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«^SCAR WILDE . DAS GESPENST
VON CANTERVILLE UN
ANDERE ERZÄHLUNGEN
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DAS GESPENST VON
CANTERVILLE UNI)
FÜNF ANDERE ER-
ZÄHLUNGEN VON
OSCAR WILDE
LEIPZIG -IM INSEL.VEBLAG'1905
DIESES BÜCH WÜRDE INS DEUTBCHX ÜBKB-
TRAGEV TON FEANZ BLBI. TITEL, EINBAND,
ILLUSTRATIONEN UND SCHMUCK ZETCIINETB
HEINRICH VOGELER, WORPSWEDE. T>EK DliÜCK
ERFOLGTE ÜEI POESCHEL&TRLFIL IN LLiFZIG
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DAS GESPENST VON CANTERVILLE
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LS Mr. Hiram B. Otis,
der amerikanische Gesandte,
Schloss Ganterville kaufte^
sagte ihm ein jeder, dass er
sehr töricht daran täte, da
dies Schloss ohne Zweifel
verwünseiit sei.
Sogar Lord Ganterville selbst,
ein Mann von peinlichster
Ehrlichkeit, hatte es als seine
Pflicht betiachtet, diese Tat-
sache ]ifr. Otis mitzuteilen,
leTor sie den Yerioinf abschlössen.
„Wir haben selbst nicht in dem Schloss gewohnt," sagte
Lord CanterTiUe, „s^t meine Grosstante, die Herzogin-
Matter 7on Bolton, einst yor Schreck in Krämpfe yerfiel,
von denen sie moh. nie wieder erholte, weil ein Skelett
seine beiden Hftnde ihr auf die Schaltern legte, als sie
iTide beim Ankleiden war. Ich fühle mich yerpflichtet,
es Urnen zu sagen, Mr. Otis, dass der Geist noch jetzt
von verschiedenen Mitgliedern der Familie Ganterville
gesehen worden ist, sowie auch vom Geistlichen unserer
Gemeinde, Hochwürden Angustus Dampier, der in King's
Kollege, Cambridge, den Doktor gemacht hat. Nach
dem ]\Ialheur mit der Herzogin wollte kf>iuer unserer
Dienstboten mehr bei uns bleiben, und Lady Ganterville
konnte seitdem des Nachts liäufig nicht mehr schlafen vor
lauter unheimliciien Geräuschen, die vom Korridor und
ran der Bibliothek herkamen.''
„llj iui J,^ antwortete der IGnister, ^<sk will die ganze
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Einrichtung iind den Geist dazu kaufen. Ich komme aus einem mo-
dernen Lande, wo wir alles haben, was mit Geld zu bezahlen ist;
und ich meine, mit all unsem smarten jungen Leviten, die Ihnen Ihre
besten Tenor© und Primadonnen abspenstig machen, das: gäbe es
wirklich noch so etwas wie ein Gespenst in Europa, würden wir
dasselbe in allerkiüzester Zeit drüben haben, entweder bei Bornum
oder auf einem Jahrmarkt'^
„Ich fürchte, das Gespenst existiert viiklich," sagte Lord Canter-
TiHe lüofaelnd, „wenn es anoh bis jelst Ihren Impresarios gegenfibo-
sich ablelmend Terfaalten hat Seit drei Jahrhimderteii ist es wohl
bekannt, genau gesprochen seit 1584, nnd es eiacheint zegelmflssig
kiuz bevor ein Glied unserer Familie stirbt'*
^nn, was das anbetrifft, das macht der Hansarst gerade so, Lord
CanträviUe^ Aber es gibt ja dodi gar keine Gespenster^ und ich
meine, dass die Gesetze der ITatur flieh nicht der farilisohen Aristo»
kratie zuliebe aufheben lassen."
„Sie sind jedenfalls sehr aufgclclärt in Amerika," antwcfftete Lord
CanterviUe, der Mr. Otis' letzte Bemerkung nicht ganz vorstanden
hatte, „nnd wenn das Genpenst im Häufte Sie nicht weiter stört, so
ist ja allos in Ordnung. Sie dürfen nur nicht Tergessen, dass ich
Sie gewinnt habe."
Wenige Wochen später war der Kauf abgeschlossen, und gegen
Ende der Saison bezog der Gesandte mit semer Familie Scbloss
CanterviUe. Mrs. Otis, die als liliss Lucretia R. Tappan, W. 53
New-York, für eine gi'osse Schönheit gegolten hatte, war jetzt eine
sehr hübsche Ifrau in mittloron Jahren, mit schönen Augen und
einem tadellosen FrofiL Viele Amerikanerinnen, die ihre Heimat
Tedassen, nehmen mit der Zeit das Gebsz^ einer «^ironischen
B[r8n]dichkeit an, da sie dies fOr ein Zeichen europfiiscber Kultur
ansehen, aber Ibs. Otis war nie in diesen Irrtum TerfaUen. Sie
besass eine Tortreffliohe Konstitution nnd einen herronagenden
Untemehmnngsgeisi So war sie wirUicfa in vieler Brnsicht Töllig
englisch und ein Toisfigliches Beispiel fOr die Tatsache, dass wir
heutzutage alles mit Amerika gemein haben, ausgenommen natür-
lißb die Sprache. Ihr ältester Sohn, den die Eitern in einem hef-
tigen Anfall von Patriotismus Washington genannt hatten, was er
seit seines Lebens beklagte, war ein blonder, hübscher junger Hann,
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der sich dadurch für den diplomatischen Dienst geeignet geseigt
hatte, dass er im Newport Casino während dreier Winter die Fran-
(jaison kommandierte und sogar in London als vorzüglicher Tänzer
galt. Gardenien und der Gotha waren seine einzigen Schwächen.
Im übrigen war er ausserordentlich vernünftig. Mi.ss Virginia E.
Otis war ein kiemes Fraulein von fünfzehn Jahren, graziös und
lieblich wie ein junges ßeh und mit schoneu klaren blauen Augen.
Sie sass biillauL zu Pferde und hatte einmal auf ihrem Pony mit
dem alten Lord Bilton ein Wettrennen um den Park veranstaltet,
wobei sie mit 1^/, Pferdelängen Siegerin geblieben war, gerade yor
der AohiUesstetne, sun ganz bfleondereai EaMekea des jongea
HenogB Ton Chediire, der sofort mn ihre Hand anhielt und noch
denselben Abend unter StrSnten tod. Tiinen nach Eton in seine
Schule znrficfcgeschickt wmde. Nach Yuginia kamen die Zwillinge,
entattckende Bnben, die m der Familie, xnit Avsnahme des Herrn
vom Hanse natttrüch, die einiigen wirklichen Bepablikaner waren.
Da ScUoas Ganterville acht Meilen von der nächsten Eisenbahn-
station Asoot entfernt liegt, hatte Mr. Otis den Wagen bestellt, sie da
abzuholen, und die Familie befand sich in der heiteisten Stimmung.
Es war ein herrlicher Juliabend, und die Luft war voll vom frischen
Duft der nahen Tannenwälder. Ab imd zu licss sich die süsse
Stimme der Holztaube in der Feme hören, und ein buntglänzender
Fasan raschelte durch die hohen Famkräuter am Wege. Eich-
hörnchen blickten deu Amerikanern von den hohen Buchen neu-
gierig nach, als sie vorbeifuhren, ujui dio wilden Kaninchen er-
griffen die Flucht und schössen durch das Cntergehölz und die
moosigen Hügclchen dahin, die weisseu Schwänzchen hoch in der
Luft Als man in den Park von Schloss Ganterville einbog, be-
deckte sich der Himuiel plötdich mit dnnklen Wolken; die Lnft
Bchiea gleichsam stUl sn stehen; dn groeser Schwann EiShen flog
lanfloe tlber ihren Hftnptem dahin nnd ehe man noch das Haus
eneichte, fiel der Begen in dicken schweren Trqkfen.
Auf der Rreitieiq^ empfing m» eine alte Vnai in schwaizer Sdde
mit weisser Hanbe nnd SchQixe: das war ICrs. Vmney, die Wirt-
schafterin, die Mrs. Otis auf Lady CanterviUes inständiges Bitten
in ihrer bisherigen Stellung behalten wollte. Sie machte jedem
einen tie^ £nioka, als aie nacheinander ausstiegen, nnd sagte in
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einer eigentümlich altmodischen Art: „Ich heisse Sie auf Schloss
Canterville willkommen." Man folgte ihr ins Haus, durch die
schöne alte Tudorhallo in die Bibliothek, ein langes, niedriges
Zimmer mit Täfelung von schwarzem Eichenholz und einem grossen
bunten Glasfenster. Hier war der Tee für die Herrschaften ge-
richtet, und nachdem sie sich ihrer Mäntel entledigt, setzten sie
sich und sahen sich um, während Mrs. Umney sie bediente.
Da bemerkte Mi-s. Otis plötzlich einen grossen roten Fleck aui dem
Fussboden, gecade Tor dem Kamin, und in völliger Unkenntnis von
dessen Bedeatimg sagte sie zu Ifia. ITnmej: „Ich iOi^te, da hat
mm ans Unvonichtigkeit etwas Terschttttoi*'
„Ja, gnädige Frau," erwiderte die alte Haushälterin leise, ^nf jenem
Flet^ ist Blat geflossen."
„Wie grasslieh 1^ rief Mh. Otis, „Ich liebe durchaus nicht Blut-
fleeke in eineoi Wohnzimmer. Er muss sofort entfernt werden.**
Die alte Vran Uohelte und erwiderte mit derselben leisen, geheim-
nisrollen Stimme: »,Es ist das Blut Ton Lady Eleanore de Ganter-
yille, welche hier auf dieser Stelle von ihran eigenen Gemahl, Sir
Simon de CSant^rriUe) im Jahre 1575 ermordet wurde. Sir Simon
überlebte sie um neun Jahre und verschwand dann plötzlich unter
ganz geheimnisvollen Umständen. Sein Leichnam ist nie gefunden
■worden, aber sein schuldbeladener Onist geht noch jetzt hier im
Schlosse um. Der Blutfleck wurde schon oft von Beisenden be-
wundert und kann durch nichts entfernt werden."
„Das ist alles Hunibug,'' rief Washington Otis, ,J'inkertons Uni-
rersal- Fleckenreiniger wird ihn im Nu beseitigen," und ehe noch
die erschrockene Haushälterin ihn davon zurückhalten konnte, lag
er schon auf den Knien und scheuerte die Stelle am Boden mit
einem kleinen Stampf Ton etwas, das schweizer Sartwicbee Ähnlich
sah. In wenigen Augenbli<&en war keine Spnr mehr von dem
Blutfleck za sehen.
„Na ich wusste ja, dassFinkerton das maohw wOrdCf** rief er tdnm-
phierend, wihrend er sich zu seiner bewundernden E^lie wandte;
aber kanm hatte er diese Worte gesagt, da erleuchtete ein greller
Blits das dfistere Zimmer, und ein tosender Donnerschlag Hess sie
alle in die Höhe fahren, während Mis. Umney in Ohnmacht fiel.
,»Was für ein schauderhaftes MmaP sagte der amerikanische Ge-
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sandte ruhif^, während er sich eine neue Zigarette ansteckte. „Wahr-
scheinlich ist dieses alte Land fo ühervöikert, dass sio nicht mehr
genug anständiges Wetter für jeden haben. Meiner Ansicht nach
ist Auswanderung das einzig Richtige filr England." „Mein lieber
Hiram," sprach Mrs. Otis, „was sollen wir bloss mit einer Frau an-
fangen, die olinnuiciitig wird?"
„Rechne es ihr an, als ob sie etwas zerschlagen hätte, dann wird
«a nicht wieder yorkommen," sagte der Gesandte, und in der Tad^
schon nach wenigen AngenUicken kam Ibs. ünmey wieder zn sich.
Aber es war kein Zweifel, dasa aie sehr aufgeregt war, und sie
warnte Ifis. Otis, es slinde ihrem Hause ein ünglftck bevor. JUAi
habe mit meinen eigenoti Augen Singe gesehen, Hoir,*^ sagte sie^
„dass jedem Christenmenschen die Haare daron m Beige stehen
würden, o manche Nacht habe ich kein Auge zugetan aus Furcht
Tor dem Schrecklichen, das hier geschehen ist" Jedoch Herr und
Frau Otis berahigten die ehrliche Seele, erklärten, dass sie sich
nicht vor Gespenstern fürchteten, und nachdem die alte Haus-
hälterin noch den Segen der Yorsehiuig auf ihre neue HeiTschaft
herabgefleht und um Erhöhung ilires Oehaltes gebeten hatte, schlich
sie zitternd auf ihre Stube.
Der Sturm wütete die ganze Nacht hindurch, aber sonst ereignete
sich nichts von besonderer Bedeutung. Am nächsten Morgen je-
doch, als die Familie zum Frühstück herunterkam, fanden sie den
fOrcfaterKcben Blutfledc wieder unTerändert auf dem Vnasboden.
„Ich glaube nicht, dass die Schuld hierron am Faragon -Elecken-
reiniger liegt,^ exUürte Washington, „denn den habe ich immer mit
Erfoig angewendet — es muss also das Gespenst sein.*' Sr rieb
nun zum zweitenmal den Sleck w^g^ aber am niehsten Uoigen war
er gleichwohl wiedw da. Ebenso am dritten Hoigea, trotzdem
Mr. Otis selbst die Bibliothek am Abend vorher zugeschlossen und
den Schlüssel in die Tasche gesteckt hatte. Jetzt interessierte sich
die ganze Familie für die Sache. Mr. Otis fing an zu glauben,
dass es doch allzu skeptisch von ihm gewesen sei, die Existenz
aller Oespenster zu leugnen. Mrs. Otis sprach die Absicht aus, der
Psychologischen Gesellschaft beizutreten, und Washington schrieb
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einen langen Brief an die Herren Myers & Sodmore über die Un-
vertilgbarkeit bluügcr Flecken im Zusammonhaug mit Ycrbreclien.
In der darauffolgenden Kaoht mm wurde jeder Zweifel an der
Ezistenz von Oespenstem fOr immer endgültig beseitigt Den Tag
Über war es heisa tmd sonnig gewesen, und in der Kühle dee
Abends folir die EamiEe BpuaexacL Man kehrte erst gegen nenn
TThr snrttok, woianf das Abendessen eingenommen wurde. Die
Unterhaltong berührte in keiner Weise Oespenater, es war also
nicht einmal die Grundbedingung jener erwartongsv-öUen An&ahme-
fiOkigkeit gegeben, welche so oft dem Erscheine solcher Phänomene
TOiangeht Die Gesprächsthemata Ovaren, wie mir Mrs. Otis seit-
dem mitgeteilt ha^ lediglich solche, wie sie unter gebildeten Amen-
kanem der beeren jüasse üblich sind, wie z. B. die ungeheure
Überlegenheit von Miss Fanny Davenport über Sarah Bernhardt
als Schauspielerin; die Schwierigkeit, Grriinkem- und Buchweizen-
kuchen selbst in den besten englischen lläusora zu bekommen; die
hohe Bedeutung von Boston in Hinsicht auf die Entwickelung der
"Weltseele; die Vorzüge des Freigepäck -Systems beim Eisenbahn-
fahren; und die augcuehnie Weichheit des New- Yorker Akzents im
Gegensatz zum Londonei Dialekt. In keiner Weise wurde weder
das Übernatürliche berührt, noch von Sir Simon de Canterville ge-
quodien. üm eU TJbx trennte man sich, nnd eine halbe Stunde
darauf war bereits allea dnnkeL Da plStaUch mohte Hr. Otb Ton
einem Geräusch auf dem Eoizidor vor seiner TQre auf. Es Idang
wie Bassehl Ton Hetall und schien mit jedem Augenblick nfiher
£U kommen. Der Gesandte stand sofort an^ zttndeto ücht an und
sah nadi der Uhr. Es war Punkt eins. Et war ganz rahig nnd
fehlte sich den Pols, der nicht im geringsten fieberhaft war. Das
sonderbare Geräusch dauerte fort, und er hörte deutlich Schritte.
Er zog die Pantoffel an, nahm eine längliche Phiole von seinem
ToilettentiBCh und öffnete die Türe. Da sah er, sich direkt gegen-*
über, im blassen Schein des Mondes, einen alten Mann von ganz
greulichem Aussehen stehen. Des Alten Augen waren rot wie
brennende Kohlen; langes graues Haar fiel in. wirren Locken über
seine Schultern; seine Kneidiing von altmodischem Schnitt war be-
schmutzt und zerrissen, und schwere rostige Fesseln hingen ihm
an Püss^ und Händen. Jlleln lieber/^ sagte Mr. Otis, ,^ch musa
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Sie schon bitten, Ilixe Eettea etwia in sdunieieni und ich ha1»e
Ihnen za dem Zweck hier eine kleine Buche ron Tammanys
Biaing Sun Lnbricator mitgebraohi Ifan aagl, dasB schon ein ein-
maliger GebiMudi genflgfc, nnd auf der Enveloppe finden Sie die
g^flnzendston Atteste hierQber von nnsem herToizagendsten einhei-
mischen Qeisflichen. Ich werde es Ihnen hier neben das Licht
stellen und bin mit Teignügen bereit, Ihnen aaf Wunsch mehr
davon zu besorgen." Mit diesen Worten stellte der Gesandte der
Unionstaaten das Eläschchen aui den Maimortisch, schloss die Tür
nnd l^te sich wieder zu Bett
Für einen Augenblick war das Gespenst von Canterville jranz starr
vor Entrüstung; dann schleuderte es die Flasche wütend auf den
Boden und floh den Korridor hinah, indt m es ein dumpfes Stöhnen
aiisstiess und ein gespenstisch gruues Licht um sich verbreitete.
Als ea gerade die grosso eichene Treppe erreichte, öffnete sich eine
Tür, zwei kleine wei^sgekleidete Gestalten erschienen, und ein
grosses Kissen sauste an seinem Kopf vorbei. Da war augen-
scheinlich keine Zeit zu verlieren, nnd indem es bastig die vierte
Dimension als Uittel zur Elucfat benutzte, verschwand es durch die
Tii&lung; worauf das Haus ruhig wurde.
Als das Gf^ienst ein kleines geheimes Zimmer im linken Schloss*
flfigel eiiei<^t hatte, lehnte es sich erschöpft gegen einen Ifond-
strahl, um eist wieder zu Atem zu kommen, und versuchte sich
seine Lage Uar zu machen, niemals war es in seiner g^iozenden
und ununterbrochenen Laufbahn von 300 Jahren so gröblidi be-
leidigt worden. Es dachte an die Hensogin-Mutter, die bei seinem
Anblick Krämpfe bekommen hatte, als sie in ihren Spitzen und
Diamanten vor dem Spiegel stand; an die vier Hausmädchen, die
hysterisch wurden, als es sie bloss durch die Vorhänge eines der
unbewohnten Schlafzimmer hindurch anlächelte; an den Pfarrer der
Gemeinde, dessen Licht es oinos Nachts ausgeblasen, als derselbe
einmal spät aus der Bibliothek kam, und der seitdem beständig bei
Sir William Guch, geplagt von Nervenstörungen, in Behandlung
war; an die alte Madame du Tromouillac, die, als sie eines Mor-
gens früh aufwachte und m ihrem Lehnstulil am Kamine ein Skelett
sitzen sah, das ihr Tagebuch las, darauf sechs Wochen fest im Bett
lag an der GehimentzQndung nnd nach ihrer GIßnesung eine Izeue
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Anhängerin der Kirche wurde und jede Verbindung mit dem be-
kannten Freigeist Monsieur de Voltaire abbrach.
Es erinnerte sich der entsetzlichen Nacht, als der böse Lord Cantor-
ville in seinem Ankleidezimmer halb erstickt gefunden wurde mit
dem &ro-Biib0ii im Halse mid gerade Booh ehe er starb beichtete,
dasB er Chariee James Fox vermittelst dieser Esrte um 50000
Pfond Sterling betiogen hatte wid dass ihm nim das Gespenst die
Karte in den Hals gesteckt haba
Alle seine grossen TMen kamen ihm ins Oedlohtnis sarftdc, von
dem Eammeidiener an, der sich in der Eirefae eisohosa, weil er
eme grttne Hand hatte an die Scheibea klopfen sehen, bis m der
schönen Lady Statfield, die immer ein sidiwarzes Sammetband um
den Hals tragen musste, damit die Spur von fünf in ihre weisse
Haut eingebrannten Fingern verdeckt wurde, und die sieh schliess-
lich in dem Karpfenteich am Ende der Promenade ertränkte.
Mit dem begeisterten Egoismus des echten Künstlers versetzte es
sich im Geiste wieder in seine hervorragendsten RoIIcti und lächelte
bitter, als es an sein letztes Auftreten als ,,Red Kraben oder das
erwürgte Kind" dachte, oder sein Debüt als „Riese Gibeon, der
Blutsauger von Beseley Moor** und das Furore, das es eines schö-
nen Juliabends gemacht hatte, als es ganz einfach auf dem Tennis-
platz mit seinen eigenen Knochen Kegel spielte. Und nach alle-
dem kommen solche elende moderne Amerikan^, bieten ihm
Bising-Sun*Ol an und iretfen ihm Eissen an den Eopf! Bs war
nicht anssohalten. So war noch niemals in der Weltgeschichte ein
OeqMiist behandelt worden. Es schwnr demgemfiss Badie nnd
blieb bis Tagesanbruch in tiefe Gedanken yersnnken.
Als am nftdhsten Hoigen die Familie Otis zum ErtthstilGk sixsammen-
kam, wurde das Gespenst natürlich des längeren besprochen. Der
Gesandte der Unionstaaten war selbstverstiindlich etwas ungehalten,
dass sein Geschenk so missachtet worden war. „Ich habe durchaus
nicht die Absicht," erklärte er, „dem Geist irgend eine persönliche
Beleidigung zuzufügen, und ich niuss sagen, dass- es aus Rücksicht
aui die lange Zeit, die er nun schon hier im Hause wohnt, nicht
höflich ist, ihn. mit Kissen zu bewerfen,** — eine sehr wohlange-
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Iimdita Bomeilniiig, bei wdoher, wid idi leite geatehen imiss, die
ZwiUmge in ein hutee GteUcfater anebiwiheii. „Andereneits,'^ fuhr
Ib. Otis fort, ,,weim er -wiiUicli und doroliaiis den Sising Sun
Iiubzioator nicht banitsen irill, so werden wir Dun seine Ketten
fortnehmen mflssen; bei dem L8im auf dem Korridor kann man
ganz nnmSglich BcUafen.**
Die Sohlossbewohner blieben jedoch die ganze Woche hindnnsh
ungestört und das einzige, was ihre Aufmerksamkeit erregte, war
die beständige Smenerung des BlatEle<ds auf dem Boden der
Bibliothek. Das war jedeofails sehr sonderbar, da die Türe und
das Fenster des Nachts immer fest verschlossen nnd verriegelt
waren. Auch die wechselnde Farbe des Fleckes rief die verschie-
densten Yomiatungon hervor. Denn zuweilen war er ganz mattrot,
dann wieder leuchtend, oder auch tiefes Purpur, und als einmal
die Familie zur Vesper herunterkam, fand sie ihn hell smaragd-
grün! Diese koloristischen Metamorphosen amüsierten natürlich
die Oesellschaft sehr, und jeden Abend wurden schon Wetten dta-
über geschlossen. Die einzige, welche nicht auf diesen und keinen
andern Scherz einging, war die kleine Virginia, die aus irgend
•einem unaufgeklärten Grunde immer sehr betrübt beim Anblick
des Blutflecks war und an dem Morgen, an dem er smaragdgrün
leuchtete, bitteriich sn weinen anfing.
Bas swdte Auftreten des Gespenstes war am Sonntag abend. Kurs
nachdem auch die minnlichen Erwachsenen zu Bett gegangen waren,
wurden sie plötzlich durch ein forohtbaies Getöse in decr Eingangs-
halle aufgeschreckt Alle stürzten hinunter und fanden dort, dass
eine alte Küstung von ihrem Ständer auf den Steinboden gefallen
war, während das Gespenst von Cantervilie in einem hochlehoigen
Armstuhl snss und sich seine Knie mit einer Gebärde verzweifelten
Schmerzes rieb. Die Z^villinge liatten ihre Flitzbogen mitgebracht
und schössen zweimal nach ihm mit einer Treffsicherheit, die sie
sich durch lange sorgfältige Übungen nach ihrem Schroiblehrcr
erworben hatten. Der Gesandte der ünionstaaten richtete unter-
dessen seinen Revolver auf den Geist und rief ihm nach kalifor-
nischer Etikette zu: „Hände hoch!" Der Geist fuhr mit einem
wilden Wutgeheul in die Hoho uud mitten durch die Familie hin
wis ein Bauch, indem er noch Washingtons Kerzenlicht aui>biies
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und SIC alle in vüllip;er Dunkelheit zurück] iess. Oben an der Treppe
erholte sich das Gespenst wieder und beschloss, in sein berühmtes
diabolisches Gelächter auszubrechen; das hatte sich ihm bei mehr
als einer Gelegenheit schon nützlich erwiesen. Es soll Lord Rokers
Perücke in einer einzigen Nacht gebleicht haben und hat jeden-
falls drei der französischen Gouvernanton von Lady Cantorville so
entsetzt, dass sie vor der Zeit und ohne Kündigung ihre Stellungen
aufgaben. So Uudite er denn also jetzt dieses sein fttroliterliclistes
Lachen, bis das alte hochgewölbte Dach davon gellte; aber kaum
war das letale giaiiidge Echo yerhallt^ da Öffnete sich eine Tör und
Iba. Otis kam heraus in einem hellblanen Hoiigenrock. ,,ich fürchte^
Ihnen ist nidit ganz wohl,** sagte de, „und deshalb bringe ich
Urnen hier eine Blaache von Dr. Dobella Tropfen. Wemi es Yer-
dannngsbeschwerden sind, so werden Sie finden, dass sie ein gans
Torzügliches Mittel sind/' Der Geist betiaditete sie zomrot und
wollte sich auf der Stelle in einen grossen schwarzen Hund Ter-
wandeln, ein Kunststück, wodurch er mit Becht berühmt war und
dem der Hausarzt die Geistesgestörtbeit von Lord Cantervilles Onkel,
Herrn Thomas Horton, zuschrieb. Da hörte er aber Schritte, und
das Hess ihn von seinem grausen Yorhabon abstehen; er begnügte
sich damit, phosphoreszierend zu werden und verschwand mit einem
dumpfen Kirchhofswimmem gerade in dem Moment, als die Zwil-
linge auf ihn zukamen.
