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Full text of "Die gepuderte Muse : französische Verserzählungen des Rokoko in deutscher Übertragung"

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Die gepuderte 
Muse 




Ludwig Fulda 




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DIE GEPUDERTE MUSE 



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DIE 

GEPUDERTE MUSE 



FRANZÖSISCHE 
VERS ERZÄHLUNGEN DES 

ROKOKO^ 




In deutscher Üb ertragung 
von 

Ludwig Fulda 



IM PROPYLÄEN - VERLA G 
ZU BERLIN 



Mit 34 Tafeln in Kupfertiefdruck nacli 
zeitgenössischen Stichen 



Salzanordnung und Einhandzeichnung von Hugo Steiner-Prag 
Copyright 192a hy Propyläen-Verlag in Berlin 



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ino 

Qs A: I N H A L T 
G46 

Einleitung 9 

VERGIER: 

Pas Gespenst 2 7 

du c. er ce à U: 

Die neue Eva , , . . . . , ._ ■_ ■_ : ! 4j 

Di* Heustiefel 4^ 

ROUSSEAU, J. B.: 

Die Nachbarin von Marseille ^2 

GRÉCOURT: 

Der Hänfling Johannes XXII 77 

Das Bildnis des Hymen Mi 

PinnN 

Hosine 8_9 

Der Mönch am Zügel 1 1 3 



V OLTA IRE: 

Was den Damen gefallt iai 

Die Erziehung eines Fürsten '^8 

Die drei Arten «46 

Gertrud oder die Erziehung einer Tochter '6* 

Die Zierpuppe I ^7 

a RES S ET: 

Vert -Vert ♦ • '79 

Das lebendige Chorpult ao 4 

BESFONTAINES: 

Die Eutterschwinge 1 1 



DOUÂT- 



Aironso 

BOUFFIERS: 






247 


CHODERLOS DE LACLOS 






255 


I \f R F R T- 

l 1*1 L> i-r II 1 . 




Der Müller und der Bischof 


a63 


I )cr Onlfpl und iIim- \effi> 






*77 




288 


FLORIAN- 




Der Turteltauber 


3o3 




3i4 


Die Henne von Caux 


• . . • • 3st3 




..... 33G 




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EINLEITUNG 

Die Muse des Rokoko — wer könnte sie sich anders vor 
stellen als mit weißgepudertem Haar, von dessen listiger 
Folie abgehoben die frischroten Wangen ihren makellosen 
Schmelz durch ein kontrastierendes Schönheitsfleckchen nur 
noch sieghafter bekräftigen — eine in Schnee gebettete Rose, 
auf der eine kleine Mücke sitzt! Wem könnte sie sich anders 
verkörpern als im geblümten Seidenkleid überm bauschigen 
Reifrock, die halb offene Büste verengt und emporgedrängt 
vom hochgeschnürten Mieder, den Fuß im dünnen Atlas- 
schuh, den buntbebänderten Schäferstab in der Hand! Eine 
allerliebste Kokette, die in dieser artigen Maskerade nicht nur 
durch den Salon, sondern durchs ganze Leben dahinschwebt, 
weil sie bloß Festtage und keinen Werktag zu kennen scheint. 

So beherrschte sie den französischen Geschmack, den 
damals für ganz Europa vorbildlichen, fast ein Jahrhundert 
lang. Bis von einem gewaltigen Orkan der Puder aus ihren 
Haaren hinweggeblasen wurde und langsam zuBoden sickernd 
sie mitsamt ihrem Zeitalter verschüttete. Sie war überwunden 
— wie ihre Überwinder glaubten, auf immer. Und sie mußte, 
wie es in solchen Fällen zu geschehen pflegt, eine geraume 
Weile tot bleiben, um wieder lebendig zu werden. Die 
Zeiten und die Augen mußten sich abermals gründlich 



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1 o 



Einleitung 



gewandelt haben, bevor man entdecken konnte, daß jener 
verflogene Puder doch noch etwas anderes gewesen war 
als das Merkzeichen einer modrigen Verstaubung; daß er 
vielmehr wie der zarte Staub der Schmetterlingsflügel zum 
Hilfemittel gedient hatte für eine unnachahmliche und dar- 
um unverwelkliche Schönheit. Die gepuderte Muse feierte 
ihre Wiederauferstehung; und zwar nicht etwa nur als nied- 
liche Figurine in der großen Kostümkammer der Vergangen- 
heit, sondern als lebensprühendes Kunstgestirn. 

Welcher Zauber ist es, der uns Gegenwartsmenschen 
gerade zu ihr über allen bewußten Abstand der Ideen, 
Richtungen und Ziele hinweg so magnetisch hinzieht? War- 
um hat das Rokoko in seinem Gesamtwerk wie in seinen 
Einzelschöpfungen einen so überraschend hohen Liebhaber- 
wert für uns erlangt? Weil in ihm zum ersten und aller 
Wahrscheinlichkeit nach auch zum letzten Mal das vollendete 
Formgefühl, die heitere Harmonie, die üppige Sinnenfreude, 
die problemlose Daseinsbejahung einer rein ästhetischen, 
rein aristokratischen Kultur sich darstellen, Gipfelpunkt und 
Ende zugleich. 

Denn nachdem in der Menschenseele das soziale Gewissen 
erwacht ist, wird schwerlich eine bevorrechtete kleine 
Minderheit je wieder den Rücken der Mehrheit zu einer so 
bequemen, so selbstverständlichen Grundlage ihres Wohl- 
behagens benutzen können, wie es im Frankreich des großen 
Ludwig und seiner Nachfolger der Fall war. Seit dem 
klassischen Altertum, dessen vielgerühmte Schein-Demo- 
kratie ja den breiten Unterbau der Sklaverei zur notwendigen 



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Einleitung 



Voraussetzung gehabt hatte, war die Kluft zwischen 
Herrschenden und Fronenden nie so tief, so unüberbrück- 
bar gewesen wie dazumal. Hatte aber die Antike immer- 
hin das ewig unbekümmerte Schwelgen den seligen Göttern 
vorbehalten, so gab es nun einen irdischen Olymp, der 
dem himmlischen weder an Erhabenheit noch an Verant- 
wortungslosigkeit nachstand. Als Jupiter thronte darin der 
selbstherrliche König und vergöjtlichte kraft seiner mysti- 
schen Glorie auch alle diejenigen, die ein Strahl seiner 
Gnadensonne beschien. Gradeso, wie er den Brennpunkt 
des Hofes bedeutete, wurde der Hof der Brennpunkt jenes 
neuen Gebildes, das allmählich aus ihm hervorwuchs oder 
sich an ihn angliederte, der Gesellschaft. L'état c'est moi 
— mit Fug durfte sie das übermütige Wort Ludwigs XIV. 
auf sich ausdehnen. Nahm sie doch sämtliche Güter eines 
gesegneten Landes, die materiellen wie die ideellen, für sich, 
das heißt für den Adel und höheren Klerus, in Beschlag. 
Nur aus den obersten Schichten des Bürgertums, das in 
ehrgeiziger Sehnsucht, in liebedienerischer Anbetung vor 
ihr auf den Knien lag, gelang mitunter einem Glücklichen 
der Aufstieg zu ihr. Für das ganze übrige Volk blieb sie 
unnahbar entrückt; es trug, es nährte sie, ohne daß auch 
nur kärgliche Brosamen von ihrer strotzenden Tafel es da- 
für belohnten. Sie hegte nicht den leisesten Zweifel, daß 
dieser Zustand sich so gehöre, zumal die Massen selber ihn 
wie ein unabänderliches Fatum mit stumpfer Ergebenheit 
hinnahmen. Der Mond konnte ihr nicht entlegener vor- 
kommen als die Welt des Elends und der Unbildung, von 



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I 2 



Einleitung 



der sie unmittelbar umringt war. Nur selten lief einem 
Hellsichtigen ein leichter Schauder über die Haut. Drei- 
undzwanzig Jahre vor der Revolution schrieb Voltaire an 
einen Freund: „Wenn das Volk anfängt nachzudenken, 
ist alles verloren." Und fast wie eine freche Antwort dar- 
auf klingt der berüchtigte Ausruf der Pompadour: „Nach 
uns die Sintflut!" 

Und doch — das alles hindert uns nicht, zu bewundern, 
wie meisterhaft es diese Gesellschaft verstanden hat, vor 
der Sintflut für sich ein Paradies zu schaffen und es mit 
kräftiger Selbstsucht bis an deren Band zu behaupten. Das 
im Urbeginn verloren gegangene, das die Bibel uns schil- 
dert, hatte nur ein einziges Menschenpaar beherbergt ; und 
ob das Paradies für Alle, von dem der Sozialismus träumt, 
sich jemals hienieden wird verwirklichen lassen, steht da- 
hin. Durch Abschluß und Ausschluß hingegen verwirk- 
lichte sich im Bokoko das Paradies der Wenigen. Es glich 
einem wundersam gepflegten Ziergarten mit zugeschittenen 
Hecken, prangenden Blumenbeeten, schattigen La ubgängen, 
einladenden Basenplätzen, verschwiegenen Grotten und spru- 
delnden Wasserkünsten ; einem Garten, den eine so hohe 
Mauer umgab, daß man weder von außen sie übersteigen, 
noch von innen über sie hinausschauen konnte. War da- 
durch den Auserwählten, die ihn bevölkerten, die Unge- 
störtheit ihrer Wonnen im doppelten Sinne verbürgt, so 
fanden sie dennoch Baum genug darin, um sich einbilden 
zu können, es sei die freie Natur, in der sie — am liebsten 
paarweise — lustwandelten. Keine Pflicht, keine Sorge trübte 



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Einleitung 



i3 



das lachende Idyll ihrer Schäferspiele und Schäferstunden. 
Denn in diesem Paradies war es den Insassen, den geistlichen 
nicht minder als den weltlichen, unverwehrt, nach Her- 
zenslust vom Baum der Erkenntnis zu naschen. Der Triumph 
der vervielfältigten Eva wurde von keiner Buße bedroht. 
Denn zu den unberufenen Gästen, die hübsch jenseits der 
Mauer zu bleiben hatten, zählte namentlich auch die Moral. 

Gewiß, diese leichtfertige Gesellschaft wollte genießen, 
weiter nichts; genießen, gleichviel um welchen Preis und 
auf wessen Kosten. Aber indem sie den Genuß bis zu einem 
beispiellosen Grad verfeinerte, wurde sie schöpferisch. Sie 
fugte zuvörderst den schönen Künsten in mustergültiger 
Ausübung eine neue hinzu : die Lebenskunst. Sie entwickelte 
aus dem Zeremoniell des Hofes heraus das Gesetzbuch des 
guten Tons, das die weitgehende Freiheit der Sitten be- 
grenzte durch die behutsame Gebundenheit der Umgangs- 
formen. So erhob sie erzieherisch die Gemeinschaft einer 
schon durch Geburt und Rang gesiebten Auslese zu höch- 
ster geselliger Kultur. So erfand sie für den wechselseitigen 
Verkehr der beiden Geschlechter in der Galanterie jenes 
anmutige System, das auch die Liebe in ein Gesellschafts- 
spiel verwandelte. Ja sogar der Geist wurde seinem ange- 
stammten Einsiedlerwesen zum Trotz von ihr gesellig ge- 
macht, um ihrem ununterbrochenen Festgelag zur beson- 
ders leckeren Würze zu dienen. 

Die berühmten bureaux d esprit, die Salons, in denen 
angeregte Frauen hervorragende Männer zu schöngeistigen 
Turnieren um sich versammelten, entkeimten sicherlich 



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E inleitung 



wie jede andere Geselligkeit dem einfachen Verlangen nach 
Zeitvertreib. Wenngleich sie an dessen Qualität ungewöhn- 
liche Ansprüche stellten, lag ihnen doch nichts ferner als 
die mühselige Aufgabe, in verborgene Schächte der Er- 
kenntnis hinabzudringen. Hier ward nur gemünztes Gold 
in Zahlung genommen, nur fertig angerichtete Speise auf 
den Tisch gesetzt. Einerlei, welches Thema zur Debatte 
stand, man forderte vor allen Dingen von der Unterhaltung, 
daß sie unterhaltend sei. Eine Zeitgenossin verglich sie mit 
dem „Champagnerschaum, der sich verflüchtigt und nichts 
zurückläßt, dessen Geschmack aber doch unendlich ange- 
nehm ist". Man haftete an der Oberfläche; man spielte mit 
Gedanken, wie man mit Bällen spielt, und den Preis im 
Wettstreit errang, wer für das schwerste Problem das leich- 
teste Treffwort fand. Die großen Fragen der Menschheit, 
des Staates, der Nation, hier lieferten sie nur den willkom- 
menen Rohstoff zu einem prasselnden Feuerwerk. Selbst 
der Krieg samt seinen für Frankreich gewonnenen und ver- 
lorenen Schlachten wurde — so unglaublich es heutigen 
Ohren klingen mag — in diesem Kreis mit witzigen Epi- 
grammen abgefertigt. Trotzdem aber sind für die Bildung, 
für Wissenschaft, Kunst und Literatur von hier die nach- 
haltigsten Antriebe ausgegangen. Nicht nur daß der Geist, 
indem er genötigt wurde, kurzweilig zu sein, zugleich die 
Kurzweil vergeistigte. Er selber gelangte dadurch in die hohe 
Schule der Weitläufigkeit. Er empfing den funkelnden Schliff 
und die federnde Schlagfertigkeit, die ihm späterhin bei 
ernsteren Waffengängen zugut kamen. Und hauptsächlich. 



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E inle itung 



i5 



er gewann einen Resonanzboden, ein Forum, ein Echo, 
wurde durch die rege Fühlung mit einer einheitlichen 
Gönnerschaft befähigt zur Ausprägung eines Stils. 

Die staunenswerte Stilsicherheit in den Werken des Ro- 
koko erklärt sich daraus, daß sie aus einer bereits stilisier- 
ten Wirklichkeit hervorgingen. Nicht aus dem elementaren, 
chaotischen All, sondern aus eben jenem wohlgehegten 
Paradiesgarten der guten Gesellschaft, dessen Mauer auch 
ihnen die Außenwelt verbarg. Die verschiedenen Künste 
waren nichts andres und wollten nichts andres sein als 
der in bunte Regenbogenstrahlen zerlegte Abglanz dereinen, 
unteilbaren Lebenskunst. Und sie konnten der vollendeten 
äußeren Kultur, der sie entsprangen, nur Genüge tun, in- 
dem sie ihr durch die Vollendung in allem Formalen, allem 
Handwerklichen die Wage hielten. Den Genuß der Genie- 
ßenden zu steigern war ihr alleiniger Zweck, die Luxusbe- 
dürfnisse einer überaus wählerischen, überaus feinschmecke- 
rischen Elite zu befriedigen ihre ganze Bestimmung. Sie 
sollten ihr das Dasein nicht rückhaltlos spiegeln, nicht sehe- 
risch deuten; sie sollten es schmücken, so verschwende- 
risch und so schönheitsvoll wie möglich. Architektur und 
bildende Kunst reichten sich die Hände, um den galanten 
Festen der Paradiesbewohner den kostbaren Rahmen zu 
schaffen, und auch die Dichtung beeiferte sich, ihren ver- 
wöhnten Sinnen zu schmeicheln. 

* * 
* 



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i6 



E inleitung 



Begreiflich daher, daß die Muse des Rokoko nicht einem 
himmelstürmenden Titanen die Stirn geküßt hat. Der hätte 
schlecht in ihr abgezirkeltes Elysium gepaßt. Nein, sie hat 
nach dem Beispiel ihrer damaligen Erdenschwestern ihre 
Gunst gleichmäßig unter viele schätzbare Bewerber ver- 
teilt. Und dennoch hat sie einen vorzugsweise verhätschelten 
Liebling besessen, dem sie ihre Seele einhauchte, ihre 
Reize erschloß wie keinem andern. Einen genialen Poeten 
der Farbe. Mit Recht haben die Brüder Goncourt an den 
Eingang ihres Buches über die französische Kunst jener 
Tage den Satz gestellt: „Der große Dichter des achtzehnten 
Jahrhunderts ist Watteau." Auf den Bildern dieses be- 
gnadeten Hexenmeisters blüht und leuchtet der versunkene 
Zaubergarten fort. In seinen Geschöpfen atmet die be- 
neidenswerte Leichtlebigkeit und der festliche Müßiggang 
einer niemals alternden Jugend, deren ganzes Geschäft 
darin besteht, unter ewig blauem Himmel auf einer immer- 
grünen Wiese zu lagern oder Arm in Arm auf spiegel- 
glatter Flut sich nach der Insel Cythera einzuschiffen. Für 
uns eine Traumwelt, aber dennoch voll eindringlicher 
Uberzeugungskraft, weil der Maler sie nicht erträumte, 
sondern bloß in ihr verklärte, was er rings um sich herum 
mit Augen sah. 

Einen Meister der Dichtkunst vom Rang Watteaus hat 
die gleichzeitige französische Literatur nicht aufzuweisen. 
Selbst die beiden weltbewegenden Schriftsteller, die, dem 
Rokoko entstammt, es durch ihre mächtige Gedankenarbeit 
überwanden, selbst Voltaire und Rousseau waren ja Dichter 



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Einleitung 



1 



nur im Nebenamt; der erste in seinen Poesien noch ganz im 
mütterlichen Boden wurzelnd, der zweite schon eigenwillig 
von ihm losgelöst. Für den Mangel des Außerordent- 
lichen entschädigen jedoch zahlreiche Autoren durch ein 
so beträchtliches Können, daß man kaum einen wesent- 
lichen Wertunterschied zwischen ihnen entdeckt. Diese 
Literatur gleicht nicht wie die der Renaissance einem Ge- 
birg mit ragenden Häuptern ; sie gleicht einer Hochebene, 
die zwar keine getürmten Gipfel, hingegen auch keine 
Niederungen kennt. Wir haben, wenn wir sie betreten, die 
angenehme Gewißheit, daß so wichtige Dinge wie Maß und 
Geschmack, Überlieferung und Feingefühl sich von selbst 
verstehen. Die Bücher dieser Zeit sind die getreuen Ab- 
bilder der Salons, unter deren Einfluß und zu deren Nutz 
und Frommen sie geschrieben waren. Wir nehmen teil an 
einer sehr vornehmen, sehr liebenswürdigen, sehr vor- 
urteilslosen Gastlichkeit, bei der ein geistreicher Abbé oder 
ein überlegener Weltmann uns mit unübertrefflicher 
Noblesse etwas Anziehendes vorplaudert oder zuflüstert. 
Wir dürfen nicht erwarten, daß man uns überwältigt, 
brauchen aber auch ganz und gar nicht zu befürchten, daß 
man uns langweilt. 

Damit ist eigentlich schon gesagt, welche Gattung dem 
Wesen dieser Literatur am meisten entgegenkam. Für die 
Lyrik fehlte ihr die ursprüngliche Empfindung, für das 
Drama wie für den dickleibigen Roman die Weite der An- 
schauung und die Plastik der Gestaltungskraft. Um so 
glücklicher konnte sie in der kleinen Erzählung all ihre 

Fulda, Di« gepuderte Muse 2 



i8 Einleitung 

Gaben entfalten; in ihr kam sie dank innerer Verwandt- 
schaft dem Watteau am nächsten, der ja im Grunde 
genommen auch ein Erzähler, ein Märchenerzähler war. 
Und wie man die Bilder Watteaus, wenn sie in Worten 
statt in Farben gedichtet wären, sich nicht in Prosa, nur 
in metrischer Form vorstellen könnte, so ist es die Vers- 
erzählung, in der die gepuderte Muse ihren echtesten Aus- 
druck, ihre sieghafteste Offenbarung erreicht. Oder sind 
Vers und Reim für das Rokoko, wie wir es uns vergegen- 
wärtigt haben, nicht weit mehr als ein kleidsames Kostüm, 
eine reizvolle Ornamentik, eine silberne Melodie? Sind sie 
nicht das poetische Symbol jener Scheidewand, die den ge- 
segneten Garten vor den Rauheiten des Lebens bewahrt? 
Sind sie nicht der jenem ganzen Geschlecht so unentbehr- 
liche Schleier, der „um die gemeine Deutlichkeit der 
Dinge den goldnen Duft der Morgenröte" webt? Ja, in 
gleitenden, hüpfenden, tanzenden Versen mußten diese Ge- 
burten einer idealisierten, von aller Erdenschwere ent- 
lasteten Natur ihre natürliche Sprache finden. 

Der Schauplatz, an den sie uns entführen, mit. welchem 
Namen er auch genannt sein mag, ist in Wahrheit ein holdes 
Nirgendland, worin die Menschen des goldenen Zeitalters 
von den barock zurechtgestutzten Göttern der antiken My- 
thologie am seidenen Fädchen gelenkt werden. Als die 
oberste Gottheit, allen andern an Macht überlegen, thront 
Amor und schnellt vom Bogen seine gefiederten Pfeile, 
die aber nur prickelnd ritzen, nicht sehrend verwunden. 
Erotik ohne Leidenschaft, Liebe ohne Tragik, Rausch ohne 



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Einleitung 



•9 



Ernüchterung, Feuer ohne Qualm. Ein Gefilde der Seligen, 
deren Seele nicht von Stürmen aufgewühlt, nur vom Zephyr 
gekräuselt wird. Sie leidet nicht an Widersprüchen; sie 
krankt nicht an Verworrenheit ; es klafft in ihr kein Zwie- 
spalt ; es tönt aus ihr kein Mißklang. Das gilt für die weib- 
liche in noch höherem Grad als für die männliche. Denn 
das Weib, aus dem die moderne Psychologie so unerschöpf- 
lich viel herausgeholt, in das sie so unergründlich viel hin- 
eingeheimnist hat, erscheint hier noch kaum als objektiv 
geschautes Eigenwesen. Es ist durch die Brille der männ- 
lichen Begier lediglich aus einem Punkte gesehen ; mit der 
einseitigen Psychologie des Jägers, den die seelischen Re- 
gungen des Edelwilds nur insoweit interessieren, als sie 
Aufschluß darüber geben, wie man es am sichersten zur 
Strecke bringt. Aber mag diese Dichterei, mit den kritischen 
Maßstäben unseres Jahrhunderts gemessen, auch tausend- 
fach überholt sein, sie wiegt ihre offenkundigen Schwächen 
auf durch Vorzüge, die von keiner Nachfolge wettgemacht 
worden sind. 

Zum kleinsten Teil beruhen sie auf dem rein Stofflichen. 
Zwar sprudelt der Born der Erfindung in nie ermattender 
Frische, nie versagender Fülle. Doch diese ergötzlichen 
Märchen ftir große Kinder, diese duldsamen Satiren und 
neckischen Schwänke, diese lockeren Liebes- und Ehe- 
standsgeschichten, ob von ihren Erzählern selbst ersonnen 
oder den Fundgruben altfranzösischer Fabliaux und ita- 
lienischer Novellistik entlehnt, würden durch ihren Inhalt 
allein uns nicht in ihren Bannkreis zwingen. Hier, wenn 



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20 



Einleitung 



irgendwo, lernen wir einsehen, daß in der Kunst über- 
haupt wenig oder nichts am Was gelegen ist, alles am Wie. 
Äußerste Verfeinerung der Lebensformen hat hier in orga- 
nischem Werdegang einen bildnerischen und sprachlichen 
Formsinn ohnegleichen gezüchtet. Die schwebende Zart- 
heit der Behandlung, die tändelnde Anmut des Vortrags, 
an die seraphische Lieblichkeit Mozartscher Symphonien 
gemahnend, beflügelt sogar das Plumpe, adelt das Wohl- 
feile, verzierlicht das Derbe und läutert das Gewagte. Die 
Grazien in Person, aus unseren heutigen Künsten nahezu 
gänzlich verbannt, hier trifft sie der Lauscher bei ihrem 
unverschüchterten Reigen. 

* * 
* 

Ich habe es unternommen, die besten Kleinodien aus 
dieser Goldschmiedewerkstatt in deutsche Sprache zu fassen. 
Sie sind in Deutschland trotz der längst erwachten Vor- 
liebe für jene Zeit so gut wie unbekannt. Freilich teilen 
sie damit das Schicksal unserer eigenen Rokoko-Dichtung. 
Wer kennt die entzückenden Verserzählungen unseres 
Wieland? Es geht übrigens in Frankreich der Mehrzahl 
seiner dortigen Zeitgenossen nicht viel besser. Außer den 
einschlägigen Werkchen Voltaires, die sich jugendlicher 
erhalten haben als seine umfangreichen Epen, und dem 
einen oder andern Kabinettstück, wie besonders dem w Vert- 
Vert w von Gresset, befinden sich ihre Bücher mehr auf 
den Gestellen der Bibliotheken als in den Händen der 
Leser. Die Literaturgeschichten, auch die ausführlichen, 



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Einleitung 



2 I 



huschen flüchtig über sie hinweg, nennen nicht einmal 
vollständig ihre Namen. Daher hat es einige Mühe ge- 
kostet, die umfassende Übersicht zu gewinnen, die einer 
gewissenhaften Auswahl vorangehen mußte. Diese wurde 
ferner noch erschwert durch die Gleichwertigkeit und 
Gleichartigkeit der Leistungen, deren einzelne Verfasser, 
wenn sie anonym überliefert wären, man kaum deutlicher 
auseinanderhalten könnte als bei dem großen Sammelwerk 
von Tausend und einer Nacht. Ich darf hoffen, daß es mir 
geglückt ist, der daraus sich ergebenden Gefahr eintöniger 
Wiederholung zu entrinnen und soviel Abwechslung zu 
bieten, wie der Mangel scharf unterschiedener Charakter- 
köpfe gestattet. Denn die dreizehn in chronologischer 
Reihe hier vereinigten Dichter sind, obwohl der jüngste 
fest ein volles Jahrhundert nach dem ältesten geboren 
wurde, Blüten an ein und demselben Zweig. 

Noch ein Wort über das deutsche Sprachgewand. Die 
allgemeinen Grundsätze, von denen die künstlerische Über- 
tragung fremder Dichtungen sich leiten lassen soll, habe 
ich in meiner Studie „Die Kunst des Übersetzers" («Aus 
der Werkstatt", Verlag Cotta) eingehend zu entwickeln 
versucht. Es ist aber jedesmal ein neues, ein individuelles 
Problem, mit dem neue literarische Individualitäten an den 
Übersetzer herantreten. Er hat bei den Werken ver- 
schiedener Dichter, je nach ihrer Zeit, ihrem Volkstum 
und ihrem eigenen Charakter, sich genau so völlig anders 
einzustellen, wie der Schauspieler sich bei verschiedenen 
Rollen 'einstellt. Im vorliegenden Fall dreht sich die 



?.1 



Einleitung 



besondere Aufgabe vor allem um Stil und Form, die schon 
darum sorgfältigste Vermittlung beanspruchen, weil die 
Originale ihren Reiz und Wert wesentlich ihnen verdanken. 
Was den Stil betrifft, so galt es, die Patina nicht zu ver- 
wischen und doch auch wieder eine gekünstelte Alter- 
tümelei des Ausdrucks zu vermeiden. In Bezug auf die 
Form durfte der schaukelnde Flug und Fluß der Verse, 
das glitzernde, perlende Spiel der Reime um keinen Preis 
verloren gehen. Wenngleich die französische Metrik be- 
kanntlich auf die Silbenzählung, nicht wie die unsrige auf 
den Akzent sich stützt, konnte ich mich ihr umso näher 
anpassen, als die jambischen Versmaße, die ihr im Deut- 
schen entsprechen, bei uns für diese Gattung allgemein 
üblich sind. In der Erzählung Voltaires „Die drei Arten" 
findet man diese längeren oder kürzeren Maße sowohl 
eins nach dem andern angewandt wie durch treffende 
Glossen gekennzeichnet, während die übrigen Gedichte 
entweder ein einzelnes von ihnen durchweg beibehalten 
oder sie gemeinsam, nämlich den vier-, fünf- und sechs- 
füßigen Vers, in willkürlicher Verschlingung miteinander 
wechseln lassen. Der letztere, der Alexandriner, ist hier- 
zuland dadurch in Mißkredit gekommen, daß man ihn 
immer wieder wahllos nachgebildet hat, ohne die Gegen- 
sätzlichkeit des französischen und des deutschen Sprach- 
geistes in Rechnung zu ziehen. Zum deutschen dramatischen 
Vers eignet er sich erfahrungsgemäß nie und nimmer, und 
ich bin deswegen bei meinen Molière-Arbeiten mit reif- 
licher Überlegung von ihm abgewichen. Für ein kleineres 



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Einleitung 



23 



erzählendes Gedicht darf er indessen unbedenklich über- 
nommen werden, zumal man in seinem etwas steifen 
Faltenwurf die Reifrocke des Rokoko knistern hört. Nach 
diesen Gesichtspunkten bin ich den Urtexten Zeile fur 
Zeile treulich gefolgt, habe nur an ein paar Stellen der 
Wirkung zulieb mir unbedeutende Kürzungen erlaubt. 

Und nun beginne die Fahrt der bekränzten Barke, die 
den deutschen Leser einlädt, auf einige Stunden aus einer 
nicht gerade paradiesischen Gegenwart nach der heiteren 
Insel Cythera zu flüchten. 

LUDWIG FULDA 



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DAS GESPENST 



Ein wackrer Edelmann wuchs einstens auf 

In der Guyenne. Gibt's dortzuland wohl andre? 

Nein, die Garonne, wie lang und weit sie wandre, 

Wird nichts gewahr in ihrem ganzen Lauf 

Als Leute von urechtem, altem Adel. 

Marquis von Peyremant war außerdem 

Jung, kühn, gewandt, gewachsen ohne Tadel 

Und als geschickter Plaudrer angenehm; 

Das heißt, er sprach gar viel, gleichgültig was. 

Denn bei den Weibern braucht man, merkt euch das, 

Nicht ängstlich auf der Worte Sinn zu achten. 

Nur loben müßt ihr, schmeicheln, möglichst dick, 

Müßt nur verstehn im rechten Ton zu schmachten, 

Müßt albern schwatzen jeden Augenblick 

Von eines Liebenden Beruf und Zweck 

Und von des wahren Zartgefühls Gesetzen; 

Vor allem aber zeigt euch möglichst keck : 

Das ist genug, dann werden auf dem Fleck 

Die Damen euch als schöne Geister schätzen ; 

Ihr könnt sie sämtlich wickeln um den Finger 

Und geltet allgemein als Herzbezwinger. 



28 



Das Gespenst 



Unser Marquis besaß von diesen Gaben 

Im Überfluß und nutzte sie mit Fleiß. 

Einst ritt er, ohne viel Gepäck zu haben, 

Quer über Land — zu welchem Ziel? Wer weiß? 

Er selber wußte schwerlich, wo hinaus: 

Mehr als der Schiffersmann im Wogenbraus 

Gibt sich dem Wind anheim, wer abenteuert, 

Ist überall, nur nicht bei sich zu Haus, 

Fragt nicht, wohin des Zufalls Hand ihn steuert. 

Beschränkt ist andrer Leute Wirkungsfeld 

Auf einen Winkel, den sie sich erwerben 

Durch Arbeit oder durch Geburt ererben; 

Doch der Gascogner hat zum Reich die Welt. 

So ließ er trotten seine magre Stute, 
Die glänzte durch gar manches bunte Band 
Sowie durch der Schabracke Flittertand. 
Der Held, bedeckt vom flotten Federhute, 
Trabt auf gut Glück dahin mit stolzem Mute, 
Da stürzt an einer glatten Wegeskante 
Urplötzlich seine dürre Rosinante. 
Glücklicherweise trifft kein Schaden ihn ; 
Nachdem er sich erhoben und geschüttelt, . 
Sucht er sein keuchend Pferd emporzuziehn, 
Jedoch umsonst, so viel er an ihm rüttelt. 
Die Mähre sieht ihr letztes Stündlein nahn, 
Und während zu dem kargen Herrn gewendet 
Sie vorwurfsvoll ihm schwache Blicke sendet, 



Das Gespenst 



a 9 



Weil ihr sein schnöder Geiz dies angetan 
Vermittelst allzuknappen Futters, endet 
In einem Seufzer ihre Lebensbahn. 

Der arme Peyremant, wie tief er trauert, 

Sobald er seines Reittiers Tod gewahrt! 

Jedoch sein Schmerz hat noch nicht lang gedauert, 

Als ein Befördrungsmittel beßrer Art 

Erscheint und ihn befreit aus aller Not. 

Ein Wagen fährt vorüber, und darinnen 

Thront eine schöne Frau, in deren Sinnen 

Noch nie der Liebe Feuer hat geloht. 

Ein ältlicher Gemahl sitzt ihr beiseit 

Und auf dem Rücksitz eine junge Base, 

Da die Gesellschaft in der Sommerzeit 

Ein nahes Landhaus aufsucht als Oase. 

Ins Auge fällt sogleich dem guten Alten 

Der Abenteurer mit dem toten Pferd, 

Und weil er diesen, wie der Anschein lehrt, 

Für einen Mann von Rang und Stand muß halten, 

Steigt er sogleich heraus, in seinem Wagen 

Ihm Platz anbietend und zu weitrer Rast 

In seinem Haus als höchst willkommnem Gast. 

Dies wird vom Ritter höflich ausgeschlagen, 

Verstärkte Bitten lehnt er gleichfalls ab, 

Jedoch am Ende läßt er sich herab, 

Nimmt in der Kutsche dankend seinen Sitz 

Und sputet sich, sein Wissen anzubringen; 



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3o 



Das Gespenst 



Er spricht mit dem Gemahl von ernsten Dingen, 

Mit kleinen Schmeichelein und leichtem Witz 

Kürzt artig den zwei Damen er die Zeit, 

Bereitet allen viel Ergötzlichkeit. 

Er macht mit ihnen drauf sich seihst bekannt; 

Er stellt sich vor als Mann von hohen Graden, 

Mit Herzog X, Prinz Y verwandt, 

Beliebt bei Hof, beim König sehr in Gnaden. 

Er schildert seine Güter und ernennt 

Sich selbst zum Oberst, dessen Regiment 

Begriffen ist auf einem Marsch nach Flandern. 

Es einzuholen war er just bedacht; 

Schon warten da und dort auf ihn die andern. 

Er hat nur einen Umweg noch gemacht 

(Das sagt er mit geheimnisvoller Miene), 

Damit er, eh' dem Vaterland er diene, 

Veitrauten Abschied nehm'. Auf solche Weise 

Trägt er manch lächerliche Fabel vor, 

Und seinem Fluukern leiht in diesem Kreise 

Gutgläubig und belustigt man das Ohr. 

So kommt man unversehns an Ort und Stelle, 
Und unversehns empfindet auch derweil 
Die junge Frau den Schuß von Amors Pfeil. 
Wie, werft ihr ein, endodert man so schnelle, 
Zumal wenn man noch nie zuvor geliebt? 
Bezweifelt ihr s? Ein keusches Herz ergibt 
Sich leichter als ein andres diesen Flammen, 



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Das Gesfenst 



3i 



Weil es die Macht nicht kennt, von der sie stammen, 

Und läßt sich ohne Warnsignal erraffen; 

Hingegen eins, dem ihre Schliche kund, 

Das noch von manchem ihrer Pfeile wund, 

Ist gegen ihren Angriff stets in W'affen. 

Mißtrauisch ist es, läßt sich nicht betäuben 

Von einem kurzen, trügerischen Wahn, 

Und wird s durch Zwang ihm dennoch Untertan, 

Sucht's wenigstens ein Weilchen sich zu sträuben. 

Nun wohl, Zelide — dies der Schönen Name — 

Trägt keinen Panzer, keinen Schild von Erz; 

Im Augenblick verwandelt sich ihr Herz. 

Doch solch ein Wandel schadet keiner Dame. 

Ist's doch der Liebe Wirkung, die sich immer 

Bewährt und nicht auf Einbildung beruht, 

Zu doppeln jeder Schönheit Reiz und Schimmer; 

Die allerkleinste Dosis dieser Glut 

Verleiht ein Etwas euch in Blick und Haltung, 

Das nie zuvor gelangt ist zur Entfaltung. 

So läuft gleich nach der Ankunft emsiglich 
Zum Spiegel die verschossene Zelide, 
Putzt sich die Zahne, schminkt und kräuselt sich 
Und sucht sodann als strahlende Sylphide 
Den schönen Ritter, der ihr Herz versehrt. 
Nicht lange dauert's, bis verwirrte Mienen 
Und Blicke, funkend aus dem Flammenherd, 
Zur scheuen Botschaft ihrer Liebe dienen. 



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32 



Das Gespenst 



Nicht lange währt's auch, bis der Herr Marquis, 

Der ja kein Neuling ist in diesem Fache, 

Begreift und eifrig eingeht auf die Sache. 

Hinüber und herüber äugeln sie ; 

Man wechselt halbe Worte, halbe Fragen, 

Gezwinker und Geseufze spielen mit, 

So daß, bevor es neu beginnt zu tagen, 

Man schon einander auf die Füße tritt 

Und nach verstohlnen Händedrücken angelt. 

Indes nach allgemeiner Regel war 

Dies nicht genug; ein wicht'ger Umstand mangelt, 

Ein Umstand, ohne den kein Liebespaar 

Sich als vollkommen glücklich wird bekennen, 

Und diesem Umstand — brauch' ich ihn zu nennen? — 

Sieht man ein Hindernis im Wege stehn. 

Der alte Herr Gemahl ist eifersüchtig, 

Weicht keinen Schritt von ihr; wie soll man tüchtig 

Und wirksam solchen Argus hintergehn? 

Seid außer Sorgen; Amor zog noch nie 

Den kürzeren, er macht in allen Landen 

Des Eifersücht'gen Wachsamkeit zu schänden, 

Und so geschah's auch hier; vernehmt nur, wie. 

