1907.   I.)  18 


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274         Jahresbericht  über  die  griechischen  Lyriker.  (Sitzler.) 

Becher  vgl.  Rossi.  —  V.  78  schreibt  Wil.  Ipaaou,  wie  II,  149 
epaxat  mit  der  Bemerkung  zu  ä:  productio  permira;  Herwerden 
wünscht  Jpaicrai,  wie  manche  Hs.  bieten,  weil  es  ipaojjiai  nicht  gebe. 
Aber  Horn,  n  208  steht  ipaaafts,  und  außerdem  wissen  wir,  daß 
die  Alexandriner  öfter  neben  dem  Aktiv  des  Med.  in  gleichem  Sinne 
gebrauchen  (vgl.  0.  Schneider,  Callimachea  I.  S.  160  f.). 
Daher  glaube  ich  mit  anderen ,  daß  Theokrit  Ipaactt  und  ipaxat 
schrieb,  und  werde  darin  durch  die  Analogie  von  7rsxao^.ai  neben 
ir£ra|iat  bestärkt  (vgl.  Anacreontea  15,  28  irexqTvTO,  14,  2  irexaaai 
und  21  zexaadai.  Anthol.  Pal.  XIV,  63,  1  -sxwj^va).  —  V.  106  f. 
weist  Wilamowitz  aus  Gisbert  Longolius'  Übersetzung  der 
Physischen  Fragen  des  Plut.  36,  1  als  richtige  Lesart  Spoec  rfih 
xoiretpoc,  ai  nach,  die  durch  die  Parallele  aus  V,  45  und  46  ver- 
drängt wurde. 

Id.  II  lehnt  sich  in  seinem  ersten  Teil  bis  V.  68  nach  Faral, 
der  V.  1  mit  Sophron  fr.  5  (Kaibel)  vergleicht  ,  an  Sophron  an.  — 
V.  48  nennt  Theokrit  das  tezojAav&  eine  Pflanze;  dazu  vergleicht 
Husemann  Theophrast.  h.  plant.  IX,  15  xo  xiöojiaXXov ,  l£  ou  -zh 
irrojiavlc  und  Plin.  .  N.  H.  26 ,  99 :  tithymalli  quoque  ramorum 
medullam  habentes  ad  Venerem  proniores  fieri  dueuntur.  Das  xif>6- 
jxaKXov  gehört  dem  genus  Euphorbiae  an.  —  V.  60  ist  verdorben; 
ich  schlage  owSjAacov  xat?  xt]vü)  cp/aatc*  xaöoiripxepov  (oder  iroXo 
<p£pxepov?)  /^.s/ex'  rt  vuv  „so  wird  er  noch  fester  als  jetzt  gehalten u, 
nämlich  durch  den  Zauber. 

Id.  Iii,  7  verbindet  Wilamowitz  xov  ipwx'jXov  mit  fj  pa  jie 
jiiaei?,  während  man  es  bisher  zum  Vorhergehenden  zog,  und  zwar, 
wie  ich  glaube,  mit  Recht;  denn  aus  dem  Umstand,  daß  sie  ihn 
nicht  mehr  als  Liebchen  zu  sich  einlädt,  schließt  er,  daß  sie  nichts 
mehr  von  ihm  wissen  wolle.  —  Die  V.  28  f.  werden  von  Kaibel, 
der  übrigens  unnötigerweise  jaoi  {xs{j.va(i£vu>  st.  des  richtigeren  jasu 
jA8jxva}A£vu>  liest,  gut  erklärt;  x&  Tz^azdfr^a  „das  Mohnblatt"  (vgl. 
XI,  57)  ist  Erklärung  zu  x6  xr^&piXov.  Der  Liebhaber  prüfte,  ob 
das  abgepflückte  Blatt  auf  dem  Anne  Leben,  Farbe  und  Saft  behielte 
oder  welk  herabfiele;  jenes  hielt  er  für  ein  Zeichen  der  lebendigen, 
dieses  der  absterbenden  Liebe.  An  einen  Knall  darf  man  bei  TrXotxct- 
•prjjia  nicht  denken. 

Id.  IV,  26  erinnert  Christ  daran,  daß  der  Witz  der  Stelle 
erst  seine  Poiutc  erhalte,  wenn  man  zu  e?c  Atöav,  in  den  die  armen 
Rinder  ziehen  müssen,  den  Ort  der  Landschaft,  wo  die  olympischen 
Spiele  gefeiert  werden,  stellt,  und  zwar  in  der  heimischen  Mundart 
efc  "AXtSa;  so  erhält  man  ein  Wortspiel  wie  VII,  100  *Ap«m?  .  .  . 


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Jahresbericht  über  die  griechischen  Lyriker.  (Sitzler.)  275 

apisroc.  —  V.  49  verlangt  Herwerden  mit  Recht  ein  Komma  nach 
X«Ya)ß<5Xov,  so  daß  «S?  to  raia&a  ein  Finalsatz  ist;  Wilamowitz 
hat  so  interpungiert. 

Id.  V,  15  nimmt  Wilamowitz  Bechtels  KoXaflhoo?  st.  des 
überlieferten  KaXaflhSo?  aaf  (vgl.  Herond.  6,  50).  —  V.  36  ver- 
dächtigt Wilamowitz  ojifiacji  xot?  opÖoTai  mit  Recht;  es  müßte 
toT;  0fj.ji.aJiv  op&otcrt  oder  ins  Metrum  passend  6<pftaX}ioTc  op&oiai 
heißen  (vgl.  Bentley  zu  Hör.  carm.  I,  8,  18).  131  ay des  spicil. 
Soph.  ad  Oed.  tyr.  528  ändert  toi?  in  <jot?  und  versucht  ebenda  1885 
toi?  ouaoi?  opftotii ,  beides  wenig  glücklich ;  tote  wird  vielmehr  aus 
xotfjS'  entstanden  sein:  „mit  deinen  Augen,  die  ich  da  gerade  auf 
mich  gerichtet  sehe"  ,  eine  nachdrückliche  Hervorhebung,  die  vor- 
züglich in  unsere  Stelle  paßt.  —  V.  73  erklärt  Wilamowitz  in 
der  zehnten  Beilage,  S.  235  f.,  für  interpoliert;  mit  Unrecht,  wie  ich 
glaube.  Was  den  Widerspruch  mit  dem  ersten  Vers  betrifft,  so  ist 
dort  töv  Sußccptrav  falsch  überliefert  statt  vrfiz  oder  tetSs  DiSupta; 
denn  zu  uoifjiva  muß  der  Name  des  Herrn  treten.  Morson  ist  aber 
nicht  nur  dem  Komatas,  sondern  auch  dem  Lakon  bekannt;  denn 
sonst  könnte  Komatas  nicht  zu  Lakon  sagen:  sixi  5i  Moporcuv,  und 
ebensowenig  könnte  Lakon  den  Morson  «ifafte  Mopacov  anreden;  die 
Bezeichnung  ££ve  steht  dem  nicht  im  Wege.  Wenn  Wilamowitz 
meint ,  man  könne  schlechterdings  nicht  absehen ,  welchem  Zwecke 
der  fragliche  Vers  diene,  so  weise  ich  darauf  hin,  daß  in  dem  ganzen 
Gedicht  Komatas  als  der  friedlichere,  Lakon  als  der  gereiztere  und 
streitsüchtigere  hingestellt  wird.  So  teilt  er  hier  dem  Morson  mit, 
in  wessen  Dienst  sie  beide  stehen,  und  da  er  auch  sich  in  die  Mit- 
teilung mit  einschließt,  so  liegt  für  Lakon  gewiß  kein  Grund  vor, 
unwillig  zu  werden.  Trotzdem  wird  er  dies,  und  deshalb  kann  ihm 
Komatas  mit  Recht  erwidern:  xö  ja4v  ^doxipxojxo?  und  bei- 
fügen, daß  er  die  ganze  Wahrheit  gesagt  habe  und  sich  nicht  rühme ; 
dies  wäre  doch  unmöglich  gewesen,  wenn  er  nur  von  Lakons  Ver- 
hältnis gesprochen  und  das  seinige  geheim  gehalten  hätte.  Dann 
hätte  es  den  Anschein  gehabt,  als  ob  er  sich  dem  Lakon  gegenüber 
als  etwas  Besseres  hinstellen  wolle,  und  Lakon  hätte  ihn  mit  Grund 
dafür  getadelt. 

Id.  VII,  71  f.  schreibt  Wilamowitz  AuxametToc?  und  führt  dies 
mit  einem  Scholiasten  auf  Lykopeus,  den  Vater  des  Phrasidamos 
und  Antigenes  (vgl.  V.  3  f.),  zurück;  nach  ihm  hieß  sein  Landgut 
AoxtoTreiov,  und  davon  ist  Aoxa>iretTccc  gebildet,  das  einen  Hörigen 
des  Lykopeus  bezeichnet.  Acharnä  wird  also  ebenso  ein  ursprünglich 
karischer  Ortsname  sein,  den  Theokrit  an  einen  attischen,  d.  h. 

18* 


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276         Jahresbericht  über  die  griechischen  Lyriker.  (Sitzler.) 

literarisch  bekannten,  angeähnelt  hat  (vgl.  Halasarna).  SchwartzT 
S.  301 ,  Anm.  1 ,  kann  an  die  koischen  Lokalitäten  nicht  glauben, 
sondern  denkt  an  wandernde  Musiker,  wofür  aber  bei  Theokrit  nichts 
spricht;  denn  nach  diesem  wohnen  die  Personen  auf  Kos. 

Id.  XI,  72  f.  faßt  der  Scholiast  als  Selbstanrede  des  Kyklopen, 
der  sich  wieder  auf  sich  selbst  besinnt,  was  gut  in  den  Zusammenhang 
paßt  und  auch  mit  den  Angaben  des  Dichters  übereinstimmt;  denn 
da  sich  V.  80:  outo>  toi  IloXocpotfioc  xxl.  offenbar  auf  V.  18  aaiSs 
Toiaütot  zurückbezieht,  so  wird  alles  Dazwischenliegende  als  Gesang 
des  Kyklopen  bezeichnet.  Sinko  denkt  zu  Inel  x^cuv  ocvtw^ai 
(V.  71)  (tn  aÖTtj?  hinzu  und  nimmt  dann  V.  7,2  f.  als  Worte  der 
Mutter ,  die  Polyphemos  anführe ,  um  zu  zeigen ,  wie  er  von  ihr  ge- 
kränkt werde.  Diese  Auffassung  scheitert  an  dem  Widerspruche, 
in  dem  dann  die  V.  72  f.  mit  dem  Vorhergehenden  stehen ;  nach 
jenen  beklagt  sich  Polyphemos  nur  darüber,  daß  seine  Mutter  nicht 
mit  empfehlenden  Worten  bei  seiner  Geliebten  für  ihn  eintritt;  nach 
diesen  würde  sie  ihn  auf  das  Törichte  seiner  Liebe  aufmerksam 
machen,  um  ihn  davon  abzubringen.  Es  kommt  noch  dazu,  daß  der 
Kyklop,  wenn  er  die  von  ihm  mißbilligten  Worte  seiner  Mutter  hier 
anführen  würde,  gewiß  nicht  weiterfahren  würde  iroXXat  aujxirataösv 
pe  xtX.,  wie  er  es  V.  77  f.  tut.  Diese  Erwägung  hindert  mich  auch, 
Wilamowitz  beizustimmen,  der  zu  V.  72  f.  bemerkt:  „interpellier 
ab  alia  persona,  ad  certum  hominem  omnino  non  relata,  quaerendas 
esse  alias  puellas\  Wäre  dies  der  Fall,  so  würde  der  Kyklop 
darauf  eine  scharf  zurückweisende  Antwort  geben,  wenigstens  nach 
den  Worten  zu  schließen,  die  er  im  Vorhergehenden  über  seine  Mutter, 
gebraucht  hat.  Außerdem  verstößt  die  Annahme  einer  zweiten  Person 
als  Sprecherin,  wie  ich  oben  schon  sagte,  gegen  die  ausdrückliche 
Einkleidung  des  Polyphemos- Liedes  durch  den  Dichter. 

Id.  XII,  22  f.  sind  fehlerhaft  überliefert  und  noch  nicht  be- 
friedigend hergestellt;  das  Beste  ist  bis  jetzt,  nach  Oöpavto»ve«  zu 
interpungieren  und  dann  mit  P  i  c  c  o  1  o  s  fhfaovö'  zu  lesen  st. 
euaovO'.  Aber  ich  nehme  auch  an  dem  Gebrauch  von  uiriptepot 
Anstoß  und  vermute  daher  toutwv  uiv  urap  Öeoi  Oöpavuovsc 
j^aovi)'  a>?  idiXouaiv.  Über  dieses  Idyll  spricht  Wilamowitz 
in  der  vierten  Beilage;  der  Eingang  erinnert  nach  ihm  an 
Sappho,  und  es  ist  mit  dem  Hylas  (Id.  XIII)  der  Form  wegen 
zusammengestellt  und  den  bukolischen  Gedichten  angefügt.  Beide 
Gedichte  sind  eine  Apologie  auf  die  Knabenliebe,  an  Nikias  ge- 
richtet, der  dem  Theokrit,  wie  es  scheint,  in  dieser  Hinsicht  Vor- 
würfe machte. 


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Jahresbericht  über  die  griechischen  Lyriker.   (Sitzler.)  277 

Id.  XIII  behandelt  Wilamowitz  ebenfalls  in  der  vierteu  Bei- 
lage; er  weist  darauf  hin,  daß  Apollonios'  Darstellung  des  Hylas  den 
Theokrit  zur  Wahl  des  gleichen  Themas  bestimmte,  „um  es  besser 
zu  machen".  V.  7  nimmt  er  an  den  Worten-  xoo  tAv  nXoxa|M8a 
oopaovxo?,  die  als  ein  Kennzeichen  des  Hylas  dastehen,  mit  Recht 
Anstoß.  Ich  vergleiche  Id.  V.  91,  wo  von  dem  schönen  Kratidas 
gesagt  wird :  Xircotpa  8fc  -«p'  oi/eva  setex'  iÖsipa,  und  betrachte  dem- 
nach xou  (bzw.  t»)  xdv  für  verschrieben  aus  tcoßpÄv  =  t&  aßpav ; 
die  üppigen  Flechten  waren  ein  besonderer  Schmuck  des  Hylas.  — 
V.  15  vermutet  Tucker  ansprechend  aöxoO  o'  eu  e?xd>v  U  dXafhviv 
avop'  flfccoßotfoj  st.  aoxu}  8'  so  2Xxu>v;  leichter  ist  noch  die  Änderung 
aüx<ji  3'  60  efxck:  „ihm  selbst  wohl  gleichend".  —  Große  Schwierig- 
keit machen  die  V.  68  f.  Sicher  ist  jedenfalls ,  daß  in  V.  69  die 
Abfahrt  der  Argonauten  erzählt  wird;  daher  muß  in  V.  70  jj^vovts; 
aus  Xuc^vxec  entstanden  sein;  sie  lassen  bei  ihrer  Abfahrt  den 
Herakles  zurück,  wie  auch  das  Folgende  zeigt.  Was  war  nun  in 
V.  68  gesagt?  Doch  wohl,  daß  sie  reisefertig  warteten,  ob  er  noch 
komme:  es  wäre  also  zu  lesen:  votö?  o'  e^sv'  apjisv'  lyouot  fxetapata 
i:Xü>  (bzw.  irXoü)  iraps<5vTo;  „das  Schiff  wartete  reisefertig,  da  die 
Zeit  zur  Abfahrt  da  war;  um  Mitternacht  aber  entfalteten  die  Helden 
die  Segel,  Herakles  zurücklassend". 

Id.  XIV,  33  steckt  in  ifairrfi  ein  alter  Fehler,  offenbar  daher» 
rührend,  daß  der  ursprüngliche  Schreiber  auf  dca-iva?  in  der  vor- 
hergehenden Zeile  abirrte;  denn  von  sechsjährigen  Mädchen  kann 
man  doch  x6lr>ou  £<rifto|A9jaai  nicht  mehr  sagen.  Es  wird  rpiivrfi 
oder  ähnlich  gelautet  haben.  —  V.  88,  wo  r^vtp  xsä  öaxpoa  }xaX* 
pe'ovxi  überliefert  ist  ,  beschäftigte  die  Gelehrten  schon  vielfach. 
B.  0.  Foster,  The  symbolism  of  the  apple  in  Classical 
Antiquity,  Harvard  studies  X,  S.  39  f.,  nimmt  die  Überlieferung 
in  Schutz,  indem  er  V,  124  und  126  vergleicht:  „deine  Tränen  fließen 
als  Liebeszeichen  für  ihn",  was  wenig  passend  ist.  Wilamowitz, 
Textgesch.,  S.  40,  Anm. ,  schlägt  rqvq»  xeit  Saxpoot;  dXXa  pe<$vx«ö 
vor:  „ihm  fließen  deine  Tränen?  So  sollen  sie  fließen!".  Daß  aber 
dies  in  [i.aX*  verschrieben  worden  wäre,  ist  wenig  wahrscheinlich. 
Vielleicht  verbirgt  sich  Xat^fia  in  fiaXa,  vgl.  Hcsych.:  Xaifu-axa* 
ixi\x\iaxa  ispo,  airapfpata  und  Suidas  Xcuu.cc*  xo  fepov,  OOjjta;  die 
Tränen  werden  dann  von  dem  erbitterten  Aeschines  als  Erstlings- 
opfer bezeichnet,  die  Kyniska  ihrem  neuen  Liebhaber  darbringt. 

Id.  XV,  4  wird  von  Wilamowitz,  Textgesch.,  S.  48,  Anm.  1, 
erklärt;  w  xa?  d\e\idx<o  ^o^ac  bedeutet  nicht,  wie  man  es  gewöhnlich 
faßt,  „o  das  bißchen  Leben",  sondern  „o  über  die  töricht-eitle  Seele"  ; 


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278         Jahresbericht  über  die  griechischen  Lyriker.  (Sitzler.) 


Gorgo  schilt  damit  ihre  eitle  Tollheit,  daß  sie  sich  auf  die  Expedition 
eingelassen  hat;  schon  den  ersten  Gang  hat  sie  kaum  Uberstanden.  — 
V.  7  ist  tö  o'  exaatepu)  sy.'  drcoixsic  überliefert,  was  keinen  Sinn 
gibt;  ich  lese  sxaa?£pa>  ot&v  d7rotxeic  „du  wohnst  immer  weiter  von 
mir  weg",  ein  Vorwurf,  den  Praxinoa  auf  ihren  Mann  schiebt  (vgl. 
8  f.).  —  V.  30  nimmt  Wilamowitz  E.  Schwartz'  Konjektur 
XatSTpt  st.  aTrXijare  auf.  —  V.  87 :  tow  ö°  ep^oi?  xtX.  erklärt  Vahlen: 
„ich  habe  aber  auch  alle  Mühe  an  die  Arbeit  gesetzt" ,  dem  Zu- 
sammenhang entsprechend.  —  V.  60  lautet  die  beste  Überlieferung, 
die  man  auch  bisher  beibehalten  hat:  i'^v  u>  -cixva.  —  rapev^etv 
eöjxaps? ;  dafür  nimmt  Wilamowitz  aus  anderen  Hs.  i^wv  x^xvot.  — 
tha  tt.  xtX.  auf,  weil  er  meint,  daß  der  Hiatus  -zixva  etxa  die 
Schreibung  Ifutv  a>  Tixva  ir.  xtX.  veranlaßt  habe.  Näher  liegt  es 
aber  doch,  die  Lesart  xIxvol  et-oc  darauf  zurückzuführen,  daß  w  nach 
i-ycuv  ausfiel  und  mit  eha  die  so  entstandene  Lücke  ausgefüllt  wurde, 
eine  Annahme,  die  dadurch  sicher  wird,  daß  elta,  das  Wilamo- 
witz für  vortrefflich  erklärt,  hier  nicht  paßt  (vgl.  Kühner  gr.  Gr. 
§  587,  15);  eha  in  der  Frage  würde  j^aXeirov  st.  zbpapis  verlangen: 
die  Alte  ist  aus  dem  Hofe  gekommen,  und  da  sollte  es  für  uns 
schwierig  sein,  hinein  zu  kommen?  —  V.  84  f.  nimmt  Kaibel  mit 
Recht  an  der  Verbindung  die'  dpfop^a?  xXisuui  Anstoß;  er  ergänzt 
zu  dpfup&xc  etwa  xXtv>};  und  hält  xXt3}iui  für  verschrieben  aus  apjiot 
(vgl.  Callim.  fr.  44.  Apoll.  1,  972);  ich  glaube,  daß  xXisiicü  aus 
irgendeinem  Grunde  an  die  Stelle  von  xXt'va?  getreten  ist  (vgl.  V.  127). 

Id.  XVI,  24  schreibt  Wilamowitz  mit  <1>  xb  U  -o-j  im;  ohne 
Zweifel  ist  aber  dem  t6  jxfcv  'l'Stf  gegenüber  mit  den  anderen  Hs. 
to  ofc  xol(  Ttvt  ooDvoct  vorzuziehen.  Überdies  ist  doiocov  am  Schlüsse 
des  Verses  unrichtig  überliefert;  denn  die  Sänger  folgen  erst  V.  29. 
Das  Ursprüngliche  scheint  d^eiöSc  gewesen  zu  sein.  —  V.  t>l 
schützt  V  a  h  1  e  n  die  Überlieferung  jxe-ra  ^Xauxa?  dXoc  durch  Hinweis 
auf  Strabon  I,  8  und  Livius  XXVI,  45,  8:  Wind  und  Meer  treiben 
die  Wellen  an  das  Gestade.  Derselbe  vergleicht  zu  V.  86  f.  Horn. 
11.  XII,  73,  Diod.  XI,  23,  2.  24,  2,  XIII,  21,  3,  XIV,  67.  1,  Livius 
IV,  10,  5,  V,  49,  6,  X,  26,  10. 

Id.  XVII.  57  nennt  Theokrit  die  ältere  Berenike  dp^Xo;;  das- 
selbe Wort  gebraucht  Kallimachos  Epigr.  51  von  der  jüngeren 
Berenike.  Daraus  zieht  Wilamowitz  den  Schluß,  daß  sich  Kalli- 
machos an  Theokrit  angeschlossen  und  das  Attribut  von  ihm  über- 
nommen habe.  Mir  erscheint  dies  zweifelhaft;  denn  dpi'^Xoc  ist 
auch  sonst  nicht  gerade  selten.  Es  wird  mit  Vorliebe  von  Sternen 
gebraucht,  und  da  Kallimachos  die  unter  die  Gestirne  versetzte  Locke 


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Jahresbericht  über  die  griechischen  Lyriker.  (Sitzler.)  279 


der  Berenike  besang,  so  lag  ihm  das  Wort,  wo  es  sich  um  Berenike 
handelte,  doch  nahe  genug,  auch  ohne  Anschluß  an  Theokrit.  — 
V.  66  f.  erklärt  W  i  1  a  m  o  w  i  t  z  gut ;  allein  er  geht  auch  hier  in 
seinen  Folgerungen  zu  weit,  wenn  er  meint,  Knidos  und  Rhodos 
würden  hier  mit  Rheneia  verglichen,  und  daraus  den  Schluß  zieht, 
daß  Theokrit  von  Kos  her  die  Verhältnisse  beurteile.  Ein  solcher 
Gedanke  liegt  unserem  Dichter  ganz  fern,  der  nur  die  Liebe  des 
Ptolemäos  zu  Kos  und  Umgegend  hervorheben  will  und  sich  dazu 
des  Hinweises  auf  die  Liebe  des  Apollon  zu  Delos  und  Umgegend 
bedient.  —  Zu  V.  82  f.  weist  Wilamowitz  auf  Diodor  I,  31,  wo 
mehr  als  83  000  Städte,  und  auf  die  Homerschol.  BT  zu  I,  383 
hin,  wo  33  030  Dörfer  genannt  werden,  wohl  durch  Schuld  des 
Schreibers  st.  33  333.  Die  Quelle  für  beide  ist  Hekatäos  von  Abdera; 
denn  u>?  hh  Kdxeuv  taxopst  ist  verschrieben  aus  «>c  8'  4xa  =  'Exotxato?. 
Die  hohe  Zahl  stammt  aus  der  amtlichen  Statistik  des  Ptolemäos.  — 
V.  124  f.  sind,  wie  Usener  bemerkt,  die  vergöttlichten  Herrscher 
Nothelfer  für  alle  Menschen  geworden,  sowie  es  die  Heroen  ihren 
Nachkommen  und  Verehrern  sind ;  denn  die  Fürsprache  der  Heiligen 
hat  im  Altertum  ihr  Vorbild.  —  V.  137  hält  Wilamowitz  die 
Überlieferung  dpexr,v  ?e  \ikv  ix  At6c  ahzü  für  ursprünglich,  mit  Un- 
recht, wie  mir  scheint ;  denn  nach  den  Worten  j(oupe  avac  IlxoXsjAaie  • 
ö£&ev  8'  lyta  Taa  xai  aXXtov  }ivaao(iat  rpiMwv,  öoxeco  8'  sito?  oux 
cnr<5ßX7(Tov  cpDsYcojjioi  iaao|xevoi?  erwartet  man  nicht  das  einschränkende 
und  bedingende :  „jedoch  flehe  zu  Gott  um  Segen" ,  sondern  das 
zuversichtlich  -  prophetische :  „sicherlich  wirst  du  von  Zeus  Segen 
haben" ;  nur  so  schließt  das  Ganze  befriedigend  ab.  Für  iUis  tritt 
auch  Schwartz  ein. 

Id.  XVIII,  25  ist  xav  oüo'  av  xtc  ajxwjxo;  überliefert  ,  wofür 
Wilamowitz  du.u>v  ouxic  d.  vorschlägt ;  ich  glaube  aber ,  daß  xav 
als  Relat.  im  Anschluß  an  das  Vorhergehende  beibehalten  werden 
kann ,  und  vermute  demnach  xav  oö  p.dv  Tic  d.  Im  folgenden  Vers 
schreibt  Wilamowitz  du»?  als  Genet. ,  abh.  von  xaX6v  irpoGtorcov, 
und  versteht  dtu?  von  der  Abendröte.  Ich  erinnere  mich  nicht,  von 
einem  xctXov  irptfaturov  du>?  gelesen  zu  haben;  die  Erwähnung  der 
-oxvia  vuc  in  Verbindung  mit  xaX&v  8ts<pavs  irp<5cjumov  weist  vielmehr 
auf  jx^vac  st.  d<&c  hin.  Die  Nacht  läßt  des  Mondes  schönes  Antlitz 
wie  den  lichten  Frühling  nach  dem  Winter  erscheinen,  und  so  er- 
schien auch  Helena  unter  ihren  Gespielen  (vgl.  Sappho  3). 

Id.  XIX ,  5  korrigiert  Wilamowitz  gut  oeusv  £dv  oSuvav 
xai  iuifA'fexo  st.  xdv  und  jiifxcpexo.  Zu  V.  8  bemerkt  er: 
„vereor  ne  eei?  =  ei  sibi  indulserit  scriptor".     Mir  scheint  es 


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280         Jahresbericht  über  die  griechischen  Lyriker.  (Sitzler.) 


wahrscheinlicher,  daß  üb»  aus  xeX£&et?  (oder  xsX£ds?)  ver- 
schrieben ist. 

Id.  XX,  22  schreibt  Wilamowitz  mit  Hermann  izuxaCov; 
aber  die  Änderung  von  xitwo?  in  xt33<5v  erscheint  unnötig,  da  zu  ok 
xi33o?  ttqxi  Tzpipvov  die  Ergänzung  iruxivfo  Itciv  nahe  liegt.  —  V.  26 
ändert  Wilamowitz  "*XuxepttVtepov ,  das  aus  dem  folgenden  Vers 
durch  ein  Versehen  des  Schreibers  eingedrungen  ist,  gut  in  ^Xacpopeu- 
xspov;  aber  weniger  gelungen  scheint  mir  seine  Änderung  in  V.  39, 
wo  er  xal  ek  iraiBl  xa'ÖsuBs  in  xal  efe  £a  -atöixa  v»u3e  korrigiert. 
Da  der  durch  das  überlieferte  iratSl  xdöeuSs  angedeutete  Sinn  dem 
Zusammenhang  vortrefflich  entspricht,  so  möchte  ich  lieber  xaX(j>  auv 
raiol  xa&eoSeiv  lesen,  final  zu  r/ös. 

Id.  XXI,  10  ist  xa  ^oxtoevxa' xs  Xifta  überliefert ;  Wilamowitz 
bemerkt  dazu:  „vereor  ne  Xtva  prava  produetione  scripserit".  Bei 
dem  korrupten  Zustand,  in  dem  uns  dieses  Gedicht  überliefert  ist, 
glaube  ich  dies  nicht.  Vielleicht  steckt  x'  dfpijva  in  te  Xifra ; 
or/pTjvtSv  „Fangnetz".  —  V.  49  schreibt  Wilamowitz  gut  ira»; 
dvsXw  für  zuic  \tlv  iXto. 

Id.  XXII  behandelt  Wilamowitz  in  der  fünften  Beilage  der 
Textgeschichte.  Er  weist  darauf  hin ,  daß  es  kein  Kultlied  ist, 
.  sondern  zum  mündlichen  Vortrag  bestimmt.  Die  Stichomythie  V.  54  f. 
ist  ganz  dramatisch  gestaltet,  was  auch  sonst  bei  Theokrit  der  Fall 
ist.  Auch  die  Quellen,  die  Theokrit  benützte,  untersucht  Wilamo- 
witz und  legt  die  Abweichungen  von  diesen  dar.  Das  Gedicht  ist 
nach  ihm  gegen  Apollonios  gerichtet,  aber  nicht  aus  persönlicher 
Animosität,  sondern  als  Protest  der  freien  Kunst  gegen  unfreie  Nach- 
ahmung. Nach  V.  170  ist,  wie  der  Verfasser  überzeugend  nachweist, 
eine  größere  Lücke. 

Id.  XXIII,  30  und  31  nimmt  Wilamowitz  erfolgreich  gegen 
M.  Haupts  Verdächtigungen  in  Schutz  und  ändert  xal  tdxsxat  richtig 
in  xaxaxa'xexai ;  ebenso  gelungen  ist  V.  51  ivtaXXa  st,  IßaXXe  und 
V.  57  2x7jXa  st.  Xe. 

Id.  XXVI  bespricht  Wilamowitz  in  der  achten  Beilage  der 
Textgeschichte.  Er  weist  mit  Recht  die  Ansicht  zurück,  als  ob  wir 
es  hier  mit  einem  Hymnus  auf  Dionysos  zu  tun  hätten ;  aber  auch 
seiner  Erklärung  des  Gedichtes  kann  ich  nicht  zustimmen.  Er  meint 
nämlich,  ein  Kind  sei  umgebracht  worden,  die  Mörder  hätten  An- 
feindung gefunden ,  und  da  habe  der  Dichter  ihre  Partei  ergriffen 
und  die  Tat  als  Gott  wohlgefällig  hingestellt.  Diese  Erklärung  wäre 
nur  annehmbar,  wenn  man  wüßte,  wer  das  Kind  und  die  Mörder 
waren,  warum  sie  die  Tat  vollbrachten  und  was  Dionysos  damit  zu 


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Jahresbericht  über  die  griechischen  Lyriker.   (Sitzler.)  281 

tun  hatte.  So  aber  kennt  man  nicht  einmal  den  Dichter,  der  diese 
Verse  machte,  und  wird  daher  am  besten  tun,  bei  dem  Wortlaut  des 
Gedichtes  stehen  zu  bleiben.  Auch  der  Vers  29  scheint  nur  die 
Worte  jATjo'  d  yaXsiccoxepa  x&vSe  jAO-jr^ai  verstärken  zu  wollen: 
Bund  erst  neunjährig  wäre  oder  das  zehnte  anträte",  also  in  noch 
unschuldigem  Alter  und  damit  übler  daran  als  Pentheus,  der  doch 
eine  Verschuldung  gegen  den  Gott  auf  sich  geladen  hatte. 

Id.  XXVII  gibt  Wilamowitz  im  wesentlichen  in  der  Form, 
die  er  Hermes  XIII  (1878)  276  festgestellt  hat.  V.  23  schreibt  er 
v<5ov  8'  iufcv  oü»tk  fafvet,  wie  schon  Meineke  vorschlug.  Die  Hs. 
haben  detoeu  was  auf  Ia8e  führt;  die  Verderbnis  in  dsioei  zog  den 
Accus,  voov  £fi6v  nach  sich.  Es  ist  also  mit  Fritz  sc  he  v&p  8' 
iucjj  oSxk  Sotoev  zu  lesen ,  was  auch  dem  Sinn  mehr  entspricht.  — 
V.  59  ist  xdfxriyovov  st.  xdji-lyovov  zu  lesen,  das  xai  mit  Beziehung 
auf  V.  55  xav  juxpav  dir^d/tsac ;  daher  hatte  Wilamowitz  mit 
dieser  Stelle  nicht  V.  72  xdv  aupi-^a  xedv  schützen  sollen.  Statt  xdv 
muß  es  wohl  jidv  heißen,  und  V.  73  steckt  in  xuiv  eher  vOv  als  xa, 
wie  Wilamowitz  schreibt,  der  für  Beibehaltung  der  Verse  72  und 
73  eintritt. 

Id.  XXIX,  19  nimmt  Wilamowitz  mit  Recht  die  Verbesserung 
vod  Ahrens  dizlp  dvop£av  auf;  das  davorstehende  unhaltbare  dv8pu>v 
Toiv  verwandelt  er  in  dvftpwrtDv.  Da  von  dvop£a  die  Rede  ist,  ver- 
dient dvSpSv  den  Vorzug  vor  dv&ptortov,  in  xuiv  aber  wird  jidv 
stecken,  das  als  Beteuerungspartikel  hier  gut  am  Platze  ist. 

Id.  XXX,  4  ist  xai  vOv  {i&v  xo  xaxov  xofc  jxfcv  eysi  xai?  8' 
überliefert,  dem  Wortlaut  nach  entstellt,  der  Sinn  aber  ergibt  sich 
aus  den  folgenden  Versen;  jetzt  läßt  ihm  die  Liebe  wenigstens 
manchmal  noch  Ruhe,  bald  aber  wird  sie  ihn  ständig  quälen  und 
nicht  einmal  mehr  schlafen  lassen.  Diesen  Gedanken  gewinnt  man, 
wenn  man  xb  xaxiv  xavtV  l/et,  xavtxa  8'  oo  \i  sysi  schreibt.  — 
V.  10  läßt  sich  §Xxo?  eyu>v  (xatvov  ivl  cppeat)  vervollständigen.  — 
V.  13  vermutet  Wilamowitz  gut  fAlrpV  st.  Imzür^V.  V.  32 
Cholmeley  a  xe  <Ö^)  »opei,  wie  Wilamowitz  schreibt. 

Mit  den  Scholien  beschäftigen  sich 

1.  P.  Egenolff,  Zu  Lentz'  Herodian  IL  Philologus 
1902,  S,  540  f. 

2.  H.  W.  Pre scott,  Notes  on  theScholiaandthe 
Text  of  Theocritus.    Class.  Rev.  1903,  S.  107  f. 

Egenolff  liest,  S.  546,  im  Schol.  zu  XI,  78  (S.  75):  xtyXt'Covxi* 
s?o8pa  7«XÄ£Ji  xai  afoypoopifoöai.    Prescott  dagegen  behandelt  die 


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282         Jahresbericht  über  die  griechischen  Lyriker.  (Sitzler.) 


Scholien ,  die  sich  auf  Daphnis  beziehen ,  und  stellt  dabei  einige 
Aasführungen  seines  in  den  Harvard  Studies  X  veröffentlichten  Auf- 
satzes (vgl.  oben)  richtig.  Zunächst  bespricht  er  die  Scholien  zu 
I,  65,  66,  69,  81—85,  97  und  VIII,  93,  die  alle  den  Zweck  haben, 
Theokrits  Darstellung  der  Daphnis-Sage  mit  der  gewöhnlichen  Sage 
in  Übereinstimmung  zu  bringen,  allerdings  ohne  Erfolg,  da  Theokrit, 
wie  oben  schon  nachgewiesen  ist,  seine  eigene  Sagenform  hat.  Dabei 
bemerkt  der  Verfasser  mit  Recht,  daß  kein  Grund  vorliege,  im  ersten 
Idyll  eine  unerwiderte  Liebe  des  Daphnis  anzunehmen.  In  der 
zweiten  Abhandlung  weist  er  nach,  daß  das  Schol.  zu  VIII,  55  auf 
einem  Mißverständnis  des  Theokrit-Textes  beruht ,  also  eine  recht 
zweifelhafte  Grundlage  für  die  Nachricht,  daß  Hermesianax  Daphnis 
und  Menalkas  miteinander  verbunden  habe,  sei:  der  euböische 
Menalkas  habe  mit  dem  Theokritischen  nichts  zu  tun. 

Den  Inhalt  der  Theokritischen  Gedichte  raachen 

1.  Sutphen   in  Studies  in  honour  of  Basil  L.  Gilders- 
leeve  1902, 

2.  R.  Dedo,  De  antiquorum  superstitione  amatoria. 
Diss.  Greifswald  1904, 

3.  E.  Rieß,  Studies  in  superstition.    Am.  Journ.  of 
Phil.  1903,  S.  423  f., 

zum  Gegenstand  ihrer  Untersuchungen,  um  zu  sehen,  was  sich  daraus 
für  die  Erkenntnis  des  Aberglaubens  und  der  Volksreligion  jener 
Zeit  gewinnen  läßt.  Sutphen  behandelt  den  Liebeszauber  bei 
Theokrit  und  Virgil,  ohne  wesentlich  Neues  vorzubringen.  Umfassender 
ist  die  Arbeit  von  Dedo,  die  alle  alten  Zeugnisse  über  den  Liebes- 
zauber sammelt  und  die  Spuren  davon  bis  herab  auf  Horaz  und  die 
lateinischen  Elegiker  verfolgt.  Rieß  dagegen  faßt  das  ganze  Gebiet 
des  Aberglaubens  ins  Auge,  das  bei  Theokrit  allerdings  keine  große 
Rolle  spielt.  Er  erwähnt  die  Göttin  dvoqxi)  XVI,  82  f. ,  die  in 
Korinth  verehrt  wurde  (vgl.  Paus.  II,  4,  6),  die  Traumdeutung 
'AXietc  XXI  (vgl.  Artemidoros  I,  8.  Plut.  quaest.  conv.  VIII,  3,  1), 
die  dankbaren  Bienen  VII,  78  f. ,  die  die  Musen  vertreten,  wie  der 
Verfasser  gegen  A.  Marx,  Märchen  von  dankbaren  Tiereu, 
S.  124a  und  Olck  s.  v.  Biene  in  Pauly-Wissowas  Realencyklopädie 
bemerkt,  das  Schlummerlied  XXIV,  7,  9  mit  der  Bitte,  daß  das 
Kind  aus  dem  Schlaf  wieder  erwachen  möge,  den  Dämon  Alter  XXIX, 
26  f.,  die  Bedrohung  der  Götter  VII,  106  f.  (vgl.  Wesseley  in  der 
Denkschrift  d.  Wien.  Akad.  XXXVI,  27  f.),  die  Unsterblichkeit  ver- 
leihende Ambrosia  XV.  105  f.,  die  goldsammelnden  Ameisen  XVII,  107, 


• 

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Jahresbericht  über  die  griechischen  Lyriker.   (Sitzler.)  283 

die  Äpfel  als  Liebeszeichen  II,  120,  III,  10,  V,  88,  VI,  6  (vgl.  auch 
B.  0.  Foster,  The  symbolism  of  the  apple  in  classical 
antiquity.  Harvard  studies  X,  S.  39  f.),  Apotropäa  VI,  23  f., 
Artcmis-Hekate-Hades  II,  30,  dairoXaöo?  in  Reinigungen  XXIV,  87, 
assyrische  Wahrsager  II,  162,  ßatoc  bei  Reinigungen  XXIV,  88, 
barbarische  Zauberinnen  III,  31,  Lorbeerblätter  beim  Zauber  II,  1, 
23  f.,  die  Entstehung  der  Bienen  aus  den  Leichen  von  Rindern 
Syrinx  3,  Liebeszauber  II,  2,  Asche  bei  Reinigungen  XXIV,  93, 
Metall  zum  Iynx-Rad  II,  30  und  gegen  Gespenster  II,  36,  die  Ver- 
wendung und  Wirkung  der  Zauberkünste  II,  61,  159  f.,  15,  Kreuz- 
wege II,  36,  Cyklamen  V,  123,  dreimaliges  Rufen  der  Toten  beim 
Begräbnis  XX11I,  44,  Herbstgebräuche  X,  46  f.,  Wahrnehmung  der 
Geister  durch  Hunde  II,  12,  35,  die  prophetische  Bedeutung  des 
Adlers  XVII,  71  f..  die  l|x::opo{iavTeta  II,  24  f.,  den  bösen  Blick  III, 
37,  V,  12,  VI,  39,  VIII,  39  f.,  die  bei  der  Geburt  zu  beobachtenden 
Gebräuche  XVII,  60  f.,  die  heilende  Wirkung  des  Speichels  VII,  126, 
die  Entstehung  von  Blasen  auf  der  Zunge  infolge  von  Lügen  IX,  30, 
XII,  24,  die  Neunzahl  XXX,  26  f.,  das  Spucken  XXIX,  26  f.,  die 
glückverheißende  Bedeutung  der  Sternschnuppen  XIV ,  49  f. ,  die 
Dreizahl  XVII,  82  f.,  V,  43,  VI,  39,  XVII,  71,  XXII,  4,  XXIII,  44, 
XXIV,  63,  die  Begegnung  eines  Wolfs  XIV,  22. 

Die  Frage  nach  der  Echtheit  der  einzelnen  Gedichte 
prüfen,  von  den  Untersuchungen  von  Wilamowitz  abgesehen. 

1.  E.  Fairon,  De  l'auth enticite  de  l'idylle  VIII 
durecueildeTheocrite.  Rev.  de  l'instruct.  publ.  en  Beige  43, 
S.  237  f. 

2.  C.  Kattein,  Theocriti  idyllis  octavo  et  nono 
cur  abroganda  sit  fides  Theocritea.    These.    Paris  1901. 

3.  M.  Rannow,  De  carminum  Theocriti  XXIV  et 
XXV  compositione.  Festschrift  für  Vahlen.  Berlin  1900, 
S.  87  f. 

Fairon  verficht  die  Ansicht,  daß  das  achte  Gedicht  aus  langen 
Bruchstücken  eines  Theokritischen  Gedichtes  bestehe,  die  ein  späterer 
Grammatiker  durch  eigene  Verse  miteinander  verbunden  habe;  diese 
vermittelnden  Verse  seien  28 — 32 ,  61  und  62 ,  vielleicht  auch  92 
und  93.  Dagegen  ist  Kattein  der  Ansicht,  daß  das  Idyll  aus 
Bruchstücken  verschiedener  Dichter  zusammengesetzt  sei,  von  denen 
vielleicht  die  V.  63—70,  72  und  73,  76,  78—80,  82—87  von 
Theokrit  herrührten.  Daß  auch  diese  Annahme  unhaltbar  ist,  zeigt 
M.  Rannow  Wocbenschr.  f.  klass.  Piniol.  1902,  Nr.  47,  S.  1280  f. 


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284         Jahresbericht  über  die  griethischen  Lyriker.  (Sitzler.) 

Bas  zuerst  von  Valckenaer  ausgesprochene  und  dann  ziemlich 
allgemein  gebilligte  Urteil,  das  die  Verse  dem  Theokrit  abspricht, 
ist  wohl  begründet,  wie  auch  Wilamowitz  Textgesch. .  S.  122  f., 
eingehend  nachweist;  nach  diesem  Gelehrten  stammt  das  Gedicht, 
das  einheitlich  ist,  wenn  man  mit  G.  Hermann  die  V.  57  —  60 
auswirft,  von  einem  kenntnisreichen  hellenistischen  Poeten. 

Das  neunte  Idyll  spricht  K  a  1 1  e  i  n  in  Übereinstimmung  mit  allen 
Forschern  dem  Theokrit  ab;  nur  Rannow  a.  a.  0.  sucht  es  als 
theokritisch  zu  erweisen.  Wilamowitz  widmet  diesem  Gedicht 
die  siebente  Beilage;  er  tritt  darin  für  die  Einheit  dieses  Idylles  ein, 
wie  auch  ich  es  im  letzten  Jahresb.  Bd.  CIV  (1900),  S.  151  getan 
habe.  Die  V.  28  f.  faßt  er  so,  als  ob  der  Dichter  damit  ein  Lied, 
das  er  früher  gesungen,  aber  bis  jetzt  nicht  veröffentlicht  habe  — 
daher  V.  30  — ,  dem  Vorhergehenden  anfüge ;  der  Sinn  von  oai'vett, 
zu  dem  er  jaoi  ergänzt,  sei:  „zeiget  es  mir",  eine  poetische  Wendung 
für:  „da  fällt  mir  ein";  das  Lied  selbst  folge  in  V.  31  f.  Ich  kann 
diesen  Ausführungen  nicht  beistimmen,  einmal  weil  ich  an  diese  Be- 
deutung von  yatvexe  nicht  glauben  kann;  wenn  er  das  Lied  früher 
gesungen  hat,  so  brauchen  es  ihm  die  Musen  doch  jetzt  nicht  ©at'vetv. 
Sodann  weil  —  angenommen,  daß  man  V.  31  f.  als  Lied  bezeichnen 
kann  —  doch  auch  das  Vorhergehende  ein  Lied  des  Dichters  ist. 
Allerdings  hat  er  es  so  dargestellt,  als  ob  jene  Verse  dem  Daphnis 
und  Menalkas  gehören,  also  die  Unwahrheit  gesagt,  aber  jetzt  stellt 
er  dies  richtig  und  daher  V.  30.    Mit  qiöav,  ifw  xtL  ist 

also  das  ganze  Idyll  gemeint,  um  dessen  Verbreitung  und  Bekannt- 
machung er  hier  die  Musen  bittet:  <patvsxe  „zeiget  es,  macht  es  be- 
kannt"; den  Grund  zur  Bitte  enthalten  die  V.  31  f.;  der  Dichter  ist 
eil.  Freund  und  Verehrer  der  Musen. 

Die  Gedichte  19,  20,  21,  23,  26  und  27  betrachtet  auch 
Wilamowitz,  wie  andere  Gelehrte,  als  nicht  theokritisch;  19, 
20,  21  und  23  sind  nach  ihm  in  der  Zeit  um  und  nach  Bion  ent- 
standen. 

Id.  XXIV  behandeln  Rannow  und  Wilamowitz.  Textgesch., 
S.  96  f.  und  237  f.  Das  Gedicht  ist  nach  Überlieferung  und  Be- 
schaffenheit theokritisch;  aber  Rannow  findet  in  der  Erzählung 
sowohl  als  in  der  sprachlichen  Form  Härten  und  Lücken  und  glaubt 
daher,  daß  es  stückweise  entstanden  sei  und  unvollständig  vorliege. 
Die  meisten  der  von  Rannow  erhobenen  Bedenken  fallen  nicht 
schwer  ins  Gewicht;  so  z.  B.  wenn  er  meint,  nach  V.  10  fehle  ein 
Hinweis  darauf,  daß  auch  die  Eltern  sich  schlafen  legten,  in  V.  22 
werde  der  Grund,  warum  es  im  Zimmer  hell  wird,  nicht  ausgesprochen. 


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Jahresbericht  über  die  griechischen  Lyriker.   (Sitzler.),  285 

V.  84  stehe  mit  13  f.  im  "Widerspruch,  weil  hier  Hera,  dort  die 
cWotvcTOt  die  Schlangen  schicken,  oder  V.  85  und  92  mit  16,  weil 
es  V.  16  'fa^siv,  V.  85  otaSifjX^aaaöai  und  92  xavetv  von  der  gleichen 
Sache  heiße,  V.  60  f.  falle  es  auf,  daß  kein  Wort  der  Anerkennung 
oder  des  Lobes  über  die  Tat  des  Herakles  beigefügt  werde ,  und 
V.  101  f.,  daß  Teiresias  abgehe,  ohne  daß  Alkmene  antwortet  oder 
über  die  Erfüllung  der  Prophezeiung  etwas  angegeben  wird  —  lauter 
Ausstellungen,  für  die  der  Charakter  der  alexandrinischen  Poesie 
oder  die  Eigenart  des  Dichters  die  Verantwortung  trägt.  Anderes, 
woran  man  Anstoß  nahm ,  wie  der  Gedankenzusammenhang  Y.  34  f., 
50  f..  86  f.,  erläutert  Wilamowitz  gut;  V.  86  f.  erklärt  sich  auch 
Ran no w  gegen  die  Annahme  einer  Lücke.  Daß  ein  besonderer 
Schluß  so  wenig  notwendig  war  wie  ein  besonderer  Anfang,  hebt 
nach  anderen  auch  Wilamowitz  mit  Recht  hervor.  Das  Gedicht 
ist  ein  Ganzes  für  sich .  eine  echt  alexandrinische  Rhapsodie ,  kein 
Teil  einer  Herakleia,  wie  auch  Rannow  bemerkt.  —  Über  £>aoa 
V.  8  spricht  F.  Bechtel,  Hermes  1901,  S.  422f.;  er  lehnt  die 
gewohnliche  Erklärung  „wohlbehalten"  ab  und  gibt  unter  Vergleichung 
von  Hesych.  s.  v.  die  Deutung  „einer  der  sich  leicht  bewegt",  taxeiov 
6p|A/1v  irpo?  ai»;Tjatv  eytuv.  Dagegen  bemerkt  Wilamowitz,  S.  97, 
Anm.  2,  daß  die  afärfiis  in  dem  Worte  nicht  liege;  die  Mutier 
wünsche  nicht ,  daß  die  Kleinen  sich  bloß  strampeln .  sondern  daß 
sie  „wohlbehalten"  die  Nacht  durchschlafen.  —  V.  31  sind  die 
Worte  uTtb  Tpo<p<j>  mit  faXaftr^v  zu  verbinden,  wie  Wilamowitz 
nachweist. 

Id.  XXV  wird  von  Rannow  und  Wilamowitz,  Textgesch. 
Beilage  9  besprochen.  Rannow  weist  es,  wie  andere  vor  ihm, 
dem  Theokrit  zu,  was  in  der  Überlieferung,  wie  Hill  er  zeigte, 
keinen  Rückhalt  hat.  Eine  Vergleichung,  die  er  zwischen  diesem 
und  dem  24.  Gedicht  anstellt,  ergibt,  daß  Id.  25  in  seinen  Teilen 
vollständig  ist,  weniger  Dorismen  und  mehr  Homerisches  enthält  und 
in  der  Erzählung  eine  gewisse  epische  Breite  verrät.  Es  besteht 
aus  drei  Teilen,  die,  wie  Wilamowitz  nachweist,  ihre  Vervoll- 
ständigung in  den  Überschriften  finden,  der  erste  Teil  'HpaxXr,; 
Ttpbi  aYpotx6v,  der  zweite  Teil  irurwXTjatc ,  für  den  dritten  Teil  ist 
die  Überschrift  verloren.  Wir  haben  also  auch  hier  alexandrinische 
Rhapsodien  und  dürfen  aus  dem  Fehlen  von  Einleitung  und  Schluß, 
sowie  dem  Mangel  jeder  Verbindung  zwischen  den  einzelnen  Teilen 
nicht  folgern,  daß  wir  Stücke  eines,  wenn  auch  nur  beabsichtigten, 
größeren  Ganzen,  etwa  einer  Augeias,  vor  uns  hätten.  —  V.  27 
verbessert  Wilamowitz  ot  roXoep-^ot  gut  in  aji-eXospYOt,  ebenso  99 


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286         Jahresbericht  über  die  griechischen  Lyriker.  (Sitzler.) 

otüAdc  in  a'jXiac  und  120  otajnrepiaK  ßotd  in  oiau.rsp&c  sußora.  — 
V.  164  überliefern  die  Iis.  korrupt  <5>c  v£o?  (oder  jiisoc)  dxu/qv  (oder 
oixfxr^);  Wilamowitz  bemerkt  richtig,  wie  ich  glaube:  „dictum 
erat,  quando  ille  venisset".  Demnach  scheint  etea  in  vioc  oder  fi£aoc 
zu  stecken ,  zu  dem  mit  dem  verdorbenen  u>;  das  Zahlwort  an- 
gegeben wurde:  Sc*,  die  Worte  stV  dxjrqv  bilden  einen  Zwischen- 
satz: „es  sind  gerade  eben  sechs  Jahreu.  —  V.  216  vermutet 
Cholmeley  ansprechend  xai  ouS£  irg  fyvwt  xtX.  st.  ouö'  ÄmQ. 

'Über  die  Epigramme  handelt  Wilamowitz  ausführlich 
Textgesch.,  S.  113  f.;  nach  ihm  gab  es  keine  authentische  Sammlung 
dieser  Gedichte,  die  von  dem  Dichter  selbst  hergestellt  worden  wäre, 
sondern  die  in  den  Iis.  überlieferte  Sammlung,  die  schon  in  der 
kommentierten  Ausgabe  stand ,  wurde  nach  des  Dichters  Tod  aus 
Epigrammen,  die  man  auf  ihn  zurückführte,  hergestellt;  sie  entstand 
erst  nach  Meleager;  denn  sonst  hätte  dieser  sie  benützt.  Damit 
urteilt  Wilamowitz  jedenfalls  richtiger  als  Rcitzenstein,  der 
die  Sammlung  Meleager  bekannt  sein  läßt.  Jedoch  hätte  ich  ge- 
glaubt, Wilamowitz  werde  von  diesen  Voraussetzungen  aus  dazu 
kommen ,  die  ganze  Sammlung  für  zweifelhaft  zu  erklären  und  dem- 
nach nur  die  Epigramme  als  theokritisch  anzuerkennen,  deren  Echt- 
heit sich  bestimmt  nachweisen  läßt;  denn  wenn  sich  auch  bei  dem 
einen  oder  anderen  die  Erinnerung  an  den  Verfasser  erhalten  haben 
mochte,  bei  den  meisten  war  dies  gewiß  unmöglich.  Statt  dessen 
hält  Wilamowitz  alle  Epigramme  für  echt,  deren  Unechtheit  nicht 
erweisbar  ist.  Dem  Theokrit  spricht  er  nur  die  Epigramme  2,  4, 
5.  6,  12,  16  und  23  ab;  die  Autorschaft  des  elften  Epigrammes  bleibt 
nach  ihm  zweifelhaft.  Selbst  Epigr.  24,  das  in  den  Theokrit-Hs. 
nicht  steht  und  in  der  Anthologia  Pal.  mit  aXXo  bezeichnet  wird, 
weist  er  dem  Theokrit  zu,  trotzdem  es  auch  mit  seinen  Verbesserungen: 
V.  1  7u»7t6Mü>vi,  2,  3  und  4  tou  u.ev  ...  xoö  M,  5  toasäaS'  dpiOu.6; 
(st.  totj<5ijÖ£  fdp  vtv)  keinen  befriedigenden  Sinn  gibt;  denn  so  sind 
die  meisten  dvaf>^|iocTa  eben  nicht  apyena,  wie  es  V.  1  heißt,  sondern 
vacutepa,  wie  die  Basis.  Unbeanstandet  seitens  der  Gelehrten  sind 
bis  jetzt,  soviel  ich  sehe,  nur  Epigr.  1,  8,  10,  13,  17,  18,  19  und 
22  nach  Wilamowitz*  Zählung,  die  mit  der  Zieglers  übereinstimmt; 
aber  auch  von  diesen  enthalten  nur  Epigr.  8  und  11  Beziehungen 
zu  Theokrit  ,  jenes  wegen  der  Nennung  des  Nikias,  dieses  wegen 
der  Verherrlichung  Epicharms.  Die  Anordnung  der  Gedichte  läßt 
sich  ebensowenig  wie  die  Polymetrie  mit  Wilamowitz  als  Beweis 
der  Echtheit  anführen ,  da  die  letztere  von  verschiedenen  Dichtern 
angewandt  wurde,  die  erstere  ja  vom  Sammler  herrührt.    An  das 


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Jahresbericht  über  die  griechischen  Lyriker.  (Sitzler.)  287 

Epigramm  auf  Epicharm  konnte  der  Sammler  andere  auf  frühere 
Dichter,  an  das  für  Nikias  ähnliche  Weiheepigramme  anreihen,  und 
die  bukolischen  Epigramme  sprach  er  ihm  als  Bukoliker  zu.  Wenn 
man  bei  einigen  zweifelte,  ob  sie  dem  Theokrit  oder  dem  Leonidas 
von  Tarent  gehörten,  so  war  dazu  der  Inhalt  die  Veranlassung;  denn 
auch  Leonidas  behandelte  ländliche  Motive,  wenn  auch  in  anderer 
Weise  als  Theokrit. 

Dem  vierten  Epigramm  hat  W  i  1  a  m  o  w  i  t  z  die  sechste  Beilage 
seiner  Textgeschichte  gewidmet.  Er  weist  nach ,  wie  hier  mehrere 
Motive  hellenistischer  Epigrammatik  zu  einer  Elegie  verarbeitet 
werden,  die  den  Elegien  des  Properz  nahesteht.  Insofern  ist  dieses 
Gedichtchen  sehr  interessant;  man  sieht  daraus,  wie  weit  damals 
schon  die  Griechen  auf  dem  Wege  von  Kallimachos  zu  Properz 
waren.  —  Außerdem  erklärt  Wilamowitz  Epigr.  8  auf  S.  118, 
Anm.  1,  Epigr.  13  ebenda  Anm.  2  und  Epigr.  14  auf  S.  119,  Anm.  2. 

Über  die  Techno pägnien  spricht  Wilamowitz   in  der 
elften  Beilage  seiner  Textgeschichte,  nachdem  er  darüber  schon  früher 
in  dem  Jahrbuch  des  kais.  deutsch.  Archäolog.  Instituts  Bd.  XIV, 
S.  51  f.,  gehandelt  hat.    Er  verteidigt  seine  hier  ausgesprochene 
Ansicht  gegen  Reitzenstein,  der  in  dem  Artikel  Epigramm  in 
Pauly  -  Wissowas    Kealencyklopädie    die   Technopägnien   für  Buch- 
epigramme erklärt.    Wilamowitz  halt  sie,   wie  vor  ihm  schon 
Hecker,  für  wirkliche  Aufschriften;  Simias  greift  nämlich  zu  den 
verschieden  langen  lyrischen  Versen  ,  um  den  Raum  zu  füllen ,  der 
ihm  gegeben  war :  die  Schneide  des  Beiles ,  die  Flügel  der  Statue, 
die  Fläche  des  Eies.    Ebenso  ist  Theokrits  Syrinx  zur  Aufschrift 
auf  eine  Syrinx  bestimmt,  die  dem  Pan  geweiht  wird.    Dagegen  be- 
zeichnet der  dorische  Altar  des  Dosiadas  den  Fortschritt  zum  carmen 
figuratum;  die  Verse  standen  nicht  auf  dem  als  Ort  für  sie  an- 
gegebenen Altar  der  Chryse  auf  den  Neä  bei  Lemnos,  sondern  er- 
wecken nur  den  Schein,  als  ob  sie  durch  die  Raumverhältnisse  jenes 
Altars  bedingt  seien.   Noch  weiter  geht  der  ionische  Altar,  der  jede 
Fiktion  aufgibt.    In  dem  als  Verfasser  überlieferten  Be^antinos  ver- 
mutete Häb erlin  den  Julius  Vestinus.  der  vom  Vorsteher  des 
alexandrinischen  Museums  zum  ab  epistulis  avanciert  ist,  und  Wila- 
mowitz hält  diese  Vermutung  für  recht  wahrscheinlich.   A.  Franke, 
De  Pallada  epigrammatographo,  üiss.  Lips.  1899,  S.  10  f., 
hält  dagegen  an  Besantinos  als  Dichternamen  •  unter  Zurückweisung 
der  lokalen  Deutung  fest  und  G.  Knaack  im  Nachtrag  zu  Pauly- 
Wissowas  Realenc.  s.  v.  stimmt  ihm  bei;  vgl.  übrigens  auch  H.  Stadt- 
mtiller,  Wochenschr.  f.  kl.  Piniol.  1900,  S.  825  f.,  der  A.  P.  IX, 


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288         Jahresbericht  über  die  griechischen  Lyriker.  (Sitzler.) 

118  Br(aavnvou  als  Bezeichnung  der  Heimat  des  Dichters  Palladas 
faßt.  Daß  auch  das  Versmaß  der  Technopägnien  beachtenswert  ist, 
besonders  das  des  Eies,  legt  Wilamowitz  ausführlich  dar.  Die 
von  H.  Omont  in  den  Monuments  Piot  XII,  1  herausgegebenen  und 
Rev.  des  Stüdes  gr.  XVI,  496  aus  dem  Altertum  hergeleiteten 
Miniaturen  zu  den  Technopägnien  sind  nach  W  i  1  a  m  o  w  i  t  z , .  S.  9, 
Anm.  1,  erst  aus  späterer  Zeit.  —  Am  Schlüsse  von  Sijm'oo  r&sxuc 
schreibt  Wilamowitz  jj.at6u.svoc  st.  {xaGvoc,  in  den  Uxipofei  9  oo8* 
"Apeoc  st.  8'  "Äpeoc,  im  *i2i4v  3,  4 :  ttj  too'  axpiov  veov  Atopta;  a7jö<5vo;, 
15  rcaaat  st.  iraXai,  16  l<;  avtpa,  17  Ba^ajiav  lAoyoiwwp ,  19  xqk* 
toxa,  in  Br^aavTivoo  ßcuu6<  10  Xaßovte.  —  Über  Dosiadas  vgl. 
It.  Reitzen stein  in  Pauly-Wissowas  Encykl.  Bd.  V,  S.  1596  f., 
wo  die  Ergebnisse  der  Forschung  übersichtlich  zusammengestellt  sind. 
Gegen  Lykos  von  Rhegion  als  Vorbild  des  Theokrit  für  das  Lied  auf 
Komatas  (VII,  83  f.)  spricht  sich  E.  Schwartz  aus,  vgl.  oben  S.  267 f. 

Mit  dem  Leben  und  der  Dichtkunst  Theokrits  beschäftigt 
sich,  abgesehen  von  den  schon  genannten  Schriften  von  Wilamowitz 
und  E.  Schwartz,  auch 

C.  Wendel,  De  nominibus  bu  coli  eis.  Abdruck  aus 
dem  26.  Supplementband  der  Jahrb.  f.  klass.  Philologie.  Leipzig 
1900  [Der  erste  Teil  erschien  als  Haller  Dissert.  1899]  und 
Theocritea.  Piniol.  1905,  S.  269  f. 
Wilamowitz  hat  die  Ergebnisse  seiner  Forschungen  in  der  dritten 
Beilage  seiner  Textgeschichte,  die  „Zeitbestimmung  der  Gedichte 
Theokrits"  betitelt  ist,  zusammengestellt,  in  mancher  Hinsicht  seine 
früheren  Ansichten  berichtigend.  Als  Heimat  Theokrits  steht  Syrakus 
durch  das  Selbstzeugnis  des  Dichters  in  der  Spindel  und  ini  Kyklop 
fest;  mit  Orchomenos  hat  er  nach  Wilamowitz  nichts  zu  tun. 
Dagegen  greift  Wendel  im  Philol.  a.  a.  0.  die  auf  Orchomenos 
bezügliche  Notiz  des  Scholiasten  zu  VII,  21  auf.  um  seine  Ansicht 
über  den  Namen  Simichidas  damit  zu  stützen.  Da  nämlich  hier  ein 
Simichidas,  Sohn  des  Perikles,  aus  Orchomenos  genannt  wird,  so  hält 
er  es  für  möglich,  daß  dieser  der  Stifter  eines  ui'aaoc  2tu.tyt6&v  auf 
Kos  war,  dem  Theokrit  angehört  habe  und  als  dessen  Mitglied  er 
sich  2tfuxßctc  genannt  habe.  Ebenso  will  er  SixeMöct?  auf  einen 
Waoo?  2ixeXto&v  zurückführen.  Das  Bedenken,  daß  die  sonst  über- 
lieferten Namen  von  Vereinen  nicht  patronymisch,  sondern  auf  -axij? 
oder  adjektivisch  gebildet  sind,  will  er  durch  den  Hinweis  auf  die 
dichterische  Freiheit  und  auf  Namen  wie  'AoxX^ma'Äat  und  'O^piöai 
entschuldigen.  Nach  der  Analogie  von  'O^pßai  und  'Asx/^inaoai 
wären  die  Simichiden  und  Sikeliden  Männer,  die  sich  vereinigt  hätten, 


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Jahresbericht  über  die  griechischen  Lyriker.   (Sitzler.)  280 

am  die  Tätigkeit  des  Simichos  und  Sikelos  fortzusetzen;  dies  würde 
eine  hervorragende  Stellung  und  Bedeutung  dieser  Stifter  voraus- 
setzen, wie  es  bei  Asklepios  und  Homer  der  Fall  war;  wir  hören 
aber  nichts  von  ihnen,  und  ebensowenig  von  den  von  ihnen  gestifteten 
Vereinen,  trotzdem  diesen  Dichter  wie  Theokrit  und  Asklepiades 
angehört  hätten.  Außerdem  wäre  jedes  Mitglied  eines  solchen  Vereins 
ein  Ztptxtöac  oder  StxsXtoac;  wären  das  also  für  den  einzelnen  be- 
zeichnende Namen?  Wilamowitz  hält  es  für  wahrscheinlich,  daß 
ein  Zusammenhang  zwischen  Asklepiades  -Sikelidas  und  Theokrit- 
Simichidas  obwaltet,  gesteht  aber,  daß  wir  nicht  imstande  sind,  ihn 
zu  durchschauen;  „nicht  einmal  soviel  ist  gesichert,  daß  Theokrit, 
bevor  er  die  Thalysia  dichtete,  oder  auch  nachher.  Simichidas  genannt 
worden  ist,  zumal  der  Name  mit  der  Hirtenmaske  verbunden  ist". 

Seine  Heimat  verließ  Theokrit  früh,  um  sich  seine  Bildung  im 
Osten  zu  holen;  hier  schloß  er  auch  seine  Freundschaft  mit  Nikias. 
Wilamowitz  weist  also  auch  jetzt  noch  die  Annahme,  daß  Theokrit 
in  Kos  bei  Philetas  studiert  habe ,  zurück ,  obwohl  sie  doch ,  wenn 
der  Dichter  im  Osten  gebildet  wurde ,  als  die  wahrscheinlichste  er- 
scheint. Von  da  reiste  Theokrit  wieder  nach  Sizilien  zurück,  wo  er 
im  Jahre  275/4  die  Chariten  an  Hieron  richtete;  in  diesen  Aufenthalt 
fällt  auch  der  Kyklop  und  die  Spindel.  Schwartz  hat  unrecht, 
wenn  er  die  Chariten  in  den  alexandrinischen  Aufenthalt  des  Dichters 
verlegt.  Als  Theokrits  Versuch,  Hofdichter  Hieruns  zu  werden, 
mißglückt  war,  reiste  er  zu  seinem  Freunde  Nikias  nach  Milet  und 
von  da  nach  Alexandria ;  unterwegs  besuchte  er  einer  Notiz  des 
Scholiasten  zufolge  Kos.  In  Alexandria  entstanden  die  Adoniazusen 
und  etwas  später  das  Enkomion  auf  Ptolemäos:  hier  kann  er  auch 
die  Bekanntschaft  des  Kallimachos  gemacht  haben,  die  in  den  Ge- 
dichten zum  Ausdruck  kommt,  wie  im  Thyrsis,  wo  sich  Kallimachos 
unter  dem  Namen  Chromis  verbirgt.  Aber  auch  in  Alexandria  hatte 
Theokrit  keinen  bleibenden  Aufenthalt;  wir  finden  ihn  in  der  nächsten 
Zeit  in  den  dorischen  Gegenden  Asiens,  wo  auch  der  Schauplatz 
einiger  seiner  Gedichte  ist ;  so  der  des  Thyrsis,  der  Pharmakeutria, 
und  auch  die  Kameen  des  fünften  Gedichtes  weisen  dahin,  ebenso 
die  Ergatinä.  Einen  längeren  Aufenthalt  auf  Kos  setzen  die  Thalysia 
voraus.  Von  einer  Verbindung  mit  Sizilien  ist  keine  Rede  mehr.  Das 
Todesjahr  des  Dichters  ist  ebenso  unbekannt  wie  das  Geburtsjahr; 
aber  da  seine  Gedichte  in  die  Jahre  274—260,  vielleicht  auch  noch 
etwas  später,  fallen,  scheint  er  nicht  gerade  alt  geworden  zu  sein. 

Wilamowitz  spricht  dem  Theokrit  Originalität  in  der  Er- 
findung ab  und  meint,  er  tibernehme  immer  nur  fremde  Motive.  Ich 

JabrMb*richt  für  AItertum»wisgen»chaft.    Bd.  CXXXIII.    (1907.    I.)  19 


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290         Jahresbericht  über  die  griechischen  Lyriker.  (Sitzler.) 

habe  oben  schon  bemerkt,  daß  sich  dieses  Urteil  dem  Erfinder  des 
Hirtenmimns  und  der  Bukolik  gegenüber  nicht  aufrecht  erhalten  läßt. 
Die  Vorzüge  Theokrits  in  der  Behandlung  seiner  Stoffe  erkennt  auch 
W  i  1  a  m  o  w  i  t  z  an,  und  Schwartz  weist  eingehend  nach,  mit  welcher 
Kunst  sich  unser  Dichter  in  die  verschiedensten  Situationen  zu  finden 
und  überall  den  rechten  Ton  zu  treffen  weiß.  Als  Dichter  vertritt 
Theokrit  die  Grundsätze  des  Kallimachos  gegen  Apollonios;  so  in 
den  Thalysien,  dem  Hylas  und  den  Dioskuren.  Daher  hätte  Schwartz 
den  Hylas  nicht  in  die  voralexandrinische  Zeit  des  Dichters  ver- 
legen sollen. 

Die  Frage  nach  der  strophischen  Gliederung  der  Theokritischen 
Gedichte ,  die  von  früheren  Gelehrten  zu  großem  Schaden  des  über- 
lieferten Textes  behandelt  worden  war.  bespricht  Wilamowitz  in 
der  zweiten  Beilage  in  ganz  vortrefflicher  Weise;  er  zeigt,  daß  sie 
von  unserem  Dichter  bei  passender  Gelegenheit  angewandt  wurde, 
aber  nicht  als  ein  leeres  Spiel  mit  Zahlen  und  auch  nicht  überall. 
Besonders  interessant  sind  die  Darlegungen  über  die  musikalische 
Wirkung  des  Refrains  oder  der  Schaltverse.  Auch  Wendel  tritt 
für  die  Aunahme  strophischer  Gliederung  ein,  wenn  der  Fehler,  jedes 
Idyll  in  ein  festes  Zahlenschema,  womöglich  mit  Gewalt,  einzupressen, 
vermieden  wird.  Wenn  er  aber  weiter  aus  der  in  Q  neben  VIII,  88 
stehenden  Randbemerkung  ocvxiaTpo?/,  schließen  will,  daß  die  V.  88 
bis  93  als  Gegenstrophe  zu  82 — 87  als  Strophe  aufgefaßt  worden 
seien,  und  daß  demnach  der  Versuch,  Strophen  bei  Theokrit  fest- 
zustellen, das  Recht  der  Überlieferung  für  sich  in  Anspruch  nehme, 
so  übersieht  er,  daß  chmaxpo^  an  dieser  Stelle  kein  metrischer 
Terminus  ist,  sondern  ein  grammatischer,  der  auf  die  Umkehrung 
der  Form  der  Gleichnisse  in  V.  88  f.  die  Aufmerksamkeit  der  Leser 
hinlenken  will,  also  dasselbe  bezweckt  wie  das  Schul.,  das  Ähren s, 
S.  301,  zu  der  Stelle  anführt:  tarrstai  Ii  IvaUa'S,  -pfoepov  to  a»c 
veßpfc?  &)Xzxai  iiü  ttjv  {iijx^pa,  (sTxa  to>  o3to>  xal  6  7cat;  &ydprt.  Über 
avTiaxpo^  vgl.  jetzt  auch  W.  Rutherford,  a  chapter  in  the 
history  of  annotation  1905,  S.  ;U4. 

Wie  der  strophischen  Gliederung  der  Gedichte,  so  haben  die 
Gelehrten  auch  den  in  den  Gedichten  vorkommenden  Eigennamen 
ihre  Tätigkeit  zugewandt.  Hier  handelt  es  sich  besonders  darum, 
festzustellen ,  mit  welchen  Namen  der  Dichter  wirkliche  Personen 
bezeichnete,  und  wer  die  Personen  sind,  denen  er  diese  Namen  bei- 
legte. Wendel  hat  diese  Frage  von  neuem  untersucht  und  ist 
dabei  zu  dorn  Ergebnis  ^kommen,  daß  nur  Phrasidamos,  Antigenes, 
Lykoreus,  Philetas,  Eukritos,  AmynUs,  Lykidas,  Ageanax,  Myrto, 


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Jahresbericht  über  die  griechischen  Lyriker.   (Sitzler.)  291 


Aratos,  Philinos,  Molo,  Aristis,  Glauke,  Pyrrhos,  Milon,  Praxiteles 
wirkliche  Personen  benennen;  die  anderen  Namen  sind  erdichteten 
Personen  beigelegt,  nur  daß  Sikelidas  den  Asklepiades  and  Simichidas 
den  Theokrit  bezeichnet,  worüber  ich  schon  oben  sprach.  Dasselbe 
Thema  behandelt  Wilamowitz  in  der  ersten  Beilage ,  die  auch 
einige  Versehen  Wendeis  berichtigt;  er  weist  mit  Recht  darauf 
hin ,  daß  man  auch  die  sprachlich  bedenklichen  Namen  aus  dem 
grammatischen  Grunde  allein  nicht  antasten  dürfe.  Im  Gegensatz 
zu  Wendel  hält  er,  S.  165  f.,  daran  fest,  daß  auch  Lykidas  und 
Tityros  Pseudonyme  seien ,  wie  Simichidas  und  Sikelidas ,  und 
Schwartz  stimmt  ihm  darin  bei.  Wilamowitz  beruft  sich  dabei 
besonders  auf  Id.  III ,  3 ,  wo  zu  Titupe  die  Worte  euiv  x6  xaXov 
KS<pt).auivs  beigefügt  werden,  die  gewiß  auf  keine  „Füllfigur"  hin- 
deuteten; offenbar  habe  Theokrit  damit  das  dritte  Gedicht  dem 
Genossen  gewidmet,  den  er  Tityros  genannt  habe,  bzw.  der  in  seinem 
Kreise  so  genannt  worden  sei.  Wer  dieser  Tityros  sei,  sagt  Wila- 
mowitz nicht,  aber  daß  Lykidas  Pseudonym  für  Dosiadas  sei,  be- 
trachtet er  auch  jetzt  noch  als  wahrscheinlich.  Schwartz  bringt 
den  Namen  Tityros  mit  -rvcupivoc  zusammen,  womit  die  italischen 
Dorer  die  Flöte  mit  einem  Rohr,  sowie  den,  der  sie  spielte,  benannten. 
Ebenso  hält  er  auch  Glauke  und  Pyrrhos  nicht  für  Dichter,  sondern 
für  Musiker,  und  den  Thyrsis  für  einen  umherreisenden  Sänger 
Wilamowitz  bemerkt  S.  1 33  f. ,  daß  mythische  Personen  bei 
Theokrit  nur  in  den  Reden  oder  Liedern  der  handelnden  Personen 
vorkommen;  wo  sonst  derartige  Namen  erscheinen,  gehören  sie  be- 
liebigen Hirten  an.  Die  Annahme,  daß  mit  dem  gleichen  Namen  bei 
unserem  Dichter  nicht  immer  die  gleiche  Person  gemeint  ist,  wurde 
durch  Wendeis  and  Wilamowitz'  Untersuchungen  bestätigt. 

Über  das  Verhältnis  Theokrits  zu  Homer  spricht 
Kattein  im  zweiten  Exkurs  seiner  oben  erwähnten  Schrift.  Er 
knüpft  dabei  an  Futh,  De  Theocriti  studiis  Homericis. 
Halle  1876  und  an  Stanger,  Homer  im  Theokrit,  Blätter  f. 
d.  bayer.  Gymnasial*.  1867,  S.  201  f.,  an.  Katt eins  Untersuchung 
bestätigt  die  Tatsache,  daß  die  mimischen  und  bukolischen  Gedichte 
an  Nachahmungen  Homers  ärmer  sind  als  die  epischen. 

Das  Verhältnis  zwischen  Theokrit  und  seinen  Nach- 
ahmern untersucht  Wendel,  und  zwar  hinsichtlich  der  griechischen 
im  zweiten  Teil ,  hinsichtlich  der  römischen  im  dritten  Teil  seiner 
genannten  Abhandlung. 

Zum  Schluß  erwähne  ich  noch,  daß  Wendel  im  ersten  Aufsatze 
seiner  oben  angeführten  Theocritea  auch  das  Verhältnis,  in  dem  die 

19* 


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I 


292         Jahresbericht  über  die  griechischen  Lyriker.  (Sitzler.) 

drei  in  den  Jahren  1596,  1608  und  1604  erschienen  Comme- 
linschen  Ausgaben  der  Bukoliker  zueinander  stehen,  eingehend 
behandelt.  Dabei  ergibt  sich,  daß  die  Ausgabe  von  1603  weder  eine 
neue  Ausgabe  noch  ein  neuer  Abdruck  der  früheren  Ausgabe  ist, 
sondern  daß  Commelin  im  Jahre  1608  die  noch  vorhandenen  Exemplare 
der  Ausgabe  von  1596  samt  den  Emendationen  von  Scaliger  und 
Casaubonus  ans  dem  gleichen  Jahre  unter  das  Publikum  zu  bringen 
suchte,  indem  er  sie  mit  den  zwei  Jahre  vorher  erschienenen  Scholien 
und  den  neuen  Emendationen  von  D.  Heinsius  zu  einem  Korpus  ver- 
einigte und  dabei  das  alte  Titelblatt  bzw.  die  Jahreszahl  beseitigte. 
Wer  den  Text  der  Ausgabe  von  1596 — 1608  besorgte,  ist  unbekannt. 
Von  der  Heinsiusschen  Ausgabe  weicht  er  erheblich  ab,  jedoch  bat 
Heinsius  keine  Hs.  benutzt,  sondern  nur  die  Lesungen  älterer  Aus- 
gaben gemischt  und  Konjekturen,  die  im  wesentlichen  einen  reineren 
Dorismus  bezwecken,  beigefügt. 

Bion. 

Den  'KitiTflKpto?  Ä8<uvt8oc  behandelt 

U.  v.  Wilamo  wit  z-Moellen  dorff ,  Bion  von  Smyrna. 
Adonis.    Deutsch  und  Griechisch.    Berlin  1900. 

An  die  Spitze  ist  die  deutsche  Umdichtung  des  griechischen  Liedes 
gestellt.  Dann  folgt  die  Einleitung,  in  welcher  der  Verfasser  über 
den  Dichter  und  das  Gedicht  spricht.  Das  Gedicht  bildete  keinen 
Teil  der  gottesdienstlichen  Handlung,  obwohl  es  das  Fest  zur  Voraus- 
setzung hat,  sondern  wurde  offenbar  anläßlich  des  Festes  öffentlich 
vorgetragen;  es  gehörte  zu  jenen,  gerade  in  der  alexandrinischen 
Zeit  nicht  seltenen  Gedichten,  die  „gottesdienstliche  Stoffe  in  der 
Weise  behandelten,  daß  sie  ein  Abbild  der  heiligen  Zerimonie  vor- 
führten, auch  mit  dem  ganzen  Wechsel  der  Stimmungen,  die  ihrem 
typischen  Verlaufe  entsprachen".  Daran  schließt  sich  die  Analysb 
des  Gedichtes  und  seine  Einreihung  in  die  Poesiegattungen  jener 
Zeit.  Hierauf  wird  der  griechische  Text  mit  kritischen  Fußnoten 
abgedruckt,  und  Bemerkungen  über  die  hs.  Überlieferung,  über 
Sprache  und  Metrum,  sowie  über  einzelne  Stellen  beigefügt.  Mit 
Recht  bemerkt  Wilamo witz,  daß  der  Schaltvers  keine  Strophen 
abtrennt,  sondern  nur  die  Stimmung  trotz  dem  Wechsel  der  Bilder 
immer  wieder  zu  dem  Grundton  der  Klage  zurückführt  (vgl.  auch 
Textgeschichte,  S.  146  f.).  V.  73  weist  der  Verfasser  £fif/>},  das 
J.  H.  Voß  vermutete,  mit  Hecht  zurück;  aber  auch  die  Überlieferung 
ipoyfiu  ist  nicht  zu  halten.    Man  erwaitet  gKesxev  oder  ayejxev. 


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Jahresbericht  über  die  griechischen  Lyriker.   (Sitzler.)  293 

Im  übrigen  vgl.  meine  Anzeige  in  N.  Phil.  Rundschau  190 1, 
S.  193  f. 

In  dem  Epithalamios  des  Achilleus  und  der  Deidameia  ist  V.  9 
unverständlich  ar^v^a-za  überliefert,  was  Wilamowitz  in  avop' 
ijjvsi  xata  abändert ;  richtiger  erscheint  mir  syvo>  an  Stelle  von  -fivst : 
„sie  lernte  ihn  als  Mann  kennen". 

Ein  neues  Gedicht  Bions,  Orpheus,  will  G.  Knaack 
aus  dem  Moschos  zugeschriebenen  Epitaphios  Bionis  V.  14  f.  er- 
schließen (vgl.  Pauly-Wissowas  Realencyklop.  Bd.  II,  S.  481).  Ihm 
folgte  Fr.  Skutsch,  Aus  Vergils  Früh  zeit,  Leipzig  1901, 
S.  56  f.  Diese  Vermutung  weist  J.  Heumann,  De  epyllio 
Alexandrino,  S.  37,  mit  Recht  zurück.  G.  Knaack,  Ein 
verlorenes  Idyll  des  Bion  von  Smyrna.  Hermes  1905, 
8.  336  f.,  sucht  seine  Ansicht  in  ausführlicher  Darstellung  von  neuem 
wahrscheinlich  zu  machen,  jedoch  ohne  Erfolg,  wie  auch  Wilamo- 
witz, Textgeschichte,  S.  241  f.,  dartut,  der  zu  dem  Ergebnis 
kommt,  daß  überhaupt  jeder  Anhalt  fehlt,  an  einen  Orpheus  des 
Bion  zu  denken. 

Moschos.  » 

Im  *Epu>?  8pair£nje  V.  22  emendiert  Wilamowitz  gut  itoXo 
7cXeov  dt  öai?  a&T«j>.  Den  letzten  Vers  des  Gedichtes  aläX  xoi  xo 
ütßapov,  o  xöv  xtX.  schließt  er  aber  ohne  Grund  als  unpassend  ein; 
st.  alaX  ist  oafet  zu  schreiben :  „sie  entzünden  sogar  das  Eisen,  das 
den  Feurigen  festhalten  soll",  die  unwiderstehliche  Macht  des  Eros 
charakterisierend  und  so  das  Ganze  gut  abschließend. 

Europa  V.  61  schreibt  Wilamowitz  xap<j<fr  st.  xotpaoT?,  aber 
V.  83  behält  er  oöSfc  ulv  ofo?  fort?  ü7:oö[i7j&£i?  dptSet  iroX'jtpoptov 
flbtr]v>jv  bei.  Meiner  Meinung  nach  ist  fort?  uiroöjiij&et'?  aus  oait\rflfi 
Zprfltb  entstellt.  Den  V.  140  erklärt  Wilamowitz  für  interpoliert, 
weil  er  einen  geschlossenen  Zusammenhang  unterbreche,  und  Europa 
keine  Veranlassung  habe,  in  dem  Stier  einen  Gott  zu  sehen  (vgl. 
Textgesch.,  S.  101).  Ich  kann  mich  von  der  Richtigkeit  dieser 
Ausstellungen  nicht  überzeugen.  Wenn  die  Jungfrau  das  Verhalten 
des  Stiers  zuvor  auf  dem  Lande  und  jetzt  im  Meere  erwägt,  so  muß 
sie  auf  den  Gedanken  kommen,  nicht  nur  daß  es  ein  Wunderstier 
ist,  sondern  daß  sich  ein  Gott  unter  dieser  Maske  verberge,  um  so 
mehr  als  sie  ja  die  Geschichte  der  Jo,  die  auf  ihrem  Blumenkorb 
dargestellt  ist,  kennt;  Jo  als  schwimmende  Kuh  und  Zeus  als 
schwimmender  Stier  hat  der  Dichter  absichtlich  einander  gegenüber- 
gestellt.   Den  Grund  für  ihren  Verdacht  gibt  sie  in  den  Worten 


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2t»4 


.Jahresbericht  über  die  griechischen  Lyriker.  (Sitzler.) 


ösoTc  8'  ireotxota  plCeic  an ,  die  im  folgenden  aasgeführt  werden ; 
so  wenig  wie  die  Delphine  auf  das  Land,  gehen  wirkliche  Stiere  in 
das  Meer;  diesem  Stier  aber  ist  Land,  Meer,  ja  sogar  der  Luftraum 
zugänglich,  wie  einem  Gott.  Man  sieht,  wie  passend  dieser  V.  140 
zwischen  dem  Vorhergehenden  und  Folgenden  vermittelt.  Der  Schluß 
des  Gedichtes  ist  verstümmelt;  die  Worte  aortxa  71'vsTo  fi^Tijp  sind 
eine  Nachahmung  von  yivEx'  auxixa  vtSjicpYj  im  vorhergehenden  Vers 
und,  wie  Wilamowitz  bemerkt,  zur  Ergänzung  einer  Lücke  bei- 
gefügt, in  der  über  die  Königswürde  der  Söhne  der  Europa  ge- 
sprochen wurde,  also  etwa  xat  Kpovt&o  xe'xe  raioo?  cfyaxXstTO'i?  ßaaiX^a?. 

Über  den  'Eiatacptoc  Btcovoc  spricht  Wilamowitz,  Text- 
geschichte, S.  146  f.  und  S.  241  f.  An  der  ersteren  Stelle  legt  er 
die  Bedeutung  des  Schaltverses  dar,  welcher  tiberall  da  steht,  wo 
eine  Pause  angemessen  ist  ;  so  auch  nach  V.  112,  wo  der  Dichter 
etwas  verschweigt  und  sagt,  daß  er  etwas  verschweigen  wolle.  An 
der  letzteren  Stelle  begründet  er  die  Änderung  von  ^pu?  äeiSsv 
V.  16  in  Y^pa?  detäst.  V.  93  schreibt  er  ei  ok  lupaxoai'oisi  Hs6xptxoc 
st.  Iv  Si  1.,  eine  Konjektur,  deren  Richtigkeit  er  Hermes  1905, 
S.  141,  nachzuweisen  sucht :  „für  Syrakus  bist  du,  Bion,  Theokritos"  ; 
einfacher  und  besser  scheint  es  mir,  iv  in  7jv  zu  ändern:  „es  war*,  ist 
aber  jetzt  nicht  mehr,  da  Bion  an  seine  Stelle  getreten  ist. 

Megara  V.  57  schreibt  Wilamowitz  xaxa  •('kayupwv  st. 
ßXe<pdpa>v;  damit  ist  u.^X<ov  „Wangen"  zu  verbinden  (vgl.  Text- 
geschichte, S.  41,  Anm.).  Auch  vjyop  fyo  (st.  ousp.evs'tov)  V.  77 
ist  recht  ansprechend. 

Zu  dem  Moschos  zugeschriebenen  Epigramm  (Anth.  Plan.  IV, 
200)  bemerkt  Wilamowitz:  „nec  pictura  talis  nec  epigramma 
Moschi  Siculi  temporibus  convenit". 

Das  Anakreonteum  sf?  vsxpöv  "Aöu>viv 

verlegt  W  i  1  a  m  0  w  i  t  z  in  die  frühbyzantinische  Zeit,  in  das  4. — 0.  Jahr- 
hundert. V.  32  ist  korrupt;  Wilamowitz  erwartet:  „und  da  hat 
mein  Hauer  das  Unheil  angestiftet"  (vgl.  Textgeschichte,  S.  71,  Anm.). 
Ich  glaube,  in  xaxesiva^e  steckt  xax23T'JYvaC£  „laß  deinen  Unmut  an 
mir  aus" ;  dann  bildet  dieser  Vers  nicht  den  Abschluß  des  Vorher- 
gehenden .  sondern  den  Beginn  der  folgenden  Worte.  Das  Verb 
xataTcuYvaCeiv  paßt  in  die  byzantinische  Abfassungszeit. 

Ein  neues  Idyll 

veröffentlicht  J.  Sturm,  Ein  unbekanntes  griechisches 
Idyll  aus  der  Milte  des  XV.  Jahrhunderts  aus  dem  cod. 


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Jahresbericht  über  die  griechischen  Lyriker.    (Sitzler.)  295 


Vaticanus  gr.  1898  in  der  Byzant.  Zeitschrift  X  (1901),  S.  43a  f. 
Es  sind  63  Hexameter;  der  Dichter  ahmt  darin  die  alte  bnkolische 
Dichtung  nach. 

IV.  Anthologie. 

Über  den  cod.  Marcianus  481,  das  Autographon  des 
Planudes,  macht 

K.  Radinger,  Zur  griechischen  Anthologie.  Rhein. 
Museum  1903,  S.  294  f., 

einige  Mitteilungen.  Auf  dem  vorderen  Umschlageblatt  stehen  In- 
schriftenkopien, die  auf  die  Scheden  des  Cyriacus  von  Ancona  zurück- 
gehen. Der  Verfasser  teilt  diese  mit.  Wie  aus  der  Unterschrift 
der  Nonnos-Metaphrase  des  Johannesevangeliums ,  die  auch  in  dem 
codex  enthalten  ist,  hervorgeht,  wurde  die  Hs.  im  September  1301 
vollendet.  Am  Schlüsse  der  Anthologie  steht  das  bekannte  Epigramm 
auf  die  Bibliothek  des  Apollodor.  Eine  Randnotiz  auf  fol.  46v  be- 
sagt, daß  Planudes  aus  Exzerpten  das  Kapitel  ete  a^aX^a-a  deaiv  an 
unrichtiger  Stelle  eingefügt  habe,  und  ähnliche  Redaktionsfehler  finden 
sich  auch  sonst.  Die  Anordnung  des  Kapitels  eis  d^aX^axa  8su>v 
ist  alphabetisch  nach  den  Götternamen,  aber  im  Nachtrag  fol.  98r  bis 
fol.  98v  eine  freie.  Reste  der  Primärquellen  lassen  sich  da  und 
dort  noch  entdecken,  su  aus  dem  Meleagerkranz,  aus  dem  Kranz  des 
Philippos  und  aus  dem  Kyklos  des  Agathias.  Die  Verfassernamen 
weichen  öfter  von  denen  der  Palatina  ab;  nach  Radinger  gehört 
Plan.  186  dem  Xenokritos,  von  dem  auch  Vll.  291  stammt  ;  der 
Dichter  Xenokrates  ist  zu  streichen.  Plan.  235  muß  man  dem 
Apollonios  von  Smyrna  lassen;  Plan.  213  ist  von  Meleagros,  wie 
Plan.  251,  und  Plan.  249  dichtete  entweder  Anyte  selbst  oder  einer 
ihrer  Nachahmer,  wie  Mnasalkas  oder  Nikias.  Zum  Schluß  fügt  der 
Verfasser  noch  eine  Reihe  von  Bemerkungen  zu  einzelnen  Gedichten 
bei,  von  denen  ich  erwähne  IX,  332,  3  rioXtap/tc  st.  floXoapxfc. 
Plan.  239.  3  «Dupfyayoc  st.  <J>oX6>axoc.  Plan.  238,  2  Eyjroyt5/;c 
st.  EuTU/tör)?.  IX,  701,  1  ouU  T'  "OXujxiro?  st.  oöö'  <5v  "O.  Plan. 
322,  1  <Üi'PfA0?  und  «Pt'pjiov,  wie  CJA  III,  721  a. 
Daran  reihe  ich 

E.  Jovy,  P.  Herbert  et  ses  travaux  ine*dits  sur 
TAnthologie  de  Planude.  Soc.  d.  sciences  et  arts  de 
Vitry-le-Francois  XX,  1900.  S.  10  f., 

die  uns  zwar  wenig  Neues  bringen,  aber  für  die  Geschichte  der 
Anthologie  -  Forschung  wertvoll  sind.    Herbert  beschäftigte  sich 


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290         Jahresbericht  über  die  griechischen  Lyriker.  (Sitzler.) 

sein  Leben  lang  —  er  starb  1872  —  mit  dem  griechischen  Epigramm. 
Er  übertrug  Epigramme  aus  Planudes  in  französische  Prosa  und 
stellte  Untersuchungen  über  Entstehung  und  Entwicklung  des  Epi- 
gramms an,  besonders  in  den  sechs  Abhandlungen:  1.  L'£pigramme 
chez  les  Grecs,  les  Latins  et  les  Francais.  2.  Des  commencements, 
de  la  perfection  et  de  la  däcadence  de  l'gpigramme  grecque.  3.  Des 
öpigrammatistes  grecs  anciens.  4.  Sources  diverses  d'oü  viennent 
les  e"pigrammes  grecques.  5.  Des  recueils  d'äpigrammes  grecques. 
6.  Interpretation  et  critique  des  textes  de  1' Anthologie  de  Planude. 
Am  wertvollsten  ist  die  zuletzt  genannte  Abhandlung,  die  eine 
charakterisierende  Aufzählung  aller  von  Herbert  benützten  editiones 
Planudeae  enthält  und  auch  sonst  einige  beachtenswerte  Mitteilungen 
bringt,  so  z.  B.  die  Notiz,  daß  Herbert  zu  Troyes  die  Florentina 
des  Franciscus  Pithoeus  entdeckte,  aus  der  die  griechischen  (Musurus)- 
Scholien  der  Wecheliana  stammen;  der  cod.  Marcianus  481  blieb 
Herbert  unbekannt.  Als  Zugabe  zu  den  Planudea  kommt  noch 
hinzu:  1.  Eine  biographische  Skizze  über  Jean  Brodeau  von  Tours. 
2  Biographische  Mitteilungen  über  Pierre  Gilly.  3.  Eine  nicht 
edierte  Übersetzung  der  griechischen  Anthologie  in  lat.  Verse  (Suppl. 
grec  448  E),  die,  nach  dem  Text  der  Stephaniana  gefertigt,  aus  der 
Zeit  von  1560—1570  stammt  und  Chardon  de  la  Rochette  gehörte. 
4.  Das  Epigramm  in  Indien,  eine  von  Jovy  herrührende  Über- 
setzung der  Vorrede  des  von  P.  E.  Moore  im  Jahre  1899  ver- 
öffentlichten Buches  A  Century  of  Indian  Epigrams  chiefly  froin  the 
sanskrit  of  Bhartrihari,  der  die  Übertragung  einer  Anzahl  indischer 
Epigramme  ins  Französische  von  Jovy  beigefügt  wurde. 

An  neuen  Ausgaben  liegen  vor 

1.  Anthologia  Graeca  epigram matum  Palatina 
cum  Planudea  edidit  H.  Stadtmüller.  Vol.  II  pars  prior 
Palatinae  1.  VII  Planudeae  1.  III  continens.    Leipzig  1899  und 

2.  A.  Veniero,  I  poeti  de  l'Antologia  Palatina 
sec.  III  a.  C.  Vol.  I  parte  1.  Asclepiade.  Callimaco, 
Dioscoride,  Leonida  Tarentino,  Posidippo.  Testo, 
versione  e  commento.  Con  introduzione  su  la  genesi  de  l'epigramma 
epidittico  ed  erotico.    Catania  1905. 

Der  zweite  Band  setzt  Stadt müllers  grundlegende  Ausgabe 
der  griechischen  Anthologie  in  derselben  Weise  fort ,  wie  ihn  der 
erste  Band  begonnen  hat;  es  genügt,  darüber  auf  Jahresb.  Bd.  92 
(1897),  S.  168  f.,  zu  verweisen.  Leider  hat  jetzt  der  Tod  den 
verdienten  Gelehrten  dahingerafft,  ehe  er  noch  sein  Lebenswerk, 


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Jahresbericht  über  die  griechischen  Lyriker.   (Sitzler.)  297 

die  Ausgabe  der  Anthologia,  vollenden  und  die  Ergebnisse  seiner 
jahrelangen  Studien  in  zusammenfassender  Darstellung  veröffentlichen 
konnte. 

Veniero  hat  seiner  Ausgabe  eine  Abhandlung  über  das  epi- 
deiktische  und  erotisch-sympotische  Epigramm  der  Griechen  voraus- 
geschickt, die  für  die  spätere  Zeit  mehr  befriedigt  als  für  die  ältere, 
in  deren  Behandlung  sie  der  Überlieferung  nicht  kritisch  genug  gegen- 
übersteht; jedoch  kommen  Sprache  und  Versmaß  nicht  zur  Behand- 
lung, die  Einwirkung  der  spateren  Komödie  auf  das  Epigramm  ist 
nicht  beachtet,  und  der  Unterschied  zwischen  Elegie  und  Epigramm 
bei  den  Alexandrinern  ist  nicht  gebührend  hervorgehoben.  Der  Text 
hält  sich  möglichst  an  die  Überlieferung;  doch  beachtet  der  Verfasser, 
wo  es  ihm  notwendig  erscheint,  auch  die  vorgebrachten  Verbesserungen 
oder  bessert  selbst ,  das  letztere  allerdings  nur  selten.  In  dem  Ge- 
dicht des  Asklepiades  V,  187,  7  f.  ergänzt  er  iratVca  tot  ercra  und 
liest  ota  Xifw  3x<5u.ßpoi  de?  8uo  xal  <jj(aÖ6ve?;  aber  auch  von  der 
Konstruktion  abgesehen,  ist  es  nicht  wahrscheinlich,  daß  die  einzelnen 
Posten  so  genau  angegeben  wurden;  denn  sonst  wären  die  Worte 
des  nächsten  Verses  oupiov  a:M  xaXtö?  XoYiouu.e&a  überflüssig.  Es 
müssen  also  Worte  fehlen,  die  diesen  Zusatz  nötig  machen,  etwa 
t&v  S'  oTToXotTreuv  |  qid,  Xcryto? ,  axo^ßpoi,  (jyjaajiße?,  axaöovec  Als 
Metrum  für  seine  Übersetzung  bedient  sich  Veniero  der  Versform 
der  italienischen  Epigramme.  Die  beigegebenen  Anmerkungen  be- 
schäftigen sich  mit  Ausgaben,  Abhandlungen,  Lesarten,  Autorschaft 
nnd  Erklärungen  der  Epigramme ;  das  Leben  der  Dichter  wird  nicht 
behandelt. 

Einzelne  Dichter  behandeln 

A.  Franke,  De  Pallada  epigrammatogr apho.  Diss. 
Lips.  1899. 

Im  ersten  Kapitel  untersucht  der  Verfasser,  welche  Epigramme 
der  Anthologie  unserem  Dichter  zuzuweisen  sind,  wobei  er  in  lobens- 
werter Weise  das  sichere  Eigentum  des  Palladas  von  dem  zweifel- 
haften scharf  sondert;  das  erstere  besteht  in  144  Gedichten,  das 
letztere  in  28.  Ein  Versehen  ist  dem  Verfasser  bei  X,  45  unter- 
laufen, insofern  es  nicht  der  cod.  Palat. ,  wie  der  Verfasser  meint, 
sondern  nur  Planudes  dem  Palladas  zuweist.  Ein  Grund,  die  Echt- 
heit von  X,  88  anzuzweifeln,  liegt  nicht  vor,  wenn  man  nur  mit 
Stadt mttller,  Wochenschr.  f.  kl.  Philol.  1900,  S.  824,  annimmt, 
daß  der  Dichter  hier  nicht  in  seinem  Sinne  spricht,  sondern  im  Sinne 
des  Philosophen,  dem  er  die  Verse  widmet;  Stadtmüller  möchte 
das  Epigramm  geradezu  als  Motto  zu  Piatons  Phaedon  bezeichnen. 


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298         Jahresbericht  über  die  griechischen  Lyriker.  (Sitzler.) 

Dagegen  ist  IX,  397  nach  Stadtmüller  jedenfalls  nicht  von 
Palladas ,  sondern  vielleicht  von  Paulus  Silentiarius.  Übrigens  ist 
Frankes  Tadel,  S.  7,  Anm.  8,  gegen  Du  ebner  unbegründet;  das 
Epigramm  ist  wirklich  zu  VII,  223  auf  den  unteren  Rand  der  Hs. 
geschrieben,  nicht  zu  VII,  230,  das  am  Ende  der  S.  241  des  Pal. 
beginnt  (vgl.  II.  Stadtmüller  zu  VII,  229,  S.  156,  Z.  10). 

Besonders  wertvoll  ist  das  zweite  Kapitel ,  das  im  ersten  Teil 
über  Palladas  Epigramm  gegen  Themistios  XI,  292,  im  zweiten  Über 
das  Leben  des  Dichters  handelt.  Der  Verfasser  weist  überzeugend 
nach,  daß  das  genannte  Epigramm  im  Jahre  384  n.  Chr.  gegen  den 
damaligen  Stadtpräfekten  von  Konstantinopel  Themistios  gerichtet  wurde 
und  gewinnt  dadurch  einen  sicheren  Anhaltspunkt ,  die  Lebenszeit 
des  Palladas  zu  bestimmen.  Das  Epigr.  IX,  400  auf  die  Philosophin 
Hypatia  ist  vor  415.  IX,  528  auf  den  Palast  der  Marina,  der  jüngsten 
Tochter  des  Kaisers  Arkadios ,  die  im  Jahre  403  geboren  wurde, 
nach  420  gedichtet,  und  XI,  281  geht  auf  den  Arzt  Magnus,  der 
im  4.  Jahrhundert  n.  Chr.  zu  Alexandria  lebte.  Da  nun  Palladas 
nach  X,  97  72  Jabre  alt  ist,  so  wurde  er  etwa  um  350—365  ge- 
boren und  starb  um  420 — 440,  lebte  also  am  Ende  des  4.  und 
Anfang  des  5.  Jahrhunderts  n.  Chr.  Mit  Palladios  darf  er  nicht 
zusammengeworfen  werden.  Das  Lemma  zu  IX ,  528  gibt  ihm  den 
Beinamen  6  {iet&opoc,  den  im  Lemma  zu  IX,  481  auch  Julianos 
Scholastikos  erhält;  der  Verfasser  will  in  dieser  Bezeichnung  einen 
Tadel  des  Dichters  wegen  seines  Hasses  gegen  die  Christen  erblicken, 
während  Fr.  Jacobs  darin  eine  ehrende  Benennung  sah.  Eine  be- 
friedigende Erklärung  ist  bis  jetzt  noch  nicht  gefunden.  Palladas 
wird  nach  seiner  Heimat  und  seinem  Aufenthaltsort  Alexandriner 
und  Ägyptier  genannt;  er  war  aber  auch  in  Konstantinopel.  Er  be- 
zeichnet sich  selbst  als  Grammatiker,  war  jedoch  mit  diesem  Berufe 
unzufrieden  und  scheint  später  einen  anderen  ergriffen  zu  haben, 
nach  dein  Scholion  einer  Münchener  Iis.,  das  allerdings  wertlos  ist, 
die  Rhetorik  und  Gerichtsrede  (vgl.  11.  Stadtmüller  a.  a.  O., 
S.  822).  Er  war  unglücklich  verheiratet,  worüber  er  in  vielen  Ge- 
dichten klagt.  Vom  Christentum  und  den  Christen  wollte  er  nichts 
wissen,  sondern  neigte  dem  Epikureismus  zu. 

Eine  schwere  Aufgabe  stellt  sich  das  dritte  Kapitel,  nämlich  zu 
erforschen,  wie  die  Gedichte  des  Palladas  in  die  Anthologie  des 
Kepbalas  gekommen  sind.  Dali  eine  Palladas-Saininlung  vorhanden 
war,  die  auch  die  Späteren  noch  kannten,  steht  längst  fest;  dafür 
zeugen  die  Palladas-Keihen  der  Anthologie ,  dafür  zeugt  auch  das 
Scholion  zu  VII,  339:  ÄOTjXov,  &it\  -ivt  toOto  ^^pctircat  •  tt/^v  fot  iv 


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Jahresbericht  über  die  griechischen  Lyriker.  (Sitzler.)  299 

toi?  toG  FlaXXaSa  iTrifpajJ-jia^iv  e6p£&7)  xet'jievov  {i^ttote  8&  Aouxiavou 
icrav.  Aus  diesem  Scholion  schließt  der  Verfasser,  daß  außer  Palladas 
auch  noch  andere  Dichter  in  der  Sammlung  enthalten  gewesen  seien, 
wie  Lukian,  Eutolmios,  Nestor  von  Laranda,  Tiberius  Ulustris, 
Julian  Imperator,  Cyrillus  und  viele  a&qXa,  mit  Unrecht,  wie  ich 
glaube;  denn  wäre  dies  der  Fall  gewesen,  so  hätte  der  Scholiast  ja 
nur  nachzusehen  brauchen,  von  wem  das  betreffende  Epigramm  ist. 
Seine  Bemerkung  deutet  also  an,  daß  die  Sammlung  nur  Palladas- 
Epigramme  enthielt,  aber  nicht  von  dem  Dichter  selbst  gesammelt 
und  herausgegeben,  sondern  von  einem  anderen,  der  auch  Unechtes 
unter  Palladas'  Namen  mit  aufnahm;  nur  in  diesem  Fall  konnte  der 
Scholiast  über  ein  in  der  Palladas-Sammlung  vorhandenes  Epigramm 
die  Vermutung  aussprechen:  ^itöts  5e  AouxtavoO  iaxiv.  Und  das- 
selbe Ergebnis  liefert  die  Anthologie,  in  der  Palladas  mit  Lukian 
oder  den  anderen  erwähnten  Dichtern  nirgends  so  innig  verbunden 
ist,  daß  auf  eine  Sammlung  zu  schließen  wäre;  auch  in  der  Reihe  X, 
26 — 43  ist  nur  ein  Palladas-Epigramm.  Anders  verhält  sich  die 
Sache  dagegen,  wenn  man  Palladas  und  den  Kyklos  des  Agathias 
ins  Auge  faßt;  hier  findet  eine  vollkommene  Verschmelzung  des 
Palladas  mit  den  Dichtern  des  Kyklos  statt  (vgl.  z.  B.  die  Reihe  VI, 
54—86,  X,  64—76,  XI,  349—354  und  865—387).  Franke  hätte 
also  nicht  sagen  sollen,  Palladas  sei  aus  dem  Kyklos  des  Agathias 
ausgeschlossen  gewesen.  In  Wahrheit  ist  es  so,  daß  Agathias  den 
Palladas  benutzte,  daß  aber  daneben  noch  eine  Sammlung  unter  des 
Palladas'  Namen  fortbestand,  deren  sich  Kephalas  ebenfalls  bediente ; 
aus  ihr  stammen  die  langen  Palladas-Reihen. 

Kann  ich  so  dem  Verfasser  in  diesen  Punkten  nicht  beistimmen, 
so  erkenne  ich  doch  gerne  an,  daß  seine  Arbeit  auch  in  diesem  Kapitel 
nicht  vergeblich  gewesen  ist.  Er  legt  die  Komposition  des  zehnten 
und  elften  Buches  der  Palatinischen  Anthologie  klar  dar  und  be- 
richtigt Sakolowski  (vgl.  Jahresber.  Bd.  92  (1897],  S.  169)  in 
dieser  Hinsicht  vielfach,  er  scheidet  den  Lucillius  von  Luc i an.  indem 
er  diesem  die  Epigramme  des  zehnten,  jenem  die  des  elften  Buches 
zuweist  und  liefert  auch  im  einzelnen  schätzbare  Beiträge.  Mit  Recht 
bemerkt  er,  daß  die  Epigramme  XI,  27  und  39  in  dem  alphabetisch 
geordneten  Bruchstücke  aus  Philipps  Kranz  dem  Makedonios  nicht 
angehören  können;  das  erstere  spricht  Stadtmüller  dem  Maecius 
(juintus  zu,  das  letztere  ist  das  einzige,  das  zu  Max^Sovioo  noch  Öeaaa- 
Xovtx^to?  hinzusetzt;  es  wird  wohl  von  Pbilippos  oder  Antipatros 
sein.  XI,  72  vermutet  Stadtmtiller,  daß  die  Überschrift  Boaooo 
Sjiupvafou  aus  Basaou  rt  Muptvoo  entstanden  sei.    Auch  weist  er 


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300         Jahresbericht  Uber  die  griechischen  Lyriker.  (Sitzler.) 

nicht,  wie  Verfasser  angibt,  XI,  198  dem  Meleagrischen  Kranze  zu, 
sondern  scheidet  den  hier  genannten  Theodoros  wohl  von  dem  des 
Epigramms  VI,  282.  Das  Gedicht  XI,  213  wird  wie  214  dem 
Lucillius  angehören,  wie  schon  Set ti  vermutete.  Demselben  Lucillius 
weist  der  Verfasser  XI,  267,  268  und  316  zu,  dem  Palladas  IX, 
499,  500,  XJ,  342,  außerdem  X,  105,  111,  113,  115  und  vielleicht 
1  Di— 119.  Dazu  fügt  Stadtmüller  noch  IX,  530,  133  und  164, 
eine  Parallele  zu  XI,  386.  Nach  demselben  Gelehrten  ist  XI,  7 
und  8  von  Nikarchos,  XI,  270  von  Julian. 

Die  zwei  letzten  Kapitel  handeln  über  die  Arten  von  Epi- 
grammen ,  die  Palladas  dichtete .  über  die  Stoffe ,  die  er  behandelte, 
über  Wortspiele  und  Parodien,  deren  er  sich  bediente,  über  die  Vor- 
bilder, die  er  hatte,  über  die  Sprichwörter,  die  sich  bei  ihm  rinden, 
über  sein  Verhältnis  zu  den  Römern,  besonders  Martial  und  Ausonius, 
über  seine  Bedeutung  als  Dichter,  über  seine  Nachahmung  durch  die 
Späteren,  über  Sprache  und  Metrik  seiner  Epigramme  und  geben  so 
ein  vollständiges  Bild  von  dem  dichterischen  Schaffen  und  der 
Eigenart  unseres  Epigrammatikers. 

Ein  Gedicht  des  Palladas  (X,  87)  ist  bei  den  österreichischen 
Ausgrabungen  in  Ephesos  als  Inschrift  aufgefunden  worden  (vgl. 
Jahresh.  d.  österr.  arch.  Instituts  V,  Beiblatt  33  f.).  Hier  lautet  der 
zweite  Vers  mvwvre?  >j  Tpu<p£vte?  r,  keXoo^vot.  E.  Kaiinka  hat 
in  den  Wien.  Stud.  1902,  S.  292  f.,  das  Gedichtchen  ausführlich  be- 
sprochen. Am  Anfang  möchte  er  <5v  jit)  ^  iXcujxev  st.  äv  u)j  7sXS»}j.sv 
lesen,  wovon  ihn  schon  y  hätte  abhalten  sollen:  y^&jjlsv  tiv  ßiov 
xtX.  erklärt  Palladas  in  Epigr.  X,  72:  axijvr,  ira?  6  ßto?  xal  zaqvtov 
t,  jiaöe  irai'Csiv  |  tijv  airooÖTjv  jiexaÖsic  rt  cplps  tic  48uvac.  Was  das 
Leben  und  das  Schicksal  bringt,  sagt  der  Dichter,  muß  man  als 
Scherz  und  Spiel  auffassen,  worüber  man  lacht  und  wodurch  man 
sich  den  Genuß  des  Lebens  nicht  verderben  läßt;  wollte  man  es 
ernst  nehmen  und  darüber  nachdenken,  so  würde  man  sich  nur  das 
Leben  verbittern,  da  man  überall  Willkür  und  Ungerechtigkeit  fände. 
Derselbe  Gedanke  ist  auch  X,  77  und  96  ausgedrückt. 

Maria  Joanna  Raale,  Studia  in  Anvtes  poetriae 
vi  tarn  et  carminum  reliquias.    Diss.  Amstelodam.  1903. 

Die  Verfasserin  behandelt  nicht  nur  das,  was  sie  neu  gefunden 
zu  haben  glaubt ,  sondern  auch  das ,  was  sogar  ihrer  Meinung  nach 
längst  bekannt  ist,  mit  gleicher  Ausführlichkeit,  und  dadurch  ist  die 
Abhandlung  über  Gebühr  lang  geworden ;  immerhin  enthält  sie  gute 
Beobachtungen.  Das  erste  Kapitel  über  das  Leben  Anvtes  bringt 
nichts  Neues;   beachtenswert  sind  aber  die  Ausführungen,  mit  denen 


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Jahresbericht  über  die  griechischen  Lyriker.  (Sitzler.)  301 


sie  Kalkmanns  Bedenken  gegen  die  Richtigkeit  der  Angabe  Tatians, 
Anyte  sei  von  den  Künstlern  Euthykrates  und  Kephisodotos  bildlich 
dargestellt  worden,  bekämpft;  sie  glaubt  an  die  Wahrheit  dieser 
Mitteilung  und  nimmt  zwei  Statuen  der  Anyte  an,  eine  aus  Mannor 
von  Kephisodotos  und  eine  aus  Erz  von  Euthykrates.  Der  Name 
der  byzantinischen,  mit  Anyte  etwa  gleichzeitigen  Dichterin  lautete 
nach  ihr  Myro,  nicht  Moiro,  und  in  diesem  Glauben  macht  sie  nicht 
einmal  die  Wahrnehmung  schwankend,  daß  durch  Einführung  von 
Myro  st.  Moiro  das  Metrum  verletzt  würde  (A.  P.  II,  410,  IV.  1,  5, 
IX,  26,  a);  sie  hilft  sich  durch  die  Annahme,  die  Dichter  hätten 
aus  Mißverständnis  oder  Not  die  erste  Silbe  von  Myro  lang-  gebraucht, 
über  dieses  Hedenken  hinweg.  Wenn  man  aber  weiter  noch  be- 
achtet, worauf  auch  die  Verfasserin  hinweist,  daß  Moiro  ein  seltener, 
Myro  dagegen  ein  ganz  gewöhnlicher  Name  war,  so  wird  man  die 
Verschreibung  bzw.  Abänderung  von  Moiro  in  Myro  selbstverständlich 
finden,  während  man  nach  einem  Grund,  Myro  in  Moiro  zu  bessern, 
vergeblich  suchen  wird.  Man  wird  also  gut  tun,  an  Moiro  als  Namen 
der  Dichterin  festzuhalten,  zumal  da  er  auch  etymologisch  an  den 
anderen  mit  Motpo-  Leginnenden  Namen  einen  Rückhalt  hat.  Was 
die  Verfasserin  über  Beziehungen  zwischen  Anyte  und  Moiro  oder 
gar  innige  Freundschaft  zwischen  ihnen  sagt,  schwebt  vollständig 
in  der  Luft;  die  Überlieferung  weiß  von  einem  Verkehr  zwischen 
beiden  nichts. 

Das  zweite  Kapitel ,  Mitteilungen  über  die  Palatina ,  Planudea 
und  andere  .Sammlungen  im  Anschluß  an  die  bis  jetzt  vorliegende 
gelehrte  Forschung,  könnte  ohne  Schaden  fehlen;  dagegen  stellt  das 
dritte  Kapitel  eingehende  Untersuchungen  über  Sprache,  Metrum  und 
Echtheit  der  Anyte  zugeschriebenen  Gedichte  an.  Besonders  wichtig 
sind  hier  die  Beobachtungen  Uber  die  attische  Korreption  und  den 
Gebrauch  von  Daktylen  und  Spondeen;  interessant  die  Nachweise 
über  Anklänge  an  Homer  und  die  Tragiker.  Außer  den  17  der 
Anyte  von  der  Überlieferung  einheitlich  zugewiesenen  Epigrammen 
gehören  ihr  noch  IX,  313,  VII,  190  und  649  aus  der  Zahl  der 
Gedichte,  hinsichtlich  deren  die  Überlieferung  schwankt;  aber  VII, 
189,  232,  236,  238,  492,  538  und  XVI,  229  haben  mit  unserer 
Dichterin  nichts  zu  tun.  Dies  Ergebnis  stimmt  mit  den  bisherigen 
Annahmen  tiberein ;  nur  daß  S  t  a  d  t  m  ü  1 1  e  r  VII,  1 90  dem  Alexandriner 
Leonidas  geben  wollte,  da  es  isopseph  ist,  wenn  man  im  zweiten  Vers 
ixtuyt  st.  stcüH  und  im  vierten  -aiyvi  6  st.  ratt-yvta  liest.  Die  letztere 
Verbesserung  ist  gut  und  auch  von  B aale  aufgenommen;  die  erstere 
weist  sie  aber  mit  Recht  zurück,  da  der  Aorist  hier  ganz  an  seinem 


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302         Jahresbericht  über  die  griechischen  Lyriker.  (Sitzler.) 


Platze  ist.  Übrigens  würde  das  Epigramm  auch  durch  die  Schreibung 
ärfiovi  im  ersten  Vers,  wie  sie  in  der  Hs.  steht,  und  durch  die 
Änderung  8i$d  fäp  auxq.  st.  hiaacL  ^ap  aoxa?  im  dritten  Vers  unter 
Beibehaltung  von  irai'fvi'  6  isopseph ;  aber  seinem  ganzen  Charakter 
nach  gehört  es  nicht  dem  Alexandriner.  Epigr.  VII,  492  sprach 
Stadtmüller  dem  Antonius  Thallus  zu,  was  ßaale  nicht  billigt. 
VI ,  123 ,  2  hält  sie  an  Soucov  als  Anapäst  fest  und  sucht  diese 
Quantität  zu  verteidigen,  trotz  jAeveöaioo  mit  langem  o  in  VII,  208,  1 ; 
empfehlenswerter  erscheint  es  mir  mit  Umstellung  zu  lesen  TtotCe 
oovov  5otü>v  xeftxeov  djA<p'  ovo^a.  IX,  313  liest  die  Verfasserin  unter 
Verwertung  der  Verbesserung  Reitzensteins  richtig:  fCeo  taaS' 
M  xtL,  ebenso  XVI,  228,  3  tyuypdv  st.  tyuyjAv  vgl.  IX,  315,  2, 
aber  VII,  215,  6  ist  dCotX&xv  st.  hh  paSivav  nicht  zu  billigen;  man 
braucht  ein  Wort,  das  den  Gegensatz  zu  der  früheren  Tätigkeit  des 
Delphins  zum  Ausdruck  bringt,  also  8'  dfyavimv  „untätig,  kraftlos". 
K.  Radinger,  Leonidas  von  Taren t.  Rhein.  Museum 
1903,  S.  294  f. 

Die  Arbeit  des  Verfassers  ist  eine  willkommene  Berichtigung 
und  Ergänzung  der  Untersuchungen  Sakolowskis,  Settis  und 
Piccolominis  (vgl.  vor.  Jahresb.  Bd.  92,  S.  171  f.  und  S.  180f.); 
freilich  hätte  der  Verfasser  diese  etwas  mehr  berücksichtigen  dürfen. 
Einen  Anhalt  zur  Bestimmung  der  Lebenszeit  des  Leonidas  findet 
er  in  Epigr.  IX,  349,  das  nach  ihm  an  Kaiser  Claudius  im  Jahre  53 
gerichtet  wurde;  denn  dieser  war  am  1.  August  geboren,  Vespasian 
dagegen,  auf  den  man  das  Gedicht  gewöhnlich  bezieht,  am  18.  November, 
also  zu  einer  Jahreszeit,  wo  man  das  Abruzzenbad  Cutiliae  nicht  be- 
suchen konnte;  auch  die  Bezeichnung  „Großvater*  paßt  auf  Claudius 
besser  als  auf  Vespasianus.  Aber  die  Isopsephie  des  Epigrammes 
stimmt  nicht;  ergänzt  man  mit  Heringa  -rrdXiv  in  V.  3,  so  fehlen 
im  ersten  Distichon  noch  400,  und  der  Verfasser  hat  diese  Differenz 
nicht  ausgeglichen.  Dübner  schlug  KoxoXeia  st.  Koxt'Xeta  vor,  aber 
auch  so  bleibt  noch  ein  Rest  von  10,  den  man  beseitigen  kann,  indem 
man  KouxiXeia  liest,  oo  als  Umschreibung  des  kurzen  lateinischen  u, 
wie  auch  sonst  (vgl.  z.  B.  IX,  791,  6  IIoVtodjxq?.  XVII,  160,  5 
Ilo*j8evTa<;  und  Kühner-Blaß  gr.  Gr.  I,  S.  55,  11). 

Dann  wendet  sich  der  Verfasser  den  Gedichten  des  Leonidas 
zu  und  bezeichnet  es  als  verfehlt,  daß  Stadtmüller  dem  Alexan- 
driner VI,  200.  262,  VII,  19,  17:!,  190,  656,  660  und  IX,  337  zu- 
gewiesen habe.  Daß  ich  hinsichtlich  des  Epigr.  VII,  190  derselben 
Ansicht  bin,  habe  ich  schon  oben  gesagt,  und  auch  hinsichtlich  der 
anderen,  abgesehen  von  VII,  173  und  IX,  337,  stimme  ich  Radinger 


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Jahresbericht  über  die  griechischen  Lyriker.   (Sitzler.)  303 

bei;  denn  die  durch  Abänderung  der  Überlieferung  hergestellte 
Isopsephie  kann  ich  für  kein  sicheres  Kennzeichen  der  Autorschaft 
halten ,  da  sie  sich ,  wie  mir  ein  Versuch  zeigte ,  auch  bei  anderen 
Dichtern  erreichen  läßt.  Schwierig  ist  die  Frage,  wie  die  Isopsepha 
in  unsere  Anthologie  kamen.  In  Meleagers  Kranz  waren  sie  nicht 
eingereiht,  wie  ich  schon  im  vor.  Jahresb.  a.  a.  0.,  S.  172,  aus- 
führte. Radinger  spricht  sie  auch  dem  Kranze  des  Philippos  und 
dem  Anthologion  des  Diogenian  ab  und  teilt  die  Vermutung  Wcigands, 
daß  sie  Kephalas  dem  Sammelwerke  des  Leonidas  selbst  entnommen 
habe,  wofür  auch  die  längeren  Reihen  VI,  321—329,  VII,  547—550, 
IX.  78—80,  344—356  sprächen.  Gewiß  ist  das  Gewicht  dieser 
Beobachtung  nicht  zu  unterschätzen,  und  es  wurde  von  mir  auch 
schon  oben  bei  Palladas  gewürdigt;  aber  anderseits  ist  doch  auch 
eine  Verbindung  des  Leonidas  mit  Dichtern  des  Philippischen  Kranzes 
in  unserer  Anthologie  nicht  zu  verkennen;  so  VII,  173:  Leonidas, 
174:  Erykios,  175,  176:  Antiphilos,  eine  Stelle,  die  allerdings  für 
den  Verfasser  nicht  in  Betracht  kommt,  da  er  VII,  173  dem  Alexan- 
driner abspricht ;  aber  auch  IX,  10:  Antipater  Thess.,  11:  Philippus, 
12:  Leonidas  und  noch  mehr  IX,  77:  Antipater  Thess.,  78—80: 
Leonidas,  81:  Krinagoras,  82:  Antipater  Thess.  usw.  tritt  diese 
Verbindung  zutage.  Ich  neige  mich  also  der  Annahme  zu,  daß  auch 
Philippos  Gedichte  des  Leonidas  von  Alexandria  in  seinen  Kranz 
aufnahm ,  daß  daneben  aber  auch  noch  Leonidas'  Sammlung  selbst 
dem  Autor  unserer  Anthologie  zur  Verfügung  stand.  Ähnlich  liegt 
der  Fall  ja  auch  bei  Palladas,  wie  ich  oben  dartat. 

Als  Dichter  ist  der  Alexandriner,  wie  Radinger  nachweist, 
sklavischer  Nachahmer  der  älteren  Epigrammatiker,  am  häutigsten 
des  Philippos,  in  den  Skoptika  auch  des  Lucillius.  Etwas  freier 
und  selbständiger  als  in  der  Wahl  der  Stoffe  zeigt  er  sich  in  der 
Ausführung  der  Gedanken,  jedoch  hat  er  auch  hier  manches  aus 
Kallimachos  herübergenommen.  Auch  Selbst  Wiederholungen  sind  bei 
Leonidas  nicht  ausgeschlossen.  Im  Sprachschatz  hat  er  manche 
Neuerungen,  so  das  pass.  gebrauchte  töovw  VI,  328,  3,  wpoo^peiv 
mit  Akk.  IX,  344,  4,  Toiof  IX,  354,  2.  Ob  Leonidas  Nachfolger 
auf  dem  Gebiet  der  Isopsephie  gefunden  hat,  wissen  wir  nicht. 
Rubensohn  wollte  die  Sitte,  fo<fy>)<pa  zu  dichten,  auf  orientalische 
Einflüsse  zurückführen;  ich  halte  dies  mit  Radinger  für  unnötig, 
da  sie  nur  ein  Glied  in  der  Kette  jener  Künsteleien  bilden,  die  von 
den  Simonideischen  ypZyoi  über  die  carmina  figurata  zu  den  Akrosticha 
des  Eudoxos  und  Dionysios  und  zu  den  Anastrephonta  des  Nikodemos 
von  Heraklea  leitet. 


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304         Jahresbericht  über  die  griechischen  Lyriker.  (Sitzler.) 

Zum  Schlüsse  prüft  Radinger  die  Isopsephie  der  erhaltenen 
Gedichte  nach.  Ohne  Änderung  stimmen  VII,  547  (72(*»7),  068 
(6576),  675  (3702),  IX,  12  (7666),  80  (6501),  123  (7523),  314 
(6600).  348  (4173),  351  (7302),  XI,  70  (7246),  199  (6863),  XII, 
20  (6749).  Änderungen  sind  nötig  bei  VII,  548,  1  AdjAtuv  st. 
Aatutov  (7150).  549,  1,  wo  Rad  in  g  er  IdCsi  st.  afa'Cei  schreibt; 
ich  lese  f)pr,voi3t  veaCsi  (6828).  Anders  Stadtmüller.  550,  2  mit 
Piccolomini  Oösuuttjv  st.  <l>duoT»)v  und  V.  4  str^ec  mit  Plan. 
(9722).  IX,  345  schlägt  Radinger  <A?v>aöa>a?  vor  (6422);  mir 
gefällt  alv  'Attalas  besser.  350,  1  besserte  Toup  /tovwSea  st. 
«TOv<Ä8sa  (8035).    352,  1  Dübner  Öußpioo?  st.  eujißptooc  (7218). 

353,  1  Reiske  ßeßai6TaTov  und  V.  4  Heringa  dotöoi^Xoc  (5161). 

354,  4  Radinger  <hrij(i)fo|i'  (8316).  355,  1  schlug  ich  früher 
schon  uei'fATjfAa  st.  fjLtfX7jjj.a  vor,  um  Isopsephie  zu  erlangen  (6422). 
356  stellte  Piccolomini  die  Isopsephie  durch  die  Schreibung  &c 
1*  dpuasa&ai  her  (7380);  noch  einfacher  gewinnt  man  diese,  wenn 
man  nach  x^x  IX,  347,  2  hier  im  vierten  Vers  xr^'  st.  xefe  schreibt 
(7673).  Radinger  verwandelt  im  ersten  Vers  kzip^  in  tsp%;  so 
fehlen  aber  immer  noch  zwei.  XI,  9  liest  Radinger  V.  1  jaoü  st. 
jioi,  V.  2  avxa  st.  apta,  V.  3  «qpoTrovoitJi  st.  ipf 07c(5votai ,  dies  mit 
Casaubonus,  jenes  mit  Piccolos,  und  erhält  so  8170.  XI,  187,  1 
macht  Settis  Stfitt-oXoc  st.  2fyioXoc  isopseph  (10011).  IX,  42  wird 
isopseph,  wenn  man  xat^öoffe  st.  oY  eöuas  V.  3  liest  (7911);  nach 
V.  2  ist  stark,  nach  ved»c  tporav  leicht  zu  interpungieren.  Damit 
erledigen  sich  Settis  und  Piccolominis  Versuche  (vgl.  vor. 
Jahresber.  a.  a.  0.,  S.  182).  Radinger  will  V.  3  ap^sur^c  0' 
sßuse  v.  Tp67rtv,  dairtö'  dvrßa  |  a<j»0el?  xtX.  ,  wobei  immer  noch  zwei 
fehlen.  IX,  78,  3  vermutete  Hermann  xXaostuai  st.  xXaSfoiai;  dazu 
fügte  Sctti  V.  1  fraXirouaav  st.  öa'XXooaav  und  V.  3  6<p&xet  st. 
icp^/.xei;  so  fehlen  an  der  Isopsephie  noch  fünf,  die  man  durch  Ein- 
rechnen des  apostrophierten  s  in  V.  1  gewinnen  kann;  richtiger 
aber  wird  meiner  Ansicht  nach  V.  3  ufo?  d<p£Xxet  st.  aXXo?  i<p£Xxei 
geschrieben ,  wodurch  die  Isopsephie  vollständig  ist ;  otä?  verlangt 
schon  der  Gegensatz  pTjtpf  V.  4.  Die  Summe  ist  5903.  IX ,  79 
stellt  S t ad t m ü  1 1  e r  durch  Verwandlung  von  irctvcoTe  V.  2  in  irotüsov 
her  (7230);  ebenso  IX,  106  durch  (iv)s'fXsce  und  totj^vö'  V.  1,  rqv  f* 
V.  4;  ähnlich  auch  Setti  und  Piccolomini;  die  Summe  ist  5307. 
Auch  in  IX,  179  fand  Stadt müller  die  Isopsephie,  indem  er  in 
V.  3  iroo  st.  irM'  und  xefoai  st.  xetxot  schrieb  (8540).  XI,  200 
vermutet  Ra d  i  n  g e  r  xctTotxdato  st.  xatexatVco,  wodurch  die  Differenz 
bis  auf  eins  zusammenschmilzt;  jedoch  ist  Orep/aXdiai  nicht  zu  halten, 


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Jahresbericht  über  die  griechischen  Lyriker.   (Sitzler.)  305 

sondern  mit  Scaliger  oirex/aXaaat  zu  ändern.  Um  bei  dieser 
Emendation  die  Isopsephie  zu  erhalten,  verwandelt  Piccolomini 
Ztjvoysvouc  am  Anfang  in  O^vo^evoo?,  was  schon  wegen  des  folgenden 
olxoc  unwahrscheinlich  ist;  allerdings  scheint  der  Fehler  in  den  Namen 
zu  liegen.  Ebensowenig  sind  bis  jetzt  IX,  346  und  347  sicher 
hergestellt;  denn  Stadtmüllers  und  Piccolominis  Versuche 
fuhren  zu  weit  abseits.  Liest  man  in  346,  2  mit  der  Hs.  ^paurcr,?, 
so  ergibt  das  erste  Distichon  7563;  im  zweiten  erhält  man  7564, 
wenn  man  im  dritten  Vers  ty>xaXi'8a>v  st.  opTaXt^cuv  und  x^vfe  st.  x^vöe 
schreibt  und  außerdem  U  voll  rechnet.  IX,  347,  2  lese  ich  mit 
Piccolomini  dveXxojieda  st.  IcpsXx^jieöa ;  rechnet  man  dXXa  voll, 
so  erhält  man  im  ersten  Distichon  4705 ;  und  dieselbe  Summe  findet 
man  im  zweiten,  wenn  man  fpeaiij?  st.  e?pe<Ji>j?  rechnet. 

Anhangsweise  erwähne  ich  hier  kurz 

A.  Sogliano,  Isopsepha  Pompeiana.  Rendiconti  della 
Reale  Accademia  dei  Lincei  X  (1901),  S.  256  f., 

der  aber  nicht  von  isopsephen  Gedichten  in  der  Art  des  Leonidas 
spricht,  sondern  Inschriften  anführt,  auf  denen  der  Name  durch  eine 
Zahl  ausgedrückt  ist,  wie  man  dies  aus  der  Apokalypse  XIII,  16  bis 
18  kennt. 

G.  Setti,  Una  congettura  dello  Scaligero  e  gli 
epigrammi  di  Agatia  scolastico.  Atti  e  memorie  della 
R.  Accad.  di  Padova  vol.  XVI,  1900,  S.  227  f. 

Scaliger  schlug  vor,  A.  P.  V,  217,  2  TXoxIpa?  st.  YXuxepÄ? 
oder  Y^xepoo?  zu  lesen.  Diese  Vermutung  weist  II.  Weil  im  Journal 
des  savants  1900,  S.  49,  zurück,  aber  Setti  nimmt  sie  in  Schutz, 
indem  er  auf  das  Menanderfragment  in  den  Oxyrh.  Pap.  II,  Nr.  CXI 
[IleptxeipojxevrJ  verweist,  wo  die  Geliebte  des  Polemon  den  Namen 
Glykera  trägt.  Im  Anschluß  daran  stellt  er  eine  Betrachtung  über 
die  Epigramme  des  Agathias  an,  die  sich  auf  den  Gebrauch  von 
•fXux'j?  und  fXoxspo"?,  auf  die  Benennung  der  Haare  und  auf  die  Eigen- 
namen bei  Agathias  erstreckt.  Die  sich  daran  knüpfende  Durch- 
forschung seiner  Epigramme  ergibt  23  erotische,  20  epideiktische, 
18  epitymbische ,  7  skoptische,  5  protreptische  und  2  sympotische; 
dazu  kommen  noch  8  artistische  aus  Planudes  und  das  Einleitungs- 
gedicht A.  P.  IV,  3.  Zuletzt  gibt  Setti  eine  wohlgelungene  Charakte- 
ristik des  Agathias  als  Epigrammatiker.  Im  Bollet.  di  Filol.  class.  VI, 
S.  278  f.,  weist  er  A.  P.  V,  241  mit  St  ernbach  dem  Agathias  zu, 
was  man  nur  billigen  kann. 

R.  Reitzenstein  behandelt  im  vierten  und  fünften  Band  von 

Jahresbericht  für  Altertumiiwissenschift.   Bd.  CXXXIII.   (1907.   I.)  20 


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306        Jahresbericht  über  die  griechischen  Lyriker.  (Sitzler.) 

Pauly-Wissowas  Realencyklopädie  die  Dichter  der  Anthologie,  deren 
Namen  mit  D  und  E  (teilweise)  anfangen.  Die  Artikel  orientieren 
über  den  Stand  der  jetzigen  Forschung,  teilweise  ergänzt  und  ver- 
vollständigt durch  des  Verfassers  eigene  Untersuchungen.  Am  Schlüsse 
des  Artikels  über  Damagetos  (Bd.  IV,  S.  2027)  hebt  R.  mit  Recht 
hervor,  daß  die  Anklänge  seiner  Epigramme  an  Nossis,  Kallimachos, 
Theätet  und  die  Simonideische  Sammlung  allgemein  und  unsicher 
sind,  wahrend  die  Epigr.  VII,  9  auf  Orpheus  als  Erfinder  der  Mysterien 
und  des  Hexameters  und  VII,  432.  XVI.  1  auf  spartanische  Tapfer- 
keit zeigen,  daß  er  in  der  Wahl  seiner  Stoffe  von  Dioskorides  be- 
einflußt wurde.  —  In  dem  Artikel  über  Diodoros  (Bd.  V,  S.  660  f.) 
macht  R.  den  lobenswerten  Versuch,  das  Diodorische  Gut  der  Antho- 
logie unter  die  drei  Diodori,  die  beiden  Sardianer  und  den  Tarser, 
zu  verteilen.  Was  nun  die  Zuweisungen  an  den  Grammatiker  aus 
Sardes  betrifft,  so  trifft  der  Verfasser  in  der  Hauptsache  mit  Stadt- 
müller Anth.  Pal.  Bd.  II,  S.  XIX,  zusammen;  schwieriger  ist  die 
Scheidung  zwischen  den  zwei  Rednern  aus  Sardes,  was  auch  R.  nicht 
verkennt;  ich  zweifle,  ob  sie  mit  unseren  Mitteln  überhaupt  möglich 
ist.  —  Dioskorides  wird  von  R.  Bd.  V,  S.  1125  f.,  ausführlich 
besprochen,  im  ganzen  gewiß  richtig;  nur  halte  ich  es  für  Willkür, 
aus  VII,  37  und  707  schließen  zu  wollen,  daß  unser  Dichter  auch 
auf  Pratinas,  den  Erfinder  des  Satyrspieles,  ein  Epigramm  gemacht 
habe,  und  ebensowenig  erscheint  es  mir  berechtigt,  auf  Grund  von 
VII,  410,  4  anzunehmen,  Dioskorides  habe  vor  Thespis  noch  Susarion 
und  zwischen  den  Tragikern  die  Komiker  erwähnt.  Wie  bei  den 
literarischen  Epigrammen,  so  hätte  Reitzenstein  auch  bei  den 
historischen,  vornehmlich  bei  denen  auf  spartanische  Tapferkeit,  darauf 
hinweisen  können,  daß  auch  sie  in  dem  Charakter  jener  Zeit  be- 
gründet waren.  Von  unserem  Dioskorides  will  R.  den  Dioskorides 
von  Nikopolis,  der  als  Verfasser  von  VII.  178  angegeben  wird, 
trennen;  aber  schon  Stadtmüller  in  seiner  Ausgabe  wies  darauf 
hin,  daß  Epigr.  178  von  demselben  Dichter  herrühren  müsse  wie 
Epigr.  162:  auch  VII,  167  gehört  nach  diesem  Gelehrten  dem  gleichen 
Dioskorides.  In  der  Einleitung  zu  seiner  Ausgabe  Bd.  II ,  S.  XX, 
spricht  Stadtmüller  die  Vermutung  aus,  daß  der.  Epigrammatiker 
Dioskorides  wohl  aus  Nikopolis  stamme,  was  nach  Steph.  Byz.  s.  v. 
'Iaa6c  spätere  Bezeichnung  für  Issos  ist.  Zu  VII,  162  bemerkt 
Wilamowitz,  Hermes  1905,  S.  142.  der  Sprechende  betone  deshalb 
seine  Abstammung  von  persischen  Eltern  und  seine  echt  persische 
Nationalität  so  sehr,  weil  damals  in  Ägypten  viele  Perser  xr^  iirrj-ovTp 
lebten,  die  ganz  hollenisiert  waren.  —  Der  Artikel  über  Diotimos 


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Jahresbericht  über  die  griechischen  Lyriker.  (Sitzler.)  307 


(Bd.  V,  S.  1149  f.)  nimmt  drei  Dichter  mit  Namen  Diotimos  an,  einen 
Athener,  Sohn  des  Diopeithes,  auf  Grund  von  VII,  420,  einen 
Adramyttener  und  einen  Milesier,  die  beiden  ersteren  Dichter  des 
Meleagrischen ,  der  letztere  des  Philippischen  Kranzes.  Hätte  aber 
Meleager  zwei  Diotimoi  in  seinen  Kranz  aufgenommen,  so  hätte  er 
dies  im  Widmungsgedicht  anzugeben  gewiß  nicht  vergessen.  Es  kommt 
noch  dazu,  daß  das  Lemma  zu  VII,  420  von  C  auf  Rasur  geschrieben 
ist.  Stadt müller  glaubt,  es  sei  aus  Pseudo-Plut.  Leben  der  zehn 
attischen  Redner,  p.  844  am  Schlüsse  der  vita  Lykurgs  entnommen; 
aber  der  Name  Diotimos  Sohn  des  Diopeithes  aus  Athen  war  zu 
bekannt,  um  eine  besondere  Quelle  nötig  zu  machen.  Anklänge  des 
Gedichtes  an  andere  Epigramme  des  Diotimos  weist  Stadtmüller 
nach.  So  bleiben  also  für  die  Anthologie  nur  der  Adramyttener 
des  Meleagrischen  und  der  Milesier  des  Philippischen  Kranzes  übrig, 
unter  die  man  die  Gedichte  verteilen  muß.  Dem  Adramyttener 
schreibt  Stadtmülier  auch  VII,  228  zu,  aber  VII,  173  gehört, 
wie  wir  oben  sahen,  als  isopseph  dem  Alexandriner  Leonidas  (vgl. 
Stadtmüller  Bd.  II,  S.  XX f.). 
Hieran  reihe  ich 

M.  Boas,  De  epigrammatis  Simonideis.  Pars 

prior:  commentatio  critica  de  epigrammatum  traditione.  Groningae 

1905, 

da  sich  ein  großer  Teil  der  Abhandlung  mit  der  Anthologie  be- 
schäftigt. Der  Verfasser,  der  den  Korrektor  C,  trotzdem  er  bisweilen 
nicht  die  nötige  Sorgfalt  anwendet  und  auch  eigene  Vermutungen 
vorbringt,  im  ganzen  doch  für  glaubwürdig  hält,  behandelt  S.  151  f. 
die  Lücken,  die  sich  im  cod.  Pal.  finden.  Er  geht  hierbei  von  der 
Lücke  nach  VI,  143  aus,  wo  folgender  Tatbestand  vorliegt.  Nach 
VI,  143  läßt  der  Schreiber  A  eine  Lücke  von  sechs  Zeilen,  auf  die 
dann  VI,  144  mit  der  Überschrift  xou  au-oO  folgt.  Zu  diesem  xou» 
aÖTOü  bemerkt  Stadtmüller:  „quo  Anacreon  —  die  vorhergehenden 
Gedichte  sind  nämlich  dem  Anakreon  zugewiesen  —  non  magis 
significatur  quam  quivis  poeta  alius,  cuius  epigramma  post  A.  P.  VI, 
143  excidisse  librarius  A  testatur"  ,  eine  Bemerkung,  der  gewiß 
jeder  zustimmen  wird.  Der  Korrektor  C  fügt  zur  Lücke  bei:  06 
Xsfaei  u>;  otpai  oö6*&  Svxau&a,  mit  ooöl  auf  seine  ähnliche  Bemerkung 
zu  der  Lücke  nach  VI,  125  zurückverweisend.  Nun  ist  das  Epigr.  VI, 
144,  vor  der  die  Lücke  ist,  nach  VI,  213  wiederholt,  gleichfalls  mit 
dem  Lemma  toO  gcotoG,  und  zwar  in  einer  Simonideischen  Reihe,  also 
mit  tot}  aötoO  ebenfalls  dem  Simonides  zugewiesen.  Drängt  sich  da 
nicht  von  selbst  der  Schluß  auf,  daß  nach  VI,  143  ein  Simonideisches 

20* 


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308         Jahresbericht  über  die  griechischen  Lyriker.  (Sitzler.) 


Epigramm  ausgefallen  ist,  auf  dessen  Überschrift  sich  toi>  aotou  des 
144.  Epigrammes  bezieht? 

Und  nun  sehe  man,  wie  Boas  diesen  einfachen  Tatbestand  sich 
zurechtlegt  1   Zunächst  folgert  er  aus  too  <x&toD  des  144.  Epigrammes, 
das  doch  der  Schreiber  A  einfach  seiner  Vorlage  entnahm,  und  aus 
der  Notiz  des  Korrektors,  der  doch  nur  das  Vorhandensein  einer 
Lücke  in  Abrede  stellt,  daß  beide  VI,  144  für  anakreontisch  gehalten 
hätten.    Infolgedessen  läßt  er  die  alphabetisch  geordnete  Anakreon- 
Keihe  bis  144  gehen ,  obgleich  143  die  alphabetische  Anordnung 
unterbricht;  in  diesem  Fall  mußte  er  auch  noch  145,  vom  Korrektor 
ebenfalls  mit  toö  aOxoo  bezeichnet ,  hinzuuehmen  und  eine  zweite 
Unterbrechung  der  Reihenfolge  anerkennen.    Dann  wendet  er  sich 
der  Simonides-Reibe  VI,  212  f.  zu.    Da  das  choregische  Epigramm 
CJA  III,  82  a.  p.  484,  nicht  nur  VI,  213  a  =  VI,  144  nachahmt, 
sondern  auch  Simonides  epigr.   147  Bergk  —  das  letztere  wird 
übrigens  meiner  Meinung  nach  durch  das  allgemein  poetische  Sairexo 
xuSoc  nicht  hinreichend  bewiesen  — ,  so  standen  diese  beiden  Gedichte 
in  der  von  dem  Verfasser  jener  Verse  benützten  Sammlung  nach 
Boas  beisammen.   Gerade  als  ob  dies  die  condicio  sine  qua  non  für 
Benützung  und  Nachahmung  wäre !   Und  mußte  denn  der  Nachahmer 
überhaupt  eine  Sammlung  benützen V    Die  Sammlung  erklärt  Boas 
für  den  Meleagrischen  Kranz,  und  so  schließt  er,  daß  Meleager  VI, 
213  und  Simon,  ep.  147  in  seinen  Kranz  aufgenommen  hatte,  von 
denen  Kephalas  das  147.  Epigramm  wegließ.    Meleager  hatte  also 
VI,  144  zweimal,  einmal  in  der  Anakreon-  und  einmal  als  VI,  213  a 
in  der  Simonides-Reihe  nach  den  zwei  choregischen  Epigrammen  des 
Simouides;  da  er  es  aber  nicht  verschiedenen  Dichtern  beilegen 
konnte,  so  muß  mit  toO  aotou  auch  bei  der  Wiederholung  in  der 
Simonides-Reihe  Anakreon  bezeichnet  gewesen  sein.    Und  auch  dies 
bringt  Boas  fertig,  indem  er  einfach  annimmt,  daß  VI,  213a  durch 
Zufall  hinter  213  gekommen  sei,  während  es  ursprünglich  zu  VI,  212 
wegen  des  Inhaltes  hinzugefügt  gewesen  sei,  und  daraus  ergibt  sich 
dann  wieder  die  weitere  Annahme,  daß  VI,  212  ursprünglich  dem 
Anakreon  gehöre  und  erst  später,  als  es  in  die  Simonides-Reihe  mit- 
einbezogen wurde,  diesem  Dichter  beigelegt  worden  sei.    Es  sei  ein 
Zwillingsgedicht  zu  VI,  143,  und  wie  dies  hier  VI,  213  a,  so  sei 
jenes  dort  auch  gegen  die  alphabetische  Reihenfolge  VI,  144  von 
Meleager  vorangestellt  worden. 

Außer  der  Lücke  nach  VI,  143  finden  sich  in  dem  cod.  Pal., 
soweit  wir  bis  jetzt  wissen,  noch  drei  Lücken,  nämlich  nach  VI,  125 
eine  von  sechs  Zeilen,  wo  der  Korrektor  bemerkt:  ou  XEttcet  toc 


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Jahresbericht  über  die  griechischen  Lyriker.   (Sitzler.)  309 


oluoti,  nach  VI,  157  eine  von  sieben  Zeilen,  zu  der  der  Korrektor 
schreibt:  C"  <ni'xX  2v8exa  (st.  §irra)  und  eine  von  drei  Zeilen  nach 
dem  ersten  Distichon  von  V,  4,  ausgefüllt  durch  Wiederholung  der- 
selben Verse.    Die  Lücken  gehen  auf  die  Vorlage  von  A  und  C 
zurück ;  jedoch  waren  sie  vielleicht  in  dem  von  C  benützten  Exemplar 
nach  VI,  143  und  125  nicht  vorhanden  und  daher  sein  oo  Xefrtei. 
Boas  ist  der  Ansicht,  daß  an  allen  diesen  Stellen,  auch  bei  V,  4, 
ein  Epigramm  entfernt  worden  sei .  und  glaubt ,  diese  entfernten 
Epigramme  im  13.  Buch  unserer  Anthologie  wieder  zu  finden,  und 
zwar  für  die  erste  Lücke  XIII,  4,  zwei  Zeilen,  für  die  zweite  XIII,  7, 
drei  Zeilen ,  für  die  dritte  XIII ,  8 ,  zwei  Zeilen  und  für  die  vierte 
XIII,  1,  fünf  Zeilen.   Gegen  diese  Annahme  spricht  einmal  der  Um- 
stand ,  daß  keines  der  vier  beigezogenen  Gedichte  der  Verszahl  der 
Lücke  gerecht  wird,  sodann  daß  das  für  die  erste  Lücke  nach  VI, 
143  bestimmte  ein  iiciTüjißiov  statt  des  erwarteten  dvaÖTjfiaxixov  ist, 
und  endlich  daß  dieses  in  die  alphabetische  Reihenfolge  der  Ana- 
kreontischen  Gedichte  ebensowenig  paßt,  wie  XIII,  1  nach  dem  ersten 
Distichon  von  V,  4.    Den  letzten  Anstoß  sucht  der  Verfasser  durch 
den  Nachweis  zu  beseitigen,  daß  die  Lücken  in  unserer  Hs.  nicht  mehr 
an  der  Stelle  seien,  aus  welcher  ursprünglich  das  Epigramm  entfernt 
worden  sei.   Der  Abschreiber,  der  die  Zeilenzahl  seiner  Vorlage  auf 
jeder  Seite  genau  eingehalten  habe,  habe  nämlich  die  Lücken  jeweils 
ans  Ende  der  Seiten  verlegt,  also  auch  mitten  in  ein  Gedicht,  wenn 
es  sich  gerade  so  traf.    Die  späteren  Abschreiber  hätten  dann  die 
Lücken  an  den  ihnen  angewiesenen  Stellen  beibehalten,  aber  die 
Zeilenzahl  der  Seiten  geändert,  so  daß  jene  auch  an  anderen  Stellen 
der  Seiten,  nicht  mehr  nur  am  Ende  waren.    Aber  sein  Beweis  für 
diese  gekünstelte  Annahme  stimmt  nicht,  da  er  statt  der  Zeilenzahl 
der  Lücken  die  Verszahl   der  von  ihm  eingesetzten  Gedichte  in 
Rechnung  stellt  und  dabei  noch  voraussetzen  muß.  daß  VI,  144  zur 
Zeit,  wo  diese  Umschreibung  stattfand,  aus  einem  Distichon  bestand, 
was  sich  nicht  beweisen  läßt.   Welche  Gedichte  in  den  Lücken  fehlen, 
bleibt  also  auch  weiter  unbekannt ;  V,  4  scheint  nur  eine  Dittographie 
ausgelassen  zu  sein.  Die  im  fünften  und  sechsten  Buch  den  Epigrammen 
jeweils  von  zehn  zu  zehn  beigesetzten  Zahlen  deuten  keinen  Ausfall  von 
Gedichten  an;  sie  stammen  also  aus  späterer  Zeit.    Daß  VII,  344  a 
und  b  ein  Gedicht  ist  und  auch  als  solches  gerechnet  wurde,  bemerkt 
Boas  mit  Recht  gegen  Stadtmüller,  der  die  Wiederholung  von 
VII,  187  übersah;  beachtenswert  ist  auch  seine  Zuweisung  von  VII, 
350  an  Kalliraachos. 

Mit  den  bisherigen  Darlegungen  ist  schon  angedeutet,  wie  sich 


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310         Jahresbericht  über  die  griechischen  Lyriker.  (SiUler.) 

Boas  die  Entstehung  des  13.  Baches  der  Anthologie  denkt;  nach 
ihm  entfernte  jemand  aas  der  Sammlung  des  Kephalas  gewisse  Ge- 
dichte in  verschiedenen  Metren  und  stellte  sie  zu  einer  besonderen 
Sammlung  zusammen.  Um  dies  wahrscheinlich  zu  machen ,  hätte 
Boas  den  Grund,  warum  jemand  dies  tat,  sowie  den  Plan,  nach  dem 
er  dabei  verfuhr ,  angeben  müssen.  Beides  hat  er  unterlassen ;  da- 
gegen meint  er  in  der  Lage  zu  sein,  Beweise  für  seine  Ansicht  bei- 
bringen zu  können.  XIII ,  28  liest  man  KaXXtfioc^ou  iiri  tq>  aOxip 
xexpa|iixpq>  £v$sxaaoXXaßov ,  ohne  daß  ein  entsprechendes  Gedicht 
angeführt  wäre,  and  VII,  728  i*l  xq>  aÖT<j>  xexpaiiixpcp  ivSexaauXXaßov,. 
ohne  daß  diese  metrische  Bemerkung  im  Vorhergehenden  ihre  Erklärung 
fände.  Diese  Tatsache  deutet  Boas  so,  daß  der  Sammler  des 
13.  Buches  VII,  728  in  seine  Sammlung  aufnehmen  wollte  und  nach 
XIII,  27  schon  den  Titel  geschrieben  hatte;  dann  reute  ihn  aber 
sein  Vorhaben,  vielleicht  weil  der  dritte  Vers  am  Ende  lückenhaft 
ist,  und  er  ließ  das  Epigramm  an  seiner  Stelle,  strich  aber  den  Titel 
und  die  metrische  Bemerkung  nicht  nur  nicht  aus,  sondern  schrieb 
die  letztere  auch  noch  zu  VII,  728  hinzu.  Für  mich  folgt  aus  den 
genannten  Stellen,  daß  VII,  728  aus  XIII  entnommen  ist,  wo  nur 
der  Titel  mit  der  metrischen  Notiz  zurückblieb,  und  ebenso  urteilt 
Stadtmüller  zu  VII,  728.  Und  nicht  triftiger  ist  der  Beweis, 
den  Boas  aus  der  hs.  Numerierung  des  VII.  und  aas  den  Lücken 
des  V.  and  VI.  Buches  entnehmen  will;  denn  daraas.  daß  Epigramme 
in  jenen  Büchern  fehlen,  folgt  doch  nicht,  daß  diese  Epigramme  ins 
XIII.  Buch  übernommen  worden  sind.  Boas  weiß  in  der  Tat  auch 
die  Gedichte  des  XIII.  Baches  nicht  alle  in  unserer  Anthologie 
unterzubringen.  Ich  bleibe  also  bei  der  von  Wilamowitz  über 
das  13.  Buch  ausgesprochenen  Ansicht,  nur  daß  ich  darin  kein 
dürftiges  Exzerpt  aus  einer  Sammlung  ix  owtcpopwv  uixp«>v,  die 
schon  vor  Kephalas  angelegt  wurde,  sehe,  sondern  den  Überschuß 
der  Epigramme,  die  Kephalas  in  seine  Sammlung  nicht  aufnahm; 
so  erklärt  es  sich  auch,  daß  kein  Gedicht  des  13.  Buches  in  der 
Anthologie  steht. 

Von  Einzelheiten  erwähne  ich  noch,  daß  Boas,  S.  172,  die 
Ansicht  ausspricht,  Meleager  habe  auch  eine  Sammlung  inschriftlicher 
Epigramme  benützt;  diese  habe  er  als  d$e*aroxa  bezeichnet;  später 
sei  diese  Bezeichnung  ohne  Unterschied  gleichbedeutend  mit  0875X01 
gebraucht  worden,  das  eigentlich  nur  den  Epigrammen  zukomme,  die 
aus  irgendeinem  Grund  den  Namen  des  Verfassers  eingebüßt  haben. 
An  den  Gebrauch  inschriftlicher  Epigramme  durch  Meleager  dachte 
auch  schon  Jacobs  und  Weißhäupl.  —  Über  Mnasalkas  als 


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Jahresbericht  über  die  griechischen  Lyriker.  (Sitzler.) 


311 


Nachahmer  des  Simonides  handelt  Boas  S.  210  f.;  er  weist  diesem 
VII,  301,  442,  443  und  VI,  2  zu.  —  Dem  Antipater  Sidonios  gibt 
er  S.  137,  Anm.  103  die  Epigramme  VII,  20  (mit  Stadtmüller), 
24,  25,  344  a  und  b;  514,  XIII,  11.    Anth.  Plan.  23,  24. 

Nicht  zur  Verfügung  stand  mir 

R.  Weißhäupl,  Zum  Kranz  des  Philippos.  Festschr. 
zur  Feier  des  200  jährigen  Bestandes  des  K.  K.  Staatsgymn.  im 
VIII.  Bezirk  Wiens  1901.  S.  57  f. 

Kritische  und  exegetische  Beiträge  zur  Antho- 
logie liefern 

1.  H.  v.  Herwerden,  Ad  Anthologiae  Graecae 
librum  VII.    Mnemosyne  28,  S.  24  f. 

2.  J.  B.  Bury,  Notes  on  the  seventh  book  of  the 
greek  Anthology.    Class.  Rev.  1900,  S.  148  f. 

3.  R.  £11  is  [VII.  Buch].    Class.  Rev.  1899,  S.  446  f. 

4.  Th.  Korsch,  Ad  Anthologiam  Pal.  VII,  492,  5. 
Fil.  obozr.  16,  S.  182. 

5.  J.  P.  Postgate,  On  two  epigram  ms  of  the  greek 
Anthology.    Class.  Rev.  1900,  S.  153  [V,  100,  187]. 

6.  M.  Rubensohn,  Ad  Anthologiam  Graecam  capita 
duo.  Festschr.  für  Vahlen  1900.  Beitrag  7  [IX,  405,  Philippos 
Thessal.]. 

7.  R.  G.  Bury,  Anthol.  Pal.  V,  13,  197.  Class.  Rev. 
1901,  S.  221. 

8.  M.  Gitlbauer,  Studia  critica  in  Anthologiam 
Pal.    Wien.  Stud.  1901,  S.  169 f.  [VII,  64,  59,  2  b,  146]. 

9.  G.  A.  Papabasileios,  xpitixcti  irapatTjp^aet?  ef? 
ttjv  'EXXtjvixyjv  ÄvöoXoffav  [VII,  495].   Athena  14,  S.  148. 

10.  W.  Headlam,  Various  conjectures.  Journal  of 
Philol.  1898,  S.  97  [Append.  84].  S.  100  f.  [Buch  V,  VII,  IX, 
X,  XI,  XIII,  XIV,  XVI]. 

11.  W.  Headlam,  xox£«>v  *a  parent'  and  the  kindred 
forms.  Class.  Rev.  1901,  S.  401  f.  [VII,  79,  408].  —  Trans- 
position of  words  in  Mss.  Class.  Rev.  1902,  S.  245  [VII, 
48].  —  Metaphor  with  a  note  on  transference  of 
cpithets.    Class.  Rev.  1902,  S.  437  [VII,  49]. 

12.  K.  Ohlert,  Zur  antiken  Rätselpoesie.  Philologus 
57,  S.  599  f.  [XIV,  161. 


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312         Jahresbericht  über  die  griechischen  Lyriker.  (Sitzler.) 


13.  E.  N.  Gardiner,  Phayllus  and  his  recordjumb 
[Append.  297].    Journal  of  bellen,  studies  XXIV,  S.  70  f. 

14.  R.  Holland,  Die  Sage  von  Dädalos  and  Ikaros. 
Progr.  Leipzig  1902,  S.  30,  Anm.  3  [VII,  699]. 

15.  G.  Kaibel,  Sepulcralia.  Hermes  1900,  S.  567 
[VII,  500]. 


16.  R.  Arnoldt,  Zu  griechischen  Schriftstellern. 
Festschrift  der  48.  Versammlung  deutsch.  Philol.  u.  Schulmänner 
in  Hamburg  dargebracht  vom  Lehrerkollegium  des  Christianeums 
zu  Altona  1905,  S.  4  [VII,  27]. 

17.  Ph.  Legrand,  Sur  quelques  öpigrammes  du 
troisieme  siecle.    Rev.  des  Stüdes  anciennes  1901,  S.  185  f. 

Von  diesen  Arbeiten  verdient  die  zuletzt  genannte  von  Legrand 
besondere  Erwähnung,  die  sich  mit  Epigrammen  des  3.  Jahrhunderts 
v.  Ch. ,  welche  die  Geschichte  Griechenlands  zum  Inhalt  haben ,  be- 
schäftigt. Zunächst  untersucht  er  die  Gedichte  des  Damagetos  und 
findet ,  daß  die  gewöhnliche  Annahme ,  als  ob  dieser  Dichter  mit 
seinen  Sympathien  auf  seiten  der  Achäer  gegen  die  Ätolier  gestanden 
sei.  sich  nicht  aufrecht  erhalten  läßt;  nur  VII,  438  verherrlicht  einen 
Achäer.  Ich  glaube  demnach,  daß  Damagetos  neutral  blieb  und  die 
Tapferkeit  pries ,  wo  er  sie  fand.  Der  Verfasser  hält  den  Dichter 
für  einen  Eleer.  Dann  wendet  er  sich  den  Epigrammen  zu ,  welche 
Großtaten  der  Lakedämonier  verherrlichen ,  an  erster  Stelle  denen 
des  Dioskorides,  hierauf  denen  des  Nikander,  des  Tymnes  und  dem 
döisroxov  VII,  723,  das  er  mit  Bergk  dem  Messenier  Alkäos  zu- 
schreibt. Nach  ihm  sind  diese  Gedichte  durch  die  Erhebung  Spartas 
unter  Agis  und  Kleomenes,  die  auch  ihren  Eindruck  am  Hofe  in 
Alexandria  nicht  verfehlten ,  hervorgerufen.  Dioskorides'  Lebenszeit 
möchte  Legrand  etwas  früher  ansetzen,  als  es  Knaack  in  Suse- 
mihl.  Geschichte  der  gr.  LH.  in  der  Alexandrinerzeit,  Bd.  II, 
S.  543  f.,  getan  hat.  Die  Tätigkeit  des  Nikander,  der  in  Ätolien 
lebte,  fallt  in  die  Zeit  des  achäiscb-ätolischen  Krieges  (220 — 217) 
(vgl.  Pomp  low.  Kitein.  Museum  1894,  S.  581  f..  Jahrb.  f.  Phil. 
18M.  S.  631):  das  Epigr.  VII,  435  paßt  allerdings  nicht  wörtlich, 
da  Messenien  selbst  nicht  angegriffen  war.  Dem  Tymnes  legt  die 
Überlieferung  VII,  433  bei;  die  Vermutung  Stad  tmtille  rs,  daß 
ihm  nur  das  dritte  Distichon  gehöre,  während  die  drei  anderen 
Disticha  ein  vollständiges  Epigramm  des  Damagetos  seien,  hält 
Legrand  für  nicht  ganz  überzeugend;  wenn  er  sie  aber  noch  durch 
den  Hinweis  darauf  stützen  will,  daß  in  dem  aus  diesen  drei  Distichen 


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Jahresbericht  über  die  griechischen  Lyriker.  (Sitzler.)  313 


bestehenden  Epigramm  alles  für  Sparta  Nachteilige  ängstlich  ver- 
mieden sei,  so  darf  man  nicht  vergessen,  was  ich  schon  oben  betonte, 
daß  Damagetos  nicht  der  Lobredner  Spartas  um  jeden  Preis  war. 
Mit  Recht  bemerkt  Legrand  aber,  daß  IX,  61,  eine  Nachahmung 
des  Tymnes  bzw.  Damagetos  und  des  Antipater  von  Thessalonike 
(vgl.  VII,  531),  dem  Dioskorides  nicht  zugewiesen  werden  dürfe, 
und  daß  VII ,  723  sich  nicht  auf  die  Ereignisse  des  Jahres  188, 
wie  man  gewöhnlich  annimmt,  sondern  des  Jahres  207  beziehe  (vgl. 
Polyb.  XI,  18,  8—9. 

Aus  den  anderen  aufgezählten  Arbeiten  führe  ich  folgendes  an : 
Headlam  sucht  das  Wort  xoxs*u>ve*  „Eltern"  im  Griechischen  nach- 
zuweisen; er  findet  es  VII,  79,  3  ?ox£u)vac  lui  ;lve  und  408,  3 
xoxecove  ßaufoc;  aber  im  letzteren  Fall  ist  der  Dual  anstößig,  im 
ersteren  stellt  der  Vorschlag  den  Vers  nicht  her.  G.  H.  Ren  dal  1, 
Cl.  Rev.  1902,  S.  28,  weist  noch  auf  Antonin.  IV,  46  hin,  wo  über- 
liefert ist :  oxi  oft  Ö£t  TOXtöa?  toxecovcov  xxX.  —  Rubensohn  zeigt, 
daß  IX,  405  auf  den  jüngeren  Drusus  geht  (vgl.  Sueton.  Tib.  54 
und  Tac.  ann.  IV,  60)  und  gibt  dem  Philippus  von  Thessalonike  die 
Epigr.  VI,  236,  251.  IX,  533,  die  zum  „iter  Actiacum"  gehören; 
außerdem  schreibt  er  ihm  das  Epigramm  auf  die  Schlacht  bei  Actium 
in  den  Pap.  Brit  Mus.  CCVI  (Kenyon,  Rev.  de  phil.  XIX,  177)  zu. 

V,  13,  3  ist  dXX'  iptsaaa  |  t6  ax6|xa  xTjv  «}oyrjv  lz  ivtS^wv  dva'yei 
überliefert;  R.  G.  Bury  bessert  dXX'  iiri?Gaa,  nur  hätte  er  auch 
xo  Gxopa  tJjv  ''wrp  in  xo>  jxojxocxi  'iu^v  ändern  sollen.  —  197,  5 
ergänzt  er  unter  Vergleichung  von  178,  2:  ooxexi  aoi  (ixuOixTj) 
tpap&cpij  ttx.  foaxoo?  |  xpäirxei;  besser  paßt  in  den  Zusammenhang 
©aplxpr^  (xsveij)  oder  <xo  xuxo?)  »apsxpTjc 

VII  im  Lemma  berichtigt  Headlam  die  verdorbenen  Worte 
oüö°  dvoxpeX^  XaXr^at  xe  xxX.  gut  in  dXX'  rfiai  xs.  —  17,  6  schreibt 
Herwerden  Xeiuaxo?,  wodurch  das  anstößige  Sctijiovo?  beseitigt 
wird.  —  25,  9  wünscht  J.  B.  Bury  dXX'  ex'  exsivoic,  sc.  xot?  vexpotc, 
was  nicht  in  die  Konstruktion  paßt;  ich  vermute  iV  deiötov  im  An- 
schluß an  das  Vorhergehende;  auch  28,  2,  wo  derselbe  Gelehrte 
für  das  tiberlieferte  xzpui>v  eintritt,  wird  man  besser  -pouitov  lesen.  — 
48,  1  liest  man  gewöhnlich  aMaXsoto  irupö?  odpxe?  pnrfjai,  indem  man 
das  am  Ende  des  Verses  überlieferte  adpxe?  nach  irup<5?  stellt;  besser 
ist  Hcadlams  Umstellung  adpxe?  6ir'  atöaXs*oto  rupoc  Im  letzten 
Verse  ist  mit  Bury  ttovo?  in  wS&os  zu  ändern.  —  Epigr.  49  erklärt 
Headlam  gut,  indem  er  das  zweite  Distichon  von  einem  Blitzschlag 
versteht,  der  die  Inschrift,  den  Hinweis  auf  die  Sterblichkeit  des 
Dichters,  vertilgte;  damit  erledigen  sich  alle  Koujekturen  zu  Övaxav 


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314         Jahresbericht  über  die  griechischen  Lyriker.  (Sitzler.) 

a^p-otTO?  foropiav.  —  51,  6  ändert  Bury  in  engem  Anschloß  an  die 
Überlieferung  in  ax^vd?  £ji.ßoX'  IpeiSofiiva?  ab,  wozu  er  Eur.  Bakch. 
591  vergleicht,  und  79,  6  vermutet  er  Trdxpac  Xa*P£  ?^«c  'E^esoo, 
wo  ich  die  Verbindung  von  irdTpac  mit  dem  Vorhergehenden  und  die 
Lesung  X<*ipy  d>  5Xa£  'E^aoo  (st.  /atpe  ob  S'  £c  'E.)  vorziehe;  gerade 
5X«c  ist  hier  nach  dem  Vorhergehenden  ganz  an  seinem  Platze.  — 
87,  2  macht  Herw erden  die  Überlieferung  <Sv  x<5vi?  d<rcd/oec  durch 
die  Schreibung  äv3x<x.y6u  „producit  fruges"  coli.  Apoll.  Rhotl.  IV, 
271  verständlich;  derselbe  Gelehrte  schlägt  106,  3  xal  tot'  axp^TOv 
st.  des  anstößigen  t6v  vor  und  113  aptxTov  st.  dcjfiijXTOV,  ohue  Zweifel 
richtig.  Den  fehlerhaft  überlieferten  Vers  116,  2  stelle  ich  her,  indem 
ich  ika$i  pi  (ti>  xovdptov  (st.  xovöc  d^ptov)  o8dc  lese  —  132,  2 
berichtigt  Bury  Xpr^a  gut  in  xvrjOpa  oder  xvfop.a  im  Gegensatz  zu 
xtTpuiaxov.  —  233,  3  f.  wird  von  Her  werden  durch  T^ppa 
d<poxxov  |  etSev,  dp.  ijx<pavtoac  töojv,  |  icf^ev  utcö  xtX.  vortrefflich  her- 
gestellt; vorausgegangen  war  ihm  Stadtmüller  mit  r^dvis'  ecV 
fSt'ijv.  —  279,  2  ist  al&v  unhaltbar;  es  ist  wohl  aus  rfa  verschrieben.  — 
286,  4  empfiehlt  sich  Burys  Vorschlag  zur  Ergänzung  der  Lücke: 
<ppoG8',  <d{xa  xal)  ndsrjc  ;  auch  an  drö  xal,  Tmesis  st.  dra$Xa>Xs,  ließe 
sich  denken.  —  302,  2  vermutet  Bury  riaXetc  als  Namen  der  Stadt, 
und  381,  1  wünscht  El  Iis  4>X<up7);  st.  Gpoupr,;.  —  382,  5  ver- 
wandelt Bury  xevoooa  richtig  in  ja'  eXoGöa,  wie  der  Gegensatz 
7:apa8oG(Ja  zeigt.  —  886,  4  vermutet  Ellis  ansprechend  r,v  t^xov 
st.  rt  t^xov;  danach  ist  aber  nur  Komma  zu  setzen  und  w  st.  <»  zu 
schreiben,  da  Niobe  mit  pe-rdtajc  Xetyava  itopxatv  sich  selbst  meint.  — 
403,  6  schlägt  Her  werden  aejiva  (bzw.  a^jiv'  «)  X&oyx«  v£xo?  im 
Sinne  von  a^ßeiv  xpr,  touc  Td^ouc  und  409,  8  dXX'  dXuov  st  dJhtvdTwv 
vor,  beides  passend.  —  411,  5  f.  wünscht  Bury  u>  otojx* 
Sefcov,  dpx«t'oic  xtX.  ,  worin  im  Dilthey  mit  rdvra»;  (st.  itdvTwv) 
vorausgegangen  ist,  und  Her  werden  w  Jr«S{ia  icdvTtov  |  xpttrcov 
xdpxat«>v  oder  ^ptspov,  dpyauov  xtX.;  aber  der  Fehler  liegt  in 
rdv-cov,  wofür  M009&V  zu  schreiben  ist.  Äschylos  wird  als  STopa 
Mous&v  bezeichnet  wie  4,  1  Homer.  75,  1  Stesichoros  und  IX,  184,  1 
Pindar ;  zu  äpyaiwv  r^iHtov  als  Bezeichnung  der  .alten  Dichter  vgl. 
409,  2.  708,  3.  —  422.  8  verbessert  He  ad  Um  7s  pr,v  in  7evijv, 
richtiger  vielleicht  fevTjv  (vgl.  Kallim.  fr.  241).  —  444,  1  nimmt 
Bury  da*  überlieferte  ofvoiOsvra  mit  Iiecht  gegen  Änderungsversuche 
in  Schutz.  —  46ü ,  7  wird  Herwerden  mit  tJV(  (st.  efijc)  das 
Hichtige  treft'eu.  —  467,  3  ändert  Bury  tu  irovov  in  i(  irvoov,  was 
zu  dem  Folgenden  rc£p  vorzüglich  stimmt;  rvoo?  —  tcvo^  erwähnt 
Hesych.  —  472,  15   schlügt  Ellis  aiel  touto  tosgv  peuvr.p^vo?  vor, 


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Jahresbericht  über  die  griechischen  Lyriker.   (Sitzler.)  315 

passender  als  xoüx'  iv  feiy;  xoaov  entspricht  dem  Folgenden  ar/pis 
ojxiX^c  Ccuoi?.  —  500.  Kai  bei  vergleicht  Anth.  Lat.  II,  982.  — 
534,  5  ist  efAiropc»?,  das  aus  dem  vorhergehenden  Vers  wiederholt 
ist,  mit  Herwerden  in  djj.ji.opoc  zu  ändern:  „zu  deinem  Unglück; 
denn"  usw.;  auch  mit  der  Vermutung  wird  Herwerden  recht 
haben,  daß  in  dem  Schol.  zu  555,  2  Cofi'ooc  =  oopavt'oo?  in  oopaviooc 
eine  Verschreibung  aus  xolc  yapioos  vorliegt.  —  614,  6  schreibt 
Herwerden  exxeivev  st.  sxxave,  wodurch  die  Ergänzung  von  o^, 
die  Stadtmüller  vornimmt,  unnötig  wird.  —  642,  1  vermutet 
El  Iis  Tejißpou  xal  Net'Xoio,  das  letztere  mit  Heringa;  Tembros 
ist  eine  Stadt  auf  Kypros.  Diese  Lesung  kommt  der  Überlieferung 
näher  als  2upou  xal  AijXoio.  Derselbe  Gelehrte  emendiert  648,  & 
ävaxrj  a'jfdCa>v  ansprechend  in  Ivoxauj  vdtjcHov.  —  650,  4  verbessert 
Herwerden  dvöpo?  IhtXv  vortrefflich  in  dvSpi  jxoXeiv,  und  recht  be- 
achtenswert ist  auch  seine  Vermutung  zu  654 ,  3  oöx  s'jöatjiovt  (st. 
sfrn'oyi):  „onus  domino  navis  non  felix,  sed  exitiosum  futurum  erat".  — 
679,  8  ist  mit  Herwerden  oöx  Ijaoö  .  .  .  oö8'  kxiptov  oder  out'  .  .  . 
ouÖ'  st.  oü8*  .  .  .  o08'  zu  schreiben  und  698,  12  itofteei  (st.  &ir6&ei): 
„reliquit  sui  desiderium  omnibus,  quos  nunc  ipse  plus  quam  parentes 
desiderat".  —  726,  6  ändert  Bury  xeivov  gut  in  Ssivov  bzw.  oTvov 
und  727,  2  Herwerden  eaxe  Öocvtq  in  esxe  davev,  indem  er  6 
<pb.  xXatsxw  als  Zwischensatz  faßt.  —  733,  6  kommt  El  Iis  mit  afc 
opfy  4er  Überlieferung  iaoa(7j  am  nächsten.  —  735,  2  will  Bury 
Ii  dxpofexov  vuxxa  in  d^puxxov  ändern;  ich  wünsche  axpuxov  oder 
ijXityov. 

IX,  26,  9  schreibt  Headlam  richtig  Ivvia  o'  au  xd?  (st., 
ayxds).  —  830,  7  unterbricht  er  die  Rede  nach  w  o^jav',  indem  er 
oO  Xe;ei?  dem  Pan  gibt,  wodurch  ein  besserer  Sinn  erreicht  wird, 
als  wenn  man  o-j  X&te  L  X^ov  noch  mit  u>  aipv*  verbindet.  — 
Zu  839  vergleicht  er  Zenob.  IV,  60.  —  423,  8  schlägt  er  ujov 
TxeaÖe  xeXo?  vor ;  mit  fxeaÖe  (st.  IxetaOs)  trifft  er  sicher  das  Richtige ; 
aber  feov  (st.  eis  iv)  ist  unnötig,  da  efc  gv  die  gleiche  Bedeutung 
hat  und  auch  den  Dativ  zu  sich  nehmen  kann.  Übrigens  ist  im 
siebenten  Vers  zu  lesen  BoGp'  aXao'  tj  ö'  'EXt'xr,  xcxXuajxivai  (st. 
BoGpa  xal  efe  'EXix/;v  xexXacjiiva).  —  490,  2  wünscht  er  xav  dd6xr,xa, 
was  nicht  augeht;  etwa  xwvx'  =  xal  ovx\  —  709,  6  ändert  er 
xu>|idCeiv  gut  in  xujiaivstv  und  ebenso  ist  710,  3  axpo^TtuTia  (st. 
dxpa  jxixw-a)  ganz  passend. 

X,  56,  15  wünscht  Headlam  rjXixfo  xoi'vov  rßrt  xpivet  (st. 
f/ixta  toivüv  rfis.  xpivex');  aber  xotvov  mit  langer  letzter  Silbe  ist 
anstößig.    Ich  vermute  r^ixioL  xotvov  x68e  <xi;>  xpivei. 


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316         Jahresbericht  über  die  griechischen  Lyriker.  (Sitzler.) 

XI,  108,  2  liest  er  iv  ttJ  5e  xUv^  (st.  xXtv^  U),  um  die 
Quantität  von  xXi'vtj  zu  wahren.  —  162,  1  schlägt  er  icXe6(Tfl  (st. 
xXeuaai  oder  -Xeuaot)  vor,  234,  1  ou  xat  (st.  oux  av),  was  einen 
besseren  Sinn  gibt  als  oüx  apa ,  wie  man  gewöhnlich  liest ,  und 
388,  1  und  3  S6xet  (st.  8oxeT),  wodurch  das  Gedicht  wesentlich 
gewinnt. 

XII,  48,  2  macht  Headlam  darauf  aufmerksam,  daß  man 
<p£peiv  von  oT8a  abhängig  machen  und  es  auch  zu  ol8a  xctt  Ifiiropa 
x6£a  ergänzen  müsse.  —  120 ,  4  verbessert  er  irapatac<$u.evov  (st. 
rapatacaasvov)  und  157,  3  xeifiatvei  öe  ßapuc  irv.  II.,  wie  167,  3.  — 
166,  6  wünscht  er  lz  6(jia>v  toütoiv  2v  *yi  xx  ßoüXo|A'  £X£IV  ^es 
hs.  etreti),  was  für  mich  keinen  befriedigenden  Sinn  ergibt.  Meiner 
Meinung  nach  ist  aXXo  xi  als  Frage  zu  lesen.  Der  Dichter  will  von 
den  Eroten  getötet  werden,  um  seiner  Pein  ledig  zu  sein. 

XIV ;  16  vy}3oc  8X>j,  jiuxrjfia  ßoöc  ©<ov^  te  5aveiatoo  deutet 
Ohlert  auf  Moxovo?,  was  wahrscheinlich  ist.  Die  tpcovTj  öavei'oroo 
findet  er  in  ovo?  =  eins,  d.  h.  das  Aß  auf  dem  Würfel  und  meint, 
daß  in  den  Buden  der  Wechsler  auch  das  Würfelspiel  üblich  war. 
Ich  möchte  darin  lieber  eine  Anspielung  auf  Konnos  sehen,  der 
sprichwörtlich  zur  Bezeichnung  eines  armen  Teufels  genannt  wurde, 
vgl.  Schol.  zu  Aristoph.  Ritter  534  und  Wespen  675.  Suidas  s.  v. 
Kovva?.  Die  reichen  Bankiers  mögen  diesen  wohl  im  Munde  geführt 
haben.  —  102,  4  schlägt  Headlam  ßpottuv  Tts'pi  irav3o<pov  aXXcov 
vor,  wodurch  das  anstößige  ttoXu  vor  zovaocpov  beseitigt  wird. 

Planudea  126,  1  schreibt  Headlam  6  7:ai5<5-aopoc  (st.  6  itotlc 
6  TctSpoc);  dies  wird  durch  XII,  42,  2  iraiSoxopoc;  bestätigt.  —  265,  6 
ist  mit  ihm  £irl  t«  t&v  ice'Xac  e&xuxfa  zu  lesen;  die  Iis.  hat  IttI  ta? 
T&v  7t.  eixo/ia?,  was  unmöglich  ist. 

Appendix  297  hält  Gardiner,  der  die  Nachrichten  über  den 
Sprung  des  Phayllos  prüft,  für  unglaubwürdig;  alle  Mitteilungen  der 
Scholiasten  und  Lexikographen  gehen  auf  unser  Epigramm  zurück, 
das  eine  rhetorische  Übertreibung  ist. 

Außerdem  erwähne  ich 

W.  H.  D.  Rouse,  Greek  votive  offerings.  An  essay 
in  the  history  of  greek  religion.  Cambridge  1902, 
der  nach  Feststellung  des  Begriffes  Weihgeschenk  die  verschiedenen 
Anlässe  aufzählt,  bei  denen  Weihgeschenke  gestiftet  wurden,  sowie 
die  Weiheformeln  und  die  Art  der  Weihung  mitteilt.  Die  ausführ- 
lichen Indices  geben  eine  Übersicht  über  die  Weihgeschenke,  die  in 
den  verschiedenen  Heiligtümern  Griechenlands  aufgefunden  wurden, 
und  ebenso  über  die,  welche  in  der  Anthologie  enthalten  sind. 


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Jahresbericht  über  die  griechischen  Lyriker.  (Sitzler.)  317 


L.  Arata,  La  poesia  e  l'arte  dei  sepolcri  negli 
epigrammi  del  VII.  libro  dell'  Antologia  Palatina. 
Pesaro  1904, 

das  mir  nicht  zur  Verfügung  stand.  Eine  Rezension  darüber  von 
Cessi  steht  in  Riv.  di  stor.  ant.  N.  S.  IX,  S.  470—472. 

Br.  Lier,  Topica  carminum  sepulcralium  Latinorum. 
Philologus  62,  S.  445  f.,  63,  S.  54  f., 

der  im  ersten  Teil  den  Schmerz  und  die  Trauer  der  Überlebenden, 
im  zweiten  Teil  die  Trostgründe  und  im  dritten  Teil  Verschiedenes 
behandelt,  wie  das  Empfindungsvermögen  und  Bewußtsein  der  Manen, 
die  Störung  der  Ruhe  der  Toten  durch  zu  große  Klage,  die  Auf- 
forderung der  Toten  an  die  Lebenden,  das  Leben  zu  genießen,  die 
Mahnung,  an  den  Tod  zu  denken.  Dabei  wird  überall  auf  die 
griechischen  Vorbilder  hingewiesen.  Über  die  Grabschrift  des 
Sardanapallos  handelt  der  Verfasser,  S.  60  f.,  eingehend.  Vgl.  auch 
E.  Meyer,  Forschungen  I,  S.  208  f.  und  II,  541  f.,  der  die  Inschrift 
dem  jüngeren  Chörilos  zuschreibt,  und  E.  Maaß,  Orpheus,  S.  210 f., 
der  richtiger  den  älteren  Chörilos  für  den  Verfasser  hält. 

Zu  Kaibels  epigrammata  Graeca  ex  lapidibus  con- 
lecta  lieferten  Beiträge 

1.  A.  Wilhelm  [Epigr.  214].  Jahresh.  des  österr.  archäol. 
Instituts  1901.    Beiblatt  17. 

2.  U.  v.  Wilamowitz  [Epigr.  254].   Hermes  1898,  S.  519. 

3.  P.  N.  Papageorgiu,  Emendatur  epigramma 
Mytilenarum  [Epigr.  329  ~  Paton  inscript.  Gr.  458].  Herl, 
philol.  Wochenschr.  1899,  Nr.  50,  S.  1566  f. 

4.  E.  Bormann,  Zu  CJA  I,  333  [Epigr.  749  =  Hoffmann 
266].    Festschrift  für  Th.  Gomperz.    Wien  1902,  S.  474  f. 

5.  W.  H.  Roscher,  Ephialtes.  Abh.  d.  Kgl.  Sächs. 
Gesellschaft  der  Wiss.  Bd.  XX,  1900  [Epigr.  802] ;  dazu  R.  Wünsch, 
Wochenschr.  f.  Klass.  Philol.  1901,  S.  230. 

6.  E.  Groag  [Epigr.  888  a].  Festschrift  f.  E.  Bormann. 
Wiener  Studien  XXIV,  1902. 

Wilhelm  stellt  den  Inhalt  des  Epigr.  214  dahin  fest,  daß  die 
beiden  Brüder  Pharnakes  und  Myron  von  Amisos  sich  bei  einem 
Sturme  an  die  Insel  Seriphos  retteten,  hier  aber  von  den  Bewohnern 
getötet  wurdeu;  Protos  errichtet  ihnen  ein  Kcnotaphion  mit  einer 
Säule.  In  diesem  Sinne  ergänzt  er  den  Text.  —  Wilamowitz 
macht  darauf  aufmerksam,  daß  nach  einer  neuen  Abschrift  254,  2 


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318         Jahresbericht  über  die  griechischen  Lyriker.  (Sitzler.) 

tatptov,  <l>at8av,  3  tp  wrcplc  Tiveöo?  zn  lesen  sei,  vgl.  Journal  of 
hell,  studies  IX,  259.  —  Papageorgiu  ergänzt  329,  2  <jx6<Xa>xa 
mit  Komma  nach  rfl  xaxa  wodurch  der  Text  gewinnt.  — 

Bor  mann  weist  darauf  hin,  daß  nach  der  technischen  Beobachtung 
Dörpfelds  das  zweite  Distichonpaar  des  Epigr.  749  ein  späterer 
Nachtrag  sei,  daß  man  es  also  mit  zwei  getrennten  Gedichten,  einem 
früheren  und  einem  späteren,  zu  tun  habe,  von  denen  sich  das 
erstere  auf  die  Schlacht  bei  Marathon ,  das  letztere  auf  die  Kämpfe 
bei  den  Thermopylen  beziehe ;  dementsprechend  ergänzt  er  das 
zweite.  —  Epigr.  802,  5,  wo  E.  Curtius  die  Ergänzung  Iv  texisiaiv 
vorgeschlagen  hatte,  wurde  bisher  h  xnjvsaaiv  oder  sfv  #£33iv  ver- 
mutet, indem  man  den  Genesenen  für  einen  Hirten  hielt;  Roscher 
denkt  auch  an  £v  axoXaxsaatv,  wonach  er  ein  Jäger  wäre.  Dagegen 
bemerkt  Wünsch  mit  Recht,  daß  ein  mit  einer  dpfaUr^  vot>öq>  (V.  8) 
Behafteter  weder  auf  die  Jagd  noch  auf  die  Weide  gehe;  er  schlägt 
daher  ouv  aX-yssatv  vor,  wobei  aber  oüv  nicht  ohne  Bedenken  ist.  — 
Groag  erblickt  in  dem  888  a  erwähnten  Hadrianus  und  Severus  nicht 
den  Kaiser  Hadrian  und  den  Catilius  Severus,  was  die  bis  jetzt 
herrschende  allgemeine  Ansicht  ist,  sondern  die  Sophisten  Hadrian 
und  Claudius  Severus. 

Mit  der  Verbesserung  der  Epigramme  in  E.  C  o  u  g  n  y  s 
Sammlung  beschäftigten  sich 

1.  W.   Headlam,  Various  conjectures.    Journal  of 
Philology  26  (1898),  S.  107  f.  [B.  I— V]. 

2.  Tb.  Reinach  (Epigr.  I,  128  b,  S.  587].  Rev.  des  «Stüdes 
grecques  XV,  S.  36. 

Reinach  teilt  das  Epigr.  128  b,  S.  587.  nach  einem  neuen 
Abklatsch  des  Konservators  Tacchella  mit;  V.  2  akzentuiert  er 
'A^oXXtuvic  =  'AttoXXiuvio? ,  und  V.  3  faßt  er  rctipeiJo*;  als  Ait<$XXa>v 
llatpmo;.  —  Headlam  weist  darauf  hin,  daß  I,  61  dirrrtz  nicht  — 
involucris  ist,  wie  Cougny  erklärt,  sondern  —  airrco;,  wenn  es 
nicht  geradezu  aus  diesem  entstellt  ist  (vgl.  A.  1*.  IX,  588,  6).  — 
11,  198  b,  13  (S.  591)  liest  er  richtig  xw  p'  ajxoxov  xXatovTsc.  — 
Zu  257  b  (S.  593)  vergleicht  er  A.  P.  VII,  253,  das  Vorbild  für 
unsere  Verse.  —  295  stellt  er  her  durch  die  Lesung :  <px&"">  Xswro- 
t£pot;  G|xvot»  ttyWzi.  |x'  flfyöfov  |  dftflvotTO'j;.  —  850.  5  ergänzt  und 
interpungiert  er  gut  -aCzo  5'  dXXok  rca-sp  OpTjvtuv  'f t'Xs,  "atieo  tir/rsp  i 
ripstjAfj'evsi'  xtX.  —  351,  1  verbessert  er  Sinn  und  Metrum,  indem 
er  schreibt  Ttjio.0eo»,  to  lla'tpa;  oaiov  ?»o;.  —  111,  74,  27  vermutet 
er  passend  r/S  upsvai'ou;  (st.  £v5sösy|*£vou;). 


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Jahresbericht  über  die  griechischen  Lyriker.  (Sitzler.)  319 

An  neuen  Funden  liegen  vor 

A.  W.  Verra  11,  Two  unpublishedinscriptionsfrom 
Herodotus.    Class.  Rev.  XVII,  S.  98  f. 

Der  Verfasser  glaubt,  in  der  Prosa  Herodots  zwei  metrische 
Inschriften  entdeckt  zu  haben,  die  erste  IX,  76,  die  Bitte  der  Koerin 
an  Pausanias  um  Kettung  nach  der  Schlacht  bei  Platää,  die  zweite 
VIII,  114,  die  Forderung  der  Spartaner  an  Xerxes,  ihnen  für  die 
Tötung  des  Leonidas  Genugtuung  zu  geben.  Aber  von  Inschriften 
kann  keine  Rede  sein;  höchstens  wären  es  epideiktische  Epigramme 
nach  der  Form  -cfva?  Äv  sfroi  rt  Kyrt  xtX.  (vgl.  IX ,  453  f.). 

In  Wirklichkeit  sind  es  eigene  Schöpfungen  Verralls  im  Anschluß 
an  Herodots  Worte. 

D.  Bassi,  Sette  epigrammi  greci  inediti.    Riv.  di 
Filologia  1898,  S.  385  f. 

Der  Verfasser  hat  die  sieben  Epigramme  im  cod.  Ambros.  D  538 
der  Vitae  parallelae  des  Plutarch  gefunden;  sechs  davon  sind  von 
dem  Archiatros  Constantinos  Amentianos,  das  siebente  von  Georgios 
Kydones.  Die  zwei  längsten  beziehen  sich  auf  Demetrios  Kasandrenos, 
der  von  1291/92—1361/62  lebte,  die  anderen  auf  Nikephoros  Angelos 
Kanates  und  dessen  Gemahlin  Maria,  der  Tochter  des  Demetrios 
Kasandrenos. 

B.  Grenfell   and   A.  S.  Hunt,   The  Oxyrhynchus 
Papyri.    Part  III,  London  1903.    Part  IV,  London  1904. 

Der  dritte  Teil  bringt  unter  Nr.  464  kurze  Reste  von  etwa 
sieben  astrologischen  Epigrammen  aus  einer  Sammlung  des  3.  Jahr- 
hunderts n.  Chr.;  jedes  trägt  eine  Überschrift,  die  den  Inhalt  an- 
gibt. —  Der  vierte  Teil,  Nr.  662,  enthält  zunächst  das  Ende  der 
Zeilen  von  Leonidas'  Epigr.  A.  P.  VH,  163  und  von  Antipaters 
Epigr.  VII,  164;  dann  zwei  Epigramme  von  Amyntas,  das  erste  auf 
Prexo  (vgl.  A.  P.  VII,  163,  164,  165),  das  zweite  auf  die  Eroberung 
von  Sparta  durch  Philopömen  im  Jahre  188  v.  Chr.;  Amyntas,  von 
dem  sonst  nichts  bekannt  ist,  lebte  also  im  2.  Jahrhundert  v.  Chr.; 
ferner  zwei  neue  Epigramme,  Weihungen  der  Jägerin  Glenis,  das 
eine  von  Leonidas,  das  andere  von  Antipater,  und  schließlich  Reste 
eines  weiteren  Epigrammes  des  Leonidas.  Der  Text  stammt  aus  der 
Zeit  des  Augustus.  —  Die  Nr.  671  besteht  aus  trümmerhaften  Stücken 
eines  epideiktischen  Epigrammes. 

B.  Grenfell  and  J.  G.  Smyly,  The  Tebtunis  Papyri. 
Part  I,  London  1902. 


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320         Jahresbericht  über  die  griechischen  Lyriker.  (Sitzler.) 


Unter  Nr.  3  werden  Überreste  von  Epigrammen  veröffentlicht; 
darunter  befindet  sich  auch  A.  P.  IX,  588,  das  Alkäos  von  Messene 
auf  den  Pankratiasten  Kleitomachos  von  Theben  verfaßte ,  mit  den 
Varianten  V.  5  ßpayeiovac  st.  izw\i(oa<;  und  TraXataac  st.  iraXsuaac. 
H.  v.  Her  werden,  Rhein.  Museum  1904,  S.  143,  macht  dazu 
einige  Konjekturen. 

Mulang  es  Nicole.    Genf  1905. 

S.  615 — 624  veröffentlichen  G.-A.  Gerhard  und  0.  Crusius 
aus  dem  Heidelberger  Papyrus,  Nr.  1271,  sechs  Epigramme  mytho- 
logischen Inhaltes  nach  der  rhetorischen  Schablone  xiva?  äv  ef-oi 
xtX.  ohne  poetischen  Wert, 

U.  v.  Wilamowitz,   Zwei  Gedichte  aus  der  Zeit 
Euergetes  II.   Archiv  für  Papyrusforschung  I  (1901),  S.  219  f. 

Der  Verfasser  behandelt  die  zwei  Grabschriften,  die  P.  Jouget 
im  Bulletin  de  correspondance  helle'nique  XX,  S.  191,  bekannt  ge- 
macht und  F.  v.  Bis  sing  dann  nachverglichen  hat.  Sie  bestehen 
aus  Distichen ,  das  erste  24  Verse  umfassend ,  mit  der  Unterschrift 
Ä^poSiaia  /pijOTTj  X°"f6-  HptoOTj?  e-^pa^ev,  das  zweite  22  Verse,  mit 
der  Unterschrift  'AroXXwvts  yjprtazh  x^P8*  HpwÖTjf.  Der  Dichter 
Herodes  ist  unbekannt;  Aphrodisia  war  die  Frau,  Apollonios  der 
Sohn  des  Ptolemäos.  eines  oirfvevr,?,  womit  ein  Adel  bezeichnet  wird, 
der  persönlich  nicht  erblich  war. 

D.    Comparetti,    Su    alcune    epigrafi  metriche 
cretesi.    Wiener  Studien  1902.  S.  265—275,  1903,  S.  1—4. 

Der  Verfasser  bespricht  eingehend  drei  metrische  Inschriften, 
die  in  dem  von  L.  S a v i g n 0 n i  und  G.  De  Sanctis  herausgegebenen 
Werke:  Esplorazione  archeologicadelleprovincieocci- 
dentali  di  Creta.  Roma  1902  enthalten  sind.  Die  wichtigste, 
die  schon  Halbherr  veröffentlicht  hatte,  stammt  von  dem  Metroon 
in  Phaestos ;  sie  gehört  der  Mitte  des  2.  Jahrhunderts  v.  Chr.  an. 

Th.   Rein  ach,    lnscriptions    grecques.     Rev.  des 
«Hudes  grecques  1903,  S.  180  f. 

Es  werden  zwei  neue  Epigramme  aus  Thasos  und  vier  aus 
Ägypten  behandelt. 

0.    Kern,    De    epigrammate    Larisaeo  commen- 
tariolus.    Gratulationsschrift  für  Greifswald.    Rostock  1906. 

Das  Distichon  bezieht  sich  auf  Melia,  die  Mutter  Hamons. 
0.  Schröder  besprach  in  der  Januarsitzung  der  Archäolog. 
Gesellschaft  zu  Berlin  1902  die  Polyzalos-Iusehrift  (vgl.  Wochen- 


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Jahresbericht  über  die  griechischen  Lyriker.  (Sitzler.)  321 


schrift  f.  klass.  Philol.  1902,  Nr.  9,  S.  253  f.,  Archäol.  Anzeiger 
1902,  S.  11  f.). 

Außer  dem  schon  genannten  Herodes  wurden  noch  die  Namen 
anderer  Epigrammendichter  bzw.  Epigrammensammler 
bekannt. 

A.  Wilhelm.  Der  Dichter  Antiphon  aus  Athen. 

Jahreshefte  des  österr.  archäolog.  Instituts  1900,  S.  98  f., 
behandelt  zwei  Epigramme  mit  der  Unterschrift  Ävtt<pumoc :  das 
erste  steht  bei  Cougny  I,  216,  das  zweite  blieb  bis  jetzt  unbeachtet. 
Antiphon  ist  nach  ihm  der  bekannte  Dichter  der  neuen  Komödie  im 
2.  Jahrhundert  n.  Chr. 

W.  Radtke,  Aristodemos'  i7ci7pa'u.jiaTaBr/ßoixot. 

Hermes  1901,  S.  36  f., 
weist  nach,  daß  das  Werk  des  Aristarcheers  Aristodemos,  das  den 
Titel  OijßaixA  ^Ypctfitiata  trug,  als  Grundstock  Epigramme  enthielt 
und  so  stofflich  neben  Polemons  repl  tSv  xaxa  7t<5Xeic  iT^pappfotov, 
Philochoros'  ir^pd^axa  Ärctxa  und  den  aristotelischen  Peplos  tritt. 
Die  von  Aristodemos  gesammelten  Gedichte  gehören  dem  4.  Jahr- 
hundert und  vielleicht  schon  dessen  Anfang  an ;  sie  standen  in  Theben 
auf  Steinen  oder  waren  doch  für  diesen  Zweck  bestimmt,  und  ihr 
Inhalt  betraf  thebanische  Örtlichkeiten.  Aristodemos  prüfte  sie  an 
der  maßgebenden  literarischen  Überlieferung,  besonders  an  Homer, 
und  entschied  sich  dann  entweder  für  oder  gegen  die  Angabe  seiner 
Epigramme.  Die  Fragmente  dieser  Epigramme  stellt  Kadtke  fest 
und  vermehrt  sie  durch  neue. 

J.  Pomptow,  Die  Ly sander-Inschrift  in  Delphi 

Archäolog.  Anzeiger  1902,  S.  18  f.     Berl.  phil.  Wochenschrift 

1901,  S.  734, 

spricht  über  das  Epigramm,  das  Lysander  nach  der  Besiegun*  der 
Athener  bei  Ägospotamoi  auf  die  von  ihm  nach  Delphi  geweihte 
Statue  setzte.  Nach  der  Unterschrift  ist  es  von  einem  bisher  un- 
bekannten Dichter  Jon  von  Saroos  verfaßt,  dem  H  o  m  o  1 1  e ,  der  das 
Epigramm  zuerst  in  den  Comptes  rendus  de  l'acad.  des  inscriptions 
1901,  S.  681,  veröffentlichte,  auch  Pausan.  VI,  8,  14  und  III,  17,  4 
zuweisen  möchte.  Jon  würde  dann  zur  Schar  der  Lysander-Dichter 
gehören,  ans  der  wir  Chörilos,  Antilochos,  Antimachos  von  Kolophon 
und  Nikeratos  von  Heraklea  kennen.  Vgl.  auch  E.  Bor  mann 
Jahresh.  d.  öst.  arch.  Instituts  VI,  1908,  S.  248. 
Zum  Schlüsse  erwähne  ich  noch 

J.  M.   Stowasser,   Griechische  Schnadahüpfeln. 
Wien  1908. 

J»hreib«rkht  für  Altertnmswissonwbaft.    Bd.  CXXXHI.   (1907.   I.)  21 


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322         Jahresbericht  über  die  griechischen  Lyriker.  (Sitzler.) 

Der  Verfasser  ist  der  Ansicht,  daß  dem  griechischen  „Zwei- 
zeiligen" bei  uns  das  „Vierzeilige4*  völlig  entspricht,  daß  also  der 
deutsche  Umformer,  um  volkstümlich  zu  bleiben,  die  antiken  Disticha 
in  Schnadahüpfeln  verwandeln  muß.  Dies  sucht  er  theoretisch  aus 
einer  Betrachtung  der  Natur  und  des  "Wesens  der  Disticha  und 
praktisch  durch  die  Übertragung  einer  großen  Zahl  von  Gedichtchen 
aus  dem  Griechischen  in  das  Deutsche  und  umgekehrt  zu  erweisen, 
von  denen  viele  recht  gelungen  sind.  Nur  übersieht  er,  daß  das 
Distichon  prinzipiell  dem  Schnadahüpfel  nicht  gleichgestellt  werden 
darf;  dieses  ist  immer  volkstümlich,  mit  sangesartigem  Vortrag  ver- 
bunden, das  Epigramm  aber  als  literarische  Gattung  zeigt  eine  Kunst 
und  Feinheit,  die  den  schärfsten  Gegensatz  zum  Volkstümlichen 
bildet;  es  ist  für  die  Gelehrten  und  Gebildeten  bestimmt. 


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JAHRESBERICHT 

über  die 

Fortschritte  der  klassischen 

Altertumswissenschaft 

begründet  von 

Conrad  Bursian 

herausgegeben  von 

W.  Kroll. 


Hundertvierunddreißigster  Band. 

Fünfunddreißigster  Jahrgang  1907. 

Zweite  Abteilung. 

LATEINISCHE  AUTOREN. 


LEIPZIG  1907. 

O.  R.  REISLAND. 


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Altsnburg 
Piereroohe  Hof huchdrucker«i 
St«ph»n  G«ib«l  &  Co 


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Inhaltsverzeichnis 

des  hundertvierunddreißigsten  Bandes. 

Seite 

Bericht  über  die   römischen  Juristen   für   1901 — 1905 

(1906).    Von  Wilhelm  Kalb  in  Nürnberg     .    .  1—122 

Bericht  über  die  Literatur  zu  Ciceros  Reden  aus  den  Jahren 

1908—1906.    Von  J.  May  in  Durlach    ....  123—195 

Bericht  über  die  nachaugusteischen  Epiker,  Senecas  Tragö- 
dien, Ausonius.  die  Bukoliker  und  die  lateinische 
Anthologie  von  1903—1906.  Von  Johannes  Tol- 

kiehn  in  Königsberg  i.  Pr   196—236 

Bericht  über  die  Literatur  zu  Suetonius  von  1897—1906. 

Von  Th.  Opitz  in  Zwickau   237—270 


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Jahresbericht 
über  die  römischen  Juristen  für  1901-1905  (1906). 

Von 

Wilhelm  Kalb  in  Nürnberg. 


Ungewöhnlichere  Abkürzungen. 

BphW.  =  Berliner  philologische  Wochenschrift. 
Bull.  =  Bullettino  delP  Istituto  di  diritto  Romano. 

Jhber.  =  Jahresbericht  über  die  Fortschritte  der  klassischen  Altertums- 
wissenschaft. 

Krit.  Viertelj.  =  Kritische  Vierteljahresschrift  für  Gesetzgebung  und  Rechts- 
wissenschaft. 

Nouv.  ReT.  =  Xoivelle  Revue  historique  de  droit  francais  et  etranger. 
Sav.-Z.  =  Zeitschrift  der  Savignystiftung  für  Rechtsgeschichte,  rom.  Abt. 
WklPh.  =  Wochenschrift  für  klassische  Philologie. 

Paul,  sent  4,  2,  2  (Gai.  insu  ülp.  reg.)  =  Fragment  aus  Justinians  Digesten. 
Paul.  Sent  1,  21,  1,  Gai.  Insu  Ulp.  Reg.  bezieht  sich  auf  die  einzeln  er- 
haltenen Schriften  des  Paulus  usw. 

Vorbemerkung:. 

In  dem  Quinquennium  1901 — 1905  ist  die  Zahl  solcher  Arbeiten, 
welche  die  römische  Rechtsgeschichte  zu  fördern  imstande  sind,  er- 
heblich zurückgegangen,  da  manche  von  den  bedentendsten  deutschen 
Romanisten  dauernd  durch  das  Bürgerliche  Gesetzbuch  in  Anspruch 
genommen  sind.  Zum  Ersätze  des  Ausfalls  ist  auf  allen  Seiten  eine 
doppelte  Menge  von  (soweit  uns  ein  Urleil  zusteht)  geringwertigeren 
Abhandlungen  aufgetaucht,  denen  auch  hervorragende  Zeitschriften  ihre 
Spalten  öffneten.  So  kam  es,  daß  der  Berichterstatter  diesmal  eine 
schwerere  Aufgabe  hatte  als  sonst.  Hätten  wir  uns  nicht  große  Be- 
schränkungen auferlegt,  so  hätte  unser  Bericht  viel  umfangreicher  werden 
müssen  als  die  beiden  vorhergehenden  (in  diesem  Jhber.  LXXXIX 
206 — 305;  C1X  17 — 84).  Ein  eigenartiges  Gepräge  erhält  unser 
Quinquennium  durch  eine  Kritik,  die  sich  an  fundamentale,  kaum  zu 
erschütternde  Annahmen  heranmacht  und  dazu  zwingt,  die  Grundlage 
solcher  Annahmen  einer  neuen  Prüfung  zu  unterziehen.  Daneben 

Jahresbericht  für  AH*rtanuwiM*a«<:h»ft.   Bd.  CXXXIV.  (1907.   II.)  1 


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2 


W.  Kalb:  Römische  Juristen. 


wird  jene  Digestenkritik,  welche  Worte  der  klassischen  Juristen  ohne 
weiteres  für  Justinianische  Einschiebsel  erklärt  ,  wenn  sie  zu  einem 
selbstgemachten  System  nicht  passen  wollen,  erfreulicherweise  bereits 
etwas  seltener,  wenn  sie  auch  immer  noch  einzelne  Blüten  treibt. 

Entsprechend  dem  in  diesem  Jhber.  CIX  18  aufgestellten  Grund- 
satz haben  wir  aus  der  italienischen  Literatur  nur  einige  Proben 
gegeben  durch  Anführung  von  solchen  Erscheinungen,  die  entweder 
durch  ihre  Bedeutung  ganz  besonders  hervorragen  oder  speziell  für 
uns  interessanter  waren;  wir  gestatteten  uns  diese  Beschränkung  im 
Hinblick  auf  die  periodischen  Berichte  über  die  italienische  Romanistik, 
welche  A.  Schneider  in  der  Kritischen  Vierteljahresschrift  hoffent- 
lich auch  weiterhin  erstattet. 

Neben  Italien  ist  Frankreich  unter  Führung  von  P.  F.  Girard 
in  den  Wettbewerb  mit  Deutschland  um  die  erste  Stelle  auf  unserem 
Gebiete  [in  der  geschichtlichen  Erforschung  des  römischen  Rechts]  ein- 
getreten. Für  England  und  Spanien  scheinen  wenigstens  die  aller- 
ersten Grundlagen  zu  einem  künftigen  Wettbewerb  gelegt. 

Daß  der  Tod  Th.  Mommsens*)  (f  1.  Nov.  1903),  dessen 
Wissen  seine  Wurzel  im  Corpus  iuris  hatte,  um  sich  von  dort  über 
alle  Bereiche  der  Philologie  zu  verbreiten,  für  unser  Gebiet  einen 
besonders  schweren  Verlust  bedeutet,  braucht  wohl  nicht  gesagt 
zu  werden.  Ein  Jahr  vor  Mommsen  (am  17.  Okt.  1902)  starb 
C.  Ferrini  (zu  Suna  am  Langensee),  welcher  auf  dem  Gebiete  der 
römischen  Rechtsliteratur  ein  italienischer  Mommsen  zu  werden  ver- 
sprochen hatte. 

Bezüglich  der  Besprechung  von  einzelnen  Werken  und  Abhandlungen 
bitten  wir  zu  beachten,  daß  wir  nicht  über  das  römische  Recht  oder  gar 
über  das  gemeine  deutsche  Recht,  sondern  über  die  römische  Rechts- 
literatur zu  berichten  haben.  Deshalb  mußte  gar  oft  bei  der  Besprechung 
eines  Werkes  gerade  der  Hauptinhalt  trotz  seiner  Trefflichkeit  ohne 
Würdigung  bleiben.  Außerdem  mußte  sich  unser  Bericht  auf  die  uns  zur 
Verfügung  stehenden  Werke  und  Zeitschriften  beschränken.  Dank  sei  an 
dieser  Stelle  der  Leitung  der  Kgl.  Universitätsbibliothek  Würzburg  gesagt, 
welche  uns  sowohl  andere  Werke  als  vor  allem  die  neueren  Zeitschriften,  so 
weit  vorhanden,  in  liberalster  Weise  zur  Benützung  überließ.  Ebenso  danken 

*)  Von  den  vielen  Ehrungen  Mommsens  möchten  wir  hier  nur  eine 
erwähnen,  weil  wir  sie  in  deutschen  Zeitschriften  nicht  erwähnt  gefunden 
haben:  E.  Costa,  Teodoro  Mommsen.  Discorso  inaugurale  per  Tanno  di 
studi  1904 — 05.  Bologna,  1904,  90  §.,  wo  nach  Aufzählung  von  Mommsens 
Verdiensten  und  Werken  ein  Anhang  interessante  Briefe  Mommsens  an 
B.  Borghesi  veröffentlicht  Die  ersten  beiden  der  abgedruckten  Briefe  (1845) 
sind  französisch  geschrieben.  Von  1846  an  zeigen  die  Briefe  italienische 
Sprache. 


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Allgemeine  Werke. 


3 


wir  Verfassern  und  Verlegern  für  die  Unterstützung  unserer  Berichterstattung 
durch  gütige  Zusendung  von  neuen  Erscheinungen.  Da  wir  unser  Referat 
jetzt  niederlegen,  bitten  wir,  durch  ähnliche  Zusendungen  (zu  Händen  von 
Herrn  Prof.  W.  Kroll  in  Münster  i.  W.)  auch  unserem  Nachfolger  die  Arbeit 
erleichtern  zu  wollen. 

Das  Stellenverzeichnis  zum  Corpus  iuris,  welches  in  unseren  beiden 
vorhergegangenen  Berichten  die  kritisch  besprochenen  Stellen  möglichst 
vollständig  zu  bringen  suchte,  haben  wir  diesmal  weggelassen,  zunächst  um 
Platz  zu  sparen ,  sodann  weil  wir  durch  Hinweis  auf  Vorgänger  manchem, 
welcher  eine  neue  Interpolation  gefunden  zu  haben  glaubt,  die  Freude  ver- 
derben könnten. 

I.  Allgemeine  Werke. 

1.  Cesare  Bertolini,  Le  obbligazioni.  Parte  speciale.  1. 
Contratti ;  patti  ;  quasicontratti.  (Appunti  didattici  di  diritto  Romano, 
Universita  di  Torino  1904/5,  1905/6.)  4  Hefte,  behandelt  Nexum, 
Dotis  dictio,  Jus  iurandum  liberti,  Stipulatio,  Nomina  transscripticia, 
Chirographa  nnd  Syngraphae,  Mutuum,  Fidncia,  Commodatam,  Depo- 
situm, Pignus,  Pennutatio,  Aestimatio,  Precarium.  —  Wir  werden  in 
unserem  Bericht  mehrmals  Gelegenheit  haben,  Bertolinis  Stellung- 
nahme zu  Streitfragen  anzuführen.  —  Forts,  s.  Nachträge. 

2.  *BiagioBrugi,  Istituzione  di  diritto  privato  Giustinianeo. 
Parte  II.  Verona-Padova  1901  gibt  sich  nach  Binder,  Krit.  Viertelj. 
1905  S.  392  ff.  absichtlich  mit  der  Darlegung  der  historischen  Ent- 
wicklung des  röm.  Rechts  weniger  ab. 

3.  E.  Costa,  Corso  di  storia  del  diritto  romano  dalle  origini 
alle  compilazioni  Giustinianee.  Bologna.  *Vol.  I  (Le  fonti,  la  fa- 
miglia  a  la  persona  nel  diritto  privato)  1901  u.  *Vol.  II  (I  diritti 
reali,  le  obligazioni,  le  successioni)  1903,  ist  von  L.  Weng  er  in 
der  Sav.-Z.  XXIV  471—478  besprochen,  der  u.  a.  die  sorgfältige 
Berücksichtigung  der  Papyrusfunde  rühmt.  Im  einzelnen  nimmt  C. 
zu  Streitfragen  folgende  Stellung  ein:  Die  (echten)  XII  Tafeln  sind 
von  griechischer  Kultur  beeinflußt;  Gaius  war  kaum  ein  Provinzial- 
jurist;  das  Zitiergesetz  beweist  nur  für  die  westliche  Hälfte  des 
röm.  Reiches  einen  Tiefstand  der  Jurisprudenz;  die  Gliederung 
der  Servitutes  in  serv.  personales  und  serv.  praediales  stammt  ver- 
mutlich erst  von  den  Kompilatoren  der  Digesten:  der  ususfructns 
gehörte  vorher  (?)  gar  nicht  zu  den  Servituten.  (Hier  wird  C.  Longo, 
*  Bull.  XI  281  ff.  zitiert.) 

4.  K.  von  Czyhlarz,  Lehrb.  der  Institutionen  des  röm. 
Rechts.    7.  und  8.  Auflage.    Wien  1902. 

1* 


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4 


W.  Kalb:  Römische  Juristen. 


5.  P.  F.  Girard,  Manuel  eUementaire  de  droit  romain.  4me 
öd.  Paris  1906.  —  Im  Laufe  von  etwa  zehn  Jahren  wurden  drei 
Auflagen  des  praktischen  und  billigen  Handbuchs  mit  über  10  000  Ex. 
abgesetzt ,  in  der  Hauptsache  vermutlich  in  Frankreich ,  wo  das 
Studium  des  röm.  Rechts  zu  immer  größerer  Blüte  kommt.  Jetzt 
schickt  sich  das  Werk  an,  die  ganze  Welt  zu  erobern;  eine  deutsche 
und  eine  englische  Übersetzung  sind  in  Vorbereitung,  und  die  ge- 
drängte historische  und  literaturgeschichtliche  Einleitung  (Livre  I. 
Introduction  historique,  p.  1 — 89)  ist  bereits  englisch  in  Canada  er- 
schienen. Der  Vf.  hat  zwar  sein  Manuel  in  erster  Linie  für  die 
Studierenden  des  Rechts  bestimmt;  aber  es  ist  doch  ein  streng 
wissenschaftliches  Werk,  und  die  Anmerkungen  führen  nicht  nur  die 
einschlägigen  Stellen  aus  den  römischen  Schriftstellern  an,  sondern 
sie  geben  auch  Aufschluß  Uber  die  neue  und  allerneueste  Literatur, 
wobei  freilich  die  philologische  Seite  neben  der  juristischen  zu  kurz 
kommt:  in  der  Bibliographie  generale  (p.  IX— XVI)  und  sonst  ver- 
mißt man  die  Erwähnung  mancher  Arbeit*),  die  nicht  fehlen  würde, 
wenn  der  Hauptzweck  nicht  eine  Darlegung  des  Systems  des  römischen 
Privatrechts  wäre,  auf  welche  gegen  u/i2  des  ganzen  Werkes  fällt. 
Der  Jahresbericht  für  die  klass.  Altertumswissenschaft  hätte,  soweit 
er  das  röm.  Recht  betrifft,  vielleicht  trotzdem  erwähnt  werden  können, 
um  dem  Benutzer  des  Manuel  Gelegenheit  zu  geben,  diejenige  neuere 
Literatur  kennen  zu  lernen,  welche  Vf.  nach  dem  Plane  des  Werkes 
übergehen  zu  müssen  glaubte.  —  Ein  Index  von  30  Seiten  Umfang 
erleichtert  die  Benutzung. 

6.  P.  F.  Girard,  Histoire  de  i'organisation  judiciaire  des 
Romains.  *Vol.  I.  Les  six  premiers  siecles  de  Rome.  Paris  1901, 
ist  nach  der  Anzeige  von  0.  Geib  in  BphW.  1905  S.  691—695  der 
erste  von  vier  beabsichtigten  Bänden,  von  denen  der  zweite  das  letzte 
Jahrhundert  der  Republik  seit  der  Lex  Aebutia  einschließlich,  der 
dritte  die  Kaiserzeit  bis  zum  Untergang  des  weströmischen  Kaiser- 
reiches behandeln  soll.  Der  vierte  Band,  der  zunächst  erscheinen 
soll,  wird  eine  zusammenstellende  Liste  der  Magistrate,  der  Ge- 
schworenen und  der  Gerichtsbezirke  bieten.  Der  erste  Band  faßt 
das  Thema  in  weiter  Ausdehnung  an,  so  daß  er  zugleich  eine  Ge- 
schichte des  Legisaktionenprozesses  gibt.  Nach  Geib  schließt  sich 
der  Vf.  in  seinem  vortrefflichen  Werke  zwar  vielfach  an  Mommsens 
Auffassung  an,  nimmt  jedoch  oft  auch  eine  selbständige  Stellung  ein. 

7.  Th.  Kipp,  Geschichte  der  Quellen  des  röm.  Rechts.  Zweite, 


*)  Z.  B.  S.  64  zu  Papinian. 


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Allgemeine  Werke.  5 

umgearbeitete  Auflage.  Leipzig  1903.  Das  ausgezeichnete  Buch, 
welches  einerseits  im  eigentlichen  Text  (auf  kurzen  Raum  zusammen- 
gedrängt und  doch  in  leicht  verstandlicher  Darlegung)  alles  bringt, 
was  der  ersten  Einführung  in  die  röm.  Rechtsliteratur  dienen  kann, 
anderseits  in  den  Anmerkungen  auch  der  Wissenschaft  Rechnung 
trägt,  ist  zum  erstenmal  1896  erschienen  (Jhber.  LXXX1X  208  f.). 
Auch  die  neue  Ausgabe  berücksichtigt  alle  wissenschaftlichen 
Äußerungen  bis  unmittelbar  an  die  Zeit  ihres  Erscheinens  hin  und 
zeigt  eine  treffende  Beurteilung  derselben.  Ref.  hat  deshalb  im 
folgenden  Bericht,  um  Platz  zu  sparen,  sich  nicht  selten  mit  einer 
Verweisung  auf  Kipps  Geschichte  der  Quellen  begnügt.  —  Als 
Kuriosum  mag  ein  Satz  aus  einer  Anzeige  von  Kipps  Buch  durch 
G.  Testaud  in  Nouv.  Revue  XXIX  687  aufgeführt  sein:  „le  chapitre 
cinquieme,  fort  court,  est  consacre"  aux  leges  Romanorum  promu4gu6es 
dans  les  royaumes  barbares  d'occident,  dans  lesquels,  faisant  tres 
patriotiquement  violence  ä  l'histoire,  M.  Kipp  voit  deja  l'empire 
germanique:  la  loi  romaine  des  Wisigoths"  usw.  Kipp  spricht  von 
„germanischen  Reichen  auf  römischem  Boden" ;  seine  „Fälschung" 
besteht  vermutlich  darin,  daß  er  nicht  von  barbarischen  Reichen 
auf  französischem  Boden  sprach. 

8.  Th.  Moramsen,  Gesammelte  Schriften.  Berlin  1905.  — 
Die  beiden  ersten  Bände  von  Mommsens  gesammelten  Schriften  sind 
gleichzeitig  die  beiden  ersten  Bände  von  Mommsens  juristischen  Auf- 
sätzen, die  bisher  in  verschiedenen  Zeitschriften  verstreut  waren. 
Da  die  allgemeinen  Weisungen  für  die  Herausgabe  noch  Mommsen 
selbst  gab,  sind  ephemere  Sachen  weggelassen.  (Der  *  erste  Band 
umfaßt  die  Aufsätze  Mommsens,  welche  sich  auf  inschriftlich  erhaltene 
Einzelgesetze  und  andere  Rechtsurkunden  beziehen.)  Der  zweite 
Band  ist  von  B.  K Übler  herausgegeben,  welchen  sich  Mommsen  1902 
selbst  zum  Mitarbeiter  für  diesen  Zweck  erwählt  hatte.  Er  umfaßt 
die  Abhandlungen  Mommsens  über  Juristen,  Juristenschriften  und 
(kodizierende)  Gesetzeswerke  sowie  Funde,  die  zur  Erläuterung  der- 
selben dienen  können.  Nur  verhältnismäßig  selten  hat  B.  Kübler 
[in  zweieckigen  Klammern]  Zusätze  (über  die  neuere  Literatur)  ge- 
macht. (Zusätze  von  Mommsens  eigener  Hand,  die  sich  zuweilen  in 
Mommsens  Handexemplaren  fanden,  bezeichneten  die  Herausgeber 
mit  eineckigen  Klammern.)  Der  älteste  aufgenommene  Aufsatz  (Die 
Wiener  Fragmente  von  Ulpians  Institutionen)  stammt  aus  dem  Jahre 
1850 ,  der  jüngste  (AcuSsxaSeXroc)  aus  dem  Jahre  1903  (wobei  wir 
absehen  von  den  Bemerkungen  über  Sanctio  pragraatica,  die  aus 
Mommsens  Nachlaß  erst  1904  herausgegeben  wurden).  Besonders 


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W.  Kalb:  Römische  Juristen. 


wer  nicht  in  der  Lage  ist,  eine  größere  Bibliothek  mit  den  ver- 
schiedenen Zeitschriften,  in  denen  Mommsens  Aufsätze  erschienen 
sind,  zur  Verfügung  zu  haben,  wird  die  Ausgabe  bei  wissenschaft- 
lichen Arbeiten  auf  unserem  Gebiet  nicht  gerne  entbehren. 

9.  Paulys  Realenzyklopädie  der  klassischen  Altertums- 
wissenschaft. Neue  Bearb.,  hrg.  v.  Wissowa,  ist  bis  zum  zehnten 
Halbband  fertiggestellt,  bis  Ephoroi.  Im  fünften  Band  (1905)  ist 
behandelt  unter  anderem  von  Leonhard  dictio  dotis,  dominium, 
donatio,  von  Jörs  digesta  und  als  der  88 te  Domitius  auf  S.  1485 
bis  1509  Ulpian,  von  Kipp  edictum,  von  Weng  er  editio  actionis  usw. 

10.  A.  Pernice,  Labeo.  Römisches  Privatrecht  im  ersten 
Jahrhunderte  der  Kaiserzeit.  II.  Abt.  II,  1.  2.  Aufl.  Halle  1900. 
(Vgl.  diesen  Jhber.  LXXXIX  269,  CIX  66.)  Der  Tod  des  be- 
deutenden Romanisten  hat  die  Vollendung  der  Neubearbeitung  dieses 
Werkes  verhindert.  Der  vorliegende  Abschnitt  desselben  umfaßt  das 
achte  Buch,  welches  den  Spezialtitel  führt  „Verschulden  und  Verzug". 
Für  Philologen  interessant  ist  besonders  das  erste  Kapitel,  welches 
Über  den  Sprachgebrauch  von  culpa,  inprudentia,  noxa  und  noxia, 
neglegentia,  mora,  stat  per  eum  quominus  handelt  —  Begriffe,  die 
freilich  erst  in  den  folgenden  Darlegungen  ihre  richtige  Gestalt  ge- 
winnen können.  Das  zweite  Kapitel  behandelt  das  fahrlässige  Ver- 
gehen, wobei  solche  religiöser  Art  von  weltlichen  geschieden  werden. 
Das  dritte  Kapitel  mit  der  Überschrift  „Die  Fahrlässigkeit  im  Rechts- 
verkehr", welches  den  Hauptinhalt  des  Bandes  bildet  (S.  67  ff.), 
schlägt  mehr  als  die  vorhergehenden  ins  speziell  juristische  Gebiet 
ein.  Die  vielen  Digestenst eilen,  welche  (besonders  in  diesem  letzten 
Kapitel)  besprochen  sind,  zählt  ein  Stellenregister  auf. 

11.  Henry  John  Roby,  Roman  private  law  in  the  times  of 
Cicero  and  of  the  Antonines.  Cambridge  1902,  2  Bde.,  will  nach 
L.  Wenger,  Sav.-Z.  XXV  420—430  ein  System  des  röm.  Rechts 
zur  Zeit  der  klassischen  Juristen  bieten ,  so  daß  also  die  Justinia- 
nischen Neuerungen  und  Interpolationen  (für  deren  Feststellung 
übrigens  Vf.  zur  Vorsicht  mahnt)  nicht  in  Betracht  kommen.  —  Nach 
der  Anzeige  von  G.  May,  Nouv.  Revue  XXVIII  225—228  scheint 
der  wissenschaftliche  Wert  gering  zu  sein ,  da  dem  Vf.  historischer 
Sinn  mangelt  und  das  Bewußtsein  abgeht,  daß  von  Cicero  bis  auf 
Ulpian  sich  wesentliche  Änderungen  im  röm.  Recht  vollzogen.  Die 
deutschen  Gelehrten  verspottet  er  d'avoir  Foeil  assez  per^ant  pour 
voir  dans  l'obscur  et  Tesprit  assez  inge'nieux  pour  faire  de  rien 
quelque  chose.  —  Ohne  das  Streben  nach  Aufhellung  vorhandener 
Dunkelheit  gibt  es  keine  Wissenschaftlichkeit.    Es  ist  kaum  eine 


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Allgemeines.   Sprache  der  Jurisprudenz. 


7 


Kunst,  die  offen  darliegenden  Lehren  der  Institutionen  werke  breit- 
zutreten. 

12.  M.  Voigt,  Römische  Rechtsgeschichte.  III.  (Schlußband) 
1902,  scheint  nach  WklPh.  1904  S.  126  nichts  in  unser  Gebiet  Ein- 
schlägiges zu  enthalten.  (Bd.  II  ist  in  diesem  Jhber.  CIX  19  be- 
sprochen.) Hervorzuheben  ist  eine  Würdigung  von  Voigts  gesamtem 
Lebenswerk  durch  H.  Erman  in  BphW.  1905  S.  63 ff.,  worin  ge- 
zeigt wird,  daß  Voigt  zwar  vielfach  auch  nutzbringende  und  die 
"Wissenschaft  fördernde  Anregungen  gab,  öfter  aber  durch  seine  als 
sichere  Tatsachen  hingestellten  Hypothesen  irregeführt  hat. 

13.  *  Folgende  Schriften,  die  dem  Ref.  nur  dem  Titel  nach  be- 
kannt wurden,  seien  wenigstens  registriert: 

P.  Bonfante,  Storia  del  diritto  roraano.  Milano.  —  Ders. , 
Istituzioni  di  diritto  romano.  3*  edizione.  Milano.  —  E.  Costa, 
Storia  del  diritto  romano  privato.  Firenze  1903.  —  F.  Gas- 
parola,  Jus  civile  romanum.  Vol.  V.  Senis  1904.  —  G.  Pacchi- 
oni,  Corso  di  diritto  Romano.  I.  La  costituzione  e  le  fonti  del 
diritto.  Innsbruck  1905.  —  Fr.  Prestidonato,  Le  azioni 
populari.  I.  romano.  Palermo  1904.  —  Fr.  Zoll,  Geschichte 
der  römischen  Gesetzgebung.  I.  (Polnisch.)  — 

Zusatz:  Sprache  der  Jurisprudenz.  (Vgl.  auch  Nr.  25—40.) 

14.  W.  Kalb  hat  über  Erscheinungen  und  gelegentliche  Be- 
merkungen auf  dem  Gebiet  des  Juristenlatein  s  (im  weiteren 
Sinne)  Bericht  erstattet  in  Vollmöllers  Rom.  Jahresbericht  VI  1 
S.  133-135  (1899—1901),  VII  1  S.  75-78  (1902—1903),  VIII 
(noch  im  Druck)  1904—1905. 

15.  Vocabularium  iurisprudentiae  Romanae  (vgl. 
diesen  Jhber.  LXXX1X  243;  CIX  53)  ist  von  1894—1903  erst  mit 
dem  Buchstaben  C  fertig  geworden  und  damit  mit  dem  ersten  Bande. 
Die  Arbeit  lag  zuletzt  allein  auf  den  Schultern  von  B.  Kübler; 
so  erklärt  sich  das  langsame  Fortschreiten.  Genauer  haben  wir  in 
WklPh.  1904  S.  376  ff.  und  in  Vollmöllers  Rom.  Jhber.  VII  1  S.  77  f. 
über  die  vierte  Lieferung  berichtet.  Im  Interesse  der  rascheren 
Fertigstellung  wird  man  es  gerne  mit  in  den  Kauf  nehmen,  wenn 
die  Disposition  zuweilen  etwas  äußerlich  ist,  wenn  z.  B.  bei  den 
Konjunktionen  in  der  Regel  keine  Rücksicht  darauf  genommen  wird, 
ob  der  Konjunktiv  in  direkter  Rede  oder  in  indirekter  Ausführung 
(also  vielleicht  in  Vertretung  eines  Indikatives  der  direkten  Rede) 
gesetzt  ist. 


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1 


8  W.  Kalb:  Römische  Juristen. 

H.  Brunner,  Die  Savignystiftung  seit  1880,  Sav.-Z.  XXII  S.  X 
berichtet  unter  anderem  auch  über  das  Vocabularium  iurispr.  Rom. 
Wir  erfahren  daraus,  daß  für  das  Wörterbuch  seit  1886 — 1901  von 
der  Savignystiftung  allein  schon  29  300  M.  aufgewendet  wurden. 
Dabei  war  die  wichtigste  Vorarbeit,  die  Herstellung  eines  Wortindex 
zu  den  Digesten,  1886  bereits  nahezu  fertig.  Man  ist  geneigt,  hier 
eine  Parallele  mit  den  Wörterbüchern  von  Merguet  zu  ziehen ,  der 
kaum  solche  Mittel  zur  Verfügung  hatte. 

Um  die  Fertigstellung  des  Vocabulariums  zu  beschleunigen,  wurde 
für  die  ferneren  Bände  die  Arbeit  unter  vier  neugewonnene  Mitarbeiter 
so  verteilt,  daß  Band  II  (D — G)  Ed.  Grupe,  Band  III  (H— M) 
R.  Hesky,  Band  IV  (N— Q)  St.  Braßloff,  Band  V  (R— Z) 
£.  Volkmar  herstellen  soll,  während  die  Generalredaktion  sämt- 
licher Bände ,  die  gleichzeitig  in  Angriff  genommen  werden ,  in  den 
erprobten  .Händen  von  B.  K übler  liegt.  Ed.  Grupe  hat  von 
seinem  Pensum  bereits  Dactyliotheca  —  doceo  erledigt:  =  Tom.  II 
fasc.  I  (Sp.  1—320,  Berlin  1906),  besprochen  von  W.  Kalb,  WklPh. 
1907  Sp.  599  f. 

1 6.  Nur  dem  Titel  nach  ist  uns  bekannt  Edgar  S.  Shumway, 
Zum  Juristenlatein.  Proceedings  of  the  American  Philological  Association 
1901,  Philadelphia  Dez.  1900. 

17.  Erwähnt  sei  auch  Otto  Gradenwitz,  Laterculi  vocum 
latinarum.  Lpz.  1904.  —  Die  erste  Hälfte,  S.  1—278,  gibt  nach 
Wölfflins  Archiv  f.  lat.  Lex.  u.  Gr.  XIH  585  ein  Wörterverzeichnis 
nach  der  gewöhnlichen  Reihenfolge,  beginnend  mit  a,  schließend  mit 
zythum,  die  zweite  ein  Wörterbuch,  das  alphabetisch  nach  dem 
letzten  Buchstaben  jeden  Wortes  geordnet  ist,  also  beginnt  mit  oT 
faba  und  schließt  mit  asty  (wobei  die  Flexionsendungen  natürlich 
nicht  berücksichtigt  sind).  Zweck  dieses  Wörterbuchs  ist  in  erster 
Linie  nicht,  wie  man  vermuten  könnte,  das  Reimen  zu  erleichtern, 
sondern  ein  äußerliches  Hilfsmittel  zu  bieten  für  die  Ergänzung  von. 
fragmentarischen  Papyri. 

17  a.  L.  Hahn,  Rom  und  Romanismus  im  griechisch-römischen 
Osten.  Mit  bes.  Berücksichtigung  der  Sprache.  Bis  auf  die  Zeit 
Hadrians.    Leipzig  1906  s.  Nachträge. 

II.  Fontes  iuris. 

a)  Sammelwerke. 

18.  P.  F.  Girard,  Textes  de  droit  roraain.  3*me  eU  revue 
et  augmenttfe.  Das  Werk,  welches  um  billigen  Preis  gleichzeitig 
die  Urkunden  von  Bruns  Fontes  iuris  und  die  juristischen  Schriften 


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Fontes  iuris.   Leges.  Allgemeines 


9 


der  Collectio  librorum  iuris  Anteiustiniani  bietet,  ist  in  der  neuen 
Auflage  um  fast  60  Seiten  vermehrt.  Von  neuen  Funden  (vgl. 
Jhber.  CIX  22  ff.)  sind  zu  erwähnen  Lex  municipii  Tarentini  (S.  61  ff.) ; 
Oratio  Claudii  über  das  erforderliche  Alter  der  Rekuperatoren ;  ein 
griechisches  Edikt  des  Praefectus  Aegypti  M.  Mettius  Rufus  (89  n.  Chr.) ; 
ein  griechisches  Reskript  von  Severos  und  Caracalla  über  die  longae 
possessionis  praescriptio ;  ein  kaiserliches  Edikt  über  die  Fristen  bei 
Appellationen  an  den  Kaiser,  das  von  den  früheren  Herausgebern 
ins  erste  Jahrhundert  gesetzt  wurde  (Ref.  hatte  a.  0.  S.  30  darauf 
hingewiesen,  daß  die  Sprache  zu  jener  Zeit  nicht  zu  passen  scheine ; 
nach  Girard  setzte  es  Mommsen  aus  sprachlichen  Gründen  ins  dritte 
Jahrhundert);  das  1897  von  Grenfell  und  Hunt  veröffentlichte,  jetzt 
in  Oxford  befindliche  Fragment  aus  Paul.  Ed.  (vgl.  D.  17,  2,  65,  16 
und  17,  2,  67,  1),  vgl.  u.  Nr.  154;  die  von  Wessely  1898  ver- 
öffentlichten Randbemerkungen  zu  einem  verlorenen  Werke  R(ubrica). 
Catenatus  esse  debet,  non  tarnen  ut  in  carcere  agat,  nisi  suspecta 
sit  persona.  ||  R(ubrica).  Cowfestim  excusare  debet  apud  principem 
praeses  qui  appellantem  non  distulit;  weiter  eine  Reihe  von  Privat- 
urkunden Über  Kauf,  Quittung  usw.  —  In  einer  Appendix  auf  S.  849  f. 
veröffentlicht  Seyraour  de  Ricci  ein  im  Jahre  1903  von  Lord 
Amherst  erworbenes  Diptychon  aus  Hermupolis  maior,  das  eine 
(lateinische)  Notitia  über  Freilassung  inter  amicos  enthält  mit 
darunterstehendem  griechischen  Chirographum  des  Freilassers. 

Girards  Werk  bietet  also  manches,  das  der  Benützer  von  Bruns, 
Fontes  und  Huschke.  Jurispr.  Antejust.  in  diesen  Ausgaben  noch 
nicht  findet. 

Erwähnt  sei  auch  19.  Dareste,  Haussoullier,  Th.  Rei- 
nach, *Recueil  des  inscriptions  juridiques  (scheint  nach  Rev.  er. 
1906  S.  64  f.  vorzeitig  abgeschlossen  worden  zu  sein). 

b)  Legres. 
Zu  verschiedenen  Gesetzen. 

Allgemeines: 

20.  E.  Costa,  Le  figurazioni  allusive  alle  leggi  sopra  le 
monete  consolari  romane,  Roma  1903  bespricht  nach  G.  May,  Nouv. 
Revue  XXVlir382  ff.  die  Erscheinung,  daß  auf  den  spätrepublikanischen 
Münzen  (seit  104  v.  Chr.)  die  Triumviri  monetales  zwar  zuweilen 
an  ein  staatsrechtliches  Gesetz  zum  Ruhm  ihrer  Familie  erinnern, 
z.  B.  ein  P.  Porcius  Laeca  auf  einer  Münze  durch  die  Darstellung 
eines  Kriegers,  eines  Liktors  und  eines  Bürgers  sowie  die  Unter- 


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10 


W.  Kalb:  Römische  Juristen. 


schrift  provoco  an  die  Lex  Porcia,  daß  dagegen  auf  keines  der  vielen 
zivilrechtlichen  Gesetze  angespielt  wird  —  was  eigentlich  selbst- 
verständlich scheint. 

21.  P.  Huvelin,  Les  tablettes  magiques  et  le  droit  romain 
in  den  Ann.  intern,  d'hist.  Paris  1901  scheint  nach  P.  C  ollin  et, 
Nouvelle  Revue  XXVI  621  den  Versuch  zu  machen,  eine  Parallele 
zwischen  Ausdrücken  der  in  den  Papyri  gefundenen  oder  sonst  be- 
kannten Verhexungsformeln  und  solchen  des  röm.  Rechts  zu  suchen. 
Schloßmann,  Nexum  S.  33  Anm.  1  erwähnt  daraus  das  häufige 
Auftreten  von  obligare,  damnare,  damnas  esto  in  Devotionstafeln  und 
fügt  hinzu,  daß  sich  obligare  auch  in  einer  Devotionstafel  findet, 
die  in  Hadrumetum  gefunden  und  von  22.  Fr.  Bü che ler  im  Rhein. 
Museum  f.  Phil.  LV1II  (1903)  S.  624  ff.  mitgeteilt  ist. 

23.  F.  Senn,  *Leges  perfectae,  minus  quam  perfectae  et 
imperfectae.    Paris  1902. 

24.  M.  Voigt,  *Die  röm.  Baugesetze.  Berichte  über  die 
Verh.  der  Kgl.  Sächs.  Gesellsch.  d.  Wiss.,  1903,  V  p.  175—198. 

Über  einzelne  Ausdrücke  und  Begriffe  des  Kurialstils. 

25.  A.  Döhring,  Vindex,  iudex  und  Verwandtes.  Archiv  f. 
lat.  Lex.  XIV  186—138  hält  die  Ableitung  des  vindex  aus  vin  + 
dex  für  irrig  und  führt  das  Wort  zurück  auf  die  (nasalierte)  Wurzel 
vid  =  „teilen44,  „scheiden"  (dividere,  vidua)  und  die  Nachsilbe  -ex  =  dt. 
-er,  wozu  er  pod-ex  und  ind-ex  vergleicht;  vi(n)d-ex  ist  ihm  also 
„der  Teilende,  Trennende,  Scheidende44 ;  sibi  partem  vindicat  =  „er 
teilt  sich  einen  Teil  zu*4.  Freilich  scheint  schon  aus  diesem  Beispiel 
zu  erhellen,  daß  die  bekannte  Bedeutung  von  vindicare  hier  erst  durch 
den  Dativ  sibi  hereinkäme ,  während  in  den  alten  Legisaktions- 
sprüchen  (Gai.  4  16)  ein  solcher  Dativ  fehlt:  z.  B.  Postulo,  anne 
dicas,  qua  ex  causa  vindieaveris.  (Vindicta  soll  den  Trennungsstab 
bedeuten.)  Gerade  in  der  Rechtssprache,  die  ja  anerkanntermaßen 
besonders  konservativ  ist  und  der  außerdem  das  Wort  vindicare  von 
Hause  aus  angehört,  läßt  sich  die  Bedeutung  von  vindex  und  vin- 
dicare kaum  mit  äußerstem  Zwang  auf  die  Bedeutung  „teilen"  zurück- 
führen, was  bei  der  Ableitung  von  vis  „Gewalt"  (wenn  auch  nicht 
von  vim-öeocvjvai,  so  doch  von  vira-däre  —  vim-xtBevat)  weniger  der 
Fall  ist.  —  Iudex  kommt  nach  D.  nicht  von  ins  und  dico,  sondern 
vom  Stamm  joudh,  der  auch  in  iubeo  liegt  (vgl.  ruber  mit  ipuöpoc  u.  a.). 
Dieser  Stamm  ist  auch  im  griechischen  eoöüc,  Mus  vorhanden ;  Pindar 
sagt  XaoC?  otxa?  so&uvet;  iubere  =  „gerade  auf  etwas  hinweisen44. 


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Leges.   Einzelne  Ausdrücke.  11 

26.  v.  Grienb erger,  Idg.  Forschungen  XVI  27—35  faßt 
nach  WklPh.  1904  Sp.  718  in  der  Duenosinschrift  ast  =  „cum", 
„siu.  (Dieses  ast  kommt  auch  in  den  Leges  regiae  und  XII  Tab.  vor.) 

27.  0.  Küspert,  Über  Bedeutung  und  Gebrauch  des  Wortes 
„caput"  im  älteren  Latein.  Progr.  Hof  1903  (WklPh.  1904  S.  251). 

28.  Lenel,  Zur  Ableitung  der  Worte  vas  und  praes,  Sav.-Z. 
XXIV  414  will  nicht  mit  Mommsen  vas  von  vadere,  praes  von  prae- 
videre  ableiten,  sondern  er  bringt  vas  mit  wadi  —  „Wette"  zu- 
sammen und  erklärt  praes  aus  prai-vads  (praivas)  ==  Vorzugspfand.  — 
Ihm  tritt  entgegen 

29.  Schloßmann,  Praes,  vas,  vindex.  Sav.-Z.  XXVI  285  bis 
815  (vgl.  Ref.  in  Vollmöllers  Rom.  Jhber.  VIII). 

30.  Th.  Mommsen  bespricnt  Sav.-Z.  XXIII  438—441  die 
ursprüngliche  Bedeutung  von  mancipium  (in  der  ältesten  Zeit 
bildeten  die  Sklaven  den  wichtigsten  Teil  des  beweglichen  Privat- 
eigentums, da  das  Großvieh  wohl  in  Geschlechtsbesitz  stand) 
und  manceps,  bei  welchem  Wort  die  anzunehmende  ursprüngliche 
Bedeutung  (Eigentumserwerber  durch  Handgriff)  nirgends  vorkommt; 
es  bedeutet  den  Nehmer  bei  den  staatlichen  Lizitationen;  diese 
Übernahme  hat  aber  die  Eigentumserwerbung  keineswegs  als  not- 
wendige oder  auch  nur  regelmäßige  Folge,  wenn  auch  in  den  ältesten 
Fällen  der  Verkauf  von  Kriegsgefangenen  einen  wichtigen  (vielleicht 
sogar  den  wichtigsten?)  Bestandteil  der  Lizitationen  bildete.  Der 
praes,  den  Mommsen  nicht  von  praevas,  sondern  von  praevideo 
ableitet,  ist  von  manceps  nicht  zu  trennen.  Er  bedeutet  die  für- 
sorgende Person,  praedium  die  Vorsichts-Sache,  welche  bei  einer 
Versteigerung  besonders  dann  neben  dem  manceps  notwendig  sein 
mußten,  wenn  der  Steigerer  ein  Unfreier  oder  Ausländer  war.  Die 
Bedeutung  von  manceps,  praes,  praedium  entstammt  wohl  dem  ins 
praediatorium ,  das  neben  dem  ius  civile  (in  dem  das  mancipium 
seinen  Ursprung  hat)  in  ähnlicher  Selbständigkeit  des  Sprachgebrauchs 
stand  wie  heute  Börsenusance  neben  Gerichtsgebrauch. 

31.  Silvio  Perozzi  sprach  nach  R.  Caillemer,  Nouv.  Revue 
XXIX  689  in  einer  Abhandlung  „Problemi  di  origini"  in  Studi  pubbl. 
in  onore  di  Vitt.  Scialoja,  Milano  1905,  II  167  über  Freilassung, 
confarreatio,  coemptio,  Tutel,  Prädialservituten. 

32.  Mich.  Pokrowskij  lehrt  (nach  WklPh.  1902  S.  956) 
in  Kuhns  Zeitschrift  XXXVIII  261 — 277  u.  a.,  daß  vindicta  nicht 
von  vindicare  abgeleitet  ist,  sondern  zu  vindicit  in  den  XII  Tab. 
gehört  —  was  man  auch  wohl  bisher  schon  vermutete. 

83.  S.  Schloßmann,  Stipulari,  Rhein.  Museum  LIX  346 


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12 


\V.  Kall):  Komische  Juristen. 


bis  372  stellt  nach  WklPh  1904  S.  1209  die  Ansicht  auf,  die  ur- 
sprüngliche Bedeutung  von  stips  und  stipula,  wovon  er  stipulari  ab- 
leitet, sei  „Halm".  Natürlich  kann  er  dann  die  Bedeutung  von 
stipulari  bei  den  Juristen  nur  durch  einen  abenteuerlichen  Bedeutungs- 
wandel erklären.  (Über  die  verschiedenen'  Etymologien  der  Alten, 
von  denen  die  Ableitung  aus  der  Wurzel  sta  wohl  die  beste  ist, 
s.  Bertolini,  o.  Nr.  1,  S.  47). 

34.  Sigm.  Schloßmann,  Tri  bat  um,  tribuere,  tribus, 
Archiv  f.  lat.  Lex.  XIV  (1905)  S.  25—40  erklärt  für  die  Grund- 
bedeutung des  Verbums  tribuere  die  bei  Georges  zuletzt  stehende 
einteilen,  verteilen,  ohne  Dativ.  Er  führt  für  diese  (wohl  nicht  zu 
bestreitende)  Ansicht  außer  sprach-logischen  Gründen  auch  das  Vor- 
kommen in  der  actio  tributoria  an,  die  den  Gläubigern  eine  recht- 
mäßige Teilung  der  Activa  bei  Insolvenz  eines  Handelspeculiums 
sichert.  Tributum  ist  nicht  das,  was  der  Steuerzahler  der  Staats- 
kasse (als  schuldige  Zahlung)  zuerteilt,  oder  was  die  Staatskasse  dem 
einzelnen  als  Last  zuerteilt,  sondern  es  bedeutet  einfach  das  Geteilte 
oder  das  auf  mehrere  Verteilte.  Es  war  ein  allgemeiner  Ausdruck, 
der  sich  für  die  spezielle  Verteilung  der  Steuerlasten  ebenso  ein- 
bürgerte, wie  man  das  allgemeine  Wort  Dividende  für  die  spezielle 
Verteilung  von  einem  Gewinn  gebraucht:  das  tributum  ist  gleichsam 
eine  Passivdividende  (also  eben  im  letzten  Grund  doch  das,  was  die 
Staatskasse  den  einzelnen  als  Last  zuteilt?).  —  Zwischen  tributum 
und  tribus  besteht  kein  direkter  sachlicher  Zusammenhang,  aber  doch 
eine  Verwandtschaft.  S.  bespricht  etymologische  Erklärungen  des 
Wortes  tribus  und  zieht  zur  Erklärung  der  Grundbedeutung  die 
iguvinischcn  Tafeln  berbei,  auf  welchen  trifu,  freilich  nur  eine 
Trifu,  im  Gegensatz  zur  tota  (=  civitas)  gebraucht  ist.  Ob  trifu 
hier,  wie  schon  Huschke  glaubte,  die  Gemeindeflur  (welche  verteilt 
gedacht  werden  muß)  und  tota  die  eigentliche  Stadt  ist,  oder  ob 
trifu  neben  tota  so  zu  denken  ist  wie  plebs  neben  dem  (alten) 
populus  Romanus  als  die  geteilte  (?)  Volksmenge,  oder  ob  trifu 
identisch  ist  mit  poplo,  darüber  fällt  S.  kein  bestimmtes  Urteil.  — 
Schließlich  stellt  Schi,  die  Ableitung  von  tres  insofern  als  möglich 
hin,  als  die  Dreizahl  auf  ganz  alten  Kulturstufen  identisch  mit  dem 
Plural  ist :  tribus  würde  dann  nicht  ein  Drittel  bezeichnen,  sondern 
einen  (Viel)teil,  ähnlich  wie  wir  „entz  weischlagen"  gebrauchen,  auch 
wenn  etwas  in  viele  Teile  zerschlagen  wird. 

35.  S.  Schloßmann,  Der  Vindex  bei  der  in  ins  vocatio. 
Sav.-Z.  XXIV  279—329  möchte  (besonders  gegen  Lenel)  nach- 
weisen, daß  im  klassischen  Recht  (anders  nach  Schi,  in  XII  Tab., 


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Leges.   Einzelne  Ausdrücke. 


13 


s.  u.  S.  26)  vindex  lediglich  einen  Bürgen  bezeichnet  habe ,  und 
zwar  in  allgemeiner  Weise  and  nicht  in  dem  speziellen  Sinn  eines 
solchen  Bürgen,  der  an  Stelle  des  in  ius  vocatns  selbst  mit  dem 
Kläger  zum  Prätor  geht  usw.,  wie  ihn  Lenel  in  seinem  Edictum  per- 
petuum,  französ.  Ausgabe  S.  74  anschaulich  darstellt.  Wenn  Gai. 
Inst.  4,  46  schreibt  (formulae)  velut  adversus  eum,  qui  in  ius  vocatus 
neque  venerit  neque  vindicem  dederit,  so  hätte  Gaius  auch  neque 
satisdederit  schreiben  können.  Der  Vindex  in  der  Lex  Rubria  21  Z. 
21  sq.,  welcher  einem  zum  vadimonium  cum  satisdatione  Verpflichteten 
die  Erfüllung  seiner  Satisdationspflicht  ermöglicht,  und  der  Vindex 
in  der  Lex  Col.  Gen.  Jul.  61,  der  für  einen  verhafteten  Schuldner 
eintritt,  um  ihn  aus  der  Haft  freizumachen,  werde  die  Bürgschaft  in 
der  regelmäßigen  Form,  der  Stipulation,  geleistet  haben. 

36.  0.  Lenel,  Der  Vindex  bei  der  in  ius  vocatio,  Sav.-Z. 
XXV  232—254  nimmt  hiegegen  Stellung.    Schloßmanns  Annahme 
scheitert  vor  allem  an  der  vom  Prätor  gegen  den  Vindex  ge- 
gebenen Actio  in  factum,  statt  deren  man  eine  Actio  ex  stipulatu 
finden  müßte;    Schloßmanns   Hinweis    auf   die  Actio    in  factum 
(neben  in  ius)  concepta  beim  Depositum  beseitigt  diesen  Einwand 
nicht.  —  Lenel  nimmt  jetzt  folgendes  Vorgehen  an:  „Wer  eine  in 
ius  vocatio  vornehmen  wollte,  wird  sich  in  der  Regel  von  Zeugen 
haben  begleiten  lassen.    Dies  war  notwendig,  nicht  bloß  um  das 
etwaige  Eintreten  eines  vindex,  sondern  schon  um  den  einfachen 
Ungehorsamsfall  —  die  Weigerung  des  Geladenen,  mitzugehen  — 
zu  konstatieren.    Den  durch  den  vindex  befreiten  vocatus  traf  die 
Pflicht,  sich  zur  Verfügung  des  Klägers  zu  halten  —  „sui  potestatem 
facere"  (Schloßmann  setzt  sich  nach  L.  in  Widerspruch  mit  D.  42, 
4,  2  pr.  u.  1  u.  2,  wenn  er  behauptet,  das  potestatem  sui  facere 
bedeute  im  Sinne  des  Edikts  „das  Erscheinen  vor  dem  Gerichte").  — 
.  .  .   „Verletzte  er  diese  Pflicht  —  durch  latitatio  oder  absentia 
ohne  Sorge  für  Defension  — ,  so  unterlag  er  nach  dem  Edikt  der 
missio  in  bona.    Aber  dem  Kläger  lag  nicht  ob,  den  Gegner  lange 
zu  suchen ;  er  konnte  statt  dessen  den  vindex  in  ius  vozieren  und 
beim  Prätor  beantragen ,  daß  dem  vindex  aufgegeben  werde ,  den 
Gegner  zu  bestimmtem  Termine  zu  stellen  (D.  2,  8,  4).  Erfolgte 
die  Gestellung  nicht ,  so  gewährte  der  Prätor  actio  in  factum  wider 
den  vindex  auf  quanti  ea  res  erit,  D.  2.  8,  2,  5."    Nach  Paul,  ad 
Plaut.  2,  11,  10  pr.  hätte  der  beklagte  vindex  die  Möglichkeit  ge- 
habt, noch  nach  der  Litiscontestatio  durch  Stellung  des  eigentlichen 
Schuldners  sich  der  Haftung  zu  entziehen;  aber  die  Worte  ut  vel 
exhibeam  eum  vel   defendam  sind  nach  Lenels   Vermutung  inter- 


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I 


14  W.  Kalb:  Römische  Juristen. 

poliert.  —  Schloßmann,  Praes,  vas  und  vindex  (s.  o.  Nr.  29) 
erörtert  den  Unterschied  zwischen  vas  lind  vindex  nach  seiner  Auf- 
fassang. 

37.  J.  H.  Schmalz,  BphW.  1903  S.  574  sagt,  ihm  leuchte 
Skutschs  Erklärung  ein,  wonach  zur  Erklärung  des  nec  in  nec 
mancipi  eine  Unterdrückung  des  positiven  Teiles  anzunehmen  sei, 
also  res  [mancipi]  nec  mancipi.  Dagegen  Ref.  in  Vollmöllers 
Jhber.  VII  1  S.  77. 

38.  W.  Stintzing,  Über  die  Mancipatio,  Leipzig  1904  be- 
trachtet nach  B.  Kubier,  Sav.-Z.  XXVII  548  ff.  als  den  ursprünglichen 
Hauptzweck  der  Mancipatio  die  Übernahme  der  Gewähr  gegen 
Eviktion  —  eine  kaum  haltbare  Ansicht. 

39.  *  Zitiert  sei  auch  E.  P.  Garofalo,  A  Livio  III  55  7.  Sui 
decemviri  stlitibus  iudicandis.  Bull  XV 313.  —  D.  M a g i e , 
De  Romanorum  iuris  publici  sacrique  vocabulis  sollemnibus  in 
graecum  sermonera  conversis.  Leipzig.  —  Ad.  Menzel, 
Homo  sui  iuris.  Zeitschr.  f.  d.  Privat-  u.  öff.  Recht  der  Gegen- 
wart XXXII  78—98.  —  Siegm.  Schloßmann,  *In  iure  cessio 
und  Mancipatio.  Kiel  1904.  —  Zocco  Rosa,  La  sponsio  nel 
primitivo  diritto  R.  privato,  Annuario  di  storia  nel  diritto  Rom.  di 
Catania  VIU  (1901/2)  S.  89  ff.  — 

Nachtrag  zu  unserem  letzten  Bericht: 

40.  A.  Becker,  De  facetiis  iuridicis  apud  scriptores  Latinos. 
Paris  1896,  eine  Pariser  Dissertation,  ist  —  wenn  auch  verspätet  — 
deshalb  zu  nennen,  weil  sie  (in  gefälligem  Latein  und  hübscher  Dar- 
legung) zeigt,  wie  viele  Ausdrücke  aus  dem  Kurialstil  die  nicht- 
juristischen  Klassiker  teils  unbewußt,  teils  mit  bewußter  Anspielung 
in  übertragenem  Sinne  gebrauchen. 

b)  Legres. 
Leges  regiae. 

Pomp.  ench.  1,  2,  2,  2  nennt  einen  Papirius  zur  Zeit  der  Ver- 
treibung der  Könige  als  den  Urheber  einer  noch  zu  seiner  Zeit  vor- 
handenen Sammlung  der  leges  regiae  (=  Jus  Papirianum).  Man  hat 
die  Unmöglichkeit  dieser  Angabe  schon  längst  erkannt.  Aber  man 
ist  in  der  Kritik  neuerdings  so  weit  gegangen,  daß  man  den  Kompi- 
latoren der  Digesten  die  eingeklammerten  Worte  bei  Pomp.  ench.  1, 
2,  2,  2  zuschrieb :  leges  regum  .  . .  conscriptae  ex  tan  t  in  libro  Sexti 
Papirii  [qui  fuit  Ulis  temporibus,  quibus  Superbus  Demarati  Corinthii 
filius]  (Bremer,  Jurispr.  Antehadr.  I  182).  Das  ist  willkürlich;  denn 


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Legis  regiae. 


15 


schon  Dion.  Hai.  nennt  3,  86,  4  einen  Pontifex  maximus  G.  Papirius, 
welcher  fiexot  t^v  ixßoXr^v  tu>v  ßaaiXetov  die  leges  regiae  wieder  ge- 
sammelt der  Öffentlichkeit  Übergab  (vgl.  Kalb  in  BphW.  1897  S.  203). 
Anderseits  ist  es  freilich  nicht  nur  möglich,  sondern  nach  der  Sprache 
der  Leges  regiae  gewiß,  daß  jene  (noch  zur  Zeit  des  Pomp,  vor- 
handene ?)  Sammlung  von  leges  regiae  nicht  aus  der  ältesten  Zeit 
der  Republik  stammt.    Nun  hat 

41.  0.  Hirschfeld,  Sitzungberichte  der  Berl.  Ak.  1903 
S.  2  ff.  (vgl.  Mitteis,  Sav.-Z.  XXIV  419  ff.)  zu  zeigen  versucht,  daß 
eine  solche  Legende  wenigstens  unter  Beiziehung  des 
Namens  Papirius  auch  dem  Cicero  noch  nicht  bekannt  war.  Denn 
Cic.  Farn.  9, 21  (wahrscheinlich  aus  dem  Jahre  46)  will  dem  L.  Papirius 
nachweisen,  daß  dieser  unrecht  habe,  wenn  er  in  seinem  Briefe  seine 
Gens  Papiria  als  eine  durchaus  plebeische  bezeichne.  Zu  diesem 
Zweck  führt  Cicero  aus  alter  Vorzeit  eine  Anzahl  von  Papirii 
(Papisii)  an,  die  kurulische  Ämter  bekleideten  zu  einer  Zeit,  wo 
solche  dem  Plebejer  noch  nicht  zugänglich  waren.  Wäre  ihm  die 
Sage  von  jenem  Papirius  des  Dion.  Hai.  bekannt  gewesen,  so  hätte 
er  doch  gewiß  jenen  Pontifex  maximus  aus  etwa  509  v.  Chr.  nicht 
unerwähnt  gelassen.  Dagegen  kannte  Cicero,  wie  Hirschfeld  überzeugend 
nachgewiesen  hat  (s.  u.  Nr.  133),  eine  andere  Sammlung  von  Gesetzen 
des  Numa  in  den  Monumenta  des  Manilius  (Konsul  149),  Cic.  Rep. 
2,  14,  26;  5,  2,  3,  und  erwähnt  dort  mit  keinem  Worte  einer  Samm- 
lung des  Papirius. 

Die  Legende  von  einem  Papirius,  der  509  (oder  449)  Pontifex 
Maximus  gewesen  sei ,  geht  nach  Hirschfeld  möglicherweise  auf  den 
älteren  Zeitgenossen  des  Cicero  Valerius  Antias  zurück,  den  Cicero 
nie  nennt.  Möglich  sei  ja  freilich  auch,  daß  diese  Geschichtsfälschung 
von  dem  uns  unbekannten  Veranstalter  der  Sammlung  der  Königs- 
gesetze unter  dem  Namen  Jus  Papirianum  auf  eigene  Hand  begangen 
worden  ist,  um  derselben  ein  ehrwürdigeres  Ansehen  zu  geben.  Wann 
diese  Sammlung  entstand,  läßt  H.  dahingestellt;  jedenfalls  aber  ist 
das  Jus  Papirianum  nach  H.  frühestens  am  Ende  der  republikanischen 
Zeit,  wenn  nicht  noch  später  entstanden,  wahrscheinlich  in  Anlehnung 
an  die  Manilischen  Monumenta.  —  Ihm  tritt  im  allgemeinen  T  h.  K  i  p  p 
bei  (Geschichte  der  Quellen  des  röm.  Rechts  a  S.  25  A.).  —  Wir 
möchten  die  Folgerungen  wesentlich  etnschränken.  Denn  die  Nicht- 
erwähnung bei  Cic.  Fam.  a.  o.  beweist  nur,  daß  dem  Cicero  kein  Jus 
rapiriannm  bekannt  war,  das  vor  Beendigung  des  Stände- 
streits (300)  entstanden  gewesen  wäre,  daß  er  also  nur  von  jenem 
Papirius,  der  um  509  oder  449  Pontifex  maximus  gewesen  sein  soll, 


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16 


W.  Kalb:  Römische  Juristen. 


noch  nichts  wußte.   Daß  jene  mit  dem  Schleier  des  Geheimnisses  be- 
deckten Regeln  des  rituellen  Herkommens  vor  der  Lex  Ogulnia  (300), 
welche  den  Plebejern  auch  die  meisten  Priesterstellen  eröffnete,  hätte 
veröffentlicht  werden  können,  ist  ohnehin  unwahrscheinlich;  es  hätte 
höchstens  ein  plebeischer  scriba  wie  Flavius  ins  Geheimnis  eingeweiht 
sein  müssen.    Wenn  aber  ein  Plebejer  Papirius  nach  300  als 
Herausgeber  der  Leges  Regiae  dem  Cicero  bekannt  war,  so  durfte 
er  diesen  doch  für  seinen  Beweis  nicht  anfuhren.  —  Anderseits  spricht 
auch  gegen  die  Annahme  der  Entstehung  des  Jus  Papirianum  in 
der  Zeit  nach  Cicero  die  Erwähnung  bei  Dion.  Hai.  (s.  o.),  der  um 
70  v.  Chr.  geboren  wurde.  Den  umstrittenen  Granius  Flaccus  können 
wir  dabei  außer  Ansatz  lassen.  Man  müßte  höchstens  an  eine  Fund- 
fälschung wie  bei  der  Krone  des  Saitaphernes  denken  —  eine  An- 
nahme, die  doch  nur  möglich  wäre,  wenn  man  Leute  wie  Labeo  und 
Capito  für  so  beschränkt  hielte,  daß  sie  sich  damit  anschwindeln  ließen. 
Dagegen  konnte  ein  Valerius  Antias  oder  ein  anderer  selbständig 
denkender  Geschichtschreiber  gar  wohl,  wenn  er  vom  Jus  Papirianum, 
d.  h.  einer  Sammlung  von  Leges  regiae  unter  dem  Namen  Papirius, 
aus  unbekannter  Zeit  Kenntnis  hatte,  den  Schluß  machen,  daß  der 
Autor  unmittelbar  nach  der  Königszeit  gelebt  haben  müsse  oder 
spätestens  zu  jener  Zeit,  wo  auch  die  XII  Tab.  veröffentlicht  wurden. 
Daß  der  Sammler  Pontifex  maximus  gewesen  sein  müsse,  war  auch 
eine  ganz  einfache  Vermutung,  die  sogar  wohl  richtig  ist.  —  Die 
Nichterwähnung  des  Jus  Papirianum  bei  Cic.  Rep.  2, 14, 26  beweist  kaum, 
daß  Cicero  das  Jus  Pap.  nicht  kannte.  Denn  sie  geschieht  in  einem 
Gespräche  zwischen  dem  jüngeren  Africanus  und  M.  Manilius.  Wenn 
die  Sammlung  nach  dem  Tode  des  Manilius  erschienen  wäre  und  eine 
Neubearbeitung  der  Monumenta  des  Manilius  war,  konnte  Cicero  diesen 
wohl  nicht  von  ihr  sprechen  lassen,  selbst  wenn  Cicero  sie  kannte. 
Wenn  aber  umgekehrt,  was  an  und  für  sich  wahrscheinlich  ist,  weil 
auch  das  Jus  Aelianum  und  Jus  Flavianura  die  ersten  juristischen 
Werke  ihrer  Art  waren,  Manilius  in  seinen  Monumenta  das  Werk  des 
Papirius  nur  neu  bearbeitet  hatte,  so  konnte  der  Redende  schon  aus 
Höflichkeit  nicht  die  „Quelle"  des  Manilius  nennen,  jedenfalls  aber 
war  auch  kein  Grund  dazu  da.   Denn  wer  bei  den  Alten  eine  Schrift 
„verbessert  und  vermehrt"  herausgab,  betrachtete  sehr  häufig  sich 
selbst  als  den  Verfasser.   Bei  uns  ist  es  übrigens  nicht  viel  anders.  — 
Wenn  Cic.  Rep.  5,  2,  3  den  Africanus  Minor  sagen  läßt  diuturna 
pax  Numae,  qui  legum  etiam  scriptor  fuit,  quas  scitis  extare, 
so  betrachtet  Hirschfeld  dies  als  ein  Kompliment  gegen  den  an- 
wesenden Vf.   der  Monumenta.     Aber    aus   dieser  Stelle  drängt 


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XII  Tabulae.    Echtheit  und  Geschichte. 


17 


sich  uns  noch  ein  weiterer  Gedanke  auf:  Hätte  Cic.  wohl  von  den 
XII  Tab.  jemanden  sagen  lassen  quas  scitis  extare?  Gewiß  nicht, 
denn  jedermann  kannte  sie;  man  lernte  sie  in  der  Schule.  Folglich, 
so  könnte  man  nach  quas  scitis  extare  vermuten,  kannte  man 
die  Gesetze  des  Numa  und  der  Könige  zu  C  i  c  e  r  o  s  Zeit  nicht  mehr  alle, 
wenigstens  nicht  wörtlich.  Es  ging  wohl  wie  später  mit  den  XII  Tab. : 
die  Kommentare,  zu  denen  (nach  Hirschfelds  Beweis)  die  Monumenta 
des  Manilius  gehörten,  machten  den  Text  der  Gesetze  zuletzt  Über- 
flüssig. So  dürfen  wir  also  vielleicht  Hirschfelds  Darlegung  dahin 
modifizieren,  daß  ein  Papirius  zwischen  300  und  200  die  leges  regiae 
aus  der  Tradition  der  Pontifices  zuerst  veröffentlichte,  teils  wörtlich 
(soweit  er  sie  wörtlich  im  Archiv  der  Pontifices  vorzufinden  glaubte), 
teils  ihrem  Inhalte  nach,  und  daß  um  150  Manilius  in  seinen  Monu- 
menta sie  nen  herausgab  und  bearbeitete.  —  Zitiert  sei  hier  auch 
G.  Baviera,  *I  monumenta  di  Manilio  e  il  Jus  Papirianum, 
Archivio  giuridico  LXXI  255—276. 

XII  Tabulae. 
Name  des  Gesetzwerkes. 

42.  Th.  Mommsen,  AcoSexaöeXxoc  MClanges  Boissier  1908 
p.  1—3  =  Gesammelte  Schriften  von  Th.  M.  S.  141—143  (eine  der 
letzten  Veröffentlichungen  Mommsens)  erinnert  daran,  daß  das  Gesetz- 
werk der  XII  Tafeln  von  den  Klassikern  nicht  Lex  XII  tabularum 
genannt  wurde  (dies  bezeichnet  vielmehr  ein  bestimmtes  Gesetz  aus 
den  XII  Tafeln),  sondern  XII  tabulae,  auch  mit  Ellipse  von 
tabulae;  korrekt,  doch  selten,  ist  auch  leges  XU  tabularum  (Pomp. 
D.  1,  2,  2,  4).  Aber  seit  dem  zweiten  Jahrhundert  n.  Chr.  kam 
der  Mißbrauch  auf,  daß  man  mit  Lex  XII  tab.  das  ganze  Gesetzes- 
werk (le  Code  lui-meme)  bezeichnete.  Gaius  nannte  seinen  Kommentar 
selbst  Ati>8exa8&Too  libri  sex,  aber  die  Kompilatoren  der  Digesten 
änderten  diesen  Titel  in  (libri)  ad  legem  XII  tab. 

Echtheit  und  Geschichte  der  XII  Tab. 

43.  EttorePais,  Storia  d'  Italia  dai  tempi  piü  antichi  alla 
fine  delle  guerre  puniche  (I  1,  1894,  II  1,  1,  1898,  n  1,  2,  1899) 
machte  (nach  H.  Erman,  Sav.-Z.  XXIII  450  ff.)  mit  der  ganzen  römi- 
schen Überlieferung  bis  nach  300  v.  Chr.  tabula  rasa.  Dementsprechend 
erklärte  er  die  XII  Tab.  neben  der  historischen  Publikation  des 
Cn.  Flavius  für  eine  ähnliche  rückspiegelnde  Verdoppelung  dieses 
geschichtlichen  Ereignisses  durch  die  Legende,  wie  wir  sie  an- 

Jitaabericht  ftr  AlUrtumawisMWflchaft.   Bd.  CXXXIV.   (1907.  II.)  2 


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18 


W.  Kalb:  Römische  Juristen. 


geblich  finden  bei  dem  Bericht  von  einer  dreimaligen  Gesetzgebung 
darüber,  ut  quod  tributim  plebs  iussisset,  Universum  populum  teneret 
in  der  Lex  Valeria  Horatia  und  Publilia  Philonis  hinter  der  Hortensia 
von  287,  von  denen  nur  das  letzte  Gesetz  historisch  sein  soll.  Die 
Kritik  habe  schon  längst  die  mosaische  Gesetzgebung,  die  muhammeda- 
nische,  in  Rom  auch  die  Leges  regiae  als  solche  RQckspiegelungen 
historischer  Tatsachen  in  eine  vorhistorische  Zeit  erwiesen.  Die 
Dezemvirallegende  gipfele  in  einem  Freiheitsprozesse ;  sie  sei  bloß 
eine  verschönende  Erweiterung  von  Vorkommnissen  unter  den  ur- 
sprünglichen plebeischen  Friedensrichtern,  den  X  viri  stlitibus  diiudi- 
candis.  In  unserem  letzten  Bericht  (Jhber.  CIX  21)  glaubten  wir, 
die  ganze  Hypothese  mit  ein  paar  Worten  erledigen  zu  können.  Aber 
dem  italienischen  Hyperkritiker  trat  in  Frankreich  Ed.  Lambert  bei, 
dessen  Schriften  ziemliches  Aufsehen  machten. 

44 a.  Ed.  Larabert,  La  question  de  l'authenticite'  des XII  tables 
et  les  annales  maximi.  Nouvelle  Revue  de  droit  fr.  et  6tr.  XXVI 
(1902)  p.  149—200.  — 

44b.  Derselbe,  *Le  probleme  de  1'origine  des  XII  tables, 
Revue  generale  de  droit,  1902  p.  385  ff.,  481  ff.  — 

44c.  Derselbe,  L'histoire  traditionelle  des  XII  tables  et  les 
criteres  d'inauthencite"  des  traditions  en  usage  dans  l'äcole  de 
Mommsen,  Mölanges  Ch.  Appleton.  Lyon  1908.  (Entgegnung  auf 
Mays,  Appletons,  Girards  noch  zu  erwähnende  Widerlegungen.)  Vgl. 
den  Bericht  hierüber  in  Nouvelle  Revue  XXIII  619. 

Lambert  ging  noch  über  Pais  hinaus:  er  stellte  den  Satz  auf, 
daß  die  XII  Tafeln  die  Schöpfung  ihres  angeblichen  Kommentators 
S.  Aelius  Paetus,  des  Vf.  der  Tripertita,  um  200  v.  Chr.  gewesen 
seien  —  wahrscheinlich  eine  bona  fide  gemachte  Privatsammlung, 
der  erst  Spätere  den  Namen  und  Charakter  von  Gesetzen  gaben 
(Ref.  ist  hier  wieder  dem  Bericht  von  H.  Erman  a.  a.  0.  gefolgt). 
Man  dürfe  die  Leges  XII  tab.  nicht  mit  anderem  Maßstabe  messen 
als  die  leges  regiae,  die  man  jetzt  allgemein  für  unecht  halte.  Es 
sei  (so  fügt  er  in  L'hist.  trad.  des  XII  tables  hinzu)  unlogisch,  wenn 
man  einerseits  nach  Mommsenscher  Methode  die  Erzählung  von  Ver- 
ginia  oder  auch  die  Sendung  einer  Kommission  nach  Griechenland 
als  legendär  bezeichne,  anderseits  die  Erzählung  von  der  Kodifikation 
der  XII  tab.  durch  X  viri  für  völlig  wahrheitsgetreu  erkläre.  Die 
Legende  von  den  X  viri  legibus  scribundis  könne  wohl  eine  Rück- 
Spiegelung  der  decem  legati  sein,  welche  seit  246  bei  den  Friedens- 
schlüssen und  bei  der  Organisation  der  Provinzen  als  Beirat  des 
Feldherrn  more  maiorum  (Liv.  33,  24)  mitwirkten,  und  die  ursprünglich 


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XII  Tabulae.  Echtheit  und  Geschichte.  19 

vom  Volk  gewählt  worden  seien,  erst  später  vom  Senat  bestimmt 
wurden.  Zwischen  diesen  und  den  X  viri  (III  viri,  V  viri)  agris 
dandis  adsignandis,  welche  Cicero  (De  lege  agc  2,  6,  15;  2,  11, 
29;  2,  13,  83;  2,  14,  85)  decem  reges,  regnum  decemvirale  nenne, 
habe  eine  natürliche  Verwandtschaft  bestanden.  Außerdem  befänden 
sich  unter  den  Bestimmungen  der  XII  Tab.  einige,  welche  ins  Bereich 
von  anderen  Magistraten  mit  dem  Namen  X  viri  einschlugen.  Die 
sogenannten  XII  Tafelgesetze  seien  lediglich  Gewohnheitsrecht  ge- 
wesen, und  deshalb  ohne  nähere  Bezeichnung  einfach  mit  dem  Worte 
lex  bezeichnet  worden  (legis  actio  u.  a.).  So  komme  es  auch,  daß 
die  sogenannten  XII  Tab.  Anordnungen  aufstellen,  die  sich  auf  ganz 
verschiedene  Kulturstufen  beziehen:  wir  haben  einerseits  die  Ge- 
stattung der  Zerstücklung  des  Schuldners,  die  doch  nur  einer  ganz 
niederen  Kulturstufe  angehören  könne,  anderseits  einschränkende 
Bestimmungen  über  den  Aufwand  bei  Beerdigungen,  die  eine  fort- 
geschrittene Entwicklung  beweisen.  Das  in  den  XII  Tab.  aus- 
gesprochene Verbot  der  Beerdigung  innerhalb  der  Stadt  sei  (Lambert 
verweist  auf  *  Le  Probleme  de  l'orig.  des  XII  tables  p.  37 — 48)  erst 
260  veröffentlicht  worden  usw. 

Einzelne  dieser  Gründe  scheinen  uns  einer  etwas  eingehenderen 
Prüfung  wert.  Lambert  hat  seine  Position  dadurch  unhaltbar  gemacht, 
daß  er  den  Satz  nicht  beachtete :  qui  plus  petit,  causa  cadit.  Denn 
beispielsweise  das  Gesetz  hominem  mortuum  in  urbe  ne  sepelito  neve 
urito  ist  auch  uns  schon  längst  wegen  seiner  modernen  Fassung  etwas 
verdächtig  vorgekommen;  aber  wir  haben  daraus  doch  nur  den 
Schluß  gezogen:  vielleicht  hat  Cicero,  wenn  er  es  den  XII  Tab.  zu- 
schreibt, sich  geirrt,  indem  er  die  XII  Tab.  und  ein  anderes  Gesetz, 
vielleicht  die  sogenannten  leges  regiae  verwechselte.  Und  wenn  es 
tatsächlich  sicher  ist,  daß  die  Erlaubnis  zur  Zerstücklung  des 
zahlungsunfähigen  Schuldners  mit  jener  Kulturstufe  in  Widerspruch 
steht,  die  sonst  aus  den  XII  Tab.  zu  erschließen  ist  —  dann  ist 
eben  die  Erklärung  tertiis  nundinis  partis  secanto  trotz  der  e"cole 
de  Mommsen  nicht  vom  Zerschneiden  des  Leibes  zu  verstehen,  sondern 
vom  Zerteilen  des  Vermögens  (vgl.  u.  zu  Tab.  III). 

Es  sind  dies  nicht  die  einzigen  Gründe,  die  L.  vorführt;  aber 
solche,  die  unseres  Wissens  nicht  in  Diskussion  kamen  oder  nach 
unserer  Meinung  nicht  in  Diskussion  kommen  können,  müssen  wir, 
da  unserem  Berichte  nach  Zeit  und  nach  Raum  Schranken  gesetzt 
sind,  beiseite  lassen.  Einige  werden  wir  bei  Besprechung  der 
Widerlegungen  noch  kennen  lernen.  Auf  den  Nachweis  von  Wider- 
sprüchen hinsichtlich  der  Überlieferung  über  die  X  viri  und  die 

2* 


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W.  Kalb:  Römische  Juristen. 


XII  Tab.  verwendet  L.  in  Histoire  trad.  etwa  60  Seiten.  Wer  sich 
einigermaßen  in  die  Art  und  Weise  hineinversetzt ,  wie  die  ersten 
Familiengeschichten  in  Rom  zustande  gekommen  sein  mögen,  wie 
man  hier  nicht  etwa  ausschließlich  auf  Grund  der  kurzen  Auf- 
zeichnungen im  Staatsarchiv  schrieb,  sondern  auch  die  Erinnerung 
alter  Leute  herbeizog  und  ihre  Widersprüche  irgendwie  auszugleichen 
suchte,  wie  dann  die  folgenden  „Historiker"  ihre  Quelle  aus  dem 
Gedächtnis  benützten,  wie  man  aus  gleichen  Namen  selbständige 
Schlüsse  zog,  wie  man  zur  Ausschmückung  Anekdoten  aus  anderen 
Völkern  und  anderem  Zusammenhang  zu  Tatsachen  umprägte  (wie 
z.  B.  Cäsar  die  den  Germanen  zugeschriebene  Methode,  Elentiere 
zu  fangen  durch  Ansägen  des  Baumes,  an  den  die  Tiere  sich  nachts 
anlehnen,  nach  Caes.  B.G.  6,  24,  2  vgl.  mit  Dion.  Hai.  3,  27  dem 
alexandrinischen  Jägerlatein  entlehnt  hat,  ohne  daß  man  deshalb 
Cäsars  Rheinübergang  für  legendenhaft  ansehen  darf),  der  wird 
Widersprüche  in  Nebensachen,  d.  h.  in  solchen,  die  nicht  zu  den 
wichtigsten,  in  den  Staatsarchiven  verzeichneten  Tatsachen  gehören, 
für  selbstverständlich  halten.  Auch  L.  gesteht  S.  105  gegenüber 
Girards  Widerlegung  (s.  u.)  zu,  daß  solche  Gründe  nur  geringe  Be- 
deutung haben. 

Nicht  als  Grund  für  die  Unechtheit,  aber  zum  Beweis  für  die 
absence  de  garanties  externes  d'antiquite  führt  L.  an,  daß  die  XII  Tab. 
bei  den  ältesten  Schriftstellern  (Plaut.,  Enn.,  Cato)  nie  erwähnt 
werden  —  der  erste  Gewährsmann  sei  Cassius  Hemina,  nach  146 
(Hist.  trad.  S.  145). 

Auffallend  erscheint  es,  daß  L.  auch  nicht  die  Sprache  der 
XII  Tab.  als  Beweis  dafür  anerkennen  will,  daß  sie  im  allgemeinen  *) 
älter  sind  als  die  ältesten  überlieferten  Literaturerzeugnisse  der 
Römer.  Für  den  Philologen  bedarf  es  hier  kaum  langen  Beweises. 
Doch  *  scheint  45  a.  Michel  Br6al  ihn  geführt  zu  haben.  Von 
ihm  finden  wir  zitiert  eine  Abhandlung  über  „die  Sprache  des 
Zwölftafelgesetzes",  AcadCmie  des  inscriptions  29.  August  1902  und 
5.  Oktober  1902,  sowie  unter  dem  gleichen  Titel  im  Journal  des 
savants  Nov.  1902  p.  599—688.  Nach  WklPh.  1902  S.  1432  und 
1903  S.  19  sowie  nach  Lambert,  Hist.  trad.  p.  25  ff.  verteidigt  er 
die  Echtheit  der  XII  Tafeln,  wenn  auch  ihre  Sprache  mit  der  Zeit 
sich  etwas  modernisierte  und  manche  Glossen  bisher  verkannt  seien. 

*)  Daß  man  hone  in  hunc,  oino  in  unum,  ploiromei  in  plurimi  usw. 
modernisierte  (vgl.  Lenel,  Sav.-Z.  XXVI  500),  ist  ganz  selbstverständlich. 
Man  hat  mit  Recht  auf  die  fortschreitende  Modernisierung  von  Luthers 
Bibelübersetzung  hingewiesen. 


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XII  Tabulae.   Echtheit  und  Geschichte. 


21 


(Dagegen  die  Geschichte  der  Dezemvirn  ist  auch  nach  Br.  zum  Teil 
sagenhaft.) 

Lamberts  Hypothese  wurde  in  Deutschland  zuerst  nur  kurz 
widerlegt.  45b.  H.  Ermann,  Sind  die  XII  Tafeln  echt?  Sav.-Z. 
XXIII  450 — 457  gab  eine  Darlegung  von  Pais-Lamberts  Aufstellungen 
und  deren  Widerlegung  durch  Girard;  45c.  Lenel  sprach  davon 
in  Holtzendorffs  Enzykl.  6.  Aufl.  1903  S.  96  Anm.  1;  45  d.  Kipp, 
Geschichte  der  Quellen,  2.  Aufl.  1903  S.  32  f.  zeigte  in  einer  An- 
merkung von  lVa  Seiten  ihre  ünhaltbarkeit ;  45  e.  F.  Cauer, 
BphW.  1903  S.  1607.  ff.  widmete  ihr  3  Seiten. 

Dagegen  in  Frankreich  rief  die  Schrift  mehrere  neue  Abhand- 
lungen zu  der  Frage  hervor,  und  auch  in  der  rechtsgeschichtlichen 
Sektion  des  internationalen  Historikerkongresses  2.-9.  April  1903 
zu  Rom  wurde  die  Frage  zur  Diskussion  gestellt,  an  welcher  sich 
Chr.  Apple  ton,  Leonhard,  Zocco-Rosa,  Scialoja,  Ricco- 
bono,  Semeraro,E.  Cuq  beteiligten  (nach  Nouv.  Revue  XVII 1 908 
S.  473).  Literarisch  traten  in  Frankreich  außer  M.  Bröal  (s.  o.) 
auch  G.  May,  Chr.  Appleton  und  P.  F.  Girard  in  die 
Schranken. 

So  wie  die  Hypothese  von  Lambert  zuerst  aufgestellt  gewesen 
zu  sein  scheint  (1902),  ist  sie  überhaupt  nicht  diskutierbar.  Eine 
private  Rechtsaufzeichnung  aus  dem  Jahr  etwa  200  v.  Chr.,  deren 
Inhalt  man  erst  s  p  ä  t  e  r  für  Gesetze  gehalten  habe,  können  die  XII  Tab. 
unmöglich  gewesen  sein;  enthielten  sie  doch  (wie  sofort  eingewendet 
wurde)  z.  B.  ein  Wort ,  lessum ,  das  der  angebliche  Verfasser  jener 
angeblichen  Rechtsaufzeichnung,  Sex.  Aelius,  selbst  nicht  mehr  zu 
verstehen  erklärte  (Cic.  Leg.  2 ,  59).  Es  wäre  undenkbar ,  daß  ein 
Mann,  der  um  200  die  Gesetze  verfaßt  hätte,  die  Sprache  so  archaisch 
gestaltet  haben  könnte,  während  einem  Sprachkünstler  wie  Cicero  die 
Nachahmung  der  alten  Gesetze  in  De  legibus  nur  mangelhaft  gelang. 
(Vgl.  Erman  a.  a.  O.).  Unerklärlich  wäre  für  200  der  Satz,  daß 
der  zahlungsunfähige  Schuldner  trans  Tiberim  peregre  verkauft  werden 
konnte,  da  zwar  noch  338  vornehme  Latiner  zur  Strafe  trans  Tiberim 
relegiert  wurden,  dagegen  um  200  der  Tiber  in  keiner  Hinsicht  mehr 
Grenzfluß  war  (Kipp  a.  a.  O.)  usw.  usw. 

Aber  Lambert  änderte  seine  Ansicht  im  Jahre  1903  infolge  der 
erhobenen  Einwendungen  wesentlich.  Besonders  Mays  Gründe  scheinen 
Eindruck  auf  L.  gemacht  zu  haben.  Nämlich  46.  Gas  ton  May, 
*La  question  de  rauthenticite'  des  XII  Tables  (Annales  de  la 
Facultö  des  Lettres  de  Bordeaux  1902  =)  Revue  des  ötudes  an- 
ciennes  IV  201—212  nahm  (nach  WklPh.  1902  S.  1352)  in  recht 


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1 


22  W.  Kalb:  Römische  Juristen. 

besonnener  Weise,  doch  entschieden,  Stellung  gegen  Lamberts 
Hyperkritik  and  zog  zum  Vergleiche  nach  Inhalt  und  Sprache 
einige  neugefundene  Inschriften  herbei.  Er  glaubte  (wie  wir  aus 
Lambert,  Hist.  trad.  S.  17  Anm.  3  entnehmen)  die  zeitliche  In- 
kongruenz der  verschiedenen  Gesetze  der  XII  Tab.  so  zu  erklären, 
daß  die  uns  bekannten  Reste  der  XII  Tab.  auf  einen  Auszug  (som- 
maire)  der  XQ  Tab.  zurückgehen,  der  Änderungen  und  Zusätze  aus 
späterer  Zeit  erhielt. 

In  Hist  trad.  p.  19  modifizierte  Lambert  seine  Hypothese 
dahin:  „II  est  possible  de  discerner,  au  travers  des  XU  Tables, 
plusieurs  coutumiers  (Aufzeichnungen  des  Gewohnheitsrechts)  de  dates 
diiförentes  que  le  compilateur  definitif  s'est  borne  ä  rgunir,  et  dont 
les  plus  anciens  s'Ctaient  probablement  agglomöres  les  uns  aux  autres 
des  avant  lui." 

Vielleicht  geht  L.  später  noch  einmal  einen  Schritt  weiter;  wenn 
er  zenturiatgesetzlicbe  Zusätze  zu  den  XII  Tab.  von  451/449  an- 
nähme, die,  weil  einfache  Änderungen  jener  Kodifikation,  als  Bestand- 
teile derselben  gegolten  hätten  (Lenel,  Sav.-Z.  XXVI  508  Anm.  2  zieht 
zum  Vergleiche  die  verschiedenen  Bearbeitungen  der  Lex  Salica  bei), 
dann  könnte  seine  Hypothese  der  Kritik  leichter  standhalten.  (Vgl. 
F.  Cauer,  BphW.  1903  S.  1607  —  1609.)  Da  er  aber  auch  jetzt 
noch  dem  Grundstock  der  XII  Tab.  die  Eigenschaft  eines  Gesetzwerkes 
aus  dem  5.  Jahrhundert  abstreitet,  so  müssen  wir  auch  die  wichtigsten 
der  hiergegen  gemachten  Einwendungen,  soweit  sie  uns  durch  die 
erwähnte  Modifikation  nicht  oder  nicht  genügend  entkräftet  zu  sein 
scheinen,  kurz  registrieren. 

47.  P.  F.  Girard,  L'histoire  des  XII  Tables.  Paris  1902 
(=  Nouv.  Revue  XXVI)  zeigte ,  daß  Lamberts  Schluß  von  der  Un- 
echtheit  der  Leges  regiae  auf  die  ünechtheit  der  Leges  XII  Tab. 
nicht  besser  ist,  als  wenn  man  die  Beweise  für  die  Nichtexistenz 
des  Gottes  Apollo  mit  Dupuis  benützt,  um  Napoleon  I.  als  eine 
mythische  Figur  zu  beweisen.  —  Aus  dem  Schweigen  der  archaischen 
Dichter  oder  Catos  könnte  man  nur  in  dem  Falle  den  Schluß  ziehen, 
daß  ihnen  die  XII  Tab.  unbekannt  gewesen  seien,  wenn  sie  die  XII  Tab. 
an  irgendeiner  Stelle-  hätten  nennen  müssen,  oder  wenn  man  die 
Erwähnung  der  XII  Tab.  an  irgendeiner  bestimmten  Stelle  wenigstens 
vermissen  könnte.  —  Den  Beweis,  den  die  Erwähnung  der  X  viri 
legibus  scribundis  in  den  kapitolinischen  Fasten  für  deren  Existenz 
bietet,  darf  man,  wie  Girard  zeigt,  nicht  so  leichter  Hand  abschütteln, 
wie  es  Lambert  getan.  Man  mag  zugeben,  daß  die  Fasten  aus 
Atticus  oder  Verrius  Flaccus  oder  einem  anderen  Schriftsteller  ge- 


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XII  Tabulae.   Echtheit  und  Geschichte. 


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schöpft  sind;  man  muß  auch  zugeben,  daß  einzelnes,  wie  die  Ein- 
fügung der  Cognomina  für  die  Zeit  vor  der  Mitte  des  siebenten 
Jahrhunderts  der  Stadt,  erst  späteren  Ursprungs  ist:  in  der  Haupt- 
sache aber  gehen  sie  gewiß  mindestens  auf  die  Zeit  vor  dem  Aufkommen 
des  Rhotazismus  zurück  (der  erste  Papisius,  der  sich  nach  Cicero 
Papirius  schrieb,  war  Konsul  340  v.  Chr.;  nach  anderen  führte 
Appius  Claudius,  Censor  312,  diesen  Rhotazismus  ein).  Denn  die 
älteren  Teile  der  Fasten  kennen  den  Rhotazismus  noch  nicht.  Ein 
anderer  Beweis  dafür,  daß  die  Fasten  nicht  etwa  erst  im  ersten  Jahr- 
hundert v.  Chr.  zusammengestellt  sind,  ist  das  Vorkommen  von 
Familiennamen  in  den  älteren  Teilen  der  Fasten,  welche  sich  später 
nicht  mehr  finden.  So  wird  unter  den  X  viri  ein  Curiatius,  ein 
Rorailius,  ein  Sextius  aufgeführt.  Das  sind  unwiderlegliche  Beweise 
dafür,  daß  die  XII  Tafeln  nicht  erst  von  S.  Aelius  Paetus  um 
200  v.  Chr.  zusammengestellt  sein  können  (Lambert),  auch  nicht 
von  Cn.  Flavius  um  300  (Pais).  Zwar  für  451/449  ist  damit,  wie 
H.  Erman,  Sav.-Z.  XXIII  450  ff.  wohl  nicht  im  Gegensatz  zu  Girard 
bemerkt ,  zunächst  noch  nichts  erwiesen ,  und  die  Geschichte  von 
Verginia  und  andere  Ausschmückungen  kann  für  unecht  halten ,  wer 
will.  Aber  was  die  Namen  und  das  Amt  der  X  viri  betrifft,  so 
kann  man  daran  nicht  rütteln.  —  Die  letzte  Gruppe  von  Girards 
Echtheitsbeweisen  ist  juristischer  Art:  Der  Inhalt  der  XII  Tafeln 
paßt  nämlich  nach  G.,  dem  sich  Erman  (s.  o.  Nr.  44 e)  anschließt, 
viel  besser  ins  Jahr  450  als  ins  Jahr  300  oder  gar  200.  Außerdem 
haben  sich  manche  Bestimmungen  des  XII  Tafelgesetzes,  z.  B. 
Testamentum  per  aes  et  libram,  Emanzipation  und  Adoption,  weiter- 
entwickelt, wozu  eine  längere  Zeit  nötig  war.  Einzelne  Gesetze, 
welche  Bestimmungen  der  XII  Tafeln  derogieren,  liegen  außerdem 
höchstwahrscheinlich  vor  S.  Aelius,  die  Lex  Poetelia  nach  Girard 
schon  vor  Cn.  Flavius.  Erman  fügt  hinzu,  daß  auch  die  zwölf 
Tafeln  als  Werk  von  zehn  Männern  durchaus  nicht  wie  Erfindung 
aussehen.  — 

48.  Ch.  Apple  ton,  Le  testament  Romain.  La  möthode  du 
droit  compare*  et  l'authenticite*  des  XII  tables.  Paris  1903,  weiß  die 
von  anderen  bereits  geltend  gemachten  Gründe  gegen  Lamberts 
Hypothese  durch  noch  weitere  zu  verstärken  und  weist  besonders 
an  der  X.  Tafel,  die  nach  Lambert  S.  Aelius  den  Solonischen  Ge- 
setzen entnommen  hätte,  nach,  in  welche  Widersprüche  eine  solche 
Annahme  verwickelt.  Vor  allem  aber  widerlegt  er  Lamberts  Be- 
hauptung (Lambert,  La  tradition  romaine  sur  la  succession  des 
formes  du  testament  devant  l'histoire  comparative,  Paris  1901),  nach 


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W.  Kalb:  Römische  Juristen. 


welcher  der  Begriff  des  Testaments  im  eigentlichen  Sinne  bei  den 
Römern  im  vierten  Jahrhundert  der  Stadt  noch  nicht  habe  existieren 
können.  Lambert  stützt  sich  für  seine  kühne  Hypothese  auf  die 
vergleichende  Rechtsgeschichte,  besonders  das  Recht  germanischer 
Völker.  Appleton  weist  dagegen  nach,  daß  das  Recht  sich  durchaus 
nicht  bei  allen  Völkern  in  gleicher  Weise  entwickeln  muß.  Ins 
einzelne  können  wir  den  beiden  Gelehrten  hier  nicht  folgen,  da  uns 
und  unserem  Berichterstattungsgebiet  der  Stoff  zu  ferne  liegt. 

49.  Nachträglich  finden  wir  auch  noch  eine  gründliche  Wider- 
legung Lamberts  durch  Lenel  in  Sav.-Z.  XXVI  498—524.  Er 
widerlegt  besonders  die  Aufstellung,  auf  welche  Lambert  besonderes 
Gewicht  legt,  daß  nämlich  in  den  XII  Tafeln  Bestimmungen  vereinigt 
sind,  die  nicht  in  dem  gleichen  Gesetze  gestanden  haben  können, 
weil  sie,  wie  die  vergleichende  Rechtswissenschaft  lehre,  verschiedenen 
Stufen  der  sozialen  Entwicklung  angehörten.  Lenel  bespricht  die 
angebliche  Zerstücklung  des  Schuldners ;  die  Talion,  die  sich  irgend- 
wann und  irgendwie  bei  den  meisten  Völkern  der  Erde  findet,  im 
russischen  Recht  noch  im  17.  Jahrhundert,  und  die  in  den  XII  Tab. 
in  dem  ni  cum  eo  pacit  ihre  Milderung  fand;  die  angeblich  all- 
gemein-vereinsgesetzliche Bestimmung  bei  Gai.  tab.  47,  22,  4,  die 
sich  nur  auf  Kultvereine  bezieht;  die  Regelung  des  Begräbnisaufwandes, 
deren  Übereinstimmung  mit  der  Solonischen  Gesetzgebung  nach  Lenel 
durch  die  Vermittlung  der  Etrusker  zu  erklären  ist.  Sodann  wider- 
legt Lenel  die  Behauptung,  daß  im  5.  Jahrhundert  zu  Rom  eine  Gesetz- 
gebung durch  vom  Volke  erwählte  Dezemvirn  überhaupt  unmöglich 
gewesen  sei,  weil  noch  bis  um  300  das  Priesterkollegium  der 
pontifices  (die  doch  wohl  vom  Volke  gewählt  waren?)  das  Monopol 
der  interpretatio  iuris  gehabt  hätte.  Auch  hier  ist  es  uns  nicht 
gestattet,  auf  das  rechtsvergleichende  Gebiet  näher  einzugehen. 

50.  *  Außerdem  nahmen  Stellung  gegen  Lambert  in  kürzeren 
Besprechungen:  P.  Bonfante,  Boll,  di  filol.  cl.  X  181—183,  XI 
132 — 134;  Glasson  in  Söances  et  travaux  de  l'Acad.  des  sc.  mor. 
et  pol.  1904  S.  533—535  (nach  WklPh.  1904  S.  777  und  1905 
S.  307);  Woltjer  im  Museum,  Maandblad  voor  Philologie  XII 
Ulf.,  der  auf  die  Funde  auf  dem  Forum  hinwies,  nach  WklPh. 
1905  S.  325. 

Th  Mommsen,  Au>$exa§sXTQc  (s.  o.  Nr.  42)  erinnert  daran, 
daß  lex  in  vielen  Verbindungen  speziell  eine  lex  der  XII  Tab.  be- 
zeichnet :  z.  ß.  in  tutor  legitimus  (dagegen  tutor  Atilianus  nach  der 
Lex  Atilia) ;  iudicium  legitimum ;  legitimus  heres.  Ebenso  versteht 
Mommsen  lex  publica  nicht  nur  in  den  Formeln  bei  Gai.  Inst.  2, 


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XII  Tabulae.   Echtheit  und  Geschichte.  25 


104;  3,  174,  sondern  auch  bei  Cato  fragm.  ed.  Jordan  S.  21  und 
in  Inschriften,  welche  den  Besuch  von  Begräbnisstätten  regeln.  Daß 
in  dieser  Ausdrucksweise  ein  Beweis  für  die  Echtheit  der  XII  Tafeln 
liegt,  den  freilich  Lambert  ins  Gegenteil  umzukehren  versuchte,  s.  o. 
S.  19,  läßt  Mommsen  zwischen  den  Zeilen  lesen,  wenn  er  die 
XII  Tafeln  nennt  „combattues  et  malmenees  par  notre  chere  jeunesse, 
plus  z6le*e  que  röfle*chiea. 

51.  D.  H.  Müller,  Die  Gesetze  Hammurabis  und  ihr  Ver- 
hältnis zur  mosaischen  Gesetzgebung  sowie  zu  den  XII  Tafeln,  Wien 
1903,  besprochen  von  L.  M i tteis,  Das  syrisch-römische  Rechtsbuch 
und  Hammurabi,  Sav.-Z.  XXV  284—297. 

D.  H.  Müller,  ein  Orientalist,  hat  den  Versuch  gemacht,  den 
Einfluß  Hammurabis  nicht  bloß  für  das  hebräische  Recht,  sondern 
auch  für  das  röm.  Zwölftafelgesetz  nachzuweisen.  Die  Ausführungen 
über  einen  Einfluß  auf  das  Zwölftafelgesetz,  der  im  besten  Fall  nur 
bei  Annahme  von  unbekannten  Vermittlungsgliedern  denkbar  erschiene, 
würdigt  Mitteis  gar  nicht  einer  näheren  Besprechung.  Dagegen  weist 
er  die  Haltlosigkeit  der  Behauptung  nach,  daß  das  Syrisch-römische 
Rechtsbuch  Spuren  des  Einflusses  von  Hammurabi  zeige.  Die  beiden 
Bestandteile  dieses  Rechtsbuches  sind  vielmehr,  wie  Mitteis  bereits 
in  seinem  „Reichsrecht  und  Volksrechtu  gezeigt,  römisches  Recht 
und  griechisches  Provinzialrecht. 