Als der Geist sein Zimmer erreicht hatte, brach er völlig zusararnea
und verfiel in einen Zustand heftiger Gemütsbew^ung. Die Ro-
heit der Zwillinge und der krasse Matenalismna Ym Ibs; Otis
waren natttriich auaseiordentlich yerstimmend, aber was ihn am
meisten betrabte, war doch, dass er die alte BQstung nicht mehr
hatte tragen können. Er hatte gehofft^ dass sogar modeme Ameri*
bmer ersdiüttert sein wtirdai beim Anblidc einea Gespenstes in
'WaffenrGstung, wenn auch aus keinem andern Teinanftigen Grunde,
so doch aus Achtung yot ihrem National{>oeten Longföllow, bei
dessen graziöser und anziehender Muse er selbst so manche Stunde
hingebracht hatte^ wfihiend die Cantervilles in London waren. Und
dabei war es noch seine eigene Rüstung! Er hatte sie mit grossem
Erfolg auf dem Turnier in Kenilworth getragen und darüber von
niemand Geringerem als der jungfräulichen Königin selber viel
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Öcbmeiciieihaftcs gesagt bekommen. Und als er die Rüstung heute
anlegen wollte, hatte ihn das Gewicht des alten Panzers und Stahl-
helmes so erdrückt, dass er darunter zu Boden gestürzt war, sich
beide Knie heftig zerschlagen und die rechte Hand verstaucht
Hehz«Ee Tage lang filhlte er sieh naeii diesem YoifaU enuüioh
knnk tmd Terliess seui Saliner nur, lua den Blatfleok in Ordnung
za halten. Da er mob sonst jedoch sehr echonte, eriiolte er sich
hald -wieder und heeddossi nodi dnen dritten. YevBudi zn madhen,
den Gesandten und seme lamilie in Schrecken zu jagen. Er
wfihlte zu diesem sehien Auftreten Ereitag, den 13. August, nnd
beschäftigte sieh den ganzen Tag damit, seine deiderven&te za
prüfen, bis er schliesslich einen grossen weichen Hut mit roter
Feder, ein Laken mit Rüsdien an Hals und Armen und einen
rostigen Dolch wählte. Gegen Abend kam ein heftiger Begen-
f^ehaiier, und der Sturm rüttelte gewaltig an allen Türen und Fen-
stern des alten Hauses. Das war j^erade das Wetter, wie er es
liebte. Sein Plan war foigendt r; rr wollte sich ganz leise nach
Washingtons Zimmer schleichen, ihm vom Fussende des Bettes aus
wirres Zeug vorschwatzen und sich dann beim iOange leiser geister-
hafter Musik dreimal den Dolch ios Herz stossen. Er war auf
Washington ganz besonders böse, weil er wasste, dass dieser es
war, der immer wieder den Blutfleck mit Pinkertons Elecken-
zeiniger entfernte. Wenn er dann den Mvolen und tollkühnen
Jüngling in den namenlosen Schrecken venetzt hatte, so wollte er
sich nach dem Sdilafsimmer Ton Heim und Emu Otis begeben
und dort eine eiskalte Hand Ifis. Otis auf die Stirn legen, während
er ihrem zitternden Uann die entsetzUohen Gehehnnisse des Bein-
hauses ins Ohr zlsehelta Was die kleine Virginia anbetraf so war
et über sie nodi nidit ganz im iwnen. Sie hatte ihn nie in
irgend einer Weise beleidigt und war hübsch and sanft: Einige
liefe Seufzer aus dem Kleiderschrank würden mehr als genug für
sie seiu, dachte er, und wenn sie davon noch nicht aufwachte^ so
könnte er ja mit zitternden Fingern an ihrem Bettuch zerren. In
bezug auf die Zwillinge war er aber fest entschlocQcn, ihnen eine
ordentliche Lektion zu erteilen. Das erste war natdrlich. dass er
sich ihnen auf die Brost setzte, um das erstickende Gefühl eines
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Alpdrückens hervorzurufen. Dann würde er, da ihre Betten dicht
nebeneinander standen, in der Gestalt eines grünen, eiskalten Leich-
nams zwischen ihnen stehen, bis sie vor Schrecken gelähmt waren,
and zum Schloss wollte er mit weissgebleichten Knochen und
einem rollenden Augapfel ums Zimmer benunkriecben in der Kelle
Tom „Stammen Daniel oder: das Skelett des SelbBtmfirders^. Diese
Bolle hatte bei mehr als einer Gelegenheit den alleigrQflsten liOelct
gemacht nnd schien Ihm 'wh^ch eben so gat sa sem irie seine
berühmte DazsteUnng des ^Martin, der Yerrttokte, oder: das vei>
bünte Geheimm«(*.
Ilm ^11 Uhr hSrte er die IViniilie an Bette gehen. Er wurde
noch einige Zeit durch das Lachgebrüll der Zwillinge gestört, die
mit der leichtfertigen Heiterkeit von Schuljungen sich augenschein-
lidi herrlich amüsierten, ehe sie zu Bett gingen; aber am 1/^12 übr
■war alles still; und als es Mittemacht schlug, machte er sich auf
den "Weg. Die Eule schlug mit den Flügeln gegen die Fenster-
scheiben, der Rabe krächzte von dem alten Eichbaum und der
Wind ächzte durch das Haus wie eine verlorene Seele, aber die
Familie Otis schlief, unbekümmert um das nahende Verhängnis, und
durch und trotz Regen und Sturm hörte man das regelmässige
Schnarchen des Gesandten der Union. Da trat der Geist leise aus
der Yertäfelung hervor, mit einem bösen Lächeln, um den grau-
samen, faltigen Hund, so dass sogar der Mond sein Gesicht ver*
boig, ab er an dem hohen Fenster Tor&bergUtt, auf dem daa
Wappen des Qespenstes nnd das seiner ermordeten Fran in Gold
nnd Hellblaa gemalt waren. Iioise sohlfirfte er weiter, wie ein
böser Schatten; die Dunkelheit selber schien sich vor ihm zu
gransen, wie er TorbeihnsGhte. Einmal kam es ihm tot, als hörte
er jemand rufen; er stand still; aber es war nur das Bellen
eines Hnndes anf dem nahen Bauemhof, und so schlich et wei-
ter, wihrend er wimdediöhe Büche aus dem sechzehnten Jahr-
hundert vor sich hin murmelte und dann und wann mit dem
rostigen Dolch in der Luft beromstach. Nun hatte er die Ecke
des Korridors erreicht, der zu des unglücklichen Washington
Zimmer führte. Einen Augenblick blieb er da stehen, imd der
"Wind blies ihm seine langen grauen Locken um den Kopf und
spielte ein phaatastisohes und groteskes Spiel mit den unheimlichen
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Falten des Leichentuchs. Du schlug die Uhr ein viertel und er
fühlte, jetzt sei die Zeit gekommen. Er lächelte zufrieden vor sich
hin ünd raachte einen Schritt um die Ecke; aber kaum tat er das,
da fuhr er mit einem jammervollen Schreckenslaut zurück und
verbarg sein orblasstes Gesicht in den langen knochigen Händen:
Gerade vor ihm stand ein entsetidiohes Gespenst, bewegungslos wie
eine gemeinelte Slatne mid fOrohterliish wie der Tnuun eJnes
Wahnaiimigeiit Der Kopf war kahl tmd gl&uend, das Gesicht
nmd und fett und weiss, und giissliches Lachen schien seine Züge
in ein ewiges Grinsen verzerrt m haben. Ans den Augen kamen
rote lichtsteahlen, der Mund war eine weite Fenerhöhle, und ein
sehenasUofaeB Gewand, seinem eigenen Ähnlich, verhüllte mit sednem
schneeigen Weiss die Gestalt des Biesen. Auf seiner Brust war
ein Plakat befestigt mit einer sonderbaren Schrift in alten unge-
wöhnlichen Buchstaben, wohl irgend ein Bericht wilder Missetaten,
ein schmähliches Ycrzeichnis schauerlicher Yerbrechen, und in sei-
ner rechten Hand hielt das Ungeheuer eine Keule von blitzendem
Stahl.
Da der Geist noch nie in seinem Lebon ein Gespenst gesehen hatte,
so war er natürlich furchtbar erschrocken, und nachdem er noch
einen zweiten hastigen Blick auf die entsetzliche Erscheinung ge-
worfen hatte, Höh er nach seinem Zimmer zurück, siulperte über sein
langes Laken, als er den Korridor hinunterraste und Hess schüosa-
lich noch seinen Dolch in die hohen Jagdstiefel des Gesandten
fsUeii, wo ihn der Kammerdiener am nächsten Morgen &nd. In
semem Zimmer angekommen, waif er sich aof das schmale Mdbett
und verbarg sein Gesicht nnter der Decke. Kaoh einer Weüe je-
doch rührte sieh der tapfere alte Oanteoille-Ghaiaktar doch wieder,
und der Geist bescUoss, sobald der Tag giante; m dem andern
Gdst SU gehen nnd ihn anzoreden. Kianm begann es zu dfimmem,
dft madite er sich auf und ging zur Stelle^ wo seine Augen zuerst
das grässliche Phantom erblickt hatten, denn er fühlte, es sei doch
schliesslich angenehmer, zwei Gespenster zusammen zu sein als
eines allein, und dass er mit Hilfe dieses reuen Freundes erfolg-
reich gegen die Zwillinge zu Felde ziehen könne. Als er jedoch
an die Stelle kam, bot sich ihm ein fürchterlicher Anblick. Dem
Gespenst war jedenfalls ein Unglück passiert, denn in seinen hohlen
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Augen vsr das Ilcdit adoBehen, die filmende Eeiilo war soiner
Hand entbdlem und es selbeor lehnte in einer hOofast imbeqnemen
geswungenen SteUung an der Wand. Er etfliste Tonrirts imd zog
es am AimO) d» fiel zu seinein Eniaelzen der Eopf ab, rollte
anf den Boden, der E&tper fiel in sUsh zusammen und er hielt in
seinen HSnden eine weisse Betlgaidine mit emem Besenstiel und
einem Eüohenbeil, wahrend za seinen Füssen' ein hohler Eftabis
lag! Unfähig, diese wunderbare Teränderung zu begreifen, packte
er mit wilder Hast das Plakat, und da las er im grauen IA(M des
Morgens die fürchtorlichen Worte:
DAS OTIS-GESPE?s"ST.
DER EINZIG WAHRE UND ORIGINALE SPUK.
VOR NACHAHMUNG WIRD GEWARNT.
ALLE ANDERN SIND UNECHT.
Jetzt war ihm alles klar. Man hatte ihn zum besten gehabt, und
er war hineingefall'^n ! Der alte wilde Canterville-BUck kam in
seine Aufff^n; er kadl den zahnlosen Mund zusammen, und indem
er seine knochigen Hände hoch in die Höhe warf, schwur er in
der pittoresken Phraseologie des alten Stiles: wenn Chanticleer
zum zweitenmal in sein lustiges Horn süesse, würden entsetz-
liche Bluttaten geschehen und Mord würde auf leisen Sohlen
durdis Haus sdileiohen.
Kaum hatte er diesen fiuehttMuran Schwur zu Ende geschworen, als
vom roten Ziegeldach euies Bauernhofes der Hahn hrflhte. Das
Gespenst lachte ein langes, dumpfes, bitteres Lachen und wartete.
Stunde auf Stunde Ttmum, aber der Hahn krBhte aus irgend einem
Grunde nicht wieder. Endlich liess ihn um ^jß das Kommen der
Hausmädchen seine grausige Nachtwache aufgeben, und er ging
nach seinem Zimmer, in tiefen Gedanken über seinen yergeblichen
Schwur und sein vereiteltes Vorhaben. Er schlug in verschiedenen
alten Ritterbücbern nach, was er ausserordentlich liebte, und fand,
dass noch jedesmal, wo dieser Schwur getan, Chanticleer ein zweites-
mal gekräht hatte. „Zum Teufel mit dem faulen Hahn," brummte
er, „hätte ich doch den lag erlebt, wo ich mit meinem sicheren
Speer ihm durch die Gurgel gefahren wäre, und da würde er, wenn
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auch schon im Sterben, für mich zweimal haben krähen müssen!"
Bjeranf legte er Bush in «mein bequemen hfilnmen Saig sor Buhe
tmd blieb da bis mm späten Abend.
Am fcdgenden Tage irsr der Oeiet noch sehr schwach und milde.
Die furohtbaien Aufregmigen der letstan Tier Wochen fingen an,
ihn sehr anengreifen. Seine Nerven waren völlig kapatt und beim
geringsten Oerflu^^ch fuhr er eischreckt in die Höhe. Fünf Tage lang
blieb er still auf seinem Zimmer und fand sich darein, die ewige
Sorge um den Blutfleck in der Bibliothek aufzugeben. "Wenn die
Familie Otis denselben nicht zu haben wünschte, so war sie ihn
auch nicht wert. Das waren überhaupt augenscheinlich Ijcute von
ganz niederer Bildung und völlig unfähig, den symbolischen Wert
eines Hausgespenstes zu würdigen. Die Frage nach überirdischen
Erscheinungen und der Entwicklimg der Himmelskörper war natür-
lich eine ganz andere, aber die ging iim nichts an. Seine beilige
Pflicht war es, einmal in der "Woche auf dem Korridor zu spuken
nnd jeden eisten und dritten ICttvoch im Uonat Ton dem grossen
bunten Olasfenster ans in die Halle hinab ^fines Zeug zn schwatasn:
▼on diesen beiden Yerpflichtangen konnte er sieh ehrenhalber nicht
frei machen. Gewiss war ja sein Leben ein fiosseist bfisM gewesen,
aber andeiseltB mnsste man sogeben, dass er in aUen Bingen, die mit
dem Übematflrlidiw ansammenhingen, ansseroidentlich gewissen-
haft war. Mit dieser Gtowiaeeohaftigkeit wanderte er also an den
folgenden drei Freitagen wie gewöhnlich zwischen 12 und 3 Uhr
die Korridore auf und ab, gab aber schrecklich darauf acht, dass
er weder gehört noch gesehen vmrde. Er zog die Stiefel aus und
trat so leise wie möglich auf die alten wurmstichigen Böden, er
trug einen weiten schwarzen Sarametraantel und gebrauchte den Ri-
sing Sun Lubricator gewissenhaft, um seine Ketten damit schmie-
ren. Dies letzte Vorsichtsmittel benutzte er, wie ich zugeben muss,
erst nach vielen Schwierigkeiten. Eines Abends jedoch, während
die EainÜie gerade beim Essen safsf?, schlich er sich in Mrs. Otis
Schlafzimmer und holte sich die Flasche. Zuerst fühlte er sich
wohl ein wenig gedemütigt, aber schliesslich war er doch vernünf-
tig genug, einsosehen, dass diese Erfindung ihren gewissen Weit
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Jiatte, und jedenfallB diente sie bis zu einem geidfiseu Grade seinen
Zwecken. Aber trofE aUedem Hess man ihn nocb immeEr xiicht
ganz imbelSstigt Beständig waren Stricke td)er den Komder ge-
kannt, über die er im Dnnkelii natOiIich fiel, und eines Abends,
als er gerade als „Schwaizer Isaak oder: der JSger vom Hogley-
Wald*' angesogen war, stürzte er plötzlich heftig zu Boden, weil er
auf einer Sobleifbahn ^on Butter, welche die Zwillinge ffir ihn her-
gerichtet hatten, ausgeglitten war» Diese letzte Beleidigung machte
ihn so wütend, dass er bescbloss, noch eine letzte Anstrengung zo
machen, um seine Würde und seine gesellschaftliche Stellang za
sichern, und dies sollte damit geschehen, dass er den frechen jungen
EtonschüJem die nächste Nacht in seiner herühmten "Rolle als
„Kühner Ruprecht oder: der Graf ohne Kopf' erscheinen wollte.
Seit mehr als siebenzig Jahren war er nicht in dieser Rolle aufge-
treten, seit er damals die hübsche Lady Barbara Modish so damit
erschreckt hatte, dass sie plötzlich ihre Verlobung mit dem Gross-
vater des jetzigen Lord Canterville auflöste und statt dessen mit
dem schönen Jack Castletown nach Gretna Green floh, indem sie er-
klärte, um keinen Preis der Welt in eine Familie hineinheiraten
zu woHen, die einem abscheulichen Qespenst erianbe, in der Dfim-
merung anf der Tenaase spazieren zu g^en. Der aime Jade worde
später Tom Lord Canterville im Duell am Wandsworth-Qebdlz er-
schossen und LbAj Barbara starb, noch ehe das Jahr TSigangen
war, in Tnnbridge Wells an gebrochenem Heizen; so war also
damals sein Erscheinen Yon giüsstem Eifdge gewesen. Aber es
war mit dieser Bolle sehr viel Mtthe verbunden, wenn ich so
sagen darf, in Snsicht auf eines der grössten Geheimnis des
Übematorlichen, und er brauchte volle drei Stunden zu den Vof>
bereitungen. Endlich war aUes fertig, und er war sehr zufrieden
mit seinem Aussehen. Die grossen ledernen Reitstiefel, die znm
Kostüme gehörten, waren ihm zwar ein bisschen zn weit, und er
konnte nur eine der beiden grossen Pistolen finden, aber im ganzen
genommen war er doch befriedigt von sich, und lun ein viertel nach
ein Uhr glitt er aus der Wandtäfelung hervor und schlich den Korridor
hinab. Als er das Zimmer der Zwillinge erreicht hatte, das, wie
ich erwähnen muss, wegen seiner Vorhänge auch das blaue Schlaf-
zimmer genannt wurde, tand er die Tür nur angeleimt Da er nun
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einen eEEektroUen Eintritt wttaiBcIite, so stiess er sie weit auf —
schwupp! da fiel ein schweier Wasserkrug gerade auf ihn herunter
und dorchnSsste ihn bis auf die Haut Im gleiohen Augenblick
hörte «r unteidrQcktes Oellohter yom Bett herkommen. Der
Ghok, den sein Nerreusystem eilitt, war so stark, dass er so
sdmell er nur konnte nach seinem Zinunw lief; den nächsten Tag
lag er an einer heftigen Erkältung fest im Bett Sein einziger Trost
bei der Sache war, dass er seinen Kopf nicht bei sich gehabt hatte»
denn wäre dies der Fall gewesen, so hätt^ die Folgen doch sehr
ernste sein können. Jetzt gab er alle Hoffnung auf, diese ordinären
Amerikaner überhaupt noch zu erschrocken, und begnügte sich in
der Eegel damit, in Pantoffel über den Korridor zu schleichen, mit
einem dicken rotwollenon Tuch um den Hals, aus Angst vor Zug-
luft und einer kleinen Armbnist, im Fall ihn die Zwillinge an-
greifen sollten. Aber der Hauptschlag, der gegen ihn geführt wurde,
geschah am 19. September. Er war in die grosse Eingangshalle
hingegangen, da er sich dort noch am unbehelligsten wussto und
unterhielt skdi damit, spöttische Bemerkungen über die lebens-
grossen Flatin-Photographien des Gesandten und seiner Frau zu
machen, wdche jetet an Stelle der Canterriüe-Ahnenbilder hingen.
Br war einfach, siber ordentUch gekleidet^ und zwar in ein langes
Laken, das da und dort brftunliche Slecken tou Ejrchho&erde auf-
wies, hatte seine untere Kinnlade mit einem Stftck gelber Leinwand
hochgebunden und trug eine kleine Laterne und den Spaten eines
TotengräberB. Eigentlich war es das Eostüm von „Jonas, dem
Orabloeen oder: der Leichenräuber von Chertsey Barn**, eine seiner
lierv<«ragendsten Bollen, welche die Cantervilles allen Grund hatten,
zu kennen, weil durch sie der ewige Streit mit ihrem Nachbarn,
Lord Rufford, verursacht worden war. Es ging so gegen ein viertel auf
drpi Uhr morgens und allem Anschein nach rührte sich nichts. Als er
jedoch langsam nach der Bibiiotiiek schlenderte, um doch mal wieder
nach den etwaigen Spuren des Blutflecks zu sehen, da sprangen aus
einer dunklen Ecke plötzlich zwei Gestalten hervor, welche ihre
Arme wüd emporwarfcn und ihm „Buh!" in die Ohren brüllton.
Von panischem Schrecken ergriffen, der unter solchen Umständen nur
selbstrerstSndlioh erscheinen muss» raste er nach der Treppe, wo aber
schon Washington mit der grossen Gartenspritze auf ihn wartete; da
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er sich nun ron seinen Feinden so umzingelt und fast zur Verzweiflung
getriebeu sah, verschwand er schleunigst in den grossen eisernen Ofen,
der zu seinem Glück nicht angesteckt war, und musste nun auf einem
höchst beschwerlichen Weg durch Ofenrohro und Ramine nach seinem
Zimmerzurück, wo er völlig erschüpft,beschmutztundverzweifeUankam,
Nach diesem Erlebnis wurde er nie mein- auf einer solchen nächt-
lichen Expedition betroffen. Die Zwillinge warteten bei den verschie-
densten Gelegenheiten auf sein Erscheinen und streuten jede I^acht
den Eoiridor gani voll Nussohaleii, nun grossen Jjrger ihier Eltem und
der Dieneraduif^ aber es war alles veigebens. Augenscheinlich waren
die QefQhle dee armen Gespenstes derart yerletst, dass es sich nicht
wieder zogen wollte. In der Folge nahm dann Mr. Otis sein grosses
Werk über die Geschichte der demokratischen Partei wieder aui^
das ihn schon seit Jahren beschäftigte ; Mrs. Otis oiganisierte ein
wanderbares Fteia-Kuchen-Backen, das die ganee GiaÜBohaft auf-
regte; die Jungen gaben sich demTergnügen von Lacrosse, Euchre,
Poker und andern nationalen amerikanischen Spielen hin; und Vir-
ginia ritt auf ihrem hübschen Pony im Park spazieren, begleitet
von dem jungen Herzog von Cheshire, der die letzten Wochen der
grossen Ferien auf Schloss Canterville verleben durfte. Man nahm
allgemein an, dass der Geist das Schloss verlassen habe, ja Mr. Otis
f5chrieb sogar ein^n Brief in djp'semSinn an L-ord Canterville, der in
Erwiderung desselb^u seine giosse Freude über diese Nachricht
aussprach und sich der werten Frau Gemahlin auf das angelegent-
lichste ompfehlcn Hess. Die Familie Otis hatte »ich aber getÄuscht,
denn der Geist war noch im Hause, und obgleich fast ein
Schwerkranker, so war er doch keinesfalls entschlossen, die Sache
ruhen sa lassen« braondtta als er hSrte, dass unter den Gitaten auch
der junge Herzog von Cheshire sich befinde, dessen Gross-Onkel
Lcod Erancis StUton einst um 1000 Guineen mit Oberst Garbuzy
gewettet hatte, dass er mit dem Geist Wtirfel spielen wollte, und
der am n&ohsten Morgen im Spielammer auf dem Boden liegend in
einem Zustand hilfloser L&hmung gefunden wurde. Obgleich er
noch ein hohes Alter ^reichte, so war er niemals wieder imstande
gewesen, etwas anderes als „Zwei Atouf* zu sagen. Die Geschichte
war seinerzeit allgemein bekannt, obgleich natürlich aus Böi^sicht
auf die beiden yomehmen fsmilien die grössten Anstrengungen
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i
gemacht wurden, sie m vortiischon, aber der ausführliche Bericht
mit allen näheren Umständen ist in dem 3. Band von Ix)rd SatÜes
„Erinnerungen an den Prinz-Regenten und seiue Freunde" zu finden.