Der Alte war beschränkt und glaubte blind 

An alle Zauberein, an Hexenmeister, 

An Traumgesichte, namentlich an Geister, 

Vertrauensselig wie ein kleines Kind. 

Hört nachts er Lärm, sieht Lichtschein vor dem Fenster, 



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Das Gesfenst 



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Kobolde sind's, die er zu wittern schwört, 

Werwölfe oder greuliche Gespenster, 

Und vor Entsetzen ist er ganz verstört. 

Da Peyremant von dieser Schwäche hört, 

So säumt er nicht, mit einer ganz genauen 

Berechnung seinen Plan darauf zu bauen. 

Beim Plaudern aufgeschnappt hat der Gesell, 

Daß dieses Gimpels Bruder einst vor Zeiten 

Gezwungen worden durch ein kühn Duell, 

Auf immerdar zu flüchten in die Weiten ; 

Und allsobald ist er mit sich im reinen : 

Er will, um den beschwerlichen Gemahl 

Zu täuschen, nachts ihm als Gespenst erscheinen, 

Als Geist des Bruders, der, zu herber Qual 

Verdammt im lichterlohen Fegefeuer, 

Um draus befreit zu werden, hoch und teuer 

Um hilfreich wirkende Gebete fleht. 

Kaum ist der Plan gefaßt, als er Zeliden 

Ihn ohne jeden Zeitverlust verrät. 

Erst weist sie diesen Vorschlag sehr entschieden 

Zurück, von Ängsten oder Scham durchdrungen ; 

Doch so gewaltig ist sein Redefluß, 

Daß schließlich seinem Wunsch sie weichen muß. 

Ausdrücklich aber wird zuvor bedungen, 

Daß er mit feierlichem Schwur gelobt, 

Er werde brav sein und durch nichts als Worte 

Den Brand betätigen, der in ihm tobt. 

F n Ida, Die gepuderte Mu»e 3 



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Das Gespenst 



Wie dünkt euch wohl ein Schwur von dieser Sorte? 

Wollt ihr verbürgen, daß er sich erprobt? 

Und wähnt ihr, daß die Schöne selbst vielleicht, 

Mit dem Geliebten nachts allein gelassen, 

Sich sehr bemüh n wird, ihn beim Wort zu fassen? 

Ich weiß nur, daß, sobald der Tag entweicht, 

Sie sorglicher als je das Haar sich kämmt, 

Ihr Mieder auszieht, um dem Brauch entgegen 

Sich kaum bekleidet in ihr Bett zu legen, 

Sich wäscht mit einem Fleiß, der sonst ihr fremd, 

Und alles dies — ihr ahnt wohl selbst, weswegen. 

Doch wie dem sei, der Hampelmann ist kaum 

Entschlummert auf dem ehelichen Pfühle, 

Als der Galan sich einschleicht in den Raum, 

Geräuschvoll umwirft Schränke, Tisch und Stühle, 

In Seufzer ausbricht und in kläglich Stöhnen, 

Den Vorhang zieht mit grauenhaftem Lärm 

Und mit den schauerlichsten Jammertönen 

Zu sprechen anhebt, daß bis ins Gedärm 

Dem armen Alten das Entsetzen fährt: 

„O du, der friedlich liegt in sanftem Schlummer, 

Wach auf, geweckt von eines Bruders Kummer, 

Der vormals dir so teuer war und wert. 

Hör unverzüglich seine letzten Bitten. 

Seit vor zwei Tagen meines Lebens Strang 

Von Mörderhänden meuchlings ward zerschnitten, 

Bin ich verdammt, viertausend Jahre lang 



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Das Gespenst 



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Zur Buße meiner sündhaft bösen Taten 

Im Fegefeuer rettungslos zu braten, 

Falls dein Gebet mich nicht daraus befreit; 

Drum dein Gebet ist s, dem ich mich empfehle. 

Erhebe dich, eil trotz der Schlafenszeit 

Zur Kirche hin ; für meine arme Seele. 

An der umsonst Gewissensbisse nagen, 

Halt fromm das Totenamt, und dies zu tun 

Fahr pünktlich fort im Laufe von neun Tagen; 

Denn grad zur Zeit, wenn alle Menschen ruhn, 

Verdoppelt sich unsagbar meine Folter." 

Nachdem er diese Rede vorgebracht, 

Erneut er sein Gewimmer und Gepolter, 

Worauf er schnell sich aus dem Staube macht. 

Der Gatte, dem die Zähne klappern, schwebt 

Zuerst im Zweifel, ob er dem Begehren 

Des falschen Bruders Folge soll gewähren, 

Nicht weil ein Argwohn sich in ihm erhebt, 

Vielmehr weil sein Gemüt von Angst beklommen. 

Doch als er seiner Gattin Rat vernommen, 

Die hundert Fabeln kennt von Unglücksraben, 

Die man erwürgt in ihrem Bette foud, 

Bloß weil Erhörung sie verweigert haben 

Den une Hüsten Geistern, übermannt 

Ihn stärk re Furcht und heißt ihn hurtig sein. 

Kaum aber ist er aus der Tür geschieden, 

3- 



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Das Gespenst 



Tritt der Marquis beschwingt von Amor ein, 
Um andern Zoll zu fordern von Zeliden. 

Entzückt und stürmisch naht er sich der Teuern ; 

Jedoch um seinem Ungestüm zu steuern, 

Läßt sie den einmal schon geschwornen Eid, 

Er werde brav sein, nochmals ihn erneuern. 

Er schwört's und bricht den Schwur zu gleicher Zeit. 

Denn beim Gelöbnis, daß er jedenfalls 

An ihre Sittsamkeit nicht wagt zu tippen, 

Raubt er sich einen Kuß von ihren Lippen, 

Umschlingt er kecklich ihren nackten Hals, 

Bedrängt auf hundert Arten sie gewaltsam 

Und plaudert so zerstreuend unterhaltsam, 

Daß, während ihm erfolgreich vorzudringen 

Gelingt, Zelide keinen Widerstand 

Ihm leistet, oder doch nur sehr geringen. 

Dann, immer plaudernd, schmuggelt er gewandt 

Sich auf den leeren Platz des Eheherrn. 

Ade nun Schwüre, Tugend, gute Sitten ; 

Ihr seid vom Rand des Abgrunds nicht mehr fern. 

Der Liebende rückt vor mit Riesenschritten ; 

Mit festem Arm umschlingt er seine Schöne, 

Die weiter sich dabei nichts Arges denkt. 

Es fehlt, damit der Liebe Werk sich kröne, 

Nur noch der letzte Schritt. Doch Venus lenkt 

Die Liebenden und läßt es drum geschehen, 

Daß, währenddem in brünstigem Gebet 



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Das Gespenst 



Der Ehemann das Totenamt begeht, 
Sie hier das Amt der Lebenden begehen 
Und nur zuweilen absteh n, sich zu herzen, 
Um über die gelungne List zu scherzen. 

Jedoch damit ihr außer Sorgen seid, 
Ist's nötig, daß ich Aufschluß euch erteile : 
Die Kirche lag fast eine ganze Meile 
Vom Haus entfernt; so hatten volle Zeit 
Die Liebenden und keinen Grund zur Eile. 
Der Gatte kommt erst wieder, als es tagt, 
Und Stück für Stück berichtet er Zeliden, 
Was alles für der armen Seele Frieden 
Er unternommen. Sie hinwiedrum sagt, 
Sie hab' zu gleichem Zweck die ganze Nacht 
In heißesten Gebeten zugebracht. 
Das log sie nicht. Sie tat es augenscheinlich, 
Wie meine Schilderung euch klar beweist. 

Neun Nächte lang vollzog der Alte peinlich, 
Was ihm befohlen worden von dem Geist, 
Und ebenso neun Nächte lang begingen, 
Von immer neuer Leidenschaft entflammt, 
Die glücklich Liebenden ihr frommes Amt; 
So häufig pflegten sie den Text zu singen, 
Daß schließlich sie darin beschlagner waren, 
Ihn mehr vom Anfang kannten bis zum End', 
Als ein Prälat und Mönch den seinen kennt, 



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Das Gespenst 



Den täglich er geübt seit Jugendjahren. 

Wie dem auch sein mag, endlich nach Verlauf 

Neun wohlgezahlter Tage wurde rührend 

Abschied gefeiert. Der Marquis brach auf, 

Nicht nur das Herz Zelidens mit sich führend, 

Auch reich Geschmeid und Beutel voller Gold, 

Die der Gemahl ihm gab als Ehrensold. 

Dies ist das Schlimmste nicht an der Geschichte: 

Man zeig' mir den Gascogner ohne Geld, 

Dem Liebesruhm erschiene von Gewichte, 

Falls nicht was Bares ihm sich beigesellt. 




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LE PÈRE JEAN ANTOINE DU CERCEAU 



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DIE NEUE EVA 



„Den Appetit erweckt verschloßnes Brot. 

Für jede Sünde liegt in dem Verbot 

Ein Vogelleim, ein Köder, ein Magnet. 

Dorthin zu gehn, hierher zurückzukehren, 

Ist es erlaubt? Wenn nichts im Wege steht, 

Wird man sich keinen Pfifferling drum scheren. 

Doch ein Gesetz, das etwas untersagt, 

Steckt augenblicklich uns dafür in Flammen, 

Zum Zeichen, daß wir all von Eva stammen ; 

Nur sei sie nicht zu hart von uns verklagt. 

Nun ja, sie gab ein großes Ärgernis 

Und ward für unsre Schwachheit so die Quelle ; 

Doch sie verurteilt mancher, der gewiß 

Grad so gehandelt hätt' an ihrer Stelle." 

So sprach zu seiner Gattin einst ein Gatte, 

Die, unsrer Stammesmutter äußerst gram, 

Sie sich zum Ziel gestrengen Tadels nahm, 

Weil sie den argen Fehl begangen hatte, 

Von welchem unser ganzes Elend kam. 

„Ach, schändlich!" rief sie, „solcherlei Tortur 

Erst ihrem armen Gatten auferlegen 

Und dann der Nachwelt! Und dies all weswegen? 



Die neue Eva 



Aus Gier nach einem dummen Apfel nur. 
Frau Eva zeigte schlechtesten Geschmack. " 

„Gut oder schlecht, die Frucht", sprach ihr Gemahl, 

„War nicht der Grund von diesem Schabernack, 

Nein, das Gesetz, das den Verzicht befahl. 

Nur dies erregte des Gelüstes Qual. 

Und wohlbemerkt, " so fuhr er fort, „ich wette: 

Wollt' etwas dir verbieten irgendwer, 

Wonach du nie verlangtest, ja, noch mehr, 

Wovon dein liebes Ich nur Schaden hätte, 

Du trügest stürmisch gleich danach Begehr." 

„Ich!" ruft die Frau. — „Ja, du," versetzt ihr Mann. 
„Das tatest du bestimmt, ich wüTs beeiden ; 
Mag sich's durch eine Wette denn entscheiden." 
Ihr ist es recht, sie nimmt den Wettpreis an : 
Als dieser wird ein großer Haufe Geld 
Vertraglich zwischen ihnen festgestellt. 

Der Wackre spricht: „Ich will zu keiner Tat, 
Die gar zu peinlich wäre, dich verleiten. 
Wohlan so höre: Wenn du gehst zum Bad, 
Grenzt linkerhand ein Sumpf an deinen Pfad ; 
Falls einen Monat beim Vorüberschreiten 
Du dich enthalten kannst, in den Morast 
Hineinzutauchen mit den nackten Füßen, 
Dann geb' ich zu, daß du gewonnen hast. 



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Die neue Eva 



Doch Vorsicht ! Fällt ein Straucheln dir zur Last, 
Dann mußt du's mit der ganzen Summe büßen." 

Nun, dieser Sumpf war voll Gestanks, durchzogen 

Von Abgußwässern ; jeder hätte sich 

Um ihn herumgedrückt in weitem Bogen, 

Und solch ein Prüfstein schien höchst lächerlich. 

Die Frau schlägt ein mit siegbewußtem Sinn ; 

So völlig sicher ist ihr der Gewinn, 

Als ob das Geld bereits im Kasten klinge, 

Als lieg' es zur Verwertung schon bereit ; 

Sie denkt zu kaufen hundert hübsche Dinge, 

Ein neues Perlenhalsband, neue Ringe 

Und namentlich ein wunderbares Kleid. 

Sie geht somit wie jeden Tag ins Bad, 

Nicht ohne heimlich nach dem Sumpf zu blicken ; 

Für einen Anfang reichte das wohl grad : 

Mehr mochte sich beim ersten Mal nicht schicken. 

Des Menschen Geist ist ein vertrackt Kapitel, 
Und mach* ich auf den Menschen meine Glossen, 
Dann ist die Frau natürlich eingeschlossen, 
Und zwar, gering gerechnet, für zwei Drittel, 
Wie sich am gegenwärt'gen Beispiel zeigt. 
Bald war die gute Frau dem Wahn geneigt, 
Eis lohne sich — so kam's zu meinen Ohren — 
Wenn man in schmutzig schwarzes Wasser steigt, 



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44 Die neue Eva 

Und die Herausfordrung begann zu bohren. 

Das klare, reine Wasser in dem Bad 

Schien ihr, mit jenem dort verglichen, fad ; 

Vielleicht war auch der Teufel mit im Werke. 

Doch wie dem sei, die Frau besaß die Stärke, 

Zu schweigen, ließ zunächst auch nichts verlauten 

Zu Jeanneton, der treuen Kammerkatze, 

Die längst schon aufgerückt war zur Vertrauten. 

Ein schmiegsam Wesen, immer auf dem Platze, 

Verstand sie jedem Winke zu willfahren, 

War unterwürfiger als eine Magd 

Und hätt', ich bin gewiß, in hundert Jahren 

Zu ihrer Herrin niemals nein gesagt. 

Nun aber von der Dienerin genug; 

Zurück zur Heldin müssen wir uns wenden. 

Allstündlich wächst in ihr der Willenszug, 

Trotzt übermächtig allen Widerständen. 

Der Sumpf zieht an mit immer größrer Kraft, 

So heftig auch sie sich dagegen strafft; 

Stets näher tritt an seinen Rand sie täglich ; 

Was liegt ihr noch am Bad? Nein, ganz unsäglich 

Tobt fur den Sumpf in ihr die Leidenschaft. 

Es tummelt sich auf ihm ein Entenschwarm ; 

Den zeigt sie Jeanneton und fühlt sich arm 

Vor dieser Enten besserem Geschick ; 

Ja, ließe sich's durch einen Tausch erhandeln, 

Sie würde sich sogleich zur Ente wandeln, 

Und wärs auch nur für einen Augenblick. 



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Die neue Eva 



45 



Doch häufig reißt Gelegenheit gewaltsam 
Uns weiter, als in unsrer Absicht lag. 
Die Dame zieht an einem nächsten Tag 
In einer raschen Wallung unaufhaltsam 
Von einem ihrer Füßchen Schub und Strumpf 
Und streift mit nackter Sohle leis den Sumpf. 
Sie läßt es immerhin dabei bewenden, 
Zieht schnell den Fuß zurück zum Überfluß, 
Hält allerdings ihr Herz mit beiden Händen; 
Doch Selbstbeherrschung auch ist ein Genuß. 

Der Mann, der sie mit Argusblick umschleicht, 
Sieht ihren Widerstand sich sacht verringern, 
Lacht sich ins Fäustchen, zählt an seinen Fingern, 
Daß ihre Kraft nicht für den Monat reicht. 
Er zählte richtig, sagt Frau Chronika ; 
Zwei Monatsdrittel sind noch kaum verflossen, 
Und der Entscheidungstag ist endlich da. 
Den Fortschritt wohl bemerkend und entschlossen, 
Sein Weib aufs Eis zu fuhren, sagt ihr Mann, 
Er wolle nach den Winzern sehn heut Morgen 
Und hinterher noch allerhand besorgen. 
Er geht aufc Feld; nach kurzer Zeit sodann 
Schlägt er sich außen 'rum zum Pächterhofe, 
Um dort aus günstigem Versteck zu spähn. 
Bald schaut er, wie zum Bad mit ihrer Zofe 
Die Dame geht ; sie bleibt am Sumpfe stehn, 
Betrachtet ihn, ist so von ihm gebannt, 

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Die neue Eva 



Als wär's ein Wunderquell; nach einer Pause 

Reißt sie sich seufzend los von seinem Rand, 

Setzt ihre Wandrung fort zum Badehause ; 

Doch weil geheime Glut sie dort versengt, 

Verläßt sie's wieder ungewöhnlich frühe, 

Von Aufruhr und Begier die Brust bedrängt. 

Sie sträubt sich, martert sich — verlorne Mühe: 

Das Herz ist schwach, die Lust ist ohne Zügel, 

Und die Vernunft regt kaum noch ihre Flügel. 

„Nein, Jeanneton, ich leide gar zu viel", 

Ruft ihre Herrin, wie zur Selbstbefreiung; 

„Es hält mich Wette nicht, noch Prophezeiung, 

Mich kümmern beide keinen Pappenstiel. 

Kurz, ich erkläre nun dir frank und frei: 

Erproben will ich den versumpften Teich ! 

Wend' ein, was immer dir beliebt, mir gleich ; 

Ob man s erfahrt, ob nicht, mir einerlei; 

Denn ernstlich war' aufs Spiel gesetzt mein Leben, 

Wollt* ich dem Drang noch länger widerstreben." - 

„Ei, gnäd ge Frau, hat's gar so groß Gewicht," 

Sagt Jeanneton, „wozu noch viel Bedenken? 

Ich hab' es kommen sehn und weiß nur nicht, 

Weshalb Sie drum sich ängstigen und kränken. 

Sie wollen s; gut, so muß es denn geschehu. 

Der Herr zuvörderst ist ja nicht zur Stätte ; 

Drauf schwören will ich, niemand wird Sie sehn. 

Jedoch verlören Sie sogar die Wette, 

Was schadet's? Werden Sie drum Hungers sterben? 



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Die neue Eva 4 7 

- . - . ■ — 

Sie bleiben trotzdem noch genügend reich ; 
Doch wenn wir's richtig fädeln, dann erwerben 
Sie sich Vergnügen und Gewinn zugleich." — 
„Brav, Jeanneton!" versetzt die Frau. „Wohlauf! 
Verschieben wir nicht länger das Vergnügen!" 
Man rüstet sich, setzt sich in Dauerlauf, 
Um schleunigst nach dem Sumpf sich zu verfügen. 
Barfüßig, die Pantoffel in der Hand, 
Kommt erst Madame als Vortrab angerannt 
Und Jeanneton als Nachhut hinterher. 
Scharf sichtet unterwegs man kreuz und quer, 
Ob nicht ein Zeuge lauschend mag erscheinen. 
Doch niemand zeigt sich, und der Herr ist weit. 
Die Füße brennen ; erst steckt sie den einen 
Versuchsweis' in die schwarze Flüssigkeit, 
Zieht ihn zurück; doch kommt nun an die Reih' 
Der andre ; der wird auch zurückgezogen, 
Und kurz und gut, in die verschlammten Wogen 
Taucht sie nach ein gern Zögern alle zwei. 

Dies alles mittlerweile sah der Mann 

Von seinem Hinterhalt bequemlich an 

Und dankte dem Geschick mit heißem Lobe, 

Daß er auf keine brenzligere Probe 

Die schwache Tugend seiner Frau gestellt. 

Wie leicht könnt' Unheil sich daraus ergeben ! 

Er bebt, und weil er über diesem Beben 

Das Spiel für weit genug getrieben hält, 



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Die neue Eva 



Tritt spöttisch lächelnd er aus dem Versteck. 
Wär' ein Gespenst erschienen, könnt' ihr Schreck 
Nicht größer sein. Sie flüchtet pfeilgeschwind ; 
Doch nackten Fußes läuft man nicht so schnelle, 
Daß er sie nicht schon einholt vor der Schwelle. 
„Nun also," sagt er; „zürnst du noch, mein Kind, 
Weil jener Schicksalsapfel ward verzehrt? 
War Eva wirklich so verdammenswert?" 




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DIE HEUSTIEFEL 



Ein Städtchen Jiegt in der Provinz verloren, 

An Bummlern reich und naseweisen Toren. 

Schwarz oder rot bemäntelt auf dem Markt 

Versammeln. sich dort morgens die Notabein. 

Das Neueste, Tatsachen oder Fabeln, 

Falsch oder wahr, wird weidlich durchgeharkt. 

Die Zeitung wird von tücht'gen Kannegießern 

Zergliedert mit politischem Geschwätz ; 

Man wittert jeden Schlich des Kabinetts 

Und lenkt den Staat. Doch ob von all den Spießern 

Ein einz ger, wenn von so gelehrten Bahnen 

Er um die Mittagsstunde heimwärts kehrt, 

Zu schweigen von gebratnen Ortolanen, 

Ob er nur Feuer findet auf dem Herd? 

Zwar steht das Fasten dort nicht hoch im Preise ; 

Doch Nichtstun stopft im Beutel kaum das Loch : 

Man gibt sein Kramchen nicht fur Trank und Speise, 

Man schickt's in eitlem Großtun auf die Reise, 

Und vor dem Trödler weichen muß der Koch. 

Wie dem auch sei, Schlag elf, beim Glockenzeichen 

Vertagt sich der Gerichtshof; jeder geht 

Zum Essen, wenigstens er tut dergleichen ; 

Fulda, Die gepuderte Mim 4 



5o 



Die H eus tief el 



Solang jedoch die Sitzung fortbesteht, 
Dann jedem armen Fremden dreimal wehe, 
Der wandernd wird verschlagen in die Nähe ! 
Der kecken Meute schuldet er Tribut: 
Erst unterliegt er allgemeinem Spähen, 
Wird streng geprüft vom Kopf bis zu den Zehen ; 
Dann wird gestichelt; sein Gesicht, sein Hut, 
Sein Kleid wird durchgehechelt um die Wette, 
An ihm ist dies zu kurz und das zu krumm; 
Man bringt mit schlechten Witzen fast ihn um. 
Getrost sich zeigen darf an jeder Stätte, 
Wer ohne Schmäh wort, ohne Seitenhieb 
Geschlüpft ist durch solch unerbittlich Sieb. 

Gleichwie die Großen machen es die Kleinen ; 
Vornehmlich unter diesen Großen prunkt 
Voll Majestät in Haltung und Erscheinen 
Der Schultheiß, der Finanzer, der Adjunkt, 
Kurz, alle, die mit stolzem Überragen 
Den schwarzen oder roten Mantel tragen. 
Nun wohl, das Volk, das seine Größen schätzt, 
Mit Wohlgefallen folgend ihrem Pfade, 
Nimmt teil an dieser Kurzweil ohne Gnade, 
Und arg wird jedem Fremden zugesetzt. 

Da kommt nun eines Tags ein Reitersmann, 

Der kaum sich noch Im Sattel halten kann 

Vor Frost, bis au den Hals bespritzt mit Flecken 



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Die Heustiefel 



5i 



Von Schlamm, auf seinem schlecht gezäumten Schecken 

Just zwischen zehn und elf im Städtchen au. 

Er hatte sich auf gutes Glück zum Schutz 

Teils vor der Kälte, teils vorm Straßenschmutz 

Die beiden Beine rings in Heu gewickelt 

Und so für Stiefel billigen Ersatz 

Geschaffen. Kaum erscheint er auf dem Platz, 

Als von dem neuen Phänomen geprickelt 

Zusammenströmt in Scharen jung und alt. 

Dem Schultheiß steht kraft seiner Amtsgewalt 

Das Zeichen für des Spieles Anfang zu. 

„Ei," sagt er, während jener kommt geritten, 

„Ich bin kein Schwärmer für vergangne Sitten; 

Im Notfall haben zwar in ihre Schuh' 

Die Leute manchmal Heu getan vorzeiten ; 

Doch der macht ganze Stiefel draus zum Reiten." — 

„Lacht nicht hierob, ihr Herrn," so sagt ein zweiter; 

„Der Mensch ist achtsam und vernunftbeseelt; 

Denn so gestiefelt bleibt ein jeder Reiter 

Davor bewahrt, daß ihm das Futter fehlt." — 

„Ich will", so fügte der Finanzer bei, 

„Dem Hof dies edle Vorbild offenbaren; 

Denn stiefelt so man unsre Reiterei, 

Wie große Summen wird man dann ersparen." 

Der gute Bursche, der von allen Seiten 

Nunmehr sich angegafft sieht und verlacht, 

Schwenkt ab nach links und will den Bach durchreiten. 

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52 



Die Heustiefel 



„Hebt Eure Beine, Herr, und habt wohl acht," 

So ruft man, w Eure Stiefel werden naß." 

Nicht aus noch ein mehr weiß der arme Ritter; 

Doch naht ihm ein noch schlimmres Ungewitter. 

Die große Straße trabt er kaum fürbaß, 

Als ihn die Bürger sich mit Fingern weisen, 

Schindluder mit ihm treiben ohne Scheu, 

Ihn vorn und hinten, rechts und links umkreisen, 

Mit Spott bedeckend seiner Stiefel Heu. 

Lehrling und Meister, Nachbar und Gevatter 

Zerpflücken ihn mit bissigem Geschnatter, 

Als ging' es um ihr ewig Seelenheil, 

Und keiner gilt fur voll, der nicht sein Teil 

Beiträgt, indem er sticht gleich einer Natter. 

Längs aller Buden, aller Fleischerbänke 

Spießruten laufen mußt' er voller Scham, 

Bis endlich er zur ersten besten Schenke 

Mit Not und Mühe seine Zuflucht nahm. 

Er wünschte, fluchend wie ein Kannibale, 
Daß diese Städter holen soll die Pest 
Und diese Stadt, sie mehr als zwanzig Male 
Verächtlich titulierend Winkelnest. 
Zwei Jünger Sankt Crispins vor allen Dingen 
Verfolgten hänselnd bis zum Wirtshaus ihn 
Und wußten ihn so weidlich aufzuziehn, 
Um ihn zu lichterloher Wut zu bringen. 
Sie riefen laut ihm nach mit keckem Ton : 



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Die Heustiefel 



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„Spornt, spornt mit Euren Stiefeln, Herr Baron!" — 

„Ja freilich", sprach er, außer sich vor Zorn, 

Worauf ihm leis die Worte noch entglitten : 

„Ich gebe morgen euch zulieb den Sporn, 

Jedoch auf eure Kosten, ihr Banditen!" 

Er ließ, nachdem gereift sein Plan der Rache, 

Den einen der zwei Schuster zu sich bitten 

Und sagte: „Meister, heut in eil'ger Sache 

Mußt' ich am frühen Morgen über Land, 

Und weil mir keine Stiefel just zur Hand, 

Behalf ich mich mit diesen eigner Mache; 

Heustiefel, wie Ihr seht, genau nach Maß, 

Wohl oder übel mußten sie genügen. 

Man lachte drob ; doch ich verstehe Spaß 

Wie keiner sonst, ja, lache mit Vergnügen 

Gar selber mit. Doch nun davon nichts weiter ; 

Laßt uns zur Sache kommen. Eins ist klar: 

Richtige Lederstiefel braucht ein Reiter. 

Nun also, könnt Ihr morgen früh ein Paar 

Mir liefern — gegen bar natürlich?" — „Sicher", 

Erwidert Meister Gervais mit Gekicher. 

„Schon morgen früh ! Zwar eine knappe Frist. 

Ich muß die ganze Nacht mit flinken Händen 

Am Werke sein, doch will mein Wort verpfänden, 

Daß morgen früh der Herr zufrieden ist." 

Der Handel ward geschlossen, Maß genommen 

Und ausbedungen strenge Liefrungspflicht. 

„Nur", sprach der Reitersmann, „vergeßt mir nicht, 



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Die H eu s ti e f el 



Daß ich die Stiefel pünktlich muß bekommen 
Um fünf Uhr morgens mit dem Glockenschlag ; 
Wenn nicht, so wißt, daß ich sie nicht mehr mag." 
Der Meister Pfriem versichert es und geht. 
Doch unser Freund begibt nach kurzer Pause 
Zum andern Schuster sich am Abend spät. 
Er trifft in seiner Werkstatt ihn zu Hause 
Und gibt ihm mit den gleichen Worten kund 
Den gleichen Wunsch wie seinem Amtsgenossen. 
Eis wird der gleiche Handel abgeschlossen 
Mit einer Ändrung: aus gewissem Grund 
Verlangt der Fremde, daß dies Stiefclpaar 
Punkt sechs Uhr abgeliefert werden solle, 
Genau Punkt sechse, wohlbemerkt, aufe Haar! 
Der Schuster willigt ein, verspricht, er wolle 
Für Pünktlichkeit auf die Minute sorgen. 

Die Sache wickelt sich am nächsten Morgen 

Planmäßig ab. Um fünf beim Dämmerschein 

Tritt Meister Gervais mit den Stiefeln ein 

Und geht ans Werk, den einen anzuproben, 

Den andern dann. Beim rechten Stiefel glückt 

Die Probe ganz vorzüglich ; minder loben 

Läßt sich jedoch der linke; dieser drückt 

Und ist zu eng hier unten und hier oben. 

Der Meister ist erbötig, einmal noch 

Zwei Stunden auf den Leisten ihn zu spannen. 

u Nun wohl," sagt jener, «nehmt ihn mit von dannen; 



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Die 



Heustiefel 



55 



Ihn spätestens um sieben mir jedoch 

Zurückzubringen dürft Ihr nicht vergessen. 

Ich werde halbgestiefelt unterdessen 

Hier auf Euch warten," fahrt der Schlingel fort; 

„Denn trefflich paßt gottlob mir dieser eine." 

Der Meister Gervais, der ihm glaubt aufs Wort, 

Läuft mit dem andern heim und tut das Seine. 

Der Fremde zieht den Stiefel aus in Kilo, 

Stellt ihn beiseit und wartet eine Weile, 

Bis auf den Schlag um sechs mit flinkem Schritt 

Der andre Schuster in die Stube tritt. 

Die Probe wird begonnen mit dem linken; 

Der sitzt untadelhaft; hingegen muß 

Beim rechten er vor Schmerzen schrein und hinken. 

Den Schuster wundert's; doch er meint zum Schluß, 

In einem Stündchen bring' er s in die Reih', 

Wenn er ihn nochmals auf den Leisten nehme. 

Der Fremde tut, als ob ihn schrecklich gräme 

Der Zeitverlust: „Ein Stündchen! Gut, es sei. 

Ich will den Aufbruch bis dahin verschieben ; 

Nur seid mir pünktlich wieder hier um sieben." 

Der Tölpel spricht sein Einverständnis aus. 

Den linken lassend an dem Fuß des Kunden, 

Rennt mit dem rechten er zurück nach Haus; 

Der zieht, kaum daß der Meister Pech verschwunden, 

Den Stiefel, den er schlau gestellt beiseite, 

Flugs an den rechten Fuß und sucht das Weite. 

Die Rechnung war am Tag vorher beglichen, 



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Die Heustiefel 



Den Klepper hält gesattelt schon bereit 

Der Stallknecht, der sein Trinkgeld eingestrichen ; 

Er spornt — und nun lebt wohl in Ewigkeit. 

Um sieben Uhr, wie ausbedungen, wandern 
Die beiden Schuster von zu Haus herbei, 
Der eine zwanzig Schritte hinterm andern, 
Und ihre Stiefel tragen alle zwei 
Geschultert wie der Jäger seine Büchse, 
Schon zählend auf die blanken goldnen Füchse. 
Der erste tritt herein, fragt nach dem Reiter. 
„Der ist nach London oder Rom gereist", 
Antwortet man. Der andre naht als zweiter 
Und wird mit gleicher Hiobspost gespeist. 
Vor Ärger fest um den Verstand gebracht 
Stehn beide da wie zwei begoßne Pudel 
Und werden überdies verhöhnt, verlacht, 
Geneckt, gefoppt von einem ganzen Rudel. 
Sie werden bis an ihre Läden hin 
Verfolgt, und nasendrehend ruft ein jeder: 
w O Gimpel, die zu reichlichem Gewinn 
Heustiefel eingetauscht ftir die von Leder!" 




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JEAN BAPTISTE ROUSSEAU 



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DIE NACHBARIN VON MARSEILLE 



Zu dieser Mär ist nötig kein Prolog; 
Wir wollen drum sogleich beginnen, 
Bloß im Vorbeigehn uns entsinnen, 
Daß ein Gebot im Dekalog 

Vorschreibt, man soll die Frau des Nachbars nicht begehren. 

Ein Florentiner, der als junges Blut 

Nach Frankreich kam, in diesen lehren 

Bewandert wahrlich allzu gut, 

War nicht geneigt, sich dran zu kehren. 

Er wollte die Provence durchqueren, 

Und nach Marseille gelangt zu diesem Zwecke, 

Ging er im Schlenderschritt umher im Stadtgebiet. 

An irgendeiner Straßenecke, 

Vor einer Ladentüre sieht 

Er ein Gesicht, zwei* Augen, Mund und Wangen, 

Die so mit Reiz begnadet prangen, 

Daß er entzückt von dieser Schau 

Ausruft: „O Gott, welch hübsche Frau!" 

Zu dem, der mit ihm geht, gewendet: 

„Fürwahr, es wären fünfzig Louisdor 

Für eine Nacht mit dieser nicht verschwendet. M 



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6o 



Die N achb arin von Marseille 



Er stößt die Worte laut genug hervor, 

Daß nichts davon ihr kann entrinnen ; 

Sie tut gleichwohl, nach Art verschmitzter Zauberinnen, 

Als habe sie dafür kein Ohr. 

Jedoch ein altes Weib, der Schönen Nachbarin, 
Die mit ihr ging, war minder zugeschlossen. 
„Vernahmt Ihr jener Worte Sinn?" 

Fragt sie. „Der Mensch dort scheint wahrhaftig sehr ver- 

Das ist ihm klärlich anzuschaun! [schössen; 

Und sollt' er das im Ernste meinen, 

Sagt, Hand aufs Herz und im Vertrau n, 

Wär es Euch drum zu tun, unnahbar ihm zu scheinen? 

Zumal in dieser Zeit, 

In der Ihr einsam und verlassen seid, 

Tn Indien Euer Mann, von Euch ein Jahr schon ferne! 

Ihr wärt die erste nicht, die gerne 

Von fünfzig Louisdor sich läßt verlocken. 

Zu rechnen sollte man mitunter nicht verschmähn: 

Bedenkt, was für ein fetter Brocken; 

Das hübsche Schnupftuch könntet Ihr erstehn, 

An dem schon längst sich Eure Augen weiden, 

Vielleicht gar einen Ring, aufs Haar genau wie den, 

Den Euer Mann Euch hat verehrt beim Scheiden, 

Wodurch das Ungemach erspart Euch bliebe, 

Daß, wenn er endlich wiederkehrt, 

Er das Verlorengehn des alten Rings erfährt, 

Den er Euch hinterließ als Bürgschaft seiner Liebe. }) — 



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Die Nachbarin von Marseille 



(>i 



„Ach," rief die Kaufmannsfrau, „was bildet Ihr Euch ein! 

Sprach jener wirklich solchermaßen, 

Muß das gleich bare Münze sein? 

Er hat sich bloß erlaubt zu spaßen. 

Und dächt' er ernstlich, was er sagt, 

Zu hoch steht mir mein Ruf, ich will ihn mir bewahren; 

Der Handel wäre zu gewagt." 

Die andre drauf: „Gewagt? Wer wird es denn erfahren? 
Auf einen Fremdling läßt uns schließen sein Gebaren, 
Und wenn er abreist, nimmt er mit sich jede Spur. 
Warum seid Ihr so zaghaft nur? 

Verlaßt Euch bloß auf mich. Wollt Ihr? Ich will nicht ruhn, 

» 

Bis mir gelingt, den Mann zu fassen, 

Und wenn er anbeißt, werd' ich schon das Meine tun. 

Nie soll man die Gelegenheit verpassen." 

Die Kaufmannsfrau, derartig von der andern 

Gedrängt, stimmt schließlich allem zu. 

Die Nachbarin enteilt im Nu 

Und überlegt beim Weiterwandern, 

Auf welchem Weg, an welchem Ende 

Der Stadt sie wohl den Florentiner fände. 

Sie denkt noch drüber nach, als plötzlich er in Sicht 

Ihr kommt. Er steht vor eines Hauses Garten, 

Um den Begleiter zu erwarten, 

Der grad mit einem Dritten spricht. 

Sie lächelt ihm zuerst entgegen; 

Er lächelt wiederum, sobald er sie erblickt. 



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62 



Die Nachbarin von Marseille 



Sie schlängelt sich heran und sagt zu ihm: „Weswegen 
Habt Ihr, mein werter Herr, mir lächelnd zugenickt? 
Wünscht Ihr vielleicht etwas mir zu vertraun?" — „O ja," 
Erwidert er; „wart Ihr's, die hier ieh in der Nähe 
Mit einer hübschen Dame sah?" — 

„Das stimmt," versetzt sie drauf; «sie lebt in junger Ehe; 

Ihr Mann weilt schon ein Jahr an Indiens Gestaden. 

Sagt an, gefiel Euch diese Frau? 

Ihr saht ihr eifrig nach, und ich vernahm genau, 

Was Ihr geäußert habt zu Eurem Kameraden." 

Drauf er: „Mir lieb; denn daß es Euch vernehmbar wäre, 

Dazu war dieses Wort bestimmt. 

Sprecht, ob sie mich beim Worte nimmt! 

Ich widerrufe nichts, auf Ehre." — 

„Mein Herr," versetzt die Nachbarin, 

„Ihr seid ein feiner Mann, und Ihr versteht zu leben. 

Ich halt' Euch drum nicht lange hin. 

Euch ist ein hübscher Wuchs, ein kluger Geist gegeben: 

Dies alles pflegt bei Fraun den Sieg davonzutragen. 

Auch würd' ich lügen, wollt' ich etwa sagen, 

Daß Euren fünfzig Louis man beilegt kein Gewicht. 