Die  Frage,  ob  die  XII  Tab.  nach  dem  gall.  Brand  neu 
in  Erz  gegraben  wurden,  ist  Girard,  Nouv.  Revue  1908  p.  412 
zu  bejahen  geneigt,  nach  Kipp,  Gesch.  der  Quellen  S.  34  Anm.  10, 
der  die  Erneuerung  für  unwahrscheinlich  hält.  —  S.  Schloßmann, 
Altröm.  Schuldrecht  (s.  u.  Nr.  60)  S.  67  sagt :  „Die  Zwölftafeln 
waren  im  gallischen  Brande  untergegangen ,  und  sind  nicht  wieder 
erneuert  worden.  Nur  im  Gedächtnis  der  Römer  lebten  sie  fort, 
und  in  den  Kommentaren  und  sonstigen  Schriften  der  Juristen"  usw. 
"Woher  weiß  dies  gerade  Schi,  so  gewiß?  Daß  die  auf  dem  Forum 
aufgestellten  Tafeln  zugrunde  gingen,  das  ist  ja  gewiß ;  aber  es  wäre 
doch  eine  etwas  naive  Auffassung,  zu  glauben,  die  Römer  in  Veji 
oder  Alba  Longa  seien  vor  dem  gallischen  Brand  immer  nach  Rom 
gefahren,  wenn  sie  in  ihrem  „B.G.B."  etwas  nachsehen  wollten.  Man 
schrieb  sie  doch  selbstverständlich  ab,  vielleicht  konnte  man  sie 
sogar  im  Buchhandel  kaufen.  Ganz  abgesehen  davon  war,  wenn  auch 
nicht  auf  dem  Kapitol,  so  doch  im  Archive  der  Pontifices  vermutlich 
die  Urschrift  deponiert.  Sollten  die  Senatoren,  die  nach  der  sagen- 
umwobenen Überlieferung  weder  Kopf  noch  Herz  verloren,  sollten 
die  Pontifices  nicht  auch  an  die  Rettung  von  Urkunden  gedacht  haben  ? 


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2<j 


W.  Kalb.:  Römische  Juristen. 


Tab.  I. 

Schloßmann,  Der  Vindex  bei  der  in  ius  vocatio  (s.  o.  Nr.  35) 
behauptete  unter  Hinweis  auf  sein  Altrömisches  Schuldrecht  (s.  u. 
Nr.  60)  S.  20,  die  Worte  ADSIDUO  VINDEX  ADSIDUUS  ESTO  (die 
man  nach  Schloßmann  ohne  Grund  zur  tab.  I  statt  zu  tab.  III  rechnet) 
bezögen  sich  nicht,  wie  man  meist  annimmt,  auf  die  in  ius  vocatio, 
sondern  auf  die  manus  iniectio  iudicati;  adsiduus  bedeute  nicht  (wie 
später)  einen  wohlhabenden  Mann,  sondern  nur  den  Ansässigen  (wie 
nach  Schloßmann,  Nexum,  auch  andere  bereits  annahmen),  und  der 
Zwölftafelsatz  habe  verhindern  wollen,  daß  ein  erbsässiger  Grund- 
besitzer in  das  mancipium  eines  „proletarius",  eines  Nichtansässigen, 
gerate ;  denn  die  Tätigkeit  des  vindex  bei  der  Manus  iniectio  iudicati 
habe  darin  bestanden,  daß  er  den  vom  Kläger  ergriffenen  Nexus  vom 
Gläubiger  loskaufte  und  ihn  sich  in  iure  zedieren  ließ,  um  dafür  von 
diesem  späterhin  vielleicht  nicht  nur  Ersatz,  sondern  auch  noch  weitere 
Vorteile  zu  erlangen.    Gegen  Schloßmann: 

52. 0.  Lenel,  Sav.-Z.  XXV  895—405.  Schloßmanns  Auffassung  des 
Vindex  bei  der  Manus  iniectio  als  eines  eigennützigen  Spekulanten 
ist  zum  Teil  auf  Gai.  4,  21  gegründet:  vindicem  dabat  qui  pro  se 
(nicht  pro  eo)  causam  agere  solebat,  das  nur  bedeuten  könne,  daß 
er  für  sich,  in  eigener  Angelegenheit  den  Prozeß  führte.  Aber  dieser 
Deutung  wiederspricht  nach  L.  der  ganze  Zusammenhang.  Der  Vindex 
führt  vielmehr  an  Stelle  des  iudicatus  den  Prozeß.  (Kübler,  WklPh. 
1904  S.  769  zeigt,  dass  ein  solches  se  statt  eo  auch  bei  Cic.  und 
Caes.  vorkommt.  Lenel  weist  hin  auf  die  Definition  bei  Boeth.  in 
Cic.  Top.  2,  10  Vindex  est  qui  alterius  causam  suseipit  vindicandam, 
veluti  quos  nunc  procuratores  vocamus.) 

58.  Th.  Mommsen  sprach  über  iumentum  in  Hermes  1903 
S.  151—153. 

Tab.  HI. 

AER1S  CONFESSI  Tab.  III  1  bezeichnet  nach  Schloßmann, 
Altr.  Schuldrecht  S.  129  (s.  u.  Nr.  60)  nicht,  wie  man  es  all- 
gemein faßt,  eine  eingestandene  Geldschuld,  denn  nicht  aes  heißt 
Schuld,  sondern  nur  aes  alienum.  Schi,  betont  das  con,  das  in  den 
XII  Tab.  noch  nicht  bedeutungslos  sei  wie  oft  im  späteren  Latein, 
sondern  immer  seine  ursprüngliche  Bedeutung  (zusammen)  habe.  Aes 
confessum  bedeutete  demnach  ein  vereinbartes  Geld,  d.  h.  eine 
durch  Vertrag  begründete  Geldschuld.  Da  nun  Schi,  nexum  manci- 
piumque  für  den  einzigen  in  den  XII  Tab.  anerkannten  Vertrag  hält, 
so  folgert  er  kühn  weiter,  daß  aes  confessum  weiter  nichts  sei  als 
eine  nexu  maneipioque  festgestellte  Geldschuld. 


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XII  Tab.   Zu  Tab.  3. 


27 


In  der  3.  Tafel  könnte  nach  Schloßmann,  Altr.  Schuldrecht 
S.  139)  gestanden  haben  (vgl.  Gell.  20,  1,  42)  AERIS  CON- 
FESSI  NEXIQUE  (statt  REBÜSQUE)  JURE  JUDICATIS.  Die  Aus- 
führungen in  Schl.s  Nexum  (s.  u.  Nr.  61)  S.  46  gegen  B.  Kubier  (s.  u. 
Nr.  61  a)  sind  nicht  ganz  unbegründet :  es  ist  sprachlich  kaum  denk- 
bar, daß  eine  Art  von  Gen.  abs.  neben  einem  Abi.  abs.  stehe;  doch 
auch  Lenel,  Sav.-Z.  XXV  395  ff.  tritt  nicht  auf  Schl.s  Seite.  (Viel- 
leicht bildet  rebusque  iure  iudicatis  einen  Zusatz,  den  ein  späteres 
Gesetz  machte.  Denn  aeris  confessi  triginta  dies  iusti  sunto  hat 
guten  Sinn,  und  rebus  iure  iudicatis  trig.  dies  iusti  sunto  ebenfalls. 
Gerade  bei  Zusätzen,  freilich  auch  bei  solchen  zu  eigenen  Nieder- 
schriften, kommen  gerne  solche  Unebenheiten  vor.  Ref.)  Mit  ganz 
besonderer  Gründlichkeit,  und  wie  wir  glauben,  endgültig  überzeugend, 
tritt  Schloßmann,  AltrÖm.  Schuldr.  S.  61  ff.  der  von  Huschke  „albern" 
genannten  Auffassung  des  Satzes  entgegen  TERT1IS  NUNDINIS 
PARTIS  SECANTO.  SI  PLUS  MINUSVE  SECUERUNT,  SE  FRAUDE 
ESTO,  als  hätten  die  Gläubiger  das  formelle  Recht  gehabt,  den  in- 
solventen Schuldner  zuletzt  zu  zerstückeln.  Besonders  beachtenswert 
ist  der  Hinweis  darauf,  daß  bloß  in  diesem  Satze  der  Tab.  III  von 
einer  Mehrzahl  von  Gläubigem  die  Rede  ist ;  also  einer  allein  hatte 
das  Recht  zum  secare  nicht:  von  einem  Tötungsrecht  kann  also  gar 
nicht  die  Rede  sein.  Da  nun  auch  noch  in  späterer  Zeit  sectio 
bonorum,  Verkauf  des  Vermögens,  das  Endergebnis  der  Insolvenz 
war,  verstand  Huschke  mit  Recht  partis  secanto  von  der  Verteilung 
des  Vermögens.  Hier  hätte  Schi.  Halt  machen  sollen.  Er  stellt  aber 
noch  die  weiteren  Möglichkeiten  auf,  daß  der  Satz  der  XII  Tab.  eine 
Fälschung  sein  könne  oder  eine  Erfindung  der  Rhetorenschulen.  Wozu 
dies?  Genügte  es  nicht,  wenn  Belletristen,  um  interessant  zu  sein, 
oder  Gelehrte  aus  Irrtum  den  echten  Satz  falsch  deuteten,  was  sie 
um  so  leichter  konnten,  als  man  von  dem  um  328  abgekommenen 
Schuldrecht  wenig  mehr  wußte? 

54.  F.  Eleineidam,  Die  Personalexekution  der  Zwölf  Tafeln. 
Breslau  1904*,  bringt  nach  H.  Erman,  Sav.-Z.  XXVI  556—564 
manche  originelle,  wenn  auch  nicht  haltbare  Erklärungen  zu  den 
XU  Tab.  Da  er  das  Wort  secta  in  mittelalterlicher  Weise  von  secare 
ableitet,  wird  es  ihm  nicht  schwer,  PARTIS  SECANTO  zu  fassen  = 
sie  sollen  abstimmen,  indem  er  an  die  itio  in  partes  denkt.  —  II.  Erman 
vergleicht  damit  die  Erklärung  Schulins  secanto  =  secunto  (-=  sie 
sollen  ansagen  [welchen  Teil  jeder  in  Anspruch  nimmt] ,  wobei  Sch. 
an  virum  mihi  Camoena  insece  denkt).  Anerkennenswert  ist  es  immer- 
hin, daß  Kl.  dem  Dogma  von  der  Zerstückelung  des  Schuldners  ent- 


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28 


W.  Kalb:  Römische  Juristen. 


gegentritt.  Nach  Kl.  gaben  die  XII  Tab.  dem  Gläubiger  (mit  Puchta, 
gegen  Mommsen)  gegenüber  einem  verstockten  Schuldner  nur  die 
Wahl  einerseits  zwischen  Tötung  oder  Verkauf  nummo  uno  trans 
Tiberim  oder  anderseits  Loslassung  des  Schuldners. 

L  e  n  e  1  (s.  o.  Nr.  49)  S.  508  tritt  ebenfalls  der  gruseligen  Zer- 
stücklung des  Schuldners  entgegen  und  zeigt,  daß  auch  von  einer 
Tötung  desselben  (Kleineidam)  nirgends  die  Rede  ist.  In  den  zwei 
Sätzen  SI  PLUS  MINÜSVE  SECUERUNT,  SE  FRAUDE  ESTO  findet 
L.  einen  Wechsel  des  Subjektsnumerus:  „.  .  .  dann  soll  ihn  keine 
Schuld  treffen".  Vielleicht  hatte  nach  L.  der  betreibende  Gläubiger 
bei  der  Verteilung  des  Vermögens  eine  besondere  Rolle.  (Andere 
denken  sich  als  Subjekt  zu  esto  „es",  das  sich  auf  den  ganzen  Wenn- 
satz bezieht.)  —  Für  die  Zerstückelung  jedoch  Bekker,  s.  Nach- 
träge. 

Tab.  IV. 

B.  Kübler,  Sav.-Z.  XXIV  454—457  bespricht 

55.  HansStockar,  Entzug  der  väterlichen  Gewalt  im  r.  R. 
Zürich  1908.  Stockar  sieht  in  dem  Satze  der  XII  Tafeln  SI  PATER 
FILIUM  TER  VENUM  DUUIT  FILIUS  A  PATRE  LIBER  ESTO 
eine  Erweiterung  der  väterlichen  Gewalt,  da  diese  vorher  konsequenter- 
weise schon  mit  der  ersten  Manzipation  geendet  habe,  Kübler  da- 
gegen mit  den  meisten  Rechtshistorikern  eine  Beschränkung  der  väter- 
lichen Gewalt:  der  verkaufte  Sohn  kehrte,  wenn  ihn  der  Käufer 
freigelassen  hatte,  quasi  iure  postliminii  in  die  Gewalt  seines  Vaters 
zurück,  und  zwar  ursprünglich  nicht  bloß  zweimal. 

Tab.  VI. 

CUM  NEXUM  FACIET  MANC1PIUM  QUE,  UTI  LINGUA 
NUNCUPASIT,  ITA  IUS  ESTO. 

56.  L.  Mitteis,  Über  das  Nexum.    Sav.-Z.  XXII  125—189. 

57.  0.  Lencl,  Das  Nexum.    Sav.-Z.  XXIII  84—101. 

58.  E.  I.  Bekker,  Über  die  Objekte  und  die  Kraft  der  Schuld- 
verhältnisse.   Sav.-Z.  XXm  1—30,  429—480. 

59.  Th.  Mommsen,  Nexum.    Sav.-Z.  XXEH  348—855. 

Seit  Huschke  ging  die  vorwiegende  Meinung  dahin,  das  Wesent- 
liche des  Nexum  sei  gewesen,  daß  es  per  aes  et  libram  eine  publi- 
zistische, einem  Urteil  gleichkommende  Obligation  begründet  habe, 
so  daß  der  Gläubiger,  wenn  die  Schuld  fällig  wurde,  sofort  zur  Legis 
actio  per  manus  iniectionem ,  bei  welcher  der  Ergriffene  sich  nicht 
mehr  selbst  verteidigen  durfte,  habe  schreiten  können.  Die  Meinung 
Huschkes  wurde  neuerdings  von  verschiedenen  Seiten  angefochten. 


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XII  Tab.  Zu  Tab.  6. 


29 


Zuerst  war  es  Mitteis,  der  die  Ansicht  vertrat,  daß  das 
Nexum,  ein  Wort,  welches  in  der  ältesten  Zeit  auch  den  solennen 
Kauf  bezeichnet  habe,  eine  Selbstverpfändung,  d.  h.  einen  bedingten 
Selbstverkauf  des  Schuldners  bedeutet  habe,  wie  auch  vorHuschke 
schon  Kiebuhr  und  andere  gemeint  hatten.  Der  Gläubiger  konnte 
also  bei  Fälligkeit  der  Schuld  kurzweg  den  Schuldner  als  Eigentum 
vindizieren.  (In  Sav.-Z.  XXV  282  ändert  Mitteis  seine  Meinung 
dahin  etwas  ab,  daß  unter  Nexum  nicht  ein  bedingter,  sondern  ein 
unbedingter  Selbstverkauf  des  Schuldners  zu  verstehen  sei,  der  erst 
nach  Fälligkeit  des  Darlehens  bei  eingetretener  Zahlungsunfähigkeit 
vorgekommen  ist.)  —  Nexum  und  mancipium  sind,  wie  besonders 
Lenel  a.  a.  0.  ausführte,  nicht  Begriffe,  die  einander  ausschließen, 
sondern  sinnverwandte  Wörter,  deren  zweites  das  erste  lediglich  vor 
Mißdeutung  schützen  soll,  so  daß  sie  einen  einzigen  Begriff  bilden: 
„wenn  einer  Wägegeschäft  und  Zugriff  vornimmt".  Maßgebend  ist  Varro 
L.  1.  7, 105:  Nexum  Manilius  scribit  omne  quod  per  libram  etaes  geritur, 
in  quo  sint  mancipia  (Lenel:  =  „in  welchem  die  Manzipationen 
nur  inbegriffen  sind");  Mucius,  quae  per  aes  et  libram  fiant  ut  obli- 
gentur  (Mommsen  S.  849  obligetur),  praeterquam  (praeter  quom 
Mommsen  nach  A.  Spengel;  praeterquam  quod  liest  unnötigerweise 
Lenel)  manclpio  detur  (d.  h.  nach  Lenel:  „was  per  aes  et  libram 
noch  neben  dem  Mancipium  geschieht  mit  dem  Effekt,  daß  daraus  eine 
Obligation  entsteht".)  —  Die  feineren  Unterschiede,  die  Lenel  macht 
unter  Hinweis  auf  die  Wadiation,  können  wir  hier  nicht  darlegen. 
Daß  das  nexum  nicht  als  identisch  mit  einer  körperlichen  Haft  be- 
trachtet wurde,  sondern  als  ein  Vorgang,  auf  welchen  bloß  unter  be- 
stimmten Bedingungen  die  Hingabe  an  den  Gläubiger  folgte,  d.  h.  bei 
Insolvenz  nach  Fälligkeit  der  Schuld,  das  scheint  die  Darstellung 
bei  Liv.  2,  27  zu  beweisen.  Der  plebeierfeindliche  Konsul  Appius 
(493)  dachte  nach  dem  Sieg  über  die  Feinde  nicht  im  entferntesten 
daran,  die  Versprechungen  seines  Kollegen  einzulösen,  mit  welchen 
dieser  die  Plebs  zur  Teilnahme  am  Kriege  bewogen  hatte:  vielmehr 
quam  asperrime  poterat  ius  de  creditis  pecuniis  dicere.  Deinceps 
(nacheinander)  et,  qui  ante  (vor  dem  Feldzug)  nexi  fuerant  credi- 
toribus  tradebantur,  et  nectebantur  alii.  E.  I.  Bekker  gibt  eine 
anschauliche  Darlegung  des  Negotium  per  aes  et  libram  und  des 
Nexum,  wobei  er  an  Mitteis  manche  Konzessionen  macht;  im  ganzen 
aber  steht  er  auf  Huschkeschem  Standpunkt :  Der  wegen  Nichtbezahlens 
einer  Schuld  mit  manus  iniectio  (damnati)  Ergriffene  konnte  sich  den 
schlimmen  Folgen ,  die  zuletzt  zum  Verkauf  trans  Tiberim  führen 
konnten,  in  der  Regel  wohl  durch  pacisci  entziehen,  am  leichtesten, 


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30  W.  Kalb:  Römische  Juristen. 

* 

wenn  er  noch  Hab  und  Gut  hatte,  um  sie  dem  Gläubiger  zu  manzi- 
pieren  gegen  precario  -  Überlassung.  Er  weist  besonders  auf  rechts- 
geschichtliche Schwierigkeiten  hin,  welche  dem  ansprechenden  Ge- 
danken von  Mitteis,  „die  Brücke  vom  Libripens  ins  Ergastulum  kürzer 
zn  schlagen"  entgegenzustehen  scheinen. 

Th.  Mommsen  hatte  im  Jahre  1857  sich  als  Anhänger  der 
Huschkeschen  Theorie  geäußert,  hat  aber  in  der  Abhandlung  „Bürger- 
liche und  peregrinische  Freiheit  im  römischen  Staat",  Festgabe  für 
Beseler  1885  S.  256,  261  die  Schuldverpflichtung  in  der  ältesten 
Zeit  als  bedingten  Selbstverkauf  bezeichnet.  Mommsens  weitere  Aus- 
führungen gehören  nicht  mehr  zu  unserem  Referat.  — 

Der  Selbstverkaufstheorie  gegenüber  vertreten  die  Huschkesche 
Auffassung  mit  größeren  oder  geringeren  Abweichungen  außer 
E.  I.  Bekker  auch  C.  Bertolini  (s.  Nr.  1),  P.  F.  Girard  (nach 
Schloßmann  s.  u.  Nr.  60),  B.  K  übler  (s.  u.  Nr.  61a)  und  wie  es 
scheint  auch  F.  Senn  (s.  u.  Nr.  62). 

60.  S.  Schloßmann,  Altrömisches  Schuldrecht  und  Schuld- 
verfahren. Leipzig  1904.  —  61.  Derselbe,  Nexum.  Nachträgliches 
zum  Altrömischen  Schuldrecht.    Leipzig  1904. 

Wir  können  hier  aus  den  beiden  interessanten  Schriften  (in 
denen  Schi,  nur  etwas  zu  wörtlich  dem  Satz  Mommsens  folgt,  daß 
die  Phantasie  aller  Historie  Mutter  sei)  nur  solche  Punkte  anführen, 
die  für  Philologen  Interesse  haben  können.  Huschkes  Aufstellung, 
daß  das  Nexum  (oder  auch  das  Damnationslegat)  beim  Verfall  der 
Schuld  die  Wirkung  eines  Urteils  gehabt  habe  und  ohne  wirkliches 
richterliches  Urteil  sofort  zur  manus  iniectio  pro  iudicato  unter  Ausschluß 
aller  Selbstverteidigung  geführt  habe,  ist  nach  Schi,  (dem  hier  auch 
Lenel,  Sav.-Z.  XXV  895—405  beitritt)  für  einen  Rechtsstaat  un- 
möglich. Selbst  der  harmloseste  Mensch  hätte  sich  immer  von  einem 
Vindex  begleiten  lassen  müssen.  (Anders  bei  der  In  ius  vocatio, 
welcher  mutatis  mutandis  in  jedem  Rechtsstaat  Folge  geleistet  werden 
muß.)  Bekker  hat  zwar  nach  Schi,  die  Sache  dadurch  erklären  zu 
können  geglaubt,  daß  das  Nexum  infolge  der  Beiziehung  von  fünf 
Zeugen  stadtkundig  geworden  sei :  aber  abgesehen  von  der  Ausdehnung 
Roms  konnte  ja  auch  durch  Lüge  manches  „stadtkundig"  werden.  (Ob 
wir  aber  nicht  vielleicht,  wenn  Rom  ein  ähnliches  Klima  hätte  wie 
Ägypten,  über  solche  mündliche  Verträge  vor  Zeugen  auch  in  Rom 
schriftliche  Beweise  fänden?  Ob  nicht  auch  die  Gemeindetafel  eine 
Rolle  spielte?)  Schi,  erhebt  freilich  selbst  einen  Einwand:  daß  ja 
auch  ein  Freier  von  der  Straße  weg  als  Sklave  hätte  in  Anspruch 
genommen  werden  können,  der  dann,  wenn  er  keinen  adsertor  fand, 


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XII  Tab.  Zu  Tab.  6. 


31 


in  ähnlicher  Weise  wie  der  von  ihm  in  Schutz  genommene  pro  iudi- 
cata Gefaßte  rechtlos  dem  Vergewaltiger  verfallen  gewesen  wäre. 
Er  hält  auch  hier  einen  solchen  Rechtszustand  für  undenkbar.  Wir 
haben  aber  aus  Cod.  Just,  (wenn  wir  nicht  irren  aus  der  Zeit  des 
Alexander  Severus)  einen  Fall  in  der  Erinnerung,  wo  tatsächlich  ein 
Freier,  sogar  von  seinen  eigenen  Sklaven,  auf  dem  Sklavenmarkte 
verkauft  wurde.  —  Im  großen  und  ganzen  tritt  Schi,  in  der  Er- 
klärung des  Nexum  Mitteis  bei,  von  dem  er  in  einzelnem  freilich  ab- 
weicht. Nicht  für  möglich  halten  wir  Schl.s  Erklärung  der  Varro- 
stelle  L.  1.  7,  105  (oben  S.  29  abgedruckt):  bei  der  Definition  des 
Manilius  faßt  er  nexum  =  das  Nexusgeschäft,  bei  der  Definition  des 
Mucius  ergänzt  er  sich  nexa  =  nektierte  Gegenstände  und  faßt 
quae  .  .  .  fiant  ut  obligentur  als  pleonastische  Ausdrucksweise  für 
quae  obligentur:  „Nektierte  Sachen  sind  Sachen,  die  obligiert,  d.  h. 
verpfändet  werden,"  und  das  folgende  praeterquam  (quod)mancipio 
de<n)tur  (so  verbessert  Schi.)  versteht  er,  „wenn  man  bei  ihrer  Be- 
nennung als  nexa  davon  absieht,  daß  sie  (dem  Gläubiger)  auch  man- 
zipiert  werden".  Den  Pluralis  fiant  (statt  fiat  ut,  was  er  in  seiner 
ersten  Abhandlung  als  eine  „nicht  lateinische"  Vermutung  Spengels  be- 
zeichnet, in  der  zweiten  freilich  nicht  mehr)  will  er  rechtfertigen  mit 
einer  Attraktion,  wie  sie  nach  griechischer  Analogie  häufig  ist  in  te 
faciam  ut  scias.  Hier  wie  auch  sonst  verweist  er  auf  Grammatiken : 
aber  kein  Nachschlagewerk  kann  jenes  Sprachgefühl  ersetzen,  das 
aus  der  fortgesetzten  Beschäftigung  mit  einer  Sprache  sich  ergibt.  — 
Geistreichen  Luftritten  Schl.s  zu  folgen,  verbietet  uns  die  unserem 
Berichte  gesetzte  Schranke  (vgl.  0.  Lenel,  Sav.-Z.  XXV  395—405); 
doch  zu  einigen  besonders  erwähnenswerten  Ausführungen  konnten 
wir  an  anderen  Orten  unseres  Berichts  Stellung  nehmen. 

Schloßmanns  Altr.  Schuldrecht  wurde  besprochen  von  61a 
B.K  üb  ler,  WklPh.  1904  S.  175  ff.,  Schloßmanns  Nexum  von  dem- 
selben 61b  in  WklPh.  1904  S.  764  ff. ;  ferner  veröffentlichte  61c 
Kübler  in  Sav.-Z.  XXV  255 — 281  „Kritische  Bemerkungen  zum 
Nexum".  Er  zeigt  die  Unhaltbarkeit  von  Schloßraanns  Erklärung 
der  Varrostelle.  Er  selbst  übersetzt :  Unter  Nexum  versteht  Manilius 
alle  Libralgeschäfte,  also  einschließlich  der  Manzipationen,  Scaevola 
dagegen  nur  die  obligatorischen,  also  abgesehen  von  der  Manzipation. 
Als  solche  sind  nach  K.  freilich  nur  das  Darlehensnexum  und  etwa 
noch  die  entsprechende  nexi  liberatio  zu  verstehen.  Zweifellos  hat 
einerseits  K.  das  Richtige  getroffen,  wenn  er  in  den  beiden  Er- 
klärungen, der  des  Manilius  und  der  des  Scaevola,  die  Gegensätze 
findet:  Man.:  omne  quod  per  aes  et  libram  geritur,  in  quo  sunt 


I 

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32 


W.  Kalb:  Römische  Jurifiten. 


raancipia  —  Scaev. :  nur  quae  per  aes  et  librara  fiunt  ut  o  b  1  i  - 
getur,  praeterquam  raancipio  detur,  und  hier,  in  diesem 
Punkte,  opponiert  ihm  Schloßmann,  Nexum  S.  41  in  einer  geradezu 
unverständlichen  Weise:  „um  zu  einer  Beschränkung  der  Dinge  (?) 
quae  tiant  ut  obligentur  auf  Libralgeschäfte  zu  gelangen,  müßte  es 
möglich  sein,  zu  diesem  Relativsätze  ein  Beziehungswort  zu  ergänzen, 
das  den  Begriff  Libralgeschäft  ausdrückt "  —  als  ob  per  aes  et  libram 
nicht  klar  und  deutlich  auch  in  der  Definition  des  Mucius  stünde !  — 
Weiter   dagegen  können  wir  Kübler    nicht   folgen.     Er  folgert, 
Uuschkes  Ansicht  sei  demnach  doch  richtig,  nexum  und  mancipium 
seien  zwei  getrennte  Rechtsgeschäfte,  und  Lenel,  Mitteis  u.  a.  hätten 
mit  Unrecht  angenommen,  daß  nexum  und  mancipium  von  jeher  nur 
zwei  Bestandteile  eines  und  des  nämlichen  Rechtsgeschäfts  gewesen 
seien.    Wohl,  was  das  que  in  nexum  mancipiumque  betrifft,  hat 
Kübler  recht:  que  und  ve  bedeutet  das  gleiche,  aus  que  kann  man 
gar  keine  Schlüsse  ziehen.    Aber  was  obligare  und  was  mancipium 
bedeutet,  darüber  kann  man  anderer  Meinung  sein.    In  der  Be- 
sprechung von  Schl.s  Nexum  sagt  Kübler,  es  sei  selbstverständlich, 
daß  unter  die  mancipia  fallen  außer  dem  Testamentum  per  aes  et 
libram  auch  die  Adoption,  Emanzipation,  Coemptio,  soweit  sie  hierher 
gehören.    Das  ist  durchaus  nicht  selbstverständlich.    Manilius,  ja, 
er  faßte  dies  alles  darunter.  Aber  Mucius  Scaevola  hatte  vermutlich 
für  jedes  derselben  seinen  eigenen  Namen,  geradeso  wie  er  nexum 
und  mancipium  trennt,  und  nannte  die  mancipia  vielleicht  nur  a  parte 
inaiore.    Mancipium  halten  wir  nicht  für  dasselbe  wie  mancipatio, 
wie  Kübler  will ;  es  ist,  im  Sinne  des  Scaevola  wenigstens,  ein  engerer 
Begriff  =  Manzipations k a u f  von  res  mancipii.    Mit  dieser  Modi- 
fikation paßt  Küblers  Erklärung  der  Varrostelle  auch  zu  der  Er- 
klärung des  Nexum  durch  Mitteis  und  Lenel.   Der  Bedeutungswechsel, 
der  sich  in  den  Auffassungen  von  Manilius  und  Scaevola  darzustellen 
scheint  (hierüber  Bekker  S.  14),  wäre  dann  derselbe  Bedeutungs- 
wechsel, den  wir  für  die  meisten  zweigliederigen  Asyndeta  annehmen 
(Juristenlat.  S.  37  Anm.  1):  ursprünglich  (umgekehrt  Schloßmann, 
Nexum  S.  44)  bezeichnete  man  alle  „Libralgeschäfte"  mit  dem  einen 
Worte  nexus;  irgendein  Gesetz  (vielleicht  die  XII  Tab.  selbst) 
wollte,  da  man  begann,  von  nexi  als  Verschuldeten  zu  sprechen,  jedes 
Mißverständnis  ausschließen  und  setzte  mancipium  dazu;  wir  würden 
es  in  Klammern  setzen  „Wägegeschäft  (Zugriff)".    Später  schied 
man  dann,  ähnlich  wie  bei  usus  (fruetus),  die  zwei  Worte  aus- 
einander. —  Ob  an  der  Varrostelle  obligare  verpflichten  (Kübler) 
oder  verpfänden  (Schloßmann)  bedeutet,  ob  also  Varro  schließlich 


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XII  Tab.   Zu  Tab.  6.   Zu  Tab.  8. 


33 


für  Huschke  oder  für  Mitteis  spricht,  das  zu  entscheiden,  reicht  das 
Sprachgefühl  nicht  aus;  hier  kommt  es  auf  den  Sprachgebrauch  der 
Mucianischen  Zeit  an;  ihn  festzustellen,  überlassen  wir  anderen. 
(Vgl.  über  die  Bedeutung  von  obligare  Manigk,  Zur  Geschichte 
der  röm.  Hypothek  I  54  ff.;  18  Anm.  1.  Auf  S.  96  f.  stellt  Manigk 
fest,  daß  Gaius  das  Wort  obligare,  wenn  von  Pfand  die  Rede  ist, 
nie  vom  Faustpfande,  sondern  nur  von  einer  Hypothek,  die  ja  die 
wichtigsten  Zwecke  der  alten  Fiducia  nur  in  praktischererweise 
erfüllte,  angewendet  hat.) 

62.  Zuletzt  hat  sich  über  das  Nexum  geäußert  F.  Senn, 
Le  Nexum.  Nouvelle  Revue  XXIX  49 — 95.  Er  steht  im  ganzen 
auf  Huschkeschem  Standpunkt,  sucht  jedoch  einzelne  von  den  Wider- 
sprüchen in  den  Quellen  durch  die  allmähliche  geschichtliche  Ent- 
wicklung zu  erklären.  Der  Darleiher  sprach  bei  der  Zuwägung  des 
Edelmetalls  (die  nach  Einführung  des  geprägten  Geldes  eine  reine 
Form  wurde,  zu  welcher  die  tatsächliche  Summe  mit  Worten  hinzu- 
gefügt werden  mußte,  das  bedeute  der  Satz:  Uti  lingua  nuncupasit, 
ita  ius  esto)  gleichzeitig  eine  damnatio  gegen  den  Schuldner  aus  (damnas 
esto)  usw.  Die  Lex  Poetelia  Papiria  (Liv.  8)  schaffte  nach  S.  zwar 
das  Nexum  nicht  ab,  benahm  ihm  aber  seine  exekutorische  Kraft ;  man 
mußte  seitdem,  wie  bei  anderer  Schuld,  einen  Richterspruch  herbeiführen. 
So  kam  das  Nexum  allmählich  außer  Gebrauch,  weil  einfachere  Wege 
zum  gleichen  Ziele  führten.  (Die  entgegenstehenden  Ansichten  über 
die  Lex  Poetelia  berührt  Senn  kurz  in  einer  Anm.)  Mit  der  Sache 
kam  auch  der  Name  nexum  außer  Gebrauch.  Das  freigewordene 
Wort  nexum  konnte  deshalb  jetzt,  was  bei  Nichtjuristen  am  wenigsten 
auffallen  kann ,  gebraucht  werden  für  das  noch  weiter  bestehende 
negotium  per  aes  et  libram,  die  mancipatio,  besonders  wenn  sie  die 
obligatio  auctoritatis  herbeiführte.  In  den  Digesten  und  im  Codex 
hat  nexum  überhaupt  keine  Beziehung  mehr  zum  negotium  per  aes 
et  libram ;  es  bedeutet  einfach  obligatio.  (Es  scheint  bei  den  Juristen 
erst  aufzutreten,  als  man  [seit  Papinian]  die  gewöhnlichen  Ausdrücke 
immer  mehr  durch  gewählte  zu  ersetzen  begann ,  wo  necterc  eine 
erwünschte  rhetorische  Abwechslung  mit  dem  gewöhnlichen  obligare 
bot.  Ref.) 

Tab.  Vm. 

63.  M.  Breal,  Une  disposition  de  la  loi  des  XII  tables 
relative  au  client.  Nouv.  Revue  XXVI  (1902)  S.  147  f.  erkennt  in 
dem  Satze  PATRONUS  SI  CLIENTI  FRAUDEM  FECERIT,  SACER 
ESTO  das  fraudem  facere  als  die  Versäumnis  des  dem  Klienten  vor 
Gericht  geschuldeten  Beistandes. 

Jahre«bericht  für  Alt«rtun.«wis8eiiich»ft.    Ud.  CXXXIV.   (1907.   II.)  3 


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34 


W.  Kalb:  Römische  Juristen. 


-64.  Paul  Huvelin,  La  notion  de  r„iniuriaa  dans  le  tres 
ancien  droit  romain.  Lyon  1908.  Angezeigt  von  L.  Seuffert  (in  Archiv 
für  lat.  Lex.  XIII  587—589).  H.  weist  nach,  daß  in  dem  XII  Tafel- 
satze SI  INIURIAM  FAXSIT,  XXV  POENAE  SÜNTO  das  Wort 
iniuria  ursprünglich  nicht,  wie  es  Cicero  und  andere  erklärten,  die 
Beleidigung  bedeutete,  sondern  den  rechtswidrigen  körperlichen  An- 
griff auf  eine  Person.  Auch  im  sonstigen  Altlatein  bedeute  iniuria 
nach  dem  Ausweis  von  104  Stellen  immer  entweder  das  Unrecht  in 
allgemeinerem  Sinne  oder  im  spezielleren  die  widerrechtliche  Tätlich- 
keit. Entsprechend  bedeutete  auch  occentatio  und  carmen  famosura 
nicht  eine  einfache  Beleidigung  durch  Spottlieder  und  Schmähgedichte, 
sondern  Zauberlieder.  Man  hat  also  nicht  nötig,  eine  Scheidewand 
zu  ziehen  zwischen  incantare  (excantare)  und  occentare.  Weitere 
Erörterungen  beziehen  sich  auf  flagitium  und  flagitatio,  convicium 
und  contumelia. 

65.  M.  W 1  a  s  s  a  k ,  Der  Gerichtsmagistrat  im  gesetzlichen  Spruch- 
verfahren,  Sav.-Z.  XXV  bespricht  auf  S.  95 — 102  die  Strafe  gegen 
den  für  manifestus  (XII  Tab.  8,  14)  nach  Gell.  11,  18,  8  und 
Gai.  3,  189.  Das  Gesetz  kann  nicht  befohlen  haben  Verberatus 
addicitor  (in  Schuldknechtschaft),  cui  furtum  factum  est.  Die  Strafe 
der  Schuldknechtschaft,  eingesetzt  statt  der  von  den  XII  Tab.  tat- 
sächlich vorgesehenen  Sklaverei,  war  vielmehr  eine  nachträgliche 
rein  theoretische  Erfindung  der  Veteres,  die  erst  aufkam,  als  die 
Strafe  des  Vierfachen  den  Satz  der  XII  Tab.  verdrängt  hatte.  Ur- 
sprünglich mag  das  Gesetz  ganz  allgemein  verordnet  haben:  libero 
si  furtum  manif.  faxit  capital  esto;  d.  h.  er  sollte  die  Freiheit  ver- 
lieren. Wenn  die  addictio  noch  besonders  erwähnt  war,  so  konnte 
dies  nur  in  dem  Sinne  geschehen  sein ,  daß  der  Prätor  seine  Ge- 
nehmigung hinzutreten  ließ  (ad-dicere  =  idem  dicere)  „zum  formu- 
lierten klägerischen  Spruche,  mittels  dessen  der  Verletzte  sein  aus 
dem  Delikt  entsprungenes  Recht  gegen  den  Dieb  in  Anspruch 
nimmt".    Ihre  Spitze  kehrte  diese  Vorschrift  gegen  die  Selbsthilfe. 


66.  E.  I.  Bekker,  Zur  Lehre  von  den  Legisaktionen.  Sav.-Z. 
XXV  (1904)  S.  55—80  gehört  zwar  seinem  Inhalte  nach  nicht  zu 
unserem  Referat,  sondern  zur  Geschichte  des  römischen  Prozesses. 
Auch  nicht  deshalb  erwähnen  wir  die  Abhandlung,,  weil,  wer  einiger- 
maßen einen  Begriff  von  dem  mutmaßlichen  Inhalte  der  altrömischen 
Gesetze,  die  den  Zivilprozeß  betreffen,  bekommen  will,  diese  Abhandlung 
kennen  muß:  Denn  sonst  hätten  wir  in  den  bisherigen  Referaten 


Jus  civile  Flavianum. 


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Jus  Flavianum.   Gesetze  zwischen  XII  Tab.  und  Sulla.  35 

schon  manche  andere  Schrift  dieser  ersten  Autorität  auf  dem  Gebiete 
der  römischen  Aktionen  anzeigen  müssen.  Aber  in  den  einleitenden 
Worten  erzählt  E.  I.  Bekker,  Mommsen  habe  in  einem  Gespräch 
gesagt,  wenn  er  einmal  einen  röm.  Strafprozeß  zu  schreiben  hätte, 
so  würde  er  die  Hauptaufgabe  in  der  Rekonstruktion  der 
Formeln,  Spruch-  und  Schriftformeln,  suchen.  Denn  wenn  sich 
von  den  alten  S  p  r  u  c  h  formein  der  Legisaktionen  durch  scharfsinnige 
Kombination  noch  wesentlich  mehr  erraten  ließe  als  bisher  bekannt 
ist,  dann  könnte  ein  phantasievoller  Kopf  vielleicht  an  eine  Rekon- 
struktion jenes  Buches  denken,  in  welchem  App.  Claudius  die  Actiones 
zusammengestellt  hatte,  und  das  Cn.  Flavius  veröffentlichte.  Aber 
Bekker  hält  die  alten  Formeln  für  zu  buntscheckig,  als  daß  das 
Mommsensche  Problem  gelöst  werden  könnte. 

Gesetze  zwischen  XII  Tab.  und  Sulla. 

67.  F.  Kleineidam,  Beiträge  zur  Kenntnis  der  Lex  Poe- 
telia. (S.-A.  aus  der  Festgabe  für  Felix  Dahn.  IL)  Breslau  1905 
scheint  nach  der  Besprechung  durch  H.  Erman,  Sav.-Z.  XXVI  556  ff. 
nicht  unanfechtbare  Aufstellungen  zu  bieten. 

68.  P.  F.  Girard,  Histoire  de  l'organisation  judiciaire  des 
Romains.  I.  Paris  1901  sucht  nach  H.  Krüger,  Sav.-Z.  XXIII 
493  die  Lex  Plaetoria  genauer  zu  datieren.  Terminus  post 
quem:  512  =  241  v.  Chr.  In  diesem  Jahre  wurde  der  praetor 
peregrinus  eingesetzt,  und  von  einem  praetor  urbanus,  der  in  der 
Lex  Plaet.  erwähnt  ist,  sprach  man  doch  wohl  erst  nach  der  Ein» 
führung  des  praetor  peregrinus  (nach  H.  Krüger  könnte  er  auch  im 
Gegensatz  zu  den  zu  Felde  ziehenden  Konsuln  so  genannt  sein). 
Terminus  ante  quem:  570  =  180  v.  Chr.,  Todesjahr  des  Plautus, 
der  auf  das  Gesetz  offenbar  anspielt.  Am  meisten  scheint  dem  Vf. 
für  die  Zeit  um  512  =  241  v.  Chr.  oder  um  527  =  236  v.  Chr. 
zu  sprechen.  —  Vgl.  auch  Geibs  Anzeige  BphW.  1903  S.  694. 

69.  E.  P.  Garofalo,  *La  lex  Cincia  de  donis  et  muneribus- 
Bull.  XV  310—312  (1903). 

70a.  R.  Hesky,  Anmerkungen  zur  Lex  Acilia  repetun, 
darum,  Wiener  Studien  XXV  272—87  nimmt  u.  a.  gegen  einzelne 
Vermutungen  Mommsens  (C.  I.  L.  I  49—5  4)  Stellung. 

70b.  St.  Braßloff,  Beiträge  zur  Erklärung  der  Lex  Acilia, 
Wiener  Studien  XXVI  106—117  handelt,  mehrfach  gegen  Hesky 
sich  wendend,  I.  De  patrono  repudiando.  Er  glaubt,  auf  diesen 
Titel  sei  ein  Abschnitt  gefolgt,  worin  die  Exkusationsgründe  vom 
Amt  des  patronus  festgestellt  waren.   II.  Lex  Acilia  und  Lex  Cincia. 

3* 


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3(5  W.  Kalb:  Römische  Juristen. 

Br.  glaubt,  daß  sich  Z.  28  (Gestattung  des  pecuniam  capere  ex  h.  1.) 
auf  die  lex  Cincia  bezieht,  welche  den  gewöhnlichen  patroni  verbot, 
Honorar  anzunehmen.  III.  Über  das  Verhältnis  der  Lex  Acilia  zur 
Lex  Calpurnia  und  Lex  Junia.  Br.  bleibt  bei  Mommsens  Ansicht, 
daß  die  Lex  Acilia  auch  für  das  prozessuale  Verfahren  keine  rück- 
wirkende Kraft  hatte. 

70c.  Nach  Braßloff  (s.  Nr.  70b)  ist  ein  neues  Bruchstück 
der  Lex  Acilia  von  Borman  in  der  *  Festschrift  für  Hirschfeld 
S.  432  f.  publiziert  worden. 

71.  Ch.  Appleton,  Les  lois  romaines  sur  le  cautionnement. 
Sav.-Z.  XXVI  1 — 48,  der  über  die  Leges  Appuleia,  Furia,  Vallia 
spricht  und  die  früher  schon  von  ihm  vertretene  Ansicht,  daß  die 
Lex  Furia  auf  das  Tribunat  des  P.  Furius  von  654  zurückgehe, 
wieder  aufnimmt  (widerlegt  von  P.  F.  Girard,  Une  exception  usw., 
s.  u.  Nr.  178  a),  erhebt  wohl  nicht  den  Anspruch  auf  Beachtung 
durch  Philologen,  denn  er  spricht  S.  47  die  Behauptung  nach,  welche 
jüngst  ein  Jurist  gegen  einen  Philologen  in  der  entschuldigenden 
Hitze  des  Gefechts  aussprach,  „daß  nur  wer  ein  geltendes  Recht 
beherrscht  und  in  seiner  praktischen  Anwendung  studiert  hat, 
zu  rechtshistorischer  Forschung  fähig  ist".  Appletons  Spruch  kann 
übrigens  gegen  uns  Philologen  von  anderen  Seiten  mit  dem  gleichen 
Recht  ausgespielt  werden:  es  müßte  doch,  wer  über  Caes.  B.  G. 
schreibt,  mindestens  einmal  einen  Krieg  praktisch  durchgemacht 
haben;  wer  über  die  Werke  des  Phidias  forscht,  müßte  selbst  den 
Meißel  in  der  Hand  gehabt  haben ;  über  die  Geschichte  einer  Cloaca 
maxima  könnte  nur  ein  Latrinenreiniger  ein  Urteil  haben. 

Die  (Bruchstücke  der)  Lex  munieipii  Tarentini,  welche 
1894  gefunden  worden  sind  (vgl.  diesen  Jhber.  C1X  22),  ist  mittler- 
weile neu  herausgegeben  und  kommentiert  worden  von 

72.  Th.  Mommsen,  Ephemeris  epigraphica  IX  (1903)  S.  1—11. 
Näheres  bei  Girard,  Textes8  S.  61. 

Gesetze  aus  der  Zeit  von  Sulla  bis  Casar. 

73.  J.  K  e  i  1 ,  Zur  Lex  Cornelia  de  vigintiquaestoribus. 
Wiener  Studien  XXIV  548—551.    (Vgl.  WklPh.  1903  S.  35  f.) 

74.  II.  Erman,  D.  (44,  2)  21  §4.  Stüdes  de  droit  classique 
et  byzantin,  =  Mölanges  Ch.  Appleton  S.  201—304,  Lyon  1903 
zeigt,  daß  der  Satz  der  Lex  Cornelia  von  76  v.  Chr.  ut  praetores 
ex  edictis  suis  perpetuis  ius  dicerent  die  Prätoren  nicht  so  sehr  ein- 
geschränkt hat,  wie  man  vielfach  glaubt,  und  zitiert  R.  Schott, 
Das  Gewähren  des  Rechtsschutzes  im  röm.  Civilprozeß,  Jena  1903,  S.  7. 


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Gesetze  von  Sulla  bis  Caesar. 


37 


Gesetze  des  Casar. 

Zur  Lex  Antonia  de  Termessibus  hat  nach  Girard, 
Textes  S.  851  75.  Bor  mann  in  der  Festschrift  für  Hirschfeld  1903 
S.  484—439  die  Bemerkung  gemacht,  daß  die  Ergänzungen,  welche 
Accursius  nach  einer  Mailänder  Hs.  zur  Lex  gab,  nicht  daher  rühren, 
daß  er  die  heute  verstümmelte  Inschrift  in  besserem  Zustande  vor- 
fand, sondern  aus  seiner  eigenen  Kombinationsgabe.  Girard  glaubt 
daraufhin  seine  Lesung  berichtigen  zu  müssen. 

Lex  Julia  „municipalis".  Th.  Mommsen  hat  in  Ephem. 
epigr.  IX  5  (s.  Nr.  72)  bezüglich  der  Tabula  Heracleensis, 
die  einen  großen  Teil  von  einem  Gesetze  Cäsars  aus  dem  Jahre  45 
enthält,  darauf  hingewiesen,  daß  die  seit  Savigny  übliche  Identifi- 
zierung mit  einer  anderwärts  genannten  Lex  Julia  municipalis  will- 
kürlich ist.  Für  das  Nähere  sowie  für  76.  Hackel,  Die  Hypothesen 
über  die  Lex  Julia  municipalis,  Wiener  Studien  XXIV  (1902)  S.  552 
bis  562  können  wir  auf  Girard,  Textes8  S.  78  f.  verweisen.  „In- 
dessen sind  die  allgemeinen  Bestimmungen  des  Gesetzes  über  die  Ver- 
fassung der  Bürgergemeinden  doch  so  zahlreich,  daß  man  (gegen 
Mommsen)  sehr  wohl  sagen  kann,  dasselbe  enthalte  eine  allgemeine 
Städteordnung,  die  freilich  der  Ergänzung  durch  die  speziellen  Ord- 
nungen der  einzelnen  Städte  bedurfte."  Th.  Kipp,  Gesch.  der 
Quellen  S.  39  f. 

77.  2.  ß  dt  a>jf,  Römische  Forschungen  XXXVII.  'Afbjva  XIV 
(1902)  S.  371  f.  legt  nach  WklPh.  1903  S.  329  dar,  daß  in  der  Lex 
Julia  municipalis  Z.  26  rationem  habere  und  renuntiare  dasselbe  be- 
zeichne. 

Lex  Rubria  und  verwandte  Gesetze. 

78.  C.  Apple  ton,  Le  fragment  d'Este,  extrait  de  la  Revue 
gönörale  du  droit  (Paris  1900)  scheint  wenig  Neues  zu  bieten.  Doch 
vgl.  B.  Kühler,  Sav.-Z.  XXII  200  ff.;  Girard,  Textes8  S.  77. 
Über  das  Verhältnis  zur  Lex  Rubria,  zu  welcher  das  Fragment 
nicht  gehört,  von  der  eine  seiner  Bestimmungen  vielmehr  ab- 
geschafft wurde,  spricht  Kipp,  Gesch.  der  Quellen  S.  89  Anm.  12. 

79.  Th.  Mommsen  hat  (vgl.  Girard,  Textes  S.  71)  in  den 
Wiener  Studien  XXIV  (1902)  S.  238  f.  und  Eph.  ep.  IX  (1903)  S.  4 
gesagt,  daß  das  Gesetz  auf  der  veleja tischen  Tafel,  das  man 
bisher  mit  Lex  Rubria  bezeichnete ,  nicht  eine  lex  rogata ,  sondern 
eine  lex  data  gewesen  sei,  und  daß  der  Name  lex  Rubria,  der  aus 
Kap.  XX  erschlossen  wird,  ihm  wohl  nicht  gebühre;  die  dort  in 
einer  Formel  erwähnte  Lex  Rubria  scheine  vielmehr  ein  anderes 


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38 


W.  Kalb:  Römische  Juristen. 


Gesetz  gewesen  zu  sein,  das  sich  wahrscheinlich  auf  damnum  in- 
fectum  bezogen  habe.  Doch  T  h.  Kipp  vertritt  in  seiner  Gesch.  der 
Quellen  S.  88  Anm.  10  die  Richtigkeit  der  bisherigen  Ansicht,  daß 
die  velejatische  Tafel  wirklich  Reste  der  Lex  Rubria  enthält.  — 

80.  Lex  Rubria  c.  XXI  bespricht  0.  Lenel  in  Sav.-Z.  XXV 
244  und  die  dort  zitierten  Gelehrten. 

Gesetze  des  Augustus. 

Lex  Julia  de  maritandis  ordin.  —  Windscheid  -  Kipp, 
Pandekten  §  509  hatte  im  Anschluß  an  Alibrandi  das  Verbot  der 
Schenkungen  unter  Ehegatten  auf  die  Lex  Julia  de  marit.  ordin. 
zurückgeführt.  Diese  wie  alle  anderen  Meinungen  über  Entstehung 
des  Verbotes  nach  der  Lex  Cincia  (vgl.  Vat.  fr.  §  804)  suchte  nach 

81.  A.  von  Tuhr,Krit.  Vierteljahresschr.  1904  S.  165  Nikolsky 
(Die  Schenkungen  unter  Ehegatten  nach  röm.  Recht  I  1.  Peters b. 
1903,  russisch)  zu  widerlegen,  besonders  mit  dem  Hinweis  auf  Panl. 
ad  S.  1,  3,  86  immo  magnae  auctoritatis  hoc  ius  habetur,  quod  in 
tantum  probatum  est,  ut  non  fuerit  necesse  scripto  id  comprehendere : 
Denn  diese  Stelle  bezieht  Lenel  in  der  Palingenesia  auf  jenes 
Schenkungsverbot  ;  da  er  die  von  Alibrandi  für  interpoliert  (der  Be- 
ziehung auf  die  Lex  Jul.  de  marit.  ord.  entkleidet)  erklärte  Stelle 
Ulp.  ad  S.  24,  1,  1  Moribus  apud  nos  receptum  est  ne  inter  v.  et 
u.  donationes  valerent  (wohl  mit  Recht)  für  echt  hält. 

Lex  Fufia  Caninia.  —  Nach  WklPh.  1906  S.  671  berichtet 

82.  Lanciani  in  *  Athenäum  vom  16.  Mai  1906  (S.  617)  über 
einen  Altar,  den  man  in  der  Nähe  des  Kolosseums  gefunden.  Der- 
selbe war  unter  dem  Konsulate  des  Caninius  Gallus  und  des  Fufius 
Geminus  errichtet  worden  im  Jahre  2  n.  Chr.  Der  Konsulmann 
Fufius  Geminus  für  dieses  Jahr  war  bisher  noch  nicht  bekannt  Von 
diesem  Konsulpaare  stammt  die  Lex  Fufia  Caninia,  welche  Frei- 
lassungen in  Testamenten  über  einen  gewissen  Prozentsatz  der  Sklaven 
hinaus  verbot.  Sie  war  bisher  nicht  bestimmt  datierbar;  durch  den 
neuen  Fund  erfahren  wir  also,  daß  sie  der  Lex  Aelia  Sentia,  die 
auch  die  Freilassungen  unter  Lebenden  beschränkte,  um  fünf  Jahre 
vorherging.  Weiterhin  wird  niemand  mehr  auf  den  Gedanken 
kommen,  mit  älteren  Ausgaben  bei  Just.  Inst.  1,  7  zu  lesen  De  lege 
Furia  Caninia  sublata.    Vgl.  Gatti  in  Bull.  XVHI  115  ff. 

88.  Hier  sei  auch  zitiert  C.  Ferrini,  I  commentari  di  Terenzio 
demente  e  di  Gajo  ad  legem  Juliam  et  Papiam.  Rendiconti  d. 
R.  htit.  Lombardo  ser.  2»  vol.  XXXIV  fasc.  4.  —  Derselbe, 


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Gesetze  nach  Augustus.  Domänenordnungen,  c)  Senatusconsulta.  39 

I  commentari  di  Ulpiano  e  di  Paolo  ad  legem  Juliam  et  Papiam. 
Rendiconti  ser.  2a  vol.  XXXIV  fasc.  6. 

Gesetze  nach  Augustus. 

84.  He  11  eins,  '"Lex  de  imperio  Vespasiani,  Diss. ,  Chicago 
1902,  ist  nach  WklPh.  1904  S.  556  in  der  Revue  critique  von  J.  T. 
als  fleißige  Zusammenstellung  ohne  neue  Ergebnisse  bezeichnet 

85.  H.  Dessau,  *Zu  den  spanischen  Stadtrechten.  Wiener 
Studien  XXIV  (1902)  S.  240  —  247  behandelt  nach  WklPh.  1908 
S.  353  1.  die  Frage,  wie  die  Lex  Salpensana  nach  Malaca  kam, 
2.  die  Interpolationen  der  Lex  Ursonensis,  3.  ein  neues  Fragment 
eines  spanischen  Stadtrechts.  „Eine  bei  Sevilla  gefundene  Bronze- 
tafel gehört  einem  aus  der  Lex  Malacitana  bekannten  Kapitel  an, 
durch  welches  die  Inschrift  ergänzt  wird."  —  S.  Nachträge. 

86.  R.  Dareste,  La  Lex  Rhodia.  Nouvelle  Revue  XXIX 
429—448  wiederholt  einen  in  der  Revue  de  philologie  Jan.  1905 
(XXIX  1 — 29)  veröffentlichten  Aufsatz  über  die  rhodische  Seeordnung, 
die,  obwohl  griechisch,  unser  Gebiet  insofern  berührt,  als  sie  für  das 
röm.  Recht  von  Augustus  und  auch  späteren  Kaisern  rezipiert  wurde. 
In  der  *  Revue  de  philol.  gibt  D.  auch  den  griechischen  Text  der 
byzantinischen  Zusammenstellung  von  Bestimmungen  der  Lex  Rhodia 
(zuletzt  mit  vielen  Fehlern  herausgegeben  von  Pardessus,  Lois  maritimes  I 
1847),  und  zwar  nach  dem  Codex  Ambrosianus  Nr.  68  saec.  XI,  der 
ihm  weitaus  die  beste  Hs.  zu  sein  scheint  (vgl.  diesen  Jhber.  CIX  52). 

Domänenordnungen. 

87.  A.  Schulten,  Zur  Lex  Manciana,  Rh.  Museum  LVII  4 
„wendet  sich"  nach  WklPh.  1903  S.  296  „gegen  Seecks  Entgegnung 
(Rh.  Mus.  LVI  477  f.)  auf  des  Vf.  Kritik  (ebenda  LVI  120  f.)  und 
beharrt  bei  seiner  Behauptung,  daß  der  Altar  der  Lex  Manciana  pro 
salute  imperatoris  dediziert  worden  sei."  — *  Pernot,  L'inscription 
d'Henchir- Mettich  =  Meianges  d'archeologie  et  d'histoire,  Rome 
1901,  p.  67—95. 

88.  N.  Vulic,  Zur  Inschrift  von  Ain- Wassel.  Wiener  Studien 
1905  S.  138—140  glaubt  (gegen  Schulten,  s.  diesen  Jhber.  LXXXIX 
218),  daß  die  Lex  jener  Inschrift  nicht  eine  Kopie  aus  der  in  ihr 
erwähnten  Lex  Hadriana  sei. 

c)  Senatusconsulta. 

89.  Unter  den  Senatusconsulta  bringt  Girard,  Textes  S.  125  bis 
128  auch  die  Reste  der  zwei  im  Senat  gehaltenen  Reden  des 


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W.  Kalb:  Römische  Juristen. 


Claudius  (?)  über  das  erforderliche  Alter  der  Rekuperatoren  und 
die  Erledigung  von  Strafprozessen,  welche  zuerst  von  Gradenwitz  und 
Krebs,  Ägypt.  Urk.  a.  d.  Kgl.  Museen  zu  Berlin  II  Nr.  611  heraus- 
gegeben sind  (vgl.  diesen  Jhber.  CIX  8).  Nach  Girards  Textes,  auf 
welche  wir  verweisen,  handelten  hierüber  in  unserem  Berichts- 
quinquennium  Dareste,  Nouvelles  eludes  d'histoire  du  droit  1902 
S.  207—211;  Braßloff,  Aetas  legitima  (s.  u.  Nr.  165). 

d)  Edlcta. 
Das  Ediotum  perpetuum. 

90.  Otto  Lenel,  Essai  de  reconstitution  de  l'edit  perpetuel, 
traduit  en  francais  par  Peltier  sur  un  texte  revu  par  Tauteur, 
2  vol.,  Paris  1901—1903.  —  Da  Lenel  die  französische  Ausgabe 
seines  1880  zuerst  erschienenen  „Edictum  perpetuum"  nicht  nur  mit 
den  Ergebnissen  von  solchen  Forschungen  bereichert  hat,  die  er  in  der 
Sa vigny Zeitschrift  seit  1881  veröffentlicht,  sondern  auch  mit  neuen 
Zusätzen,  die  noch  nirgends  gedruckt  stehen,  so  muß  zurzeit  von 
Rechts  wegen  auch  der  deutsche  Spezialforscher  die  französische 
Ausgabe  heranziehen.  Über  die  Bedeutung  von  Lenels  Restitution 
des  Ediktes  spricht 

91a.  Girard,  L'eMit  perpötuel,  Nouv.  Revue  XXVIII  (1904) 
p.  117—164.  Er  legt  zuerst  die  Methode  dar,  welche  Lenel  mit 
so  großartigem  Erfolge  angewendet  hat,  und  die  man  stets  werde  bei- 
behalten müssen ;  in  einzelnen  untergeordneten  Punkten  würde  freilich 
Girard  nicht  ganz  den  gleichen  Weg  gehen :  beispielsweise  die  Regel, 
daß  in  den  Juristenwerken  eine  Materie  nicht  in  das  nachfolgende 
oder  vorhergehende  Buch  überzugreifen  pflegt,  möchte  G.  weniger 
streng  gelten  lassen  wie  Lenel  (II  288) ,  der  übrigens  (in  seiner 
Palingenesia)  auch  einzelne  Ausnahmen  zulasse  (Pomp.  Paling.  fr.  55, 
56,  57).  So  sei  das  Edict  über  das  vadimonium  von  Paulus  offenbar 
kommentiert  im  Schluß  von  (ed.)  Buch  1  und  in  Buch  2,  von  Ulpian 
(ed.)  in  seinem  ganzen  Buch  2  und  dem  Beginne  von  3;  das  ergebe 
sich  besonders  aus  der  Vergleicbung  von  Ulp.  fr.  215  mit  Paul, 
fr.  94  und  105  (Erklärung  von  nomen  und  res).  Sodann  spricht  G.  von 
dem  hohen  Wert  der  Lenelschen  Ediktsrekonstruktion.  Zuletzt  er- 
örtert er  die  Frage,  ob  das  vorjulianische  Album  die  Edikte  im 
engeren  Sinne  (z.  B.  actionem  dabo)  mit  den  Prozeßformeln  ver- 
mischt aufzeigte  (was  für  das  Julianische  Edikt  als  sicher  anzunehmen 
ist),  eine  Meinung,  die  Ferrini  unter  Lenels  Zustimmung  vertrat, 
oder  ob  die  Edikte  im  engeren  Sinne  (das  „Programm"  des  Beamten) 
völlig  getrennt  waren  von  den  Formeln,  was  u.  a.  Wlassak  (1882) 


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Edicta.  41 

vertrat.  Der  letzteren  Meinung  schließt  sich  auch  G.  an,  weil  man 
sonst  nicht  recht  verstünde,  was  die  Ausdrücke  (Julianus)  edictum 
composuit,  ordinavit  bedeuten  sollen,  wenn  er  nicht  die  Formeln 
an  ihren  Platz  bei  den  Edikten  im  engeren  Sinne  setzte;  denn  die 
sonstige  Ordnung  des  alten  Ediktes  übernahm  Julian  in  sein  Edikt 
einfach  herüber.  Sodann  führt  G.  für  seine  Ansicht  an ,  daß  im 
Julianischen  Edikt  (nach  Lenels  Wiederherstellung)  in  den  einzelnen 
Titeln  die  Formeln,  die  sich  an  Edikte  anschließen,  den  isolierten 
(an  eine  actio  civilis  sich  anschließenden)  Formeln  vorhergehen ;  Julian 
habe  also  offenbar  die  im  Formel -Album  stehenden  Formeln  zu- 
nächst bei  den  entsprechenden  Edikten  untergebracht,  den  Rest  dann 
unten  angefügt.  Endlich  führt  Girard  für  Wlassaks  Meinung  an,  daß  bei 
den  vorjulianischen  Juristen  keine  Erklärung  einer  Formel  mit  der 
Erklärung  eines  Ediktes  i.  e.  Sinne  vereint  auftritt,  und  daß  die  Noten 
-des  Valerius  Probus  unter  24  Abkürzungen  von  Ediktswendungen 
keine  einzige  Abkürzung  einer  Formel  aufzuweisen.  —  91b.  Nach 
A.  Audibert,  Nouv.  Revue  XXV  642—659  finden  sich  Ab- 
weichungen von  der  deutschen  Ausgabe  unter  anderem  in  den  Titeln 
De  in  ius  vocando  (Bedeutung  des  vindex),  De  cognitoribus  et 
procuratoribus ,  im  Paragraphen  De  noxalibus  actionibus,  im  Titel 
De  rebus  creditis.  Bezüglich  der  Condictio  certi,  die  sich  auf  certa 
pecunia  beschränkte,  hält  Lenel  Dig.  12,  1,  9  für  stark  interpoliert. 
Geändert  hat  sich  seine  Auffassung  bezüglich  der  condictio  incerti 
infolge  der  neueren  Untersuchungen,  bes.  von  Trampedach  (vgl.  diesen 
Jhber.  CLX  66  f.).  Die  Lehre  von  der  condictio  incerti  ist ,  wenn 
auch  nicht  eine  Schöpfung  der  Kompilatoren  der  Digesten,  so  doch 
zu  jung,  als  daß  schon  der  Prätor  in  seinem  Edikt  eine  Formel 
dafür  aufgestellt  haben  könnte.  —  91  c.  Zu  erwähnen  ist  noch  die 
Besprechung  der  französischen  Ausgabe  von  Lenels  Edictum  durch 
0.  Geib,  BphW.  1904  S.  979  ff.  —  Unbekannt  geblieben  ist  dem 
Ref.  A.  Zocco-Rosa,  La  ricostruzione  dell'  Edictum  perpetuum 
Hadriani,  Rivista  italiana  per  la  scienze  giuridiche.  XXXIII  (1902) 
S.  897-418. 

92.  M.  C ollinet  (Lille)  sprach  beim  internationalen  Kongreß 
tir   die  hist.  Wissenschaften  (Rom  1900)  über  das  Fortleben  der 
Klageformeln  in  der  späteren  Kaiserzeit  (nach  Nouv.  Revue  XXVII 473). 

Einzelne  Sfitze  des  prfitorischen  Ediktes. 

98.  Adrien  Audibert,  Nouvelle  6tude  sur  la  formule  des 
actions  familiae  herciscundae  et  communi  dividundo.  Nouv.  Revue 
XXVIII  (1904)  S.  273—305,  401—439,  649—697  bezeichnet  seine 


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42 


W.  Kalb:  Römische  Juristen. 


Studie  als  eine  Fortsetzung  seiner  Abhandlungen  „*  L'eVolution  de  la 
formale  des  actions  familiae  erciscundae  et  communi  dividundo"  in 
Mölanges  Ch.  Appleton,  Lyon-Paris  1908  S.  1 — 87,  welche  nach  dem 
Berichte  von  B.  Kubier  in  Sav.-Z.  XXV  446 — 449  so  weit  als 
möglich  die  Prozeßformeln  für  die  Teilungsklagen  nach  ihrer  zeitlichen 
Entwicklung  feststellen  will.  Aud.  unterscheidet ,  ob  bei  den  ge- 
nannten Klagen  die  Formel  auf  Teilung  abzielte  oder  auf  die  Regelung 
von  Leistungen.  Im  ersten  Falle  war  die  Klage  1.  natürlich  doppel- 
seitig, 2.  sie  ist  bonae  fidei  erst  unter  Justinian  geworden,  3.  sie 
hatte  die  Merkmale  einer  actio  in  rem.    Im  zweiten  Falle  war  sie 

1.  nicht  notwendig  doppelseitig,  2.  sie  war  bonae  fidei,  3.  in  personam. 
Das  Ergebnis  wird  zum  Teil  durch  eine  Annahme  von  „  Interpolationen u 
erzielt,  die  nicht  immer  der  Kritik  standhält  (s.  u.  Nr.  164  a). 

94.  H.  Erman  erhebt  Sav.-Z.  XXIII  449  f.  gegen  von  Seelers 
Rekonstruktion  des  publicianischen  Ediktes  (Dig.  6,  2,  1 ;  vgl.  Jhber. 
CIX  27)  verschiedene  grammatische  und  logische  Einwendungen  und 
bleibt  dabei  stehen,  daß  non  a  domino  von  den  Kompilatoren  ein- 
geschoben wurde,  um  von  vornherein  die  Abschaffung  der  Bonitarier- 
publiciana  zu  proklamieren. 

95.  Einen  Anwendungsfall  des  Ediktes  De  inspiciendo  ventre 
haben  nach  Girard,  Manuel  1072  neuerdings  Mitteis  und  Wilcken 
entdeckt  (Wilcken,  Arch.  f.  Pap.  III  873 ff.,  1905)  in  den  zwei 
schon  1894  vom  Eigentümer  Prof.  Nicole  in  Genf  (Revue  arch. 
XXIV  65—75)  und  von  H.  Erman  (Sav.-Z.  XV  241-255)  ver- 
öffentlichten Papyrusstücken. 

96.  0.  Gradenwitz,  Ältere  und  neuere  forraula  arbitraria. 
Sav.-Z.  XXIV  238—251  nimmt  für  die  formula  arbitraria  (de  eo 
quod  certo  loco  darf  oportet)  eine  geschichtliche  Entwicklung  an;  auf 
den  Vordersatz  Si  paret  Num  Num  A°  A°  Ephesi  decem  dare  oportere 
neque  Nu*  Nu8  A°  A°  arbitratu  tuo  satisfaciat  sei  in  der  älteren  Zeit 
sofort  die  Condemnatio  gefolgt:  Num  Num  A°  A°  decem  condemna 
s.  n.  p.  a.,  in  der  neueren  Zeit,  seitdem  Julian  (bei  Ulp.  ed.  13,  4, 

2 ,  8)  Labeos  Rücksicht  auch  auf  des  Klägers  Interesse  an  der 
Zahlung  an  einem  bestimmten  Ort  zur  Geltung  gebracht,  dafür: 
Num  Nntn  A°  A°  decem  et  si  quid  A*  A1  (actoris)  interfuit  eam 
pecuniam  Ephesi  potius  quam  hic  solvi. 

Das  Verfahren  in  iure. 

97.  M.  Wlassak,  Der  Gerichtsmagistrat  im  gesetzlichen 
Spruchverfahren.  Sav.-Z.  XXV  81 — 188  sucht  für  eine  Reihe  von 
Fällen  des  alten  Legisaktionsverfahrens  größere  Klarheit  festzustellen. 


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Kdicta. 


43 


Besonders  interessant  sind  die  Ausführungen  über  die  tria  verba 
praetoris:  do,  dico,  addico,  von  denen  eines  bei  jeder  Legis- 
actio  einer  der  begleitenden  Sprüche  des  Beamten  aufwies.  Denn 
auch  der  Prätor  war  hierbei  an  herkömmliche  Spruchformeln  gebunden. 
Das  farbloseste  und  allgemeinste  ist  dicere,  das  im  Grunde  genommen 
die  beiden  anderen  in  sich  schließt.  Der  Magistrat  gebraucht  es  in 
seinem  Spruche  z.  B.  bei  der  Grundstücksvindikation  (istam  viam 
dico,  Cic.  pro  Mut.  12,  26),  dann  im  vindicias  dicere.  Beides  er- 
scheint „als  eine  die  Ordnung  des  Prozeßverhältnisses,  die  vornehmlich 
Sache  der  Litiganten  ist,  ergänzende  Tätigkeit  des  Magistrats u  — 
also  nicht  ein  Urteil.  Addico  ist  nicht  in  dem  sonst  häufigen  Sinne  = 
„zusprechen",  „übereignen"  zu  fassen,  sondern  in  der  Grundbedeutung 
(Festus  S.  18  M.)  =  idem  dicere  et  approbare  dicendo.  Es  ist 
also  notwendig,  daß  ein  Antrag  vorhergeht,  dem  der  Prätor  zustimmt. 
(Diese  Bedeutung  ist  nach  Wl.  auch  für  XII  Tab.  8  anzunehmen: 
Gell.  11,  18,  8  ex  ceteris  .  .  manifestis  furibus  liberos  verberari 
addicique  —  iusserunt  ei  cui  furtum  factum  esset;  vgl.  o.  Nr.  65.) 
Dieses  addicere  gebrauchte  der  Prätor  bei  der  In  iure  cessio  (und 
vermutlich  auch  bei  der  Confessio  in  iure),  „als  staatliche  Genehmigung 
und  Bekräftigung  des  von  den  Parteien  gesetzten  Geschäftes".  Des 
Wortes  dico  „bedient  sich  der  Beamte,  wo  er  durch  seinen  Spruch 
allein  eine  Anordnung  trifft;  dagegen  ist  eine  ad-dictio  nur  denkbar 
unter  Bezugnahme  auf  eine  schon  gesetzte  Parteihandlung,  weil  sie 
ohne  diese  inhaltsleer  wäre".  Anders  nach  Vf.  Rudorf f,  R.  Rechts- 
gesch.  II  133,  24  undBechmann,  Legisactio  sacramenti  S.  32. — 
(Die  versprochene  Forts,  ist  leider  in  Sav.-Z.  XXVI  und  XXVII 
nicht  erschienen.) 

98.  Josef  Partsch,  Die  Schriftformel  im  röm.  Provinzial- 
prozesse.  Breslauer  Diss.  1905  sucht  nach  der  Anzeige  von 
L.  W  e  n  g  e  r  in  Sav.-Z.  XXVI  530  ff.  zu  beweisen ,  daß  die  Schrift- 
formeln schon  vor  der  Lex  Aebutia  ein  Vorbild  hatten  in  Anweisungen 
zu  Schiedssprüchen,  welche  beim  Streite  zwischen  provinzialen  Ge- 
meinden der  römische  Senat  eine  andere  Gemeinde  zu  fällen  be- 
auftragte. —  Für  die  Schriftformel  des  röm.  Privatrechtes  kann 
Wenger  der  Meinung  von  Partsch  und  Lenel  (s.  u.  Nr.  102)  nicht 
beistimmen,  daß  in  der  Streiturkunde  das  „Titius  iudex  esto"  nicht 
gestanden  habe. 

99.  Ehrlich,  *  Recht  und  Prätor.  Zeitschr.  f.  Privat-  u.  öff. 
Recht  XXXI  331—364. 

100.  P.  F.  Girard,  Les  assises  de  Ciceron  en  Cilicie. 
Paris  1003   (S.-A.  aus  Mölanges  Boissier)  zeigt,   was  man  aus 


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44  "NV.  Kalb:  Römische  Juristen. 


Cicero  betreffs  der  Anwendung  der  Conventus  in  den  Provinzen 
lernen  kann. 

101.  Ed.  Holder,  Die  Litis  contestatio  des  Formularprozeäses. 
Sav.-Z.  XXIV  197—237. 

102.  0.  Lenel,  Zur  Form  der  klassischen  Litiskontestation. 
Sav.-Z.  XXIV  329—343. 

103.  E.  I.  Bekker,  Streitfragen  aus  dem  Aktionenprozeßrecht. 
Sav.-Z.  XXIV  344—374. 

Der  Ansicht  Kellers,  wonach  die  im  Legisaktionsverfahren 
vorhandene  „Zeugenaufrufungtt  im  Formularprozesse  das  Gesamt- 
verfahren  in  iure,  speziell  den  ideellen  Endpunkt  des  Verfahrens  be- 
deutete, der  mit  dem  Moment  der  schriftlichen  Erteilung  der  Formula 
durch  den  Magistrat  zusammenfalle,  war  von  Wlassak  eine  andere 
Auffassung  entgegengestellt  worden,  wonach  die  Litisc.  auch  im 
Formularprozesse  noch  eio  wirklicher,  von  den  Parteien  vollzogener 
Formalakt  gewesen  sei,  und  zwar  ein  zweiseitiger  Privatakt,  welcher 
der  Forraelerteilung  nachfolgte  (edere  und  accipere  iudicium). 
Lenel  pflichtet  im  wesentlichen  Wlassak  bei:  die  Lftis  contestatio. 
die  ursprünglich  mit  der  Aufrufung  der  Zeugen  begann,  bedeutete 
die  Akzeptation  der  vom  Prätor  erteilten  Formel  durch  den  Be- 
klagten. Die  Ernennung  des  iudex  war  in  der  datio  iudicii  und 
litis  contestatio  nicht  enthalten,  sondern  sie  wurde  erst  in  einem 
späteren  Termine  vollzogen.  —  Eine  ähnliche  Auffassung  von  der 
Litisc.  hat  im  allgemeinen  auch  Kipp  in  Windscheids  Pandekten 
(nach  Holder,  Krit.  Vicrtelj.  1904  S.  234)  und  (nach  Schloßmann, 
Litis  contestatio  S.  1)  auch  R.  Schott,  Rom.  Zivilproz.  (1904) 
S.  43  ff. 

Dagegen  auf  Kellers  Standpunkt  stellen  sich  im  wesentlichen 
Ed.  Ilölder  und  E.  I.  Bekker.  Ins  einzelne  die  Differenzpunkte 
verfolgen,  hieße  die  Grenzen  unseres  Berichtes  überschreiten.  Erwähnt 
sei  jedoch  E.  I.  Bekkers  Mahnung,  die  Frage  nicht  allzusehr  auf 
hypothetische  Nebensächlichkeiten  und  Begleiterscheinungen  aus- 
zudehnen, sondern  sich  hier  mit  Ignoramus  zu  begnügen. 

104.  S.  Schloßmann,  Litis  contestatio.  Leipzig  1905.  Be- 
sprochen u.  a.  von  104a.  II.  Krüger,  Sav.-Z.  XXVI  541 — 549. 
Schi,  sucht  besonders  sprachliche  Untersuchungen  zu  benutzen,  um 
über  die  Form  der  Litis  contestatio  ins  klare  zukommen.  Aber 
gerade  die  sprachlichen  Untersuchungen  bilden  die  schwächste  Seite 
des  Buches.  Er  kommt  zu  folgender  Aufstellung :  Die  Litis  contestatio 
ist  nicht  als  ideeller  Zeitpunkt  zu  betrachten  (Keller),  sondern  sie 
war  eine  selbständige  formale  Handlung  (Wlassak).   Aber  als  solche 


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Edicta. 


45 


gehörte  sie  nicht  mehr  zum  Verfahren  in  iure  (wie  allgemein,  auch 
von  Wlassak  und  Lenel,  angenommen  wird),  sondern  sie  bildete  den 
Beginn  des  Verfahrens  in  iudicio.  (Die  Beweise  für  diese  Meinung 
sind  freilich  kaum  durchaus  stichhaltig;  vgl.  H.  Krüger,  Sav.-Z. 
XXVI  549.)  Der  Iudex  war  nach  Schi,  in  der  Regel  anwesend,  wenn 
der  Prätor  das  Verfahren  in  iure  schloß  mit  der  mündlichen  Ver- 
kündung des  Wortlautes  der  Formel,  welche  unter  Mitwirkung  der 
Parteien  vom  Prätor  gutgeheißen  und  festgestellt  worden  war.  Der 
Judex  trat  nun  sofort  in  seine  Tätigkeit,  indem  er  das  Verfahren 
vornahm,  das  in  den  Quellen  (nach  einem  nebensächlichen  Akte,  s.  u.) 
Litis  contestatio  genannt  wird.  Wenn  der  iudex  nicht  in  iure  an- 
wesend war,  so  mußte  für  die  Ernennung  des  Geschworenen  sowie 
die  Litis  contestatio  und  damit  für  den  Prozeßbeginn  ein  neuer  Termin 
vom  Prätor  angesetzt  werden.  Denn  die  Worte  neque  enim  in  ad- 
dicendo  praesentia  vel  scientia  iudicis  necessaria  est  bei  Pap.  q.  5, 
1,  89  glaubt  Schi,  für  Tribonianisches  Einschiebsel  erklären  zu 
dürfen.  Diese  sogenannte  Litis  contestatio  denkt  sich  nun  Schi,  so: 
der  Kläger  dictabat  iudicium,  d.  h.  er  sprach  die  Formel, 
deren  schriftliche  Abfassung  seitens  des  Tribunals  oder  seitens 
der  Parteien  durchaus  keine  rechtliche  Notwendigkeit  war  (gegen 
Wlassak  u.  a.),  dem  Beklagten  vor;  ob  ganz  oder  bloß  soweit  sie 
ihn  betraf,  läßt  Schi,  dahingestellt;  er  änderte  jedoch  vermutlich  die 
vom  Prätor  erhaltene  Formel  insoweit  um,  daß  er  von  sich  in  der 
ersten,  vom  Beklagten  in  der  zweiten,  vom  Richter  in  der  dritten 
Person  sprach  (z.  B.  Te  mihi  dare  oportere).  Der  Beklagte 
sprach  sie,  ebenfalls  subjektiv  umgeändert,  nach:  concepit  verba 
(eine  Bedeutung  von  concipere,  die  trotz  vielen  angeführten  Stellen 
kaum  zu  halten  ist),  oder  accepit  iudicium.  Schi,  gründet  seine 
Theorie  vor  allem  auf  die  fast  ganz  in  der  Luft  stehende  Hypothese, 
iudicium  dictare  und  iudicium  accipere  seien  zwei  korrelative  Begriffe, 
die  sich  entsprochen  hätten  wie  stipulari  und  spondere.  Für  iudicium 
dictare  läßt  sich  die  angenommene  Bedeutung,  wie  Schi,  selbst  zu- 
gibt, aus  den  Rechtsquellen  nicht  durch  Stellen  erweisen,  und  es 
mutet  sonderbar  an,  wenn  Schi,  sich  nun  flüchtet  zu  dem  Latein  der 
Elementarschulen,  wo  aber  magister  dictat  wohl  auch  nicht  das  Vor- 
sprechen, sondern  nur  das  energische  Sprechen  bedeutete  (vgl.  dictator), 
und  zu  einzelnen  Stellen  von  Dichtern.  Anderseits  schließt  iud* 
accipere  gelegentlich  auch  die  Tätigkeit  des  Klägers  mit  ein,  z.  B. 
Gai.  4,  104  Legitima  iudicia  <xj  quae  inter  omnes  cives  Romanos 
accipiuntur,  vgl.  Lex  Rubr.  XX  Z.  48,  was  Schi.  S.  121,  wie  es 
scheint,  als  eine  Art  Synekdoche  aus  seinem  hypothetischen  Ganzen 


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W.  Kalb:  Kölnische  Juristen. 


dictare  et  accipere  rechtfertigen  will.  Doch  folgen  wir  Schloßmanns 
Phantasie  weiter!  „In  Verbindung  mit  diesem  Aktett  (des  iadicium 
dictare  nnd  accipere)  „erfolgt  regelmäßig,  aber  wohl  nicht  notwendig,  die 
Litis  contestatio  im  eigentlichen  Sinne,  d.  b.  jede  von  beiden  Parteien 
fordert  die  von  ihr  mitgebrachten  Zeugen0  (die  wir  uns  als  Rechts- 
berater zu  denken  haben)  „auf,  dem  Prozesse  als  ihr  Beistand  bei- 
zuwohnen.8 Von  diesem  Aufruf  hat  nach  Schi,  das  dictare  et  accipere 
iudicium  den  Namen  Litis  contestatio  bekommen,  also  wieder  eine 
Synekdoche,  und  zwar,  da  die  Litis  contestatio  „im  eigentlichen 
Sinne"  gar  nicht  unbedingt  nötig  war,  eine  doppelte.  (Mit  solcher 
synekdochischen  Methode  könnte  man  alles  mögliche  beweisen.)  Nach 
dieser  Zeugenaufrufung  konnte  sofort  zur  Verhandlung  geschritten 
werden,  wenn  sie  nicht  aus  bestimmten  Gründen  vertagt  wurde. 

Was  es  für  einen  Zweck  haben  sollte,  den  Streitpunkt  zweimal 
festzustellen,  und  wie  man  es  machte,  daß  bei  der  zweiten  Fest- 
stellung (in  iudicio)  einem  nachträglichen  schlaueren  Gedanken  einer 
Partei  ein  Riegel  vorgeschoben  werden  konnte,  das  bleibt  bei  Schl.8 
Aufstellung  unklar.  Ein  Fortschritt  ist  dagegen  enthalten  in  dem 
methodischen  Beweis  dafür,  daß  die  formulae  ursprünglich  nicht  als 
schriftlich  ausgefertigt  zu  denken  seien  (was  nach  H.  Krüger 
schon  B.  K  übler  und  H.  Er  man  gelegentlich  vermutet  hatten): 
vor  allem  nämlich  fehlt  in  der  gesamten  Formel-Terminologie  der 
Begriff  des  Schreibens,  denn  die  scheinbare  Ausnahme  praescriptio 
(pro  reo  u.  ä.)  bedeutet  lediglich  „Einschränkung",  wie  H.  Krüger 
gut  nachweist;  man  hat  bei  praescriptio  =  praefinitio  so  wenig  an 
den  Begriff  „Schreiben"  gedacht  wie  bei  circumscribere  =  circum- 
venire.  Von  geringerer  Bedeutung  ist  der  Hinweis  darauf,  daß  keine 
schriftlichen  Formulae  uns  erhalten  sind  neben  ungezählten  Manzi- 
pations-  und  Stipulationsurkunden ;  denn  die  letzteren  waren  tausend- 
mal häufiger,  auch  hatte  ja  die  formula  eine  beweisende  Kraft  in  der 
Regel  nur  für  kurze  Zeit,  und  sobald  der  Streit  entschieden  war, 
kam  es  meistens  bloß  noch  auf  das  Urteil  an.  Und  daß  auch  schon 
zur  Zeit  der  Verschüttung  von  Pompeji  die  Formulae,  wenn  auch  nicht 
notwendigerweise ,  so  doch  tatsächlich  in  der  Regel  schriftlich  aus- 
gefertigt wurden,  das  hat  wohl  auch  Schi,  nicht  bestreiten  wollen. 
Darum  versteht  man  aber  auch  nicht,  weshalb  Schi,  es  auffallend 
findet,  wenn  ein  Nichtjurist  abweichend  von  der  juristischen  Termi- 
nologie sagte  formulam  scribam,  und  weshalb  er  die  Stelle  Quint. 
Inst.  Or.  6,  3,  83  ihres  Humors  entkleidet.  In  der  späteren  Zeit, 
wo  sich  das  Schreiben  der  formulae  eingebürgert  hatte,  ist  auch  der 
Ausdruck   praescriptis  verbis  agere   entstanden  (H.  Krüger),  wo 


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Kaiserliche  Erlasse.  47 

praescribere  eine  ganz  andere  Bedeatnng  hat  als  in  der  erwähnten 
praescriptio. 

104a.  E.  I.  Becker,  Anfang  und  Ende  des  „in  iure" -Ver- 
fahrens, Sav.-Z.  XXVII  1—45  s.  Nachträge. 

105.  S.  Schloßmann  bezieht  im  Rhein.  Museum  LX,  vgl. 
dessen  Litis  contestatio  (s.  o.  Nr.  104)  S.  83,  die  tabulae  bei  Hör. 
S.  2,  1,  79  f.  nicht  mit  Erman  auf  die  Schriftformeln,  sondern  solventur 
tabulae  soll  beißen,  die  vorläufig  mit  Beschlag  belegte  Schrift  wird 
(im  Kognitionenverfahren  vom  Caesar  selbst)  wieder  freigegeben. 
S.  Nachtrag.  106.  S.  Schloßmann,  Der  Vindex  bei  der  in  ins 
vocatio.  —  107.  0.  Lenel,  Der  Vindex  bei  der  In  ins  vocatio 
s.  o.  Nr.  81b  und  81c. 

■ 

Edictmn  censorum. 

108.  G.  Bloch,  L'authenticite*  de  l'ädit  censorial  de  92  avant 
J.  C.  contre  les  rhöteurs  latins,  in  den  „Beiträgen  zur  alten  Geschichte" 
III  68—78  hat  nach  WklPh.  1903  S.  804  „die  von  Marx  gegen 
die  Echtheit  des  Ediktes  der  Censoren  Cn.  Domitius  Ahenobarbus 
und  L.  Licinius  Crassus  gegen  die  lateinischen  Rhetoren  (Suet.  De  clar. 
or.  1,  Gell.  15,  11)  vorgebrachten  Gründe"  entkr&ftigt.  —  Girard 
hat  aber  wohl  mit  Recht  das  Edictum  nicht  in  seine  Fontes  auf- 
genommen (bei  Bruns,  Fontes  findet  es  sich  in  den  älteren  Auflagen). 
Die  Sprache  beweist  die  Unechtheit  wenigstens  des  Wortlauts. 

e)  Kaiserliche  Erlasse. 

Über  die  Rede  des  Claudius  in  den  Ägypt.  Urk.  a.  d.  Kgl. 
Museen  zu  Berlin  II  Nr.  611  s.  o.  Nr.  89. 

109.  C.  Calle waert,  *Le  rescrit  d'Uadrien  a  Minucius 
Fundanus.  Revue  de  l'histoire  des  religions  1903,  II  p.  152 — 189 
sei  registriert. 

110.  Th.  Mommsen  druckte  Sav.-Z.  XXII  195—197  ein 
Bruchstück  eines  Kaisererlasses  ab,  vielleicht  aus  dem 
Constantinischen  Kreise  (wegen  des  in  der  Überschrift  erhaltenen 
Const),  das  sich  im  zweiten  Band  der  von  Grenfell  und  Hunt  heraus- 
gegebenen Amherst  papyri  (London  1901)  S.  70  findet.  Von  den 
9  teilweise  lesbaren  Zeilen  lauten  die  ersten,  deren  Entzifferung 

hoffentlich  noch  nicht  abgeschlossen  ist,  debere  

pat.  qd  .  .  bus  fiet  ac  Const  cc  osul :  hdtop. 

h.  .  ||  Aurelio  Severo  e  .  .  e  rescripto  .  .  . 

m  se  ....  ationibus  impetratum  .  .  .  |j  si  contra  reum 

narratio  falsi  eligitur  .  posse  nocere  constat :  neque  litem  institutam  || 


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48 


W.  Kalb:  Römische  Juristen. 


diu  trahi  iura  j)ermittunt :  si  quidem  contra  eum  etiam  qui  post  litemt 
institutam  desti-j  tit  .  huiusmodi  passis  quaestionem  c  .  .  .  operies  tuo> 
destitutori  a  .  .  .  r  .  o  .  s  consulan-|jtur:  propter  quod  aditus  rector 
provinciae  usw.    (Der  Rest  bietet  noch  weniger  Zusammenhang.) 

Außer  dem  erwähnten  Papyrus  druckt  Mommsen  a.  a.  0.  auch 
noch  ein  zweites  Stück  ab,  das  aus  drei  kleinen  nicht  zusammen- 
schließenden Fragmenten  eines  Papyrusblattes  besteht;  von  den 
Fragmenten  umfassen  die  zwei  längsten  8  Zeilen,  aber  von  jeder 
Zeile  sind  nur  ein  paar  Wortfragmente  oder  im  besten  Falle  einzelne 
Wörter  erhalten. 

111.  A.  Schneider,  Zu  dem  von  Mommsen  Sav.-Z.  XXII  195 
abgedruckten  Papyrus.  Sav.-Z.  XXIV  414—416  erkennt  in  dem 
Papyrus  eine  Konstitution  aus  dem  Jahre  294 ;  der  Papyrus  berühre 
sich  mit  den  Konstitutionen  dieses  Jahres  auch  sprachlich.  Das 
Datum  CC  consulibus  ist  dann  zu  lesen  Caesaribus  consulibus. 

112.  0.  Graden  witz,  Reskripte  auf  Papyrus.  I.  Amherst  II  27. 
Sav.-Z.  XXIII  356 — 879  unterzieht  den  in  Nr.  110  an  erster 
Stelle  erwähnten  Papyrus  (d.  h.  das  Faksimile)  einer  eingehenden 
Untersuchung,  wobei  er  zum  Verständnis  des  Inhalts  vor  allem  den 
Sprachgebrauch  anderer  Erlasse  mit  ähnlichen  Wendungen  herbeizieht. 
Der  Papyrus  stellt  vermutlich  ein  Stück  aus  einer  Sammlung  von 
Kaisererlassen  dar.  Die  ersten  Worte  bildeten  wohl  die  Sub- 
scriptio  unter  einem  Kaiserreskript  (vielleicht  von  Constantin,  a.  821 
Crispo  II  et  Constantino  II  CC.  conss.);  ihm  schließt  sich  ein  anderer 
Erlaß  an,  nach  dem  Sprachgebrauche  vielleicht  von  Diokletian. 

118.  Vom  Diokletianischen  Maximaltarif  (vgl.  diesen 
Jhber.  LXXX1X  220  f.  und  CIX  31)  hat  nach  WklPh.  1906  S.  198 
Arvanitopoullos  zu  Tegea  ein  neues  Bruchstück  gefunden,  das 
die  Preise  für  Wohlgerüchc,  Arzeneien  u.  ä.  enthält,  und  darüber 
in  der  *Ht>7jva  XVIII  berichtet. 

114a.  Über  ein  anderes  Stück  (in  lateinischer  Sprache),  das 
sich  deckt  mit  einem  bereits  bekannten  Abschnitte  (in  Mommsen- 
Blümners  Maximaltarif  des  Diocl.  S.  7 — 8)  und  das  zu  Oetylus  an 
der  Westseite  des  Messenischen  Golfs  gefunden  wurde,  berichtet  nach 
WklPh.  1906  S.  440  Edward  S.  Forster,  A  fragment  of  the 
„Edictum  Dioletiani"  im  Journal  of  Hellenic  Studies  XXV  (1905) 
S.  260—262. 

114b.  R.  Paribeni  bespricht  nach  WklPh.  1903  S.  246 
in  der  'K^jispl?  dp/atoXo^ix^  1902  S.  11 — 16  ein  athenisches 
Fragment  des  Diokletianischen  Tarifs. 


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Vertragsurkunden  u.  ä. 


49 


Registriert  sei  auch  eine  Bemerkung  über  Diokletians  Maximal  - 
tarif  von  114  c.  C.  Rolfe  im  American  Journal  of  Archaeology 
VI  23  ff. 

114d.  Von  Blümner  ist  der  Artikel  Edictum  Diocletiani  in 
Pauly-Wissowas  Realencykl.  V  1948—1957  behandelt. 

Zusatz:  Treueide. 

115.  R.  de  Ruggiero,  Un  nuovo  giuramento  di  fedeltä  all' 
imperatore  Augusto,  recentemente  scoperto.  Roma,  Pasqualueci,  7  S. 
(Bull.  XIII  fasc.  II — VI)  zeigt,  daß  Mommsens  Vermutung  zu  den 
zwei  bisher  bekannten  Treueiden  für  Caligula,  daß  sie  nach  älterer 
Schablone  gemacht  seien,  durch  die  neue  Entdeckung  Franz  Cumonts, 
die  er  in  Ve*zir-Keupreu  in  Kleinasien  gemacht,  bestätigt  wird.  (Cumont, 
Revue  des  Stüdes  grecques,  XIV  26 — 45.)  Ja,  R.  de  R.  vermutet 
sogar,  daß  der  erhaltene  (griechische)  Text  zurückgeht  auf  einen 
Treueid,  den  die  orientalischen  Völkerschaften  schon  ihren  früheren 
Herrschern  schworen;  denn  Augustus  wird  schon  ganz  den  Göttern 
gleich  behandelt.  —  Zitiert  sei  Fr.  Cumont,  Communication  du 
texte  d'un  sermont  de  fide'lite'  ä  l'empereur  Auguste,  texte  döcouvert 
dans  l'ancienne  Paphlagonie.  Comptes  rendus  de  l'Acadömie  des 
inscriptions  et  belles-lettres.   1900.  Nov.-De'c.  p.  687—691. 

f)  Vertragrsurkunden  u.  ä. 

116.  Ch.  Apple  ton,  La  clause  „Apochatum  pro  uncis  duabus". 
Prato  1904.  (Extrait  des  „Studi  in  onore  di  Vittorio  Scialoja") 
beweist  (nach  B.  K übler,  Sav.-Z.  XXVI  536  f.),  daß  in  der 
Wendung  apochatum  pro  uncis  duabus ,  welche  sich  in  zwei  sieben- 
btirgischen  Manzipationsurkunden  über  Sklavenverkäufe  findet ,  die 
zwei  Unzen  formelhaft  gesetzt  sind  und  so  viel  bedeuten  wie  auf 
anderen  Manzipationsurkunden  die  Worte  sestertio  uno.  (Mommseu, 
der  bloß  Eine  Urkunde  kannte,  hatte  es  als  wirklichen  Kaufpreis 
betrachtet  und  zwei  Goldunzen  darunter  verstanden.) 

117.  Ed.  Cuq,  Une  fondation  en  faveur  des  Colleges  munieipaux 
de  Preneste,  Nouv.  Revue  XXVIII  (1904)  S.  265—272  bespricht 
eine  in  Palestrina  auf  dem  Markt  des  alten  Präneste  gefundene  In- 
schrift aus  etwa  350  n.  Chr.,  welche  G.  Gatti  in  den  Notizie  degli 
Scavi  (1903  S.  575)  publiziert  hat.  Sie  war  angebracht  auf  dem 
Sockel  einer  statua  togata,  welche  die  „collegiati"  von  Präneste  zu 
Ehren  des  mit  18  Jahren  gestorbenen  P.  Aelius  Apollinaris  Arlenius 
gesetzt  hatten,  weil  dieser  (oder  vielmehr  auf  seine  Bitte  sein  Vater, 

Jahresbericht  fftr  Altertumswissenschaft.    Bd.  CXXXIV.    (1907.   in  4 


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50 


W.  Kalb:  Römische  Juristen. 


actor  causarum  der  Stadt  und  praeses  provinciae  Corsicae,  sowie 
praefectus  vigilibus)  eine  Stiftung  (bestehend  in  Grundstücken)  er- 
richtet hatte,  aus  deren  Erträgnis  den  collegia  Praenestinae  civitatis 
jährlich  am  Geburts-  und  Todestag  des  jungen  Apollinaris  con[v]ivia 
exhiberentur.  Ed.  Cuq  benützt  die  Inschrift  zu  einer  Illustration 
der  in  der  späteren  Kaiserzeit  über  Geschenke  geltenden  Bestimmungen 
(vgl.  Frgm.  Vat.  249;  Cod.  Th.  8,  12,  1;  Constantinus  (316)  Cod. 
Just.  8,  53,  25. 

Besprochen  ist  die  Inschrift  auch  von  Mitteis  in  der  Sav.-Z. 
XXV  874—379. 

118.  H.  Erman,  Zum  antiken  Urkundenwesen.  Sav.-Z.  XXVI 
456 — 478  bespricht  u.  a.  die  Geschichte,  den  Zweck  und  die  Art 
des  Verschlusses  der  alten  Urkunden,  ihre  Fälschung  und  die  Tätig- 
keit der  Zeugen. 

119.  L.  M(itteis),  Neue  Urkunden.  Sav.-Z.  XXV  376—379. 

1.  Ein  Dokument,  veröffentlicht  von  Grenfell  und  Hunt  im 
IV.  Band  der  Oxyrrhynchus-Papyri  als  Nr.  720,  besprochen  von 
"Wilcken,  Arch.  f.  Pap.-Forsch.  III  313,  enthält  ein  (lateinisches) 
Gesuch  um  Vormundschaftsbestellung  vom  Jahr  247  n.  Chr.,  gerichtet 
an  den  praeses  provinciae.  Ein  Plutamonn  (der  sich  aus  Versehen, 
wie  die  Petentin ,  Aurelia  [?]  unterschreibt) ,  erklärt  sich  (mit 
griechischen  Worten)  zur  Übernahme  bereit,  und  der  praef.  Aegypti 
gibt  (mit  lateinischen  Worten)  den  Vormund  unter  dem  Vorbehalt, 
daß  diese  magistratische  Tutorbestelluug  nur  bei  wirklichem  Mangel 
eines  anderweitigen  Tutor  gelten  soll. 

2.  s.  u.  Nr.  129.  3.  Ein  Diptychon  aus  Hcrmupolis  maior,  Notitia 
über  Freilassung  inter  amicos  mit  darunterstehendem  griechischen  Chii  o- 
graphum  des  Freilassers  ist  schon  bei  Girard,  Textes  3  S.  849  f.  von 
S.  de  Kicci  veröffentlicht,  weiterhin  von  demselben  mit  lehrreichen 
Erläuterungen  herausgegeben  in  den  Proceedings  of  the  society  of 
bibl.  Archeology  Mai/ Juni  1904. 

4.  s.  u.  Nr.  128.  5.  s.  o.  Nr.  117.  6.  In  den  Comptes 
rendues  de  l'Acad.  des  Inscriptions  et  helles  lettres  1904  März/April 
S.  177  macht  P.  Cagnat  vorläufige  Mitteilung  von  einer  zu  Cortegana 
in  Spanien  gefundenen  Bronzetafel,  in  der  mehrmals  iudicia  fieri, 
iudicare  u.  ä.  vorkommt,  die  aber  erst  noch  genauer  entziffert 
werden  muß. 

7.  Eine  in  Arausio  gefundene  Inschrift  bezieht  sich  auf  Ver- 
pachtung öffentlicher  Ländereien  (Parzellen,  merides).  Die  *  Be- 
sprechungen von  Digonnet  in  den  Mtfmoires  de  TAcad.  de  Vaucluse 


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I 

Vertragsurkunden  u.  ä.  51 

and  von  E.  Espgrandieu  in  der  Revue  Epigraph,  waren,  wie 
L.  M.  mittelt,  beim  Druck  seiner  Mitteilungen  noch  nicht  ver- 
öffentlicht. 

120.  Seymour  de  Ricci  und  P.  F.  Girard,  Textes  juridiques 
Latins  inödits.  Nouv.  Revue  1906  S.  477—498.  —  Auf  einer  Studien- 
reise nach  Ägypten,  die  er  im  Auftrage  des  französischen  Ministeriums 
unternommen,  fand  S.  de  Ricci  unter  anderem  im  Museum  von  Kairo 
vier  Wachstafeln  (drei  Diptycha  und  eine  einfache)  mit  lateinischer 
Schrift,  auf  welchen  nicht  nur  das  Wachs  auf  der  Innenseite,  sondern 
auch  die  wachsfreien  Außenseiten,  zuweilen  auch  der  Rand  der  Innen- 
seite (diese  mit  Tinte)  beschrieben  sind.  Hierüber  erstattet  er  in 
Form  eines  Briefes  an  P.  F.  Girard  Bericht,  und  Girard  knüpft  daran 
Bemerkungen.  Die  vereinzelte  Tafel,  im  Museum  zu  Kairo,  Nr.  29  811, 
enthält  die  Entlassungsurkunde  eines  Reiters,  die  nicht  vom  Kaiser 
ausgestellt  ist,  wie  die  bis  jetzt  bekannten  aus  Bronze,  sondern  vom 
Präfectus  'Aegypti  am  4.  Januar  122  n.  Chr.;  ihre  hübsche  Er- 
klärung durch  Girard  schlägt  nicht  in  unser  Gebiet  ein.  —  Das 
Diptychon  Nr.  29  808,  115  X  140  mm.,  vom  29.  September  170  n.  Chr., 
enthält  die  Bezeugung  des  Erbschaftsantritts  der  (oi^Xixoj  oustj?) 
Valeria  Serapias.  Die  Innenseiten,  wo  die  Schriftzüge  nur  auf  dem 
Wachs  stehen  und  durchaus  erhalten  sind,  lauten  VALERIA  SERA- 
PIAS  ANTINOIS  VIRGO  PER  PROCUR ATORE  L.  VAL.  LUCRE- 
TIANO  MATID10  QE  (=  qui  et?)  PLUTINIO  ANTINOENSIO 
FRATRE  EIUS  TESTATA  ES<T>  SE  UEREDITATEM  FLAVIAE 
VALERIAE  MATRIS  EIUS  ADISSE  CREVISSAEQ.  SEQ.  HEREDES 
(=  heredem)  ESSE  SECUNDUM  TABULAE  (—  tabulas)  T.  (=  testa- 
menti)  EIUS.  ACTUM  AEG.  (=  Aegypto)  NOMO  ARSIN01TE 
METROPOLI  III.  KAL.  OCT.  M.  CORNELIO  CETHEGO.  SERV1L10. 
CLARO  COS.  Die  wachslosen  Außenseiten  enthalten,  mit  Tinte  ge- 
schrieben und  daher  zum  Teil  verblaßt,  im  wesentlichen  das  gleiche ; 
nur  steht  beim  Datum  auch  noch  das  Regierungsjahr  des  Kaisers 
und  die  ägyptische  Bezeichnung  des  Monats.  Dem  Hauptinhalt  voran 
gingen  vermutlich  die  Namen  der  Zeugen  (ganz  unleserlich)  und  der 
Platz  für  die  Siegel  („non  signat  Aegyptus",  Erman,  Sav.-Z.  XXVI 
460);  eine  griechische  Bezeichnung  des  Inhaltes  schloß  sich  unten 
an.  —  Das  Diptychon  Nr.  29  810  ist  fast  gleich  mit  dem  vorher- 
gehenden. Nur  enthält  es  die  Annahme  der  Erbschaft  von  der 
Großmutter  der  Serapias,  vom  gleichen  Datum.  Auf  der  ersten 
Seite  sind  die  Namen  der  sieben  Zeugen,  die  im  Genitiv  dem  Siegel- 
platz beigesetzt  waren,  größtenteils  erhalten.  —  Das  Diptychon 
Nr.  29  807  (175  X  124  mm)  aus  dem  Jahre  148  n.  Chr.  enthält 

4* 


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52  W.  Kalb:  Römische  Juristen. 

einen  beglaubigten  Auszug  aus  dem  standesamtlichen  Geburtsregister 
zu  Alexandria.  Es  hat  noch  die  alte  Schnur  und  rechts  unten  auf 
der  ersten  Seite  ein  vereinzeltes  Siegel.    Näheres  s.  u.  Nr.  136. 

Über  griechisch©  Papyri*). 

Von  den  juristischen  Papyri  gehören  in  unser  Berichterstattungs- 
gebiet zunächst  nur  die  verschwindend  wenigen  lateinischen,  die  wir 
an  ihrer  Stelle  besprochen  haben  oder  besprechen  werden.  Die 
vielen  griechischen  dürfen  aber  doch  nicht  völlig  übergangen  werden, 
da  sie  für  das  Verständnis  mancher  römischen  Itechtsquellen  förderlich 
sind.    Folgende  Schriften  seien  deshalb  angeführt: 

121.  L.  W  enger,  Papyrusforschung  und  Rechtswissenschaft. 
Ein  Vortrag,  gehalten  im  Grazer  Juristenverein.  Graz  1903,  führt 
in  fesselnder  Weise  zuerst  ganz  allgemein  in  das  Gebiet  der  Papyri 
ein,  deren  Entdeckung  für  alle  Fakultäten  irgend  etwas  Neues 
zutage  gefördert  hat,  um  sodann  an  der  Hand  der  wichtigsten 
Papyri  zu  zeigen,  wie  das  römische  Recht  durch  den  Einfluß  ein- 
heimischen Rechts  in  Ägypten  sich  praktisch  gestaltete.  Wir  bekommen 
in  ungemein  anschaulicher  Darstellung  Illustrationen  zur  Vollinachts- 
erteilung,  zum  Grundbuchrecht,  das  durchaus  nicht  etwa  eine  speziell 
germanische  Einrichtung  ist,  zum  Pfandrecht,  zum  Kauf,  zur  Pacht  usw., 
zum  Familien-  und  Erbrecht.  —  Ein  sechs  Seiten  umfassender  An- 
hang gibt  dem  Leser  Fingerzeige  darüber,  wo  er  über  einzelne  Punkte 
nähere  Aufschlüsse  erhalten  kann.  Aus  den  Zitaten  sei  erwähnt  eine 
Darlegung  von  122.  L.  Mitteis,  Aus  den  griechischen  Papyrus- 
urkur.den,  Vortrag  auf  der  6.  Versammlung  deutscher  Historiker  zu 
Halle,  Leipzig  1900. 

123.  Biagio  Brugi,  I  papiri  greci  d'Egitto  e  la  storia  del 
diritto  Rom.,  Atti  del  Reale  Istituto  Veneto  LXI  1  S.  807—814 
bespricht  in  ähnlicher  Weise  den  Wert  der  Papyri  für  die  rechts- 
geschichtliche Forschung.  Besonders  beachtenswert  ist  der  Hinweis 
darauf,  dali  durch  die  Rücksicht  auf  die  tatsächliche  Praxis  schon 
lange  vor  Justinian  viele  Einschiebsel  oder  Korrekturen  an  den 
geläufigsten  Juristentexten  veranlaßt  wurden,  welche  Justinian  dann 
in  sein  Corpus  mit  aufnahm.  Er  verweist  u.  a.  auf  Wenger,  Zur 
Lehre  von  der  actio  iudicati.    Graz  1901. 

124.  Roberto  de  Ruggiero**),  II  diritto  Romano  e  la 
papirologia.    Bull.  XIV  (1901)  hat  sich  das  Verdienst  erworben,  die 

*)  Vgl.  den  Bericht  von  Viereck  in  Bd.  131  [W.  K.]. 
**)  Hier  sei  zu  unserem  letzten  Bericht  nachgetragen  P.  Bonfanto  e 
R.  de  Ituggiero,  La  Petizione  di  Dionysia,  Bull.  XIII  fasc.  1,  33  S. 


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Vertragsurkunden  u.  ä. 


gesamte  Literatur  zusammenzustellen,  soweit  sie  die  Papyri 
betrifft.  Nachdem  er  zuerst  die  wichtigsten  allgemeinen  Werke  be- 
sprochen, welche  die  Einführung  in  die  Papyruskunde  oder  die 
einschlügige  Paläographie  betreffen,  bringt  er  auf  zwölf  Seiten  zuerst  die 
Schriften,  welche  über  den  Inhalt  der  einzelnen  Sammlungen  (1.  London, 
2.  Oxford,  8.  Dublin,  4.  Berlin  usw.)  orientieren,  sodann  ein  alpha- 
betisches Verzeichnis  von  erläuternden  Abhandlungen,  welches 
nach  WklPh.  190*  S.  538  N.  Hohlwein  in  Bullet.  Helge  1902 
S.  438  vervollständigt.  —  Dazu  neuerdings  P.  Viereck,  Bericht  über 
die  griech.  Pap.-Urk.  1899  bis  1905  indiesem  Jhber.  CXXXI  36  ff.  — 
Mitteis,  Neue  Urkunden.    Sav.-Z.  XX VII  340  ff. 

125.  E.  Costa,  Le  locazioni  dei  fondi  nei  papiri  greco-egizi. 
Roma,  Ist.  di  dir.  R.  1902.  (S.-A.  aus  Bull.)  Nach  G.  May,  Nouv. 
Revue  XXVIII  453  ist  besonders  der  Hinweis  auf  die  Kautelen  in 
ägyptischen  Papyri  interessant,  in  denen  der  Verpächter  eines  Grund- 
stücks, der  dasselbe  gegen  Quotenabgabe  (in  der  Regel  3'4)  ver- 
pachtet, dem  Pächter  (colonus  partiarius)  gegenüber  sich  ausbedingt, 
daß  er  dxt'vSovo?  irctvco?  xivdovou  sein  sollte;  nach  röm.  Recht  gilt 
nämlich  (falls  nicht  Gegenteiliges  vereinbart  ist)  der  Rechtssaiz 
(Gai.  prov.  19,  2,  25,  6):  partiarius  colonus  quasi  societatis  iure  et 
damnum  et  lucrum  cum  domino  fundi  partitur.  G.  May  zitiert  für 
diese  Papyri  auch  Wilcken,  Archiv  für  Papyrusforschung,  1902 
S.  128 — 139,  ebenso  Jouguet  und  Lefebvre,  Bulletin  de  corre- 
spondance  hellönique  1902  S.  98—116.  Letztere  veröffentlichen 
Papyri  aus  Magdöla,  in  welchen  sich  der  Vorbehalt  des  dxtvSovov 
ebenfalls  findet,  jedoch  mit  dem  Zusatz  hXtjv  aßpo^oo  xal  xaxaßpoxoo. 
Die  Herausgeber  setzen  die  letzterwähnten  Papyri  in  das  3.  Jahr- 
hundert vor  Chr.:  damals  also  scheint  in  Ägypten  schon  ein  ähn- 
licher Rechtssatz  gegolten  zu  haben,  wie  er  oben  aus  Gai.  angeführt 
ist.  Es  ist  vielleicht  kein  Zufall,  dalJ  die  Stelle  aus  dem  Kommentar 
ad  edictum  provinciale  stammt.  — 

126.  E.  Costa,  Mutui  ipotecari  Greco-egizi.  Estrato  dal 
Bull.  XVII  (1905)  9  S.  bespricht  einen  griechischen  Hypotheken- 
vertrag aus  Ägypten  vom  Jahre  153  n.  Chr.,  welchen  Vitelli  schon 
früher  in  Atene  e  Roma  und  neuerdings  im  ersten  Heft  der  Papiri 
fiorentini,  die  von  der  R.  Accademia  dei  Lincei  unter  der  Direktion 
von  D.  Comparetti  und  G.  Vitelli  herausgegeben  werden  (Documenti 
pubblici  e  privati  d  e  1 1'  eta  romana  e  bizantina  a  cura 
di  Girolamo  Vitelli),  abgedruckt  hat  und  einen  ebensolchen  vom 
Jahre  103,  welchen  Vitelli  in  Atene  e  Roma  VI  (1903)  S.  383  ff. 
besprochen  hat.    Durch  beide  wird  der  Pap.  von  Oxyrr.  n.  t506, 


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54 


W.  Kalb:  Römische  Juristen. 


Vol.  III  232  ff.  (vom  Jahre  143  n.  Chr.)  noch  klarer.  Außerdem" 
bespricht  E.  Costa  ein  6r6jxvrJ}xa  von  Hermupolis  aus  der  Zeit 
Domitians ,  veröffentlicht  von  Breccia ,  Rendiconti  della  R.  Accad. 
dei  Lincei,  Gasse  di  sc.  mor.  stör,  e  filol.  XIII  Ser.  5,  fasc.  5,  1904. 
Es  stellt  dies  eine  Eingabe  an  die  einschlägige  Behörde  dar  zum 
Zwecke  der  Verfolgung  einer  fälligen  Hypothek,  die  zwischen 
82  und  86  n.  Chr.  abgeschlossen  wurde.  Vf.  erörtert  im  Anschluß 
daran  den  Einfluß  des  römischen  Rechts,  welches  sich  auf  der  alten 
Subscriptio  praediorum  aufbaute,  auf  das  griechische  Recht,  das  aus- 
ging von  der  irpaat?  ircl  Xuaet,  der  sich  zu  zeigen  scheint  zwischen 
der  Zeit  des  letzterwähnten  Hypothekenvertrags  und  den  Jahren  103 
bzw.  153.  Einen  Widerhall  des  Konflikts  beider  Rechte  sieht  Vf. 
z.  B.  noch  bei  Marci.  hyp.  20,  1,  16,  9.  —  S.  Nachtrag. 

127.  E.  Costa,  *Sul  papiro  fiorentino  num.  1,  Roma,  Ist.  di  rom. 
1902,  7  S.  (Separatauszug  aus  Bull.)  ist  besprochen  von  G.  May  in  Nouv. 
Revue  XXVII  454  f.,  wo  auch  Mitteis,  Sav.-Z.  XXIII  300—304 
als  über  die  gleiche  Sache  sprechend  zitiert  wird.  Der  Papyrus  be- 
trifft einen  Leihkontrakt  vom  25.  März  153  n.  Chr.,  der  ein  Beispiel 
von  einer  lex  commissoria  bietet.  — 

128.  Grenfell  und  Hunt,  die  so  große  Erfolge  auf  dem 
weiten  Gebiete  der  Papyri  erzielten,  haben  jetzt  (nach  Mitteis, 
Sav.-Z.  XXV  374—879)  auch  den  Papyrus  Cattavi  in  Alexandria 
(vgl.  diesen  Jhber.  LXXXIX  223)  in  befriedigender  Weise  entziffert; 
Archiv  f.  Papyrusforsch.  III  55.  P.  Meyer  hat  einen  lehrreichen 
Kommentar  beigegeben.  Der  Papyrus  enthält  besonders  Protokolle 
über  gerichtliche  Verhandlungen,  die  das  Eherecht  der  Soldaten  be- 
treffen. 

129.  U.  Wilcken,  Die  Berliner  Papyrusgrahungen  in  Herakleo- 
polis  Magna  im  Winter  1898/99.  Archiv  f.  Papyrusforsch.  II  294 
bis  336.  —  Ders.  hat  nach  Mitteis.  Sav.-Z.  XXV  374  im  Archiv 
f.  Papyrusforsch.  III  244  f.  eine  griechische  Urkunde  aus  dem  Jahre  168 
n.  Chr.  (—  Pap.  Lond.  470,  Kenyon  II  212)  entziffert:  eine  Frau 
(Römerin)  erläßt  unter  Beizichung  eines  tutor  mulieris  mit  Ge- 
nehmigung ihres  gräkoägyptischen  Mannes  einem  Schuldner  eine 
Stipulationsschuld. 

130.  *  Zitiert  seien  noch  folgende  Titel :  0.  G  r  a  d  e  n  w  i  t  z , 
Zwei  Bankanweisungen  aus  den  Berliner  Papyri.  Archiv  für  Papyrus- 
forschung 11  (1902)  S.  96 — 116.  —  L.  Mitteis.  Adoptionsurkunde 
vom  Jahre  381  n.  Chr.,  ebenda  III  173—184  (1904).  —  Derselbe, 
Über  die  Freilassung  durch  den  Teileigentümer  eines  Sklaven,  ebenda 
III  252—256.  —  L.  Mitteis  und  U.  Wilcken,  P.  Lipsiensis  13, 


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Die  beiden  Juristenschulen. 


—  Manilius. 


55 


ebenda  III  106 — 112.  —  J.  C.  Naber,  Observatiunculae  ad  papyros 
iuridicae,  ebenda  II  32 — 40  nnd  III  6 — 21.  —  J.  Nicole,  Compte 
d'un  soldat  romain,  ebenda  II  63 — 69.  —  R.  deRuggiero,  I  papiri 
greci  e  la  stipulatio  duplae,  ebenda  (vgl.  u.  Nr.  226).  —  R.  di 
Rnggiero,  Studi  papirologici  sul  matrimonio  e  sul  divorgio  nell'  Egitto 
Greco-romano.  Bull.  XV  104  ff. ,  180  ff.  (1903),  besprochen  von 
J.  Declareuil,  Nouv.  Revue  XXIX  679—684.  —  L.  Wenger, 
Zu  den  Rechtsurkunden  in  der  Sammlung  des  Lord  Amherst,  Archiv 
f.  Pap.  II  41 — 62.  —  L.  Wenger,  Rechtshistorische  Papyrus- 
studien, besprochen  im  Litt.  Centralbl.  50  (1902)  S.  1684  f.  — 
L.  Wenger,  Rechtsurkunden  aus  Tebtynis,  Arch.  f.  Pap.  II  483 
bis  514.  —  U.  Wilcken,  Papyrus-Urkunden.  Arch.  f.  Pap.  II  117 
bis  147  (bespricht  verschiedene  Schriften  über  Papyrusforschung). 

III.  Die  einzelnen  klassischen  Juristen. 

a)  Sabinianer  und  Proculianer. 

131.  Giovanni  Baviera,  Sul  nome  dei  Proculiani  e  dei 
Sabiniani  (in  Studi  di  diritto  Romano  pubbl.  in  onore  di  Vitt.  Scialoja, 
Milano  1905,  II  759)  zeigt  (nach  Caillemer,  Nouv.  Revue  XXIX  689), 
daß  der  Name  Sabinianer  neuer  ist  und  die  Klassiker  immer  (?)  von 
Cassianern  sprechen  (vgL  Kipp,  Sav.-Z.  XXI  392  ff. ,  angezeigt  in 
diesem  Jhber.  CIX  34). 

132.  Ed.  Wölfflin,  Beiträge  zur  lat.  Lexikographie  (Sitzungsb. 
der  Akad.  der  Wiss.,  München  1900,  lieft  1)  ist  geneigt,  den  Namen 
unserer  Spezereihandlungen  auf  die  Prokulianer  zurückzuführen, 
welche  bei  der  Spezifikation  als  species  Wein,  Öl  und  Mehl  (soweit 
man  bei  frumentum  an  Mehl  denken  darf)  nennen;  auch  weiterhin 
werden  species  besonders  durch  Spezifikation  entstandene  Artikel 
genannt.  Doch  hat  zur  schließlichen  Bedeutungsannahme  für  species 
auch  der  Zolltarif  beigetragen,  der  die  einzelnen  Nummern  als  species 
bezeichnet,  eine  Bedeutung,  die  dann  auch  auf  andere  Handelsartikel 
überging.    Besonders  die  Wohlgerüche  werden  hier  erwähnt. 

b)  Manilius. 

133.  0.  Hirsch feld,  Sitzungsb.  der  Berliner  Akad.,  1903 
S.  2  ff.  hat  (vgl.  L.  M(itteis),  Sav.-Z.  XXIV  419  ff.)  die  Worte  bei 
Pomp.  ench.  1,  2,  2,  39  et  extant  Volumina  (in)scripta  Manilii  monu- 
menta"  erklärt  und  geklärt  durch  den  Hinweis  auf  Cic.  Rep.  2,  14, 
26,  wo  der  jüngere  Scipio  Afr.  von  König  Numa  sagt:  „idemque  Pompilius 


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56 


W.  Kalb:  Römische  Juristen. 


animos  propositis  legibus  his  quas  in  monumentis  habemus, 
ardentes  .  .  cupiditate  bellandi  religionum  caerimoniis  mitigavit".  Da 
Cicero  unmittelbar  nachher  den  Juristen  M.  Manilius  redend  ein- 
führt ,  so  dürfen  wir  wohl  bei  den  monumenta  in  Cic.  Rep.  an  das 
Werk  des  Manilius  denken,  das  bei  Pomp.  ench.  erwähnt  ist.  Offen- 
bar haben  also  die  Monumenta  des  Manilius  (nach  Hirschfeld)  die 
Gesetze  des  Numa  enthalten,  wenn  auch  nicht  diese  allein,  sondern 
daneben  vielleicht  auch  wissenschaftliche  Erörterungen.  Vgl.  oben 
Nr.  41. 

c)  Celsus. 

184.  H.  Erman,  P.  Juventius  Celsus  und  das  Kammergericht. 
Zeitschr.  f.  d.  Privat-  u.  öff.  Recht  XXXI  569—588. 

Zwei  Kammergerichtsurteile,  welche  Testamente  für  ungültig  er- 
klärt haben  infolge  von  allzuwörtlicher  Interpretation  des  B.G.B., 
würden  nach  E.  seitens  des  Juristen  Celsus  wohl  eine  ähnliche  Kritik 
erfahren,  wie  er  sie  als  Antwort  auf  die  berühmte  Quaestio  Domitiana 
gibt  (Dig.  28,  1,  27):  aut  non  intellego  quid  sit  de  quo  me  con- 
sulueris,  aut  validc  stulta  est  consultatio  tua:  plus  enim  quam  ridi- 
culum  est  dubitare,  an  aliquis  iure  testis  adhibitus  sit,  quoniam  idem 
et  tabulas  testamenti  scripscrit.  Denn  in  seiner  Antwort  zeigt  sich 
Celsus  als  Todfeind  des  Formalismus,  wie  Vf.  in  seiner  neuen  Er- 
klärung der  Stelle  zeigt.  —  Ein  Satz  des  Sabinas,  der  bis  auf 
Celsus  allgemeine  Geltung  hatte,  und  den  Celsus  natürlich  gut 
kannte,  besagte  (D.  28,  1,  21,  2):  In  testamentis,  in  quibus  teste* 
rogati  adesse  debent,  ut  testamentum  riat,  alterius  rei  causa 
forte  rogatos  ad  testandum  non  esse  idoneos  placet.  Als  nun 
einmal  ein  Testament  angefochten  wurde,  weil  man  einen  Mann  als 
einen  der  Zeugen  hatte  unterschreiben  lassen,  qui  alterius  rei  causa 
(nämlich  zum  Zweck  des  Schreibens)  beigezogen  worden  war,  mögen 
die  Interessenten  sich  an  Celsus  gewendet  haben.  Dem  Celsus  schien 
es  ungerecht,  wegen  einer  so  geringfügigen  Sache  ein  Testament  um- 
zustoßen;  und  da  er  anderswo  sagt  ius  est  ars  aequi  et  boni,  „so 
wird  es  nichts  als  ein  Mittel  zum  Zwecke,  ein  bloßer  Kunstgriff  sein, 
wenn  er  sich  hier  dumm  stellt  und  grob  wird".  Die  an  ihn  ge- 
richtete Frage  hatte  gelautet:  Quaero  an  testium  numero  habendus 
sit  is,  qui  cum  rogatus  est  ad  testamentum  scribendum, 
idem  quoque  cum  tabulas  scripsisset,  signaverit.  Celsus  verdrehte 
(nach  E.)  die  Worte  der  Anfrage  und  ließ  gerade  das  beiseite,  was 
den  Fragesteller  zu  seiner  Frage  veranlaßt  hatte;  dafür  spielte  er 
den  ungenaueren  Schluß  aus  „cum  tabulas  scripsisset",  indem  er  sagt : 
das  Schreiben  des  Testamentes  kann  unmöglich  jene  schwere  Folge 


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Celsus.  Julianus. 


57 


haben.  Diese  nicht  ganz  lautere  Art  ,  wie  er  dem  Recht  zum  Sieg 
verhilft,  paßt  nach  E.  ganz  zum  Charakter  des  Celsus,  welcher  als 
Mitverschworener  gegen  Domitian  „dem  Domitian  als  dominus  et  deus 
huldigte,  sich  als  Spitzel  ihm  anbot,  um  dann  unter  immer  neuen  Vor- 
wänden, ohne  irgend  jemand  anzuzeigen,  die  Sache  in  die  Länge  und 
sich  selbst  aus  der  Gefahr  zu  ziehen  (Dio  67,  13)".  Daß  er  jene 
Anfrage,  die  doch  im  Sinne  von  Sabinus  gestellt  wird,  „valide  stulta" 
nennt,  hat  seine  Parallele  in  Vat.  fr.  75.  wonach  Celsus  eine  andere 
Meinung  des  Sabinus  ut  stolidam  reprehendit.  —  Nach  Celsus  modifi- 
zierte man  dann  (vielleicht  durch  die  responsio  Celsina  veranlaßt) 
den  erwähnten  Satz  des  Sabinus:  Ulp.  ad  S.  28,  1,  21,  2  setzt  die 
Nota  bei:  Quod  sie  aeeipiendum  est,  ut,  licet  ad  aliam  rem  sint 
rogati  vel  collecti,  si  tarnen  ante  testimonium  certiorentur.  ad  testa- 
mentum  se  adhibitos,  posse  eos  testimonium  suum  recte  perhibere. 
Daß  diese  Stelle  mit  Unrecht  für  ein  Justinianisches  Einschiebsel  ge- 
halten wurde,  wird  in  einem  Exkurs  über  certiorare  gezeigt.  —  (Die 
Erklärung  E.s  ist  höchst  einleuchtend  bis  auf  die  Annahme  jenes 
jesuitischen  Kunstgriffes.  Dieser  ist  aber  wohl  kein  integrierender 
Bestandteil  der  neuen  Iuterpretation.  Möglicherweise  hat  Celsus  jene 
Schulregel  des  Sabinus  absichtlich  mit  Stillschweigen  tibergangen, 
weil  sie  auf  den  vorliegenden  Fall  gar  nicht  paßte  :  denn  der  scriba 
ist  vielleicht  gar  nicht  alterius  rei  causa,  sondern  testamenti  causa 
rogatus.  Alterius  rei  causa  rogatus  wäre  etwa  der  Arzt,  der  natur- 
gemäß sein  Augenmerk  auf  etwas  anderes  als  das  Testament  richtet 
und  deshalb  testis  non  idoneus  est.  Ref.) 

d)  Julianus. 

135.  L.  Boulard,  * Salvius  Julianus,  son  ceuvre,  ses  doctrines 
sur  la  personnalite*  juridique.  These  de  Paris.  1903.  Solche  Disser- 
tationen pflegen  nichts  Neues  zu  bringen. 

136.  Th.  Mommsen,  Salvius  Julianus.  Sav.-Z.  XXIII  (1902) 
S.  54—60. 

Am  9.  Juli  1899  wurde  in  Afrika,  in  Sidi-el-Abiod,  dem  alten 
Pupput,  welches  Mommsen  als  einen  vicus  des  etwa  45  Milien  ent- 
fernten Hadrumetum,  der  Heimat  Julians,  betrachtet,  die  Inschrift  einer 
dem  Julian  zu  Ehren  von  seinen  Landsleuten  errichteten  Bildsäule 
gefunden ,  aus  der  wir  Julians  genaue  Namen  und  manches  Neue 
über  seine  Ämterlaufbahn  erfahren.  Sie  ist  von  P.  Gau  ekler  in 
den  Comptes-rendus  der  Pariser  Acadöniie  des  inscriptions  et  belies 
lettres,  4m*  sörie,  Band  27  (1899)  S.  366  herausgegeben  und  lautet 
nach  Mommsen :  L.  Octavio  Cornelio  P.  F.  Salvio  Juliano  Aemiliano, 


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W.  Kalb:  Römische  Juristen 


xviro,  quaestori  imp(eratoris)  Uadriani,  cui  divos  Hadrianus  soli 
salarium  quaesturae  duplicavit  propter  insignem  doctrinam,  trib(uno) 
plebis,  pr(aetori),  praef(ecto)  aerar(ii)  Saturni,  item  mil(itari),  co(n)- 
s(uli) ,  pontif(ici) ,  sodali  Hadrianali ,  sodali  Antoniniano ,  cnratori 
aedium  sacrarum ,  legato  imp(eratoris)  Antonini  Aug.  Pii  Germaniae 
inferioris,  legato  imp.  Antonini  Ang.  et  Veri  Aug.  Hispaniae  citerioris, 
proco(n)s(uli)  provinciae  Africae,  patrono  d(ecreto)  d(ecurionum) 
p(ecunia)  p(ublica).  Julians  Heimatgemeinde  Hadrumetum  ehrte 
sich  selbst  und  ihren  Mitbürger,  wenn  sie  ihm  (in  seinem  Geburts- 
dorfe ?)  ein  Denkmal  setzte.  Daß  Julianus  aus  Hadrumetum  stammte, 
hat  man  bereits  aus  der  Vita  des  Kaisers  Julian  erschlossen;  wenn 
freilich  diese  Vita  die  Clara  Aemilia  (Mutter  des  Kaisers)  und  deren 
Bruder  Salvius  Julianus  (wahrscheinlich  Konsul  175)  Enkel  des 
Juristen  sein  läßt,  so  hält  Mommsen  dies  für  einen  Irrtum;  es 
waren  (nach  Eutrop.  8,  17)  vielmehr  Kinder  des  Rechtsgelehrten. 
Was  Mommsen  von  den  einzelnen  Ämtern  sagt,  die  Julian  bekleidete 
(vgl.  Kipp,  Gesch.  der  Quellen  S.  109),  kann  nicht  alles  angeführt 
werden;  auf  die  Zeit  seiner  Statthalterschaft  in  Germania  inferior 
geht  die  Inschrift  aus  den  Rheinlandcn  zurück  Q.  Aelio  Egrilio 
Euareto  philosopho  amico  Salvi  Juliani  usw.  bei  Brambach  449,  vgl. 
Borghesi  Opp.  VU  532.  —  Fittings  Ansetzung  von  Julians  Konsulat 
in  das  Jahr  148  (mit  Borghesi),  gegen  welche  Mommsen  früher 
Einwendungen  erhoben  hatte,  hält  er  jetzt  für  gesichert,  da  er  nach 
der  afrikanischen  Inschrift  nicht  vor  der  Regierung  von  Marcus  und 
Verus  zum  Prokonsulat  von  Afrika  gelangt  ist.  Nach  der  Vita  des 
Kaisers  Julian  wäre  er  noch  ejn  zweites  Mal  Konsul  gewesen;  das 
hält  Mommsen  für  höchst  unwahrscheinlich;  der  ordentliche  Konsul 
des  Jahres  175  P.  Salvius  Julianus  ist  allem  Anschein  nach  (s.  o.) 
sein  Sohn.  Mommsen  betrachtet  das  Reskript  von  Marcus  und  Verus 
(Dig.  37,  14,  17)  als  einen  Fingerzeig  dafür,  daß  der  Redaktor  des 
Edikts  noch  unter  der  gemeinsamen  Regierung  der  divi  fratres,  also 
vor  169,  starb,  weil  die  Kaiser  sagen:  sed  et  Salvi  Juliani  amici 
nostri  clarissimi  viri  hanc  sententiam  fuisse.  Mit  Recht  sagt  er 
aber,  daß  dies  nicht  ganz  entscheidend  ist.  Konnte  man  doch  auch 
aus  Gai.  Inst.  2,  280  scio  tarnen  Juliano  placuisse,  in  eo  legato  quod 
sinendi  modo  relinquitur,  idem  iuris  esse  quod  in  tideicommissis ; 
quam  sententiam  et  bis  temporibus  magis  optinere  video  die  Ver- 
mutung schöpfen ,  Julianus  sei  bei  Abfassung  der  Gaianischen  Insti- 
tutionen (161)  bereits  tot  gewesen:  die  neugefundene  Inschrift  lehrt 
uns,  daß  er  nach  161  noch  Statthalter  in  Spanien  und  Prokonsul 
in  Afrika  war.   Mommsen  schließt:  „Vermutlich  starb  er  hochbejahrt. 


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Julianus. 


Ob  das  Denkmal  von  Pupput  dem  Julianus  von  den  Hadrumetinern  bei 
seinen  Lebzeiten  gesetzt  ist,  als  der  berühmte  Landsmann  als  Statthalter 
in  seine  Heimat  zurückkam,  oder  nach  seinem  Ableben,  das,  wie  es 
scheint,  bald  nachher  erfolgte,  läßt  sich  nicht  mit  Sicherheit  entscheiden." 

Mommsen  glaubte,  daß  der  Konsul  des  Jahres  148  auf  einer 
längst  wieder  verlorenen  Inschrift*)  (C.  I.  L.  VI  375),  bis  1899 
der  einzigen,  welche  den  Vornamen  des  Konsuls  148  nennt,  nur  durch 
ein  Versehen  des  Abschreibers  den  Vornamen  P.  erhielt,  während 
die  verlorene  Inschrift  selbst  L.  gehabt  hätte,  daß  also  jene  Inschrift 
ebenfalls  von  unserem  Juristen  spreche,  der  demnach  148  Konsul 
gewesen  sein  müßte.  Der  Annahme  eines  solchen  Abschreibe- 
versehens gegenüber  wies  Girard  schon  in  seinem  Manuel4  S.  1072 
auf  ein  neugefundenes  Diptychon  aus  Ägypten  hin,  das  er  neuestens 
im  Anschluß  an  die  Veröffentlichung  durch  S.  de  Ricci  in  Nouv. 
Revue  besprach  (s.  o.  Nr.  120).  Dieses,  ein  Auszug  aus  dem 
standesamtlichen  Register  zu  Alexandria  von  148  n.  Chr.,  gibt  den 
Namen  des  zweiten  Konsuls  viermal:  zweimal  auf  den  (ursprünglich 
zugesiegelten)  Innenseiten,  auf  denen  die  eigentliche  Urkunde  sich 
befindet ,  und  zweimal  auf  den  Außenseiten ,  auf  welchen  hier  wie 
sonst  der  Inhalt  noch  einmal,  größtenteils  mit  gleichen  Worten  wieder- 
holt ist.  Die  beiden  Innenseiten,  in  Wachs  geschrieben  und  bis  auf 
ein  paar  Buchstaben  sehr  gut  erhalten ,  lauten ,  soweit  sie  uns  hier 
interessieren,  nach  S.  de  Ricci  folgendermaßen  (wobei  statt  unseres 
E  und  I  in  der  Regel  das  Zeichen  n,  statt  U  ein  V  und  die  Wörter 
nicht  getrennt  zu  denken  sind): 

C  •  BELLICIO  CALPURNIOJTORQUATO 
C  SALVIO  IÜLIANO  COS  •  III  NON  NOVEM 
BRES  •  ANNO  XII  IMP  CAESARIS  T  AE 
LI  HADRIANI  ANTONINI  AUG  •  PI 
MENSE  ATHYR  die  VII  ALEXAnDRE 
GYPTUM  RESCRIPTUM  ET  RECOGNI 
TI  M  FACTUM  EX  TABULA  ALBI  PROFESSI 
ONUM  LIBERORUM  NATORUM  QUA[EJTRAS 
SKIPTUM-FUIT  ID  QUOD  INFR  ASRIPTUM 
EST  C  •  BELLICIO  CALPURNIO  TORQUA 

(p.  Ü)  TO  C  SALVIO  IÜLIANO  COS  ANNO  XII  IM 

PERATOR  CAESARIS  T  •  AELI  HADRIANI  AN 
TONINI  AUG  PI  M   PETRONIO  HO 

NORATO  PRAEF.  AEG.  PROFEESSIONIS 
LIBERORUM  ACCEPTAE  CITRA  CAU 
SARÜM  COGNITIONEN!  TABULA  V  ET 
POST  ALIA  PAGINA  III  usw. 

*)  C  •  BELLICIO  •  TORQ  .  P  •  SALL  .  COS  • 


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60 


W.  Kalb:  Römische  Juristen. 


Die  Außenseiten  sind  mit  Tinte  geschrieben  und  weniger  gut 
erhalten.  S.  de  Ricci  sagt  S.  485  von  dem  ganzen  Diptychon :  je  ne 
veux  pas  präsenter  comme  definitive  une  copie  que  j'ai  <5t6  obligä 
d'executer  assez  rapidement.  —  Auf  den  Außenseiten  findet  sich 
das  erstemal,  beim  Datum  der  Ausstellung  des  Auszugs  aus  dem 
Familienstandsregister,  beim  Konsulat  der  Name  P-SALVIO IULIANO, 
das  anderemal,  bei  der  Wiedergabe  der  Worte  des  standesamtlichen 
Registers,  GSALVIO  JULIANO.  Auf  den  Innenseiten  heißt  der 
Vorname  beidemale  Gaius.  Nun  glaubt  Girard,  daß  der  Vor- 
name Gaius  durch  die"  Erinnerung  an  den  Vornamen  des  erstgenannten 
Konsuls  („G.  Bellicio  Calpurnio  Torquato")  dem  Schreiber  in  den 
Griffel  gegeben  worden  sei,  während  das  Richtige  Publio  sei.  Die 
neugefundene  Urkunde  würde  also,  wie  Girard  glaubt,  die  Richtigkeit 
der  von  Mommsen  verdächtigten  Wiedergabe  jener  verlorenen  Inschrift 
beweisen.  Da  nun  Mommsens  Gründe  für  die  Identität  des  Juristen 
Julianus  mit  dem  Konsul  von  148  doch  schwerer  wiegen,  so 
ist  Girard  geneigt,  zwei  Vornamen  für  den  Juristen  Julianus 
anzunehmen,  wie  man  bei  der  Adoption  zwei  Namen  hatte.  Aber 
dies  ist  schon  an  und  für  sich  wohl  unwahrscheinlich;  außerdem 
müßte  der  afrikanischen  Inschrift  bei  dieser  Annahme  doch  eine  Un- 
genauigkeit  zugeschrieben  werden,  da  sie  bei  ihrer  Ausführlichkeit 
beide  Namen  hätte  nennen  müssen.  Geradesogut  können  wir  an- 
nehmen, daß  die  afrikanische  Inschrift  den  Vornamen  falsch  gibt. 
Wollen  wir  nun  unter  den  drei  Vornamen  Publius,  Lucius,  Gaius  den- 
jenigen heraussuchen,  der  die  größte  Beglaubigung  hat,  so  könnte 
man  zunächst  auf  Publius  kommen,  da  dieser  Name  auf  der  Abschrift 
der  verlorenen  Inschrift  ebenso  wie  auf  der  Außenseite,  d.  h.  der 
Abschrift,  des  Diptychons  vorkommt.  Aber  wägen  wir  die  drei 
Namen  nach  dem  Wert  ihrer  Beglaubigung  ab,  so  müssen  wir  das 
Original  der  standesamtlichen  Urkunde,  d.  h.  die  scriptura  interior, 
als  das  am  besten  beglaubigte  Zeugnis  erklären :  die  Wahrscheinlich- 
keit scheint  uns  dafür  zu  sprechen,  daß  der  Jurist  den  Vornamen 
Gaius  hatte,  wenn  er  wirklich  148  Konsul  war  —  und  wenn  auf 
den  Innenseiten  der  Urkunde  wirklich  Gaius,  nicht  Publius  zu  lesen 
ist.    S.  Nachtrag. 

Daß  die  scriptura  exterior  das  erstemal  den  Vornamen  P. 
hatte,  kann  dagegen  wohl  überhaupt  nicht  in  Betracht  gezogen  werden. 
Bietet  sie  doch  das  erstemal  sogar  einen  unrichtigen  Vornamen  des 
Kaisers  (IMP-CAESARIS  L-AELI  IIADRIANI  ANTOXINI  AUG- 
PI) !  Die  Außenseite  wurde  offenbar  nicht  so  sorgfältig  wie  die  Innen- 
seite geschrieben  und  offiziell  vielleicht  gar  nicht  verglichen;  sie 


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Sextus  Pedius. 


t)l 


war  ja  auch  keine  eigentliche  Urkunde,  sondern  sollte  nur  den  In- 
halt der  Urkunde  angeben.  Dagegen  die  eigentlichen  standesamt- 
lichen Urkunden,  hier  die  Innenseiten  des  Diptychons,  wurden  wahr- 
scheinlich auch  zu  Alexandria  ähnlich  wie  bei  uns  mit  besonderer  Sorgfalt 
geschrieben  und  mit  dem  Originale  verglichen;  ein  Schreibversehen 
wäre  also  auf  den  Innenseiten  bei  der  Vergleichung  entdeckt  worden. 
Ganz  ausgeschlossen  ist  die  Möglichkeit,  daß  der  Schreiber  der  Innen- 
seiten den  Vornamen  nicht  gewußt  hätte;  denn  er  schrieb  ihn  täglich 
vielleicht  dutzendmale.  Dagegen  beim  afrikanischen  Stein  ist  Unkenntnis 
des  Vornamens  ebenso  leicht  denkbar  wie  ein  Versehen.  Denn  erstens 
konnte  sich  der  Magistratsbeamte,  der  die  Inschrift  entwarf,  im  Vor- 
namen des  Juristen  irren.  Zwar  zog  er  offenbar  an  sicherer  Quelle 
über  die  Ämter  des  Juristen  Erkundigung  ein;  aber  sein  Gewährs- 
mann mochte  die  Vornamen,  als  selbstverständlich  bekannt,  un- 
erwähnt lassen,  und  man  sah  sich  deshalb  in  Iladrumentum  auf 
eigenes  Wissen  angewiesen.  (Wie  viele  gibt  es  auch  bei  uns,  welche 
die  Vornamen  z.  B.  von  Ministern  nicht  wissen!)  Zweitens  konnte 
auch  der  Steinmetz  aus  Versehen  in  seiner  Vorlage  leicht  statt  C 
ein  L  lesen.  —  Endlich  die  verlorene  Inschrift  hätte,  auch  wenn  die 
Abschrift  mit  dem  Vornamen  P.  als  richtig  angenommen  würde,  schon 
wegen  des  zweiten  Fehlers  Sali,  statt  Salv.  geringere  Beweiskraft. 
Außerdem  war  nichts  leichter  denkbar  als  eine  Verwechslung  der  Vor- 
namen von  Vater  und  Sohn:  der  Vater  des  Juristen  hieß  Publius, 
vermutlich  auch  sein  Sohn  (s.  oben  S.  58). 

e)  Sextue  Pedius. 

137.  Girard,  L'ödit  perpötucl  (s.  Nr.  91a)  S.  159  hält  die 
Meinung  von  P.  Krüger  (die  auch  Kipp,  Gesch.  der  Quellen,  2.  Aufl., 
S.  110  Nr.  95  übernommen  habe)  nicht  für  einwandfrei,  wonach  der 
Ediktskommentar  des  Pedius  zwischen  die  Digesten  des  Julianus  und 
den  Ediktskommentar  des  Pomponius  falle.  Denn  Paul.  ed.  4,  8, 
32,  16  Julianus  impune  non  pareri  (dicit)  .  .  .  Idem  Pedius  probat 
(Mo. :  Pedius  id  improbat)  scheint  ihm  nicht  beweisend. 

Dagegen  könne  Sextus  Pedius  nicht  nach  Domitian  angesetzt 
werden,  weil  Valerius  Probus  die  Abkürzung  aufweist  S.  P.  M.  Sexti 
Pedii  Medivani,  die  man  nicht  auf  einen  anderen  Pedius  beziehen 
kann,  und  weil  Val.  Probus,  wie  G.  in  einer  ausführlichen  Note  be- 
gründet, spätestens  bis  in  die  Zeit  Domitians  schriftstellerisch  tätig 
war.  (Aber  sollte  S.  P.  M.  wirklich,  wie  die  Iis.  gibt  ,  Sexti  Pedii 
Medivani  bedeutet  haben?  Das  scheint  uns  im  Hinblick  auf  den 
Zusammenhang  sowie  den  Zweck  der  Noten  ganz  unwahrscheinlich.  Ref.) 


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<i2 


W.  Kalb:  Römische  Juristen. 


f)  Gaius. 

138.  Gai  Institution  am  commentarü  quattuor.  Separatim 
ex  Jurispr.  anteiustin.  reliquiarum  a  Ph.  Ed.  Huschke  compositarum 
ed.  sexta  ed.  E.  Seckel  et  B.  Kuebler.  Leipzig  1903,  ist  von 
uns  bereits  in  BphW.  1904  S.  877  besprochen.  Dem  Hinweis  auf 
die  Vorzüge  der  Ausgabe  stehen  nur  wenige  Ausstellungen  gegenüber. 

139.  Gailnstitutiones  —  with  a  translation  and  commen- 
tary  by  the  late  E.  Poste.  4th  ed.,  revised  and  enlarged  by 
E.  A.  W  h  i  1 1  u  ck.  With  an  historical  introduction  by  J.  G  r  e  e  n  i  d  g  e. 
Oxford  1904. 

Ein  eigenartiges  Werk,  das  für  die  Einführung  in  die  Anfangs- 
gründe des  röm.  Rechtes  ganz  besonders  geeignet  ist.  Es  wird 
immer  zuerst  ein  Kapitel  (Rubrica)  aus  Gai.  Inst,  (das  entweder  nur 
einen  Paragraphen  umfaßt,  in  der  Regel  aber  mehrere,  einigeraale 
über  30  Paragraphen)  auf  der  einen  Halbseite  in  lateinischem  Text 
nach  Krüger -Studemunds  letzter  Ausgabe,  auf  der  anderen  Seite  in 
englischer  Übersetzung  gegeben.  Daran  schließt  sich  eine  Erklärung 
des  Absatzes,  welche  die  im  Texte  vorkommenden  Regeln  gründlich, 
oft  sehr  ausführlich,  erläutert  und  die  vorkommenden  Begriffe  be- 
spricht und  gelegentlich  auch  zweckmäßige  Exkurse  macht:  z.  B.  zu 
1,  7  (Ilesponsa  prudentium  sunt  usw.)  ist  auf  vier  Seiten  eine  kurze 
Geschichte  der  röm.  Rechtslitteratur  bis  auf  Modestin  gegeben.  Diese 
Art  der  Darstellung  scheint  eine  nicht  zu  unterschätzende  didaktische 
Bedeutung  zu  haben.  Denn  die  Erläuterungen  geben  vielfach  Antwort 
auf  Fragen,  die  sich  der  anfangende  Leser  des  Gaius  selbst  vor- 
legt; sie  kommen  also  dem  Interesse  entgegen:  gar  mancher  wird  so 
Kenntnisse  in  sich  aufnehmen,  die  er  der  systematischen  Darlegung 
unserer  Institutionenwerke  infolge  mangelnden  Interesses  nicht  ab- 
gewinnen würde.  Da  das  Werk  Anfänger  in  die  röm.  Rechtswissen- 
schaft einführen  will,  war  es  nicht  immer  nötig.  Streitfragen  der 
modernen  Gelehrten  zu  erwähnen  oder  die  eigene  Auffassung  zu  be- 
gründen. Z.  B.  zu  1,  5  (S.  6)  ist  bemerkt  In  the  time  of  Gaius  they 
(edicta  principum)  had  only  binding  force  during  the  life  of  the 
emperor  who  issued  them,  requiring  the  confirmation  of  Iiis  successor 
for  their  continuing  validity  .  .  Hier  ist  z.  B.  Tu.  Kipp  anderer 
Meinung  (Gesch.  der  Quellen  des  r.  Rechts2  S.  61);  Proculus  wird 
S.  11  Sempronius  Proculus  genannt,  obwohl  heute  nur  wenige  die 
Grundlage  für  diese  Annahme  als  haltbar  erklären  werden.  Wo  es 
nötig  scliicn,  ist  dagegen  eine  solche  Meinungsverschiedenheit  auch 
wohl  angedeutet.  —  Die  historische  und  rechtsgeschichtliche  Ein- 
leitung  auf  S.  IX— LV  ist   ein  Zusatz   der  neuen  Auflage,  den 


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Gaius.  63 

J.  Greenidge  verfaßte.  Damit  beginnt  das  Werk ,  wenn  wir 
uns  nicht  irren,  seine  eigenartige  Methode  zu  verlassen,  um  in  die 
ausgetretenen  Bahnen  der  systematischen  Institutionenwerke  einzu- 
lenken. Wenigstens  enthält  der  neue  Anbau  manches,  das  in  anderer 
Form  im  alten  Gebäude  sich  auch  schon  findet ,  wenn  auch  etwas 
kürzer  oder  anders;  vorsichtiger  als  an  der  oben  angeführten  Stelle 
(S.  6)  heißt  es  S.  XLV11 :  An  edict  of  an  emperor  did  not  necessarily 
bind  his  successors ;  but,  if  usw.  —  In  den  Bemerkungen  über  Leben 
und  Werke  des  Gaius  (S.  LIII — LV)  wird  Berücksichtigung  der 
neueren  Litteratur  und  des  Jahresberichtes  für  die  klassische 
Altertumswissenschaft  vermißt. 

Zur  Gaiusparaphrase  von  Autun. 

140.  Fragmenta  interpretationis  Gai  institutionum 
Augustodunensia  post  Aemilii  Chatelain  et  Pauli  Krueger  curas 
ediderunt  C.  Ferrfni  et  V.  Scialoja.  Roma  1901  (Estratto  dal 
Bull.  XJTI  fasc.  1). 

141.  R  Krüger,  Der  Kommentar  zu  Gai  Institutiones  in 
Autun.    Sav.-Z.  XXIV  376—408. 

Die  1899  gefundene  Gaiusparaphrase,  die  sich  auf  15  in  Autun 
und  4  in  Paris  aufbewahrten  Palimpsestblättern  befindet,  und  deren 
erster  Abdruck  in  Krügers  Ausgabe  des  Gaius  ist  in  diesem  Jhber. 
C1X  37  f.  besprochen.  Nach  1900  erschien  die  neue  Ausgabe  von 
Ferrini  und  Scialoja,  die  sich  auf  Photographien  stützt,  welche 
der  Entdecker  der  Handschrift,  E.  Chatelain,  den  beiden  italieni- 
schen Gelehrten  zur  Verfügung  gestellt  hatte.  Diese  italienische  Aus- 
gabe bot  für  P.  Krüger  das  handschriftliche  Material  zu  einer  Neu- 
bearbeitung in  der  angeführten  Abhandlung.  Die  neue  Ausgabe  weist 
zwar  zuweilen  in  weiten  Lücken  eine  Silbe  oder  ein  paar  Wörter 
mehr  auf  als  die  frühere,  und  bei  engeren  Lücken  sind  zuweilen  sogar 
so  viele  Silben  neu  entziffert,  daß  man  in  Versuchung  kommt,  sie 
durch  eine  Konjektur  zu  überbrücken;  aber  wirklich  ausgefüllt  ist 
noch  keine  Lücke  so ,  daß  wir  neuere  Ergebnisse  für  die  römische 
Rechtsgeschichte  gewinnen  könnten.  Zu  diesem  Behuf  müßte  erst  ein 
Gelehrter  von  Studemundscher  Art  über  die  Handschrift  selbst  kommen, 
welche  durch  Photographien  eben  doch  nicht  völlig  ersetzt  werden 
kann.  Vielleicht  unternimmt  dies  einmal  V.  Scialoja.  Zwar  glaubt 
ein  Kenner  wie  P.  Krüger,  daß  die  Bedeutung  des  Werkes  eine  der- 
artige Genauigkeit  nicht  rechtfertige;  sein  wissenschaftlicher  Wert 
stehe  erheblich  hinter  den  „sonst  nächstverwandten u  Interpr.  zu  Cod. 


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04 


W.  Kalb:  Römische  Juristen. 


Th.  and  Paul.  Sent.  sowie  hinter  dem  Institutionenkommentar  des 
Theophilus.  Aber  wenn  Ref.  den  Gaius  Aug.  in  den  neuen  Ausgaben 
vergleicht  mit  dem  drei  Jahre  früher  vorliegenden ,  so  gewinnt  er 
den  Eindruck,  als  wenn  jenes  barbarische  Gewand  doch  schon  an  manchen 
Stellen  vermodert  zusammengefallen  wäre,  um  unter  der  schlechten 
Hülle  allmählich  einen  besseren  Kern  hervorschimmern  zu  lassen. 
So  wird  sich  vielleicht  auch  das  Urteil  auf  S.  406  weiterhin  noch 
etwas  milder  gestalten:  „In  einigen  Erläuterungen  gehen  die  selb- 
ständigen Gedanken  des  Vf.  fehl.  So  bei  der  Erklärung  des  Ver- 
kaufs nummo  uno  an  den  Universalfideikommissar  (Gai.  Inst.  2,  252) : 
in  Erinnerung  daran,  daß  Gaius  die  mancipatio  als  Scheinkauf  be- 
zeichnet (Inst.  1,  113.  119),  und  daß  diese  auch  als  mancipatio 
nummo  uno  verwendet  wurde  .  .  .,  gestaltet  er  den  Verkauf  zwischen 
Erben  und  Fideikommissar  zur  mancipatio  nummo  uno.  Noch  gröber 
ist  das  Mißverständnis  in  §  6.  7  [so  dürfen  wir  wohl  lesen  statt  67],  daß 
die  generelle  Erteilung  des  römischen  Bürgerrechtes  nur  als  ins  Latii 
in  Frage  komme."  —  Die  Ausgabe  der  Gaiusparaph rase  in  Girards 
Textes  gründet  sich  auf  die  eben  besprochene. 

142.  V.  S cialoja,  „Sulla  noxae  deditio"  del  cadavere.  Breve 
nota  ai  framm.  d'Autun.  Roma,  Pasqualucci  1901.  5  S.  (Estratto 
dal  Bull.  XIII  fasc.  1.) 

143.  Derselbe,  L'abuso  della  consegna  nossale  da  parte  dello 
schiavo.  Roma  1901.  7  S.  Rivista  Italiana  di  sociologia  V 
fasc.  III)  zeigt  unter  Hinweis  auf  afrikanische  Völker,  zu  welchem 
Mißbrauch  die  Noxae  deditio  führen  kann.  In  Chartum  braucht  ein 
Sklave,  der  mit  seinem  bisherigen  Herrn  unzufrieden  ist,  blofs  einem 
Kamele  des  erstrebten  neuen  Herrn  ein  Ohr  abzuschneiden,  so  wird 
er  dessen  Sklave ;  in  Futatoro  kann  er  auch  dem  gewünschten  Herrn 
selbst  ein  Ohr  abschneiden  (was  freilich  einem  schlechten  Witz  sehr 
ähnlieh  sieht),  und  er  wird  sofort  dessen  Sklave.  Die  Wieder- 
einlösung solcher  Sklaven  durch  den  früheren  Herrn  ist  außer- 
ordentlich schwierig.  Solchem  Mißbrauch  kamen  die  Römer  dadurch 
zuvor,  daß  sie  die  noxae  deditio  mortui  gestatteten.  Hiertiber  klärt 
uns  die  Gaiusparaphrase  von  Autun  näher  auf.  Ein  Sklave,  der 
wußte,  daß  er  dem  gewünschten  Herrn  vielleicht  erst  werde  aus- 
geliefert werden,  nachdem  er  selbst  zu  Tode  gepeitscht  sei,  hütete  sich 
wohl,  eine  solche  Schikane  zu  beginnen.  Da  bei  Tieren  eine  so  bös- 
willige Absicht  nicht  angenommen  werden  kann,  fällt  bei  ihnen 
auch  die  deditio  cadaveris  weg.  —  Vielleicht  hatte  nach  Sc.  die  Aus- 
lieferung des  Leichnams  ursprünglich  den  Zweck,  den  Geschädigten 
noch  am  Leichnam  seine  Rache  ausüben  zu  lassen.  —  Besonders  er- 


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GaiuB. 


05 


wähnenswert  ist  auch  der  Hinweis  auf  Liv.  8,  39,  14;  9,  1,  6  ff., 
wonach  die  aufständischen  Samniter  durch  Auslieferung  vom  Leich- 
nam des  Rädelsführers  Genugtuung  leisten  wollten.  Danach  wäre  also 
die  Noxae  deditio  im  Privatrecht  vielleicht  aus  dem  altitalischen 
Völkerrecht  entstammt ;  in  der  ältesten  Zeit  zählte  ja  oft  eine  Familie 
nicht  viel  weniger  Köpfe  als  ein  „populus". 

144.  *  Zitiert  sei  F.  Buonamici,  Un*  altra  nota  aggiunta  a 
quelle  di  C.  Ferrini  e  di  V.  Scialoja  per  la  interpretazione  dei 
frammenti  d'  Autun,  Bull.  XIII  (1901)  S.  294—299. 

145.  In  der  Frage,  ob  Gaius  noster  (gemeint  ist  hier  Gaius 
Cassius)  bei  Pomp,  ad  Muc.  45,  3,  39  Justinianische  Interpolation 
sei,  oder  ob  Justinian  in  seinen  Institutionen  den  Ausdruck  Gaius 
noster  (Just,  nennt  den  Institutionenverfasser  so)  vielmehr  aus  jener 
Pomponiusstelle  sich  angeeignet  habe,  stellt  sich  Th.  Kipp,  Gesch. 
der  Quellen  S.  111  A.  1  auf  die  Seite  derer,  die  das  erstere  an- 
nehmen (Lenel  Paling.  II  72,  Seckel  und  Kübler,  Ausgabe  des  Gaius 
S.  3);  wir  sehen  aber  keinen  Grund  für  eine  solche  Interpolation, 
während  Justinian  in  seinen  Institutionen  auch  sonst  zuweilen  von  der 
Ausdrucksweise  der  klassischen  Juristen  sich  beeinflussen  ließ. 

Gegen  die  Ansicht,  daß  die  Werke  des  Gaius  Neubearbeitungen 
von  Werken  des  Gaius  Cassius  seien  (vgl.  diesen  Jhber.  LXXXIX 
232,  CIX  40),  bringt  Th.  Kipp,  Gesch.  der  Q.  S.  113  verschiedene 
Gründe  vor,  darunter  zwei  von  schwererem  Gewicht:  1.  es  wäre  kein 
Grund  abzusehen,  weshalb  der  Neubearbeiter  (um  161)  sich  unter 
die  Anonymität  versteckt  hätte  (aber  wahrscheinlich  war  der  Xeu- 
bearbeiter  gar  kein  wissenschaftlich  bedeutender  Jurist  —  die  Über- 
arbeitung, d.  h.  der  Gaius  in  seiner  jetzigen  Gestalt  wird  ja  auch 
von  keinem  Juristen  genannt  — ,  sondern  nur  ein  praktischer  Kopf, 
der  absichtlich  spitzfindigen  Fragen  aus  dem  Wege  ging  und  nur 
lehren  wollte,  was  man  „fürs  Haus  braucht"),  und  2.  es  wäre  un- 
verständlich, weshalb  er  den  Gaius  Cassius  in  seinen  eigenen  Werken 
nicht  auch  Gaius,  sondern  Cassius  nannte.  Aus  diesem  Einwand  er- 
gibt sich  jedenfalls  als  sicher,  daß  der  vermutete  Neubearbeiter  um  161 
selbst  nicht  gewußt  hätte,  daß  Gaius  und  Cassius  identisch  sind.  Er 
konnte  zwar  seine  Ergänzungen  zum  alten  Werke  einfach  aus  anderen, 
nachcassianischen  Schriften  nehmen,  ohne  etwas  zu  ändern ;  aber  wer 
an  der  ursprünglichen  Identität  des  Gaius  mit  Cassius  auch  weiterhin 
festhalten  wollte,  müßte  dafür  in  Anbetracht  von  solchen  Einwendungen 
noch  mehr  positive  Gründe  finden,  als  bisher  vorgebracht  worden  sind. 

J»hre«btricht  für  Altertumswissenschaft.   Bd.  CXXXIV.   (19W.  II.)  5 


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6(3  W.  Kalb:  Römische  Juristen. 

Zu  einzelnen  Stollen  von  Gai.  Inst. 

146.  Ehrlich,  Die  Anfänge  des  testamentum  per  aes  et  libram. 
Bericht,  erstattet  dem  Historikerkongreß  in  Rom,  rechtshistor.  Ab- 
teilung, 1903,  S.  11  scheint  nach  Nouv.  Revue  XXIX  413  ff.  die  Dar- 
Stellung  des  Gaius  Inst.  2,  103  (olim  familiae  emptor  <v  heredis 
locum  optinebat  usw.)  nicht  für  historisch  zu  halten. 

147.  Graden witz  bezeichnet  in  der  Festschrift  der  jur. 
Fakultät  zu  Königsberg  für  J.  Th.  Schirmer  zum  1.  August  1900 
nach  II.  Krüger  Sav.-Z.  XXIII  485  Gai.  Inst.  2,  66—79  als  ein 
Gaianisches  Einschiebsel  in  die  ursprüngliche  Vorlage,  durch  dessen 
Ausschaltung  das  Einteilungsprinzip  in  res  mancipi  und  nec  mancipi 
klar  hervortritt,  so  daß  eine  Umstellung  der  Paragraphen  unnötig  ist. 

148.  P.  Krüger,  Zur  Stellung  von  Gai.  2,  62—64,  Sav.-Z. 
XXII  (1901)  S.  49—51  verteidigt  die  Umstellung  der  §§  62 — 64 
hinter  §  79,  die  er  in  seiner  Ausgabe  nach  dem  Vorgang  Heimbachs 
vorgenommen,  gegen  Gradenwitz,  obwohl  er  Mommsens  Annahme,  die 
Paragraphen  seien  ein  späterer  Nachtrag  des  Gaius  (vielleicht  zu 
seiner  Quellschrift),  nicht  ganz  ablehnen  will. 

149.  J.  C.  Naber,  Observ.  de  iure  Romano  LXXXIX.  De 
pignoris  historici  origine  (in  Mnemosyne  XXXI  211 — 233)  bespricht 
nach  WklPh.  u.  a.  auch  Stellen  aus  Gaius. 

Senn,  Le  Nexum  (s.  o.  Nr.  62)  bespricht  verschiedene  Gaius- 
stellen,  die  mit  der  legis  actio  per  manus  iniectionem  in  Zusammen- 
hang stehen,  z.  B.  Gai.  Inst.  4,  21. 

S.  Schloßmann,  Litis  contestatio  S.  49  ff.  (s.  o.  Nr.  104) 
faßt  bei  Gai.  Inst.  4,  30  Per  legem  Aebutiam  <v  effectum  est,  ut 
per  concepta  verba,  id  est  per  formuias,  litigemus  die  Worte  concepta 
verba  —  „nachgesprochene  Worte",  indem  er  vota  concipere  u.  a. 
Ausdrücke  herbeizieht.  Wie  er  sich  das  „Nachsprechen"  denkt,  ist 
oben  S.  45  gezeigt.  [H.  Krüger  (s.  o.  Nr.  104)  übersetzt  v.  c. 
„zusammengefaßte  Worte";  aber  es  ist  nicht  einzusehen,  weshalb 
concipere  hier  etwas  anderes  als  sonst  bei  den  Juristen  bedeuten 
soll;  per  verba  conc.  bedeutet  eben  „mit  formulierten  Worten". J  Auf 
der  angenommenen  Bedeutung  von  conc.  baut  Schi,  sofort  noch  weitere 
Hypothesen  auf :  vielleicht  hat  auch  das  furtum  conceptum  (Gai.  Inst. 
3.  183  ff.)  von  einem  formellen  zweiseitigen  Verbalakt,  der  mit  dem 
Suchen  mit  lanx  und  licium  verbunden  war,  seinen  Namen  (hier 
drückt  sich  Vf.  freilich  recht  vorsichtig  aus),  und  auch  das  receptum 
argentarii  könnte  von  einem  solchen  zweiseitigen  Akt,  der  etwa  die 
Form  hatte:  „Recipisnett  und  „Recipio"  seine  Bezeichnung  erhalten 


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Venuleius  Saturninus  u.  Claudius  Saturninus.  Papinianus.  Ulpianus.  67 

haben.  Hier  ihm  weiter  zu  folgen,  verbietet  die  Grenze  unseres  Be-  • 
richterstattungsgebietes. 

Über  die  westgotische  Gaiusbearbeitung  s.  u.  —  Über  Scaevola 
s.  Nachtrag. 

g)  Venuleius  Saturninus  und  Claudius  Saturninus. 

Th.  Kipp,  Gesch.  der  Quellen  S.  117  hält  den  Schluß,  den 
wir  mit  Kariowa  aus  der  Wendung  Venul.  stip.  45,  1,  188  pr.  Procains 
et  ceteri  diversae  scholae  auctores  zogen,  als  wäre  demnach  Venuleius 
zu  den  Sabinianern  zu  rechnen,  nicht  für  ganz  glatt. 

h)  Papinianus. 

Nikolsky  rekonstruiert  in  der  unter  Nr.  81  erwähnten  Schrift 
die  Rede  des  Kaisers  Sept.  Severus,  die  er  (206)  im  Senat  über 
Konvaleszenz  der  Schenkungen  zwischen  Ehegatten  hielt.  Diese  er- 
weist sich  deutlich  als  von  Papinian  verfaßt  durch  vita  decedere 
Dig.  24,  1,  82,  14  (Kalb,  Bekannte  Federn  —  Commentationes  Wölffli- 
nianae  S.  332)  und  concordium  Dig.  24,  1,  8  pr.  (vgl.  Leipold, 
Sprache  des  Jur.  Papinianus  S.  48  Anm.  3),  welches  Nikolsky  S.  299 
wohl  mit  Recht  als  Afrizismus  erklärt,  da  dieses  Neutrum  sonst  bis- 
her nur  auf  einer  afrikanischen  Inschrift  nachgewiesen  ist.  (Doch 
vgl.  discordium  bei  Calpurnius  Siculus  1,  57.)  —  Wenn  Ulpian  den 
Papinian  als  Verfasser  der  Rede  kannte,  so  erklärt  sich  daraus,  daß 
er  die  Rede  bald  dem  Sept.  Severus  zuschreibt  (Ulp.  ad.  S.  24,  1,  23), 
bald  dem  Caracalla  (Ulp.  ad  S.  24,  1,  82,  1);  vermutlich  hat 
Papinian  sie  nicht  nur  verfaßt,  sondern  auch  im  Senate  vorgelesen. 

i)  Ulplanus. 

150.  Otto  Lenel  hat  neue  Bruchstücke  aus  einem  Juristen, 
wie  er  überzeugend  nachweist ,  aus  Ulpians  Disputationen, 
auf  einem  halb  zerstörten  Pergamentblatt  entziffert,  welches  die  Straß- 
burger Universitäts-  und  Landesbibliothek  unter  anderen  ägyptischen 
Stücken  erworben  hat.  Lenel  hat  den  Fund  in  den  Sitzungsberichten 
der  Berliner  Akademie  1903  (XL1  922  ff.  nebst  Nachtrag  im  gleichen 
Band  S.  1034 — 1035)  unter  Beigabe  eines  Lichtdruckes  eingehend  be- 
sprochen und  hat  den  Text  auch  weiterhin  in  der  Sav.-Z.  XXIV  416  be- 
kannt gegeben.  Das  Blatt  war  in  zwei  Kolumnen  beschrieben:  von 
der  äußeren  Kolumne  haben  sich  nur  die  Anfangsbuchstaben  bzw.  die 
letzten  Buchstaben  (oder  Worte)  von  sieben  Zeilen  erhalten;  die 
wenigen  Reste  von  zwei  Zeilen  lassen  Ulp.  disp.  27,  8,  2  erkennen 
und  beweisen,  daß  diese  Digestenstelle  von  Justinians  Räten  gekürzt 

5* 


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08 


W.  Kalb:  Römische  Juristen. 


ist.  Die  inneren  Kolumnen  sind  fast  vollständig  erhalten.  Lenel 
liest  die  eine: 

facit,  tunc  eum  et  sequenti  condemnandum:  sie  fieri,  ut  sua,  inquit, 
culpa  ah  altera  hona  eius  veneant  aut,  ut  quibusdam,  inquit,  videtur, 
ducatur.  sed  venu«  est  nec  post  condemnationem  maritum  facile  duet 
|  [  1 1 1 1 1  nec  ducitur  nudus.  sed  melius  est  sie  dicere  utriusque  rationem 
habendam,  etiamsi  altera  postea  litem  sit  contestata,  ut  post  condem- 
nationem  alterius  in  bonorum  venditione  aequas  partes  ferant,  cum  sine 
metu  vinculorum  sit  futurum,  si&ique  injwtet,  qui  poterat  se  liberare 
a  sequenti  condemnatione,  si  9atis  fecisset  priori  sententiae.  —  Marcellus 
tarnen  libro  VII  digestorum  putat,  si  haec  fuit  patrimonii  qualitas,  ut 
difficile  esset  explicari  pecunia,  aequissimum  esse,  etiamsi  sequenti  fuerat 
condemnatus,  denegari  sequenti  iudicationem  aut  certc  .  .  . 

Die  erhaltene  Kolumne  auf  der  anderen  Seite  des  Pergament- 
blattes  liest  Lenel: 

(ita  demum  excussis)facultatibus  tutorum  satis  ei  fieri  non  potuerit, 

eamque  actionem  causa  cognita  in  eos  dandam  scribü  (sc  Ms.;  vgl.  Lenel, 
Sav.-Z.  XXV  374)  divumque  Pium  rescripsisse  et  in  heredes  eorum 
ttidem  causa  cognita,  quamvis  Julianus  in  heredem  magistratus  non 
putaverit  tribuendam  actionem,  cum  idem  heredem  iurftet«,  qui  litem  suam 
fect'aset,  teneri  existimaverit.  sed  utrumque  contra  est,  cwm  heres  magi- 
stratus teneatur  et  iudicis  non  teneatur.  et  magistratus  [  |  [  non  ut  tutorea 
tenentur:  denique  in  bonis  eorum  Privilegium  cessare  proeul  dufeio  est. 

|  quaestionis  fuisBe,  ut  sponsores  an  potius  ut  fideius«ores  deberent 
teneri.  et  Julianum  quidem  ut  fideiussores  conveniendos  putasse,  Mar- 
cellum  vero  magis  sponsorum  locum  optinere  apud  Julianum  notare. 
Marcelli  sententiam  ratione  iurari  negari  non  posse :  sufneere  enim,  si  in 
locum  eorum  succedant,  quos  aeeipi  neglexerunt  uel  quos  minus  idoneos 
aeeeperunt. 

151.  Weiterhin  erwarb  die  Straßburger  Bibliothek  zwei  Pergament- 
fetzen ,  einen  großen  und  einen  ganz  kleinen ,  die  offenbar  zu  der 
gleichen  Handschrift  gehörten.  Ausführlich  hat  diese  neuen  Bruch- 
stücke aus  Ulpians  Disputationen  Lenel  besprochen  in  den 
Sitzungsberichten  der  Berl.  Akad.  1904  S.  1156,  wo  sie  auch  im 
Lichtdruck  reproduziert  sind ;  kürzer  Lenel,  Sav.-Z.  XXV  368 — 374. 
Auf  dem  kleineren  Fetzen  sind  auf  jeder  Seite  nur  Stücke  von  etwa 
15  Wörtern  erhalten,  die  auf  der  einen  den  Zeilenaufang ,  auf  der 
anderen  den  Zeilenschluß  bilden.  Die  eine  ergänzt  Lenel  so :  sed  et 
si  duo  sint  fruetuarii  vel  bonae  fidei  possessores ,  alierwn  conventum 
alterum  liberare  Jtdianus  ait,  quamvis  non  maiom  peetdii  quam  penes 
eum  (geändert  aus  se)  est,  condemnari  debeat.  Sed  licet  hoc  iure 
exmtingat,  tarnen  aequitas  dictat  resciasoriuw  tutfreium  in  eos  dari, 
qui  occasione  iuris  liberantur.  Es  entspricht  dies  der  Digestenstelle 
ülp.  disp.  15,  1,  32  pr.  Das  Interessante  an  der  Sache  ist,  daß  man 


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Ulpianus. 


69 


die  Digestenstelle  neuerdings  von  verschiedenen  Seiten  für  „inter- 
poliert" durch  Justinian  erklärt  hatte;  der  Pergamentfetzen  beweist  die 
Echtheit,  und  der  Fund  verstärkt  also  die  Seite  derer,  die  zur  Vor- 
sicht in  der  Annahme  von  Interpolationsvermutungen  rieten. 

Die  Rückseite  dieses  kleineren  Stückes  enthält  nach  Lenel  die 
Worte 

conventus  e 
mque  tractat 
Pomponius  ad 
t  in  pe 
renditor  conve 
7icet  condemna« 
rem  consu 

Ulpian  erörterte  nach  Lenel  die  Frage,  wie  dem  Gläubiger  zu 
helfen  sei,  der  durch  erfolglose  Klage  gegen  den  Verkäufer  des 
Sklaven  die  actio  de  peculio  auch  gegen  den  Käufer  verloren  hat# 

Das  größere  Stück  liest  Lenel,  unter  Hinweis  auf  das  Proble- 
matische der  Ergänzungen,  so: 

* 

pignolris  dandi  in  Italia  contra 
ctus  est,  sed  si  pigmis  in  Italia  con 
fractum  est,  hoc  est  conven 
fio  de  pignore:  ut  in  Furi 
a  lege  spectamus  ubi  spotwor 
acceptus  est,  non  ubi  6h\\ga 
tio  confracta,  cui  sponsus  acce 
cht.  Denique  ex  duobus 
sj>onsoribus,  quorum  alter  in  Italia 
alter  in  provincia  acceptus  est 
ettm  rfemum  relevat  qut 
ifalicus  est. 

Si  in  Italia  pignus  dafuro  est, 
convenit  tarnen,  ut  in  provw 
cia  solvatur,  puto  nomine  et«*  ex 
ceptionem  locum  habere:  sed  in 
provincia  datum  [st]  convenertf 
ixt  in  Italia  solvatur,  magis 
Italicum  pignus  tndebitur. 
Unde  si  renovata  pactione 
licet  in  provincia  heres  re 
dement,  cessare  exceptionem 
p/ncet:  e  contrario  si  re 
dement  exceptionem  lotwm 
Äaoituram. 

Nam  si  Romae  pignus  ac 
ceptum  sit,  in  provincia  eadera  res. 


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70 


W.  Kalb:  Römische  Juristen. 


Die  Exceptio,  welche  hier  erwähnt  wird,  ist  nach  Lenel  die 
exceptio  longae  possessionis ,  die  der  heutigen  sog.  Ersitzung  der 
Pfandfreiheit  entspricht.  (Vgl.  Ulp.  disp.  44,  3,  5,  1.)  Wir  er- 
fahren die  neue  Tatsache,  daß  bei  beweglichen  Pfändern  jene 
Exceptio  nur  stattfand ,  wenn  die  Verpfändung  in  der  Provinz  er- 
folgt war.  —  Vgl.  neuerdings  Lenel,  Sav.-Z.  XXVII  71 — 82. 

Da  auf  der  Rückseite  dieses  Stückes  Lenel  in  seinen  Ergänzungen 
größere  Lücken  läßt,  so  wird  das  bisher  Abgedruckte  wohl  hin- 
reichen, um  die  Art  des  neuen  Fundes  zu  kennzeichnen.  Lenel  hofft 
auf  Erwerb  noch  weiterer  Stücke  von  jener  Handschrift  von  Ulpians 
Disputationes,  zu  der  die  neuen  Funde  einst  gehörten. 

152.  Nach  der  Art,  wie  bei  Ulp.  ed.  die  Kaiser  zitiert  sind 
(z.  B.  divus  Severus,  oder  imperator  Severus),  nahm  man  an, 
daß  Ulp.  von  seinem  Ediktskommentar  zu  Lebzeiten  des  Severus 
einen  ersten  Entwurf  fertigte,  und  daß  bei  der  Schlußredaktion  unter 
Caracalla  aus  Versehen  einige  Hinweise  auf  Severus  als  einen  Lebenden 
stehen  blieben.  Th.  Kipp,  Gesch.  der  Quellen  S.  122  Anm.  53 
vermutet,  daß  das  ganze  Werk  von  Ulp.  zweimal  herausgegeben  ist, 
das  erstemal  vor  dem  Tode  des  Septimius  Severus,  das  zweitemal 
nachher  und  nach  dem  Tode  Caracallas.  Diese  Annahme  wird  wohl 
das  Richtige  treffen;  denn  es  ist  bei  der  raschen  Arbeitsweise  des 
Ulp.  unwahrscheinlich,  daß  er  von  seinen  Werken  überhaupt  erst  einen 
„Entwurf"  machte.  —  Vgl.  jetzt  auch  Girard,  Mölanges  Gerardin  (1907) 
S.  279  Anm.  1. 

k)  Paulus. 

153.  0.  Gradenwitz,  Glossierte  Paulusreste  im  Zuge  der 
Digesten.  Sav.-Z.  XXIII  458  f.  G  r  a  d  e  n  w  i  t  z  und  Dr.  G.  A.  G  e  r  - 
hard  entdeckten,  daß  ein  Papyrusblatt  in  der  Großherzogl.  Bibliothek 
zu  Heidelberg  einige  Zeilenreste  (immer  nur  höchstens  ein  paar  Buch- 
staben vom  Anfang  oder  Ende  der  Zeilen)  von  Paul.  q.  5,  2,  17.  1 
und  den  beiden  folgenden  Digestenstellen  Paul,  inoff.  5,  2,  18  und 
Paul.  q.  5,  2,  19  enthält.  Am  vollständiger  erhaltenen  Rand  finden 
sich  einige  griechische  Glossen  von  zusammen  21  Zeilen.  Es  ist  nach 
Gr.  das  erste  Stück  eines  schon  im  Altertum  glossierten  Digesten- 
exemplars  (vielleicht  aus  dem  6.  Jahrhundert),  das  uns  vor  Augen 
kommt.  „Ausführlichere  Besprechung  wird  an  anderem  Ort  erfolgen.** 

154.  Das  in  diesem  Jhber.  CIX  47  als  neuer  Fund  angezeigte 
Fragment  (des  Paulus,  s.  a.  0.),  das  jetzt  in  der  Bodleianischen 
Bibliothek  zu  Oxford  aufbewahrt  wird,  hat  Seymour  de  Ricci  neu 
kollationiert.  Er  hat  nach  seiner  gütigen  Mitteilung  dabei  zwei 
wichtige  neue  Lesarten  gewonnen: 


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Taulus.  Marcianus.  —  Justiniani  Digesta:  Abfassung.  Überlieferung.  71 

Zeile  6  si  DECESSERIT  SOCIUS  MEUS  ET 
„     7  CUM  PUTAREM  HEREDITAT 
und     „   14  TISNOMINE  MURICESTIAM 
(oder  T?     PSE?  UV  ) 

Zeile  6  and  7  ist  demnach  klar  zu  lesen;  Zeile  14  noch  nicht. 
Auch  Girard,  Textes*  S.  435  verzichtet  für  diese  Zeile  noch  immer 
auf  sichere  Lesung;  er  schreibt  Lab(eo)  ita  interpretatur  (ur  sichert 
nach  S.  de  R.  Häkchen  über  T)  ut  societa  /  tis  nomine  tum  ipse  tum(?)  . . 

155.  G.  A.  Gerhard,  Scriptura  interior  und  exterior.  Sav.-Z. 
XXV  382—389  behandelt  die  Stelle  Paul.  Sent.  5,25, 6  Amplissimus  ordo 
decrevit  eas  tabulas,  quae  publici  vel  privati  contractus  scripturam 
continent,  adhibitis  testibus  ita  signari,  ut  in  summa  marginis  ad 
mediam  partem  perforatae  triplici  lino  constringantur  atque  impositae 
supra  linum  cerae  signa  imprimantur,  ut  exteriori  scripturae  fidem 
interior  servet  (Mo.  reseret,  Girard,  Textes8  S.  851).  Nach  einer 
Besprechung  der  bisherigen  Erklärungsversuche  liest  er  ut  scripturae 
fidem  integriorem  servent.  Dagegen  zeigt  H.  Er  man,  Sav.-Z.  XXVI 
467,  daß  die  bisherige  Lesung,  welche  durch  die  älteste  Breviar- 
handschrift,  Cod.  Monac.  aus  dem  7.  Jahrhundert,  beglaubigt  wird, 
allein  vollständig  befriedigen  kann. 

I)  Marcianus. 

156.  C.  Ferrini  hat  in  einer  Abhandlung  über  die  Institutionen 
Marcians  in  den  Rendiconti  del  R.  Istituto  Lombardo  Ser.  II, 
Vol.  XXXIV  (1901)  nach  B.  K übler,  Sav.-Z.  XXIII  509  nachzu- 
weisen gesucht,  daß  das  Institutionenwerk  Marcians  nicht,  wie  P  e  r  n  i  c  e 
in  seiner  Abhandlung  über  die  res  communes  omnium  (Festgabe  für 
Dernburg  1900)  vermutet,  „als  Lern-  und  Nachschlagebuch  für  an- 
gehende kaiserliche  Verwaltungsbeamte  gedacht  war" ,  sondern  daß 
es  vielmehr  für  den  Gebrauch  der  Provinzialen  des  Ostens  bestimmt 
war,  denen  es  die  Kenntnis  des  römischen  Rechtes  vermitteln  sollte. 
—  S.  Nachträge. 

IV.  Justiniani  Digesta. 

a)  Abfassung-  und  Überlieferung  der  Digesten. 

157.  Franz  Hofmann,  Die  Kompilation  der  Digesten 
Justinians,  nach  des  Vf.  Tode  hgg.  von  Ivo  Pfaff.  Wien  1900.  (Vgl. 
den  Bericht  in  diesem  Jhber.  CTX  S.  50  f.) 

158.  Ehrenzweig,  Zeitschrift  für  Privat-  und  off.  Recht 
XXVIII  (1901)  S.  313  ff. 


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72 


W.  Kalb:  Römische  Juristen. 


159.  Th.  Mo minsen,  Hofmann  versus  Blnme.  Sav.-Z.  XXII 
(1901)  S.  2—11. 

160.  P.  Krüger,  Über  die  Reihenfolge  der  Lcges  in  den 
Titeln  der  Digesten  Justinians.    Sav.-Z.  XXII  (1901)  S.  12—49. 

Hofmanns  Arbeit  ist  nur  ein  Teil  eines  von  ihm  beabsichtigten 
Werkes.  Es  ist  ziemlich  selbstverständlich,  daß  der  Vf.  es  vor  der 
Ausgabe  noch  einmal  gründlich  revidiert  hätte,  wenn  er  das  Leben 
gehabt  hätte.  Was  der  Vf.  nicht  konnte,  der  Herausgeber  aus  Pietät 
nicht  durfte ,  das  muß  der  Leser  zum  Teil  nachholen.  Z.  B.  daß 
Justinian  behauptet  in  §  17  der  Const.  Tanta,  die  Kompilatoren  der 
Digesten  hätten  alle  die  zur  Verfügung  stehenden  Schriften  durch- 
gelesen usw.,  das  nennt  Vf.  eine  ungeheuerliche  Lüge.  Dafür  hätte 
er  vielleicht  gesagt:  es  entspricht  nicht  genau  den  Tatsachen,  oder 
es  darf  nicht  zu  wörtlich  verstanden  werden.  Vermutlich  hätte  er 
auch  den  Vorwurf  unglaublicher  Kritiklosigkeit,  den  er  gegen  die 
Romanisten  seit  Bluhme,  von  Hugo  und  Savigny  bis  zu  P.  Krüger 
und  Th.  Mommsen  erhebt,  wieder  gestrichen;  ja  vielleicht  hätte  er 
sogar  sein  Endresultat  nachgeprüft  und  abgeändert,  weil  es  ohne  die 
Annahme  einer  solchen  Kritiklosigkeit  nicht  bestehen  kann. 

Das  Endresultat  seiner  Abhandlung  ist:  Bluhrnes  Dreimassen- 
theorie ist  falsch;  sie  ist  bloß  in  einer  recht  bestechenden  Form 
vorgetragen  (er  hat  z.  B.  an  die  Spitze  seiner  Beweisführung  die 
hierfür  besonders  geeigneten  Titel  D.  50,  16;  50,  17;  45,  1  gestellt 
[Hofmann  S.  114]),  und  nur  die  besondere  Protektion  durch  Hugo 
und  andere  hat  ihr  zur  allgemeinen  Annahme  verholfen.  Die  Arbeit 
der  Digestenkompilation  wurde  nicht  von  drei  Kommissionen  aus- 
geführt, die  alle  in  den  Digesten  zitierten  Bücher  durchsahen,  sondern 
die  Grundlage  bildeten  —  zwei  „Massen",  die  Hofmann  den 
Bluhmeschen  entgegensetzt  —  Ulpians  Werke  ad  edictum  und  ad 
Sabinum.  Daneben  wurden  noch  eine  Anzahl  anderer  Werke  direkt 
bentitzt,  aus  denen  besonders  die  größeren  und  größten  Fragmente 
geschöpft  sind.  Eine  große  Menge  von  Juristenschriften  dagegen, 
vor  allem  die  kürzeren  Exzerpte  aus  unbekannteren  Autoren,  haben 
die  Kompilatoren  gar  nicht  persönlich  durchgelesen,  sondern  be- 
sonders aus  Randglossen  herübergenommen  oder  aus  Anthologien  ge- 
schöpft, auf  deren  Vorhandensein  man  u.  a.  aus  der  Existenz  der 
Fragm.  Vat.  schließen  darf. 

Hofmanns  End  resultat  nun  ist  falsch.  Das  weisen 
T  h.  Mommsen  und  besonders  P.  Krüger  in  den  oben  an- 
geführten Abhandlungen  nach,  und  zwar  so,  daß  sich  kaum  ein  Ver- 
teidiger desselben  mehr  finden  wird.    Die  Bluhmesche  Einteilung 


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Justiniani  Digesta:  Abfassung.  Überlieferung.  73 


aller  Digestenfragmente  in  drei  voneinander  getrennte  Hauptmassen 
hatte  Hofmann  noch  nicht  nachgeprüft ;  sonst  hätte  er  sie  nicht  als 
eine  Erfindung  hingestellt.  P.  Krüger  gibt  sich  die  Mühe,  den  Weg, 
welcher  Bluhme  zu  seinem  'Resultate  geführt  hat,  noch  einmal  zu 
zeigen.  Wer  aber  trotz  allem  noch  an  der  Richtigkeit  der  Drei- 
massentheorie zweifelt,  dem  empfehlen  wir,  die  Fragm.  Vaticana  — 
die  man  ja  nach  ihrer  Anlage  entfernt  mit  den  Digesten  vergleichen 
könnte  —  nach  der  Bluhmeschen  Ordnung  zu  betrachten.  Denn  wenn 
das  Bluhmesche  Schema  einem  Zufall  entstammt,  der  nur  durch  Fest- 
stellung von  ungezählten  Ausnahmen  zu  einer  Regel  umgektinstelt 
wäre,  dann  müßte  man  doch  ähnlich  auch  bei  Vat.  umkünsteln  können. 
Wir  erhalten  folgendes  Bild  (wobei  wir  die  Kaisererlasse  mit  Imp. 
bezeichnen) : 


Vat.  fr. 

(Tit.  10  Ex  empto  v. 
Sab.  3  (?) 
Pap.  181 
(Imp.) 

(Tit.  II.)   De  usufr. 
(Imp.) 
Sab.  41 
Pap.  220 
Pap.  220 
Sab.  1 
Pap.  181 
Pap.  241 
Pap.  188 
Sab.  1 
(Imp) 
Sab.  1 
Lücke 
Sab.  1 

App.  (?)  274  (?) 
App.  (?)  274  (?) 
App.  (?)  274  (?) 
Lücke 

(Tit  III.)  De  re  ux. 

Pap.  186 

Pap.  188 

Imp. 

Pap.  188 

Sab.  47 

Sab.  4 

Pap.  181 


Vat.  fr. 

(Tit.  IV.)  De  excus. 

Ed.  148 

Lücke 
?  ? 

Pap.  207 

Ed.  142 

Pap.  180 

Pap.  183 

Imp. 

Pap.  235 

Sab.  82 

Ed.  142 

Pap.  (?)  225  (?) 

fehlt  in  Dig.;  bloß  In- 
dex. 

Ed.  142 

Ed.  142 

Ed.  142 

Sab.  82 

fehlt  in  Dig. 

(Tit.  V.)  Quando 
Donator  usw. 

Imp. 
Pap.  181 

(Tit.  VI.)  <Ad  legem 
Cinciam.) 

Pap.  181 
Sab.  4 
Imp. 


Vat.  fr.  - 

?  ? 
Sab.  1 
Imp. 
Pap.  181 
Imp. 
Pap.  181 
Imp. 
Ed.  96. 

Ed.  (fehlt  in  Dig.) 
Imp. 

(Tit.  VII.)   De  cogni- 
toribus. 

?  ? 
Sab.  4 

Ed.  (?)  96  (?) 
Sab.  (?)  4  (?) 
Imp. 

?  ? 
Pap.  181 

?  ? 

Lücke 

?  ? 
Ed.  (?)  95  (?j 
Pap.  205 
Imp. 
Ed.  95 

?  ? 
Ed.  (?)  95  (?) 


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74  W.  Kalb:  Römische  Juristen. 

Von  den  Titeln  der  Fr.  Vat.  hat  am  meisten  Exzerpte  aus 
Juristen  der  Tit.  De  excus.  Vergleichen  wir  mit  diesem  den  ent- 
sprechenden Digestentitel  (27,  1),  so  erhalten  wir  für  diesen 
folgendes  Bild. 

Dig.   De  excus. 

(1.  1-10  wechseln  Ed.  141,  Ed.  142  und  Ed.  143  ab;  sodann 

folgen  Fragmente  aus:) 


Sab.  82 

Sab.  14 

Sab.  22 

Pap.  207 

Ed.  141 

Sab.  22 

Pap.  181 

Pap.  221 

Ed.  141 

Sab.  38 

Pap.  188 

Pap.  207 

Ed.  141 

Sab.  41 

Pap.  183 

Pap.  208 

Ed.  141 

ap.  180 

Pap.  183 

Pap.  225 

Ed.  141 

Sab.  47 

Pap.  183 

Pap.  '208 

Ed.  159 

Sab.  82 

Pap.  183 

Pap.  219 

Ed.  161 

Sab.  44 

Pap.  188 

Pap.  219 

Sab.  4 

Pap.  181 

Pap.  189 

Pap.  225 

Ob  sich  die  verschwindend  wenigen  Ausnahmen,  z.  B.  Dig.  I 
Tit.  3,  wo  man  schwer  die  Bluhmeschen  Massen  herausfinden  kann, 
mit  Bluhme  aus  eingehenderer  Überarbeitung  erklären  lassen,  oder 
so  wie  wir  es  im  nachfolgenden  tun,  oder  ob  man  hier  etwa  doch 
an  Hofmann  eine  kleine  Konzession  machen  könnte,  bleibt  für  das 
Ganze  gleichgültig.  Jene  verschiedenen  Sammlungen,  aus  denen  nach 
Hofmann  die  große  Masse  besonders  der  kleineren  Fragmente  ge- 
schöpft sein  soll,  hätten  jedenfalls  auch  nach  den  Bluhmeschen  Massen 
geordnet  sein  müssen.    Das  wäre  unerklärlich. 

Ehrenzweig  nimmt  deshalb  an,  daß  die  Kompilatoren  ein 
einziges  älteres  Digestenwerk  benützten,  welches  die  Fragmente 
bereits  in  der  Bluhmeschen  Ordnung  aufführte,  jedoch  trotz  der  an- 
nähernd gleichen  Zahl  von  Exzerpten  einen  ganz  wesentlich  geringeren 
Umfang  hatte ,  weil  es  nur  kleinere  Fragmente  enthielt.  Die  Kom- 
pilatoren erweiterten  ihre  Vorlage  um  vielleicht  das  Sechsfache,  indem 
sie  die  Exzerpte  durch  Nachträge  aus  dem  Originalwerk  ergänzten 
und  auch  neue  Fragmente  einschoben  —  besonders  solche,  die  heute 
die  Bluhmesche  Ordnung  stören.  Möglicherweise  ist  die  zugrunde 
liegende  Collectio  nach  E.  in  den  Digesten  gemeint  mit  den  „Leges". 
die  nach  der  Const.  Omnem  1  im  zweiten  und  noch  im  dritten  Uni- 
versitätsjahr vor  Einführung  der  Justinianischen  Digesten  gelesen  wurden 
(unsere  Erklärung  der  „Leges1*  nach  Bluhme  s.  u.).  Dann  schätzt  E. 
ihren  Umfang  auf  sex  libri  (die  nach  a.  O.  gelesen  wurden)  -f  Septem  libris 
semotis  (so  liest  E.  ib.),  +  libri  singulares  quattuor  (ib.)  =  17  Bücher. 
Aus  diesem  älteren  Sammelweik  schöpfte  nach  Ehrenzweig  Priscian 
seine  Zitate;  dieses  Werk  benützte  auch  Lydus:  denn  von  dessen 


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Justiniani  Digesta:  Abfassung.  Überlieferung. 


Zitaten  finden  sich  die  meisten  auch  in  den  Digesten,  aber  so,  daß 
Lydus  unmöglich  aus  den  Digesten  geschöpft  haben  kann ;  diejenigen, 
welche  sich  nicht  in  den  Digesten  finden,  passen  alle  in  den  Titel  I  2 
De  origine  iuris.  Dieser  Titel  bestand  in  jener  angenommenen  Quelle 
aus  einer  großen  Menge  verschiedener  Fragmente,  welche  die  Kom- 
pilatoren strichen,  da  sie  nach  Erweiterung  des  fr.  2  (Pomp,  ench.) 
aus  dem  Originalwerk  unnötig  waren.  —  Ehrenzweigs  Aufstellung  ist 
so  unmöglich.  Denn  wenn  —  wie  E.  offenbar  annimmt  —  jenes 
Quellenwerk  allgemein  bekannt  war,  dann  hätte  Justinian  einen  anderen 
Schwindel  aufbringen  müssen,  als  wie  wir  ihn  in  Const.  Tanta  §  17 
bei  Ehrenzweigs  Auffassung  annehmen  müßten  (e  tantis  .  .  voluminibus, 
quorum  et  nomina  antiquiores  non  dicimus  nesciebant,  sed  nec  unquam 
audiebant).  Wenn  aber  jenes  Quellenwerk  niemandem  bekannt  war  und 
von  Tribonian  irgendwo  gefunden  wurde,  dann  hätte  er  für  sein 
Plagiat  keine  16  Mitwisser,  für  die  Ausführung  keine  16  juristi- 
schen Mitarbeiter,  sondern  einfache  Schreiber  gewählt.  Doch  nach 
P.  Krügers  Ausführungen  ist  hierüber  wenig  mehr  zu  sagen.  Nur 
das  eine  glauben  wir  behaupten  zu  können,  daß  für  jenes  angebliche 
Quellenwerk  die  Zusammensetzung  nach  den  Bluhmeschen  Massen 
rätselhafter  wäre,  als  sie  so  ist. 

Ehrenzweig  kam  zu  seiner  Aufstellung  durch  die  Erkenntnis,  daß 
Hofmann  recht  hatte*),  wenn  er  sagte:  das  Digestenwerk 
konnte  unmöglich  in  drei  Jahren  fertig  werden,  wenn  keine  Grundlage 
vorhanden  war,  auf  der  die  Kompilatoren  aufbauen  konnten.  Jeder  hätte 
im  Durchschnitt  1 70  000  Zeilen  lesen  und  exzerpieren  müssen,  das  ist 
mehr  als  unsere  Digesten  —  und  dann  wäre  erst  noch  das  Zusammen- 
stellen und  Überarbeiten  gekommen.  Aber  der  tatsächlich  voraus- 
zusetzende Grundstock  ergibt  sich  auf  viel  einfachere  Weise,  als  Hof- 
mann und  Ehrenzweig  annehmen:  den  Grundstock  bildete  das,  was 
schon  damals  den  Studenten  in  die  Hand  gegeben  wurde.  —  Es 
waren  nach  der  Const.  Omnem  §  1  ff.  sechs  Werke,  in  welchen  Ab- 
schnitte aus  wenigen  Juristen  gesammelt  waren:  1.  Gaius,  bestimmt 
für  das  erste  Jahr;  2.  prima  pars  legum  (seil.  Ulpiani  ed.),  3.  de 
iudieiis  (seil.  Ulp.  ed.),  4.  de  rebus  (?),  diese  für  das  zweite  Jahr 
bestimmt;  5.  Pap.  resp.,  6.  Paul,  resp.,  für  das  dritte  Jahr.  Da 
aus  diesen  Werken,  obwohl  sie  selbst  schon  gekürzt  waren,  im  Unter- 
richt vieles  weggelassen  wurde,  so  hat  wohl  buchhändlerische  Speku- 


•)  B.  Brugi  (s.  o.  Nr.  123)  hat  bemerkt:  „Avrä  esagerato  lo  Hofmann: 
ma  niuno,  a  mente  calma,  poträ  asserire  che  fosse  possibile  interpolare 
celennente  tanti  frammenti  se  non  vi  era  qualche  cosa  di  pronto." 


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76 


W.  Kalb:  Römische  Juristen. 


lation  oder  studentische  Sparsamkeit  auch  verkürzte  Ausgaben,  die 
für  die  einzelnen  Jabre  bestimmt  waren,  veranstaltet.  Das,  was  tat- 
sächlich behandelt  wurde,  dürfen  wir  als  die  Grundlage  annehmen, 
auf  welcher  die  Kompilatoren  arbeiteten :  die  Professoren,  denen  nach 
Bluhme  der  Löwenanteil  der  Arbeit  zufiel,  wußten  dieses  Kompendium 
so  ziemlich  auswendig,  und  auch  den  Advokaten  war  es  mindestens 
von  ihrer  Universitätszeit  her  wohlbekannt.  Was  lag  näher,  als  daß 
die  Kompilatoren  die  Jahrgänge  des  Kompendiums  unter  sich  ver- 
teilten? Ein  Professor,  dem  das  Pensum  des  ersten  Jahrganges  be- 
sonders geläufig  war,  übernahm  die  Gaiusabteilung ,  der  zweite  die 
Schriften  des  zweiten  Jahrganges,  d.  i.  die  Ediktsabteilung,  der  dritte 
das  Pensum  des  dritten  Jahrganges.  (Nach  der  Const.  Tanta  waren 
zwar  vier  Rechtslehrer  beteiligt;  aber  einer  davon  kam  wohl  erst  im 
Laufe  der  Arbeit  hinzu ;  darauf  scheint  hinzudeuten  §  9  Anatolium  .  .  . 
qui  .  .  .  ad  hoc  opus  a  1 1  ectus  est.)  Die  anderen  Mitarbeiter  mochten 
sich  nach  ihrer  Neigung  hier  oder  dort  angliedern.  Die  einzelnen 
Abteilungen  verteilten  nun  die  Tribonianische  Bibliothek  unter  sich. 
Natürlich  war  Tribonian  nicht  so  unvorsichtig,  an  Gelehrte  ein  Buch 
auszuleihen.  Die  drei  „Kommissionen"  werden  drei  Arbeitsräume 
gehabt  haben,  wo  natürlich  auch  die  für  sie  ausgewählten  Bücher, 
nach  ihren  Katalognummern  geordnet,  standen.  Für  die  Exzerpierungs- 
arbeit  legten  sie  nun  vermutlich  nicht  ein  von  vornherein  hergestelltes 
Gerüste  zugrunde,  das  aus  den  Titeln  des  Ediktes  und  des  Codex 
abgenommen  gewesen  wäre,  wie  man  meist  annimmt;  denn  auf  solcher 
Grundlage  wäre  die  Arbeit  als  lückenloses,  gleichmäßiges  Ganzes  in 
drei  Jahren  nur  dann  herstellbar  gewesen,  wenn  die  Exzerptoren 
mit  den  zu  exzerpierenden  Schriften  vertrauter  gewesen  wären,  als 
man  aus  Const.  Tanta  §  17  schließen  darf;  in  diesem  Punkte  ist 
Hofmanns  Aufstellung  auch  durch  den  Hinweis  auf  die  leicht  auf- 
findbaren Rubricae  in  den  Schriften  kaum  völlig  widerlegt  (hierüber 
Jörs  bei  Pauly-Wissowa ,  s.  v.  digesta,  V  496  ff.;  wohl  aber  mögen 
sich  die  Exzerptoren  von  vornherein  über  einzelne  Punkte  geeinigt 
haben,  z.  B.  die  legata  nicht  von  den  fideicommissa  getrennt  zu  be- 
handeln, Jörs  a.  0.).  Ihre  Grundlage  haben  vielmehr  eben  jene  Schul- 
werke gebildet  und  die  dort  aufgestellten  Rubriken,  welche  jede 
Kommission  unter  ihre  Mitglieder  verteilen  mochte.  Ihrer  Ergänzung 
und  Erweiterung  galt  die  nächste  Arbeit  der  Exzerptoren,  welchen  zu 
diesem  Zweck  vermutlich  die  Bibliothekdiener  die  vorhandenen  Bücher 
der  Reihe  nach  herholten ,  um  sie  nach  Benützung  für  die  jeweilige 
Rubrik  (das  Abschreiben  besorgten  natürlich  Hilfskräfte)  wieder  an 
den  richtigen  Ort  zu  stellen.    Wenn  einer  der  Gelehrten  die  Bücher 


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Justiniani  Digesta:  Abfassung.  Überlieferung. 


77 


nicht  nach  ihrer  Stehreihe  benützen  wollte,  so  stand  an  und  für  sich 
nichts  im  Wege.  Aber  nach  kurzer  Arbeit  mußte  er  linden,  daß  er 
so  manches  Werk  doppelt  vornahm,  andere  ausließ,  so  daß  er  wieder 
zur  Ordnung  zurückkehrte. 

Wenn  der  Exzerptor  der  Gaiusmasse  mit  einer  Rubrik  fertig  war 
und  die  anderen  Mitglieder  seiner  Kommission  nichts  mehr  dazu- 
zusetzen  hatten,  so  gab  er  den  Entwurf  an  die  Ediktsabteilung  und 
diese  gab  ihn  an  die  Papinianabteilung  und  entsprechend  auch  um- 
gekehrt, damit  auch  aus  den  Werken  der  anderen  Kommissionen  noch 
Zusätze  gemacht  werden  konnten.  Die  ursprüngliche  Absicht,  das 
Elaborat  der  Gaiusabteilung  auch  für  die  Zukunft  zur  ersten  Ein- 
führung zu  benützen,  mußte  bald  wieder  aufgegeben  werden,  als  sich 
zeigte,  daß  nach  den  Ergänzungen  aus  anderen  Werken  die  Gaius- 
abteilung zu  diesem  Zweck  viel  zu  ausführlich  wurde.  So  erklärt  es 
sich,  daß  der  Plan  zu  den  Justininanischen  Institutionen  erst  während 
der  Herstellung  der  Digesten  entstand.  So  erklärt  es  sich  wohl  auch, 
daß  einzelne  Titel  von  verschiedenen  Kommissionen  gleichzeitig  in 
Angriff  genommen  wurden,  z.  B.  De  legatis  1  von  der  ersten  Abteilung, 
De  legatis  2  von  der  zweiten,  De  legatis  3  von  der  Papiniankommission. 
(Daß  die  drei  Bearbeitungen  (=  Dig.  80;  81;  32)  nebeneinander- 
gestellt wurden,  mochte  sich  erst  im  Verlaufe  der  Arbeit  als  zweck- 
mäßig ergeben.)  Zum  Zwecke  der  Zusammenarbeitung  solcher  Dupli- 
kate und  zur  Ordnung  der  Titel  nach  bestimmmten  Grundsätzen 
mochte  die  Kooptation  eines  vierten  Rechtslehrers  sich  empfehlen 
(Anatolium  .  . .  qui  ...  ad  hoc  opus  alle  ctus  est),  der  außerdem  die 
mittlerweile  neu  hinzugekommenen  Schriften  zur  Durchsicht  Über- 
nahm (Bluhmes  Appendix)  und  solche  Exzerpte,  welche  die  drei 
Kommissionen  für  aufnahmswert  fanden,  ohne  sie  in  einen  bestimmten 
Titel  einzugliedern,  nötigenfalls  in  besonderen  Titeln  zusammenstellte. 
—  Entsprechend  den  Änderungen  im  ursprünglichen  Plane,  die  sich 
im  Laufe  der  Arbeit  ergaben,  mußte  die  Const.  Deo  auctore  (De 
conceptione  Digestorum)  nachträglich  etwas  abgeändert  werden.  — 
Mit  diesen  Erklärungen  glauben  wir  einerseits  in  den  Spuren  der  Be- 
weise und  Nachweise  von  Blnhme  (der  auch  auf  die  Ähnlichkeit  seiner 
drei  Massen  mit  den  drei  Lehr  -  Jahrgängen  hinweist) ,  sowie  von 
P.  Krüger  und  Th.  Mommsen  zu  wandeln,  anderseits  aber  auch  das 
Richtige  aus  den  Nachweisungen  von  Hofmann  und  Ehrenzweig  be- 
rücksichtigt zu  haben.  — 

160  a.  Zu  den  Aufstellungen  von  Hofmann  und  Ehrenzweig 
nimmt  auch  in  ausführlicher  Weise  Stellung  Jörs  (s.  v.  digesta)  in 
Pauly-Wissowas  Realenzykl.  V  496  ff. 


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78 


W.  Kalb:  Römische  Juristen. 


A.  Ehrenzweig  (9.  0.  Nr.  158)  S.  328  will  in  Const.  Omnem 
§  1  lesen:  his  autem  sex  libris  Gai  nostri  institutiones  et  libri  singu- 
lares  quattuor  connumerabantur.  Dagegen  P.  Krüger,  Sav.-Z. 
XXII  12  ff. 

161.  *Digestorum  seu  Pandectarura  codex  Floren- 
tinas olim  Pisanas  phototypice  expressus,  a  cura  della 
commissione  ministeriale  per  la  riproduzione  delle  Pandette.  Volume  I, 
fasc.  8.  Roma  1903.  Die  Reproduktion  der  berühmten  Digesten- 
handschrift  war  1893  auf  sieben  Jahre  berechnet  (s.  diesen  Jhber. 
LXXXIX  240)  Doch  erschien  das  zweite  Heft  erst  1902,  das 
dritte  (s.  0.)  1903.  Das  ist  im  Hinblick  auf  die  Kosten  eines  solchen 
Werkes,  dessen  Anschaffung  sich  auch  wohl  nicht  allzuviele  Bibliotheken 
gestatten  können,  leicht  verständlich.  —  Nach  Nouv.  Revue  XXVII 
473  haben  auf  dem  internationalen  Historikerkongreß  in  der  rechts- 
geschichtlichen Sektion  Buonamici  und  Scialoja  über  ihr  großes  Unter- 
nehmen berichtet.  Die  Versammlung  hat  dem  aufopferungsvollen  Werke 
ihre  Glückwünsche  gewidmet. 

162.  *Die  Titel  seien  erwähnt  von  F.  Buonamici,  L'opera 
deir  imperatore  Giustiniano,  Rivista  italiana  per  le  scienze  giuridiche 
XXXIV  (1902)  p.  89—97.  —  F.  Buonamici,  Süll'  indice  degli 
autori  e  dei  libri  che  servirono  alla  compilazione  delle  Pandette. 
Pisa  1901.  —  S.  di  Marzo,  Sulla  compilazione  dei  digesti  di  Giusti- 
niano, Circolo  giuridico  XXXII  (1901)  S.  308—318.  —  Zocco- 
R  0  s  a  sprach  auf  dem  internationalen  Historikerkongreß  zu  Rom  im 
April  1903  über  neue  Beobachtungen  hinsichtlich  der  von  den  Kora- 
pilatoren  der  Justinianischen  Digesten  eingeschlagenen  Methode,  nach 
Nouv.  Revue  XXV11  474. 

b)  Gesamtkommentare  und  Obersetzungren. 

163.  F.  Glück,  *Commentario  alle  Pandette,  tradotto  ed 
arrichito  di  note  e  confronti  col  Codice  civile  dcl  regno  d'Italia. 
Direttori  C.  F  a  d  d  a  e  P.  C  0  g  1  i  0 1  0.  Milano,  ist  nach  den  Anzeigen 
in  Nouv.  Revue  bis  zu  fasc.  461  und  465— 466  (finedellibro  XXXVIII, 
parte  dei  libro  XXXIX)  vorgeschritten. 

164.  The  Digest  ofJustinian  translated  by  C  h.  H.  M  0  n  r  0. 
Vol.  I.  Cambridge  1904  haben  wir  in  BphW.  1905  S.  634  eingehender 
besprochen.  Der  I.  Band  enthält  Buch  1 — 6  der  Digesten.  Möge 
Vf.  überall  dem  Interesse  begegnen,  ohne  das  die  Durchführung  eines 
so  schwierigen  Unternehmens  nur  selten  möglich  ist !  Wir  halten  es 
für  einen  Vorteil  des  verdienstvollen  Werkes ,  daß  es  solche  Aus- 
drücke, für  welche  im  Englischen  ein  völlig  gleichbedeutendes  Wrort 


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Just.  Dig.:  Kommentare  u.  Übersetzungen.   Exegese  u.  Kritik.  79 

nicht  vorhanden  ist,  in  der  Regel  unübersetzt  läßt.  (Ein  Anhang  am 
Schlüsse  des  Werkes  soll  seinerzeit  über  solche  Ausdrücke  aufklären.) 
Andere  Grundsätze  befolgt  die  deutsche  Übersetzung  von  Otto, 
Schilling.  Sintenis  —  die  freilich  ohnehin  in  vielen  Punkten  veraltet 
ist.  —  Monros  Grundsätze  scheint  im  großen  und  ganzen  auch 
H.  Krüger  für  die  richtigen  zu  halten  in  einer  Besprechung  von 
M.  Conrat,  Breviarium  Alaricianum  (Sav.-Z.  XXV  413),  wo  er  zwar 
sagt,  daß  man  nicht  „ohne  Not"  lateinische  Ausdrücke  einfach  Über- 
nehmen dürfe,  doch  die  „Not"  bei  manchen,  z.  B.  dotis  dictio,  litis 
contestatio,  zugesteht. 

e)  Exegese  und  Kritik  einzelner  Stellen. 

Adrien  Audibert,  Nouvelle  Ctude  usw.  (s.  o.  Nr.  93) 
erklärt  u.  a.  Paul,  ad  PI.  10,  3,  14,  1  (Impendia  autem) 
S.  287  ff. ,  wo  er  die  Worte  quia  bonae  fidei  iudicium  est  communi 
dividundo  und  weiterhin  noch  vier  Zeilen  (quae  cum  ita  sint  rectissime 
dicitur  ctiam  impendiorum  nomine  utile  iudicium  dari  bis  impendo) 
für  Justinianische  Interpolation  hält,  obwohl  z.  B.  rectissime  in 
Justinians  Erlassen  fehlt  und  impendia  durch  expensae  völlig  ver- 
drängt ist  (vgl.  Kalb,  Roms  Jur.  S.  99).  Ebenso  scheint  ihm  (S.  426) 
interpoliert  bei  Jul.  d.  10,  3,  24  pr.  und  in  der  Parallelstelle  Gai. 
prov.  41,  1,  45  (Communis  servus  si  ex  re  alterius  dominorum  ad- 
quisierit  usw.)  quia  (Gai.  nam)  fidei  bonae  convenit,  ut  unusquisque 
praeeipuum  habeat,  quod  ex  re  eius  servus  adquisierit.  Dabei  er- 
.  klärt  er  nicht,  durch  welchen  Zufall  es  kommen  konnte,  daß  die  Re- 
daktionskommission an  zwei  soweit  voneinander  entfernten  Stellen 
wörtlich  das  Gleiche  interpolierte;  außerdem  steht  an  beiden 
Stellen  fidei  bonae;  die  Stellung  fides  bona  statt  bona  fides  ist  (vgl. 
Kalb,  Juristenlatein 2  S.  47)  zwar  im  Kurialstil  üblich,  findet  sich 
aber  schon  bei  den  nachjulianischen  Juristen  (abgesehen  von  e  x  fide 
bona)  selten.  Justinian  aber,  der  f.  b.  an  den  beiden  genannten 
Stellen  interpoliert  haben  soll,  stellt  ausnahmslos  bona  vor  fides. 

Außerdem  findet  Vf.  Interpolationen  bei  Ulp.  ed.  10,  3,  4,  2 ; 
Gord.  Cod.  J.  3,  36,  9  und  bei  Diocl.  Cod.  J.  3.  38,  3,  wo  Consult.  2,  6 
gründliche  Änderung  durch  Justinian  beweist. 

C.  Bertolini,  Le  obbligazioni  (s.  o.  Nr.  1)  geht  hinsichtlich  der 
Annahme  von  Interpolationen  vielfach  mit  A.  Pernice  und  Lenel.  Der 
Ansicht  von  Gradenwitz  jedoch,  daß  das  Substantiv  pracscriptis  verbis 
actio  immer  interpoliert  sei,  stimmt  er  nicht  bei.  Eine  Interpolations- 
annahme, die  uns  bis  jetzt  unbekannt  war,  finden  wir  S.  64  zu  Ulp. 
ad.  S.  45,  1,  1,  4   (Si  stipulanti  mihi  „decem"  tu  „viginti"  re- 


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80 


W.  Kalb:  Römische  Juristen. 


spondeas  usw.)  für  die  Worte  licet  enim  oportet  congmere  summ  am, 
attamen  manifestissimum  est  viginti  et  decem  inesse  (doch  vgl.  unten 
Nr.  181);  zu  Ulp.  ed.  13,  6,  17,  3  (Sicut  autem  voluntatis  usw.) 
hält  B.  die  Worte  aut  etiara  sciens  vitiosa  commodaveris  für  Glossem 
oder  Interpolation. 

165.  Stephan  Braßloff,  Aetas  legitima,  Sav.-Z.  XXII  169 
bis  179  (vgl.  o.  Nr.  89)  sucht  den  Widerspruch  aufzuklären,  der 
darin  liegt,  daß  die  in  einem  Papyrus  erhaltene  Senatsrede  des 
Kaisers  Claudius  (oder  Caligula)  nach  den  Ergänzungen  der  Heraus- 
geber als  die  Schutzaltersgrenze  der  Lex  Plaetoria  das  24.  Jahr  be- 
zeichnet, während  man  aus  Plaut.  Rud.  5,  4,  24  (cedo  quicum  habeam 
iudicem,  ni  dolo  malo  instipulatus  sis,  nive  etiam  dum  siem  quinquc 
et  viginti  annos  natus)  schließt,  daß  das  Gesetz  noch  die  jungen 
Leute  bis  zum  25.  Jahr  einschließlich  schützte.    Er  sucht  zunächst 
eine  Erklärung  von  Dareste  zu  Widerlegen  und  dann  selbst  nachzu- 
weisen, daß  dieses  Schutzalter  in  der  Augusteischen  Reformperiode 
auf  24  Jahre  herabgesetzt,  später  unter  Marc  Aurel  (oder  Antoninus 
Pius)  wieder  erhöht  worden  sei.  Zum  Nachweis  benützt  er  besonders 
einen  eigentümlichen  logischen  Schlüssel,  der  mehrmals  angewendet 
wird;  wenn  nämlich  ein  Jurist  sagt:  „dies  ist  so  und  so  zu  ver- 
stehen", so  gehe  daraus  hervor,  daß  man  früher  die  umgekehrte 
Anschauung  gehabt  habe:  „dies  ist  nicht  so  zu  verstehen".   Z.  B. 
Ulp.  adult.  48,  5,  16,  6  sagt  (von  der  Lex  Julia  de  adulteriis): 
minorem  XXV  annis  (quem  lex  accusare  prohibet)  etiam  eum  aeeipimus, 
qui  vicensimum  quintum  annum  aetatis  agit :  folglich  habe  unmittelbar 
vor  ülpian  dieser  Grundsatz  noch  nicht  oder  nicht  mehr  gegolten. 
Damit  stimme  das  Staatsrecht  der  früheren  Kaiserzeit  Uberein,  welches 
den  Beginn  des  25.  Jahres  zur  Übernahme  der  Quästur  für  ge- 
nügend erklärte  (annus  coeptus  pro  completo  habetur).    Doch  der 
Raum  verbietet  uns,  den  wenn  auch  kaum  haltbaren,  so  doch  höchst 
anregenden  Begründungen  und  den  eigenartigen  Interpretationen  von 
Digestenstellen   hier  weiter  nachzugehen.    Nur  eins  sei  noch  er- 
wähnt.   Für  den  eben  erwähnten  Satz:  annus  coeptus  pro  completo 
habetur,  der  in  der  früheren  Kaiserzeit  für  das  ius  eivile  allgemeine 
Geltung  gehabt  haben  soll,  habe  die  Grundlage  gebildet  der  andere 
Satz:  nasciturus  pro  iam  nato  habetur;  d.  h.  man  habe  die  zehn 
Monate  der  Maximalzeit  des  „intrauterinen  Lebens"  zum  Alter  hin- 
zugerechnet, und  zehn  Monate  seien  in  der  alten  Zeit  ein  Jahr  ge- 
wesen; anniculus  war  also  ein  Kind  sofort  nach  der  Geburt  .  .  . 
usw.  usw.    Welcher  Arzt  es  war,  der  gerade  etwa  unter  Augustus 
diesen  Grundsatz  aufbrachte,  erfahren  wir  nicht;  aber  abgeschafft 


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Justiniani  Digesta:  Exegese  und  Kritik. 


81 


wurde  er  nach  Br.  S.  194  vielleicht  unter  einem  gewissen  Einfluß 
von  Marc  Aurels  Zeitgenossen  Galenus,  der  den  nasciturus  nicht  als 
animal  gelten  lassen  wollte  —  und  damit  sei  auch  dem  anderen  Satz 
coeptus  annus  pro  completo  habetur  die  Grundlage  entzogen  worden.  — 

166.  St.  Braßloff,  Textkritisches  zu  römischen  Rechtsquellen. 
Wiener  Studien  XXIV  (1902)  S.  563—571  bespricht  die  Erklärungs- 
versuche zu  Ulp.  ed.  17,  2,  52,  2  und  löst  den  Widerspruch  mit 
Gai.  cott.  17,  2,  72  dadurch,  daß  er  bei  Ulp.  a.  a.  0.  Celsus  .  .  . 
ita  scripsit:  socios  inter  se  dolum  [et  culpaml  praestare  oportet  die 
eingeschlossenen  Worte  für  Justinianische  Interpolation  erklärt  statt 
tantum,  wobei  er  sich  auch  auf  die  Basilica  berufen  kann. 

167.  Buckland,  Manumissio  vindicta  par  un  fils  de  famille. 
Nouv.  Revue  XXVII  (1903)  p.  737—744.  Mitteis  hatte  Sav.-Z.  XXI 
199—212  (vgl.  diesen  Jber.  CIX  63)  im  Hinblick  auf  den  Satz 
nemo  alieno  nomine  lege  agere  potest  bestritten,  daß  der  Haussohn 
bei  der  Manumissio  vindicta  statt  des  Pater  familias  habe  eintreten 
können.  Die  widerstreitenden  Stellen  hatte  er  durch  Änderungen 
seitens  der  Digestenkompilatoren  erklärt.  Ihm  tritt  Buckland  ent- 
gegen; er  hält  die  Stellen  für  unverdorben  und  erklärt  die  Ab- 
weichung von  jenem  Fundamentalsatz  daraus,  daß  tatsächlich  die 
Manumissio  vindicta  schon  in  der  Zeit  der  klassischen  Juristen  so 
gehandhabt  wurde,  daß  man  gar  nichts  mehr  von  einer  legis  actio, 
einem  förmlichem  Prozeß,  sah,  und  daß  auch  andere  Abweichungen 
von  den  für  Prozesse  geltenden  Regeln  allgemein  zugestanden  waren. 
Dabei  weist  B.  hin  auf  Just.  Cod.  7,  15,  1,  3  ut  explosa  antiqua 
personarum  differentia  liceat  pareutibus  tarn  feminis  quam 
masculis  filiis  filiabus  .  .  .  mandatum  imponere,  quatenus  servos  in 
libertatem  producant.  Sodann  erweist  B.  die  Echtheit  von  Paul,  ad 
leg.  Juliam  (nicht  zu  schreiben  Juniam  mit  Mitteis)  40,  9,  15,  1 
und  Paul.  q.  40,  2,  22  ;  Jul.  d.  40,  2,  4  pr.  ist  zwar  von  Tribonian 
stark  überarbeitet,  aber  §  2  beweist,  daß  die  Stelle  nicht  von  einer 
formlosen  Freilassung,  sondern  von  einer  Vindicta-manumissio  spricht 
(Minor  viginti  annis  dominus  nec  communem  quidem  servum  sine 
consilio  recte  manumittit);  unerfindlich  ist  es  für  B.,  wie  Mitteis 
für  Mod.  reg.  40,  1,  16  den  Bezug  auf  die  Man.  viud.  in  Abrede 
stellen  kann,  da  doch  von  einem  minor  annis  viginti  und  einer  causae 
probatio  gesprochen  wird.  —  Daß  der  filius  familias  mit  Willen  des 
paterfamilias  vindicta  manumittere  kann,  belegt  B.  weiter  durch 
folgende  Stellen:  Paul,  ad  Plaut.  40,  2,  18,  2  (tilius  quoque  voluntate 
patris  apud  patrem  manumittere  potest  spricht  aber  nicht  notwendig 
von  Vertretung  des  Vaters  durch  den  Sohn  bei  dieser  legis  actio, 

Jahresbericht  für  Altertomswiisenschafl.    Bd.  CXXXIV.   (1907.  II.)  6 


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82 


W.  Kalb.:  Römische  Juristen. 


denn  der  Vater  —  als  Konsul  u.  ä.  —  apnd  s  e  manumittere  potest ;  es 
beruht  vielmehr  vielleicht  auf  dem  Satz  volenti  non  fit  iniuria);  Lic. 
Ruf.  reg.  23,  2,  51,  1  (ein  Vater  wird  seinem  Sohn  gewiß  nicht  be- 
fohlen haben,  eine  Sklavin,  die  der  Sohn  heiraten  soll,  anders  als  so 
freizulassen,  daß  sie  civis  Romana  wird)*);  Paul.  a.  s.  40,  9,  16,  5; 
Marci.  reg.  40,  2,  10  (Surdi  vel  muti  patris  filius  iussu  eins  manu* 
mittere  potest). 

1C8.  L.  Mitte is,  Die  Manumissio  vindicta  durch  den  Haus- 
sohn. Sav.-Z.  XXV  379—382  stellt  die  von  Buckland  ins  Feld  ge- 
führten Gründe  als  völlig  haltlos  hin.  Er  verzichtet  darauf,  im 
einzelnen  durchweg  zu  replizieren.  „Zur  Begründung  dieses  Ver- 
zichtes genügt  der  Hinweis  darauf,  daß,  wenn  ich  zur  erstgenannten 
Stelle  (gemeint  ist  D.  40,  9,  15,  1)  die  Tatsache  namhaft  mache, 
daß  die  Inskription  ad  legem  Juliam  in  Flor.  2  (soll  heißen  im  Index 
Flor.,  von  F.  2)  korrigiert  ist  in  Juniam,  was  eben  auf  die  Junianische 
Freilassung  hindeutet,  Vf.  mir  entgegenhält  1.  daß  weder  Mommsen 
noch  Lenel  eine  Korrektur  in  der  Inskription  für  angebracht  befunden 
haben,  2.  daß  es  wahrscheinlicher  sei,  daß  der  Korrektor  sich  hier 
geirrt  habe."  — 

Die  Stelle  Paul,  ad  Plaut.  40,  2,  18,  2  Filius  quoque  voluntate 
patris  apud  patrem  manumittere  potest  zweifelt  Mitteis  hinsichtlich 
ihrer  Echtheit  an ;  sie  habe  sich  vielleicht  ursprünglich  nur  auf  Frei- 
lassung aus  dem  kastrensischen  Peculium  bezogen,  und  Justinian  habe 
sie  verallgemeinert.  (Müßte  sich  dann  nicht  auch  ib.  pr.  ursprüng- 
lich auf  das  kastrensische  Peculium  bezogen  haben  Apud  filium 
familias  magistratum  manumitti  potest,  etiamsi  ipse  tilius  familias 
manumittere  non  potest?)  Für  verdächtig  hält  er  die  Erwähnung 
der  voluntas,  wie  auch  bei  Jul.  d.  21,  2,  39,  1  si  Titius  servum 
peticrit  et  ideo  victus  sit,  quod  servus  tuus  in  tradendo  sine  voluntate 
tua  proprietatem  hominis  transferre  non  potuisset  (mit  Lenels  Zu- 
stimmung) eine  Interpolation  zu  erkennen  ist. 

169.  P.  Collinet,  Gontributions  du  droit  romain  (vgl.  diesen 
Jhber.  CIX  56)  hat  eine  zweite  Fortsetzung  in  der  Nouv.  Revue 
XXVI  veröffentlicht.  Eine  dritte  Forts,  in  Nouv.  Revue  XXIX  171 
bis  194  führt  die  Überschrift  „L'histoire  de  la  confessio  in  iure". 
Er  glaubt  ,  daß  die  Rechtsregel  Confessus  pro  iudicato  habetur  erst 
durch  Justinian  zu  der  allgemeinen  Bedeutung  kam,  in  der  sie  uns 


*)  In  der  Entgegnung  Sav.-Z.  XXV  3b0  sagt  Mitteis,  was  es  für  ein 
Hedenken  haben  solle,  hier  eine  Ehe  des  tilius  mit  einer  Latina  anzu- 
nehmen, sei  nicht  abzusehen. 


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Justiniani  Digesta:  Exegese  und  Kritik. 


83 


in  den  Digesten  entgegentritt.  Er  hält  sie  für  interpoliert  bei  Ulp. 
ed.  42,  1,  56  und  sonst.  Bei  Ulp.  trib.  42,  2,  6  sind  nach  seiner 
Meinung  Lenel  und  Pernice,  von  denen  er  in  Einzelheiten  abweicht, 
mit  der  Annahme  von  Justinianischer  Interpolation  nicht  weit  genug 
gegangen.  —  170.  A.  Giffard,  La  loi  6  De  confessis  (D  42,2) 
et  r„oratio  divi  Marcitf,  Nouv.  Revue  de  droit  XXIX  449—475, 
hält  zwar  Ulp.  trib.  42,  2,  6  und  Ulp.  ed.  42,  1,  56  mit 
P.  Collinet  für  stark  interpoliert,  weicht  aber  im  einzelnen  ab  von 
P.  Collinet.  —  Collinet  und  Giffard  zitieren  mehrfach  die  Doktor- 
arbeit von  Giffard,  La  „confessio  in  iureu  dans  la  procedura 
formulaire,  Paris  1900. 

171.  Eisele,  Zum  röm.  Sklavenrecht  (L.  25  §  1  De  usufr.  7,  1), 
Sav.-Z.  XXVI  66—83,  gibt  für  Ulp.  ed.  S.  7,  1,  25,  1,  wo  er  früher 
die  Worte  cum  plus  pretium  solvit  scrvus,  non  faciet  nummos  ac- 
cipientis  für  Interpolation  gehalten  hatte,  eine  gründliche  Erklärung, 
wodurch  die  Annahme  einer  Interpolation  überflüssig  gemacht  wird. 

172.  Ehrlich,  Beiträge  zur  Theorie  der  Rechtsquellen  I  47 
(Berlin  1902)  will  nach  Kipp,  Gesch.  der  Quellen  S.  94  Anm.  83 
den  Ausdruck  ius  civile  ausschließlich  für  das  Juristenrecht  (ein- 
geschlossen das  von  den  Juristen  anerkannte  Gewohnheitsrecht)  in 
Anspruch  nehmen  und  behauptet,  ius  civile  bedeute  nie  (?)  das 
positive  Gesetzesrecht;  Pap.  def.  1,  1,  7  pr.  Jus  autem  civile  est, 
quod  ex  legibus  usw.  sucht  er  als  interpoliert  zu  verdächtigen.  Da- 
gegen Kipp  a.  a.  0.    Vgl.  auch  II.  Erman  u.  Nr.  176. 

173.  H.  Erman,  Dig.  18,  1,  1  pr.  Sav.-Z.  XXII  161—168. 
Die  Worte  bei  Paul.  ed.  18, 1, 1  pr.  (Origo  emendi  vendendique  usw.) 

eaque  materia  (d.  h.  das  Geld)  .  .  .  usum  dominiumque  non  tarn  ex 
substantia  praebet  quam  ex  quantitate  spielen  wohl  einerseits  an 
auf  den  Gegensatz  zwischen  der  vollwichtigen  Münze,  die  „usum  ex 
substantia  praebet"  und  der  untergewichtigen,  die  nur  „ex  quantitate 
usum  praebet",  anderseits  aber  —  bei  dominium  praebet  —  be- 
deutet quantitas  hier  die  Fungibilität ,  so  schief  es  auch  war,  als 
Gegensatz  hiezu  substantia  zu  gebrauchen,  statt  wie  sonst  corpora* 
Paulus  erscheint  darnach  schuldig,  mit  demselben  Gegensatz:  „quantitas" 
und  „substantia"  zwei  grundverschiedene  Dinge  bezeichnet  zu  haben. 

174.  H.  Erman,  Noch  einmal  die  „actiones  in  factum",  Sav.-Z. 
XXIII  445  ff.  (vgl.  diesen  Jhber.  CIX  58).  Obwohl  in  factum  actio 
ein  Lieblingsausdruck  Justinians  ist,  so  ist  die  Sache  doch  nicht  eino 
Justinianische  Neuschöpfung,  was  H.  Krüger,  Zeitschrift  f.  Privat-  u. 
öff.  Recht  XXVII  471  f.  trotz  Ermans  früheren  Ausführungen  immer 
noch  für  diskutabel  hält.    Die  in  factum  actio  findet  sich  ja  auch 

6* 


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W.  Kalb:  Römische  Juristen. 


bei  Ulp.  in  Coli.  12,  7  (vielleicht  nach  Proculus),  and  gegen  die 
Coli,  besteht  gar  kein  Überarbeitungsverdacht.  Auch  die  Gaius- 
bearbeitung  von  Antun  (zu  Gai.  4,  107  ff.)  kennt  die  in  factum  actio, 
und  zwar  vertritt  sie  die  formula  in  factum  concepta  des  Veronenser 
Gaius,  und  eine  ähnliche  Ersetzung  oder  Umbildung  finden  wir  auch 
bei  Ulp.  reg.  44,  7,  25,  1,  vgl.  mit  Gai.  4,  46.  Ob  freilich  Ulpian 
selbst  sie  schon  kannte,  soll  damit  nicht  behauptet  sein;  die  Stelle 
scheint  kein  Originalsatz  (weder  Ulpians  noch  Tribonians),  sondern 
ein  Streichungsprodukt  zu  sein  von  einem  Bearbeiter  von  Ulpians 
Regulae,  der  dem  Bearbeiter  des  Gaius  von  Autun  geistesverwandt 
war.  Justinian  verdrängte  mit  der  actio  in  factum  gelegentlich  eine 
ungeläufig  gewordene  Klage  wie  die  actio  fictitia  bei  Ulp.  ed.  39,  2, 
17,  3. 

175.  H.  Erman,  D.  (44,  2)  21  §  4  =  Mölanges  Ch.  Appleton 
S.  201—304.    Angezeigt  von  Ref.  in  BphW.  1905  S.  416. 

Pomp.  ad.  S.  44,  2,  21,  4  Si  pro  servo  meo  fideiusseris  et 
mecum  de  peculio  actum  sit,  si  postea  tecum  eo  nomine  agatur,  ex- 
cipiendum  est  de  re  iudicata  mag  man  im  Sinne  Justinians  vielleicht  mit 
Proc.  ep.  46,  3,  84  (Egisti  de  peculio  servi  nomine  cum  domino: 
non  esse  liberatos  fideiussores  eius  respondit)  in  Einklang  zu  bringen 
versuchen,  tatsächlich  aber  ist  ein  Widerspruch  vorhanden,  und  mög- 
licherweise hat  Pomp.,  weil  er  sich  des  Gegensatzes  zur  herrschenden 
Lehre  bewußt  war,  seinem  Klienten  geraten,  eine  Exceptio  zu  be- 
wirken, während  er  sonst  vielleicht  auch  die  ipso-iure-Konsumption 
hätte  erwähnen  können.  Übrigens  hielten  nach  E.  die  Proculianer 
an  der  alten,  strengen  Auffassung  von  der  konsumierenden  Wirkung 
der  Intentio  bei  der  Litiskontestation  fest,  während  die  Sabinianer 
eine  etwas  freiere  Auffassung  einführten,  wie  wir  aus  Gai.  4,  114 
folgern  dürfen.  Wenn  Ulp.  ed.  15,  1,  30,  4  schreibt  Is,  qui  semel 
de  peculio  egit,  rursus  aueto  peculio  de  residuo  debiti  agere  potest, 
so  entspricht  dies  der  Sabinianischen  Ansicht;  man  braucht  nicht 
mit  Ferrini  die  Justinianische  Streichung  eines  non  vor  potest  anzu- 
nehmen, weil  andere  Digestenstellen  diese  Proculianische  Ausicht  ver- 
treten. Überhaupt  soll  man  Justinianische  Interpolationen  nicht  immer 
gleich  annehmen,  wenn  man  etwas  nicht  erklären  kann,  sondern  nur, 
wenn  auch  das  Recht  Justinians  und  die  Sprache  die  Annahme  nahe- 
legen. Möchten  E.s  Grundsätze  bald  allgemeiner  werden !  —  Die 
vielen  in  der  Arbeit  besprochenen  Stellen  aus  dem  Corpus  iuris  und 
aus  Gaius  sind  auf  der  letzten  Seite  der  Abhaudlung  in  einem  Index 
zusammengestellt.  Vgl.  auch  die  Anzeige  der  Abhandlung  durch 
B.  K übler,  Sav.-Z.  XXV  436—444. 


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Justiniani  Digesta:  Exegese  und  Kritik.  85 

176.  H.  Erman,  Recht  und  Prätor.  Sav.-Z.  XXIV  421— 440. 
Mit  Beziehung  auf  E.  Ehrlich,  Beiträge  zur  Theorie  der  Rechts- 
quellen, I,  Berlin  1902,  VII  und  258  S.  bespricht  E.  die  Begriffe 
von  ius  und  civilis  (welches  auch  das  fehlende  iuralis  ersetzt)  und 
ins  civile  in  seinen  verschiedenen  Bedeutungen  und  Beziehungen. 
Dabei  verteidigt  er  die  Echtheit  von  Pap.  def.  (Buch  2)  1,  1,  7  Jus 
civile  est,  quod  usw.  gegen  Ehrlich  (s.  o.  Nr.  172)  gewiß  mit  Recht. 
(Wenn  eine  solche  Definition  im  zweiten  Buch  statt  im  ersten  auffallen 
muß,  so  dürfen  wir  statt  libro  II  wohl  unbedenklich  libro  I  lesen.) 

177.  H.  Erman,  Entstammt  B.G.B.  §  226  Tribonian  oder 
Celsus?  Sav.-Z.  XXV  352—365.  Der  Gedanke  von  B.G.B.  §  226: 
„Die  Ausübung  eines  Rechtes  ist  unzulässig,  wenn  sie  nur  den  Zweck 
haben  kann,  einem  anderen  Schaden  zuzufügen",  findet  sich  ähnlich 
bei  Cels.  d.  6,  1,  38.  Pernice  und  andere  haben  ihn  für  Tribonianisch 
erklärt.  Erman  beweist  die  Echtheit,  zum  Teil  mit  sprachlichen 
Gründen  ähnlich  wie  Kalb,  Jagd  nach  Interpolationen  S.  26,  Sonder- 
abdruck  S.  17. 

II.  Erman  behandelt  in  dem  Aufsatz  „P.  Juventius  Celsus  und 
das  Kammergericht"  (s.  o.  Nr.  134)  in  einem  Exkurs  auf  S.  578 — 588 
certiorare  in  den  Digesten.  Gradenwitz  hatte  seinerzeit  alle  Stellen 
mit  certiorare  für  verdächtig  erklärt,  von  Justinian  interpoliert  zu 
sein.  Wölfflin  und  Kalb  hatten  certiorare  umgekehrt  nahezu  als  Echt- 
heitsbeweis hingestellt,  da  sich  die  18  Stellen  mit  cert.  in  den 
Digesten  auf  Marcellus ,  Ulpian  und  Modestinus  beschränken,  die  in 
engen  Beziehungen  zueinander  stehen,  und  da  Justinian  es  nur  ein 
einziges  Mal  aufweist.  Erman  weist  nun  darauf  hin,  daß  Justinian  das 
dem  certiorare  bei  den  älteren  Juristen  entsprechende  certiorem 
facere  gar  nicht  aufweist  (certum  facere  nur  einmal):  es  sei  also 
Justinians  Gesetzen  die  Sache  fremd,  nicht  das  Wort ;  wenn  er  trotz- 
dem- certiorare  in  den  erhaltenen  Erlassen  einmal  schreibe,  so  ergebe 
sich  „eher  Vorliebe  als  Widerwille  Tribonians  für  certiorare".  Dem- 
entsprechend hält  E.  das  Wort  an  den  meisten  Digestenstellen  für  klassisch, 
für  Justinianisch  dagegen  bei  Ulp.  disp.  12,  4,  5,  1 ;  ed.  13,  6,  5,  8 
(hier  tritt  ihm  auch  Bertolini,  s.  o.  Nr.  1  S.  273  Anm.  2  bei); 
ed.  13,  7,  36,  1;  disp.  17,  1,  29  pr.  Was  ülp.  disp.  12,  4,  5,  1 
betrifft,  so  kann  die  Möglichkeit  einer  Interpolation  vielleicht  zu- 
gegeben werden;  an  den  anderen  drei  Stellen  spricht  nach  wie  vor 
kein  innerer  Grund  für  gerade  Justinianische  Interpolation  und  jede 
Wahrscheinlichkeit  dagegen.  Denn  wenn  dem  Justinian  „die  Sache" 
(also  wohl  der  Begriff)  des  cert.  fremd  wäre,  so  hätte  er  die  fremde 
Sache  kaum  so  oft  interpoliert.    Der  Begriff  ist  ihm  aber  gar  nicht 


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W.  Kalb:  Römische  Juristen. 


fremd ;  das  klassische  certiorem  facere  war  jener  gekünstelten  Sprache 
bloß  zu  wenig  gewählt.  Certiorare  hätte  sich  z.  B.  verwenden  lassen 
bei  Just.  Cod.  1,  27,  2,  13  cum  .  .  .  docuerit  nos  de  omni  ordi- 
natione  .  .  dioeceseos;  2,  55,  5,  1  attestatio  .  .  .  per  quam  mani- 
festum ei  fiat  definitionem  non  esse  amplectendam;  1,  1,8, 12  manifestum 
facimus  vestrae  sanctitati,  ähnl.  §  22.  Ersatz  ist  manifestare  an 
folgenden  Stellen:  8,  86,  5,  1  cum  non  emptori  manifestaverit  rem 
in  iudicium  deductara  fuisse;  4,  30,  14,  4  querellam  non  numeratae 
pecuniae  manifestare  ei  (ähnl.  1,  4,  21,  1);  6,  2,  20  pr.  .  .  .  Si 
6ervus  .  .  hoc  doraino  manifestaverit  (vgl.  Ulp.  ed.  5,  3,  20,  11 
nisi  forte  is  cui  denuntiatum  est  eum  certioraverit)  *). 

178.  Fitting,  Zur  Kritik  des  Digestentextes.  Sav.-Z.  XXVI 
49—53  gibt  ansprechende  Konjekturen  zu  10  Digestenstellen. 

Giffard  s.  o.  Nr.  170. 

178a.  P.  F.  Girard,  Une  exception  ä  la  division  de  la  loi 
„Furia  de  sponsu",  Naples  1905,  Estratto  dagli  Studi  in  onore  di 
C.  Fadda  zeigt,  daß  für  Pap.  q.  46,  6,  12  Si  plures  fideiussores  a 
tutore  pupillo  dati  sunt  usw.,  wo  Lenel  in  seiner  Palingenesia  die  fide- 
iussores nicht  als  Justinianischen  Ersatz  der  sponsores  betrachtet, 
noch  nicht  Gai.  Inst,  verwertet  sind.  Die  Lex  Furia  de  sponsu,  eine 
Lex  minus  quam  perfecta,  setzte  nach  Gai.  4,  22  eine  manus  iniectio 
pro  iudicato  fest  adversus  eum,  qui  a  Sponsore  plus  quam 
virilem  partem  exegisset;  die  actio  auf  das  Ganze  war  demnach 
durch  die  Lex  Furia  an  und  für  sich  nicht  verboten;  wohl  aber 
hat  der  Prätor  die  Konsequenzen  gezogen  und  bei  einer  Klage  auf 
das  Ganze  in  der  Regel  sofort  eine  Exceptio  im  Sinne  der  Lex  Furia 
gegeben  (Gai.  3,  121).  Diese  Exceptio  erklärte  Papinian  für  un- 
billig bei  der  satisdatio  rem  pupilli  salvam  fore.  Nimmt  man  so  an, 
daß  Pap.  ursprünglich  von  sponsores  sprach,  so  erklärt  sich  das  Frag- 
ment Papinians  viel  leichter,  als  wenn  er  von  fideiussores  gesprochen 


*)  Auf  9.  583  dieser  interessanten  Abhandlung  macht  Erman  die  Be- 
merkung, certiorare  gehöre  in  Dig.  19, 1,39  nicht  dem  Modestin  selbst,  sondern 
dem  ihn  fragenden  Juristen,  dessen  Anfrage  Modestin  seiner  Art  nach  wörtlich 
wiedergebe,  ähnlich  wie  resp.  50.  1,  36  (unbeantwortete  Fragen);  2,  14,  35 
(„pecuniam  auream");  10,  2,  30  (erste  Person);  31,  34,  3  („post  multos  dies"); 
34,  1,  4  pr.  (griechisch-breite  Ausführungen).  Tatsächlich  scheinen  die  An- 
tragen mehr  Vulgarismen  zu  haben  als  die  eigenen  Ausführungen  Modestins; 
die  Vulgarismen  in  den  Anfragen  an  Juristen  würden  ein  dankbares 
Thema  für  eine  philologische  Doktorarbeit  geben.  Daß  der  Jurist  aber 
(soweit  es  sich  nicht  ohnehin  um  bloß  fingierte  Anfragen  handelt)  die  Worte 
der  Anfragenden  nach  freiem  Ermessen  umändert,  will  E.  wohl  nicht  be- 
streiten. (Vgl.  für  8caevola  jetzt  Samter,  Sav.-Z.  XXVII  151  ff.  s.  Nachtrag.) 


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Justiniani  Digesta:  Exegese  und  Kritik.  87 

hätte;  die  fideiussores  sind  also  auch  in  der  1.  c.  Justinianischer  Er- 
satz der  sponsores. 

179.  0.  Graden witz,  Natur  und  Sklave  bei  der  naturalis 
obligatio  in  der  *  Festgabe  für  J.  Th.  Schirraer  zum  1.  Aug.  1900 
(besprochen  von  H.  Kruger  in  Sav.-Z.  XXIII  481  ff.)  erklärt  (auch 
aus  sprachlichen  Gründen)  bei  Jul.  d.  46,  1,  16,  4  (Naturales  obli- 
gationes  usw.)  die  Worte  naturales  debitores  als  Einschiebung 
Tribonians  statt  des  ursprünglichen  servi.  Er  gibt  dabei  lexiko- 
graphischen Aufschluß  über  das  Vorkommen  von  natura  (mit  naturalis, 
naturaliter)  in  den  Digesten. 

180.  0.  Gradenwitz,  Libertatem  imponere.  Sav.-Z.  XXIII  337 
bis  347.  Libertatem  imponere,  häufig  bei  Justinian  (nach  Gr.  in  An- 
lehnung an  vindictam  oder  festucam  imponere  gebraucht  oder  im 
Gegensatz  zu  servitutem  imponere  gebildet)  entspricht  dann  nicht  dem 
Sprachgebrauch  der  klassischen  Juristen,  wenn  die  libertas  nicht  als 
Last  gefaßt  werden  kann.  Es  kommt  in  den  Digesten  viermal  vor. 
Jul.  d.  40,  2,  4  pr.  erweist  sich  als  von  den  Kompilatoren  um- 
gearbeitet durch  eine  Parallelstelle  (vgl.  diesen  Jhber.  CIX  63), 
Pap.  q.  38,  2,  41  (vgl.  Kalb,  Juristenlat.  S.  75)  verrät  auch  durch 
den  Inhalt  die  Hand  Tribonians;  weniger  entschieden  kann  man  die 
Interpolation  behaupten  für  Ulp.  ad  S.  (Pap.)  24,  1,  7,  8  und  Ulp.  ed. 
4,  4,  11,  1,  da  hier  das  imponere  der  Freiheit  immerhin  als  eine 
Last  für  den  Käufer  (freilich  nicht  für  den  Sklaven,  worauf  es  eigent- 
lich ankäme)  gefaßt  werden  kann. 

0.  Gradenwitz,  Sav.-Z.  XXIV  249  (s.  o.  Nr.  96)  will  bei 
Ulp.  ed.  13,  4,  2  pr. :  quod  si  rei  interest,  minoris  fit  pecuniae  con- 
demnatio  quam  intentum  est,  aut  si  actoris,  maioris  pecuniae  tiat 
nicht  mit  Hai.  die  beiden  letzten  Worte  streichen,  sondern  lieber 
sich  denken  minoris  fit  arbitratus  quam  intentum  est,  aut  (at?)  si 
actoris,  maioris  pecuniae  fiat  condemnatio.  Er  zitiert  auch  Cohn, 
Actio  de  eo  quod  certo  loco  S.  191,  der  die  Stelle  für  „zugerichtet" 
hält,  vielleicht  durch  Streichungen.  —  Mit  dieser  Stelle  verträgt  sich 
nach  I.  C.  Naber,  Mnemosyne  XXX  321  nicht  Ulp.  cd.  18,  4,  2,  8. 
Nach  Gradenwitz  war  hier  der  komplizierte  Mechanismus  der  Formeln 
erläutert,  und  die  Kompilatoren  mußten  deshalb  streichen  und  ändern. 

181.  0.  Gradenwitz,  Licet  enim  legibus  soluti  sumus  attamen 
legibus  vivimus.  Sav.-Z.  XXVI  847—366  glaubt,  daß  licet  . . .  attamen 
in  den  Digesten  in  der  Regel  von  Justinian  interpoliert  ist,  besonders 
wenn  die  subtilitas  iuris  dem  aequnm  et  bonum  weichen  muß.  Die 
Aufstellung  ist  nicht  ganz  neu;  nur  für  vier  Stellen  (an  denen  die 


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88 


W.  Kalb:  Römische  Juristen. 


Interpolationsannahme  sogar  einem  Anton  Faber  unmöglich  gedünkt 
zu  haben  scheint)  sind  uns  keine  Vorgänger  bekannt. 

181a.  Derselbe  bespricht  in  Sav.-Z.  XXVII  228  ff.  (Zur  actio 
de  peculio)  u.  a.  Ulp.  ed.  15,  1,  30,  4  (s.  Nr.  175). 

182.  Hell  mann,  Zur  Terminologie  der  römischen  Rechts- 
quellen in  der  Lehre  von  der  Unwirksamkeit  der  juristischen  Tat- 
sachen, Sav.-Z.  XXI11  380—430,  XXIV  50—121  hat  vermutlich  für 
den  Juristen  in  manchen  Abschnitten  größeres  Interesse  als  für  den 
Philologen.  Denn  für  Philologen  kann  es  kaum  einen  wesentlichen 
Zweck  haben,  daß  im  ersten  Abschnitt  in  vielteiliger ,  wörterbuch- 
ähnlicher Disposition  eine  ungezählte  Menge  von  Ausdrücken  wie  rata 
erit  traditio,  valebit  donatio  und  andere,  die  sich  auf  die  Gültigkeit 
von  Rechtsgeschäften  beziehen,  zusammengestellt  werden.  Der  Philo- 
loge möchte  weniger  eine  Statistik  als  die  Ergebnisse  der  Statistik 
vor  sich  sehen.  Als  ein  solches  sei  angeführt,  daß  die  Rechtssprache 
22  Ausdrücke  gebraucht,  welche  die  Nichtigkeit  eines  Rechts- 
geschäftes (oder  nach  dem  Vf.  genauer:  „die  Unwirksamkeit  einer 
juristischen  Tatsache")  bezeichnen:  non  consistit,  corrumpitur,  in- 
firmatur,  vitiatur,  effectutn  non  habet,  inefficax  est,  non  est,  nullus  est, 
locum  non  habet,  irritus  est  usw.  Bei  den  häufigsten  Rechtsgeschäften 
kommen  naturgemäß  die  meisten  Ausdrücke  zur  Verwendung,  z.  13. 
für  legatum  alle  mit  Ausnahme  von  inane  esse,  nihil  agi,  non  esse, 
non  videri  factum.  Aber  es  scheint  sich  doch  auch  ein  bestimmter 
Sprachgebrauch  gebildet  zu  haben :  z.  B.  servari  non  oportet  wird 
nach  H.  fast  ausschließlich  für  pactum,  nihil  agi  nur  für  Hand- 
lungen inter  vivos  angewendet.  —  Nullus  est  wird  zwar  auch  zur 
Bezeichnung  des  Nichtdaseins  von  Tatsachen  verwendet,  z.  B.  Jul. 
ad  Urs.  30,  104,  1  si  tabulae  nullae  fueruut,  wenn  keine  Urkunde 
existiert.  Aber  wo  es  sich  um  ein  Urteil  über  die  (juristische) 
Wirkungsfähigkeit  eines  Tatbestandes  handelt,  weist  es  nach  H.  immer 
auf  den  Mangel  der  Wirkungsfähigkeit  und  nicht  auf  den  Mangel 
des  Tatbestandes  hin  (oder,  wie  H.  S.  70  sagt,  sprachlich  bleibe  es 
korrekt,  von  der  Existenz  eines  Tatbestandes  zu  reden,  obwohl  er 
unvollendet  sei).  Nulluni  fideicommissum  erit  heißt  also  nach  H. 
nicht :  es  wird  kein  Fideikommiß  vorhanden  sein,  sondern :  das  Fidei- 
kommiß hat  nicht  seine  normale  Wirkungsfähigkeit.  Der  Nichtjurist 
wird  die  Tragweite  solcher  Feststellungen  schwerer  einschätzen  können. 
Und  wenn  Vf.  die  Richtigkeit  von  Leonhards  Aufstellung  (Irrtum  S.  297 
bis  338)  bestreitet,  daß  das  attributive  nullus  in  der  Regel  bedeute  „keinu, 
das  prädikative  dagegen  „nichtig14,  so  könnte  dies  dem  Nichtjuristen 
für  die  sprachliche  (und  wohl  auch  die  exegetische)  Seite  ein  Streit 


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.Tustiniani  Digesta:  Exegese  und  Kritik. 


80 


um  des  Kaisers  Bart  scheinen,  zumal  das  prädikative  Adjektiv  aus 
dem  attributiven  hervorgegangen  ist.  Aber  der  gelehrte  Jurist 
zielt  vermutlich  auf  systematische  Ergebnisse  ab ,  die  unserem  Ge- 
biete fernerliegen.  —  Im  letzten  Abschnitt  bespricht  H.  die  Ausdrücke, 
welche  die  Anfechtbarkeit  der  Rechtsgeschäfte  (oder  genauer 
„der  juristischen  Tatsachen")  bezeichnen.  Es  sind  dies  retractare 
(retractatio),  das  „in  einem  anderen  Sinne  als  in  dem  eines  auf  Rück- 
gängigmachung bereits  eingetretener  Rechtswirkungen  gerichteten 
Angriffs  überhaupt  nicht  vorkommt *,  sodann  rescindere  (rescissio) 
und  revocare  (revocatio),  die  auch  zuweilen  die  Nichtigkeit  eines 
Rechtsgeschäftes  bezeichnen  *).  — 

183.  E.  G.  Herreros,  La  sucesion  contractual.  (Prölogo 
de  R.  de  Urena.)    Madrid  1902. 

Die  Arbeit,  eine  gekrönte  Preisschrift,  ist  dem  Andenken  von 
A.  Comas  gewidmet,  zu  dessen  Ehrung  die  Preisaufgabe  gestellt  war: 
Es  aplicable  la  forma  jurfdica  del  contrato  ä  todas  las  instituciones 
de  la  sucesion  mortis  causa?  Romanische  und  germanische  Rechtssysteme 
werden  herangezogen,  und  schließlich  werden  als  Anhang  Verbesserungs- 
vorschläge zu  den  entsprechenden  Paragraphen  des  Cödigo  civil  Espaflol 
gemacht.  Die  vielseitige  Arbeit  berührt  demnach  unserGebiet  nur  wenig. 

184.  Houtsma  handelte  nach  WklPh.  1904  S.  125  in  der  Kgl. 
holl.  Akademie  der  ■Wissenschalten  vom  9.  Sept.  1903  über  den  von 
Ulpian  off.  proc.  47,  11,  9  erwähnten  Skopelismus  in  Arabien,  den 
er  mit  der  schon  vor  Mohammed  bestehenden  Sitte  des  Steinwerfens 
in  Verbindung  bringt. 

185.  P.  Krüger,  Bemerkungen  zu  Dig.  40,  7,  29  §  1.  Sav.-Z. 
XXIV  193 — 197.  Pomp,  ad  Q.  Mucium  1.  c.  sagt:  Q.  Mucius 
scribit:  Paterfamilias  in  testamento  scripserat :  „Si  Andronicus  servus 
meus  heredi  meo  dederit  decem,  Uber  esto".  Deindc  de  bis  bonis 
coeperat  controversia  esse  ....  Si  viginti  heredi  scripto  dedisset 
et  res  contra  possessorem  (i.  e.  contra  hunc)  iudicata  esset,  illum  in 
Servitute  fore  usw.  Die  Stelle  war  bisher  schwer  zu  verstehen  und 
sie  widersprach  anderen  Digcstenstellen.  Auf  einfache  Weise  hilft 
P.  Krüger  ab,  indem  er  liest  Deinde  de  (h.is  =)  heredis  bonis 
coeperat  controversia  esse.  —  Den  Schluß  des  Fragments  hat 
A.  Faber  schon  von  sed  verissimum  est  an  ohne  genügenden  Grund 
für  unecht  erklärt ;  wohl  mag  etwa  verissimum  est  kürzend  eingesetzt 

*)  Nach  einer  Andeutung  auf  S.  120  scheint  der  vorliegenden  Veröffent- 
lichung eine  weitere  Arbeit  folgen  zu  sollen,  worin  die  Frage  beantwortet 
wird,  welche  praktischen  Konsequenzen  von  der  Aufstellung  des  Begriffs  der 
„Anfechtbarkeit"  zu  erwarten  sind. 


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W.  Kalb:  Römische  Juristen. 


sein,  aber  anstößig  sind  erst  im  letzten  Satz  die  Worte:  hunc  aotem, 
id  est  possessorem  hereditatis. 

0.  Lenel,  Zur  Form  der  klass.  Litiskontestation  (s.  o.  Nr.  102) 
erklärt  Ulp.  ed.'  46,  7,  3  pr.  si  quis  apud  aliquem  iudicem  iturus 
stipulatus  est  iudicatum  solvi  et  agit  apud  alternm,  non  committitur 
stipulatio  für  interpolationsverdächtig;  die  Stelle  werde  ursprünglich 
von  der  Ersetzung  der  Centumviri  durch  einen  Einzelgeschworenen 
oder  umgekehrt  gehandelt  haben. 

186.  Ernst  Levy,  Zur  Lehre  von  der  Muciana  cautio  im 
klass.  röm.  Recht,  Sav.-Z.  XXIV  122—151  beweist  zunächst,  daß  die 
herrschende  Lehre  richtig  ist,  wonach  die  Muciana  cautio  nicht  ein 
Institut  des  prätorischen,  sondern  des  Volksrechtes  (Juristenrechtes) 
ist.  Von  den  weiteren  Ausführungen,  die  alle  recht  anregend  sind, 
wenn  uns  auch  der  Raum  verbietet,  näher  darauf  einzugehen,  sind 
einige  kaum  haltbar.  Gewiß  mit  Unrecht  erklärt  er  für  interpoliert 
Gai.  prov.  85,  1,  18  Is  cui  sub  condicione  non  faciendi  aliquid  re- 
lictum  est,  ei  scilicet  cavere  dehet  Muciana  cautione,  ad  quem  iure 
civili  deficiente  condicione  hoc  legatum  eave  hereditas  pertinere  potest. 
Die  sachlichen  Gründe  sind,  soweit  unser  Urteil  reicht,  hinfällig,  so- 
bald man  die  Stelle  cum  grano  salis  versteht,  und  haltlos  ist  der 
sprachliche  Hinweis  auf  cautione  cavere,  den  er  für  die  Zeit  des  Gaius 
als  3ira&  sfprjuivov  bezeichnet.  Denn  bei  Justinian,  der  es  interpoliert 
haben  soll,  wäre  es  erst  recht  ein  ohrac  sfpr^uivov;  dieser  sagte  nicht 
nur  nie  so  (sondern  cautionem  oder  cautelam  praestare,  exponere, 
auch  dare  und  facere),  sondern  er  gebrauchte  auch  cavere  allein 
fast  nie  im  Sinne  von  cautionem  interponere,  sondern  im  Sinne  von 
„anordnen",  seltener  „sich  hüten",  „sich  enthalten4*  (weshalb  bei- 
läufig bemerkt  auch  cavere  in  iudicio  sisti  bei  Ulp.  ed.  5,  1,  2,  6 
kaum  erst  von  Justinian  in  Ulpians  Text  statt  vadimonium  facere  ein- 
gesetzt sein  kann).  Dagegen  lesen  wir  in  den  Digesten  bei  Herrao- 
gcnian  (epit.  46,  8,  6)  cautione[m?]  ratam  rem  dominum  habiturum 
cavere  compellendus  est.  Damit  findet  sich  Vf.  leicht  ab:  „ohne  An- 
gabe eines  hinreichenden  Grundes"  würden  von  Kipp,  Quellenkunde9 
S.  125  die  Fragmente,  die  wir  unter  Hermogenians  Namen  haben, 
(der  Sprache  nach)  der  klassischen  Zeit  zugerechnet.  Kipp  hat  seine 
Gründe  durch  Verweisung  angegeben*).  — Weiterhin  wittert  L.  eine 

*)  Jedenfalls  ist  zu  cautione  cavere  nur  noch  ein  Schritt  von  der 
folgenden  Konstruktion:  Ulp.  ed.  5,  1,  2,  6  debebit  cavere  in  iudicio  sisti 
;s.  o.)  .  .  .  Sed  utrum  nuda  cautione  an  satisdato,  Marcellus  dubitat. 
Sogar  Gaius  selbst  schreibt  urb.  30,  69,  5  ut  cautio  interponeretur ,  qua 
heres  caveret.    Übrigens  hat  der  Abi.  bei  der  etymologischen  Figur  gar 


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Justiniani  Digesta:  Exegese  und  Kritik.  91 


Interpolation  bei  Ulp.  ad  S.  35,  1,  7  pr.  Mucianae  cautionis  utilitas 
consistit  in  condicionibus  (das  darf  man  natürlich  nicht  mit  L.  über- 
setzen „besteht  in  Bedingungen" :  son9t  wäre  es  allerdings  „durchaus 
unlogisch"  ;  sondern  es  heißt:  „die  Anwendung  tritt  ein  bei  B.a)  quae  in 
non  faciendo  sunt  conceptae,  ut  puta  „si  in  Capitolium  non  ascenderit"  usw. 
—  wo  Ulpian  nicht  entfernt  daran  denkt,  die  Grenzen  der  Muciana 
cautio  zu  erweitern;  er  hat  vermutlich  im  weiteren  Verlauf  gesagt: 
Sed  non  in  omnibus  condicionibus,  quae  in  non  faciendum  sunt  con- 
ceptae, Muciana  cautio  locum  habet,  sed  in  his  tantummodo,  quae 
nisi  fine  vitae  impleri  non  possunt  oder  ähnlich.  Ebenso  soll  in  §  1 
die  zweite  Begründung  interpoliert  sein  nam  iure  ipso  videtur  impleta 
condicio  eo,  quod  non  est,  quem  possit  de  dote  convenire  ipse  ade- 
undo  hereditatem.  Im  übrigen  müssen  wir  unser  Manuskript  kürzen 
und  auf  den  Aufsatz  selbst  verweisen. 

187.  A.  Manigk,  Zur  Geschichte  der  römischen  Hypothek  I. 
Die  pfandrechtliche  Terminologie  und  Literatur  der  Römer.  Breslau 
1904.  Gegenüber  der  seit  lange  herrschenden  Meiuung,  daß  die 
Schutzklagen  für  den  Gläubiger  bei  der  Verpfändung  einer  Sache 
durch  bloßen  Vertrag  (statt  durch  Übergabe  als  Faustpfand  oder 
durch  Fiducia)  ihren  Ursprung  mehr  oder  weniger  lange  vor  Ende 
der  Republik  gehabt  hätten  und  bloß  der  Name  hypotheca  für  jenes 
Vertragspfand  erst  später  entstanden  sei,  hat  sich  neuerdings  eine  ent- 
gegengesetzte Auffassung  geltendgemacht  (Kuntze,  Voigt),  und  zu- 
letzt hat  N.  Herzen  als  Entstehungszeit  jener  Schutzklagen  die  Zeit 
etwa  zwischen  30  v.  Chr.  und  70  n.  Chr.  nachzuweisen  versucht  (vgl. 
diesen  Jhber.  CIX  28).  Manigk  zeigt,  daß  Kuntze  und  Voigt  nur 
einen  Teil  der  Quellen  berücksichtigten  und  hier  zuweilen  falsch 
interpretierten.  Er  selbst  schafft  sich  für  die  Erforschung  der  römischen 
Hypothek  zunächst  eine  feste  Grundlage ,  indem  er  mit  Hilfe  des 
Berliner  Wörterbuches  und  Index  zu  den  Digesten  und  an  der  Hand 
der  Lenelschen  Palingenesia  alle  auf  das  Pfandrecht  bezüglichen 
Rechtsquellen  zusammenstellt  und  nun  die  Stellen  nach  den  einzelnen 
Juristen  katalogartig  bespricht.    Da  kommen  denn  ganz  andere  Er- 


nichts  Auffallendes ;  er  durfte  nur  wegen  des  Akkusativs  noxam  nocere  u.  ä. 
bei  Kalb,  Juristenlatein2  S.  36  nicht  unerwähnt  bleiben.  Der  Abi.  der  figura 
etymologica  findet  sich  wohl  zu  allen  Zeiten  gelegentlich  angewendet,  weil 
er  eine  bequeme  Hilfe  ist,  wenn  die  anderen  möglichen  Verba  gerade  nicht 
zur  Hand  sind.  Den  a.  a.  0.  beigegebenen  Wendungen  fügen  wir  bei  multa 
multettir  bei  Ulp.  ed-  11,  5,  1,  4;  puniendus  ea  poena  Ulp.  ed.  26,  10,  3,  15; 
una  cludatur  clausula  Ulp.  disp.  46,  7,  13  pr.;  für  actione  agere  gibt  Küblers 
Vocabularium  iurispr.  Rom.  ungezählte  Belege. 


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92 


W.  Kalb:  Komische  Juristen. 


gebnisse  zutage,  als  Voigt  und  Kuntze  sie  gefunden.  —  Was  sich 
für  die  Terminologie  von  pignus  und  hypotheca  ergibt ,  wird  in 
einem  ersten  Kapitel  vorausgeschickt.  Pignus  bedeutete  ursprünglich 
das  Faustpfand,  weshalb  Gaius  es  von  pugnus  ableitete.  Als  weiter- 
hin das  Vertragspfand  aufkam ,  zunächst  für  die  invecta  illata ,  be- 
zeichnete man  auch  dieses  als  pignus,  weil  man  eben  keinen  anderen 
Ausdruck  hatte;  so  lauten  Formeln  für  den  Pfandvertrag  über  ein- 
gebrachte Sachen  des  Gutspächters  bei  Cato  R.  r.  146  donicum  solutum 
erit  aut  satisdatum  erit,  pignori  sunto  oder  ähnlich*).  Bei  den 
Juristen  wird  pignus  oft  im  Sinne  von  hypotheca  gebraucht,  wo  aus 
dem  Zusammenhang  sich  ergibt,  daß  ein  Vertragspfand  gemeint  ist. 
Einige  Stellen  sagen  ausdrücklich,  daß  kein  Bedeutungsunterschied  sei. 
Erst  spät  wird  pignus  als  Faustpfand  gelegentlich  auch  in  Gegensatz 
gebracht  zu  hypotheca  als  Vertragspfand,  z.  B.  Ulp.  ed.  13,  7,  9,  2 
proprie  (=  im  engeren  Sinne)  pignus  dicimus  quod  ad  creditorem 
transit,  hypothecam  cum  non  transit  nec  possessio  (ins.  nec  dominium  ?> 
ad  creditorem.  —  Mit  Vorliebe,  doch  durchaus  nicht  immer,  werden 
vom  Vertragspfande  gebraucht  pignus  obligare  und  pignori  rem  obli- 
gare  (vgl.  oben  S.  83),  ebenso,  aber  durchaus  nicht  so  regelmäßig, 
wie  Voigt  will,  pignori  accipere  und  dare  vom  Faustpfand.  Aus 
der  oben  angeführten  Formel  bei  Cato  erklärt  es  sich,  daß  convenit 
ut  res  pignori  esset  und  ähnliche  Wendungen  gerne  vom  Vertrags- 
pfande, speziell  für  die  invecta  illata,  gebraucht  werden,  so  auch  bei 
Gai.  4, 147  (s.  u.,  Anm.),  wo  pignori  pepigisset  nicht  zusammengehört.  Im 
ganzen  stellt  Vf.  etwa  60  Verbindungen  zusammen,  welche  das  Ver- 
pfänden betreffen;  sie  berechtigen  ihn  zu  dem  Schluß,  daß  pignoris 
causa  tradere  und  accipere  durchaus  nicht  immer  interpoliert  sein 
muß,  wie  man  gemeint  hatte.  —  Die  Verba,  mit  denen  hypotheca  ver- 
bunden wird,  sind  im  ganzen  die  gleichen  wie  bei  pignus  (hypothecae 
dare  usw.).  Schon  daraus  geht  hervor,  daß  es  bloß  ein  gelegent- 
liches Ersatzwort  für  pignus  ist.  Das  Wort  hypotheca  (hypothecarius) 
wurde  übrigens  bei  den  römischen  Juristen  im  allgemeinen  nicht  recht 

*)  Herzen,  Bericht  über  das  vorliegende  Buch  in  Sav.-Z.  XXV  4o0 
will  hier  kein  Vertragspfand,  sondern  ein  gewöhnliches  Faustpfand  er- 
kennen, so  daß  der  Eigentümer  des  Grundstückes  gleichzeitig  als  Besitzer 
der  invecta  et  illata  betrachtet  worden  wäre.  Aber  schon  in  dem  vor- 
liegenden Teile  nimmt  M.  gegen  diese  Auffassung  Stellung.  Wenn  für  den 
Catonianischen  Vertrag  der  Besitzschutz  auagereicht  hätte,  wie  Kuntze  u.  a. 
glauben,  so  wäre  nicht  abzusehen,  weshalb  man  später  noch  ein  besonderes 
Schutzedikt  erlussen  hätte:  Gai.  4,  147  (Interdicto  .  .  .  Salviano)  utitur 
dominus  fundi  de  rebus  coloni,  quas  is  pro  mercedibus  fundi  pignori  futuras 
pepigisset. 


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Justiniani  Digesta:  Exegese  und  Kritik. 


heimisch.  Julian  gebraucht  es,  obwohl  mehrere  Stellen  auch  vom 
Vertragspfande  handeln,  nur  einmal;  Afr.  nicht;  Gaius  nicht,  außer 
in  dem  Werk  ad  form.  hyp. ,  hier  aber  1  9 mal;  Marcellus  nicht; 
Scaevola  nur  4  mal,  trotz  seinen  sonstigen  Gräzismen,  und  zwar  3  mal 
in  Verbindung  mit  pignus  (p.  sive  h.  u.  ä.);  Pap.  nur  6 mal  (nie 
actio  hypothecaria ,  sondern  dafür  Serviana);  Ulp.  nur  7  mal  (trotz 
ISO  pfandrechtlichen  Stellen!);  Paul,  nur  5 mal  (trotz  81  pfand- 
rechtlichen Fragmenten);  Marcian  nicht  —  außer  in  seiner  Mono- 
graphie zur  form,  hyp.,  hier  aber  sogar  6 2 mal.  Hierausgeht 
hervor,  daß  man  aus  dem  späten  Auftreten  des  Wortes  hypotheca 
keinen  Schluß  ziehen  darf  auf  spätes  Auftreten  des  Vertragspfands, 
welches  man  ja  heute  überall  (bei  uns  beschränkt  auf  Immobilien) 
Hypothek  nennt.  Weshalb  hypotheca  eigentlich  nur  in  den  Werken 
ad  form.  hyp.  des  Griechen  Gaius  und  des  Marcianus  sich  wirklich 
heimisch  zeigt  —  zwei  Juristen,  von  denen  keiner  ihrer  Zeitgenossen 
etwas  erwähnt,  da  man  von  Gaius  noster  bei  Pomp,  und  von  den  Re- 
skripten an  einen  Marcianus  wohl  absehen  darf  — ,  das  wird  M.  wohl 
im  zweiten  Teil  erklären ;  er  wird  vermutlich  auch  daran  erinnern,  daß 
für  die  «hypotheca,  d.  h.  das  Vertragspfand,  abgesehen  von  den  in- 
vecta  et  illata  außerhalb  Italiens  ein  besonderes  Bedürfnis  vor- 
lag für  die  Grundstücke,  die,  der  römischen  Eigentumsübertragung 
durch  mancipatio  und  in  iure  cessio  entrückt,  mit  fiducia  nicht  verpfändet 
werden  konnten.  Dieses  Bedürfnis  machte  sich  vermutlich  schon  bald 
nach  Erwerbung  der  ersten  Provinzen  geltend.  Die  Römer  erblickten 
in  diesem  Vertragspfande  nicht  von  Anfang  au  eine  griechische 
Hypothek;  es  hatte  vielmehr  nationalen  Ursprung.  Direkte  Zeug- 
nisse für  den  dinglichen  Klagschutz  des  Vertragspfandes  (der  Hypothek) 
finden  sich  zwar  nach  Manigk  erst  seit  Celsus.  Doch  werden  auch 
andere  alte  Rechtsinstitute  bei  den  ältesten  Pandektenjuristen  nicht  er- 
wähnt. Wir  haben  eben  nur  wenig  Reste  von  ihnen.  Jedenfalls  aber 
treten  schon  bei  den  ersten  Juristen,  die  jenen  Klagschutz  erwähnen, 
kompliziertere  Fälle  auf,  welche  eine  längere  Entwicklung  des  Rechts- 
institutes voraussetzen.  Julians  Fragmente  über  das  Pfandrecht 
haben  nach  Zahl  und  Bedeutung  den  Vorrang  vor  denen  des  Pomponius 
(gegen  Kuntze).  Lenels  Annahme,  daß  das  ganze  85.  Buch  von 
Pomp,  ad  Sab.  von  der  fiducia  gehandelt  habe,  beruht  nach  M.  auf 
dem  Mißverständnis  von  ein  paar  Stellen*).  —  Wir  haben  hier 

*)  Für  M.s  besonnene  und  selbständige  Auffassung  der  Digesten- 
fragmente  bringen  wir  als  Beispiel  statt  vieler  Stellen  eine,  Pomp,  ad  S.  13, 
7»  6  pr.  (Quamvis  convenerit,  ut  fundum  pigneraticium  tibi  vendere  liceret 
usw.).  Hier  hat  man  seit  Cuiacius  (Obs.  VII 139)  und  A.  Faber  (Conj.  VIII, 


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W.  Kalb:  Römische  Juristen. 


wieder  eine  jener  (leider!)  seltener  gewordenen  Monographien  vor 
uns,  die,  wie  es  wissenschaftlicher  Sinn  verlangt,  zuerst  die  Quellen 
prüfen,  um  darauf  ihre  Schlüsse  aufzubauen,  während  man  anderweit 
zuweilen  zuerst  sich  irgendeine  Hypothese  ausdenkt,  um  dann  die 
Quellen,  die  nicht  dazu  stimmen  wollen,  für  falsch  zu  erklären. 

188.  N.  Herzen,  Sav.-Z.  XXV  449 — 457  ist  dagegen  mit  dem 
Gesamtergebnis  nicht  in  allen  Punkten  ganz  einverstanden.  —  Zu  er- 
wähnen ist  auch  die  (im  ganzen  anerkennende)  Anzeige  durch 
H.  Erman  in  BphW.  1905  S.  1409—1417. 

189.  R.  v.  Mayr,  Condictio  incerti.  Sav.-Z.  XXIV  258—278, 
XXV 188—232  bringt  für  die  Digestenkritik  wenig  vollständig  Neues.  Die 
Kompilatoren  sollen  allenthalben  eine  besondere  Vorliebe  für  die  con- 
dictio bekunden.  Die  condictio  hält  Vf.  für  identisch  mit  der  actio 
certae  creditae  pecuniae,  nur  bezeichnet  actio  c.  c.  p.  regelmäßig  den  An- 
spruch, condictio  dagegen  das  Verfahren.  Mit  Recht  hält  Vf.  S.  266  die 
♦Stint zingsche  (Beiträge  z.  röm.  Rechtsgesch.,  Jena  1901)  (An- 
nahme einer)  Interpolation  bei  Paul.  ed.  12,  2,  14  für  „kaum  über- 
zeugend begründet".  Die  „berüchtigte"  Stelle  Ulp.  ed.  12,  1,  9  pr. 
u.  3  Certi  condictio  competit  usw.  hält  v.  M.  mit  manchen  •  anderen 
immer  noch  für  interpoliert.  An  der  „Schwesterstelle",  Paul.  ed. 
46,  2,  12,  hält  v.  M.  zunächst  nur  die  Ausdrücke  condictio  certi  und 
incerti  für  verdächtig  (s.  u.).  Die  Condictio  triticaria  (Dig.  13  tit.  3) 
hält  v.  M.,  was  den  Ausdruck  betrifft,  mit  Naber  (dag.  Kalb,  Jhber. 
LXXXIX  265)  für  Justinianische  Schöpfung. 

Ebenso  hält  er,  was  den  Ausdruck  betrifft,  die  condictio  incerti 
für  eine  Erfindung  der  Kompilatoren,  wenn  sie  auch  sachlich  schon 
in  einer  Zeit  zulässig  wurde,  die  infolge  Verschwindens  des  Formular- 
prozesses das  Verständnis  für  das  besondere  Kondiktionenverfahren 
verloren  hatte  und  ungeschent  condictio  mit  actio  in  personam  über- 
haupt identifizieren  konnte.  Im  klassischen  Recht  entsprach  der 
Trichotomie  Justinians  (cond.  certi,  ine,  trit.)  vermutlich  der  Gegen- 
satz von  einerseits  condictio  (=  actio  certae  pecuniae)  und  ander- 

14  u.  18)  nachgewiesen,  daß  Justinianisch  seien  die  Worte  melius  autem  est 
dici  eum,  qui  dederit  pignus,  posse  vendere  et  aeeepta  pecunia  solvere  id 
quod  debeatur,  ita  tarnen  ut  creditor  necessitatem  habeat  ostendere  rem 
pigneratam  (der  folgende  Wennsat«  hängt  nach  M.  vom  nachfolgenden 
c.  praestanda  ab);  «t  mobüis  «tt,  prius  idonea  cautela  a  debiiore  pro  indemm- 
tote  ei  praestanda.  Invitum  enim  creditorem  cogi  vendere  satis  inhumanum 
est.  M.  weist  nach,  daß  die  Stelle,  wenn  man  so  wie  er  interpungiert,  an 
Einheitlichkeit  und  Logik  nichts  zu  wünschen  läßt.  Er  hält  sie  für  echt 
Ulpianisch,  und  hier  hat  er  wohl  recht  (bis  auf  si  mobilis  sit,  prius  .  . 
cautela  .  .  praestanda,  vgl.  Kalb,  Roms  Jur.  S.  139). 


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Justiniani  Digesta:  Exegese  und  Kritik. 


05 


seits  actio  incerti  (wenn  Trampedach  dafür  incerta  actio  ursprüng- 
lich geschrieben  denkt,  so  gesteht  R.  v.  M.  nur  so  viel  zu,  daß 
manchenorts,  nicht  immer,  die  Genitivform  Tribonianisch  sein  kann).  — 
Die  besprochenen  Stellen  anzuführen,  fehlt  der  Raum. 

190.  H.  H.  Pflüger,  Ciceros  Rede  pro  Q.  Roscio  Comoedo 
rechtlich  beleuchtet  und  verwertet.  Leipzig  1904  ist  u.  a.  besprochen 
von  W.  Kalb,  WklPh.  1905  S.  900—905  und  von  E.  I.  Bekker  in 
Sav.-Z.  XXV  390—395.  Der  Auffassung,  daß  die  Kondiktionenlehre 
sich  aufbauen  lasse  auf  dem  Ciceronianischen  Gedanken  „haec  pecunia 
necesse  est  aut  data  aut  expensa  lata  aut  stipulata  sit"  (von 
dem  aus  Pfl.  für  die  condictio  rei  weiter  folgert,  daß  die  res  aut 
data  aut  stipulata  aut  contrectata  sein  müsse)  setzt  E.  I.  B.  erneut 
den  Hinweis  entgegen  auf  Ulp.  cd.  12,  1,  11,  2  und  begründet  den 
Einwand  stichhaltig.  Für  die  Condictio  ist  nicht  immer  nötig  vorher- 
gegangene datio  (pecuniae),  es  genügt  auch,  wenn  pecunia  (oder  res) 
mea  ad  te  pervenit.  —  Wenn  eine  Digestenstelle  zu  jenem  von  Pfl. 
aufgestellten  Satze  (wobei  er  freilich  hinsichtlich  des  Erfordernisses 
des  datum  ziemlich  weitherzig  ist)  nicht  paßt,  so  erkennt  er  darin 
Justinians  Hand.  So  mustert  er  alle  Stellen  mit  condicere  und  con- 
dictio durch.  Aber  wir  haben  a.  a.  O.  darauf  hingewiesen,  daß  das 
Recht  von  Cicero  bis  zu  Ulpian  sich  doch  gewiß  weiterentwickelte,  und 
daß  anderseits  Justinian,  wie  aus  seinen  Konstitutionen  hervorgeht,  den 
Begriff  der  condictio  nicht  besonders  liebt.  Das  Wort  condictio  gebraucht 
Justinian  nur  10  mal  (darunter  3  mal  condictio  ex  lege),  das  Verbum  con- 
dicere fehlt  bei  ihm  völlig.  —  E.  I.  Bekker  erinnert  daran,  daß  die  Kom- 
pilatoren nicht  die  Zeit  hatten,  unnötige  Änderungen  in  größerer  Zahl  zu 
raachen;  gar  manches,  das  uns  als  Justinianische  Neuerung  erscheint,  ist 
schon  vor  Justianian  durch  den  Einfluß  der  Wissenschaft  und  nach  deren 
Erlöschen  durch  die  Praxis  ins  Leben  gerufen  worden.  Erwiesen  ist 
z.  B.,  wie  B.  beiläufig  bemerkt,  durch  das  Syrisch-römische  Rechts- 
buch, daß  Justinians  Verordnungen  über  die  donatio  propter  nuptias 
nicht  neues  Recht  geschaffen,  sondern  nur  frühere  Bräuche  gesetzlich 
bestätigt  haben.  —  Trotzdem  hält  Bertolini  noch  1905  (s.  o.  Nr.  1) 
die  condictio  certi  und  incerti  für  Neuschöpfungen  der  Kompilatoren. 

191.  R.  v.  Mayr,  Vindicatio  utilis.  Sav.-Z.  XXVI  83—124 
bespricht  eine  Reihe  von  Digestenstellen  kritisch  und  exegetisch.  Die 
vindicatio  utilis  (die  man  nach  den  Quellen  nicht  rei  vindicatio  utilis 
nennen  darf),  in  den  Quellen  in  der  Regel  utilis  in  rem  actio  oder  in  rem 
utilis  oder  utilis  actio  ad  rem  vindicandam,  zuweilen  schlechthin  utilis 
actio  genannt ,  doch  nicht  identisch  mit  der  Publiciana ,  ist  von 
Mancaleoni,  Contributo  alla  storia  ed  alla  teoria  della  rei  vindi- 


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W.  Kalb:  Römische  Juristen. 


catio  utilis,  Studi  Sassaresi,  I  1,  1901,  S.  1  ff.,  80  ff.,  zögernd  auch 
von  Lenel,  an  einzelnen  Stellen  auch  vom  Vf.  selbst  als  Inter- 
polationswerk bezeichnet  worden.  Das  Fragment  Gai.  prov.  24,  1, 
80  (es  besteht  aus  vier  Wörtern)  utilem  tarnen  viro  competere  ist  nach 
R.  v.  M.  mit  Unrecht  für  interpoliert  erklärt  worden.  Bei  Ulp.  ed. 
39,  6,  29  u.  30  ist  er  eher  geneigt,  an  irgendeine  Änderung  zu 
denken.  Bei  Gai.  cott.  41,  1,  9,  2  (Sed  non  uti  litterae  chartis 
membranisve  cedunt  usw.)  will  R.  v.  M.  einen  Gegensatz  finden  zu 
Gai.  Inst.  2,  78.  Es  ist  aber  kaum  einer  vorhanden.  Denn  si  petas 
imaginem  tuam  esse  bei  Gai.  Inst,  kann  im  Hinblick  auf  die  Vindi- 
kationsformel  unmöglich  auf  eine  persönliche  Klage  gedeutet  werden ; 
vgl.  Kalb,  Juristenlatein2  S.  55;  es  bedeutet  genau  dasselbe  wie  die 
recta  vindicatio  bei  Gai.  cott.,  wo  also  recta  von  R.  v.  M.  ohne  Grund 
verdächtigt  wird.  Als  echt  wird  verteidigt  Ulp.  op.  26,  9,  2  (Si  tutor 
vel  curator  usw.)  gegen  Eisele,  Phil.  Cod.  Just.  3,  32,  8  (Si,  ut  pro- 
ponis  usw.)  gegen  Mancaleoni. 

191  a.  A.  de  Medio,  *  I  Tribonianismi  avvertiti  da  Antonio  Fabre, 
Bull.  XIII  (1901)  S.  208—242  gibt  nach  Jörs,  Paoli-Wissowas  Real- 
enzyklop.  V  522  ein  Verzeichnis  der  von  A.  Faber  als  interpoliert 
bezeichneten  Stellen,  Ausdrücke  und  Redewendungen. 

192.  L.  Mitteis,  Textkritische  Miszellen.  Sav.-Z.  XXII  125 
bis  139  bespricht  Proc.  ep.  23,  3,  67  Ancilla  quae  nupsit  usw.,  die 
nicht  so  stark  interpoliert  ist,  wie  A.  Pernice  annahm:  interpoliert 
mag  sein  nisi  forte  usucapta  est,  echt  ist  dagegen  Quod  si  vir  eam 
pecuniam  pro  suo  possidendo  usucepit;  interpoliert  ist  nach  Mitteis 
(Kalb,  Jagd  S.  16  [26]  scheint  unbekannt)  utique  si  antequam  matrimonium 
esse  inciperet,  usucepit:  d.h.  nicht  die  usucapio  pro  suo  ist  Justinianische 
Neuschöpfung,  sondern  die  Lehre  von  der  dos  tacita  bei  konvalidierten 
Sklavenehen.  Diese  ist  auch  Justinianische  Einfügung  bei  Ulp.  ed. 
23,  3,  39  pr.  (Si  serva  servo  quasi  dotem  dederit  usw.),  wo  die 
Iuterpolation  beginnen  soll  mit  den  Worten  ita  res  moderetur  usw. 
(Die  Sprache  hat  aber  nicht  entfernt  Justinianisches  Gepräge.  Ref.)  — 
Bei  Just.  Inst.  3,  15,  3  si  ita  stipuleris  „Decem  aureos  annuos 
quoad  vivam  dare  spondes"  ?  et  pure  facta  obligatio  intelligitur  et 
perpetuatur,  quia  ad  tempus  deberi  non  potest  ist  annuos  erst  von 
den  Kompositoren  der  Institutionen  eingesetzt.  —  Bei  Ulp.  ed.  43, 
32,  1,  4  (Si  pensio  nondum  debeatur  usw.)  hält  M.  die  Worte  ita 
tarnen  si  conventio  specialis  facta  est  in  conductione  domus,  ut  non 
liceat  ante  finitura  annum  vel  certum  tempus  migrare  für  interpoliert. 
(Auch  hier  spricht  die  Latinität  kaum  für  die  Annahme.) 

193.  Mitteis,  Zur  Geschichte  der  Erbpacht  im  Altertum  (Abh. 


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Ju8tiniani  Digesta:  Exegese  und  Kritik. 


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der  kgl.  sächs.  Ges.  d.  Wiss.  XX  1901),  besprochen  von  H.  Er  man, 
Krit.  Viertelj.  1904  S.  171—177  berührt  unser  Gebiet  nur  insofern, 
als  M.  zeigt,  daß  Justinian  zu  einigen  Änderungen  der  überkommenen 
Rechtsquellen  (s.  Dig.  VI  Tit.  8;  Cod.  Just.  1,  33,  2;  11,  62,  12) 
genötigt  war,  weil  seit  Ende  des  vierten  Jahrhunderts  der  Eraphyteuta 
(nach  M.  ursprünglich  Zeitpächter  von  Äckern  des  kaiserlichen 
Patrimonium)  dem  Perpetuarier  (schon  lange  Erbpächter  der  kaiser- 
lichen res  privata)  gleichgestellt  worden  sei.  —  Vgl.  auch  Nr.  194. 
Mitteis  s.  auch  u.  Nr.  168. 

194.  T  h.  M  o  m  m  s  e  n ,  Zur  Geschichte  der  Erbpacht  (Sav.-Z.  XXI II 
441 — 443)  verteidigt  mit  klaren  Gründen  die  Echtheit  von  Paul.  ed. 
(6,  3,  1,  1  und)  6,  3,  3  (placuit  competere  eis  in  rem  actionem  ad- 
versus  quemvis  possessorem,  sed  et  adversus  ipsos  municipes)  .  .  et 
si  ad  teinpus  habuerint  conductum  nec  tempus  conductionis  finitum 
sit,  gegen  Mitteis,  Zur  Geschichte  der  Erbpacht  im  Altertum,  s.  o. 
Nr.  193. 

195.  A.  v.  Nolde  (Petersburg)  bespricht  Sav.-Z.  XXIV  441  bis 
451  die  russisch  geschriebene  Abhandlung  von  Nikolsky  über  die 
Schenkungen  zwischen  Ehegatten  (s.  o.  Nr.  81),  der  er  wissenschaft- 
lichen Wert  abspricht. 

H.  H.  Pflüger  s.  o.  Nr.  190. 

196.  E.  Habel,  Die  Haftung  des  Verkäufers.  I.  Geschicht- 
liche Studien  über  den  Haftungserfolg,  Leipzig  1902  bespricht  nach 
H.  Erman  Sav.-Z.  XXV  457  ff.  auch  einige  Digestenstellen.  Seine 
Annahme ,  daß  Paul.  resp.  5 ,  1 ,  49  ursprünglich  begonnen  habe 
nicht  Venditor  ab  emptore  denuntiatus  sondern  Venditor  ab  emptore 
in  ius  vocatus,  wird  von  E.  widerlegt,  ebenso  die  andere,  bei  Ulp. 
ed.  19,  1,  11,  18  habe  Justinian  geschrieben  Qui  autem  habere  licerc 
vendidit  statt  des  Ulpianischen  Qui  a.  h.  1.  spopondit.  Auch  bei 
Ulp.  ed.  44,  4,  4,  31  (sed  hoc  in  emptore  solo  servabimus  usw.)  ver- 
teidigt E.  gegen  R.  die  Echtheit,  dagegen  ebenso  die  Unechtheit 
bei  Scaev.  q.  45,  1,  131,  1  des  traditus,  für  welches  Lenel  in  seiner 
Palingenesia  mit  Recht  mancipatus  eingesetzt  hat. 

197.  R.  Samter,  Probatio  operis.  Sav.-Z.  XXVI  125—144 
stellt  zu  Flor.  inst.  19,  2,  36  (Opus  quod  aversione  locatum  est  usw.) 
die  aus  sprachlichen  Gründen  kaum  haltbare  Meinung  auf,  bei  et  in 
utraque  causa  nociturum  locatori  usw.  sei  nicht  esse  sondern  est  zu 
ergänzen,  und  glaubt,  daß  das  Mißverständnis  dieser  Stelle  auch  in 
das  Bürgerliche  (§  644)  übergegangen  sei. 

198.  Schloßmann,  Nemo  sibi  ipse  causam  possessionis  mutarc 
potest,  Sav.-Z.  XXIV  13—49,  will  glaublich  machen,  daß  diese  alte 

Jahresbericht  für  Altertum»™  «wehaft.  Bd.  CXXX1V.   (1907.  II.)  7 


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W.  Kalb:  Kömische  Juristen- 


Regula  iuris  bedeute  (S.  37):  „Der  auf  Grund  eines  Vertretungs- 
verhältnisses oder  eines  sonstigen  Verhältnisses  zur  Verfügung  über 
eine  fremde  Sache  Befugte  kann  diese  Befugnis  mit  rechtlicher  Wirkung 
nur  im  Verhältnis  zu  Dritten,  nicht  zu  sich  und  zu  eigenen  Gunsten 
ausüben/  Die  klassischen  Juristen  verstanden  diese  Regel  nicht 
richtig,  weil  sie  zu  ihrer  Zeit  längst  durch  andere  Rechtssätze  un- 
nötig geworden  war.  Die  Erklärung  Julians  (d.  41,  3,  33,  1),  auf 
die  sich  Savigny  stützte,  wie  die  des  Marcellus  (d.  -11,  2,  19.  1), 
welcher  Jhering  sich  anschloß,  gibt  zu  Einwendungen  Anlaß,  und 
andere  klass.  Juristen  wenden  nach  Schi,  die  Regel  sogar  an  ganz 
unpassenden  Stellen  an. 

Andere  Gelehrte  pflegen,  wenn  die  Digesten  nicht  zu  ihren  An- 
sichten stimmen,  Justinianische  Interpolationen  anzunehmen.  Das  tut 
Schi,  erfreulicherweise  hier  nicht.  Bloß  bei  Jul.  d.  41,  3,  33,  1 
hält  er  totiens  verum  est,  quotiens  quis  sciret  *e  bona  ride  non 
possidere  für  eine  Änderung  des  Julianischen  Urtextes,  der  vielleicht 
gelautet  habe  quotiens  quis  sciret  se  bona  non  possidere  oder  se 
bonorum  possessorem  non  esse.    Kaum  mit  Grund. 

199.  Schloßmann,  Zur  Geschichte  des  römischen  Kaufes, 
Sav.-Z.  XXIV  152—193  sucht  den  Widerspruch  zwischen  Paul.  q.  19, 
5,  5,  1  Si  quidem  pecuniain  dem  ut  rem  accipiam  und  Cels.  d.  12, 
4,  16  Dedi  tibi  pecuniam,  ut  mihi  Stichum  (mancipio?  Schl.)dares: 
utrum  id  contractus  gcnus  proportione  (so  liest  Schi,  gut  statt  pro  portionc, 
wozu  pro  consule  —  proconsule  zu  vergleichen  ist)  emptionis  et  ven- 
ditionis  est  an  nulla  liic  alia  obligatio  est  quam  ob  rem  dati  re  non 
secuta?  In  quod  proclivior  sum  anders,  als  es  bisher  geschehen  ist, 
zu  lösen:  die  von  Celsus  gegebene  Entscheidung  erklärt  sich  als 
Überbleibsel  von  einem  (damals  nicht  mehr  bestehenden)  Recht,  das 
die  Emptio  venditio  noch  nicht  als  Konsensualkontrakt  kennt  (?). 
sondern  in  der  Mancipatio  des  Sklaven  den  eigentlichen  Kontrakt 
findet.  Celsus  hatte  nach  Schi,  in  der  Fortsetzung  geschrieben  Finge 
alienum  esse  Stichum,  scd  te  cum  tuntum  tradidisse  (tradidisse  halte 
Lenel  irrtümlich  für  interpoliert  statt  mancipasse):  repetere  a  te  pe- 
cuniam potero,  quia  homiuem  non  mancipavcris:  et  rursus ,  si  tuus 
est  Stichus  et  mancipare  eum  non  vis,  non  liberaberis  {ut  non  pro- 
hibcar)  quominus  a  te  pecuniam  repetere  possim.  —  Dare  in  dare 
läcere  oportere,  fundum  Tusculanum  dari  spondes  u.  ä.  erklärt  die 
herrschende  Meinung  nach  Schi,  irrtümlich  von  der  Übertragung  des 
Eigentums.  —  Gegen  Schi,  führt  gute  Gründe  an  H.  Ermau, 
Sav.-Z.  XXV  467. 

0.  Lenel  hatte  für  zahlreiche  Digestenstelleu,  in  welchen  wir 


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Justiniani  Digesta:  Exegese  und  Kritik. 


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einen  fideiussor  qoi  in  iudicio  sistere  promisit  n.  ä.  finden,  die  Ver- 
mutung aufgestellt,  daß  mit  diesen  Worten  Jnstinian  den  vindex  der 
klassischen  Juristen  bei  der  in  ius  vocatio  verdrängt  habe.  Schloß- 
mann.  Der  Vindex  bei  der  Iniusvocatio  (s.  o.  Nr.  35)  meint ,  daß 
an  jenen  Stellen  sich  das  Wort  vindex  ursprünglich  nicht  befunden 
habe;  doch  gesteht  er  zu,  daß  durch  die  Justinianische  Prozeß- 
ordnung hier  Interpolationen  bedingt  wurden:  fideiussor  ist  in  den 
erwähnten  Ausdrücken  Justinianisch,  ebenso  in  iudicio  statt  in  iure. 
Aber  wie  Justinian  auf  den  Gedanken  kommen  konnte,  den  i  s  qui  ... 
sisti  promisit  zu  ersetzen  durch  einen  fideiussor,  qui  .  .  .  sisti 
promisit,  dafür  reicht  Schl.s  Erklärung  nicht  aus:  vgl.  Lenel,  Sav.-Z. 
XXV  232  ff.  —  Außerdem  glaubt  Schi.  Justinianische  Interpolationen 
zu  sehen  in  Dig.  II  Tit.  6  In  ius  vocati  ut  eant  aut  satis  v  e  1 
cautum  dent,  wo  Lenel  wohl  mit  Recht  ein  ursprüngliches  ut  eant  aut 
vindicem  dent  angenommen  hatte;  bei  Paul.  sent.  2,  4, 17  erkennt  Schi, 
vorjustinianische  Überarbeitung  von  Paul.  Sent.,  vielleicht  mit  Recht. 
Auch  bei  Paul.  ed.  2,  8,  16  Qui  iurato  promisit  iudicio  sisti  non 
videtur  peierasse,  si  ex  concessa  causa  hoc  deseruerit  sind  nach 
Schi,  höchstens  die  Worte  qui  promisit  echt.  Dig.  II  Tit.  8  Qui  satis- 
dare  cogantur  vel  iurato  promittant  scheint  Schi,  deutlich  Justiniani- 
schen Stempel  zu  tragen,  und  bei  Paul.  ed.  12,  2,  15  Ad  personas 
egregias  domum  mitti  oportet  ad  iurandum  stammt  das  egregias 
von  den  Kompilatoren,  da  die  egregii  erst  in  der  konstantinischen 
Rangordnung  eine  bestimmte  Kategorie  von  Personen  darstellen. 

200.  Sc  bloß  mann.  Persona  und  UpfoeuTcov  im  Recht  und 
im  christlichen  Dogma,  Kiliae  1906  bespricht  in  recht  interessanter 
Weise  die  Bedeutung  und  Etymologie  von  persona.  Wir  können  den 
Leser  „den  dornenvollen  Weg"  vom  Gebiet  des  Altlateins  durch  die 
christologischen  Streitigkeiten  nicht  noch  einmal  führen,  weil  er 
zuletzt  doch  zu  keinem  rechten  Ziele  führt.  Wenn  Theophilus  sagt 
ofxfwti  dzpo3u):rot  efatv,  so  bedeutet  dies  nach  Schi,  einfach:  „Sklaven 
haben  keine  Existenz"  (natürlich  für  das  Gesetz).  Aber  dem  Begriff 
persona  selbst  gehe  jede  Beziehung  auf  das  Recht  ab.  Wenn 
römische  Juristen  sagen  servi  personam  non  habent,  so  ist  persona 
in  dieser  Verbindung  nur  die  Übersetzung  des  griechischen  zp6aa>irov 
usw.  Aus  den  Aufstellungen  soll  hervorgehen,  daß  die  Bezeichnung 
„juristische  Person"  für  Gemeinden  sich  trotz  Frontin ,  De  controv. 
agr.  II  (Gromatici  ed.  Rudorff  I  54  Z.  23),  Agenius  Urbicus  8,  6 
(ebenda  I  16)  und  Ulp.  ed.  4,  2,  9,  1  nicht  auf  die  römische  Rechts- 
sprache berufen  dürfe.    Man  kann  zwar  bis  jetzt  aus  den  Aus- 

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W.  Kalb:  Römische  Juristen. 


führungen  des  Vf.  eher  auf  das  Gegenteil  schließen,  doch  will  er 
seine  Erörterungen  noch  fortsetzen.  —  Fr.  Schulz  s.  Nachtrag. 