Der Geist war natürlich selir besorgt, zu zeigen, dass er seine Maclit
über die Stiltons noch nicht verloren hätte, mit denen er ja noch
dazu, entfernt verwandt war, da seine rechte Cousine in zweiter Kho
mit dem Sieur de Bulkelej vermählt war, von dem, wie allgemein
bekannt, die HersBöge tou Oheehire ftbstammen. Demgemiss liaf
er Yorl»lirungen, Virginias kleinem Ltebhaber in seiner bertUunten
BoQe als „Tampir-lföndh oder: der blntioae Benediktiner" zu er^
scheinen. Dies war eine so fOrehtediche Pantomime, dass Ladj
Startap an jenem Terhflngnisrolleii Neojahisabend 1764 vor Schreek
Ton einem Ctohlinscblag getroffen inude, an dem sie naeli drei
Tagen starb, nachdem sie noch sofanell die Gantervilles, ihre nächsten
Yerwandten enterbt und ihren ganzen Besitz ihrem Londoner Apo-
theker vermacht hatte. Im letalen Moment aber Torhinderte den
Geist die Angst vor den Zwillingen, sein Zimmer zu verlassen, und
der kleine Herzog schlief friedlich in seinem hohen Himmelbett
im königUcheii Scblaizimmer und träumte von Tirginia.
Wenige Tage später i-itten Vü^^ia und ihr goldlockiger junger
Bitter über die Eiuckley-Wiesen spazieren, wo sie beim iSprin-
gen über eine Hecke ihr Reitkleid derart zerriss, dass sie zu
Hianse angekommen vorzog, die Hintertreppe hinaufzugehen, nm
nicht gesehen m werden. JbM lä» an dem alten Oobelin-Zimmer
TorübeEkam, dessen Tür mMlig halb offen stand, meinte sie, je-
manden drinnen zu sehen, und da sie ihrer Hama Eammennädohen
daxin Tennntete, die dort saweilen arbeitete, so gmg sie hinein, um
gleich ihr Kleid anabeesem zu lassen. Zn ihrer nngeheoren Übeiy
rasobmig war ea jedoch das Gespenst Ton Oanterrille selber! Bs
sasB am Fenster und beobachtete, wie das matte Gold des vei^
gflbten Laubes durch die Luft flog und die roten Blätter einen
wilden Keigen in der langen Allee tanzten. Es hatte den Kopf
in die Hand gestützt, und seine ganze Haltung drückte tiefe Nieder-
geschlagenheit aus. Ja, so verlassen und verfallen sah es ans, dass
die kleine Yiiginia, deren erster Gedanke gewesen war, zu fliehen und
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sich in ihr Zimmer einzuschliessen, von Mitleid erfüllt sich entschloss zu
bleiben, um es zu trösten. Ihr Schritt war so leicht und seine Melancholie
so tief, dass es ihre (TCgenwart erst bemerkte, als sie zu ihm sprach.
„Sie tun mir so leid," sagte sie, „aber morgen müssen meine Brüder
nach Etou zurück, und wenn Sie sich dann wie ein gebildeter
Mensch betragen wollen, so wird Sie niemand mehr ärgern.**
„Das ist ein einfältiges und ganz unsinniges Verlangen einem Geist
gegenüber," antwortete er, indem er erstaunt das hübsche kleine
Ifädchen snsali, clas iiin anzoiiedmk vpgte. ^ch muss mit meinen
Ketten rasseln und dnreh SchifissellOoher stöhnen und des Nachts
henimwanddn, wenn es das ist, was Sie meinen. Das ist ja mein
einziger Iiebensaweck.''
„Das Ist überhaupt kein Lebenszweck, und Sie wiasw sehr gut^ dass ffie
Bp ein böser schlechter Mensch gewesen sind. Hm. TTmnej hat uns am
ernten Tag unseres Hiersems gesagt, dass Sie Ihre Ena getötet haben.**
^un ja, das gebe ich zu," sagte das Gespenst geärgert, „aber das
war dodi eine reine S!amilienangelegenheit und ging niemand
anderen etwas an.**
„Es ist sehr unrecht, jemand umzubringen," sagte Tirginia, die zeit-
weise einen ungemein lieblichen puritanischen Ernst besass, mit
dem sie von irgendeinem Vorfahren ausNeu-l^ni^land belastet war.
„0, wie ich die billige Strenge abstrakter Moral hasse! Meine Frau
war sehr hässlich, hat mir niemals die Manschetten ordentlich star-
ken lassen und verstand nichts vom Kochen. Denken Sie nur,
einst hatte ich einen Kapital bock im Hogley-Wald geschossen, und
wissen Sie, wie sie ihn auf den Tisch brachte? Aber, das ist ja
jetzt ganz gleichgültig, denn es ist lange her, und ich kann nicht
finden, dass es nett Ten ihren Brüdein war, mich zu Tode hungern
zu lassen, bloss weil ich sie getötet hatte.*'
^ie zu Tode hungern? 0, lieber Heir Geist, ich meine Sir Simon, sind
Sie hungrig? Ich habe ein Butterbrot bei mir, möchten Sie das haben?**
„Nein, ich danke Ihnen sehr, ich nehme jetzt nie mehr etwas su
mir; aber trotzdem ist es sehr freundlich ron Dmen, und Sie sind
überhaupt viel netter als alle anderen Ihrer abscheulich groben,
gewöhnlichen, unehrlichen Familie."
„Schweigen Sie!" rief Virginia und stampfte mit dem Fuss, „Sie
sind es, der grob, abscheulich und gewöhnlich ist, und was die
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Unehrlichlfeit betrifft, so wIfj^pti Sie sehr wohl, dam Sie mir alle
Farben aus meinem Malkasten gcstohloD haben, um den lächerlichen
Blutfleck in der Bibliothek stets frisch zu machen! Erst nahmen
Sie alle die roten, sogar Yermillion, und ich konnte gar keine
Sonnenuntergänge mehr malen, dann nahmen Sie smaragd^^iuM und
Chromgelb, und schliesslich blieb mir nichts mehr als indigo und
ohineaisoh-weisB, da konnte ich nur nocb HomSsdi^nlaiidsehafteai
malen, die immer Boloheu melancholischen Eindiaok machen und gar
nicht leicht zu malen sind. loh habe Sie nie Terraten, ob^eidi ich
sehr äigerlidx "war, und die ganze Sache war ja ftberbaapt lächer-
lich; denn wer hat je im Leben Ton grOnen BlatQeokein gehört*'
^a, aber was sollte ich ton,^ sagte der Geist kleinlaut, „hententage
ist es so schwer, wirkliches Blut zu bekommen, und als Ihr Bruder
nun mit seinem Faragon-Fleckenreiniger anfing, da sah kik wixklidi
nicht ein, warum ich nicht Ihre Farben nehmen sollte. Was nun
die besondere Färbimg betrifft, so ist das lediglich Geschmackssache;
die Cantervillcs z. B. haben blaues Blut, das allerblaueste in England:
aber ich weiss, ihr Amerikaner macht Euch aus dergleichen nichts."
„Darüber wissen Sie gar nichts, und das beste wäre, Sie wanderten
aus und yervuiikommneten drüben Ihre Bildung. Mem Vater wird
nur zu glücklich sein, Ihnen freie fnberfahrt zu verschaffen, und
wenn auch ein hoher Zoll auf geistige Sachen jeder Art liegt, so
wird es doch auf dem Zollamt keine Schwierigkeiten geben, denn die
Beamten sind alle Demokiateo. Wenn Sie erst mal in New York
amd, so gaiantlere ich Ihnoi etaien grossen Erfolg. Ich kenne eine
Menge Lente^ die 1000 Dollars dafär geben wfirden, einen Orossvater
2a haben, und noda unendlich Tiel mehr fOr ein lamiliengespenst"
„loh glaube^ mir wfirde Amerika nicht gefallen."
„Wahrscheinlich, weil wir keine Buinen und jUtertomec haben/'
sagte Yii^inia spöttisdL
„Keine Buinen? Keine Altertümer?" erwiderte der Oeist, ,^e
haben doch Ihre Marine und Ihre Umgangsformen!"
„Guten Abend ; ich gehe jetzt und will Fapa bitten, den Zwillingen
noch extra acht Tage länger Ferien zu geben."
„Bitte gehen Sie nicht, Miss Virginia," rief das Gespenst; „ich bin
so einsam und unglückhch imd weiss nicht mehr, was ich tun soll.
Ich möchte nur schlafen und kann es doch nicht"
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„Das ist WiicSttl ffid bianoheu doch nur zu Bett za gehen und
das lioht ansmblaseii. Ifanehmal ist es so schwer, wach zu blei-
ben, besondeis in der Kirche, aber bdm Einsdilafen gibt ea doch
gar keine Schwierigkeiten. Sogar die kleinen Kinder können das
und sind doch gar nicht klug.**
„Seit 300 Jahren habe ich nicht mebr geschlafen," sagte das Ge-
spenst traurig, und Yiiginias acfaOne bkue Angen öffneten sich
weit in grenzenlosem Erstaunen, „seit 300 Jahren habe ich nicht
mebr geschlafen, nnd ich bin so milde.'*
Yirginia wurde auf einmal ganz ernst, und ihr© kleinen Lippen
zitterten wie Rosenblätter. Sie trat näher zru ihm, kniete sich an
seine Seite und sah zu seinem alten gefurchten Gtesicht auf.
„Armer, armer Geist," sprach sie leise, „haben Sie denn kein
Fleckchen, wo Sie mal schhifen können?"
„Weit hinter jenen Wiüdern liegt ein kleiner Garten," sagte der
Geist mit verträumter ferner Stimme. „Da wächst langes Gras, da
blühen die grossen weiasen Stemo des Schierlings, und die Nachti-
gallen singen die ganze Nacht hindurch. Die ganze lange Nacht singen
sie^ und der kalte weisse Mond achant nieder, und die Trauerweide
breitet ibre Biesenaxme Uber die Schläfer aus.^ Virginias Augen
füllten sich mit Tränen, und sie Terbarg das Gesicht in den Händen.
„Sie meinen. den Garten des Todes/' flüsterte sie.
„Ja^ Tod ! der Tod muss so sobön sein. In der weichen braunen Eide zu
liegen, während das lange Gras über einem hin und her schwankt,
und der Stille zu lauschen. Sein Gestern, kein Morgen haben. Die
Zeit und das Leben Tergessen, im Frieden sein. Sie können mir
helfen. Sie können mir die Tore des Todes öffnen, denn auf Ihrer
Seite ist stets die Debe, und die Liebe ist stärker als der Tod."
Yir^nia zitterte und ein kalter Schauer durchlief sie, und einige
Minuten lang war es still. Es schien ihr wie ein angstvoller Traum.
Dann sprach der Geist wieder, und seine Stimme klang wie das
Seufzen des Windes.
„Haben Sie je die alte Prophezeiung an dem Eenster in der
Bibliothek gelesen?"
„0, wie oft,'" rief das junge Mädchen aufblickend, „icli kcnno sie
sehr gut Sie ist mit verschnörkelten schwarzen Buchstaben ge-
schiiebw und schwer zu lesen; es sind nur sechs Zeilen:
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„Wenn ein junges IBdoheii es dahin bringt^
„das8 es sfindigo lippeu zum Beton swingt,
„Wenn der dfiiie Baum unter Blüten sich senk^
„ein nnschnldiges Sünd seine jürfnen veisdienkt,
„Dann wird dies Haus -wieder lohig und still
„nnd Eriede kehrt ein auf Schloss CanterviUe.^
„Aber ich weiss nicht, was das heissen soll?''
„Das heisst: daas Sie für mich liiber meine Sünden weinen müssen,
da ich keine Trinen kahe, nnd für mich fOr meine Seele beten
müssen, da ich kdnen Glauben habe, und dann, wenn Sie immer
gnt und sanft gewesen sind, dann wird der Engel des Todes Er-
barmen mit mir haben. Sie werden entsetaiiche Gestalten im Dun-
keln sehen, Schauriges wird Ihr Ohr vernehmen, aber es wird
Ihnen kein Leid geschehen, denn gegen dio Reinheit eines Kindes
sind die Gewalten der Hölle ohne Macht."
Virginia antwortete nicht, und der Geist rang verzweifelt die Hände,
während er auf ihr gesenktes Köpfchen herabsah. Plötzlich erhob
sie sich, ganz blass, aber ihre Augen leuchteten. „Ich fürchte
mich nicht," sagte sie bestimmt, y^ch will den Engel bitten, Er-
baimen mit Ihnen zu haben."
mt einem leisen Iteudenausmf stsnd der Geist auf, ergriff mit
altmodischer Galanterie ihre Hand nnd küsste sie. Seine Finger
waren kalt wie Eis, nnd seine Lippen biannten wie Fener,
aber Virginia nnderte nicht, als er sie durch dss dimmer-
donUe Zimmer fllhita In dem yeiblassten grtlnen Gobelin waien
kleine Jiger gewirkt, die bttesm anf ihren HOmem nnd- winkten
ihr mit den winngen Binden nmznkehren. „Geh zurück, kleine
Virginia," riefen sie, „geh zurück!*' Aber der Geist fasste ihre Hand
fester, nnd sie schloss die Angen. Greuliche Tiere mit Eidechsen-
schwänzen nnd feurigen Augen sahen sie vom Kaminsims an und
grinsten: „Nimm dich in acht, Virginia, nimm dich in acht? Yiel-
leicht sieht man dich nie wieder!" Aber der Geist ging noch schneller
voran, und Yirgina hörte -nicht auf die Stimmen. Am Ende des
ZimiiK hielt das Gespenst an und murmelte einige Worte, die sie
nicht verstend. Sie schlug die Augen auf und sah die Wand vor
sich verschwinden wie im Nebel, nnd eine grosse schwarze Höhle
tat sich auf. En wurde ihr eiiüg kuit, und sie lulxlte etwas au ilirem
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Kleide senea. „Schnell, schnell,^ lief der Geis^ „senst ist es za
spät,** imd scholl hatte sidi die Wand hinter ihnen wieder ge-
schloBsen, und das Gobelin-Zhnmer war leer.
Ungefähr zehn Minuten später tönte der Gong zum Tee und da
Virginia nicht herunterkam, schickte Mre. Otis einen Diener hinauf,
sie zu rufen. Nach Vurzci Zeit kam or wieder und sagte, dass
er Miss Virginia nirgends habe linden können. Da sie um diese
Zeit gewöhnlich in den Garten ging, um Blumen für den Mittags-
tisch zu pflücken, so war Mrs. Otis zuerst gar nicht weiter besorgt,
aber als es sechs Uhr schlug und Virginia immer noch nicht da
war, wurde sie doch unruhig und schickte die Jungen aus, sie zu
anchen, während sie und Mr. Otis das ganze Hans abgingen. Um
halb sieben kamen die Jungen wieder und berichteten, sie hätten
nirgends auch nur eine Spur Ton ihrer Schwester entdecken kOnnen.
Jetzt waren alle auf das äussersto bennmhigt xmd wnssien nicht
mehr, was sie tun sollten, ak Mir. Otis sich plötslidi darauf besann,
dass er ror einigen Tsgen einer Zigennerfoande eilanbt habe^ im
Bark zu fibemacbten. So machte er sich denn sofort auf nach
BlackfeÜ Kollow, wo «ich die Bande, wie er wusste, jetzt aufhielt^
und sein ältester Sohn und zwei Bauonbtuschen begleiteten üm.
Der kleine Herzog von Cheshire, der vor Angst ganz ausser sidi
war, bat inständigst sich anschliessen zu dürfen, aber Mr. Otis wollte
es ihm nicht erlauben, da er fürchtete, der junge Herr würde in
seiner Aufregung nur stören. Als sie jedoch an die gesuchte Stelle
kamen, waren die Zigeuner fort und zwar war ihr Abschied augen-
scheinlich ein sehr rascher gewesen, wie das noch brennende Feuer
und einige auf dem Grase liegende Teller anzeigten. Nachdem er
Washington weiter auf die Suche geschickt hatte, eilte Mr. Otis heim,
und sandte Depeschen an alle Polizei-Posten der Grafschaft, in denen
er sie ersuchic, ymch einem kleiuen Mädchen zu forschen, das von
Jjandstreichem oder Zigeunern entführt worden sei. Dann liess er
sein Pferd sattehi, nnd nachdem er dannf bestanden hafte, dass
seine Iran nnd die beiden Jungen sich zu Tisch setsten, ritt er
mit seinem Groom nach Ascoi Aber kaom hatte er ein paar Meilen
zurückgelegt, als er jemand hinter sich her galoppieren hörte; es war
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der junge Hwzog, der auf seinem Ponj mit erhitztem Gealöhte imd
ebne Hut hinter ihm herkam. ,,Ich bitte um Yerzeihung, Mr. Otis",
sagte er atemJos, „aber ich kann nicht zu Abend essen, so lange Virginia
nicht gefunden ist Bitte seien Sie mir nicht bfise; wenn Sie Tonges
Jahr Ihre Einwilligung zu unserer Yerlobung gegeben hätten, so
würde all' diese Sorge uns erspart geblieben sein. Sie schicken mich
nicht zurück, nicht wahr? Ich gehe auf jeden Fall mit Ihnen!"
Der Gesandte musste lächeln über den hübschen Jungen und war wirk-
lich gerührt über seine Liebe zuYirginia; so lehnte er sich denn zu
ihm hinüber, klopfte ihm freundlich auf die Schulter und sagte: „Nun,
gut, Cecil, wenn Sie nicht umkehren wollen, so müssen Sie mit mir
kommen, aber dann muss ich Uinen in Asoot erst einen Hut kauion."
„Ach, zum Teufel mit meinem Hut! lob will Yirgima wieder haben!"
rief der UdneEenog Isehend, und sie ritten weiter nadi der Bahn-
Station. Dort ectnndigt» sieh Mir. Otis bei dem StationsToistKnd,
ob nidit eine junge Dame auf dem Penon gesellen worden sei,
auf welche die Besoiueibong ron Yiiginia passe^ aber er konnte
niobts über sie eriafaien. Der Stations^erBtand telegxi^bierte auf
der Strecke hinauf tmd hinunter nnd Tersioherte Mr. Otis, dass man
auf das gewissenhafteste recherchieren werde; und nachdem Mr. Oüs
noch beigem Schnittwarenhändler, der eben seinen Laden schliessen
wollte^ dem jungen Herzog einen Hut gekauft hatte, ritten sie nach
Berley weiter, einem Dorf, das ungefähr Tier Meilen entfernt lag
nnd bei dem die Zigeuner besonders gern ihr Lager aufschlugen,
weil es boi einer prossen Wiese lag. Hier weckten sie den Gendarmen,
konnten aber nichts von ihm in Erfahrung bringen; und nachdem
sie die ganze Gegend abgesucht hatten, mussten üe sich schliesslich
unverrichteter Dinge auf den Heimweg machen und erreichten
todmttde und gebrochenen Herzens um elf Uhr wieder das
Schloss. Sie fanden Washington und die Zwillinge am Tor, wo sie
mit Laternen gewariet hatten, weil die Allee so donkel war. Nicht
die geringste Spar von Yiii^nia hatte man bisher entdecken kdnnen.
Man hatte die Zigenner inif den 'Wiesen Ton BiocUey eingeholt,
aber sie war nicht bei ihnen, und die Zigenner hatten ihre plOts-
lidie Abreose damit eziülr^ dass sie eiligst auf den Jahimaikt ygd.
Chorton hätten müssen, nm dort nicht xa spftt anzukommen. Es
hatte ihnen wixklich henlich leid getan, Ton Yiiginias Yenchwinden
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zu hbtm, md da me Ur. Otis dankbar -waien, ireii er Ürnflii den
Axifenthalt in seinem Fwek gestattet hatte, so waren vier Ton der
Bande mit zurückgekommen, um sich an der Suche zu beteiligen.
Man liess den Karpfenteich ab und durchsuchte jeden Winkel im
SchJoss — alles ohne Erfolg. Es war kein Zweifel, Virginia war,
wenigstens für diese Nacht, verloren. In tiefster Niedergeschlagen-
heit kehrten Mr. Otis und die Jungen in das Haus zurück, während
der Groom mit den beiden Pferden und dem Ponv fnlfrto. in der
Halle standen alle Dienstboten aufgeregt beieinander, und auf einem
Sofa in der Bibliothek lag die arme Mis. Otis, die vor Schrecken
und Angst fast den Verstand verloren hatte und der die gute alte
Haushälterin die Stirn mit Eau de Cologne wusch. Mr. Otis bestand
darauf, dass sie etwas esse, und bestellte das Diner für die ganze
Familie. Bs war eine trübselige Mahkeit, wo kaum einer ein Wort
sprach; sogar die Zwillinge waren Tor Schreoken stumm, denn sie
Hebten ihre Schwester sehr. Als man fertig war, scfaiökfee Hr. Otis
trotz der dringenden Bitton des jungen Herzogs alle au Betl^ indem er
erkürte, dass man jetat in der Nadit ja doch nidits mehr ton kOnne, und
am nficfasten M dgen wolle er sofort nach Scofland Tard tetegraphiecen,
dass man ihnen mehrere DetektiTes schicken soJle. Gerade als man
den Speisesaal verliess, schlug die grosse Tnrmnhr Mittemacht, und
als der letzte Schlag yerklungen war, hörte man plötzlich ein furcht-
bares Gepolter und einen durchdringenden Schrei ; ein wilder Donner
erschütterte das Haus in seinem Grunde, ein Strom von überirdischer
Musik durchzog die Luft^ die "Wandtäfelung oben an der Treppe flog mit
tosendem Lärm znr S'oitc und in der Öffnung stand, blass und weiss,
mit einer kleinen ticliutnllo in der Hand — Virginia! Im Nu waren
alle zu ihr hinaufgestiumt. Mrs, Otis presste sie leidenschaftlich in
ihre Arme, der Herzog erstickte sie fast mit seinen Küssen, und die
Zwillinge vülliuhrten einen wilden Indianertanz um die Gruppe herum.
„Mein Gott! Kind, wo bist du nui gewesen? ' nef Mr. Oüs fast
etwas ärgerlich, da er glaubte, sie habe sich einen törichten Scherz
mit ihnen eilaubt, „Cedl und ich sind meilenweit tber Land ge-
litten» dich zu suchen, und deine Mutter hat sich zu Tode geäng-
stigt Du musBt nie wieder solche dumme Streiche machen.'*
„Nur das Gespenst dar&t du foppen, nur das Gespenst!" schrien die
Zwilhnge und sprangen umher wie Teirllckt „If ein Liebling^ Gott
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sei Dank, dass wii dich wieder haben, da darfst nie wieder von
meiner Seite," sagte Mrs. Otis ssirtlich, während sie die zitternde
Virginia küssta imd ihr die langen zerzausten Locken glatt strich.
„Papa," sagte Virginia ruhig, „ich war bei dem Gespenst. Es ist
tot, und du musst kommen es zu sehen. Es ist in seinem Leben ein
schlechter Mensch gewesen, aber es hat alle seine Sünden bereut, und
ehe es starb, gab es mir diese Schatulle mit sehr kostbaren Juwelen "
Die ganze Familie starrte sie lautlos verwundert an, aber sie sprach
in vollem Ernst, wandte sich um und führte sie durch die Öffnung
in der Wandtäfelung einen engen geheimen Korridor entlang; Washing-
ton folgte mit einem Licht, daa er vom Tisch genommen hatte.
Endlich gelangten sie zu einer schweren eichenen Tür, die ganz
mit zostigen Nägehi besehlagen var. Als Tirgtnia sie bedUirte, flog
de in ihren sohweren Angeln znrttck, und man befand sich in einem
Ueinen niedrigen Zimmer mit gewölbter Decke nnd einem Yeigitterten
Ilster; ein schwerer eiserner Bing war in die Wand eingelassen
imd daran angekettet lag ein riesiges Skelett, das der Lioge nach
anf dem steinernen Boden aosgestieeki war imd mit seinen langen
lleischloeeii Fingem nach einem altmodischen Erog und Teller zu
greifen versuchte, die man aber gerade so w«t gestellt hatte, dass
die Hand sie nicht erreichen konnte» Der Eirag war wohl einmal
mit Wasser gefüllt gewesen, denn innen war er ganz mit grünem
Schimmel überzogen. Auf dem Zinn teil er lag nur ein Häufchen Staub.
Virginia kniete neben dem Skelett nieder, faltete ihre kleinen Hände
und betete still, während die übrigen mit Staunen die grausige
Tragödie betrachteten, deren Geheimnis ihnen nun enthüllt war.
„Schaut doch!" rief plötzlich einer der Zwillinge, der aus dem
Fenster gesehen hatte, um sich ul er die Lage des Zimmers zu
orientieren. „Schaut doch! der alto verdorrte Mandelbaum biuht
ja! Ich kann die Blüten ganz dentlifdi im Mondlicht sehn."
„Gott hat ihm TOgeben!^ sagte Vizginia emst^ als sie sich ofaob
und ihr Gesicht stcahHe in unschuldiger Rende.
«Du bist ein EngelP rief der junge Hensog, sohloss me in seine
Alme und küaste sie.