Bringt sie heut abend mit. Das Haus ist nicht zu fehlen; 

Ich werde dort sein. Zaudert nicht." 

Kurzum, der Schelm versprach, sie könnten auf ihn zählen, 
Und führte sein Versprechen pünktlich aus. 
Zur festgesetzten Zeit fand er die Fährte 
Des Edelwildes, das er heiß begehrte. 



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Die Nachbarin von 



M arseille 



63 



Im Schlaf schon lag das ganze Haus. 

Die Stunde war gewählt, damit kein Mensch mehr wach. 

Leis von der Alten wird begrüßt am Tor der Fremde. 

Er folgt, er steigt, er sieht beim Eintritt ins Gemach 

Die schöne Kaufmannsfrau im Heinde, 

Weiß, frisch und rundlich. Kaum erblickt hat er das 

Als in dem Bett sie sich versteckt, [Täubcheu, 

Von Linnen eingehüllt, in einem saubren Häubchen, 

So daß in wirrem Rausch sein Blick sich nur erstreckt 

Auf Ann und Hand von sammetweicher Glätte, 

Des Busens Schnee, nur halb bedeckt, 

Ein lachendes Gesicht, gemeinsam um die Wette 

Umladend: „Edler Herr, macht's Euch geschwind bequem, 

Um dieser Ruhstatt Süßigkeit zu kosten." 

Der edle Herr, durchaus nicht faul, willfahrte dem. 

Die Nachbarin stand lauschend Posten; 

Ins Nebenzimmer zog sie sich sodann zurück 

Und überließ das Paar dem vollen Liebesglück. 

Tun, lieber Leser, wir das gleiche, 

Damit, was anderwärts geschieht, uns nicht entweiche. 

• 

Es wartete bereits den dritten Tag 

Mit Ungeduld auf die Erlaubnis einzufahren 

Ein Segelschiff, das bei Marseille vor Anker lag. 

W T er dieses Schiffes Passagiere waren, 

Ob Leute höhern Rangs, dies war noch nicht bekannt. 

Zum Unglück aber jedenfalls befand 

Sich drunter unsres Frauchens Gatte, 



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Die Nachbarin von Marseille 



Der seine Heimkehr ihr noch nicht gemeldet hatte, 

Im Glauben, daß man um so süßern Honig nascht, 

Je mehr sein Weib man überrascht. 

üas Schiff könnt' endlich in den Hafen. 

Doch wegen vorgerückter Nacht 

Ward von der Mehrzahl ausgemacht, 

Für diesmal noch an Bord zu schlafen. 

Nur unser Kaufmann war damit nicht einverstanden; 

Ihm war ins Ohr ein Floh gesetzt. 

Er hätte nicht einmal zu spätrer Zeit als jetzt 

Gezögert, in Marseille zu landen. 

Inzwischen an die Stadt auf eine knappe Meile 

Herangekommen, geht das Schiff 

Vor Anker bei dem Château d'If. 

Der Ehemann besteigt ein kleines Boot in Eile. 

* 

Rein Wunder, daß der Weg zu lang ihm scheinen mochte 

Vom Schiff zum Port, vom Port zu seines Hauses Tor. 

Grad schlug es Mitternacht, als er dran pochte, 

Zwei-, dreimal; niemand kam hervor. 

Lag doch das Liebespaar, das höchst geschäftig 

Zuvor gewesen war, vom Schlaf dahingestreckt 

Und ward nicht von dem Lärm geweckt. 

Der Hausherr pochte wieder, doppelt heftig; 

Ein alter Diener schaut heraus am Ende: 

«Wer da?» - «Mach' auf! Ich bin es; ich!» 

Der Diener kennt die Stimme, wundert sich, 

Schließt hurtig auf, küßt seinem Herrn die Hand: 



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Die N achbarin von Marseille 65 

... - I . . . — 

„Herr, Ihr! Ich will mich gleich zur gnäd'gen Frau verfugen, 

Euch melden. 0,wiesehrwirdsiesichfreun ! "-„Schweigstill, tt 

Versetzt sein Herr, M und bring mich nicht um das Vergnügen 

Der Überraschung, die ich ihr bereiten will! 

Sie liegt gewiß bereits im Schlaf; drum weck' sie nicht. 

Ich will hinaufgehn ohne Licht, 

Damit ich neben ihr ins Bett verstohlen gleite; 

Wenn sie dann morgen früh mich sieht an ihrer Seite, 

Wie wird mich ihr verdutzt Gesicht zum Lachen bringen!» 

Der arme Diener, der nichts weiß 

Von allen hier geschehnen Dingen, 

Läßt ihn hinaufgehn, schweigend nach Geheiß. 

Vernehmt nun, daß die Nachbarin 

Von außen leider nicht verschlossen hat die Türe, 

Da keinen Zweifel sie gehegt, daß ohnehin 

Dem Paar nicht Überrumplung widerführe. 

Wer ein Geheimnis streng bewahrt, 

Begeht er unversehens nicht fast immer 

Ein Fehlerchen, wodurch sich alles offenbart? 

Der Gatte schleicht sich sacht ins Zimmer; 

Er nähert sacht auf Zehen sich dem Bette 

Und tastet blindlings dran herum ins Blau, 

Um ohne Störung seiner Frau 

Zu finden seine Ruhestätte. 

Er trifft auf einen Kopf und dann auf eineu zweiten . . . 

Wer ist vor jähem Schreck halbtot? 

Der arme Teufel ist's ; er wird bald blaß, bald rot, 

Fulda, Die gepuderte Muse 5 



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Die Nachbarin von Marseille 



Es ballt sich seine Faust, ihm Rache zu bereiten. 

Doch jede Strafe, die sein Geist erhaschte, 

Schien ihm noch grausam nicht genug 

Für seines Eheweibs abscheulichen Betrug. 

Es war nicht er, der überraschte, 

Wie er gehofft, nein, er ward überrascht von ihr. 

Verzweiflung droht ihn anzuwandeln; 

Jedoch gewaltsam dämpft er seine Rachbegier: 

Er möchte nicht im ersten Jähzorn handeln. 

Verschieben will er drum der Ungetreuen Mord, 

Bis man erblickt hat sein Verhängnis. 

Inzwischen schwebt in nicht geringerer Bedrängnis 

Die Nachbarin, sie fragt sich fort und fort 

Voll Angst, wie die Geschichte wohl mag enden, 

Und wachsam horchend an den Wänden, 

Zum alten Diener hört sie deutlich sagen ihn : 

„Ins Kloster lauf geschwind; such' Pater Goelestin — 

's ist meiner Gattin Ohm — und bitte diesen Frommen, 

In wicht'ger Sache gleich hierherzukommen." 

Drauf in das Erdgeschoß hinunter steigt er wieder 

Und wandert hier, zerquält von seiner herben Schmach, 

Mit großen Schritten auf und nieder. 

Die Nachbarin schlüpft auch hinab, dem Diener nach, 

Der schon auf schnurgerader Bahn 

Zum Kloster eilt und sagt ihm unumwunden : 

tt Ich wär' dir überaus verbunden 

Für einen Dienst, der leicht und billig ist getan; 



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Die Nachbarin von Marseille 6^ 

Ich bitte dich, raein Freund, ruf Pater Cyprian 

Statt Pater Coelestins hierher. 

Das fallt unstreitig dir nicht schwer, 

Und Mönch bleibt Mönch auf jeden Fall. 

Ob der, ob jener, was kann deinen Herrn das scheren? 

Macht er (obwohl mir das unglaublich dünkt) Krawall, 

So werd' ich selbst es ihm verwehren. 

Drum sei nur unbesorgt; ich nehm's auf mich, mein Sohn. M 

Der Bursch, der winken sah bereits den blanken Lohn 

Und sicher war, es könn' ihm, wenn er Gott befohlen 

Ihr den Gefallen tu', kein Ungewitter dröhn, 

Ging, Pater Cyprian zu holen. 

Herr Cyprian, ein Mann von stattlicher Erscheinung, 
War mit der Nachbarin, ich weiß nicht, ob verwandt, 
Ob nur befreundet; ich enthalte mich der Meinung, 
Wie Pater Cyprian mit dieser Dame stand. 
Sie lief entgegen ihm bis an das Klostertor 
Und sprach: „Ich brauch' Euch heut! Vor allen Dingen 
Verheiß' ich als Entgelt Euch zwanzig Louisdor." 
Ein guter Anfang, um den Hörer zu bezwingen; 
Nicht höchster Redekunst ist stärkre Wucht verliehn. 
„Ihr sollt", so fahrt sie fort, „mich aus der Klemme ziehn. 
Hier aber kann ich Euch unmöglich unterrichten. 
Kommt mit mir in mein Haus. M Der Mönch versetzt: „Ich bin 
Bereit; was tut man nicht, um Freunde zu verpflichten." 
So nimmt ihn mit zu sich die Nachbarin 

5' 



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68 Die Nachbarin von Marseille 

Und sagt, dort angelangt, mit flinkem Munde: 

„Ihr müßt mir borgen Euer Kleid; 

Ich bring' es Euch zurück in einer Viertelstunde. 

Hier wartet in der Zwischenzeit 

Auf Eure zwanzig Louisdor!" 

Dies Wort klingt so bestrickend seinem Ohr, 

Daß alle Skrupel untertauchen. 

Der Mönche Barbestand ist meistens schmal. 

Er gibt ihr sein Gewand und fragt sie nicht einmal: 

„Warum bedürft Ihr's?" noch: „Wozu wollt Ihr's ge- 

Ja, wenn ihr aufzählt ein paar Stücke Gold, [brauchen?" 

Dann, magisch angelockt von ihrem Schimmer, 

Tun augenblicks die Leute, was ihr wollt. 

Der Kaufmann unterdes ging auf und ab noch immer; 

Da trat im Mönchsgewand die Nachbarin ins Zimmer, 

Bis an die Nase deckend ihr Gesicht 

Mit der Kapuze, daß er nicht 

Erkenne, wer dies Kleid bewohne, 

Und sprach in rauh verstelltem Tone: 

„Ehrwürden Pater Coelestin 

Fühlt sich nicht wohl seit ein paar Tagen; 

Nicht kommen könnt' er drum ; ich aber kam für ihn, 

Nach Euren Wünschen Euch zu fragen ..." 

Der Kaufmann unterbricht: „Gleichviel; 

Denn bei dem Fall, der auf dem Spiel 

Hier steht, kann das mir nichts verschlagen, 



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Die Nachbarin von Marseille 



69 



Weil ihm auch Ihr Genüge tut: 
Ihr betet sicher grad so gut. 
Begebt Euch nach den obern Räumen ; 
Ihr findet zwei Personen dort. 

Die Beichte, bitt' ich Euch, nehmt ihnen ab sofort; 
Denn ihnen wird der Tod verhängt sein ohne Säumen." 

Das Weib im Mönchskleid steigt im Nu 

Mit einem Licht hinan die Stiegen 

In das Gemach, worin die Liebenden sich wiegen 

Im Traume, schließt von innen zu, 

Weckt sie, berichtet kurz, was vorgekommen, 

Und sagt sodann zum Florentiner: „Seht, 

W f elch Wagnis ich, um Euch zu retten, unternommen! 

Nun handelt selbst, bevor s zu spät. 

Erhebt Euch, tummelt Euch; all Eure Siebensachen 

Legt an und zieht hernach darüber dies Gewand. 

Dann steigt hinab und zürnt, weil man' s fur gut befand, 

Sich lustig über Euch zu machen, 

Indem man ohne Not Euch hergerufen hat. 

Ich lege mich ins Bett an Eurer Statt. 

Bergt Euren Hut und die Perücke unterm Kleid; 

Geht, wartet mein in meinem Hause, 

Von hier nur ein paar Schritte weit. 

Ich trefT Euch dort nach kurzer Pause." 

So sprechend legte sich die Nachbarin zu Bette, 

Und jener zog derweil des Mönchs Gewandung an, 



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TO 



Die Nachbarin von Marseille 



Ging ungesäumt hinunter dann 

Und sprach, als ob er Ursach' hätte, 

Sehr aufgebracht zu sein, mit ärgerlicher Stimme: 

„Herr, dieser Streich ist höchst verrucht 

Und Grund genug zu hellem Grimme, 

Daß man um Mitternacht nach einem Vorwand sucht, 

Mich herzusprengen, um in einem Bett zwei Frauen, 

Die friedsam ruhn., mir anzuschauen!" 

Sprach's, drehte sich herum, verließ hierauf im Nu 

Das Haus und schlug die Türe zu. 

Der Mann war ganz verblüfft, sobald er dies vernommen, 
Und sagte sich: „Zwei Fraun? O weh! 
Ich merke wohl, ich war zu jäh, 
Bin allzu rasch in Wut gekommen. 
O, welch bedauerlich Versehn! 

Mit Recht wird meine Frau deswegen mit mir schmollen. 

Ich hätte mich beherrschen sollen . . . 

Dem Ding erst auf den Grund zu gehn, 

Hatt' ich zum mindesten die Pflicht 

Vor solchem strengen Strafgericht!" 

Indem er dies betlenkend aufwärts stieg, 

Vernahm er seine Frau schon auf den Stufen, 

Die klagend anhob, zu dem Ehekrieg 

Das Vorspiel auszurufen: 

„Wie," sprach sie, „feiert so mein Mann 

Den Tag, an dem er zu mir heimkehrt endlich? 



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Die Nachbarin von Marseille 



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Dies ist mir völlig unverständlich. 
Kaum langt in seinem Haus er an, 

Gibt er von seinem Wunsch, mich loszuwerden, Kunde! 

Ich wüßte wahrlich nicht, aus welchem andern Grunde 

Er einen Beichtiger mir schickt 

Um Mitternacht , . ! Die rechte Stunde ! 

Wähnt er, ich sei vom Tod umstrickt? 

Nun merk' ich, welch beglückenden Empfang 

Von mir erwartete der Arge! 

Er möchte gern mich sehn im Sarge. 

Ha, leben werd' ich ihm zum Trotz noch möglichst lang ..." 

„Ja, lebe!" rief der Mann, der unvermutet 
Hereingetreten war, vor bittrer Reue krank, 
Und seiner Frau zu Füßen sank. 

„Mein Unrecht, ich gesteh's, ist groß, und, ach, mir blutet 

Darob das Herz. Befiehl, gebiete, wie den Fehl 

Ich dir vergüten soll, um Ablaß zu erlangen! 

Jedoch vergiß nicht, mein Juwel, 

Daß er aus Übermaß der Liebe ward begangen. 

Mir hat ein eifersücht'ger Wahn — 

Denn alles muß ich dir gestehen — 

Es wider Willen angetan, 

Solch eine Tollheit zu begehen. 

Als ich im Bett euch beide fand, 

Heraufgestiegen ohne Kerze, 

Da hab' ich blindlings mich verrannt ..." 



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Die Nachbarin von Marseille 



- 



Die Frau darauf: „Dies treue Herze, 

So malte sich's in deinem Sinn?!" 

Für sie nun aber nahm die Nachbarin 

Das Wort mit Unschuldston: „Wenn ich vermutet hätte, 

Daß Euer Mann heut wiederkehrt, 

Ich hätt' um keinen Preis geschlafen hier im Bette. 

Von Reue bin ich hart beschwert; 

Denn meinetwegen hat soeben 

Sein schnöder Argwohn Euch entehrt. 

Doch könnt Ihr eine Schuld mir geben?" 

Hierauf sich wendend zu dem Herrn: 

„Solang Ihr Eurem Hause fern, 

Verbracht' ich hier das ein und andre Mal die Nächte, 
Damit ich Eurer Frau für das gehäufte Leid, 
Getrennt zu sein von Euch, ein wenig Lindrung brächte. 
Jedoch bei meiner Seligkeit, 

Hart' ich vorausgesehn, daß draus im Lauf der Dinge 

So großes Ungemach entspringe, 

Dann wär' ich nie gekommen, nie!" 

Der Mann bat abermals, Verzeihung ihm zu schenken, 

Indem er sich allein der Schuld an allem zieh ; 

Er müsse selbst sein Tun aufs schärfste sich verdenken 

Mit einem Wort gesagt, er bettelte so kläglich, 

Gebarte sich so herzbeweglich, 

Daß endlich sie begann mit hoheitsvollen Mienen: 

„Für diesmal will ich dir verzeihn; 

Doch such' die Nachsicht zu verdienen. 

Ich würde schwerlich dir ein zweites Mal sie weihn." 



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Die Nachbarin von Marseille j3 

Die Nachbarin, die sich inzwischen angekleidet, 

Begab, als war' ihr nun der Aufenthalt verleidet, 

Sich heim und ließ in ihrem Haus 

Die Schadenfreude, dran sie sich geheim geweidet, 

In ihrer beider Freunde Beisein aus, 

Des Mönchs und des Galans, die, sehr mit ihr zufrieden, 

Voll Gier nach neuen'Abenteuern schieden. 




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JOSEPH WILL ART DE GRÉCOURT 



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DEK HÄNFLING JOHANNS XXII. 



Ein Weib sein und verschwiegen sein — o sprecht, 

Erfuhr man je, wo dies vereinigt wäre? 

Jedwede vom geschwätzigen Geschlecht 

Wahrt minder ein Geheimnis als die Ehre. 

Nur dächtet ihr vielleicht, ich übertriebe, 

Falls den Beweis dafür ich schuldig bliebe. 

Zu einem Nonnenkloster, wenig Meilen 

Von Avignon, verfugte Papst Johann 

Der Zweiundzwanzigste sich dann und wann, 

Der frommen Schar den Ablaß zu erteilen. 

Dies Kloster stand im allerbesten Ruf, 

So daß des Teufels gierigem Verlangen 

Nach Seelenfang es viel Enttäuschung schuf; 

Nur kleine Sünden wurden dort begangen : 

Schwatzhaftigkeit zumal, die, wie man weiß, 

Der böse Geist bei Nonnen schürt mit Fleiß. 

Einst kam der heil'ge Vater an, beladen 

Mit mancher Bulle, bot zum Kuß den Schuh 

Und ließ den Ablaß regnen immerzu, 

Als ob ihn gar nichts kosteten die Gnaden. 



Il 



Der Hänfling Johanns XXII. 



Doch unersättlich ist die Klostergilde; 

Sie führte den phantast'schen Wunsch im Schilde, 

Daß durch ein päpstlich Brève künftighin 

Die Nonnen die Bewilligung erreichten, 

Einander abzulegen ihre Beichten. 

„Glaub', heil'ger Vater," sprach die Oberin, 

„Wir würden unter uns viel offner sprechen, 

Als wir 's vor einem Priester tun. Wir Fraun, 

Wir haben ungezählte kleine Schwächen, 

Die wir nur schamrot einem Mann vertraun, 

Schon weil ein Mann oft selbst von dem der Grund, 

Was ihm bekennen soll der Nonne Mund.» — 

„ Einander beichten? O du liebe Zeit!" 

So rief der Papst. „Ein triftiges Bedenken 

Verwehrt mir leider, Euch Gehör zu schenken. 

Dies Sakrament verlangt Verschwiegenheit, 

Und Plappern ist seit alters unbestritten 

Der Fehl des ganzen weiblichen Geschlechts ; 

Hieraus ergibt sich drum, trotz Euren Bitten, 

Die Vorenthaltung dieses heil'gen Rechts. 

Jedoch damit aus eigener Erfahrung 

Ein Urteil mir zu bilden ich im stand, 

Leg* ich die Schachtel hier in Eure Hand; 

Behaltet sie bis morgen in Verwahrung; 

Nicht öffnet sie, bevor ich wiederkehre. 

Das Brève, das Ihr morgen sollt empfahn, 

Ihr hättet es verscherzt für immer, wäre 

Trotz dem Verbot die Schachtel auigetan." 



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Der Hänfling Johanns XXII. 



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Er geht, und Neugier drängt sich um den Kasten : 

„Laßt mich sie anschaun! Laßt mich sie betasten!" 

Man reißt sich drum ; doch macht man sie nicht auf 

Und legt gequält sich schlafen. Fast befallen 

Von Gelbsucht wird die Oberin, und allen 

Bleibt schlaflos diese Nacht. Am Morgen drauf 

Ein arges Durcheinander beim Gebet. 

An viel zugleich zu denken, o Beschwerde! 

Ein Nonnenkopf wird durch ein Nichts verdreht. 

„Ach," sagt die Oberin zu ihrer Herde, 

„Der Papst läßt uns vor Ungeduld vergehn; 

Welch groß Geheimnis kann er uns verstecken? 

Sind wir vielleicht nicht würdig, es zu sehn? 

Mir scheint fürwahr, er will uns tüchtig necken. 

Aus Rache laßt uns öffnen; wem wird's kund? 

So wie sie war, so schließen wir sie wieder." 

Vor Spannung bebt's der Schar durch alle Glieder; 

Die Obrin öffnet. Was wird auf dem Grund 

Des schicksalsvollen Schächtelchens gefunden? 

Ein Hänfling, der sich flink zur Decke hebt, 

Rings um sie pfeifend flattert in drei Runden, 

Dann leichten Fluges durch ein Loch entschwebt. 

Da wird ans Tor gepocht mit lautem Schlage. 

Der Pontifex tritt ein zu gleicher Zeit : 

„Ei, meine Schachtel! Nun, ihr Fraun, ich frage: 

Darf man sich anvertraun der Weiblichkeit? 

Wißt, euer Brève lag drin unter Siegel. 

O weh, davongeflogen ist es jetzt ! 



8o 



Der Hänfling Jobanns XXII. 



Euch soll man beichten, wenn ihr schon verletzt 
Ein solch Geheimnis? Nein, ihr Tugendspiegel, 
Beichtmütter geben wird's um keinen Preis. " — 
„Mir um so lieber," sagt ein Nönnlein leis; 
„Den Tausch könnt' ich als Vorteil nicht betrachten: 
Beichtväter sind durchaus nicht zu verachten." 




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DAS BILDNIS DES HYMEN 



Dieweil er Sylvia zu Füßen lag, 

Ersehnte sich das Glück von Hymens Bund Alcander 

Und seufete nach dem wonnevollen Tag, 

Der sie vereine miteinander. 

Zu gleicher Ungeduld von gleichen Pfeilen war 

Sein zartes Lieb ins Herz getroffen ; 

Jedoch ein hart Geschick, ein grausam Elternpaar, 

Kurz, alles hielt im Schach ihr Hoffen. 

Sechs Monat' schieden sie noch von dem Traualtare. 

Sechs Monat' ! Ach, für zwei Verliebte hundert Jahre ! 

Alcander überließ inzwischen, ganz erfüllt 

Von seinem Traum, um so des Wartens Pein zu mildern, 

Sich Hymens lockenden, lustvollen Zukunftsbildern, 

Im Wahn, der allzu oft der Jugend Blick verhüllt. 

Und weil er dieses Traumes Nebeldunst 

Verdichten wollt' und seines Bausches Schauer 

Geschickt verewigen zu wandelloser Dauer, 

Beschwor er des Apelles Kunst. 

Er wollt', es möge von erlesner Meisterhand 

Des Hymen glückverklärtes Bild entstehen 

Und seiner Liebe Gegenstand 

In diesem Bilde schaun, was er im Traum gesehen. 

Fulda, Die Repuilerte Mute 6 



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Das Bildnis des Hymen 



Er sprach zum Maler: „Wählt mir Farben, 

Aus denen aller Glanz des Paradieses strahlt, 

Damit Ihr würdig uns den Gott der Ehe malt. 

Streut ihm zu Füßen hin ein Meer von Blütengarben; 

Er sei gleichwie der Sohn der Venus anmutvoll, 

Nur daß er nicht wie jener blendet ; 

Und lautre Liebe, stets ihm treulich folgend, soll 

Genuß verheißen, der nicht endet. 

Doch, ohne Worte zu verlieren, 

Seht Sylvia ; ihr Anblick ist so schön, 

Daß Eures Könnens Kraft er wird erhöhn, 

Um euer Werk mit Lieblichkeit zu zieren." 

Der Maler, von dem Stoff* durchdrungen, 

Beginnt das Bild mit ernstem Fleiß; 

Alcander spornt ihn allzu heiß, 

Drängt, mäkelt, fordert Änderungen. 

Zuletzt nach seinem Wunsch vollendet 

Wird das Gemäld ihm übersendet. 

Man sieht darauf ein reich Gefilde leuchten 

Gleich dem von Paphos oder Amathunt; 

Es schlängelt sich ein Bach durch den belaubten Grund, 

Den er mit frischem Hauch der Fluten scheint zu feuchten. 

Gott Hymen thront als Fürst auf einer Blumeninsel, 

Mit jedfem Reiz geschmückt. Ein zauberischer Pinsel 

Verschönerte hier noch die Schönheit der Natur; 

Es fällt in reinem, starkem Lichte 

Der Schimmer seiner Fackel auf die Flur. 

Frohsinn und Wärme glühn in seinem Angesichte; 



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Das Bildnis des Hymen 



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Zu Füßen legt ihm all sein Gold der Überfluß 

Und hat sich erntereich die Fruchtbarkeit gekauert. 

Die Scham, gesenkten Blicks, bedauert, 

Daß unfreiwillig sie dem Sieger folgen muß. 

Doch ihres Lächelns Zärtlichkeit verrät, 

Trotzdem sie spröd zu tun versteht, 

Was insgeheim ihr Herz bewegt tiefinnen. 

An Hand der Grazien nahn keusche Schäferinnen 

Dem Thron des holden Gotts, ihm neu geweiht, 

Und fern im Hintergrunde zeigen 

Sie durch ihr muntres Spiel und ihren leichten Reigen 

Vollkommene Zufriedenheit. 

Vergeblich widmeten entzückt 

Die Kenner Lob und Preis dem wohlgerat nen Werke; 

Alcander, ganz von seinem Wahn berückt, 

Vermißte drauf des Traumbilds volle Stärke. 

Stets denkend seiner Lieb' und ihrer Feuerwellen, 

Fand er das Bild zu matt, zu kühl. 

„Wie," rief er, „ist's unmöglich, darzustellen 

Der namenlosen Lust unendliches Gefühl, 

Das grenzt an Seligkeit? O, liebtet Ihr 

Doch Sylvien wie ich, ach, oder könnt' ich malen! 

Ihr seid ein Meister — ja ; doch hier 

Rechts die Figur genügt nicht meinen Idealen. 

Zu wenig frei bewegt, zu plump erscheint sie mir. 

Der linken Gruppe dort gebricht es an Belebung; 

Zu dunkel überhaupt find' ich die Farbengebung. 

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84 D as Bildnis de s H y men 

Ihr müßtet, kurz gesagt, ein Bild von solcher Kraft 
Erschaffen, wie mein Traum es mir erschafft, 
Und meine Phantasie dadurch noch überglänzen." 
Der Maler, dem es deutlich wird, 
Daß jenseits der Verstandesgrenzen 
Alcanders Urteil sich verirrt, 
Geht scheinbar ein auf seinen Wahn, 
Versprechend, nach Begehr das Bildnis zu ergänzen. 

Die Zeit entrinnt auf rascher Bahn. 

Der lang ersehnte Tag ist endlich angebrochen, 

Der die geliebte Braut ihm schenkt auf immerdar. 

Der Maler überläßt als kluger Mann das Paar 

Zuvörderst allem Rausch der süßen Flitterwochen, 

Indem vom Übermaß er schließt auf kurze Dauer; 

Dann, als er glaubt, daß ihre Liebesglut 

Durch den Besitz, obwohl sie den als höchstes Gut 

Begehrt, geworden etwas lauer, 

Bringt eines Morgens er das Bild ins Haus Alcanders 

Zurück und meldet ihm, es sei nun alles anders, 

Obwohl in Wirklichkeit der welterfahrne Mann 

Verändert hatte keinen Strich daran, 

Vom Wunsch, ihn zu beschämen, angewandelt. 

Alcander mustert scharf das Meisterstück und spricht 

Voll Überraschung: „Nein, dies hier'ist Hymen nicht; 

Ihr habt das Bildnis mir verschandelt. 

Es zeigt den Hymen zu vergnügt; nicht wahr, Verehrte?» 

Hob er hervor, zu seiner Frau gewandt, 



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Das Bildnis des Hymen 



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Die gleichfalls in dem Bild den strengen Zug entbehrte 

Und alles dran zu weich, sowie zu weibisch fand. 

„Auch ist die Scham hier nicht am rechten Platze, 

Sie trägt ein falsch Gesicht, sie schneidet eine Fratze*, 

So fuhr Alcander fort ; „die Fruchtbarkeit 

Zu Füßen seines Throns weckt manchen Einwand; 

Streicht sie hinweg von Eurer Leinwand, 

Falls Ihr nicht größre Demut ihr verleiht. 

Und dieser Reigen, der so flott 

Vereint ein lockeres Gesindel? 

Nein, Hymen ist ein ernster Gott, 

Und solch Gehops erregt ihm Schwindel. 

Die Tugend wählt er sich zur einzigen Begleitung; 

Kurzum, ich bin enttäuscht von dieser Umarbeitung. 

Da schien mir besser noch die Fassung erster Hand ; 

Sie war viel ehrlicher und minder überspannt." 

Der Maler mußte herzlich lachen 

Bei diesem schiefen Urteil und begann : 

„Vom Liebenden o welch ein Schritt zum Ehemann! 

Wie groß ist Amors Macht, die Menschen blind zu machen! 

Ja, Herr Alcander, dies beweist Ihr nun genau : 

Gefolgt ist Eurem Traum ein nüchternes Erwachen, 

Seit die Geliebte sich gewandelt hat zur Frau. 

Bei Hymens Anblick hat sich Amor stets getrollt. 

Zur Klärung Eures Irrtums wird es taugen, 

Wenn Ihr mein Werk noch einmal prüfen wollt: 

Es ist dasselbe Bild, gesehn mit andern Augen." 



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ROSINE 

oder 

WER WARTEN KANN, FÜR DEN KOMMT 
ALLES ZUR RECHTEN ZEIT 

Zuletzt wird jedem nach Begehr. 
Gedulde sich, wen kein Erlebnis 
Zufriedenstellt. Von dieser Mär 
Ist solches das Moralergebnis. 

Rosine zählte fünfzehn Jahr'. 
Ich sage kurz : Ihr Alter war 
Ihr kleinster Vorzug. Sie zu schildern 
Mit der Romane faden Bildern, 
Erspar' ich mir. Mit einem Wort, 
Rosine war von solchen Reizen, 
Um tausend Werbern einzuheizen ; 
Und dennoch blieben alle fort. 

Rosinens Vater war zelotisch, 
Die Mutter zimperlich und eng, 
Ein Elternpaar so dumm wie streng 
Und so verschroben wie despotisch, 
Bei Tag- und Nachtzeit im Gedräng, 
Damit dem Küchlein nichts geschehe 



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Rosine 



In steten Ängsten, man umgehe 

Ihr wachsam Aug' durch eine List, 

Gleich der, die vor geraumer Frist 

Gefuhrt zu ihrer eignen Ehe. 

Dies ist von allen Argus- Arten 

Die allerärgste, scheint mir fast; 

Doch wenn sie keine Sorgfalt sparten, 

So war es überflüss'ge Last. 

Rosine hütete mit Geiz 

Und Pflichtbewußtsein ihren Reiz. 

Des Mägdleins Brust, zur Rundung schwellend, 

Empfand gewisse Wünsche bald, 

Und es entströmten heimlich quellend 

Ihr tiefe Seufzer tausendfalt. 

Versteht sich wohl, daß diese Pein 

Meist zur Toilettenzeit sie drückte. 

„Ach," rief sie, während sie sich schmückte 

Und niemand außer ihr allein 

An ihrem Anblick sich entzückte, 

„Was hilft mir all mein Niedlichsein ! 

Bleibt mir zeitlebens zum Ersätze 

Für jeden lustigen Verkehr, 

Für Spiel und Tanz nur wie bisher 

Mein Hund, mein Vogel, meine Katze? 

Wenn man den Umgang mit der Welt, 

Die mich vergißt, mir vorenthält, 

Was hilft's, mich hübsch herauszustutzen? 



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Rosine 



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Was hat mein Putz für einen Wert? 

O welche Narrheit, mich zu putzen ! 

Und schön zu sein, was kann's mir nutzen, 

Wenn bloß mein Spiegel es erfährt? 

Soll denn bis an mein Lebensende 

Ich Jungfer sein? Ich hoffe traun, 

Daß ich dagegen Mittel fände. 

Ach, es genießen Ehefraun 

Manch Vorrecht, das mir trefflich stände: 

Kokett sein oder gottgefällig, 

Geziert sein oder flott gesellig, 

Nasfuhren einen Schmeichlerkreis 

Oder die Zeit verstohlnerweis 

Mit einem Beichtiger verbringen, 

Nach I^aune sich mit goldner Pracht 

Oder mit Einfachheit umringen, 

Sich heimlich freun an tausend Dingen, 

Von Ruh' zur Unruh' überspringen, 

Sich zärtlich zeigen in der Nacht 

Und schmollen, wenn der Tag erwacht, 

In Ehrbarkeit, wenn dem Gemahl 

Was zustieß, einen neuen fangen, 

Nebst andern Rechten ohne Zahl, 

Die unsre Schönheit kann verlangen, 

Und die so köstlich uns beglücken ! 

Ach, eheherrliche Gewalt, 

Willst du denn immer noch nicht bald 

Der väterlichen mich entrücken?" 



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Rosine 



Der Himmel nahm die Maid beim Wort. 
Des Vaters Schloß erhob sich grade 
Dicht an des wilden Meers Gestade. 
Als eines Tags die Schöne dort 
Im Nachen fahren will zum Bade, 
Treibt heft'ger Landwind ohne Gnade 
Sie weit vom Heimatufer fort. 
Aufe Stichwort naht sich ein Korsar, 
Schleppt auf sein Schiff sie, fährt in Eil' 
Nach Afrika und bietet feil 
Die schöne Beute im Bazar. 

Ein junger schmucker Muselmann, 

Osmin mit Namen, kommt geschritten, 

Begehrt sie, kauft sie vom Banditen 

Für mehr, als dieser fordern kann. 

Es ward dem Mahomet-Verehrer 

Der Abschied von dem Geld nicht schwerer 

Als ihr, da sie den Jüngling sah, 

Der Abschied wurde von Mama. 

( Obgleich der Türk schon war verbunden 
Mit neunundzwanzig Fraun, lag's nah, 
Die Zahl auf dreißig abzurunden ; 
Denn weil's der Koran nicht verbot, 
Tat kein Dispens von Rom ihm not. 
Ungläubige, nehmt mir das Zagen 



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- 



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Rosine 0,3 

Vorm Teufel, und man schlag' mich tot, 
Werd' ich nicht flugs den Turban tragen. 

Von seinem Käufer wurde sacht 

Mit Freundlichkeit in Wort und Mienen 

Das Lämmlein in den Stall gebracht. 

Kurz, ohne längliches Detail, 

Als Sklavin minder trat Rosine 

Denn als Prinzeß in das Serail. 

So ging denn alles gut bei Tag, 
Uncf ihr gefiel's zuerst vorzüglich. 
Doch nach des Tages Ende lag 
Die Sache weniger vergnüglich. 

Sie wird in eine weite Halle 

Als dreißigste hereingeführt 

Und fühlt sich fast vom Schlag gerührt, 

Wie jene neunundzwanzig alle 

Ein Mohr in zwei Schwadronen hier 

Aufreiht als Nebenbuhlerinnen, 

Die sämtlich würdig sind gleich ihr, 

Allein die Palme zu gewinnen. 

Osmin, gelaßnen Schrittes, geht 
Mit eines Römers Majestät, 
Jedoch nicht im geringsten rauh, 
Durch die zwei Reihen auf und nieder, 



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Rosine 



Hebt hier ein Kinn, prüft dort ein Mieder, 
Bewundert still, erforscht genau 
Den Schnee, die Lilien, den Jasmin 
Des Halbrunds, dem als Frühlingszeichen 
Entsprießt ein Knöspchen von Karmin, 
Umfaßt mit seiner Hand die weichen 
Umrisse, zart wie Hermelin, 
Tut mit dem Zwilling dann desgleichen, 
Von Blüte so zu Blüte schwebend 
Und, ehe sein Entschluß gediehn, 
Oft auf den Weg sich neu begebend. 
Die schlauen Weiberchen bestricken, 
Um seine Gunst auf sich zu ziehn, 
Ihn durch ein Feuerwerk von Blicken ; 
Jedoch sein Schnupftuch, das zuletzt 
Er der Erkornen zuwirft, setzt 
Den Rest beiseit bis nächstes Mal, 
Und auch Rosine zahlt zum Reste. 
Die Wartezeit bringt schlimmre Qual 
Ihr trotz der knappen Stundenzahl 
Als die vorher im heimgehen Neste. 
„Höchst unbedacht ist seine Wahl; 
Doch mußt' ich heut auch Unrecht leiden, 
Darf morgen auf den Sieg ich baun." 
In Punkto Schönheit sind die Fraun 
Bei Selbstgesprächen nie bescheiden. 
So schaut, sich wappnend mit Geduld, 
Entgegen sie dem nächsten Tage ; 



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Rosine 



21 



Auch dieser bringt ihr keine Huld. 

Ist Pech, ist Ungeschick dran Schuld? 

Sind's alle zwei? Vergebne Frage. 

Drei Wochen sind verstrichen bald, 

Und immer wird sie übergangen. 

Von Tränen feucht sind ihre Wangen : 

„Welch sonderbarer Aufenthalt, 

Wo meiner Reize täglich Prangen 

Kein Liebesfeuer läßt entsteh n ! 

Ach," ruft die Schöne schmerzbefangen, 

„Wie war mein Herz von Wahn umnachtet! 

O, hätt' er niemals mich gesehn, 

Ich sähe jetzt mich nicht verachtet ! 

Mich zwanzig Male zu verschmäh n ! 