201.  Vittorio  Scialoja,  Nota  critica  sul  testo  dell'  Editto 
edilitio  „de  ferisu.    Roma  1901.    (Aus  Bull.  XIII  1.) 

Das  Ädilenedikt  bei  Ulp.  ed.  aed.  21,  1,  40,  1  Ne  quis  canem 
verrem  vel  minorem  aprum  lupum  ursuin  usw.  qua  volgo  iter  tiet,  ita 
habuisse  velit,  ut  cuiquam  nocere  .  .  possit  hatte  Huschke  ver- 
bessert Ne  quis  canem  verrem  vel  maiulem  aprum  usw.  Sc  zeigt, 
daß  diese  Stelle,  ohne  daß  es  Huschke  wußte,  auch  schon  von 
Cuiacius  behandelt  worden  ist,  der  vel  minorem  als  Glossem  be- 
trachtete. Sc.  erklärt  in  einleuchtender  Weise,  wie  leicht  ein  Ab- 
schreiber, welcher  fand  CANEM  VERREM  infolge  undeutlicher 
Schrift  seiner  Vorlage  zweifeln  konnte,  ob  verrem  zu  lesen  sei  oder 
minorem;  er  schrieb  das  eine  und  setzte  gewissenhaft  darüber  „oder 
minorem?4  So  konnte  es  in  den  Text  kommen.  (Ebenso  begreif- 
lich wäre  es,  wenn  vel  minorem  vor  verrem  eingesetzt  worden  wäre 
als  ironisch  fragende  Glosse  zu  canem.  Zunächst  erwartet  man  näm- 
lich zu  canem  ein  Attribut,  das  „wild"  bedeutet;  Bas.  xuva 
a^piov.  Ref.)  Ähnliche  unbeabsichtigte  Glossen  zeigt  Sc.  noch  an 
mehreren  Stellen. 

202.  Siber,  Krit.  Viertelj.  1904  S.  308  ff.  bespricht  auf 
18  Seiten  eine  75  Seiten  umfassende  Arbeit  von  Koeppen  über  Ne- 
gotium mixtum  cum  donatione  und  scheint  diesem  zuzustimmen  in 
der  (kaum  begründeten)  Annahme  Justinianischer  Interpolation  bei 
ülp.  ed.  39,  5,  18  pr.  und  ad  S.  24,  1,  5,  5  hactenus  quatenus 
locupletior  quis  eorum  factus  sit  (dieses  hactenus  quatenus  fehlt  bei 
Justinian). 

203.  *Studi  di  diritto,  pubblicati  in  onore  di  V.  Scialoja , 
Milano  1905,  2  voll.,  enthält  (nach  R.  Caillemer,  Nouv.  Revue  XXIX 
690)  unter  anderem  folgende  Aufsätze: 

R.  de  Ruggiero  Sulla  cautio  usufruetuaria  (I  71);  S.  Riccobono 
über  den  Begriff  des  Usus  im  klassischen  Recht  (I  579),  wobei  eine  Justiniani- 
sche Interpolation  für  Ulp.  D.  7,  8,  12,  1  gewittert  wird;  A.  As  coli,  Sulla 
prescrizioue  estintiva  e  la  rei  vindicatio  (I  478);  Zucari,  Sulla  proprieta 
dei  singoli  piani  di  un  edificio  (I  737)  unter  Verfolgung  des  Satzes  super- 
ficies solo  cedit  bis  ins  moderne  Recht;  Ev.  Carusi,  Sul  concetto  dell' 
obligazione;  Ch.  Apple  ton,  Apochatum  pro  uncis  duabus  (II  503)  s.  o. 
Nr.  116;  E.  Ehrlich,  Ulpians  Otafe- Theorie  II  731  (bespricht  Ulp.  ad 
S.  18,  1,  9,  2);  C.  Arno,  La  massima  „dolus  auctoris  bona  fide  emptori 
non  nocet"  nella  Const.  3,  Cod.  4,  48  (I  341);  A.  F.  Sorrentino,  Sulla 
responsabilitä  del  „periculum  rei"  nel  commodato  solidale,  zu  Afr.  q.  13,  6, 
21,  1  (I  643);  A.  de  Medio  über  die  Actio  legis  Aquiliae  (I  27);  P.  Bon - 


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Justiniani  Digesta:  Exegese  und  Kritik. 


101 


fante  über  den  Begriff  Successio  in  Universum  ius  und  Universitas  (I  531; 
das  klass.  Recht  kannte  nach  6.  nur  die  successio  in  ius;  Justinian  führte  den 
Begriff  der  universitas  bei  der  successio  ein  und  interpolierte  (?)ihn  auch  in  den 
Digesten);  8.  di  Marco  spricht  (II  51)  Uber  die  Lehre  von  der  hereditas 
iacens,  welche  nach  ihm  erst  Justinian  durch  Interpolationen  zu  einer 
juristischen  Person  (domina)  gemacht  haben  soll  (?);  G.  Segre,  Note  esege- 
tiche  sui  legati  (l  289);  G.  Bonelli,  Garanzia  evizionale  tra  fratelli  nella 
divisione  paterna  (II  681,  über  Pap.  resp.  31,  77,  8  Evictis  praediis  usw.); 
F.  Mancaleoni,  Sülle  donazioni  tra  vivi  e  la  legittiraa  del  patrono 
(II  609);  C.  Manenti,  Sulla  regola  Sabiniana  relativa  alle  condizioni  impossi* 
bili,  illecite  e  turpi  in  dir.  Rom.  (I  391);  C.  Longo,  II  criterio  Giustinianeo 
della  „natura  actionis"  (I  605)  spricht  von  den  actiones  stricti  iuris  und  bonae 
tidei  und  scheint  dabei  auch  Justinianische  Interpolationen  in  den  Digesten 
nachzuweisen;  A.  March i,  II  giuramento  in  lite  e  la  stima  della  cosa 
perita  nei  giudizi  di  stretto  diritto  sucht  eine  Justinianische  Interpolation 
bei  Marci.  reg.  12,  3,  5,  4  (Plane  interdum  usw.)  nachzuweisen  (I  165): 
S.  Solazzi  handelt  I  663  ff.  über  das  Edictum  de  fructu  praediorum  ven- 
dendo  locandove. 

204.  L.  Wenger,  Zur  Lehre  von  der  actio  iudicati.  Graz  1901. 
Ders.,    Rechtshistorische    Papyrusstudien.     Graz    1902    ist  von 

H.  Er  man,  Sav.-Z.  XXII  241  ff.  besprochen.  Erman  hebt  hervor, 
daß  Wenger  mit  Gründlichkeit  und  Scharfsinn  festes,  umfassendes 
Wissen  vereinigt.   Interpolationen  weist  er  nach  bei  Ulp.  ed.  26,  7, 

I,  2;  Ulp.  ed.  2,  14,  7,  13.  In  ägyptischen  Urkunden  weist  er  Vor- 
läufer nach  z.  B.  für  den  Justinianischen  Gebrauch  von  fideiussio 
(iudicio  sistendi  causa).  Auch  sonst  wird  das  Justinianische  Recht 
vorbereitet  durch  provinzial-  und  vulgärrechtliche  Weiterbildungen 
von  klassischen  Instituten.  Wenn  einzelne  klassische  Institute  Cod. 
Theod.  ignorierte,  während  sie  sich  bei  Just,  finden  (z.  B.  exceptio, 
actio  utilis) ,  so  war  Cod.  Th.  radikaler  als  die  Praxis  seiner  Zeit. 
Freilich  darf  man  daneben  nicht  vergessen,  daß  von  Just,  auch 
manches  tatsächlich  Verschollene  zu  offiziellem  Scheindasein  erweckt 
wurde,  und  sodann  vor  allem,  „daß  unter  den  byzantinischen  Juristen 
und  so  auch  in  Justinians  Kommission  zwei  entgegengesetzte  Strömungen 
waren,  die  schulmäßig-romantische,  die  möglichst  viel  herüberzuretten 
suchte,  und  die  modernistisch-praktische  von  Paul.  ed.  3,  5,  46,  lu 
[nach  alter  Annahme  von  Just,  interpoliert :  in  extraordinariis  iudiciis  . . 
haec  suptilitas  (Unterschied  zwischen  directa  und  utilis  actio)  super- 
vacua  est  usw.],  „die  am  liebsten  den  ganzen  Urväterhausrat  des 
formellen  Aktionenrechtes  über  Bord  geworfen  hätte". 

205.  L.  Wenger,  Zur  Vormundschaft  der  Mutter,  Sav.-Z.  XXVI 
449 — 456  möchte  plerumque  bei  Gai.  prov.  26,  1,  16  pr.  (Tutela 
pleraraque   virile  officium  est)  nicht  (mit  Lenel   und  der  ersten 


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102 


W.  Kalb:  Kömische  Juristen. 


Meinung  Wissenbachs)  für  unecht  halten,  sondern  (mit  Wissenbachs 
späterer  Ansicht)  als  echt  erklären  und  zwar  nicht  nur  durch  Hin- 
weis auf  Ner.  reg.  26,  1,  18,  wo  kaiserliche  Dispense  erwähnt 
werden,  sondem  besonders  durch  Hinweis  auf  Papyrusurkunden  aus 
Ägypten,  welche  zeigen,  daß  in  diesem  Punkte  das  Provinzialrecht 
mit  dem  römischen  kollidiert,  und  daß  es  hieraus  sich  erklärt,  daß 
Pap.  resp.  26,  2,  26  pr.  Fälle  im  Auge  hat,  wo  der  provinciae 
praeses  imperitia  lapsus  im  Hinblick  auf  einen  testamentarischen 
Wunsch  eines  verstorbenen  Vaters  die  Mutter  zur  Vormünderin  er- 
klärte. 

M.  Wlassak,  Der  Gerichtsmagistrat  im  gesetzlichen  Spruch- 
verfahren. Sav.-Z.  XXV  81—188  (s.  o.  Nr.  97)  behandelt  u.  a. 
Gai.  Inst.  3,  189;  Ulp.  ed.  2,  3,  1,  1  (si  quis  rem  mobilem  vindicari 
a  se  passus  non  est)  vgl.  mit  Gai.  Inst.  3,  169;  vind.  a  se  non  pati 
ist  gleichbedeutend  mit  rem  non  defendere  (vgl.  auch  Anth.  ed.  6, 
1,  80  mit  Ulp.  ed.  50,  17,  156  pr.).  Zum  defendere  gehört  als 
Wichtigstes  das  iudicium  (actionem)  accipere,  d.  h.  die  Mitwirkung 
bei  der  Streitbefestigung  in  der  Rolle  des  Beklagten  (S.  125).  (Ein 
ganz  anderes  defendere  ist  das,  zu  welchem  der  Auktor  dem  Käufer 
verpflichtet  ist,  =  Beistandschaft,  das  selbst  wieder  vielleicht  Justiniani- 
scher Ersatz  war  für  eine  uns  noch  unbekannte  Wendung  des  klassi- 
schen Rechts).  Bei  Gai.  tab.  2,  4,  22  kann  defendet  nach  W.  nicht  - 
mit  Lenel  das  Eintreten  des  Vindex  für  den  Geladenen  bezeichnen, 
wegen  des  Futurs. 

206.  *Eine  Reihe  von  Abhandlungen  und  Werken  sind  dem  Ref. 
nur  dem  Titel  nach  bekannt  geworden,  z.B.  C.  A  r  n  ö ,  Sul  fr.  3  §  1 
Dig.  26,  1,  Archivio  giuridico  LXXI  320—848.  — 

V.  Justiniani  Institutiones. 

207.  C.  Ferrini,  Sülle  fonti  delle  lstituzioni  di  Giustiniano. 
Bull.  XXIII  (1900)  S.  101—207,  besprochen  von 

208.  B.  K  übler,  Sav.-Z.  XXIII  508—526,  veröffentlicht  eine 
vielfach  verbesserte  und  ergänzte  Neubearbeitung  seiner  Abhandlung 
Sülle  fonti  delle  lstituzioni  von  1891  (vgl.  diesen  Jhber.  LXXXIX  286). 

Ferrini  weist  (gegen  Kalb)  mit  Hecht  Inst.  1,  1,  2  dem  Gaius  zu.  Das 
beweist  statiin  ab  initio,  das,  wie  Kühler  nachgewiesen  hat,  nur  Gaius  kennt. 
Inst.  1,  2,  8  weist  Ferrini  dem  Ulpian  zu.  Kubier  führt  als  Beweis  hiefür 
die  speziell  Ulpianische  Wendung  an  ut  est  constitutum.  Inst.  1,  4,  1  könnte 
man  nach  Kühler  vielleicht  auch  dem  Ulpian  (statt  mit  Ferrini  und  Kalb 
dem  Marcian)  zuschreiben,  der  allein  (zwar  nur  einmal,  doch  vgl.  ut  est 


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Justini  ani  Digesta:  Exegese  und  Kritik.  —  Justiniani  Institutiones.  103 

constitutum)  saepissime  constitutum  est  gebraucht.  Weitere  Einwendungen 
erhebt  Kühler  (teils  gegen  das  Resultat,  teils  hloß  gegen  Ferrinis  Beweis- 
führung) zu  1,  20,  3  u.  4  (Ferr. :  Marcian);  1,  24,  1 — 4  (imperialis  ist  ein 
Lieblingswort  Justinians);  2, 1,  25  (media  sententia  bei  der  Spezifikationslehre 
hält  Ferrini  ohne  genügenden  Beweis  für  Entlehnung  aus  Paulus);  2,  1,  35  usw. 
—  Inst.  %  5,  2  schreibt  Ferrini  wegen  nec  non  nicht  dem  Gaius,  sondern 
dem  Ulpian  zu,  Kübler  hält  sie  für  Gaianisch,  wegen  convenienter,  während 
nec  non  eine  Justinianische  Modifikation  sei;  vielleicht  wäre  auch  eine  media 
sententia  existimantium  möglich,  daß  die  Umrahmung  Gaianisch  sei,  der  im 
Folgenden  mit  liegendem  U  eingeschlossene  Satz  ein  Zusatz  aus  L'lpian  ist: 
[der  Inhaber  der  habitatio  darf  das  Haus  nur  soweit  benützen,  daß  er  cum 
uxore  sua  liberisque  suis  <Gai.  hatte  hier  wohl  eingeschoben  et  servis, 
qui  cottidiani  usus  causa  habentuV)  d  item  libertis  nec  non  aliis  liberis 
personis  quibus  non  minus  quam  servis  utitur  P  habitandi  ius  habeat; 
2,  6,  4  wird  von  Kübler  —  übrigens  mit  A.  Faber,  Err.  40,  10  —  (mit 
Unrecht,  wegen  utique)  für  Justinianisch  gehalten;  2,6, 12  ist  nach  Kübler, 
wenn  von  Marcian,  jedenfalls  stark  interpoliert:  in  Inst.  2,  14,  5  spricht 
Kübler  quantascumque  =  quoteunque  dem  Ulpian  ab;  2,  14,  9  stammt  nach 
Ferrini  von  Ulpian,  auf  welchen  diesen  die  Lesart  denique  statt  diemque 
Kr.  geführt,  nach  K.  frei  nach  Marcian,  vgl.  D.  28,  7,  14;  2,  18,  1  ist  wegen 
Just.  Cod.  3,  28,  27  nach  K.  nicht  von  Marcian,  sondern  von  Just.;  in  2, 
18,  3  hält  K.  alles,  nicht  nur  wie  F.  vieles,  für  Justinianisch.  (Dann  müßten 
sich  aber  noch  mehr  Justinianismen  finden.  Falsch  überlieferte  Modi  sind 
nicht  ohne  weiteres  als  Justinianismen  zu  betrachten,  da  solche  sich  auch 
im  Veronenser  Gaius  sehr  viele  fänden,  wenn  die  Herausgeber  sie  nicht  ver- 
bessert hätten.  Vgl.  Kalb  in  Vollmöllers  Rom.  Jahresber.  IV  1  S.  97.)  Wenn 
zu  2,  20,  8  Kübler  Bedenken  erhebt:  „Wenn  es  hier  heißt  alio  quolibet 
modo,  so  entspricht  das  nicht  dem  Sprachgebrauche  des  Gaius,  welcher 
quilibet  vor  alius  zu  stellen  pflegt",  so  hat  er  sich  vielleicht  durch  seinen 
Artikel  über  alius  im  Vocab.  iurispr.  Rom.  irreführen  lassen,  der  zwar  auf 
Seite  373,  11  keine  Gaianische  Stelle  für  alius  quilibet  aufweist,  wohl  aber 
auf  S.  386,  54:  Gai.  iul.  pap.  35,  I,  63  pr.  alii  cuilibet.  Wenn  dies  auch 
kein  Subst.  bei  sich  hat,  so  verbietet  es  doch  im  Verein  mit  Gai.  Inst.  2, 
87  ex  aliqualibet  causa  eine  Stelle  wegen  alius  quilibet  dem  Gaius  abzu- 
sprechen.  Vgl.  Kalb,  WklPh.  1904  S.  377. 

Zu  2,  23,  9  weist  Kübler  hin  auf  die  weitere  Gaianische  Sprach- 
gewohnbeit  una  aliqua  le  vgl.  efc  t\i\  3,  2,  8  in.  parens,  qui  .  .  .  filium  vel 
riliam,  nepotem  vel  neptem  ac  deineeps  emaneipat  hält  F.  für  Gaianisch: 
Kübler  erklärt  dagegen,  Gaius  kenne  ac  deineeps  „in  dieser  absoluten 
Fassung"  nicht.  Er  schließt  auf  Ulp.  oder  Just.  Wenn  für  diesen  Gebrauch 
von  deineeps  das  Vocab.  iurispr.  Rom  II  143  nur  Stellen  aus  Ulpian  an- 
führt, so  könnte  dies  Zufall  sein;  denn  bei  Ulpian  wird  es  nur  6 mal  nach- 
gewiesen, und  wir  haben  von  ihm  doch  etwa  8  mal  soviel  als  von  Gaius; 
d.  h.  wenn  wir  von  Ulpian  nur  soviel  hätten  wie  von  Gaius,  so  fänden  wir 
bei  ihm  jenen  Gebrauch  von  deineeps  auch  nur  höchstens  einmal,  und  jeden- 
falls ist  aus  Ulp.  nur  et  deineeps  und  einmal  deineepsque  nachgewiesen,  nicht 
ac  d.  Inst.  3,  8,  2  sc  hreibt  Kübler  wegen  alii  plerique  dem  Ulpian  zu, 
während  Ferrini  den  Autor  wohl  mit  Recht  in  Gaius  erkennt.  Kübler  stützt 
sich  darauf,  daß  alii  plerique  zweimal  bei  Ulpian  vorkommt.   Aber  nach 


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W.  Kalb:  Römische  Juristen. 


der  Wahrscheinlichkeitsrechnung  dürfen  wir  wieder  annehmen,  daß  es  bei 
Ulpian  auch  nicht  vorkäme,  wenn  von  ihm  nicht  viel  mehr  erhalten  wäre 
als  von  Gaius.  Von  Inst.  3,  11  spricht  K.  dem  Ulp.  auch  den  Anfang  zu. 
wegen  certe  si,  welches  er  als  Lieblingswendung  von  Ulpian  nachweist  Inst 
3,  13  pr.  hält  F.  für  Florentinisch;  K.  denkt  an  Papinian,  dessen  Ausführung 
freilich  auch  durch  Florentins  Vermittelung  herübergenommen  sein  könne. 
Zu  3,  15,  2 — 7  hält  K.  die  Beweise  für  Florentins  Urheberschaft  mit  Recht 
nicht  für  ausreichend;  K.  selbst  denkt  an  Ulpian,  und  von  seinen  Gründen 
ist  besonders  die  Ähnlichkeit  der  Stelle  mit  einer  Stelle  Modestins  (Mod. 
reg.  45,  1, 100)  hervorzuheben,  da  Mod.  nicht  selten  den  Ulp.  ausgeschrieben 
hat,  wie  F.  selbst  anderswo  nachweist.  Vom  Titel  3,  19,  27  kommt  nach 
Kübler  der  Grundstock  von  Gaius,  nicht,  wie  F.  will,  von  Florentius ; 
3,  26  pr.  ist  =  Gai.  cott.  17,  1,2;  nach  Kübler  ist  —  wie  nach  seiner 
Meinung  fast  überall  bei  solchen  Parallelstellen  —  die  Lesart  der  In- 
stitutionen für  die  echtere  zu  halten;  anders  Ferrini.  Für  die  Worte  [man- 
datum  contrahitur]  quinque  modis  und  vielleicht  auch  für  die  Schlußworte 
nec  inandati  inter  nos  [Just,  vos]  actio  nascitur  wird  Kübler  recht  haben; 
diese  Worte  strichen  die  Kompilatoren  der  Digesten  als  überflüssig.  Aber 
die  anderen  Abweichungen  der  Institutionen  sind  Änderungen  Justinians 
nach  dem  bekannten  Grundsatz,  daß  er  seine  Majestät  nicht  als  Beispiel  in 
der  ersten  Person  anführen  will,  sondern  dafür  die  zweite  Person  setzt  oder 
anderen  Ersatz  schafft.  Inst.  8,  27,  1  ist  nach  Kübler  =  Gai.  cott  44,  7, 
5  pr.  Kübler  sagt:  „Auch  hier  ist  der  Digestentext  stärker  interpoliert  als 
der  der  Institutionen."  Aber  an  der  Digestenstelle  hat  Kübler  einige 
Wendungen  mit  Unrecht  für  Justinianisch  gehalten,  vgl.  Kalb  in  Vollraöllers 
Rom.  Jhber.  VII  1  S.  7.  Den  in  Inst  4,  6,  2  erwähnten  unus  casus  —  vgl. 
diesen  Jhber.  CIX  71  —  sucht  Ferrini  mit  Kühlers  Zustimmung  in  einer 
verlorenen  Stelle  des  Gaius.  In  4,  6,  6  glaubt  K.  die  Schreibweise  des  Gaius 
zu  erkennen.  Inst  4,  6,  21—27  hält  Ferrini  wohl  mit  Recht  für  Gaianisch, 
besonders  wegen  et  denique;  zwar  weist  Kübler,  der  die  Stelle  für  Justinianisch 
hält  mit  Gaianischem  Aufputz,  auf  aut  denique  hin,  das  dem  Gaius  fehlt, 
aber  aut  denique  ist  überhaupt  keine  charaktei istische  Verbindung  (vgl. 
Hand.  Turs.  II  270),  und  reiner  Zufall  ist  es,  daß  wir  es  in  den  Digesten  nach 
Kübler  nur  bei  Scaev.  d.  32  ,  35  ,  3  (doch  aut  aerea  denique  supellcctili 
Cels.  d.  33,  10,  7,  1)  antreffen.  Justinian  hat  in  Cod.  und  Nov.  denique 
überhaupt  nie  gebraucht.  Gegen  die  Zuweisung  der  zweiten  Hälfte  von  4, 
17,  2  an  Gaius  erhebt  Kübler  mit  Recht  Einwendungen. 

209.  L(udwig)  M(itteis)  weist  Sav.-Z.  XX11I  443  f.  darauf 
hin,  daß  die  bei  Justinian  (Inst.  2,  10,  3)  sich  findende  Dreiquellig- 
keit  des  Rechtes  aus  ius  civile,  ius  praetorium  und  den  Kaiser- 
konstitutionen schon  in  einer  „Weiheinschrift"  für  den  Statt- 
halter Valerius  Dalmatius  der  provincia  Lugdunensis  tertia  auftritt, 
die  aus  400 — 410  n.  Chr.  stammt,  1901  in  der  Nähe  von  Magyar 
Iioly  gefunden  und  in  den  Sitzungsbcr.  der  Berl.  Akad.  1902  S.  836  f. 
von  Tb.  Mommsen  veröffentlicht  wurde.  Denn  auf  der  Dedikations- 
urkunde  rühmen  folgende  Verse  die  Rechtskenntnis  des  Gefeierten: 
Jus  ad  iustitiam  revocare  aequumque  tueri  Dalmatio  lex  est,  quam 


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Justiniani  Institutiooes.  —  Codd.  Greg.,  Herrn.   Cod.  Theod.  usw.  105 

dedit  alma  fides.  Bis  sex  scripta  (=  XII  tab.)  tenet  praetorisque 
omne  Volumen,  Doctus  et  a  sanctis  condita  principibus.  Hic  idem 
interpres  legum  legumque  minister  Quam  prudens  callet  tarn  bonus 
exequitur. 

210.  Zitiert  sei  wenigstens  der  Titel  von  J.  B.  Moyle,  Im- 
peratoris  Justiniani  lnstitutionum  libri  IV.  4th  ed.  Oxford  1904.  — 
J.  Pastor  y  Alvira,  Manual  de  derecho  romano  segün  el  orden 
de  las  Instituciones  de  Justiniano.  III.  ed.  Madrid. 

VI.  Codd.  Gregorianus,  Hermogenianus, 
Theodosianus.   Notitia  dignitatum. 

a)  Cod.  Greg,  und  Herrn. 

211.  Th.  Mommsen,  Die  Heimat  des  Gregorianus.  Sav. -Z. 
XXII  (1901)  S.  139—144. 

Daß  Gregorius,  der  Sammler  der  Erlasse  im  Cod.  Greg.,  in  der 
unter  Diokletian  stehenden  Reichshälfte  die  Erlasse  zusammengestellt 
hat,  ist  bekannt;  dagegen  ist  nach  M.  noch  nicht  hervorgehoben 
worden,  daß  von  sechs  bestimmbaren  Adressaten,  die  in  den  In- 
skriptionen erwähnt  sind,  vier  Statthalter  der  Provinz  Syria  Phoenice 
waren.  Vielleicht  war  also  Gregorius  Lehrer  an  der  Rechtsschule 
zu  Beryt;  denn  der  Sammler  hat  sein  Material  nicht  direkt  aus  dem 
kaiserlichen  Archiv  bezogen ,  wie  aus  der  Behandlung  der  kaiser- 
lichen Erlasse  hervorgeht,  bezüglich  deren  Mommsen  noch  einiges  zu 
einem  früheren  Aufsatz  (Sav.-Z.  XII  244  f.)  nachträgt.  —  T  h.  Kipp, 
Geschichte  der  Quellen  S.  79  Anm.  14  begründet  (zum  Teil  gegen 
Mommsen,  vgl.  diesen  Jhber.  CIX  73)  die  Ansicht,  daß  der  Cod. 
Herrn,  nicht  sowohl  ein  Nachtrag  (den  Mommsen  und  Krüger,  früher 
auch  Kipp,  zwischen  314  und  324  datierten),  als  ein  Seitenstück  des 
Cod.  Gr.  war  und  beide  Codd.  in  ihrem  Material  mit  294  in  der 
Hauptsache  abschlössen,  beide  im  Orient  geschrieben  sind  und  später 
(Cod.  Greg,  sicher  auch  im  Occident)  Nachträge  von  anderer  Hand 
erhielten. 

b)  Cod.  Theod.  und  Novellen  dazu. 

212a.  Theodosiani  libri  XVI  cum  constitutionibus  Sirmondianis 
et  Leges  novellae  ad  Theodosianum  pertinentes  cd. 
Th.  Mommsen  et  P.  M.  Meyer.  Berlin,  Weidmann.  Zwei 
Volumina  von  wesentlich  verschiedenem  Umfang.  Vol.  II  ist  unter 
Nr.  214  besprochen;  Vol.  I  führt  den  Spezialtitel : 


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I 


106  W.  Kalb:  Römische  Juristen. 

212 b.  Theodosiani  libri  XVI  cum  constitutionibus  Sirmondianis 
edidit  adsumpto  apparatu  P.  Kruegeri  Th.  Mommsen. 

Es  war  Mommsen  beschieden,  die  neue  Aasgabe  des  Cod.  Th., 
woran  er  seit  1896  arbeitete,  im  Mannskript  vollenden  zu  können 
und  den  Druck  bis  gegen  den  Abschluß  fortschreiten  zu  sehen.  Er 
erklärt  zwar  auf  S.  CXVII  sq.,  daß  er  das  Werk  nicht  zu  unter- 
nehmen gewagt  hätte,  wenn  nicht  die  Ausgabe  des  Cod.  Th.  von 
Hänel  (Bonn  1842)  vorangegangen  wäre.  Aber  er  hat  auch  die 
Mängel  jener  Ausgabe  ebenda  gekennzeichnet:  in  der  überfüllten 
Variantensammlung  schied  Hänel  den  Weizen  zu  wenig  von  der  Spreu, 
oft  war  er  zu  allgemein  in  der  Angabe  der  Handschriften  für  eine 
bestimmte  Lesart  („multi"  .  .  .  „alii"),  und  auf  seine  Mitteilungen 
ist  nicht  immer  Verlaß. 

Moramsens  Pars  prior,  deren  Seiten  lateinisch  numeriert  sind, 
gibt  Prolegomena.  Die  Handschriften,  welche  zu  Rate  gezogen  werden 
konnten  (vgl.  hierüber  den  Bericht  in  diesem  Jhber.  C1X,  1901  II, 
S.  73  f.) ,  zerfallen  in  solche  des  eigentlichen  Codex  Theodosianus 
und  in  solche  des  Breviarium.  Die  sechs  Handschriften  des  eigent- 
lichen Theod.  enthalten  sämtlich  nur  größere  oder  kleinere  Teile  oder 
Stücke  des  Cod.  Th.  Die  wichtigsten  und  umfangreichsten  befinden 
sich  zu  Turin  (T),  Paris  (R)  und  im  Vatikan  (V).  Sie  machen  für 
die  betreffenden  Teile  die  Textkritik  ziemlich  leicht.  Aber  wo  sie 
alle  fehlen,  muß  der  Herausgeber  auf  den  (vielen)  Handschriften  der 
Lex  Romana  Visigothorum  fußen,  jenem  Gesetzbuch  („Breviarium") 
Alarichs  II.,  in  welches  u.  a.  eine  Verkürzung  des  Cod.  Th.  auf- 
genommen ist.  Wenn  der  Justinianische  Codex  solche  Stellen  eben- 
falls überliefert  (es  sind  deren  nicht  wenige),  ist  an  den  nicht  von 
Just,  interpolierten  Stellen  seine  Lesart  in  der  Regel  die  richtige; 
Mommsen  befolgt  also  den  Grundsatz,  den  wir  in  diesem  Jhber. 
LXX1X  293  gegenüber  einem  Aufsatz  von  E.  Grupe  betonen  mußten. 
Auch  da,  wo  nur  Hss.  des  Breviarium  den  Text  haben,  glaubt 
Mommsen  wenigstens  den  Text  des  westgothischen  Theodosianus,  der 
ja  vom  ursprünglichen  vielfach  abweichen  mußte,  im  allgemeinen  her- 
gestellt zu  haben.  Mommsen  verzichtet  darauf,  weitverzweigte  Hand- 
schriftenfamilien festzustellen  mit  Stammbaum,  wie  man  es  bei  anderen 
Schriftstellern  tun  konnte:  denn  da  das  Breviarium  in  Spanien  bis 
654,  in  Gallien  bis  über  Karl  den  Großen  hinaus  für  die  Recht- 
sprechung praktische  Bedeutung  hatte,  so  wurden  die  verschiedensten 
Exemplare  miteinander  verglichen,  und  es  wurden  (wenigstens  in 
Gallien)  Ergänzungen  oder  Verbesserungen  aus  dem  vollständigen 
Cod.  Theod.  oder  aus  eigener  Konjektur  miteinander  ausgetauscht. 


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Cod.  Theod.  und  Novellen  dazu. 


107 


Doch  stellt  Mommsen  zwei  Hauptklassen  der  Hss.  fest,  deren  eine 
häutiger  den  besseren  Text  bietet  als  die  andere.  Gute  Lesarten, 
die  möglicherweise  erst  spät  aus  dem  echten  Cod.  Theod.  in  das 
Breviarium  eingetragen  wurden,  kommen  dem  Zweck  der  vorliegenden 
Ausgabe  natürlich  ebenso  erwünscht,  als  wenn  sie  sich  schon  im 
Exemplar  Alarichs  gefunden  hätten.  Durch  seine  Ergänzungen  aus 
dem  vollständigen  Cod.  Theod.  hat  z.  B.  der  Ambrosianus  (saec.  9) 
allein  den  Anfang  uns  gerettet.  — 

Von  den  Breviarhandschriften  bewertet  Mommsen  besonders  drei 
in  einer  erwähnenswerten  Weise.  Codex  Oxoniensis  (0),  obwohl  erst 
1125  geschrieben,  teilt  nach  M.  oft  allein  von  allen  Breviarhand- 
schriften gute  Lesarten  des  eigentlichen  Cod.  Th.,  und  er  scheint  an 
vielen  Stellen  allein  Spuren  von  der  Lesart  der  Breviar  -  Urschrift 
aufzuweisen  (?).  Dagegen  Cod.  Paris.  4403  (L)  hält  Mommsen  für 
bisher  zu  hoch  eingeschätzt.  Was  diese  Handschrift  allein  aufweist, 
geht  nach  M.  nicht  auf  die  Breviarurschrift  zurück,  ist  also  kein 
Vorzug,  sondern  freie  Zutat  nach  noch  vorhandenen  Quellen. 
Hänels  Stelle  Cod.  Th.  3,  18,  2  Si  mater  defensorera  usw.  hat  des- 
halb im  Texte  selbst  keine  Aufnahme  gefunden.  —  Verhältnismäßig 
gering  wird  von  Mommsen  der  fragmentarische  Codex  Legionensis 
(H)  eingeschätzt,  welcher  erst  1887  im  Archiv  der  Kathedrale  zu 
Leou  entdeckt  wurde  (vgl.  diesen  Jhber.  LXXX1X  308  f.)  und  im 
Auftrag  der  Madrider  Akademie  1896  mit  großen  Kosten  veröffent- 
licht wurde.  Die  Madrider  Ausgabe  scheint  Mommsen  nur  dort  zu- 
verlässig zu  sein,  wo  sie  von  Hänels  Text  abweicht.  Obwohl  eine 
Neuvergleichung  nicht  möglich  war,  glaubt  Mommsen  doch  das  Urteil 
fällen  zu  können,  librum  ^>  non  contemnendura  quidem  esse  (er 
rechnet  ihn  zu  der  besseren  Klasse),  sed  nequaquam  inter  breviarii 
Codices  primarium  locum  tenere.  Dieses  Urteil  muß  tiberraschen  nicht 
etwa,  weil  die  Madrider  Akademie  besondere  Ausgaben  darauf  wandte ; 
denn  hiefür  ist  ein  genügender  Grund  der,  daß  es  der  erste  juristische 
Palimpsest  ist,  der  in  Spanien  gefunden  wurde,  und  die  einzige  vor- 
handene Hs.  des  Breviarium  in  Spanien,  wo  es  doch  lange  in  Geltung 
war.  Wohl  aber  gehört  sie  zu  den  ältesten  Hss.  der  Lex  Korn.  Vis., 
sie  hat  vermutlich  Spanien  nie  verlassen,  und  es  trennen  sie  von  der 
Urschrift  höchstens  100  Jahre.   Deshalb  war  einerseits  kein  Grund*), 

*>  Mommsen:  Additamenta  ~  ex  Theodosiano  hic  codex  non  exhibet 
excepta  una  constitutione  omnium  postrema  16,  10  (lies  11),  3.  Da  dieser 
Erlaß  verfügt,  daß  sämtliche  früheren  Verfügungen  circa  catholicam  legem 
Geltung  haben  sollen,  dürfen  wir  vermuten,  daß  König  Reccared,  als  er  589 
zum  katholischen  Glauben  übergetreten  war,  die  Aufnahme  dieses  Erlasses 


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108 


W.  Kalb:  Römische  Juristen. 


sie  nach  dein  echten  Cod.  Theod.  umzuändern;  denn  in  Spanien  galt 
das  Breviarium  nur  als  solches,  weil  autorisiert  von  den  West- 
gotenkönigen. In  Frankreich  dagegen  (soweit  es  nicht  oder  nicht 
mehr  zum  Westgotenreiche  gehörte)  berief  man  sich  auf  das  Breviar 
nicht  deshalb,  weil  es  von  Alarich  II.  zum  Gesetzbuch  gemacht  war, 
sondern  weil  darin  römisches  Recht,  vor  allem  Cod.  Th.,  aufgezeichnet 
war  (vgl.  A.  de  Wretschko  in  Mommsens  Ausg.  p.  CCCXIII  sqq.); 
in  Frankreich  wurden  deshalb  die  Breviarhandschriften  nach  dem  voll- 
ständigen Cod.  Th.  vielfach  verbessert,  und  sie  müssen  ceteris  paribus 
für  Mommsens  Zweck  schon  deshalb  größeren  Wert  haben.  Aber 
wenn  es  sich  einmal  später  um  eine  Ausgabe  des  echten  Breviar- 
textes  handelt,  wird  der  Palimpsest  von  Leon,  mit  dem  in  fehlerhaften 
Kleinigkeiten  nach  Mommsen  besonders  die  Handschrift  in  Maihingen- 
Wallerstein  und  die  in  Gotha  Ubereinstimmen,  vielleicht  bessere 
Dienste  leisten  können.  So  glauben  wir  z.  B.  9,  14,  1  in  den 
Worten  dieser  Hs.  capitale  supplicium  sustinebit  die  Lesart  des  echten 
Breviars  zu  erkennen.  Denn  die  gespreizten  und  zweideutigen  Worte 
des  Theod.,  die  vermutlich  aus  diesem  erst  nachträglich  in  die 
jüngeren  Hss.  des  Brev.  hineingekommen  sind,  erit  capitale  istud 
malum,  verlangten  bei  der  Aufnahme  in  ein  Gesetzbuch  dringend  eine 
redaktionelle  Änderung,  wie  ja  auch  Justinian  bei  der  Aufnahme  des 
Gesetzes  in  seinen  Codex  änderte:  sciat  se  capitali  supplicio  esse 
puniendum.  —  Unberechtigt  ist,  wie  auch  P.  Krüger  urteilt,  der  Titel 
der  Sammlung:  Theodosianus  ohne  Codex  (vgl.  p.  XI  sq.),  den 
Mommsen  dem  Gesetzbuch  gibt.  So  hat  er  gewiß  in  späterer  Zeit 
geheißen,  aber  der  Kaiser  Theodosius  selbst  bzw.  seine  Räte  haben 
ihn  (Theodosianus  Codex  und)  Codex  Theodosianus  genannt;  so 
(Cod.  Th.)  vor  allem  in  den  Gesta  senatus  Romani  von  430 
(Mommsen  S.  1  ff.)  §  4  in.,  die  man  die  Geburtsurkunde  des  Cod. 
Theod.  nennen  könnte.  (In  den  Hss.  des  echten  Cod.  Theod.  ist  der 
Titel  nicht  erhalten,  und  einige  Bücherexplicit  beweisen  kaum  irgend 
etwas.)  —  Eine  chronologische  Ordnung  der  Erlasse  mit  Angabe  des 
Ortes  und  der  Adressaten  füllt  p.  CCIX  bis  CCCVI  aus.   P.  CCCVII 


in  sein  Gesetzbuch  verfügte,  ähnlich  wie  546  der  König  Theudis  einen 
eigenen  Erlaß  aufnehmen  ließ.  —  Paul  Krüger  nimmt  in  Sav.-Z.  XXVI  328 
(s.  u.  Nr.  213)  an,  auch  15,  1,  9  sei  die  richtige  Inscriptio  Imp.  Julianus  A. 
in  H  (und  drei  anderen  Hss-)  aus  Cod.  Theod.  nachgetragen.  Aber  vielleicht 
liegt  die  Annahme  näher,  daß  umgekehrt  die  anderen  Hss.  ihr  (falsches) 
Idem  aus  dem  Cod.  Th.  geschöpft  haben,  in  welchem  ein  Erlaß  Julians 
vorherging,  den  Alarichs  Kommission  nicht  aufnahm,  weil  er  in  ihr  Gesetz- 
buch nicht  paßte. 


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Cod.  Theod.  und  Novellen  dazu.  109 

bis  CCCLX  enthält  eine  Abhandlung  von  A.  de  Wretschko,  De 
usu  breviarii  Alariciani  forensi  et  scholastico  per  Hispaniam,  Galliam, 
Italiam  regionesque  vicinas  adiecto  indice  locorum  ex  Breviario  ad- 
hibitorum. 

Die  Pars  posterior  gibt  den  Text.  Die  Ausgabe  ist  viel 
handlicher  und  übersichtlicher  als  die  Hänels.  Obwohl  sie  größere 
Genauigkeit  in  der  Angabe  der  wichtigen  Varianten  anstrebt  und 
weniger  an  Platz  spart,  umfaßt  sie  doch  nicht  so  viele  Lexikonoktav- 
seiten als  Hänels  Ausgabe  Hochquartspalten.  —  Eine  erfreuliche  Zu- 
gabe ist  eine  Mappe  mit  sechs  Lichtdrucktafeln  in  Großfolio,  Proben 
aus  vier  Handschriften,  welche  Leop.  Traube  zusammengestellt  und 
erklärt  hat.  Je  ein  Blatt  enthält  eine  vollständige  (cum  grano  salis) 
Seite  von  Cod.  Parisinus  lat.  9643  (=  1t)  und  Vaticanus  Reg.  Lat. 
880  (•=  V),  Handschriften  des  ursprünglichen  Cod.  Theod.,  sowie 
von  Berolinensis  Philippsianus  (Traube:  Philippici)  1761  (=  P)  und 
Monacensis  Lat  22  501  (=  M),  zwei  alten  Handschriften  des 
Breviars  etwa  aus  dem  6.  Jahrhundert.  Die  zwei  letzten  Tafeln 
geben  neun  einzelne  interessante  Spezialproben  aus  den  genannten 
vier  Handschriften,  die  nach  Traube  (Mommsen)  möglicherweise  alle 
jn  Lyon  oder  nicht  weit  entfernt  entstanden  sind.  —  Über  den  An- 
teil P.  Krügers  an  der  Herstellung  der  Ausgabe  berichtet  dieser 
in  der  Sav.-Z.  XXVI  816—331: 

213.  P.  Krüger,  Über  Mommsens  Ausgabe  des  Codex 
Theodosianus. 

Der  Titel  von  Mommsens  Ausgabe  des  Cod.  Th.  enthält  den  Beisatz: 
adeumpto  apparatu  P.  Kruegeri  edidit.  l  iier  Krügers  Mitarbeit  hätte 
Mommsen  vermutlich  in  den  Prolegomena  von  Pars  I  noch  näher  sich  ver- 
breitet, wenn  ihm  der  Abschluß  auch  dieser  beschieden  gewesen  wäre. 
P.  Krüger,  mit  welchem  sich  Th.  Mommsen  immer  in  die  Herausgabe  der 
Juristenschriften  geteilt  hatte  (Corpus  iuris  wie  die  vorjustinianischen 
Juristen  in  der  W  eidmannschen  Sammlung),  wäre,  wenn  nicht  das  Bürger- 
liche dazwischengetreten  wäre,  auch  der  Mitherausgeber  des  Cod.  Theod. 
geworden,  und  im  Anfange  betrachtete  ihn  Mommsen  auch  als  solchen:  vgl. 
p.  XXXIX  Paulo  Kruegero  operis  nostri  socio.  Nämlich  durch  seine 
Herausgabe  des  Cod.  Ju6t.  war  P.  Krüger  zu  einer  Vergleichung  der  wich- 
tigsten Hss.  des  Cod.  Th.  (der  von  den  Räten  Justinians  als  Grundlage  be- 
nützt wurde)  geradezu  genötigt  worden  (veröffentlicht  wurde  ein  Abdruck 
des  Turiner  Palimpsestes  von  Cod.  Th.  Buch  2-5),  und  nach  der  Fertig- 
stellung des  Cod.  Just,  faßte  er  den  Plan,  den  Cod.  Theod.  neu  heraus- 
zugeben. Zu  diesem  Zweck  suchte  er  den  kritischen  Apparat  zu  vervoll- 
ständigen. Da  aber  die  Savignystiftung  keine  Mittel  zur  Verfügung  stellen 
konnte,  um  zu  diesem  Zwecke  auch  fremde  Hilfe  gewinnen  zu  können,  so 
stellte  Krüger  zunächst  (bis  1896)  Buch  6 — 16  und  teilweise  Buch  1  zum 
Druck  fertig,  da  hierfür  die  sämtlich  von  ihm  nachverglichenen  nss. 


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W.  Kalb:  Römische  Juristen. 


die  Grundlage  bildeten.  Als  Moinmsen,  der  von  diesen  weitergehenden 
Arbeiten  Krügers  keine  Kenntnis  hatte,  ihn  um  Überlassung  seines  Materiales 
bat,  stellte  ihm  Krüger  sein  ganzes  Manuskript  und  seine  Vergleichungen 
zur  Verfügung.  Nun  begnügte  sich  aber  Mommsen  nicht  damit,  solche  Hss. 
zu  vergleichen  oder  vergleichen  zu  lassen,  die  Krüger  noch  nicht  ver- 
glichen hatte,  sondern  er  nahm  auch  Krügers  Hss.  größtenteils  noch  einmal 
vor;  wenn  er  dabei  mit  seinen  eigenen  Augen,  die  doch  vermutlich  bei 
seinem  hohen  Alter  an  Schärfe  nachgelassen  hatten,  etwas  nicht  mehr  fand, 
das  Krüger  (und  seine  Vorgänger)  gelesen  hatten,  so  verließ  er  sich  nur  auf 
das  von  ihm  selbst  Gesehene.  Dabei  wurde  er  natürlich  gelegentlich  zu 
irrigen  Ergänzungen  verleitet,  so  8,  18,  4.  Zu  6,  3,  19  (lies  6,  2,  19?)  ist 
Krügers  Bemerkung  übersehen,  daß  ein  Teil  des  von  Cuiacius  gegebenen 
Textes  noch  beute  als  Spiegelbild  auf  dem  folgenden  Blatte  zu  lesen  ist.  — 
Bei  eingehenderer  Nutzung  von  Krügers  Vergleichung  wären  auch  noch 
einige  andere  Versehen  vermieden  worden.  —  1'.  Krüger  glaubt  auch, 
Mommsen  hätte  für  Buch  1 — 8  nicht  auf  die  Ergänzung  des  Textes  nach 
(Jod.  Just,  verzichten  sollen.  —  Da  Mommsen  ursprünglich  sich  Krüger  als 
Mitarbeiter  dachte,  wie  er  diesen  auch  bis  1900  immer  über  das  Fort- 
schreiten der  Arbeit  auf  dem  Laufenden  erhielt,  war  es  erklärlich,  daß  er 
Emendationen  und  Ergänzungen  Krügers  nicht  mit  dessen  Namen  be- 
zeichnete. —  P.  Krüger  schließt  seine  Bemerkungen  mit  den  Worten:  „Die 
früheren  Ausgaben  sind  durch  die  neue  in  jeder  Beziehung  überholt  und 
veraltet;  nur  der  Kommentar  von  J.  Gothofredus  behält  seinen  Wert." 

214.  Theodosiani  libri  XVI  usw.  (s.  o.  Nr.  212)  Vol.  II  mit 
dem  Spezialtitel :  Leges  novcllae  ad  Theodosianum  pertinentes 
edidit  adiutore  Th.  Mommseuo  P.  M.  Meyer.  Berlin  1905  ersetzt 
Hänels  Novellae  constitutiones  impp.  Theod.  II,  Valent.  III  usw.  durch 
eine  neue  Ausgabe.  Bei  der  Besprechung  der  Codices  konnte  der 
Hgbr.  oft  auf  Vol.  I  verweisen,  da  auch  hier  die  Lex  Rom.  Visig. 
eine  ähnliche  Ersatzrolle  spielt  wie  beim  Cod.  Tb.  Dabei  wird  die 
Hs.  L  der  Lex  Rom.  Vis.  für  die  in  ihr  überlieferten  Novellen  besser 
eingeschätzt,  als  es  Mommsen  für  Cod.  Theod.  tat  (s.  o.  b.  107).  — 
Der  Text  zerfällt  in  drei  Abschnitte:  I.  Corpus  legum  novellarum 
Theodosii  II,  Valentiniani  Iii,  Maioriani  in  occidente  a  Maioriano 
conditum.  (Dieses  Corpus  Maiorianum  umfaßt  den  Hauptteil  des 
Textes  bis  S.  178.)  II.  Legum  novellarum  in  Oriente  promulgatamm 
Marciani  in  Epitomen  Alaricianam  reeeptae  (S.  179 — 196);  III.  Aue- 
tarium,  leges  novellas  extravagantes  continens  Severi  et  Anthemii.  S.  197 
bis  211.  Corrigenda  et  addenda  (auch  zu  Vol.  1  -  Codex  Theodos.  ed. 
Mommsen)  auf  S.  213—219  schließen  das  Werk.  In  der  Vorrede 
erklärt  der  Herausgeber,  daß  er  nach  Mommseus  Tod  häufig  von 
O.  Seeck  beraten  worden  sei.  —  Die  unter  dem  Texte  immer  an- 
gegebenen Varianten  der  Hss.  regen  zu  sprachlichen  Untersuchungen  an. 

215.  II.  'Ipatßavtivä;.  Zupfo)^  teioptxr,  ef;  ~r,v  sp|ir(v£iav 
too  Öe3|jL0'j   tt;;   -«xtixt;;  dzpo»-opt3TO'j  rspiouaia?  tiov  'j7rs;o'j3icuv. 


■ 

* 

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Cod.  Theod.  und  Novellen  dazu.   Notitia  dignitatum.  —  Cod.  Just.  Hl 

'Adr,vat  1902,  sucht  nach  K.  Triantaphyllopoulos,  Sav.-Z.  XXV  40G 
bis  409  durch  neue  Gründe  die  Ansicht  zu  stützen,  daß  Konstantin 
durch  die  Verordnung  Cod.  Th.  8,  18,  1  eine  Veränderung  der 
väterlichen  Rechte  an  den  bona  materna  derart  vorgenommen  habe, 
daß  das  Muttergut  nicht  mehr  dem  Vater,  sondern  dem  Kind  zustehen 
solle.  Es  werden  dabei  auch  einige  andere  Stellen  von  Cod.  Th.  be- 
sprochen; bei  Pap.  resp.  29,  2,  86  pr.  liest  Vf.:  divum  .  .  Pium 
contra  constituisse  ...  in  eo,  qui  legationis  causa  Romae  erat  et 
filio  (statt  filium  qui)  matris"  delatam  possessionem  absens  amiserat  usw. 

Stephan  Braßloff  (s.  o.  Nr.  165)  liest  in  Cod.  Th.  12,  1, 
18  filios  .  .  militarium  .  .  .  aut  patris  militiam  assequi  volumus  aut, 
si  detrectaverint  militare  et  triginta  quinque  annos  impleverint, 
curiis  mancipari  statt  XXXV  nicht  mit  Gothofred  und  Seeck  XXV, 
sondern  XXIV;  Br.  erklärt  die  Verwechselung  von  XXIV  mit  XXXV 
paläographisch  durch  versehentliche  Verlängerung  des  Zehner- 
querstriches. 

216.  Chauvin,  La  Constitution  du  Code  Thtfodosien  sur  les 
agri  deserti  et  le  droit  arabe.    Möns,  1900. 

217.  Edouard  Cuq  sprach  beim  internationalen  Kongreß  für 
die  historischen  Wissenschaften  (Rom,  April  1903)  über  den  Nutzen 
der  Borghesischen  Listen  der  Praefecti  praetorio  für 
die  Geschichte  der  Gesetzgebung  in  der  späteren  Kaiserzeit.  (Nach 
Nouv.  Revue  XXVII  474.) 

c)  Notitia  digrnltatum. 

218.  Die  Notitia  dignitatum  hat  nach  Mommsen,  Hermes 
XXXVI  547  ihre  letzte  Redaktion  um  das  Jahr  425  n.  Chr.  er- 
halten.   (Vgl.  WklPh.  1902  S.  525.) 

219.  J.  Schöne,  Zur  Notitia  dignitatum,  Hermes  XXXVII  271 
bis  277  konstatiert  nach  WklPh.  1902  S.  1295  „zwischen  der  Not.- 
dign.  per  orientem  und  der  per  occidentem  auch  von  sprachlichen 
Gesichtspunkten  aus  dasselbe  Verhältnis,  das  Mommsen  und  Seeck 
schon  aus  sachlichen  Gründen  festgelegt  haben."  (Vgl.  auch  Kipp. 
Gesch.  der  Quellen  S.  132.)  —  *  Zitiert  sei  hier  P.  Koch,  Die 
byzantinischen  Beamtentitel  von  400—700,  Jena  1904  (WklPh.  1904 
S.  222). 

VII.  Codex  Justinianus 
und  Syrisch  -  römisches  Rechtsbuch. 

a)  Cod.  Just. 
219.  Wladimir  Benesche witz,  [Codex  Justineus  V),  Sav.-Z. 
XXIV  409—414  wirft  die  Frage  auf,  ob  der  heilige  Theodor  bzw. 


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W.  Kalb:  Römische  Juristen. 


dessen  Vita  nicht  vielleicht  den  Nachweis  liefern  könnte,  daß  es 
schon  einen  Cod.  Jnstineus  gegeben  hätte.  Es  ist  kaum  anzunehmen, 
daß  man  den  Hinweis  auf  (nicht  Justins,  sondern)  Justinians  Pan- 
dekten und  Codex  und  Novellen  verkennen  wird  in  den  Worten : 
Ouxos  6  ittax&caToc  ßaadeu?  'louaxivtavoc,  rcpo  tt,?  autou  aö-toxpatia?, 
in  Cävto?  tou  iaotoD  öetoo,  ^vfxa  xai  oi  iraXaiol  v6*pot  dvexaivtaftr^aav 
[=  Dig.]  xal  r,  veapd  (sie  galt  also  noch  zur  Zeit  des  Hagiographen) 
vofioöeaia  £7pa<p>)  [=  Cod.]  xal  r^tuö^aav  iravxa  iv  uwt  ßtjftcp  (ir.i- 
TLkrfikv  to  ßißXt'ov  r,  via  xlXeoaic  [=  Novellae  constitutiones,  wobei  der 
Hagiograph  offenbar  jene  Sammlung  der  Novellen  im  Sinne  hatte,  die 
auch  einige  Erlasse  von  Justin  II  aufgenommen  hat]  täv  ßaaiXeo- 
oVccuv  [nicht  ßaaikeuaaVccuv]) ,  töts  .  .  .  OeoSwpav  £aotcj>  -p^aiav 

220.  B.  Brugi,  II  nome  deir  azione  nel  „libellus  conventionisu 
Giustinianeo.  5  S.  (Aus  der  Festgabe  für  J.  Pepere,  Napoli  1900) 
glaubt,  daß  die  Nennung  des  Namens  der  beabsichtigten  Klage  im 
Klageschriftsatz  nicht  fakultativ  und  überflüssig  war  (wie  E.  I.  Bekker 
aus  Cod  Just.  2,  57,  1  schloß),  sondern,  abgesehen  von  bestimmten 
Fällen,  obligatorisch. 

221.  Ch.  Diehl,  Justinien  et  la  civilisation  byzantine  au 
VIe  siecle.  Paris,  1901,  bringt  nach  G.  May,  Nouv.  Revue  XXVT 
über  die  gesetzgebende  Tätigkeit  Justinians  nichts  Neues. 

222.  H.  Fitting  berichtet  in  Sav.-Z.  XXIII  434—438  über 
Reste  einer  Handschrift  des  Justinianischen  Codex  mit  voraccursischen 
Glossen  aus  dem  Ende  des  12.  Jahrhunderts,  die  Prof.  Cantor  zu 
Halle  in  den  Einband  eines  Buches  eingearbeitet  fand.  Sie  umfassen 
30  —  40  Zeilen  von  Krügers  großer  Ausgabe  und  stimmen  mit  der 
Vulgata  überein. 

223.  P.  Krüger,  Zu  Cod.  Just.  5,  1,  5,  Sav.-Z.  XXII  (1901) 
S.  52 — 55  verteidigt  gegen  Riccobonos  Annahme  einer  Justinianischen 
Interpolation  die  Echtheit  des  Erlasses  von  Leo  aus  dem  Jahre  472, 
worin  dieser  die  Strafe  des  quadruplum  auf  das  duplum  der  Arra 
sponsalicia  mindert. 

224.  P.  Krüger,  Beitrag  zur  accessio  temporis  bei  der  Er- 
sitzung, Sav.-Z.  XXVI  144—148  erinnert  u.  a.  daran,  daß  für  Just. 
Cod.  7,  31,  3  seine  kritische  Ausgabe  in  der  Stereotypausgabe  ver- 
bessert ist.  Außerdem  weist  er  eine  Aufstellung  von  Zanzucchi, 
Archivio  giuridico  LXXII  177  ff.  über  die  Anrechnung  der  Besitzzeit 
zurück. 

225.  B.  K  übler  beanstandet  Sav.-Z.  XXIV  eine  Übersetzung 


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■ 

i 

Cod.  Just.   Syrisch-römisches  Rechtsbuch. 


113 


Stockars  (s.  o.  Nr.  55)  von  Just.  Cod.  11,  41,  6  (Lenones  patres  et 
dominos  usw.) 

226.  R.  de  Ruggiero,  1  papiri  Greci  e  la  „stipulatio  duplae". 
Estratto  dal  Bull.  XIV  (1901)  fasc.  2  liefert  nach  B.  Kübler,  Sav.-Z.  XXIV 
451  ff.  durch  Besprechung  eines  griechischen  Kaufkontraktes  aus  dem 
Jahre  454  n.  Chr.  (vgl.  Wilcken,  Arch.  f.  Pap.  II  142)  eine  Illustration 
der  Zustände,  die  den  Kaiser  Justinian  zu  dem  Erlaß  von  Just.  Cod. 
7,  47  bestimmten.    Denn  während  im  kiass.  Recht  der  Verkäufer, 
wenn  überhaupt  stipuliert  wird,  in  der  Regel  nur  die  Erstattung  des 
doppelten  Kaufpreises  zusichert  für  den  Fall  der  Entwehrung  (stipulatio 
duplae),  verspricht  er  in  der  angeführten  Urkunde  auch  noch  die 
doppelten  dvaX(ufj.axa  und  Bairav^u-ara.   Dazu  ließ  sich  ein  Verkäufer 
jedenfalls  erst  herbei,  als  man  mit  der  actio  emti  vom  Verkäufer  im 
Falle  der  Entwehrung  das  ganze  Interesse  erlangen  konnte,  also 
unter  Umständen  dasselbe  oder  sogar  noch  mehr,  als  durch  die  ge- 
wöhnliche actio  ex  stipulatu  duplae.  Jetzt  war  ein  vorsichtiger  Käufer 
nicht  mehr  zufrieden  mit  der  gewöhnlichen  stipulatio  duplae;  denn 
die  Form  der  Stipulation  sollte  ihm  ja  besondere  Garantien  bieten, 
die  er  sonst  nicht  gehabt  hätte.   So  läßt  er  sich  denn  auch  noch  das 
Doppelte  der  impensae  versprechen  (in  anderen  Urkunden  auch  noch 
die  Haftung  wegen  ßXotßij,  damna).   So  habe  sich  der  Käufer  im  Falle 
der  Entwehrung  unter  Umständen  unrechtmäßig  bereichert,  und  diesem 
Abusus  trat  Just.  Cod.  7 ,  47  entgegen :  hoc  quod  interest  dupli 
quantitatem  minime  excedere. 

•Zitiert  sei  E.  de  Angelis,  Sulla  legge  C.  2,  De  resc.  vend., 
4,  44.  Circulo  giuridico  1900.  XXXI  361—867.  —  C.  Arnö,  La 
const.  2  Cod.  4,  48  nella  Summa  Perusina.  Modena  1902.  4°. 
14  S.  —  C.  Arnö,  Comento  ad  Cod.  De  peric.  et  coram.  rei  ven- 
ditae  (4,  48)  Const.  1.  Archivio  giur.  LXV  301—304.  —  G.  Pfann- 
müller, Die  kirchliche  Gesetzgebung  Justinians.  Bespr.  in  ThLZ. 
21  (1902)  S.  571. 

b)  Syrisch-römisches  Rechtsbuch. 

228.  Ferrini,  Beiträge  zur  Kenntnis  des  sog.  Syrisch-römischen 
Rechtsbuches,  Sav.-Z.  XXIII  1902  S.  101  ff.  ist  von  Kipp,  Gesch.  d. 
Quellen  S.  134  Anm.  39  erwähnt. 

229.  L.  Mitteis,  Über  drei  neue  Handschriften  des  Syrisch- 
römischen Rechtsbuches.  Abh.  d.  preuß.  Akad.  d.  Wiss.  1905, 
59  S. 

Jahresbericht  fnr  Altertumswissenschaft.   B<1.  CXXXIV.   (1907.  II.)  8 


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W.  Kalb:  Römische  Juristen. 


VIII.  Germanisch-römische  Rechtsquellen. 

a)  Das  gesamte  Westgotenrecht. 

230a.  Rafael  de  Urefta  y  Smenjaud,  La  legislaciön 
Götico-Hispana.  (Leges  antiquiores.  . —  Liber  iudicioram.)  Madrid 
1905. 

Der  Absicht,  anläßlich  der  Vollendung  von  Zeumers  Ausgabe  der 
Leges  Visigothorum  im  Anschluß  an  akademische  Vorlesungen  eine 
Abhandlung  von  50  oder  100  Seiten  zu  bieten,  ist  ein  umfangreiches 
Werk  (588  S.)  entsprungen,  welches  den  Manen  von  Th.  Moramsen  und 
E.  Pe"roz  Pujol  gewidmet  ist.  Zunächst  gibt  der  gelehrte  Verfasser 
eine  Übersicht  über  die  Literatur  zur  westgotischen  Gesetzgebung  im 
vorigen  Jahrhundert ;  in  einem  zweiten  Kapitel  bespricht  er  die  Aus- 
gaben jener  Gesetze  bis  auf  Zeumer  sowie  die  Funde  einzelner  Stücke ; 
das  dritte  Kapitel  behandelt  die  Weiterentwicklung  des  Westgoten- 
rechtes (S.  108 — 586),  und  hier  ist  Vf.  Spezialist  von  hervorragender 
Gelehrsamkeit  und  Bedeutung.  Im  vierten  Kapitel  (Apöndice)  druckt 
R..  de  ürena  u.  a.  auch  ein  von  Zeumer  in  seiner  Ausgabe  über- 
gangenes, von  der  span.  Akademie  1815  veröffentlichtes  Stück  ab. 
Interessant  ist  auch  die  phototypische  Wiedergabe  von  drei 
Blättern  von  Hss.:  wir  haben  vor  uns  1.  ein  vereinzeltes,  mit  dem 
Cod.  Legionensis  vereinigtes  Blatt  aus  einem  Codex  des  10.  Jahr- 
hunderts vom  Liber  iudiciorum,  2.  und  8.  Vorder-  und  Rückseite  von 
Fol.  158  des  Cod.  B  32  der  Biblioth.  VallicelL  zu  Rom,  von  der 
Lectio  legum,  aus  dem  10.  Jahrhundert  (vgl.  Gaudenzi,  Riv.  ital.  per 
le  scienze  giur.  VI  [1888]  S.  284  ff.).  —  Wir  sind  leider  in  diesem 
Grenzgebiet  des  röm.  Rechtes  so  wenig  bewandert,  daß  wir  uns  damit 
begnügen  müssen,  in  so  allgemeiner  Weise  den  Fachleuten  von  dem 
Werke  Kenntnis  zu  geben. 

280b.  R.  de  Urefta  y  Smenjaud,  Observaciones  acerca  del 
desenvolvimento  de  los  estudios  de  Uistoria  del  Derecho  Espafiol. 
Discurso  leldo  en  la  solemne  inauguraciön  del  curso  acad£mico  de 
1906/07.  Madrid  1906  ist  ebenfalls  ein  Werk  bibliographischen  In- 
halts, durch  welches  der  gelehrte  Vf.  das  Studium  der  spanischen 
Rechtsgeschichte  zur  früheren  Höhe  zurückzuführen  sucht.  Möge  es 
ihm  gelingen,  den  Gelehrtennachwuchs  mit  seinem  Geiste  zu  erfüllen ! 

231.  K.  Zeumer,  Geschichte  der  west gotischen  Gesetzgebung. 
Neues  Archiv  für  ältere  Geschichtskunde  XXVI  (1900,1901)  S.  91 
bis  149. 


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Germanisch-römische  Rechtsquellen. 


115 


b)  Lex  Romana  Vislgothorum. 

232.  Max  Conrat  (Cohn),  Breviarium  Alaricianum.  Römisches 
Recht  im  fränkischen  Reich  in  systematischer  Darstellung.  Leipzig 
1903  ist  uns  nur  aus  der  Anzeige  von  H.  Krüger,  Sav.-Z.  XXV 
410 — 420,  bekannt.  Das  Werk  bietet  keine  freie  Bearbeitung  des 
Stoffes,  sondern  füllt  ein  nach  neueren  Begriffen  hergestelltes  System 
(Einleitung:  Quellen  des  Rechtes;  Privatrecht,  Zivilprozeßrecht,  Straf- 
recht, Staats-  und  Kirchenrecht)  mit  den  Worten  des  Breviariums  aus, 
und  zwar,  soweit  die  „Interpretatio"  vorhanden,  mit  einer  (nach  H.  Krüger 
oft  nur  allzu  wörtlichen  und  nicht  durchaus  einwandfreien)  Übersetzung 
der  Interpretatio.  „Anmerkungen"  verzeichnen  die  wesentlichen  Ab- 
weichungen der  Interpretatio  vom  eigentlichen  Legaltext;  „Noten" 
unter  den  Anmerkungen  enthalten  den  vollständigen  lateinischen  Text 
des  Breviariums  samt  der  Interpretatio,  nach  der  Hänelschen  Aus- 
gabe. Wenn  ein  Text  in  mehrere  Materien  eingreift,  ist  er  mehrere 
Male  abgedruckt,  soweit  nötig.  —  H.  Krüger  fügt  einige  Winke  bei, 
wie  die  Übersetzung  Conrats  hätte  verbessert  werden  können.  Vgl.  o. 
Nr.  164  (S.  79). 

233.  Max  Conrat  (Cohn),  Die  Entstehung  des  Westgotischen 
Gaius,  Verhandelingen  der  Akademie  van  Wetenschappen  te 
Amsterdam,  Afd.  Letterkunde,  N.  R.  VI  4  (1905)  ist  im  Nachtrag 
besprochen. 

234.  Th.  Mommsen,  Eine  verlorene  Breviarhandschrift.  Sav.-Z. 
XXII  (1901)  S.  55 — 58.  Aus  einer  nicht  mehr  vorhandenen  Hand- 
schrift der  Lex  Rom.  Vis.  sind  in  einem  Exemplar  der  Sichardschen 
Ausgabe  (Pariser  Bibliothek  Reserve  F  4)  Einträge  von  Petrus 
Pithoeus  (1496/97-1553/54)  gemacht. 

Vgl.  auch  oben  Nr.  212  —  214. 

235.  *Der  Titel  sei  erwähnt  von  E.  Besta,  Per  la  determina- 
zione  dell'  eta  e  della  patria  della  cosidetta  Lex  Romana  Rhaetica 
Curiensis,  Rivista  italiana  per  le  scienze  giuridiche  XXX  (1900)  309 
bis  374  und  XXXI  (1901)  3—64.  —  C.  Calisse,  II  Breviario 
Alariciano,  Archivio  giuridico  LXXII  143-147. 

e)  Leg-es  Vlslgothorum. 

236.  Die  schon  länger  vorbereitete  (vgl.  diesen  Jhber.  CIX  83) 
Ausgabe  der  Leg  es  Visigothorum  von  Zeumer  ist  in  den 
Monumente  Germaniae  historica,  Legum  Sectio  I,  erschienen. 

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11U 


\V.  Kalb:  Römische  Juristen. 


d)  Leg-es  Alamannorum. 

237.  B.  Schröder,  Romanische  Elemente  in  dem  Latein  der 
Leges  Alamannorum,  Diss.  Rostock  1898,  72  S.  ist  uns  nur  aus  dem 
Bericht  von  W.  Meyer- Lübke  in  Vollmöllers  Rom.  Jhbcr.  VI  1, 
S.  123  bekannt. 

IX.  Agrfmensoren. 

Im  Hinblick  auf  den  neuen  Stoff,  den  Papyri  und  (in  Deutsch- 
land) das  Bürgerliche  Gesetzbuch  den  Romanisten  bieten,  kann  es  nicht 
wundernehmen,  daß  hinsichtlich  der  Feldmesser  die  Forschung  ruhte. 
Nur  weniges  ist  zu  verzeichnen. 

238.  B.  Brugi,  Nuovi  studi  sugli  agrimensori  romani,  Rendi- 
conti  della  Reale  Accademia  dei  Lincei  XI  (1902)  S.  334 — 341  gibt 
einige  Nachträge  zu  seinem  von  der  Accad.  dei  Lincei  preisgekrönten 
Werke  Le  dottrine  giuridiche  degli  agrimensori  romani,  Verona- 
Padova  1897.  Er  bespricht  I.  Un  termine  graccano  delT  ager  Cam- 
panus. II.  Fiumi  pubblici  compresi  nella  limitazione.  III.  Pascua 
fundorum  publica.  —  Forts,  ebenda  XII  (1903)  293—300. 

239.  Fr.  Stolz,  Zum  latein.  Wortschatz,  Indogerman.  For- 
schungen XVII  85—98  glaubt  nach  WklPh.  1904  S.  1263,  daß  arci- 
finius  ager,  „das  neutrale  Grenzgebiet",  erwachsen  sei  aus  arcae 
finium,  d.  i.  „Marksteine  der  Grenzen". 

240.  H.  Schöne,  Das  Visierinstrument  der  röm.  Feldmesser. 
Mit  1  Tafel  und  6  Abbildungen.  Jahrbuch  des  deutschen  archäol. 
Instituts  1901,  III  127—132. 


Nachträge. 


Seit  Einlieferung  des  Ms.  hat  Ref.  zwar  auf  systematische  Durchsicht 
der  neueren  Literatur  auf  unserem  Gebiete  verzichtet,  aber  trotzdem  glaubt 
er,  wenigstens  die  wichtigeren  oder  interessanteren  von  den  Veröffent- 
lichungen, die  ihm  bis  Juli  1907  bekannt  wurden,  erwähnen  zu  sollen. 

Zu  S.  3  (Nr.  1).  C.  Bertolini,  Le  obbligazioni  fasc.  5  und  6 
(bis  S.  689),  Torino  1906/07  behandelt  von  den  Konsensualkontrakten 
Kauf  und  Miete.  Auch  in  dieser  Fortsetzung  zeigt  sich  eine  staunens- 
werte Kenntnis  der  neuen  (besonders  auch  deutschen)  Literatur.  — 
Auf  S.  673  erfahren  wir,  daß  Cicogna,  *  Sulla  cosidetta  relocatio. 
tacita,  Archivio  giur.  LXXIV  (1905)  S.  259  ff.  bei  Ulp.  ed.  19,  2,  14 


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Nachträge. 


117 


et  huiusmodi  contractus  neque  verba  neque  scripturam  utique  desi- 
derant  für  interpoliert  erklärt.  Aber  Jnstinian  hat  es  wohl  nicht  inter- 
poliert, wegen  utique,  vgl.  Kalb,  Jagd  S.  16  f.  (26  f.) 

Zu  S.  8  (Nr.  17  a).  L.  Hahn,  Rom  und  Romanismus  im 
griechisch-römischen  Osten.  Mit  besonderer  Berücksichtigung  der 
Sprache.  Bis  auf  die  Zeit  Hadrians.  Leipzig  1906  bietet  eine  Studie 
über  den  Einfluß  des  römischen  Geistes  und  des  römischen  Wesens 
auf  die  griechisch  redende  Welt.  Die  Ausbreitung  des  römischen 
Rechtes  wird  dabei  nur  gelegentlich  gestreift.  Interessant  ist  jedoch 
der  Nachweis,  daß  gerade  auch  Wörter  aus  dem  römischen  Rechts- 
und Staatsleben  in  größerer  Zahl  in  die  griechische  Sprache  Eingang 
fanden,  und  zwar  nicht  erst  in  spätrömischer  Zeit  (vgl.  Kalb,  Roms 
Jur.  S.  1).  Polybios  zwar  hält  sich  noch  ziemlich  zurück  und  be- 
schränkt sich  auf  Wörter,  für  welche  das  Griechische  keinen  völlig 
deckenden  Ausdruck  hatte,  wie  oixtaxcop,  iratpfxio?;  spätere  Schrift- 
steller aber  sowie  Inschriften  lieferten  größere  Ausbeute.  Ein  Index 
von  lateinischen  Fremdwörtern  auf  S.  270 — 274  führt  unter  etwa 
820  Wörtern  auf:  alpaptov,  tä  axxeirta,  Ssitoaita,  eotxxa,  xapxapa, 
xoupaTopsuu),  xtoö'txsXXoc,  jxotrov,  o'jtvStxta,  TexouXta,  titXoc. 

Zu  S.  17  ff.  (Nr.  43—49).  Ch.  Collard,  De  fauthenticite*  de 
la  loi  des  XII  Tables.  Louvain  1907  gibt  auf  58  S.  in  ausführ- 
licherer Weise,  als  uns  es  der  Raum  gestattete,  eine  Darlegung  des 
Versuches,  die  XII  Tab.  als  unecht  zu  erklären,  sowie  die  Nachweise 
seiner  Unhaltbarkeit. 

Zu  S.  27  f.  Für  die  wörtliche  Auffassung  des  secare  =  »Zer- 
stückeln" tritt  neuerdings  ein  E.  I.  Bekker  (s.  o.  Nr.  104a),  indem 
er  die  Erbitterung  gegen  den  zahlungsunfähigen  Schuldner  mit  leb- 
haften Farben  malt.  Den  Pluralis  secanto  erklärt  B.  damit,  daß  ein 
einzelner  Gläubiger  den  „Lumpen"  trans  Tiberim  verkauft  haben 
wird ;  wenn  mehrere  Gläubiger  auftraten,  wollte  mau  unnütze  Streitig- 
keiten vermeiden  und  gab  die  Parole  aus:  „Schlagt  den  Hund  tot!" 
—  Der  Hinweis  darauf,  daß  schon  Plautus  secare  =  zerstückeln 
faßte  oder  vielmehr  von  dem  Auditorium  so  gefaßt  wissen  wollte, 
scheint  weniger  zu  beweisen,  weil  das  mißverständliche  secare  in  der 
längst  veralteten  Verordnung  zu  Witzen  geradezu  herausforderte. 

Zu  S.  34  (Nr.  64).  P.  F.  Girard,  Les  jurSs  de  Pactum  d'in- 
jures  —  Me'langes  Gerardin  1907  S.  255  ff.  zeigt  u.  a.,  wie  sich  die 
Injurienklage,  die  sich  in  den  XII  Tab.  nur  auf  Tätlichkeiten  bezog, 
allmählich  auf  alle  Beleidigungen  ausdehnte. 

Zu  S.  39.  Mitteis  druckt  in  Sav.-Z.  XXVII  355—357  ein 
neues  Bruchstück  (fast  zwei  Druckseiten)  der  sog.  Lex  metalli 


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W.  Kalb:  Römische  Juristen. 


Vipascensis  ab,  im  Anschloß  an  Cagnat,  Jonrn.  des  Sa?.  1906 
p.  441 — 448.  (Vgl.  Bruns,  Fontes  I  266 ;  Kipp,  Gesch.  der  Quellen  * 
S.  43  f.) 

Zu  S.  44  ff.  (Nr.  104  a).  E.  I.  Bekker  nimmt  in  Sav.-Z.  XXVII 
in  manchen  Punkten  eine  vermittelnde  Stellung  ein.  Die  Litis 
contestatio  hat  ihren  Namen  aus  den  Legisaktionen ,  wo  die 
Zeugenaufrufung  ein  „mundliches  Protokoll"  herstellte.  Im  Formular- 
prozeß bedeutet  die  1.  c.  den  Abschluß  der  Erteilung  einer  Formula 
(Keller);  die  Formula  ist  als  Befehl  des  Beamten  gestaltet  und  wird 
nach  Vereinbarung  mit  den  Parteien  erlassen ;  der  Befehl  bedarf  aber 
zur  Erlangung  der  Rechtskraft  „noch  einer  nachträglichen"  (das  Ende 
der  Verhandlungen  in  iure  bildenden)  „Billigung  seitens  der  Parteien, 
die  ihren  Ausdruck  findet  in  dem  (uns  formell  unbekannten)  litem 
contestari,  das  der  Actor  im  Einverständnis  mit  dem  Reus  vor- 
zunehmen hat  Auf  diese  Erklärung  des  Einverständnisses  ist  der 
Name  und  sind  die  Folgen  der  1.  c.  übertragen".  Daß  im  Formular- 
prozeß der  actor  das  eigentliche  Subjekt  des  contestari  war,  be- 
weist E.  I.  B.  aus  dem  Vocab.  iurispr.  —  Zu  erwähnen  ist  auch 
B.s  Annahme,  daß  das  häufige  ius  dicito  usw.  in  Gesetzen  darauf  hin- 
zuweisen scheine,  daß  ius  dicere  ursprünglich  einen  mehr  oder  minder 
feierlichen  Eröffnungsakt  des  Magistrats  bedeutet  habe,  welcher  den 
rechtsverbindlichen  Äußerungen  der  Parteien  (und  der  datio  iudicü) 
vorherging.  (Busz,  s.  d.  F.,  S.  46  zieht  geradezu  eine  Parallele  zwischen 
den  tria  verba  praetoris  do  dico  addico  und  den  Worten  von  Ge- 
setzen ITA  IUS  DICITO  IUDIC1A  DATO  IUDICARE  IÜBETO  oder 
IURIS  DICTIO  REC UPERATORUM  DATIO  ADD1CTIO  ESTO  u.  ä.) 

H.  Busz,  Die  Form  der  Litiscontestatio.  Diss.,  Münster  1907 
kommt  in  einer  gründlichen  Abhandlung  Uber  die  ganze  Frage  (B.  ist 
Schüler  von  H.  Erman)  im  wesentlichen  zum  gleichen  Ergebnis  wie 
E.  I.  Bekker,  dessen  Abhandlung  er  nur  noch  zitieren  konnte.  Er 
weist  u.  a.  darauf  hin,  daß  die  Grundlage  zu  einer  Vereinbarung 
über  die  formula  in  der  editio  actionis  lag.  Die  datio  actionis  durch 
den  Prätor  erfolgte  allen  Anzeichen  nach  mündlich;  auch  dafür,  daß 
das  daran  anknüpfende  litem  contestari  des  Klägers  oder  das  iu- 
dicium  accipere  des  Beklagten  im  Formularprozeß  von  Anfang  an 
schriftlich  geschehen  mußte,  liegt  nach  B.  kein  Beweis  vor,  da  man 
praescriptio  auf  die  Voranschrift  im  prätorischen  Album  beziehen 
könne,  woraus  sich  vielleicht  die  übertragene  Bedeutung  „Begrenzung" 
(s.  o.  S.  46)  entwickelte.  Der  Zeugenaufruf  mit  Testes  estote  (als  münd- 
liches Protokoll  Über  die  Formula  gedacht)  bestand  nach  B.  auch  im 
Formularprozeß  zunächst  noch  fort,  wenn  er  auch  in  der  klass.  Zeit 


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Nachtrage. 


119 


vermutlich  allmählich  fortfiel,  so  daß  die  vorher  nur  übliche  Aufzeich- 
nung der  formula  Rechtseinrichtung  wurde.  —  Die  Echtheit  des  Wort- 
lautes bei  Sev.  und  Carac.  Cod.  3,  9,  1  si  tantum  postulatio  simplex 
celebrata  sit  scheint  dem  Vf.  kaum  anfechtbar  (so  ist  wohl  zu  lesen 
statt  „annehmbar"),  da  sich  nach  Carlo  Longos  Vocab.  die  Wendung 
postulationem  celebrare  bei  Just,  nicht  finde.  Aber  celebrare  =  facere 
(z.  B.  venditionem)  findet  sich  bei  Just,  oft  (vgl.  Kalb,  Juristenlatein 
S.  68).  —  In  einem  Anhang  nimmt  B.  Stellung  gegen  Ausführungen 
in  Schloßmanns  neuester  Schrift  *  Praescriptiones  und  praescripta 
verba,  Leipzig  1907. 

Zu  S.  47  (Nr.  105).  St.  Braßloff,  Zu  Hör.  Serm.  2,  1, 
74 ff.  will  tabulae  in  dem  Verse  solventur  risu  tabulae  nicht 
mit  Erman  auf  die  Urkunde  der  Formula  beziehen,  sondern  als 
testificationes  verstehen  (vgl  Paul.  resp.  3,  2,  21  pr.),  worin  Augustus 
bezeugt,  daß  die  carmina  des  Horaz  bona  seien  und  andere  Personen 
die  Integrität  seines  Charakters  und  die  ehrlose  Gesinnung  der 
Prozeßgegner  bestätigen. 

Zu  S.  54  (Nr.  127).  Emilio  Costa,  I  papiri  fiorentini.  Atti 
del  lt.  Istituto  Veneto  di  scienze,  lettere  ed  arti,  Anno  accad.  1906 — 07. 
Tom.  LXVI  parte  II  91 — 118  behandelt  aus  den  Papyri  zu  Florenz, 
welche  Girolamo  Vitelli  1906  herausgegeben  hat,  Urkunden  über 
Verpachtung  von  Immobilien ,  über  locatio  operarum ,  mutuum ,  ven- 
ditio,  pcrmutatio  und  andere  Verträge,  sodann  aus  dem  Familien- 
recht usw.    Zitiert  wird 

L.  Wenger,  Die  Stellvertretung  im  Rechte  der  Papyri,  Fest- 
schrift der  Univ.  Graz  vom  15.  Nov.  1906,  Leipzig  1906. 

Zu  S.  60.  Während  des  Druckes  teilt  Herr  Dr.  Fried r. 
Zucker,  der  die  Güte  hatte,  das  Diptychon  aus  148  in  Kairo  ein- 
zusehen, uns  mit  ,  daß  zwar  die  Lesung  P(ublius)  der  Außenseite 
sicher  sei,  daß  er  aber  auf  den  Innenseiten  —  soweit  er  bei  der 
schlechten  Beleuchtung  des  Arbeitszimmers  im  Museum  überhaupt  ein 
Urteil  abgeben  könne  —  eher  geneigt  gewesen  sei,  ebenfalls 
P(ublius)  zu  lesen.  „Das  P  hat  eine  Form,  die,  besonders  allerdings 
wenn  continuo  geschrieben  ist,  zur  Verwechslung  mit  C.  führen  kann." 
Herr  Dr.  Z.  weist  hin  auf  die  fast  völlig  gleiche  Schrift  des  Papyrus 
Nr.  CVIII  (Tafel  V)  bei  Grenfell-Hunt,  New  classical  fragments 
and  other  Greek  and  Latin  papyri,  Oxford  1897  (aus  167  n.  Chr.), 
besonders  auf  das  p  in  Zeile  8  und  auf  der  letzten  Zeile. 

Zu  S.  67.  R.  Samt  er,  Das  Verhältnis  zwischen  Scaevolas 
Digesten  und  Responsen.  Sav.-Z.  XXVII  (1906)  S.  151—210  scheidet 
zunächst  die  Anfragen  von  den  Bescheiden  und  zeigt,  daß  (besonders 


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120 


W.  Kalb:  Römische  Juristen. 


in  den  Digesten)  die  Anfragen  durch  ihre  oft  unbeholfene  oder  vul- 
gäre Ausdrucksweise  und  durch  Unkenntnis  des  juristischen  Sprach- 
gebrauchs, durch  Anführung  von  Punkten,  die  für  die  Rechtslage  ganz 
gleichgültig  sind,  sich  deutlich  von  den  Antworten  unterscheiden,  und 
glaubt,  daß  Scaevola  selbst  diese  Verstöße  (vgl.  oben  S.  86  Anm.) 
in  seinen  Antworten  zuweilen  richtig  stelle  oder  persifliere.  In  den 
Responsen  sind  diese  Anfragen  von  Scaevola  oder  einem  seiner 
Studiosi  überarbeitet.  Die  Digesten  dagegen  hält  S.  für  ein  posthumcs 
Nachschlagewerk ,  zusammengestellt  aus  selbständig  gesammelten 
Originalakten  usw.  unter  Einverleibung  der  (echten)  Responsen  und 
anderer  Sammlungen. 

Zu  S.  71.  H.  Dessau,  Sav.-Z.  XXVII  420  teilt  mit,  daß  im 
Sept.  oder  Okt.  1906  zu  Saloniki  eine  Inschrift  gefunden  wurde  'A^aö^ 
to^Ti  Aixtvviov  'Poucpeivov,  xöv  xpattSTOv  xol  Xatirpoxatov  xai  ivr.ti- 
potatov  vojxtov  OiraTtxov,  KXau&io?  Mevtov  t6v  eoepfsnjv.  Die  In- 
schrift bezieht  sich  auf  den  Pandektenjuristen  Licinnius  Rufinus, 
der  zu  Anfang  des  8.  Jahrhunderts  lebte.  Dazu  stimmt  nach  D.  die 
Zeit  des  Claudius  Menon,  der  auch  in  anderen  Inschriften  genannt 
wird.  Der  Jurist  Lic.  Ruf.  ist  nach  D.  auch  identisch  mit 
M.Gnaeus  Licinius  Rufinus,  der  in  mehreren  Inschriften  von Thyatira 
ebenfalls  6  XajxrpfootTO?  Giratixo?  genannt  wird. 

Zu  S.  84  (Nr.  175).  In  Sav.-Z.  XXVII  405—419  begründet 
H.  Erman  einige  seiner  Aufstellungen  näher  gelegentlich  einer  Be- 
sprechung von  R.  Leonhard,  Die  Replik  des  Prozeßgewinnes  (Fest- 
gabe für  F.  Dahn  II  65—106,  Breslau  1905).  —  Vgl.  auch  Nr.  181  a. 

Zu  S.  99  (Nr.  200).  Schloß  mann,  Nachträgliches  zu  persona 
und  Trp6au>rcov,  Sav.-Z.  XXVII  358  —  360  widerlegt  die  Ableitung  von 
persona  aus  sona  (=  Cwvtj)  durch  Stowasser  und  Walde  und  erwähnt 
die  Erklärung  aus  dem  etrusk.  ?ersu  durch  Skutsch,  Arch.  f.  lat. 
Lex.  XV  145. 

Zu  S.  100.  Fritz  Schulz,  Klagen -Zession  im  Interesse  de* 
Zessionars,  Sav.-Z.  XXVI I  82—150  bespricht  kritisch  und  exegetisch 
eine  Reihe  von  Digestenstellen.  Interpolationen  nimmt  er  u.  a.  an  bei 
Afr.  q.  46,  1,  21  pr.  ideoque  in  utraque  specie  transeunt  obligationes. 

Zu  S.  106  (Z.  21)  und  S.  110  (Nr.  214).  Der  Turiner  Palimp- 
sest  des  Cod.  Th.  ist  im  Bibliothekbrande  1903  untergegangen,  nach 
P.  Krüger,  Krit.  Viertelj.  XLVII  (1906)  S.  37.  —  Hier  bespricht 
P.  Krüger  auf  S.  36 — 42  die  neue  Ausgabe  des  Cod.  Th.  und  be- 
sonders P.  M.  Meyers  Ausg.  der  Novellae  ad  Theod.  pert.  Meyer 
hatte  auf  die  Benutzung  von  Krügers  ihm  angebotenen  Vergleichungen 
verzichtet*,  wie  seine  Lesung  von  der  Krügers  in  vielen  Einzelheiten 


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Nachträge.  121 


auscim  .äergeht,  zeigt  Kr.  für  Vat.  reg.  1023  an  der  Hand  von  Nov. 
Theod.  24.  —  Zum  Schluß  regt  Kr.  die  Schaffung  einer  kritischen 
Palingenesia  sämtlicher  Kaisererlasse  (an  Stelle  des  Hänelschen  Corpus 
legum)  an,  die  er  hoffentlich  selbst  in  die  Hand  nimmt. 

P.  M.  Meyers  Ausgabe  ist  (ausführlich)  auch  besprochen  von 

B.  K übler,  Sav.-Z.  XXVII  877—394. 

Zu  S.  115  (Nr.  233).  Max  Conrat  (Cohn),  Die  Entstehung 
des  westgotischen  Gaius.  Nachdem  C.  in  gründlicher  Weise  eine 
Charakteristik  des  westgotischen  Gaius  (=  Epitome  von  Gai.  Inst, 
in  der  Lex  Romana  Visigothoruin)  und  seiner  Abweichungen  von  Gai. 
Inst,  gegeben  hat,  kritisiert  er  weiterhin  zunächst  die  „herrschende" 
Meinung,  nach  welcher  die  Kompilatoren  der  Lex  Rom.  Vfs.  die  Be- 
arbeitung des  Gaius,  die  sie  in  das  Gesetzbuch  aufnahmen,  im  großen 
und  ganzen  schon  vorfanden  (S.  47—83).    Dieser  gegenüber  glaubt 

C.  beweisen  zu  können,  daß  die  westgotische  Gaiusepitome  vom  west- 
gotischen Gesetzgeber  selbst  aus  den  Gaianischen  Institutionen  her- 
gestellt worden  sei*). 

*)  Von  den  Beweisen,  die  freilich  nicht  alle  stichhaltig  sind,  seien 
folgende  angeführt :  1.  Die  westgotische  Gaiusepitome  ist  nach  Erlassung  der 
Novelle  Valentinians  III.  vom  Jahre  447  (in  der  Ausgabe  von  Mommsen 
Cod.  Theod.  II  119  =  Nov.  Val.  25,  2,  in  Lex  Rom.  Vis.  =  Nov.  Val.  6, 
1,  2)  entstanden,  weil  in  1,  1,  6  das  durch  sie  geschaffene  Erbrecht  sich  findet. 
In  der  Zeit  zwischen  450  und  506  war  zwar  im  Osten  des  Reiches  eine  Art 
von  Renaissance  der  Rechtswissenschaft,  nicht  jedoch  im  Westen.  Die 
Epitome  von  Gaius  scheint  dem  Vf.  aber  (wohl  mit  Recht)  im  Westen  ent- 
standen (nicht  in  Rom,  da  beispielsweise  der  praetor  vor  dem  praeses  pro- 
vinciae  gestrichen  zu  sein  scheint,  1,  6,  3).  2.  Die  westgotische  Gaius- 
epitome scheint  dem  Vf.  mehrmals  auf  andere  Stellen  der  Lex  Rom.  Visig. 
Bezug  zu  nehmen:  so  werden  2,  1,4  bei  der  Besprechung  des  Satzes  super- 
ficies solo  cedit  im  Gegensatz  zu  Gai.  2,  73,  dagegen  mit  Lex.  Rom.  Vis. 
Cod.  Greg.  6,  1  die  Weinstöcke  erwähnt.  Mehrmals  glaubt  Vf.  vor  allem 
einen  Anklang  an  den  Wortlaut  der  Interpretatio  Legis  Rom.  Vis.  feststellen 
zu  können.  In  der  westgot.  Epitome  des  Gaius  heißt  es  z.  B.  2,  9,  17 
Dissolvitur  societas  . .  .  capitis  diminutione,  id  est,  si  unus  ex  soeiis,  sicut 
frequ enter  supra  diximus,  oapite  fuerit  diminutus.  Dies  kann  sich  nach 
Vf.  nicht  auf  die  eine  Stelle  Gai.  Vis.  2,  3,  5  si  . .  capite  minuatur,  id  est 
aut  ab  hostibus  capiatur  aut  pro  crimine  in  exsilium  deputetur  allein  be- 
ziehen. Vf.  glaubt,  das  frequenter  habe  auch  noch  die  Interpretatio  zu  Vis. 
Cod.  Th.  2,  19,  1  im  Auge:  —  und  das  wäre  nahezu  allein  ein  Beweis  dafür, 
daß  der  Kodifikator  der  Lex  Rom.  Vis.  selbst  die  Epitome  verfaßt  hat, 
wenn  nicht  die  gleiche  Wahrscheinlichkeit  dafür  spräche,  daß  frequenter 
supra  diximus  sich  außer  auf  Gai.  Vis.  2,  3,  5  auch  auf  eine  der  Stelle  Gai. 
1,  160  entsprechende  Stelle  der  westgotischen  Epitome  bezog,  welche  der 
Kodifikator  in  der  von  ihm  bereits  vorgefundenen  Epitome  strich.  (Daß 
die  Verweisung  trotzdem  stehen  blieb,  hätte  eine  Art  von  Parallele  z.  B. 


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W.  Kalb:  Römische  Juristen. 


Vf.  sacht  nicht  mit  blendender  Dialektik  einen  Augenblickserfolg 
zu  erzielen,  sondern  bringt  immer  auch  (and  dieser  Punkt  gibt  dem 
Buch  seinen  großen  wissenschaftlichen  Wert)  die  Einwendungen,  die 
man  gegen  seine  Gründe  ins  Feld  fahren  könnte,  um  sie  dann  nach 
Möglichkeit  zu  widerlegen.  Vielleicht  der  schwerwiegendste  Einwand 
ist  der,  daß  die  meisten  Gründe  des  Vf.  ihre  Geltung  behalten  auch 
bei  der  Annahme,  daß  der  Kodifikator  der  Lex  Rom.  Vis.  eine  Gaius- 
überarbeitung  vorfand  und  diese  durch  Streichungen  und  gelegentliche 
Einschiebungen  für  sein  Gesetzbuch  zustutzte.  —  Betrachten  wir  den 
letzten  Titel  von  Gai.  Vis.  (2,  10,  1),  so  heißt  es  hier:  Ex  delicto 
nascuntur  obligationes,  si  aliquis  furtum  fecerit,  vel  bona  aliena  ra- 
puerit,  vel  damnum  alteri  dederit,  aut  iniuriam  fecerit  ...  §  2. 
Furtorum  autem  genera  sunt  quatuor  usw.;  bis  zum  Ende  wird  nur 
vom  furtum  gesprochen,  die  anderen  Delikte  werden  gar  nicht  er- 
wähnt. Hätte  der  Koditikator  den  alten  Gaius  selbst  epitomiert,  so 
hätte  er  vermutlich  entweder  die  bona  rapta  und  das  damnum  datum 
in  §  1  ganz  weggelassen,  oder  er  hätte  am  Schiasse  (nach  §  6)  hin- 
zugefügt de  reliquis  delictis  alio  loco  referemus  oder  ähnlich.  Da- 
gegen ergab  sich  die  jetzige  Form  ganz  von  selbst,  wenn  der  Kodi- 
fikator der  Lex  Rom.  Vis.  eine  Gaiusepitome,  die  nicht  lange  vorher 
in  Südgallien  oder  Spanien  entstand,  schon  vorfand  und  sie  nur  für 
seine  Zwecke  zurechtmachte. 

in  dem  bekannten  uous  casus  bei  Just.  Inst.  4,  2,  5).  —  3.  Auch  die  Lücken, 
welche  die  westg.  Gaiusepitome  im  Vergleich  mit  Gai.  Inst,  aufweist,  erklärt 
Vf.  so,  daß  der  Kodifikator  in  seinem  Exzerpt  außer  Veraltetem  fast  nur 
solches  weggelassen  habe,  was  bereits  sonst  in  der  Lex  Rom.  Vis.  stand. 
Daß  man  den  Satz  beiseite  ließ  (Gai.  2,  69)  Quae  ex  hostibus  capiuntur 
naturali  ratione  nostra  fiunt  glaubt  Vf.  am  besten  aus  der  Annahme  zu  er- 
klären, daß  der  Vf.  der  Gaiusepitome  eben  ein  germanischer  Gesetzgeber 
war;  denn  jener  Satz  habe  germanischer  Rechtsanschauung  widersprochen, 
was  dem  Laien  etwas  auffallend  erscheinen  wird. 


Druckfehler. 

S.  3  Z.  20  v.  u.  sollte  stehen  Istituzioni. 
S.  36  Z.    8  v.  o.     „         „  Bormann. 


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Bericht  über  die  Literatur  zu  Ciceros  Reden  aus  den 

Jahren  1903—1906. 


Von 

J.  May  in  Durlach. 


In  der  Literatur  über  Ciceros  Reden  kommt  diesmal  am  meisten 
das  kritisch -rhetorisch -rhythmische  Moment  in  Betracht.  Durch 
A.  Clarks  und  auch  durch  W.  Petersons  Forschungen  über  den 
Cluniacensis  und  andere  Handschriften  und  durch  die  infolge  davon 
eingetretene  Änderung  in  der  Schätzung  derselben  wird  die  sonst  wohl 
ziemlich  gesicherte  kritische  Grundlage  der  Reden  Ciceros  mannig- 
fach berührt,  obwohl  diese  Studien  noch  nicht  abgeschlossen  sind. 
Dazu  kommen  die  Forschungen  Uber  den  Rhythmus,  die  jedoch  erst 
in  der  Entwicklung  begriffen  sind  und  noch  zu  keinem  festen  Re- 
sultate geführt  haben.  Ja  es  herrscht  nicht  einmal  Einverständnis 
über  die  Methode  der  Untersuchung,  weil  innerhalb  der  Periode  der 
Begriff  dessen,  was  rhythmisch  ist,  noch  nicht  mit  Sicherheit  fest- 
gestellt ist.  Jedenfalls  darf  sich  dieser  Begriff  nicht  auf  die  Klausel 
beschränken.  Wenn  in  dem  folgenden  Referat  bei  den  einzelnen  Be- 
sprechungen der  rhythmische  Gesichtspunkt  stark  hervortritt,  so  ge- 
schieht dies,  weil  für  dies  neue  Substrat  der  Cicerokritik  erst  Bahn 
geschafft  werden  muß.  Erfreulich  ist,  daß  die  neuere  Kritik  auf 
Grund  von  Ciceros  Schriften  auch  das  rhetorische  Moment  mehr,  als 
dies  in  den  seitherigen  Ciceroausgaben  geschieht,  berücksichtigt. 
Ebenso  ist  für  die  sachliche  Erklärung  der  Reden  selbst  in  juristischer 
Beziehung  manches  geschehen;  ferner  hat  des  Redners  politische 
Stellung  und  Bedeutung  eine  Erörterung  gefunden.  Von  den  be- 
zeichneten Bestrebungen  soll  das  nachfolgende  Referat  Zeugnis  ab- 
legen.   


1.  Anecdota  Oxoniensia.  Classical  Series,  Part.  X.  The  vetus 
Cluniacensis  of  Poggio  by  A.  C.  Clark.    Oxford  1905. 

2.  Von  demselben  Verfasser:  M.  Tulli  Ciceronis  orationes:  Pro 


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124 


Bericht  über  die  Literatur  zu  Cicen>3  Reden 


Sex.  Roscio.  De  Imperio  Cn.  Pompei.  Pro  Cluentio.  In  Catilinam. 
Pro  Murena.    Pro  Caelio.    Oxford  1905. 

Ans  dem  durch  seine  Stellung  und  Verdienste  um  die  Kultur  des 
Mittelalters  berühmten  Kloster  Cluny  stammt  eine  Handschrift  zu 
Ciceros  Reden,  die  zur  Zeit  des  Humanisten  Poggio,  der  dort  von  ihr 
Einsicht  nahm  (1415),  noch  vorhanden  war,  dann  aber  verschwand 
und  bis  auf  den  heutigen  Tag  nicht  wieder  zum  Vorschein  kam.  Den 
Spuren  dieser  Handschrift  ist  der  um  die  Kritik  der  Reden  Ciceros 
hochverdiente  und  unermüdliche  Oxforder  Gelehrte  Clark  auf  Grund 
einer  in  dem  Cluniacenser  Katalog  unter  Nr.  496  erhaltenen  Notiz*) 
nachgegangen  und  hat  Resultate  erzielt,  die  geeignet  sind,  wenigstens 
die  Rosciana  und  Mtircniana  auf  eine  neue  kritische  Grundlage  zu 
stellen.  Die  Resultate  seiner  Forschung,  die  sich  aber  auch  auf  die 
Reden  pro  Cluentio,  pro  Caelio  und  pro  Milone  beziehen,  sind  in 
den  bezeichneten  Werken  niedergelegt,  unter  denen  die  aneedota  die 
Vorarbeit  zu  der  Ausgabe  bilden.  Clarks  diesbezügliche  Arbeiten 
erstreben  und  erreichen  für  Cicero  das,  was  bei  seinem  griechischen 
Vorbild,  Demosthenes,  so  not  tut,  nämlich  eine  reinliche  Scheidung 
der  verschiedenen  Überlieferungsklassen.  Wenn  man  früher,  wie  es 
bei  vielen  Schriftstellern  auch  jetzt  noch  geschieht,  die  verschiedensten 
Lesarten  einfach  nebeneinander  stellte,  um  daraus  zu  wählen,  so  hat 
Clark  durch  seine  historisch  zu  Werk  gehende  Methode  den  vor- 
handenen Handschriften  den  ihnen  gebührenden  Platz  angewiesen  und 
für  die  aus  dem  Cluniacensis  abgeleiteten  als  Führer  den  cod.  paris. 
2  =  14  749  erwiesen,  während  bisher  W  als  solcher  galt.  Auch 
enthält  2  wichtige  Marginalien ,  die  offenbar  aus  dem  Cluniacensis 
stammen  und  Lücken  in  1'  ausfüllen  sollen.  Aus  2  selbst  sind  aber 
auch  noch  andere  Handschriften,  so  paris.  6369  und  7777  und  W 
205 ,  abgeleitet.  Clark  ging  jedoch  auch  noch  anderen  nach  Italien 
führenden  Spuren  des  Clun.  nach  und  fand  solche  in  cod.  Laur. 
LIV  5,  einer  Sammlung  von  Exzerpten  aus  den  Reden  für  Rose,  Mur., 
Cluent.,  Mil.  und  Cael.,  welche  Poggios  Freund  und  Mitarbeiter 
Bartolommeo  da  Montepulciano  aus  dem  Clun.  veranstaltete**),  wobei 
sich  für  die  Miloniana  Übereinstimmung  der  Lesarten  mit  Harl.  2682 
zeigt.  Cluniacensischen  Ursprungs  ist  auch  Laur.  48  (Lag.  10),  1415 
von  Joh.  Arrctinus  geschrieben.  Cl.  bespricht  jedoch  auch  noch 
andere  Handschriften,  namentlich  italienische,  und  legt  das  unter- 


*)  496:  Cicero  pro  Milone  et  pro  Avito  et  pro  Murena  et  pro  quibus- 
dam  aliis. 

**)  Aneedota  Ox.  S.  1—14  (excerpta  Montepolitiana). 


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! 

i 


aus  den  Jahren  1903—1000.   ^May.)  125 

einander  und  namentlich  mit  dem  Cluniac.  bestehende  Verhältnis  dar. 
Die  zweite  Hälfte  der  anecdota  enthält  außer  den  exc.  Montepol.  für 
die  5  Reden  eine  Sammlung  von  Varianten  aus  2  (S.  16 — 57).  Bei- 
gegeben ist  je  ein  Facsimile  aus  £  zu  den  Reden  pro  Caelio  und 
pro  Murena.  Es  ist  nun  in  hohem  Grade  interessant,  vielleicht  auch 
da  und  dort  fördernd,  dem  sowohl  in  den  anecdota  als  auch  in  der 
Ausgabe  dargebotenen  reichen  Material  nachzugehen  und  zu  be- 
obachten, wie  die  Stellung  der  einzelnen  Handschriften  zu  2  und  da- 
durch zum  Cluniacensis  ist.  Natürlich  kann  diese  Durchsicht,  nament- 
lich in  der  Ausgabe,  sich  nicht  auf  alle  Reden  erstrecken. 

a)  Anecdota:  Die  Ergänzung  lückenhafter  Stellen  in  1  ist,  um  mit  Gl. 
zu  reden,  ein  „perculosae  plenum  opus  aleae".  Richtig  mag  Mur.  §  66 
(p.  XXIV)  die  Ausfüllung  der  Lücke  durch  fuit  sein;  aber  Rose.  §  44  scheint 
die  Einschiebung  tu  nach  factum  überflüssig;  denn  id  odio  factum  criminaris 
entspricht  id  quasi  novum  reprehendis : 

_  _  |  _  ^  _  -  io 

2  ~  w  v  w  |  ~  vy     v^/  —  d 

Mehr  Silben  dürfen  in  die  Reihe  1  nicht  hineingebraucht  werden.  Der 
ditroch.  Klausel  geht  hier,  wie  so  oft,  ein  cret.  (in  schwerer  Form)  voraus. 
Durch  Einschiebung  von  tu  würde  das  rhythmische  Verhältnis  anders.  R.  2 
heroische  Klausel.  —  esse  mit  der  Lücke  steht  nicht  Rose.  §  83,  sondern 
84,  3*).  —  Mur.  §  56  scheint  betreffs  inimico  einige  Verwirrung  zu  herrschen. 
Da  wo  Cl.  cod.  V1  (Gadd.  XC  sup.  69)  bespricht**)  (p.  48),  führt  er  aus 
V1  die  Lesart  inimicorum  an,  während  in  der  Ausgabe  aus  V1  inimico 
notiert  ist.  Letztere  Angabe  scheint  unrichtig.  Der  letzte  Satz  des  §  56 
exitio  vix  cuiquam  inimico  esse  deberet  respondiert  dem  vorhergehenden 
Gegensatz:  (ut)  ingenium  praesidio  multis  etiam  alienis: 

Vielleicht  ist  diese  Responsion  besser  als  die  mit  inimicorum  sich  er- 
gebende, weil  die  zwei  wie  ein  Cholose  wirkenden  Längen  der  zweiten 
Klausel  unmittelbar  unter  die  kontrastierenden  Kürzen  kommen.  —  Aus  den 
Stellen,  wo  Cl.  die  Übereinstimmung  von  H  X,  also  des  Cun.  mit  dem  Har- 
leianus  beweist  (p.  XXV),  hebe  ich  heraus  Mil.  §  14:  si  e  re  publica 
oppressa  sunt, 

Responsion:  rem  publicam  tarnen  volnerarunt 

 |  —     -   -  w  —  dicr. 

 ^  -  ^  -  |  -  ^  -  ^  ditr.  mit  vorherg.  cret. 

Die  gewiß  genaue  Responsion  ist  nur  möglich  durch  Beibehaltung  von 
e  und  durch  Nichtelision  von  si.  Das  Richtige  geben  also  hier  weder  H 
noch  £.  In  X  aber  ist  est  oflenbar  nur  durch  unrichtiges  Lesen  entstanden, 


*)  In  dieser  Beziehung  sind  in  den  sonst  ziemlich  genauen  Zitaten  der 
anecdota  einige  Verstöße,  welche  ich  mir  erlaube  zu  notieren. 

**)  V  „sbows  traces  of  a  fresh  examination  of  the  Cluniacensih." 


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12U 


Bericht  über  die  Literatur  zu  Ciceros  Reden 


indem  der  Schreiber  e  und  e*  verwechselte.  —  Mil.  §  46  (nicht  47):  Dali 
omnes  oder  homines  scilicet  (X  H)  Lanuvini  Glosse  ist,  wie  schon  Lambin 
gesehen,  zeigt  auch  die  Responsion: 

flaminem  necesse  esse. 

facillime  scire  posset. 

—  vy  |  —  w   —  —  ~  cret.-tr. 

w  —   ^  —  |  —  w  -  —  ditr.  mit  cret. 

Zu  dieser  Klausel  paßt  kein  Zusatz  mehr.  —  H  gestützt  von  2:  Mil. 
§16:  ingemuit. 

Quis  tum  non  ingemuit, 
quis  non  arsit  dolore, 
—  —  —    —  w  w  — 


p.  XXVI:  Mil.  §81:  vestri  (2  H)  richtig'),  nicht  vestri  ordinis: 

esse  vobis  sui  se  capitis 
quam  vestri  defensorem  fuisse. 

 |  -     -  —  ditr.  mit  cret. 

B  H:  in  huius  salute  (m)  nicht  §  101,  sondern  100.  —  §  101  erweist 
die  Responsion,  daß  die  gewöhnliche  Lesart  animo  eritis  besser  ist  als  die 
von  B  II,  worauf  schon  die  Homoioteleuta  hinweisen: 

1  quo  tandem  animo  eritis? 

2  Milonis  retin  ebitis, 

3  ipsum  eicietis? 

 ^  w  ^  ^  -  spond.  =  cret.  (Auflös.) 

v^l  ^  ^  -  w  —  ebenso. 

 ^  w  -  —  ebenso. 

Allerdings  ist  die  Auflösung  der  Kretiker  in  den  3  Reihen  nicht  gleich, 
was  eben  Cic.  liebt.  —  §  105:  Die  Richtigkeit  von  exceperit  erweist  sich 
durch  Paronomasie: 

exceperit, 

eiecerit 

amiserit 


w  — 


 w  — ,  also  nicht  excipiet. 

In  demselben  Paragraph  wäre  sentitis  (2  B  H)  unrichtig :  Responsion : 
quod  sentietis, 
id  audeatis. 

 ^  —  w 

w  -  v>  -  -   Dies  würde  durch  sentitis  zerstört. 

Es  ist  sehr  die  Frage,  ob  nicht  Mil.  58  fuissent  (2)  richtig  ist. 

Quos  nisi  manu  misisset, 

etiam  dedendi  fuissent 

-  w  w  w  |  —  disp. 

  ^  |  —  ^  —  —  ditr. 


*)  In  der  Variantensammlung  S.  56  ist  dies  nicht  verzeichnet.  — 


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aus  den  Jahren  190$— 1906.  (May.)  127 

Der  ditr.-  Klausel  geht  in  den  beiden  Reihen  je  ein  cret.  voraus,  ver- 
schieden in  den  beiden  Reihen  (1.  Auflös.,  2.  erschwert).  Eigentümlicher- 
weise steht  diesmal,  was  selten,  die  Cholose  (disp.)  vor  dem  regulären 
ditr.  Wenn  auch  fuissent,  wie  Clark  mit  Recht  sagt,  „an  inferior 
reading"  ist,  so  bedingt  der  Rhythmus  manche  Ausdrucksweise,  über  die 
die  Stilistiker  sich  den  Kopf  zerbrechen.  —  Die  3  §  70  in  Betracht  kommenden 
Lesarten  ergeben  alle  eine  gute  Responsion,  so  daß  hieraus  kein  Schluß 
gezogen  werden  kann: 

1.  Vulg:  absolvi  a  vobis  oporteret,  10 

ut  omnes  confitentur,  liceret.  10  ' 

 |  -  w   cl.  cret.  =  tr. 

^  w  -  |  -  ^  -  -  dicr. 

2.  1  mit  oportet  —  licet. 

  |  -     -  -     ditr.  mit  cret. 

^  -  -  |  -   w  -  -  ^  -  ditr. 

3.  H  mit  oportet  und  liceret. 


 |  -  ^  - 


^  —  —  —  w 


:,::-) 


ditr.  mit  je  vorausgeh.  cret. 


Bei  der  Lesart  3  gleicht  sich  der  Rhythmus  der  Füße  am  meisten. 
Berücksichtigt  man  aber  nur  die  Grammatik,  so  ist  natürlich  die  Vulg.  vor- 
zuziehen, wie  auch  Cl.  sagt:  „The  vulgate  seems  preferable."  —  Mil.  98: 
hic  (H  2)  wird  weder  inhaltlich  noch  durch  die  Responsion  gestützt,  inhalt- 
lich nicht,  weil  omnibus  in  terris  doch  wohl  zu  den  beiden  folgenden  Sätzen 
gehört.    Die  Responsion  aber  ist  folgende: 

quoniam  omnibus  in  terris  et  |  iam  versatur 
et  semper  habitabit  nominis  mei  gloria 

wv^-o»v_/  —  |  —        disp.  mit  cret. 

—  —  w  v_y  w  —  -  -  u  |  —  w  —  ~  \j  ~  dicr. 

Bemerkenswert  ist,  daß  da,  wo  die  genaue  Responsion  beginnt  (omnibus 
in  terris  und  habitabit  nominis  meiX  diese  durch  die  Einschiebung  von  hic 
gestört  würde.  —  Eigentümlich  ist  das  Verhältnis  bei  Mil.  105  nämlich  bei 
der  Frage,  ob  delegit  (2  B),  elegit  (H  F),  legit  (E>  Volle  Gleichheit  der  Re- 
sponsion ergibt  legit. 

is  maxime  comprobavit, 
fortissimum  quemque  legit. 

 —   \  —   \J   —  — 

 -  |  -  u  -  -  Kl.  Ditr.  mit  vorhergeh.  cret. 

Besser  aber  wirkt  die  von  Cic.  in  der  Responsion  so  häufig  angewandte 
Cholose,  also  elegit: 

Aber  auch  delegit  ergibt  gute  Responsion: 

 W  —  |  -         —  CT 

--^-1----- 

Dann  steht  der  ditr.- Klausel  eine  cret.-troch.  gegenüber,  was  eben- 
falls häufig.  Das  Beste  ist  das,  was  die  Herausgeber  gewählt  haben.  —  Ea 
vis  nicht  Mil  §  80,  sondern  84.  —  12:  Cael.  §  54  (p.  XXIX):  für  die  hier 


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128 


Bericht  über  die  Literatur  zu  Ciceros  Reden 


in  Betracht  kommende  Responsion  ist  es  gleichgültig,  ob  man  domi  stiae 
IT  2)  oder  suae  domi  liest: 

quod  in  agris  locisve  publicis  factum  reprehenderet 
id  in  urbe  ac  domi  suae  coeptum  esse  leniter  ferret. 
—  v_/  —  w  —  w  —  —  |  —        —  w~  daktyl."Cret. 

\s  \^  —  —  \y  —  \j  —  —  —  v^/|  —     —  —  —  cret.-tr. 

praetermitteret  (T  2)  ist  richtig: 

periculo  non  praetermitteret, 
hominis  dissimulandum  putaret? 

w-w  -  |  w  —  dicr. 

w  u  -  |  -         —  w  -  -  ditr.  mit  chori. 

Diese  zweite  Klausel  wäre  nach  Ziel,  eine  Ableitung  und  zu  bezeichnen 
mit  L  8tr  (Klauselgesetz  S.  100).  —  labor  offendit  (p.  XXXL)  steht  nicht 
Cael.  §  47,  sondern  46.  — 

Lesarten,  aus  alten  Ausgaben  stammend,  scheinen  indirekt  durch 
italienische  Kollation  auf  den  Clun.  zurückzuführen  (p.  XXXI):  Cael.  §  29:  et 
copiose  et  graviter  (2  Naugerius*).   Ergibt  Responsion: 

Ut  tibi  reum  neminem,  sed  vitia  |  ista**)  proponas, 
res  tarnen  ipsa  et  copiose  et  graviter  ac  |  cusari  potest. 

"Www  w  -  -  O  ^  |  —  v»/     -  —  — 

-  -  -  -  <s  wo    w  —  |  w  — 

Am  deutlichsten  ist  die  Responsion  gerade  bei  copiose  et  graviter.  Kl. 
kret.-troch.  und  umgekehrt  —  §  69:  a  Caelio  non  est  factum  (2  und 
vett.  edd.).  Jedenfalls  richtig.  Die  Wiederholung  factum  hebt  mit  Nach- 
druck hervor,  und  beides  respondiert: 

Quod  etiam  si  est  factum, 
quidem***)  non  est  factum  — 



w   -  si  est  ohne  Elision.  — 

Richtig  ist  auch  §  77  iam  res,  iam  dies  (X  edd.  vett);  denn  iam  dies 
mitigarit  respondiert  deutlich  zu  iam  ista  deferverint: 

-  v>  w  —  —  ditr.  mit  cret 

-  v>  w  —  dicr. 

1  B:  Cluent  §  183  (p.  XXXV):  posset  entspricht  der  Konstruktion  des 
Satzes,  welcher  in  8  Teilen  respondiert: 

Quod  si  aut  confidens  astutia  10 
aut  callida  esset  audacia,  10 
vix  ullo  obaisti  modo  posset  10 

-  ■  —  —  —  —  \J  — 

—  —  v_/  —  w  —  —  w  — 

 ^  —       Diese  Responsion  erfordert  mit  B 

die  Weglassung  von  iis.  — 


*)  So  aber  auch  Orelli  (ed.  prior). 
••)  So  Clark. 

***)  So  Cl.  nach  H'.- 


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aus  den  Jahren  1903—1906.  (May.) 


129 


§  124  Stellung  der  Vulg.  richtig  in  cum  re  coniunctum  esse: 

(cens)oriam  amplexato, 
esse  defendito: 

—   U  W 

Zu  §  190  ist  bemerkt:  accusatorem  om.  XT,  während  in  der  Ausgabe 
über  £  das  Gegenteil  gesagt  ist.  —  a  Stratone  steht  nicht  §  177,  sondern 
178.  —  p.  XXXVI:  §  29:  Auch  die  Responsion  scheint  für  de  eo  de  quo  zu 
sprechen: 

de  eo  de  quo  iurati  sententias  ferre  debebant, 
de  eo  cuius  praesentis  nefariam  et  consceleratum 

w   -        -  |  —  \j  — 

w  -  —  -  -w-w-     -  w  w  —  - 

Die  Rhythmen  entsprechen  sich  ziemlich  genau.   Klausel  in  Reihe  1 

kret  =  tr.,  für  R.  2  aber  voltum  intuebantur  (-)  -  w  ^  außerhalb  der 

Responsion,  jedoch  gleiche  Klausel  mit  R.  1.  —  §  140:  STB.:  posset  negare 
nicht  posset  se  negare: 

ab  se  esse  dictum, 
posset  negare 

§  5  (nicht  3)  puniatur.  Der  gleiche  Klauselausgang  scheint  die  Richtig- 
keit von  ponatur  zu  erweisen: 

1  et  sine  invidia  |  culpa  plectatur, 

2  et  sine  culpa  invidia  ponatur. 

—  W    —    \J       \-/    —    \    ~  —    —  — 

—  \J  w  —  I  —  w  —  —  ü 

1  Kl.  kret  =  tr.  2  dikret.  mit  Auflös.  —  p.  XXXVII:  §  180:  Sehr 
beachtenswert  ist  die  Lesart  H^a  homines  quaerebant  wodurch  fieri  potuisset 
von  einer  Klausel  befreit  würde,  die  gar  nicht  paßt.  Responsion: 

animadverteretur, 
fieri  potuisset. 

\J  -   |   -    ^    —  — 

I  _  — 

Der  heroischen  Periodenschlußklausel  steht  ein  ditr.  gegenüber.  Es 
mag  quaerebant  eine  Konjektur  sein,  wie  Clark  *)  meint,  aber  jedenfalls  hat 
2  richtig  quaerebant  am  Schluß  nicht  Folglich  paßt  auch  requirebant 
nicht  Mit  -et  requirebant,  das  Cl.  als  Konjektur  Z.s  in  der  Ausgabe  be- 
zeichnet wird  dieser  cl.  V.  1  ß  konstruiert  haben. 

censorium  st  nicht  §  124,  sondern  123.  —  p.  XL1:  A  hat  „proprii 
errores",  „which  I  have  not  found  in  other  ltalian  MSS",  z.  B.  Rose.  §  6 
et  fortissimo  om.  A.   fortissimo  et  respondiert  aber 

clariBsimo 

-  —  v/  - 

    - 

•)  Class.  Rev.  XIX  168. 

Jahresbericht  für  Altertumswissenschaft.   Bd.  CXXXIV.   (1907._II.)  9 


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130 


Bericht  über  die  Literatur  zu  Ciceros  Reden 


r.  (p.  XLIV):  Rose.  Am.  §  76  ist  zu  arcessnnt  bemerkt  Ar,  in  der  Aus- 
gabe aber  A<p.  —  Zu  V  (p.  XLVIII):  Mur.  §  60  ergibt  patiatur  (<^)  eine  viel 
bessere  Klausel  als  patitur: 

ut  mihi  videtur, 
natura  patiatur. 

—  N-/    ^   W    —  — 

 v_/  ^  v_  

hominis  est  nicht  §  61  sondern  62.  —  §  30  non  nunc  1  (Ausgabe);  anec- 
dota  non  nunc  2  ohne  die  Zeichen  der  Tilgung.  —  §  80:  Das  Zitat  aus 
Quintilian  IX  2,  18  steht  wohl  in  den  aneedot.,  aber  nicht  in  der  Ausgabe 
an  der  richtigen  Stelle.  —  §  60  (p.  XL1X):  non  possum  (¥"«S)  ist  richtig. 
Responsion : 

vituperare  non  possum; 
leviter  emendare  possim. 
v>v^w|  —      -  -  —     cret.  =  tr. 
v^v^vy  —  -  |  —  v-»  —  —  ditr. 

quod  iter  nicht  Rose.  §  141,  sondern  140.  —  p.  L:  Verwandtschaft  von 
S  mit  V:  In  beiden  fehlt,  bzw.  ist  getilgt  Mur.  §  35:  quasi  ....  fecerit. 
Unrichtig.  Beweis  1.  Gegenseitige  Beziehung  der  Sätze  durch  fit  —  factum 
esse  .  .  fecerit.   2.  folgende  Responsion: 

aliud  atque  existimaris, 

populus  admiretur, 

quasi  vero  non  ipse  fecerit. 

^  ^   |  -  v-/  -  —  ditr. 

w  \^  v_/  |   —  disp. 

\y     -    -  -  |  —  w  —  w  —  troch.  cret. 

Es  wird  nicht  verkannt  werden  können,  daß  hier  respondierender 
Rhythmus  herrscht.  —  p  LI  steht  perdito  nicht  Mil.  §  62,  sondern  63.  — 
In  b  (S.  marc.  255)  p.  LH  ist  die  alte  Lesart  in  manchen  Fällen  darüber 
geschrieben.   Mil.  2  paßt  oratori  gut  in  den  Rhythmus: 

cederem  tempori, 
oratori  locum. 

—  N_/      —     —  — 

Mil.  40  ist  factus  est  auch  durch  die  Responsion  erfordert: 

impetus  factus  est, 
opprimendi  fuit. 

—»^f  —  —  w  — 

-  w  -  -  v>  *  dikret.  Kl. 
p.  LIII  Cael.  §  71  wird  referretur  auch  durch  die  Responsion  bestätigt : 

fabula  referretur, 
causa  renovata? 

"  w  u  u 

—  V-/    W  \_/ 

In  beiden  Reihen  aufgelöster  cret.  zuerst  mit  cret.  in  schwerer  Form, 
dann  mit  tr.  —  p.  LV:  Manche  Lesarten  werden  gestützt  von  6*  6"s,  so 
Clu.  §  29: 


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aus  den  Jahren  1903—1906.  (May.) 


131 


auditis  non  sine  testibus,  das  paßt  zu 
auditis  non  ab  inimico 

 I  -  w  w  -  ^  -  dactyl.  cret. 

 |  -  w  c*=  -  -  cret.  tr. 

§  86  ergibt  accusationem  Cluentius  eine  sehr  gute  Klausel,  aber  nicht 
mit  dem  Zusatz  poterat;  auch  die  Responsion  mit  accusatore  poterat  Albius 
spricht  für  Weglassung  von  poterat. 

 w  -  |  -  v_>  -  w  —     tr.  cret. 

 u  |  cc  ^  -  w  -  tr.  cret.  (mit  Auflösung). 

§  58  tarnen  interdum  nbn  defendere,  10 
sed  praevaricari  videretur.       10  " 

w  w  |  w  ^  8p.  er. 

 w  -  |  -  ^   er.  sp. 

Lesart  in  a  (?  1)  richtig;  Zusatz  in  M.ua  falsch.  —  Sehr  schade,  daß 
Cl.  p.  LV  nur  zwei  Fälle  veränderter  Wortstellung  aus  ST  angibt;  es  könnte 
jedenfalls  durch  Rhythmus  und  Responsion  manches  auf  seine  Richtigkeit 
geprüft  werden.  So  ist  z.  B.  §  27  die  Stellung  in  publico  valens  visus  esset 
besser  als  die  andere,  weil  Cic.  es  liebt,  alliterierende  Wörter  nebeneinander 
zu  stellen:  in  publico  valens  visus  esset, 

ante  quam  luceret  combustus  est: 

-  -  w  -  ^   -  |  ~  ^  -  -  ditr. 

-  w  |  w  -  sp.  =  cret. 

Ziel.  S.  200  admonitus  lesend  und  et  vor  gratiae  streichend  behält 
also  im  wesentlichen  die  überlieferten  Worte  bei  und  konstruiert  aus 
gratiae  fabulam  die  Kl.  V  2  als  gut.  Die  dikret  Klausel  ist  ganz  richtig. 
Ref.  teilt  aber,  wie  gezeigt,  anders  ab  und  behält  et  bei.  Schlecht  kann 
Ref.  vom  Standpunkt  der  Klausel  Kaysers  admonitus  est  nicht  finden;  es 
respondiert  sogar  zu  exeogitarit: 

-  |  -  w  -  -  ditr. 

-  W  W  W        ebenfalls  mit  Auflösung. 

§  25:  terrebantur  (Mb^)  gibt  einen  besseren  Schluß  gegenüber  dem  re- 
spondierenden  Worte :  ceteri  proscriptionis 

mortis  metu  terrebantur. 
-  w  |  -  w  -  w  ditr. 

 w  -  |  —  dispond.,  welcher  gegenüber  dem 

ditr.  eine  passende  Cholose  bildet.  —  Ti.  ST  steht  nicht  §  97,  sondern 
98.  —  p.  LVII  §  123,  Ob  quis,  wie  Cl.  konjiziert,  gerade  notwendig,  kann 
man  bezweifeln;  dagegen  ist  ne  .  .  .  delinqueret  richtig: 

hostium  metu  delinqneret, 
a  maioribus  constitutus 

w 

-  w  -  w  —  w  — 

 w  -  I  -  w  -  -  ditr.  mit  cret. 

ferner:  poenam  capitis  subirent, 
sortitio  comparata  est. 

-  —   W^|   —  — 

-  -  w  —  |  -  w  -  —  beide  Kl.  ditr.,  in  Reihe  2  mit  cret, 
in  1  mit  daktyl.  —  Rose.  Am.  §  6  omnemque  metum  w  Halm.  Ref.  gelangte 

9* 


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132 


Bericht  über  die  Literatur  zu  Ciceros  Reden 


in  seiner  Schrift  „Rhythmische  Analyse  der  Rosciana"  S.  20  auch  zu  dieser 
Lesart.  — 

b)  Ausgabe:  In  dieser  stehen  außer  der  Rosciana  und  Mureniana, 
deren  historisch-kri.ische  Erforschung  den  Hauptinhalt  der  anecdota  bildet 
und  außer  den  Reden  pro  Cluentio  und  Caelio,  zu  denen,  wie  auch  zur 
Miloniana  dort  aus  den  cluniacensischen  Handschriften  ebenfalls  kritische 
Beitrage  gegeben  werden,  noch  die  Poiupeiana  und  die  Catiiinarien,  welch 
letztere  in  dem  von  W.  Peterson  iu  Holkham  entdeckten  cod.  498  enthalten 
sind.  Aber  auch  die  Pompeiana,  insofern  sie  auf  den  gleichen  Handschriften 
beruht  wie  die  Miloniana,  geht  indirekt  auf  cluniacensischen  Ursprung 
zurück.  Wie  nun  durch  Clark s  Forschungen  die  Stellung  der  Handschriften 
eine  andere  geworden  ist,  insofern  z.  B.  die  Vorherrschaft  von  W  gebrochen 
ist,  so  hat  Clark  unter  Beizug  alter  bisher  über  Gebühr  vernachlässigter 
Ausgaben  selbst  zahlreiche  Textverbesserungen  vorgenommen,  wobei  er 
Zielinaki8  Theorie  unbedingt  zu  trauen  scheint,  wenn  er  auch  in  die  von 
Z.  aufgestellten  Gesetze  noch  Zweifel  setzt.  Ref.  hat  nun  viele  Stellen  der 
Ausgabe  untersucht,  begreiflicherweise  zuerst  diejenigen,  in  denen  Gl.  auf 
Ziel,  verweist.  Es  möge  der  prinzipiellen  Wichtigkeit  der  Sache  wegen  ge- 
stattet sein,  einige  zu  behandeln.  So  schreibt  Gl.  Cat.  1,  §  28  nach  Ziel, 
iveris.  Daß  hier  Rhythmen  vorliegen,  kann  man  schon  an  dem  symmetrischen 
Bau  der  Sätze  sehen  (si  .  .  si  .  .  .  ): 

si  id  feceris,  vir  molem  istius  invidiae, 

si  in  exilium  iussu  consulis  ieris,  sustinebo. 

—  —  ^  —  —  —  —  —        —  WW  — 

 -w>jv>w-|-v-0 

■  %  -  1 

• 

ieris  ist  hier  als  Responsion  zu  den  Kürzen  von  invidiae  ganz  be- 
rechtigt und  vom  Redner  gerade  deswegen  gewählt.  Offenbar  zieht  Z.  iveiis 
deshalb  vor,  weil  er  einen  cret.  vor  dem  ditr.  erhält.  Dieser  ist  aber  auch 
bei  ieris  vorhanden,  nur  ist  die  erste  Länge  des  cret.  aufgelöst,  sustinebo 
steht  außerhalb  der  bezeichneten  Responsion,  auch  ein  Beweis,  daß  die 
ditr.  Klausel  als  etwas  für  sich  Bestehendes  zu  gelten  hat.  —  Mur.  §  83 
nimmt  Gl.  sustinendum  auf  (Völkel)  und  verweist  dabei  auf  Ziel.  S.  204, 
welcher  transigendum  oder  sustinendum  als  V  3  empfiehlt  und  Halms 
beispielsweise  angeführte  Verbesserung  als  M  9 1  *  verwirft.  Nun  respondiert 
der  Periodenschluß  dem  Vorhergehenden,  wenn  man  exequendum  festhält, 
in  auffallender  Weise: 

scientia  ad  bellum  gerendum, 
velis  negotium  exequendum. 

-  ^  -  -  |  -  ^  -  == 

Diese  Responsion  ist  auch  inhaltlich  begründet,  weil  Wissen  und 
praktische  Erfahrung  bei  Murena  miteinander  in  Beziehung  stehen.  Die 
beiden  Klauseln  sind  ditr.  mit  vorausgehendem  spond.  bzw.  troch.  Eine 
genauere  und  inhaltlich  wie  formell  passendere  Responsion  gibt  es  nicht. 
Die  durch  exequendum  entstehende  Klausel  bezeichnet  aber  Ziel,  als 
mala  91*  (Klauselgesetz  §  138).  Die  Hauptform  IX  der  M-KUuse  ist  auch 
wieder  so  lang,  daß  sie  kein  Mensch  als  Klausel  empfinden  kann.  Von 
welchem  Gesichtspunkte  übrigens  Halm  bei  der  Annahme  der  Symmetrie 


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aus  den  Jahren  1903—1906.  (May.) 


13:3 


ausgeht,  ist  dem  Ref.  nicht  bekannt,  aber  vom  Standpunkte  der  Responsion 
ist  er  durchaus  im  Recht.  —  Cael.  §  14  scheint  die  Lesart  quibusdam  1 
richtig,  nicht  q.  etiam  PrS: 

commune  cum  multis 
et  cum  quibusdam  bonis. 

_      _ 

-  |  -  o  w  -  Kl.  dicret. 

Dadurch  entseht  mit  Ausnahme  der  Form  Wörter  est  enim  eine  rhyth- 
mische Beziehung  zwischen  multi  und  quidam  boni,  und  zwar  entsprechen 
sich  cret.  =  tr.  und  dicret.  Die  Ähnlichkeit  des  Inhaltes  wird  so  durch 
verwandte  metrische  Fonnen  ausgedrückt.  Ziel,  konstruiert  Kl.  2*  (Typus  7t), 
indem  er  ohne  jede  Beziehung  zu  cum  multis  nur  Bruchstücke  von  Wörtern 
berücksichtigt.  Daß  -  busdam  etiam  bonis  Klausel  sei,  kann  Ref.  nicht 
mitempfinden.  Man  erwartet  doch  wenigstens  cum  quibusdam  etiam  bonis. 
Das  wäre  ein  Schluß,  der  auch  dem  Sinn  entspricht.  Um  die  Kl.  2*  zu 
konstruieren,  bedarf  Ziel,  auch  noch  der  Annahme  einer  vom  dicret.  ab- 
weichenden Entfaltungsform  (-  ^  w  -  ^  -  Dactyl.  cret.),  während  nach 
unserer  Analyse  der  dicr.  ganz  rein  erscheint.  —  Sehr  richtig  behält  Cl. 
Cat  III,  §  22  potuerunt  bei.  Denn  dies  ergibt  die  einzig  mögliche  Klausel 
gegenüber  der  Responsion: 

1  id  non  divinitus  esse  factum  putatis, 

2  sed  tacendo  super|are  potuerunt. 

 ^u|-u--u-- 

-w  uu|-\>ww  -  — 

Der  erste  Teil  der  bezeichneten  Responsion  bedarf  keiner  weiteren 
Erklärung;  dann  aber  stehen  sich  cret.  =  ditr.  in  1  und  cret  =  tr.  mit 
Auflösung  des  cret.  in  2  gegenüber;  in  2  entsteht  dadurch  die  bekannte 
Form  gleich  esse  videatur.  Um  diese  Klauselform  zu  erzielen,  hat  Cic.  offen- 
bar den  in  solcher  Verbindung  ungewöhnlichen  Indikativ  beibehalten;  durch 
potuerint  würde  diese  Klauselform  zerstört.  Ziel,  konstruiert  aber  S.  128 
wieder  eine  ganz  andere  Klausel,  nämlich  (la)cendo  superare  potuerint, 
während  nach  unserer  Analyse  bloß  — 0  superare  potuerunt  in  Betracht 
kommt.  Z.s  Form  4*4,  die  er  als  cl.  mala  bezeichnet,  wird  kaum  von  jemand 
als  Klausel  empfunden  werden,  so  wenig  als  M  4'*  Rose.  Am.  §  76,  (prae) 
sertim  conficere,  potuerit;  denn  auch  dort  liegt  die  Sache  wieder  anders. 
Nur  conficere  pot.  ist  Klausel  und  respondiert  zu  inter  homines  fuerit. 

—  ^  ü=    cto      —  Beides  dikret.  Klauseln  mit  Auflösung. 

esse  factum  ist  sehr  richtig;  die  Stelle  qui  praes.  —  potuerint  aber  mit 
Eberh.  zu  streichen,  wird  widerraten  durch  die  gute  Responsion,  also  nicht 
cl.  mala,  sondern  optima.  Um  in  Zielinskischer  Terminologie  zu  reden, 
liegt  hier  nicht  M  4S4,  sondern  LI"  vor.  Dies  ist  doch  wenigstens  eine 
cl.  licita.  —  Cluent.  §  44:  Die  von  Cl.  wohl  mit  Recht  aufgenommene  Ver- 
besserung demoveri  (Klotz)  ergibt  eine  sehr  einfache,  häufig  vorkommende 
Klausel,  nämlich: 


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134 


Bericht  über  die  Literatur  zu  Ciceros  Reden 


Martialium  demoveri. 
mentem  maxime  commovebat. 


Ditr.  mit  vorausgehenden  Kretikern. 


Auf  die  Responsion  weisen  schon  die  Komposita  von  movere  hin. 
Z.  (S.  166)  bezeichnet  unter  Beibehaltung  von  removeri  die  cl.  Martialium 
removeri  als  P  P  3,  d.  h.  als  cl.  pessima  mit  unregelmäßiger  Basis,  während 
nach  unserer  Analyse  mit  demov.  eine  bei  Cic.  sehr  häufige  gute  Klausel 
daraus  wird.  Aber  selbst,  wenn  man  removeri  beibehält,  wird  die  Sache  anders: 


commovebat  verhält  sich  zu  rem.  wie  eine  Biegung  (Cholose),  indem 
der  ersten  Kürze  des  daetyl.  in  1  eine  Länge  in  2  entspricht,  was  eben  wie 
eine  Biegung  wirkt.  Dieses  Verhältnis  der  beiden  Komposita  zueinander 
kann  man  aber  nicht  als  schlecht  bezeichnen,  sobald  man  den  Zusammen- 
hang der  Stelle  in  Betracht  zieht.  Warum  aber  die  Basis  vor  der  heroischen 
Kl.  unregelmäßig  sein  soll,  wenn  sie  ein  Ditr.  ist,  kann  man  auch  nicht  ein- 
sehen; denn  die  troch.  =  daetyl.  Verbindung  ist  sehr  natürlich.  Z.  scheint 
aber  nicht  das  ganze  Wort  Martialium  zu  berücksichtigen,  sondern  nur 
(Martialium.  Das  ist  aber  unnatürlich  und  widerspricht  auch  der  Symmetrie. 
Ref.  bleibt  aber  als  dem  Natürlichsten  bei  demoveri.  —  De  imper.  Cn.  P. 
§  68:  Einverstanden  ist  Ref.  mit  Zielinski  in  der  Ansetzung  der  Klausel  esse 
nemo  debeat,  obgleich  man  nach  S.  199  wieder  eine  längere  Kl.  annehmen 
muß  mit  gravior.  Wenn  er  aber  sie  mit  L  2  tr  bezeichnet,  so  kann  nur  jene 
gemeint  sein.  Genauer  müßte  sie  aber  nach  S.  87  bezeichnet  sein  mit 
L  2  tr  ß  5.  auf  esse  nemo  debeat  kommt  aber  Ref.  durch  die  Responsion 
(terr)a  marique  exstiterunt,  also: 


1  ditr.  mit  cret.  2  wäre  nach  Ziel.  cret.  mit  vorausgehendem  epitrit, 
einer  Entfaltung  des  cret.  —  Ebenda  §  42  ist  cognoscitis,  das  auch  Ziel, 
beachtenswert  findet,  allein  richtig;  dann  ist  folgende  Responsion  genau : 


Jedenfalls  hat  Cic,  um  diese  genaue  Responsion  zu  erzielen,  cognoscitis 
gewählt,  —  Ebenda  §  22  ist  nur  retardavit  richtig: 

rex  ipse  e  |  manibus  effugit. 
hos  laetijtia  retardavit. 


Ziel,  bezeichnet  dies  gegenüber  tardavit  als  L  1 1  ß  mit  schlechtem 
Anlauf.  Warum  aber  das  Moment  der  Raschheit,  das  durch  die  Kürzen 
in  beiden  Klauseln  bezeichnet  werden  soll,  ein  schlechter  Anlauf  sein  soll, 
ist  unverständlich.  Im  Gegenteil,  der  Anlauf  ist  ausgezeichnet,  weil  er  eben 


quaedam  dignitas  imperatoria, 
hoc  ipso  ex  loco  saepe  cognoscitis. 


-  w  K~  u   Kl.  cret.  —  tr. 


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aus  den  Jahren  1903—1906.   (May.)  135 

jenes  Moment  in  der  glücklichsten  Weise  ausdrückt,  -r-  Den  hier  gegebenen 
Beispielen  zufolge  wird  Clark  vielleicht  zugestehen,  daß  der  Zielinskischen 
Theorie  gegenüber  große  Vorsicht  geboten  ist,  denn  Z.  hat  nicht  nur  die 
Responsion  der  Klausel  nicht  berücksichtigt,  sondern  auch  gar  nicht  be- 
achtet, daß  die  metrische  Form  einer  Klausel  auch  durch  den  Inhalt  des 
Auszudrückenden  bedingt  sein  kann.  Darauf  ist  genau  zu  achten  und  zu 
sehen,  ob  und  wie  dies  stattfindet.  Das  ist  freilich  nicht  immer  der  Fall. 
Manchmal  ist  die  metrische  Form  einer  Klausel  nur  durch  das  Streben  be- 
dingt, gegenüber  der  Responsion  Varietät  zu  erzielen.  Aber  überall  ist  die 
Responsion  zu  beachten,  denn  von  dieser  hängt  die  Beschaffenheit  der 
Klausel,  z.  B.  ihre  Länge,  ab.  Das  Gefühl  allein  ist  nicht  maßgebend. 
Ref.  hat  bei  den  in  Betracht  kommenden  Stellen  stets  Z.s  Kap.  II 
„Folgerungen  für  die  Textkritik"  berücksichtigt;  es  wird  dies,  aber  nicht 
hier,  in  noch  weiterem  Umfange  geschehen  müssen,  denn  die  Zielinskischen 
Resultate  bedürfen  notwendig  einer  Richtigstellung,  die  man  freilich  nicht 
kurzer  Hand  abmachen  kann,  weil  jede  Stelle  einer  Erklärung  bedarf,  warum 
so  und  nicht  anders.  Ol.  wird  vielleicht  der  Berücksichtigung  Zielinskis 
so  lange  Einhalt  tun,  bis  dies  geschehen  ist.  Jedenfalls  wäre  Ref.  dafür 
dankbar,  zu  wissen,  wie  sich  Cl.  nunmehr  zu  der  Sache  stellt;  „nam  sentio 
Ws  impendere  in  quibus  profecto  vojaoB^c  noster  fortiter  proeliaturus 
est"  sagt  Clark.  Ref.  hat  schon  betont,  daß  es  angesichts  der  auf  sicherster 
Grundlage  ruhenden  kritischen  Methode  Clarks  eine  angenehme  Aufgabe 
ist,  seine  in  der  Ausgabe  niedergelegten  Resultate  durchzugehen  und  mit 
dem  Instrument  des  Rhythmus  auch  da  und  dort  zu  prüfen.  Ja,  Ref. 
möchte  dies  deshalb  für  notwendig  halten,  weil  Clarks  Ausgabe  epoche- 
machend ist  und  die  Grundlage  bilden  muß  für  alle  anderen  späteren 
Cicero- Ausgaben,  wozu  ich  natürlich  auch  die  Schulausgaben  rechne. 
Wenn  jemand  glaubt,  ein  Scherflein  zur  Verbesserung  beitragen  zu  können, 
so  dürfte  es  Pflicht  sein,  dies  zu  tun.  Ref.  darf  aber  seine  Arbeit  nicht  zu 
weit  ausdehnen,  deshalb  beschränkt  er  sich  hier  auf  die  Rosciana,  obgleich 
er  auch  viele  Stellen  in  anderen  Reden  untersucht  hat. 

Rose.  §  4:  neglegere  debebam.  Cl.  bevorzugt  Ernestis  Konjektur  de- 
bebam  und  bezieht  sich  dabei  auf  Zielinski,  S.  191.  Dieser  bezeichnet 
(neg)legere  debebam,  was  er  als  Klausel  anzusehen  scheint,  als  L  l1  p, 
während  ihm  debeam  als  schlecht  gilt.  Erstens  ist  das  rhythmische  Ver- 
hältnis ein  ganz  anderes,  als  Z.  annimmt.  Es  findet  Responsion  sowohl 
zwischen  den  Verben: 

ignorare    ^ 

aspernari  

neglegere  —  ^  ^  ^ 

als  auch  zwischen  den  beiden  letzten  Satzteilen: 

auetoritatem  aspernari  9 
voluntatem  neglegere  8  |  debebam. 

^  ~  Z  !  -  ^  -  oder  

\j     —  —  ■  v>     \_>  ] 

Zu  den  schweren  Rhythmen  der  entsprechenden  Verba  (ignor.  und 
aspern.)  bildeten  die  Kürzen  in  neglegere  einen  beabsichtigten  Gegensatz; 
somit  findet  unter  den  Verben  Responsion  statt.  Die  Periodenschlußklause 


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130 


Bericht  über  die  Literatur  zu  Ciceros  Reden 


aber  ist  dikretisch,  wobei  es  rhythmisch  ganz  gleichgültig  ist,  ob  man  de- 
bebara  oder  debeam  liest;  denn  beides  sind  Kretiker,  jenes  ein  schwerer, 

dies  ein  regulärer,  also  beißt  die  dikret.  Klausel         Jj^.  ~  ~  3.  Das 

Hilfszeitwort  (deb.)  steht  hier  außerhalb  der  Responsion  wirksam  für  sich 
allein,  bildet  aber  mit  neglegere  die  Periodenklausel;  Ref.  neigt  sich  zu 
debebam,  aber  nur  deshalb,  weil  es  einen  wuchtigen  Gegensatz  (Cholose)  zu 
neglegere  bildet.  Sonst  ist  neglegere  debeam  nach  Ziel,  selbst  eine  aus- 
gezeichnete Klausel,  nämlich:  2*S  (S.  72),  wenn  man  nämlich  nicht 
(neg)legere  debeam  als  solche  statuiert,  was  offenbar  falsch  ist.  Man  wäre 
also  hier  geneigt,  Z.  durch  Z.  zu  korrigieren.  Wir  mit  unserer  einfachen 
Terminologie  sagen  einfach:  die  Klausel  ist  hier  dikretisch  mit  Auflösung 
des  ersten  creticus,  der  deshalb  aufgelöst,  weil  das  Verbum  im  rhythmischen 
Kontrast  stehen  soll  zu  ignor.  und  aspernari.  Das  Schlußwort  ist  auch 
ein  cret.,  aber  unentschieden,  ob  ein  schwerer  oder  regulärer.  Wenigstens 
kann  für  die  Richtigkeit  der  einen  oder  anderen  Lesart  aus  dem  Rhythmus 
hier  gar  nichts  geschlossen  werden.  —  §  8:  Rhythmisch  ist  es  ganz  gleich, 
ob  man  consuerant  (Ernesti)  oder  consuerunt  liest,  welches  letztere  auch 
Clark  aufgenommen  hat,  denn  beides  ergibt  den  an  dieser  Stelle  sehr  be- 
rechtigten Ditroch.,  weil  Responsion  zu  adsequantur  stattfindet.  Während 
aber  vor  cons.  ein  cret.  steht,  was  ja  sehr  häufig  der  Fall,  geht  dem  ditr. 
adsequantur  ein  Troch.  voraus,  was  auch  vorkommt: 

iusque  iurandum  id  adsequantur 
et  ferro  adsequi  consuerunt. 

 I  ~ 

In  den  Rhythmen  vor  der  Klausel  findet  umgekehrtes  Verhältnis  statt: 
Reihe  1  cret.  =  tr.  und  2  troch.  (sp.)  cret. 

Die  Responsion  erlaubt  also  hier  nur  einen  ditroch.,  aber  nicht  con- 
sueverant,  was  Ziel,  als  L  2  tr  allerdings  unter  Zweifeln  aufgenommen  hat. 
Daß  übrigens  Ernesti  so  lese,  ist  mir  unbekannt.  — 

§  22:  Zu  in|stare  praeparet  (-  =)  ist  eine  Responsion  erforder- 
lich, die  unmöglich  sunt  sanet  oder  reparet  sein  kann;  denn  einer  troch.- 
kret.  Klausel  entspricht  in  der  Regel  nur  ditr.  oder  creU-troch.  Statt  des 
ditr.  kann  auch  eine  dispond.  eintreten.  Sulla  ist  damit  beschäftigt,  zu 
gleicher  Zeit  das  Vergangene  wiederherzustellen  und  das  Kommende  vor- 
zubereiten. Es  scheint  ferner  ein  Wort  erforderlich,  das  im  Verhältnis  eines 
Homoiotel.  zu  praeparet  steht,  vielleicht  instauret.  Vielleicht  verhilft  der 
Anklang  an  instare  dem  Wortspiel  instauret  zur  Beachtung.  Das  Wort 
nach  sunt  kann  wegen  Ähnlichkeit  der  Schreibung  ausgefallen  sein:  st 
Der  Schreiber  erkannte  wegen  Ähnlichkeit  der  Schreibung  das  zweite  inSt 
nicht  als  verschiedenes  Wort,  meinte,  dies  sei  das  gleiche  Wort  wie  St  und 
ließ  es  weg.  Der  Redner  scheint  auch  Silbenresponsion  beabsichtigt  zu 
haben: 

et  ea  —  inst  auret  12 
et  ea  —  praeparet  13 

§  24:  flagitiosa  kann  mit  cod.  Lambini  sehr  wohl  zu  possessio  gesetzt 
werden  und  bezieht  sich  dann  dem  Sinne  nach  auch  auf  die  folgenden  Sub- 


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aus  den  Jahren  1903—1906.  (May.) 


137 


stantive;  neuerdings  vermißte  man  zu  bonorum  emptio  mit  Recht  ein  Ad- 
jektiv, anders  aber  ist  die  Sache,  wenn  man  bonorum  ademptio  liest  nach 
§  90:  bona  adempta.   Die  Responsion  ist  folgende: 

flagitiosa  possessio, 
furta,  rapinae,  donationes. 


Diese  Responsion  ist  sehr  genau,  auch  mit  dem  ditr.  am  Schluß  der 
zweiten  Reihe,  der  oft  einem  cret.  gegenübersteht.  — 

Eine  mit  Figuren  verbundene  ResponBion  steht  §  H8: 

et  Titam  Titiis  flagitiisque  omnibus  deditam, 

et  denique  omnia  ad  perniciem  profligata  atque  perdita  ? 

 I  I  = 

Teilt  man  anders  ab  und  läßt  man  namentlich  et  vor  denique  weg 
(Madvig),  so  entsteht  die  bezeichnete  Responsion  nicht,  die  doch,  nament- 
lich vom  ersten  Strich  ab,  sehr  genau  ist.  Außerdem  ist  deutlich  erkenn- 
bar, daß  jenes  et  nur  gesetzt  ist,  weil  die  Teile  der  ganzen  Partition  mit 
et  verbunden  sind.  Klausel  dikr.  und  tr.-kret  Daraus  wie  auch  aus  der 
Zugehörigkeit  des  letzten  et  zur  zweiten  Reihe  würde  folgen,  daß  deditam 
voll  auszusprechen  und  nicht  mit  et  durch  Synizese  zu  verbinden  sei. 
Außerdem  ist  auch  die  Alliteration  zu  beachten.  — 

§  54:  Vere  nihil  potes  dicere;  nichts  sagen  und  erdichten  stehen  sich 
gegenüber,  also: 

vere  nihil  potes  dicere; 
finge  aliquid  saltem  commode, 

 I-  

Liest  man  dicere,  so  stehen  in  Kl.  1  in  natürlicher  Folge  zwei  Kretiker 
nebeneinander,  denen  in  Kl.  2  spond.-cret.,  was  sehr  häufig,  gegenüberstehen, 
edicere  würde  in  diese  Klausel  gar  nicht  passen ;  elicere  ergäbe,  wenn  man 
die  letzte  Silbe  lang  mißt,  auch  einen  cret.,  was  an  dieser  Stelle  etwas  un- 
gewöhnlich sein  dürfte.  An  vorletzter  Stelle  mit  folgendem  Troch.  ist  eine 
solche  Auflösung  häufig,  an  letzter  aber  nicht.  —  §  56:  Novak  tilgt  das 
zweite  tarnen  (nach  suspicione>  Wenn  man  den  Rhythmus  nicht  in  Be- 
tracht zieht,  so  ist  es  allerdings  unnötig,  aber  die  Responsion  ist  folgende: 

verum  tarnen,  quamquam  abest  a  culpa,  11 
suspicione  tarnen  non  raret;  10 


Die  beiden  tarnen  stehen  in  beiden  Reihen  an  gleicher  Stelle-,  das 
zweite  wird  also  durch  die  Responsion  veranlaßt  sein,  tarnen  kann  aber 
sebon  wegen  der  gleichen  Bildung  der  Sätze  nicht  fehlen:  verum  tarnen  .. 
tarnen;  tametsi  .  .  .  tarnen.  — 

§  85:  natura  non  tarn  propensus  ad  misericordiam  15 
quam  appiieatus  ad  si  veritatem  videbatur.  15 

 -I  ^     Kl.  di er.  u.  er.  tr. 


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138 


Bericht  über  die  Literatur  zu  Ciceros  Reden 


Die  beste  Lesart  scheint  inclinatus  zu  sein,  das  auch  bei  Cic.  vor- 
kommt (inclinatus  ad  düigendum)  und  an  das  handschriftliche  implicatus 
anklingt.  —  §  98.  99: 

ut  Capitoni  quam  |  primum  nuntiet? 
quod  Capitonem  primum  I  scire  voluerit? 
Capitonem  in  his  bonis  |  esse  socium. 

An  dieser  Stelle  ist  der  maßgebende  Gesichtspunkt,  an  dem  einzusetzen 
ist,  die  dreimalige  Wiederholung  des  Wortes  Capito.  Warum  hat  der 
Redner  nicht  auch  einmal  illum  gesagt?  Solche  Wiederholungen  geschehen 
natürlich,  sagt  man,  des  Nachdrucks  wegen.  Diese  Erklärung  reicht  aber 
nicht  aus.  Cic.  wollte  mit  der  Wiederholung  Rhythmen  verbinden.  Dabei 
ereignet  sich  nun  der  Fall,  daß  vom  rhythmischen  Standpunkt  aus  die  hand- 
schriftliche Lesart  voluerit  die  beste  ist: 

—  <-  w  I  -  —  —  ~  =        sp.  cret. 

  —  I  —  -  ~  ~  ~  —  tr.  er.  (Auf lös.) 

(_)  _  _  |  _  .  x  ditr.  (Auflös.) 

Erstens  steht  der  Eigenname  jedesmal  antistrophisch  an  der  gleichen 
Stelle ;  zweitens  sind  die  drei  Reihen  rhythmisch  ziemlich  gleich ;  da  wo  sie 
nicht  gleich  scheinen,  entsprechen  sie  sich  in  der  Auflösung.  So  entsteht 
eine  schöne  Responsion  in  Anfang,  Mitte  und  Ende.  Darum  glaubt  Ref., 
daß  die  Handschriften  recht  haben,  und  daß  sowohl  voluit  als  vellet  abzu- 
weisen sind.  Wenn  voluit  (Müller)  richtig  ist,  muß  man  auch  voluerit  sagen 
können.  Ziel,  bezeichnet  letzteres  grammatisch  und  klauseltechnisch  als 
schlecht  (M  44).  Ref.  findet  es  in  letzterer  Beziehung  ausgezeichnet  und 
glaubt,  daß  Cic.  gerade  aus  diesem  Grund  die  weniger  gute  Form  gewählt 
hat.  Die  Klausel  M  44  (Capiton)em  primum  scire  voluerit  ist  auch  wieder 
viel  zu  lang,  abgesehen  davon,  daß  die  Responsion  eine  ganz  andere  An- 
nahme erfordert  — 

§  115:  Form  der  conduplicatio,  welche  T.  Roscio  erfordert.  Gegen- 
überstellung: 

Sex.  Roscius  mandavit 
T.  Roscio  mandatus  est; 


§  124:  Ziel,  bezeichnet  S.  192  und  S.  161  (plu)res  laesos  se  esse 
putent  als  schlechte  Klausel  P  2.  Aus  dem  Rhythmus  kann  man  aber  be- 
weisen, daß  die  Paronomasie  attinet  und  putent  auch  rhythmisch  gehalten 
ist;  ebenso  ist  infolge  der  Responsion  nil  zu  sprechen  und  esse,  so  gut 
c iceronianisch  Ctarks  se  putent  auch  ist,  zu  belassen: 

id  quod  ad  j  me  nil  attinet, 
plures  laes|os  se  esse  putent. 

 I  =  sp.  er. 

 =  ditr.  mit  Auflös.). 


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aus  den  Jahren  1903—1906.  (May.) 


130 


Es  ist  ganz  in  Ordnung,  daß  das  Sich-verletzt-fühlen  durch  einen  leb- 
haften Rhythmus  am  Schluß  bezeichnet  wird.  Dem  sp.  er.  in  Reihe  1 
steht,  was  häufig  vorkommt,  ein  ditr.  gegenüber,  welchem,  was  ja 
ganz  der  Theorie  Ziel.s  entspräche,  ein  cret.  vorausgeht.  Für  viel  besser 
hält  Ref.  die  von  Z.  aufgestellte,  aber  mit  einem  Fragezeichen  versehene 
V  2- Klausei  se  esse  putent.  Die  Responsion  erfordert  aber  die  oben  be- 
zeichnete. —  §  128:  Wie  richtig  reduviam  eurem  ist,  kann  man  aus 
folgender  Responsion  sehen: 

tempus,  iudices,  haec  scrutari  et  prope  modum  errare 

(Sex)ti  Rosci  mederi  debeam,  reduviam  eurem. 

 :  :  —   o  Kl.  cret.  aufgelöst  tr. 

. —  —  —  w  —  —  —  w  . —  j  ^jr~^  ^— -  -    —  — 

Hier  bieten  also  weder  1  noch  G  das  Beste,  sondern  Vulgathandschriften. 
§  130:  Sehr  richtig  Clark: 

partim  improbante 
partim  imprudente 


Derartige  gleichartige  Zusammenstellungen  entsprechen  sich  in  der 
Regel  auch  rhythmisch.  — 

Auf  die  beiden  besprochenen  Werke,  Zielinskis  Klauselgesetz  und 
Clarks  Ciceroausgaben,  sollte  und  wird  auch  vielleicht  noch  näher  ein- 
gegangen werden,  teils  um  Zielinskis  Klauselstatuierung  zu  modifizieren,  teils 
um  Clarks  Resultaten  nachzugehen,  die  gerade,  weil  sie  auf  eingehender 
Forschung  beruhen,  durch  die  Klauseltheorie  vielfach  bestätigt  werden. 
Vberall  aber  ist  dieses  Instrument  nicht  anwendbar.  Bis  jetzt  hat  Ref.  den 
Eindruck,  daß  die  Vulgathandschriften  häufig  sehr  Beachtenswertes  bieten 
und  weder  1  noch  W  immer  den  Vorzug  verdienen.  — 

Ree:  DL  1905,  Nr.  24,  S.  1491-93  v.  Zielinski.  - 

W.  Peterson,  The  vatican  codex  of  Ciceros  Verrines.  American 
Journal  of  Philology.    S.  409—436. 

Der  um  die  Erforschung  der  kritischen  Grundlage  von  Ciceros 
Reden  (Cluniacensis  498)  verdiente  Gelehrte  bringt  hier  im  Gegen- 
satz zn  Meusels  und  C.  F.  W.  Müllers  verdammendem  Urteil  (falla- 
cissimus  auetor  und  foedissime  interpolatus  est)  eine  Handschrift  (V) 
von  hoher  Wichtigkeit  zu  Ehren.  Keinesfalls  kann  die  zu  den  ältesten 
lateinischen  Handschriften  überhaupt  zählende  und  ins  dritte  oder 
vierte  Jahrhundert  zurückgehende  Handschrift  zu  den  Codices  de- 
teriores  (8)  gerechnet  werden,  wie  die  beiden  Gelehrten  tun.  Von 
Wichtigkeit  ist  dabei  auch  die  Heranziehung  des  clun.  498  für  das  ' 
zweite  und  dritte  Buch  der  Verrinen,  soweit  dessen  Lesarten  aus  den 
codd.  Nannianus,  Metellianus  und  Fabricianus  rekonstruiert  werden 
können.  Der  Vf.  würdigt  aber  auch  die  anderen  in  Betracht  kommenden 
Handschriften;  namentlich  Par.  7775  (S).  SD  (Par.  7823)  sind  autoritativ 


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140 


Bericht  über  die  Literatur  zu  Ciceros  Reden 


für  die  früheren  Reden  wie  R  (Reginensis  2077)  für  die  späteren. 
Das  günstige  Urteil  des  Vf.s  über  V  nun  ist  im  allgemeinen  durchaus 
berechtigt,  aber  es  zeigt  sich  hier  das  Gleiche,  was  wir  auch  bei 
Besprechung  der  Anecdota  oxoniensia  von  Clark  hervorhoben,  daß  auch 
die  anderen  Handschriften,  sogar  die  codd.  deteriores,  manches  Be- 
achtenswerte bieten,  das  durchaus  nicht  vernachlässigt  werden  darf. 
"Weder  V  noch  das,  was  aus  dem  cluniacensis  eruiert  werden  kann, 
ist  allein  entscheidend.  Es  bedarf  dies  jedoch  genaueren  Nachweises 
im  einzelnen,  wobei  auch  des  Vf.s  Geneigtheit,  auf  Zielinskis  Klausel- 
gesetz einzugehen,  berücksichtigt  werden  muß.  Der  Vf.  mag  dann 
selbst  entscheiden,  ob  man  mit  der  Theorie  Zielinskis  sicheren  Boden 
gewinnen  kann. 

Aus  dem  vom  Vf.  zuerst  behandelten  Fragment  docet  hominem  II,  1 
§  105  bis  usitata  satis  §  114  seien  folgende  Stellen  hervorgehoben:  Müller 
180,  8:  reprehendiV  sol.  Dies  ist  natürlich  richtig  und  unter  Veränderung 
der  Wortstellung  von  den  Herausgebern  auch  angenommen.  —  Wahrschein- 
lich ist  aber  reprendi  zu  lesen: 

neque  post  edictum  reprendi 

neque  ante  edictum  provideri  potuit, 

2  |  — 

Klausel  in  1  ditr.  mit  vorausgehendem  irregul.  cret.,  in  2  dicr.  mit 
Auflösung  des  zweiten,  repreh.  würde  heroi.  Klausel  ergeben,  cret-ditr.  ist 
aber,  abgesehen  von  der  besseren  Responsion  bei  Cic.  eine  sehr  häutige 
Klausel.   179,  22  wird  singularis  (V  u.  a.)  durch  den  Rhythmus  bestätigt: 

tarne tsi  singularis  |  est  audaciae, 
tarnen  ad  pupillae  majtrem  sum  mittebat. 

2  ,  * 

Auf  die  Responsion  weisen  die  gleichlautenden  Anfänge  hin.  Die 
Klauseln  sind  gleich  (spond.  =  cret.),  wobei  cret.  in  1  regulär,  in  2  irregulär 
ist.  Mit  singulari  würde  vorstehende  Responsion  nicht  erzielt.  —  179,  29 
simul  ohne  et  V.  Dieses  fällt  zwar  nicht  in  die  Responsion,  aber  in  dem 
gleichen  Satze  folgendes,  das  als  treffendes  Beispiel  angeführt  werden  möge: 

tarn  improbum  non  |  arbitrabantur; 
appellati  |  pernegaverunt. 

 I  = 

179,  31:  Mit  a  (liberis  SDp)  ergeben  sich  gleiche  Rhythmen  in: 

ereptum  a  liberis, 
(e)  dictum  conscripserit 
quaeso  cognoscite. 


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aus  den  Jahren  1903—1906.  (May.) 


141 


Dieselben  Rhythmen  allerdings  auch  ohne  a  (V).  Besserer  rhythmischer 
Laut  allerdings  mit  a.  Doch  ist  dies  subjektiv.  —  179,  35  scripsit  V  sol. 
fecit  SDp.  Der  Vf.  bezeichnet  richtig  ersteres  als  bemerkenswerte  Lesart. 
"Wenn  er  aber  aus  anderen  Beispielen,  in  denen  das  Verhältnis  der  Hand- 
schriften das  gleiche  ist  wie  hier,  auf  die  Richtigkeit  von  scripsit  schließt, 
weil  seine  Beispiele  eine  gute  Klausel  ergäben,  so  bedarf  dies  doch  einer 
näheren  Untersuchung  jedes  einzelnen  Falles,  die  der  Vf.  aber  nicht  an- 
stellt; er  sagt  bloß:  „either  reading  gives  a  good  clausula:  and  it  is  in 
teresting  to  speculate,  whether  the  motive  of  the  change,  in  this  and 
similar  instances,  was  the  wish  on  the  part  of  some  copyist  to  conforme 
more  closely  to  some  law  of  prose  rhythm,  such  as  has  recently  been  ex- 
pounded  by  Zielinski".  Bisher  fand  Ref.  noch  in  keinem  Fall  bestätigt,  daß 
ein  Abschreiber  eine  Änderung  vornahm,  um  eine  gute  Klausel  zu  erzielen; 
im  Gegenteil,  die  Abschreiber  verderben  oft  eher  eine  solche.  Gerade  in 
den  von  dem  Vf.  angezogenen  Stellen  scheint  die  Richtigkeit  eher  auf 
sehen  von  SDp  zu  sein  als  bei  V:  181,  8, 

Quia  non  generis, 
verbis  amplecteris,  — 
iure  esse  commotum. 


ampl.  Paronomasie  zu  generis ;  ferner  verbis  ampl.  dikr.  Schluß  einer 
Reihe,  welchem  als  Cholose  cret  tr.  gegenübersteht.  —  186,  22  fügt  sich 
cognostis  (p)  besser  in  die  Responsion  als  didicistis: 

coniecturam  facere  possitis, 
actione  cognostis,  audile. 

Kret.-tr.-Klausel  in  beiden  Reihen,  in  1  mit  Auflösung,  welcher  gegen- 
über die  Responsion  als  Cholose  wirkt  An  der  Stelle  nun,  von  welcher 
der  Vf.  ausgeht,  kann  aus  dem  Rhythmus  gar  nichts  geschlossen  werden; 
denn  beide  Verben  ergeben  den  gleichen: 

mulieres  fecit,  (scripsit) 
•   scriptum  videretur. 

Kl.  beide  Male  kret.-tr.,  in  1  mit  Auflösung.  —  219,  17  scheint  abiret  (V) 
allerdings  besser  als  discederet: 

(pal)aestricum  vidistis; 
nnctior  abiret. 

epitr.  tr.  stehen  einem  aufgelösten  cret.  mit  tr.  gegenüber.  Epitrit  tritt 
oft  statt  des  cret.  ein,  also  kann  man  wieder  gleiche  Klauseln  statuieren. 
—  Wenn  die  Herausgeber  186,  35  venissent  (p)  gegenüber  fuissent  (V)  be- 
vorzugen, so  tun  sie  dies  jedenfalls,  um  die  dreimalige  Wiederholung  des 
gleichen  Wortes  (fuissent,  fuisset,  fuisse)  zu  vermeiden;  es  ist  aber  sehr 


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Bericht  über  die  Literatur  zu  Ciceros  Reden 


fraglich,  ob  diese  Paronomasie  nicht  beabsichtigt  ist.  Mit  fuisset  wird  die 
rhythmische  Responsion  gleich: 

(ante)  eum  praetorem  fuissent, 
aditurum  non  fuisse. 


also  beide  Male  ditr.-Klausel  mit  vorausgehendem  spond. 

292,  11  deberet  (pqO  Par.  4588),  vellet  V,  haberet  5.  deberet  auch 
dem  Sinne  nach  wohl  allein  richtig;  denn  es  handelt  sich  nicht  darum,  datf 
Grospus  soviel  Getreide  gab,  als  er  wollte  oder  hatte,  sondern  als  er 
mußte;  er  wurde  aber  gezwungen,  noch  mehr  zu  geben,  als  er  eigentlich 
schuldig  gewesen  wäre.  Responsion: 

• 

ut  frumenti  daret,  6  1 
non  quantum  deberet,  6  |  S' 
sed  quantum  cogeretur.  7 


Diese  3  Reihen  beginnen  alle  irregulär  kretisch,  2  davon  enden  auch 
kretisch,  die  letzte  ditr.  Die  letzte  Reihe  hat  häufig  eine  Silbe  mehr.  — 
180,  30  patietur  V.   Richtig.  Responsion : 

(si  quis)  novi  quid  instituit 
rata  esse  patietur. 


esse  patietur  ist  die  bei  Cic.  in  der  Responsion  beliebte  kret.-tr.  Kl. 
mit  Auflösung  des  cret.  patitur  würde  die  Kl.  zerstören.  —  181,  12:  dis- 
crimen  V  sol.  ist  richtig;  aber  auch  Müllers  Vermutung  sed  tarnen  st.  tum. 
tum  entstand  aus  der  Schreibung  tft  in  den  Handschriften.  Dadurch 
folgende  Responsion: 

1  sed  tarnen  vituperari  posset,  10 

2  in  discrimen  venire  non  posset.  10  * 

Wahrscheinlich  auch  noch 

3  nemo  enim  committeret. 



In  1  und  2  weisen  die  Gleichheit  der  Silbenzahl  und  das  Homoiotel. 
auf  die  Responsion  hin.  Klauseln  sind  in  1.  disp.,  2.  cret.  tr.,  3.  spond. 
cret  bei  Cic  beliebte  Variationen.  —  Sehr  richtig  181,  17  inventus  est  (V) 
„the  first  of  a  considerable  number  of  transposition  variants"  mit  genauer 
Responsion  zweier  Reihen: 

(pro)oeroio  esset  ornatum,  ecquis  inventus  est 
postea  praetor,  qui  idem  illud  ediceret 

—   w    —  |  ^    _      " 


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aus  den  Jahren  1903—1906.  (May.) 


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In  beiden  Reihen  dikret.  Klauseln.  —  181,  20: 

multi  testamenta  eodem  modo  fecerunt  — 
testamento  fecit  heredem  filiam. 

Malier  bezeichnet  die  Lesart  der  ersten  Reihe  (SDp)  als  wahrschein- 
lich richtiger  denn  als  die  von  V  („nescio  an  veius").  Ref.  ist  der  gleichen 
Ansicht  Die  Gleichheit  der  gesperrt  gedruckten  Wörter  spricht  nicht  gegen  die 
Lesart,  sondern  für  ihre  Richtigkeit,  da  Cic.  antistroph.  Beziehungen,  aus- 
gedrückt durch  Wortgleichheit,  häufig  anwendet.  Responsion: 
 _  I  

 ■  —  I   -     Kl.  dicr.  u.  spont.  cret. 

Ein  solches  rhythmisches  Verhältnis  ergäbe  sich  bei  der  Lesart  V  nicht, 
überhaupt  gar  keines.  —  Bei  dieser  Gelegenheit  möge  zu  §  111  beispielsweise 
noch  folgende  Responsion  verzeichnet  werden: 

sua  sponte  instituisset, 

id  neminem  metuisse,  «omoiot. 

Fefiier:     (corr)igere  testamenta  vivorum, 

nisi  etiam  rescinderes  mortuorum.  "omoiot- 

w  w  |   —        cret.  tr. 

 —  —  ■  |  —  ditr.  mit  cret. 

Diese  gewiß  genau  respondierende  Stelle  beweist  auch,  daß  ein  Re- 
sponsionsteil  über  den  anderen  hinausgehen  kann,  ohne  daß  dadurch  die 
Responsion  aufgehoben  würde;  denn  der  letzte  Troch.  ist  dazu  unerläßlich 
notwendig.  — 

ex  improviso  si  quae  res  nata  esset, 
ex  urbano  edicto  decernere. 


Die  beiden  Schlußkürzen  markieren  den  Schluß  durch  den  gegensätz- 
lichen Rhythmus.  —  186,  16:  Durch  homo  sit  (V)  schwindet  der  Hiatus, 
der  auch  den  Rhythmus  stört: 

de  sella  vir  optimus  dixit: 
libertinus  homo  sit  heres. 

 ^  I  —  cret.  tr. 

 —  |  ^  ditr.  mit  Auf  lös.  und  voraus- 
gehendem tr.  nicht  cret. 

Aus  den  anderen  Stellen,  die  der  Vf.  noch  aus  dem  ersten  Buch  an- 
gibt, an  denen  außer  V  besonders  Par.  7776  (p)  berücksichtigt  ist,  mögen 
folgende  hervorgehoben  werden.   182,  17: 

nostra  iniuria  doleremus, 
in  foro  non  esset  relictum. 

 I—  w  cret.  tr. 

—  ■  — I  ditr.  mit  vorausg.  cret. 

nullam  (V)  ist  sachlich  wirksamer.  Rhythmisch  aber  sind  beide  gleich. 
185,  12  perfacete  (VO)  jedenfalls  richtig: 


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Bericht  über  die  Literatur  zu  Ciceros  Heden 


neque  enim  perfacete  dicta 

neque  porro  hac  severitate  digna  (sunt) 

 I  -  disp. 

 i  —  —  ditr. 

sunt  hält  Ref.  für  eine  Glosse,  weil  es  das  Ilomoiot  stört  —  185  23: 
produxit  richtig,  weil  es  egit  entspricht: 

in  contione  egit 
Romani  produxit; 


Klauseln  gleich  (cret  tr.);  11  cret.  irregulär,  wodurch  die  II.  Kl.  als 
Cholose  wirkt;  also  produxisset  (V)  unrichtig.  Zur  Stütze  von  V  verweist 
der  Vf.  auf  Zielinskis  Klausel  S  3;  dies  beweist  aber  nichts;  denn  an  und 
für  sich  ist  S  3  ebensogut  als  S  2.  Kriterium  ist  aber  nur  die  Responsion, 
die  Z.  nicht  kennt.  Nach  dieser  ergibt  sich  weder  S  3  noch  S  2,  sondern 
cret.  tr.  Dies  wäre  nach  Z.s  Terminologie  V  1.  —  186,  17  igt  der  Vf.  für 
surrexerit  (V),  wobei  er  sich  wieder  auf  Ziel,  beruft  („probably  right").  Be- 
wiesen ist  aber  damit  nichts.  Vielmehr  bildet  surrexit'  Homoiotel.  mit  dixit 
Responsion,  wobei  eine  schon  behandelte  Stelle  in  Betracht  kommt: 

de  sella  vir  optimus  dixit:  9 
Iibertinus  homo  sit  heres?  9 
quod  illinc  vivus  surrexit.  8 

2  

3  I  ~  cret.  tr.  wie  1;  2  ditr. 

In  der  III.  Reihe  als  Schluß  schwere  Rhythmen.  — 

187,  80:  Entweder  dubitavit  (V  pq1)  oder  dubitarit  (Kayser)  aber  nicht 
dubitaverit  (Ziel.),  denn  das  Verbum  respondiert  zu  putavit: 

quos  numquam  liberos  putavit, 
pecuniam  non  dubitavit. 

non  dub.  ist  allerdings  die  „verpönte"  heroische  Klausel,  die  aber  bei 
Cic.  nicht  selten  ist  Zur  Vermeidung  derselben  schreibt  Z.  dubitaverit 
das  nicht  in  die  Responsion  paßt.  Der  Vf.  sagt  übrigens  selbst:  „P  3  is 
of  not  infrequent  occurrence  in  the  Verrines".  —  Bei  190,  37  hat  man  sich 
zu  entscheiden,  ob  man  die  Paronomasie  alii  nummos  numerabant,  alii  tab. 
obsigaabant  annehmen  will.  Es  ist  möglich,  daß  in  V  die  Änderung  ge- 
macht wurde,  um  jene  zu  vermeiden,  die  aber  Cic.  vielleicht  gerade  be- 
absichtigte. —  191,  5  bietet  nicht  V  das  Beste,  sondern  pr  u.  a.;  denn  es 
besteht  Responsion  zu: 

serlmocinaturam; 
esse  facturam, 


Durch  se  facturam  würde  diese  zerstört.  —  Falsch  zitiert  ist  192,  2 
st.  192  ,  22.  —  Eine  sehr  ansprechende  Konjektur  proponicrt  der  Vf. 
zu  192,  36:  Quid?  est  in  multis  etc.  —  193,  27:  petijtfem  (9  Priscian)  als 


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aus  den  Jahren  1903—1906.  (May.)  145 

Korrelat  zu  putassem  ist  jedenfalls  richtig,  petivissem  aber  falsch.  Der 
Rhythmus  erzielt  nämlich  in  beiden  Reihen  Ditr.- Klauseln,  die  nur  durch 
Ausscheidung  der  Silbe  vi  möglich  sind: 

(pecuni)a  columnas  dealbari  putassem, 

certe  numquam  aedilitatem  petissem. 

 t---- 

 1  - 

In  den  beiden  Reihen  vor  der  Klausel  cret.  bzw.  epitr.  —  Für  suae  (V) 
198,  14  gibt  der  Vf.  anfangs  den  richtigen  Gesichtspunkt  an:  „the  word 
should  probably  be  retained:  there  seems  to  be  a  point  in  the  repetition 
suorum  —  suum  suae",  möchte  dann  aber  secundae  schreiben  st  suae; 
letzteres  ist  jedoch  allein  richtig: 

homo  amentissiinus  suorum  — 
putavit  per  sodalem  suum  — 
iudicem  quaestionis  suae; 

2  

Bestimmend  ist  namentlich  2  und  8,  die  beide  dikret.  enden;  ohne 
suae  würde  die  Reihe  vor  dem  Schluß  abbrechen.  —  198,  17  erepta  esset 
facultas  eorum  bringt  einen  neuen  Nachsatz  herein,  der  eine  Emendation, 
wie  sie  der  Vf.  vorschlägt.  Nun  besteht  aber  gemäß  der  Fassung  V  folgende 
Responsion : 

quam  largissime  [  factum  oportebat,  — - 
sine  causa  sub  |  sortiebatur. 

 ■  -  [  -  —  -  Klauseln  cret.tr.  mit  jeweils  vorausgeh.Kretikern. 

—  I  —  —  

Allerdings  brauchte  an  diesen  Stellen  auch  bei  der  LA  p.  nichts  ge- 
ändert zu  werden;  nähme  man  aber  den  Zusatz  p  an,  so  würde  der  be- 
stehenden Übung  gemäß  dieser  dem  Schluß  sine  c.  s.  respondieren;  denn 
Satzschluß  respondiert  dem  Periodenschluß.  Nach  obiger  Responsion  re- 
spondiert  aber  der  Periodenschluß  dem  Satzschluß  q.  1.  f.  oportebat;  folg- 
lich hat  er.  esset  f.  eorum  auszuscheiden.  Diese  Worte  sind  eine  Ein- 
schiebung,  welche  die  Geschlossenheit  der  Periode  empfindlich  stört;  also 
bietet  hier  V  das  Bessere.  —  Auch  aus  den  folgenden  Büchern  der 
Verrinen  gibt  Vf.  Beispiele  zugunsten  von  V,  worauf  wir  noch  eingehen 
wollen.  221,  28  occasionem  calumniae  scheint  doch  nicht  so  unbedingt 
abzuweisen,  da  Ref.  findet,  daß  der  Anfang  des  Satzes  mit  dem  Schluß 
harmoniert: 

Iste  amplam  occasionem  calumniae  nactuB,  — 

in  primis  actionem  daturum. 

 ~      _  _  ,  ^ 

Ohne  occasionem  cal.  wäre  diese  Responsion  unmöglich.  In  Ordnung 
ist  auch  die  Kl.  der  I.  Reihe  (kret.  tr.J;  in  2  ditr.  mit  cret.  Auch  ist  der 
Gebrauch  von  ampla  keineswegs  über  jeden  Zweifel  erhaben,  wie  Müller  zu 
d.  St.  nachweist.  —  Auch  280  ,  9  ist  nicht  jeder  Zweifel  ausgeschlossen, 
dolore  z.  B.  ist  zur  Responsion  notwendig;  ferner  ist  die  Wiederholung  von 

J»hre8b*ricbt  für  Altertrnnswis.eimhatt.  Bd.  CXXXIV.   (1907.  II.)  10 


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Bericht  über  die  Literatur  zu  Ciceros  Reden 


tarnen  nicht  abzuweisen.  Ref.  beobachtete  nämlich  an  anderen  Stellen,  daß 
Wiederholungen,  die  sachlich  nicht  notwendig  scheinen,  oft  nur  der  Sym- 
metrie wegen  eintreten.    Darnach  wäre  die  Responsion  folgende: 

(angebatur)  tarnen  animi  dolore  necessario  — 

tarnen  dolorem  suum  nemini  impertiebat 


Allerdings  ergibt  auch  (anim)  i  necessario  eine  gute  (dikr.)  Klausel, 
aber  die  Reihenresponsion  wird  durch  V  gestört.  —  Trotz  der  Superiorität 
von  V  unterlaufen  auch  Irrtümer  (Dittographie),  die  der  Vf.  aber  nicht  als 
Ungenauigkeit ,  sondern  im  Gegenteil  als  übertriebene  Gewissenhaftigkeit 
bezeichnet.  Unrichtig  zitiert  ist  unam  domo,  das  222,  31  steht,  nicht  21. 
—  Für  Buch  II  und  III  gibt  der  Vf.  drei  Listen  von  Lesarten:  1.  sichere 
aus  V,  2.  zweifelhafte,  3.  Umstellungen.  Es  möge  gestattet  sein,  daraus 
noch  einige  in  Kürze  zu  behandeln.  —  214,  25  ist  postridie  (V)  richtig: 

postridie  venit  in  mentem, 
sortiri  dicas  oportere. 
 I   Kl.  gleich. 

223,  30  ist  Vf.  für  se  (V):  „this  would  seem  to  make  a  better  clausula 
than  sese".  Dies  mußte  bewiesen  werden.  Wahrscheinlich  meint  der  Vf. 
ditr.  mit  vorausgehendem  cret.;  Vf.  statuiert  natürlich  nach  Z.s  Theorie 
ohne  Rücksicht  auf  Responsion.  Die  beiden  Formen  daturum  weisen  aber 
auch  auf  solche  hin  (Homoiotel).: 

iudicem  de  sua  cohorte  daturum, 
actionem  rei  sese  daturum. 

 .  _  '  ~ 

Die  rhythmische  Beziehung  der  beiden  Reihen  ist  bis  zu  den  Klauseln 
deutlich.  Von  diesen  ist  die  erste  die  verpönte  heroische,  die  zweite  ditr. 
mit  vorausgehendem  spond.  Ziel,  würde  hier  zwar  Epitrit  als  Entfaltung 
des  Kret.  annehmen.  Wenn  die  Klauseln  nicht  gleich  sind,  so  ist  dies  bei 
Cic.  nicht  selten,  der  nach  Varietät  strebt.  Zu  der  bezeichneten  Responsion 
ist  aber  sese  nötig,  also  nicht  wegen  der  Klausel,  sondern  wegen  der  ganzen 
Reihe. 

Es  wären  noch  manche  Stellen  zu  besprechen,  doch  soll  dies  auf  eine 
andere  Gelegenheit  verspart  werden. 

1.  Th.  Zielinski,  Das  Klauselgesetz  in  Ciceros  Reden.  Grund- 
züge einer  metrischen  Rhythmik.    Leipzig  1904. 

2.  F.  Blass,  Die  Rhythmen  der  asianischen  und  römischen 
Kunstprosa.    Leipzig  1905. 

3.  H.  Borne cque,  Les  clausules  me'triques  dans  l'orator. 
Revue  de  philol.  29,  S.  40—50. 

4.  H.  Bornecque,  Wie  soll  man  die  metrischen  Klauseln 
studieren?    Rhein.  Mus.  58,  S.  371—81. 


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■ 


aus  den  Jahren  1903—1906.  (May.)  147 

5.  J.  May,  Rhythmische  Analyse  der  Rede  Ciceros  pro 
S.  Roscio  Amerino.    Leipzig  1905. 

6.  J.  May,  Die  Rhythmen  in  Ciceros  Reden  pro  Archia  (§  1 
bis  15).    Progr.    Dnrlach  1906. 

I. 

Durch  die  Untersuchungen  über  Rhythmus  und  Klauseltechnik 
ist  in  die  Erklärung  der  Reden  Ciceros  ein  neues  Moment  ge- 
kommen, dem  sich  die  Herausgeber  in  Zukunft  nicht  mehr  entziehen 
können,  auch  deshalb  nicht,  weil  die  Textkritik  davon  berührt  wird. 
"Wenn  man  auch  nicht  so  weit  gehen  will  wie  Zielinski,  der  im  Vor- 
wort seines  Buches  S.  3  sagt,  „daß  kein  Ciceroherausgeber  ohne  ge- 
naues Studium  des  Klauselgesetzes  seiner  Aufgabe  gewachsen  ist", 
so  ist  doch  der  Rhythmus ,  aber  nicht  allein  die  Klausel ,  ein 
Instrument  der  Prüfung  für  manche  überlieferte  Lesart  und  Konjektur. 
Freilich  ist  die  Sache  noch  im  Werden  und  weder  in  bezug  auf  den 
„konstruktiven"  Rhythmus  noch  auf  die  Klausel  zum  Abschluß  ge- 
bracht, welches  letztere  man  im  Hinblick  auf  das  Zielinskische  Buch 
vielleicht  verwunderlich  finden  wird.  Aber  das  ist  gewiß,  der 
rhetorisch-rhythmische  Gesichtspunkt  und  die  lumina  orationis,  worin 
des  Demosthenes  Kraft  besteht,  dem  Cicero  nacheifert,  werden  in  den 
Ausgaben  zu  wenig  berücksichtigt,  indem  die  Erklärung  sich  meist 
auf  den  Inhalt,  auf  den  sprachlichen  Ausdruck  und  die  Beschaffenheit 
des  Textes  beschränkt.  Und  doch  legt  Cicero  auf  die  numerosa 
oratio  den  allergrößten  Wert.  Gewiß  sind  in  rhythmischer  Beziehung 
manche  Ausgaben  ergiebige  Fundstätten,  unter  den  älteren  die  von 
Garatoni,  unter  den  neueren  der  Kommentar  zur  Rosciana  von  Land- 
graf. In  Zukunft  muß  aber  noch  die  Rhythmik  hinzukommen ,  und 
zwar  ist  es  nach  den  bis  jetzt  gemachten  Vorarbeiten  von  Plüß, 
E.  Müller,  Norden,  I.  Wolff,  Zielinski  und  Blaß,  unter  den  Franzosen 
L.  Havet  und  H.  Bornecque  nicht  so  schwer,  wenigstens  über  die 
Klausel  ins  reine  zu  kommen,  obgleich  über  die  einzelnen  Formen 
derselben  noch  keine  volle  Übereinstimmung  herrscht.  Einen  end- 
gültigen Abschluß  glaubt  nun  Zielinski  in  seinem  Buch  Über  das 
Klauselgesetz  gegeben  zu  haben.  Er  zieht  darin  alle  Reden  Ciceros. 
in  Betracht  und  eruiert  17902  Klauseln,  die  er  mit  einer  erstaunlichen 
Klassifikationskunst  rubriziert  und  zwar  so  subtil,  daß  Blaß  in  dem 
unter  2  erwähnten  Buch  S.  113  meint,  in  diesen  „{lupjATjxo;  dtpaicot" 
finde  sich  kein  Kopf  zurecht  außer  dem  des  Vf.s.  So  verwickelt 
jedoch  ist  die  Theorie  nicht,  daß  man  sie  nicht  durchschauen  könnte, 
ja,  A.  Clark  hat  in  seiner  neuesten  ausgezeichneten  Ausgabe  Ciceroniani- 

10* 


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148  Bericht  über  die  Literatur  zu  Ciceros  Reden 

scher  Reden  (1905)  schon  angefangen,  kritische  Proben  zu  einzelnen 
Stellen  aus  dem  Zielinskischen  Buche  zu  übernehmen.  Anerkannt 
werden  muß  die  frische  und  geistreiche  Art,  in  der  das  Buch  ge- 
schrieben ist.  Z.  selbst  ist  von  großer  Zuversicht  betreffs  der 
Richtigkeit  seiner  Lehre  erfüllt  und  stellt  seine  Gesetze  mit  apodik- 
tischer Gewißheit  auf.  Da  nun  das  Zielinskische  Buch  voraussicht- 
lich auf  lange  Zeit  bei  den  Klauseltechnikern  im  Vordergrund  des 
Interesses  stehen  wird,  indem  die  einen  die  Resultate  annehmen  und 
gutheißen,  andere,  wie  Blaß,  sie  strikte  verwerfen,  so  kann  sich  Ref. 
nicht  auf  eine  bloße  Inhaltsangabe  des  Buches  beschränken,  sondern 
es  muß  die  Theorie  auf  ihre  Haltbarkeit  besonders  an  Beispielen  ge- 
prüft werden. 

Dem  Vf.  ist,  was  auch  schon  W.  Meyer  postulierte,  der  creticus 
das  klauselbildende  Element,  und  jede  der  fünf  Hauptformen  hat  als 
Basis  einen  creticus,  wozu  Kadenzen  von  verschiedener  Form  kommen, 
die  mit  der  Basis  zusammen  das  Wesen  der  Hauptform  bestimmen. 
Nach  Feststellung  jeder  Hauptform  behandelt  der  Vf.  jeweils  sehr 
eingehend  das  typologische  Moment,  d.  h.  die  Frage,  wie  bestimmte 
Worttypen  zur  Klauselbildung  verwendet  sind.  Aus  der  Verschieden- 
heit dieser  Typen  entwickeln  sich  wieder  Unterformen,  deren  Zahl 
ziemlich  bedeutend  ist.  Im  Anschluß  daran  werden  zahlreiche  Ge- 
setze aufgestellt.  Am  Ende  jeder  Hauptform  gibt  der  Vf.  eine 
interessante  Geschichte  der  jedesmaligen  Hauptform.  Auf  die  Theorie 
der  Klausel  folgt  in  mehreren  Abschnitten  die  Anwendung  derselben. 

Eine  Grund-  und  Vorfrage  nun,  die  vor  allem  behandelt  werden 
muß,  und  mit  der  das  ganze  System  steht  und  fällt,  ist:  Sind  die 
Klauseln  richtig  aufgestellt  ?  Ziel,  läßt  sich  dabei,  wie  er  S.  7  selbst 
sagt,  nur  vom  Gefühle  leiten.  „Wo  die  Periode  schließt,  sagt  uns, 
wie  dem  Redner  selbst,  lediglich  unser  rednerisches  Gefühl".  Dali 
aber  das  Gefühl  eine  unsichere  Sache  ist,  dürfte  klar  sein.  Kann 
für  den  Umfang  der  Klausel  kein  anderes  Kriterium  gewonnen  werden 
als  das  Gefühl,  so  wird  nie  eine  Einigung  über  die  Klausel  zustande 
kommen.  Tatsächlich  sind  auch  die  Klauseltheoretiker  in  der 
Statuierung  der  Klauselformen  durchaus  nicht  einig.  Dies  kommt 
vom  Mangel  an  einem  Kriterium;  und  dies  ist  die  Responsion.  Wo 
keine  Responsion  stattfindet,  ist  auch  kein  Rhythmus.  Jene  ist  das 
Wesen  des  Rhythmus.  So  auch  bei  der  Klausel.  Dieses  Moment  ist, 
wenn  es  auch  von  den  Klauseltheoretikern  bisher  gar  nicht  berück- 
sichtigt wurde,  das  allernotwendigste.  Ohne  Berücksichtigung  des- 
selben ist  die  Aufstellung  einer  Theorie  der  Klausel  gar  nicht  mög- 
lich.    Wie   viele   Klauseln   haben   z.   B.   Norden   oder  I.  Wolff 


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aus  den  Jahren  190&— 1906.  (May.) 


149 


zusammengestellt,  ohne  zu  merken,  daß  diese  oder  jene  Kl.  mit  einer 
anderen  korrespondiert.  Nun  sagt  Z.  S.  6,  er  untersuche  bloß  den 
Periodenschlußrhythmus.  Aber  auch  dieser  hat  seine  Itesponsion  wie 
der  Satz-  oder  Kommaschlußrhythmus.  Wenn  der  Periodenschluß- 
rhythmus keine  Responsion  hat,  dann  mag  das  Zielinskische  Gebäude 
richtig  sein,  hat  er  aber  jeweils  eine  solche,  dann  sind  die  Klauseln, 
wie  er  sie  annimmt,  großenteils  falsch.  Ref.  kommt  auf  Grund  der 
Responsion  bei  seiner  Untersuchung  der  Zielinskischen  Klauseln  zum 
Resultat,  daß  unter  10  Klauseln  ungefähr  8  falsch  angesetzt  sind, 
mit  anderen  Worten,  daß  die  Responsion  unter  10  Klauseln  8 mal 
ein  anderes  Resultat  ergibt,  als  Z.  annimmt.  Da  dieser  Punkt  grund- 
legend ist,  so  nimmt  auch  Ref.  wie  Z.  die  Caeciniana  vor,  aus  welcher 
dieser  S.  9  ff.  die  vorhandenen  Klauseln  ausschreibt.  Dann  möge  der 
Leser  selbst  entscheiden.  Sehr  richtig  stellt  zwar  Z.  S.  8  die  Vorfrage : 
„Wo  beginnt  in  der  Periode  die  Klausel ?tt  Antwort:  „Dort  wo  die 
Regelmäßigkeit  in  der  Gestalt  des  Schlusses  beginnt"  Diese  Be- 
hauptung könnte  man  fast  für  unsere  Meinung  in  Anspruch  nehmen. 
So  meint  es  aber  Z.  nicht.  Nach  ihm  beginnt  die  Klausel  da,  wo 
die  Basis  der  Uauptform  beginnt,  die  er  annimmt;  diese  Basis  ist 
aber  immer  der  creticus;  was  darauf  folgt,  gleichviel  wie  lang,  ist 
nach  ihm  Kadenz.  Diese  kann  in  Hauptform  I  aus  3Vs  Trochäen 
und  noch  mehr  bestehen.  Ref.  meint  dagegen,  der  Beginn  der 
Klausel  hängt  von  der  Responsion  ab ;  wo  in  dieser  die  Gleichmäßig- 
keit beginnt,  beginnt  auch  die  Klausel.  Die  respondierenden  Formen 
dürfen  aber  nicht  zu  weit  entfernt  sein;  sonst  hört  man  sie  nicht; 
denn  erste  Bedingung  des  Rhythmus  ist,  daß  er  ins  Gehör  fällt*). 

Wir  treten  nun  in  die  Prüfung  der  von  Z.  aus  der  Caeciniana  an- 
geführten Beispiele  ein,  wobei  aber  jedesmal  eine  Erklärung  notwendig  ist. 
Deshalb  ist  es  auch  nicht  möglich,  so  viele  Beispiele  zu  behandeln,  als  Ref. 
eigentlich  möchte.  —  Eins  der  sonderbarsten  Beispiele  scheint  uns  §  81  — 
tur,  sed  id  quod  dicitur,  valebit,  ein  Beispiel,  das  wohl  kaum  jemand  als 
Klausel,  als  Abschluß  eines  Gedankens  empfinden  wird.  Mit  der  Responsion 
lautet  die  Stelle  so: 

non  id,  quod  intelligitur,  8 
sed  id,  quod  dicitur,  valebit.  9 

intelligitur  steht  zu  dicitur  im  Kontrast,  welches  Verhältnis  noch  durch 
Paronomasie  illustriert  wird. 


*)  orat.  67:  quidquid  est,  quod  sub  aurium  mensuram  aliquam  cadat, 
—  numerus  vocatur. 


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150 


Bericht  über  die  Literatur  zu  Ciceros  Reden 


Dem  Ditr.  der  zweiten  Reihe  entspricht  in  der  ersten  intelligitur  (spond. 
und  aufgelöster  tr.).  Es  mag  hier  die  Bemerkung  vorausgeschickt  werden, 
daß  dem  Ditrochäus  in  Reihe  2  kein  cret.  vorausgeht,  sondern  ein  tr.,  ob- 
gleich es  Z.  in  den  Bemerkungen  zur  Hauptform  III  als  Gesetz  bezeichnet, 
daß  dem  Ditr.  stets  ein  cret.  vorausgehen  müsse.  Zur  Veranschaulichung 
der  von  ihm  statuierten  Klausel  bedarf  er  folgender  Zeichen :  5  tr  M  5ij  *), 
während  in  der  einfachsten  Kürze  gesagt  werden  kann:  Die  Klausel  in 
Reihe  2  ist  ditr.  und  in  Reihe  1  spond.  -  troch.  mit  Auflösung  des  Troch. 
Hinzugefügt  kann  noch  werden,  daß  das  spond.-tr.-Maß  dem  gleichen  y*vo; 
angehört  wie  der  Ditrch.  Also  sind  die  beiden  Klauseln  metrisch  nicht  so 
weit  voneinander  entfernt.  —  §  3  bezeichnet  Z.  als  Periodenklausel :  illorum 
testibus.  Gerade  an  dieser  Stelle  aber  liegt  nicht  nur  Klausel-,  sondern 
eine  weitergehende  Responsion  vor,  nämlich: 

confessione  I  adversarii;  10 

nunc  vero  in  ill  |  orum  testibus:  10 

 |  

Wie  man  sieht,  ist  die  Responsion  ganz  genau,  die  sich  aber  nicht 
bloß  auf  die  Klausel,  sondern  auch  auf  das  Vorhergehende  erstreckt.  Nun 
geht  der  spont. -kret  Klausel  je  ein  kret.  voraus,  was  häufig,  aber  nicht 
immer,  der  Fall  ist.  Der  Grund,  warum  das  kret.  so  häufig  vor  dem  troch. 
Maße,  also  auch  vor  dem  ditr.  steht,  liegt  1.  in  der  leichten  Verwendbarkeit 
desselben  (or.  215:  creticus  —  quam  commodissime  putatur  in  solutam 
orationem  illigari),  2.  darin,  weil  in  der  Klausel  nur  Rhythmen  ver- 
wendet werden,  die  mit  dem  cret.  oft  zusammen  gebraucht  werden.  Dahin 
gehört  in  erster  Linie  der  troch.  In  dieser  Beziehung  gilt  der  Satz  im  or. 
§  199:  ad  hunc  exitum  tarnen  a  prinCipio  ferri  debet  illa  comprehensio  et 
tota  a  capite  ita  fluere,  ut  ad  extremum  veniens  ipsa  consistat.  Der  Aus- 
druck dieses  Satzes  (tota  a  capite  fluere)  ist  so  gehalten,  daß,  wenn  eia 
troch.  oder  cret.  oder  spond.  dem  ditr.  vorausgeht,  kein  Einschnitt  oder 
Pause  angenommen  werden  darf.  Der  Fluß  der  Rede  darf  dadurch  nicht 
unterbrochen  werden.  Weil  Cic.  vor  dem  Ditr.  verwandte  Maße  wählt,  so 
ist  der  Übergang  natürlich  und  ungezwungen. 

Diese  natürliche  Uberleitung  fand  Ref.  in  der  Rosciana  und  in  der 
Archiana  überall  bestätigt.  Obige  Klausel  heißt  nun  —  orum  testibus,  nicht 
illorum  testibus.  —  Ein  anderes  Beispiel  respondierender  Klauseln,  das 
aber  bei  Z.  nicht  verzeichnet  ist,  weil  er  bloß  den  Periodenschluß  beachtet, 
steht  in  demselben  §  3  nämlich: 

si  probi  ex|istimarentur, 
quod  dixiss  |  ent,  probarent. 

*)  Angesichts  der  zahlreichen  Zeichen,  die  Ziel,  erfunden,  ist  es  un- 
möglich, auf  alle  einzugehen.  Hier  aber,  da  es  die  erste  Veranlassung  ist, 
soll  es  geschehen.  —  M  =  mala  clausula;  5  bezeichnet  die  Klasse  der 
Integrationsformel  (S.  18);  tr.  gibt  an,  daß  diese  Klasse  in  ihrer  Kadens 
troch.  endet,  5ij  sollen  mnemotechnische  Mittel  sein  und  von  a  an  gerechnet 
die  soundsovielte  Stelle  des  Einschnittes  bezeichnen,  also  hier  die  vierte 
und  siebente. 


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aus  den  Jahren  1903—1906.  (May.)  151 


Die  wechselseitige  Beziehung  der  beiden  Reihen  tritt  schon  in  der 
antithetischen  Form  des  Satzes  hervor:  (improbi  —  falsi  —  probi  —  pro- 
barent).  Es  steht  kret.-tr.  Klausel  einer  ditr.  gegenüber.  Cic.  wechselt 
nämlich  in  der  Klauselresponsion  häufig  mit  den  Formen,  um  Einförmig- 
keit zu  vermeiden  (or.  §  215:  primum  enim  numerus  agnoscitur,  deinde 
satiat,  postea  cognita  facilitate  contemnitur),  und  doch  kann  man  nicht 
sagen,  daß  dadurch  ein  anderes  genus  entstehe.  Solche  rhythmische  Re- 
sponsion  kommt  am  Schluß  der  Periode  nicht  mehr  vor,  als  innerhalb  der- 
selben, ja  es  sind  nicht  selten  die  Rhythmen  hier  eklatanter  als  am  Schluß. 
Nach  Ansicht  des  Vf.s  heißt  der  Periodenschluß  dieses  §  3  —  um  fide 
derogatur.  Auch  das  ist  unrichtig,  wenn  man  das  unmittelbar  Voran- 
gehende ansieht,  worauf  schon  der  Doppelgebrauch  des  Wortes  fides  führen 
mußte : 

sive  fides  |  non  habetur, 
testium  fide  |  derogatur. 

Beide  Reihen  sind  inhaltlich  eng  verbunden  und  haben  ditr.  Klausel. 
Dem  Ditr.  in  Reihe  1  geht  ein  Choriambus,  in  R.  2  ein  creticus  voraus. 
Dies  entspricht  an  und  für  sich  der  Theorie  des  Vf.s,  der  S.  100  unter 
Hauptform  3  die  Ableitungen  zu  dieser  Form  angibt.  Das  Vorausgehen 
eines  chori.  vor  dem  Ditr.  bezeichnet  er  dort  als  L  3tr,  d.  h.  als  clausula 
licita;  3  =  HauptformB.  tr.  =  troch  (—  ~  |  —  — ).  Hiezu  mag  nur  ganz  kurz 
bemerkt  werden,  daß,  wenn  eine  Form  durch  den  Gedanken  notwendig  be- 
dingt ist,  wie  hier,  man  nicht  das  Recht  hat,  dies  als  cl.  licita  zu  be- 
zeichnen. Cic.  wird  der  Meinung  gewesen  sein,  daß  der  Ausdruck  hier 
notwendig  sei,  gleichviel,  welcher  Rhythmus  daraus  entsteht.  Den  Redner 
aber  derart  meistern  zu  wollen,  daß  man  eine  durch  den  Gedanken  bedingte 
Ausdrucksform  als  cl.  licita  oder  mala  oder  pessima  bezeichnet,  scheint  denn 
doch  ein  unzulässiges  Verfahren.  —  Ein  anderes  Beispiel  entnehmen  wir 
dem  §  5  (Caecin.),  wo  der  Verf.,  diesmal  richtig,  zwei  Klauseln  statuiert: 

—  amque  praestarem  u. 

—  um  requiratur. 

An  dieser  Stelle  kommen  aber  4  Reihen  in  Betracht: 

idoneum  esse  me  defensorem,  10 
diligentiamque  praestarem:  —  9  * 
in  re  praesertim  aperta  ac  simplici,  12 
quod  excellens  ingenium  requiratur.  12 

  ^   j    ^      w      w 


Bemerkenswert  in  diesen  4  zusammengehörigen  Reihen  ist,  was  ja 
auch  Cic.  in  der  schon  angeführten  Stelle  des  or.  verlangt,  die  natür- 
liche und  den  Rhythmen  der  Klausel  entsprechende  Überleitung  zu  diesen. 
Die  Rhythmen  in  den  3  ersten  Reihen  vor  der  Klausel  sind  cret.-tr.,  wobei 
statt  des  tr.  auch  einmal  ein  sp.  verwendet  werden  kann.  In  der  vierten 
Reihe  steht  vor  der  Kl.  ein  Daktylus.   Es  herrscht  also  darin  Mannig- 


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152 


Bericht  über  die  Literatur  zu  Ciceros  Reden 


faltigkeit  und  doch  Einheit,  wie  es  Cic.  verlaugt.  Aber  zu  verlangen 
wie  Bornecque  in  dem  erwähnten  Aufsatz,  daß  vor  einer  bestimmten 
Klause]  nur  dieser  oder  jener  Versfuß  erlaubt  sei,  widerspricht  der  Lehre 
Ciceros  und  seinem  ausgesprochenen  Streben  nach  Abwechslung  und 
ist  auch  an  und  für  sich  ein  Unding.  Die  Überleitungen  sind  an  kein  be- 
stimmtes Maß  gebunden  und  sollen  den  Übergang  nur  in  natürlicher  Weise 
vollziehen.  —  Aus  §  12  führt  der  Vf.  folgende  Klauseln  an:  esse  licuisset 
und  ipsa  capiebat;  diese  2  Klauseln,  mit  deren  Statuierung  Ref.  einverstanden 
ist,  setzt  der  Vf.  unmittelbar  untereinander,  aber  außer  aller  Verbindung, 
weil  er  keine  Klauselresponsion  kennt.  Es  ist  aber  sehr  leicht  zu  erkennen, 
daß  hier  folgende  Beziehung  herrscht,  die  schon  durch  die  Homoioteleuta 
angedeutet  ist: 

iucundus  |  mulieri  fuisset, 
esse  licuisset; 

~  ~  -  -  tr.  (aufgelöst)  u.  ditr. 

 —  -  -     cret,  (aufgel.)  tr. 

esse  cupiebat 
ipsa  capiebat 

_  Z  Z~  -  -  }  cret-  tr-  mit  Auflös. 

Klauselstatuierung  und  Responsion  werden  wohl  richtig  sein.  Ziel, 
hätte  aber  wahrscheinlich,  wenn  er  mulieri  fuisset  einbezogen  hätte,  auch 
noch  iucundus  dazu  genommen  und  daraus  die  Hauptform  V  als  clausula 
mala  konstruiert.  Das  vorliegende  Beispiel  hätte  er  jedenfalls  zu  dem 
Typus  Sc  (S.  132)  gerechnet.  Ref.  untersuchte  noch  viele  Klauselformen  in 
der  Caeciniana,  aber  es  ist  nicht  möglich,  hier  alle  zu  behandeln.  Aus  der 
bisherigen  Untersuchung  ergab  sich  mit  Hilfe  der  notwendigerweise  zu  be- 
rücksichtigenden Responsion,  1.,  daß  es  nicht  ausreichend  ist,  bloß  die 
Periodenklausel  zu  berücksichtigen,  weil  diese  selbst  anderen  Satzteilen  re- 
spondiert,  2.  ergeben  sich  ganz  dieselben  Klauselformen  in  den  Schlüssen 
der  Sätze  und  Satzteile,  3.  sind  die  von  Ziel,  aufgestellten  Schlüsse  ent- 
weder unrichtig  oder,  wenn  sie  richtig  sind,  unvollständig,  weil  die  dazu 
gehörige  Responsion  nicht  berücksichtigt  ist.  Es  muß  nun  auch  auf  andere 
Punkte  eingegangen  werden,  die  der  Vf.  bespricht  Dahin  gehört  die  Cho- 
lose  (S.  16).  „Durch  die  abnorme  Erschwerung  des  letzten  creticus  bekommt 
die  V-(era)-KlauseI  eine  eigentümliche  Wucht".  Das  ist  richtig;  die  Wucht 
entsteht  aber  erst  durch  das  Verhältnis  der  Erschwerung  zu  der  kor- 
respondierenden Stelle.  Wie  der  Begriff  Erschwerung  überhaupt  nur  ein 
relativer  ist  und  etwas  Leichteres  voraussetzt,  so  ist  es  auch  bei  der  Klause). 
Wenn  der  Verf.  Rab.  p.  r.  18  (popu)li  Romani  interfectum !  als  „abnorme  Er- 
schwerung des  letzten  creticus"  bezeichnet,  so  ist  1.  die  Stelle  falsch 
analysiert,  2.  tritt  die  Cholose  erst  dadurch  ein,  daß  der  respondierende 
Ditroch.  durch  den  Dispondeus  erschwert  wird: 

ut  possem  hoc  praedicare, 
(popu)li  Romani,  interfectum 


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aus  den  Jahren  1903—1906.  (May.) 


1JW 


Es  ist  doch  leicht  erkennbar,  daß  dem  Ditr.  hier  nicht  ein  cret., 
sondern  ein  dispondens  reapondiert.  Die  Wucht  entsteht  nun  dadurch,  daß 
der  ersten  Kürze  des  ditr.  an  der  bezüglichen  Stelle  eine  Länge  gegenüber- 
steht. Also  Cholose  ist  kein  absoluter,  sondern  ein  Verhältnisbegriff.  Zu 
bemerken  ist  noch,  daß  der  Klausel  jeweils  ein  irregulärer  cret.,  wie  so 
häufig,  vorhergeht. 

Ebenso  ist  die  Cholose  nur  verständlich,  wenn  man  bei  der  S.  17  aus 
Verr.  IV  53  zitierten  Stelle  die  Responsion  heranzieht.  Dann  muß  das  Zitat 
aber  bei  avertere  beginnen,  wovon  folgendes  in  Betracht  kommt: 

per  ma|gistratum  solebant: 

occulte  auferebant: 
(tam)en  condemnabantur. 


_   S 

Die  Klauseln  der  drei  Reihen  sind  ditroch.  mit  Erschwerung  am  Schluß 
eben  zur  Erzieluug  der  Wucht.  Diese  wird  also  erst  erreicht  durch  ibr 
Verhältnis  zu  den  Ditrochäen  der  zwei  ersten  Reihen.  Wenn  Ziel,  zu  dieser 
Stelle  bemerkt,  derartige  Klauseln  seien  „gewiß  nicht  schlecht,  aber  nicht 
gerade  häufig",  und  wenn  er  sie  deshalb  als  „gesucht"  bezeichnet,  so  ist 
dies  ein  Irrtum,  weil  die  Cholose  bei  Cic.  häufig  vorkommt,  da  sie  ein  wirk- 
sames rhetorisches  Mittel  ist  Und  warum  „gesucht"?  Da  wo  die  Rede 
wuchtig  werden  soll,  tritt  eben  Erschwerung  ein.  Dann  müßte  man  über- 
haupt das  Streben,  wuchtig  zu  reden,  als  gesucht  bezeichnen. 

Zweifelhaften  Wertes  ist  auch  Z.s  Einteilung  der  Klausel  in  Wert- 
klassen, indem  er  S.  15  clausulae  verae,  licitae,  malae  (gemiedene),  pessimae 
(verpönt),  selectae  (gesucht)  unterscheidet.  Nach  seiner  Lehre  verliert  jede 
Klausel  durch  Auflösung,  Entfaltung,  wie  er  sagt,  an  Wert.  „Durch  jede 
Ableitung  wird  der  Klauselwert  um  einen  Grad  vermindert".  Aber  „durch 
die  abnorme  Entfaltung  im  letzten  cret.  büßt  die  V- Klausel  ihren  ganzen 
Wert  ein  und  wird  zur  P -(eBsimaJKlausel".  Darnach  müßte  also  z.  B.  or. 
pro  Quinctio  §  76:  non  vendiderit  eine  ganz  schlechte  Klausel  sein.  Z.  bringt 
aber  diese  Klausel  nicht,  weil  sie  nicht  Periodenschluß  ist.  An  dieser 
Stelle  kommen  jedoch  außer  dem  Periodenschluß,  den  Z.  S.  55  anführt, 
noch  folgende  3  Klauseln  in  Betracht: 

non  transegerit, 
non  vendiderit, 
nemo  accesserit, 

1  ~  —  spond.-cr. 

2  ^  ^  ditr.  (Auf  lös.) 

8   wie  1. 

Die  „Entfaltung"  in  2  ist  gegenüber  1  und  3  eine  variatio,  wie  sie  Cic. 
häufig  eintreten  läßt.  Als  Periodenklausel,  die  Z.  unter  der  Bezeichnung 
L  12,  d.  h.  als  erlaubt  mit  Doppelauflösung  anfuhrt,  sollen  an  dieser  Stelle 
die  Worte  (trans)igere  potuisse  gelten;  sie  heißt  aber  nicht  so,  sondern 
transigere  potuisse  und  zwar  mit  Responsion: 


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154 


Bericht  über  die  Literatur  zu  Ciceros  Reden 


neque  tarn  temer|arium  quemquam  fuisse, 
perseverare  et  |  fransigere  potuisse. 


Kespon6ion  auch  äußerlich  an  der  Paronomasie  fuisse  —  potuisse  er- 
kennbar. Die  Doppelauflösung  aber  ist  veranlaßt  durch  die  gegenüber 
(quemquam  fu  — )  und  dabei  (persöveiärö  et)  stehenden  schweren  Rhythmen. 
Eine  solche  Auflösung  ist  aber  durch  den  ganzen  Zusammenhang  der  Stelle 
sehr  berechtigt.  Z ,  indem  er  trans-  außer  acht  läßt,  bezeichnet  -igere  po- 
tuisse als  cl.  licita;  hätte  er  aber  trans-  dazu  genommen,  so  hätte  er  sie 
nach  S.  32  wahrscheinlich  als  M  1 88  bezeichnet,  d.  h.  als  schlechte  Klausel. 
Nach  des  Ref.  Auffassung  ist  sie  aber,  in  Z.s  Terminologie  zu  reden,  eine 
cl.  vera  ersten  Ranges,  weil  sie  nicht  bloß  eine  wohltuende  Abwechslung 
bringt,  sondern  auch  gerade  durch  die  Auflösung  ganz  energisch  die  statt- 
gehabte Möglichkeit  der  Abmachung  betont.  Z.  aber  sagt:  „Durch  Auf- 
lösung usw.  verliert  die  Klausel  an  ihrer  individuellen  Präzision"  und  be- 
zeichnet solche  Klauseln  als  malae  oder  pessimae.  Wir  sind  vom  Gegenteil 
überzeugt. 

Nur  noch  eine  Stelle.  Bei  der  Statistik  der  Typologie  der  Kl.  L  1 1  ß 1 
(§  32)  wählt  Z.  aus  der  Rede  Qu.  R.  com.  das  Beispiel  (es)se  patiebantur. 
Das  ist  ein  Irrtum.  Der  Ausdruck  kommt  in  der  ganzen  Rede  nicht  vor*), 
sondern  steht  in  der  Singularform  Rose  Am.  45,  wo  mit  Rücksicht  auf  den 
darzustellenden  Gedanken  folgender  Rhythmus  angewendet  ist: 

alterum  a  se  |  non  dimittebat, 
alterum  ruri  |  esse  patiebatur. 
 I  —  cret.  tr.  — 

 I  —  ■  —  dicr.  mit  Auflösung  und  Erschwerung. 

Das  Nichtentlassen  ist  sachgemäß  in  schweren  Rhythmen  aus- 
gedrückt, das  Gegenteil  in  leichten.  Wie  man  nun  in  der  zweiten  Reihe 
messen  will,  darauf  kommt  es  weniger  an  als  auf  den  Kontrast.  Die  Haupt- 
sache ist,  daß  da,  wo  der  Kontrast  einsetzt,  Längen  und  Kürzen  einander 
entgegengestellt  werden.  Solche  Beispiele  inhaltlich  bedingter  Entfaltung 
und  Auflösung  gibt  es  überall,  z.  B.  Rose.  Am.  60  innerhalb  der  Periode: 

aperiri  bonorum  |  emptionem, 
vexari  pessime  |  societatem, 

 .  -  |  ~  ditr. 

 1   ditr.  mit  Auflös. 

Man  darf  wohl  annehmen,  daß  die  Auflösung  des  II.  Ditr.  durch  den 
Inhalt  begründet  ist,  weil  die  Entlarvung  der  Gesellschaft  betont  werden 
soll.  Wo  die  Entfaltung  nicht  durch  den  Inhalt  bedingt  ist,  waltet  das 
Streben  nach  Abwechslung  oh.  Kann  aber  ein  sachlicher  Grund  für  die 
Auflösung  angegeben  werden,  dann  darf  man  Absicht  des  Redners  an- 
nehmen; dann  liegt  aber  auch  keine  minderwertige,  am  wenigsten  eine 
schlechte  Kl.  vor.  Man  ist  deswegen  berechtigt,  die  ganze,  einen  breiten 
Raum  im  Zielinskiscben  Buche  einnehmende  Einteilung  der  Klauseln  in 

•)  Sonst  ist  Z.  in  den  Zitaten  zuverlässig,  aber  redivivus  constitueretur 
(S.  46)  steht  auch  naht  Verr.  1,  48.  — 


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aus  den  Jahren  1908—1906.  (May.)  155 

Wertklassen  zu  verwerfen.  Jedenfalls  aber  hat  ein  Kritiker,  der  keine 
Klausel  auf  ihren  inhaltlichen  Wert  geprüft  und  sich  an  keiner  Stelle  ge- 
fragt hat,  warum  wohl  der  Redner  hier  eine  Auflösung  eintreten  ließ,  kein 
Recht,  von  schlechten  Klauseln  zu  sprechen.  Wenn  nun  Z.  bloß  die 
Periodenklausel  in  Betracht  zieht  ohne  Rücksicht  auf  die  Kolonklausel*) 
der  anderen  Sätze,  so  kann  er  auch  kaum  allgemein  bindende  Gesetze  daraus 
ableiten.  Ob  Z.  sein  Gleichgewichtsgesetz  (8.  81)  so  versteht  wie  ich,  weiß  ich 
gar  nicht.  „Die  Erschwerung  oder  Erleichterung  der  Klausel  erweckt  das 
Streben,  durch  entsprechende  Entlastung  oder  Belastung  des  unmittelbar 
benachbarten  Gebietes  das  metrische  Gleichgewicht  wieder  herzustellen". 
Den  diesem  Gesetz  zugrunde  liegenden  Gedanken  versteht  Ref.  so,  daß  eine 
schwere  Klausel  durch  die  Responsion  wieder  erleichtert  wird  und  umgekehrt. 
Da  nun  die  schwere  Klausel  in  der  Responsion  meist  einen  Gegensatz  hat, 
so  könnte  man  dies  auch  Kontrastgesetz  nennen.  Das  Gleichgewicht  wird 
durch  den  Kontrast  wieder  hergestellt.  So  wird  es  aber  Z.  nicht  meinen**). 
Und  was  beißt  „unmittelbar  benachbartes  Gebiet"?  Das  ist  ein  sehr  weiter 
Begriff,  mit  dem  Hei',  gar  nichts  anfangen  kann.  Wenn  ferner  Z.  im  Distanz- 
gesetz (S.  81)  sagt:  »Die  Strenge  in  der  Observanz  der  Klauselgesetze  nimmt 
mit  zunehmender  Entfernung  vom  Klauselschlusse  ab",  so  ist  das  ganz 
natürlich,  sonst  käme  man  auf  volle  rhythmische  Gleichheit  der  Kola,  was 
nur  in  wenigen  Fällen  zutrifft,  anderseits  kann  man  aus  Cic.  or.  §  199  den 
Satz  ableiten,  daß,  je  mehr  sich  die  Rhythmen  der  Klausel  nähern,  sie 
dieser  desto  ähnlicher  werden,  was  so  ziemlich  das  Gleiche  sagt  wie  das 
Z.sche  Gesetz.  Daß  die  Ableitungen  (F  pathol.  Korrespondenzgesetz)  „im 
allgemeinen  das  Bestreben  haben,  sich  in  Hinsicht  auf  ihre  Typologie  nach 
der  Grundform  zu  richten",  ist  wohl  natürlich.  Auch  das  Häufigkeitsgesetz 
ist  richtig,  daß  die  relative  Bevorzugung  des  einen  oder  anderen  Klausel- 
typus in  direktem  Verhältnis  stehe  zur  relativen  Häufigkeit  der  Wörter,  die 
zu  seiner  Bildung  notwendig  sind.  Das  Auf  lösungsgesetz  aber  (S.  84X  dem- 
zufolge „die  Auflösungssilben  nicht  dadurch  auseinandergerissen  werden 
dürfen,  daß  sie  sich  auf  End-  und  Anfangssilben  zwei-  oder  mehrgliedriger 
Wörter  verteilen",  hält  nicht  Stand  bei  Rose.  Am.  44  in  dem  offenbar  sym- 
metrisch gehaltenen  Satz: 

id  quasi  novum  reprehendis; 

id  odio  factum  criminaris; 

 w  ^  I   her.  Kl. 

 I  =  ditr. 

Die  für  das  Gesetz  in  Betracht  kommenden  Füße  sind  eigentümlicher- 
weise Päone,  welche  sich  in  Reihe  1  und  2  auf  je  2  Wörter  verteilen. 
Ebenso  Arch.  28  famjamque  pe netrare  ( — =rc;  -  -);  auch  Arch.  22  —  laude 
decorantur  (—  ~  !  =^=>  —  -).  Dagegen  nicht  24  (peten)tem  repudiasset 
(_  |  _  w  ~  —  -\  Die  Stelle  der  Auflösungen  ist  sehr  verschieden  und  kann, 
an  kein  Gesetz  gebunden  werden. 

*)  Dieser  von  Clark  in  seinem  Referat  über  das  Zielinskische  Buch 
gebrauchte  Ausdruck  dürfte  das  Richtige  treffen  (Classical  Rev.  XIX  8 
S.  169:  „I  would  prefer  to  call  it  the  rhythm  of  the  colon". 

**)  Ein  Kontrastgesetz  stellt  Z.  S.  88  unter  G  auch  auf,  aber  natürlich 
wieder  unter  einem  anderen  Gesichtspunkte. 


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156 


Beriebt  über  die  Literatur  zu  Ciceros  Reden 


Wenn  wir  nun  schon  die  übergroße  Ausdehnungsmöglichkeit  der 
Kadenz  in  der  Integrationsklausel  nicht  billigen  können,  weil  sie,  wie  die  aus 
der  Caeciniana  angeführten  Beispiele  beweisen,  durch  die  Hesponsion  nicht 
bestätigt  wird,  so  noch  viel  weniger  die  III.  Hauptform  überhaupt.  Wir 
behalten  mit  Norden  und  I.  Wolff  den  Ditrochüus  als  selbständige  Klausel 
bei  und  berufen  uns  einfach  auf  die  bekannten  Beispiele  im  or.  214,  wo 
comprobavit  und  persolutas  auch  als  selbständige  Klauseln  betrachtet  sind. 
Ks  ist  ja  richtig,  daß  dem  ditr.  besonders  häufig  ein  cret.  vorausgeht,  aber 
nicht  immer,  es  wurde  schon  oben  hervorgehoben,  daß  dem  ditr.  ein  diesem 
Genus  verwandtes  Maß  vorausgehe,  also  außer  dem  cret.  auch  spnnd.  und 
troch.,  weil  nach  Cic.  or.  §  199  natürliche  Überleitung  erforderlich  ist. 
Denkt  jemand  Rose.  Am.  1  daran,  daß  der  wuchtige  Periodenscbluß  com- 

parandus  (—  -)  keine  selbständige  Klausel  sei?   Ziel,  bringt,  soweit 

Ref.  sieht,  dieses  Beispiel  gar  nicht  in  seiner  Sammlung.  Nach  seiner 
Theorie  aber  müßte  das  vorhergehende  qui  sedcant  als  Basis  zu  der  Kadenz 
comparandus  hinzukommen  und  als  choriambische  Klausel  betrachtet 
werden,  das  Ganze  mit  dem  Zeichen  L  3*'  ß'.  Nach  des  Ref.  Ansicht  ge- 
hört aber  qui  sedeant  gar  nicht  zu  comparandus,  sondern  respondiert  zu 
(nobilissim)i  sedeant 

qui  sedeant*  D,ese  ,>e,dcn  "  endungen  gehören  offenbar  zusammen, 

bezeichnen  auch  die  gleichen  Personen  und  haben  demgemäß  mit  comparandus 
rhythmisch  gar  nichts  zu  tun.  Ein  anderes  Beispiel,  das  Z.  auch  nicht 
aufführt,  steht  ebenda  7:  propulsetis.  Dies  ist  selbständige  Klausel  und 
nicht  mit  intenditur  zu  verbinden.  Die  Klausel,  ein  schwerer  Ditr. 
(Dispondeus)  korrespondiert  vielmehr  mit  (calamita)tem  levetis  (8X  auch  mit 
(Rosci  periclum  (sie!)  2  und  mit  (sceler)  i  resistatis  (1).   Das  Ganze  so: 

1  =  cret.  tr.  im  Wechsel  mit  Ditrochäen. 

2  

3  

Der  Dispondeus  am  Schluß  steht  in  rhythmischer  Beziehung  zu  den 
bezeichneten  Ditr.,  und  nicht  zu  (in)tenditur,  das  allerdings  kretisch  ist. 
Nun  Beispiele  dafür,  daß  dem  Ditr.  auch  andere  Füße  als  ein  cret.  vorher- 
gehen können.   Rose.  Am.  28: 

multa  palam  domum  suam  auferebat, 
plura  clam  de  raedio  removebat; 


Vor  dem  ditr.  hier  ein  troch.,  die  Sache  liegt  jedoch  so,  daß  die  Reihe 
im  Anlauf  in  lebhafter  Weise  daktylisch  ist  und  dann  in  Trochäen  über- 
geht, worunter  eben  auch  die  Klausel  fällt,  die  korrespondierende  Reihe 
ist  daktyl.-tr.  (heroische  Klausel).  Dem  ditr.  geht  ein  Daktylus  vorher  §  89  : 

(ad)  hoc  scelus  impulerunt  (—  ~  -).  Es  wäre  hier  ganz  unnatürlich, 

um  einen  cret.  vor  dem  ditr.  herauszubringen,  syllaba  aneeps  anzunehmen. 
Jeder  muß  merken,  daß  das  daktyl.-tr.-Schlußmaß  hier  eng  verbunden  ist, 
ebenso  §  40:  perspicuam  fuisse.  Die  Annahme  eines  Hiatus  würde  eben- 
falls den  von  Cic.  in  jenem  §  199  verlangten  Fluß  der  Rede  stören  (tota  a 
capite  ita  fluere  ut.).  Wenn  wirklich  einmal  vor  dem  ditr.  Pause  anzunehmen, 
dann  gehört  der  vorhergehende  creticus  oder  das,  was  Ziel,  als  Ersatz  der 


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aus  den  Jahren  1903—1906.  (May.)  157 

Entfaltung  annimmt,  nicht  zu  dem  ditr.,  wie  in  dem  Beispiel  Rose.  Am.  §  1, 
wo  qui  sedeant  mit  comparandus  rhythmisch  nichts  zu  tun  hat.  Durch  die 
Einbeziehung  des  cret.,  namentlich  aber  des  choriambischen  oder  epi- 
tritischen  Ersatzes  werden  die  Klauseln  auch  zu  lang,  so  daß  sie  als  solche 
nicht  mehr  empfunden  werden  können. 

Es  wäre  interessant,  auch  den  Typen  Z.s  nachzugehen  und  sie  mit 
dem  Ergebnis  unserer  Methode  zu  vergleichen ;  es  ist  dies  aber  im  Rahmen 
des  Referats  nicht  möglich,  weil  jede  Stelle  der  Erklärung  bedarf. 

Interessant  sind  die  Darlegungen  zur  Geschichte  der  einzelnen  Haupt» 
formen,  worin  sich  Z.  aber  weniger  mit  Cic.  selbst,  namentlich  mit  dessen 
orator  auseinandersetzt  als  mit  seinen  Vorgängern  in  der  Klauselforschung. 

Im  zweiten  Teil  des  Buches  folgt  die  „Anwendung",  d.  h.  aus  seiner 
Klauseltheorie  zieht  Z.  Folgerungen  für  Orthographie,  Prosodie,  Textkritik 
und  Akzentlehre.  Was  er  darin,  abgesehen  von  seiner  Klauseltheorie, 
Wissenschaftliches  vorbringt,  ist  richtig;  da  aber  alle  Einzelfälle  nach 
dieser  Theorie  bemessen  werden,  so  sind  die  Resultate  ebenso  angreif- 
bar wie  die  besprochene  Theorie  selbst.  Auch  hier  sind  wieder  auffallend 
subtile  Einteilungen  gemacht;  so  unterscheidet  er,  wenn  bei  einem  Wort 
doppelte  Messung  möglich,  drei  Fälle,  1.  neutrale,  2.  wenig  belangreiche, 
8.  durchschlagende  Fälle.  Die  neutralen  Fälle  werden  S.  172  wieder  drei- 
fach geteilt.  Man  würde  sich  auch  dies  gefallen  lassen,  wenn  man  mit  den 
Resultaten  dieser  subtilen  Einteilung  einverstanden  sein  könnte.  Aber  so- 
fort erhebt  sich  der  Konflikt,  so  S.  172  gleich  bei  dem  ersten  prosodischen 
Beispiel.  Z.  sagt  hier:  „c)  Relativ  gleichwertige  Klauseln.  Es  stehe  zur 
Entscheidung  patriae:  pätriae.  Letzteres  ist  ein  anapästisches  Wort,  das 
überhaupt  in  keiner  V(era)-K lausei  möglich  ist;  für  pätriae  beweist  demnach 
eine  L(icita)-Klausel  gerade  soviel,  wie  für  pätriae  die  entsprechende  V,  so  daß 
z.  B.  in  Flacc.  104  et  patriae  debuisse  die  Klauseln  V  3  (pätriae)  und  L  3tr 
(patriae)  tatsächlich  gleichwertig  sind.  Die  Sache  liegt  aber  folgender- 
maßen, wobei  natürlich  von  der  Stelle  auszugehen  ist: 

et  patriae  debuisse: 
Responsion:  iudices  providete. 


Die  beiden  einander  gegenüberstehenden  ditroch.  entsprechen  sich 

genau.    Dem  Chori.  et  patriae  (-  —  )  steht  in  der  Responsion  ein 

creticus  gegenüber,  der  häufig  für  einen  chori.  eintreten  kann,  patriae  ist 
zwar  für  sich  betrachtet  ein  anapästisches  Wort,  im  Zusammenhang  der 
Stelle  entsteht  aber  mit  et  ein  Chori.  Nun  wird  man  zugeben  müssen,  daß 
man  unter  Umständen  schließlich  auch  pätriae  messen  kann;  aber  pätriae 
ergibt  die  bessere  Klausel  und  nicht  bloß  eine  licita  3tr.  Z.  rechnet  aber 
pätriae  zu  den  cl.  verae,  was  kaum  gebilligt  werden  dürfte. 

Durchschlagend  findet  Z.  solche  Fälle,  wo  die  eine  Bildung  eine  gute, 
die  andere  eine  schlechte  Klausel  ergibt,  wo  also  V(era)  oder  L(icita)  mit 
M(ala)  oder  P(essima)  konkurrieren.  Beispiel  redueo  gegen  reddueo. 
Phil.  II,  10  ergibt  Caesaris  lege  reduetus,  also  die  leichte  Wortform,  die 
ganz  schlechte  claus.  heroica  (P  3),  die  schwere  dagegen  die  ausgezeichnete 
V  1,  also  müsse  es  reddueo  heißen.   Die  Responsion  ergibt  folgendes: 


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158 


Bericht  über  die  Literatur  zu  Ciceros  Reden 


(leges)  ullae  possent  coercere? 
Caesaris  lege  reductus? 

Die  schwere  Wortform  erzeugt  hier  Gleichheit  der  Klauselresponsion, 
die  leichte  dagegen  die  heroische  Klausel,  die  Cicero  durchaus  nicht  so 
selten  anwendet,  und  die  hier  Mannigfaltigkeit  des  Rhythmus  erzeugt.  Cic. 
variiert  aber  viel  häufiger,  als  daß  er  die  beiden  Klauseln  gleichmacht. 
Nach  des  Ref.  Ansicht  liegt  hier  Gleichwertigkeit  vor. 

Direkt  unrichtig  ist  aber  S.  173  aus  Qu.  1  (medi)öcriter  pertimesco  als 
neutral  zu  bezeichnen.    Denn  dies  respondiert  zu: 

nonnihil  commoveor 

 =,  also  ist  o  hier  lang. 

S.  184  Synkopierte  Verbalstämme.  Hier  tritt  Z.  für  surpere  ein  und 
vergleicht  act.  1,  4  satis  esset  surpuisset.  Durch  die  Responsion  kann 
man  aber  beweisen,  daß  surripuissent  ganz  richtig  ist: 

qui  quod  ipsis  solis  satis  |  esset  surripuissent 
ut  |  id  multis  satis  esse  possit 


Die  Klausel  liegt  bloß  in  surripuissent  und  in  esse  possit,  die  Re- 
sponsion geht  aber,  wie  man  sieht,  weiter.  Daß  die  Daktylen  sich  anti- 
strophisch entsprechen,  müßte  doch  zu  bedenken  geben,  ob  man  nicht  der 
„verpönten"  heroischen  Klausel  etwas  toleranter  gegenüberstehen  sollte. 
Unter  dejcere  figuriert  wieder  eine  ganz  unmögliche  Klausel:  Caec.  90  — 
at,  negas  dejci  posse  (S  3  eine  gesuchte  Klausel).  Responsion: 

quemquam  |  deici  posse, 
negas  deici  posse 


Die  beiderseitigen  Klauseln  sind  gar  nicht  gesucht,  sondern  wenn 

man  nicht  synkopiert  kret.-tr.,  synkopiert  man  aber  ^,  was  an  sich 

nicht  falsch  wäre,  aber  das  Hereinbringen  einer  Kürze  entspricht  mehr  dem 
Inhalt,  darum  bin  ich  nicht  für  die  Synkope. 

Ziel,  gibt  dann  noch  eine  kritische  Durchsicht  der  Reden  Ciceros  auf 
Grund  seiner  Klauseltheorie  und  findet,  daß  die  Ausgabe  C.  F.  Müllers  „als 
die  beste  und  zuverlässigste  vor  dem  Klauselgericht  weitaus  am  besten  be- 
standen hat".  Wenn  aber  eine  Ausgabe  ohne  jedwede  Berücksichtigung  des 
Rhythmus  zustande  gekommen  ist,  so  müßte  gerade  Müller  eine  merkwürdige 
Divinitionsgabe  entwickelt  haben.  Ref.  stellt  in  dieser  Beziehung  Müllers 
Ausgabe  nicht  höher  und  nicht  niederer  als  die  von  Baiter-Halm.  Diese 
Ausgaben  haben  nur  den  Zweck,  auf  Grund  von  Handschriften  eine  mög- 
lichst sichere  Grundlage  des  Textes  herzustellen.  Eine  namhafte  Stütze 
für  den  Rhythmus  bieten  aber  weder  die  Ausgaben  noch  die  Handschriften. 
Keiner  der  librarii  hat  mehr  ein  Bewußtsein  davon  gehabt,  daß  Cic.  nach 
rhythmischen  Gesichtspunkten  sprach.  Auch  in  den  Demosthenes- Hand- 
schriften finden  sich  keine  Anhaltspunkte;  denn  die  Zeichen  am  Schluß  der 
Reden  beziehen  sich  bloß  auf  die  Zeilenzahl  und  nicht  auf  die  Kolometrie. 


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aus  den  Jahreu  1903— 1906.  (May.) 


159 


Was  die  Akzentuation  betrifft,  so  liegt  kein  Grund  vor,  von  den  durch 
die  lat.  Grammatik  festgelegten  Betonungsregeln  abzugehen.  Der  rednerische 
Akzent  ist  weder  poetisch  noch  vulgär.  Auch  in  dieser  Beziehung  kann  uns  Cic. 
im  or.  einigermaßen  Führer  sein.  Er  sagt  dort  §  195:  neque  numerosa  esse  ut 
poema,  neque  extra  numerum,  ut  sermo  vulgi,  esse  debet  oratio  und  §  227 : 
Numerus  autem  (saepe  enim  hoc  testandum)  est  non  modo  non  poetice 
iunctus,  verum  etiam  fugiens  illum  eique  omnium  dissimillimus,  non  quin 
eidem  sint  numeri  non  modo  oratorum  et  poetarum  etc.  Auch  so  198.  Cic. 
beobachtet  also  die  herkömmlichen  Betonungsregeln.  Wenn  aber  Ziel. 
S.  240  meint,  aus  der  Betonung  drs  Anfanges  der  ersteu  Catilinaria,  wie 
er  sie  gibt,  und  gegen  welche  gar  nicht  viel  einzuwenden,  müsse  jeder,  der 
es  überhaupt  könne,  die  numeris  contorta  fulmina  erkennen,  so  ist  dies 
sehr  unrichtig;  denn  erstens  braucht  Cic.  jenen  Ausdruck  in  bezug  auf 
Rhythmen  des  Demosthenes,  zweitens  versteht  Cic.  unter  fulmina  orationis 
etwaB  ganz  anderes,  als  Ziel,  meint;  er  versteht  darunter  den  von  ihm  sehr 
weit  gefaßten  Begriff  des  numerus,  wozu  auch  die  lumina  orationis  (Figuren 
aller  Art)  gehören,  was  Cic.  im  or.  des  Genaueren  darlegt.  Niemals  kann 
die  Akzentuation  als  Fundgrube  der  fulmina  orationis  im  Demosthenisehen 
Sinne  angesehen  werden.  Übrigens  ist  Ref.  mit  der  Akzentuation  mancher 
Beispiele,  die  Ziel.  S.  225—243  gibt,  einverstanden,  nur  kommt  er  wieder 
auf  einem  anderen  Wege  zu  seinem  Resultat  als  Ziel.  Dieser  statuiert 
(S.  232)  Fälle,  wo  der  Satzschluß  in  den  Periodenschluß  hineinrage,  z.  B. 
Verr.  III  13: 

(fortu)  nis  tuiB  prospiceres,  excitavit. 

Hier  sei  prospiceres  choriambischer  Satzschluß,  der  mit  dem  Perioden- 

schluß  excitavit  zu  verbinden  sei  (P  2  —  L  3  tr):  -  sei  wieder 

cl.   pessima   der  II.  Hauptform  und  i  —  cl.  licita  der 

III.  Hauptform.  Nun  ist  dieses  Beispiel  überhaupt  nur  Satzschluß,  nicht 
auch  Periodenschluß,  respondiert  aber  dem  Periodenschluß,  der  jedoch  anders 
lautet,  uämlich  so: 

prospiceres  excitavit 
ne  fieret,  laborasti 


So  wird  die  Akzentuation  lauten;  im  Chori.  ist  nicht  die  erste  Kürze 
zu  betonen,  sondern  die  erste  Länge,  während  -  es  Nebenton  hat.  In  dieser 
ganzen  Responsion  kann  aber  weder  von  cl.  pessima,  noch  von  licita  die 
Rede  sein,  sondern  die  Längen  in  laborasti  sind  ein  wirksamer  Abschluß, 
während  die  Kürzen  in  prospiceres,  excitavit  sich  dazu  wie  ein  Auftakt  ver- 
halten. 

Was  das  Wort  memoria  betrifft,  rücksichtlich  dessen  Z.  S.  239  noch 
Zweifel  ausspricht,  so  möchte  Ref.  noch  zwei  Beispiele  aus  „konstruktivem 
Rhythmus"  zur  Erwägung  anheimgeben:  Arch.  §  8: 

et  de  hominum  memoria  tenere,  12. 
litterarum  memoriam  flagitare,  12  S. 

Die  Stelle  ist  ein  seltenes  Beispiel  für  konstruktiven  Rhythmus  und 
besonders  für  antistrophische  Responsion  des  gleichen  Wortes,  wobei  das 
Wort  memoria  in  der  ersten  Reihe  mit  der  Schlußsilbe  noch  zur  ditroch. 


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1Ü0 


Bericht  über  die  Literatur  zu  Ciceros  Reden 


Klausel  gehört,  während  dasselbe  Wort  in  der  II.  Reihe  außerhalb  der 
Klausel  steht,  die  rhythmisch  der  ersten  gleich  ist.  Es  wäre  nun  sonderbar, 
wenn  das  erstemal  memoria,  das  zweitemal  wieder  anders  zu  betonen  wäre, 
memoriä  deswegen,  weil  -ä  die  Basis  der  Klausel  ist,  ferner  ebenda  §  30: 

spargere  me  ac  disseminare  arbitrabar 
(in)  orbis  terrae  memoriam  sempiternam 

Hier  wäre  memoriam,  als  Responsion  zu  (dis)semina(re)  ein  aufgelöster 
creticus,  die  richtige  Betonung,  weil  bedingt  durch  die  Stellung  in 
rhythmischen  Satzganzen.  Dann  ergäben  sich  in  den  angeführten  Bei- 
spielen drei  verschiedene  Betonungsmöglichkeiten.  Zuzugeben  ist  mit 
Lindsay  (S.  199),  daß  der  Akzent,  den  ein  Wort  in  der  Vereinzelung  hat, 
von  dem  Akzent  verschieden  sein  kann,  der  diesem  Wort  in  Verbindung 
mit  anderen  Worten  im  Satzganzen  zukommt.  Daraus  aber  einen  besonderen 
oratorisch- poetischen  Akzent  abzuleiten,  geht  zu  weit  Auch  kann  keine 
allgemein  bindende  Regel  darüber  aufgestellt  werden,  weil  dies  von  der 
jeweiligen  Verbindung  der  Worte  abhängt. 

Was  am  Schluß  die  Konkordanztabellen  betrifft,  so  ist  die  erschreckend 
große  Zahl  von  M-  und  P-Klauseln  auffallend.  Ein  SyBtem  aber,  das  unter 
128  Formen  40  M-  und  22  P- Klauseln  ergibt,  dagegen  nur  22  V- Klauseln, 
kann  unmöglich  richtig  sein.  Den  Zweifel  an  der  Richtigkeit  seiner  Schemata 
deutet  Z.  bei  manchen  Formen  selbst  durch  Fragezeichen  an.  Bei  zahl- 
•  reichen  Nummern  kann  aber  Ref.  nicht  einsehen,  warum  sie,  wenn  von  Cic. 
gebraucht,  schlecht  sein  sollen,  namentlich  dann  nicht,  wenn  sie  inhaltlich 
und  symmetrisch  erklärt  werden  können,  wie  im  Vorstehenden  geschehen 
ist.  Die  typolog.  Konkordanztabelle  steht  auf  dem  Standpunkt  Bornecques, 
wonach  das  letzte  Wort  den  Typus  des  vorletzten  bestimmt,  „indem  dieses 
(fügt  Ziel,  hinzu)  dasjenige  Schema  enthält,  wodurch  jenes  zur  bestmög- 
lichen Klause]  wird".  Dies  ist  ein  der  Lehre  Ciceros  diametral  entgegen« 
gesetzter  Weg,  der  nach  or.  §  199  seinen  Rhythmus  nicht  vom  letzten  Wort 
aus  bestimmt,  sondern  ihn,  was  auch  der  natürliche  Gang  ist,  entweder  vom 
Anfang  oder  von  der  Mitte  aus  auf  den  Schluß  hinüberleitet,  dessen  Form 
möglichst  rhythmisch  sein  soll.  Dabei  ist  in  vielen  Fällen  nicht  bloß  die 
Klausel,  sondern  auch  das  Vorhergehende,  dies  aber  in  größter  Mannig- 
faltigkeit, rhythmisch,  weshalb  beides  nicht  getrennt  behandelt  werden 
sollte;  denn  es  ist  aufs  engste  verbunden.  Die  Klausel  allein  gibt  ein  un- 
vollständiges Bild  des  Kolonrhythmus. 

Ree:  CR  XIX  3  S.  164—172  v.  A.  C.  Clark.  Bph  Nr.  52  S.  1659—62  v. 
Kroll.  WklPh.  05  Nr.  12  S.  316-19  v.  May.  -  AlPh.  XXV  4  p.  453-63 
v.  K.  Fl.  Smith.  -  Rcr.  05  Nr.  51  S.  472-82  v.  P.  Lejay. 

II. 

Bornecques  Methode  der  Klauseluntersuchung  unterscheidet 
sich  von  der  E.  Müllers,  wie  auch  von  der  Zielinskis  prinzipiell  da- 
durch, daß  er  bei  der  Statuierung  der  Klausel  von  der  metrischen 
Form  des  Schlußwortes  ausgeht  und  dadurch  die  metrische  Form 
des  vorhergehenden  Wortes  bestimmt  sein  läßt,  während  die  anderen 


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aas  den  Jahren  190»— 1906.  (May.) 


1(31 


Klaoseltheoretiker  eben  bestimmte  regelmäßig  wiederkehrende  Klausel- 
fonnen  annehmen,  deren  Zahl  nicht  gleich  ist,  verschieden  bei 
E.  Müller  und  I.  Wolff  und  bei  Ziel.  Dieser  nähert  sich  nur  in  der 
Hauptform  III  dem  Bornecqueschen  Standpunkte,  indem  er  behauptet, 
daß  der  dem  Ditr.  vorausgehende  Fuß  (cret.)  durch  die  ditroch. 
Schlußform  bestimmt  sei.  Bornecque  gibt  nun  eine  Liste  der  Klauseln 
nach  I.  Wolff  und  untersucht  zweierlei:  1.  ob  alle  in  dieser  Liste 
enthaltenen  Klauseln  metrisch  seien,  2.  ob  diese  Liste  sämtliche 
Klauseln  enthalte.    Bei  der  Untersuchung  zu  1.  behauptet  er,  daß 

der  Typus  2  (  ~  dispond.)  niemals  vorkomme.   Dem  gegenüber 

muß  konstatiert  werden,  daß  dieser  Typus  sehr  häufig  ist,  daß  er 
aber  nicht  bestimmt  wird  durch  das,  was  neben  ihm  steht,  sondern 
durch  das,  was  gegenübersteht,  was  ihm  respondiert.  Dieser  Punkt 
ist  bei  der  Cholose  Zielinskis  schon  behandelt.  Der  Dispondeus  ist 
eine  sehr  wirksame  Erschwerung  respondierender  leichter  Rhythmen, 
den  ein  Redner  an  solchen  Stellen  anwendet,  in  welche  er  eine  be- 
sondere Wucht  gelegt  wissen  will.  Für  Typus  7  böten  die  metri- 
schen Schriftsteller  auch  kein  Beispiel.    Rose.  Am.  §  126  steht  aber 

am  Schluß  venierint  quaero  (—  ~  -).    Daß  dies  metrisch  ist, 

wird  nicht  bestritten  werden  können.  Was  die  Cäsur  betrifft,  so  ist 
kaum  anzunehmen,  daß  sich  die  metrischen  Schriftsteller  so  binden 
lassen,  wie  Bornecque  annimmt.    Warum  soll  z.  B.  Typus  14  nicht 

mehr  metrisch  sein,  wenn  er  in  der  Form  —  ~  1  —  —  vorkommt  ? 

Rose.  Am.  126  praesidiis  fuit;  das  ist  die  Verbindung  des  Chori.  mit 
einzelnem  Jambus.  Das  Wichtigste  in  diesem  Typus  ist  der  Chori., 
der  sachgemäß  durch  ein  Wort  gebildet  wird ,  wozu  als  Anhängsel 
noch  der  Jambus  fuit  kommt.  So  ist  es  auch  mit  anderen  Typen, 
deren  metrische  Richtigkeit  von  der  Stelle  des  Einschnittes  abhängen 
soll.  Die  metrische  Richtigkeit  einer  Klausel  wird  wesentlich  mit- 
bestimmt durch  die  Responsion.  Wenn  ein  Klauseltypus  inhaltlich 
und  formell  einem  anderen  respondiert,  so  ist  er  richtig,  gleichviel, 
wo  und  welche  Cäsur  angewendet  ist.  Typus  1  steht  mit  der  Cäsur 
nach  -  -  z.  B.  Rose.  Am.  5:  de]sertus  esset  (-)  -  -  n  -  =).  Gerade 
die  Formen  von  esse  sind  sehr  geeignet  zur  Verwendung  im  Schluß 
einer  ditroch.  Klausel  mit  der  „vermiedenen"  Cäsur  -  -  n  -  ^. 

Die  allerdings  nicht  in  der  Klausel  stehende  Responsion  zu  de- 
sertus  esset  heißt  (praesidi)o  defensus.  Denn  es  ist  sichtbar,  daß 
defensus  inhaltlich  im  schärfsten  Kontrast  zu  desertus  steht;  es  kann 
deshalb  rhythmisch  sehr  wohl: 

(praesidi)o  defensus  und 

(de)sertus  esset  gegenübergestellt  werden. 

Jahre«b«richt  für  AlfcrtomawUwiwclwft.   Bd.  CXXX1V.   (MW-  "•)  11 


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1(52 


Bericht  über  die  Literatur  zu  Ciceros  Reden 


(-) 


So  sehen  wir  schon  in  diesen  wenigen  Beispielen  die  Cäsar 
anders  gestaltet  als  in  den  Formen,  die  Bornecqne  verzeichnet.  Was 
die  Frage  betrifft,  ob  jene  Liste  sämtliche  metrischen  Klauseln  ent- 
hält, so  ist  dies  deshalb  nicht  wahrscheinlich,  weil  andere  wieder 
andere  Klauseln  aufgestellt  haben,  so  Zielinski,  der  zu  seinen  Klauseln 
durch  sein  anders  geartetes  System  kam.  Wolff  berücksichtigt  auch 
zu  wenig  die  Auflösungen,  die  Ziel,  die  poetischen  Klauseln  nennt 
und  als  malae  oder  pessimae  bezeichnet.  Werden  einmal  alle  Auf- 
lösungsmöglichkeiten zusammengestellt,  so  baut  vielleicht  jemand  auch 
darauf  ein  System  und  kann  die  Klauselzahl  leicht  vermehren.  Die 
Auflösungen  sind  aber  meist  auf  die  einfachen ,  gewöhnlich  vor- 
kommenden Klauselformen  zurückzuführen.  Doch  bedürfte  dies  auch 
einer  näheren  Untersuchung;  kurz,  es  gibt  noch  viele  andere  Ge- 
sichtspunkte für  die  Klauselforschung.  Was  die  Schlußfolgerungen 
Bomecques  betrifft,  so  ist  richtig,  daß  vor  der  Feststellung  der  Klausel- 
theorie, die  ein  Autor  angewendet  habe,  das  Studium  des  ganzen 
Werkes  notwendig,  wobei  aber  die  Beobachtung  der  Responsion  die 
condicio  sine  qua  non  ist.  Daß  Cicero  jedoch  in  einer  Schrift  andere 
Klauseln  angewendet  habe  als  in  der  anderen,  hält  Ref.  für  unmög- 
lich. Die  Klauseln,  die  Cic.  braucht,  sind  nicht  von  ihm  festgestellt, 
sondern  von  den  Griechen,  und  Cic.  selbst  nähert  sich  am  meisten 
Demosthene8,  z.  B.  irepl  t&v  iv  xefäovfpy  §  12: 

tJjv  f*4v  lyßpav  xal  t6  ßoiXtaftai  xwXyetv  <v3c3«fxdat, 
tertpfCovrac  M  täv  Ipftov  afapvrjv  itpooo<pXwxrfvtiv. 

Responsion  ist  hier  ganz  genau.  Klauseln  verschieden  wie  bei 
Cicero.    Ein  gleiches  Beispiel  auch  Cic.  Rose.  Am.  §  147: 

(ut),  quanto  honore  ipsa  ex  illorum  dignitate  adficeretur, 

non  minora  illis  ornamenta  ex  sua  laude  redderat. 

 1  

-  .  |  _ 

Nach  Bornecqne  hängt  die  Richtigkeit  eines  Klauseltypus  von 
der  Zahl  der  vor  dem  Schlußwort  stehenden  Füße  ab;  ist  sie  eine 
höhere,  als  man  erwarten  sollte,  oder  gleiche,  so  [ist  sie  für  eine 
metrische  Klausel  zu  halten.  Ist  sie  eine  kleinere,  dann  nicht. 
Bornecque  hat  doch  wenigstens  ein  Kriterium  für  seine  Klauseln; 
Ziel.s  Maßstab  ist  bloß  das  Gefühl.  Der  Maßstab  des  Ref.  geht  aus 
dem  hervor,  was  in  der  Responsion  des  Zielinskischen  Buches  gesagt 
ist.  Ohne  Beachtung  der  Responsion,  aber  nicht  der  daneben-,  sondern 


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aus  (Jen  Jahren  1903—1906.  (May.) 


1(33 


der  gegenüberstehenden,  auch  inhaltlich  entsprechenden  Responsion 
hält  jedoch  Ref.  die  Statuieruug  einer  Klausel  nicht  fttr  möglich. 
Diese  Klauselresponsion  ist  in  den  beiden  oben  bezeichneten  Analysen 
der  Rosciana  and  Archiana  fiberall  beobachtet  and  hervorgehoben; 
ebenso  ist  dem  Satze  Ciceros  im  or.  §  199  zufolge  stets  darauf  ge- 
sehen, ob  und  wie  die  Rhythmen  zur  Klausel  hinleiten.  Zu  be- 
stimmten Forderungen  oder  Gesetzen  darüber,  welche  Füße  vor  den 
Klauseln  stehen  können,  ist  Ref.  nicht  gelangt.  Es  kommen  alle 
diejenigen  Füße  in  Betracht,  welche  in  einem  rhythmisch  gleichen 
oder  ähnlichen  Verhältnis  zur  Klausel  stehen.  Was  die  Klausel 
selbst  anlangt',  so  hat  Ref.  am  meisten  die  von  E.  Müller,  Norden 
und  I.  Wölfl  aufgestellten  bestätigt  gefunden;  es  sind  immer  die 
kretisch-trochäischen  Formen  mit  all  den  Verschiedenheiten,  die  durch 
Auflösung  und  Erschwerungen  möglich  sind.  Ref.  konnte  um  so 
weniger  zu  bestimmten  Gesetzen  gelangen  und  gelangen  wollen,  als 
er  bei  der  Untersuchung  der  Rhythmen  stets  vom  Inhalt  ausgeht ;  so 
mannigfach  dieser  ist,  für  ebenso  mannigfach  hält  er  die  Rhythmen, 
wobei  aber  in  der  Klausel,  wie  gesagt,  das  kret.-troch.  Maß  im 
weitesten  Sinne  genommen  das  herrschende  ist. 


in. 

Blaß  gibt  eine  interessante  Darstellung  über  die  Entwicklung 
der  Rhythmen  der  asianischen  und  der  darauf  fußenden  römischen 
Kunstprosa.  Unseres  Wissens  ist  Blaß  der  erste,  der  diese  Entwick- 
lung wissenschaftlich  behandelt.  Indem  er  von  der  attischen  Kunst- 
prosa ausgeht,  deren  Rhythmen  er  in  früheren  Werken  [behandelt, 
beschränkt  er  seinen  hier  dargelegten  Standpunkt,  mit  dem  eigent- 
lich, wie  Blaß  selbst  zugesteht,  niemand  recht  einverstanden  war,  und 
zwar  liegt  der  Grund,  wie  Dittenberger  ganz  richtig  erkannte,  1.  in 
der  angenommenen  Unabhängigkeit  der  Rhythmen  von  der  Satz- 
gliederung, 2.  dem  ständigen  Übergreifen  derselben.  Meines  Wissens 
sagte  Bl.  selbst  einmal,  es  dürften  die  respondierenden  Rhythmen 
nicht  zu  weit  voneinander  entfernt  sein,  sonst  merke  man  sie  nicht. 
Jetzt  steht  er  auf  einem  anderen  Standpunkt  und  sagt  S.  2: 
„Rhythmen,  die  ineinander  tibergreifen  und  sich  nicht  voneinander 
sondern,  sind  keine  Rhythmen  mehr;  Rhythmen  aber,  deren  Enden 
und  Anfänge  nie  nach  der  natürlichen  Gliederung  der  Gedanken  ge- 
richtet sind,  müssen  schlechte  Rhythmen  heißen".  Das  ist  auch  der 
Standpunkt  Ciceros,  dessen  Rhythmen  nie  ineinander  übergreifen,  sich 
streng  an  die  Satzgliederung  halten  und  sich  von  der  altgriechischen 
Weise  vielleicht  nur  durch  die  größere  Einförmigkeit  der  Klausel- 

11* 


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164 


Bericht  über  die  Literatur  zu  Ciceros  Reden 


form  unterscheiden.  Demosthenes  und  die  griechischen  Redner  haben 
ja  auch  Klaasein,  aber  keine  so  festgebundenen  wie  Cicero  und  die 
Asianer.  Die  Rhythmen  jenes  sind  mannigfaltiger,  wie  es  auch  ihre 
poetischen  Formen  sind.  Die  „lumina  orationisu  sind  zahlreicher  ver- 
treten. Doch  kann  darauf  nicht  näher  eingegangen  werden.  Sehr 
richtig  verbindet  Bl.  Ciceros  Lehre  mit  der  attischen  Theorie;  „Cic. 
habe  sich,  da  es  ihm  auf  die  Sache  sehr  ankam,  in  der  Literatur 
ordentlich  umgesehen".  In  der  Praxis  trennt  aber  Bl.  scharf  Ciceros 
Weise  von  der  attischen;  dessen  Rhythmen  beschränkten  sich  bloß 
auf  die  Klausel ;  er  folge  also  ganz  ausschließlich  asianischen  Mustern. 
Dem  kann  ich  nicht  beistimmen.  Es  ist  doch  an  sich  unwahrschein- 
lich, daß  Cic. ,  ein  Bewunderer  des  Demosth.  gar  nie  in  dieser  Art 
geschrieben  haben  sollte.  Tatsächlich  finden  wir  Rhythmen  „in  tota 
continuatione"  so  gut  wie  in  den  Klauseln;  wir  finden  die  Anwendung 
der  x&Xa  und  x<5uu,ata,  ihre  Gliederung  und  scharfe  Trennung  von- 
einander und  die  rhythmische  Responsion  derselben;  wir  begegnen 
auch  der  Nuancierung  der  Rhythmen  durch  den  Gedanken,  der  An- 
wendung schwerer  Rhythmen  und  solcher  leichterer  Art,  nament- 
lich auch  der  Redefiguren  in  Verbindung  mit  den  Rhythmen,  wie  bei 
Demosth.,  vielfach  auch  des  „zweigeteilten  Ausdruckes",  des  „be- 
kannten Parallelismus  der  Runstrede  *),  der  nach  Blaß  auf  die  texvrj 
des  Anaximenes  zurückgehe,  ja  Aristoteles'  irepi'o&oc  sei  auch  nichts 
anderes  als  derselbe  zweigeteilte  Ausdruck,  der  das  Verhältnis 
vom  Entgegengesetzten  zum  Entgegengesetzten  oder  von  Verwandtem 
und  Entsprechendem  zu  Verwandtem  und  Entsprechendem  zumjAus- 
drack  bringe**).  Kurz,  der  „konstruktive  Rhythmus"  äußert*  sich 
bei  Cic.  in  sehr  mannigfaltiger  Weise.  Es  ist  deshalb  verfehlt,  ihn 
auf  die  Klausel  zu  beschränken.  Es  wird  dies  am  besten  aus 
Ciceros  Reden  selbst  bewiesen.  Wir  wählen  sie  aus  einer  erst  kürz- 
lich vorgenommenen  Durchsuchung  der  Rede  pro  Archia  poeta. 

Ein  eklatantes  Beispiel  genauer  metrischer,  sogar  antistrophisch  ge- 
haltener durchgehender  Responsion  steht  §  27: 

qui  cum  Aetolis  Ennio  comite  belli  avit,  Fulvius,  17 
non  dubitavit  Martis  manubias  Musis  eonsecrare.  17 

Die  beiden  Päone  entsprechen  einander  an  der  gleichen  Stelle.  Darauf 
folgt  in  Reihe  1  eine  spond.-kret.  Klausel,  welcher  in  Reihe  %  wie  so  häufig 


*)  BlaB  8.  16. 

**)  Ein  Beispiel  dazu  aus  Demosth.  und  Cicero  gab  ich  S.  162. 


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aus  den  Jahren  1903—1906.  (May.) 


1(35 


m  der  Responsion,  eine  ditrocb.  gegenübersteht  (consecrare).  Daß  der 
Rhythmus  vor  den  Päonen  nicht  ganz  gleich  ist,  wird  keiner  weiteren  Er- 
klärung bedürfen;  deswegen  ist  die  Responsion  doch  genau,  denn  das 
{jjtfxrcpov  gehört  zum  gleichen  -j^voc,  und  Cic.  sagt  or.  §  195:  Nec  enim  effugere 
possemus  animadversionem,  si  semper  isdem  (pedibus)  uteremur,  quia  neque 
numerosa  esse,  ut  poema,  neque  extra  numerum,  ut  sermo  vulgi,  esse  debet 
oratio. 

Es  muß  nun  gesagt  werden,  daß  solche  sich  genau  entsprechende  Kola 
nicht  zahlreich  sind  wieder  der  Lehre  Ciceros  gemäß  or.  §  222 :  sed  quoniam 
non  modo  non  frequenter,  verum  etiam  raro  in  veris  causis  —  circum- 
Bcripte  numeroseque  dicendum  est  —  etc.  Dagegen  ist,  was  schon  in  der 
Rosciana  auffällig  hervortrat,  der  „zweigeteilte  Ausdruck"  (Parallelismus) 
häufig,  der  auch  rhythmisch  zum  Ausdruck  gebracht  wird,  z.  B.  §  8: 

quae  depravari  nullo  modo  possunt,  repudiare,  16 
(tabulas)  quas  idem  dicis  solere  corrumpi,  desiderare.  16 


Dieser  Parallelismus  entspricht  sich  auch  rhythmisch  sehr  genau  und 
ist  bezeichnet  durch  Anaphora  und  Paronomasie,  was,  nebenbei  gesagt, 
nicht  selten  Anzeichen  einer  rhythmischen  Gestaltung  der  Sätze. 

§  9:  Immo  vero  iis  tabulis  professus, 

quae  solae  ex  illa  professione 

 ~l  ~ 

 .  I  _  _ 

Solche  Parallelen  könnten  noch  viele  erwähnt  werden;  es  gehören 
dazu  auch  die  an  erster  Stelle  angeführten.  Bestätigt  gefunden  habe  ich 
dabei  die  Lehre  Ciceros  über  die  membra  (§  221):  Haec  enim  in  veris 
causis  maxumam  partem  orationis  obtinent.  Wenn  aber  Cic.  weiter 
sagt,  eine  .volle  Periode  besteht  „quatuor  fere  partibus,  so  ist  fere  zu  be- 
tonen, denn  es  gibt  auch  solche  von  zwei  Teilen,  vgl.  Demetr.  de  eloc.  16: 
tüv  3&  rapitöuiv  al  pixrfp?epai  piv  ix  äuolv  xuAotv  auvtfÖevxui,  al  \tiyiaxai  %k 
ht,  TCTTctpcuv.  Cicero :  quamquam  utrumque  nonnunquam  vel  potius  saepe  ac- 
cidit,  ut  aut  citius  insistendum  sit  aut  longius  procedendum.  Die  Kola 
einer  comprehensio  erstrecken  sich  manchmal  sehr  weit  von  10  bis  24,  ja  30, 
manchmal  bis  34  Silben.  Wenn  nun  bei  einer  Zwei-  oder  Dreiteilung  ge- 
naue Responsion  stattfindet,  so  ist  in  der  Regel  auch  die  Silbenzahl  gleich. 
Das  ist  am  Ende  natürlich.  Aber  auch,  wenn  keine  genaue  rhythmische 
Responsion  herrscht,  sind  zusammengehörige  Kola  oft  an  Silben  gleich. 
Wenn  das  der  Fall,  so  muß  es  hervorgehoben  werden,  denn  es  ist  von  Cic. 
beabsichtigt  or.  §  147:  De  verbis  enim  componendis  et  de  syllabis  pro- 
pemodum  dinumerandis  et  dimetiendis  loquemur;  quae  etiamsi 
sunt,  sicuti  mihi  videntur,  necessaria,  tarnen  fiunt  magnificentius  quam 
docentur.  Das  ist  es  eben;  seine  angewandten  Rhythmen  zeigen  eine 
größere  Vielgestaltigkeit,  als  er  im  or.  sagt.  Man  nimmt  ja  auch  an,  daß 
er  hier  nichts  von  Responsion  sagt,  und  doch  beruhen  alle  seine  Rhythmen 
darauf;  denn  ohne  Responsion  gibt  es  keinen  Rhythmus.  Seine  zahlreichen 
Bemerkungen  über  concinnitas  verborum,  ferner  die  häufig  im  or.  vor- 
kommende Forderung,  ut  verba  verbis  quasi  dimensa  et  paria  re. 
spondeant,  ut  crebro  conferantur  pugnantia  comparenturque  contraria 


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166  Bericht  über  die  Literatur  zu  Ciceros  Reden 

weisen  ja  deutlich  darauf  hin.  In  dieser  Weise  werden  xrfjAfierra  und  xüXa 
miteinander  verbunden,  an  welche  auch  der  Rhythmus  gebunden  ist  Nun 
gibt  es  ja  einen  Maßstab  für  die  Größe  der  Kommata  und  Kola,  und  das 
ist  der  Rhythmus  und  die  Responsion;  diese  beiden  sind  maßgebend  und 
dann  der  Gedanke,  ob  er  selbständig  oder  unselbständig  ist,  geschlossen 
oder  nicht  Die  nodi  continuationis  sind  eben  die  Klauseln.  Wo  eine 
solche  steht,  endet  %6ynia  oder  xtäXov,  wie  Cic.  §  228  sagt:  quae  incisim  aut 
membratim  efferuntur,  ea  vel  aptissume  cadere  debent  Nun  ist  freilich  die 
Teilung  in  Kola  nicht  überall  sicher,  und  man  kann  an  verschiedenen  Stellen 
verschiedener  Ansicht  sein.  Auch  in  der  Stelle  aus  Dionys,  k.  ouvth 
p.  124,  die  Blaß  S.  19  ff.  angibt,  kann  man  oft  bezüglich  der  Einteilung  ver- 
schiedener Ansicht  sein.  Es  sind  auch  hier  wieder  respondierende  Stellen 
auseinandergerissen,  so  wenn  1  mit  6  übereinstimmen  soll.  6  stimmt  bloft 
mit  5  überein  und  zwar  auch  nicht  so,  wie  Bl.  annimmt,  sondern: 

(ev)  6c  ouWxßaXrtv  xal  to  «Xtj  8oc 
(ouJtt)  au  veopapev  eic  tö  To?.fjtav 


Dann  kommen  die  beiden  sv>v-,  von  denen  Blaß  das  erste  ganz  außer 
Responsion  setzen  will,  sehr  passend  zusammen.  Freilich  bekommt  auch 
cic  to  ToXfiäv  eine  andere  Beziehnung,  als  Blaß  annimmt,  de  to  roXfxav  kann 
mit  M         gar  keine  Beziehung  haben.   Auch  7.  8  teile  ich  anders  ab: 

dv^jp  yip  teüv  ?t oXefj.hu v 

('A).)^C«^POV  fAT^^OTe  XIV  — 


Auch  die  Schlüsse  von  7.  8  sind  anders: 

—  sat  itpiixtpov  oOtcoc 


12.  18  Ta  Trrepuyia  toü  Otopaxoc 


—  —  ■  Dann  die  Klausel  xatpiuiTa'Tijv,  der  in  14 

cmto;  «TrwXeacv  entspricht; 

—  w>  —  —  — 

 ,  wodurch  eine  Varietät  herein- 
kommt. 

Auch  16  und  17  werden  ganz  auseinandergerissen,  während  beide 
Reihen  unter  sich  respondieren : 

touc  o'aXXot»«  ip7^j  TtpGVfrcoc  i~\  TtaXaiaTc 
ouTüi^ip  excEotou  tov  fXeov  icfaT^sev 

Blaß  dagegen:  —  toc  enl  ra).ataTc  —  oOtujydp  ixeforou.  iUirrflv*  allein 
gleich  dem  Anfang  von  18  ^  toü  t4Xiaij.  Kurz  ich  suche  mehr  das  inhaltlich 
Verwandte  und  beisammen  Stehende  zu  vereinigen,  während  Bl.  ohne  jede 
Rücksicht  auf  den  Inhalt  alles  auseinanderreißt  und  Rhythmen  hervor- 


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r 


aus  den  Jahren  1903-1906.  (May.)  167 

bringt,  die  niemand  merken  kann.  Auch  über  die  Statuierung  der  Klausel 
kann  man  verschiedener  Ansicht  sein;  so  bezeichnet  Bl.  v.  7  den  Schluß 
als  Auflösung  einer  ditr.  Klausel;  es  ist  aber  —  aai  irpdrepov  oSxtuc,  die  Auf- 
lösung eines  cret.,  also :  —  —  ^=  —  —  (kret.-tr.),  denn  Responsion  ist  8  ei« 

ydvara  ou-ptapupftelc  (—  —  c^r   dikr.).  Bl.  statuiert  hier  aber  als  Klausel: 

 Ferner  sind  die  aufgelösten  Kürzen  in  16  ein  aufgelöster  cret.  mit 

troch.,  dem  in  17  gegenübersteht:  &eov  «Efonjocv   1  ^  dicret.), 

wobei  der  zweite  cret.  irregulär  ist.  So  ist  es  noch  in  anderen  Fällen,  auf 
die  aber  nicht  eingegangen  werden  kann.  —  Die  Beispiele  aus  Cic.  haben 
vor  allem  den  Fehler,  daß  es  Bruchstücke  aus  Reden  sind  und  keine  ein- 
heitliche Analyse  einer  Rede.  Zweitens  werden  auch  hier  die  Rhythmen 
auseinandergerissen  und  offenbar  Zusammengehöriges  nicht  beachtet 

Um  bei  dem  von  Blaß  selbst  gegebenen  Beispiele  zu  bleiben,  so  ist 
seine  Korrektur  div.  32  (S.  132),  seine  Versetzung  von  aliquid  offenbar  un- 
richtig und  die  Überlieferung  aliquid  a  me  requirerent  richtig;  denn  die  Re- 
sponsion ist: 

a  |  me  requirerent, 
me  non  defuturum. 

 1  

Es  entsprechen  sich  bei  Cic.  nämlich  oft  ditr.  und  tr.-cret.,  gerade  um 
Gleichheit  der  Klausel  zu  vermeiden.  Mit  esse  actorem  putabit  hat  me 
non  defuturum  gar  nichts  zu  tun;  denn  putabit  gehört  rhythmisch  zu  pro- 
babit  und  zu  nichts  anderem. 


H.  Pflüger,  Ciceros  Rede  pro  Q.  Roscio  Comoedo.  Rechtlich 
beleuchtet  uud  verwertet.    Leipzig  1904. 

Th.  Zielinski,  Zeitbestimmung  der  Rede  Ciceros  pro  Q.  Roscio 
comoedo.    Philologus  N.  F.  XVIII  S.  15—16. 

Th.  HUbner,  De  Ciceronis  oratione  pro  Q.  Roscio  comoedo 
quaestiones  rhetoricae.    Regimonti  1906. 

I.  Die  von  Juristen  in  sachlicher  Beziehung  viel  behandelte 
Rede  ist  von  dem  Vf.  neuerdings  zum  Gegenstand  einer  genauen 
und  in  ihrem  Endresultat  neues  Licht  verbreitenden  Untersuchung 
gemacht  worden.  Ob  zwar  dieses  Resultat  überall  bei  den  Fach- 
genossen Anklang  finden  wird,  ist  nach  dem  bisherigen  Verlauf  der 
Streitfrage  zweifelhaft;  denn  so  oft  auch  der  Rechtsfall  behandelt 
wurde,  Übereinstimmung  wurde  nicht  erzielt.  Der  in  der  Rede  dar- 
gestellte Rechtsstreit  entwickelte  sich  aus  einem  Sozietätsverhältnis 
zwischen  Roscius  und  Fannius  Chaerea,  welche  miteinander  einen 
Sklaven  Panurgus  besaßen,  den  ersterer  in  der  Schauspielkunst  unter- 
richtete, der  aber  von  Flavius  getötet  wurde.  Gegen  den  Zerstörer 
ihrer  Hoffnungen  strengten  beide  einen  Prozeß  an,  bei  welchem 
Fannius  als  cognitor  die  Vertretung  des  Roscius  übernahm.  Ohne 


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t 


168  Bericht  über  die  Literatur  zu  Ciceros  Reden 

aber  den  Ausgang  des  Prozesses  abzuwarten,  verglich  sich  R.  nit 
Flavius  und  erhielt  an  Zahlungsstatt  ein  Grundstück,  das  im  Anfang 
beinahe  nichts  wert  war,  dann  aber  durch  glückliche  Konjunkturen 
im  Preise  gewaltig  stieg.  Nun  klagte  seinerseits  Fannius  gegen 
Roscius.  Dieser  Prozeß  wurde  offenbar  durch  ein  Schiedsgericht, 
nicht  gerichtlich  entschieden  und  zwar  dahin,  daß  Rose,  an  Fannius 
die  verhältnißmäßig  ungeheure  Summe  von  100000  Sesterzen  zahlen, 
Fannius  dagegen  von  dem,  was  er  noch  von  Flavius  beitreiben 
würde,  an  Rose,  die  Hälfte  abgeben  sollte.  Aus  diesem  Vergleich 
entwickelte  sich  der  Prozeß,  weil  Rose,  zwar  die  erste  Rate  mit 
50  000  Sest.  zahlte,  aber  nicht  die  zweite. 

Fannius  klagte.  Die  Klage  war  eine  condictio,  genauer  eine 
actio  certae  creditae  pecuniae.  Wie  begründet  aber  Fannius  seine 
Klage?  Dem  Nachweis,  daß  diese  überhaupt  unbegründet  sei,  ist 
der  I.  Teil  von  Ciceros  Rede  gewidmet.  Cicero  sagt,  es  gebe  nur 
drei  Möglichkeiten  zur  Klage:  1.  aus  Darlehen  (pecunia  necesse  est 
aut  data),  2.  Literalkontrakt  (aut  expensa  lata),  3.  Stipulation 
(aut  stipulata  sit).  Der  erste  Punkt  scheidet  aus,  denn  datam  non 
esse  Fannius  coufitetur.  Der  Vf.  meint  (S.  102),  des  dritten  Klage- 
grundes hätte  Fannius  sich  wohl  bedienen  können,  aber  jedenfalls 
keinen  Gebrauch  davon  gemacht.  Bleibt  also  nur  der  Literalkontrakt, 
dessen  sich  nach  Ansicht  des  Vf.  Fannius  jedenfalls  bedient,  ob- 
gleich sich  Cic.  die  größte  Mühe  gebe,  diesen  Fall  als  nicht  vorhanden 
darzustellen.  In  Abschn.  IX  beweist  der  Vf.  näher,  daß  der  eine 
bestehende  Geldschuld  voraussetzende  Literalkontrakt  hier  vorliege, 
und  daß  Fannius  darauf  seine  Anklage  gegründet  habe.  Folgt  der 
II.  Teil  der  Rede,  von  welchem  Cic.  c.  5  §  15  sagt,  daß  er  eigent- 
lich ganz  überflüssig,  und  daß  es  ihm  nur  darum  zu  tun  sei,  die  von 
Fannius  angegriffene  Ehre  des  Roscius  wiederherzustellen.  Indes 
sind  die  Juristen  nicht  einmal  über  Sinn  und  Absicht  des  IL  Teiles 
einig.  Der  Vf.  gibt  gegenüber  den  anderen  Ansichten  über  den 
II.  Teil,  die  alle  so  ziemlich  darauf  hinauslaufen,  Fannius  habe  seine 
Klage  entweder  ex  causa  furtiva  nämlich  aus  der  dolosen  Unter- 
schlagung einer  der  Sozietät  gehörenden  Summe  oder  als  condictio 
sine  causa  aus  der  widerrechtlichen  Bereicherung  des  Rose,  her- 
geleitet, nur  das  zu,  daß  Cic.  allerdings  erst  im  II.  Teil  auf  die  Vor- 
geschichte des  Prozesses  und  damit  auf  das  ehemalige  Gesellschafts- 
vcrhältnis  unter  den  Parteien  zu  reden  kam.  Cic.  tat  dies  des- 
wegen, weil  er  ja  nachweisen  wollte,  daß  Rose,  dem  Fannius  nichts 
schulde.  Dafür  bringt  der  Redner  drei  Gründe  vor,  die  der  Vf.  alle 
gleich  schlagend  findet.   Wenn  z.  B.  Rose,  bei  seinem  Vergleich  mit 


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aus  den  Jahren  1903—1906.  (May.) 


109 


Flavius  im  Namen  des  Fannius  gehandelt  hat,  warum  hat  denn 
Flavius  sich  keine  Sicherheit  geben  lassen,  daß  Fannius  mit  dem 
Vergleich  einverstanden  sein  und  ihn  nicht  weiter  in  Anspruch  nehmen 
werde?  Ferner  hat  Fannius  unbekümmert  um  den  Vergleich  den 
Prozeß  gegen  Flavius  fortgesetzt,  hat  auch  von  diesem  100  000  Sest. 
erhalten,  die  er  dem  Rose,  verheimlicht.  Kurz,  Fannius  handelte 
seit  jenem  Vergleich  stets  für  sich,  folglich  hat  er  auch  jetzt  von 
Rose,  nichts  zu  beanspruchen.  So  Cicero.  Der  Vf.  rühmt  dann  noch 
die  unvergleichlich  geschickte  Art,  wie  Cic.  den  Rose,  verteidigt,  und 
wie  er  aus  jeder  Schwäche  eine  Stärke  zu  machen  verstehe.  Wenn 
nun  aber  Rose,  dem  Fannius  nichts  schuldig  war,  warum  ließ  er  sich 
zu  dem  Vergleich  herbei,  an  diesen  100  000  Sest.  zu  zahlen,  von 
denen  er,  wie  wir  wissen,  50  000  erlegt,  während  er  mit  den  anderen 
50  000  zurückhielt,  auf  deren  Bezahlung  eben  der  Kläger  drang? 
Nun  sind  aber,  wie  der  Vf.  darlegt,  die  100  000  Sest.,  welche  immer  als 
Gewinn  des  Rose,  bezeichnet  werden,  sicher  falsch.  Th.  Mommsen 
hat  nämlich  in  den  Handschriften  die  Entdeckung  gemacht,  daß  neben 
dem  Zeichen  für  100  000  noch  das  erst  durch  die  Inschriften  re- 
habilitierte Zeichen  j>  für  quingenta  milia  zu  bemerken  ist.  Statt 
100  000  müssen  wir  lesen  600  000.  Auf  diese  Höhe  ist  das  Grund- 
stück durch  die  Gunst  der  folgenden  Zeiten  gekommen.  Im  Verhält- 
nis zu  dieser  Zahl  konnte  jetzt  auf  einmal  die  Summe,  die  Rose,  an 
Fannius  zu  zahlen  hatte,  zu  niedrig  erscheinen.  Denn  beide  teilen 
ja  auf  halb  und  halb,  wie  man  auch  daraus  sieht,  daß  das  Versprechen 
des  Fannius,  die  Hälfte  dessen,  was  er  von  Flavius  erhalten  würde, 
an  Roscius  abzugeben,  auf  halb  und  halb  schließen  läßt.  Ist  das 
aber  so,  warum  verlangt  der  Schiedsrichter  nicht  auf  einmal 
800000  Sest.?  Antwort:  weil  es  sich  um  einen  Vergleich  und  um 
einen  billigen  Ausgleich  handelt.  Hätte  der  Schiedsrichter  gefunden 
und  festgesetzt  (S.  154),  daß  Roscius  verpflichtet  sei,  mit  ihm  zu 
teilen,  so  hätte  Rose,  selbstverständlich  entweder  Fannius  zum  Mit- 
eigentümer des  Grundstückes  machen  oder  die  Hälfte  des  vollen 
Wertes  an  ihn  auszahlen  müssen.  Der  Schiedsrichter  hätte  dann 
aber  keinen  Vergleich  vorgeschlagen,  sondern  Roscius  verurteilt.  Bei 
einem  Vergleich,  der  doch  nur  möglich  war,  wenn  die  Frage,  ob 
Roscius  teilen  müsse,  offen  blieb  —  mochte  der  Schiedsrichter  sie 
auch  nur  deshalb  absichtlich  offen  lassen,  um  Flavius  nicht  abweisen 
zu  müssen,  sondern  einen  billigen  Ausgleich  zu  versuchen  —  bei 
einem  Vergleich  konnte  Roscius  nicht  zugemutet  werden,  in  derselben 
Weise  zu  teilen,  wie  wenn  seine  Verpflichtung  feststände.  Wohl  aber 
konnte  man,  und  so  erklärt  sich  in  der  Tat  die  Vergleichssumme 


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170 


Bericht  über  die  Literatur  zu  Cicero«  Reden 


von  100000  Sest.,  wenn  man  teilen  wollte,  den  Betrag  dessenr 
was  man  teilte,  nach  Belieben  festsetzen. 

Indem  Ref.  im  vorstehenden  die  Darlegung  des  Vf.  in  den 
wesentlichen  Punkten  rekapitulierte,  muß  er  es  als  auffallend  be- 
zeichnen, daß  Pfluger  und  seine  Fachgenossen  die  Ansicht  Ciceros, 
des  Anwaltes  des  Roscius,  ohne  weiteres  sich  zu  eigen  machten,  daß 
Rosaus  dem  Fannius  nichts  schuldig,  und  daß  die  Summe,  die 
Roscius  dem  Fannius  zu  zahlen  sich  erbot,  ein  Akt  der  Freiwilligkeit 
gewesen  sei.  Diese  Ansicht  unterliegt  doch  ernsten  Bedenken.  Wozu 
war  denn  das  Schiedsgericht?  Schon  in  dem  Wort  Schiedsgericht 
liegt,  daß  Roscius  sich  dem  Fannius  gegenüber  verpflichtet  fühlte. 
Sonst  hätte  man  sich  doch  auf  kein  Schiedsgericht  eingelassen. 
Diesem  Gesichtspunkt  mußte  unseres  Erachtens  Pflüger  besondere 
Aufmerksamkeit  zuwenden.  Zweitens  ist  auffallend,  daß  Pflüger  in 
seiner  Schrift  die  Cicerostelle  c.  13,  88  stets  mit  den  Worten  pro 
opera  labore  zitiert,  ein  Ausdruck,  dessen  Sonderbarkeit  jedem  auf- 
fallen muß.  Es  ist  richtig,  daß  dies  handschriftlich  bezeugt  ist, 
aber  ebenso  richtig,  daß  der  Ausdruck  kaum  möglich  ist.  Schon 
Manutius  schrieb  deshalb  pro  opera,  pro  labore.  Halm-Baiter:  pro 
opera  et  labore.  Eines  von  diesen  beiden,  aber  nicht  pro  opera, 
labore.  Was  nun  den  Streitfall  selbst  betrifft,  so  ist  er  durchaus 
keine  Ausnahme.  Etwas  Ähnliches  ist  auch  in  unseren  Tagen  mög- 
lich; nur  kann  der  erste  Grund  eines  solchen  Falles  natürlich  nicht 
im  Besitz  eines  Sklaven  liegen.  Daß  aber  aus  einem  Sozietäts- 
Verhältnis  wegen  eines  plötzlich  im  Werte  außerordentlich  gestiegenen 
Grundstückes  („unverdienter  Wertzuwachs")  ein  Prozeß  entsteht, 
kann  in  Städten  mit  großem  Gebietskomplex  jeden  Tag  vorkommen. 

Dem  Umfang  nach  den  größten  Teil  der  im  vorstehenden  be- 
sprochenen Schrift  (S.  16—100)  nimmt  jedoch  nicht  der  Rechtsfall 
selbst  ein,  sondern  die  Frage  der  Interpolationen  in  den  Digesten, 
welche  an  der  Hand  zahlreicher  Stellen  kritisch  besprochen  werden. 
Der  Schluß  dieser  ganzen  „quellenkritischen  Walpurgisnacht"  ist, 
daß  Ciceros  Rede  pro  Roscio  Comoedo  „den  Schlüssel  des  klassischen 
Kondiktionenrechts  enthält".  • 

rec:  BphW.  05  Nr.  11  S.  664—73  v.  B.  Kühler.  WkPh.  05  Nr.  33/34 
v.  W.  Kalb.  - 


2.  Was  die  Zeit  der  Rede  betrifft,  so  kann  aus  der  Stelle  bei 
Macrob.  III  14,  13,  wonach  Roscius  von  Sulla  in  den  Ritterstand  er- 
hoben wurde,  „ferner  aus  der  Tatsache,  daß  Rose,  „proximis  his 
annis",  wie  Cic.  in  der  Rede  §  28  sagt,  sich  des  schauspielerischen 


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aus  den  Jahren  1903—1906.  (May.) 


171 


Erwerbes  enthielt,  womit  Ehrlosigkeit  verbanden  war,  allerdings  mit 
Recht  geschlossen  werden,  daß  unter  den  letzten  Jahren  nicht  die  Zeit 
zwischen  78  und  68  gemeint  sei,  denn  dies  wäre  eine  Verringerung  der 
tatsächlichen  Dauer,  sondern  daß  Cic.  die  mehr  allgemein  gemeinte  and 
auch  in  diesem  Sinne  vorkommende  Zahl  10  gewählt  bat,  am  die 
Zeit,  die  sich  ja  über  10  ausdehnt,  zu  bezeichnen,  während  welcher 
sich  Rose,  seiner  schauspielerischen  Tätigkeit  enthalten  hat.  Man 
kann  z.  B.  die  Zeit  von  88 — 76  auch  noch  anter  den  Begriff  10 
unterbringen,  ganz  besonders,  wenn  man  die  Zeit  der  Cinnanischen 
Wirren  abrechnet.  Jedenfalls  aber  spricht  nichts  für  68.  Zielinski 
sagt:  „Damit  (nämlich  mit  der  Erhebung  des  Roscius  in  den  Ritter- 
stand durch  Sulla)  „ist  jedoch  der  zweite  Ansatz  (68)  ausgeschlossen : 
es  lag  nicht  im  Interesse  des  Verteidigers,  die  15  Jahre  zwischen 
82  und  68  zu  10  zu  verringern,  wohl  aber  die  7  Jahre  zwischen  82 
und  76  zu  10  auszudehnen." 

3.  Von  der  Rechtsfrage  absehend,  behandelt  Hübner,  nachdem 
er  in  der  Einleitung  die  Abfassungszeit  bestimmt,  ausschließlich  rhe- 
torische Gesichtspunkte,  und  zwar  spricht  er  cap.  I  de  orationis 
genere  dicendi,  cap.  II  a)  de  abundantia,  b)  de  synonymis  copulatis, 
c)  de  concinnitate,  d)  de  figuris.  Was  die  Zeit  der  Rede  betrifft, 
die  auch  er  ins  Jahr  76  setzt,  so  akzeptiert  er  das  von  Sternkopf 
beigebrachte  Moment,  daß  die  Rede  aus  einer  Zeit  stammen  müsse, 
von  der  das  Wort  gelten  könne,  das  §  83  stehe:  „nunc  deum  im- 
mortalium  benignitate  omnium  fortunae  sunt  certae".  So  könne  aber 
vor  77  nicht  gesprochen  werden.  Nun  sei  der  Redner  77  von  seiner 
asiatischen  Reise  zurückgekehrt  and  75  als  Quästor  in  Lilybäum  ge- 
wesen, also  bleibt  entweder  76  oder  74/73.  Nach  letzterem  Zeit- 
punkt sei  der  Gladiatorenkrieg  ausgebrochen,  wo  die  Verhältnisse 
von  neuem  unsicher  gewesen  seien.  Wenn  nun  aber  gemäß  Cic. 
Brut.  92,  318  eine  gewisse  Reife  der  Kunst  nach  75  eingetreten  sei, 
so  könne  die  Rede,  weil  in  ihr  diese  Reife  noch  nicht  vorhanden  sei, 
nicht  nach  75  gehalten  sein.  Bevor  nun  der  Vf.  zur  Darstellung  der 
einzelnen  rhetorischen  Mittel  übergeht,  macht  er  viele  Worte  über 
den  Asianismus,  ohne  dessen  Wesen  genau  definieren  zu  können. 
Dem  Vf.  gilt  Hortensias  als  Repräsentant  dieser  rednerischen 
Richtung,  der  Cic.  sich  nach  der  asiatischen  Reise  ebenso  hin- 
gegeben habe  wie  vorher.  „Vehementer  errat,  si  quis  coniciat 
Ciceronem  in  animo  habuisse  omnino  Asianis  renuntiare:  mirum 
enim  profecto  fecisset,  si  hanc  ob  causam  in  ipsam  Asiam  pro- 
fectus  esset  (S.  9).  Er  sei  also  gar  nicht  deshalb  nach  Asien 
gegangen,  sondern  wie  man  aus  Brut.  92,  312  ff.  ersehe,  mehr  aus 


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172 


Bericht  über  die  Literatur  zu  Ciceros  Reden 


äußeren  Gründen ,  aus  Rücksicht  auf  seine  Gesundheit  und  um  sich 
im  Sprechen  mäßigen  zu  lernen  (temperatius  dicere).  Seine  asianische 
Kichtung  sei  davon  unberührt  geblieben.  Das  ist  eben  gerade  sehr 
zu  bezweifeln.  Was  man  aus  den  Erstlingsreden  eruieren  kann,  ist, 
wie  Cic.  selbst  sagt,  eine  gewisse  iuvenilis  redundantia.  Aber  Kom- 
position, Redefiguren  und  Konzinnität  sind  in  allen  Reden  gleich, 
weil  die  rhetorischen  Kunstmittel  teils  auf  hergebrachter  Übung  be- 
ruhten ,  teils  auf  griechischer  Überlieferung  und  Studien.  Es  soll 
die  vorliegende  Rede  noch  ganz  in  der  Manier  der  Asianer  geschrieben 
sein;  dies  ist  eine  unbegründete  und  auch  unbewiesene  Behauptung. 
Von  diesem  Gesichtspunkt  aus  wäre  es  sehr  zu  empfehlen  gewesen, 
wenn  der  Yf.  sein  Studium  auch  auf  andere,  mindestens  aber  die 
zeitlich  benachbarten  Reden  gerichtet  hätte.  Er  würde  gefunden 
haben,  daß  die  redundantia  sich  ebenso  sehr  z.  B.  in  der  Rede  pro 
Sexto  Rose.  Am.  findet,  ja  daß  sie,  wenn  auch  nicht  mehr  in  dem 
Maße,  eine  spezielle  Eigentümlichkeit  der  Ciceronianischen  Beredsam- 
keit ist.  Eigentlich  asianisch  ist  aber  keine  Rede  Ciceros,  denn  er 
bekämpfte  ja  die  langweilige  Art  der  Asianer,  z.  B.  den  stets  gleichen 
Satzschluß  ihrer  Stilart.  Was  der  Vf.  im  II.  Kap.  über  die  Rede- 
figuren sagt,  muß  als  dürftig  bezeichnet  werden.  Er  behandelt  zwar 
rednerische  Figuren  und  gibt  auch  ansprechende  Beispiele,  aber  den 
wichtigen  Punkt  de  concinnitate  fertigt  er  viel  zu  kurz  ab,  indem 
er  aus  der  Rede  p.  R.  c.  einige  wenige  Beispiele  anführt.  Statt 
dessen  mußte  wenigstens  diese  eine  Rede  untersucht,  aber  auch  der 
numerus  beachtet  werden,  überhaupt  die  Gesichtspunkte,  welche  Cic. 
im  orator  behandelt  Rhythmus,  numerus  und  Klausel  scheinen  aber 
für  den  Vf.  gar  nicht  zu  existieren,  überhaupt  gerade  das,  was  in  den 
letzten  Jahren  auf  diesem  Gebiete  getan  oder  wenigstens  erstrebt 
worden  ist. 

H.  Bögli.   Über  Ciceros  Rede  für  A.  Caecina.  Burgdorf  1906. 

Dieselbe  Verschiedenheit  der  Ansichten  Uber  die  Rechtsfrage  wie 
bei  der  Rede  pro  Roscio  comoedo  besteht  zurzeit  noch  unter  den 
Juristen  bezüglich  der  Caeciniana,  welche  der  Vf.  zum  Gegenstand 
einer  interessanten  rechtsgeschichtlichen  Untersuchung  gemacht  hat. 
Darin  setzt  er  sich  bloß  mit  seinen  Fachgenossen ,  besonders  mit 
Keller,  Savigny,  Kariowa  und  Mommsen  auseinander,  während  er  den 
gelegentlichen  Bemerkungen  der  Philologen  nicht  viel  Beachtung  schenkt. 

Die  Vorgeschichte  des  Erbschaftsstreits  ist  nach  der  im  I.  Kap. 
behandelten  Narratio  der  Rede  folgende:  M.  Fulcinius,  ein  Bankier 
(argentarius)  in  Rom,  hat  die  in  barem  Gclde  zugebrachte  Mitgift 
(dos  uxoris  numerata)  seiner  Frau  Caesennia  dadurch  sichergestellt, 


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aus  den  Jahren  1903—1906.  (May.) 


173 


daß  er  ihr  ein  Landgnt  bei  Tarquinii  in  Etrurien  käuflich  zu  Eigen- 
tum Überließ.  Er  selbst  kaufte  für  sich  einige  an  dieses  Landgut 
anstoßende  Grundstücke.  Sein  Erbe  und  Rechtsnachfolger  war  sein 
Sohn,  mit  welchem  dessen  Mutter  Caesennia  den  Nießbrauch  am  ge- 
samten Vermögen  teilen  sollte.  Der  Sohn  starb  bald  nach  dem  Vater, 
und  sein  Testamentserbe  war  ein  gewisser  P.  Caesennius,  während 
seine  Frau  und  seine  Mutter  Caesennia  Vermächtnisse  erhielten.  Zum 
Zwecke  der  Auseinandersetzung  fand  in  Rom  eine  Erbschaftssteigerung 
(anctio  hereditaria)  statt,  bei  welcher  Sex.  Aebutius  diejenigen  Grund- 
stücke ersteigerte,  die  Fulcinius  zu  dem  Landgut  seiner  Frau  hinzu- 
gekauft hatte;  sie  werden  als  fundus  Fulcinianus  bezeichnet.  Diese 
bilden  den  Gegenstand  des  späteren  Rechtsstreites,  in  welchem  Cicero 
als  Kläger  für  Caecina  auftrat.  Mit  letzterem  hatte  sich  Caesennia 
nach  dem  Tode  des  M.  Fulcinius  verheiratet,  und  er  erhielt,  als  sie 
vier  Jahre  nach  der  Erbschaftssteigerung  starb,  testamentarisch  69/72 
ihres  Vermögens,  während  einem  gewissen  M.  Fulcinius,  Frei- 
gelassenen ihres  ersten  Mannes,  ah*  und  dem  Sex.  Aebutius  1hs 
laut  Testament  zufielen. 

Cicero  spricht  nun  in  der  narratio  von  einem  vorausgegangenen 
Erbschaftsstreit  zwischen  Caecina  und  Aebutius,  der  sein  Erbteil  über 
Gebühr  habe  ausdehnen  wollen:  „cum  .  .  .  sextulam  suam  nimium 
exaggeraret".  Keller  und  die  allgemeine  Meinung  nimmt  an,  Caecina 
als  Erbe  und  Besitzer  der  Erbschaft  habe  gegen  Aebutius  auf  gericht- 
liche Erbteilung  durch  einen  arbiter  familiae  erciscundae  angetragen. 
Der  Vf.  sucht  nachzuweisen,  daß  nicht  Caecina,  sondern  Aebutius  die 
Teilungsklage  (actio  familiae  erciscundae)  angestellt  habe.  Wie  dieser 
Streit  erledigt  wurde  und  welche  Rolle  dabei  der  fundus  Fulcinianus 
spielte,  ist  nicht  ersichtlich. 

In  dem  von  Cic.  für  Caecina  geführten  Prozeß  handelt  es  sich 
lediglich  um  den  fundus  Fulcinianus.  Aebutius  behauptet  nämlich, 
daß  er  denselben  in  jener  Erbschaftssteigerung  auf  Ableben  de* 
jungen  Fulcinius,  Sohn  der  Caesennia,  für  sich  zu  Eigentum  ersteigert 
habe,  während  Caecina  geltend  machte,  Aebutius,  welcher  der  Ver- 
traute und  Berater  der  Caesennia  gewesen  sei,  habe  nur  im  Auftrag 
und  Namen  der  letzteren  gehandelt  und  nur  für  diese  den  fundus  er- 
worben. War  die  Behauptung  des  Aebutius  richtig,  so  war  er  Allein- 
eigentümer des  fundus,  und  dieser  fiel  nicht  in  den  Nachlaß  der 
Caesennia.  Andernfalls  hatte  Aebutius  nur  V72  an  diesem  fundus  wie 
überhaupt  an  diesem  Nachlaß  der  Caesennia  zu  beanspruchen.  Der 
Vf.  führt  nun  aus :  Caecina  habe  durch  Cicero  im  Interdiktenverfahren 
klagen  lassen,  obwohl  er  weder  das  Eigentum  an  dem  fraglichen 


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174 


Bericht  über  die  Literatur  zu  Ciceros  Reden 


Grundstück  gehabt  habe,  noch  in  dessen  juristischem  Besitze  gewesen 
sei;  wenigstens  seien  die  Beweise  für  diesen  Besitz  äußerst  dürftig 
gewesen.  Aufgabe  Ciceros  sei  es  daher  gewesen,  die  Richter  (Re- 
kuperatoren) durch  juristische  Kunstgriffe  zu  überzeugen,  daß  der 
Antrag  seines  Klienten,  ihn  gemäß  dem  interdictum  de  vi  horainibus 
coactis  armatisve  in  den  Besitz  des  streitigen  Grundstückes  zu  re- 
stituieren, auch  für  den  Fall  begründet  sei,  daß  weder  dessen  Eigen- 
tum noch  dessen  früherer  Besitz  ?on  den  Richtern  angenommen 
werde.  Cic.  habe  sich  seiner  Aufgabe  durch  rabulistische  Entstellung 
des  Sachverhaltes  und  spitzfindige  dem  Geiste  des  römischen  Rechtes 
widerstreitende  Auslegung  des  Gesetzes  zu  entledigen  gesucht. 

Für  die  Dürftigkeit  seiner  Beweisführung  sprechen  auch  die 
Digressionen ,  die  so  zahlreich  sind,  daß  mehr  als  Vs  der  Rede  aus 
ihnen  besteht;  eine  solche  ist  nach  Bethmann- Hollweg  §  50 — 85, 
durch  welche  der  Redner  offenbar  die  Aufmerksamkeit  von  dem  ent- 
scheidenden Punkt  ablenken  wolle;  ebenso  §  95 — 103  über  das 
römische  Bürgerrecht,  wonach  Cic.  an  den  Stolz  der  Richter  als 
römische  Bürger  appelliert  und  „ein  ihm  günstiges,  wenn  auch  nicht 
eigentlich  zur  Sache  gehöriges  Terrain  aufsucht";  ebenso  bezeichnet 
Mommsen  §  34  als  teilweise  sophistisch. 

Ob  Cic.  seinen  Zweck  erreicht,  hält  der  Vf.  für  ungewiß.  Vor 
dem  Richterstuhl  der  Wissenschaft  habe  der  Gegner  den  Prozeß  ge- 
wonnen. 


J.  Hilberg,  Ein  verkanntes  Bruchstück  von  Ciceros  Rede 
pro  Q.  Gallio.    Wiener  Studien  XXVII  S.  93—94. 

E.  H  a  u  1  e  r ,  Die  in  Ciceros  Galliana  erwähnten  Convivia  poetarum 
ac  philosophorum  und  ihr  Verfasser.    Ebenda  S.  95 — 105. 