Vier Tage nach diesen höchst wunderbaren Ereignissen Tediees ein
Tnueizag nachts um elf Vht Schloss Cantsrnlla Den Leichen-
wagen sogen acht schwane Pferde, toh denen jedes einen grossen
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«
Panach6 von nickenden Straussen federn auf dem Kopfe trag, und
der eieexne Sarg war mit einer koatbann purpurnen Decke tgt-
hangen, auf welcher das Wappen derer von CanterviUe in Gold ge-
stickt war, Neben dem Wagen ber schritten die Diener mit bren-
nnnden Fackeln, und der ganze Zuc machte einen äusserst feierlichen
Kiüdruck. Lord CanterviUe als der lianptleidtragende war zu diesem
Begräbnis extra von Walls gekommen und sa,ss im ersten Wagen
neben der kleinen Virginia. Dann kam der Gesandte der Vereinigten
Staaten und seine Gemahlin, danach Washington und die zwei Jungen,
und im letzten W'agcu sass Mrs. Umnej, die alte Wirtschafterin ganz
allein. Man hatte die Empfindung gehabt, dass sie, nachdem sie mehr
als fttnfsig Jahre ünes Iieb«is durch das Gespenst erschreckt worden
war, nun sncli ein Beefat hitte, seiner Beerdigung beizuwohnen. In
der Ecke des Etiedhofes war ein tiefes Qiab gegraben, gerade unter
der Trauerweide, und Hochwttrden Augustus Dampier liielt eine
höchst eindrucksvolle Grabrede. Als die Geieoionie Torüber war,
löschten die Diener, einer alten Familiensitte der Canterrüle gemSas,
ihre Eaokeln aas, und während der Saig in das Grab hinunteigelassen
wurde, trat Virginia vor und legte ein grosses Kreuz aus weissen
und roten Mandelblüten darauf nieder. Inzwischon kam der Mond
hinter einer Wolke hervor und übersilbeile den kleinen Friedhof,
und im Gebüsch flötete eine Nachtigall. Virginia dachte an des
Gespenstes Beschreibung vom Garten des Todos. ihre Augen füllten
sich mit Tränen, und sie sprach auf der Rückfahrt nicht ein W^ort
Am nächsten Morgen hatte Mr. Otis mit Lord CanterviUe, vor des-
sen Rückkehr nach London eine Unterredung wegen der Juwelen,
welche das Gespenst Virginia gegeben hatte. Sie waren von ganz
hervorragender Schönheit, besonders ein Haistscimiuck von Rubinen
m alt-venezianischer Eassung, ein Meisterwerk der Kunst des sech-
zehnten Jahrhunderts, und so wertvoll, dass Mr. Otis zögerte, seiner
Tochter zu erlauben, äe anzunehmen. „Mylord,'^ sagte er, „ich
weiss selir wohl, dass sich in diesem I^nde die Erbfolge ebenso-
wohl auf den Familienschmuck wie auf den Grundbesilz erstreckt,
und loh bin dessen ganz sicher, dass diese Juwelen ein Eifaetliek
Ihrer "lamilie sind oder doch sein sollten. Ich muss Sie dem-
gemiss bitten, die Pretiosen mit nach London zu nehmen und sie
ledi^ch als einen Teil Ihres Eigentums zu betrachten, der unter
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aUradings höchst wunderbaren Umstanden wieder in Ihren Besilz
xnrückgelangt ist Was meine Tochter betxifiEfe, 80 ist dieselbe ja
noch ein Kind, und hat^ wie idä mich freae sagen zu können, nur
wenig Interesse an solchen Luxusgegenständen. Mrs. Otis, die, wie
man wohl sagen kann, eine Antorität in Xunstsachen ist — da sie
den grossen Yorzug genossen hat, als junges Mädchen mehrere
Winter in Boston zu verlehen — Mrs. Otis sagte mir, dass diese
Juwelen einen sehr bedeutenden Wert repräsentieren und sich ganz
vorzüglich verkaufen würden. Unter diesen Umständen bin ich
überzeugt, Lord Canterville, dass Sie einsehen werden, wie unmög-
lich es für mich ist, einem Mitglied meiner Familie zu erlauben,
in dem Besits der Juwelen zu bleiben, und endlich ist dieser eitle
Ftois imd Tand imd dieses glünsaide Spielseng, so passend imd
notwendig es anoh mr Wfirde der britischen Aristotantifi za ge-
hSteo. scheint, doch unter jenen niemals ledit am Platae, die in
den strengen tmd wie ich bestimmt ^aube, nnsterblichen Gnmd*
sfitzen repablikanisdier Binfiiohheit ersogen sind. Vielleicht sollte
icii noch erwShnen, dass Tiiginia sehr gern die Schatulle seLbst
behalten möchte, als Erinnerung an Ihren unglücklichen irregeleiteten.
Yorfahren. Da selbe sehr alt und in einem Zustande grosser Be-
paratorbedürftigkeit zu sein scheint, so werden Sie es vielleicht an-
gemessen finden, der Bitte meiner Kleinen zu willfahren. Ich für
mein Teil muss allerdings gestehen, dass ich ausserordentlich er-
staunt bin, eins Ton meinen Kindern Sympathie mit dem Mittol-
alter in irgend einer Gestalt empfinden zu sehen, und ich kaixii
mir das nicht anders als dadurch erklären, dass Virginia in einer
Ihrer Londoner VorbUdte geboren wurde, kura nachdem Mrs. Otis
von einer Reise nach Athen zurückgekehrt war." — Lord Canter-
ville horte dfci langen Rede des würdigen Gesandten auünerksam
zu, während er sich ab und zu den langen grauen Schnurrbart
strich, um ein unwillküriiches Lttcheb zu verbeiß; und als Mr.
Otis schwieg, schüttelte er ihm heidich die Hand nnd sagte: „Mein
lieber Hb. Otis, Ihre entzückende Jdone Tochter hat meinem im-
glücklichen Yoifahren, Sir Simon, einen höchst wichtigen Dienst
geleistet^ und meine Familie nnd ich sind ihr für den bewieeenen
eEStannUciien Mut zu sehr grossem Bank yerpfliditei Qsiut sweaM-
los fiond die JuweiLen Miss Yiigmias Eigentum und wahriiaftig, ich
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^ub«i wfize ich heizloB genug, de ihr fortEimehmeii, der böse alte
Bnisehe wttrde noch diese Woche irieder ans semem Grabe auf-
stehen und mir das Leben hier zur HöUe maoh^ ünd "was den
Begriff Erbstück anbelangt, so ist nichts ein Erbstück, was nidit
mit diesem Ausdruck in einem Testament oder sonst einem rechts-
kräftigen Schriftstück also bezeichnet ist, und von der Exlstenx
dieser Juwelen ist nichts bekannt gewesen. Ich versichere Ihnen,
dass ich nicht mehr Anspruch auf sie habe, als ihr Kammerdiener,
und wenn Miss Virginia erwachsen ist, so wird sie, meine ich,
doch ganz gern solche hübsche Sachen tragen. Ausserdem Tergessen
Sie ganz, Mr. Otis, dass Sie ja damals die ganze Einrichtung und
das Gespenst mit dazu übernommen haben, und alles, was zu dem
Besitztum des Gespenstes gehörte, wmde damit Ihr Eigentum, und
was auch Sir Simon für eine merkwürdige Tätigkeit nachts auf dem
Eomdor entfoltet haben mag, vom Standpmikt des Gesetzes aus war
er ahsolnt tot und somit erwarben Sie dimdiEaiif eebE^ieiitnm.^
Mr. Otis war anfangs wirklich verstimmt, dass Lord Oanterville auf
sein Teilangen nicht eingehen wollte, und bat ihn, seine Entsehei-
dong nochmals 2a fibeiiegen, aber der gntmtttige Lord war fest
entschlossen nnd Überredete sddiesslich den Gesandten, seiner Tochter
doch za eikaben, das Geschenk des Gespenstes zn behalten, nnd
als im Erähjahr 1860 die junge Hersogin von Gheshire bei Ge-
legenheit ihrer Hochzeit bei Hofe vorgestellt wurde, erregten ihre
Juwelen die allgemeine Aufmerksamkeit Denn Virginia bekam
wirUioh und tatsächlich eine Erone in ihr Wappen, was die Be-
lohnung für alle braven Meinen Amerikanerinnen ist, und heiratete
ihren jugendlichen Bewerber, sobald sio mündig geworden war. Sie
waren ein so entzückendes Paar un d Hebten einander so sehr, dass
jeder sich über die Heirat freute, jeder ausser der Herzogin von
Dumbleton — die den jungen Herzog gern für eine ihrer sieben
unverheirateten Töchter gekapert hätte und nicht weniger als drei
sehr teure Diners zu dem Zweck gegeben hatte — und wunderbarer-
weise auch ausser Mr. Otis selber. Mr. Otis hatte den jungen
Herzog persönlich sehr gern, aber in der Theorie waren ihm aüe
Ittel zuwider nnd „war er^, nm seine eigenen Worte zu gebrauchen,
^oht ohne Besorgnis, dass inmitten der entnervenden Einflfisse
der vergnügungssüchtigen englischai AnstobatiA die einzigwahren
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OrandsitEe lepublikamsoher Einfachheit Teigessoi werden würden."
Sein WideiBtand wurde jedoch TöJlig besiegt und loh glaube, dasa
es, als er iu St. Georges Honover Square mit Roiner Tochter am
Arm durch die Kirche schritt, keinen stolzeren Mann in gan2S Eng>
land gab als ihn. Der Herzog und seine junge Frau loonen nach den
Flitterwochen auf Schloss Canterville, und am Tage nach ihrer An-
kunft <:^'nc^rn sie des Nachmittags zu dem kleinen einssamcn Fried-
hof unter den Tannen. Man hatte oi-st über die Inschrift auf Sir
Simons Grabstein nicht schlüssig werden können, uad nach vielen
Schwierigkeiten war dann entschieden worden, nur die Initialen
seines Namens und den Vers vom Fenster der Bibliothek eingra-
vieren zu lassen. Die Herzogin hatte wundervolle Bosen mitge-
bracht, die sie auf das Grab sti'eute, und nachdem sie eine Zeit-
lang sttU g^tanden hatten, schlenderten sie weiter zu der halbver-
fallenen Kanzel in der alten Abtei. Dort setete sich Virginia auf
eine der umgestänten S&nlen; ihr Hann legte sich ihr zu Füssen
in . das Gras, xuudito eine Zigarette und blickte ihr yeiiiebt und
^Qddioh in die schönen Augen. Flötzlicb warf er seine Zigarette
fort, eigriff ihre Band und sagte: „Yiiginia, eine Fkrau sollte keine
Oeheiamiase rot ihrem Hann habenF
„Aber lieher Cecil! Ich habe doch keine Geheimnisse vor dir,**
,^ch, das hast du," antwortete er lächelnd, „du hast mir nie gesagt^
was dir begegnet ist^ als du mit dem Gespenst verschwunden warst**
^Das habe ich niemandem gesagt," sagte "Virginia ernst
„Das weiss ich, aber du könntrst os mir jetzt doch sagen."
„Bitte verlange das nicht vnn mir, Cecil, denn ich kann es dir nicht
sagen . . . Der arme Si r Si m ! loh bin ihm zu so grossem Danke ver-
pflichtet Ja, da brauchst du nicht zu lachen, Cecil, es ist wirklich
wahr. Er hat mich einsehen gelehrt, was das Loben ist und was der
Tod bedeutet und warum die Liebe stärker ist als beide zusammen.**
Der Herzog stand auf und küssto seine junge Frau sehr zärtlich.
„Du kannst dein Qebeimnls behalten, so lange mir nur dein Heiz
gehört," sagte er leise.
„Das Heiz hat dir schon immer gdi&rl^ OeciL**
„Aber unsem Kindern wizst du einst dein Geheimnis sagen, nicht
wahr?**
Yiiginia errötete . .
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DER GLÜCKLICHE PRINZ
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OGH ttber der Stadt stand auf
tigen Sttule die Statae des g^ücUiohen
Prinzen. Sie war über und über mit
dünnen Goldblättchen bedeckt, statt der
. - ^ irr -A^^S**^ iiatte sie zwei glänzende Saphire,
.-■^ n\ gjjj grosser roter Eubin leuchtete auf
s^^ j ^ I seiner Schwortscheide.
-""^ Alles bestaunte und bewunderte ihn sehr.
„Er ist so schön wie ein Wetterhahn," be-
merkte einer der Stadträte, der darauf aus war, für einen in
Kunstdingen geschmackvollen Mann zu gelten; „bloss nicht
ganz so nützlich," fügte er hinzu, da er fürchtete, man konnte
fiB Tfer:5?^ ^hn sonst für unpraktisch halten, was er dmciiaus nicht war.
„Warum bist du nicht wie der glückliche Prinz?" fragte
eine empfindsame Mutter ihren kleinen Jungen, der weinend
nach dem Mond Tcriangte. „Dom glücUidieiL Ftmaen ÜUt es
nie ein, uxu etwas zu weinen.^
„Ich bin froh, dass es wenigstens einen gibt, der in dieser Welt
ganz glücUieh ist,'* sagte leise ein Enttäuschter mit einem Blick
auf dss wundeiToUe Standbild.
,,Er sieht genau aus wie ein Engel,'* sagten die Waisenkinder,
als sie in ihren puifKinoten Hänteln und sauberen YoisteckÜtts-
chen aus der Kathedrale kamen.
„Wie könnt ihr das wissen?" fragte der Mathematiklehrer,
habt doch nie einen gesehen."
„Oh doch im Traum," antworteten die Kinder; und der Mathe>
matiklehrer runzelte die Stirn und machte ein sehr strenges Ge-
sicht, denn er billigte Kinderträume nicht
Da flog eines ^iachts ein kleiner Schwälberich übf^r die Rtadt Seine
Freunde waren schon vorsechs Wochennach Ägypten gezogen, aberer
war zurückgeblieben, weil ersieh in eine ganz wunderschöne Schilf-
rispe verliebt hatte. Ganz zeitig im Frühling hatte derSohwaiberich die
Rispe zum erstenmal gesehen, als er gerade hintereiner grossen gelben
Motte herüber denEluss flog, undwarYonderSchlankheltderRispeso
entsfiekt gewesen, dasser Histt gsmaefat hatte, um mit ihr zu plaudern.
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^oU ioh dioii lieben?^ fragte der SchwSlbeiich, der es liebte^ immer
glflieh genule auf sem Ziel loezogehen. Und die SchilMspe y«i-
nelgte sich tief tot ibm. So flog er immer und immer nm die
Sdilanke herum, rührte leicht das Wasser mit sdnen Iltigeln und
machte kleine sübeme Wellen daznul Das war die Axkf irie w
warb, und es dauerte den ganzen Sommer hindurch.
,J)as ist ein lächerliches Attachement," zwitscherten die andern
Schwalben, „die Schilfrispe hat gar kein Yermögen und viel sa
viel Yorwandtc;" und in der Tat war der Fluss ganz roll von
Schilt. Als dann der Herbst kam, flogen sie alle davon.
Ais sie fort waren, fühlte sich der Schwälberich einsam und fing
an, seiner romantischen Liebe überdrüssig zu werden. „Sie kann
sich gar nicht unterhalten/' sagte er, „und ich ftirchte. bio ist
eine Kokette, denn sie fürtet immer mit dem Wind." Wirklich
machte die Schüfrispe, so oft der Wind blies, die graziösesten Yer-
beugUDgeu.
^h gebe gerne zu, dass sie sehr hänslich ist," fuhr er fort,
„aber ich liebe das Eeisen, und deshalb soll meine Ecan es auch
lieben.«
„Willst du mit mir fort?« fingte der Tegel endlich die Biflpe; die
aber sehfittelte den Kopl — sie hing so sehr an der Heimat
„Du hast mit mir gespielt,« rief da der Schwllberich, „ich
mache mich auf nach den FjyiamideiL Leb woUI« ühd flog
davon.
Den ganzen Tag über flog er und erreichte gegen Abend die
Stadt „Wo soll ich absteigen?'* sagte er; „hoffentlioh hat die
Stadt Vorbereitungen getroffen."
Da sah er das Standbild auf der hohen Säule. „Hier will irh ab-
steigen," rief er, „es hat eine hübsche Lage und viel frische
Luft" ünd damit lies^ er sich gerade zwischen den Füssen des
glücklichen Prinzen nieder.
„Ich habe ein goldenes Schlafzimmer," sagt« er wohlgefällig zu
sich selber, während er herumschaute und sich anschickte sclilafen
zu gehen; aber gerade, aL^ er seinen Kopf unter seinen l'lügel
stecken wollte, fiel ein grosser Begentropfen auf ihn nieder.
„Wie simdeibar!« rief er, „am Hummel ist nicht das kleinste
WSlkchen, die Sterne smd hell und leuchten und doch regnet
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^ kj o^ -o i.y Google
es. Das Klima im nörtlliclu n Europa ist schon wirklich abscheu-
lich. Die ScliüMsf e liebte ja den üegen sehr, aber das war bloss
ihr Egoismus."
Da fiel ein zweiter Tropfen.
„Was für einen Zweck hat dann dgenÜich eine Statne, wenn sie
nidit den Begen abhalten kann?'' sagte derYogel; „ich muss nut^
lieber nadi einem gaton Scdiomstein nmselLen," imd er wollte
sohon fortfliegen.
Doch beror er noch seine Iltigel ausgebreitet hatte^ fiel em dritter
I^len; er schaute in die Höhe und sah — ja, was sah er?
Die Augen des ^ücUiohea Pdnzen waren voll TrSnen, und !b&ien
liefen ihm über die goldenen Wangen. Sein Geeicht war so wander*
schön im Mondlicht, daas den SÖhwfilbeiieh das Mitleid lasste.
„Wer bist du?" sagte er.
„Ich bin der glückliche Prinz."
„Weshalb weinst dn denn?" fragte der YogeL ^n hast mich ganz
nass gemacht."
,,Als ich noch am Leben war und ein Menschenherz hatte," ant-
wortete die Statue, ,,da wusste ich nicht, was Tränen sind, denn
ich lobte in dem Palast Ohnesorg, in den die Sorge keinen
Zutritt hat Tagübor spielte ich mit meinen Gefährten im Garten
und des Abends führte ich den Tanz in der grossen Halle. Rund
um den Garten lief eine sehr hohe Mauer, aber nie dachte ich
daran, zu fragen, was wohl dahinter läge, so schön war alles um
mich her. Ueine Hdflinge nannten mich den glücklichen Fiinzen,
und glflddich war ich in der Tat, wenn Vergnügen Glück be-
dentei So lebte ich und so starb ich. Und nun, da ich tot
bin, haben sie midi hier hinauf gestellt, so hodd, dass ich alle
HÜsstichkeit nnd allee Elend meinw Stadt sehen kann, nnd wenn
andh mein Herz Ton Blei ist, kann ich nicht andeiB ab weinen.**
„Wie> es ist nicht von echtem Gold?** spiach der Yogel zu sich.
Denn er war zu höflich, als dass er eine peraSnliche Bemerkong
laut gemacht hätte.
^Welt fem von hier," fuhr die Statue mit einer leisen, melodischen
Stimme fort, „weit fem von hier in einer kleinen schmalen Gasse
steht ein armseliges Hans. Eins der Fenster ist offen, und so
sehe ich eine £'rau am Tische sitzen. Ihr Gesicht ist mager und
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yerhärmt, und sie hat rauhe rote Hände, nadekerstochen, denn
sie ist eine Näherin. Sie stickt Passionsblumen in ein Seiden-
kleid, das die schönste von den Elucndamen der Königin am
nächsten Hofbaii üagen soll. In einem Winkel des Zimmers
liegt ihr kleiner Junge krank im Bett Er fiebert und Twlangt
nach Pometanzen. Die Mutter kann ibn nichts mehr geben als
Wasser ans dem ElosSi nnd daher veint er. Vogel, Vogel, kleiaer
Vogel, -willst du ihr nicht den Bobin ans meiner Sdiwertscheide
hinbiüigen? Meine Füsse sind an den Sockel befestigt^ nnd ich
kann mich nidit bewegen."
„Man erwartet midi in i^on^ten,** sagte der Sohwflberich. ^eine
Freunde iSiegen den Nil auf nnd nieder und imterh alten sich
mit den grossen Lotosblüten. Bald werden sie sich im Grab des
grossen Königs schlafen legen. Er ist in gelbes Linnen gehüllt
und mit Spezereien einbalsamiert Um seinen Hals liegt eine Kette
aus blassgrünem Nephrit, nnd seine Hände sind wie vertrocknete
Blätter."
„Vogel, Vogel, kleiner Vogel," sagte der Prinz, „^willst du nicht
diese eine Nacht bei mir bleiben und mein Bote sein? Der Knabe
ist so durstig und die Mutter so traurig."
„Ich glaube, ich mache mir nichts aus Knaben," antwortete der
Schwälberich. „Als ich letzten Sommer am Fluss wohnte, da waren
SO rohe Buben, des Müllers Söhne, die immer Steine nach mir warfen.
Getroffen haben de midi natfixUdi nie, denn wir Schwalben
fliegen dafür yiel zu gut, nnd idi stamme zndem ans einer Familie,
die wegen ihrer Behendigkeit berühmt ist; aber es war doch immer-
hin ein Zeichen von Bespekflosig^t"
Aber der glncUiche Piina sah so traurig, dass es den klemen
SchwiQberidi bekümmerte. „Bs ist sehr kalt hier," sagte er, „aber
ich will trotedem diese eine Nacht bei dir bleiben nnd dein
Bote sein."
„Ich danke dir, kleiner Vogel," sagte der Prinz. i
So pickte der Schwälberich aus des Prinzen Schwert den grossen
Hub in und flog mit ihm weg über die Bächer der Stadt und trug
ihn im Schnabel.
Er flog an dem Turm des Domes Torbei, auf dorn die weissen
Marmorengei stehen. £r flog über den Palast hin und hörte die
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Musik von Tanzweisen. Ein schönes Mädchen trat mit seiüem
Geliebten auf den Balkon hiiiaas. «Wie wanden' oü die Sterne
sind," sagte er zu ihr, „und wie wandelbar die Macht der
liebe!" „Hoffentlicli wird mein Kleid mm StaatBball fertig," ant-
wortete sie, ,^ch lasse mir Faesionebhimea daiauf eticken; aber die
Sdmeiderimieii aiod so fanL**
Er flog liber den Haas imd sah die Laternen an den Sohiffamasten.
Er flog ttber das Ghetto imd sah die alten Juden miteinander
bandeln und auf kupfernen Wagen das Geld wiegen. Endlich
eneidite «r das axmseilige Haus und schaute hinein. Der Knabe
warf sich fiebernd, und die Mutter war vor Müdigkeit einge-
schlafen. Hinein ins Zimmer hüpfte der Schwälberich und legte
den Kubin auf den lisch gerade neben den Fingerhut der Frao,
Dann kreiste er leise um das Bett und fächelte des Jungen Stirn
mit den Flügeln. „Wie kühl mir ist," sagte der Knabe, „ich glaube,
es wird mir besser," und er sank in einen köstlichen Schlaf.
Darauf flog der Schwälberich zurück zu dem glücklichen Prinzen
und erzäiüte ihm, was er getan. „Merkwürdig," sagte er, „mir
ist mit einommal ganz warm geworden, obgleich es so kalt ist"
„Das kommt von deiner guten Tat," sagte der Prinz. Und der
kleine Yogel begann darüber nachzudenken imd schlief ein. Denken
machte ihn immer schläfrig.
Als der Tag anbrach, flog der Togel hinab smn Flnss und nahm
ein Bad. „Was ein bemerkenswertes Phfinomenon," sagte der
Professor der Oniithologie, wfihmd er über die BrOoke ging,
„fläne Schwalbe im Winter!^ Und er sehrieb darüber einen langen
Brief an die Lokalseitang. Alles sprach Ton diesem AulBatz^ der
so wortreich war, dass niemand ihn Texstehen konnte.
„Heut nadit mach ich mich auf nach Ägypten," sagte der Schwäl-
berich und war hochTergnügt bei dem Ctodanken. Er besuchte
alle Denkmäler und öffentlichen Bauweilce der Stadt und sass
lange auf der Kircfatormspitceii Wo immer er hinkam, da piepten
die Spatzen und einer sagte zum andern: „Was für ein Tomehmra
Fremder!" und dabri nrnüsicrto sich der Schwälberich sehr.
Als der Mond aufging, flog er zuiück zu dem glücklichen Prinzen.
„Hast du irgendwelche Aufträge für Ägypten?'^ rief er, y^ck reise
gerade dahin ab.^
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Digitizcü by ^(j^j-j.l'^
„Vogel, Vogel, kleiner Yogel," sagte der Jhrmz, „willst du nidit
noch eine Nacht bei mir bleiben?'*
„Ich werde in Ägypten erwartet," antwortete der Schwälberich.
Jorgen fliegen meine G«fiQirfie& zum zweiten Katankt hinauf.
Dort liegt das Nilpfeid unter den Binsen tind anf einem grossen
granitnen Thron eitst der Gott Hemmon. Die ganze Nacht lang
blickt er za den Sternen, und wenn der Hoigenstem an^g^l&Dz^
8t5est er einen langen Iraadenschvei aoSi nnd dann ist er wieder
still. Zu HOttag kommen die gelben LSwen ans Rnssnfer, mn za
tdnken. Sie haben Aogen wie grfine BezTlle, nnd ihr QebrttU Über-
tönt das Brüllen des Katarakts."
„Vogel, Vof^cl, mein kleiner Vogel," sagte der Prinz, „weit weg
über der Stadt sehe ich einen jungen Mann in einer Dachstube.