O schnödes, greuliches Geschick ! 
Gekauft von ihm, der niemals schmachtet 
Nach meiner Gunst! Mit welchem Blick 
Des Übermuts er uns betrachtet ! 
Dies Auge, das nur flüchtig blättert, 
Soviele Zauber man ihm weist, 
Und dieser Wink, so schimpflich dreist 
Bei dem Entschluß, der mich zerschmettert, 
Um obendrein mich noch dem Hohn 
Der Vorgezognen preiszugeben ! 
Wie sind wir all in seiner Fron, 
Schmachvoll entweiht zum Sklavenleben! 
Ein Mann, und dreißig Fraun daneben ! 



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Rosine 



Meintwegen nehm' er noch sechs Dutzend, 

Vergesse mich in ihrem Arm; 

Ertragen werd' ich 's gern, ihm trutzend, 

Wenn Tag fur Tag der feile Schwärm 

Kriecht vor dem Unhold um die Wette 

Im Drang nach seinem Lotterbette; 

Doch ich, getreu dem innern Ruf, 

Will Ehre machen dem Geschlechte, 

Das Gott verführerisch erschuf, 

Damit es alle Männer knechte. 

Hinweg von dem Barbarenort, 

Wo Schönheit nicht gelangt zum Rechte ; 

Von mir werd' anderwärts hinfort 

Beglückt ein liebevollrer Mann, 

Der um ein Weib noch seufzen kann." 

Es stand ihr frei, sogleich zu fliehn ; 

Doch ließ die Neugier sie verweilen, 

Zu schaun, mit welchem Weib Osmin 

Zunächst sein Lager werde teilen. 

Auch diesmal ward ihr nicht verliehn 
Das Schnupftuch : Grund genug, zu eilen 
Und keck ihr Wagnis zu vollziehn. 

Nachts läßt die Gartenmauer leicht 
Erklettern sich an ihren Ranken. 
Vom Harem angewidert schleicht 
Sie hin, erklimmt sie, springt, entweicht 



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Rosine 



Der strengsten aller Klosterschranken ; 
Sie sieht ein Boot am Ufer schwanken, 
Besteigt's und überläßt geschwind 
Mit vollen Segeln sich dem Wind. 

Rosine kannte die Romane, 

Las deren tollstes Zeug im Wahne, 

Sie schlürfe reinste Wahrheit ein ; 

Jedoch sie weigerte den Glauben 

Der Heldin, deren Herz von Stein, 

Und die sich trotz der Hungerpein 

Den leckren Schmaus nicht will erlauben. 

Nach ein'gen sturmbewegten Tagen, 

In denen günst'ger Winde Schar 

Galant sie schirmte vor Gefahr, 

Ward, von dem schwachen Boot getragen, 

Zu einer Insel sie verschlagen, 

Die wackrer Leute Wohnsitz war. 

Auf welchem Grad lag ihr Gebiet? 

Ich weiß nicht, muß jedoch betonen, 

Daß sich beträchtlich unterschied 

Dies Land von dem der Amazonen. 

Dort Frauen ohne Männer, hier 

Nur Männer ohne Fraun dagegen ; 

Die letzte war dem Tod erlegen. 

Ein Hahnrei spräch' : ,Gottlob!' Doch mir, 

Der nicht in solchen Ängsten wandelt, 

Fulda, Die gepuderte Mose 7 



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9» 



Rosine 



Vermählt nicht ist, nur leicht verbandelt, 
Weckt dieses Land nicht viel Begier. 

Damit ihr besser mich versteht: 
Was irgend auf der Insel weiblich, 
War durch ein Übel hingemäht, 
Das nicht mit Namen ist besch reiblich, 
Doch sich erwies von solcher Kraft, 
Daß Töchter, Mütter und desgleichen 
Großmütter wurden hingerafft. 
Schwer war die Insel zu erreichen ; 
Kein Festland in der Nachbarschaft, 
Schiffahrt ein unbekanntes Ding, 
Jed Rettungsmittel drum entzogen : 
Nun also sei von euch erwogen. 
Ob man Rosine gut empfing. 
Republikanisch war der Staat, 
Gemeinsam so Gewinn wie Schaden, 
Sodaß den Himmel jeder bat, 
Mit ihr sein Bette zu begnaden. 
Ich auch, ich hätt' in diesem Falle 
Gebetet und gehofft wie alle. 

Zur Fremden drängt es jeden hin ; 
Doch Ehrfurcht hält ihr ferne jeden, 
Ja, keiner wagt, sie anzureden ; 
Sofort ist sie Gebieterin, 
Ein Wesen, so geschätzt, so selten, 



Rosint 



99 



Um gar als Königin zu gelten. 

Wenn mangelt, was man heiß begehrt, 

Erst dann ermißt man seinen Wert. 

Bekränzt mit Blumen, hoch zu Rosse 
W T ird sie geführt nach einem Schlosse. 
Dort wird ein Hof ihr eingerichtet, 
Galant, geschmeidig und verliebt; 
Die Garde, die sie stets umgibt, 
Ist artig, wachsam und verpflichtet 
Zur Schweigsamkeit ; die Etikette 
So mustergültig, daß daran 
Kein Weibsbild was zu tadeln hätte. 
Doch eh' der achte Tag verrann, 
Muß ihre Majestät deu Mann, 
Der ihr gefällt, zum Gatten wählen. 
Die Wahl, wenn sie ein Kind gebar, 
Wird wiederholt einmal im Jahr, 
Viermal jedoch, wenn Kinder fehlen; 
Was im geheimen sonst sie tut, 
Wird anerkannt als recht und gut, 
Und niemand darf darum sie schmälen. 

Welch plötzlicher beglückter Tausch 
Von Schmach zu Ruhm und Freudenrausch : 
Die ganze Insel wird Rosine 
Durch diese Vorschrift freigestellt, 
Damit sie zum Serail ihr diene. 

? 



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t oo 



Ro s int 



Gibt's Wonnigeres auf der Welt? 

Mehr Gatten stehn ihr nun zur Wahl 

Als dem Osmin Gemahlinnen ; 

Sie schafft Rivalen mehr an Zahl, 

Als je ein Türk Rivalinnen. 

Auch trennt kein Riegel und kein Gitter 

Sie von beliebiger Vergnügung; 

Die Männer all sind ihre Ritter, 

Ihr unaufhörlich zur Verfügung. 

Ihr stolzen Herrn, schmeckt euch das bitter? 

Scheint euch ihr Sieg nicht beim Vergleich 

Mit euren Siegen doppelt reich? 

Wodurch, so frag' ich überhaupt, 

Fühlt sich der Ehrgeiz mehr gestreichelt? 

Durch Rechte, die man sich erschmeichelt, 

Oder die man gewaltsam raubt? 

Vierspännig fuhr die allverehrte 

Rosine nun, solang der Lauf 

Des angenehmen Tages währte, 

Quer durch die Stadt, straßab, straßauf, 

Zur Wahl des Manns, den sie begehrte. 

Eis drängten sich auf ihrer Fährte 

Die braven Bürger dichtgereiht, 

Die dummen, klugen, alten, jungen, 

Hinsterbend vor Ergebenheit, 

Wetteifernd all in Huldigungen, 

Von eitlem Selbstgefühl durchdrungen, 



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Rosine 



i o i 



Geziert mit ihrem feinsten Kleid, 
Sich spreizend wie verliebte Hähne, 
Durch günstige Beleuchtung blendend, 
Im Lächeln weisend ihre Zähne, 
Geschäftig jede Kunst verwendend, 
Womit Gefallsucht sich so breit 
Zu machen pflegt in unsrer Zeit, 
Kurz, durch das Girren und Sichbrüsten 
Des Wettbewerbes mehr entweiht, 
Als je von eines Sultans Lüsten 
Entwürdigt ward die Weiblichkeit. 

Die Wahl gelangte bald zum Ziel. 

Auf einen Insulaner fiel 

Das Los, der Hylas war geheißen, 

Jung, hübsch und schmuck, mit einem Worte 

Ein Mann von jener Männersorte, 

Um welche sich die Frauen reißen ; 

Auch Sympathie war mit im Spiel, 

Und gegen sonst'gen Augenschein 

Trat Hymen in das Bett als Mieter 

Und Amor als Besitzer ein. 



Hylas, der Gatte, der Gebieter 
War in der Ehe nur noch mehr 
Geliebt und liebend als vorher. 
Hier endlich ward ein Ehebund 
Beherrscht von wandellosem Frieden. 



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I 0 3 



Rosine 



Ihr wißt bereits, aus welchem Grund: 

Ihm war ja Dauer nicht beschieden 

Und seine Trennung unausbleiblich. 

Drei Monde flohn in rascher Flucht, 

Und noch kein Zeichen einer Frucht. 

Des Hylas Angst war unbeschreiblich. 

Entsagen solch vollkommnem Glücke, 

Abtreten solch ein köstlich Gut! 

Verzweiflung reißt sein Herz in Stücke, 

Am Weinen hindert ihn die Wut; 

Vom Antlitz weicht ihm alles Blut. 

Sie fragt: „Was fehlt dir, Hylas? Sprich!" — 

„Grausame," ruft er, „was mir fehle? 

Man nimmt auf immer bald mir dich, 

Und so noch fragen kannst du mich ! 

Hast du bereits in stiller Seele 

Beschlossen, wer an meiner Statt 

Genießen soll, was nur dem Einen 

Gebührt, der dich vergöttert hat? 

Ihm, dem Geliebten, ihm, dem Deinen, 

Für den du warst ein Himmelsbild, 

Und dem du s auch noch dann wirst scheinen, 

Wenn dein Verrat ihm schnöd vergilt? 

Bald werden sie dich von mir trennen, 

Bald soll dein Herz mich nicht mehr kennen ; 

Und dieses Herz schlägt nicht Alarm? 

Rosine, die für mich zu brennen 

Mir schwor, in eines andern Arm!" — 



Rosine io3 

„Die für dich brennt in heißerm Feuer 
Als je ! " so fällt sie seufzend ein ; 
f( Du bist und bleibst mir ewig teuer, 
Und nie war eine Gattin treuer ; 
Mag dieser Kuß dir Zeuge sein ! 
Doch meine Macht ist leider klein ; 
Das öffentliche Recht ist stärker 
Und meine Herrschaft nur ein Kerker. 
Was hilft's, daß ich von dir besessen? 
Ach, liebster Hylas, das Gesetz 
Zwingt mich in des Gehorsams Netz; 
Doch werd' ich niemals dich vergessen." 

Dies Wort wirkt wie ein Schlag auf ihn. 
Er macht sich Luft in lautren Schreien, 
In rührenderen Litaneien 
Als alle Helden von Racine. 
Man muß die Waffen ihm entzieh n ; 
Sonst würd' er sich sofort entleiben. 
Rosine schilt mit Gram und Groll 
Des Schicksals unbarmherzig Treiben. 

„Sag, Teurer, was geschehen soll? 
Was soll ich tun, um dein zu bleiben?" 

„Entfliehn wir!" ruft er nachdrucksvoll. 
„Was hindert uns, die Flucht zu wagen? 



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i<>4 Rosine 

• .. 1,1 i 

Uns anvertraun laß uns der Flut, 

Die dich an diesen Strand getragen. 

Du hattest ihr zu trotzen Mut, 

Als du allein dich durchgeschlagen, 

Und die Natur nahm dich in Hut 

Vor Stürmen, Wogen und Gefahren, 

Um unversehrt dich zu bewahren 

Für die getreuste Liebesglut. 

Du hast, nachdem du sie gefunden, 

Für solchen Schutz erst recht Gewähr; 

Komm, laß ihn uns getrost erkunden. 

Wohl weiß ich, dein Entschluß ist schwer; 

Denn gehst du heimlich außer Landes, 

Dann wird das ganze Inselreich 

Das Opfer unsres Ehestandes. 

Du lassest hier im Stich zugleich 

All jene Würden, Ehren, Gnaden, 

Mit denen man dich überladen, 

Für einen höchst verwegnen Streich ; 

Du steigst herab vom Herzensthron, 

Dem herrlichsten von allen Thronen ; 

Doch winkt, Rosine, dir als Lohn, 

Mit mir zu leben und zu wohnen ! 

Ja, leben will ich dir allein. 

Gibt's einen süßern Trost auf Erden, 

Als den die Liebe kann verleihn? 

Und jene, die sich ganz ihr weihn, 

Welch Unheil könnte sie gefährden ? 



Rösing 



i o5 



Man gebe mir die Welt zur Habe, 
Ich würde standhaft sie verschmäh n, 
Durch Wasser und durch Feuer gehn, 
Um dir zu folgen bis zum Grabe!" 

Die Schöne nahm den Schwur entgegen, 
Ob auch im ersten Augenblick 
Sie trauern mocht' um das Geschick, 
Das sie verließ des einen wegen, 
Und war mit einer Zärtlichkeit, 
Die sich erhob zum Ueberschwange, 
Bedingungslos zu tun bereit, 
Was immer er von ihr verlange. 

„Ja," sagt sie, „du hast recht; wohlan, 
Laß uns entfliehen, teurer Mann. 
Es schmerzt mich nur, daß zu geringe 
Das Opfer ist, das ich dir bringe. 
Nur fort; ich folge dir." Die Nacht 
Hat ihre Schleier kaum gebreitet, 
Als unser Hcldenpärchen sacht, 
Vom blinden Liebesgott verleitet, 
Zu jenem einzigen Schifflein schreitet, 
Das noch im gleichen schlechten Stand 
Wie bei Rosinens erster Reise, 
Jedoch versehn mit mehr Proviant; 
Sie sticht in See, beglückt und leise, 

■> 

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Rosine 



Und ist schon fern dem Inselhafen, 
Bevor man dort hat ausgeschlafen. 

Damit der Schmerz um sie verheile, 
Tat dies und das ein jeder zwar; 
Doch was auch jeder tat, s ist klar, 
Daß jedenfalls nach einer Weile 
Die Insel ausgestorben war. 

Inzwischen schaukelte die Holde 

So friedsam auf dem Ozean, 

Als habe sie auf ihrer Bahn 

Neptun und Aeolus im Solde. 

Die Reise, wenn auch lang genug, 

Verging ihr in geschwindem Flug; 

Denn ihre reine Liebe bot 

Ein Füllhorn ihr voll Wundergaben. 

Sie ließ, um keine Reu' zu haben, 

Vor ihrem Geist gar manche Not 

Vorüberziehn, die ihr gedroht 

Am Orte, dem sie nun entronnen. 

Jetzt kam es ihr erst recht zu Sinn, 

Was dort vielleicht sich hätt' entsponnen 

Und ihr, wenn Gott nicht Hilfe wußte, 

Nach einem glücklichen Beginn 

Die schwerste Drangsal bringen mußte. 

Ein abgeschmackter Bürgermeister, 
Vor Sinnenkitzel dreist und dreister, 



Rosine 



Hätt', an die Reih' noch nicht gekommen, 

Dem neu erwählten Mann zuletzt 

Sie mit Gewaltstreich abgenommen 

Und übers Recht sich weggesetzt. 

Es hätten dann die Senatoren 

Dem frechen Räuber Krieg geschworen, 

Ihn schleppend vor das Tribunal, 

Mit dem Beschluß, daß der Gemahl 

Halbjährig wechselnd werd' erkoren 

Hinfort nur noch aus ihrer Zahl. 

Drauf hätte sich das Volk empört 

Und eine höllische Verwandlung 

Dies schöne Paradies zerstört ; 

Zumal wenn während der Verhandlung 

Man hätt' im allgemeinen Streit 

Die Königin zur Sicherheit 

Beim ältsten Mann der Stadt geborgen ! 

Kurz, dort ein ganzes Meer von Sorgen, 

Und hier nur Friede weit und breit! 

w Jetzt endlich ist mein Heil vollkommen!" 
So dachte sie sich auf der Fahrt. 
„Den Gipfel hab' ich nun erklommen: 
Mit einem einz'gen Mann gepaart, 
Und ich die einzige für ihn. 
Nie war bisher mir Glück verliehn. 
Daheim ganz ohne Liebsten weiland, 
Mit dreißig teilend bei Osmin, 



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Rosine 



Verteilt an alle auf dem Eiland, 
Gram, Elend, Ekel, Ueberdruß! 
Ein Gatte, treu und untertänig, 
Das ist zu viel nicht noch zu wenig, 
Ist mir genug, ist mir Genuß." 

So ward, gewiegt von holdem Traume, 

Gelenkt von einer höhern Macht, 

Kosine sanft im Wellenschaume 

Nach ihrem Ursprungsland gebracht. 

Doch zum Verderb für den Bestand 

Der Treue des verliebten Gatten 

War Frankreich dieses Ursprungsland. 

Die Eltern barg der Grabesschatten. 

Sie war die Erbin aller Güter 

Und er als dieses Schatzes Hüter 

Ein Glückspilz, ein gemachter Mann, 

Sodaß zuerst mit wirrem Lallen 

Er fast vor Dankbarkeit zerrann, 

Der höchsten Tugend unter allen ; 

Nur pflegt, wer mit ihr prahlt am meisten, 

Am wenigsten in ihr zu leisten. 

Des Landes freie Sitten wecken 
Des Toren baldigen Verdacht ; 
Von wilder Eifersucht entfacht, 
Spürt er Verrat an allen Ecken. 



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Rosine 



'09 



Rosine, stets bedroht von Schrecken, 
Sucht seinen Argwohn zu verflücht'gen, 
Indem sie sich zur Sklavin macht. 
Doch heilt man einen Eifcrsücht'gen ? 
Erst müßt' er doch geheilt sein wollen. 
Er, als der Tollste jener Tollen, 
Spricht nur noch Schimpf und Ungebühr, 
Entfernt sich nur noch mit Gepolter, 
Verrammelt siebenfach die Tür; 
Doch dünkt's ihm nicht genug der Folter. 
Bald läßt der eifersüchtige Wahn, 
Der im verstörten Hirn ihm siedet, 
Zum Schloß ihn greifen, das Vulkan 
Kunstfertig in Italien schmiedet. 
Verdammtes Schloß, verruchter Riegel, 
Der, während fern der Ehemann, 
Das letzte Tor legt unter Siegel, 
Wodurch der Liebste schlüpfen kann ! 

Trotz alledem — Rosine liebt 
Ihn weiter, fügsam, ohne Klagen, 
Und alles, was ihm Ruhe gibt, 
Das dient auch ihr zum Wohlbehagen. 
Doch, all ihr Guten, übt Gericht 
An dem verwerflichen Betragen 
Des Undankbaren, der die Pflicht 
Der Ehe mißbraucht, um zu plagen, 
Und selbst beschworne Treue bricht! 



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Rosine 



Das Klima, werdet ihr mir sagen, 

War Ursach ' ; aber untreu sein 

Und doch von Eifersucht nicht lassen, 

Das will zu Recht und Brauch nicht passen. 

Rosine leidet Höllenpein; 

Nichts könnte tödlicher sie kränken. 

Ach, ihre Kummerblicke lenken 

Sich rückwärts bis ins Elternhaus ; 

Und gar in Tränen bricht sie aus, 

Da sie der Insel muß gedenken, 

Wo man Vergöttrung ihr erwies, 

Ein ihr verlornes Paradies, 

Aus dem, um sich für solchen Bund 

Als blindes Opfer zu vergeuden, 

Sie sich vom Thron der höchsten Freuden 

Verschleppen ließ zum tiefsten Schlund ! 

Selbst bei den Nebenbuhlerinnen, 

Den neunundzwanzig im Serail, 

Hätt' ihr der Türk vergönnt ihr Teil, 

Und jede konnte gleiches Heil 

Im Zeitraum eines Monds gewinnen. 

Sein Herz besaßen jene dreißig 

Uneingeschränkt gemeinschaftlich, 

Und kränkte manchmal eine sich, 

Weil er im Flattern allzu fleißig, 

So ließ er keine doch im Stich ; 

Wogegen Hylas nur vermählt ist 

Mit einer, die sich ganz ihm weiht, 




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Rosine 



I l l 



Doch diese stets von ihm gequält ist 
Und aussteht grenzenloses Leid. 

Sie raufte jammernd sich die Haare. 
Der Himmel half ihr aus der Not 
Mit einem Schlag. Der Undankbare 
War eines schönen Morgens tot. 
Rosine, von der Fessel frei, 
Zählt noch nicht mehr als zwanzig Jahre ! 
So frisch wie eine Ros' im Mai, 
Geschmückt mit holdem Jugendpraugen 
Und reich — ein Punkt von Wichtigkeit, 
Ein sichrer Köder, um zu fangen 
Die edlen Herzen unsrer Zeit. 

Geld, Jugend, Anmut — diese Dreiheit, 
Vereint mit schrankenloser Freiheit, 
Mehr welterfahren, minder blöd: 
So fand sie sich zu größrem Glücke 
Als eine Königin erhöht. 

Erzeigte nicht in jedem Stücke 
Sich ihr das Schicksal wohlgesinnt ? 
Der Eltern ledig und noch Kind, 
Des Gatten ledig und doch Frau ! 
Kein Wunder, daß von jenen Rittern, 
Vor deren Herrlichkeit erzittern 
Die Weiberherzen rings im Gau, 



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Rosine 



Sie nun den dreißigsten sehon hat. 
Für ihre Schönheit kann sie zählen 
Auf Huldigung von Hof und Stadt, 
Kann unter Tausenden nun wählen ; 
Es wird ihr bis an ihren Tod 
Rein Vorteil jener Insel fehlen, 
Ohn' daß wie dort ihr Unheil droht. 



DER MÖNCH AM ZÜGEL 



Der Bauer Biaise, der in der Stadt mit Glück 

Sein Korn in gutes blankes Geld gewandelt, 

Ritt auf dem Gaul, den er dafür erhandelt, 

Stolz wie ein Sankt Georg nach Haus zurück. 

Indes — auch Sankt Georg steigt ausnahmsweis 

Vom Pferd, wenn kalte Füß' ihn dazu zwingen. 

Biaise, dem die Füße kälter sind als Eis, 

Muß schließlich drum sich aus dem Sattel schwingen. 

So wird der Reitersmann ein Fußsoldat, 

Muß als des Pferdes Führer mühsam tappen, 

Durch hohen Schnee sich bahnen einen Pfad, 

Am Zügel ziehend hinter sich den Rappen. 

Zwei muntre Graue folgten ihm von weiten, 
Nicht von des Grauen Gattung, der im Trott 
Auf seinem Rücken trug vor langen Zeiten 
Den Knappen des berühmten Don Quixote ; 
Dies waren zwei ganz andere Geschöpfe, 
Von jener Art, die schon Boccaccio preist : 
Durch manchen Streich berühmte schlaue Köpfe 
In Liebschaft, Becher oder Schelmengeist, 
Aus jener Heil'genschar, die treubewährt 

Fulda, Die gepuderte Muse 8 



Der Mönch am Zügel 



Sich einst in Katalonien ließ verbrennen ; 
Zwei Franziskaner, um sie klar zu nennen, 
Von ferne folgten sie dem Mann und Pferd. 

Der eine sprach zum andern: „Freund, wohlauf, 
Schau vor uns diesen Tölpel mit dem Rosse. 
Vollführen laß uns eine kleine Posse, 
Und dieses Tier ist unser ohne Kauf. 
Bloß flink mir beizustehn versäume nicht: 
Zugreifen heißt's hier, ohne Krampf und Gicht. 
Ich selber löse sacht den Gaul vom Zügel. 
Du währenddem gelenkig auf das Biest 
Hinauf, gibst ihm die Sporen und entfliehst; 
Sodann dort rückwärts, hinter jenen Hügel, 
Derweil das Weitre mir ist anvertraut, 
Schwenk ein, dich zu verstecken mit dem Pferde. 
Ich will ein Tropf sein, wenn mit heiler Haut 
Ich dort in kurzem dich nicht suchen werde." 

Der reife Plan gibt ihren Schritten Flügel ; 
Sie gehen kühn ans Werk, und es gelingt. 
Der eine nimmt vom Hals des Pferds den Zügel, 
Indem er ihn um seinen eignen schlingt ; 
Der andre reitet im Galopp von hinnen, 
Doch ohne daß dem Biaise zu Ohren dringt 
Der Lärm der Hufe, die vor ihm entrinnen : 
Kein Wunder, da doch auf der ganzen Strecke 
Fußhoher Schnee gebreitet lag als Decke. 



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Der Mönch am Zügel 



i i 5 



Der Reiter floh zu der bewußten Stelle, 

Und nicht von ihm soll mehr die Rede sein. 

Nach der gelungnen Flucht blieb sein Geselle 

Zurück als Faustpfand in der Klemm' allein. 

Dem Bauer auf den Fersen schritt er sachte, 

Den Zügel locker um den Hals gehängt, 

Den Kopf gebeugt, das Rückgrat angestrengt, 

In einer Gangart, die ihn müde machte. 

Auch Biaise, dem das Zufußgehn nicht mehr schmeckt, 

Will nun sich wieder in den Sattel setzen ; 

Doch wer vermag sein Staunen abzuschätzen, 

Als er beim Umdrehn einen Mönch entdeckt! 

Durchliefe da den Stärksten nicht ein Schauer? 

Wer stünd' im gleichen Fall nicht wie gebannt? 

Dem armen Biaise, dem schlichten, frommen Bauer, 

Entfällt vor Schreck der Zügel aus der Hand. 

Der Heuchler, demutvoll zum Steinerweichen, 

Liegt vor ihm hingegossen auf den Knien 

Und ruft mit Seufzern aus, mit tränenreichen : 

«O Herr, ich bin der Bruder Augustin, 

Von Sankt Francisci Jüngern der gemeinste, 

Den, ach, des Fleisches mächt'ger Antichrist 

In seine Netze fallen ließ durch List ! 

Was wollt Ihr? Straucheln kann wohl auch der Reinste. 

'nen leckren Köder steckte Satan schlau 

An seine Angel; ich biß an, ward sündig, 

Biß wieder an, blieb haften kurz und bündig, 

8* 



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Der Mönch am Zügel 



So daß auf immer mich die Teufelsklau' 

Schon wollte stürzen in des Lasters Krater. 

Gott aber, der als liebevoller Vater 

Des Sünders Beßning will, nicht seinen Tod, 

Beschloß, mich aus dem Höllenschlund zu lösen, 

In den mich niederzog die Macht des Bösen, 

Zu reuevoller Einkehr und gebot, 

Daß meine Seele drum auf sieben Jahre 

In eines Pferdes Leib zur Buße fahre. 

Die Zeit ist um, und Euch auf jeden Fall 

Muß ich als meinem Herrn mich fugsam zeigen. 

Führt mich ins Kloster oder in den Stall. 

Ich bin, weil Ihr mich kauftet, Euer eigen." 

„Herrje, M sagt Biaise, „der Teufel hol' den Kauf! 
Bin ich an Euren alten Sünden schuldig, 
Daß ich den Schaden tragen soll geduldig? 
Doch weil es Gott so will, muck' ich nicht auf. 
Denn schließlich, grad wie Ihr beging ich Sünden, 
Und Buße hab' ich aus denselben Gründen 
Wie Ihr verdient. Ich sehe mit Verdruß 
Nur einen Unterschied : Ihr seid am Schluß 
Der Eurigen, ich am Beginn der meinen ; 
Es geht noch glimpflich ab, so will mir scheinen. 
Gott könnt' auch mich belegen mit dem Banne. 
Ein sünd'ger Fürst war sieben Jahr' lang Bär, 
Ihr wart ein Pferd für gleiche Zeitenspanne ; 
Ich könnt' auf grad so lang zum Esel werden 



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Der Mönch am Zügel 



Und hätte, Säcke tragend hin und her, 
Erdulden müssen tagliche Beschwerden. 
Zwar so verlier' ich eine hübsche Summe ; 
Doch sind fünfhundert Franken nicht die Welt. 
Seid frei und seid es ohne Lösegeld. 
Ich denk', Ihr werdet künftig nicht der Dumme 
Mehr sein, der in das Netz des Teufels fällt. 
Wen schon so nah die Höllenglut umwehte, 
Der wird fortan vor der Versuchung flieh n : 
Schließt fur mein Geld mich, Bruder Augustin, 
Zum mindesten in Euere Gebete." 

Der wackre Bruder wirft hierauf sich ganz 
Zu Boden, küßt verschiedne Mal die Erde, 
Des Bauern Fuß und seinen Rosenkranz 
Und rennt vergnügt zu dem versteckten Pferde, 
Indessen Biaise, den Beutel leer und leicht, 
Mit einem Zügel, der den Zweck verloren, 
Als regelrechter Hammel glattgeschoren 
Zu Fuß betrübt sein kleines Haus erreicht. 

Er schwieg von dem fetalen Gegenstand 

Und hätte sicher nie davon gesprochen 

Hätt' nicht auf einem Jahrmarkt er nach Wochen 

Sein Pferd gesehn und augenblicks erkannt, 

Um das grad feilschte sein Gevatter Jochen. 

Er wundert sich, er lächelt, und beiseit 

Ihn ziehend aus dem großen Menschenhaufen, 



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Der Mönch a vi Zügel 



w Freund," sagt er, „hüte dich, dies Pferd zu kaufen. 

Fis tat' dir' früher oder später leid. 

Ich kenn den Gaul und nehm s auf meinen Eid, 

Daß eines Tages, wenn du stolz beritten 

Dich brüsten möchtest auf dem schmucken Tier, 

Du plötzlich, krach, au seiner Statt inmitten 

Des Wegs ein Möriclileiii fandest unter dir." 

„Ein Mönch? Du willst mich an der Nase zichn. 

F2in Mönch ? Geschwätz!" — „Glaub nicht, daß ich dich uze ; 

FAn richtger Mönch, ein Graurock mit Kapuze 

Und Leibstrick, namens Bruder Augustin." 

Drauf läßt er ihn den ganzen Fall erfahren, 

Kauf, Heimweg, der Verwandlung Wunderding, 

Wie sich der Mönch an einem Köder fing 

Und eine Buße Htt von sieben Jahren ; 

Den Best fügt er vermutungsweise bei : 

„Kein Zweifel, kaum war der Fialunke frei 

Und wieder in die alte Haut gefahren, 

Als die Erinnrung an die Bitternis 

Verdienter Strafe sich in ihm verkrochen 

Und er von neuem auf den Köder biß; 

Hier das Ergebnis." — „Holl* und Pest!" ruft Jochen, 

„Mög' er zum Teufel gehn samt seinem Köder 

Und seinen sieben Jahren Prüfungspein. 

Ich, ohne dich, hätt' als ein Narr, ein blöder, 

Verspielt fünfhundert Franken. Komm zum Wein." 



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FRANÇOIS MARIE AR OU ET DE VOLTAIRE 



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WAS DEN DAMEN GEFÄLLT 



Derweil auf afrikanischem Gebiet 

Der Sonnengott mit Glut die Fluren schwängert, 

Hier aber nur noch enge Kreise zieht, 

Und Winter schon die Abende verlängert, 

Zum Nachtisch, Freunde, hört, ans warme Feuer 

Gerückt, ein unterhaltlich Abenteuer, 

Wohl wert, daß man's in sein Gedächtnis gräbt, 

Von einem Ritter, arm, doch ohne Zagen. 

Jean Robert war sein Nam', und in den Tagen 

Des Königs Dagobert hat er gelebt. 

Er war gepilgert nach dem heü'gen Rom, 
Des Casars stolzem Rom noch überlegen, 
Und kehrte heimwärts von dem Tiberstrom 
Zwar nicht mit einem ruhmbekränzten Degen 
Jedoch mit Gnadenbildern, Ablaßzetteln 
Und gründlich von der Sündenlast befreit; 
Doch sonst besaß er nur genug zum Betteln. 
Denn in den argen Strudeln jener Zeit 
War jeder Paladin gar schlecht gestellt, 
Und nur die Kirchendiener hatten Geld. 



I 2 2 



Was den Damen gefällt 



Herrn Robert eignete statt barem Wert 
Sein alt Gcwaffen bloß, ein Hund, ein Pferd; 
Als reiches Erbteil waren ihm indes 
Der Jugend goldnc Gaben zugestanden, 
Wuchs des Adonis, Kraft des Herkules, 
Vorzüge, die man schätzt in allen Landen. 

Er war nicht weit entfernt mehr von Paris, 

Als mitten im Gehölz auf seinem Pfade 

Marthon, die muntre, seinem Blick sich wies, 

Ein Band geschlungen um die blonden Löckchen, 

Zierlich gebaut und unterm kurzen Röckchen 

Verratend eine schwanenweiße Wade. 

Er nähert sich ; dem Reiz, auf den er blickt, 

Sogar ein Heiliger würd' ihm verfallen. 

Ein Strauß von Lilien und Rosen nickt 

Inmitten zweier Alabasterballen, 

Die niemand kann gewahren unbestrickt; 

Der Farbenschmelz von ihren blühnden Wangen 

Verdunkelt ihres Blumenstraußes Prangen. 

Kurzum, dies jugendliche Wunder ging 

Mit einem Körbchen, das am Arm ihr hing, 

Den Weg zum Markt in ihrer ganzen Zierde, 

Um Butter zu verkaufen dort und Eier. 

Herr Robert springt, ergriffen von Begierde, 

Vom Pferd, küßt ihren Mund als kecker Freier 

Und sagt: „Im Ranzen hab' ich zwanzig Gulden, 

Mein ganzes Gut; es werde dein, und nimm 



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Was den Damen gefällt 



I 2.3 



Dazu mein Herz." — „Das war zu viel der Hulden," 

Versetzt Marthori. Robert bedrängt sie soll Ii mm ; 

Sie fallt, er gleichfalls, kämpft mit ihr im Falle, 

Und so zerbricht er ihr die Eier alle. 

Sein magrer Klepper horcht beängstigt auf, 

Wird scheu vor diesem kriegerischen Schalle 

Und flieht waldeinwärts in gestrecktem Lauf. 

Ein Mönch von Saint Denis bemerkt ihn dort, 

Schwingt sich hinauf und trabt zum Kloster fort. 

Maithon fragt endlich, ordnend ihre Locken, 
Herrn Robert: „Wo sind meine zwanzig Gulden?" 
Der Ritter sucht vergeblich, höchst erschrocken, 
Nach Bors' und Reittier; doch die Schöne sperrt 
Sich gegen Mildrungsgründe seiner Schulden; 
Sie will die Schmach vergolten sehn gerichtlich 
Und klagt ihn an bei König Dagobert. 
„Ein Ritter", sagt sie, „ließ Verlust mich dulden, 
Tat mir Gewalt an und bezahlte nicht." 
Der weise Fürst streicht seinen Bart und spricht: 
„Dies ist ein Fall von Schändung offensichtlich; 
Drum geh vor meiner Gattin Bertha klagen; 
In derlei Sachen ist sie sehr beschlagen : 
Empfangen wird sie dich mit aller Güte, 
Wird schleunigst richten mit gerechtem Sinn." 
Marthon sagt Dank und eilt zur Königin. 
Bertha war sanft, von freundlichem Gemüte ; 
Jedoch sie war voll Unerbittlichkeit 



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I 24 



Was den Damen gefällt 



In einem Punkt: in dem der Sittlichkeit. 
Sie ruft zusammen ihr Konzil von Frommen : 
Der Ritter,' ohne Sporn und Stiefel, wird 
Barhäuptig und gesenkten Blicks vernommen ; 
Er ist geständig, daß er schwer geirrt : 
Er habe sich, vom Teufel hingerissen, 
Vergangen wider heiligstes Gebot 
Und sei zernagt nun von Gewissensbissen — 
Worauf er stracks verurteilt wird zum Tod. 

Doch Robert war so schmuck, so erzgegossen, 

So schlank, so frisch, so rosig und gefiel 

So sehr der Königin und dem Konzil, 

Daß bei dem Urteil ihre Tränen flössen ; 

Tief seufzend stand Marthon im Hintergrund, 

Von Mitleid wurden alle Herzen wund. 

Die Königin ließ ihr Konzil bedenken, 

Dem Ritter könne man das Leben schenken, 

Vorausgesetzt, er habe Geist genug : 

„Ihr wißt, wir haben ein Gesetz, das jenen 

Trotz schwerster Schuld begnadigt, welcher klug 

Verkündet, was die Frauen sich ersehnen — 

Falls wohlbemerkt er's auseinandersetzt 

Mit klaren Worten und uns nicht verletzt." 

Die Sache ward nach reiflicher Erwägung 
Herrn Robert unverzüglich vorgetragen. 
Um ihn zu retten, gab zur Überlegung 



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Was den Damen gefällt 125 

Die gute Bertha Frist ihm von acht Tagen. 
Er schwor ihr auf den Knien mit hohem Eid, 
Nach deren Ablauf werd' er wiederkommen, 
Bedankte sich für die Barmherzigkeit, 
Nahm Abschied und entfernte sich beklommen. 
u Wie?" sagt' er sich, «was alle Fraun begehren, 
Soll ohne sie zu kränken, ich erklären 
Aufs Haar genau? Die Königin bedrängt 
Mich Ärmsten mit gesteigertem Verderben; 
Warum, wenn doch mir ist bestimmt, zu sterben, 
Hat man nicht lieber gleich mich aufgehängt? 

Jedwede, die nun in den Weg ihm trat, 

Weib oder Mädchen, hielt er an und bat 

Um Auskunft, was am meisten ihr gefalle; 

Jedoch verschiedne Antwort gaben alle; 

Sie logen all', und keine ging aufs Ganze. 

Schon sah zur Hölle Robert sich verdammt; 

Schon hatte siebenmal mit seinem Glänze 

Der Sonnenball den Erdkreis überflammt, 

Als aus der Fernsicht auf begrünten Auen 

Er zwanzig himmlische Gestalten fand 

Im Reigentanz: ihr flatterndes Gewand 

Ließ schleierdünn erlesne Reize schauen ; 

Ein sanfter Wind, sein muntres Spiel vollführend, 

Durchwogte lieblich ihr gelöstes Haar; 

Leicht übern Rasen schwebte hin die Schar, 

Den Boden streifend und ihn kaum berührend. 