In  ein  Cicerofragment  aus  der  Rede  pro  Gallio,  das  in 
Hieronymus'  Brief  an  Nepotianus  (Ep.  52,  c.  8)  enthalten  ist,  bringt 
Hilberg,  der  von  der  Wiener  Akademie  mit  der  Herausgabe  von 
Hieronymus*  Briefen  beauftragt  ist,  neues  Licht.  In  dem  neuen  Text 
werden  die  entscheidenden  Worte,  ohne  daß  der  Herausgeber  eine 
Korrektur  vorzunehmen  braucht,  anders  lauten.  Nach  attende  folgt 
st.  ne  his  fraudibus  ludaris:  „Loquor  enim,  quae  sum  nuper  expertus  : 
unus  quidam  poeta  nominatus,  homo  perlitteratus ,  cuius  sunt  illa 
colloquia  poetarum  ac  philosophorum  Folgendes :  His  autem  ludis 
(loquor  enim,  quae  sum  ipse  nuper  expertus)  unus  quidam  poeta 
dorainatur,  homo  perlitteratus,  cuius  sunt  illa  convivia  etc. 
ferner  fuisse  disiunetas.  Atque  his  quantus  plausus  .  .  . 
Jetzt  erhält  loquor  enim  eine  richtige  Stelle,  und  da  st.  des  Partizips 


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■ 


aus  den  Jahren  1903—1906.  (May.)  175 

nominatus  ein  verbum  finitum  (dominatnr)  folgt,  so  mußte  nachher 
mit  atque  ein  neuer  Satz  beginnen.  Sehr  richtig  bezieht  der  Vf.  das 
Fragm.  5  bei  C.  F.  W.  Muller  auf  dieselben  ludi  wie  in  Fragm.  2.  Die 
Frage  Hilbergs  um  1.  was  waren  dies  für  ludi?  2.  wer  war  der  Vf. 
jener  convivia  ?  beantwortet  in  interessanter  Weise  E.  Hauler  in  der 
unter  2  bezeichneten  Abhandlung  in  demselben  Heft  1.  Nach  Hauler 
waren  die  Spiele  theatralischer  Art.  Beweis  das  Folgende :  plausus 
«t  clamores  und  in  theatro.  Das  Noniusfragment  weist  auf  ein 
komisches,  an  Wortwitzen  reiches  Stuck.  Ferner  habe  man  an  einen 
mimus  zu  denken  und  zwar  des  Publilius  Syrus.  Der  Ausdruck  homo 
perlitteratus  sei  sarkastisch  gemeint,  wie  aus  dem  zeitlichen  Schnitzer, 
den  jener  begangen  haben  soll,  hervorgehe;  ferner  müsse  der  unus 
quidam  poeta  den  niederen  Schichten  angehören,  und  dies  passe  vor- 
trefflich auf  Publilius  Syrus,  der  93  geboren  und  83  nach  Rom  ge- 
kommen sei  und  zwar  als  Skiare  eines  libertinus,  bevor  er  selbst  frei- 
gelassen und  sorgfältig  erzogen  worden. 

Unter  convivia  poetarum  ac  philosophorum  sei  jedenfalls  ein 
mimus  mit  lustiger  Darstellung  eines  Gelages  zu  verstehen,  wobei 
8okrates  und  Epikur  als  Unterredner  fungiert  hätten.  Namentlich 
ersterer  habe  besonders  als  Bühnenfigur  gepaßt  und  sei  auch  als 
solche  dargestellt  worden.  Zweitens  stimme  ein  uns  erhaltener 
Bühnentitel  zu  dem  Inhalt  jener  Stelle,  wenn  man  statt  Publilius 
Pntatoribus  lese  Puhl.  Potatoribus.  Dies  ist  sehr  wahrscheinlich; 
ebenso  ansprechend  ist  auch  Haulers  weitere  Vermutung,  daß  an  den 
Floralien  (28.  April  bis  3.  Mai),  einem  tollen,  mit  ausgelassener 
Lustbarkeit  gefeierten  Weinfest,  das  Zecherstück  Potatores  oder  viel- 
mehr, wofür  der  Plural  (convivia)  spreche,  zwei  Gelagszenen 
zu  Anfang  und  zu  Ende  einer  etwas  größeren  Posse  von  dem 
Mimendichter  Publilius  Syrus  zur  Aufführung  gebracht  worden 
SC  *  ou 

So  6ind  Hilbers  und  Haulers  Erklärung  ein  wertvoller  Beitrag 
zur  Erklärung  der  Gallianafragmente. 


Fr.  Cauer,  Ciceros  politisches  Denken.    Berlin  1903. 

Wenn  der  Vf.  Ciceros  politisches  Denken  als  sein  Thema  be- 
zeichnet, das  er  aus  dessen  Schriften,  namentlich  den  philosophischen, 
entwickelt,  so  kann  er  sich  doch,  wie  natürlich,  der  Berücksichtigung 
des  politischen  Tuns  nicht  entschlagen,  was  namentlich  in  dem 
II.  Teil  der  Schrift  geschieht.  Ciceros  politische  Theorie  ist  aus 
den  erhaltenen  Teilen  der  Schrift  de  republica  und  de  legibus  er- 
klärt, wobei  freilich  wie  auch  in  den  rhetorischen  Schriften  die  Frage 


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176 


Bericht  über  die  Literatur  zu  Ciceros  Keilen 


offen  bleibt,  wie  viel  von  den  in  jenen  Schriften  ausgesprochenen  An- 
sichten auf  Rechnung  der  Quellen  zu  setzen,  und  was  davon  sieb 
Cicero  zu  eigen  gemacht  hat.  Wie  man  nämlich  dessen  rhetorischen 
Schriften  die  Entlehnung  aus  griechischen  Quellen  deutlich  anmerkt, 
ohne  daß  er  die  darin  ausgesprochene  Theorie  auch  immer  sich  zu 
eigen  macht  und  praktisch  ausübt,  so  wird  es  auch  in  seinen 
politischen  Darlegungen  sein. 

Wenn  nun  der  Vf.  einleitend  bemerkt,  die  moderne  harte  Kritik 
über  Cic.  sei  von  realpolitischer  Auffassung  eingegeben,  die  zusammen- 
hänge mit  dem  in  der  Neuzeit  hervorgetretenen  Streben  der  Deutschen 
nach  Betätigung  solcher,  und  wenn  der  Vf.  zur  Erklärung  dieser  Er- 
scheinung das  Beispiel  Bismarckischer  Realpolitik  heranzieht,  so  müßt© 
Mommsen,  der  die  härteste  Kritik  an  Cicero  geübt,  wenigstens  Bis- 
marck gegenüber  gerecht  gewesen  sein.  Unseres  Wissens  aber  ge- 
hörte Mommsen  derselben  politischen  Partei  an  wie  Virchow,  über 
dessen  Lippen  nie  ein  anerkennendes  Wort  über  Bismarck  kam.  Bis- 
marck beklagte  sich  wenigstens  nicht  selten  über  Mangel  an  gerechter 
Würdigung  seiner  Politik  seitens  der  Partei,  die  sich  die  freisinnige; 
oder  Volkspartei  nennt.  Mancher  ist  zwar  Realpolitiker  in  der 
Theorie,  aber  nicht  in  der  Praxis.  Der  Vf.  vorliegender  Schrift  be- 
handelt nun  Cic.  nicht  ungerecht  und  sucht  aus  Wort  und  Schrift 
dessen  politische  Stellung  zu  erklären.  Sehr  richtig  sagt  er,  daß 
unter  100  wohl  99  in  solch  schweren  Krisen,  wie  sie  Cic.  durchlebt, 
auch  nicht  anders  gehandelt  hätten.  Im  Jahre  1866  schwankten  in 
Deutschland ,  namentlich  im  Süden ,  wohl  ebensoviele  und  gelangten 
zu  fester  Stellung  erst,  als  sie  Erfolg  sahen,  ohne  daß  man  ihnen  den 
Vorwurf  politischer  Charakterlosigkeit  machte.  Es  ist  ja  leicht,  über 
Cic.s  politische  Schwankungen  den  Stab  zu  brechen,  und  die  schärfsten 
Kritiker  sind  immer  die  Doktrinäre,  die  in  der  praktischen  Politik 
niemals  etwas  geleistet  haben.  Bei  Cic.  muß  man  verschiedene  sein 
Wesen  bedingende  und  durch  sein  Leben  hindurchgehende  Gesichts- 
punkte im  Auge  behalten:  1.  war  er  zeitlebens  Optimat,  woran  er 
in  allen  Krisen  festhielt ;  2.  ließ  sich  seine  sensitive  Natur  zu  sehr 
von  gloria  leiten  (Arch.  §  26 :  optimusquisque  maxime  gloria  ducitur) 
und  von  den  Parteien  benützen,  woher  es  auch  kam.  daß  Cäsar  und 
Pompeius  ihn  auf  ihre  Seite  zu  ziehen  suchten,  um  aus  seiner  Rede- 
gabe und  seinem  politischen  Einfluß  Nutzen  zu  ziehen ;  er  war  nicht 
stark  genug,  um  allen  diesen  Lockungen  zu  widerstehen,  daher  sein 
zeitweiser  Abfall  von  den  Optimaten  (i.  J.  55),  überhaupt  sein  häufiges 
Schwanken.  Bei  einem  der  schwersten  Fehler  seines  Lebens,  der 
Hinrichtung  der  Katilinarier ,  war  er  doch  eigentlich  der  von  den 


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aus  den  Jahren  1903-1906.   (May.)  177 


Optimaten  Vorgeschobene,  die  ihn  nachher  im  Stich  ließen,  was  die 
Ursache  neuer  Schwankungen  war.  Cic.  war  aber  auch  drittens 
natürlich  in  den  Ideen  seiner  Zeit  befangen.  Ein  politischer  Re- 
formator war  er  nicht,  sondern  eher  eine  Gelehrtennatur,  die  vermöge 
ihrer  Beredsamkeit  und  der  ihm  innewohnenden  Ruhmsucht  sich  zu 
sehr  in  das  politische  Leben  hineinreißen  ließ.  Weil  aber  keine  in 
sich  gefestigte  Natur,  trieb  ihn  das  Schiff  im  Sturm  der  Wellen  dahin 
und  dorthin.  Aber  auch  in  Wissenschaft  und  Kunst  war  er  kein 
Reformator,  sondern  ein  Mann,  der  die  wunderbare  Fähigkeit  besaß, 
alle  fremden  Formen  wissenschaftlichen  Denkens  sich  zu  assimilieren 
und  daraus  wieder  selbst  Systeme  zu  bilden.  Wie  befangen  Cic.  in 
den  Ideen  seiner  Zeit  war,  sieht  man  aus  seiner  Stellung  zur  Agrar- 
frage, worauf  der  Vf.  näher  eingeht.  Ciceros  Standpunkt  war  darin 
so  einseitig  wie  der  eines  Patriziers  aus  alter  Zeit.  Dazu  kam,  daß 
die  agrarischen  Reformen  vielfach  von  Männern  ausgingen,  die  Demo- 
kraten waren,  denen  Cic,  wie  der  Vf.  hervorhebt,  immer  abhold  war. 
Cic.  betrachtet  die  Besitzer  des  ager  publicus  als  in  ihren  Rechten  befind- 
lich, ein  Standpunkt,  von  dem  er  nie  abwich.  Der  Vf.  macht  ihm 
daraus  einen  Vorwurf.  Liegen  denn  aber  heutzutage  die  Verhältnisse 
in  Italien  viel  anders  als  in  alter  Zeit?  Ist  heute  jemand  imstande, 
den  Bann  der  Großgrundbesitzer  zu  brechen  und  der  notleidenden 
bäuerlichen  Bevölkerung,  die  vielfach  außer  Landes  Arbeit  sucht,  zu 
Besitz  zu  verhelfen? 

Wie  eng  das  politische  Tun  mit  dem  Denken  verbunden  ist, 
sieht  man  daran,  daß  der  Vf.  in  Abschn.  III  und  IV  1.  praktische 
Eonsequenzen  aus  dessen  theoretischen  Ansichten  zieht,  2.  Ciceros 
Haltung  gegenüber  den  Mächten  seiner  Zeit  behandelt,  während  er 
in  I  und  II  das  philosophische  und  historische  Ideal  des  Redners 
darstellt.  Abschnitt  I  erfreut  sich  einer  ansprechenden  Darlegung, 
nur  ist  mit  den  Abschnitten  Recht  und  Sitte,  Sitte  und  Moral, 
Moral  und  Trieb,  Recht  und  Moral  für  eine  scharfe  Umgrenzung 
des  philosophischen  Ideals  nicht  viel  gewonnen,  zumal  da  die  Bücher 
de  republica  nur  zum  Teil  erhalten  sind  und  man  auch  nicht  über 
den  Grad  der  Abhängigkeit  von  seinen  griechischen  Quellen  unter- 
richtet ist.  Wenn  nun  aber  der  Vf.  für  die  Darlegung  der  politischen 
Denkungsweise  Ciceros  die  Reden  ausschließt,  „weil  Cic.  in  den 
Reden  die  Dinge  nicht  darlegt,  wie  er  sie  ansieht",  sondern  wie  er 
„sie  von  seinem  Publikum  angesehen  wissen  will",  so  dürfte  dieser 
Standpunkt  kaum  richtig  sein,  denn  die  Reden  enthalten  doch  recht 
viel  Material  zur  Kennzeichnung  des  politischen  Standpunktes  Ciceros. 
Es  lassen  sich  aus  diesen  Reden  politische  und  für  Leben  und 

Jahresbericht  för  Altertumswissenschaft.    Bd.  CXXXIV.   (18U7.  II.)  12 


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178  Bericht  über  die  Literatur  zu  Ciceros  Reden 


Stellung  Ciceros  wichtige  Gesichtspunkte  gewinnen,  sogar  aus  der 
Rede  pro  Plancio,  auch  pro  Murena,  pro  Sestio,  pro  lege  Manilia, 
pro  Marcello  u.  a.  Mir  scheint  dies  ein  Punkt  zu  sein,  der  in  der 
Schrift  mit  Unrecht  zu  sehr  zurücktritt.  Bezeichnend,  aber  nicht 
richtig  ist,  daß  er  unter  Ausschluß  der  Reden  unter  allen  Quellen 
die  Briefe  am  meisten  benützt.  So  weit  ging  selbst  Drumann  nicht, 
der  sich  in  seinem  für  Cicero  allerdings  ungünstigen  Gesamturteil 
vielfach  auf  die  Reden  bezog.  Zwar  sind  die  Konsequenzen,  die 
Cauer  zieht,  nicht  so  schroff  wie  die  Drumanns ;  er  sucht  im  Gegen- 
teil dem  Redner  gerecht  zu  werden,  nur  insofern  nicht,  als  er  von 
ihm  verlangt,  er  hätte  sich  in  Fragen,  die  der  Vf.  z.  B.  in  Ab- 
schnitt IV  bespricht,  über  die  Vorurteile  seiner  Zeit  erheben  sollen. 
Das  ist  von  Cicero,  der  kein  Staatsmann  war  wie  Cäsar,  zu  viel  ver- 
langt. Wenigstens  hat  er  nie  wissenschaftliche  Errungenschaften  auf 
politischem  Gebiete  ins  praktische  Leben  zu  übertragen  versucht, 
schon  deswegen  nicht,  weil  er  zu  keiner  Zeit  die  Macht  dazu  besaß. 
Er  dient  bloß  den  Parteien ,  beherrscht  aber  keine.  Bestimmte 
politische  Ansichten  hatte  er,  die  er  zeitlebens  unbedingt  festhielt, 
auch  Antonius  gegenüber ,  und  zwar  gerade  diesem  gegenüber  fester 
als  gegen  jeden  anderen.  Aber  das  Streben ,  Einfluß  zu  gewinuen 
und  zu  behalten  auch  da,  wo  für  ihn  kein  Boden  mehr  war,  führte 
ihn  zu  Schwankungen,  die  dem  scharfen  Kritiker  Mangel  an  Einsicht 
und  Absicht  zu  sein  scheinen.  So  scharf  aber  urteilt  Cauer  nicht, 
dessen  anregend  geschriebene  Schrift  vom  Streben  nach  Objektivität 
begleitet  ist. 

rec:  WklPh.  04  Nr.  21  v.  Th.  Zielinski. 


G.  Ammon,  Cicero  als  Katurschilderer.  In:  Festschrift  zum 
25 jähr.  Stiftungsfest  des  Histor.  -  philolog.  Vereins  zu  München. 
S.  21  u.  f. 

In  einem  feinsinnigen  Aufsatz  behandelt  der  Vf.  Ciceros  Natur- 
schilderungen. Diese  dürfen  wir  freilich  nicht  ganz  mit  unserem 
Maßstabe  messen;  denn  wir  verbinden  mit  Naturschilderungen  leicht 
den  Begriff  des  Romantischen,  auch  Phantastischen.  Dieser  Begriff 
schwärmerischer  Sentimentalität,  wie  sie  z.  B.  in  Matthissons  Ge- 
dichten hervortritt,  ist  dem  Altertum  fremd.  Das  Altertum  faßt  die 
Natur  objektiver ;  es  fehlt  ihm  wohl  auch  der  Sinn  für  Detailmalerei. 
Hat  z.  B.  ein  Antiker  Schriftsteller  eine  Schilderung  der  Alpen  ge- 
geben, wie  sie  in  unserem  Zeitalter  gang  und  gäbe  ist  V  Daß  Horaz 
einmal  ein  adäquates  Wort  für  die  Großartigkeit  der  Alpennatur 


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aus  den  Jahren  1903—1906.  (May.) 


170 


fände,  erwartet  man  vergebens.  Bekannt  ist  sein  Wort  aus  den 
Satiren ,  das  auch  der  Vf.  anführt.  Es  fehlt  den  Alten  wie  auch 
Cicero  „die  Ruhe  des  Versenkens,  die  Geschlossenheit  der  Gefühle, 
mithin  auch  die  Harmonie  des  Naturgenussesu,  S.  37.  „Den  Aufbau 
einer  Landschaft  zeichnet  Cic.  kaum  irgendwo4*.  „Cic.  betrachtet  die 
Landschaft  nicht  mit  den  Augen  des  Geologen,  sondern  eher  mit  dem 
Blick  des  Theologen.  Ihm  ist  die  Welt  ein  wirklicher  x<5au,o?  (mundus 
Ordnung),  überall  erblickt  er  in  ihr  die  ordnende,  zwecksetzende 
Hand  des  all  weisen  Gottes".  Von  diesem  Gesichtspunkt,  der  noch 
erweitert  wird  durch  den  teleologischen,  sind  Ciceros  meiste  Natur- 
schilderungen durchzogen;  eher  treffen  wir  noch  bei  dem  alten 
Cato  Schilderungen,  die  mit  ästhetischem  Behagen  gegeben  sind. 
Dennoch  aber  finden  sich  in  Ciceros  Schriften  zahlreiche  Stellen,  die 
als  Naturschilderungen  bezeichnet  werden  können.  Diese  hat  der 
Vf.  mit  viel  Geschick  zusammengestellt  und  zu  verschiedenen  Bildern 
gruppiert,  und  so  spricht  er  im  vorliegenden  Aufsatz  über  den 
„Redner  und  Naturschilderer",  über  „die  Grundlage  der  Natur- 
schilderungen Ciceros*  und  gibt  mannigfaltige  Proben  davon;  zuletzt 
handelt  er  auch  über  die  Sprachkunst  der  Schilderungen.  Aus  der 
Behandlung  des  Gegenstandes  durch  den  Vf.  ergibt  sich  die  Richtig- 
keit seines  Wortes,  daß  die  edelsten  Keime  zur  Naturschilderung 
ins  Altertum  hinaufreichen;  darum  setzt  er  sehr  richtig  seine  Unter- 
suchung bei  dem  Schriftsteller  ein,  „bei  dem  die  meisten  Saiten  des 
Lebens  und  Fühlens  anklingen,  und  den  man  zugleich  den  modernsten 
unter  den  antiken  Menschen  genannt  hat".  Es  finden  sich  also  die 
edelsten  und  ersten  Keime  der  modernen  Naturbetrachtung  bei  diesem, 
es  muß  aber  auch  gesagt  werden,  daß  seine  Naturschilderungen  mehr 
philosophischer  und  theologischer  Art  sind,  als  daß  sie  von  einem 
eingehenden  Versenken  in  den  Naturgegenstand  zeugen,  was  mehr 
moderne  Art  ist. 


K.  Hachtmann,  Die  Verwertung  der  IV.  Rede  Ciceros  gegen  Verres 
(de  signis)  für  Unterweisungen  in  der  antiken  Kunst   Gotha  1904. 

H.  bespricht  im  Anschluß  an  die  in  der  bezeichneten  Rede  erwähnten 
Künstler  deren  Bedeutung.  Von  einer  Behandlung  der  einschlägigen  Kunst- 
werke  kann  aber  nicht  die  Rede  sein,  denn  kein  einziges  der  von  Cicero 
erwähnten  Werke  ist  erhalten,  vielleicht  mit  Ausnahme  der  Sappho  Silanios, 
von  der  nach  Winters  Annahme  eine  Büste  in  der  Villa  Albani  sei.  Streng 
genommen  entspricht  eine  Behandlung,  wie  sie  H.  zu  den  betreffenden 
Stellen  der  Lektüre  im  Auge  hat,  den  bei  der  Interpretation  zu  be- 
obachtenden Gesichtspunkten  nicht,  da  doch  nur  das  erklärt  werden  soll, 
was  darin  steht.  Die  Darstellung  des  Vf.s  über  Myron,  Polyklet  und 
Praxiteles ,  über  Götter-  und  Heroenbilder  ist  ja  sehr  interessant  und  mit 

12* 


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1 80 


Bericht  über  die  Literatur  zu  Ciceros  Reden 


Benutzung  aller  Quellen  durchaus  wissenschaftlich  gehalten,  aber  ein  großer 
Teil  davon  (Zeus  usw.)  war  schon  im  Geschichtsunterricht  zu  absolvieren. 
Wenn  des  Vf.s  Darstellung  im  Anschluß  an  Sekunda  in  Prima  —  denn  nur 
für  dieBe  Klasse  kann  wohl  die  Rede  de  signis  in  Betracht  kommen  —  den 
Zweck  einer  Repetition  und  Erweiterung  haben  soll,  so  ist,  wenn  Zeit  zur 
Verfügung  steht,  nichts  dagegen  einzuwenden.  Daß  die  Schüler  der  Prima 
aber  über  Myron,  Polyklet  und  Praxiteles  orientiert  werden,  ist  durchaus 
zu  billigen.   

I.  Mesk,  Ciceros  Nachruf  an  die  legio  Martia  (Phil.  XIV  30 
bis  35). 

Es  ist  möglich,  daß  in  diesem  Nachruf  griechische  Gedanken, 
wie  der  Vf.  beweisen  will,  verarbeitet  sind,  obgleich  die  griechischen 
eTCxa<pioi  mit  den  lateinischen  orationes  funebres  nichts  gemein 
haben.  Was  Cic.  in  dem  Nachruf  vorbringt,  sind,  abgesehen  von 
dem,  was  sich  speziell  auf  die  legio  Martia  und  das  ihr  zu  setzende 
Denkmal  bezieht,  zwar  sehr  passende,  aber  allgemeine  Gedanken,  die 
wohl  jeder  bei  einem  solchen  Anlaß  ausspricht,  wie  der  Vf.  selbst 
sagt.  Aber  er  findet  Anklänge  an  griechische  Epitaphien,  namentlich 
an  die  Grabrede  des  Hypereides,  was  er  durch  Beispiele  beweist. 
Die  Stelle  §  35  at  memoria  bene  redditae  vitae  sempiterna  entspricht 
der  im  dicrtctcp.  des  Lysias  §  79  xai  -yotp  toi  a^pa-cot  u.ev  aÖT&v  at 
jivr^ai.  Einleitend  gibt  der  Vf.  auch  eine  Inhaltsübersicht  des  Cicero- 
nianischen  Passus,  die  jedoch  genaner  Disposition  ermangelt.  Cicero 
teilt  seine  laudatio  selbst  in  zwei  Teile  (§  31),  deren  Unter- 
abteilungen leicht  zu  erkennen  sind.  Beachtenswert  ist,  daß  Cic. 
neue  Punkte  viermal  durch  atque  utinam  und  den  Schluß  durch  atque 
etiam  einleitet. 


P.  Romuald  Banz.  Die  Würdigung  Ciceros  in  Sallusts  Ge- 
schichte der  katilinarischen  Verschwörung.  Einsiedeln. 

Daß  Sallust  kein  Freund  Ciceros  war,  ist  bekannt.  Man  erkennt 
dies  aus  den  orationes  invectivae,  welche,  wenn  sie  auch  offenbar 
aus  Rhetorenkreisen  stammen,  doch  auf  Sachkenntnis  beruhen.  Der 
Vf.  obiger  Schrift  sucht  nun  darzutun,  daß  Sallust  in  seinem  bellum 
Catilinae  der  Bedeutung  Ciceros  und  seiner  Wirksamkeit  in  der 
katilinarischen  Krise  nicht  nur  nicht  gerecht  geworden  sei,  sondern 
seine  Tätigkeit  teils  durch  das,  was  er  sage,  teils  durch  das,  was 
er  verschweige ,  in  das  schlechteste  Licht  zu  setzen  gesucht  habe. 
Es  ist  nun  nicht  zu  leugnen,  daß  Ciceros  Wirken  gegenüber  den 
Vorstellungen,  die  wir  uns  von  seiner  Person  und  Bedeutung  machen, 
nicht  genügend  hervortritt.    Zu  bedenken  aber  bleibt,  daß  Ciceros 


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I 

aus  den  Jahren  1903—1906.  (May.)  181 

politische  Stellung  gerade  nm  die  Zeit,  wo  Sallust  schrieb  (a.  46), 
heftige  Angriffe  erfahr,  durch  welche  sein  Bild  eine  starke  Trübung 
erfahren  mußte.  Man  tadelte  namentlich  seine  schwankende  Haltung 
in  verschiedenen  Krisen.  Der  Vf.  obiger  Schrift  übertreibt  aber. 
Sallust  hat  ja  wohl  Ciceros  Reden  gekannt,  aber  das  Bild  von  Be- 
ziehungen Sallusts  zu  Ciceros  Reden,  das  der  Vf.  entwirft,  ist  jeden- 
falls nicht  richtig.  Wenigstens  gewinnt  man  aus  der  Gegenüber- 
stellung der  einzelnen  Stellen  keineswegs  den  Eindruck  der  Ent- 
lehnung durch  Sallust.  Man  muß  vielmehr  Mommsen  und  John  durch- 
aus beistimmen,  daß  die  Benützung  von  Ciceros  Reden  durch  Sallust 
eine  höchst  oberflächliche  sei.  Aus  gewissen  ähnlichen  Ausdrücken 
in  ähnlicher  Situation  kann  man  nicht  sogleich  auf  Entlehnung 
schließen.  Vor  derartigen  Annahmen  ist  bei  der  typischen  Aus- 
drucksweise der  antiken  und  mittelalterlichen  lateinisch  schreibenden 
Schriftsteller  von  sachkundiger  Seite  oft  genug  gewarnt  worden.  Ge- 
hässig ist  Sallust  Cicero  gegenüber  nirgends,  sondern  objektiv,  viel- 
leicht kalt.  Daß  aber  aus  der  Kritik  der  am  8.  Nov.  63  gehaltenen 
Rede  Ciceros  (c.  31)  kalter  Hohn  spreche,  ist  vollends  unrichtig.  In 
„utilem  reipublicae"  liegt  keine  Ironie.  Hyperkritisch  ist  auch,  wenn 
der  Vf.  noch  darüber  streiten  möchte,  ob  cap.  23  „si  eum  (con- 
sulatum)  quamvis  egregius  homo  novos  adeptus  foret"  überhaupt  auf 
Cic.  zu  beziehen  sei.  Auf  wen  denn?  Zuzugeben  ist,  daß  Sallust 
seine  Quellen  recht  oberflächlich  studiert,  woher  es  auch  kommt,  daß 
er  in  der  Besprechung  der  Einzelereignisse  nicht  immer  die  richtige. 
Reihenfolge  innehielt.  Es  ist  ja  richtig,  was  der  Vf.  sagt,  daß 
Sallust  mehr  eine  dramatische  Darstellung  gab,  als  strenge  Ge- 
schichte. Daß  er  aber  darauf  ausging,  seinen  Gegner  zu  vernichten, 
davon  kann  gar  keine  Rede  sein.  Wäre  dies  richtig,  so  hätte  er 
c.  22  nicht  geschrieben:  nobis  ea  res  pro  raagnitudine  parum  com- 
perta  est,  sondern  hätte  eher  gesagt,  daß  der  anläßlich  der  katil. 
Verschwörung  gegen  Cicero  entstandene  Haß  durch  Märchen  wie  das 
vorher  erzählte  nicht  gemildert  werden  könne.  Auch  kann  bei  der 
oberflächlichen  Quellenbenutzung  durch  Sallust  aus  dem,  was  dieser 
verschweigt,  nicht  ohne  weiteres  auf  die  Absicht,  schaden  zu  wollen, 
geschlossen  werden.  Aus  diesem  Grunde  kann  auch  die  Verschiebung 
von  Tatsachen,  z.  B.  der  Umstand,  daß  die  Versammlung  in  Laecas 
Haus  und  der  Mordanschlag  auf  Cicero  zu  früh  erzählt  werden,  nicht 
mit  einer  solchen  Absicht  verbunden  werden.  Sallust  ist  weder  ein 
Freund  der  Aristokratie  noch  der  Demokratie;  er  ist  bloß  Freund 
einzelner  Personen,  besonders  Cäsars,  oder  achtet  markante  Persön- 
lichkeiten wie  Cato.    Cicero  dagegen  behandelt  er  nicht  in  einer 


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182 


Bericht  über  die  Literatur  zu  Ciceros  Reden 


Beiner  Persönlichkeit  entsprechenden  Weise.  Daß  er  ihn  aber  zu 
„vernichten"  strebt,  ist  zu  viel  behauptet. 


H.  Detter,  Ciceros  Leben  und  Schriften.  Hannover  1904.  Frei- 
beilage zu  Cicero.   5  S. 

Es  ist  natürlich,  daß  eine  so  kurz  gefaßte  Biographie  die  Zusammen- 
hänge in  den  einzelnen  Lebensabschnitten  nicht  darstellen  kann.  In  der 
vorliegenden  sollte  man  aber  doch  mehr  Deutlichkeit  erwarten.  „Da  er 
Cicero)  nach  seiner  Rückkehr  (aus  Kilikien)  einsah,  daß  der  Kampf  der 
Parteien  mit  dem  Schwerte  entschieden  werden  müsse,  schloß  er  sich  dem 
Pompeius  an.  So  ohne  weiteres  sah  er  das  nicht  ein,  denn  er  arbeitete 
immer  auf  Aufrechterhaltung  des  Friedens  hin  und  wollte  den  Vermittler 
spielen,  was  allerdings  nicht  gelang.  Zweitens  war  der  Anschluß  an  Pora- 
pejus  gar  nicht  so  selbstverständlich,  sondern  Cic.  kämpfte,  wie  aus  den 
Briefen  an  Attikus  hervorgeht,  lange  mit  sich,  bevor  er  sich  an  Pompejus 
anschloß.  Auch  den  Satz  „Cic.  erwarb  während  seiner  Tätigkeit  im  öffent- 
lichen Leben  bedeutende  Reichtümer"  kann  man  mißverstehen;  denn  er 
war,  trotzdem  er  zahlreiche  Villen  besaß,  oder  vielleicht  gerade  deswegen* 
oft  in  finanziellen  Schwierigkeiten,  aus  denen  Attikus  immer  wieder  heraus- 
helfen mußte.  Wenn  der  Vf.  vom  J.  45  sprechend  den  Ausdruck  gebraucht, 
„er  förderte  mit  rastlosem  Eifer  seine  eigene  Ausbildung",  so  ist  dies  eine 
für  den  61jährigen  Mann  wenig  angemessene  Bezeichnung.  Cicero  entfaltete 
damals  eine  reiche  schriftstellerische  Tätigkeit.  Bezüglich  der  philosophischen 
Schriften  ist  S.  5  gesagt,  Cic.  gebe  in  ihnen  die  griech.  Quellen  in  freier 
Weise  wieder.  Darin  besteht  doch  ein  Unterschied.  Die  Bücher  de  re- 
publica  z.  B.  können  nicht  einfach  als  freie  Wiedergabe  bezeichnet  werden. 

Die  Schrift  Deiters  sollte  auch  bei  der  Kürze,  die  er  ihr  gegeben,  eine 
etwas  tiefere  Auffassung  bekunden. 


1.  Fr.  Rohde.  Cicero  quae  de  inventione  praecepit,  quatenus 
secutns  sit  in  orationibus  generis  iudicialis.    Königsberg  1903. 

2.  Rudolf  Preiswerk,  Do  inventione  orationum  Ciceroni- 
anarom.   Diss.  inang.    Basel  1905. 

Ein  sehr  wichtiger  Gesichtspunkt  für  die  Erklärung  der  Reden 
Ciceros,  den  die  modernen  Ausgaben  zu  wenig  berücksichtigen,  ist  die 
Verknüpfung  der  Abschnitte  und  Teile  der  Rede  mit  den  Vorschriften 
der  alten  Rhetoren.  In  früherer  Zeit  geschah  dies  mehr  als  jetzt. 
In  den  Halmschen  Ausgaben*)  fehlt  dieser  Gesichtspunkt  ganz, 
während  es  doch  für  den  Lernenden  von  hohem  Interesse  ist,  za 
wissen,  wie  die  einzelnen  Redegattungen  zu  scheiden,  und  welchen 
Gesichtspunkten  die  Teile  der  Rede  ihren  Stoff  entnehmen.  Die 
beiden  bezeichneten,  denselben  Gegenstand  darstellenden  Arbeiten 
unterscheiden  sich  darin,  daß  Rhode  nur  die  Gerichtsreden  behandelt, 


*)  „editiones  Caroli  Halm  paene  sine  fructu  inspexi."  Preiswerk. 


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aus  den  Jahren  1903—1906.  (May.) 


183 


während  Preiswerk  jede  Redegattung,  also  nicht  bloß  das  genas 
iadiciale,  sondern  auch  das  g.  deliberativnm  und  demonstrativem  in 
Betracht  zieht.  Führer  sind  beiden  natürlich  Ciceros  rhetorische 
Schriften  de  inventione,  bzw.  auctor  ad  Herennium.  Eigentümlich 
ist,  daß  beide  sich  so  ganz  der  Berücksichtigung  einschlägiger 
rhetorischer  Schriften  der  Griechen  enthalten  haben.  Man  vermißt 
das  ganz  besonders  bei  dem  schwierigen  Kapitel  de  constitutionibus, 
das  von  den  Griechen  viel  gründlicher  erörtert  wird  als  von  Cicero. 
Wenn  auch,  wie  Rhode  ganz  richtig  sagt,  die  meisten  Gerichtsreden 
dem  Status  coniecturalis  angehören ,  so  ist  das  Grenzgebiet  der 
einzelnen  statns  doch  nicht  so  klar,  daß  es  nicht  einer  genaueren 
Erörterung  bedürfte.  Es  gibt  auch  Unterabteilungen  des  st.  con- 
iecturalis. So  ist  wohl  auch  der  Status  negotialis  nicht  als  selb- 
ständiger Status  zu  fassen,  sondern  als  Unterabteilung  zum  Status 
iuridicialis.  Beide  Vf.  geben  aber  unter  Anknüpfung  an  die  Vor- 
schriften der  Rhetorik  eine  reiche  Zahl  von  Beispielen  zum  exordium, 
zur  narratio,  argumentatio,  reprehensio  und  conclusio  und  erörtern, 
wie  diese  Teile  in  den  einzelnen  Reden  behandelt  sind,  worauf  hier 
im  einzelnen  nicht  eingegangen  werden  kann.  Neu  ist,  was  Preiswerk 
S.  26,  27  nachweist,  daß  in  der  Ciceronianischen  narratio  das  Vor- 
bild der  römischen  Komödie  zu  erkennen  sei.  Eigentümlicherweise 
werden  bei  Preisw.  exordium  und  peroratio  zusammen  behandelt:  „quae 
spatio  maxime  distant,  arguraento  artissime  cohaerent"  (S.  7).  Dies 
stimmt  bei  manchen  Reden,  insofern  der  Redner  in  der  peroratio 
auf  den  im  exordium  ausgesprochenen  Gedanken  zurückkommt  und 
in  Anknüpfung  daran  den  eigentlichen  Schlußgedanken  bringt;  z.  B. 
Phil.  I  wird  in  exordium  die  Ursache  der  Reise  und  Rückkehr 
Ciceros  erörtert  und  in  der  sehr  kurz  gefaßten  peroratio  bloß  gesagt : 
cepi  fructura  reversionis  meae.  Unrichtig  ist  der  Gedanke  des 
exordium  zu  Phil.  II  dargestellt:  „narratur,  quomodo  Clodius, 
Antonius  in  Ciceronera  invecti  sint"  (S.  13).  Clodius  wird  hier  nur 
nebensächlich  erwähnt  Eigentümlich  ist,  daß  Preisw.  aus  späteren 
Teilen  einer  Rede  Gesichtepunkte  für  das  exordium  herleitet,  so  Rose. 
Am.  §  10  und  83.  Dasselbe  tut  Rohde,  dessen  für  das  exordium 
aufgestellte  Gesichtspunkte  ganz  sachgemäß  sind,  der  aber  in  der 
Zahl  derselben  zu  weit  geht  und  seine  Beispiele  sehr  zersplittert.  So 
werden  bei  Rohde  die  Punkte  des  exordium  zu  jener  Rede  an  12  ver- 
schiedenen Stellen  behandelt.  Auch  kann  man  verschiedener  Ansicht 
sein,  ob  alle  von  R.  angeführten  Punkte  dem  exordium  zuzuteilen 
sind,  z.  B.  Rose.  Am.  2,  6:  Cicero  Chrysogonum  Sex.  Roscio  dam- 
nato  et  eiecto  Patrimonium,  quod  adeptus  sit  per  scelus,  id  per 


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184 


Bericht  über  die  Literatur  zu  Ciceros  Reden 


luxuriam  effundere  se  posse  sperare  dicit.  Es  scheint  also  die 
Klassifizierung  der  Teile  der  Rede  nicht  überall  sicher.  So  sagt  R., 
in  der  Rede  pro  Archia  fehle  die  propositio.  Diese  in  Verbindung 
mit  der  partitio  ist  aber  enthalten  in  §  4:  Quodsi  mihi  etc.  Das 
exordium  der  Archiana  erscheint  bei  Pr.  zweimal,  §  10  unter  dem 
Gesichtspunkt  qua  necessitate  cum  reo  coniunctus  sit,  dann  als  ratio- 
cinatio  tripertita;  letzteres  ist  zu  bezweifeln.  Richtig  ist  aber,  was 
Pr.  hervorhebt,  daß  Cic.  sich  bemüht  habe,  wie  er  im  or.  ausführe, 
seinen  Gegenstand  der  speziellen  Färbung  zu  entkleiden  und  auf  eine 
höhere  philosophische  Stufe  zu  erheben.  Dies  gilt  besonders  für  den 
II.  Teil  der  Rede  pro  Archia,  bezüglich  dessen  man  aber  wieder 
zweifelhaft  sein  kann,  ob  man  ihn  als  egressio  (irocp£xßa3t;)  betrachten 
soll  oder  als  integrierenden  für  die  Sache  des  Archias  in  Betracht 
kommenden  Bestandteil.  Was  nun  Pr.  S.  115  über  die  kunstvolle 
Form  der  Antithese  „eleganterquc  sibi  respondentes  sententias 
gratissimas  ac  quasi  rotundastt,  also  über  die  angewandte  Konzinnität 
sagt,  ist  weder  klar,  noch  ausreichend.  Es  kann  niemand  einsehen, 
was  der  Vf.  unter  „nova  quaedam  partim  solutior  ac  suavior,  partim 
gravior  (sc.  concinnitas)  versteht,  wenn  er  dies  nicht  selbst  unter- 
sucht oder  wenigstens  einigermaßen  angedeutet  hat,  was  er  damit 
meint.  Von  „sescentae  aliae  observationes",  die  er  anführen  könnte, 
bringt  er  keine  mehr  bei;  er  sagt  nur  „quae  (quaestio)  cobaeret  cum 
ea  quae  est  de  clausulis  numerosis".  Dafür  mußte  er  wenigstens  ein 
Beispiel  anführen.  Gerade  die  Konzinnität  kommt  am  meisten  nicht 
durch  eine  abgerissene  Klausel,  sondern  durch  symmetrische  Ge- 
staltung der  Sätze  zum  Ausdruck.  Auch  die  dictio  asiatica  (Brut.  325) 
ist  ein  schwieriger  Punkt,  den  man  nicht  so  kurz  abtun  kann.  Im 
allgemeinen  aber  muß  man  sagen,  daß  die  beiden  Schriften  eine  ein- 
gehende Kenntnis  der  Reden  Ciceros  und  der  rhetorischen  Vorschriften 
zeigen,  und  daß  die  Subsumtion  der  zahlreichen  Beispiele  meist  sach- 
gemäß und  richtig  ist.  Die  Erklärung  der  Reden  Ciceros  wird  durch 
diese  Schriften  gewiß  gefördert. 


1.  G.  Peiser,  De  invectivis  quae  Sallustii  et  Ciceronis  nomi- 
nibus  feruntur.    Progr.    Posen  1903. 

2.  Th.  Ziclinski,  Die  Cicerokarikatur  im  Altertum.  In: 
Festschrift  zum  25  jähr.  Stiftungsfest  des  Histor.-philol.  Vereins  zu 
München.    1905.    S.  14—20. 

Das  von  „ineptiae"  strotzende  Machwerk  eines  Rhetors  1.  in 
M.  Tullium  Ciceronem  declamatio,  2.  in  C.  Sallustium  Cr.  contro- 
versia  erregt  immer  wieder  die  Aufmerksamkeit  der  Gelehrten.  Merk- 


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aus  den  Jahren  1903—1906.  (May.) 


185 


würdigerweise  hielt  Quintilian  die  ersten  Invektive  für  echt  und 
zitierte  inst.  or.  IV  1 ,  68  daraus  eine  Stelle.  Peiser  bespricht  in 
seiner  Schrift  zuerst  die  verschiedenen  Zeugnisse  der  Alten  über  die 
beiden  Invektiven,  verwirft  in  der  Stelle  bei  dem  Grammatiker  Dio- 
medes  den  Namen  Didius,  aber  auch  den  des  Epidius,  liest  statt 
sed  Didius  im  Anschluß  an  Jordan  sit  Tullius,  so  daß  also,  was  die 
Alten  betrifft,  die  Frage  darin  gelöst  scheint,  daß  Quintilian  den 
Sallust  als  Vf.  der  ersten  Invektive  annimmt,  Diomedes  den  Cic. 
als  Vf.  der  zweiten.  Davon  kann  natürlich  keine  Rede  sein.  Wenn 
auch  die  Invektiven  im  Ausdruck  hie  und  da  an  die  bezüglichen 
Autoren  anklingen,  so  sind  doch  wieder,  wie  der  Vf.  S.  6  nachweist, 
Ausdrücke  darin,  die  weder  des  einen  noch  des  anderen  würdig 
sind.  Im  allgemeinen  aber  herrscht  sallustianische  Ausdrucksweise 
bei  beiden  vor,  nur  habe  der  Deklamator  der  zweiten  Invektive  seine 
Sallustkenntnisse  ungeschickt  verwertet.  Der  Vf.  der  beiden  sei  aber 
eine  und  dieselbe  Person.  Dann  streift  der  Vf.  kurz  die  „ineptiae" 
der  beiden  Reden,  um  das  bisher  wenig  erörterte  Zeitverhältnis  zu  be- 
rühren. In  der  ersten  weist  kein  Ereignis  auf  die  Zeit  nach  54 
v.  Chr.,  in  der  zweiten  aber  vieles.  Daraus  sollte  man  auf  Ver- 
schiedenheit der  Vf.  schließen.  Das  tut  aber  Peiser  nicht,  sondern 
wegen  einer  gewissen  einheitlichen  auf  Sallustianischen  Stil  zurück- 
gehenden Diktion  bleibt  er  bei  einem  Vf.,  der  aber  nicht  den  Stoff 
selbst  gesammelt,  sondern  zur  ersten  Inv.  eine  Rede  oder  einen 
Brief  gegen  Cicero  oder  zur  zweiten  eine  nach  dem  Tode  des 
Sallust  geschriebene  Biographie  benützt  habe.  Mit  dieser  Annahme 
kann  sich  Ref.  nicht  einverstanden  erklären;  denn  erstens  müßte 
diese  Biographie  eigens  zur  Schmähung  des  Toten  geschrieben  ge- 
wesen sein,  zweitens  scheint  mir  denn  doch  der  Stil  der  Inv.  2  zu 
verschieden  zu  sein  von  1,  als  daß  ein  Vf.  angenommen  werden 
könnte.  Peiser  sagt  S.  11  selbst:  „in  posteriore  invectiva  componenda 
cum  studio  copiae  Ciceronianae  imitandae  tum  inopia  rerum, 
quibus  criminibus  in  Ciceronem  allatis  responderet,  ut  verba  con- 
gereret,  coactus  est".  Das  ist  auch  unser  Eindruck,  daß  nämlich 
die  zweite  Inv.  eine  größere  Wortfülle  zeigt  als  die  erste.  Daraus 
schließt  Ref.  auf  Verschiedenheit  des  Vf.s.  Der  Annahmen  sind 
aber  verschiedene  möglich,  z.  B.  die,  daß  die  beiden  Invektiven  De- 
klamationen aus  einer  Rhetorenschule  sind,  aber  von  verschiedenen 
Verfassern;  etwas  Bestimmtes  jedoch  kann  über  den  Ursprung  nicht 
gesagt  werden.  Was  die  Bewertung  der  zahlreichen  Handschriften 
betrifft,  so  unterscheidet  sich  Peiser  nicht  viel  von  Jordan,  nur  daß 
er  H  1  eine  größere  Selbständigkeit  gegenüber  A  zuspricht  als  Jordau. 


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180 


Bericht  über  die  Literatur  zu  Ciceros  Reden 


Alle  Handschriften  aber  gehen  auf  einen  nicht  mehr  vorhandenen 
Archetyp  zurück,  die  beiden  Handschriftenklassen  (1.  H1  ATB, 
2.  H  H2)  auf  verschiedene  Exemplare  des  Archetyps.  Zum  Schloß 
behandelt  der  Vf.  eine  nicht  geringe  Zahl  von  Stellen  teils  zur  Er- 
klärung, teils  zur  Textkritik.  In  letzterer  Beziehung  sei  der  Vf. 
darauf  aufmerksam  gemacht}  daß  Zielinski  in  seinem  Buch  „Das 
Klauselgesetz u  S.  219,  220  aus  dem  Prozentsatz  der  clausulae  malae, 
licitae  und  selectae  auf  die  Unechtbeit  der  Invektive  Ciceros  gegen 
Sallust  schließt.  Da  aber  Ziel,  bloß  Zahlen  angibt,  ohne  auch  nur 
eine  einzige  Stelle  zu  erklären,  so  ist  es  mir  unmöglich,  nachzuprüfen. 
Ein  anderer  wird  dies  wohl  auch  nicht  können  *).  Statt  dessen  prüfte 
ich  nach  meiner  Methode  mehrere  Stellen,  die  auch  kritisch  in  Be- 
tracht kommen,  in  Hinsicht  auf  den  durchgehenden  Rhythmus  und 
kam  dabei  zu  dem  Resultat,  daß  in  den  beiden  Invektiven  die 
Rhythmen  nicht  anders  sind  als  in  echten  Reden  Ciceros ;  namentlich 
scheint  mir  dies  in  Inv.  2  der  Fall  zu  sein. 

Inv.  1.  I  1:        maledicta  tua  paterer,  M.  Tulli, 
morbo  animi  petulantia  ista  uti; 

pet  ista  uti  auch  II 1  ATB.  Peiser  sagt  S.  15,  sonst  stehe  iste,  wenn 
es  betont  sei,  voraus,  tritt  aber  mit  Recht  an  dieser  Stelle  für  die  Lesart 
der  bezeichneten  Handschriften  ein.  H:  ista  pet.  Die  Klauselresponsion 
(ditr.  und  kret.-tr.),  ein  beliebter  "Wechsel,  spricht  auch  für  pet  ista.  Vor 
den  Klauseln  ist  auch  Rhythmenresponsion.  —  Im  Folgenden  weist  gleicher 
Bau  der  Satzteile  auf  Rhythmen  hin: 

(dicend)o  voluptatem  cepisti, 
(e)am  male  |  audiendo  amittas. 


dikret.  Klausel  in  schwerer  Form. 


Mit  Recht  tilgte  Peiser  nach  dem  Vorgang  Wölfflins  quos  implorem. 
Sehr  viel  Ansprechendes  hat  ferner  Eussners  Konjektur  esse  praedae  st 
esse  perfidiae;  diese  Konjektur  ist  inhaltlich  viel  besser  als  esse  perfidiae; 
zweitens  ergibt  sie  einen  besseren  rhythmischen  Schluß.  Bei  Weglassung 
von  quos  impl.  nun  entspricht  sich  die  Silbenzahl  der  beiden  Satzteile 
(ubi  —  r.  publ.  16,  atque  —  praedae  15).  Rhythmen: 


")  Zielinski  kann  nicht  erwarten,  daß  jemand  bei  seinem  ohnehin  ver- 
wickelten Zeichensystem  weiß,  welche  Stellen  gemeint  sind,  wenn  er  S.  220 
die  Klauseln  folgendermaßen  darstellt:  „V  :  22  +  L :  28  +  M :  27  +  8  : 14  + 
P:ll".  Auch  aus  der  Anm.  32  wird  man  nicht  klüger.  Das  bezeichnete 
Klauselverhältnis  soll  aber  nach  Ziel,  das  Zeichen  „einer  sicher  unechten*1 
Kede  sein. 


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'  aus  den  Jahren  1903—1906.  (May.) 


187 


conscripti,  diripji  rempublicam 

atque  audacissim|o  cuique  esse  praedae? 

 1  ~  - 

 —  I  ~  —  —  Klauseln  spond.-kret.  und  spond.-ditroch. 

Peiser  verwirft  die  von  Baiter  und  Jordan  aufgenommene  Lesart  der 
Hss.  reperticiuB  und  stimmt  der  Lesart  der  Aldina  bei:  repticius.  i  —  e. 
reptando  ingressus.  Gestützt  wird  diese  Lesart  rhythmisch  durch  die  Re- 
sponsion: 

ac  non  repticius  accitus 

ac  paulo  ante  insitus  huic  urbi  civis. 


II,  3  weist  die  dreifache  Paronomasie  — erat  auch  auf  Rhythmen  hin: 
(op)pugnatum  venerat, 
(sen)atui  fecerat, 
(de  e)o  tui  compertum  erat. 


Dies  sind  nur  die  Klauseln  der  Stellen,  und  zwar  jedesmal  Dikretiker, 
wobei  der  erste  Kretiker  der  dritten  Reihe  zu  einem  Epitrit  erweitert 
ist  —  II,  4: 

—  acceperis  —  — 

—  accreverit,  —  — 

aedificaveris,  —  c 

(pecuni)a  domum  paraveris,  —  —  —  — 

civium  paraveris?  —  •  = 

IV,  7:  Es  entsprechen  sich: 

(quem  tandem  locum)  in  hac  I  civitate  obtines? 
(quae  tibi  partes)  rei|publicae  placent? 

^    |        ^  w 

-  —  I  —  —  —  -  -  Die  Klauseln  sind  dikr.  und  troch.-kret  — 
Es  sind  in  dieser  ersten  Sallust-Invektive  gegen  Cic.  noch  andere  Stellen, 
die  eine  rhythmisch-kritische  Besprechung  verdienen,  worauf  aber  hier  nicht 
eingegangen  werden  kann,  da  auch  einige  Stellen  aus  der  zweiten  Invektive 
(gegen  Sallust)  gewürdigt  werden  müssen,  um  zu  zeigen,  ob  auch  hier 
Rhythmen  vorhanden  sind.  Hier  sind  derartige  Stellen  zahlreicher,  wie  der 
Stil  überhaupt  eine  größere  Wortfülle  zeigt.   1,  1 : 

ac  tu  loqui  potest, 
vita  honestiore  est. 

-  j  

Das  Abgetrennte  sind  die  Klauseln  zu  den  betreffenden  Sätzen.  — 

conviciajtori  respondero, 
omnem  ae|tatem  nudavero, 

Die  Klauseln  sind  in  völliger  Entsprechung  beide  Male  dikretisch.  — 


J  bb 


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188  Bericht  über  die  Literatur  zu  Ciceros  Reden 

I,  2:  et  pro  me  minimo  cum  fastidijo  respondeam,  15 

et  in  hunc  minime  mentitum  |  esse  videatur.  15. 

Klauseln :  spond.-kret.  und  kret.  (aufgelöst)  =  troch.  Vom  rhythm. 
Gesichtspunkte  ausgehend,  möchte  man  diese  „controversia"  für  ein  Er- 
zeugnis Ciceros  halten.  Auffallig  ist  nämlich  1.  die  antistrophische  Re- 
sponsion (minimo  und  minime),  wie  sie  auch  in  den  echten  Reden  Ciceros 
vorkommt,  2.  in  der  zweiten  Klausel  die  aus  Cicero  bekannte  Auflösung  des 
Kretikers,  die  dort  gern  geradeso  wie  hier  gebraucht  wird,  nämlich  in  der 
Responsion.  —  Zu  mentitum  esse  bemerkt  Baiter:  „quidni  mentitum  passive 
hic  quidem  scriptor  usurpaverit?".  Feiger  möchte  ementitum,  was  ich 
wegen  des  Zusammentreffens  der  beiden  e  am  Schluß  und  am  Anfang  der 
Wörter  nicht  für  angebracht  halte.  — 

1,  3:  non  ex  oratione,  7 

sed  ex  moribus  suis,  7  * 
spectare  debebitis.  7 

—  ~l  Z 

Der  eigentliche  Satzschluß  ist  repräsentiert  durch  die  dritte  Reihe, 
womit  jedoch  das  Vorhergehende  in  der  bezeichneten  Weise  übereinstimmt, 
und  zwar  so,  daß,  was  auch  Cicero  liebt,  keine  Klausel  der  anderen  gleich 
ist,  1.  ditroch.,  2.  troch.-kret.,  3.  dikret. 

II,  4:  Mit  Recht  tritt  der  Vf.  für  die  Weglassung  von  „de"  bei  nobis 
ein.  respondet  „nobis"  praecedenti  „illis";  die  Responsion  besteht  aber 
überhaupt  in  der  Gleichheit  der  Silbenzahl  der  beiderseitigen  Sätze: 
Quod  si  bis  dignitatis  und  cuius  bis  acta  je  19  Silben.  Die  beiden  Reihen 
enden  ditrochäisch  (integ)  errime  acta  und  dignitatis.  — 

II,  7:  qui  togatus  [armatus] 

et  pace  bellum  oppressi? 

Die  Einklammerung  rührt  auf  Grund  von  c  von  Baiter  her.  armatus 
ist  aber  ganz  richtig,  da  die  Ausdrücke  sich  inhaltlich  und  rhythmisch  ent- 
sprechen: 

qui  togatus  armatos 

et  pace  bellum  oppressi? 

Besonders  stehen  sich  als  Kretiker  in  schwerer  Form  armatos  und 
oppressi  gegenüber.  Die  Responsion  geht  aber  weiter,  da  sich  troch.-cret. 
und  dicr.  gegenüberstehen.  —  III:  Nach  dem  Rhythmus  ist  nichts  zu 
ändern,  weder  illum  zu  scribentem  hinzuzufügen,  wie  Peiser  meint,  noch 
illum  vor  palam  zu  streichen,  wie  Baiter  möchte: 

An  turpius  est  scribentem  mentiri 

quam  illum  palam  in  hoc  ordine  dicentem? 

 !  = 

Die  Responsion  ist  vollständig.   Daß  in  der  zweiten  Reihe  ein  Chori- 
ambus steht,  ist  bedingt  durch  das  Streben  nach  Abwechslung  gegenüber 


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aus  den  Jahren  1903-  1906.  (May.) 


189 


dem  respondierenden  dicreticus.  —  8  Daß  nocens,  das  der  Vf.  mit  Kurte  als 
Glosse  streichen  möchte,  richtig  ist,  dürfte  aus  der  Responsion  hervorgehen : 

ausus  sis  eloquentiam  |  ut  vitium  obicere, 
cuius  semper  nocens  eguis|ti  patrocinio? 

Gerade  nocenB  respondiert  sehr  gut.  In  den  Klauseln  stehen  sich 
dactyl.  und  paeon  (cret.)  und  troch.  mit  paeon  (cret.)  gegenüber.  Was  die 
Sache  betrifft,  so  ist  es,  wenn  der  Hedner  einmal  einen  solchen  Vorwurf 
erhebt,  daß  der  Gegner  seines  Schutzes  immer  bedurft  habe,  ganz  einerlei, 
ob  er  noch  nocens  dazu  setzt  oder  nicht.  — 

IV,  12:  Ein  Beispiel  prosodischen  Reims  in  den  folgenden  Klauseln: 

(pati)cntiam  culpavi 
(aut  virtutibus)  Caesaris  favi; 

-  •   dicret. 

—  ~   cret.-tr. 

Es  ist  hier  nicht  der  Ort,  alle  Stellen  zu  behandeln,  die  kritisch 
oder  rhythmisch  in  Betracht  kommen.  Aber  die  behandelten  zeigen, 
daß  wenigstens  in  der  2.  Invektive  die  Rhythmen  ganz  die  gleichen 
sind  wie  bei  Cic.  Ein  stringenter  Schluß  kann  freilich  daraus  nicht 
gezogen  werden.  Den  Vf.  aber  möchte  ich  anregen,  bei  einer  Revision 
seiner  Arbeit  diesen  Gesichtspunkt  im  Auge  zu  behalten;  denn  bei 
der  Beurteilung  der  Echtheitsfrage  kommt  er  mit  in  Betracht.  Aus 
dem,  was  Ziel,  in  seinem  „  Klauselgesetz u  S.  219  über  die  Invektive 
sagt,  wird  er  freilich  nicht  viel  ersehen  können,  weil  Z.  keine  Stelle 
wirklich  erklärt,  sondern  nur,  wie  er  so  gern  tut,  mit  Zahlen  operiert 
und  nur  die  Paragraphen  angibt,  wo  diese  oder  jene  von  ihm  gemeinte 
Klausel  sich  findet.    Damit  kann  man  aber  nicht  viel  anfangen.  — 

2.  Zielinski  behandelt  die  pseudosallust.  Invektive  in  Ver- 
bindung mit  der  Rede  des  Fufius  Calenus  bei  Cassius  Dio  XLVI  ff. 
als  Beispiel  einer  antiken  Cicerokarikatur.  Die  enge  Verbindung 
dieser  beiden  Invektiven  gehe  daraus  hervor,  daß  hier  wie  dort  die- 
selben Vorwürfe  wiederkehren ,  was  er  an  einigen  Beispielen  nach- 
weist. Sehr  richtig  findet  der  Vf.  zunächst  S.  14,  daß  der  Autor  dor 
pseudosallust.  Invektive  „aus  einem  wohlunterrichteten  Gewährsmann" 
schöpfe.  Tendenz  und  Fassung  derselben  —  dies  gilt  aber  auch  für 
die  Calenusrede  —  machen  entschieden  den  Eindruck,  daß  die  In- 
vektiven aus  Cicero  feindlichem  Parteilager  hervorgingen,  wo  man 
die  Schwächen  von  Ciceros  Charakter  und  Handeln  sehr  wohl  kannte 
und  mit  scharfem  Auge  erspähte.  Was  z.  B.  dem  Cicero  in  politischer 
Beziehung  vorgeworfen  wird,  kann  nur  ein  mitten  im  Parteileben 
stehender  Mann  wissen.  Wie  bissig  ist  Romule  Arpinas!  Cicero, 
der  zweite  Gründer  des  römischen  Staates,  bezieht  sich  natürlich  auf 


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190 


Bericht  über  die  Literatur  zu  Ciceros  Reden 


die  Entdeckung  der  katilinarischen  Verschwörung.  Qui  Scipiones 
superasti :  In  der  Tat,  die  Scipionenzeit  war  Ciceros  Ideal  sein  ganzes 
Leben  hindurch.  Bei  manchen  Ausdrücken  ist  man  im  Zweifel,  wer 
oder  was  gemeint  sei.  Im  Zusammenhang  der  Stelle  sollte  man 
glauben,  quos  tyrannos  appellabas  beziehe  sich  auf  die  Optimaten, 
während  auch  Cäsar  dafür  in  Betracht  kommen  kann.  Der  Satz  qui 
tibi  ante  optimates  videbantur,  eosdem  nunc  dementes  ac  furiosos 
vocas  geht  wohl  auf  die  Zeit,  wo  die  Optimaten  Cic.  gegen  Clodius 
im  Stich  ließen,  also  58.  Mit  quem  maxime  odisti,  ei  maxime  ob- 
sequeris  ist  wohl  Cäsar  gemeint.  Bezüglich  des  Jahres  aber  kann 
man  zweifeln,  ob  der  Autor  das  Jahr  55  oder  45  im  Sinne  hat: 
levissime  transfuga!  So  kann  er  genannt  werden  zur  Zeit  der  Rede 
pro  Marcello.  Es  ist  überhaupt  interessant,  die  einzelnen  Punkte 
der  Rede  zu  durchgehen,  wenn  man  sie  auch  nicht  immer  auf  einen 
bestimmten  Zeitpunkt  festlegen  kann.  Aber  die  Grundlage  der  In- 
vektiven  ist  gewiß  römisch  und  aus  dem  Parteileben  heraus  ge- 
schaffen. Das  beweisen  noch  andere  Punkte  als  die  angeführten. 
Recht  haben  wird  Ziel,  mit  der  Annahme,  daß  der  Autor  im  Lager 
des  Asinius  Pollio  zu  suchen  sei,  wobe*i  er  dem  Rhetor  der  augustei- 
schen Zeit  L.  Cestius  Pius  eine  Rolle  vindiziert.  Was  die  Mangel- 
haftigkeit der  Anlage  und  Fassung,  ferner  die  Störungen  in  einzelnen 
Abschnitten  anlangt,  so  kann  dies  in  der  defekten  Überlieferung  seinen 
Grund  haben.  Daß  aber  auch  Pseudosallust  auf  griechische  Über- 
lieferung zurückgehe,  ist  schwer  zu  glauben.  Dafür  ist  der  bei- 
gebrachte Beweis  zu  schwach. 

J.  C.  Nicol,  Ciceronis  pro  S.  Roscio  oratio.  Cambridge  1905. 

Eine  sorgfältig  gearbeitete  Schulausgabe,  „well  adapted  for  school 
useu,  die  sich  vielfach,  sowohl  in  der  Erklärung,  als  auch  in  den 
kritisch-zweifelhaften  Stellen  an  Landgrafs  Kommentar  anlehnt. 


Ciceros  ausgewählte  Reden.  Erklärt  von  Halm.  Sechster  Band. 
Die  erste  und  zweite  Philippische  Rede.  Achte  Auflage  von  G.  Laub- 
mann.   Berlin  1905. 

Zur  Empfehlung  der  vielgebrauchten  Halmschen  Ausgaben  der 
Reden  Ciceros  noch  ein  Wort  zu  sagen,  ist  Uberflüssig.  Auch  die 
neueren  Auflagen,  von  G.  Laubmann  besorgt,  sind  in  ihren  Vorzügen, 
hauptsächlich  in  Verwertung  der  modernen  Forschungen  auf  sachlichem, 
wie  textkritischem  Gebiet  vielfach  lobend  besprochen  worden.  Auf 
einen  Mangel  möchte  ich  aber  doch  hinweisen,  nämlich  auf  die  Ab- 
wesenheit jeder  Erklärung,   die  sich  auf  das  rhetorische  Gebiet, 


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aus  den  Jahren  1903—1906.  (May.) 


191 


von  dem  rhythmischen  gar  nicht  zu  reden,  bezieht.  Wohl  liest  man 
liie  und  da  von  Oxymoren  oder  Litotes,  aber  das,  was  den  Kunst- 
wert der  Reden  Ciceros  ausmacht,  tritt  doch  in  den  Halmschen  Aus- 
gaben ungebührlich  zurück.  Und  das  war  von  jeher  so.  Es  er- 
wuchsen aber  doch  seit  Halms  Zeit  der  Erklärung  neue  Aufgaben, 
deren  Lösung  in  dem  rhetorischen  Moment  gesucht  werden  muß,  wozu 
Garatoni  den  Grund  gelegt,  und  wozu  in  dieser  oder  jener  Ausgabe  % 
dann  und  wann  ein  Baustein  beigetragen  worden  ist  oder  noch  wird. 
Denn  der  Wert  der  Reden  Ciceros  liegt  doch  mindestens  ebenso  sehr, 
vielleicht  mehr,  in  der  Form  als  in  der  Sache.  Zum  mindesten  muß 
«inmal  damit  der  Anfang  gemacht  werden,  an  der  Hand  von  Ciceros 
orator  und  anderen  rhetorischen  Schriften  zu  untersuchen,  wo  Cicero 
ein  rednerisches  Kunstmittel  angewandt  hat.  Denn  der  große  Beifall, 
den  er  errang,  ist  doch  in  allererster  Linie,  wie  man  aus  dem  orator 
merkt,  der  Redekunst  zuzuschreiben.  Mit  ausschließlich  sachlich- 
kritischen Bemerkungen  kommt  man  aber  an  diese  nicht  heran.  Die 
Klauseltheorie  z.  B.  ist  jetzt  so  weit  gediehen,  daß  die  Beispiele, 
auch  in  ihrer  Responsion,  überall  massenhaft  zu  Gebote  stehen. 
Da  aber  hier  nicht  der  Ort  ist ,  näher  darauf  einzugehen ,  so  bietet 
vielleicht  die  Besprechung  des  „kritischen  Anhanges"  zu  vorliegender 
Ausgabe  hie  und  da  Gelegenheit,  damit  zu  operieren.  Sehr  richtig 
ist  I,  2  zu  reperiebatur  die  Bemerkung:  „wohl  absichtlich  unbestimmt, 
„man  fand".   Auch  die  Rhythmen  beweisen  dies;  es  entsprechen  sich 

nämlich  commentariis  |  reperiebatur; 

quae  quaesita  erant,  |  respondebat 



Klausel  1  kret.-troch.  mit  Auflösung;  dieser  steht  Kl.  2  ein 
Ditr.  (disp.)  gegenüber.  Gerade  den  drei  Kürzen  in  1  stehen  in  2  sehr 
wirksam  drei  Längen  gegenüber.  Damit  ist  die  Responsion  der 
beiden  Yerba  auch  durch  metrische  Responsion  zum  richtigen  Aus- 
druck gebfaucht.  Eine  weitere  Änderung  ist  nicht  nötig.  Die  Längen 
respondebat  sind  ein  Cholose,  wie  es  Zielinski  nennt,  oder  infraction 
(Bornecque)  oder  Biegung.  Ferner  bestätigt  eine  ganz  genaue  Re- 
sponsion I,  4  die  Richtigkeit  der  Festhaltung  Laubmanns  an  der  her- 
kömmlichen Lesart  und  seiner  Erklärung:  „quod  .  .  fuisset:  konzessiv 
iustum  rechtmäßig,  solange  Diktatoren  ad  tempus  gewählt  wurden". 
Alle  zu  der  Stelle  gemachten  Konjekturen  sind  hinfällig: 

quod  saepe  iustum  fuisset, 
republica  sustulisset. 

 I  -  ■  

Beide  Male  ditroch.  Klausel  mit  genauer  Responsion. 


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192 


Bericht  über  die  Literatur  zu  Ciceros  Reden 


I,  9:  ibi  velle  tuto  esse, 
ubi  ille  non  posset. 


non  posset  ist,  wie  aus  dieser  Responsion  hervorgeht,  ganz 
richtig.  — 

I,  16:  ne  prolatis  quidem, 

sed  tantumraodo  dictis, 

•   ^ 

Respondiert  ganz  gut;  eine  weitere  Konjektur  ist  unnötig,  da 
die  Ausdrucksweise  sehr  gut  erklärt  werden  kann. 


W.  Sternkopf,  Gedankengang  und  Gliederung  der  Divinaüo 
in  Q.  Caecilium.    Progr.    Dortmund  1904/05. 

In  dieser  Programrabeilage ,  die  in  der  Hauptsache  Gedanken- 
gang und  Disposition  der  divinatio  darstellt,  bespricht  der  Vf.  an- 
hangsweise zur  Kritik  und  Erklärung  einige  Stellen;  so  tritt  er  §  25 
für  die  Beibehaltung  von  tarnen  ein,  das,  wie  er  sagt,  alle  Herausgeber 
gestrichen  hätten.  Aber  in  der  II.  Auflage  der  Orellischcn  Ausgabe, 
besorgt  von  Baiter  und  Halm,  steht  tarnen  im  Text.  Eigentlich  fehlt 
das  Wort  in  den  Handschriften,  nur  in  G  1  und  anderen  geringeren 
Handschriften  steht  cam,  das  als  tarnen  gedeutet  wird ;  es  kann  aber 
auch  causam  sein,  während  Halm  darauf  hin  eam  vermutet.  Daß 
tarnen  so,  wie  Sternkopf  tut,  erklärt  werden  kann,  ist  kein  Zweifel: 
„und  dabei  doch".  Trotzdem  bin  ich  aus  Responsionsgründen  nicht 
für  Beibehaltung: 

totam  esse  mutandam,  7 

S 

et  ita  mutandam,  6 


Die  beiden  Formen  mutandam  entsprechen  sich ,  wozu  die  bei- 
gesetzten Wörter  gehören,  tarnen  würde  diesen  Rhythmus  verderben.  — 
§31:  Der  Vf.  verteidigt  mit  Recht  suspicionem  criminis  auch  durch 
Hinweis  auf  act.  pr.  17,  52,  wo  derselbe  Ausdruck  gebraucht  ist. 
Außerdem  kann  man  suspicionem  gegen  alle  Änderungsversuche  auch 
durch  den  Rhythmus  rechtfertigen ,  indem  non  modo  suspicionem 
(-  ~  -)  der  Klausel  ipsam  pertinescat  (  -)  ent- 
spricht. —  §  60  Quare  cum  incertum  sit  de  iniuria.  Cicero  macht 
am  Schluß,  wenn  er  auch  selbst  nicht  dieser  Ansicht  ist,  das  Zu- 
geständnis des  Unrechtes,  da  er  ja  selbst  im  vorhergehenden  Satz 
mit  qui  si  summam  iniuriam  ab  ille  aeeepisti  diese  Möglichkeit 


■ 


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aus  den  Jahren  1903—1906.  (May.) 


193 


hypothetisch  ausgesprochen  hat.    Also  wird  quare  cum  ineertum  sit 

beizubehalten  sein.    Dagegen  glaube  ich,  daß  unmittelbar  vorher  mit 

Schütz  und  Kahnt  sine  vituperatione  zu  lesen  ist  unter  Tilgung  von 

ulla.    Die  Ausdrücke  sine  vitup.  und  sine  scelere  werden  dann  am 

Schluß  in  gleicher  Form  noch  einmal  gesetzt.    Außerdem  entsteht 

durch  Tilgung  von  ulla  folgende  auffallende  Responsion: 

sine  vituperatione  |  accusare: 

sine  scelere  eum  accus|are  non  potes. 

 -I   dispond.  1 

_  Ä  „  .  ,  ^  tr..cret.  \  Klauseln. 

Auch  bei  der  Wiederholung  ist  Rhythmus  und  Responsion  deutlich: 

sine  vituperatione 

quam  cum  scelere  discedere? 

I  "W 

■w    ^    j    _r     w     w    w-—   

 i  ^  ~  -  dikret.  Periodenklausel  mit  Re- 
sponsion zum  Vorhergehenden.  —  Die  divinatio  bietet  noch  viel  An- 
laß zur  Textkritik,  wenn  man  das  rhetorisch-rhythmische  Moment  be- 
rücksichtigt. Wenn  übrigens  der  Vf.  in  der  Einleitung  bemerkt,  die 
divinatio  eigne  sich  „wie  keine  zweite  zur  ersten  Einführung  in 
die  Cicerolektüre",  so  steht  Ref.  vielmehr  auf  dem  Standpunkt  der 
Lehrpläne  von  1901,  die  sie  für  die  Obersekunda  empfehlen.  Schon 
der  Stoff,  der  Streit  zwischen  Cicero  und  Caecilius,  wer  Verres  ver- 
teidigen soll,  eignet  sich  besser  als  Einleitung  in  die  Lektüre  der 
Verrinen  in  Prima.  In  Obersekunda  kann  man  von  diesem  Gesichts- 
punkt aus  Interesse  dafür  erwecken,  in  Untersekunda  dagegen  als 
Anfangslektüre  aber  kaum.  Für  den  Anfang  eignen  sich  besser 
kleinere  Reden,  die  auch  stofflich  leichter  faßbar  sind,  wie  die  pro 
Archia,  pro  Ligario  u.  a. 


Reinhardt,  Bemerkungen  zu  Ciceros  Rede  für  Plancius. 
Programm.  Wohlau. 

Der  Vf.  behandelt  hier  als  Anhang  zu  seiner  Ausgabe  der  Rede 
eine  Anzahl  kritisch  unsicherer  Stellen.  Mit  aequum  in  §  7  kann 
man  sich  einverstanden  erklären.  Daß  aber  in  der  Bedeutung  ein 
wesentlicher  Unterschied  sei  zwischen  tune  (Wunder)  und  tu  (Lambin), 
st  nicht  einzusehen.  Tu  aequum  ist  aber  ein  Hiatus,  den  Cic. 
schwerlich  angewendet  haben  dürfte;  denn  orat.  §  151  sagt  er, 
nachdem  er  betont,  daß  Demosthenes  den  Hiatus  als  fehlerhaft  ver- 
mieden: Sed  Graeci  viderint  :  nobis,  ne  si  cupimus  quidem,  distra- 
here  voces  conceditur. 

§  34.  Der  Vf.  bezeichnet  den  Satz  communis  ille  sensus  bis 
et  lingua  „als  eine  schlechte  Wiederholung  des  ersten  (omnibus  bis 

Jahresbericht  für  Altertumswissenschaft.    M.  CXXXIV.    (1907.  II.)  IS 


194 


Bericht  über  die  Literatur  zu  Ciceroß  Reden 


apertius).  Ref.  stößt  sich  an  dem  zweiten  Satze  gar  nicht,  weil  von 
Cicero  Parallelismen  der  Gedanken  sehr  gern  angewendet  werden,  was 
keines  näheren  Beweises  mehr  bedarf.  Der  Sinn  der  beiden  Sätze  ist : 
Alle  Staatspächter  schmerzte  jenes  Unrecht,  aber  dieser  trug  den 
Schmerz  offener  zur  Schau.  Von  allen  diesen  mochten  andere  jenes 
Gefühl,  obgleich  es  in  allen  vorhanden  war,  mehr  verbergen,  dieser 
zeigt  es  aber  offener  als  die  anderen  (ceteri);  ceteri  ist  eine  Rück- 
beziehung  auf  die  genannten  alii.  Außerdem  besteht  zwischen  den 
Sätzen : 

omnibus  illa  iniuria  dolori  fuit  publicanis 
und  Communis  ille  sensus  in  aliis  fortasse  latuit 

rhythmische  Beziehung : 


Klausel  in  Reihe  1  ditr.  mit  vorausgehendem  cret.  Reihe  2 
wieder  Ditr.  mit  Auflösung.  Daß  das  den  Klauseln  Vorangehende 
auch  rhythmische  Beziehung  hat,  ist  sichtbar;  ebenso  scheinen  auch 
folgende  Sätze  zu  harmonieren: 

sed  eum  ipsum  dolorem  hic  tulit  paulo  apertius. 
hic  quod  cum  ceteris  animo  sentiebat. 

ww  |  =-  Kl.  tr.-kret. 

 --  —  ~  |  -  w  —  ^      ditroch. mit  vorausgeh.  Chori- 
ambus, Ersatz  für  cret. 

Diesem  Chori.  steht  in  der  Responsiou  ein  cret.  gegenüber;  vor- 
her entsprechen  sich  auch  noch  2  Kretiker,  Beweis  genug,  daß  die 
beiden  Reihen  untereinander  Beziehung  haben.  Was  der  Verf.  über 
ceteri  und  alii  sagt,  ist  gesucht.  — 

Bei  §  48  supponiert  der  Vf.  schon  wieder  eine  Interpolation, 
an  die  bis  jetzt  noch  niemand  gedacht  hat.  Der  Vf.  sollte  es  mit 
advokatischen  Fiktionen  nicht  so  streng  nehmen.  Im  allgemeinen 
aber  muß  hier  bemerkt  werden,  daß  die  Überlieferung  der  Reden 
Ciceros  weniger  an  Interpolationen  leidet,  sondern  vielmehr  an  sehr 
unerwünschten  Auslassungen.  Sehr  zu  verwundern  ist,  warum  der 
Vf.  an  §  60  Anstoß  nimmt.  Die  Worte  Ciceros  deutet  er  so:  „Zum 
Ruhme  kann  nur  der  Mann  von  vornehmer  Geburt  gelangen,  der  Weg 
zum  Ruhme  ist  dem  niedrig  Geborenen  verschlossen."  Das  meint 
Cic.  aber  nicht,  sondern  die  Stufen  des  Ruhmes  seien  deshalb  ver- 
schieden ,  weil  die  virtus  verschieden  sei :  etenim ,  sagt  Cic.  gleich 
nachher,  in  virtute  multi  sunt  adscensus  ut  is  maxime  gloria  excellat, 
qui  virtute  plurimum  praestet.  Das  ist  ein  so  klarer  Gedauke,  daß 
darüber  gar  kein  Zweifel  möglich  ist.    Darum  ist  summis  hominibus 


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aus  den  Jahren  1903—1906.  (May.) 


195 


et  infimis  gan2  richtig  und  nicht  in  omnibus  umzuändern.  Responsion 
ist  übrigens  folgende  vorhanden: 

infimis  sunt  pares, 
gloriae  dispares. 

  W      '  '   

  w      w  w 

§  55,  57.  Es  ist  richtig,  daß  hier  eine  etwas  auffällige  Wieder- 
holung vorliegt.  Indes  nahm  bis  jetzt  noch  niemand  Anstoß  daran; 
außerdem  sind  die  Rhythmen  ganz  ciceronianisch,  namentlich  im 
zweiten  Teil: 

multi  communes  obtrectatores 

atque  omnium  invidi  multa  nnxerunt. 

 I  

 I  

Kl.  kret.-tr. ,  welcher  ein  dispond.  gegenübersteht.  Ferner 
weisen  Köpke  -  Landgraf  auf  die  beliebte  Parataxe  multi -multa  hin. 
Noch  besser  rhythmisch  sind  die  beiden  ersten  Zeilen: 

multi  amici  accusatoris, 

nonnulli  etiam  nostri  iniqui, 

 l_  

Die  beiden  Klauseln  sind  gleich  ditroch.,  {wobei  es  für  die  Re- 
sponsion keinen  Unterschied  macht,  ob  statt  des  einen  Troch.  ein 
Spond.  steht.  Vor  diesem  Ditr.  stehen  aber  gerade  solche  Füße,  die 
Zielinski  als  regelrechte  Rhythmen  vor  einem  Ditr.  bezeichnet,  näm- 
lich in  der  ersten  Reihe  ein  Epitrit  und  in  der  zweiten  ein  Chori. 
Beide  Füße  betrachtet  Ziel,  als  häufig  vorkommenden  Ersatz,  bzw. 
Entfaltung  eines  Kretikers,  der  nach  der  Theorie  Ziel.s  eigentlich 
stehen  müßte.  Wäre  die  Stelle  eine  Interpolation,  wie  der  Vf.  meint, 
so  wären  die  rhythmischen  Regeln  kaum  so  streng  beobachtet  worden. 
Mit  Wiederholungen,  namentlich  wenn  sie  formell  doch  einen  Unter- 
schied zeigen  wie  hier,  sollte  man  bei  einem  Redner  nicht  so  streng 
ins  Gericht  gehen.  Auf  keinen  Fall  darf  an  multi  communes 
obtrect.  etc.  gerührt  werden,  denn  obtrectator  kommt  §  55  gar  nicht 
vor,  und  atque  omnium  etc.  ist  selbständige  Gestaltung  eines  im  Vor- 
hergehenden allerdings  schon  berührten  Gedankens. 


13* 


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Jahresbericht  über  die  nachaugusteischen  Epiker,  Senecas 
Tragödien,  Ausonius,  die  Bukoliker  und  die  lateinische 

Anthologie  von  1903—1906. 

Von 

Johannes  Tolkiehn  in  Königsberg  i.  Pr. 


i.  Senecas  Tragödien. 

Bereits  das  Jahr  1902  hat  die  nach  dem  Tode  R.  Peipers  von 
G.  Richter  allein  beendete  zweite  Auflage  der  einst  von  beiden  Ge- 
lehrten gemeinschaftlich  veranstalteten  Ausgabe  gebracht  (Leipzig, 
Teubner).    Diese  ist  ausführlich  besprochen  von 

Fr.  Leo  Gött.  gel.  Anz.  1903,  S.  1—11  und 
0.  Roßbach  Berl.  phil.  Wochenschr.  1904  S.  326—333  und 
361—369. 

Leo  bestreitet  die  Richtigkeit  des  Verfahrens,  welches  Richter 
in  der  Adnotatio  critica  bei  der  Mitteilung  der  Varianten  aus  den 
interpolierten  Hss.  angewandt  hat,  und  verlangt,  „daß  der  ursprüng- 
liche A-Text  aus  der  trüben  und  breiten  Überlieferung,  soweit  es 
möglich  ist,  klar  herausgestellt  werde". 

Roßbach  zeigt,  daß  die  Lesarten  der  A-K lasse  in  viel  weiterem 
Umfange  Berücksichtigung  verdienen,  als  man  bisher  zugegeben  hat, 
und  betont ,  wie  notwendig  es  sei .  daß  alle  Hss.  dieser  Klasse  ge- 
nügend durchforscht  werden,  was  bisher  kaum  für  die  italienischen 
und  einen  Teil  der  deutschen  der  Fall  ist.  Bis  das  aber  geschehen, 
ist  ein  abschließendes  Urteil  über  unsere  Überlieferung  unmöglich. 

Über  eine  derartige  Iis.,  den  Dresdensis  R  52",  macht  Mit- 
teilungen 

M.  Manitius,  Handschriftliches  zu  Vergil  und  Seneca  Trag. 
Piniol.    1904.    S.  313—315. 

Fol.  39  und  40  sind  zwei  Blätter  aus  einer  Senecahs.,  die  im 
14.  Jahrhundert  in  Italien  geschrieben  wurde,  enthaltend  Troad.  315 


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Jahresbericht  über  die  nachaugusteischen  Epiker.   (Tolkiehn.)  197 


bis  422,  1142  bis  Ende  und  Medea  1—70.  Ein  paarmal  findet  sich 
Übereinstimmung  mit  den  Lesarten  von  E. 

Was  die  Gestaltung  des  Textes  im  einzelnen  anlangt,  so  hat 
Roßbach  S.  361  ff.  dargetan ,  daß  eine  ganze  Reihe  von  Stellen 
irrtümlich  für  verderbt  erklärt  worden,  daß  bei  richtiger  Erklärung 
oder  Interpunktion  aber  die  Überlieferung  vollkommen  in  Ordnung  ist. 
Von  den  von  ihm  vorgeschlagenen  Änderungen  erwähne  ich 

Herc.  für.  353  „posse  (et)  invidiam  pati". 

Troad.  304  „amore  subido"  (st.  subito  nach  Valerius  Aedituus 
bei  Gell.  XIX  9,  11),  die  Umstellung  von  Med.  362  und  363 
Agam.  91  „nimium  ventos"  st.  „ventos  nimium". 

Auch  M.  Schmitt- Hartlieb,  Zu  Seneca  Troades  783.  Rh. 
Mus.  1906,  S.  634  f. 

hat  die  Überlieferung  „morte  dira"  in  Schutz  genommen. 

Mit  der  Kritik  einzelner  Stellen  der  Medea  hat  sich 

Charles  Knapp,  Notes  on  Seneca's  Medea  Class.  Rev. 
1903  p.  44—47 

beschäftigt.  Er  verteidigt  u.  a.  Med.  22.  23  die  Überlieferung  gegen 
die  auch  von  Peiper-Richter  gebilligte  Umstellung  Leos  und  zeigt  in 
Übereinstimmung  mit  Michael  Müller,  In  Senecae  tragoedias 
quaestiones  criticae,  Berlin  1898,  p.  22  f.,  daß  innerhalb  der  V.  301 
bis  339  jede  Änderung  der  in  den  Hss.  gebotenen  Reihenfolge  un- 
nötig ist. 

Einen  sprachlich-exegetischen  Beitrag  liefert 

I.  P.  Postgate,  On  Horace  Epode  XV  5  and  Seneca  Herc. 
Oct.  335  sqq.  Class.  Rev.  1903  p.  337  f., 

indem  er  unter  Berufung  auf  Tibull  II  2,  19  f.  ausführt,  daß  in  den 
Versen  „Indos  ante  glacialis  polus  —  Scythasve  tepida  Phoebus  in- 
ficiet  votau  kein  Zeugma  vorliege,  wie  Housman  und  Alton  behauptet 
haben. 

Auf  dem  Gebiete  der  höheren  Kritik  bewegen  sich  zwei  Arbeiten, 
welche  sich  unabhängig  voneinander  mit  der  Echtheitsfrage  des 
Hercules  Oetaeus  beschäftigen. 

1.  Walter  C.  Summers,   The  autorship   of   the  Hercules 
Oetaeus.    Class.  Rev.  1905  p.  40—54. 

2.  Aemilius  Ackermann,  De  Senecae  Hercule  Oetaeo  Piniol. 
Suppl.  X  3  p.  325—428. 

Summers  beginnt  mit  einer  Kritik  der  bisher  aufgestellten  An- 
sichten.   Er  gibt  vor  allem  eine  Übersicht  über  die  Argumente,  mit 


198     Jahresbericht  über  die  nachaugusteischen  Epiker.  (Tolkiehn.) 

denen  Leo  im  ersten  Bande  seiner  Ausgabe  die  Unechtheit  der 
zweiten  Hälfte  der  Tragödie  darzutun  bemüht  gewesen  ist,  und  hebt 
hervor,  was  er  an  dessen  Verfahren  auszusetzen  hat.  Namentlich 
wirft  er  ihm  vor,  daß  er  die  vielen  Schwächen  der  ersten  Hälfte 
nicht  beachtet  habe.  M  e  1  z  e  r  s  Ausführungen  gegen  Leo  in  dem 
Programm  De  Hercule  Oetaeo,  Chemnitz  1890  scheinen  ihm  glück- 
lich, insofern  sie  sich  gegen  die  Folgerungen  wenden,  welche  dieser 
aus  dem  Wortschatz  gezogen  hat ,  dagegen  irrtümlich ,  wenn  er  be- 
hauptet, daß  die  ^imitatio  im  Hercules  Oetaeus  fast  dieselbe  wie  in 
den  anderen  Stücken  sei.  Summers  versucht  nun  Klarheit  darüber 
zu  schaffen,  wie  Seneca  in  diesem  Punkte  sich  sonst  zeigt.  Er  stellt 
zu  dem  Zwecke  die  Wiederholungen  von  halben  Versen  und  kleineren 
Versteilen  aus  den  übrigen  Stücken  zusammen,  die  ihm  im  Hercules 
Furens  und  in  der  Troades  aufgestoßen  sind ,  und  macht  außerdem 
noch  auf  einige  besonders  interessante  Fälle  aufmerksam.  Mit  ein 
paar  Beispielen  will  er  ferner  uns  davon  überzeugen,  daß  sprachliche 
Wendungen  sich  nicht  häufiger  in  Senecas  Tragödien  wiederholen  als 
in  anderen  lateinischen  Schriften.  Daß  bei  der  öfteren  Behandlung 
bestimmter  loci  sich  der  Dichter  immer  wieder  einer  ähnlichen  Sprache 
bedient,  wie  Verf.  bemerkt  haben  will,  ist  glaublich;  daß  er  aber 
bei  der  Wiederholung  von  sententiae  den  Ausdruck  jedesmal  sorgfältig 
zu  ändern  pflege,  diese  Behauptung  kann  durch  den  einen  heran- 
gezogenen Fall  schlechterdings  nicht  gesichert  werden. 

Es  liegt  somit  auf  der  Hand,  daß  Summers  mit  unzureichendem 
Material  an  die  Aufgabe,  die  er  sich  gestellt  hat,  herangegangen  ist. 
Es  ist  schon  deshalb  auch  kein  besonderes  Gewicht  darauf  zu  legen, 
wenn  er  nunmehr  als  sicher  verkündet,  daß  der  Hercules  Oetaeus  von 
der  eben  charakterisierten  Gepflogenheit  Senecas  beträchtlich  ab- 
weiche, indem  er  fünf  Beispiele  für  die  Entlehnung  fast  vollständiger 
Verse  aus  anderen  Tragödien  biete  und  auch  sprachliche  Wieder- 
holungen aus  diesem  Stücke  in  großer  Zahl  vorkämen  und  besonders 
dicht  gesät  seien.  In  V.  173  ff.  sieht  er  einen  Cento  aus  dem  Aga- 
memno  und  anderweitigen  Anleihen;  dagegen  hält  er  Leos  Ansicht 
für  irrig,  daß  V.  863  ff.  ein  unverschämtes  Plagiat  aus  Phaedra  1104 
seien.  Auch  gibt  er  Melzer  recht,  welcher  die  Gedankenfolge  an  den 
von  Leo  beanstandeten  Stellen  vollkommen  befriedigend  gefunden  hat; 
ebenso  hält  er  jenes  Protest  gegen  G.  Richter  für  gerechtfertigt, 
welcher  (De  Seneca  tragoediarum  auetore,  Bonn  1862)  den  Hercules 
Oetaeus  wegen  des  Fehlens  gewisser  Partikeln  verdächtigt  hat,  und 
damit  wendet  Verf.  sich  der  Betrachtung  des  Wortschatzes  zu. 

Trotz  der  schweren  Bedenken,  so  etwa  führt  er  aus,  die  schon 


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Jahresbericht  über  die  nachaugusteischen  Epiker.  (Tolkiehn.)  196 

oft  hinsichtlich  der  Latinität  des  Stückes  erhoben  worden,  sind  doch 
die  auffallendsten  Punkte  im  Vokabular  bisher  den  Augen  der 
Kritiker  entgangen.  Das  ist  der  Gebrauch  1.  von  quotus  V.  95  f. : 
„quota  est  mundi  plaga  —  oriens  subactus  aut  quota  est  Gorgon 
fera?"  2.  von  iecur  synonym  mit  cor  und  pectus  (4  mal),  8.  von  siccus 

ohne  Tränen  V.  1268,  4.  von  pensare  =  meinen  V.  1747  f., 
5.  von  gigans  =  Riese  V.  1759.  Es  ist  aber  nicht  einzusehen, 
weshalb  Seneca  nicht  so  soll  geschrieben  haben  können,  zumal  im 
zweiten  und  fünften  Falle,  da  ja  auch  f^irap  und  in  gleicher 

Bedeutung  verwendet  werden. 

Summers  aber  kommt  auf  Grund  der  angestellten  Erwägungen 
nunmehr  zu  dem  Schluß,  daß  Melzers  Theorie,  wonach  uns  nur  ein 
roher  Entwurf  des  Hercules  Oetaeus  mit  doppelt  ausgeführten  Szenen 
enthalten  sein  soll,  unter  denen  Seneca  eventuell  habe  wählen  wollen, 
nicht  ansreicht  zu  der  Erklärung  der  drei  auffallenden  Erscheinungen, 
die  er  als  „pointlessness",  „patchwork"  und  „bad  Latinity"  be- 
zeichnet. 

Nachdem  er  noch  einige  Bemerkungen  über  den  Gebrauch  der 
Anaphora  im  Hercules  Oetaeus  und  in  den  anderen  Dramen  hinzu- 
gefügt hat  —  der  Unterschied  ist,  beiläufig  bemerkt,  recht  gering  — 
kommt  Summers  dazu,  seine  eigene  Lösung  der  Frage  zu  entwickeln. 
Er  betrachtet  das  Stück  als  ein  Flickwerk,  das  dadurch  entstanden 
sei,  daß  ein  späterer  Herausgeber  eine  Reihe  von  Partieen,  die  von 
Seneca  selbst  herrühren,  mittelst  eigener  Zutaten  zu  einem  Ganzen 
verbunden  habe.    Die  Zeit  dieses  Redaktors  läßt  er  unbestimmt. 

Um  seinen  Standpunkt  eingehender  auseinanderzusetzen,  prüft  er 
zuerst  den  Prolog  V.  1 — 103.  In  diesem  machen  ihm  V.  1 — 27  den 
schlimmsten  Eindruck,  während  V.  28—46  dem  Seneca  recht  wohl 
angehören  können.  V.  47 — 71  haben  wir  lauter  Schlacken,  V.  72 
bis  88  und  die  erste  Hälfte  von  V.  89  bilden  einen  Glanzpunkt  ; 
von  da  ab  sinkt  der  Ton  wieder  herab. 

Einen  klaren  Fall  derselben  Kontamination  sieht  Summers  in 
der  Rede  der  Amme  V.  233 — 255:  die  ersten  7  Verse  hält  er  für 
Senecas  Eigentum ,  den  mit  Phrasen  aus  der  Medea  durchsetzten 
Rest  setzt  er  auf  Rechnung  des  Editor.  Dabei  muß  er,  um  die  ur- 
sprüngliche Form  wiederzugewinnen,  zur  Textesänderung  greifen. 

In  gleicher  Weise  versucht  er  nun  auch  das  übrige  in  seine 
beiden  Bestandteile  zu  zerlegen.  Ich  muß  mich  hier  darauf  be- 
schränken, in  Kürze  seine  Ergebnisse  anzudeuten. 

Die  lange  Szene  zwischen  Deianira  und  ihrer  Amme  V.  256  bis 
582  ist  reich  an  Stellen,  die  auf  Seneca  selbst  zurückgehen.  Spuren 


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2UU     Jahresbericht  über  die  naehaugusteischen  Epiker.  (Tolkiehn.) 

der  NichtVollendung  sind  in  V.  307  und  407  bemerkbar.  Wie  weit 
sich  die  Tätigkeit  des  Herausgebers  erstrecken  soll,  vermag  Summers 
vielfach  nicht  mit  Sicherheit  anzugeben.  In  dem  von  Leo  ganz  ver- 
worfenen Teile  der  Tragödie  können  V.  710 — 14  von  Seneca  sein, 
706 — 709  nicht.  Schlecht  genug  ist  der  Beginn  des  Auftrittes  zwischen 
Hvllus  und  seiner  Mutter  V.  742  ff.,  namentlich  V.  751 — 754  erweisen 
sich  als  Flickwerk.  Einen  besseren  Eindruck  machen  V.  775  ff. ; 
V.  808 — 812  stören  den  Zusammenhang;  der  Rest  der  Erzählung 
bis  V.  841  ist  wieder  echt;  ebenso  nimmt  Summers  das  Folgende, 
die  Rede  der  Deiauira  V.  842  ff.  und  den  Dialog  V.  889  ff.  für 
Seneca  in  Anspruch.  Aber  von  V.  910  an  zeigt  sich  klar  die  Hand 
des  Editor;  mit  V.  949 — 968  kehren  wir  zu  Seneca  zurück  (V.  954 
greift  Summers  wieder  unnötigerweise  zur  Konjektur  „uteri  tui"  f. 
„veram  tui").  V.  1000-1006  scheinen  ganz  in  Senecas  Manier  zu 
sein,  V.  1007 — 1030  rühren  von  Editor  her. 

Von  nun  an  bis  zum  Schluß  herrscht  lauter  Schutt  vor,  nur  sieben 
Stellen  stehen  in  bemerkenswertem  Gegensatz  zu  ihrer  Umgebung: 
1.  1100—1127,  2.  1249—1268  (didicit),  3.  der  Dialog  1852  ff., 
4.  1564-1592,  5.  1619—1641,  6.  1693—1707  (erubesco),  7.  1863 
bis  1898. 

Der  Verf.  dürfte  schwerlich  viele  zu  seiner  Ansicht  bekehren. 
Was  er  vorbringt,  ist  vielfach  in  hohem  Grade  subjektiv  und  zum 
Teil  unrichtig  aufgefaßt,  so  daß  sein  Verfahren  nimmermehr  von  einer 
vorsichtigen  Kritik  gebilligt  werden  kann. 

Ganz  anderer  Art  ist  die  sorgfältige,  wenn  auch  nicht  er- 
schöpfende Arbeit  von  Ackermann.  Er  hat  die  Anregung  dazu 
von  Birt  empfangen,  der  seine  frühere  Ansicht  von  der  Unechtheit 
des  Hercules  Oetaeus  im  Laufe  der  Zeiten  geändert  hat.  In  dem 
Kapitel  De  Herculis  auetore  (p.  826—386)  entkräftet  A.  in  sehr  ge- 
schickter Weise  die  Gründe,  welche  Leo  mit  Rücksicht  auf  die  äußere 
Beschaffenheit  des  Stückes  gegen  die  Autorschaft  Senecas  geltend 
gemacht  hat.  Wenn  z.  B.  dieser  mit  Bentley  daran  Anstoß  ge- 
nommen hat,  daß  der  Hercules  und  die  Octavia  allein  mit  einem 
Canticum  schließen,  so  entgegnet  er  darauf,  daß  Phaedra  und  Octavia 
die  einzigen  Stücke  seien,  denen  ein  Prolog  fehlt,  und  darum  doch 
niemand  die  Phaedra  für  unecht  halten  werde.  Der  Grund  aber, 
den  man  aus  den  vielen  darin  enthaltenen  Nachahmungen  gegen  die 
Echtheit  des  Hercules  Oetaeus  hergeleitet  hat,  wird  hinfällig  durch 
die  Beobachtung,  daß  auch  die  Medea  in  gleichem  Verhältnis  zu  den 
anderen  Stücken  steht,  daß  in  den  übrigen  Tragödien  Wiederholungen 
ebenfalls  an  der  Tagesordnung  sind  und  dieses  Verfahren  auch  den 


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Jahresbericht  über  tlie  iiachaugusteischen  Epiker.   (Tolkiehn.)  201 

Griechen  nicht  fremd  ist.  Des  weiteren  widerlegt  A.  die  Bedenken, 
welche  sich  nach  D.  Heinsius,  Birt  und  Tachau  hinsichtlich  des  Aus- 
druckes an  manchen  Stellen  ergeben  haben .  indem  er  Melzers  Aus- 
führungen zum  Teil  modifiziert.  Auch  der  Vorwurf  der  Torheit, 
welcher  mehrfach  gegen  den  Autor  des  Dramas  erhoben  worden  ist, 
hat  nichts  auf  sich,  und  die  Nachlässigkeiten  im  Stil  sind  nicht 
größer  als  sonst  bei  Seneca.  Eine  genaue  Prüfung  der  Metrik  und 
Prosodie  aber  ergibt,  daß  in  dieser  Hinsicht  nur  solche  Verse  An- 
stoß geben,  die  einer  Korrektur  bedürfen.  Nachdem  A.  noch  die 
Unwichtigkeit  orthographischer  Dinge  mit  Kecht  betont  hat ,  recht- 
fertigt er  den  Sprachgebrauch  im  einzelnen  gegen  die  von  ver- 
schiedenen Seiten  erhobenen  Verdächtigungen. 

Im  2.  Kapitel  De  unitate  tragoediae  (p.  387 — 408)  kommen  die 
Ansichten  derjenigen  an  die  Reihe,  welche  die  Einheit  der  Kom- 
position geleugnet  und  einen  oder  den  anderen  Teil  des  Stückes  für 
unecht  erklärt  haben.  Was  nach  dieser  Seite  auffallen  könnte,  ent- 
schuldigt A.  durch  die  wohl  schwer  von  der  Hand  zu  weisende  An- 
nahme, daß  wir  es  hier  mit  einem  zur  Rezitation,  nicht  aber  zur 
Aufführung  bestimmten  Drama  zu  tun  haben,  wie  ein  solches  auch  in 
der  Phaedra  des  Seneca  vorliege. 

Im  8.  Kapitel  De  consilio  poetae  (p.  408 — 422)  sucht  A.  die 
Entstehung  des  Stückes  aus  der  philosophischen  Richtung  Senecas  zu 
erklären.  Er  weist  darauf  hin,  daß  die  Stoiker  gerade  im  Hercules 
ihr  Ideal  sahen,  und  so,  meint  er,  habe  der  Dichter  diesen  Heroen 
seinen  Lesern  als  nachahmenswertes  Muster  vorführen  wollen.  Dann 
aber  brauchte  er  den  Hercules  Oetaeus  als  notwendige  Ergänzung 
des  Hercules  Furens.  Damit  bringt  A.  zugleich  eine  Erklärung  für 
die  übermäßige  Länge  des  ersteren  und  für  die  durch  den  Einfluß 
der  Rhetorik  verschuldete  Schwülstigkeit  der  Diktion.  Es  läßt  sich 
nicht  leugnen,  daß  auch  diese  Betrachtungen  die  Wahrscheinlichkeit 
der  Autorschaft  Senecas  zu  erhöhen  geeignet  sind. 

Über  die  Bedeutung  des  Chores  bei  Seneca  handelt,  dem  Titel 
nach  zu  schließen 

*A.  Romizi,  La  Urica  nel  teatro  di  Seneca.  Biblioteca 
delle  scuole  italiane.    X  13. 

Für  die  Würdigung  Senecas  als  Dramatikers  ist  wichtig  der  Auf- 
satz von 

Antonio  Lima,  Intonio  alle  tragedie  di  Seneca  Riv.  fil. 
1904  p.  237—259. 

Der  erste  Teil  enthält  nämlich  „Osservazioni  sull'  uso  della  per- 
sona mutalU. 


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202     Jahresbericht  über  die  naehaugusteischen  Epiker.  (Tolkiehn.) 

Die  Bewunderung,  deren  sich  Seneca  in  den  verflossenen  Jahr- 
hunderten erfreute,  hat  heutzutage  einer  weniger  günstigen  Beurteilung 
Platz  gemacht  ,  welche  in  seinen  Stücken  lediglich  Deklamationen  in 
dramatischer  Form  sieht.  Diese  Auffassung  ist  nach  Cima  nicht 
richtig.  Er  meint,  daß  sich  vielfach  Stellen  bei  dem  Tragiker  finden, 
die  auf  eine  szenische  Wirkung  berechnet  sind,  und  daß  daher  kein 
Zweifel  bleibe,  daß  Seneca  wirkliche  Dramen  schreiben  wollte.  Von 
besonderer  Wichtigkeit  scheint  ihm  in  dieser  Beziehunng  die  schon 
von  Weil  bemerkte  Tatsache ,  daß  Seneca  die  Regel  von  den  drei 
Schauspielern  beobachtet  hat.  Indem  Cima  nun  die  einzelnen  Fälle 
eingehend  bespricht,  gelangt  er  zu  dem  Ergebnis,  daß  Seneca  bei 
der  Anwendung  der  persona  muta  nicht  die  dramatische  Wahrheit 
verletzt  hat,  daß  er  in  den  Spuren  der  griechischen  Tragiker  wandelt, 
indem  er  die  Regel  von  den  drei  Schauspielern  mit  einer  manchmal 
an  Pedanterie  streifenden  Strenge  befolgt,  die  aber  durch  den  Vor- 
gang seiner  griechischen  Muster  gerechtfertigt  erscheint.  Doch  hat 
unserer  Ansicht  nach  Verf.  damit  keineswegs  bewiesen,  daß  Senecas 
Dramen  für  die  Aufführung  bestimmt  gewesen  sind.  Denn  die  Be- 
obachtung jener  Regel  von  den  drei  Schauspielern  mußte  gerade  bei  einer 
Rezitation  für  das  Verständnis  von  besonderem  Vorteile  sein,  indem 
dadurch  an  die  geistige  Anspannung  der  Zuhörer  geringere  An- 
forderungen gestellt  wurden  und  sie  leichter  dem  Vorgetragenen  zu 
folgen  vermochten  als  bei  dem  'gleichzeitigen  Auftreten  einer  größeren 
Zahl  handelnder  Schauspieler. 

Der  zweite  Teil  „Sulla  composizione  delle  ,Troiane'K  handelt  kurz 
von  der  Szenenfolge  in  den  Troades,  welche  nach  Cima  uns  nur  in 
provisorischer  Gestalt  vorliegen,  und  erörtert  dann  die  Frage  nach 
der  Quelle,  welcher  der  Dichter  bei  der  Schilderung  des  Streites 
zwischen  Pyrrhus  und  Agamemnon  gefolgt  ist.  Cima  meint,  Seneca 
habe  das  Motiv  aus  Euripides'  Hecuba  übernommen  und  mit  Zutaten 
eigener  Erfindung  ausgestattet,  und  weist  auf  die  ähnliche  Behand- 
lung der  Person  der  Helena  hin.  Das  erfordert  aber  noch  eine  ge- 
nauere Untersuchung. 

Der  dritte  Teil  endlich,  „Sulla  composizione  delle  ,Fenicietu,  wirft 
die  Frage  auf,  ob  die  unter  dem  Titel  Phoenissae  vereinigten  Frag- 
mente einer  oder  zwei  Tragödien  angehören.  Cima  wendet  sich 
gegen  die  verschiedentlich  behauptete  Abhängigkeit  des  ersten  Teiles 
von  Sophokles'  Oedipus  Coloneus,  indem  er  richtig  auseinandersetzt, 
daß  nur  die  Begleitung  des  Oedipus  durch  Antigone  Sophokles  und 
Seneca  gemeinsam  ist.  Letzterer  scheint  vielmehr  durch  Euripides' 
Phoenissen  beeinflußt  zu  sein.    Da  Cima  annimmt,  daß  bei  V.  820 


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Jahresbericht  über  die  nachaugusteisehen  Epiker.   (Tolkiehn.)  203 


Antigone  weiterredet,  nicht  ein  Bote,  so  muß  er  auch  annehmen,  daß 
das  Folgende  unabhängig  vom  Vorhergehenden  entstanden  ist. 

Ein  anderer  Aufsatz  von 

*Cima,  La  „Medea"  di  Seneca  c  la  „Medea"  di  Ovidio, 
Atene  e  Roma  1904,  p.  224—229 

richtet  sich  gegen  Leos  Zurück  fuhrung  der  Abweichungen  Senecas 
von  Euripides  auf  Ovid.  Dieselbe  ist  in  der  Tat  unsicher;  vgl. 
meine  Bemerkungen  Zur  XII  Heroide  Ovids,  Wochenschr.  f.  kl.  Phil. 
1906  S.  1208  f. 

Das  Fortleben  des  Tragikers  in  einer  bestimmten  Periode  der 
Neuzeit  verfolgt  das  beinahe  400  Seiten  umfassende  Buch  von 

Paul  Stachel.  Seneca  und  das  deutsche  Renaissancedrama. 
Studien  zur  Literatur-  und  Stilgeschichte  des  16.  und  17.  Jahr- 
hunderts.   Palaestra,  Bd.  XL  VI,  Berlin  1907. 

Von  diesem  Buche,  das  in  den  Jahren  1903  und  1904  ent- 
standen ist,  war  die  Einleitung  und  der  Anfang  des  2.  Kapitels 
bereits  1905  als  Berliner  Dissertation  erschienen.  Kap.  I  (S.  4 — 29) 
versucht  auf  Grund  älterer  Arbeiten  in  nicht  immer  einwandfreier 
Weise  Seneca  als  Dramatiker  zu  würdigen  und  bietet  eine  eingehendere 
Betrachtung  seines  rhetorischen  Stils.  Kap.  II  (S.  30 — 136)  behandelt 
Seneca  im  deutschen  Schuldrama.  Die  erste  Entlehnung,  die  man 
hier  nachweisen  kann,  ist  seltsamerweise  travestierend.  Sie  findet 
sich  in  Pirkheimers  „Eccius  dedolatus"  vom  Jahre  1520.  Zunächst 
vermag  St.  überhaupt  nur  auf  Einzelheiten  hinzuweisen  und  hat  darauf 
verzichtet,  „die  zahlreichen  wenig  untersuchten  Dramen  des  16.  Jahr- 
hunderts, in  denen  nie  das  Tragische  das  bestimmende  Element  ist, 
auf  gelegentliche  Entdeckungen  hin  zu  prüfen."  Erst  gegen  Ende 
des  Jahrhunderts  hat  man  im  Hinblick  auf  moderne  Muster  des  Aus- 
landes im  Geist  und  Stile  Senecas  zu  dichten  begonnen.  Hierher 
gehören  die  Tragödien  des  Altdorfer  Professors  Michael  Virdung,  der 
Straßburger,  unter  denen  der  kaiserliche  Poet  Casper  Brülow  die 
hervorragendste  Erscheinung  ist,  und  des  Pfarrers  zu  Asselheim 
bei  Worms,  Theodor  Rhode.  Kap.  III  (S.  137  —  179)  zieht  mit  Recht 
das  stammesgleiche  Holland  in  den  Kreis  der  Betrachtung.  Wir  be- 
gegnen da  so  glänzenden  Namen  wie  denen  eines  Daniel  Heinsius,  Hugo 
Grotius  und  Joost  van  den  Vondel,  des  größten  Dichters  unter  den 
Holländern.  Kap.  IV  (S.  180 — 350)  geht  auf  das  deutsche  Drama 
im  17.  Jahrhundert  ein.  Es  behandelt  ausführlich  die  Übersetzung 
der  Troades  durch  Martin  Opitz ,  beschäftigt  sich  besonders  ein- 
gehend mit  Andreas  Gryphius ,  berührt  den  Nürnberger  Poetenkreis 


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204    Jahresbericht  über  die  nachaugusteischen  Epiker.  (Tolkiehn.) 


und  gibt  sich  wieder  eingehender  mit  Caspar  von  Lohenstein  ab. 
Den  Schluß  endlich  bilden  Iiallmann  und  Haugwitz. 

Daneben  kommt  St.  auf  viele  Dinge  zu  sprechen,  die  mit 
seinem  eigentlichen  Thema  in  mehr  oder  minder  engem  Zusammen- 
hange stehen.  So  geht  er  z.  B.  gelegentlich  auf  die  Senecastudien 
des  Rektors  der  Meißener  Fürstenschule  Georg  Fabricius,  auf  den 
Caesar  des  bekannten  Franzosen  Muret,  auf  die  Beurteilung  Senecas 
durch  die  Holländer  u.  a.  m.  ein.  Inwieweit  er  bei  seinen  Angaben 
Vollständigkeit  erreicht  hat ,  entzieht  sich  meiner  Kenntnis.  Zu  er- 
wägen bleibt  m.  £.,  ob  nicht  vielfach  da,  wo  Anlehnungen  an  Seneca 
konstatiert  werden,  Ovid  die  ursprüngliche  Quelle  gewesen  sein  dürfte. 

Für  englische  Studenten  bestimmt  ist 

Seneca,  The  tragedies  rendered  into  English  verse  by  Ella 
Isabel  Harris.    London,  Oxford,  New  York  1904. 

Diese  durchweg  auch  für  die  lyrischen  Partieen,  den  fünffüßigen 
Jambas  benutzende  Übersetzung,  der  Leos  Text  zugrunde  liegt,  ist 
mir  nur  aus  der  sehr  anerkennenden  Anzeige  von  W.  Gern  oll, 
Wochenschr.  f.  kl.  Philol.  1905  S.  543  f.  und  der  geradezu  ver- 
nichtenden Beurteilung  von  C.  Summers,  Class.  Rev.  1905  S.  124  f. 
bekannt.  Letzterer  zeigt  an  einer  Reihe  unzulänglich,  irrtümlich  oder 
nachlässig  wiedergegebener  Stellen,  daß  die  Übersetzerin  ihrer  Auf- 
gabe ganz  und  gar  nicht  gewachsen  gewesen  ist. 

2.  Octavia. 

Nicht  weniger  als  4  Schriften  sind  über  die  Quellen  der  Octavia 
erschienen. 

1.  *AntonioCima,  La  tragedia  Romana  Octavia  e  gli  Annali 
di  Tacito.  Pisa  1904.  Vgl.  Hosius  Berl.  phil.  Woch.  1905. 
S.  1145  f. 

2.  Friedrich  Ladek,  Zur  Frage  über  die  historischen  Quellen 
der  Octavia.  Zeitschr.  f.  d.  österr.  Gymn.,  1905,  S.  673  bis 
701,  865—883,  961-972. 

3.  Vincenzo  Ussani,  Su  l'Octavia  Riv.  fil.  1905,  p.  449—470. 

4.  Antonio  Cima,  Octaviana.  Nuovi  appunti  sulle  relazioni 
della  tragedia  „Octavia"  cogli  „Annali"  di  Tacito,  ebd.  1906, 
p.  529—564. 

Bereits  in  seiner  Dissertation  De  Octavia  praetexta,  Wien  1891 
hatte  Ladek  den  Nachweis  zu  führen  unternommen,  daß  die  Octavia 
kurz  nach  Neros  Tode  von  einem  durch  und  durch  rhetorisch  ge- 
bildeten Manne  geschrieben ,  möglicherweise  in  einer  Rhetorenschule 


Jahresbericht  über  die  nachaugusteischen  Epiker.   (Tolkiehn.)  205 

entstanden  sei.  Gleichzeitig  hatte  Nordmeyer  in  der  Schedae 
Usenero  oblatae  1891  die  Ansicht  ausgesprochen,  da»  der  Dichter 
nicht  die  Annalen  des  Tacitus ,  sondern  die  Geschichtswerke  des 
Cluvius  Rufus  und  Fabius  liusticus  benutzt  habe;  in  einer  späteren 
Abhandlung  Fleckeis.  Jahrb.  Suppl.  XIX  hielt  er  diese  Ansicht 
wenigstens  in  bezug  auf  Cluvius  aufrecht.  Die  Ausführungen  beider 
Gelehrten  hat  Cima  in  dem  zuerst  genannten  Schriftchen  zu  wider- 
legen und  die  dereinst  von  Fr.  Vater  und  W.  Braun  vertretene  An- 
sicht wieder  zu  Ehren  zu  bringen  sich  bemüht,  wonach  der  Prae- 
texta  die  Darstellung  des  Tacitus  zugrunde  liegen  und  das  Stück 
dem  2.  oder  8.  Jahrhundert  angehören  soll. 

Demgegenüber  hat  Ladek  noch  einmal  das  Wort  in  dieser  Frage 
ergriften  und  untersucht,  ob  die  Meinung,  daß  das  Stück  gleich  nach 
Neros  Tod  verfaßt  sei,  nunmehr  aufgegeben  werden  müsse.  Er  be- 
spricht zunächst  sämtliche  Stellen,  die  für  die  Ansicht  herangezogen 
worden  sind,  daß  Tacitus  die  Quelle  der  Octavia  sei,  und  zeigt  klar 
und  deutlich,  daß  durch  jene  nichts  bewiesen  wird.  Überhaupt  findet 
sich  kein  Anhaltspunkt  dafür,  daß  der  Dichter,  dessen  Darstellung 
vom  Ende  der  jüngeren  Agrippina  die  allereinfachste  ist,  aus  einem 
Historiker  schöpfte ;  vielmehr  scheint  die  Praetexta  für  die  erfundenen 
letzten  Worte  der  Agrippina  in  unserer  Überlieferung  Quelle  geworden 
zu  sein  Für  erfunden  hält  L.  auch  die  Darstellung  des  Schiffs- 
unfalles V.  310 — 3öt>,  und  auf  sie  gehe,  meint  er,  in  letzter  Linie 
Dios  Bericht  zurück.  Jedenfalls  spricht  nicht  das  geringste  dafür, 
daß  der  Dichter  hier  von  einer  historischen  Vorlage  abhängig  ist. 
Auch  sonst  enthält  das  Stück  keine  Stellen,  die  mit  Notwendigkeit 
auf  eine  historische  Quelle  bezogen  werden  müßten.  „Der  Dichter  hat 
es  eben  nicht  nötig  gehabt ,  für  die  Darstellung  des  Schicksals  der 
Octavia  und  dessen,  was  damit  zusammenhängt,  ein  historisches  Werk 
nachzuschlagen,  weil  er  all  das  selbst  miterlebt  hat.  In  dem  Chor- 
liede  aber,  das  den  Schiffbruch  und  den  Tod  der  jüngeren  Agrippina 
behandelt,  haben  wir  es  vielleicht  sogar  mit  originellen  Angaben  zu 
tun,  die  möglicherweise  nicht  ohne  Einfluß  auf  spätere  Darstellungen 
geblieben  sind." 

Cima  aber  hat  sich  damit  nicht  zufrieden  gegeben  und  in  seinem 
späteren  Aufsatze  sich  noch  einmal,  wenn  auch  ohne  Erfolg,  die 
Abhängigkeit  der  Octavia  von  Tacitus  darzulegen  bestrebt.  Da- 
gegen hat  er  seinerseits  recht,  wenn  er  behauptet,  Ladeks  Hypothese, 
daß  der  Verfasser  der  Praetexta  selbsterlebte  Ereignisse  dargestellt 
habe,  stehe  auf  schwachen  Füßen. 

Auch  Ussani  verhält  sich  den  Ausführungen  Cimas  gegenüber 


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206     Jahresbericht  über  die  nachaugusteischen  Epiker.  (Tolkiehn.) 

ungläubig.  Wenn  dieser  auch  gezeigt  habe ,  daß  die  Situationen 
in  der  Octavia ,  welche  dem  Berichte  der  Annalen  nicht  genau  ent- 
sprechen, sich  oft  als  poetische  Einkleidungen  ein  und  derselben  Er- 
zählung erweisen,  so  findet  U.  doch  in  den  auf  Agrippina  sich  beziehenden 
Widersprüchen  zwischen  beiden  Autoren  genügende  Gründe ,  derent- 
halbcn  die  Tragödie  nicht  von  Tacitus  abhängig  sein  könne.  Von 
ganz  besonderer  Wichtigkeit  ist  es  aber,  wenn  er  darauf  hinweist, 
daß  die  Charakteristiken  der  Poppaea  und  Octavia  bei  dem  Dichter 
und  Historiker  wesentlich  verschieden  sind.  Dazu  komme ,  daß  die 
Untersuchung  der  Sprache  eine  Reihe  von  Momenten  ergebe,  die  für 
die  Priorität  der  Octavia  sprächen.  Die  Übereinstimmungen  mit 
Seneca  ferner  und  die  Nachahmungen  anderer  Dichter,  deren  letzter 
Lucan  ist,  führen  U.  dazu,  den  Verfasser  des  Stückes  in  die  zweite 
Hälfte  des  1.  Jahrhunderts  der  Kaiserzeit  zu  setzen.  So  weit  kann 
man  ihm  beistimmen ;  nicht  jedoch  ist  das  möglich  bei  den  folgenden 
Auseinandersetzungen.  Die  Übereinstimmungen  mit  Tacitus  nämlich 
erklärt  er  aus  der  Benutzung  einer  gemeinsamen  Quelle,  für  die  er 
in  Übereinstimmung  mit  Gercke,  wenn  auch  aus  anderen  Gründen, 
Plinius'  Werk  A  fine  Aufidii  Bassi  hält.  Daraus  aber,  daß  der  Dichter 
von  der  sündhaften  Leidenschaft  Neros  für  seine  Mutter,  von  der 
Fabius  Rusticus  zu  berichten  wußte,  nichts  verlauten  lasse,  folgert  U., 
daß  Fabius  damals  sein  Werk  noch  nicht  veröffentlicht  gehabt  habe 
und  die  Octavia  zwischen  dem  Erscheinen  des  letzteren  und  Plinius' 
Geschichtswerk,  d.  h.  zwischen  79  und  83  entstanden  sei,  was  natür- 
lich eine  ganz  unbeweisbare  Hypothese  ist. 
Textkritische  Bemerkungen  bietet 

F.  Leo,  Couiectanea  Herrn.  1903  p.  310  f. 

Er  empfiehlt  V.  487  die  Änderung  des  Avantius  „votum  estu  und 
konjiziert  V.  489  „orbem  prospere  sacrum  regis"  und  V.  011  im  An- 
schluß an  Grotius  „memoris  meiu. 

3.  Lucanus. 

Mit  der  Tradition,  welche  Seneca  als  Verfasser  der  ersten  sieben 
Verse  der  Pharsalia  bezeichnet,  sucht  sich 

V.  Ussani,  Su  i  versi  1 — 7  (Lib.  I)  del  poema  Lucaneo  Riv. 
til.  1903  p.  463—469 

abzufinden.  Er  weist  darauf  hin,  daß  sie  sich  bis  ins  9.  Jahrhundert 
zurückverfolgen  läßt.  Dagegen  weiß  Beda ,  De  arte  metrica  VII 
p.  245 ,  8  K.  augenscheinlich  noch  nichts  von  ihr.  Sie  kann  also 
schon  im  8.  Jahrhundert  entstanden  sein  und  hat  sich  dann  wohl 


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Jahresbericht  über  die  nachaugusteischen  Epiker.   (Tolkiehn.)  207 

schnell  verbreitet.  Zur  Erklärung  ihres  Aufkommens  zieht  Ussaui 
die  von  Manitius  aus  einer  Dresdener  Hs.  veröffentlichten  Lucan- 
scholien  heran ,  welche  vorwiegend  Parallelstellen  aus  anderen 
Dichtern  und  Lucan  selber  enthalten  und  meint,  ein  am  Rande  zu 
V.  5  f.  beigeschriebenes  Zitat  aus  Seneca  Phoen.  298  habe  die  Ent- 
stehung jener  Nachricht  veranlaßt.  Sehr  wahrscheinlich  klingt  das  nicht. 

Die  vielen  Konjekturen,  die  in  dem  Schriftenverzeichnis  der 
Vacca-Vita  im  Anschluß  an  das  überlieferte  appamata  oder  ippamata 
gemacht  worden  sind,  hat  um  eine  nicht  gerade  sehr  wahrschein- 
liche vermehrt 

G.  Gundermann,    Lucans  Epigramme,   Rh.  Mus.  1904, 
S.  148.  149. 

Er  liest  dpd^\iixa  und  denkt  dabei  an  Gesangsvorträge  mit  Musik- 
begleitung. 

Die  Abfassungszeit  einzelner  Partien  sucht  zu  bestimmen 

Albert  Collignon,  Remarques  sur  deux  passages  de  la 
„Pharsale"  de  Lucain.    Mölanges  Boissier  121 — 125. 

Ausgehend  von  der  Annahme,  daß  Lucan  in  Buch  IV — X  auch 
einige  Stücke  aufgenommen  habe,  die  er  schon  früher,  schon  vor  dem 
Zerwürfnis  mit  Nero  vollendet  hatte,  findet  er  ein  solches  Stück  IX 
950  ff.  (Besuch  Casars  in  den  Ruinen  Trojas  und  Opfer),  dessen  Ton 
ihm  nicht  zur  Umgebung  zu  passen  scheint.  Die  andere  Stelle ,  die 
er  behandelt,  ist  VII  Anf.  (Traum  des  Pompeius  vor  der  Schlacht 
bei  Pharsalus).  Er  sieht  in  V.  9  ff.  eine  Reminiszenz  an  des  Dichters 
eigene  dichterischen  Erfolge  im  Theater  des  Pompeius  und  meint, 
die  Stelle  sei  geschrieben  zur  Zeit,  als  jener  sich  infolge  seiner  Be- 
teiligung an  der  pisonischen  Verschwörung  und  infolge  der  Be- 
sorgnis vor  einem  tragischen  Ausgange  in  gedrückter  Stimmung 
befunden  habe. 

Auf  den  Tod  Lucans  bezieht  sich 

V.  Ussani,  L'ultima  voce  di  Lucano  (Tacito  Ann.  XV  70). 
Riv.  fil.  1903,  p.  545—554. 

Er  wendet  sich  gegen  eine  Behauptung  von  Kortte,  die  heute 
wohl  kaum  Anhänger  haben  dürfte,  daß  nämlich  der  Bericht  bei 
Tacitus  über  die  letzten  Augenblicke  Lucans  eine  von  „otiosi  litteratores" 
gemachte  Erfindung  sei,  und  sieht  in  der  Stelle  Phars.  IV  56V)  ff.  die 
Verse,  welche  der  Dichter  bei  jener  Gelegenheit  rezitiert  habe.  Ihre 
Beziehung  zu  Tacitus  ist  aber  ganz  oberflächlich,  während  die  ge- 
wöhnlich mit  diesem  in  Zusammenhang  gebrachten  Verse  III  638  ff. 


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208     Jahresbericht  über  die  nachangusteischen  Epiker.  (Tolkiehn.) 


vollkommen  in  Einklang  mit  ihm  stehen,  was  Ussani  selbst  nicht  ent- 
gangen ist. 

Derselbe  Gelehrte  hat  die  vielerörterte  Frage  nach  den  Quellen 
und  der  damit  zusammenhängenden  Zuverlässigkeit  des  Dichters  in 
Angriff  genommen  in  dem  Buche 

Sul  valore  storico  del  poema  lucaneo,  Koma  1903. 

Der  geschichtliche  Wert  des  Gedichtes  läßt  sich  nur  auf  Grund 
von  genauer  Kenntnis  der  darin  benutzten  Quellen  bestimmen.  Es , 
ist  deshalb  so  schwierig,  hierüber  Klarheit  zu  erhalten,  weil  Lucans 
Vorgänger  unter  den  Historikern  bis  auf  Cäsar  verloren  sind  und 
die  späteren  Darstellungen  vielfach  das  Epos  selbst  in  höherem  oder 
geringerem  Grade  herangezogen  haben.  Dazu  gehören  Florus,  Appian, 
Dio.  Dali  Orosius  zu  diesen  von  Ussani  fälschlich  gerechnet  wird, 
hat  schon  Hosius,  Herl.  phil.  Woch.  1904  S.  842  gezeigt  Nicht 
recht  klar  ist  sich  Verf.  Über  die  Art  und  Weise,  in  der  Livius  vom 
Dichter  benutzt  ist.  Diesem  soll  nicht  das  Originalwerk  des  Ge- 
schichtschreibers, sondern  eine  mit  anderen  Quellen,  namentlich  Asinius 
Pollio  kontaminierte  Epitome  vorgelegen  haben.  Daneben  glaubt  er 
noch  direkte  Benutzung  des  Asinius  annehmen  zu  müssen.  Vollends 
unwahrscheinlich  ist  seine  Annahme,  daß  Cäsars  und  Ciceros  Brief- 
wechsel dem  Dichter  als  Quellen  gedient  hätten.  Vgl.  Hosius  a.  a.  0. 
S.  843.  In  Bd.  II  und  IX  hingegen  kann  Lucan  unter  der  Ein- 
wirkung des  Thrasea  Paetus  stehen. 

Für  die  Beurteilung  des  geschichtlichen  Wertes  der  Pharsalia 
ist  der  Umstand  von  besonderer  Wichtigkeit,  daß  Lucan  gar  nicht 
Geschichte  zu  schreiben  beabsichtigte  und  sich  daher  auch  nicht  an 
die  Wirklichkeit  zu  halten  brauchte.  Ussani  zählt  zunächst  eine 
Reihe  von  Ungenauigkeiten  auf,  die  sich  in  Bd.  I — III  und  VII  finden. 
Schwerer  wiegen  schon  die  Erfindungen  des  Dichters,  die  künstlerisch- 
rhetorischen Zwecken  dienen  und  unter  denen  besonders  die  ein- 
gestreuten Reden  hervortreten.  Noch  bedenklicher  ist  es,  daß  mehrere 
einander  ähnliche  Ereignisse  bisweilen  in  eins  zusammengezogen, 
andere  Ereignisse  gar  nicht  berücksichtigt  werden.  Am  schlimmsten 
jedoch  sind  die  Geschichtsfälschungen ,  die  der  Dichter  von  seinem 
politischen  Parteistandpunkte  aus  vorgenommen  hat.  Nur  da,  wo  es 
sich  um  bloße  Berichte  von  Tatsachen  handelt,  ist  Lucans  Dar- 
stellung zuverlässig,  und  da  bietet  er  manchmal  Ergänzungen  zu  den 
Berichten  unserer  anderen  Quellen. 

Ferner  hat  Ussani  einen  wertvollen  Beitrag  zur  Beurteilung  der 
Scholien  geliefert : 


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Jahresbericht  über  die  nachaugusteischen  Epiker.   (Tolkiehn.)  209 


II  testo  Lucaneo  e  gli  scolii  Bernensi.  Studi  Ital.  1903  S.  29 
bis  83. 

Nach  einem  Bericht  über  die  verschiedenen  Ansichten,  die  über 
den  Wert  nnd  das  gegenseitige  Verhältnis  der  Hss.  aufgestellt  worden 
sind,  geht  er  daran,  den  Text,  den  die  Scholien,  vor  allem  die  von 
Usener  herausgegebenen  Berner  aufweisen,  für  die  Textkritik  zu  ver- 
werten. Die  Lemmata  kommen  dabei  nicht  in  Frage ,  da  sie ,  wie 
schon  Francken  bemerkte,  nur  die  Bedeutung  eines  Kodex  vom  Aus- 
gange des  10.  Jahrhunderts  besitzen;  anders  steht  es  mit  den 
Erklärungen.  Ussani  betont  mit  Recht,  daß  keine  genügenden 
Gründe  vorhanden  sind,  ihre  Hauptmasse  dem  Vacca  zuzuschreiben, 
daß  im  Gegenteil  manches  dagegen  spricht.  Auch  Paulus  von 
Konstantinopel  kann  nicht  ihr  Urheber  sein.  Aus  der  Bemerkung 
zu  VIII  824  schließt  Ussani,  daß  der  Verfasser  vielmehr  ein  West- 
römer war  und  für  Weströnier  schrieb.  Als  seine  Zeit  sieht  er  das 
4.  Jahrhundert  an.  Ich  glaube,  daß  man  bei  näherem  Zusehen  noch 
weiter  kommen  kann  und  sich  ein  nicht  unwesentlicher  Teil  der 
Scholien  auf  den  Kommentar  das  Porphyrio  zurückführen  lassen  wird. 

Der  Text,  den  die  Scholien  bieten,  schwankt  zwischen  der 
paulinisohen  und  der  nichtpaulinischen  Rezension.  Ussani  versucht 
etwas  Genaueres  aus  den  nichtberticksichtigten  Versen  zu  ermitteln. 
Es  ist  aber  keineswegs  ausgemacht,  daß  Verse,  die  nicht  kommentiert 
werden,  auch  nicht  im  Texte  des  Kommentars  gestanden  haben. 

Den  zweiten  Teil  der  Abhandlung  bildet  ein  sorgfältiges  Vor- 
zeichnis  aller  Lesarten,  auf  denen  die  Erklärung  des  Scholiasten 
fußt,  mit  Zwischenbemerkungen  Ussanis. 

Mit  einem  einer  viel  späteren  Zeit  angehörenden  Kommentar  hat 
es  der  Aufsatz  desselben  Gelehrten  zu  tun: 

Le  Annotazioni  di  Pomponio  Leto  a  Lucano.  Rendiconti  dell' 
Accad.  dei  Lincei,  1904,  p.  366—385. 

Der  Codex  Vaticanus  3285  enthält  außer  einem  minderwertigen 
Text  des  Epos  den  letzten  geschriebenen  Lucankommentar,  der  Pom- 
ponius  Laetus  zum  Verfasser  hat.  Allerdings  ist  die  Arbeit  des 
Humanisten  nicht  beendet,  sondern  hört  bei  VIII  753  auf;  oftmals 
stehen  verschiedene  Erklärungen  darin  nebeneinander.  Ussani  teilt 
als  Probe  die  Anmerkungen  zu  I  1 — 100  mit.  Von  der  unmittel- 
baren Betrachtung  der  zu  erklärenden  Stelle  schweift  der  Verfasser 
oft  ab,  um  die  mannigfaltigsten  Notizen  aus  allen  möglichen  Schrift- 
stellern beizubringen,  und  kommt  dabei  vielfach  auf  Dinge  zu  sprechen, 
die  zu  dem  eigentlichen  Gegenstande  so  recht  keine  Beziehung  mehr 
haben. 

Jahresbericht  für  Altertunwwis^nschaft.   Bd.  CXXXIV.   (1907.  II.)  14 


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210    Jahresbericht  über  die  nachaugusteischen  Epiker.  (Tolkiehn.) 

Die  wichtigste  Erscheinung  der  gesainten  Literatur  Aber  Lucan 
in  der  hier  behandelten  Periode  ist  ohne  Zweifel 

M.  A  n  n  a  e  i  Lucani  de  hello  civili  libri  decem  iterum  edidit 
Carolus  Hosius.    Lipsiae  1905. 

Eine  Neubearbeitung  der  bereits  1892  erschienenen  ersten  Aus- 
gabe war  aus  mehrfachen  Gründen  dringend  erwünscht.  Einmal 
waren  die  Exemplare  schon  längst  im  Buchhandel  vergriffen,  sodann 
hatte  Hosius  damals  das  Handschriftenmaterial  nicht  in  wünschens- 
wertem Umfange  herangezogen ,  und  endlich  war  seit  jenem  Jahre 
auf  diesem  Gebiete  viel  Neues  erschienen,  was  berücksichtigt  werden 
mußte.  Auch  heute  bildet  noch  immer  der  Montepessulanus  die 
Grundlage  für  die  Gestaltung  des  Textes;  er  ist  von  Bonnet  von 
neuem  eingesehen.  Dagegen  hat  Hosius  nunmehr  sein  Urteil  über 
das  Verhältnis  verschiedener  Hss.  zu  M  wesentlich  geändert;  die 
Praefatio  gibt  darüber  Aufschluß.  Er  findet  die  zweitbeste  Quelle  in 
Parisinus  10  314  s.  IX  (Z),  ihm.  stellt  er  Paris.  7502  s.  X  zunächst. 
In  einem  geringen  Zwischenräume  läßt  er  Vossianus  XIX  f.  63  s.  X  (U ), 
in  einem  weiteren  Vossianus  XIX  q.  51  s.  X  (V)  folgen.  Mit  M. 
hängt  außerdem  aufs  engste  das  fraginentum  Lucani  im  Parisin.  10  403 
s.  IX  (Q)  zusammen,  welches  das  Stück  VIII  575  —  IX  124  zum  Teil 
in  sehr  verstümmeltem  Zustande  enthält.  Bisweilen  haben  auch  die 
Korrektoren  von  M  und  Z  Brauchbares  geliefert.  Auf  die  un- 
gleiche Behandlung  der  Orthographie  habe  ich  Berl.  phil.  Wochenschr. 
1907  S.  7  f.  hingewiesen. 

Einzelbemerkungen,  welche  der  Erklärung  und  Textkritik  dienen 
sollen,  enthalten  folgende  Arbeiten: 

1.  A.  Colli gnon,  Note  sur  Lucain  Pharsalia  II  93 — 96.  Rev. 
des  Stüdes  anciennes  1904  p.  42 — 46. 

Er  erklärt  die  Worte  „Libycas  sibi  colligit  iras"  mit  dem  Com- 
mentum  Bernense:  „Romanis  scilicet  collegit  inimicos  secum  Afros\ 
und  den  Ausdruck  „conflato  ferro"  mit  Haskins:  „les  fers  des  ergastules 
forgös  en  6p6es  annorent  ces  mains  feroces8. 

2.  Alex.  Wough  Young,  Two  notes  on  Lucan.  Class.  Rev. 
1905  p.  112 

will  I  123  überflüssigerweise  „te,  Caesar,  opes  ususque  laborum-erigit41, 
dagegen  scheint  mir  die  Änderung  U  665  „maris  Aegusae"  sehr 
glücklich. 

3.  Adolf  Haslauer,  Zu  Lucans  Pharsalia  Üb.  \rn.    Pr.  von 
Burghausen  IO^.j 


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Jahresbericht  über  die  nachaugusteischen  Epiker.  (Tolkiehn.)  211 

bebandelt  für  das  Buch  des  Epos,  welches  mit  der  Erzählung  von 
der  Entscheidungsschlacht  den  eigentlichen  Mittelpunkt  des  Ganzen 
bildet,  einzelne  fragliche  Lesarten  und  Erklärungen,  namentlich  unter 
Berücksichtigung  der  neuesten  Ausgaben  von  Haskins,  Hosius  (1892), 
Francken  und  Postgate.  Seine  Ausführungen  sind  verständig  und 
vorsichtig,  wenngleich  sie  sich  nicht  ausnahmslos  allgemeiner  Billigung 
erfreuen  werden.  Da,  wo  er  die  Überlieferung  gegen  unnötige 
Änderungen  verteidigt,  wie  z.  B.  V.  12,  128,  764  f.,  801,  wird  man 
ihm  meist  ohne  weiteres  beistimmen  können.  V.  488 — 521  tritt  er 
wohl  mit  Recht  gegen  Hosius  und  Postgate  für  die  Reihenfolge  in 
MV  ein.  Gut  ist  auch  seine  Erklärung  von  V.  462  f.  „quo  sua  pila 
cadant  aut  quam  sibi  fata  minentur  —  inde  manum  spectant"  (gleich 
„in  wessen  Schußlinie  sie  stehen").  Empfehlenswert  ist  auch  die 
Y.  199  f.  vorgeschlagene  Interpunktion:  „seu  lumen  in  aethere 
maestum  —  solis,  in  obscuro  pugnam  pallore  notavit". 

4.  RobertusSamse,  Interpretationes  Lucaneae.  Diss.  Göttingen 
1905 

hat  sich  vielfach  um  die  richtige  Erklärung  einzelner  Stellen  verdient 
gemacht  und  namentlich  solche  mit  abweichender  Überlieferung  in 
den  Kreis  der  Betrachtung  gezogen.  In  manchen  Punkten  berührt 
er  sich  mit  Haslauer,  der  ihn  aber  an  Klarheit  übertrifft.  Wenn 
er  in  bezug  auf  die  Wertschätzung  der  Hss.  zu  Steinharts  und 
Hosius'  Ansicht  von  der  Vortrefflichkeit  des  Montepessulanus  sich 
bekennt,  wird  man  ihm  im  großen  und  ganzen  beipflichten;  zur 
Unterstützung  dieser  Ansicht  hat  er  manche  nützliche  Bemerkung 
beigesteuert  und  gezeigt,  daß  diejenigen  Kritiker  irren,  welche  be- 
haupten, daß  Paulus  von  Konstantinopel  den  Text  durch  Konjekturen 
entstellt  habe.  Im  einzelnen  sei  folgendes  erwähnt:  Die  Überlieferung 
nimmt  er  mehrfach  gegen  überflüssige  Konjekturen  in  Schutz,  so 
IV  559,  VI  18,  126,  IX  580,  592,  762,  944,  III  379.  VI  200  zieht 
er  die  Lesarten  von  M  vor.  IX  338  setzt  er  wohl  richtig  mit  Leo 
ein  Komma  hinter  mare.  I  103  hält  er  Isthmos  für  das  Subjekt  zu 
frangent.  I  531  bezieht  er  tenso  auf  die  intentio  der  Luft,  VI  708 
erklärt  er  plena  =  iusta.  VII  125  konjiziert  er  „laxat  ceu",  was 
sehr  unwahrscheinlich  ist.  Ganz  mißglückt  scheint  mir  die  Behand- 
lung von  VII  460  ff.  Hier  will  er  die  Stellung  von  M  beibehalten, 
übersetzt  V.  462  tempus  ungeheuerlicherweise  mit  „Schläfe",  wozu 
„vultus"  Glosse  sei,  und  billigt  Leos  Konjektur  „tempus  cognoscere 
possint",  muß  aber  selbst  zugestehen,  daß  dabei  ein  „audacissiraum 
dicendi  genus"  herauskomme  usw.  Ich  verweise  demgegenüber  auf 
Haslauers  natürliche  Erklärung.    VIII  157  verteidigt  Samse  richtig 

14  ♦ 


212   Jahresbericht  über  die  nachaugusteischen  Epiker.  (Tolkiehn.) 

die  Lesart  „summissa  nimis"  gegen  Hosius,  daß  aber  turba  =  optoc 
sein  kann,  dafür  ist  er  den  Beweis  schuldig  geblieben. 

Ganz  zuletzt  spricht  er  sich  für  die  Echtheit  des  Proömiums 
aus.  Die  Notiz  von  der  Autorschaft  Senecas,  meint  er,  sei  erfunden, 
um  Lucan  gegen  Frontos  Angriff  (p.  157  Nab.)  zu  verteidigen. 

5.  J.  Cornu,  Zu  Lucan  6,  558.   Arch.  f.  lat.  Lexikogr.,  1906 
S.  184 

empfiehlt  die  Lesung  der  Fragmenta  Neapolitana  „vacabat",  was 
wegen  der  Bedeutung  des  Verbums  sehr  bedenklich  ist. 

Als  einen  Beitrag  zur  Erklärung  Lucans  kann  man  auch  noch 
bezeichnen  die  Veröffentlichung  von 

J.  P.  Postgate,  Pharsalia  nostra.    Class.  Rev.  1905,  p.  257 
bis  260. 

Er  hält  schwerlich  mit  Recht  die  Angaben  der  antiken  Schrift- 
steller für  zu  unbestimmt,  als  daß  man  daraus  irgend  etwas  Sicheres 
über  die  Örtlichkeit  der  Entscheidungsschlacht  zwischen  Cäsar  und 
Pompeius  folgern  könnte.  Seine  Behauptung  aber,  daß  der  Dichter 
Thessalia  vollkommen  synonym  mit  Pharsalia  brauche,  ist  nicht  stich- 
haltig. 

Nicht  zugänglich  gewesen  sind  mir  folgende  Arbeiten: 

*W.  K.  Clement,  Der  Gebrauch  des  Infinitivs  bei  Lucan, 
Valerius  Flaccns,  Statius  und  Juvenal.  Proceedings  of  the  American 
Philol.  Assoc.    XXXIV,  p.  36. 

*J.  W.  Basore,  Direct  speech  in  Lucan  as  an  element  of 
epical  technic,  ebd.    XXXV,  p.  XCIV— XCVI. 

♦Lucano  poema  tradotto  da  U.  Ussani.  Fase.  VII  1.  VII, 
Torino  1903. 

*  Lucan.  Pharsalia  Translated  into  blank  verse  by  Ed.  Ridley. 
London  1905. 

*  P.  Thomas,  Notes  sur  Lucain ,  Suötone  et  le  Quärolus. 
Mölanges  Paul  Frödericqs.    Brüssel  1904. 

• 

4.  Valerius  Flaccus. 

Über  das  Leben  des  Dichters  hat  geschrieben 

♦Caesar  Giarratano,De  Valerii  Flacci  vita  commentatio. 
Rendiconti  della  R.  Accad.  di  Archaeol.    Neapel  1903. 

Nach  dem  Berichte  von  Amatucci,  Riv.  fil.  1905  p.  607  f. 
scheint  das  Schriftchen  identisch  mit  dem  zweiten  Kapitel  der  Pro- 
legomena  in  der  tüchtigeu  Ausgabe  desselben  Gelehrten: 


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Jahresbericht  über  die  nachaugusteischen  Epiker.  (Tolkiehn.)  213 

C.  Valerii  Flacci  Balbi  Setini  Argonauticou  libri  VIII.  Re- 
cognovit  Caesar  Giarratano.  Mediolani-Panormi-Neapoli  1904 

Sehr  nützlich  ist  der  vorausgeschickte  „Index  scriptorum  ad 
Valerium  Flaccum  pertinentium",  welcher  die  seit  1724  erschienenen 
Schriften  mitsamt  den  über  sie  veröffentlichten  Besprechungen  in  chrono- 
logischer Reihenfolge  verzeichnet.  Die  Schriften,  welche  vor  dieses  Jahr 
fallen,  erwähnt  das  erste  Kapitel  der  Prolegomena,  indem  zugleich  die 
früheren  Ausgaben  besprochen  werden.  Das  dritte  untersucht  sorg- 
fältig die  handschriftliche  Überlieferung  und  entwickelt  die  Grund- 
sätze, von  denen  sich  der  Herausgeber  bei  der  Gestaltung  des  Textes 
bat  leiten  lassen.  Danach  ist  der  Vaticanus  3277  die  vornehmste 
Quelle,  unter  seinen  Abschriften  beansprucht  der  Monacensis  den 
ersten  Rang;  wo  der  Vaticanus  offenbar  verderbt  ist,  kommt  der 
Sangallensis  an  die  Reihe,  wo  beide  versagen,  ist  die  Handschrift 
Carrions,  aber  nur  mit  der  äußersten  Vorsicht,  zu  Rate  zu  ziehen; 
den  Interpolationen  des  Sangallensis  und  liber  Carrionis  gegenüber  ver- 
dienen die  leichten  Emendationen  im  Vaticanus  den  Vorzug.  Die  Härte 
des  Ausdruckes  bei  Valerius  bringt  es  mit  sich,  daß  öfters  eine 
richtige  Erklärung  statt  einer  Korrektur  nottut;  daraus  ergibt  sich 
für  den  Herausgeber  die  Pflicht,  .tunlichst  der  Schreibung  des  Vati- 
canus zu  folgen,  wo  aber  emendiert  werden  muß,  von  den  tiber- 
lieferten Buchstaben  möglichst  wenig  abzuweichen. 

Das  vierte  Kapitel  behandelt  eine  Reihe  einzelner  Stellen.  Im 
fünften  sucht  Giarratano  die  Frage  zu  lösen,  ob  das  Epos  vollendet 
ist  oder  nicht.  Er  kommt  dabei  zu  dem  Ergebnis,  daß  Heinsius' 
Ansicht,  wonach  das  Fehlen  des  Schlusses  auf  Rechnung  der  Über- 
lieferung zu  setzen  sei,  das  meiste  für  sich  habe. 

Was  den  darauf  folgenden  Text,  unter  dem  ein  reichhaltiger 
Apparat  steht,  anlangt,  so  zeigt  der  Herausgeber  hier  eine  lobens- 
werte Vorsicht  und  einen  anerkennenswerten  Konservativismus. 

Zur  Kritik  und  Exegese  sind  folgende  Schriften  namhaft  zu 
machen : 

1.  Fr.  Leo,  Coniectanea  Herrn.    1903,  p.  307—310. 

2.  J.  B.  Hu  blocher,  Enarravit  Petrus  Langen  C.  Valerii 
Flacci  Argonauticon  libros  VIII.    Pr.  Landshut  1904. 

3.  H.  Stroh,  Studien  zu  Valerius  Flaccus,  besonders  über 
dessen  Verhältnis  zu  Vergil.   Diss.  München.  Augsburg  1905. 

4.  *E.  H.  Renkeina,  Observationes  criticae  et  exegeticae  in 
C.  Valerii  Flacci  Argonautica.  Diss.  Utrecht  1906.  Vgl. 
die  Rezension  von  Hublocher,  Wochenschr.  f.  kl.  PhiloL 
1907  S.  484  ff. 


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214    Jahresbericht  über  die  nacbaugusteischen  Epiker.  (Tolkiehn.) 

5.  *  J  o  h.  Samuelsson,  Studia  in  Yaleriura  Flaccura,  Eranos  VI, 
p.  72 — 100.  Upsala  1906.  Vgl.  die  Rezension  von  0.  Helm, 
Wochenschr.  f.  kl.  Philol.  1906  S.  908  f. 

Leo  behandelt  etwa  ein  halbes  Dutzend  einzelner  Stellen,  indem 
er  teils  die  Überlieferung  durch  richtige  Erklärung  verteidigt,  teils 
eigene  Textesänderungen  vorschlägt,  die  auch  Giarratano  in  der  Ad- 
notatio  critica  zu  seiner  Ausgabe  mitgeteilt  hat. 

Hublocher  und  Stroh  geben  Nachträge  zu  dem  bekannten 
Kommentar  von  Langen.  Ersterer  bringt  nach  einer  allgemeinen 
Beurteilung  dieses  Buches,  die  ja  nur  günstig  ausfallen  konnte,  Be- 
obachtungen zu  ausgewählten  Stellen.  Da  er  vielfach  nur  seine  sub- 
jektive Ansicht  ohne  Anführung  von  Gründen  vorbringt,  so  ist  ein 
großer  Teil  seiner  Arbeit  vollkommen  wertlos,  nur  ab  und  zu  findet 
man  einige  Weizenkörner  unter  der  Spreu.  Einen  viel  vorteil- 
hafteren Eindruck  macht  der  kritische  Anhang,  den  Stroh  seiner 
Arbeit  angehängt  hat.  Er  räumt  mit  einer  Reihe  von  Konjekturen 
auf,  die  von  den  Herausgebern  zu  Unrecht  auf  Kosten  der  richtigen 
Überlieferung  in  den  Text  gesetzt  worden  sind.  I  6  J  z.  B.  liest  er 
getrennt  „ex  terno  (st.  externo)  liventia  mella  veneno"  (=  infolge 
dreier  Arten  von  Gift),  indem  er  auf  die  Bedeutung  der  Zahl  8  im 
antiken  Zauberwesen  hinweist.  VI  552  hält  er  das  überlieferte 
„atris"  in  der  Bedeutung  „verhängnisvoll,  furchtbar"  u.  a.  m. 

Die  Arbeit  von  Renkema  bezeichnet  Hublocher  als  einen  schätzens- 
werten Beitrag  zur  Valeriusliteratur.  Eine  dreifache  Aufgabe  hat 
sich  nach  seinem  Bericht  der  Verf.  gestellt.  Die  erste,  die  darin 
besteht,  durch  Erklärung  das  Verständnis  derjenigen  Stellen  des  Ge- 
dichtes zu  fördern,  deren  Sinn  noch  nicht  genügend  erkannt  ist, 
habe  R.  durchweg  glücklich  gelöst.  In  bezug  auf  die  zweite  Aufgabe 
aber,  den  verderbten  Stellen  durch  Emendation  aufzuhelfen,  habe  er 
häufig  ohne  Rücksicht  auf  die  Eigenart  des  Dichters  an  der  Über- 
lieferung auch  da,  wo  es  nicht  am  Platze  sei,  gerüttelt.  Ein  wirk- 
liches Verdienst  endlich  habe  er  sich  dadurch  erworben,  daß  er  an 
verschiedenen  Stellen  die  Authentizität  der  ohne  Grund  angefochtenen 
Worte  des  Dichters  verteidige. 

Bei  Samuelsson  nimmt  den  Hauptteil  der  Arbeit,  wie  aus  Helms 
Bericht  hervorgeht,  die  Besprechung  einzelner  Stellen  ein.  Außerdem 
aber  bietet  er  auf  Grund  von  einer  eigenen  Kollation  des  Vat. 
3277  Nachträge  zu  den  handschriftlichen  Lesarten  im  Anschluß  an 
Thilos  Ausgabe  und  prüft  die  Frage  nach  dem  Wert  des  Sangallensis 
und  der  Hs.  Carrions  aufs  neue,  wobei  er  gegen  Giarratano  polemisiert. 
Er  „vertritt  die  alte  Ansicht  von  Thilo,  daß  der  Sangallensis  aus  dem 


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Jahresbericht  über  die  nachaugusteischen  Epiker.  (Tolkiehn.)  215 

Vaticanus  selber  stammt."  Aach  in  betreff  des  über  Carrionis  wendet 
er  sich  gegen  den  italienischen  Gelehrten,  der  meint,  daß  diese  Hs. 
aus  demselben  Archetypus  wie  der  Vaticanus  oder  einem  sehr  ähn- 
lichen abgeschrieben  sei. 

Die  Beziehungen  des  Valerius  zu  Vergil  sind  in  Langens 
Kommentar  ziemlich  eingehend  verwertet  worden.  Daß  aber  die 
Nachahmung  dieses  Dichters  noch  weiter  geht,  als  die  Angaben  des 
Erklärers  erkennen  lassen,  ist  schon  von  Karl  Wey  man,  Bl.  f.  d. 
layr.  Gymnasialw.  1898  S.  628  ausgesprochen  worden.  Auf  An- 
regung dieses  Gelehrten  hat  Stroh  in  der  oben  angeführten  Disser- 
tation die  Frage  nochmals  untersucht.  Nach  möglichst  genauer  Prüfung 
der  vorhandenen  Literatur  führt  er  im  1.  Abschnitt  (S.  7 — 27)  die- 
jenigen Stellen  an,  die  außer  den  von  Langen  angegebenen  im 
Kommentar  hätten  Platz  finden  können;  im  2.  Abschnitt  (S.  28  —  52) 
macht  er  auf  eine  Anzahl  bisher  noch  nicht  herangezogener  Parallelen 
aufmerksam,  und  zwar  ordnet  er  sie  nach  dem  Sitz  der  imitatio  im 
Verse.  Zahlreiche  Anklänge  an  Vergilische  Verse  treten  uns  am 
Anfange  des  Hexameters  vor  der  Cäsur  entgegen,  weitaus  die  zahl- 
reichsten zeigen  sich  aber  im  Ausgange  des  Verses,  seltener  ist  Über- 
einstimmung am  Anfange  und  Schluß  des  Hexameters  zugleich.  In 
nicht  wenigen  Versen  endlich  finden  wir  gleichklingende  Worte  vor  einer 
der  drei  gewöhnlichen  Cäsuren  und  in  dem  letzten  Fuße  des  Hexameters. 
Besonders  häufig  ist  die  Erscheinung,  daß  ein  Attribut  vor  der  Cäsur, 
das  zugehörige  Adjektiv  aber  am  Schlüsse  zu  stehen  kommt.  Der 
3.  Abschnitt  (S.  53—74)  beschäftigt  sich  mit  den  Variationen  Vergili- 
scher  Verse.  „Hiebei  leiteten  den  Dichter  zum  Teil  metrische  Gründe, 
zum  Teil  auch  das  Bestreben,  den  Schein  eines  sklavischen  Nach- 
ahmens zu  vermeiden.  Vielfach  wählt  er  für  das  Wort  seines  großen 
Vorgängers  ein  gleichbedeutendes,  oft  sucht  er  durch  Heranziehung 
eines  anderen  Bildes  oder  einer  poetischen  Figur  dem  Verse  eine 
andere  Färbung  zu  verleihen."  Der  4.  Abschnitt  (S.  72 — 77)  zeigt, 
wie  Valerius  sein  Vorbild  an  Kraft  des  rhetorischen  Ausdruckes  noch 
zu  übertreffen  bemüht  ist.  Der  5.  Abschnitt  endlich  (S.  78  —83)  be- 
handelt diejenigen  Stellen,  an  denen  der  Dichter  Teile  verschiedener 
Vergilischer  Hexameter,  besonders  Anfangsworte  und  Versschlüsse  in 
einem  einzigen  Verse  verwendet  hat. 

5.  5üius  Italicus. 

Eine  Ausgabe  der  Punica  ist  erschienen  in  dem 

Corpus  poetarum  latinorum  ed.   Postgate.    Vol.  II  Tart.  4. 
London  1904. 


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216    Jahresbericht  über  die  nachaugusteischen  Epiker.  (Tolkiehn., 

Der  Herausgeber  W.  C.  Summers  stützt  sich  auf  die  Sammlungen 
von  H.  Blaß  und  die  Ausgabe  von  L.  Bauer  und  bringt  selbst  nicht 
viel  Neues. 

Textkritischer  Natur  sind  die  Aufsätze  von 

1.  H.W.  Garrod,  Some  emendations  of  Silius  Italiens.  Class. 
Rev.  1905,  p.  858. 

2.  J.  P.  P  o  s  t  g  a  t  e ,  Yews  and  suicide,  ebd.  p.  358  f. 

Unter  den  von  Garrod  angestellten  Verbesserungsversuchen 
scheint  mir  nur  I  613  ff.  „menta"  st.  „mensa"  beachtenswert.  Gegen 
seine  Konjektur  „fas  est"  III  329  st.  „saxo"  wendet  sich  Postgate, 
der  Kupertis  Vorschlag  „taxo"  billigt. 

Vermischten  Inhalts  ist  die  Arbeit  von 

A.   T.   Lindblom,    In    Silii    Italici   Punica  quaestiones. 
Commentatio  academ.    Upsaliac  1906. 

Sie  zeugt  von  ausgebreiteter  Literaturkenntnis  und  zerfallt  in 
3  Teile.  Der  erste  handelt  vom  Gebrauch  der  Modi  und  Tempora 
in  Hauptsätzen,  der  zweite  von  demselben  Gegenstande  in  bezug  auf 
Nebensätze,  der  dritte  bringt  „Adnotationes  variae  ad  criticam  maxime 
rem  spectantes"  meist  von  konservativem,  die  Überlieferung  billigendem 
Staudpunkte  aus. 

Nicht  zu  meiner  Kenntnis  gelangt  ist  das  Programm  von 

*Z.  ßaudnik,  Die  epische  Technik  des  Silius  Italicus  im 
Verhältnis  zu  seinen  Vorbildern.    Teil  I.    Krumau  1906. 

6.  Statius. 

Eine  Gesamtausgabe  der  Gedichte  des  Statius  liegt  vor  in  dem 

Corpus  poetarum  latinorum  ed.  Postgate.    Vol.  II  Fase.  IV. 
London  1904. 

Die  Thebais  und  Achilleis  ist  von  A.  S.  Wilkins  besorgt,  welcher 
den  Puteaneus  selbst  verglichen  hat,  ebenso  die  beiden  Codices,  die 
sich  in  Canterbury  belinden.  Im  übrigen  liegt  Kohlmanns  Apparat 
dem  seinigen  zugrunde.  —  Die  Silvae  haben  Postgate  und  G.  A.  Davies 
gemeinsam  bearbeitet.    Ihre  Quelle  ist  die  Ausgabe  von  Klotz. 

In  den  Silvae  hat  die  Handschriftenfrage  eine  lebhafte  Kontro- 
verse hervorgerufen.  Alfred  Klotz  in  seiner  Ausgabe  der  Silvae 
Leipzig,  Teubner  1900,  p.  LXXIII  hatte  behauptet,  daß  der  codex 
Matritensis  (M)  die  einzige  und  älteste  Quelle  unserer  Überlieferung 
sei,  da  er  identisch  sei  mit  dem  Sangallensis,  von  dem  Poggio  während 
des  Kostnitzer  Konzils  eine  ziemlich  liederliche  Abschrift  nach  Italien 


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Jahresbericht  über  die  nachaugusteischeu  Epiker.  (Tolkiehn.)  217 

geschickt  habe,  and  dessen  Lesarten  bekannt  seien  durch  die  vou 
Angelo  Poliziano  aus  dieser  Abschrift  in  einem  Exemplar  der  Edit. 
princ.  —  jetzt  in  der  Bibliotheca  Orsiniana  in  Rom  befindlich  — 
gemachten  Eintragungen. 

Demgegenüber  trat  A.  E  n  g  e  1  m  a  n  n ,  De  Statii  Silvarum  codieibus, 
Leipz.  Stud.  XX,  1902,  S.  1—144  für  die  Selbständigkeit  und  den 
Wert  der  Kollation  Polizianos  ein. 

Auf  seine  Seite  stellte  sich  sein  Lehrer  Wach smuth,  Zu  den 
Handschriften  der  Silven  des  Statius,  ebd.  S.  203—214,  nur  wich  er 
insofern  von  Engelmann  ab,  als  er  sich  darzulegen  bemühte,  daß 
Poggio  wirklich  den  alten  Kodex  und  nicht  nur  eine  Abschrift  nach 
Italien  gebracht  und  Poliziano  in  der  Tat  diesen  alten  Schweizer 
Kodex  selbst  benutzt  habe. 

An  der  Lösung  dieser  Frage  haben  sich  weiter  beteiligt: 

1.  Fr.  Vollmer,  Zur  Überlieferung  von  Statius'  Silvae.  Hermes, 
1903,  S.  134—139. 

2.  A.  Engel  mann.  Über  "die  Handschriften  der  Silven  des 
Statius,  ebd.  S.  285—291. 

3.  A.  Klotz,  Zur  Überlieferung  der  Silvae  des  Statius,  ebd. 
S.  468—480. 

4.  J.  P.  Postgate,  The  manuscript  problem  in  the  Silvae  of 
Statius.    Class.  Rev.  1903,  S.  344—351. 

Postgate  erörtert  zunächst,  was  wir  unter  der  alten  Iis.  des  Poggio 
zu  verstehen  haben;  er  nimmt  in  Übereinstimmung  mit  Vollmer  wohl 
mit  Recht  an ,  daß  in  der  Tat  nur  eine  Abschrift ,  nicht  aber  der 
alte  Kodex  selbst  durch  Vermittelung  des  gelehrten  Florentiners  nach 
Italien  gekommen  sei.  Als  er  das  Ms.  dorthin  sandte,  hatte  Poggio 
nach  seinem  eigenen,  in  einem  Schreiben  an  Francesco  Barbaro  ent- 
haltenen Zeugnis  es  nur  bis  zum  13.  Buche  der  Punica  des  Silius 
Italiens,  die  auch  darin  enthalten  waren,  durchgesehen,  bis  zu  den 
Silvae  war  er  noch  nicht  gelangt  und  hat  vermutlich  zur  Fortsetzung 
der  Textesrevision  nicht  vor  dem  Jahre  1431  oder  1432  Gelegenheit 
gehabt.  Bis  zu  seinem  im  Jahre  1459  erfolgten  Tode  ist  die  Hs. 
wohl  in  seinem  Besitz  geblieben.  Dann  hören  wir  nur  noch  einmal 
von  ihr  durch  die  Mitteilung  Polizianos  in  seinem  Kollationsexemplar, 
dem  Über  Corsinianus  „incidi  in  exemplar  Statii  Sylvarum,  quod  ex 
Gallia  Poggius  Gallica  scriptum  manu  attulerat.  A  quo  videlicet 
uno  licet  mendoso  depravatoque  et  (ut  arbitior)  etiam  dimidiato 
reliqui  omnes  Codices,  qui  sunt  in  manibus  emanarunt".  Mit  dieser 
Annahme  soll  sich  nach  Vollmer,  dem  Klotz  beistimmt,  Poliziano 


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218    Jahresbericht  Uber  die  nachaugusteischen  Epiker.  (Tolkiehn.) 

gründlich  getäuscht  haben.  Demgegenüber  betont  Postgate  mit  ge- 
wichtigen Gründen,  daß  Poliziano  zweifelsohne  den  codex  Poggii  ge- 
funden hat.  Dann  aber  folgt  notwendig,  daß  dieser  nicht  mit  dem 
Matritensis  identisch  sein  kann.  Denn  bei  aller  Übereinstimmung 
finden  sich  doch  mehrere  Unterschiede  zwischen  beiden,  die  ;sich 
durch  diese  Annahme  nicht  [aus  dem  Wege  schaffen  lassen.  Gegen 
ihre  Identität  spricht  der  Umstand,  daß  der  Vers  I  4,  68  a  „attollam 
cantu  gaudet  thrasymennus  et  alpes8  in  M  steht,  während  Poliziano 
ausdrücklich  sagt:  „hic  versus  deest  i  libro  vetustissimo  poggii  qui 
e  Germania  in  Italiä  e  relatus",  woran  wir  nicht  zweifeln  dürfen. 
Außerdem  schien  Poliziano  der  Kodex,  den  er  benutzte,  unvollständig 
(dimidiatus) ,  während  M  die  Subscriptio  enthält:  „FINIS  ADEST 
VERE  PRECIVM  VVLT  SCRIPTOR  HABERE".  Endlich  teilt  Post- 
gate mit,  daß  u.  a.  Kenyon  auf  eine  diesbezügliche  Anfrage  erklärt 
habe,  der  Matritensis  sei  vermutlich  um  das  Jahr  1480  in  Italien 
geschrieben,  also  nicht  „gallica  manu"  wie  die  von  Poliziano  be- 
schriebene Hs. 

Nach  diesen  Auseinandersetzungen  gelangt  Postgate  zu  dem 
Schlüsse:  -„that  the  Madrid  codex  is  a  copy  of  the  Vetus  Poggii 
made  after  its  arrival  in  Italy",  und  man  wird  zugeben,  daß  mit 
dieser  Annahme  die  bislang  bestehenden  Schwierigkeiten  gehoben  zu 
sein  scheinen.  Daß  in  der  Praefatio  zu  Bd.  I  in  M  eine  Lücke  von 
elf  Buchstaben  vorhanden  ist,  während  am  Rande  des  Corsinianus  die 
Ergänzung  „oportet  huius"  steht,  wovon  das  erste  o  von  der  Hand 
Polizianos  herrührt,  kann  man  daher  erklären,  daß  Poliziano  nur  noch 
diesen  Buchstaben  lesen  konnte,  der  Schreiber  des  Matritensis  auch 
nicht  einmal  diesen  mehr.  X)ie  Lücke  ist  auch  von  Wichtigkeit  für 
die  Beurteilung  der  Stellung  der  übrigen  Hss.  zu  M.  und  dem  alten 
codex  des  Poggio. 

Was  den  Vers  14,  86a  betrifft,  so  haben  Vollmer  und  Klotz 
recht,  die  ihn  gegen  Engelmanns  Athetierung  in  Schutz  nehmen.  Er 
stand  vermutlich  in  der  Hs.  des  Poggio,  als  M  daraus  abgeschrieben 
wurde,  und  ward  späterhin  ausradiert.  In  bezug  auf  den  Ursprung 
der  Hs.  des  Poggio  schließt  sich  Postgate  der  Ansicht  L.  Traubes 
an,  welcher  sie  für  eine  Abschrift  hält,  die  ein  irischer  Schreiber 
von  einem  St.  Gallener  Ms.  des  9.  oder  10.  Jahrhunderts  genommen  habe. 

Und  was  folgt  aus  alledem  für  die  Gestaltung  des  Textes  der 
Silvae?  „Neben  M,  den  man  nicht  überschätzen  darf,  ist  Polizianos 
Kollation  zu  berücksichtigen"  *). 

*)  Daß  diese  ganz  wertlos  ist  und  nur  der  cod.  Matrit.  die  Grundlage 
des  Textes  bildet,  zeigt  P.  Thielscher,  Philol.  N.  F.  XX  85 ff.      W.  K. 


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Jahresbericht  über  die  nachaugusteischen  Epiker.  (Tolkiehn.)  219 

Auf  diesem  Standpunkt  steht  auch  die  neueste  englische  Ausgabe 

P.  Papini   Stati   Silvae.     Recognovit   brevique  adnotatione 
critica  instruxit  J.  S.  Phillimore.    Oxonii  1904, 

wo  in  der  Praefatio  die  Frage  nach  dem  Verhältnis  zwischen  jenen 
beiden  Zeugen  der  Überlieferung  von  neuem  aufgerollt  wird.  Neu 
sind  hier  im  Apparatus  criticus  Marginalien,  die  von  Gelehrten  des 
15.  oder  16.  Jahrhunderts  in  einigen  Ausgaben  der  Bodleiana  und 
einer  Domitiana  sich  vorfinden.  Wie  wenig  glücklich  Phillimore  in 
der  Gestaltung  des  Textes  gewesen,  hat  Alfred  Klotz,  Berl. 
philo!.  Wochenschr.  1906  S.  461  ff.  ausführlich  dargetan. 

Auf  einen  in  der  neueren  Zeit  unbeachtet  gebliebenen  Kodex 
der  Silvae  hat  hingewiesen 

A.  Elter,  Eine  Statiushandschrift  in  Palma.    Berl.  phil. 
Wochenschr.  1905  S.  1100  f. 

Sein  Verhältnis  zu  den  übrigen  Hss.  hat  auf  Grund  von  Photo- 
graphieen  zweier  Seiten  daraus  aufgeklärt 

A.  Klotz,  ebd.  S.  1101  f. 

Er  ist  erst  in  der  zweiten  Hälfte  das  15.  Jahrhunderts  ge- 
schrieben und  vermutlich  ein  Zwillingsbruder  des  Kodex,  aus  dem 
die  Edit.  pr.  stammt. 

Ganz  besonders  zahlreich  sind  die  Bemühungen  um  einzelne 
Stellen  der  Silven,  doch  haben  sie  nicht  gerade  viel  brauchbare  Er- 
gebnisse gezeitigt.  Wir  verzeichnen  sie  nachstehend  in  chronologischer 
Reihenfolge : 

1.  A.  Klotz,  Jubatus.  Arch.  f.  lat.  Lexikogr.  1904  S.  286. 

2.  W.  R.  Hardie,  Notes  on  the  Silvae  of  Statius.   Class.  Rev. 
1904  p.  156-158. 

3.  Job.  P.  Postgate,  Ad  Silvas  Statianas  silvula.  Philol.,  1905 
p.  116—136. 

4.  A.  Schilling,  Lucubrationum  Statianarum  Pars  I.  Progr. 
Rixdorf  1905. 

5.  R.   Törnebladh,   Ad  Statium  adnotationes.  Commentat. 
philol.  in  honorem  J.  Paulson.    Gotoburgi  1905  p.  41  —  54. 

6.  A.  E.  Ho as man,  The  silvae  of  Statius.    Class.  Rev.  1906 
p.  37—47. 

7.  D.  A.  Slater,  Conjectural  emendations  in  the  silvae  of 
Statius.    Journ.  of  Philol.  1906  p.  133  —  160. 

8.  J.  P.  P  o  s  t  g  a  t  e ,  On  three  passages  of  the  Silvae  of  Statius. 
Class.  Rev.  1906  p.  306,  307. 


220     Jahresbericht  über  die  nachauguste^chen  Epiker.  (Tolkiehn.) 

Klotz  erklärt  Silv.  V  1,  83  iubatus  „vom  Haupthaar  umwallt". 
Hardie  weist  I  4,  39  f.  „quae  tum  patrumque  equitumque  notavi- 
lumina  et  ignarae  plebis  lugere  potentes"  die  Auffassung  Vollmers 
von  lumina  (=  Leuchten)  und  ignarus  (=  unbekannt,  obskur) 
zurück  und  erklärt :  „ What  eyes  I  observed  —  that  is  ,what  sadness 

I  read  in  the  eyes  of  senator  and  knight  and  of  the  commons,  un- 
wont  as  they  are  to  show  sympathy  for  the  'great'".  In  II  2,  100 
bis  106  sieht  er  im  Gegensatz  zu  Vollmer  zwei  voneinander  ganz 
verschiedene  Bilder.  V.  100 — 103  schildern  eine  Vereide  mitten  im 
Weinberge,  die  mit  einem  blätterreichen  Zweige  sich  das  Salzwasser 
aus  dem  Gesicht  wischt.  V.  104—106  zeigen  uns  Satyre  und  Pane 
auf  der  Verfolgung  einer  anderen  Nymphe  namens  Doris.  Die  Worte 
„sparsa  est  vindemia  fluctu"  bedeuten:  „der  Schaum  des  Meeres  be- 
spritzt die  reifen  Trauben".  Hier  ist  H.s  Auffassung  wohl  natür- 
licher. In  demselben  Gedicht  V.  147  f.  schlägt  er  die  Ergänzung 
vor:  „Tuque  nurus  inter  longe  praedocta  Latinas  —  parque  viro 
mentem,  cui  non  praecordia  curae"  etc.  Das  ist  selbstredend  eine 
hypothetische  Ergänzung  wie  jede  andere;  doch  hat  H.  wohl  darin 
recht,  daß  „nurus"  in  der  Bedeutung  „Frauen"  nicht  ohne  einen  die 
Herkunft  bezeichnenden  Zusatz  gebraucht  wird. 

Postgates  Aufsatz  im  Philologus  enthält  eine  Reihe  ganz  geist- 
reicher Einfälle,  die  aber  meist  ohne  praktischen  Nutzen  sind.  Seine 
Koujekturen  stützen  sich  vorwiegend  auf  die  von  Engelraann  be- 
obachteten und  klassifizierten  Verschreibungen  in  Matritensis.  Eine 
besondere  Vorliebe  hat  er  für  die  Vertauschung  metrisch  gleich- 
wertiger Worte  innerhalb  zweier  aufeinander  folgender  Verse.  Be- 
achtenswert scheint  mir  seine  Behandlung  von  14,  61,  wo  er  das 
überlieferte  „progressus"  halten  und  „morast"?  (=  num  moraris?) 
schreiben  will,  ferner  II  1,  64,  65  die  Vertauschuug  der  Präpositionen 
ad  und  in,  II  6,  50  der  Vorschlag  „repetisse"  für  das  verderbte 
„potasse"  und  IV  5,  9  die  Interpunktion  „nunc  cuncta  veris:  fron- 
dibus"  etc. 

Schilling,  der  in  der  Einleitung  einen  überschwenglichen  Lobes- 
hymnus auf  Statius  anstimmt,  behandelt  der  Reihe  nach  Silv.  I  3.  5. 

II  3 — 5.  IV  5.  7.  9.  V  4,  indem  er  jedesmal  einige  Stellen  zuvor 
bespricht  und  dann  den  Text  mit  Übersetzung  folgen  läßt.  Die  Vor- 
bemerkungen sind  jedoch  recht  unbedeutend ,  seine  Verbesserungs- 
vorschläge entbehrlich  und  die  Übertragung  erscheint  wenig  gewandt. 

Törnebladh  geht  von  dem  gewiß  zu  billigenden  Grundsatze  aus, 
daß  die  Autorität  der  IIss.  im  allgemeinen  höher  stehen  müsse  als 
Emendationsversuche,  doch  dürfe  man  darüber  nicht  unberücksichtigt 


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Jahresbericht  über  die  nachaugusteischen  Epiker.   (Tolkiehn.)  221 

lassen,  was  der  Zusammenhang  oder  der  Sprachgebrauch  fordere. 
Dementsprechend  nimmt  er  sich  an  mehreren  Stellen  der  durch  Kon- 
jekturen gefährdeten  Überlieferung  an  und  teilt  nützliche  Beobachtungen 
über  den  Sprachgebrauch  des  Dichters  mit.  Auch  die  Erklärung 
hat  er  in  mehrfacher  Hinsicht  gefördert ,  und  man  wird  ihm  z.  B. 
I  1,  37 — 39  und  100,  wo  er  von  Vollmer  abweicht,  gern  beistimmen. 
Zu  12,  138  sucht  er  darzutun,  daß  Violentilla  Witwe  gewesen  sei, 
durch  Vergleichen  der  Ausdrücke,  deren  Vergil  sich  über  Dido  bedient. 

Wenig  Gutes  ist  über  Housmans  Leistung  zu  sagen.  Seine  Vor- 
schläge sind  meist  überflüssig,  und  dabei  gestattet  er  sich  zum  Teil 
ganz  gewaltsame  Eingriffe  in  den  überlieferten  Text.  Doch  fällt  auch 
ab  und  zu  etwas  Brauchbares  ab.  Ich  notiere  II  1 ,  28  „crudi 
comitem  sociumque  doloris",  IV  8,  49,  wo  er  im  Anschluß  an  eumeliss 
M  unter  Hinweis  darauf,  daß  Parthenope  nicht  des  Eumelus,  sondern 
des  Achelous  Tochter  war,  „Eumelus"  schreibt,  und  V  3,  49.  wo 
er  „Cyclopum  scopuli"  wohl  mit  Recht  als  zyklopische  Bauten  er- 
klärt. Ähnliches  gilt  von  Slaters  Bemühungen,  der  viel  Scharfsinn 
umsonst  aufgewendet  hat.  Er  überschüttet  den  Leser  förmlich  mit 
Konjekturen,  hauptsächlich  paläographischen,  die  vollkommen  ent- 
behrlich sind.  Das  hindert  ihn  aber  nicht,  sehr  absprechend  sich  über 
Vollmers  Verdienste  zu  äußern:  „The  stolid  conscrvatism  of  Dr.  Vollmer" 
heißt  es  auf  p.  159,  und  doch  hat  der  deutsche  Gelehrte  auf  mancher 
Seite  seines  Kommentars  die  Statiusforschung  mehr  gefördert  als 
Slater  durch  seine  ganze  Arbeit.  Erwähnenswert  ist  vielleicht 
IV  6.  43  „dant  spatium"  und  V  3,  94  „idem  animus"  für  cydalibem. 

Die  drei  von  Postgate  in  dem  späteren  Aufsatz  behandelten 
Stellen  sind  U  1,  230,  wo  er  die  Worte  „comes  ille"  für  aus  „coma 
s(a)euau  („the  snaky  feil  of  Cerberus")  entstanden  ansieht,  II  7,  100, 
wo  er  die  Interpunktion  in  der  Ausgabe  seines  Corpus:  „sie  et  tu 
rabidi  nefas  tyranni,  —  iussus  praeeipitem  subire  Lethen"  durch  den 
Hinweis  auf  Lucan  Phars.  VIII  549  rechtfertigt,  und  IV  4,  69  ff. 
Hier  will  er  V.  73  avos  M  beibehalten  als  die  alte  Nominativform. 
In  dem  avus  sieht  P.  den  Großvater  mütterlicherseits  Cn.  Hosidius 
Geta,  der  consul  suffectus  45  oder  46  war  und  95,  als  dieses  Gedicht 
geschrieben  ward,  wohl  nicht  mehr  unter  den  Lebenden  weilte.  „Poscit 
is  more  impressive  if  the  claim  comes  from  the  dead.  The  con- 
struetion  praestat  novisse  appears  to  be  on  the  pattern  of  ,dat  habere', 
,tradam  portare'  etc.;  but  praestat  may  govern  novisse  directly'". 

Nach  bestimmten  Gesichtspunkten  hin  sind  die  Silvae  durch- 
forscht worden  in  der  Dissertation  von 


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222     Jahresbericht  über  die  nachaugusteischen  Epiker.  (Tolkiehn.) 

H.  Lohrisch,  De  Statii  silvarum  poetae  studiis  rhetoricis. 
Halis  Saxonum  1905. 

Der  Verf.  verfolgt  das  Ziel,  die  ausgedehnte  rhetorische  Bildung 
des  Dichters  darzulegen,  was  trotz  vieler  Vorarbeiten  bisher  noch 
nicht  in»  Zusammenhange  geschehen  war.  Er  versucht  das  zunächst 
an  Einzelheiten  darzutun,  die  sich  auf  das  Lob  von  Personen  be- 
ziehen, dann  an  den  carmina  funebria,  nuptialia,  natalicia,  propemptica 
und  in  einem  besonderen  Kapitel  an  den' Beschreibungen.  Das  Schluß- 
kapitel geht  auf  die  Gleichnisse  und  sonstigen  Redeschinuck  ein. 

Die  Überlieferung  von  Statins'  Epen  haben  folgende  Arbeiten 
zum  Gegenstande: 

1.  0.  Müller,  Aus  alten  Handschriften  des  Statins.  Wochenschr. 
f.  klass.  Thilol.  1903  S.  191—197. 

2.  M.  Manitius,  Handschriftliches  zum  Texte  des  Statins.  Rh. 
Mus.  1904  S.  588—596. 

3.  —  Dresdener  Scholien  zu  Statins'  Achilleis,  ebd.  1904  S.  597 
bis  602. 

4.  H.  W.  Garrod,  The  S.  John's  College  (Cambridge)  MS. 
of  the  Thebaid.  Class.  Rev.  1904,  p.  38—42. 

5.  A.  Klotz,  Die  Barthschen  Statiushandschriften.    Rh.  Mus. 
1904  S.  373-390. 

6.  —  Zur  Überlieferungsgeschichte  der  Epen  des  Statins.  Philol. 
1904,  S.  157—160. 

7.  —  Probleme  der  Textgeschichte  des  Statins.  Herrn.  19Ö5, 
S.  341—372. 

Müller  macht  äußerst  interessante  Mitteilungen  über  musikalische 
Zeichen  (Neuinen),  die  sich  in  einer  Hs.  der  Kasseler  Bibliothek  zu 
Theb.  XII  325—335  (Klage  der  Argia  an  der  Leiche  des  Polynices)  und 
im  Puteaneus  und  in  einer  Münchener  fas.  6896  zu  Theb.  V  608  bis 
616  (Klage  der  Hypsipyle  über  den  Tod  des  Archemorus)  finden, 
ferner  über  die  Benutzung  eines  Distichon  des  Cato  als  Schreib- 
vorlage auf  dem  letzten  Blatt  des  Puteaneus  und  stellt  die  irrtüm- 
lichen Angaben  Kohlmanns  zu  Theb.  VIII  743  richtig. 

Manitius  behandelt  die  Handschrift  der  Königl.  Bibliothek  zu 
Dresden  Dc  156.  Sie  enthält  zwei  Exemplare  der  Thebais,  die  zu 
verschiedenen  Zeiten  geschrieben  sind.  Die  Kollation  mit  der  Aus- 
gabe von  Kohlmann  hat  ergeben,  daß  beide  sich  im  allgemeinen  nahe 
stehen,  ja  von  Ende  Buch  X  an  gleich  werden,  um  dann  am  Schluß 
wieder  zu  divergieren.  Beide,  oder  auch  nur  eine  von  ihnen,  haben 
sehr  viele  Lesarten  mit  dem  Puteanus  gemein,  wo  dieser  nach  Kohl- 


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Jahresbericht  über  die  nachaugusteischen  Epiker.  (Tolkiehn.)  223 

mann  ganz  allein  steht,  und  die  einzig  richtige  Überlieferung  ver- 
tritt. Ja,  zuweilen  geht  die  Überlieferung  des  Dresdensis  Uber  den 
Puteanus  hinaus  und  bietet  handschriftliche  Unterlagen  für  Emen- 
dationen, die  längst  dem  Statiustext  angehören. 

Die  zweite  Veröffentlichung  desselben  Gelehrten  stammt  aus  dem 
Dresdensis  Dc  157,  welcher  im  13.  Jahrhundert  in  Italien  ge- 
schrieben ist.  Der  Wert  dieser  Hs.  besteht  in  den  Scholien,  welche 
bis  I  164  ziemlich  reichlich  sind,  dann  aber  sehr  große  Lücken  auf- 
weisen und  fast  zu  Glossen  herabsinken.  Das  Vaterland  der  Hs. 
ergibt  sich  nicht  nur  aus  der  Schrift  selbst,  sondern  auch  aus 
mehreren  italienischen  WoPten,  die  in  den  Scholien  stehen.  Diese 
selbst  sind  durchaus  gleichzeitig  in  sehr  kleiner  Schrift  geschrieben 
und  verraten  oft  genug  große  Nachlässigkeit. 

Klotz  bricht  im  Rh.  Mus  eine  Lanze  für  Barths  Angaben  über 
die  von  ihm  benutzten  Hss.  der  Thebais  und  Achilleis,  deren 
Existenz  Otto  Müller  geleugnet  hat.  Er  zeigt,  daß  im  allgemeinen 
jener  Glauben  verdient;  zugleich  aber  ergibt  sich  auch  die  Wert- 
losigkeit der  Barthschen  membrauae  optimae  für  die  recensio,  und 
eine  neue  Ausgabe  der  Thebais  braucht  den  kritischen  Apparat  nicht 
mit  deren  Lesarten  zu  belasten.  Ungewiß  bleibt  noch,  ob  die  Barth- 
schen Hss.  für  die  Scholien  irgendwelche  Bedeutung  haben;  eine 
Untersuchung  darüber,  die  durchaus  notwendig  ist,  steht  noch  aus. 

Derselbe  Gelehrte  versucht  in  Philol.  die  Genealogie  des  für  die 
Überlieferung  von  Statins'  Thebais  und  Achilleis  so  wertvollen  codex 
Puteaneus  weiter  zurückzuverfolgen.  In  der  subscriptio  des  vierten 
Buches  der  Thebais_findet  sich  eine  Notiz  über  den  Eigentümer 
CODEX  1VLIANI  VC.  Vollmer,  Rh.  Mus.  1896  S.  27  Anm.  1 
hatte  vermutet,  dieser  Julianus  sei  identisch  mit  dem  Adressaten 
von  Priscians  grammatischem  Hauptwerk.  K.  sucht  diese  Vermutung 
zu  stützen,  indem  er  wahrscheinlich  zu  machen  sich  bemüht,  daß  die 
Vorlage  der  Hs.,  aus  der  der  Puteaneus  abgeschrieben  ist,  durch 
den  Erzbischof  Aelberth  von  York  (f  780)  von  Rom  nach  York  ge- 
bracht worden  sei.  Lebte  jener  Julianus  in  Rom,  so  stand  er  ver- 
mutlich zum  Kreise  der  Syminachi  in  Beziehung.  Im  Herrn,  endlich 
bespricht  Klotz  die  Differenzen  zwischen  den  Statiuszitaten  bei 
Priscian  und  dem  Puteaneus.  Diese  sind,  abgesehen  von  denjenigen 
Stellen,  an  denen  sich  in  letzterem  Schreibfehler  linden,  nur  gering. 
Nur  II  p.  72,  22  zitiert  Priscian  aus  Theb.  IV  V.  415  und  417, 
während  er  den  in  P.  überlieferten,  zwar  sprachlich  und  metrisch 
unanstößigen ,  aber  die  Konstruktion  des  Satzes  störenden  V.  416 
ausläßt.   Dieser  Vers  ist  vor  nicht  langer  Zeit  auch  in  der  eng- 


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224    Jahresbericht  über  die  nachaugusteischen  Epiker.  (Tolkiehn.) 

lischen  Hs.  zum  Vorschein  gekommen,  über  die  Garrod  im  Class.  Rev. 
berichtet  bat.  Sie  stammt  aus  dem  10.  Jahrhundert  und  gehörte 
nach  der  Bemerkung  „lib(er)  monachorum  de  Dovorya"  und  des 
alten ,  jetzt  in  der  Bodleiana  befindlichen  Eataloges  der  Priorei  von 
Dover.  Hier  ist  nach  V.  715  zu  lesen:  „apta  ruit  phaetbontis  eqnos 
magnumque  laborem".  Dasselbe  bietet  nach  Garrods  Mitteilung  die 
Hs.  von  P.  Vlamingius  am  Rande  mit  Einsetzung  von  „longumque" 
für  „magnumque".  Eine  weitere  Spur  hat  G.  in  dem  Cod.  Corp. 
Christi  zu  Oxford  (s.  X11I/XIV  zu  finden  gemeint,  in  dem  zwar 
V.  716  fehlt,  717  aber  diese  Form  hat: 

fuit 

Haec  quoquc  secreta  nutrit  langia  sub  mubra. 

G.  nimmt  an,  daß  die  Glosse  fuit  zu  dem  ausgelassenen  V.  716 
gehört,  wo  sie  als  Variante  zu  ruit  beigeschrieben  gewesen  sei. 
Licht  wird  in  diese  Frage  gebracht  durch  den  Codex  repert.  I  12 
der  Leipziger  Stadtbibliothek,  den  Klotz  im  Herbst  1903  verglichen 
hat.  Die  im  11.  Jahrhundert  geschriebene  Hs.  gehört  wie  die 
Doversche  Hs.  zur  Klasse  der  älteren  Vulgata.  Da  stehen  hinter 
V.  713  nicht  weniger  als  7  Verse  mehr  als  in  den  anderen  Hss.,  an 
dritter  Stelle  steht  der  im  Puteaneus  zwischen  715  und  716  über- 
lieferte Vers  mit  der  Lesung  „fuit"  st.  „ruit"  und  zwar  so,  daß  er 
ohne  Änderung  eines  Buchstabens  sich  in  den  Zusammenhang  fügt. 
Klotz  zeigt  des  weiteren,  daß  die  Versgruppe  in  der  Leipziger  Hs. 
an  unrechter  Stelle  auftritt,  und  meint,  da  V.  716  im  Puteaneus  ein 
versprengter  Rest  dieser  Versgruppe  sei,  daß  sich  auch  hier  Überein- 
stimmung zwischen  dem  Puteaneus  und  Priscian  ergebe.  Eine  hieran 
sich  anschließende  Betrachtung  aller  derjenigen  Stellen,  an  denen 
Verse  in  einer  Reihe  von  Hss.  fehlen,  führt  Klotz  zu  der  Ansicht, 
daß  jene  Verse  unecht  sind.  Doch  erscheint  das  noch  nicht  so  ganz 
ausgemacht. 

Eine  kritische  Ausgabe  der  Epen  des  Statins  ist  in  England 
erschienen : 

C.  Papini  Stati  Thebais  et  Achilleis.  Recognovit  brevique 
adnotatione  critica  instruxit  H.  W.  Garrod.  Oxonii  1906. 
Die  Überlieferung  der  Thebais  zerfällt  in  zwei  Klassen;  die  erste 
wird  von  Puteaneus ,  die  zweite  von  BDKNQS  gebildet.  Beide 
gehen  auf  einen  gemeinschaftlichen  Archetypus  (r)  zurück.  Dieser 
war  in  Minuskeln  vermutlich  s.  VIII  aus  einem  Exemplar  in  Kapital- 
schrift (p)  abgeschrieben,  enthielt  auch  die  Achilleis  und  wahrschein- 
lich je  30  Verse  auf  der  Seite,  verstreute  Glossen,  an  vielen  Stellen 
aber  zwischen  den  Zeilen  geschriebene  Varianten.  Dagegen  ist  Garrod 


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Jahresbericht  über  die  nachaugusteischen  Epiker.  (Tolkiehn.)  225 

nicht  dafür,  daß  der  Kommentar  des  Lactantius  an  seinem  Rande 
gestanden  habe.  Ob  tc  oder  p  der  „codex  Juliani  v.  c.tt  ge- 
wesen, läßt  er  unentschieden.  Aus  ir  ist  s.  IX  P  entsprungen,  Ende 
des  8.  oder  Anfang  des  9.  Jahrhunderts  tu*,  welcher  die  gemeinsame 
Quelle  von  B,  D,  K,  N,  Q  (a>)  und  S  war.  Sodann  kommt  der  Heraus- 
geber zu  der  Vermutung,  daß  in  P  die  zweite  Rezension  des  Statins 
selbst  vorliege.  Die  ganze  Textesgestaltung  muß  daher  auf  dieser 
Hs.  beruhen,  doch  will  G.  auch  ein  möglichst  treues  Bild  der  ersten 
Rezension  in  seinen  Noten  geben.  Die  nach  s.  XI  geschriebenen 
Hss.  hält  er  für  ganz  unglaubwürdig,  da  sie  alle  aus  a>  S  stammen 
und  interpoliert  sind.  In  der  Achilleis  hat  G.  den  von  Klotz  heran- 
gezogenen Kodex  C  gar  nicht  berücksichtigt,  dagegen  den  von  Klotz 
beinahe  ganz  unbeachtet  gelassenen  Etonensis  (E)  verglichen,  und  er 
hält  ihn  für  wertvoll,  indem  er  den  beiden  Schenkl  vorwirft,  un- 
richtige Angaben  darüber  gemacht  zu  haben. 

Einzelne  Stellen  sind  behandelt  von 

1.  Garrod,  Some  emendations  in  Statuis' Thebaid.   Class.  Rev. 
1904,  p.  300—301. 

2.  Postgate,  On  Statins  Thebaid  IX  501,  ebd.  p.  301. 

3.  A.  Rivoiro,  La  casa  del  sonno  (Ovidio  Me tarn.  XI  951  sgg. 
Stazio  Thebaide  X  84).    Classici  e  Neolatini  I  1. 

Von  Garrods  Vorschlägen  erwähne  ich  IV  757  f. 
„tu  nunc  undis  —  pluvioque  rogaris  |  pro  Jove  —  tu  refugas"  etc. 
Zum  Schluß  erwähnt  er  eine  Hs.  der  Phillips  Library  of  Cheltenham, 
welche  im  10.  Jahrhundert  geschrieben  ist;  nur  I  und  II  1 — 62 
rühren  von  jener  Hand  des  12.  Jahrhunderts  her;  er  hält  sie  für 
nahe  verwandt  mit  G  2  —  K.  Die  Subscriptio  lautet : 

LI  HER  REVENMI  DNI  DNI  D   (Name  ausradiert) 

CARDINALIS  PRAESTANTISSIMI 
CIARPALLEONE  VULGARITER  NUNCÜPATUS 

NICOLAUS  FULGINAS  DOC.  ARTIUM. 
Postgate  will  Theb.  IX  501  für  das  im  CPL  vorgeschlagene 
„passa  vadum"  jetzt  „passa  salum"  setzen. 

Im  Anschluß  hieran  möge  noch  erwähnt  werden  der  Aufsatz  von 

H.W.  Garrod,  Metrical  stopgaps  in  Statius'  Thebaid.  Journ. 
of  Philol.  1904,  p.  253—262. 

Er  stellt  den  Grundsatz  auf:  „Where  the  MSS.  offer  a  diver- 
sity  of  readings,  all  of  which  give  apparently  an  equal  sense,  that 
reading  is  to  be  preferred  of  which  the  initial  or  final  letters  re- 

Jahreatwricht  für  Altortuwiiriseenachaft.    Bd.  CXXX1V.   (1907.  II.)  15 


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22(3     Jahresbericht  über  die  nachaugusteischen  Epiker.  (Tolkiehn.) 

semble  the  letters  of  the  word,  or  words,  following  or  preceding"  und 
zählt  sodann  die  Stellen  her,  wo  die  meisten  Heraasgeber  mit  Recht 
in  derartigem  Falle  sich  P  angeschlossen  haben;  nur  VII  258  will 
er  „vetus"  und  VIII  129  „nulli"  mit  <o  (statt  media  P)  lesen.  Endlich 
teilt  er  eine  Reihe  eigener  Konjekturen  mit,  die  er  an  Stelle  ver- 
meintlicher metrischer  Lückenbüßer  setzen  möchte:  1  457 — 460  stellt 
er  also  her: 

pariter  stabulare  bimembres 
Centauros  unaque  ferunt  Cyclopas  in  Aetna 
compositos  (sunt  et  rabidis  iura  insita  monstris 
fasque  suum  ut  nobis)  sociare  cubilia  terrae. 

V  646  schreibt  er:  „exciderant  Cirrhae  (=  cire)  ante  adytis 
accepta  profundis".  Die  Echtheit  von  VI  177 — 185  scheint  er  mir 
mit  Recht  zu  verteidigen,  indem  er  V.  180  —  183  im  allgemeinen  der 
Lesung  von  P  folgt  und  V.  181  „tori,  Archemoritt,  182  „paranti" 
und  185  „exsequias"  ändert. 

Ein  umfangreiches  Buch  von  365  Seiten  über  die  Thebais  hat 
verfaßt 

L6on  Legras,  Etüde  sur  la  Thöbaide  de  Stace.  Paris  1905. 

Die  Introduction  (p.  1—13)  enthält  Betrachtungen  über  das 
Leben  des  Dichters  und  die  damaligen  Zeitverhältnisse.  Die  I.  Partie 
(p.  15-144)  ist  betitelt  „Le  sujet  et  les  sources  de  la  Thöbaide" 
und  zerfällt  in  zwei  Kapitel,  von  denen  das  eine  „La  lögende  avant 
Stace"  kurze  Angaben  über  Antimachus,  Callimachus,  Theokrit, 
Apollodor  und  Seneca  macht,  während  das  zweite  eine  Analyse  des 
Gedichtes  gibt,  indem  erörtert  wird,  welche  Quellen  in  den  einzelnen 
Abschnitten  benutzt  sind.  Daß  hierbei  manches  zweifelhaft  bleibt, 
liegt  in  der  Natur  der  Sache.  Ein  Anhang  stellt  den  Zeitraum  fest, 
über  den  sich  die  Handlung  des  Gedichtes  erstreckt:  B.  I— IV  um- 
fassen ungefähr  drei  Jahre,  V — VII  nur  24  Tage.  In  der  II.  Partie: 
„L'öxöcution"  (p.  145—345)  faßt  Verf.  zuerst  die  Komposition  ins 
Auge  und  bemerkt  richtig,  daß  SUUius  sein  Epos  nach  Analogie  der 
Äneide  in  12  Gesänge  geteilt,  ihm  aber  keine  Einheit  zu  geben  ver- 
mocht hat,  weil  ein  Mittelpunkt  fehlt.  Ferner  begegnen  viele  un- 
nötige Episoden,  und  ein  dritter  Fehler  besteht  im  Mangel  an  Zu- 
sammenhang. Kap.  2  „Le  merveilleux  dans  la  Tltfbaide"  gibt  Aus- 
kunft über  den  philosophischen  Standpunkt  des  Dichters,  der  sich 
den  stoischen  Anschauungen  nähert,  und  zeigt,  daß  er  in  der  Ver- 
wendung der  Mythologie  Vergil  und  bisweilen  Homer  zum  Muster 
nimmt.   Die  Unfähigkeit  des  Epikers  tritt  aber  ganz  besonders  hervor 


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Jahresbericht  über  die  nachaugusteischen  Epiker.  (Tolkiehn.)  227 

in  Kap.  3  „Les  personnages  de  la  ThÄbaide".  „Aucun  personnage", 
so  lautet  das  Urteil  des  Verfassers,  „ne  s'impose  ä  notre  memoire; 
poete  de  peu  de  glnie  il  n'a  pas  su  en  göneral  faire  agir  ni  parier  ses 
heros  d'une  fac,on  originale  et  forte" ;  Kap.  4  „L'esprit  et  les  nsages 
romains  dans  la  Thlbaide"  weist  auf  die  vielen  Anachronismen  hin, 
an  denen  das  Gedicht  reich  ist :  Statins  kann  sich  nicht  von  der  Ge- 
wohnheit freimachen,  den  Maßstab  seiner  Zeit  anzulegen,  aber  er 
schildert  nicht  ausschließlich  römische  Sitten,  wie  behauptet  worden, 
sondern  sucht  auch  hier  Anlehnung  an  Homer.  Kap.  5  „Les 
ornements  epiques  dans  la  Thöbaide"  führt  aus,  einen  wie  un- 
verhältnismäßig großen  Platz  die  ornamenta  bei  Statius  einnehmen. 
Kap.  6  „Le  style  de  la  Thöbaide"  kommt  zu  dem  Ergebnis  „que  si 
Stace  a  fort  bien  us£  en  genöral  de  la  langue  poötique  latine,  si  meine 
il  a  rencontre  parfois  des  tournures  tres  energiques  et  neuves,  cependant 
son  style  ne  prösente  pas  dans  l'ensemble  cette  originalite*  vigoureuse 
qui  fait  les  grands  e"crivains  et  surtout  les  grands  poetes  öpiques". 
Es  folgt  noch  eine  „Note  sur  la  prosodie  et  la  mötrique  de  Stace" 
mit  einer  kurzen  Polemik  gegen  Moerners  Ausführungen  De 
P.  Stati  Thebaide  p.  62  ff.,  doch  bleibt  dessen  Resultat  bestehen, 
daß  der  5.  Gesang  in .  metrischer  Hinsicht  am  gelungensten  ist.  Die 
„Conclusion"  (p.  347 — 349)  stellt  den  Dichter  als  das  echte  Kind 
seiner  Zeit  hin. 

Nur  in  dürftigem  Auszuge  ist  gegeben  die  Abhandlung  von 
Kirby  Flower  Smith,  The  influence  of  art  upon  certain 

traditional  passages  in  the  epic  poetry  of  Statius.  Amer.  Journ.  of 

Archaeol.  1903,  p.  93. 

Es  heißt  darin:  „The  object  of  this  paper  was  not  the  source, 
but  the  effect  and  meaning  of  artistic  influence  in  Statius". 

Die  Beziehungen  zwischen  Statius  und  Silius  Italiens,  welche 
schon  oft  die  Aufmerksamkeit  der  Gelehrten  auf  sich  gelenkt  haben, 
ohne  daß  hier  ein  sicheres  Ergebnis  erzielt  worden  wäre,  hat  in  ein 
klareres  Licht  zu  rücken  unternommen 

L6on  Leg  ras,  Les  „Puniques"  et  la  „Thöbaide".   Rev.  des 

Stüdes  anciennes,  1905,  p.  131 — 146,  357—371. 

Ausgehend  von  der  Datierung  der  Punica  kommt  Legras  zu 
folgenden  Schlüssen,  daß 

1.  die  Punica  vollständig  unter  Domitian  publiziert  sind, 

2.  Buch  I — XII  zuerst  erschienen  ist, 

3.  die  Epen  des  Silius  und  Statius  ungefähr  gleichzeitig  be- 
gonnen sind  und  keines  auf  das  andere  einen  merklichen  Einfluß  aus- 
geübt hat. 

15* 


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228     Jahresbericht  Uber  die  nachaugusteischen  Epiker.  (Tolkiehn.) 

Zur  ersten  Schlußfolgerung  gelangt  er  durch  die  Erwägung,  daß, 
da  Silius  im  Jahre  68  Konsul  und  nach  dem  damals  üblichen  Zwischen- 
raum von  neun  Jahren  77  Prokonsul  war,  er  etwa  von  79  an  sich  emst- 
lich mit  seinem  Epos  beschäftigt  habe  und,  jedes  Jahr  ein  Buch  voll- 
endeud,  ÖG  mit  dem  Ganzen  fertig  geworden  sei.  Da  Martini  VJI  63 
(Ende  92)  bereits  die  Veröffentlichung  eines  Abschnittes  voraussetzt, 
Sil.  XIV  68<j  ff.  aber  nicht  vor  93  verfaßt  sein  können,  so  hindert  nichts 
anzunehmen,  daß  B.  I — XII  zuerst  veröffentlicht  sind,  außer  III  607 
bis  629,  welche  auf  das  Jahr  96  hinzudeuten  scheinen.  Es  bleibt  dann 
nichts  anderes  Übrig,  als  eine  spätere  Entstehung  und  Hinzufügung 
dieser  Stelle  anzunehmen.  Es  ist  möglich,  daß  die  Dinge  in  Wirk- 
lichkeit so  liegen,  wenngleich  die  von  Legras  beigebrachten  Gründe 
nicht  besonders  beweiskräftig  sind.  Haben  Nachahmungen  statt- 
gefunden, so  kommen  danach  für  Statins  nur  die  letzten  5  Bücher 
der  Punica,  für  Silius  nur  die  Achilleis  und  die  beiden  letzten  Bücher 
der  Silvae  in  Frage;  und  eine  Betrachtung  der  vorhandenen  Parallelen 
bestätigt  dieses  Verhältnis. 

Eine  Beurteilung  des  dichterischen  Wertes  der  Erzeugnisse  des 
Statius  versucht 

E.  Eissfeld t,  Zu  den  Vorbildern  des  Statius.    Piniol.  1904 
S.  378  424. 

„Die  vorliegende  Arbeit  hat  weniger  den  Zweck,  etwas  ganz 
Neues  zu  bieten ;  vielmehr  sollen  die  bisherigen  Forschungen  auf  dem 
Gebiete  der  Vorbilder  des  Statius  übersichtlich  zusammengestellt  und, 
soweit  es  möglich  ist,  abgeschlossen  werden;  ferner  sollen  daraus 
Schlüsse  gezogen  werden,  was  von  Statius  als  Dichter  zu  halten  sei. 
Es  wird  daher  an  einer  einzelnen  Silve  und  ebenso  an  einem  Buche 
der  Thebais  alles  zusammengetragen,  was  Statius  von  anderen  Dichtern 
entlehnt  hat.  Dann  wird  zusammengefaßt  werden,  wie  weit  der 
Dichter  seinem  Hauptvorbild ,  dem  Vergil ,  im  allgemeinen  nach- 
geahmt hat,  und  endlich  wird  eine  Übersicht  über  alle  Bücher  der 
Thebais  gegeben  und  darin  kurz  alles  aufgeführt,  was  Eigentum 
anderer  Dichter  ist.  Nachdem  so  ein  klares  Bild  gewonnen  ist,  wie 
weit  Statius  die  Nachahmung  und  Entlehnung  treibt,  wird  es  mög- 
lich sein,  ein  Urteil  Uber  seine  Selbständigkeit  und  dichterische  Be- 
gabung zu  fällen." 

Mit  diesen  Worten  entwickelt  der  Verfasser  sein  Programm,  das 
er  dann  im  Anschluß  an  Silv.  III  2  und  Theb.  VI  im  einzelnen  aus- 
zuführen bestrebt  ist.  Doch  hat  er  sich  die  Sache  viel  zu  leicht  ge- 
macht.   Die  Scholien  hat  er  überhaupt  nicht  berücksichtigt,  auch 


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Jahresbericht  über  die  nachangusteischen  Epiker.  (Tolkiehn.)  229 

kennt  er  wichtige  frühere  Arbeiten,  wie  z.  B.  die  tüchtige  Disser- 
tation von  Fr.  M oerner,  De  Papinii  Statii  Thebaide  quaestiones, 
Königsberg  1890  nicht.  Vielfach  ist  er  in  der  Annahme  von  Nach- 
ahmungen zu  weitgegangen;  denn  Parallelen  zwischen  zwei  Dichtern 
beruhen  nicht  immer  auf  Benutzung  des  einen  durch  den  anderen. 
Wenn  er  ferner  dem  Statius  in  der  Thebais  Mangel  an  Originalität 
vorwirft  und  meint,  daß  dieser  wie  kein  anderer  sich  an  seine  Vor- 
gänger angelehnt  habe,  so  bedenkt  er  nicht,  daß  Statius  das  Unglück 
gehabt  hat,  daß  uns  eine  große  Zahl  seiner  Vorgänger  erhalten  ist, 
während  es  z.  B.  mit  Vergil  umgekehrt  steht. 

7.  Ausonius. 

Die  Annahme ,  daß  eine  Statue  des  Ausonius  erhalten  sei ,  hat 
beseitigt 

Ph.    Lau  zun,    La  prötendue  statue  d'Ausone  au  Musee 
d'Auch.    Rev.  des  ötudes  anciennes.    1906,  p.  52. 

Er  betont ,  daß  es  keinen  Anhaltspunkt  dafür  gibt ,  daß  die  in 
der  Ebene  von  Gers  gefundene  Statue  den  Dichter  darstellt,  wie 
Chaudruc  de  Crazannes  geglaubt  hat.  Sie  dürfte  eher  dem  2.  als 
dem  4.  Jahrhundert  angehören. 

Für  die  Echtheit  einiger  angezweifelten  Gedichte  hat  sich  ver- 
wendet 

Lucien   Villani,    Quelques    observations  sur  les  chants 
chrötiens  d'Ausone,  ebd.  1906  p.  325—337. 

Äußere  Gründe,  sowie  Sprache  und  Inhalt  sprechen  danach  für 
die  Autorschaft  des  Ausonius  bei  der  Oratio,  die  in  der  Ephemeris 
an  dritter  Stelle  steht.  V.  zeigt  ferner,  daß  die  Zweifel  an  der 
Echtheit  der  Versus  paschales  wenig  oder  gar  nichts  bedeuten.  Auch 
die  Oratio  consulis  Ausonii  versibus  rhopalicis  ist  von  Scaliger  und 
neuerdings  wieder  von  Brandes  und  Peiper  dem  Dichter  mit  Unrecht 
abgesprochen  worden.  V.  erklärt  die  darin  herrschende  barbarische 
Latinität  durch  den  Zwang,  der  Ausonius  durch  die  seltsame  Form 
auferlegt  wurde.  Das  läßt  sich  hören;  auch  die  Handhabung  der 
Prosodie  erscheint  für  jene  Zeit  nicht  ungewöhnlich. 

Derselbe  Gelehrte  hat  sich  auch  mit  der  Textkritik  einiger  Ge- 
dichte abgegeben  in  seiner 

Note  al  testo  di  Ausonio.    Riv.  fil.  1904,  p.  267—272, 

und  zwar  hat  er  mehrfach  mit  Glück  sich  der  verdächtigten  Über- 
lieferung angenommen,   wie   Caes.  Tetrast,  XI  4,   Epist.  XI  1, 


230    Jahresbericht  aber  die  nachaugusteischen  Epiker.  (Tolkiehn.) 

XIV  98  usw.;  an  anderen  Stellen  empfiehlt  er  mit  weniger  Glück 
altere  Konjekturen.    Eigene  Vermutungen  bietet  er  nicht. 

L.  Havet,  Ausonius  Technopaegnion  12,  25.   Rev.  fil.  1904, 
p.  125 

pflichtet  H.  Weil  bei,  der  meint,  daß  Techn.  XIII  25  (ed.  Peiper) 
„Haec  corucis  effigies  Palamedia  porrigitur  <P"  statt  <PF  zu  schreiben 
und  Fau  zu  lesen  sei.  Dann  aber  sei  „corucis"  in  „crucis"  zu  ändern, 
was  übrigens  schon  Scaliger  vorgeschlagen  hat. 

Ans  Epigr.  52,  1  (ed.  Peiper)  „orta  salo,  suscepta  solo,  patre 
edita  Caelo"  zieht 

0.  Hey,  Znr  Aussprache  des  C.  Arch.  f.  lat.  Lexikogr.  1906 
S.  112 

den  Schluß,  daß  „caek>M  sehr  ahnlich  „selo"  geklungen  habe  und 
somit  der  Assibilierungsprozeß  des  C  vor  hellen  und  i-  verwandten 
Vokalen  im  Gallien  des  4.  Jahrhunderts  schon  im  wesentlichen  voll- 
zogen gewesen  sei. 

Die  Stellung  des  Ausonius  zur  Astrologie  ist  besprochen  im 
4.  Kapitel  der  Abhandlung  von 

H.  de  la  Ville  de  Mirmont,  L'astrologie  chez  les  Gallo- 
Romains.    Rev.  des  Stüdes  anciennes.   1903,  p.  255 — 275. 

Er  durchmustert  die  einzelnen  Werke  des  Dichters  und  zeigt, 
daß  dieser  in  den  offiziellen  Schriften  alle  astrologischen  Anspielungen 
ängstlich  vermieden  hat,  während  er  sich  solche  in  den  Gedichten 
privaten  Charakters  häufig  gestattet*,  sie  scheinen  in  der  damaligen 
Umgangssprache  der  Gebildeten  gang  und  gäbe  gewesen  zu  sein, 
während  gesetzlich  alle  geheimen  Wissenschaften  verboten  waren. 
Mirmont  gibt  die  einzelnen  hierher  gehörenden  Stellen  an  und  er- 
klärt sie  meist.    V.  76  f.  des  Griphus  ternarii  numeri : 

et  modus  et  genetrix  modulorum  musica  triplex: 
mixta  libris  secreta  astris  vulgata  theatris 
erläutert  er  also:  Les  trois  modes  sont:  le  mode  dorien,  le  mode 
lydien  et  le  mode  phrygien;  la  musique  est  mixte  en  puissance  et 
non  en  acte  dans  les  livres  —  dans  la  partition  oü  eile  est  notee;  — 
eile  devient  la  possession  du  vulgaire,  quand  passant  de  la  puissance 
a  l'acte  du  livre  muet  ä  Texe'cution  eile  est  jouee  au  thöätre.  Elle 
est  secrete,  eile  est  inconnue  aux  horames,  quand  eile  est  la  musique 
des  spheres  ehestes  cette  musique  dont  il  est  si  souvent  question  dans 
les  thCories  platoniciennes" .  Für  die  Frage  nach  dem  Christentum 
des  Ausonius  hätte  auf  das  Programm  von  Brandes,  Beiträge  zu 
Ausonius,  Wolfenbttttel  1895  verwiesen  werden  müssen. 


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Jahresbericht  über  die  nachaugusteischen  Epiker.  (Tolkiehn.)  231 


8.  Querolus. 

In  der  Voraussetzung,  daß  die  anonyme  Komödie  Querolus 
wenige  Jahre  nach  der  Veröffentlichung  des  Liber  eclogarum  des 
Ausonius  in  Gallien  entstanden  sei,  fügt  Mirniont  den  Ausführungen  Über 
Ausonius  ebd.  p.  275 — 285  ein  Kapitel  unter  dem  Titel  „L'astrologie 
dans  le  Querolus"  hinzu.  Eine  Hauptrolle  in  dem  Stück  spielt  ja 
Madrogerus,  der  sich  für  einen  magus  und  mathematicus  (=  Astro- 
logen) ausgibt,  und  so  ist  natürlich  auch  hier  vielfach  von  astrologischen 
Dingen  die  Rede.  Mirmont  polemisiert  namentlich  gegen  Klinckhamer, 
welcher  in  V.  23  ff.  satirische  Anspielungen  auf  die  Verhältnisse  des 
Kaiserreiches  hat  sehen  wollen. 

9.  Claudius  Claudianus. 

Hier  ist  nur  zu  verzeichnen  die  Mitteilung  von 

Arturo  Galanti,  I  tempi  e  le  opere  di  Claudio  Claudiano. 
Atti  del  congresso  internationale  di  scienze  storiche.  Vol.  II.  Roma 
1905,  p.  125-128. 

Galanti  ist  der  Ansicht,  daß  die  Bedeutung  Claudians  als  eines 
der  letzten  heidnischen  römischen  Dichter  und  Panegyrikers  des 
Honorius,  Manlius  Theodoras,  Olybrius,  Probinus  und  Stilicho  bisher 
noch  nicht  genügend  [gewürdigt  worden  sei ,  und  stellt  ein  ausführ- 
liches Werk  über  ihn  in  Aussicht,  dessen  Inhalt  er  skizziert.  Es 
wird  in  5  Bücher  zerfallen,  von  denen  B.  1  sich  mit  dem  Leben  und 
der  literarischen  Tätigkeit  Claudians  beschäftigen,  ß.  II  von  seinem 
Heidentum  handeln,  B.  III  die  Darstellung  der  römischen  Geschichte 
in  Claudians  Gedichten  untersuchen,  B.  IV  seine  Wichtigkeit  als 
historische  Quelle  für  die  Jahre  395 — 404  dartun  und  B.  V  endlich 
die  Vorbilder  und  Nachahmer  des  Dichters,  sowie  seine  Stellung  im 
Mittelalter  besprechen  soll.  Als  Abschluß  des  Ganzen  wird  eine  voll- 
ständige Bibliographie  zu  Claudian  von  der  Renaissance  bis  auf  die 
Gegenwart  verheißen. 

10.  Calpurnius  Siculus. 

Eine  willkommene  Ausgabe  der  Bucolica  des  Calpurnius  ist  ent- 
halten in  dem 

Corpus  poetarum  Latinorum  ed.  Postgate.  Vol.  II  Part  IV. 
London  1904. 

H.  Schenkl  hat  sich  in  dankenswerter  Weise  der  Aufgabe  unter- 
zogen, die  Neubearbeitung  vorzunehmen.    Er  fußt  dabei  auf  seiner 


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232     Jahresbericht  über  die  nachaugusteischen  Epiker.  (Tolkiehu., 


1885  in  Leipzig  und  Prag  erschienenen  größeren  Ausgabe.  Daß  im 
Apparatus  criticus  die  Angaben  über  verschiedene  Lesarten  in  beiden 
Ausgaben  bisweilen  nicht  übereinstimmen,  erklärt  sich  daraus,  daß 
der  Herausgeber  den  Neapolitanus,  Gaddianus,  die  Randbemerkungen 
des  Riccardianus  und  Harleianus  von  neuem  verglichen  oder  ein- 
gesehen hat. 

In  die  Werkstätte  des  Dichters  versucht  einzudringen 

F.  Fritzsche,  De  Calpurnii  Eclogis  I — III.    Pr.  Schwerin 
1908. 

Die  erste  Ekloge  des  Calpurnius  verrät  eine  unverkennbare  Über- 
einstimmung in  der  Anlage  mit  der  fünften  Vergils ,  aber  auch  in 
bezug  auf  einzelne  Gedanken  und  Ausdrücke  finden  Anlehnungen 
statt.  Wenn  Fritzsche  daneben  den  Einfluß  von  Theokrit  Id.  I  nach- 
zuweisen sich  bemüht,  so  gelingt  ihm  das  nicht,  da  die  Überein- 
stimmungen zu  allgemeiner  Natur  sind.  Klarer  hingegen  wird  die 
Benutzung  des  griechischen  Bukolikers  in  der  zweiten  Ekloge.  Hier 
weist  der  erste  Teil  vielfach  Verwandtschaft  mit  dem  achten  und  der 
zweite  Teil  solche  mit  dem  fünften  Idyll  Theokrits  auf.  In  der 
dritten  Ekloge  wiederum  ist  die  Ähnlichkeit  mit  Id.  XIV  nur  gering, 
dagegen  zeigen  sich  deutliche  Parallelen  mit  Ovid  und  Vergil. 

Gegen  die  von  Haupt  aufgestellte  Hypothese,  derzufolge  der  Ver- 
fasser des  Lobgedichtes  auf  Piso  mit  dem  Bukoliker  identisch  sein 
soll,  hat  sich  gewendet 

* Giovanni  Ferra ra,  Calpurnio  Siculo  e  il  panegirico  a 
Calpurnio  Pisone.    Pavia  1905. 

W.  Kroll,  Deutsche  Literaturz.  1907,  S.  731  und 
R.  Helm,  Wochenschr.  f.  kl.  Philol.  1906  8.  183  bekunden 
übereinstimmend,  daß  der  Angriff  gelungen  ist. 

Der  Aufsatz  von 

*0.  Jirani,  0  fivotö  T.  Calpurnia  Sicula.,  Listy  filolol.  1904 
S.  321—327 

kann  wegen  der  Sprache,  in  der  er  geschrieben  ist,  nicht  berück- 
sichtigt werden. 

Ii.  Die  bukolische  Dichtung:  des  Nemesianus. 

Auch  von  seiner  Ausgabe  der  Bucolica  des  Nemesianus  hat 
II.  Schenkl  in  Postgates  Corpus  poetarum  Latinorum  Part.  V,  London 
1905  eine  verbesserte  Neuauflage  veranstaltet. 


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Jahresbericht  über  die  nachaugusteischen  Epiker.   (Tolkiehn.)  233 

■ 

12.  Anthologia  Latina. 

Hier  sind  folgende  teils  kritische  teils  exegetische  Schriften  zu 
verzeichnen 

1.  M.  Manitius,  Handschriftliches  zur  Anthologia  latina.  Philol. 
1903  S.  640. 

Der  Cod.  Monacensis  lat.  22  227  saec.  XII  überliefert  am  Ende 
fol.  207  »  aus  der  lateinischen  Anthologie  Nr.  390,  494  und  670  (ed. 
Riese).  Im  ersten  Gedichte  gibt  er  V.  15  allein  die  richtige,  schon 
von  Meyer  gefundene  Lesung  „despectis"  und  in  der  Überschrift  des 
zweiten  die  Verbesserung  „dedicatum". 

2.  W.  M.  Lindsay,  Anthologie  latine  I,  XXVI.  M^langes 
Boissier,  Paris  1903,  p.  361—364. 

Das  Gedicht  „Rure  morans  quid  agam"  ist  im  Codex  Salmasianus 
unter  dem  Titel  „de  habitatione  ruris"  und  im  Vossianus  und  Thuaneus 
unter  den  Exzerpten  aus  Martial  mit  der  Überschrift  „poeta  de 
^ese  ad  librum  suum"  überliefert  ;  außerdem  wird  es  in  einer  anderen 
Gruppe  von  Hss.  des  9.  und  10.  Jahrhunderts  dem  Avianus  oder  Avienus 
zugeteilt.  Lindsay  stellt  jede  Beziehung  zwischen  den  beiden  ersten 
Quellen  in  Abrede.  Er  hat  wohl  recht,  wenn  er  meint,  daß  der 
Thuaneus  direkt  abgeschrieben  sei  aus  einer  Wiener  Hs.  N.  277 
(vgl.  Traube,  Berl.  phil.  Woch.  XVI  S.  1050).  Diese  enthält  u.  a. 
1.  Exzerpte  aus  einem  vollständigen  Martial,  2.  Exzerpte  aus  einer 
unvollständigen  Abschrift  der  salmasianischen  Anthologie:  ebenso  sei 
der  Vossianus  entstanden,  aber  die  Exzerpte  seines  Archetypus  seien 
weniger  zahlreich  und  die  aus  Martial  zum  Teil  andere  als  die  in  der 
Wiener  Hs.  gewesen. 

Die  Zuweisung  des  Gedichtes  126  (ed.  Riese)  an  Avianus  erklärt 
Lindsay  also:  Im  Vossianus  stehen  die  Fabeln  des  Avianus  vor  den 
Martialexzerpten.  In  diesen  letzteren  liegt  eine  Unordnung  vor, 
indem  B.  V  ff.  den  früheren  Büchern  voraufgehen ;  da  an  der  Spitze 
von  B.  V  das  „Rure  morans"  stand,  konnte  dieses  leicht  noch  zu  den 
Gedichten  Avians  gezogen  werden.  Lindsays  Vermutung,  daß  in  der 
auf  die  Spectacula  bezüglichen  Notiz  einiger  Hss. :  „Hü  versus  in 
quodam  vetustissimo  allali  inveniuntur,  qui  ab  aliis  deerant"  für 
„allali"  nicht  „Martiali",  sondern  „Aviani"  zu  lesen  sei,  scheint  mir 
nicht  glücklich.  Daß  I  26  auch  Cato,  Horaz  und  Ovid  beigelegt  wird, 
hat  er  nicht  berücksichtigt. 

3.  Julius    Ziehen,    Geschichtlich -textkritische   Studien  zur 
Salmasianus- Anthologie,  Philol.  XVII  S.  362-377 


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234     Jahresbericht  über  die  nachaugusteischen  Epiker.  (Tolkiehn.) 

bringt  exegetische  und  textkritische  Bemerkungen  zu  einer  Reihe  von 
äußerst  interessanten  Gedichten,  welche  für  die  innere  Geschichte 
des  Vandalenreiches  in  Afrika  in  Frage  kommen,  und  zwar  bietet  er 
nacheinander  eine  Erklärung  folgender  Nummern  aus  dem  ersten 
Bande  der  Rieseschen  Anthologie:  1.  Nr.  203,  2.  Nr.  376;  hier  nimmt 
er  die  Überlieferung,  in  V.  23  „dilectis",  V.  26  „cortice"  und  V.  37 
„manet"  gegen  Rieses  Änderungen  in  Schutz.  V.  29  „in  regem" 
und  35  „et  neptere"  hält  er  für  noch  ungelöste  Schwierigkeiten. 
3.  Nr.  377:  V.  7  verteidigt  er  das  überlieferte  „ignis  amoenus"; 
trefflich  scheint  mir  seine  Konjektur  in  V.  15:  „Haec  Tibilis  monu- 
inenta  tibi  natisque  manebunt"  mit  Hinweis  auf  die  in  dem  Itinerariuni 
Antonini  und  Augustini  genannte  numidische  Stadt  Tibilis  an  der 
Straße  von  Cirta  nach  Karthago,  das  heutige  Hammum  Mescutin, 
dessen  heiße  Quellen  im  Altertum  bereits  bekannt  waren  und  das 
also  sehr  gut  das  afrikanische  Baiae  sein  kann,  von  dem  das  Gedicht 
handelt. 

In  V.  16  schlägt  Ziehen  vor  zu  lesen:  „et  decorata  manent 
claros  per  saccla  nepotes"  oder  „et  decorata  magis  claros  per 
saecla  nepotes";  in  V.  17  bleibt  er  bei  der  Überlieferung  „tu  tarnen 
excelsus"  gegenüber  Traubes  „tuta  senex  caldis". 

Den  Dichter  von  Nr.  200  glaubt  ausfindig  gemacht  zu  haben 
L.  Raqaettius,  De  auctore  carminis  Pervigilium  Veneris» 
inscripti.    Class.  Rev.  1905,  p.  224,  225. 

Er  liest  V.  73  f.: 

unde  Ramnes  et  Quirites  et  proque  prole  postera 
Romoli  patrem  crearet  et  Nepotem  Caesarem 
und  versteht  unter  „Romoli  pater"  Orestes  den  Vater  des  Romulus 
Augustulus  und  unter  Nepos  Caesar  den  Kaiser  Julius  Nepos,  der 
vom  24.  Juni  474  —  31.  Oktober  475  regierte.  Da  das  Gedicht  am 
letzten  März  geschrieben  ist,  muß  es  in  das  Jahr  476  fallen;  denn 
am  28.  August  dieses  Jahres  wurde  Orestes  getötet.  In  jener  Zeit 
aber  gab  es  keinen  Dichter,  dem  man  ein  solches  Gedicht  zutrauen 
könnte,  außer  Sidonius  Apollinaris,  und  dieser  soll  sonach  der  Ver- 
fasser des  Pervigilium  Veneris  sein.  Sidonius  hatte  eine  Tochter 
Roscia,  die  Alethius  heiratete.  Anspielungen  auf  beider  Namen  sind 
V.  14—26  die  Beschreibung  der  rosa  und  V.  8  und  84  „alites",  und 
das  Gedicht  entpuppt  sich  schließlich  als  ein  Epithalamium. 

Auf  die  Haltlosigkeit  dieser  Kombinationen  hat  hingewiesen 
J.  B.  Bury,  On  the  pervigilium  Veneris  ebd.  p.  304. 

Dessen  eigene  Konjektur  in  V.  74  „mater"  (  Venus)  befriedigt 
auch  nicht. 


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Jahresbericht  über  die  nach  augusteischen  Epiker.  (Toikiehn.)  235 


i3.  Rutiiius  Namatianus. 

Eine  sehr  umfangreiche  Bearbeitung  des  Rutiiius  enthält  die 
These  von  J.  Vess ereau,  Cl.  Rutiiius  Namatianus.  Edition  critique 
accompagneö  d'mne  Traduction  francaise  et  d'un  Index  et  suivie  d'une 
6tude  historique  et  litteraire  sur  l'oeuvre  et  l'auteur.  Paris  1904. 
Die  vorangeschickte  Bibliographie,  welche  solche  Werke  verzeichnet, 
die  entweder  unmittelbar  und  ausschließlich  sich  mit  Rutiiius'  Person, 
Gedicht  und  Umgebung  beschäftigen  oder  bei  den  verschiedenen  ihn 
betreffenden  Fragen  eingesehen  werden  können,  ist  nicht  ganz  voll- 
ständig. Es  folgt  die  Ausgabe,  deren  kritischer  Apparat  sich  von 
der  sonst  üblichen  Anlage  sehr  unterscheidet.  Er  zerfällt  nämlich  in 
zwei  gesonderte  Abteilungen,  deren  erste  die  handschriftlichen  Les- 
arten bietet  und  zwar  auch  sämtliche  Varianten  des  von  V.  aber- 
schätzten Romanus,  während  in  der  zweiten  die  Lesungen  und  Kon- 
jekturen der  früheren  Herausgeber  und  Rutiliusforscher  in  ganz 
maßloser  Weise  angehäuft  sind.  Dankenswert  ist  der  Index  ver- 
borum  plenissimns.  Die  Übersetzung  ist  in  Prosa  abgefaßt  und  nicht 
immer  genau.  Den  Hauptteil  bildet  die  Studie  über  das  Werk  des 
Rutiiius  (p.  73 — 437).  Die  erste  Partie  behandelt  die  Geschichte  des 
Gedichtes.  Kap.  1  berichtet  von  der  Auffindung  der  nachmals  wieder 
verloren  gegangenen  Hs.  im  Kloster  zu  Bobbio  im  Jahre  1493.  Auf 
diese  geht  unsere  gesamte  Überlieferung  zurück,  worüber  Kap.  2 
Auskunft  erteilt.  Kap.  3  enthält  einen  Überblick  über  die  Rutilius- 
studien  seit  dem  Ende  des  15.  Jahrhunderts  bis  auf  die  Gegenwart. 
Kap.  4  verbreitet  sich  über  die  Ausgaben  in  der  Zeit  von  1520  bis 
1883,  die  in  6  Perioden  eingeteilt  wird. 

Die  zweite  Partie  zieht  die  Persönlichkeit  des  Dichters,  seine 
Verwandten,  Freunde  und  Bekannten  in  den  Kreis  der  Betrachtung. 
Die  dritte  Partie  ist  dem  Gedichte  selbst  gewidmet  und  behandelt 
die  Reise  des  Rutiiius,  die  Exkurse  über  Mönche  und  Juden,  die 
historischen  Exkurse  und  Reminiscenzen,  die  verschiedenen  An- 
spielungen und  endlich  eine  Reihe  ähnlich  angelegter  Werke  von 
Lucilius  bis  auf  Addison  und  Cooper.  Die  letzte  Partie  hat  es  mit 
der  Form  des  Gedichtes  zu  tun.  Kap.  1  bespricht  den  Titel,  der 
nicht  sicher  zu  ermitteln  ist,  die  Lücken,  Interpolationen  und  Vers- 
umstellungen. Kap.  2  befaßt  sich  mit  der  Komposition,  dem  Wort- 
schatz, der  Grammatik,  sodann  namentlich  mit  der  Allitteration  und 
mit  den  Nachahmungen  der  früheren  Dichter.  V.  schließt  mit  den 
gewiß  richtigen  Worten :  „On  ne  peut  donc  pas  voir  en  lui  un  grand 
poete;  il  est  sürement  comme  le  dit  L.  Müller,  un  praestantissimus 
versificator". 


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23ö     Jahresbericht  über  die  nachaugustuischen  Epiker.  (Tolkiehn.) 


Eine  Ergänzung  zu  dieser  Ausgabe  liegt  vor  in  dem  Aufsatz  von 

J.  Vessereau  et  P.  D  im  off,  Rutiiiana.    Rev.  phil.  1906, 
p.  61—70. 

Im  ersten  Teile  wird  gezeigt,  daß  die  Annahme  der  Benediktiner, 
Poitiers  sei  des  Rutilius  Vaterstadt,  jeder  festen  Grundlage  entbehrt. 
Ebensowenig  kommt  des  Dichters  Name  in  den  Inschriften  von  Toulouse 
und  Umgegend  vor,  von  wo  die  meisten  seinen  Ursprung  herleiten; 
der  Name  ist  in  Aquitanien  überhaupt  sehr  selten.  Es  werden  dann 
alle  Inschriften  aufgezählt,  in  denen  der  Name  Rutilius  bzw.  Rutilia, 
Namatianus,  Exuperantius  und  Palladius  (des  Vaters  seines  Freundes 
und  dieses  selbst)  vorkommen :  Sie  weisen  auf  die  Gallia  Narbonensis 
als  Heimat  des  Dichters  hin ;  und  wahrscheinlich  stammt  er  aus 
Narbonne.  Doch  darf  man  auf  die  Inschriften  nicht,  wie  die  Ver- 
fasser getan  haben,  allzuviel  Gewicht  legen,  und  die  Sache  ist  sehr 
unsicher. 

Der  zweite  Teil  will  das  Datum  der  Reise  des  Rutilius  feststellen. 
Seine  Ankunft  in  Falerii  fällt  auf  den  1.  November;  dann  ist  er  am 
13.  Oktober  von  Rom  aufgebrochen,  hat  sich  vom  14.  bis  18.  in  Porto 
aufgehalten  und  ist  am  29.  zu  Schilf  gegangen.  Die  Reise  fällt  in 
das  Jahr  417,  wie  man  vor  A.  W.  Zunipt  allgemein  annahm:  denn 
1  135  f.  rechnet  der  Dichter  nach  der  catonischen ,  nicht  nach  der 
varronianischen  Ära. 

Unbekanut  geblieben  sind  mir 

♦Pascal,  Di  una   probabile   fönte   di  Rutilio  Namatiano. 
Napoli  1903. 

*Manfredi,  L'ultimo  poeta  classico  di  Roma  Claudio  Rutilio 
Naraaziano.    Intra  1904. 


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Bericht  über  die  Literatur  zu  Suetonius  von  1897—1906. 

Von 

Th.  Opitz  in  Zwickau. 


I.  Allgemeines. 

Mace,  Essai  sur  Suötone.    Paris  1900. 

Aas  dem  reichen  Inhalte  des  sehr  ausführlichen  Werkes  kann 
ich  nur  das  Wichtigste  hervorheben: 

Kapitel  I:  Suetone  avant  les  lettres  de  Pline 
(69 — 97).  Suetons  Vater  hieß  Suetonius  Laetus,  er  war  Ritter 
und  Tribun  der  13.  Legion.  Sueton  ist  vermutlich  in  Rom  geboren, 
vielleicht  schon  69.  Jedenfalls  ergibt  Mommsens  sich  auf  Plin. 
ep.  III  8  stützende  Annahme,  daß  er  erst  77  geboren  sei,  ein  zu 
spätes  Jahr.  Denn  S.  war  nach  seiner  eigenen  Angabe  88  adu- 
lescens,  auch  konnte  ihn  bei  einem  Altersunterschied  von  15  Jahren 
Plinius  schwerlich  contubernalis  nennen,  schließlich  stimmt  auch  das 
ihm  von  Trajan  113  verliehene  jus  trium  liberorum  besser  zu  dem 
früheren  Geburtsjahr. 

Kapitel  II:  Suetone  et  Pline  (97—113).  Die  sechs  in 
Betracht  kommenden  Briefe  des  Plinius  werden  datiert  und  be- 
sprochen. An  Einzelheiten  sei  folgendes  erwähnt:  Die  Bitte  Suetons, 
ihn  von  der  Übernahme  des  Militärtribunats  zu  entbinden  (III  8),  ist 
jedenfalls  erfüllt  worden.  Das  erste  große  Werk,  das  S.  veröffent- 
lichte, war  de  viris  illustribus,  das  sicher  nicht  vor  109  und  ver- 
mutlich nicht  vor  113  erschien.  In  diesem  Werke  wurde  Plinius 
nicht  erwähnt,  wohl  deshalb,  weil  er  bei  dessen  Veröffentlichung  noch 
lebte.  Aus  der  Bezeichnung  contubernalis  (I  24,  1)  ergibt  sich 
nicht,  daß  S.  mit  Plinius  in  Bithynien  gewesen  wäre.  Durch  Plinius 
hat  S.  sicher  Tacitus,  obwohl  er  ihn  nirgends  nennt,  und  viele  Leute 
kennen  gelernt,  von  denen  er  manche  Einzelheiten  aus  der  Zeit  Neros, 
dem  Dreikaiserjahr  und  der  Herrschaft  der  Klavier  erfuhr. 


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238   Bericht  über  die  Literatur  zu  Suetonius  von  1897—1906.  (Opitz.) 

Kapitel  III:  Suötone  ä  la  cour  d'Hadrien.  Vermutlich 
durch  Vermittlung  des  Septicius  Claras,  eines  Freundes  des  Plinius, 
erhielt  S.  bei  Hadrian,  vielleicht  119,  die  Stelle  ab  epistulis.  Beide 
Männer  stimmten  in  vielen  Punkten  überein.  Am  Hofe  trat  S.  zu 
manchen  Vertretern  der  Literatur  in  Beziehung,  z.  B.  zu  Florus. 

Kapitel  IV:  Le  sgcretaire  ab  epistulis  auxarchives 
im'pgriales.  Wenn  auch  S.  als  ab  epistulis  nicht  zugleich  Vor- 
stand des  kaiserlichen  Archivs  war,  welches  Amt  vermutlich  der 
a  studiis  bekleidete,  so  hatte  er  doch  leicht  Zutritt  dazu.  In  ihm 
lernte  er  z.  B.  unveröffentlichte  Briefe  des  Augustus  kennen,  ferner 
die  Testamente  des  Caesar,  Augustus  und  Tiberius.  Den  index  rerum 
(monumentum  Ancyranum)  hat  S.  in  einzelnen  Fällen  benutzt,  anderseits 
fehlt  es  aber  auch  nicht  an  Widersprüchen.  (Vgl.  unten.)  Auch  Caesars 
Briefwechsel  hat  S.  kennen  gelernt,  dagegen  teilt  er  von  Tiberius, 
Gaius  und  Claudius  nichts  Unveröffentlichtes  mit,  in  den  letzten  sechs 
Biographien  erwähnt  er  fast  kein  Schriftstück  der  Kaiser.  Übrigens 
waren  die  Caesares  im  wesentlichen  wohl  abgeschlossen,  als  S.  das 
Amt  ab  epistulis  erhielt.  So  hat  er  nur  in  den  ersten  Biographien 
manches  eingefügt.  Acta  senatus,  acta  diurna  und  dergl.  brauchte  S. 
nicht  im  Archive  einzusehen,  da  diese  veröffentlicht  waren. 

Kapitel  V:  Suötone  publie  les  XII  Casars.  Sa  dis- 
gracc.  Ses  dernieres  annöes.  Son  caractere.  Die 
Caesares  sind  121  herausgegeben  und  zwar  auf  einmal.  Die  An- 
nahme, daß  sie  vor  der  Veröffentlichung  von  Tacitus'  Annalen  er- 
schienen sein  müßten,  weil  S.  sonst  manches  geändert  haben  würde, 
wird  dadurch  widerlegt,  daß  sich  bei  ihm  auch  den  Historien  gegen- 
über Irrtümer  finden,  die  er  ruhig  hat  stehen  lassen.  Vor  119 
können  die  Caesares  nicht  veröffentlicht  sein,  da  S.  erst  in  diesem 
Jahre  Zutritt  zum  Archiv  erhielt.  Während  Hadrian  in  Britannien 
war,  fiel  S.  zugleich  mit  seinem  Gönner  Septicius  in  Ungnade  und 
zwar  für  immer.  Gestorben  ist  er  gegen  141,  denn  der  bei  Fronto 
erwähnte  Tranquillus  ist  nicht  S. 

Kapitel  VI:  Le  polygraphe  (S.  242—356).  Die  übrigen 
Werke  Suetons  zerfallen  in  vier  Klassen :  Grammatik  und  Lexiko- 
graphie, Archäologie  und  institutions ,  Geschichte,  Naturgeschichte. 
1.  Klasse:  Das  Werk  de  viris  illustribus,  113  veröffentlicht,  um- 
faßte Dichter,  Redner,  Historiker,  Philosophen,  Grammatiker  und 
Rhetoren,  in  den  einzelnen  Teilen  in  chronologischer  Reihenfolge.  Als 
Quellen  nennt  S.  selbst  Varro,  Santra,  Nepos,  benutzt  hat  er  gewiß 
auch  Hyginus,  wohl  auch  Asconius  und  von  Seneca  die  controversiae. 
—  [lepl  Tuiv  iv  ßtßXfotc  <J7jii.efav,  nicht  ein  Anhang  zu  de  viris  illustribus, 


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Bericht  über  die  Literatur  zu  Suetonius  von  1897—1906.  (Opit».)  239 

sondern  eine  selbständige  Schrift.  —  llepl  §oc<p^|Mov  X££eo>v  ^tot  ßXa- 
<j<pr((Mu>v  xai  it6btv  ^xa<mj,  vermutlich  in  griechischer  Sprache  verfaßt. 
Dieses  Werk  wird  sehr  oft  zitiert.  Von  ihm  ist  ein  Auszug  erhalten 
bei  Miller,  Mllanges  de  littärature  grecque  (1868),  den  Reifferscheid 
noch  nicht  kannte.  —  De  rebus  variis.  —  2.  Klasse:  llepl  xfiiv 
irop'  "EXX^at  irat8tu>v,  ebenfalls  griechisch  geschrieben,  ebenfalls  ein 
kleiner  Auszug  bei  Miller.  —  llepl  xrtt  Koreprovo?  7co/.iT£ia? ,  eine 
Verteidigung  von  Ciceros  Werk  de  republica  gegen  Didymos  Chalken- 
teros,  wie  denn  überhaupt  S.  Cicero  sehr  freundlich  gesinnt  ist  und 
vermutlich  dessen  sämtliche  Werke  gelesen  hat.  —  De  institutione 
officiorum,  wohl  mit  Benutzung  der  magistratuum  libri  des  C.  Sem- 
pronius  Tuditanus.  —  Die  vier  Schriften  irepl  'Pcojiijc  xal  t&v  ev  aörjj 
voufficov  xal  ^Ö&v,  de  genere  vestium,  irepl  toG  xata  'Ptojiatoo?  iviaotoo 
und  historia  ludicra  bildeten  jedenfalls  ein  Ganzes  für  sich  und  nicht 
einen  Teil  der  Prata.  Die  Schrift  über  das  Jahr  ist  viel  von  Späteren 
ausgeschrieben  worden,  in  der  über  die  Spiele  benutzte  S.  außer 
Varro  u.  a.  vielleicht  auch  die  OsatptxTj  loropia  des  Königs  Juba.  — 

3.  Klasse:  De  regibus  behandelte  in  drei  Büchern  die  Könige  von 
Europa,  Asien  und  Afrika.  —  llepl  eirto^jAcov  TropvÄv,  wohl  lateinisch  ge- 
schrieben, besprach  z.  B.  Circe  und  Omphale,  Aspasia  und  Phryne.  — 

4.  Klasse:  Prata,  nicht  Pratum;  denn  der  Plural  ist  besser  be- 
zeugt Die  von  Schanz  herrührende  Rekonstruktion  dieses  Werkes 
ist  wahrscheinlicher  als  die  Reifferscheidsche,  wenngleich  im  einzelnen 
vielfach  unsicher.  —  Am  Schlüsse  dieses  ausführlichen  Kapitels  er- 
wähnt der  Verfasser  noch  sechs  apogryphe  Werke,  d.  h.  solche,  die 
von  irgendwem  dem  S.  zugeschrieben  werden.  Z.  B.  tragen  in 
manchen  Handschriften  Caesars  Bücher  über  den  gallischen  Krieg 
Suetons  Namen,  ein  Irrtum,  den  sogar  Orosius  und  Sidonius  Apolli- 
naris teilen,  ebenso  die  Schrift  differentiae  verborum  in  der  Hand- 
schrift von  Montpellier,  der  einzigen,  in  der  sie  erhalten  ist.  Weiter- 
hin erwähnt  Lionardo  Bruni  eine  Rede  Suetons,  manche  legen  ihm 
den  dialogus  de  oratoribus  oder  das  Schriftchen  de  viris  illustribus 
bei.  Wenn  schließlich  Reifferscheid  eine  historia  bellorum  civilium 
als  ein  Werk  Suetons  ansah,  so  ist  das  unbegründet;  denn  die  bei 
Hieronymus  vorhandenen  Stellen  gehen  auf  eine  Livius-Epitome  zurück, 
und  die  Zitate  bei  Gellius  und  Servius  beziehen  sich  auf  andere 
Schriften  Suetons. 

K&pitel  VII:  Observations  sur  les  sources  des 
XII  Cösars.  Im  Caesar  und  Augustus  nennt  S.  mehr  Autoren  als 
in  allen  anderen  vitae  zusammen,  und  zwar  nur  Zeitgenossen  dieser 
beiden  Caesaren.   Das  letztere  gilt  auch  für  die  übrigen  Kaiser.  Der 


240    Bericht  über  die  Literatur  zu  Suetonius  von  1897—1906.  (Opitz.) 

einzige  spätere  Schriftsteller,  der  erwähnt  wird,  ist  der  altere  Plinius. 
In  den  Biographien  der  ersten  beiden  Caesaren,  für  die  S.  überhaupt 
ein  ganz  besonderes  Interesse  hat,  ist  nicht  eine  Hauptquelle  anzu- 
nehmen, sondein  der  Stoff  ist  aus  vielen  Quellen  zusammengetragen, 
und  zwar  aus  einer  größeren  Zahl,  als  genannt  werden.  Dagegen 
folgt  S.  in  den  Biographien  von  Tiberius  bis  Vitellius  einer  Haupt- 
quelle, die  unter  den  von  ihm  nicht  namhaft  gemachten  Schriftstellern 
zu  suchen  ist.  Für  Tiberius,  Gaius  und  Claudius  ist  diese  vielleicht 
Servilius  Nonianus,  für  Nero  wohl  Fabius  Rusticus,  für  das  Drei- 
kaiserjahr wohl  sicher  die  Historien  des  älteren  Plinius.  In  den 
Biographien  der  Flavier  sind  vor  allem  primäre  Quellen  benutzt. 
—  Fabius  Rusticus  ist  zwischen  92  und  98  gestorben.  Der  beim 
Tode  des  Tiberius  genannte  Seneca  ist  der  Rhetor.  Die  Historien 
de«  Tacitus  kannte  S.  natürlich ,  aber  hat  sie  nie  als  Hauptquelle 
benutzt. 

Kapitel  VIII:  La  prose  mötrique  et  le  style  de 
Sa  ö  tone.  Daß  auch  S.  rhythmische  Prosa  geschrieben  hat,  sucht 
der  Verfasser  an  Satzausgängen  nach  der  Formel  perferre  oder  re- 
ferre  zu  erweisen.  Indem  er  sich  nach  Roths  Interpunktion  ge- 
richtet hat,  hat  er  von  jeder  Sorte  113  Beispiele  gefunden.  Kr  ver- 
langt, daß  die  ganze  Frage  weiter  untersucht  werden  soll.  Die  Be- 
merkungen Uber  den  Stil  sind  ganz  allgemeiner  Natur. 

Kapitel  IX:  La  röputation  de  Suetone  en  occident 
et  en  Orient.  1.  Römische  Literatur:  Schon  im  2.  Jahr- 
hundert zeigen  Bekanntschaft  mit  S.  Schriftsteller  wie  Fronto,  Gellius, 
Marius  Maximus,  die  scriptores  historiae  Augustae,  weiterhin 
Censorinus,  Solinus,  Ammianus,  Victor,  Eutropius,  Hieronymus, 
Orosius.  Cassiodorius ,  Priscianus,  Isidorus  u.  a.  Während  Paulas 
Diaconus  die  Caesares  nicht  kannte,  ahmte  Einhard  sie  nach.  Aus 
dieser  Zeit  stammt  der  Memmianus.  2.  Griechische  Literatur: 
Plutarch  hat  zwar  die  Caesares  nicht  benutzt,  erwähnt  aber  das  Werk 
de  viris  illustribus  im  Leben  Ciceros.  Dagegen  zeigt  bei  Polyaenus  sich 
Benutzung  der  vitae.  Zwischen  Dio  und  S.  finden  sich  oft  Wider- 
sprüche, so  daß  von  ihm  S.,  wenn  überhaupt,  so  nur  ganz  selten  zu 
Rate  gezogen  worden  ist.  Dagegen  ist  Benutzung  mit  größerer  oder 
geringerer  Sicherheit  anzunehmen  unter  anderem  bei  Hesychius,  Lydus, 
Photius,  in  den  Etymologicis,  ferner  bei  Suidas,  Eustathius,  Tzetzes. 

Ein  Anhang  enthält  eine  Zusammenstellung  von  „passages 
correspondants"  des  S.  mit  solchen  des  monumentum  Ancyranum,  des 
Tacitus,  Dio  und  Plutarch.  Den  Schluß  bildet  ein  ausführlicher 
Index. 


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Bericht  über  die  Literatur  zu  Suetonius  von  1897—1906.  (Opitz.)  241 


Peter,   Die   Geschichtschreiber  der  römischen  Kaiserzeit. 
2  Bände. 

Naturgemäß  ist  an  vielen  Stellen  dieses  weitschichtigen  Werkes 
von  Sueton  die  Rede.  Die  wichtigsten  sind  etwa  folgende:  I,  122: 
über  die  Vielseitigkeit  seiner  Schriftstellern  und  ein  Überblick  über 
diese.  —  II,  67:  Die  Caesares  sind  vermutlich  119 — 121  veröffent- 
licht. S.  ist  mehr  Antiquar  als  Politiker  und  sucht  mit  seiner  Person 
in  den  Hintergrund  zu  treten.  Da  er  dieselben  Quellen  wie  Tacitus 
, benutzte,  so  finden  wir  auch  bei  ihm  „die  Illusionen  jenes  senatorischen 
Kreises"  wieder.  Bei  seiner  Gewissenhaftigkeit  hat  er  absichtlich 
nichts  Unwahres  berichtet;  freilich  hat  er  Neigung  zum  Klatsch.  — 
II,  328 :  S.  faßt  „den  Kaiser  als  Persönlichkeit  für  sich"  und  sieht  in 
ihm  den  alleinigen  Leiter  des  Staates,  wobei  eine  „gerechte  Würdigung 
des  Charakters  freilich  nicht  möglich  ist".  Von  der  vita  Augusti 
gibt  der  Verfasser  eine  ganz  genaue  Disposition  und  bemerkt  dazu, 
daß  diese  in  den  übrigen  Viten  nicht  so  genau  durchgeführt  sei.  — 
I,  465 :  Zweifellose  Entlehnungen  aus  dem  monumentum  Ancyranum 
sind  durch  die  ganze  vita  Augusti  zerstreut.  Vgl.  unten.  —  Sueton 
ist  von  Eutrop  teils  ziemlich  wörtlich ,  teils  freier  benutzt  worden, 
ebenso  auch  in  den  Breviarien  des  4.  Jahrhunderts.  In  der  Epitome 
ist  vielleicht  ein  Suetonius  auetus  ausgeschrieben  worden. 
Leo,  Die  griechisch-römische  Biographie. 

Mit  Sueton  beschäftigen  sich  drei  Abschnitte,  S.  1 — 10  (Caesares) 
S.  11—16  (die  literarischen  Biographien),  S.  136-145  (von  Varro 
bis  Sueton).     Das  Wesentlichste   dürfte  Folgendes  sein:    In  der 
römischen  Geschichtschreibung  ist  durch  Sueton  die  Biographie  an 
Stelle  der  Historie  getreten.   Das  Schema  ist  „Name,  Taten,  Lebens- 
führung, Tod",  doch  verschiebt  es  sich  hier  und  da.   Am  schärfsten 
ist  es  durchgeführt  in  der  vita  Augusti,  am  meisten   weicht  die 
vita  Titi  insofern  ab,  als  sie  ein  prooemium  und  einen  eigentlichen 
Schluß  hat.   Die  literarischen  Biographien  sind  nach  demselben  Grund- 
satze disponiert.    Doch  wird  das  Schema  nur  dann  ausgefüllt,  wenn 
S.  in  der  betreffenden  Rubrik  etwas  zu  sagen  weiß.    Daher  gehören 
die  Caesares  und  die  literarischen  Biographien  zu  derselben  literarischen 
Gattung,  obwohl  es  an  Verschiedenheiten  im  einzelnen  nicht  fehlt 
S.  hat  also  die  Anwendung  einer  für  Dichter  und  Philosophen  er- 
fundenen und  brauchbaren  Form  und  Behandlungsweise  auf  die  Be- 
herrscher des  römischen  Reiches  durchgeführt,  nicht  gerade  zum  Vor- 
teile der  Sache.    Die  Caesares  sind  das  einzige  Beispiel  einer  ohne 
biographische  Vorgänger  direkt  aus  den  Quellen  herausgearbeiteten 
zusammenhängenden  Folge  von  Biographien  wissenschaftlichen  Stils. 

Jahresbericht  fftr  Altertumawiaaenschaft.   Bd.  CXXXIV.   (1907.  II.)  16 


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242   Bericht  über  die  Literatur  zu  Suetonius  von  1897—1906.  (Opitz.) 

Peter,  Die  Literatur  der  Witzworte  in  Rom  und  die  ge- 
flügelten Worte  im  Munde  Caesars.  Neue  Jahrbücher  für  Philologie 
Bd.  155  (1897)  S.  853  —  860. 

Von  Caesar  sind  über  30  Witzworte  überliefert,  besonders  bei 
Sueton  und  Plutarch.  Von  einer  Sammlung  wissen  wir  zwar  nichts, 
aber  gewiß  hat  es  eine  gegeben.  Von  Einzelheiten  sei  erwähnt,  daß 
Suet.  Caes.  32  mit  Erasmus  iacta  alea  csto  statt  est  gelesen  werden 
soll  wegen  Plut.  Pomp.  60  avepptspfho  xußo?  (so  auch  bei  Meuander). 

Bergmanns,  Die  Quellen  der  vita  Tiberii  (Buch  57  der 
histuria  romana  des  Cassius  Dio).   Heidelberger  Dissertation  1903. 

Durch  eine  ganz  genaue  Analyse  der  einzelnen  Kapitel  Dios 
kommt  der  Verfasser  zu  dem  Ergebnis,  daß  Sueton  nie  direkt  von 
Dio  benutzt  worden  ist.  Die  Tatsachen,  in  deren  Bericht  beide  und 
zum  Teil  Tacitus  als  dritter  übereinstimmen,  gehen  auf  gemeinsame 
Quellen  zurück.  Als  solche  nimmt  der  Verfasser  zwei  biographische 
und  eine  annalistische  an.  Die  erste  ist  von  Sueton  besonders  für 
Tib.  26 — 35,  die  zweite  für  Tib.  61 — 67,  die  dritte,  aber  nur  in  ge- 
ringem Maße,  für  Tib.  34 — 37  benutzt. 

W.  D  e  n  n  i  s  o  n  ,  The  epigraphic  sources  of  the  writing  of  Gaius 
Suetonius  Tranquillus.  Reprint  from  the  American  Journal  of 
Archaeology.    New  York  1898. 

Einleitungsweise  spricht  der  Verfasser  über  die  von  Sueton  selbst 
genannten  Quellen  im  allgemeinen. 

Der  1.  Hauptteil  behandelt  das  Verhältnis  Suetons  zum  monu- 
mentum  Ancyranum  oder,  genau  genommen,  zu  dessen  Original.  Die 
hier  erörterte  Frage,  ob  Sueton  die  Mausoleumsinschrift  oder  das 
dieser  zugrunde  liegende  volumen  des  Augustus  benutzt  habe,  ist  für 
die  eigentliche  Frage ,  um  die  es  sich  handelt ,  ziemlich  belanglos. 
Alsdann  werden  47  Stellen  des  monumentum  Ancyranum  mit  ent- 
sprechenden Stellen  Suetons  zusammengestellt  und  drei  Grade  der 
Ähnlichkeit  angenommen:  wörtliche  Übereinstimmung,  Ähnlichkeit  des 
Ausdrucks,  Ähnlichkeit  in  Auszügen.  Am  wichtigsten  ist  Aug.  43 
fecisse  se  ludos  ait  suo  nomine  quater,  pro  alüs  magistratibus, 
qui  aut  abessent  aut  non  sufficerent,  ter  et  vicies  und  mon.  Anc.  IV  35 
ludos  feci  meo  nomine  quater,  aliorum  autem  magistratuum  vicem  ter  et 
viciens,  denn  der  Zusatz  bei  Sueton  qui  aut  abessent  aut  non  sufficerent 
ist  völlig  nichtssagend  und  wird  wohl  von  ihm  selbst  stammen.  Von 
den  übrigen  Stellen  sind  nur  wenige  beweiskräftig ,  namentlich  ent- 
halten manche  Angaben  Suetons  selbständige  Einzelheiten,  die  darauf 
hinweisen ,  daß  eine  andere  Quelle  als  das  monumentum  Ancyranum 


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Bericht  über  die  Literatur  zu  Suetonius  von  1897—1906.  (Opitz.)  243 

zugrunde  liegt.  Anderseits  fehlt  es  auch  nicht  an  direkten  Wider- 
sprüchen. Als  Resultat  ergibt  sich  also,  daß  Sueton  von  dem  Original 
des  monumentum  Ancyranuin  Gebrauch  gemacht  hat,  aber  doch  nur  in 
sehr  bescheidenem  Umfange. 

Der  2.  Hauptteil  beschäftigt  sich  unter  folgenden  sieben  Ge- 
sichtspunkten mit  Suetons  Verhältnis  zu  anderen  Inschriften:  1.  Stellen, 
die  sich  auf  Inschriften  zu  beziehen  scheinen,  die  wirklich  von  Sueton 
eingesehen  worden  sind ;  2.  solche,  die  sich  auf  Inschriften  beziehen, 
die  Sueton  sehr  wahrscheinlich  eingesehen  hat;  3.  solche,  die  sich 
auf  Inschriften  beziehen,  die  Sueton  wahrscheinlich  nicht  eingesehen 
hat ;  4.  solche,  die  sich  ganz  im  allgemeinen  auf  Inschriften  selbst  oder 
auf  Denkmäler  mit  Inschriften  beziehen ;  5.  solche,  die  eine  Ähnlich- 
keit mit  erhaltenen  Inschriften  aufweisen;  6.  verschiedene  Bel 
Ziehungen;  7.  Beinamen  und  Titel  der  Kaiser,  die  bei  Sueton  stehen 
und  durch  Inschriften  bestätigt  werden.  Abgesehen  von  den  vier 
unter  die  erste  Rubrik  gehörigen  Stellen  (Aug.  7,  Tib.  5,  Cal.  23, 
Claud.  41),  denen  man  noch  einige  der  zweiten  zugesellen  könnte, 
z.  B.  Dom.  5  und  13,  sind  auch  hier  die  Resultate,  wie  der  Verfasser 
selbst  zugibt,  recht  wenig  sicher.  Vielfach  dienen  ja  die  angeführten 
Inschriften  in  geeigneter  Weise  dazu,  die  betreffenden  Suetonstellen 
zu  erläutern,  daß  sie  ihnen  aber  als  Quellen  zugrunde  liegen,  wird 
sich  nur  ganz  vereinzelt  behaupten  lassen. 

Be ck ,  De  monumento  Ancyrano sententiae  controversae.  Mnemo- 
syne  XXV  S.  349—360  und  XXVI  S.  238—257. 

Dem  Verfasser  erscheint  es  im  höchsten  Grade  zweifelhaft, 
ob  das  monumentum  Ancyranum  eine  Kopie  der  Inschrift  auf  dem 
Mausoleum  Augusti  ist  (S.  247  monumentum  Ancyranum  et  titulum 
Mausolei  quendam  congruere  adhuc  non  satis  constat).  Für  ganz 
unwahrscheinlich  erklärt  er  ferner  eine  Benutzung  desselben  durch 
Sueton,  geht  also  in  dieser  Hinsicht  noch  einen  Schritt  weiter  als 
Dennison.  Auch  er  stellt  S.  247 — 257  mehr  als  30  Stellen  neben- 
einander, in  denen  Sueton  und  das  monumentum  dieselben  Tatsachen 
berichten  und  kommt  ebenfalls  zu  dem  Ergebnisse,  daß  Suetons  Bericht 
vielfach  Einzelheiten  enthält,  die  im  monumentum  fehlen.  Daß  Sueton 
diese  aus  irgendeiner  anderen  Quelle  hinzugefügt  habe,  erklärt  er  für 
sehr  unwahrscheinlich.  Dabei  wird  besonders  der  Gesichtspunkt  be- 
tont, daß  Sueton  in  seiner  Eigenschaft  als  Geheimschreiber  doch  ganz 
andere  Quellen  zur  Verfügung  hatte  als  das  monumentum.  Aus  der 
großen  Zahl  der  Stellen  liebt  der  Verfasser  (S.  355  f.)  drei  als  auch  im  Aus- 
druck einander  besonders  ähnelnd  hervor,  und  zwar  außer  den  oben  schon 

16* 


244  Bericht  über  die  Literatur  zu  Suetonius  von  1897—1906.  (Opitz.) 

angeführten  Aug.  43  und  mon.  Anc.  IV  35  noch  Aug.  43  navale 
proelium  circa  Tiberim,  cavato  solo,  in  quo  nunc  Caesarnm  nemus 
est  und  mon.  Anc.  IV  43  navalis  proeli  spectaclum  populo  dedi  trans 
Tiberim,  in  quo  loco  nunc  nemus  est  Caesarnm,  cavato  solo  e.  q.  s., 
sowie  Aug.  21  nec  ulli  genti  sine  iustis  et  necessariis  causis  bellum 
intulit  und  mon  Anc.  V  12  Alpes  ....  pacari  feci  nulli  genti 
bello  per  iniuriam  inlato.  Aber  auch  diese  Parallelen  sind  nach  der 
Ansicht  des  Verfassers  nicht  von  der  Art,  daß  man  deshalb  eine 
direkte  Benutzung  anzunehmen  genötigt  wäre. 

H.  Wölfflin,  Sueton  und  das  monumentum  Ancyranum. 
Archiv  für  lat.  Lexikographie  XIII  S.  193—199. 

Um  zu  entscheiden,  ob  Sueton  aus  dem  monumentum  Ancyranum 
geschöpft  hat,  vergleicht  der  Verfasser  Suet.  Aug.  52  exque  iis 
cortinas  Apollini  Palatino  dedicavit  mit  mon.  Anc.  4,  53  exque  ea  pecunia 
dona  aurea  in  aede  Apollinis  .  .  .  posui  und  erörtert  im  Anschluß 
daran  die  Frage,  an  welche  einsilbige  Präpositionen  que  angehängt 
wird.  Ergebnis :  an  ab,  ob,  sub  tritt  que  nie,  ebensowenig  an  a d , 
mit  ganz  vereinzelter  Ausnahme;  cum  que  ist  archaisch  und  findet 
sich  bei  Cicero  nur  ganz  selten  nnd  auch  dann  nur  mit  Formen  von 
is,  bei  Sueton  fehlt  es;  postque  kommt  vor  Vellerns  und  Valerius 
Maximus  nicht  vor;  bei  in  und  per  ist  der  Gebrauch  schwankend; 
exque,  das  in  der  Kurialsprache  üblich  war  und  aus  dieser  sich  < 
bei  Cicero  findet,  verschwindet  mit  dem  Ende  der  Republik  aus  der 
guten  Prosa,  so  daß  es  bei  Livius,  Curtius,  Seneca.  Quintilian  und 
Tacitus  sowie  bei  Sueton  und  Ammian  fehlt.  Also  stammt  die  oben 
angeführte  Stelle  mit  exque  aus  dem  monumentum  Ancyranum. 

F.  Gottan  k  a,  Suetons  Verhältnis  zu  der  Denkschrift  des  Augustus 
(monumentum  Ancyranum).  Programm  des  K.  Luitpold-Gymnasiums 
in  München.  1904. 

Einleitungsweise  zählt  der  Verf.  die  Schriftsteller  und  sonstigen 
Quellen  auf,  die  Sueton  in  der  Biographie  des  Augustus  selbst 
nennt,  und  stellt  die  bisher  aufgestellten  Ansichten  über  das  vor- 
liegende Thema  zusammen.  Dann  werden  alle  Stellen,  an  denen  die 
beiden  Berichte  Vergleichspunkte  bieten,  im  Wortlaute  abgedruckt. 
Der  Verf.  teilt  sie  in  fünf  Klassen  ein:  1.  Stellen  (30)  mit  bloß 
„materieller  Übereinstimmung",  2.  solche  (12),  die  „in  stilistischer 
Hinsicht  eine  Beeinflussung  Suetons  durch  die  Denkschrift  des  Augustus 
vermuten  lassen",  3.  solche  (6),  die  „eine  größere  stilistische  Ähn- 
lichkeit zeigen,  wobei  jedoch  Sueton  gleichsam  bestrebt  ist,  eine 
Variation  in  den  Worten  anzuwenden",  4.  solche  (5),  wo  „Sueton 


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Bericht  über  die  Literatur  zu  Suetonius  von  1897—1906.   (Opitz.)  245 

fast  dieselben  Worte  gebraucht  wie  das  monumentum"  und  5.  solche  (9), 
an  denen  „Sueton  vom  inonumentum  abweicht".  Meist  werden  nicht 
bloß  die  Stellen  nebeneinander  gestellt,  sondern  allerlei  erläuternde 
Bemerkungen  beigefügt. 

Die  Stellen  der  1.  und  2.  Klasse  können  meistens  nicht  viel  be- 
weisen, zumal  da  wiederholt  Sueton  Einzelheiten  hat,  die  im  monu- 
mentum  fehlen.  Da  hat  doch  die  Annahme  sehr  viel  für  sich,  daß 
Sueton  diese  nicht  dem  Berichte  des  monumentum  aus  einer  anderen 
Quelle  hinzugefügt,  sondern  aus  dieser  alles  entnommen  hat.  Wirk- 
lich beweiskräftig  sind  nur  die  Stellen  der  4.  Klasse,  namentlich  die 
schon  angeführten  navalis  —  solo  und  ludos  —  viciens  verglichen 
mit  den  entsprechenden  Worten  Suetons.  Das  Endergebnis  der  Unter- 
suchung ist,  daß  Sueton  die  Denkschrift  des  Augustus  direkt  benutzt 
hat,  wenn  auch  in  bescheidenem  Umfange. 

W.  Fürst,  Suetons  Verhältnis  zu  der  Denkschrift  des 
Augustus  (monumentum  Ancyranum).  Erlanger  Dissertation.  Ans- 
bach 1904. 

In  der  Einleitung  seiner  nach  Gottanka  erschienenen  Dissertation 
stellt  der  Verf.  ebenfalls  die  bisher  veröffentlichten  Ansichten  zu- 
sammen. Die  in  Betracht  kommenden  Stellen  des  monumentum  und 
Suetons  werden  zunächst  ohne  Abdruck  des  Wortlautes  verzeichnet. 
Der  Inhalt  der  eigentlichen  Abhandlung  ist  in  7  Abschnitte  ge- 
gliedert: 1.  Übereinstimmungen  in  Form  und  Inhalt;  2.  solche  in 
Inhalt  und  Anlehnungen  in  der  Form ;  3.  Widersprüche ;  4.  a)  Identität 
des  monumentum  mit  der  Urschrift,  b)  der  von  Sueton  benutzte  Text 
4er  Denkschrift;  5.  das  von  Sueton  entnommene  Material;  6.  dessen 
Verarbeitung  und  Umgestaltung;  7.  der  Index  und  die  späteren 
Historiker  der  Kaiserzeit.  Im  1.  Abschnitte  wird  natürlich  besonderer 
Nachdruck  ebenfalls  auf  die  Stelle  ludos  —  viciens  gelegt.  Unter  den 
Stellen  des  2.  sind  nicht  wenige,  die  recht  wenig  beweisen.  Über 
sie  ist  dasselbe  zu  sagen  wie  über  die  aus  der  1.  und  2.  Klasse  bei 
Gottanka.  Im  3.  ist  interessant  die  Vergleichung  von  mon.  Anc.  3 
victorque  omnibus  [superstitibjus  civibus  peperci  mit  Suet.  Aug.  13 
in  splendidissimum  quemque  captivum  non  sine  verborum  contumelia 
saeviit.  Hier  vermutet  nämlich  der  Verfasser,  daß  Sueton  den  be- 
schönigenden Worten  des  Augustus  absichtlich  widerspricht.  Übrigens 
folgt  aus  den  Widersprüchen  keineswegs  die  Nichtbenutzung  über- 
haupt. Denn  Sueton  brauchte  sich  doch  nicht  in  allem  an  das  monu- 
mentum anzuschließen.  Im  4.  Abschnitte  versucht  der  Verfasser  den 
Nachweis,  daß  Sueton  einerseits  aus  der  im  kaiserlichen  Archiv  auf- 
bewahrten Urschrift  des  Augustus,  anderseits  aus  einem  Exemplar 


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246   Bericht  Ober  die  Literatur  zu  Suetonius  von  1897—1906.  (Opitz.) 


geschöpft  hat,  das  „den  nach  des  Kaisers  Tode  redigierten  Wortlaut 
aufwies  (vermutlich  die  Erzinschrift  am  Mausoleum  selbst)".  Mag 
man  über  diese  Vermutung  urteilen,  wie  man  will,  mit  seinem  Haupt- 
ergebnis hat  der  Verfasser,  gerade  wie  Gottanka,  gewiß  das  Richtige 
getroffen. 

G.  K  ö  r  t  g  e ,  In  Suetonii  de  viris  illustribus  libros  inquisitionum 
capita  tria.  Dissertationes  philologicae  Haienses.  Halis  Saxonum 
Vol.  XIV  (1901)  S.  187—284. 

Im  1.  Kapitel  sucht  der  Verfasser  festzustellen,  was  in  den  fünf 
erhaltenen  vitae  des  Vergilius  und  den  zwei  des  Lucanus  auf  Sueton 
zurückgeht.  Von  den  ersteren  kommen  nur  die  des  Probus  und 
Donatus  in  Betracht,  da  Hieronymus,  Servius  und  Focas  nichts  Selb- 
ständiges haben.  Die  beiden  vitae  Lucani ,  deren  eine  von  Vacca 
stammt,  hat  ein  Unbekannter  zusammengeschweißt.  Der  Verfasser 
hebt  dann  die  Besonderheiten  in  der  Behandlung  des  Stoffes  hervor, 
die  sich  in  den  erhaltenen  Teilen  der  Schrift  de  viris  illustribus 
finden.  Indem  er  nun  damit  die  vitae  Vergilii  und  Lucani,  erstere 
sehr  eingehend,  vergleicht,  wird  es  im  höchsten  Grade  wahrscheinlich, 
daß  der  größte  Teil  ihres  Inhaltes  auf  Sueton  zurückgeht.  Auch  in 
der  vita  Persii  erinnert  mancherlei  sehr  an  Suetons  Art.  —  Das 
2.  Kapitel  hat  weniger  mit  Sueton  zu  tun.  Doch  wird  nachgewiesen, 
daß  er  in  den  vitae  Juvenalis  nachgeahmt  ist.  —  Das  3.  Kapitel 
handelt  zunächst  über  Suetons  römische  Quellen :  Varro,  Santra,  Fene- 
stella,  Asconius,  Briefe  des  Augustus  und  anderer,  wohl  auch  die 
acta  senatus.  Die  ganze  Art  der  biographischen  Schriftstellerei 
Suetons  ist  auf  peripatetische  Biographen  zurückzuführen  (Dicäarchus. 
Aristoxenus,  Hernrippus  u.  a.).  Zum  Schlüsse  werden  die  von  diesen 
hervorgehobenen  Gesichtspunkte  zusammengestellt. 

P.  Weber,  Quaestionum  Suetonianarum  capita  duo.  Halis 
Saxonum  1903. 

I.  Decommentis  latinis,  quae  suntdenotiscriticis. 
Das  anecdotum  Parisinura  (cod.  7530)  über  21  kritische  Noten,  das 
schon  Bergk  auf  Sueton  zurückgeführt  hat,  stammt  nach  Reifferscheid 
aus  dessen  Schrift  irepl  xwv  £v  ßiß)aot;  stjjasicov.  Aus  derselben  Quelle 
leitet  dieser  auch  Isidorus  1  20 ,  21  und  24 .  abgesehen  von  den 
christlichen  Noten ,  ab.  Gegen  die  Richtigkeit  dieser  Ansicht  hegt 
der  Verfasser  schon  aus  dem  Grunde  Bedenken,  weil  Isidor  dem  aus- 
geschriebenen Autor  nichts  oder  nur  ganz  wenig  hinzuzufügen  pflegt. 
Auch  finden  sich  zwischen  dem  aneedoton  und  Isidorus  mancherlei  Ab- 
weichungen. Hinzu  kommt  das  von  Kettner  herausgegebene  anecdotum 


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Bericht  über  die  Literatur  zu  Suetonius  von  1897—1906.   (Opitz.)  247 

Monacense  (cod.  14429).  Die  drei  Texte  druckt  der  Verfasser  neben- 
einander ab  und  kommt  nach  gründlicher  Untersuchung  zu  folgendem 
Ergebnis:  die  ersten  12  notae  des  anecdotum  Parisinum  gehen  auf 
Sueton  zurück.  Zu  ihnen  wurden  später  9  hinzugefügt.  Aus  diesem 
commentum  stammt  das  anecdotum  Parisinum  und,  indem  noch  christ- 
liche notae  hinzukamen,  das  anecdotum  Monacense  und  Isidorus.  Vgl. 
unten. 

II.  De  Pratorum  dispositione.  Der  Verfasser  geht  darauf 
aus,  die  von  Schanz  gegebene  Disposition  des  Pratum  (vgl.  in  diesen 
Jb.  Bd.  97  S.  102)  als  unmöglich  zu  erweisen.  Die  Annahme,  daß 
der  1.  Teil  (Buch  1—4)  über  den  Menschen  und  der  2.  Teil 
(Buch  5—8)  über  die  Zeit  gehandelt  habe,  sei  völlig  unbegründet. 
Auch  die  von  Schanz  aufgestellte  Behauptung,  daß  die  Prata  die 
Hauptquelle  für  Censorinus  de  die  natali  seien,  sucht  er  zurück- 
zuweisen. Vielmehr  führt  er  mit  Wissowa  den  1.  Teil  dieser  Schrift 
im  wesentlichen  auf  Varros  Tubero  sive  de  origine  humana  zurück. 
Für  den  2.  Teil  erkennt  er  mit  Schanz  Suetons  Schrift  de  anno 
Romanorum  als  Quelle  an,  lehnt  aber  auch  hier  die  Prata  als  solche 
ab  und  erklärt  Varros  antiquitates  humanae ,  sowie  für  das  2-  und 
3.  Kapitel  desselben  Atticus  sive  de  numeris  dafür. 

F.  Bücheler,  Neptunia  prata.  Rheinisches  Museum  Bd.  59 
(1904)  S.  §21—328. 

Im  Katalog  des  Musge  Aloui  zu  Tunis  S.  32  Nr.  166  wird  ein  Mosaik 
mit  Darstellungen  von  römischen  Schiffen  verschiedener  Art  beschrieben. 
Den  Bildern  sind  17  verschiedene  Ausdrücke  für  Schiffe,  lateinisch, 
zum  Teil  auch  griechisch,  beigeschrieben.  Der  Verfasser  macht  es  nun 
wahrscheinlich,  daß  das  Verzeichnis  dieser  Ausdrücke  auf  Suetons 
Prata  zurückgeht.  Beiläufig  bemerkt  er  gegen  Macö,  daß  Suetons 
Schrift  TTSpA  tt,?  Ktx£pa>vo?  roXiTsta?  nicht  dessen  Werk  de  re  publica 
gegen  Didymus  in  Schutz  nehmen  sollte,  sondern  eine  Schutzschrift 
„über  Ciceros  Verhalten  im  Staate"  war. 

Traube,  Die  Geschichte  der  tironischen  Noten  bei  Suetonius 
und  Isidorus.  Berlin  1901  (S.-A.  aus  Archiv  für  Stenographie 
Bd.  53). 

Isidorus  1  21  (uher  die  kritischen  Zeichen)  stammt  im  wesent- 
lichen, abgesehen  von  den  christlichen  Zeichen,  aus  Sueton.  Vgl.  oben. 
Es  wäre  aber  falsch,  alle  Paragraphen  und  die  Reihenfolge  als  suetonisch 
anzusehen.  Dieser  Fehler  aber  ist  vielfach  hei  Isidorus  I  22  (über 
die  stenographischen  Zeichen)  gemacht  worden.  Dieser  Abschnitt 
besteht  aus  6  Sätzen.  Von  diesen  ist  der  6.  aus  Augustinus,  der 
8.  im  wesentlichen  aus  Hieronymus  geflossen,  der  seinerseits  aus 


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248  Bericht  über  die  Literatur  zu  Suetonius  von  1897—1906.  (Opitz.) 

Suetons  vita  Ciceronis  in  dem  Buche  de  viris  illustribus  geschöpft 
hat.  Satz  1  und  4  sowie  die  Worte  Komae  und  sed  tantum  prae- 
positionum  gehen  auf  Sueton  zurück,  wohl  auch  Satz  2.  Satz  5 
stammt  von  einem  unbekannten  christlichen  Gewährsmann. 

Die  in  den  übrigen  Kapiteln  Isidors  de  notis  enthaltenen  Stücke 
antiquarischen  Inhalts  sind  vermutlich  aus  Sueton,  irepl  tu>v  iv  tote 
ßißXtoi?  ar4}j.st(ov  geflossen.  Überhaupt  hat  Isidor  viel  Suetonisches 
Eigentum,  z.  B.  zitiert  er  zweimal  die  Prata.  Aber  alle  diese 
Schriften  hat  er  nicht  selbst  benutzt.  Offenbar  hat  es  einen  Auszug 
aus  Suetons  kleinen  Schriften  gegeben,  von  dessen  Benutzung  sich 
auch  sonst  Spuren  zeigen. 

II.  Handschriftliche  Überlieferung. 

Preud'homme,  Premiere  6tude  sur  l'histoire  du  texte  de 
Su&one  de  vita  Caesarum.  Bulletin  de  l'Acadämie  royale  de 
Belgique.    Bruxelles  1902  S.  299—328. 

Derselbe,  Seconde  «Hude  usw.  Daselbst  S.  544 — 551. 

Derselbe,  Troisieme  «Hude  usw.  Daselbst  1904.  (Sonder- 
abzug 94  S.). 

Im  ersten  Abschnitte  der  ersten  Studie  beschäftigt  sich  der 
Verfasser  mit  den  von  Bentley  benutzten  Handschriften  (vgl.  Ihm):  er 
weist  nach,  daß  dessen  R  und  R2  —  Regius  15  C  III  und  C  IV  im 
britischen  Museum  sind;  ferner  Si  und  82  =  2  Hdschr.  aus  dem 
College  von  Sion,  jetzt  ebenfalls  in  London,  L  =  Lincoln  College 
Lat.  93  in  der  Bodleiana,  M  und  M2  oder  L  =  Del  10,  41  und 
KK  5,  24  in  der  Universitätsbibliothek  zu  Cambridge.  S2  ist  R2 
sehr  ähnlich,  S 1  nahe  verwandt  mit  einem  Parisinus  und  dem  Prae- 
monstratensis.  R  ist  bereits  von  Vossius  benutzt ,  in  einem  jetzt  in 
Leyden  befindlichen  Exemplar  der  Ausgabe  des  Torrentius  von  1591. 
Wahrscheinlich  hat  Graevius  Mitteilungen  aus  Me  oder  E  gemacht. 

Im  zweiten  Abschnitt  wendet  sich  der  Verf.  gegen  die  Be- 
hauptung von  Smith  (siehe  unten),  daß  auch  die  Hdschr.  des 
15.  Jahrhunderts  im  besonderen  V5  (Vaticanus  1905)  Beachtung 
verdienen.  Ferner  weist  er  nach ,  daß  bei  der  Herstellung  des  von 
Howard  (siehe  unten)  herangezogenen  Parisinus  5809  gedruckte  Aus- 
gaben benutzt  worden  sind.  Also  sind  die  Hdschr.  des  15.  Jahr- 
hunderts für  die  Kritik  wertlos  (so  schon  Roth). 

In  der  zweiten  Studie  spricht  der  Verf.  über  die  von  Roth 
erwähnten  excerpta  Lislaeana,  Bongarsiana,  Cuiaciana.  Die  an  erster 
und  zweiter  Stelle  genannten  stammen  nicht  aus  einem  von  Casaubonus 


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Bericht  über  die  Literatur  zu  Suetonius  von  1897—1906.  (Opitz.)  249 

benutzten  Cuiacianus,  sondern  einer  jetzt  auf  der  Stadtbibliothek  in 
Soissons  befindlichen  Handschrift.  Diese  ist  nicht  nur  von  Bongars, 
sondern  auch  von  Lislaeus  benutzt  worden.  Dagegen  ist  der  Cuia- 
cianus identisch  mit  Parisinus  5804. 

Die  dritte  Studie  ist  die  wichtigste.  Sie  bringt  die  Klassifi- 
kation der  vom  Verf.  benutzten  Hdschr.  Sie  zerfallen  in  2  Klassen : 
X  und  Z.  Die  Berechtigung  dieser  Einteilung  sucht  er  an  mehr  als 
400  Stellen  nachzuweisen,  an  denen  die  beiden  Gruppen  in  Lücken, 
Interpolationen,  Wortstellungen  und  sonstigen  Abweichungen  aus- 
einander gehen. 

Die  erste  Klasse  X  ist  die  wesentlich  bessere.  Ihr  teilt  der 
Verf.  8  Hdschr.  zu:  A  (Memmianus),  B  (Vat.  1904),  C  (Wolfenb. 
268),  D  (Par.  5804),  a  (Laur.  68,  7),  b  (Par.  5801),  c  (Laur.  66, 
39),  f  (Montpellier  117).  —  a,  b,  c,  f  stammen  aus  demselben  Arche- 
typus x  *,  der  mit  B  aus  demselben  Originale  X  abzuleiten  ist. 
a  ist  die  beste  Hdschr.  dieser  Gruppe.  —  C  ist  von  Becker  tiber- 
schätzt worden.  —  Die  von  ihm  veröffentlichten  excerpta  scheinen 
aus  einer  Hdschr.  der  Klasse  x  1  B  zu  stammen. 

Z,  der  Archetypus  der  zweiten  Klasse,  war  jünger  als  X,  ist 
also  schon  deshalb  von  geringerem  Werte,  hat  aber  auch  gute  Les- 
arten. Die  zahlreichen  Vertreter  dieser  Klasse  stammen  meistens  aus 
dem  14.  und  15.  Jahrhundert.  Von  den  älteren  hat  Verf.  10  heran- 
gezogen. Deren  bester  ist  a  (Brit.  Mus.  15  C  III),  dann  kommen 
zunächst  e  (Soissons  19),  ß  (Paris.  6116)  und  7  (Laur.  64,  8); 
doch  haben  sie  viele  Fehler.  Auf  Grund  dieser  Untersuchungen  wird 
S.  61  der  Stammbaum  aufgestellt. 

Der  1.  Anhang  bietet  eine  nach  Jahrhunderten  geordnete  Über- 
sicht aller  dem  Verf.  bekannt  gewordenen  Hdschr.  mit  Angaben  über 
Alter,  Herkunft  und  bisherige  Benutzung.  Von  ihnen  weist  er  53 
der  ersten  und  72  der  zweiten  Klasse  zu;  bei  weiteren  21  verzichtet 
er  auf  Entscheidung.  —  Der  2.  Anhang  beschäftigt  sich  mit  P,  dem 
Archetypus  aller  Hdschr.,  und  ß,  der  (Quelle  von  P. 

M.  Ihm,  Beiträge  zur  Textesgeschichte  des  Sueton.  Hermes 
36  (1901)  S.  343-363,  37  (1902)  S.  590  f. ,  40  (1905)  S.  177 
-190. 

1.  DieSuetonexzerpte  des  Heiric  vonAuxerre.  Von 
Heiric  (geboren  841)  gibt  es  Exzerpte  aus  Sueton ,  die  auf  dem 
Diktate  des  Lupus  von  Ferneres  beruhen.  Letzterer  entnahm  sein 
Diktat  aus  einer  Suetonhandschrift  in  Fulda.  Die  beste  Handschrift 
dieser  Exzerpte,  die  aus  allen  Viten  außer  denen  des  Claudius,  Galba 
und  Otho  gemacht  sind,  ist  der  Parisinus  8118  (sacc.  X  1)  =  cc. 


250  Bericht  über  die  Literatur  zu  Suetonius  von  1897—1906.  (Opitz.) 

Ebenso  alt  ist  Brit.  Mus.  add.  19  835  —  ß.  Dahinter  zurück  steht  der 
Leipziger  Kodex  Rep.  I  4.  48  —  7,  während  Parisinus  13  432  =  S 
wertlos  ist.  Auf  diese  allgemeinen  Bemerkungen  folgt  der  Text  der 
Exzerpte  mit  Variantenverzeichnis. 

2.  Glossen  in  Suetonhandschriften.  Im  Memmianus 
stehen  Scholien  nur  auf  den  ersten  Blättern,  spätestens  von  einer 
Hand  des  12.  Jahrhunderts,  meist  Wort erklärungen,  gelegentlich  auch 
längere  Erklärungen.  Im  ganzen  sind  sie  belanglos,  aber  nicht  un- 
interessant wegen  Übereinstimmung  mit  Glossaren.  Ähnlich  sind  die 
ebenfalls  aus  dem  12.  Jahrhundert  stammenden  Glossen  iraVaticanus 
Lipsii.  Einige  Scholien  waren  bereits  in  den  Text  des  Archetypus 
eingedrungen.  Erklärungen  zu  griechischen  Wörtern  kommen  erst 
seit  dem  12.  Jahrhundert  öfter  vor. 

3.  Humanistenhandschriften.  Das  Urteil  Roths,  daß 
diese  wertlos  und  die  in  ihnen  sich  etwa  findenden  guten  Lesarten 
als  Konjekturen  anzusehen  seien,  hat  sich  dem  Verfasser,  der  gegen 
hundert  solche  Handschriften  auf  bestimmte  Lesarten  hin  geprüft  hat 
oder  hat  prüfen  lassen,  durchaus  bestätigt.  Daher  sind  die  Versuche 
einzelner  Kritiker  (Veldhuis,  Moddermann,  Howard),  eine  oder  die 
andere  dieser  Handschriften  zur  Geltung  zu  bringen,  als  verfehlt  zu 
bezeichnen.  Im  besonderen  ist  der  von  Smith  (vgl.  unten)  empfohlene 
Mon.  5977  saec.  XV  (m)  aus  G  abgeschrieben.  Einige  richtige  Les- 
arten, die  G  nicht  kannte,  beruhen  auf  Konjektur. 

4.  Die  „maßgebenden"  Handschriften.  Als  frei  von 
Interpolationen  dürfen  nur  M  und  V  angesehen  werden.  Schon  G 
hat  manche  eigenmächtige  Änderungen,  gehört  aber  immer  noch  zur 
Sonderklasse.  Die  Bedeutung  der  sonst  in  Betracht  kommenden  Hand- 
schriften ist  den  genannten  gegenüber  eine  sekundäre.  Die  eine 
Klasse  (X)  umfaßt  LPST,  die  andere  (Y)  I1QR.  L  ist  der  beste 
Vertreter  von  X.  In  Y  finden  sich  allein  in  den  Viten  Caesars  und 
der  Flavier  über  30  Interpolationen. 

Im  Anschluß  hieran  bespricht  der  Verfasser  einige  orthographische 
Fragen  wie  magno  opere  und  acc.  plur.  auf  is.  Ferner  weist  er 
nach ,  daß  an  einer  ganzen  Reihe  von  Stellen  die  kopulative  Kon- 
junktion schon  im  Archetypus  fehlte,  ebenso  mitunter  die  Präposition. 
An  mehreren  Stellen,  wie  Caes.  49,  Cal.  50,  Aug.  40,  an  denen  jetzt 
ac  vor  einem  mit  c  anfangenden  Worte  im  Texte  steht,  muß  statt 
dessen  at  geschrieben  werden. 

Schließlich  bespricht  der  Verf.  einige  einzelne  Stellen.  Mit  Recht 
setzt  er  die  handschriftliche  Lesart  Nero  22  prasini  rectorem  und 
Galba  16  universis  ordinibus  offensis  ein.    Zweifelhaft  bleibt  mir 


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Bericht  über  die  Literatur  zu  Suetonius  von  1897—1906.   (Opitz.)  251 

Claud.  1  navi  (novi  Vulg.)  et  immensi  operis.  Beachtenswert  sind 
die  Konjekturen  auf  Grund  der  Überlieferung  Aug.  17  ad  (so  MGX1) 
desideria  militum  omnia  ordinarentur ,  Aug.  88  protinus  virili  toga 
sumpta,  Dom.  2  quin  et  e  sex  consulatibus. 

Smith,  Harvard  studies  XII  (1901)  S.  19  f.  Ein  kürzerer 
Bericht  steht  in  Transactions  and  proceedings  of  the  american 
philological  association.    XXXII  (1901)  S.  XXVI  f. 

Der  Verf.  hat  über  30  Hdschr.  selbst  untersucht:  20  in  der 
Vaticana,  5  in  der  Laurentiana,  4  in  der  Marciana,  5  im  britischen 
Museum,  je  1  in  München  und  Leyden. 

In  eine  Klasse  gehören  A  (Memmianus),  G 2  (Gudianus  268)  = 
C  bei  Preud'homme,  Monacensis,  V4  (Vaticanus  1904)  —  B,  M8  (Med. 
68,  7)  =  a,  M1  (Med.  66,  39)  =  c,  R1  (Reginae  Suecorum  833).  Der 
Verf.  stimmt  also  in  der  Zusammenstellung  von  AV4  G2  M8  M  1  mit 
Preud'homme  überein,  fügt  aber  seinerseits  noch  etliche  hinzu.  Engere 
Gruppen  bilden  A  Mon  G2  und  M8  M 1  R1,  während  V4  in  der 
Mitte  steht.  Besonders  eng  verwandt  sind  Mon  und  G2,  ohne  daß 
jedoch  ersterer  eine  Abschrift  des  letzteren  ist.  Ebenfalls  enge  Be- 
ziehungen bestehen  zwischen  M8  und  M1  (ebenso  Preud'homme). 

In  der  2.  Klasse  bilden  eine  Gruppe  V°  (Vat.  1860),  V1  (Vat. 
7310),  M 2  (Med.  64,  8)  =  8,  Bibl.  s.  Crucis  XX  sin.  3  —  M4 
und  Med.  64 ,  9  =  M  5.  Unter  diesen  stehen  einerseits  V 0  V  *, 
anderseits  M8  M4  M5  in  engeren  Beziehungen.  Dazu  gehören  auch 
noch  B  1  (Brit.  Mus.  15  C  III)  =  a  und  15  C  IV  =  X.  Die  übrigen 
Handschriften  stammen  aus  dem  15.  Jahrhundert.  Besonders  wichtig 
ist  V8  (Vat.  1905).  Die  Handschriften  des  15.  Jahrhunderts  werden 
von  Roth  unterschätzt.  Es  ist  unmöglich,  daß  die  in  ihnen  ent- 
haltenen richtigen  Lesarten  sämtlich  von  Gelehrten  des  15.  Jahr- 
hunderts stammen  (ebenso  Howard,  dagegen  siehe  Preud'homme  und  Ihm). 
Derselbe,  Daselbst  XVI  S.  1—14. 

Vat.  6896,  15.  Jahrhundert  ,  gehört  zu  der  in  der  1.  Abhand- 
lung aus  7  Hdschr.  gebildeten  Urbinasgruppe.  —  Das  in  dieser  über 
V 4  gefällte  Urteil  ist  durch  erneute  Untersuchung  bestätigt.  — 
B3  (Brit.  Mus.  Lat.  Class.  31914),  B4  (desgl.  12009),  Am  (Ambro- 
sianus H  90)  und  L  (Leidensis),  alle  dem  15.  Jahrhundert  angehörig, 
bilden  eine  Gruppe  in  der  2.  Klasse.  —  Ambrosianus  H.  144  ist 
wertlos.  —  B*  (Brit.  Mus.  Lat.  Class.  Arundel  32),  15.  Jahrhundert, 
steht  M8  sehr  nahe,  gehört  also  in  die  1.  Klasse.  —  B7  (Brit.  Mus. 
Lat.  Clas.  21098),  15.  Jahrhundert,  stammt  aus  2  Quellen:  1.  Teil 
(bis  pag.  97,  33)  gehört  in  die  1.  Klasse  zur  Gruppe  M8,  2.  Teil 
steht  V°  nahe. 


252   Bericht  über  die  Literatur  zu  Suetonius  von  1897—1906.  (Opitz.) 

Zum  Schlüsse  wendet  sich  der  Verf.  von  neuem  gegen  Roths 
Ansicht  von  der  Wertlosigkeit  der  Handschr.  des  15.  Jahrh.  Für  die 
2.  Klasse  sind  sie  gar  nicht  zu  entbehren,  da  keine  ihr  angehörende 
Hdschr.  über  das  12.  Jahrh.  hinausgeht. 

Howard,  Notes  on  a  fifteenth  Century  manuscript  of  Suetonius 
Harvard  Studies  XII  (1901)  S.  261—265). 

Die  Hdschr.  des  15.  Jahrhunderts  dürfen  nicht  vernachlässigt 
werden.  Besonders  bemerkenswert  ist  Parisinus  5809.  Er  hat 
11  richtige  Lesarten,  die  Roth  auf  Sabellicus,  30,  die  dieser  auf 
Beroaldus,  und  etliche,  die  dieser  auf  Pontianus  oder  alte  Ausgaben 
zurückführt.  Diese  kann  der  Schreiber  nicht  erfunden  haben :  sie 
stammen  aus  alter  Quelle  (vgl.  dagegen  Preud'homme  und  Ihm). 

von  Radinger,  Eine  verschollene  Handschrift  des  Sueton. 
Jahresbericht  des  Realgymnasiums.    Korneuburg  1905. 

Die  Handschrift  Vat.  1904  kann  nicht  gut  als  „verschollen"  be- 
zeichnet werden,  denn  sie  ist  bereits  von  Ihm,  Smith  und  Preud'homme 
behandelt.  Geschrieben  ist  sie  im  9.  bis  10.  Jahrhundert  in  Flavigny. 
Sie  enthält  die  ersten  drei  vitae  und  vom  Caligula  den  Anfang.  Der 
Verf.  gibt  vom  Tiberius  eine  vollständige  Kollation,  von  den  übrigen 
vitae  eine  sich  aufs  Wichtigste  beschränkende.  Die  Orthographie 
ist  noch  nicht  sehr  verwildert,  aber  inkonsequent.  Es  finden  sich 
ziemlich  viele  Auslassungen.  Den  griechischen  Zitaten  ist  oft  eine 
Interlinearversion  übergeschrieben.  Sehr  nahe  steht  Med.8  dem  Vat. 
Ergebnis :  Vat.  ist  die  nachlässige  Kopie  einer  Handschrift  der  besten 
Überlieferung. 

M.  Ihm,  Richard  Bentleys  Suetonkritik.   Sitzungsberichte  der 
Preuß.  Akademie  der  Wissenschaften.   1901,  XXVII,  S.  677—695. 

Im  ganzen  gibt  es  5  Handexemplare  Bentleys  (vgl.  Preud'homme), 
die  teils  mit  Kollationen,  teils  mit  Konjekturen,  teils  mit  Randbemerkungen 
aller  Art  versehen,  zum  Teil  auch  bereits  für  den  Druck  zurecht  gemacht 
sind.  Die  von  ihm  benutzten  Handschriften  sind:  M  (Eliensis  Epi- 
scopi),  R  (Regius),  R2  (Regius),  M2  (Eliensis  Episcopi),  SS  (2  collegii 
Sionensis),  E  (Eliensis)  =  Ma.  Abgesehen  von  R  sind  sie  minder- 
wertig. Sie  zu  klassifizieren  ist  zwecklos.  Die  meisten  Konjekturen, 
die  allerdings  vielfach  mit  forte  oder  an  versehen  sind,  sind  verfehlt. 

S.  679—695  sind  alle  Bemerkungen  Bentleys  abgedruckt  und 
zum  Teil  vom  Verfasser  mit  weiteren  versehen.  Daraus  ergibt  sich, 
daß  Bentleysche  Konjekturen  und  Lesarten  nicht  selten  von  späteren, 
natürlich  unwissentlich,  wiederholt  worden  sind.  Einzelheiten  hervor- 
zuheben ist  hier  unmöglich.  Doch  sieht  man  auch  hieraus  von  neuem, 


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Bericht  über  die  Literatur  zu  Suetonius  von  1897—1906.  (Opitz.)  253 

welche  gründlichen  Vorstudien  der  Verf.  für  seine  demnächst  zu  er- 
wartende Suetonausgabe  gemacht  hat. 
Einen  Nachtrag  dazu  bietet 

Derselbe,  Bentleys  Noten  zu  Suetons  Schrift  De  grammaticis 
et  rhetoribus.    Rhein.  Mus.  56  (1901)  S.  635  f. 

Ein  Handexemplar  Bentleys  enthält  eine  Kollation  des  jetzigen 
Par.  1773  (früher  Bibl.  Colbertinae  6150).  In  2  anderen  Exemplaren 
stehen  Randbemerkungen.  Nicht  wenige  der  in  ihnen  enthaltenen 
Konjekturen  sind  schon  von  anderen  vorweggenommen.  Manche  stehen 
bei  Reifferscheid  im  Texte,  natürlich,  ohne  daß  dieser  von  ihnen 
Kenntnis  hatte. 

Derselbe,  Zur  Überlieferung  und  Textkritik  von  Suetons 
Schrift  De  grammaticis  et  rhetoribus.  Rhein.  Mus.  61  (1906) 
S.  543—553. 

Die  von  Reifferscheid  der  Textesrezension  zugrunde  gelegten 
2  guten  und  4  geringeren  Handschriften  genügen  nicht.  Es  gibt 
mindestens  18  Handschriften.  Namentlich  müssen  diejenigen  genau 
untersucht  werden,  die  den  index  capitum  enthalten,  sie  sind  besser 
als  die  übrigen  deteriores.  Aber  vielleicht  ergeben  auch  diese  etwas. 
Im  besonderen  behandelt  der  Verfasser  die  von  Huemer  ans  Licht  ge- 
zogene Wiener  Handschrift  aus  dem  Jahre  1466  (Haus-,  Hof-  und 
Staatsarchiv  Nr.  711)  =  W.  Sie  enthält  die  Lesarten,  die  Reiffer- 
scheid aus  den  4  Handschriften  NOGJ  aufgenommen  hat,  sämt- 
lich. Auch  etliche  andere  derartige  verdienen  Beachtung.  Auch  in 
orthographischer  Hinsicht  ist  W  gut,  daher  muß  er  auch  in  Kleinigkeiten 
beachtet  werden.  Jedenfalls  hat  der  Schreiber  nie  absichtlich  geändert. 
Am  engsten  sind  die  Beziehungen  zwischen  W  und  O(ttobonianus). 
Von  den  zahlreichen  Einzelheiten  können  hier  nur  einige  hervor- 
gehoben werden:  Kap.  4  haben  WO  titulo;  Kap.  10  hat  W  nebst 
GJ  nihil,  was  richtig  ist,  da  bei  Sueton  nil  nie  vorkommt;  Kap.  14 
steht  das  ergänzte  non  vor  possit  in  WO;  Kap.  22  liest  W  cum 
ex  oratione  Tiberius  verbum  reprehendisset,  was  für  die  Richtigkeit 
von  Madvigs  Tiberii  verbum  spricht ;  Kap.  23  hat  W  allein  vicetinus ; 
Kap.  28  steht  nucerino  in  WO. 

III.  Kritik. 

Veldhuis,  Annotationes  criticae  ad  Suetonium.  Lugduni 
Batavorum  1897. 