Er lehnt sich über einen mit Papieren bedeckten Tisch und neben
ihm • steht in einem Wasserglaso ein kleiner Strauss verwelkter
Veilchen. Sein Haar ist braun und gelockt, seine Lippen sind
rot wie eine Granatblüte, und er hat grosse und träumerische
Augen. Er versucht, ein Schauspiel fertig zu schreiben, aber er
kann nicht weiter Tor Kälte. Es ist kein Feuer im Ofen und der
Hunger hat ihn ohnmächtig gemacht."
„Ich will noch eine 2s acht länger bei dir bleiben," sagte der
Schwilbetich, der eigentlich ein gutes Herz hatte. „SoU ich ihm
auch einen Bnlnn bdngen?'
„Ach! Ich habe keinen Babhi mehr," sagte der Prinz, „nur meine
Angen sind mir noch geblieben. Sie sind ans seltenen Saphiren
gemacht, die man Tor tausend Jahren aus Indien gebracht hat
Picke eines heraus und bring es ihm* ESr wird es an einen Ju-
welier Tokaufen und sich dafür Easen und Feuerung Tersohaffen
und sein Stück beenden."
„Lieber Prinz," sagte der SohwSlberioh, „das kann ich nicht ton;^
und er begann zu wemOL
„Vogel, Vogel, Uaner Togel/* sagte der Prinz, „tu wie ich dich
heisse."
Also pickte der Sph^välhprich dem Prinzen das Auge aus und
flog zur Dachkammer des Studenten. Es war nicht schwer hinein-
zukommen, denn es war ein Loch im Dach. Durch das schlüpfte
der Vogel in die kleine Stube. Der Jüngling hielt den Kopf in
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die Hände vergraben und so hörte er nicht das Rattern des Vogels,
und als er aufschaute, da fand er den schönen Öaplür, der auf
den verblassten Veilchen lag.
„Man fängt an, mich zu würdigen," rief er aus; „das kommt sicher
von einem giossen Bewunderer. Nun kann ich mein Stück fertig
sohieibeiL" Und er sah gans glttcklioh aii&
Am nfiofaeten Tag flog der Sehwfllberich hinab zum Hafen. Er
setzte sich auf den Hast des grössten Sehifies und beobachtete
die Matrosen, die an Tauen grosse Ballen aus dem Soliiffisraum
emporwanden, ^eb aufl** schrien sie bei jedem Ruck am Tau. ,Jch
geh nach Igypten!** rief der Vogel, aber niemand achtete auf ihn,
und als der Mond aufging, flog er zu dem glücklichen Prinzen.
„Ich komme, dir lebewohl zu sagen," rief er.
„Vogel, Vogel, kleiner Vogel,'* sagte der Prinz, „willst du nicht
noch eine Nacht bei mir bleiben?"
„Es ist "Winter," sagte der Schwälberich, „und der kalte Schnee
wird bald da sein. In Ägypten scheint die Sonne warm auf die
grünen Palmen, und die Krokodile liegen im Schlamm und schauen
faul vor sich hin. Meine Gefährten bauen ihr Nest im Tempel
von Baalbcc, und die weiss- und rotgefiederten Tauben schauen
ihuen zu und girren. Lieber Prinz, ich muss dich verlassen, aber
ich will dich nie vergesseu, und im nächsten Frühling brinco ich
dir zwei schöne Edelsteine wieder für die, die du weggegeben hast
Der Bubin soll idtra sein als eine rote Kose und der Saphir so
bhm wie die grosse See.**
„Dort unten auf dem Ilatz,*^ ssgte der Fkmz, „da steht ein kleines
Streichholzmfidel, die hat ihre HöLser in die Gosse fallen lassen,
und sie sind alle verdorben. Ihr Tater wird sie schlagen, wenn
sie ihm kein Geld heunbringt, und sie wdnt Fidc mir das andere
Auge ans und gib es ihr, und ihr Vater wird sie nicht schlagen.**
„Ich will noch eine Nai^t bei dir bleiben," sagte der Vogel, „aber
ich kann dir dein Auge nicht auspicken. Du wärest dann ]a ganz
blind.«
„Vogel, Vogel, kleiner Vogel,'* sagte der Prinz, „tu wie ich dich
heissa"
Also pickte der Schwälberich dem Prinzen auch das andere Auge
aus und Bog damit weg. Er strich über den Kopf des Mädels hin
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und liess den Edelstein in ihre Hand gleiten. „Was für eine hübsche
Glasscherbe!" rief die Kleine, und lief vergnügt nach Hans.
Darauf kam der Vogel zum Prinzen zurück. „Nun bist du blind,"
sagte er, „so wül ich immer bei dir bleiben."
,,Nein, kleiner Yogel," sagte der arme Prinz, „du musst fort nach
Ägypten."
, Jdi Hill immer bei dir sein," sagte der Sdiwllbeiidi und edili^
za Fttaaen des Frinzen ein.
Am nScfasten Tage setsto er sidi dem Rinna anf die Schalter
imd ecEililte ihm Oescfaiohtan y<m all dem, was er vbl fremden. XMor
dem gesehfisi hattet Er eiaShlte ihm ran den roten IhiSBen, die in
hmgen Beihen an den Nihifem stehen nnd mit ihran Sehnfibehi
Goldfische fangen; Ton der Sphinx, die so alt ist wie die Welt imd
in der Wöste lebt nnd alles weiss; von den Kanflenten, die langiBsm
neben ihren Kamelen einhergehen und Rosenkränze ans Bernstein
in den Händen tragen; vom König des Mondgebirgs, der so schwarz
ist wie Ebenholz nnd einen grossen Kristall anbetet; von der grossen
grünen Schlange, die in einem Palmenbaum schläft und zwanzig
Priester hat, die sie mit Honigkuchen füttern; und von den Pyg-
niäen, die auf breiten, flachen Blättern über einen grossen See segeln
und mit den Schmetterlingen immer im Krieg liegen.
„Lieber kleiner Yogel," sagte der Prinz, „du erzählst mir von wunder-
baren Dingeil, aber wunderbarer als alles ist das Leiden von Mann
und Weib. Kein Mysterium ist grösser als das Elend. Eliege über
meine Stad^ Ideiner Yogel nnd dann erzShle mir, was du darin ge-
sehen hast^
Also floc^ der Schwilberieh Uber die grosse Stadt nnd ssh die
Reichen froh nnd instig in ihren schOnen Hlasem, wahrend die
Bettler an den Toren sassen. Br flog in dunkle Gassen hinab nnd
sah die weissen Gesichter hnngemder Xjnder gldcbgOUig auf die
sdiwarzen Strassen schauen. Unter einem BrQckenbogen lagen
zwei kleine Buben und hielten sich umisohlnngen, um sich anein-
ander zu wärmen. „Wir haben solchen Hunger sagten sie. „Ihr dtirf t
hier nicht liegen," schrie sie der Wächter an, und so wanderten sie
hinaus in den Regen.
' Dann flog der Vogel zurück zum Prinzen und erzählte ihm, was er
gesehen hatte.
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„Ich bin ganz mit feinem Gold bedeckt," sa^e der Prinz, „du
musst es abnelimeii, ülütt lur Blatt, und meinen Amien geben; die
Lebenden glauben immer, dass Gold sie glücklich machen kann."
Blatt mn Katt des feinea Gddea piekte ifam der Yogel ab, bis der
glüöUiche Pdnz ganz gtan und dfistar anasak Blatt um Blatt des
fernen Goldes biachte er m den Amen, und die Gesiehter der
£in.der irnrden roenger, und sie bunten und spielten ihre S^ele
in den Strassen. „Jetzt haben wir Brot!** liefen sie.
Da kam der Sohnee und naob dem Schnee kam dw Iftost Die
Strassen sahen ans, als wfiien sie aus Silber gemacht, so glänzend
nnd glitzernd waren sie; lange Eiszapfen wie kristallne Dolche hingen
von den Dachrinnen herunter; alles ging in dicken Pehsen aas, und
die kleinen Jungen trugen dicke rote Mützen und liefen auf dem Eise.
Dem armen kleinen Schwälberich wurde kälter tmd kälter, aber er
wollte den Prinzon nicht verlassen, denn er liebte ihn zu sehr.
Er pickte Krumen auf vor des Bäckers Tüi, wenn der Bücker gerade
nicht hinsah, und yersuchte sich wann zu halten, indem er mit seineu
Flügeln schlug.
Aber schliesslich wu^te er doch, dass er sterben müsse. Er hatte
gerade noch so viel Kraft, noch einmal dem Prinzen auf die Schulter
zu fliegen. „Leb wohl, guter Prinz I'* sagte er ganz leise, „darf ich
deine Hand küssen?*^
„Ich fron mioh, dass du Jetzt nach Ägypten gehst," sagte der Prinz,
„du bist schon zu lang hier geblieben, kleiner Schwttberich; aber
dn mnsst mich anf den Hund kOssen, denn ich liebe dich."
„Ich gehe nicht nach .Ägypten,** ssgto der SehwXlbeiich. „Idh gehe
in das Bans des Todes. Der Tod ist der Brnder des Schlafes, nicht
wahr?*
Und er kUsste den glüdklichen Prinzen auf den Mond nnd fiel tot
nieder vor seine Füsse.
Da tönte aus dem Innern des Standbildes ein eigentümliches Krachen,
gleich als ob etwas zerbrochen wäre. Das bleierne Herz war mitt^
entzwei geborsten. Es war auch ein strenger harter Prost.
Früh am Morgen des nächsten Tages ging der Bürgermeister mit
den Stadträten über den Platz. Als sie an der Säule vorbeikamen,
schaute er zu dem Standbild hinauf: „Hengott! Wie schäbig der
glückliche Prinz aussieht!'' sagte er.
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„Wirklich schäbig!" sagten die Stadträte, die immer der Ansicht
des Btii^ermeisters waren, und dann schauten sie das Standbild an.
„Der Rubin ist aus seinem Schwort gefallen, seine Augen sind fort^
und vergoldet ist er auch nicht mehr," sagte der Bürgermeister;
„er sieht wahrhaftig nicht viel besser aus als ein Bettler.''
„Wenig besser als ein Bettler," sagten die Bftte.
„Und hier liegt waliiliaftig ein toter Vogel za eeineii Fdssen!** sagte
der BUigenneister. „Wir mdssen -wüMch eine Bekanntmachiuig
eilasseii, dass es Vögeln nioht erienbt ist, hier za sterben.*' Und
der StsdtBcfareiber notierte diesen Yorsefalag.
So irmde das Standbild des glücklichen Prinzen abgebrochen. „Da
es nicht mehr schön ist, hat es auch keinen ntUdichen Zweck
mehr," sagte der Kunsthistoriker der Universität
Kieraui wurde die Statuo in einem Brennofen geschmolzen, nnd
der Bttigermeister berief eine Yeisammluig, die entscheiden sollte,
was mit dem Metall zu geschehen habe. „Wir müssen natürlich
ein andoros Denkmal haben," sagte er, |,und das mnaa ein Denkmal
Yon mir sein."
„Von mir," sagte jeder der Stadträte, und sie zanlrten sich. Als ich
das letztemal von ihnen hörte, zankten sie sich noch immer.
„Wie sonderbar!" sagte der Werkführer in der Schmelzhütte „Dieses
gebrochene Bleiherz will nicht schmelzen. Wir müssen es weg-
werfen, wie es ist" So warf man es auf einen Kehrichthaufen, auf
dem auch die tote Schwalbe lag.
„Bring mir die bmden kostbarsten Dinge in der Stadt,*' sagte Gott
zn einem seiner Engel; und der Engel fantohte ihm das bleieme
Eeis nnd den toten VogeL
yfixL hast ledit gewShlt^'* sagte Gott^ ^denn in meinem Faxadiee-
garten wird dieser kleine Togel fOr alle Zeiten singen, nnd in
meiner goldenen Stadt wird der glückliche Fsmz mich lobpreisen.**
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DIE NACHTIGALL UND DIE KOSE
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IE sagte, sie wünk; mit mir tanzen, wenn
ich ihr rote Rosen brachte," rief der
junge Student; „aber in meinem ganzen
Garten ist keine rote Bose."
In Quem Fest auf dem Biohlwiim hörte
Um die Nschtigall, gackle ATotk das
Laub xmd wunderte dch.
„Keine rote Bose in meinem ganzen
Garten!** rief er, nnd seine aäitoen
Augen waien voll TrSnen. ^ob, an was für kleinen Dingen
das Qlttck hingt! Alles haV ich gelesen, was weise
Männer geschrieben haben, alle Geheimnisse der Philo-
äophie sind mein, und wegen einer roten Bose ist mein
Leben unglücklich und elend/'
„Das ist endlich einmal ein treuer Liebhaber," sagte die
Nachtigall. „Nacht für Nacht hab' ich von ihm gesungen, ob-
gleich ich ihn nicht kannte; Nacht für Nacht hab' ich seine
Geschichte den Sternen erzählt, und nun seh' ich ihn. Sein
Haar ist dunkel wie die Hyazinthe, und sein Mund ist rot wie
die Rose seiner Sehnsucht; aber Leidenschaft hat sein Gesicht
bleich wie Elfenbein gemacht, und der Kummer hat ihm sein
Siegel Hul die Stirn gedrückt."
„Der Prinz gibt morgen nacht einen Ball," sprach der junge
Student leise, „und meine Geliebte wird da sein. Wenn idh ihr
eine rote Bose bringe, wird sie mit mir tanzen bis sum Morgen.
Wenn, ich ihr eine rote Bose bringe, wird sie ihren Kopf an
meine Schulter leimen, und ihre Hand wird in der meinen
liegen. Aber in meinen Garten ist keine rote Bose^ so werde
ich einsam sitzen, und sie wild an mir Tortlbeigehea. Sie wird
meiner nicht achten, und mir wird das Herz brechen."
,J)as ist wirklich der treue Liebhaber," sagte die Nachtigall.
„Was ich singe, ura das leidet er; was mir Freude ist, das ist
ihm Schmerz. Wahrhaftig, die Liebe ist etwas Wundervolles.
Kostbarer ist sie als Smaragde und teurer als feine Opale. Perlen
und Granaten können sie nicht kaufen, und auf den Märkten wird
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sie nicht feil^'clHjten. ISio kann von den "FTauflenten nicht gehandelt
werden und kann nicht für Gold ausgewogen werden auf der Wage."
,^ie Musikanten werden auf ihrer Galerie sitzen," sagte der junge Stu-
dent, „Tind auf ihren Saiteninstrumenten spielen, und meine Liebe wird
zum lilang der Harfe und der Geige tanzeu. So leicht wird sie tanzen,
dass ihre !Füsse den Boden kaum berühren, imd die Höflinge in ihren
bunten Gawindem weiden elcfa mn. sie eobeieiL Abw mit mir wird
sie nicht tanzen, denn ich habe keine lote Boso für eie;" nnd er
warf Bich ins Gras, baig sein Gesicht in den HÜindea nnd weinte.
^Weshalb weint er?^ ftagte eui kleiner giUner Etdechs, wittnend
er mit dem Schwänzchen in der Luft an ihm Yoibeiliel »Ja warum?**
fragte ein Sdhrnettenling^ der einttn Sonnenstrahl nachjagte.
,,Er weint um eine rote Bose," sagte die NachtigalL
„Um eine lote Boee!" riefen alle; „wie läoheiüch!" und der kleine
Eidechs, der so etwas wie ein Cyniker war, lachte überlaut
Aber die Nachtigall wusste um des Studenten Kummer und sass
schweigend in dem Eichbanm und sann über das Geheimnis der Liebe.
Plötzlich breitete sie üiro braunen Flügel aus und flog- fluf. Wie
ein Schatten huschte sie durch das Gehölz, und wie ein bch&tten
flog sie über den Gai'ten.
Da stand mitten auf dem Basen ein wundoryoHer Bosenstock, und als
sie ihn sah, flog sie auf ihn zu und setzte sich auf einen Zweig.
„Gib mir eine rote ßose," rief sie, „und ich will dir dafür mem
süssestes Lied singen.*^
Aber der Stranch schüttelte seinen Kopf. „Meine Bosen sind weiss,**
antwortete er; „so weiss wie der Schaum des Heeies nnd weisser
als der Schnee auf den Beigen. Aber geh zn memem Brader,
der sich nm die alte Sonnenahr rankt, der gibt dir Tielleioht^ was
du veziangst**
So flog die Nachtigall hinüber sa dem Bosenstraucli bei der
alten Sonnenuhr.
„Gib mir eine rote Bose,** lief sie, „imA ich will dir dafür mein
süssestes Lied singen."
Aber der Strauch schüttelte seinen Kopi
„Meine Bosen sind gelb," antwortete er; „so gelb wie das Haar der
Mocrjun £rfrmi, die auf einem Bemstoin throne sitzt, und jrclber als die
gelbe l<aizisse, die auf der Wiese blüht, bevor der Mäher mit seiner
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Sense kommt Aber geh m memem Bmder, der unter des Studen-
ten Fenster Utthf^ imd ▼ielleicht gibt der dir, was dn Terlangst"
So flog die NachligaU som Bosenslmioh unter dee Stadenten Fenster.
„Gib mir eine rote Böse»** rief 8ie, „nnd ioh will dir dafür mein
sOseesfeB lied Bingen.**
Aber der Bosenstnuieh sdiüttolie den Eopl f^Udne Bosen sind rot,**
antwortete er, yfio rot -wie die FOsse der Unibe und iGter als die
Korallenfächer, die in der Meergrotte fächeb. Aber der Winter
machte meine Adern erstarren, der Frost hat meine Knospen zer-
bissen und der Stnim meine Zweige gebrochen, nnd so hab' ich
keine Bosen dies ganze Jahr/^
„Nur eine einzige rote Rose brauch' ich," rief die Nachtigall, „nur eine
rote Rose! Gibt es denn nicht?, dass ich eine rote Rose bekoramo?''
„Ein Mittel gibt es," antwortete der Baum, „aber es ist so schreck-
lich, dass ich mir es dir nicht zu sagen traue."
„Sag es mir," sprach liio Nachtigall, „ich fürchte mich nicht"
„"Wenn du eine rote Rose haben willst," sagte der Baum, „dann
musst du sie beim Mondlicht aus Liedern machen und sie färben
mit deinem eignen Herzblut Du musst für mich singeu und
deine Brost an emen Dom preeaeB. Die ganae Nacht mnsst du
singen, nnd der Dom mnss dein Biax dtONshbohien, nnd dein
Lebensblat mnss in meine Adern flieesen nnd mein werden.^
,J)er Tbd ist ein hoher Treis für eine rote Boso," sagte die
NachtigaU, „nnd das Leben ist allen sehr teuer. Es ist lustig, im
grttnen Wald zu sitzen und die Bonne in ihrem goldenen Wagen
SU sehod und den Kond in seinem Perlenwagen. Süss ist der Duft
des Weissdrans, nnd süss sind die Glockenblumen im Tale und das
Heidekraut auf den Hügeln. Aber die Liebe ist besser als das
Leben, und was ist ein Vogelherz gegen ein Menschenherz?"
So breitete sie ihre braunen Flügel und flog aul Wie ein Schatten
schwebte sie tiber den Garten, und wie ein Schatten huschte sie dnrch
das Gehölz.
l)a lag noch der junge Student im Gras, wie sie ihn verlassen hatte,
und die Tränen seiiicr schönen Augen waren noch nicht getrocknet
„Freu dich," rief die Nachtigall, „freu dich; du sollst deine rote
Rose haben. Ich will sie beim Mondlicht bilden ans Liedern und
färben mit meinem eignen Herzblut Alles, was ich you dir da-
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für Terlange, ist, daw du deiner Liebe traa Udbea soUst, denn
die Uebe ist weiser als die Philosophie, wenn die «oeh weise is^
und mfitihtiger als lUoht^ wenn die aoich miohtig ist nanunbrbea
sind ihre Slfigel nnd flanmUuben ist ibr Leib. Ihre Lippen sind
süss wie Honig, imd ihr Atem ist wie Weiliranoh.*'
Der Stndent bückte ans deni Onse auf und horehte, aber er
konnte nioht TSisteben, was die Nachtigall an ilun sprach, denn
et Terstand nur die Bttcher.
Aber der Eichbaum verRtaud und ward traarig, denn er liebte die
kleine Nachtigall sehr, die ihr Nest in seinen Zweigen gebaut hatte.
„Sing mir noch ein letztes Lied," flüsterte er; „ich werd' mich
sehr einsam fühlen, wenn du fort bist" Und die Nachtigall sani:;
für den Eichbaam, und ihre Stimme war wie Wasser, das aas einem
silbernen Krugo rinnt.
Als sie ihr Lied geendet hatte, stand der Student auf and nahm
ein Notizbuch und einen Bleistift aus der Tasche.
„Sie hat i^rni," sagte er zu sich, als er aus dem Gehölz schritt,
„ — sie hat ein Formtalent, das kann ihr nicht abgesprochen werden;
aber ob sie aodi GefObl hat? Ich fdrehte nein. Sie wird wohl
sdn wie die meisten Kflnettar: ailee nur Stil nnd keine echte
Innerliohkdt Sie würde sich kaom für andere opfern. Sie denkt
Yor allem an die Musik, und man weiss ja, wie egoistisoh die
Künste sind. Aber zugeben moss man, sie hat einige schöne
Töne in ihrer Stimme. Schade, daas sie gar keinen Sinn haben,
nichts ausdrücken und ohne praktischen Wert sind." Und er ging
auf sein Zimmer und legte sich auf sein sohmaiee Feldbett und
fing an, an seine Liebe zu denken; bald war er eingeschlafen.
Und als der Mond in den Himmeln schien, flog die Nachtigall zu
dem Rosenstrauch und prcsste ihro Brust gegen den Dom. Die
ganze Nacht sang sie, die Brust gegen den Dorn gepresst, und df^r
kalte kristallne Mond neigte sich herab und lauschte. Die ganzf
Nacht sang sie, und der Dom drang tiefer und tiefer in ihre
Brust, und ihr Lebensblut sickerte weg Ton ihr.
ZucKt faiiug sie von dem Werden der Liebe jji dem Herzen eines
Knaben und eines Mädchens. Und au der Spitze des Eosen-
strauchs erblühte eine herrliche Kose, Blatt reihte sich an Blatt
wie lied auf Lied. Erst war ne bleich wie der Nebel, der über
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dem Fluss hängt — , bleich wie die Füsse des Morgens und sil-
bern wie die Flügel dos Dämmers. Wie das Schattenbild einer Rose
in einem Silberspief^el, wie das Schattenbild einer Eose im Teicho,
so war die Kose, die aufblühte an der Spitze des Kosenstocks.
Der aber rief der Nachtigall zu, dass sie sich fester noch gegen
den Dorn presse. „Drück fester, kleine Nachtigall," rief er, „sonst
bricht der Tag an, bevor die Eose vollendet ist." Und so drückte
die Nachtigall sich fester gegen den Dom, \ivA lauter und lauter
wurde ihr laed, denn sie sang uuu von dem Erwachen der Lei-
denBohaft in der Seele von Mann und Weib.
Und ein sartos Bot kam auf die Blätter der Boee, wie das Er-
xOten auf das Antlits des Biftutigams, wenn er die Uppen seiner
Biaut küBst Aber der Dom hatte ihr Ken noch nicht getioffen,
und so b£eb das Hans der Bose weissi denn bloss einer Nachti-
gaU Hezzblnt kann das Hers einer Bose filiben. Und der Baum
rief der Naohttgall zu, dass sie sich fester noch gegen den Dom
drficke. „Drück fester, kleine N'aohtigal],** rief er, ,^onst ist es Tag,
bevor die Eose vollendet ist"
Und so drückte die Nachtigall sich fester gegen den Dom, und
der Dom berührte ihr Herz, und em heftiger Schmerz durch-
zuckte sie. Bitter, bitter war der Schmerz, und wilder, wilder
wurde das Lied, denn sie sang nun von der Liebe, die der Tod
verklärt, vnn der Liebe, die auch im Grabe nicht stirbt. Und die
wundervolle Ruse färbte sich rot wie die ßose des östlichen Himmels.
Rot war der Gürtel ihrer Blätter und rot wie ein Rubin war ihr Herz.
Aber die Stimme der Nachtigall wurde schwächer, und ihre
kleinen Flügel begaiuieu zu flattern, und ein leichter Schleier
kam über ihre Augen. Schwächer und schwächer wurde ihr
lied, und eie fühlte etwas in der Eehle.
Dann schluchzte sie noch einmal auf in letzten Tönen. Der weiese
Mond hörte es und er Yoigass unterzugehen und verweilte am
HimmeL Die rote Bose hörte es und zitterte ganz Tor Wonne
und öffiiete ihre Blitter dem kflhien lloigenwind. Das Echo trug
es in seine Porpurhöhle in den Beigen und we<Ate die schla-
fenden Schäfer aus ihren Träumen. ^ schwebte über das Schilf
am Fluss, und der trug die Botschaft dem Meere zu. „Sieh, sieh!"
rief der Bosenstrauoh, „nun ist die Bose fertig;** aber die Hachtigatl
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p'dh keine Aatwort, denn sie J«g tot im hohen Qias, mit dem Born
im Heraen.
Um Mittag öffnete der Student sein Tenster und blickte hinaus.
„Was für ein Wunder und Glück rief er; ,,(la ist eine rote
Kose! Nie in meinem Leben hab' ich eine solche Rose gesehen.