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Was den Damen gefällt 



Er nähert sich ; zum mindesten vielleicht 
Winkt ihm Bescheid auf die verflixte Frage: 
Mit eins verschwindet alles und entweicht. 

Die Sonne sinkt, es ist schon spät am Tage ; 
Er sieht nur noch ein uralt zahnlos Weib 
Mit grauem Antlitz und verschrumpftem Leib, 
Gestützt auf einen Stock die krummen Glieder; 
Die spitze Nase stößt ans kurze Kinn, 
Hotbraune Furchen rändern ihre Lider, 
Und karg sitzt weißes Haar im Nacken drin. 
Zum Unterrock dient ihr ein alter Fetzen, 
Der halb nur einhüllt ihre welke Haut. 
Der wackre Ritter fühlt vor ihr Entsetzen. 

Sie spricht, als wäre sie mit ihm vertraut, 

Ilm an: „Auf Eurer Slirne kann ich lesen, 

Mein Söhnchen, daß in Euch ein Kummer wühlt; 

Sagt mir, was Eurer Drangsal Grund gewesen. 

Wir leiden all ; doch wer sich ausspricht, fühlt 

Erleichterung und Mut zu neuer Tat. 

Viel ward mir kund; Verstand kommt mit den .Jahren, 

Und manchem Dulder ist durch meinen Rat, 

Wenn er ihm folgte, Gutes widerfahren.** 

Der Ritter drauf: „Mein Mütterchen, ach ja, 
Rat sucht' ich mir vergebens, fern und nah. 
Schon morgen werd' ich in Person gehenkt, 



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Was den Damen gefällt 127 

Falls vor der Königin und ihren Damen 
Ich, was den Fraun gefällt, nicht im Examen 
Verkünd' in einer Form, die sie nicht kränkt." 

Die Alte gab zur Antwort: „Bangt Euch nicht; 

Gott selber wahrlich sandt' Euch mir entgegen ; 

Glaubt mir, mein Sohn, dies schlägt Euch aus zum Segen ; 

Drum geht zu Hof mit heitrer Zuversicht. 

Ich komme mit und will Euch klipp und klar 

Das Euch so wichtige Geheimnis lehren ; 

Doch schwört mir, lös' ich Euch aus der Gefahr, 

Dann zu gerechtem Dank mir zu gewähren, 

Was ich von Euch mag wünschen und begehren. 

Der Undank ist ein schändliches Verbrechen ; 

Bei meinen schönen Augen wollt versprechen 

Durch einen Schwur, zu tun, was mir gefallt." 

Nicht ohne Lachen schwor es unser Held. 

„Lacht nicht," erwidert sie mit festem Ton, 

„Dies ist mein Ernst." Sie gibt ihm das Geleite, 

Und alle zwei gelangen Seit' an Seite 

Zu Frankreichs Hof und vor Frau Berthas Thron. 

Sogleich versammelt sich das Fraungericht, 

Die Königin nimmt Platz, und Robert spricht : 

(t Hört eures Rätsels Lösung, meine Damen: 

Was stets ihr euch ersehnt, was ihr mit Harm 

Entbehrt, wenn's euch die Schicksalsmächte nahmen, 

Nicht immer ist es ein Verehrerschwarm ; 

Doch Mädchen, Witwe, Frau, ob schön, ob häßlich, 



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Was den Damen gefällt 



Ob arm, ob reich, ob derb von Art, ob fein, 
Sehnt, scheint mir, Tag und Nacht sich unermeßlich, 
Im weitsten Sinn der Herr im Haus zu sein ; 
Allzeit gebieten ist ihr Wunsch und Hoffen : 
Man hänge mich, wenn ich daneben schoß." 

Das ganze weibliche Konzil beschloß, 

Daß er den Nagel auf den Kopf getroffen. 

Er küßt' als Freigesprochner Berthas Hand — 

Da plötzlich drängelt sich zerlumpt und schmutzig 

Die alte Hexe vor, zum Thron gewandt, 

Und nach Gerechtigkeit verlangt sie trutzig. 

Man weicht vor ihr, und sie beginnt zu reden : 

„O schönste Königin, aus deren Mund 

Sich immer gab nur lautre Wahrheit kund, 

Die Ihr gerecht seid jederzeit für jeden 

Und Lindrung spendet allen Kümmernissen : 

Mir dankt sein Leben dieser Ritter hier, 

Dankt Eures Rätsels Lösung meinem Wissen ; 

Bei meinen schönen Augen schwor er mir 

Erfüllung meiner Wünsche. Vor dem Thron 

Fordr ich mein Recht und wart' auf meinen Lohn." 

„Wahr ist's," spricht Robert, „und noch nie vergaß 
Für Wohltat ich des Dankes Ehrenschulden ; 
Doch Waffen, Pferd, Gepäck und zwanzig Gulden 
War alles, was ich überhaupt besaß; 
Ein Schwarzrock nahm's aus Frömmigkeit im stillen, 



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Was den Damen gefällt 



Als ich Marthon belagert, in Beschlag: 

Nichts hab' ich mehr, womit beim besten Willen 

Ich meine Retterin belohnen mag." 

„Ihr sollt", sagt Bertha, „dies zurückerhalten, 
Und strafen wird man den geschornen Dieb, 
Dann aber der Gerechtigkeit zu lieb, 
Was Euer, in drei gleiche Teile spalten : 
Mit zwanzig Gulden wird Marthon begabt, 
Weil Tugend ihr und Eier sind zerbrochen ; 
Der Alten wird das Reitpferd zugesprochen, 
Und Euch verbleibt, was Ihr an Waffen habt." 

Die Alte drauf: u Das nenn' ich Großmut zeigen. 
Doch nicht sein Pferd begehr' ich zum Entgelt: 
Vom Ritter will ich nur ihn selbst zu eigen ; 
Sein Wert und Anstand ist's, der mir gefällt. 
Zur Herrin soll sein liebend Herz mich wählen ; 
Das meine schmachtet nach so reichem Schatz; 
In meinen Armen sei sein Lieblingsplatz : 
Drum heut noch soll er sich mit mir vermählen." 

Nach dieser unverhofften Rede steht 
Herr Robert wie von Eishauch angeweht, 
Im Anblick dieser Mißgestalt verharrend 
Und auf das Lumpenzeug der Vettel starrend ; 
Prallt schreckensbleich sodann zurück drei Schritte, 
Bekreuzigt sich und ruft im Jammerton : 

Fulda, Die gepudert« Mute 9 



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„Wodurch, wodurch, o sagt mir doch, ich bitte, 
Verdient' ich solchen Unglimpf, solchen Hohn? 
Laß Eure Majestät alsdann mich lieber 
Gleich mit des Teufels Urgroßmutter traun : 
Das Weib hier ist verrückt, sie spricht im Fieber." 

Die Alte flötet: „Königin und Fraun, 

Schaut, wie er mich zum Dank für Mitempfinden 

Verschmäht; so sind die Männer insgesamt; 

Doch seinen Abscheu werd' ich überwinden ; 

Zu heiß hat seine Schönheit mich entflammt, 

Unmöglich, daß ihn kalt läßt so viel Feuer. 

Aufs Herz kommt's an : ich will mich nicht bemühn, 

Zu leugnen, daß mein Reiz schon im Verblühn; 

Doch werd' ich um so sanfter sein und treuer. 

Der Geist wird reif, erst wenn die Jugend floh, 

Und lernt begreifen. Sagt nicht Salomo, 

Die kluge Frau sei vorzuziehn der schönen? 

Arm bin ich; doch wer darf mich drum verpönen? 

Ist Armut schimpflich? Kann nur glücklich sein, 

Wer schläft in einem Bett aus Elfenbein? 

Und Fürstin, Ihr, wenn hier in goldnen Sälen 

Ihr liegt beim König nachts, dann sicherlich 

Schlaft Ihr und liebt Ihr besser nicht als ich ! 

Ihr hörtet von Philemon doch erzählen, 

Der liebend und geliebt in engster Zelle 

Mit Baucis hundertjährig noch gegirrt. 

Der Gram, des Alters mürrischer Geselle, 



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Hat sich in unsre Hütten nie verirrt. 

Wir sind nicht lasterhaft, weil wir nicht weichlich ; 

Wir dienen Gott, sind Königen vergleichlich. 

Wir halten Zucht in eueren Provinzen, 

Wir fertigen euch tüchtige Soldaten, 

Und, glaubt mir, zur Bevölkrung eurer Staaten 

Taugt mehr das arme Volk als eure Prinzen. 

Will Gott sich meinem keuschen Wunsch nicht fügen, 

Das Glück der Mutterschaft mir zu verleihn, 

Die Ehe hat noch andere Vergnügen : 

Die Blüte kann auch ohne Frucht gedeihn, 

Und bis zu meinem Tod wird's mich entzücken, 

Vom Lebensbaum die Blumen abzupflücken." 

Mit Redeströmen solcher Art gewann 

Die Mumie die Herzen aller Frauen 

Des Hofe; er ward ihr zugeteilt als Mann: 

Sein Schwur galt für entscheidend, nicht sein Grauen. 

Das greise Bräutchen forderte sodann, 

Nach ihrer Hütte mög' auf seinem Pferd 

Er heim sie fuhren und dort eingekehrt 

Am gleichen Tag noch mit ihr Hochzeit halten. 

All dies geschah genau nach Wunsch der Alten. 

Der Ritter stieg somit aufs Pferd und nahm 
Die Braut in seinen Arm. So sehr verschärfen 
Sich seine Qual, sein Schauder, seine Schani, 
Daß zehnmal er ins Wasser sie zu werfen 

9* 



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Versucht sich fühlt ; jedoch er tut es nicht, 
Weil damals jederzeit zu Ehren kam 
Das heilige Gesetz der Ritterpflicht. 

Sein traut Gespons erinnert ihn beim Trabe, 

Damit er nicht in Schwermut sich vergrabe, 

An seiner Ahnen Heldenhaftigkeit, 

Erzählt ihm aus des großen Chlodwigs Tagen, 

Der drei gekrönte Freunde hab' erschlagen, 

Und wie der Himmel ihn gebenedeit : 

Sie habe selbst gesehn, wie voll Verklärung 

Die Taube zu Remi herniedertrug 

Das heil ge Salböl im geweihten Krug 

Bei dieses großen Königes Bekehrung. 

Abwechslungsreich dazwischen manchesmal 

Flocht sie Betrachtungen in die Berichte, 

Geistreiche Glossen sinniger Moral, 

Die nicht zerriß den Faden der Geschichte, 

Den aufmerksamen Hörer denken machte, 

Nicht lehrhaft schien und doch Belehrung brachte. 

Herr Robert wußte nicht, wie ihm geschah, 

Ließ wie gebannt sein Ohr von ihr bestechen, 

Gefesselt, wenn sein Weib er hörte sprechen, 

Verzweifelt, wenn er ins Gesicht ihr sah. 

Das wunderliche Paar gelangt am Ende 
Zur Hütte, wo das Hutzelweib zu Haus : 
Sie schürzt sich auf, und ihre schmutz'gen Hände 



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Bereiten dem Gemahl den Hochzeitsschmaus: 

Gar schmale Kost für solch ein junges Blut 

(Gepriesen mehr als nachgeahmt von Weisen); 

Ein morsches Brett, das auf drei Beinen ruht, 

Dient wackelig zur Tafel, dran sie speisen. 

Der Gatte hockt auf unbequemem Sitze, 

Den Blick zu Boden schlagend voller Qual ; 

Die Greisin würzt gesprächig ihm das Mahl 

Durch hübsche Reden und geschliffne Witze, 

Einfälle, so gewinnend, so natürlich, 

So scharf, daß man sie selber unwillkürlich 

Gesagt zu haben glaubt. Wie selbstvergessen 

Muß Robert flüchtig lächeln und vermeint, 

Daß sie nun minder häßlich ihm erscheint. 

Sie will nach eingenommnem Abendessen, 

Ihr Gatte soll mit ihr zu Bett sich legen. 

Er stöhnt, er krümmt sich unter schwerstem Druck, 

Und sterben können dünkt ihm als ein Segen ; 

Doch fügt er sich mit einem tapfren Ruck : 

Er hat's gelobt; kein Mittel gibt's dagegen. 

Zwei schmutzbefleckte Laken, rings gespickt 
Mit großen Löchern, angenagt von Ratzen, 
Mit groben Fäden mangelhaft geflickt, 
Schlampig gedeckt auf alte Stroh mat ratzen, 
Eraeun des armen Ritters Angst und Bangen; 
Des Ehestands gebieterische Pflicht, 
Ihm zeigt sie sich in fürchterlichem Licht; 



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1 34 



Was den Damen gefällt 



Er ruft: «Kann Gott Unmögliches verlangen? 
Gepredigt wird in Rom, des Himmels Gnade 
Geb' uns den Willen und die Tat zugleich? 
Die Gnad' und ich sind hier auf falschem Pfade : 
An Geist ist meine Frau zwar ziemlich reich 
Und gut von Herzen ; doch was hilft, ich frage, 
Mir Geist und Herz in meiner heiklen Lage?" 
Herr Robert wirft im Bann von solchem Kummer 
Eiskalt sich auf den Rand von seinem Pfühl, 
Stellt sich, damit er birgt sein Qualgeftihl, 
Als ob er schliefe; doch ihm naht kein Schlummer. 

Die Alte sagt ihm drauf in sanftem Ton, 

Ihn zwickend: „Wirklich, Robert, schläfst du schon? 

Du holder Unhold, grausames Juwel, 

Ich bin besiegt, nun laß auch dich besiegen; 

Die scheuen Stimmen meiner Keuschheit schmiegen 

Sich meiner Sinne mächtigem Befehl. 

Wie du mein Herz beherrschst, beherrsch auch sie. 

Ich sterb', ich sterbe! Gott! Wie weit gedieh 

Durch dich mein Sturz in der Verführung Stricke! 

Ich werde toll, ich lodre, ich ersticke, 

W f ehrlos vom Rausch der Lust mir selbst entrissen. 

Ich kann nicht mehr ! Gibst du dem Tod mich hin, 

Wart nur, ich wälz es dir auf dein Gewissen." 

Herr Robert war von unverdorbnem Sinn, 
Voll Gottesfurcht und Menschenfreundlichkeit; 



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Deswegen tat ihm seine Gattin leid : 

„Ach!" ruft er, «lag's an mir, so wtird' ich gern 

Euch meine Glut zum Dank für Eure gönnen; 

Doch kann ich's denn?" — „O geh, du wirst es können," 

Erwidert sie; „was war' zu hoch, zu fern 

In deinem Alter einem wackren Helden 

Mit etwas Mut, Geschick und Selbstvertraun ? 

Wie werden jubeln doch des Hofes Fraun, 

Wenn wir dies Liebeswunder ihnen melden ! 

Vielleicht mich etwas widrig findest du, 

Etwas verrunzelt, ja, voll übler Dünste ; 

Doch das ist nichts fur echte Ritterkünste: 

Die Augen schließ und halt die Nase zu." 

Zuguterletzt will Robert ruhmbegierig 
Erweisen, daß kein Sieg fur ihn zu schwierig : 
Er folgt und tut, sich bei der Ehre fessend, 
Nur seinem seltnen Mut sich überlassend, 
Ersetzend, von des Himmels Gunst getragen, 
Durch Jugendkraft, was hier an Reiz gebricht, 
Mit zugedrückten Augen seine Pflicht. 

„Es ist genug," hört er sein Weibchen sagen, 
(( Ich sah von dir, was ich begehrt zu sehn : 
Ich sah dein Herz in meine Macht gegeben. 
Nach dieser Macht ging all mein heißes Streben : 
Ich hatte Recht; mein Sohn, du wirst gestehn, 
Die Frau will stets die Herrin sein im Haus ; 



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Was den Damen gefällt 



Drum, Robert, bitt' ich mir auf ewig aus, 
Du mögst geführt von meiner Obhut leben. 
Gehorchend meiner Liebe, teurer Mann, 
Tu auf die Augen jetzt und schau mich an." 

Robert blickt auf; ihn blendet Kerzenfülle 

Von zwanzig Leuchtern, ihn begrüßt als Gast 

Nicht mehr die Hütte, sondern ein Palast, 

Und unter perlenübersäter Hülle 

Sieht er ein Weib von solcher Schönheit strahlen, 

Daß nicht Apelles, nicht Vanloo sie malen, 

Noch Phidias, Le Moine, Pigal zusammen 

Sie meißeln könnten jemals, wie sie war : 

Sie glich der Venus, aber der in Flammen, 

Der Venus, wenn sie mit gelöstem Haar, 

Mit feuchten Augen und beglücktem Schmachten 

Erharrt in ihrem Arm den Gott der Schlachten. 

Sie spricht: „Dies all — Palast und ich — ergibt 
Sich dir, dem Sieger ; laß es dir behagen ; 
Du hast die Häßlichkeit nicht ausgeschlagen ; 
Drum bist du wert, daß dich die Schönheit liebt." 

Nun soll ich meinen Hörern wohl noch schnell 
Verraten, wer die Göttliche gewesen, 
Die sich Herrn Robert zum Gemahl erlesen : 
Ihr Freunde, wißt, es war die Fee Urgelle, 



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Was den Damen gefällt 



Die damals unsre Kriegeshelden schützte 
Und arme Ritter liebreich unterstützte. 

O Märchenzeiten, wie beneidenswert, 
Als gute Geister, Gnomen und Alraunen 
Noch hilfsbereit mit Sterblichen verkehrt! 
Man hörte diese Fabeln an mit Staunen 
In seinem Schloß, versammelt um den Herd ; 
Wie lauschten Mutter, Tochter, Oheim, Vater, 
Die Nachbarschaft und das gesamte Haus, 
Sobald zum allgemeinen Ohrenschmaus 
Von Zauberern erzählte der Herr Pater ! 

Die Feen und Geister hat man nun verbannt, 

Die Grazien erstickte der Verstand ; 

An ihrer Stelle blühn uns Albernheiten. 

Vernünftelei wird traurig überschätzt, 

Und ach, nur nach der Wahrheit jagt man jetzt ; 

Glaubt mir, der Trug hat seine guten Seiten. 




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DIE ERZIEHUNG EINES FÜRSTEN 

Die weil der Tagesgott auf seinen Wanderungen 
Griesgrämig noch verweilt im Haus des Wassermanns, 
Der Sturm noch das Gebirg umkreist in wildem Tanz 
Und unsre holden Aun von Fluten sind verschlungen, 
Erzähl' ich am Kamin euch gern ein paar Geschichten; 
Der Müßiggang wird leicht, sobald man sich zerstreut. 
Kein Zweifel, ich bin alt und schäme mich mitnichten, 
Mich zu erfreun mit euch an dem, was Kinder freut. 

Einst herrscht' ein junger Fürst in Benevent, versunken 
In eitel Üppigkeit, von Machtbewußtsein trunken, 
Erzogen wie ein Tor, nicht ahnend auf dem Thron 
Des eignen Volkes Haß, des Nachbarvolkes Hohn. 
Der kleine Staat war ganz im Joch von zwei Halunken ; 
Den Fürsten hatten sie gelullt in blinden Wahn, 
Wobei sein Beichtiger nach Kräften mitgetan; 
Dies Kleeblatt war vereint zum Bund. Man ließ ihn denken, 
Daß er ein Muster sei von Tugend, Ruhm, Talent, 
Und daß den Erdenball ein Fürst von Benevent 
Durch Liebe wie durch Furcht berufen sei zu lenken; 
Daß er Italien und Frankreich werd' besiegen, 



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Die Erziehung eines Fürsten 



Daß goldne Quellen ihm zuströmten uferlos 

Und seine Gelder drum die Schätze Salomos 

Im steinigen Bereich des Kidron überstiegen. 

Alamon (dies des arg betörten Fürsten Name) 

Sog all den Weihrauch ein und dacht' im dumpfen Geist, 

Umringt von Harlekins und ödem Narrenkrame, 

Sein Volk sei hochbeglückt, sobald er gut gespeist. 

Noch weilte zwar am Hof ein redlicher Berater, 
Emon, der treu gedient schon seinem sel'gen Vater, 
Der offen zu ihm sprach in lautrem Wahrheitsdrang 
Und seinem Herrschertum Verderben prophezeite. 
Die eifersüchtigen Minister, vor ihm bang, 
Sie schafften ohne Müh' den wackren Mann beiseite. 
Emon ward übern Kopf des Fürsten weg verbannt. 
Ein Landgut wies man ihm, wo der im Dienst Ergraute 
Der Freundschaft weise pflog und seinen Acker baute, 
Beklagend seinen Herrn sowie sein Vaterland. 
Alamon aber spann das Leben eines Toren, 
Von ihm verlassen, fort in öder Schwelgerei. 
Für Augenblicke drang zuweilen das Geschrei 
Der Untertanen doch an seine stumpfen Ohren: 
Ein ferner, wirrer Chor, der kaum beschwerlich fiel, 
Abflauend auf dem Weg, hinsterbend vor dem Ziel. 
Durch seine Staaten schlich das Elend allerwärts; 
Die Bürger fühlten Qual, Alamon Langeweile; 
Der falschen Räte Macht ward größer stets. Zum Heile 
Des Fürsten senkte Gott ihm Liebe tief ins Herz. 



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I 4o Die Erziehung eines Fürsten 

— ... - — — - 



Es schlug in Fesseln ihn Amidens Jugendreiz; 

Er fing zu leben an, sein Herz begann zu wallen. 

Schön war er, Wohlgestalt, im Alter, zu gefallen. 

Sein schlauer Beichtiger entdeckte bald bereits 

Die Heimlichkeit und nahm den Zögling ins Gebet: 

Unwissend, wie er war, sah er die Hölle brennen; 

Und jenes Schurkenpaar, in Sorge früh und spät, 

Einst werd' ihr Herr sich selbst und dann auch sie erkennen, 

Amide schickten sie dem armen Emon nach. 

Ihr Bündel schnürte sie, mit Tränen es begießend. 

Kein Sträuben ward gewagt. Dem Fürsten selbst gebrach 

Der Mut; er riß von ihr sich los, die Augend schließend. 

Sein schwankerGeist ward kaum vom Selbstvorwurf getroffen , 

War sich zu öffnen reif, indes noch lang nicht offen. 

Grad wie sie scheiden will, dröhnt schwellend, überfließend 
Ein Lärm: „Flieht! Kämpft! Wir sind des Tods, wir sind 

verloren ! w 

Gott, Allah, Mahomet und Christus wird beschworen. 
Man sieht ein ganzes Volk zur Flucht gewendet laufen ; 
Ein Held im Turban führt, so kraftvoll wie gewandt, 
Die Muselmänner an, den Säbel in der Hand, 
Bricht fechtend eine Bahn sich über Leichenhaufen, 
Stürmt den Palast, durch den sogleich die Flammen knistern, 
Erschlägt die Männer, raubt die Frauen, sengt und brennt. 
Von Gumae war der Mensch marschiert nach Benevent, 
Bevor ein Hauch davon kund worden den Ministern. 
Der Tod zog ihm voraus; im heil'gen Rom erstarrten 



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Die Erziehung eines Fürsten 



Sankt Peter und Sankt Paul vor bebendem Erwarten. 
Dies, liebe Freunde, war der schreckliche Abdallah, 
Gesandt zur Züchtigung der Kirche Roms von Allah. 

Kaum im Palast, befahl er, daß man jeden binde. 
Die Prinzen, Geistlichen, Minister, Hofgesinde, 
Gefesselt mußten sie, der eine an den andern, 
Auf einem Karren all zum nächsten Markte wandern. 
So wurden auch der Fürst und seine beiden Räte 
Mit seinem Beichtiger verknüpft zu gleicher Not; 
Der schlug in einem fort das Kreuz und sprach Gebete, 
Mut ihnen predigend und selbst vor Furcht halb tot. 

Es teilten unter sich die Beute drauf die Sieger; 
Von den Emiren ward dreiteilig sie getrennt 
In Rosse, Kirchengut und in gefangne Krieger, 
Und plündernd zog man aus das ganze Benevent. 
Zu fälschen die Natur versuchen stets die Schneider; 
Unkenntüch wird der Mensch von ihnen eingepackt, 
Gestalt und Wesen wird verändert durch die Kleider : 
Wer recht ihn schätzen will, der muß ihn sehn ganz nackt. 

Der Fürst ward zugeteilt dem Obermuselmann; 
Jung war er, wie gesagt, und Jugend gab ihm Stärke. 
Als Maultiertreiber drum verwandt' ihn der Tyrann, 
Und er verdankte viel dem neuen Tagewerke. 
War seine Muskelkraft durch Weichlichkeit verzehrt, 



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1^2 Die Erziehung eines Fürsten 

Die Arbeit stählte sie zur wundersamsten Regheit; 
Er lernte durch das Leid, bezähmte seine Trägheit, 
Und aus Erniedrigung erwuchs ihm innrer Wert. 
Der innre Wert jedoch bringt nur vermehrte Pein, 
Sofern die Macht ihm fehlt. Schon ließ Abdallah nämlich 
Im fürstlichen Palast sich nieder ganz bequemlich, 
Und trotz dem Koran trank er der Besiegten W T ein. 
Des Hofes Damenflor, Volkstöchter, Bürgerfrauen 
Führt nachts in sein Gemach sein schwärzlicher Eunuch; 
Sie lassen sich von ihm der Reihe nach beschauen 
Und müh ii im Wettbewerb sich um sein Taschentuch. 
Aus vollem Kelch der Lust genießt er so sein Leben. 

Sich plagend ohne Ruh', den Striegel in der Hand, 
Mit den Genossen, die zuvor ihm untergeben, 
Hält währenddem der Fürst den Maultierstall instand. 
Zur Steigrung seiner Qual sieht er Amide wieder, 
Die der verschnittne Mohr, der Liebesmittler, just 
Dem Wütrich zuführt als das Opfer seiner Lust. 
Der Ohnmacht Gram und Grimm durchzuckt Alamons 

Glieder. 

„Dies Unglück, w ruft er aus, „ich überleb' es nicht!" 
Der Mohr versteht kein Wort von allem, was er spricht. 
Doch andre Sprache weiß Amide zu benützen; 
Ihr Auge blickt voll Pein, doch stolz und unverzagt, 
Und dieser Bück, der ihm das Herz erschüttert, sagt: 
„Sei standhaft, lebe, denk daran, mich zu beschützen 
Und räche, räche mich! Es macht dein neues Amt 



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Die 



Erziehung eines 



Fürsten 



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Dich meiner Liebe nur noch würdiger auf immer. " 
Von frischer Hoffnung fühlt Alamon sich entflammt. 

Amide wird gebracht in des Tyrannen Zimmer, 
Und der Erobrer schwört in heftigem Entbrennen, 
Er habe zwar bis heut gar wohl die Lust gekannt, 
Amidens Anblick erst lehr' ihn die Liebe kennen. 
Sie schürt noch seine Glut durch ihren Widerstand; 
So wird von dem Genuß, den ihre Gegenwehr 
Verkündigt und vertagt, gestachelt sein Begehr. 
Vorwände sind für Fraun so dicht gesät wie Sterne; 
Sie sagt: „Gleich andern bin auch ich von dir besiegt. 
Unüberwindlicher in Lieb' und Streit, wer liegt 
Zu Füßen oder in den Armen dir nicht gerne? 
Nur dulde, daß mein Glück drei Tage sich verschiebe; 
Doch daß nicht mittlerweil' ich sei des Trostes bar, 
Zwei Gunstbezeugungen gönn' meiner armen Liebe. M — 
«Sprich! Was gebietest du?' 1 erwidert der Korsar. 
„Nichts könnt' ich weigern dir, sofern's in meiner Macht. " — 
„Zuerst erbitt' ich denn," versetzt sie wohlbedacht, 
„Daß du bestrafen mögst mit hundert Peitschenhieben 
Drei Beneventer, die von mir sind aufgeschrieben. 
Sodann ein Maultier, Herr, ist meine zweite Bitte, 
Das mir mitunter dient zu einem kleinen Ritte, 
Nebst einem Treiber, den ich selbst mir dürfe wählen." 
Abdallah sagte drauf: „Du hast nur zu befehlen." 
Gesagt, getan: sowohl der Schurk' im Priesterkleid 
Wie das verworfen Paar, die Spender felschen Rates, 



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Die Erziehung eines Fürs t en 



Erhielten ihre Tracht, sehr zur Zufriedenheit 

Der Unterjochten all und des gesamten Staates. 

Der junge Fürst jedoch, von unverhofftem Strahl 

Des Glücks getroffen, trieb das Maultier seiner Schönen. 

Sie flüsterte: „Dich soll ein Sieg von neuem krönen. 

Nur zwischen Thron und Tod vergönnt ist dir die Wahl. 

Du hast ein tapfres Herz, und Emon ist dir treu, 

Ich bin es auch. Kein Werk, das mir zu schwierig wäre 

Für meines Landes Heil und deines Namens Ehre. 

Such den Verbannten auf, begegn' ihm ohne Scheu; 

Du tatest Unrecht ihm, bitt' ihn, dir's zu vergeben, 

Und weihen wird er dir den Rest von seinem Leben. 

Bereit muß alles sein, eh du zurückkehrst. Fliege! 

Du weißt, am dritten Tag verfall' ich, wenn man mir 

Vorher nicht Rettung bringt, Abdallahs wilder Gier. 

Die Zeit ist kostbar in der Liebe wie im Kriege." 

Der Fürst versetzte drauf: „Ich liebe dich und eile.» 

Emon, der alles von Amide mittlerweile 

Gehört und seinem Herrn im Leid ergeben war, 

Er hatte heimlich schon gesammelt eine Schar 

Von edlen Freunden und des Heeres beste Teile. 

Er schließt in seinen Arm den Fürsten unter Tränen ; 

Sie waffnen sich versteckt, sie brechen auf geschwind. 

Amide spricht zum Volk, und so versklavt sie sind, 

Sie weckt in ihrer Brust ein mächtig Freiheitssehnen. 

Alamon weiß dem Mut die Klugheit beizufügen 

Und zeigt sich als ein Held, sobald der Kampf beginnt. 



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Die Erziehung eines Fürsten 



1 45 



Der Türk', von Argwohn fern, sich wälzend im Vergnügen, 
Wird überrascht von der Besiegten Wagestück. 
Alamon im Triumph kehrt in das Schloß zurück, 
Grad während, ohne noch sein Schicksal zu begreifen, 
Der Türk' Amide will zu seinem Lager schleifen. 
An dessen Stelle winkt nun Herrschaft ihm und Glück. 

Der Beichtiger kommt an mit den zwei Teufelsbraten, 
Kaum daß der Riegel wich von ihres Kerkers Tor ; 
Sie taten nichts und tun, als ob sie alles taten, 
Entschlossen, wiederum zu herrschen wie zuvor. 
Feigheit ist grausam stets ; drum rät die fromme Seele, 
Daß man am Mauerrand Abdallah pfählen soll. 
„Elender, ihr vielmehr verdient, daß man euch pfähle!" 
Ruft der erleuchtete Gebieter hoheitsvoll. 
w Ihr habt mich in den Sumpf des Müßiggangs getaucht; 
Ich schulde, was ich bin, dem Türken und Amide; 
Ihr hattet mich verdummt, mein jung Ver traun mißbraucht. 
Durch Lieb' und Leid erst kam ich in die rechte Schmiede. 
Tapfrer Abdallah, geh ! Dir bin ich sehr verpflichtet, 
Du hast mir Geist und Herz geweckt zu kühnem Flug. 
Auf weitren Unterricht jedoch sei nun verzichtet : 
Ich weiß dir Dank dafür, doch ist's an dem genug. 
Entfern dich; du bist frei. Gibt aber dein Geschick 
Drei schlimme Räte dir, die deinen Staat verheeren, 
Dann laß mich rufen; glaub, ich komm' im Augenblick, 
Und was du mich gelehrt, ich will's dich wieder lehren." 



Fulda, Die gepuderte Mute 



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DIE DREI ARTEN 



Welch liebenswürdig Volk hat in Athen gelebt! 

Wie fesselt mich sein Geist! Wie läßt er mich die Lehren 

Der Wahrheit im Gewand der Poesie verehren ! 

Doch gilt als Hübschestes, was dieser Geist gewebt, 

Mir das Theater, das mit ihren Leidenschaften 

Und Sitten ließ erstehn die Helden alter Zeit, 

Ein Beispiel, dran auch jetzt noch alle Völker haften, 

Dem nachzueifern sie noch nie bis heut erschlafften. 

Die Bühne lehrt uns mehr als die Gelehrsamkeit. 

Den falschen Geistern Schmach, die mit verbohrter Wut 

Das Spiel Melpomenes in unserm Land verdammen! 

Der Himmel, als er schuf solch tierisch rohe Brut, 

Gab ihr ein Herz von Stein, das nie sich laßt entflammen. 

Ein Hauptvergnügen des Theaters von Athen 
War, unter Festgepräng die besten von den Söhnen 
Der Stadt, die höchste Zier der Bürgerschaft zu krönen, 
Und alles Volk erschien, der Ehrung beizustehh. 
So hab' ich einst Villars, so Moritz* einst gesehn, 
Den eine Schranze drum gewagt hat zu verhöhnen, 
Wie von dem Siegesfèld er in die Oper ging, 
Von einer Sängerin den Lorbeerkranz empfing. 

* Marschall Moritz von Sachsen. 



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Die drei Arten 



So hatte Richelieu beim Rückweg von Mahon 

(Das er dem Neid zum Trotz gestürmt in kühnem Fluge) 

Stets ein Theater mit auf seinem ganzen Zuge; 

Man klatschte Beifall ihm noch mehr als der Clairon. * 

Im edlen Schauspielhaus des Aeschylus, bevor 
Melpomenes Kothurn zur Bühne stieg empor, 
Gab man den Liebenden die zuerkannten Preise. 
Wer der Geliebten sich in dem verfloßnen Jahr 
Als treuster Freund erprobt, auf auserlesne Weise 
Ihr sein Gefühl gezeigt in Nöten und Gefahr, 
Dem flocht man einen Kranz vor allem Volk ins Haar. 
Für ihres Herzens Wahl sprach jede schöne Maid, 
Pries ihres Liebsten Wert und seine Ruhmestaten, 
Nachdem sie förmlich erst geschworen einen Eid, 
Nicht durch ein einzig Wort ins Flunkern zu geraten, 
Nichts zu vergrößern, ein Problem voll Schwierigkeit 
Für Fraun, für Liebende, sogar für Advokaten. 
Man hat uns aufbewahrt solch hübschen Redestreit; 
Erlehrt,wieGriechenland vonheitrem Glanzdurchsonnt war. 
Mich dünkt, es war zur Zeit, als Eudanias Archont war. 

Bezaubert sah das Volk drei junge Grazien nahn, 
Egle, Theone und Apamis, die betrübte. 
Die schöne Welt Athens, die sonst so sprachgeübte, 
Brach feierlich verstummt sich zu dem Schauspiel Bahn; 
Im Halbkreis aufgereiht saß man vor Spannung bebend. 

* Berühmte Schauspielerin der Comédie Française (1723— i8o3). 



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Die drei Arten 



Venus mit ihrem Sohn, in goldner Wolke schwebend, 
Nahm an dem Wettkampf teil mit aufmerksamem Ohr. 
Jung Egle trat zuerst einfach und schlicht hervor, 
Berückend Aug' und Ohr und Herz der Allgemeinheit 
Mit ihrer Stimme Schmelz und ihrer sanften Reinheit. 

Egle 

Hermotimos, der mich gezeugt, hat all sein Leben 
Den Musen, dem Talent und jenem Geist geweiht, 
Der einst von Barbarei die Menschen hat befreit. 
Er floh den eitlen Ruhm, den Künsten ganz ergeben. 
Dem Ehrgeiz fern, versteckt im engen Kreis der Seinen, 
Wollt' er die Tochter nur mit einem Mann vereinen, 
Der auserwählt gleich ihm durch hoher Götter Gunst 
Am besten es verstand', als Meister einer Kunst, 
Sei's auf der Leinwand, sei's im Saitenspiel der Leier, 
Zu huldigen dem Reiz, den mir Natur geschenkt. 
Ligdamon liebte mich, ein ungelehrter Freier, 
Auf Gaben der Natur, ich geb' es zu, beschränkt ; 
Gesittet ohne Tand, voll klugen Sinns und Zartheit, 
Sich äußernd mit Vernunft und niemals mit Gelahrtheit; 
Talentlos zwar, doch auch nicht von sich eingenommen. 
Von Amor ward ihm Herz, von Gharis Geist beschert; 
Zu lieben wüßt' er nur, das aber so vollkommen, 
Daß diese höchste Kunst mich er allein gelehrt. 

Jedoch mein Vater war tyrannisch drauf bedacht, 
Mir ihn zu rauben, ihn, den Abgott meiner Seele, 



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Die drei A rten l 49 

Und wollte, daß zum Mann ich einen Maler wähle, 
Der auch Musik versteht und gute Verse macht. 
Wie viele Tränen drum vergoß ich voller Pein! 
Ach, wie despotisch sind der Eltern Machtbefehle; 
Sie wollen, weil sie uns gezeugt, uns Götter sein. 
Gewiß, ich starb daran; doch würd' ich fügsam sterben. 

Ligdamon schied von mir, verzweifelt, herzenszwund, 
Um eine Zufluchtsstatt weit abseits zu erwerben. 
Sechs Monat' war die Frist für den geplanten Bund. 
Verkündet wurde sie dem ganzen Werberschwarm. 
Ihr trauriges Talent könnt', ach, nichts andres malen 
Als meine Tränenflut, mein Leid und meine Qualen. 
Die Zeit verdoppelte nur meinen bittern Harm. 
Mein Freund Ligdamon schien auf immer mir entwendet ; 
Ich harrte meines Spruchs, ich, der Bewerbung Preis. 