Der  positive  Ertrag  dieser  Abhandlung  ist  nicht  sehr  groß.  Die 
zahlreichen  besprochenen  Stellen  lassen  sich  in  drei  Gruppen  zer- 


254   Bericht  über  die  Literatur  zu  Suctonius  von  1897—1906.  (Opitz.) 

legen:  1.  Die  Lesarten  einzelner  Handschriften  werden 
für  richtig  erklärt.  Da  es  sich  hierbei  fast  ausschließlich  um 
deteriores  handelt  ,  namentlich  um  den  von  dem  Verfasser  sehr  be- 
vorzugten Vind.1,  so  haben  die  empfohlenen  Lesarten  nur  ganz  geringe 
oder  vielmehr  gar  keine  Autorität  für  sich ,  können  also  nicht  den 
Anspruch  erheben,  als  handschriftliche  Überlieferung  in  den  Text 
eingesetzt  zu  werden.  Wenn  trotzdem  die  eine  oder  andere  solcher 
Lesarten  immerhin  beachtenswert  oder  gar  empfehlenswert  ist, 
so  hat  sie  nur  die  Bedeutung  einer  guten  Konjektur.  Dies  gilt 
etwa  von  Caes.  87  pro  pullo  pulleiaceum  statt  apud  pullum  p. 
und  Claud.  21  qualis  est  cum  mit  Streichung  von  ut.  Bei  allen 
andern  ist  nicht  daran  zu  denken,  daß  sie  richtig  seien,  z.  B. 
Aug.  28  magistratibus  e  senatu  statt  ac  senatu,  Claud.  1  magna 
vi  statt  novi,  Nero  5  mitiorem  statt  certiorem.  Etwas  anderes 
ist  es  Caes.  25,  denn  da  steht  quadringcntics  im  Vat.  —  2.  Der 
Verfasser  empfiehlt  die  Konjekturen  anderer,  nament- 
lich älterer  Herausgeber.  Auch  hier  hat  das  meiste  wenig  Wahr- 
scheinlichkeit für  sich.  Am  ehesten  möchte  ich  als  empfehlenswert 
bezeichnen:  Claud.  29  Streichung  von  se  (Graevius),  Nero  10  omnes 
senatores  ordine  statt  omnes  ordines  (Lipsius).  Nero  14  tanquam 
nullo  residuo  hello  (derselbe),  Nero  21  non  dubitavit  etiam  .  .  .  . 
dare  (Oudendorp),  Nero  32  cogeretur  si  qui  (Lipsius),  vielleicht  auch 
noch  Cal.  1  dedisset  statt  devicisset  (derselbe),  Cal.  44  sex  milium 
statt  sexccntorum  milium  (derselbe)  und  Cul.  49  intra  quintum 
mensem  statt  quartum  (Ryck).  —  3.  Eigene  Konjekturen: 
Sicher  ist  meines  Erachtens  keine,  beachtenswert  sind  etwa  Claud.  42 
Musio  novum  additum,  was  übrigens  in  ähnlicher  Weise  schon  von 
Drechsler  vorgeschlagen  ist,  Nero  14  interiecto  annuo  spatio  statt 
inter  annua  spatiu,  vielleicht  auch  Cal.  26  pegmatibus  quoque 
patres  ....  obiciebat  statt  paegniaris. 

Ihm,  Die  sogenannte  „villa  Iouis"  des  Tiberius  auf  Capri 
und  andere  Suetoniana.    Hermes  36  (1901)  S.  287—304. 

S.  289  A.  2  erteilt  der  Verf.  Auskunft  über  die  Handschriften, 
auf  denen  er  den  Suetontext  zu  konstituieren  gedenkt. 

Im  übrigen  ist  der  Inhalt  des  Aufsatzes  etwa  folgender:  Tib.  65 
ist  nicht  überliefert  uilla  quae  vocatur  Iouis,  sondern  Ionis.  Viel- 
leicht hieß  sie  nach  einem  die  Geschichte  der  lo  darstellenden  Ge- 
mälde so.  Ist  diese  Lesart  richtig,  so  fällt  natürlich  die  bekannte 
Kombination  in  sich  zusammen,  daß  die  12  Villen  auf  Capri  die 
Namen  der  12  Götter  trugen.  —  Der  Archetypus  hatte  mancherlei 
Lücken.    Ansprechend  sind  die  Ergänzungen  Galba  6  (legatus  Ger- 


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Bericht  über  die  Literatur  zu  SuetoniuB  von  1897—1906.  (Opitz.)  255 

maniae  in  locum  Gaetulici)  substitutiv  and  Dom.  3  Domitian),  ex  qua 
in  secundo  suo  consulatu  filium  tulerat  alteroque  anno  (principatns 
amisit),  consalutauit  Augustam.  Ferner  wird  der  Versach  gemacht, 
mit  Hilfe  teils  des  Mem.,  teils  des  Gud.  die  Zeilenlänge  des  Arche- 
typus festzustellen.  Außerdem  fanden  sich  im  Archetypus  auch  kleinere 
Lücken.  Sehr  einleuchtend  ist  z.  B.  Caes.  43  obsonia  contra  vetitum 
(proposita)  und  Claud.  20  opera  magna  potius  et  (überl.  ist  quam) 
necessaria  quam  multa  perfecit.  —  Von  den  Autoren,  die  Sueton 
benutzt  haben,  ist  nur  Einhard  für  die  Kritik  noch  nicht  verwendet 
worden.  Aug.  65  wird  Moddermanns  Vermutung  mortes  quam  de- 
decora  suorum  durch  Einhards  Worte  mortes  filiorum  ac  fiiiae  .  .  . 
patienter  tulit  gestützt.  Doch  hält  Ihm  in  diesem  Punkte  mit  Recht 
sehr  Maß.  —  Der  Archetypus  hatte  ferner  Umstellungen  von  Buch- 
staben, Silben  und  Worten.  Mit  Recht  wird  vorgeschlagen  Cal.  57 
vomuit  statt  vomit  (vomitu  MG),  Nero  14  tanquam  nullo  residuo 
hello  mit  Lipsius  statt  tarn  nullo  quam  residuo  und  Cal.  35  uxorio 
nomine  <non  prius)  dignatus  est.  —  Da  in  Kapital-  und  Unzialschrift 
S  und  B  leicht  verwechselt  werden,  so  ist  Aug.  35  excusantibus  statt 
excusatis  (Roth  nach  schlechten  Handschriften)  zu  lesen,  indem 
die  gute  Überlieferung  excusantis  (excusantib)  hat.  Ebenso  findet 
sich  Verwechslung  von  D  und  R.  Daher  ist  Caes.  24  prospere  ce- 
dentibus  rebus  statt  decedentibus  zu  schreiben. 

Wölfflin,  Archiv  für  lat.  Lex.  X  S.  149 
empfiehlt  mit  Recht  Suet.  Aug.  86  die  Lesart  verbis  statt  urbibus. 

Ihm,  Zu  Suetons  Caesares.    Rhein.  Museum  53  S.  495  f. 

Infolge  der  eben  erwähnten  Leichtigkeit  der  Verwechslung  von 
S  and  B  ist  Claud.  19  civibus,  nicht  civi  (civis  die  Handschriften) 
zu  lesen  und  Wölfflins  verbis  statt  urbibus  zu  billigen. 

Helmreich,  Zu  Suet.  Cal.  20.    Berl.  philol.  Wochenschrift 
1903,  43,  S.  1374 

liest  lingua  velut  spongea  statt  spongea  linguave;  paläographisch 
wenig  wahrscheinlich.  Überdies  würde  velut  spongea  ein  ganz  über- 
flüssiger Zusatz  sein. 

Thomas,  Notes  sur  Lucain ,  Suötone  et  le  Querolus.  M6- 
langes  Paul  Fredericq  (Bruxelles  1904)  S.  37 — 41. 

3  Konjekturen  zu  Sueton.  Sachlich  gut  ist  Nero  33  venenorum 
artifice,  weicht  aber  zu  sehr  von  der  Überlieferung  ab;  unsicher  ist 
Tib.  59  sed  re  magis  statt  sed  et  magis,  überflüssig  Aug.  3  a  senatu 
statt  in  senatu. 


256   Bericht  über  die  Literatur  zu  Suetonius  von  1897—1906.  (Opitz.) 

Prend'homme,  Notes  sur  SueHone.    Daselbst  S.  43 — 49. 

Trotz  Roths  Genauigkeit  gibt  es  in  seinem  Texte  mehr  als 
70  Stellen,  an  denen  Lesarten  der  deteriores  oder  Konjekturen 
stehen,  von  denen  er  annahm,  daß  sie  dem  Memmianus  oder  anderen 
guten  Handschriften  angehörten.  —  Die  guten  Handschriften  schreiben 
stets  sestertius  und  sestertium  aus;  letztere  Form  haben  sie  auch 
dann,  wenn  es  sich  um  Genetiv  oder  Ablativ  handelt.  Daraus  folgt, 
daß  Sueton  stets  HS  geschrieben  hat.  Und  dies  wird  wohl  in  den 
Text  einzusetzen  sein.  —  Die  Zahlangaben  sind  meist  in  Worten 
ausgeschrieben,  seltener  finden  sich  Zahlzeichen.  Mitunter  erklären 
sich  die  verschiedenen  Lesarten  daraus,  daß  Zahlzeichen  standen  und 
verschieden  aufgelöst  wurden.  Im  Anschluß  daran  empfiehlt  der 
Verfasser  u.  a.  Jul.  42  mit  Casaubonus  minorve  LX  statt  decem  und 
Aug.  32  mit  Shuckburgh  a  XXV  aetatis  anno  statt  XXX  zu  lesen. 

Andresen,  Agermus.  Wochenschrift  für  klass.  Philol.  1905, 
43,  S.  11 78  f. 

Der  Nero  34  erwähnte  Freigelassene  heißt  nicht  L.  Agerinus, 
sondern  L.  Agermus.  Auf  diese  Namensform  führt  die  Über- 
lieferung bei  Sueton  und  Tacitus  (ann.  XIV  6,  7,  8  und  10). 

Ihm,  Berliner  philologische  Wochenschr.  1906,  47,  S.  1480. 

Caes.  77  haben  alte  Handschriften  amprius.  —  Cacs.  81  ut  illo 
statt  Iulo  mit  Turnebus  und  Bentley.  —  Aug.  27  haben  alle  Hand- 
schriften Julius  Saturninus.  —  Claud.  42  nomine  novum  mit  Drechsler. 

Büchel  er,  Netyr^ov.    Rhein.  Museum.    61  (1906)  S.  307. 

Suet.  Nero  39  ist  zu  lesen : 

ve6^i)9ov.  NEPÜN  iliav  aTjtipa  d^xxeivs,  „hier  ein  novum  ac 
repertum  des  Calculs,  Neros  Name  bezeichnet  arithmetisch  den  Mutter- 
mörder."  (N£p<i>v  hat  den  Zahlenwert  1005 ,  die  folgenden  Worte 
tötav  jA^tepa  obr&ctsivs  den  Wert  75  +  454  +  476  =  1005.) 

Ihm,  Zu  Suetons  vita  Lucani.    Hermes  37  S.  487  f. 

pag.  299,  27  Roth  ist  zu  lesen:  clariore  crepitu  ventris  emisso. 

Vahlen,  Varia  XLIX.    Daselbst  33  S.  245  f. 

Am  Ende  der  Horazbiographie  ist  zu  lesen :  decessit  V  kal.  De- 
cembris  C.  Marcio  Censorino  et  C.  Asinio  Gallo  consulibus  post  nonum 
et  quinquagesimum  (diern  quam  Maecenas  obierat,  aetatis  agens  sep- 
timum  et  quinquagesimum).  Zum  Ausdruck  ist  Titus  11  und  Vesp.  24 
zu  vergleichen. 


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Bericht  über  die  Literatur  zu  Suetonius  von  1897—1906.   (OpiU.)  257 

Stow  asser,  Porcius  Licinus  über  Terenz.    Zeitschrift  für 
die  österreichischen  Gymnasien.    Bd.    51  (1900)  S.  1069—1075. 

Die  Verse  des  Porcius  Licinns  in  Suetons  vita  Terentii  (pag.  292 
ed.  Roth)  stellt  der  Verfasser  folgendermaßen  her: 

Düm  lasciviäm  nobilium  et  fücosas  laudes  petit, 
dum  Africani  vöce  divinä  inhiat  avidis  aüribus, 
dum  äd  Philum  se  cenitare  et  Laelium  pulchrum  putat, 
düm  se  ab  his  amari  credit  <öb  venam  ditem  ingeni, 
5.  r£da>  crebro  in  Albanum  [?]  rapitur  ad  florem  aetatis  suae. 
Is  pös  sublatis  rebus  ad  summam  niopiam  redactus  est 
Itaque  ex  conspectu  ömnium  abiit  in  Graecam  terram  ültimam, 
mörtuus  [t]  Stymphali  Arcadiae.   Oppido  nihil  Scipio 
6i  profuit,  nihil  illi  Laelius,  nihil  Fürius, 
10.  tr£s  per  id  tcmpus  qui  agitabant  nöbilcs  facillime<i>. 

Der  Text  ist  nicht  mit  Ritsehl  auf  den  Parisinus  7920  (saec.  XI  ). 
sondern  durchaus  auf  die  jüngeren  Handschriften  des  15.  Jahrhunderts 
zu  basieren.  Für  die  Herstellung  der  Worte  ist  festzuhalten,  daß 
man  aus  ihnen  nach  Suetons  Worten  ein  unreines  Verhältnis  zwischen 
Scipio  und  Laelius  herauslesen  kann,  aber  nicht  muß. 

IV.  Zur  sachlichen  Erklärung. 

Mnsotto,  Intorno  alla  tradizione  della  morte  di  Germanica, 
tiglio  di  Druso,  presso  Tacito,  Dione  Cassio  e  Suetonio.  Rivista 
di  storia  antica.    N.  S.    Anno  LX  (1904)  S.  1—4. 

Die  Berichte  des  Tacitus,  Dio  und  Sueton  über  die  Vergiftung 
des  Germanikus  stammen  aus  einer  dem  Tiberius  feindlich  gesinnten 
Quelle.  Die  für  diese  angeführten  Gründe  sind  nicht  ausreichend, 
auch  die  Behauptung  Suetons  nicht,  daß  das  Herz  des  Germanikus 
nicht  verbrannt  und  dies  ein  Beweis  für  den  Giftmord  sei.  Er  ist 
nicht  vergiftet  worden,  sondern  an  einer  Krankheit  gestorben. 

Stowasser,  Rezension  von  Fisch,  Tarracina - Anxur  und 
Kaiser  Galba  im  Romane  des  Petronius.  Zeitschrift  für  österreichische 
Gymnasien.    49.  Band.    S.  614. 

Aus  Tib.  39  iuxta  Tarracinam  in  praetorio,  cui  Speluncae  nomen 
est,  geht  nicht  hervor,  daß  in  Tarracina  praetores  gewaltet  hätten, 
sondern  praetorium  bedeutet  „Palast". 

Willrich,  Caligula.  Klio  III  (1903)  S.  85—118,  288—317, 
397—470. 

Eine  eingehende  Würdigung  dieser  hochbedeutenden  Aufsätze 
(1.  Jugend  und  Jugendeindrücke;  2.  Gaius  und  Tiberius;  3.  Re- 

Jahresbericht  fftr  Altertumswissenschaft.    Bd.  CXXX1V.  (1907.   II.)  17 


258   Bericht  über  die  Literatur  zu  Suetonius  von  1897 — 1906.  (Opitz.) 

gierungsanfang ;  4.  Gaius  und  seine  Familie;  5.  Der  Orient  unter 
Gaius;  6.  Gaius  und  der  Westen;  7.  Die  Juden;  8.  Verwaltung  und 
Justiz;  9.  Religionspolitik;  10.  Gaius  und  die  drei  Stände;  11.  Gaius1 
Persönlichkeit)  gehört  in  einen  anderen  Bericht.  Hier  sei  nur  er- 
wähnt ,  was  der  Verf.  über  die  Quellen  sagt :  Ein  flüchtiger  Blick 
genügt,  zu  bemerken,  daß  Dio  von  Sueton  nicht  beeinflußt  ist.  daß 
vielmehr  beiden  schon  ausgeführte  Charakterzeichnungen  des  Kaisers 
vorgelegen  haben.  Man  kann  sagen,  daß  ihn  die  Nachwelt  durch  die 
Brille  Senecas  sieht. 

Haussoullier,  Caligula  et  le  temple  d'Apollon  Didymöen. 

Re*vue  de  philologie  XXIII  S.  147—168. 

Schon  länger  als  drei  Jahrhunderte  war  man  mit  dem  Neubau 
des  Tempels  des  Apollo  zu  Didyma  bei  Milet  beschäftigt,  und  noch 
war  kein  Ende  abzusehen.    Da  entschloß  sich  zu  dessen  Vollendung 
Caligula  (Suet.  Cal.  21),  und  zwar  wollte  er  tatsächlich  dadurch 
einen  Tempel  für  sich  haben  (Dio  59,  28).   Zu  dem  Zwecke  ordnete 
er  an,  daß  die  Provinz  Asien  die  Kosten  zu  tragen  habe.   Der  Verf. 
vermutet  nun,  daß  die  in  einer  von  ihm  zuerst  veröffentlichten  In- 
schrift von  Didyma  (Nr.  30)  erwähnte  Schenkung  eines  nicht  genannten 
Kaisers  von  Caligula  gemacht  worden  sei.  Hierzu  stimmt  auch,  daß  es 
milesische  Münzen  aus  der  Zeit  Caligulas  gibt,  auf  denen  ein  Hexastylos 
abgebildet  ist,  mit  dem  doch  offenbar  das  Didymeion  gemeint  ist. 
Infolge  alles  dessen  beschlossen  die  Milesier  für  Caligulas  Schwester 
Drusilla  (f  38)  göttliche  Ehren.    Vielleicht  waren  auch  die  in  einer 
anderen  Inschrift  von  Milet  (rövue  XXI  S.  42  Nr.  17)  genannten 
Kaiaa'peia  dem  Caligula  geweiht. 

H.  Bodewig,  Ein  Trevererdorf  im  Coblenzer  Stadtwalde. 

Westdeutsche  Zeitschrift  XIX  (1900)  S.  1—67,  im  besonderen 

S.  56—67. 

Den  Cal.  8  erwähnten  vicus  Ambitarvius  supra  Confluentes  glaubt 
der  Verfasser  im  Coblenzer  Stadtwalde  aufgefunden  zu  haben.  Con- 
fluentes muß ,  da  es  keinen  weiteren  Zusatz  hat ,  sich  auf  Coblenz 
beziehen.  Der  gefundene  vicus  stellt  sich  als  eine  Anhäufung  von 
Einzelgehöften  dar,  in  denen  jeder  Eigentümer  sich  durch  Mauer 
und  Zaun  von  der  übrigen  Welt  abzusondern  sucht  (keltisch).  Der 
Altar  ob  Agrippinac  Puerperium  bezieht  sich  auf  einen  Ende  14  oder 
Anfang  15  n.  Chr.  dort  geborenen,  früh  verstorbenen  Sohn  des 
Germanikus  und  auf  die  Ende  16  n.  Chr.  dort  geborene  Drusilla. 
Er  ist  vermutlich  nicht  von  diesem  selbst  gestiftet. 

Cr  am  er,  Der  vicus  Ambitarvius.     Daselbst  XXII  (1903) 
S.  274—286. 


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Bericht  über  die  Literatur  zu  Suetonius  von  1897—1906.  (Opitz.)  259 

Der  Verfasser  bezeichnet  Bodewigs  Ausgrabungen  als  sehr 
wichtig.  Indem  er  dann  Ambitarvius  mit  Ambitrebius  (Bezirk  auf 
beiden  Seiten  der  Trebia)  vergleicht,  erklärt  er  es  als  einen  Gau  zu 
beiden  Seiten  eines  Baches,  der  etwa  Tarva  oder  Tarvos  hieß.  Als 
Flußname  ist  dieses  Wort  zwar  verschwunden,  es  lebt  aber  fort  in 
dem  Siedlungsnamen  Zerf,  mittellateinisch  Cervia.  Dort  ist  auch  ein 
Bach,  der  unterhalb  von  Niederzerf  in  die  Ruwer  fließt,  während 
diese  unterhalb  von  Trier  in  die  Mosel  mündet.  Bei  genauer  Lokal- 
betrachtung ergibt  sich,  daß  der  Ausdruck  supra  confluentes  durchaus 
angemessen  ist  Confluentes  oder  Ad  Confluentes  kommt  nicht  nur 
zur  Bezeichnung  von  Coblenz  vor. 

Boot,  Verslagen  en  mededeelingen  der  koninklijke  Akademie 
vom  vetenschapen  XII  8  (exzerpiert  in  Woch.  für  klass.  Philol. 
1897  S.  15) 

bespricht  im  Anschluß  an  Cal.  37  (fabricavit  et  deceris  Liburnicas) 
die  Funde  im  Nemisee.  Die  Länge  des  aufgefundenen  Prachtschiffes 
wird  von  Tauchern  auf  68  m  bei  einer  Mittelbreite  von  20  m  an- 
gegeben. Gefunden  wurden  u.  a.  Bronzeverzierungen,  die  auf  runden 
oder  viereckigen  Pfeilern  gesteckt  haben,  ein  Bronzezylinder  mit 
Löwenköpfen  und  einem  Ring  zum  Befestigen  von  Ketten  oder 
Stricken.  Ein  zweites  und  größeres  Schiff  liegt  150  m  vom  Ufer 
entfernt. 

Siebe  rt,  Die  ältesten  Zeugnisse  Uber  das  Christentum  bei 
den  römischen  Schriftstellern.  Charlottenburg,  Programm  des 
Augustagymnasiums  1897.    S.  6 — 7. 

Judaeos  impulsore  Chresto  usw.  (Claud.  25)  bezieht  sich,  indem 
Chrestus  vermutlich  „eine  in  Rom  bekannte  jüdische  Persönlichkeit 
(daher  nicht  Chresto  quodam)  dieses  Namens"  bezeichnet,  nicht  auf 
eine  Christenverfolgung,  sondern  auf  die  auch  bei  Lukas  (Apostel- 
geschichte 18,  2)  erwähnte  Judenvertreibung.  Vielleicht  ist  diese 
ins  Jahr  52  zu  setzen. 

P.  Werner,  De  incendiis  urbis  Romae  aetate  imperatorum. 
Leipziger  Dissertation  1906. 

Der  Verfasser  stellt  in  sehr  fleißiger  Weise  alle  über  die  Brände 
Roms  in  der  Kaiserzeit  sich  findenden  Angaben  zusammen.  Dabei 
wird  naturgemäß  besonders  ausführlich  der  große  Brand  unter  Nero 
besprochen,  namentlich  eingehend  seine  Ausbreitung.  Doch  trifft 
der  Verfasser  keine  Entscheidung  in  der  Frage  Uber  die  Urheber- 
schaft.   Über  diese  Frage  ist  in  den  letzten  Jahren  eine  außer- 

17* 


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260   Bericht  über  die  Literatur  zu  Suetonius  von  1897—1906.  (Opitz.) 

ordentlich  ausgebreitete  Literatur  entstanden ,  die  hier  nicht  be- 
sprochen werden  kann.  Ich  nenne  nur  das  748  Seiten  umfassende  Werk 
A.  Profumo,  Le  fonti  ed  i  tempi  dello  incendio  Neroniano. 
Roma  1905 

und  verweise  im  übrigen  auf  die  letzten  Jahresberichte  Andresens 
über  Tacitus. 

Marks,  Neros  great  ship-canal.     Athenaeum   Nr.  3746 

(12.  Aug.  1899)  S.  233  f. 

Der  Anfang  des  bei  Suet.  Nero  31  (und  Tac.  ann.  XV  42)  er- 
wähnten Kanals,  den  Nero  vom  Arvernersee  nach  Ostia  bauen 
wollte,  ist  in  der  grotta  di  Pace  zu  seheu,  die  an  der  Nordwestseite 
des  Sees  beginnt.  Bis  jetzt  hat  man  diese  nach  Strabo  für  ein  Werk 
des  Cocceius,  eines  Ingenieurs  des  Agrippa,  gehalten,  aber  mit  Un- 
recht. Denn  dessen  Werk  ist  vielmehr  in  der  grotta  della  Sibilla 
erhalten.  Die  grotta  di  Pace  hat  gerade  die  Richtung,  die  der 
Schiffskanal  einschlagen  mußte.  Die  Vermutung  des  Verfassers,  daß 
aus  deren  Breite  (16  engl.  Fuß  =  ca.  5  m)  und  der  Notiz  Suetons, 
daß  auf  dem  Kanäle  contrariac  quinqueremes  commearent,  sich  viel- 
leicht ein  Schluß  auf  die  Breite  solcher  Schiffe  ziehen  lasse,  entbehrt 
jeder  Wahrscheinlichkeit.  Denn  dann  könnten  zwei  quinqueremes 
zusammen  nur  5  m  breit  gewesen  sein. 

Fabia,  N6ron  acteur.    Bulletin  de  la  socidte"  des  ainis  de 

l'universite"  de  Lyon.    Bd.  XIX  (1906)  S.  27—52. 

So  lange  Agrippina  lebte,  wagte  Nero  nicht,  öffentlich  aufzutreten. 
Doch  studierte  er  unter  der  Leitung  des  Terpnus  mit  großem  Eifer. 
Nach  ihrem  Tode  trat  er  zuerst  bei  den  Juvenalien  in  den  Vatikani- 
schen Gärten  vor  Eingeladenen  auf,  64  zum  ersten  Male  in  Neapel,  später 
auch  in  Rom ,  z.  B.  bei  der  Anwesenheit  des  Tiridates.  67  unter- 
nahm er  seine  Kunstreise  nach  Griechenland.  Alle  vier  großen  Fest- 
spiele waren  auf  dieses  Jahr  verlegt  worden,  in  Olympia  wurde  ein 
besonderer  musikalischer  Agon  eingelegt.  Mit  1808  Kränzen  kehrte 
er  nach  Rom  zurück  und  feierte  einen  glänzenden  Triumph.  Bei  den 
dazu  gehörigen  Spielen  trat  er  selbst  wieder  auf.  Kurz  darauf  er- 
folgte sein  Ende.  Er  besaß  ein  bescheidenes  Talent,  das  jedoch  seine 
maßlose  Selbstüberschätzung  zu  einem  Genie  aufbauschte.  Trotzdem 
hatte  er  vor  jedem  Auftreten  eine  tüchtige  Angst.  Daher  führte  er 
eine  wohlorganisierte  Claque  mit  sich. 

Derselbe,  Coniment  Poppte  devint  impöratrice.    Rev.  de 

philol.  XXI  (1897)  S.  221—239. 

Die  Beziehungen  zwischen  Nero  und  Poppaea  (vgl.  diesen  Jahres- 
bericht Bd.  97  S.  109)  begannen  ,r»8.    Damals  war  Poppaea  etwas 


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Bericht  über  die  Literatur  zu  Suetonius  von  1897— 1'JOü.  (Opitz.)  2t» l 

über  25  Jahre  alt,  Nero  dagegen  erst  21.  Ihre  Schönheit  war  ebenso 
hervorragend  wie  ihr  Streben,  diese  sich  zu  erhalten.  Sehr  ergeben 
war  sie  den  Astrologen ,  auch  zeigte  sie  eine  gewisse  Neigung  zum 
Judentum.  „Impudiqueu  war  sie  „par  calcul  et  non  par  instinct".  Daher 
liebte  sie  nicht  Neros  Person,  sondern  nur  seine  Stellung  und  strebte, 
nachdem  sie  dessen  Geliebte  geworden  war,  nach  dem  Throne.  In 
diesem  Streben  stieß  sie  auf  drei  Hindernisse:  Agrippina,  Burrus, 
Octavia.  Agrippina  suchte  ihren  erschütterten  Einfluß  zu  wahren, 
indem  sie  Nero  zum  Incest  verleiden  wollte.  Aber  gerade  dies  be- 
nutzte Poppaea,  um  Nero  gegenüber  ihre  Behauptung,  daß  Agrippina 
«ine  Verschwörung  plane ,  zu  stützen.  So  entschloß  sich  Nero  zum 
Muttermord.  Hinsichtlich  des  Todes  des  Burrus  erklärt  es  der 
Verf.  für  das  Wahrscheinlichste  (so  Sueton  Nero  35),  daß  auch  er. 
an  Angina  erkrankt,  durch  ein  vergiftetes  Mittel  beseitigt  wurde. 
Von  Octavia  trennte  sich  Nero,  nachdem  er  sie  des  Ehebruchs  mit 
dem  Flötenspieler  Eucaerus  beschuldigt  hatte,  und  heiratete 
12  Tage  darauf  Poppaea.  Alsdann  wurde  Octavia  nach  Campanien 
verbannt.  Da  aber  das  Gerücht  von  ihrer  Zurückberufung  das  Volk 
dazu  veranlaßt  hatte,  die  Bildsäulen  der  Poppaea  zu  stürzen  und  die 
der  Octavia  aufzustellen,  wurde  letzterer  Ehebruch  mit  Anicetus  vor- 
geworfen. Die  Strafe  war  die  Verbannung  nach  Pandateria,  wo  sie 
ihren  Tod  durch  Mörderhand  fand.  Als  Poppaea  ihr  abgeschlagenes 
Haupt  mit  eigenen  Augen  sah,  fühlte  sie  sich  endlich  als  Kaiserin. 
Derselbe,  Le  regne  et  la  raort  de  Poppte.  Daselbst 
XXII  S.  333-345. 

Als  Poppaea  einer  Prinzessin  das  Leben  gegeben  hatte,  wett- 
eiferten der  Senat,  die  Arvalen  usw.  in  Schmeicheleien.  Beide, 
Mutter  wie  Tochter,  erhielten  von  Nero  den  Titel  Augusta.  Aber 
das  Kind  starh  noch  vor  Vollendung  des  vierten  Monats.  Trotzdem 
wußte  Poppaea  ihren  Einfluß  immer  mehr  zu  steigern.  So  veranlaßte 
sie  im  Bunde  mit  Tigelliuus  den  Tod  Senecas.  Auch  wird  sie  bei 
ihren  Beziehungen  zu  den  Juden  wohl  die  Verfolgungen  der  Christen 
mit  veranlaßt  haben,  da  diese  ja  den  Juden  verhaßt  waren.  Dagegen 
hinderte  sie  weder  Neros  öffentliches  Auftreten  noch  die  Fortsetzung 
seines  sittenlosen  Lebens.  Daß  Poppaea  durch  Nero  vergiftet  worden 
sei  (so  Tacitus  nach  gewissen  Quellen),  ist  bei  seiner  Liebe  zu  ihr 
und  bei  seinem  brennenden  Wunsche,  Kinder  zu  bekommen,  unwahr- 
scheinlich. Dagegen  ist  die  Überlieferung,  daß  er  ohne  eigentliche 
böse  Absicht  durch  einen  Fußtritt  ihren  Tod  veranlaßt  habe  (so 
Sueton  Nero  35,  Dio  und  Tacitus  nach  anderen  Quellen),  wohl  glaub- 
lich.   Auch  empfand  er  dauernde  Keue.    Dies  beweisen  die  Ehren, 


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262   Bericht  über  die  Literatur  zu  Suetonius  von  1897—1906.  (Opitz.) 


die  er  der  Getöteten  erwies,  z.  B.  weihte  er  ihr  noch  68  —  65  war 
sie  gestorben  —  einen  Tempel.  Wenn  er  trotzdem  recht  bald  Messa- 
lina  heiratete,  so  hat  diese  doch  seinem  Herzen  nie  so  nahe  gestanden 
wie  Poppaea.  In  seiner  nächsten  Umgebung  hatte  er  Sporns,  weil 
dieser  ihr  sehr  ähnlich  war.  Aach  bewahrte  er  immer  eine  nach- 
trägliche Eifersucht  auf  ihren  früheren  Gatten  Crispinus,  den  er  des- 
halb nicht  nur  nach  Sardinien  verbannte,  sondern  auch  sich  zu  töten 
veranlaßte.  Welch  eine  Macht  Poppaea  Uber  die  Männer  ausgeübt 
hat,  geht  übrigens  auch  daraus  hervor,  daß  Otho  ihre  Bildsäulen 
wieder  aufrichten  ließ. 

Paul,  Kaiser  Marcus  Salvius  Otho.    Rh.  Mus.  57  (1902) 
S.  76—136. 

Den  Anfang  des  interessant  geschriebenen  Aufsatzes  machen 
einige  Bemerkungen  über  die  Familie  Othos.  Wenn  seine  Charakteristik 
bei  Sueton  (Kap.  12)  und  Tacitus  nicht  übereinstimmen,  so  erklärt  dies 
sich  daraus,  daß  Sueton  auf  die  städtische  Skandalchronik  Rücksicht 
nimmt.  Ausführlich  spricht  dann  der  Verfasser  über  das  Verhältnis 
Othos  zu  Poppaea  Sabina,  wobei  ihm  der  Aufsatz  von  Fabia  (vgl. 
diesen  Jb.  Bd.  97  S.  109)  unbekannt  geblieben  ist.  Sie  war  ein 
Weib,  das  ein  „vollendeter  Roue"  wie  Otho  leicht  reizen  und  an  sich 
locken  konnte".  Hauptsächlich  aber  ließ  sie  sich  wohl  durch  den 
Einfluß  bestimmen,  den  Otho  bei  Nero  besaß.  Und  so  gelang  es  ihr, 
auch  diesen  für  sich  zu  gewinnen.  Um  nicht  im  Wege  zu  sein, 
wurde  Otho  Statthalter  von  Lusitanien,  ein  Amt,  das  er  58 — 68  in 
tüchtiger  Weise  verwaltete.  Als  Galba  auftrat,  schloß  er  sich  sofort 
an  ihn  an,  offenbar  aus  Rachsucht  (Suet.  4),  und  gewann  durch  Leut- 
seligkeit die  Truppen  für  sich.  Dadurch,  daß  Galba  nicht  ihn, 
sondern  Piso  adoptierte,  fühlte  er  sich  schwer  verletzt.  Auch  setzten 
ihm  seine  Freigelassenen  sowie  die  Sterndeuter  zu.  So  ließ  er  sich 
zum  Kaiser  ausrufen.  Die  damit  zusammenhängenden  Ereignisse 
werden  vom  Verfasser  ausführlich  dargestellt ,  im  wesentlichen  nach 
Tacitus,  jedoch  unter  Heranziehung  von  Sueton  und  Plutarch  sowie 
Dio.  Als  dann  Vitellius'  Truppen  heranzogen,  kam  es  zur  Schlacht 
bei  Betriacum.  Wenn  sich  nach  ihr  Otho  selbst  den  Tod  gab,  so 
sieht  der  Verfasser  den  Hauptgrund  in  dem  Zweifel,  ob  er  die  Sache 
durchführen  könnte. 

Fabia,   Le   gentilice   de  Tigellin.     R6v.   de  philol.  XXI 
S.  160—166. 

Tigellinus  (Suet.  Galba  16)  hieß  nicht  Sophonius  Tug.,  sondern 
Ofonius,  wie  bei  Tac.  hist.  I  72  und  ann.  XIV  51  handschriftlich 


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Bericht  über  die  Literatur  zu  Suetonius  von  1897—1906.  (Opitz.)  2C3 

überliefert  ist.  Die  gens  Ofonia  ist  überdies  zweimal  inschriftlich 
bezeugt,  die  Sophonia  nirgends. 

Newton,  The  egigraphical  evidence  for  the  reigns  of  Ves- 

pasian  and  Titus.    Cornell  studies  XVI  (1901). 

Diese  fleißige  Zusammenstellung  und  Erläuterung  aller  aus  der 
Zeit  des  Vespasianus  und  Titus  erhaltenen  Inschriften  (366  Nummern) 
kann  hier  und  da  auch  zur  sachlichen  Erklärung  Suetons  heran- 
gezogen werden,  z.  B.  Nr.  89 — 98  über  Vespasians  Bautätigkeit  zu 
Suet.  Yesp.  8  und  9,  Nr.  220  über  Vespasians  Mutter  Polla  zu 
Vesp.  1 ,  Nr.  228 — 283  über  Flavia  Domitilla  Mutter,  Tochter  und 
Enkelin  zu  Vesp.  3  und  Dom.  15,  Nr.  236  über  Domitia  zu  Dom.  3, 
Nr.  237  und  238  über  Caenis  zu  Vesp.  2 ,  Nr.  274  über  Helvidius 
Pilsens  zu  Vesp.  15. 

Sanders,  The  younger  Ennius.    Transactions  and  procee- 

dings  of  the  american  philological  association.    XXXII  (1901) 

S.  XXIII. 

Zu  de  gramm.  1.  Der  jüngere  Ennius  ist  zwischen  140  und 
100  v.  Chr.  anzusetzen.  Ihm  ist  die  Übersetzung  des  Euhemerus 
zuzuweisen. 

Cantarelli,  Sopra  un  passo  di  Suetonio.    Boll,  di  philol. 
classica  IV  110. 

Aus  De  gramm.  16  Q.  Caecilius  Epirota  cum  filiara 

patroni  nuptam  M.  Agrippae  doceret,  suspectus  in  ea  et  ab  hoc 
remotus  folgert  Drumann,  daß  die  Ehe  zwischen  Agrippa  und  Pom- 
ponia  geschieden  worden  sei.  C.  weist  mit  Recht  darauf  hin, 
daß  aus  den  Worten  Suetons  nicht  einmal  hervorgeht,  daß  Pomponia 
überhaupt  ein  Verdacht  getroffen  habe. 

H.  Wölfflin,  Salsamentarius.    Archiv  für  lat.  Lex.  XII 
S.  866. 

Salsamentarins  (vita  Horatii)  ist  ein  Händler  mit  Schinken, 
Würsten  usw.  Denn  die  Terenzscholien  und  Glossen  erklären  sal- 
samenta  durch  aut  salsi  pisces  sunt  aut  lavidum  oder  carnes  sale  con- 
ditaß  oder  omnes  res  salsae. 

Lucas,  Die  Herkunft  Bions  und  Horazens.    Philol.  58 
(N.  F.  12)  S.  622—624. 

Die  Worte  der  vita  Horatii :  cum  illi  quidam  se  emun- 

gentem  sind  unbedingt  echt.  Wie  sich  aus  der  Vergleichung  dessen, 
was  Diog.  Laert.  IV  7,  46  über  Bion  berichtet,  ergibt,  war  es  die 
Sitte  der  Freigelassenen,  sich  mit  dem  Ellbogen  die  Nase  zu  wischen. 
Der  dem  Horaz  gemachte  Vorwurf  bezieht  sich  also  nur  darauf,  daß 
sein  Vater  ein  Freigelassener  war. 


264   Bericht  über  die  Literatur  zu  Suetonius  von  1897—1906.  (0pit2.) 

V.  Sprachgebrauch. 

Dalmasso,    La    grammatica   di  C.   Suetonio  Tranquillo. 
Torino  1906. 

Außer  einem  Vorwort  ist  noch  eine  introduzione  vorausgeschickt. 
Deren  wesentlicher  Inhalt  ist  folgender :  Sueton  war  weder  der  neuen 
Richtung  (Seneca),  noch  der  archaisierenden  sehr  geneigt ;  er  ist  maß- 
voll konservativ  und  schließt  sich  mehr  an  Cicero  an.  Wenn  ihm 
das  nicht  so  gelingt  wie  z.  B.  Quintilian,  so  liegt  das  an  dem  da- 
zwischenliegenden halben  Jahrhundert.  Außerdem  hängt  jeder  Schrift- 
steller von  dem  Zustande  der  Sprache  ab,  den  er  vorfindet.  Was 
archaisch  erscheint,  ist  oft  Volkssprache.  Das  von  Quintilian  vom 
Historiker  verlangte  poetische  Element  findet  sich  bei  Sueton  seltener. 
Das  liegt  an  der  ganzen  Art  seiner  Geschichtschreibung. 

Darauf  folgt  die  Grammatik  in  247  Paragraphen  ganz  nach  dem 
Schema  einer  lateinischen  Grammatik.  Daß  der  Verfasser  auf  diese 
Zusammenstellungen  viel  Fleiß  verwendet  hat,  ist  unleugbar.  Eine 
vollständige  Sammlung  aller  Beispiele  war  offenbar  nicht  beabsichtigt, 
sondern  nur  eine  solche  der  Abweichungen  vom  regelmäßigen  Sprach- 
gebrauch. Daß  dies  nicht  ausreicht,  sondern  daß  es  notwendig  ist, 
auch  das  Verhältnis  der  unregelmäßigen  zu  den  regelmäßigen  Er- 
scheinungen anzugeben  und  ferner  zu  erwähnen,  welche  Worte  oder 
Konstruktionen  fehlen,  möge  das  Beispiel  der  Präpositionen  zeigen: 
nicht  behandelt  werden  circum,  eis,  erga,  extra,  infra,  prope,  trans, 
ultra  sowie  clam  sine  subter.  Und  doch  wäre  der  Schluß,  daß 
Sueton  diese  gar  nicht  gebraucht,  falsch.  Nach  der  clavis  Suetoniana 
fehlen  nur  eis,  erga  und  subter.  Wer  also  an  eine  solche  Grammatik 
nur  das  Verlangen  stellt,  daß  man  sich  über  das  von  den  gewöhn- 
lichen Regeln  Abweichende  schnell  orientieren  kann,  wird  auch  mit 
der  vorliegenden  völlig  zufrieden  sein. 

Der  Syntax  sind  auch  stilistische  Bemerkungen  beigefügt:  Kürze 
(z.  B.  Ellipse),  Ungenauigkeit  (z.  B.  Pleonasmus  und  Inkonzinnität), 
dichterisches  Kolorit,  Neuerungen,  griechische  Ausdrücke,  Wortstellung. 

In  den  Anmerkungen  wird  gelegentlich  auf  Kritik  eingegangen. 

W.  Freund,  De  C.  Suetonii  Tranquilli  usu  atque  genere 
dicendi.    Breslauer  Dissertation  1901. 

Der  wesentliche  Inhalt  dieser  umfänglichen  Dissertation  ist  etwa 
folgender : 

Pars  I.    De  universa  clocutione.    S.  3 — 43. 


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Bericht  über  die  Liteiatur  zu  Suetonius  von  1897—1906.  (Opitz.)  265 

1.  De  perspicuitate:  Sueton  vermeidet  lange  Perioden,  z.  B 
Aug.  94,  13—17  und  Tib.  11,  22—25,  wo  andere  Schriftsteller  un- 
bedingt die  Periodisierung  angewendet  hätten ;  Zitate  stehen  oft  nicht 
im  Abhängigkeitsverhältnis,  sondern  mit  ut  und  einem  Verbum ;  An- 
akoluthe  sind  selten ;  an  den  Spitzen  der  einzelnen  Teile  stehen  Stich- 
worte. 2.  De  brevitate  sermonis:  Das  tibermäßige  Streben 
nach  Kürze  führt  mitunter  zu  Dunkelheit;  sehr  ausgedehnt  ist  der 
Gebrauch  des  Partizipiums.  3.  De  copia  verborum:  Nachträge 
zu  Baumgarten-Crusius.  4.  De  detractionibus:  Häufig  ist  die 
Ellipse  von  esse  und  fuisse  sowie  von  is  in  Hauptsätzen  und  beim 
Infinitiv,  bei  letzterem  auch  die  von  se.  5.  De  collocatione 
verborum:  Das  Attribut  ist  oft  vom  Substantivum  getrennt;  die 
Amts-  und  Verwandtschaftsbezeichnung  steht  vielfach  vor  dem  Eigen- 
namen ,  der  Beiname  Magnus  stets.  6.  De  ornatu  sermonis: 
Verba  und  Substantive  stehen  oft  in  übertragenem  Sinne ;  rhetorische 
Figuren  werden  selten  angewendet.  7.  De  concinnitate:  In- 
konzinnität  ist  sehr  gebräuchlich.  8.  De  dissolutione:  Das 
Asyndeton  ist  sehr  beliebt,  daher  wird  das  satzverknüpfende  autem 
wenig  gebraucht;  relative  Anküpfung  wird  vermieden;  Polysyndeta 
sind  ganz  selten.  9.  De  clausulis  numerosis:  Der  Verfasser 
stellt  aus  der  vita  Augusti  zahlreiche  rhythmische  Satzausgäuge  zu- 
sammen. 

Pars  II.    De  quibusdam  proprietati bus  sermonis 
Suetoniani  S.  44—68. 

1.  De  substantivis:  Von  Substantiven  hängen  oft  ab  Prä- 
positionen, Infinitive,  Sätze;  bei  Eigennamen  stehen  oft  gen.  oder 
abl.  qual.  2.  De  adiectivis:  Viele  Adjectiva  sind  mit  per  oder 
prae  zusammengesetzt;  Komparative  ohne  eigentliche  komparative  Be- 
deutung; seltene  Superlative;  verschiedene  Steigerungsgrade  werden 
zusammengestellt ;  Neutra  mit  Präpositionen  werden  als  Adverbia 
verwendet;  Präpositionen  hängen  von  Adjektiven  ab;  es  heißt  nie 
alius  ac ,  sondern  alius  quam ;  negiertes  alius  ist  sehr  beliebt. 
3.  De  adverbiis:  Adverbia  der  Ähnlichkeit  stehen  mit  quam  oder 
ac;  sehr  beliebt  sind  item,  frequenter,  non  temere,  amplius,  mox.  4.  De 
nominibus  numeralibus:  Oft  kommt  uuus  atque  alter  vor.  5.  D e 
pronominibus:  Suus  im  prägnanten  Sinne  (Livia  sua);  is  =  ille ; 
Besonderheiten  des  Relativums.  6.  De  verbis:  Einzelne  Verba 
werden  besprochen ,  z.  B.  consulere  =  consultare ,  offensus ,  facere 
und  reddere  mit  Adjektiven,  foret  und  forent,  verba  frequentativa. 
unpersönliches  Passivum,  unpersönliche  Konstruktionen.  7.*ÄzaS  ti- 
pij|i£  va:  Nomina,  Adverbia,  Verba.  8.  De  sy  ntaxi  congruentiae, 


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266   Bericht  über  die  Literatur  zu  Suetonius  von  1897—1906.  (Opitz.) 

9.  Decasibus,  10.  De  praepositionibus  bieten  einige  Nach- 
träge zu  Thimms  und  Bagges  Zusammenstellungen.  11.  De  con- 
iunctionibus:  Besprochen  werden  besonders  ut  beim  Relativum, 
quotiensque,  quamquam  und  quamvis,  quasi  und  tauquam  zur  Angabe 
der  subjektiven  Meinung.  12.  De  quaestionibus:  Nachträge. 
13.  De  particulis:  et  =  et  quidem,  que  an  Präpositionen  an- 
gehängt, etiam  =  quoque,  quoque  steigernd,  neque  =  ne  quidem, 
non  modo  sed,  Stellung  von  autem,  Gebrauch  von  ergo,  igitur  und  nam. 
0.  Siesbye,  Nordisk  Tidsskrift  for  Filologi  XI  (1902) 
S.  152—155 

behandelt  den  Nero  37  non  amplius  quam  horarum  spatium  und 
Dom.  3  secretum  sibi  horarum  sumere  solebat  vorkommenden  Ge- 
brauch von  horae  ohne  weiteren  Zusatz  (vgl.  S.  269). 

Funaioli,  Der  Lokativ  und  seine  Auflösung.  Archiv  für 
lat.  Lexikographie.    XIII  S.  301-372. 

apud  =  in  z.  B.  Tib.  40  apud  Fidenas,  Titus  5  apud  Memphim, 
bei  einer  Insel  Aug.  92  apud  Capreas,  bei  einem  Lande  Vesp.  5  apud 
Iudaeam. 

circa  =  apud:  Jul.  4  circa  Pharmacussam ,  Otto  9  circa  Pla- 
centiam. 

Steele,  Affirmative  final  clauses  in  the  latin  historians. 
American  journal  of  Philology  XLX  S.  255—284. 

Zur  Bezeichnung  des  finalen  Verhältnisses  bietet  bei  Sueton 
ut  67,  ad  91,  qui  25,  quo  49,  causa  22,  Supinum  4,  part.  fut  10, 
Gerundivum  27,  Dativ  des  Gerundivs  5  Beispiele.  Dagegen  fehlt  der 
Genetiv  des  Gerundivs. 

Reissinger,  Über  Bedeutung  und  Verwendung  der  Prä- 
positionen ob  und  propter.  II.  Teil.  Speyer,  Gymnasium.  1900. 
S.  86  f.  und  56. 

Sueton  hat,  abgesehen  von  den  Formeln  ob  48 mal  verwendet 
(meist  kausal ,  9  mal  zur  Vergeltung ,  1  mal   in  geschäftlicher  Be- 
deutung Caes.  11).    Dagegen  propter,  ohne  Formeln,  30  mal.  Be- 
merkenswert ist  mit  Gerundivum  Tib.  2  ob  expellendum  Ciceronem. 
B  e  n  n  e  1 1 ,  Die  mit  tanquam  und  quasi  eingeleiteten  Substaotiv- 
sätze.    Archiv  für  lat.  Lex.    XI  S.  410  und  415. 

Bei  Sueton  finden  sich  für  tanquam  zwei  Beispiele  (Aug.  6 
und  94),  für  quasi  zwölf,  z.  B.  Aug.  6,  14,  16,  28,  94. 

Lane,  Hidden  versus  in  Suetonius.  Harvard  studies  LX. 
S.  17—26. 

Der  Aufsatz  enthält  eine  Sammlung  der  Stellen,  die  sich  in 
Lanes  Nachlaß  vorgefunden  hat.    Ausgearbeitet  ist  nur  die  Einleitung. 


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Bericht  über  die  Literatur  zu  Suetonius  von  1897-1906.  (Opitz.)  267 

Ausgehend  von  einer  Vergleichung  des  Virgilzitats  Cal.  45  mit  dem 
Originale  nimmt  der  Verfasser  an,  daß  man  in  Zitaten  bei  Sueton, 
in  denen  man  Verse  vermutet,  kleine  Änderungen  vorzunehmen  be- 
rechtigt sei.  Er  zerlegt  die  in  Betracht  kommenden  Zitate  in  vier 
Klassen:  1.  Verse  ohne  Änderung;  2.  V.  mit  leichter  Änderung  in 
der  Wortstellung;  3.  V.  mit  Änderung  in  einem  Worte;  4.  V.,  die 
in  oratio  obliqua  angeführt  werden.  Vieles  bleibt  ganz  unsicher. 
Sollte  z.  B.  Spurinna  wirklich  in  einem  Verse  Caesar  vor  den  Iden 
des  März  gewarnt  haben  (Caes.  81)  V 

Howard,  Metrical  passages  in  Suetonius.    Daselbst  X  S.  23 
—28. 

Der  Verf.  bewegt  sich  auf  ähnlichen  Pfaden  wie  Lane.  Auch 
hier  Uberwiegt  das  Unsichere.  Ich  erwähne  als  Beispiel  die  Ver- 
mutung, daß  Caesars  Worte  am  Rubico  (Jul.  32)  etwa  in  der  Form 

eätur  quo  deörum  ostenta  et  inimicorum  iniquitas 
vocät.  acta  Jalea  est  (oder  esto) 

aus  einer  Tragödie  stammen  (vgl.  S.  242). 

VI.  Ausgaben. 

C.  Suetonii  Tranquilli  de  vita  Cacsarum  libri  VIII.  Recensuit 
Leo  Preud'homme.    Groningae  1906. 

Preud'homme  hat  in  drei  Abhandlungen  (vgl.  oben  S.  248)  gründ- 
liche Vorstudien  über  die  Überlieferung  Suctons  angestellt.  Die 
Frucht  ist  die  vorliegende  Ausgabe.  Sie  ruht  auf  der  von  ihm  nach- 
gewiesenen Einteilung  der  maßgebenden  Handschriften  in  zwei  Klassen 
(X  und  Z),  denen  gegenüber  die  deteriores  sehr  in  den  Hintergrund 
treten.  Über  die  Zuverlässigkeit  des  kritischen  Apparates,  wie  über 
die  ganze  Ausgabe,  spricht  sich  Ihm  in  der  Berliner  philologischen 
Wochenschrift  1906,  18,  552  556  ziemlich  wegwerfend  aus,  während 
Stangl  in  der  Wochenschrift  für  klassische  Philologie  1906,  39,  1057 
—  1062  günstiger  urteilt.  Daß  sie  jedenfalls  gegenüber  Roths  Aus- 
gabe (1857)  einen  nicht  unwesentlichen  Fortschritt  bezeichnet,  halie 
ich  bereits  im  Literarischen  Centralblatt  1907,  8,  272  gesagt. 

Die  wichtigsten  Abweichungen  vom  Rot  lisch en  Texte  in  den  vitae 
des  Tiberius,  Claudius  und  Nero  (zusammen  reichlich  100  Seiten)  sind 
etwa  folgende: 

1.  Aus  allen  Handschriften:  Tib.  34  consueyerat  st.  consuerat, 
51  his  st.  iis,  67  quia  st.  qui,  72  subvectus  est;  Claud.  4  nuneu- 
paret  legatoque  an  einer  freilich  ganz  unsicheren  Stelle,  13  aquila  st. 


268   Bericht  über  die  Literatur  zu  Suetonius  von  1897—1906.  (Opitz.) 

aqnilae,  wobei  der  Singular  immerhin  befremdlich  ist,  29  ut  cum; 
21  Nioban,  31  paseuis;  Nero  12  Pasiphaan. 

2.  Aus  XZ  (gegen  die  geringeren  Handschriften):  Tib.  46 
Graecorum  st.  gratorum,  Claud.  12  confirmarent ;  (gegen  x  l):  Nero  42 
animoque  male  facto  st.  fracto,  eigentlich  sind  beide  Ausdrücke  gleich 
befremdlich. 

8.  aus  X:  Tib.  12  etenim  vero,  Nero  22  ampliari  st.  ampliarc, 
obwohl  letzteres  mehr  dem  Sinne  entspricht. 

4.  aus  A  (und  einer  oder  der  anderen  Hdschr.):  Tib.  30  di- 
scriptione  st.  descriptione,  85  e  st.  et,  61a  liberis  suis;  Claud.  17 
M.  Crassus. 

5.  Aus  Handschriften  der  Klasse  X,  aber  gegen  A :  Tib.  56  com- 
perissetque  richtig ;  Claud.  34  cum  et  spectare,  wohl  richtig ;  Nero  35 
et  dolo  unsicher. 

6.  Aus  einzelnen  Handschriften:  Tib.  21  laudo  aus  cod.  Ursini 
eingeschoben,  schwerlich  mit  Recht;  Tib.  26  Vencrios  iocos  st.  locus 
aus  Dbcf,  hat  etwas  Bestechendes,  ist  aber  doch  wohl  unnötig; 
Tib.  65  lovis  aus  Da,  vielmehr  ionis,  vgl.  Ihm  S.  254: 
Claud.  32  ut  more  veteri  statt  qui  m.  v.  aus  DC ,  wohl  richtig  ; 
Nero  5  repentem  st.  repente  aus  D,  nicht  übel,  aber  doch  zu  schlecht 
bezeugt:  Nero  6  et  eosdem.  kaum  richtig;  Nero  33  venenorum  aus  s, 
also  ganz  schlecht  überliefert  (vgl.  unter  7);  Nero  37  iocabatur  st. 
vocabatur,  sehr  unsicher. 

7.  Fremde  Konjekturen :  Tib.  28  si  qui  de  nie  (Madvig),  richtig ; 
Tib.  43  quem  (Becker),  wenig  wahrscheinlich,  denn  der  Beiname 
Caprineus  bezieht  sich  doch  schwerlich  auf  den  habitus  Paniscorum 
et  Nympharum ;  Tib.  45  obscenitate  moris  (Heinsius),  wohl  richtig: 
Claud.  20  magna  potius  atque  necessaria  (Kraffert),  dem  Sinne 
nach  richtig;  Claud.  30  non  defuit  ei,  verum  stanti  (Bentley),  richtig; 
Claud.  41  [et]  Torrentius,  wohl  richtig:  Nero  33  venenorum  artince 
(Thomas) ,  (vgl.  oben  unter  6) ,  besser  überliefert  ist  venenariorum, 
aus  indicc  läßt  sich  dann  am  besten  principe  (Koscher)  machen,  aber 
unsicher  bleibt  auch  dieses;  Nero  35  [inter]  Torrentius,  gut;  Nero  3S 
[ut]  Wolf,  gut. 

8.  Eigene  Konjekturen:  Tib.  52  altcrius  vitiis  (alterius  virtutibus), 
während  sonst  diese  beiden  Worte  vorher  eingeschoben  werden; 
Claud.  11  at  fratris,  memoria  per  omnem  occasionem  celebrata, 
comoediam  ....  doeuit.  Daß  darnach  die  comoedia  als  ein  Werk 
des  Bruders,  d.  h.  des  Germanikas,  erscheint,  ist  unbedenklich,  aber 
hart  erscheint  der  abl.  abs.  und  ungeeignet  at. 


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Bericht  über  die  Literatur  zu  Suetonius  von  1897—1906.  (Opitz.)  209 

9.  Ein  Sternchen  zur  Bezeichnung,  daß  die  Stelle  noch  un- 
geheilt  ist,  mit  Recht  beseitigt  Nero  5,  mit  Recht  neu  gesetzt,  Tib.  40, 
Nero  14,  obwohl  hier  tanquam  nullo  (Faernus)  sehr  nahe  liegt  (vgl. 
S.  254)  und  Claud.  4. 

C.  Suetonii  Tranquilli  vitae  Galbae  Othonis  Vitellii.  Commen- 
tario  instruxit  Cornelius  Hofstee.    Groningae  1898. 

Der  Hauptnachdruck  dieser  Ausgabe  liegt  auf  der  sachlichen 
Erklärung.  Zu  dem  Zwecke  sind  zunächst  unter  dem  Texte  Parallel- 
stellen anderer  römischer  und  griechischer  Historiker  abgedruckt, 
dann  folgen  die  Anmerkungen  in  zwei  Kolumnen.  Die  Nachweise 
über  die  einzelnen  Personen  scheinen  mir  vielfach  zu  ausführlich  zu 
sein.  Sprachliche  Anmerkungen  finden  sich  nur  in  ganz  geringer  An- 
zahl, kritische  in  etwas  größerer.  Die  Abweichungen  vom  Rothschen 
Texte  sind,  soweit  es  sich  aus  den  Anmerkungen  erkennen  läßt,  nicht 
sehr  zahlreich.  Mit  Recht  wird  Galba  20  in  gremium  abdidit  statt 
addidit  nach  den  Handschriften  geschrieben,  wohl  auch  Galba  22  libi- 
dinis — pronioris  statt  pronior  mit  Stephanus.  Dagegen  hätte  Vit.  12 
die  Form  circumforaneo  nicht  aus  Roth  übernommen,  sondern  mit  den 
Handschriften  circumforano  geschrieben  werden  sollen.  Unbegründet 
ist  auch  Vit.  3  die  Lesart  spintriae  cognomine,  da  hier  spintheriae 
überliefert  ist  (Tib.  43  spintria,  Cal.  16  psinthria).  Eigene  Kon- 
jekturen werden  in  den  Anmerkungen  vorgetragen.  Überflüssig  sind 
Vit.  11  de  dominicis  statt  de  dominico  und  Vit.  15  septimo  statt 
octavo,  nicht  übel  ist  Galba  3  vel  eloquentissimus  statt  et.  These  IX 
schlägt  Vit.  10  vor:  vario  coronarum  genere  statt  va darum  coronarum 
genere. 

Gadern  an,  Latin  literature  of  the  empire.    New  York  and 
London.    Harper  &  Brothers  publishers.    1898.    S.  357 — 395 

enthält  die  vita  Terentii,  sowie  Abschnitte  aus  den  vitae  Caesaris 
und  Neronis.  Der  Text  ist  im  wesentlichen  der  Rothsche.  Mit  Recht 
wird  Caes.  84  idoneum  statt  ad  donum  (Heinsius)  und  Nero  49  tur- 
pittr  pereo  statt  turpiter*  geschrieben.  Mindestens  unsicher  möchte 
ich  Nero  37  duarum  horarum  statt  horarum  (vgl.  S.  266)  und  39 
tujTpoxTOvoi  statt  jr/jTpoxTOvo?  nennen.  Viel  zahlreicher  sind  die 
Änderungen  in  der  Tereuzbiographie.  Hier  scheint  mir  richtig  nur 
pag.  292,  30  (ed.  Roth)  dicitur  (mit  Mommsen)  statt  dictus  est. 
Stets  unsicher  wird  die  Herstellung  der  angeführten  Verse  bleiben. 
Aber  auch  die  meisten  der  Ritschlschen  Konjekturen,  die  der  Heraus- 
geber aufgenommen  hat,  können  kaum  darauf  Anspruch  machen,  als 
notwendig  bezeichnet  zu  werden,  so  292,  31  in  subsellio  statt  sub- 


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270  Bericht  über  die  Literatur  zu  Suetonius  von  1897—1906.  (Opitz.) 


sellio,  293,  15  levius  se  statt  se  levius,  293,  18  pro  se  . .  .  .  inquit 
statt  pro  se  ait  qui. 

Kunze,  Die  Germanen  in  der  antiken  Literatur  I.  Leipzig 
und  Wien  1906,  S.  84—87 

druckt  folgende  Stellen  Suetons  vollständig  oder  teilweise  ab :  Aug.  28 ; 
Tib.  9,  17,  37;  Cal.  43,  51;  Claud.  1,  24;  Galba  6  ;  Titus  5; 
Dom.  6. 


JAHRESBERICHT 

über  die 

Fortschritte  der  klassischen 

Altertumswissenschaft 

begründet  von 

Conrad  Bursian 

herausgegeben  von 

W.  Kroll. 


Hundertfünfunddreißigster  Band. 

Fünfunddreißigster  Jahrgang  1907. 

Dritte  Abteilung. 

ALTERTUMSWISSENSCHAFT. 


LEIPZIG  1908. 

O.  R.  REISLAND. 


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Inhaltsverzeichnis 

des  hundertf ünfunddreißigsten  Bandes. 


Seite 

Bericht  Uber  die  griechische  Dialektforschung  von  1899 

bis  1906.    Von  W.  Prellwitz  in  Rastenburg   .  1—14 

Bericht  Uber  Paläographie  und  Handschriftenkunde  (1903 

bis  1906).  Von  Wilh.  Weinberger  in  Iglau  .  15 — 53 

Bericht  Uber  griechische  Geschichte  (1903 — 1906).  Von 

Thomas  Lenschau  in  Berlin   54 — 261 

Register  Uber  Abteilung  I— III  (Bde.  133—135)  .    .    .  263—276 


Jahresbericht 

über  die  griechische  Dialektforschung  von  1899-1906. 

Von 

Walther  Prellwitz. 


Im  meinem  letzten  Berichte  über  die  Fortschritte  der  griechischen 
Dialektforschung  (Bd.  CVI  1900  S.  70  ff.)  ist  mehrmals  (z.  B.  S.  95, 
96)  davon  die  Rede  gewesen,  daß  zur  Erklärung  mundartlicher  Ver- 
schiedenheiten bisweilen  auf  die  vorgriechische  Bevölkerung  zurück- 
zugehen sei,  deren  verschiedene  Bestände  sich  mit  den  griechischen 
Volksteilen  in  verschiedener  Weise  gemischt  haben  dürften. 

Das  Verdienst,  die  Frage  nach  den  für  uns  hier  also  auch  wich- 
tigen vorgriechischen  Bewohnern  des  Landes  jetzt  energisch  angefaßt 
zu  haben,  gehört  dem  verehrten  Altmeister  griechischer  Sprachforschung, 
August  Fick  in  seinem  Buche:  Vorgriechische  Ortsnamen 
als  Quelle  für  die  Vorgeschichte  Griechenlands. 

Als  sein  Ergebnis  bezeichnet  er,  daß  es  eine  hettitische  (süd- 
kleinasiatische)  Grundschicht  der  Bevölkerung  in  Kreta,  Thessalien. 
Phokis,  Böotien,  Attika,  Megaris  und  der  Ostseite  des  Peloponnes 
gegeben  habe,  während  die  Westhälfte  des  Landes  eine  lelegische 
Grundschicht  der  Bevölkerung  eingenommen  habe,  die  übrigens  mit 
jener  durch  Verwandtschaft  verknüpft  gewesen  sei.  Von  Norden  in 
Westhellas  vordringende  lllyrier  hätten  diese  Leleger  über  den 
Parnassos  und  die  arkadischen  Gebirge  hinweg  nach  Osten  zu  und 
weiterhin  auf  die  Inseln  und  die  Gestade  Westkleinasiens  getrieben. 

Im  Osten  hätten  sich  Pelasger  (Pelagonen  vom  Norden  Make- 
doniens), dem  Drucke  thrakisch-phrygischer  Indogermanen  nachgebend, 
rings  um  die  Gestade  des  ägeischen  Meeres  bis  nach  Kreta  hin  aus 
gebreitet.  Auf  der  Athoshalbinsel ,  den  Inseln  und  den  asiatischen 
Küsten  werden  sie  auch  als  Tyrsaner  bezeichnet,  und  die  beiden 
alten,  leider  ganz  unverständlichen  Inschriften  von  Lemnos  geben 
uns  einen  Begriff  von  ihrer  Sprache,  die  nicht  etruskisch  ist,  wie 

Jahresbericht  für  AlUrtum»wie«en»chaft.    Bd.  CIXXV.  1 


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2 


Walther  Prellwitz. 


auch  die  Verbindung,  die  die  Alten  zwischen  Tyrrhenern  und  Etruskeru 
vermuteten,  nur  auf  dein  Anklang  der  Namen  zu  beruhen  scheint. 
Eine  entfernte  Verwandtschaft  scheint  allerdings  vorhanden  zu  sein, 
aber  diese  erklärt  sich  aus  dem  gemeinsamen  Ursprünge  von  einer 
alpinen  Rasse,  deren  Glieder  durch  den  Einbruch  der  indogermanischen 
lllyrier  auseinandergerissen  wurden.  Den  nicht  griechischen  Charakter 
der  Eteokreter  beleuchtet  eine  Inschrift  von  Praisos  in  ihrer  Sprache. 
Den  Pelasgern  folgten  übrigens  thrakisch-phrygische  Stämme  auch 
über  das  Meer  nach  und  vermischten  sich  hier  mit  ihnen,  noch  bevor 
die  Griechen  die  Inseln  besetzten.  Auch  in  Makedonien  gibt  es  unter 
der  späteren  Schicht  griechischer  Namen  ältere,  nicht  indogermanische 
Namen,  doch  ist  dieses  Völkergewirr  der  Balkanhalbinsel  nicht  mehr 
aufzulösen. 

Natürlich  bietet  das  Buch  kritischer  Skepsis  manchen  Anhalt, 
aber  die  Frage  mit  neuem,  umfangreichem  und  übersichtlich  geordnetem 
Material  in  Angriff  genommen  zu  haben,  wird  immer  ein  Verdienst 
bleiben. 

Daß  die  zweifellos  indogermanischen  Makedonen  echte  Griechen 
sind,  hat  jetzt  ausführlich  bewiesen:  0.  II  offmann,  Die  Make- 
donen, ihre  Sprache  und  ihr  Volkstum,  nachdem  schon 
Hatzidakis  in  kürzeren  Aufsätzen  dasselbe  darzutun  bemüht  gewesen 
war:  Ilspl  xod  ' EXX^viajjLOu  xu>v  dy/aimv  Maxsä6vo>v.  'Afhfjva,  1896 
VIII  3 — 62,  deutsch :  Zur  Abstammung  der  alten  Makedonien  Eine 
ethnologische  Studie,  Athen  1897;  vgl.  ferner  Indogermanische  For- 
schungen XI  313  ff.  und  Kuhns  Zeitschrift  f.  vergl.  Spr.  37,  150  ff. 
Dieser  alten  Ansicht  waren  Kretschnier  in  seiner  Einleitung  in  die 
Geschichte  der  griechischen  Sprache  und  Solmsen  entgegengetreten, 
weil  die  Ersetzung  der  Aspiraten  durch  Medien  in  einer  Zeit  ge- 
schehen sein  müsse,  als  noch  die  alte  Media  aspirata  gesprochen  sei. 
Für  das  Urgriechische  bereits  müsse  jedoch  Wandel  dieser  in  die 
Tenuis  aspirata  angenommen  werden. 

Hoffmann  bemüht  sich  zunächst  in  anerkennenswerter  Weise  um 
ein  möglichst  zuverlässiges  und  vollständiges  Material.  Zu  diesem 
Zwecke  sammelt  er  die  Namen  bestimmter  Stände  und  Berufsklassen, 
die  nur  Vollblutmakedonern  zugänglich  waren,  aus  einer  bestimmten 
Periode.  Man  wird  ihm  zugeben  müssen,  daß  dann  ein  so  klärlich 
griechischer  Name  wie  Ntxavöpo?  dieselbe  Beweiskraft  erhält  wie 
weniger  durchsichtige,  z.  B.  Aa^oc  aus  Aa.^orp;.  Und  fast  alle  jene 
Namen  erweisen  sich  als  rein  griechisch,  und  zwar  mit  einer  dialek- 
tischen Färbung,  die  das  Makedonische  dem  Thessalischen  am  meisten 
nähert. 


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Jahresbericht  über  d.  griechische  Dialektforschung  von  1899—1906.  3 

Die  Schwierigkeit  der  Erklärung  jener  Medien  statt  der  Aspiraten 
hebt  Hoffmann  im  Anschluß  an  Meillet  (La  Parole  1901.  Nr.  8) 
auf  eine  fast  überraschende  Art.  Auch  die  griechischen  Aspiraten 
seien  in  ältester  Zeit  nicht  stimmlose,  harte  Tenues,  sondern  stimm- 
lose weiche  Explosivlaute  mit  nachklingendem  Hauche  gewesen.  Durch 
Dissimilation  zweier  Aspiraten  sei  die  stimmlose  Media  ohne  Hauch 
entstanden,  für  die  es  dem  Griechen  an  einem  besonderen  Zeichen 
gefehlt  habe.  Denn  weder  die  Tenues  noch  die  Aspiraten,  die  sich 
beide  geschrieben  finden,  entsprechen  dem  wirklichen  Laute,  der  sich 
allerdings  später  im  Griechischen  in  die  Tenuis  verwandelte,  während 
er  im  Makedonischen ,  wo  der  Hauch  nach  jeder  Aspirata  in  ge- 
schichtlicher Zeit  eingebüßt  wurde,  erhalten  blieb  und  in  der  Regel 
als  Media  geschrieben  wurde.  Mir  leuchtet  dies  ein.  Maked.  Bepe- 
vtxa  steht  also  neben  <I>epevi'xi]  wie  griech.  oi»8et?  neben  oGDsfc  für 
oOÖ'stc,  daß  sie  aber  zunächst  eine  geraeinsame  Entwicklung  durch- 
gemacht haben ,  zeigt  xeßaXoc  =  xecpaXrj ,  für  das  man  unweigerlicli 
•ysßaXd  erwarten  müßte,  wenn  es  direkt  auf  ghebhalä  zurückginge. 
Dies  ist  aber  zunächst  zu  ^e^paXa  geworden,  dessen  erster  Explosiv- 
laut die  stimm-  und  hauchlose  Media,  der  zweite  die  gehauchte 
stimmlose  Media  war.  Im  Griechischen  wurde  die  stimmlose  Media 
in  beiden  Fällen  zur  Tenuis:  xecpaXVj;  im  Makedonischen  blieb  die 
stimmlose  Media  an  der  ersten  Stelle,  und  sie  wurde  entweder  durch 
x  (xsßaXa)  oder  durch  7  (-yaßaXd)  ausgedrückt,  während  an  der 
zweiten  Stelle  die  Media  eintrat.  Daß  die  Aspiration  umspringt,  ist 
eine  gewöhnliche  Erscheinung.  So  konnte  dpia|ißoc  als  Tpiafißo?  ge- 
sprochen werden,  was  zu  triam p hos  wurde,  worauf  lat.  triumphus 
zurückgeht.  So  konnte  im  Makedonischen,  ehe  der  Hauch  schwand, 
B'oXaxpoc  zu  BaXax  poc  werden  und  die  gehauchte  Tenuis  x  scheint 
dann  von  der  gehauchten  stimmlosen  Media  y  kaum  verschieden  ge- 
wesen zu  sein,  so  daß  wir  BdXafpo?  neben  BaXaxpo?  wie  ^afkcXa 
neben  xsßaXd  finden.  Ebenso  erklärt  sich  vielleicht  x^jxßo;  für  76(190? 
aus  7'ojjLßo?.  Yojißoc,  xdvaöo?  für  ^va^oc  Allerdings  findet  sich  diese 
doppelte  Schreibung  nur  bei  x  7 ,  nicht  bei  iz  ß ,  -  0 ,  und  da  sie  sich 
auch  ohne  Mitwirkung  des  Hauches  in  -y&ircte  =  cjxÄTra;  und  dpx<5; 
für  dp^c  findet,  bleiben  andere  Möglichkeiten  der  Erklärung  be- 
stehen. 

Daß  im  einzelnen  von  Hoffmann  zwar  manches  Rätsel  gelöst 
w  ird ,  recht  viel  aber  auch  noch  zu  lösen  bleibt ,  erhöht  den  Reiz 
seines  Buches.  Der  dritte  Monat  nach  der  Herbst-Tag-  und  Nacht- 
gleiche heißt  AGovotToc  Er  dürfte  nach  einem  Fest  aöovaTa  benannt 
sein,  dies  nach  auSva,  das  vielleicht  die  Winterkälte  bedeutet  hat. 

1* 


4 


Walther  Prellwitz. 


Dann  stellt  sich  dies  Wort  zu  altbaktr.  aota-  kalt,  ai.  o man  Kälte 
(Neißer  BB  17,  62);  noch  näher  vielleicht  zu  lit.  audra  Orkan, 
Windsbraut  (vgl.  zur  Bedeutung  j(£tfj.«i>v) ,  at-auszta  es  wird  kühl; 
vielleicht  gehört  auch  aypr4.  lat.  aura  dazu,  wie  ich  jedenfalls  die 
Wurzel  dieser  Wörter  eher  in  a  v  e  wehen  als  in  dem  von  Johansson 
I,  2,  62  A.  angesetzten  eue  „nass  sein"  erkennen  möchte. 

Für  näheren  Zusammenhang  mit  dem  Thessalischen  (Nord- 
achäischen)  sprechen  Formen  wie  Kopotwi?  (241),  liltw;  (?  1 74  ff.), 
Alphas  (160;  zu  lett  d ards  scheckig?)  dxpoovoi,  xoovoo7re6c,  Bouptos* 
(244),  die  Entwicklung  eines  a  zwischen  Liquida  oder  Nasal  und 
Explosivlaut  (vgl.  thess.  ÄaxaXairto?)  und  die  weitgehende  Apokope 
der  Präpositionen  (246). 

Zur  Erkenntnis  der  thessalischen  Sprachgeschichte,  besonders 
des  Gegensatzes  zwischen  der  Th  es  sali  Otis,  die  viel  mehr  dorische 
Elemente  zeigt,  und  der  Pe las gi Otis,  bringt  einen  ausgezeichneten 
Beitrag  der  Aufsatz  von  F.  So  Imsen  im  Rhein.  Mus.  58;  1903, 
S.  598 — 623 :  Thessaliotis  und  Pelasgiotis.  Er  war  zunächst 
Gegenstand  eines  Vortrags  auf  der  Hamburger  Philologenversammlung 
1903.    Vgl.  die  Verhandlungen  derselben,  S.  146 — 147. 

Der  Genetiv  auf  -oio,  den  die  alten  Grammatiker  als  den  thessa- 
lischen bezeichnen,  ist  jetzt  wirklich  auf  Inschriften  belegt.  Ec^fi. 
dp/.  1901,  S.  132  heißt  es  in  einem  Ehrendekret  noXipoto  xoci  ipdvot;, 
einer  der  Beamten  heißt  darin  im  Gen.  Mapauoco  '\va$i7:iroio.  Ferner 
steht  nach  einer  Mitteilung  0.  Kerns  an  Bechtel  (Hermes  37,  1902. 
S.  631,  An  in.)  Samml.  d.  gr.  Dial.  Inschr.  1328  «PiXctYpoio  Meveoratoi. 
Damit  sind  die  Gelehrten ,  die  in  dem  -oi  einen  Locativ  oder  einen 
alten,  auch  im  Illyrischen  und  Italischen  erhaltenen  Genetiv  erkennen 
wollten  (Kretschmer  Einl.  277),  endgültig  widerlegt  und  die  An- 
schauung von  Ahrens,  daß  in  -oi  eine  Verkürzung  von  -oio  zu  er- 
kennen sei,  als  richtig  erwiesen.  Wie  man  sich  den  Gang  des 
Wandels  vorzustellen  hat.  zeigt  wohl  die  Grabinschrift,  in  der  der 
Name  selbst  die  volle  Endung,  das  patronymische  Adjektiv  die  Ver- 
kürzung zeigt.  So  konnten,  wie  Hoffmann  (Philol.  59,  421)  zu 
Alkaios  5  v.  2  xoputpaiaiv  dfyvat?  im  Anschluß  an  Ahrens  ausführt, 
auch  im  Äolischen  Adjektiva  und  Artikel  vor  oder  nach  dem  Sub- 
stantiv mit  voller  Endung  -otai,  awi,  die  kürzere  Form  -oic,  aic  zeigen. 

In  betreff  der  Gen.  masc.  gen.  auf  -aq  und  ->jc  (^Epexpatr^  liest 
Hoffmann  in  der  Sotairosinschrift  Philol.  N.  F.  15,  245  ff.)  erhebt 
Bechtel  (Hermes  37,  6ül)  Zweifel,  die  jedoch  Hoffmann  (Philol. 
16,  155)  mit  Glück  abweist.  Für  seine  Annahme,  daß  die  erste 
Zeile  der  Inschrift  aus  Ende  gehöre,  spricht  allerdings  der  Strich, 


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Jahresbericht  über  d.  griechische  Dialektforschung  von  1899—1906.  5 

den  die  Abbildung  der  Inschrift  in  der  höchst  dankenswerten  Aus- 
gabe von  0.  Kern  (Inscriptionum  Thessalicarum  antiquissimarum 
sylloge.  Index  lect.  Rostock  1902)  ganz  deutlich  hinter  der  ersten 
Zeile  zeigt.  Zu  Nr.  17  bei  Kern  eine  Ergänzung:  Matepo?  eöycuXav, 
Atauvis,  toI  x68'  araXua  IlaTpoxXias  dv&hjxs.  '0  ui  Xa[oc  'Opejcmsi- 
dxa?  (=6  8i  Xaoc). 

Mit  den  thessalischen  Endungen  xet,  a&eiv,  vöeiv  und  dem  Wandel 
von  at  zu  ei  in  Effioov  beschäftigt  sich  in  scharfsinniger  und  gelehrter, 
aber  nicht  überzeugender  Untersuchung  M.  Nacinovich,  Note  sul 
vocalismo  dei  dialetti  di  Larisa  e  di  Gortyna.  Roma  1905.  Der 
zweite  Teil  handelt  von  dem  Wandel  von  at  zu  ae,  ij  und  e  zu  t. 
Auf  S.  9  erwähnt  er  übrigens  eine  mir  noch  unbekannte  Inschrift 
(Mon.  ant.  VIII  5  ff. ,  Nr.  67)  mit  einem  Verzeichnis  der  f-evi)  von 
Larisa,  die  dem,  der  etwa  an  der  Undeutbarkeit  einiger  makedonischer 
Namen  bei  Hoffmann  Anstoß  nehmen  sollte,  zum  Studium  empfohlen 
sei.  Schon  die  IxxiSai  auf  Txxoc  (equus),  Pinto?  zu  beziehen,  wird 
man  in  Thessalien  Bedenken  tragen,  für  die  'Ayufpifai,  Stpßoföjai, 
rioiötÖat,  Bpooiaxat  fehlt  auch  der  entfernteste  Anhalt.  Hier  dürften 
noch  unbekannte,  vielleicht  vorgriechische  Ortsnamen  zugrunde  liegen, 
wie  ich  es  für  die  KavSadai  zufällig  nachweisen  kann.  Über  die  Ab- 
leitung solcher  Namen  auf  -a8a?  von  Ortsnamen  spricht  Sadee  De 
ßoeotiae  titul.  dialecto  10G.  Die  Thespier  Qspaäa;  und  OapaSa? 
leiten  ihr  Geschlecht  von  den  OspaTot  und  den  Oapatst;  her.  So 
stammen  die  KavSa'Sat  von  Kavöa  oder  KavSala,  worauf  das  Ethnikon 
KavScttetuv  einer  xotv^-Iuschrift  aus  Thessalien  ('E<p.  dp%.  1901,  123) 
hinweist.  Auf  das  neue  Wort  xsXixpa  derselben  Inschrift,  das  Halde 
(vgl.  xXi'vco  in  meinem  et.  Wb.2  228)  zu  bedeuten  scheint,  und  die 

Adjektiva  irpocxopo?  und  irX7)<Jto*xopo?  (vß1-  Hom-  sty^X0?0*)  sei 
gleichfalls  aufmerksam  gemacht. 

Eine  Erweiterung  unserer  Erkenntnis  des  südachäischen  Dialekts 
bringt  der  Aufsatz  von  0.  Hoff  mann,  Zwei  neue  arkadische  In- 
schriften. Philol.  59,  201  ff.  Es  sind  zwei  Verwünschungstafeln,  die 
Hoffmann  an  der  2.  Sing,  xefoi  „du  liegst"  als  arkadisch  erkennt, 
woneben  das  kontrahierte  dv^YVojasi  (aus  asoi)  zeigt,  daß  die  En- 
dungen tot,  aot  einzelmundartlicher  Entstehung  sind.  Dieselbe  arka- 
dische Endung  will  Karl  Meister,  der  rühmlich  auf  den  Plan 
tretende  Sohn  des  um  die  griechische  Sprachwissenschaft  so  ver- 
dienten Forschers  Richard  Meister,  in  dem  überlieferten  und  bisher 
korrigierten  d|i<ptX^ovtoi  der  Xuthias-Inschrift  erkennen  (Indog.  Forsch. 
18,  83);  was  dadurch  noch  wahrscheinlicher  wird,  daß  er  auch  in 
den  gleichfalls  bisher  korrigierten  xCeTpaxaTiat  eine  besondere  Schreibung 


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Walther  Prellwitz. 


des  aus  q  vor  hellem  Vokal  entstandenen  Palatals  sieht,  wie  sie  das 
Arkadische  in  ene,  ti?  zeigt.    Vgl.  den  vor.  Ber.  S.  79. 

Ein  besonders  für  die  Erforschung  des  Dorischen  wichtiges 
Ereignis  ist  die  Vollendung  der  Collitz-Bechtelschen  Samm- 
lung der  griechischenDialektinschriften,  Göttingen.  Die 
zweite  Hälfte  des  dritten  Bandes  bringt  in  Heft  I  die  Inschriften  von 
Lakonien,  Tarent,  Herakleia  und  Messenien  in  der  Bearbeitung  von 
R.  Meister;  in  Heft  2  die  Inschriften  von  Thera  und  Mclos  von 
F.  Blaß  bearbeitet;  Heft  3  enthält  die  kretischen  Inschriften  von 
demselben;  Heft  4,  die  von  Sizilien  und  Abu-Simbel  von  0.  Hoff- 
mann; Heft  5  endlich  die  ionischen  Inschriften  von  F.  Bechtel, 
der  sich  seit  21  Jahren  mit  diesem  Stoffe  beschäftigt  und  ihn  wie 
kein  anderer  beherrscht.  —  Aber  daß  die  „Sammlung"  jetzt  bereits 
sehr  unvollständig  aussieht,  ist  bei  den  zahlreichen  neuen  Funden 
natürlich.  Hoffentlich  entschließen  sich  Herausgeber  und  Verleger 
zu  periodischen  Nachträgen. 

1901  erschien  als  Heft  2  des  vierten  Bandes  das  Wortregister 
zum  2.  bis  6.  Heft  des  zweiten  Bandes,  d.  h.  den  Inschriften  von 
Dodona,  Achaja  und  Delphi.  Das  Register  zu  den  Inschriften  von 
Delphi  von  C.  Wendel  gibt  zugleich  eine  Übersicht  über  die 
Grammatik  nach  Laut-  und  Formenlehre ,  Syntax  und  Wortformen. 
Letztere  allerdings  sind  nur  in  knapper  Zahl  aufgenommen,  doch 
bietet  das  praktisch  eingerichtete  Wörterverzeichnis  vollständigen 
Ersatz  dafür. 

Ausführlicher,  aber  sehr  oberflächlich  behandelt  diese  Mundart 
J.  Valaori.  Der  Delphische  Dialekt.  Gött.  Vandenhoeck  und 
Ruprecht  1901,  der  ich  eine  ausführliche  Besprechung  in  den  Bei- 
trägen zur  Kunde  der  indogerm.  Spr.  26 ,  S.  325  gewidmet  habe. 
Dali  ein  Schüler  J.  Schmidts  die  Vokalassimilation  in  revrofiapt- 
TeCeiv  neben  d\i£pa  mit  betontem  s  und  in  <l>avatet>?  neben  attischem 
4>avoTe6?  nicht  erkennt,  ist  Zeichen  höchst  oberflächlicher  Betrachtung. 

Die  Breslauer  Doktorarbeit  von  E.  Hanisch,  de  titulorum 
Argolicorum  dialecto.  Prior  pars.  Gött.  1903  konnte  sich  außer 
auf  meine  Ausgabe  der  Inschriften  in  der  Collitz-Bechtelchen  Samm- 
lung auf  den  ersten  Band  des  Corpus  inscriptionum  Grae- 
carum  Peloponnesi  et  insularum  stützen.  Sie  bietet  die 
Lautlehre  in  der  üblichen  Anordnuug  und  im  allgemeinen  gründlicher 
Behandlung.  Die  Literatur  ist  nicht  immer  vollständig  bekannt,  sonst 
hätte  zur  Erklärung  von  H^oato?:  'AC^atoc  nicht  70V0;:  y£ve3t;  und 
zur  Etymologie  mit  Keil  yCsa  gären,  herangezogen  werden  können. 
Ich  habe  diesen  Monatsnamen  des  iroXoStyiov  "Ap^oc  von  dtCetv.  dörren 


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Jahresbericht  über  d.  griechische  Dialektforschung  von  1899—1906.  7 


hergeleitet.  Zunächst  dürfte  ein  Fest  dtCeaia  einer  Göttin  ÄCeata 
anzunehmen  sein.  Diesen  Namen  lesen  wir  bei  Lebas  Voy.  archäol. 
Inscr.  2,  Nr.  146  b.  Es  verhält  sich  dCoxo?  Dürre  zu  äCsToc  ds.  wie 
S^jaot^c  zu  Sott^xa?  (Carpath.  I.  Gr.  Ins.  I,  1022,  9,  14),  kret.  ßfexoc 
zu  ßioTO?;  maked.  poußoxfc  (Hoffmann  Maked.  S.  73)  zu  ostoc,  vt'fs- 
xoc,  xorexo^,  ra^ex^?,  aopcpexo?.  Vgl.  Beitr.  zur  Kunde  der  indog. 
Spr.  26,  326.  Die  Anmerkung  2  zu  S.  46,  in  der  für  das  Etymon 
von  ävtaux<fc  auf  mein  etymologisches  Wörterbuch  verwiesen  wird, 
war  1903  eine  Prolepsis  der  1905  erschienenen  zweiten  Auflage.  Zu 
den  in  dieser  gegebenen  Beweisen  für  die  Bedeutung  „Jahreswieder- 
kehr" möchte  ich  jetzt  noch  kret.  irpö  xu>  IviaoxÄ  (Gort.  IV  4/s 
S.  Gr.  D.  Inschr.  4991)  hinzufügen.  Für  die  Aspiration  in  xotö*  Itoc, 
xa&'  biauxov  (S.  46)  ist  vor  allem  die  häufige  Verbindung  xaö' 
Exaaxov  [sxo?  ,  £viaux<5v  verantwortlich  zu  machen.  Sie  schwebte  vor, 
auch  wo  man  der  Kürze  wegen  fxacrxov  nicht  aussprach.  Richtiger 
wäre  es  also  xaO'  exo?,  xaÖ'  Ivtauxov  zu  schreiben.  Die  Substantiva 
haben  den  Asper  vicht  gehabt.  Vgl.  meine  Darlegung  in  Vollmöllers 
Roman.  Jahresber.  VI,  I,  65—67.  AstxoopYta?  (S.  25)  zeigt  doch 
wohl  attischen  Einfluß  (vgl.  mein  etym.  Wb2  259  unter  Xao?),  nicht 
auch  k<i>prt  im  Anlaut  (S.  21)?  Es  scheint  mir  jetzt  nicht  mehr  so 
unmöglich,  'hier  „dorische  Kontraktion  am  Ende  und  attische  Um- 
stellung der  Quantität  am  Anfange"  anzunehmen.  Unachtsam  wird 
das  mittlere  a  in  dpy-a-^exat  als  suffixal,  das  erste  in  dXiaia  für 
wurzelhaft  erklärt,  beachtenswert  ist  aber  die  Erklärung  von  xdt  xdxav 
(S.  13)  und  top  |  p£u?  (S.  38). 

Was  Hanisch  über  die  Verwandlung  von  3  im  Wortinnern  in 
den  Hauchlaut  (S.  47),  über  die  Erhaltung  von  va  (S.  39)  und  den 
Wandel  von  s  vor  Vokalen  in  1  (S.  22)  sagt,  geht  über  die  Fest- 
stellung des  vereinzelten  Vorkommens  dieser  Erscheinungen  nicht 
hinaus. 

Diesen  merkwürdigen,  einer  einheitlichen  Auffassung  der  Mund- 
art durchaus  widerstrebenden  Erscheinungen  wendet  sein  besonderes 
Augenmerk  R.  Meister  zu,  in  der  wichtigen  Abhandlung 

Dorer  und  Achäer  I  (24.  Bd.  der  Abh.  der  sächs.  G.  d.  W.) 
Leipzig  1904.  „Bereits  in  den  frühesten  Zeiten,  die  uns  Spuren  der 
Dialekte  liefern,  sind  infolge  mannigfacher  Trennungen  und  Ver- 
bindungen, Isolierungen  und  Mischungen  an  Stelle  der  früheren  Stamm- 
gemeinschaften neue  politische  Gemeinschaften  getreten,  in  denen  die 
Dialekteigentümlichkeiten  verschiedener  Stämme  weiter  lebten.  Bisher 
sind  gewöhnlich  die  Dialekte  dieser  politischen  Gemeinschaften,  z.  B. 
der  attische,  lakonische,  argivische,  kretische,  elische,  böotische, 


8 


Walt  her  Prellwitz. 


thessalische  Dialekt,  als  Einheiten  aufgefaßt  und  dargestellt  worden, 
ohne  daß  man  die  Erkenntnis  genügend  nutzbar  gemacht  hat,  daß 
diese  politischen  Einheiten  erst  in  verhältnismäßig  später  Zeit  ent- 
standen sind;  und  wenn  es  auch  an  einzelnen  Versuchen,  Dialekt- 
abweichungen auf  Grund  geographischer  und  ethnographischer  Ver- 
schiedenheiten in  derselben  Landschaft  nachzuweisen,  nicht  gefehlt 
hat,  so  ist  doch  die  Erklärung  solcher  Dialektverschiedenheiten  durch 
die  Annahme  chronologischer  Entwicklung  innerhalb  des 
landschaftlichen  Dialekts  bisher  das  herrschende  Prinzip  gewesen. 

Im  folgenden  sollen  zunächst  Verschiedenheiten  innerhalb  des 
lakonischen  Dialekts  genauer  auf  Zeit  und  Ort  ihres  Vorkommens 
hin  untersucht  werden.  Wenn  sich  dabei  ergibt,  daß  die  voneinander 
verschiedenen  Dialektformen  nicht  chronologisch,  sondern  topographisch 
in  zwei  Gruppen  zu  scheiden  sind,  daß  die  eine  Gruppe  nach  Sparta, 
die  andere  in  das  Periökenland  gehört,  und  daß  somit  Verschieden- 
heiten des  Dialekts  der  Spartaner  von  dem  Dialekt  der  Periöken  in 
ihnen  zu  erkennen  sind,  so  werden  wir  daraus  schließen,  daß  Spar- 
taner und  Periöken  zwei  verschiedenen  Stämmen  angehörten,  und 
eine  Bestätigung  der  Tradition,  daß  die  Spartaner  Dorer,  die  Periöken 
Achäer  gewesen  seien,  in  dieser  sprachlichen  Tatsache  erblicken.  In 
Argolis,  wo  sich  nach  der  Tradition  in  ähnlicher  Weise  die  Dorer 
als  Herrenvolk  in  Argos  und  Mykenä  niedergelassen  hatten,  während 
die  Landschaft  den  achäischen  Periöken  verblieben  war,  werden  wir 
bei  genauerer  Prüfung  der  Dialekturkunden  dieselben  Gegensätze 
finden,  die  ebenso  wie  in  Lakedämon  den  Dialekt  und  Stamm  der 
Hauptstätte  von  dem  der  Landschaft  unterscheiden.  Daß  endlich  die 
Periöken  in  Lakedämon,  Messenien  und  Argolis  mit  Recht  als  Ab- 
kömmlinge der  Achäer  bezeichnet  worden  sind,  wird  die  genaue  Über- 
einstimmung ihres  Dialekts  mit  dem  Dialekt  der  Achäer  in  den  beiden 
achäischen  Landschaften  und  in  den  achäischen  Kolonien  bestätigen. 
Die  Existenz  aber  derselben  für  den  dorischen  Stamm  charakteristi- 
schen Dialckteigentümlichkeiten  in  Argolis  wie  in  Sparta  wird  uns 
das  hohe  Alter  dieser  Dialekteigentümlichkeiten  zeigen  und  zum  Be- 
weise dafür  dienen,  daß  die  Tradition  einer  den  politischen  Grün- 
dungen der  Dorer  in  Argolis  und  Sparta  vorausliegenden  dorischen 
Stammgemeinschaft  kein  leerer  Wahn  ist.  Haben  wir  so  in  Sparta 
und  Argolis  den  Dialekt  und  Stamm  der  Dorer  von  dem  Dialekt  und 
Stamm  der  Achäer  geschieden  und  jeden  für  sich  kennen  gelernt,  so 
werden  wir  sie  auch  in  anderen  Landschaften  erkennen,  in  denen 
ihre  Anwesenheit  und  geographische  Verteilung  durch  die  Tradition 
und  politische  Organisation  weniger  deutlich  angegeben  wird.  So 


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i 


Jahresbericht  über  d.  griechische  Dialektforschung  von  1899—1906.  9 

wird  es  uns  möglich  sein,  auch  auf  der  Insel  Kreta  eine  Scheidung 
nach  Dialekten  und  Stämmen  vorzunehmen"  (S.  5  f.).  Folgende  fünf 
Lauterscheinungen  erklärt  Meister  für  unzweifelhaft  echt  dorische 
Besonderheiten : 

1.  Die  Verhauchung  des  Sigraas  zwischen  Vokalen; 

2.  die  spirantische,  dem  <j  ähnliche  Aussprache  des  &,  außer 

a)  wo  es  im  Wortauslaut  vor  aspiriertem  Anlaut  aus  x  entstanden  ist ; 

b)  im  Anfange  einer  Silbe,  wenn  die  nächste  Silbe  mit  a  beginnt; 

c)  in  den  Gruppen  ab  und  vö; 

8.  die  Schreibung  des  C  als  88,  d,  h.  spirantische  Aussprache 
des  C  md  des  8; 

4.  p  (d.  h.  spirantisches  t  oder  w)  für  Jz  ; 

5.  Verwandlung  des  bereits  im  Urgriechischen  vor  einem  Vokal 
stehenden  s  in  i. 

Diese  Eigenheiten  der  Sprache  der  Spartiaten  finden  sich  in 
der  Landschaft,  wo  die  Periöken  wohnen,  nur  in  wenigen  Spuren 
(s.  Meister  Ber.  d.  k.  sächs.  Ges.  d.  W.  1904,  280 f.,  dazu  aber 
das  von  mir  unten  S.  11  dagegen  bemerkte),  die  wohl  von  Spartiaten 
selbst  herrühren ;  in  Kreta  hat  sich  die  dorische  Einwanderung  nach 
der  Mitte  der  Insel,  besonders  nach  Gortyn  und  Knossos  gerichtet. 
Hier  findet  sich  zwar  kein  Beispiel  der  Verhauchung  von  a,  aber 
sichere  Beweise  spirantischer  Geltung  des  0  (in  Gortyn  sogar  in  oft), 
die  Vertretung  des  C  durch  88  (C,  xx),  ß  für  ezo  t,  wo  es  schon 
urgriechisch  (d.  h.  nach  Ausfall  von  a  oder  j)  vor  Vokalen  gestanden. 
Daß  dieser  letzte  Wandel  auf  Zentralkreta  beschränkt  ist,  hatte  schon 
F.  Solmsen  (K.Z.  32,  513  ff.  Über  den  Wandel  von  e  in  i  vor  Vokalen 
in  den  griechischen  Mundarten)  bemerkt.  In  einer  Anzeige  dieser 
Abhandlung  Meisters  Indogerm.  Anzeiger  18,  46  findet  E.  Schwyzer, 
daß  ihr  bleibender  Wert  in  den  Uberall  eingestreuten  Einzel- 
beobachtungen liege ,  während  er  die  Hauptsätze  Meisters  nicht  als 
bewiesen  anerkennt.  Er  hält  es  für  möglich,  daß  gerade  die  Ver- 
hauchung des  a  nicht  ein  dorisches,  sondern  ein  altachäisches  Merk- 
mal sei,  wie  Thumb  erklärt  hat,  und  gibt  gelehrte  Anmerkungen  dazu 
über  romanische  und  germanische  Dialektforschungen,  Sprachkarten 
und  Sprachgrenzen.  Demgegenüber  möchte  ich  nachdrücklich  auf 
das  schon  im  vorigen  Jahresberichte  gezogene  Ergebnis  der  griechi- 
schen Dialektforschung  hinweisen,  daß  nicht  allgemeine  Theorien  und 
Vergleiche,  sondern  die  Verbindung  der  sprachlichen  Tatsachen  mit 
den  geschichtlichen  Überlieferungen  der  Griechen  uns  hier  zu  einer 
relativen  Gewißheit  führen  können  und,  allgemein  gesprochen,  bin  ich 
mit  diesem  Ergebnis  sehr  zufrieden.    Würde  nur  noch  immer  mehr 


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Walther  Prellwitz. 


in  Deutschland  erkannt,  daß  Einzelwesen  und  Einzelfragen  nur 
durch  eingehende  Vertiefung  in  ihre  Eigenart,  in  den  Stoff,  den  sie 
selbst  darbieten,  nicht  mit  allgemeinen  Theorien  gelöst  werden  können. 
Übrigens  können  Vergleiche  sehr  anregen;  ich  würde  aber  nicht 
romanische  oder  westdeutsche,  sondern  die  Verhältnisse  des  östlichen 
Deutschlands  heranziehen,  wo  es  öfters  mehrere  Schichten  von  Kolo- 
nisten, neben-  und  übereinander  gibt,  daneben  die  Nachkommen  der 
älteren  Bevölkerungen.  Auf  die  Fragen,  die  Schwyzer  am  Schlüsse 
seiner  Besprechung  des  ersten  Teiles  der  Untersuchung  Meister  stellt, 
wird  Meister  erst  in  den  nächsten  Teilen  die  Antwort  bringen  können. 
Wir  sehen  ihnen  gespannt  entgegen. 

Ich  möchte  aber  hier  im  Anschluß  an  die  Ausführungen  meines 
vorigen  Berichtes  (S.  74)  und  an  die  hier  besprochenen  Bücher  von 
Kick,  Hoffmann  und  Meister  anregen,  eine  Sammlung  aller  von  den 
Griechen  selbst  herrührenden  Überlieferungen  über  ihre  Sprache  und 
die  ihrer  Nachbarn  und  Miteinwohner  zu  veranstalten.  Dieselben 
sind  von  Homer  ab  über  die  ganze  Literatur  verstreut,  so  daß  es 
unmöglich  ist,  sich  ohne  besondere  Studien  ein  klares  Bild  über  ihre 
Anschauungen  in  diesem  Punkte  zu  bilden.  Eine  nach  Quellen  und 
Zeiten  geordnete  Übersicht  wäre  sehr  dankenswert.  Überlieferungen 
über  Stammesgeschichte  und  Kolonisation,  wie  sie  z.  ß.  bei  Herodot 
sich  so  vielfach  (z.  B.  VII,  90  ff.)  finden ,  gehören  natürlich  auch 
hierher.   Hier  fände  sich  Stoff  für  eine  Reihe  von  Doktorarbeiten. 

Auch  seine  wertvollen  „Beiträge  zur  griechischen  Epigraphik 
und  Dialektologie"  in  den  Berichten  der  K.  sächs.  G.  d.  W.  hat 
R.  Meister  fortgesetzt.  Nr.  11  (Bd.  53,  1901.  S.  21  ff.)  behandelt 
die  Trözenischc  Entschädigungs-Urkunde,  die  Legrand 
im  Bulletin  d.  corr.  hell.  24.  S.  190,  Nr.  5  veröffentlicht  hat.  Die 
besonders  schwierige  Form  -ersjijiivoic  ti  wird  in  Nr.  III  (1903, 
S.  2  ff.)  als  Participium  Perfecti  Medii  von  rlvouoti,  bearbeite  ein 
Land,  überzeugend  gedeutet.  Ganz  besonderes  Lob  aber  verdient 
Nr.  IV  (1904,  S.  3  ff.  Sitzung  vom  4.  Mai).  „Die  Inschrift  von 
Sillyon  und  der  pamphy  Ii  sc  he  Dialekt. u  Hier  wird  dieses 
größte  Zeugnis  derjenigen  altgriechischen  Mundart,  die  sich  von  der 
Schriftsprache  am  meisten  entfernt  und  zugleich  dem  Neugriechischen 
auffallend  nahesteht,  von  dem  man  aber  bisher  nur  einzelne  Wörter, 
keinen  einzigen  Satz  verstand,  soweit  es  einigermaßen  vollständig 
erhalten  ist,  gedeutet  und  erläutert.  Ein  schönes  Ergebnis  liebevoller 
Vertiefung  gelehrten  Scharfsinnes!  Nr.  V  (Bd.  57,  1905.  S.  272  ff.) 
bringt  zunächst  die  Erklärung  der  Legende  zweier  Didrachmen  des 
pamphylischen  Aspendos  iNUvsto?  eXu^a  —  of  NUvt,to?  rfXixJ/ov ;  so- 


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Jahresbericht  über  d.  griechische  Dialektforschung  von  1899—1906.  11 

dann  eine  Weiheinschrift  eines  Geronten  Nikosthenidas ,  im  alten 
Thalamae  bei  dem  alten  Traumorakel  der  Pasiphae  (Natya)  ge- 
funden. „Sprachlich'4,  sagt  Meister  (S.  279)  merkwürdigerweise, 
„ist  die  Inschrift  vor  allem  deshalb  interessant,  weil  sie  in  dem  alt- 
dorischen Dialekt  abgefaßt  ist,  den  wir  bisher  fast  nur  aus  Sparta 
kannten"  ....  „Außerhalb  Spartas  kannten  wir  bisher  nur  wenige 
vereinzelte  Beispiele  dieses  Dialekts  in  Lakonien ;  ihre  Zahl  ist  jetzt . . . 
vermehrt  worden,  so  daß  sie  nicht  als  spartanische  Eindringlinge, 
sondern  als  Zeugen  einer  weiteren  Verbreitung  des  dorischen  Dia- 
lekts im  Lande  der  achäischen  Periöken  ähnlich  wie  in  der  Argolis 
zu  betrachten  sind."  Ja,  aber  welche  Sprache  soll  denn  ein  Spartiate, 
der  -j-epovxstjtüv  in  Thalamai  eine  Weiheinschrift  auf  ein  Standbild 
setzen  läßt,  anwenden,  als  eben  seine  eigene,  echt  spartanische? 
Das  ist  doch  ebenso  klar,  wie  daß  gerade  diese  Sprache  mit  ihrem 
h  =  ei,  a  =  0,  ß  =  J-,  £o>  =  ia>  nicht  altachäisch,  sondern  rein  dorisch 
ist.  Und  ebenso  dürften  die  übrigen  Spuren  dieser  Mundart  im  Lande 
der  Periöken  größtenteils  von  Mitgliedern  des  Herrenstandes  unmittelbar 
herrühren,  die  natürlich  ihre  Mundart  nie  verleugnet  haben.  Meisters 
angeführte  Worte  offenbaren  ein  merkwürdiges  Zurückbleiben  hinter 
der  von  ihm  selbst  errungenen  Erkenntnis,  oder  es  muß  auch  ihm 
gegenüber  noch  betont  werden,  nicht  topographisch,  sondern 
sozial  sind  die  Unterschiede  des  Dialekts  aufzufassen.  —  Endlich 
enthält  Nr.  V  noch  die  Ergänzung  einer  Inschrift  aus  Thespiae  und 
Bemerkungen  zu  böotischen  Eigennamen. 

Daß  im  Böotischen  eine  wirkliche  Mischung  verschiedener  Mund- 
arten, nicht  etwa  bloß  ein  Nebeneinander  verschiedener  Mundarten 
voneinander  geschiedener  Schichten  der  Bevölkerung  vorliegt,  ist 
zweifellos.  Das  geht  auf  das  deutlichste  auch  aus  der  Arbeit  des 
Dr.  Leopold  Sadge,  De  Boeotiac  titulorum  dialecto  (Halis  Sax. 
1903),  hervor,  der  eine  vollständige,  auf  sorgfältigem  Studium  des 
Stoffes  beruhende  Darstellung  der  Mundart  gibt,  wie  man  es  bei 
einer  Friedrich  Bechtel  gewidmeten  Arbeit  erwartet. 

Sie  zeigt  auch  nicht  die  übliche  schematische  Einteilung,  sondern 
zerlegt  den  Dialekt  sogleich  in  seine  Komponenten.  Der  erste  Teil 
behandelt  die  Spracherscheinungen,  die  dem  Böotischen  mit  dem 
Leobischen  und  Thessalischen  gemeinsam  sind,  der  zweite  das,  was 
aus  dem  Westgriechischen  stammt.  Einiges  Böotisch-Dorische  ent- 
hält ja  auch  das  Thessalische ,  anderes  die  Landschaften  Mittel- 
griechenlands, anderes  ist  allen  Doriern  gemeinsam.  Der  dritte  Teil 
behandelt  Besonderheiten  der  Flexion;  der  vierte,  was  die  Böoter 
an  Altertümlichkeiten  bewahrt,  der  fünfte,  was  sie  geneuert  haben. 


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12 


Walther  Prellwitz. 


Dabei  wird  manches  Problem,  wie  das  von  vd  statt  vx  (S.  22),  das 
von  8106  Nujietvto?  (0  nach  Vokalen  wird  u  84  f.),  Atotöoxo?  (S.  86) 
gelöst  oder  doch  gefördert  und  die  Schärfe,  mit  der  auf  noch  un- 
gelöste Fragen  hingewiesen  wird  (wie  böot.  dt  S.  89)  ist  besonders 
lobenswert.  Über  das  späte  dzauxu  aus  Chaeronea  scheint  Sad£e 
die  Meinung  Wackernagels  zu  teilen.  Ich  möchte  eher  im  Anschluß 
an  Meister  I,  247,  den  Wackernagel  bekämpft,  glauben,  daß  das 
unbetonte  au  der  ersten  Silbe  der  Dissimilation  zu  a  unterlegen  ist. 
Als  ähnlichen  Fall  führe  ich  die  von  mir  Etym.  Wb.«  73  erklärten 
Parallelformen  ßavausoc  und  ßauvaso?  an,  die  auf  ßaovaoaoc  „Ofen- 
brenner", Nom.  ßatSvaaoc,  Gen.  ßavaosou  zurückweisen.  —  Ob  nun 
das  88  für  C  und  das  t  für  s  vor  Vokal  nach  Ausfall  von  a  und  j 
auch  auf  dorischem  Einfluß  beruht?  Nach  seinen  Darlegungen  auf 
S.  80  ff.  wird  Sadöe  diese  Frage  verneinen  müssen.  Warten  wir 
Meisters  Untersuchung  ab. 

Mit  der  bisher  wenig  beachteten  Syntax  der  Dialektinschriften 
beschäftigt  sich  Edith  Frances  Claflin,  The  syntax  of  the 
Boeotion  Dialects  inscriptions  (Bryn  Mawr  College  Monographs 
Vol.  III,  1905).  Es  werden  in  der  sorgfältigen  Arbeit  die  syntaktisch 
bemerkenswerten  Erscheinungen  übersichtlich  zusammengestellt,  ohne 
daß  gerade  überraschende  Ergebnisse  herauskämen,  was  bei  der  im 
ganzen  einfachen  Sprache  des  ziemlich  einförmigen  Stoffes  ja  nicht 
wunderbar  ist.  Daß  sxxe  „bis"  nicht  aus  (efe)  +  xe  =  qe  sein 
kann,  wird  nicht  bemerkt  (S.  61,  80).  Steht  es  für  e;:  (=  im)  -f-  xe  ? 
Bechles  Vergleich  mit  s^asi?  für  ejxT^rasi?  und  Zurückführung  auf 
eVxxe  fördert  nicht,  weil  xxe  auf  qe  nicht  zurückgehen  kann,  also 
ganz  unklar  bleibt  (Hermes  36,  426).  Doch  dies  gehört  nicht  zur 
Syntax.  Ein  syntaktischer  Irrtum  aber  ist  es,  wenn  S.  92  gesagt 
wird,  daß  8x1  nach  <pavepov  eaxi  indirekte  Rede  einleite,  wo  das  Bei- 
spiel einen  die  einfache  Tatsache  bezeichnenden  Subjektsatz  bringt. 

Ein  viel  ergiebigeres  Feld  für  syntaktische  Untersuchungen  ist 
natürlich  das  Kretische  mit  seinen  die  verschiedensten  Lebensgebiete 
berührenden  Gesetzestafeln.  Karl  Meisters  Abhandlung  „Der 
syntaktische  Gebrauch  desGenetivs  in  den  kretischen 
Dialektinschriften"  (JF.  18, 133  ff.)  umfaßt  daher  71  Seiten  und 
bietet  eine  Fülle  sehr  interessanter  Tatsachen ,  die  durch  die  ge- 
diegene Beurteilung  des  gelehrten  Verfassers  in  das  rechte  Licht  ge- 
rückt werden.  Besonders  mache  ich  auf  den  nicht  aus  einer  Ellipse 
erklärten  Genetiv  bei  £v,  sfc  und  ähnlichen  Richtungswörtem  auf- 
merksam (S.  148  ff.)  und  auf  den  Genetivus  partitivus,  der  gewiß 
mit  Recht  zunächst  als  Subjekt  oder  Objekt  des  Verbs  gefaßt  wird, 


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Jahresbericht  über  d.  griechische  Dialektforschung  von  1899—1906.  13 

dem  die  Bestimmung  des  betroffenen  Teiles  im  Nominativ  oder  Akku- 
sativ, d.  h.  als  Apposition,  beigefügt  war  (S.  177).  Die  Voranstellung 
dieses  Genetivs  in  den  älteren  Beispielen  zeugt  entschieden  für  diese 
Auffassung.  Auch  die  anderen  alten  Dialektinschriften  werden  heran- 
gezogen, so  daß  die  Abhandlung  für  die  gesamte  Syntax  des  Genetivs 
von  erheblicher  Bedeutung  wird. 

Für  den  ionischen  Dialekt  habe  ich  noch  über  den  Herodottext 
von  Adolf  Fritzsch  (nicht  Fritzsche;  für  diese  falsche  Schreibung 
im  vorigen  Berichte  S.  98  bitte  ich  um  freundliche  Nachsicht)  zu  be- 
richten, die  schon  früher  hätte  erwähnt  werden  sollen;  denn  wenn 
es  auch  zunächst  nur  ein  Schultext  ist  (Bibliotheca  Teubneriana. 
Leipzig  1899),  so  darf  er  doch  Anspruch  auf  Würdigung  als  eine 
wissenschaftliche  Leistung  erheben.  Fritzsch  hat  den  Text  von 
Buch  V — IX  im  wesentlichen  nach  den  Grundsätzen,  die  er  1838  in 
seinem  Hamburger  Programm  „Zum  Vokalismus  des  Uerodoti- 
schen  Dialekts"  dargelegt  hat,  von  den  Hyperionismen  der  hand- 
schriftlichen Überlieferung  und  besonders  der  modernen  Ausgaben 
befreit  und  sogar  die  Psilose  im  Texte  durchgeführt.  Daß  dies  theo- 
retisch richtig  ist,  kann  nicht  bezweifelt  werden,  ob  man  in  der 
Praxis  besser  dem  Beispiel  der  Neugriechen  folgt,  die  den  Asper 
auch  nicht  sprechen  und  doch  schreiben,  kann  mindestens  in  Frage 
gestellt  werden.  Denn  wenn  man  TiTaiat  liest,  kommt  einem  xaxt'yca- 
tai  eiuSr,?»  irtano?,  d-Y]7etaöai  usw.  ganz  natürlich  vor,  und  der  Gegen- 
satz der  alten  Composita  sfye&poc,  e^opoc  xa&eoSto,  xaör^ai,  xaOaK» 
aooaorjC,  aüö£vn;c  hiezu  tritt  um  so  klarer  hervor.  Im  übrigen  ist  an 
der  Überlieferung  oft  gegenüber  den  neueren  Ausgaben  festgehalten, 
und  der  Text  liest  sich  nicht  nur  angenehmer,  sondern  auch  leichter 
wegen  seiner  wissenschaftlichen  Folgerichtigkeit.  Bei  der  Erörterung 
über  diesen  Gegenstand  auf  der  Philologenversammlung  iu  Bonn  1899 
haben  die  Grundsätze  des  Herausgebers  in  allen  wesentlichen  Punkten 
Beifall  gefunden.  Dem  Text  vorangeschickt  ist  eine  kurze  Darstellung 
des  Dialektes,  der  ja  auch  in  dieser  gereinigten  Gestalt  noch  manches 
Rätsel  bietet.  Aber  das  ist  bei  einer  so  stilisierten  Sprache,  nicht 
anders  zu  erwarten. 

Zum  Schluß  seien  hier  zwei  Arbeiten  erwähnt,  die  sich  mit  dem 
Vorkommen  mundartlicher  Ausdrücke  bei  den  attischen  Dichtern  be- 
schäftigen. 

A.  v.  Meß  stellt  in  seiner  Dissertation  Quaestiones  de  epi- 
grammate  Attico  et  tragoedia  antiquiore  dialecticae 
(Bonn  1898)  das  Vorkommen  ionischer,  epischer  und  dorischer  Sprach- 
eigentümlichkeiten auch  in  den  älteren  attischen  Grabinschriften  fest 


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14    Walther  Prellwitz:  Jahresbericht  üb.  d.  griech.  Dialektforschung. 

und  bespricht  namentlich  die  Endungen  aiai,  >j<ji,  aic  bei  den  Tragikern 
und  einige  merkwürdige  Fälle  von  ij  in  den  lyrischen  Stellen,  von  ot  in 
den  iambischen  Trimetern  der  Tragödie.  Auch  hier  zeigen  sich  ganz 
besondere  euphonische  oder  noch  häufiger  literarische  Veranlassungen 
für  die  scheinbaren  Abweichungen  von  dem  Sprachgesetz. 

W.  A 1  y ,  De  Ae^schyli  copia  verborum  capita  selecta. 
Berlin  1906  behandelt  die  aus  dem  Dorischen,  Sizilischen,  Äolischen 
und  besonders  die  aus  dem  Ionischen  stammenden  Wörter  bei 
Äschylus.    Es  findet  sich  eine  Reihe  guter  Beobachtungen  darin. 

Rastenburg. 

Walther  Prellwitz. 


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Bericht  über  Paläographie  und  Handschriftenkunde 

(1903-1906). 

Von 

Wilh.  Weinberger 

in  Iglau. 


In  dem  vorliegenden  Berichte  konnte  ich  mich  auf  eine  Orientierung 
über  wichtigere  Werke  beschränken,  da  es  mir  dank  einem  vom  k. k.  Unter- 
richtsministeri um  gewährten  Urlaub  möglich  sein  wird,  auf  Einzel- 
heiten und  auf  Arbeiten,  die  der  Kürze  halber  einstweilen  übergangen 
werden  konnten,  in  „Beiträgen  zur  Handschriftenkunde"  zurückzukommen. 
Dafs  ich  ausführliche  Inhaltsangaben  in  einigen  Fällen  gegeben  habe,  wo 
sie  unnützes  Suchen  ersparen  können,  wird  man  hoffentlich  gerechtfertigt 
linden. 

Für  einzelue  Autoren  verweise  ich  hier  auf  die  Nummern  des  Berichtes 
bezw.  Ortsnamen.  Äsop  7,  96;  Aristides:  Raudnitz;  Aristophanes  7,  8; 
Ansegisus  96;  Augustin  31,  Bamberg,  Cambridge;  Basilius  132;  Boetius  85, 
119;  Chrysostomus  119,  132;  Cicero  9  (schol.  Bobiens.).  74,  86,  90,  111 ;  Colu- 
mella:  Moskau;  Cyprian:  Oxford  (2  Hss.);  Dioskurides  7,  122,  123,  Oxford; 
Dictys  Cretensis  99;  Eusebius  39;  Fronto  9;  Galeu  24;  Gregor  32,  119,  132, 
Athos,  Cambridge;  Herondas  24;  Hieronymus  39,  Bamberg;  Homer  15  u. 
(Batrachoin.)  Capodistria;  Horaz  96;  Hrabanus  92,  Cambridge;  Hygin  49; 
Julius  Valerius  96;  Juvenal  9;  Libanius:  Raudnitz;  Livius  31,  35—37,  43; 
Ovid  84,  96,  146;  Palaephatus:  Alexandrien;  Palladius  84,  Athos;  Persius 
9,  128,  146;  Plato:  Raudnitz;  Porcius  Latro  129;  Properz:  Moskau;  Pruden- 
tius  31,  33,  119;  Quintus  Smyrn.  136;  Sallust  100,  138;  Smaragdus:  Berlin; 
Sueton:  Cheltenham;  Symmachus  9;  Tacitus  84,  99,  108;  Terenz  S.  30  A.  1; 
Tertullian:  Rom;  Theodoret  J37;  Theophil:  Athos;  Valerius  Maximus  146; 
Vergil  96,  London;  vgl.  die  bei  108  angeführte  Anzeige. 

Von  Abkürzungen  sind  zu  erwähnen: 

N(eues)  Archiv  (der  Gesellschaft  für  ältere  deutsche  Geschichte). 

Arch(iv  für)  Sten(ographie). 

Bibl.  —  Bibliot(h)eca,  Bibliothek,  Bibliotheque. 

Bibl.  d(e  l'ecole  des)  chartes. 

B( y z antinisch e)  Z(e i ts c h  rift). 

C.  =  Catalogo,  Catalogue,  Catalogus. 

C(entralblatt  für)  B(ibliothekswesen). 


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16 


Wilh.  Weinberger. 


C.  D.  =»■  C.  general  des  mss.  des  bibl.  publiques  de  France.  De- 
partements. 

J(ahr)h(undert). 

(The)  J(ournal  of)  Th(eological)  Süudies). 
K(  atalog). 

Ms.,  Mss.,  =  Manuscript(u8X  manuscrit,  manoscritto,  Manuskripte  usw. 
N(eos)  H(ellenomnemon). 

Pal.  =  Paläographie,  Paleographie  usw.;  pal.  =  paläographisch  usw. 
Revue  (des  bibl.). 

Revue  (des  bibl.  et  archives  de)  Belg(ique). 
Studi  (Italiani  di  filologia  classica). 

Bei  Verweisungen  auf  die  früheren  Berichte  steht  nach  Bd.  98  (106,  127) 
entweder  die  blofse  Nummer  oder  S.  mit  der  Seitenzahl.  Werke,  die  nicht 
vorgelegen  haben,  werden  mit  einem  Stern  bezeichnet. 


1.  A.  Hortzschansky,  Bibliographie  des  Bibliotheks-  und 
Buchwesens.  C.B.  Beiheft  29  (1904),  31  f.  (1905  f.).  (II  8  Schriften 
über  mehrere  Bibl.  III.  Einzelne  Bibl.  IV  1  Schriftwesen,  2  Hsskunde : 
im  allgem.,  einzelne  Hss.,  Miniaturen,  Faksimilia.  XII  3 
Privatbibl. ;  ähnlich  sind  die  Literaturübersichten  in  den  einzelnen 
Heften  des  C.B.  angeordnet). 

2.  H.  Omont,  Listes  des  recueils  de  fac-simile's  et  des  repro- 
ductions  de  mss.  conserve's  ä  la  Bibl.  Nationale.  Revue  XIII  (1903) 
111—178. 

3.  K.  Krumbacher,  Die  Photographie  im  Dienste  der  Geistes- 
wissenschaften.    N.  Jahrb.  XVII  (1906)  601—659,  727. 

Fünfzehn  beigegebene  Tafeln  veranschaulichen  die  Vor-  und  Nach- 
teile verschiedener  Reproduktionsarten  und  die  Möglichkeit  der  Reduk- 
tion (vgl.  unten  Nr.  32  f.),  welche  die  Kosten  der  Faksimilia  etwa 
auf  Vio  herabsetzen  und  die  Verwendung  von  Photographien  an 
Stelle  der  Kollationen  gestalten  könnte;  vgl. 

4.  K.  Wiederaann,  Über  Photographien  von  Hss.  und  Druck- 
sachen. C.B.  XXIII  (1906)  22—25,  247. 

5.  Actes  du  Congres  international  pour  la  reproduction  des  mss. 
des  monnaies  et  des  sceaux  tenu  a  Liege  le  21,  22  et  23  Aoüt  1905. 
Publications  de  la  Revue  Belg.  I.  Brüssel  1905. 

Aus  5  sei  R.  A.  Reiß,  La  reconstitution  photographique  des 
documents  mal  conserve's  ou  brules  hervorgehoben  (S.  193 — 202,  vgl. 
Bibliographe  VIII  343  f.  über  Reiß,  La  Photographie  judiciaire.  Paris 
1904).  Man  kann  die  Spuren  von  Schriftzügen,  die  auf  mechanischem 
oder  chemischem  Wege  entfernt  worden  sind,  durch  Photographien 
(ohne  Verwendung  von  Reagenzien)  feststellen,  auch  bei  verbrannten 


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Bericht  über  Paläographie  und  Handschriftenkunde  (1903—1906).  17 

Stöcken  (sofern  sie  nicht  zu  Staub  zerfallen  sind).  Hieran  reihe  ich 
die  auch  Literaturangaben  bietende,  durch  den  Brand  der  Turiner 
Universitätsbibl.  veranlagte  Arbeit  von 

6.  1.  Guareschi,  Deila  pergamena  con  osservazioni  ed  esperienze 
su)  ricupero  e  sul  restauro  dei  codici  daneggiati  negli  incendi  e 
notizie  storiche.  S.A.  aus  Supplemento  annuale  dell'  Enciclopedia 
di  Chimica  XXI  (Turin  1905).  44  &.  u.  20  T.  (Erweiterung  zu 
Memorie  d.  R.  Accad.  di  Torino  2.  Ser.  LIV.  Scienze  fisiche  423 
bis  458). 

Für  das  in  6  dargelegte  und  durch  die  Tafeln  (die  namentlich 
den  Erfolg  der  Glättung  in  der  Feuchtkammer  zeigen)  veranschau- 
lichte Verfahren  vgl.  die  Inhaltsangaben:  C.B.  XXII  122—129  und 
Bibl.  d.  chartes  LXVI  435,  ferner  P.  Giacosa,  Relazione  dei  lavori 
intrapresi  al  laboratorio  di  Materia  Medica  per  il  ricupero  e  ristauro 
dei  codici  appartenenti  alla  Bibl.  di  Torino.  Atti  d.  R.  Accad.  di 
Torino  XXXIX  1070—1078,  für  die  Verwendung  von  Zapon  C.B. 
XX  67  u.  255,  für  die  Behandlung  von  Palimpsesten  Wiener 
S.Ber.  CXLVIII  (1904)  I  9. 

7.  (Bd.  127,  3)  Codices  graec.  et  lat.  photographice  depicti 
duce  S.  de  Vries.  1904  erschien  der  9.  Band:  der  Ravennas  des 
Aristophanes  s.  X/XI  mit  einer  wesentlich  textkritischen  Ein- 
leitung von  Leen  wen  (vgl.  auch 

8.  '\p1aT09avoo?  xa>a<udtai.  Facsimile  of  the  Codex  Venetus 
Marcianus  474  with  .  .  an  introduction  by  Th.  \V.  Allen.  London 
u.  Boston  1902  [sämtliche  Hände  werden  ins  11.  Jh.  gesetzt]), 

1905  das  3.  Supplement:  der  illustrierte  lat.  Äsop  des  Ademar 
(Voss.  lat.  O  15  f.  195 — 205)  mit  einer  literar-  und  kunsthistorischen 
Einleitung  von  Thiele,  1906  der  10.  Band:  die  beiläufig  512  für 
Anicia  Iuliana,  die  Enkelin  Valentinians  III.  angefertigte  Wiener 
Dioskurides-Hs.  Die  von  Premerstein,  Wessely  und  Mantuani 
verfaßte  Einleitung  ist  auch  besonders  erschienen,  s.  unten  zu  15;  für 
literar-  und  kunsthistorische  Fragen  verweise  ich  auf  meine  Be- 
sprechung :  Z.  f.  d.  öst.  Gymn.  1906,  695  ff. 

9.  (Bd.  127,  17)  Codices  e  Vaticanis  selecti. 

Der  3.  und  der  5.  Band  (für  Matthias  Corvinus  bestimmtes 
Pontificale:  Ottob.]  501  [1903]  —  Josuarotulus:  Palat.  431 
[1905]  mit  zahlreichen  Abbildungen  aus  den  Vat.  746  u.  747)  sind 
fast  nur  wegen  der  bildlichen  Darstellungen  bemerkenswert ;  die  T.  3a. 
6a,  IIa,  18a  des  5.  Bandes  sind  koloriert.  Der  4.  Band,  dessen 
Einleitung  mir  noch  nicht  vorgelegen  hat,  enthält  den  Bibelkodex  B : 

Jahresbericht  fOr  AlUrtumxwi^enschaft.   Bd.  CXXXV.  2 


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18 


Wilh.  Weinberger. 


Vat.  gr.  1209.  Der  6.  Band  bietet  eine  Petrarca-Hs,  der  7. 
(1906)  den  Front o-Palimpsest  (Vat.  5750  aus  Bobbio;  vgl. 
Ambros.  E  147  sup.).  Die  untere  Schrift  ist  Unziale  (Fr.  [auch  ein 
griech.  Brief],  Scholiasta  Bobiensis,  arianischcr  Traktat),  Halbunziale 
(Symmachus)  und  Kapitale  (Juvenal  und  Persius),  die  obere 
(Acta  concilii  Chalcedonensis)  Halbunziale  und  Halbkursive.  Auf  die 
pal.  wichtige  Einleitung  kommen  wir  bei  der  Kursive  und  bei  den 
Nationalschriften  zurück.  Aus  der  Verwendung  weniger  Blätter  eines 
Werkes,  die  auch  sonst  bei  Bobbiescr  Palimpsesten  vorkommt,  wird 
S.  7  geschlossen,  daß  nicht  ganze  B.  Hss.  abgeschabt  wurden,  sondern  ab- 
geschabte Blätter  in  einem  „promptuarium"  zu  finden  waren;  s.  142  T.  9. 

10.  Collezione  pal.  Vaticana.  I.  Mailand,  1905.  13  S.,  22  T. 
bietet   mit  einer  kunstgeschichtlich  wichtigen  Einleitung  (wie 

9  V)  die  Miniaturen  des  Vat.  Reg.  gr.  1  (s.  X;  Bibel)  und  des  Pal. 
gr.  381  (s.  XII/XIII;  Psalter). 

11.  The  New  Pal.  Society.  Facsimiles  of  Ancient  Mss. 
4  Lief.  London  1903—1906.  100  T.  enthält  Faksimilia  griech. 
und  lat.  Papyri,  Hss  und  Urkunden  aus  englischen,  deutschen  und 
französischen  Sammlungen,  ferner  aus  den  Athos-Klöstern ,  Brüssel, 
Leiden  und  dem  Prodromos-Kloster  in  Serres  (Inhaltsangabe  der 
T.  1—73  Bibl.  d.  chartes  LXVI  620).  Hervorzuheben  ist  T.  17: 
Signaturen  englischer  Klosterbibl.  (14.  u.  15.  Jahrh.) ;  dem  Timotheos- 
Papyrus  (T.  22  f.)  ist  eine  Zusammenstellung  von  Alphabeten  bei- 
gegeben. 

Für  Papyri  und  Ostraka  ist  im  allgemeinen  wieder  auf  das 
Archiv  für  Papyrusforschung  und  Seymour  de  Riccis  Berichte  in  der 
Rev.  d.  Stüdes  grecques  zu  verweisen  (vgl.  auch  die  Übersicht  in 
den  Jahresber.  d.  Geschichtsw.  XXVII  1,  192  f.  Nr.  1142 — 1201). 
Die  von  W  e  s  s  e  1  y  herausgegebenen 

12.  (Bd.  127,  14).  Studien  zur  Pal.  und  Papyruskunde.  III  bis 
VI  (1904 — 1906)  sind  wegen  der  pal.  Indizes  zu  nennen,  IV  auch 
wegen  des  Literaturverz.  III  1  enthält  griech.  Papyrusurkunden  kleineren 
Formats  mit  (autographierten)  Überresten  griech.  Tachygraphie.  — 
Wir  wenden  uns  nun  der  griech.  Unziale  zu  (vgl.  unten  Nr.  :>8, 
116  und  die  Zusammenstellung  von  Bibel-Fragmenten  auf  Papyrus 
und  auf  Pergament  in  der  Rev.  arch.  4.  Ser.  III  160). 

13.  K.  Lake,  Facsimiles  of  the  Athos  Fragments  of  Codex 
II  of  the  Pauline  epistles.  Oxford  1905,  16  T.  (für  die  anderen  in 
Kiew,  Moskau,  Paris  und  Petersburg  befindlichen  Teile  der  dem  5. 
oder  eher  dem  6.  Jh.  angehörigen  Hs  vgl.  Omout,  Notices  et  ex- 
traits  XXXIII  145  ff.). 


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Bericht  über  Paläographie  und  Handschriftenkunde  (1903-1906).  19 


14.  A.  Bauer  and  J.  Strzygowski,  Eine  alexandrinische 
Weltchronik.  Text  und  Miniaturen  eines  griech.  Papyrus  der  Samm- 
lung GoleniScew.  Wiener  Denkschriften  LI  (1906)  III  (auch  Proben 
aus  dem  Vat.  gr.  699). 

B.  tritt  S.  14  für  Wilckens  Deutung  von  £$6pof/oc  yapaxvqp 
ein.  Nun  ist  eine  alte  schräge  Unziale  sicher,  vielleicht  auch  eine 
spitzbogige;  aber  die  Deutung  scheint  nach  dem  Bd.  127,  218  Bei- 
gebrachten falsch. 

15.  Homeri  lliadis  pictae  fragmenta  Ambrosiana  phototypice 
edita  cura  doctorum  M.  Geriani  et  A.  Ratti.  Mailand  1904.  VII, 
45  S.  104  T. 

Es  sind  58  Bilder  und  310  Verse  erhalten;  ein  Hinweis  auf  die 
farbige  Wiedergabe  in  Bd.  127  Nr.  28  fehlt.  Die  spärlichen  Akzent- 
und  Interpunktionszeichen  (auch)Spiritus ,  t,  ü  dienen  ebenso  wie  im 
Dioskurides-Kodex ,  wo  sie  weit  häufiger  sind,  der  Wort-  bezw.  der 
Silbentrennung;  vgl.  Z.  f.  d.  öst.  Gymn.  1906,  696,  Index  pal.  in 
12  V  und  die  Einleitung  zum  Theätet-Papyrus  (Berl.  Klassikertexte 
II  S.  IX).  Die  Schrift,  die  R.  Pietschmann,  Das  Buch  (Kultur  der 
Gegenwart  1  524)  noch  dem  5.  Jh.  zuweist,  wird,  mit  literarischen 
Papyris  verglichen,  nicht  ohne  Grund  ins  3.  oder  4.  Jh.  gesetzt.  Da- 
gegen kann  ich  nicht  unbedingt  beistimmen,  wenn  aus  den  schlanken 
und  schräggeneigten  Buchstaben  geschlossen  wird,  der  Schreiber 
sei  ein  Italiener  gewesen;  vgl.  Wilamowitz,  Das  älteste  Denkmal 
antiker  Buch-Illustration.  DLZ  1906,  2861—2865.  Die  griech.  Pal. 
ist  zu  einer  sicheren  Scheidung  von  Schreibschulen,  namentlich 
der  unteritalienischen,  trotz  Batiffol  (Bd.  106,  21)  noch  nicht  ge- 
langt, und  wenn  wir  auch  in  den  Zweifeln  nicht  so  weit  wie 

16.  V.  Gardthausen,  National-  und  Provinzialschriften.  BZ. 
XV  (1906)  227—242  gehen*)  und  die  Berücksichtigung  der  Tinte 
und  des  Pergaments,  historischer  und  textkritischer  Argumente  nicht 
verschmähen  werden,  bleibt  doch  Vorsicht  geboten.  Über  den  italie- 
nischen Ursprung  des  Codex  Bezae,  der  sich  wahrscheinlich  schon 
im  9.  Jh.  in  Lyon  befand,  im  16.  sicher  nur  als  Lugdunensis  be- 
zeichnet wurde  (H.  Quentin,  Revue  B6n6dictine  XXIII  1 — 25),  und 
der  sogenannten  Ferrar-Gruppe  vgl.  Bd.  127,  Nr.  93  (S.  132  ff. 
wird  auf  zwei  von  Amalfitanern,  bezw.  Kalabrern  gegründete  Klöster 
hingewiesen ,  die  mit  dem  Athos  in  Beziehung  standeu) ,  Texts  and 


•)  Bei  der  Polemik  gegen  Zereteli  (Bd.  106,  22)  ist  Wesselys 
wichtige  Bemerkung  (Bd.  127  S.  118  f.)  nicht  berücksichtigt. 

2* 


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20  Wilh.  Weinberger. 


Stadie8  VII  3  (1902)  L1V,  JThSt  I  117—120,  441—454.  III  501 
bis  513. 

17.  S.  Gassisi,  1  mss.  autografi  di  S.  Nilo  Juniore,  fondatore 
del  monastero  di  S.  Maria  di  Grottaferrata.   Orieus  Christianus  IV 

(1904)  308 — 370  macht  auf  mehrere  Hss  des  10.  und  11.  Jh.  auf- 
merksam (Grottaferrata,  Monte  Cassino,  Vatican),  die  mit  größerer 
oder  geringerer  Wahrscheinlichkeit  auf  den  h.  Nilus  zurückgeführt 
werden  können ;  mehrere  Faksimilia  sind  beigegeben.  (In  der  vierten 
Zeile  des  akrostichischen  Gedichtes  vermutet  Maas  B.Z.  XIII  620 
to  xTi'arxa  statt  oxiata).  Für  diese  Schreibschule  kommt  ferner  in 
Betracht : 

18.  K.  Lake,  The  Greek  Monasteries  in  South  Italy.  JThSt 
IV  (1903)  345,  517  (The  development  of  Scriptoria).  V  22,  189 
(The  Libraries  of  the  Basilian  Monasteries). 

Im  Anschluß  an  die  in  11  T.  81,  27  T.  47  gegebenen  Beispiele 
abendländischer  griech.  Unziale  (s.  16  S.  240)  kann  auf 
die  Verwendung  und  Bezeichnung  griechischer  Zahlzeichen  (Enacos 
statt  Sampi)  im  Mittelalter  hingewiesen  werden:  Berl.  phil.  Wocb. 
1906,  92,  477,  1020  (Gardthausen,  griech.  Pal.  167).  ferner  auf  lat. 
Subskriptionen  mit  griech.  Buchstaben:  30  T.  3o,  73 
(Manchester  99), 

19.  H.  Omont,  Note  sur  un  recueil  de  grammairiens  latins 
copiC  par  une  femme  au  X*  siecle.  Comptes  rendus  de  l'Acad.  d. 
Inscr.  1905,  15—19, 

20.  A.  Meister,  Die  Anfänge  der  modernen  diplomatischen 
Geheimschrift.    Paderborn  1902,  9  f. 

Meister  spricht  S.  2 — 10  über  verschiedene  Arten  antiker  Krypto- 
graphie; vgl.  auch  desselben  Arbeit  über  die  Geheimschrift  im 
Dienste  der  päpstlichen  Kurie  (Quellen  und  Forsch,  aus  dem  Gebiete 
der  Gesch.,  hgg.  v.  der  Görresgesellschaft  XI  1906)  und  für  die  Er- 
setzung der  Vokale  durch  Punkte  in  lat.  Hss: 

21.  W.  M.  Lindsay,  Geheimschrift  im  Codex  Lucensis  (jetzt 
Berl.  lat.  fol.  612)  des  Martial.   C.B.  XXI  278. 

Ein  auf  Zerlegung  des  Zahlenwertes  in  zwei  gleiche  oder  auch 
ungleiche  Teile  beruhendes  System  haben 

22.  C.  Wessely,  Ein  neues  System  griech.  Geheimschrift. 
Wien.  Stud.  XXVII  (1905)  185-189; 

23.  V.  Gardthausen,  Zur  byzant.  Kryptographie.   B.Z.  XIV 

(1905)  616—619  aufgeklärt,  xx  =  f*,  tx  =  \\  dabei  wird  das  Zeichen 
für  V«  zu  i  oder  a,  so  daß  o  durch  ti  oder  as  ersetzt  wird.  Für 


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Bericht  über  Paläographie  und  Handschriftenkunde  (1903—1906).  21 

eine  besondere  Kryptographie  in  Athos-Hss  (mit  beigegebenem  Schlüssel) 
s.  Nr.  78 ;  für  das  Grenzgebiet  von  Krypto-  und  Tachygraphie  Nr.  48. 

24.  A.  Brinkmann,  Aau.ß8a  -epteanYjiivov.  Rh.M.  59?  159  f. 
deutet  -A-  (Herondas-Papyms ,  Galen  XVI  799  K)  als  ein  auf 

den  Rand  verweisendes  kritisches  Zeichen;  hier/u  wird  B.Z.  XIII  393 
der  Monac.  374  s.  XV  herangezogen. 

25.  B.  Bretholz,  Lat.  Pal.  im  Grundriß  der  Geschichtswiss., 
hgg.  v.  A.  Meister  I  (Leipzig  1906)  21 — 130  bietet  eine  gute,  in 
Literaturangaben  und  Beispielen  auch  auf  Einzelheiten  eingehende 
Einführung  (namentlich  für  das  Schriftwesen).  Für  die  erste  Ein- 
führung kann  auch 

26.  H.  Breßlau,  Die  schriftl.  Quellen  der  romanischen  Philo- 
logie.   Gröbers  Grundriß  d.  rom.  Phil.  I2  (1904)  212—253 

genannt  werden  (s.  unten  S.  24),  ebenso  Gundermanns  Berichte 
über  Pal.  und  Hsswesen  (Jahresber.  roman.  Phil.).  Eine  knappe 
Einleitung  enthält  das  Tafelwerk  von 

27.  F.  Steffens,  Lat.  Pal.  Freiburg  1903—6.  XL1I  S.  107  T. 
(Übersicht  über  Bibl.  und  Schreibstoffe  in  der  Anzeige  von  Brandi, 
Gött.  Anz.  1905,  968—971,  wo  auch  Mängel  der  Reproduktion  be- 
rührt werden).  Zur  Besprechung  der  Einleitung  sind  die  anderen 
Tafelwerke  heranzuziehen : 

28.  A.  Chroust,  Monumenta  pal.  11.— 24.  Lief.  München 
1903  ff.  (11.  Wiener  Hofbibl.,  12.  u.  18.  Wiener  Haus-  und  Staats- 
archiv, 14.— 17.  St.  Gallner,  18.  u.  21.— 23.  Bamberger,  19.  u.  20. 
Reichenauer  Hss,  24  Nürnberger  Urkunden). 

29.  Archivio  pal.  Italiano  diretto  da  E.  Monac  i.  19.— 25.  Lief. 
Rom  1903  ff.  (II  62,  66,  73—100;  Index  angekündigt.  HI  43—100. 
V:  Monumenti  epigratici  di  Roma  1—12,  [62,  66].  VI:  päpstliche 
Urkunden  1—13.   VII  1-8). 

80.  Arndt-  Tan  gl,  Schrifttafeln  zur  Erlernung  der  lat.  Pal. 
4.  Aufl.   Berlin  1903  (1)  u.  1906.   45  S.  70  T. 

Die  Erläuterungen  sind  entsprechend  dem  Stande  der  Forschung 
namentlich  in  der  Terminologie  wesentlich  geändert ;  bei  allen  irgendwie 
schwierigen  Stellen  ist  eine  Transkription  beigegeben.  Neu  hinzu- 
gekommen sind  26a :  die  älteste  datierbare  Verwendung  arabischer 
Ziffern  (vgl.  27  S.  XXXIX,  A.  Huemer,  Zur  Einführung  des 
indisch-arabischen  Zahlensystems,  Z.  f.  d.  öst.  Gymn.  LV  1093  bis 
1104,  *M.  Campagne,  De  l'emploi  des  chiffres  dits  arabes  au 
moyen  äge.  Revue  de  r Agenais  XXXI  (1904)  5 — 42  und  unten  zu 
Athen),  30a  Humanistenschrift  (Poggio:  Nachahmung  des  11.  Jh. 
vgl.  27  T.  91),  30c:  Fälschung  des  18.  Jh.,  32a:  von  H.  Breßlau 


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22  Wilh.  Weinberger. 


(Ein  lat.  Empfehlungsbrief.  Archiv  f.  Papyrusf.  III  168 — 172)  heraus- 
gegebener Straßburger  Papyrus,  dessen  Unzialkursive  aus  inhaltlichen 
Gründen  wahrscheinlich  vor  362  anzusetzen  ist,  49  a:  Ostertafel. 

31.  M.  Prou,  Manuel  de  pal.  Recueil  de  facsimiles  du  Ve  an 
XVIIe  siecle  (Mss.  latins,  francais,  proven^aux).  Paris  1904.  IV  S. 
30  T.  mit  Erläuterung  und  Umschrift.  Für  uns  kommen  in  Be- 
tracht: II  (Kapitale:  Prudentius).  1  u.  IV  (ünziale:  Livius,  Vie  de 
S.  Wandrille).  III  u.  V  (merovingische  Schrift:  Lectionarium  Galli- 
canum,  Pergamentstreifen  zur  Bezeichnung  der  Reliquien).  VI,  XI, 
XII,  XVIII  (Minuskel  des  9.— 13.  Jh.:  Ecclesiast.,  Collectio  canonum, 
Augustin). 

32.  Bibl.  Nationale.  Departement  des  Mss.  a)  Histoire  des 
Francs  de  Gr^goire  de  Tours.  Reproduction  röduite  du  ms.  en 
onciale  lat.  1 7  654  de  la  Bibl.  Nat.  —  *b)  Anthologie  des  poetes 
latins  dite  de  Saumaise.  R.  du  ms.  lat.  10  318  de  la  B.  N.  Paris, 
Berthaud  (ohne  Jahreszahl;  Einleitung  von  H.  Omont). 

Zu  dieser  Sammlung,  der  ein  entsprechender  Gesamttitel  fehlt, 
gehören  auch  Bd.  127,  6  und  lat.  Psalter  (Par.  8846,  10  525);  s.  Bibl. 
d.  chartes  LXVI1  593.  In  verkleinertem  Maßstab  (vgl.  Bd.  106, 
*28 ;  Neuauflage  1906),  sind  auch  Proben  aus  einer  Anzahl  von 
Kodizes  gegeben  bei 

33.  R.  Stettiner,  Die  illustrierten  Hss  des  Prudentius. 
Berlin  1905.   200  T. 

Aus  Bibl.  d.  chartes  LXV1I  597  und  Bibliographe  IX  405  habe 
ich  Kenntnis  von  Codices  belgici  selecti  (für  die  Auswahl 
vgl.  auch  5  S.  125 — 138,  280ff.;  eine  Probe  der  Caesarius-Hs  Nr.  11 
T.  28 f.);  vgl.  unten  Nr.  142.  —  Für  nicht  ganz  reine  Kapitale  er- 
weist die  Ähnlichkeit  der  Hälften  von  M  mit  einem  A  als  Fehlerquelle 

34.  L.  Havet,  Les  moitiös  de  M.  Rev.  phil.  XXVIII  (1904)  61». 

35.  F.  W.  Shipley,  Certain  sources  of  corruption  in  Latin 
Mss.  American  Journal  of  Arch.  2  Ser.  VII  (1903)  1—25,  157  bis 
197,  405 — 428,  eine  auf  den  Puteanus  des  Livius  (s.  V)  und  dessen 
Abschrift  (Regin.  s.  IX)  bezügliche  Arbeit,  kommt  ebenso  für  die 
aus  den  Buchstabenformen  der  Unziale  entspringenden  Fehler  wie 
für  fahrlässige  und  absichtliche  Abweichungen  derkarolingischen 
Abschreiber  in  Betracht  (vgl.  die  Anzeige  von  Traube,  Berl. 
phil.  Woch.  1904,  942  f.).  Die  bei  Zahlzeichen  unterlaufenden  Ver- 
sehen (S.  176  ff.)  hatte  Sh.  schon  in  den  *Transactions  and  Proceed- 
ings  of  the  Amer.  Phil.  Assoc.  XXXI11  (1902)  45—54  behandelt. 

Die  runden  Formen  der  Unziale  treten  in  der  diokletianischen 
Zeit  (vgl.  30  S.  4  mit  Hinweis  auf  Bd.  106,  35  T.  13)  an  die  Stelle 


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Bericht  über  Paläographie  und  Handschriftenkunde  (1908-1906).  23 


der  eckigen  Formen  der  Steinschrift.  Die  bei  Hieronymus  (praef.  in 
lob;  für  die  Lesart  initiales  s.  M6m.  pre'sente's  a  l'Acad.  d.  inscr. 
1.  Ser.  XI  2  S.  19)  und  im  5.  Briefe  des  Lupus  von  Ferneres  über- 
lieferte Bezeichnung  unciales  litterae  befriedigt,  wie  Madan  (Class. 
Rev.  XVIII  [1904]  48)  bei  Bekämpfung  von  Aliens  Konjektur:  un- 
cinalis  (ebds.  XVII  387)  zugeben  muß,  nicht  ganz.  Faksimilia  bei 

36.  L.  Traube,  Pal.  Forschungen  IV:  Bamberger  Fragmente 
der  4.  Dekade  des  Livius.  Abh.  d.  bayer.  Akad.  histor.  Kl.  XXIV  1, 
1 — 56.  (S.  28:  Die  Hs  kann  ebensogut  älter  sein  als  das  5.  Jh., 
wie  sie  nicht  jünger  sein  kann  als  das  6.  Jh. ;  für  hohes  Alter  spricht 
auch  die  bei  klassischen  Texten  ganz  seltene  Teilung  in  3  Kolumnen.) 

37.  M.  Vattasso,  Frammenti  d'un  Livio  del  V  secolo  recente- 
mente  scoperti  (Cod.  Vat.  lat.  10  696;  1.  XXXIV).  Studi  e  testi  18 
(1906). 

38.  Iustiniani  Augusti  Digestorum  seu  Pandectarum  codex 
Florentinus  phototypice  expressus.  A  cura  della  commissione  ministe- 
riale  per  la  riproduzione  delle  Pandette.  Rom  1902  ff.  (F  und  R 
sehr  groß,  am  Zeilenende  manchmal  kursives  r  und  s). 

39.  The  Bodleian  Ms.  of  Jerome's  Version  of  the  Chronicle 
of  Eusebius  reproduced  in  collotype  with  an  introduction  by 
J.  K.  Fotheringham.   Oxford  1905. 

Diese  von  Traube  (7  Suppl.  II  S.  11  vgl.  Bd.  127  S.  216)  in 
die  erste  Hälfte  des  5.  Jh.  gesetzte  Hs  dürfte  einer  späteren  Zeit*) 
angehören  (nach  links  verlaufende  Schäfte  bei  P  und  am  Ende  vom  M). 
Daß  die  Rekapitulation  nur  bis  zum  Jahre  442  reicht,  ist  kein  ent- 
scheidendes Argument  und  kommt  mehr  für  den  Archetypus  des  Bodl. 
als  für  diesen  selbst  in  Betracht  (vgl.  auch  die  Anzeige  von  Schwartz. 
phil.  Woch.  1906,  745).  T.  gibt  betreffs  der  Kursivschrift  im  Bodl. 
selbst  zu,  daß  ähnliche  Beispiele  (vgl.  die  Zusammenstellung  kursiver 
Scholienschrift  in  9  VII  S.  25)  eher  dem  6.  Jh.  angehören. 

Es  ist  allerdings  nicht  unmöglich,  daß  neue  Funde  und  Forschungen 
die  Entwicklung  der  Kursive  hinaufrücken  lassen;  dabei  wäre 
zwischen  rechtsgeneigter  Unziale  oder  Halbunziale  und  Kursive  strenger 
zu  scheiden.  Die  Unzialkursive  entwickelte  sich,  wie  schon  bei  Nr.  30 
erwähnt  wurde,  gleichzeitig  mit  der  Unziale.  Wo  äußere  Umstände 
(Raummangel  oder  mangelhafte  Kenntnis  der  lat.  Schrift)  an  die  Stelle 
der  gewöhnlichen  epigraphischen  Formen  die  Kursive,  die  Schrift  der 
Vorlage,  treten  lassen,  zeigen  sich  frühzeitig  Minuskelformen  (b,  m); 

*)  Die  Abkürzungen  DÄD,  1  S  L ,  ILM  (von  denen  S.  63  gesagt  wird, 
dafs  sie  auf  eine  Zeit  und  Gegend  weisen,  in  der  griech.-christl.  Schrift 
direkt  auf  die  lat.  einwirkte)  möchte  ich  hiefür  nicht  anführen. 


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24 


Wilh.  Weinberger 


vgl.  27  T.  11,  12;  29  V  3  b  (De  Rossi  Inscr.  Christ,  urbis  Romae 
I  50  aus  dem  Jahre  338),  5  ff.  (C  I  L  III  459  a.  362,  Sappl. 
S.  1913:  edict.  Dioclet.  aus  Platää;  Faksimile  auch  Pal.  Soc.  II 
127  f.).  Faksimile  der  kursiven  Inschrift  CIL  III  14  206  83  (Suppl. 
2316 48)  bei  Lambros,  N.  H.  II  277,  503. 

Für  die  Übergangsschrift  en  von  der  Kursive  zur  Minuskel 
hat  T a n g  1  die  Bezeichnung  Kursiv-Minuskel,  Steffens  Halb- 
kursive vorgeschlagen;  lotztere  scheint  wegen  der  Analogie  zu 
Ualbunziale  den  Vorzug  zu  verdienen.  Sowohl  dieÜbergangsschriften 
als  auch  die  Minuskel  sind  lokal  differenziert,  und  Bezeichnungen  wie 
westgotisch  (vgl.  unten  zu  Wolfenbüttel),  merovingisch ,  die  nicht 
leicht  ausgemerzt  werden  können,  bringen  es  wohl  mit  sich,  daß 
Steffens  S.  VIII  noch  immer  von  National  Schriften  spricht,  „nicht 
als  ob  sie  von  den  Nationen  erfunden  worden  wären,  sondern  weil 
sie,  wie  gesagt,  nationale  Eigentümlichkeiten  haben."  Der  von  Traube 
wiederholt  (auch  36  S.  24  ff.)  bekämpfte  Mißbrauch,  der  besonders 
mit  der  Bezeichnung  langobardisch  getrieben  wurde,  indem  man 
sie  auf  insulare  Schrift,  auf  jede  eigentümliche  (s.  auch  11,  T.  28  ff., 
28  XVII  6  u.  7)  und  überhaupt  auf  jede  Minuskel  bezog,  hat  zur 
Folge,  daß  die  durch  Brechungen  und  Einkerbungen  charakterisierte 
Schrift  (27  T.  62,  28  XXIII  1—3,  29  III  65—73,  36  S.  8  und  11) 
jetzt  langobardisch-beneventanisch  oder  montecassine- 
sisch-beneventanisch  genannt  wird;  besser  wäre  wohl  die 
von  Breßlau  (26  S.  215)  vorgeschlagene  Bezeichnung:  süd- 
italienisch.  In  der  Einleitung  zum  Fronto-Palimpsest  (7  IX 
S.  21  f.)  wird  allerdings  bei  Besprechung  der  kursiven  und  halb- 
kursiven Bücherschrift,  die  bereits  Elemente  der  sogenannten  National- 
schriften  enthalte,  behauptet,  langobardische  Schrift  sei  auch  in  Nord- 
italien üblich  gewesen.  Es  dürfte  sich  aber  nur  um  insulare  Ele- 
mente handeln,  die  aus  der  Mischschrift  von  Bobbio,  auf  die  wir 
noch  zurückkommen,  in  die  süditalienische  aufgenommen  wurden.  Für 
den  Augiensis  CIX  s.  den  unten  bei  Karlsruhe  angeführten  K.  („Bene- 
venter  Vorlage  s.  VI")  und  die  dort  verzeichnete  Literatur. 

Für  die  insulare  Schrift  (die  aus  der  Halbunziale  hervor- 
gegangen ist,  vgl.  27  u. 

40.  W.  Keller,  Angelsächs.  Pal.  Palaestra  XLIII  (Berlin  1906) 
1  [Einl.  besonders  S.  18;  die  Tafeln  bieten  nur  angelsächs.  Texte]) 
und  ihre  Bedeutung  in  der  Überlieferungsgeschichte  s.  *Ch.  U.  Clark, 
The  text  tradition  of  Ammianus  Marcellinus.  New  Häven  1904  (An- 
zeige von  Schickinger,  N.  phil.  Rundsch.  1904,  344 — 347), 
Traube,  Die  Überlieferung  des  A.  M.  MClanges  Boissier  (Paris 


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Bericht  über  Paläographie  und  Handschriftenkunde  (1903—1906).  25 


1903)  443—448  (u.  oben  Nr.  36  S.  24 ff.),  P.  v.  Winterfeld, 
Wie  sah  der  Codex  vetustissimus  des  Horaz  aus?  Rh.  Mus.  LX 
(1905)  31 — 37,  H.  M.  Bannister,  Some  recently  discovered  Frag- 
ments of  Irish  Sacramentary.  JThSt  V  (1904)  49—75  (Augiensis 
CLXVI1  vielleicht  aus  Peronne,  Hs  von  Piacenza),  11  T.  32—34, 
91  X.  3  und  das  Faksimile  des  Voss.  Q.  lat.  69  bei  Hessels, 
A  late  eight- Century  Latin-Anglo-Saxon  Glossary  preserved  in  the 
Library  of  the  Leiden  University.  Cambridge  1906  (die  Erläuterung 
S.  XI  ist  durchaus  nicht  einwandfrei). 

Man  kann  vor  und  nach  der  karolingischen  Reform  einzelne 
Schreibschulen  zu  unterscheiden  versuchen,  aber  man  muß  sich  gegen- 
wärtig halten,  daß  auch  zur  selben  Zeit  und  an  demselben  Orte 
individuelle,  schon  durch  das  verschiedene  Lebensalter  der  Schreiber 
gegebene  Unterschiede  bestehen  (vgl.  die  St.  Gallner  IIss  bei 
Chroust;  die  Winithariusfrage  XIV  1  bedarf  einer  nochmaligen 
Untersuchung,  patrare  XV  6  u.  7  ist  nicht  auf  das  Schreiben  zu 
beziehen)  und  daß  Mischschriften  nicht  ausbleiben  konnten.  Für 
den  Ragyndrudis-Codex  in  Fulda,  der  merovingische  und  insulare 
Eigentümlichkeiten  zeigt,  s.  unten  Nr.  91  (Faksimile  u.  Erläuterungen). 
Die  irischen  Schreiber,  sagt  Steffens  S.  XIV  (vgl.  T.  25),  wurden 
von  der  Schrift  des  Landes,  in  der  sie  lebten,  beeinflußt.  Traube 
spricht  (36  S.  17)  von  Schreibern,  die  in  Bobbio,  dieser  Stätte  halb 
irischer,  halb  italienischer  Kultur,  ihre  kalligraphische  Schule  durch- 
laufen hatten  (vgl.  Madans  K.  zu  28  717  [Bodl.  Add.  C  152])  und 
gewiß  spielt  außer  Heimat  und  Bildung  der  Schreiber  und  dem  Wechsel 
ihres  Aufenthaltsortes  auch  die  jeweilige  Vorlage  eine  Rolle. 

Steffens  ist  der  Ansicht,  daß  die  Verwendung  tironischer  und 
juristischer  Noten  zu  Abkürzungen  der  gewöhnlichen  Schrift  nicht 
den  Iren  überhaupt,  sondern  den  Iren  in  ßobbio  zuzuschreiben  sei; 
eine  ähnliche  Auffassung  einiger  Ligaturen  s.  in  141  S.  168;  gleich 
den  Abkürzungen  und  Ligaturen  kommen  für  Schreibschulen 
auch  orthographische  Eigentümlichkeiten  und  künstlerische  Aus- 
schmückung in  Betracht.  Von  der  bei  Chroust  angeführten 
kunsthistorischen  Literatur  sei  hervorgehoben: 

41.  G.  Swarzenski,  Reichenauer  Malerei  und  Ornamentik 
im  Übergang  von  der  karolingischen  zur  ottonischen  Zeit.  Repert. 
f.  Kunstw.  XXVI  (1903)  389—410,  476—495. 

Für  die  Schritt  von  Corbie  s.  30  S.  3,  für  die  von  Luxe uil 
36  (S.  15)  und  91,  für  die  Schreibschulen  von  Farfa  u.  Subiaco 
29  (II  76—82)  und  130.    Die  von 

42.  V.  Lazzarini,  Scuola  calligrafica  veronese  del  secolo  IX. 


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20 


Wilb.  Weinberger. 


Memorie  del  R.  Istituto  Veneto  XXVII  (1904)  14  S.  8  T.  aus  den 
Veron.  16,  86  u.  106  angeführten  Eigentümlichkeiten  scheinen  zu 
wenig  charakteristisch ;  der  weiteren  Entwicklung  der  angenommenen 
Schule  werden  16  Hss  zugeschrieben. 

43.  W.  C.  F.  Walters,  On  some  symbols  of  Omission  in  Livian 
Mss.  Class.  Rev.  XVII  161  f.  bringt  Stellen  bei,  an  denen  his  oder 
haud  aus  h(ic)  s(upple),  bezw.  h(ic)  d(eest)  entstanden  sei. 

44.  R.  Kau  er,  Die  sogenannten  Neumen  im  Codex  Victorianus 
des  Terenz.  Wiener  Stud.  XXVI  (1904)  222—227  erklärt  die  frag- 
lichen Zeichen  als  Konstruktionshilfen;  für  kritische  Zeichen  vgl.  27 
T.  18  und  43. 

Zeretelis  Arbeit  über  die  Abkürzungen  in  den  griech. 
Hss  (Bd.  98,  654)  ist  1904  in  2.  Auflage  erschienen  (Schriften 
[Zapiski]  d.  russ.  archäol.  Gesellsch.  3.  Bd.  d.  klass.  Abteil.).  Die 
Tafeln  sind  ohne  Kenntnis  der  russischen  Sprache  benutzbar.  Einen 
Auszug  aus  der  Einleitung  gibt  Wessely,  Arch.  Sten.  LVI  137  bis 
139.  Diesen  habe  ich  verwertet  in  einem  zusammenfassenden  Berichte: 

45.  Aus  dem  Archiv  für  Stenographie.  Berl.  phil.  Woch.  1907, 
60 — 62,  93 — 95,  125 — 128,  auf  den  ich  für  alle  Arbeiten  verweise, 
welche  die  Anwendung  antiker  Schnellschrift  behandeln.  Die 
einleuchtende  Bemerkung  von  Gardthausen  (Tachygraphie  oder 
Brachygraphie  d.  Akropolis-Steines.  Arch.  Sten.  LVI  81 — 84),  daß 
sich  mit  dem  Akropolissystem  vielleicht  Raum-  aber  nimmer- 
mehr Zeitersparnis  erzielen  ließ,  erlaubte,  von  den  Arbeiten  von 
Chr.  Johnen  (Maßgebliches  und  Unmaßgebliches  zur  Kurzschrift 
des  Akropolis-Steins.  Arch.  Sten.  LV  35—49),  W.  Larfeld  (Handb. 
d.  griech.  Epigraphik  II  537  ff.,  Korrespondenzbl.  d.  k.  stenogr.  In- 
stituts zu  Dresden  L  53 — 58,  84 — 91),  A.  Mentz  (Gitlbauer  und 
die  Erforschung  der  griech.  Tachygraphie.  Korrespondenzbl.  49, 
171—179;  vgl.  50,  4—11,  152—155)  und  K.  Riesenfeld  (ebds. 
49,  303—306;  50,  147—152)  abzusehen.  Die  resultatlos  verlaufen- 
den Erörterungen  über  Stenogramme  im  Neuen  Testament  (Arch. 
Sten.  LV  130—132,  215)  wurden  absichtlich  übergangen.  Die  er- 
haltenen Reste  griech.  Tachygraphie  sind  zusammengestellt  in  dem 
orientierenden  Überblick  von 

46.  V.  Gardthausen,  Geschichte  d.  griech.  Tachygraphie. 
Arch.  Sten.  LV1I  1—10,  49—56,  der  S.  51  f.  (vgl.  S.  206)  Gassisis 
(oben  Nr.  17)  Aufstellungen  ül  er  die  tachy graphische  Tätigkeit  des 
h.  Nilus  mit  Recht  zurückweist.  Auch  die  Bezeichnung:  Grotta- 
ferratasy stein  läßt  sich  nicht  aufrecht  erhalten  (vgl.  18  S.  525). 

47.  J.  W.  A 1 1  e  n ,  Two  taehygraphical  notes.  Class.  Rew.  XX  349 


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Bericht  über  Paläographie  und  Handsthriftenkunde  (1903—1906).  27 

weist  auf  die  Abkürzung  der  Formen  von  ct&tfo  durch  die  Endung  mit 
darübergesetztem  Strich  (in  Hss  des  9.  und  10.  Jh.)  und  auf  eine 
bisher  ausgelassene,  tachygraphisch  geschriebene  Stelle  eines  gramma- 
tischen Traktats  (Barocc.  50  s.  X/Xl)  hin. 

Die  tach)  graphischen  Eintragungen  am  Schlüsse  griech.  Papyrus- 
urkunden (oben  Nr.  12  III)  haben  gewiß  nicht  schnellschriftlichen 
Zwecken  gedient;  St.  Waszynski,  Die  Bodenpacht.  Leipzig  und 
Berlin  1905,  S.  41,  sieht  darin  ein  Idiogramm  oder  Kanzleizeichen 
des  Notars.  Für  tironische  Noten  in  Urkunden  (s.  Steffens 
S.  XXXI:  Zu  den  ältesten  erhaltenen  tir.  Noten  gehören  die  in  den 
merovingischen  Urkunden  des  7.  u.  8.  Jh.)  verzeichne  ich  in  Er- 
wartung der  (N.  Archiv  XXXII  10)  angekündigten  zusammenfassenden 
Arbeit  von  Tan  gl  die  Aufsätze  und  Notizen:  Bibl.  d.  chartes  LXV 
364,  LXV1  361,  661.  Arch.  Sten.  LVI  301,  390,  Le  Moyen  ige 
1901,  407;  1904,  478;  vgl.  auch 

48.  E.  Chatelain  und  A.  Spagnolo,  La  tachygraphie  latine 
des  mss.  de  Vörone.  Revue  XV  (1905)  339 — 358  (mit  autographierten 
Tafeln  und  Index  der  tachygraph.  Zeichen;  s.  Bd.  127,  45),  wo  am 
Schlüsse  ausgeführt  wird,  es  habe  schon  im  8.  Jh.  eine  Silbenschrift 
gegeben,  die  mehr  krypto-  als  tachygraphisch  gewesen  sei  und 
jedenfalls  bei  der  Entzifferung  von  Urkunden  helfe.  Für  die  Ver- 
wendung der  commentarii  notarum  Tironianarum  in  der 
Karolingerzeit  und  den  im  Paris.  1597  A  aufgefundenen  Kommentar 
verweise  ich  auf  45  S.  126;  die  Angaben  von  A.  Mentz,  Die 
Stenographie  zur  Zeit  der  Karolinger.    Arch.  Sten.  XV  225—235 

■ 

sind  meist  sekundär.  Für  die  literarischen  Quellen  der  commentarii 
s.  Breidenbach,  ebds.  97 — 104,  193 — 208.  Von  Hss  mit  einzelnen 
tironischen  Noten  sind  zu  nennen  Tours  10,  106,  286,  334. 

49.  E.  Chatelain,  Le  ms.  d'Hygin  en  notes  tironiennes. 
Revue  XIII  (1908)  224—228  (vgl.  auch  Comptes  rendus  de  PAcad. 
des  Inscr.  1903,  169 — 174)  glaubt  eine  von  Bembo  erwähnte  Hs 
(de  sideribus)  im  Ambros.  M  12  sup.  wiederzuerkennen.  Aus  einem 
anderen  Teile  dieses  Ambros.  (Beda)  gibt  27  T.  48  eine  Probe;  vgl.  für 
tir.  Noten  noch  27  T.  37,  57,  102  u.  103,  9  VII  S.  24  f.,  30  T.  15a, 
für  Abkürzungen  in  lat.  Hss  oben  S.  23  (A.  1)  und  25. 

Dem  in  45  vorgelegten  Materiale  für  die  Anwendung  der  D  i  k  t  a  t  - 
Stenographie  zu  amtlichen  und  literarischen  Zwecken  (1. — 6.  Jh.) 
habe  ich  nur  eine  Bemerkung  über  die  Bd.  127,  55  erwähnte  Grab- 
schrift des  Xanthias  hinzuzufügen.  Nach  Wiederauffindung  des 
Steines  ergab  sich,  daß  die  Inschrift  nicht  dem  1.  oder  2.,  sondern 
dem  3.  oder  4.  Jh.  angehört.    Von  den  Erklärungen  fraglicher  Stellen 


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28 


Wilh.  Weinberger. 


wäre  die  von  Rubensohn*),  daß  sich  der  Vers  iam  nemo  superaret 
legens  auf  stenographische  Tätigkeit  beim  Exzerpieren  bezieht, 
von  allgemeinerem  Interesse,  wenn  sie  ausreichend  begründet  wäre, 
ebenso  die  von  Bücheler  und  Klinkenberg  (vgl.  noch  Arch. 
Sten.  LVI  168  ff.),  die  an  der  Stelle  iam  voce  erili  coeperat  ad  omne 
dictatum  volans  aurem  vocari  ad  proximam  die  Worte  aurem  ad 
proximam  zu  dictatum  (=  epistulam)  ziehen  und  so  eine  stenographische 
Korrespondenzschrift  annehmen.  Daß  eine  solche  durchaus 
unw  ahrscheinlich  ist,  kommt  für  die  Erklärung  von  Cic.  ad  Att.  XIII 
82  in  Betracht  (45  S.  126  f.);  für  die  von  Preisigke  mit  Unrecht 
herangezogenen  Papyri  vgl.  jetzt  auch  Archiv  f.  Papyrusforsch.  IV  259. 
Für  den  Übergang  von  der  Rolle  zum  Kodex  sind  anzuführen: 

50.  G.  A.  Gerhard  und  0.  Graden witz,  Ein  neuer 
juristischer  Papyrus  der  Heidelberger  Universitätsbibl.  Neue  Heidelb. 
Jahrb.  XII  (1903)  141—183  (vgl.  Birt,  Buchrolle  in  der  Kunst. 
1907). 

51.  L.  De  Ii  sie  und  L.  Traube,  Un  feuillet  retrouve  du 
recueil  6crit  sur  papyrus  de  lettres  et  de  sermons  de  Saint-Augustin. 
Bibl.  d.  chartes  LXIV  (1903)  453—480. 

52  u.  53.  S.  Lambros,  La  stele  d'un  orthographe.  Comptes 
rendus  du  congres  international  d'arche'ol.  I.  Athen  1905,  192  f.  — 
Ai  avaaxa^at  toü  Flava&r(vatxoD  staStou  xat  7j  arr^Xr,  toö  ttpffofpdyoo. 
N.  H.  II  266  ff.  (III  256  Bemerkung  zum  Text  von  Tsountas). 

Der  Anzeige  von  50  Berl.  phil.  Woch.  1904,  1107  füge  ich 
betreffs  der  Stelle,  durch  die  Gerhard  Pergamentkodizes  des  Apostels 
Paulus  erweisen  will:  2  Tim.  4,  13,  einen  Hinweis  auf  Soltau, 
N.  Jahrb.  XXIII  22  f.  hinzu ,  der  die  Briefe  an  Timotheus  um  120 
ansetzt,  ferner  auf  Basilius  des  Großen  231.  Brief  (M  32,  861  g; 
angeführt  von  A.  Schramm,  Korrespondenzbl.  d.  sten.  Instit.  zu 
Dresden  XLVIII  244),  wo  Niederschrift  Iv  xqraQ  und  h  <ja>}iattq> 
gegenübergestellt  wird,  also  Papyrus  und  Pergamentkodex ;  über  Ver- 
luste beim  Übergang  von  der  Rolle  zum  Kodex  vgl.  unten  Nr.  65. 
Die  wenigen  erhaltenen  Papyruskodizes  des  6.  u.  7.  Jh.  sind  in 
51  erwähnt  (die  Wiener  Ulpianfragmente  sind  auf  Pergament),  ein 
Doppelblatt  eines  alten  griech.  Papyruskodex  (Ignatius)  von  Harn ack, 
Thcol.  L.Z.  1906,  596  f.;  für  die  Seltenheit  der  Buchschrift  auf  Papyrus 
im  5.  Jh.  s.  auch  14  S.  13  f.  —  Die  Stele,  die  einen  aufrecht- 
stehenden Jüngling  mit  einem  Kodex  zeigt,  wird  ins  2.  Jh.  gesetzt; 

*)  Arch.  Sten.  I.III  104—110.  Korrespondenzbl.  L  119—124;  vgl. 
Johnen,  Arch.  Sten.  Uli  51  f.,  Die  Stenographie  im  alten  Köln  (Schrift, 
d.  sten.  Ges.  zu  K.  2)  K.  1904,  J.  Klinkenberg,  Arch.  Sten.  L1II  57— 64. 


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Bericht  über  Paläographie  und  Handschriftenkunde  (1903—1906).  29 


sollte  sich  das  ^pöo-ypasp&v,  das  L.  (52  u.  53)  ohne  Belege  im  Sinne 
von  ßißXiOYpacpo?  nimmt,  auf  das  Aufrechtstehen  beziehen?  L. ,  der 
sowohl  literarische  Belege  als  Denkmäler  berücksichtigt,  gibt  auch 
Zusammenstellungen  für  Wachstafeln,  xiaxcu  und  Mapai.  Für  Holz- 
tafeln  nenne  ich  Bull.  Corr.  Hell.  XXVIII  207,  Philol.  LXIV  146, 
Oxford  Nr.  31079  u.  32409;  für  Blei,  ohne  auf  Bleitesserae  und 
Fluchtäfelchen  eingehen  zu  wollen,  A.Wilhelm,  Der  älteste  griech. 
Brief  (4.  Jh.  v.  Chr.).  Jahreshefte  des  öst.  archäol.  Instituts  VII 
(1904)  94 — 104.  J.  Wiesner,  Ein  neuer  Beitrag  zur  Geschichte 
des  Papiers.  Wien.  S.-Ber.  CXLVIII  (1904)  VI,  bezieht  sich  zu- 
nächst auf  ostasiatische  Papiere.  Bei  der  von  Crum  (in  den  Proceed- 
ings  der  Society  of  Biblical  Archaeology  XXVII  166—171)  ver- 
öffentlichten koptischen  Anweisung  für  Pergame ntbereitung  handelt 
es  sich  um  geringe,  schwer  zu  deutende  Fragmente;  vgl.  6,  den  106. 
Brief  des  Maximus  Planudes  (S.  142  ed.  Treu):  xo  xäv  xexpotöoiv 
iic£|4^o|iev  uixpov,  u>«  8uo  xoiaGxa  xt4v  {lefißpdvTjv  iroteiv  u.  für  xexpa'c 
45,  S.  94.  Von  63  Lagen  der  Wiener  Dioskurides-Hs  (7  X)  be- 
ginnen nur  fünf  mit  der  Haarseite :  auch  Störungen  der  üblichen  Auf- 
einanderfolge je  zweier  Haar-  oder  Fleischseiten  kommen  nur  in  fünf 
Lagen  vor.  Links  oben  auf  der  ersten  Seite  einer  Lage  findet  sich 
oft  ein  Kreuz  oder  eine  Gebetsformel,  vgl.  8  S.  9,  39  S.  27.  Zu- 
sammenstellung der  lat.  Palimpseste  (s.  auch  9  VII)  bei 

54.  E.  Chatelain,  Les  palimpsestes  latins.  Ecole  pratique 
des  hautes  etudes.  Section  des  sciences  histor.  et  philol.  Annuaire 
1904,  5 — 42.  —  Aus  dem  Vat.  914  s.  XV  wird  eine  axeuaoia  uiXavoc. 
xtvvaßapeaK  xal  xaxaaxaxou  veröffentlicht  N.  H.  I  370  f. ;  ebds.  I  242  f. ; 
Bemerkungen  über  £-iYpa<peuc(rubricator),  £puöpoYpa<poc,  itpaatvofpacpoc, 
XpoaoYpa'^oc.  Von  einer  Tinte,  die  unsichtbar  und  wieder  sichtbar  gemacht 
werden  kann,  handeln  Philo,  Bclop.  102,  31  (ed.  Schöne,  Berlin  1893), 
Aen.  Tact,  31,  10,  Leo  strateg.  I  2.  In  einem  andern  Werke  Philos 
(Notices  et  extraits  XXX VIII  1,  195)  ist  von  einem  durch  Ringe 
drehbaren  Schreibzeug  die  Rede,  in  das  man  von  jeder  Seite 
eintauchen  kann ;  für  ein  kunstvolles  byzantinisches  Tintenfaß  s.  C.ß. 
XXH1  171  (L'Arte  IX  35).  Anweisungen  für  den  Schreiber 
finden  wir  in  St.  Gallner  Hss  (28  XV  8,  9,  XVII  9).  Nicht  bloß 
Anweisungen ,  sondern  auch  Skizzen  für  Bilder  (vom  chef 
d'atelier)  weist  nach 

55.  H.  Martin  a)  Observations  sur  la  technique  de  l'illustra- 
tion  des  livres  au  moyen  äge.  Comptes  rendus  de  TAcad.  d.  inscr. 
1904,  121 — 132.  —  b)  Les  esquisses  des  miniatures.  Rev.  archeol. 
4.  Ser.  IV  17—45;  vgl.  7  (X  S.  50,  Suppl.  III  39)  u.  96. 


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30 


Wilh.  Weinberger. 


56.  I.  Guareschi,  Osservazioni  sul  De  arte  illuminandi.  Atti 
d.  R.  Accad.  di  Torino  XL.  Scienze  fisiche  663 — 690  (zu  einer 
Arbeit  über  die  Farben  der  Alten  erweitert  in  *Storia  della  Chi- 
mica  V  —  Turin  1903  —  238—402;  vgl.  Bd.  98,  722  f.,  Revue 
Belg.  III  504  und  den  von  C.  Mazzi,  Rivista  delle  bibl.  XVII  31  bis 
50  aus  dem  Riceardianus  1246  s.  XV  veröffentlichten  trattatello  di 
Frate  Domencio  Baffo  Del  modo  di  comporre  l'azzurro  oltramarino). 

Photographien  von  Miniaturen*)  sind  verzeichnet  in 

*57.  G.  Millet,  La  collection  Chretienne  et  Byzantine  des 
hautes  Stüdes.    Paris  1903. 

Für  einzelne  Schreiber  sind  anzuführen  N.  H.  I  43,  209,  334; 
II  203,  299;  III  123,  Nachträge  zu  Bd.  127,  90  in  der  *'EiteTrjpt? 
toG  LlapvaocJoO  VIII  (1904)  49-62, 

58.  2.  IL  Aau.irp6c,  cEXXtjvi8s>  ßtßXiofpa'f  ot  xai  xuptat  xeuÖixaiv 
xata  to'j^  uiaou?  ai&va?  xol  l-t  Toupxoxpaxta?.  Athen  1903  (Sd.  aus 
'KweTTjpfc  xoD  'EÖv.  UaveRtarr^i'oo).    36  S. 

59.  M.  R.  James,  The  Scribe  of  the  Leicester  Codex.  JThSt 
V  (1904)  440-447.  -  Zu  58  Nr.  2  gibt 

60.  A.  Papadop ulos-Kerameus,  'AvuTrapxto?  xu>öt£  Maptac 
ßaaiXtaaijc  toO  800oö  stouc.  B.Z.  XIV  (1905)  260—270  eine  wich- 
tige Berichtigung,  N.  A.  Bees  im  *NoixtXov  ^jxepoX^iov  xf(c  oe- 
airotvßo?  Kativa?  T.  'HXiaxo7to(jXoü  (Athen  1905)  Ergänzungen.  — 
James  erkennt  im  Voss,  graec.  56  (Demosth.,  Äschin.,  Plato)  die 
Schrift  des  Leicestrensis  (69  of  the  Gospels),  die  Rendel  Harris 
(The  origin  of  the  Leicester  Codex  1887,  Further  Research  into  the 
Ferrar  Group  1900)  auch  in  zwei  Psaltern  (Gonvill  and  Caius  Coli. 
348,  Trinity  Coli.  314)  und  zwei  Durhamer  Hss  (C  1  15  Aristot., 
C  IV  2  Plato)  nachgewiesen  hat.    Der  Voss,  wurde  aber  nach  der 


*)  Für  Miniaturhss  s.  2,  6,  7  (zum  8.  Bande  vgl.  Jahrb.  d.  archäol. 
Instituts  XVIII  93,  Harvard  Studio  XIV  36—172  und  O.  Engelhardt. 
Die  Illustrationen  der  Terenzhss.  Jena  1905),  9  f.,  14,  15,  28,  41,  75  f.,  120. 
122  f.  (andere  Arbeiten  von  Muüoz  sind  Revue  XV  383  verzeichnet),  135. 
endlich  London,  ferner  O.  Wülfte  eingehenden  Bericht  über  I).  Ainalow, 
Die  hellenistische  Grundlage  der  byzantinischen  Kunst  (Petersburg  1901,  russ.) 
im  Repert.  f.  Kunstw.  XXVI  (1903)  1:$5— 155,  Atene  e  Roma  1905  ,  295; 
E.  Bertaux,  L'art  dans  l'Italie  meridionale.  Paris  1904;  J.  Ebersolt. 
Miniaturen  byzantins  de  Berlin  Hamilton  246  s.  X).  Rev.  archäol  4.  Ser.  VI 
(1905)  55— 70,  lliersemannb  K.  330  (Mss.  des  Mittelalters  und  spaterer 
Zeit.  Leipzig  1900);  i}.  Schlumberger,  L'cpopee  Byzantine.  Paris  1896 
bis  1905.  *V.  Vulten,  La  miniatura  sulla  pergamena.  Corso  teorico-pra- 
tico.  Turin  1905.  Die  für  Ende  1906  angekündigte  Reproduktion  des 
Oktateuchs  des  Serails  (B.Z.  XIV  671,  XV  712)  hat  mir  nicht  vorgelegen. 


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Bericht  über  Paläographie  und  Handschriftenkunde  (1903—1906).  31 

Subskription  von  Emanuel  von  Konstantinopel  1468  geschrieben  und 
dem  Erzbischof  George  Neville  von  York  zum  Geschenk  gemacht. 

Notizen  über  antike  Bibl.  in  Delphi,  Ephesus  und  Rom  s.  C.B. 
XXI  458  f.;  für  Rom  vgl.  Grisar,  Civiltä  cattolica  18.  Ser.  VI  717 f., 
VII  715—723  (ebds.  VIII  463—477  u.  Z.  f.  kath.  Theol.  1903, 
131—138  über  die  ältesten  christl.  Bibl.),  Hirschfeld,  Die  kaiserl. 
Verwaltungsbeamten 2  (Berlin  1905)  298  ff. 

61.  R.  Heberde y,  Vorläufiger  Bericht  über  die  Ausgrabungen 
in  Ephesus.  Jahreshefte  d.  öst.  archäol.  Instituts  VIII  Beiblatt 
61  ff.,  stellt  (vgl.  Mitteil.  d.  öst.  Vereins  f.  Bibl.  X  97,  Comptes 
rendus  du  congres  d'arche'ol.  [Athen  1905]  186)  eine  eingehende 
Untersuchung  über  antike  Bibliotheksgebäude  mit  Berücksichtigung 
von  Pergamum,  der  Hadrianstoa  in  Athen  und  der  Funde  von  Timgad 
(vgl.  Nr.  63)  in  Aussicht. 

62.  0.  M.  R.  Blomfield,  L'emplacement  du  musäe  et  de  la 
bibl.  des  Ptolemees.  Bull,  de  la  Soc.  archäol.  d'Alexandrie  N.S.  1 
(1904)  15—26  (27  ff.  englisch)  bietet  einen  auch  Rev.  archäol.  4 
II  (1848)  758  (vgl.  phil.  Woch.  1907,  352)  und  von  Botti,  Plan  de 
la  ville  d'Alexandrie  (1898)  veröffentlichten  Fundbericht.  1847  wurde 
ein  Steinblock  von  rechteckiger  Form,  171/*  Zoll  lang,  151/*  Zoll  breit, 
mit  einer  rechteckigen,  10  Zoll  langen,  8  Zoll  breiten  und  3  Zoll  tiefen 
Aushöhlung  gefunden;  aus  der  Aufschrift  A10CK0P1  AI  IC  1 T0MOI  wurde 
geschlossen,  daß  er  zur  Aufnahme  von  Papyrusrollen  bestimmt  war. 
Minder  wichtig  sind  die  Bemerkungen  von  Lumbroso  (Rendiconti  d. 
Accad.  d.  Lincei  XII  311 — 816)  über  unterschiedslosen  Gebrauch  von 
JüißXiofhgxr,  und  dp^stov,  die  Erwähnung  einer  Bibl.  in  Alexandrien  in 
syrischen  Texten  des  7.  Jh.  und  die  neuerliche  Widerlegung  der 
Fabel  von  der  Bibliotheksverbrennung  durch  die  Araber  (vgl.  Bd.  106, 
188)  bei  A.  J.  Butler,  The  Arab  conquest  of  Egypt.  Oxford  1902 
(Anzeigen  B.Z.  XII  607,  Revue  archeol.  4.  Ser.  III  455). 

63.  R.  Cagnat,  Les  bibl.  municipales  dans  l'empire  Romain. 
Memoires  präsentes  ä  l'Acad.  d.  Inscr.  XXXVI11  1  (1906;  s.  C.B. 
XXIV  118). 

64.  Tn.  Schermann,  Griech.  Iissbestände  in  den  Bibl.  der 
christl.  Kulturzentralen  des  5. — 7.  Jh.  Oriens  Christianus  IV  (1904) 
151 — 163  stellt  hauptsächlich  nach  Konzilsakten  Hss.  von  Alexandrien, 
Antiochien,  Jerusalem,  Konstantinopel  und  Rom  zusammen.  Hieran 
schließe  ich  (vgl.  Bd.  127,  71)  einen  Hinweis  auf  M.  Roger, 
L'euseignement  des  lettres  classiques  d'Ausone  a  Alcuin.  Paris  1905, 
206,  268—273,  388—398  (griech.  Kenntnisse  der  Iren;  vgl. 
N.  Archiv  XXXI  784),  und  auf  J.  Gay,  L'Italie  mendionale  et 


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32 


Wilh.  Weinberger. 


l'empire  Byzantin  (867 — 1071).  Bibl.  des  fcoles  francaises  d'Athenes 
et  de  Rome  90  (1904)  242  (im  9.  Jh.  sind  in  Neapel  griech.  Schreiber 
zu  finden,  in  Rom  sehr  selten).  Für  textkritische  Tätigkeit  der 
Byzantiner  vgl. 

65.  J.  M  e  w  a  1  d  t ,  Maximus  Planudes  und  die  Textgeschichte 
der  Biographien  Plutarchs.  Berl.  S.-Ber.  1906,  824—834;  für  die 
Überlieferungsgeschichte  des  Livius  36  S.  15  ff.,  für  J.  E.  Sandy s , 
A  History  of  Classical  Sholarship  from  the  sixt  Century  b.  Chr.  to 
the  End  of  the  Middle  Ages.  Cambridge  1903  (S.  594—650:  The 
mediaeval  Copyists  and  the  Classics;  Hss  und  Bibl.  im  Index)  Traube s 
Anzeige  der  *2.  Auflage:  DLZ  1907,  334. 

Inventare  griech.  Hss  aus  dem  Mittelalter  und  späterer 
Zeit  werden  im  N.  H.  I  213,  295  behandelt.  G.  Meier  gibt  Nach- 
träge zu  Gottlieb:  C.B.  XX  89,  161;  ebds.  221  regt  F.  Eichler 
eine  Quellensammlung  zur  Geschichte  der  deutschen  Bibl.  (750  bis 
1815)  an;  dabei  wird  auch  die  bereits  im  Gange  befindliche  Heraus- 
gabe der  österreichischen  mittelalterlichen  K.  durch  die 
Wiener  Akademie  erwähnt.  Diese  Arbeit  wird  in  Verbindung  mit 
anderen  Akademien  weiter  ausgedehnt  werden.  Daher  glaube  ich 
mich  nach  Anführung  von  M.  Manitius,  Zur  Überlieferungsgeschichte 
mittelalterlicher  Schulautoren.  Mitteil.  d.  Ges.  für  deutsche  Schul- 
gesch.  XVI  (1906)  35—49,  232—277  (vgl.  Woch.  f.  kl.  Phil.  1907,  267) 
auf  einige  wenige  Inventare  beschränken  zu  dürfen ;  ich  greife  heraus : 

66.  A.  Sorbelli,  La  bibl.  capitolare  della  cattedrale  di  Bo- 
logna nel  secolo  XV.  Atti  e  memorie  d.  R.  deputazione  di  storia 
patria  per  le  provincie  di  Romagna  3.  Ser.  XXI  (1903)  493 — 016, 

67.  M.  R.  James,  The  Ancient  Libraries  of  Canterbury 
and  Dover.   Cambridge  1903.   XCV,  552  S., 

68.  G.  Morin,  Le  c.  des  mss.  de  l'abbaye  de  Gorze  au  Xle 
siecle.  Revue  B6n£dictine  XXII  (1905)  1 — 11  u.  z.  66  wegen  der  Be- 
ziehung auf  den  bibliographischen  Kanon  Tommaso  Parentucellis 
(Nikolaus  V;  vgl.  70  S.  200),  67  wegen  der  Ergebnisse  für  die  An- 
ordnung mittelalterlicher  Bibl.  und  wegen  der  Identifikationen  (für 
übersichtlichere  Darstellung  vgl.  Bayot,  Revue  Belg.  II  234),  68 
wegen  des  Alters  und  der  Reichhaltigkeit  des  Inventars  (Klassiker, 
seltene  oder  unbekannte  Patristica).    Endlich  sei 

69.  Ad.  Schmidt,  Hss  der  Reichsabtei  Werden.  C.B.  XXII 
(1905)  241—264  (auch  in  den  Beiträgen  zur  Gesch.  d.  Stiftes  W. 
XI  113—137),  der  die  von  Hüpsch  verzeichneten  Hss  in  Berlin,  Darm- 
stadt, Düsseldorf  und  Münster  nachweist,  hier  genannt  wegen  des  be- 
achtenswerten Vorschlages,  in  Provenienz-Registern  auch  die  Signa - 


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Bericht  über  Paläographie  und  Handschriftenkunde  (1903—1906).  33 

turen  bestimmter  oder  nnbestimmter  Bibl.  genau  zu  beschreiben, 
bezw.  abzudrucken.  Das  wird  an  der  charakteristischen  Signatur  von 
Weingarten  und  anderen  Beispielen  verdeutlicht;  vgl.  11  T.  17 
und  150. 

70.  R.  Sabbadini,  Le  scoperte  dei  codici  latini  e  greci  ne' 
secoli  XIV  e  XV.  Bibl.  storica  del  rinascimento  II  (Florenz  1905) 
IX,  233  S.  bietet  ein  anschauliches  Bild  der  Entdeckungen  der 
Humanisten  und  reiche  Literaturangaben  über  Hss.-Sammlungen ,  so 
daß  ein  Index  der  Bibliotheken  und  Hss.  vermißt  wird  (verzeichnet 
sind  a)  antike  und  mittelalterliche  Autoren;  b)  Entdecker,  Sammler, 
Besitzer  und  Schreiber);  vgl.  die  Anzeigen  von  Clark,  Class.  Rev. 
1906,  224—229  und  Zippel,  Giorn.  stör,  della  lett.  Ital.  XLVIII 
205 — 216);  für  Konstantin  Laskaris  die  Bemerkungen  von 
A.  Bauer,  Texte  und  Untersuch.  N.  F.  XIV  1  (1906)  5  ff.  (mit  Fak- 
simile der  Schrift),  für  Orsini  E.  König,  Kardinal  Giordano  O. 
Stud.  u.  Darstell,  aus  d.  Gebiete  d.  Gesch.  V  1  (Freiburg  im  B. 
1906)  82  ff. ;  für  P  e  t  r  a  r  c  a  die  Literaturübersicht  von  A.  Della 
Torre  im  Arch.  stor.  Ital.  5.  Ser.  XXXV  104 — 189  (namentlich 
S.  151  Libri  appartenuti  alla  bibl.  di  P.;  bei  Nolhac  [Bd.  98,  217] 
fehlt  S.  324  apud  vor  Barlaam),  für  Sozomenos  unten  S.  34,  für 
Sammler  des  16.  Jh.  s.  Nr.  39  u.  51.  In  39  stellt  S.  48—63  (vgl. 
25  ff.  The  History  of  the  Bodleian  Ms.)  C.  H.  Turner  1  griech., 
1  hebr.  und  12  lat.  Hss.  zusammen,  die  der  Bischof  von  Brieuc 
(später  von  Meaux)  Jean  du  Till  et  (Ioannes  Tilius)  besessen  oder 
doch  benutzt  hat ;  mehrere  kamen  durch  Petau  unter  die  Reginenses. 
Die  in  51  von  Delisle  zusammengestellten  Notizen  beziehen  sich 
zumeist  auf  Hss.  von  Nikolaus  Faber  (Le  Fe  vre);  vgl.  H.  Qu  entin, 
Moyen  Age  XVII  (1904)  97—114. 

71.  (H.  Omont)  C.  alphabötique  des  livres  imprime's  mis  ä  la 
disposition  des  lecteurs  dans  la  salle  de  travail  du  dlpartement 
des  mss.  de  la  Bibl.  Nationale.  2.  Aufl.  Paris  1904.  110  S.  ver- 
zeichnet nicht  nur  Hss.-K.,  sondern  auch  Zeitschriften-Aufsätze  (Archiv 
d.  Gesellsch.  f.  ält.  deutsche  Gesch.!)  nach  dem  Alphabet  der  Orts- 
namen; vgl.  auch  die  Literaturangaben  im  3.  Bande  des  Jahrbuchs 
der  deutschen  Bibl.  (Bd.  127,  78)  und  die  Nachträge  zum  österr. 
Adreßbuch  (Bd.  106,  194:  Mitt.  d.  öst.  Ver.  f.  Bibl.  V  33,  79;  VII 
13,  126;  VIII  39).  Die  Nachträge,  die  sich  zu  Gardthausen  (Bd. 
127,  72)  aus  dem  schon  dort  S.  283  angeführten  Werke  von  Soden 
und  aus  Lambros'  Anzeige  N.H.  I  105 — 115  ergeben,  sollen  an 
anderem  Orte  exzerpiert  werden;  K.  mehrerer  peloponnesischer  Bibl. 
sind  angekündigt  N.H.  I  513  (vgl.  11  378—381).    Die  durch 

Jahresbericht  für  Altertumswissenschaft.   B<1.  CXXXV.  3 


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34 


Wilh.  Weinberger. 


72.  E.  Gollob,  Verz.  d.  griech.  Hss  in  Österreich  außer- 
halb Wiens.  Wien.  S.-Ber.  CXLVI  (1903)  VII,  173  S.,  eine  Arbeit, 
auf  die  wir  bei  Capodistria,  Nikolsburg,  Prag  und  Raudnitz  zurück- 
kommen ,  gebotenen  Nachträge  sind  in  meiner  Anzeige :  Berl.  phil. 
Woch.  1905,  164,  1  angeführt;  ebds.  1907,  296  über 

73.  (Bd.  106,  224).  H.  Schenkl,  Bibl.  patrum  lat.  Britannica 
XII.  Wien.  S.-Ber.  CL  (1905)  V.  Auf  dieses  Heft,  das  den  Text 
der  Bibl.  Britannica  mit  der  Behandlung  von  etwa  40  kleineren  Bibl. 
zum  Abschluß  bringt,  kann  nur  bei  Cambridge,  London  und  Manchester 
verwiesen  werden.  Die  9  griech.  Hss  —  Reste  der  Sammlung 
Canonici  —  enthaltende  Bibl.  des  Rev.  Walter  Sneyd  ist  (nach 
einem  Nachtrage  in  67)  1903  versteigert  worden. 

Zu  dem  fast  abgeschlossenen  K.  der  franz.  Hss  sind  1902  bis 
1904  4  Supplementbände  erschienen:  CD.  40 — 43.  Das  Ver- 
zeichnis sämtlicher  Bibl.  (43  XVI)  ist  auch  Revue  XIV  187  ab- 
gedruckt. Wegen  der  wenigen  älteren  Hss  (z.  B.  Evangelienfrag- 
mente des  9.  Jh.  in  Gre'noble)  ist  die  Table  g<m£rale  heranzuziehen. 
Wegen  der  Provenienz  sind  zu  nennen:  Macon  81 — 85  aus  Cluny 
(Fragment  eines  Kommentars  zu  Jesaias  s.  X,  theol.-patristische  Hss. 
des  12.  u.  13.  Jh.),  Romorantin  1  (Ovid  des  Sozomenos);  die 
Clarevallenses  in  Troyes  kommen  für  uns  nicht  in  Betracht. 

74.  M.  Menändez  y  Pelayo,  Bibliografia  Hispauo-Latina 
Cläsica.  Biblioteca  de  la  Revista  de  Archivos,  Bibl.  y  Museos.  I. 
Madrid  1902  f.,  die  mir  bis  S.  816  (Cicero)  vorgelegen  hat,  verzeichnet 
auch  erhaltene  und  verschollene  Hss  nach  gedruckten  Quellen,  wobei 
die  verstreuten  Notizen  über  einzelne  Escorialenses  berücksichtigt 
sind;  die  Cicero-  Hss  gehören  meist  dem  15.  Jh.  an.  — Wegen  der 
guten  über  Alter  und  Provenienz  der  Hss  orientierenden  Indizes  ist 
zu  erwähnen 

75.  Beschreibendes  Verzeichnis  der  illuminierten  Hss  in  Öster- 
reich, hgg.  v.  F.  Wickhoff  (Publikationen  des  Inst.  f.  österr.  Ge- 
schichtsforschung). Leipzig  1905. 

Aus  Band  I  (Tirol ;  H.J.Hermann)  sind  Innsbruck  88  (Ambros. 
de  off.,  Hieron.  ep.  de  psalt.,  in  lerem,  s.  XI)  und  484  (Evangeliar 
von  Jnnichen  s.  VIII/IX),  aus  II  (Salzburg;  II.  Tietze)  Salzb.  Studien- 
bibl.  V  1  B  18  (Hieron.  de  lihro  psalm.  s.  IX)  hervorzuheben;  vgl. 
auch  das  Hss- Verzeichnis  in 

76.  St.  Beissel,  Geschichte  der  Evangelienbücher  während 
der  ersten  Hälfte  des  Mittelalters.  92  u.  93.  Ergänzungsheft  zu 
den  Stimmen  aus  Maria-Laach  (1906). 


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Bericht  über  Paläographie  und  Handschriftenkunde  (1903—1906).  35 

Eine  Anzahl  von  Hss-K.  enthält  das  von  Gardthausen  abhängige 
Verzeichnis  der  ausgenutzten  Bibl.  bei  H.  Di  eis,  Die  Hss.  der  an- 
tiken Ärzte.  Philos.-histor.  Abhandl.  d.  preuß.  Akad.  1906  I,  XI  bis 
XXIII.  —  Ehe  wir  zu  den  einzelnen  Bibl.  übergehen,  seien  zwei 
Behelfe  fir  die  Beschreibung  von  Hss  genannt:  M.  Vattasso, 
Initia  patrum  aliorumque  scriptorum  ecclesiast.  Lat.  I  (A-M).  Studi 
e  testi  XVI  (1906),  A.  G.  Little,  Initia  operum  lat.  quae  saeculis 
XHI,  XIV,  XV  attribuuntur.  Publications  of  the  University  of  Man- 
chester. Historical  Series  2;  vgl.  113  u.  C.B.  XXIV  69. 

Adrianopel.  152  Hss  der  Gymnasialbibl.  beschreibt  ohne 
Datierung  und  ohne  Index 

77.  B.  K.  2Ts<pavfö>}?,  Ol  xtoStxe?  tt,<  \\.  B.Z.  XIV  (1905) 
588—611,  XVI  266—84.  (Die  Nummern  1,  34,  54,  55,  63,  66 
(Palimpsest) ,  69,  71,  73  sind  Pergamenthss. ;  Ergänzungen  bietet 
Bees,  *nava^vat«  1906  S.  123). 

Alexandrien.  Über  eine  jetzt  dem  Museum  geschenkte,  von 
Harris  angefertigte  Abschrift  eines  Palaephatus-Kodex  s.  Rh.  Mus. 
LVÜI  808,  Atti  del  Congresso  Storico  II  155—160,  Studi  XII  446. 

Athen.  Lambros  beschreibt  (unter  Mitwirkung  einiger  Schüler) 
im  N.H.  I  89,  225,  353,  488;  II  226,  357,  490;  III  113,  243 
bisher  63  Hss  der  BtßX.  sffi  BouXr^:  Evangeliare  des  11.  u.  12.  Jh. 
(3  scheint  aus  Stroumnitza  zu  stammen),  byzantinische  und  hagio- 
graphische  Stücke  des  14.  und  späterer  Jahrhunderte.  Auf  dem  Deck- 
blatt von  32  steht  von  einer  Hand  des  14.  Jh.  eine  metrologische 
Eintragung,  bei  der  die  Buchstaben  dekadisch  verwendet  sind,  so 
daß  Cß  und  ein  besonderes  Zeichen  für  die  0  für  720  steht  (Fak- 
simile II  229).  Autoren  und  Vorbesitzer  sind  in  den  Indizes  der 
einzelnen  Bände  verzeichnet,  I  112  die  übrigen  athenischen  Bibl., 
deren  Hss  im  NH  beschrieben  werden  sollen. 

Athos  (vgl.  11,  13,  117).  Die  kanonistischen  Hss  der  Klöster 
Laura  und  Vatopedi  (10. — 19.  Jh.)  katalogisiert  V.  N.  Beneseviu 
in  der  zweiten  Beilage  (-opa'pnjfia)  zum  11.  Bande  der  BoCavtTvct 
Xpovtxa;  Athanasios-Hss  derselben  Klöster  im  Index  vom  Texte  und 
Untersuch.  N.F.  XIV  2.  Die  hagiographischen  Hss  von  Vatopedi 
verzeichnet  Th.  Schmit  in  den  Nachrichten  (IzvSstija)  des  russ. 
archäol.  Inst,  in  Konstantinopel  VIII  (1903)  264 — 298  nach  dem 
Alphabet  der  Heiligennamen.  Im  Index  der  Verfasser  sind  die  S.  265 
beschriebenen  Hss  (Gregor,  Palladius,  Theophil)  nicht  berücksichtigt. 
Eine  Übersicht  der  Hss  nach  den  Jahrhunderten  geht  voran.  Einige 
Nachträge  zu  Schmit  bei 

3* 


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30 


Wilh.  Weinberger. 


78.  D.  Serruys,  Souscriptions  et  signatures  dans  les  mss.  des 
X — Xllle  Steeles  conservös  au  monastere  de  Vatopödi.  Revue  XIV 
(1904)  63-76. 

Bamberg.  Von  dem  K.  (Bd.  106,  169)  den  nach  Leitschuhs 
Tod  H.  Fischer  bearbeitet,  erschien  I  1,  3  (Kirchenväter  und  ältere 
Theologen;  Nr.  1 — 154  nach  den  Autoren,  155 — 165  Homilien- 
sammlungen),  4  (theologische  Schriftsteller  vom  14.  Jh.  an),  5  kano- 
nistische  Hss  des  9.— 15.  Jh.),  I  2,  4  (Philologie  [unbedeutend], 
astronomisch-math.  Hss,  Varia),  5  (juristische  Hss);  Nachträge  und 
Indizes  zum  I.  Band  sind  in  Vorbereitung.  In  der  Vorrede  zu  I  1,  3 
werden  die  Berichtigungen  zu  niedriger  Datierungen  Jaecks  durch 
Traube  hervorgehoben;  vgl.  die  Erläuterungen  in  28  namentlich 
zu  Lief.  18,  wo  Chroust  fUr  die  Datierung  der  Halbunziale  von  B 
IV  21  (Hieron.  vir.  illnstr. ,  Augustin;  6.  Jh.)  Beweise  von  T.  er- 
wartet. Die  Erläuterungen  von  28  kommen  auch  für  die  Zusammen- 
stellungen von  Provenienzangaben  über  Bamberger  Hss  in  36  (Fulda, 
Frankreich  [Ioannes  Scottus  —  Gerbert  —  Otto  III.  —  Heinrich  II.], 
Italien)  in  Betracht.  Der  Bamberger  Livius  wurde  im  Einbände  einer 
jüngeren  theol.  Hs  gefunden. 

Berlin.  Der  13.  Band  der  Hss  Verzeichnisse  (lat.  Hss  der 
kurfürstl.  Bibl.)  ist  zum  Abschluß  gebracht  worden :  2.  Abt.  (weitere 
theol.  Hss:  756  Smaragdus,  regula  Benedicti  s.  X)  1903,  3.  Abt. 
(historische  Hss,  etwa  30  klassische  Hss  aus  den  späteren  Jh.)  1906. 
Den  Bd.  127,  95  genannten  Heimstätten  ist  Himmerode  hinzuzufügen; 
für  Werden  vgl.  69.  Auf  die  Corviniani  und  die  Nachträge  zu  den 
Meermanniani  hoffe  ich  an  anderem  Orte  zurückzukommen.  Nach 
B.  gelangten  auch  zumeist  die  von 

79.  E.  Jacobs,  Die  Hss-Sammlung  Joseph  Görres'.  C.B.  XXIII 
(1906)  189—204  nach  dem  Auktionskatalog  (Bd.  127,  145)  und 
anderen  Quellen  mit  Angabe  des  gegenwärtigen  Verbleibes  verzeich- 
neten 78  Hss.  Einige  kamen  nach  Paris  (vgl.  Bd.  127,  146,  189, 
190),  London  und  in  Privatbibl.  (Freiherr  von  Cramer-Klett ,  Eduard 
Langer  in  Braunau,  Frank  Mac  Lean  in  Rusthall  House  (Tunbridge 
Wells);  das  Evangeliar  von  Prüm  wurde  (L.C.B.  1906,  1812  unter 
„Verschiedenes")  von  einem  amerikanischen  Sammler  erworben  (etwa 
von  Pierpont  Morgan,  über  dessen  New  Yorker  Hss-Sammlung  Revue 
Belg.  IV  338  zu  vergleichen  ist).  Einzelne  Erwerbungen  der  B.  Bibl. 
s.  C.B.  XXIII  89  (Miszellankodex  Morbio),  454  (Donat.  s.  XV)  und 

80.  Beiträge  zur  Bücherkunde  und  Philologie  August  Wilmanns 
gewidmet.  Leipzig  1903  (67 — 96:  L.  Stern,  Mitteilungen  aus  der 
Lübener  Kirchenbibl.). 


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Bericht  über  Paläographie  und  Handschriftenkunde  (1903-1906).  37 

Der  K.  von  B  e  s  a  n  s  o  n  ist  1904  durch  den  Index  (CD.  XXXI1I/2) 
abgeschlossen  worden.  —  Bonn  s.  N.  Archiv  XXXII  509  (zu  69). 

Bordeaux.   Bd.  127,  101  ist  Abdruck  aus  CD.  40  (Suppl.). 

Brescia.  Einige  der  jungen  Hss  bespricht  in  der  Vorrede 
eingehend 

81.  A.  Beltrami,  Index  codicum  class.  lat.  qui  in  bibl. 
Queriniana  Brixiensi  adservantur.   Studi  XIV  (1906)  17—96. 

*82.  Verz.  d.  Schausammlung  d.  k.  u.  Universitätsbibl.  zu 
Breslau.   1906  (vgl.  DLZ  1906,  1867). 

Brüssel.  Von  van  den  Gheyns  K.  (Bd.  127,  103)  er- 
schienen Band  III  (Theologie),  IV  ( Jurisprudence ,  Philosophie),  V 
(Histoire,  Hagiographie),  VI  (Histoire  des  ordres  religieux). 

83.  H.  M  o  r  e  t  u  s ,  C.  codicum  hagiograph.  lat.  bibl.  Bollandianae. 
Anal.  Bolland.  XXIV  (1905)  425—468  bezieht  sich  auf  die  seit 
1837  gesammelte  Bibl.,  die  Hss  der  alten  Bollandistenbibl.  gelangten 
nach  Aufhebung  des  Jesuitenordens  größtenteils  in  die  k.  Bibl.  zu 
Br.  S.  467  f.  wird  eine  Descriptio  librorum  Sanctae  Rictrudis  (bibl. 
Marchianensis)  s.  XI/XII  veröffentlicht;  mehrfach  können  die  Hss 
mit  den  zu  Douai  erhaltenen  identifiziert  werdeu. 

Cambridge.  M.  R.  J  a  m  e  s  hat  nicht  nur  den  K.  des  T  r  i  n  i  t  y 
College  (Bd.  127,  104)  durch  einen  4.  (Index-)Band ,  der  auch 
17  Tafeln  mit  Faksimilien  (vom  8.  Jh.  an)  enthält,  zum  Abschlüsse 
gebracht,  sondern  auch  K.  des  Christs-,  Cläre-,  Emmanuel-, 
Pembroke-  und  Queens -College  veröffentlicht.  Die  12  Hss  des 
Christs-  u.  die  34  des  Queens-C.  sind  für  uns  von  geringer  Be- 
deutung; von  den  31  des  Clare-C.  wären  ein  griech.  Lectionar,  ein 
Augustin  s.  X  (de  bono  coniugali,  virgin.,  nuptiis  et  concupisc.)  und  ein 
Gregor  s.  XI  zu  nennen.  Bedeutender  ist  der  Descriptive  C.  of 
the  Western  Mss  in  the  Library  of  Emmanuel  College;  Ygl.  Bibl. 
Britannica  (oben  Nr.  73)  II  2,  2  (Wien.  S.-Ber.  CXLIII,  VIU)  35, 
wo  auch  die  wichtigsten  Hss  der  anderen  Colleges  (zum  Teil  in 
II  2,  1)  behandelt  sind.  Von  den  Hss  des  Pembroke  College  gehören 
einige  dem  9.  (darunter  ein  Rabanus  aus  Reims)  und  dem  11.  Jh. 
an;  die  meisten  stammen  aus  Bury,  einzelne  aus  Canterbury,  Durham 
und  Ely.  Die  von  William  Smart  1599  geschenkten  Hss  sind  zum 
Teil  in  Oxford  nachzuweisen  oder  zu  vermuten.  73  bietet  S.  62—75 
einen  Auszug  aus  J.  Nasmiths  schwer  zugänglichem  C  librorum 
mss.  quos  collegio  Corporis  Christi  legavit  Matth.  Parker. 
Cambridge  1777  (mit  Berücksichtigung  von  M.  R.  James,  The  sources 
of  Archbishop  Parkers  collection  of  Mss.  Cambridge  Antiquarian  So- 
ciety.  8°  Publications  XXXII  [1899]:  darunter  3  griech.  Hss). 


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3b 


Wilh.  Weinberger. 


In  Cambridge  (Massachusetts)  befindet  sich  eine  der  ver- 
steigerten Cheltenhamer  Hss  (Nr.  6748  s.  XV);  vgl. 

84.  E.  K.  Rand,  A  Harvard  Ms  of  Ovid,  Palladius  and  Tacitus. 
The  American.  Journ.  of  Phil.  XXVI  (1905)  291—829  (für  Ovid 
♦Transactions  of  the  American  Phil.  Assoc.  XXXV  (1904)  128  nnd 
DLZ  1906,  148). 

Capodistria  s.  72  und  B.  Zilio tto,  Codici  Capodistriani  con 
particolare  riflesso  a  an  codice  della  Batracomiomachia.  Archeografo 
Triestino  3.  Ser.  II  (1905)  8 — 40  (auch  3  unbedeutende  lat.  Hss; 
Inhaltsangabe  Rivista  delle  bibl.  XVI  202). 

Cheltenham.  Die  Versteigerung  der  Hss  wird  fortgesetzt; 
vgl.  C.B.  XX  480,  N.  Archiv  XXVIII  758,  Cambridge  (Mass.)  und 
Oxford.  Die  wenigen  einschlägigen  Hss,  die  von  der  Pariser  Bibl. 
erworben  wurden  (Revue  XIII  189  ff.),  sind  jung.  Eine  versteigerte 
Suetonhs  wird  von  Preud'homme  (Mömoires  couronne*s  .  .  .  par 
l'acad.  ...  de  Belgique.  Collection  in  8°  LXIII  [1903/4]  63  ff.) 
mit  einem  verschollenen  Palatinus  identifiziert. 

Cluny  s.  oben  S.  34  (Macon), 

85.  H.  Stein,  Le  ms.  de  Boece  revendique'  par  la  Bibl.  Nat. 
Bibliographe  VII  (1903)  332  f., 

86.  A.  C.  Clark,  The  vetus  Cluniacensis  of  Poggio.  Anecdota 
Oxoniensia.  Class.  Series  X  (1905). 

Beim  Boethius-Kodex,  der  mit  Hss  der  Jesuiten  von  Lvon  feil- 
geboten  wurde,  schien  die  Übereinstimmung  mit  dem  K.  von  1801 
dem  Gericht  nicht  ausreichend,  um  auf  Rückstellung  dieses  Staats- 
eigentums zu  erkennen.  86  gibt  eine  Rekonstruktion  einer  Hss 
ciceronianischer  Reden  (hauptsächlich  auf  Grund  des  Laur.  LIV  5 
und  des  Par.  14  749). 

Unzureichende  Angaben  über  die  Reste  der  Bibl.  von 

Corvey  bei 

87.  G.  Bartels,  Die  Geschichtschreibung  des  Klosters  C. 
Veröffentl.  d.  hist.  Komm.  d.  Prov.  Westfalen  (Münster  1906)  108—113. 

Cues. 

88.  J.  M  a  r  x ,  Verz.  der  Hss-Sammlung  des  Hospitals  zu  C.  bei 
Bernkastel  a.  d.  Mosel.  Trier  1905.   XII,  332  S.  (Index  S.  308). 

5  Hss  sind  griech.,  10  gehören  dem  9.  bis  11.  Jh.  an.  Mängel 
der  Beschreibung  rügt  Jacobs  C.B.  XXIII  415.  Bei  52  ist  Hell - 
mann,  Anecdota  aus  dem  Codex  Cusanus  C  14  nunc  37.  N.  Archiv 
XXX  15  ff.  (vgl.  jetzt  auch  Z.  f.  Kirchengesch.  XXVI  96—104, 
Quellen  und  Untersuch,  z.  lat.  Phil,  im  Mittelalter  I  [München  1905]) 
zwar  zitiert,  aber  nicht  gehörig  verwertet.    Aus  der  Bemerkung 


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Bericht  über  Paläographie  und  Handschriftenkunde  (1903-1906).  39 


von  H.,  daß  dieser  Cusanus,  die  Hss,  die  von  Cnes  nach  Brüssel 
gekommen  sind,  nnd  ein  Teil  einer  Darmstädter  Hs,  die  au6  S.  Jakob 
in  Lüttich*)  stammt,  die  gleichen  pal.  Eigentümlichkeiten  zeigen,  ist 
die  Erwähnung  der  vier  Brüsseler  Hss  in  die  Vorrede  von  M.  ge- 
kommen. Davon,  daß  zwischen  1723  und  1725  der  bessere  Teil  der 
Sammlung  an  Harley  verkauft  wurde,  ist  in  der  Vorrede  nichts  zu 
linden  (ebensowenig  in  der  Festschrift  des  Priesterseminars  zum 
Bischofsjubiläura  Trier  1906:  N.  v.  C.  und  seine  Stiftungen  zu  C. 
und  Deventer  S.  178);  vgl.  außer  Jacobs  Anzeige  70  S.  112  f.  und 
den  Harleianus  6402. 

Darmstadt.  Die  durch  69  erregte  Erwartung,  wenigstens 
über  einen  Teil  der  D.  Hss  Aufschluß  zu  erhalten,  wird  durch 

89.  Ad.  Schmidt,  Baron  Hüpsch  und  sein  Kabinett.  Ein 
Beitrag  zur  Gesch.  d.  D.  Hofbibl.  u.  d.  Museums  zu  D.  (D.  1906) 
enttäuscht,  da  Sch.  zwar  allerhand  wenig  Erbauliches  von  H.  erzählt 
(der  eigentlich  Honvlez  hieß;  vgl.  auch  94),  auf  die  Hss  aber  „aus 
naheliegenden  Gründen"  nicht  eingeht. 

Dresden.  E.  Dobschütz,  Eine  Sammelhs  des  16.  Jh.  B.Z.  XV 
243-274  beschreibt  eingehend  A  187.  —  Der  1906  veröffentlichte 
3.  Band  des  K.  (Bd.  98,  310)  kommt  wegen  einiger  Fragmente  in 
Betracht. 

Da  ein  ausreichender  K.  der  lat.  Escorialenses  (vgl.  auch  74) 
noch  nicht  vorliegt,  ist  von  älteren  Inventaren  Aufschluß  über  ein- 
zelne Hss  zu  erwarten.  R.  Beer  veröffentlicht  im  Jahrb.  d.  kunsthist. 
Sammlungen  des  allerh.  Kaiserhauses  XXIII  (1902)  I— CXL  ein 
Inventar  aus  dem  Jahre  1576,  das  von  den  4000  Hss,  die  Philipp  II. 
dem  Eskorial  geschenkt  hat,  1800  umfaßt,  mit  Anmerkungen  (Identifi- 
zierungen) und  guten  Indizes.  Aus  der  lehrreichen  Einleitung  sind 
die  Ergänzungen  zu  Bd.  98,  199  (S.  XV;  mehrere  Hss  der  arago- 
nischen Bibl.  kamen  an  Karl  V.)  und  die  Bemerkungen  (S.  XVIII) 
über  griech.  von  Montano  in  den  Niederlanden  erworbene  Hss  (vgl. 
Jahrb.  XXV,  I,  LXXV1)  besonders  hervorzuheben.  B.  Fernändez, 
Antigua  lista  de  mss.  latinos  y  griegos  inäditos  del  Escorial  (Sd. 
aus  'La  Ciudad  de  Dios'  1901/2)  hat  ein  im  Anfang  des  17.  Jh.  von 
P.  Alaejos  verfaßtes  Verzeichnis  der  Inedita  gefunden  und  zwar 
a)  194  lat  Stücke  mit  alphabetischem  Index,  b)  237  alphabetisch 
angeordnete  griech.  Hss.   Die  geringe  Zahl  von  identifizierten  Stücken 


*)  Dort  hielt  sich  Nikolaus  von  Cues  1451  auf;  vgl.  *J.  Paquay,  La 
mission  du  Cardinal-legat  N.  d.  C.  au  diocese  de  Liege.  Annales  pour 
gervir  ä  Thist.  eccles.  de  la  Belgique  XXX  (1904)  285. 


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40 


Wilh.  Weinberger. 


bei  Beer  und  bei  Ferniindez  zeigt,  wie  viel  der  Brand  von  1671  ver- 
nichtet hat,  wenn  auch  zu  berücksichtigen  ist,  daß  bei  manchen  er- 
haltenen Stücken  die  Angaben  der  Inventare  zur  Bestimmung  nicht 
ausreichen.  In  Fernandez'  Übersicht  über  die  verschiedenen  Signa- 
turen (S.  31)  sind  nicht  ganz  60  lat.  Hss  als  erhalten  ausgewiesen, 
von  denen  nur  10  in  der  Bibl.  patr.  Lat.  Hispaniensis  vorkommen; 
die  Inedita  betreffen  eben  meist  mittellat.  Literatur. 

Feldkirch,  Collegium  Stella  Matutina.  Kollation  von  Deck- 
blättern s.  XI/XII  bei 

90.  W.  Fox,  Bruchstücke  einer  bisher  unbekannten  Hs  von 
Ciceros  Laelius.    N.  ph.  Rundsch.  1904,  289—293. 

Florenz.  Für  die  Provenienz  von  Laurentiani  kommen  in 
Betracht:  80  S.  329  (Erwerbungen  von  Cristoforo  Buondelmonti  im 
Orient),  E.  Lasinio,  Deila  bibl.  di  Settimo.  Rivista  delle  bibl. 
XV  (1904),  169—177  (vgl.  Rivista  XVI  157  u.  *E.  LM  Un  antico 
inventario  della  bibl.  di  S.  Florenz  1904;  auch  einige  Barberiniani 
und  Sessoriani  stammen  aus  S.),  F.  Baldasseroni  und  P.  d'An- 
cona,  La  bibl.  della  Basilica  Fiorentina  di  San  Lorenzo  nei  secoli 
XIV  e  XV.  Rivista  XVI  175—201  (gute  Inhaltsangabe  C.B.  XXII 
412);  vgl.  *F.  Pintor,  La  libreria  di  Cosimo  de'  Medici  nel  1418. 
Florenz  1902  (Nozze  Della  Torre-Guidotti) ,  Per  la  storia  della 
libreria  Medicea  nel  Rinascimento.  1904  (Nozze  Saluris-Parducci).  — 
Band  12  u.  13  von  Mazzatintis  Inventari  (Bd.  106,  103)  enthalten 
einige  junge  klassische  oder  patristische  Hss  der  Bibl.  Naz. 

Fulda.   Über  die  pal.  Bedeutung  der  von 

91.  C.  Scherer,  Die  Codices  Bonifatiani  der  Landesbibl.  zu 
F.  Festgabe  zum  Bonifatius- Jubiläum  F.  1905  beschriebenen  Hss  wurde 
oben  S.  25  gesprochen ;  für  den  Inhalt  (namentlich  des  dem  Sessorianus 
des  Eucherius  nahe  verwandten  Ragyndrudis-Codex)  vgl.  die  An- 
zeigen DLZ  1905,  2685  und  Theol.  LZ  1906,  307. 

92.  A.  Boinet,  Notice  sur  deux  mss.  Carolingiens  ä  minia- 
tures  ex<Scut<5s  ä  l'abbaye  de  F.  Bibl.  d.  chartes  LXV  (1904)  355  bis 
363  bezieht  sich  auf  Amiens  223  und  Paris  2423  (Hrabanus  Maurus), 
vgl.  Bamberg  und  für  die  aus  F.  stammenden  Parisini 

93.  F.  Falk,  Varia.  C.B.  XX  (1903)  335—338. 

Mehr  als  50  Gotha  er  Hss,  von  denen  es  feststeht  oder  doch 
wahrscheinlich  ist,  daß  sie  durch  Maugtfrard  nach  G.  kamen,  werden 
beschrieben  bei 

94.  L.  Traube  und  R.  Ehwald,  Jean-Baptiste  Mauggrard. 
Ein  Beitrag  zur  Bibliotheksgesch.  (Traube,  Pal.  Forsch.  III).  Abh. 
d.  bayer.  Akad.  III.  Kl.  XXIII'2  303-387. 


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Bericht  über  Paläographie  und  Handschriftenkunde  (1903—1906).  41 


Die  Hs8.  stammen  zumeist  aus  Echternach,  Erfurt,  Hildesheim. 
Metz  und  Murbach;  vgl.  Bd.  127,  117  und  meine  Anzeige  Z.  f.  d. 
öst.  Gymn.  1906,  215.  Für  die  Beziehungen  M.s  zu  Hüpsch  (s. 
Nr.  89)  stellt  T.  36  S.  55  einen  Nachtrag  in  Aussicht, 

95.  K.  W  e  i  s  k  e ,  Mitteilungen  über  die  Hss-Sammlung  der  Haupt- 
bibl.  in  den  Franckeschen  Stiftungen  zu  H  a  1 1  e  a.  S.  (Aus  d.  Haupt- 
bibl.  d.  Fr.  St.  zur  Begrüßung  der  47.  Philologenvers.,  dargebracht 
von  d.  Kollegium  d.  Hauptschule  1903,  S.  7—24)  ergänzt  die  auf 
15  ältere  (für  uns  unbedeutende)  Hss  bezüglichen  Mitteilungen  von 
Bd.  106,  175  nach  dem  von  G.  A.  Weiske  1877  fertiggestellten  K. 

96.  (R.  Münzel)  Philologica  Hamburgensia  für  die  Mit- 
glieder der  48.  Philologenvers,  ausgestellt  von  der  Stadtbibl.  zu  H. 
(1905,  58  S.). 

Die  Hss  stammen  von  Holstein  (S.  2  Berichtigungen  zu  Bd.  98, 
305  und  324,  S.  49  Briefwechsel  des  h.  Senats  mit  dem  Kardinal 
Barberini,  S.  54  C.  librorum  a  Luca  Holstenio  Bibl.  Hamburgensi 
legatorum;  von  den  31  fehlen  nur  2),  Lindenbrog  (S.  34  Leistungen 
von  Friedrich  und  Heinrich  L.,  Johann  von  Wouver,  Geverhart  Elmen- 
horst, vielfach  Abschriften  und  Auszüge  aus  Scaligerschen  Papieren) 
und  Uffenbach  (S.  28  Uffenbach-Wolfsche  Briefsammlung  mit 
Register).  Hervorzuheben  sind  Ansegisus,  Collectio  capitularium  und 
Lex  Salica   s.  IXX  aus   Corvey,  jüngere  patristische   Hss  aus 

5.  Pantaleon  in  Köln,  ein  Puteanus  s.  X  (Horazfragmente),  ein  Sar- 
ravianus  s.  X  XI  (Vergil,  Ovid),  ein  unbenutzter  Iulius  Valerius  s. 
XI,  endlich  ein  illustrierter  Äsop.  s.  XIV  mit  Farbenanweisungen. 

Heidelberg.  In  einem  Einband  aus  Petershausen  wurden  dem 

6.  Jh.  angehörige,  aus  der  Reichenau  stammende  Fragmente  gefunden;  s. 

97.  R.  Sillib,  Ein  Bruchstück  der  augustinischen  Bibel.  Z. 
f.  d.  n.  t.  Wiss.  VII  (1906)  82—86. 

Mitteilungen  Uber  die  Holkhamer  Bibl.  sind  von  D o r e z  zu 
erwarten  (Comptes  rendus  de  l'Acad.  d.  Inscr.  1906,  385  f.). 

98.  H.  Delehaye,  C.  cod.  hagiogr.  graec.  bibl.  comitis 
de  Leicester  Holkhamiae  in  Anglia.  Anal.  Boll.  XXV  (1906)  451 
bis  477. 

Von  der  Tacitus-Hs  von  Jesi  (Bd.  106,  125)  werden  nur  mehr 
8  Blätter  (Agricola)  ins  10.  Jh.  gesetzt,  diese  aber  von 

99.  F.  R  a  m  o  r  i  n  o ,  De  codice  Taciti  Aesino  nuper  reperto.  Atti 
del  Congresso  Storico  II  227—232  und  70  S.  141,  19  für  das 
Original  Enochs  gehalten.  Die  vier  beigegebenen  Photographien 
(I.Dictys  Cretensis,  angeblich  9.  Jh.,  III.  Agricola  10.  Jh.  [keine 


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42 


Wilh.  Weinberger. 


Variante],  II.  und  IV.  15.  Jh.)  lassen  auch  an  eine  humanistische 
Nachahmung  der  alten  Hs  denken;  s.  oben  S.  21  u.  den  Nachtrag. 

Karlsburg  (früher  Weißenburg).  Eine  Hs  des  Batthyaneums, 
die  ins  11.  Jh.  gesetzt  wird,  behandelt 

100.  J.  Czeräp,  Codicem  Sallustii  Albae-Iuliensem  praecipuis 
integrorum  respondere.  Egyetemes  Philologiai  Közlöny  XXVI  (1902} 
449—454. 

Karlsruhe.  Vom  5.  Teile  des  K.  (Bd.  127,  126):  Die 
Reichenauer  Hss  beschrieben  und  erläutert  von  A.  Holder,  ist 
der  1.  Band:  Die  Pergamenthss  (ohne  Index)  erschienen  (Leipzig 
1906);  vgl.  meine  Anzeige  Berl.  phil.  Woch.  1907,  894,  wo  auch  auf 
28,  41  und  97  verwiesen  wird,  und  den  Nachtrag. 

Griech.  Hss  (des  18.  Jh.)  in  Kastellorizo  (Achilles  S.  Dia- 
mantaras)  werden  erwähnt  BZ  XIV  614,  XV  139. 

Für  Leiden  vgl.  Molhuysen,  Tijdschrift  vor  boek-and  biblio- 
teeksw.  II  (1904)  33,  90,  153,  193,  227  (die  auf  die  Geschichte 
der  Bibl. ,  zum  Teil  auch  auf  Hss  bezüglichen  Bemerkungen  sind 
auch  besonders  erschienen)  und  HI  71 — 74  (De  Cyrillus  Hss  van 
Bonaventura  Vulcanius). 

101.  (Bd.  106,  178)  K.  d.  Hss  d.  Universitätsbibl.  zu  Leipzig. 
VI.  Die  lat.  und  deutschen  Hss.  IU.  Die  juristischen  Hss  (von 
R.  Helssig).    L.  1906. 

Der  Haenelianus  1  ist  ein  Pithoeanus,  der  durch  die  Schloft- 
bibl.  von  Rosny  gegangen  ist,  6  wahrscheinlich  ein  Sessorianus. 

102  u.  103.  A.  Solari,  Codici  lat.  della  bibl.  comunale  di 
Livorno  anteriori  al  secolo  XVII.  Studi  XII  (1904)  1 — 9  (19  un- 
bedeutende Hss).  —  II  de  viris  illustribus  attribuito  ad  Aurelio 
Vittore  collazionato  col  codice  Livornese.    Studi  XI  84 — 92. 

London.  Der  K.  der  Miniaturhss  des  Brit.  Mus.  (Bd.  127, 
134)  ist  1904  mit  der  4.  Lief,  zum  Abschluß  gebracht  worden; 
Dorez  veröffentlicht  Revue  XIV  145—184  eine  Inhaltsangabe  und 
eine  Übersetzung  von  Warners  Einleitung.  Ein  K.  der  h agio- 
graphischen Hss  ist  angekündigt  Anal.  Boll.  XXV  495  ff.;  für 
Neuerwerbungen  s.  79  und  den  Nachtrag  —  Wie  lohnend  eine 
Untersuchung  der  Provenienz  derllarleiani  wäre,  können  die  oben 
bei  Cues  gemachten  Bemerkungen,  ferner  die  im  JThSt  III  102  = 
Texte  u.  Untersuch.  N.  F.  XIV  2,  6  (Erwerbungen  von  John  Cowel, 
Kaplan  der  englischen  Botschaft  in  Konstantinopel)  zeigen,  ebenso 

104.  II.  Omont,  La  bibl.  de  Pedro  Gates  chez  les  Jesuites 
d?Agen.  Journal  d.  Savants  N.  S.  III  (1905)  384  ff. 

Eine  Hs  von  G.  (1537—1595)  kam  nachweisbar  an  das  Jesuiten- 


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Bericht  über  Paläographie  und  Handschriftenkunde  (1903—1906).  43 

kollegium  in  A.  Es  ist  also  wahrscheinlich,  daß  die  24  Harleiani 
und  1  Bodleianus,  die  sich  auf  A.  zurückführen  lassen,  von  G. 
stammen  (von  dem  noch  andere  griech.  Hss  bekannt  sind).  —  Von 
W.  C.  Braithwaite  wurde  1900  eine  Evangelienhs  s.  IX  erworben, 
die  sich  früher  in  Kosinitza  befand  (Codex  Macedonianus ;  vgl.  JThSt 
III  308,  V  265).  —  In  73  werden  einige  kleinere  Bibl.  besprochen 
und  S.  10—30  ein  Auszag  aus  Todd,  Archiepiscopal  Mss  in  the 
Library  of  Lambeth  Palace  (1812)  gegeben  mit  Berücksichtigung 
von  M.  R.  James,  The  Mss  in  the  L.  at  L.  P.  Cambridge  Anti- 
quarian  Society.  8°  Publications  XXXÜI  (1900).  Griech.  Hss  finden 
sich  in  L.  P.,  Si  on  College  und  College  of  Arms;  in  letzterem 
auch  ein  Palimpsest  mit  Virgilfragmenten  s.  X  in  angelsächsischer 
Schrift. 

Lund.  Auf  die  Hs  HLa  Fol.  18  s.  XII  bezieht  sich 

105.  L.  Wählin,  Collatio  codicis  Vegetii  de  re  militari  librorum 
lundensis.  Commentationes  philologae  in  honorem  Iohannis  Paulsen 
(Gotoburgi  1905)  106—123. 

Madrid.    Die  von 

106.  M.  Schiff,  La  bibl.  du  marquis  de  Santillane.  Bibl.  de 
l'&ole  des  hautes  Stüdes.  Sciences  hist.  et  philol.  153  (1905)  be- 
handelte Sammlung,  der  Grundstock  der  Bibl.  Osuna,  enthält  wohl 
Übersetzungen  von,  Klassikern  und  Kirchenvätern ;  die  wenigen  lat. 
Hss  sind  jung. 

Mailand. 

107.  Aem.  Martini  und  D.  Bassi,  C.  codicum  graec.  bibl. 
Ambrosianae.  M.  1906.  2  Bde.  XXXVI  u.  1297  S. 

Es  werden  1093  Hss  beschrieben,  die  mit  wenigen  Ausnahmen 
vor  1609  von  Federigo  Borromeo  erworben  wurden,  für  den  Gratia 
Maria  Gratius  in  Unteritalien,  Antonius  Salmatius  im  Orient  sammelten. 
Die  Vorrede  macht  auf  Vorbesitzer  (Pinelli,  Merula,  Valla  u.  a.)  und 
auf  Hss  aufmerksam,  die  durch  Alter  (89  Palimpseste)  oder  Inhalt 
merkwürdig  sind.  Zu  den  Indizes  (S.  1162—1297)  sei  bemerkt,  daß 
die  Konkordanz  der  Signaturen  in  eine  Pars  superior  und  eine  Pars 
inferior  zerfällt.  Daß  bei  T.  122  sup.  f.  139  (Philostrati  minoris) 
Imagines  angegeben  werden,  obwohl  es  sich  um  den  älteren  Philostrat 
handelt  und  Efxove«  «DiXoaTpotTou  in  der  Hs  steht  (von  Ceriani  freund- 
lich bestätigt),  ist  hoffentlich  ein  vereinzelter  Fall. 

108.  R.  Sabbadini,  Spogli  Ambrosiani  lat.  Studi  XI  (1904) 
165 — 388  (mit  gutem  Index)  spricht  über  einzelne  weniger  bekannte 
Hss  so  vieler  Autoren,  daß  nur  auf  die  eingehende  Besprechung  von 
Wessner,  Woch.  f.  kl.  Phil.  1905,  123 S.  verwiesen  werden  kann. 


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44 


Wilh.  Weinberger. 


Dort  wird  mit  Recht  betont,  daß  zwar  der  Gewinn  für  die  Textkritik 
ein  geringer  ist,  wohl  aber  vielfach  die  Textgeschichte  aufgehellt 
wird.  Die  Lücken  im  Mediceus  des  Tacitus  werden  durch  den  Parmensis 
861  zeitlich  fixiert;  für  Enoch  von  Ascoli  vgl.  oben  99.  —  Hier  ist 
zu  erwähnen,  daß  S.  377  die  einzige  Klassikerhs  des  Archivs 
von  S.  Ambrogio  beschrieben  und  S.  377  ff.  65  jetzt  in  der 
Ambrosiana  befindliche  Hss  von  Francesco  Pizzolpasso  (1435  bis 
1443  Erzbischof  von  M.)  verzeichnet  werden;  eine  66.  bei  70  S.  218 
(Nachtrag  zu  S.  121). 

Die  John  Rylands  Library  in  Manchester  besitzt  die  früher 
in  Haigh  Hall  befindlichen  Hss  der  Bibl.  Lindesiana;  wir  finden 
in  73  S.  53—60  wichtige  patristische  Stücke  verzeichnet.  Ab- 
gesehen von  Libri-  und  italienischen  Hss  sind  an  Heimstätten  zu 
nennen  Himerode,  Murbach  (Cyprian),  Stavelot,  Tournai,  Weissenau. 
Einige  Bibelhss  in  The  J.R.L.M.  C.  of  the  Mss  and  Printed  Books 
exhibited  on  the  occasion  of  the  Visit  of  the  National  Council  of  the 
Evangelish  Free  Churches  (1905). 

Im  Staatsarchiv  zu  Mengeringhausen  in  Waldeck  haben 
sich  in  einem  Einband  dem  10.  oder  11.  Jh.  angehörige  Reste  einer 
Abschrift  des  Codex  Claromontanus  gefunden: 

109.  Codex  Waldeccensis.  Unbekannte  Fragmente  einer  griech.- 
lat.  Bibelhs,  hgg.  von  V.  Schnitze.  München  1903.  23  S.  mit  Faks. 

Messina.  Hss  des  11. — 13.  Jh.  werden  beschrieben  von 

110.  H.  Delebaye,  C.  codicum  hagiogr.  monasterii  S.  Sal- 
vatoris  nunc  bibl.  universitatis  M.  Anal.  Boll.  XXIII  (1904)  19—73. 

Unter  den  Vorarbeiten  wird  weder  B.127,  *188  noch  E.  Mal geri» 
Spoglio  di  codici  greci  del  monastero  del  S.  Salvatore.  Atti  d'Accad. 
Peloritana  XIV  (1900)  334 — 350  (eine  nicht  ausreichende  Beschreibung 
von  10  meist  anderweitig  bekannten  Hss)  erwähnt;  vgl.  noch  Le 
bibl.  governative  Italiane  nel  1898  (Rom  1900)  S.  318. 

111.  N.  Pirrone,  Un  codice  delle  Epistolae  ad  familiäres  di 
Cicerone  nel  museo  com.  di  M.  Studi  XI  (1903)  447 — 454  nimmt 
Bezug  auf  die  Beschreibung  dieser  (s.  XIV/XV)  und  4  anderer  lat. 
Hss.  im  2.  Bande  des  *Archivio  Stor.  Mess. 

Meteora-Klöster.  A.  Berendts  bespricht  Texte  und  Unter- 
such. N.  F.  XI  8  (1904)  67 — 84  einige  in  einem  aus  Uspenskis 
Nachlaß  herausgegebenen  russischen  Werke  erwähnte  theologische 
und  byzantinische  Hss,  die  sich  im  Athener  K.  vom  Jahre  1892  nicht 
finden.  Es  scheinen  eben  1882  nicht  (wie  Bo'avriva  Xpovua  VII 
300,  613  behauptet  wird)  alle  Hss  der  Meteorischen  und  Ossa- 
Olympischen  Klöster  nach  Athen  gebracht  worden  zu  sein.  Die 


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Bericht  über  Paläographie  und  Handschriftenkunde  (1903—1906).  45 

Par.  suppl.  gr.  1257 — 1281  kamen  1897/8  aus  thessalischen  Klöstern 
nach  Paris;  über  die  gleichfalls  aus  den  Meteora-Klöstern  stammende 
jetzt  im  Brit.  Mus.  autbewahrte  Curzonhs  99  s.  XV  s.  N.H.  II  368.  Übrigens 
sollen  schon  1696  von  Athanasius  die  besten  Stücke  nach  Rom  und 
Venedig  gebracht  worden  sein;  vgl.  unten  117,  wo  auch  von  Hss, 
die  nach  Cheltenham  gelangten,  die  Rede  ist. 
Metz  (vgl.  11  T.  35-37). 

112.  Abbe*  Paulus,  Supplement  au  c.  des  mss.  de  la  bibl.  de 
la  ville  de  M.  (Collection  Salis).  Le  Bibliographe  Moderne  VII  (1903) 
401 — 416,  verzeichnet  die  118  Hss  ohne  Index  nach  den  Angaben 
von  Salis,  die  nicht  tiberall  ausreichen.  Über  Kraus  (Bonner  Jahrb. 
69,  72)  geht  er  nur  durch  Angabe  der  Vorbesitzer,  bezw.  der  Buch- 
händler, bei  denen  die  Hss  gekauft  wurden,  und  der  Preise  hinaus. 
An  Heimstätten  seien  genannt  Anchin,  Flavigny,  Hörival,  Liessies, 
S.  Pierremont,  Sens.  —  Ein  K.  der  übrigen  Metzer  Neuerwerbungen 
wird  in  Aussicht  gestellt. 

Micy.  Von  den  Bd.  127  zu  S.  216  nachgetragenen  Aufsätzen 
ist  der  von  Poncelet  für  uns  ohne  Bedeutung;  der  von  Auvray 
soll  nach  Bibliographe  VIU  185  einige  interessante  Beobachtungen 
zu  Traubes  Liste  hinzufügen. 

Monreale.  Die  wenigen  noch  vorhandenen  Hss  von  S.  Maria 
Nuova  in  M.,  die  G.  Millunzi  im  Arch.  Stör.  Sicil.  N.S.  XXVIII 
(1903/4)  41  ff.  erwähnt,  sind  unbedeutend. 

Moskau.  Nach  J.  P.  Postgate,  Class.  Rev.  XVII  (1903)  47 
sind  der  Columella-  und  der  Properz-Kodex  der  Bibl.  Demidow  (die 
der  M.  Universitätsbibl.  einverleibt  worden  war)  1812  verbrannt. 

In  München  finden  sich  einige  der  von  *Lambros  'Kx  tt4c 
ßißX.  xou  "Oöcovo?  xal  TT,?  ÄfiaXux?.  To  "Aato  26.  u.  27.  Okt.  1908 
erwähnten  Hss:  B.Z.  XIII  598.  —  H.  Simonsfeld,  Einige  kunst- 
und  literargesch.  Funde.  Münch.  S.-Ber.  1902,  521—568  weist  den 
Monac.  gr.  157  als  Corvinianus  nach. 

New  York  s.  79.  Nik Olsburg  s.  72  (1  Hs  des  Patriarchen 
Metrophanes,  1  von  Theodosios  Zygomalas  geschrieben)  u.  121  VI 
(1  Hs);  zu  I  136  vgl.  den  beim  Athos  angeführten  K.  von  Benesevic 
98  f.  (russ.). 

Das  griech.  Gymnasium  in  Odessa  besitzt  (B.Z.  XIV  318)  drei 
junge  Miszellenhss ,  deren  Inhalt  *Sp.  Papageorgios,  K.  peta 
repiYpa'ftxoiv  ar^eufoetov  xu>v  xtoStxtov  tt,?  &XXrjvixijc  ayokrfi  'OoYjaaoo. 
'E-et^pi?  toC  riapvaaaoG  VIII  (1904)  93—146  analysiert. 

Oxford  (vgl.  39  u.  104).  Von  Madans  K.  (Bd.  98,  464) 
erschien  1905  der  5.  Band,  1906  die  1.  Hälfte  des  6.,  die  erst  nach 


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46 


Wilh.  Weinherger. 


dem  Abschloß  des  Werkes  durch  die  Indizes  recht  verwertbar  sein 
werden.  Der  5.  Band  verzeichnet  die  in  der  2.  Hälfte  des  19.  Jh. 
einverleibten  Sammlungen  und  (von  S.  741  an)  einzeln  in  der  Zeit 
von  1659 — 1890  erworbenen  Hss  (Nr.  24  831 — 81  000),  darunter  eine 
Anzahl  bisher  nicht  bekanntgemachter  griech.  Hss.  Von  den  lat.  Hss. 
sind  wenigstens  die  älteren  in  der  Bibl.  Britannica  (oben  Kr.  73) 
verzeichnet;  vielfach  bietet  aber  Madan  neue  Provenienzangaben.  Die 
Hamilton-  und  die  Libri-Hss  sind  jung  (letztere  mit  Ausnahme  eines 
Cyprian  des  10.  und  eines  Homiliars  aus  Stavelot  des  11.  Jh.).  28  420 
(Add.  C  251)  enthält  K.  von  Hss  und  Büchern  italienischer  Privat  - 
bibl.,  28  728  (Canon,  ital.  802)  Notizen  über  die  Sammlung  Canonici. 
Im  6.  Band  sind  die  Accessions  1890—1904  (Nr.  31001—88  548) 
innerhalb  der  einzelnen  Jahre  nach  den  Signaturen  geordnet,  so  daß 
Greek  und  Latin  Mss  leicht  zu  finden  sind.  Von  den  lat.  verdienen 
Erwerbungen  aus  Cheltenham  hervorgehoben  zu  werden,  von  den  griech. 
alte  Pergamentfragmente  aus  Ägypten  —  die  Papyri  sind  mit  knappen 
Angaben  besonders  gestellt  —  und  Photographien  von  Hss  anderer 
Bibl.  (darunter  31528  Dioskorides-Fragmente  [III  173  u.  175]  aus 
Edschmiadzin}.  —  Ein  Pergament fragment  des  4.  Jh.  (griech.  Evang.) 
befindet  sich  im  Queens  College  (Woch.  f.  kl.  Phil.  1906,  671), 
ein  zu  den  Turiner  und  Mailänder  Cyprianfragmenten  (s.  V)  gehöriges 
Blatt  im  Besitze  von  Hartwell  Grissel:  JThSt  III  (1902)  576. 

Die  Pariser  Neuerwerbungen  sind,  wie  schon  bei  Cheltenham 
angedeutet  wurde,  von  geringer  Bedeutung;  aus 

113.  H.  Omont,  Nouvelles  acquisitions  du  däpartement  des  mss. 
pendant  les  annäes  1903/4.  Bibl.  d.  chartes  LXYI  5 — 69  seien  die 
Initia  scriptorum  lat.  collecta  a  ß.  Haureau  (n.  a.  lat.  2392 — 2402) 
genannt.  Revue  Belg.  IV  (1906)  482  werden  Neophyti  monachi  cate- 
cheses  graece  s.  XII  erwähnt.  Von 

114.  R.  Poup ardin,  C.  des  mss.  des  collections  Duchesne  et 
Brequigny.  Paris  1905.  XXVI,  338  S.  interessieren  uns  mehr  als  die 
meist  historischen  Hss,  die  von  D.  an  Colbert  und  an  die  Königin 
Christine  gelangten,  Kollationen  von  Br.  und  Arbeiten  desselben  über 
verschiedene  (auch  griech.)  Autoren,  die  im  Index  zu  finden  sind. 
Wichtig  ist  dagegen 

115.  H.  Omont,  Concordances  des  numöros  anciens  et  des 
numeros  actuels  des  mss.  latins  de  la  Bibl.  Nat.  pr<$c4dees  d'une 
notice  sur  les  anciens  c.  Paris  1903. 

S.  191 — 194  werden  die  verschollenen  Sangermanenses  zusammen- 
gestellt (für  das  Blatt  des  aus  S.  Germain  stammenden  Augustin- 
Papyrus,  das  sich  in  Petersburg  gefunden  hat,  vgl.  oben  51).  Wie 


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Bericht  über  Paläographie  und  Handschriftenkunde  (1903— 1906).  47 

bei  der  Besprechung  der  alten  Signaturen  und  E.  die  Provenienz 
eine  Rolle  spielt,  so  beschäftigt  sich  mit  ihr  auch 

116  u.  117.  H.  0.,  Ms.  des  Oeuvres  de  S.  Denys  l'Aröopagite 
envoyä  de  Constantinople  ä  Louis  le  De'bonnaire  en  827.  Iiev.  d. 
Stüdes  grecques  1904,  230—236  (m.  Faks.)  —  (Bd.  127.  191), 
Missions  archöol.  francaises  en  Orient  aux  XVII0  et  XVllI6  siecles. 
Collection  de  documents  inödits  sur  l'histoire  de  France.  1.  Ser.  LXX. 
Paris  1902. 

In  117  erhalten  wir  nicht  nur  Aufschluß  über  Hss,  die  durch 
P.  Athanasius,  Sevin,  Fourmont,  Galland  und  andere  Gelehrte  und 
Diplomaten  aus  dem  Orient  (Athos,  Konstantinopel,  Kypern  usw.) 
nach  Paris  gebracht  wurden ,  sondern  werden  auch  (853  ff.)  auf  Hss 
aufmerksam  gemacht,  die  namentlich  aus  den  Athos-  und  Meteoren- 
klösteru  in  deutsche,  englische,  italienische  und  russische  Bibl.  ge- 
langten. Für  die  Provenienz  von  Pariser  Hss  aus  dem  Orient  vgl. 
132  S.  13  ff.  und  die  Angaben  von 

118.  A.  Gastouö,  Curieuses  annotations  de  quelques  mss. 
byzantins.  Revue  de  l'Orient  chrttien  2.  Ser.  I  (1906)  317—327 
(eine  Pal.  musicale  byzantine  mit  C.  des  mss.  de  musique  byz.  des 
bibl.  publiques  de  France  wird  angekündigt),  für  Pariser  Hss  deutscher 
Herkunft  Nr.  93. 

Petersburg  s.  51.  Prag. 

119.  I.  Truhläf,  C.  codicum  mss.  lat.  qui  in  c.  r.  bibl.  publica 
atque  universitatis  Pr.  asservantur.   2  Bde.  Prag  1905  u.  1906. 

Die  einzige  griech.  Hs.  (1653)  wird  gegen  72  ins  14.,  bezw. 
15.  Jh.  hinaufgerückt.  Von  den  lat.  ist  die  älteste  ein  Evangelien- 
fragment s.  VII/VIII.  7  gehören  dem  9.— 11.  Jh.  an  (Bibel  [2426 
Wy Sehrader  Evangeliar],  Boethius,  Chrysostomus,  Gregor,  Prudentius), 
85  dem  12.  und  13.  (2349:  operculo  adglutinatum  est  fragmentum 
cuiusdam  lexici  [in  Aeneidem ?]  characteribus  langobardicis  aut 
visigothicis  saec.  XU  exarati);  die  Klassikerhss  (bis  herauf  zum 
14.  Jh.)  wurden  schon  1872  von  J.  Kelle  (Abh.  d.  böhm.  Ges. 
d.  "Wiss.  6.  Folge  V)  beschrieben.  Der  Provenienz-Index  berück- 
sichtigt nur  die  unmittelbare  Herkunft  der  Hss;  andere  Vorbesitzer 
sind  im  Index  personarum  locorum  rerum  zu  suchen.  Im  Anschluß  an 
diesen  K.  gibt  R.  Wölk  an  in  den  Mitteil.  d.  öst.  Vereins  f.  Bibl.  IX 
172  ff.  eine  Liste  von  mehr  als  90  Hss  böhmischer  Provenienz,  die  in 
zahlreichen  Bibl.  Österreichs,  Deutschlands  und  Italiens  zu  finden  sind. 

120.  A.  Podlaha,  Die  Bibl.  d.  Metropolitankapitels  (Topo- 
graphie d.  hist.  und  Kunstdenkmale  im  Königreiche  Böhmen.  Prag 
II/ 2)  Prag  1904. 


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48 


Wilh.  Weinberger. 


Ein  Marcus-Evangelium  gehört  dem  6.,  einige  Evangeliare  dem 
9.  Jh.  an,  die  übrigen  (Miniaturen-)  Hss  sind  jung. 

Raudnitz,  Lobkowitzsche  Bibl.  vgl.  72,  wo  auch  für  lat.  Hss 
ein  Auszug  aus  dem  hsl.  K.  gegeben  wird,  und  dazu  die  Identifizierungen 
von  Förster  (Berl.  phil.  Woch.  1905,  750  f.,  Libanius,  Aristides) 
und  Diels,  Berl.  S.-Ber.  1906,  749,  der  den  Plato-Kodex  ins 
15.  Jh.  setzt. 

Reims:  CD.  38,  39  (1  u.  2);  Einleitung  und  Index  stehen  aus. 

Rom.  Zur  Geschichte  der  vatikanischen  Bibl.  (die  durch 
den  Brand  vom  1.  November  1903  in  keiner  Weise  betroffen  wurde) 
sind  Notizen  über  die  Bibliothekare  (unter  Alexander  VI.:  Baum- 
garten, Rom.  Quartalschr.  XX  [1906]  97—100),  Vizebibliothekare 
und  Kustoden  (Novae  patrum  bibl.  a  Maio  collectae  tomus  X  [1905] 
1,  385—417  mit  den  Bemerkungen  von  Mercati,  Theol.  Revue 
1906,  267)  zu  verzeichnen.    Die  Vaticana  berücksichtigt  auch 

121  (Bd.  127,  83).  C.  codicum  astrolog.  graec.  V  1.  Codicum 
Rom.  partem  priorem  descripserunt  F.  Cumont  et  F.  Boll.  Brüssel 
1904.  (V  2  [von  W.  Kroll;  1906]  behandelt  nur  den  cod.  Vatic. 
gr.  191). 

Angelica,  Casanatensis  und  Vallicelliani  sind  mit  je 
1  Hs  vertreten;  die  übrigen  Vat.  und  Barberiniani  sollen  im  3.  Teil 
beschrieben  werden.  —  Abbildungen  aus  dem  Vat.  gr.699  finden  wir 
in  Nr.  14,  aus  755  und  1153  bei 

122.  A.  Munoz,  I  codici  greci  miniati  delle  minori  bibl.  di  R. 
Bibl.  della  Rivista  d'Arte  I  (Florenz  1906),  der  Ausdehnung  seiner 
Studien  auf  andere  italienische  Bibl.  (farbige  Wiedergabe  des  Rossa- 
nensis)  ankündigt  und  einen  beachtenswerten  Indice  dei  mss.  citati 
beigibt.  Für  die  Chisiana  (Dioskurides,  Prophetenhss)  vgl.  den 
auch  lat.  Hss  behandelnden  Aufsatz 

123.  A.  M.,  I  codici  miniati  della  bibl.  Chigi  in  R.  Revue  XV 
(1905)  859-376. 

124.  A.  Poncelet,  C.  codicum  hagiogr.  lat.  bibl. Romanarum 
praeterquam  Vaticanae.  (Beilage  zum  24.  und  25.  Bande  der  Anal. 
Boll.,  bisher 200 S.)  berücksichtigt  die  Kapitulararchi  ve  S.  Petri, 
S.  Iohannis  in  Laterauo  (das  bisher  nicht  gehörig  ausgenutzt 
scheint)  und  S.  Mariae  Maioris,  die  Bibl.  Vittorio  Eraanuele 
(Sessoriani  [vgl.  Lasinios  bei  Florenz  angeführte  Arbeit  und  Nr.  101), 
Farfenses,  S.  Andreae  de  Valle,  S.  Onuphrii)  u.  Alexandrina.  — 
Für  die  Vittorio  Eraanuele  gibt  Lundström  (105  S.  140—146) 
in  schwedischer  Sprache  einige  Ergänzungen  zu  Nr.  1,  8,  14, 
15,  17,  18   von  Tarailias  K.  (Bd.  127,  178).   Böhmer  macht 


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Bericht  über  Paläographie  und  Handschriftenkunde  (1903—1906).  49 

ThLZ  1903,  646  auf  eine  Tertullianhs  (Apolog.)  des  12.  Jh.  in 
dem  an  wertvollen  Hss  ungemein  reichen  A r c h i v  desMinoriten- 
konvents  San  Isidoro  de1  Irlandesi  (Via  de'  Artisti)  auf- 
merksam. Pastors  Bemerkungen  Uber  verstreute  und  noch  bestehende 
fürstliche  und  andere  Privatbibl.  in  R.  (Atti  del  congresso  internazio- 
nale  di  scienze  storiche  III  123—130;  im  Histor.  Jahrb.  1906,  9  \9 
wird  ein  erweiterter  Abdruck  gewünscht)  sind,  da  auf  philologisch 
wichtige  Hss  nicht  eingegangen  wird,  für  uns  von  geringerer  Bedeutung. 
Rouen. 

125.  A.  Poncelet,  C.  codicum  hagiogr.  lat.  bibl.  publ. 
Rotomagensis.  Anal.  Boll.  XXIII  (1904)  129—275. 

Schaff  hausen.  Eine  Vita  Columbani  s.  VIII  irischen  Ur- 
sprungs wird  Bibliographe  VIII  46  f.  herausgehoben  aus 

*126.  Verz.  d.  Inkunabeln  u.  Hss  d.  Sch.  Stadtbibl.   Sch.  1903. 

S  i  e  n  a.  Zu 

127—129.  N.  Terzaghi,  De  cod.  lat.  philologicis ,  qui  Senis 
in  bibl.  publica  adservantur.  Bull.  Senese  di  Storia  patria  X  (1903) 
392—410.  —  Nota  al  cod.  Sen.  lat.  7.  Ebds.  XII  303—307.  — 
Index  cod.  lat.  classicorum,  qui  S.  in  Bibl.  publ.  adserv.  Studi  XI 
(1904)  401—431 

sind  die  nicht  zahlreichen,  aber  wichtigen  Bemerkungen  von 
Wey  man,  Woch.  f.  kl.  Phil.  1905,  242  f.  heranzuziehen;  von  Be- 
deutung scheint  nur  der  Kodex  zu  sein,  der  die  hsl.  ziemlich 
seltene  Deklamation  des  Porcius  Latro  gegen  Catilina  enthält 
(vgl.  70  S.  127,  6).  Die  Einleitung  in  127  behandelt  auch  die 
Vorbesitzer;  11  (von  den  75)  Hss  (des  14.  oder  15.  Jh.)  stammen 
aus  dem  Kloster  Montis  Oliveti  Maioris  (vgl.  auch  Bull.  Sen.  IX 
279,  X  24,  206,  411),  5  von  diesen  sind  Geschenke  von  Lodovico 
da  Terni  (den  Zippel,  Giorn.  stor.  d.  letter.  ital.  XLVIII  213,  1 
mit  Lodovico  Pontano  identifiziert). 

Mit  einem  K.  der  Sinaihss  (vgl.  Bd.  106  S.  210)  ist  Th. 
Bolides  betraut:  N.  H.  I  513. 

Subiaco.   Die  Bibl.  ist  von  Federici  behandelt  in 

*130.  1  monasteri  di  S.  a  cura  e  spese  del  Ministero  della  pubbl. 
Istruzione.  1904. 

Das  Therapnäkloster  in  Lakedaimon  hat  während  der  griech. 
Befreiungskriege  zahlreiche  Hss  erhalten  (namentlich  von  der  Metro- 
polis Mistra),  doch  wurden  viele  durch  die  Türken  vernichtet,  andere 
gingen  durch  Entwendung  oder  nachlässige  Aufbewahrung  verloren 
(vor  20  Jahren  wurde  ein  Neues  Testament  des  10.  Jh.  nach  Ruß- 
land verkauft).   Von  den  76  Hss,  die 

Jahresbericht  für  Altertumswissenschaft.    Bd.  CXXXV.  4 


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50 


Wilh.  Weinberger. 


*181.  N.  A.  B£tj?,  K.  täv  yeipQrfpdtptov  xoSt'xtov  t5)c  4v  0. 
täv  a-^cuv  Teaaepaxovra.  'ETreTTjpl?  toG  flapvaaaou  VIII  (1904) 
98 ff.  beschreibt,  gehören  nach  C.  R.  Gregorys  Anzeige  (L.C.B. 
1906,  582)  2  dem  12.,  4.  dem  14.  und  1.  dem  15.  Jh.  an  (liturgisch 
oder  theologisch). 

Thessalonike.  Den  Bestand  nach  dem  Brande  von  1890 
verzeichnet  (mit  guten  Indizes) 

132.  D.  Serruys,  C.  des  mss.  grecs  conservös  au  gymnase 
de  Salonique.    Revue  XIII  (1903)  12—92. 

Die  älteren  Hss  (s.  X— XIII ;  Basilius,  Chrysostomus,  Gregorius, 
hagiograph.)  stammen  aus  der  erzbischöflichen  Bibl.  Die  liturgischen 
Hss  werden  summarisch  beschrieben.  S.  18  ff.  kommen  für  ver- 
schiedene Hss-Verz.  des  Mynas  in  Betracht. 

Toledo.  Alphabetisch  geordnet  ist 

183.  J.  M.  Octavio  de  Toledo,  C.  de  la  libreria  del  cabildo 
Toledano.  Bibl.  de  la  Revista  de  Archivos,  Bibl.  y  Museos  III.  Madrid 
1903  ff. 

Die  Hss  stammen  zumeist  von  Kardinal  Zelada  und  sind  jung: 
in  dem  (1869  abgefaßten)  K.  treten  die  Altersangaben  zu  wenig  hervor. 

Tours.  CD.  37,  2  (1905)  enthält  außerdem  Index  S.  1055  ff. 
Listen  der  Hss  von  S.  Gatien,  S.  Martin  und  Marmoutier,  eine  Über- 
sicht der  Hss  von  Tours  nach  ihrer  Herkunft  und  ein  Verz.  der  Pariser 
aus  T.  stammenden  Hss  (vgl.  Bd.  98,  551). 

Trapani.  10  Hss  des  13.— 15.  Jh.  (darunter  klassische  und 
humanistische)  beschreibt 

134.  N.  Pirrone,  Codices  lat.  qui  in  publ.  bibl.  Drepanensi 
adservantur.   Studi  XIII  (1905)  59—66. 

Trient.  Eine  der  städt.  Bibl.  1897  vererbte  Hss  soll  die  beim 
Trienter  Konzil  benutzte  Bibelhs  sein: 

135.  M.  Hetzenauer,  Codex  Bassetti  Tridentinus.  Bibl.  Z.  II 
(1904)  225—233. 

Über  die  Bibl.  von  Trapezunt  und  Umgebung  macht  F.  Cumont 
in  seiner  Anzeige  von  Gardthausen  (Bd.  127,  72;  Revue  de  Tin- 
struct.  publ.  cn  Belgique  1903,  16—20)  einige  Bemerkungen; 
Vaseion,  Pcristcra,  Sumela  (Ergänzungen  zu  Bd.  127,  180,  wo  eine 
wesentlich  kanonistische  Hs  des  13.  Jh.  fehlt). 

Tübingen.  41  (meist  Papier-)  Hss  beschreibt  ausführlich 

136  (Bd.  127,  *181).  W.  Schmid,  Verz.  d.  griech.  Hss  der  Uni- 
versitätsbil.l.  T.  Beilage  zum  Doktorenverz.  d.  philos.  Fakultät.  1902. 

die  Crusiani  allerdirys  ohne  Angabe  des  Originals  (vgl.  Nestle* 
und  Schmids  Berichtigungen  C.B.  XX  277,  462);  daß  eine  Hs  des 


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Bericht  über  Paläographie  und  Handschriftenkunde  (1903—1906).  51 

Quintus  Smyrnaeus  dem  14.  Jh.  angehöre,  ist  nicht  wahrscheinlich. 
Das  Register  berücksichtigt  auch  Vorbesitzer  und  Schreiber. 

Turin.  Durch  den  Brand  vom  26.  Jänner  1904  wurde  etwa 
die  Hälfte  der  griech.  und  lat.  Hss  vernichtet,  auch  das  vollständige 
hsl.  Verz.,  so  daß  für  die  1300  bei  Pasini  nicht  katalogisierten  Hss 
(  darunter  etwa  400  Pergamentkodizes)  keine  ausreichende  Orientierung 
vorhanden  ist.  Die  erhaltenen  Stücke  haben  durch  Feuer  und  Wasser 
stark  gelitten.    Der  Grad  der  Beschädigung  ist  angegeben  in 

137.  (C.  Cipolla,  C.  Frati,  G.  de  Sanctis)  Inventario  de 
codici  superstiti  greci  e  lat.  antichi  della  Bibl.  Naz.  di  T.  Rivista 
di  filol.  XXXII  (1904)  885—588  (ohne  Index). 

Ein  Nachtrag  (S.  582—586)  zu  den  griech.  Hss  (S.  387—429) 
berücksichtigt  auch  Fragmente,  die  durch  die  oben  (Nr.  6)  erwähnte 
Tätigkeit  von  Chemikern  erhalten  und  in  Stand  gesetzt  worden  sind. 
Bisher  konnten  284  (von  406)  griech.  Hss  verzeichnet  werden ;  Theo- 
doret  ist  fast  unversehrt  (s.  XI  nicht  IX) ,  vom  Kondakion  ist  etwa 
ein  Drittel  in  schlechtem  Zustande  erhalten.  Auch  sonst  ergeben 
sich  einige  Berichtigungen  zu  Krumbachers  Darstellung  (Allgem. 
Zeit.  26.  Feb.  1904  =  Rev.  d.  etudes  grecques  XVII  12—17). 

Von  S.  430  an  werden  die  erhaltenen  lat.  Hss  verzeichnet:  59 
Bobienses ,  die  Hss  des  11. — 14.  Jh.,  die  sicher  aus  der  Abtei 
Staffarda  stammen  (Nr.  60 — 84)  und  die  jungen  Hss  des  Kardinals 
della  Rovere  (Nr.  85 — 155).  Das  Verzeichnis  dieser  155  Hss  ist 
abgedruckt  bei 

138.  G.  Gorrini,  L'incendio  della  B.  N.  di  T.  J.  1904  (ital. 
und  franz.)  S.  278  f.;  S.  38  A.  1  Verz.  der  verbrannten  Bobienses 
(vgl.  140,  142). 

In  137  folgen  die  übrigen  erhaltenen  (mit  Ausnahme  einiger 
weniger  Patristica  jungen)  Pergament-  und  älteren  Papierhss.  (Nr.  156 
bis  1067);  einen  Sallustkodex  s.  XV  (Catilina),  der  geschenkt  wurde, 
erwähnt  188  S.  234.  —  Angesichts  der  großen  Verluste  gewinnt 
die  Bibliographie  von 

139.  (Bd.  106,  162)  A.  Avetta,  Secondo  contributo  di  notizie 
bibliograf.  per  una  bibliogr.  dei  codici  della  B.  N.  di  T.  C.B.  XX 
(1903)  209—221  an  Bedeutung  und  ihre  Fortsetzung  wäre  wünschens- 
wert; vgl.  besonders 

140.  E.  Chatelain,  Notes  sur  quelques  palimpsestes  de  T. 
Eev.  phil.  XXVII  (1903)  27—48, 

141.  W.  Meyer,  Das  T.  Bruchstück  der  ältesten  irischen 
Liturgie.  Gott.  Nachr.  1903,  163—214. 


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52 


Wilh.  Weinberger. 


Einige  Bobienses  sind  dnrch  Reproduktionen  erhalten,  die  für  die 

142.  Collezione  pal.  Bobbiese.  I.  Codici  B.  della  Bibl.  N.  di 
T.  con  illustrazione  di  C.  Cipolla.    198  S.  90  T.  Mailand  1907 

angefertigt  wurden.  Auch  sind  Reproduktionen  von  Hss  von  Turin, 
Jvrea  und  Vercelli  in  Aussicht  genommen;  vgl.  Atti  d.  Accad.  di  T. 
39,  404)  (abgedruckt  138  S.  258),  Für  Miniaturhss  s.  57 ;  Proben 
erhaltener  Hss  in  6  und  138. 

Venedig. 

143.  H.  Delehaye,  C.  cod.  hagiograph.  graec.  bibl.  D. 
Marci.    Anal.  Boll.  XXIV  (1905)  169—256 

bietet  viele  Provenienzangaben.  Einige  Angaben  über  Vorbesitzer 
(s.  oben  Nr.  8 :  vielleicht  aus  S.  Nicola  di  Casole)  auch  bei 

144.  Laura  Pittoni,  La  libreria  di  S.  Marco.  Pistoja  19<>3, 
namentlich  aber  in  der  Festschrift: 

145.  La  bibl.  Marciana  nella  sua  nova  sede.  Venedig  ly06, 
deren  Bibliographie  (S.  89  ff.)  auch  hsl.  K.  bezw.  Vorarbeiten  z.  B. 
zur  Fortsetzung  von  Morellis  K.  (1802)  berücksichtigt.  Man  ersieht, 
daß  von  532  griech.  Hss  der  Appendice  bei  Castellani  (Bd.  98,  269) 
nur  78  beschrieben  sind  und  auch  von  den  lat.  bei  Valentinelli  etwa 
500  fehlen.  Auch  K.  der  einverleibten  Bibl.  werden  erwähnt,  z.  B. 
ein  hsl.  von  S.  Joannes  in  Viridario. 

Verona  (vgl.  42  u.  48).  Den  L.A.  einiger  Ovid-,  Persius-  u. 
Valerius  Maxinius-Hss  des  13.  u.  14.  Jh.  mißt  Bedeutung  bei 

146.  C.  Marchesi,  De  codd.  quibusdam  adhuc  uon  compertis 
qui  V.  in  bibl.  capitulari  adservantur.    Stndi  XII  (1904)  121 — 138. 

Wells.  Einige  in  der  Bibl.  Britannica  (oben  73)  III  1  (Wiener 
S.-Ber.  131  X)  S.  49  nicht  erwähnte  Hss  nennt 

147.  T.  W.  Williams,  W.  Cathedral  Library.  The  Library 
Association  Record  VIII  (1906)  372—377. 

Wien  (vgl.  7  X,  28).  Die  astrologischen  griech.  Hss  der  Hof- 
bibl.  beschreibt  Kroll  Nr.  121  VI  (Brüssel  1903);  für  den  Inhalt 
vgl.  DLZ  1903,  1837;  Berl.  phil.  Woch.  1904,  1217. 

148.  F.  MenCik,  Die  Neapolitaner  Hss  der  Hofbibl.  Mitteil, 
d.  öst.  Vereins  f.  Bibl.  VIII  133—148,  170—177,  IX  31—37 

druckt  für  22  griech.  und  90  lat.  Hss,  die  1718—1721  nach 
Wien  kamen,  das  von  Cavalcanti  angelegte  Verz.  ab.  Darunter  sind 
Parrliasiani  (2  Bobienses),  die  an  Antonio  Seripandi  vererbt,  durch 
dessen  Bruder  Girolamo  an  das  Kloster  S.  Ioannis  de  Carbonaria 
kamen;  andere  stammen  aus  dem  Severin-  und  dem  Apostelkloster. 

149.  C.  van  de  Vorst,  Verz.  d.  griech.  Hss  der  Bibl.  Rossiana. 
C.B.  XXIII  a906)  492—508,  537—550  beschreibt  43  Hss  des  10. 


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Bericht  über  Paläographie  und  Handschriftenkunde  (1903-1906).  53 

bis  16.  Jh.,  die  sich,  aus  dem  Besitze  von  Giovanni  Francesco  de 
Rossi  stammend,  seit  1877  im  Wiener  Jesuitenkollegium  befinden. 
Die  Indizes  berücksichtigen  auch  Schreiber  und  Vorbesitzer  (darunter 
Georgius  comes).  Das  Verz.  von  Bethmann  (Archiv  XII  417:  Commen- 
datore  Torquato  Rossi,  22  Hss)  ist  nicht  berücksichtigt;  in  der 
Datierung  bestehen  einige  Divergenzen,  namentlich  zwischen  15.  und 
16.  Jh. 

Wolfenbüttel.  Der  8.  Band  von  Heinemanns  K.  (Bd.  106, 
192)  enthält  II  5  u.  III  sowie  die  Register  zu  den  Augusteischen 
und  zu  den  Weißenburger  Hss.  Die  Kodizes  der  Abtei  Petri  und 
Pauli  zu  W.  im  Elsaß  sind  patristiseh  (meist  IX— XI);  Nr.  64 
(Isidor)  stammt  nach  dem  K.  aus  Spanien,  die  Herkunft  aus  Bobbio 
(vgl.  Bd.  127,  100)  wird  bezweifelt.  Traube  bestreitet  (N.  Archiv 
XXIX  56G),  daß  die  Kursive  (ein  Faksimile  im  K.)  westgotisch  sei, 
und  tritt  für  die  Herkunft  aus  B.  ein;  unter  der  ersten  Schrift  so- 
wohl dieses  Palimpsests  als  auch  des  Vat.  5763  kommt  nämlich  zu- 
sammenhängender Galentext  vor,  vgl.  aber  das  in  9  VII  über  Palimp- 
seste  Bemerkte  und  dazu  142  T.  9  (erhaltener  griech.  Text).  Als 
endgültig  entschieden  kann  die  Frage  nicht  betrachtet  werden. 

Worcester. 

150  u.  151.  J.  K.  Floyer,  The  Mediaeval  Library  of  tlie 
Benedictine  Priory  of  St.  Mary  in  W.  Cathedral  Church.  Archäo- 
logia  2.  Ser.  VIII  2  (1903)  561—570.  —  *C.  of  Mss.  preserved  in 
the  Chapter  library  of  W.  Cathedral  (W.  Hist.  Soc.  20).  Oxford 
1906.   XVIII,  196  S. 

283  Hss  sind  in  W.,  66  in  anderen  englischen  Bibl.  erhalten. 
Die  bei  der  Übersicht  über  die  ersteren  genannten  Stücke  sind  zu- 
meist auch  in  der  Bibl.  Britannica  (oben  73)  III  2  (Wien.  S.-Ber. 
139  IX)  44  beschrieben.  Der  gewöhnliche  Einband  und  einige  Ein- 
tragungen der  fratres  in  den  Hss  sind  abgebildet. 

Nachtrag-. 

Zu  S.  41  (Jesi).  L'Agricola  e  la  Germania  di  Cornelio  Tacito 
nel  ms.  lat.  8  della  bibl.  del  Conte  G.  Balleani  a  cura  di  C.  Anni- 
baldi  (1907)  hat  mir  noch  nicht  vorgelegen. 

Zu  S.  42  (Karlsruhe).  K.  Künstle,  Die  Kunst  des  Klosters 
Reichenau  im  IX.  und  X.  Jh.  Freiburg  1906  (16  ff.:  Die  R.  Miniatur- 
malerei). 

London.  C.  of  Additions  to  the  Mss.  in  the  British  Museum 
(s.  Bd.  127  S.  256)  XI  (1907;  1900—1905:  Add.  Mss.  36298  bis 
87232,    Egerton  Mss.  2827—2861). 


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Jahresbericht  über  griechische  Geschichte  (1903—1906). 

Von 

Thomas  Lensehau- Berlin. 


Erstes  Kapitel. 

Die  Anfänge  der  griechischen  Kultur. 

Ausgrabungen. 

Troja  und  Ilion.  Ergebnisse  der  Ausgrabungen  in  den  historischen  und 
vorhistorischen  Schichten  von  Ilion  1870 — 94.  Unter  Mitwirkung  von 
A.  Brückner,  H.  v.  Fritze,  A.  Götze,  H.  Schmidt,  W.  Wilberg,  H.  Winne- 
feld hrsg.  v.  W.  Dörpfeld.  Athen  1903. 

Schliemanns  Sammlung  trojanischer  Altertümer  hrsg.  v.  d.  Generalverwaltung 
der  Kgl.  Museen  zu  Berlin.  Berlin  1903  (vgl.  Hub.  Schmidt,  Ztschr.  für 
Ethnol.  1901.  S.  257  ff.  und  331  ff.) 

Excavations  at  Phylakopi  in  Melos,  conducted  by  the  British  School  at 
Athens.  Described  by  T.  D.  Atkinson,  It.  C.  Bosanquet,  C.  C.  Edgar, 
A.  .1.  Evans,  I).  G.  Ilogarth,,  D.  Mackenzie,  C.  Smith  and  F.  B.  Welch. 
London  1904. 

Knossos.  A.  J.  Evans,  Excavations  at  K.  1902/3  in  Annual  of  the  British 
School  at  Athens  IX,  für  1904:  Report  of  the  meoting  of  the  Brit.  Asso- 
ciation for  the  advancement  of  Science  Bd.  74,  p.  322—4,  für  1905: 
Report.  Bd.  75  p.  209  f. 

Palaikastro.  Excavations  at  P.,  conducted  by  Hogarth,  Dawkins  a.  o.  Annual 
of  the  British  School  at  Athens  IX,  274—355. 

Phaistos.  Pernier,  Scavi  della  Missione  Italiana  a  Ph.  1900/1  Mon.  ant  XII, 
1-142.  Zweiter  Ber.  Mon.  ant.  XIV,  313—494.  Über  die  Nekropole 
ebd.  XIV,  501-666  von  Savignoni. 

Hagia  Triada.  Ilalbherr,  Resti  deU'eta  Micenea  scoperti  ad  Haghia  Triada 
presso  Ph.  Mon.  ant.  XIII,  1—72,  vgl.  Savignoni,  il  vaso  di  II.  T.  77—131. 
Uber  die  Nekropole  Paribeni  ib.  XIV,  676—756. 

Argos.    Voltgraff,  fouilles  d'Argos  Bull.  Corr.  Hell.  1906,  1—41. 


Benndorf,  zur  Ortskunde  und  Stadtgeschichte  von  Ephesos.    Wien  1905. 
Bürchner,  Art.  Ephesos  in  Pauly-Wissowas  Rcalencyklopädie. 
Dawkins,  the  pottery  from  Zakro,  Journ.  of  Hell.  Stud.  23,  248  -260. 


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Jahresbericht  über  griechische  Geschichte  (1903—1906). 


55 


Dörpfeld  W.t  Die  kretischen,  mykenischen  und  homerischen  Paläste.  Mitt. 

d.  d.  Arch.  Inst.  30,  257—297. 
— ,  Verbrennung  und  Beerdigung  der  Toten.  Ztschr.  f.  Ethnol.  37,538—41, 

auch  W.  f.  klass.  Ph.  1905,  1213-1215. 
— ,  Leukas.  Athen  1905  (Abdrücke  aus  Mölanges  Perrot  (1902  p.  79—94)  und 

Arch.  Anz.  1905  p.  65—74). 
Dussaud,  questions  myce^niennes.  Revue  de  l'histoire  des  religions  51,  24 — 62. 
Evans,  pictographic  and  linear  Script  of  Minoic  Creta,  Athenaeum  3971 

p.  757  ff. 

Kick,  Aug.,  Vorgriechische  Ortsnamen  als  Quelle  für  die  Vorgeschichte 

Griechenlands  verwertet.   Göttingen  1905. 
Fisher,  Clarence,  the  Mycenaean  palace  at  Nippur.  Am.  Journ.  of  Arch. 

1904,  403—442. 

Gercke,  A.,  Die  Myrmidonen  in  Kyreue,  Herrn.  41,  447 — 459. 
Goeßler,  P.,  Leukas-lthaka,  die  Heimat  d.  Odysseus.    Stuttgart  1904. 
Gruhn,  A.,  Leukas-lthaka,  Neue  phil.  Rdsch.  1907,  193  ff,  217  ff. 
Gutscher,  H.,  Vor-  und  frühgeschichtliche  Beziehungen  Istriens  und  Dalmatiens 

zu  Italien  und  Griechenland.  Jahresb.  des  K.  K.  II.  Staatsgyranasiums 

zu  Graz  1903. 

Hall,  R.  C,  The  oldest  civilization  of  Greece.   London  1901. 
-,  the  two  labyrinths  Journ.  Hell.  St.  25,  320—337. 

Kießling,  M  ,  Das  ethnische  Problem  des  alten  Griechenland.   Ztschr.  f. 

Ethnol.  1905,  S.  1009-1024.  * 
Kornemann,  M.,  zu  den  Siedelungsverhältnissen  der  mykenischen  Epoche 

Klio  (Beitr.  z.  alt.  Gesch.)  VI,  171—176. 
Lang,  G.,  Untersuchungen  zur  Geographie  der  Odyssee.   Karlsruhe  1905. 
Lehmann-Haupt,  C.  F.,  Aus  und  um  Kreta,  Klio  4,  387-96. 
—  Karisch-Chaldisches  ib.  6,  176-8. 

Mackenzie,  Duncan,  the  pottery  of  Knossos  Journ.  Hell.  St.  23,  157 — 206. 
v.  Marees,  W.,  Die  Ithakalegende  auf  Thiaki.   Neue  Jbb.  kl.  Alt.  1906, 
233-245. 

Mayer,  M.,  aus  der  ältesten  Zeit  Großgriechenlands.  Berl.  phil.  Woch.  1905, 
1614—1616. 

Michael,  H.,  Die  Heimat  des  Odysseus.  Ein  Beitrag  zur  Kritik  v.  Dörpfelds 

Ithakahypothese.   Jauer  1905. 
Müller,  Sophus,  Urgeschichte  Europas,  übers,  v.  O.  L.  Jiriczek.  Straßb.  1905. 
Noack,  Ferd.,  Homerische  Paläste.    Leipzig  1903. 

Pfuhl,  Ernst,  zur  Geschichte  des  Kurvenbaus.  Mitt.  d.  arch.  Inst.  30,  331 — 374. 
Hadet,  G.,  la  colonisation  d'Ephese  par  les  Joniens  Rev.  Et.  Grccq.  VIII, 
1—23.  1906. 

Schmidt,  Hubert,  Troja-Mykene-Ungam.  Ztschr.  f.  Ethn.  36.  1904.  S.  608—656. 

— ,  Die  Keramik  der  makedonischen  Tumuli  ebd.  37,  91—113. 

Vollgraff,  C.  W.,  over  den  orsprong  onzer  Europeesche  beschaving.  De  Gids. 

1905,  Heft  12. 

"Walters,  History  of  Ancient  Pottery.    London  1905. 
Wilamowitz,  über  die  ionische  Wanderung.   S.  B.  d.  Berl.  Akad.  1906. 
— ,  über  Dörpfelds  Leukas-lthaka  Hypothese,  Arch.  Anz.  1903  p.  42  f. 
Winkler,  Hugo,  Auszug  aus  der  vorderasiatischen  Geschichte.  Leipzig  1905. 


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5(J  Thomas  Lenschau. 

Drei  Jahrzehnte  unermüdlicher  und  erfolgreicher  Durchforschung 
des  griechischen  Bodens  haben  nach  und  nach  eine  ungeheure  Masse 
wertvollster  Einzelfunde  ans  Licht  gebracht,  die  für  die  helleuische 
Urgeschichte  von  grundlegender  Bedeutung  geworden  sind.  Aber 
immer  schwieriger  wird  zugleich  bei  der  gegenwärtigen  Zerstreuung 
des  Materials  in  teilweis  entlegenen,  kostspieligen  und  schwer  zu  be- 
schaffenden Publikationen  der  Überblick  über  die  gesamte  vorhandene 
Fundmasse,  und  so  ist  es  denn  von  hoher  Bedeutung,  daß  in  der 
vergangenen  Berichtsperiode  wenigstens  für  zwei  Fundstätten  ab- 
schließende Veröffentlichungen  erfolgt  sind,  die  das  gesamte  an  einem 
Orte  gefundene  Material  in  kritischer  Durcharbeitung  enthalten.  Das 
große  Sammelwerk  über  Hissarlik-Troja,  das  Dörpfeld  und 
seine  langjährigen  Mitarbeiter  in  zwei  Bänden  herausgegeben 
haben,  legt  in  einer  Reihe  von  musterhaft  klaren  und  zugleich  er- 
schöpfenden Abhandlungen  die  ganze  in  28  jähriger  Arbeit  gewonnene 
Fundmasse  vor.  Nur  der  wichtige  Abschnitt  über  die  Töpferei  von 
Hubert  Schmidt  läßt,  besonders  was  die  Abbildungen  betrifft,  die 
wünschenswerte  Ausführlichkeit  vermissen,  was  wohl  der  Rücksicht 
auf  den  vorhandene*  Raum  zuzuschreiben  ist;  hier  aber  bietet  der  von 
demselben  Forscher  verfaßte  Katalog  der  Schliemannschen  Sammlung 
eine  willkommene  Ergänzung.  Eine  zweite  Fundstätte,  die  zwar  an 
Bedeutung  nicht  mit  Hissarlik-Troja  zu  vergleichen  ist,  aber  ebenfalls  auf 
allgemeines  Interesse  Anspruch  machen  kann,  ist  die  im  vorigen  Bericht 
eingehend  besprochene  vorgeschichtliche  Siedelung  in  Phylakopi 
auf  Melos,  und  für  sie  hat  mit  anerkennenswerter  Schnelligkeit  die 
britische  Schule  in  Athen  die  abschließende  Publikation  erfolgen 
lassen,  in  der  vor  allem  D.  Mackenzies  Aufsatz  Beachtung  verdient, 
sofern  hier  zum  erstenmal  versucht  ist ,  die  für  die  gesamte  Kultur- 
entwicklung aus  den  Funden  sich  ergebenden  Folgerungen  zu  ziehen. 

Dagegen  ist  man  in  bezug  auf  die  übrigen  Fundstätten  noch 
immer  im  wesentlichen  auf  die  mehr  oder  weniger  ausführlichen 
Berichte  der  Leiter  der  Ausgrabungen  beschränkt ,  und  unter  ihnen 
nimmt  immer  noch  Knossos  den  ersten  Rang  ein.  Eine  Unter- 
suchung des  Zentralheiligtums  im  Haupthof  des  Palastes,  die  1902  3 
von  Arthur  J.  Evans  vorgenommen  ward,  ergab  eine  ganze  Reihe 
sakraler  Funde,  so  vor  allem  das  Bild  der  Schlangengöttin,  das  uns 
zum  erstenmal  eine  genaue  Vorstellung  der  altkretischen  Frauentracht 
vermittelte,  die  von  Lehmann  nicht  mit  Unrecht  auf  babylonische 
Vorbilder  zurückgeführt  wird.  Aus  den  Einzelfunden,  deren  sakraler 
Charakter  übrigens  von  Dussaud  lebhaft  bestritten,  von  Reinach 
(BCH  30,  150—160)  durch  Parallelen  gestützt  wird,  hat  Evans 


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Jahresbericht  über  griechische  Geschichte  (1903—1906).  57 

die  Kultstätte  selbst  in  ihrer  äußeren  Erscheinung  zu  rekonstruieren 
versucht  (Annual  p.  92);  eigentümlich  ist  dabei  das  Marmorkreuz 
und  das  ungemein  häufige  Vorkommen  der  Swastika,  die  sich  sonst 
besonders  häufig  in  Sizilien  findet,  wohin  ja  auch  die  Sage  von  Minos 
Tod  weist.  Weiter  kam  eine  von-  allen  Eingängen  aus  leicht  zu 
erreichende,  mit  Platten  belegte  Fläche  zutage,  zu  der,  abweichend 
von  der  Anlage  zu  Phaistos,  von  allen  Seiten  Stufen  hinabführen; 
das  Ganze  erscheint  als  eine  Art  primitiven  Theaters  und  wird  vom 
Entdecker  mit  dem  Tanzplatz  zusammengebracht,  den  der  Sage  nach 
Daidalos  für  Ariadne  baute  (Ann.  p.  109).  Sodann  untersuchte  Evans 
die  Gebäude  im  NW.  und  NO.  des  Haupthofes;  das  NW.-Gebäude, 
das  zngleich  die  NO-Ecke  des  Westhofes  bildet,  erwies  sich  dabei 
als  Anlage  von  vielleicht  sakralem  Charakter,  die  aus  dem  älteren 
Palast  stammend  unverändert  in  den  Bauplan  des  jüngeren  über- 
nommen ward  (Ann.  112),  während  im  NO.  eine  mit  besonderer 
Pracht  eingerichtete,  infolge  der  Ostabdachung  des  Hügels  mehrstöckig 
angelegte  Villa  zum  Vorschein  kam,  die  offenbar  einen  der  jüngsten 
Bestandteile  des  Palastes  bildet.  In  ihr  befindet  sich  ein  kleiner 
Thronsaal,  in  dessen  Gliederung  Evans  die  Grundformen  der  christ- 
lichen Basilika  wiedererkennen  will.  Die  folgende  Kampagne  (1904) 
brachte  dann  die  Untersuchung  des  Westhofes,  unter  dem  die  Funda- 
mente noch  viel  älterer  Bauten  und  endlich  eine  bis  zu  7  m  dicke 
neolithische  Schicht  entdeckt  ward,  weiter  die  Auffindung  einer  Masse 
von  Tontäfelchen  mit  Inschriften,  die  eine  Art  Arsenalinventar  dar- 
stellen, und  zuletzt  die  lange  vermißte  Entdeckung  größerer  Grab- 
anlagen. Zunächst  fanden  sich  auf  einem  etwas  nördlich  gelegenen 
Hügel  etwa  100  solcher  Anlagen  aus  der  letzten  Zeit  des  Palastes, 
die  zum  Teil  sich  als  viereckige  Kammern  mit  eingeschnittenen 
Promos  erwiesen  und  sowohl  Tonsärge  wie  einfache  Kisten  mit 
Skeletten  in  Hockerlage  enthielten.  Andre  waren  einfache  Schacht- 
gräber, zum  Teil  mit  ausgemauerter  Seitenhöhlung,  alle  mit  aus- 
gestreckt daliegenden  Skeletten  (Rep.  p.  822).  Wichtiger  erscheint 
ein  einzelnes  Grabmal,  das  auf  derselben  Hügelreihe  etwa  S1/*  km 
weiter  nördlich  entdeckt  wurde.  Den  Zugang  bildete  ein  imposanter 
in  den  Fels  eingeschnittener  Dromos,  an  dessen  Ende  ein  gewölbtes 
Tor  in  die  Eingangshalle  mit  zwei  Nischen  rechts  und  links  führte, 
die  ebenfalls  zur  Beisetzung  gedient  hatten.  Dem  Eingang  gegenüber 
lag  die  Tür  zur  Zentralzella,  einer  mit  Kalksteinblöcken  ausgesetzten 
Kammer  von  8X6  m.  Die  Funde  waren  vorwiegend  ägyptische 
Alabastergefäße  aus  dem  mittleren  und  neuen  Reich  bis  zur  XIX.  Dy- 
nastie hinab.    Evans  denkt  an  das  berühmte  Grab  des  Idomeneus, 


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58 


Thomas  Lenscbau. 


doch  erscheint  ihm  die  zweite,  in  der  Nähe  liegende  Grabkammer 
für  das  im  Altertum  ebenfalls  hochberühmte  Grab  des  Meriones  nicht 
bedeutend  genug.  1905  ist  dann  der  Westhof  genauer  untersucht 
worden;  seine  Südseite  ward  von  einem  Gebäude  eingenommen,  das 
die  Westfassade  des  Hauptpalastes  in  kleinem  Maßstabe  wiederholt ; 
im  W.  lag  ein  großes  Gebäude  mit  einem  Säulenhof  nach  der  Hof- 
seite zu,  von  dem  man  durch  fünf  Türen  in  eine  weite,  von  Säulen 
umgebene  Halle  gelangte.  Alle  diese  Gebäude  gehören  der  letzten 
Palastperiode  an;  ein  dort  gefundenes  Siegel  zeigt  ein  Schiff  mit 
Ruderern  und  darüber  ein  Pferd ,  was  nach  Evans  die  Einführung 
des  Pferdes  in  Kreta  darstellen  soll.  Über  die  letzten  Grabungen 
ist  ein  Bericht  bisher  noch  nicht  erschienen. 

Von  nicht  geringerer  Bedeutung  erscheinen  die  Entdeckungen  der 
Italiener,  die  unter  der  Leitung  Halbherrs  und  Perniers  ihre 
Aufmerksamkeit  dem  Süden  zuwandten  und  hier  auf  der  Hügelkette, 
die  die  Messaraebene  westlich  gegen  das  Meer  abschließt,  den  der- 
selben Zeit  ungehörigen  Palast  vonPhaistos  entdeckten,  der  eben- 
falls bereits  im  letzten  Bericht  erwähnt  wurde.  Der  zweite  Bericht 
Perniers  über  Phaistos  zeigt,  daß  auch  hier  wie  in  Knossos  zwei  über- 
einander geschichtete  Anlagen  zu  erkennen  sind,  und  gibt  genauere 
Auskunft  über  den  prämykenischen  Palast,  der  durch  Feuersbrunst 
zerstört  worden  ist.  Doch  standen  seine  Grundmauern  noch,  als  der 
zweite  Palast  erbaut  ward,  bei  dessen  Konstruktion  der  alte  Grundriß 
berücksichtigt  wurde.  Sodann  fanden  die  Italiener  im  NW.  von 
Phaistos  noch  eine  zweite  ausgedehnte  Anlage  bei  Hagia  Triada, 
die  von  ihnen  als  Sommerresidenz  des  Königs  angesehen  wird  uud 
eine  Reihe  erlesener  Kunstwerke,  dai unter  die  hervorragende  Speck- 
steinvase mit  den  heimkehrenden  Kriegern,  geliefert  hat.  Ziemlich 
bedeutend  sind  auch  die  in  der  Nähe  entdeckten  Gräber,  unter  denen 
ein  Tholosgrab  mit  Gefäßen  der  Kamaresperiode  das  älteste  ist;  die 
jüngeren  zeigten  bereits  eine  reichere  Erzbearbeitung  und  eines  von 
ihnen  enthielt  das  Siegel  der  Thii,  der  Lieblingsgattin  Amenhoteps  III. 
(XV.  Jahrh.),  das  in  seiner  Vereinzelung  indessen  nicht  zur  Datierung 
verwandt  werden  kann.  Weitere  Gräberfelder,  aber  meist  der  jüngeren 
Periode  angehörig,  lagen  in  der  Umgebung  des  Palastes  von  Phaistos; 
sie  erweisen  für  das  Volk  eine  Beisetzung  in  Tonsarkophagen,  während 
die  Edlen  in  Kuppelgräbern,  meist  direkt  auf  dem  Boden  beigesetzt 
wurden. 

Im  Osten  Kretus  hat  die  britische  Schule  unter  Hogarths 
Leitung  ihre  Forschungen  in  Palaikastro  und  Kato  Zakro 
fortgesetzt,  wobei  sich  denn  herausgestellt  hat,  daß  beide  Siedelungen 


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» 


Jahresbericht  über  griechische  Geschichte  (1903—1906).  59 

bereits  in  die  ältere  Kamareszeit  zurückgehen.  Doch  war  jene  die 
frühere  und  Oberdauerte  anderseits  den  Fall  von  Kato  Zakro,  der 
um  die  Mitte  des  zweiten  Jahrtausends  v.  Chr.  eintrat,  noch  um  ein 
erhebliches.  Eine  ganze  Reihe  von  Häusern  und  Straßen  sind  frei- 
gelegt; interessant  sind  vor  allem  die  nahegelegenen  Friedhöfe,  die 
aber  nur  in  älterer  Zeit  benutzt  wurden  und  nur  Kamarestöpferei, 
Steingefäße  und  Obsidian  werk  zeuge,  dagegen  keine  Metall  reste  lieferten. 
Die  Untersuchung  der  erhaltenen  etwa  70  Schädel,  die  sämtlich  also 
den  ältesten  Bewohnern  Kretas  angehört  haben  müssen,  durch  Mr. 
Duck worth  hat  ein  eigentümliches  Überwiegen  von  Langköpfigkeit 
festgestellt;  der  Prozentsatz  von  65,3  bei  den  Männern  stieg  bei  den 
Frauen  auf  70,6.  Die  Körpergröße  war  gering,  eine  genauere  Be- 
stimmung war  deshalb  nicht  möglich,  weil  es  fraglich  erschien,  ob  die 
einzelnen  Knochen  von  Männern  oder  Frauen  herrührten.  Duckworth 
rechnet  nach  diesem  Befunde  die  Ureinwohner  Kretas  zur  dolicho- 
cephalen  Mittelmeerrasse ;  immerhin  bleiben  weitere  Schlüsse  bei  der 
verhältnismäßig  geringen  Anzahl  der  untersuchten  Schädel  (78)  proble- 
matisch. Noch  ältere  Reste  wurden  bei  der  Kapelle  Hagios  Nikolaos 
gefunden ,  die  ebenfalls  von  Duckworth  behandelt  worden  sind.  — 
Im  übrigen  mag  hier  zum  Schluß  noch  darauf  hingewiesen  werden, 
daß  die  im  zweiten  Kapitel  zu  erwähnenden  Ausgrabungen  Furt- 
wänglers  in  Aigina  und  Vollgraffs  in  Argos  ebenfalls  noch  manche 
Überbleibsel  der  Urzeit  zutage  gefördert  haben;  besonderes  Interesse 
erregt  die  prähistorische  Anlage  auf  der  Höhe  des  Oros  in  Aigina, 
die  merkwürdige  Berührungen  mit  trojanischen  Funden  erkennen  läßt. 

Inzwischen  hat  natürlich  die  Verarbeitung  der  Funde  begonnen, 
wiewohl  abschließende  Veröffentlichungen  noch  jahrelang  auf  sich 
warten  lassen  werden,  und  zwar  hat  in  erster  Linie  die  Töpferei 
Beachtung  gefunden,  da  sie  bei  einigermaßen  lückenloser  Entwicklung 
immer  eine  relative  Zeitbestimmung  gewährt,  die  dann  durch  einzelne 
glückliche  Koinzidenzen  sich  leicht  in  eine  absolute  verwandeln  kann. 
Über  die  in  Knossos  gefundenen  Tongefäße  hat  Mackenzie  ge- 
handelt ,  der  im  ganzen  nach  den  verschiedenen  Schichten  drei 
große  Perioden  unterscheidet:  die  neolithische  Schicht,  die  hier  in 
Knossos  dicker  ist  als  irgendwo  im  Umkreis  des  ägäischen  Meeres 
und  damit  die  Stätte  als  einen  der  hervorragendsten  Kulturmittel- 
punkte auch  in  allerältester  Zeit  erweist,  zweitens  die  früh-  und 
mittelminoische  Schicht  und  endlich  die  spätminoische ,  deren  letzte 
Lagen  etwa  dem  gleichzusetzen  sind,  was  man  sonst  als  mykenisch 
bezeichnet.  Die  älteste  Schicht  enthält  nur  handpolierte,  ungebrannte 
Gefäße  ohne  jede  Verzierung;  in  ihren  oberen  Lagen,  etwa  vom 


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60 


Thomas  Lenschau. 


dritten  und  vierten  Meter  ab,  tauchen  Einritzungen  in  geometrischer 
Musterung  auf,  die  etwa  3  v.  H.  der  gesamten  Gefäße  ausmachen. 
Vom  fünften  Meter  ah  werden  diese  Einritzungen  mit  Weiß  gefüllt, 
eine  wichtige  Neuerung;  daneben  finden  sich  schüchterne  Anfänge 
der  Bemalung  (meist  ein  helles  Orange)  und  bei  andern  Gefäßen  die 
nach  und  nach  häufiger  werdende  Reifelung  der  Oberfläche  (IHSt.  25, 
p.  159  ff.).  Die  zweite  Periode  setzt  sofort  mit  gebrannten  Gefäßen 
ein ,  wobei  sich  jedoch  die  Dekorationsweise  der  Steinzeit  zunächst 
erhält.  Dann  wird  die  Verwendung  der  Farbe  häufiger,  und  nun 
unterscheidet  man  von  vornherein  zwei  Dekorationsweisen,  die  eine 
glanzlos  weiß  auf  glänzend  schwarzem  Grunde,  die  andre  wird  durch 
ein  glänzend  schwarzes  oder  braunes  Dekor  auf  hellgelbem  Grunde 
hervorgebracht.  Die  "Weiterentwicklung  läßt  sich  nicht  vollständig 
lückenlos  überblicken ;  indem  bei  der  ersten  Dekorationsweise  nach 
und  nach  neben  dem  glanzlosen  Weiß  noch  Gelb,  Rot,  Orange,  Karmin 
zur  Anwendung  kommen,  entwickelt  sich  der  polychrome  Stil,  während 
der  monochrome  sein  glänzendes  Schwarz  auf  Hellgelb  beibehält  und 
offenbar  mehr  bei  schnellerer  Dekoration  verwandt  wird.  Allmählich 
aber  bildet  sich  der  polychrome  Stil  durch  das  Fortfallen  andrer 
Farben  ebenfalls  zu  einem  monochromen  um,  so  daß  zum  Schluß  die 
einfarbige  Dekorationsweise  allein  herrscht.  In  dieser  Entwicklung 
nun  erlauben  einige  Punkte  eine  absolute,  wenn  auch  nur  annähernde 
Festlegung,  indem  die  kretischen  Gefäße  aus  Kahun,  die  M.  auf  etwa 
2500  ansetzt,  noch  den  besten  polychromen  Stil  zeigen,  der  also 
etwa  von  3000—2000  geblüht  haben  mag.  Die  Anfänge  der  dritten 
Periode,  die  durch  die  Alleinherrschaft  des  monochromen  Stils  be- 
zeichnet ist,  setzt  M.  gleichzeitig  mit  den  Schachtgräbern  von  Mykene 
und  der  Hyksosherrschaft  an,  also  etwa  1800;  der  Verfall  beginnt 
mit  der  Einführung  der  Bügelkanne,  die  in  ägyptischen  Gräbern  seit 
dein  XV.  Jahrhundert  auftritt.  —  Nach  diesen  Ergebnissen  wären 
dann  die  Ausführungen  von  D  a  w  k  i  n  s  über  die  Töpferei  von  Zakro 
zu  berichtigen;  wenn  er  behauptet,  daß  hier  Kamares-  und  mykenische 
Vasen  in  ganz  gleicher  Technik  gleichzeitig  vorkommen,  so  lost  sich 
dies  Rätsel  leicht  durch  den  Nachweis  Mackcnzies,  daß  in  der  älteren 
Zeit  polychrome  und  monochrome  (mykenische)  Dekorationsweise 
nebeneinander  hergehen ,  während  man  bisher  die  monochrome  Art 
durchweg  als  die  spätere  ansehen  mußte. 