Sie ist so schön^ ich bin sicher, sie hat einen langen lateinischen
Nunea;** und er lehnte sich hinaus und pflückte da Bann setzte
er seinen Hat «nf und lief dem ErofesBor ins Hans^ mit der Boee
in der Bind.
Jka FtofeBBoro Tochter sass in der Einfahrt nnd wand blaae Seide
auf eine Spnle^ imd ihr HOndflben lag ihr zu EOasen.
nlhr sagtet, Hu wflrdet mit mir tuizen, wemi ich Eadi eine zote
Bose brädite^** sagte der Staden! „ffier Ist die irOtssts Rose der
Welt Tragt de heut abend an Eurem Herzen, imd wenn -wir
zusammen tanzen, «iid de Euch erzählen, wie ich Euch liebe."
Aber das Mädchen verzog den Mund. „Tch fürchte, sie passt nicht
zu meinem Kleid," sprach sie; „und dann hat mir auch der Neffe
des Kammerherm echte Juwelen geschickt, und das weiss doch jeder,
dass Juwelen mehr wert sind als Blumen."
„Walirhaftig, Ihr seid sehr undankbar " rief der Student e^ereizt;
und er warf die Kose auf die Strasse, wo sie in die Gub.^o fiel,
und ein Wagenrad ging darüber. „Undankbar?" sagte das Mädchen.
„Ich wiD Euch was sagen, Ihr seid sehr ungezogen; und dann —
wer seid Ihr eigeutlich? Em Student, nichts weiter. Ich glaube,
Ihr habt nicht einmal Silberschnallen an den Schuhen, wie des
Kammeiiieim Neffe.*^ TTnd de stand anf and gmg ins Haas.
ifWie domm ist doch die Idebe,** sagte dch der Stadent, als er
fortging. „8ie ist nicht halb so nütdich wie die Logik, denn de
beweist gar nichts nnd q^xieht einem immer von Bingen, die
nicht geadiehen werdm, nnd Usst einen Dinge glanben, die nidit
wahr sind. Sie ist wirklich etwas gams ünpraktiBdieB, nnd da in
unserer Zeit das Praktische alles ist, so geh' ich wieder zur
Phüosiiphie und studiere Metaphysik." So ging er wieder auf sdn
Zimmer nnd liolte ein groasea staubiges Bach herror nnd begann
za lesen.
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DER EGOISTISCHE BI£S£
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N jedem Nachmittag, wemi die Kinder aus
der Schule kamen, gingen sie in den
Garten des Eiesen und spielton da.
Es war ein grosser hübscher Garten mit
weichem grünen Gras. Hier und da auf
dem Käsen standen schöne Blumen "wie
Steme, und da waren auch zwölf Pfirsich-
bäume, die im RrtthÜDg zart roea und
perlweias btehten mnd im Eerbet zoiohe
Fracht tragen. Die Tögel sasseiL auf den B&umen imd
sangen so süss, dass die Euider immer wieder in ihren
Spieteii imiebielten, nm zu ianwshen. »Wie gificUich wir
hier doch sindP xkifeE ale einander zu.
Eines Tages kam der Biese nach Eaoa. Er war anl Be-
such bei seinem Freund, dem gehörnten Menschenfresser
n und sieben Jahre bei ilmi geblieben. Als die sieben
Jahre um waren, war alles gesagt, was er ihm zu sagen hatte,
denn seine Gesprächsstoffe waren sehr beschränkt und so boschloss
er, auf sein eigenes Schloss zurückzukehren. Als er nach Hause
kam, sah er die Kinder in seinem Garten spielen.
„Was tnt ihr hier?" riet er sehr mürrisch, und die Kinder liefen
weg. „Mein Garten, das ist mein Garten,*' sagte der Riese, „das
sieht jeder ein, und ich erlaube niemandem sonst darin zu spielen
als mir selber." Also baute er eino muchtigü flauer ringsum
und stellte eine Warnungstafel auf.
UNBEFUGTES BKTRKTOX DIESES GRUNDSTÜCKS
IST BEI STRAFE VERBOTEN.
Er war ein sehr egoistischer Riese.
Die armen Kinder hatten jetzt nichts mehr, wo sie spielen konntmL
Sie Versuchtens auf der Landstrasse, aber die Landstrasse war
sehr staubig uru] steinig, und sie mochten sie nicht leiden. So gingen
sie also, wenn die Schule aus war, um die grosse Mauer herum
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und sprachen von dem schönen Gaxton dahinter. »Wie glücklich
waren wir da,'' sagten sie zueinander.
Dum kam d«r XrflhJing, imd Uber der gumea Oegend waren kleine
BlOlen und kleine Y^geL Bloss in dem Garten des egoistischen
Biesen blieb es Winter. Die Yögel machten sich nichts daraus,
darin za singen, weil keine Sjnder da waren, und die BKome Ter-
gassen am bltthen. länmal steckte eine schöne fihime ihr Sdpfohen
aus dem Gras hervor, aber ab sie die Wammigstafel sah, war sie
so betrübt mn die Kinder, dass sie wieder in den Boden hinein-
schltipfte und weiteischlief. Die cinziE^on Txsiite, die sich freuten,
waren der Schnee und der £!rost „Der Erühling hat diesen Garten
vergessen," riefen sie, ,,so wollen wir hier das ganze Jahr hindurch
loben." Der Schnee deckte das Gras mit seinem grossen weissen
Mantel und der Frost bemalte alle Bäume silbenveiss. Dann luden
sie den Nordwind ein, bei ihnen zu wohTT^n, und er kam. Er war
in Pelze ganz emgehüUt, und brüllte den ganzen Tag durch den
Garten und blies die Schornsteine herunter. „Das ist ein ganz
herrlicher Platz," sagte er, „wir müssen den Hagel auf eine Visite
bitten." Und so kam der Hagel. Jeden Tag prasselte er drei Stunden
lang auf das Schlossdach herunter, bis er fast alle Schieferplatten
zerbrochen hatte, und dann lief er rund um den Garten so schnell
er nur konnte. Er war ganz grau angezogen, mid sdn Atem, war
wie Eis.
„Ich versteh nidi^ warom der FrOhlmg so spSt komm^** sagte der
egoistische Biese, als er am S^enster sass und auf schien kalten
weissen Garten huionter sab. „Ich hoffe, das Wetter Ändert sich bald.**
Aber der Frühling \am nie und auch nicht der Sommer. Der
Herbst gab jedem Garten goldene Früchte, aber dem Garten des
Biesen gab er keina „£r ist zu egoistisch," sagte er. So war es
da immer Winter, und der Nordwind und der Hagel und der Prost
rtnd der Schnee tanzten um die Bäume.
Eini s Morgens lag der Riese wach im Bette, als er eine liebliche
Musik vernahm. Es klang so süss an seine Ohren, dass er dachte,
die Musikanten des Königs zögen vorüber. Aber es war bloss ein
kleiner Hänfling, der vor seinem Fenster sang, nur hatte er so lange
keinen Vogel mehr in seinem Garten sinpen hören, dass es ihm wie
die schönste Musik der Weit vuikum. Da hörte der Hugei auf
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über eoinem Eopf na tmzen und dei Nordwind zu blasen, und ein
kösdicber Duft kam zu itun duidi den geöffoeten Fensteiflfigel.
,^eh glanb«! der ArObling ist endfich gAßtamatj*' sagte der Biese;
und er spnmg aus dem Bett und schaute hinaus.
TTnd was sah er?
Er sah was gans Wondexbarea Dnzdi ein Memea Loch in der
Uaner waren die Kinder hereingekroehen und sassen in den Zweigen
der Bäunio. Tn jcdeni Bsimiy den er sehen konnte, sass ein kleines
Kind. Und die Bäume waren so froh, die Kinder wieder bei sich
zn haben, dass sie sich ganz mit Blüten bedeckt hatten und ihre
Arme anmutig über den Köpfen der Kinder bewegten. Die Yögel
flogen umhor und zwitscherten vor Entzücken, imd die Blumen
giiokten aus dem grünen Gras hervor und lachten. Es war ent-
zückend anzusehen, und nur in einem Winkel war es noch Winter,
nnd dort stand ein kleiner Junge. Er war so klein, dass er nicht
an die Äste hinaufreichen konnte, und er lief immer um den Baum
herum und weinte bitterlich. Der arme Baura war noch ganz be-
deckt mit Frost und Schnee, und der Nordwind blies und heulte
ttber iluQ. nKlettre herauf, kleiner Junge,'' sagte der Baum und
8«ikte seine Äste so tief er konnte, aber der Junge war zn Uein.
Da wurde des Riesen Hers weich, als er das sah. »»Wie egoistisch
ich doch war!'* sagte er; ,jetzt weiss ich, weshalb der Erfihling
nicht hiexfaer kommen wollte. loh will dem armen Ueineii Jungen
auf den Banmwipfd helfen, und dann will ich die Mauer umwerfen,
und mein Qaiteii soll fflr alle Zeit der Spielplatz der Kinder sein."
Er war wirklich sehr betrübt über das, was er getan hatte.
So schlich er hinunter und öffnete ganz leise das Tor und trat in
den Garten. Aber als die Kinder ihn sahen, erschraken sie so, dass
sie alle wegliefen und im Garten wurde es wieder Winker. Bloss
der kleine Junge lief nicht weg, denn seine Augen waren so voll
Tranen, dass er den Riesen nicht kommen sah. Und der lliese
kam leise hinter ihm heran, nahm ihn zärtlich auf seine Hand und
setzte ihn hinauf in den Baum. Und sogleich fing der Baum zu
blühen au und die Vögel kamen und sangen in ihm, und der kleine
Junge breitete seine Ärmchen aus, schlang sie um den Hals des
Biesen und küsste ihn auf den Mund. Und wio die andern Kinder
sahen, dass der Biese nicht mehr böse war, kamen sie schnell zu-
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rftckgolanfen und mit ihnen kam ancih d«r FMhling. ,,Der Qartea
gebölt jetst euch, Ehidexlem,** sagte der Biese, imd er nahm eine
grosse Axt und hieb die Haner nm. ünd als die Leute um zwölf
sn Harkt gmgeiif saben sie den Biesen mit den Kindern qrfelfin,
in dem schönsten Garten, den sie je geschmt hattsn.
Den ganzen Tag spielten sie und am Abend kamen sie som Biesen
und sagten ihm eine gute Nacht
,^ber wo ist denn euer kleiner Kamerad?" fragte er, „der Jungo^
dem ich aiif den Baum geholfen habe?^ Der Biese liebte ihn am
meisten, weil der ihn e'eViisst hatte.
„Wir Wissens nicht," antworteten die Kinder, „er ist fortge^ngen."
„Ihr müsst ihm sagen, er soll sicher m'>rt,'Oii wiederkommen," sagte der
Riese. Aber die Kinder antworteten, sie wüssten nicht, wo er wuline und
sie hätten ihn zuvor nie gesehen; da wurde der Riese sehr traurig.
Jeden Nachmittag nach Sclüuss der Schule kuiueii die Kinder und
spielten mit dem Riesen. Aber der kleine Knabe, den der Kiese
so liebte^ Hess sich nie mehr sehen. Der Riese war sehr gut mit
den Sindem, aber er sehnte sich nach sdnem kleuien Xlrennde nnd
sprach oft von ihm. „Wie gern möcht ich ihn iriederaehn!** sagte
er immer nnd immer.
Jahre yeigingen, nnd der Biese wurde sehr alt und schwach. Er
komite nieht mehr nnten mit den Eindem spielen, nnd so sass er
in seinem mSofatigen Aimstohl und sah ihnen xn nnd ireafee sich an
seinem Garten. „Ich habe viele schöne Blumen," sagte er; „aber
die allerschönsten Blumen Ton allen sind die Eindiac.*^
An einem Wintennorgen sah er beim Ankleiden ans seinem Fenster.
Jetzt hasste er den Winter nicht mehr, denn er wnsste, dass der
Frühling nnr 'schlief und die Blumen sich ausruhten.
Plötzlich rieb er sich verwundert die Augen und sah und sah. Es
war wirklich ein wundersamer Anblick. Im fernsten Winkel des
Gartens war ein Baum ganz bedeckt mit lieblichen weissen Blüten.
Seine Äste waren lauter Gold und silberne Früchte hingen an ihnen,
iiüd darunter stand der kleine Knabe, den er so geliebt hatte.
Hoch erfreut eilte der Riese die Treppe hinunter und in den Galten.
Er lief über den Basen anf das ^d so. Und ab er ihm gans
nahe gekommen war, werde sein Gesicht rot tot Zorn nnd er si^:
„Wer hat es gewagt, dich m yerwunden?* Demi an den Hand-
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flächen des Kindes waren Male von zwei Nägeln, und Male Ton
zwei Nägeln waren an den kleinen Füssen.
„Wer hat es gewagt, dich zu verwunden?" rief der Kiese; „sag es
mir, damit ich mein grosses Schwert nehme und ihn erschlage."
^,Ach nein," antwortete das £ind: „dies sind die Wunden der
Liebe."
„Wer bist du?" sagte der Biese und eine seltsame Scheu überkam
ihn, und er kniete nieder vor dem Ueinen Kinde^
ünd das Etnd Uohelte den Biesen an nnd spnMilk za flun: ,|Du
liessest mich einst in deinem Garten spielen, heute sollst da mit
mir kommen in meinen Garten, in das Paradies."
Und als die Kinder an diesem Nachmittag liereinBtQimten, da fanden
sie den Biesen tot unter dem Bamne liegen nnd gans bedeckt mit
weissen Blttten.
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D£R EBG£B£N£ FREUND
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Morgens steckte der alte WaaBemb
den Kopf aus seinem Loch beniia. Er
hatte kleine runde glänzende Angen und
einen steifen grauen Sdinnirbait, und sein
Schwanz war ein langes Stliek schwarzer
Kautschuk. Die kleinen Baten schwammen
auf dem Weiher herum und sahen genau
aas ^ie eine Schar gelber Kanarienvdgel;
ihre Mutter, die schön weiss war und
wirkliche rote Beine hatte, verBUchte ihnen das Kopfstehen
im Wasser beizubringen.
„Ihr werdet nie in der liesten Gesellschaft verkehren,
wenn ihr nicht auf dem Kopf stehen könnt," wiederholte
sie ihnen immer wieder und zeigte ihnen ininK r wieder,
wie sie es machen solltea. Aber die kleinen Enten schenkten
r gar keine Aufmerksamkeit Sie waren so jung, dass sie gar
mcht wussten, vun welchem Vorteil es ist, in der besten Gesell-
schaft zu verkehren.
^Was für anfolgsame Kinder!" rief der alte Wasserratz; ^e ver-
dienten wabzhaftig, dass man sie ersöffe.*
Q „Durdiaus nidit,'* sagte die Bntmunama, „aller Anfang Ist schwer,
und Eltern können nie zu geduldig sein."
»Awas!** sagte der Wassenatz, jjuk kenne keine elterlichen OefOhle
und hin kein FamflienmensdL loh war niemals Terheiiafcet und
denke auch gar nicht dzan. Die LIeibe, das mag ja in seiner
Art ganz sdbiön sein, aber die Freundschaft steht doch viel höher.
Ich wüsste wahrhaftig nichts Edleres oder Seltneres in der Welt
als eine treue Freundschaft"
„Und was, ich bitte Sie, ist denn Ihre Idee von einer treuen
Freundschaft?" fragte ein Grünspecht, der nahebei in ein^ Weide
sass und die Unt-irbfilrung gehört hatte.
„Das möchte irli auch wissen/' sagte die Ente, schwamm an das
andere Ende des Weihers und stand da Kopf, um ihren Kindern
ein gutes Beispiel zu geben.
„Dumme Frage!" rief der Wasserratz. „Ein treuer Freund, der
muäs mir eben einfach treu sein.^^
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„TTnd was wflidea Sie ihm dtfOr bieten?^ sagte der kleine Tegel,
indem er sich auf ein sübiiges Istchen schwang und mit den
nfigebi wippte.
,Jch yersteh* Sie nicht,** antwortete der Wassermtz.
yldi will Ihnen eine Geschichte darüber etzählen,** sagte der GrQn-
Specht
,,Bjuidelt die Geschichte yon mir?'^ fragte der Wasserratz. „Wenn
sie von mir handelt, will ich zuhören, denn ich liebe Romane
sehr."
„Sie lässt sich auf Sie anwenden," sa?-te der Grünspecht; und er
flog boruntor, liess sich am, Uier nieder und erzählte die Geschichte
vom Ergebenen Freund.
,^s war einmal ein braver kleiner Kerl namens Hans."
„War was Besonderes an ihm ?" fragte der Wasserratz.
„Nein," sagte der Grünspecht, „ich glaube nicht, dass irgend was
Besonderes an ihm war ausser sein gutes Herz und sein lustiges
nmdes Gesicht Er lebte ganz allein in einem kleinen Häuschen
imd arbeitete jeden Tag in seinem Garten. In der gamen Gegend
war keuL Garten so schön wie der seine. Bfischelndken wuchsen
da imd Levkoien nnd Tesebelkniit nnd Hahnenfuss. Da gab es
gelbe nnd Damasoener Bosen, Gtocds und pnrpome nnd weisse
Teilchen. Ealombinen und Sehanmknnt, Majoran und Basilien,
Primeln mid Lilien, Nandssen nnd Gewtinnelken blühten und duf-
teten, wie die Monate kamen und eine Blnme der andern Fiats
nahm, so dass es immer was Schönes su sehen und was Ange-
nehmes cu riechen gab.
„Der kleine Hans hatte eine grosse Menge Freunde ; aber der
treueste von allen war der grosse Müllerhugo. Ja so ergeben war
der reiche Müller dem kleinen Hans, dass er nie an dessen Garten
vorüberging, ohne sich über den Zaun zu lehnen und sich einen
grossen Strauss oder eine Handvoll süsser Kräuter zu pflücken,
oder sich die Taschen mit Pflaumen oder Kirschen zu füllen, wenn
Obstzeit war.
„Wahre Freunde sollen alles gemeinsam haben," pflegte der Müller
zn sagen, und Klein Hans nickte dazu nnd lächelte nnd war sehr
stolz darauf einen Freond mit so Tomehmen Gedanken zn haben.
„Manchmal meinten die Hachbam wohl, es sei seltsam, dass der
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reiche Müller dem kleinen iians nicht auch einmal was schenke,
obwohl er doch in seiner Mühle hundert Säcke Mehl aufgestapelt
bitte und Bechs UilolLkfihe im Stall und «ine grosse Schafherde.
Aber Hans zerbrach sich nie seinen Kopf Über all das, und nichts
machte ihm mehr Fieadet als den wunderrollen Ansspraohen au
lauschen, die derUQller über die Selbstlosigkeit der wahren Freund-
Bohaft tat
^ arbeitete der kkine Hans immeiza m seinem Garten. Im Eriih-
ling, im Sommer und im Herbst war eir sehr ^ficklich, aber wenn
der Winter kam und er weder lachte noch Blumen auf den Maifct
SU bringen hatte, da litt er redit unter EBlte und Hunger, and
er musste oftmals zu Bett, ohne was anderes gegessen zu haben
als ein paar getrocknete Birnen oder einige harte Nüsse. Im Winter
war er auch sehr einsam, denn nie kam da der Müller zu ihm.
„Es hat gar keinen Sinn, dass ich den kleinen Hans hnsnrhe, so-
lange der Schnee lipprt," pfloerte der Müller zu seiner Frau /ii sagen,
„wenn Menschen Sorgen haben, muss man sie mit sich allein lassen
und nicht mit Besuchen belästigen. Das ist wenigstens meine An-
sicht von Freundschaft, und ich weiss, sie ist die rechte. Daher
will ich lieber warten, bis es Fmhling ist, und ihn dann aufsuchen.
Dann kann er mir auch einen grossen Eoib roll Primeln schenken,
und das wird üm ganz j^oiklidi machen.^
„Du sorgst dich wirklich sehr umändere,'^ sprach die MfUlerin, wäh-
rend sie in ihrem bequemen Armstnhl am hellen Kaminfeuer sass;
„wirUieh, du sorgst dich sehr Tiel. Es ist ein Genuas, dich über
üreundsdiaft reden zu hören. Ich bin fest überzeugt, dass nicht
einmal der Ffairer so sohOne Dinge darüber sagen kann wie du,
ol^leich er doch in einem dreistöckigen Haus wohnt und einen
goldenen Kng am kleinen Finger trägt"
„Aber könnten wir nicht den kleinen Hans einmal zu uns herauf
bitten?" fragte des Müllers Jüngster. „Wenn der arme Hana in
Not ist, will ich ilun die Hälfte von meiner Bohnensuppe geben
und ihm meine weii>sen Kaninchen zeigen."
„Was für ein dummer Bub du bist!" rief der Müller; „ich weiss
wahrhaftig nicht, wozu ich dich in die Schule schicke. Du scheinst
da gar nichts zu lernen. Siehst du nicht ein, dass der kleine Hans,
wenn er da zu uns käme, unser warmes Feuer, unser Essen und
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den Krug mit Rotwein sähe, dass er dann leicht neidisch werden
könnte? Und der Neid ist etwas sehr Böses nnd verdirbt den
Charakter. Ich werde es nie erlauben, dass llanseus Charakter
verdorben würde. Ich bin sein bester Freund nnd werde immer
über ihn wachen und darauf sehen, dass er in keinerlei Versuchung
geführt wird. Ausserdem würde mich Hans, wenn er herkäme,
Tielleloht um einen Sack Mehl auf Borg bitten, und das kdniite
i<di nidit ton. Mehl ist ein Ding und Freundaohaft ein andere^
und man aoU die beiden nicht duroheinander bxingeo. Die Wofrte
weiden ganz Teraohieden bnchsfabiert und bedeuten auch was gans
VevBchiedeneB. Das sieht jeder waJ*^
«Wie 8ch0n da spiiofast^*' sagte die HfiUerin und schenkte sich ein
grosBOB Glas voll Wambior em; bin schon ganz sehlXfrig, es
ist genau so, als wäre num in der Kirche."
«Lente^ die gut handebi, gibt's eine Menge," antwortete der Müller,
j^ber nur ganz wenige sprechen gut, woraus erhellt, dass Sprechen
von den beiden Dingen das weit schwierigere ist und auch das
weit feinere." Und dabei sah er streng über den Tisch auf seinen
kleinen Sohn, der beschämt den Kopf hängen li^s, purpurrot wurde
und in seinen lee hinein zu weinen anhub. Aber er war ja noch
so klein, und so darf man ihm das nicht übel nehmen.
„Ist die Geschichte aus?" fragte der Wasserratz.
„Keine Spur," antwortete der Grünspecht, „das ist der Aufaug."
„Dann sind Sie sehr veraltet," sagte der Wasserratz. „Jeder gute
Bomanschzeiber fängt heutzutage mit dem Ende an, Ifisst dann den
Anfang folgen und schliesst mit der Mitta Das ist die moderne
Methode. Ich hOite alles darfiber ganz genau neulich einmal tou
einem Exitikei^ der mit einem jungen Mann um den Tuch hemm
spazierte. Er sprach sehr ansföhrHoh Aber den Oegenstand, nnd
idi bin fest ttberzeugt, dass er in allem recht hatte, demi er hatte
blaue Brillen und eine Glatze, und so oft der junge Mami eine
Bemerkung machte, antwortete er immer nur ,Bah!' Aber erzählen
Sie bitte weiter. Ich liebe den Müller ungeheuer. Ich habe selbst
alle möglichen schönen Gefühle, so dass eine starke Übereinstim-
mung zwischen uns besteht."
,^R0," fuhr der Grünspecht fort und hüpfte ein paarmal von
einem Bein au& andere, „wie nun der Winter vorüber war und
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die Primeln ihre blassen gelben Steme auftaten, da sagte der Müller
zu seinem Weibe, dass er mal hinimter gehen und nach dem klei-
nen Hans aelien wollen
„Was für eitt gutes Een du hastP lief die Frau, „du denkst doch
immer an die andern. Und veigiss nicht den grossen Kotfo mit'
xnnehmen für die Blnmen."
„Ako 1»8nd der Müller die Flügel der Windmühle mit einer starken
eisernen Eette fest nnd ging den Hügel hinunter mit dem Korb
am Arm.
Guten Morgen, kleiner S^ms,'' sagte der Müller.
„Guten Morgen," sprach Hans, tost seinen Spaten gelehnt, nnd
lachte über das ganze Gesicht
„Und wie ging's den Winter durch?" fragte der Müller.
„Ach," rief Hans, „das ist wirklich zu gütig von dir, mich danach
zu fragen, zu gütisr. T)ic Wahrheit zu sagen, hab' ich es ja ziem-
lich schwer gehabt, aber jetzt ist der Frühling gekommen, und ich
bin ganz glücklich: alle meine Blumen gedeihen."
„Wie oft haben wir von dir gesprochen, Hans,'' sagte der Müller,
„und hätten gein gewusst, wie es dir ging."
„Das war lieb von euch," sagte Hans, „ich fürchtete schon halb,
ihr hftttet mich yeigessen.**
„Was sagst du da, Haas," spradi der MüUer, „Frenndschaft veigisst
niemals. Das ist gerade das Schöne an ihr; aber ich fürchte, da
hast kein Terst&idnis für die Poesie des Lebens. Deine Fiimehi
sehen übrigens entsückend ans!**
„Ja, ne sind -wirklich hübsch," sagte Hans, „nnd es ist dn Biesen*
glück für mich, dass ich so viele Iiab'. Ich will sie nimiich auf
den Markt bringen und der Bürgermeistentoditer verkanfen nnd
mit dem Geld meinen Karren einlösen/*
„Deinen Karren einlösen? Du hast ihn doch nicht etwa Terkanft?