Von zwanzig Freiern war nun je ein Werk vollendet, 
Und über deren Wert stritt man sich dutzendweis. 
Mein Urteil zählte nicht, ich sah sie nicht einmal. 
Gar bald auf Harpagus, den übermüt'gen, kalten, 
Als den Begabtesten fiel meines Vaters Wahl ; 
Ich ward mit ihm verlobt und sollte Hochzeit halten. 

Ein Sklave pocht ans Tor, tritt eilig in den Saal 

Und überbringt ein Bild von unbekannter Hand : 

Flugs war ihm jeder Blick neugierig zugewandt. 

Mein Bildnis war's. Ich schien zu atmen und zu sprechen ; 



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Die drei Arten 



Als ob aus tiefster Brust ein Seufzer mir entfuhr, 
Verrieten Mien' und Aug' mein heimlich Herzgebrechen; 
Dies war nicht Kunst mehr, war leibhaftige Natur, 
Verschönerte Natur; hier schien sich abzumalen 
Nicht nur des Körpers, nein, der Seele Bildnis auch. 
Ein zartes Licht vereint sich leichtem Nebelhauch, 
Wie wenn die Sonne wir mit morgendlichen Strahlen 
Unwiderstehlich sehn durchs Wälderdickicht sprüh n, 
Vergoldend Früchte, Laub, Getreid' und Wiesengrün. 
Verblüfft war Harpagus; er hätte gern gekrittelt; 
Die andern schwiegen still, gelabt vom Augenschmaus. 
„Mensch oder Gott, wer ist's," rief laut mein Vater aus, 
„Der mit solch seltner Kunst die Wirklichkeit vermittelt? 
Wem soll dafür als Preis mein Kind zu eigen sein?" 
Ligdamon kommt und sagt zu ihm : „Dein Kind ist mein 
Die Liebe malte sie ; dies W T erk hat sie vollbracht ; 
Sie war's, die dieses Bild ins tiefste Herz mir senkte, 
Sic war's, die meine Hand auf dieser Leinwand lenkte: 
Entquillt nicht jede Kunst nur ihrer Himmelsmacht ? 
Sie sprießen all aus ihr." Dann ließ Ligdamon hören 
Zu seinem Saitenspiel in Tönen sanften Klangs 
Ein wundersam Gemisch harmonischen Gesangs; 
Es war, als lausche man geweihten Götterchören. 
Mit des Apelles Stift verband er Orpheus' Stimme. 

Da knirschte Harpagus, und seiner Augen Brand, 

Die Wölk' auf seiner Stirn sprach von ersticktem Grimme. 

Nach einem Wurfspieß greift er mit gekrampfter Hand, 



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Die drei Arten 



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Er läuft, er zielt; ich seh' den Schreckensaugenblick, 
Da dieser Schurk* im Zorn den Freund mir will erschlagen 
Und jähem Tod verfällt so mein wie sein Geschick. 
Ligdamon nimmt es wahr; doch kennt er kein Verzagen, 
Und mit der gleichen Hand, die seine Leier rührte 
Und jedem Sinn und Geist so zauberisch erschien, 
Bekämpft er seinen Feind, besiegt, begnadigt ihn. — 
Fällt nun den Spruch, ob ihm der Liebe Preis gebührte! 
Zum mindesten erlaubt, daß ihn mein Herz ihm gibt. 

★ 

Als Egle schwieg, erhob des Beifalls laut Gedröhne 
Sich rings im Griechenvolk ; errötend stand die Schöne, 
Und ihr Geliebter ward noch mehr von ihr geliebt. 

Theone trat nun vor. Ihr Blick und ihre Töne 
Bewiesen, daß ihr Herz Verkünstlung nicht besaß; 
Der Griechen Auge hing an ihr mit Wohlbehagen. 
Sie hob mit Lächeln an, ihr Schicksal vorzutragen 
In kürzern Versen und in anderm Silbenmaß: 
Es gleitet lieblich hin und hat vier Füße nur, 
Grad wie bei Hamilton * und wie bei der Natur. 

Theone 

Den Agathon kennt ihr schon lange ; 
Narziß erreicht an Reiz ihn kaum. 
Es sproß auf seiner runden Wange 
Grad nur der erste zarte Flaum. 

• Antoine Hamilton, französischer Dichter (c. 1646—1720). 



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Die drei Arten 



Er hat der Stimme sanften Laut 

Sowie die Augen von Gythere; 

Es ist, als ob gerötet wäre 

Von Purpur seine weiße Haut ; 

Apollos reiches Lockenhaar 

Ist nicht so lang und nicht so golden ; 

Ich nahm ihn mir zum Freund, zum holden, 

Sobald ich mannbar worden war. 

Nicht nur von seiner Schönheit Flimmer 

Bezwungen ward das Herz mir warm ; 

Denn mit des Paris Glanz und Schimmer 

Vereint er des Achilles Arm. 

Einst stieg ich um das Abendrot 
Bei einer Insel der Cykladen 
Mit meiner Muhme in ein Boot, 
Um in der nahen Bucht zu baden, 
Als plötzlich dicht vor den Gestaden 
Ein lydisch Raubschiff uns bedroht. 
Der alte Räuberkapitän 
Kam damals oft an diese Küste, 
Nach jungen Mädchen auszuspähn 
Für eines Vizekönigs Lüste. 
Er stutzt, sobald er mich gesehn ; 
Ich schien ihm hübsch genug zu sein. 
Er fängt mich, läßt die Muhme laufen, 
Sackt mich wie einen Sperling ein, 
Mich dem Satrapen zu verkaufen. 




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Die drei Arten 



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Die gute Muhme, wie vernichtet, 
Bricht aus in Heulen, kehrt sofort 
Heim zum Piraeus und berichtet 
Im Flug dem ersten besten dort, 
Daß ihre Nichte ward geraubt, 
Daß eines Kaperschiffes Haupt, 
Ein alter lydischer Pirat, 
Ein Händler mit lebend'ger Ware 
Die Blüte meiner Jugendjahre 
Verschachern will im Perserstaat. 

War nunmehr Agathon gewillt 
Zum Weinen und zum Händeringen? 
Wollt' er verfertigen mein Bild? 
Wollt' er, was mein Verlust ihm gilt, 
Zum Saitenspiel der Leier singen? 
Nein, retten wollt' er mich als Held; 
Doch weil es ihm gebrach an Geld 
Für den geringsten Lehensmann, 
Nahm er, der Schlankheit seiner Glieder 
Vertrauend, Weibesformen an 
In Haartracht, in Gewand und Mieder. 
Er trug ein Schwert von scharfem Schliff 
Verborgen unter seiner Schürze, 
Und mutentflammt bestieg in Kürze 
Er eines Fährmanns kleines Schiff. 
Er kommt zu des Maeander Strand 
Mit seinem wenigen Gepäcke. 



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Die drei Arten 



Kein Wunder, daß man ihn zum Zwecke, 
Hübsch wie er war, geeignet fond, 
Dem Lämmerstall, für den ich feil 
Gehalten ward, sich einzuschmiegen ; 
Sobald er an das Land gestiegen, 
Schleppt man ihn fort in mein Serail. 
Ich glaube, daß noch keine Maid 
Jemals empfand, solang sie lebte, 
Ein Viertel jener Seligkeit, 
Die stürmisch mir das Herz durchbebte, 
Als in des Harems Kerkerschranken 
Mein Grieche neben mir erschien 
Und mir die Freiheit war verliehn, 
Ihm für den seltnen Mut zu danken, 
Der ihn geführt an meine Seite. 
Entschlossen reicht' ich ihm die Hand, 
Und aller Götter Segen weihte 
Das schnell geknüpfte Eheband. 
War uns doch jeder Priester fern, 
Und ihr verkennt gewiß mitnichten, 
Daß auf die Diener zu verzichten 
Erlaubt ist angesichts der Herrn. 

Am Abend in mein Bett begab 

Sich ohne weitres der Satrap 

Zur Stillung seiner Liebesgier. 

Er dacht', um seine Glut zu lindern, 

Ein hübsches Kind zu treffen hier, 



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Die drei Arten 



I 55 



Und sah sich vor zwei hübschen Kindern. 

„Vortrefflich", rief das Ungetier; 

„Auch deine Freundin ist recht niedlich, 

Und mir behagt Geselligkeit; 

Teilt euch in mich ihr beide friedlich 

Und laßt die Eifersucht beiseit." 

Nach diesem kleinen guten Rat, 

Den durch Getändel er verstärkte, 

Wollt' er, wie schaudernd ich bemerkte, 

Sich wenden zur geschwinden Tat. 

Jedoch mit kriegerischer Hand 

Packt ihn mein Grieche bei den Ohren, 

Zieht rasch sein Schwert aus dem Gewand, 

Lehrt ihn, daß er als Mann geboren, 

Und ruft, von edlem Zorn entbrannt: 

„Verlassen wir das Haus zu dritt! 
Befrei die Tür vom Riegelschlosse 
Und gib ein Zeichen deinem Trosse, 
Daß man uns nachfolgt keinen Schritt. 
Zum Strand hinab gehn wir die Gassen, 
Besteigen dort ein Segel flink. 
Kein Auge werd' ich von dir lassen ; 
Drum keinen Laut und keinen Wink ! 
Beim ersten zweifelhaften Mucken, 
Ja, beim geringsten Wimperzucken 
Spalt' ich den Schädel dir entzwei 
Und werf ins Wasser deine laiche. " 



i56 



Die drei Arten 



Die Furcht vor einem solchen Streiche 
Brach des Satrapen Tyrannei, 
Und er gehorchte drum aufs Wort. 
Wer Angst hat, wird alsbald gelinde. 
So führten wir ihn pfeilgeschwinde 
Aufe Schiff und fuhren mit ihm fort. 
Sogleich nachdem wir heimgekehrt, 
Mußt' er zur Sühne meinem Gatten 
Ein tüchtig Lösegeld erstatten ; 
Der hat mir dann dies Gold verehrt 
Als Mitgift und als Leibgedinge. 
Sagt, war dagegen nicht geringe 
Ligdamons Tat? Und war' ich nicht 
Noch unerlöst von meinen Qualen, 
Hätt's ihm gentigt, mich nur zu malen, 
Mich nur zu feiern im Gedicht? 

★ 

Die Griechen freuten sich des Wohllauts und der Feinheit, 
Der ungezwungnen Art, sowie der heitren Reinheit, 
Wodurch die Schilderung Theone's ward belebt; 
Es ist der Reiz der Form, der erst den Inhalt hebt. 
Beifällig Lachen scholl; die Griechen lachten gerne. 
Wird durch Ergötzen je Bewunderung verpönt? 

Apamis trat hervor, die großen Augensterne 
Von Tränen angefüllt und durch den Schmerz verschönt. 
Die Griechen wurden ernst und horchten ; fühllos bliebe 
Wohl kaum ein menschlich Herz bei solcher Stimme Klang. 



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Die drei Arten 



Apamis schilderte das Unglück ihrer Liebe 

In einem Maß, das nicht zu kurz war noch zu lang; 

Zehn Silben formten sanft gefügt des Verses Zeile 

Und folgten sich voll Kunst, die scheinbar zwanglos war. 

Der Rhythmus fließt so leicht wie hold ; mehr Schönheit zwar 

Hat der Hexameter, doch auch mehr Ijangeweile. 

Apamis 

Der Unstern, unter dem ich meine Tage 
Begann, gab mir zur Heimat Amathunt, 
Den Gnadenort, wo nach der Griechensage 
Der hehren Liebesgöttin Wiege stund, 
Die dorthin trugen aus dem Meer die Hören. 
Sie wurde zu dem Glück der Welt geboren, 
Wie man erzählt, jedoch nicht zu dem meinen. 
Ihr sanft Gesetz, ihr Dienst, so süß und lieb, 
Mußt' ihren Untergebnen Wohltat scheinen, 
Solange dies Gesetz natürlich blieb. 
Beschmutzt ward ihr Altar durch Glaubensstrenge ; 
Gut sind die Götter, doch die Priester nicht. 
Die Neurer führten 's ein als fromme Pflicht, 
Daß eine, der nicht treu zu sein gelänge, 
Man in die Tiefe jener Flut versenke, 
Woraus der Göttin Wiege war enttaucht, 
Falls nicht ein Freund statt ihrer sich ertränke. 
Unmenschliches Gesetz! Ich frage, braucht 
Ein Herz, das zur Beständigkeit gedrungen 
Sich fühlt, den Zügel solcher Züchtigungen? 



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i58 



Die drei Arten 



Und wenn aus Schwachheit an des einen Stelle 
Ein Weib den andern wählt, so fehlt sie sehr; 
Doch tut's drum not, daß man sie wirft ins Meer? 

Erhabne Venus, meiner Freuden Quelle 

Und meines Grams, der ich mein Haupt zu beugen 

Nie müde war, der ich zu Füßen fiel 

Voll Andacht mit dem herrlichen Batil, 

Du weißt es, und du wirst es mir bezeugen, 

Wie ich geliebt, ob drohende Gefahr 

Zur Stärkung meiner Liebe nötig war. 

Es wuchsen unsre Herzen so zusammen, 

Daß eines ward aus dem verschmolznen Paar. 

Batil und ich, wir atmeten die Flammen, 
Von denen einst die Göttin war entfacht. 
Das Taggestirn erblickte vom Beginne 
Zum Ende seiner Laufbahn unsre Minne, 
Und meine Zärtlichkeiten sah die Nacht. 

Arenorax, ein Mensch mit finstren Augen 
Und falschem Herzen, keiner Liebe wert, 
Erglomm fur mich, nur um draus Gift zu saugen; 
Ach, dessen ward ich allzubald belehrt. 
Er nährte, nur gezeugt zu Haß und Neid, 
Die Pest der Eifersucht in seinem Herzen 
Und suchte mich erbärmlich anzuschwärzen. 
Die ihr dem Tartarus entsprungen seid, 



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Die drei Arten 



Angeber, kehrt dahin zurück, ihr Drachen ! 
So künstlich täuschend wob er seinen Lug, 
Um meinen Liebsten selber irr zu machen ; 
Die Unschuld ward zuschanden vor dem Trug. 
Verlangt nicht, daß von seinen Listgeweben 
Ich alle Fäden euch entwickeln soll ; 
Mein Herz ist um den Liebsten allzu voll 
Von Trauer, um sich damit abzugeben. 
Umsonst zur Göttin hob ich meine Hände ; 
Kein Beistand winkte mir; ich ward verdammt, 
Daß ich mein Leid und meine Jugend ende 
In jenem Meer, aus dem die Venus stammt. 

Man führte mich ans tödliche Gestade; 

Das ganze Volk benetzte bis zum Ziel 

Mit Tränen eitlen Jammers meine Pfade. 

Da gab man mir ein Briefchen von Batil. 

O schlimmer Brief, entscheidend mein Verderben ! 

O teurer Brief, grausamer als der Tod! 

Ich fühlte von Verzweiflung mich bedroht, 

Als ich die Worte las: „Ich gehe sterben 

Für dich, auch wenn dein Herz mir untreu war." 

Es war geschehn ; er hatte, mich zu retten, 

Geeilt, sein Leben in der Flut zu betten. 

Man brachte schluchzend ihm Bewundrung dar. 

Dich fleht' ich an, o Tod, mein einzig Streben, 

Mein einzig Heil ! Ach, jedem Mitleid fremd, 

Hat man, ihm nachzufolgen, mich gehemmt. 



i6o 



Die drei Arten 



Ich ward bewacht; ich war verdammt zum Leben. 

Die Täuschung kam zu Tag ; das Dunkel wich 

Zu spät von des Betrügers argen Netzen; 

Ihm ward gerecht vergolten. Aber ich? 

Kann mir der Richtspruch den Verlust ersetzen? 

Batil, der Teure, starb — und starb für mich. 

Zu euch, geneigte Richter, komm' ich jetzt, 
Damit mein Seufzen und mein düstres Trauern 
Euch rührt und wenigstens ihr durch Bedauern 
Die Pein der unheilbaren Wunde letzt. 
Gebt meinem Freund in seiner Todesnacht 
Den Preis, des ihn dies Opfer würdig macht, 
Damit er am Gocytus Trost empfange, 
Wenn seiner Freundin jeder Trost entschwand, 
Und meine zitternde, verzagte Hand 
Durch euren Edelsinn die Kraft erlange, 
Zu schreiben heut an seines Grabes Pforte : 
„Athen und ich verliehen dir den Sieg." 

* 

Erstickt von Schluchzen wurden ihre Worte ; 
Doch ihre Tränen sprachen, da sie schwieg. 

Mitfühlend Leid verschonte keinen. 
Sie, die von Egle warm gemacht, 
Dann mit Theone froh gelacht, 
Sie mußten mit Apamis weinen. 



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Die dr ei Arten 



161 



Nur ist mir leider nicht bekannt, 
Wen zum Gekrönten sie ernannt. 

Im Winkel des Kamins, ihr Lieben, 
Hab' ich für euch allein umschrieben, 
Was uns erzählt ein alter Dichter. 
Zum Wahrspruch bildet nun den Kreis : 
In euren Händen ruht der Preis ; 
Denn ihr seid meine höchsten Richter. 



GERTRUD 

oder 

DIE ERZIEHUNG EINER TOCHTER 

Der Winter dauert noch ; drum ist's mein höchst Ergetzen, 
Euch in vergangne Zeit, ihr Freunde zu versetzen, 
Und ein Histörchen will ich von Frau Gertrud heut, 
Der liebenswürdigsten der Spröden, euch kredenzen. 

Obwohl sie's schon gebracht zu sechsunddreißig Lenzen, 

War ein bescheidner Reiz noch auf sie ausgestreut. 

Durchaus gesittet war und schicklich ihr Betragen, 

Ihr hübsches Augenpaar zu Boden stets geschlagen ; 

Den Alabasterhals ließ dünngewebter Flor 

Mit einer feinen Kunst zur Sichtbarkeit gelangen ; 

Den zarten Farbenschmelz der runden Purpurwangen 

Hob, ohne der Natur Gewalt zu tun, hervor 

Zu wundersamem Glanz ein sehr geschickter Stift. 

Sie wirkte desto mehr, je minder sie sich putzte, 

Und bloße Reinheit war der Schmuck, den sie benutzte. 

Auf dem Toilettentisch lag stets die heil'ge Schrift; 
Dicht bei dem Schminktopf sah man eine Fastenpredigt, 
Die Bücher Massillons verschlang sie mit Begier. 



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Gertrud 



i63 



Doch ihre Gottesfurcht besaß noch beßre Zier: 

Nie ward ein Frauenruf durch ihren Mund geschädigt; 

Frau Gertruds Herz war fromm, doch völlig ohne Gift. 

Sie hatt' ein Töchterchen ; dies holde Wesen trat 
Mit siebzehn Jahren just auf ihres Frühlings Schwelle. 
Der Nam', auf den man sie getauft, war Isabelle. 
Zwar frischer als Mama, doch schön im gleichen Grad, 
Als schaue Venus man Minerven beigesellt. 
Mit steter Sorgsamkeit sie zu erziehn bemühte 
Frau Gertrud sich und ließ niçht nahn der jungen Blüte 
Den ungesunden Hauch der arg verderbten Welt: 
Theater, Pfänderspiel und der Gesellschafts-Tand, 
Die jedes reine Herz verführerisch umgarnen, 
Das Teufelsnetz, vor dem die Heiligen uns warnen, 
In diesem Hause war dergleichen streng verbannt. 

Gertrud besaß daheim ein stilles Andachtszimmer, 

Ein kleines Heiligtum, dem Gottesdienst geweiht; 

Dorthin begab sie sich in Mußestunden immer 

Und betete daselbst voll tiefer Innigkeit. 

Es stand in diesem nie geöffneten Gelasse 

Ein Hausrat, ausgesucht, bequem und reich geschmückt, 

Und eine Treppe ging, profanem Aug' entrückt, 

Von hier zum Garten und vom Garten auf die Gasse. 

Ihr wißt, zur Sommerzeit, wenn heiß die Sonne sticht, 
Gibt oftmals man der Nacht den Vorzug vor den Tagen ; 



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Gertrud 



Man labt sich an des Monds gelindem Silberlicht, 

Und Jungfraun pflegen dann nicht viel nach Schlaf zu fragen. 

Auch Isabelle saugt, im Innersten bewegt 

Durch ihrer siebzehn Jahr' geheime Mädchenträume, 

Den Hauch der Nacht und ahnt den Wert verschwiegner 

Noch nicht, indem sie sich in ihren Schatten legt. [Bäume 

Sie blickt in die Natur, sie noch nicht klar begreifend, 

Dann steht sie wieder auf und schlendert planlos schweifend, 

Ganz aufs Geratewohl, von keinem Ziel gelenkt, 

Ist in Gedanken zwar, doch ohne daß sie denkt. 

Da hört sie ein Geräusch qn jenem Zufluchtsort 

Der Mutter. Neugier spornt sie mächtig an. Zwar wittert 

Nicht im entferntesten sie was Geheimes dort; 

Sie zögert aber doch, sie nähert sich und zittert, 

Dringt mit dem einen Fuß bis auf die Treppe vor ; 

Im Rücken eine Hand, nach vorn die andre hebend, 

Den Hals gereckt, den Blick gespannt, das Herzchen bebend, 

So lauscht sie mühevoll mit angestrengtem Ohr. 

Erst kann sie nur ein sanft Geflüster unterscheiden, 

Ein stammelndes Geseufe, ein zärtliches Gesch macht. 

„Ach, meine Mutter", sagt sie leise, „scheint zu leiden, 

Und mit ihr teilen will ich, was ihr Kummer macht. " 

Sie nähert sich, sie hört ein abgerißnes Stück : 

„Andre, mein Liebster, oh, du schaffst mir höchstes Glück!" 

Bei diesen Worten legt sich Isabellens Bangen. 

„Mein liebend Mitleid ist", so denkt sie, „fehlgegangen; 

Zufrieden ist Mama ; drum bin auch ich zufrieden. " 

Und Isabelle zieht sich in ihr Bett zurück ; 



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Gertrud 



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Jedoch sie quält sich ab und seufzt, vom Schlaf gemieden : 
„Andre bereitet Glück! Wodurch er das nur kann? 
Ein herrliches Talent! Jedoch wie fangt er s an?" 
Unruhig liegt sie wach, bis neu der Morgen tagt. 
Was in ihr vorgeht, spürt Frau Gertrud auf der Stelle. 
So ganz voll Einfalt ist, voll Unschuld Isabelle, 
Daß ihre Neugier sich verrät, indem sie fragt : 

„Wer ist der Herr André, geliebte Mutter, sprich, 

Von dem es heißt, er kann den Frauen Glück bereiten ?" 

Frau Gertrud steht verwirrt, sieht ihre Heimlichkeiten 

Mit einemmal entdeckt; doch sie bemeistert sich, 

Läßt sich nichts merken, gibt zur Antwort ihr: „Mein Kind, 

Es darf ein Heiliger in keinem Hause fehlen ; 

Den heiligen André beschloß ich drum zu wählen; 

Ich dien' ihm fromm, und er ist mir drum wohlgesinnt. 

Ich ruf ihn heimlich an, ich fleh' zu seinem Lichte; 

Oft naht er mir, wenn nachts ich mein Gebet verrichte. 

Es ist der Heiligste vom heü'gen Paradies." 

Nach einer Weile ward ein schmucker Junggeselle, 

Mit Namen Herr Denis, verliebt in Isabelle, 

Die, weil er ihr gefiel, sich bald ihm hold erwies, 

Und manches Stelldichein half ihnen Liebe tauschen. 

Frau Gertrud ihrerseits als Schildwach könnt' erlauschen 

Die reizenden Gebet' und süßen Litanein 

Aus Isabellens Mund, wenn in verzückten Wonnen 

Den lustberauschten Freund sie kosend hielt umsponnen. 



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Gertrud 



Frau Gertrud fuhr mit eins dazwischen, schalt und schrie. 
Doch ihre Tochter sprach: „Du mußt, Mama, verzeihn; 
Du wähltest Sankt André, ich wählte Sankt Denis." 

Frau Gertrud hat seitdem mit mehr Verstand und Glücke 

Sich den Galan bewahrt, von Heil ten abgesehn; 

Sie gab den Vorsatz auf, die Welt zu hintergehn. 

Man hintergeht sie nicht. Des Neides arge Tücke 

Durchschaut mit scharfem Aug all eure Schleierfalten ; 

Man kommt euch auf die Spur, so fein ihr euch verstellt ; 

Die hohle Würdigkeit, sich stets im Zaum zu halten, 

Wiegt nicht das Labsal auf, zu leben, wie s gefällt. 

Schön Isabelle ging gesellig ein und aus, 

Und ihrer Anmut Ruhm ward überall verkündet. 

Frau Gertrud aber rief nun wieder in ihr Haus 

Die Kurzweil, die so gern der Liebe sich verbündet: 

Gesellschaft bester Art war dort zu Gast geladen. 

Ein froh Beisammensein kann niemand etwas schaden. 




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DIE ZIERPUPPE 



Ein weiser Italiener hat geschrieben, 
Das Bessere sei stets des Guten Feind; 
Nicht daß hierdurch der Fortschritt wird verneint 
An Wissen, Können, Geist und Willenstrieben ; 
Nie sind wir, hoff* ich, dieses Bessern satt, 
Doch jed Phantom sei streng von uns gemieden. 
Wohl dem, der, voll mit seinem Los zufrieden, 
Bleibt, was er ist, und hütet, was er hat! 

Arsenie bezeugt es klar genug, 
Die jung und schön dereinst Paris bewohnte 
Mit einem Mann, der sie auf Händen trug 
Und dem sie dies mit Nasenrümpfen lohnte. 
Wenn's auch am Glänze schönen Geists gebrach 
Bei Schwester, Oheim, Schwiegervater, Tante, 
Sie standen an Charakter niemand nach. 
Im Haus verkehrten allerlei Bekannte; 
Wirtschaft und Tafel waren wohlbestellt, 
Und die Zerstreuungen der großen Welt, 
Spiel, Tanz, Theater, fröhliche Gelage 
Bereiteten ihr leidlich gute Tage. 
Ihr wißt ja, zum vollkommnen Glücke werden 



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Die Zierpuppe 



Wir nicht geboren ; keiner kennt's auf Erden. 

All dessen ward Arsenie nicht froh. 

Mit hochmutsvollem Überdruß verfemte 

Sie spöttisch jede Kurzweil oder floh ; 

Man nannte sie die schöne Unverschämte. 

Wie schwach die Menschen sind, vernehmt's mit Staunen: 

Je mehr sie sich gefühllos überhob, 

Um so beflißner suchte man durch Lob 

Und Liebesdienst zu mildern ihre Launen; 

Und um so schnöder obendrein vergalt 

Sie jeglichem, der sich um sie bemühte. 

Schlecht fuhr bei ihr zumal, wer für sie glühte ; 

Gern angeschwärmt, selbst aber eisig kalt, 

Litt schwer darunter ihre starre Seele, 

Daß jede Liebenswürdigkeit ihr fehle ; 

Der große Hofstaat von Verehrern schmolz, 

Verlassen wurde sie zuletzt von allen. 

Sie blieb allein zurück mit ihrem Stolz 

Als barschem und verdrießlichem Vasallen : 

Feist, aber hohl, feindselig dem Vergnügen, 

Bläht er das Herz, doch schafft ihm kein Genügen. 

Die Patin dieser Zimperlichen war 

Die Fee Aline. (Solche Geisterschar 

Hält zwischen himmlischen und ird'schen Wesen 

Die Mitte, wie des wcitren klipp und klar 

Im Buch des Herrn von Gabalis zu lesen.) 

Die Fee besucht' ihr Patenkind mitunter 



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Die Zierpuffe 



Und fragte: „Bist, Arsenie, du munter 

Und froh in deines Lebens schönstem Teile? 

Erregt etwas dir Neigung und Genuß? 

Du bist ja doch umringt von Überfluß." 

Drauf jene kurz: (( Ich habe Langeweile." 

„Ei," sprach die Fee, „welch eine schlimme Qual! 

Der eigne Herd, so scheint mir, macht verdrießlich." 

Arsenie beschwor Aline schließlich, 
Sie zu befrei'n aus ihrem Jammertal. 
„In höhre Sphären schweben laß mich sacht; 
Laß mir dein himmlisch Paradies erscheinen ; 
Schier unerträglich sind mir all die Meinen. 
Ich sehne mich nach Märchenwunderpracht, 
Nach Zauberglanz ; mich nirgends werd' ich je 
Wohl fühlen als in deinem Prunkpalaste; 
Dies ist's, wonach ich leidenschaftlich haste." 
„Recht gern", erwiderte die gute Fee. 

Und allsogleich in einem lichten Wagen 

Gen Osten wird die Schöne fortgetragen. 

Der Wagen fliegt, und unsre Nörglerin 

Glaubt in der Luft schon sich im Himmel drin. 

Sie steigt an ihrem wunderbaren Ziele, 

Dem Schloß der Patin, ab. Ein mächtig Tor, 

Aus Gold geformt in einem neuen Stile, 

Kommt äußerst reich und ziemlich hübsch ihr vor; 

Doch das ist gar nichts gegen den Palast. 



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Die Zierpuppe 



Der Gärten Schönheit ist unglaublich fast; 
Marl y , Versailles mit ihren Springfontänen 
Darf man im gleichen Atem kaum erwähnen. 
Beinahe scheint's, als ob von diesem Glast 
Die Kostverächtrin sich befriedigt finde. 
Aline spricht: „Dies nun dein Aufenthalt; 
Hier geb' ich dir despotische Gewalt. 
Befiehl nach Lust. Mein sämtliches Gesinde 
Nimmt ohne Mucksen jed Gebot entgegen. 
Jetzt muß ich flugs mal nach Amerika, 
Verschiedner eiliger Geschäfte wegen ; 
In wenig Tagen bin ich wieder da. 
Mög' dir mein Zufluchtsort so wohl gefallen, 
Daß er die Langeweile dir vertreibt." 

Die Fee nimmt Abschied. Unsre Schöne bleibt, 

Frei schaltend in des Zauberschlosses Hallen; 

Als Königin, als Göttin herrscht sie dort. 

Ein Schwärm von hundert Jungfraun folgt aufs Wort, 

Sieht ihren allerkleinsten Wunsch voraus: 

Es hungert sie? Hier hundert volle Teller; 

Den reinsten Nektar liefert ihr der Keller, 

Und nach Ambrosia schmeckt jeder Schmaus. 

Aus feinstem Diamant sind alle Vasen. 

Gleich nach der Mahlzeit führt man sie zum Park 

An sprühnde Wasser, auf gepflegten Rasen, 

Wo sich der Blumen Düfte hold und stark 

Vermengen mit des Zéphyrs Hauch. Es nahn 



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Die Zier f uff e 



Hl 



Ihr, blitzend von Saphiren und Rubinen, 

Zwölf Wagen sich von selbst, um ihr zu dienen, 

Wie ehemals die Stühle des Vulkan 

Durch Wunderschnellkraft sich gen Himmel hoben, 

Anbietend ihren Sitz den Göttern droben. 

Der Vogelchöre lieblicher Gesang, 
Das Wasser, das in Silberrinnen sprang, 
Goß Wohllaut in ihr Ohr, und was sie sprach, 
Das wiederholten erst die Papageien, 
Vielstimmig dann im Echo klang es nach. 
So hat einst Psyche, durch die Schmeicheleien 
Des schönsten Gotts dem Elternpaar gestohlen 
Und einzig nur dem Amor noch geweiht, 
In eines Schlosses Weltentlegenheit 
Den Elementen unumschränkt befohlen. 
Arsenic ward hier noch mehr verwöhnt, 
Noch mehr verschwenderische Freuden zählte 
Ihr Leben, war noch reichlicher verschönt ; 
Kurz, alles hatte sie, nur Amor fehlte. 
Man ließ, um sie der Schwermut zu entzieh n, 
Sie herrlicher Musik am Abend lauschen, 
Von solcher Fülle seltner Melodien, 
Um sechzig Kardinäle zu berauschen. 
Jedoch so tief ins Herz die Töne drangen, 
Ein Umstand war's, der sie dabei verdroß : 
Daß nämlich in dem Chor nur Frauen sangen; 
Kein einzig bärtig Kinn im ganzen Schloß! 



I -]1 



Die Zierpuppe 



„Was dachte meine Patin denn von mir?" 
Rief sie. „Kein Mann! Bin ich im Kloster hier? 
Zwar gern genieß' ich Königinnenrechte ; 
Doch was ist eine Herrschaft ohne Knechte? 
Gebieten will ich Männern; Gott erschuf 
Sie sämtlich, um in meinem Joch zu traben : 
Ja, dies ist ihre Pflicht, ist ihr Beruf; 
Ich achte sie gering, doch will sie haben." — 
So sprach die widerspenst'ge Klausnerin ; 
Derweilen setzte die beflißne Menge 
Der Nymphen flink das Abendmahl ihr hin, 
Und eingelullt ward sie durch Lautenklänge. 

Am nächsten Tag das nämliche Gepränge, 
Nämliche Wunder, nämlicher Genuß, 
Und schon empfand sie leichten Überdruß. 
Der nächste Tag erschien ihr ziemlich leer, 
Der nächste kam ihr öde vor und kläglich, 
Der übernächste war ihr unerträglich. 

O Zeit, entfloh n auf Nimmerwiederkehr, 
Als ich in meines Lebens Frühlingsonne 
Ein süßeres Erwachen oft besang! 
Die Schöne, täglich überhäuft mit Wonne, 
Fand schließlich jeden Tag so trostlos lang, 
Daß fluchend ihrem übermäß'gen Glücke 
Sie diesen Himmel fur die Hölle hielt. 



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Die Zierpuppe 



Sie sieht, allein gelassen, eine Lücke 
Der Außenwand, und wie sich gutgezielt 
Ein Pfeil von einer Bogensehne schnellt, 
Springt sie hinaus und eilt vom Park ins Feld. 

Im Nu sind Gärten, Zauberschloß, Fontänen, 
Gold, Edelstein, die ganze Herrlichkeit 
Versunken ihrem wirren Blick, und weit 
Rings um sie her in dürrer Ebne dehnen 
Sich Wüstenein und nackter Felsen Starrheit: 
Die Dame rauft ihr Haar und fleht geschreckt 
Zu Gott um die Vergebung ihrer Narrheit. 
Die Nacht mit ihren grauen Händen deckt 
Auf die Natur allmählich ihre Schleier. 
Der schauerliche Schrei der Leichengeier 
Und das Geheul der Panther und der Bären 
Hallt in den rauhen Klüften hundertfach. 
Welch andre Fee wird ihren Beistand, ach, 
Der tollen Abenteurerin gewähren? 
In ihrem Jammer nach dem Strohhalm greifend 
Bemerkt von fern sie dank dem letzten Strahl 
Des Tags, wie durch ein waldig Seitental 
Ein ungeschlachter Köhler, friedlich pfeifend, 
Nach seiner Hütte geht auf schmalen Stegen. 
Die stolze Schöne ruft : „Wer du auch seist, 
Ich fleh' dich an, daß du mir Hilfe leihst; 
Ich weiß nicht, wo heut Nacht mich niederlegen. 
Vor lauter Furcht ist mir der Stolz vergangen." 



I 



I 74 Di* Zi erfupf e 

Der schwarze Tölpel, dem sie reizend scheint, 

Antwortet ihr: „Was für ein böser Feind 

Ließ denn in diese Klemme dich gelangen, 

Bei dunkler Nacht, zu Fuß, und kein Begleiter? 

Mein Haus ist noch ein gutes Ende weiter. 

Komm her und gib mir deinen Arm, mein Schätzchen; 

Für solche Puppe schafft man wohl ein Plätzchen, 

So gut es geht. Ich habe Speck mit Ei. 

Jede Französin, sagen alte Sprüche, 

Versteht sich, wenn es not tut, auf die Küche. 

Ein Bett nur hab' ich ; doch es reicht für zwei. 

Der stramme Lümmel nimmt nach diesem Wort 

Ihr jede Möglichkeit, was einzuwenden, 

Mit grobem Kuß auf ihre Lippen fort 

Und will fürs Obdach, das er ihr zu spenden 

Verspricht, Bezahlung schon im vorhinein. 

„Ach, wehe mir!" Die Dame ruft's in Tränen, 

„So soll ich hier denn aufgefressen sein 

Von einem Köhler, statt von Raubtierzähnen!" 

Der Zorn, die Schande, die Verzweiflungspein 

Hat sie betäubt; ohnmächtig sinkt sie nieder. 

Ihr ländlicher Galan belebt sie wieder. 

Die Fee, die längst schon auf der Lauer steht, 

Erscheint, wenn auch vielleicht etwas zu spät. 

Sie sagt zum Patenkind: „Wird's nun dir klar, 

Daß du dich aufgeführt als dumme Pute? 



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Die Zierpuppe 



Ja, meine Tochter, groß ist die Gefahr, 

Gibt man des Bessern wegen preis das Gute." 

Die so Belehrte ward zurückversetzt 
Nach Haus. Bald schien ihr alles dort an allen 
Verändert ; denn sie selbst war anders jetzt, 
Und zum Gewinn schlug ihr das aus zuletzt. 
Sie las zwar nicht die „Mittel zu gefallen" 
Moncrifs; doch sie gefiel trotz alledem. 
Bedurft' ihr Herz noch etwas? Nur den Willen. 
Sie wurde sorgsam, höflich, angenehm, 
Klug, lebhaft, und als gar, der Welt verhüllt, 
Des Köhlers Platz ein Hausfreund nahm im stillen, 
Fand sie fortan sich gänzlich ausgefüllt. 



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JEAN BAPTISTE DE GRESSET 



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VERT-VERT 



Erster Gesang 

Im Nonnenkloster von Nevers vor Jahren 

Lebt' einstmals ein berühmter Papagei, 

Dem seine Kunst, sein würdiges Gebaren, 

Sein Biedersinn und seine Schelmerei 

Hätt' müssen ein gelindres Los bescheren, 

Wenn gute Herzen immer glücklich wären. 