Was  Mackenzies  Zeitbestimmung  betrifft,  so  ist  die  erste, 
die  die  Blüte  des  alten  polychromen  Stils  auf  etwa  2500  festlegt,  ganz 
ansprechend,  und  sie  würde  noch  eine  besondere  Stütze  durch  die 
Ausführungen  Halls  erhalten,  der  das  kretische  Labyrinth  —  denn 


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Jahresbericht  über  griechische  Geschichte  (1903—1906).  (>1 


als  dieses  hat  sich  ja  der  Palast  ton  Knossos  erwiesen  — ,  und  zwar 
in  seiner  alteren  Gestalt,  mit  dem  ägyptischen  Labyrinth  zusammen- 
bringt, das  von  Amenemhat  III.  erbaut  ist.  Hall  halt  dieses  für  das 
frühere  und  sucht  nun  in  der  Bauweise  und  Technik  zwischen  dem 
älteren  Palast  in  Knossos  und  der  ägyptischen  Architektur  der  XI. 
und  XII.  Dynastie  enge  Zusammenhänge  zu  erweisen;  ja  er  meint, 
daß  sowohl  an  dem  kretischen  wie  an  dem  ägyptischen  Labyrinth 
dieselben  Baumeister  tätig  gewesen  sind.  Dies  berührt  sich  mit  seiner 
Gesamtanschauung,  die  er  in  seinem  beim  vorigen  Bericht  mir  leider 
noch  nicht  zugänglichen  Buche  niedergelegt  hat,  und  die  eine  starke 
Beeinflussung  der  altkretischen  Kultur  durch  die  ägyptische  haupt- 
sächlich über  Cypern  (Alaschiya)  her  annimmt.  Doch  scheint  Hall 
jetzt  an  direkte  Einwirkung  zu  denken,  da  er  die  Hanebu  im 
25.  Jahrhundert  mit  den  Keftiu  im  Iß.  und  den  Milesiern  im  8.  Jahr- 
hundert vergleicht;  alle  drei  Erwähnungen  deuten  doch  wohl  auf  einen 
direkten  Handelsverkehr.  Auch  die  zweite  Ausetzung  Mackenzies 
kann  man  innerhalb  gewisser  Grenzen  gutheißen ;  sie  beruht  bekanntlich 
darauf,  daß  auf  den  Wandgemälden  des  Rekhmaragrabes ,  das  der 
Regierung  Dhutmes  III.  um  1550  entstammt,  tributbringende  Keftiu 
und  „Männer  von  den  Inseln  mitten  im  Meer"  Gefäße  tragen,  die 
durchaus  mykenischen  Formen  gleichen.  Dagegen  wird  die  Grenze 
gegen  die  ältere  Periode  natürlich  immer  nur  annähernd  zu  ziehen  sein. 

Eben  dieser  € h ara k t e r  als  Annäherungswert  überhaupt, 
den  die  meisten  Daten  in  dieser  vorgeschichtlichen  Zeit  tragen  müssen, 
läßt  es  unrichtig  erscheinen,  derartig  viele  Unterabteilungen  und 
Perioden  anzunehmen,  wie  es  Evans  tut.  der  in  seinen  drei  minoischen 
Perioden  noch  wieder  je  drei  Unterabteilungen  trennt,  und  zugleich 
erhebt  sich  die  kürzlich  abermals  von  Dörpfeld  (Mitt.  30)  auf- 
geworfene Frage,  ob  es  nicht  angezeigt  ist,  durchweg  einheitliche 
Benennungen  einzuführen.  Wie  die  Dinge  gegenwärtig  liegen,  zeigt 
die  umstehende  Tabelle  mit  den  wichtigsten  Fundstätten.  Das 
Mißliche  in  derartigen  Gleichsetzungen  tritt  allerdings  sofort  zutage, 
insofern  gleiche  Kulturschichten  keineswegs  chronologische  Gleich- 
heit bedingen,  die  nur  für  die  großen  Kulturzentren  zutrifft;  bei- 
spielsweise ist  es  ja  sehr  möglich ,  daß  auf  abgelegenen  Inseln  wie 
Amorgos  die  primitive  Kultur  gleichzeitig  mit  viel  entwickelteren 
Stufen  in  den  Kulturmittelpunkten  bestehen  konnte.  Immerhin  sondern 
sich  doch  schon  jetzt  deutlich  drei  große  Perioden,  die  allgemein 
so  genannte  neolithische ,  eine  ältere,  die  im  wesentlichen  mit  der 
Zerstörung  der  ersten  kretischen  Paläste  abschließt  und  ihre  glänzendste 
Entfaltung  im  alten  Kreta  erfahren  hat.  und  eine  jüngere,  der  die 


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02 


Thomas  Lenschau. 


Kreta  Troja 
I.  Neolithische  Schicht     L  Stadt 


M ykene 


Kistengräber  von  Pelos. 
Älteste  Fundschiebt  in 
Phylakopi. 


Inselkultur 


II.  Frlihminoische  Peri-    II.  Stadt 
ode 


Kistengräber  von  Paros. 
I.  Stadt  in  Phylakopi, 


Amorgos. 


a) 

0 


Mittelminoische  Pe- 
riode 
a) 

b)  Erbauung  d.  äl- 
teren Palastes 
zu  Knossos. 

c) 

Spätminoische  Peri- 
ode 
a) 

b)  Zerstörung  des 
älteren, 

c)  Erbauung d.jün-  VI.  Stadt,  Schachtgräber 
geren  Paläste  in 

Knossos ,  Phai- 
stos,  Hagia  Tria- 


auf  den  Ruinen  der  älteren  Bauwerke  gegründeten  späteren  Paläste 
in  Knossos,  Phaistos,  Hagia  Triada  angehören,  die  aber  ihren  Hittel- 
punkt doch  in  Mykene  findet.  Demgemäß  wäre  die  neolithische 
Periode  etwa  bis  3500,  die  kretische  (3500 — 1700)  und  die  mykenische 
(1700 — 1000)  Periode  zu  unterscheiden,  wie  dies  Dörpfeld  zum  Teil 
nach  Noacks  Vorgang  vorgeschlagen  hat,  und  in  der  Praxis  geschieht 
dies  schon  überall:  Evans  trennt  früh-  und  mittelminoisch  stets  von 
spättninoisch,  und  ebenso  sprechen  die  Italiener  stets  von  einer  prä- 
mykenischen  oder  Kamareskultur  im  Gegensatz  zur  eigentlich  myke- 
nischen  Zu  bemerken  ist  noch,  daß  die  oben  angegebenen  absoluten 
Zahlen  nur  als  Annäherungswerte  aufzufassen  sind. 

Eine  weitere  Hauptfrage  ist  die  nach  den  verschiedenen  Ein- 
flüssen, denen  die  ägäische  Kultur  ausgesetzt  gewesen  ist,  und  da 
lag  es  bei  der  verhältnismäßig  bedeutenden  Anzahl  ägyptischer 
Funde  an  den  ägäischen  Kulturstätten,  der  eine  geringere  Anzahl 
ägäischer  Kulturüberreste  in  Ägypten  gegenübersteht,  in  der  ersten 
Zeit  unzweifelhaft  nahe,  die  Einwirkung  des  Nillandes  in  den  Vorder- 


Kuppelgräber    III.  Stadt  in  Phylakopi. 


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Jahresbericht  aber  griechische  Geschichte  (1903—1906).  63 


grand  zu  stellen,  wie  dies  Hall  in  seinem  eingangs  erwähnten  Bache 
getan  hat;  vor  allem  macht  er  auf  die  Steintechnik  der  kretischen 
Paläste  aufmerksam,  die  eine  entschiedene  Einwirkung  der  großartigen 
ägyptischen  Technik  zeigt.  Dazu  sind  nun  in  den  letzten  Jahren  neue 
Funde  hinzugekommen ;  außer  einer  Dioritschale  der  III.  und  IV.  Dy- 
nastie (ca.  8500),  jene  neben  der  Statue  der  Schlangengöttin  (p.  41  ff.) 
gefundenen  Gegenstände  aus  hellblauer  Fayence,  die  bei  einheimischer 
Technik  —  die  Hohlformen  sind  dabei  gefunden  —  im  Material  die 
größte  Ähnlichkeit  mit  der  ägyptischen  blauen  Fayence  zeigen,  wie 
sie  sich  von  den  ältesten  Gräbern  an  bis  zur  XU.  Dynastie  (ca.  2500) 
findet.  Allein  nach  und  nach  kommen,  worauf  C.  F.  Lehmann 
(S.  387)  hinweist,  doch  auch  babylonische  Einflüsse  zum  Vor- 
schein, in  der  Steinschneidetechnik,  in  der  weiblichen  Tracht,  wie 
wir  sie  aus  der  kleinen  Statue  der  Schlangengöttin  kennen  gelernt 
haben,  an  der  Lady  Evans  sogar  den  Schnitt  der  einzelnen  Kleidungs- 
stücke feststellen  konnte,  vor  allem  aber  an  dem  Gebrauch  der  Ton- 
tafel als  Schreibmaterial.  Die  Schrift  selbst  zeigt  keinerlei  Ein- 
wirkung, übrigens  ist  weder  bei  dem  älteren  noch  bei  den  beiden 
jüngeren  Schriftsystemen  bis  jetzt  eine  Entzifferung  gelungen.  An 
sich  wäre  es  ja  auch  wunderbar,  wenn  die  große  babylonische  Kultur 
nicht  auch  Kreta  in  ihre  Kreise  gezogen  hatte,  und  in  diesem  Zusammen- 
hang gewinnt  jene  Notiz  in  der  Omensammlung  Wert,  wonach  Sargon 
v.  Agade  (um  2800)  nicht  bloß  den  Westen  unterworfen,  sondern 
auch  jenseits  des  Meeres  drei  Jahre  verweilt  hat ,  wie  es  scheint 
(Winkler  S.  80).  Orientalischen  Einfluß  schlechthin  dagegen ,  ohne 
daß  man  sagen  kann ,  ob  er  direkt  von  Babylon  aus  oder  über 
Ägypten  gewirkt  hat,  zeigt  die  Anlage  der  ältesten  kretischen  Paläste. 
Über  sie  wird  später  im  Anschluß  an  Noacks  Forschungen  noch 
weiter  zu  sprechen  sein,  doch  ist  das  ganze  Problem  neuerdings  in 
weiterem  Umfange  von  Pfuhl  aufgenommen.  In  seiner  sehr  lesens- 
werten Untersuchung  erkennt  er  als  die  ursprünglich  europäische 
Grundform  des  Hauses  den  Rundbau  an,  der  auch  auf  dem  Boden 
der  ägäischen  Kultur  überall  zu  Hause  ist  und  z.  B.  in  der  bekannten 
melischen  Hausurne  zutage  tritt.  Doch  ist  schon  früh  an  seine  Stelle 
der  im  Orient  erfundene  viereckige  Hausbau  getreten,  der  eine  be- 
queme Erweiterung  des  Hauses  ermöglichte  und  überall  den  alten 
Rundbau  verdrängte;  dieser  hielt  sich  nun  in  Grabanlagen,  Wirt- 
schaftsgebäuden oder  Kultstätten,  bis  ihn  die  hellenistische  Zeit  im 
Teinpelbau  wieder  zu  neuem  Leben  erweckte.  Da  uns  nun  schon 
bei  den  ältesten  Bauwerken  der  ägäischen  Kultur  die  Anwendung 
der  viereckigen  Forin  entgegentritt,  so  muß  in  dem  Übergang  von 


04 


Thomas  Lenschau. 


der  Stein-  zur  Bronzezeit  die  neue  Hausform  mit  dem  Steinbau  zu- 
gleich von  Osten  her  eingewandert  sein.  So  erklären  sich  nach  Pfuhl 
auch  die  eigentümlichen  aus  Rundbau  und  Viereckform  gemischten 
Grundrisse  mancher  ältesten  Grabformen.  Ob  zur  Steinzeit  schon 
der  Steinbau  in  Europa  existierte,  ist  in  der  Tat  zweifelhaft.  Weder 
auf  Melos  noch  in  Kreta  haben  sich  in  den  neolithischen  Schichten 
irgendwelche  Reste  von  Mauerwerk  gefunden,  was  sich  doch  am 
besten  dadurch  erklärt .  daß  man  bis  dahin  nur  Hütten  von  ver- 
gänglichem Material  kannte.  Allerdings  wissen  wir  damit  auch  nichts 
über  ihre  Form,  doch  macht  es  die  Darstellung  der  melischen  Haus- 
urne wahrscheinlich,  daß  das  erste  der  Rundbau  und  die  Verbindung 
mehrerer  Rundbauten  miteinander  gewesen  ist. 

Indessen  noch  von  einer  dritten  Seite  her  gönnte  eine  Einwirkung 
gekommen  sein.  Im  Gegensatz  zu  Sophus  Müller,  der  in  seinem 
eingangs  genannten  Werke  den  Satz  verficht,  daß  die  gesarate  ägäische 
Kultur  im  wesentlichen  für  Europa  nur  den  Vermittler  orientalischer 
Kulturerrungenschaften  bilde,  die  stets  über  das  ägäische  Meer, 
wenn  auch  auf  verschiedenen  Wegen,  nach  Europa  Eingang  gefunden 
hätten,  hat  Hubert  Schmidt  das  umgekehrte  Verhältnis  darzutun 
gesucht,  indem  er  aus  der  eigentümlichen  Form  der  Hängespiralen, 
wie  sie  in  gleicher  Ausbildung  in  Siebenbürgen,  Troja  II,  den  Schacht- 
gräbern von  Mykene  und  noch  später  am  Kaukasus  sich  vorfinden,  eine 
Einwirkung  dieser  in  Siebenbürgen  entstandenen  Schmuckform  auf 
die  ägäische  Kultur  erschließt,  die  er  (wohl  zu  spät)  etwa  um  das  Jahr 
2000  setzt;  als  Träger  der  Vermittlung  nimmt  er  das  Thrakervolk 
an,  dessen  Erz-  und  Waffentechnik  noch  bei  Homer  in  hohem  Ansehen 
steht.  Von  diesem  Standpunkt  aus  gesehen  erscheinen  nun  auch  die 
Berührungen,  die  zwischen  der  neolithischen  Keramik  und  der  Weiß- 
malerei, wie  sie  in  den  ältesten  Schichten  von  Phylakopi,  Kreta,  in 
Amorgos  und  Troja  II  vorkommt,  in  einem  wesentlich  anderen  Lichte; 
wie  die  Hängespirale  um  2000,  so  kann  auch  Jahrhunderte  früher 
die  Weißmalereitechnik  aus  den  Donauländern  in  die  ägäische  Kultur 
eingedrungen  sein,  und  zwar  wahrscheinlich  durch  nördliche,  ans 
ägäische  Meer  vordringende  Stämme,  unter  denen  sicher  auch  die 
Thraker  waren.  Das  Hauptverdienst  der  Schmidtschen  Arbeit  liegt 
darin,  daß  sie  der  verbreitetsten  Ansicht,  die  in  Müllers  Buch  einen 
klassischen  Ausdruck  gefunden  hat,  gegenüber  auch  das  Vorhandensein 
neuer  Möglichkeiten  zeigt,  und  in  einer  Hinsicht  hat  die  Forschung  auch 
bereits  eine  Bestätigung  seiner  Ansicht  gebracht.  Immer  mehr  stellt 
sich  der  Zusammenhang  der  phrygisch-thrakiseken  Volksgruppe  heraus, 
die  in  den  Osten  der  Balkanhalbinsel  eingewandert  ,  von  hier  nach 


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Jahresbericht  Uber  griechische  Geschichte  (1903— 1906).  I>5 


Nordkleinasicn  bis  tief  ins  Innere  hinein  hinübergriff.  Die  im  vorigen 
Jahresbericht  erwähnte  Entdeckung  Körtes,  der  in  Bosöjük  und 
Gordion  eine  der  troischen  identische  Keramik  vorfand,  stimmt  vor- 
trefflich dazu,  daß  die  vielen  Tumuli  in  der  makedonischen  Axios- 
ebene  nach  den  Untersuchungen  Trägers  ebenfalls  starke  Be- 
rührungen mit  der  troischen  Töpferware  aufweisen,  so  daß  nach 
Hnl  ert  Schmidt  hier  auf  eine  Identität  des  Volkstums  geschlossen 
werden  muß.  Ob  aber  diese  phrygisch-thrakische  Völkerwelle  als 
eine  der  griechischen  nahe  verwandte  anzusehen  ist.  wie  im  vorigen 
Bericht  geschlossen  ward,  muß  einstweilen  dahingestellt  bleiben :  die 
von  Kießling  hervorgehobene  Zugehörigkeit  der  thrakisch-phry- 
gischen  Völker  zu  der  ostindogermanischen  Gruppe  der  Satemsprachen, 
während  die  illyrisch-griechischen  Stämme  zur  westindogermanischen 
Gruppe  der  Kentumsprachen  gehören,  würde  nicht  gerade  dafür 
sprechen.  Immerhin  nimmt  auch  Kießling  bei  der  Entstehung  des 
griechischen  Volkstums  einen  thrakischen  Einschlag  an. 

Trotz  aller  Einflüsse  indes,  die  die  ägäische  Kultur  erlitten 
haben  mag,  steht  ihre  Einheitlichkeit  ganz  außer  Frage,  wie 
dies  noch  kürzlich  von  Noack  und  Dörpfeld  hervorgehoben  ist:  von 
der  ältesten  neolithischen  Zeit  herab  läßt  sich  ihre  Entwicklung  nahezu 
lückenlos  bis  zur  dorischen  Wanderung  verfolgeu,  die  dann  nicht  bloß 
in  Altgriechenland  sie  vernichtete,  sondern  sie  auch  von  ihrem  Ver- 
breitungsgebiet im  Westen  abschnitt,  wohin  Mayer  Beziehungen  in  der 
älteren  kretischen,  Gut  scher  nnd  Dawkins  (JHSt.  24,  125  ff.) 
in  spätmykenischer  Zeit  aufgedeckt  haben.  Dies  Gebiet  reichte  nach 
den  bisherigen  Funden  im  W.  bis  Spanien,  im  0.  bis  Teil  el  Sah* 
in  Südpalästina  und  Utsch-Öjück  bei  Konia,  im  S.  bis  zum  ägyptischen 
Theben,  während  im  N.  die  Funde  bis  Dalmatien  hinaufgehen.  Dagegen 
erhielt  sich  die  mykenische  Kultur  im  Osten  an  der  kleinasiatischen  Küste, 
wo  aus  ihr  die  ionische  (altrhodische,  altsamische)  Kunst  erwuchs:  in 
der  kretischen  Schwarzmalerei  auf  hellem  Grunde  erkennt  Mackenzie 
nnd  andere  mit  ihm  die  Vorläuferin  der  schwarzfigurigen  Vasenmalerei 
Athens  (vgl.  bes.  über  das  Erbe,  das  Athen  antrat,  Walters  I, 
234 — 464).  Aber  jene  Kontinuität  der  Kultur  bedingt 
nicht  Kontinuität  der  Rasse,  und  so  könnte  es  doch  sein, 
daß  zwischen  den  ursprünglichen  Trägern  der  ägäischen  Kultur  und 
den  späteren  Griechen  ein  Rassenunterschied  vorhanden  gewesen  ist. 
Dieser  schon  im  vorigen  Bericht  ausgesprochene  Gedanke  hat 
eine  neue  Stütze  durch  die  tiefeinschneidenden  Untersuchungen 
Ferdinand  Noacks  erfahren,  die  er  der  Architektur  der  ver- 
schiedenen ,  nach  und  nach  aufgedeckten  mykenischen  Paläste  ge- 

^       Jahresbericht  fttr  AltflrtuinswisaenichÄft.    Bd.  CXXXV.  5 


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Thomas  Lenschau. 


widmet  hat,  und  als  deren  Ergebnis  sich  das  Vorhandensein  eines 
zweifachen  Grundtypns  der  Palastarchitektur  herausgestellt  hat.  Auf 
der  einen  Seite  steht  die  südliche  kretische  Grundform ,  die  durch- 
gehende Baufluchtlinien  und  durchweg  direkte  Verbindung  zwischen 
Haupt-  und  Nebenraum  durch  Öffnungen  in  den  Zwischenwänden  auf- 
weist ;  dazu  sind  die  meisten  Räume  breiter  als  lang,  und  die  Front 
zeigt  entweder  eine  Zwei-  oder  eine  Vierteilung.  Demgegenüber 
zeichnet  sich  der  nördliche  Typus,  wie  er  in  seiner  einfachsten  Form 
in  Troja  II,  dann  weite/gebildet  in  Arne  (so  Noack ;  die  Identität  der 
Örtlichkeit  wird  von  de  Ridder  BCH  18,  446  bestritten),  Tiryns  und 
Mykene  vorliegt,  durch  vollkommene  Abgeschlossenheit  des  Ilaupt- 
raumes  aus,  mit  dem  die  Nebenräume  vielmehr  durch  ein  System 
der  Hauptachse  des  Megaron  gleichlaufender  Korridore  verbunden 
sind.    Die  Räume  selber  sind  mehr  tief  als  breit,  Dreiteiligkeit  der 
Front  bildet  die  Regel,  von  der  fast  nirgends  abgewichen  wird.  Nun 
ist  in  jener  ersten  Form  das  orientalische  Vorbild  nicht  zu  verkennen, 
wie  denn  auch  Noack  auf  Sendschirli  und  ägyptische  Bauten  verweist : 
ihm  konnte  der  von  Cl.  Fisher  in  Nippur  aufgedeckte  sog.  mykenische 
Palast  aus  der  Kassitenzeit  (1700—1150  nach  Winkler,  p.  12)  noch 
nicht  bekannt  sein,  der  in  dem  völligen  Fehlen  des  Korridorsystems 
seine  Identität  mit  dem  ersten  Typus  zeigt.    Doch  wird  man  kaum 
darin  mit  dem  Entdecker  das  Werk  eines  mykenischen,  richtiger  also 
kretischen  Baumeisters,  als  vielmehr  das  orientalische  Urbild  er- 
kennen, von  dem  die  kretischen  Palastanlagen  abgeleitet  sind.  Für 
das  weitere  charakteristische  Merkmal,  die  Zweiteilung  des  Einganges, 
bilden  die  ältesten  lykischen  Grabanlagen  die  beste  Parallele,  die  durch 
die  literarische  Überlieferung  von  ehemaligen  Beziehungen  zwischen 
Lykien  und  Kreta  gestützt  wird.   Anderseits  ist  der  nördliche  Typus 
auf  griechischem  Boden  erwachsen,  und  wenn  Noack  p.  36  besonders 
seine  Verwandtschaft  mit  dem  ostgermanischen,  skandinavischen  Haus- 
typus  betont,  so  berührt  er  sich  da  in  seltsamer  Weise  mit  den  Dar- 
legungen H.  Schmidts,  der  ja  ebenfalls  eine  Einwirkung  Osteuropas 
auf  die  ägäische  Kultur  annimmt. 

Diese  Forschungen  Noacks  nun  sind  in  sehr  erwünschter  Weise 
von  Dörpfeld  (MDAJ.  30)  modifiziert  und  erweitert  worden.  Manche 
Abweichungen  in  der  Bauart  der  kretischen  Paläste  von  ihrer  typischen 
Grundform ,  deren  Erklärung  Noack  noch  Schwierigkeiten  bereitete, 
werden  sofort  verständlich,  wenn  man  mit  Dörpfeld  sowohl  in  Knossos 
wie  in  Phaistos  beide  Bauperioden  unterscheidet,  wie  dies  für  Ph. 
erst  durch  Perniers  Bericht  möglich  geworden  ist,  den  Noack  noch 
nicht  kennen  konnte.    Es  zeigt  sich  dann  nämlich  sofort,  daß  jene 


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Jahresbericht  über  griechische  Geschichte  (1903—1906).  07 

scheinba  ren  Abweichungen  spätere  Zutaten  sind,  daß  vielmehr  sowohl 
in  Knossos  wie  in  Phaistos  und  Hagia  Triada  über  der  älteren,  streng 
dem  kretischen  Typus  mit  seinen  Pfeilersälen  usw.  folgenden  Anlage 
ein  zweiter  Palast  errichtet  ist,  der  durchaus  den  nördlichen 
mykenischen  Typus,  vor  allem  in  der  Abgeschlossenheit  des  Megaron, 
zeigt.  In  andern  Dingen  dagegen  erscheint  die  nördliche  Grundform 
der  altkretischen  südlichen  angenähert,  und  wenn  man  nun  hinzu- 
nimmt, daß  die  Art  des  Mauerwerks,  die  Steinbehandlung,  die  Säulen- 
gestalt, die  Art  und  Ornamentierung  des  Wandputzes,  kurz  die  ge- 
samte künstlerische  Ausstattung  in  den  neuen  Bauten  dieselbe  ist  wie 
in  den  alten,  so  wird  man  allerdings  zu  dem  Schlüsse  gedrängt,  daß 
diese  zweite  Palastanlage  von  einem  fremden  Volke  herrührt,  das  zwar 
in  der  Umwelt  des  täglichen  Lebens  sich  der  höheren  Kultur  an- 
bequemte, die  es  vorfand,  aber  an  seinem  Hausplan  mit  der  Sonder- 
stellung des  Hauptraumes  festhielt,  so  daß  dem  einheimischen  Archi- 
tekten nichts  weiter  übrig  blieb,  als  sich  dem  Verlangen  der  neuen 
Herren  nach  dieser  Seite  hin  so  gut  wie  möglich  anzubequemen.  In 
*  diesen  neuen  Herren  sieht  Dörpfeld  die  Achäer,  d.  h.  die  ersten  Griechen- 
stämme, die  die  Seeherrschaft  Kretas  vernichteten  und  alsdann  der 
Kultur  der  Besiegten  erlagen.  —  Doch  darf  nicht  verschwiegen 
werden,  daß  ein  so  besonnener  Forscher  wie  Duncan  Mackenzie 
neuerdings  (Annual  of  the  Brit.  school  vol.  11,  180—223)  die  Grund- 
lagen von  Dörpl'elds  Beweisführung  in  Zweifel  gezogen  hat,  indem  er 
in  dem  sog.  jüngeren  Megaron  von  Phaistos  gar  kein  Megaron,  sondern 
einen  in  der  bekannten  altkretischen  Weise  durch  Luftschächte  er- 
leuchteten Portikus  erblickt.  Auch  die  sog.  jüngere  Schicht  geht 
nach  ihm  der  mykenischen  Einwanderung  vorher,  die  viel  zu  spät 
kam,  um  an  der  altkretischen  Kunst  noch  wesentliches  zu  ändern. 
Ich  kann  die  abweichende  Ansicht  M.s  hier  nur  verzeichnen :  wer 
recht  hat,  er  oder  Dörpfeld,  könnte  nur  durch  eine  erneute  Unter- 
suchung an  Ort  und  Stelle  entschieden  werden,  die  wir  vielleicht  von 
Pernier  erhoffen  dürfen. 

Schon  im  vorigen  Bericht  ist  darauf  hingewiesen ,  daß  die  An- 
nahme eiues  solchen  Wechsels  an  den  sprachlichen  Verhält- 
nissen eine  wertvolle  Unterstützung  findet:  Kretschmer  hat  schon 
1896  aus  den  Ortsnamen  des  ägäischen  Kulturgebietes  das  Vor- 
handensein eines  nichtindogermanischen  Volkes  erwiesen,  das  in  vor- 
geschichtlicher Zeit  einen  großen  Teil  Kleinasiens,  das  griechische 
Festlaud  sowie  die  Inseln  bedeckte  und  wahrscheinlich  als  der  ur- 
sprüngliche Träger  der  ägäischen  Zivilisation  anzusehen  ist.  Dieser 
Gedanke  ist  nun  von  Fick  in  seinem  Buche  systematisch  weiter 

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68  Thomas  Lenschau. 

verfolgt  worden,  obwohl  dieses  in  einem  Punkte  mir  einen  Rück- 
schritt zu  bezeichnen  scheint,  in  dem  Versuche  nämlich,  auf  Grund 
sprachlicher  Eigentümlichkeiten  nun  auch  noch  verschiedene  Dialekte 
dieses  Urvolkes  zu  konstruieren,  die  dann  als  karisch,  pelasgisch, 
lelegisch  usw.  bezeichnet  werden.   Jedenfalls  hat  Fick  den  Angaben 
der  Alten  über  die  ehemaligen  Sitze  dieser  Urvölker  viel  zu  viel 
Glauben  beigemessen.    Auch  kann  man  aus  einer  Namensgleichheit 
nicht  ohne  weiteres  auf  Stammesgleichheit  oder  wohl  gar  Zuwanderung 
aus  entfernten  Gegenden  schließen :  .so  bedeutungsvoll  uns  die  Gleichung 
Priansos  —  Priene,  Milatos  —  Milet  erscheint,  so  ist  das  doch 
nur  deshalb  der  Fall,  weil  uns  aus  dem  Altertum  eine  wirkliche 
Überlieferung  Über  den  Zusammenhang  der  Lykier  und  Karer  mit  den 
Ureinwohnern  Kretas  vorliegt,  der  vielleicht  einmal  für  die  Entzifferung 
der  knosischen  Schrift  einen  wertvollen  Fingerzeig  geben  mag.  Übrigens 
sieht  sich  auch  F.  schließlich  genötigt,  eine  Verwandtschaft  aller  der  von 
ihm  statuierten  Völker  zuzugeben,  und  so  wird  es  sicherer  sein,  zunächst 
einmal  nur  das  Vorhandensein  einer  nichthellenischen  oder  vielmehr 
nichtindogermanischen  Unterschicht  festzustellen ,  wobei  wenig  darauf 
ankommt,  ob  man  diese  nun  als  hethitisch-lelegisch  oder  karisch- 
lykisck  bezeichnet.    Wenn  allerdings  Kießling  zur  weiteren  Be- 
gründung  dieser  Annahme  auf  den  ursprünglichen  geographischen 
Zusammenhang  Griechenlands  mit  Kleinasien,  der  noch  in  der  Diluvial- 
zeit vorhanden  war,  und  ebenso  auf  die  ursprüngliche  Trennung  der 
Balkanhalbinsel  von  Europa  durch  das  die  ungarische  Ebene  ein- 
nehmende Binnenmeer  hinweist,  so  erscheint  es  mir  doch  fraglich,  ob 
man  derartig  entfernte,  Zehntausende  von  Jahren  zurückliegende  Ört- 
liche Verhältnisse  zur  Erklärung  der  ägäischen  Kultur  heranziehen 
darf.    Für  wertvoll  dagegen  halte  ich  Kießlings  Bemerkung,  daß  auch 
im  nördlichen  Kleinasien  unter  der  thrakisch-phrygischen  Oberschiebt 
überall  noch  die  Spuren  der  südkleinasiatisch-griechischen  Urrasse 
zu  erkennen  sind.    Möglich ,  daß  sich  diese  einst  über  das  ganze 
Mittelmeerbecken  ausdehnte ;  doch  genügen  einzelne  Funde ,  wie  sie 
z.  B.  von  Mayer  gemacht  sind,  noch  nicht,  die  Tatsache  mit  Sicher- 
heit zu  erweisen. 

Steht  also  das  Vorhandensein  einer  nichtindogermanischen 
Bevölkerung  in  der  ältesten  Zeit  fest,  so  deutet  allerdings 
der  oben  mitgeteilte  Befund  der  kretischen  Paläste  darauf  hin,  daß 
die  von  Norden  her  kommenden  Völker,  die  der  kretischen  Sce- 
herrschaft  ein  Ende  machten,  eben  bereits  Griechen  waren,  und  dann 
erhebt  sich  die  Frage,  ob  sie  mit  den  Achäern  Homers  identisch 
sind  oder  nicht.    Für  das  erste  hat  sich  noch  letzthin  wieder  Dörp- 


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Jahresbericht  Uber  griechische  Geschichte  (1908—1906). 


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feld  sehr  energisch  ausgesprochen,  und  darin  wird  man  ihm  recht 
geben  müssen ,   wenn  er  den  Ausführungen  Noaeks .  der  zwischen 
mykenischen  und  homerischen  Palästen  einen  Wesensgegensatz  kon- 
struiert,  entgegentritt   und  auf  die  weitgehende  Übereinstimmung 
Leider  hinweist  (Mitt.  S.  278  ff.).    Einen  andern  Einwand,  der  sich 
auf  den  Unterschied  der  Bestattungsweise  —  Beisetzung  hei  den 
Mykehäern,  Verbrennung  bei  Homer  —  stützt,  hat  er  in  der  Ethnol. 
Ztschr.  zu  entkräften  gesucht,  indem  er  es  unternimmt,  nachzuweisen, 
daß  bei  den  Griechen  immer  dieselbe  Bestattungsweise,  erst  Brennung 
oder  besser  Räucherung  (xapt)reuetv) ,  dann  Beisetzung,  im  Gebrauch 
gewesen  ist ;  nur  die  Schwierigkeit,  an  den  beigesetzten  Skeletten  die 
vorangegangene  Brennung  zu  erkennen  und  nachzuweisen,  hat  nach 
ihm  zu  einer  falschen  Beurteilung  des  Sachverhalts  geführt.  Dagegen 
ist  zunächst  hervorzuheben,  daß  Drag  endo  rff  (Thera  11,  83  ff.)  die 
vollständige  Verbrennung  als  einen  von  Kleinasien  herkommenden 
Brauch  erwiesen  hat,  der  allmählich  auf  die  Inseln  übergriff:  der 
Friedhof  von  Assarlik.  die  Gräber  von  Thera  zeigen  immer  völlige 
Verbrennung,  und  auch  nach  Kreta  hat  dieser  Brauch  Eingang  ge- 
funden.   Gerade  auf  dem  Gebiet  also,  das  man  bisher  für  die  Heimal 
der  homerischen  Dichtungen  gehalten  hat,  an  der  kleinasiatischen 
Ostküste  ist  die  totale  Verbrennung  eingebürgert,  und  insofern  wäre 
allerdings  der  Gegensatz  in  der  Bestattungsweise  zwischen  Mykenäern 
und  homerischen  Achäern  vorhanden.   Auch  in  Argos  hat  Vollgraff 
(BCH.  28,  398)  beide  Bestattungsweisen  nebeneinander  gefunden. 
Allein  ist  es  nötig,  daraus  auf  einen  Rassengegensatz  zu  schließen? 
Offenbar  nicht,  da  es  doch  möglich  ist,  daß  dasselbe  Volk  seine  Be- 
stattungsgebräuche gewechselt  hat.  Daß  dabei  religiöse  Überzeugungen 
im  Spiel  waren,  wie  Rohde,  Psyche  I,  29  ff.  37  ff.,  gemeint  hat,  glaube  ich 
ebensowenig  wie  Dragcndorff,  dessen  Erklärungsversuche  allerdings 
auch  nicht  befriedigen :  das  wahrscheinlichste  bleibt  doch  immer,  daß 
der  Übergang  von  der  Bestattung  zur  Verbrennung  dann  eintritt,  wenn 
ein  bis  dahin  seßhaftes  Volk  in  eine  Periode  dauernder  Wanderungen 
eintritt,  so  daß  es  sich  gezwungen  sieht,  die  Reste  seiner  Toten  mit 
sich  zu  führen,  falls  es  sie  nicht  in  fremder  Erde  ruhen  lassen  will. 
Dies  mag  auch  der  Fall  der  Mykenäer  gewesen  sein,  und  insofern 
stehen  die  Bestattungsgebräuche  einer  Gleichsetzung  der  My- 
kenäer und  der  homerischen  Griechen  nicht  im  Wege.  Dann 
aber  ergibt  sich  eine  ziemlich  reinliche  Scheidung :  die  kretische*  Kultur 
ist  nicht  griechischen ,  wahrscheinlich  sogar  nicht  indogermanischen 
Ursprungs,    während   die   mykenische   bereits   einen  unzweifelhaft 
griechischen  Einschlag  zeigt.    Auf  Grund  dieser  Unterscheidung  hat 


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Thomas  Lenschau. 


es  dann  Vollgraff  in  seinem  geistvollen  Aufsatz  unternommen,  den 
Umfang  der  künstlerischen  Begabung  der  Urrasse  und  ihre  Nach- 
wirkung bis  in  die  Kultur  unserer  Tage  hinein  darzustellen. 

Danach  wird  man  sich  das  Eindringen  der  Griechen  in 
ihr  späteres  Gebiet  etwa  so  vorzustellen  haben,  daß  die  von  Norden 
her  kommenden  ostindogermanischen,  wohl  den  Thrakern  verwandten 
Scharen  zunächst  die  auf  den  Inseln  und  dem  Festland  sitzenden 
Urstämme,  die  sich  bereits  im  Besitz  einer  hohen,  für  uns  durch 
die  altkretischen  Funde  repräsentierten  Kultur  befanden,  unterwarfen 
und  auf  Grund  dieser  Kultur  die  mykenische  Mischkultur  erzeugten. 
Um  etwa  1500  (nach  Evans;  nach  Dörpfeld  um  1800)  gelang  es 
ihnen,  endlich  auch  die  Hochburg  und  den  letzten  Hort  der  alten 
Kultur,  Kreta,  zu  unterwerfen  und  hier  ebenfalls  die  ihnen  eigen- 
tümliche Mischkultur  zum  Siege  zu  bringen.    Auf  diese  traf  dann 
der  zweite  Hauptstoß  der  —  nach  Kießling  —  den  Illyriern  ver- 
wandten westindogermanischen  Dorier  mit  dem  Ergebnis,  daß  die 
eigentümlich  mykenische  Kultur  auf  dem  Festlande  und  Kreta  voll- 
ständig vernichtet  ward :  sie  hielt  sich  nur  in  Kleinasien ,  wo  dann 
auf  spätmykenischer  Kulturstufe  die  homerischen  Dichtungen  ent- 
standen sind.  Allerdings  ist  gerade  diese  letzte  Behauptung  in  letzter 
Zeit  sehr  lebhaft  bestritten  worden,  und  zwar  von  Dörpfeld: 
wenigstens  ist  dies  das  für  die  Geschichte  Wesentliche  in  seiner  viel, 
vor  allem  von  Wilamowitz,  bekämpften  Leukas-Ithakahypothese. 
Auf  die  Einzelheiten  kann  hier  im  Rahmen  des  Jahresberichts  über 
griechische  Geschichte  kaum   eingegangen  werden,  so  viel  jedoch 
muß  gesagt  werden,  daß  beide  Forscher  auf  einem  grundsätzlich  ver- 
schiedenen Standpunkt  stehen,  der  eine  Verständigung  unmöglich 
erscheinen  läßt.    Wilamowitz  geht  von  der  bisher  allgemein  ge- 
teilten Voraussetzung  aus,  daß  die  Odyssee  in  Kleinasien  entstanden 
ist,  und  daß  folglich  ihre  geographischen  Angaben  über  Ithaka  eine 
scharfe  Interpretation  gar  nicht  vertragen,  da  „dem  Dichter  nur 
einige  Ortsnamen  und  vage  Vorstellungen  zu  Gebote  standen ,  sonst 
nichts."    Anders  Dörpfeld,  dem  „Homer  die  Literatur  der  jüngeren 
mykenischen  Epoche  ist",  und  dem  wenigstens  die  Odyssee  als  in 
Westgriechenland   in  unmittelbarer   Anschauung  der  geschilderten 
Gegenden  entstanden  gilt:  für  ihn  sind  die  Angaben  der  Odyssee 
Über  die  Lage  lthakas  vollkommen  genau,  und  da  sie  auf  Ithaka 
nicht,  besser  dagegen  auf  Leukas  passen,  so  muß  eben  dieses  das 
homerische  Ithaka  sein,  das  durch  einen  Zufall  seinen  Namen  an  das 
kleine  Felseneiland  verloren  hat.   Schließlich  liegt  der  einen  Ansicht 
so  gut  eine  petitio  principii  zugrunde  wie  der  andern,   and  nur 


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Jahresbericht  über  griechische  Geschichte  (1903—1906). 


71 


das  läßt  sich  sagen :  sollte  es  DörpfelöV  gelingen ,  durch  Grabungen, 
wie  er  sie  tatsächlich  auf  Leukas  angestellt  hat,  oder  sonstwie  durch 
unzweifelhafte  Beweise  seine  These  zu  stützen,  so  würde  dadurch  die 
herrschende  Theorie,  die  Ilias  wie  Odyssee  in  Kleinasien  entstanden 
sein  läßt,  allerdings  stark  erschüttert  werden.  Gegen  Dörpfelds  These 
sind  Michael,  Lang  und  Gruhn  aufgetreten,  für  sie  vor  allem  Goeßler 
und  W.  v.  Marpes. 

Wie  dem  aber  auch  sein  möge:  daß  jener  Stoß  der  Griechen 
von  Norden  her,  der  die  kretische  oder  altägäische  Kulturwelt  traf, 
mannigfache  Völkerverschiebungen  erzeugt  hat,  liegt  auf  der  Hand, 
and  als  seine  letzte  Nachwirkung  betrachtet  man  jene  Völkerwellen, 
die  unter  Merenptah  und  Ramses  III.  bis  nach  Ägypten  gelangten. 
Daß  unter  den  Aquaiwascha  der  ägyptischen  Inschriften  die  Achäer 
zu  verstehen  sind,  gilt  gegenwärtig  als  ausgemacht  ;  dagegen  werden 
die  Schardana  nicht  mehr  von  Sardinien ,  sondern  von  Sardes  ab- 
geleitet, und  in  den  Tuirscha  oder  Turuscha  erblickt  man  die  Tyrrhener, 
die  Lehmann  wie  Dörpfeld  beide  durch  den  Vorstoß  der  Achäer  aus 
Kreta  oder  Kleinasien  verdrängt  nach  ihren  späteren  Wohnsitzen  ge- 
langen lassen.  Sonach  wären  also  die  Etrusker  tatsächlich  wie  Lykier 
und  Karer,  Eteokreter  u.  a.  ein  Überbleibsel  jener  alten  vorgriechischen 
und  nichtindogermanischen  Bevölkerung,  der  die  Anfänge  der  ägäischen 
Kultur  zuzuschreiben  sind  (vgl.  die  später  angeführten  Schriften 
Schjetts  S.  77).  Dagegen  hat  schon  Hall  in  seinem  Buche  den 
Einwand  erhoben,  daß  sich  die  Einwanderung  der  Etrusker  aus 
Mitteleuropa  über  das  Potal  nach  Etrurien  noch  heute  deutlich  ver- 
folgen lasse  (Anc.  Civ.  p.  174),  ein  Bedenken,  das  doch  nicht  so 
ohne  weiteres  von  der  Hand  gewiesen  werden  kann.  Im  übrigen  ist 
es  klar,  daß  bereits  jener  erste  Stoß  der  Achäer  die  ursprünglichen 
Völkerverhältnisse  im  Gebiet  des  ägäischen  Meeres  stark  gegen- 
einander verschoben  hat,  und  diese  Verwirrung  hat  sich  dann  noch 
gesteigert,  als  der  zweite  Stoß  der  dorischen  Wanderung  dieselben 
Gegenden  traf  und  abermals  alles  durcheinanderschob.  Am  stärksten 
war  die  Verwirrung  an  der  kleinasiatischen  Ostküste  und  aus  dem 
Chaos  der  hier  zusammengeschobenen  Völkersplitter  hat  sich  nach 
v.  W i  1  a m o w i t z  endlich  der  ionische  Stamm  entwickelt  (S.  1 2  ff.). 
Die  Sache  erscheint  durchaus  plausibel,  wenn  man  eine  Analogie  aus 
der  deutschen  Geschichte  herbeizieht  :  aus  den  mannigfachen  Völker- 
resten und  versprengten  Trümmern ,  die  sich  im  Norden  der  großen 
Heerstraße  über  den  Brenner  in  der  Völkerwanderungszeit  absetzten, 
ist  allmählich  ein  Stamm  von  so  starker  Individualität  wie  die  Bavern 
erwachsen .  deren  Name  doch  wohl  den  damals  längst  verschollenen 


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I 

72 


Thomas  Leuschau. 


Bojern  entnommen  ist.  Die  Möglichkeit,  daß  die  Ionier  auf  diese 
Weise  entstanden  sind ,  wird  man  zugehen  müssen ;  sieht  man  vou 
der  Anknüpfung  an  Athen  und  Achaia  ab ,  die  v.  Wilamowitz 
unzweifelhaft  richtig  als  Reflex  späterer  Verhältnisse  betrachtet, 
so  jzeben  die  einheimischen  Sagen  ein  geradezu  chaotisches  Gewirr, 
indem  Ansiedler  aus  beinahe  sämtlichen  Gegenden  Griechenlands  er- 
wähnt werden.  Immerhin  heben  sich  doch  noch  einige  Schichten 
deutlich  ab,  so  daß  hier  vielleicht  die  Forschung  noch  über  die 
v.  Wilamowitz  erzielten  Ergebnisse  hinausgeführt  werden  kann. 
Dali  ursprünglich  das  ionische  Gebiet  besonders  nach  Süden  hin 
weiter  ging  als  später,  hat  v.  Wilamowitz  mit  Recht  betont,  und  auch 
das  kann  richtig  sein,  daß  der  loniername  erst  mit  dem  später  ge- 
schlossenen Runde  am  Panionion  aufkam.  Indessen  würde  sich  da- 
durch die  Gründung  dieses  Bundes  ziemlich  weit  ins  8.  Jahrhundert 
hinauf  verschieben,  da  die  bisher  ersten  Erwähnungen  des  Ioniernamens 
nach  Winkler  (S.  81)  unter  Saigon  709  und  Senacherib  695  fallen. 

So  viel  dagegen  scheint  festzustehen,  daß  der  größte  Teil  der 
ionischen  Städte  bereits  vor  der  dorischen  Wanderung,  also 
noch  in  mykenischer  Zeit,  besiedelt  worden  sind,  und  um  dieselbe 
Zeit  scheinen  auch  vom  Südpeloponnes  herüber  Griechen  nach  Kyrene 
gegangen  zu  sein,  wofür  Gercke  allerhand  Material  beigebracht  hat. 
Im  ganzen  können  —  darin  hat  v.  Wilamowitz  zweifellos  recht  — 
nur  Einzeluutei  suchungen  über  die  zwölf  Städte  die  wünschenswerten 
Aufschlüsse  über  Ionien  geben ;  dennoch  wird  er  schwerlich  mit  der 
Art  der  Behandlung  zufrieden  sein,  die  die  Urgeschichte  von  Ephesos 
unter  Rädels  Händen,  man  darf  wohl  sagen,  erlitten  hat.  Was 
hier  Über  die  ältesten  Schicksale  der  Stadt  gesagt  wird,  ist  bare  Kon- 
struktion ohne  die  geringste  Grundlage ;  dem  delphischen  Orakel  wird 
bei  der  Gründung  im  11.  Jahrhundert  bereits  eine  Rolle  zugeschrieben, 
wie  sie  das  Heiligtum  etwa  im  7.  und  6.  Jahrhundert  ausübte ;  geradezu 
beängstigend  aber  wirkt  das  Jonglieren  mit  derartig  vagen  Völker- 
bezeichnungen wie  Pelasgern  und  Lelegern.  Dazu  kommt  nun  eine 
ganz  unberechtigte  Neigung,  die  hier  gewonnenen  Ergebnisse  zu 
verallgemeinern:  en  somme,  sagt  der  Vf.  zum  Schluß,  topographique- 
ment  et  historiquement  Ephese  nous  re'pre'sente  un  des  types  les  plus 
saisissants  et  les  plus  complets  des  colouies  grecques  de  Tage  höroique. 
Recounaissances  preUiminaires  d'aventuriers,  essais  et  dCboires  de  ces 
e'claireurs,  consultation  du  dieu  de  Delphes  et  response  de  l'oracle,  choix 
d'un  roi  de  famille  sainte,  investi  du  commandement  et  du  sacerdoce, 
expödition  reguliere  sous  la  conduite  de  l'oekiste  ofticiel,  utiiisations  de 
postes  ou  de'barcaderes  phcjiiciens,  negociations  diplomatiques  entre 


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Jahresbericht  über  griechische  Geschichte  (1908—1906).  73 

l'Üot  parasitaire  et  le  sanctuaire  d'en  face,  avances  au  clergö  de  l'asile, 
traitös  d'alliance  devant  l'autel  de  la  grande  deesse  cosmopolite  avec 
la  classe  turbulente  des  me*teques,  guerre  aux  notables  de  la  Haute 
ville  et  aux  nobles  du  chäteau,  prise  de  l'acropole,  refoulement  des 
indigenes,  partage  du  pays  conquis,  gdification  de  temples,  syncrötis- 

me  religieux  installation  d'une  bourgade  rurale  ä  proximite* 

du  port  et  de  Tagora,  campagnes  de  frontiere  pour  donner  de  Tair  a 
l'Etat  nouveau:  enfin  dernier  trait,  construction  de  l'hgroon  du  fon- 
dateur  —  voilä  quels  sont  les  öpisodes  significatifs  de  la  colonisation 
d'Ephese.  Und  das  alles  soll  typisch  sein  für  diese  ältesten  An- 
siedelungen, die  doch  unter  den  verschiedensten  Formen  vor  sich 
gegangen  sind!  Typisch  ist  es  höchstens  für  die  Art.  wie  sich 
spätere  Geschichtschreiber  den  Beginn  der  Kolonisation  vorstellten, 
und  sicher  bilden  der  Artikel  Bürchners  und  die  Ausführungen 
Benndorfs  eine  bedeutend  bessere  Grundlage  für  unsere  Kenntnis 
der  Geschichte  von  Ephesos  als  Radets  phantasievolle,  aber  der 
Kritik  nirgends  standhaltende  Darstellung. 


Zweites  Kapitel. 

Das  griechische  Mittelalter. 

Ausgrabungen. 

Aigina.  Furtw&ngler  A.,  das  Heiligtum  der  Aphaia.  Unter  Mitwirkung  von 

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S.  104—115,  zweiter  (und  ff.  v.  Th.  Wiegand)  1901,  S.  903—914,  dritter 
1904,  S.  72—91,  vierter  1905,  S.  533—548,  fünfter  1906,  S.  249—265. 

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74 


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Jahresbericht  über  griechische  Geschichte  (1903—1906). 


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zur  alten  Geschichte  II.  Christiania  1906  (Videnskabs-Selskabets- 
Skrifter  II  Histor.  filos.  Klass.  1903  no.  2  und  1906  no.  9). 

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Berlin  1906. 

Wilamowitz,  Panionion.    S.  Ber.  Beil.  Ak.  1906.    S.  38—57. 


Wenn  auch  der  Verlauf  der  dorischen  Wanderung  noch  keines- 
wegs in  allen  Punkten  aufgehellt  ist,  so  beginnen  wir  doch  jetzt  all- 
mählich im  einzelnen  klarer  zu  sehen  und  einzelne  Etappen  auf  dem 
Wege  der  westgriechischen  Scharen  genauer  zu  erkennen.  Daß 
Thessalien  eine  wichtige  Station  auf  diesem  Zuge  war,  darauf  hat 
bereits  Kern,  auf  religionsgeschichtliche  Gründe  gestützt,  hingewiesen; 
auch  Kornemann  nimmt  in  der  im  vorigen  Kapitel  erwähnten  Ab- 
handlung an,  daß  die  erste  griechische  Einwanderung  von  dort  über 
die  Kykladen  nach  Kreta  ging.  Einen  weiteren  wichtigen  Beitrag 
hat  H  e  i  d  e  m  a  n  n  geliefert.  Er  geht  davon  aus,  daß  schon  im  Schiffs- 
katalog  Südmessenien  einen  Teil  des  spartanischen  Gesamtstaates 
bildet  und  begründet  dann  die  zuerst  von  Wilamowitz  und  Schwartz 
ausgesprochene  Ansicht  (vgl.  d.  vor.  Ber.),  daß  Messenien  von  der 
Stidostecke  aus  erobert  worden  ist,  unmittelbar  im  Anschluß  an  die 
dorische  Wanderung.   Der  Weg,  den  die  Eroberer  dabei  einschlugen, 


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7(3 


Thomas  Lenschau. 


ging  von  Las  hinüber  nach  Oitylos  durch  eine  tiefe  Talspalte,  die 
den  eigentlichen  Taygetos  von  seinem  südlichen  Ausläufer  trennt 
(S.  16  f) ;  die  Landstriche,  die  sie  eroberten,  wurden  dem  Reich  von 
Pylos  abgenommen,  das  durch  die  eindringenden  Dorier  schwere 
Verluste  erlitt,  wie  man  schon  lange  aus  der  bekannten  Erzählung 
Nestors  von  der  Vernichtung  des  Neleidengeschlechts  durch  Herakles 
geschlossen  hatte.  Die  geschlagene  Bevölkerung,  deren  ursprünglicher 
Name  Kaukonen  war,  ging  zum  Teil  in  Pylos  auf  die  Schiffe,  zum 
Teil  zog  sie  sich  nordwärts  nach  Triphylien  zurück  und  gründete 
hier  ein  zweites  Pylos.  Dessen  Existenz  ist  nun  der  Anlaß  für 
Apollodor  zu  seiner  eigentümlichen  Auffassung  von  Nestors  Reich 
geworden ,  nach  der  dieses  mit  dem  messenischen  Pylos  nicht  das 
geringste  zu  tun  haben  sollte,  eine  Auffassung,  die,  wie  bekannt, 
Strabo  in  seiner  Geographie  sehr  stark  beeinflußt  hat.  So  weit 
Heidemann;  bedenklich  scheint  bei  der  Sache  zunächst  eines:  wenn 
das  messenische  Pylos  ,  dessen  Namen  H.  übrigens  wohl  richtig  als 
Tor  der  Unterwelt  erklärt  (S.  24),  tatsächlich  nur  eine  Durchgangs- 
station war  (S.  36),  wie  kam  es  dann,  daß  die  Kaukonen  von  dieser 
Stadt  gerade  den  Namen  erhielten ,  und  daß  der  neue  Name  Pylier 
den  alten  so  vollständig  verdrängen  konnte?  Das  scheint  doch  eher 
darauf  hinzudeuten,  daß  das  messenische  Pylos  einmal  eine  viel 
wichtigere  Rolle  in  der  Geschichte  der  Kaukonen  gespielt  hat.  Und 
weiter  sehe  ich  nicht  ein,  wieso  11.  auf  S.  42  die  Erwartung  aus- 
sprechen kann,  daß  im  triphyüschen  Pylos  Grabungen  auf  Überreste 
aus  mykenischer  Zeit  wohl  auf  die  Dauer  erfolglos  sein  würden. 
Gerade  wenn  seine  Darstellung  richtig  ist,  woran  ich  im  großen  und 
ganzen  nicht  zweifle,  würde  man  doch  hier  Spuren  vordorischer, 
mykenischer  Kultur  erwarten,  die  die  Kaukonen  hierher  mitbrachten. 
Sollten  sich  keine  finden,  so  würde  nichts  im  Wege  stehen,  alle  jene 
von  IL  meines  Erachtens  durchaus  richtig  dargestellten  Vorgänge 
ein  paar  Jahrhunderte  später  zu  legen  und  die  Eroberung  Süd* 
messeniens  nicht  ins  10.  und  11.  Jahrhundert,  sondern  ins  8.  zu 
verlegen,  so  daß  sie  nicht  den  letzten  Akt  der  dorischen  Wanderang, 
sondern  den  ersten  Akt  der  messenischen  Kriege  darstellt,  wie  denn 
K.  J.  Neumann  diese  Vorgänge  tatsächlich  in  den  Beginn  des 
8.  Jahrhunderts,  kurz  vor  die  lykurgische  Verfassung  verlegt.  In- 
zwischen scheint  die  Frage  der  Entscheidung  sich  zu  nähern:  Zeitungs- 
notizen zufolge  hat  Dörpfeld  das  triphylische  Pylos  entdeckt,  und 
wenn  man  den  Nachrichten  trauen  darf  (Voss.  Zeitung  vom  15.  6.  07), 
bedeutende  my kenische  Überreste  gefunden.  Dadurch  würde  der 
Auffassung  H.s,  das  triphylische  Pylos  sei  eine  spätere  Gründung, 


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Jahresbericht  über  griechische  Geschichte  (1903—1906). 


77 


um  reisenden  Griechen  die  Stätte,  wo  Nestor  gelebt,  zeigen  zu  können 
(S.  36),  allerdings  der  Boden  entzogen  sein. 

Auch  Heidemann  ist  übrigens  der  Ansicht,  daß  der  Stoß  der 
Dorer  von  der  Argolis  her  über  die  Parnonpässe  das  obere  Eurotastal 
traf,  wie  sich  denn  die  ganze  Wanderung  größtenteils  doch  wohl  zu 
Lande  und  über  den  Isthmos  vollzogen  hat.    Während  der  schweren 
Kämpfe,  die  sie  hervorrief,  ist  den  Griechen  die  Seeherrschaft  ver- 
loren gegangen  und  an  ihre  Stelle  schoben  sich  die  P  h  ö  n  i  z  i  e  r ,  die  in 
den  homerischen  Gedichten  als  das  vorwiegende  Handelsvolk  er- 
scheinen.  Über  ihre  Stellung  im  Völkerleben  hat  W.  von  Landau 
gehandelt  und  auch  er  huldigt  der  jetzt  herrschenden  Ansicht,  daß 
ihre  Einwirkung  auf  Griechenland  verhältnismäßig  gering  gewesen 
ist,  während  früher  mit  der  Annahme  phönizischer  Siedelungen  in 
Griechenland  geradezu  Mißbrauch  getrieben  wurde.   Neuerdings  aber 
hat  sich  der  Zweifel  sogar  gegen  die  einzige  Position  gerichtet,  die 
bisher  für  sicher  phönizisch  in  Griechenland  galt:  von  dem  an  sich 
richtigen  Grundsatz  ausgehend ,  daß  Götternamen  zunächst  aus  der 
Sprache  des  Volkes  zu  erklären  seien,  das  sie  verehrt,  hat  Maaß  den 
Namen  des  Melikertes  auf  dem  Isthmus,  den  man  bisher  dem  tyrischen 
Stadtgott  Melqart  gleichsetzte,  von        und  xefpeiv  abgeleitet  und  den 
„Honigschneider"  selbst  als  eine  altheimisch  ländliche  Gottheit  auf- 
gefaßt, eine  Erklärung,  die  freilich  nicht  jeden  befriedigen  wird.  Da- 
gegen hat  Börards  Buch,  der  überall  in  der  Odyssee  die  Spuren  der 
Phönizier  findet,  besonders  nach  der  linguistischen  Seite  hin  in 
Deutschland  fast  allgemeine  Ablehnung  erfahren :  die  Behandlung  der 
Probleme  erinnert  unwillkürlich  an  Movers'  bekanntes  Werk,  dessen 
Einfluß  bei  uns  jetzt  wohl  völlig  überwunden  ist.    Eigentümlich  ist 
die  Wendung,  die  Schjatt  neuerdings  dem  Gedanken  einer  Be- 
einflussung Griechenlands  von  Osten  her  gegeben  hat.    Ungefähr  im 
14.  vorchristlichen  Jahrhundert  sind  nämlich  seiner  Ansicht  nach 
zwei  Typen  von  Staatsverfassungen  unter  den  nordsyrischen  Völker- 
schaften ausgebildet  worden.    Den  nördlichen,  der  eine  Zwölfteilung 
des  Volkes  zugrunde  legt  und  auch  in  der  Stammeseinteilung  Israels 
zutage  tritt,  tibertrugen  die  Kutennu,  die  Vorfahren  der  Tyrrhener 
oder  Etrusker  (Rasenna-Kutennu),  nach  Etrurien  und  Athen  (Dode- 
kapolis),  und  in  der  Tat  zeigen  ja  attische  Lokalsagen  starke  Spuren 
tyrrhenischen  Einflusses;  den  südlichen  (3  Phylen  zu  10  Phratrien 
zu  10  Geschlechtern)  will  Sch.  in  Sparta,  Rom  und  Karthago  wieder- 
finden, wohin  er  durch  phönizische  Vermittelung  gelangt  ist.  Im 
allgemeinen  bewegt  sich  hier  sowohl  wie  in  seinen  später  zu  er- 
wähnenden Ausführungen  über  die  Ausbildung  des  athenischen  Staates 


78  Thomas  Lenschau. 

der  Vf.  durchaus  auf  dem  Boden  der  Konstruktion;  er  verschmäht 
es,  seine  Ansichten  im  einzelnen  zu  begründen,  da  sie  nach  seiner 
Meinung  ihre  Begründung  in  sich  tragen,  und  in  der  Tat  läßt  sich 
nicht  leugnen,  daß  er  einige  interessante  Parallelen  aufgedeckt  hat 
Allein  so  bestechend  derartige  Konstruktionen  in  aphoristischer  Form 
auch  sind,  so  können  sie  doch  eine  eingehende,  das  gesamte  Material 
umfassende  Darstellung  nicht  ersetzen,  und  solange  Sch.  diese  nicht 
gibt,  wird  man  seine  Forschungsergebnisse  sowohl  für  die  griechische 
wie  für  die  römische  Geschichte  ablehnen  müssen. 

Überhaupt  ist  die  Frage  nach  den  ältesten  Lebensformen  der 
hellenischen  Stämme  noch  nicht  geklärt.    Über  die  Phylen  hat 
Szanto  ausführlich  gehandelt  und  zunächst  daraufhingewiesen,  daß 
wir  für  weite  Gebiete  Griechenlands,  z.  B.  Boiotien,  und  große  Gebiete 
des  Peloponnes  sicher  ursprüngliche  Phylen  gar  nicht  kennen:  ein 
wirkliches  Leben  zeigen  sie  nur  bei  Doriern  und  Ioniern,  wo  aber  zu- 
gleich eine  tiefe  Wesensverschiedenheit  zutage  tritt.  Die  drei  dorischen 
Phylen  sind  nach  Sz.  nicht  als  ursprüglich  verschiedene  Stämme  aufzu- 
fassen, aus  denen  das  Gesamtvolk  zusammenwuchs,  sondern  sie  sind 
einem  zur  Zeit  der  dorischen  Wanderung  bestehenden  Besiedelungs- 
prinzip  entsprungen,  und  daher  sind  sie  auch  überall  dort  verbreitet, 
wo  sich  Dorier  ansiedelten.  Vielfach  aber  trat  neben  die  drei  dorischen 
Phylen  noch  eine  vierte,  in  der  die  früheren  Bewohner  vereinigt 
waren,  und  so  entstand  ein  Übergang  zur  gentilizischen  Einteilung, 
indem  auch  bei  jenen  drei  dorischen  Phylen  sich  aus  dem  ius  soli 
ein  ius  sanguinis  entwickelte.  Anders  die  ionischen  Phylen,  die  aber 
besser  attische  zu  nennen  wären,  da  sie  nur  in  Attika  bodenständig 
erwachsen  sind.    Hier  stellt  sich  Sz.  den  Urzustand  des  Landes  als 
eine  Amphiktionie  selbständiger  Staaten  vor  —  ob  es  gerade  zwölf 
waren,  wie  die  Sage  behauptet,  bleibt  zweifelhaft  — ,  die  sich  dann 
zum  Einheitsstaat  zusammenschlössen,  der  nunmehr  die  vier  attischen 
Phylen  als  lokale  Unterabteilungen  entwickelte.  Dieser  lokale  Charakter 
wirkt  auch  später  noch  nach,  so  in  der  Kaukrarieneinteilung ;  im  ganzen 
aber  hat  auch  hier  eine  Entwicklung  des  ius  soli  zum  ius  sanguinis 
stattgefunden,  so  daß  die  Phylen  später  als  gentilizisch  erscheinen. 
Eine  Möglichkeit  der  Erklärung  der  Phylennamen  fällt  dann  freilich 
fort,  und  auf  sie  verzichtet  Sz.  auch;  schwieriger  ist  es  bei  seiner 
Ansicht  allerdings,  das  Vorkommen  der  Phylen  in  den  ionischen 
Städten  zu  erklären.   Nattirlich  setzt  er  eine  Zuwanderung  aus  Attika 
voraus,  aber  gerade  hier  ist  ein  wirklich  historischer  Zusammenhang 
besonders  in  dem  Umfang,  wie  ihn  das  Altertum  annahm,  doch  mehr 
als  zweifelhaft.   Immerhin  behält  die  Zusammenstellung  des  Materials 


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Jahresbericht  über  griechische  Geschichte  (1903—1906).  79 


in  Sz.s  Arbeit  auch  dann  ihren  Wert,  wenn  man  seine  Ansicht  über 
die  Entstehung  der  Phylen  nicht  zu  teilen  vermag,  und  wichtig  vor 
allem  scheint  der  Gedanke,  daß  aus  dem  ius  soli  tatsächlich  im  Laufe 
der  Jahrhunderte  ein  ius  sanguinis  hervorgehen  kann. 

Die  ursprüngliche  Regierungsform  ist  bei  den  griechischen 
Stämmen  unstreitig  das  K  ö  n  i  g  t  u  m  gewesen :  indes  schon  bei  Homer 
unterliegt  die  Königsgewait  bedeutenden  Beschränkungen  durch  die 
Aristokratie,  wie  Finsler  hervorgehoben  hat;  in  der  Ilias,  die 
übrigens  im  Schiffskatalog  und  im  Schild  das  Königtum  überhaupt 
nicht  kennt,  scheint  zwar  noch  eine  Erinnerung  an  das  mächtige 
Königtum  der  mykenischen  Zeit  durchzuklingen ,  im  ganzen  aber  ist 
hier  und  mehr  noch  in  der  Odyssee  der  König  ein  Regent  von  Adels 
Gnaden.  Das  aber  legt  nach  F.  die  Vermutung  nahe,  daß  die 
Weiterentwicklung,  die  allmählich  zu  immer  stärkerer  Beschränkung, 
ja  zur  Abschaffung  des  Königtums  führte,  rascher  vor  sich  gegangen 
sein  muß,  als  man  gewöhnlich  glaubt,  und  nicht  bis  ins  8.  Jahr- 
hundert hinabreicht.  Doch  beruht  diese  Ansicht  wohl  auf  einer 
Unterschätzung  der  Lebenskraft  sozialer  Einrichtungen:  in  Eleusis 
bestand  ein  Sonderkönigtum  noch  im  8.  Jahrhundert,  und  nach 
Seecks  Ansicht  hat  es  auch  um  dieselbe  Zeit  noch  in  Athen  be- 
standen. S.  schließt  nämlich  (S.  292  ff.)  aus  der  auch  später  noch 
im  Archonteneid  üblichen  Formel  (rt  jx^v  tot  &k  Äxaattp  xx£),  daß 
Medon  und  Akastos  die  ersten  Jahresarchonten  waren,  die  an  die 
Stelle  des  Königtums  traten,  und  daß  also  die  sog.  zehnjährigen 
Archonten  in  Wirklichkeit  nur  einjährige  sind,  daß  somit  der  Sturz 
des  Königtums  711  stattfand.  Als  man  nun  später  sah,  daß  bei 
Anwendung  des  chronologischen  Systems  in  der  athenischen  Geschichte 
zwischen  Kodros,  dem  letzten  König,  und  dem  ersten  Archonten  eine 
mehrhundertjährige  Lücke  entstand,  half  man  »ich  dadurch,  daß  man 
die  28  ersten  Namen  der  Archontenliste  hernahm  und  ihre  Inhaber 
zu  zehnjährigen  Archonten  machte,  so  daß  jetzt  die  Liste  der  Jahres- 
archonten mit  Kreon  683  begann.  Die  Ansicht  hat  unzweifelhaft 
einiges  für  sich .  und  jedenfalls  mit  Gründen  aus  der  allgemeinen 
Entwicklung  wird  man  ihr  nicht  beikommen  können. 

Dennoch  wird  man  im  allgemeinen  nicht  fehlgehen,  wenn  man 
das  8.  Jahrhundert  als  die  Zeit  betrachtet,  in  der  die  Adels- 
herrschaft sich  durchsetzte,  nicht  bloß  gegenüber  dem  Königtum, 
sondern  auch  im  Kampf  mit  der  Volksversammlung,  die  doch  in  der 
llias  noch  eine  beschließende  Funktion  hat,  wie  Seymour  im  Gegen- 
satz zu  der  aristotelischen  Auffassung  sich  darzutun  bemüht.  Zugleich 
beginnen  die  inneren  Kämpfe,  die  dann  eine  der  Hauptursachen  der 


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80  Thomas  Lenschau. 

Kolonisation  ausmachen,  die  etwa  das  Jahrhundert  von  750—650 
einnimmt.  Freilich  lassen  sich  die  einzelnen  Daten  nicht  unbedingt 
feststellen,  möglich  ist  ja,  daß  Sinope  wie  Robinson  meint,  der  der 
Stadt  eine  eingehende  Darstellung  gewidmet  hat,  bereits  im  An- 
fang des  8.  Jahrhunderts  von  Griechen  besetzt  worden  ist;  doch 
beruht  die  Ansetzung  nur  auf  der  von  Xenophon  mitgeteilten  Tat- 
sache, dato  Trapezus,  das  nach  Eusebios  756  begründet  sein  soll,  eine 
Kolonie  von  Sinope  war.  In  die  spätere  Zeit  führt  dann  die  Koloui- 
sierung  von  Kyrene,  über  die  Malten  gehandelt  hat;  er  befaßt  sich 
zunächst  hauptsächlich  mit  der  Sagengeschichte  der  Stadt,  während 
Gercke  bereits  eine  Ansiedelung  aus  mykenischer  Zeit  an  dieser  Stelle 
wahrscheinlich  gemacht  hat  (s.  oben  S.  72).  Begründetere  Ergebnisse 
haben  Bonfiglios  Forschungen  über  das  ältere  Akragas  gezeitigt; 
danach  lag  die  Griechenstadt  allein  auf  dem  östlichen  Hügel,  und  das 
heutige  Girgenti  fiel  ganz  aus  dem  Mauerring  der  Stadt  heraus.  Viel- 
mehr lag  auf  dem  Hügel,  auf  dem  sich  heute  G.  erhebt,  die  alte  Sikeler- 
stadt  Kamikos,  die  in  der  Minossage  eine  so  bedeutende  Rolle  spielt, 
und  wir  hätten  demnach  hier  ein  interessantes  Beispiel  für  das  sicher 
öfter  vorgekommene  Nebeneinanderbestehen  von  Griechen-  und  Bar- 
barenstadt, die  erst  allmählich  miteinander  verschmolzen.  Allerdings 
hat  dann  die  Burg  von  Akragas  auf  der  jetzt  sogenannten  Rupe 
Atenea  gelegen,  der  höchsten,  an  Flächeninhalt  nur  geringen  Er- 
hebung des  östlichen  Hügels,  was  zwar  mit  den  antiken  Zeugnissen, 
nicht  aber  mit  den  Ansichten  der  neueren  Forscher  stimmt,  die  die 
Topographie  von  Akragas  behandelt  haben. 

Die  letzte  Phase  der  antiken  Staatenentwicklung  vor  dem  Siege 
der  Demokratie  ist  die  Tyrann  is,  über  die  neuerdings  Nord  in 
gehandelt  hat,  und  in  der  er  eine  Art  Neuschöpfung  des  Königtums 
auf  demokratischer  Grundlage  erkennt.  Ein  staatsrechtbcher  Unter- 
schied zwischen  Königswürde,  Aisymnetie  und  Tyrannis  ist  nach  N. 
nirgends  nachzuweisen;  Aristoteles'  bekannte  Nebeneinanderstellung 
und  Trennung  in  der  Politik  beruht  auf  staatsrechtlichen  Fiktionen, 
die  er  iu  den  späteren  Schriften  selber  wieder  aufgegeben  hat.  Die 
Wurzel  der  Tyrannis  erkennt  N.  in  dem  Aufkommen  der  Macht  des 
Großkapitals,  eine  an  sich  richtige  Bemerkung,  die  indessen  Ure 
nicht  übertreiben  und  als  allgemein  gültig  hinstellen  durfte.  Auch 
ist  der  Nachweis,  daß  der  Tyrann  der  Großkapitalistenklasse  an- 
gehört ,  Ure  nur  für  Samos  gelungen ;  bei  Athen  hapert  es  schon 
bedenklich  mit  der  Beweisführung,  und  die  Gleichsetzung  der  oiaxptoi 
mit  Bergleuten  im  technischen  Sinne  wird  er  trotz  des  Beispiels  von 
Cardin*,  wo  die  im  Kohlenbergbau  beschäftigten  Leute  als  people  up 


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Jahresbericht  über  griechische  Geschichte  (1903—1906).  81 

the  hüls  bezeichnet  werden,  wenig  Beifall  finden.  Für  die  übrigen 
Tyrannen  ist  das  von  U.  (S.  139  f.)  beigebrachte  Material  zu  gering, 
um  so  weitgehende  Schlüsse  zu  rechtfertigen,  wie  er  daraus  zieht. 
Im  allgemeinen  aber  wird  gegenwärtig  der  Einfluß  der  Tyrannis  auf 
die  griechische  Geschichte  viel  höher  eingeschätzt,  als  noch  vor 
zwanzig  Jahren;  mit  Recht  weist  U.  gelegentlich  darauf  hin,  daß  es 
lediglich  der  Einäscherung  durch  die  Perser  zuzuschreiben  ist,  wenn 
das  spätere  Athen  die  Züge  der  perikleischen  und  nicht  der  Pei- 
sistratidenherrschaft  getragen  hat. 

Große  Schwierigkeiten  bietet  die  Chronologie  dieser  Jahr- 
hunderte, und  da  ist  von  großer  Wichtigkeit,  daß  ein  Ereignis, 
dessen  Datierung  als  vollkommen  sicher  galt,  neuerdings  wieder 
chronologisch  zweifelhaft  geworden  ist:  der  Beginn  der  Olympiaden- 
rechnung im  Jahre  776.  Nach  der  Untersuchung  A.  Kört  es  kann 
es  keinem  Zweifel  unterliegen,  daß  unsere  Olympionikenliste,  wie 
sie  Hippias  feststellte,  und  wie  sie  dann  allgemeine  Anerkennung 
fand,  für  die  ältere  Zeit  ein  ziemlich  willkürliches  Machwerk  ist; 
offizielle  Aufzeichnungen  standen  Hippias  nicht  zu  Gebote  einfach  aus 
dem  Grunde,  weil  es  keine  gab.  Woher  er  sein  Material  hatte, 
wissen  wir  nicht;  jedenfalls  ist  es  nicht  mehr  gestattet,  aus  der  Be- 
schaffenheit der  Liste  irgendwelche  Schlüsse  zu  ziehen,  wie  man  sie 
z.  B.  aus  dem  Fehlen  der  messenischen  Sieger  in  späterer  Zeit  ge- 
zogen hat.  Leider  läßt  uns  auch  ein  zweites  Denkmal,  das  für  uns 
von  großem  Werte  sein  könnte,  eben  infolge  seiner  Beschaffenheit  im 
Stich.  John  L.  Myres  hat  gezeigt,  daß  die  bei  Eusebios  vor- 
liegende Liste  der  Thalassokratien  auf  eine  Zusammenstellung  aus 
perikleischer  Zeit  zurückgeht;  seine  scharfsinnigen  Rekonstruktions- 
versuche werden  indessen  dadurch  stark  beeinträchtigt,  daß  die  Liste 
in  der  Mitte  sehr  verdorben  ist.  Natürlich  haftet  auch  den  Ver- 
suchen M.s,  hier  das  Ursprüngliche  wiederherzustellen,  bei  allem 
aufgewandten  Scharfsinn  eine  nicht  zu  vermeidende  Unsicherheit 
an;  immerhin  hat  er  viel  wichtiges  Material  beigebracht,  das  im 
folgenden  noch  zu  verwenden  sein  wird. 

Wenden  wir  uns  nunmehr  den  Einzelstaaten  und  zunächst 
den  dorischen  zu,  so  stehen  hier  neben  Furtwänglers  und  Wald- 
steins Ausgrabungen ,  die  manches  Licht  auf  die  ältere  Geschichte 
von  Aigina  und  Argos  werfen ,  im  Vordergrund  des  Interesses  die 
Arbeiten  über  altspartanische  Geschichte.  Im  allgemeinen  kam  die 
Forschung  in  den  letzten  Jahren  immer  mehr  zu  der  Überzeugung, 
daß  die  gesamte  Lykurgtradition,  wie  sie  am  vollständigsten  in 
Plutarchs  Lykurgos  vorliegt,  als  eine  Konstruktion  durch  Rückdatierung 

Jahresbericht  für  Altertumswissenschaft.    Bd.  CXXXV.  6 


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82  Thomas  Lenschau. 

■ 

ans  verhältnismäßig  später  Zeit  betrachtet  werden  müsse ,  in  der  es 
für  nns  schwer  sei,  Fiktion  und  geschichtliche  Wahrheit  zu  unter- 
scheiden ;  insbesondere  galt  Lykurgos'  Persönlichkeit  als  durchaus 
unhistorisch,  trotz  des  lebhaften  Protestes,  den  der  verstorbene  Töpffer 
in  einer  nachgelassenen  Abhandlung  dagegen  erhob.    Eine  starke 
Reaktion  gegen  diese  Richtung  bezeichnet  K.  J.  Neumanns  Aufsatz, 
der  aus  einem  auf  der  Historikerversammlung  zu  Salzburg  gehaltenen 
Vortrage  hervorgegangen  ist.  Auch  N.  nimmt  an,  daß  die  Eroberung  des 
Eurotastales  und  Südmesseniens  zeitlich  zusammengehören,  und  erkennt 
in  diesen  beiden  räumlich  durch  die  hohe  Mauer  des  Taygetos  von- 
einander geschiedenen  Gebietsteilen  die  Wurzel  des  spartanischen 
Doppelkönigtums.    Unmittelbar  auf  die  Eroberung  aber  ist  nach  >\ 
die  Landaufteilung  gefolgt,  und  bei  dieser  Gelegenheit  ist  an  die 
Stelle  der  drei  alten  Phylen ,  die  nur  noch  sakrale  Bedeutung  be- 
hielten, die  lokale  Komen-  oder  Phylenverfassung  getreten,  die  nun- 
mehr das  grundlegende  Element  der  Verfassung  ward.    Es  gab  fünf 
Komen  oder  Phylen  in  Sparta:  Pitane,  Mesoa,  Limnai,  Konoura  und 
Dyme,  und  ihre  Unterabteilungen  bildeten  die  zweifellos  lokalen  Oben, 
indem  diejenigen  Spartaner,  deren  Landlose  in  derselben  Obe  lagen, 
auch  derselben  spartanischen  Phyle  angehörten ,  die  ihrerseits  aber 
natürlich  mehrere  Oben,  vielleicht  in  verschiedenen  Landesteilen,  um- 
faßte.   Jede  Phyle  bildete  den  Rekrutierungsbezirk  für  einen  der 
fünf  Lochen  (Edolos,  Sinis,  Arimas,  Ploas  und  Mesoates) ,  aus  denen 
sich  das  spartanische  Heer  zusammensetzte,  und  an  ihrer  Spitze 
stand  jedesmal  ein  Ephor.  deren  Ftinfzahl  sich  eben  auf  diese  Weise 
erklärt.     Aus   dieser  inneren  Übereinstimmung  der  verschiedenen 
Elemente  schließt  nun  Neumann,  daß  es  sich  um  eine  einmalige  Ein- 
richtung gehandelt,  deren  Datierung  er  aus  dem  Anfang  der  offiziellen 
Ephorenliste  (754)  gewinnt.     Danach  haben  also  im  Beginn  des 
8.  Jahrhunderts  kurz  nacheinander  erst  die  Eroberung  des  Eurotas- 
tales, dann  die  von  Südmessenien ,  dann  die  Landverteilung  statt- 
gefunden, und  auf  dieser  beruht  erst  die  Verfassung,  die  in  ihrer 
Geschlossenheit  und  Folgerichtigkeit  nur  das  Werk  eines  einzigen 
Mannes  sein  kann.    Ob  dieser  Mann  wirklich  Lykurgos  hieß,  ist 
dabei  eine  Frage  von  sekundärer  Wichtigkeit. 

So  bestechend  die  Ansicht  auf  den  ersten  Blick  erscheint,  so 
leidet  sie  doch  zunächst  an  einer  chronologischen  Schwierigkeit. 
Nimmt  man  mit  N.  —  und  dies  halte  auch  ich  für  ein  gesichertes 
Ergebnis  der  Heidemannschen  Arbeit  —  einen  unmittelbaren  Zu- 
sammenhang zwischen  der  Eroberung  Lakoniens  und  Südmessenien* 
an,  so  ist  man  aus  einem  doppelten  Grunde  genötigt,  mit  der  Datierung 


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Jahresbericht  über  griechische  Geschichte  (1903—1906).  83 

bis  ins  X.  Jahrhundert  hinaufzugehen,  einmal,  weil  in  dem  triphy- 
lischen  Pylos,  das  von  einem  Teil  der  südmessenischen  Pylier  be- 
gründet ward,  sich  vorwiegend  mykenische  Reste  gefunden  haben, 
was  doch  im  VIII.  Jahrhundert  undenkbar  ist,  sodann'aber,  weil  nach 
der  allgemeinen  Überlieferung,  an  der  zu  zweifeln  kein  Grund  vor- 
liegt, Thera  von  Lakedaimon  aus  besiedelt  ist;  hier  aber  steht  es 
nach  den  Forschungen  Drageitdorffs  in  der  Nekropole  sicher,  daß  die 
älteste  dorische  Ansiedelung  auf  dem  Messavuno  noch  ins  IX.  Jahr- 
hundert gehört  (Hiller  von  Gärtringen,  Thera  III  c.  1).    Damit  aber 
schwindet  bereits  der  unmittelbare  zeitliche  Zusammenhang  zwischen 
der  Landaufteilung ,  die  der  Eroberung  folgte ,  und  der  Verfassung, 
indem  zwischen  beiden  ein  Zeitraum  von  mindestens  150  Jahren  liegt, 
was  der  Glaubwürdigkeit  von  N.s  Hypothese  entschieden  Eintrag  tut. 
Weiter  beruht  auch  jene  auffallende  Zahlenübereinstimmung,  auf  die 
übrigens  gelegentlich  schon  Niccolini  (Riv.  stor.  ant.  IX)  hingewiesen 
hat,  auf  wenig  sicherer  Grundlage.    Pausanias  nennt  (3,  16,  9)  nur 
vier  Phylen,  die  aber  sämtlich  auch  inschriftlich  nachgewiesen  sind, 
Pitane,  Mesoa,  Limnai,  Kynosura,  übrigens  offenbar  alles  lokale  Be- 
zeichnungen:   Mesoa    die  Mittelebene,    Limnai    die  Küstenebene, 
Kynosura  die  Parnonhalbinsel ,  während  mit  Pitane  der  restliche 
Teil,  vielleicht  also  Südmessenien  gemeint  ist.  Für  eine  fünfte  Phyle 
ist  eigentlich  kein  Raum,  und  ihr  Name  ist  tatsächlich  nur  bei  Hesych 
überliefert,  was  niemand  für  eine  sehr  glänzende  Beglaubigung  halten 
wird.    Unsicher  ist  die  Sache  auch  mit  den  fünf  Lochen;  die  Zahl 
geben  die  Schol.  bei  Ar.  Lysistr.  454  und  Thuc.  4,  8 ,  vielleicht 
aus  Aristoteles  (vgl.  Hesych.  /vfyot),  und  dazu  würden  Herodots 
5000  Spartiaten  bei  Plataiai  ja  passen.    Aber  418  bei  Manttneia 
sind  es  sieben,  was  man  damit  erklärt,  daß  infolge  des  notorischen 
Rückganges  der  Spartiatenzahl  im  5.  Jahrhundert  die  Periöken  in  die 
Lochen  eingereiht  wären  und  deren  Zahl  dann  um  zwei  vermehrt  sei, 
wofür  indessen  eigentlich  kein  Grund  ersichtlich  ist.    Weiter  nimmt 
N.  infolge  der  Namensübereinstimmung  der  Phyle  Mea6ot  mit  dem 
Xfyo?  Meaorftij?  an,  daß  die  fünf  Phylen  die  Aushebungsbezirke  der 
Lochen  gewesen  sind,  und  das  ist  insofern  ganz  plausibel,  als  sich 
dann  der  bekannte  Widerspruch  des  Thuk.  gegen  den  Xo/o?  riitavaTijf 
des  Herodot  erklärt :  der  offizielle  Name  war  freilich  anders,  da  sich 
der  Lochos  aber  aus  Pitane  rekrutierte,  so  begreift  man,  wie  Her. 
zu  der  Bezeichnung  kam.    Dies  aber  zugegeben,  entsteht  eine  neue 
Schwierigkeit.    N.  führt  sehr  richtig  aus  —  und  dies  halte  ich  für 
einen  wirkliehen  Gewinn  seiner  Untersuchungen  — ,  daß  die  ländlichen 
Oben,  deren  lokale  Natur  feststeht,  eben  vermöge  des  Systems  der 

6* 


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Thomas  Lenschau. 


Grundherrschaft  sich  in  die  städtischen  Komen  oder  Phylen  eingliedern 
konnten,  und  erinnert  ganz  gut  an  Kleisthenes'  Zusammenfassung 
lokaler  Demen  zu  einer  Phyle.  Wie  aber  erklärt  sich  dann  Xen.  hell. 
4.  5.  11 ,  wonach  Agesilaos  ix  raaij?  ti);  atpa-nac  to'jc  AjioxXaiou« 
xaxsXtTisv  iv  Asgaup?  Denn  da  es  eine  inschriftlich  bezeugte  tupa 
tu>v  'A^uxXauuv  gab,  so  müßten  doch  unter  der  Voraussetzung  fester 
Aushebungsbezirke  sämtliche  Arayklaier  in  ein  und  demselben  Heeres- 
teil vereinigt  gewesen  sein,  was  aber  offenbar  Xenophons  Worten 
widerspricht.  Der  einzige  Ausweg  für  N.  wäre  der,  daß  er  annähme, 
bei  der  Heeresreform,  durch  die  an  Stelle  des  Xo/oc  die  fiopct  trat, 
seien  eben  geradezu  die  Grundlagen  der  ganzen  Heeresverfassung  um- 
geworfen, wovon  doch  sonst  keine  Spuren  vorliegen  (vgl.  unten  Kap.  4). 

Einstweilen  möchte  ich  also  weder  an  die  Fünfzahl  der  Komen 
noch  der  Lochen  glauben ;  die  Angaben  der  Scholiasten  scheinen  mir 
nicht  sicher  genug,  um  sie  zur  Grundlage  so  weitgehender  Speku- 
lationen zu  machen.  Allein  mit  der  Zahlenübereinstimmung  fällt  auch 
das  beste  Argument  N.s,  denn  gerade  sie  erregt  den  Eindruck  einer 
bewußten  Neuordnung  nach  bestimmtem  Schema,  und  so  glaube  ich 
denn,  daß  Neumanns  scharfsinniger  Versuch,  der  bisherigen  Tendenz 
der  Forschung  entgegen  zu  treten,  mißlungen  ist.  Im  übrigen  bezieht 
sich  alles  Gesagte  ja  nur  auf  die  Verfassung  im  engeren  Sinne;  die 
Vorschriften  über  die  spartanische  Erziehung,  die  die  Sage  ebenfalls 
auf  denselben  Gesetzgeber  zurückführt,  enthalten  Elemente,  die  teil- 
weise noch  aus  der  Urzeit  des  Volkes  stammen.  Mit  Recht  haben 
Schurz  und  nach  ihm  Kazarow  darauf  hingewiesen ,  daß  manche 
Gebräuche,  wie  die  Scheidung  der  Altersklassen,  die  Siajj.astt'j'toatf  und 
die  Syssitien  ihre  nächste  Analogie  in  ähnlichen  Erscheinungen  haben, 
( Jtinglingsweihen ,  Münnerhäuser  usw.),  wie  sie  noch  jetzt  bei  den 
primitiven  Völkern  der  Südsee  im  Gebrauch  sind ,  und  in  mancher 
Beziehung  kann  man  Schurz  beistimmen,  wenn  er  Sparta  „ein  wahres 
Museum  älterer,  sonst  überall  von  der  Kultur  beseitigter  Sitten" 
nennt  (Alterskl.  S.  98).  —  WTas  endlich  die  Anzahl  der  ursprünglichen 
Eroberer  betrifft,  so  geht  Neumanns  Ansicht,  der  sie  auf  8 — 10  000 
schätzt,  wohl  weit  über  die  richtige  Zahl  hinaus,  während  Niccolinis 
Ansatz  (1000)  ebensosehr  darunter  bleibt,  weil  er  die  Grenze  des 
für  die  Spartiaten  zur  Verfügung  stehenden  Landes  viel  zu  eug  an- 
nimmt. Immerhin  verdient  sein  Versuch,  die  Größe  des  spartanischen 
Landloses  zu  bestimmen  (14  ha),  einige  Beachtung,  wenngleich  er  zu 
hoch  gegriffen  erscheint. 

An  dieser  Stelle  aber  sind  vor  allem  Nieses  Untersuchungen 
über  die  lakedaimonischen  Periöken  zu  erwähnen,  die  ich  nicht  an- 


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Jahresbericht  über  griechische  Geschichte  (1903—1906). 


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stehe  als  einen  der  wichtigsten  Beiträge  zur  altspartanischen  Ge- 
schichte zu  bezeichnen.    Der  Verf.  betont  zunächst,  daß  Periöken 
und  Spartiaten  nicht  bloß  durch  gemeinsame  Abstammung  und  Religion 
miteinander  verbunden  waren,  sondern  auch  durch  gemeinsame  Sprache, 
was  er  gegen  Meister  (Dorier  und  Achäer  SB.  Sachs.  Ges.  Wiss. 
Ph.-hist.  Kl.  1904  S.  1  ff.)  erweist  (S.  137  ff.).   Dann  geht  er  dazu 
über,  den  Umfang  des  Periökenlandes  zu  bestimmen;  von  der  aus 
dem  Altertum  überlieferten  Hundertzahl  gelingt  es  ihm,  achtzig  sicher 
und  weitere  zehn  mit  Wahrscheinlichkeit  nachzuweisen.  Nicht  größer, 
aber  von  besserer  Beschaffenheit  war  das  Spartiatenland,  das  zu  beiden 
Seiten  des  Taygetos  lag,  keine  Stadt  enthielt  und  —  das  ist  das 
Eigentümliche  —  rings  vom  Periökenland  umschlossen  war.  Das 
Absichtliche  dieser  Anordnung  springt  in  die  Augen:  die  Periöken- 
städte,  die  übrigens  im  Altertum  als  spartanische  Kolonien  galten,  bilden 
einen  Schutzwall  um  das  Spartiatenland;  nur  nach  W.,  wo  große 
Viehweiden  lagen,  reichte  es  bis  ans  Meer,  und  das  Fehlen  des 
Schutzwalls  hat  sich  hier  425  unangenehm  genug  bemerkbar  gemacht. 
Als  Sparta  diese  Anordnung  schuf  —  der  Schluß  ist  zwingend  — , 
war  es  bereits  der  Mittelpunkt  des  Staates,  der  demnach  aus  der 
Stadt  erwachsen  ist ;  ob  dagegen  die  Anordnung  auch  die  Eroberung 
Messeniens  voraussetzt,  wie  N.  will,  ist  mir  zweifelhaft.    An  sich 
kann  die  Einrichtung,  die  ursprünglich  nur  für  Lakonien  gedacht 
war.  später  auf  das  eroberte  Messenien  Übertragen  sein,  und  vielleicht 
erklärt  sich  die  Lücke  bei  Pylos  gerade  aus  dem  Umstand,  daß  die 
vorhandene  reriökenzahl  nicht  mehr  ausreichte,  auch  hier  einen  voll- 
ständigen Ringwall  zu  schaffen. 

Während    der  folgenden   Jahrhunderte   vollzieht   sich   in  der 
spartanischen  Politik  ein  tiefgreifender  Wandel,  indem  nach  außen  hin 
an  die  Stelle  der  Eroberungs-  die  Bundespolitik  tritt ,  während  im 
Innern  die  Königsmacht  mehr  und  mehr  zugunsten  der  Ephoren  ein- 
geschränkt wird.    Den   erstgenannten  Vorgang  behandelt  Nicco- 
lini  (in  den  Rendic);  die  Wendung  tritt  nach  ihm  bald  nach  den 
messenischen  Kriegen  ein ,  für  die  übrigens  nach  allem  bisher  Ge- 
sagten  die  Bezeichnung  als  „Bruderkrieg"  nicht  mehr  verwendbar 
ist.    Den  Grund  zum  Umschlag  sieht  N.  in  einer  Koalition,  die  von 
Pisa,  Arkadien  und  Argos  um  die  Zeit  des  messenischen  Krieges  zur 
Verhinderung  der  spartanischen  Eroberungspolitik  geschlossen  wird. 
Um  diesen  Bund  zu  sprengen,  geht  Sparta  um  560  das  Bündnis  mit 
Elis   ein,  das  dann  die  Grundlage  der  Bundespolitik  geworden  ist. 
Nach   und  nach  wird  der  ganze  Peloponnes  dafür  gewonnen;  nur 
Argos   schließt  sich  aus,  wird  aber  durch  die  furchtbare  Niederlage 


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Thomas  Lenschau. 


von  Sepcia  gelähmt,  die  Wells  mit  entscheidenden  Gründen 
in  den  Anfang  der  Regierung  Kleomenes  I.  verlegt  und  mit  den 
Plänen  des  Königs  in  Mittelgriechenland  zusammenbringt.  Über  den 
Kampf  zwischen  Königtum  und  Ephorat  handeln  Niccolini  und 
Solari  (S.  153  ff.);  danach  ging  zuerst  die  Regelung  auswärtiger 
Beziehungen  und  der  Verträge  mit  fremden  Staaten  auf  die  Ephoren 
über,  dann  folgten  militärische  Beschränkungen  und  Herabsetzung 
der  Kommandogewalt,  bis  endlich  in  der  ersten  Hälfte  des  4.  Jahr- 
hunderts die  Unterordnung  der  königlichen  Gewalt  unter  die  der 
Ephoren  als  vollendete  Tatsache  erscheint.  Szantos  Artikel  be- 
handelt hauptsächlich  die  Entstehung  des  Ephorats;  seine  spätere 
Entwicklung  wird  nur  ganz  kurz  gestreift. 

Wie  bei  Sparta,  so  sind  auch  bei  Athen  die  ersten  geschicht- 
lichen Anfänge  in  Dunkelheit  gehüllt;  doch  ist  so  viel  sicher,  daß 
wenigstens  die  Stadt  schon  bis  in  die  mykenische  Zeit  zurückgeht. 
Über  ihre  Entstehung  hat  sich  neuerdings  ein  Streit  erhoben;  gestützt 
auf  einige  Reste  auf  der  Pnyx,  die  er  für  mykenisch  erklärt,  hat 
Drerup  hier  eine  besondere  Ansiedelung  angenommen,  die  in  uiyke- 
nischer  Zeit  eine  Art  Unterstadt  zu  der  eigentlichen  Polis  auf  dem 
Akropolishügel  gebildet  habe.  Das  widerspricht  indessen  der  Äußerung 
des  Thuk.  II,  15,  dem  zufolge  die  ältere  Stadt  xb  u-'  aöxTjv  (nämlich 
der  Akropolis)  irpo?  v<5tov  uaXiaxa  TETpajijiivov  umfaßt  habe,  und  diese 
Worte  haben  in  Dörpfeld  einen  Verteidiger  gefunden,  der  die  von 
Drerup  als  mykenisch  angesprochenen  Trümmer  auf  der  Pnyx  für 
später,  teilweise  allerdings  für  vorperikleisch  erklärt  und  darauf  auf- 
merksam macht,  daß  sich  nur  Vasenscherben  aus  klassischer  Zeit  auf 
der  Pnyx  gefunden  haben.  Seiner  Ansicht  nach  war  die  alte  Akro- 
polis eine  kleine,  von  den  Ureinwohnern  (Pelasgern  sagt  D.)  erbaute 
Burg ,  wie  es  damals  mehrere  in  Attika  gab.  Sie  bestand  aus  einer 
Oberburg,  der  späteren  Akropolis,  und  einer  Unterburg,  die  D.  mit 
etwas  liberaler  Auslegung  des  Begriffes  voxo?  von  der  Klepsydra  an 
der  NW.-Ecke  der  Burg,  bis  zur  zweiten  Quelle  im  SO.  beim  Asklc- 
pieion  reichen  und  ebenfalls  stark  befestigt  sein  läßt  (dies  das  sog. 
Enneapylon).  Rings  um  beide  herum  entwickelte  sich  später  eine 
offene  atxxu,  die  dann  von  Themistokles  ummauert  und  nun  als  Unter- 
stadt betrachtet  wurde.  Dörpfelds  Erklärung  erscheint  im  ganzen 
viel  überzeugender;  indessen  kann  auf  diese  topographischen  Fragen 
nicht  genauer  eingegangen  werden.  Eine  umfassende  Erörterung  der 
einschlägigen  Verhältnisse  geben  Judeich  und  in  kürzerer  Fassung 
auch  das  Buch  von  Fougeres. 

Ebensowenig  sind  die  Anfänge  des  athenischen  Staates  bisher 


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Jahresbericht  über  griechische  Geschichte  (1903—1906).  87 


völlig  geklärt,  und  die  neueste  Theorie  von  Schjatt  ist  eher  ge- 
eignet, wieder  Verwirrung  zu  stiften,  indem  er  die  Entstehung  des 
Staates  auf  die  nach  ihm  erfolgreich  verlaufene  dorische  Invasion 
zurückführt.  Ursprünglich  nimmt  auch  er  wie  Szanto  eine  Zwölf- 
teilung des  Landes  an  zu  der  Zeit,  da  noch  tyrrhenische  Pelasger 
und  Semiten  im  Lande  wohnten.  Zu  diesen  beiden  Stämmen,  die 
später  als  cqpotxol  und  o^u-tooppl  bezeichnet  wurden,  kamen  als 
dorisch-hellenisches  Element  bei  der  gewaltsamen  Kolonisation  Athens 
durch  die  Dorier  die  360  Familien  der  eupatridischen  «reu>urtpoi,  deren 
Landlose  über  ganz  Attika  verteilt  wurden.  Doch  blieb  die  alte 
Zwölfteilung,  jetzt  mit  dem  Namen  <ppaxpta  bezeichnet,  in  Kraft,  in- 
dem das  dorische  Verfassungsschema  (s.  S.  77)  den  attischen  Ver- 
hältnissen angepaßt  ward ;  aus  ihnen  gingen  im  Anfang  des  7.  Jahr- 
hunderts die  Naukrarien  hervor,  deren  Vorsteher,  die  Prytanen  der 
Naukraren  mit  den  drei  an  Stelle  des  Königtums  getretenen  Archonten, 
die  51  Epheten  bildeten,  das  eigentlich  ausführende  Organ  der 
Adelsherrschaft,  während  der  Rat  der  Vier-,  später  Fünfhundert  nur 
der  geschäftsführende  Ausschuß  der  Volksversammlung  war.  Auch 
von  diesen  Ausführungen  Schjatts  gilt  das  schon  früher  Gesagte,  daß 
sie  neben  einzelnen  ansprechenden  Erklärungen  nur  Hypothesen  ent- 
halten, deren  Begründung  der  Vf.  verschmäht,  da  er  sie  für  un- 
mittelbar einleuchtend  hält. 

Unter  dem  Adelsregiment,  dessen  völlige  Durchführung  an  das 
Ende  des  VIII.  Jahrhunderts  fällt  (s.  S.  79),  haben  sich  in  Athen  un- 
erträgliche soziale  Mißstände  gebildet,  die  in  erster  Linie  den 
ländlichen  Grundbesitz  betroffen  haben,  deren  Natur  jedoch  noch  nicht 
völlig  klar  erkannt  worden  ist.  Dies  gilt  besonders  von  der  Klasse  der 
Hektemorier,  von  der  schon  im  vorigen  Bericht  die  Rede  war  (S.  150); 
die  neueren  Arbeiten  neigen  sich  doch  der  Ansicht  zu,  daß  es  Pächter 
waren,  die  gegen  Abgabe  eines  Sechstels  das  Land  bebauten;  das 
Drückende  lag,  wie  ich  schon  im  letzten  Bericht  betonte,  in  der 
Kleinheit  der  Pachtparzellen ,  deren  Ertrag  nur  eben  zureichte ,  den 
Lebensunterhalt  zu  bestreiten.  Abweichend  hiervon  erklärt  Swoboda 
die  Hektemorier  für  hörige  Kolonen,  glebae  adscripti,  für  die  der 
Staat  ein  für  allemal  die  bestimmte  Abgabenquote  festgesetzt  hatte, 
die  aber  sonst  persönlich  frei  waren.  Den  naheliegenden  Einwand, 
daß  dabei  kaum  von  einer  Härte  gesprochen  werden  könne,  beseitigt 
S.  damit .  daß  er  sagt ,  die  Härte  habe  eben  nicht  in  der  Höhe  der 
Abgabe ,  sondern  in  der  relativen  Unfreiheit  gelegen ,  die  ihrerseits 
auf  eine  freiwillige  Ergebung  zurückzuführen  sei.  Abgesehen  davon, 
daß  die  Quellen  von  einem  derartigen  Verhältnis  nichts  wissen,  scheint 


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Thomas  Lenschau. 


mir  die  ganze  Darstellung  Swobodas  stark  durch  Analogien  beeinflußt, 
die  der  Entstehung  des  mittelalterlichen  Lehnswesens  entnommen  sind. 
Ob  das  zulässig  ist,  jnag  man  bezweifeln;  an  sich  ist  es  durchaus 
möglich,  alle  Formen  der  Hörigkeit  bzw.  der  Schuldknechtschaft  bei 
den  Griechen  aus  der  Hypothekar-  oder  Personalverschuldung  ab- 
zuleiten. Übrigens  erkennt  S.  das  Vorhandensein  der  Hypothekar- 
verschuldung in  vorsolonischer  Zeit  an,  im  Gegensatz  zur  französischen 
Schule  (Fustel  de  Coulanges,  Beauchct,  Glotz),  die  bis  auf  Solon  herab 
nur  ein  Familieneigentum  statuiert,  bei  dem  natürlich  eine  Hypothekar- 
Verschuldung  in  dem  gewöhnlichen  Wortsinn  nicht  möglich  war.  Doch 
wird  über  diese  Frage  noch  später  zu  handeln  sein.  —  Über  Drakon 
und  seine  Tätigkeit  ist  jetzt  der  Artikel  v.  Miller  (Pauly-Wissowas 
Realenc.  Bd.  V.  1905)  zu  vergleichen,  der  nach  eingehender  Revision 
der  Frage  es  für  unwahrscheinlich  erklärt,  daß  Dr.  eine  Verfassung 
gegeben  hat. 

Dali  das  Verfassungswerk  Solons  mit  einem  allgemeinen 
Schuldenerlaß  begann,  hat  kürzlich  noch  Seeck  wieder  festgestellt, 
und  insofern  bezeichnet  es  einen  Rückschritt,  wenn  Babelon 
wieder  zu  der  alten  Ansicht  des  Androtion  und  Aristoteles  zurück- 
gekehrt ist,  wonach  die  Seisachtheia  in  der  Einführung  eines  neuen 
Münzfußes  bestand.  Nur  insofern  modifiziert  er  die  antike  Ansicht, 
als  er  das  Vorhandensein  des  euboeischen  Münzfußes  in  Attika  vor 
Solon  nachweist :  Solon  gestattete  also  nur,  die  nach  dem  schwereren 
Münzfuß  kontrahierten  Schulden  in  dem  euboeischen  leichteren  Gelde 
abzutragen.  Richtiger  beurteilt  Seeck  die  Sache,  der  ebenfalls  die 
Existenz  eines  doppelten  Münzfußes  in  Attika  vor  Solon  annimmt ; 
einer  galt  im  Westen  im  Handel  mit  Aigina,  der  andere  im  Osten  des 
Landes  im  euboeischen  Verkehr.  Diese  Verschiedenheit  benutzt  nun 
S.  in  sehr  ansprechender  Weise  dazu,  zu  erklären,  wieso  Androtion 
und  Aristoteles  zu  ihrer  Ansicht  gekommen  sind.  Da  beide  in  Solon 
den  Vater  der  echten,  alten  gemäßigten  Demokratie  sahen,  glaubten 
sie  ihm  eine  so  radikale  Maßregel  wie  einen  allgemeinen  Schulden- 
erlaß, die  Forderung  der  revolutionären  Massen  des  ausgehenden 
4.  Jahrhunderts,  gar  nicht  zutrauen  zu  dürfen,  und  die  Existenz  eiues 
doppelten  Münzfußes  zu  Solons  Zeit  brachte  sie  auf  die  Idee ,  der 
leichtere  von  beiden  sei  erst  von  Solon  selber  und  zwar  zum  Zwecke 
der  Schuldenerleichterung.  eingeführt.  In  Wirklichkeit  hat  Solon  an 
der  Münze  gar  nichts  geändert.  Die  erste  Änderung,  die  erwähnt 
wird,  fand  vielmehr  nach  S.  erst  unter  Hippias  statt  und  war  lediglich 
eine  Finanzoperation,  um  die  leere  Kasse  des  Tyrannen  zu  füllen, 
indem  er  die  alten  Stücke  zu  einem  niedrigeren  Zwangskurs  einzog 


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Jahresbericht  über  griechische  Geschichte  (1908-1906).  80 
» 

und  neue,  nach  demselben  Münzfuß  geprägte  zum  vollen  Kurswert 
wieder  ausgab  (Ar.  oec.  II,  2,  4  1347  a).  Da  nun  aber  doch  eine 
Kontrolle  nötig  und  anderseits  wegen  der  Beliebtheit  der  attischen 
Münze  eine  größere  Veränderung  des  Münzbildes  untunlich  war,  so 
bringt  S.  mit  dieser  Operation  die  einzige  Änderung  zusammen,  die 
unseres  Wissens  im  Gepräge  bei  den  älteren  attischen  Münzen  vor- 
genommen ist :  nämlich  die  ziemlich  unauffällige  Anbringung  der  drei 
Olivenblätter  am  Helm  der  Athena.  Die  Erklärung  erscheint  durch- 
aus plausibel,  vorausgesetzt,  daß  es  möglich  ist,  die  Münzen  mit  den 
Olivenblättern  so  hoch  hinaufzusetzen.  Babelon  hält  sie  erst  für 
nachmarathonisch.  Dagegen  kann  ich  mich  der  allgemeinen  Ansicht 
Seecks  über  Solons  Reformen,  der  in  ihnen  eine  agrarisch-reaktionäre 
Tendenz  erkennt  (S.  315  ff.),  in  keiner  Weiße  anschließen;  mit  den 
rXooatot,  gegen  die  sich  Solon  so  oft  in  seinen  Gedichten  wendet, 
sind  nicht  etwa  die  Großkapitalisten,  sondern  die  Großgrundbesitzer 
gemeint,  die  ihre  Macht  den  wirtschaftlich  Schwächeren  gegenüber 
rücksichtslos  ausnützten.  Wäre  S.s  Ansicht  richtig,  so  hätte  doch 
gerade  der  Teil  seines  Verfassungswerkes,  in  dem  diese  agrarisch- 
reaktionäre  Tendenz  noch  am  ersten  zu  entdecken  wäre,  die  lediglich 
auf  dem  ländlichen  Besitz  beruhende  Abstufung  der  bürgerlichen 
Rechte  und  Pflichten ,  dem  Andrängen  der  Gegner  zum  Opfer  fallen 
müssen.  Aber  gerade  die  Klasseneinteilung  hielt  sich  unverändert 
bis  ins  V.  Jahrhundert,  ein  Beweis,  daß  sie  nicht  aus  einer  reaktio- 
nären Tendenz  hervorging,  sondern  den  Verhältnissen  des  Landes 
entsprach ,  das  damals  noch  wesentlich  agrarisch  war  und  der  Be- 
tätigung des  Kapitalismus  in  Handel  und  Industrie  noch  sehr  geringen 
Spielraum  gewährte. 

Den  Grund  zur  wirtschaftlichen  Blüte  Athens  hat  erst  die  Herr- 
schaft des  Peisistratos  gelegt,  über  den  eine  Monographie  von 
Oddo  vorliegt,  die  sich  in  ihrem  ersten  und  letzten  Kapitel  haupt- 
sächlich mit  der  Quellenzusammenstellung  und  Literaturnachweisen 
beschäftigt.  Der  Hauptteil  befaßt  sich  mit  der  immer  noch  sehr 
streitigen  Chronologie  der  Regierung  des  Tyrannen.  Wenn  0.  für  die 
Verbannung  —  er  nimmt  mit  Bcloch  natürlich  nur  eine  einzige  an  — 
die  Jahre  556/5 — 542/1  gewinnt,  so  wird  die  Wahrscheinlichkeit 
dieses  Ergebnisses  einigermaßen  dadurch  beeinträchtigt,  daß  er  die 
c.  14,  15  der  athenischen  Verfassungsgeschichte  ganz  beiseite  läßt. 
Zwar  erscheint  die  darin  vorhandene  Verwirrung  auf  den  ersten 
Blick  fast  hoffnungslos;  dennoch  liegt  hier  vielleicht  der  Schlüssel, 
wie  ich  im  vorigen  Bericht  (S.  168  ff.)  zu  zeigen  versucht  habe. 
Allerdings  ist  nach  Secck  auf  Einzelheiten  hier  überhaupt  kein 


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Thomas  Lenschau. 


Verlaß,  sondern  die  ganze  Chronologie  ist  vom  Vertreibungsjabr  rück- 
wärts durch  Generationenrechnung  —  1  *  für  die  Söhne  =  161  2  Jahre 
(527—510),  eine  ganze  von  33  Jahren  für  Peisistratos  selber  (560 
bis  527)  —  künstlich  hergestellt  worden.  Allein,  wenn  ich  auch 
glaube,  daß  S.  in  vielem,  was  er  über  die  Atthis  sagt  (S.  292  ff.), 
Recht  hat,  so  ist  es  doch  ganz  wohl  möglich,  daß  sich  der  Archonten- 
name  des  Jahres  der  Verbannung  und  der  Rückkehr  im  Gedächtnis 
erhalten  hat,  und  daß  insofern  die  Angaben  bei  Ar.  Ath.  pol.  c.  14  f. 
nicht  aus  der  Luft  gegriffen  sind,  die  m.  E.  auf  538  als  Jahr  der  Rück- 
kehr führen.  Streitig  war  ferner  lange  das  Jahr  des  Bündnisses 
zwischen  Athen  und  Plataiai,  das  den  Wendepunkt  in  der  Politik  der 
Peisistratiden  bildet:  die  klare  Angabe  des  Thuk.,  die  von  Grote  u. 
A.  verworfen,  dann  aber  von  Ed.  Meyer  wieder  aufgenommen  wurde, 
ist  kürzlich  von  Wells  mit  guten  Wahrscheinlichkeitsgründen  ver- 
teidigt worden. 

Bekannt  ist  die  glänzende  Bautätigkeit  des  Tyrannen  und  seiner 
Söhne,  deren  genauere  Besprechung  in  den  Jahresbericht  über  Archäologie 
gehört;  hier  sei  nur  noch  erwähnt,  daß  Athen  ihnen  den  Ausbau 
der  Enneakrunos  und  die  Wasserversorgung  verdankt,  worüber  die 
Aufsätze  Graebers  zu  vergleichen  sind.  Weiter  ist  aber  auch 
der  große,  unvollendete  Athenatempel  auf  der  Burg,  auf  dessen 
Fundamenten  später  der  perikleische  Parthenon  errichtet  ward,  und 
dessen  Beginn  man  der  Zeit  unmittelbar  nach  den  Perserkriegen 
zuschrieb  (themistökleischer  Parthenon  Furtwänglers),  neuerdings  dicht 
an  die  Peisistratidenzeit  herangerückt.  Dörpfelds  genaue  Unter- 
suchung hat  ergeben,  daß  der  aus  Porös  hergestellte  Unterbau  in 
die  kleistbenische  Zeit,  vielleicht  unmittelbar  nach  den  Siegen  der 
jungen  Demokratie  fällt;  später  nach  Marathon  hat  man  dann  die 
Weiterführung  in  Marmor  beschlossen,  die  aber  noch  nicht  sehr  weit 
gediehen  war,  als  die  Zerstörung  durch  die  Perser  alles  vernichtete. 
Der  Tempel  hat  dann  unvollendet  gelegen,  bis  447  der  Ausbau  des 
perikleischen  Parthenons  begann.  Ist  dies  richtig,  so  wäre  die  im 
vorigen  Bericht  S.  208  erwähnte  Auslegung  der  Stelle  des  Anon. 
Argent.  durch  Foucart,  der  469  den  Wiederbeginn  der  Arbeiten  an- 
setzen wollte,  zurückzuweisen  und  Bruno  Keils  Ausführungen  der 
Vorzug  zu  geben.  —  Zuletzt  mag  an  dieser  Stelle  noch  Geyers 
Schrift  über  Euboia  erwähnt  werden ,  die  das  vorhandene  Material 
über  die  Geographie  der  Insel  zusammengestellt  und  manche  Fragen 
glücklich  gefördert  hat.  Hierunter  möchte  ich  den  Kachweis  rechnen, 
daß  das  italische  Kyme  von  dem  später  untergegangenen  euboeischen 
Kynie  gegründet  worden  ist.    Dagegen  scheint  in  den  eigentlich 


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Jahresbericht  über  griechische  Geschichte  (1903—1900). 


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historischen  Problemen  der  Vf.  weniger  zu  Hanse  zu  sein,  sonst  wäre 
seine  Darstellung  des  lelantischen  Krieges,  fast  des  einzigen  größeren 
Ereignisses  der  früheren  Zeit,  an  dem  Euboia  einen  entscheidenden 
Anteil  genommen  hat,  wohl  weniger  unbefriedigend  ausgefallen. 

Auch  für  die  Geschichte  der  Ostgriechen  haben  die  Aus- 
grabungen sehr  beachtenswerte  Ergebnisse  geliefert.  Vun  den  Öster- 
reichern in  Ephesos  ist  oben  schon  die  Rede  gewesen;  seit  Herbst 
1899  graben  die  Deutschen  unter  Wiegands  Leitung  in  Milet,  und 
als  erste  Frucht  dieser  Arbeiten  ist  kürzlich  die  vortreffliche  Karte 
Wilskis  erschienen.  Unter  den  Ausgrabungsberichten  ist  für  die  ältere 
Geschichte  der  Stadt  besonders  der  vierte  wesentlich:  er  berichtet 
zunächst  die  Auffindung  des  heiligen  Athenabezirks  aus  archaischer 
Zeit,  wie  die  gefundenen  Vasenfragmente  beweisen,  die  neben  dem  geo- 
metrischen vor  allem  den  sog.  rhodischen  und  Fikelluratypus  zeigen. 
Weiter  wurden  in  dem  heiligen  Bezirk  des  Apollon  Delphinios  sechs 
Fragmente  einer  Beamtenliste  gefunden :  zwei  ergeben  in  lückenloser 
Abfolge  die  Eponymen  der  Stadt  (Tce<pav7]96poi  oi  xal  atsojivr^xai) 
von  523 — 260  v.  Chr.,  ein  drittes  Namen  aus  der  Mitte  des  2.  Jahr- 
hunderts ,  die  drei  letzten  umfassen  die  Zeit  von  89  v.  Chr.  bis  20- 
n.  Chr.  Weitere  interessante  Funde,  die  den  späteren  Jahrhunderten 
angehören,  werden  später  Erwähnung  finden. 

In  die  ältere  Zeit  Ioniens  führen  die  Untersuchungen,  die 
v.  Wilamowitz  unter  dein  Titel  Panionion  der  Entstehung  des 
ionischen  Bundes  gewidmet  hat.  Nachdem  er  zunächst  den 
politischen  Charakter  des  Bundes  festgestellt  hat,  zeigt  W. ,  daß  er 
sich  zuerst  bei  der  Zerstörung  der  Stadt  Melia  betätigte,  die  nördlich 
vom  Mykale  ein  ziemlich  bedeutendes  Stadtgebiet  besaß.  Nach  der 
Zerstörung  des  Ortes  wurde  dieses  unter  die  Eroberer  geteilt;  das 
Hauptheiligtum  der  Stadt  dagegen,  das  natürlich  erhalten  werden 
mußte,  ward  zum  Bundesheiligtum  erhoben,  dessen  Besorgung  das 
südlich  vom  Mykaleberg  gelegene  Priene  übernahm.  Später  folgtenr 
nachdem  der  Trerensturm  vorübergebraust  war,  um  einzelne  Teile 
des  Gebietes  heftige  Kämpfe  zwischen  Samos,  Priene  und  Milet,  die 
endlich  mit  einer  schweren  Niederlage  von  Priene  endeten.  Unsere 
Kenntnis  dieser  Ereignisse  beruht  im  wesentlichen  auf  einigen  um- 
fangreichen Inschriften  späterer  Zeit,  die  in  Priene  gefunden  sind 
und  eine  Darstellung  des  alten,  vor  verschiedenen  Schiedsrichtern 
verhandelten  Streites  zwischen  Samos  und  Priene  enthalten.  Ich 
kann  an  den  Ergebnissen  v.  Wilamowitzens  um  so  weniger  etwas 
aussetzen,  als  seine  glänzenden  Ausführungen  eine  früher  einmal  von 
mir  (Lpz.  Stud.  XII.)  geäußerte  Vermutung  bestätigt  haben.  Was  die  Zeit- 


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Thomas  Lenschau. 


bestiinmung  betrifft,  so  ist  die  untere  Grenze  ja  in  dem  Trereneinfall 
unter  Lygdamis  (Tugdammu  der  assyrischen  Inschriften)  gegeben,  den 
Winkler  (S.  60)  auf  650  ansetzt.  Nach  oben  hin  ist  sie  zunächst  nur 
aus  allgemeinen  Erwägungen  zu  gewinnen ,  die  natürlich  etwas  Un- 
sicheres haben.  Zugestanden  muß  werden,  daß  ein  wichtiger  Anlaß 
zum  Zusammenschluß  in  dem  Aufkommen  der  größeren  Hinterland- 
staaten gegeben  war ;  ob  aber  dieser  Fall  schon  unter  Mita  v.  Mnski 
(spätestens  715,  s.  Winkler  S.  59)  oder  unter  Guggu  v.  Lydien  ein- 
trat ,  können  wir  nicht  wissen.  Immerhin  ist  es  erfreulich ,  aus  den 
assyrischen  Annalen  die  wirkliche  Existenz  des  Gyges  bestätigt  zu 
sehen.  In  welchem  Maße  die  griechische  Überlieferung  seine  Gestalt 
mit  Sagen  und  Mythen  tibersponnen  hat,  ist  von  Smith  überzeugend 
nachgewiesen  worden. 

Hier  aber  tritt  nun  weiter  die  Liste  der  Thalassokratien. 
die  bereits  oben  erwähnt  ward,  in  ihrer  Wichtigkeit  für  die  Früh- 
geschichte loniens  hervor.  In  den  unteren  Partien,  wo  die  Über- 
lieferung einigermaßen  übereinstimmt,  d.  h.  etwa  bis  zur  Seeherrschaft 
der  Phokaier,  erweist  sie  sich  als  durchaus  zuverlässig,  abgesehen 
von  dem  einen  Kardinalfehler,  daß  das  untere  Ende  zu  tief  herab- 
gerückt ist.  Wie  die  Dinge  liegen,  dauert  nach  Eusebios  die  Herr- 
schaft von  Eretria  von  500 — 485,  die  von  Aigina  485 — 475,  während 
es  doch  klar  ist ,  daß  für  jene  die  Zerstörung  Eretrias  490 ,  für 
diese  Salamis  den  Endpunkt  gebildet  haben  muß.  Indessen  ober- 
halb des  Ansatzes  der  Phokaier  beginnen  die  Lücken  und  starken 
Abweichungen  zwischen  der  Chronographie,  dem  Kanon,  Synkellos  und 
der  armenischen  sowohl  wie  der  lateinischen  Übersetzung,  und  hier 
kommen  denn  auch  die  beiden  Bearbeiter,  W  i n k  1  e r  und  Myres,  zu 
ganz  verschiedenen  Ergebnissen,  die  ich  hier  einander  gegenüberstelle : 


Rhodier 

nach  W.  757—734, 

nach  M.  800—767, 

Phryger 

n 

„  734—709, 

„  767—742, 

Cyprier 

•• 

„  709-676, 

u  742—709, 

Phoeniker 

n 

„  676—631, 

„  709—664, 

Ägypter 

- 

„  631—605, 

„  664—604, 

Milesier  1 

„  605—587, 

„  604—586, 

Carer  I 

Lesbier 

n 

*  587 

w   586 — 578, 

Phokaier 

„  578—534. 

Der  Hauptunterschied  liegt  darin,  daß  W.  die  überlieferten  Daten 
beibehält,  während  Myres  an  einer  Stelle  abweicht,  nämlich  darin,  daß 
er  die  ägyptische  Seeherrschaft  über  sechzig  Jahre  erstreckt,  was  ich 
im  wesentlichen  für  richtig  halte.   Was  indessen  für  uns  hauptsächlich 


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Jahresbericht  über  griechische  Geschichte  (1908—1906). 


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in  Betracht  kommt,  ist  dies :  Myres  hat  es  in  der  Tat  wahrscheinlich 
gemacht,  daß  die  Schlacht  zwischen  Kyaxares  und  Alyattes  585  einen 
Umschwung  der  politischen  Verhältnisse  zu  Ungunsten  der  Milesier 
herbeiführte  und  das  Ende  der  Seeherrschaft,  die  sie  naturgemäß  seit 
dem  Zusammenbruch  der  ägyptischen  Macht  bei  Karchemisch  604  er- 
worben hatten.  Möglich,  daß  zugleich  der  Sturz  des  Thrasybulos 
stattfand,  wie  M.  meint;  jedenfalls  folgten  nun  zwei  Geschlechter 
hindurch  jene  Parteiungen  und  Zwist igkeiten,  von  denen  Her.  5,  28 
spricht,  und  die  wahrscheinlich  erst  durch  die  Tyrannis  des  Histiaios 
ein  Ende  nahmen.  Natürlich  beeinträchtigten  sie  die  Machtentfaltung 
der  Stadt  nach  außen,  und  das  ist  der  Grund,  weswegen  in  dieser 
Zeit  Phokaia  an  die  Spitze  der  griechischen  Städte  Ioniens  trat. 

Die  Richtigkeit  des  Datums  der  Seeherrschaft  von  Phokaia 
578—534  ist  wohl  bezweifelt  worden,  und  allerdings  gestattet  Her.s 
Darstellung  kaum,  den  Zeitpunkt  der  Eroberung  durch  Harpagos  viel 
später  als  541  oder  540  anzusetzen;  Myres  geht  da  jedenfalls  zu 
tief  hinab.  Allein  der  Fall  Phokaias  war  keineswegs  eine  Zerstörung, 
und  Clerc  hat  mit  vollkommenem  Recht  nachgewiesen,  daß  die 
ganze  Erzählung  Herodots  von  der  Auswanderung  der  Phokaier  an 
schweren  inneren  Widersprüchen  krankt.  Dem  mag  sein  wie  ihm 
wolle,  jedenfalls  konnte  eine  Stadt  nicht  der  Seeherrschaft  ver- 
lustig gehen,  deren  Flotte  noch  sechzig  Segel  stark  auf  dem  Wasser 
schwamm.  Erst  die  Vernichtung  dieser  Flotte,  meine  ich,  vor  Alalia 
im  Jahre  535/4  kann  mit  Fug  als  das  Ende  der  phokaischen  Thalasso- 
kratie  bezeichnet  werden,  so  daß  also  mindestens  der  Endpunkt,  den 
die  Liste  gibt,  durchaus  einwandfrei  erscheint.  Eine  andere 
Schwierigkeit  in  chronologischer  Hinsicht  geben  die  Beziehungen  der 
Phokaier  zu  Arganthonios  von  Tartessos,  dem  Her.  eine  Regierungs- 
dauer  von  80,  eine  Lebensdauer  von  120  Jahren  zuschreibt.  Nun  ist 
ja  diese  letztgenannte  Zahl  entschieden  nur  durch  die  axu-Tj-Berechnung 
gefunden ;  daß  dagegen  die  80  Kegierungsjahre  ganz  wohl  auf  Wahr- 
heit beruhen  können,  darin  wird  man  Clerc  beistimmen,  der  auf 
Ludwigs  XIV.  72  Jahre  verweist.  Um  sie  zu  beseitigen,  hatte 
Rad  et  vermutet,  Herodot  habe  in  seiner  Erzählung  von  dem  An- 
erbieten des  Königs  beim  Herannahen  der  Meder  seinen  Gewährs- 
mann Hekataios  mißverstanden;  dieser  habe  mit  dem  Meder  Kyaxares, 
nicht  Harpagos  gemeint  und  die  Sache  falle  also  in  den  Anfang  der 
achtziger  Jahre.  Diese  Vermutung,  die  auf  den  ersten  Blick  die 
Schwierigkeit  zu  lösen  scheint,  ist  aber  nicht  nur  unnötig,  sondern 
direkt  falsch,  indem  Herodots  Erzählung  von  der  Einnahme  Phokaias 
voraussetzt,  daß  der  Tod  des  Arganthonios  noch  nicht  so  sehr  lange 


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94 


Thomas  Lenschau. 


erfolgt  ist  (1,  165).    Man  wird  demnach  die  Regierung  des  Argan- 
thonios  etwa  von  625—545  ansetzen  müssen,  und  hier  fällt  nun  auf. 
daß  die  Phokaier  das  Anerbieten  des  Königs,  eine  Kolonie  an  der 
Mündung  des  Guadalquivir  zu  gründen,  nicht  annahmen,  später  dann 
aber  doch  Mainake,  Abdera  und  Hemeroskopion  an  der  spanischen 
Küste  gründeten,  die  doch  offenbar  bestimmt  waren,  über  das  iberische 
Scheidegebirge  hinweg  und  die  Sierra  Nevada  den  Verkehr  mit  dem 
oberen  Tal  des  Guadalquivir  zu  pflegen,  wo  die  großen  Silbergnil  en 
lagen.    Juli i an  wie  Clerc  erklären  dies  übereinstimmend  damit, 
daß  nach  der  Ablehnung  der  Phokaier  eine  karthagische  Reaktion 
Am  Hofe  des  Königs  erfolgt  sei ,  so  daß  der  direkte  Weg  zu  den 
Silberminen  den  Griechen  verschlossen  blieb,  und  auch  darin  stimmen 
beide  überein,  daß  diese  spanischen  Kolonien  direkt  und  nicht  von 
Massilia  gegründet  worden  sind.    Im  übrigen  beruhen  alle  diese 
chronologischen  Bestimmungen  auf  einem  festen  Punkt,  auf  dem  Zu- 
sammenstoß zwischen  Alyattes  und  Kyaxares,  der  durch  die  dabei 
erwähnte  Sonnenfinsternis  auf  585  festgelegt  erscheint.    Diese  aber 
setzt  Wink  ler  neuerdings  an  zwei  Stellen  seines  Buches  (S.  61 
und  85)  ins  Jahr  557,  und  das  befremdet  um  so  mehr,  als  er  sie 
beide  Male  unter  Kyaxares'  Regierung  erwähnt,  die  er  in  Über- 
einstimmung mit  der  hergebrachten  Chronologie  von  624 — 585  dauern 
läßt.    Man  würde  S.  85  an  einen  Druckfehler  glauben,  wenn  nicht 
S.  60  eigens  hervorgehoben  wäre,  daß  die  Schlacht  557,  nicht  585, 
geliefert  worden  sei. 

Die  Zeit  der  Gründung  Massilias  läßt  sich  nicht  genau  be- 
stimmen. Daß  es  nur  einmal  von  Phokaia  aus  Bewohner  erhalten 
hat,  zeigt  Clerc;  die  gegenteilige  Behauptung  beruht  auf  einer  alten 
Verderbnis  bei  Strabo  6,  1.  1.  (Antiochos),  wo  ÄXaXtav  statt 
MotaaaMotv  zu  lesen  ist ,  wie  schon  Casaubonus  sah.  Dennoch  sind 
alle  diese  Ktistengegenden  schon  vor  den  Phokaiern  besiedelt  worden, 
und  zwar,  wie  es  scheint,  von  Kretern  und  Rhodiern,  die  auch  bei  der 
Gründung  von  Gela  zusammen  tätig  gewesen  sind.  Dies  ist  das 
Ergebnis  der  von  Maaß  geführten  Untersuchungen,  in  denen  er 
beweist,  daß  die  gesamte  Nomenklatur  an  der  Rhonemündung 
hellenisch  ist ;  zugleich  beweist  die  Rolle,  die  gerade  diese  Gegenden 
in  der  Heraklessage  spielen,  sowie  die  zahlreichen  Heraklestempel 
an  der  Riviera.  daß  hier  dorische  Ansiedler  die  ersten  waren,  und 
daß  ihre  Spur  erst  später  durch  die  darüber  liegende  Schicht  der 
ionischen  Kolonisation  verdeckt  ist. 

Nimmt  man  534  als  Ende  der  phokaischen^Seeherrschaft  an.  so 
schließt  sich  unmittelbar  daran  die  samische ,  die  mit  der  Regierung 


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Jahresbericht  über  griechische  Geschichte  (1903—1906). 


95 


des  Polykrates  zusammenfällt.  Daß  P.  als  Vertreter  des  Groß- 
kapitalismus aufzufassen  ist,  wird  man  Ure  glauben  dürfen  (s.  S.  80); 
interessant  ist  es,  daß  kürzlich  von  C  u  r  t  i  u  s  die  Statue  seines  Vaters 
Aiakes ,  Sohn  des  Bryson ,  aufgefunden  ist  mit  einer  Inschrift ,  die 
m.  E.  allerdings  noch  nicht  ganz  genügend  erklärt  ist. 


Drittes  Kapitel. 

Die  Perserkriege  und  das  Emporsteigjen  der  attischen 

Seemacht. 

Bannier,  Wilh.,  zu  den  attischen  Rechnungsurkunden  des  5.  Jahrhunderts. 
1906.   Rh.  Mus.  61,  202-231. 

Bauer,  Adolf,  die  Seeschlacht  von  Salamis.  Jahreshefte  d.  östr.  arch.  In- 
stituts IV,  90—111.  1901. 

Busolt,  Georg,  Thukydides  und  der  Themistokleische  Mauerbau.  Klio  (Beit. 
z.  alt.  Gesch.)  V,  255—279.  1905. 

Carcopino,  Danion  a-t-il  et6  ostracise  ?  Revue  £t.  Grecq.  1905.  p.  415 — 429. 

Costanzi,  Pintervallo  tra  la  presa  di  Mileto  e  la  battaglia  di  Maratone. 
Rev.  Stor.  Ant.  XII,  357—362.  1903. 

—  una  testinionianza  importante  trascurata  (Diod.  11,  60)  ib.  735. 

—  il  movimento  antilaconico  nel  Peloponnese  dopo  la  guerra  persiana,  ib. 
659—672. 

— ,  l'anno  attico  della  battaglia  presso  l'Eurimedonte.    Riv.  di  fil.  Nuova 

Ser.  II,  249—267.  1903. 
Dahms,   Rud.,   de  Atheniensium   sociorum  tributis  quacstiones  septem. 

Berl.  Diss.  1904. 

Hüsing,  Beiträge  zur  Kyrossage  in  Orientalist.  Lit.-Zeit.  1903,  Nr.  3  ff. 

Jacoby,  F.,  über  das  Marmor  Parium  Rh.  Mus.  59,  63—107.  1904. 

— ,  d.  Marmor  Parium  hrsg.  und  erklärt.   Berlin  1904. 

Laird,  Studies  in  Herodotus.    Madison,  Wisconsin  1904.   47  S. 

Lanzani,  Carolina,  i  Persica  di  Ctesia  fönte  di  storia  Greca.    Riv.  stor. 

Ant.  VI,  1902.   (Sonderabdr.  Messina  1904.    104  S.) 
Lanzani,  Carolina,  Kicerche  intorno  a  Pausania  reggente  di  Sparta.  Riv. 

stor.  ant.  VII,  229  -  282.  1903. 
— ,  de  fontibus  Dioden  in  Cyri  expeditione  euarranda.    R.  Stor.  Ant.  IX, 

579-617.  1905. 

Lehmann-Haupt,  C.  F.,  zur  Geschichte  und  l'berlieferung  des  ionischen 

Aufstandes.    Klio  II,  334—340.  1902. 
— ,  Pausanias  d.  Spartaners  Todesjahr.  Ebd.  345 — 346. 
— ,  die  .Schrift  -A  [Acröt  Aoipeiov  des  Dion>sios  v.  Milet.  Ebd.  III,  330 — 332.  1903. 
— ,  Chronologisches  zur  griechischen  Quellenkunde  1.  Hellanikos,  Herodot, 

Thukydides.    Klio  VI,  140-164.  1906. 


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00  Thomas  Lenschau. 

Lipsius,  J.  H.,  das  Ende  des  herodoteischen  Geschichtswerkes.  Leipzig. 

Studien  20,  195—203.  1902. 
v.  Meß,  A.,  Untersuchungen  Uber  Ephoros.    Rh.  Mus.  61,  360—407.  1906. 
— ,  Unters,  über  die  Arbeitsweise  Diodors  ebd.  S.  240—266. 
Meyer,  Ed.,  der  Mauerbau  des  Themistokles.    Herrn.  40,  561 — 569.  1905. 
Migliazza,  data  dalla  battaglia  di  Lade  e  della  presa  di  Mileto.    Riv.  di 

scienze  stor.  1904  vol.  VII  (separat,  Pavia.   5.  S.). 
Mommsen,  Aug.,  attische  Jahrbestinimung.    Philol.  N.  F.  17,  162 — 185. 
— ,  Formalien  der  attischen  Volksbeschlüsse.  Philol.  N.  F.  18,  506—553. 
Munro,  J.  A.  R.,  Some  Observation  on  the  Persian  wars.   3.  The  cam- 

paign  of  Plataea.   Journ.  hell.  Stud.  XXIV,  144—165.  1904. 
Niccolini,  Sparta  nel  periodo  delle  prime  guerre  persiane.    Rendiconti  del 

Inst.  Reale  Lomb.  di  scienze  e  lettere.  Scr.  II  vol.  XXXVIII,  741—772. 

1905. 

Oppert,  Jul.,  l'annde  de  Me"ton.    Rev.  et.  grecq.  1903,  p.  5 — 17. 

Perrin,  Bernad.,  the  tfpetai  of  Hellanicus  and  the  Imming  of  the  Argive. 

Heraeum  Amer.  Journ.  of  Phil.  XXII,  39—43. 
v.  PraSek,  .1.  V.,  Hekataios  als  Herodots  Quelle  zur  Geschichte  Vorderasiens. 

Klio  IV,  193—208.  1904. 
Quinci,  Anacronismi  diodorei  nel  periodo  Duceziano.   R.  Stor.  Ant.  VII, 

£83—354.  1903. 
Raase,  W ,  die  Schlacht  von  Salamis.    Diss.  Rostock  1904. 
Reuther,  Pausanias,  Sohn  des  Kleombrotos  usw.  Diss.  Münster  1902,  71  S. 
Rühl,  Franz,  die  Zeitansätze  für  Ilellanikos.    Rh.  Mus.  61,  473—476. 
— ,  Herakleides  v.  Mylasa.  Ebd.  352-359. 

Schwartz,  Ed.,  Artikel  Diodoros  in  Pauly-Wissowa.   Realenc.  V,  1903. 
v.  Stern,  Eug.,  der  Mauerbau  in  Athen  und  die  List  des  Themistokles. 

Herrn.  39,  543-  562.  1904. 
Thiele,  Bemerkungen  zur  griech.  Geschichte  (darin  d.  Schlacht  v.  Salamis). 

Jahrb.  d.  Erfurter  Akad.  gemeinnütz.  Wissensch.  29,  207—216. 
Tod,  M.  N.,  Bruchstück  einer  att.  Tributlistc.    Ann.  Jtrit.  School.  Athens 

X,  78-89. 

Weil,  das  Münzmonopol  Athens  im  ersten  attischen  Seebund.   Ztschr.  f. 

Numian.  25,  52-62.  1902. 
Wright,  II.  B.,  the  campaign  of  Plataea.   New  Häven  1904.    148  S. 

Je  höber  der  Rang  ist,  den  unter  den  Quellen  der  Perserzeit 
Herodots  Darstellung  einnimmt,  um  so  wichtiger  ist  die  Frage 
nach  dem  Wert  oder  Unwert  seiner  Berichte,  und  da  ist  nicht  zu 
leugnen,  daß  an  die  Stelle  der  früheren  Überschätzung  allmählich 
eher  das  Gegenteil  zu  treten  beginnt.  Seit  den  Untersuchungen 
von  Nordin  und  Meyer  wissen  wir.  daß  eine  antispartanisebe  Tendenz 
Herodots  Erzählung  der  Perserkriege  beherrscht,  und  diese  muß 
natürlich  bei  dem  Ereignis  am  stärksten  hervortreten,  das  wie 
kein  anderes  immer  als  die  glänzendste  Ruhmestat  der  Spartaner  im 
Befreiungskriege  angesehen  worden  ist,  bei  der  Schlacht  von  Plataiai. 


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Jahresbericht  über  griechische  Geschichte  (1903—1906).  97 


In  sorgfältiger  Untersuchung  hat  Wright  gezeigt,  daß  hier  in  der 
ursprünglichen  perikleischen  Überlieferung,  die  ein  im  ganzen  durch- 
aus zutreffendes  Bild  des  Schlachtverlaufes  gah,  von  Herodot  eine 
ganze  Reihe  späterer  Bestandteile  hineinverwoben  sind,  die  dazu 
bestimmt  waren,  Athens  Anteil  an  dem  gewaltigen  Ereignis  über 
Gebühr  zu  vergrößern.  Erst  die  großen  Geschichtschreiber  des  IV.  Jahr- 
hunderts haben  die  Tendenz  erkannt  und  sich  infolgedessen  an  die 
vorperikleische  Tradition  gehalten.  Die  Scheidung  der  verschiedenen 
Berichte  ist  m.  E.  dem  Verfasser  durchaus  gelungen;  sollte  sein  Ver- 
fahren Nachahmung  finden,  so  wird  es  uns  vielleicht  einmal  möglich 
sein ,  den  genauen  Umfang  der  athenischen  Mache  festzustellen ,  die 
auf  Herodots  Darstellung  einen  so  tiefgehenden  Einfluß  gewonnen  hat. 

Dagegen  ist  man  mit  der  Annahme  schriftlicher  Quellen  und 
Gewährsmänner  bei  Herodot  entschieden  vorsichtiger  geworden  als 
früher.    Auf  Hekataios  hat  kürzlich  Prasek  hingewiesen,  indem  er 
in  der  herodoteischen  Erzählung  vom  Sturz  des  Mederreichs  zwei 
Versionen  unterscheidet,  eine,  die  den  llarpagos  zu  entlasten  bestrebt  ist, 
und  eine  zweite  ziemlich  einfache  und  den  Tatsachen  entsprechende 
Volksüberlieferung;  jene  beruht  nach  I\s  Ansicht,  die  vor  ihm  zum 
Teil  schon  Schubert  ausgesprochen  hat  (1890),  auf  der  Darstellung 
der  Familie  des  Harpagos,  die  später  in  Ionien  ansässig  war,  und  ist 
zunächst  in  das  Geschichtswerk  des  Hekataios,  von  da  in  Herodots 
Bericht  übergegangen.    Ob  Dionysios  von  Milet  bei  Herodot  benutzt 
ist,  bleibt  zweifelhaft,  ebenso  wie  die  Frage,  ob  sein  Hauptwerk 
rUpaixa  mit  dem  zweiten  uns  überlieferten  Titel  tä  jistA  AapsTov  zu 
identifizieren  ist.    Während  Lipsius  die  Frage  bejaht,  möchte 
C.  F.  Lehmann  den  zweiten  Titel  als  eine  Fortsetzung  des  ersten 
Werkes  auffassen,  dessen  Bezeichnung  dann  für  Arrians  ta  jxei' 
ÄXlcotvopov  das  Muster  abgab;  seine  Benutzung  bei  Herodot  hat  in 
einem  Falle  wenigstens  (I,  153)  Lehmann  ziemlich  wahrscheinlich 
gemacht.    Endlich  hat  Lipsius  auch  die  Frage  nach  dem  Abschluß 
des  herodoteischen  Geschichtswerkes  aufgerollt.    Mit  Recht  weist  er 
darauf  hin,  daß  ein  eigentlicher  Abschluß  fehlt,  und  daß  Herodot 
vielmehr  erst  mit  der  Gründung  des  delischen  Bundes  zu  schließen 
beabsichtigte.    Das  Werk  ist  also  unvollendet ,  dennoch  würden  die 
'Aaaoptoi  Xo^oi,  auf  die  Her.  einmal  verweist ,  keinen  Platz  darin  ge- 
funden haben;  dies  für  uns  verlorene  Werk  hat  vielmehr  selbständig 
existiert  und  ist  wenigstens  an  einer  Stelle  erwähnt,  in  der  hist. 
anim.  von  Ar.  p.  601b  i.  A.,  wo  freilich  alle  Handschriften  mit 
Ausnahme  einer  einzigen  'HatoSc?  bietet.    Indessen  zeigt  L.,  daß  an 
dieser  Stelle  unmöglich  von  einem  Dichter  die  Rede  sein  kann,  und 

Jahresbericht  für  Altertumswissenschaft.    Bd.  CXXXV.  7 


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98 


Thomas  Lenschau. 


da  das  hier  angeführte  Ereignis  genau  das  ist,  welches  Herod.  in 
Äddupioi  I6ft*  zu  erzählen  verspricht,  so  ist  es  allerdings  wahr- 
scheinlich, daß  hier  der  in 'einer  Hs.  erhaltene  Name  Herodots  ein- 
zusetzen ist.  Was  die  Abfassungszeit  von  Herodots  Werk  betrifft, 
so  beruht  die  genaue  Ansetzung  bei  Wright  (Buch  I— III  426. 
IV— VI  425,  VII— IX  424/3)  auf  gewissen  Anspielungen,  die  der  Vf. 
nach  Steins  Vorgang  in  den  Stücken  des  Aristophanes  findet ;  indessen 
ist  in  diesen  Dingen  schwerlich  mehr  als  eine  subjektive  Überzeugung 
erreichbar. 

Als  zweite  Hauptquelle  für  diese  Zeit  käme,  wenn  uns  eins  von 
seinen  Werken  erhalten  wäre,  Hellanikos  in  Betracht.  Gegenüber 
der  Unzahl  der  unter  seinem  Namen  überlieferten  Titel  hat  S  e  e  c  k 
(S.  289)  mit  Recht  zur  Vorsicht  gemahnt;  wahrscheinlich  sind  Unter- 
titel einzelner  Bücher  von  größeren  Werken  in  dem  Suidasartikel 
als   selbständige   Schriften   mit  aufgeführt.     Ähnlich   glaubt  auch 
Perrin,  daß  in  den  beiden  großen  chronologischen  Werken  des  H.. 
den  'Ups tat  und  der  Atthis,  wesentlich  dasselbe  Material  verarbeitet 
war;  jenes  reichte  nur  bis  zum  Brande  des  argivischen  Heraions  (424). 
worauf  dann  der  Verf.  noch  einmal  den  gesamten  chronologischen 
Stoff  nach  Archonten  ordnete.    Daß  beide  Werke  manche  überein- 
stimmenden Partien  enthielten,  ist  ja  wohl  selbstverständlich.  —  Für 
die  Zeit  des  Hellanikos  haben  wir  das  bekannte  Zeugnis  der  Pamphila 
bei  Gellius,  in  welchem  der  Ansatz  von  Hellanikos  Geburtsjahr  un- 
zweifelhaft durch  Rechnung  erschlossen  ist,  einerlei,  ob  man  da* 
Schlußjahr  der  Atthis  411  mit  dem  Todesjahr  gleichsetzte  und  damit 
die  von  Lukian  erhaltene  Angabe  des  Lebensalters  kombinierte  (so 
Lehmann)  oder  ob  man  es  einfach  mit  Hilfe  der  Akmereclinung 
gewann,  wie  das  bei  den  gleichzeitig  gegebenen  Ansätzen  für  Herodot 
und  Thukydides  unstreitig  der  Fall  ist  (Rühl).    Im  übrigen  hält 
Lehmann  wie  vor  ihm  auch  Perrin  Herodot  und  Hellanikos  wesentlich 
für  Zeitgenossen ,  und  allerdings  deutet   der  ungewöhnliche  Name 
daraufhin,  daß  Hell,  bald  nach  dem  großen  Jahr  480  geboren  sein 
muß;  die  Persika  fielen  vor,  die  Atthis  nach  Herodots  Geschichtswerk  ; 
das  letztg  nannte  Werk  vermochte  Thukydides  noch  in  einer  späteren 
Einlage  —  als  solche  faßt  L.  die  Pentekontaetie  —  noch  zu  benutzen. 

Über  Thukydides  und  sein  Werk  hat  erschöpfend  wie  immer 
Busolt  im  3.  Band  seiner  griechischen  Geschichte  alles  Material  zu- 
sammengestellt ;  da  indessen  diese  Partie  des  Werkes  bereits  ab- 
geschlossen war,  als  Meyers  Forschungen  zur  Griech.  Geschichte 
Band  II  erschienen,  so  konnten  diese  m.  E.  grundlegenden  Unter- 
suchungen nicht  mehr  benutzt  werden.   Bei  der  geradezu  einzigartigen 


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I 


Jahresbericht  über  griechische  Geschichte  (1903—1906).  9f) 

Stellung  des  Thukydides  kann  es  nicht  fehlen,  daß  seine  Darstellung 
immer  wieder  auf  ihre  Grundlagen  geprüft  wird ,  und  so  hat  denn 
auch  diesmal  wieder  E.  v.  Stern  in"  der  Frage  des  themistokleischen 
Mauerbaus  Thukydides'  Glaubwürdigkeit  bemängelt,  ein  Angriff,  der 
indessen  durch  Meyers  und  vor  allem  durch  Busolts  Verteidigung 
als  abgeschlagen  gelten  kann.    Dagegen  scheint  allerdings  bei  der 
Darstellung  der  Schicksale  des  Pausanias  dem  Historiker  kein  sehr 
gutes  Material  zur  Verfügung  gestanden  zu  haben;  die  drei  letzten 
Bearbeiter  der  Geschichte  des   spartanischen  Regenten,  Reuther, 
Fräul.  Lanzani  und  Niccolini  erklären  übereinstimmend  den  Brief- 
wechsel des  Pausanias  mit  dem  Könige  entweder  für  gefälscht  oder 
mindestens  für  eine  Komposition  des  Thukydides  nach  Art  seiner 
Reden,  und  ebenso  erscheint  die  Darstellung  vom  Ende  des  Regenten 
sensationell  ausgeschmückt.    Indessen  Thuk.  wußte  zu  gut,  was  ein 
Aktenstück  war.  als  daß  er  selber  eins  hergestellt  hätte,  und  so 
möchte   ich   eher  glauben,   daß  Thuk.  aus  den  Prozeßakten  des 
Pausanias  schöpfte,  die  ja  auch  gegen  Themistokles  verwandt  wurden ; 
es  waren  behördliche  begangene  Fälschungen,  durch  die  Thuk.  getäuscht 
ward.    Auf  eine  Benutzung  ähnlicher  Quellen  führt  Seeck  (S.  319  ff.) 
Thuk.  Darstellung  des  kylonischen  Frevels  zurück,  die  deutlich  eine 
gegen  die  Alkmeoniden  gerichtete  Spitze  zeigt :  er  meint,  Thuk.  habe 
sich  an  die  Anklagerede  in  dem  508  verhandelten  Prozesse  gehalten, 
während  Aristoteles  die  Verteidigungsrede  seinem  Bericht  in  der 
Verfassungsgeschichte  zugrunde  legte.    Ob  indessen  die  Akten  eines 
Staatsprozesses  in  Athen  noch  80  oder  gar  150  Jahre  nachher  einem 
Forscher  zu  Gebote  gestanden  haben,  mag  freilich  zweifelhaft  sein, 
doch  denkt  auch  S.  wohl  an  Mittelglieder,  und  tatsächlich  muß  ja 
kurz  vor  dem  Ausbruch  des  peloponnesischen  Krieges  die  Sache  in- 
folge der  bekannten  lakedaimonischen  Forderung  wieder  sehr  aktuell 
geworden  sein.    Immerhin  erscheint  Thuk.  Stellungnahme  gegen  die 
Alkmeoniden  bei  der  Verehrung,  die  er  für  Themistokles  hegte,  schon 
an  sich  ganz  begreiflich.    Wichtiger  erscheint  mir  eine  andere  Be- 
merkung Seecks,  der  die  Frage  aufwirft,  wie  es  kommt,  daß  Thuk., 
der  doch  die  chronologische  Ungenauigkeit  des  Hellanikos  in  der 
Pentekontaetie  tadelt,  bei  seiner  eigenen  Darstellung  nur  mit  ganz 
vagen  Zeitbestimmungen  operiert.    Der  Schluß  liegt  nahe,  daß  er 
keine  besseren  hatte ,  und  wenn  dein  so  ist ,  so  erscheint  allerdings 
die  Annahme  einer  offiziellen  attischen  Chronik  in  einem  einigermaßen 
bedenklichen  Lichte ;  von  den  genaueren  Datierungen  im  t>.  Jahr- 
hundert hält  Seeck  nur  die  des  Solon  und  des  Kleisthenes  für  sicher, 
da  beide  zufällig  Archonten  waren. 

7* 


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100 


Thomas  Lenschau 


Von  den  Historikern  des  dritten  Jahrhunderts  kommt  für  diese 
Zeit  besonders  Ephoros  in  Betracht,  der  in  seiner  Darstellung  der 
Perserkriege  nicht  zu  seinem  Vorteil  Ktesias  heranzog,  wie  das 
Holzapfel  und  neuerdings  v.  Meß  erwiesen  haben.  Übrigens  wendet 
sich  v.  Meß  zunächst  den  Spuren  des  Ktesias  in  der  Darstellung  der 
Expedition  des  jüngeren  Kyros  zu,  und  hier  berührt  er  sich  voll- 
ständig mit  der  oben  angeführten  Arbeit  Frl.  Lanzanis.  Wenn  ich 
nun  auch  dieser  bei  der  Bestimmung  der  Quellen  im  einzelnen  den 
Vorzug  geben  möchte,  so  scheint  mir  doch  die  Grundanschauung  bei 
v.  Meß  richtiger,  der  eine  starke  Einarbeitung  des  Ktesias  durch 
Ephoros  in  den  xeuophontischen  Grundstock  der  Darstellung  annimmt. 
Anders  Frl.  Lanzani:  sie  meint,  daß  diese  Einarbeitung  erst  durch 
Diodor  geschehen  sei,  und  daß  sich  ihre  Spuren  überall  dort  fänden, 
wo  in  die  knappe,  summarische  Erzählung  plötzlich  ausführliche 
Partien  eingesprengt  sind.  Das  widerspricht  der  bisherigen  Auf- 
fassung, die  man  von  Diodor  gehabt  und  die  kürzlich  erst  wieder 
Schwartz  in  seinem  Artikel  festgelegt  hat;  entscheidend  aber  ist 
m.  E.,  daß  bei  Diod.  14,  22  eine  Zahlangabe  direkt  auf  Ephoros 
zurückgeführt  wird,  während  sich  aus  der  Parallelstelle  in  Plut. 
Artox  ergibt,  daß  sie  aus  Ktesias  stammte.  Was  Frl.  Lanzani 
S.  591  vorbringt,  um  dies  Argument  zu  widerlegen,  sind  kaum  mehr 
als  Verlegenheitsausflüchte.  Im  übrigen  hat  gerade  in  bezug  auf 
Ktesias  Frl.  L.  sich  insofern  ein  Verdienst  erworben,  als  sie  die 
kolossalen  Irrtümer  in  der  Darstellung  der  Perserkriege,  die  ihm 
gewöhnlich  untergeschoben  werden ,  in  ganz  plausibler  Weise  damit 
erklärt,  daß  es  dem  erklärten  Spartanerfreunde  in  erster  Linie  darauf 
angekommen  sei,  den  Anteil  Spartas  möglichst  hervorzuheben,  daß 
er  dagegen  die  Ereignisse,  an  denen  Athen  das  Hauptverdienst  zufiel, 
nur  nachträglich  und  ganz  kurz  behandelte.  So  würde  sich  die  Fort- 
lassung von  Artemision  und  Mykale  ganz  gut  erklären,  vor  allem 
aber  auch  der  merkwürdige  Umstand,  daß  Ktesias  in  seinem  Bericht 
Salamis  erst  nach  Plataiai  schilderte. 

Über  die  Verfassungsgeschichte  Athens  von  Aristoteles  handelt 
im  Zusammenhang  die  schon  mehrfach  erwälmte  Abhandlung 
von  Seeck,  in  der  er  die  bis  dahin  geltende  Ansicht  Busolts,  da/i 
Androtion  die  Hauptquelle  sei,  durch  eine  andre  zu  ersetzen 
sucht.  Allerdings  ist  es  ja  auffallend,  daß  der  historische  Teil 
kein  Ereignis  erwähnt,  das  später  fiele  als  39;2,  während  der 
systematische  bis  324  hinabgeht,  und  auf  den  ersten  Blick  wird  mau 
mit  Seeck  geneigt  sein,  darin  keinen  Zufall,  sondern  den  Beweis  zu 
sehen,  daß  die  Quelle  das  Werk  eines  uns  unbekannten  Verfassers 


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Jahresbericht  über  griechische  Geschichte  (1903—1906)  101 

gewesen  ist,  der  kurz  nach  392  schrieb  und  ein  Freund  und  Ge- 
sinnungsgenosse der  Dreißig  war;  daher  auch  Ar.s  Vorliebe  für 
Theramenes.    Allein  aus  c.  41  ergibt  sich  ganz  deutlich,  daß  nach 
Ar  s  Auffassung  die  Verfassung  aus  dem  Archontat  des  Pythodoros 
noch  in  seiner  Zeit  zu  recht  bestand  mit  ein  paar  unwesentlichen 
Abweichungen,  die  er  am  Ende  des  Kapitels  zusammenstellte;  er 
konnte  also  seinen  geschiphtlichen  Abriß  mit  dem  Jahre  404  ab- 
schließen, so  daß  sich  hierdürch  die  Nichterwähnung  späterer  Er- 
eignisse auf  eine  ganz  ungezwungene  Weise  erklärt.  Dagegen  scheint 
mir  S   in  einer  andern  Hinsicht  das  Richtige  getroffen  zu  haben, 
wenn  er  in  diesem  ersten  Teil  eine  Reihe  von  Einschiebseln  erkennt, 
die  Ar.  selber  erst  nachträglich  gemacht  hat.   Als  solche  bezeichnet 
er  c.  3,1 — 5,1  —  hier  genügt  wohl  die  Tilgung  von  c.  4  mit  den 
Worten  T?jc  irpo  Apaxovxo?  —  c.  7,8  8,4.  c.  10.  c.  13,1—3.  c.  22,5. 
c.  41,2;    dazu   kämen   nach  Carcopino  noch  die  Worte  xoüxo  — 
Gtnepov  in  c.  24,2.    Den  Vorgang  stellt  sich  S.  so  vor,  daß  diese 
Zusätze  Nachträge  sind,  die  sich  Ar.  in  seinem  Handexemplar  machte, 
und  zwar  stammten  sie,  wie  S.  wahrscheinlich  zu  machen  sucht,  aus 
der  Lektüre  der  Werke  des  Phalereers  Demetrios   Bei  der  Herausgabe 
nach  seinem  Tode  gelangten  sie  dann  in  den  Text.   Ich  stimme  dieser 
Ansicht  um  so  lieber  zu,  als  ich  im  vor.  Bericht  die  chronologische 
Verwirrung   der  Peisistratidengeschichte  auf  einen  ganz  ähnlichen 
Vorgang  zurückführen  zu  können  geglaubt  habe. 

Von  den  Lebensbeschreibungen  des  Plutarch  endlich,  die  sich 
auf  diese  Zeit  beziehen,  ist  die  des  Perikles  von  Busolt  (Griech. 
Gesch.  III,  727)  einer  eingehenden  Analyse  unterzogen,  die  auf 
sämtliche  früheren  Arbeiten  Bezug  nimmt.  Zugrunde  liegt  nach  B. 
das  Kapitel  des  Theopomp  über  die  Demagogen  in  Buch  10  der 
Philippischen  Geschichten;  doch  hat  Plut.  für  Kriegsereignisse  auch 
Kphoros  herangezogen  und  dabei  noch  viel  andres  Material  benutzt, 
dessen  Herkunft  nicht  mehr  genau  zu  bestimmen  ist. 

Den  Übergang  zu  den  inschriftlichen  Quellen  bildet  die 
cova^Y);  ^r^iaiAaxwv  des  Krateros,  über  die  Dahms  S.  35  eine 
Reihe  einleuchtender  Bemerkungen  gemacht  hat,  wodurch  nicht  bloß 
eine  genauere  Beziehung  einzelner,  auf  die  Schätzung  der  Bundes- 
genossen bezüglicher  Fragmente,  sondern  auch  eine  bessere  Anordnung 
des  Gesamtwerks  ermöglicht  wird.  Ferner  hat  das  M  a  r  m  o  r  P  a  r  i  u  m 
durch  Jacoby  eine  neue  handliche  Ausgabe  erfahren,  die  außer 
dem  Text  die  gesamte  Parallelüberlieferung  in  sachlicher  wie  in 
chronologischer  Hinsicht  bringt.  Die  Quellenuntersuchung  Jacoby s 
hat  ergeben,  daß  neben  einer  Atthis,  die  vielleicht  der  zweiten  Hälfte 


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102  Thomas  Lenschau 

des  4.  Jahrhunderts  angehört,  in  erster  Linie  Ephoros  in  Frage 
kommt,  sicher  für  die  universalgeschichtlichen  Notizen,  wahrscheinlich 
auch  für  die  verschiedenen  eup^axa,  wobei  dann  an  eine  Spezial- 
schrift  des  Historikers  zu  denken  wäre.   Dagegen  hat  die  Quelle  der 
literarhistorischen  Notizen  sich  nicht  mit  Sicherheit  feststellen  lassen; 
wahrscheinlich  sind  hier  mehrere  Schriften  benutzt  worden.  Über 
die  attischen  Dekrete  hat  Mommsen  gehandelt,  und  zwar  sowohl 
über  «die  Datierung  nach  dem  Archonten  bzw.  dem  Schreiber  der 
Prytanie,  als  auch  die  über  Gestaltung  der  Praeskripte ;  dabei  ergeben 
sich  einige  Anhaltspunkte,  die  zu  genauerer  chronologischer  Fixierung 
dienen   können.     Ähnliches  hat   für   die    Rechnungsurkunden  des 
5.  Jahrhunderts  Bannier  geleistet,  der  zu  dem  Ergebnis  kommt, 
daß  die  älteren  Urkunden  stets  für  das  ganze  Jahr  ausgestellt  und 
danach  disponiert  wurden,  allmählich  aber  beginnen  Abweichungen  von 
der  Regel,  bis  dann  zwischen  Ol.  90,2  und  89,3  die  neue  Anordnung 
nach  Prytanieen  eingeführt  und  von  da  an  immer  beibehalten  worden 
ist.    Von  wichtigen  Inschriften  des  5.  Jahrhunderts  sind  besonders 
zwei  bei  den  Ausgrabungen  von  Milet  hinzugekommen ;  die  eine  ent- 
hält Bestimmungen  über  geflüchtete  Mörder  und  wird  von  Wiegand 
(s.  d.  5.  Bericht)  hoch  ins  5.  Jahrhundert  hinaufdatiert;  die  zweite 
von  U.  v.  Wilamowitz  (SB.  Preuß.  Ak.  1904  S.  619  ff.)  behandelte 
enthält  die  Satzungen  einer  Sängergilde  und  ist  eine  spätere  Kopie 
eines  bis  448  v.  Chr.  hinaufgehenden  Originals.    Dazu  kommt  ein 
neues  Bruchstück  der  Tributlisten,  dessen  Zugehörigkeit  zu  JG.  I,  256 
(aus  dem  Jahre  428/7)  Tod  erwiesen  hat. 


Die  Anfänge  des  persischen  Reiches  sind  für  uns  in  das  Dunkel 
der  Sage  gehüllt,  und  nur  so  viel  steht  sicher,  daß  Kyros  sich  an 
der  Spitze  der  Perser  erhob  und  durch  die  Einnahme  von  Ekbatana 
der  Mederherrschaft  ein  Ende  machte ;  beide  Ereignisse  fixiert  Winkler 
(S.  54,  85)  auf  503  und  550,  so  daß  also  der  Krieg  gegen  Kroisos 
unmittelbar  auf  den  Sturz  des  Mederreichs  gefolgt  sein  müßte.  Alle* 
andere,  was  über  Kyros  Abstammung,  seine  wunderbare  Aussetzung 
und  Errettung  von  Herodot  erzählt  wird,  ist  unhistorisch:  nach 
Schuberts  Vorgang  hat  Hü  sing  ein  ungeheures  Material  zusammen- 
gebracht, aus  dem  sich  ergibt ,  daß  wir  es  mit  einer  von  Irland  bis 
Japan  bekannten  Sagenform  zu  tun  haben,  die  erst  nachträglich  an 
Kyros'  Persönlichkeit  angeknüpft  worden  ist.  Daß  gewisse  geschicht- 
liche Züge  dazu  den  Anlaß  gegeben  haben ,  leidet  keinen  Zweifel ; 
welche  es  aber  sind,  entzieht  sich  bisher  unsrer  Kenntnis.  Übrigens 


•Jahresbericht  über  griechische  Geschichte  (1903—1906). 


103 


hat  die  Sage  auch  noch  auf  Kambyses  Gestalt  übergegriffen,  und  erst 
mit  Dareios  großer  Inschrift  von  Behistun  rückt  Persien  in  das  volle 
Licht  der  Geschichte. 

Der  erste  Zusammenstoß  zwischen  Persern  und  Griechen  erfolgte 
im  ionischen  Aufstand,  für  den  Herodot  fast  unsere  einzige 
Quelle  bildet.  Daher  die  chronologische  Unsicherheit,  die  sich  be- 
sonders gegen  das  Ende  hin  bemerklich  macht;  Herodots  Ansetzung 
der  Schlacht  von  Lade  auf  496  und  der  Eroberung  auf  494  gibt 
eine  durchaus  unwahrscheinliche  Länge  der  Belagerung.  Zur  Abhilfe 
schlägt  Costanzi  vor,  den  Fall  Milets  schon  ins  Jahr  495  zu 
rücken;  dann  würde  Miltiades  Ankunft  in  Athen  bereits  494, 
Mardonios  Auszug  498,  seine  Katastrophe  am  Athos  Frühjahr  (nicht 
Herbst)  492  fallen.  Umgekehrt  möchte  Migliazzu  die  Schlacht 
von  Lade  ins  Jahr  495  hinabrücken,  was  zu  der  überlieferten  Chrono- 
logie besser  paßt ,  insofern  der  Fall  Milets ,  der  Sturz  der  Alkmeo- 
niden  und  die  Wahl  des  Themistokles  zum  Archonten  für  493/2  doch 
in  einem  untrennbaren  und  unmittelbaren  Zusammenhang  stehen. 
Übrigens  ist  es  für  die  Stellung  Athens  zum  ionischen  Aufstand 
einigermaßen  von  Belang,  ob  man  annimmt,  daß  Athen  damals  zum 
lakedaemonischen  Bunde  gehörte  oder  nicht.  Dafür  haben  sich 
Lehmann*  Haupt  und  selbstverständlich  Schjett,  dagegen  E.  v.  Stern 
ausgesprochen;  auch  Niccolini  nimmt  kein  Bundesverhältnis,  sondern 
nur  eine  im^a/ta  an.  Doch  lassen  die  beiderseits  ins  Feld  geführten 
Gründe  eine  sichere  Entscheidung  der  Frage  nicht  zu. 

Natürlich  hängt  von  ihr  auch  die  Beurteilung  des  Verhaltens  der 
Spartaner  bei  Marathon  ab;  um  es  zu  erklären,  hat  Niccolini 
die  inneren  Verhältnisse  Spartas  herangezogen.  Die  Notiz  Piatos 
(legg.  3,692  d.  698  c),  daß  damals  gerade  ein  messenischer  Aufstand 
stattgefunden  habe,  verwirft  auch  er,  macht  aber  auf  den  tiefgehenden 
Zwist  zwischen  den  beiden  Königshäusern  aufmerksam,  der  in  den 
letzten  Jahren  des  Kleomenes  begann  und  nicht  lange  vor  der 
Schlacht  (Juli  490)  mit  Demaratos'  Verbannung  seinen  Höhepunkt 
erreichte.  Daß  indessen  damit  die  Unruhen  keineswegs  vorüber 
waren,  zeigen  Kleomenes'  weitere  Umtriebe,  seine  Verbannung,  Rück- 
kehr und  Tod,  in  dem  übrigens  N.  nicht  Selbstmord,  sondern  ein 
politisches  Verbrechen  der  Gegenpartei  erkennt.  So  richtig  die 
Darstellung  der  Verhältnisse  bei  N.  ist,  so  hat  doch  schon  Meyer 
darauf  hingewiesen,  daß  eine  künstliche  Erklärung  des  Zuspätkommens 
der  Lakedaimonier  nicht  nötig  ist ;  die  Mobilmachung  hatte  sechs  Tage 
gedauert  und  dadurch  verzögerte  sich  der  Abmarsch ,  so  daß  das 
Kontingent  zu  spät  kam.   Den  Grund,  den  Herodot  angibt,  halte  ich 


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Thomas  Lenschau. 


für  athenische  Mache;  die  Fadenscheinigkeit  des  Vorwandes  sollte 
die  Böswilligkeit  Spartas  ins  rechte  Licht  stellen. 

Zehn  Jahre  später  erfolgte  der  Zug  des  Xerxes,  der  mit  dem 
glänzenden  Siege  des  Königs  in  der  Doppelschlacht  Thermopylai- 
Artemision  eröffnet  ward.  In  der  Seeschlacht  bei  Euboia  soll  nach 
dem  von  Wilcken  Herrn.  41,  103  ff.  herausgegebenen  Fragment  des 
Sosylos  (xcov  irept  Ävvtßou  rpaSeouv  8')  auch  Herakleides  von  Mylasa 
mitgefochten  haben ,  wovon  Herodot  merkwürdigerweise  nichts  sagt, 
obwohl  er  doch  sonst  über  karische  Dynasten  sehr  gut  Bescheid 
weiß  und  gerade  diesen  als  Führer  des  nächtlichen  Überfalls  im 
Jahre  497  nennt,  der  die  blutige  Niederlage  der  Perser  herbeiführte. 
Gegenüber  den  Verdächtigungen  Herodots,  die  Wilcken  an  die  Nicht- 
erwähnung des  Her.  knüpft,  erklärt  Rühl  die  Sacheso,  daß  hier  eine 
Verwechslung  vorliegt;  in  irgendeiner  Strategemensammlung  mag  die 
geschilderte  List  angeführt  und  mit  der  Angabe  r,  Ix  ftptefits&p  jiajpj 
irgendein  karisches  Artemision  gemeint  sein,  vielleicht  das  von  Strabo 
XIV,  51  westlich  vom  Glaukosbusen  erwähnte,  das  dann  später  mit  dem 
berühmten  Artemision  verwechselt  ward  —  Für  die  Schlacht  von  Sa- 
lamis hat  Bauer  eine  ganz  neue,  von  der  bisherigen,  durch  Loeschke 
begründeten,  abweichende  Ansicht  aufgestellt.  Er  geht  von  der  Fahrt 
des  Umgehungsgeschwaders  aus,  das  auf  Xerxes  Befehl  den  Griechen 
den  Abzug  nach  Norden  verlegte,  und  erklärt  es  für  unmöglich,  daß 
die  Schiffe  bei  der  Umsegelung  infolge  der  kurzen  ihnen  zu  Gebote 
stehenden  Zeit  auch  nur  bis  zur  Trupikabucht  (30  km)  gelangten. 
Infolgedessen ,  so  schließt  er  weiter ,  kann  die  Umgehung  nicht  hier, 
sondern  nur  im  Osten  von  Salamis,  vom  Peiraieus  nordwärts  an  der 
attischen  Küste  entlang  stattgefunden  haben ,  und  zwar  mit  dem  Er- 
gebnis, daß  das  Umgehungsgeschwader  nördlich  quer  über  den  Sund 
etwa  von  H.  Georgios  bis  zum  Aigaleos  stand,  während  die  Haupt- 
flotte südlich  von  Psyttaleia  quer  hinüber  von  Kynosura  bis  zum 
Peiraieus  den  Ausgang  sperrte,  so  daß  also  die  von  Salamis  aus  der 
Bucht  von  Ambilaki  ansegelnde  Griechenflottc  sofort  zwischen  beide 
persische  Linien  geriet.  Diese  Ansicht  wird  von  Laird  und  Thiele 
ohne  weiteres  angenommen.  Allein  mit  Recht  hat  Raase  dagegen 
die  Worte  des  Aischylos  (Pers.  1368)  dlhas  oe  xjx).q>  vr,oov  Afav-o; 
Tr^pic  geltend  gemacht,  die  allerdings  am  besten  von  einer  Umfahrt 
um  Salamis  zu  verstehen  sind.  Übrigens  lassen  sich  m.  E.  aus  der 
Erzählung  des  Aescliylos  noch  andere  Momente  gewinnen,  die  sich 
gerade  gegen  den  Ausgangspunkt  von  Bauers  Kritik  richten;  aus 
3*54  ff.  und  377  ergibt  sich  zur  Genüge,  daß  die  Umsegelung  sofort 
mit  dem  Einbruch  des  Dunkels,  d.  h.  etwa  um  7  Uhr  abends,  begann. 


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Jahresbericht  über  griechische  Geschichte  (1903—1906).  105 

wogegen  Her.  (8,76)  abweichende  Darstellung,  wonach  die  Fahrt  erst 
um  Mitternacht  anfing,  nicht  aufkommen  kann ;  es  war  also  reichlich 
Zeit,  nicht  bloß  bis  zur  Trupikabucht,  sondern  sogar  noch  weiter  zu 
gelangen.  Weiter  ist  nicht  recht  ersichtlich ;  wie  es  den  Griechen, 
die  doch  nach  Bauers  Ansicht  sofort  von  Norden  und  Süden  her  an- 
gegriffen sein  müssen,  dennoch  ihrerseits  gelang,  eine  Umgehung  des 
persischen  Geschwaders  auszuführen  (vs.  417);  dazu  müssen  sie  doch 
wenigstens  nach  Norden  zu  den  Rücken  frei  gehabt  haben.  Ebenso 
wenig  ist  llaases  Ansicht,  nach  der  die  Perserflotte  von  der  Spitze 
Kynosuras  nordwärts  etwa  bis  zum  Aigaleos  der  Richtung  der  attischen 
Küste  parallel  stand  und  die  Griechen  in  der  Ealamakibucht  ab- 
sperrte ,  mit  dem  Bericht  des  Aischylos  zu  vereinigen.  Denn  dann 
wäre  doch  die  anfahrende  Griechenflotte  den  Persern  sofort  in  ihrer 
ganzen  Ausdehnung  zu  Gesicht  gekommen,  während  dies  nach  Aesch. 
erst  nach  und  nach  geschah,  offenbar  indem  sie,  den  rechten  Flügel 
voran,  um  die  Spitze  von  Kynosura  umbog  und  hier  mit  der  Front 
nach  Süden  der  persischen  Flotte  gegenüber  auffuhr.  Es  wird  also 
einstweilen  bei  der  bisherigen  Ansicht  verbleiben  müssen. 

Auch  in  der  Schlacht  von  Plataiai  ist  neuerdings  die  Un- 
zulänglichkeit des  herodoteischen  Berichts  vollständig  erkannt;  gerade 
in  diesem  Punkte  stimmen  die  beiden  neuesten  Arbeiten  von  Munro 
undWright  völlig  überein.  M.  beginnnt  mit  der  Vorgeschichte  der 
Schlacht  und  sieht  in  dem  Strategenwechsel  in  Athen— Aristeides  und 
Xanthippos  statt  Themistokles  für  479  —  eine  verabredete  Maßregel, 
nicht  wie  Meyer  eine  Niederlage  des  Themistokles.  Weiter  erklärt 
er  das  Zögern  der  Spartaner,  das  Meyer  damit  motiviert,  daß  auch 
für  diesmal  die  Entscheidung  zur  See  in  Ionien  gesucht  werden  sollte, 
mit  der  Furcht  vor  der  medischen  Gesinnung  von  Argos,  Mantineia, 
Elis,  wozu  allerdings  die  Heimlichkeit  des  Auszuges,  dessen  Route 
bis  zuletzt  niemandem  bekannt  war,  sehr  wohl  stimmen  würde ;  doch 
ist  auch  er  der  Ansicht,  daß  die  endliche  Entscheidung  der  Spartaner 
durch  die  absichtliche  Saumseligkeit  der  athenischen  Flotte  hervor- 
gerufen ward.  Was  den  Verlauf  der  Schlacht  selbst  betrifft,  so 
versucht  M.  die  drei  aufeinanderfolgenden  Stellungen  der  Griechen 
näher  zu  bestimmen,  wobei  er  in  der  Fixierung  der  Örtlichkeiten  von 
Skolus,  Hysiai,  Erythrai  und  der  Gargaphia  den  Ansätzen  Leakes  folgt. 
Das  Reitertreffen  fand  bei  Hysiai  am  äußersten  rechten  Flügel  statt, 
der  Hauptangriff  des  Mardonios  erfolgte,  als  die  Griechen,  im  Begriff, 
die  dritte  Stellung  einzunehmen,  durch  das  Ungeschick  der  Athener 
in  zwei  getrennte  Heerhaufen  gespalten  waren.  Überall  tritt  M.  der 
athenischen  Legendenbildung  entgegen,  die  hauptsächlich  dazu  bestimmt 


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106  Thomas  Lenschau. 

war,  das  Ungeschick  und  die  Fehler  des  athenischen  Kontingents  zu 
verschleiern.  Allein  die  richtige  Konsequenz  in  der  Aufspürung  der 
athenische  Mache  verratenden  Einschiebsel  hat  erst  Wright  be- 
wiesen; nach  ihrer  Abscheidung  bleibt  ein  durchaus  verständlicher 
Schlachtbericht  übrig  und  zwar  erscheint  die  Sache  so,  als  ol> 
Pausanias  durch  eine  fingierte  Rückzugsbewegung  Mardonios  zum 
Angriff  verlockte,  auf  einem  ebenen,  von  hohen  Hügeln  umgebeneu 
Gelände,  das  der  Entwicklung  der  persischen  Reiterei  wenig  günstig 
war.  Mit  dem  fingierten  Rückzug  mag  es  seine  Richtigkeit  haben: 
wenn  aber  W.  dabei  besonders  auf  Plat.  Lach.  191b  fußt,  so  muß 
doch  gesagt  werden,  daß  es  sich  hier  nicht  um  eine  Bewegung  de» 
ganzen  Heeres,  die  die  Schlacht  herbeiführt,  sondern  um  ein  Manöver 
des  lakedaimonischen  Kontingents  während  des  Kampfes  selber  handelt, 
was  doch  zwei  recht  verschiedene  Dinge  sind.  In  einem  aber  stimmen 
alle  Neueren,  auch  M.  und  W.,  überein,  daß  vorwiegend  der  genialen 
Führung  des  Pausanias  der  Sieg  zu  verdanken  gewesen  ist. 

In  den  Winter  nach  Plataeae  fällt  die  Wiederherstellung  Athens 
und  vor  allem  der  Mauerbau,  der  entgegen  dem  spartanischen 
Einspruch  durch  Themistokles  List  durchgesetzt  ward.  Gegen  die 
Erzählung  des  Thukydides,  die  von  Beloch  in  Zweifel  gezogen,  Ton 
Br.  Keil  verteidigt  worden  ist,  hat  sich  neuerdings  E.  v.  Stern 
gewandt,  indem  er  zunächst  mit  Recht  zwei  Versionen  der  Erzählung 
bei  Thuk.  und  Ephoros  statuiert  und  daraus  bereits  ein  Verdachts 
moment  herleitet.  Dazu  kommen  nach  v.  St.  innere  Gründe-,  den 
Spartanern  muß  doch  klar  gewesen  sein,  daß  sie  entweder  einen 
schweren  Krieg  oder  mindestens  eine  schroffe  Ablehnung  riskierten: 
den  Bundesgenossen,  die  angeblich  hetzten,  konnte  die  UmmaueroD|.' 
Athens  gleichgültig  sein,  für  sie  war  lediglich  die  Secherrschaft  Athen- 
bedrohlich,  die  mit  der  Befestigung  wenig  zu  tun  hatte;  endlich  ist  da* 
Motiv,  das  die  Spartaner  angaben,  doch  recht  kindlich.  Das  aller- 
schwerste  Bedenken  aber  ist  technischer  Natur,  wie  sollte  in  der  kurzen 
Zeit  von  4 — 6  Wochen  —  höchstens  so  lange  konnte  Themistokles  seic 
Doppelspiel  in  Sparta  aufrecht  halten  —  eine  10  km  lange,  2— o  m 
breite  Mauer  bis  zu  Manneshöhe  aufgeführt  sein,  zumal  auch  die 
Ziegel  großenteils  erst  herzustellen  waren?  Die  ganze  Erzählung  ist 
im  Anfang  des  peloponnesischen  Krieges  entstanden,  als  man  die 
Mauern  revidierte  und  dabei  die  offenbar  sehr  rasch  bewerkstelligte 
Erbauung  bemerkte,  die  man  natürlich  aus  einer  drohenden  Gefahr 
herleitete.  Da  sie  von  den  Persern  nicht  herrühren  konnte,  so  kam 
sie  von  Sparta,  und  zu  ihrer  Beseitigung  ward  dann  selbstverständlich 
Themistokles  bemüht.    Ebendamals  hat  auch  Thuk.  die  Geschichte 


GooqI 


Jahresbericht  über  griechische  Geschichte  (1908-1906).  107 

gehört  und  sie  bei  seiner  Vorliebe  für  den  großen  Staatsmann  un- 
besehen als  wahr  angenommen. 

Man  hat  mit  Recht  darauf  hingewiesen,  wie  bedenklich  eine 
derartige  Annahme  für  unsere  Wertschätzung  des  Thukydides  sein 
müßte,  und  so  hat  Meyer  seine  Verteidigung  übernommen;  obwohl 
auch  er  die  tendenziöse  Färbung  der  Geschichte  nicht  in  Abrede 
stellt,  so  hält  er  doch  an  der  Hauptsache,  dem  Einspruch  der 
Spartaner,  fest.  v.  Stern  verkennt  eben,  daß  die  tumultuarisch,  Hals 
über  Kopf  hergestellte  Mauer  nun  doch  einmal  vorhanden  war  und 
zum  Teil  noch  ist,  und  so  läßt  sich  seine  Argumentation  auch  um- 
drehen; gerade  der  Zustand  der  Mauer,  der  nicht  anders  erklärt 
werden  kann,  ist  der  Beweis  für  die  Wahrscheinlichkeit  der  Erzählung 
vom  Einspruch  der  Spartaner.  Übrigens  hatten  die  Bundesgenossen 
wirklich  allerhand  Grund  zur  Furcht,  wenn  das  seegewaltige  Athen 
sich  nun  noch  in  eine  uneinnehmbare  Festung  verwandelte,  und  in- 
sofern ist  ihre  Haltung  ganz  begreiflich.  Was  aber  endlich  das 
Motiv  des  spartanischen  Einspruchs  betrifft,  so  mußte  gerade  die 
alberne  Begründung  den  Argwohn  erwecken,  als  ob  mehr  dahinter 
stecke ;  daß  die  Spartaner  vor  einem  Eingriff  nicht  zurückschreckten, 
wußte  man  seit  den  Tagen  des  Kleisthenes.  Ähnlich  macht  auch 
Busolt  die  Übergriffe  des  Kleomenes  nach  Mittelhellas  geltend,  um 
die  Besorgnis  der  Athener  zu  erklären,  und  zeigt  die  innere  Halt- 
losigkeit der  v.  St.schen  Argumentation;  sein  Hauptverdienst  bleibt 
aber,  daß  er  das  technische  Bedenken  aus  dem  Wrege  geschafft  hat. 
An  der  Hand  von  eigenen,  wohlbegründeten  Schätzungen  und  ferner 
von  Gutachten  sachverständiger  Baufirmen,  die  auch  gegenwärtig  der- 
artige umfangreiche  Maurerarbeit  rasch  zu  liefern  haben,  zeigt  er, 
daß  der  Bau  in  der  durch  v.  St.  angegebenen  Frist  nicht  bloß  möglich 
war,  sondern  auch  gar  nicht  einmal  als  eine  so  besondere  Leistung 
anzusehen  ist.  Durch  die  auch  technisch  interessanten  Ausführungen 
B.s  halte  ich  v.  Sterns  Angriffe  auf  Thuk.  Glaubwürdigkeit  für  voll- 
kommen widerlegt. 

Nicht  ganz  so  haltbar  erweisen  sich ,  wie  schon  bemerkt  wurde, 
die  Grundlagen  der  thukydideischen  Darstellung  beim  Untergang  des 
Pausanias;  sowohl  Niccolini  wie  Frl.  Lanzani  kommen  hier 
zu  Ergebnissen ,  die  für  den  Regenten  wesentlich  günstiger  sind ,  als 
man  bisher  angenommen  hat.  Danach  erscheint  P.  als  das  Haupt 
der  spartanischen  Kriegspartei,  die  lür  Sparta  die  Früchte  des  großen 
Sieges  einheimsen  und  im  Gegensatz  zu  Athen  auch  die  Seeherrschaft 
gewinnen  wollte.  An  persische  Hilfe  dachte  der  Regent  zunächst 
wohl  nicht  —  tatsächlich  konnte  ihm  bei  seinem  ersten  Prozeß  nach 


108 


Thomas  Lenschau. 


dieser  Richtung  nichts  nachgewiesen  werden  — ,  erst  später,  als  er 
von  den  Athenern  vertrieben  in  Kolone  sich  befand ,  scheint  er  die 
Verhandlungen  mit  Persien  angeknüpft  zu  haben,  deren  Spitze  sich 
indessen  auch  jetzt  noch  vorwiegend  gegen  Athen  richtete.  Daneben 
wird  er  sich  mit  den  Heloten  ins  Einvernehmen  gesetzt  haben,  die  das 
Rudereniiaterial  für  die  zur  Behauptung  der  Seegewalt  nötige  Flotte 
abgeben  mußten;  daß  eine  Durchführung  seiner  Absichten  ohne  eine 
durchgreifende  Änderung  der  spartanischen  Verfassung  im  demo- 
kratischen Sinne  unmöglich  war,  kann  dem  Regenten  nicht  entgangen 
sein.  Aber  damit  rührte  er  an  die  Grundlagen  des  Staates,  und  so 
fiel  er  denn  einer  Koalition  der  spartanischen  Friedenspartei  mit 
den  Ephoren  und  Athen  zum  Opfer,  die  sich  alle  drei  gleich  bedroht 
fühlten.  Sein  Fall  zog  den  Sturz  des  Themistokles  nach  sich,  dem 
man  vermutlich  aus  —  möglicherweise  noch  gefälschten  —  Äußerungen 
des  Perserkönigs  den  Strick  drehte;  an  eine  wirkliche  Verbindung 
zwischen  Themistokles  und  Pausanias  ist,  wie  Frl.  Lanzani  mit  Recht 
hervorhebt,  bei  dem  diametralen  Gegensatz  in  den  Zielen  beider 
Männer  nicht  zu  denken.  Auch  das  ist  charakteristisch  und  mit 
Recht  von  Reuther  hervorgehoben,  daß  sehr  bald  nach  seinem 
Tode  eine  Reaktion  zugunsten  des  Pausanias  eintrat;  man  sah  bald 
in  Sp.  ein,  daß  man  nur  die  Geschäfte  Athens  besorgt  hatte,  dem 
der  fähige  Mann  ein  Dorn  im  Auge  gewesen  war.  Im  ganzen  bat 
die  neuere  Forschung  Pausanias  sowohl  als  Feldherrn  wie  als  Staats- 
mann so  rehabilitiert,  daß  Meyers  Urteil  (IV  S.  518)  doch  als  zu 
hart  erscheinen  muß. 

Leider  ist  die  Chronologie  gerade  dieser  Ereignisse  sehr 
unsicher.  Die  meisten  halten  an  der  von  Justin  überlieferten  Ansicht 
einer  siebenjährigen  Dauer  der  Herrschaft  des  Pausanias  fest,  und  zwar 
rechnen  die  einen  von  der  ersten  Einnahme  der  Stadt  478/7  ab ,  so 
daß  die  Vertreibung  472/1,  der  Tod  etwa  ein  Jahr  später  fiele;  für 
471  hat  sich  Lehmann-Haupt  erklärt.  Andere  wie  Meyer  reebnen 
von  476/5  ab,  dem  Jahre  der  Rückkehr  des  Pausanias  von  seinem 
ersten  Verhör  —  Costanzis  Ansicht,  Paus,  sei  476/5  bereits  aas 
Byzanz  vertrieben  gewesen,  beruht  auf  einem  Mißverständnis  von 
Diod.  11.60  —  und  kommen  dann  auf  469/8  als  Todesjahr.  Damit 
hängt  nun  auch  die  Ansetzung  der  starken  antilakonischen  Bewegung 
zusammen,  die  sich  um  diese  Zeit  im  Peloponnes  erhob;  nimmt  man 
mit  Meyer  das  spätere  Datum,  so  erscheint  die  Bewegung  als  das 
Werk  des  Themistokles,  der  damals  schon  verbannt  war,  und  fällt 
somit  vor  Pausanias  Tod.  Ist  anderseits  Paus.  471/0  gestorben,  so 
bildete  wahrscheinlich  sein  Tod  den  Anlaß  zum  Sturz  des  Them. 


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Jahresbericht  über  griechische  Geschichte  (1903—1906).  1Q£> 

wie  zu  den  Unruhen  im  Peloponnes,  und  diese  würden  mit  Co- 
sta nzi  etwa  von  471 — 468  anzusetzen  sein.  Dazu  würde  stimmen, 
daß  Tiryns,  das  im  Verlauf  dieser  Unruhen  von  den  Argivern  zer- 
stört ward ,  im  Sommer  468  noch  nach  Ausweis  der  olympischen 
Siegerliste  existierte.  Die  Sache  ist  mit  unsern  Mitteln  ebensowenig 
zu  entscheiden,  wie  das  Jahr  der  Eurymedonschlacht.  Allerdings 
darf  der  Angriff  des  Königs  wohl  als  eine  Wirkung  der  Verhandlungen 
mit  Pausanias  angesehen  werden ,  daher  wird  man  auch  hier  sich 
entweder  für  469  oder  467  entscheiden.  Costanzi  wählt  das 
frühere  Datum .  weil  er  den  Aufstand  der  Thasier  auf  466/5  legt 
und  der  Ansicht  ist,  daß  es  unmittelbar  nach  dem  Siege  nicht  gleich 
zum  Abfall  kommen  konnte.  Von  der  Beute  der  Schlacht  ward  dann 
die  kimonische  Südmauer  der  Burg  gebaut,  nicht  aber,  wieFoucart 
meinte  (vgl.  Ber.  S.  208  ff.),  auch  die  Grundlagen  des  vorperikleischen 
(nach  Furtwängler  themistokleischen)  Parthenon.  Nach  Dörpfelds 
eingehender  Untersuchung  ist  dies  ein  Porosbau  aus  der  Zeit  des 
Kleisthenes,  der  dann  nach  490  in  Marmor  fortgesetzt  ward,  aber 
noch  nicht  über  die  unteren  Wände  und  Säulentrommeln  hinaus- 
gediehen war,  als  der  Brand  von  480  alles  vernichtete.  Von  einer 
späteren  Bautätigkeit  zwischen  480  und  dem  Beginn  des  perikleischen 
Baues  ist  nach  D.  keine  Spur  erhalten. 

Um  dieselbe  Zeit  etwa  wie  die  Eurymeden-Schlacbt  fällt  auch 
der  Sturz  der  westlichen  Tyrannen.  Das  chronologische  Material 
hat  am  bequemsten  Jacoby  (Mar.  Par.  S.  178)  zusammengestellt,  daraus 
ergibt  sich,  daß  die  bei  Diodor  vorhandenen  Angaben  des  Timaios 
(Gelon  485/4—478/7,  Hieron  478/7—467  6,  Thrasybul  467/6-466/5) 
die  einzig  brauchbaren  sind.  An  die  Vertreibung  der  Tyrannen 
schließen  sich  die  Versuche  des  Duketios  zur  Begründung  eines 
Sikulerreichs,  über  die  Quinci  gehandelt  hat.  Wir  kennen  sie  nur 
aus  Diodor,  der  die  Geschichte  des  Duketios  unter  den  Jahren  459/8, 
453  2  und  451/0,  seine  Rückkehr  und  Tod  unter  446  5  und  440/39 
erzählt.  Diese  Datierung  sucht  Q.  durchweg  hinaufzusetzen,  so  daß 
die  erste  Erhebung  unmittelbar  nach  der  Vertreibung  der  Tyrannen 
im  Jahre  466/5,  die  Gründung  von  Palike  458,  seine  Niederlage  und 
Verbannung  457,  seine  Rückkehr  453,  sein  Tod  447  erfolgt  wäre. 
Das  Eigentümliche  dabei  ist,  daß  Diodors  chronologische  Angaben 
gerade  hier  eine  starke  Abweichung  im  Ansatz  der  römischen 
Konsuln  zeigen,  und  daß  merkwürdigerweise  diese  mit  den  Ver- 
schiebungen, die  Q.  in  der  Geschichte  des  Duketios  aus  inneren 
Gründen  annimmt,  übereinstimmen,  so  daß  es  fast  scheinen  könnte, 
die  Angaben  Diodors  Über  Duketios  seien  einer  nach  römischen  Konsuln 


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110 


Thomas  Lenschau. 


datierenden  Quelle  entnommen.  Q.  hat  sich  über  diesen  Punkt  nicht 
ausgelassen. 

Der  Friede  von  446,  der  den  Wendepunkt  in  der  Politik  des 
Perikles  bezeichnet,  gab  den  Anlaß  zu  einer  Reihe  von  Anfeindungen  des 
großen  Staatsmannes,  die  in  der  Verbannung  des  Thukydides,  Melesias 
Sohn,  mit  seinem  Siege  endeten.  In  diesem  Zusammenhang  mag  auch 
die  von  Plutarch  und  Aristoteles  erwähnte  Verbannung  des 
Dämon  oder  Damonides  fallen,  der  als  einer  der  vertrauten  Ratgeber 
des  Perikles  geschildert  wird.  Den  ganzen  Vorgang  hat  Carco- 
pino  bezweifelt  auf  Grund  einer  genauen  Analyse  der  in  Frage 
kommenden  Stellen.  Die  erste  ist  Plut.  Per.  c.  4,  wo  er  von  Dämon, 
dem  Musiklehrer  des  Perikles  spricht,  der  zugleich  sein  politischer 
Katgebcr  war  und  deshalb  von  den  Athenern  verbannt  ward ;  da  die 
abweichende  Ansicht  des  Aristoteles  angeführt  wird,  so  kann  die 
Stelle  nicht  aus  Aristoteles  entnommen  sein.  Dagegen  beruft  sich 
Plut.  in  c.  9 ,  wo  er  ebenfalls  Damonides  von  Oie  als  Katgeber  des 
Perikles  anführt ,  direkt  auf  Artistoteles  und  hier  findet  sich  in  der 
Aristotelesstelle  (Verfass.  Ath.  27,4)  die  Notiz  angefügt  oc  looxv 
täv  rcoM&v  zforfl^xrfi  elvai  T(j>  FlspixXst  •  8tö  xal  tuaxpaxiaav  «befrei  v 
u3T£pov.  Indem  nun  C.  annimmt,  daß  Plutarch  Dämon  in  c.  4  und 
Damonides  in  c.  9  für  verschiedene  Personen  hielt,  wundert  er  sich, 
daß  Plut.  an  der  zweiten  Stelle  nichts  über  die  doch  sicher  auffallende 
Tatsache  bemerkt,  daß  zwei  Katgeber  des  Perikles  mit  so  ähnlichem 
Namen  beide  vom  Volk  verbannt  wurden,  und  schließt  weiter  daraus, 
daß  in  dem  Exemplar  der  Verfassungsgeschichte,  das  Plut.  benutzte, 
der  Zusatz  8?  £Ö6xei  —  uaxspov  fehlte.  Wir  haben  es  also  mit  einem 
späteren  Einschiebsel  zu  tun,  und  da  dieses  bisher  das  einzige  Zeugnis 
von  Gewicht  ist,  so  wird  die  Sache  damit  überhaupt  zweifelhaft.  Der 
Schluß  ist  ein  Schluß  ex  silentio  und  folglich  an  sich  mißlich  ,  das 
Anfechtbare  aber  liegt  in  der  Prämisse.  Wie,  wenn  Plut.  Dämon  in 
c.  4  und  Damonides  in  c.  9  für  ein  und  dieselbe  Person  hielt  V 
Dann  hat  es  nichts  Auffallendes,  wenn  Plut.  in  c.  9  beim  Zitieren  des 
Aristoteles  die  Erwähnung  des  Ostrakismos  fortließ,  obwohl  sie  in 
seiner  Quelle  stand;  hierüber  glaubte  er  sich  in  c.  4  bereits  genügend 
ausgesprochen  zu  haben.  Liegt  also  kein  Grund  vor,  die  Worte  in 
Ar.  rep.  Ath.  29,4  und  damit  die  Tatsache  anzuzweifeln,  so  macht 
doch  die  chronologische  Ansetzung  einige  Schwierigkeiten.  Daß  die 
früheren  Versuche  nicht  das  Kichtige  treffen,  hat  Carcopino  erwiesen : 
Beloch  verzichtet  darauf  ein  bestimmtes  Jahr  zu  nennen.  Am 
angemessensten  erscheint  immer  noch  Meyers  Ansatz  (446/5  oder 
kurz  danach),  der  die  Sache  mit  dem  Verfahren  gegen  den  Friedens- 


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Jahresbericht  über  griechische  Geschichte  (1903—1906).  Hl 


Vermittler  Kallias  und  der  Empörung  über  die  damalige  Wendung  in 
der  athenischen  Politik  zusammenbringt. 

In  der  folgenden  Friedenszeit  ist  das  Bestreben  des  Perikles 
hauptsächlich  auf  den  festeren  Ausbau  des  Reiches  gegangen, 
über  dessen  Verhältnisse  Dahms  in  einer  inhaltreichen  Dissertation 
mancherlei  Neues  und  großenteil  Richtiges  beibringt.  Zunächst  ist 
ihm  der  Nachweis  gelungen,  daß  die  Kleruchien  vom  Tribut  befreit 
waren ;  die  scheinbar  entgegenstehenden  Argumente  hat  er  mit  Glück 
weggeräumt.  Weiter  berührt  er  die  Frage  der  Neueinschätzung  oder 
besser  Revisionen,  die  ordnungsmäßig  alle  vier  Jahre  stattzufinden 
hatten;  als  außerordentliche  Maßregeln  haben  die  Neueinschätzung 
zu  gelten,  die  443/2  mit  der  neuen  Provinzialeinteilung  vorgenommen 
ward,  und  die  Erhöhung  425.  Wahrscheinlich  aber  hatten  sie  auf  die 
regelmäßige  Abfolge  der  Schätzungen  keinen  Einfluß ;  ich  glaube  daher, 
daß  die  letzte  Schätzung  vor  Einführung  der  sfoo<rcfy  auf  die  Dahms 
mit  Recht  Crat.  fragm.  12—14  bezieht,  414/3  im  ordnungsmäßigen 
Revisionsjahr  vorgenommen  worden  ist.  Weiter  erklärt  der  Verfasser 
die  in  den  Tributlisten  vorkommenden  Rubriken  roXet?  aOxal  taSatxevai 
und  ™&et?  a?  at  loiw-zm  lv^pa»}av  <p6pov  <p£peiv  aus  dem  Verfahren 
der  Athener  nach  der  Niederwerfung  aufständischer  Bundesgenossen ; 
das  Vorrecht,  sich  selbst  zu  schätzen,  erhielten  die  von  jenen  wider- 
rechtlich geknechteten  Städte,  während  man  die  auvxeXeT?  ebenfalls 
der  rebellischen  Stadt  entzog,  indem  man  hier  mit  der  Schätzung 
athenische  Privatleute  beauftragte.  Die  Erklärung  erscheint  mir  etwas 
künstlich  und  umständlich  und  dasselbe  gilt  von  den  Gedanken,  die 
D.  im  zweiten  Kapitel  über  die  Finanzbehörden  und  die  verschiedenen 
Kassen  in  Athen  bemerkt;  doch  hat  er  die  Angaben  d's  Anonymus 
Argent.  über  Höhe  und  Überführung  des  Bundesschatzes  mit  Glück 
verteidigt.  Auch  unterliegt  es  keinem  Zweifel,  daß  der  Vf.  mit  Recht 
aus  der  verschiedenen  Tributhöhe  allerlei  Schlüsse  über  die  innere 
Geschichte  des  Bundes  gezogen  hat,  wenngleich  seine  Ergebnisse 
nicht  immer  ganz  einwandsfrei  sind.  So  schließt  er  z.  B.  aus  der 
Tributhöhe  ganz  richtig,  daß  die  Thasier  446/5  ihren  Landbesitz 
wieder  erhalten  haben ;  daß  dies  aber  eine  der  Bedingungen  gewesen 
sei,  die  Sparta  im  Frieden  von  446  stellte,  wird  sich  schwerlich  er- 
weisen lassen.  Vielleicht  handelten  die  Athener  aus  freien  Stücken 
so,  da  nach  dem  Frieden  die  Rückgabe  gefahrlos  erschien,  wie  denn 
der  Verfasser  für  Erythrai  einen  ähnlichen  Vorgang  statuiert. 

Eigentümlich  ist  das  Verhalten  der  Athener  gegen  die  Bundes- 
genossen in  betreff  des  Rechtes  der  Münzprägung  gewesen.  Head 
behauptet  —  und  dies  ist  die  herrschende  Ansicht  — ,  daß  es  den 


112 


Thomas  Lenschau. 


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Bundesgenossen  überhaupt  verboten  war,  Silbermünzen  zu  schlagen. 
Daß  dies  auch  im  großen  und  ganzen  richtig  ist,  hat  Weil  an  der 
Hand  der  Inschrift  (Inscr.  mar.  aeg.  V,  480)  von  Siphnos  gezeigt,  in  der 
festgesetzt  wird,  wie  die  von  außen  in  das  Bundesgebiet  einströmenden 
Münzsorten  zu  beseitigen  sind.  Offenbar  haben  die  Athener  es  sich 
zugetraut,  den  ganzen  Bedarf  an  Kurant  zu  decken.  Als  dies  nach 
413  nicht  mehr  ging,  begannen  einzelne  Städte  ohne  Erlaubnis  wieder 
zu  münzen;  dies  ist  für  Ainos,  Abdera  u.  a.  Orte  festgestellt.  Vor 
allem  nahm  Kyzikos  mit  seiner  Goldprägung  eine  Sonderstellung  ein ; 
da  Athen  damals  noch  keine  Goldmünzen  schlug,  so  war  es  offiziell 
eine  Art  zweiter  Münzstätte  des  Reiches,  und  die  amtlichen  Zahlungen 
erfolgten,  wenn  sie  in  Gold  gemacht  wurden,  in  kyzikenischen 
Stateren. 

Endlich  ist  hier  noch  eines  vornehmlich  in  chronologischer 
Hinsicht  wichtigen  Ereignisses  zu  gedenken :  der  von  0  p  p  e  r  t  be- 
haupteten Einführung  des  metonischen  Zyklus  im  Jahre  des 
Apseudes  433/2.  Unter  diesem  Jahre  bringt  Diodor  die  Notiz  lv  §k  xal; 

lUÜrps  ttjv  ovojxaCojA^vr  v  lvveaxai8exaeTr,ptoa,  T7)V  apxV  iroir1aajj.*vo: 
dtco  jj^vö?  h  'AO^vai?  2xtpo<popiu>vo?  tpifxaiosxctTr^.  Wenn  sie  aber, 
so  schließt  0.,  am  13.  Skirophorion  begann,  so  trat  sie  ja  also  erst 
im  folgenden  Jahre  wirklich  in  Kraft,  wozu  erwähnt  sie  denn  Diodor 
bereits  unter  Apseudes  und  nicht  unter  seinem  Nachfolger  Pythodoros .' 
Und  was  soll  das  sinnlose  h  Äör>ai;?  Vielmehr  ist  festzuhalten, 
daß  das  Jahr  des  Apseudes  tatsächlich  das  erste  Jahr  des  metonischen 
Zyklus  ist  —  wie  auch  schon  A.  Mommsen  angenommen  hat  — ,  und 
um  dies  auch  im  Diodortext  bestätigt  zu  sehen,  genügt  die  leichte 
Änderung  TpicxaiBsxdxr^  in  Ssxdxoo ,  so  daß  das  Wort  auf  p.7)voc  zu 
beziehen  ist,  und  in  dem  müßigen  Zusatz  Iv  'Aö^vatc  steckt  etod?  toO 
efiicpotjbsv  oder  irgendeine  derartige  Bemerkung.  Es  ist  also  zu  über- 
setzen, „indem  er  mit  dem  13.  Monat  des  vorhergehenden  Jahres 
dem  Skirophorion  begann",  den  er  also  fortfallen  ließ.  Weiter  be- 
trachtet nun  0.  den  Charakter  der  Reform  Metons  und  erkennt  ihn 
darin,  daß  M.  eine  trieterische  Periode  zwischen  zwei  oktaeterische 
einschaltete,  um  die  entgegengesetzten  Fehler  beider  sich  aufheben 
zu  lassen;  als  Schaltjahre  erhielt  er  dann  3,  6,  8,  11,  14,  17,  19. 
Nun  sind  in  unserer  Überlieferung  als  Schaltjahre  nachzuweisen  426  5 
aus  Ar.  nub.  584,  d.  i.  das  8.  Jahr  des  ersten  Zyklus,  weiter  382  1 
aus  Ptol.  4,  10,  275,  d.  i.  das  14.  des  dritten  und  endlich  320/19 
das  19.  des  sechsten  Zyklus.  Dadurch  werden  aber  auch  11  und  X 
als  Schaltjahre  festgelegt,  und  es  bleibt  nur  zweifelhaft,  ob  6  oder  7. 


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.Jahresbericht  über  griechische  Geschichte  (1903—1906).  H3 

16  oder  17  ein  Schaltjahr  war.   Allein  schon  Petavius  wies  auf  den 
Osterzyklus  des  nicenischen  Konzils  als  Analogon  hin,  und  so  ergab 
sich  ihm  die  jetzt  von  Oppert  —  übrigens  auch  von  Unger  —  an- 
genommene Schaltung  des  metonischen  Zyklus.    Zugleich  aber  sieht 
nun  0.  darin  auch  den  Beweis,  daß  tatsächlich  seit  dem  Beginn  des 
Archontenjahres  433/2  von  Apseudes  in  Athen  nach  der  Enneakaide- 
kaeteris  gerechnet  ward,   während  man  bisher  annahm,  daß  die 
Oktaeteris  ruhig  beibehalten  und  erst  zu  Alexanders  Zeit  der  meto- 
nische  Zyklus  eingeführt  ward,  und  berechnet  demnach  dessen  Anfangs- 
punkt auf  den  28.  (jul.)  bzw.  23.  (greg.)  Juli  433  =  22  Pharmuthi 
,315  der  Ära  Nabonassars.   Soweit  Oppert,  allein  die  Sache  hat  ihren 
Haken.    Wäre  tatsächlich  433/2  der  metonische  Zyklus  eingeführt, 
so  müßten  sowohl  Ol.  91,2  —  415/4  als  letztes  Jahr  des  ersten  und 
Ol.  108,3  =  346/5  als  elftes  Jahr  des  fünften  Zyklus  Schaltjahre 
gewesen  sein ;  beides  aber  waren  nach  Unger  (Chronol.  §  86)  Gemein- 
jahre.   Überhaupt  aber  kann  in  dieser  Zeit  gar  nicht  nach  dem 
metonischen  Zyklus  gerechnet  sein,  da  zwei  durch  eine  volle  doppelte 
Ennaeteris  getrennte  Jahre  414/8  und  876/5  nicht  etwa  den  gleichen 
Anfang,  sondern  ganz  verschiedene  Daten  des  Beginns  zeigen  (28.  Juni 
bzw.  27.  Juli).   Endlich  müßte,  wenn  tatsächlich  483/2  die  Einführung 
des  meton.  Zyklus  in  der  von  0.  angegebenen  Weise  stattfand ,  das 
Jahr  434/8  ein  Schaltjahr  gewesen  sein ;  indes  auch  dieses  ist  nach 
der  bisherigen  Annahme  ein  Gemeinjahr.   Dann  ist  aber  die  Änderung 
tpiaxaiBexotTou  unmöglich  und  bei  Lichte  besehen  ist  auch  die  Er- 
wähnung des  13.  Skiroph.  433/2  gar  nicht  so  seltsam,  denn  dies 
war,  wie  wir  jetzt  aus  dem  in  Milet  gefundenen,  von  Di  eis  und 
Kehm  behandelten  (S.  Ber.  Pr.  Akad.  1904  S.  92  ff.)  Parapegmen- 
fragment  wissen,  das  von  Meton  für  die  Sommersonnenwende  dieses 
Jahres  berechnete  Datum  ;  vgl.  die  Worte  öepivrjc  xporr^  ysvojjl^vij?  izi 
'A^eoSouf  apxovto?  DxipocpoptSvo?  tf,  t^tic  f4v  xa-d  touc  Afyuirctouc  fita 
xal  x  too  «Dajxsvcod ,  Itu?  t9jc  ^svo^vt)?  lizl  rioXoxXstTOo  (110/9) 
2xtpo^optu>voc  10,  xotTa  8e  xohq  A^uRttoo?  wj  Tlauvi  t9}?  18  xxs.  Mit 
vollkommenem  Recht  betrachtet  Diodor  dies  als  den  Anfangspunkt 
des  metonischen  Zyklus,  wenn  es  auch  nicht  gerade  das  Anfangs- 
datum ist;  dies  war  vielmehr  der  erste  Neumond  nach  dem  13.  Skir. 
483.    Auch  der  Zusatz  iv  Äftr^vaic  ist  insofern  nicht  müßig,  als  be- 
kanntlich nicht  bloß  der  Monatsname,  sondern  auch  die  Tagzählung 
in  den  griechischen  Staaten  verschieden  war.    Sonach  wäre  also 
weder  an  der  Diodorstelle  noch  an  der  bisherigen  Ansicht  von  der 
Einführung  der  Enneakaidekaeteris  etwas  zu  ändern.    Zum  Schluß 
aber  ist  hier  wohl  ein  Hinweis  auf  die  vortrefflichen  Erläuterungen 

Jahresbericht  für  Alt«rtum«wM«en*chiift.    Bd.  CXXXV.  8 


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114 


»Thomas  Lenschau 


der  Parapegmenfragmente  von  Rehm  am  Platze,  aas  denen  man  znm 
ersten  Male  eine  anschauliche  Vorstellung  davon  erhält,  wie  die 
öffentlichen  Kalender  in  damaliger  Zeit  gehandhabt  wurden. 


Viertes  Kapitel. 

Der  Kampf  um  die  Vorherrschaft  431 — 338. 

Beloch^J.,  Griechische  Aufgebote.  Klio  (Beit.  alt.  Gesch.)  V,  341—374,  VI, 
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Diels  und  Schubart,  Didymos'  Kommentar  zu  Demosthenes  nebst  Wörter- 
buch zur  Aristocratea,  bearb.  v.  I).  u.  Sch.  Berlin  1904  (Papyr.  9780 
u.  5008).  —  Kl.  Ausg.  Lpzg.  1904. 

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27,  215-222.  1903. 

Hoeck,  Adalb.,  zur  Geschichte  des  Thrakerkönigs  Kotys  I.  Klio  IV,  265—269. 
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Levi,  Lionello,  l'oratore  Andocide  e  rermocopia.  Riv.  Stor.  Ant.  N.  Ser.  IX, 

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tinentes.    Leipz.  Diss.  1905. 
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Niese,  Bened.,  Beiträge  zur  griechischen  Geschichte.  Herrn.  39,  84 — 132.  1904. 
Pancritius,  Marie,  Studien  über  die  Schlacht  von  Kunaxa.    Berlin  1906. 
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Pomtow,  IL,  eine  delphische  Stasis  im  Jahre  363  v.  Chr.  Klio  VI,  89—126. 
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— ,  Neues  zur  d.  St.  ib.  400—419. 

Regling,  ein  Tridrachmon  v.  Byzanz.   Ztschr.  für  Numism.  25,  207—214. 


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Jahresbericht  über  griechische  Geschichte  (1903—1900). 


115 


Roloff,  Gust.,  Probleme  der  griech.  Kriegsgeschichte.   Berlin  1904. 
Schubert,  Rud.,  die  Quellen  zur  Geschichte  Philipps  II.  von  Makedonien. 
Königsberg  1904. 

Solari,  Art.,  sulle  relazioni  diplomatiche  tra  la  Grecia  e  la  Persia.  Riv. 

Stor.  Ant.  VII,  380—412.  1903. 
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Sotiriades,  Georg.,  Das  Schlachtfeld  v.  Chaironeia  und  der  Grabhügel  d. 

Makedonen.  Mitt.  Arch.  Inst.  (Athen)  28,  301—330.  1903. 
Strazzulla,  V.,  di  Kotys  I  e  Kersebleptes,  re  di  Tracia.  Klio  III,  325-330. 

1903. 

Swoboda,  Artikel  Epaminondas  in  Pauly-Wissowas  Realencyklopädie  V.  1905. 
Usteri,  P.,  Ächtung  und  Verbannung  im  griechischen  Recht.   Berlin  1903. 
Werenka,  die  Schlacht  bei  Mantinea  am  13.  Juli  362.   Programm,  Czerno- 
witz  1905. 


Über  die  literarischen  Quellen  des  peloponnesischen  Krieges 
hat  Busolt  in  der  Einleitung  seines  größeren  Werkes  (S.  569 — 578) 
eine  eingehende  Übersicht  gegeben,  die  eine  vollständige  Aufarbeitung 
des  Materials  enthält,  soweit  es  bis  zum  Jahre  1900  etwa  vorlag. 
Fortlaufend  zu  vergleichen  sind  daher  die  bereits  im  vorigen  Bericht 
besprochenen  Arbeiten  Ed.  Meyers,  die  den  Stand  der  Frage  in 
wesentlichen  Punkten  verändern,  und  die  oben  mehrfach  erwähnte 
Quellenuntersuchung  zur  athenischen  Verfassungsgeschichte  des  Aristo- 
teles von  Seeck.  Nachträglich  hat  dann  in  der  wichtigen  Frage 
Aristoteles  oder  Thukydides  bei  der  Schilderung  der  Umwälzung  im 
Jahre  411  Busolt  noch  einmal  das  Wort  ergriffen  (S.  1476  Anm.  4), 
und  hier  sind  auch  Meyers  Forschungen  benutzt.  Danach  nimmt 
Busolt  hier  eine  Art  Mittelstellung  zwischen  Meyer  und  Köhler- 
v.  Wilamowitz  ein.  Thukydides  bietet  ein  lebensvolles  Bild  jder  Ver- 
schwörung, indem  der  Staatsstreich  nach  mancherlei  Vorbereitungen 
an  einem  Tage  zu  Ende  geführt  wird ;  doch  enthält  seine  Darstellung 
mancherlei  Irrtümer  und  Ungenauigkeiten.  Aristoteles  dagegen  bietet 
ein  Gerippe  ohne  Fleisch  und  Blut  unter  Übergehung  der  ganzen 
Vorgeschichte;  nach  ihm  vollzieht  sich  die  Verfassungsänderung 
stufenweise  in  einigen  Wochen.  Die  von  ihm  mitgeteilten  Volks- 
beschlüsse und  aktenmäßigen  Angaben  enthalten  viel  wertvolles  ur- 
kundliches Material,  nicht  aber  die  volle  Wahrheit.  Daraus  ergibt 
sich  Bus.  der  methodische  Grundsatz:  „Durch  die  urkundlichen  An- 
ngaben ist  die  Darstellung  des  Th.  zu  berichtigen,  jedoch  nur  insoweit, 
„als  sie  mit  ihnen  in  einem  wirklich  unvereinbaren,  nicht  bloß 
„scheinbaren,  durch  die  offizielle  Form  bedingten  Widerspruch  steht. 
„Was  dagegen  bei  Ar.  weder  urkundlich  bezeugt  noch  durch  die  bald 
„nach  dem  Sturze  der  400  gehaltene  Rede  für  Polvstratos  bestätigt 

8* 


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11(5 


Thomas  Lenschau. 


„wird,  muß  durch  die  Angaben  des  Historikers  ergänzt  und  berichtigt 
„werden."  In  der  Praxis  stellt  sich  dann  die  Sache  auch  bei  B. 
noch  etwas  günstiger  für  Thukydides,  und  in  dem  Hauptpunkte,  der 
Frage,  ob  die  Fünftausend  wirklich  berufen  sind  oder  nicht,  erklärt 
B.  sich  gegen  die  aristotelische  Darstellung  (S.  1484  Anm.). 

Ziemlich  kompliziert  ist  die  Quellenfrage  bei  der  Expedition 
des  Kyros.  Bei  dem  Hauptwerk,  der  Anabasis  Xenophons,  nimmt 
Cousin  eine  doppelte  Rezension  an :  eine  kurz  nach  den  Ereignissen 
niedergeschriebene,  aus  der  sich  die  Frische  und  Anschaulichkeit 
des  Buches  erklärt,  und  eine  zweite,  viel  später,  wahrscheinlich  nach 
dem  Aufenthalt  in  Skillus  verfaßte,  deren  Veranlassung  darin  lag, 
daß  Xen.  in  den  damals  bereits  über  die  Expedition  verfaßten 
Schriften  sich  zu  sehr  übergangen  glaubte.  Erst  damals  ist  die  selbst- 
verherrlichende Tendenz  hineingekommen,  die  sich  allerdings  stark 
fühlbar  macht,  während  Diodors  Bericht  zeigt,  daß  X.  keineswegs 
eine  entscheidende,  ja  kaum  überhaupt  eine  Rolle  spielte.  Daß  die 
erste  Ausgabe  unter  dem  Pseudonym  des  Themistogenes  aus  Syrakus 
herausgekommen  sei,  verneint  der  Vf.  m.  E.  mit  Recht;  allein  sein 
Hauptgrund,  daß  man  einen  Syrakusier  unmöglich  ein  so  reines 
Attisch  habe  zutrauen  können,  erscheint  wenig  stichhaltig;  auch 
Georgias  redet  in  den  platonischen  Dialogen  ein  reines  Attisch,  ohne 
daß  die  Zeitgenossen  daran  Anstoß  nahmen.  Dagegen  kann  eine 
andere  Bemerkung  C.s  weiterführen;  wenn  er  mit  Recht  hervorhebt, 
daß  die  Anabasis,  was  die  Auswahl  der  vom  Vf.  berichteten  Tat- 
sache betreifen,  den  Eindruck  eines  militärischen  Leitfadens  für  eine 
zweite  Invasion  mache ,  so  legt  das  doch  den  Gedanken  nahe ,  daß 
Xen.  gleich  nach  der  Rückkehr  für  Agesilaos  eine  derartige  Schrift 
verfaßte,  deren  Nutzanwendung  freilich  dann  durch  den  Ausbruch  des 
korinthischen  Krieges  vereitelt  ward.  Ob  X.  bei  der  zweiten  Be- 
arbeitung noch  weitere  Quellen  herangezogen  hat,  ist  zweifelhaft; 
daß  Ktesias  nicht  darunter  war,  scheint  mir  Frl.  Pancritius  erwiesen 
zu  haben  (S.  3  ff.).  Auch  über  das  Verhältnis  der  Anabasis  zur 
Kyrupaideia  macht  C.  eine  interessante  Bemerkung,  die  er  durch 
Parallelen  zu  stützen  sucht.  In  der  Anabasis  zeigt  X.  den  Kyros, 
wie  er  ihm  erschien,  in  der  Kyr.  schildert  er  unter  dem  Bilde  des 
Ahnherrn,  wie  Kyros  sich  entwickelt  haben  würde,  wenn  er  am  Leben 
geblieben  wäre. 

Die  zweite  Hauptquelle  über  diese  Ereignisse,  Ktesias.  bildet 
eine  wichtige  Grundlage  in  dem  Bericht  des  Diodor,  und  nur  das  ist 
die  Frage,  ob  wir  es  mit  direkter  oder  indirekter  Benutzung  durch 
Diodor  zu  tun  haben.   Schon  oben  (S.  100)  ist  bemerkt  worden,  daß 


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Jahresbericht  über  griechische  Geschichte  (1903— 1900). 


117 


v.  Meß  mit  der  Annahme  indirekter  Benutzung  das  Richtige  getroffen 
hat.  Dasselbe  gilt  auch  von  $ophainetos,  von  dem  sowohl  Cousin 
wie  Frl.  Lanzani  Spuren  bei  Diodor  entdecken,  die  ebenfalls  durch 
Ephoros  hindurchgegangen  sein  mögen.  Allerdings  behauptet  auch 
hier  Frl.  Lanzani  das  Gegenteil,  daß  Diodor  in  das  kurze  xeno- 
phontische  Exzerpt  des  Ephoros  selbständig  die  Notizen  aus  Ktesias, 
Sophainetos,  Deinon  eingelegt  habe,  und  das  wird  sich  ja  nicht  leugnen 
lassen:  es  mehren  sich  die  Anzeichen  dafür,  daß  Yolquardsens  Ein- 
quellentheorie nicht  mehr  ganz  zureicht.  Wenn  ein  so  scharfsinniger 
und  genauer  Forscher  wie  Schubert  sich  genötigt  sieht,  in  der  Ge- 
schichte Philipps  II.  mehrere  Quellen  anzunehmen,  die  Diodor  selb- 
ständig zusammengearbeitet  hat,  so  läßt  sich  die  Ansicht  nicht  ab- 
weisen, daß  er  in  den  früheren  Büchern  dasselbe  getan  hat,  und  so 
wäre  es  wohl  an  der  Zeit,  daß  die  Einquellentheorie  einmal  von 
neuem  gründlich  durchgeprüft  würde. 

Was  endlich  die  Wertschätzung  der  Quellen  betrifft,  so  ist  man 
neuerdings  geneigt,  Ktesias,  dessen  Werk  mit  Bruchstücken  aus 
Deinon  vermischt  in  Plutarchs  Artoxerxes  vorliegt,  erheblich  mehr 
Glauben  zuzumessen,  als  es  das  Altertum  und  neuere  Historiker  getan 
haben.  Sicherlich  war  er,  wie  Cousin  hervorhebt,  bei  seiner  Stellung 
in  der  Lage,  mancherlei  zu  wissen,  was  den  übrigen  griechischen 
Augenzeugen  infolge  ihrer  mangelhaften  Kenntnis  der  persischen 
Sprache  und  der  allgemeinen  Verhältnisse  entging.  Und  gerade  hier, 
wo  er  selber  Augenzeuge  war  und  mit  den  gefangenen  Führern  ver- 
kehrte, verdient  er  häufig  Glauben,  soweit  nicht  seine  Abhängigkeit 
von  der  offiziellen  persischen  Version  und  seine  Lakonerfreundlichkeit 
in  Frage  kommt.  Diesen  an  sich  richtigen  methodischen  Grundsatz 
hat  nun  aber  C.  in  der  Praxis  übertrieben ,  so  daß  sich  sein  Buch 
stellenweise  wie  ein  Pamphlet  auf  Kyros  und  Xenophon  liest.  Den- 
noch liegt  ein  zweifelloses  Verdienst  darin,  daß  er  einmal  energisch 
auf  die  Kehrseite  der  Medaille  hingewiesen  und  den  persischen 
Standpunkt  zu  Ehren  gebracht  hat.  Unleugbar  hat  persönliche  Eitel- 
keit und  ehrliche  Begeisterung  für  den  Prinzen,  dem  er  diente,  X. 
häufig  verführt,  sich  selbst  in  den  Vordergrund  zu  drängen  und  die 
Gestalt  seines  Helden  zu  idealisieren.  So  ist  denn  das  Bild,  das  C. 
von  beiden  zeichnet,  viel  weniger  lichtvoll,  aber,  wenn  man  von  den 
Übertreibungen  absieht  ,  entschieden  wahrer  ausgefallen  als  in  den 
bisherigen  Darstellungen. 

Für  die  Folgezeit  beruht  unsere  Kenntnis  vorwiegend  auf  Xeno- 
phons  griechischer  Geschichte,  was  in  chronologischer  Hinsicht  seine 
Schattenseiten  hat;  wünschenswert  wäre  es,  wenn  sich  die  Nachricht 


118 


Thomas  Lenschau. 


bestätigen  sollte,  daß  sich  unter  den  Grenfell-  und  Huntschen  Papyrus- 
fanden  auch  ein  größeres  8tück  des  Theopompos  über  boiotische 
Verhältnisse  des  vierten  Jahrhunderts  gefunden  habe.  Reichlicher 
beginnen  die  Quellen  erst  wieder  mit  dem  Auftreten  Philipps  von 
Makedonien  zu  fließen,  bei  denen  Schuberts  Arbeit  einsetzt,  an 
das  gesamte  Material  einer  kritischen  Durcharbeitung  zu  unterziehen. 
Er  geht  davon  aus,  daß  sich  sowohl  bei  Diodor  wie  bei  Justin  starke 
Spuren  des  Theopomp  [finden,  der  eine  Hauptquelle  für  beide  ab- 
gegeben haben  muß.  Allein  die  Erzählung  von  Philipps  Benehmen 
am  Abend  von  Chaironeia  bei  Diodor  zeigt  plötzlich  ein  mit  Theopomp 
nicht  vereinbares  Bestreben ,  Ph.  herabzusetzen ;  eine  Vergleich«!* 
mit  Plut.  Dem.  20  fuhrt  auf  die  Vermutung,  daß  hier  Duris  vorliegt, 
der  sich  ebenfalls  in  der  romanhaften  Ausschmückung  der  Er- 
mordung Philipps  bei  Diod.  XVI  c.  92 — 94  verrät.  Hier  aber  be- 
gegnet man  auch  zuerst  den  Spuren  einer  dritten  Quelle,  die  allmählich 
erkennbar  wird,  auch  bei  Justin;  sie  führt  auf  einen  Schriftsteller, 
der  ziemlich  spät ,  wahrscheinlich  nach  dem  Galliereinfall ,  schrieb. 
Philipp  sehr  ungünstig  behandelte,  dagegen  den  Phokiem  und  vor 
allem  den  Athenern  wohlwollte.  Der  Verfasser  erkennt  in  ihn 
Diyllos,  wofür  wenigstens  ein  direktes  Fragment  spricht  (Müll.  Diyllos 
fr.  3  bei  Ath.  IV,  155  a  =  Diod.  19,  52,  5),  und  führt  auf  ihn  auch 
die  häufig  durchscheinende  Benutzung  der  attischen  Redner  bei  Diodor 
und  Plutarch  in  der  Demosthenesvita  zurück.  Sodann  geht  Seh. 
zur  Analyse  der  Nachrichten  über  den  heiligen  Krieg  bei  Diodor. 
Pausanias  und  Justin  über,  in  deren  Anfang  sich  deutlich  drei  Ver- 
sionen scheiden:  die  eine  (Paus.)  schrieb  die  Schuld  des  Krieges  des 
Thessalern,  die  zweite  (Just.)  den  Thebanern  zu,  die  dritte  (Diod.) 
nennt  ebenfalls  die  Thebaner,  daneben  aber  als  eigentlichen  Anstifter 
den  Philomelos,  so  daß  hier  zwei  Versionen  kontaminiert  erscheinen. 
Dieselbe  Verschiedenheit  zeigen  die  Nachrichten  über  den  Tempelraub: 
nach  der  einen  ist  Philomelos  ganz  unschuldig  (Diod.),  nach  der 
zweiten  wird  er  von  den  Thebanern  gezwungen  (Just,  und  ebenfalls 
Diod.),  nach  der  dritten  hat  er  von  vornherein  ungescheut  die  Tempel- 
schätze angegriffen,  um  für  sich  persönlich  die  Tyrannis  zu  gewinnen. 
Es  gelingt  Sch.,  von  diesen  drei  Versionen,  deren  Vorkommen  nicht 
auf  diese  beiden  Stellen  beschränkt  ist ,  die  erste  auf  Demophilos, 
Ephoros  Sohn  und  Fortsetzer,  die  zweite  auf  Diyllos,  dessen  Spuren 
sich  auch  sonst  hei  Diod.  und  Paus,  finden,  die  letzte  auf  Theopomp 
zurückzuführen,  und  er  zeigt  nun,  wie  bei  Diod.  alle  diese  drei  Quellen, 
bei  Justin  nur  Demophilos  und  Diyllos  zusammengearbeitet  sind, 
während  Paus,  vorwiegend  Theopomp  gefolgt  ist.  Natürlich  läßt  sich 


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Jahresbericht  über  griechische  Geschichte  ( 1903— 1906).  119 

im  einzelnen  manches  aussetzen,  und  Renß  hat  daher  Sch.  Spitz- 
findigkeit und  tibermäßige  Schärfe  vorgeworfen  (Wkl.  Ph.  1905  No.  5); 
allein  wenn  irgendwo,  so  darf  man  bei  derartigen  Quellenuntersuchungen 
nicht  an  Einzelheiten  haften,  und  im  ganzen  machen  Sch.s  Ausführungen 
einen  überzeugenden  Eindruck.  Gewiß  handelt  es  sich  hier  immer 
nur  um  Möglichkeiten,  wie  Niese  (BphW.  1906,  494/5)  in  seiner 
Besprechung  betont;  allein  in  der  Kritik  der  Quellen  zum  heiligen 
Kriege  scheint  mir  Schubert  doch  über  bloße  Möglichkeiten  hinaus- 
gekommen zu  sein,  und  hier  wird  auch  die  Forschung  seine  Ergebnisse 
verwerten  müssen.  Eine  ganze  Reihe  äußerst  wichtiger  Historiker- 
bruchstücke für  diese  Zeit  gibt  der  von  Diels  und  Schubart  heraus- 
gegebene Didymoskommentar :  besonders  handelt  es  sich  um  Fragmente 
des  Philochoros,  Theopomp,  Anaximenes,  Marsyas,  Demon,  deren 
historischen  Wert  F.  Stähelin,  Klio  V,  55 — 71,  diskutiert  hat. 

Was  die  inschriftlichen  Quellen  des  peloponnesischen  Krieges 
betrifft,  so  hat  auch  hier  Busolt  das  Erreichbare  sämtlich  zusammen- 
gestellt ;  neu  hinzu  kämen  eine  bereits  bekannte,  aber  zu  spät  datierte 
Inschrift,  die  nun  von  Foucart  ins  5.  Jahrhundert  hinaufgerückt  ist 
(s.  u.  S.  124).  Unter  den  für  die  spätere  Zeit  neu  hinzugekommenen 
ist  die  wichtigste  ein  bei  den  Ausgrabungen  v.  Milet  gefundener 
Stein  (s.  Kekute,  vorläuf.  Bericht  SB.  Berl.  Ak.  1900),  auf  dem  ein 
Satrap  Ioniens  Struses  erwähnt  wird,  der  einen  Rechtsstreit  zwischen 
den  Myessiern  und  Milesiern  zugunsten  dieser  entscheidet.  Der  An- 
fang der  Inschrift,  die  übrigens  auch  juristisch  interessant  ist,  enthält 
die  Richternamen,  je  fünf  aus  Chios,  Erythrai,  Klazomenai,  Lebedos, 
Ephesos;  weggebrochen  ist  im  Anfang  noch  mindestens  eine  Fünfzahl 
und  ein  Stadtname.  Da  indessen  nicht  angegeben  ist,  wieviel  oben 
fehlt,  so  halte  ich  es  durchaus  nicht  für  ausgeschlossen,  daß  die 
Sache  im  xotvov  täv  'I(uvo>v  im  Panionion  zur  Sprache  gekommen  ist. 
Dann  müßten  im  Anfang  noch  vier  Städte  genannt  sein,  da  Milet  und 
Myus  als  streitende  ausschieden  und  Priene  um  diese  Zeit  —  aller- 
dings ist  392  das  wahrscheinlichste  Datum  —  doch  wohl  noch  in 
Trümmern  lag.  Interessant  ist  auch  eine  Inschrift  von  Karystos, 
Eph.  arch.  1905,  1—3,  die  in  die  Zeit  herabgeht,  wo  der  Einfluß 
der  Athener  im  zweiten  Seebund  zu  sinken  beginnt  und  die  Bundes- 
städte anderweitig  Anschluß  —  hier  an  Boiotien  —  suchen.  Andere 
Urkunden  werden  später  angeführt  werden;  hier  zum  Schluß  ist  noch 
eines  Werkes  zu  gedenken,  das  für  das  Studium  der  Inschriften  und 
ihre  geschichtliche  Verwertung  ein  geradezu  unentbehrliches  Hilfs- 
mittel bildet:  Joh.  Kirchners  Prosopographia  attica.  In  der  Haupt- 
sache enthält  das  Buch  ein  Verzeichnis  sämtlicher  in  attischen  In- 


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1 20 


Thomas  Lenschau. 


Schriften  vorkommenden  Namen  mit  Nachweis  der  Stellen,  an  denen 
sie  sich  finden ;  bei  den  Persönlichkeiten ,  die  ans  den  literarischen 
Quellen  bekannt  sind,  sind  auch  die  Schriftstellerzeugnisse  mit 
seltener  Ausführlichkeit  und  Genauigkeit  angegeben.  Wertvolle  Bei- 
gaben sind  eine  ganze  Reihe  von  Kirchner  ausgeführter  Stammbäume 
und  endlich  eine  attische  Archontenliste ,  die  den  damaligen  Stand 
der  Forschung  repräsentiert.  Das  Buch,  ein  Ergebnis  18jähriger 
Arbeit,  kommt  wirklich  —  hier  ist  der  Ausdruck  am  Platze  —  bei 
der  geringen  Übersichtlichkeit  der  Indizes  zum  CIA  einem  all- 
gemein gefühlten  Bedürfnis  entgegen.  Einige  Nachträge  gibt  Sund- 
wall, Klio  V,  181/2  u.  282/4. 


Die  neue  Darstellung  des  peloponnesischen  Krieges  von  Busolt 
bringt  das  gesamte  Material  in  derjenigen  Ausführlichkeit  und 
Genauigkeit,  die  für  das  Werk  bereits  sprichwörtlich  geworden  ist. 
vor  allem  aber  auch  in  derselben  energischen  Verarbeitung,  die  die 
früheren  Bände  auszeichnet.  Es  ist  schwer,  einem  derartigen  Riesen- 
werk gegenüber  einen  Standpunkt  zu  gewinnen;  vielleicht  aber  läßt 
sich  das  Charakteristische  des  Werkes  dahin  umschreiben,  daß  es  vor 
allem  darauf  aus  ist,  die  tatsächlichen  Vorgänge  so  genau  und  so  scharf 
herauszuarbeiten,  wie  dies  nach  dem  gegenwärtigen  Stande  unserer 
Kenntnis  möglich  ist,  und  nach  dieser  Hinsicht  hin  hat  B. ,  um  es 
kurz  zu  sagen,  alles  geleistet,  was  zu  leisten  war.  Als  ein  besonderer 
Vorzug,  der  aber  schon  aus  den  früheren  Bänden  bekannt  ist,  muß 
es  dabei  gelten ,  daß  die  Untersuchung  einzelner  strittiger  Punkte 
stets  mit  der  Vorlegung  des  gesamten  Forschungsmaterials  geführt 
ist ,  so  daß  jeder  in  die  Lage  versetzt  wird ,  sich  ein  eigenes  Urteil 
zu  bilden,  das  dann  oft  genug  mit  dem  des  Vf.  übereinstimmen  wird. 
Dagegen  treten  die  allgemeinen  Betrachtungen  über  die  Weltlage,  wie 
man  sie  am  Anfang  des  Krieges  und  dann  nach  dem  Ausgang  der 
sizilischen  Expedition  gewünscht  hätte,  mehr  zurück.  Der  kombinierte 
Angriff  der  Mächte  von  Osten  und  Westen  auf  das  Griechenvolk, 
dessen  Bollwerk  mit  der  athenischen  Macht  gefallen  war,  kommt 
nicht  zum  Ausdruck ,  und  in  dieser  Beschränkung  auf  die  rein 
griechischen  Verhältnisse,  deren  Vorbild  Thukydides  war,  liegt  es 
wohl  auch  begründet,  daß  Nissens  Theorie  über  die  letzten  Gründe 
des  peloponnesischen  Krieges  nicht  stärker  die  Darstellung  beeinflußt 
hat.  Noch  ein  Wort  über  den  Ausdruck,  auf  den  der  Vf.  nach  seinem 
eigenen  Bekenntnis  im  Vorwort  diesmal  besondere  Sorgfalt  verwandt 
hat.   So  sehr  man  anerkennen  wird  und  muß,  daß  seine  Bemühungen 


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Jahresbericht  über  griechische  Geschichte  (1903—1906).  121 


von  Erfolg  gekrönt  gewesen  sind,  so  ist  es  doch  anderseits  schon  in 
der  Anlage  des  Werkes  begründet,  daß  Vorzüge  des  Stiles  bei  ihm 
nicht  hervorzutreten  vermögen,  und  so  erneuere  ich  hier  den  schon 
an  anderer  Stelle  geäußerten  Wunsch,  daß  es  dem  Verfasser  vergönnt 
sein  möge,  nach  Abschluß  der  großen  Arbeit,  der  er  sein  Leben  ge- 
widmet hat,  die  Ergebnisse  noch  einmal  in  einer  kurzen,  von  allem 
Anmerkungsballast  befreiten  Darstellung  der  Mitwelt  vorzulegen. 

Natürlich  ist  es  unmöglich,  hier  auch  nur  annähernd  eine  Vor- 
stellung von  dem  Reichtum  des  Stoffes,  von  der  Zahl  der  glücklich 
gelösten  und  der  neu  aufgeworfenen  Probleme  zu  geben.  Ohnehin  wird 
jeder,  der  in  den  peloponnesischen  Krieg  einschlagende  Fragen  bearbeitet, 
genötigt  sein,  sich  in  erster  Linie  mit  B.  auseinanderzusetzen.  Dennoch 
möchte  ich  wenigstens  einiges  hervorheben  und  darunter  vor  allein 
Busolts  Berechnung  der  Streitkräfte  Athens  im  Beginn  des 
Krieges,  eins  der  Probleme,  von  dessen  Lösung  die  richtige  Be- 
urteilung der  Kriegsereignisse  in  erster  Linie  abhängt,  und  dazu 
eines,  in  dem  ich  gern  bekenne,  durch  B.  zu  der  richtigen  Auffassung 
gekommen  zu  sein.  Die  Grundlage  bildet  die  bekannte  Stelle  bei 
Thuk.  II,  13,  in  der  die  Feldarmee  Athens  auf  13  000  Hopliten  an- 
gegeben wird;  daneben  aber  soll  nach  dem  Zeugnis  der  Historiker 
noch  eine  aus  den  ältesten  und  jüngsten  Jahrgängen  sowie  aus  den 
Metöken  gebildete  Garnisonarmee  von  16  000  Hopliten  verfügbar 
gewesen  sein.  Mit  guten  Gründen,  die  er  in  dem  obenerwähnten 
Aufsatz  gelegentlich  noch  einmal  zusammengefaßt  hat  (S.  348  ff.), 
war  zuerst  Beloch  dieser  Behauptung  entgegengetreten  und  hatte  eine 
Textverderbnis  angenommen :  das  xcti  jiopuov  nach  'dem  iSaxt^di'tuv 
sei  zu  streichen.  Dem  gegenüber  hatte  Meyer  den  überlieferten  Text 
damit  verteidigt,  daß  er  darauf  hinwies,  für  die  ungeheuer  lange 
Befestigungslinie  hätten  6000  Hopliten  bei  weitem  nicht  zur  Ver- 
teidigung gentigt,  es  sei  daher  an  der  höheren  Zahl  festzuhalten.  Allein 
mit  Recht  macht  Busolt  in  seiner  Epikrise  der  ganzen  Frage  (S.  880 
A.  1)  darauf  aufmerksam,  daß  ja  von  der  Feldarmee  immer  ein  großer 
Teil  in  Athen  gewesen  sei,  und  daß  diesem  naturgemäß  die  Ver- 
teidigung der  Stadt  zugefallen  wäre.  Man  hielt  die  Leute  im  Innern 
der  Stadt  in  konzentrierter  Stellung  beisammen,  um  sie  au  bedrohten 
Punkten  jederzeit  einsetzen  zu  können;  es  war  also  nur  eine  Mauer- 
wache (nicht  eine  Besatzung)  nötig,  und  dazu  reichten  die  6000  völlig 
aus.  Es  ist  nicht  zu  leugnen,  daß  hiermit  der  Haupteinwand  gegen 
Belochs  Streichung  von  xai  fxupuuv  hinfällig  geworden  ist. 

Auch  in  der  vielerörterten  Frage  über  die  Zeit  des  Kriegs- 
anfanges  scheint  mir  B.  in  der  Anm.  2  zu  S.  907  die'  Sache  zur 


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Thomas  Lenschau. 


Entscheidung  gebracht  zn  haben,  indem  er  von  seinem  bereits  im 
vorigen  Bericht  (S.  225)  erwähnten  Hermesaufsatz  ausgeht.  Das 
jetzt  von  ihm  beigebrachte  Material  läßt  m.  E.  keinen  Zweifel  zu. 
daß  sich  seit  dem  Altertum  ebenso  wie  in  Italien  so  auch  in  Griechen- 
land die  Ernte  um  nahezu  einen  Monat  nach  rückwärts  verschoben  hat. 
Damit  aber  ist  auch  die  Frage  entschieden,  wann  der  Überfall  von 
Plataiai  stattfand,  der  nach  Thuk.  80  Tage  vor  die  Schnittreife  des 
Getreides  fiel.  Wenn  im  Altertum  die  Ernte  erst  Mitte  Juni  statt- 
fand, so  kann  von  den  beiden  in  Frage  kommenden  Neumonden 
(9.  März  und  7.  April)  nur  der  letztgenannte  in  Frage  kommen. 
Auch  die  Vorgänge  von  428  lassen  erkennen,  wie  Busolt  mit  Recht 
hervorhebt,  daß  die  Schnittreife  der  Gerste  in  den  Juni  fiel. 

Sehr  richtig  erscheint  ferner  die  Hervorhebung  der  Bedeutung 
des  Kampfes  bei  Mantin-eia:  „Der  Sieg  der  Lakedämonier  ist  zu- 
gleich ein  Sieg  der  Oligarchie  und  insofern  bedeutete  die  Schlacht 
einen  Wendepunkt  in  der  politischen  Entwicklung  Griechenlands.  .  .  . 
Es  setzte  eine  oligarchische  Reaktion  ein,  die  nach  manchen  Schwan- 
kungen in  ganz  Hellas  zur  Herrschaft  gelangte".  Dagegen  wird  man 
es  dem  Vf.  nicht  verargen,  wenn  er  in  der  Frage  des  Herrn  o- 
kopidenprozesses  ein  bestimmtes  Urteil  nicht  geäußert  hat ;  es 
ist  für  uns  wohl  unmöglich,  da  Sicherheit  zu  erzielen,  wo  selbst  die 
Mitwelt  im  Dunkeln  tappte.  Interessant  ist  dagegen  die  Bestätigung 
einer  Vermutung  Keils,  daß  die  Tat  nicht,  wie  aus  dem  Altertum 
überliefert  ist,  am  Neumond  (also  lO.'ll.  Mai  oder  8./9.  Juni)  verübt 
sein  könne,  sofern  der  Betrug  des  falschen  Angebers  Diokleides  nur 
gelingen  konnte',  wenn  in  der  Nacht  Mondschein  möglich  war,  sich 
aber  bei  genauerer  Untersuchung  ergab,  daß  zu  der  Zeit,  wo  D.  die 
Verschwörer  gesehen  haben  wollte,  der  Mond  bereits  untergegangen 
war.  Die  Berechnung  Ambronns  (mitgeteilt  bei  B.  S.  1289  Anm.) 
ergibt,  daß  dies  damals  in  der  Tat  der  Fall  war.  Am  besten  paßt 
die  Nacht  des  22.  Mai.  Im  übrigen  hat  auch  die  letzte  Behandlung 
durch  L  e  v  i  nichts  wesentlich  Neues  ergeben ;  sie  befaßt  sich  haupt- 
sächlich mit  der  Person  des  Andokides,  den  der  Vf.  für  schuldig 
hält,  dagegen  von  dem  Vorwurf  freispricht,  seinen  eigenen  Vater  an- 
gegeben zu  haben.  Fast  nichts  gibt  das  Bruchstück  einer  Alkibiades- 
vita  (Oxyrh.  Pap.  vol.  III  no.  411),  das  vom  Hermokopidenprozeß 
bis  zu  dem  Rat,  Dekeleia  zu  besetzen,  reicht;  um  so  wichtiger  für 
die  Beurteilung  des  Andokides  ist  das  Philochorosfragment  bei 
Didymos,  das  seine  und  seiner  Mitgesandten  Rolle  im  Jahre  392 
beleuchtet. 

Unter  den  Staatsmännern,  die  im  letzten  Teil  des  peloponnesischen 


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Jahresbericht  über  griechische  Geschichte  (1903—1906).  123 

Krieges  hervortreten,  hat  Theramenes  von  jeher  die  verschiedenste 
Beurteilung  gefunden ;  neuerdings  aber  beginnt  die  in  ihrem  Ursprung 
noch  nicht  ganz  aufgeklärte  günstige  Auffassung  bei  Ephoros  und 
Aristoteles  die  ältere  zurückzudrängen,  die  im  wesentlichen  auf  Lysias 
Rede  gegen  Eratosthenes  und  den  Angriffen  der  Komödie  beruhte. 
Dementsprechend  hat  auch  Perrin  eine  Ehrenrettung  des  Mannes 
versucht  und,  so  viel  wird  man  ihm  zugeben  müssen,  nicht  zum 
wenigsten  ist  jenes  ungünstige  Urteil  darauf  zurückzuführen,  daß 
Th.  eine  mittlere  gemäßigte  Politik  verfolgte  und  deshalb  sowohl  von 
extrem  oligarchischer  Seite ,  wie  von  der  radikalen  Demokratie  an* 
gefochten  ward.  So  kam  er  in  den  Ruf  politischer  Gesinnungslosigkeit, 
den  er  nicht  verdiente ;  wenigstens  liegt  in  den  entscheidenden  Jahren 
411  und  404  seine  Politik  klar  und  deutlich  vor  uns.  Wie  er  damals 
die  extreme  Demokratie  durch  die  Oligarchie  stürzte,  um  dann  diesen 
an  der  Spitze  der  Mittelpartei  dasselbe  Schicksal  zu  bereiten,  so 
hatte  er  auch  404  zum  entscheidenden  Schlage  gegen  die  bis  dahin 
siegreichen  Oligarchen  ausgeholt,  als  Kritias  Energie  ihm  im  letzten 
Augenblick  zuvorkam.  Das  alles  kann  auf  den  Charakter  des  Mannes 
keinen  Schatten  werfen,  sondern  zeigt  nur  sein  großes  politische* 
Geschick,  dem  auch  Thuk.  Beifall  zollt.  Im  übrigen  ist  es  ein 
Irrtum,  wenn  P.  behauptet,  der  Historiker  beurteile  Theramenes 
günstig;  mit  Recht  hebt  Busolt  (S.  1465)  das  kühle  Urteil  des  Thuk. 
hervor,  der  ihn  schlechtweg  zu  den  aus  egoistischen  Gründen 
handelnden  Staatsmännern  zählt. 

In  der  Tat  aber  gibt  es  zwei  dunkle  Punkte  in  Theramenes 
politischer  Laufbahn :  6ein  Verhalten  im  Arginusenprozeß  und  die 
Friedensgesandtschaft  zu  Lysander,  durch  die  er  seine  Vaterstadt  in 
die  äußerste  Not  brachte,  um  sie  seinen  Wünschen  gefügig  zu  machen. 
Die  Verteidigung  ist  hier  nicht  leicht;  und  für  den  Arginusenprozeß 
läuft  sie  bei  Perrin  darauf  hinaus,  daß  Theramenes  und  sein  Genosse 
Thrasybulos  in  Notwehr  handelten,  als  die  angeklagten  Feldherren, 
die  wirklich  Fehler  begangen  hatten ,  ihnen  die  Schuld  zuschieben 
wollten.  Allein  wie  kommt  es  denn ,  daß  gerade  Theramenes  so  oft 
und  mit  so  scharfen  Worten  sein  Ränkespiel  im  Arginusenprozeß 
vorgeworfen  wird,  während  sich  gegen  Thrasybul  nie  auch  nur  eine 
Hand  geregt  hat?  Das  läßt  doch  daraufschließen,  daß  Theram.  eine 
besonders  gehässige  Rolle  gespielt  hat,  und  dagegen  verschlägt  es 
natürlich  gar  nichts ,  daß  Lysias ,  worauf  P.  so  viel  Gewicht  legt, 
über  sein  Verhalten  im  Arginusenprozeß  völlig  schweigt  Das  gebot 
ihm  die  Rücksicht  auf  den  Befreier  Thrasybulos,  der  doch  auch  in 
jenen  schlimmen  Handel  verwickelt  war,  und  die  Rücksicht  auf  die 


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Thomas  Lenschau. 


Richter  aas  dem  Volke,  das  sich  nur  ungern  an  jenen  Blutbeschluß 
erinnern  ließ.  Ebensowenig  glücklich  ist  P.s  Verteidigung  in  dem 
zweiten  Punkte.  Es  ist  doch  eitel  Spiegelfechterei,  wenn  er  es  fftr 
eine  grobe  Ungerechtigkeit  des  Lysias  erklärt ,  daß  dieser  Ther.  die 
Motive  unterschiebt,  die  Lysander  bei  jenem  Herausziehen  der  Ent- 
scheidung hatte.  Denn  damit  sinkt  Ther.  auf  den  Standpunkt  des 
Bummkopfes  herab,  der  sich  von  Lysander  vier  Monate  lang  nasführen 
ließ ,  und  das  wird  ihm  niemand  zutrauen.  Vielmehr  wird  man  an- 
nehmen müssen,  was  auch  Beloch  bei  seiner  günstigen  Beurteilung 
des  Ther.  konsequenterweise  getan  hat ,  daß  Theram.  mit  voller 
Absicht  die  vier  Monate  vertrödelte,  um  die  extremen  Demokraten 
mürbe  zu  machen,  allerdings  zum  Besten  des  Staates.  Politisch 
gesinnungslos  war  Theramenes  nicht ;  aber  die  Mittel,  die  er  anwandte, 
sind  doch  derart,  daß  das  überschwängliche  Lob  des  Aristoteles  nicht 
gerechtfertigt  erscheint.  Sein  Auftreten  gegen  die  Dreißig  und  sein 
tragischer  Tod  sind  seinem  Andenken  zugute  gekommen  (Bus.  S.  1465); 
sein  Altersgenosse  Thukydides  hat  ihn  wesentlich  schärfer  beurteilt. 

Die  letzten  Jahre  des  peloponnesischen  Krieges  stehen  bereit- 
unter  dem  Einfluß  der  persischen  Großmacht,  den  Solari  zum 
Gegenstand  einer  genaueren  Darstellung  gemacht  hat;  mit  Recht  hebt 
er  hervor,  daß  die  Schaukelpolitik  des  Tissaphernes  im  persischen 
Interesse  richtiger  war  als  das  starke  Attachement  des  Kyros  an  die 
Lakedämonier ,  was  natürlich  auch  Cousin  nicht  verfehlt  hervor- 
zuheben. Aber  beide  vergessen,  daß  die  persischen  Statthalter,  sowohl 
Tissaphernes  wie  Kyros,  doch  nach  Weisungen  aus  Susa  handelten: 
es  kam  also  vielmehr  darauf  an,  die  Politik  des  susischen  Hofes  and 
ihre  Wandlungen  zu  schildern,  was  in  dem  einen  Falle  Busolt  wirklieb 
getan  hat  (S.  1567  ff.).  —  In  chronologischer  Hinsicht  hat 
Lohse  diese  letzten  Jahre  behandelt,  und  dabei  sich  wie  Beloch  vor 
ihm,  der  spartanischen  Nauarchenliste  als  eines  Hilfsmittels  bedient; 
die  Einwürfe  Judeichs  und  Solaris  gegen  den  jährlichen  Charakter 
der  Nauarchie  hat  er  mit  Glück  widerlegt.  Der  Amtsantritt  der 
Nauarchen  fand  danach  im  Herbst  statt,  zum  Beginn  des  spartanischen 
Jahres ;  doch  war  es  den  Ephoren  erlaubt,  wenn  es  ihnen  zweckmäßig 
erschien,  den  alten  Nauarchen  noch  im  Winter  im  Amt  zu  belassen, 
so  daß  der  neue  dann  im  Frühjahr  die  Flotte  übernahm.  In  dem 
bekannten  Dodwell-Haackeschen  Streit,  von  denen  jener  Thrasvlls 
Expedition  ins  Jahr  409,  dieser  sie  ins  Frühjahr  410  verlegt,  ent- 
scheiden sich  Busolt  und  Lohse  für  Haacke.  Dem  entgegen  steht 
die  Angabe  des  Dionysios  v.  Halikarnaß  im  Arg.  or.  Lys.  32,  wonach 
die  Abfahrt  unter  Glaukippos  erfolgte,  d.  h.  Mai  409.    Wenn  Bus. 


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Jahresbericht  über  griechische  Geschichte  (1903—1906).  125 


hier  einen  Irrtum  annehmen  will  und  meint,  in  dem  von  Dion.  be- 
natzten Werk  sei  nur  der  spätere  Verlauf  der  Expedition  erwähnt, 
so  daß  ihr  Anfang  doch  noch  ins  Vorjahr  fiele,  so  ist  dagegen  zu 
erinnern,  daß  der  Ausdruck  des  Dion.  sehr  bestimmt  ist  und  weiter, 
daß  wir  kein  Recht  haben,  Dionys  eine  Nachlässigkeit  aufzubürden, 
die  wir  Diodor  unbedenklich  zutrauen  würden.  Daß  anderseits  auch 
manches  gegen  die  Dodwellsche  Ansicht  spricht  (Bus.  1532  Anm.), 
soll  nicht  geleugnet  werden;  die  Sache  ist  eben  auf  diesem  Wege 
nicht  zur  Entscheidung  zu  bringen. 

An  das  Ende  des  großen  Krieges  versetzt  uns  ein  Aufsatz  von 
F o u c a r t ,  der  von  einem  thasischen  Dekret  ausgeht,  das  seiner- 
zeit Jacobs  (Mitt.  Arch.  Inst.  1897)  aus  den  Abschriften  des  Cyriakos 
v.  Ancona  ans  Licht  gezogen  hat.  Es  handelt  sich  darin  um  die 
Vermögenskonfiskation  bei  fünf  Bürgern,  deren  einer  Apemantos  ist, 
wohl  derselbe,  der  in  einem  attischen  Dekret  als  Proxenos  erscheint. 
Bei  dem  Abfall  der  Insel  bald  nach  41 1  war  er,  wahrscheinlich  einer 
der  Führer  der  athenischen  Partei,  vertrieben  worden;  doch  scheint 
er  nach  der  Wiedereinnahme  durch  Thrasybulos  wieder  zurückgekehrt 
und  vor  dem  Ende  des  Krieges  gestorben  zu  sein.  Die  Inschrift  setzen 
Fouc.  wie  Jacobs  beide  etwa  ins  Jahr  408.  Nach  Aigospotamois  aber 
trat  die  Reaktion  ein ;  die  Söhne  des  Apemantos  mußten  flüchten,  und 
nach  der  Einsetzung  der  Dreißig  hoben  diese  sogar  das  Proxenie- 
dekret  für  den  Vater  auf.  Doch  gelang  es  den  Söhnen,  später  nach 
der  Wiederherstellung  der  Demokratie  die  Erneuerung  des  Dekrets 
zu  erwirken  (CIA  II,  3).  Einer  von  ihnen ,  Amyntor ,  scheint  sich 
dann  in  Athen  niedergelassen  und  hier  auch  noch  die  Atelie  erhalten 
zu  haben,  was  durch  ein  Dekret  bezeugt  wird,  das  Wilhelm  im  Eran. 
Vindob.  1903  herausgegeben  hat.  Es  heißt  dort  etvai  xal  toi? 
aXXot?  <ps6-püat  jBaat'cuv  lr'  drtixiaum  ttjv  d-iX&iav  xaÖcnrsp  Mavxi- 
vEuai  ....  cnroYpctyat  auttov  ta  iv6\iaxa  Naufxay°v  xai  "Ex^avxov ; 
es  folgen  die  übrigen  Namen.  Die  Ergänzungen,  größtenteils  von 
Wilhelm,  sind  ziemlich  sicher.  Nun  bezieht  sich  Dem.  in  der  Lept. 
§51  auf  dies  Dekret  und  sagt,  Ekphantos  habe  die  Atelie  für  die 
Verdienste  erhalten,  die  er  bei  der  Eroberung  durch  Thrasybulos  sich 
erworben  habe.  Wilhelm  war  der  Ansicht,  daß  hiermit  eine  spätere 
Einnahme  von  Thasos  gemeint  sei ;  doch  zeigt  F.  mit  einleuchtenden 
Gründen,  daß  es  auf  jene  Einnahme  408/7  geht,  und  setzt  deshalb 
das  Dekret  für  die  Thasier  auf  402,  was  ungefähr  der  Wahrheit 
entsprechen  dürfte. 

Unmittelbar  nach  dem  großen  Kriege  folgte  der  Zug  des 
Kyros,  der  Griechenland  vor  allem  den  Dienst  erwies,  daß  die 


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Thomas  Lensthau. 


plötzlich  beschäftigungslos  gewordenen  Söldnermengen  zum  großen 
Teil  in  eine  auswärtige  Unternehmung  verwickelt  und  dadurch  un- 
schädlich gemacht  wurden.    Nicht  die  Expedition  selbst,  wohl  aber 
die  Umstände,  unter  denen  sie  erfolgte,  die  treibenden  Kräfte  nnd 
die  Hauptpersonen  hat  Cousin  in  seinem  umfänglichen  Werke  be- 
handelt.   Für  unsere  Kenntnis  von  dem  Verlauf  des  Zuges  ist  es 
von  großer  Wichtigkeit,  daß  C.  bis  Thapsakos  am  Euphrat  der  Route 
der  10  000  gefolgt  ist  und  seine  Beobachtungen  dabei  in  ein  Reise- 
journal eingetragen  hat,  das  den  zweiten  Teil  seines  Buches  bildet. 
Über  die  Tendenz  des  Buches  und  die  scharfe  Kritik,  die  der  Vf. 
an  Kyros  und  Xenophon  übt,  ist  schon  oben  gesprochen  worden. 
Nicht  viel  besser  kommen  die  Griechen  weg,  die  als  ein  zuchtloser 
Söldnerhaufe   erscheinen,   und   deren  Führer,   Klearch  nicht  aus- 
genommen, wenig  mehr  als  gute  Offiziere,  jedenfalls  keine  Feldherren 
waren.    Immerhin  bietet  das  den  Söldnern  gewidmete  Kapitel  des 
ersten  Teiles  eine  Menge  wertvoller  Einzelheiten ;  u.  a.  weist  der 
Verfasser  nach ,  daß  der  Sold  der  Kyreer  keineswegs  hoch  war,  und 
erklärt  dies  auch  ganz  richtig  durch  das  massenhafte  Angebot  ,  das 
nach  dem  Ende  des  großen  Krieges  eintrat.    Sehr  viel  mehr  Licht 
fällt  auf  die  Asiaten,  wie  denn  C.  geflissentlich  die  Perser  zu  heben 
sucht.  Gegen  ihn  hat  Frl.  Pancritius  die  Verteidigung  der  alten 
Ansicht  nicht  ohne  Glück  an  einzelnen  Stellen  unternommen.  Am 
wichtigsten  scheint  mir  das  Kapitel,  das  sie  den  Uberlieferten  Zahlen 
gewidmet  hat.    Sie  weist  hier  nach,  daß  man  in  Vorderasien  schon 
von  der  assyrischen  Zeit  her,  wie  die  Keilinschriften  beweisen,  mit 
der  Bewegung  gewaltiger  Heeresmassen  durchaus  vertraut  war,  dali 
also  auch  wahrscheinlich  für  die  Verpflegung  der  Massen  in  besserer 
Weise  gesorgt  war,  als  es  unsere  Überlieferung  erkennen  läßt.  Nun 
wird  niemand  —  auch  Frl.  P.  tut  das  nicht  —  die  riesigen  Zahlen 
des  königlichen  Heeres  in  der  Schlacht  von  Kunaxa  (900  000!)  für 
bare  Münze  nehmen;  aber  derartige  Tatsachen  sind  doch  sehr  ge- 
eignet, der  seit  Delbrück  und  durch  ihn  in  Mode  gekommenen  Unter- 
schätzung antiker  Zahlenangaben  entgegenzuwirken.  Auch  die  Angabe, 
daß  das  asiatische  Heer  100  000  betragen  habe,  kann,  obwohl  sicher 
übertrieben  (vgl.  die  lehrreiche  Anm.  2  auf  S.  28),  doch  nicht  so 
ganz  verkehrt  sein,  daß  man  mit  Meyer  das  asiatische  Heer  nicht  viel 
stärker  als  das  griechische  ansetzen  dürfte;  Xen.  hat  doch  beide 
zusammen   manövrieren   sehen.    Übrigens    bleiben   im  Verlauf  der 
Schlacht   selber,   dem  Frl.  P.   ein   Hauptinteresse  entgegenbringt, 
noch  manche  dunklen  Punkte,  von  denen  sie  einige,  z.  B.  das  Ver- 
schwinden der  Heeresmassen  des  Königs  nach  der  Schlacht,  ganz 


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Jahresbericht  über  griechische  Geschichte  (1903—1906).  127 

plausibel  erklärt.  Sicher  ist  nur  das  eine,  daß  die  Schuld  an  der 
Niederlage  in  erster  Linie  Klearchos  trifft. 

Nicht  lange  nach  dem  Ausbruch  des  spartanisch-persischen 
Krieges,  der  durch  Spartas  Hilfeleistung  an  Kyros  hervorgerufen  war, 
beginnt  mit  dem  korinthischen  Kriege  die  lange  Reihe  der 
Kämpfe,  die  endlich  mit  dem  Untergang  der  griechischen  Freiheit 
bei  Chaironeia  endete.  Um  die  einzelnen  Ereignisse  richtig  beurteilen 
zu  können,  ist  es  nötig,  einen  möglichst  deutlichen  Begriff  von  den 
Machtmitteln  der  um  die  Vorherrschaft  ringenden  Staaten  zu  be- 
kommen, und  nach  dieser  Seite  haben  K rom ay  ers  Untersuchungen 
aufklärend  gewirkt,  auch  dadurch,  daß  sie  die  Gegenschriften  von 
Bei  och  und  Busolt  hervorgerufen  haben.  Kr.  geht  von  dem 
Grundsatz  aus,  daß  auch  die  Angaben  späterer,  aber  auf  zeitgenössische 
Quellen  zurückgehender  Schriftsteller,  wenn  nicht  absichtliche  Über- 
treibung vorliegt,  durchaus  verwertbar  sind,  da  bei  der  Kleinheit  und 
Übersichtlichkeit  der  griechischen  Verhältnisse  eine  starke  Verzeichnung 
sofort,  von  den  Zeitgenossen  bemerkt  worden  Märe.  Darin  stimmt 
ihm  auch  Beloch  zu,  jedoch  mit  der  Einschränkung,  daß  nicht  immer 
die  wirkliche  Truppenzahl,  sondern  öfters  nur  die  Sollstärke  angegeben 
wird.  Was  nun  Athen  und  Theben  betrifft  ,  so  erinnert  Kr.  daran, 
daß  ihre  Streitkräfte  an  Hopliten  etwa  als  gleich  galten,  und  be- 
rechnet alsdann  für  das  Zweidrittelaufgebot  Athens  in  den  Jahrgängen 
20 — 40  eine  das  ganze  Jahrhundert  hindurch  sich  so  ziemlich  gleich- 
bleibende Stärke  von  5 — 6000  Mann.  Das  würde  einem  ^av5>jjAei- 
Aufgebot  (20.— 50.  Jahrgang)  von  10  000  und  einer  Gesamtzahl  aller 
zur  Verfügung  stehenden  Hopliten  (18.— 60.  Lebensjahr)  von  13  000 
entsprechen,  so  daß  also  die  Angaben  Diodors  bei  einzelnen  Auszügen 
der  Athener  mit  10 — 12  000  Mann  durchaus  nicht  außerhalb  aller 
Wahrscheinlichkeit  liegen.  Demgemäß  berechnet  Kr.  weiter  das  volle 
Aufgebot  für  Theben  allein  auf  4500,  für  Ostbocotien  auf  7000,  für 
Samtboeotien  auf  rund  10  000  Mann.  Dabei  bilden  immer  die  Grund- 
lage der  Berechnungen  Xenophons  Angaben  über  die  Streitkräfte  in 
der  Schlacht  am  Nemeabach  (394),  wo  Kr.  durchweg  Zweidrittel- 
aufgebote der  Jahrgänge  20—40  ansetzt.  Indem  Beloch  das  bestreitet 
und  durchweg  Aufgebote  von  20—50  Jahren  annimmt,  gelangt  er  für 
Boiotien  und  Athen  zu  wesentlich  geringeren  Zahlen  (rund  7—8000 
Mann  für  das  Gesamtaufgebot  der  Jahrgänge  20—50).  Natürlich  ist 
die  Frage  nicht  zu  entscheiden;  wir  wissen  eben  nicht,  ob  am 
Nemeabach  die  Mannschaften  bis  zum  40.  oder  bis  zum  50.  Jahre 
aufgeboten  waren.  Dennoch  möchte  ich  mich,  vor  allem,  was  die 
Verwertung    für    die    Bevölkerungsstatistik    betrifft,    für  Belochs 


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128  Thomas  Lenschau. 

geringere  Zahlen  erklären;  für  mich  unterliegt  es  keinem  Zweifel, 
daß  die  meisten  Staaten,  sicherlich  Athen,  im  Laufe  dieser 
Zeit  mehr  and  mehr  die  Söldnerwirtschaft  anfingen ,  und  daß  mithin 
ihre  Truppen  nur  noch  zum  Teil  aus  Bürgeraufgeboten  bestanden. 
Sonst  wäre  es  völlig  unerklärlich,  wo  plötzlich  die  riesigen  Söldner- 
massen herkamen,  mit  denen  Philomelos  seine  Tyrannis  begründete, 
alle  kann  das  Ende  des  großen  Satrapenaufstandes  auch  nicht  ge- 
liefert haben. 

Auf  den  so  gewonnenen  Zahlen  für  Athen  und  Boiotien  fußend, 
kommt  nun  Krom.  zu  dem  Schlüsse,  daß  Spartas  Heerbann  nicht 
wesentlich  geringer  gewesen  sein  kann,  und  da  die  beiden  einzigen 
uns  erhaltenen  genauen  Angaben,  Thuk.  über  die  Schlacht  bei 
Mantineia  und  Xen.  mit  Bezug  auf  Leuktra.  viel  geringere  Zahlen 
ergeben,  so  folgert  er  weiter,  daß  es  sich  in  beiden  Fällen  nur  um 
das  stadtspartanische  Aufgebot  gehandelt  habe,  in  dem  Spartiaten  und 
Priöken  zusammenstanden,  daß  aber  daneben  noch  gesonderte  Truppen- 
körper von  Neodamodcn  und  Periöken  vorhanden  gewesen  sein  müssen. 
Hiervon  weiß  allerdings  die  Überlieferung  nichts,  die  nur  für  Plataiai 
gesonderte  Periökenkontingentc  kennt.  —  Gegen  diese  Ausführungen 
Kr.s  wendet  sich  Busolt,  der  in  dem  Aufgebot  von  418  tatsächlich 
den  gesamten  Heerbann  Spartas  bis  zum  53.  Jahre  sieht  und  danach 
eine  Gesamtzahl  von  4500  mit  Einschluß  der  höheren  Offiziere  be- 
rechnet, die  alle  Dienstpflichtigen  vom  18.  bis  60.  Lebensjahr  umfaßt; 
das  Verhältnis  der  Spartiaten  zu  den  Periöken  in  den  Lochen  schätzt 
er  damals  auf  2  :  3.  Allein  im  Verlauf  des  4.  Jahrhunderts  ver- 
schlechtert sich  dies  Verhältnis  zusehends,  so  daß  es  bei  Leuktra  nur 
noch  1:5  ist ,  was  mit  der  stärkeren  Anspannung  der  Spartaner 
durch  die  Pflichten  der  Hegemonie  und  mit  Verlusten  im  korinthischen 
Kriege  zusammenhängt.  Dieses  Zusammenschmelzen  ist  auch  der 
eigentliche  Beweggrund  für  die  Heeresreform,  die  an  Stelle  der  sieben 
Lochen  die  sechs  Moren  setzte,  und  deren  schrittweise  Durchführung 
Busolt  darlegt.  Umgekehrt  hält  Beloch  an  der  Identität  des  sparta- 
nischen Heerwesens  bei  Mantineia  und  Leuktra  fest,  berechnet  aber 
die  Zahl  von  Mantineia  etwas  günstiger  (5200—5700  mit  Einschlufi  der 
Skiriten):  dieses  soll  im  wesentlichen  die  Streitkraft  der  Spartaner 
geblieben  sein.  Ziemlich  gleich  schätzen  Krom.  und  Beloch  die  Streit- 
kräfte des  peloponnesischen  Bundes  auf  Grund  der  Organisation  in 
10  Armeekorps;  nur  bei  Korinth  gibt  Krom.  höhere  Zahlen,  aber 
wohl  mit  Unrecht. 

Doch  berücksichtigen  diese  Berechnungen  für  eine  Reihe  von  Staaten 
nur  den  einen  Machtfaktor,  da  diese  zugleich  noch  über  eine  Flotte 


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Jahresbericht  über  griechische  Geschichte  (1903-1906).  129 

verfügten,  und  unter  ihnen  ist  natürlich  weitaus  die  bedeutendste  die 
athenische,  die  sich  nach  der  Niederlage  von  404  verhältnismäßig 
rasch  erholt  hat.  Der  früheren  Ansicht  Böckhs,  der  schon  im  Jahre 
der  Gründung  des  Seebundes  eine  ansehnliche  Flotte  annahm,  war 
seinerseits  Köhler  mit  der  Behauptung  entgegengetreten,  damals  habe 
Athen  nur  etwa  100  Schiffe  gehabt,  und  Keil  hat  ihm  noch  im  Anon. 
Arg.  S.  205  zugestimmt.  Beide  sind  indessen  durch  den  Aufsatz  von 
Kolbe  widerlegt,  der  auch  sonst  viel  Interessantes  über  die  attische 
Marine  in  damaliger  Zeit  enthält,  so  z.  B.  über  die  Dauer  der  Dienst- 
tüchtigkeit bei  den  Trieren,  die  er  auf  etwa  20  Jahre  veranschlagt. 
Vielmehr  muß  schon  im  Jahre  des  Nausinikos  der  Schiffsbestand  be- 
trächtlich gewesen  sein;  357/6  waren  es  mindestens  283,  vielleicht 
383  (CIA.  II,  793,  Keil  a.  a.  0.);  im  Jahre  353/2  zählte  die  Flotte 
349  Trieren.  Doch  gilt  noch  immer  das  Wort  Köhlers:  „Das  Ver- 
hängnis Athens  wollte  es,  daß,  während  das  Flottenmaterial  beständig 
„wuchs,  sich  das  persönliche  und  die  Handhabung  der  Marinegesetze, 
„wie  dies  aus  den  Urkunden  und  den  Angaben  der  Redner  hervor- 
geht, in  umgekehrter  Progression  zunehmend  verschlechterte.  Durch 
n  dieses  Mißverhältnis  ist  es  möglich  geworden,  daß  um  die  Mitte  des 
„4.  Jahrhunderts  im  ägäischen  Meere  neben  der  athenischen  eine 
„zweite  Seemacht  in  der  makedonischen  aufkommen  konnte,  die  vom 
„ersten  Tage  ihres  Bestehens  an  gegen  Athen  gerichtet  war."  Der 
Tag  von  Amorgos  hat  darüber  entschieden,  wem  die  Seegewalt  im 
ägäischen  Meere  gehörte. 

Das  waren  etwa  die  Kriegsmittel  der  Staaten ,  die  im  Sommer 
395  den  verderblichen  korinthischen  Krieg  begannen,  dessen  Ausgang 
den  Perserkönig  zum  ausschlaggebenden  Faktor  in  der  griechischen 
Politik  machen  sollte.  In  der  Chronologie  des  Krieges  ist  manches 
kontrovers,  da  fast  die  einzige  Quelle,  Xenophon  in  der  griechischen 
Geschichte,  nur  bei  den  Landoperationen  einigermaßen  die  Jahres- 
abschnitte erkennen  läßt;  hier  stimmen  denn  auch  die  Ansätze  Loh  ses 
mit  Ed.  Meyer  ziemlich  überein.  Doch  verlegt  er  im  Anschluß  an  eine 
Notiz  des  Aristides,  wonach  zwischen  den  beiden  Schlachten  am 
Nemeabach  und  bei  Lechaion  das  Jahr  des  Eubulides  lag  (394/3),  dies 
letzte  Ereignis  in  den  Spätsommer  393  und  nimmt  eine  zweimalige 
Eroberung  Lechaions  durch  die  Spartaner  an,  was  wohl  richtig  ist. 
Schwieriger  ist  es,  die  Ereignisse  des  Seekrieges  auf  die  einzelnen 
Jahre  zu  verteilen,  zumal  L.  aus  der  von  Beloch  für  den  Krieg  auf- 
gestellten Nauarchenliste  drei  Namen  (Podanemos,  Teleutias  I. ,  Te- 
leutias  II.)  ausscheidet,  da  sie  von  Xen.  nie  als  Admirale  bezeichnet 
werden  (S.  54).    Seinerseits  versucht  nun  L.  die  Wegnahme  des 

Jahresbericht  für  Alt«rtumswigB<>n8cliaft.    Bd.  CXXXV.  9 


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130 


Thomas  Lenschau. 


athenischen  Hilfsgeschwaders  für  Euagoras  auf  Winteranfang  390  zu 
fixieren  (Hell.  IV  8.  24).  Aus  einer  genauen  Bestimmung  der  Er- 
eignisse vor  Olynth  und  Phleius  gewinnt  er  als  Ansatz  für  Isokrates 
Panegyrikos  Spätherbst  380 ;  da  nun  damals  der  Krieg  in  Kypros  noch 
nicht  zu  Ende  war,  so  kann  er  bei  der  überlieferten  zehnjährigen 
Dauer  nicht  vor  Winteranfang  390  begonnen  haben,  und  somit  fällt 
die  Entsendung  dieses  Geschwaders,  das  Teleutias  abfing,  nicht  vor 
diesen  Zeitpunkt.  Viel  weniger  glücklich  ist  L.  auf  S.  58  f.,  wo  er 
zu  erweisen  sucht,  daß  sie  auch  nicht  lange  nachher  erfolgt  sein  kann; 
Meyers  Ansatz  (Frühjahr  389)  ist  ebenfalls  einwandfrei.  Im  übrigen 
kann  man  L.s  Verteilung  der  Ereignisse  (S.  79)  billigen;  nur  wird 
Thrasybuls  Tod  schwerlich  schon  388  fallen.  Denn  mit  diesem  Er- 
eignis brachen  alle  vorher  erzielten  Erfolge  zusammen,  und  die 
Hoffnungen,  denen  Aristophanes  im  „Plutos"  (Frühjahr  388)  Ausdruck 
gab,  wären  sehr  wenig  begründet  gewesen. 

Die  durch  den  Königsfrieden  gefestigte  Macht  Spartas  erlitt  ihren 
ersten  Stoß  durch  die  Begründung  des  zweiten  athenischen 
Seehundes,  dessen  Spitze ,  wie  das  Aristoteles-Dekret  in  seinen 
Eingangsworten  zeigt,  direkt  gegen  Sparta  gerichtet  war.  Allerdings 
gibt  es  Spuren  einer  sohon  früher  geschlossenen  Vereinigung,  der 
Byzanz,  Knidos,  Rhodos,  Samos,  Jasos,  Ephesos  angehört  haben:  es 
sind  das  die  Bundesmtinzen  dieser  Städte  mit  der  Inschrift  2VN,  von 
denen  Regling  gehandelt  hat.    Doch  scheint  dieser  Bund  in  den 
großen  attischen  Seebund  aufgegangen  zu  sein,  über  den  kürzlich 
Marshall  eine  zusammenfassende  Arbeit  geliefert  hat.    Schon  die 
staatsrechtlichen  Grundlagen  des  Bundes  sind  nicht  völlig  klar;  so 
hat  bekanntlich  Lipsius  darauf  aufmerksam  gemacht,  daß  die  Auf- 
nahme neuer  Mitglieder  nur  durch  Athen  möglich  gewesen  sei ,  und 
hieraus  auf  ein  Übergewicht  Athens  gleich  beim  Beginn  geschlossen. 
M.  gibt  das  Faktum  zu,  leugnet  aber  die  Notwendigkeit  des  Schlusses : 
gerade  in  der  Gleichberechtigung  der  Mitglieder  und  allerdings  auch 
in  der  Repräsentativverfassung  erkennt  er  die  Grundgedanken,  die  in 
diesem  zweiten  Seebund  einen  wesentlichen  Fortschritt  nach  dem  Ziel 
wirklicher  Föderation  erkennen  lassen,  wie  sie  dann  in  den  großen 
Bünden  des  3.  Jahrhunderts  zutage  tritt.    Allerdings  i.st  die  Ent- 
wicklung dieser  Grundgedanken  dadurch  vereitelt  worden,  daß  Athen 
mit  allen  Mitteln  danach  strebte,  wieder  die  herrschende  Stadt  zu 
werden ,  was  von  Lipsius  zweifellos  richtig  hervorgehoben  wird  und 
besonders    in    rechtlicher   Hinsicht   zu   erkennen   ist.  Überhaupt 
würde  —  darin  ist  M.  recht  zu  geben  —  eine  stärkere  Ausgestaltung 
des  gemeinsamen  Gerichtshofes  eine  einigende  Wirkung  hervorgebracht 


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Jahresbericht  über  griechische  Geschichte  (1903—1906).  131 

haben ;  allein  die  Unerfahrenheit  der  Griechen  in  der  Art  der  Wirkung 
war  noch  so  groß,  daß  man  einen  Fall,  in  dem  die  beiden  theoretisch 
gleichberechtigten  Faktoren,  das  Synedrion  und  der  Demos  von  Athen 
einmal  verschiedener  Ansicht  sein  könnten,  gar  nicht  in  Betracht 
gezogen  hatte  (Marshall  p.  82).  Somit  trug  der  Bund  den  Keim  der 
Auflösung  bereits  in  sich,  und  dazu  kamen  als  schlimmstes  Übel  die 
finanziellen  Verlegenheiten,  die  von  Anfang  an  auch  in  der  glänzenden 
ersten  Periode  von  377/6  bis  371  sich  in  der  drückendsten  Weise 
fühlbar  machten  (Marsh.  75  ff.).  Natürlich  steigerte  sich  dieses 
Finanzelend  in  der  mittleren  Periode  des  Bundes,  die  M.  bis  zum 
Ausbruch  des  Bundesgenossenkrieges  357  rechnet.  In  dem  Augenblick, 
wo  Sparta  aufhörte  furchtbar  zu  sein,  fiel  die  Notwendigkeit  der 
ouvtaSst?  für  die  meisten  Bundesgenossen  einfach  fort,  und  die  Geld- 
verlegenheiten wurden  chronisch.  Wie  sich  einzelne  Bundesgliedcr 
ihren  Pflichten  zu  entziehen  wußten  und  anderweit  Anschluß  suchten, 
zeigt  die  oben  erwähnte  Inschrift  von  Karystos  (Eph.  arch.  1905, 1 — 31). 

Die  Schlacht  von  Leuktra  hat  die  Gruppierung  der  griechischen 
Staaten  von  Grund  aus  verändert,  die  fortan  nicht  mehr  von  dem  Gegen- 
satz Athen/Sparta  beherrscht  wird :  beide  Staaten  sind  vielmehr  gegen 
die  neuen  Gewalten,  die  sich  geltend  machen,  verbündet.  Da  man 
auch  für  diese  Zeit  noch  immer  auf  Xen  angewiesen  ist,  so  liegt 
auch  hier  die  C  hronologie  im  argen,  und  gegen  die  hergebrachte, 
auf  Sievers  zurückgehende  Verteilung  der  Ereignisse  hat  sich  Niese 
gewandt,  dessen  Ansätze  von  Lohse  und  Marshall  im  wesentlichen 
angenommen  werden.  N.  kehrt  zur  alten  Clintonschen  Chronologie 
zurück  und  setzt  Epaminondas  ersten  Zug  nach  dem  Peloponnes 
ins  Jahr  370  69.  seinen  Prozeß  unmittelbar  hinterher  und  368  den 
zweiten  Zug;  gleichzeitig  greift  Pelopidas  in  Thessalien  ein.  367 
fällt  dann  die  Gefangennahme  des  Pelopidas  und  der  zweimalige 
Zug  zu  seiner  Befreiung,  ebenso  Dionys'  zweite  Hilfssendung  und  sein 
Tod,  der  erst  im  Sommer  erfolgte,  entgegen  Diodors  Notiz,  der  ihn 
bald  nach  den  attischen  Lenaien ,  also  im  Frühjahr,  sterben  läßt. 
Gegen  N.  halten  Meyer  und  Swoboda  an  der  alten  Sieversschen 
Ansicht  fest.  Danach  fällt  Ep.  zweiter  Zug  und  Pelopidas  erstes  Ein- 
greifen in  Thessalien  noch  ins  Jahr  369 ,  im  folgenden  Jahre  368 
erfolgt  Pel.s  Gefangennahme  und  Dionys'  zweite  Sendung,  867  Pelo- 
pidas Befreiung  und  Tod  des  Dionys  (Frühjahr  367).  Nur  darin 
differieren  beide,  daß  Meyer  den  Prozeß  ans  Ende  des  zweiten, 
Swoboda  an  das  des  ersten  Zuges  legt.  —  Die  Sache  ist  noch  nicht 
völlig  geklärt,  so  viel  aber  wird  man  Niese  zugeben  müssen :  Sind  die 
Angaben  Xen.  Hell.  4.  4.  34  über  die  thessalischen  Ereignisse  richtig, 

9* 


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132 


Thomas  Lenschau. 


so  können  die  Thebaner  kaum  vor  368  in  Thessalien  unter  Pelopidas 
eingegriffen  haben.  Aber  gegen  ihn  spricht  die  zweimalige  Entsendung 
eines  sizilischen  Hilfskorps,  die  369  und  368  anzusetzen  ist.  N.  aller- 
dings nimmt  368  und  367  an;  da  aber  der  Tyrann  im  Frühjahr  starb, 
so  müßte  die  Sendung  wirklich  sehr  früh,  fast  zum  Ausgang  des 
Winters,  von  Syrakus  abgefahren  sein.  Um  dieser  Unwahrscheinlich- 
keit  zu  entgehen,  sucht  Niese  den  Tod  des  Dionys  tiefer  in  den 
Sommer  hinabzurücken,  indem  er  den  bei  Diod.  gegebenen  Zusammen- 
hang für  unglaubwürdig  erklärt ;  allein  wenn  irgendwo,  so  beruht  hier 
Diodor  auf  Timaios,  und  bei  einem  so  wichtigen  Ereignis,  wie  es  der 
Tod  des  großen  Dionys  war,  wird  die  Zeit  doch  wohl  genau  chrono- 
logisch festgestanden  haben.  Wenn  Lohse  einwendet,  368  habe 
Dionys  alle  seine  Kräfte  für  den  bevorstehenden  Karthagerkrieg 
gebraucht,  so  ist  dagegen  zu  erwidern,  daß  der  sizilische  Führer,  wie 
sich  aus  Xen.  ergibt,  in  betreff  des  Zeitpunktes  seiner  Rückkehr  sehr 
bestimmte  Ordre  hatte,  und  daß  dieser  Zeitpunkt  den  Spartanern  sehr 
unerwartet  kam ;  er  lag  also  sehr  früh ,  und  Dionys  wollte  seine 
Truppen  noch  zeitig  genug  für  den  Karthagerkrieg  zurück  haben. 

Kurze  Zeit  nach  diesen  Ereignissen  entstanden  heftige  Kämpfe 
in  Delphi  zwischen  der  thebanerfreundlichen  Mehrheit  und  der 
phokierfreundlichen  Minderheit,  die  mit  der  Verbannung  der  Partei- 
gänger der  Phokier  auf  der  Frühjahrspylaia  363  endeten ,  wie  die? 
Pomtow  erwiesen  hat.  An  der  Spitze  der  Verbannten,  die  in  Athen 
Aufnahme  fanden,  stand  Astykrates;  wir  besitzen  noch  das  Ehren- 
dekret für  ihn  und  seine  Genossen  CIA.  II,  54.  Auch  eine  ganze 
Reihe  früher  von  Homolle  (BCH.  23,  517  ff.,  25,  104  ff.)  veröffent- 
lichter Inschriften  werden  von  Pomtow  mit  diesen  Vorgängen  in 
Verbindung  gebracht;  ebenso  die  Weigerung  der  Phokier,  den 
Thebanern  im  Frühjahr  362  Heeresfolge  in  den  Peloponnes  zu  leisten 
Den  weiteren  Verlauf  der  Angelegenheit,  die  erst  330  zur  Ruhe  kam. 
hat  Pomtow  in  dem  zweiten  Aufsatz  dargelegt ;  ihre  Bedeutung  beruht 
darin,  daß  wir  hier  offenbar  die  Vorgänge  vor  uns  haben,  die  am 
letzten  Ende  den  Ausbruch  des  heiligen  Krieges  herbeiführten. 

An  die  Katastrophe  von  Mantineia  knüpft  sich  eine  sehr 
lebhafte  Kontroverse,  die  durch  Kromayers  eingehende  Behandlung 
des  ganzen  Feldzuges  und  seine  Charakteristik  des  Epaminondas  als 
Vertreters  der  Niederwerfungsstrategie  hervorgerufen  ist  (vgl.  vor. 
Ber.  S.  245»  ff.).  Kr.  hatte  im  Gegensatz  zu  Delbrück  außer  Xen. 
auch  noch  Diodors  Bericht  über  die  Schlacht  von  Mantineia  heran- 
gezogen, der  nach  seiner  Ansicht  zur  Aufhellung  der  Vorgänge  auf  dem 
linken  athenischen  Flügel  der  Verbündeten  beitragen  konnte.  Gegen 


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Jahresbericht  über  griechische  Geschichte  (1908— 1906).  133 

die  ganze  Forschungsmethode  richtete  zunächst  Delbrück  einen  sehr 
scharfen ,  aber  ziemlich  allgemein  gehaltenen  Artikel  in  den  Preuß. 
Jahrbüchern,  der  von  Kroni.  ebenso  scharf  zurückgewiesen  ward, 
ohne  daß  bei  dem  Streit  etwas  Wesentliches  herauskam.    Erst  Del- 
brücks Schüler  G.  Roloff  wandte  sich  der  Sache  selber  zu,  indem 
er  zunächst  die  strategischen  Probleme  einer  Betrachtung  unterzog 
und  zu  dem  Schlüsse  kam,  daß  von  einer  Niederwerfungsstrategie 
bei  Epaminondas  keine  Rede  sei  und  auch  deshalb  nicht  sein  könne, 
da  die  Kräfte  des  thebanischen  Feldherrn  dazu  gar  nicht  ausgereicht 
hätten.   In  taktischer  Hinsicht  betonte  Roloff  besonders,  daß  Epami- 
nondas' Neuerung  in  der  Verstärkung  des  linken  Flügels  lag,  was 
Kr.  in  Abrede  gestellt  hatte,  da  nach  ihm  jeweils  die  Umstände  darüber 
entschieden,  ob  der  linke  oder  der  rechte  Flügel  zu  verstärken  sei; 
im  übrigen  beschränkte  sich  R.  darauf,  die  bekannte  Theorie  Delbrücks 
vom  Rechtsziehen  der  Schlachtrcihen  in  den  alten  Frontschlachten 
weiter  auszuführen.    Diese  wird  von  Krom.  in  seiner  ausführlichen 
Anzeige  der  Roloffschen  Schrift  (BphW.  1904  S.  981—96)  mit  Recht 
als  übertrieben  und  in  den  Quellen  nicht  hinlänglich  begründet  an- 
gesehen ;  auch  verteidigt  er  seine  Auffassung  des  Epaminondas  gegen 
Roloff,  der  indes  Epaminondas'  numerische  Schwäche  vor  der  Schlacht 
bei  M.  unzweifelhaft  richtig  erkannt  hat.  Rein  vom  taktischen  Stand- 
punkt bespricht  Edm.  Lamme  rt  die  Schlacht  ebenfalls  in  scharfem 
Gegensatz  gegen  Krom.    Indessen  ist  ein  Teil  seiner  Aufstellungen 
durch  Krom.  (Wien.  Stud.)  widerlegt ,  der  nun  aber  seinerseits  Ge- 
legenheit genommen  hat,  seine  Ansichten  zu  revidieren,  und  dadurch 
zu  einer  wesentlich  neuen  Auffassung  gekommen  ist:  es  war  keine 
reguläre  Schlacht  mit  Offensiv-  und  Defensivflügel,  sondern  Epami- 
nondas hatte  das  ganze  Heer  zu  einer  einzigen  Durchbruchskoloune 
formiert,  die  links  durch  die  Reiterei,  rechts  durch  detachierte  Truppen 
in  der  Flanke  gedeckt  war.   Es  läßt  sich  nicht  leugnen,  daß  dadurch 
einige  Schwierigkeiten  der  früheren  Ansicht  Kr.s  fortfallen.   Die  Ab- 
handlung Werenkas  habe  ich  leider  nicht  einsehen  können. 

In  die  Zeit  des  planlosen  Hin-  und  Herzerrens  zwischen  den 
griechischen  Staaten,  das  auf  den  Tod  des  Epaminondas  folgte,  ge- 
hören die  Kämpfe  Athens  mit  König  Kotys  I.  um  den  Chersones,  die 
Strazzulla  behandelt  hat.  Einige  Irrtümer,  die  ihm  dabei  unter- 
gelaufen sind,  hat  der  kürzlich  verstorbene  Hoeck  hervorgehoben; 
insbesondere  hat  er  gezeigt,  daß  Kotys  aus  Privatrache  ermordet 
ward ;  die  Ansicht  Strazzullas,  wonach  die  Mörder  den  Tod  von  Kotys' 
Vater  Seuthes  rächten,  beruht  auf  Mißverständnis  einer  Stelle  von 
Ar.  Politik.  Soweit  Athens  Politik  in  diesen  Jahren  in  Frage  kommt, 


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134 


Thomas  Lensihau. 


ist  auch  Marsballs  Darstellung  heranzuziehen,  der  mit  Recht  den 
Mangel  an  Nachrichten  aus  dieser  Zeit  beklagt.  Erst  mit  Philipps 
Anfängen  und  dem  Beginn  des  heiligen  Krieges  erfahren  wir 
wieder  mehr;  Philomelos  hat  gleich  nach  seiner  Erhebung  Astykrates 
und  die  Seinen  zurückgerufen,  die  Gegenpartei  der  Thrakiden  ihrer 
Macht  beraubt  und  eine  durchaus  geordnete  Verwaltung  auch  des 
Tempels  eingeführt,  wofür  P  o  m  t  o  w  sehr  interessante  Beweise  gibt. 
Dasselbe  haben  auch  Onomarchos  und  Phayllos  aufrechtzuerhalten 
versucht;  sofort  nach  ihrem  Antritt  haben  sie  die  Zahlungen  an  die 
Naopoioi  wieder  aufgenommen,  offenbar,  um  zu  zeigen,  daß  sich 
Phokis  als  Vormacht  Delphis  keiner  Pflichtverletzung  schuldig  gemacht 
habe.  Was  den  Verlauf  des  Krieges  betrifft,  so  scheinen  die  beiden 
Niederlagen  Philipps  gegen  Onomarchos,  die  kaum  sehr  schwer 
gewesen  sein  können,  in  das  Jahr  853,  seine  Siege  über  Phayllos 
und  die  Entscheidungsschlacht  gegen  Onomarchos  ins  Folgejahr  zu 
fallen  (Schub.  S.  60  f.).  Wie  stark  übrigens  die  Legendenbildung 
die  Überlieferung,  besonders  die  vom  Untergang  der  drei  Söldner- 
führer, Überwuchert  hat,  dafür  gibt  Schubert  S.  65  interessante  Belege. 
Weiteren  Aufschluß  über  einzelne  Ereignisse  dieser  Zeit  liefern  die 
Philochorusbruchstücke  des  Didymoskommentars ,  so  über  die  Ab- 
grenzung der  heiligen  Orgas  gegen  Megara  350/40 ,  über  die  hoch- 
fahrende Abfertigung  einer  persischen  Gesandtschaft  durch  die  Athener 
;J44'3 ,  wahrscheinlich  auf  Antrag  des  Androtion ,  der  dafür  später 
verbannt  ward,  über  den  Handstreich  Philipps  während  der  Belagerung 
von  Byzanz  340/39,  auf  den  sich  Dem.  18,  72  u.  139  beziehen, 
endlich  über  die  Rückforderung  Nikaias  durch  Philipp  339/8.  Sehr 
ausführlich  nach  verschiedenen  Quellen  ist  das  Ende  des  Hermias 
erzählt,  das  ins  Jahr  341  zu  setzen  ist. 

Auch  um  die  Aufhellung  der  letzten  Katastrophe,  die  dem 
makedonischen  König  die  Hegemonie  verliehen  hat,  der  Schlacht 
von  Chaironeia,  hat  sich  Kromayer  manches  Verdienst  erworben, 
besonders  durch  die  Erschließung  der  recht  komplizierten  Vor- 
geschichte. Dagegen  haben  seine  Aufstellungen  Über  die  Schlacht 
selber  ebenfalls  in  Holoff  und  Lammert  sehr  scharfe  Beurteiler  ge- 
funden; insonderheit  hat  man  das  Zurückweichen  der  Phalangiten  mit 
der  Front  nach  vom  auf  600  Schritt  Kromayer  als  eine  einfache 
Unmöglichkeit  stark  aufgemutzt.  Aber  ebensowenig  wahrscheinlich  ist, 
was  Lammert  will,  daß  die  antiken  Heere  auf  Flankendeckung  sehr 
wenig  bedacht  gewesen  sind.  An  Stelle  der  südnördlichen  Richtung 
quer  über  die  Ebene,  so  daß  sich  die  Flügel  an  Fluß  und  Gebirge 
anlehnen,  schlägt  er  eine  ostwestliche  Stellung  vor,  so  daß  die  Ver- 


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Jahresbericht  über  griechische  Geschichte  (1903-1906).  135 

bündeten  das  Gebirge,  Philipp  den  Fluß  im  Rücken  hatte.  Das  oben 
erwähnte  Manöver  des  Philipp  sucht  auch  L.  zu  erklären ;  allein  von 
dem  ursprünglichen  Wortlaut  bleibt  dabei  so  gut  wie  nichts  übrig. 
Im  übrigen  haben  sich  sämtliche  Vermutungen  Über  die  genaue  Lage 
des  Schlachtfeldes  als  verkehrt  erwiesen  durch  die  schöne  Entdeckung 
von  Georgios  Sotiriades,  der  den  Grabhügel  der  Makedonen 
wieder  aufgefunden  hat ,  in  dessen  Nähe  die  Schlacht  stattgefunden 
haben  muß.  Er  liegt  über  3  km  östlich  von  Chaironeia,  1120  m 
vom  nächsten  Punkt  des  Thuriongebirges ,  das  die  Ebene  südwärts 
begrenzt.  Hier  standen  die  beiden  Heere  einander  gegenüber,  das 
makedonische  im  Norden  etwa  vom  Hügel  hinüber  bis  zum  Keratapaß, 
das  griechische  südlich,  so  daß  die  Niederlage  sie  vom  Paß  bald 
abgedrängt  haben  muß.  Das  würde  zugleich  die  schweren  Verluste 
auf  verbündeter  Seite  erklären. 


Fünftes  Kapitel. 

Die  Begründung  des  Weltreichs  und  sein  Zerfall. 

336-301. 

Ausgrabungen  und  Inschriften. 

Delos.  Vgl.  die  Berichte  und  Inschriften  von  DUrrbach  und  Jarde  im  Bull. 
Corr.  Hell.  Bd.  27—30. 

Delphi.  Fouilles  de  Dolphes,  executres  aux  frais  du  Gouvernement  franyais 
sous  la  direction  de  M.  Theophile  Homolle.  Tome  II  Topographie  et 
Architecture.  Paris  1902.  Vgl.  dazu  die  fortlaufenden  Veröffent- 
lichungen der  Inschriften  in  BCH.  27—30  und  Pomtow,  Delphica  Berl. 
phil.  Woeh.  1906,  1165—1182. 

Priene.  Ergebnisse  der  Ausgrabungen  und  Untersuchungen  in  den  Jahren 
1895 — 98  von  Th.  Wiegand  und  Hans  Schräder  unter  Mitwirkung  von 

G.  Kummer,  W.  Wilberg,  H.  Winnefeld,  H.  Zahn.    Berlin  1904. 

— ,  Inschriften  v.  Priene,  unter  Mitwirkung  von  C.  Fredrich,  H.  v.  Prott, 

H.  Schräder,  Th.  Wiegand,  H.  Winnefeld,  herausgegeben  von  F.  Frhr. 
Hiller  v.  Gaertringen.   Berlin  1906. 

Dittenberger,  W.,  Orientis  graeci  inscriptiones  selectae.  Supplementum 
Sylloges  inscriptionum  graecarum.    Vol.  I  Leipz.  1903,  vol.  II  1905. 

Inscriptiones  Graecae.  vol.  XII.  Inscriptiones  insularum  Maris  Aegaei  praeter 
Delum  fa8c.  V.  1.  Inscriptiones  Cycladum  praeter  Tenum  ed.  Hiller 
v.  Gaertringen  1903.  fasc.  III.  Suppl.  Inscr.  Symes,  Teutlussae,  Calymnae 
Teli  Nisyri  Astypalaeae  Anaphes  Therae  et  Therasiae,  Pholegandri, 
Meli,  Cimoli  ed.  II.  v.  G.  1904. 


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Thomas  Lenschau. 


Ansbach,  F.,  de  Alexandri  Magni  expeditione  indica  III  Progr.  Duisburg 

im 

Beloch,  Jul.,  Griechische  Geschichte.  III.  Die  griechische  Weltherrschaft. 
Erste  Abt.   Straßburg  1904.   Zweite  Abt.  ebd.  1904. 

Bernoulli,  die  erhaltenen  Darstellungen  Alexanders  d.  Gr.  München  1905. 

Bevan,  E.  R.,  the  house  of  Seleucus  I.  II.   London  1902. 

Bouche*-Leclercq,  A.,  Histoire  des  Lagides  1. 1,  Les  cinq  premiers  Ptol^m£es. 
Paris  1903.  t.  II,  Decadence  et  fin  de  la  dynastie  1904.  t.  III,  Ad- 
ministration fasc.  1.  1906. 

Bulle,  der  Leichenwagen  AI.  d.  Gr.  Jahrh.  d.  Östr.  Arch.  Inst.  XXI,  57—73. 

Burrows,  Alexander  in  the  art.   London  1903. 

Gruhn,  A.,  die  Schlacht  von  Issos.   Jena  1905. 

Haussoullier,  Histoire  de  Milet  et  du  Didymeion.   Paris  1902. 

Hoffmann,  0.,  die  Makedonen,  ihre  Sprache  und  ihr  Volkstum.  Göttingen 
1906. 

Holleaux,  M.,  le  pretendu  traite  de  commerce  entre  les  Rhodiens  et  les 

Romains.   Me'langes  Perrot  1902,  p.  183—190. 
Jacoby,  F.,  die  Beisetzungen  AI.  d.  Gr.   Rh.  Mus.  58,  461/2. 
Janke,  F.,  Topographie  des  Schlachtfeldes  bei  Issos.   S.  B.  d.  Archaeol. 

Ges.  Mai  1903. 

— ,  die  Ergebnisse  einer  historisch-geogr.  Studienreise  in  Kleinasien.  Ztschr. 

d.  Ges.  für  Erdk.  Berlin  1904,  Heft  6,  7. 
— ,  auf  Alexanders  d.  Gr.  Pfaden  in  Kleinasien.   Berlin  1904. 
Keller,  E.,  Alexander  d.  Gr.  nach  der  Schlacht  von  Issos.  Diss.  Berl.  1904. 
Kirchner,  Joh.,   attische  Buleutenliste  von  335/4.    Mitt.  Arch.  Inst.  29, 

244—253 

Köhler,  A.,  Reichsverwaltung  und  Politik  Alexanders  d.  Gr.  Klio  V,  303—16. 
1905. 

Körte,  A.,  Anaximenes  v.  Lampsakos  als  Alexanderhistoriker.  Rh.  Mus.  61, 
476—480.  1906. 

Müller,  Gurt  F.,  der  Leichenwagen  Alex.  d.  Gr.   Diss.  Leipzig  1905. 
Nietzold,  W.,  die  Überlieferung  der  Diadochengeschichte  bis  zur  Schlacht 

v.  Ipsos.    Würzburger  Diss.   Dresden  1905. 
Petersen,  Eug.,  Der  Leichenwagen  Alex.  d.  Gr.   Neue  Jahrb.  f.  d.  kl.  Alt. 

1905,  698—710. 

Radet,  G.,  sur  un  point  de  l'itineraire  d'Alexandre  en  Lycie.  Rev.  Et.  Anc. 
1903,  1—10. 

Reuß,  F.,  der  Leichenwagen  Alex.  d.  Gr.   Rh.  M.  61,  408—413. 
Schreiber,  Theod.,  Studien  über  das  Bildnis  AI.  d.  Gr.   Abh.  Sachs.  Ges. 