Da "Wärest du doch wirklich zu dumm!"
„Ja weisst du/' pajrt^ Hans, „ich war gezwungen dazu. Es ist mir
im Winter so schleclit gegangen, dass ich tatsächlich keinen Pfennig
für Brot hatte. So verkaufte ich also erst die Silberknöpfe von
meinem Sonntagsrock und dann meine silberne Kette und dann
meine lange Pfeife und schliesslich meinen Karren. Aber jetzt
kann ich mir das alles wieder zurücki^auieii.''
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j^ans," sagte der Müller, „ich will dir meinen Karren geben. Er
iBt zwar nicht mehr in sehr gutem Zustand, es fehlt ihm die eine
Seite ganz, und dann ist anch an den Badepeiofaen etwas nicht in
Ordnung, aber ich will ihn dir trotzdem geben. Ich weiss, es ist
das sehr grossmütig von mir nnd eine Menge Iieate werden midi
für ganz TeErQckt halten, dass ich ihn Yerschenke, aber ich bin
nicht wie die andern. Heiner Ansicht nach ist die Grossmnt die
Quintessffiu der Rreundschaft, nnd ausserdem hab' ich mir einen
neuen Karren gekauft Also beruhige dich über die Sache mid
sei vwgaügt — ich schenke dir meinen Karren,"
„Das ist wirklich grossmütig von dir,** sagte klein Hans, und sein
drolliges rundes Gesicht strahlte vor Freude. „Ich kann ihn ja
leicht wieder in Ordnung biiogen, denn ich habe eine grosse Holz-
planke im Haus."
„Eine Hülzplanke?" sagte der Müller; „denk mal, die brauche ich
gerade für mein Scheunendach. Das bat ein grosses Loch, und
das Getreide wird mir gmu nass, wenn ich es nicbf ziiin;iclie. AYie
gut, dass du davon sprachst! Ks i.->t doch seltuun, wie eine gute
Tat immer eine andere zur Folge hat. Ich gebe dir meinen Kairen,
nnd nun gibst da mir deine Holzplank& NatOriich ist cter Eanen
mehr wert als die Planke, aber wahre Freundschaft beachtet so was
nicht Bitte hol mir doch das Brett gleich, denn ich will gleich
heute noch die Arbeit an der Sdieune machoa lanen.^
„Natürlich,'' rief der kleine Hans, und er rannte in den Sdiuppen
und schleppte das Brett herausi
„Es ist ja kehl sehr grosses Brett,** sagte der MQUei^ indem er es
beschaute, „und ich fürchte, es wird dir zur Reparatur des Karrens
nicht viel übrig bleiben, wenn mein Scheunendach damit geflickt
ist, aber das ist na^lich nicht meine Schuld« Und da ich dir
nun meinen Karren geschenkt habe, wirst du mir anch sicher gern
ein paar Blumen dafür geben wollen. Hier ist der Korb und mach
ihn recht voll.''
„Ganz voll?*' sagte der kleine Hans ein wenig beküninifrf, denn es
war wirklich ein sehr gi'osser Korb, und er wusste, da.ss ihm keine
Blumen mehr für den ]\Iarkt bleiben würden, wenn er ihn ganz
füllte, und er wollte doch so gern seine Silbcrknöpfo wiederhaben.
„Es ist doch wahrhaftig nicht zu viel," antwortete der Müller, „dass
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Digitizcd by d^j^j .L^.
ich dich xm ein paar Blumen angehe, im ich dir do<^ meinen
Eairen geschenkt liahe. Vielleieht hab' ieh unrecht, aber ich deoke^
dass "wahre I^ceundschaft frei von jedem Eigennafz ist"
,^ber mein lieber Frennd, mein beeter Etennd,** xiel Uein Hans,
„alle Mnmen meinee Gartena stehen dir sur Terf Ogong. Hir ist an
deiner gaten Meinimg viel mehr gelegen als an memen Silber*
knäpfen, das weisst da doch," und er lief and pflückte alle seine
schönen Primeln and füllte des Müllers Eorb damit.
,,Adieu, kleiner Hans," sagte der Müller und stieg mit der Flanke
auf der Achsel und dem Korb in der Hand den Hügel hinauf.
„Adieu," sagte klein Hans und begann lustig an graben, dsuD. er
freute sich ühor den Karren.
„Am nächsten Tag rankte er gerade Geissblatt über die Tür, :ih er
den Müller hörte, der ihn von der Landstrasso aus rief, üleicli
sprang er von der Leiter und schaute über den Zaun.
Da stand der Müller mit einem grossen Sack Mehl auf dem
Bücken.
„Lieber kleiner Hans,** sagte er, „würdest da wohl so gut sein, mir
diesen Sack Mehl aof den Maikt zn tragen?^
„Es tnt mir so leid," sagte der kleine Hans, „aber ich hab' heut
viiklich viel sn ton. Ich muss alle meine Schlingpflanzen auf-
binden und alle meine Blumen noch gieesen und doa Basen
walzen.'^
„Na weisst du,^ sagte der Müller, ^pi Anbetracht dessen, dass ich
dir meinen Ekrren schenken will, ist es etwas unfreundlich Ton
dir, dass du mir das abschlägst."
„Sag doch das nicht," rief klein Hans, „ich möchte nicht um die
Welt unfreundlich sein," und er rannte nach seiner Mütze und
schleppte sich mit dem schweren Sack auf den Schultern davon.
„Es war ein sehr heisser Tag und die Landstrasse war schrecklich
staubig; und bevor Hans den sechsten Meilenstein erreichte, war
er schon so müde, dass er sich hinsetzen und ausruhen musste.
Aber gleich schritt er wieder tapfer vorwärts und erreichte endlich
den Markt. Nachdem er da längere Zeit gewartet hatte, verkaufte
er den Sack Mehl für einen guten Preis und ging dann schnur-
stracks heim, denn er fürchtete Räuber, falls er zu spät in die
Nacht hinein käme.
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„Das ivar schon ein schwerer Tag hente^" sagte er an sieh selber,
als er sich schlafen legte, „aber ich hin froh, dass ich dem HuUer
die Bitte mefat abgeschlagen habe, denn er ist mein bester I^und,
nnd dann gibt er mir ja kuA seinen Eanm**
Am nächsten Morgen in aller Frühe kam der ICtUler nm das Geld
für sein MehL Aber der kleine Hans war so mttde, dass er noch
im Bett lag.
„Du bist doch ein Faulpelz," sagte der Müller. „Dafür, dass ich
dir meinen Karren geben will, könntest du, meine ich, schon etwas
fleissiger arbeiten. Faulheit ist eine grosse Sünde, und ich kann
es nicht ausstohon. wenn meine Freunde faul und träg sind. Du
dai'fst mir meme Üffeuheit nicht etwa übei nehmen, und es würde
mir nicht im Traum einfallen, so zu sprechen, wenn ich nicht dein
Freund wäre. Aber was Ij.itto die Freundschaft für einen Zweck,
weiiii man einander nicht aiiiiicliüg die Meinung sagen könnte?
Liebenswürdigkeiten und Schmeicheleien kann jeder sagen, aber ein
wahrer Frennd sagt stets nnangenehme Dingo nnd kttmmeit Bidi
nicht darum, ob er dem andern damit wditnt Und warn er ein
wirklich wahrer Etennd ist, dann tnt er gern weh, weil er weiss,
dass er damit Gutes tat^
„Ach ▼enseih," ssgte der kleine Hans, indem er sich die Augen
rieb and die NaditnifitBe abnahm, „aber ich war so mfid', dass idi
mir dachte, bleibst noch ein Weilchen im Bett und hörst die Vögel
singen. Weisst du, dass ich immer besser arbeite, wenn ich die
Vögel hab' singen hören?"
„Das freut mich,'* sagte der Müller, und schlug klein Hans auf den
Rücken, „donn ich möchte, dass du gleich, wenn du fertig ange-
zogen bist, hinauf zur Mühle kommst und mir das Scheonendach
ausbesserst."
Dem armen kleinen Hans lag viel daran, in seinem Garten zu
arbeiten, denn seine Blumen hatten zwei Tage lang kein Wasser
bekommen, und doch mochte er dem Müller seine ßitte nicht ab-
schlagen, da er ein so guter Freund von ihm war.
„Würdest du es für unfrenndschaftlich von mir halten, wenn ich
sagte, dass ich zu tnn habe?^ fragte er ganz sdiflohtenL
i,Na weisst du,** sagte der Müller, „ich denke, es ist doch wohl
nicht zu viel Tsdangt^ dafür, dass ich dir meinen Karren schenken
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will; aber natürlich, f^eua du nicht T?illst^ dann geh' ich und mach'
es selber."
„Das unter kcinon TTTnständen," riftf klein Hans und sprang aus
dem Bett, zog tjicii au und ^mg üut dem Müller.
,,Dort arbeitete er den ganzen Tag bis Sonnenuntergang, und bei
Ekumenuntergang kam der Hüller naehaehen.
^jEiast da das Loeh im Dach sohon aasgebeesert, Udner Haas?**
lifif er süss.
^ isf^ fertig,^ antwortete Uein Suis imd stieg die Leiter her-
miter*
„Ach!** sagte der IflUler, ,^eiiie Aibwt ist doch so erhebend wie
die, die man für andere toi**
„Es ist wirklich ein grosser Yorzug, dir zuhören zu düifen, wie
du sprichst," antwortete der kleine Hans, „wirklich ein grosses Pri-
vilegium. Ich fürchte nmr, ich werde niemals so schüne Ideen
haben wie du."
„Wird schon kommen," sagte der Müller, „du musst dir mr -mphr
Mühe geben. Jetzt konnst du nur die praktische Seite der iYeund-
schaft, aber du wirst schon auch ihre theoretische kennen lernen."
„Meinst du wirklich?" fragte klein Haus.
„Ohne Zweifel," antwortete der Müller, „aber nun du das Dach aus-
gebessert hast, gehst du wohl besser heim, und ruhst dich aus,
denn ich möchte, dass du morgen meine Schafe auf den Berg
treibst"
„Der aime Meine Hans wagte daianf kein Woirt za erwidern, und
am nScbsten Hoigen brachte in aller Mhe der MttUer seine Schafe,
nnd Hans machte sich mit ihnen nach dem Beige anl ESr branchte
den ganzen Tag für den Hinr und Rückweg und war so müde als
er heimkam, dass ec auf seinem StnUe einschlief und erst wieder
aufwachte, als es hellichter Tag war.
„Wie schön wird's heut in meinem Garten sem,^ sagte er und ging
gleich an die Arbeit
Aber er kam nie dazu, nach seinen Blumen zu sehen, denn im-
merfort kam sein Freund, der Müller, zu ihm, schickte ihn auf
weitläufige Besorgungen oder brauchte ihn in seiner Mühle. Klein
Hans war zuzeiten ganz bekümmert darüber und fürchtete, seine
Blumen könnten glauben, er habe sie ganz yergesseuj aber dann
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tröstete er sich wieder damit, dass der Müller doch sein bester
Freund sei, und dasa er ihm ja aadi einen Sanen geben wolle.
So aibeitete der Uebie Hans fOr den Hflller, ond der sagte ihm
alles mögliche Schöne Aber die Freundschaft, waa Hans alles in
ein Notizbach aufiBchxieb und des Nachts durchlas, denn er war
ein sehr gelehriger Schiller.
Eines Abends saas der kleine ^ns beim Ofen, als laut an die
Tür geklopft wurde. Es war eine sehr stürmische Nacht, und der
Wind pfiff und tobte um das Haus, dass Hans eist glaubte, es sei
der Sturm. Aber da tönte ein zweites Klopfen nnd ein drittes,
lauter als das erstemal
„Es ist irgend ein anner Wandeorsmann,^' sagte klein Hans und
lief an dio Tür.
Da stand der Müller mit einer Laterne in der einen und einem
grossen Stock in der andern Hand.
„Lieber kleiner Haas," rief der Müller, ,4ch bin in grosser Yer-
legenheit Mein kleiner Junge ist von der Leiter gefallen und hat
sich verletzt, und ich muss den Arzt holen. Aber der wohnt so
weit weg, und es ist eine so schlimme Kacht, dass ich auf den
Oedanken kam, es sei eigentlich Tiel besser, wenn du statt msiiieF
gingest. Da weisst^ ich sdienke dir meinen Karren, nnd da ist es
ja eigentlicfa nur in Ordnung^ dass da mir mal einen Gegendienst
erweisest^
,^elbstTei8tlndlioh,<' rief klein Hans, ,4ch rechne es mir als eine
Ehre an, dass da dieh an mich wendest, and ich mach' mich so-
fort auf den Weg. Aber du musst mir deine Latome leihen, ich
fürchte, ich falle sonst in einen Graben."
„Es tut mir a^ leid,** antwortete der Müller, „aber es ist meine
neue Laterne, und es wfiie ein grosser Schaden ffir mich, wenn
etwas daran entzweiginge."
„Macht T-!ichts, dann geh' ich halt ohne Laterne," sagte klein Hans,
griff nach Folzrock und "Wollmütze und ging.
Es war ein schrecklicher Sturm, und die Nacht war so schwarz,
dass der kleine Hans kaum die Hand vor den Augen sehen konnte,
und der "Wind blies so stark, dass er sich kaum auf den Füssen
zu halten vermochte. Aber er schritt tapfer vorwärts und nach
drei Stunden kam er an des Doktors Haus und klopfte an die Tür.
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„Wer ist da?" lief der Ant und stedcte den Kopf zum Schlaf-
ammerfenstw heraus,
^ein Hans, Doktor.*'
„ÜDd was -«rillst dn?^
„Dem MtQlw sein Kleiner ist von der Leiter gefaUen nnd hat sidi was
getan, nnd der If Cdler Ifisst Sie bitten, Sie mochten gleich kommen."
^ohon,** sagte der Aiz^ nnd er liess anspannen nnd sich die hohen
Stiefel und seine Laterne bringen nnd kam herunter und fohr nadi
der Mühle, während klein Hans hinter ihm herlief.
Aber der Sturm wurde immer schlimmer, und der Begen fiel in
Strömen, und klein Hans konnte nicht mehr sehen, wo er ^ng^
und nicht mehr mit dem Gaul Schritt halten. Endlich kam er ganz
vom Weg ab iiTid p'crict ins Moor, das sehr gefährlich war, da es
tiefe Löcher iiatr , rind lilein Hans sank ein und ertrank. Am
andern Tage fanden Ziegenhirten seine Leiche aui dem Wasser
schwimmen und brachten sie in das Gärtnerhäuschen.
Die g:an7.e Gegend giner mit bei klein Htms' Begräbnis, denn jeder-
mann hatte ihn gekannt, und der Müller war der Hauptleidtragende.
„Da ich sein bester Freund war," sagte der Müller, „ist es nur in
der Ordnung, dass idb den besten Plate bekomme^** nnd so ging er in
dem Iraneigefoige als Erster in einem langen sdbwaizen Bock nnd
wischte sich immerfort die Angen mit einem grossen Taschentuch.
„Klein 39üanB haben sicher alle' y^ioren,'' sagte der Sdhmied, als
das Begräbnis Torbei war und aUe bei Wein und Euchen im Wirts-
haus beisammen sassen.
„FQr mich ist es jedenfoUs ein schwerer Yeriuat,^ sagte der MäUer,
,4ch hatte ihm meinen Karren schon so gut wie geschenkt, und
jetzt weiss ich nicht, was ich damit anfangen soll. Er ist mir zu
Hause sehr im W^e nnd in einem Zustand, dass ich nichts dafür
bekomme, wenn ich ihn verkaufe. Ich will mich jedenfalls hüten,
jemals wieder was herzuBchenken. Man hat unter seiner Grossmut
immer zu leiden."
„Nun und?" sagte der Wasserratz nach einer langen Pause.
„Nun, das ist der Schluss," sagte der Grünspecht
„Und was ist denn aus dem Müller gew orden ?" fragt© der Wasserratz,
„Das weiss ich wirklich nicht," antwortete der Vogel, „und es ist
mir auch ganz gloich.''
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„Dann ist es mir auch ganz klar, dass Sie nicht das geringste Mit-
gefulii lu Ihrem Charakter haben," sagte der Wasserratz.
„Ich fürchte, Sie verstehen die Moral der Geschichte nicht ganz,*'
bemeAte der Qrttnspeolit
^ie WBS?^ sohiie der WaBBenatz.
^ie Mond.»
„Wollen Säe damit sagen, dass die Geschichte eine Mond hat?**
„Natttilidi," sagte der Orttnapedht
^Das hätten Sie mir,^ sagte der WasBerraiE wütend» «TOirher sagen
sollen. Hfttten Sie mir das zu Aniang gesagt, so bitte loh gar
nicht zugehört; ich würde ,Bah!' gesagt haben wie der Kritiker,
was ich tibrigens auch jetzt noch sagen kann.^
80 rief er also in den höchsten Tönen „Bah!", gab seinem Schwanz
einen Schupser und versehwand in seinem Loch.
„Mögen Sie den Wasserratz leiden?'' fragte die Ente, die ein paar
Minuten darauf angepaddelt kam. „Er hat ja sicher eine Menge
gute Eigenschaften, aber was mich betrifft — ich habe ein Mutter-
gefühl und kann nie einen überzeugten Junggesellen sehen, ohne
dass mir Tränen in die Augen k mmen."
^Ich fürchte fast, ich habe ihn gelangweilt," antwortete der Grün-
specht ,Jch hab' ihm nfimlich eine Geschichte mit einer Moral
ensfthlt<^
„Ach, das ist immer eine sehr gewagte Sache," sagte die Ente.
Und ich hin ganz ilirer ICeinang.
74
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DIE BEDEUTENDE RAKETE
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i
ES Königssohnes Hochzeit stand bevor
und darob wai- allgemeine Freude. Er
hatte ein ganzes Jahr auf seine Braut
gewartet, und endlich war sie gekommen.
Sie war eine russische Prinzessin, und
ein Schlitten, von sechs Remitieren ge-
zogen, hatte neTonSlmilaiLdhergebnidit
Der Schlitten war geformt wie ein grosser
goldener Schwan, und zwischen dee
Schwanes Ilügehi ruhte die kleine Prinzessin. Ihr langer
Heimelinmantel reichte ihr bis an die Füsse, auf dem
Kopf trog sie eine winzige Kappe ans sUbemem Gewebe,
und sie war so bleich wie der Sohneepalast^ in dem sie
immer gewohnt hatte. So bleich war sie, dass alles Yolk
sich dorob verwunderte, als sie durch die Strassen fuhr.
„Wie eine weisse Kose ist sie rief man und warf von den
Baikonen Blumen auf sie herab.
Am Schlosstor ward sie vom Prinzen empfangen. Er hatte ver-
träumte Veilchenaugen, und sein Haar w^ar wie feines Gold. Als
er sie erblickte, sank er aufs Knie und küsste ihre Hand.
„Euer Büdnis war schön," sagte er leise, „aber Ihr seid noch
schöner als Euer Bildnis." Und die kleine Prinzessin errötete.
„Sie war wie eine weisse Rose," sagte ein j imger Page zu einem
andern, „nun ist sie wie eine rote Rose," und der ganze Hof
war entzückt
Wlhiend der nlishsleii drei Ttigß sagte efai Jeder: ,|Weis8e Rose,
rote Boee, rote Rose, weisse Böse," nnd der KOnig be&hl, dass
des Pagen Oehalt Terdoppelt wfirde. Da er nun überhaupt
keinen Oehält beikam, nützte ihm das nicht viel, aber es galt
fttr eine grosse Ehre und wurde ToischriftsmSssig in der Hof-
gazette bekannt gemacht
Als die drei Tsge um waren, wurde die Hochzeit gefeiert Bs
war eine grossartige Sache, und Braat und Bräutigam schritten
Hand in Hand unter einem puipursamtnen mit kleinen Perlen
bestickten Baldachin. Dann gitb es eine Staatstafel, die fünf
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Stunden dauerte. Der Prinz und die Prinzessin sassen obenan in
der grobseu Iliille und traaken aus cinera kristallnen Pokal. Nur
treu Liebende kunntea ans diesem Pokal trinken, denn wie ihn
falsche Lippen berühren, wird er trüb und wolkig.
„Dass sie einander lieben," sagte der kleine Page, „das ist so klar
wie Kristall!" Und der König verdoppelte seinen Gehalt zum zweiten
Haie, und „Welche Bluel'' ziel der ganze Hot
Nach dem Bankett sollte em Ball stattlmdeD, und das Bianlpaar
soUte den Bosentutz taoaeo, imd der König hatte Teisproohen, die
ElOte an spielen. Er spielte sehr schlecht, aber niemand hatte je
gewagt^ ihm das zn sagen, weil er der König irar. Er konnte bloss
drei Melodien nnd vnsste nie genau, weiche daron er spielte; aber
das machte weiter nichts, denn was immer er anch tal^ es cieE stets
jeder: ,^errlich! Entzückend!'*
Die letzte Nummer auf dem Programm war ein grosses Feuerwerk,
das Funkt Mittemacht abgebrannt werden sollte. Die kleine Prin-
zessin hatte noch nie in ihrem Loben ein Fenerwerk gesehen, und
so hattp der Köni^ Hofchi gegeben, dass der königliche Pjrotech-
niker am Hochzeitstag zugegen sein sollte.
,,TVas ist das, ein Feuerwerk?" hatte sie den Prinzen gefragt, als
sie fciues Morgens auf der Terrasse spazieren gingen.
„Es ist so wie das Nordlicht," sagte der König, der immer Antwort
auf Fragen gab, die an andere gestellt waren, „nur riel natürlicher.
Mir ist es lieber als die Sterne, weil man immer ganz genau weiss,
wann es losgeht, und es ist so sdiön wie mein FlÖtenspieL Bn
mnsBt das unbedingt sehen."
So war also ganz nnten im kÖnigUdien (harten dn Stand «alge-
schlagen worden, nnd sobald der köni^che Pyiotechniker alles an
seinen riditigen Fiats gebracht hattei» begann das VwsrweA nnter-
einander sich za unterhalten.
,J)ieWeIt ist doch wahrhaftig zu schön," rief ein kleiner Schw&imer.
„Sieh nur mal diese gdben Tulpen. Wenn sie echte KnaUer wären,
könnten sie nicht schöner sein. Ich bin doch sehr froh, dass ich
gereist bin. Keisen bildet den Geist und niomt grändlich mit allen
Vorurteilen auf."
„Des Königs Garten ist nicht die "Welt, du verrückter Schwärmer!"
sagte eine grosse römische Kerze. „Die Welt ist ein ziesengroaser
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Platz, und du würdest drei Tage brauchen, um sie ganz zu sehen."
„Jeder Platz, den man liebt, ist für einen die Welt," meinte ein
nadidenUiclMe Peuoxad, das aeifc seiner Kindheit an einer alten
Spanschaditel I)e£BBtigtvarimd sich mit seinem gebrochenen Henten
hrOstete. „Aber die Liebe ist nicht mehr Mode, nnd die Dichter
haben sie getötet Sie schrieben so Tiel öber sie, dass ihnen nie-
mand mehr ^aobte, was mich nicht wandert Denn wahre liebe
leidet und schweigt Ich erinnere mich, wie ich selbst einmal —
Aber dämm kümmert sich jetst niemand — die Bomantik gehört
der Tergangenheit an."
,,Unsinn!" sagte die römische Kerze, „die Romantik stirbt nie.
Die ist wie der Mond und lebt ewig. Die Braut und der Bräuti-
gam zum Beispiel lieben einander sehr. Ich hörte alles über sie
heut morgen von einer braunen Kartätsche, die zufällig in dem-
selben Schubfach lag wie ich und die letzten Hofneuiglroiton wusste."
Aber das Feuerrad schüttelte den Kopf. „Die Romantiit ist tot, die
Romantik ist tot, die Komantik ist tot," sas-to es leise. Das Rad
gehörte zu den Leuten, die glauben, day>, wena sie dieselbe Sache
mehrmals sagen, sie am Ende wahr wird.
PlützUch liörte mau em tsciiarfus trockenes Husten, und alles schaute
sich um.
Es kam von einer grossen, hochmütig aassehenden Rakete, die an
das Ende eines langen Stockes gebunden war. Sie hostete jedes-
mal, bevor ehie Bemerkung machte, um so die Anfinerksamkeit
zn eneginL
,J!hem! Ehern I<* sagte sie, nnd alles horchte, mit Ausnahme des
Eeneirades, das noch immer den Eopl schüttelte und leise dabei
blieb: ^ie Bomantik ist tot"
„Ruhe! Ruhe!" schrie ein Schwärmer. Er war so etwas wie ein
Politiker und hatte bei den Wahlen immer eine grosse Bolle ge-
spielt, und daher kannte er die richtigen parlamentarisGh^ Aus-
drücke.