Vert -Vert (so hieß mit Namen unser Held), 

Hierher verpflanzt vom indischen Gestade, 

Kam jung und noch nichts wissend von der Welt 

In dieses Kloster durch des Himmels Gnade. 

Hübsch war er, glänzend, flink und flatterhaft, 

Gewinnend, wie man's ist in solcher Jugend, 

Frisch, zärtlich, aber noch voll keuscher Tugend, 

Kurz, wert so heiliger Gefangenschaft 

Und durch sein Mundwerk wie gemacht für Klöster. 

Wozu viel Worte? Deutlich seht ihr schon: 

Er war der Schwestern Liebling und ihr Tröster, 

War nach dem Beichtiger die Hauptperson 

Für alle ; ja, vor Eifer, ihn zu lieben, 

So hat es ein Chronist uns treu beschrieben, 



i8o 



Vert -Vert 



Vergaßen sie beinah den Schutzpatron. 

Und so bekam er denn sein reichlich Teil 

Von all dem Nasch werk, das die süßen Nonnen 

Dem guten Oberhirten zugesonnen 

Zur Stärkung für sein leiblich Seelenheil. 

Erlaubter Liebe Zielpunkt und Magnet, 

So ward Vert -Vert umringt von früh bis spät, 

Und außer ein paar alten Trauerweiden, 

Die scheel belauerten die junge Schar, 

Könnt' ihn das ganze Haus vortrefflich leiden. 

Obwohl er meistens noch recht kindisch war, 

So dürft' er tun und schwatzen, was er wollte ; 

War's doch gewiß, daß man ihm Beifall zollte. 

Die Schwestern bei der Arbeit zu zerstreun, 

Zupft' er an Busenschleiern und an Schleifen, 

Trieb unaufhörlich, ohne sich zu scheun, 

Die tollsten Possen, flatterte, schlug Reifen, 

Sang Liedchen, plauschte, pfiff, bald laut, bald leise, 

Voll Übermuts, doch im bescheidnen Maß, 

Auf jene schüchterne, verhaltne Weise, 

Die den Novizen eignet auch im Spaß. 

Befragten ihn beständig noch so viele, 

Stets gab er Antwort mit Genauigkeit, 

Grad so wie Caesar einst zu gleicher Zeit 

Vier Briefe schrieb in ganz verschiednem Stile. 

Das Schoßkind nahm — fast klingt's wie eine Fabel — 
Sogar im Refektorium sein Mahl. 



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Vert-Vert 181 



Was gab's da nicht für seinen leckren Schnabel ! 

Damit jedoch der Vielfraß könne naschen 

Auch außerhalb der Tafel, was ihm schmeckt, 

Ward überdies noch aus der Schwestern Taschen 

Ihm Zuckerwerk in Mengen zugesteckt. 

Wo wäre, wie bei diesem Nonnenorden, 

So zarte Sorgfalt je betätigt worden? 

Der glückliche Vert -Vert empfand es stündlich, 

Ward wie ein Papagei des Hol« gepflegt, 

Von allen Seiten wie ein Prinz gehegt, 

Und er genoß derart sein Leben gründlich. 

Meist war im Schlafsaal seine Schlummerstelle, 
Doch stand ihm frei die Auswahl einer Zelle; 
Ach, es beglückte jede Schwester tief, 
Wenn er vom Abend bis zur Morgenhelle 
Als Ehrengast in ihrem Stübchen schlief! 
Nur äußerst selten ward er von den Alten 
Beherbergt, zog's bei weitem vor vielmehr, 
Sich an die Jüngsten, Zierlichsten zu halten. 
War doch ein Vogel von Geschmack Vert -Vert. 
Nachdem er sein Quartier so mit Bedacht 
Sich ausgesucht am Abend für die Nacht, 
Um friedlich dann auf dem Gebetbuchkasten 
Bis zu des neuen Tags Beginn zu rasten, 
So könnt' er beim Erwachen der Toilette 
Des frischen Nönnleins zuschaun ungestört. 
Toilette? Fragt ihr, ob ihr recht'gehört? 



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Vert-Vert 



Soll, wie mir Fama meldet, um die Wette 

Doch mit der Trägerin von Schmuck und Spitzen 

Die Schleierträgerin vorm Spiegel sitzen. 

Wie für den Hof und für die große Welt 

Eis eine Kunst gibt, sich geschickt zu putzen, 

Sind auch dem Schleier Moden zugesellt; 

Selbst eine Kutte läßt zurecht sich stutzen, 

So daß ihr schlichter Faltenwurf gefällt. 

Der Schwann der ausgelaßnen Amoretten, 

Der alle Gitter sprengt und alle Ketten, 

Drückt oft auf grobes Tuch der Anmut Siegel 

Und leiht ein flottes Ansehn ernstem Flor. 

Kurz, wenn man geht zum Sprechsaal, dann zuvor 

Wirft man noch schnell ein Blickchen in den Spiegel. 

Dies unter uns natürlich, insgeheim. 

Doch nun zurück zum Helden der Geschichte: 

Vert -Vert genoß in schönem Gleichgewichte 

Des vollsten Müßigganges Honigseim. 

Er war der Hahn im Korb; um ihn vergaß 

Die Schwester Thekla völlig ihre Spatzen ; 

Vor Ärger sah man vier Kanaris platzen ; 

Ein Katerpaar, das vormals Gunst besaß, 

Sank vor Entkräftung und vor Neid ins Grab. 

Wer dacht' in jener Zeiten Wohlbehagen, 
Daß bloß zum Unheil man ihm Bildung gab 
Und daß zuletzt es schrecklich werde tagen, 
Ja, daß Vert -Vert, von soviel Huld getragen, 



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Vert-Vert 



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Einst wercT ein Ärgernis, ein Greuel sein? 

O Muse, halte noch die Tränen ein, 

Die rinnen werden ob der Schicksalsschläge, 

Der bittren Frucht von unsrer Schwestern Pflege. 

Zweiter Gesang 

Wie sehr den Vogel solcher Unterricht 

Gesprächig machte, könnt ihr leicht ermessen ; 

Just wie den Nonnen stand der Mund ihm nicht 

Zu andern Zeiten still als nur beim Eissen. 

Er redete tatsächlich wie ein Buch, 

Stets in der Tonart wohlerzogner Leute, 

Nicht wie die stolzen Papagein von heute, 

Die sich zu selbstgefällig blähn, vom Fluch 

Jedweder ird'schen Eitelkeit ergriffen 

ünd auf dem Markt gebührend ausgepfiffen. 

War doch Vert -Vert ein frommer Papagei 

Mit einer unschuldsvollen schönen Seele; 

Nie fiel ihm irgend etwas Böses bei, 

Nie kam ein unzart W T ort ihm aus der Kehle. 

Doch um so besser kannt' er Lobgesänge, 

Sprach Psalmen, Hymnen, Litanein in Menge, 

Ave Marias, Benedicite, 

Das Paternoster auch implicite ; 

Er wußte was vom Soliloquium 

Und stückweis von den Heiligenlegenden. 

Er fand in dieser Geistesburg rundum 



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Vert- Vert 



Gelegenheit, sein Wissen zu vollenden. 
Es waren viel gelehrte Weiber dort, 
Die den gesamten Schatz von Weih nach tsliedern 
In ihrem Schädel trugen Wort für Wort. 
Belehrt, geformt, gedrillt von diesen Biedern, 
Tat's gleich der Schüler bald den Lehrerinnen. 
Selbst ihren Tonfall ahmt' er täuschend nach, 
Indem er mit gedehnter Salbung sprach, 
Die Stimme seufzend, schluchzend ließ zerrinnen, 
Wie er's vom sanften Schwesternchor vernahm, 
Und schließlich hatte fest im Kopfe drinnen 
Vert -Vert des Klosters ganzen Wissenskram. 

Von dessen Mauern allzusehr beengt, 

Ward sein Verdienst bald weithin ausgesprengt. 

Kein Wunder, daß in ganz Nevers man sprach 

Vom Vogel der beglückten Klosterfrauen; 

Die feinsten Künste rühmte man ihm nach 

Und lief herbei von rings, um ihn zu schauen. 

Im Sprechsaal drum befand Vert -Vert sich immer, 

Und Schwester Melanie, die den Besuch 

Empfing, geziert mit ihrem besten Tuch, 

Wies den Bewundrern seinen Farbenschimmer, 

Sein kindliches Gemüt, sein muntres Scherzen, 

Und schnell gewann sein Frohsinn ihm die Herzen. 

Die Schönheit seines Äußern war indessen 

Des zarten Neophyten kleinstes Lob; 

Der Zauber seines Anblicks ward vergessen, 



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Vert-Vert 



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Sobald er seine Stimme laut erhob. 

Der frommen Sprüche voll, mit denen jede 

Der jüngsten Schwestern reichlich ihn gespeist, 

Begann der seltne Vogel seine Rede 

Und wußte stets durch neuen Witz und Geist 

Die Wirkung seines Vortrags neu zu steigern ; 

Ja, was zu glauben trotz dem Augenschein 

Manch öffentlicher Redner wird verweigern: 

Von seinem Hörerkreis schlief niemand ein. 

Ist einem Prediger dies je gelungen? 

Man pries, wieviel er im Gedächtnis trug; 

Er aber, musterhaft gesellschaftsklug 

Und von der Hohlheit ird'schen Ruhms durchdrungen, 

Verstand es, eitle Hoffart zu vermeiden 

Und blieb auch mitten im Triumph bescheiden. 

So oft mit zugepreßtem Schnabel sprechend 

Er seine ganze Weisheit aufgezeigt 

Und sich mit andachtsvollem Blick verneigt, 

Fand jeder seine Redekunst bestechend. 

Gewählt und sittsam waren alle Worte 

Aus seinem Mund, nur ausnahmsweis verknüpft 

Mit Stacheln oder Klatsch von jener Sorte, 

Wie manchmal hinter einer Klosterpforte 

Zufällig frommen Schwestern er entschlüpft. 

So lebt' an dieser angenehmen Stätte 
Als Herr, als Heiliger und Philosoph 
Vert -Vert, den Pfaffen gleich an Würd' und Fette, 



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Vert- Vert 



Und viele Grazien machten ihm den Hof. 
Klug wie ein Abt, schön wie ein Märchengeist, 
Geliebt und liebenswürdig, nach der Mode 
Gestutzt, gepflegt, so war' er bis zum Tode 
Glücklich geblieben, wär er nicht gereist. 

Doch kommt nun, ach, die jammervolle Zeit, 

Die brenzlige, da sich sein Ruhm beschattet. 

O Freveltat ! O Schmach ! O Herzeleid ! 

Unselge Reise ! War' es doch gestattet, 

Die Kunde vor der Nachweit zu verschweigen ! 

Ein großer Nam' ist ein gefährlich Gut! 

Stets lebt, wer ruhmlos bleibt, in beßrer Hut. 

An diesem Beispiel wird sich's klärlich zeigen : 

Oft sind zu viel Erfolg, zu viele Gaben 

Die Schaufeln, die das Grab der Tugend graben. 

Dein Ruf, Vert -Vert, der Abglanz deiner Taten 
Blieb nicht beschränkt auf diesen kleinen Kreis; 
Die Fama sang ihr Lied zu deinem Preis 
Und ließ das Echo bis nach Nantes geraten. 
Auch dort bekanntlich ist ein frommes Stift, 
Und seine würdgen Mütter sind beflissen, 
Wie man es meist bei dieser Klasse trifft, 
Bald möglichst alles, was geschieht, zu wissen. 
So drang nach kurzer Frist in ihr Gemäuer 
Des Papageien Ruhm aus erster Hand; 
Man wollte sehn, wie s um die Sache stand. 



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Vert- Vert 187 

Denn Weiberneugier ist ein zehrend Feuer 
Und Nonnenneugier gar ein Riesenbrand. 

Schon flogen nach Nevers die Herzen hin; 
So gründlich waren zwanzig Frauenköpfe 
Verdreht von diesem einzigen Geschöpfe. 
Man schreibt an jenes Klosters Oberin 
Und bittet sie, den Vogel sondergleichen 
Auf eine Weile gütigst herzuleih n ; 
Leicht könn' er auf der Loire Nantes erreichen, 
Um dort in zarter Obhut neue Zeichen 
Erhabnen Ruhms dem alten anzureihn. 

Der Brief geht ab. Wann wird er Antwort finden? 
Zwölf Tage währt's ; die scheinen ewig lang ! 
Brief folgt auf Brief mit gleichem Sehnsuchtsdrang ; 
Man schläft nicht mehr, der Schwestern Sinne schwinden. 

Endlich kommt in Nevers das Schreiben an. 
Ein ernster Fall; man hält ein groß Kapitel. 
Der Antrag wirkt zuerst als Foltermittel. 
Vcrt-Vert verlieren! Lieber stürbe man! 
Was soll man, wenn der Vogel fehlt, beginnen 
In diesen Kerkermauern, dieser Gruft? 
So fragten sich die jüngsten Klausnerinnen, 
Die noch, gelangweilt von der Klosterluft, 
Unschuldigem Vergnügen sich ergaben. 
Und wirklich war es doch kein Wunderding, 



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Vert- Vert 



Daß diese Zunft, so vor der Welt vergraben, 

Und ohn' ein lebend Spielzeug sonst zu haben, 

An einem armen Papageien hing. 

Jedoch der ältren Klosterfrauen Rat, 

Der reifen Führerinnen im Senat, 

Die schon ihr Herz entwöhnt von regem Pochen, 

War, den geliebten Pflegling auf zwei Wochen 

Dorthin zu schicken; denn die Furcht befiel 

Die Klugen, daß, wenn man sich widersetze, 

Die Klosterfraun von Nantes man schwer verletze : 

So sprach das schleiertragende Konzil. 

Nachdem die Mütter dies orakelt hatten, 
Entstand ein groß Getümmel in der Schar, 
Und Schwester Seraphine rief: „Ist's wahr? 
O welch ein Opfer! Soll man das gestatten? 
Wie? Was? Vert -Vert verreist, und wir zu Haus!" 
Und gar die Schwester Meßnerin daneben 
Wird dreimal bleich, stößt viermal Seufzer aus, 
Weint, bebt, sinkt um, als griff es ihr ans lieben. 
Kurz, alles trauert. Ein Vorausgemunkel 
Malt ihnen diese Reise schaurig dunkel ; 
Von grauenhaften Träumen in der Nacht 
Wird noch des Tages Angst verhundertfacht. 
Umsonst ihr Gram! Die schwarze Stunde naht: 
Am Schicksalsufer ist schon alles fertig, 
Und eines bitteren Verzichts gewärtig 
Geht man zum Lebewohl hinab den Pfad. 



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Vert- Vert 



Jed Nönnchen schluchzt wie eine Turteltaube 
Und wehklagt, daß mau sie des Trosts beraube. 
Beim Auszug wird mit ungezählten Küssen 
Vert -Vert bedeckt! Ihm gilt manch heiß Gebet! 
Man reißt ihn fest entzwei, mit Tränengüssen 
Ertränkt man ihn; je mehr s zum Abschied geht, 
Um so bestrickender wird er gefunden. 
Doch endlich ist er ihrem Aug' entschwunden, 
Und aus dem Kloster flieht mit ihm das Glück. 

„Zieh hin, mein Herzblatt, folg' dem Ruf der Ehre, 

Komm, wie du scheidest, hold und treu zurück. 

O daß dir Zephir gute Fahrt beschere, 

Indessen hier in dieser öden Leere 

Verschmacht« n wird mein unbefriedigt Herz, 

Betrübt, vereinsamt, allem Licht entzogen; 

Zieh hin, Ve^-Vert, auf deines Glückes Wogen, 

Und sei der Liebe Liebling allerwärts ! M 

So segnet' ihm ein Schwesterlein die Reise, 

Das, um der Langeweile zu entfliehn, 

Oft in der Kutte trug verstohlnerweise 

Statt des Gebetbuchs einen Band Racine 

Und sicher dem beredten Vogel gerne 

Gefolgt wär' aus dem Kloster in die Ferne. 

Der Wül fel fiel, der Schelm ist auf dem Schiffe, 
Er, der bis heute rein und unberührt 
Nur Worte sprach von tadellosem Schliffe ; 



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iqo 



Vert - Ver t 



Mög' er sein Herz, von Lockung nicht verführt, 
Bis zu der Heimkehr tugendhaft bewahren ! 
Gleichviel, die Segel schwellen, aufgebauscht 
Von günst'gen Winden, und das Wasser rauscht. 
Nun fährt er ab; uun ist er abgefahren. 

Dritter Gesang 

Auf jenem leichten Schiff, das den Bewohner 

Des Klosters, trug, war eine Amme noch 

Sowie zwei junge Dirnen, drei Dragoner, 

Ein Mönch, ein paar Gascogner und ein Koch. 

Für einen Jüngling aus dem Heim der Frommen 

Hieß das in würdige Gesellschaft kommen ! 

Vert -Vert, mit ihrer Sitte nicht bekannt, 

Bewegte sich in ihr auf fremdem Boden ; 

Neu war ihm ihre Sprache, neu die Moden, 

Verwirrt von ihrem Stil ward sein Verstand. 

Dies waren nicht des Evangeliums Worte, 

Nicht Bibelsprüch ' und Psalmen, die zuvor 

Den Himmelsbräuten abgelauscht sein Ohr, 

Nein, grober Tratsch, nicht von der frömmsten Sorte; 

Denn die Dragoner, diese Heidenseelen, 

Gebrauchten bloß der Kneipe rohen Ton 

Und lobten, weil der lange Weg die Kehlen 

Ausdörrte, nur des Weines Schutzpatron. 

Auch die Gascogner und die Frauenzimmer 

Wetteiferten in Gassenrüpelei, 



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Vert-Vert 



Und gar die Schifter trieben es noch schlimmer 
Mit viel Gefluch, Gelöster und Geschrei. 
Durch ihrer Stimmen schrillen, derben Schall 
Klang jedes Kraftwort wie ein Peitschenknall. 
Verschüchtert saß, mit scheuem Unbehagen 
Vert -Vert in all dem Lärm und schwieg mit Grund; 
Furcht und Beklemmung schlössen ihm den Mund; 
Er wußte nichts zu denken noch zu sagen. 

Man wollte den verstummten Papagei 

Zum Sprechen bringen im Verlauf der Reise, 

Und Bruder Liederlich, die Klosterweise 

Nachäffend, fragte drum ihn allerlei. 

Der gute Vogel macht ein sanft Gesicht, 

Er seufzt im schulgerechten Ton und spricht 

Mit würdevollem Ausdruck: „Ave, Schwester." 

Auf dieses Ave folgt ein Lach-Orchester ; 

Geneckt von allen wird der arme Wicht. 

Er muß aus ihrem Spott bekümmert schließen, 

Daß er die rechten Worte nicht gewählt 

Und ihn die Schwestern Falsches lernen lief Jeu, 

Weil ihm der Brüder Sprache gänzlich fehlt. 

Kein Wunder, wenn sein stolzes Herz, gefüttert 

Nur mit des Weihrauchs zarter Kost zuvor, 

Von solchem Ansturm schnöden Hohns erschüttert, 

Sein anspruchsloses Gleichgewicht verlor. 

Zur Stunde, da Vert -Verts Geduld entschwand, 

Ging seiner Jugend Unschuld mit von hinnen. 



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Vert-Vert 



Er fluchte, nun von Undank übermannt, 

Dem Irrweg seiner ersten Lehrerinnen, 

Die seinem Geiste weder beigebracht 

Die Künste der gediegnen Sprachvollendung 

Noch Glanz und Schmuck der feinen Redewendung. 

Dies nachzuholen war er jetzt bedacht, 

Sprach wenig, grübelte dagegen viel. 

Als Vogel, der nicht auf den Kopf gefallen, 

Fand er's notwendig fur den neuen Stil, 

Sich zu befrein von den Gebeten allen, 

Die man ihm einst gepfropft in seinen Schädel ; 

Zwei Tage reichten hin, dies zu vollziehn; 

Denn gegen die Dragonersprache schien 

Ihm die der Klosterfraun nicht halb so edel. 

Im Handumdrehn war das beredte Tier 

(Ach, Jugend lernt das Böse mit Begier!), 

Dies Tier so reich- an Geist und Sprachgeschick, 

Verflixt beschlagen war's im Handumdrehen, 

Vermochte bald zu fluchen und zu schmähen, 

Als ob ihm säß' ein Teufel im Genick. 

Er widerlegte das berühmte Wort, 

Verbrecher kämen zu den schlimmsten Taten 

Langsam und stufenweis : er ward sofort 

Und vorbereitungslos zum Höllenbraten. 

Tief ins Gedächtnis war ihm bald gesät 

Der Loire-Schiffer ganzes Alphabet; 

Rief einer von der Satansbrut im Koller 

Sein Schockschwernot, Vert -Vert rief s hurtig nach. 



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Vert-Vert 



ig3 



Weil's ihm an lautem Beifall nicht gebrach, 
Schien er sich selber stets bedeutungsvoller, 
Und seinem Dünkel war's von hohem Werte, 
Daß ihn dies Pack durch Lob entehrend ehrte. 
Er sank, mißbrauchend so sein stolz Organ, 
Herab zum Künder niedrigster Gemeinheit: 
Ach, muß des schlechten Beispiels schiefe Bahn 
Vom Himmel in die Hölle ziehn die Reinheit? 

Und während dieser Tage wüstem Grausen, 

Was tatet ihr in den verlaßnen Klausen, 

Ihr keuschen Klosterlilien von Nevers? 

Andachten, ach, habt ihr gewiß gehalten 

Für dieses Undankbaren Wiederkehr, 

Des Flüchtlings, der euch euer sorglich Walten 

So schnöd vergalt, und dem in neuen Ketten 

Nichts mehr an eurer treuen Liebe lag. 

Wohl schlich an euren heü'gen Zufluchtstätten 

In ödem Einerlei dahin der Tag; 

Die Stimmung ward je länger, desto trüber, 

Fast stumm schritt aneinander man vorüber. 

Laßt ab, Vert -Vert verdient nicht eure Güte; 

Vert -Vert ist nicht der fromme Vogel mehr, 

Der Papageien Krone wie vorher, 

Von edlem Geist und lauterem Gemüte. 

Er ward — bekenn ich's euch? — zum Tunichtgut, 

Zum Lästerer, zum feigen Apostaten; 

Die Nixen und die Winde dieser Flut 

Fulda, Die gepuderte Mute l3 



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Vert-Vert 



Zerstörten eurer Arbeit reiche Saaten. 
O preist sein staunenswert Gedächtnis nicht ! 
Was ist Begabung ohne Tugend nütze? 
Vergeßt ihn ! Schamlos warf der Bösewicht 
Sein Herz und seine Gaben in die Pfütze. 

Gleichviel, man kam nach Nantes allmählich hin, 
Wo schon die Schwestern ungeduldig harrten:. 
Ihr Sehnen konnte kaum des Tags Beginn 
Sowie des Tages Ende kaum erwarten. 
Die schmeichlerische Hoffnung, die zumeist 
Uns hinterher enttäuscht mit ihren Tücken, 
Versprach, es werd' ein Papagei von Geist 
Und musterhaftem Anstand sie beglücken, 
Sie durch Gefühl und Sittsamkeit erbaun, 
Mit sanfter Stimme jedes Ohr entzücken : 
O falsches und vergebliches Vertraun ! 

Das Boot legt an, die Mannschaft geht an Land. 
Die Klosterpförtnerin steht schon am Hafen, 
Wo seit dem ersten Brief sie täglich stand, 
Nur wenig Zeit sich nehmend, um zu schlafen ; 
Und ihre Augen, stromwärts irrend, schienen 
Das Schiff herbeizuziehn. Das schlaue Tier 
Erkennt bei seiner Landung gleich in ihr 
Die Himmelsbraut, sowohl an ihren Mienen, 
Am spröd verhaltnen Aufschlag ihres Blicks, 
Am weißen Handschuhpaar, an Haub' und Schleier, 



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Vert-Vert 



Als an der Stimme säuselndem Geleier 

Und namentlich am kleinen Kruzifix. 

Er bebte drum, ja, dachte gar verstohlen 

Soldatisch: „Möge sie der Teufel holen." 

Wollt' er weit lieber doch sich der beim Zechen 

Erlernten Sprache der Dragoner weihn, 

Als wiederum die frommen Litauern, 

Begrüßungen und Formeln nachzusprechen. 

Doch ärgert sich der Schalk auch noch so kräftig, 

Umsonst. Es trägt nach dem verhaßten Ort 

Trotz allem Schrein die Pförtnerin ihn fort; 

Man sagt sogar, daß unterwegs er heftig 

Sie biß; teils wird behauptet: in den Hals, 

Teils : in den Arm ; man ist hierob im Streite ; 

Doch was verschlägt's? Am Ende jedenfalls 

Bracht' in das Kloster ihn die Gottgeweihte. 

Sie meldet ihn. Mit riesigem Rumor 

Verbreitet sich 's rundum. Alsbald erklingen 

Die Glocken. Grade betet man im Chor; 

Man drängt heraus, man läuft, man eilt auf Schwingen. 

u Er ist's! Im Sprechsaal, Schwestern, soll er sein!" 

Man brennt, ihn zu beschaun, man stürzt hinein; 

Das Alter selbst vergißt im Augenblick 

Der Jahre Last in flinkem Vorwärtsstreben ; 

Es ist verjüngt, und Mutter Angélique 

Rennt heut zum erstenmal in ihrem Leben. 

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Vert- Vert 



Vierter Gesang 

Man sieht ihn endlich, kann die Augen weiden 

An dieses Wundervogels Farbenprunk ; 

Denn was an Tugend preisgab der Hai unk, 

Das ließ nicht seine Schönheit Schaden leiden. 

Sein kriegerischer Blick, sein Geckenwesen 

Verleiht ihm neue siegende Gewalt. 

Ach, täuscht Verruchtheit so durch Huldgestalt, 

Daß wir von der Verblendung nie genesen? 

Warum läßt ein verdorbener Gehalt 

Des Herzens nicht sich auf der Stirne lesen? 

In hundertstimm 'gern Durcheinanderlärmen 

Bewundern seinen Reiz die Nonnen all ; 

Durch dies Gesumm gleichwie von Bienenschwärmen 

Würd' übertäubt selbst Gottes Donnerhall. 

Hingegen er, in diesem lauten Schall, 

Rollt ohne freundlich Wörtchen wie ein stummer 

Trappistenmönch die Augen. Erster Kummer. 

Von diesem wenig freundlichen Beginn 

Fühlt sich die Gilde vor den Kopf geschlagen. 

Dann zweitens, wie die Mutter Oberin, 

Des Klosters Haupt, mit würdigem Betragen 

Den lockren Vogel anzureden sucht, 

Da, bei dem erten Wort, das er erwidert, 

Nachlässig, just als ob er sich erniedert, 

Und kaum bedenkend, ob sein Tun verrucht, 

Ruft unser Freund im Schneideton der Sense : 



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„Potz Blitz, die Nonnen sind verdrehte Gänse!" 

Die Chronik sagt, er habe von der Bande 

Dies Sprüchlein aufgeschnappt auf seiner Fahrt. 

Nun will mit zuckersüßer Redensart 

Ihn Schwester Klara bringen zu Verstände 

Und säuselt: „Pfui, mein gottgeliebter Bruder!" 

Des lieben Bruders Trotz und Starrsinn wächst; 

Mit derbem Fluch versetzt er: „Dummes Luder!" - 

„O Jesus! Mutter, ach, er ist verhext!" 

So schreit sie. „Großer Gott, ist dieser Schacher 

Der Papagei, so fromm, so bibelfest?" 

Vert - Vert, als ausgewachsener Verbrecher, 

Fällt ihr geschwind ins Wort: „Hör dich die Pest!" 

Sein wüst' Geschimpf zu zügeln trachtet jede, 

Und jede kriegt ihr reichlich Teil dafür : 

Die Jüngsten hänselt er voll Ungebühr, 

Nachahmend ihre zorngeschwollne Rede, 

Und frecher noch weiß er den alten Reffen 

Ihr greinendes Genäsel nachzuäffen. 

Noch ärger ward's, als im Korearenton, 

Gereizt von ihrem albernen Geschwätze, 

Mit Wut geladen, angefüllt mit Hohn 

Er losließ all die schauerlichen Sätze, 

Die seinem Hirn im Schiff man eingedrillt, 

Indem er fluchte, so fuchsteufelswild, 

Als ob die ganze Höllenbrut ihn hetze. 

Die Schwestern dachten an den Turm von Babel 



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198 Vert-Vert 

« — 

Beim Kauderwelsch, das floß aus seinem Schnabel. 

(< Kreuzhageldonnerwetter ! Pech und Schwefel!" 

Es bebt bei diesem Greul der ganze Saal ; 

Die Nonnen, sprachlos über solchen Frevel, 

Fliehn und bekreuzigen sich tausendmal. 

Als ob des jüngsten Tags Posaune blase, 

Treibt in den Keller sie der Schreckenswahn, 

Und Mutter Kunigund fallt auf die Nase, 

Hierdurch verlierend ihren letzten Zahn. 

Die Schwester Martha mit erhobnen Armen 

Und hohler Grabesstimme stöhnt: „Erbarmen, 

Gerechter Gott im Himmel ! Welcher Satan 

Schickt uns den Antichrist, den Leviathan? 

Wodurch, mein Heiland, flucht er gar so sehr, 

Als ob er käm' aus ew'gen Finsternissen? 

Ist dies der nomine Geist, ist dies das Wissen 

Des teuren, des gepriesenen Vert -Vert? 

Er sei verbannt, sei fortgeschickt nach Haus ! " — 

„Allgutiger !" ruft Schwester Agnes aus. 

(t O Schimpf und Schmach ! Sind in Nevers die Schwestern 

Gewohnt, mit rohen Worten so zu lästern? 

Pflegt so man dort erzieherisch zu walten? 

Was für ein Ketzer ! Fort mit ihm ! O Herr, 

Verlaß uns nicht! Mit diesem Luzifer 

Würd' ihren Einzug hier die Hölle halten." 

• 

Beschluß: Vert -Vert wird eingesperrt im Bauer, 
Und man ist einig, ohne Zeitverschwenden 



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Vert-Vert \ 

■■ i i , ■ . 

Das unverschämte Schandmaul heimzusenden. 

Der Fremdling fühlt nichts weniger als Trauer. 

Er wird geächtet, wird für ein Entsetzen 

Erklärt, beschuldigt, überführt, verdammt, 

Weil er der Schwestern Tugend zu verletzen 

Getrachtet hat. Sie zeichnen insgesamt 

Das Urteil, den Unseligen beweinend; 

Welch Unglück, daß er schon so grundverderbt, 

Noch allen Jugendreiz auf sich vereinend, 

Daß unter Federn, die so schön gefärbt, 

Er einer Schurkenseele Falsch und Arg, 

Ein schwarz Gemüt, ein heidnisch Herz verbarg! 

, * 

Die Pförtnerin trägt ihn zurück am Ende 
Zum Hafen, ohne daß er diesmal beißt. 
Ein Boot entfuhrt ihn ; leichten Herzens reißt 
Sich los der Strolch vom traurigen Gelände. 

Da habt ihr seiner Leiden Iliade. 

O Qual, als er, von dort zurückgekehrt, 

Die gleiche schauderhafte Serenade 

Vortrug an seinem heimatlichen Herd ! 

Was nun? Die Schwestern fragen's gramverzehrt. 

Betränten Aug's, den Sinn von Graun gepeinigt, 

Die Mäntel schwarz, die Schleier zwiefach dicht, 

Gehn neun der Ältesten zum Femgericht: 

Ja, denkt euch neun Jahrhunderte vereinigt. 



200 



Ver t- Vert 



Dort, ohne Hoffnung auf der Richter Milde 

Und ohne Fürsprech, der zu Hilf ihm eilt, 

In seines Käfigs Gitter eingekeilt, 

Erscheint Vert -Vert gleich einem Jammerbilde. 

Schon stimmt man ab; schon haben zwei Sibyllen 

Auf schwarzen Zetteln ihm den Tod verhängt ; 

Zwei andre, weniger im Hirn beengt, 

Ziehn vor, sein Schicksal möge sich erfüllen, 

Indem man in sein heidnisch Ursprungsland 

Zu bräunlichen Brahmanen ihn verbannt; 

Doch die fünf übrigen als Mehrheit neigen 

Die Wage zu gelindrer Sühnungspein. 

Das Urteil heißt: Zwei Monat 1 sich kastein, 

Drei Monat* brummen und vier Monat* schweigen. 

Putz, Gartenfreiheit, Ruhstatt, Leckerbissen, 

Sie sind ihm während dieser Zeit entrissen. 

Doch nicht genug; zu schlimmrer Leiden Quell 

Wird als Gesellschaft, Schließerin und Wache 

Ihm ausersehn des Klosters ärgster Drache, 

Ein dürres, achtzigjähriges Gestell, 

Ein Scheusal, mit dem Antlitz eines Affen, 

Für eines Büßers Auge wie geschaffen. 

Doch trotz des Argus grausam strengem Drohn 

Erschienen oft in ihren Mußestunden 

Die Jüngsten, ihm ihr Mitleid zu bekunden 

Und zu versüßen seine Kerkerfron. 

Die Schwester Rosa bracht' am frühen Tag 

Ihm häufig Pralinés ; doch hinterm Gitter, 



Vert- Vert 



20 I 



Wohin kein Freiheitsbauch zu wehn vermag, 
Schmeckt alles Zuckerwerk uns gallenbitter. 

♦ 

Bedrückt von Schmach, durch Schaden abgeschreckt, 

Wohl auch, weil ihm das Schauerweib verdrießlich, 

Ging in sich der betrübte Vogel schließlich, 

Entsagte dem Dragonerdialekt 

Und gab, zur Einheit wiederum gepaart 

Mit unsrer Schwestern Ton und Ausdrucksart, 

Dem frömmsten Abt an Frömmigkeit nichts nach, 

So daß nun, sicher seiner Neubekehrung, 

Der Ältstenrat, entwaffnet, von Entbehrung 

Und von Gefangenschaft ihn ledig sprach. 

Der Tag, der ihm die Freiheit wiederschenkt, 
Wird allgemein als Freudentag empfunden ; 
Als ob die Liebe jede seiner Stunden 
Mit eigner Hand an ihrem Faden lenkt. 
Doch ach, wie wandelbar sind unsre Wonnen! 
Ach, ird'sche Lust, wie bald ist sie zerronnen! 
In allen Zellen Blumenschmuck die Menge, 
Vorzüglicher Kaffee, Gejauchz, Gesänge, 
Anmut ger Lärm und ungebundner Scherz 
Verbanden sich zu festlichem Gepränge, 
Und nichts verkündete den nahen Schmerz. 
O Schwestern, könnt' euch Leichtsinn so betören? 
Zu schnell nach eines langen Fastens Schluß 
Versetzt in schwelgerischen Überfluß 



20 2 



Vert-Vert 



Und vollgepfropft mit Zucker und Likören, 
Sank hin Vert -Vert auf einen Berg von Kuchen, 
Aus I^ebensblübn gestürzt in Todesgraus, 
Und hauchte trotz den eifrigsten Versuchen 
Der Schwestern seine Seele seufzend aus. 
Er ward im Schoß des Glücks, in voller Kraft, 
Die nur durch süßes Übermaß verdorrte, 
Als Opfer der Beliebtheit hingerafft. 
Bewundert wurden seine letzten Worte. 
Die Augen hat ihm Venus zugedrückt, 
Hat ihn zum Hain Elysiums entrückt, 
Zum Rang der Heldenpapagein erhoben, 
Gleich jenem, den um seiner Weisheit Proben 
Corinnas Freund mit Sangesruhm geschmückt. 

Die Trauer um den heimgegangnen Lieben, 

Kein Griffel stellt sie dar. Ein Nekrolog 

Ward von der Schwester Schaffnerin geschrieben, 

Aus dem ich seines Lebens Schildrung zog. 

Damit's der Nachwelt unverloren sei, 

Schuf ich nach der Natur sein Konterfei ; 

Gar manch geschickte Hand wüßt' ihm das Leben, 

Geleitet von der Liebe, neu zu geben, 

Teils auf Gemälden, teils auf Stickerei, 

Und was der Gram auch malte, was er stickte, 

Es waren Tränen, die man drin erblickte. 

Mit allen Ehren ward er beigesetzt, 

Die man erweist gefeiertem Geflügel, 



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Vert- Vert 



2o3 



Und eine Myrte schattet seinen Hügel. 
Dort prangt ein neues Mausoleum jetzt, 
Wo von den Händen gottgeweihter Wesen 
In goldner Schrift auf einem Porphyrstein, 
Umrahmt von Blumen, dieser Vers zu lesen ; 
Wer liest ihn, ohne tief gerührt zu sein: 

Novizen, die ihr kommt, in diesem Hain zu plaudern, 
Geschützt vor strenger Schwestern Bann, 
Ein Weilchen, wenn ihr könnt, verharrt in stummem Zaudern, 
Hört unser Unglück an. 

Ihr schweigt! Müßt ihr euch drob zu viel versagen, 
Sprecht, aber sprecht, uns zu beklagen; 
Ein einzig Wort erklärt euch unsern edlen Schmerz: 
Hier liegt Vert -Vert, und mit ihm unser Herz. 

Doch munkelt man (mit letztem Federstrich 
Will ich's verraten), daß aus jenem Grabe 
Des Vogels Geist sich fortgestohlen habe, 
Daß in die Nonnen seine Seele schlich, 
Und daß der Papagei durch Seelenwandern 
Einwohnend einer Schwester nach der andern 
Sich und sein Plappern forterbt ewiglich. 