Wiss.,  Phil.-hist.  Kl.  Bd.  21.    Leipzig  1903  (auch  separat). 
Schwartz,  Ed.,  Art.  Diodoros  in  PWRE. 
Smith,  Vincent  A.,  The  early  history  of  India.   Oxford  1904. 
Spieken,  der  Hof  und  die  Hofordnung  Alex.  d.  Gr.   Progr.  Stolp  1904  (mir 

nicht  erreichbar  gewesen). 
Tod,  M.  N. ,  an  unpublished  Attic  decree.  Annual  of  the  Brit.  School  at 

Athens  IX,  154—175. 
Ujfalvy,  le  type  physique  d'Alexandre  le  Gr.   Paris  1902. 
v.  Wilamowitz-Moellendorf,  der  Leichenwagen  Alex.  d.  Gr.   Jahrb.  Arch. 

Inst.  1905,  S.  103-108. 


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Jahresbericht  über  griechische  Geschichte  (1903—1906).  137 


Im  Verlauf  der  Geschichte  des  Hellenismus,  die  mit  Alexanders 
Übergang  nach  Asien  beginnt,  erscheint  die  Schlacht  bei  Ipsos  als 
ein  erster  natürlicher  Ruhepunkt,  insofern  ihr  Ausgang  endgültig  den 
Untergang  des  Reichsgedankens  besiegelt,  dessen  Träger  der  große 
König  und  nach  ihm  außer  Perdikkas  vor  allem  der  alte  Antigonos 
gewesen  sind.  Bis  zu  diesem  Zeitpunkt  „ist  das  Reich  Alexanders 
des  Großen  immer  noch  als  ein  Ganzes  anzusehen,  die  Teilungen 
waren  so  rasch  aufeinander  gefolgt,  daß  sich  feste  Territorien  mit 
sicheren  Grenzen  und  ausgeprägten  Eigenheiten  nicht  bilden  konnten ; 
jeder  der  neuen  Könige  hielt  sich  für  berechtigt,  nach  Vermögen  und 
Gelegenheit  seinen  Teil  zu  vergrößern,  ja  selbst  das  Ganze  in  An- 
spruch zu  nehmen"  (Niese  II,  S.  123).  Mit  dem  Ausgang  von  Ipsos 
ist  das  vorbei,  und  die  Einzelstaaten  beginnen  eine  Sonderexistenz 
zu  führen ,  indem  unter  der  allen  gemeinsamen ,  dünnen  griechischen 
Oberschicht  sich  die  Kräfte  der  unterworfenen  Völker  zu  regen  be- 
ginnen und  schließlich,  ihre  eigene  Natur  durchsetzend,  jene  Mibdi- 
kultur  erzeugen,  an  der  der  Orient  mindestens  den  gleichen  Anteil 
hat  wie  der  Hellenismus.  Dazu  aber  kommt  noch  ein  äußerer 
Grund,  aus  dem  es  sich  empfiehlt,  füf  diesen  Bericht  das  Jahr  801 
als  Schlußpunkt  der  ersten  Periode  des  Hellenismus  anzunehmen :  mit 
diesem  Jahre,  dem  des  Nikokles,  schließt  die  Erzählung  Diodors,  die 
bis  dahin  eine  zusammenhängende  Darstellung  und  ein  leidlich  zu- 
verlässiges chronologisches  Gerüst  bietet.  Von  nun  an  wird  unsere 
Kenntnis  so  lückenhaft  und  vor  allem  die  Chronologie  so  unsicher, 
daß  es  umfassender  Vorarbeiten  bedurft  hat,  um  hier  einen  einiger- 
maßen sicheren  Grund  zu  schaffen. 

Wenige  Perioden  der  griechischen  Geschichte  gibt  es,  in  denen 
das  Qucllenverhältnis  so  klar  vor  uns  liegt  wie  für  die  Zeit  Alexanders 
des  Großen.  Es  ist  nicht  anzunehmen,  daß  in  den  einmal  festgelegten 
Grundzügen  dieses  Verhältnisses  noch  eine  tiefgehende  Veränderung 
eintritt.  Auf  der  einen  Seite  steht  die  arrianische  Tradition,  die  zum 
größten  Teil  auf  Ptolemaios  und  Aristobulos  zurückgeht;  auf  der 
andern  die  sogenannte  Alexandervulgata,  die  nach  einer  alten  be- 
währten Hypothese  von  Kleitarchos  begründet  ist  und  für  uns  durch 
Diodor,  Justin  und  Curtius  repräsentiert  wird.  Einem  Teil  der 
Vulgata  ist  eine  alexanderfeindliche  Tendenz  eigen,  die  jedoch  nicht 
überall  in  gleichem  Sinne  hervortritt.  Im  übrigen  sind  beide  Ver- 
sionen nicht  streng  geschieden :  wie  Arrian  häufig  die  Vulgata  heran- 
zieht, so  ist  diese  mehrfach  nach  der  arrianischen  Version  durch- 
korrigiert  ,  so  daß  in  den  einzelnen  Quellen  häufig  Nachrichten  von 
sehr  verschiedener  Herkunft  und  verschiedenem  Werte  stehen.  Noch 


Thomas  Lenschau. 


nicht  völlig  geklärt  ist  die  Stellung  der  plutarchischen  Lebens- 
beschreibung Alexanders,  die  wohl  eine  besondere  Behandlung  Ter- 
dienen  würde.  Eine  kurze,  allgemeine  Ubersicht  der  Quellen  hat 
Beloch  im  Anfang  der  Exkurse  zu  seiner  Geschichte  des  Hellenismus 
gegeben. 

Wenn  sonach  die  Beschaffenheit  unserer  Quellen  es  erlaubt ,  im 
allgemeinen  eine  reinliche  Scheidung  der  Nachrichten  nach  Herkunft 
und  Wert  vorzunehmen,  so  ist  es  klar,  daß  der  Fortschritt  mehr  in 
der  Bestimmung  der  Stellung  einzelner  Schriftsteller  zur  Gesamt- 
überlieferung zu  suchen  ist,  und  dies  Geschäft  hat  für  Curtius 
Ruf us  Itüegg  mit  gutem  Erfolge  durchgeführt.  Nachdem  er 
Kleitarch  im  wesentlichen  eine  rein  panegyrische  Tendenz  zugewiesen 
hat,  gibt  er  eine  sehr  tüchtige  Darstellung  der  vernichtenden  Kritik, 
die  der  Trogus-Justin  zugrunde  liegende  Gewährsmann  an  Alexanders 
Taten  geübt  hat,  und  weist  alsdann  als  das  charakteristische  Merkmal 
des  Curtius  die  Vereinigung  beider  so  ganz  verschiedenen  Versionen 
nach.  Natürlich  ergab  sich  nur  eine  oberflächliche  Verkittung  mit 
rhetorischen  Übergängen  und  jene  schillernde,  aus  Widersprüchen 
zusammengesetzte  Beurteilung  der  Taten  Alexanders,  die  sich  bei 
Curtius  findet.  Dabei  tritt  das  rhetorisierende  Element  besonders 
in  der  schon  von  Schwartz  (Art.  Curtius  in  P.  W.  It.  E.)  betonten 
Hervorhebung  der  tox*]  hervor.  Schwieriger  dagegen  ist  es  zu  be- 
stimmen, woher  dieso  verschiedenen  Tendenzen  zuerst  in  die  Vulgata 
hineingekommen  sind ;  und  da  der  Vf.  für  Kleitarch  rein  panegyrische 
Tendenz  annimmt,  so  muß  er  als  Zwischenglied  zwischen  Curtius  und 
Kleitarch  eine  Bearbeitung  des  letztgenannten  Schriftstellers  annehmen, 
die  sich  sowohl  in  den  gelegentlich  eingestreuten  universalgeschicht- 
lichen Notizen  wie  in  der  makedonierfeindliehen  —  ich  würde  lieber 
sagen  griccheufreundlichen  —  Tendenz  und  in  gelegentlichen  An- 
spielungen auf  spätere  Ereignisse  besonders  des  Westens  verrät.  Die 
Frage  bleibt  aber  offen,  ob  hier  wirklich  eine  Bearbeitung  des 
Kleitarchos  durch  Phylarch  vorliegt  ,  oder  ob  nicht  die  genannten 
Eigentümlichkeiten  eben  dem  Kleitarchos  selber  zuzuschreiben  sind. 
Rüegg  entscheidet  sich  für  die  erste  Ansicht,  da  er  —  aber  aller- 
dings mit  ganz  unzureichenden  Gründen,  S.  8  —  annimmt,  Kleitarch 
habe  vor  Ptolemaios  geschrieben  und  dieser  bezöge  sich  bei  der  Dar- 
stellung des  Kampfes  in  der  Mallerstadt  auf  seinen  Vorgänger.  Allein 
Keuß  hat  im  Vorbeigehen  gezeigt  (Rez.  v.  Rüegg,  Bcrl.  phil.  Woch. 
1906,  S.  946),  daß  Kl.  sich  tatsächlich  nicht  auf  Alexanders 
Taten  beschränkte,  sondern  daß  sein  Werk  universalgeschichtlichen 
Charakter  trug  und  wahrscheinlich  den  Abschluß  der  ganzen  Alexander- 


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Jahresbericht  über  griechische  Geschichte  (1903—1906). 


139 


literator  auf  lange  Zeit  gebildet  hat.  Die  Sache  ist  nicht  so  glatt 
zu  entscheiden,  wichtig  ist,  daß  jene  Anschauung,  wonach  Alexanders 
Taten  im  wesentlichen  der  xu^  zuzuschreiben  seien,  sich  schon  bei 
Diodor  (z.  B.  17,  38,  4)  und  Liv.  IX,  16  ff.  findet,  an  dieser  letzten 
Stelle  bereits  in  jener  Mischung  mit  der  andersgearteten  Tendenz  der 
Quelle  Justins,  die  sich  bei  Curtius  zeigt.  Man  sieht,  hier  bleibt 
noch  einiges  zu  tun,  und  vielleicht  liegt  die  Lösung  in  der  Erforschung 
der  Vita  des  Plutarch.  Eine  willkommene  Ergänzung  zu  Rüegg  bietet 
übrigens  die  Abhandlung  von  E.  Keller,  der  ebenfalls  von  Curtius 
ausgehend  dessen  Quellen  darzulegen  sucht,  aber  nur  die  Ereignisse 
von  Issos  bis  zur  Eroberung  Ägyptens  betrachtet.  Infolge  dieser 
Beschränkung  ist  nicht  viel  Xcues  dabei  herausgekommen;  immerhin 
zeigt  K.  an  einigen  interessanten  Beispielen,  wie  Curtius  das  ihm 
von  der  Vulgata  überlieferte  Material  selbständig  weiterbildet  und 
mit  eigenen  Erfindungen  bereichert,  so  z.  B.  bei  der  angeblichen 
Gesandtschaft  der  Karthager,  die  wohl  auf  sein  eigenes  Konto  kommt. 
Auch  darauf  hat  der  Vf.  mit  Recht  aufmerksam  gemacht  (S.  65),  daß 
gerade  die  übertriebene  panegyrische  Darstellung  bei  Kallisthenes 
und  Hegesias  einen  Rückschlag  hervorgerufen  und  damit  den  Anlaß 
zu  jener  vernichtenden  Kritik  gegeben  haben  mag,  die  Trogus-Justin 
zugrunde  liegt.  Deutlich  tritt  das  bei  den  Vorgängen  vor  Gaza  in 
die  Erscheinung;  die  hier  bemerkbare  Gleichsetzung  Alexanders  mit 
Achillus  scheint  mir  auf  Kallisthenes  zurückzugehen. 

Daß  übrigens  manche  Alexanderhistoriker  für  uns  fast  verschollen 
sind,  hat  kürzlich  noch  die  Ausgabe  des  Didymoskommentars  an  dem 
Beispiel  des  Anaximenes  v.  Lampsakos  erwiesen.  Aus  dem 
Kommentar  erfahren  wir,  daß  die  Schlacht  von  Issos  im  9.  Buch 
seiner  Alexandergeschichte  erzählt  war;  ein  zweites  Bruchstück  gibt 
Harp.,  nach  dem  die  Sendung  des  Alkimachos  nach  Athen,  die  etwa 
o35  erfolgte ,  im  zweiten  Buch  berichtet  war.  Umfaßte  sonach  die 
Erzählung  der  Ereignisse  zweier  oder  dreier  Jahre  bereits  sieben 
Bücher,  so  müßte,  wie  Körte  hervorhebt,  das  Werk  des  Anaximenes 
weit  umfänglicher  als  die  meisten  andern  Alexandergeschichten  ge- 
wesen sein.  Da  er  es  nun  für  unwahrscheinlich  hält  ,  daß  ein  so 
umfängliches  Werk  bis  auf  so  geringe  Spuren  verschollen  sei,  und  da 
uns  außerdem  bekannt  ist,  daß  Anax.  auch  eine  Geschichte  Philipps 
in  mindestens  8  BB.  geschrieben  hat,  so  nimmt  K.  an,  daß  beide 
Werke  ein  Ganzes  gebildet  hätten,  und  daß  somit  das  9.  Buch  des 
Gesamtwerkes  die  Vorgänge  bei  Issos  gebracht  habe.  Indessen  ist 
es  dann  ja  wieder  unwahrscheinlich,  daß  Alkimachos'  Gesandtschaft 
von  335/4  im  2.  Buch  bzw.,  wenn  wir  hier  Zähluug  der  Alexander- 


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140 


Thomas  Lenschau, 


geschichte  allein  annehmen,  im  10.  Bach,  d.  h.  nach  Issos,  erzählt 
ward.  Diese  Schwierigkeit  sucht  K.  dadurch  zu  umgehen,  daß  er 
annimmt,  Anax.  habe  erst  im  Zusammenhang  die  Ereignisse  des  Land- 
krieges bis  Issos  im  9.  Buch  dargestellt  und  darauf  den  Seekrieg, 
mit  dem  Alkimachos  Sendung  im  Zusammenhang  steht,  im  10.  Buch 
nachgeholt.  Mir  erscheint  die  Annahme  etwas  künstlich  und  ebenso- 
wenig scheint  mir  eine  Änderung  der  bei  Didymos  überlieferten  Zahl  nötig 
zu  sein,  was  K.  für  unumgänglich  hält,  falls  man  seinen  Vermittelungs- 
vorschlag  zurückwiese.  Die  übrigen  Nachrichten,  die  wir  aus  dem 
Didymoskommentar  über  Anaximenes  schöpfen,  zeigen,  daß  er  un- 
geheuer ausführlich  war  und  ganze  Aktenstücke,  ja  seitenlange  Reden 
seiner  Darstellung  einverleibte.  Ich  kann  demnach  nichts  Auffälliges 
darin  sehen,  daß  er  mit  den  Anfängen  Alexanders  bis  Issos  bereits 
9  Bücher  gefüllt  hat. 

Anders  wie  bei  den  Quellen  der  Alexanderhistorie  liegt  die 
Sache  bei  den  Quellen  der  Diadochengeschichte,  die 
Beloch  ebenfalls  einer  kurzen  Betrachtung  unterzogen  hat  (III,  2, 
4  ff.).  Auch  hier  kann  man  zunächst  zwei  große  Gruppen  unter- 
scheiden, indem  allen  übrigen  hier  Diodors  Darlegung  gegenübersteht, 
die  von  Nietzold  in  seiner  eingangs  angeführten  Schrift  ausführlich 
charakterisiert  wird.  Es  ist  eine  Quelle  ersten  Ranges,  die  hier 
zugrunde  liegt,  und  die  vor  allem  die  militärischen  Vorgänge  in  der 
eingehendsten  Weise  schildert.  Dazu  kommt  eine  genaue  Kenntnis 
der  Länder  und  Gegenden,  in  denen  die  Vorgänge  spielen,  sowie  eine 
verständnisvolle,  echt  historische  Würdigung  der  Motive  bei  den 
handelnden  Personen,  endlich  ein  starkes  Bemühen  um  chronologische 
Genauigkeit,  das  uns  durch  Angabe  der  Winterquartiere,  genaue 
Bestimmung  der  Jahreszeit  usw.  sogar  ermöglicht,  den  Fehlern,  die 
Diodor  bei  der  Einreihung  in  sein  Jahresschema  macht,  auf  den 
Grund  zu  kommen  (vgl.  die  Ausführung  Uber  die  Chronologie  der 
Jahre  323  bis  301  bei  Beloch  III,  2,  187  ff.).  Nimmt  man  hinzu,  daß 
der  Kampf  für  die  Einheit  des  Reichsgedankens,  wie  er  von  Perdikkas 
und  Eumenes,  dann  von  Antigonos  durchgefochten  wird,  bei  Diodor 
durchaus  verstanden  und  gewürdigt  erscheint,  so  drängt  sich  allerdings 
die  Erkenntnis  auf,  daß  man  es  hier  mit  einem  ganz  hervorragenden 
zeitgenössischen  Schriftsteller  zu  tun  hat,  und  als  solcher  kann  nach 
Reuß'  grundlegenden  Untersuchungen  nur  Hieronymus  von 
Kardia  in  Betracht  kommen.  Dazu  stimmt,  daß  sich  eine  deutliche 
Parteilichkeit  für  Eumenes,  Antigonos  und  Demetrios  bemerkbar 
macht,  indem  die  übrigen  Diadochen  nur  insoweit  erwähnt  werden, 
wie   sie  mit  diesen  Vertretern  des  Reichsgedankens  in  Berührung 


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Jahresbericht  Uber  griechische  Geschichte  (190S— 1906).  141 

kommen.  Wie  stark  diese  Parteilichkeit  hervortritt,  erkennt  man 
am  besten  in  den  umfangreichen  Zusammenstellungen  Nietzolds,  der 
alle  auf  die  genannten  Männer  bezüglichen  Stellen  durch  den  Druck 
hervorgehoben  hat. 

Die  Frage  ist  nur  die:  hat  Diodor  Hieronymos  selber 
benutzt,  wie  N.  annimmt,  oder  ist  eine  Mittelsperson  zwischen 
beiden  anzunehmen?  Die  schon  früher  geäußerten  Bedenken  gegen 
eine  direkte  Benutzung  hat  kürzlich  Beloch  noch  einmal  a.  a.  0. 
zusammengefaßt;  es  sind  etwa  folgende.  Erstens  bemüht  sich  D. 
bei  aller  Vorliebe  für  Antigonos  und  sein  Haus  doch  auch  sehr, 
Ptolemaios  herauszustreichen,  weiter  sprechen  die  recht  rhetorischen 
Schlachtbeschreibungen  nicht  gerade  für  Hieronymos,  drittens  ist  bei 
Diod.  19,  44,  4  ganz  offenbar  Duris  benutzt,  viertens  kann,  was 
Diod.  18,  50,  4  von  Hieronymos  schreibt,  dieser  unmöglich  von  sich 
erzählt  haben,  und  endlich  deutet  die  Erwähnung  der  Satrap ie  von 
Idumaia  19,  98,  1,  die  es  erst  nach  der  Eroberung  Koilesyriens  durch 
Antiochos  III.  gegeben  haben  kann,  auf  einen  späteren  Autor,  bei- 
spielsweise Agatharchides,  den  Diodor  auch  sonst  benutzt  hat. 
Dennoch  ist  es  fraglich,  ob  diese  Gründe  genügen.  Wie  Diod.  nach- 
weislich in  den  Bericht  des  Hieron.  Einlagen  gemacht  hat  —  vor 
allem  die  Belagerung  von  Rhodos  und  die  Anfänge  des  pontischen 
Königreiches  (vgl.  Nietzold  S.  46  ff.)  — ,  so  ist  es  doch  auch  sehr 
wohl  möglich ,  daß  er  den  Bericht  selbständiger  bearbeitet  hat ,  als 
man  ihm  gewöhnlich  zutraut,  und  so  mag  er  die  Vorliebe  für  Ptolemaios, 
für  den  er  als  einen  Freund  der  Stoa  viel  übrig  hatte,  sowie  die  Rhetorik 
der  Schlachtschilderungen,  die  trotzdem  ganz  im  Gegensatz  zu  denen 
des  Ephoros  die  Sachkenntnis  nicht  vermissen  lassen,  aus  eigenem 
hinzugefügt  haben.  Auch  das  Durisfragment  ist  nicht  beweisend; 
selbst  wenn  aus  inneren  und  äußeren  Gründen  eine  direkte  Beziehung 
zwischen  Duris  und  Hier,  ausgeschlossen  wird,  so  bleibt  doch  immer 
die  Möglichkeit,  daß  beide  aus  derselben  Quelle  schöpften.  Ähnlich 
steht  es  mit  der  Satrapic  Idumaia;  möglich  wäre  es  doch,  daß  man 
in  Koilesyrien  als  in  einem  Außenlande  der  ptolemaischen  Herrschaft 
die  seleukischen  Verwaltungsbezirke  hätte  bestehen  lassen,  wonach 
dann  also  Idumaia  zu  den  von  Antigonos  oder  Seleukos  vor  301 
eingerichteten  Bezirken  gehört  haben  würde.  Endlich  aber  sehe  ich 
auch  nicht,  wieso  Hieronymos  nicht  selber  seinen  Vermittelungs- 
versuch  zwischen  Antigonos  und  Eumenes  erzählt  haben  kann;  daß 
er  dafür  von  Antigonos  beschenkt  ward ,  versteht  sich  doch  bei  der 
Sitte  der  damaligen  Zeit  von  selbst,  und  er  mag  ja  von  seinem  Stand- 
punkt aus  die  Anbahnung  freundlicherer  Beziehungen  zwischen  beiden 


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Thomas  Lenschau. 


Männern  für  sehr  erwünscht  gehalten  haben.  Die  Ausdrucksweise, 
das  etwas  bedenkliche  (AS^aXai?  Stopsat?  zpoxaXeia'fievo? .  kann  auf 
Diod.  Konto  kommen ,  '  der  seinem  Gewährsmann  ein  bißchen  am 
Zeuge  flicken  wollte.  Ebensowenig  sind  die  Bedenken,  die  Schwartz 
{im  Art.  Diod.)  gegen  die  direkte  Benutzung  des  Hier,  durch  Diod. 
erhebt,  wirklich  schwerwiegender  Natur.  Alles  in  allem  genommen 
steht  der  Annahme  direkter  Benutzung  nichts  im  Wege,  und  die 
Annahme  einer  Vermittlung  durch  Agatharchides,  so  plausibel  sie  an 
sich  ist,  bleibt  unnötig. 

Wie  steht  es  nun  mit  den  übrigen  Quellen?  Auf  Grund  einer 
sorgfältigen  Vergleichung  (S.  50  ff.)  erkennt  N.  auch  hier  eine  gemein- 
same Grundlage,  eine  ähnliche  Vulgata,  wie  wir  sie  bei  den 
Alexanderhistorikern  finden.  Ihr  Hauptmerkmal  ist  das  Rhetorisieren, 
ihr  Hauptzweck  nicht  die  geschichtliche  Belehrung,  sondern  die 
Unterhaltung  des  Lesers,  und  da  dem  Verfasser  die  eigentlichen 
Motive  der  handelnden  Personen  unbekannt  sind ,  so  treten  Frauen- 
schönheit und  konventionelle  Begriffe ,  wie  Ehre  und  Ruhin ,  an  ihre 
Stelle ;  vor  allem  aber  spielt  die  tö^ij  eine  Rolle,  der  auch  die  häufige 
Verwendung  von  Träumen  entspricht.  Dazu  kommt  übrigens  noch 
eine  besonders  bei  Justin  hervortretende  Vorliebe  für  Seleukos  und 
Lysimachos ,  auf  die  schon  Rüegg  gelegentlich  aufmerksam  gemacht 
hat;  indessen  ist  es  noch  zu  früh,  einen  bestimmten  Namen  zu  nennen. 
Übrigens  nimmt  Arrian,  für  den  auch  Beloch  eine  direkte  Benutzung 
des  Hieron.  zugibt,  eine  besondere  Stellung  ein,  insofern  sich  bei 
ihm  auch  Spuren  der  Vulgata  finden.  Es  scheint  demnach,  als  ob 
Arr.  auch  hier  ebenso  wie  in  der  Alexandergeschichte  die  XsytSjieva 
mit  heranzog.  Freilich  ist  auch  hier  noch  manches  zu  tun;  eine 
genauere  Untersuchung  Justins  sowie  der  einschlagenden  Lebens- 
beschreibungen bei  Plutarch  und  Nepos  würde  wahrscheinlich  mehr 
Licht  in  das  Verhältnis  der  Quellen  untereinander  bringen. 

So  weit  die  literarischen  Quellen ;  die  Ausbeute  an  Inschriften, 
die  der  Zeit  Alexanders  und  der  Diadochen  angehören,  ist  in  der 
Berichtsperiode  nicht  allzugroß  gewesen:  so  interessante  Urkunden 
wie  der  1899  gefundene  Brief  des  Antigonos  an  die  Skepsier  fehlen 
diesmal  vollständig.  Dafür  aber  haben  wir  ein  Werk  erhalten,  in 
dem  nahezu  sämtliche  historisch  wichtigen  Inschriften  aus  dem  Zeit- 
alter des  Hellenismus  vereinigt  und  mit  einem  vortrefflichen  Kommentar 
versehen  sind :  Ditteu  bergers  Orientis  graeci  inscriptiones  selectae. 
Sie  bilden  ein  Seitenstück  zu  der  schon  vor  einigen  Jahren  er- 
schienenen Neuauflage  der  Sylloge  inscriptionum  Graecarum  und 
sammeln  —  darin  liegt  ihre  Hauptbedeutung  —  ein  bis  dahin  in  den 


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Jahresbericht  über  griechische  Geschichte  (1903-1906).  143 

verschiedensten  Veröffentlichungen  weit  zerstreutes  Material,  dessen 
Überblick  von  Jahr  zu  Jahr  schwieriger  ward.  Gegenüber  diesem 
Vorteil  tritt  selbst  das  zurück ,  was  D.  für  die  Erklärung  der  In- 
schriften in  seinem  unübertrefflich  knappen  Kommentar  beigebracht 
hat.  Es  ist  vielleicht  noch  mehr  als  das,  was  er  für  die  älteren  In- 
schriften der  Syllügc  leistete,  und  vom  Standpunkt  des  Benutzers 
bleibt  nur  der  immerhin  noch  sehr  hohe  Preis  zu  bedauern,  der  die 
Anschaffung  beider  Sammlungen  erschwert.  Da  es  nun  keinem  Zweifel 
unterliegt,  daß  der  verstorbene  D.  sich  seine  Werke  als  Handbücher 
dachte,  die  die  noch  immer  fehlende  Minuskelausgabe  des  CIA. 
ersetzen  sollten,  so  erscheint  es  wünschenswert,  daß  die  Verlags- 
buchhandlung durch  eine  Lieferungsausgabe  mit  Nachträgen  sie  auch 
weiteren  Kreisen  zugänglich  macht.  Weiterhin  sind  von  dem  großen 
Corpus  der  Akademie ,  den  Inscriptiones  Graecae  (IG.)  zwei  neue 
Abteilungen  erschienen ,  die  von  den  Inschriften  der  Inseln  des 
ägäischeri  Meeres  (XII  Ins.  maris  Aegaei)  die  der  Kykladen  und 
nördlichen  Sporaden  enthalten.  Die  Herausgabe  lag  in  den  Händen 
Hillers  von  Gärtringen,  dessen  erschöpfende  und  genaue  Be- 
arbeitung nur  um  so  schmerzlicher  den  noch  ausstehenden  Band  der 
delischen  Inschriften  vermissen  läßt.  Diese  muß  man  sich  nach  wie 
vor  aus  den  zahlreichen  Bänden  des  BCH.  zusammensuchen  und 
gerade  die  letzten  Jahrgänge  (29—30)  bringen  viel  neues  Material, 
das  meistenteils  von  Dürrbach  und  Jarde"  bearbeitet  ist.  Ebenda 
findet  man  auch  die  neuesten  delphischen  Funde  verzeichnet.  Endlich 
ist  noch  eine  abschließende  Arbeit  zu  erwähnen,  das  schöne  Werk 
über  Priene,  das  Uiller  v.  Gärtringen,  Schräder  und 
Wiegand  unter  Mitwirkung  einer  ganzen  Reihe  anderer  Gelehrten 
herausgegeben  haben.  Der  erste  Band  enthält  die  Beschreibung  der 
Landschaft  von  Priene  und  der  baulichen  Reste ,  vor  allein  den 
interessanten  Bauplan,  das  bisher  beste  Beispiel  einer  hellenistischen 
Stadtanlage,  der  zweite,  von  v.  Hillcr  bearbeitete,  die  Stadtgeschichte 
und  die  Inschriften,  die  sowohl  in  Zahl  wie  in  der  Erklärung  einen 
bedeutenden  Fortschritt  über  die  grundlegende  Arbeit  von  Hicks  in 
den  Inscriptions  of  the  British  Museum  erkeunen  lassen.  Allerdings 
ist  die  Menge  der  auf  die  Zeit  von  334 — 301  bezüglichen  Inschriften 
nicht  gerade  sehr  groß,  da  weitaus  die  meisten  den  späteren  Jahr- 
hunderten angehören;  immerhin  sind  es  17  Stücke,  darunter  neben 
den  stereotypen  Ehrendekreten  doch  auch  so  wichtige  Urkunden,  wie 
der  Beschluß  für  Antigonos  (2)  und  der  Brief  des  Lysimachos  (15): 
auch  das  Edikt  Alexanders  hat  mit  Wilamowitz'  Hilfe  eine  bessere 
Ergänzung  erfahren.  Die  Chronologie  (S.  13),  die  die  Vf.  aufgestellt 


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Thomas  Lenschau. 


haben,  ist  zwar  nicht  ganz  sicher,  doch  hält  sich  die  Möglichkeit  der 
Fehler  in  so  engen  Grenzen,  daß  die  historische  Verwertung  der 
teilweise  sehr  beschädigten  und  vom  Herausgeber  mit  großer  Kunst 
hergestellten  Urkunden  möglich  ist.  Auch  der  umfangreiche  Schieds- 
spruch der  Rhodier  hat  eine  erneute  Behandlung  erfahren,  die  freilich 
gerade  den  historisch  wichtigsten  Teilen  der  jämmerlich  zerstörten 
Inschrift  doch  nur  wenig  neue  Ergebnisse  abgewinnen  konnte.  Sehr 
interessant  und  förderlich  sind  die  Zusammenstellungen  aller  erreich- 
baren Nachrichten  über  Priene  und  ebenso  die  schönen  Indices,  die 
den  Band  beschließen  und  eine  bequeme  Orientierung  über  den  ge- 
samten Inhalt  gestatten.  —  Von  einzelnen  anderweitigen  Inschriften, 
die  sich  auf  diesen  Zeitraum  beziehen,  nenne  ich  die  von  Kirchner 
herausgegebene  attische  Buleutenliste  von  335/4  und  das  von  Tod 
mitgeteilte  Ehrendekret  aus  dem  Jahre  des  Pherekles  304/3,  da: 
über  die  staatlichen  Zustände  in  Athen  kurz  vor  der  Katastrophe 
von  Issos  einigen  Aufschluß  gewährt. 

Die  Beurteilung  der  weltgeschichtlichen  Stellung  Alexanders  des 
Großen  wird  immer  bis  zu  einem  gewissen  Grade  davon  abhängen, 
ob  man  in  ihm  und  seinem  Volke  einen  griechischen  Stamm  oder  ein 
völlig  wesensverschiedenes  Volk  erkennt.  Die  Beantwortung  dieser 
vielbehandelten  Frage  ist  neuerdings  durch  Otto  II  offmann  auf  eine 
sichere  Grundlage  gestellt,  der  zum  ersten  Male  unter  Heranziehung 
aller  vorhandenen  Sprachreste  und  sonstiger  Nachrichten  aus  dem 
Altertum  Sprache  und  Volkstum  der  Makedonen  genauer 
untersucht  hat.  Das  Ergebnis  ist  dies,  daß  der  weitaus  größte  Teil 
aller  erhaltenen  Sprachreste ,  insbesondere  alle  Ausdrücke  des  Heer- 
wesens, der  Verwaltung,  der  Rechtssprache,  sowie  die  weitaus  über- 
wiegende Anzahl  der  auf  den  Götterkult,  auf  die  Pflanzen-  und  Tierweh 
bezüglichen  Benennung  rein  griechischen  Charakter  an  sich  tragen. 
Ganz  vereinzelt  finden  sich  barbarische  Bezeichnungen  bei  fremd- 
artigen Pflanzen  und  Tieren  (7 — 8)  sowie  bei  Speisen  und  Getränken 
(0),  noch  weniger  bei  den  Geräten  (3) ,  in  der  Rüstung  und  Tracht 
(2)  sowie  bei  dem  sicher  aus  Thrakien  eingeführten  Savadioskult. 
Da  nun  der  Lautstand  der  makedonischen  Sprache  und  gewisse  gramma- 
tische Eigentümlichkeiten  sich  dem  thessalischen  Dialekt  annähern, 
so  könnte  die  Sprache  ja  in  sehr  alter  Zeit  von  den  Thessalicm 
entlehnt  und  auf  ein  nichtgriechisches  Volk  aufgepfropft  sein.  Aber 
dem  widerspricht  es,  daß  sämtliche  uns  bekannten  Namen  echter 
vollbürtiger  Makedonen,  insbesondere  der  Fürsten  und  des  Adel? 


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Jahresbericht  über  griechische  Geschichte  (1903-1906).  145 

rein  griechisch  ohne  eine  Spur  barbarischer  Einwirkung  sind.  Viel- 
mehr deutet  alles  darauf  hin,  daß  wir  in  der  makedonischen  Sprache 
einen  Schwesterdialekt  des  Thessalischen  vor  uns  haben.  Die  dem 
Maked.  eigentümlichen  mediae  aspiratae  würden  nur  dann  dagegen 
sprechen,  wenn  das  Gemeingriechische  wirklich  nur  tenues  aspiratae 
gekannt  hätte,  eine  Behauptung  Kretschmars,  die  aber  von  H.  lebhaft 
bestritten  wird,  der  statt  dessen  stimmlose  Medien  als  urgriechisch 
annimmt.  Im  ganzen  machen  H.s  Ausführungen  einen  überzeugenden 
Eindruck,  wenn  er  die  Makedonen  als  Griechen  und  die  kleine  Ebene 
zwischen  Bermios  und  Axios  als  den  Ausgangspunkt  ihres  Staates 
bezeichnet. 

Für  eine  ganze  Reihe  von  wichtigen  Punkten  des  Alexanderzuges 
sind  die  geographischen  Grundlagen  neu  gelegt  durch  das  Buch  des 
Obersten  Janke,  der  seine  Aufmerksamkeit  vor  allem  den  Schlacht- 
feldern am  Granikos  und  bei  Issos  zugewendet  hat.  Was  das  erst- 
genannte Treffen  angeht,  so  kann  es  nach  seinen  Ausführungen  als 
ausgemacht  gelten,  daß  Alexanders  Anmarsch  von  Kolone  aus  weder 
nordwestlich  den  Küstenweg  noch  die  südöstlich  zum  oberen  Lauf 
des  Bigha  Tschai  (Granikos)  führende  Straße  einschlug,  sondern  die 
mittlere  Route  nördlich  von  dem  damals  noch  nicht  vorhandenen  oder 
bedeutend  kleineren  Sumpf  Edje  Giöl  wählte,  die  ihn  zum  unteren 
Granikos  an  die  Stelle  führte,  wo  auf  dem  linken  Ufer  die  Berge 
zurückweichen.  Hier  standen  die  Perser  auf  dem  ziemlich  steilen 
4  m  hohen  rechten  Ufer  in  Deckung  hinter  dem  Flusse,  der  aber 
an  sich  kein  sehr  bedeutendes  Hindernis  gebildet  haben  wird.  Wenn 
allerdings  Janke,  der  die  Stelle  um  die  Jahreszeit  der  Schlacht,  d.  h. 
Ende  Mai,  besuchte,  den  Fluß  überall  durchwaten  konnte,  so  ist  das  für 
die  Verhältnisse  im  Jahre  334  nicht  ganz  maßgebend,  wo  die  Witterung 
ja  eine  andere  gewesen  sein  kann,  und  insofern  könnte  Plutarchs 
Schilderung  doch  richtig  sein,  der  die  Gewalt  des  Stromes  mehrfach 
hervorhebt.  Allein  sie  ist  an  sich  etwas  verdächtig,  da  sie  das  auch 
sonst  mehrfach  hervortretende  Bestreben  zeigt ,  die  Ähnlichkeit  der 
Taten  Alexanders  mit  seinem  Vorbild  Achill  hervorzuheben;  darauf 
sind  sicher  die  Übertreibungen  Plutarchs  bei  seiner  Schilderung 
hervorzuheben.  Die  eigentliche  Entscheidung  fiel  auf  dem  rechten 
griechischen  Flügel ,  mit  dem  AI.  das  persische  Zentrum  durchbrach 
(Arr.  1,  16,  2),  was  leider  auf  dem  beigegebenen  Schlachtplan  nicht 
recht  zu  erkennen  ist.  Hier  erhält  man  eher  den  Eindruck,  als  ob 
AI.  mit  dem  rechten  Flügel  eine  Umfassungsbewegung  ausgeführt  habe. 
Auch  die  Stelle  Arr.  1,  14,  7  Xo^v  ctel  napaxsiW  tijv  xafcv  i 
tfapeTXxs  t6  peöjia,  fva  8tj  jii)  äxßafoovrt  aotep  ot  Flspaat  xaxa  x£pac 

Jahresbericht  fOr  AltertmnswlMPixcbaft.    Bd.  CXXXV.  10 


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i 


Uli 


Thomas  Lenscbau 


7rpo?ri7TToiav  übersetzt  J.  seltsam  „er  ließ  seine  Linie  nach  dem  Laufe 
des  Flusses  hin  in  schiefer  Richtung  abwärts  sich  ausdehnen,  um 
nicht  beim  Erklettern  des  rechten  Ufers  von  den  Persern  in  der 
Flanke  gefaßt  zu  werden",  während  die  Worte  doch  nur  sagen,  daß 
AI.  den  Fluß  nicht  senkrecht  zur  Uferrichtung,  sondern  schräg  auf- 
wärts gegen  den  Strom  überschritt.  Im  ersten  Falle  würden  die 
Streiter  schräg  abgetrieben  mit  der  rechten  unbeschildeten  Seite  an 
den  Feind  gekommen  sein. 

Der  Weitermarsch  des  Königs  an  der  Westküste  entlang  endete 
mit  dem  Spätsommer  334;  die  Winterquartiere  bezog  er  in  der 
damphylisch-pisidischen  Landschaft,  und  hier  beim  Eintritt  vollzog  sich 
jener  heroische  Kampf  der  Marmar er,  von  dem  Diod.  17,  28,  1—5 
berichtet,  und  dessen  Örtlichkeit  Rad  et  genauer  festzustellen  sucht. 
Zunächst  zeigt  er,  daß  der  von  Diod.  erwähnte  Kampf  mit  der  bei 
Arr.  1,  24,  5  geschilderten  Eroberung  eines  Kastells  identisch  ist. 
Der  Vorgang  muß  sich  also  in  der  Nähe  von  Phaseiis  zugetragen 
haben,  und  hier  findet  der  Vf.  nach  Schönborns  Vorgang  die  geeignete 
Örtlichkeit  in  dem  Dorfe  Saradschick,  das  auf  unzugänglichem  Felsen 
gelegen  die  Höhe  des  aus  dem  Tal  des  Alaghir  Tschai  in  das  des 
Tschandyr-Tschai  hinüberführenden  Passes  beherrscht.    Diese  Ver- 
bindung zwischen  Lykien  und  Pisidien  wird  hier  durch  eine  zweite 
Straße  gekreuzt,  die  aus  der  alten  Milyas  nach  Phaseiis  führt.  Auf 
dieser  Straße  rückte  A.  heran,  bezwang  die  den  Phaseliten  sicherlich 
sehr  unangenehme  Burg  des  räuberischen  Bergstammes  und  zog  in 
Phaseiis  ein,  von  wo  aus  er  dann  die  sogenannte  Klimax ,  d.  h.  den 
Küstenweg  bis  Perge,  benutzte.    Aus  den  Winterquartieren  in  Pam- 
phylien  brach  er  im  folgenden  Frühjahr  nach  Gordion  auf  und  über- 
schritt dann  nordwärts,  von  den  kleinasiatischen  Hochebenen  her- 
kommend, hinter  Tyana  die  kilikischen  Pforten  oder  den  Gülek 
Boghas,  jenen  engen,  aber  vielbenutzten  Taurospaß,  der  sowohl  von 
Ramsey  wie  von  Janke  (S.  97  ff.)  sehr  anschaulich  beschrieben  wird. 
Es  ist  derselbe  Paß,  durch  den  der  jüngere  Kyros  zog;  daß  auch  der 
ältere  Kyros  beim  Anmarsch  gegen  Lydien  ihn  benutzte,  scheint  mir 
ein  Autoschediasma  des  guten  Curtius  oder  seiner  Quelle,  das  ich  an 
Jankes  Stelle  (S.  108)  ihm  lieber  nicht  glauben  würde. 

Damit  sind  wir  nahe  an  das  Schlachtfeld  von  Issos 
herangekommen,  dessen  Lage  diesmal  den  Anlaß  zu  einem  lebhaften 
Streit  gegeben  hat,  bei  dem  aber  schließlich  ein  ziemlich  sicheres  Er- 
gebnis herausgekommen  ist.  Auf  Grund  einer  genauen  Aufnahme 
des  ganzen  Geländes  (vgl.  Tafel  I — II)  ist  Janke  zu  der  Überzeugung 
gekommen,  daß  Delbrücks  Ansatz  der  Schlacht  am  Paias  Tschai  zu 


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Jahresbericht  über  griechische  Geschichte  (1903—1906).  147 

verwerfen  ist,  daß  vielmehr  in  topographischer  Hinsicht  Adolf  Bauer 
das  Richtige  gesehen  hat,  dessen  Ansicht  ich  im  vorigen  Jahresbericht 
(S.  273  ff.)  ausführlich  auseinandergesetzt  habe.  Danach  hat  Dareios 
die  kilikische  Ebene  durch  den  Arslan-Boghaspaß  über  den  nördlichen 
Amanos  betreten,  während  Alexander  ihn  vom  Beilanpaß  her  er- 
wartete und  daher  nur  nach  dieser  Richtung  hin  aufklären  ließ.  Auf 
diese  Weise  gelangten  die  Perser  von  Norden  her  in  den  Rücken  des 
Heeres,  so  daß  schließlich  Alexander  kehrt  machen  und  dem  Feinde 
entgegenrücken,  die  Schlacht  also  mit  verkehrter  Front  etwa  in  der 
Gegend  des  heutigen  Deli  Tschai  schlagen  mußte.  Gegen  diese  Ansicht 
wenden  sich  in  sehr  temperamentvoller  Weise  die  Ausführungen 
Gruhns;  nach  ihm  kam  Dareios  wirklich  über  den  Beilan  und 
marschierte  zufällig  an  Alexander  vorbei,  der  noch  nicht  weit  über 
das  am  Ausgang  des  Passes  liegende  Alexandrette  —  nach  Gruhn  das 
alte  Issos  —  hinaus  bis  Myriandos  vorgerückt  war.  AI.  machte  kehrt 
und  zog  nun  hinter  Dareios  her,  der  seinerseits  in  dem  engen  Gelände 
nördlich  vom  Paias  Tschai  ebenfalls  kehrt  machte.  Hier  kam  es  zur  Ent- 
scheidungsschlacht, die  mit  der  Vernichtung  des  persischen  Heeres  endete. 

Der  erste  Fehler  Gruhns  liegt  in  der  verkehrten  Ansctzung  von 
Issos,  das  er  mit  Alexandrette  gleichsetzt,  während  es  in  Wirklich- 
keit nach  den  Angaben  sämtlicher  antiken  Schriftsteller  an  der  Nord- 
seite des  innersten  Golfes  lag.  Der  Name  AXs£av8psta  xax"Ia<jov, 
den  Alexandrette  führt,  bedeutet  nicht  A.  bei  Issos,  wie  G.  will, 
sondern  A.  Issos  gegenüber,  womit  seine  Lage  an  der  Südseite  der 
innersten  Golfspitze  gut  bezeichnet  ist.  Damit  hängt  nun  gleich  ein 
weiterer  Irrtum  G.s  zusammen.  Da  uns  überliefert  ist,  daß  Dareios 
unmittelbar  vom  Passe  kommend  nach  Issos  gelangte  und  hier  die 
verwundeten  und  kranken  Makedonier  massakrieren  ließ,  so  kann 
für  G.  der  Übergang  nur  über  den  Beilan  stattgefunden  haben,  an 
dessen  Ausgang  ja  sein  Issos,  das  heutige  Alexandrette,  liegt.  Ander- 
seite, wenn  Issos  wirklich  an  der  Nordseite  des  Golfs  gelegen  hat, 
so  kann,  wie  der  Blick  auf  die  Karte  lehrt,  nur  der  Arslan  Boghas 
für  den  Übergang  in  Betracht  kommen.  Daß  aber  Issos  tatsächlich 
am  Nordufer  der  Bucht  lag,  das  beweisen  nicht  nur,  wie  oben  an- 
geführt, die  geographischen  Nachrichten  aus  dem  Altertum,  soudern 
vor  allem  auch  Xenophons  Angaben  in  der  Anabasis,  die  übrigens 
durch  Cousins  Itinerar  vollkommen  bestätigt  werden.  Nun  sind  ja, 
worauf  G.  nicht  verfehlt  hinzuweisen,  Xenophons  Distanzangaben  nicht 
immer  ganz  verläßlich,  da  er  die  Entfernung  meist  nach  der  ver- 
brauchten Zeit  bemißt  und  daher  in  schwierigem  Gelände  oft  zu 
große  Zahlen  gibt.  Hier  aber,  wo  es  sich  von  Tarsos  bis  zum  Pajas 

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Thomas  Lenschau. 


um  einen  Marsch  in  glatter  Ebene  handelt,  ist  schlechterdings  kein 
Grund  anzunehmen,  weshalb  sich  Xen.  geirrt  haben  sollte.  Sind  aber 
seine  Angaben  richtig ,  so  kann  Issos  nur  am  Nordufer  der  inneren 
Ducht  gelegen  haben,  und  Dareios  kam  wirklich  Ober  den  Arslan 
Boghas  und  nicht  über  den  Beilan. 

Ein  zweiter  Fehler  Gruhns  —  und  ihn  begeht  auch  Janke  —  liegt 
in  der  falschen  Ansetzung  von  Alexanders  letztem  Nachtlager  vor  dem 
Kampfe.  Auf  die  Nachricht  von  Dareios  Anmarsch  kehrt  AI.  um, 
und  nachdem  er  noch  einmal  die  Engen,  d.  h.  das  ganze  Gelände 
zwischen  dem  Strandpaß  und  dem  Paß  am  Jonaspfeiler,  aufgeklärt 
und  unbesetzt  gefunden  hat,  führt  er  das  Heer  zurück  und  lagert  auf 
dem  Engpaß,  d.  h.,  wie  Janke  und  Gruhn  übereinstimmend  sagen,  am 
Jonaspfeiler,  dem  südlichen  der  beiden  Pässe.  Allein  dann  wird  man 
auch  Gruhns  Schlußfolgerung  nicht  abweisen  können,  daß  der  Marsch 
bis  zum  Schlachtfeld  beim  Deli  Tschai  am  folgenden  Morgen  viel  zu 
lang  gewesen  ist,  In  der  Tat,  da  die  Entfernung  vom  Jonaspfeiler 
bis  zum  Deli  Tschai  ca.  22  km  beträgt,  so  hätte  AI.  eines  vollen  Tages- 
marsches (durchschnittlich  25  km)  bedurft,  um  seine  Truppen  über- 
haupt ans  Schlachtfeld  heranzubringen,  was  völlig  unmöglich  ist 
(Gruhn  S.  25  f.).  Daraus  aber  folgt  nicht,  wie  bei  Gruhn,  daß  nicht 
der  Deli  Tschai,  sondern  der  11  km  südlicher  fließende  Paias  Tschai 
der  Pinaros  der  Alten  war ,  an  dem  die  Schlacht  stattfand,  sondern 
höchstens,  daß  sowohl  Gruhn  wie  Janke  den  Ausgangspunkt  des 
Marsches,  den  AI.  am  Morgen  des  Schlachttages  zu  machen  hatte, 
falsch  angenommen  haben.  Selbstverständlich  hat  AI.  die  größere 
Marschleistung  auf  den  Vorabend  der  Schlacht  verlegt  und  ist  sofort 
bis  zum  Strandpaß,  dem  Pajas  Eski  Ras,  vorgerückt.  Da  Janke  und 
seine  Begleiter  den  Weg  in  wenig  über  4  Stunden  (Janke  S.  18,  21), 
Cousin  ihn  in  etwa  6  Stunden  (Cousin  S.  285  f.)  zurückgelegt  haben,  so 
genügt  die  von  Arrian  gegebene  Zeit  vom  Abend  (Sonnenuntergang 
zur  Zeit  der  Schlacht  in  dieser  Gegend  etwa  5  Uhr  40  Min.)  bis 
Mitternacht  vollkommen,  den  Marsch  auszuführen,  zumal  der  Weg 
dem  Heere  bereits  bekannt  war.  Auch  eignet  sich  der  lange  und 
breite  Rücken,  der  vom  Amanos  westlich  vorspringend  im  Ras  Eski 
Pajas  ausläuft  (Janke  S.  18),  viel  besser  zum  Nachtlager  des  Heeres 
als  der  steile  Bergpaß  am  Jonaspfeiler.  Von  dort  aus  rückte  er  am 
folgenden  Morgen  in  aller  Gemächlichkeit  bis  zum  Schlachtfeld  am 
Deli  Tschai,  wo  er  gerade  etwa  gegen  Mittag  anlangte.  —  Im  übrigen 
hat  Janke  noch  einmal  S.  72  ff.  alle  die  Gründe  zusammengestellt, 
die  für  den  Deli  Tschai  und  gegen  den  Pajas  sprechen;  besonders 
kommt  hier  die  Beschaffenheit  der  Ufer  in  Frage.   Sic  ist  am  oberen 


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Jahresbericht  über  griechische  Geschichte  (1903—1906).         \  [\) 

Pnjas  derartig,  daß  es  absolut  unmöglich  ist,  hier  die  Schlacht  an- 
zunehmen, während  der  Deli  Tschai  den  Persern  eine  ganz  ähnliche 
Stellung  wie  am  Granikos  ermöglicht,  was  sowohl  durch  die  Photo- 
graphien wie  durch  die  Skizze  bei  Janke  sehr  leicht  erkennbar  ist. 
Im  ganzen  hat  Gr.  wenig  Glück  mit  seinen  Ausführungen  gehabt,  bei 
denen  die  temperamentvolle  Darstellung  allzuoft  das  Gewicht  der  Gründe 
ersetzen  muß.  Es  ist  nicht  zu  billigen,  wenn  man  einen  ernsthaften 
und  verdienten  Forscher  wie  Janke  in  diesem  Tone  abzufertigen  sucht. 

Über  den  letzten  Teil  des  großen  indischen  Feldzuges, 
dessen  erste  Phasen  er  bereits  früher  besprochen  hatte,  handelt 
Anspach,  indem  er  es  zunächst  für  einen  müßigen  Streit  erklärt, 
ob  Porös  nach  seiner  Besiegung  als  König  oder  als  Satrap  zu  be- 
zeichnen sei;  nach  Ansicht  des  Vf.  blieb  er  König,  aber  natürlich 
als  Untergebener  Alexanders,  so  daß  er  später,  z.  B.  bei  der  Teilung 
zu  Triparadeisos,  ganz  wohl  als  Satrap  bezeichnet  werden  konnte. 
Weiter  untersucht  der  Vf.  nahezu  alle  Einzelheiten  des  Feldzuges, 
wobei  er  unter  Berücksichtigung  seiner  Vorgänger  Lassen ,  Cunning- 
ham  und  Mc.  Crindle  die  Angaben  der  Quellen  mit  den  gegenwärtigen 
Verhältnissen  in  Einklang  zu  bringen  sucht.  Dasselbe  Ziel  verfolgt 
Vincent  A.  Smith,  der  in  seiner  Geschichte  Indiens  von  600 
v.  Chr.  bis  zur  mohammedanischen  Eroberung  einen  beträchtlichen 
Abschnitt  (S.  42 — 106)  dem  indischen  Unternehmen  Alexanders  ge- 
widmet hat.  Wertvoll  erscheinen  seine  Darlegungen  über  die  Örtlieh- 
keiteu  am  Hydaspes.  Die  Cunningham-Mc  Crindlesche  Ansicht,  wo- 
nach der  Übergang  über  den  Strom  bei  Jalälpur  stattfand,  hat  er 
in.  E.  widerlegt  und  Jhelum  als  die  Übergangsstelle  erwiesen  (S.  71  ff.). 
Wreniger  befriedigt  seine  Darstellung  des  Kampfes  selber,  da  er  hier 
sehr  zu  seinem  Schaden  die  Arbeiten  seiner  deutschen  Vorgäuger 
York  v.  Wartenburg,  Delbrück  und  Schubert  vernachlässigt  hat.  Auch 
hei  ihm  hat  Alexanders  rechter  Flügel,  der  zum  Angriff  bestimmt 
war,  die  Deckung  am  Flusse,  was  absolut  unnötig  ist;  vielmehr 
spricht  gerade  dieser  Umstand  für  York  v.  Wartenburgs  Ansicht, 
wonach  der  Übergang  Alexanders  unterhalb  des  Lagers  stattfand 
(vgl.  den  vor.  Ber.  S.  286).  Ist  sonach  Smiths  Schilderung  der 
Schlacht  ein  reines  Phantasiegemälde ,  so  hat  er  doch  anderseits  in 
der  chronologischen  Bestimmung  des  Kampfes  das  Richtige  gesehen. 
(Gewöhnlich  legt  man  die  genaue  Angabe  Arrians  V,  19  zugrunde, 
mit  der  er  seinen  Schlachtbericht  schließt.  Danach  soll  der  Kampf 
unter  Hegemon  327/6  im  Munychion,  d.  h.  Mai,  spätestens,  wenn 
man  Schaltung  annimmt,  Mai  Juni  stattgefunden  haben  (so  auch 
Beloch  Frühling  326).    Allein  die  ganze  Erzählung  zeigt,  daß  die 


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150 


Thomas  Lenschan. 


indische  Regenzeit  bereits  eingetreten  war,  und  V,  9  sagt  Aman 
ganz  richtig  jaetoc  -cpoira?,  was  sicher  nicht  in  xaxd  mit  Sint.  zu  ändern 
ist.  Man  könnte  also  auf  den  Gedanken  kommen,  Diodor  habe  liier 
das  Richtige,  der  die  Schlacht  unter  Chremes  326/5  setzt.  Allein 
Diodors  Ansätze  sind  meist  wenig  zuverlässig,  und  in  der  Tat  läßt  sich 
Arrians  Angabe  halten,  wenn  Hegemons  Jahr  nicht,  wie  Unger  will, 
am  15.  Juni  326,  sondern  erst  am  17.  Juli  endete.  Sicher  falsch 
ist  aber  die  Monatsangabe.  Wenn  unter  Hegemon,  so  ist  die  Schlacht 
in  Skirophorion  geschlagen,  und  da  eine  einigermaßen  einleuchtende 
Konjektur  unmöglich  ist,  so  wird  wohl  nichts  anderes  übrig  bleiben 
als  die  Annahme,  daß  die  ursprüngliche  Angabe  nach  dem  make- 
donischen Kalender  schon  von  Arrians  Quelle  falsch  geglichen  ist. 

Wenden  wir  uns  nun  der  Allgemeinbetrachtung  von  Alexanders 
Wirken  zu,  so  fällt  hier  zuerst  das  eigentümliche  Gesamturteil 
auf,  das  Beloch  (III.  1,  S.  66)  über  Alexander  gefallt  hat,  und 
in  dem  er  ihm  sowohl  den  Ruhm  des  großen  Feldherrn  als  auch  den 
des  Staatsmannes  fast  vollkommen  abspricht.   Seine  Erfolge  über  die 
Perser  verdankt  er  nach  Beloch  in  erster  Linie  dem  alten  Parmenion, 
wie  das  bei  seiner  Jugend  ja  auch  gar  nicht  anders  sein  konnte, 
und  ebenso  muß  das  so  oft  bewunderte  Einsetzen  der  eigenen  Per- 
sönlichkeit als  ein  Beweis  für  sein  mangelndes  Feldherrntalent  gelten. 
Allein  was  die  Jugend  betrifft,  —  wenn  der  große  Napoleon  ohne 
nennenswerte  militärische  Vorbildung  mit  27  Jahren  den  schwierigen 
italienischen   Feldzug  mit  dem  glänzendsten  Erfolge  durchführen 
konnte,  warum  soll  nicht  Alexander,  der  von  Jugend  auf  durch  seinen 
Vater  militärisch  durchgebildet  war  und  bereits  mit  18  Jahren  bei 
Chaironeia  kommandierte,  mit  22  oder  23  Jahren  der  Täter  seiner 
Taten  gewesen  sein?   4Jnd  das  rücksichtslose  Einsetzen  der  eigenen 
Persönlichkeit  läßt  sich  doch  noch  aus  einem  wesentlich  anderen 
Gesichtspunkt  betrachten.    Sehr  gut  hat  Delbrück  (Geschichte  der 
Kriegskunst  I,  198  ff.)  gezeigt,  daß  die  Pflicht  des  Oberfeldherra,  in 
erster  Linie  sich  zu  schonen,  erst  in  dem  Augenblicke  beginnt,  wo 
in  der  Kriegsgeschichte  die  Reserven  aufzutauchen  beginnen.  Iiis 
dahin  war  der  wichtigste  Posten  die  Leitung  des  Offensivflügels,  in- 
sofern alles  darauf  ankam,  den  siegreichen  Flügel  im  rechten  Augen- 
blick zum  Aufrollen  einschwenken  zu  lassen.    Das  ist  bei  einer 
siegreichen  Reiterei  noch  viel  schwerer  als  bei  einer  Hoplitenphalanx, 
und  wenn  sogar  Epaminondas  es  für  nötig  hielt,  diesen  Posten  selber 
zu  besetzen,  so  konnte  eben  Alexanders  Platz  nirgendwo  anders  sein 
als  an  der  Spitze  der  Hetärenreiterei,  der  er  aus  taktischen  Gründen 
den  Offensivstoß  in  seinen  Schlachten  zuwies.    Der  Ausgang  von 


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Jahresbericht  über  griethische  Geschichte  (1903— 190öj. 


151 


Ipsos  hat  die  Gefahr  gezeigt,  die  darin  lag,  wenn  der  auf  diesem 
Posten  stehende  Führer  seine  Leute  nicht  fest  in  der  Hand  hielt 
und  etwas  Ähnliches  wie  Demetrios  wäre  ja  Alexander  bei  Gaugamela 
auch  beinahe  passiert.  Eines  ist  allerdings  richtig:  Neue  strategische 
Gesichtspunkte,  wie  sie  die  Kampagne  von  1796  aufweist,  sucht 
man  in  den  ersten  Alexanderschlachten  vergebens,  sofern  überall  das 
Schema  der  Durchbruchsschlacht  des  Epaminondas  angewandt  wird. 
Erst  das  Treffen  gegen  Porös  zeigt  eine  etwas  andere  Anlage  und 
läßt  den  Schluß  zu,  daß  Alexander  auch  auf  diesem  Gebiete  Neues 
geschaffen  haben  würde,  wenn  ihm  ein  längeres  Leben  beschieden 
gewesen  wäre.  Ähnlich  steht  es  in  taktischer  Hinsicht  ;  die  von  AI. 
zur  Ausbildung  gebrachte  Taktik  der  verbundenen  Waffen  ist  im 
wesentlichen  von  Epaminondas  (bei  Mantineia)  und  König  Philipp 
gesebaflen  worden.  Aber  A.  erscheint  als  Vollender  der  griechischen 
Taktik,  die  nach  ihm  kaum  noch  Fortschritte  gemacht  hat ;  tatsächlich 
zeigen  Sellasia  222  und  Mantineia  207  noch  ganz  dieselbe  Anlage 
wie  Mantineia  362.  Erst  mit  Hannibal  beginnen  die  genialen 
Neuerungen  auf  diesem  Gebiete. 

Allein  auch  das  Urteil  über  Alexander  als  Staatsmann 
ist  zu  hart,  sobald  man  bedenkt,  daß  der  König  gerade  da  starb,  als 
der  militärische  Teil  seiner  Aufgabe  vollendet  war  und  die  Arbeit 
des  Staatsmannes  begann.  Daß  er  die  alte  Verwaltung  zunächst  für 
sich  weiter  arbeiten  ließ  und  nur  ihre  schlimmsten  Schäden  beseitigte, 
ist  ein  Beweis  seiner  staatsmännischen  Selbstbescheidung,  die  die 
notwendigen  Reformen  so  lange  zurückstellte,  bis  das  wichtigste,  die 
militärische  Okkupation  durchgeführt  war.  Von  der  Weite  seines 
politischen  Horizonts  geben  auch  die  von  Beloch  mit  Recht  hervor- 
gehobenen Städtegründungen  einen  vorteilhaften  Begriff.  Manche 
der  von  ihm  gewählten  Stätten  sind  noch  heute  nach  Jahrtausenden 
Mittelpunkte  des  Handels  und  Verkehrs.  Im  übrigen  sind  wir  über 
die  staatsmännische  Seite  von  AI.  Tätigkeit  bei  weitem  nicht  so  gut 
unterrichtet  wie  über  die  militärische;  jene  bot  der  Vulgata  mit  ihren 
panegyristischen  oder  alexanderfeindlichen  Tendenzen  keinerlei  An- 
griffspunkt und  Arrian  wendet  sich  so  ausschließlich  der  kriegerischen 
Tätigkeit  Al.s  zu.  daß  man  über  staatsmännische  Maßnahmen  nur 
das  allernotwendigste  aus  ihm  erfährt.  Immerhin  sind  trotz  der 
kurzen  Regierungszeit  Ansätze  zu  entdecken,  die  AI.  auch  als 
schöpferischen  Staatsmann  erkennen  lassen,  und  die  von  Köhler  in 
einem  etwas  umständlichen  Aufsatz  dargelegt  sind.  Richtig  ist  vor 
allem  der  Ausgangspunkt  gewählt:  das  Material,  aus  dem  Alexander 
schöpfte,  war  außer  den  staatlichen  Verhältnissen  der  eigenen  Heimat 


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152 


Thomas  Lensehau. 


in  erster  Linie  die  Verfassung  und  die  Verwaltungstechnik  des 
persischen  Reiches,  das  er  unterwarf.  Jenen  entnahm  er  die  Abstufung 
des  Untertanenverhältnisses,  die  seiner  sonst  zentralisierenden  Tendenz 
zuwiderlief  und  sich  vor  allem  in  der  Belassung,  ja  sogar  Neuschaffung 
abhängiger  Dynastien  zeigt,  eine  Erscheinung,  die  übrigens  vorher  im 
Perserreich  und  später  unter  der  Seleukidenherrschaft  ganz  ebenso 
hervortrat.  Weiter  ließ  er  die  Satrapieneinteilung  bestehen,  suchte 
aber  dem  alten  Übel  der  Selbständigmachung  einzelner  Satrapien 
dadurch  entgegenzuwirken,  daß  er  die  Satrapengewalt  teilte,  das 
militärische  Kommando  sowie  die  finanzielle  Seite  bestimmten  Beamten 
übergab  und  dem  Satrapen  nur  die  innere  Verwaltung  überließ. 
Doch  halte  ich  es  nicht  für  richtig,  mit  Köhler  diese  Neuerung  aut 
Alexanders  Konto  zu  setzen;  wenigstens  die  Teilung  zwischen  Militär- 
und  Zivilgewalt  war  schon  unter  Dareios  I.  eingeführt,  eine  Ansicht, 
die  ich  schon  Vorjahren  zu  erweisen  gesucht  habe  (Leipz.  Stud.  XII. 
S.  187  f.),  und  die  ich  auch  durch  Meyers  Bemerkungen  in  der  Griech. 
Geschichte  (III.  Anf.)  nicht  widerlegt  finde.  Wenn  also  AI.,  da  die 
Zweiteilung  im  sinkenden  Perserreich  nicht  mehr  genügte,  nun  auch 
die  finanzielle  Seite  einem  besonderen  Beamten  übergab,  so  ist  das 
nur  ein  Schritt  weiter  auf  dem  bereits  von  Dareios  eingeschlagenen 
Wege.  Das  wirklich  Schöpferische  liegt  dagegen  in  einem  andern 
Punkte,  auf  den  Köhler  mit  Recht  aufmerksam  macht,  nämlich  darin, 
daß  er  die  Steuereinnehmer  mehrerer  Provinzen  einem  Oberbeamten 
unterstellte;  denn  damit  scheint  mir  der  Übergang  zum  modernen 
Staat  mit  seinen  getrennten  Verwaltungszweigen  oder,  um  es  vielleicht 
noch  schärfer  auszudrücken ,  der  Übergang  vom  Provinzial-  zum 
Ressortministersystem  gegeben  zu  sein.  Leider  hat  der  frühe  Tod 
Alexanders  diese  und  andere  verheißungsvolle  Ansätze  vernichtet : 
sofort  griffen  die  Nachfolger  auf  das  alte  Satrapensystem  zurück  und 
der  Zerfall  begann.  Weder  Perdikkas  noch  Antigonos,  die  doch  beide 
Vertreter  der  Reichseinheit  waren,  scheinen  den  Gedanken  des  großen 
Königs  wirklich  erfaßt  zu  haben.  Wie  verhältnismäßig  wenig  über- 
haupt von  Alexanders  Tätigkeit  geblieben  ist,  davon  wird  noch  aus- 
führlich am  Ende  des  siebenten  Kapitels  die  Rede  sein  müssen. 

Doch  kehren  wir  wieder  zu  der  Reihenfolge  der  geschichtlichen 
Ereignisse  zurück.  Alexanders  Beisetzung,  die  Arrhidaios 
übertragen  war,  erfolgte  erst  zwei  Jahre  nach  dem  Tode,  und  zwar 
in  Memphis;  die  übrigen  Angaben,  die  von  einer  zweimaligen  Bei- 
setzung in  Alexandria  reden,  erklärt  Jacoby  mit  Recht  als  durch 
Mißverständnis  hervorgerufen.  Die  Konstruktion  des  dabei  benutzten 
Wagens  ist  neuerdings  eine  archäologische  Streitfrage  geworden. 


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Jahresbericht  über  griechische  Geschichte  (190iJ — 1906). 


15tf 


die  durch  die  Dissertation  von  Müller  eröffnet  worden  ist.  Daran 
hat  sich  eiue  ganze  Reihe  von  Erörterungen  von  v.  Wilamowitz, 
Petersen,  Reuß  und  Bulle  geschlossen,  die  ich  hier  übergehen  kann, 
da  sie  nicht  ein  historisches  Interesse  im  engeren  Sinne,  sondern  vor- 
wiegend archäologische  Bedeutung  haben.  Dasselbe  gilt  von  den 
Untersuchungen  über  die  Bildnisse  Alexanders  des  Großen,  die  uns 
von  Ujfalvy,  Schreiber,  Burrows  und  Bernoulli  beschert  sind.  So 
wichtig  die  Entwicklung  der  einzelnen  Alexandertypen  für  die  Kunst- 
geschichte ist,  so  wenig  lernt  man  daraus  über  das  wirkliche  Aus- 
sehen des  Königs,  und  nur  dieses  ist  für  den  Historiker  von  Interesse. 
Im  großen  und  ganzen  ergibt  sich  das  eine,  was  II.  v.  Fritze  in 
seiner  Besprechung  des  Schreiberschen  Buches  (WSkPh.  1904,  S.  1107) 
kürzlich  erst  wieder  festgestellt  hat,  daß  nämlich  von  wirklicher 
Porträtähnlichkeit  nur  bei  der  kleinen  Pariser  Bronzefigur  gesprochen 
werden  kann,  deren  Züge  im  wesentlichen  mit  dem  Bilde  stimmen, 
das  die  gleichzeitigen  Quellen  von  der  physischen  Erscheinung  des 
Königs  geben.  Im  letzten  Grunde  wird  sie  wohl  auf  eine  Arbeit  des 
Lysippos  zurückgehen. 

Die  Reihenfolge  der  Ereignisse  von  Alexanders 
Tod  bis  zur  Schlacht  von  Issos,  die  im  allgemeinen  durch  Diodor 
sicher  steht,  hat  Beloc h  einer  genauen,  bis  ins  einzelne  gehenden 
Untersuchung  unterworfen,  die  in  allem  Wesentlichen  das  Richtige 
trifft  (III,  2,  Kap.  11).  Insbesondere  hat  er  mit  scharfem  Blick  die 
Seeschlacht  von  Amorgos  als  die  Entscheidung  des  lamischen  Krieges 
erkannt,  neben  der  die  Kämpfe  in  Thessalien  nur  sekundäre  Bedeutung 
haben.  Ins  Jahr  320  fällt  wahrscheinlich  eine  von  B.  nicht  berück- 
sichtigte Expedition  des  Kleitos  nach  Cypern ,  die  im  Dekret  der 
Nasioten  CIG.  2166 e  =  Hicks,  Greek  hist.  Inscr.  138  erwähnt  ist; 
es  ist  wohl  dieselbe,  bei  der  sich  auch  Phaidros'  Vater  Thymochares 
auszeichnete  (CIA.  II,  331,  9).  Offenbar  war  sie  bestimmt,  den  in 
Kleinasien  kämpfenden  Perdikkanern  eine  Diversion  zu  machen,  was 
auch  gelang.  Die  Bedrohung  im  Rücken,  nicht  böser  Wille,  wie 
Beloch  und  Bouche"  Leclercq  I,  33  wollen,  war  der  Grund,  weswegen 
Alketas  und  Attalos  Eumenes  in  der  Schlacht  von  Orkynia  nicht  zu 
Hilfe  kamen.  Auch  in  der  Beurteilung  des  Friedensschlusses  von  311 
kann  ich  Beloch  nicht  folgen,  wenn  er  meint,  Seleukos  sei  nicht  nur 
in  den  Frieden  mit  einbegriffen,  sondern  auch  als  Herr  der  oberen 
Provinzen  anerkannt  worden.  Richtig  ist,  daß  Diodors  Schweigen 
nichts  beweist,  weil  er  möglicherweise  die  bei  Hieronymos  vorhandene 
Notiz  einfach  ausließ,  und  ebensowenig  beweist  die  Nichterwähnung 
des  Seleukos  in  dem  Briefe  des  Antigonos  an  die  Skepsier,  weil 


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ir>4 


Thomas  Lenschau. 


möglicherweise  im  Augenblick  des  Schreibens  die  Verhandlungen  mit 
Seleukos  noch  nicht  abgeschlossen  waren.  Allein  wenn  B.  sagt, 
die  Bundesgenossen  hätten  Selenkos  nicht  ausschließen  dürfen,  und 
wenn  er  ausgeschlossen  wäre,  so  hätte  sich  Antigonos  nach  dem 
Frieden  sofort  gegen  Seleukos  wenden  müssen,  so  sind  diese  Gründe 
nicht  gerade  zwingend.  An  der  allerdings  notwendigen  Abrechnung 
kann  Antigonos  durch  den  zwei  Jahre  nachher  erfolgenden  Wieder- 
ausbruch des  Krieges  verhindert  sein,  und  anderseits  konnten  die 
Verbündeten  Seleukos  insofern  mit  einem  Schein  des  Rechtes  fallen 
lassen,  als  er  seit  seiner  Ankunft  in  Babylon  überhaupt  nicht  mehr  am 
Kriege  teilgenommen,  sondern  sich  mit  der  Begründung  seiner  Herr- 
schaft in  den  oberen  Provinzen  befaßt  hatte.  Sehr  anständig  war 
das  freilich  von  den  Verbündeten  nicht,  besonders  nicht  von  Ptole- 
maios,  und  ihm  wenigstens  hat  Seleukos  den  Streich  mit  Zinsen  heim- 
gezahlt :  zehn  Jahre  später  ward  nach  demselben  Grundsatz  Ptolemaios 
von  der  Beute  ausgeschlossen,  da  er,  angeblich  durch  ein  falsches 
Gerücht  getäuscht,  an  der  Schlacht  von  Ipsos  nicht  teilgenommen 
hatte.  Will  man  also  nicht  mit  Niese  annehmen,  daß  zwischen  Anti- 
gonos und  Seleukos  ein  Waffenstillstand  abgeschlossen  ward,  was  mir 
ziemlich  unwahrscheinlich  vorkommt ,  so  bleibt  nur  ein  Ausweg :  es 
kann  gegangen  sein  wie  1805  im  Frieden  zu  Preßburg,  der  zwischen 
Frankreich  und  Rußland  kein  Abkommen,  sondern  nur  ein  tatsäch- 
liches Aufhören  des  Kriegszustandes  herbeiführte.  Ähnlich  sieht 
Bouche"  (I,  54)  die  Sache  an;  die  bei  Arr.  Ind.  48  zeitlos  überlieferte 
Hilfsexpedition  des  Ptolemaios  an  Seleukos  verlegt  er  hinter  den 
Frieden  von  311  und  glaubt,  dann,  nach  dem  Wiederausbruch  des 
Krieges  durch  Polemaios'  Abfall  309,  sei  ein  Separatfriede  zwischen 
Antigonos  und  Seleukos  geschlossen  worden. 

Um  diese  Zeit  fällt  auch  der  Abfall  von  Delos,  den  Belooh 
gleich  nach  dem  Freiheitsdekret  des  Antigonos  315,  v.  Schöffer  und 
Bouche*-Leclercq  (1,  62  ff.)  erst  nach  dem  Befreiungszuge  des  Ptole- 
maios 309  erfolgen  lassen.  Nun  war  der  Abfall  sicherlich  ein  Schlag 
gegen  das  von  Kassandros  beherrschte  Athen,  also  mittelbar  für 
Kassandros  selber,  und  den  wird  man  an  sich  eher  dem  Antigonos 
als  dem  Ptolemaios  zutrauen,  der  sich  eben  noch  mit  Kassandros  im 
Bunde  befunden  hatte.  Überhaupt  richtet  sich  ja  die  ägyptische 
Expedition  in  erster  Linie  gegen  Polyperchon,  dem  eine  Reihe  von 
Städten  abgenommen  wurde.  Wenn  eine  von  diesen,  Megara,  ein 
Jahr  später  in  Kassandros  Besitz  erscheint,  so  braucht  das  nicht 
durch  eine  Rückgabe  im  Frieden,  wie  Beloch  III,  1,  150  will,  ge- 
schehen zu  sein.   Bei  der  Eile,  mit  der  Ptolemaios  auf  die  Nachricht 


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Jahresbericht  über  griechische  Geschichte  (190$— 1906).  155 

von  Ophelas  Tod  (Boncne*  I,  65)  sein  peloponnesisches  Unternehmen 
liquidierte,  mag  er  dem  mit  ihm  befreundeten  Kassandros  Megara 
ohne  sofortige  Gegenleistung  überlassen  haben.  Paßt  also  der  Abfall 
von  Delos  309  nicht  so  recht  in  die  politische  Lage  hinein,  so  spricht 
für  den  früheren  Termin  auch  die  von  Dürrbach  nnd  Jarde"  mit- 
geteilte älteste  Verpachtungsurkunde  der  Hieropen  in  Delos  (BCH. 
29,  417 — 579  no.  143)v  Die  hier  erwähnten  Archontennamen,  einer 
auf  -aprfi  und  Diaitos ,  fehlen  in  der  für  die  Zeit  von  301 — 216 
vollständig  erhaltenen  Liste,  sie  müssen  nach  dem  ganzen  Aussehen 
der  Urkunden  früher  fallen,  und  zwar  bedeutend  früher,  wie  sich 
aus  den  in  ihnen  enthaltenen  Zahlenangaben  schließen  läßt.  Nach 
Dürrbach  ist  es  nämlich  eine  durchgehende  Erscheinung  in  den 
Hieropenlisten  des  3.  Jahrhunderts,  daß  —  ich  setze  die  Worte  her  — 
„le  taux  des  fermages  va  constamment  en  s'abaissant,  tandis  que  le 
loyer  des  propriöte's  bäties  subit  une  hausse  ä  peu  pres  reguliere". 
Zieht  man  nun  die  bis  dahin  älteste  Hieropenurkunde  aus  dem  Jahre 
des  Pyrrhichides  297  zum  Vergleich  heran,  so  ergibt  sich  ein  so  be- 
deutender Unterschied  zwischen  den  Zahlenangaben  in  dem  oben  be- 
zeichneten Sinne,  daß  ein  zwölfjähriger  Zwischenraum  kaum  zu  seiner 
Erklärung  genügen  würde.  Dürrbach  ist  daher  geneigt,  den  Archon 
Diaitos  ins  Jahr  314  zu  setzen,  womit  dann  die  Entscheidung  für 
Belochs  Ansatz  gegeben  wäre. 

Damit  erledigt  sich  auch  der  Verdacht,  den  Bouchä  a.  a.  0, 
gegen  Demetrios  v.  Phaleron  ausgesprochen  hat,  daß  er  nämlich 
beim  Verlust  von  Delos  für  Athen  seine  Hände  im  Spiel  gehabt  habe. 
Sein  späterer  Aufenthalt  am  Ptolemaierhof  gibt  dazu  kaum  eine  Hand- 
habe: er  ging  erst  nach  dem  Tode  seines  Herrn  Kassandros  dorthin, 
wohl  weil  der  Aufenthalt  in  Alexandrien  seinen  literarischen  Neigungen 
am  meisten  zusagte.  Tatsächlich  ist  das  Verhältnis  zwischen  Demetrios 
und  Kassandros  nie  getrübt  worden,  was  doch  notwendigerweise  hätte 
eintreten  müssen,  wenn  der  Phalereer  Ptolemaios  die  Insel  in  die 
Hände  gespielt  hätte.  Im  Gegenteil,  Demetrios  war  ein  zuverlässiger 
Diener  seines  Herrn,  und  von  diesem  Gesichtspunkt  wird  man  auch 
seine  Verwaltung  Athens  betrachten  müssen.  Daß  sie  glänzend  war, 
daß  Athen  wahrscheinlich  nie  so  gut  regiert  worden  ist  wie  damals, 
kann  man  Beloch  (III,  1,  150  ff.)  ruhig  zugeben;  allein  die  Macht 
Athens,  vor  allem  seine  Flotte  ist  rettungslos  in  Verfall  geraten,  so 
daß  nach  der  Vertreibung  des  Phalereers  eine  große  Reorganisation 
nötig  ward,  zu  der  der  alte  Antigonos  die  Mittel  stiftete.  Geholfen 
hat  es  freilich  nicht  mehr.  Mit  seiner  auf  die  besitzenden  Klassen 
sich  stützenden  Politik  ist  Demetrios  doch  darauf  ausgegangen,  syste- 


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150 


Thomas  Lcnschau. 


matisch  den  Athenern  den  Großmachtkitzel  and  das  Freiheitsgefühl 
auszutreiben,  das  im  chremonideischen  Kriege  noch  einmal  aufflammt, 
um  dann  von  den  lediglich  materiellen  Interessen  erstickt  zu  werden, 
die  er  gepflegt  hatte.  Der  materielle  Aufschwung  Athens  darf  über 
diese  politische  Demoralisierung  nicht  hinwegtäuschen.  Bis  zum  Tage 
von  Amorgos  war  Athen  die  erste  Seemacht,  die  auf  dem  Meere 
gebot;  unter  dem  Phalereer  hat  sie  sich  höchstens  noch  gegen  die 
Piraten  betätigt;  ein  Machtfaktor  ist  sie  nie  wieder  geworden.  Und 
doch  zeigt  das  Beispiel  des  kleineren  Rhodos,  daß  eine  energisch 
geleitete  Stadtrepublik  auch  damals  noch  eine  hervorragende  Rolle 
zu  spielen  vermochte. 

Die  Belagerung  von  Rhodos  305/4  ist  der  Anfang  jener  glänzenden 
Entwicklung,  die  sich  über  150  Jahre  erstreckte,  bis  die  Römer  ihr 
durch  die  Ruinierung  des  rhodischen  Handels  ein  Ziel  setzten.  Schon 
gegen  Ende  des  4.  Jahrhunderts  hatte  die  Stadt  überallhin  ihre  Be- 
ziehungen, auch  ins  Westmeer  und  wahrscheinlich  auch  mit  Rom; 
dennoch  bleibt  es  zweifelhaft,  ob  ein  wirklicher  Handelsvertrag  zwischen 
den  beiden  Städten  damals  schon  existierte.  Man  schloß  dies  aus 
Pol.  30,  5 — 6,  wonach  die  Rhodier  „140  Jahre  mit  den  Römern  zu- 
gleich die  herrlichsten  und  schönsten  Dinge  verrichtet  haben".  Allein 
II  o  1 1  e  a  u  x  und  gleichzeitig  etwa  Beloch  (I,  299,  Anm.  2)  haben  gezeigt, 
daß  es  sich  hier  doch  nur  um  die  Bundesgenossenschaft  mit  den 
Römern  seit  dem  zweiten  makedonischen  Kriege  gehandelt  haben 
kann,  und  daß  eben  darum  die  Worte  npbs  tq!c  exatov  im  Text  des 
Polybios  zu  streichen  sind.  Alsdann  ist  nur  von  den  gemeinsamen 
Kriegstaten  der  letzten  „fast  vierzig"  Jahre  200 — 167  die  Rede,  und 
es  entfällt  jede  Nötigung,  einen  Handelsvertrag  um  300  anzunehmen. 
Wenn  Colin  dagegen  geltend  macht  (Rome  et  la  Grece  p.  44,  Anm.  4), 
daß  „fast  vierzig"  doch  für  33  Jahre  eine  etwas  seltsame  Abrundung 
sei ,  so  steht  der  Annahme  nichts  im  Wege ,  daß  die  Beziehungen 
zwischen  Rom  und  Rhodos  bald  nach  der  Beendigung  des  ersten 
makedonischen  Krieges  205  geknüpft  worden  sind.  Wie  vorsichtig  der 
Senat  den  zweiten  Waffengang  mit  Philipp  vorbereitete,  hat  Colin  ja 
selber  am  besten  gezeigt.  Wie  die  Worte  7:p6?  toi;  Ixotov  in  den 
Text  hineingekommen  sind,  bleibt  allerdings  unklar;  jedenfalls  aber 
können  sie  nicht  mehr  als  Unterlage  für  die  Annahme  eines  Handels- 
vertrages von  306  benutzt  werden.  Womit  natürlich  nicht  gesagt 
ist,  daß  damals  auch  keine  Handelsbeziehungen  zwischen  Rhodos  und 
Born  existiert  hätten,  wie  Beloch  mit  Recht  hervorhebt. 

Um  dieselbe  Zeit  haben  die  Herrscher  des  Ostens  den  Königs- 
titel angenommen,  indem  sie  dem  Beispiel  des  Antigonos,  der  gleich 


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Jahresbericht  über  griechische  Geschichte  (1903-1906).  157 

nach  dem  Seesiege  seines  Sohnes  bei  Salamis  das  Diadem  nahm,  un- 
mittelbar Folge  leisteten,  wie  Diod.  20,  53  eigens  hervorhebt.  Damit 
stimmt  es  nicht,  daß  der  vordatierende  ägyptische  Königskanon 
das  erste  Regierungsjahr  Ptolemaios  I.  mit  dem  1.  Thot  (7.  Nov.) 
305  beginnen  läßt.  Beide  Angaben  suchte  Strack  dadurch  zu  ver- 
einigen, daß  er  die  Annahme  des  Königstitels  zwar  sofort  306,  die 
feierliche  Krönung  in  Memphis  aber  erst  nach  dem  7.  Nov.  305  er- 
folgen ließ,  worin  ihm  Bouche^Leclercq  1,  71  f.  beistimmt.  Doch 
scheint  es  richtiger,  eine  Ungenauigkeit  Diodors  anzunehmen,  der  an 
die  Erwähnung  von  Antigonos  Annahme  des  Titels  sofort  die  Namen 
der  übrigen  Diadochen  ohne  Rücksicht  auf  die  Zeit  anschloß;  auch 
Agathokles  und  Seleukos  können  sich,  wie  Beloch  II,  203  f.  ausführt, 
erst  im  Laufe  des  Jahres  305/4  den  Königstitel  beigelegt  haben. 

In  die  letzte  Zeit  vor  die  Katastrophe  von  Ipsos  fällt  der 
Synoikismos  von  Teos  und  Lebedos,  der  nach  einer  sehr 
einleuchtenden  Vermutung  Haussoulliers  (Histoire  de  Milet  S.  23) 
mit  dem  großen  Erdbeben  zusammenzubringen  ist,  das  nach  dem 
Marm.  Par.  304/3  die  Städte  Kleinasiens  verheerte.  Im  übrigen 
gewinnt  die  alte  Droysensche  Ansicht,  daß  Antigonos  den  Griechen- 
städten die  Autonomie  gewährt  und  sie  überhaupt  am  besten  be- 
handelt hat ,  immer  mehr  an  Boden ,  wie  sie  denn  auch  gerade  in 
der  großen  Inschrift ,  die  wir  über  die  Vereinigung  von  Teos  und 
Lebedos  besitzen,  besonders  deutlich  hervortritt.  Schon  früher  (Lpz. 
Stud.  XIII,  S.  174)  habe  ich  die  Ansicht  ausgesprochen,  daß  der 
König  dem  ganzen  Tone  nach  in  dieser  Inschrift  nicht  verfügt,  sondern 
eher  als  Schiedsrichter  auftritt :  sie  ist  später  von  Köhler  in  einem 
auch  sonst  mit  meinen  Ausführungen  sich  vielfach  berührenden 
Aufsatz  wieder  aufgenommen.  Wenn  Hauss.  sie  dadurch  zu  entkräften 
glaubt,  daß  er  auf  die  tatsächlichen  Verhältnisse  hinweist,  die  dem 
König  es  leicht  machten,  seinen  Willen  durchzudrücken,  und  deshalb 
dem  Tone  des  Reskripts  nicht  viel  entnehmen  will,  so  verkennt  er 
doch  gerade  die  Hauptsache:  gerade  der  Ton  ist  es,  der  hier  die 
Musik  macht,  und  daß  Antigonos  einen  freundlichen  Rat  gibt,  wo  er 
zweifellos  befehlen  konnte,  zeigt  am  besten  die  Stellung,  die  die 
Griechenstädte  einnahmen.  Durchaus  paßt  dazu  die  manchmal  rührende 
Art,  mit  der  er  in  jenem  andern  von  ihm  erhaltenen  Reskript  den 
Skepsiern  seine  Politik  von  der  besten  Seite  zu  zeigen  sich  bemüht. 
Hier  wie  sonst  ergibt  es  sich,  daß  Antigonos  der  einzige  der  Diadochen 
gewesen  ist,  der  die  Hauptgedanken  Alexanders  begriffen  hat:  es 
war  der  schlimmste  Schlag  für  die  Hellenisierung  des  Ostens,  als 
301  sein  Reich  auf  der  Wahlstatt  von  Ipsos  zusammenbrach. 


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158 


Thomas  Lenscliau. 


Sechstes  Kapitel. 

Die  hellenistischen  Reiche  des  Ostens  bis  zum 
Eingreifen  Roms.  301-217. 

a)  Inschriften. 

Bourguet,  inscriptions  de  Delphes.    Bull.  Corr.  Hell.    1903.   27,  5—61. 
Dürrbach  et  Jarde,  fouilles  de  Mos.  Bull.  Corr.  Hell.  1904.  28,  93—188. 

b)  Papyrusurkunden. 

Papyrus  grecs  et  demotiques  publii's  par  Th.  Reinach,  W.  Spiegelberg. 

Seymour  de  Ricci.   Paris  1905. 
The  Oxyrhynchus  Pap.  edited  with  translation  and  notes  by  B.  Grenfell  and 

A.  S.  Hunt.   Vol.  III.  1903,  vol.  IV.  1904.  London. 
The  Hibeh  Papyrus  ed.  with  transl.  and  notes  by  B.  Grenfell  and  A.  S. 

Hunt.   London  1906.   Tome  I. 
The  Tebtunis  Papyri  ed.  by  B.  Grenfell,  A.  S.  Hunt,  J.  G.  Smyly.   Part.  I. 

Oxford  1902. 

Jouguet  et  Lefebvre,  Papyrus  de  Magdola.  Bull.  Corr.  Hell.  1903.  27,  174 
bis  205. 

c)  Münzen. 

Macdonald,  G.  early  Seleucid  Portraits  J.  H.  St.    1903.   23,  92—116. 
Svoronos,  rd  vofAfa|jLara  toü  xprrouc  tuiv  ÜToXtfi-oftuv.    iv  'A^vattc  1904. 
Wace,  Alan  J.  B.,  hellenistic  royal  portraits  JHSt    1905.   25,  86—104. 

d)  Einzelschriften. 

Bcloch,  Bevan,  Bouchä  s.  vor.  Kap. 

Breccia,  Evaristo,  il  diritto  dinastico  nelle  monarchie  ellenistiche  Roma, 
1903. 

Th.  Büttner-Wobst,  zur  Geschichte  des  pyrrhischen  Krieges.  Klio.  III,  164 
—167.  1903. 

Cardinali,  Giuseppe,  il  regno  di  Pergamo.   Torino  1906. 
— ,  la  guerra  di  Litto.   Riv.  fil.  8>%  519—551.  1905. 

— ,  Crete  e  le  grande  potenze  hellenistiche  sino  alla  guerra  di  Litto.  Riv. 

stör.  ant.  IX,  69—94.  1904. 
— ,  della  terza  guerra  Siriaca  e  della  guerra  fraterna.   Riv.  fil.   1903.  31, 

431-448. 

Contoteon  et  Reinach,  Decret  d'  los.   Rev.  £t.  grecq.  1904.   17,  196—214. 
Corradi,  nota  sulla  guerra  tra  Tolomeo  Euergete  etc.   Atti  Real.  Accad. 

Tor.  40,  805—827. 
Cuntz,  Polybios  und  sein  Werk.  Leipzig  1903. 

Delamarre,  P.,  l'influence  Mac<?donienne  dans  les  Cyclades.  Rev.  de  Philol. 
1902,  304-325. 

— ,  un  nouveau  document,  rölatif  ä  la  contederetion  des  Cyclades.  Ib. 
p.  291-300. 

Ferguson,  W.  S.,  Athenian  politics  in  the  early  third  Century.   Klio.  V 
155—179,  mit  Nachwort  v.  Ed.  Meyer. 


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Jahresbericht  über  griechische  Geschickte  (1903— 190G) 


Ferguson,  W.  S.,  the  priests  of  Asklepios.  A  new  metkod  of  dating  Atkcnian 

arckons.   Puhl,  of  tke  Univ.  of  California.    Vol.  I,  p.  131—173.  1906. 
Gkione,  note  sul  regno  di  Lisimaco.  Atti  Real.  Accad.  Torino  39,  619 — 628. 
Graef,  Botko,  Antiockos  Soter.  Jakrb.  Arck.  Inst.  1902,  S.  72—80. 
Graindor,  P.,  Dekret  d'Ios.  BCH.  27,  394—400.  1903,  fouilles  de  Karthaia 

ib.  30,  92-102.  1906. 
Hiller  v.  Gaertringen,  Fr.,  der  Verein  der  Bacchisten  und  die  Ptolemaeer- 

kerrsckaft  auf  Tkera.  Festschrift  für  O.  Hirschfeld.  S.  87—99.  1904. 
Holleaux,  Maur.  remarques  sur  le  papyrus  de  Gourob.  (Flinders  Petrie  Pap. 

II,  15  III,  144).    Bull.  Corr.  Hell.  30,  330-348.  1906. 
— ,  lltoAeuatoc  Auoififltyoy.  Ib.  28,  408 — 419. 
— ,  Decret  de  Siphnos.   Ib.  29,  319—828. 
— ,  sur  un  passage  de  la  vie  d'Aratos  Herrn.    1906,  475—78. 
— ,  la  preraiere  expedition  d'Antiochos-le-Grand  cn  Koilesyrie  Me*l.  Nicole. 
Keil,  Br.,  Krfpou  retov.   Rev.  de  Phil.  1902,  257-262. 

Kolbe,  Walter,  die  attiscken  Arckonten  von  293/2—271/0.  Mitt.  Arck.  Inst. 

Atken.  30,  73—112. 
Kromayer,  Jok.,  Antike  Scklacktfelder  in  Grieckenland  I.   Berlin  1903. 
Lammert,  Edm.,  zu  den  grieckiscken  Scklacktfelderstudien.  Neue  Jakrh.  f. 

d.  klass.  Alt.  1904,  112  ff.,  195  ff.,  252  ff. 
Lekmann,  C.  F.,  zur  Ckronologie  des  ckremonideiscken  Krieges.   Klio.  III, 

170-71. 

— ,  nockmal8  die  Ckronol.  des  ckrem.  Krieges.  Ib.  IV,  121. 
— ,  der  erste  syriscke  Krieg  und  die  Weltlage  um  275.  Klio.  III,  491 — 547. 
— ,  Seleukos,  König  der  Makedonen.  Klio.  V,  244—254.  1905. 
— ,  zur  attiscken  Politik  vor  dem  ckremonideiscken  Kriege.  Ebd.  275 — 291. 
Levi,  L.,  la  battaglie  di  Cos  e  di  Andros  Atti  Real.  Acc.  Torino  39,  629—635. 
Makaffy,  .T.  P.t  tke  progress  of  Hellenism  in  Alexanders  empire.  Ckicago 
and  London  1905. 

—  and  J.  G.  Smyly,  on  tke  Flinders  Petrie  papyri  witk  transcriptions, 
commentaries  and  index.  Royal  Irisk  Acad.  Cunningkam  Memoirs  XI. 
Dublin  1905. 

Reinack,  Tk.,  l'attaque  de  Delpkes  par  les  Gaulois.   Comptes  rendus  de 

PAcad.  des  inscr.  1904,  158—172. 
Roloff,  G.,  Prokieme  der  antiken  Kriegsgesckickte.   Berlin  1904. 
Smyly,  J.  G.,  on  tke  relation  of  tke  Macedon  to  tke  Egyptian  calendar 

Hermatkena  31,  393—98.  1905. 
— ,  tke  revenue  years  of  Pkiladelpkus,  Euergetes  and  Pkilopator.   Ib.  32, 

106—116.  1906. 

Sokolow,  Theod.,  zur  Gesckickte  des  III.  vorckristlicken  Jakrkunderts.  1. 

Alexander,  Krateros  Sokn.   Klio.  III,  119 — 130. 
— ,  der  Antiockos  der  Insckriften  von  Ilion.   Klio.  IV,  101 — HO. 
— ,  das  jakrlicke  Nemeenfest.   Klio.  V,  219 — 228. 

Soteriades,  Georgios,  Ävaexa<pai  cv  Blpjuup  'E^f*.  dpyaw)..  1905.  S.  55—100. 
Sundwall,  J.,  Epigraphische  Beiträge  zur  sozial-polit.  Geschickte  Atkens  im 

Zeitalter  des  Demostkenes.   Leipzig  1906. 
Varese,  P.,  II  calendario  Romano  all'  eta  della  prima  guerra  Punica.  Studi 

di  Stor.  Ant.  Vol.  IV.  Roma  1906. 
Wilcken,  Ulr.,  die  angeblicke  Abdankung  Euergetes  I.  Klio.  IV,  386.  1904. 


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Thomas  LenM-hau. 


Das  dritte  vorchristliche  Jahrhundert  ist  in  seinem  größten  Teile 
eine  der  dunkelsten  Perioden  der  griechischen  Geschichte ,  was  mit 
dem  nahezu  vollständigen  Aufhören  der  literarischen  Quellen  zusammen- 
hängt. Von  dem  geradezu  jammervollen  Zustand  unserer  Überlieferung 
gibt  Beloch  einen  bei  aller  Knappheit  vollständigen  und  zuverlässigen 
Überblick  (III,  2,  S.  6  ff.).  Erst  die  Verhältnisse  des  Mutterlandes 
in  den  Jahren  von  230 — 220  stehen  wieder  mit  hinlänglicher  Deutlich- 
keit vor  uns,  dank  der  Darstellung  Plutarchs  in  den  Lebens- 
beschreibungen von  Arat,  Agis  und  Kleomenes,  über  die  noch  immer 
Klatts  Forschungen  (1878)  das  Beste  bieten;  auch  Beloch  greift 
stete  wieder  auf  ihn  zurück.  Mit  dem  Jahre  220,  also  erst  ganz 
am  Ende  des  Zeitraumes,  setzt  dann  Polybios  ein,  zweifellos  trotz 
aller  Angriffe ,  die  besonders  seine  Schlachtberichte  in  den  letzten 
Jahren  erfahren  haben,  eine  Quelle  ersten  Ranges,  Über  ihn  haben 
wir  die  eingehende  Monographie  von  C  u  n  t  z  erhalten,  die  allerdings 
hauptsächlich  den  geographischen  Problemen  nachgeht,  aber  auch  für 
die  Anlage  und  Entstehungszeit  des  Gesamtwerkes  eine  Reihe  weit- 
voller  Bemerkungen  enthält. 

Je  spärlicher  die  literarische  Überlieferung  ist,  um  so  wichtiger 
sind  für  uns  die  Inschriften,  die  infolge  der  systematisch  ge- 
leiteten Ausgrabungen  in  immer  wachsender  Anzahl  zutage  treten. 
Vor  allem  fördern  die  Franzosen  in  Delos  und  Delphi  ein  gewaltig 
anschwellendes  Material  zutage,  das  leider  noch  immer  der  Ver- 
arbeitung harrt;  nur  für  Delos  halten  Dürrbach  und  Jarde  in  ihren 
fortlaufenden  Veröffentlichungen  im  BCII.  das  Publikum  anf  dem 
Laufenden,  wodurch  das  Fehlen  des  betreffenden  Bandes  im  Insel- 
Korpus  (IG.  XII),  dessen  Bearbeitung  die  Franzosen  übernommen 
haben,  immerhin  einigermaßen  ersetzt  wird.  Schlimmer  steht  es  mit 
den  delphischen  Inschriften  IG.  VIII,  deren  Bearbeitung  ebenfalls 
den  Franzosen  überlassen  worden  ist.  Auch  hier  ruht  die  Aufgabe 
allein  auf  den  Schultern  Homolies  und  Kontoleons,  und  es  wäre  sehr 
zu  wünschen,  daß  die  französische  Regierung  bald  genügend  Arbeits- 
kräfte mobil  macht,  um  die  Herausgabe  des  inschriftlichen  Materials 
zu  beschleunigen.  Welche  Gefahren  der  gegenwärtige  Zustand  in 
sich  birgt,  darauf  hat  Pomtow  mit  seinem  im  Eingang  des  vorigen 
Kapitels  erwähnten  Bericht  hingedeutet.  Um  so  erfreulicher  ist  die 
Schnelligkeit,  mit  der  im  letzten  Jahre  die  Inschriften  von  Priene 
erschienen  sind;  weitere  kleine  Funde,  wie  die  Entdecknngen ,  die 
Soteriades  bei  seiner  Durchforschung  des  alten  Thermon  gemacht  hat, 
werden  weiter  unten  zur  Sprache  kommen.  Doch  sei  auch  hier  auf 
Dittenbergers  Orientis  graeci  inscriptiones  hingewiesen,  die  das  gesamte 


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1 


Jahresbericht  über  griechische  Geschichte  (1903-1906).  161 

bis  1904  vorhandene  Material  historisch  interessanter  Inschriften  in 
bequemer  Übersicht  darbieten.  Nicht  so  günstig  sind  wir  für  die 
Münzen  gestellt,  da  das  Corpus  numoram  noch  in  den  Anfängen 
steckt;  die  bisher  erschienenen  Bände  (die  makedonischen  Münzen 
von  Gaebler  (1906)  und  die  Münzen  Moesiens  und  Dakiens  v.  Pick 
(1899)  bieten  für  die  Geschichte  des  gegenwärtig  in  Rede  stehenden 
Zeitraumes  nicht  viel.  Dagegen  haben  die  Münzen  der  Ptolemaier 
in  Svoronos  einen  Bearbeiter  gefunden,  dessen  Ergebnisse  auch 
der  sachkundigen  Beurteilung  Kurt  Keglings  (Ztschr.  für  Numism. 
25,  344—399)  für  die  Zeit  von  305—204  und  für  den  Ausgang  der 
Dynastie  80 — 30  (Ptolemaios  XIII  und  Kleopatra)  als  durchaus  ge- 
sichert gelten  können.  Einigermaßen  trifft  das  auch  auf  die  Zeit 
von  204 — 180,  weniger  für  die  ersten  Jahre  323 — 305  zu,  während 
für  das  Jahrhundert  von  180 — 80  die  endgültige  Zuteilung  noch  nicht 
gelungen  ist.  —  Mit  den  Münzen  der  Seleukiden  befaßt  sich  der 
Aufsatz  Macdonalds,  der  34  Nummern  der  Münzstätte  Alexandreia 
Troas  zusammenbringt,  die  alle  zwischen  280—229  fallen  und  deren 
Hauptmasse  er  Antiochos  Hierax  zuweist.  Einen  Überblick  über  das 
Gesamtmaterial  der  hellenistischen  Herrscherporträts  gibt  Wace. 
Von  den  Seleukiden  belegt  er  die  ganze  Reihe  bis  Antiochos  VIII. 
Grypos,  von  den  Lagiden  Ptolemaios  I.  und  Berenike,  Philadelphos, 
Euergetes  und  Berenike  d.  J..  Philopator  und  Arsinoe,  Ptolemaios  V., 
Kleopatra  I.  und  VI.,  dazu  drei  Attaliden  (Philetairos ,  Attalos  und 
Apollonis),  endlich  Demetrios  und  Perseus  aus  dem  Geschlecht  des  Anti- 
gonos.  Eine  Porträtbüste  Antiochos'  I.  (Soter)  erkennt  G  rae  f  in  dem  vati- 
kanischen Kopf  bei  Arndt- Bruckmann  105,  106  (Heibig,  Führer  219). 

Neben  die  Inschriften  und  Münzen  treten  als  zeitgenössische 
Quelle  ersten  Ranges  die  Papyrus  Urkunden,  von  denen  mehrere 
Sammlungen  neu  erschienen  sind.  Allerdings  sind  die  meisten  nicht 
direkt  geschichtlicher  Natur,  sofern  man  besonders  die  politische 
Geschichte  im  Auge  hat;  vielmehr  beziehen  sie  sich  in  erster  Linie 
auf  die  Verwaltung  des  Pharaonenreiches.  Immerhin  finden  sich 
darunter  auch  so  wichtige  Stücke,  wie  der  schon  vor  mehreren  Jahren 
in  Gurob  entdeckte  Papyros  mit  dem  militärischen  Bericht  über  Vor- 
gänge aus  dem  Beginn  des  dritten  syrischen  Krieges;  andere,  wie 
besonders  die  von  Jouguet  und  Lefebvre  herausgegebenen  Papyri 
von  Magdola  sind  durch  genaue  Datierungen  wesentlich,  die  eine 
schärfere  chronologische  Festlegung  ermöglichen.  Zu  nennen  sind 
hier  die  Oxyrhynchos  und  Tebtunis  Papyri,  beide  herausgegeben  von 
Grenfell  und  Hunt,  die  neben  einem  umfangreichen  Urkundenmaterial 
aus  späterer  Zeit  (120—90  v.  Chr.)  auch  einzelne  frühere  Stücke 

Jahresbericht  für  AlWrtumswisaeDschaft.    Bd.  C.YXXV.  11 


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Thomas  Lenschau. 


wie  die  Briefe  Aber  Steuereintreibung  in  Lesbos,  Karien  und  Lykien 
enthalten  (Ende  des  8.  Jahrh.).  Ferner  die  ebenfalls  von  Grenfeü 
und  Hunt  herausgegebene  Hibeh-Papyri ,  die  fast  nur  Material  aus 
den  Jahren  300—220  liefern,  während  die  von  Reinach,  Spiegelberg 
und  Ricci  edierten  Urkunden  in  ihrem  zweiten  Teil  sich  wieder  auf 
die  spätere  Ptolemaierzeit  (148 — 103)  beziehen.  Auch  die  Nen- 
herausgabe  der  Flinders-Petrie  Papyri  mit  dem  Kommentar  von 
Mahaffy  und  Smyly  wäre  hier  zu  erwähnen ;  über  das  gesamte  täglich 
anwachsende  Material  orientiert  am  besten  Wilckens,  Archiv  für  Papyrus- 
forschung  (bisher  Bd.  I— III  1901—1906).  Die  letzte  eingehende 
Bearbeitung  gibt  August  Bouchö-Leclercq  im  dritten  Band  seiner 
Geschichte  der  Lagiden. 

Damit  sind  wir  bei  den  neuen  Bearbeitungen  der  Geschichte 
des  Hellenismus  angelangt,  unter  denen  Belochs  Werk  unstreitig  den 
ersten  Rang  einnimmt.    Es  umfaßt  den  Zeitraum  von  830 — 217,  der 
zweite  Band  enthält  eine  große  Anzahl  von  Einzelabhandlungen ,  die 
dazu  bestimmt  sind ,  die  Ansätze  und  Ergebnisse  des  Hauptwerkes 
näher  zu  begründen  und  auszuführen.  Das  Werk  ist  dazu  geschaffen, 
auf  lange  Zeit  die  Grundlage  unserer  Kenntnis  der  hellenistischen 
Zeit  zu  bilden ;  immer  wieder  wird  sich  die  Forschung  an  ihm  orien- 
tieren müssen,  und  man  kann  nur  bedauern,  daß  der  Verfasser  sich 
veranlaßt  gesehen  hat,  schon  mit  dem  Jahre  217  abzuschließen. 
Innerhalb  des  von  ihm  behandelten  Zeitraumes  aber  gibt  es  kein 
Problem,  zu  dem  er  nicht  Stellung  genommen  hat,  und  das  ist  um 
so  bewunderungswürdiger,  als  er  sich  keineswegs  auf  die  politische 
Geschichte  beschränkt,  sondern  die  gesamte  wirtschaftliche  und  geistige 
Entwicklung  des  Zeitraumes  bebandelt.    Sehr  passend  sind  diese 
inhaltreichen  Übersichten  gerade  an  der  Stelle  in  die  Darstellung 
eingelegt,  wo  mit  dem  Jahre  280  ein  bedeutsamer  Abschnitt  in  der 
Entwicklung  des  Hellenismus  erreicht  ist.   Nicht  überall  standen  dem 
Verf.  so  gute  Vorarbeiten  wie  Wilckens  Ostraka  und  Meyers  Heerwesen 
für  den  Staat  der  Ptolemaeer,  oder  Breccias  Diritto  dinastico  für 
das  Staatsrecht  oder  Vareses  Arbeit  für  die  Chronologie  des  ersten 
punischen  Krieges  zu  Gebote:  daß  er  trotzdem  ein  lebensvolles  Bild 
der  hellenistischen  Kultur  geschaffen  hat,  verdankt  er  einer  Dax- 
stellungskunst, die  weit  über  das  hinausgeht,  was  in  historischen 
Werken  üblich  ist.    Auch  in  dieser  Hinsicht  bietet  sein  Werk  ein 
Gegenstück  zu  Mommsens  römischer  Geschichte,  obwohl  seine  Grund- 
auffassung sich  fast  nirgends  mit  der  des  großen  römischen  Historikers 
deckt.    Hierüber  wie  über  alle  Einzelfragen  wird  im  Verlauf  der 
Darstellung  zu  sprechen  sein. 


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Jahresbericht  über  griechische  Geschichte  (1903—1906). 


Allein  die  letzten  Jahre  haben  auch  eine  Reihe  wertvoller  Einzel- 
darstellungen gebracht,  die  insofern  als  Ergänzungen  zu  Belochs 
großem  Werke  gelten  können;  unter  ihnen  sind  in  erster  Linie  Bevans 
House  ofSeleukos  und  Auguste  Bouchö-Leclerqs  Geschichte  der 
Lagiden  zu  nennen.  Beide  gehen  auch  auf  die  wirtschaftlichen  und 
Verwaltungsfragen  ein,  wobei  indessen  Bevan  im  Nachteil  ist,  da  er 
die  wichtigen  Untersuchungen  Haussouilliers  (Milet,  chap.  VI)  nicht 
mehr  benutzen  konnte,  während  Bouchös  dritter  Band,  von  dem  erst 
die  Hälfte  erschienen  ist,  eine  vollständige  Durcharbeitung  des  ge- 
samten Materials  zu  werden  verspricht.  Was  diese  beiden  Forscher 
für  die  beiden  Großreiche  geleistet  haben,  leistet  Cardinali  für  das 
pergamenische  Reich  in  einer  äußerst  sorgfältigen  und  erschöpfenden 
Weise ,  so  daß  also  nur  das  makedonische  Reich  einer  eingehenden 
Behandlung  entbehrt,  die  auch  Beloch  als  eine  Notwendigkeit  be- 
zeichnet hat.  Wie  viel  idie  drei  genannten  Werke  zur  Erweiterung 
unserer  Kenntnisse  beigetragen  haben,  vor  allem  Bouchö  und  Cardinali, 
wird  sich  im  Verlauf  des  Berichtes  noch  zeigen ;  hier  möge  noch  auf 
das  kleine  Werk  Mahaffys  hingewiesen  werden,  das  aus  einer  Reihe 
von  Vorträgen  erwachsen  ist  und  den  Fortschritt  des  Hellenismus 
im  Alexanderreich  behandelt.  Den  Glanzpunkt  bildet  die  Darstellung 
des  Ptolcmaierreiches,  zu  dessen  besten  Kennern  der  Vf.  zu  zählen 
ist.  Allein  auch  da,  wo  die  Kürze  der  Darstellung,  die  nur  die 
Hauptgesichtspunkte  angibt,  ihn  zu  phantastischen  Konstruktionen 
verführt,  wie  im  letzten  Kapitel,  bleibt  der  Verf.  iuteressant  und 
originell,  obwohl  er  an  mehr  als  einer  Stelle  zum  Widerspruch  heraus- 
fordert. 


Für  die  chronologischen  Fragen,  die  bei  dem  fast  voll- 
ständigen Fehlen  der  Überlieferung  für  diese  Zeit  des  Hellenismus  im 
Vordergrund  stehen  und  daher  hier  im  Anfang  besonders  abgehandelt 
werden  sollen,  haben  Belochs  umfassende  Untersuchungen  zum  ersten 
Male  einen  Grund  gelegt,  auf  dem  sich  ein  einigermaßen  solider  Bau 
errichten  laßt.  Er  beginnt  mit  einer  kurzen  Auseinandersetzung 
über  Kalender  und  Acren,  insbesondere  über  die  Beziehungen 
zwischen  dem  makedonischen  und  ägyptischen  Kalender,  die  in  allem 
wesentlichen  von  Smyly  bestätigt  wird.  Zunächst  lief  in  Ägypten 
der  makedonische  Kalender  neben  dem  ägyptischen  her ,  wie  die 
Doppeldatierungen  ergeben .  deren  letztes  sicheres  Beispiel  aus  dem 
9.  Jahr  des  Epiphanes  197/6  (Stein  v.  Rosette)  stammt.  Dann  ist 
eine  Gleichsetzung  eingetreten,  die  zuerst  im  18.  Jahr  des  Epiphanes 
188/7  erscheint  und  zwar  auf  einer  Inschrift  JG.  XII,  3,  327.  die 

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Thomas  Lenschau. 


zwar  von  den  Herausgebern  dem  Euergetes,  von 'Beloch  und  Smyly 
aber  mit  Recht  Epiphanes  zugewiesen  wird.  Danach  glich  man  den 
makedonischen  Monat  Dystros  mit  dem  ägyptischen  Thot.  Später 
beginnen  die  beiden  Kalender  wieder  auseinanderzugehen  und  zwar 
vom  8.  Jahr  Philometors  ab  (174/3),  bis  dann  endlich  die  zuerst 
im  85.  Jahr  Euergetes  II.  erscheinende  endgültige  Gleichsetzung 
1  Dios  =  1  Thot  erfolgt  ist  (117/6).  Übrigens  gab  es  neben  der 
Zählung  nach  Regierungsjahren  auch  die  nach  Steuerjahren,  die  öfters 
in  den  Papyrusurkunden  vorkommt.  Dies  Steuerjahr  begann,  wie  S. 
in  einem  zweiten  Aufsatz  zu  erweisen  sucht,  im  Mecheir,  und  danach 
muß  es  als  wahrscheinlich  gelten,  daß  Euergetes  I.  Tod  zwischen 
Mecheir  und  Thot  fällt.  Das  stimmt  nicht  zu  Belochs  Ansatz ,  der 
den  Tod  bis  zum  Ende  des  Kalenderjahres  221  hinausschieben  will: 
man  wird  ihn  also  kurz  vor  dem  1.  Thot  221  ansetzen  müssen,  d.  h. 
Oktober,  was  sowohl  zum  Kanon  wie  zu  den  Ereignissen  stimmt. 

Hierauf  geht  Beloch  zur  Prüfung  der  Königslisten  über, 
unter  denen  besonders  die  ptolemäische  und  die  seleukidische  ge- 
sicherte Ergebnisse  liefern ,  sofern  hier  eine  häufige  Kontrolle  nach 
ägyptischen  Papyrusurkunden  und  babylonischen  Kontrakttäfelchen 
möglich  ist.  Beide  koinzidieren  in  zwei  Punkten:  247/6  Tod  des 
Philadelphos  und  des  Antiochos  Theos,  und  146/5  Tod  Philometors 
und  Alexanders  I.  Bala,  was  durch  die  Quellen  durchaus  bestätigt 
wird.  Auch  die  makedonische  Königsliste  kann  im  allgemeinen  als 
von  Beloch  festgelegt  gelten ;  sie  beruht  auf  dem  Ansatz  der  Schlacht 
von  Kurupcdion  auf  281.  Allerdings  rückt  dadurch  Keraunos'  Tod 
in  279,  was  streng  genommen  nicht  zu  Pol.  II,  41,  1  stimmt,  der 
ihn  in  die  124.  Olympiade,  d.  h.  vor  Mitte  280,  setzt;  doch  läßt 
der  Ausdruck  des  Polybios  xaipol  Zk  xaö'  oOc  eine  gewisse  Latitüde 
der  Auslegung  zu.  Weiter  hat  Beloch  auch  die  achäische  Strategen- 
liste sichergestellt,  indem  er  durchweg  Klatts  Ansätze  gegen  Niese 
verteidigt  (III,  2,  168  ff.),  der  vor  allem  darin  irrt,  daß  er  Sella>ia 
ins  Jahr  222  setzt.  Sicher  ist  nämlich,  daß  das  Jahr  der  Schlacht 
ein  Nemeenjahr  ist ,  und  daß  die  Nemeen  in  den  ungeraden  Jahren 
gefeiert  wurden ;  da  nun  von  223  nicht  die  Rede  sein  kann,  so  bleibt 
nur  221  für  die  Schlacht  übrig.  Diesem  Schluß  sucht  Niese  dadurch 
zu  entgehen,  daß  er  annimmt,  die  Nemeenfeier  223  sei  auf  das  Folge- 
jahr verschoben.  Aber  mit  Recht  führt  Sokolow  dagegen  aus,  daß 
eine  derartige  ungewöhnliche  Maßregel  in  unseru  Quellen  erwähnt 
sein  müßte,  zumal  sie  die  viel  geringere  Verschiebung  von  195  ge- 
treulich registrieren.  Trotzdem  erklärt  sich  S.  für  Nieses  Ansatz, 
da  seiner  Ansicht  nach  221  Mitte  Euergetes  schon  tot  war,  der  doch 


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Jahresbericht  über  griechische  Geschichte  (1903— 1906). 


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nach  PolybioB  Zeugnis  die  Schlacht  noch  mehrere  Monate  überlebte, 
und  dem  Einwurf,  daß  222  kein  Nemeenjahr  war,  begegnet  er  durch 
die  Annahme,  daß  die  Nemecn  jedes  Jahr  gefeiert  wurden.  Daß  das  mit 
der  Überlieferung  streitet,  liegt  auf  der  Hand,  und  tatsächlich  betont 
auch  S.  den  trieterischen  Charakter  des  Festes.  Aber  die  Annahme 
ist  auch  völlig  unnötig,  da  Euergetes  nach  dem  Zeugnis  der  Papyri  von 
Magdola  am  Ende  seines  26.  Regierungsjahres,  d.  h.  vor  Mitte  Okt. 
221,  starb;  es  würden  auch  bei  Ansetzung  der  Schlacht  auf  221  noch 
genügend  Raum  für  die  Ereignisse  bis  zum  Tode  des  Königs  bleiben. 
Anders  faßt  Holleaux  das  Problem  an,  indem  er  gegen  Beloch 
zeigt,  daß  zur  Zeit  der  ersten  Expedition  des  Antiochos  gegen  Koile- 
syrien,  die  gewöhnlich  ins  Jahr  221  gesetzt  wird,  bereits  Philopator 
regierte  und  nicht  mehr  Euergetes.  Der  Beweis  ist  völlig  gelungen, 
indessen  ergibt  sich  m.  E.  nur  daraus ,  daß  die  Expedition  gegen 
Koilesyrien  ein  Jahr  später  anzusetzen  ist. 

Weniger  gesichert  scheinen  mir  Belochs  Ergebnisse ,  soweit  sie 
die  spartanische  Königsreihe  betreffen.  Bekanntlich  liegt  die 
Eurypontidenliste  bei  Diodor  in  einer  doppelten  Fassung  vor,  von 
denen  die  eine  bei  feststehender  Regierungszeit  der  einzelnen  Herrscher 
Archidamos  III.  Tod  mit  der  Vernichtung  der  Phokier  gleichsetzt, 
wobei  dann  auf  seinen  Sohn  Agis  15  Jahre  entfallen,  während  die 
zweite  auf  dem  Synchronismus  Archidamos  Tod  —  Schlacht  von 
Chaironeia  beruht.  Nach  den  Ausführungen  Ed.  Meyers  (Forsch,  z. 
Gr.  Gesch.  II,  502  ff.),  der  zugleich  die  Entstehung  des  Irrtums 
aufdeckt  ,  bringt  die  erste  Ansetzung  den  Tod  des  Königs  zu  früh 
und  hat  dadurch  bewirkt,  daß  die  Eurypontidenreihe  durchweg  um 
8  Uhr  Jahre  hinaufgerückt  ist ;  korrigiert  man  den  Fehler,  so  fallen 
-die  sämtlichen,  auch  von  Beloch  anerkannten  Schwierigkeiten  im 
5.  Jahrh.  fort.  Allerdings  muß  man  dann  annehmen,  daß  Diod.  XIV, 
88  einer  andern  Quelle  folgt  als  sonst,  was  m.  E.  keine  Schwierig- 
keiten macht,  da  man  in  chronologischen  Dingen  sicher  nicht  mit  der 
Einquellentheorie  bei  Diodor  auskommt.  Anders  Beloch,  der  in  dem 
Bericht  über  Archidamos  Tod  346/5  bei  Diod.  XVI,  63  nur  eine 
begreifliche  Vorausnahme  sieht  und  die  dort  für  Agis  gegebene 
Regierungszahl  IE  als  aus  E  für  6  verschrieben  ansieht,  wodurch 
Einklang  zwischen  beiden  Fassungen  erzielt  wird.  Da  aber  dann 
doch  die  Schwierigkeiten  im  5.  Jahrhundert  bestehen  bleiben,  so 
möchte  ich  der  Meyerschen  Theorie,  die  auch  diese  löst,  den  Vorzug 
geben. 

Wir  kommen  zu  den  Listen  dereponymenJahresbcamten, 
unter  denen  natürlich  die  attische  Archontenliste  das  meiste  Interesse 


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Thomas  Lenschau. 


beansprucht.  Für  sie  kommen  zunächst  zwei  Hilfsmittel  in  Frage: 
das  eine  ist  die  von  Ferguson  entdeckte  regelmäßige  Abfolge  der 
Phylen,  die  den  Ratsschreiber  stellten,  das  andere  der  19jährige 
metonische  Schaltzyklus,  deseen  Beobachtung  für  diese  Zeit  nicht 
mehr  zweifelhaft  ist  und  der  eine  bestimmte  Abfolge  von  Schalt-  und 
Gemeinjahren  verlangt.  Leider  aber  sind  beide  Mittel  nicht  durchaus 
zuverlässig.  Fergusons  Ansätze  sind  mittlerweile  bereits  in  einigen 
Punkten  widerlegt  worden  und  das  ist  ganz  klar,  wenn  überhaupt 
auch  nur  einmal  eine  Unregelmäßigkeit  in  der  Phylenfolge  nach- 
gewiesen ist,  so  haben  wir  nicht  die  geringste  Garantie,  daß  sie  nicht 
Öfter  vorgekommen  ist,  ja  bei  dem  politisch  starkbewegten  Charakter 
der  Zeit  ist  eine  öftere  Abweichung  sogar  ziemlich  wahrscheinlich. 
Das  zweite  Kriterium  wäre  der  Schaltzyklus,  der  besonders  von 
Bei  och  verwertet  wird  (III,  2,  50  ff.);  allein  abgesehen  davon,  daß 
seine  Gestalt  keineswegs  über  jeden  Zweifel  erhaben  ist,  so  zeigt 
doch  die  von  B.  aufgestellte  Tafel  (S.  53)  so  viel  Abweichungen, 
daß  auch  diesem  Kriterium  nur  ein  relativer  Wert  beizumessen  ist 
und  es  wenig  geeignet  erscheint,  „der  subjektiven  Willkür  Schranken 
zu  setzen"  (Beloch  S.  54).  Vielmehr  bemerkt  Kolbe  ganz  richtig, 
daß  bei  der  Unregelmäßigkeit  in  der  Abfolge  von  Schalt-  und  Gemein- 
jahr eigentlich  nur  eins  verbindlich  bleibt,  das  Vorhandensein  von 
sieben  Schaltjahren  in  einem  Zyklus,  und  auch  darin  hat  er  recht,  daß 
für  die  Aufstellung  der  Archontenliste  in  erster  Linie  nur  historische 
Kriterien  in  Betracht  kommen.  Übrigens  hat  auch  Beloch  den  lediglich 
subsidiären  Wert  sowohl  des  Fergusonschen  Gesetzes  als  auch  des 
Schaltzyklus  anerkannt. 

Der  erste  schwierige  Punkt,  bei  dessen  Festlegung  Beloch  sofort 
von  Ferguson  und  Kolbe  differiert,  ist  die  Bestimmung  des  Philippos- 
jahres. Dionys  gibt  in  der  bekannten  Stelle  der  Schrift  irepl  Aeivdpyo» 
c.  4  ein  Archontenverzeichnis  von  Nikophcmos  361/0  bis  Philippos, 
das  70  Namen  zählen  soll,  aber  nur  68  wirklich  enthält;  der  eine 
fehlende  ist  Hegesias  324/3,  der  andere  hatte  seine  Stelle  zwischen 
den  drei  letzten  Namen  der  Reihe,  wie  Beloch  S.  38  richtig  ausgeführt 
hat.  Allein  es  wäre  ja  möglich,  daß  Dionys,  eben  mit  Ausnahme  des 
Hegesias.  der  doch  auch  später  ausgefallen  sein  kann,  die  Namen 
zwar  richtig  gab,  aber  beim  Zusammenzählen  sich  versah  und  einen 
zu  viel  herausrechnete.  Dann  würde  Philippos  in  das  Jahr  293 '2 
fallen,  und  diesen  Ansatz,  den  bereits  Ferguson  verteidigte,  hat 
kürzlich  wieder  Kolbe  sich  zu  eigen  gemacht.  Aber  dem  entgegen 
steht  die  früher  ungerecht  verdächtigte  Menandrosinschrift  JG.  XIV, 
1184  —  CIG  IV,  6084,  in  der  die  Geburt  des  Menandros  unter 


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Jahresbericht  über  griechische  Geschichte  (1903—1906).  107 

Sosigenes  (342/1),  sein  Lebensalter  auf  52  Jahre,  sein  Tod  unter 
Philippos  gesetzt  wird,  der  sonach  das  Jahr  291/0  fallen  müßte.  Nun 
wird  aber  in  der  Inschrift  das  Todesjahr  dem  32.  Jahr  des  Ptolemaios 
Lagu  gleichgesetzt,  und  dies  benutzt  Kolbe,  um  die  Glaubwürdigkeit 
der  Inschrift  zu  erschüttern.  Da  der  ägyptische  Königskanon  das  erste 
Jahr  des  Ptolemaios  mit  dem  1.  Thot  305  beginnen  läßt,  so  müssen 
hier  die  Satrapenjahre  mitgerechnet  sein,  d.  h.  seine  Regierung  setzte 
unmittelbar  nach  Alexanders  Tod  ein,  und  sein  erstes  Jahr  begann  dem- 
nach mit  der  bekannten  ägyptischen  Vordatierung,  die  dem  Monarchen 
das  Sterbejahr  seines  Vorgängers  zurechnet,  am  1.  Thot  (7.  Nov.) 
324.    Sein  32.  also  fing  mit  dem  1.  Thot  293  an,  und  folglich  fällt 
das  Archontat  des  Philippos  293/2.  Freilich  muß  dann  eine  der  beiden 
andern  Angaben  der  Inschrift  falsch  sein :  entweder  das  Lebensalter  ist 
richtig,  dann  fiel  Menandros  Geburt  unter  Lykiskos  (345/4)  oder  er 
ist  nicht  im  52. ,  sondern  im  50.  Lebensjahr  gestorben.  —  Gegen 
diese  Beweisführung  aber  läßt  sich  mit  B.  geltend  machen,  daß  wir 
ja  gar  nicht  wissen,  ob  die  Inschrift  wirklich  nach  dem  Königskanon 
rechnet.    Vielleicht  zählte  sie  die  Jahre  des  Ptolemaios  von  der 
wirklichen   Besitzergreifung,    die   erst   322   nach   dem   Tode  des 
Kleomenes  eintrat;  dann  ist  das  Jahr  des  Philippos  291/0,  und  alle 
Angaben  der  Inschrift  befinden  sich  vollkommen  in  Einklang.  Damit 
soll  keineswegs  gesagt  sein,  daß  das  Jahr  des  Sosigenes  342/1  wirklich 
Menandros  Geburtsjahr  war.    Es  kann  sehr  wohl  aus  dem  einzigen 
urkundlichen  Zeugnis  errechnet  sein,  das  man  über  sein  Leben  hatte^ 
aus  dem  Ephebenkatalog,  der  seine  Ephebie  aufs  Jahr  des  Philokles 
322/1  fixierte,  und  dann  hat  es  keine  Gewähr,  da  wir  nicht  wissen, 
ob  damals  die  Eintragung  in  die  Ephebenliste  tatsächlich  im  20.  Jahre 
stattfand  (Kolbe  S.  82).  —  Fassen  wir  also  zusammen :  auf  der  einen 
Seite  steht  die  in  ihren  Angaben  als  völlig  übereinstimmend  erwiesene 
Menandrosinschrift,  nach  der  Philippos  im  Jahre  291/0  Archon  war; 
auf  der  andern  .das  Zeugnis  des  Dionys,  das  zwar  Philippos  auf  298/2 
fixiert,  aber  eingestandenermaßen  mindestens  einen  Fehler  enthält. 
Die  Entscheidung  muß  unter  diesen  Umständen  doch  wohl  zu  Belochs 
Gunsten  und  für  das  Jahr  291/0  fallen.    Die  beiden  Vorgänger  des 
Philippos  wären  dann  Lysias  und  Kimon  (Beloch  p.  34);  indessen 
ist  dies  nach  den  Ausführungen  Kolbes  einigermaßen  zweifelhaft  ge- 
worden, der  das  Dekret  für  Aristophanes  CIA.  IV,  2,  614  b  in  die 
Zeit  Demetrios  II.  setzen  will  und  dann  einen  Kimon  II.  anzunehmen 
genötigt  ist. 

Weiter  handelt  es  sich  sodann  um  die  zusammenhängende  Gruppe 
Diokles,  Diotimos,  Isaios,  Euthios,  die  von  Beloch  in  die  Jahre 


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Thomas  Lenschau. 


288/7 — 285/4,  von  Kolbe  ein  Jahr  später  angesetzt  wird.  Beide 
stimmen  darin  überein,  daß  sie  unmittelbar  nach  dem  Abfall  Athens 
von  Demetrios  fallen  und  mehr  wird  sich  auch  vorderhand  nicht  sagen 
lassen.  Denn  die  Schlüsse ,  die  K.  aus  dem  makedonischen  Königs- 
kanon gegen  Beloch  gezogen  hat ,  wonach  der  Sturz  des  Demetrios 
erst  287  erfolgt  sei  und  somit  Diokles  frühestens  287/6  amtiert  haben 
könne,  sind  keineswegs  zwingend ;  es  ist  sehr  wohl  möglich,  daß  der 
Kanon  als  das  Ende  von  Demetrios  Herrschaft  seinen  wirklichen 
Verzicht  im  Jahre  287  annahm,  während  er  tatsächlich  schon  288' 
aus  Makedonien  vertrieben  ward.  Auch  das  wird  man  Beloch  zugeben 
müssen,  daß  Athen  bereits  abgefallen  sein  wird,  als  Demetrios  noch  in 
Makedonien  sich  befand,  und  daß  man  nicht  bis  zt^  seiner  Vertreibung 
nach  Boiotien  wartete,  wo  er  nur  wenig  Tagemärsche  von  der  Stadt 
entfernt  war.  Der  nächste  feste  Punkt  ist  das  Jahr  des  Gorgias,  von 
Kolbe  richtig  auf  280/79  fixiert.  Belochs  Konjektur  oder  vielmehr 
abweichende  Lesung  bei  Plut.  vit.  X  or.  847  d,  die  ihn  auf  284/3  fest- 
legt, ist  zwar  möglich,  aber  nicht  notwendig;  auch  Anaxikrates  und 
Demokies  sind  durch  Pausanias  Olympiadenangaben  an  279/8  und 
278/7  gebunden.  Polyeuktos  ist  durch  Dittenberger  auf  275/4  fixiert, 
ihm  folgt  Hieron,  während  Pytharatos  nach  Apollodor  ins  Jahr  271  0 
fällt.  Für  Eubulos  sind  die  Jahre  276/5  und  272/1  möglich,  doch 
spricht  die  Wahrscheinlichkeit  für  das  frühere  Datum.  Damit  aber  ist 
auch  alles  einigermaßen  sichere  erschöpft ;  die  Verteilung  der  übrigen 
uns  überlieferten  Namen  muß  aus  mehr  oder  minder  guten  Wahrscheinlich- 
keitsgründen vorgenommen  werden,  und  so  ist  es  kein  Wunder,  wenn 
Beloch  und  Kolbe  hier  stark  differieren. 

Unter  diesen  Umständen  erscheint  eine  Entdeckung  von  höchster 
Wichtigkeit,  die  vor  kurzem  Sund  wall  und  Ferguson  unabhängig 
voneinander  gemacht  haben :  die  Entdeckung  nämlich ,  daß  ebenso 
wie  die  Ratsschreiber  auch  die  Asklepiospriester  nach  der  offiziellen 
Phylenfolge  jährlich  wechselten.  Ferguson  geht  von  der  Inschrift 
IG.  II,  886  aus,  in  der  die  Namen  von  14  Asklepiospriestern  stehen, 
die  in  der  offiziellen  Phylenordnung  aufeinander  folgen,  allerdings 
mit  einer  Ausnahme,  indem  der  vierte  und  fünfte  derselben  Phyle 
angehören.  Aber  gerade  diese  Ausnahme  macht  eine  genauere  Be- 
stimmung möglich;  denn  da  für  die  Abfolge  der  Priester  nur  die 
Jahre  265/4—253/2  oder  253/2—241/0  in  Frage  kommen  können 
(Ferg.  p.  139),  so  muß  die  Entscheidung  für  den  ersten  Zeitraum 
fallen,  da  alsdann  die  beiden  Priester  derselben  Phyle,  von  denen 
der  zweite  offenbar  suffectus  war,  in  das  Jahr  262/1  gehören,  d.  h. 
nach  Ferguson  das  Jahr,  in  dem  der  chremonideische  Krieg  beendet 


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Jahresbericht  über  griechische  Geschichte  (1903-1906).  169 

wurde  und  Athen  wieder  in  die  Gewalt  des  Antigonos  geriet.  Als- 
dann erklärt  sich  die  Nachwahl  sehr  leicht,  indem  Antigonos  damals, 
wie  wir  wissen,  Sorge  trug,  alle  wichtigen  Ämter  neu  zu  besetzen, 
und  zwar  selbstverständlich  mit  makedonischen  Parteigängern.  Aber 
war  wirklich  262/1  das  Ende  des  chremonideischen  Krieges?  Die 
Hauptstelle  darüber  enthalten  die  Fragmente  Philodems  irspi  t&v 
aTQHX&v  (Vol.  Herc.  VIII)  col.  III,  wonach  Athen  In  ÄvxtraTpoo  xoö 
eV  &ppevei8oo  übergeben  ward,  und  col.  IV,  wonach  von  Klearchos 
301/0  bis  auf  Zenons  Tod  im  Jahre  des  Arrheneides  39  Jahre  und 
drei  Monate  verflossen  waren.  Danach  hat  Beloch  Arrheneides  auf 
262/1  fixiert,  und  leugnen  läßt  sich  nicht,  daß  das  die  natürlichste 
Auffassung  ist,  während  Ferguson  exklusive  Rechnung  annimmt,  d.  h. 
vom  Ende  des  Klearchosjahres ,  und  so  auf  261/0  für  Arrheneides 
kommt  (p.  153).  Die  Möglichkeit,  daß  die  Zählung  so  zu  fassen  ist, 
kann  nicht  bestritten  werden,  und  die  übrigen  Ausführungen  Fergusons 
sind  geeignet,  seine  Gesamtansicht  zu  stutzen.  Ich  lasse  daher  die 
Archonten  von  294/3—261/0  in  der  neuen  von  ihm  festgesetzten,  von 
Kirchner  gebilligten  Anordnung  folgen,  ohne  auf  das  sehr  interessante 
Detail  seiner  Untersuchung,  die  die  ganze  Reihe  bis  40/39  umfaßt, 
hier  genauer  eingehen  zu  können. 


294/3 

Olympiodoros 

277/6 

— laios  ? 

293/2 

Charinos 

276/5 

Eubulos 

292/1 

Philippos 

275/4 

Polyeuktos 

291/0 

Kimon  I. 

274/3 

Hieron 

290/89 

Diokles 

273/2 

289/8 

Diotimos 

272/1 

288/7 

Isaios 

271/0 

Pytharatos 

287/6 

Euthios 

270/69 

286/5 

Xenophon 

269/8 

285/4 

Urios 

268/7 

Philokrates 

284/3 

Telokles  ? 

267/6 

283/2 

Menekles 

266^5 

Peithidernos 

282/1 

Nikias  v.  Otryne 

265/4 

281/0 

Aristonymos 

264/3 

Diognetos 

280/79 

Gorgias 

263  2 

279'8 

Anaxikrates 

262/1 

Antipatros 

278/7 

Demokies 

261/0 

Arrheneides. 

Sundwall,  der  die  Entdeckung  ebenfalls  gemacht  hat,  gelangt  zu 
wesentlich  andern  Ergebnissen,  da  er  den  Namen  in  IG.  II,  836 
eine  wesentlich  andere  Datierung  gibt,  die  aber  von  Ferguson  zu- 
gunsten seiner  eigenen  Ansicht  m.  E.  mit  Erfolg  bekämpft  wird 


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170 


Thomas  Lenschau. 


(S.  168  ff.)-  Daß  wenigstens  die  Bestimmung  von  Menandros'  Todes- 
jahr in  der  Inschrift  dnreh  das  entsprechende  Jahr  Ptolemaios'  I.  auch 
unter  den  Voraussetzungen  Fergusons  möglich  bleibt,  will  ich  nur 
beiläufig  erwähnen. 

Auch  die  delphische  Archontenliste,  die  im  wesentlichen 
auf  Pomtows  Aufstellungen  beruht,  hat  Beloch  einer  Rekonstruktion 
unterworfen,  obwohl  der  Gewinn  für  die  allgemeine  Chronologie  nicht 
sehr  groß  ist.  Dabei  geht  er  von  der  wechselnden  Zahl  der  delphischen 
Hieromnamonen  aus,  und  indem  er  auf  der  Annahme  fußt,  daß  der 
ätolische  Bund  sich  nach  und  nach  ohne  erhebliche  Rückschläge  zu 
der  Machthöhe  emporgearbeitet  hat  ,  die  er  am  Ende  des  3.  Jahrh. 
einnahm,  ergibt  sich  ihm  als  leitender  Satz,  daß  mit  gewissen  Ein- 
schränkungen natürlich  die  einzelnen  Dekrete  um  so  früher  anzusetzen 
sind ,  je  geringer  in  ihnen  die  Zahl  der  ätolischen  Hieramnamonen 
erscheint.   Daher  hat  er  die  Archonten  von  Archiadas  bis  Peithagoras 
(Pomtows  Gruppe  C),  unter  denen  die  Ätoler  5 — 7  Vertreter  haben, 
auf  die  Jahre  272 — 263  verteilt  und  ihnen  sofort  die  Archonten  der 
Soterienkataloge  (Gruppe  B)  folgen  lassen.   Dagegen  hatte  Pomtow  — 
allerdings  ohne  Grund ,  wie  man  Beloch  S.  836  f.  zugeben  muß  — 
einen   nahen   zeitlichen   Zusammenhang   zwischen  Peithagoras  und 
Herys  (ca.  230)  angenommen  und  somit  die  erstgenannte  Gruppe  in 
die  dreißiger  Jahre  des  Jahrhunderts  hinabgerückt.    Den  Rückgaug 
der  Stimmen,  die  unter  Traochos  (Mitte  3.  Jahrh.)  noch  9  betragen 
hatten,  erklärte  er  durch  eine  furchtbare  Niederlage  der  Ätoler  im 
Kriege  gegen  Demetrius  II.,  die  ihnen  die  Hälfte  des  Besitzstandes 
gekostet  habe,  was  nach  B.  ganz  unwahrscheinlich  ist.  Mittlerweile 
hat  sich  ßourguet  in  der  Ansetzung  des  Archiadas  auf  273/2  an 
B.  angeschlossen;  Herakleidas  amtierte  nach  ihm  287,  da  unter  ihm 
drei  Boioticr  erscheinen,  was  nur  mit  der  Rückgabe  der  Freiheit  an 
das  Land  durch  König  Demetrios  I.  in  diesem  Jahre  zusammenhängen 
kann.  Dann  fiele  Athambos  wahrscheinlich  zwischen  299 — 290,  und  für 
die  Zeit  von  240 — 230  wäre  ein  Athambos  II.  anzunehmen  (S.  46  ff.). 

Wesentlich  gesichertere  Resultate  haben  Belochs  Untersuchungen 
zur  Chronologie  des  ersten  punischen  Krieges  ergeben,  obwohl  sie 
auf  den  ersten  Blick  geradezu  revolutionär  erscheinen  (III,  2,  203 
bis  235).  Im  Anschluß  an  Varese  führt  Beloch  aus,  daß  der  römische 
Kalender  seit  seiner  Feststellung  durch  den  Aedilen  Cn.  Flavius  im 
Jahre  804  infolge  falscher  Berechnung  des  vierjährigen  Schaltzyklus, 
der  um  vier  Tage  zu  groß  war.  jährlich  um  einen  Tag  zurück  blieb. 
Demnach  begann  das  römische  Konsulat,  dessen  Anfangstermin  offiziell 
auf  den  1.  Mai  fiel,  tatsächlich  zur  Zeit  des  ersten  punischen  Krieges 


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Jahresbericht  Uber  griechische  Geschichte  (1903 — 1906). 


171 


erst  am  Mittsommer,  and  von  diesem  Gesichtspunkt  aus  ergibt  sich 
dann  eine  ganz  abweichende  Chronologie  des  großen  Kampfes  am 
Sizilien.  Sein  Beginn  fällt  ins  Jahr  263,  bald  nach  der  Schlacht  am 
Longanos,  die  Beloch  auf  265  ansetzt,  indem  er  die  Angabe  des 
Polybios  über  Hieron  irsvrqxovta  xal  xiaaapa  ivr\  ßaaiXeuaac  auf  die 
Gesamtregierang ,  nicht  nur  auf  die  Zeit ,  wo  er  König  war,  bezieht. 
Weiter  rückt  das  überlieferte  Datum  der  Schlacht  an  den  ägatischen 
Inseln,  a.  d.  Yl.  Id.  Mart. ,  in  den  Mai  desselben  Jahres  (10.  Mai 
241),  was  sicher  richtiger  ist,  da  eine  so  große  Seeschlacht  unmöglich 
Anfang  März  geschlagen  sein  kann.  In  ähnlicher  Weise  behandelt 
B.  die  gesamte  Chronologie  des  ersten  punischen  Krieges  und  erhält 
auf  diese  Weise  eine  bedeutend  bessere  Verknüpfung  der  Ereignisse, 
als  sie  die  ältere  Methode  geben  kann ,  die  an  dem  offiziellen  Kon- 
sulatsanfang festhält,  sich  damit  aber  in  fast  unlösbare  Schwierigkeiten 
verwickelt.  Übrigens  muß  kurz  nach  den  illyrischen  Kriegen  den 
Römern  der  Unterschied  zwischen  Kalender  und  wirklicher  Jahres- 
zeit zu  groß  geworden  sein  —  er  betrug  ca.  2V2  Monate  — ,  und  sie 
stellten  durch  einen  Eingriff  die  Übereinstimmung  wieder  her,  womit 
es  nach  Beloch  zusammenhängt,  daß  im  Frühjahr  222  der  Beginn 
des  Konsulatsjahres  offiziell  auf  den  15.  März  verlegt  wurde. 


Einer  der  größten  Fehler,  die  die  früheren  Geschichtsschreiber 
des  Hellenismus  und  vor  allem  Droysen  begangen  haben,  ist  die 
Unterschätzung  des  Mutterlandes  und  der  Rolle,  die  es  in  den 
Diadochenkämpfen  gespielt  hat.  Seitdem  zuerst  Holm  diesen  Irrtum 
aufdeckte,  haben  wir  allmählich  gelernt,  daß  Griechenland  für  die  Groß- 
mächte jener  Zeit  nicht  bloß  als  Menschenreservoir  in  Betracht  kam, 
dem  sie  die  nötigen  Krieger  und  Beamten  zur  Beherrschung  ihrer 
riesigen  Ländergebiete  entnahmen ,  sondern  daß  es  der  Mittelpunkt 
der  Bildung  und  das  Herz  der  Nation  war,  die  der  Welt  ihren 
Stempel  aufgedrückt  hatte  (Beloch  III,  1,  123  ff.).  Eben  darum  lag 
jener  Forderung  nach  Freiheit  und  Autonomie  der  Griechenstädte, 
die  immer  von  neuem  fast  formelhaft  in  den  Staatsverträgen  der 
Diadochen  wiederkehrt,  und  die  auch  zu  Flamininus'  Zeit  ihren  Zauber 
noch  nicht  verloren  hatte,  ein  höchst  realer  Sinn  zugrunde,  nämlich 
der,  daß  Griechenland  frei  bleiben  müsse,  weil  sein  Besitz  jeder  der 
konkurrierenden  Mächte  das  Übergewicht  über  die  Rivalen  gesichert 
haben  würde.  Tatsächlich  haben  alle  um  diesen  Besitz  gerungen,  und 
nur  dem  Umstand,  daß  es  einen  mehr  oder  minder  großen  Teil 
Griechenlands  beherrschte,  verdankt  das  spätere  Makedonien  seinen 
Platz  als  ebenbürtige  Großmacht  neben  Ägypten  und  Syrien.  Achtungs- 


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172 


Thomas  Lenschau. 


wert  bleibt  es  doch  auch  immer,  daß  aus  ihren  verfahrenen  Verhält- 
nissen heraus  die  Griechen  noch  die  Kraft  fanden,  eine  neue  Form 
der  Staatenbildung ,  den  Staatenbund  auf  Grundlage  der  Gleich- 
berechtigung, zu  entwickeln.  Es  ist  also  verkehrt  und  ein  Rückfall 
in  überlebte  Anschauungen,  wenn  man  sie  lediglich  als  das  verderb- 
liche Element  im  Schöße  der  makedonischen  Großmacht  betrachtet, 
wie  Mahaffy  tut,  dem  überhaupt  die  von  ihm  gezogene  Parallele 
Irland-Großbritannien  =  Griechenland-Makedonien  den  Blick  einiger- 
maßen getrübt  hat.  Eher  mag  man  Griechenlands  Stellung  zu  Make- 
donien mit  der  Bedeutung  vergleichen,  die  die  Beherrschung  Italiens 
für  die  deutschen  Kaiser  bis  zum  Ende  der  Hohenstaufenzeit  besaß. 
Ihre  weltbehcrrschende  Stellung  beruhte  darauf,  daß  sie  wirtschaftlich 
und  politisch  über  Italien  geboten,  und  ebenso  sehen  wir  Makedonien 
in  einem  fortwährenden  Kampf  um  Griechenland  begriffen,  der  nur 
vorübergehend  unter  Doson  und  in  den  Anfängen  Philipps  von  einem 
vollen  Erfolge  begleitet  gewesen  ist. 

Unter  diesen  Umständen  lag  es  in  der  Bedeutung  der  Stadt 
sowohl  auf  materiellem  als  auch  auf  geistigem  Gebiet  begründet,  daß 
in  den  ersten  Jahrzehnten  der  Diadochenzeit  Athen  das  hervor- 
ragendste Objekt  der  makedonischen  Politik  in  Griechenland  sein 
mußte,  und  hier  war  in  erster  Linie  ja  auch  die  aristokratische 
Partei  darauf  angewiesen,  wie  bisher  ihren  hauptsächlichen  Rückhalt 
in  Makedonien  zu  suchen.  Die  mannigfach  wechselnden  Phasen  der 
athenischen  Politik  in  dieser  Zeit  hat  Ferguson  in  einem  Aufsatz 
behandelt,  der  wie  manche  andere  Arbeiten  der  neueren  Forscher 
erst  durch  Kirchners  Prosopographia  attica  ermöglicht  worden  ist.  Den 
sichersten  Ausgangspunkt  bieten  nach  F.  die  Namen  der  Antragsteller 
in  den  vielen  uns  erhaltenen  Dekreten ;  indem  er  annimmt,  daß  diese 
der  herrschenden  Partei  angehörten,  und  daß  vielfach  wie  auch  noch 
heute  die  politische  Richtung  innerhalb  der  einzelnen  athenischen 
Familien  sich  vererbte,  gelingt  es  ihm,  ein  Bild  des  Ganges  der 
athenischen  Politik  in  den  ersten  Jahrzehnten  des  3.  Jahrhunderts  zu 
gewinnen .  das  in  manchen  Dingen  von  der  bisherigen  Annahme  ab- 
weicht. Die  Schwierigkeit,  mit  der  die  makedonisch-aristokratische  Partei 
in  Athen  zu  kämpfen  hatte,  lag  demnach  wesentlich  darin,  daß  die 
Demokratie  ihr  nicht  mehr  wie  früher  isoliert  gegenüberstand,  sondern 
daß  diese  jetzt  andere  auswärtige  Mächte  gegen  Makedonien  aus- 
spielen konnte,  was  zum  ersten  Male  308  7  geschah,  als  der  Be- 
lagerer Dnnetrios  unter  dem  Jubel  des  athenischen  Volkes  in  den 
Haien  einfuhr  und  der  von  seinem  Namensvetter  ausgeübten  make- 
donischen Herrschaft  ein  Ende  bereitete.    Doch  brachte  schon  der 


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Jahresbericht  über  griechische  Geschichte  (1903—1906). 


173 


Ausgang  von  Ipsos  einen  Umschwung,  indem  die  Männer  der  extremen 
Demokratie,  die  Demochares,  Stratokies,  Diotimos  verschwinden  und 
stramme  Oligarchen,  wie  Diopeithes  (so  schon  300/299)  an  ihre  Stelle 
treten.    Allerdings  muß  dann  eine  Spaltung  eingetreten  sein,  sofern 
die  Aristokraten,  unter  denen  bald  Lachares  eine  tyrannische  Stellung 
gewann,  sich  auf  die  Stadt  beschränkten,  während  der  Demos  den 
Peiraieus  besetzte,  von  wo  er  296  mit  König  Demetrios  anknüpfte. 
So  Ferguson ;  nach  seiner  Auffassung  gehört  also  Lacharcs  der  aristo- 
kratischen Partei  an,  und  Pausanias,  der  ihn  irpoaxatr^  xot>  o^fxou 
nennt,  braucht  den  Ausdruck  nur  mißverständlich  für  Tzpoardxr^  vr^ 
-oXeük.   Allein  wahrscheinlicher  ist  M ey  er s  Ansicht,  daß  301  nicht 
die  reine  Aristokratie,  sondern  eine  Art  Kompromißregierung  ans 
Ruder  kam,  in  der  sich  gemäßigte  Aristokraten  und  gemäßigte  Demo- 
kraten vereinigten.    Das  würde  zugleich  erklären,  woran  Beloch  III, 
2,  875  f.  mit  Recht  Anstoß  nimmt  ,  daß  die  808/7  verbannten  Oli- 
garchen nicht  301  zurückkehrten.    Diese  Ultras  konnte  eine  Kom- 
promißregierung ebensowenig  brauchen  wie  die  Radikalen  vom  Schlage 
des  Demochares.   Vielmehr  erfolgte  ihre  Rückkehr  erst  einige  Jahre 
später  unter  Philippos,  nachdem  sich  plötzlich  ein  starkes  Anschwellen 
des  aristokratischen  Einflusses  geltend  gemacht  hatte,  das  F.  sehr 
ansprechend  mit  der  Erwerbung  Makedoniens  durch  Demetrios  zu- 
sammenbringt.   Denn  so  sehr  König  Demetrios  auch  bis  dahin  mit 
den  athenischen  Demokraten  liiert  war,  infolge  seiner  Thronbesteigung 
im  Jahre  294  sah  er  sich  genötigt,  in  die  traditionelle  Politik  der 
makedonischen  Könige  einzulenken,  die  in  Athen  eben  die  aristo- 
kratische Partei  begünstigte,  eine  Wandlung,  die  von  den  Führern 
der  Demokratie  nur  Stratokies  mitgemacht  hat,  der  eben  mit  König 
Demetrios  durch  dick  und  dünn  ging.   So  kommt  es,  daß  der  Abfall 
Athens,  den  ich  mit  Beloch  und  Ferguson  noch  vor  die  Vertreibung 
des  Demetrios  aus  Makedonien  setzen  möchte,  diesmal  die  Demokraten 
ans  Ruder  brachte,  die  noch  unter  Gorgias  280/79  herrschten,  unter 
dessen  Archontat  das  bekannte  Ehrendekret  für  Demochares  fällt. 
Erst  275/4  in  dem  großen  Phaidrosdekret  finden  sich  die  ersten 
Spuren  einer  aristokratischen  Reaktion,  die  wohl  mit  der  endgültigen 
Etablierung  des  Antigonos  auf  dein  makedonischen  Königsthron  276 
zusammenhängt;  274/3  ist  sie  in  vollem  Gange  und  wird  auch  durch 
den  Versuch   der  Demokratie,   Anschluß  bei  Pyrrhos  zu  suchen 
(Gesandtschaft  273),  nicht  mehr  aufgehalten.  Seltsam  bleibt  es  aller- 
dings, daß  unter  diesen  Umständen  271/0  der  bekannte,  im  Leben 
der  zehn  Redner  überlieferte  Beschluß  des  Ladies  für  Demochares 
durchgehen  konnte;  dennoch  scheint  es  mir  nicht  nötig,  wie  F.  tut, 


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174 


Thomas  Lenschau. 


jeden  Erklärungsversuch  aufzugeben.  Entweder  fühlte  sich  die  aristo- 
kratische Partei,  damals  im  Bunde  mit  Antigonos,  Sparta  und  Ptolemaios, 
so  sicher,  daß  sie  den  Demokraten  die  unschädliche  Demonstration 
gestatten  zu  können  glaubte  (C.  F.  Lehmann),  oder  das  beginnende 
Erstarken  der  Demokratie,  die  wenige  Jahre  darauf  den  chremoni- 
deischen  Krieg  entfesselte,  ließ  es  der  aristokratischen  Regierung 
rätlich  erscheinen,  dis  Zügel  nicht  zu  straff  zu  halten.  —  Es  würden 
also  nach  Ferguson  (und  Meyer)  folgende  Phasen  der  attischen  Politik 
zu  unterscheiden  sein: 

317 — 308/7  Aristokratie.    Demetrios  von  Phaleron. 

308/7  Sturz  des  Demetrios,  von  307 — 301  Demokratie. 

301 — 295/4  Kompromiß regierung,  dann  Tyrannis  d.  Lachares. 

295/4 — 289/8.  Nach  kurzer  demokratischer  Reaktion  Aristo- 
kratie, gestützt  auf  die  demokratischen  Anhänger  des  Deme- 
trios mit  Stratokies  an  der  Spitze.  Rückkehr  der  Verbannten. 

288 — 276/5  Demokratie. 

275/4  Beginn  des  Umschwunges  zur  A  ristokratie  ,  die  nach  und 
nach  erst  in  eine  Kompromißregierung,  dann  in  die  volle  Demo- 
kratie übergeht ,  die  den  chremonideischen-  Krieg  herbeiführt. 
Es  ist  natürlich,  daß  die  mannigfachen  Änderungen  der  politischen 
Richtung  auch  mannigfache  Verfassungsänderungen  im  Gefolge  gehabt 
haben,  was  dann  im  einzelnen  von  Sund  wall  für  die  frühere,  von 
Ferguson  für  die  spätere  Zeit  erwiesen  ist.    Zu  den  wichtigeren 
Änderungen    gehört  die   Einsetzung   des   obersten  Finanzbeamten, 
6  im  rffi  8ioix^3eü>?,  der  zuerst  307/6  erwähnt,  aber  von  beiden 
Forschern  noch  in  die  Regierung  des  Demetrios  zurückdatiert  wird. 
Allerdings  paßt  das  Amt  in  den  aristokratischen  Rahmen  besser,  doch 
blieb  es  während  der  ersten  Demokratie  und  der  Kompromißregierung. 
295/4  mit  dem  Beginn  der  demokratischen  Reaktion  wurde  es  durch 
ein  Kollegium  ersetzt  (ol  £-t  t5j?  8iotxr,asa>c),  die  dann  erst  275/4  unter 
der  zweiten  aristokratischen  Periode  dem  Einzelbeamten  wieder  Platz 
machen.    Eine  ebenfalls  nur  vorübergehende  Existenz  haben  der 
^exaJT^c  und  die  Tpircuapyot  gehabt,  die  301  an  die  Stelle  des 
T«{j.iac  toö  SiJitou  treten,  aber  schon  295/4  auch  ihrerseits  durch  ein 
Kollegium  ersetzt  werden.    Im  übrigen  stimmt  mit  dem  Gesagten 
auch  das  Democharesdekret,  das  zwei  Perioden  bezeichnet,  in  denen 
1).  nicht  am  Staatsleben  teilnahm;  während  der  ersten  war  er  verbaunt. 
d.  h.  offenbar  unter  der  Kompromißregierung  301  —  294,  mit  der  zweiten 
muß  die  Zeit  von  294 — 288  gemeint  sein,  als  der  demetrianische 
Flügel  der  Partei  unter  Stratokies  mit  den  Aristokraten  gemeinsame 
Sache  machte.  Erst  288  kamen  die  Unentwegten  der  demokratischen 


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Jahresbericht  über  griechische  Geschichte  (1903 — 19045). 


175 


Partei,  die  Gesinnungsgenossen  des  Demochares,  wieder  ans  Ruder.  — 
Schließlich  freilich  ist  zu  alledem  doch  zu  bemerken,  daß  derartige 
Darstellungen  der  Geschichte  Athens,  wie  sie  Kolbe  und  Ferguson 
gegeben  haben,  so  anregend  sie  auch  sein  mögen,  doch  immer  nur 
auf  einen  problematischen  Wert  Anspruch  machen  können,  ehe  nicht 
die  Datierung  der  einzelnen  Archonten  wenigstens  in  den  Haupt- 
punkten endgültig  festgelegt  ist.  Damit  aber  hat  es,  wie  wir  vorhin 
gesehen  haben,  einstweilen  noch  gute  Wege. 

Wenden  wir  uns  indessen  von  den  Verhältnissen  Athens ,  das 
nach  dem  chremonideischen  Krieg  politisch  genommen  wenig  mehr 
war  als  eine  makedonische  Provinzialstadt ,  wieder  dem  Gange  der 
großen  Weltereignisse  zu,  den  wir  am  Ende  des  vorigen  Kapitels 
bei  der  Schlacht  von  Ipsos  verlassen  haben.  Es  muß  als  wahrscheinlich 
angesehen  werden,  daß  die  siegreiche  Koalition  bereits  vor  der  Ent- 
scheidung die  Bedingungen  festgesetzt  hatte ,  nach  der  die  Teilung 
der  Länder  des  Antigonos  erfolgen  sollte,  und  diese  hat  sich  denn 
auch,  soweit  wir  sehen,  ohne  größere  Schwierigkeit  vollzogen.  Aller- 
dings hatte  der  eine  der  drei  Dundesgenossen  die  Koalition  schmählich 
im  Stich  gelassen  und  war  dadurch  seines  Anspruches  auf  Ent- 
schädigung verlustig  gegangen,  tatsächlich  aber  hatte  Ptolemaios  es 
bereits  verstanden,  sich  in  den  Besitz  des  südlichen  Syriens' zu  setzen, 
und  als  nun  Seleukos  Miene  machte,  ihn  von  dort  zu  vertreiben, 
fand  sofort  zwischen  Ptolemaios,  Kassandros  und  Lysimachos  eine 
politische  Annäherung  statt,  der  Seleukos  nur  eine  Koalition  mit  dem 
eben  besiegten  Demetrios  entgegensetzen  konnte.    Der  Leidtragende 
bei  den  nun  folgenden  Kämpfen  war  in  erster  Linie  Kassandros 
Bruder  Pleistarch,  dessen  Reich  an  der  kleinasiatischen  Südküste 
von  Demetrios  erobert  ward;  doch  wußte  sich  Lysimachos  den  west- 
lichen Teil,  Lykien  und  ramphylien,  zu  sichern  (vgl.  Beloch  III,  2 
c.  24).    Nunmehr  wandte  sich  Demetrios  gegen  Ptolemaios  und  griff 
dessen  Stellung  im  südlichen  Syrien  an,  brach  aber  diesen  Kampf 
plötzlich  ab,  um  sich  auf  das  durch  das  Aussterben  von  Kassandros 
Geschlecht  verwaiste  Makedonien  zu  stürzen.    So  begründet  dieser 
Entschluß  in  Demetrios  Natur  ist,  so  unklar  erscheint  die  Notiz 
unserer  Quellen,  daß  der  Friede  zwischen  ihm  und  Ptolemaios  durch 
Seleukos  vermittelt  wurde,  sofern  dieser  ja  gerade  an  der  Fortsetzung 
des  Kampfes  da»  allergrößte  Interesse  haben  mußte.  Allerdings 
nimmt  Beloch  (III,  1,  150  f.)  hier  eine  politische  Entfremdung  zwischen 
Seleukos  und  Demetrios  an,  als  deren  ferneres  Anzeichen  er  auch  die 
damals   erfolgte  Trennung  der  eben   geschlossenen  Ehe  zwischen 
Seleukos  und  Stratonike,  der  Tochter  des  Demetrios,  ansieht.  Allein 


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176 


Thomas  Lenschau. 


wenn  Seleukos  damit  „politisch  von  Demetrios  abrücken  wollte",  so 
durfte  er  doch  Stratonike  nicht  seinem  Sohn  und  Thronfolger  zur 
Frau  geben,  zumal  die  Sache  doch  entschieden  etwas  das  naturliche 
Gefühl  Verletzendes  hat.  Auch  hier  steht  man  vor  einem  Rätsel, 
wenn  man  mit  Beloch  die  bekannte  Geschichte  von  der  Leidenschaft 
des  Antiochos  für  seine  Stiefmutter  als  abgeschmackt  verwirft.  Aber 
abgeschmackt  ist  nur  die  Ausschmückung,  an  der  Sache  selber  wird 
doch  wohl  etwas  daran  gewesen  sein  und  somit,  wenn  von  einer 
Entfremdung  zwischen  Seleukos  und  Demetrios  keine  Rede  sein  kann, 
bleibt  für  die  Friedensvermittelung  des  Seleukos  nur  ein  zweifaches 
Motiv:  entweder  es  war  ihm  unbequem,  daß  sein  Schwiegervater  un- 
mittelbar vor  den  Toren  seiner  Hauptstadt  sich  ein  Reich  begründete, 
und  er  suchte  deswegen  dessen  Tatkraft  nach  Europa  abzulenken, 
oder  das  Ganze  ist  eine  weitschauende  politische  Maßregel  und  gehört 
in  die  Kette  der  Maßnahmen,  mit  denen  Seleukos  die  Stellung  des 
Lysimachos  untergrub,  ehe  er  den  entscheidenden  Schlag  gegen  ihn 
führte.  Von  vorn  durch  Seleukos,  im  Rücken  durch  Demetrios 
gepackt,  hatte  Lysimachos  allerdings  wenig  Aussicht,  sich  erfolgreich 
verteidigen  zu  können.  Inzwischen  aber  begann  auch  die  Minierarbeit 
in  Kleinasien;  die  von  Haussouillier,  S.  34,  herausgegebene  und  von 
ihm  noch"  vor  293  angesetzte  Inschrift  zeigt,  daß  Seleukos  schon 
damals  begann,  sich  in  den  klcinasiatischen  Städten  jene  Sympathieen 
zu  erwerben,  die  später  bei  Lysimachos  Sturz  eine  so  große  Rolle 
spielten.  Beiläufig  ergibt  sich  aus  vs.  42  der  Inschrift,  wenn  die  Er- 
gänzung H.s  richtig  ist  —  und  eine  andere  kann  kaum  gedacht 
werden  — ,  daß  Antiochos  damals  schon  vermählt  war;  es  muß  also 
die  Heirat  mit  Stratonike  seiner  Erhebung  zum  Mitregenten  voraus- 
gegangen sein.  Diese  Annahme  empfiehlt  sich  auch  durch  die  Rück- 
sicht auf  das  Lebensalter  des  erstgeborenen  Sohnes  Beider,  des 
Seleukos,  der  bereits  280  zum  Mitregenten  ernannt  ward.  Nun  ist 
es  allerdings  richtig,  daß  damals  die  Verhältnisse  Antiochos  I.  nötigten, 
einen  Mitregenten  für  die  oberen  Provinzen  zu  ernennen,  und  daß 
er  deshalb  die  Mündigkeit  seines  Sohnes,  die  nach  Breccia 
(S.  165)  etwa  mit  18  Jahren  eintrat,  nicht  abwarten  konnte;  aber  die 
Sache  wird  doch  erklärlicher,  wenn  der  junge  Seleukos  damals  15 — 16, 
als  wenn  er  13  Jahre  alt  war.  Ich  glaube  daher  im  Gegensatz  zu 
Beloch  (III,  2,  150  f.),  der  die  Gleichzeitigkeit  beider  Ereignisse  an- 
nimmt, daß  die  Heirat  des  Antiochos  mit  Stratonike  schon  etwa  297  6. 
seine  Erhebung  zum  Mitregenten  aber  frühestens  293  stattgefunden 
hat.  Zwischen  beide  Termine  würde  die  milesische  Inschrift  fallen, 
die  Antiochos  noch  nicht  den  Königsnamen  gibt. 


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Jahresbericht  über  griechische  Geschichte  (190)— 1906).  177 

Indessen,  es  gelang  Lysimachos  noch  für  diesmal,  den  Kopf  aus 
der  Schlinge  zu  ziehen;  man  darf  ihn  als  die  Seele  der  Koalition 
betrachten,  die  288  gegen  Demetrios  zusammentrat,  und  der  sich  auch 
Seleukos  nicht  entzog,  obwohl  er,  charakteristisch  genug,  am  Kriege 
nicht  aktiv  teilgenommen  hat.    In  raschen  Schlägen  zertrümmerte 
Lysimachos  das  makedonische  Reich  des  Demetrios,  und  sein  Sohn 
Agathokles  gab  ihm  den  Rest,  als  er  den  Krieg  auf  das  asiatische 
Gebiet  seines  Feindes  hinüberspielte;  den  gefallenen  Mann  konnte 
Seleukos  nicht  mehr  brauchen,  hat  ihm  aber  eine  Art  St.  Helena  in 
seinem  Reiche  beschert,  wo  er  langsam  zugrunde  ging.  Mächtiger 
als  je  war  Lysimachos  aus  dem  Kampfe  hervorgegangen ;  sein  Reich 
dehnte  sich  von  den  Taurospässen  bis  zu  den  Bergen,  die  Makedonien 
von  Epeiros  und  Illyrien  trennen,  und  erfreute  sich  einer  straffen  und 
tüchtigen  Verwaltung.   Daß  in  ihr  die  von  Alexander  beliebte  Teilung 
der  Provinzialgewalten ,  wie  Ghione  meint,  wieder  zugunsten  einer 
strafferen  Zentralisierung  aufgehoben  sei,  möchte  ich  nicht  so  ohne  weiteres 
glauben;  die  finanzielle  Verwaltung  war  doch  wohl  sicher  getrennt. 
Möglicherweise  aber  deutet  —  darin  kann  man  Gh.  recht  geben  — 
das  Bestehen  zweier  Hanptkassen,  der  einen  für  Europa  in  Tirizis, 
der  andern  für  Asien  in  Pergamon,  darauf  hin,  daß  die  asiatischen 
Landesteile  eine  administrative  Einheit  unter  Agathokles  bildeten. 
Dazu  würde  es  auch  passen,  daß  die  Exkönigin  von  Ägypten,  Eurydike, 
mit  ihren  Kindern  Aufnahme  in  Milet  bei  ihrem  Schwiegersohn  fand, 
und  dies  mag  den  ersten  Anlaß  zu  jenen  Familienzwistigkeiten  gegeben 
haben,   die   endlich  die  Herrschaft  des  Lysimachos  vernichteten. 
Damals  mag  Arsinon  den  Plan  gefaßt  haben,  Agathokles,  der  mit 
ihren  Stiefgeschwistern  allzu  eng  liiert  war  und  der  Nachfolge  ihrer 
eigenen  Kinder  im  Wege  stand,  aus  der  Welt  zu  schaffen,  was  ihr 
denn  auch  in  der  Tat  gelungen  ist.  Allein,  daß  Keraunos  dabei  seine 
tätige  Mithilfe  lieh,  der  doch  an  sich  keinen  Grund  hatte,  zu  seiner 
Stiefschwester  zu  stehen,  das  deutet  doch  noch  auf  fremde  Einflüsse 
hin,  und  man  braucht  die  Stelle  nicht  weit  zu  suchen,  von  wo  sie 
kamen.   Denn  nach  vollbrachter  Tat  suchten  sowohl  der  Mörder  wie 
auch  Frau  und  Kinder  seines  Opfers  Zuflucht  bei  Seleukos,  und  zu  spät 
erkannte  die  Ägypterin,  daß  sie  nur  die  Geschäfte  des  alten  Fuchses 
in  Antiochia  besorgt  hatte.   Als  Rächer  des  ermordeten  Kronprinzen 
rückte  Seleukos  282  in  Kleinasien,  dessen  Herrschaftsbereich,  ein, 
wo  ihm  alles  bereitwillig  die  Tore  öffnete,  und  auf  dem  Kurosfelde 
verlor  Lysimachos  Krone  und  Leben  (281).    Der  Ort  der  Schlacht 
ist  neuerdings  durch  die  von  Keil  behandelte  Grabinschrift  des 
Menas  festgestellt,  aber  auch  nicht  mehr.    Ob  der  Kampf,  in  dem 

Jahresbericht  fftr  AlUrtum«wiis«B8chaft.    Bd.  CXXXV.  12 


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Thomas  Lenscliau. 


Menas  fiel,  wirklich  die  Schlacht  zwischen  Seleukos  und  Lysimachos 
oder  eines  der  späteren  Treffen  zwischen  Bithynern  und  Pergamenern 
gewesen  ist,  bleibt  ganz  unsicher,  worauf  Bevan  mit  Recht  auf- 
merksam macht  (I,  323  f.). 

Hier  aber  erhebt  sich  nun  eine  Frage,  nach  deren  Beantwortung 
man  auch  bei  Beloch  vergeblich  sucht,  wo  war  Ägypten,  als  die  Ent- 
scheidung auf  dem  Kurosfelde  fiel  ?  Unzweifelhaft  mußte  der  Ausgang 
des  Kampfes  das  bisherige  Gleichgewicht  der  Mächte  nach  der  einen 
oder  nach  der  andern  Seite  hin  verschieben,  war  es  da  Oberhaupt 
möglich,  daß  der  Ptolemaier  sich  vollkommen  passiv  verhielt?  Und 
wenn  nicht,  warum  trat  er  dann  nicht  offen  auf  die  Seite  des  Lysi- 
machos, mit  dem  er  sowohl  politisch  wie  verwandtschaftlich  verbunden 
war,  während  der  von  ihm  verdrängte,  besser  berechtigte  Thronerbe 
bei  Seleukos  Aufnahme  gefunden  hatte?    Die  Erklärung  hängt  von 
der  Beantwortung  einer  andern  Frage  ab,  der  nach  den  Ursachen 
des  ersten  syrischen  Krieges,  Ober  die  C.  F.  Lehmann 
besonders  eingehend  gehandelt  hat.  Er  kommt  zu  dem  Schlüsse,  daß 
die  Ursache  des  jahrhundertelangen,  hartnäckigen  Kampfes  um  das  süd- 
liche Syrien  in  den  unklaren  Verhältnissen  lag,  die  der  Tag  von  Ipsos 
geschaffen  hatte.  Daß  Ptolemaios  I.  damals  als  Preis  seines  Beistandes 
das  südliche  Syrien  zugesichert  war,  unterliegt  wohl  keinem  Zweifel,  und 
daß  darüber  ein  schriftlicher  Vertrag  existiert  hat,  wird  man  L.  eben- 
falls zugeben.  Allein  wie  konnten  sich  die  Lagiden  später  auf  diesen 
Vertrag  berufen,  dessen  Voraussetzung  die  doch  eben  nicht  geleistete 
Hilfe  bei  Ipsos  war?    Anderseits  aber,  wie  erklärt  es  sich,  daß  die 
Seleukiden  nie  den  Rechtsstandpunkt  geltend  machen,  während  doch 
nach  Lehmanns  Erklärung  die  Sache  durchaus  zu  ihren  Gunsten  lag. 
ja,  daß  Pausanias  sagen  kann,  Antiochos  I.  habe  den  Vertrag  seines 
Vaters  mit  Ptolemaios  gebrochen,  als  er  den  syrischen  Krieg  begann  V 
Das  Rätsel  löst  sich,  sobald  man  annimmt,  daß  Seleukos  kurz  vor 
Kurupedion,  um  sich  den  Rücken  zu  decken,  mit  Ägypten  einen 
Vertrag  schloß,  in  dem  er  diesem  den  Besitz  der  Landschaften  be- 
stätigte, die  es  bereits  seit  302  und  287  inne  hatte,  gegen  das  Ver- 
sprechen, ihn  seinen  Strauß  mit  Lysimachos  allein  ausfechten  zu  lassen. 
Ob  Seleukos  die  Aufgabe  dieser  Provinzen  als  eine  endgültige  ansah, 
wissen  wir  nicht ;  ähnlich  sieht  es  ihm  nicht,  und  vielleicht  wollte  er 
diese  Aufgabe  seinem  Sohne  hinterlassen,  der  denn  auch  sehr  bald 
nach  dieser  Seite  hin  die  Politik  des  Vaters  wieder  aufnahm.  Danach 
würde  also  Niese  im  Recht  sein,  der  in  dem  Vertrag  bei  Pausanias 
einen  Vertrag  des  Seleukos  mit  Philadelphos  erkannte,  seinen  Ge- 
danken aber  nicht  konsequent  durchführte.  Daß  wir  von  dem  Vertrage 


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Jahresbericht  über  griechische  Geschichte  (1903—1906).  179 

sonst  nichts  wissen ,  darf  nicht  wundernehmen :  keiner  der  Herren 
Kontrahenten  hatte  Veranlassung,  die  Sache  an  die  große  Glocke  zu 
hängen.  Seleukos  täuschte  Keraunos,  der  sich  von  ihm  Hilfe  ver- 
sprach, und  für  Philadelphos  war  Südsyrien  der  Judaslohn,  um  den 
er  Lysimachos  verriet;  persönliche  Beziehungen  banden  ihn  nicht, 
wie  seinen  Vater,  dessen  Abdankung  ihm  auch  nach  dieser  Richtung 
hin  freie  Hand  gesichert  hatte. 

Diese  Hypothese  würde  übrigens  noch  nach  einer  andern  Seite 
hin  Licht  verbreiten,  nämlich  über  die  Motive,  die  Ptolemaios 
Keraunos  zur  Ermordung  des  alten  Seleukos  bewogen  haben. 
Eine  Erklärung  haben  neuerdings  Beloch  (DI,  1,  255)  und  Leh- 
mann versucht;  beide  stimmen  darin  überein,  daß  das  Hauptmotiv 
in  der  Absicht  des  Ptolemaios  lag,  die  Ansprüche  der  Kinder  seiner 
Schwester  Lysandra  aus  ihrer  Ehe  mit  Agathokles  durchzusetzen. 
In  der  Hoffnung,  zu  ihrem  Rechte  zu  kommen,  war  Lysandra  zu 
Seleukos  geflohen,  und  mit  dem  Vorwand,  ihre  Rechte  zu  vertreten, 
war  auch  Seleukos  ins  Feld  gertickt,  jetzt,  wo  er  Miene  machte, 
selber  die  Früchte  des  Feldzuges  für  sich  allein  einzuheimsen,  traf 
ihn  der  Dolch  des  Rächers.  So  ungefähr  Beloch,  noch  schärfer  hat 
Lehmann  die  Sache  herausgearbeitet.  Nach  ihm  hatte  Ptolemaios 
ursprünglich  nur  die  Absicht,  nach  Seleukos'  Tod,  nicht  eher,  die 
Ansprüche  seiner  Schwesterkinder  geltend  zu  machen.  Allein,  als  er 
erfuhr,  daß  Seleukos  damit  umging,  sich  auf  Makedonien  zu  be- 
schränken und  seinem  Sohne  die  asiatischen  Besitzungen  zu  übergeben, 
sah  er  seinen  Plan  vereitelt;  denn  daß  es  ihm,  wenn  Antiochos,  durch 
die  Anordnungen  seines  Vaters  genötigt,  seine  Regierung  nach  dem 
Westen  verlegen  würde,  niemals  gelingen  könne,  gegen  diesen  nach 
Seleukos"  Tod  die  Ansprüche  seiner  Neffen  durchzusetzen,  das  war 
Keraunos  von  vornherein  klar.  Er  führte  also  Seleukos'  Tod,  den 
er  sonst  abgewartet  hätte,  in  einem  Augenblick  herbei,  wo  Antiochos 
noch  fern  in  den  oberen  Provinzen  weilte  und  die  Sache  somit  für 
ihn  am  günstigsten  lag;  tatsächlich  gab  ihm  denn  auch  der  Erfolg 
recht.  Ich  gestehe,  daß  mir  die  Art,  wie  Lehmann  die  Tat  als  ein 
Ergebnis  kühlster  politischer  Berechnung  darstellt,  wenig  zu  dem 
Charakter  des  Mannes  zu  stimmen  scheint,  der  infolge  seiner  jähen 
Entschlüsse  und  seiner  zufahrenden  Energie  den  Namen  Keraunos 
erhalten  hat.  Gewiß  mag  der  Gedanke  an  die  Kinder  der  Lysandra, 
deren  Vater  er  ermordet  hatte,  bei  ihm  aufgetaucht  sein,  aber  wie 
viel  glaublicher  wird  alles,  wenn  Seleukos  ihm  die  Wiedereinsetzung 
in  sein  väterliches  Reich  versprochen,  ihn  dann  getauscht  und  hinter 
seinem  Rücken  sich  mit  dem  Ägypter  vertragen  hatte !  Die  Empörung, 

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Thomas  Lenschau. 


sich Jiintergangen  zu  sehen,  vielleicht  auch  die  Reue,  um  des  Ver- 
räters 'willen  an  seinem  Schwager  zum  Schurken  geworden  zu  sein, 
das  sind,  meine  ich,  die  Motive,  die  Keraunos  den  Dolch  in  die  Han<l 
gedrückt  haben;  er  verdient  eher  unser  Mitleid  als  sein  Opfer,  der 
große  Rechner,  der  diesmal  sein  Leben  selbst  hineingerechnet  hatte.  — 
Daß  übrigens  Seleukos  tatsächlich  König  der  Makedonen  gewesen  ist. 
hat  Lehmann  zuerst  gezeigt  und  durch  keilschriftliche  Zeugnisse 
erhärtet;  daraus  erklären  sich  auch  die  Ansprüche,  die  Ant iochos  I. 
später  auf  den  makedonischen  Thron  erhob. 

Mit  den  hier  berührten  Ereignissen  steht  bekanntlich  auch  die 
Begründung  der  pergamenischen  Herrschaft  in  Zusammen- 
hang, die  Beloch  auf  das  Jahr  282  verlegt  (in,  2,  158  f.).  Aller- 
dings kommt  er  dann  ein  wenig  ins  Gedränge,  indem  aller  Wahr- 
scheinlichkeit nach  Eumenes  noch  263/2  zur  Regierung  kam,  was  bei 
20jähriger  Dauer  der  Herrschaft  des  Philetairos  nicht  möglich  ist. 
Er  sowohl  wie  Cardinali  (S.  8  Anm.  8)  nehmen  an,  daß  die  20  eine 
runde  Zahl  seien.  Wahrscheinlich  ist  das  gerade  nicht,  da  die  Übrigen 
Zahlen  der  Herrscherliste  genau  sind ;  m.  E.  aber  hindert  auch  nichts. 
Philetairos  Abfall  bereits  in  das  Jahr  283/2  zu  setzen :  es  würde  nur 
beweisen,  wie  früh  bereits  die  Auflösung  der  Verhältnisse  in  den 
asiatischen  Landesteilen  der  Herrschaft  des  Lysimachos  begann. 
Dann  fiele  also  Eumenes  Regierungsantritt  in  263/2,  der  des  Attalo* 
bei  Vordatierung  in  241/0,  und  zwar  womöglich  in  den  Anfang, 
während  der  Tod  ganz  ins  Ende  198/7  gefallen  sein  muß,  so  da» 
dies  Jahr  bereits  seinem  Nachfolger  zugerechnet  ward.  In  der  Liste 
zählte  seine  Regierung  43  Jahre,  faktisch  aber  waren  es  von  kurz 
nach  Mittsommer  241  bis  kurz  vor  Mittsommer  197  nahezu  44,  und 
so  würde  sich  die  Angabe  des  Polybios  bei  Livius  erklären,  der  eben 
diese  Zahl  nennt.  —  Übrigens  sind  fast  alle  die  Inschriften  (Ditt. 
or.  310 — 312,  749),  die  man  lange  Zeit  auf  Philetairos,  den  dritten 
Sohn  Attalos  I.,  deutete,  neuerdings  von  Holleanx,  und  wohl  mit 
Recht  auf  den  Gründer  der  Dynastie  bezogen,  eine  Ansicht,  der  sich 
endlich,  wenngleich  mit  einigen  Reserven,  auch  Dittenberger  Or.  graec 
inscr.  I,  655  sq.  angeschlossen  hat.  Auch  die  größere  von  Smith  und 
Rustaffjael  1902  in  JHSt.  edierte  Inschrift  Ditt.  or.  748  gehört  in 
diesen  Zusammenhang. 

Fast  unmittelbar  nach  der  Schlacht  von  Kurupedion,  der  die 
hellenistische  Welt  ihre  endgültige  Gestaltung  verdankt,  erfolgte 
eine  jener  gewaltsamen  Katastrophen,  wie  sie  die  antike  Welt  mehr- 
fach durch  den  Einbruch  der  Nordvölker  zu  erleiden  gehabt  hat :  der 
Einfall  der  Gallier,  der  Makedonien  vernichtete  und  erst  dorrh 


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Jahresbericht  über  griechische  Geschichte  (190$— 1906).  181 

die  Kämpfe  an  den  Thermopylen  und  bei  Delphi  zum  Stehen  kam. 
Ein  interessantes  Dokument  zu  diesen  Kämpfen  ist  kürzlich  in  Kos 
entdeckt  und  von  Herzog  herausgegeben ,  die  Einleitung  dazu  hat 
Rein  ach  verfaßt.  Die  Inschrift,  in  der  auf  die  Ereignisse  von 
Delphi  hingewiesen  wird,  ordnet  eine  Festgesandtschaft  der  Koer  zu 
den  Pythien  an ,  worunter  die  im  Bukatios  (August)  278  gefeierten 
gemeint  sein  müssen.  Da  nun  der  Angriff  Herbst  279,  vielleicht  noch 
später  erfolgte  und  die  Nachricht  davon  nach  Ansicht  der  Heraus- 
geber schwerlich  vor  Frühjahr  278  in  Kos  eintreffen  konnte,  so  muß 
der  Beschluß  zwischen  April  und  Juli  278  gefaßt  sein.  Interessant 
ist  dabei,  daß  von  einer  Plünderung  des  delphischen  Heiligtums  gar 
nicht  die  Rede  ist.  Die  Nachrichten  darüber,  die  sich  bei  Livius,  Strabo, 
Appian  und  Diodor  finden,  gehen  nach  Reinach  entweder  auf  die 
Plünderung  einiger  kleinerer  Heiligtümer  oder  auf  die  übertriebenen 
Gerüchte  zurück,  die  im  Winter  279/8  Griechenland  beunruhigten. 
Eher  möchte  ich  glauben,  daß  die  delphische  Priesterschaft  die  un- 
zweifelhaft vorgekommenen  Schädigungen  absichtlich  übertrieb,  um 
einen  desto  erfolgreicheren  Fischzug  bei  gütigen  und  wohltätigen 
Spendern  ins  Werk  setzen  zu  können.  Noch  interessanter  ist  die 
Erwähnung  der  Imtpayetot  des  Apoll ;  wenn  Herzog  meint,  daß  ein  zu- 
fällig während  des  Kampfes  niedergehendes  Gewitter  bei  der  Erregt- 
heit der  Gemüter  den  Anlaß  gab,  daß  man  den  Gott  leibhaftig  zu 
sehen  glaubte,  so  wird  er  darin  recht  haben.  Wie  schnell  in  solchen 
Fällen  die  Legende  arbeitet,  zeigt  das  althochdeutsche  Ludwiglied 
über  die  Schlacht  von  Saucourt  (3.  8.  881),  das  wenige  Monate 
höchstens  nach  der  Schlacht  gedichtet  schon  einen  ganz  legenden- 
haften Charakter  hat.  Übrigens  kann  die  Verlegung  des  in  Kos  be- 
gangenen Jahresdankfestes  in  den  Panamos  doch  wohl  nur  damit  erklärt 
werden,  daß  der  Überfall  des  Heiligtums  selber  in  den  koischen 
Panamos,  d.  h.  (Paton  Inscriptions  of  Cos  p.  327)  ans  Ende  des  Jahres 
fiel,  das  mit  der  Herbst-Tag-  und  -Nachtgleiche  begann.  In  der  Tat 
wird  der  Schneefall,  der  allerdings  auf  eine  spätere  Jahreszeit  deuten 
würde,  von  den  meisten  Quellen  erst  bei  der  Verfolgung  erwähnt, 
die  sich  lange  und  weit  nach  Norden  zu  ausdehnte.  Eine  andere 
Frage  ist,  ob  die  delphischen  Soterien  um  dieselbe  Zeit  gefeiert 
wurden;  nach  Beloch  HI,  2,  416  f.  war  das  Fest  trieterisch  und 
wurde  in  den  geraden  Jahren  umschichtig  im  Anschluß  an  die  im 
August  stattfindenden  Pythien  gefeiert. 

Bald  nach  den  Vorgängen  in  Delphi  setzte  ein  Haufe  der 
Gallier  unter  Lutarios  und  Leonnorios  nach  Asien  hinüber ,  wo 
er  bald  alles  mit  dem  Schrecken  seines  Namens  erfüllte.  Ihre  Spuren 


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Thoraas  Lenschau. 


erscheinen  in  Nachrichten  ans  Erythrai,  Milet  —  vgl.  die  Zusammen- 
stellangen  Haussouilliers  S.  68  —  und  vor  allem  in  Priene,  wo  die 
nenentdeckte  Sotasinschrift  (Ditt.  or.  765 ,  mit  neuen  Ergänzungen 
Hillers  von  Oaertringen,  Priene  II,  no.  17)  von  rühmlichen  Taten  der 
Bewohner  gegen  die  fremden  Unholde  zu  berichten  weiß.  Gerufen 
waren  sie  von  der  nordkleinasiatischen  Liga,  Bithynien,  Herakleia, 
Pontos,  die  damals  mit  Antiochos  I.  in  Fehde  lag,  also  von  wesentlich 
nichtgriechischen  Völkerschaften,  während  die  Griechen  ihnen  gegen- 
über sich  solidarisch  fühlten ;  sowohl  in  den  Thermopylen  wie  in 
Kleinasien  haben  sich  alle  Großmächte  am  Kampfe  gegen  die  Barbaren 
beteiligt.    Auch  Ptolemaios'  Flotte  entfaltete  damals  eine  lebhafte 
Tätigkeit  im  ägäischen  Meer;  in  diese  Zeit  oder  vielleicht  noch  etwas 
früher  fällt  das  von  Graindor  herausgegebene  Dekret  von  los,  in 
dem  ein  gewisser  Zenon,  Befehlshaber  der  v^e?  a^paxxot  unter  Bakchon, 
belobt  wird.    Dieser  Bakchon  ist  uns  als  Nesiarch  schon  aus  andern 
Inschriften  bekannt,  die  alle  etwa  um  280  anzusetzen  sind,  neu  ist 
ein  anderes  von  G.  herausgegebenes,  aber  leider  sehr  lückenhaftes 
Dekret  (BCH.  80,  92  ff.).    Doch  läßt  sich  ihm  so  viel  entnehmen, 
daß  Bakchons  Anordnungen  von  Philokles  bestätigt  werden,  dem  be- 
kannten König  von  Sidon,  der  in  den  achtziger  Jahren  Admiral  des 
Philadelphos  in  den  ägäischen  Gewässern  war.   Daß  Bakchon  später 
ebenfalls  dies  Amt  bekleidete,  scheint  mir  von  Kontoleon  und  Reinach 
aus  einer  falschen  Lesung  geschlossen  (vaoap/ou  statt  vijmapxou), 
möglich  bleibt  es  ja  allerdings;  sein  Nachfolger  wäre  dann  Hermias 
gewesen,  der  von  276/69  in  den  delischen  Listen  erscheint. 

Allein  als  der  eigentliche  Besieger  der  Gallier  gilt  Seleukos'  Sohn. 
Antiochos  I.,  der  davon  den  Beinamen  Soter  erhalten  hat.  Über 
seine  Anfänge  sind  wir  durch  einige  Inschriften  unterrichtet,  die  jetzt 
am  besten  bei  Ditt.  or.  219  ff.  zusammengestellt  sind.  Die  drei  ersten 
davon,  die  sämtlich  in  Ilion  gefunden  sind,  hat  Sokolow  dem 
Antiochos  I.  abgesprochen  und  sie  auf  Antiochos  III.  bezogen.  Die 
in  220  erwähnte  Verwundung  kann  natürlich  dann  nicht  aus  dem 
Gallierkrieg  herstammen,  sondern  rührt  wahrscheinlich  aus  der 
Schlacht  am  Berge  Paneion  her.  Der  Hauptgrund  liegt  für  Sokolow 
darin,  daß  die  Gemahlin  des  Antiochos  in  diesen  Inschriften  al% 
döeXcpr,  ßaaiXtaaa  bezeichnet  wird.  Stratonike,  Antiochos  I.  Gemahlin, 
war  eben  die  Tochter  des  Demetrios  Poliorketes.  Nun  wird  freilich 
zuweilen  aus  Polyaen  8.  50,  wo  Antiochos  II.  Gemahlin  Laodike  als 
seine  ctöeX?^  6fAOwxtptoc  bezeichnet  wird,  die  Folgerung  gezogen, 
daß  Antiochos  I.  neben  (Ditt.)  oder  nach  Stratonike  noch  eine  zweite 
Frau  gehabt  habe,  eben  die,  welche  in  der  Inschrift  als  dlzkrs^ 


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Jahresbericht  über  griechische  Geschichte  (1903—1906).  ig3 

ßaaÖUaoa  bezeichnet  werde;  allein  das  ist  nach  dem,  was  wir  von 
Antiochos  und  Stratonike  wissen,  ziemlich  unwahrscheinlich,  und  auch 
Sokolow  nimmt  hier  einen  Irrtum  Polyaens  an.  Ist  also  die  Königin 
gemeint,  so  kann  der  Antiochos  der  Inschrift  nicht  Antiochos  I. 
sein ;  es  bleibt  dann  eben  nur  Antiochos  III.,  der  tatsächlich  mit  einer 
Schwester  vermählt  war.  Unter  dem  im  Beginn  der  Inschrift  genannten 
Aufstand  ist  sonach  der  berühmte  Aufstand  des  Molon  zu  verstehen, 
und  die  Seleukis  ist  also  weder  die  von  Strabo  so  bezeichnete  Gegend 
(Nordsyrien)  noch  die  App.  Syr.  56  sogenannte  Gegend  in  Kappa- 
dokien, wozu  auch  das  6iup£ßaXe  toa  Taöpov  nicht  paßt,  sondern  die 
Gegend  um  Seleukeia  am  Tigris.  Ich  bedauere,  mich  der  Ansicht 
Sokolows  nicht  anschließen  zu  können.  Nicht  nur,  daß  wir  den 
Namen  Seleukis  für  die  Gegend  am  Tigris  überhaupt  nicht  kennen 
(vgl.  Ditt.  or.  219  b);  vor  allem  erscheint  die  Sprache  der  Inschrift 
für  so  gewaltige  Erfolge,  wie  sie  Antiochos  III.  im  Osten  errang,  bei 
weitem  nicht  enthusiastisch  genug,  auch  konnte  die  Niederwerfung 
des  Achaios  nicht  so  gleichsam  gelegentlich  in  Vs.  12  mit  den 
nüchternen  Worten  «rijv  efp^vijv  xaxeaxeoaöev  abgetan  werden.  Weiter 
bleibt  es  einigermaßen  merkwürdig,  daß  die  Bewohner  von  Ilion  bei 
Ant.  Thronbesteigung  Opfer  gebracht  haben  wollen;  damals  gehörten 
sie  selber  zum  Reiche  des  Attalos  (Beloch  III,  1,  709),  während  im 
übrigen  Kleinasien  Achaios  mit  souveräner  Machtfülle  gebot ,  und 
endlich  müßte  doch  auch  erklärt  werden,  wie  Antiochos  III.  dazu 
kommt,  als  atox^p  der  Stadt  Ilion  bezeichnet  zu  werden,  was  bei 
Antiochos  I.  ohne  weiteres  begreiflich  ist.  Es  wird  also  wohl  bei 
der  alten  Erklärung  verbleiben  müssen,  wonach  Antiochos  eben 
Antiochos  I.  ist,  und  der  Friede,  den  er  in  Kleinasien  herstellt,  auf 
die  Beilegung  des  makedonischen  Erbfolgekrieges  zwischen  ihm  und 
Antigonos  Gonatas  sich  bezieht.  Alsdann  aber  bleibt,  wenn  man  nicht 
mit  Ditt.  wirklich  annehmen  will,  daß  Antiochos  neben  Stratonike 
noch  eine  zweite  Frau  gehabt  hat,  und  daß  diese  seine  Schwester 
war  (Ditt.  or.  220,  107),  nur  der  eine  Ausweg,  daß  ctöeX?^  ßaaihaoa 
hier  lediglich  als  ein  Titel  aufzufassen  ist,  der  nach  ägyptischer  Mode 
der  Stratonike  beigelegt  wird.  Dafür  entscheidet  sich  auch  Breccia 
S.  157  ff. 

Mit  dem  Jahre  280  beginnt  der  Angriff  des  Königs  Pyrrhos  auf 
Italien,  der  bereits  im  folgenden  Jahre  den  Zusammenschluß  der 
beiden  Westmächte,  Rom  und  Karthago,  zur  Folge  hatte.  Den  bei 
Polybios  überlieferten  Text  des  Bündnisses  hat  zuerst  Beloch  richtig 
interpretiert  und  auch  gegenüber  den  Einwendungen  von  Büttner- 
Wobst  mit  Recht  an  seiner  ursprünglichen  Erklärung  festgehalten 


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184 


Thomas  Lenschau. 


(III,  2,  401  ff.).  Daß  die  von  demselben  Forseber  entdeckte  Ver- 
wirrung des  römischen  Kalenders  anch  für  den  Pyrrhoskrieg  von 
großer  Bedeutung  ist  —  die  Verschiebung  betrug  damals  fast  einen 
Monat  — ,  kann  hier  nur  angedeutet  werden ;  für  die  Geschichte  des 
Ostens  gewinnt  Pyrrhos  erst  wieder  Bedeutung,  als  er  nach  der 
Schlappe  von  Benevent  wieder  in  die  Heimat  zurückkehrte,  gleich- 
zeitig etwa  mit  dem  Ausbruch  des  ersten  syrischen  Krieges, 
der  sich  dann  bald  zu  einem  allgemeinen  Weltbrand  erweiterte.  Die 
genauere  Kenntnis  des  Krieges  wird  im  wesentlichen  C.  F.  Leh- 
mann verdankt,  der  zuerst  keilschriftliche,  eine  genaue  Datierung 
zulassende  Dokumente  herbeizog.  Eines  von  ihnen  —  die  Datierung 
lautet:  sattu  38  m  An-ti-uk-su  u™  Si-lu-ku  Sar-rä-ni,  d.  h.  Jahr  38 
(der  seleukidischen  Ära  vom  1.  Dios  312,  also  274/3)  Antiochos  und 
Seleukos  Könige  —  berichtet,  daß  Antiochos  von  Sapardu  gekommen 
sei  und  sich  gegen  die  in  Ebir-n&ri  eingebrochenen  Truppen  gewendet 
habe.  Weiter  werden  dann  die  Hilfssendungen  der  Satrapen  von 
Babylonien  und  Baktrien  erwähnt,  sowie  das  Faktum,  daß  damals  die 
Krankheit  ik-ki-tum  im  Lande  war.  Danach  war  also  274/3  Krieg 
im  Lande  mit  Ägypten ;  daß  es  aber  nicht  der  Anfang  war,  zeigt  die 
Pithomstele,  die  aus  dem  11.  Regierungsjahr  des  Philadelphos,  d.  h. 
Nov.  275/4  bereits  die  Rückführung  von  Götterbildern  aus  Syrien 
berichtet.  Anderseits  wissen  wir,  daß  das  Fest  zu  Ehren  des  Ptole- 
muios  Soter  im  Jahre  275  noch  im  Frieden  begangen  ward,  der  Krieg 
muß  also  im  Laufe  des  Sommers  275  ausgebrochen  sein.  Nicht  so 
genau  ist  sein  Ende  zu  bestimmen;  ein  terminus  ante  quem  ist  daraus 
zu  erschließen,  daß  der  Kanal  des  östlichen  Landes  in  Ägypten,  der 
279/8  begonnen,  dessen  Bau  aber  durch  den  Ausbruch  des  Krieges 
ins  Stocken  geraten  war,  270/69  vollendet  ward.  Ebenso  war  nach 
einer  Keilschrifturkunde  der  Bau  des  Tempels  von  Esaggil  schon 
im  Jahre  27,  d.  h.  275/4  beschlossen,  aber  268  lag  er  noch  in 
den  Anfängen ,  so  daß  auch  hier  eine  Verzögerung  durch  den  Krieg 
anzunehmen  ist.  Anderseits  herrscht  in  Theokrits  bekanntem  Gedicht, 
das  Arsinoe  noch  als  lebend  erwähnt  und  daher  vor  Sommer  270 
verfaßt  sein  muß,  tiefer  Friede;  dieser  muß  also  schon  271  oder 
272  abgeschlossen  sein. 

Über  die  Gründe  des  Krieges  ist  bereits  oben  gesprochen  worden ; 
was  den  Anlaß  betrifft,  so  war  der  Angreifer  jedenfalls  Antiochos, 
da  sich  das  Streitobjekt,  Koilesyrien,  zu  Beginn  des  Krieges  in 
Ptolemaios  Händen  befand.  Offenbar  plante  der  Syrer  mit  seinem 
Schwiegersohn  Magas  v.  Kyrene  einen  kombinierten  Angrif  auf  Ägypten, 
dir  aber  mißlang,  weil  Mngas  zu  früh  losschlug;  dadurch  ward 


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Jahresbericht  über  griechische  Geschichte  (1903—1906).  185 


Antiochos  seinerseits  in  die  Defensive  gedrängt.  Über  den  Verlauf 
des  Krieges  wissen  wir  nicht  viel;  nach  Lehmann  gehört  in  ihn  die 
Eroberung  von  Kaunos  (so  auch  zweifelnd  Beloch  III,  2,  420;  aber 
Philokles  war  damals  schwerlich  noch  Admiral),  die  Einnahme  von 
Erythrai  und  der  Sieg  des  pontischen  Herrschers  mit  Hilfe  der  Gallier 
über  ägyptische  Truppen  (S.  532),  wenn  diese  abgerissen  überlieferte 
Notiz  überhaupt  Wert  hat.  Daß  auch  Milet  damals  unter  ägyptische 
Herrschaft  gekommen  ist,  schließt  Haussoullier  a.  a.  0.  aus  der  Weih- 
inschrift für  Philotera,  die  aber  auch  in  eine  spätere  Zeit  fallen  kann. 
Nicht  anders  liegt  die  Sache  mit  Erythrai ;  daß  der  Brief  des  Antiochos 
Ditt.  or.  223  auf  Antiochos  I.  zu  beziehen  sei,  habe  ich  schon  früher 
auseinandergesetzt  und  darin  auch  Dittenbergers  Zustimmung  ge- 
funden, während  Beloch  (S.  273)  und  Cardinali  (S.  223  Anm.  2)  in 
dem  Vf.  Antiochos  II.  erkennen.  Ist  aber  jenes  richtig,  so  muß  Erythrai 
doch  eben  um  diese  Zeit  in  den  Händen  des  Antiochos  gewesen  sein, 
und  auch  die  Inschrift  Ditt.  syll  1  159  kann  nicht  das  Gegenteil  be- 
weisen. Denn  warum  die  dort  erwähnten  n-oXe|iaixol  eine  ägyptische 
Besatzung  sein  sollen,  ist  nicht  abzusehen,  sie  stehen  auf  derselben 
Stufe  wie  die  Söldner  unter  Hermokrates,  und  wahrscheinlich  sind  es 
gerade  diese,  die,  im  Solde  der  Stadt  stehend,  ihre  Besatzung  bilden, 
wie  uns  derartige  städtische  Söldner  z.  B.  in  Priene  (Hiller  no.  19 — 23) 
entgegentreten.  Möglicherweise  hatte  Ptolemaios  seine  Leute  an- 
gewiesen, in  der  furchtbaren  Galliernot  den  Städten  beizustehen,  wo 
sie  konnten.  Immerhin  muß  Philadelphos  im  ägäischen  Meer  und  an 
der  Küste  Kleinasiens  nicht  ohne  Glück  gekämpft  haben,  wie  das 
Dekret  von  Siphnos  zeigt,  in  dem  die  Einwohner  der  Insel  dem  König 
zu  seinen  Erfolgen  gratulieren.  Allerdings  beziehen  es  die  Heraus- 
geber in  den  IG.  auf  Ptolemaios  Philopator  und  seinen  Sieg  bei 
Rhapheia,  allein  dann  ist,  wie  Holleaux  sehr  richtig  nachgewiesen 
hat,  die  Erwähnung  der  Königin  einigermaßen  problematisch,  da 
Philopator  Arsinoe  erst  215/4  nach  BoucheVLeclercq ,  nach  Svoronos 
«ar  erst  211  heiratete.  Auch  fällt  auf,  daß  der  erwähnte  Perigenes, 
der  mit  Philopators  Admiral  (bei  Pol.  V,  68-69)  identisch  sein  soll, 
nicht  als  solcher  bezeichnet  wird.  Infolgedessen  denkt  Holleaux  an 
die  70  er  Jahre  des  Jahrhunderts  (vor  dem  Tod  der  Arsinoe  270) 
und  das  wird  richtig  sein;  die  Inschrift  gehört  also  der  Zeit  des 
ersten  syrischen  Krieges  an.  Wahrscheinlich  (Beloch  a.  a.  0.)  fällt 
auch  die  von  Polyaen  4,  15  erwähnte  Eroberung  der  Stadt  Damaskos 
durch  Antiochos,  Seleukos'  Sohn,  in  diesen  Krieg,  während  Lehmann 
sie  in  den  Anfang  des  zweiten  setzen  möchte.  Jedenfalls  besaß 
Philadelphos  am  Ende  dieses  Krieges  nach  Theokrit  Pamphylien, 


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18(5  Tbomas  Lenschau. 

Kilikien,  Lykien  und  Karien,  Gebiete  die  z.  T.  allerdings  noch  unter  seiner 
Regierung  verloren  gingen;  wenn  Ionien  vom  Dichter  nicht  erwähnt 
wird,  so  spricht  anch  das  gegen  die  Einnahme  solcher  Städte  wie  Erythrai 
und  Milet.  So  viel  über  den  Verlauf  des  Krieges,  dessen  Darstellung  bei 
Bouchö-Leclercq  1, 171  ff.  danach  in  einigen  Punkten  zu  modifizieren  wäre. 

Allein  die  Bedeutung  des  Krieges  beschränkt  sich  nicht  allein 
auf  den  Konflikt  zwischen  Syrien  und  Ägypten.  Nach  den  ein- 
leuchtenden  Bemerkungen  Lehmanns  a.  a.  0.  unterliegt  es  wohl  keinem 
Zweifel,  daß  damals,  wenn  auch  nicht  überall  durch  ausdrückliche 
Bündnisse,  so  doch  durch  stillschweigendes  Einverständnis,  die  Welt 
in  zwei  große  Heerlager  gespalten  war.  Auf  der  einen  Seite  standen 
Magas ,  Antiochos ,  Pyrrhos ,  Tarent  und  Karthago ,  auf  der  andern 
Ptolemaios,  Antigonos,  Athen,  Sparta  und  seine  Bundesgenossen, 
endlich  Rom,  und  so  stark  war  der  Gegensatz,  daß  er  selbst  alte 
eingewurzelte  Nachbarfehden,  wie  die  zwischen  Akarnanien  und  Aitolien, 
für  den  Augenblick  zum  Stillstand  brachte.  Der  große,  in  Thermon 
aufgefundene  Bündnisbeschluß  beider  Staaten  wird  von  dem  Entdecker 
Sotiriades  mit  guten  Gründen  in  die  Zeit  von  285—272,  wahr- 
scheinlich ins  Jahr  278  gesetzt.  Auch  in  Athen  war  damals  infolge 
dieser  Gruppierung  der  Mächte  der  Gegensatz  zu  Makedonien  aus- 
geschaltet. Mit  Recht  hat  Lehmann,  wie  schon  oben  erwähnt, 
darauf  aufmerksam  gemacht,  daß  unter  solchen  Umständen  das  Dekret 
für  Demochares  auch  bei  einer  oligarchischen  Regierung  möglich 
war.  Ebenso  beginnt  schon  damals  der  Antagonismus  der  eben  noch 
verbündeten  Mächte  Rom  und  Karthago,  wie  er  in  der  karthagischen 
Hilfssendung  an  Tarent  nach  Pyrrhos  Abzug  zum  Ausdruck  kam ; 
sie  mit  Beloch  III,  2,  25  für  eine  Erfindung  der  Annalisten  zu  halten, 
liegt  kein  Grund  vor.  Nur  die  augenblickliche  Gefahr  hat  die  beiden 
Gegner  zusammengeführt;  gleich  nach  Pyrrhos  Abzug  aus  Sizilien 
machte  sich  der  natürliche  Gegensatz  wieder  geltend,  der  dann  263 
zum  vollen  Ausbruch  kam.  Erst  der  Friede  zwischen  Ptolemaios 
und  Antiochos  hat  die  damalige  Gruppierung  der  Weltmächte  zerstört, 
indem  er  den  Übertritt  des  Antigonos  auf  die  Gegenseite  veranlaßt e, 
der  dann  sehr  bald  zum  chremonideischen  Kriege  geführt  hat. 

Die  Frage  nach  den  Gründen  des  chremonideischen  Krieges 
ist  noch  keineswegs  geklärt,  um  so  beachtenswerter  ist  Lehmanns 
Ansicht,  daß  er  im  wesentlichen  durcn  die  Intrigen  der  Königin 
Arsinoe  entstanden  ist,  die  seit  der  Heirat  mit  ihrem  Bruder  (274) 
auf  dem  Gipfel  ihrer  Macht  angelangt,  jetzt  ihre  alten  Ansprüche 
auf  Makedonien  geltend  machen  wollte,  und  zwar  zugunsten  ihres 
ältesten  Sohnes  aus  erster  Ehe  mit  König  Lysimachos,  der  den  Namen 


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Jahresbericht  über  griechische  Geschichte  (1908—1906).  187 

Ptolemaios  führte  und  infolge  seiner  Abwesenheit  dem  Blutbad  in 
Kassandreia  (279)  entgangen  war.  Daher  erklärt  sich  die  Erwähnung 
der  verstorbenen  Königin  in  dem  Psephisma  des  Chremonides,  daher 
auch  die  eigentümliche  Erscheinung,  daß  gerade  um  diese  Zeit 
Antiochos  in  verschiedenen  Keilschrifttäfelchen  sein  Anrecht  auf 
Makedonien  wieder  betont ,  indem  er  seinen  Vater  als  Si-lu-uk-ku 
sär  Ma-ak-ka-du-na-aia  sär  Ba-bt-li,  d.  h.  König  von  Makedonien, 
König  von  Babylon  bezeichnet  (Lehm.  S.  246);  denn  da  seit  277 
Antigonos  und  Antiochos  nicht  bloß  in  freundschaftlichen,  sondern 
auch  in  verwandtschaftlichen  Beziehungen  standen  —  der  Makedonier 
hatte  Phila,  Antiochos'  Schwester  und  Stieftochter  geheiratet  — ,  so 
kann  diese  Spitze  sich  nur  gegen  Ägypten  gerichtet  haben.  Der  Tod 
der  Königin  (270)  verzögerte  den  Krieg,  der  nach  Lehmann  268/7, 
nach  Beloch  266/5  zum  Ausbruch  kam.  Die  Entscheidung  hängt  von 
der  Ansetzung  des  Peithidemos  ab,  unter  dem  das  Psephisma  des 
Chremonides  zur  Annahme  gelangte.  Das  Ende  ist  von  Beloch  nach 
einer  Notiz  des  Philodemos  repl  x&v  stoux&v  col.  8  auf  den  Archon 
Antipatros  festgelegt,  der  von  ihm  auf  Grund  von  Philodem  col.  4 
a.  a,  0.  auf  263/2  fixiert  wird.  Die  Verteilung  der  Ereignisse,  die 
dann  B.  S.  425  vornimmt,  drängt  diese  allerdings  stark  zusammen 
und  ignoriert  den  Zug  des  Antigonos  gegen  Alexander  v.  Epeiros, 
der  freilich  nur  schwach  (durch  Justin)  bezeugt  wird  und  den  er  lieber 
10  Jahre  später  setzen  möchte;  auch  fällt  Areus'  Tod  in  der  Ent- 
scheidungsschlacht bei  Korinth  ins  Jahr  264,  was  B.  für  möglich 
hält,  obwohl  die  spartanische  Königsliste  266'5  als  sein  Todesjahr 
angibt.  Setzt  man  dagegen  Areus  Tod  in  265,  so  gewinnt  man  Zeit 
für  die  Expedition  gegen  Alexander;  dann  ist  aber  die  Zeit  für  die 
vorhergehenden  Ereignisse  zu  kurz,  und  so  gelangt  Lehmann  zu  seinem 
Ansatz  des  Peithidemos  auf  268/7.  Fergusons  neuer  Ansatz  stimmt 
auch  hier  zu  Beloch ;  Philokrates  268/7,  Peithidemos  266/5 ;  dagegen 
differiert  er  in  der  Fixierung  des  Antipatros,  der  nach  ihm  262/1 
amtierte,  was  mit  dem  Wortlaut  von  Philod.  col.  4  nur  dann  vereinbar 
ist,  wenn  man  exklusive  Zählung  annimmt.  Nach  Ferguson  (S.  153) 
erfolgte  Athens  Fall  Ende  262,  als  mit  der  Kriegserklärung  des 
neuen  syrischen  Königs  Antiochos  II.  an  Ägypten  jede  Aussicht  auf 
ägyptische  Hilfe  verschwunden  war.  Der  Schluß  beruht  auf  der  auch 
von  Beloch  (III.  1,  612)  geteilten  Annahme,  daß  Antiochos  I.  sich 
ganz  vom  chremonideischen  Kriege  ferngehalten  habe,  was  mir  ebenso- 
wenig wie  Lehmann  wahrscheinlich  vorkommt.  So  viel  allerdings  ist 
zuzugeben,  daß  man  von  einem  direkten  Eingreifen  des  Syrers  kaum 
etwas  weiß;  immerhin  stand,  wie  Lehmann  wohl  mit  Recht  aus  keilschrift- 


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188 


Thomas  Lenschau. 


liehen  Nachrichten  geschlossen  hat,  268  Antiochos  wieder  an  der 
Südgrenze  seines  Reiches,  bereit,  den  Krieg  gegen  Ägypten  zu  be- 
ginnen. Und  auf  seine  fortwährend  feindliche  Haitang  ist  offenbar 
die  Lauheit  der  ägyptischen  Unterstützung  zurückzuführen,  die  Athens 
Fall  herbeiführte ,  und  die  Beloch  a.  a.  0.  dem  Charakter  des  Phila- 
delphos  zuschreibt ;  nur  sie  hat  Antigonos  vollständigen  Sieg  ermöglicht. 
Zu  einem  wirklich  tatkräftigen  Eingreifen  ist  es  allerdings  auf 
Antiochos'  Seite  nicht  gekommen.  In  diese  Zeit  fällt  die  Hinrichtung 
seines  älteren  Sohnes  Seleukos,  die  sicher  mit  einer  schweren  Er- 
schütterung seines  Reiches  verbunden  war  (zwischen  268  und  266; 
vgl.  die  Zusammenstellung  bei  Beloch  IH,  2,  140),  und  weiter  wußte 
ihm  der  Ptolemaier  im  eigenen  Lande  eine  schlimme  Diversion  zu 
bereiten.  263/2  starb  Philatairos  von  Pergamon  und  sofort  trat  in 
den  Beziehungen  zum  Seleukidenhause ,  die  dieser  Monarch  während 
seiner  ganzen  Regierung  gepflegt  hatte,  eine  plötzliche  Wendung  ein. 
Sein  Neffe  und  Nachfolger  Eumenes  I.  erhob  sich  sofort  gegen  seinen 
Souverain  und  besiegte  den  alten  Antiochos  I.  unter  den  Mauern  von 
Sardes,  unzweifelhaft  im  Einverständnis,  wenn  nicht  tatkräftig  unter- 
stützt von  Philadelphos ,  wie  früher  schon  Meier  vermutet  hat  und 
sowohl  von  Beloch  III,  1,  614  A.,  wie  Cardinali  S.  13  f.  mit  Recht 
hervorgehoben  wird.  Mit  der  Erweiterung  des  pergamenischen  Ge- 
bietes zugleich  sind  damals  wohl  auch  Ephesos  und  Milet  in  die 
Hand  Ägyptens  gefallen.  In  Milet  herrschte  als  Tyrann  der  ätolische 
Söldnerführer  Timarchos;  in  Ephesos  finden  wir  etwas  später  als 
Kommandanten  der  ägyptischen  Streitkräfte  einen  gewissen  Ptolemaios, 
der  als  Sohn  des  Philadelphos  bezeichnet  wird. 

Wer  war  dieser  Ptolemaios  von  Ephesos?  Ein  Sohn  des 
Philadelphos  aus  erster  Ehe  kann  er  nicht  gewesen  sein,  da  aus  ihr 
nur  drei  Kinder  existierten,  Ptolemaios,  der  spätere  Euergctes,  Lysi- 
machos  und  Berenike  (Beloch  III,  2,  130)  ;  ein  Bastard  (so  Bouchtf 
I,  206  und  Ditt.  or.  224  4)  noch  weniger,  denn  diese  führten  nicht 
den  Namen  Ptolemaios  (Breccia  S.  147).  Also,  sagt  Beloch,  ist  es 
der  Sohn  der  Arsinoe  aus  erster  Ehe  mit  König  Lysimachos,  dem 
sie  im  chremonideischen  Krieg  Makedonien  verschaffen  wollte ,  der 
nach  B.  später  mit  Übergeh ang  seiner  leiblichen  Kinder  von  Arsinoe  (I.) 
von  Philadelphos  adoptiert  ward  und  wahrscheinlich  derselbe,  der  in 
den  Papyrusurkunden  von  267 — 259/8  als  Mitregent  des  Ptolemaios 
erscheint.  Diese  Identifikation,  die  schon  vor  Beloch  von  andern 
(Gercke,  v.  Prott)  versucht  worden  war,  ist  jetzt  durch  eine  zwingende 
Ergänzung  von  Holleaux  als  unrichtig  erwiesen.  In  der  Inschrift  von 
Telmissos,  Ditt.  or.  55  =-  Mich.  40,  die  genau  auf  den  Februar  240 


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Jahresbericht  über  griechische  Geschichte  (1908-1900).  • 

datiert  ist,  wird  ein  n-roXifiato?  AutJtjjLaxoo  erwähnt,  der  dann  in 
ZI.  22/3  als  iiciY  .  .  .  v  bezeichnet  wird.  Die  Ergänzung  Holleaox 
im'YOVov  ist  unzweifelhaft;  danach  ist  also  der  hier  erwähnte  Ptolemaios, 
der  Herr  von  Telmissos,  eben  der  Sohn  des  Königs  Lysimachos,  in- 
sofern nach  bekanntem  Sprachgebrauch  die  Söhne  der  BtaSogGi  eben 
als  Epigonen  bezeichnet  werden,  und  folglich  nicht  identisch  mit  dem 
Kommandanten  von  Ephesos,  der  bereits  18  Jahre  vor  dem  Datum 
des  Dekretes  zugrunde  ging.  Der  Telm.  ist  auch  in  der  Durdurkar- 
Inschrift  gemeint  (Ditt.  or.  224),  in  der  ein  König  Antiochos  die 
Oberpriesterinnenwürde  eines  Bezirkes  an  Beronike  überträgt,  IItoXs- 
fiottoo  toü  Auoifxa^ou  too  rpoaijxovTO?  jjjMV  xaxA  awflivziav  Öo^axspa 
vs.  29/30.  Allerdings  ist  die  Datierung  des  Dekretes  nicht  ganz 
einfach;  den  gewöhnlichen  Ansatz,  daß  der  Antiochos  der  Inschrift 
Antiochos  II.  sei,  bekämpft  Sokolow,  der  auch  hier  Antiochos  III. 
versteht.  Allein  der  Ausdruck  ßaat'Xioaa,  der  in  der  Inschrift  von 
Laodike  gebraucht  wird,  kann  keine  Gegeninstanz  gegen  Antiochos  II. 
bilden ;  denn  einmal  könnte  das  Dekret  ja  vor  der  Verstoßung  ent- 
standen sein,  und  zweitens  ist  es  gar  nicht  sicher,  daß  L.  tatsächlich 
durch  die  Verstoßung  des  königlichen  Titels  verlustig  ging.  Sein 
Fehlen  in  der  großen  Inschrift  von  Didyma,  das  Haussouillier  damit 
erklären  wollte  (S.  76),  kann  auch  mit  dem  privaten  Charakter  der 
Urkunde  zusammenhängen  (Beloch  in,  1,  622  A,  was  Übrigens  auch 
Hauss.  p.  87  anerkennt).  Anderseits  ist  aber  auch  gegen  die  An- 
nahme, Antiochos  III.  sei  der  Vf.  des  Briefes  an  den  Satrapen,  Posi- 
tives kaum  einzuwenden,  und  somit  muß  die  Sache  unentschieden 
bleiben.  Fällt  die  Inschrift  unter  Antiochos  II.,  so  ist  die  genannte 
Beronike  wohl  die  Tochter  des  Fürsten  von  Telmissos,  obwohl  dann 
zunächst  unerklärt  bleibt,  wieso  Antiochos  diesen  seinen  Verwandten 
nennen  kann.  Er  ward  das  erst  durch  die  ägyptische  Heirat 
Antiochos  II.,  und  so  würde  ich  die  Inschrift  gerade  nach  der  Heirat 
mit  Beronike  ansetzen,  vielleicht,  wegen  der  entschiedenen  Verehrung 
mit  der  Laodike  behandelt  wird,  in  der  kurzen  Zeit  vor  Antiochos' 
Tod,  als  er  eine  Aussöhnung  mit  der  verstoßenen  Gattin  anstrebte 
und  erreichte.  Zu  demselben  Ergebnis,  wenn  auch  aus  andern  Gründen, 
gelangt  Bouche*  I,  212  A.  1.  Entscheidet  man  sich  für  Antiochos  III., 
so  war  Beronike  wohl  die  Urenkelin  des  Vorgenannten  und  Tochter 
des  Ptolomaeus  Telmessius,  der  189  sein  Fürstentum  von  den  Römern 
zurückerhielt,  und  von  dem  mehrere  Weihungen  in  Delos  vorhanden 
sind.  Wer  dagegen  der  Kommandant  von  Ephesos  war,  muß  vorder- 
hand unaufgeklärt  bleiben. 

In  den  Zusammenhang  dieser  Ereignisse,  die  in  den  Beginn  der 


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Thomas  Lenschau. 


Regierung  Antiochos  II.  fallen,  gehört  nun  auch  die  zeitlos  über- 
lieferte Schlacht  von  Kos,  um  deren  Datierung  sich  Beloch  ver- 
dient gemacht  hat.  Bekanntlich  beruht  unsere  Kenntnis  des  Vorganges 
nur  auf  einer  Anekdote,  die  immer  auf  einen  Antigonns,  bald  aber 
auf  die  Schlacht  von  Kos,  bald  auf  die  von  Andros  bezogen  wird 
(Plut.  v.  Selbstlob  c.  15.,  apopthegro.  p.  183  Pelop.  c.  2);  dabei  ist 
es  aber  sicher,  daß  es  sich  in  beiden  Fällen  um  einen  Sieg  gehandelt 
hat,  weil  sonst,  wie  Beloch  treffend  bemerkt,  die  Geschichte  keine 
Pointe  haben  würde.  Auf  die  Schlacht  von  Kos  bezieht  sich.  Ath.  5, 
209  e,  auf  die  von  Andros  Prol.  Trog.  27,  und  aus  der  Stellung 
dieser  zweiten  Notiz .  in  der  sie  zwischen  den  Tod  des  Ziaelas 
(ca.  229)  und  des  Hierax  (227)  eingeschoben  erscheint,  schließt 
Beloch  (III,  2,  428  ff.) ,  daß  die  Schlacht  etwa  ins  Jahr  228  fällt 
und  von  Doson  gewonnen  ist.  Die  Richtigkeit  des  Schlusses  wird 
von  Levi  bestritten,  und  das  ist  ja  zuzugeben:  zwingend  ist  er 
nicht.  Die  Möglichkeit  ist  da,  daß  Trogus  im  27.  Buch  mit  dem 
Krieg  in  Syrien  begann,  dann  die  Ereignisse  des  Bruderkrieges  bis 
Ancyra,  darauf  den  Tod  des  Ziaelas  erzählte,  um  nun,  erst  zum 
Anfang  zurückgreifend,  die  gleichzeitigen  Vorgänge  zur  See  nach- 
zuholen. Dann  fiele  die  Schlacht  vielleicht  noch  vor  240,  und 
Antigonos  wäre  doch  vielleicht  noch  der  Gonatas.  Bedenklicher 
noch  ist,  daß  die  Notiz  des  Prol.  Trog.  27,  so  wie  sie  überliefert 
ist,  gar  nicht  einmal  den  Ausgang  erkennen  läßt.  Die  Worte  lauten : 
Ut  Ptolemaeus  Adaeum  denuo  captum  interfecerit  et  Antigonum  Andro- 
proelio  navali  opera  oprona  vicerit,  was  gewöhnlich  mit  Müller  in 
Antigonus  und  Soprona  verbessert  wird.  Anders  Levi,  der  nach 
de  Sanctis  Vorgang  per  Soprona  schreibt,  natürlich  mit  Beibehaltung  des 
Antigonum,  so  daß  dann  gerade  der  entgegengesetzte  Sinn,  ein  ägyp- 
tischer Seesieg  über  Antigonos,  herauskommt.  Allein,  daß  es  sich 
auch  bei  Andros  um  den  Sieg  eines  Antigonos  handelt,  scheint  mir 
durch  die  eingangs  angeführte  Bemerkung  Belochs  erwiesen  und  wird 
unterstützt  durch  die  Abhandlung  Delamarres,der  nach  Zusammen- 
stellung aller  einschlägigen  Dokumente  zu  dem  Schluß  kommt,  daß 
eben  der  Sieg  von  Andros  es  war,  der  den  Makedonen  das  Über- 
gewicht in  den  Kykladen  gab,  und  daß  also  der  in  den  Inschriften 
der  Inseln  öfter  erwähnte  Antigonos  eben  Doson  ist.  Wunderbar 
bleibt  es  freilich  immer,  wenn  tatsächlich  die  Schlacht  von  Andros 
228  fällt,  wie  schnell  diese  makedonische  Seemacht  zugrunde  ging; 
denn  im  ersten  makedonischen  Kriege  war  nichts  mehr  vorhanden, 
und  die  Flotte,  mit  der  Philipp  202  in  den  griechischen  Gewässern 
erschien,  war  eine  Neuschöpfung,  wie  die  Quellen  noch  ganz  gut 


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Jahresbericht  über  griechische  Geschichte  (1903—1906). 


erkennen  lassen.   Immerhin  spricht  doch  eine  gewisse  Wahrscheinlich- 
keit —  mehr  allerdings  auch  nicht  —  für  Belochs  Ansatz  von  Andros 
auf  228  und,  nun  erst  kann  man  daran  gehen,  auch  die  Schlacht  von 
Kos  zu  bestimmen.    Daß  sie  nicht  vor  den  chremonideischen  Krieg, 
auch  nicht  gut  in  ihn  fallen  kann,  hat  Beloch  wahrscheinlich  gemacht, 
als  terminus  post  quem  ergäbe  sich  also  Ende  262  (s.  o.).  Ander- 
seits beginnen  in  den  delischen  Tempelinventarien  etwa  seit  252 
die  Namen  des  makedonischen  und   seleukidischen  Königshauses 
häufiger  zu  erscheinen,  was  auf  einen  Rückgang  der  ptolemäischen 
Macht  hindeutet,  die  doch  am  passendsten  mit  der  Niederlage  von 
Kos  in  Beziehung  gesetzt  wird.  In  diesen  Zusammenhang  gehört  auch 
wohl  der  von  Dürrbach  und  Jarde*  herausgegebene  Beschluß  des 
Koinons  der  Nesioten  (BCH.  28,  93  ff.)»  in  dem  die  Einführung  eines 
Festes  der  Demetrieia  beschlossen  wird;  diese  sollen  ebenso  aus- 
gestaltet werden  wie  die  bereits  bestehenden  Antigoneia  und  ab- 
wechselnd mit  ihnen  gefeiert  werden.    Nachdem  die  Herausgeber 
zunächst  festgestellt  haben ,  daß  diese  Feste  als  Feste  des  Koinons 
der  Nesioten  von  den  speziell  delischen  Feiern  gleichen  Namens,  die 
in  den  Hieropenverzeichnissen  erwähnt  werden,  durchaus  zu  scheiden 
sind,  suchen  sie  die  Zeit  zu  bestimmen.  Wäre  das  Dekret  von  806 — 802 
entstanden,  wo  Antigonos  in  den  Kykladen  gebot,  so  wäre  nicht  recht 
abzusehen,  warum  nicht  auch  Demetrios  sofort  dieselbe  Ehrung  zuteil 
geworden  ist ;  anderseits  ist  es  wohl  klar,  daß  der  erwähnte  Demetrios 
kein  König  war,  da  Zeile  3  nur  Platz  für  den  Namen  ohne  den  Titel 
ftasiXect  zu  sein  scheint.    Also  bliebe  nur  die  Zeit  vor  809  etwa 
zurück  bis  315,  die  aber  wenig  wahrscheinlich  ist;  viel  richtiger 
erscheint  es,  die  Antigoneia  als  zu  Ehren  des  Gonates  eingesetzt  an- 
zusehen, denen  der  Bundesbeschluß  nunmehr  auch  die  Demetrieia 
zu  Ehren  des  Kronprinzen  Demetrios  anreiht.    Auch  für  diesen 
Beschluß  paßt  am  besten  die  Zeit  nach  dem  Siege  von  Kos,  der 
Delos  dauernd  in  Antigonos  Hand  lieferte;  von  252  ab  finden  sich 
von  ihm,  seit  237  von  seinem  Sohn  Demetrios  jährlich  Geschenke 
aufgeführt.  —  Danach  ist  es  immer  noch  das  Wahrscheinlichste,  daß 
die  Schlacht  von  Kos  etwa  256  oder  etwas  früher  geschlagen  ward; 
mit  Recht  macht  Beloch  darauf  aufmerksam,  daß  die  Zurückziehung 
der  makedonischen  Besatzung  aus  Athen  selber  255/4  mit  dem  ent- 
scheidenden Siege  des  Königs  in  Zusammenhang  stand,  was  Levi 
S.  34  nicht  hätte  bezweifeln  sollen. 

Kurze  Zeit  nachher  trat  die  entscheidende  Wendung  in  der 
seleukidischen  Politik  ein,  die  Syrien  und  Ägypten  zusammen- 
führte und  endlich  in  der  Verstoßung  der  bisherigen  Königin  Laodike 


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192 


Thoraas  Lenschau 


gipfelte,  an  deren  Stellung  die  ägyptische  Prinzessin  Beronike  trat. 
Den  Anlaß  mag  wohl  die  Rückkehr  der  makedonischen  Kronprinzessin 
gegeben  haben,  die,  empört  über  die  zweite  Ehe  ihres  Gemahls  mit 
der  Epirotin  Phthia,  den  Hof  ihres  Bruders  in  Antiochia  wieder  auf- 
suchte. Der  Zeitpunkt  aller  dieser  Ereignisse  ist  nicht  mit  Sicherheit 
zu  bestimmen,  man  müßte  denn  die  große  von  Haussouillier  S.  76 
herausgegebenen  Inschrift  ans  Didyma  dazu  verwerten.  Diese  Urkunde, 
genau  auf  den  5.  Dios  des  Jahres  60  der  seleukidischen  Ära,  d.  h. 
Herbst  253  datiert,  stellt  sich  als  ein  Kaufvertrag  zwischen  Laodike 
und  dem  König  dar,  und  es  ist  bisher  von  niemand  bezweifelt,  daß 
diese  Laodike  eben  die  Gemahlin  Antiochos  II.  ist.    Da  sie  nun  in 
der  Urkunde  nur  mit  ihrem  Namen,  nicht  als  Königin  bezeichnet  ist, 
so  liegt  es  ja  zunächst  nahe,  anzunehmen,  daß  sie  damals  bereits  von 
Antiochos  verstoßen  war ;  allein  schon  Haussouillier  S.  86  ff.  hat 
dagegen  geltend  gemacht,  daß  L.  ja  eben  hier  nicht  als  Königin 
handelt,  und  daß  es  bei  dem  rein  geschäftlichen  Charakter  der 
Transaktion  nicht  nötig  war,  sie  als  solche  zu  bezeichnen,  worin  ihm 
Beloch  (in,  622,  A.  1)  offenbar  beistimmt.   Ich  weiß  nicht,  ob  man 
das  in  Anbetracht  der  öffentlichen  Aufstellung  des  Kaufvertrages  in 
Ilion,  Ephesos,  Sardes,  Didyma  und  Samothrake  aufrecht  erhalten 
kann;  sollte  es  wirklich  möglich  gewesen  sein,  von  der  regierenden 
Königin  ohne  jeden  Titelzusatz  zu  sprechen?   Daß  anderseits  da» 
gewöhnlich  für  die  ägyptische  Heirat  angenommene  Datum  (248)  zo 
spät  ist,  hat  schon  Niese  (II,  139.  Hieron  zu  Daniel  c.  11,  6)  festgestellt. 
Dazu  kommt  nun  der  Charakter  der  Urkunde,  in  deren  Beurteilung 
ich  mit  Bouche*  I,  212,  A.  1  übereinstimme.    Da  es  sich  augen- 
scheinlich um  eine  bedeutende  Domäne  handelt,  so  erscheint  der 
Preis  30  t  sehr  gering,  und  das  Ganze  stellt  sich  als  eine  Art  Schein- 
kauf dar,  der  die  eigentliche  vorliegende  Schenkung  im  widerruflich 
machen  sollte.  Ist  das  richtig,  so  muß  254  oder  spätestens  253  jener 
Umschwung  in  der  seleukidischen  Politik  erfolgt  sein,  und  dazu  stimmt 
auch  die  Auswahl  der  Aufstellungsstätten.  Zu  den  vier  sicher  damals 
im  Besitz  der  Seleukiden  befindlichen  Orten  kommt  als  fünfter  nicht 
Delos,  wo  damals  bereits  der  Makedonier  herrschte,  sondern  Samo- 
thrake, wo  der  ägyptische  Einfluß  immer  besonders  stark  gewesen 
ist.    Denn  daß  diese  Insel  damals  ebenfalls  seleukidisch  war,  wie 
Haussoullier  a.  a.  0.  behauptet,  scheint  mir  sehr  fraglich. 

In  die  fünfziger  Jahre  des  Jahrhunderts  endlich,  die  Beloch 
einmal  mit  Recht  als  die  dunkelste  Periode  des  Hellenismus  be- 
zeichnet, muß  nun  auch  wohl  der  Abfall  von  Alexander,  dem 
Sohn  desKrateros,  gesetzt  werden,  der  Antigonos  Herrschaft 


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Jahresbericht  über  griechische  Geschichte  (1 903 -1906).  193 


über  Griechenland  eine  Zeitlang  aufs  schwerste  beeinträchtigte.  Aller- 
dings hat  Sokolow  dies  Ereignis  bereits  auf  261  fixieren  wollen, 
allein  mit  Recht  macht  Beloch  geltend,  daß  der  Abfall  nicht  gut 
unmittelbar  vor  die  Schlacht  von  Kos  fallen  kann,  da  Alexander  in 
Korinth  und  Chalkis  ja  die  beiden  Hauptarsenale  in  Händen  hatte, 
und  gleich  nach  der  Entscheidung  ist  sein  Abfall  ebensowenig  wahr- 
scheinlich.   Dagegen  ist  er  ganz  gut  begreiflich,  nachdem  zwischen 
Makedonien  und  Syrien  ein  Bruch  eingetreten  war.   Übrigens  ward  AI. 
sowohl  von  Antiochos  wie  von  Ptolemaios  unterstützt,  und  in  der  Tat 
hatte  der  Ägypter  allen  Grund  dazu,  denn  nur  der  Schwächung  der 
makedonischen  Flotte,   deren  Waffenplätze  in  der  Hand  des  Ab- 
gefallenen waren,  verdankt  Euergetes  Flotte  die  starken  Erfolge,  die 
sie  im  Beginn  des  dritten  syrischen  Krieges  im  ägäischen  Meere 
davontrug.    Daß  in  den  letzten  Jahren  des  Philadelphos  Thera  und 
Astypalaia  die  letzten  Außenposten  der  ptolemäischen  Macht  im 
ägäischen  Meere  waren,  wie  Dürrbach  und  Jardö  a.  a.  0.  meinen, 
glaube  ich  nicht ,  vielmehr  muß  es  schon  damals  Ägypten  gelungen 
sein,  einen  Teil  des  am  Tage  von  Kos  verlorenen  Einflusses  zurück- 
zubringen, und  es  ist  nicht  recht  abzusehen,  wie  auch  Delamarre 
a.  a.  0.  zu  der  Behauptung  kommt,  es  sei  nicht  zu  begreifen,  auf 
welche  Weise  die  Herrschaft  über  die  Kykladen,  einmal  verloren,  von 
den  Ägyptern  wieder  gewonnen  werden  konnte.    Es  war  der  Abfall 
des  Alexandros  und  die  Lähmung  der  makedonischen  Seemacht,  die 
rhiladelphos  gestattete,  seine  durch  die  Schlacht  von  Kos  zertrümmerte 
Macht  im  Archipel  teilweise  wiederherzustellen ,  wie  denn  auch  das 
Marmor  Adulitanum  die  Kykladen  als  einen  Teil  des  auf  Euergetes 
vererbten  Besitzstandes  nennt.    Erst  als  nach  dem  Tode  Alexanders  — 
247  nach  Sokolow  —  sein  Besitz,  Korinth  und  Chalkis,  an  Antigonos 
zurückfiel,  begann  die  Reorganisation  der  makedonischen  Flotte,  und 
der  Tag  von  Andros  entschied  zum  zweiten  Male  über  die  See- 
herrschaft im  ägäischen  Meere. 

Schwierig  dagegen  ist  die  Chronologie  der  Verhältnisse  in 
Kyrene.  Nach  dem  Königskanon  des  Porphyrios,  der  allerdings 
wenig  Gewähr  haben  mag ,  regierte  Magas  etwa  von  808 — 258,  und 
dies  stimmt  wenigstens  zu  einem  bisher  unerklärten  Faktum  aus- 
gezeichnet, nämlich  zu  dem  Mitregenten  Ptolemaios,  Sohn  des  Ptole- 
maios, der,  wie  oben  erwähnt,  von  267 — 259/8  in  den  Papyrusurkunden 
erscheint;  dies  ist  dann  eben  Euergetes,  dessen  Mitregentschaft  in 
Ägypten  natürlich  in  dem  Moment  aufhörte,  wo  er  mit  der  Hand 
der  jungen  Prinzessin  Berenike  den  Thron  von  Kyrene  gewann.  Auch 
paßt  dazu  das  Alter  der  Apame,  die  etwa  um  292  geboren  war,  274 

Jahresbericht  fttr  AlfertumgwiMenschaft.    Bd.  CXXXV.  13 


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Thomas  Lenscbau. 


oder  kurz  vorher  Magas  heiratete  und  damals,  als  sie  sich  mit  dem 
schönen  Demetrios  einließ,  etwa  34  Jahre  zählte;  wenn  Justin  sie 
Arsinoe  nennt,  so  könnte  man  das  als  eine  seiner  beliebten  Flüchtig- 
keiten ansehen.  Aber  dagegen  hat  Beloch  neben  anderen  minder 
wichtigen  Zeugnissen  ein  sehr  schwerwiegendes  geltend  gemacht  (III. 
2,  133  ff.).  Nach  Cat.  66,  10  ff.,  d.  h.  also  nach  dem  zeitgenössischen 
Zeugnis  des  Kallimachos,  war  Euergetes  jung  vermählt,  als  er  seinen 
großen  Eroberungszug  nach  Asien  antrat,  und  da  die  Heirat  Berenikes 
doch  offenbar  mit  der  Wiedergewinnung  Kyrenes  durch  Euergetes  in 
Zusammenhang  steht,  so  kann  diese  nicht  allzulange  vor  247  erfolgt 
sein.  Beloch  setzt  deshalb  Magas  Regierung  etwa  von  300 — 250. 
und  es  läßt  sich  nicht  leugnen,  daß  sowohl  259  wie  249  die  poli- 
tischen Verhältnisse  für  eine  Diversion  Makedoniens  in  Kyrene  günstig 
waren.  Die  Entscheidung  ist  sehr  schwierig.  Merkwürdig  bleibt  es 
nur.  daß  Beloch  bei  seinem  Ansatz  (248  etwa)  an  dem  Namen  der 
Apame  festhält.  Aber  diese  war  damals  44  Jahre,  also,  um  mit  B. 
zu  reden  (S.  135),  nach  griechischen  Begriffen  sicher  eine  alte  Frau, 
als  Demetrios  sich  mit  ihr  einließ.  Unmöglich  ist  das  natürlich 
nicht,  aber  immerhin  unwahrscheinlich,  und  so  wird  man  die  Angabe 
Justins,  die  Mutter  Berenikes  habe  Arsinoe  geheißen,  nicht  so  ohne 
weiteres  mit  B.  von  der  Hand  weisen  dürfen.  Magas  wäre  also  in 
zweiter  Ehe  mit  einer  Arsinoe  vermählt  gewesen,  deren  Tochter 
Berenike  248  noch  eine  parva  virgo,  also  etwa  14  jährig  war.  Wer 
diese  Arsinoe  war,  ist  freilich  nicht  auszumachen.  Niebuhrs  Ver- 
mutung, es  sei  die  erste  Gemahlin  des  Philadelphos  gewesen,  ist 
wohl  sicher  unrichtig ;  der  Name  kommt  zuerst  in  der  makedonischen 
Familie  der  Argeaden  vor  (Beloch  S.  125)  und  ist  erst  von  dort  ins 
Lagidenhaus  gekommen.  Möglich  wäre  es  also,  daß  diese  Arsinoe 
irgendwie  einer  Seitenlinie  des  alten  Königshauses  entstammte. 

Mit  dem  dritten  syrischen  Kriege  und  dem  Bruderkrieg 
zwischen  Seleukos  Kallinikos  und  Antiochos  Hierax  betreten  wir  ein 
Gebiet,  das  infolge  der  Mangelhaftigkeit  unserer  Quellen  von  jeher  ein 
Schauplatz  der  verschiedensten  Konstruktionen  gewesen  ist.  Zu  den 
vorhandenen  Vermutungen,  die  Beloch  (S.  451  f.,  vgl.  bes.  die  gute 
Übersicht  G.  Cardinalis  a.  a.  0.)  aufzählt ,  kommen  als  neu  seine 
eigene,  mit  der  Cardinalis  Aufstellung  sich  im  wesentlichen  deckt, 
und  die  von  Corradi  hinzu,  der  zuletzt  das  ganze  Problem  be- 
handelt hat.  Auszugehen  wird  von  der  großen  smyrnäischen  Inschrift 
sein,  in  der  erzählt  wird,  daß  zu  der  Zeit,  da  König  Seleukos  &U  tt> 
SeXeoxtoa  o7rep£pa/vev,  die  Stadt  Smyrna  trotz  bedrängter  äußerer 
Umstände  dem  König  die  Treue  gewahrt  habe;  deshalb  habe  auch 


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Jahresbericht  über  griechische  Geschichte  (1903—1906). 


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der  König  die  Stadt  geehrt  and  in  betreff  der  Asylie  des  Heiligtums 
der  Aphrodite  Stratonikis  an  die  hellenische  Welt  geschrieben ;  jetzt 
aber  seien  uitepßeßXTjxfooc  tou  ßa3tX£a>c,  von  Smyrna,  am  dem 
König  die  Treue  bewahren  zu  können,  Verhandlungen  mit  Magnesia 
eingeleitet  usw.  Nun  ist  der  Zeitpunkt  jenes  königlichen  Send- 
schreibens ziemlich  genau  zu  bestimmen,  da  wir  die  Antwort  von 
Delphi  haben  (Michel  258  =  Dial.  Inschr.  II,  2783),  worin  die 
Asylie  bewilligt  wird,  und  die  Theoren  o?  x4  llüöia  dra^e'XXovte? 
den  Auftrag  erhalten,  dem  König  die  Anerkennung  von  Delphi  aus- 
zusprechen. Es  handelt  sich  hier,  wie  Beloch  richtig  gesehen  hat, 
um  die  Pythien  von  242,  also  fallen  die  schwierigen  Umstände,  in 
denen  die  Stadt  dem  König  die  Treue  wahrte,  und  der  Brief  des 
Königs  noch  in  243.  Bald  darauf  hat  er  den  Übergang  über  den 
Tauros  in  die  Seleukis  bewerkstelligt,  wo  er  bedeutende  Erfolge 
erzielte.  Damit  stimmt  die  Nachricht  von  der  Gründung  von  Kallinikon 
am  Euphrat,  die  nach  dem  Chronicon  Paschale  unter  den  Konsuln 
von  242  stattfand,  und  eine  zweite  Notiz  Über  die  Befreiung  von 
Orthosia  und  Damaskos,  die  nach  Euseb.  Arm.  Übers.  Ol.  134,  1, 
d.  h.  242/1  erfolgte.  Darauf  greift  er  Ägypten  an,  wird  geschlagen 
und  tritt  nunmehr  seinem  Bruder  die  Herrschaft  über  den  Tauros 
ab,  worauf  Euergetes  sich  veranlaßt  sieht,  Frieden  zu  schließen 
(240/39  nach  Niese  und  Bouche'-Leclercq).  Die  bisher  genannten 
Ereignisse  bilden  eine  in  sich  zusammenhängende  Kette,  denn  daß 
mit  dem  öirepeßaXe  der  Inschrift  und  dem  späteren  ÖTrepßeßXrjxoTo? 
dieselbe  Unternehmung  gemeint  ist,  wie  auch  Haussoullier  S.  118  f. 
hervorhebt,  ist  an  sich  klar  und  hätte  von  Beloch  nicht  bezweifelt 
werden  sollen.  Dieser  zusammenhängende  Komplex  von  Tatsachen 
muß  den  Angelpunkt  der  Chronologie  bilden,  und  schon  aus  diesem 
Grunde  ist  es  wenig  wahrscheinlich,  daß  das  in  der  armen.  Übers, 
für  die  Befreiung  von  Orthosia  und  Damaskos  angesetzte  Datum 
Ol.  134,  1  mit  Beloch  und  Cardinali  in  Ol.  135,  1  zu  ändern  ist. 

Welches  sind  nun  die  bedenklichen,  im  Anfang  der  Inschrift  als 
eoooo;  tu»v  7roXejAio>v  und  t&v  uTzapyovzwv  dirtoXefa  charakterisierten 
Vorgänge,  trotz  deren  die  Stadt  sich  rühmt  dem  König  die  Treue 
gewahrt  zu  haben?  Die  Antwort  gibt  Eusebios  (arm.  Übers.),  der 
vor  den  erwähnten  Ereignissen  die  Anfänge  des  Bruderkrieges  erzählt. 
Laodike  und  Antiochos  erheben  sich  gegen  Seleukos,  der  in  Lydien 
siegt,  aber  weder  das  von  Laodikens  Bruder  behauptete  Sardes,  noch 
das  von  den  Ägyptern  besetzte  Ephesos  nehmen  kann,  sondern  nach 
diesen  vergeblichen  Versuchen,  eine  Operationsbasis  zu  gewinnen,  eine 
Niederlage  erleidet,  sich  dann  im  Osten  Kleinasiens  auf  die  Seleukis 


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Thomas  Lenschau. 


wirft  und  hier  die  vorhin  erwähnten  bedeutenden  Erfolge  erzielt. 
Nimmt  man  für  diese  Ereignisse,  die  also  den  bedrängten  Umständen 
der  Inschriften  gleichzusetzen  sind ,  die  Jahre  245/3  an ,  so  ergibt 
sich  eine  mindestens  partielle  Gleichzeitigkeit  des  Bruderkrieges  mit 
Euergetes'  Rachezug.  Dieser  war  schon,  wie  das  Fragment  von  Gurob 
lehrt,  in  dem  „die  Schwester"  sicher  Berenike  bezeichnet,  und  das 
vielleicht  den  König  selber  zum  Verfasser  hat,  in  Syrien  (nicht  in 
Kilikien,  wie  die  Herausgeber  wollten,  vgl.  Holleaux  a.  a.  0.),  zu 
Lebzeiten  der  Berenike  im  Gange,  hatte  also  unmittelbar  nach  dem 
Tode  des  Antiochos  Theos  II.  begonnen.  Auch  an  sich  ist  es  nicht 
gerade  sehr  wahrscheinlich,  daß  Euergetes  sich  auf  eine  so  weit- 
aussehende Unternehmung  wie  den  Zug  in  die  oberen  Satrapieen,  der 
seine  Rückzugslinien  jedem  Angriff  von  Kleinasien  preisgab,  überhaupt 
eingelassen  haben  sollte,  wenn  er  nicht  genau  gewußt  hätte,  daß  die 
selenkidische  Hauptmacht  in  Kleinasien  völlig  durch  den  Bruder- 
krieg gelähmt  war.  Um  noch  sicherer  zu  gehen,  ließ  er  vielleicht 
seine  Flotte  in  Kleinasien  den  Empörer  unterstützen ;  das  konnte  ge- 
schehen, wenn  auch  ein  Einverständnis  zwischen  Euergetes  und  der 
intellektuellen  Mörderin  seiner  Schwester  nicht  vorausgesetzt  werden 
darf.  Der  hier  entwickelten  Ansicht  steht  unter  den  älteren  die  von 
Köhler,  unter  den  neueren  die  von  Corradi  am  nächsten;  doch  kann 
ich  dessen  Ansetzung  der  Schlacht  von  Andros  auf  244/3  aus  den 
oben  angeführten  Gründen  nicht  billigen. 

Anders  Beloch  und  Cardinali,  bei  denen  der  syrische  Krieg  gegen 
Ptolemaios  und  der  Friedensschluß  dem  Bruderkriege  vorausliegen. 
Die  Worte  des  smyrnaeischen  Dekrets,  in  denen  das  Volk  von  sich 
rühmt,  es  habe  Seleukos  die  Treue  gewahrt,  oO  xaTaicXa-j-el?  ttjv  t&v 
Ivavrftuv  fyoäov  ouhk  <ppovtisa?  ttjs  tcuv  us:apy6vxa)v  drcoXefa?,  bezieht 
B.  III,  1,  700  A.  nur  auf  die  Erfolge,  die  die  ptolemäische  Flotte 
am  Anfang  des  Rachekrieges  in  Kleinasien  erzielte.  Allein  dagegen 
spricht  m.  E.  einmal  die  bestimmte  Angabe  des  Ens.,  der  die  Anfänge 
des  Bruderkrieges  vorher  erwähnt,  und  die  Ausschließlichkeit,  mit  der 
in  der  Inschrift  stets  Seleukos  genannt  wird.  Laodike  und  Antiochos 
werden  gar  nicht  erwähnt,  wozu  kein  Grund  vorlag,  wenn  die  Ver- 
feindung damals  noch  nicht  eingetreten  war.  Vor  allem  aber  begreift 
man  eins  nach  der  Anordnung  von  Bei.  und  Card,  gar  nicht:  warum 
rief  Seleukos  nach  der  verunglückten  Unternehmung  gegen  Ägypten 
seinen  Bruder  zu  Hilfe  ?  Antiochos  muß  damals  doch  wohl  über  eine 
recht  bedeutende  Macht  verfügt  haben,  wenn  von  seinem  Beitritt 
Seleukos  eine  günstige  Wendung  der  Dinge  erhoffen,  Ptolemaios  sie 
befürchten  konnte,  und  wie  soll  er  diese  Macht  sich  angeeignet  haben, 


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Jahresbericht  über  griechische  Geschichte  (1903— 1906).  197 

außer  im  Kampf  mit  dem  rechtmäßigen  Erben  der  Gesamtmonarchie, 
d.  h.  mit  Seleukos  ?  Hier  erkennt  man  ganz  deutlich,  daß  die  ersten 
Phasen  des  Bruderkrieges  dem  Rachezug  gleichzeitig  sind,  und 
Antiochos'  Jugend  kann  sicher  nicht  dagegen  ins  Feld  geführt  werden. 
Den  Krieg  führte  für  ihn  seine  Mutter  Laodike,  und  mir  wenigstens 
ist  es  sehr  wahrscheinlich,  daß  die  Bezeichnung  Aaoöfoetoc  ito'Xefioc, 
die  sich  in  einer  Inschrift  von  Priene  findet  (jetzt  Priene  no.  87,  134), 
auf  die  erste  Periode  des  Bruderkrieges  und  nicht,  wie  alle  Forscher 
getan  haben,  auf  den  Rachezug  des  Ägypters  zu  beziehen  ist. 

Wann  der  Friede  mit  Ptolemaios  geschlossen  ist,  wissen  wir 
nicht  genau;  der  oben  gegebene  Ansatz  240/39  kann  noch  ein  paar 
Jahre  herabgedrückt  werden,  da  durch  die  Notiz  des  Eutrop  III,  12 
der  Abschluß  nur  innerhalb  der  Jahre  241 — 237  festgelegt  ist  (Bei. 
III,  2,  453.  Corradi  a.  a.  0.).  In  diese  Zeit  der  Eintracht  zwischen 
den  beiden  Brüdern  setzt  B.  auch  die  gemeinsame  Schenkung 
beider  an  das  Didymeion,  weil  in  der  Urkunde  beide  als  Könige 
bezeichnet  werden  (Ditt.  1  170  =  CIG.  2852,  nach  eigener  Abschrift 
bei  Haussoullier  S.  195  ff.).  Dann  ist  es  allerdings  charakteristisch, 
wie  auch  B.  hervorhebt,  daß  Seleukos  allein  das  Begleitschreiben 
verfaßt,  zumal  Milet  doch  sicher  zum  Machtbereich  des  Antiochos 
Hierax  gehörte,  dem  alles  Land  bis  zum  Tauros  abgetreten  war;  man 
wird  kaum  umhin  können,  alsdann  für  Seleukos  mit  Bouch£-Leclercq 
die  Stellung  als  Oberkönig  in  Anspruch  zu  nehmen.  Einfacher  aber 
erscheint  es,  die  Schenkung  ebenso  wie  das  bei  Haussoullier  S.  114 
abgedruckte  Dekret  mit  diesem  Forscher  S.  130  den  ersten  Regierungs- 
jahren Seleukos  II.  zuzuweisen,  wo  denn  die  Weglassung  des  damals 
noch  unmündigen  Antiochos  sich  leichter  erklärt.  Jedenfalls  hat  das 
gute  Einvernehmen  nicht  lange  gedauert;  wie  es  scheint,  war  es 
Seleukos,  der  den  Frieden  brach,  sich  aber  im  Kriege  mit  seinem 
Bruder  nur  eine  gewaltige  Niederlage  holte.  Dies  ist  wahrscheinlich 
die  im  Prol.  Trog.  27  genannte  Schlacht  von  Ankyra,  von  der  sich 
eine  Spur  auch  in  der  Arm.  Übersetzung  findet,  wenn  auch  an  falscher 
Stelle.  Ich  wüßte  wenigstens  nicht,  worauf  sich  sonst  die  Nachricht 
von  einer  Niederlage  des  Seleukos  beziehen  sollte,  in  der  er 
20  000  Mann  gegen  die  Gallier  verlor.  Allerdings  wird  sie  unmittelbar 
vor  seinem  Übergang  nach  der  Seleukis  (Ende  243  oder  Anfang  242), 
erwähnt,  was  aber  offenbar  ein  Irrtum  ist.  Es  ist  schwer  zu 
glauben,  daß  Seleukos  unmittelbar  nach  einer  so  vernichtenden 
Niederlage  so  glänzende  Erfolge  242  und  241  in  der  Seleukos  er- 
zielen konnte.  Vielleicht  hat  Eusebios  auf  ein  kleines  für  Seleukos 
ungünstiges  Rückzugsgefecht  beim  Übergang  die  Verlustangaben  von 


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I 


198  Thomas  Lenschau. 

Ankyra  übertragen.  Ist  das  richtig,  so  hat  Sei.  einen  neuen  Angriff 
auf  die  Besitzungen  seines  Bruders  nicht  mehr  unternommen  und  sieb 
vielmehr  der  Konsolidierung  seines  Reiches  in  den  oberen  Satrapien 
zugewandt.  Wann  die  Schlacht  anzusetzen  ist,  bleibt  ungewiß,  Belochs 
Ansatz  auf  237  hat  manches  für  sich;  indessen  wird  man  nach  den 
oben  Gesagten  eher  geneigt  sein,  noch  etwas  weiter  hinabzugehen, 
zumal  wenn  wirklich,  wie  es  nach  Justin  erscheinen  muß,  der  Krieg 
des  Attalos  gegen  die  Gallier  und  Antiochos  mit  der 
Schlacht  von  Ankyra  in  einem  ursächlichen  und  zeitlichen  Zusammen- 
hang steht. 

Gegen  diesen  Zusammenhang  wendet  sich  Cardinali  (il  regno  di 
P.  p.  21  f.)  mit  großer  Schärfe,  allein  das  liegt  nur  daran,  daß  er 
die  Schlacht  von  Ankyra  ins  Jahr  289/8  verlegt,  wodurch  dann  freilich 
der  Krieg  zwischen  Attalos  und  Antiochos  samt  den  Galliern  eine 
unwahrscheinliche  Ausdehnung  gewinnt.    Geht  man  aber,  wogegen 
kein  Grund  vorliegt,  mit  Ankyra  bis  235  hinab,  so  ist  der  Zusammen- 
hang durchaus  möglich.    In  die  Folgejahre  fallen  Antiochos  Unter- 
nehmungen in  Großphrygien,  seine  Gefangennahme  durch  die  Galster. 
sein  Sieg  bei  Magnesia  (welches  ist  gemeint?)  und  endlich  sein 
Bündnis  mit  den  bisherigen  Gegnern.    Diese  Ereignisse  füllen  ein 
paar  Jahre  aus ,  und  daran  würde  sich  dann  der  Kampf  des  Per- 
gameners  gegen  beide  anschließen.   Denn  das  halte  ich  allerdings  für 
einen  Hauptgewinn  aus  Belochs  (HI,  2,  458  ff.,)  und  Card inali* 
(Perg.  S.  28  f.)  Ausführungen,  daß  von  einem  besonderen  großen 
Siege  des  Attalos  über  die  Galater  nicht  die  Rede  sein  kann,  daß 
dieser  auch  bei  Polybios  gelegentlich  erwähnte  Sieg  nichts  weiter 
ist  als  der  Niederschlag  des  Gesamtkampfes  gegen  Galater  und 
Antiochos.   Die  bewußte  Absicht  des  Attalos,  sich  als  den  Champion 
des  Hellenentums  gegen  die  Barbaren  hinzustellen,  hat  allmählich  jene 
Auffassung  bewirkt  und  den  Anteil  des  Antiochos  ganz  eliminiert. 
Attalos  konnte  nichts  daran  liegen,  die  Erinnerung  an  den  Kampf 
gegen  den  Seleukiden  zu  konservieren,  dessen  Geschlecht  sich  schon 
früher  wie  er  als  den  Hort  des  Griechentums  gegen  den  Nationalfeind 
erwiesen  hatte.    Sehr  gut  macht  weiter  Card.  (S.  37  ff.)  darauf  auf- 
merksam, daß  die  ganze  Art,  wie  der  Krieg  entstand,  diese  Ent- 
wicklung begünstigte,  und  daß  wir  auch  hierin  die  schlaue  Berechnung 
des  Attalos  zu  erkennen  haben.    Der  Krieg  ging  zuerst  nur  gegen 
die  Galater,  denen  er  den  Tribut  verweigerte.   Allein  er  wnßte  ganz 
gut,  daß  nach  dem  bestehenden  Bündnis  Antiochos  eingreifen  mußte, 
und  das  gerade  war  seine  Absicht,  denn  nur  im  Kampf  gegen  ihn 
konnte  er  sein  eigentliches  Ziel,  die  Eroberung  Kleinasiens,  erreichen. 


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Jahresbericht  über  griechische  Geschichte  (1903-1906). 


199 


Antiochos  aber  war  damit  von  vornherein  in  eine  sehr  ungünstige  Position 
gedrängt ;  denn  da  er  im  Nationalkampf  sich  auf  die  Seite  des  Feindes 
schlug,  so  mußte  er  sich  damit  die  Sympathien  der  Völker  gegen 
das  angestammte  Herrscherhaus  verscherzen.  Was  diese  bedeuteten, 
hat  Attalos  selber  erfahren  müssen,  als  wenige  Jahre  später  seine 
Macht  elend  vor  Achaios  zusammenbrach.  Der  Verlauf  des  Krieges 
ergibt  sich  aas  Eusebios,  der  aber  hier,  wo  er  von  den  Seleukiden 
spricht,  nur  die  Kämpfe  zwischen  Antiochos  und  Attalos  erwähnt; 
das  waren  zwei  Schlachten  in  Lydien  229/8,  dann  der  Kampf  bei 
Koloe  wohl  noch  in  demselben  Jahre,  endlich  ein  letzter  Kampf  in 
Karien  228/7.  Der  Sieg  über  die  Gallier  an  den  Kaikosquellen  und 
über  die  Gallier  mit  Antiochos  am  Aphrodision  fallen  dann  wohl 
früher  231  und  230,  so  daß  dem  zeitlichen  Zusammenhang  dieser 
Kämpfe  mit  Ankyra  nichts  im  Wege  steht. 

Der  Krieg  zwischen  Attalos  und  Antiochos  Hierax  war  wohl  noch 
nicht  ganz  zu  Ende,  als  auch  der  große  Kampf  zwischen  Doson 
und  Euergetes  ausbrach ,  der  in  der  Schlacht  bei  Sellasia  sein 
Ende  fund.  Die  Expedition  Dosons  nach  Karien  fixiert  Beloch  auf 
227 ,  damals  vernichtete  der  Sieg  von  Andros  die  ägyptische  Herr- 
schaft ,  nur  in  Thera  hielt  sie  sich ,  wie  H  i  1 1  e  r  erwiesen  hat ,  und 
ebensowohl  auch  zum  Teil  in  Kreta.  Hier  war  es  nach  der  Schlacht 
von  Kos  Patroklos  gelungen,  im  großen  und  ganzen  die  ptolemäische 
Herrschaft  oder  besser  das  Protektorat  des  Ägypters  über  die  Insel 
aufrechtzuerhalten,  wie  Cardinali  (Crete  p.  80)  zeigt.  Allein  schon 
Demetrios  II.  faßte  auch  auf  Kreta  festen  Fuß.  wie  der  Vertrag 
zwischen  ihm  einerseits  und  Gortyn  und  Genossen  anderseits  beweist 
(Am.  Journ.  1897,  S.  118,  no.  17).  In  dieselbe  Zeit  gehören  die 
attischen  Dekrete  bei  Ditt.  syll.  2  241 — 2-13,  die  bisher  in  die  Jahre 
219 — 217,  d.  h.  in  den  Bundesgenossenkrieg  gesetzt  wurden.  Aber 
Card,  zeigt,  daß  unter  dem  Archon  Heliodor,  nach  dem  die  eine 
Inschrift  datiert  ist,  noch  12  Phylen  vorhanden  waren  (CIA.  IV,  2, 
885  b);  er  fällt  also  vor  221/0,  wo  die  13.  (Ptolemais)  begründet  ward. 
Nach  dem  Schaltzyklus  verlegt  Card,  ihn  auf  231/0,  nach  Ferguson 
kommt  nur  229/8  in  Betracht.  Damals  waren  die  Athener  Freunde 
des  Demetrios  II. ,  und  so  erklärt  es  sich  denn  auch ,  warum  die 
athenische  Gesandtschaft  nicht  nach  Gortyn  geschickt  ward ;  dies  war 
damals  schon  ohnehin  mit  Demetrios  befreundet.  Etwas  später  sind 
dann  nach  Card,  die  Verträge  zwischen  Eleutherna  und  Antigonos 
anzusetzen,  natürlich  ist  Doson  gemeint,  mit  dessen  Sieg  bei  Andros 
sie  in  Zusammenhang  stehen. 

Für  die  Geschichte  des  unmittelbar  hier  anschließenden  Krieges 


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200 


Thomas  Lenschau. 


des  achäischen  Bundes  gegen  Kleomenes  haben  sich  die  seinerzeit 
von  Klatt  gelegten  Grundlagen  auch  heute  noch  bewährt;  dagegen 
hat  die  Endkatastrophe,  die  Schlacht  von  Sellasia,  durch 
Eromayer  eine  eingebende  Behandlung  erfahren ,  die  dann  nicht 
ohne  starken  Widerspruch  von  Seiten  Roloffs  und  Lammerts  ge- 
blieben ist.  Kromayer  hat  zunächst  im  Auschluß  an  Roß  das 
Gelände  der  Schlacht  festgelegt  und  zwar  auf  der  Stelle,  wo  der 
Oinus-(j.  Kelephina-)bach ,  ein  Nebenfluß  des  Eurotas ,  nördlich  von 
Sellasia  auf  der  rechten  Seite  einen  kleinen  Zufluß  empfängt,  dessen 
tief  eingerissenes  Bett  die  im  Schlachtbericht  erwähnte  Gorgylos- 
schlucht  bildet.  Südlich  erhebt  sich  unmittelbar  und  steil  genug  der 
Euas,  während  gegenüber,  am  linken  Ufer  des  Oinus ,  mit  sanfteren 
Abhängen  der  Olympos  emporsteigt.  Allein  während  Roß  der  Ansicht 
war,  daß  eben  durch  die  Gorgylosschlucht  die  antike  Straße  nach 
Sparta  führte,  hat  Krom.  südlich  vom  Euas  die  Spuren  der  alten 
Straße  im  Oinustal  entdeckt,  woraus  hervorging,  daß  diese  dem  Lauf 
des  Oinus  folgend  zwischen  Euas  und  Olympos  hindurchging  und  dann 
erst,  au  der  Stelle,  wo  sich  das  Oinustal  zu  einer  fast  unpassierbaren 
Klamm  verengert,  südöstlich  nach  Sparta  abbiegend  das  Tal  verließ. 
Dies  ist  insofern  wichtig,  als  uns  überliefert  ist  (Pol.  II,  65),  die 
Straße  habe  zwischen  beiden  Flügeln  des  Kleomenes  hindurchgeführt, 
was  Kromayers  Ansetzung  von  Euas  und  Olympos  bestätigt,  während 
Roß,  bei  dem  die  Straße  nördlich  am  Euas  vorbeigeht,  die  rechts 
nordwestlich  davon  gelegenen  Turlahöben  als  den  Euas  in  Anspruch 
nehmen  mußte.  Weiter  hat  Krom.  die  Hauptmomente  der  Schlacht, 
die  nächtliche  Umgehung  des  Euas,  die  Aufstellung  beider  Heere, 
den  Sturm  auf  den  Euas ,  den  Kampf  im  Zentrum ,  endlich  den  ent- 
scheidenden Zusammenstoß  der  beiden  Phalangen  auf  dem  Olympo» 
m.  E.  bis  auf  einige  minder  wichtige  Nebenumstände  durchaus  zu- 
treffend dargestellt,  und  es  ist  ganz  charakteristisch,  daß  in  allem, 
was  das  Gelände  (vgl.  die  vortreffliche  Karte  des  Hauptmann  Goppel 
bei  Kromayer)  und  den  eigentlichen  Schlachtverlauf  betrifft,  Roloff 
sich  an  Krom.  anschließt,  ohne  dies,  wie  es  sich  gerechterweise 
gebührt  hätte,  genügend  hervorzuheben. 

Dagegen  erklärt  R.  die  Intentionen  des  Spartanerkönigs  ganz 
anders  als  Kr.,  der  den  Worten  des  Polybios  (H,  65,  11),  Kleomenes 
Stellung  habe  der  Auslage  eines  guten  Fechters  geglichen  und  sei  zu 
beidem,  zum  Angriff  und  zur  Verteidigung  gleich  geeignet  gewesen, 
zu  viel  Bedeutung  beimißt.  Kr.  läßt  den  Kleomenes  schon  beim 
Beginn  der  Schlacht  entschlossen  sein,  zum  Angriff  vorzugehen,  was 
scheinbar  durch  die  Worte  des  Polybios  unterstützt  wird,  daß  beide 


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Jahresbericht  über  griechische  Geschichte  (1903—1906).  201 

Könige  sich  zum  Angriff  entschlossen  hätten  (c.  66,  4).  Allein 
dagegen  wendet  Kol.  mit  Recht  ein,  daß  nach  dem  Schlachtbericht 
des  Polybios  die  Einnahme  des  Euas,  mit  der  er  nicht  einen  Augen- 
blick gerechnet  hatte,  dem  Kleomenes  völlig  überraschend  kam,  daß 
er  erst  jetzt  sich  zum  Angriff  entschloß  (c.  69,  6),  und  daß  dieser 
somit  als  eine  vom  Augenblick  eingegebene  Tat  der  Verzweiflung 
erscheint.  Diese  Ansicht  wird  noch  durch  die  Anlage  der  Feld- 
befestigung auf  dem  Ol ympos  unterstützt ;  wäre  Kleomenes  von  vorn- 
herein entschlossen  gewesen,  zum  Angriff  vorzugehen,  so  konnte 
ihm  die  Befestigung  nur  hinderlich  sein,  wie  sie  denn  ja  auch  tat- 
sächlich kurz  vor  dem  Angriff  beseitigt  werden  mußte.  Ihre  Anlage 
deutet  darauf  hin,  daß  ursprünglich  Kleomenes  Antigonos  Angriff 
hinter  seinen  Wällen  erwarten  wollte,  um  ihn  dann  durch  den  Gegen- 
stoß seiner  Phalanx  den  Abhang  hinunterzufegen.  Die  weiteren  Be- 
merkungen Roloffs  betreffen  mehr  Kleinigkeiten;  richtig  ist  die,  daß 
Krom.  Philopoimens  Anteil  an  der  Schlacht  ungebührlich  herabsetzt 
und  an  eine  Parteilichkeit  des  Polybios  zu  glauben  scheint.  Antigonos 
Äußerung  zeigt  doch,  daß  er  dem  Eingreifen  des  jungen  Mannes 
einen  wichtigen  Anteil  am  Erfolg  zuschrieb ,  insofern  dadurch  der 
kombinierte  Angriff  auf  den  Euas  überhaupt  möglich  ward.  Im 
übrigen  scheint  mir  Kleomenes  Überraschung  auch  darin  begründet, 
daß  er  von  seinem  Standpunkt  auf  dem  Olymp  nur  den  Nord-  und 
Ostabhang  des  Euas  übersah ;  er  erblickte  wohl  die  hier  ansteigenden 
Stunnkolonnen,  aber  er  sah  auch  den  Rückenangriff  seiner  Leichten  und 
hielt  dadurch  den  Sturmangriff  des  Feindes  für  gelähmt.  Daß  die 
Gefahr  von  der  ihm  unsichtbaren  Westseite  des  Euas  drohte,  hat  er  nicht 
geahnt,  wie  es  scheint,  durch  das  Ergebnis  einer  von  ihm  angeordneten, 
aber  sehr  mangelhaft  ausgeführten  Rekognoszierung  getäuscht. 

Anderseits  hat  sich  nun  L  a  m  m  e  r  t  besonders  gegen  die  Stellung 
gewandt,  die  Kr.  den  einzelnen  Truppenteilen  anweist,  und  zunächst 
die  Ansetzung  des  makedonischen  Lagers  in  der  Oinusebene,  3 — 400  m 
nördlich  von  der  Gorgylosschlucht  beanstandet.  Die  Worte  des 
Polybios,  daß  Antigonos  die  Schlucht  als  itpo'ßXijjj.a  gewählt  habe,  zeigen 
doch  nach  L.  —  und  das  ist  richtig  — ,  daß  das  Lager  unmittelbar 
hinter  der  Gorgylosschlucht  lag;  dies  aber  ist  nach  L.  unmöglich, 
da  dann  das  makedonische  Lager  von  dem  überragenden  Euas  aus 
beschossen  werden  konnte.  Das  stimmt,  wenn  Antigonos  sein  Lager 
unmittelbar  unter  dem  steilen  Abhang  im  NW.  des  Berges  anlegte; 
allein  so  töricht  wird  er  wohl  nicht  gewesen  sein ,  sondern  zum 
Lagerplatz  den  Winkel  zwischen  Oinus  und  Gorgylos  gewählt  haben, 
den  beide  beim  Zusammenfluß  bilden,  und  dieser  lag,  wie  ein  Blick  auf 


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202 


Thomas  Lenschau. 


Goeppels  Karte  zeigt,  reichlich  5 — 600  m  von  der  Höhe  des  Euas 
entfernt.  Weiter  ist  die  Nullfläcbc  des  Olymposabhanges ,  auf  dem 
der  Zustammenstoß  der  beiden  Phalangen  erfolgte,  nach  L.  zu  klein, 
da  nach  Plnt.  im  Leben  des  Kleom.  Antigonos  900  m  zurückgeworfen 
ward,  wozu  allerdings  der  Platz  in  keiner  Weise  ausreicht.  L.  hat 
daher  auch  hier,  wie  bei  Mantineia,  mit  Benutzung  von  Kr.s  topo- 
graphischem Material  eine  wesentlich  neue  Anordnung  der  Schlacht 
gegeben,  die  allerdings  sehr  unglücklich  ausgefallen  ist.  Danach 
stand  Kleomenes  Zentrum  da,  wo  es  auch  Kr.  ansetzt,  an  der  Stelle, 
wo  sich  das  Oinustal  plötzlich  verengert,  während  beide  Flügel  weit 
nach  N.  vorgeschoben  waren.  Eukleidas  stand,  wie  schon  Roß  an- 
genommen hatte,  auf  den  Turlahöhen,  WNW.  von  Kromayers  Eaas. 
Kleomenes  dagegen  auf  der  nördlichen  höheren  Kuppe  des  Olyrapos. 
von  der  sich  das  Gelände  in  sanfter  Neigung  westlich  zum  Oinus 
berabsenkt;  die  Gorgylosschlucht  ist  die  kleine  Schlucht  nördlich 
vom  Khan  des  Krevatas.  Der  Angriff  auf  die  Turlahöhen  erfolgte  von 
W.  und  SW. ;  dagegen  ward  Antigonos  900  m  bis  ins  Oinustal  beim 
Zusammenstoß  hinabgetrieben  und  erst,  als  sich  seine  Leute  auf  dem 
andern  Oinusufer  wieder  gesammelt  hatten,  erfolgte  der  Gegenstoß, 
der  Kleomenes  900  m  den  Berg  hinauf  und  über  die  Kuppe  des 
Berges  weg  zurückwarf.  Schon  das  klingt  wenig  wahrscheinlich,  und 
unbegreiflich  bleibt  es ,  wie  die  Leichten  von  Kleomenes  Zentrum 
überhaupt  den  Angriff  auf  die  Turlahöhen  bemerken  konnten,  der 
doch  auf  der  ihnen  abgewandten  Seite  des  Berges,  von  W.  und  SW. 
erfolgte,  und  wie  sie  dann  überhaupt  xat'  oOp&v  angreifen  konnten. 
Selbst  südlich  um  Krom.  Euas  herum  hatte  das  seine  Schwierig- 
keit. Endlich  aber  ist  die  kaum  2 — 300  m  lange  Schlucht  beim  Khan 
des  Krevatas  viel  zu  klein,  um  einen  Hinterhalt  von  4600  Soldaten  zu 
verbergen,  ganz  abgesehen  davon,  daß  sie  auch  viel  zu  entfernt  von 
den  Turlahöhen  liegt,  um  die  feindliche  Stellung  wirksam  zu  umfassen. 
Nichts  zeigt  besser,  als  dieser  Lammertsche  Erklärungsversuch,  daß 
Kr.  die  topographischen  Grundlagen  der  Schlacht  richtig  bestimmt  hat. 

Wenige  Monate  nach  der  Schlacht  von  Sellasia,  die  um  Mittsommer 
221  stattfand,  starb  König  Ptolemaios  Euergetes  etwa  im  Herbst 
desselben  Jahres  (s.  o.  S.  165),  nachdem  er  bis  zuletzt  die  Regierung 
geführt  hatte.  Den  Gedanken,  den  Wilcken  im  Vorübergehen  auf 
Grund  einer  Stelle  in  den  Pap.  von  Magdola  ausgesprochen  hatte, 
daß  nämlich  Euergetes  gegen  Ende  seiner  Regierung  abgedankt  habe, 
hat  er  selber  zurückgezogen,  nachdem  der  Text  der  genannten  Stelle 
sich  als  auf  falscher  Lesung  beruhend  erwiesen  hat.  Der  König 
hinterließ  bei  seinem  Tode,  wie  die  von  Soteriades  in  Thermon 


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Jahresbericht  über  griechische  Geschichte  (1903-1906).  203 

gefnndenen  Basen  der  vom  ätolischen  Bunde  geweihten  Statnen 
ergeben,  vier  Söhne :  Ptolemaios,  Magas,  Alexandros  und  noch  einen, 
dessen  Name  nicht  erhalten  ist,  sowie  zwei  Töchter,  von  denen  die 
eine  Berenike,  die  zweite  wohl  Arsinoe  hieß.  Die  Überlieferung  nennt 
drei  Söhne  und  zwei,  vielleicht  auch  drei  Töchter,  von  denen  dann 
zwei  den  Namen  Berenike  geführt  haben  müssen ;  von  diesen  war  die 
eine  am  7.  3.  238  (Dekret  von  Kanopos)  bereits  gestorben.  So 
Beloch  III,  2,  132,  dessen  Ausführungen  über  die  Inschriften  in 
Thermon  sich  noch  auf  Soteriades  vorläufigen  Bericht  (Panath.  II, 
S'  173)  stützen  mußten  und  durch  die  endgültige  Veröffentlichung 
etwas  modifiziert  werden.  Die  Ehrung  des  Königs  durch  die  Ätoler 
setzt  Soter.  wohl  richtig  zwischen  das  Bündnis  der  Acbäer  mit  Doson 
zu  Aigion  224  und  den  Tod  des  Königs  Herbst  221. 

Ganz  ans  Ende  der  hier  behandelten  Periode  fällt  der  Krieg 
um  L y 1 1 o s ,  der  Kreta  wieder  einmal  in  zwei  Heerlager  spaltete, 
und  von  Cardinali  eingehend  behandelt  worden  ist.  Die  Hauptstelle 
ist  Pol.  4,  53 — 55,  und  Card,  stellt  zunächst  die  richtige  Reihenfolge 
der  Ereignisse  her,  indem  er  beweist,  daß  alles,  was  Pol.  von 
c.  53,  3  —  55,  6  berichtet,  dem  im  Eingang  c.  53,  1 — 2  erwähnten 
und  auf  den  Herbst  220  anzusetzenden  Ereignissen  vorhergeht. 
Die  Zerstörung  von  Lyttos  gelingt  ihm  mit  einleuchtenden  Gründen 
auf  Beginn  220  festzusetzen,  während  Beloch  III,  1,  750  einen  etwas 
späteren  Zeitpunkt  anzunehmen  scheint.  Alsdann  geht  Card,  zu 
einer  Prüfung  der  kretischen  Inschriften  über,  die  von  Scrinzi, 
Svoronos,  Kern  auf  diesen  Krieg  bezogen  worden  sind  •,  da  die  sehr  um- 
sichtige epigraphische  Untersuchung  (S.  530—534)  keine  bestimmten 
Indizien  ergibt,  so  erörtert  er  ihren  historischen  Gehalt  und  kommt 
zu  dem  Ergebnis,  daß  keine  einzige  der  von  den  genannten  Forschern 
beigebrachten  Inschriften  mit  Sicherheit  auf  den  Krieg  gedeutet 
werden  kann ;  ja  daß  sich  von  manchen  das  Gegenteil  beweisen  läßt. 
Dagegen  gehört  in  den  Krieg  oder  kurz  danach  das  Ehrendekret  der 
Gortynier  für  den  Arzt  Hermias  von  Kos,  das  sich  auf  die  Partei- 
kämpfe in  Gortyn  zwischen  Alten  und  Jungen  bezieht,  in  des  Ruinen 
des  Asklepieions  zu  Kos  gefunden  und  von  Herzog ,  Arch.  Anz. 
1903  S.  11,  herausgegeben  ist.  Das  milesische  Ehrendekret  für 
Lichas  scheint  einer  etwas  späteren  Periode  anzugehören. 

Bald  nach  220  beginnt  alsdann  mit  der  Schlacht  am  Trasumennus 
und  dem  darauffolgenden  Bündnis  Philipps  mit  Hannibal  das  Ein- 
greifen der  Römer  in  die  Geschicke  des  Ostens-,  der  Friede  von 
Naupaktos,  auf  dem  der  Ätoler  Agelaos  seine  warnende  Stimme 
erhob,  ist  das  letzte  Ereignis,  mit  dem  Beloch  seine  Geschichte  des 


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204 


Thomas  Lenschau. 


Hellenismus  abgeschlossen  hat.  Kaum  fünfzig  Jahre  haben  genügt, 
die  hellenistische  Welt  unter  Roms  Joch  zu  zwingen,  ein  Erfolg,  der 
wesentlich  der  Uneinigkeit  der  griechischen  Monarchien  und  Roms 
geschickter  Politik  zuzuschreiben  ist.  Denn  daß  die  Kräfte  des 
hellenischen  Ostens  nicht  gering  zu  bemessen  sind,  das  haben  Belochs 
instruktive  Übersichten  gelehrt,  die  vielleicht  in  einzelnen  Punkten 
sogar  noch  zu  knapp  veranschlagen.  So  scheint  mir  die  Bevölkerungs- 
zahl Ägyptens  mit  10  Mill.  einschließlich  der  Dependenzen,  Kypros 
und  Kyrene,  doch  ziemlich  unterschätzt.  Heute  ernährt  Ägypten 
etwa  allein  dieselbe  Zahl,  aber  für  das  Altertum  glaubt  B.  herab- 
gehen zu  müssen,  da  damals  das  Land  Getreide  exportierte,  was  heute 
nicht  mehr  der  Fall  ist.  Allein  heute  sind,  wie  Lord  Cromers  letzter 
Bericht  zeigt,  reichlich  22  °/o  des  Areals  mit  Baumwollkulturen  bedeckt ; 
rechnet  man  dies  für  das  Altertum  dem  Areal  für  Körnerbau  hinzu, 
so  konnte  auch  bei  nennenswertem  Export  die  Bevölkerung  Ägyptens 
im  Altertum  ebensogroß  sein,  so  daß  also  das  Reich  mit  Einschluß 
der  Dependenzen  ganz  wohl  12  Mill.  Einwohner  gezählt  haben  kann. 
Auf  eine  ähnliche  Zahl  —  10  Mill.  für  das  eigentliche  Ägypten  bis 
*Iepd  ~oxaiuvo?  im  Altertum,  heute  bis  Wadi  Haifa  —  führen  auch  die 
Angaben  des  Josephus,  die  Wachsmuth  (BAG.  III,  272 — 80)  behandelt 
und  im  wesentlichen  als  auf  gutem  Material  beruhend  nachgewiesen 
hat.  Um  so  wichtiger  ist  es,  daß  dieser  geschlossenste  und  ver- 
hältnismäßig volkreichste  Staat  sich  von  dem  Konflikt  zwischen  den 
Römern  und  dem  Orient  fast  vollständig  fernhielt.  Die  ganze  Politik 
der  Ptolemaier,  die  sich  um  die  Solidarität  der  griechischen  Interessen 
stets  sehr  wenig  gekümmert  hat,  ist  schon  früh  durch  eine  national- 
ägyptische Reaktion  beeinflußt.  Auch  die  syrische  Monarchie  bot, 
obwohl  die  Seleukiden  stets  die  griechischen  Interessen  hoch  hielten, 
nur  geringen  Widerstand,  zum  Teil  infolge  der  zentrifugalen  Tendenzen, 
die  in  ihr  herrschten  und  die  nie  ganz  zu  unterdrücken  waren,  wie 
das  Beloch  und  Bevan  sehr  schön,  auseinandergesetzt  haben.  Und 
auch  hier  treffen  wir  schon  auf  den  Beginn  der  nationalen  Reaktion, 
die  die  Kraft  des  Seleukidenreiches  lähmte  und  den  Römern  den 
Sieg  erleichterte;  weiter  unten  wird  genauer  zu  erörtern  sein,  in- 
wieweit überhaupt  von  einer  Hellenisierung  des  Ostens  die  Rede  sein 
kann.  So  bleiben  als  wirkliche  Gegner  Roms  nur  die  Antigonideu 
übrig  und  das  eigentliche  Griechenland,  die  nach  kurzer  Einigung  217 
sofort  von  neuem  in  den  erbittertsten  Kampf  eintraten ;  wenn  trotzdem 
Rom  50  Jahre  gebraucht  hat,  Makedonien  niederzuringen,  so  ist  das 
kein  schlechtes  Zeugnis  für  die  zähe  Widerstandskraft  dieses  Volkes, 
das  sich  an  der  Kolonisation  eines  Weltteiles  fast  verblutet  hatte. 


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Jahresbericht  über  griechische  Geschichte  (1908—1906).  205 


Siebentes  Kapitel. 

Die  griechische  Welt  unter  römischem  Einfluß 

217-146. 

Brückner,  Alfr.,  Wann  ist  der  Altar  von  Pergamon  errichtet  worden? 

Jahrb.  d.  Dtsch.  Arch.  Inst.  1904.   Arch.  Anz.  217—225. 
— ,  zum  Athenaios  eines  Psephismas  aus  Notion.   Jahrb.  d.  Östr.  Arch, 

Inst.  IX,  Beiblatt  57—60. 
Cardinali,  Gius.,  Creta  nel  tramonto  dell1  Ellenismo.  Riv.  di  Fil.  35,  1—32. 

1906. 

Colin,  Gustave,  Rome  et  la  Grece  de  200  ä  146  av.  J.  Chr.  1905. 
Cousin,  Georges,  et  Maur.  Holleaux,  remarques  sur  les  decrets  trouväs  dans 

le  sanctuaire  de  Zeus  Panamarios.  Bull.  Corr.  Hell.  28,  345—363.  1904. 
Deiters,  zwei  kretische  Inschriften  aus  Magnesia.   Rh.  Mus.  59,  565—579. 
Demoulin,  Hub.,  les  Rhodiens  ä  Tenos.   BCH.  27,  233—255.  1903. 
Durrbach,  F.  et  Jardä,  fouilles  de  Delos  (faites  aux  frais  du  duc  de  Loubat 

en  1903)  in  BCH.  28,  265-807  ;  29,  169-257.  1904/5. 
Egg,  W.,  die  Polybiosfragmente  von  Ol.  154.  Progr.  Gymn.  Zweibrücken  1905. 
Ferguson,  W.  S.,  the  premature  deification  of  Eumenes  II.  Public.  Univ.  of 

California.   Class.  Philol.  I,  231—234.  1906. 
Foucart,  P.,  le  S.  C.  de  Thisbe*  Mem.  Acad.  inscr.  t.  37.  II,  1903. 
Francotte,  Henri,  le  conseil  et  l'assemble'e  generale  chez  les  Achtens.  Mus. 

Beige  X,  4—21. 

Graindor,  Paul,  les  fouilles  de  Tenos.   Mus.  Beige  X,  309—361,  vgl.  BCH. 
27.  1903. 

Holleaux,  Maur.,  sur  les  assemblees  ordinaires  de  la  ligue  e'tolienne.  BCH. 

29,  362—372.  1905. 
— ,  note  sur  une  inscription  de  Colophon  nova.   BCH.  30,  349 — 358.  1906. 
— ,  sur  un  passage  de  la  vie  d'Aratos  Herrn.  60,  475—478.  1906. 
Kornemann,  F.,  die  neue  Liviusepitome  aus  Oxyrhynchos.  Klio,  Beiheft  II. 

1904. 

Kromayer,  Johs.,  Antike  Schlachtfelder  in  Griechenland  II.  1907. 
Mahaffy,  John  P.,  the  progress  ot  Hellenism  in  Alexanders  empire.  Chicago 
and  London  1905. 

Meischke,  Kurt,  zur  Geschichte  des  Königs  kEumenes  II.  von  Pergamon. 

Progr.  Pirna  1905. 
Mündt,  König  Nabis  von  Sparta.   Diss.  Münster  i.  W.  1903. 
Niese,  Bened.,  Geschichte  der  griechisch-makedonischen  Staaten  seit  der 

Schlacht  von  Chaeroneia.   III.  Von  188-120  v.  Chr.   Gotha  1903. 
Papabasileios,  EüßotxcL   Ephem  arch.  1903,  115— 134.    1905,  1—36. 
Reinach,  Th.,  remarques  sur  le  döcret  d'Athenes  en  honneur  de  Pharnaces  I. 

BCH.  30,  49-51. 

Vollgraff,  W.,  notes  sur  la  fin  et  les  consöquences  de  la  guerre  Etolienne. 

Rev.  PhU.  27,  236—244.  1903. 
Wilhelm,  Ad.,  Eißoixö.   Eph.  arch.  1904,  87—110. 
Willrich,  Hugo,  der  Geburtstag  des  Antiochos  Epiph.  BAG.  IV,  116  f. 


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200 


Thomas  Lenschau. 


Für  die  Periode  der  griechischen  Geschichte  vom  Kongreß  zu 
Naupaktos  bis  zum  Untergang  der  griechischen  Freiheit  bilden  die 
Hauptquelle  die  Bruchstücke  des  Polybios  und  die  livianische  Be- 
arbeitung des  Werkes,  die  uns  Ms  zur  Schlacht  von  Pydna  vollständig, 
von  da  ab  in  dem  kurzen  Auszug  der  Periocben  erhalten  ist.  Von 
diesen  sind  kürzlich  Bruchstücke  einer  neuen  Bearbeitung  in  einem 
Papyrus  von  Oxyrhynchos  zutage  getreten,  die  die  Zeit  von  189—137, 
wenn  auch  nicht  ganz  vollständig  umfassen  und  mit  wertvollen  Er- 
läuterungen von  Kornemann  herausgegeben  sind.  Für  die  ersten 
Jahre  bis  Pydna  lehrt  das  Fragment  nicht  viel  Neues,  da  hier  die 
livianische  Darstellung  erhalten  ist,  dann  folgt  eine  Lücke,  bis  die 
Epitome  wieder  mit  Ende  des  48.  Buches  und  dem  Jahre  150  ein- 
setzt. Der  Auszug  geht  dann  weiter  bis  zum  Beginn  des  58.  Buches, 
d.  h.  bis  zum  Jahre  143,  worauf  abermals  eine  Lücke  von  einer 
Kolumne  folgt.  Hier  muß  das  Exzerpt  sehr  ausführlich  gewesen  sein, 
da  die  Erzählung  noch  im  53.  Buch  Ende  142  wieder  beginnt;  sie  wird 
dann  in  einem  Zuge  bis  zum  55.  Buch,  d.  h.  bis  zum  Jahre  137  hinab- 
geführt. Obwohl  natürlich  der  Hauptertrag  der  Bruchstücke  der 
römischen  Geschichte  zugute  kommt ,  so  fällt  doch  auch  für  die 
griechische  Geschichte  manches  ab.  Insbesondere  erfahren  wir  allerhand 
Uber  den  letzten  makedonischen  Aufstand  sowie  über  die  Unterwerfung 
Griechenlands  und  die  Kriege  in  Syrien,  worauf  später  an  geeigneter 
Stelle  hinzuweisen  sein  wird. 

Das  geschichtliche  Hauptproblem  dieser  Zeit  ist  die  Beurteilung 
der  Politik,  die  die  Römer  den  Griechen  gegenüber  eingeschlagen 
haben.  Es  ist  bekannt,  daß  die  Auffassungen  einander  hier  diametral 
gegenüberstehen.  Während  Mommsen  das  Verhalten  des  Senats  als 
durchweg  ehrlich  und  von  echter  Sympathie  mit  den  Griechen  ge- 
tragen ansieht,  einer  Sympathie,  die  den  verlotterten  und  verkommenen 
Griechenstaaten  gegeuüber  fast  in  Schwäche  ausartete,  haben  Duruy 
und  Peter  es  als  einen  Ausfluß  feinsteV  zugleich  und  niederträchtigster 
Berechnung  gebrandmarkt,  als  ein  Meisterstück  macchiavellistischer 
Staatskunst,  die  die  Griechen  erst  politisch  demoralisierte,  ehe  sie 
ihre  Selbständigkeit  vernichtete.  Daß  die  Wahrheit  auch  hier  in  der 
Mitte  liegt,  hat  das  schöne  Werk  von  Colin  erwiesen.  Vor  allem 
hat  er  gezeigt,  daß  Korns  Politik  gegen  die  hellenistischen  Großstaaten 
durchaus  von  dem  Verfahren  zu  trennen  ist,  das  der  Senat  gegenüber 
den  Staaten  des  Mutterlandes  beobachtete.  Während  jene  reichlich 
alle  die  Vorwürfe  verdient,  die  gegen  sie  erhoben  worden  sind,  war 
dieses  unzweifelhaft  zunächst  von  wirklicher  Freundlichkeit  diktiert, 
und  erst  der  Abfall  der  Ätoler  im  syrischen  Kriege  hat  einen  Um- 


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Jahresbericht  über  griechische  Geschichte  (1903—1906).  207 

schwang  zu  Ungunsten  der  Griechen  herbeigeführt.  Allein  auch 
nachher  ist  das  Verhalten  Roms  den  Griechen  gegenüber  keineswegs 
durchaus  unfreundlich ,  vielmehr  zeigt  es  eine  ganz  merkwürdige  In- 
konsequenz, und  diese  steht  mit  dem  Anschwellen  und  Nachlassen 
jener  großen  geistigen  Bewegung  Roms  in  Zusammenhang,  die  man 
als  den  Philhellenismus  bezeichnet,  und  deren  erster  und  über- 
zeugter Vertreter  T.  Quinctius  Flamininus  gewesen  ist.  Es  ist  das 
Uauptverdienst  Colins,  daß  er  gezeigt  bat,  wie  diese  bereits  seit  der 
Mitte  des  dritten  Jahrhunderts  beginnende  Bewegung  nach  dem 
syrisch-ätolischen  Kriege  einer  Reaktion  unterliegt,  als  deren  Wort- 
führer M.  Porcius  Cato  betrachtet  werden  kann,  um  dann  später 
unter  dem  Einfluß  des  jüngeren  Scipio  und  seines  Kreises  um  so 
stärker  wieder  anzuschwellen.  Aus  diesem  Auf  und  Ab,  das  auch 
von  der  Gier  der  römischen  Kapitalisten  nach  Ausbeutung  der  Länder 
des  Ostens  stark  beeinflußt  wird,  entsteht  die  wechselvolle  Politik 
Roms  gegen  die  Griechen,  die  jene  eingangs  erwähnte  verschiedene 
Beurteilung  hervorgerufen  hat  und  beiden  Ansichten  den  Schein  der 
Berechtigung  verleiht.  Unzweifelhaft  ist  Colins  Werk,  trotz  der  zu- 
weilen etwas  ermüdenden  Länge  die  bedeutendste  Veröffentlichung, 
die  neben  N  i  e  s  e  s  letztem  Bande  über  diese  Periode  erschienen  ist. 
Nieses  Werk  ist  in  seinen  Vorzügen  und  Nachteilen  zu  bekannt,  als 
daß  ein  Gesamturteil  darüber  hier  am  Platze  wäre.  Dieser  letzte 
Band  ist  schon  deswegen  von  hervorragendem  Wert,  weil  er  die  erste 
Gesamtbehandlung  der  Geschichte  des  Ostens  in  diesem  Zeitraum 
gibt,  zu  der  jedoch  immer  Bevans,  Bouche*-Leclercqs  und  Cardinalis 
schon  früher  genannte  Spezialwerke  zu  vergleichen  sind. 

Die  ziemlich  wirren  und  unübersichtlichen  Kämpfe,  die  wir  unter 
dem  Namen  des  ersten  makedonischen  Krieges  zusammen- 
fassen ,  haben  wenigstens  in  einem  Punkte  eine  neue  und  besser  be- 
gründete Darstellung  durch  Kromayer  gefunden,  der  die  Schlacht 
von  M antin eia  einer  eingehenden  und  von  vortrefflichem  Karten- 
material unterstützten  Untersuchung  unterzogen  hat  (Antike  Schlacht! 
Bd.  I).  Danach  beabsichtigte  der  achäische  Bundesfeldherr  Philo- 
poimen,  wie  auch  die  Aufstellung  hinter  dem  Graben  beweist,  zunächst 
sich  in  der  Defensive  zu  halten,  wozu  er  übrigens  auch  durch  sein 
bedeutend  schlechteres  Soldatenmaterial  gezwungen  ward;  allein  das 
schloß  den  Gedanken  einer  kräftigen  Offensive  nicht  aus,  sobald  sich 
die  Gelegenheit  dazu  bot,  und  hierzu  hatte  er  den  linken  Flügel 
bestimmt.  Wider  Erwarten  ward  er  durch  den  Umstand,  daß  Macha- 
nidas seine  Front  mit  schwerem  Geschütz  bestreichen  ließ,  sofort  zur 
Offensive  gezwungen,  und  diese  mißglückte  völlig,  indem  der  linke 


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208 


Thomas  Lenscliau. 


Flügel  der  Achäer  trotz  seiner  Überzahl  von  Machanidas  überrannt 
und  bis  nach  Mantineia  verfolgt  ward.  Dennoch  gelang  es  Philo- 
poimen,  das  Schicksal  der  Schlacht  dadurch  zu  wenden,  daß  er  den 
Angriff  der  lakedaiinonischen  Phalanx  in  den  Graben  zurückwarf  und 
dann  den  von  der  Verfolgung  zurückkehrenden  Machanidas  vernichtete. 
Gegen  diese  Darstellung  der  Schlacht  hat  R  o  1  o  f  f  (S.  76  ff.)  einige 
Einwendungen  erhoben .  die  insofern  berechtigt  sind ,  als  von  einer 
Überlegenheit  des  linken  achäischen  Flügels  wohl  kaum  die  Rede 
sein  kann ;  dagegen  befand  sich  dieser  in  überhöhter  Stellung ,  wie 
Polybios'  Ausdruck  uicepö^tot  zeigt,  was  Krom.  dem  Sprachgebrauch 
des  Schriftstellers  zuwider  von  einer  Überflügelung  versteht.  Auch 
über  die  Ausdehnung  des  Grabens  scheint  mir  Roloffs  Urteil  richtiger; 
doch  betrifft  alles  das  nur  Nebenpunkte,  und  wenn  die  Schlacht- 
berichte bei  Polybios  und  Plutarch  auch  nicht  auf  alle  Fragen  Ant- 
wort geben,  so  ist  doch  durchaus  kein  Grund  vorhanden,  sie  mit 
Delbrück  als  gänzlich  widerspruchsvoll  zu  verwerfen.  Wenn  übrigens 
Rol.  fragt,  warum  die  Katapelten  ihren  Aufmarseh  nicht  fortsetzten 
(S.  186),  so  liegt  da  die  Antwort  ziemlich  auf  der  Hand:  der  Sieg 
des  Machanidas  machte  ihn  überflüssig,  ja  geradezu  hinderlich  für 
den  Stoß  der  lakedaimonischen  Phalanx.  Dieser  aber  mußte  un- 
mittelbar nach  dem  Siege  des  rechten  Flügels  erfolgen,  da  zu  erwarten 
war,  daß  sich  Machanidas  nach  der  Besiegung  der  ihm  entgegen- 
stehenden Truppen  sofort  auf  die  jetzt  ungedeckte  linke  Flanke  der 
achäischen  Phalanx  werfen  würde.  Daß  er  das  nicht  tat,  so  wenig  wie 
Demetrios  bei  Ipsos,  Antiochos  bei  Rhapheia  und  Magnesia,  hat  hier 
ebenso  wie  in  den  übrigen  genannten  Fällen  die  Niederlage  herbeigeführt. 

Der  Friede  von  205,  der  den  Kämpfen  in  Griechenland  ein  Ziel 
setzte,  ward  sehr  bald  durch  Na  bis  von  Sparta  gebrochen,  dessen 
Feindseligkeiten  gegen  die  Achäer  sofort  das  Wiederaufflackern  des 
Krieges  im  Peloponnes  herbeiführten.  Diesen  Nabis  schildert  Polybios 
als  einen  der  elendesten  Tyrannen  seiner  Zeit,  was  Mündt  nicht 
verhindert  hat,  an  ihm  die  übliche  Ehrenrettung  zu  vollziehen.  So 
viel  ist  allerdings  wohl  als  sicher  anzunehmen,  daß  Nabis  aus  könig- 
lichem Geschlecht  war;  schon  Homolle  hat  das  (BCH.  1896,  S.  502) 
aus  der  delischen  Weihinschrift  ßoaiXeuc  Naßi?  AajAapatoo  Aoxe5ai|x6vto^ 
geschlossen  und  ihn  von  der  asiatischen  Linie  der  Eurypontiden  ab- 
geleitet, die  auf  den  vor  480  vertriebenen  und  später  in  Kleinasien 
ansässigen  König  Damaratos  zurückgeht.  Daß  sich  Nabis  auf  das  Volk 
stützte  und  dieses  im  ganzen  zu  ihm  stand  (Mündt  S.  34),  ist  richtig, 
aber  auch  schon  von  andern  bemerkt.  Gewiß  übertrieb  Polybios, 
dennoch  aber  kann  der  Umstand,  daß  von  Verschwörungen  gegen 


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Jahresbericht  über  griechische  Geschichte  (1903—1906).  209 

König  Nabis  nichts  bekannt  ist,  während  sie  unter  Lykurg  219  zwei- 
mal vorkamen ,  ans  noch  nicht  dazu  berechtigen ,  Polybios  Bericht 
als  ein  Zerrbild  zu  betrachten.  Wahrscheinlich  war  Nabis  nicht 
besser,  aber  auch  nicht  viel  schlechter  als  die  meisten  Monarchen 
seiner  Zeit,  die  in  den  Mitteln  alle  wenig  wählerisch  waren,  und  daß 
er  mit  den  Seeräubern  von  Kreta  in  Verbindung  stand,  kann  auch 
Mündt  nicht  leugnen.  Übrigens  hatte  in  Kreta  seit  der  Zerstörung 
von  Lyttos  der  Kampf  nur  vorübergehend  aufgehört.  Zwei  Inschriften 
von  Magnesia  (Kern  65a  u.  b),  die  der  neueste  Bearbeiter,  Deiters, 
in  den  Zeitraum  von  216/5  bis  205/4  setzen  möchte,  zeigen,  daß 
damals  Knossos  und  Gortyn  wieder  in  erbitterter  Fehde  lagen. 