„Gan^ tot," flüsterte das Feuerrad und schlief ein. Sobald voll-
komraone Stille herrschte, hustete die Rakete zum drittenmal und
begami. Sie sprach langsam und deutlich, als ob sie ihi'e Memoiren
diktierte, und blickte die Monsclieii, zu denen sie sprach, immer über
die Schulter an. Sie hatte tatsächlich höchst Yomehme Maniereu.
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„Wie gtaeldioh tcifK es sich für den EGnigBsohii/ bemerkte sie,
„dass er gerade an dem Tag Hochzeit maoht^ an dem ich loegelassea
"imden BoU. Selbst weon es Toifaer so aimigiert worden wfire^
hätte es sich fOr üm nicht besser trsffen können; aber Ftinzsn
haben eben immer Qlück."
,^ein Qott,** sagte der kleine Schwärmer, „ich dachte, es wlie ge-
rade nmgekehrt und wir wttrden zu Ehren des Pdnsen losgelassen.**
„Das mag ja mit Ihnen so der Fall sein," antwortete sie, „imd es
ist zweifelsohne der Fall, aber mit mir ist es doch etwas anders.
Ich bin eine sehr besondere Rakete und stamme von ganz beson-
deren Eltern ab. Meine Mutter war das gefeiertste Feuerrad ihrer
Zeit und berühmt für ihr graziöses Tanzen. Als sie öffentlich auf-
trat, drohte sie sich neunzehnmal, bevor sif ans2:ing, und bei jeder
Drehung warf sie sieben rosafarbene bteme in die Luft. Sie hatte
drei und einen halben Fuss im Durchme??8er und war aus bestem
Schiesspulvor. Mein Vater war eine Rakete wie ich und von fran-
züsisciier Abkualt. Er flog so hoch, dass mau füi'chtete, er würde
nie mehr wieder herunterkommen. Er kam aber doch, denn er
war eine liebenswürdige Natur, und machte einen gl&nzenden Ab-
stuns in einem Schanw von ^Idnem Bi^n. Die Zeitungen schrie-
ben über seine Lsistnng in den schmeichelbaftosten Ausdrücken.
Die Hof gazette nannte ihn einen tbiomph der Pylotechnik.**
„Pyrotechnik meinst du, Pyrotechnik,*' sagte cht bengalisches Idcfat
Jteh weiss, es heisst I^tecfanik, denn so ssb ich es auf meiner
eigenen Büchse geschrieben."
„Also ich sage Pylotechnik," antwortete die Baketo in strengem Tone,
und das bengalische Licht fUhlte sich davon so zermalmt, dass es
sofort die kleinen Schwärmer einzuschüchtern begann, um zu zeigen,
dass es noch immer eine Person von einiger Bedeutung wäre.
„Ich sagte,^ fuhr die Bakete fort, „ich sagte — ja, was sagte ich
doch?"
,,Du sprachst von dir," antwortete die römische Kerze.
„Natürlich; ich wusste doch, dass ich von einem interessanten
Gegenstand sprach, tds ich so unmanierlich unterbrochen wurde.
Ich hasse Koheit und alle schlechten Manieren, denn ich leide
darunter. Ich weiss, auf der ganzen Welt gibt es kein senatiTeres
Geschdpf als ick ban.^
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^Was ist denn dag: ein Benntim Geschöpf?*' fragte em Scbwinner
das iQmische lieht
«Him Geschöpf, das andern immer auf die FSsse tritt, weil es selber
Hühneraugen hat," antwortete die lömiscfae Eente im üteterton;
nnd dw Schwinner woUte plataen Tor Lachen.
„Bitte, worüber lachen Sie denn?*' forschte die Bakete; „ich lache
doch nicht"
„Ich lache, weil ich glücklich bin," sagte der Schwärmer.
„Das ist ein sehr egoistischer Grund," sagte die Rakete geärgert.
,,"Was für ein Recht haben Sie, glücklich zu sein? Sie sollten an andere
denken. Sie sollten an mich denken. Ich denke immer an mich
und erwarte Ton allen andern, dass sie das gleiche tun. Das ist
das, was man Sympathie nennt Es ist eine schöne Tugend, und
ich besitze sie in hohem Grade. Nehmen wir zum Beispiel an,
mir passierte heut nacht etwas — was für ein Unglück wäre das
für einen jeden! Der Prinz und die i'nnzessin würden niemals
wieder glücklich sein können, ihr ganzes eheliches Leben wäre
ZQEBtört; und der König wfiide nicht daxttber wegkommen, das weiss
ich. Wahrhaftig, so oft ich ftber die Bedentung meiner Btellong
nadusadenken beginne, bin ich gerfihrt bis zu Tkflnen.*'
^Wenn du andern Vergnügen machen willst^^ rief die römische
Eeize, ,pst's besser, da hältst dich trocken.''
„Da2a rSt doch der gewöhnliche Yentand," meinte das bengalische
Licht, das in bessere Laune kam.
„Der gewöhnliche Verstand, allerdings," entrüstete sich die Rakete^
„aber Sie vergessen, dass ich sehr ungewöhnlich nnd besonders bin.
Gewöhnlichen Verstand kann jeder haben, vorausgesetzt er hat
keine Phantasie. Aber ich habe Phantasie, denn icli denke an die
Dingo nie, wie sie wirklich sind; icli denke mir sie immer ganz
verschieden und anders. Und was das Trockenhaiton betrifft, so
ist hier offenbar kein einziger, der überhaupt eiii ' (.empfindsame
Natur zu schätzen weiss. Glücklicherweise mache ich mir nichts
daraus. Das einzige, was einem durch das Leben hilft, ist das Be-
wusstsein von der ungeheuren loferiorität aller andern, und das ist
ein Gefühl, das ich immer kultiviert habe. Herz hat von euch ja
niemand. Ihr lacht Mer nnd treibt Possen, gerade so als ob der
Prinz nnd die Prinzessin nicht Eoohseit machten*''
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„Ja aber wedwll» denn nictht?^ ixd. dne Ideine Feuerkugel ans,
^weshalb denn nicht? Sie Hoctoit ist doch eine Iiöcliet freudige
Gelegenheit, nnd wenn ich in die Luft hinanfadiwebe, habe ich
mir TOTgenommen, den Sternen alles darüber su beriditen. Da
wirst sie swinkem sehen, wenn ich ihnen von der hübschen Braut
enäble.''
^Was für eine triviale Lebensaaffassung da hastf' sagte die Rakete.
„Aber ich habe von dir nichts anderes erwartet Es steckt nichts
in dir; da bist holü und leer. Vielleicht wohnen der Prinz und die
Prinzessin einmal in einem Lande, wo ein tiefer Eluss ist, und yiel-
leicht haben sie auch einen einzigen Sohn, einen kleinen blond-
lockigen Knaben mit Veilchcnaugon wie der Trinz selber; der geht
vielleicht eines Tages mit seiner Amme aus, und dio Arame schläft
unter einem grossen Fliedorbaum ein; und dann fällt der Knabe
vielleicht in den Eluss und ertrinkt Was für ein schreckliches
Unglück! Arme Menschen, die ihr einziges Kind so verlieren!
Es ist zu traurig! Ich werde es niemals verwindeE!"
„Aber sie haben ja gar nicht ihr einziges Eind Teiloren!" sagte
die lOmische Kerze. ^ Ist ihnen überhaupt kein Unglück passiert^
,^a8 habe ich aach gar nicht behauptet," antwortete die Bskete,
,4ch sagte nuz^ es könnte passieren. Wenn sie ihren einzigen Sohn
wirklich yerloren hfittem, dann hätte es gar keinen Zweck mehr,
daTcn XU eprechen. Ich hasse Menschen, die wegen TerBchütteter
ICiloli ein Geschrei machen* Aber wenn ich denke, dass sie ihren
einzigen Sohn verlieren könnten, so affiziert mich das sehr."
„Dich natürlich," rief das bengalische Feuer, „du bist aber auch
die affektierteste Person, die mir je vorgekommen ist"
„Und du bist das brutalste Geschöpf, dem ich je begegnet bin,"
sagte die Rakete, „und kannst meine Ereundschaft für den Prinzen
eelbstveratändlich nicht begreifen."
„Du kennst ihn ja gar nicht," knurrte die römische K^r?»^.
,Jch habe nie behauptet, dass ich ihn kenne," antwortete die ßakete.
„Ich behaupte sogar, dass ich sicher sein Freund nicht wäre, wenn
ich ihn kennen würde. Es ist eine sehr gefäiiriiche Sache, seine
Freunde zu kennen."
„Gib lieber darauf acht, didi trookm su halteo," sagte die Leucht-
kugel, „das ist die Hauptsache.^
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„Für dich wohl, davon bin ich überzeugt," bemerkte die Rakete,
„aber ich weine, wann es mir beliebt" Und jetzt brach sie tat-
sächlich in wirkliche Tränen aus, die den Stab herunterliefen wie
Regentropfen, so dass zwei kleine Käfer beiiiahe duin ertnmkeii
wären, die gerade dazaa daditen, Mi ein eigenes Heim sa grönden
und Bich nach einer trockenen Stelle dafäi nmsahen.
„Sie mu8S -wiiklich sehr lomantiscfa Tefanlagt sein,** sagte das Fener-
rad, „denn sie weint» wo gar nicht zu weinen ist^*^ nnd es Btieaa
einen tiefen Sen&er ans und dachte an aeine SpanBohachteL
Aber die liSmiscfae Kene und das bengalische Fener waien sehr
indigniert und riefen ganz laut „Schwindelt Schwindel!" Sie waren
aoaaeroidentiioh praktisch gesinnt und wenn ihnen etwas nicht
passte^ nannten sie es immer gleich Schwindel Da ging der Mond
auf wie ein wundervoller silberner Schild, und die Sterne begannen
zu leiiphten, und Musik tönte vom Palast her.
Der Prinz und die Prinzessin führten den Tanz. Sie tanzten so schön,
dass die hohen weissen Lilien durch das Fenster hinein zuschauten,
und die grossen roten Klatschiosen wiegten die Köpfe und schlugen
den Takt.
Dann tönte die Uhr zehn, und dann elf und dann zwölf, uad mit
dem letzten Schlag ilitLernaciit kamen sie alle heraus auf die Terrasse,
und der König schickte nach dem Hofpyrotechnikw.
„Das Feuerwexk soll beginnen," sagte der König, und der Hofpyro-
techniker machte eine tiefe Yerbeugung und begab sich hintlber
an das Ende des Parkes. Er hatte sechs Gehilfen bei sich, und
jeder Ton ihnen trug an einer huigen Stange eine brennende Fackel
Es war ehi heRÜches SchaospieL
„TJitz! Uitz!** machte das Feunnd, als es sidi immer rundum
drehte, j^^i^iun* Bumm!'* dröhnte dierömisofae Kerze. Dann tanzten
die Schwttrmer über den ganzen Platz, und das bengalische Pen er
madite alles scharLachrot. „Lebt wohl,^' rief die Feuerkugel, ais
sie fortschwirrte und kleine blaue Funken niedorschickte. „Krah!
Krah!" antworteten die Feuerfröscho, die sich herrlich amüsierten.
So hatte jedes einen grossen Erfolg mit Ausnahme der bedeutenden
Rakete. Sie war vom Weinen so feucht gewi^rden, dass sie über-
haupt nicht auffliegen konnte. Denn das Vm ste an ihr war das
Schiesspulver, und das war von den Tränen so nass, dass es versagte.
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Alle ihie armseligen Yorwandten, zu denen sie nie andera als mit einem
höhnischen Uchebi spiacb, stiegen ztm Himmel auf wie wunder-
ToUe goldene Blumen mit feuiigen filäten. Huna! Hurra! rief der
Ho^ und die Ueine Prinzessin lachte laut auf vor Yeipitigen.
^ch -vexmute, sie heben mich für eme ganz besondere grosse Ge-
legenheit auf," sagte die Rakete, «ja, ja, so ist es,'* und sie sah
hodmifitiger ans als je.
Am nflofasten Moigen kamen die Arbeitsleute, um alles wieder in
Ordnung zu bringen. „Das ist sicher eine Deputation, ich wiU sie
mit gebührender Würde empfnrtgen/^ sagte die Rakete und steckte
die Nase hoch in die Luft xmd runzelte streng die Stirn, als ob sie
über etwas sehr "Wichtiges nachdächte. Aber die Leute nahmen gar
keine Notiz von ihr. Erst als sie weggeben wollten, erblickte sie
einer. „Da ist noch eine schlechte Kakete," rief er und warf sie
über die iluaer in den Graben.
„Schlechte Kakete? Schlechte Eakete?" sagte sie, als sie durch die
Lnft wirbelte. „Unmöglich! Schöne Bakete hat der Haun natür-
lich gesagt Schfin mid scblech^ das klingt so Ihnlich und ist oft
dasselbe,** und sie fiel in den Schlamm.
^eha^oh ist es ja nicht hier,** bemerkte sie, „aber es wird wohl
irgend ein äshionabler Badeort sein, und sie haben mich herge-
schickt, damit sich meine angegriffene Gesundheit kififtigt Memo
Nerven sind ebne Zweifel etwas imitiert, und ich brauche Bnha''
Da schwamm ein kleiner Frosch mit glänzenden gelben Augen und
in einem grün gesprenkelten Rock auf sie zu.
„Ein neuer Gast wohl!" sagte der Frosch. „Es geht ja auch wahr^
haftig nichts über den Schlamm. Sehen Sie, hab ich nur regnerisches
Wetter und einen Graben, so bin ich vollkommen glücklich. Glauben
Sie, dass es heut nachmittag regnen wird? Ich raöcht es sehr
wünschen, aber der Himmel ist ganz blau und kein Wölkchen ist
darauf. Wie schade!"
„Ehern! Ehem!" sagte die llakete und begann zu husten.
„Was Sie für eine schöne Stimme haben!" rief der Frosch. „Sie
klingt genau wib von einer Krähe, und die ist für mich die schönste
Mu^ der Welt Sie soUten heut abend unsem Gesangrerein
hGren. Wir haben unsem Sitz in dem alten Ententeidi neben dem
Flichterhaus, und sobald der Mond aufgeht, fengenwhr an. Es ist so
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hinreissend, dass die ilenbchen wach im Bett lie<i:en, um uns zu-
zuhören. Erst gestern hörte ich, wie die Fächtersfrau zu ihrer
Mutter sagte, dass sie unseretwegeu die ganze Nacht kein Auge
zutun könnte. Es freut einen doch sehr, wenn mau so beliebt ist"
^hem! WuemV*' sagte die Rakete geärgert Sie ärgerte sich schreck-
lich, dass sie kein Wort dazwisdien reden konnte.
„Eine köstUohe Stimme,'* fahr der Ezosofa fort „Ho^ntlidi kommen
Sie mal zum Batenteich rfiber. Jetzt mass ich mal nach meinen
TOchtem seihen. Ich habe nAmlich sechs schöne Töchter und fOichte,
der Hecht möchte ihnen begegnen. Er ist ein ToQendetes ünge-
hener mid würde sich kernen Augenblick bedenken, sie znm ErOh-
Stüde zu vereisen. Also, auf Wiedersehen! Ich kann Ihnen die
Yersicherung geben, dass mich unsere Unterhaltung sehr erfreut hat"
^ne nette Unterhaltung das," sagte die Rakete. „Sie haben die
ganze Zeit allein gesprochen. Das nenne ich keine Unterhaltung."
„Einer muss zuhören," antwortete der Frosch, ,,nnd ich übernehme das
Spreche ri irem. Das spart Zeit und lässt keinen Streit aufkommen."
,,Aber ich mag Streit gern," sagte die Rakete.
„Hoffentlich nicht," sagte der Frosch höflich. „Streit ist et\va5? ganz
Ordinäres, denn in der guten Oesellschaft haben alle dieselbe Mei-
nung. Also nochmals: aul Wiedersehen — da drüben sind meine
Töchter," und der kleine Frosch schwamm fort
„Sie sind eine aufdringliche Person," sagte die Rakete, „und ohne jede
Erziehung; Idi hasse Leute, die wie Sie immer joa. sich selbst
reden, wenn man irie ich Yon sich reden wilL Das nenne ich
Egoismus, und Egoismus ist etwas gans Abscheuliches, besonders
für jemand von meinem Temperament, dann ich bin wegen mdnes
sjmpathisdien Naturells allgemein beliebt Sie sollten Bi<^ wirklidi
an mir ein Beispiel nehmen, Sie könnten gar kein besseres Yorbild
finden, ünd jetzt, wo sich die Gelegenheit bietet, sollten Sie sie
benfitzen, denn ich gehe seiir bald wieder zurück zu Hof, wo ich
sehr beliebt bin. Mir zu Ehren wurden gestern der Prinz und die
Prinzessin verheiratet Natüriich wissen Sie Ton all dem nichts,
denn Sie sind vom Lande."
„Es hat keinen Zweck, ihm was zu erzählen," sagte eine Libelle,
die auf einer grossen braunen 13iuse sass; „gar keinen Zweck, denn
er ist schon weg."
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„Das ist sein Schade, nicht der meine,** erwiderte die Rakete. „Ich
denke nicht daran, bloss deshalb mit ihm zu sprechen aufzuhören,
weil er nicht zuhört Ich höre mich selbst sehr gern sprechen.
Bb ist mein grösstes Vergnügen. Ich ftthie oft lange ünteriial-
tongm mit mir selbOTf imd idi bin so gescheit, daas ich mancli-
mal nicht ein Wort von all dem Teistehei was ich sage.*^
JDann sollten Sie Yoriesungen Uber Fhüoeopbie halten,** sagte die
libelie; ond sie breitete ein Paar entzfickende Gaceflfigel aus und
sdiwiiTfee dayoiL
„Wie töricht von ihr, dass sie nicht hierblieb," sagte die Rakete.
„Ich bin überzeugt, sie findet nicht oft eine solche Gelegenheit,
etwas für ihre Bildung zu tun. Aber mir ist das schliesslich
gleichgültig. Ein Genie wie ich findet früher oder später seine
Anerkennung ond sie sank noch ein bisschea tiefer in den
Schlamm.
Nach einer Weile kam eine grosse weisse Ente angeschwonmien,
Sie hatte gelbe Beine und Schwimmhäute an den Füssen und galt
für eine prosse Schönheit wegen ihres Watscheins.
„Quak, quak, quak,'' sagte sie, „was für ein komisches Gestell
du bist! Darf ich fragen, ob du schon so auf die Welt gekommen
bist oder ob das die Folge eines ün&Us ist?**
„Es ist klar, dass Sie immer nur auf dem Lande gelebt haben,** be-
merkte die Bakete, „sonst würden Sie wissen, wer ich bin. Übrigens
Terzeihe ich Ihnen Ihre Unwissenheit Es wfire nnbillig^ von andern
Leuten za verlaagen, dass sie so ongewöbnliidi und anssenxrdent-
lidi suid, wie man selber ist Es wird Sie zweifslU» ftbetrasohen,
zu hGren, dass ich zum Himmel fliegen und in einem Schauer
von goldnem Regen wieder auf die Erde herunterkommen kann."
„Davon halt ich nicht viel,** sagte die Ente, „denn ich seh' nicht
ein, wozu das gut sein soll Ja, wenn du die Felder pflügen
könntest wie der Ochse, oder einen Wagen ziehen wie das Pferd,
oder die Schafe hüten wie der Schäferhund, das wäre noch was."
„Ach Sie Ärmste!" rief die Rakete sehr überlegen, „ich sehe, dass
Sie zum untern Stand gehören. Jemand von meinem Rang ist nie
nützlich. Wir haben eine gewisse Bildung und das ist mehr als
genügend. Ich habe keinerlei Sympathie für irgend welche Tätig-
keit, am allerwenigsten für eine, wie Sie da zu empfehlen scheinen.
86
Ich bin immer der Meinung gewesen, dass zur Arbeit nur jene
Leute ihre Zuflucht nehmen, die gar nichts zu tun habeo.'^
,,Ja ja,^^ sagte die Ente, die Behr friedaeüg war und nie mit irgend
jemandem Streit anfing, „ja ja, der Geschmack ist yersohieden. Aber
ich hoffe do<di, dass Sie doh hier dauernd niederiasseii, nicht?*
^ällt mir nidit ein!^ rief die Rakete* ^ch bin nur zu Besadi
hier, ein Toxnehmer Besneh. ünd finde den Ort höchst langweilig.
Hier ist weder Qeedlschaft noch Einsamkeit Es ist wie in einer
Vorstadt Wahrscheinlich geh* ich wieder zu Hof znrfU^ denn idi
weiss, ich bin dazu bestimmt, Aufsehen in der Welt zu erregen."
„Ich hatte mich auch einst mit dem Gedanken beschäftigt, ins
öffentliche Leben zu treten," bemerkte die Ente, „es gibt da so
vieles, das reformbedürftig ist. Ich habe auch wirklich einmal den
Vorsitz in einer Yersammliing geführt, und wir fassten ßesolutionen,
die tüles verurteilten, was wir nicht leiden mochten. Aber es
scheint, dass sie nicht viel erreicht haben. Jetzt geh' ich ganz in der
Häuslichkeit auf und kümmere mich nur noch um meine Familie."
„Ich bin für das öffentliche Leben geschaffen," sagte die Rakete,
„ich und aUc meine Verwandten bis zu den geringsten von ihnen.
Wenn immer wir erscheinen, erregen wir Au&ehen. Ich bin selbst
noch nicht öffentlich aufgetreten, dier wenn es data kommt, wird es
ein ganz herrlicher Anblick sein. Was die HttusUchkeit angeht, macht
einen die fr&b alt nnd lenkt einen von den höheren Bingen ab."
,^oh ja, die höheren Dinge des Lebens, die sind schön!** sagte die
ikte; »nnd das erinnert mich daran, wie hungrig ich bin.** Und
sie sdiwamm den Baoh hinonter nnd madite »Qnak, qoak, quak.**
„Eomm doch zurück! konun zorück!*' schrie die Rakete, ^eh hab*
dir noch eine ganze Menge zu sagen;^ aber die Ente kümmerte
sich gar nicht mehr um sie.
„Ich bin froh, dass sie fort ist," sagte sich die Rakete, „sie hat
entschieden was Kleinbürgerliches," und sie sank noch ein bissclien
tiefer in den Sclilamm und begann über die Einsamkeit des Genies
nachzudenken, als auf einmal zwei kleine Jungen in weissen Kit-
teln den Graben entlang gelaufen kamen, mit einem Xessel and
einem Reisigbündel.
„Das muss die Deputation sein," sagte die Bakete und versachte
sehr würdig dreinzuschauen.
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^olla!'* lief einer der Buben, ^bau mal da den alten Stecken!
Wie der wohl daher gekommen isfc," nnd er holte die Rakete ans
dem Schlamm henraa.
^Alter Stecken?" sagte die Bakete, „Unsinn! Er sagte natüriich
gddner Stoi^ und das ist ein grosses Kompliment Er liSlt midli
-vraluncheinlieh fOr einen HofwttidentrSger.**
„Wir wollen ihn ins Fener legen,** sagte der andere Junge^ „dann
kocht unser Topf schneller."
Also richteten sie das Beisig, legten die Bakete oben dratd und
zündeten ein Feaer an.
„Das ist herrlich!" rief die Rakete, „sie lassen mich bei hellem
Tageslicht aufsteigen, damit mich jeder sehen kann "
„Jetzt wollen wir ein wenig schlafen," sackten die Jungen, „und
wenn wir aufwachen, wird das Wasser kochen." Und, sie legten
sich ins Gras und schlössen die Augen.
Die Rakete war sehr feucht und es brauchte eine lange Weile, bis
sie Feuer fing. Endlich kam sie doch ins Brennen.
„Jetzt steig ich auf," rief die Kakete und machte sich ganz steif
nud gerade. „Ich weiss, dass ioh viel hdher steigen werde als die
Sterne, 'viel hoher als der Mond, viel höher als die Sonne. loh
werde so hodi steigen, dass —
Kzs! lüss! Sizz! xmd sie stieg kerzengerade in die Lnft
„HerrüohP rief sieii „Und ao geht*s nim weiter in alle Ewigkeit
Was ein Saceese!^
Aber niemand sah sie.
Da fühlte sie ein eigentümliches Prickeln im ganzen Leib&
„Jetzt werde ich explodieren," rief sie. „Ich werde die ganze Welt
in Brand setzen und dabei einen solchen Lärm machen, dass ein
ganzes Jahr lang kein Mensch von was anderom wird sprechen
können." Und sie explod'orto wirklich, Krach! Krach! Pffft! machte
das Schiesspulver. Darüber gab's keinen Zweifel.
Aber niemand hörte sie, nicht einmal die zwei kleinen Jungen,
denn die waren fest eingeschlafen.
„Um Gottes willen!" schrie die Gans auf, „es regnet Stöcke!" und
sie schoss ins Wasser.
„Ich wnsste dodi, ich würde ein riesiges Au&ehen machen," haachte
die Bakete und ging aoa.
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INHALTSVERZEICHl^TS
DAS GESPENST VON CANTERVILLE 1
DER GLÜCKLICHE PRINZ 33
DIE NACHTIGALL UND DIE ROSE 45
DER EGOISTISCHE RIESE 53
DER ERGEBENE FREUND ßl
DIE BEDEUTENDE RAKETE 15
UNIVERSITT OF CAUFORNIA LIBRARY
Ulis book I» DUE oti die last date scamped below.
0CT22 1947
LiD 21-100m-12,'46(A20128
16)4120