Der  Tod  Philopators  (205/4)  führte  in  den  Verhältnissen  des 
griechischen  Ostens  insofern  eine  bedeutende  Änderung  herbei,  als  die 
unmittelbar  folgenden  Wirren  und  die  Jugend  seines  Nachfolgers  jenes 
Bündnis  zwischen  Philipp  und  Antiochos  hervorriefen,  dessen  aus- 
gesprochener Zweck  die  Aufteilung  der  auswärtigen  Besitzungen  des 
Ptolemäerreiches  war.  Die  Aufteilung  sollte  in  der  Weise  vor  sich 
gehen,  daß  Philipp  Kyrene,  die  Kykladen  und  Ionien,  Antiochos 
Koilesyrien  und  die  übrigen  Besitzungen  in  Kleinasien  und  am 
Hellespont  erhielt.  Während  aber  Antiochos  ohne  große  Schwierig- 
keiten Koilesyrien  an  sich  riß  und  durch  die  Schlacht  am  Berge 
Paneion  behauptete,  stieß  Philipp  auf  einen  energischen  Widerstand, 
zu  dem  sich  König  Attalos,  die  Rhodier  und  die  freien  Griechen, 
zuletzt  auch  Athen  vereinigten.  Unter  den  Bundesgenossen  war 
Attalos  unzweifelhaft  der  mächtigste,  obwohl  ihm  von  seiner  einstigen 
Eroberung  Kleinasiens  wenig  mehr  als  die  bereits  vom  Vater  ererbten 
Landschaften  geblieben  waren.  Daß  indessen  nach  Süden  zu  sein 
Gebiet  weiter  reichte ,  als  z.  B.  Beloch  annahm ,  und  sicher  noch 
Neukolophon  (Notion)  mit  umfaßte,  hat  C  a  r  d  i  n  a  1  i  (§.  86  ff.  und  94) 
erwiesen ;  seine  Ausführungen  werden  durch  eine  Inschrift  bestätigt,  die 
zuerst  von  Macridy  (Jahresh.  d.  östr.  arch.  Inst.  VIII,  161 — 3),  dann 
vollständiger  von  H  olle  au  x  a.  a.  O.  herausgegeben  ist.  Dieser 
erkennt  in  ihr  ein  Dekret  zu  Ehren  des  Athenaios,  des  vierten  Sohnes 
von  Attalos  I.  und  Apollonis,  und  vermutet  wohl  mit  Recht,  daß  es 
noch  vor  197  fällt  ,  da  sonst  bei  der  Nennung  seiner  Brüder  doch 
Eumenes  II.  als  König  besonders  hervorgehoben  wäre.  Anderseits 
kann  die  Inschrift  auch  nicht  wohl  viel  früher  fallen,  da  Athenaios 
zwischen  219  und  215  geboren  ist;  sie  ist  also  um  200  anzusetzen. 
Zu  denselben  Schlüssen  in  bezug  auf  Person  und  Inhalt  des  Dekrets 
ist  unabhängig  von  H.  auch  Brückner  gekommen,  der  ebenfalls 
eine  Ergänzung  der  Inschrift  bietet,  die  von  der  H.s  in  einigen 

Jahresbericht  för  AltertuTnawisaenschan.    Bd.  CXXXV.  H 


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210 


Thomas  Lenscbau. 


Punkten  abweicht.  —  ÜbrigenB  waren  auch  die  Rhodier  für  Philipp 
nicht  zu  verachtende  Gegner;  je  mehr  die  Macht  der  Ptolemaier  nach 
und  nach  im  ägäischen  Meer  unter  Philopator  in  Verfall  geraten  war, 
um  so  mehr  hatte  sich  die  ihre  ausgebreitet.    Besonders  auf  Tenos 
haben  sich  davon  dentliche  Spuren  in  einer  Reihe  von  Dekreten  er- 
halten,   die   Demoulin    herausgegeben    hat.     Danach   war  die 
Macht  der   Rhodier   gegenüber   den   Inseln,   die   sich   ihnen  an- 
schlössen, keineswegs  gering.   Wie  es  scheint,  stellten  sie  den  Ober- 
befehlshaber der  Bundesmarine  und  hatten  auch  sonst  in  militärischer 
Hinsicht  weitgehende  Befugnisse,  wie  die  Worte  der  Dekrete  dttoora- 
Xelc  U  x^v  atpatMox  (5>v  auXtor^v  od.  fupvaaiav  xai  tijc  iro*)Xea>? 
iTOji&eiav  bezeichnen.    Doch  möchte  ich  diese  letzten  Worte  nicht 
mit   dem  Herausgeber  auf  einen  Eingriff  in  die  städtische  Ver- 
fassung beziehen,  sondern  nur  darauf,  daß  die  Stadt  in  Verteidigungs- 
zustand gesetzt  werden  sollte.    Übrigens  gehören  die  meisten  dieser 
Dekrete,  wie  auch  D.  betont,  wohl  erst  der  Blütezeit  der  rhodischen 
Herrschaft  an,  die  von  Kynoskephalai  bis  Pydna  reichte;  sicher  ist 
das  bei  der  von  Graindor  veröffentlichten  Inschrift  der  Fall;  der 
in  ihr  erwähnte  Agathagatos  ist  wohl  identisch  mit  dem  bei  Pol.  27,  6. 
28,  2 — 8  genannten,  der  in  dem  lykischen  Feldzug  der  Rhodier  eine 
Rolle  spielte.  —  Daß  endlich  auch  Milet,  das  damals  von  ägyp- 
tischer Herrschaft  frei  war,  und  Athen  dem  Bunde,  wenn  auch 
nicht  sofort  beigetreten  sind,  darauf  deutet  das  1900  bei  den  deutschen 
Ausgrabungen   in   Milet  gefundene   Ehrendekret  für   Lichas,  das 
Ha us so ulli er  a.  a.  0.  wohl  mit  Recht  bald  nach  der  Schlacht 
von  Lade  angesetzt  hat.    Einen  Grund ,  sie  mit  den  kretischen  In- 
schriften ,  die  Deiters  besprochen  hat ,  in  Beziehung  zu  setzen ,  wie 
dieser  will,  kann  ich  beim  besten  Willen  nicht  entdecken. 

Der  Verlauf  des  Kampfes  zwischen  Philipp  und  der  Koalition  ist 
in  seinen  Hauptzügen  bekannt.  Daß  es  Philipp  gelang,  seine  Er- 
oberung Karien  auch  nach  seiner  Rückkehr  und  trotz  des 
Krieges  mit  Rom  noch  eine  ganze  Zeitlang  festzuhalten,  ergeben  die 
von  Cousin  und  H  o  1 1  e  a  u  x  herausgegebenen  Ehrendekrete  aus  dem 
Heiligtum  des  Zeus  Panamarios.  Das  erste,  für  den  König  selber, 
fällt  wohl  unmittelbar  nach  der  Eroberung  von  Stratonike,  das  zweite 
geht  auf  einen  militärischen  Beamten  Philipps  Asklepiodoros  und  ist 
vom  Mai  198  datiert  ;  das  dritte  geht  ebenfalls  auf  einen  makedonischen 
Offizier,  der  offenbar  im  Auftrage  Philipps  sich  bemühte,  die  durch 
ein  Erdbeben,  wahrscheinlich  199/8,  entstandene  Not  zu  lindern.  Man 
sieht,  daß  selbst  auf  diesen  entlegenen  Punkten  seines  Reiches 
Philipps  Herrschaft  198  noch  völlig  unerschüttert  war.  Die  folgenden 


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Jahresbericht  über  griechische  Geschichte  (1908—1906).  211 

Dekrete  Nr.  4—6  gehören  dann  bereits  der  rhodischen  Herrschaft 
an,  die  nach  der  Schlacht  von  Kynoskephalai  diese  Gegenden  in  ihren 
Bereich  zog. 

Inzwischen  hatten  sich  nach  dem  Rückzug  des  Königs  im  Jahre 
200  die  Verbündeten  nach  Athen  gewandt,  wo  besonders  Attalos  mit 
allen  erdenklichen  Ehren  empfangen  ward.  In  dieses  Jahr  fallt  die 
Einrichtung  der  neuen  Phyle  Attalis,  der  die  Antigonis  nnd  Demetrias 
weicheri  mußten,  wodurch  die  seit  dem  Ausgang  des  4.  Jahrhunderts 
vorhandene  Zwölfzahl  wiederhergestellt  ward.  Wahrscheinlich  stammt 
das  Demenverzeichnis  CIA.  II,  991  gerade  aus  dem  Jahre  200 ,  wie 
sowohl  Schöffer  (PWKE.  Art  Demetrias,  Demoi)  und  Tod  Annual. 
Br.  School  IX,  154 — 175  gesehen  haben.  In  diesem  Augenblick  trat 
aber  auch  die  Intervention  der  Römer  ein.  Die  diplomatische 
Vorgeschichte  des  zweiten  makedonischen  Krieges, 
wie  sie  von  Colin  S.  53  ff.  in  sehr  klarer  und  übersichtlicher  Weise 
behandelt  worden  ist,  zeigt  allerdings,  in  welch  tödlicher  Verlegenheit 
sich  der  Senat  befand,  als  es  galt,  einen  Grund  zum  Einschreiten  zu 
finden,  und  wie  er  sich  endlich  mit  einem  elenden  Vorwand  begnügte, 
der  aber  auch  nur  dadurch  sich  rechtfertigen  ließ,  daß  Rom  ohne 
weiteres  das  Protektorat  über  die  Griechenstaaten  des  Mutterlandes 
übernahm.  Es  war  keineswegs  besonderes  Wohlwollen  gegenüber  den 
Griechen,  das  diesen  Entschluß  des  Senats  herbeiführte,  sondern  die 
bare  Unmöglichkeit,  anderweitig  einen  Kriegsfall  zu  konstruieren,  den 
der  Senat  zur  Ausführung  seiner  von  langer  Hand  vorbereiteten  Pläne 
auf  den  Osten  brauchte.  So  viel  ist  jedenfalls  sicher:  weder  das 
römische  Volk  das  noch  völlig  genug  vom  Kampf  mit  Hannibal  hatte, 
wollte  den  Krieg ,  noch  König  Philipp ,  der  sich  tief  in  die  Ver- 
hältnisse des  Ostens  verstrickt  hatte  und  in  den  späteren  Verhand- 
lungen oft  seine  Friedensliebe  bewies.  Der  Ausbruch  des  Krieges 
ist  also  lediglich  der  Absicht  des  Senates  zuzuschreiben,  die  von 
keinerlei  besonderem  Wohlwollen  gegen  die  Griechen,  sondern  lediglich 
von  der  Staatsraison  diktiert  war,  die  die  Eroberung  des  Ostens 
forderte.  Dieser  wahre  Sachverhalt  wird  nur  dadurch  verschleiert, 
daß  die  Ausführung  der  Absichten  des  Senats  nachher  T.  Flamininus 
zufiel,  der  als  Haupt  der  griechenfreundlichen  Partei  diesen  das 
größte  Wohlwollen  entgegenbrachte.  Erst  seiD  durch  den  Sieg  ver- 
mehrter Einfluß  bewirkte,  daß  die  Griechenfreunde  im  Senat  das 
Übergewicht  erhielten  und  jene  Politik  des  Wohlwollens  inaugurierten, 
die  dann  bis  zum  Krieg  gegen  Antiochos  festgehalten  ward. 

Über  den  eigentlichen  Verlauf  des  Krieges  geht  Colin 
der  Anlage  seines  Werkes  gemäß  kurz  hinweg;  um  so  wertvoller  ist 

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212 


Thomas  Lenschau. 


es,  daß  wir  hier  von  Kromayer  eine  genaue,  auf  sorgfältigen 
Studien  and  vortrefflichem  Kartenmaterial  beruhende  Darstellung  er- 
halten haben,  die  sowohl  die  allgemeinen  Absichten  Philipps  wie 
aueh  deren  Ausführung  klar  erkennen  läßt   Die  Sachlage  erforderte 
es,  daß  Philipp  durch  strikte  Einhaltung  der  Defensive  den  Krieg 
hinziehen  und  den  Römern  die  Überzeugung  beizubringen  suchen 
mußte,  eine  Niederwerfung  Makedoniens  sei  nur  unter  sehr  schweren 
Opfern  möglich,  die  der  Erfolg  kaum  rechtfertigen  dürfte.  Dies 
Prinzip  hat  er  zwei  Jahre  mit  bestem  Erfolge  durchgeführt;  der 
römische  Angriff  auf  Obermakedonien  im  Jahre  199  mißlang  voll- 
ständig und  auch  der  Feldzug  von  198  brachte  ihm  trotz  seiner 
Niederlage  an  den  Aoospässen  nicht  allzustarke  Verluste,  sofern  er 
den  größeren  Teil  Thessaliens  in  der  Hand  behielt  und  Makedonien 
vom  Kriege  freigehalten  hatte.    Nicht  mit  Unrecht  vergleicht  Kro- 
mayer seine  Lage  mit  der  Friedrichs  des  Großen  im  siebenjährigen 
Kriege.    Die  Entscheidung  liegt  in  der  diplomatischen  Arbeit,  die 
Flamininus  während  des  Winters  198/7  in  Griechenland  leistete,  und 
durch  die  es  ihm  gelang,  die  mühsam  von  Antigonos  Doson  er- 
richtete Hegemonie  Makedoniens  in  Griechenland  zu  zertrümmern; 
im  Frühjahr  197  standen  nur  noch  Chalkis  und  Korinth  auf  Seiten 
des  Königs.    Um  sein  Prestige  zum  Teil  wenigstens  wieder  zu  ge- 
winnen ,  sah  sich  Philipp  genötigt,  aus  seiner  Zurückhaltung  heraus- 
zutreten und  zum  Angriff  überzugehen,  der  bei  Kynoskephalai 
mit  dem  Zusammenbruch  endete.   Das  Schlachtfeld  scheint  mir  Krom. 
im  Gegensatz  zu  Leake  richtig  auf  6 — 7  km  westlich  von  Skotussa 
bestimmt  zu  haben  (S.  69  ff.),  und  ebenso  klar  ist  seine  Darstellung 
der  Schlacht.     Der  ungenannte  römische  Militärtribun ,   der  zwei 
Drittel  der  siegenden  Legion  des  rechten  Flügels  der  makedonischen 
Phalanx  in  den  Rücken  führte,  ist  es  gewesen,  dem  die  Ehre  des 
Tages  gebührt.    Nicht  ganz  so  glücklich  ist  die  Zeitbestimmung  der 
Schlacht,  die  Kr.  in  Ende  Mai  oder  Anfang  Juni  verlegt,  da  sie  in 
die  Zeit  der  Getreidereife  fiel.    Dabei  sind  Busolts  Ausführungen 
übersehen  (vgl.  S.  122),  die  keinen  Zweifel  darüber  lassen,  daß  für 
Mittelgriechenland  sich  die  Erntezeit  um  rund  einen  Monat  gegen 
das  Altertum  verschoben  hat.    Ähnliches  wird  auch  für  Thessalien 
anzunehmen  sein,  so  daß  die  Schlacht  also  etwa  Anfang  Juli  ge- 
schlagen sein  wird.   Damit  stimmt  es  auch,  daß  die  Verhandlungen 
mit  Philipp  erst  nach  der  Designation  der  neuen  Konsuln,  der  Ab- 
schluß erst  nach  ihrem  Amtsantritt  stattfand.   Denn  wenn  dieser  auch 
offiziell  auf  den  15.  März  fiel,  so  hatte  er  sich  doch  infolge  der 
Unordnung  des  römischen  Kalenders  auf  Nov./Dez.  des  Vorjahres 


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Jahresbericht  über  griechische  Geschichte  (1903-1906).  213 

verschoben  (S.  106  ff.).  Dann  aber  läßt  sich  mit  einigem  guten 
Willen  auch  die  Nachricht  des  Livius  halten,  der  33,  24,  3  sagt,  die 
Botschaft  von  der  Schlacht  sei  gegen  Ende  des  Jahres  in  Rom  ein- 
getroffen; kam  sie  im  Anfang  August  und  endete  das  Jahr  im 
November,  so  konnte  Liv.  das  ganz  gut  als  exitu  ferme  anni  be- 
zeichnen. 

Die  Vorgeschichte  des  ätolis ch-sy rischen  Krieges  zeigt 
eine  auffallende  Ähnlichkeit  mit  der  des  Kampfes  gegen  Philipp. 
Auch  hier  tritt  sofort  das  Doppelgesicht  der  römischen  Politik 
hervor ;  gegenüber  den  griechischen  Staaten  des  Mutterlandes  ist  das 
Benehmen  des  Senats  eitel  Freundlichkeit,  und  die  philhellenische 
Partei  in  Rom  steht  im  Zenith  ihres  Einflusses.  Zu  den  zahlreichen 
Gunstbeweisen  des  Senats  an  griechische  Städte  und  Heiligtümer 
gehört  auch  die  goldene  Krone,  die  der  ältere  Afrikanus  als  atparrjoc 
fcraTOC  nach  Delos  weihte,  wahrscheinlich  im  Laufe  seines  zweiten 
Konsulats  194  (Dürrbach  und  Jard6  BGH.  1904,  Bd.  28,  265  ff.). 
In  scharfem  Gegensatz  dazu  steht  das  Verfahren  gegen  Antiochos, 
mit  dem  man  sich  offenbar  nur  so  lange  freundlich  gestellt  hatte, 
bis  die  Entscheidung  gegen  Philipp  gefallen  war.  Gleich  nachher 
begann  seitens  des  Senats  seine  systematische  Brüskierung,  die 
schließlich  darin  gipfelte,  daß  Antiochos  sich  ganz  aus  Europa  zurück- 
ziehen und  das  Protektorat  Roms  über  die  Griechen  anerkennen 
sollte :  Forderungen ,  die  der  König  trotz  aller  Friedensliebe  nicht 
bewilligen  konnte.  Denn  das  geht  allerdings  aus  der  überein- 
stimmenden Behandlung  dieser  Ereignisse  bei  Colin  (S.  178  ff.)  und 
Kromaycr  (S.  128  ff.)  mit  voller  Deutlichkeit  hervor,  daß  von  einer 
aggressiven  Haltung  Syriens,  wie  sie  damals  von  Rom  behauptet 
ward  —  auch  Bevan  in  Bd.  II  hat  sich  noch  nicht  ganz  von  dieser 
Anschauung  frei  machen  können  — ,  nicht  im  entferntesten  die 
Rede  sein  kann.  Als  seine  Lebensaufgabe  betrachtete  Antiochos  die 
Herstellung  des  Seleukidenreiches  im  Zeitpunkt  seiner  größten  Aus- 
dehnung unter  Seleukos  nach  der  Schlacht  von  Kurupedion.  In 
zwanzigjähriger  Arbeit  hatte  er  für  den  Osten  der  Monarchie  diese 
Aufgabe  gelöst,  als  er  sich  197  anschickte,  sein  Programm  auch  für 
die  Lande  westlich  vom  Taurus  durchzuführen.  Dazu  aber  gehörte 
auch  die  Okkupation  Thrakiens  und  —  wie  Colin  und  Kromayer  ver- 
gessen hervorzuheben  —  Makedoniens,  wie  denn  nicht  nur  Seleukos  I., 
sondern  noch  Antiochos  I.  sich  als  Könige  von  Makedonien  bezeichnet 
haben  (s.  S.  180,  167).  Darin  liegt  der  tiefste  Grund  des  eigentüm- 
lichen Verhaltens  der  beiden  Verbündeten  zueinander,  die  noch  204 
beim  Tode  Philopators  eiu  Herz  und  eine  Seele  gewesen  waren. 


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Thomas  Lenschau. 


Antiochos  rührte  keinen  Finger  im  zweiten  makedonischen  Krieg,  da 
ihm  eine  Schwächung  seines  Rivalen  nicht  unlieb  war,  und  Philipp 
seinerseits  hatte  keinen  Grund,  192  auf  die  Seite  des  Syrers  zu 
treten,  der  nicht  minder  wie  die  Römer  sein  natürlicher  Feind  war. 
Allein  alle  angeblich  weitergehenden  Pläne  des  Antiochos,  insbesondere 
seine  Absichten  auf  Italien  erscheinen  als  eine  völlig  aus  der  Luft 
gegriffene  Behauptung,  die  der  Senat  aus  sehr  durchsichtigen  Gründen, 
ebenso  wie  seinerzeit  gegen  Philipp  in  Umlauf  setzte,  und  die  auch 
durch  die  Aufnahme  Hannibals  am  syrischen  Hofe  in  keiner  Weise 
begründet  werden  kann.  Daß  Hannibal  solche  Pläne  hegte,  und  daß 
er  den  König  dafür  zu  gewinnen  suchte,  ist  sehr  wohl  möglich,  ob- 
wohl der  Rat  Hannibals,  10  000  Mann  nach  Italien  zu  werfen,  recht 
verdächtig  klingt.  Er  würde  in  Rom  wohl  denselben  Heiterkeitserfolg 
gehabt  haben,  wie  die  angeblich  vor  einigen  Jahren  ausgesprochene 
Absicht  eines  auswärtigen  Monarchen,  im  Fall  eines  deutsch- 
französischen Krieges  100  000  Mann  nach  Schleswig-Holstein  zu 
werfen.  Hannibal,  der  die  Kraft  Roms  kannte,  hat  unmöglich  ge- 
glaubt, mit  einer  solchen  Handvoll  den  Siegern  im  zweiten  punischen 
Kriege  auf  ihrem  eigenen  Boden  entgegentreten  zu  können,  die  Zahl 
ist  offenbar  nach  der  Stärke  des  Kontingents  angesetzt,  das  der 
König  nachher  tatsächlich  zur  Insurgierung  Griechenlands  aufzubringen 
vermochte.  Aber  sei  dem,  wie  ihm  wolle,  sicher  ist  doch,  daß  diese 
Pläne  Hannibals  ins  Wasser  fielen,  worin  sich  m.  £.  nur  die  nüchterne 
Politik  des  Königs  zeigt,  der  sich  auf  so  weitgehende  Unternehmungen 
mit  Recht  nicht  einlassen  wollte,  nicht  etwa  seine  Unfähigkeit,  die 
„einen  Hannibal  in  ihren  Diensten  hatte  und  ihn  nicht  zu  benutzen 
verstand". 

Der  beste  Beweis  aber  dafür,  daß  auch  hier  wie  im  Fall  mit 
Philipp  der  Senat  den  Krieg  absichtlich  herbeigeführt  hat,  liegt,  wie 
auch  Colin  S.  187  hervorhebt,  im  ganzen  Verlaufe  des  Kon- 
flikts selber.  Noch  im  Jahre  192  schickt  der  Senat,  auf  das  bloße 
Gerücht  hin,  Antiochos  habe  den  Hellespont  überschritten  —  was 
sich  natürlich  später  als  falsch  erwies  —  ein  konsularisches  Heer, 
d.  h.  etwa  25  000  Mann,  nach  Illyrien,  ohne  auch  nur  das  Volk 
darüber  zu  befragen,  ob  es  den  Krieg  wolle.  Jetzt  sah  sich  auch 
Antiochos  genötigt,  nach  Griechenland  zu  gehen;  daß  er  für  diesen 
Zweck  nur  10  000  Mann  aufbringen  konnte,  zeigt  deutlich,  wieviel 
von  der  Annahme  einer  aggressiven  Politik  auf  seiner  Seite  zu  halten 
ist.  Schon  am  26.  Janr.,  also  ganz  ungewöhnlich  früh,  läßt  Acilius 
Glabrio  das  zweite  konsularische  Heer  in  Brundusium  zusammen- 
kommen, so  daß  die  Römer  bereits  im  März  mit  fünffacher  Überlegenheit 


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Jahresbericht  über  griechische  Geschichte  (1903-1906).  215 

dem  König  entgegentreten  können.  Das  alles  zeigt,  ganz  abgesehen 
von  den  sehr  bedeutenden  Konzessionen,  zu  denen  sich  der  König 
wiederholt  bereit  erklärte,  doch  hinlänglich  deutlich,  auf  wessen  Seite 
der  Wille  zum  Kriege  vorhanden  war.  Was  übrigens  die  Kenntnis 
der  kriegerischen  Vorgänge  selber  betrifft,  so  ist  sie  durch  die  ein- 
dringende Behandlung,  die  Kromayer  auch  diesem  Feldzug  hat  an- 
gedeihen  lassen,  wesentlich  gefördert  worden.  Sowohl  der  Kampf 
in  den  Thermopylen  wie  die  Schlacht  bei  Magnesia  geben  keinen 
geringen  Begriff  von  den  strategischen  Fähigkeiten  des  Königs,  der 
insbesondere  bei  der  Entscheidungsschlacht  den  Feind  auf  ein  für 
ihn  wenig  vorteilhaftes  Gelände  zu  locken  wußte.  Die  Darstellung 
der  Vorgänge  vor  dem  Kampfe  ist  Krom.  m.  E.  sehr  gut  gelungen, 
weniger  die  des  Kampfes  selber.  Daß  Eumenes  II.  der  Ruhm  des 
Tages  gebührt,  wird  allerdings  nicht  zu  bezweifeln  sein;  aber  un- 
begreiflich bleibt  es,  daß  Antiochos  trotz  seines  schnellen  Sieges  und 
trotz  der  Nähe  des  römischen  Lagers,  vor  dessen  Wällen  er  sofort 
umkehrte,  doch  zu  spät  kam,  um  seiner  Phalanx  im  Zentrum  Luft 
zu  machen.  „Nur  wenige  hundert  Meter  trennten  den  Schauplatz 
von  Sieg  und  Niederlage",  sagt  Krom.  (S.  195),  so  daß  es  sich  nur 
um  Minuten  gehandelt  haben  kann.  Um  so  unbegreiflicher  erscheint 
es,  daß  die  Phalanx ,  der  doch  auch  Krom.  gar  keine  unbedeutende 
Widerstandskraft  zutraut  (S.  191  ff.),  bereits  in  völliger  Auflösung 
war,  als  Antiochos  eintraf.  Das  Unbefriedigende  in  dieser  Darstellung 
des  Verlaufes  scheint  übrigens  Krom.  selbst  nicht  entgangen  zu  sein, 
wie  seine  Schlußbemerkungen  auf  S.  195  erkennen  lassen. 

Unmittelbar  nach  der  Schlacht  unterwarf  sich  Antiochos  den 
Bedingungen  der  Römer;  länger  dauerte  der  Widerstand  seiner 
griechischen  Bundesgenossen,  bis  endlich  auch  hier  durch  Vermittlung 
von  Athen  und  Rhodos  der  Friede  mit  den  Ätolern  zustande 
kam.  Indessen  brachte  er  eine  wesentliche  Verschärfung;  während 
in  den  Präliminarien  festgesetzt  war,  daß  nur  die  seit  dem  Übergang 
des  L.  Cornelius,  d.  h.  seit  190  in  die  Gewalt  der  Römer  geratenen 
Städte  ihnen  verbleiben  sollten,  enthielt  die  vom  Senat  festgesetzte 
endgültige  Fassung  die  Bestimmung,  daß  alle  unter  L.  Quinctius  und 
Cn.  Domitius  (192)  oder  später  gewonnenen  Städte  von  den  Ätolern 
abzutreten  seien  (Pol.  21,  30,  4  vgl.  mit  32,  13).  Nun  macht  Voll- 
g raff  mit  Recht  darauf  aufmerksam,  daß  Liv.  von  dieser  Verschärfung 
nichts  weiß,  indem  nach  ihm  gleich  bei  den  Präliminarien  (38,  9) 
das  Jahr  192  festgesetzt  wird,  und  schließt  daraus,  Livius  habe  hier 
absichtlich  gefälscht,  um  die  Milde  des  Senats  mehr  hervortreten  zu 
lassen.   Ob  es  so  ganz  ausgeschlossen  ist,  daß  Liv.  hier  einer  andern 


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Thomas  Lenschau. 


Quelle  folgt,  wie  V.  will,  möchte  ich  nicht  entscheiden ;  möglich  bleibt 
auch,  daß  Liv.  hier  in  eine  seiner  gewöhnlichen  Flüchtigkeiten  ver- 
fallen ist  und  die  endgültige  Bestimmung  versehentlich  in  die  Prä- 
liminarien hineinsetzte.  Übrigens  muß,  da  es  unter  diese  Bestimmung 
fiel,  damals  auch  Herakleia  in  Trachis  aus  dem  ätolischen  Bunde 
ausgetreten  sein ;  wenn  es  trotzdem  nach  den  delphischen  Freilassungs- 
urkunden in  den  Jahren  184,  176,  175  als  Bundesglied  erscheint,  so 
schließt  V.  wohl  mit  Recht,  daß  es  zu  den  südthessalischen  Städten 
gehörte,  die  Philipp  in  der  Konvention  von  Tempe  185  wieder  heraus- 
geben mußte  (Pol.  32,  9  =  Liv.  39,  24),  und  sich  dann  den  Ätolern 
wieder  anschloß.  Beloch  und  Pomtow  nehmen  an,  daß  die  Stadt  erst 
168  sich  vom  Bunde  trennte. 

Über  die  inneren  Verhältnisse  der  beiden  großen  Bünde  handeln 
zwei  Arbeiten,  die  zwar  eigentlich  unter  den  Staatsaltertümern  zu 
besprechen  wären,  aber  wegen  ihres  historischen  Interesses  hier  Er- 
wähnung verdienen:  in  beiden  dreht  sich  die  Untersuchung  um  Zahl 
und  Kompetenz  der  Bundesversammlungen.  Daß  es  neben  der  großen 
Versammlung  derÄtoler  in  Thermon,  die  unmittelbar  nach  der 
Herbst-Tag-  und  Nachtgleiche  stattfand,  noch  eine  zweite  gegeben  hat, 
ist  von  H  o  1 1  e  a  u  x  aus  inschriftlichen  und  literarischen  Quellen  er- 
wiesen. Zwar  in  den  erhaltenen  Partieen  des  Polybios  findet  sieb 
nichts,  was  darauf  hindeutet,  wohl  aber  nennt  Liv.  31,  32  zwei  Ver- 
sammlungen, Panaetolicum  et  Pylaicum  concilium,  in  denen  allein  über 
Krieg  und  Frieden  beschlossen  werden  konnte.  Nun  ist  es  seit 
Nissens  einleuchtender  Bemerkung  unzweifelhaft,  daß  Pylaicum  con- 
cilium ein  Mißverständnis  des  Livius  für  rt  tö>v  Bepjux&v  juvoö<k 
ist,  d.  h.  also  für  die  große  Herbstversammlung;  was  ist  aber  dann 
das  Panaetolicum?  Beide  zu  identifizieren,  verbieten  Stellen  wie 
Liv.  31,  29,  1;  35,  32,  7,  und  da  nun  zugleich  in  mehreren  In- 
schriften die  riavatTtoXoca  erwähnt  werden  (Ditt.  syll.  2  280  wohl  ans 
202  und  IG  IX  \  411  aus  späterer  Zeit),  so  wird  man  wohl  mit  Holl, 
eine  zweite  Versammlung  annehmen  müssen,  die  nach  der  Reihenfolge 
der  Ereignisse  bei  Liv.  31,  28  u.  32  am  Anfang  des  Jahres  statt- 
gefunden haben  muß.  Noch  Genaueres  ergibt  die  Vergleichung  mit 
BCH.  XXVI,  282  ff.,  wonach  sie  kurz  vor  die  Frühjahrspylaia,  d.  h. 
Febr./März  fiel.  Der  Ort  wechselte  wahrscheinlich  im  Gegensatz  zur 
großen  Herbstversammlung,  die  stets  in  Thermon  zusammenkam,  und 
es  ist  sehr  wohl  möglich,  daß  es  dies  Frühjahrskonzil  war,  nach 
dessen  Muster  Philopoimen  189  auch  im  achäischen  Bunde  einen 
Wechsel  des  Versammlungsortes  einführte,  wie  Holl,  annimmt. 

Komplizierter  liegt  die  Sache  bei  den  achäischen  Bundes- 


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Jahresbericht  über  griechische  Geschichte  (1903—1906).  217 

Versammlungen,  über  die  zwei  neue  Abhandlungen  von  Beloch 
(III,  2,  181  ff.)  und  Francotte  vorliegen.  Mit  Recht  geht  Fr.  von 
der  Stelle  Polyb.  29,  23,  dem  Hilfsgesuch  deT  beiden  Ptolemaier, 
aus.  Aus  dem  dort  geschilderten  Verfahren  ergibt  sich  mit  Sicher- 
heit, daß  in  gewissen  Fällen,  die  Pol.  22,  16  aufzählt  (Krieg,  Bündnis, 
Botschaften  vom  Senat),  die  aövoSoc  nicht  kompetent  war,  sondern 
daß  alsdann  eine  007x^x0*  berufen  werden  mußte.  Dazu  stimmen 
Polyb.  38,  9 — 11,  wo  der  Krieg  von  146  gegen  Lakedaimon,  in 
Wirklichkeit  gegen  Rom,  in  einer  ou-pri^to?  beschlossen  wird,  und 
die  Inschrift  Ditt.  syll.  308,  wonach  die  Oropier  bei  der  auvoSo? 
gewesen  sind  und  von  dieser  an  die  aö-pcXifjTOc  verwiesen  werden. 
Die  beiden  Kompetenzen  waren  demnach  getrennt,  und  von  vorn- 
herein ist  es  daher  nicht  gerade  wahrscheinlich,  daß  die  auvo&o? 
ebenfalls  das  Recht  hatte ,  über  Krieg  und  Frieden  zu  entscheiden, 
worauf  Fr.  S.  8  mit  Recht  hinweist.  Dies,  aber  behaupten  bekanntlich 
Lipsius  und  Busolt;  Lipsius  besonders  im  Hinblick  auf  die  Stelle 
Polyb.  33,  16,  die  indessen  m.  £.  von  Francotte  S.  9  durchaus  be- 
friedigend erklärt  wird,  während  Busolt  für  seine  Ansicht,  die  aovoöoc 
habe  über  Kriege  zum  Schutz  des  achäischen  Besitzstandes  die  Ent- 
scheidung gehabt,  besonders  die  beiden  Fälle  aus  älterer  Zeit  II, 
46,  5  und  IV,  25 — 26  heranzieht.  Allein  an  diesen  beiden  Stellen 
handelt  es  sich  um  einen  besonderen  Fall,  den  auch  Fr.  nicht  ge- 
nügend beachtet,  nämlich  darum,  daß  während  der  ordnungsmäßigen 
Sitzung  der  auvoSoc  zugleich  auch  die  a&yxkTpQs  tagt.  Das  ergibt  sich 
m.  E.  deutüch  aus  Pol.  4,  7,  1  ol  8'  'A^atot  (d.  h.  die  Gesamtheit), 
xafojxoüCJTjc  autoic  {xrfi)  ix  täv  v^ficov  aov68ou  (d.  h.  während  der 
gesetzmäßigen  Tagung  der  guvoSoc)  ^xov  I;  Afyov,  aoveXö^vre?  8e  efc 
rijv  ixxtajafatv  (natürlich  die  Gesamtheit,  die  au-pd^-coc).  Ebenso  ist 
IV,  26,  7  o£  8'  'Ax*1^  <JoveX86vrsc  &  xr^v  xafrqxoudav  auvoSov  zu  über- 
setzen „nachdem  die  Gesamtheit  der  Achäer  zu  der  damals  fälligen 
Sitzung  der  <juvo8ocu  zusammengekommen  war.  Es  ist  also  an  beiden 
Stellen  die  ooyxXijtoc,  nicht  die  auvo8oc,  die  hier  über  den  Krieg 
beschließt,  und  nur  scheinbar  widerspricht  dem  IV,  7,  5:  wer  hier 
beschließt,  ist  die  au^xX^xoc,  und  nur  die  Ausführung  wird  der  Heeres- 
versammlung übertragen,  ebenso  wie  146  die  Ausführung  des  Krieges 
den  kommenden  Strategen  38,  11,  7  übertragen  ward,  was  Polybios 
als  ungesetzlich  brandmarkt.  Gab  es  also  au*ptXi]Toc  und  auvoSoc  mit 
getrennten  Befugnissen,  so  ist  die  dritte  mehrfach  von  Polybios  an- 
gewandte Bezeichnung  ßooXq  offenbar  mit  einer  der  beiden  erst- 
genannten zu  identifizieren,  und  dann  kann  dies  nur,  wie  Beloch  richtig 
hervorhebt,  die  auvo8oc  sein.    Nimmt  man  das  an,  so  löst  sich  die 


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218 


Thomas  Lenschau. 


Schwierigkeit  bei  Polyb.  28,  8,  7 — 10,  die  Lipsius  und  Francotte 
zu  schaffen  macht.  Die  ixxXr^afo,  zo  der  die  römischen  Gesandten 
kommen,  ist  die  airptXTjTo;,  die  ja  für  Botschaften  vom  Senat  allein 
zuständig  ist ,  und  die  ßouXiq  in  Aigion  ist  die  in  der  gesetzlichen 
Zeit  tagende  auvoSoc  Ebenso  ist  4,  26,  7  zu  erklären,  und  22,  10 
vereinigt  sich  sogar  sehr  gut  damit,  wo  Eumenes  die  Mittel  bereit 
stellt  für  das  juaöoSomadat  ttjv  ßooX?jv  täv  'A^aiSv  iit\  xatcxotvaK 
oov68otc.  Auf  diese  Weise  erhält  die  Bundesverfassung  etwas  sehr 
Durchsichtiges  und  dem  Einzelstaat  Konformes,  indem  die  aovo&K 
der  ßooXig  im  Einzelstaat,  die  auptXr,Toc  der  IxxXr^ata  entspricht, 
woher  es  denn  auch  kommt,  daß  Polybios  die  Ausdrücke  des  Einzel- 
staates für  die  Bundesbehörden  einsetzt.  Daß  dies  Verhältnis  von 
der  Theorie  geradezu  gefordert  wird,  hat  m.  E.  Francotte  sehr  schön 
in  der  Auseinandersetzung  S.  11  gezeigt;  aHein  er  selber  wirft  dann 
aovooo?  und  aufxX^xoc  zusammen:  beide  sind  ihm  ihrer  Zusammensetzung 
nach  identisch  (S.  19).  Aber  hat  es  je  in  Griechenland  irgendwo  eine 
engere  und  eine  weitere  Volksversammlung  nebeneinander  gegeben? 

Unmittelbar  nach  dem  Kriege  gegen  Antiochos  begegnet  man  auch 
im  ägäischen  Meere  häufiger  den  Spuren  der  Römer.    Dahin  gehört 
das  Ehrendekret  von  Delos  für  P.  Cornelius  Scipio,  offenbar  den 
Afrikaner,  der  sich  damals  auf  der  Rückreise  nach  Rom  befand  (BCH. 
28,  271  ff.);  noch  etwas  früher  fällt  das  für  P.  Cornelius  Scipio  Cn. 
(die  Inschr.  hat  KA)  filius,  der  als  axpavrflbs  Girato?  bezeichnet  und  von 
den  Herausgebern  (BCH.  29,  98)  mit  Nasica,  dem  Konsul  von  191 
identifiziert  wird.    Dennoch  war  der  römische  Einfluß  hier  noch 
keineswegs  vorherrschend.    Um  dieselbe  Zeit,  wo  Scipio  in  Delos 
geehrt   ward,   mißglückte  ein   römischer  Einmischungsversuch  auf 
Kreta  vollständig  (Cardin ali,  Creta  p.  15  ff.);  die  Kreter  wußten 
die  bereits  während  des  Krieges  mit  Antiochos  bewiesene  Unabhängig- 
keit zu  bewahren.    Fünf  Jahre  später,  184,  hatten  die  Römer  mehr 
Glück,  indem  sie  sich  bei  einem  der  vielen  kleinen  Kriege  einmischten, 
von  denen  die  Insel  dauernd  zerrissen  ward.  Diesmal  standen  Kydonia 
und  Gortyn  zusammen  gegen  Knossos,  das  189  noch  im  Bund  mit 
Gortyn  gegen  Kydouia  gewesen  war,  und  es  gelang  den  römischen 
Gesandten,  einen  allgemeinen  Landfrieden  sowie  ein  Bundeagericht 
herzustellen,  dem  die  meisten  Städte  beitraten.    Doch  hielt  sich 
Kydonia  fern,  wie  es  auch  bei  dem  großen  Bunde  nicht  beteiligt 
war,  den  31   kretische  Städte  im  Juni   183  mit  König  Eumenes 
schlössen;  offenbar  war  damals  die  Stadt  das  Haupt  der  römerfeind- 
lichen Partei,  wie  Cardinali  in  seiner  Darstellung  dieser  Vorgänge 
a.  a.  0.  vermutet. 


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Jahresbericht  über  griechische  Geschichte  (1903—1906).         21  9 

Der  Beweggrand  zu  dem  oben  genannten  Bündnis  lag  für 
Enmenes  offenbar  in  den  vielen  Kriegen,  die  er  damals  kurz 
hintereinander  zu  führen  hatte.  Sie  begannen,  wie  Meischke 
wahrscheinlich  gemacht  hat,  185  mit  dem  Kampf  gegen  Prusias,  der 
aber  bereits  183  auf  Geheiß  der  Römer  beendet  ward.  Daß  damals 
zum  Andenken  an  den  Sieg  über  Prusias  und  seine  gallischen  Bundes- 
genossen die  Ntxr^öpia  in  Pergamon  eingesetzt  wurden,  sucht 
Cardinali  zu  zeigen  (109  ff.).  Es  folgt  unmittelbar  darauf  der  Krieg 
gegen  Pharnakes  I.  von  Pontos,  der  188  Sinope  überfiel  und,  wie  es 
scheint,  durch  Verrat  eroberte,  um  es  dann  zu  seiner  Residenz  zu 
machen  (Robinson,  ancient  Sinope  p.  230  ff.).  Gegen  das  Ende  dieses 
Kampfes  entstanden  die  Differenzen  mit  den  Rhodiera,  die  die  Sperrung 
des  Hellesponts  verhinderten,  und  gegen  die  der  König  wahrscheinlich 
die  Kreter  gut  brauchen  konnte.  Mit  dem  Jahre  179  schließen  alle 
diese  Streitigkeiten  für  Eumenes  günstig  ab;  sein  Hauptgegner 
Pharnakes  I.  hatte  sich  172/1  noch  nicht  ganz  von  den  erlittenen 
Verlusten  erholt,  wie  das  große  von  Dürrbach  und  Jarde*  heraus- 
gegebene Ehrendekret  der  Athener  für  ihn  beweist  (BCH.  29,  169  ff.), 
dessen  Datierung  übrigens  gewisse  Schwierigkeiten  bietet.  Der  im 
Anfang  erwähnte  Archon  Tychandros  kann  nach  dem  Fergusonschen 
Gesetz  nur  172/1  oder  160/59  amtiert  haben,  und  zwar  kann,  da  es 
sich  um  Pharnakes  I.  handelt,  nur  die  erste  Zahl  in  Betracht  kommen. 
Dem  steht  auch  die  zweite  Inschrift  aus  dem  Jahre  des  Tychandros 
IG.  II,  1,  436  nicht  im  Wege,  insofern  in  ihr  Dicht  vom  Tode  des 
Eumenes,  sondern  von  einer  vorübergehenden  Abgabe  der  Regierung 
die  Rede  ist,  die  gerade  ins  Jahr  172/1  fiel,  und  endlich  wird  die 
Ansetzung  auch  durch  den  neuentdeckten  Turnus  der  Asklepios- 
priester  bestätigt.  Die  Schwierigkeit  liegt  nur  darin,  daß  dies 
athenische  Dekret  in  Dolos  aufgestellt  worden  ist,  ohne  daß  in  ihm 
die  Einholung  der  Erlaubnis  der  delischen  Behörden  erwähnt  wäre, 
was  nur  unter  der  Voraussetzung  zu  erklären  ist,  daß  die  Insel  bereits 
wieder  athenisch  war.  Allein  diese  Rückgabe  fand  erst  166  statt. 
Dennoch  wird  man  wohl  an  der  Datierung  der  Herausgeber  festhalten 
müssen,  zumal  Pharnakes  166  aller  Wahrscheinlichkeit  gar  nicht  mehr 
regierte.  Möglicherweise  ist  der  Beschluß  nur  eine  Kopie  des  echten 
Dekrets  aus  dem  Jahre  172/1,  die  später  nach  166  aus  irgendwelchen 
Gründen  in  Delos  aufgestellt  ward.  Übrigens  erkennen  die  Herausgeber 
in  der  Königin  Nysa,  Tochter  des  Königs  Antiochos  und  der  Königin 
Laodike,  also  unzweifelhaft  einer  seleukidischen  Prinzessin,  nicht  die 
vierte  Tochter  Antiochos  III.  und  der  Ladike,  die  bereits  193  Eumenes 
angeboten  ward  und  sich  also  schon  damals  im  heiratsfähigen  Alter 


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Thomas  Lenschau. 


befand,  sondern  eher  die  Tochter  seines  Sohnes  and  Mitregenten 
Antiochos,  der  mit  seiner  leiblichen  Schwester  Laodike  verheiratet 
war  und  198  nach  dreijähriger  Ehe  starb.  Doch  ist  von  Kindern 
desselben  sonst  nichts  Überliefert. 

Inzwischen  vollzog  sich  gegen  die  Mitte  der  siebziger  Jahre  ein 
Umschwung  in  den  politischen  Verhältnissen  des  Ostens,  der,  wie  es 
scheint,  mit  der  Unterstützung  Antiochos  IV.  durch  Euraenes  einsetzt. 
Diese  erste  Regung  einer  selbständigen  Politik  von  seiten  des  er- 
gebenen Römerfreundes  legte  wahrscheinlich  den  Grund  zu  einer 
tiefen  Verstimmung  des  Senats,  der  er  denn  freilich  klugerweise  erst 
nach  Pydna  Ausdruck  gab.  Möglich  ist  es,  daß  hiermit  auch  die 
Veränderung  in  Kreta  zusammenhängt.  Seit  174  herrschte  trotz 
aller  Vermittlungsvorschläge  Roms  von  neuem  Krieg  auf  der  Insel, 
171,  wie  es  scheint  (Cardinali,  Creta  p.  24),  war  Apollonia  von  den 
Kydoniaten  zerstört,  und  diese  waren  dafür  von  Gortyn  aus  an- 
gegriffen worden.  In  ihrer  Not  wandten  sie  sich  an  Eumenes  IL, 
der  auch  sofort  Hilfe  sandte,  ein  Beweis,  daß  damals  die  Gruppierung 
tier  Mächte  sich  wieder  einmal  gründlich  geändert  hatte;  188  noch 
war  Gortyn  unter  den  31  Verbündeten  des  Königs  gewesen,  während 
damals  Kydonia,  die  römerfeindliche,  beiseite  stand.  Im  übrigen 
schlug  der  Versuch  der  Römer,  die  Insel  in  dem  herannahenden 
Kampf  mit  Perseus  für  sich  zu  gewinnen,  wiederum  völlig  fehl; 
wenn  sich  die  Insel  auch  neutral  hielt,  so  stand  sie  mit  ihren  Sym- 
pathien doch  völlig  auf  Seiten  des  Königs ,  wie  sich  aus  der  Stärke 
der  auf  beiden  Seiten  kämpfenden  Kontingente  der  Kreter  ergibt. 
Überhaupt  ist  es  interessant,  zu  sehen,  wie  sich  trotz  aller  inneren 
Zwistigkeiten  die  Insel  sofort  fast  instinktiv  bei  jedem  Eingreifen  der 
Römer  gegen  diese  zusammenschließt  und  auf  diese  Weise  ihre  Un- 
abhängigkeit länger  als  irgendein  anderer  griechischer  Stamm  bewahrt 
(Cardinali  a.  a.  0.).  Anderseits  herrschte  im  Osten  der  Insel,  wo 
das  Ptolemäerreich  in  Itanos  eine  Art  Protektorat  besaß,  immer 
noch  ägyptischer  Einfluß,  wovon  unter  anderem  die  Inschriften  BCH. 
1900,  S.  238  und  IG.  XII  3,  466  Zeugnis  ablegen  (vgl.  auch  Hiller  v.  G. 
in  der  S.  159  genannten  Arbeit);  erst  nach  Philometors  Tode  145 
wurde  die  ägyptische  Besatzung  zurückgezogen,  worauf  auch  das 
Protektorat  ein  Ende  nahm. 

Die  zweite  Hälfte  der  siebziger  Jahre  steht  bereits  unter  dem 
Zeichen  des  heraufziehenden  Konflikts  zwischen  Rom  und 
Makedonien;  gegen  172  hin  nahm  die  Spannung  einen  stellenweise 
unerträglichen  Charakter  an.  Seit  längerer  Zeit  hatte  in  Rom  die 
Reaktion  gegen  den  Philhellenismus  schärfer  eingesetzt,  und  sie  fand 


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Jahresbericüt  über  griechische  Geschichte  (1903— 1906).  221 

ihre  beste  Nahrung  in  dem  Wiedererstarken  des  makedonischen 
Königtums,  das  Rom  vergeblich  zu  verhindern  gesucht  hatte.  Je  mehr 
die  Griechen  die  römische  Freundschaft  in  der  Nähe  kennen  lernten, 
um  so  wünschenswerter  mußte  ihnen  ein  Zustand  erscheinen,  in  dem 
Rom  und  Makedonien  einander  die  Wage  hielten.  Unter  diesen  Ver- 
hältnissen war  eine  Auseinandersetzung  beider  Mächte  unvermeidlich, 
und  nur  das  bleibt  fraglich,  ob  Perseus  wirklich,  wie  zuerst  Polybios 
zu  zeigen  versucht  hat,  die  Schuld  des  Krieges  beizumessen  ist,  oder  ob 
nicht  auch  hier  der  Senat  aus  Besorgnis  vor  der  wachsenden  Macht 
des  Königs  zum  Kriege  gedrängt  hat,  wie  Colin  S.  383  ff.  die  Sache 
darstellt.    Für  Colins  Auffassung  spricht  ebensosehr  die  Politik  der 
Nadelstiche,  die  der  Senat  gegen  Philipp  und  später  gegen  Perseus 
anwandte,  und  die  doch  keinen  andern  Zweck  haben  konnte,  als  den 
Gegner  zum  Kampf  zu  reizen,  wie  die  oft  bewiesene  Friedensliebe 
des  Königs,  der  auch  während  des  Krieges  nicht  müde  ward,  seine 
Bereitwilligkeit  zu  Verhandlungen  zu  beteuern.  In  der  Tat  wäre  eine 
Verständigung  möglich  gewesen,  da  Perseus  kaum  mehr  als  anständige 
Behandlung  forderte.  Anderseits  spricht  gegen  die  bewußte  Absicht, 
mit  der  der  Senat  den  Krieg  herbeigeführt  haben  soll,  die  ganz  er- 
bärmliche Kriegführung  der  Römer,  die  erst  im  dritten  Jahr  die 
Kooperation  der  Flotte,  im  vierten  die  Aufstellung  einer  zweiten 
Angriffsarmee  ins  Auge  faßten  (Krom.  S.  254  ff.)   Das  läßt  doch  eher 
darauf  schließen,  daß  man  in  Rom  recht  schlecht  vorbereitet  war 
und  eher  durch  den  Ausbruch  des  Krieges  überrascht  ward,  woraus 
sich    denn    auch    psychologisch    ganz    gut    das    in   Rom  vielfach 
herrschende  Gefühl  erklärt,  daß  man  der  angegriffene  Teil  sei.  Wenn 
also  auch  an  Roms  Bereitwilligkeit  zum  Kriege,  der  ohnehin  in  der 
Richtung  der  römischen  Politik  lag,  nicht  zu  zweifeln  ist,  so  tragen 
doch  offenbar  die  Hauptschuld  an  dem  schnellen  Ausbruch  des  Krieges 
die  Hetzereien  der  Kleinstaaten,  vor  allem  des  Eumenes,  der  seit 
Perseus'  Heirat  mit  einer  Tochter  Seleukos  IV.  und  seiner  Ver- 
schwägerung mit  Prusias  sich  einer  Politik  der  Einkreisung  verfallen 
glaubte  und  sich  auf  diese  Weise  seines  gefährlichsten  Feindes  zu 
entledigen  hoffte.   Eben  um  den  Krieg  zu  schüren,  ging  er  172  nach 
Rom;  mit  welchem  Erfolge,  zeigt  die  plötzliche  Beschleunigung  der 
Entwicklung,   die  bereits  im  folgenden   Jahre  den  Ausbruch  des 
Kampfes  herbeiführte.    Auch  Perseus  kannte  offenbar  seinen  gefähr- 
lichsten Gegner  —  auf  dem  Rückwege  fiel  Eumenes  bei  Delphi  fast 
einem  Attentat  zum  Opfer,  das  niemals  aufgeklärt  worden  ist.  Die 
Wunde  war  schwer ,  und  der  König  genas  nur  langsam ,  so  daß  er 
sogar  eine  Zeitlang  totgesagt  wurde,  was  dann  zu  allerhand  lächer- 


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Thomas  Lenschau. 


liehen  Konsequenzen  führte.  Auf  die  falsche  Nachricht  hin  hatte  sein 
Bruder  Attalos  bereits  Thron  und  Königin  in  Besitz  genommen  ,  als 
der  Totgeglaubte  plötzlich  wieder  in  Pergamon  erschien.  Als  einen 
urkundlichen  Beweis  für  diese  Ereignisse  betrachtet  Ferguson  die 
eigentümliche  Inschrift  Ditt.  or.  302  urfcp  ßaai)iaK  Eujjivoo?  cpiXaö^Xcpou 
deoö.  Da  das  Oirip  nur  auf  Lebende  geht  (Ditt.  or.  p.  648),  ander- 
seits die  pergamenischen  Herrscher  erst  nach  ihrem  Tode  zu  Göttern 
erklärt  wurden,  so  muß  die  Inschrift  in  einem  Augenblick  verfaßt 
sein,  als  sich  die  Nachricht  verbreitete,  daß  König  Eumenes 
lebe,  während  er  offiziell  noch  als  tot  und  göttlich  betrachtet  ward. 
Ob  der  Schluß  zwingend  ist,  muß  nach  der  Auffindung  des  königlichen 
Briefes  an  die  Milesier  (Berl.  S.  B.  1904,  S.  86  f.)  als  zweifelhaft 
erscheinen ;  wenn  Eumenes  in  Milet  ein  xiu-evoc  erhielt,  so  ist  er  dort 
doch  wohl  auch  als  Gott  verehrt  worden,  und  zwar  bei  seinen  Leb- 
zeiten. Über  alle  diese  Dinge  handelt  ausführlich  Cardinali  (Pergamo 
S.  145  ff.),  der  allerdings  die  genannte  Inschrift  in  die  Zeit  Attalos  11. 
verlegt  (S.  153  A.  4),  allein  dann  bleibt  das  öitfcp  unerklärt,  das  nach 
Dittenbergers  feiner  Beobachtung  nur  von  Lebenden  gebraucht  wird. 

Den  Verlauf  des  Krieges  hat  Kromayer  S.  231 — 345  in 
seinen  verschiedenen  Phasen  sehr  anschaulich  geschildert  und  dadurch 
nicht  bloß  in  einzelnen  Punkten,  sondern  auch  im  ganzen  eine  viel 
richtigere  Beurteilung  herbeigeführt.  Vor  allen  Dingen  erscheint 
Perseus  Strategie,  der  man  so  oft  seit  Polybios  Tagen  Kopflosigkeit 
und  Unfähigkeit  vorgeworfen  hat,  in  einem  wesentlich  andern  Lichte. 
Die  anfängliche  Beschränkung  auf  die  strengste  Defensive  erscheint 
durchaus  geboten ,  und  selbst  so  oft  und  hart  verurteilte  Maßregeln, 
wie  die  Aufgabe  des  Tempepasses  nach  dem  Olympübergang  und  die 
Räumung  der  festen  Stellung  am  Elpeos ,  lassen  sich  aus  den  Ver- 
hältnissen vollkommen  erklären.  Auf  der  andern  Seite  verdient  der 
Olympübergang  des  Konsuls  Q.  Marcius  Philippus  keineswegs  die 
Vorwürfe,  die  Mommsen  gegen  den  römischen  Heerführer  gerichtet 
hat.  Dennoch  kommt  im  allgemeinen  Perseus  wohl  zu  gut  bei  Krom. 
weg;  so  sehr  man  im  Anfang  die  defensive  Haltung  des  Königs 
billigen  muß,  und  so  energisch  er  auch,  besonders  im  zweiten  Jahre, 
die  Verteidigung  geführt  hat,  merkwürdig  bleibt  es  doch,  daß  er 
selbst  dann,  als  seine  zähe  Verteidigung  die  gewünschte  Wirkung 
gehabt,  als  Griechenland,  ja  selbst  Eumenes  und  die  Rhodier  wankend 
geworden  war,  nicht  den  Mut  zu  einem  energischen  Vorstoß  besaß, 
sondern  weiter  bei  seinem  Verteidigungssystem  beharrte,  das  endlich 
doch,  wenn  er  auf  sich  selbst  gestellt  blieb,  in  sich  zusammenbrechen 
mußte.  Zu  dem  Bilde  der  Unentschlossenheit,  das  sich  daraus  ergibt, 


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Jahresbericht  über  griechische  Geschichte  (1903-1906).  223 

paßt  es  denn  auch,  daß  er  schließlich  die  Schlacht  ganz  ohne  Not 
annahm;  auch  Krom.  hat  nicht  nachweisen  können,  daß  er  dazu 
gezwungen  oder  durch  besondere  Vorteile  bewogen  ward.  Hier  macht 
seine  Führung  wirklich  den  Eindruck  der  Kopflosigkeit  und  Unüber- 
legtheit, die  dann  in  seiner  hastigen  Flucht  im  Augenblick  der  Ent- 
scheidung am  augenfälligsten  zutage  tritt. 

Wahrscheinlich  in  die  Zeit  kurz  vor  Pydna  fällt  ein  von  Papa- 
basileios  herausgegebenes  Ehrendekret  von  Chalkis  für 
Herakleides  von  Soloi,  der  im  Auftrag  des  älteren  Ptolemaios  eine 
größere  Getreidesendung  für  die  in  Chalkis  stationierten  Römer 
dorthin  gebracht  hatte.  Durch  den  Beisatz  zpeaßürepo?  wird  ge- 
wöhnlich entweder  der  erste  Ptolemaios  im  Gegensatz  zu  seinem 
Sohne  Philadelphos  bezeichnet,  der  zwei  Jahre  vor  seines  Vaters 
Tode  die  Regierung  übernahm,  oder  Ptolemaios  VI.  Philometor  im 
Unterschied  von  seinem  Bruder  Euergetes  II.  oder  Physkon,  die  von 
170/69  bis  164  geroeinsam  Uber  Ägypten  herrschten.  Demgemäß 
zeigt  Wilhelm,  daß  als  Zeit  des  Dekrets  nur  die  Jahre  von  170/69 
bis  zur  Schlacht  von  Pydna  in  Frage  kommen  können,  als  das 
römische  Heer  in  der  Strandebene  am  Olympos  lag  und  wohl  zum 
Teil  von  Chalkis  her  verproviantiert  werden  mußte.  Damals  suchten 
beide  Ptolemaier  sowohl  bei  den  Achäern  wie  bei  den  Römern  Kriegs- 
hilfe gegen  Antiochos  IV.,  und  die  Getreidesendung  sollte  wohl 
das  Hilfsgesuch  unterstützen.  Nun  meint  freilich  Papabasileios,  wenn 
die  Hilfe  von  beiden  kam ,  so  sei  es  seltsam ,  daß  nur  der  ältere 
erwähnt  werde,  und  will  deshalb  die  Inschrift  entweder  vor  oder 
hinter  die  gemeinsame  Regierungszeit  der  beiden  Könige  datieren. 
Allein  vor  170'69  lag  überhaupt  kein  Grund  vor,  Philometor  als 
irpcaßoxepoc  zu  charakterisieren,  da  sein  Bruder  Physkon  damals  noch 
gar  nicht  mündig  oder  regierungsfähig  war,  und  nach  164  ist  wieder 
kein  Fall  denkbar,  daß  ein  römisches  Heer  in  oder  in  der  Nähe  von 
Chalkis  gestanden  hätte.  Es  muß  also  bei  Wilhelms  Ansatz  sein 
Bewenden  haben ;  entweder  ging  die  Sendung  wirklich  nur  von  Philo- 
metor aus  oder  dieser  bandelte  zugleich  im  Namen  seines  jüngeren 
Bruders.  Einem  ähnlichen  Fall  sind  wir  oben  in  der  seleukidischen 
Geschichte  begegnet  (vgl.  S.  197  f.).  Noch  etwas  genauer  läßt  sich 
die  Zeit  durch  ein  von  FoucartS.  344  f.  geltend  gemachtes  Moment 
bestimmen;  insofern  nämlich  die  römische  Flotte  im  Spätsommer  169 
ihr  bisheriges  Standquartier  Chalkis  verließ,  ist  es  allerdings  wahr- 
scheinlich, daß  das  Dekret  in  die  erste  Hälfte  des  Jahres  169  zu 
setzen  ist.  Über  die  damaligen  Vorgänge  in  Boiotien  handelt  Foucart 
ausführlich  in  seiner  Neubehandlung  des  SC.  von  Thisbe  170,  die 


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224 


Thomas  Lenschau. 


indessen  für  das  Verständnis  der  einzelnen  Begebenheiten  nicht  viel 
Neues  bringt. 

Die  Schlacht  von  Pydna,  die  die  Römer  zu  unbedingten  Herren 
des  Orients  machte,  hat  auch  einen  starken  Umschwung  ihrer  Politik 
herbeigeführt:  rücksichtslos  haben  sie  besonders  in  der  ersten  Zeit 
nachher  ihre  Macht  geltend  gemacht  und  die  Griechen  mit  einer  Härte 
behandelt  wie  nie  zuvor,  wozu  nicht  bloß  ihr  gesteigertes  Macht- 
bewußtsein, sondern  auch  die  Erkenntnis  beigetragen  hat,  wie  un- 
sicher ihre  Position  bis  dahin  gewesen,  wie  wenig  es  ihnen  gelungen 
war,  den  Dank  der  Griechen  sich  zu  erwerben  (Colin  S.  447  f.). 
Selbst  Eumenes  II.  bekam  es  zu  spüren,  daß  jetzt  ein  anderer  Wind 
wehte;  man  hatte  ihm  die  selbständige  Politik  in  Syrien  beim  Tode 
des  Seleukos  nicht  vergessen  und  noch  weniger  sein  Schwanken 
170/69,  als  er  mit  den  Khodiern  zugleich  den  Vermittlungsversuch 
wagte,  der  beiden  so  übel  bekommen  sollte.  Auch  konnte  es  den 
Römern  ja  nicht  entgehen,  daß  das  Ergebnis  der  drei  Kriege  die 
Schaffung  eines  neuen  griechischen  Großstaates  war,  der  sicher  nicht 
an  materiellen  Hilfsmitteln,  wohl  allerdings  an  nationaler  Geschlossen- 
heit Makedonien  nachstand,  der  aber  trotzdem  geeignet  erschien,  die 
Vormacht  des  Hellenentums  zu  werden.  Sie  begannen  ihn  also 
schlecht  zu  behandeln,  etwa  so,  wie  Philipp  nach  Kynoskephalai 
(Colin  a.  a.  0.) ,  und  die  Folge  war  eine  dauernde  Entfremdung 
zwischen  Pergamon  und  Rom,  die  erst  mit  dem  Tode  Eumenes  II. 
ein  Ende  nahm.  Biese  Mißhelligkeiten  bilden  für  Brückner  das 
Mittel,  die  Entstehung  des  Telephosfrieses  und  die  Anlage  des 
großen  Altars  zu  Pergamon  genauer  zu  bestimmen,  und  so 
viel  scheint  mir  nach  seinen  Ausführungen  unzweifelhaft:  die  Er- 
richtung fällt  in  eine  Zeit,  in  der  Pergamon  sowohl  mit  Rhodos  als 
auch  mit  dem  achäischen  Bunde  und  Athen  eng  befreundet  war. 
Dadurch  werden  zunächst  die  Zeiten  von  187/6  bis  170/69  aus- 
geschlossen, in  denen  König  Eumenes  sehr  schlecht  zum  achäischen 
Bunde  stand.  In  eben  diese  Zeit  fällt  auch  der  Gegensatz  zwischen 
den  alten  Bundesgenossen  Rhodos  und  Pergamon,  der  zuerst  188  vor 
dem  römischen  Senat  hervortrat.  Rhodier  und  Achäer  haben  von 
diesem  Zeitpunkt  ab  die  Politik  des  Pergameners,  der  der  ergebene 
Schleppenträger  Roms  und,  wenn  einer,  die  treibende  Kraft  in  der 
Vernichtung  der  hellenistischen  Reiche  war,  völlig  richtig  erkannt 
und  demgemäß  gewertet.  Also  bleibt  nur  die  Zeit  vor  187/6  oder 
nach  170/69,  und  für  diese  spätere  Zeit  entscheidet  sich  B. ,  da  in 
der  Schilderung  bei  Philostratos  auch  Thraker  als  Bundesgenossen 
erwähnt  werden:  „eine  solche  mythologische  Hegemonie  aber  über 


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Jahresbericht  über  griechische  Geschichte  (1903 — 1906). 


225 


das  binnenländische  Thrakien  konnte  Eumenes  nicht  fingieren,  so- 
lange an  die  reale  nicht  zu  denken  war"  (S.  221);  d.  h.  also  erst 
nach  der  Vernichtung  des  Antigonidenreiches  bei  Pydna.  Zu  dieser 
Zeit  paßt  al)er  auch  die  völlige  Ignorierung  Roms,  das  doch  genug 
mythische  Beziehungen  nach  der  Troas  hatte,  und  mit  dem  eben 
Eumenes  damals  schwer  brouilliert  war;  ebenso  paßt  der  deutliche 
Anlehnungsversuch  gerade  an  Staaten  wie  Rhodos  und  den  achäischen 
Bund,  die  ebenfalls  Roms  Zorn  nach  168  erfahren  hatten.  Somit 
schließt  sich  der  Versuch  des  Pergameners,  die  Griechen  zu  gewinnen, 
der  in  dem  ganzen  zugrunde  liegenden  Mythos  deutlich  hervortritt, 
an  die  großen  Feste  an,  die  167  L.  Aemilius  Paullus  in  Amphipolis, 
166  Antiochos  IV.  in  Daphne  gefeiert  hatten.  Für  eine  ähnliche 
Feier,  offenbar  zur  Verherrlichung  der  Galatersiege  des  Königs  (166), 
war  der  Mythos  ersonnen ,  und  bald  nachher ,  noch  vor  dem  Tode 
Eumenes1  II.  wird  die  Arbeit  am  Telephosfries  begonnen  sein.  — 
Mit  dem  Ergebnis  dieser  Ausführungen  Brückners  deckt  sich  auch 
Cardinalis  Ansatz  (Pergamo  S.  104  ff.),  der  allerdings  auf  anderem 
Wege  gewonnen  ist;  besonders  macht  er  darauf  aufmerksam,  daß 
eben  jene  glänzende  Verherrlichung  des  Gallierkampfes  in  der  perga- 
menischen  Kunst  ein  stummer  Protest  gegen  die  Handlungsweise  des 
Senats  war,  der  den  König  um  die  Frucht  seines  Sieges  betrogen 
hatte,  und  daß  gerade  damals  Eumenes  den  Beinamen  Soter  annahm. 
Wenigstens  glaube  ich  kaum,  daß  das  ein  Zufall  ist ;  vielleicht  wollte 
er  sich  den  Griechen  dadurch  als  Hort  des  Hellenentums  empfehlen, 
daß  er  den  Beinamen  des  ersten  Antiochos  sich  beilegte,  der  hundert 
Jahre  früher  den  Sieg  gegen  die  fremden  Unholde  gewonnen  hatte. 
Wie  wenig  sich  das  für  ihn  schickte,  der  zur  Demütigung  des 
glänzenden  Seleukidenhauses  am  meisten  beigetragen  hatte,  das  hat 
Eumenes  schwerlich  bedacht:  Takt  pflegt  solchen  Parvenüs,  wie  er 
einer  war,  nun  einmal  nicht  gegeben  zu  sein. 

So  scheint  sich  manches  zusammenzuschließen,  um  Brückners 
Vermutung  zu  bestätigen,  wenn  nicht  schließlich  ein  Bedenken  bliebe. 
Konnte  der  Mann,  der  dreißig  Jahre  lang  alles  für  die  Vernichtung 
der  hellenischen  Reiche  des  Ostens  eingesetzt  hatte,  wirklich  erwarten, 
daß  sein  Liebeswerben  um  die  Gunst  der  Griechen  Erfolg  habe? 
Wußte  doch  jedermann,  daß  er  den  Judas  gespielt  hatte.  Wenn  der 
achäische  Bund  auf  Polybios  Antrag  ihm  170/69  die  jahrelang  ver- 
sagten Ehren  zurückgab,  so  geschah  das  eben  in  jenem  ereignisvollen 
Wfinter,  der  einen  Augenblick  den  Traum  einer  Gesamterhebung  des 
griechischen  Ostens  gegen  das  verhaßte  Rom  zu  verwirklichen  schien. 
Aber  nach  dem  Sturz  Makedoniens  fiel  der  Groll  der  Griechenwelt 

Jahresbericht  für  Altertumswissenschaft.   Bd.  CXXXV.  15 


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226 


Thomas  Lenschau. 


erst  recht  auf  den  Pergamener  zurück ;  wir  haben  Spuren  genug,  daß 
Eumenes  damals,  und  mit  Recht,  der  bestgehaßte  Mann  des  Ostens 
war.    Daran  ändert  auch  die  Bemerkung  des  Polybios  31,  10,  6 
nichts,  deren  Zusammenhang  wir  nicht  kennen,  und  die  ohnehin  erst 
in  die  allerletzten  Jahre  des  Königs  gehört,  noch  auch  der  Umstand, 
daß  ihm  Milet  damals  aus  Gott  weiß  welchen  Gründen  ein  t^jisvoc 
weihte,  wie  sich  das  aus  dem  bei  den  deutschen  Ausgrabungen  ge- 
fundenen Antwortschreiben  ergibt  (Berl.  S.  B.  1904).    Im  Gegenteil, 
die  Beflissenheit  des  Königs,  der  bei  seinem  Danke  hervorhebt,  daß 
die  Milesier  die  ersten  seien,  die  ihn  so  geehrt  hätten,  läßt  tief 
blicken,  wenn  man  bedenkt,  wie  gewöhnlich  solche  Ehrenverleihungen 
waren.    Es  mag  eine  nette  schmutzige  Wäsche  gewesen  sein,  die 
damals  zutage  kam,  als  C.  Sulpicius  Gallus  zehn  Tage  lang  im  Gym- 
nasium zu  Sardes  saß  und  vergnüglich  „allen  Schimpf  und  alle  Schande 
anhörte,  die  gegen  den  König  von  den  Griechenstädten  zusammen- 
getragen ward"  (Polyb.  a.  a.  0.  10,  1 — 5).  Sicherlich  waren  für  den 
Pergamener  die  Aussichten ,  der  rpoGTcrnjc  der  Hellenen  zu  werden, 
sehr  gering.  Nun  mag  ihn  das  ja  trotzdem  nicht  von  dem  Versuch,  diese 
Stellung  zu  gewinnen,  abgehalten  haben ;  aber  unter  diesen  Umständen 
wird  man  sich  doch  die  Frage  vorlegen  müssen,  ob  es  nicht  noch 
eine  andere  Periode  in  der  Geschichte  des  Attalidenhauses  gegeben 
hat,  in  der  es  mit  sehr  viel  mehr  Hecht  und  bedeutend  größerer 
Aussicht  auf  Erfolg  eine  solche  Vormachtstellung  beanspruchen  konnte. 
Die  Antwort  kann  nicht  zweifelhaft  sein :  es  ist  die  Zeit,  in  der  die 
glänzenden  Taten  Attalos'  1.  ihm  den  Sieg  über  Antiochos  Hierax 
und  die  mit  ihm  verbündeten  gallischen  Erbfeinde  verliehen,  damals, 
als  er  auch  in  Thrakien  Eroberungen  machte  und  sein  Reich  von  dort 
bis  zum  Tauros  ausdehnte.   Möglich  ist,  daß  kunstgeschichtliche  Er- 
wägungen gegen  eine  solche  Heraufdatierung  sprechen :  zur  Konzeption 
des  Mythos  und  der  Grundgedanken ,  die  dem  Altarfries  zugrunde 
liegen,  war  die  Zeit  um  225,  als  man  noch  nichts  von  Rom  wulite. 
sicherlich  geeigneter  als  sechzig  Jahre  nachher,  und  die  Ausführung 
muß  ja  ohnehin  längere  Zeit  in  Anspruch  genommen  haben. 

Das  nächste  wichtige  Ereignis  nach  Pydna  ist  der  Thronwechsel 
in  Syrien,  der  Tod  des  vierten  Antiochos,  dem  sein  Sohn 
Eupator  nur  zu  kurzer  Regierung  folgte,  um  bald  dem  rechtmäßigen 
Thronerben  aus  der  Hauptlinie,  Demetrios,  Platz  zu  machen.  Der 
Zeitpunkt  des  Todes  ist  nicht  mit  Sicherheit  zu  bestimmen ;  während 
Unger,  gestützt  auf  das  erste  Makkabäerbuch ,  auf  eine  Notiz  des 
Granius  Licinianus,  wonach  Antiochos'  Tod  ins  zweite  Konsulat  des 
Tib.  Sempronius,  d.  h.  163/2,  fiel,  und  auf  Porphyrios,  der  164' 3 


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Jahresbericht  über  griechische  Geschichte  (1903—1906).  227 

als  sein  letztes  Jahr  bezeichnet,  das  Ende  des  Königs  in  den  Sep- 
tember 163  setzte,  hat  Niese  (III,  218  A.  7)  an  seiner  früher  ge- 
gebenen Datierung  (165/4)  festgehalten,  und  Bevan  ist  ihm  in  seinem 
großen  Werke  gefolgt.  Ungers  Ansicht  wird  von  Egg  bei  seiner 
Anordnung  der  Polybiosbruchstücke  zu  Ol.  154,  1  nach  jeder  Richtung 
hin  verteidigt,  und  in  der  Tat  scheint  mir  Nieses  Ansatz  dadurch 
widerlegt,  daß  er  sich  mit  der  Angabe  des  Gran.  Lic.  in  keiner 
Weise  vereinigen  läßt,  zumal  diese  durch  eine  Münze  Antiochos  IV. 
aus  Sei.  149  (1.  Okt.  164/3)  gestützt  wird.  Dagegen  setzen  sich 
Unger  und  Egg  mit  der  allerdings  unsicher  überlieferten  Angabe  des 
Porphyrios  in  Widerspruch,  nach  der  Antiochos'  V.  Eupator 
lVa  Jahre  regiert  hat.  Nach  Beloch  III,  2,  143  kann  es  keinem 
Zweifel  unterliegen,  daß  Demetrios  I.  im  Laufe  des  Sommers  162  zur 
Regierung  gekommen  ist;  setzt  man  nun  Epiphanes  Tod  in  den  Sept. 
163,  so  schrumpft  Eupators  Zeit  auf  wenig  mehr  als  Va  Jahr  zusammen. 
Es  empfiehlt  sich  daher  der  Mittelweg,  Antiochos'  Tod  in  den  Anfang 
der  guten  Jahreszeit  163,  d.  h.  unter  Sempronius'  zweitem  Konsulat 
anzusetzen  und  ihn  damit  auch  zugleich  in  die  Nähe  der  Tempel- 
weihe zu  rücken,  die  ßevan  (II,  299  Append.  zu  S.  180)  auf  den 
25.  Chislev  —  übrigens  nach  Willrich  (Klio  IV,  116  f.)  der 
Geburtstag  des  Königs  —  Dez.  164  fixiert  hat.  Allerdings  wird 
dadurch  die  Verteilung  der  Ereignisse  von  Ol.  154  bei  Egg  wesentlich 
modifiziert,  der  nicht  nur  Antiochos'  Tod  in  den  Sept.  163.  sondern 
auch  Demetrios  Flucht  aus  Rom  auf  Frühjahr  161  ansetzt.  Allein 
das  stimmt  nicht  zu  Polyb.  3,  5,  3,  wonach  König  Demetrios  12  Jahre 
regierte;  denn  bis  zu  Alexander  VI.  Balas  Regierungsantritt  (spätestens 
Sept.  150;  vgl.  Beloch  III,  2,  140)  kommen  dann  nur  11  Jahre 
heraus,  was  allerdings  mit  Jos.  Ant.  13,  2,  4  übereinstimmen 
würde.  Vielleicht  belehren  uns  die  Keilinschriften  noch  einmal  eines 
besseren,  bis  dahin  aber  würde  etwa  folgende  Verteilung  die  Wahr- 
scheinlichkeit für  sich  haben: 

163  Mittsommer  Antiochos'  IV.  Tod, 

162  Herbstanfang  Demetrios'  I.  Antritt, 

150  Spätsommer  Tod  Demetrios'  I. 
Dann  sind  die  VU  Jahre  Eupators  bei  Porphyrios  auf  eineinhalb 
abgerundet,  und  ebenso  die  elfeinhalb  des  Demetrios  bei  Pol.  auf 
zwölf,  während  Josephus  nur  die  vollen  Jahre  gerechnet  hat. 

Die  Kämpfe  der  folgenden  Jahre  im  griechischen  Orient  haben 
bei  Niese,  Bevan  und  Bouche"-Leclercq  eine  neue  Darstellung  gefunden, 
die  manche  Irrtümer  berichtigt  hat;  auch  Breccias  Aufsatz  über 
Mithridates  I.  von  Parthien  gibt  manche  wertvolle  Bemerkung  zur 

15* 


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Thomas  Lenschau. 


gleichzeitigen  syrischen  Geschichte.  Auf  ein  meist  unrichtig  datiertes 
Ereignis  der  kleinasiatischen  Geschichte  hat  Th.  Büttner-Wobst 
hingewiesen,  den  bei  Suid.  unter  ÄroXXomdc  Xi'fivij  erwähnten  Kampf 
des  Attalos  mit  Nikomedes  Monodus,  welchen  Niese  III, 
S.  865  A.  2  unter  Attalos  III.  ansetzt.  B.-W.  zeigt,  daß  Suidas  hier 
auf  Johannes  Antiochenos  zurückgeht,  und  da  bei  ihm  am  Schlüsse 
Apollonis  als  Mutter  des  Attalos  erwähnt  wird,  so  ergibt  sich,  daß 
wir  es  hier  mit  Attalos  II.  zu  tun  haben.  Eine  genauere  Datierung 
hat  er  nicht  versucht ;  leider  ist  sie  noch  nicht  möglich,  da  die  neue 
Liviusepitome  sie  nicht  erwähnt,  die  sonst  über  die  Jahre  von  149 
ab  manchen  wertvollen  Aufschluß  gibt,  besonders  über  die  letzten 
Kämpfe,  die  den  Untergang  der  Selbständigkeit  Griechen- 
lands und  Makedoniens  herbeiführten.  Zunächst  lassen  sich 
die  Ereignisse  des  makedonischen  Krieges  etwas  genauer  fixieren 
(Korne mann  S.  91);  149  fällt  die  Eroberung  Makedoniens  durch 
Andriskos,  sein  Vordringen  nach  Thessalien  und  dessen  Verteidigung 
durch  P.  Cornelius  Nasica;  148  sein  Sieg  über  Juventius,  seine 
Niederlage  durch  Q.  Caecilius  Metellus  und  noch  im  selben  Jahre 
seine  Gefangennahme.  147  erfolgte  die  Beleidigung  der  Gesandt- 
schaft unter  L.  Aurelius  Orestes  durch  den  „  Prätor u  der  Achäer, 
offenbar  nicht  Kritolaos,  der  erst  Herbst  147  Strateg  wird,  sondern  Diaios. 
wie  Cass.  Dio  21,  72,  1  richtig  angibt:  welcher  Art  die  Beleidigung 
war,  erfahrt  man  aber  nicht.  146  folgt  die  Zerstörung  und  nachher 
der  Tod  des  Diaios .  während  unsere  Quellen  die  Anordnung  um- 
gekehrt haben.  Doch  wird  die  Erzählung  der  Vorgänge,  wie  sie  sich 
bei  Niese  und  Colin  findet,  dadurch  nur  in  nebensächlichen  Punkten 
geändert ;  vor  allem  bleibt  Colins  Grundauffassung  bestehen,  daß  der 
Senat  ganz  gegen  seine  frühere  Gepflogenheit  diesmal  den  Griechen 
gegenüber  eine  ganz  unglaubliche  Milde  und  Langmut  bewiesen  hat. 
Das  schreibt  Colin  wesentlich  dem  Wiedererwachen  des  Philhellenismus 
zu,  dessen  Vertreter  damals  der  jüngere  Scipio  und  sein  Kreis  waren 
(S.  555  ff.).  Allein  so  richtig  das  ist,  so  werden  doch  der  schwere 
Krieg  in  Spanien,  dessen  Furchtbarkeit  die  neue  Liviusepitome  be- 
sonders hervortreten  läßt  (vgl.  Kornemann-a.  a.  0.),  und  der  Kampf 
gegen  Karthago  mit  dazu  beigetragen  haben,  daß  der  Senat  diesmal 
nur  zögernd  gegen  Makedonien  und  den  achäischen  Bund  vorging. 
Es  war  ihm  sichtlich  unangenehm ,  vor  der  Beendigung  jener  Kriege 
noch  an  einem  dritten  Punkt  militärisch  eingreifen  zu  müssen.  Daß 
dann  nach  der  Niederwerfung  des  Aufstandes  Griechenland  zunächst 
die  volle  Schwere  des  römischen  Zornes  zu  erdulden  hatte,  ist  richtig ; 
allein  die  Zörstörung  Korinths  hat  schon  Mommsen  auf  die  Eifersucht 


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Jahresbericht  über  griechische  Geschichte  (1903—1906).  229 

der  römischen  Handelskreise  zurückgeführt,  und  im  übrigen  ist 
Griechenland  doch  ziemlich,  glimpflich  davongekommen  (Colin  640  ff.). 
Insbesondere  hat  Colin  mit  Recht  Mummius  sowohl  gegen  den 
Vorwurf  der  Grausamkeit  wie  gegen  den  der  Lächerlichkeit  und 
Unbildung  verteidigt  (S.  626  ff.);  in  dieser  letztgenannten  Hinsicht 
hat  sich  die  Nachwelt  geradezu  in  Erfindungen  überboten.  Ein 
kulturell  hochstehendes  Volk,  das  unterliegt,  hat  dem  Sieger  gegen- 
über kaum  eine  andere  Waffe,  als  ihn  lächerlich  zu  machen,  wie  wir 
das  1870/71  ebenfalls  hinlänglich  zu  unserem  Schaden  erfahren  haben; 
das  wird  man  bei  der  Beurteilung  eines  Mannes  wie  Mummius  stets 
in  Anschlag  bringen  müssen. 


Achtes  Kapitel. 

Der  griechische  Osten  unter  der  Herrschaft  Roms 

von  146-30  v.  Chr. 

Bevan,  E.  R.,  Antiochus  III.  and  his  title  Great-King.  Journ.  Hell.  Stud.  22, 
241-244.  1902. 

Chapot,  Vict.,  les  destin^es  de  FHeltenisme  au  delä  de  l'Euphrate.  M£m. 
de  la  Soci&e*  Nationale  des  Antiquaires  de  France,  tome  63,  p.  207 — 296. 
1904. 

— ,  la  province  romaine  proconsulaire  d'Asie  depuis  ses  origines.  Paris  1904. 
Colin,  Gust.,  inscriptions  de  Delphes.   Bull.  Corr.  Hell.  1903,  p.  104—173. 
— ,  inscriptions  de  Delphes.   La  throne  athönienne  ä  Delphes  BCH.  30, 
161-329.  1906. 

Ferguson,  W.  S.,  the  Oligarchie  revolution  at  Athens  of  the  year  103/2.  Klio 

(BAG.)  IV,  1—17.  1904. 
Foucart,  F.,  la  formation  de  la  province  romaine  d'Asie.  Mem.  de  l'Acad. 

des  inscriptions  et  helles  lettres  t.  37,  1,  297—339.  1903. 
— ,  un  senate ur  romain  en  Egypte  sous  le  regne  de  Ptolemee  X.  MeUanges 

Boissier  1903,  p.  197-207. 
Holleaux,  Maur.,  observations  sur  une  inscription  de  Lebadeia.    BCH.  30, 

469-481.  1906. 

Mahaffy,  J.  F.,  the  silver  age  of  the  Greek  world.  Chicago  and  London  1906. 
Tarn,  W.  W.,  notes  on  Hellenism  in  Bactria  and  India.  Journ.  Hell.  Stud. 
22,  268-293.  1902. 

Die  letzte  Periode  der  griechischen  Geschichte ,  die  hier  be- 
handelt wird,  reicht  vom  Verlust  der  Unabhängigkeit  des  Mutterlandes 
bis  zur  Schlacht  von  Aktion,  deren  unmittelbare  Folge  die  Ein- 


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230  % 


Thomas  Lenschau 


Verleihung  des  letzten  großen  hellenistischen  Reiches  in  das  römische 
Imperium  war.  Eine  Gesamtdarstellung  dieses  Zeitraumes  fehlt,  da 
Nieses  Werk  mit  dem  Jahre  120  abbricht;  in  gewisser  Weise  wird 
sie  jedoch  durch  die  Spezialgeschichten  von  Bouche*-Leclercq  und 
Bevan  ersetzt,  und  diesen  schließt  sich,  allerdings  mehr  der  Kultur- 
geschichte zugewandt,  Mahaffys  Werk  an,  eine  Neubearbeitung  seines 
früher  erschienenen  Buches  „the  Greek  world  under  Roman  sway",  das 
mit  seiner  Darstellung  denn  freilich  noch  über  die  hier  gesteckten 
Grenzen  bis  in  die  Kaiserzeit  hineinreicht. 

In  dem  Augenblick,  wo  die  politische  Herrschaft  des  Ostens  aus 
den  Händen  der  Griechen  auf  Rom  übergeht,  erhebt  sich  naturgemäß 
eine  Hauptfrage,  die  das  Ergebnis  der  bisherigen  Entwicklung  fest- 
zustellen sucht,  die  Frage  nämlich,  inwieweit  es  dem  Griechentum 
wirklich  gelungen  ist,  den  großen  Gedanken  Alexanders,  die 
Hellenisierung  des  Ostens,  völlig  durchzuführen.  Die  Ant- 
wort darauf  lautet  heute  bei  weitem  nicht  mehr  so  zuversichtlich  wie 
zu  Droysens  Zeit.  Unzweifelhaft  haben  von  allen  Diadochen  nur  die 
Seleukiden  dies  Ziel  Alexanders  im  Auge  gehabt ;  nicht  bloß  in  ihrer 
unbezähmbaren  Kriegslust,  sondern  auch  in  ihrer  Vorliebe  für  Städte- 
gründungen gleichen  sie  dem  Vorbild  des  großen  Königs  und,  wie  erT 
haben  auch  sie  in  der  Ansiedelung  der  Griechen  mitten  im  Barbaren- 
lande das  geeignetste  Mittel  zur  Hellenisierung  dieser  Gegenden 
erkannt.  Allein  die  Zahl  der  Griechen,  die  auf  diese  Weise  an- 
gesiedelt wurden,  war  doch  nur  gering  im  Vergleich  zur  Masse  der 
einheimischen  Bevölkerung,  vielleicht  noch  geringer  als  die  Zahl  der 
Germanen  in  den  von  ihnen  begründeten  Reichen  im  Verhältnis  zur 
römischen  Provinzialbevölkerung ,  und  wie  es  diesen  doch  eben  nur 
gelang,  die  höheren  Schichten  des  Volkes  zu  germanisieren,  so  wird 
auch  die  Wirkung  der  hellenischen  Kolonisation  im  Orient  nicht  all- 
zu hoch  angeschlagen  werden  dürfen,  zumal  die  Kolonisten  häufig 
auf  eingeborene  Frauen  angewiesen  waren.  Mit  Recht  hat  Tarn 
darauf  aufmerksam  gemacht,  daß  solche  Gründungen,  wenn  sie  nicht 
zugleich  mit  griechischen  Frauen  besetzt  wurden,  meist  schon  inner- 
halb weniger  Generationen  in  der  einheimischen  Bevölkerung  aufgehen 
mußten,  vor  allem  an  den  Grenzen  des  Reiches,  da,  wo  der  Zu- 
sammenhang mit  den  griechischen  Kulturzentren  naturgemäß  leicht 
der  Unterbrechung  ausgesetzt  war. 

Das  gilt  in  allererster  Linie  vom  hellenischen  Osten,  der, 
seit  etwa  250  durch  den  Aufstand  des  Diodotos  politisch  losgetrennt, 
bald  durch  die  Anfänge  der  parthischen  Herrschaft  vollständig  Tom 
Westen  abgeschnitten  ward.    Die  Wiedereroberung  dieser  Gebiete 


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Jahresbericht  über  griechische  Geschichte  (1903—1906).  231 


durch  Antiochos  III.,  der  eben  dadurch  nach  Bevan  den  an  die 
Beherrschung  Irans  (vgl.  Breccia  S.  114)  gebundenen  Titel  Großkönig 
gewann,  war  von  zu  kurzer  Dauer,  als  daß  sie  die  Orientalisierung 
dieser  Gegenden  hätte  aufhalten  können,  die  trotz  einzelner  hellenisti- 
scher Rückschläge  (Eukratides)  unaufhaltsam  ihren  Gang  nahm.  Nur 
die  griechischen  Münzen ,  die  in  großer  Zahl  und  wunderbarer 
Prägung  von  diesen  Dynastien  erhalten  sind ,  haben  immer  wieder 
den  Gedanken  nahegelegt,  als  habe  hier  im  Osten  jahrhundertelang 
eine  hohe  griechische  Kultur  geblüht  und  indische  Kunst  und  Literatur 
in  der  nachhaltigsten  Weise  beeinflußt.  Es  ist  ein  Verdienst  Tarns, 
diesen  Problemen  energisch  zu  Leibe  gegangen  zu  sein,  und  da  hat 
sich  denn  gezeigt,  daß  außer  den  Münzen  fast  gar  nichts  für  eine 
solche  Annahme  spricht.  Mit  Recht  weist  er  zunächst  darauf  hin, 
daß  alles,  was  wir  von  den  vier  größten  Kulturzentren  dieser  Gegenden, 
von  Baktra,  Sagala,  Taxila  und  Eul-tsche,  der  Hauptstadt  Ta-yuans, 
wissen,  diese  als  Städte  rein  orientalischen  und  keineswegs  hellenischen 
Charakters  kennzeichnet  (S.  269  ff.).  Schon  die  ersten  Könige ,  die 
in  Baktra  residierten,  Diodotos  und  Euthydemos  scheinen  sich  wesent- 
lich auf  die  einheimische  Bevölkerung  gestützt  zu  haben.  Nach 
dieser  Seite  hin  ist  es  besonders  ckarakteristisch,  daß  der  Usurpator 
Eukratides,  der  eine  Art  hellenischer  Reaktion  herbeiführte,  seinen 
Sitz  von  Baktra  nach  der  Neugründung  Eukratideia  verlegte,  daß 
dagegen  sein  Mörder  und  Nachfolger  Heliokles  wieder  Baktra,  die 
alte  Kapitale  dieser  Gegenden,  zum  Mittelpunkt  des  Reiches  machte. 
Weiter  zeigt  schon  der  Beiname  von  Sagala,  der  bei  Ptol.  p.  273 
als  E'j&ü<ji8eia  erscheint  (KuöuoWjfAeia  ist  müßige  Konjektur)  und 
wahrscheinlich  von  Menandros  (sanskr.  Milinda)  herrührt,  die  buddhisti- 
schen Tendenzen  dieses  Fürsten,  der  im  übrigen  als  der  glänzendste 
Vertreter  des  Griechentums  in  diesen  Gegenden  erscheint.  Die  dritte 
Stadt,  Taxila,  ist  in  der  indischen  Geschichte  dadurch  bemerkenswert, 
daß  ihre  Bewohner  stets  im  Widerstand  gegen  die  herrschende 
Gewalt  verharren,  so  unter  Alexander,  so  auch  wieder  unter  Vindusara. 
A^okas  Vater;  wie  sie  damals  die  erste  war,  die  sich  Alexander 
unterwarf,  so  mag  sie  zuerst  auch  den  Rücktritt  auf  die  Seite  der 
einheimischen  Kultur  vollzogen  haben,  was  Tarn  an  den  Münzen  des 
Königs  Agathokles  zu  zeigen  versucht.  Endlich  pflegt  man  wohl  das 
Ta-yuan  der  chinesischen  Quellen  mit  den  Yona  oder  Yavana  der 
indischen  Literatur  zusammenzubringen,  die  zum  Teil  zweifellos 
Griechen  bezeichnen  sollen ;  allein  demgegenüber  weist  T.  darauf  hin, 
daß  schon  Dareios'  Inschrift  zu  Naksch-i-Rustem  neben  den  Saka  die 
„helmtragenden  Yuna"  erwähnt,  offenbar  also  einen  östlichen  Stamm, 


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Thomas  Lenschau. 


der  in  der  Nähe  der  Saka  wohnte  und  von  den  indischen  Quellen 
Öfters  mit  ihnen  zusammen  genannt  wird.  Vielleicht  war  Ta-yuan  der 
Wohnsitz  dieses  Volkes,  das  mit  den  Griechen  demnach  gar  nichts 
zu  tun  hat.  So  bleiben  also  nur  die  Spuren  griechischer  Kunst  in 
Indien,  die  aber,  wie  Mahaffy  hervorhebt  p.  27  ff.,  weder  sehr 
zahlreich  noch  sehr  alt  sind;  wenige  gehen  über  50  v.  Chr.  hinaus 
und  stehen  also  mit  jenen  hellenistischen  Herrschern  kaum  in  Be- 
rührung, wie  es  denn  auch  unwahrscheinlich  ist,  daß  die  Griechen 
damals  viel  Zeit  für  eine  künstlerische  Betätigung  übrig  hatten,  in 
dieser  Zeit  der  Okkupation,  „when  every  Greek  man  was  requested  either 
as  a  fighting  man  or  a  goveraor"  (Tarn  a.  a.  0.).  Daß  gewisse  Ein- 
flüsse vorhanden  sind,  soll  nicht  geleugnet  werden;  insbesondere  für 
das  indische  Drama  hält  Mahaffy  im  Anschluß  an  Weber  und  Windisch 
an  einer  griechischen  Einwirkung  fest,  die  er  sich  durch  dionysische 
Künstlergesell6chaften  vermittelt  denkt,  wie  denn  solche  um  die 
Mitte  des  ersten  vorchristlichen  Jahrhunderts  am  parthischen  Hofe 
die  Bakchen  des  Euripides  aufführten.  Allein  ihre  Spärlichkeit  läßt 
es  sehr  wohl  möglich  erscheinen,  daß  sie  durch  die  indopersische 
Kunst  vermittelt  sind,  und  so  bleibt  das  Ergebnis  im  ganzen  doch 
das  bereits  von  Tarn  im  Beginn  seines  Aufsatzes  angedeutete,  „daß 
man  viel  mehr  iranisches  Wesen  in  diesen  Gegenden  findet  und  viel 
weniger  griechisches,  wie  man  erwartete".  Wären  die  Münzen 
nicht,  man  würde  nie  dazu  gekommen  sein,  eine  starke  Hellenisierung 
hier  im  äußersten  Osten  anzunehmen. 

Nicht  viel  anders  als  auf  diesem  vorgeschobenen  Posten  des 
Hellenismus  lag  die  Sache  in  Iran  und  überhaupt  den  Ländern  jen- 
seits des  Euphrat,  in  denen  Chapot  den  Spuren  des  Hellenis- 
mus nachgegangen  ist.  Mit  der  Arsakidenherrschaft  beginnt  hier 
eine  stramme  nationale  Reaktion  einzusetzen ,  die  der  griechischen 
Kultur  durchaus  feindlich  gegenübersteht :  selbst  die  Kunst  weist  nur 
geringe  Spuren  griechischer  Einwirkung  auf,  so  daß  es  einigermaßen 
schwer  hält,  sich  vorzustellen,  wie  griechische  Kunst  durch  Iran  hin- 
durch auf  Indien  wirkte.  Doch  ist  immerhin  eine  Besserung  mit  der 
Zeit  zu  konstatieren:  im  letzten  Jahrhundert  vor  Christo  war  eine 
gewisse  Bekanntschaft  mit  griechischer  Literatur  in  den  höheren 
Ständen  vorhanden,  und  ebenso  hat  mit  dem  Christentum  zugleich  auch 
griechische  Philosophie  Eingang  in  die  Länder  jenseits  des  Euphrat 
gefunden,  soweit  sie  den  Zwecken  der  neuen  Religion  dienen  konnte, 
die  sie  zu  einer  unfruchtbaren  Scholastik  mißbrauchte.  Mit  Recht 
weist  Chapot  auf  die  äußerst  geringe  Anzahl  von  literarisch,  wissen- 
schaftlich, künstlerisch  hervorragenden  Männern  hin,  die  den  Land- 


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Jahresbericht  über  griechische  Geschichte  (1903—1906). 


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schatten  jenseits  des  Enphrat  entstammten  (S.  241  ff.);  im  wesent- 
lichen waren  es  nur  die  technischen  Fortschritte  des  Hellenismus, 
die  man  sich  zu  eigen  machte,  während  seine  Kultur  glattt  abgelehnt 
ward. 

Etwas  anders  lag  die  Sache  in  Ä  g  y  p  t  e  n ,  wo  unter  den  ersten 
Lagiden  das  griechisch-makedonische  Element  in  jeder  Weise  Uberwog 
und  sich  durch  griechische  Heiraten  rein  erhielt,  wie  besonders  die  im 
Fayüm  angesiedelten  Krieger  deutlich  erkennen  lassen.  Allein  die 
Könige  waren  doch  von  vornherein  darauf  bedacht,  die  ägyptische 
Hauptmasse  ihrer  Untertanen,  insbesondere  die  mächtige  Priesterschaft, 
nicht  vor  den  Kopf  zu  stoßen,  und  so  gerieten  sie  nach  und  nach  ins 
nationale  Fahrwasser,  besonders  seit  neben  makedonisch-griechischen 
Söldnern  die  einheimischen  jJ.Gr/tuoi  bei  Rapheia  den  Sieg  über  den 
Landesfeind  gewonnen  hatten.  Unter  Physkon  kommt  diese  Nationali- 
sierung zum  vollen  Durchbruch,  tatsächlich  waren  in  der  zweiten  Hälfte 
des  zweiten  vorchristlichen  Jahrhunderts  Syrien  und  der  größte  Teil 
Kleinasiens  die  einzigen  Gebiete  des  asiatischen  Alexanderreiches,  in 
denen  der  Hellenismus  herrschte,  und  auch  hier  war  die  nationale 
Reaktion  der  Makkabäer  an  der  Arbeit,  in  Südsyrien  das  Werk  der 
Seleukiden  und  des  Hellenismus  zu  vernichten  (vgl.  über  diese  Ent- 
wicklung Mahaffy,  Silver  Age  c.  3  und  Progress  c.  3).  Solchen  Er- 
scheinungen gegenüber  wird  man  fast  geneigt  sein,  dem  harten  Urteil 
Chapots  zuzustimmen,  der  von  einem  totalen  Mißerfolg,  ja,  einem 
völligen  Bankerott  des  Hellenisierungsgedankens  spricht.  In  der  Tat 
war  das  Hellenentum  gegen  das  Jahr  100  hin  im  Begriff,  überall 
den  Orientalen  zu  erliegen.  Da  griff  Rom  ein,  und  so  wenig  sym- 
pathisch es  den  Griechen  war,  so  schwer  seine  Herrschaft  auch  auf 
ihnen  lastete,  ein  vollkommenes  Versinken  des  Hellenismus  ins  Bar- 
barentum bat  es  doch  an  manchen  Stellen,  z.  B.  in  Palästina,  glücklich 
verhindert  (Mahaffy,  Silver  age  1  ff.). 

Es  ist  kein  Zufall,  daß  der  Niedergang  des  Hellenismus  in  der 
zweiten  Hälfte  des  zweiten  vorchristlichen  Jahrhunderts  zeitlich  mit 
der  beginnenden  Auflösung  im  Seleukidenreich  zusammenfällt, 
die,  hervorgerufen  durch  die  Spaltung  des  Herrscherhauses  in  ver- 
schiedene sich  untereinander  bekämpfende  Linien,  vorübergehend  sogar 
die  Eroberung  des  Reiches  durch  Ptolemaios  Philometor  herbeiführte. 
Unmittelbar  nachher  mit  dem  Jahre  144  setzt  die  neue  Liviusepitome 
ein,  die  in  eine  chronologische  Schwierigkeit  etwas  mehr  Licht 
gebracht  hat.  Auch  Liv.  setzt  hier,  wie  die  gesamte  Überlieferung, 
den  Tod  des  jungen  Antiochos  VI.  Epiphaues,  der  von  Diodotos 
Tryphon  ermordet  ward,  nach  der  Gefangennahme  Demetrios  II.  durch 


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Thomas  Lenschau. 


die  Parther  an,  also  nach  140/39.  Nun  aber  wissen  wir  ans  den 
Münzen,  deren  Zeugnis  durch  1.  Makk.  13,  31  bestätigt  wird,  daß 
tatsächlich  143/2  das  Todesjahr'  Antiochos  VI.  war,  und  so  läßt  sich 
allerdings  der  Schluß  Korneinanns  kaum  abweisen,  daß  die  drei 
Jahre  Tryphons  (nach  Jos.  Ant.  XIII,  224),  die  von  143/2—140/39 
reichen,  dem  Verstorbenen  hinzugerechnet  sind,  daß  also  unsere 
literarische  Überlieferung  Epiphanes'  Regierungszeit  von  146/5—140/39 
erstreckt.  Der  Grund  lag  offenbar  darin,  daß  der  Usurpator,  der 
auch  von  Rom  nicht  anerkannt  war,  als  Regent  überhaupt  ignoriert 
ward.  Im  Prinzip  stimmen  damit  auch  Euseb.  und  Porphyrios. 
die  aber  die  drei  Jahre  von  143/2  bis  140/89  an  Tryphons  Gegner 
Demetrios  II.  geben.  Übrigens  gibt  es  aus  diesem  Jahre  auch  noch 
tyrische  Münzen  des  Demetrios,  während  sich  ebenda  aus  dem  Jahre 
139/8  schon  Münzen  des  Antiochos  v.  Side  finden  (Babelon  S.  127, 137). 

Ungefähr  um  dieselbe  Zeit,  als  dieser  letzte  kraftvolle  Herrscher 
Syriens  im  Kampf  gegen  die  Parther  ein  ruhmvolles  Ende  fand,  haben 
sich  die  Römer  zuerst  auf  asiatischem  Boden  festgesetzt.  Das  Testa- 
ment des  letzten  Attaliden  ist  der  Anlaß  zur  Gründung  der 
römischen  Provinz  Asien  geworden.  An  der  Realität  des 
Testamentes  kann  seit  Auffindung  der  Inschrift  Perg.  249  nicht  mehr 
gezweifelt  werden;  was  Attalos'  Motive  betrifft,  so  hat  Foucart 
wohl  recht,  wenn  er  nicht  sowohl  Liebe  zu  den  Römern  als  Hais 
gegen  Aristonikos  für  das  treibende  Moment  hält:  vielleicht  waren 
auch  die  Grausamkeiten  des  verbitterten  und  kinderlosen  Herrschers 
gegen  vermeinte  oder  wirkliche  Anhänger  des  Prätendenten  gerichtet 
(Fouc.  S.  300  ff.).  Das  Testament  verfügte,  worauf  es  hier  besonders 
ankommt,  die  Freiheit  sämtlicher  Griechenstädte,  nicht  bloß  derer, 
die  bis  dahin  frei  und  autonom  gewesen  waren,  sondern  auch  der 
tributären  Schutzstädte,  wie  Ephesos  und  Tralles,  endlich  auch  der- 
jenigen städtischen  Gemeinwesen,  die  dem  äußeren  Scheine  nach  frei, 
in  Wirklichkeit  aber  Bestandteile  des  Reiches  waren  wie  Pergamon  selber. 
Alle  drei  Kategorien,  wie  sie  Foucart  S.  311  und  ähnlich  auch  Car- 
dinali (Perg.  S.  226  ff.)  unterscheiden,  wurden  also  in  gleicher  Weise 
für  frei  und  unabhängig  erklärt  und  als  solche  vom  Senat  bestätigt. 
Diese  Bestätigung,  auf  die  sich  später  P.  Servilius  Isauricus  bei 
seinen  Maßregeln  im  Jahre  48  berief,  ist  dann  auch  für  M.  Aquillius 
maßgebend  gewesen,  als  er  129 — 127  die  Grundlagen  der  Provinz 
schuf.  Das  zeigt  sich  in  der  Art.  wie  die  Städte  Differenzen  unter- 
einander beilegen;  sie  haben  es  nicht  nötig,  die  Sache  dem  Senat 
vorzulegen,  obwohl  natürlich  auch  das  möglich  war,  wie  denn  z.  B. 
Rhodos  und  Stratonikeia  Bargylia  als  iroXt;  IxxXtjto?  wählten  (das 


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Jahresbericht  über  griechische  Geschichte  (1903—1906).  235 

Dekr.  bei  Fouc.  S.  834  ff.)  oder  eine  Streitigkeit  zwischen  Sardes 
and  Ephesos  anter  Vermittlung  eines  Pergameners  beigelegt  ward. 
Zu  diesen  Beispielen  Foucarts  kommt  noch  ein  sehr  bezeichnendes 
hinzu:  der  Streit  Prienes  mit  den  Steuerpächtern  (5r4jAoaiu>vat) ,  in 
dem  der  Senat  sogar  in  einer  römische  Bürger  angehenden  Sache 
Erythraia  das  Schiedsgericht  tiberläßt  (Priene  111,  120  ff.).  Aller- 
dings hat  dann  die  lex  Sempronia  Asien  den  Zehnten  auferlegt  und 
es  der  Ausbeutung  durch  die  römische  Geldaristokratie  überliefert, 
die  ziemlich  arg  ge wirtschaftet  haben  muß,  wie  die  Erbitterung  im 
mithridatischen  Kriege  beweist  (Chapot  S.  20  ff.).  Allein  für  die 
Städte  läßt  sich  diese  Bedrückung  kaum  beweisen;  ihre  Haltung  im 
mithridatischen  Kriege,  wo  die  Besitzenden  durchaus  auf  römischer 
Seite  standen,  spricht  eigentlich  mehr  dagegen,  wie  Chapot  S.  29  ff. 
ausführt.  Freilich  brachte  der  Krieg  gegen  Aristonikos  manche 
von  ihnen  in  Bedrängnis;  denn  daß  er  mit  der  Gefangennahme  des 
Aristonikos  180  durch  M.  Perperna  (vgl.  über  ihn  Priene  108,  223  ff.) 
nicht  zu  Ende  war,  zeigt  Foucart  an  der  Hand  zweier  Ehrendekrete 
aus  Bargylia  S.  327  ff. ,  deren  Original  leider  verloren  gegangen  ist. 
Die  Städte  senden  hier  xaxA  aujAua/tav ,  was  sehr  bezeichnend  ist, 
ihre  Kontingente  an  M.  Aquillius,  der  sie  im  Kleinkriege  verwendet. 
Daß  es  sich  übrigens  hier  keineswegs  um  die  Niederwerfung  eines 
Prätendenten ,  sondern  um  eine  tiefgreifende  Bewegung  gegen  die 
römische  Herrschaft  gehandelt  hat,  wird  durch  den  Zusammenhang 
wahrscheinlich,  in  den  Mahaffy  S.  8  ff.  diesen  Krieg  mit  dem  gleich- 
zeitigen Sklavenaufstand  in  Sizilien  stellt.  Alles  in  allem  genommen, 
in  den  37  Friedensjahren,  die  von  der  Niederwerfung  des  Aristonikos 
bis  zum  Einbruch  des  Mithradates  währte,  kann  die  Stellung  wenigstens 
der  Griechen  Städt  e  nicht  schlecht  gewesen  sein;  manche  von  ihnen 
haben  das  Andenken  an  einzelne  hervorragende  Statthalter  bewahrt. 
Zu  den  von  Chapot  a.  a.  0.  angeführten  Beispielen  kommen  die 
Ehrungen  für  C.  Julius  Caesar,  den  Vater  des  Triumvirn,  der  in  den 
neunziger  Jahren  die  Provinz  verwaltete  (BCH.  29,  88  in  Delos; 
vgl.  auch  die  Erwähnung  im  freundlichen  Sinne  Priene  111,  21,  117). 
Was  übrigens  die  Persönlichkeit  Attalos'  III.  angeht,  so  ist 
auch  durch  die  neueste  Behandlung  der  Frage  durch  Breccia 
S.  50  ff.  und  Cardinali  (Perg.  S.  129  ff.)  die  Sache  noch  keineswegs 
völlig  geklärt.  Von  den  drei  Möglichkeiten  —  Sohn  Attalos  H.  und 
der  Stratonike  aus  ihrer  kurzen,  rechtlich  ungültigen  Ehe  (vgl.  oben 
S.  221 ,  so  Köpp  und  Wilcken)  oder  natürlicher  Sohn  Eumenes  II. 
oder  in  der  Ehe  geborener,  folglich  legitimer  Sproß  der  Stratonike 
4  wahrscheinlich  doch  auch  des  Eumenes  —  entscheidet  sich 


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Thomas  LenscLau. 


Breccia  für  die  zweite,  Cardinali  für  die  dritte  Möglichkeit:  beide 
unter  ausdrücklicher  Verwerfung  der  Nachricht  von  der  übereilten 
Heirat  des  Attalos  mit  Stratonike.  Doch  sind  ihre  Argumente  teilweise 
sehr  subjektiver  Natur ;  in  Dingen,  wie  sie  Breccia  S.  52  als  unmöglich 
darstellt,  dachte  man  im  Altertum  wohl  wesentlich  anders  als  heute. 

Über  die  Verhältnisse  im  Mutterlande  wissen  wir  um  diese  Zeit  recht 
wenig;  hier  und  da  sind  einige  Inschriften  oder  Neubearbeitungen  von 
Inschriften  anzuführen.  So  hat  Holleaux  die  Inschrift  von  Lebadeia 
BCH.  25,  365,  die  von  Vollgraff  in  die  Zeit  Ptolemaios  Philopators, 
also  ans  Ende  des  dritten  Jahrhunderts  gesetzt  ward,  neuerdings  in  be- 
deutend spätere  Zeit  datiert.  Er  schwankt  zwischen  Ptolemaios  XIII. 
<piXoiraxü>p  xal  <piXa'8eX<poc  (Auletes  80 — 51)  oder  Ptolemaios  IX.  veo? 
^tXomfaop,  der  121/0 — 117/6  Vizekönig  von  Kypros  gewesen  sein  soll; 
übrigens  ist  dieser  letzte  eine  etwas  rätselhafte  Persönlichkeit  ,  über 
dessen  Identifizierung  sich  Bouchö-Leclercq  II,  56  ff.  A.  2  und  S.  80  ff. 
ausführlich  ausgesprochen  hat.  Eine  Dedikation  in  Delos  erwähnt 
Ptolemaios  X.  Lathyros  Soter  II  (BCH.  29,  77);  sie  fällt  nach  den 
Herausgebern  Dürrbach  und  Jarde"  in  die  Zeit  seiner  Verbannung  auf 
Cypern  (116 — 88).  Wichtiger  ist  die  Neubehandlung  der  großen 
Wescherschen  Inschrift  von  Delphi,  die  Colin  vorgenommen 
hat.  Die  in  ihr  enthaltenen  Dekrete,  die  auf  Anregung  eines  römischen 
Beamten,  wahrscheinlich  des  Statthalters  von  Makedonien  (Colin  S.  119). 
gefaßt  wurden,  fallen  sämtlich  in  die  Jahre  117  und  116  und  be- 
fassen sich  in  erster  Linie  mit  der  Feststellung  verschiedener  Defizits, 
die  sich  im  Tempelschatz,  bei  einer  anderen  Kasse  und  im  Bestand 
der  Tempelherden  vorgefunden  hatten;  die  Höhe  des  Fehlbetrages 
im  Schatz  wird  auf  53 1  35  Minen  fixiert.  Sodann  folgt  die  Fest- 
setzung von  Geldbußen  für  13  Delphier,  lauter  vornehme  Leute,  die 
aber  später  in  amtlicher  Stellung  nicht  mehr  vorkommen,  wie  Colin 
ganz  richtig  bemerkt  Merkwürdigerweise  ist  ihm  aber  entgangen, 
daß  die  Gesamtsumme  der  verhängten  Strafen,  50*  215  min,  genau  dem 
Defizit  des  Tempelschatzes  entspricht.  Offenbar  haben  wir  es  hier 
mit  den  Verwaltern  des  Schatzes  zu  tun,  in  deren  Amtsführung  die 
Unregelmäßigkeiten  entstanden  waren,  und  die  nun  zur  Deckung 
herangezogen  werden.  In  die  Folge  dieser  finanziellen  Beschlüsse 
ist  an  zweiter  Stelle  der  Beschluß  über  die  Grenzfestsetzung  ein- 
geschoben, bei  dem  es  sich  darum  handelt,  ob  die  unter  dem  Archon 
Ornichidas  —  338  und  285,  gemeint  ist  nach  C.  der  erste,  da  nach 
Chaironeia  eine  Grenzberichtigung  stattgefunden  haben  muß  — 
oder  die  des  Pausanias,  der  195  ätolischer  Strateg  war  und  dem 
Flamininus  die  Sache  übergeben  haben  wird,  maßgebend  sein  soll 


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Jahresbericht  über  griechische  Geschichte  (1903—1906). 


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(Colin  S.  144).  In  einer  zweiten  Abhandlung  stellt  Colin  eine  Reihe 
von  Synchronismen  zwischen  delphischen  und  attischen  Archonten 
auf:  TijioxpaTr^  EtaXetöa  —  Timarchos  (c.  134),  nfypoc  —  Dionysios 
6  jietd  Auxfexov  (128/7),  Hevoxpaxijc  Ä^diXcoo  —  Agathokles  106/5, 
M£vro>p  <lHXaiT«oXoo  —  Argeios  I.  (97/6),  wobei  nur  zu  bemerken  ist, 
daß  Ferguson  neuerdings  Timarchos  auf  138/7  festgesetzt  hat. 

Kurz  vor  der  Jahrhundertwende  ist  in  Athen  jene  eigentümliche 
oligarchische  Revolution  eingetreten,  die  die  Stellung  der 
Stadt  im  mithradatischen  Kriege  bedingte  und  von  Ferguson  ein- 
gehend behandelt  worden  ist.  Eine  Reihe  von  Anzeichen  in  den 
vorhandenen  Dekreten  läßt  darauf  schließen ,  daß  kurz  vor  101/0  in 
Athen  eine  Verfassungsänderung  eintrat.  Dahin  gehört  die  Ersetzung 
des  Loses  bei  der  Archontenwahl  durch  Cheirotonie,  die  Änderung 
in  der  Rechenschaftsablegung ,  für  die  plötzlich  die  Bule  allein  ent- 
scheidend ist,  die  Aufgabe  der  offiziellen  Phylenabfolge  bei  der  Be- 
setzung der  Ämter  des  Prytanienschreibers  und  des  Sarapispriesters 
in  Delos,  endlich  die  Änderung  in  der  Rangfolge  der  höheren  Beamten, 
indem  der  aTpa-nft&c  lid  ta  ftrXa  den  Archonten  vorgeht,  der  xTjpuS 
ßouXyjc  ttjc  1$  Äpet'oo  7toqoo  ihnen  gleichsteht  —  alles  Anzeichen  einer 
der  Demokratie  feindlichen  Staatsumwälzung.  Damit  stimmt  es,  daß 
eine  ganze  Reihe  altadeliger  Familien,  wie  die  Enrykleides-Mikion, 
Diokles-Dromeas,  Zenon-Asklepiades  u.  a.,  plötzlich  aus  den  Ämtern 
verschwinden  und  anderen  Platz  machen,  von  denen  außer  der  des 
Medeios  keine  über  das  Jahr  167  zurückreicht.  Dagegen  hatten 
diese  ausgezeichnete  Beziehungen  zu  Delos,  und  Ferg.  hält  sie  im 
wesentlichen  für  reich  gewordene  Sklavenverkäufer,  die  mit  Hilfe  der 
Römer,  vielleicht  bei  Gelegenheit  des  Sklavenaufstandes  in  den  Berg- 
werken von  Sunion  (S.  12),  jene  Verfassungsänderung  durchsetzten, 
die  auf  eine  Stärkung  von  Rat  und  Areopag  sowie  auf  eine  Schwächung 
der  Volksgerichte  hinauslief.  Vor  allem  aber  sorgten  sie  durch  Ab- 
schaffung oder  mindestens  Einschränkung  des  Loses  für  die  Besetzung 
der  wichtigsten  Ämter  mit  ihren  Parteigenossen ;  so  ist  Argeios  zwei- 
mal 97/6  und  96/5,  Medeios  sogar  dreimal  91/0 — 89/8  hintereinander 
Archon  gewesen.  Eben  dies  aber  scheint  die  Gegner  in  Bewegung 
gesetzt  zu  haben,  das  Jahr  88/7  wird  als  dvapx^a  bezeichnet;  damals, 
wohl  Frühjahr  88,  gelang  es  Athenion  an  der  Spitze  der  antirömischen 
Partei,  die  Stadt  Mithradates  in  die  Arme  zu  treiben.  Athenion 
scheint  bald  darauf  (nach  dem  verunglückten  Versuch  auf  Delos?) 
gestürzt  zu  sein ;  an  seine  Stelle  trat  Mithradates'  Abgesandter  Aristion. 
Als  dann  nach  der  furchtbaren  Belagerung  durch  Sulla  Athen  endlich 
erstürmt  ward,  legte  sich  nach  Plut.  ein  gewisser  Meidias  für  die 


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238 


Thomas  Lcnschau. 


unglückliche  Stadt  ins  Mittel.  Man  wird  nicht  Anstand  nehmen,  mit 
Schebelew  darin  eine  Textverderbnis  für  eben  jenen  Medeios  zn  er- 
kennen. Sulla  scheint  die  Verfassung  von  108/2,  wenn  auch  mit 
gewissen  Änderungen  hergestellt  zu  haben;  wenigstens  deutet  darauf 
die  hohe  Stellung,  die  der  Areopag  zu  Ciceros  Zeit  einnahm. 

Der  mithradatische  Krieg  bezeichnet  die  letzte  Erhebung 
des  Hellenismus  gegen  Rom.  Charakteristisch  genug  war  es  ein 
Barbar,  der  die  Sache  des  Griechentums  vertrat,  dessen  legitime 
Vormächte  damals  rettungslos  ihrem  Verfall  durch  dynastische  Kämpfe 
entgegeneilten.  In  Syrien  herrschte  bereits  vollkommene  Auflösung, 
so  daß  das  Land  sogar  Tigranes  als  Retter  begrüßte  —  vgl.  die 
Darstellung  der  letzten  Kämpfe  bei  Bevan  — ,  und  Ägypten,  wenn- 
gleich äußerlich  noch  in  ungebrochener  Macht,  abgesehen  vom  Verlust 
Kyrenes,  das  die  Römer  96  eingezogen  hatten,  war  nichts  mehr  als 
ein  willenloses  Spielzeug  in  der  Hand  der  großen  Republik.  Charak- 
teristisch ist  es,  mit  was  für  Umständen  schon  112  ein  Senator, 
L.  Memmius,  der  wahrscheinlich  nur  in  Geschäften  (Foucart  a.  a.  0.), 
gar  nicht  einmal  in  politischer  Sendung,  in  Ägypten  erschien,  von 
der  königlichen  Verwaltung  aufgenommen  werden  mußte.  Gegenüber 
diesen  schwächlichen  Vertretern  des  hellenischen  Königtums  erschien 
Mithradates  als  der  Retter,  und  die  Sympathien,  die  er  sofort  in  Klein- 
asien und  Griechenland  fand,  zeigen,  wie  verhaßt  sich  überall  das 
römische  Aussaugesystem  gemacht  hatte.  Die  Entscheidung  fiel  in 
der  boiotischen  Ebene  in  den  Schlachten  vonChaironeia  und 
Orchomenos.  Bei  der  erstgenannten,  bei  der  sich  unser  Haupt- 
gewährsmann Plutarch  auf  heimischem  Boden  befand  und  daher  über 
eine  genaue  Kenntnis  der  Örtlichkeit  verfügte,  ist  es  Kromayer 
in  seinem  mehrfach  erwähnten  Werke  gelungen,  den  Verlauf  des 
Kampfes  in  überzeugender  Weise  zu  rekonstruieren,  während  für  das 
Treffen  von  Orchomenos  infolge  der  Unklarheiten  Plutarchs  auf  eine 
solche  Wiederherstellung  verzichtet  werden  muß.  Der  Ausgang  des 
Krieges  war  für  die  Griechen  verhängnisvoll,  weniger  für  die  des 
Mutterlandes,  von  denen  nur  Athen  schwer  zu  leiden  hatte,  als  vor 
allem  für  die  asiatischen  Griechenstädte.  Daß  damals  einer  ganzen 
Reihe  von  ihnen  die  Freiheit  gonommen  ward,  unterliegt  wohl  keinem 
Zweifel;  daß  Milet  und  Klazomenai  dazu  gehörten,  ist  wahrscheinlich, 
doch  möchte  ich  es  nicht  ohne  weiteres  mit  Haussoullier  S.  247  aus 
dem  SC.  de  Asclepiade  (CIL.  1,  203)  schließen,  in  dem  der  Senat 
die  Steuerfreiheit  von  Bürgern  verfügt.  Einzelne,  wie  Milet  und 
Pergamon,  scheinen  durch  P.  Servilius  Isauricus  später  die  Freiheit 
wieder  erlangt  zu  haben  (Hauss.  a.  a.  0.);  im  großen  und  ganzen 


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Jahresbericht  über  griechische  Geschichte  (1903—1906).  239 

aber  trifft  wohl  die  Schilderung  zu,  die  Chapot,  hauptsächlich  auf 
Cic.  pro  Flacco  und  die  Briefe  des  Redners  an  seinen  Bruder  gestützt, 
von  den  Zuständen  in  der  Provinz  entworfen  hat  (S.  36  ff.).  Eine 
Erleichterung  brachten  Lucullus  und  Pompejus,  der  zu  seiner 
Beliebtheit  im  Osten  während  des  dritten  mithradatischen  Krieges  den 
Grund  gelegt  haben  muß.  Schlimmer  aber  ward  die  Sache,  als  dann 
Kleinasien  in  die  Wirren  des  dritten  Bürgerkrieges  einbezogen  ward, 
wo  es  sogar  eine  Zeitlang  Sitz  der  legitimen  Regierung  war.  Auch 
unter  Antonius'  schlaffer  Herrschaft  setzten  sich  die  Heimsuchungen 
noch  fort  —  drangen  doch  sogar  die  Parther  bis  Kleinasien  vor  — , 
bis  endlich  der  Tag  von  Aktion  der  Not  ein  Ende  machte. 

Die  Schlacht  von  Aktion  muß  das  Ziel  dieses  Berichtes 
bilden.  Ihre  unmittelbare  Folge  war  die  Einverleibung  Ägyptens  in 
das  römische  Reich,  die  Bouchä-Leclercq  in  musterhafter  Weise  ge- 
schildert hat.  Das  Reich  Alexanders  war  im  Imperium  Romanum 
aufgegangen;  Rom  übernahm  das  Werk  der  Hellenisierung,  das  den 
kraftlosen  Händen  der  Nachfolger  des  großen  Königs  entsunken  war. 
Aber  auch  dem  römischen  Staate  ist  es  nicht  gelungen,  den  Gegensatz 
zwischen  Occident  und  Orient  zu  überbrücken;  in  verhängnisvoller 
Weise  durch  das  Aufkommen  des  Christentums  verschärft,  hat  er 
endlich  auch  das  scheinbar  so  feste  Gefüge  des  römischen  Im- 
periums zerrissen.  Erst  Theodosios'  Teilung,  die  nur  die  offizielle 
Anerkennung  eines  seit  lange  bestehenden  Zwiespalts  war,  stellte  die 
von  der  Natur  deutlich  gesetzte  Grenze  wieder  her,  die  die  Eroberungs- 
politik des  Senats  600  Jahre  vorher  überschritten  hatte. 


Neuntes  Kapitel. 

Zur  griechischen  Wirtschaftsgeschichte. 

Bannier,  Wilh.,  vgl.  S.  95. 

Barbagallo ,  la  produzione  media  relativa  dei  cereali  e  delle  vite  nelht 
Grecia,  nella  Sicilia  e  nella  Italia  antica.  Riv.  Stor.  Ant.  8,  477 — 504. 
1904. 

— ,  i  prezzi  dei  grani  nell'  etä  Tolemaica.  Atene  e  Roma.  1906,  252—268. 
Bourguct,  P.,  l'administration  financiere  du  sanetuaire  Pythique  au  IV. 
srtcle.    Paris  1905. 

Breccia,  Evaristo,  Storia  delle  banche  e  dei  banchieri  nell'  eta  classica. 

Riv.  Stor.  Ant.  7,  107—133,  283—310.  1903. 
Francotte,  Henri,  l'administration  financiere  deß  citt;s  grecques.  Mi'm.  cour. 

de  l'Acad.  Belg.  tom.  63.  1903. 


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240 


Thomas  Lenschau. 


Francotte,  Henri,  l'organisation  des  cites  ä  Rhodes  et  en  Carie.  Mus. 
Beige  X,  127—159. 

— ,  le  pain  ä  bon  marche  et  le  pain  gratuit  dans  les  cites  grecques.  Melanges 

Nicole.   S.  135—157.  Genf. 
— ,  <p<5poc,  ouvTo$t«,  efocfopd.   Mus^e^Belge  1907. 

Glotz,  Gust.,  etudes  sociales  et  juridiques  snr  l'antiquitä  grecque.  Paris 

1906.   (p.  187—229  l'exposition  des  enfants.) 
Guiraud,  P.,  etudes  economiques  sur  l'antiquite\    Paris  1905. 
Huch,  Gregor,  die  Organisation  der  öffentlichen  Arbeit  im  Altertum,  I.  Lpz. 

Diss.    Frankenstein  i.  Schles.  1903. 
Kazarow,  G.,  der  liparische  Kommunistenstaat.  Philol.  62.  NF.  16,  157—160. 
Osborne,  W.  C,  A  history  of  the  ancient  working  people.    London  1904. 

(Mir  nicht  zugänglich  gewesen.) 
Philippson,  Alfred,  das  Mittelmeergebiet,  seine  geogr.  und  kulturelle  Eigenart. 

Leipzig  1904. 

Pottier,  E.,  le  commerce  des  vases  peints  attiques  au  VL  siecle.  Rev. 

Arch6ol.  1904,  p.  45—51. 
Riezler,  Kurt,  über  Finanzen  und  Monopole  im  alten  Griechenland.  Berlin  1907. 
Speck,  E-,  Handelsgeschichte  des  Altertums.  2.  die  Griechen.  Leipzig  1902. 
Sundwall,  J.,  Epigraphische  Beiträge  zur  sozialpolitischen  Geschichte  Athens 

im  Zeitalter  des  Demosthenes.    Ak.  Abhdlg.    Lpzg.  1906. 
Swoboda  s.  S.  75. 

Thalheim,  Th. ,  Gesetz  von  Samos  über  Getreideankauf  und  -Verteilung. 

Herrn.  89,  604—610.  1904. 
Wachsmuth,  K.,  Zwei  antike  Bevölkerungsprobleme.  Klio  (BAG.)  III,  272 — 80. 
Waszynsky,  Stefan,  Die  Bodenpacht,  agrargeschichtliche  Papyrusstudien. 

Erster  Band:  die  Privatpacht.    Leipzig  und  Berlin  1905. 
Wiegand,  Th.  und  U.  v.  Wilamowitz-Moellendorf,  ein  Gesetz  von  Samos  über 

die  Beschaffung  von  Brotkorn  aus  öffentl.  Mitteln.  SB.  Berl.  Akad.  1904. 

(Auch  separ.) 

Willers,  H.,  ein  neuer  Kämmereibericht  aus  Tauromenion.    Rhein.  Mus. 
60,  321— 360.  1905. 


Die  Zahl  der  wirtschaftsgeschichtlichen  Untersuchungen,  die  sich 
dem  griechischen  Altertum  zugewandt  haben ,  ist  auch  diesmal  gar 
nicht  so  gering,  aber  sie  verteilt  sich  sehr  ungleichmäßig  über  das 
ganze  Gebiet.  Während  die  industriellen  und  finanziellen  Verhältnisse 
in  den  letzten  Jahren  mehrfach  und  eingehend  behandelt  sind,  bleibt 
insbesondere  die  griechische  Landwirtschaft  nach  wie  vor  das  Aschen- 
brödel, dem  sich  nur  hier  und  da  ein  Forscher  zuwendet.  Das  liegt 
zum  Teil  sicher  in  der  Beschaffenheit  des  Materials  begründet ,  das 
vielfach  erst  in  vorläufigen,  nicht  jedem  zugänglichen  Veröffentlichungen 
vorliegt ;  dennoch  aber  würde  die  Ungleichmäßigkeit  in  der  Behandlung 
der  verschiedenen  Gebiete  wohl  verschwinden,  wenn  die  berufeneu 
Vertreter  der  alten  Geschichte  an  unseren  Universitäten  ihre  eigene 
und  die  Aufmerksamkeit  ihrer  Schüler  mehr,  als  dies  gegenwärtig 


Jahresbericht  über  griechische  Geschichte  (1903—  190K).  241 


geschieht,  den  wirtschaftsgeschichtlichen  Untersuchungen  zuwenden 
wollten.  Gerade  hier  fehlt  an  manchen  Punkten  uoch  die  grund- 
legende Zusammenstellung  und  Sichtung  des  Materials,  die  ganz  wohl 
auch  von  jüngeren  Kräften  geleistet  werden  kann.  Eine  erfreuliche 
Ausnahme  machen  Julius  Beloch  und  seine  Schule ,  denen  wir  auch 
diesmal  einige  einschlägige  Arbeiten  verdanken.  Vor  allem  hat  Beloch 
selbst  in  den  wirtschaftsgeschichtlichen  Abschnitten  des  dritten  Bandes 
der  griechischen  Geschichte  mit  der  ihm  eigentümlichen  Schärfe  und 
Übersichtlichkeit  ein  Bild  der  wirtschaftlichen  Zustände  in  der 
griechischen  Welt  des  dritten  vorchristlichen  Jahrhunderts  gegeben. 
Verhältnismäßig  das  reichste  Material  haben  wir  in  den  Papyrus- 
urkunden für  das  Ptolemaierreich ;  hier  ist  neben  Einzeluntersuchungen 
wie  Waszynskis  Bodenpacht  abermals  eine  Gesamtschilderung  in 
Arbeit,  ich  meine  den  dritten  Band  von  Bouchö-Leclercqs  Histoire 
des  Lagides,  von  dem  aber  bisher  erst  die  erste  Hälfte  (1906)  er- 
schienen ist. 

Weitaus  am  besten  ist  diesmal  die  griechische  Finanz  Wirt- 
schaft weggekommen,  der  eine  ganze  Anzahl  einschlägiger  Ab- 
handlungen, vornehmlich  von  Francotte,  Bourguet  und  Riezler,  ge- 
widmet sind.  Zunächst  stellt  Francotte  fest,  daß  ein  eigentliches 
Budget  in  unserem  Sinne  in  den  griechischen  Staaten  gar  nicht  vor- 
handen war;  da  die  Einheit  fehlte,  gab  es  nur  eine  Reihe  von 
Spezialbudgets.  Zu  Anfang  jeden  Jahres  ward  die  sogenannte  ourcafo 
vorgenommen,  d.  h.  die  und  die  regelmäßig  wiederkehrenden  Ausgaben 
wurden  auf  bestimmte  regelmäßige  Einnahmen  angewiesen.  Es  gab 
also  eine  ganze  Reihe  von  Einzelkassen,  die  das  ganze  Jahr  mit  den  ein- 
gehenden Geldern  wirtschafteten  und  etwaige  Restbestände  (xa  irepi<5vxa 
in  Athen)  meist  direkt  in  den  Staatsschatz  oder  zur  Verteilung  unter 
das  Volk  abführten;  reichten  die  vorhandenen  Gelder  nicht,  so  wurden 
allerhand  Schiebungen  vorgenommen,  die  die  Rechnungslegung  aufs 
äußerste  erschwerten.  Das  Ergebnis  war  in  zwiefacher  Hinsicht  un- 
angenehm: mangelnder  Überblick  über  das  finanzielle  Gesamtergebnis 
des  Rechnungsjahres  und  jedesmalige  Verlegenheit  gegenüber  den  im 
Laufe  des  Jahres  erwachsenden  außerordentlichen  Ausgaben.  Selten 
traf  man  hierfür  geeignete  Vorkehrungen  wie  in  Delos  (2.  Jahrh.), 
wo  ein  Teil  der  Einnahmen  nicht  der  Ztrixafc  unterworfen  ward ,  so 
daß  dann  diese  dStocTaxxa  einen  Fonds  für  unvorhergesehene  Ausgaben 
bildeten;  anderswo  wie  in  Athen  mußte  bei  der  Beschließung „un- 
vorhergesehener Ausgaben  immer  auch  gleich  der  Kredit  mitbewilligt 
werden,  was  der  Natur  der  Sache  nach  entweder  zu  der  Veräußerung 
von  Staatseigentum  oder  zu  einer  eteepopa  —  die  aber  sehr  unbeliebt 

Jahresbericht  für  Altertum-.wmenschuft.    Bd.  CXXXV.  16 


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242 


Thomas  Lenscbau. 


war  und  daher  nur  vorsichtig  angewendet  ward,  vgl.  darüber 
Guiraud  a.  a.  0.  —  oder  zur  Aufnahme  einer  Anleihe  führen  mußte. 
Die  geschilderte  Verzettelung  der  Einnahmen  auf  eine  ganze  Reihe 
von  Ausgabenposten  des  Ordinariums  scheint  allgemein  griechische 
Sitte  gewesen  zu  sein,  sie  findet  sich  sowohl  in  Athen  und  Delos, 
wie  beim  delphischen  Heiligtum,  dessen  Finanzgeschichte  in  den 
Jahren  360—306  von  Bourguet  behandelt  worden  ist.  Hier  ist 
die  Übersicht  noch  dadurch  erschwert,  daß  fast  niemals  die  Kasse 
angegeben  wird,  aus  der  die  Ausgaben  geschöpft  werden  (S.  125), 
doch  macht  der  Verfasser  mit  Recht  darauf  aufmerksam,  daß  während 
der  von  ihm  geschilderten  Zeit  infolge  des  Tempelneubaues,  der 
Phokierherrschaft  und  der  später  eingehenden  Strafgelder  die  Finanz- 
verwaltung des  Tempels  einen  sehr  ausnahmsweisen  Charakter  trägt, 
der  nicht  ohne  weiteres  zu  Rückschlüssen  auf  die  Verwaltung  unter 
normalen  Verhältnissen  berechtigt. 

Immerhin  sind  die  Schäden  dieser  Töpfchenwirtschaft  den  Griechen 
nach  und  nach  zum  Bewußtsein  gekommen.  Etwa  seit  der  Mitte  des 
4.  Jahrhunderts  spürt  man  sowohl  in  Athen  als  in  Delphi  das  Be- 
streben ,  aus  der  Verwirrung  herauszukommen.  Als  Grundlage  für 
die  Unifizierung  des  Budgets  wird  zunächst  die  Unifizierung  der 
Kasse  angestrebt ,  d.  h.  die  Einrichtung  einer  Hauptkasse ,  in  die 
sämtliche  Einnahmen  fließen  und  aus  der  letzthin  alle  Zahlungen  zu 
leisten  sind.  In  Athen  sieht  Franc,  darin  wohl  mit  Recht  den  Einfluß 
der  großen  Finanzmänner  vom  Schlage  des  Eubulos  und  Lykurgos, 
die  damals  an  Stelle  des  jährlich  wechselnden  Rats  die  Oberleitung 
übernehmen ;  mit  ihnen  trat  die  Gewandtheit  des  Finanziers,  der  mit 
größeren  Zeiträumen  arbeiten  kann ,  an  die  Stelle  des  blutigen 
Dilettantismus  einer  jährlichen  Bule,  deren  Maßregeln  im  wesentlichen 
auf  eine  von  der  Hand  in  den  Mund  lebende  Politik  heraus- 
kamen. Offenbar  hat  die  chronische  Geldverlegenheit  des  zweiten 
Seebundes  den  Athenern  endlich  die  Augen  darüber  geöffnet,  wo 
eigentlich  der  Schaden  lag.  In  Delphi  war  es  ein  äußeres  Ereignis, 
das  den  Stein  ins  Rollen  brachte,  der  Beginn  der  phokischen  Buß- 
zahlungen, die  zu  jeder  Pylaia  30.  jährlich  60  tal.  der  Tempelkasse 
zuführten.  Bald  nachher,  in  der  Herbstpylaia  339  (vgl.  Bourg.  110  f.). 
ward  die  internationale  Behörde  der  Schatzmeister  des  Gottes  ein- 
gesetzt, die  ursprünglich  wohl  als  Vorsteher  einer  Zentralkasse 
gedacht  waren.  Aber  charakteristisch  ist  es  doch,  daß  es  in  beiden 
Fällen,  in  Delphi  wie  in  Athen,  nur  gelang,  einen  Teil  der  Finanz- 
geschäfte, die  Ausgaben,  zu  unifizieren,  indem  in  Delphi  diese  jetzt 
sämtlich  durch  die  Schatzmeister  aus  dem  Fonds  geleistet  werden. 


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Jahresbericht  Ober  griechische  Geschichte  (1903—1906).  243 

der  durch  die  Zahlungen  der  Phokier  entstanden  ist  und  dadurcli 
auch  regelmäßig  wieder  aufgefüllt  wird.  Dagegen  fließen  die  Tempel- 
einnahmen nach  wie  vor  in  verschiedene  Kassen,  so  daß  die  Unifizierung 
eben  nur  nach  einer  Seite  hin  wirklich  erfolgt  ist  (Bourg.  S.  126  f.). 
Ähnlich  ging  die  Sache  in  Athen,  wo  die  Begründung  der  Theoriken- 
kasse  das  Mittel  war.  In  diese  flössen  alle  Restbestände  der  Spezial- 
kassen; erst  dadurch  ward  es  dem  Vorsteher  dieser  Kasse  möglich, 
einen  Gesamtüberblick  über  die  regelmäßigen  Jahresausgaben  zu  ge- 
winnen, und  zugleich  besaß  er  in  ihr  einen  Fonds  für  unvorher- 
gesehene Ausgaben,  weswegen  denn  auch  Demosthenes  ihre  Um- 
wandlung zur  Kriegskasse  durchsetzte.  Die  völlige  Einigung  aller 
Ein-  und  Ausgänge  aber  und  damit  die  Möglichkeit  der  Aufstellung 
eines  wirklichen  Budgets  ist  wohl  erst  in  den  hellenistischen  Monarchien 
vorhanden  gewesen,  die  auch  nach  dieser  Seite  hin  einen  bedeutenden 
Fortschritt  der  Entwicklung  zeigen. 

Man  sieht,  der  wunde  Punkt  in  der  Finanzwirtschaft  der  meisten 
griechischen  Staaten  war  die  Deckung  unvorhergesehener 
Ausgaben,  deren  Entstehen  die  Entwicklung  notgedrungen  mit  sich 
brachte,  und  dieser  Aufgabe  gegenüber  haben  sich  denn  auch  die 
Finanzgenies  der  griechischen  Stadtstaaten  hauptsächlich  betätigt. 
Eine  Anzahl  der  dabei  gewonnenen  „Lösungen"  bietet  der  pseudo- 
aristotelische Oikonomikos ,  der  bald  nach  Alexanders  Tode  zu- 
sammengestellt ist.  Eine  sorgfältige  Untersuchung  des  darin  ent- 
haltenen Materials  verdanken  wir  Kurt  Riezler,  der  im  ersten  Teil 
seiner  Arbeit  zunächst  die  Natur  der  durch  die  eigentümlich  ab- 
gerissene, exzerpierende  Form  der  Darstellung  ziemlich  verdunkelten 
Finanzkniffe  festzustellen  sucht.  Es  liegt  in  der  Natur  der  Sache, 
daß  man  hier  nicht  immer  mit  dem  Verfasser  übereinstimmen  wird, 
der  dem  griechischen  Ausdruck  doch  manchmal  etwas  zu  viel  zu- 
mutet,  selbst  wenn  man  einem  Exzerpt  gegenüber  alle  möglichen 
Freiheiten  walten  läßt.  Auch  in  der  Sache  selbst  sind  oft  andere 
Erklärungen  möglich,  wie  denn  der  Finanzkniff  des  Hippias  bei  der 
Einziehung  des  Staatssilbergeldes  m.  E.  von  Se eck  richtiger  als  vom 
Verfasser  erkannt  worden  ist  (vgl.  oben  S.  88  f.).  Auf  Grund  des 
so  gewonnenen  Materials  geht  aber  lliezler  dann  S.  47  zu  einer 
Gesamtdarstellung  griechischer  Stadtwirtschaft  über,  die  —  ich  will 
das  gleich  von  vornherein  sagen  —  dem  Gegenstande  nicht  gerecht 
wird,  weil  sie  in  der  Beurteilung  der  Schrift  von  einem  unrichtigen 

* 

Standpunkt  ausgeht.  Danach  sind  die  Mittel,  durch  die  der  Staat 
zu  Geld  zu  kommen  sucht,  sehr  mangelhafter  Natur:  Verkauf  oder 
Verpachtung  von  Domänen  und  Gerechtsamen,  d.  h.  also  Verminderung 

16* 


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244 


Thomas  Lensehau. 


der  Staatsfonds;  ferner  wirtschaftliche  Monopole,  meist  nur  so  lange 
ausgeübt,  wie  die  Not  vorhielt,  aber  besonders  schädlich,  weil  sie 
eine  Unsicherheit"  aller  kommerziellen  und  gewerblichen  Verhaltnisse 
schufen ;  endlich  direkte  dayopai  und  Anleihen ,  aber  beide  nur  in 
geringem  Maße.  Jene  wurden  als  eine  partielle  Vermögenskontiskation 
aufgefaßt  und  als  sehr  drückend  empfunden;  Anleihen  aber  konnten 
nur  deswegen  eine  geringe  Rolle  spielen,  da  der  Staat  selbst  durch 
Nichtzahlung,  Unterlassen  des  regelmäßigen  Zinsendienstes  usw.  seine 
Kreditfähigkeit  in  der  gröblichsten  "Weise  schädigte:  im  allgemeinen 
erfolgte  nur  dann  Zahlung,  wenn  der  Gläubigerstaat  oder  die  Gläubiger 
den  Schuldnerstaat  zu  zwingen  vermochten ,  was  doch  nur  selten 
vorkam  Ich  glaube,  daß  gerade  nach  dieser  Seite  hin  R.  die  Zu- 
stände viel  zu  düster  gemalt  hat.  Vertrauensbrüche  bankerotter 
Länder  sind  doch  auch  in  unseren  Tagen  gerade  keine  Seltenheit, 
um  vom  Ausgang  des  Mittelalters  gar  nicht  zu  reden,  wo  der  Staats- 
bankerott ein  sehr  beliebtes  Mittel  war,  die  Finanzen  zu  sanieren. 
Die  Hauptsache  ist  aber  doch  die  —  und  damit  komme  ich  auf  den 
prinzipiellen  Fehler,  den  Riezler  m.  E.  begangen  hat  — ,  daß  nämlich 
die  im  Oikonomikos  uns  überlieferten  Zustände  nicht  die  Regel, 
sondern  die  Ausnahme  darstellen.  Maßgebend  für  die  Anlage  der 
Sammlung  war  die  Freude  der  Griechen  an  allerhand  Kniffen,  Tricks 
und  Gaunereien ,  in  denen  sich  die  -avoop^ia  oder  geschäftliche 
smartness  zeigte ,  wie  sie  seit  der  Odyssee  und  dem  Hymnos  auf 
Hermes  oft  genug  in  ihrer  Literatur  hervortritt;  aber  falsch  wäre  es 
doch,  in  dieser  Sammlung  volkswirtschaftlicher  Kuriositäten  etwa  eine 
Anleitung  zur  Finanzpolitik  zu  erblicken;  wenn  auch  der  Vf.  von  c.  1 
etwas  derartiges  beabsichtigt  haben  mag.  so  ist  doch  die  angehängte 
Beispielsammlung  sicher  nicht  von  ihm  für  seine  Zwecke  gemacht. 
Leute  wie  Eubulos ,  Lykurgos,  Kleomenes  waren  schließlich  keine 
Gauner,  und  ein  Buch  wie  die  Schrift  irepl  zoptuv,  die  uns  unter 
Xenophons  Namen  überliefert  ist  und  auch  vielleicht  wirklich  von 
ihm  stammt  ,  gibt  jedenfalls  ein  besseres  Bild  der  wirtschaftlichen 
Grundanschauungen,  die  um  350  herrschten.  Man  mag  die  Vorschläge 
des  Verfassers  mit  Böckh  (Sth.  8  I,  bl>8  ff.)  als  unpraktisch  belächeln, 
was  ich  übrigens  gar  nicht  einmal  für  ganz  richtig  halte,  die  Gruiid- 
anscliauung,  daß  man  Handel  und  Industrie  heben  müsse,  wenn  man 
dem  Staat  größere  Einnahmen  verschaffen  wolle,  ist  doch  gesund  und 
himmelweit  von  jenem  volkswirtschaftlichen  Raubbau  entfernt,  der  die 
Anekdoten  des  Oikonomikos  charakterisiert.  Übrigens  weist  der  Vf. 
au  einzelnen  Stellen,  wie  z.  B.  bei  der  Münzpolitik,  mit  vollem  Recht 
darauf  hin,  daß  hier  ein  derartiger  Raubbau  unmöglich  war;  einer 


Jahresbericht  über  griechische  Geschichte  (1903—1906).  245 

systematischen  Aneignung  des  Unterschiedes  zwischen  Kurs-  und 
Metallwert  sind  sehr  enge  Grenzen  gezogen.  Größere  Staaten  hielten 
auf  vollwertige  Münze,  so  daß  athenisches  Geld  um  350  noch  Überali 
beim  Wechseln  einen  Agiogewinn  erzielte,  und  unter  der  Unzahl  uns 
erhaltener  Münzen  sind  unterwertig  ausgebrachte  Stücke  doch  ver- 
hältnismäßig selten.  Keinesfalls  aber  darf  man  mit  R.  sagen,  daß 
der  Raub  in  der  griechischen  Stadtwirtschaft  tatsächlich  eine  große 
Rolle  gespielt  hat,  wenn  es  auch  immer  hier  und  da  kleine  Gemein- 
wesen gegeben  hat,  wie  den  famosen  Kommunistenstaat  auf  Lipara. 
dessen  eigentümliche  Verfassung  eben  auf  der  Piraterie  beruhte,  wie 
Kazarow  richtig  gezeigt  hat,  der  aber  mit  dem  Aufhören  dieser 
seiner  ursprünglichen  Lebensgrundlage  bald  wesentliche  andere  Formen 
annahm. 

Aber  R.  geht  noch  einen  Schritt  weiter  und  sucht  die  von  ihm 
geschilderte  Eigentümlichkeit  der  griechischen  Stadtwirtschaft  aus  der 
allgemeinen  Entwicklung  zu  begreifen.  Wir  haben  den  Existenzkampf 
der  Polis  vor  uns,  die  ihre  Daseinsgrundlagen  schwinden  sieht  und 
nun  mit  Gewalt  sich  aufrechtzuhalten  sucht,  eine  überlebte  Form, 
die  den  veränderten  wirtschaftlichen  Verhältnissen  nicht  mehr  ent- 
spricht. Allein  wenn  R.  als  die  drei  grundlegenden  Eigenschaften 
der  Polis  ihre  Allmacht  den  Mitgliedern  gegenüber,  ihre  Autarkie 
und  den  Willen  zur  Macht  betrachtet,  der  sich  in  dem  Bestreben 
betätigt,  andere  Gemeinwesen  zu  knechten,  so  vergißt  er  doch,  daß 
dieser  Wille  zur  Macht  erst  da  hervorzutreten  beginnt,  wo  die  Lebens- 
grundlage der  Polis,  ihre  Autarkie,  zerstört  ist.  Weil  es  seine 
wachsende  Bevölkerung  nicht  mehr  ernähren  konnte,  begann  Sparta 
seine  Eroberungspolitik ,  und  weil  es  der  Getreidezufuhr  in  einem 
Maße  bedurfte,  wie  keine  andere  hellenische  Stadt,  mußte  Athen  die 
unbedingte  Seeherrschaft  zu  behaupten  suchen;  es  ist  Themistokles 
Verdienst,  diese  Notwendigkeit  erkannt  zu  haben,  wie  R.  auch  richtig 
hervorhebt.  Das  Unglück  war,  daß  keiner  von  beiden  Staaten  die 
Macht  hatte,  Griechenland  nicht  nur  politisch,  sondern  auch  wirt- 
schaftlich zu  einen.  Ihre  engherzige  Bürgerrechtspolitik  hat  die  Polis 
zugrunde  gerichtet,  wie  zuerst  Ed.  Meyer  in  seiner  glänzenden  Dar- 
legung GdA.  IV,  12  ff.  gezeigt  hat.  Insofern  hat  R.  ja  recht:  die 
verlorene  Autarkie  herzustellen,  war  für  die  Polis  unmöglich,  da  sie 
nicht  imstande  war,  sich  auszudehnen,  und  die  zu  ihrem  Unterhalt 
notwendigen  Gebiete  wirklich  zu  inkorporieren.  Also  schließt  er, 
blieb  ihr  nur  möglich,  entweder  sich  abzuschließen  und  künstlich  die 
Autarkie  wiederherzustellen  oder  gewaltsam  die  ihrer  Existenz  feindliche 
Entwicklung  zu  stören;   beides  hat  jene  schweren,  vernichtenden 


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24(5 


Thomas  Lenschau. 


Eingriffe  hervorgerufen,  die  der  griechischen  Stadtwirtschaft  eigen- 
tümlich sind.  Allein  das  trifft  doch  nur  in  erster  Linie  auf  die  kleinen 
Gemeinwesen  zu,  für  die  im  4.  Jahrh.  die  Zeit  allerdings  vorbei 
war.  Es  ist  charakteristisch  und  ebenfalls  m.  E.  von  Riezler  nicht 
genügend  beachtet,  daß  die  meisten  Notizen  des  Oikonomikos  dem 
4.  Jahrhundert  entstammen  und  sich  auf  recht  unbedeutende  Städte 
beziehen.  So  gilt  das  düstere  Gemälde,  das  R.  entworfen  hat,  eben 
doch  nur  für  die  kleine  Polis  im  Augenblick  ihres  Unterganges  und 
kann  deshalb  kein  Bild  einer  normalen  griechischen  Stadtwirtschaft 
darstellen.  Indem  ich  damit  von  R.s  Arbeit  Abschied  nehme,  möchte 
ich  nur  das  eine  hinzufügen :  wenn  auch  in  der  vorhergehenden  Kritik 
naturgemäß  der  abweichende  Standpunkt  hervortritt,  so  bleibt  die 
Schrift  doch  immer  einer  der  interessantesten  und  gehaltvollsten 
Beiträge,  die  die  diesmalige  Berichtsperiode  zur  griechischen  Wirt- 
schaftsgeschichte geliefert  hat. 

■ 

Noch  ein  Punkt  der  städtischen  Finanzwirtschaft  verdient  be- 
sondere Aufmerksamkeit,  die  Beschaffung  billigen  Brot- 
getreides für  die  Massen,  die  um  so  nötiger  war,  als  mangel- 
hafte Verbindungen  und  das  Fehlen  einer  Warenbörse  die  Teuerungen 
und  Hungersnöte  zu  einer  notwendigen  Begleiterscheinung  des  wirt- 
schaftlichen Lebens  machten.  Eingehend  und  im  größeren  Zusammen- 
hang hat  Francotte  die  Frage  behandelt  und  unter  vollständiger 
Vorlegung  des  Materials  die  verschiedenen  Mittel  erörtert,  mit  denen 
man  solchen  Teuerungen  begegnete.  Aber  zugleich  zeigt  er  auch, 
wie  das  Verfahren,  Getreide  zu  billigem  Preise  an  Unbemittelte  ab- 
zugeben ,  schließlich  mit  Notwendigkeit  zu  Gratisverteilungen  führen 
mußte.  Auch  hier  treffen  wir  auf  den  so  oft  erkennbaren  Zusammen- 
hang zwischen  römischen  und  hellenistischen  Einrichtungen.  Ein 
neues  Beispiel  für  die  verschiedenen  Arten,  wie  man  diese  Getreide- 
versorgung bewerkstelligte,  hat  das  neuentdeckte  vonWiegand  und 
v.  W  i  1  am o  w  i  t z  veröffentlichte  Gesetz  v.  Samos  gegeben,  das  nach  dem 
Urteil  der  Herausgeber  in  den  Beginn  des  zweiten  Jahrhunderts  v.  Chr. 
gehört.  Der  in  dem  Gesetz,  um  dessen  genauere  Erklärung  sich  auch 
Thalheim  verdient  gemacht  hat,  geschilderte  Modus  ist  im  großen 
und  ganzen  folgender.  Durch  freiwillige  Beiträge,  d.  h.  also  durch 
eine  Art  Zwangsanleihe  bei  den  reicheren  Bürgern  wird  ein  Fonds  ge- 
schaffen, dessen  Zinsen  zum  Ankauf  von  Brotgetreide  zu  verwenden 
sind;  dabei  soll  in  erster  Linie  das  dem  Tempel  der  Hera  Anaia 
(saniischer  Besitz  auf  dem  Festlande)  zufließende  Zehent-  oder 
richtiger  Zwanzigstelgetreide  berücksichtigt  werden,  was  natürlich 
dazu  dient,  dem  Tempel  einen  sicheren  Abnehmer  zu  zivilen  Preisen 


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Jahresbericht  über  griechische  Geschichte  (1903—1906).  247 

(5Vs  dr.,  offenbar  für  den  Scheffel)  zu  verschaffen.  Übrigens  hatte 
die  Sache  noch  einen  zweiten  Vorteil:  die  vorhandenen  Fonds,  zam 
Teil  auch  die  noch  nicht  verbrauchten  Zinsen  werden  gegen  Bürg- 
schaft ausgeliehen;  sie  dienten  kleineren  Gewerbe-  und  Handel- 
treibenden dadurch  als  Betriebskapital,  wovon  sonst  damals  nicht 
allzuviel  vorhanden  war.  Mit  Recht  weist  Wilara.  in  einer  lehrreichen 
Anmerkung  (S.  928,  A.  1)  auf  den  Zusammenhang  mit  den  römischen 
Getreide  Verteilungen  und  daneben  auf  die  Ursache  des  Mangels  an 
Betriebskapital  hin:  es  gab  keine  Börse,  die  den  bequemen  Umlauf 
der  immerhin  in  Tempel-  und  Privatbesitz  vorhandenen  Gelder 
regelte. 

Damit  kommen  wir  auf  den  Geldhandel  im  Altertum  zu 
sprechen  und  seine  wichtigsten  Vermittler,  die  Bankiers,  über  die 
ßreccia  eine  eingehende  Studie  geliefert  hat.  Nach  Vorlegung  des 
gesamten  Materials  sucht  er  zunächst  den  Wirkungskreis  der  Privat- 
bankiers zu  umschreiben  und  geht  hier  von  der  Ähnlichkeit  zwischen 
der  Geschäftsführung  der  Tempelkassen  und  der  der  Privatbanken 
aus.  Jene  waren  seiner  Ansicht  nach  reine  Depositenbanken,  die 
keinerlei  Zins  gaben,  öfter  noch  eine  Vergütung  für  die  sichere  Auf- 
bewahrung forderten,  und  im  übrigen  die  Depositengelder  für  sich 
arbeiten  ließen,  diese  garantierten  einen  festen  Zinssatz,  während  sie 
selber  zu  höheren  Sätzen  ausliehen.  Ich  muß  gestehen,  daß  ich  an 
diesen  Fundamentalunterschied  Breccias  nur  bedingungsweise  glaube, 
sofern  eine  zinslose  Übergabe  mobiler  Kapitalien  an  den  Tempelschatz 
mir  nur  für  die  älteste  Zeit,  wegen  der  damals  allgemein  herrschenden 
Unsicherheit,  denkbar  erscheint.  Später,  besonders  nach  dem  Auf- 
kommen der  Privatbanken,  müssen  sich  die  Tempel,  wenn  sie  Kapital 
anlocken  wollten  —  und  selbst  ein  so  großes  Heiligtum  wie  Delphi 
erhielt  an  freiwilligen  Spenden  im  4.  Jahrb.  nach  Bourguets  Schätzung 
kaum  mehr  als  4  tal.  jährlich  —  doch  dazu  verstanden  haben,  einen 
wenn  auch  nur  mäßigen  Zinsfuß  zu  garantieren.  Die  Anlage  bei 
ihnen  galt  eben,  wie  wir  sagen  würden,  als  pupillarisch  sicher.  Allein 
abgesehen  davon,  daß  im  Depositengeschäft  zwischen  Privatbanken 
und  Tempelverwaltung  kein  grundsätzlicher  Unterschied  war,  scheint 
es  mir  überhaupt  ziemlich  unwahrscheinlich,  daß  das  Depositen- 
geschäft die  Wurzel  war,  aus  dem  die  Bank  erwachsen  ist.  Vielmehr 
war  der  Urtypus  wohl  der  Geldwechsler,  der  Lei  der  Vielgestaltigkeit 
der  griechischen  Münzprägung  früh  eine  bedeutende  Rolle  gespielt 
haben  muß.  Wahrscheinlich  war  der  anfänglich  von  ihnen  ge- 
nommene Agiogewinn  sehr  bedeutend,  und  dies  wird  der  Anlaß 
gewesen  sein,  daß  der  Staat,  um  Bürger  und  Fremde  im  eigenen 


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Thomas  Lenschau. 


Interesse  zu  schützen,  ihnen  nach  dieser  Seite  hin  gewisse  Be- 
schränkungen auferlegte;  diese  aber  konnten  um  so  eher  ertragen 
werden,  wenn  der  Staat  bestimmten  Wechslern  ein  Monopol  gewährte, 
wie  das  z.  B.  in  Byzanz  der  Fall  war.  Insbesondere  muß  Athen,  das 
in  seinem  Reiche  nur  die  Zirkulation  der  eigenen  Münze  duldete,  die 
Hilfe  der  Privatbankiers  benutzt  haben,  um  das  massenhaft  ein- 
strömende fremde  Silbergeld  zu  beseitigen.  So  bildeten  sich  bald 
feste  Beziehungen  zum  Staat  heraus,  und  diese  haben  ebenso  wie  der 
sich  ansammelnde  Reichtum  und  die  im  ganzen  reelle  Geschäftsführung 
schließlich  bewirkt,  daß  man  den  Wechsler  auch  Depositen  an- 
vertraute. Diese  völlig  ausgebildete  Form  des  Bankgeschäfts  nimmt 
Breccia  wohl  mit  Recht  schon  für  eine  ziemlich  frühe  Zeit  an.  Daß 
auch  die  Tempel  mit  Privatbanken  in  Verbindung  standen,  halte  ich 
für  durchaus  wahrscheinlich;  so  gut  wie  sie  selbständig  Kapital  an- 
legten, konnten  sie  auch  den  Bankiers  Gelder  zur  Anlage  übergeben. 
Daß  sie  sich  dabei  vor  allzu  gewagten  Unternehmungen  zu  schützen 
suchten  und  ein  Verzeichnis  über  die  Art  und  Weise  verlangten,  wie 
das  Geld  angelegt  war,  ist  sehr  wohl  möglich;  so  verstehe  ich  die 
viel  behandelte  Stelle  in  der  koischen  Inschrift  xol  dicoScixvüfievoi 
öirö  xwv  xpareCixav  rt  aXXto?  ra>«.  Gemeint  wären  also  die  Tempel- 
schuldner, die  das  Geld  durch  Vermittlung  der  Bankiers  oder  sonstwie, 
auch  direkt  entliehen  hatten.  Wenig  plausibel  dagegen  erscheint  mir 
Breccias  Ansicht  (S.  288  f.),  xpaiceCa  heiße  einfach  Kasse  und  so 
werde  xpaireCtx/;?  auch  von  dem  einer  Staatskasse  vorstehenden 
Kassierer  gebraucht;  ö^posia  xpa^eCa  bedeute  also  nichts  anderes  als 
öffentliche  Kasse.  Vielmehr  liegt  die  Sache  wohl  so,  daß  bei  den 
mannigfachen  Beziehungen  zwischen  Staat  und  Bankiers  die  Behörden 
jährlich  einige  von  ihnen  ernannten,  die  deu  Staat  bedienten;  diese 
hatten  dann  das  Recht  ,  ihr  Geschäft  als  Sr^osia  xpaireCa  zu  be- 
zeichnen. An  Staatsbanken  im  heutigen  Sinne  glaube  ich  ebensowenig 
wie  Breccia.  Weiterhin  beschäftigt  sich  Breccia  eingehend  mit  den 
verschiedenen  Geschäftszweigen  einer  Bank ,  besonders  mit  den  Dar- 
lehen ,  deren  Form  sehr  vielseitig  war.  Es  gab  Darlehen  gegen 
Hypothek,  gegen  Bürgschaft  usw.;  vor  allem  aber  war  auch  das 
kleine  Lombardgeschäft,  dem  jetzt  unsere  Leihhäuser  dienen,  damals 
durchaus  in  den  Händen  des  Bankiers.  Übrigens  bestreitet  Br.  wohl 
mit  Recht  die  hier  und  da  aufgestellte  Behauptung,  daß  die  ordnungs- 
mäßig geführten  Bücher  des  Bankiers  absolute  Beweiskraft  vor  Gericht 
gehabt  hätten.  Offenbar  wurde  ihnen  nur  da,  wo  andere  Beweismittel 
fehlten,  ein  Wahrscheinlichkeitswert  zugebilligt. 

Abgesehen  vom  Bankiergeschäft  sind  nur  wenige  Gebiete  des 


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Jahresbericht  über  griechische  Geschichte  (1903—1906). 


249 


antiken  Handels  eingehender  bearbeitet.  Die  Handelsgeschichte  von 
Speck,  deren  zweiter  Band  die  Griechen  umfaßt,  ist  wenig  mehr 
als  ein  Lesebuch  etwa  für  Handelshochschüler  und  hat  nicht  einmal 
als  Zusammenstellung  des  Materials  Wert,  da  nur  sehr  selten  Nach- 
weise gegeben  werden.  Das  ist  um  so  bedauerlicher,  als  gerade  eine 
Sammlung  aller  bei  den  alten  Schriftstellern  vorkommenden  Notizen 
über  Handel  und  Hundeisbeziehungen  von  großem  Nutzen  sein  konnte. 
Einen  bestimmten  Zweig  des  Handels,  den  attischen  Handel 
mit  Ton  vasen  bespricht  P o 1 1 i e r.  Er  geht  von  der  durch  Paolo 
Orsi  u.  a.  festgestellten  Tatsache  aus ,  daß  in  Italien  und  Sizilien 
während  des  6.  Jahrhunderts  nach  und  nach  die  korinthischen, 
chalkidischen ,  ionischen  Vasen  verschwinden  und  plötzlich  attische 
an  ihre  Stelle  treten.  Die  Ursache  davon  sucht  er  in  der  Unter- 
werfung Ioniens  durch  Kyros,  die  vor  allem  auch  Korinth  und  Chalkis 
schwer  geschädigt  habe.  Ob  diese  letzte  Behauptung  zutrifft,  steht 
doch  noch  sehr  dahin;  Chalkis  hatte  im  lelantischen  Kriege  gelitten, 
und  Korinth  hatte  höchstens  Vorteil  davon,  daß  seine  schärfsten 
Konkurrenten  mit  den  Persern  zu  tun  bekamen.  Aber  so  viel  ist  klar, 
der  Export  ionischer  Tongefäße  nach  dem  Westen  hat  durch  die 
politischen  Ereignisse  in  der  zweiten  Hälfte  des  6.  Jahrhunderts,  vor 
allem  auch  durch  die  Vernichtung  von  Sybaris,  einen  starken  Stoß 
bekommen.  Nun  ist  es  aber  eigentümlich,  daß  von  Handelsbeziehungen 
Athens  zu  Etrurien  nur  sehr  wenig  zu  erkennen  ist.  Je  häufiger 
archaische  attische  Münzen  in  Unteritalien  sind,  um  so  mehr  überrascht 
ihr  gänzliches  Fehlen  in  Etrurien  und  hieraus  hat  Heibig  den  Schluß 
gezogen,  daß  im  6.  Jahrh.  ein  direkter  Vasenhandel  zwischen  Etrurien 
und  Athen  Uberhaupt  nicht  bestand,  daß  vielmehr  Syrakus  den 
Zwischenhändler  zwischen  beiden  abgegeben  habe.  Dann  aber  ist 
es  doch  sehr  merkwürdig,  wie  P.  mit  Recht  hervorhebt,  daß  sich  fast 
gar  keine  schwarzfigurigen  attischen  Vasen  auf  Sizilien  gefunden 
haben,  und  so  kommt  er  zu  dem  Schluß,  daß  eben  doch  ein  direkter 
Verkehr  zwischen  Athen  und  Etrurien  auch  im  6.  Jahrh.  bestanden 
haben  muß.  Allein  er  bezog  sich  keineswegs  allein  auf  die  Gefäße, 
sondern  auch  auf  das  Öl,  das  darin  versandt  wurde,  und  dessen  Export, 
seit  Solon  die  Erlaubnis  dazu  gegeben  hatte,  einen  erheblichen  Auf- 
schwung nahm:  später  ward  wahrscheinlich  auch  Wein  ausgeführt, 
da  das  solonisehe  Verbot  nicht  allzulange  vorgehalten  zu  haben 
scheint.  Das  würde  zugleich  —  dies  scheint  mir  ebenfalls  eine 
richtige  Bemerkung  P.s  —  erklären,  warum  unter  den  attischen  Vaseii 
die  Amphorenform  dominiert.  Der  Inhalt  bestimmte  die  Form  des 
Gefäßes,  eine  Beziehung,  die  auch  bei  den  kleinen  Salbenbüchsen  von 


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Thomas  Lenschau. 


Korinth  und  den  Oinochoen  aas  Rhodos,  weniger  allerdings  bei  den 
korinthischen  Mischkrügen  und  den  Bechern  von  Kyrene  zu  erkennen 
ist.  Die  Ansicht  Pottiers  hat  vieles  für  sich,  nur  ein  Punkt  bedarf 
in.  E.  der  Aufklärung:  wenn  etruskische  Schiffe  direkt  nach  dem 
Peraieus  gingen,  um  Öl  und  Wein  zu  holen,  woraus  bestand  die 
Hinfracht?  Etruskische  Bronzen,  wie  P.  nach  Loeschkes  Vorgang 
annimmt,  dürften  dazu  kaum  genügt  haben,  eher  wohl  noch  Getreide. 
Ich  halte  es  für  durchaus  möglich,  daß  Athen  im  6.  Jahrhundert 
seinen  Getreidebedarf  im  Westen  deckte  und  erst  später,  sicher  schon 
zur  Zeit  der  Perserkriege  die  Pontosländer  heranzog. 

Einen  weiteren  wichtigen  Beitrag  zur  Handelsgeschichte,  allerdings 
aas  viel  späterer  Zeit  gibt  die  im  vorigen  Kapitel  erwähnte  Ab- 
handlung von  Tarn,  der  S.  288  ff.  zeigt,  daß  ein  direkter 
Verkehr  Chinas  mit  dem  Westen  vor  der  Zeit  des  Kaisers 
Wu-te  (140 — 87  v.  Chr.)  bisher  nicht  nachgewiesen  ist.  Man  ist 
daher  zunächst  nur  berechtigt,  für  die  frühere  Zeit  indirekten  Ver- 
kehr anzunehmen.  Auf  diesen  werden  also  wahrscheinlich  die 
griechisch-baktrischen  Münzfunde  zurückgehen ,  die  im  Tarimbecken 
gemacht  worden  sind.  Immerhin  erinnert  aber  doch  auch  Tarn  daran, 
daß  die  Herrschaft  der  griechisch-baktrischen  Könige  im  Nordosten 
über  die  Hochflächen  Innerasiens  weg  bis  zum  Altai  gereicht  haben 
muß,  was  er  aus  ihrem  Goldreichtum  schließt;  Eukratides  hat  die 
größten  griechischen  Goldmünzen  geprägt,  die  wir  kennen.  Wenn 
das  aber  richtig  ist,  so  müssen  die  Grenzen  des  griechisch-baktrischen 
Reiches  sich  denen  der  Achtzehn  Provinzen  doch  sehr  genähert  haben, 
so  daß  die  Möglichkeit  eines  direkten  Verkehrs  in  früheren  vor- 
christlichen Jahrhunderten  trotz  der  gegenteiligen  chinesischen  Zeug- 
nisse nicht  abzuweisen  ist,  wie  übrigens  auch  T.  zugibt. 

Während  in  der  vorigen  Berichtsperiode  eine  ganze  Reihe  von 
Arbeiten  sich  mit  den  industriellen  Verhältnissen  Griechen- 
lands beschäftigte,  kann  diesmal  nur  eine  einzige  zur  Besprechung 
gelangen,  da  mir  das  Buch  von  Osborne  nicht  zugänglich  gewesen 
ist,  die  Dissertation  nämlich  von  Gregor  Huch  über  die  Organi- 
sation der  öffentlichen  Arbeit  in  Athen.  Seltsamerweise  scheint  sie 
gar  keine  Beachtung  gefunden  zu  haben;  mir  wenigstens  ist  keine 
Besprechung  des  Buches,  ja  kaum  ein  Zitat,  bekannt  geworden.  Ich 
halte  dies  Schicksal  der  aus  einer  Anregung  Büchers  hervorgegangenen 
Arbeit  für  unverdient,  trotz  der  etwas  doktrinären  Ausführungen  des 
ersten  Teiles,  die  zu  allerlei  Ausstellungen  Anlaß  geben  können: 
immerhin  ist  die  Art  und  Weise,  wie  hier  das  Verhältnis  des  Bau- 
herrn zum  Arbeiter,  die  verschiedenen  Arten  der  auf  einen  Bau 


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Jahresbericht  über  griechische  Geschichte  (1903—1906).  251 

bezüglichen  Urkunden,  endlich  das  Schema  der  Urkunden  selbst  aus- 
einandergesetzt wird,  sowie  die  generelle  Betrachtung  der  aus  den 
Urkunden  sich  ergebenden  Schlüsse,  in  methodischer  Hinsicht  durch- 
aus beachtenswert;  in  ihrer  Gesamtheit  bilden  H.s  Ausführungen  eine 
Art  theoretischer  Anleitung  zur  Behandlung  von  Bauurkunden,  die 
man  nicht  ohne  Nutzen  lesen  wird.  Allerdings  bedarf  seine  Ansicht, 
daß  die  Rechnungslegung  der  leitenden  Behörde  jedesmal  am  Schluß 
des  Amtsjahres  zu  erfolgen  habe,  eine  Korrektur  durch  die  oben  an- 
geführten Ergebnisse  Banniers  (s.  o.  S.  102).   Im  zweiten  Teil  geht 
nun  der  Vf.  dazu  über,  die  attischen  Bauinschriften  des  5.  Jahr- 
hunderts, in  erster  Linie  die  große  Erechtheioninschrift  für  seine  Zwecke 
zu  verwerten  und  stellt  zunächst  die  Lohnform  fest,  wobei  sich  ergibt, 
daß  der  Zeitlohn  meist  für  den  ungelernten,  der  Stücklohn  für  den 
gelernten  Arbeiter  angewandt  wurde;  insbesondere  arbeiten  Stein- 
metzen, Bildhauer,  Vergolder,  Maler,  Ornamentarbeiter  nur  im  Stück- 
lohn.   Was  die  Lohnhöhe  betrifft,  so  scheint  beim  Zeitlohn  neben 
dem  vorwiegenden  Satz  von  1  dr.  für  den  Tag  auch  ein  niedrigerer  von 
5  ob.  vorzukommen  und  zwar,  was  sehr  befremdet,  beide  anscheinend 
ohne  Unterschied  für  gelernte  und  ungelernte  Arbeit:  der  Architekt 
(1  dr.)  und  der  Hypogram mateus  (5  ob.)  bekommen  nicht  mehr  als 
der  Handlanger.    Ob  dies  mit  Recht  von  IL  auf  die  demokratische 
Gleichheit  zurückgeführt  wird,  ist  mir  zweifelhaft.   Beim  Akkordlohn 
sind  die  Grundlagen  verschieden;  eine  Vergleichung  ergibt,  daß  er 
auf  den  Tag  berechnet  fast  das  Dreifache  des  Zeitlohnes  beträgt, 
was  H.  damit  erklärt,  daß  hier  ein  Meister  mit  Gesellen  und  Lehr- 
lingen, auch  wohl  mit  Sklaven  zusammenarbeitete.    Indessen  können 
es  kaum  mehrere  gewesen  sein,  man  wird  meistens  an  den  Meister 
mit  einem  Gesellen  oder  zwei  Sklaven  zu  denken  haben;  sonst  wäre 
ja  die  auf  den  Meister  entfallende  Quote  zu  gering,  und  er  hätte 
besser  getan,  im  Zeitlohn  zu  arbeiten.   Im  großen  und  ganzen  herrscht 
also  der  Regiebetrieb  vor  mit  sehr  weitgehender  Zerlegung  der 
Akkordarbeit  in  ihre  kleinsten  Teile,  so  daß  einmal  deren  Ausführung 
leicht  zu  überwachen  und  zweitens  das  Lohnquantum  nach  den  zahl- 
reichen feststehenden  Akkordsätzen  leicht  zu  berechnen  ist.  Einmal 
aber  findet  sich  daneben,  im  Fall  des  Dionysios  von  Mclite,  ein 
förmlicher  Werkvertrag  (CIA.  I,  324  frgm.  a  col.  I,  II),  indem  eine 
bestimmte  Arbeit,  hier  die  Ausmalung  von  113  Fuß  Hohlleiste  am 
inneren  Epistyl,  dem  Genannten  für  eine  Pauschalsumme  überlassen 
wird,  wobei  er  einen  Bürgen  für  tadellose  Ausführung  zu  stellen  hat. 
Mit  Reiht  erkennt  Huch  hier  den  Keim  der  Auflösung  des  Regie- 
betriebes und  den  Anfang  des  Submissionswesens,  das  notwendig  zum 


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252 


Thomas  Lenschau. 


Unternehmtertum  und  zu  einer  Umgestaltung  der  ganzen  Gewerbe- 
verfassung  führen  mußte.  Diese  Feststellung  scheint  mir  das 
Wesentliche  an  H.s  Arbeit ;  wir  erhalten  damit  zum  ersten  Male  eine 
annähernde  Zeitbestimmung  für  einen  wichtigen  sozialen  Vorgang,  und 
da  man  wohl  annehmen  darf,  daß  damals,  als  der  Staat  sich  zu  dieser 
Änderung  entschloß  —  es  scheint  ein  Versuch  gewesen  zu  sein  — , 
in  den  Privatbetrieben  das  Unternehmertum  schon  Boden  gewonnen 
hatte,  so  würde  also  etwa  die  zweite  Hälfte  des  5.  Jahrhunderts  als 
die  Zeit  anzusehen  sein,  wo  in  Athen  der  Kleinmeister  allmählich 
durch  den  Unternehmer  verdrängt  zu  werden  begann.  —  In  den 
Einzelheiten  der  technischen  Erklärung,  in  der  Behandlung  einzelner 
Stellen  der  Inschrift  mögen  Archäologen  und  Epigraphiker  mit  Huch 
rechten;  seine  Hauptergebnisse  in  wirtschaftlicher  Hinsicht  halte  ich 
für  ziemlich  gesichert. 

Verhältnismäßig  am  schlechtesten  ist  die  antike  Landwirt- 
schaft weggekommen,  außer  dem  wertvollen  Nachweis  von  Busolt, 
daß  im  Altertum  die  Ernte  wesentlich  später  lag  als  jetzt,  ist  eigentlich 
nur  eine  Abhandlung  von  Barbagallo  zu  erwähnen,  in  der  dieser 
den  mittleren  Bodenertrag  einiger  Kulturpflanzen  im  Altertum  zu 
bestimmen  sucht.  Über  die  allgemeinen  Bedingungen  des  Ackerbaues, 
Klima,  Boden beschaffenheit  usw.  gibt  das  Buch  von  Philipp son 
guten  Aufschluß,  dessen  genauere  Besprechung  aber  einem  anderen 
Gebiet  der  Jahresberichte  vorbehalten  bleiben  muß.  Mehr  den  recht- 
lichen Verhältnissen  in  der  Landwirtschaft  sind  die  Untersuchungen 
von  Swoboda  (Titel  s.  S.  75  oben)  und  Waszynski  zugewandt,  doch 
gestatten  ihre  Ausführungen  nebenbei  allerlei  Rückschlüsse  auf 
die  Lage  der  Landwirtschaft.  Swoboda  bemüht  sich  in  der  schon 
oben  genannten  Abhandlung  mit  Erfolg,  die  Existenz  der  Hypothek, 
auch  in  der  speziell  attischen  Form  der  irpaat?  iizl  Xuaei  schon  von 
Solon  zu  erweisen,  im  Gegensatz  zu  Fustel  de  Coulanges,  Glotz  und 
Wilbrandt  ,  die  vor  Solon  noch  das  Familieneigentum  und  folglich 
Unmöglichkeit  hypothekarischer  Verschuldung  des  einzelnen  annehmen. 
Vielmehr  war  ihrer  Ansicht  nach  vor  Solon  nur  Personalverschuldung 
möglich;  Solons  größte  Tat  wäre  danach  die  Mobilisierung  des 
Familieneigentums  durch  die  Testierfreiheit.  Auf  die  Einzelheiten 
der  Widerlegung,  die  ich  im  wesentlichen  für  gelungen  eachte,  kann 
ich  hier  nicht  eingehen;  Swobodas  eigene  Ansicht  geht  dahin,  daß 
vor  Solon  die  kleinen  Grundbesitzer  im  wesentlichen  hypothekarisch 
verschuldet  waren,  teils  durch  wirkliche  Hypothek,  teils  in  der  Form 
der  irpaoic  IttI  Xosst,  während  bei  Handel-  und  Gewerbetreibenden 
die  Form  der  Personal  Verschuldung  vorherrschte.  —  Auch  bei  der 


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Jahresbericht  über  griechische  Geschichte  (1903—1906).  253 

Arbeit  von  Waszynski  ist  es  im  Rahmen  dieses  Berichtes  un- 
möglich, auf  einzelne  juristische  Fragen  einzugehen;  so  viel  aber 
scheint  sich  doch  als  gesichertes  Resultat  in  volkswirtschaftlicher 
Hinsicht  zu  ergeben,  daß  dem  Pächterstand,  der  im  alten 
Ägypten  eine  sehr  gedrückte  Stellung  einnahm,  wie  die  einseitige 
Verpflichtung  und  die  kurze  Pachtdauer  beweisen,  die  Einführung  des 
makedonisch-griechischen  Rechts  zugute  kam.  Von  da  ab  beginnen 
die  zweiseitigen  Verpflichtungen,  von  seiten  des  Verpächters  so  gut 
wie  des  Pächters,  und  die  längeren  Fristen;  beide  ermöglichten  es 
dem  Pächterstand,  sich  emporzuarbeiten  und  so  eine  bessere  Stellung 
zu  gewinnen,  die  er  dann  in  der  ersten  Römerzeit  noch  behauptete. 
Inwieweit  ähnliche  Verhältnisse  auch  in  den  übrigen  hellenistischen 
Monarchien,  insbesondere  im  Seleukidenreiche  anzunehmen  sind,  bedarf 
allerdings  noch  näherer  Untersuchung ,  die  zum  Teil  bereits  durch 
Francotte  begonnen  ist.  Auch  Be locus  wirtschaftliche  Übersicht 
über  die  Zeit  des  Hellenismus  (III,  1,  309  ff.)  ist  hier  zu  vergleichen. 

Was  die  allgemeine  wirtschaftliche  Entwicklung 
des  Mutterlandes  betrifft,  so  ist  für  die  ältere  Zeit  nicht  viel  zu 
erwähnen.  Den  Versuch  Steins,  einen  Urkommunismus  zu  kon- 
struieren und  als  ein  Überbleibsel  desselben  in  historischer  Zeit  den 
liparischen  Kommunistenstaat  zu  erweisen,  ist  von  Kazarow  wider- 
legt worden ,  der  dessen  Existenz  auf  eigentümliche  lokale  Verhält- 
nisse zurückführt.  Für  die  älteste  Zeit  der  Städtegründung  und  der 
Synoikismen  sind  in  vielfacher  Hinsicht  Francottes  Ergebnisse 
interessant  und  wertvoll ,  der  eine  Reihe  ähnlicher  Vorgänge ,  die 
sich  im  vollen  Lichte  der  Geschichte  auf  Rhodos  und  in  Kurien  ab- 
spielen, eingehend  dargestellt  hat.  Im  übrigen  aber  hat  sich  die 
Forschung  auf  diesem  Gebiete  mehr  der  späteren  Zeit,  dem  Über- 
gange zum  Hellenismus,  zugewendet.  Seit  Pöhlmanns  Darstellung 
gilt  es  als  ausgemacht,  daß  im  4.  Jahrhundert  eine  immer  steigende 
Proletarisierung  der  Massen  eingetreten  ist,  die  zum  Teil  mit  dem 
Steigen  der  Preise  von  350  bis  300  zusammenhängt.  Einzelne 
Erscheinungen  wie  die  oben  erwähnte  allmähliche  Zersetzung  des 
Gewerbes  durch  die  Zurückdrängung  des  Kleinmeisterstandes  durch 
den  Unternehmer  sind  nur  geeignet,  diese  Auffassung  von  dem  all- 
gemeinen Gange  der  Entwicklung  zu  bestätigen.  Daß  man  aber 
darum  nicht  ohne  weiteres  auf  eine  Einwirkung  in  der  inneren  Politik 
schließen  darf,  als  ob  diese  etwa  jetzt  vollkommen  von  dem  Gegensatz 
zwischen  Besitzenden  und  Besitzlosen  beherrscht  wird,  haben  die 
schönen  Untersuchungen  S  u  n  d  w  a  1 1  s  gelehrt.  In  statistischen  Zu- 
sammenstellungen, wie  sie  jetzt  durch  Kirchners  Prosopographia  attica 


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254  Thomas  Lenschau. 

möglich  geworden  sind,  zeigt  er  zunächst,  daß  in  Athen  auch  von 
360—322  ebenso  wie  in  den  vorhergehenden  Jahren  die  Reichen  und 
Wohlhabenden  bei  der  Besetzung  des  Rates  und  der  Beamtenstellen 
das  Übergewicht  haben ;  insbesondere  entstammen  Feldherren,  Staats- 
männer, Gesandte,  Redner  durchaus  den  begüterten  Klassen.  Nur 
die  Marinebehörden  scheinen  sich  aus  dem  Mittelstand  oder  den 
niederen  Schichten  der  Bevölkerung  zusammengesetzt  zu  haben,  und 
damit  bringt  S.  die  Verwirrung  und  Ungenauigkeit  der  Seeurkunden 
zusammen ,  was  denn  freilich  dem  Pflichtgefühl  und  der  Fähigkeit 
zur  politischen  und  Verwaltungstätigkeit  bei  diesen  Klassen  kein  sehr 
günstiges  Zeugnis  ausstellt.  Wenn  sich  nun  aber  die  Führer  der 
demokratischen  wie  der  makedonischen  Partei  wesentlich  aus  den- 
selben Gesellschaftsklassen  rekrutierten,  so  wird  damit  die  Auffassung 
hinfällig,  als  habe  sich  Philipps  Politik  wesentlich  und  ausschließlich 
auf  die  besitzenden  Klassen  gestürzt.  Vielmehr  gehörte  ein  großer 
Teil  von  ihnen  auch  zur  Gegenpartei  und  man  darf  sagen,  daß  sie 
auch  in  der  Folgezeit  die  politische  Gewalt  über  die  Massen  be- 
hauptet haben.  Überhaupt  aber  scheint  im  3.  Jahrhundert  die 
Proletarisierung  der  Massen  nicht  in  demselben  Maße  vorwärts  ge- 
gangen zu  sein,  da  die  Auswanderung  vielen  es  ermöglichte,  sich  im 
Koloniallaude  eine  neue  Existenz  zu  gründen. 

Die  wirtschaftliche  Entwicklung  der  hundert  Jahre  nach  Alexanders 
Tod  hat  Bei  och  in  einem  meisterhaften  Kapitel  seiner  Griechischen 
Geschichte  (III,  1,  Kap.  8,  S.  279—330)  dargestellt.  Vor  allem  hebt 
er  das  Anwachsen  des  Weltverkehrs  hervor,  der  sich  gegen  die 
frühere  Zeit  mehr  als  verdoppelte,  besonders  durch  die  Verbesserung 
der  Handelswege  und  die  Erschließung  der  Kulturländer  des  Ostens. 
Während  die  Seleukiden  die  Straße  des  Landlmndcls  sichern,  die  aus 
dem  Innern  Asiens  über  die  Hauptumschlagsplätze  Seleukeia  am 
Tigris  und  Antiocheia  das  Meer  erreicht  (S.  288),  wenden  sich  die 
Ptolemaier  dem  Verkehr  nach  Indien  zu.  dessen  Kopfstation  Alexandreia 
bildet,  ohne  doch  die  direkte  Fahrt  über  das  Rote  Meer  auszudehnen 
(S.  293):  offenbar  haben  hier  die  Himjariten  ihre  Stellung  als 
Zwischenhändler  zwischen  Ostafrika  und  Indien  einerseits  und  Europa 
anderseits  gewahrt.  Die  Folge  ist  eine  allmähliche  Verschiebung  des 
Schwerpunktes  im  hellenischen  Handel  nach  Osten:  Rhodos  am 
Schnittpunkt  der  Verlängerung  jener  beiden  Handelsstraßen  wird  der 
erste  Transitplatz,  vor  dem  Athen  trotz  größeren  Eigenhandels  mehr 
und  mehr  zurücktritt.  Daneben  steigt  Korinth  empor,  nachdem  die 
Römer  Rhodos  durch  die  Errichtung  des  delischen  Freihafen  ruinierten, 
unbestritten  der  erste  Handelsplatz  des  Ostmeeres,  bis  der  Neid  der 


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Jahresbericht  über  griechische  Geschichte  (1903—1906).  255 

römischen  Handelswelt  ihm  das  Schicksal  Karthagos  bereitete.  Ein 
weiteres  Moment,  das  B.  mit  Recht  hervorhebt,  ist  das  massenhafte 
Einströmen  des  bis  dahin  in  den  persischen  Schatzkammern  lagernden 
Edelmetalles  in  den  Verkehr  (S.  311),  das  denn  freilich  durch  die 
Thesaurierungspolitik ,  wie  sie  erst  Lysimachos,  dann  die  Attaliden 
und  Ptolemaier  betrieben,  einigermaßen  eingeschränkt  ward.  Doch 
glaube  ich  nicht,  daß  der  Vf.  das  Rechte  trifft,  wenn  er  meint,  der 
ganze  Zuwachs  an  Bargeld  sei  durch  die  Erweiterung  des  Verkehrs 
absorbiert  und  eben  darum  sei  ein  Steigen  der  Preise  nicht  ein- 
getreten. Allerdings  ist  es  richtig,  was  ich  früher  bezweifelt  habe, 
daß  ein  Steigen  des  Getreidepreises  nicht  eingetreten  ist;  das 
beweist  der  Satz  in  dem  samischen  Getreidegesetz  —  5Vs  dr.  pro 
Scheffel  —  der  seiner  Natur  nach  ein  Durchschnittspreis  ist  und  noch 
nicht  einmal  die  uns  aus  dem  Ende  des  4,  Jahrh.  bekannten  Durch- 
schnittssätze von  Eleusis  [6  dr.  für  Weizen)  erreicht.  Allein  der 
Grund  dafür  liegt  wohl  in  dem  gleichzeitigen  Anwachsen  der  Getreide- 
produktion ;  die  Hebung  des  ägyptischen  Pächterstandes  muß  mit  einer 
kräftigen  Vermehrung  der  Getreideerzeugung  parallel  gegangen  sein, 
und  zugleich  begann  nordafrikanisches  Getreide  in  die  Märkte  des 
Ostens  einzudringen.  Bald  nachher  erscheint  Massinissas  Name  in 
Delos,  wo  auch  eine  namhafte  Getreidespende  von  ihm  erwähnt  wird 
(vgl.  Francotte,  le  pain  p.  1£3  ff.).  Offenbar  kam  dagegen  nicht  in 
Betracht,  daß  die  Pontosländer  damals  aus  der  Reihe  der  getreide- 
exportierenden Staaten  ausschieden,  wie  Beloch  richtig  gesehen  hat; 
das  Plus  der  Welterzeugung  war  imstande,  den  Getreidepreis  auf  dem 
Stande  von  ca.  320  zu  halten  trotz  der  starken  Vermehrung  der 
Metallbestände.  Dieselbe  Erscheinung  hat  sich  auch  bei  uns  in  den 
letzten  Jahrzehnten  gezeigt,  wo  das  mächtige  Anwachsen  der  Getreide- 
produktion sowohl  der  Bevölkerungszunahme  wie  auch  der  Zunahme 
an  Edelmetallen  gegenüber  den  Preis  auf  derselben  Höhe  gehalten 
hat.  Übrigens  beginnt  mit  dem  Ende  des  3.  Jahrh.  v.  Chr.  ein 
langsames  und  stetiges  Ansteigen  des  Preises;  aus  den  Angaben  der 
Papyri  berechnet  Barbagallo  für  das  zweite  Jahrhundert  im  Fayüni. 
dem  Zentrum  der  Weizenproduktion  Ägyptens,  einen  Mittelpreis  für 
Weizen  von  5  Mk.,  für  Gerste  von  3  Mk.,  während  gegen  das  Ende 
des  3*  Jahrh.  der  Preis  noch  4  bzw.  2,40  Mk.  betfragen  hatte.  Im 
ersten  Jahrhundert  steigt  dann  der  Mittelpreis  im  Fayüm  auf  0,8« > 
bzw.  4,40  Mk.,  was  in  der  Bevölkerungszunahme  seinen  Grund  haben 
kann,  aber  auch  mit  den  unsicheren  Verhältnissen  Ägyptens  i« 
dieser  Zeit  zusammenhängen  mag.  Jedenfalls  aber  beweist  der  gleich- 
bleibende Weizenpreis  noch  nichts  für  die  Stabilität  der  übrigen 


25H 


Thomas  Lenschau. 


Preise  im  £L  Jahrb. ;  diese  könnten  immerhin  gestiegen  sein  und  das 
würde  um  so  schwerer  ins  Gewicht  fallen,  als  die  Löhne  im  Sinken 
waren.   Beloch  allerdings  glaubt  auch  hier  eine  stationäre  Entwicklang 
zu  erkennen,  allein  bei  seiner  Berechnung  auf  S.  322  scheint  insofern 
ein  Irrtum  untergelaufen  zu  sein ,  als  der  Tagelohn  von  4  ob.  nicht 
an  Sklaven,  die  nur  2  ob.  beziehen,  sondern  an  freie  Arbeiter  gezahlt 
worden  ist,  was  übrigens,  wenn  man  die  Verzinsung  des  Kaufpreises, 
Amortisation  und  Risikoprämie  einrechnet,  für  beide  Arten  der  Arbeit 
so  ziemlich  denselben  Satz  ergibt.    Auch  das  ist  ein  Zeichen  der 
fortschreitenden  Proletarisierung.   Sehr  instruktiv  sind  ferner  Belochs 
Ausführungen   über  das  Münzwesen  der  Diadochenzeit,  für  Sizilien 
werden  sie  durch  Willers'  Ausführungen  ergänzt,  dessen  Aufsatz 
sich  mit  der  Datierung  der  neuen  Inschrift  von  Tauromenion  (ca. 
70 — 36  v.  Chr.)  und  weiter  mit  der  Einführung  der  römischen  Silber- 
münze auf  Sizilien  befaßt.    Dabei  wurde  nach  ihm  ein  festes  Wert- 
verhältnis zwischen  Kupfer  und  Silber  vo^n  120 : 1  angenommen,  da> 
etwa  dem  in  Ägypten  üblichen  entsprach. 

Mehrfach   ist  in  den  vorhergehenden  Blättern  auch  das  Be- 
völkerungsproblem gestreift  worden,  dem  hier  an  letzter  Stellt 
noch  einige  Worte  gewidmet  sein  mögen.   Im  allgemeinen  haben  sich 
auch  hier  Belochs  vorsichtige  Ansätze  durchaus  bestätigt,  wie  das  in» 
einzelnen  für  das  Athen  des  peloponnesischen  Krieges  und  für  die 
hauptsächlichsten  Staaten  Griechenlands  im  ±.  Jahrh.  aus  den  oben 
gegebenen  Übersichten  (S.  121  f.,  127  ff.)  zur  Genüge  hervorgeht. 
Dali  Griechenland  beim  Beginn  des  Alexanderzuges  sehr  stark  bevölkert 
war,  trotzdem  die  Neubesiedelung  Siziliens  und  die  kolonisatorische 
Tätigkeit  König  Philipps  schon  bedeutende  Mengen  von  Ansiedlern 
absorbiert  hatten,  unterliegt  keinem  Zweifel.   Allein  sehr  bemerkens- 
wert ist  es  —  und  auch  B.  hebt  das  mit  Recht  hervor  (III,  1,  288)  — 
daß  trotz  des  ununterbrochenen  Stromes  von  Ansiedlern,  der  sich  fast 
ein  Jahrhundert  lang  über  die  neuerschlossenen  Länder  des  Ostens 
ergoß,  die  Bevölkerung  Griechenlands  und  Makedoniens  keine  wesent- 
liche Abnahme  am  Ende  dieser  Periode  zeigt.  Noch  IM  konnte  der 
achäische  Bund,  der  damals  die  Peloponnes  umfaßte,  30 — 40000  Mann 
ins  Feld  stellen ,  also  rund  ebensoviel  wie  der  lakedaimonische  zwei 
Jahrhunderte  früher  (s.  o.  S.  122  ff.)  und  Perseus'  Heer  bei  Pydna 
war  auch  ohne  die  Söldner  nicht  geringer  als  das  Heer,  mit  dem  der 
große  König  die  Eroberung  der  Welt  begonnen  hatte.  Derartige 
Erscheinungen  muß  man  sich  gegenwärtig  halten,  wenn  man  Ansichten, 
wie  sie  Glotz  in  dem  eingangs  genannten  Aufsatz  vertritt ,  gegen- 
über den   richtigen  Standpunkt  gewinnen  will.     Der  französische 


Jahresbericht  über  griechische  Geschichte  (1903 — 1906).  257 

Gelehrte  führt  hier  aus,  daß  die  Aussetzung  von  Kindern  bei  den 
Griechen  nicht  bloß  rechtlich  erlaubt  —  woran  natürlich  nicht  zu 
zweifeln  ist  — ,  sondern  auch  tatsächlich  in  sehr  weitem  Umfange 
ausgeübt  worden  sei.  Ja  er  behauptet  in  seinem  Schlußwort  geradezu 
das  Vorhandensein  malthusianistischer  Bestrebungen  in  Griechenland : 
die  Aussetzung  sei  eben  das  bequemste  Mittel  gewesen,  sich  den  un- 
erwünschten Nachwuchs  vom  Halse  zu  schaffen,  indem  die  größte 
Anzahl  der  Kinder  tatsächlich  zugrunde  ging.  Natürlich  ist  ein  in 
großem  Umfang  geübter  Kindermord  mit  der  oben  gekennzeichneten 
Bevölkerungsentwicklung  unvereinbar,  und  Gl.s  Ansicht  läßt  sich  kaum 
anders  als  unter  der  Voraussetzung  verstehen,  daß  er  die  Bestrebungen 
und  Sitten  der  späteren  Kaiserzeit,  insbesondere  der  nachchristlichen 
Jahrhunderte  schlankweg  auch  auf  die  Zeit  bis  ca.  1  r>0  v.  Chr. 
überträgt.  Vor  allem  aber  scheint  ihn  die  Häufigkeit  des  Aussetzungs- 
motives  in  der  griechischen  Tragödie  nnd  Komödie  getäuscht  zu 
haben ;  allein  es  liegt  ja  auf  der  Hund ,  daß  das  Motiv  eine  viel  zu 
bequeme  dramatische  Entwicklung  gestattete,  als  daß  man  sich  seiner 
nicht  häufig  bedient  hätte.  Auf  dieselbe  Weise  könnte  man  aus  der 
Häufigkeit,  mit  der  in  gewissen  Fossen  bei  uns  der  Onkel  aus  Amerika 
als  deus  ex  machina  benutzt  wird,  auf  die  Häufigkeit  amerikanischer 
Erbschaften  schließen.  Nirgend  mehr  als  in  der  Bevölkerungsforschung 
gilt  es,  sich  an  Tatsachen  zu  halten ,  und  diese  lassen  zur  Genüge 
erkennen ,  daß  bis  zum  Ende  des  dritten  Jahrhunderts  der  Stamm 
der  griechischen  Nation  seine  Triebkraft  noch  nicht  eingebüßt  hatte. 
Erst  der  Eintritt  der  Bömerherrsehaft  ist  auch  hierin  der  Anfang 
vom  Ende  gewesen. 


Sachregister. 


Achaisehe  Bundesversammlung  lilli  f. 
Adelsherrschaft  IIL 
Ägypten,  Bevölkerung  'J04.  Nationale  : 
Beaktion 

Atopischer  Bund,  Krieg  gegen  Kol« 
21Ü  f.,  Friede  ZÜ»  f.',  Bundes- 
versammlung lilü  f  . 

Akragiis,  Topographie  ÜLL 

Alexander  d.  Gr.  am  Granikos  L4Ü  f., 
in  Lykien  146,  bei  Issos  141  f..  inj  ! 
indischen  Feldzug  14i>.  Bedeutung  ; 
als  Feldherr  ÜÜ1  f.,  als  Staatsmann 
Lil  f.,  Beisetzung  K>2,  Bildnisse  ! 
Hill 

•lahrestMfrii'ht  für  Altcrtinn^ni^rwhaft.  Itd, 


Alexander.  Krateros  Sohu  liCi  f- 

Alexanderhistoriker  Kliff. 

Anaximenes  von  Larnpsakos  119.  ]'M  ü 

Andros.  Schlacht  bei  13Ü  f. 

Antigonos  (Monophthalmos),  Friede 
mit  Seleukos  IM  f.,  Politik  gegen 
die  Grieehenstadte  1.*»7. 

Antigonos  L  Gonatas  IM. 

Antigonos  II.  Doson  Hill  f. 

Antiochos  L  Soter.,  Porträt  101.  An- 
fänge HiL  l£2n\,  Ende  l£L 

Antiochos  II.  Theos,  im  f .  1Ü2. 

Antiochos  Hierax  lfiL  IM  ff... 

Antiochos  III.  Krieg  mit  Ägypten 

cx  xxv.  II 


25* 


Thomas  Lenschau. 


209,  Politik  g.  Rom  213  f.,  Krieg  g. 
Rom  214 f.,  sein  Titel Großkönig231. 

Antiochos  IV.  Epiphanes  Tod  226  f., 
Geburtstag  222! 

Antiochos  VI.  Epiphanes  Regierungs- 
zeit 233  f. 

Aqaiwascha  IL 

Arbeiterfrage  250  ff.  255. 

Archontenliste,  attische  lfififf. ,  del- 
phische 170- 

Argos,  Ausgrabungen  02. 

Aristonikos  Aufstand  234.  ff. 

Aristoteles  Schrift  v.  Staat  d.  Athener 
100  f.,  Oikonomikos  243  ff. 

Asien,  römische  Provinz  234  ff. 

Athen,  älteste  Besiedelung  8üf.,  staat- 
liche Anfange  80  f. ,  soziale  Miß- 
stände 87^  Solon  88  f.,  Mauerbau 
IM  f.»  Ausbau  des  Reiches  111, 
Streitkräfte  im  4.  Jahrh.  121  ff.,  See- 
macht 128  f.,  Zweiter  Seebund  13Qf., 
Schicksale  in  der  Diadochenzeit 
153  f. ,  im  chremonideischen  Krieg 
18fi  ff.,  Krieg  gegen  Philipp  V. 
208  ff.,  oligarcnische  Revolution 
231  f.,  im  mithr.  Kriege  23fi  f.  — 
Archontenliste  IM  ff.,  Buleutenliste 
144,  Finanzwirtschaft  241  ff.,  Münz- 
prägung 88  f.  Ulf.,  Vasenhandel 
249, 

Attalos  L  gegen  Antiochos  Hierax 
IM  ff.,  Krieg  gegen  Philipp  202  f., 
Phyle  Attalis  in  Athen  211,  Erbauer 
des  Altars?  225  f. 

Attalos  II.  Kampf  mit  Nikomedes  228, 

Attalos  III.  234  ff. 

Bakchon  182. 
Bankiergewerbe  241  ff. 
Bevölkerung  204.  250. 

Cbaironeia,  Schlacht  bei  134  f..  im 
mithr.  Krieg  238. 

China,  Verbindung  mit  dem  griech. 
Westen  250. 

Ohremonideischer  Krieg  18fi  ff. 

Chronologie,  ältere  Zeit  81  f.  22  ff., 
im  5.  Jahrb.  1ÜH  f. ,  im  4,  Jahrh. 
124  f.  122  f.  131  f.,  in  der  Diadochen- 
zeit 153  f.,  der  syrischen  Könige 
220  f.  2^2  f.,  Eponymenlistcn  103 
—171,  metonischer  Zyklus  LL2  ff., 
Parapegmenfragmente  11:1 

Curtius  Rufus  138  ff. 

Dämon,  Verbannung  llü  f. 

Delos  Abfall  v.  Athen  IM  f.,  In- 
schriften 143,  IM*  f.,  Finanz- 
wirtschatt  241  ff. 

Delphi,  Parteikampfe  im  4.  Jahrh. 
132 .  Archontenliste  und  lnschr.  f. 
d.,  Finanzverwaltung  des  Tempels 
211  ff. 


Demetrios  v.  Phaleron  155  f. 
Diadochengeschichte ,  Quellen  140  ff. 
Didymoskommentar  110. 
Diodor  100.  Uli  f.  LLL 
Dionysios  v.  Milet  97, 
Diyllos  11Ä. 
Drakon  88. 
i  Duketios  102  f. 

Epaminondas  131  ff. ,  bei  Mantineia 
132  f. 
,  Ephoros  100. 
,  Euboia  9lL 
Eubulos,  Finanzreform  243  ff. 
Eumenes  L,  Krieg  g.  Antiochos  188. 
Eumenes  II.,  Kriege  219,  Freund  der 
Römer  22L  224  f.,  selbständige 
Politik,  Zerfall  mit  Rom  220.  224  ff. 

Finanzwirtschaft,  griechische  241  ff. 

i  Galliereinfall  ISO  ff. 

Geldhandel  im  Altertum  241  ff. 

Getreidepreise  255  f. 

Getreideverteilung  in  Griechenland 
und  Rom  240. 

Griechen  in  Asien,  Lage  unter  Anti- 
gonos  157,  unter  den  Pergamenern 
234,  unter  den  Römern  231  ff. 

Griechenland,  Besiedelung  durch  die 
Griechen  Dorische  Wanderung 
72,  ihr  Verlauf  15.  ft.,  G.s  Rolle  in 
der  hellenistischen  Zeit  111  f., 
Untergang  der  Selbständigkeit  228- 

Gyges  22, 

Handel  242  ff.  255. 
i  Hausformen,  Rundbau  63,  Palastbau 
05  ff. 

;  Heiliger  Krieg,  Quellen  113,  Anlaß 

132  f.,  Verlauf  134, 
I  Hekataios  91. 
\  Hellanikos  28, 
Hellenisierung  des  Ostens,  Umfang 
und  Dauer  230  ff.,  Reaktion  233  ff. 
Herakleiiles  v.  Mylasa  104. 
Hcrmokopidenprozeß  122, 
Herodot  20  ff. 

Hieronymos  v.  Kardia  140  ff. 
'  Hypothekenwesen  in  Athen  88,  252, 

Industriearbeiter  250. 
i  Inschriften,  Attika  101  ff.,  Delphi 

IM  f.,  230  f..  Dolos  143.  IM  100  f., 

Orientis  graeci  142  f.,  Priene  143  f. 
Ionier,  Entstehung  TJL  Bündnis  am 

Pajiionion  21  f.,  Aufstand  103.  im 

4.  Jahrh.  112  f. 

Kalender,  makedonischer  in  Ägypten 
103,  Fragmente  1 18. 
;  Karien.  v.  Philipp  V.  erobert  210  f. 
Kolonisation,  älteste  in  myk.  Zeit 
II  tf.,  an  der  Hhonemündung  24* 


Jahresbericht  über  griechische  Geschichte  (1903—1906).  259 


Kommunismus  245. 
Königtum  7JL 
Korinthischer  Krieg  122. 
Korupedion,  Schlacht  bei  121  f. 
Kos,  Schlacht  bei  190  f. 
Kotys  L  133  f. 
Krateros  1ÜL 

Kreta,  Krieg  um  Lyttos  203  ff., 
spätere  Schicksale  209.  Ülfi  f .  220. 

Kretische  Kultur  56  ff.,  Knossos  56, 
Phaistos  58,  Hagia  Triada  58, 
Grabfunde  58  f.,  Töpferei.  Stilarten 
59  f.,  Chronologie  60  ff.,  Einflüsse 
von  aufsen  62  ff.,  Beziehungen  zum 
Westen  65_,  Übergang  zur  myk. 
Zeit  65  ff. .  Nationalität  d.  Träger 
62  ff. 

Ktesias  102.  116  f. 

Kynoskephalai,  Schlacht  bei  212* 

Kyrene.  älteste  Besiedelung  in  myk. 
Zeit  70,  Sagengeschichte  80,  unter 
Magas  123  f. 

Kyros  L  102  f. 

Kyros  d.  Jüngere,  Quellen  116  f., 
Politik  124  f.,  sein  Zug  125  f., 
Kunaxa  126* 

Landwirtschaft  240.  252, 
Laodike,  Gem.  Antiochos  II.  189. 192. 
126  f. 

Leukas-Ithakahypothese  20  f. 
Lipara  245. 

Liviusepitotne  206.  233  ff. 
Lysimachos,  Politik  nach  Ipsos  125  ff. 
Lyttos,  Krieg  um  203  ff . 

Makedonien,   älteste    Kultur  65i 

Sprache,  Volkstum  144  f. 
Makedonischer  Krieg,  erster  202  ff.. 

zweiter  211  ff.,  dritter  220  ff.,  vierter 

222* 

Mantineia,  Schlacht  bei  132,  die  von  I 

206.  202  f. 
Marmor  Parium  101. 
Massilia  2L 

Milet,  Ausgrabungen  9_L  Zerstörung 
108,  Inschriften  des  5.  Jahrh.  102  f., 
des  4.  Jahrh.  119.  f.,  Eponymenliste 
9_L  Krieg  gegen  Philipp  V.  210. 

Mithridates  VI.,  Eupator.  232  ff. 

Mummius  L.  222. 

Müuzwesen,  attisches  ÖS  f.  111  f.,  in 
der  Diadochen/.eit  256. 

Mykenische  Kultur,  Beginn  65  ff, 
Beziehungen  zum  Westen  65, 
Nationalität  der  Träger  68. 

Nabis  v.  Sparta  208  f. 
Nippur,  Palast  zu  66. 

Olympiadenrechnung  8L 

Papyrusurkunden  161  f. 
Parthenon  109. 


Pausanias,  der  Regent  102  ff. 

Peisistratos  88,  Bautätigkeit  90, 

Peloponncsischer  Krieg  115.  f.  121  ff. 
Beginn  121  f.  Mantineia  122. 

Pergamon,  Königshaus  1S1  (s.  Atta- 
los, Eumenes),  Zeit  d.  großen  Altars 
224  ff. 

Perserkriege  IM  ff. ,  Marathon  103, 
Artemision  104.  Salamis  104  f., 
Plataiai  105  f. 

Pharnakes  L  219  f. 

Philipp  III.  v.  Makedonien,  Quellen 
IIS  f.  134  f. 

Philipp  V ,  Krieg  g.  Born  209  t. 

Phokaia  93  f. 

Phönizier  in  Griechenland  TL 

Phylen  2S  f.,  in  Sparta  82  f. 

Plutarch  loL 

Polvbios  liiL  2Ü0  ff. 

Ptolemaier,  Münzwesen  16L  Königs- 
liste 164. 

Ptolemaios  Keraunos  129  ff. 

Ptolemaios  II.  Philadelphos,  Pakt 
mit  Seleukos  128  f. .  Herrschaft  in 
den  Kykladen  182.  188  ff.  193. 

Ptolemaios  v.  Ephesos  18S  ff- 

Ptolemaios  III.  Euergetes  199_,  Ab- 
dankung 202^  Familie  203 

Ptolemaios  VI.  Philometor  221 

Ptolemaios  VII.  Physkon  223. 

Punischer  Krieg,  erster  110  f.  * 

Pylos  d.  homerische  26, 

Rhodos,  Kolonien  an  d.  Rhone- 
mündung  94_l  Handelsvertrag  mit 
Rom  156_,  Krieg  g.  Philipp  210, 
Seeherrschaft  210. 

Rom,  Politik  gegen  die  Hellenen  2Ü6  f. 
211  ff.  220  ff. 

8eleukiden,  Münzen  101,  Königsliste 
164. 

Seleukos  L_«  Friede  mit  Antigonos 
153.  Politik  nach  Ipsos  115.  ff.,  Er- 
mordung 129  ff. 

Sellasia,  Schlacht  bei  2D0  ff. 

Sepeia,  Schlacht  bei  9JL 

Sinope  80. 

Solon  88  ff. 

Sparta,  Eroberung  25 ff.,  Lykurgische 
Verf.  81  ff,  Überbleibsel  84,  Periö- 
ken  84  ff,  Eroberungs-,  dann 
Bundespolitik  85,  Ephorat  86,  Zu- 
stände Anfang  5.  Jahrh.  103,  Streit- 
kräfte im  4.  Jahrh.  128  f.,  Königs- 
liste 165_,  unter  Areus  186.  unter 
Kleomenes  III.  200  ff,  Nabis  208  f. 

Thalassokratie  ÖL  22  ff. 
Thasos  125. 

Theben,  Streitkräfte  im  L  Jahrh. 
122  ff. 

17* 


200 


Thomas  Lenschati. 


Thera,  älteste  Zeit  t>9_,  in  der  helle- 
nistischen Z»  it  199. 

Theramenes  122  ff. 

Thrakischer  Einfluß  auf  die  ägäische 
Kultur  64. 

Thukydides  28  f .  115  f. 


Troja  62.  OL 
Tyrannis  M)f. 

Vasenhandel,  attiM-her  242  f. 
Xenophon  1  Iß  f. 


Ansbach.  F.  142. 

Babelon  88  f. 
Bannier.  W.  102. 
Barbagallo  252  ff.  255. 
Bauer,  Ad.  IM. 

Beloth,  Jul.  122  ff.  140  ff.  150  ff.  153  ff. 
usf. 

Benndorf,  0.  23. 
Berard,  V.  TL 
Bernouilli  15H. 
Bevan  163.  22X  230. 
Bontiglio,  S.  80. 

Bouche-Leclercq ,  Aug.  IM  f.  157. 

HÜ  M  lMf.  120,  24L 
Bourguet  120.  241  f. 
Breccia,  E.  162.  160.  183.  188.  222  f. 

235  f.  242  ft. 
Brückner,  A.  202.  224  ff. 
Bulle  153. 
Bürchner  23. 
Burrow  153. 

Busolt.  G.  981  f .  1ÜL  102.  115  f .  120  ff. 
122  ff. 

Büttner-Wobst,  Tb.  IM  f .  228. 

Carcopino.  Jer.  HO  f. 

Cardinali,  Gius.  Ifi3  1S&  124  ff.  128  ff. 

203.  202.  218  f  225.  235. 
Chapot,  V.  232  f.  235,  232. 
Clcrc,  Mich.  23  f. 

Colin,  G.  150.  200.  213  f.  220  ff.  228. 
230. 

Corradi,  G.  124  ff. 
Costanzi,  V*  103.  102. 
Cousin,  G.  110  f.  120.  211L 
Cuntz  100. 
Curtius,  L.  25. 

Dahms,  F.  1ÜL  LLL 
Dawkins  00.  05. 
Deiters  202  f. 
Delamarre  120.  12LL 
Delbrück.  IL  132. 
Deinoulin  210. 
Diels,  II.  113. 

Dittenberger  142  f.  100.  188. 
Dörpfeld  50.  61  f.  20  f.  20  f.  80.  2LL  lüü 
Dragendorff  02. 
Drerup  80. 

Dürrbach  143.  154  L  12L  212. 


Egg  221. 
Evans  50  ff. 

Ferguson  160  ff.  122  ff.  182.  222.  232. 

Fick,  Aug.  08. 

Finsder,  G.  22. 

Fischer,  Clarence  66. 

Fouvait  102.  125.  223.  2M  ff.  238. 

Francotte  212  f.  241  f.  246  f.  253. 

v.  Fritze  153. 

Gercke,  A.  22. 

Geyer  20.  m 

Ghione  17" 

Glotz  250  f. 

Goeßler  TL 
|  Graeber  2iL 
|  Graef,  Botho  10L 

Graindor  182.  210. 
j  Gruhn  2L  142  ff. 
!  Guiraud,  P.  242. 

Gutscher  65. 

Hall  02  f.  2L 

Hanssoullier  152.  126.  182.  122.  122. 
210. 

Heidemann  25  ff. 

Herzog  18L  203. 

Hiller  v.  Gaertringen  143.  122. 

Hoeck,  Ad.  133. 

Hoffmann,  O.  144. 

Holleaux.  Maur.  156.  165.  li<0.  185. 

188  f.  126.  202  f.  216.  236. 
Huck,  Greg.  250  ff. 
Hüsing  102  f. 

Jarobv  WL  15L 
.lanke"  145  ff. 

.larde  143.  154  f.  191.  iMi*. 
.1  ullian  24. 

Kazarow  84.  245.  253. 
Keil,  Br.  128, 
Keller  132. 
Kern  25. 

Kießling  05.  08..  20. 
Kirchner  112  f.  LLL 
Klatt  2<AL 
Kohler.  A.  151  f. 
Kolbe,  W.  122,  106  ff. 
Kornemann  200.  228.  23L 


Jahresbericht  über  griechische  Geschichte  (1908—1906). 


201 


Körte,  Alfr.  8L  139.f. 
Kromayer  121  ft.  132  ff".  2Ö0  ff.  202  ff. 
212  ff.  220  ff .  23k 

Laird  104, 
Lammert  133.  201  f. 
v.  Landau  22. 

Lanzani,  Frl.  C.  lüü.  1112  f.  III  f. 
Lehmann,  C.  F.  63.  92  f.  103.  10*. 

174.  128  ff.  184  ff. 
Levi,  L.  122.  190. 
Lipsius,  J.  II  92  f.  211  f. 
Lohse,  H.  125  f.  129  f.  132. 

Maaß,  E.  22.  94. 

Macdonald  161. 

Mackenzie  59  f.  62. 

Mahaffy,  J.  P.  163.  122.  232  ff.  235. 

Malten,  L.  80, 

v.  Marees  TL 

Marshall.  F.  IL  13Qf. 

Mayer,  M.  65. 

Meischke,  K.  219. 

Meister,  F.  85  f. 

v.  Meß,  A.  lflÜ. 

Meyer,  Ed.  101  f.  129. 13L  165. 173.245. 

Michael  2L 

Migliazza  KÜ 

Mommsen,  A.  102. 

Müller,  Kurt  153. 

Müller,  Sophus  64. 

Mundt  203, 

Munro  105. 

Myres,  .1.  L.  8L  92  ff. 

Neumann,  K.  «L  26.  83  ff. 
Niccolini  83.  84  ff.  103  f.  1Ö2  f . 
Niese,  Ben.  84  f.  131  f.  132. 164  f.  226  ff. 
Nietzold,  W.  L4Ü  ff. 
Noack,"  Ferd.  66  ff. 
Nordin,  R.  30  f. 

Oddo,  A.  89  f. 
Oppert.  Jules  112  f. 
Osborne  250. 

Pancritius,  Frl.  M.  126. 

Papabasileios  223. 

Perrin,  B.  98.  123  f. 

Petersen,  E.  153. 

Pfuhl,  M.  63, 

Philippson,  A.  252. 

Pomtow,  iL  132.  134.  m  L71L 

Pottier.  E.  249 

v.  Praäek  92. 

Quinci  109. 

Raa  st;  lii4  f. 
Radet,  G.  2Ü.  91L  Uli. 
Regling,  K.  130.  161  f. 
Rehm,  A.  113. 
Reinach.  T.  18L 
Reuß,  F.  138.  153. 


Renther,  F.  1D8. 
i  Kiezler.  Kurt  243  ff. 
Robinson  7JL 

Roloff,  G.  133  f.  200  ff.  2Ü8  ff. 
Rüegg,  A.  138. 
,  Rühl,  F.  98,  104. 

|  Schebelew  229. 

i  Schjett.  P.  O.  25  f.  82.  103. 

Schmidt.  Hub.  64  ff. 

v.  Si  höffer,  V.  154.  2LL 

Schräder,  H.  143. 

Schreiber,  Th.  153. 
i  Schubert,  F.  Rud.  113  f.  134. 

Schurz,  IL  84.  * 

Schwartz,  Ed.  1ÜÜ. 

Seeck,  O.  29.  88  ff.  98  ff.  243. 
i  Seymour  29. 

Smith.  IL  F.  92. 

Smith,  Vincent,  A.  149  f. 

Smylv  163, 

Sokolow.  Th.  164  f.  182  f.  189.  123. 
!  Solari,  A.  86.  124. 
1  sotiriades,  G.  135.  186.  202  f. 
!  Speck  248  f. 

Spieker  136. 

Stahelin,  F.  112. 
!  v.  Stern,  E.  103,  IM  f. 

Strazzulla,  V.  L3-L 

Sundwall.  J.  120.  168  ff.  124.  253  ff. 
i  Svoronos  161. 

Swoboda,  IL  82  f.  13L  252  f. 

Szanto,  E.  28  f. 

Tarn,  W.  233  ff.  250, 
Thalheim,  Th.  216. 
Thitle,  F.  KM. 
Tod,  M.  N.  1Ü2.  2JLL 
Traeger  65, 

üjfalw  153. 
Ure,  P.  SO  f. 

Yollgi  äff,  W.  69  f.  215  f. 

Ware,  A.  lüL 
Wachsmuth,  K.  204. 
Walters. 

Waszvnski,  St.  2 ■">:<. 

Weil,  R.  LU  f. 

Wells,  .1.  86. 

Werenka  113. 

Wiegand.  Th.  143.  241L 

v.  Wilamowitz-Möllendorf,  [J.  lütt. 

91  f.  1D2.  152.  246  f. 
Wilcken,  U.  2D2. 
Wilhelm.  A.  223. 
Willers  256. 
Willrich,  IL  222. 
Wilski.  P.  9L 
Winkler,  IL  66.  U2  tf.  1112. 
Wright  92  1  1D5  f . 


Altenburg 
Pierersche  Hofbuohdraokerei 
8t«ph*n  G»ibel  *  Co. 


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Verzeichnis 

der  in  den  Bänden  133,  134,  135  besprochenen  Schriften. 

(133  =  L  Abteilung.    134  =  II.  Abteilung.   13S  =  III.  Abteilung.) 


Abbott,  on  Tyrtäus  fußarrjoia  I  121 
Ackermann,    de    Senecae  *  Hercule 

Oetaeo  II  122 
Ainsworth,  on  Theocritus  I  223. 
Amtierst  Papyri  by  Grenfell  -  Hunt 

I  lfi3 

Ammon.  Cic.  als  Naturschilderer  II  178 
Andocides,  orationes  ed.  J.  H.  Lipsius 
I  ä2 

Ansbach,  de  Alexandri  Magni  ex- 

pedit.  indica  III.  III  IM 
Antholoeia  Graeca  epigramm.  Palat. 

cum  rlanudea  ed.  iL  Stadtmüller 

I  29fi 

—  della  mclica  Grcca . . .  A.  Taccone 
I  lfifi 

Apelt,  Gorgias  bei  Ps. -Arislot.  und 

Sextus  Empir.  I  32 
Arnim,  Leben  n.  Werke  des  Dio  v. 

Prusa  I  32 
Arnoldt,  zu  griech.  Schriftstellern  1 312 
Appleton,  les  lois  rom.  sur  le  caution- 

nement  II  3ü 

—  le  testament  rom.  II  23 
Audibert,  de  in  ius  vocando  II  IL 
Ausgrabungen  in  Milet  III  23 
BaaTe,  Anytes  I  3QQ 

Babelon,  les  origiues  de  la  monnaie 
III  23 

Bahntje,  quaest.  Archilocheae  I  Iii 
Bannier,  zu  d.  att.  Rechtsurk.  des 

5.  Jh.  III  95 
Banz,  Würdigung  Ciceros  in  Sali. 

katil.  Verschwörung  II  lfiQ 
Bauer,  d.  Seeschlacht  v.  Salamis 

III  9£ 

Baumstark,  z.  Chronol.  d.  Bakchyl. 

i  m 

Bechtel,  varia  1  213 
Beck,  de  monum.  Ancyr.  aentent.  con- 
troversae  II  243 

Jahresbericht  für  Altertumswissenscha 


Bekker,  z.  Lehre  v.  d.  Legisaktionen 

II  34 

—  Litis  contestatio  II  118 

—  Objekte  u.  Kraft  der  Schuldver- 
hältuisse  II  28 

Beloch,  L,  z.  Gesch.  des  Eurypon- 
tidenhauses  I  122 

—  griech.  Geschichte.  III.  III  13ß 

—  Jt  griech.  Aufgebote  III  114 
Beneschewitz,  Codex  Justin.  II  Iii 
Benndorf,  z.  Ortskunde  u.  Stadt- 

gesch.  v.  Ephesos  III  54 
BeYard,  les  Pheniciens  et  l'Odyssee 

III  13 

Berndt,  zu  Lysias  1  68 

Bernoulli,   d.   erhaltenen  Darstell. 

Alexanders  d.  Gr.  III  136 
Bertolini,  le  obbligazioni  II  3.  29 
Bettie,  Quellenangaben  zu  Parthenius 

u.  Anton.  Liber.  I  lfil 
Bevan,  Antiochus  III  a.  his  title 

Great-Kiug  III  222 

—  the  house  of  Seleucns  III  136 
Bienwaid,  de  Crippsiano  et  üxonienai 

Antiphoutis,  Diuarchi,  Lycurgi  cod. 
I  3Ji 

Birklein,  Entwieklungsgesch.  d.  Sub- 
stantiv. Infinit.  I  b 
Blass,  attische  Beredsamkeit  I  12  ff. 

—  Album  gratul.  in  honor.  IL  v. 
Herwerden  I  24  ff. 

—  d.  Rhythmus  bei  d.  att.  Rednern 
1  24  ff. 

—  Rhythmen    d.    att.  Kunstprosa 
I  24ff. 

—  comm,  de  Ant  iph.  Jamblichi  autore 
I  39 

—  -  Archilochos  I  Uü 

—  zur  Bezeichnung  des  metr.  Iktus 
I  liki 

1  —  die  Berl.  Fragm.  der  Sappho  1  179 

t.  Bd.  CXXXV.  18 


2<i4 


Register. 


Blass,  zu  d.  griech.  Lyrikern  u.  aus 
Papyri  I  2D3 

—  passagcs  of  Baechylides  1  208 

—  Nachlese  zu  Baechylides  1  208 

—  zu  Timotheus  I  242 

—  Rhythmen  d.  asian.  u.  röm.  Kunst- 
prosa II  Uli 

Boas,  de  epigramm.  Simon.  I  190-  301 
Bodewig,  e.  Trevererdorf  im  Cob- 

lenzer  Stadtwald  II  258 
Bodrero,  opere  di  Protagora  I  32 
Bohlmann,  Antiphon  I  38 
Boekmeyer,  adnotat.  crit.  in  orat. 

Atticos  1  2 
Bonfiglio,  uuest.  Akragant.  III  33 
Boot,  verslagen  en  mededeel.  der 

kou.  Akad.  d.  Veteusch.  II  25ü 
Bornecque,    clausules    metr.  dans 

l'orator  II  IM 

—  wie  soll  man  d.  metr.  Klauseln 
studieren?  II  Uli 

—  metrische  Klauseln  I  24  ff. 
Bouche-Leclercq,  histoire  des  Lagides  i 

III  IM 

Bourguet,  inscriptions  de  Delphes 
III  158 

Brandenburger,  de  Antiph.  Khamn. 

tetral.  1  39 
Brandstaetter,  de  uotionum  nolmxoe 

et  ootf  totrjs  usu  rhetor.  I  3 
Brandt,  Sappho  I  182 
Brassloff,  aetas  legitima  II  Öü 

—  Textkrit.  zu  röm.  Rechtsquellen 
II  81 

Breccia,  il  diritto  dinast.  nelle  mo- 

narchie  elleniat.  III  158 
Brinkmann,  de  Antiph.  orat.  de  cho- 

reuta  comm.  philol.  I  39 
Brückner. A.,  Altar  v.Pergamon III 205  j 

—  z.  AtlienaioH  c.  Psephismas  aus  j 
Notion  III  205 

—  F.  J.,  de  tetralogiis  Antiph.  Rhamn.  i 
ascriptis  I  39 

Brugi,  papiri  greei  d'Egitto  e  la  storia 

del  diritto  Rom.  II  52 
Bruns,  d.  liter.  Porträt  d.  Griechen 

1  24  ff. 

Bucheler,  Neptunia  prata  II  241 
Bucherer,  Anthologie  aus  d.  griech. 

Lyrikern  I  107 
Bficnle,  Lysias  gegen  Philon  1  IQ 
Buckland,  manumissimo  vindicta  par 

uu  fils  de  famille  II  81 
Bucolici   Graeci,    ed.  Wilamowitz- 

Möllendorff  I  211 
Bulle,  d.  Leichenwagen  Alexanders 

d.  Gr.  III  13fi 
Bürchner,  Ephesos  III  54 
Buresch,  consolat.  a  Graecis  Romauis- 

que  script.  bist.  crit.  1  39 


Burgess,  epideictic  lit«»rature  1  19  tf. 
Burrows,  Alexander  in  the  art  III  13l 
Bury,  L  B.,  Baechylides  I  2ÜI 

—  !L  oook  of  the  Greek  autholo^ 

I  311 

—  R.  0.,  Anthol.  Palat.  I  3LL  312 
Busolt,  griech.  Geschichte  III  114 

—  Spartas  Heer  u.  Leuktra  III  LU 

—  Thucvdides  u.  d.  Themistoki 
Mauerbau  III  95 

Busz,  die  Form  der  Litiscoiitestati* 

II  LLH 

Büttner- Wobst   z-  Gesch.  d.  pyr 

rhischeii  Krieges  III  15S 
Carcopino,  Dämon  III  95 
Cardinali,  il  regno  di  Pergamo  III  15; 

—  la  truerre  di  Litto  III  158 

—  Crete  e  le  grande  potenze  hell**- 
nist.  III  158 

—  terza  guerra  Siriaca  e  guerra  fra- 
terna  Iii  158 

—  Creta  III  205 

Castagnola,  un  poeta  gnomico  nella 
tradizione  educativa  1  135 

Cauer,  Ciceros  polit.  Denken  II  17ö 

Cerrato,  Sappho  I  176 

Cesareo,  uu  decadente  dell'anrichita 
I  150 

Cessi,  spigolature  alessaudi  I  144 

—  studi  Callimachei  I  14Ü 
Chaület,  de  oratiouibus,  quae  Athen  i* 

in  funeribus  publicis  habebantur 

I  18  ff. 

Chapot,  los  destinfes  de  l'Helleuismo 
au  delä  de  l'Euphrate  III  229 

—  la  province  rom.  proconsul.  d'Aaif 

III  229 

Christ,  mel.  Metrik  d.  Griechen  I  231 

—  Mythol.  des  Apollodor  u.  d.  ueu- 
gefund.  Bakchvl.  I  232 

—  die  überlief.  Äusw.  theokrit.  Ge- 
dichte I  210 

Cicero,  orat.:  Pro  Sex.  Roscio  .  .  . 
by  A.  C.  Clark  II  124 

—  ausgew.  Reden,  erkl.  v.  Halm. 
VI.  Bd.  II  190 

Cima,  intoruo  alle  tragedie  di  Seneea 

II  2Ü1 

—  Octaviana  II  204 

Claflin,  S\*ntax  d.  Dialektinschriften 

III  12 

Clapp,  Hiatus  in  Greek  melic  poctrv 

I  Uli 

Clark,  Vt'tus  Cluniacensis  of  Poggio 

II  123 

Cleef,  index  Antiph.  I  40 
Clerc,  explor.  phoc.  daus  la  moditer- 
rau£e  orient.  III  13 

—  la  prise  de  Phocee  par  les  Peraes 
et  ses  consequences  III  14 


)Ogle 


Register. 


265 


Colin,  iuscriptious  de  Delphes  III  229 

—  Rome  et  la  Grece  III  205  *] 
Collignon,  deux  passages  de  la  „Phar- 

sale*  de  Lucain  Ii  211 
Collinet,  contrih.  du  droit  rom.  II  82 
Comparetti,  dithyrambes  de  Bacchy- 

lide  I  122 
Conrat,  hreviarium  Alaric.  II  115 

—  Entstehung  des  westgot.  Gaius 

II  121 

Contoleon-Reinach,  decret  d'Ios  III  158  ; 
Cook,  Simonides  I  1I£ 

—  associated  reminiscences  I  278 
Corradi,  guerra  tra  Tolomeo  Euer-  | 

gete  etc.  III  IM 
Cosattini,  l'epitafio  di  Lisia  I  21 
Costa,  storia  dell  diritto  rom.  II  3 

—  le  tigurazioni  allusive  alle  leggi 
sopra  le  monete  consol.  rom.  II  9 

—  le  loeazioni  dei  fondi  nei  papiri 
greco-egizi  II  53 

—  mutui  ipotecari  Greeo-egizi  II  53 
Costanzi,  ectemori  ateniese  III  21 

—  la  uresa  di  Mileto  e  la  battaglia 
di  Maratone  II  05 

—  Tanno  attico  d.  battaglia  presso 
rEuriraedonte  III  Üa 

—  testimonianza  import.  trascurata 

III  95 

—  movimento  autilaeou.  nel  Pelo- 
poun.  III  25 

Cousin,  Cvrus  le  jeune  en  Asie  mi- 
ueure  Iii  IM 

—  -Holleaox,  decrets  trouves  dans 
le  sanctuaire  de  Zeus  Panamarios 
III  205 

Cramer,  vicus  Ambitarvius  II  258 
Croiset,  la  morale  et  la  citi*  dans  les  : 
poesies  de  Solon  I  122 

—  orig.  du  recit  relat.  a  Meleagre 
dans  l'ode  V  de  Bacchvl.  I  232 

—  les  Perses  de  Timothee  I  242 
Crönerl  Philitas  v.  Kos  I  Ul 

—  rhythm.  u.  akzent.  Satzschlüsse 
der  griech.  Prosa  1  ^ff. 

Crusius,  z.  alten  Sprach-  u.  Natur- 
gesch.  I  22 

—  Echtheit  homer.  Dichtungen  1  20 

—  DithyramboB  1  122 

—  die  Anagnostiker  I  Ihl 
Cucuel,  languc  et  style  d' Antiphon 

1  38 

—  amvres  completes  d'Antiphon  1 39 
Cuntz,  Polybios  u.  s.  Werk  III  15S 
Curtius,  Saraiaca  III  24 

Czyhlarz,  Lehrb.  d.  Instit.  d.  röm. 

Rechts  II  3 
Dahms,  de  Atheuiensium  sociorum 

tribuis  III  95 


Dalmasso,  grammatica  di  Suetonio 

II  2fi4 

Damste\  ad  Lysiae  orat.  I  62 
Danielssoll,  Callimaehea  I  IM 

—  zu  d.  Persern  des  Timotheus  I  24ti 
Dawkins,  the  potterv  from  Zakro 

III  54 

Dedo,  de  antiquorum  superstitione 

amatoria  I  282 
Deitcr,  Cic.  Leben  u.  Schriften  II  182 
Deiters  zwei    kretische  Inschriften 

aus  Magnesia  III  2Ü5 
Delamarre,  riuHueuce  Macedon.  dans 

les  Cyclades  III  158 

—  docutnent  relat.  a  la  eonfederatiou 
des  Cyclades  III  153  • 

Delbrück,  theol.  Philologie  III  111 
Demoulin,  les   Khodiens    ä  Tenos 
III  205 

Denntson,  the  epig^raphie  sources  of 
the  writing  of  Suetonius  Tranqu. 

II  212 

Dessoulavy,  Bacchilide  e  la  III«  ode 

I  208 

Dertmer,  de  arte  metrica  Archilochi 

quaest.  I  115 
Devries,  Ethopoiia  I  £9 
Diels,  Ataeta.  I  32 

—  Fragmente  der  Vorsokratiker  I  32 

—  Onomatologisches  1  12fi 

—  Baechylides  I  209 

—  -Schubart,  Didvnios'  Komm,  zu 
Demostheues  1  iü9.  III  IM 

—  —  Didymi  de  Demosth.  comm.  1 5ü 
Dittenberger,  Antiphons  Tetralog.  u. 

d.  attische  Krimiualrecht  I  10 

—  zu  Antiphons  Tetralogien  1  41 

—  die  Familie  des  Alkibiadcs  I  22 

—  'Kltttf  oaxixroi  I  22 

—  Orientis  graeci  iuscript.  selectae 

III  135 

Döhring,  vindex,  iudex  u.  Verwandtes 

II  m 

Dörpfeld,  Troja  u.  Ilion  III  54 

—  Altathen  zur  Königszeit  III  II 

—  die  Zeit  d.  älteren  Parthenon  III  74 

—  d.  kret.,  mykeu.  u.  homer.  Paläste 

III  55 

—  Verbrennuug  u.  Beerdigung  der 
Toten  III  55 

—  Leukas  III  55 
Drachmann,  Bacchylidea  I  208 
Dragoumis,  Baechylides  I  202 
Drerup,  Anfange  d.  rhetor.  Kunst- 
prosa I  18. 

—  üb.  die  bei  d.  att.  Kedueru  ein- 
gel.  Urkunden  1  29 

—  Bericht  üb.  e.  Studienreise  z.  Er- 
forsch, d.  Demosthenes-Überliefe- 
rung  I  33 

18* 


200 


Register. 


Drerup,  de  Philisci  in  hon.  Lyaiae 
epigramm.  I  KL  139 

—  z.  Topogr.  v.  Alt-Athen  III  24 
Dfimmler,   'Afhiva(w    noXirela  des 

Kritias  I  33 
Durrbach  -Jardi,  fouilles  de  Delos 

III  158.  205 
Dussaud,  questions  myc£n.  III  55 
Dyroff,  Gesch.  d.  Pron.  reflex.  I  1  ff. 
Carle,  Lysias  I  6ä 
Eckels,  cSot«  in  the  orators  I  2  ff. 
Egenolff,  Sappho  I  12fi 

—  zu  Lentz1  Herodian  I  202 
Egg,  Polybiosfragmente  III  205 
Ehren  zweig,  z.  Abfassung  u  Uber- 

lieferung  der  Digesten  II  U 
Eibel,  de  vocativi  usu  apud  X  or. 
Att  I  7  ff. 

Eissf eldt,  zu  d.  Vorbildern  des  Statius 
II  228 

Eitrem,  observat.  mythol.  ad  Ovi- 

dium  spect.  1  14fi 
Ellis,  Babriana  I  IM 

—  Greek  Anthology  1  311 
Engelmann,  Handschr.  d.  Silven  des 

Statius  II  212 
Erdmann,  Lysiaca  1  6ä 

—  z.  Epitaphios  des  Pseudolysias 
I  fi8 

Erman,  Juventius  Celsus  u.  d.  Kam- 
mergericht II  5fi 

—  Dig.  18,  1{  1  pr.  II  83 

—  -actiones  in  factum"  II  83 

—  D  (4^  2J  21  §  4   II  84 
Evans,  excavations  atKnossos  III  54 

—  pictogr.  a.  linear  Script,  of  Minoic 
Greta  III  55 

Excavations  at  Palaikastro  III  54 

—  at  Phylakopi  in  Melos  III  54 
Fabia,  Neron  acteur  II  2£Ü 

—  Comment  Poppee  deviut  impera- 
trice  II  2fiD 

—  regne  et  mort  de  Poppte  II  2ßl 

—  gentilicc  de  Tigellin  II  2fi2 
Fairbanks,  Greek  Paean  I  171 
Fairclougn,  the  connection  between 

music  a.  poetry  in  early  greek  lit. 
I  112 

—  aig  .  .  .  tue  in  Theoer.  a.  Homer 
I  223 

Fairon,  authentic.  de  l'idylle  VIII  | 
du  recueil  de  Theocrite  I  283 

Faral,  Theocrite  imitateur  de  Sophron 
I  223 

Fava,  gli  epigrammi  di  Piatone  I  138 
Fennel,  the  scansion  of  Bacchyl.  XVII. 

I  m 

Ferguson,  the  premature  deitication 
of  Eumenes  II.  III  205 


Ferguson,  Athenian  politics  III  15£ 
"  —  priests  of  Asklepios  III  153 

—  the  Oligarchie  revolutionat  Athens 
III  223 

Ferrini,  sulle  fonti  d.  Istit.  di  Giustin. 

II  1Ü2 

Fick,  vorgriech.  Ortsnamen  als  Quelle 
für  die  Vorgesch.  Griechenland« 

III  L  55 

Finsler,  d.  homer.  Königtum  III  24 
Fisher,  the  Mycen.  palace  at  Nippur 
III  55 

Forman,  indes  Andoc.  I  58 

—  ethopoiia  in  Lysias  I  20 
Foucart,  Athenes  et  Thasos  III  Iii 

—  la  formation  de  la  province  rom. 
d'Asie  III  22S 

—  un  seuateur  rom.  en  Egypte  III  229 

—  le  S.  C.  de  Thisbe  III  2Ö5 
Fougeres,  Athenes  et  ses  envirous 

in  24 

Fouilles  de  Delphi  .  .  .  par  Th.  H«>- 

molle  III  135 
Fraccaroli,  framm.  di  Sappho  I  179 

—  edizione  di  Bacchilide  I  20s 
Fragmenta  interpretationis  Gai  in- 

stitutionum  Augustodun.  .  .  .  ed. 
C.  Ferrini  et  V.  Scialoja  II  £3 
Francke,  Echtheit  der  Friedensrede 

des  Andocides  I  58 
Francott e.  conseil  et  assemblee  gene- 

rales  ches  les  Acheeus  III  205 
Franke,  de  Pallada  epigramm.  1  222 
Freund,  de  C.  Suetonii  Tranqu.  usu 

atque  gener©  docendi  II  2ü4 
Fries,  Skolienmetrum  u.  Alkaios  1 168 
Fritzsch.  z.  Vokalismus  des  Herodot. 
Dialekts  III  13 
■  Fuchs,  Temporalsätze  mit  „bis"  u. 
„so  lange  bis"  I  lül 

—  Temporalsätze  mit  „bis"  u.  so- 
lange als"  I  8  ff. 

Fuhr,  z.  Überlieferung  von  Gorgias' 
Helena  I  33 

—  z.  Echtheitsfrage  der  Rede  d. 
Andoc.  gegen  Alcib.  I  52 

—  z.  cod.  Palat.  des  Lysias  I  70 
Fuochi,  i  Persiani  di  Timotco  I  242 

—  de  vocalium  in  dial.  Ionica  con- 
cursu  observat.  I  111 

Furtwängler,  das  Heiligtum  d.  Aphaia 
III  23 

Qai  Institutionum  comment.  quattuor, 
...  ed.  E.  Seckel  et  B.  Ivuebler 
II  fi2 

—  Institutiones  .  .  .  by  E.  Poste. 
4*  ed  by  E.  A.  Whittuck  II  fi2 

Gardiner,  Phayllus  a-his  record  jumb 
1  312 


i 


Register. 


2hl 


Garrod,  S.  Johu's  College  Ms.  of  the 
Thebaid  II  222 

—  metrical  stopgaps  in  Statius Theb. 
II  225 

Gelders,  discours  contre  Eratosth.  I  23 
Gentsch,  de  enuntiatorum  condicion. 

apud  Antiph  ,  Andoc,  Lysiam  for- 

mis  et  usu  I  7  ff. 
Gercke,  r//rij  (Jijroptx»;  I  32 

—  die  Myrmidonen  in  Kyreue  III  55 

—  2  neue  Fragm.  d.  Epoden  des 
Archichos  I  HS 

Geyer,  Topogr.  u.  Gesch.  Euböas  III  74 
Ghione.  sul  regno  di  Lisimaco  III  159 
Gildersteeve,  Timotheus  I  212 
Girard,  manuel  elem.  de  droit  rom.114 
— -  hist.  de  Torganis.  judic.  des  Ro- 
mains II  4. 
- —  textes  de  droit  romain  II  8 

—  l'histoirc  des  XII  tables  II  22 

—  l'edit  perpetuel  II  40»  ßl 

—  une  exeeption  a  la  division  de  la 
loi  „Furia  de  sponsu"  II  8Ji 

Gttlbauer,  in  Anthol.  Pal.  I  311 

—  stud.  crit.  iu  Anthol.  Pal.  I  811 
Gomperz,  Beitr.  z.   Kritik  u.  Er- 
klärung griech.  Schriftst.  I  32 

— ■  Ht'^odotc  et  Sophocle  I  132 
Goessler,  Leukas-Ithaka,  die  Heimat 

des  Odysseus  III  55 
Gottanka,  Suetons  Verhältnis  zu  der 

Denkschrift  des  Augustus  II  244 
Graeber,  Enneakrunos  III  14 

—  Wasserleitung  des  Peisistratos  u. 
Wasserversorgung  III  24. 

Gradenwitz,  LatiTeuTi  vocum  lat.  II  8. 

—  gloss.  Paulusreste  im  Zuge  der 
Digesten  II  IQ 

•  —  libertatem  imponere  II  ££2 

—  licet  euim  legibus  soluti  sumus 
attaraen  legibus  vivimus  II  87 

Graef,  Antiochos  Soter  III  152 
Graindor,  D«'-crct  dTos  III  152 

—  fouilles  de  Tenos  III  205 
Gregoire,  les  recherches  recentes  sur 

la  question  de  Tvrtee  I  122 
Gruhn,  Leukas-Ithaka  III  55 

—  die  Schlaeht  von  Issos  III  13fi 
Grunenwald,  d.  freie  formelhafte  In- 
fi n.  d.  Limitation  im  Griech.  I  ti 

Gudeman,  Latin  literat.  of  the  em- 
pire  II  2Ü2 

Giltscher,  Beziehungen  Istricns  und 
Dalmaticns  zu  Italien  u.  Griechen- 
land III  55 

Haeberlin,  Bacchylidea  I  2ÜS 

—  Lysias  1  i>£ 

Hachtmann,  Verwertung  d.  4*  Rede 
Cic.  g.  Verr.  für  Unterw.  in  d.  aut. 
Kunst  II  liii 


Hadley,  a  correction  in  Solon  I  12ß 
Hahn,  neugefund.Sappho-Verse  1 179 
Halbherr,  resti  dell'eta  Micenea  scop. 

ad  Haghia  Triada  III  54 
Hall,  the  oldest  civilization  of  Greece 

III  55 

—  the  two  labyrints  III  55 
Hallensieben,  de  orat.  Lys.  I  02 

i  Hammer,  ad  Solonem  I  126 
Hanisch,  de  titulorum  Argolic.  dia- 

lecto  III  ß 
Hardie,  Silvae  of  Statius  II  212 
Harrison,  studies  in  Theognis  I  131 
Hartman,  Solou  I  12G 
Haslauer,  zu  Luc.  Pharsalia  II  2Ü1 
Hauler,  die  in  Cic.  Galliana  erwähn- 
ten Convivia  poet.  ac  philos.  II  124 
Hausen,  de  Antiphontis  tetralog.  132 
Hausrath,  ad  Babrii  ed.  uov.  I  1S2 
Haussoullier,  Caligula  et  le  temple 
d'Apollon  Didymeen  III  25Ö 

—  Histoire  de  Milet  et  du  Didymeion 
III  13ü 

Hauvette,  sur  un  vers  d'Archiloque 

I  115 

—  Archiloque  L  115 

—  ä  propos  de  la  pretendue  mention 
d'Archiloque  dans  la  chronique  de 
Paris  I  U5 

—  melanges  Perrot  I  115 

—  nouv.  fragm.  d'Archiloque  I  112 
Headlam,  various  conjeetures  L  144 

—  Greck  lvric  poets  1  1*&  125.  203 

—  various  conjeetures  I  195.  81 1 

—  transposition  of  words  I  125 

—  Bacchylidea  1208 

—  joxftov  rn  parent"  a.  the  kindred 
forms  I  811 

Heerwerden,  Babriana  I  IM 
Heidemann,  die  territor.  Entwicklung 
Lakedaemon.  u.  Messeniens  III  24 
Heinemann,  Theognidea  I  131 
Hellmann,  z.Ternunol.  d.  röm.  Reehts- 
gesch.  II  88 
]  Helm,  Daphnis  bei  Theukrit  1  2ß5 
i  Hemstege,  analecta  Antiph.  1  32 
Henrich,  d.  sogen,  polare  Ausdrucks- 
weise im  Griech.  I  23  ff. 
Hense,   z.   zweiten   Mimiamb  des 
Herodas  l  15fi 

—  Bacchylides  I  2ÖÖ 

Herodas,  The  Mimes  ...  by  J.  A. 

Nairn  I  153 
Herreros,  la  snccession  contractual 

II  ö2 

:  Hertling,  quaest.  mimicae  I  152 
Herwerden,  Lvsiaea  1  20 

—  ad  Anthol." Graee.  I  811 

—  Tim.  Perser  105  I  247 

—  Bacchvlidea  1  ML 


2(38 


Register. 


Herwerden,  ad  Theocritum  I  212 
Herzog,  z.  Gesch.  d.  Mimus  I  152 
Hibeh-Papyrus  ed  .  .  .  by  Grenfell- 

Hunt-Smyley  III  158 
Hilberg,  e.  verkanntes  Bruchstück 

v.  Cic.  pro  Gallio  Ii  HA 
Hildebrandt,  de  causa  Polystrati  I  68 
Hiller  von  üaertringen,  Arehilochos- 

Inschrift  aus  Paros  I  118 

—  Thera  Hl  23 

—  der  Verein  der  Bacchisten  u.  die 
Ptolemaeerherrschaft  auf  Thera 
III  läa 

Hirschfeld,  zu  Cicero  II  15 

Hirzel,  Polykrates'  Anklage  u.  Lysias 
Verteid."  des  Sokrates  I  62 

Hoeck,  zur  Geschichte  des  Thraker- 
königs Kotys  L  III  IM 

Hoff  mann,  d.  griech.  Dialekte.  III.  Bd. 
I  Iii 

—  die  Makedonen  III  2.  IM 
Hofmann,  die  Kompilation  der  Di- 

Sesten  Justinians  II  Ii 
land,  Dädalos  u.  Ikaros  I  ML  312 
Holleaux,  le  pretendu  traite  de  com- 
merce cutre  les  Rhodiens  et  les 
Romains  III  136 

—  papyrus  de  Gourub  III  15Q 

—  ITioXittaiog  Jvaifjttvov  III  15Ü 

—  "decret  de  Siphnos  III  1M1 

—  sur  un  passage  de  la  vie  d'Aratos 
III  159.  2D5 

—  la  I«  exped.  d'Antiochos  le  Gr. 
en  Koih'syrie  III  159 

—  assemblees  ordinaires  de  la  ligue 
etolienne  III  205 

—  inscription  tle  Colophon  uova 
III  2üä 

—  inscription  de  Lebadeia  III  22Ü 
Holmes,  iudex  Lysiacus  1  2Q 
Homert  Iliadis  picturae  fragm.  Am- 

bros.  phototyp.  ed.  cura  doct.  M. 

Ceriani  et  A.  Ratti  III  19 
Homolle,  les  offrandes  delph.  des  fils 

de  Deinoment'S  et  l'epigramme  de 

Simonide  I  liiü 
Housman,  Silvae  of  Statius  II  21£ 
Hoyer,  Alkibiades  Vater  u.  Sohn  I  61 
Hublocher,  enarravit  Petrus  Langen 

C.  Valerii  Flacei  Argou.  libr.  VIII 

II  2Li 

Hübner,  de  Cic.  orat.  pro  Q.  Roscio 

Com.  II  1Ü2 
Hude,  ad  Lvi*iam  I  IQ 
Hundeck,  quaest.  Lysiaeae  I  6ä 
Husemann,  zu  Theocrit  I  223 
Hüsing,  z.  Kyrossage  III  95 
Huvelin,  les  tablettcs  magi(iues  et  le 

droit  romain  Ii  1Ü 


Huvelin,  „iniuria"  dans  le  droit  rom. 
II  34 

Jacobs,  de  Xeuophanis  arte  metriea 
I  LiÜ 

lacoby,  die  Beisetzungen  Alexanders 
d.  Gr.  III  13fi  , 

—  d.  Marmor  Parium  III  95 
Janke,  Topographie  d.  Schlachtfelder 

bei  Issos  III  136 

—  Ergebnisse  e.  histor.-geop-.  Stu- 
dienreise in  Kleinasien  III  lÜfi 

—  auf  Alexanders  d.  Gr.  Pfaden  in 
Kleinasien«  III  136 

Jebb,  album  gratul.  in  hon.  Herwcr- 
deni  I  209 

—  ßacchvlides  I  232.  238 

Ihm,  z.  Textesgesch.  des  Sueton  11 249 

—  Bentley's  Suetonkritik  II  252 

—  z.  Überlief,  u.  Textkrit.  v.  Sueton* 
de  gramm.  et  rhetor.  II  253. 

Immisch,  Babriana  ad  Ottonem  Cru- 
sium  I  IM 

—  d.  älteste  griech.  Buch  I  24£ 
Inama,  i  Persiani  di  Timoteo  I  242 
Inscriptiones  Graecae  III  135 
Jobst,  de  vocabulorum  iudiciariorum. 

quae  in  oratoribus  Atticis  inveni- 

untnr,  usu  et  vi  I  3 
Jouguet-Lefebvre,  Papyrus  de  Mag- 

dola  III  158 
Jovy,  Herbert  et  ses  travaux  sur  L'An- 

thol.  de  Planude  I  225 
Judeich,  Topographie  v.  Athen  III  24 
Jullian,  thalassocratie  phoc.  III  2A. 
Jurenka,  Archilochos  von  Paros  I  114 

—  Dithyramben  des  Bacchyl.  I  122 

—  d.  neuen  Bruchstücke  d.  Sapph<> 
u.  des  Alkaios  I  129 

—  Bacchylides  I  208 

—  Mythus  in  Pindar  n.  Bakchylides 

1  241 

—  d.  neuaufgef.  Timotheus-Papyrus 
u.  d.  ed.  priueeps  I  243 

Kaibel,  sepulcralia  I  144.  312 

—  Bententiarum  liber  ultimus  I  2Ü^ 
223 

Kaiinka,  de  usu  coniuuet.  quarundara 

apud  script.  Attic.  antiuuiss.  1 2  ff. 
Kallenberg,  der  Artikel  bei  Namen 

v.  Ländern.  Städten  u.  Meeren  in 

d.  gr.  Prosa  I  2  ff. 
Kattein,  Theoer.  idyll.  I  283 
Kawerau,  d.  Heraion  v.  Argos  III  Ii 
Kazarow,  per  la  storia  di  Spam 

III  24 

Keil,  Antiph.  x«r«  rrj;  urjrpim*  I  * 

—  Athens  Amtsjahre  u.  Kalender- 
tage I  4Q 


>Ogl 


Register. 


209 


Keil ,  System  d.  kleisthen.  Staats- 
kalenders  I  40 

—  Koqov  ntdfov  III  159 

Keller,  die  Rechtsfrage  in  Lysias' 
&  Rede  I  62 

—  Alexander  d.  Gr.  nach  d.  Schlacht 
von  Issos  III  liili 

Kemmer,  d.  polare  Ausdrucksweise 

in  der  griech.  Lit.  I  24»  102 
Kenyon,  new  fragm.  of  Herodaa  1  152 
Kern,  die  Landschaft  Thessalien  III  74 
Kiessling,  das  ethnische  Problem  des 

alten  Griechenland  III  55 
Kilpeläinen,  quaest.  Andoc.  I  58 
Kingsbury,  style  of  Andocides  I  58 
Kirchner,    Prosopographia  attica 
III  114 

—  attische  Ruleutenliste  III  136 
Kleineidam,  die  Personalexekution 

der  XII  Tafeln  II  22 
Klotz,  z.  Überlief,  der  Silvae  des 
Statins  II  212 

—  Jubatus  II  21» 

Knaack,  Hero  u.  Leander  L  14fi 

—  Dädalos  u.  Ikaros  I  14fi 

—  hellen.  Studien.  L  I  161 

—  Bukolik  I  26Ü 

—  Daphnis  1  265 

Koch,  quae  fuerit  ante  Socratem  voca- 

buli  üotTTj  notio  1  1 
Kocks,  zu  Lysias  1  68 
Köhler,  z.  Geschichte  der  Pente- 

koutaetie  I  58 

—  Reirhsverwaltung    und  Politik 
Alexanders  d.  Gr.  III  IM 

Kohm,  d.  Echtheit  der  Tetralog.  Anti- 
phons 1  38 

—  krit.- exeget.  Stud.  zu  Antiphon 
1  38 

—  z.  Kritik  u.  Erklärung  Antiphons 

i  m 

—  Antiphons  Tetralogien  I  39 

—  neue  Antiphonstudicn  1  40 
Kolbe,  zur  attischen  Marine  Verwal- 
tung III  Iii 

—  attische  Archonten  III  IM 
Kopp,  Hannodios  u.  Aristogeitou  1 259 
Kornemann,  zu  d.  Sicdelungsverhält- 

nissen  d.  myken.  Epoche  III  55 
Korsch,  ad  Anthol.  Palat.  I  all 
Körte,  die  Entstehung  der  Olym- 
pionikenliste III  24 

—  Anaximenes    v.  Lampsakos  als 
Alexanderhistoriker  III  IM 

Körtge,  in  Suetonis  de  viris  illustr. 

libros  inquisit.  II  246 
Kortz,  Eigentümlichkeiten  d.  kalli- 

roach.  Dichtkunst  I  150 
Krakert,  Herodas  1  156 


Krassnig,  z.  Erkläruug  der  in  Aristot. 
'A&riv.  nok.  enthalt.  Fragm.  Solons 

I  125 

Kromayer,  Wehrkraft  u.  Wehrver- 
fassung der  griech.  Staaten  III  111 

—  Wahre  und  falsche  Sachkritik 
III  LL4 

—  zu  d.  griech.  Schlachtfelderstudien 
III  U4 

—  antike  Schlachtfelder  in  Griechen- 
land III  15k  205 

Kruger,  der  Kommentar  zu  Gai  In- 
stitutiones  in  Autun  II  6Ü 

—  die  Reihenfolge  der  Leges  in  den 
Titeln  der  Digesten  Justinians  II  72 

—  zu  Dig.  40,  7,  29  §  1    II  89 

—  Mommsens  Ausg.  des  Codex 
Theodos.  II  IM 

I  Kubler,  zum  Xexum  II  31 

—  s.  fonti  d.  Istit,  di  Giustin.  II  1Ü2 
Kuiper,  studia  Callimachea  1  148 
Ladek,  die  histor.  Quellen  der  Octavia 

II  204 

Laird,  stud.  in  Herodotus  III  95 
Lambert  de  dialccto  aeolica  I  120 

—  l'autuenticitc  des  XII  tables  et 
les  annales  maximi  II  18 

—  l'histoire  tradit.  des  XII  tables 

II  18 

Lambros,  la  «tele  d'un  orthographe 

III  28 

Lammert,  die  neuesten  Forschungen 
auf  antiken  Schlachtfeldern  in 
Griechenland  I1J  114 

—  zu  d.  griech.  Schlachtfelderstudien 
III  159 

Landau,  die  Bedeutung  der  Phönizier 

im  Völkerleben  III  24 
Lang,  z.  Geographie  der  Odyssee 

in  55 

Lanzani,  i  Persica  di  Ctesia  III  95 
i  —  Pausanias  III  95 

—  de  fontibus  Diodori  in  Cyri  ex- 
pedit.  enarr.  III  95 

Larsen,  e.  Solon.  Studie  I  126 
Leeuwen,  Solon  I  120. 

—  ktfotOQ,  liigiöhii  I  208 

—  ad  Timothei  IVrs.  1  242 

Leges  novella  ad  Theodos.  pertin. 

edd.  Momm8en-Meyer  II  Hü 
Legrand,  problems  Alexandrins  1 150 

—  ('pigmmmes  du  III«  siecle  I  1112 
\  Legras,  la  Thebaide  de  Stace  II  226 

—  les  „Puniques"  et  la  Thebaide" 
II  222 

Lehmann -Haupt,  z.  Gesch.  u.  Uber- 
lief, d.  ion.  Aufstandes  III  95 

—  Pausanias'  Todesjahr  III  95 


270 


Register. 


Lehmann-Haupt,  r«  peru  Juotiov  des 
Dionysios  v.  Milet  III  05 

—  z.  griech.  Quellenkunde  III  95 

—  Kreta  III  55 

—  Karisch-Chaldisches  III  55 

—  z.  Chrono!  d.  chremonid.  Krieges 

mm  h 

—  d.  L  syrische  Krieg  u.  d.  Welt- 
lage um  225   III  159 

—  Seleukos,  d.  Köniir  d.  Makedonen 
III  15S 

—  z.  attischen  Politik  III  159 
Lenel,  der  Vindex  bei  der  in  ius  vo- 

catio  II  lü 

—  Nexum  II  m 

—  reconstitution  de  l'edit  perpetuel 
II  4Q 

—  neue  Bruchstücke  aus  ülpians 
Disput.  II  öl 

—  z.  klass.  Litiskontestation  II  9Q 
Leo,  die  griech.-röm.  Biographie  1 21  ff. 

II  241 

—  de  Horatio  et  Archilocho  I  119. 

—  coniectanea  II  213 

Levi,  intomo  a  Timoteo  I  212 

—  Andocide  e  l'ermocopia  III  IM 

—  la  battaglie  di  Cos  e  di  Andros. 

III  159 

Levy,  z.  Muciana  cautio  im  röm.  Recht 
Ii  9Q 

Lincke,  zu  Protagoras  7it()\  deuiv  I  32 
Lindsay,  Anthol.  lat.  II  233 
Lipsius,  d.  attische  Recht  u.  Rechts- 
verfahren 1  29 

—  Antiphons  Tetralogien  I  41 

—  zu  Demosthenes  I  53 

—  das  Ende  d.  herodot.  Gesehichts- 
werkes  III  Sß 

Lohse,  ad  Xen.  Hellen.  III  111 
Lucani  de  bello  civili  libri  X  iter. 

ed.  C.  Hosius  II  21Q 
Ludwich,  zu  d.  Solon-Fragm.  in  der 

nol.  AVriv.  I  125 

—  Spruchbuch  des  falschen  Phoky- 
lides  I  129 

—  einige  Verderbnisse  bei  Babrios 
I  IM 

Lutz,  die  Präpositionen  bei  d.  att. 
Rednern  I  ß 

—  Casusadverbien  bei  d 
nern  1  2  ff. 

Lysias,  orationes  . 
I  Ii 

—  orat.  sei.  ed.  A. 

—  ausgew.  Reden 
Thalheim  I  Ü9 

—  ausgew.  Reden,  hrsg.  v.  Kocks 
u.  Schnee  I  Üfi 

 verd.  v.  Westermann  I  23 


att.  Red- 
.  Th.  Thalheim 

Weidner  I  Ü2 
v.  Frohberger- 


Lysias,  orazioni  scelte  comm.  .  .  .  E. 
Ferra  i  e  G.  Fraccaroli  1  22 

—  orazioni  scelte  .  .  .  S.  Rossi  I  21 
Maas,  Kolometrie  in  d.  Daktyloepi- 

triten  des  Bakchyl.  I  231 
Maass,  z.  Gesch.  d.  griech.  Prosa  I  32 

—  Griechen  u.  Semiten  auf  d.  Isth- 
mos  v.  Korinth  III  71 

—  die  Griechen  in  Südgallien  III  7_i 
Macdonald,  Seleueid-Porträts  III  15ü 
Maci,  essai  sur  Suetone  II  231 
Mackenzie,  the  pottery  of  Knoasc« 

III  5ä 

Mahaffy,  the  progrcss  of  helleuisme  in 
Alexanders  Empire  III  114.  159.  205 

—  the  silver  age  of  the  Greek  world 
III  229 

—  -Smyly,  Flinders  Petrie  papyri 
Main,  locative  expressions  in  thr 

Attic  or.  L  2  ff. 
Mallinger,  Bacchylide  I  211 
Malten,  Cyrenarum  origines  III  21 
Malusa,  Simouide  Amorgino  I  12Q 

—  Simon.  Cei  Carmen  LXXXV  1  lK* 
Mancini,  su  Bacchilide  I  2Ü8 
Manigk,  z.  Gesch.  d.  röm.  Hvpothek 

n  91 

Manitius,  Handschriftl.  zu  Statin- 

II  222 

—  Dresd.  Schol.  zu  Stat.  AchilL  II  222 
Marchant,  the  agent  in  the  Attic 

orator  I  6  ff. 

—  Andocides  de  mysteriis  a.  de  re- 
ditu  1  58 

Marees,  Ithakalegende  auf  Thiaki 

III  55 

Marindin,  yl.<oijuvyi\v  in  Simonides  a 
Bacchyl.'I  183 

Marks,  Neros  great  ship-canal  II  2ßü 
Marshall,  Athen,  confederaey  III  in 
Masson-Hombert,  discours  choisis  I  ß9 
Matzura,  Konsekutio-  u.  Finalsätze 
bei  Lysias  I  22 

May,  rhythm.  Anal.  d.  Rede  Cic.  pro 
S.  Roscio  Amer.  II  112 

—  d.  Rhythmen  in  Cic.  pro  Archia 
II  142 

Mayer,  aus  d.  alt.  Zeit  Grossgrieeh Un- 
lands III  55 

—  -G'schrey,  Partheuius  Xicaeeusi* 
1  1ÜÜ 

Mayr,  condictio  incerti  II  91 

—  vindicatio  utilis  II  95 
Mazon,  Tim.  Perses  I  211 
Mederle,  de  iuris-itiraudi  iu  lite  Attica 

decem  orat.  aet.  usu  I  29 
Meier  -Schümann,  attische  Prozess. 
1  28 


Register. 


271 


Meischke,  z.  Gesch.  d.  Königs  Eu- 
menes  II.  v.  Pergamon  III  2Qü 

Meiser,  mvthol.  Untersuch,  zu  Bak- 
chvl.  I  &32 

Meister,  Dorer  u.  Achäer  I  120,  III  2 

—  z.  griech.  Epigraphik  u.  Dialektol. 
III  1Ü 

—  syntakt.  Gebrauch  des  Genetive 
in  d.  kret.  Dialektinschr.  III  12 

Melber,  d.  neuaufgef.  kitharod.  No- 

mos  des  Timotheos  I  241 
Melic  poets,  Greek,  by  IL  W.  Smyth 

I  lfiß 

Mellen,  de  ius  fabula  1  232 
Mesk,  Satz  u.  Vers  im  eleg.  Distichon 
der  Griechen  I  LL2 

—  Cic.  Nachruf  an  die  lcgio  Martia 

II  180 

Mess,  de  epigramm.  Attico  et  tra- 
goedia  antiquiore  dialect.  I  111 

—  z.  Positionslänge  von  muta  cum 
liquida  bei  d.  att.  Dichtem  1  112 

—  Ephoros  III  M 

—  die  Arbeitsweise  Diodors  III  2ß 
Meuss,  Vorstell,  von  Gottheit  und 

Schicksal  bei  d.  att.  Rednern  I  28 
Meyer,  Forschungen  z.  alten  Ge- 
schichte I  122 

—  der  Mauerbau  des  Themistokles 

III  9fi 

Michael,  die  Heimat  des  Odysseus 
III  55 

Migliazza,  bnttaglia  di  Lade  e  presa 
di  Mileto  III 

Miller,  the  limitatioii  of  the  impera- 
tive in  the  Attie  orators  1  2  ff. 

Mitteis,  Nexum  11  2a 

—  textkrit.  Miscellen  II  [Hi 

—  z.  Gesch.  der  Erbpacht  II  2fi 

—  de  manumissimo  vindicta  durch 
den  Haussohn  II  83 

Mommsen,  A.,  attische  Jahrbestim- 
uiung  III  SU 

—  Formalieu  d.  attischen  Volksbe- 
schlüsse III  äü 

—  -  Th.,  gcs.  Schriften  II  5 

—  mancipium  II  11 

—  .1<odtxi\d(iiot  II  12 

—  Nexum  II  28 

—  Salvius  Juliauus  II  52 

—  Hofmann  versus  Blume  II  22 

—  die  Heimat  iles  Gregorianus  II  105 
Morgan,  constructions  in  Andncides 

1  M 

—  Lvsias  L  fiO.  20 

Mötsch  mann,  Charaktere  bei  Lysias 
I  23 

Mottet,  Discours  coutre  Erathost.  1 23 
Mrose,  de  syntaxi  Bacchyl.  I  230 


Müller,  C  F.,  der  Leichenwagen 
Alexanders  d.  Gr.  III  13fi 

—  D.  HM  die  Gesetze  Hammurabis, 
die  mos.  Gesetzgebung  und  die 
XII  Tafeln  II  25 

—  Fr.  W.,  über  die  Beredsamkeit 
I  18  ff. 

—  (L,  contro  Erat,  e  contro  Agorato 

I  6J 

—  0.,  aus  alten  Statius-Handschrif- 
ten  II  222 

—  P.  It,  zu  Lysias  I  ßS 

—  zu  Lvsias  u  Lukianos  I  2Ü 

—  S.,  Ürgeschichte  Europas  III  55 
Mündt,  König  Nabis  v.  Sparta  III  205 
Munro,  Pcrsian  war  III  Öfi 

Myres,  the  list  of  thalassocracies  in 

Eusebius  III  25 
Naber,  ad  Audoc.  orationes  I  üÜ 

—  ad  Lvsiae  or.  1  23 

—  Archilochos  I  115 

—  Tyrtäos  1  121 

Nacinovich,  sul  vocalismo  dei  dialetti 
di  Larisa  e  di  Gortyna  III  5 

Nairn,  Bacchylides  I  208 

Nauck,  analecta  critica  1  68 

Navarre,  la  rhetorique  greequel  18  fl. 

Nessi,  osservaz.  Bacchil.  I  207 

Nestle,  Kritias  1  33 

Neumann,  die  lykurg.  Gesetzgebung 
III  14 

Newton,  the  epigraph.  evidence  for 
the  reigns  of  V  cspasian  a.  Titus 

II  2Ü3 

Nicastro-Castiglioni,  framm.  di  Sappho 
1  m 

Niccolini,  gli  ectemori  aten.  III  21 

—  per  la  storia  di  Sparta  III  24 

—  l  re  e  gli  efori  dt  Sparta  III  24 

—  Sparta  III  26. 

Nicole,  un  fragin.  des  Aetia  de  Calli- 

maque  I  146 
Niedermann,  Andocides  I  58 
Niescbke,  de  Thucydide  Antiphontis 

discipulo  et  Homeri  imitatore  1  38 
Niese,    z.  Gesch.  u.  Landeskunde 

Lakcdaemons  III  21 

—  z.  griech.  Geschichte  III  114 

—  Gesch.  d.  griech.-makedon.  Staaten 

III  205 

Nietzold,  d.  Überlieferung  der  Dia- 

dochengeschichte  III  13K 
Nitzsche,  griech.  Grabreden  I  18 ff. 

—  die  griech.  Grabreden  d.  klass. 
Zeit  1  21 

Noack,  homer.  Paläste  III  55 
Norden,  antike  Kunstprosa  1  18  ft. 
Nordin,  Aisymnetie  u.  IyrannislII  24 


272 


Register. 


Nowack,  Lysias  I  ß8 
Oddo,  Pisistrato  III  24 
Ohlert,  z.  antiken  Rätselpoesie  1311 
OHvieri,  mito  di  Oreste  il  letter.  class. 
I  185 

—  Teseo  e  Meleagro  in  Bacchil.  1 232 
Oppert,  l'annee  de  Meton  III  9Q 
Oxyrhynchos  Papyri,  ed.  by  Grenfell 

a.  Hunt.  P.  II  I  239,  Iii  laß 

 Part.  III  I  32 

Pabst,  vnts  rov  argaiKorov  I  68 
Pais,  storia  d'Italia  II  13 
Pancritius,  die  Sohlacht  v.  Kunaxa 

III  UA 

Papabasiletos ,  ttg  rrjv  'Ellr\v.  yAv&o- 
loyiav  I  311 

—  xomxni  7ittQttTrig^a€ig  (lg  rqr 
'EXXvv.  Av9oXoy  I  Sil 

—  Eößotxd  III  2Ü5 

Papyrus  grecs  et  demot.  publ.  par  } 
Tn.  Remach-Spiegelberg-de  Ricci  i 
III  m 

Pasella,  la  poesia  conviv.  dei  Greci 
I  259 

Paton,  emend.  of  Sappho  1  126 
Patrick,  de  Critiae  operibus  pedestri 

oratione  conscriptis  I  33 
Paul,  Marcus  Solvius  Otho  II  262 
Peiser,  de  iuvectivis  quae  Sali,  et 

Cic.  uomin.  fer.  II  IM 
Peppmüller,  Solons  Gedichte  I  121 

—  Tyrtäos  fr.  4   1  121 

—  zu  Demosthenes  De  cor.  289  1 139 
Pcrnice,  Labeo  II  ß 

Pernier,  seavi  d.  Miss.  Ital.  a  Phais- 

tos  III  bA 
Pcrrln,  the  Uqucu  of  Hellanicus  a. 

the  buniinj?  of  the  Argive  III  9fi 

—  the  rchabilitation  of  Pausanias 
III  IIA 

Peter,  Rhetorik  u.  Poesie  im  klass. 
Altertum  I  18 ff. 

—  die  Geschichtsschreiber  d.  röm. 
Kaiserzeit  II  241 

Petersen,  d.  Leichenwagen  Alexan- 
ders d.  Gr.  III  IM 

Pflüger,  Cic.  pro  Q.  Roscio  Com. 
rechtlich  beleuchtet  II  95.  161 

Pfuhl,  z. Gesch.  d.  Kurvenbaues  III  55 

Piccolomini,  un  frarain.  uuovo  di 
Archilocho  I  119 

Pischinger,  d.  Vogelgesang  bei  d. 
griech.  Dichtern  I  IM 

—  d.  Vogelzug  bei  d.  griech.  Dich- 
tem I  1D9 

Pistelli,  de  recentiorum  studiis  in 

Tyrtaeum  collatis  I  122 
Platt,  on  a  fragm.  of  Solon  I  125 


Polack,  de  enuntiatorum  interrogati- 
vorum  apud  Antiph.  et  Andoc. 
usu  I  6.  38 

Polak,  paralipomena  Lysiaca  I  21 

—  Lysias  I  22 

Pomtow,  e.  delphische  Stasis  L  J. 

363  v.  Chr.  III  UA 
Postgate,two  epigramms  of  the  Greek 

Anthol.  I  all 

—  ^  ^P^sages  0f  Silvae  of  Statins 

—  manuscript  problem  in  the  Silvae 
of  Statius  II  212 

—  ad  Silvas  Statianas  Silvula  I  219. 
Prasek,  Hekataios  als  Herodots  Quelle 

III  96 

Preiswerk,  de  inventione  orat.  Cic. 

II  182 

Prescott,  Daphnismvth  I  2fii 

—  scholia  a.  text  of  Theocritus  I  273 
Preud'homme,  sur  Su£tone  II  256 
Preuss,  de  fabulis  apud  Bacchyl.  1 222 
Previtera,  de  numero  sive  clausula 

sive  structura  sive  cursu  I  23  ff. 

—  il  metodo  statistico  nelle  nuove 
ricerche  d.  prosa  metr.  Lat.  e  Greca 
1  24ff. 

Priene,  Ergebnisse  der  Ausgrab.  u. 

Untersuch.  III  135 
Priewasser,  Präposit.  bei  Kallimachos 

u.  Herondas  i  147.  155 
Prott,  die  Ebene  von  Sparta  III  1A 
Quinci,  anacronismi  diodorei  nel  pe- 

riodo  Ducey  III  9fi 
Raase,  die  Schlacht  v.  Salamis  III  iiß 
Radermacher,  z.  Geschichte  d.  griech. 

Rhetorik  I  18  ff. 

—  Andocideum  I  59 

—  griech.  Sprachgebrauch  I  144 
Rad  et,  la  colonisation  d'Ephese  par 

les  loniens  III  55 

—  itinerairc  d'Alexandre  en  Lycie 

III  IM 

Radford,  personif.  and  the  use  of 
abstract  subjects  in  the  Att.  or.  a. 
Thucydidcs  1  8  ff. 

Radinger,  z.  griech.  Anthologie  1  295 

—  Leonidas  von  Tarent  I  302 

—  v.  verscholl.  Handschrift  des 
Sueton  II  252 

Rannow;  de  carm.  Theoer.  I  283 
Raquettius,  de  auetore  carm.  Pervigil. 

\  eneris  inscr.  II  234 
Rauchenstein  •Fuhr,  ausgew.  Reden 

des  Lysias  I  ül 
Re^ling,  e.  Tridrachraon  v.  Byzanz 

Reinach,  un  fragmeut  d'.Jon  de  Chios 
I  132 


Register. 


273 


Reinach,  deux  fragra.  d'hyporchemes 
anon.  I  187 

—  nouv.  fragm.  de  Sappho  I  119 

—  los  trepieda  de  Gefon  et  de  ses 
frerea  1  125 

—  les  Perses  de  Timoth£e  I  242 

—  le  decret  d'Athenea  en  honneur 
de  Pharuaces  L  III  205 

—  l'attaque   de   Delphes    par  lea 
Gaulois  III  159 

Reinhardt,  zu  Cic.  für  Plancius  II  193 
Reitzenstein,  2  neue  Fragm.  d.  Epo- 
den  d.  Archiloehos  I  H8 

—  d.  Trostgedielit  des  Lemouidea 
I  12Ü 

—  literarhistor.  Kleinigkeiten  I  135 
Rentzsch,  de  tl«'x»j  (fivdofittQTvgtaiv  in 

iure  Attico  I  29 
Reuss,  zu  Lyaiaa  I  69 

—  d.  Leichenwagen  Alexandere  d. 
Gr.  III  136 

Reuter,  zur  Technik  dea  Antiphon 
I  49 

Reuther,  Pauaaniaa  III  96 
Reynolds,  d.  Digamma  bei  Bacchyl. 
1  230 

Riedy,  Solonia  elocutio  I  122 
Riess,  atudiea  in  superatition  I  283 
Rizzo,  Imerio  il  sohata  I  120 

—  atudi  archeol.  aulla  tragedia  e 
ditirambo  1  112 

Robert,     Knöchelapielerinnen  de8 

Alexandroa  1  Uli 
Roberti,  la  eloquenza  greca  L  IS  ff. 
Roberts,  the  new  rhetor.  fragin.  I  32 
Robertson,  the  Gorgianic  tigurea  in 

early  Greek  proae  I  23  ff. 
Robinson,  Sinope  III  25 
Roby,  roman  private  law  II  6 
Röder,  d.  Lage  von  Daphnis  1  265 
Roegholt  Pa.-Lva.  contro  Andoc.  I  69 
Rohde,  Cicero  Ii  182 
Rölilecke,  z.  14.  u.  15,  Rede  d.  Lyaiaa 

I  13 

Roloff,  Probleme  d.  griech.  Kriegs- 
gesch.  III  115 

—  Probleme  der  antiken  Kriege- 
geachichte  III  ln9 

Romagnoli,  l'elegia  aleaaandrina  pri- 
ma di  Callimaco  I  m  140 

—  epinicio  X  di  Bacehil.  I  232 
Roschatt,  d.  aynonymen  Verbindun- 
gen bei  d.  att.  Rednern  I  23  ff. 

Rosenthal,  de  Antiph.  in  particul.  uau 
propr.  1  40 

Rossbach,  Theocritea  I  223 

Rossi,  la  compoa.  tecn.  d.  odi  di  Bac- 
chil. I  241 

—  ricostruz.  di  un  xto&vßiav  I  212 


Rost,  de  vocibus  quibusdam  publi- 

cia  iuri8  Attici  I  3 
Rubensohn,  ad  Anthol.  Graec,  1  Ü12 
Ruggiero,  un  nuovo  giuramento  di 

tedelta  all'imper.  Auguato  II  49 

—  diritto  Rom.  e  papirologia  II  52 

—  papiri  Greci  o  „stipulatio  duplae" 
III  113 

Rühl,  die  Zeitanaätze  für  Hellanikoa 
III  96 

—  Herakleidea  v.  Mvlasa  III  96 
Rutten.  Lvaiaa  1  69 

Sabbadini,  Partenio  ed  il  Moretum 
1  161 

—  le  scoperte  dei  codici  lat.  e  greci 
nel  aec.  XIV  e  XV  III  33 

Sachse,  die  30,  Rede  dea  Lyaiaa  I  62 
Sadee,  «le  Boeotiae  titul.  dial.  III  11 
Sakorraphos,  ad  Aeachinia  orat,  I  58 
Samse,  interpretat.  Lucan.  II  211 
Samter,  Scaevolaa  Digeaten  u.  Rc- 

sponaen  II  119 
Sauppe,  ad  Antiph.  orat.  VI    I  38 
Schater,  de  tertio  Baeehylidi8  carm. 

I  m 

Scheel,  de  Gorgianae  disciplinae 
vcatigiia  £  32 

Schenkt,  z.  L  Rede  dea  Lyaiaa  I  20. 

Schierlinger,  d.  unterordn.  Satzver- 
bindung bei  Antiphon  I  39 

Schilling,  lucubrat.  Statian.  II  212 

Schjott,  Stud.  z.  alten  Geachichte  III  75 

Schtiack,  Proben  von  Erklärunga- 
bezw.  Emendierungaversuchen  1  (V7 

Schliemanns  Sammlung  trojan.  Alter- 
tümer III  54 

Schlossmann,  tributum,  tribuere,  tri- 
bus  II  12 

—  vindex   bei  der  in  iua  vocatio 

II  12,  26 

—  altröm.  Schuldrecht  u.  Schuldvcr- 
fahren  II  25.  3Q 

—  Xexum  II  3ö 

—  Litia  conteatatio  II  44 

—  nemo  aibi  ipae  cauaam  poasessionia 
mutare  poteat  II  92 

—  z.  Geach.  d.  röm.  Kaufea  II  98 

—  Peraona  u.  IlQÖaomov  im  Recht 
o.  chriatl.  Dogma  II  99 

Schuld,  J.,  de  conviciia  a  X  orato- 
ribus  Att.  usurpatia  I  3 

—  W.,  z.  Geach.  d.  griech.  Dithy- 
rambos  I  122 

Schmidt,  C,  de  uau  partic.  ri  earum- 
que,  quae  cum  rol  compoa.  sunt 
apud  or.  Attic.  I  2 

—  Troja-My  kenc-Ungara  1 1 1  55 

—  ö\  Keramik  \i.  makedon.  Tumuli 

III  55 


274 


Register. 


Schneider,  St,  e.  sozialpolit.  Traktat 
u.  s.  Verfasser  I  41 

—  V.,  Ps.  Lysias  xai'  l-irduxftfov 
aaeßeins  I  22 

Schodorf,  z.  Kenntnis  der  attischen 
Gerichtssprache  aus  den  zehn 
Rednern  L_3  • 

Schoell,  zu  Lysias  I  fiö 

—  zu  Andok.  Mysterienrede  I  5Ü 
Schöne,  de  dialect.  Bacchyl.  I  230 
Schräder,  die  Seclenlehre  d.  Griechen 

in  d.  ält.  Lyrik  I  108 
Schreiber,  d.  Bildnis  Alexanders  d. 

Gr.  III  ]M 
Schröder,  alkäische  u.  sapphische 

Strophe  I  lfiä 

—  zu  Timotheos  I  241 

Schroff,  Echtheitsfrage  d.  L  Rede 

des  Andoc.  I  59 
Schubert,  die  Quellen  z.  Geschichte 

Philipps  II.  v.  Makedon.  III  115 
Schulhof,  Callinus  u.  Tyrtäus  I  114 
Schulthess,  zum  ersten  Strassburger 

Archilochos-Fragm.  I  IIS 
Schulz,  z.  Theorie  d.  antiken  Metrik 

1  112 

Schulze,  E.  R.,  quaest.  gramm.  ad. 
or.  Att.  spectantes  I  ß 

—  de  figurae  etymol.  apud  or.  Att. 
usu  1  fiff. 

—  M.,  d.  ethische  Gedankengehalt 
d.  griech.  Elegiker  u.  Jambigraphen 
1  IM 

Schurz,  Urgesch.  d.  Kultur  III  15 

—  Altersklassen  und  Mäunerbünde 
III  iL 

Schwab,  histor.  Syntax  d.  gr.  Kom- 
paration in  der  klass.  Lit.  I  2  ff*. 

Scnwartz,  comm.  de  Thrasymacho 
Chalced.  1  32 

—  z.  griech.  Geschichte  1  fiS 

—  Tyrtäos  1  122 

—  Theokrits  Daphnis  1  2fi3.  2fi5 

—  zu  Bakchyüdes  1  2QS 

—  Diodoros  III  3ß*  13fi 

Scialoja,  „sulla  noxae  deditio"  del 
eadavere  II  64 

—  l'abuso  della  consegna  nossale  da 
parte  dcllo  schiavo  II  Ü4 

—  sul  testo  d.  Editto  edilitio  „de 
^  ferisu  II  lüü 

Scott,  additional  notes  on  the  voca- 

tive  I  1112 
Seeck,  Quellenstud,  z.  Aristot.  Ver- 

fassungsgesch.  v.  Athen  III  25 
Senn,  Nexum  II  33 
Setti,  Simonide  di  Cco  e  l'autentic. 

de  suoi  epigr.  I  190 

—  cougett.  d.  Scaligero  e  gli  epi- 
grammi  di  Agatia  scolast.  1  305 


Sewera,  Rede  gegen  Erathosth.  u. 

üb.  d.  Ölbaum  I  12 
Seymour,  the  homer.  assemblies  a. 

Aristotle  III  7h 
Seymour  de  Ricci-Girard,  textes  iurid. 

Latin»  iucdits  II  51 
Shilletto,  «T(tfu«-slightly,  leniter  1 208 
Sinko,  ad  Theoer.  XI,  22  fl.  I  213 
Sjöstrand,  de  orat.  Att.  in  oratione 

obliqua  temporum  ac  modonim  usu 

I  ß 

Sitzler,  zu  Timotheos  I  241 

Slater,  emendat.  in  the  Silvae  of 

Statius  II  212 
Smith,  A.      illustr.  to  Bacchyl.  I  232 

—  K.  F-  irregulär  fomrs  of  the  ele- 
giac  distich  1  112 

—  tale  of  Gyges  a.  king  of  Lydia 

—  V.  A.f  history  of  Iudia  III  1H6 
Smyly,  relation  of  Macedon  of  the 

Egyptian  calendar  III  159 

—  the  revenue  years  of  Philadel- 
phus,  Euergetes  a.  Philopator 
III  159 

Sokolow,  z.  Gesch.  d.  III.  vorchri«tl. 
Jahrh.  L:  Alexander,  Krateros" 
Sohn  III  159 

—  der  Autiochos  der  Inschriften  von 
Ilion  III  lä9 

—  d.  jährl.  Nemeenfest  III  159 
Solan,  ricerche  Spartane  III  25. 

—  relaz.  diplomat.  tra  la  Grecia  e  la 
Persia  III  11h. 

Solmsen,  Berl.  Bruchstücke  d.  Sappho 
1  119 

i  Sonne,  Autipho  r«  2  1  39 

,  Soteriades,  avaoxaya't  tv  &tqut>>\l\  159 

Sotiriades,  d.  Schlachtfeld'  v.  Chai- 
roneia  u.  d.  Grabhügel  d.  Make- 
donen  III  115 

Spieker,  Hof-  u.  Hofordnung  Alexan- 
ders d.  Gr.  III  13fi 

Stachel,  Seneca  u.  d.  deutsche  Renais- 
sancedrama II  203 

Stahl,  Psephisma  des  Demophantos 

i  aa 

l  Stern,  der  Mauerbau  in  Athen  u.  die 
List  des  Themistokles  III  9fi 

Sternkopf,  Gedankengang  u.  Gliede- 
rung d.  Diviu.  iu  Q.  Caee.  II  192 

Stickney,  les  sentences  dans  la  poesie 
grecque  I  108 

Strazzulla,  i  Persiani  di  Eschilo  ed. 
il  uomo  di  Timoteo  I  241 
j  —  Kotys  I  e  Kersebleptes  III  115 

Stroh,  zu  Valer.  Flaccus  II  213 

Sudhaus,  zu  d.  Persern  des  Timo- 
theus 1  211 


Register. 


275 


Suetonias,  de  vita  Caes.,  rec.  L.  Prcud'- 
homme  II  2ßfi 

—  vitae    Galbae    Othonis  Vitelli, 
^  comm.  C.  Hofstee  II  2Ü9 
Summers,  authorship  of  the  Hercules 

Oetaeus  II  132 
Sundwall,  epigjraph.  Beitr.  z.  sozial- 

polit.  Geschichte  Athen«  III  152 
Susemihl,  neue  piaton.  Forschungen 

I  33 

Sutphen,  Stud.  in  hon.  of  Gildersleeve 
I  282. 

SvoroilOS,  ra  voufo/Jititt  tov  xgitTovs 

nur  flToltfiatütv  III  IM 
Swoboda,   z.   griech.  Rechtsgesch. 

III  25 

—  Epaminondas  III  115 

Szanto,  zu  Antiphons  Tetralog.  I  40 

—  die  griech.  Phylen  III  15 

—  Ephoroi  III  15 

Taccone,  il  triinetro  giamb.  nella 

poes.  greca  1  112 
Tarn,  heilenisni  in  Bactria  a.  India 

III  222 

Taubert,  Skolion  den  Kallistratos  1 259 
Terzaghi,  Tiraoteo  eu  i  Persiani  1 247 
Thalheim,  zu  Lyknrgog  u.  Lysias  I  71 
Theocritus,  idvlls  .  .  .  by  B.  J.  Chol- 

meley  I  222 
Theodosiani  libri  XVI . . .  Th.  Momm- 

sen  II  lOfi 

 edd.  Mommsen-Meyer  II  105 

Thiele,  jonisch-attische  Studien  I  32 

—  z.  griech.  Gesch.  III  96 
Thomaschik,    de   Lvsiae  epitaphii 

authentia  verisimili  I  62 
Thomson,   Euripides    a.  the  Attic 

orators  1  22 
Thumb,  z.  Gesch.  d.  griech.  Digamma 

I  111 

Timotheus-Papyrus  1  245 
Tod,  Bruchstuck  e.  att.  Tributliste 
III  9ü 

—  Attic  deeree  III  13Ü 
Törnebladh,  ad  Statium  II  212 
Traube,  Gesch.  d.  tiron.  Xoteu  bei 

Suetonius  u.  Isidorus  II  2£7 
Traut,  Zeitbestimm,  u.  Gedanken- 
ordnung  der  HL  Rede  des  Lysias 
1  20 

Tucker,  Theokrit  I  273 

Uifalvy,  tvpe  phvsimie  d'Alexandre 

le  dl.  Wik 

Urc,  origin  of  the  tyrannis  III  25 
Urefia  y  Smenjaud,  lcgislaeion  Gotico- 

Hispana  II  UA 
Usener,  Sappho  I  12ß 

—  Theokr.  XVII,  124,    I  273 
Ussani,  su  1'Octavia  II  204 

—  ultima  voce  di  Lucano  II  202 


Ussani,  sul  valore  storico  del  poema 
lucaneo  II  2l)S 

—  il  testo  Lucaneo  e  gli  scolii  Ber- 
nensi  II  2U3 

—  annotazioni  di  Pomponio  Leto  a 
Lucano  II  209. 

Usteri,  Aechtung  u.  Verbannung  im 

griech.  Recht  III  115 
Vahlen,  Rede  des  Lysias  in  Piatos 

Phaedrus  I  22 

—  varia  I  222 

Valerii   Flacci   Argonaut.    Rec.  C. 

Giarratano  II  213 
Valmaggi,  de  casuum  syntaxi  apud 

Herodam  I  15Ü 
Varese,  il  calendario  Rom.  III  159 
Veldhuis,  ad  Suetouium  II  25a 
Veniero,  i  poeti  de  l'Antol.  Palat. 

I  292 

Vessereau,  Cl.  Rutilins  Xamatianus 

II  235 

—  -Dimoff,  Rutiiiaua  II  23fi 
Villani,  sur  les  chanta  chr^t.  d'Ausone 

II  229 

Ville  de  Mirmont.  l'aatrologie  chez 
les  Gallo- Romains  II  23» 

Vocabularium  iurisprudeutiae  Ro- 
manae  II  2 

Vogel,  analecta  aus  griech.  Schrift- 
stellern 1  22 

Voghera,  Senofane  e  i  cinici  autori 
di  Silloi  I  13Q 

Vollgraff,  over  d.  osprong  onzer 
Europ.  besehaving  III  55 

—  fouilles  d'Argos  III  ü 

—  Lysiaca  I  21 

—  sur  la  fin  et  les  consequencea  de 
la  guerre  Etohenun  III  205 

Vollmer,  z.  Überlief,  von  Statins' 

Silvae  II  212 
Wace,  helleu.  royal  portraita  III  158 
Waldstein,   The    Argive  Heraeum 

l  208,  III.  23 
Walters,  bist,  of  ancient  nottery  III  55 
Watzinger,  Mimologen  l  152  " 
Weber,  P.,  quaest.  Sueton.  II  24£ 

—  W.,  Lys.  contra  Andoc.  1  21 
Weidner,  zu  Lysias  I  ß2 

Weiert,  z.  Gesch.  d.  att.  Prosa  d. 

V.  Jahrh.  1  3 
Weil,  Lysias  I  fi8 

—  los  »'lrgicH  de  Tyrtöe  I  122 

—  d.  Müuzmonopol  Athens  III  Qü 
Weise,  L  Rede  (les  Antiphon  I  39 
Wells,  i'hronology  of  the  reign  of 

Cleomenes  III  15 
Wendel,  de  nominibus  bucol.  I  265 

—  Theocritea  I  223 

Wendland,  d.  Tendenz  d.  plat.  Mcuexe- 
nos  I  12  tf. 


276 


Register. 


Wendorff,  ex  usu  convivali  Theogni- 
deam  syllogen  fluxisse  demon- 
strantur  I  131 

Wenger,  Papyrusforsehung  u.  Rechts- 
wiss.  II  52 

—  Lehre  v.  d.  actio  iudicatio  II  101 

—  rechtsbist.  Papyrusstudien  II  101 

—  z.  Vormundschaft  der  Mutter  II  101 
Weniger,  olymp.  Forschungen  III  75 
Werenka,  die  Sehlacht  bei  Mautinea 

III  115 

Werner,  de  ineendiis  urbis  Romae 

aetat.  imporat.  II  259 
Wetzell,  lexici  Antinh.  spec.  I  89 
Wheeler,  the  partieipal  eonstruetion 

with  ivyyavuv  aud  xigdv  1  7fl. 
Wide,  Theseus  u.  d.  Meeressprung 

I  282 

Wiegand,  Milet  III  75 
Wilamowitz-Möllendorff,  Asianismua 
u. -Attizismus  I  24  ff. 

—  Aristoteles  u.  Athen  I  29 

—  Reden  Antiphons  I.  38.  40 

—  commentar.  gramm.  IV.  ind.  schol. 
hib.  I  39 

—  de  Gorgiae  epitaphio  ab  Aristo- 
tele  citato  I  67 

—  Lesefrüchte  1  71.  142.  272 

—  Archilochos  I  115 

—  Textgesch.  d.  griech.  Lyriker 
I  105.  122.  173.  176.  203 

—  das  Skolion  des  Simonides  an 
Skopas  I  187 

—  Bacchylides  l  207 

—  llieron  u.  Pindaros  I  238 

—  Timotheos,  die  Perser  I  245 

—  Textgesch.  der  griech.  Bukoliker 
I  263 

—  Bion  v.  Smyrna  I  292 

—  Theocrits  Hymnus  auf  Ptolemäus 
1  272 

—  zu  d.  Thalvsien  Theocrits  I  272 

—  üb.  d.  ion.  Wanderung  III  55 

—  Dörpfclds  Leukas  -  Ithaka  -  Hypo- 
these III  55 

—  Panionion  III  75 


Wilamowitz-Möllendorff,  d.  Leichen- 
wagen Alexanders  d.  Gr.  III  156 

Wilcken,  Abdankung  Euergetes  I. 
III  159 

Wilhelm,  Vermutungen  I  59 

—  Simonid.  Gedichte  I  195 

—  Eußoixa  III  205 

Williams,  the  Mutiueusis  ins.  of 
Theognis  I  131 

—  Theognis  a.  his  poems  I  131 
Willrich,  Caligula  II  257 

—  der  Geburtstag  des  Antiochos 
III  205 

Winkler,  Auszug  a.  d.  vorderasiat. 

Geschichte  III  55 
Wlassak,  d.  Gerichtsmagistrat  im  ge- 

setzl.  Spruch  verfahren  II  34.  42 
Wöhlermann,  in  Sapphus  carmeu  II. 

I  176 

Wolff,      Bacchylidea  I  208 

—  E.,  Lysias  u.  Isokrates  I  70 
Wölfflin,  Ed.,  z.  lat.  Lexikographie 

II  55 

—  H.,  Sueton  u.  d.  monum.  Ancvr. 
II  244 

Wolters,  Maycor  ixt  og  I  12 
Wörpel,  e.  Anspielung  in  d.  Zeus- 
hymnus des  Kallimachos  I  144 

—  z.  Artemishymmis  d.  Kallim.  I  144 

—  zu  Sappho'l  179 

Wright,  the eampaigu  of  Piataea  III  96 
Wundt,  de  Herodoti  elueotioue  I  32 
Zacher,  zur  griech.  Wortforschung 

I  109 

Ziebarth,  Inschriften  I  70 
ZielinskL  Marginalien  I  150 

—  Zeitbestimmung  d.  Rede  Cic.  pro 
Q.  Roscio  Com.  II  167 

—  Bacchylidea  1  208 

—  d.  Klauselgesetz  in  Cic.  Reden 

II  146 

—  Cicerokarikatur  II  184 

Zutt,  Audoc.  nfQl  rüir  utffrqp/W  u. 

Lysias'  xar  UvöoxtSov  I  58 
Zyclia,  ntgl  bei  den  Histor.  u.  Red- 


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I.  Casp.  Orellius,  I.  O.  Baiterus,  Carolus  Halmius. 

A.  Textus.  4  Bände  in  5  Teilen.   2.  Auflage.    1845—61.  48  ML  20  Pf. 

Libri  rhetorici.    Editio  II.    1845.    M.  8.—. 
(2  Partes)   Orationes  ad  Codices  ex  magna  parte  aut  primu 
itcrum  collatos  emendarunt  I.  Q.  Baiterus  et  C.  Halmius 

1854—57.    M.  18  80.    Einzeln  ä  M.  9.40. 
Epistolae    Accedit  historia  critica  epistolarum  Ciccronis.  E< 

1845.    M.  8.—. 

Libri  qui  ad  phiiosophiam  ad  rem  publicam  spectant.  Ex 
manuscriptis  partim  primum  partim  iterutn  excussis  emendave 
O.  Baiterus  et  C.  Halmius.    Accedunt  fragmenta  I.  C.  O 

secundis  curis  recognita.    1861.    M.  13.40. 

M.  Tullii  Ciceronis  scholiastae.   C.  Marius  Victorinus, 
C.  Julius  Victor,  Boethius,  Favonius,  Eulogius,  Asconius  Pedianus, 
Bobiensia,  scholiasta  Oronovianus  ediderunt  lo.  C.  Orellius  et  lo. 
Baiterus.   2  vol.    M.  24.—. 
C.  Onomasticon.  Onomasticon  Tullianum  continens  M.  Tullii  Ciceroni-  \ 
historiam  literarum,  indicem  geographicum  et  historicum  indic 
latinum,  fastos  consulares.  Ciiraverunt  lo.  C.  Orellius  et  lo.  ucor^i 
Baiterus.   3  vol.    M.  27.  - . 

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Ine  Exemplare    sind    neu,    aber  etnas  stockfleckig. 

Leipzig,  Mai  1907. 

O.  R.  Reisland. 


B.  Scholia. 


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Piererscho  Hofhucbdruitkeroi  Stephan  <»?it.»l  k  Co.  in  Mu-nlxim. 


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