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DAS LEBENDIGE CHORPULT 

Nicht weit vom Ufer des Auron und Cher 

Ist irgendein uraltes Nest gelegen 

Mit einer halbverfallnen Kirch', in der 

Blutarme Priester ihres Amtes pflegen. 

Dort sieht man nicht die wohlgenährten Herrn, 

Die sich im Schöße glücklichen Behagens, 

Von Übungen und von Kasteiung fern, 

Bloß mühn um das Gedeihen ihres Magens; 

Man sieht Gesichter nur mit bleichen Wangen, 

Die kein Champagner läßt in Purpur prangen. 

Dürftige Pfäflflein, hagre Mönchsgestalten, 

In groben Kutten, ohne Doppelkinn — 

So schleichen blaß vor Hunger sie dahin 

Und müssen selber jedes Dienstes walten. 

Doch ihnen beizustehn befleißen sich 

Noch ein Kaplan sowie vier Sängerknaben, 

Die allesamt zur Herbergswirtin haben 

Frau Barbara; sie hegt sie mütterlich, 

Und Vater ist für sie der ganze Ort. 

Um besser zu verstehn, muß man erfahren : 

Es lebt Frau Barbara mit achtzig Jahren 

Als Veteran in der Gemeinde fort, 

Vormals ein blühend Mägdlein, heut verdorrt ; 



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Das lebendige C b or pult 2 o 5 



Mit sechzehn, bang vor der verderbten Zeit, 
War, um dem Garn der Laien und der Frommen 
Nicht auszusetzen ihre Sittsamkeit, 
In eines Chorherrn Dienste sie gekommen, 
Zuerst als Magd ; sodann jedoch gradaus 
Schwang sie sich auf zum Regiment im Haus. 
Vererbt gesehen hat sie dreimal schon 
Jed Kirchenamt vom Vater auf den Sohn ; 
Kurz, Barbaras Kredit hielt ungeschwächt 
Im Stifte von Geschlecht sich zu Geschlecht. 

Dort also jüngst begab sich unsre Mär, 

Und streng der Wahrheit nach sollt ihr sie wissen. 

Dem Ghorbub Lukas war von ungefähr 

Das Futteral des Unterlands zerschlissen. 

Das heißt, sein Höschen war nicht mehr zu flicken 

Und zeigte, mürb geworden, manches Loch; 

Die Bresche, jeden Tag sich weitend noch, 

Ließ schon die ganze Festung überblicken. 

Barbara sieht's betrübt; doch was beginnen? 

War sie doch arm, und Stoffe kosten Geld ; 

Auch in dem Kirchenschatz kein Pfennig drinnen. 

Zudem besaß der kleine Unglücksheld, 

Der als Erzeugnis eines Unbekannten 

Ermangelte der Eltern und Verwandten, 

Nichts anderes an dieser Jammerstätte, 

Um sich zu wärmen, als des Himmels Huld ; 

Er schmachtete voll arger Ungeduld, 



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2o6 Das lebendige Cborpult 



Das Zimmer hütend oder gar das Bette, 

Bis die geschickte Wirtin drauf verfiel, 

Ihm seine Blöße schicklich zu verputzen 

Mit wenig Kosten und in neuem Stil; 

Not zieht erfinderisch aus allem Nutzen, 

Und jede Kunst lernt man von ihr am besten. 

Ein Messebuch kam Barbara zur Hand, 

Ein alter, großer, staubger Foliant, 

Der auf dem Chorpult lag bei hohen Festen : 

Zum Körper dienten dicke gelbe Schwarten 

Von Pergament dem abgegriffnen Buch, 

Und seine Blätter, die vom Fette starrten, 

Erschienen durch das Alter weich wie Tuch. 

Dem Schmöker, denkt sie, könn' es nicht viel schaden, 

Würd' um vier Seiten kürzer sein Bestand ; 

Sie reißt sie aus, mit Nadel und mit Faden 

Drin einzubinden den lebend gen Band. 

Doch weil die Frau nicht recht im Bücherwesen 

Bewandert war, ergab ein Zufallsspiel, 

Daß ihre Wahl just auf die Blätter fiel, 

Worauf die große Messe stand zu lesen. 

Sie pflasterte, nachdem das Werk vollstreckt, 

Mit ihm das Hinterteil des armen Kindes, 

Und Lukas bot, von frommem Text bedeckt, 

Kein Ziel mehr für den rauhen Griflf des Windes. 

Nun aber naht ein Festtag, den erheblich 
In dieser Kirche man zu feiern pflegt. 



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Das lebendige C b or pult 



20 



Der Kantor als des Chorpults Meister schlägt 

Das Meßbuch auf; er sucht, jedoch vergeblich; 

Er blättert eine Zeitlang unentwegt, 

Er schimpft, er flucht und schreibt zuletzt die Lücke 

Den Ratten zu, die von dem Buch gespeist, 

Als mitten in der herben Not zum Glücke 

Sein wirrer Blick ihm Lukas plötzlich weist, 

Der in der Knaben feierlichem Zug 

So Text wie Noten auf dem Hintern trug. 

Der Kantor schaut, und alles, was er sucht, 

Er findet's hier an neuem Platz gebucht. 

Sogleich vermeldet er es dem Kapitel, 

Und dieses kommt zum schleunigen Beschluß, 

Daß, weil der Zweck hier heilige das Mittel, 

Der Wicht als Buch und Chorpult dienen muß. 

Man weist ihn an, sich kunstgerecht zu bücken; 

Im Handumdrehn begreift er seine Pflicht: 

Mit frommem, unerschrockenem Gesicht 

Stützt er sich auf und krümmt zugleich den Rücken. 

Durch Brillen liest man eifrig das Missale ; 

Aus mangelhaften Kehlen steigt empor 

Zur Wölbung dieser sonderbare Chor, 

Ein Anblick, wert, daß ein Callot ihn male. 

Glatt ging es bis zum Evangelium. 
Stolz wie ein Römer, ohne sich zu regen, 
Hielt Lukas weiter seinen Rücken krumm 
Und sah schon rühmlichstem Erfolg entgegen. 



208 



Das lebendige Chorpult 



Doch leider durch des Pergamentes Naht 
Bahnt eine kecke Wespe sich den Pfad 
Und macht das fühlende Gesangbuch scheu. 
Zuerst bezwingt sich Lukas trotz den Qualen 
Und rührt sich nicht. Als aber ihn aufs neu 
Der Stachel trifft zu wiederholten Malen, 
Rennt er zur Rettung vor dem Ungeheuer 
Davon, laut schreiend, als verzehr' ihn Feuer, 
Und rastet nicht, bis er am stillen Ort 
Das Blatt gewendet und das Tier vernichtet. 
Die Mär beruht auf Wahrheit, Wort für Wort; 
Von zwei Gascognern ward sie mir berichtet. 



LAVALLÉE DESFONTAINES 
(GUILLAUME FRANÇOIS FOUQUES DES HAYES) 



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DIE FUjTTERSCHWINGE 

In einem Dorf der Landschaft Maine beschloß 
Ein Landmann Pierre Pigal mit sechzig Jahren, 
Dieweil ihn seine Witwerschaft verdroß 
(Manch einer weiß das Glück nicht zu bewahren), 
Nochmals zu kriechen in das Ehejoch. 
Er war ein Tor: der Teufel jagt uns alle, 
Wenn wir schon wacklig sind, in diese Falle; 
Wir büßen 's; unser Schicksal scheint's jedoch. 
„Wer alt wird, soll sich nicht zu lang besinnen", 
So sprach Pigal zu sich ; «es läßt mein Feld 
Ein gut verzinslich Sümmchen mich gewinnen, 
Und auf den Nachwuchs, den noch in die Welt 
Ich setzen will, vererb' ich dieses Geld." 
Benachbart war in väterlichem Schutz 
Ein fünfzehnjährig Mägdlein aufgeschossen, 
Das nach der Mutter frühem Tod entschlossen, 
Gewandt und frisch, dem Pachtbetrieb zu nutz, 
In Haus und Hof die Wirtschaft hielt im Schicke 
Und fest am Zügel führte das Gesind. 
Vor allem war Manon ein hübsches Kind, 
Mit blauen Augen voller Schelmenblicke, 
Mit braunen Locken und geschwellter Brust; 
Sie zwang, wenn Sonntags zur Musik mit Lust 

«4* 



2 I 2 



Die Futterscbwinge 



Sie leicht in feinem Mieder, rosa Schuhn 

Und weißen Strümpfen schwebte durch die Fluren, 

Gleichgültigste, nach ihr sich umzutun, 

Und viel Verliebte folgten ihren Spuren. 

Den Alten auch beschlich die Herzensplage; 

Er sieht sie, liebt sie, kommt um den Verstand, 

Er läuft ihr nach, merkt sich des Hauses Lage, 

Kehrt heim, wirft sich ins Feiertagsgewand, 

Geht zu dem Vater, wirbt um ihre Hand, 

Und der erteilt sein Jawort zum Vertrage. 

Pigal war reich ; drum werdet ihr's verstehen ; 

Ihr wißt ja, liebe Leser, so wie so : 

Der Hauptpunkt ist bei dem Vollzug von Ehen 

Der Vorteil, dort in Maine wie anderswo. 

Grausamer Brauch ! Manon verfallt in Leid, 

Seufzt still, sobald es ihr gelangt zu Ohren, 

Welch einen Mann der Vater ihr erkoren ; 

Denn einem andern ist ihr Herz geweiht, 

Für den sie heimlich loderte schon lange. 

Doch weil vergeblich ist ihr Sträuben all, 

So fügt zuguterletzt sie sich dem Zwange, 

Und nach acht Tagen wird sie Knall und Fall 

Trotz ihrem Widerwillen Frau Pigal. 

Nun ist sie Gattin ; ehelich gepaart 

Vor dem Notar mit seiner jungen Schönen 

Tut unser alter, braver Knasterbart, 

Was irgend er vermag, sie zu verwöhnen ; 

Er glaubt, es mach' ihn jung, sie nur zu schaun, 



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Die Fu 1 1 er s c hw in ge 



2 1 3 



Und liebt sie zärtlich, ohne sie zu stören. 
Denn (was ftir euch sehr wichtig ist zu hören) 
Er hegte zu Manon ein blind Vertraun; 
Kurzum, Pigal war solch ein Mustergatte, 
Nicht wie man in Florenz und Rom sie zeigt, 
Nein, wie man stets in Frankreich gern sie hatte, 
Fügsam und nicht zur Eifersucht geneigt. 
Wer aber, werdet ihr nunmehr mich fragen, 
War der Adonis, den, bevor dies Band 
Ihr fesselnd um die Glieder war geschlagen, 
Manon geheimer Gluten würdig fand? 
Des Dorfes Löwe war es und sein Stolz, 
Ein großer, strammer, gutgewachsner Bengel, 
Vor dem die Tugend aller Weiber schmolz, 
Frisiert, gelockt, gepudert und im Sprengel 
Ringsum der Hahn im Korb — mit einem Wort, 
Es war der Schultheiß im besagten Ort. 
Er hatte Philosophen durchgelesen, 
Auswendig wüßt' er manch beliebt Gedicht, 
Er war drei Monat' in Paris gewesen, 
Wo, sehr vertraut mit Rechten und Gericht 
Und mit den schönen Geistern im Verkehre, 
Zum halben Lizentiaten er's gebracht. 
Doch ohne Glück ist Wissenschaft Chimäre! 
Pigal wird Sieger, und in seiner Macht 
Ist nun der Schatz, für welchen sein Rival 
(Denn daß Erwerb und Rang den Liebesleuten 
Nichts gegen ihrer Sehnsucht Ziel bedeuten, 



1 4 



Die Futter schwinge 



Erfuhren schon wir alle manchesmal), 

Für welchen, sag' ich, dieser Unglücksrabe 

Geopfert hätte freudig seine Habe, 

Bestallung, Titel, Amtskleid, Barbesitz 

Und Namen, inbegriffen die Justiz. 

Nicht lang jedoch braucht seine Huldigung 

Vor der Geliebten Fenster stumm zu schmachten. 

Manon hat ihm bewahrt ihr zärtlich Trachten 

Und macht sich klar, sie sei nur einmal jung. 

Geheim empfängt sie den Galan somit, 

Ein-, zweimal, dann tagtäglich, Woch' um Wochen. 

Nichts steht im Weg, nachdem das Eis gebrochen : 

Schwer in der Lieb' ist nur der erste Schritt. 

Pigal zäumt eines Tags im Morgengrau 

Sein Maultier und entfernt sich in Geschäften 

Im Trab von seinem Haus und seiner Frau. 

Der Trautgeselle, durch die Liebe schlau, 

Stellt gleich sich ein ; Manon versorgt nach Kräften 

Den Suppentopf und kocht ein fettes Huhn; 

Ihr Freund verschmäht nicht, fleißig mitzutun, 

Und noch bevor die Turmuhr zwölfe schlägt, 

Sitzt unser Paar bereits beim Mittagessen, 

Und ihr Gespräch bei Tisch läßt angeregt 

Die Liebesleutchen ihren Gram vergessen. 

Sie waren glücklich ohne die Tiraden 

Von falschem Geist, mit dem man heut sich ziert 

Und der bewirkt, mit Feinheit überladen, 

Daß trotz dem Feuerwerk die Seele friert. 



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Die 



Fu t ter sc hwinge 



2 I 5 



Den Appetit verstärkt Zufriedenheit; 

Derweil die Schelmin und der Schultheiß schwören : 

„Ich liebe dich, zum Tod für dich bereit", 

Ging ihnen doch vom Schmause nichts verloren, 

Und beide kauten trotz der Glut nicht schüchtern. 

Held Seladon, der treue Sklav' der Fraun 

War höchst bedürfnislos und schwärmte nüchtern 

Die Schönheit an, falls wir der Chronik traun; 

Auf seine Liebe war gewiß zu baun : 

Doch wie mir däucht, vermag durch solch Kastein 

Des Herzens Wärmegrad gar leicht zu sinken. 

Nur unser Paar, ob seufzend auch zu zwein, 

Versäumte nicht, zu essen und zu trinken. 

Die Liebe wächst, sobald sie gut gespeist, 

Und etwas Wein trägt bei, sie zu befeuern ; 

Der Schultheiß, angeschürt vom Rebengeist, 

Liebäugelt kunstgerecht mit seiner Teuern, 

Küßt ihr den Arm, verschlingt beinah die Hand, 

Ergreift ihr Glas und trinkt, wo sie getrunken : 

Ein Liebesspiel, bei Tisch vorausgesandt, 

Das leichte, lose Spiel der ersten Funken, 

Die kleinen Wonnen, die recht groß zu nennen 

Ich wagen darf bei denen, die sie kennen : 

Dumm, wer sie höhnt, und glücklich, wer sie fühlt! 

Jedoch das Glück, je stärker wir entbrennen, 

Ach, um so schneller wird es abgekühlt. 

Bei diesem Feste, das der Liebe galt, 

Verrauschten hurtig unserm Paar die Stunden. 



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Die Futter schwinge 



Der Tag entfloh ; doch ihrer Glut Gewalt 

Ließ, als er vorgerückt zum Ahend bald, 

Sie glauben, daß der Morgen kaum entschwunden. 

Die Nacht brach an, da klopft es an das Haus : 

Es ist Pigal. „O Himmel, was beginnen? 

Mein lieber Schultheiß!" — „Wo, Manon, hinaus?" 

Er will durch eine Hintertür entrinnen ; 

Kein Ausgang ! Selbst ein abgefeimter Buhle 

War' hier gelangt in eine harte Schule; 

Dem unsern auch ging sein Latein hier aus ; 

Des Bodens Falltür sieht er offen stehn, 

Erklimmt, als ob's um Kopf und Kragen ginge, 

Den Speicher, und aus Furcht, man könnt' ihn sehn, 

Deckt er das Loch mit einer Futterschwinge. 

Manon beeilte sich nun ihrerseits, 

Pigal die Tür zu öffnen, der im Garten 

Umkam vor Kälte; denn es fror bereits. 

„Grüß Gott, Manon, ich könnt' es nicht erwarten, 

Zurückgekehrt dich in den Arm zu schließen ; 

Mein Kind, solang ich fern war, dacht' ich dran, 

Die Langeweile könne dich verdrießen." 

O, welch Juwel von einem Ehemann ! 

Zum Handkuß fühlt Manon sich feist verfuhrt, 

Weil sie dies Übermaß von Güte rührt. 

„Ei, was der tausend," sagt er, „schau nur, schau, 

Du speistest schon ! So recht, mein Zuckerhäschen. 

Komm, trinken will ich auf dein Wohl ein Gläschen !" 

Das erste Glas galt seiner kleinen Frau ; 



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Die Futter schwinge 



2 1 7 



Jedoch des Wackren Schwäche war der Wein : 
Das zweite folgt ; nun schwatzt er breit und lange, 
Am Herde spielend mit der Feuerzange, 
Und schläft beschwipst auf seinem Lehnstuhl ein. 
Er schnarcht nach Noten, während in Bedrängnis 
Der Liebste droben kaum zu atmen wagt 
Und gern entschlüpfen mochte dem Gefängnis ; 
Ein wenig rückt er ab und zu verzagt 
Die Futterschwinge, um hinabzugucken. 
Manon beschwört ihn zwinkernd, klug zu sein, 
Sich in des Käfigs Hintergrund zu ducken ; 
Doch leuchtet ihm der Rat so wenig ein, 
Daß, um zu spähn, den Hals er vorwärts reckt; 
Und mit der Hand stößt unbehilflich irrend 
Er an die Schwinge, die den Eingang deckt. 
Sie fällt, und durch das Loch herunterschwirrend 
Fällt er mit ihr dem Hampel auf den Rücken. 
„Gevatter, hier die Schwinge; schönsten Dank", 
Ruft der Galan im Sturze schreckenskrank. 
Pigal erwacht und glaubt an Mördertücken; 
(( Manon, was ist das?!" — „Die er ausgeliehn, 
Die Futterschwinge bringt der Schultheiß wieder", 
Versetzt Manon, vor Angst noch starr die Glieder. 
Pigal ruft zornig: „Hol' der Teufel ihn. 
Er bringt sehr linkisch wieder, was er lieh ; 
Zerschlagen sind mir Schulter, Hüft' und Knie. 
Verwünschter Schultheiß! Meiner Seel', ich dachte, 
Daß mir der Speicher auf den Rücken krachte." 



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Die Futterschwinge 



Ein Gott behütet alle Liebespärchen ; 

Fällt eine heikle Überraschung vor, 

Dann raunt er ihnen guten Rat ins Ohr, 

Wie man sich hilft mit irgendeinem Märchen, 

Um niemals unversehns ertappt zu werden. 

Was also tun? Wie dem Gezücht entfliehn, 

Wie sich den schnöden Kränkungen entziehn, 

Die jedes Ehemannes Stirn gefährden? 

Ist denn kein heimlich Mittel aufzutreiben 

Zum Schutz davor? Nach reiflichem Bedacht 

Erblick' ich nur das eine : Ledig bleiben. 

Wen' s aber dennoch lockt, sich zu beweiben, 

Der tu's und stelle Gott anheim das Weitre. 

Pigal, der Glückliche, der Seelenheitre, 

Geht aus, kommt heim, betrinkt sich und schläft ein : 

Wohl ihm ! Der Weise läßt fünf grade sein, 

Statt über diesen Punkt nach einer Klarheit 

Rastlos zu jagen, die man gern entbehrt, 

Bedenkt man, welchen Kummer sie beschert; 

Und obendrein erfahrt man nie die Wahrheit. 

Trotz allem eifersüchtigen Bemüh n 

Wiegt Amor listig in den Schlaf die Gatten ; 

Zwar geht nicht jedes Wagnis glatt von statten, 

Und manchmal können ihm Gefahren blühn; 

Doch wenn man ihn erwischt, seid guter Dinge : 

Er zieht sich, ob mit einer Futterschwinge, 

Ob mit was andrem, immer aus der Schlinge. 



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CLAUDE JOSEPH DORAT 



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ALFONSO 



Als König Heinrich auf Kastiliens Thron 
Regierte, war sein Hofstaat flott und weichlich. 
All das, was eine fürstliche Person 
Bestrickend macht, besaß er überreichlich, 
War schön, galant und stattlich von Gestalt. 
Sein Schloß, erfüllt von stets erneuten Räuschen 
Der Freude, ward ein Feenaufenthalt, 
Mit holdem Laster lockend auch die Keuschen; 
Das Beispiel wirkt mit magischer Gewalt, 
Und Amors List weiß die Vernunft zu tauschen. 
Auf die Turniere ward der Tag verwandt; 
Die Nacht, die Gönnerin der Zärtlichkeiten, 
Ließ flechten von manch jungen Liebchens Hand 
Den Myrtenkranz, den Liebesgötter weihten. 

Seltsam ! Nur Heinrich spielte bei dem Spiel 
Der Männer den Ermatteten und Lahmen, 
Unzart beleidigend verliebte Damen, 
So daß die Tugend ihnen lästig fiel 
Und sie an seiner Kühle Feuer fingen. 
Schon tuschelten sie miteinander leis ; 
Schon ließ ihr Stolz, von seines Herzens Eis 



22 2 



Alfonso 



Herausgefordert, alle Minen springen. 
Umsonst. Er bot nur Kälte zur Belohnung. 
Die Damen strengten sich nicht weiter an 
Und lachten über ihrer Tugend Schonung, 
Soweit in solchem Fall man lachen kann. 
Beklagenswerter Heinrich ! Mit den Schätzen 
Des Inka läßt sich Wollust nicht ersetzen ; 
Ein Thron ist viel, doch nichts für sich allein ! 
Genießen heißt in Wahrheit Herrscher sein. 
Jedoch gleichviel, es fand in Höflingskreisen 
Des Herrn Betragen keinen Widerhall; 
Zu solcher Schmiegsamkeit bringt's kein Vasall. 
Alfonso wird es uns vielleicht beweisen ; 
Doch wer zuviel beweist, kommt leicht zu Fall. 

Man sagt, er war beschenkt von der Natur 

Mit straffen Waden, glänzender Figur, 

Mit hohem Wuchs, mit übergroßen Augen 

Und schwarzen Braun, die zur Verfuhrung taugen, 

Kurzum, ein Herkules in Miniatur, 

Noch in der vollsten Jugendkraft sogar, 

So daß bereits nach flüchtigstem Examen 

Es unverkennbar feststand fur die Damen, 

Daß dieser wie für sie geschaffen war, 

Und alle regsten Anteil an ihm nahmen. 

Er hatte Glück ; für Gutes Bahn zu brechen 

Durch echte Taten, trägt geringen Lohn. 

Er wählte jenen vornehm seichten Ton 



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Alf on so 



223 



Der kleinen Scherze, die Erfolg versprechen, 
Betrieb des Tändeins Kunst, die leichte, lose, 
War in Burgos dem Geist nach ein Franzose. 

Von einer einzigen ward sein Triumph 
Geschmälert, ihm sein Siegesrecht entzogen. 
Ihm war allein ihr Kopf und Herz gewogen ; 
Doch mocht' auch Amor seinen stärksten Trumpf 
Ausspielen, ihre Sinne blieben stumpf. 
Dies schöne Weib war Sandoval geheißen; 
Der Augen Blau, des Marmorhalses Gleißen, 
Ein Schmachten, lockender als Schelmerei, 
Samt einem Reiz, den Worte nicht benennen, 
Ließ den Alfonso toll für sie entbrennen, 
Und ganz Burgos war sein Rival dabei. 
Doch sei's nun Hochmut, Laune, Scham, Geschick 
(Den Schönen sitzt der Teufel im Genick, 
Und ihre Tugend ist nur Furchtbezeigung), 
Sandoval kämpft, und unter heitrem Blick 
Bemäntelt sie behutsam ihre Neigung. 
Sie will, daß man verkünden soll: w Ein Held, 
An den die Siegeskränze sich verschwenden, 
Hat alle Herzen von Burgos gefällt; 
Doch Sandoval hat Säulen aufgestellt, 
Die Taten dieses Herkules zu enden." 

Durchaus vergeblich bleibt Alfbnsos Flehn ; 
Selbst seine Tränen wecken kein Bedauern. 
Was er sich wünscht, er wagt's nicht zu begehn, 



224 



Alfonse 



Und er umschmachtet diese Festungsmauern, 
Die jedem neuen Ansturm widerstehn. 
Der Eifer seiner andern Gönnerinnen 
Wird ihm so lastig, daß er mit sich geizt; 
Er trachtet ihren Armen zu entrinnen 
Und fühlt sich nicht von ihrem Reiz gereizt. 
Was tut ein Herz, das unbefriedigt glüht? 
Sie ließen hungrig und des Wartens müd' 
Gar bald von andern Rittern sich gewinnen. 

Doch laßt uns nun vor allem Überschau 

Am Hofe halten. König Heinrichs Frau, 

Mit Namen Blanche, war, sagt man, allzu ehrbar; 

Denn ihrem Ehegatten war sie treu. 

Treu? Und wozu? War Blanche denn unbelehrbar? 

Unfruchtbar war sie gleichfalls und gehörte 

Nicht zu den Fraun, die dem Gemahl die Zeit 

Verkürzen. Nikolaus, der Papst, empörte 

Sich über ihre Kinderlosigkeit, 

So daß er ihrer Ehe Band zerbrach 

Durch einen Bannfluch. Stets war das Begehren 

Der Päpste, Kinder solle man gebären ; 

Im Notfall halfen sie persönlich nach, 

Bloß um die Zahl der Gläubigen zu mehren. 

Die unglücksel'ge Blanche rief, so geschmält, 

Gewandt zu ihrem königlichen Bette, 

Mit wirren Mienen aus: „Ach, Unheilstätte ! 

Mit wem, ihr Götter, habt ihr mich vermählt! 



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A lf onso 



225 



Wodurch so jung verscherzt' ich eure Huld? 

Ihr wißts, und meine Schmach trifft euch nicht minder, 

Ihr wißt s : wenn ich dem König keine Kinder 

Geboren, trägt nur er allein die Schuld . . . 

Weshalb, da meine Leiden schon unzählbar, 

Hat mir des Papstes Fluch die Stirn entweiht? 

Warum beschimpft er meine Fruchtbarkeit? 

Da sag' noch wer: die Päpste sind unfehlbar \ ü 

So klagend schied sie von Burgos dahin, 

Und zum Ersatz der armen Königin 

Ward Portugals Infantin auserkoren. 

Alfonso, der, in seinen Liebelein 

Behindert, jede Hoffnung gab verloren, 

Wollt' ein'ge Zeit vom Hofdienst sich befrein 

Und anderswo sich neuen Herzen weihn. 

Man wartet auf die Braut; er wird ernannt, 

Prinzessin Henriette einzuholen. 

Er muß vollbringen, was ihm streng befohlen ; 

Sein Wunsch und seine Pflicht gehn Hand in Hand. 

Nur Sandoval kann sich so leicht nicht fassen ; 

Sein rascher Aufbruch und das Lustgefühl, 

Das er mit rücksichtsloser Miene kühl 

Zur Schau trägt, im Begriff, sie zu verlassen, 

Und sein und der Infantin junges Blut, 

Dies alles trübt und ängstigt ihren Mut. 

An ihrer starren Tugend Überdruß 

Empfindend, schilt sie sich ob ihrer Rauheit; 

Fulda, Die gepuderte Muse l5 



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226 



A Ifonso 



Sie merkt, wie sehr es ihr gefehlt an Schlauheit 

Und daß die Strenge Grenzen haben muß. 

Sie denkt: „Er reist und wird mich bald vergessen. 

Ach, wenn geringer wäre seine Hast, 

Was dann geschähe, läßt sich kaum ermessen; 

Mein armes Herz trägt eine Zentnerlast." 

Der Tag erscheint; Alfonso, frohgestimmt, 
Besteigt mit dem Gefolg' den Reisewagen, 
Und Sandoval bedauert ein Betragen, 
Das den so heiß geliebten Mann ihr nimmt. 

Das Bräutchen wartet ; kürzen wir die Reise ! 
Auf einen Schlag, ihr Freunde, seid versetzt 
Nach ihrem Schlosse, das der Tajo netzt; 
Schaut, ob ich grundlos ihre Schönheit preise. 
Erst sechzehn Jahre zählt sie kaum ; gesteht, 
Das ist ein hübsches Alter, liebe Leute, 
Und kleidet gut sogar die Majestät. 
Für Amors Pfeil mithin willkommne Beute! 
Man stellt Alfonso der Infantin vor, 
Und ihren Ruf, er sieht ihn übertroffen. 
Weit ist sein Auge vor Bewundrung offen, 
Sein Herz vergißt, wozu man ihn erkor. 
Er sucht zu sprechen, doch umsonst; er lallt. 
Trotzdem versteht die Schöne mit Entzücken, 
Was er imstand nicht ist ihr auszudrücken. 
Denkt euch die schlankste, zierlichste Gestalt, 
Die je vou Meister Amor ward gerundet, 



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A Ij on so 



Mit Rosenlippen, recht zum Pflücken frisch, 
Ein reizend Füßchen, das verführerisch 
Manch andre, mehr geheime Schätze kündet, 
Die junge Brust, so zart, daß sie mit Küssen 
Üie Augen statt des Munds bedecken müssen, 
Tiefschwarze Haare, wallend frei und kühn, 
Zwei große dunkle Augen, deren Sprüh n 
Aus Untertanen läßt Verliebte werden, 
Der Hebe Feuer und des Frühlings Blühn 
Samt jedem Zauber lieblicher Gebärden, 
Kurz, ein Geweb von Reizen, so vollendet, 
Daß es durch aller Einklang doppelt blendet: 
Dies ist ihr Bild. Solch seltenem Verein 
Verband sie Lust an jeder Lebenszierde, 
Erschloß ihr Herz der zärtlichen Begierde 
Uud dem Gelöbnis, nicht zu spröd zu sein ; 
Ils hieß sogar, ein junger Ritter habe 
Bereits an dieser Milde sich erfreut. 

O Heinrich, Heinrich, wie doch manche Gabe 

Der Himmel ohne jede Wahl verstreut ! 

Solch süß Geschenk — was fängst du mit ihm an? 

Die pfiffige Prinzeß, die ahnungsvolle, 

Fand den Alfonso für die Heldenrolle 

Geeigneter als ihren künftigen Mann. 

Denn, im Vertrauen, die geschwätzten Zungeu, 

Durch die das schleichende Gerücht, verstärkt 

Von tausendfachem Echo, rings vermerkt 



A lf on so 



Der Fürsten sämtliche Beschäftigungen 

Und ihre Macht und ihre Wundertaten, 

Verbreiten eifrig ihre Ohnmacht auch ; 

So war zu Henriettens Ohr ein Hauch 

Des allgemeinen heiklen Klatschs geraten, 

Und Heinrich schien als Held ihr nichts zu taugen. 

Doch sein Gesandter sticht ihr in die Augen. 

Bei dieses schönen Spaniers erstem Nahn 

Glaubt sie das grade Gegenteil zu spüren, 

Und besser paßt ihr dies in ihren Plan 

Als jener Mangel, der zu nichts kann führen 

Und hinzieht ohn' Ergebnis den Roman. 

Sie hatte jene halben Worte schon, 

Die man versteht, die nur entgehn den Dummen, 

Alfonso zugeraunt mit Flüsterton, 

Und Antwort gab ihr deutlich sein Verstummen. 

Was hier an Reizen ihm entgegenfunkelt, 

Dünkt reicher ihm, je länger er drauf blickt ; 

Die Schönheit, die den Schweigenden bestrickt, 

Zeigt jeden Zug vom anderen verdunkelt. 

Er, der im Geist vor diesem Wunder kniet 

Und hingerissen alles wähnt zu sehen, 

Muß sich im selben Augenblick gestehen, 

Daß nichts er sah, wenn er sie lächeln sieht. 

Man ist bereit ; nun heißt's : auf und davon. 

Die schöne Fürstin schickt sich an zum Scheiden, 

Die Stirn geschmückt mit köstlichen Geschmeiden; 



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Al] on so 



2*9 



Es ruft Burgos ; es hält sie Lissabon. 

Burgos gewinnt; man reist. Vom ganzen Schloß 

Wird ihr voll Trauer das Geleit erwiesen ; 

«Es lebe die Infantin!" ruft ihr Troß. 

Mit Blumen wird von jungen Portugiesen, 

Von weinenden, ihr Ehrenpfad geziert; 

Sie möchten stets ihr folgen, stets ihr dienen. 

Wer ihre Seufzer hört, der denkt von ihnen, 

Daß jeglicher sein Lieb in ihr verliert. 

Alfbnso, wie betäubt, nimmt keine Kenntnis 
Von dem, was vorgeht, schaut nur sie allein, 
Kaum noch verbergend seine Liebespein; 
Zwei Herzen feiern stilles Einverständnis. 
Jedoch die Gardedamen, schnöde Drachen, 
Weibliche Sittenpolizei, bewachen 
Die beiden unterwegs. In solchen Schranken 
Bleibt nur verstohlnes Äugeln freigestellt ; 
Vor Zeugen fühlt Gott Amor sich als Kranken : 
Der Pfeil kehrt wieder, wie er abgeschnellt. 
Alfonso wird von Ungeduld verzehrt; 
Hingegen lacht und freut sich Henriette, 
Trägt Unschuldsmienen nur aus Etikette, 
Ein Spiel, das ihre Reize noch vermehrt. 

Burgos erscheint, und lautes Jubelrufen 
Hebt allenthalb sich zu des Himmels Blau; 
Ein glücklich Volk deckt Straßen, Häuserstufen; 
Castiliens Pracht und Reichtum steht zur Schau. 



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?.3o 



A If onso 



Die Königsbraut gelangt zum Schloß zuletzt, 

Neugierigem Begaffen ausgesetzt. 

Der ganze Festschmuck, den man aufgeschichtet, 

Die Diamanten und der Blumenflor 

Sind nichts; der Blick ist nur auf sie gerichtet. 

Ihr treu zu sein schwört ihr das Volk im Chor, 

Ein Schwur, von Liebe stammend und sie weckend ; 

Der König naht mit wenig Selbstvertraun, 

Vor ihrem Reiz errötend und erschreckend. 

Doch wie beschriebe man des Hofes Fraun, 

Ihr Nasenrümpfen, ihr geheimes Graun, 

Die Henriettens Anmut höher preisen 

Als alles Lob und alle Jubel weisen? 

Zu große Schönheit, zu vollkomniue Gaben, 

Die Kunst, mit ihnen alle Welt zu laben, 

Sic sind ein Fehl, den junge Weiblichkeit 

Selbst einer Königin nur schwer verzeiht. 

Für Sandoval o welch ein Unglückstag ! 

Sie war erschienen, ihren Hochmut zähmend, 

Und er, der einer anderen erlag, 

Kam heim, durch Nichtbeachtung sie beschämend. 

„Ach," ruft sie, „dumme Tugend, laß dir fluchen! 

Er lag vergötternd mir zu Füßen, schmolz 

Vor mir dahin, und mein verwünschter Stolz 

Ließ meine Nebenbuhlerin ihn suchen." 

Am Abend wird ein Festgepräng entfacht. 
Den Gästen loht ein Feuerwerk entgegen ; 



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Alfonso 



23 i 



Mit neuen reichen Sternen schmückt's die Nacht, 

Läßt Flammen schlängelnd, hüpfend sich bewegen, 

Steigt auf als Streif und fällt herab als Regen. 

Dann folgt ein Mahl. Die junge Herrin spendet 

Dem König unter goldnem Baldachin 

Den ältsten Nektar und umschmeichelt ihn. 

Ach, alle Müh' und Sorgfalt ist verschwendet ! 

Man bringt ihr von Juwelen einen Schwall 

In Alabaster- und in Porphyrschalen, 

Und sie verteilt sie an die Damen all. 

Ihr holdes Lächeln wirkt wie Sonnenstrahlen. 

Der König freut sich, und das steht ihm gut; 

Er bietet ihr durch Artigkeitsentfoltung, 

Falls mein Verdacht auf Richtigkeit beruht, 

Für seine sonst'ge Kargheit Schadloshaltung. 

Zum Schlüsse wird ein Maskenball verfügt; 

Man foppt und neckt sich in erhitztem Sprudel, 

Die Menge tobt und stürzt sich in den Strudel, 

Man ist schachmatt und hat sich sehr vergnügt. 

Des Rückzugs Stunde bricht nun endlich an, 
Zeit des Mysteriums in Amors Reichen, 
Auf die der Liebende kaum warten kann. 
Den König läßt die Furcht vor ihr erbleichen. 
Der jungen Fürstin gibt man das Geleit ; 
Man schaut sich an mit heimlichem Gekicher 
Und tuschelt: w Armer Heinrich, allzu sicher 
Ist deine Schmach ; das Opfer ist bereit, 



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23?. 



Alf on so 



Und sich verschönend macht's dein Elend schlimmer. M 
Noch manches raunt man grinsend sich ins Ohr. 
Der König schützt ein heftig Kopfweh vor, 
Verkrümelt sich und flüchtet in sein Zimmer. 

Auf einen kostbar ausstaffierten Pfühl, 

Den goldne Fransen überreich verzieren, 

Fällt der Infantin Blick mit Wehgefühl. 

Sie sieht sich abgeschnitten von den Ihren, 

Sie denkt in ihrer Einsamkeit zurück 

An Lissabon, wo, zärtlich sie zu hegen, 

Sich einten Frohsinn, Scherz und Jugendglück. 

Was ist ihr dieser goldne Pomp dagegen, 

Was dieses Himmelbett, so prunk beschwert? 

Des Brautbetts wahrer Schmuck ist Liebessehnen, 

Und nur ein glücklich Paar verleiht ihm Wert. 

Ihr einsam Lager netzen ihre Tränen ; 

Sie ruft: „Hab' ich kein Recht, mich aufzulehnen, 

Wenn man mir Lieb' und Gegenliebe stiehlt? 

Ich muß, statt daß ich meine Sehnsucht stille, 

Allein hier schlafen, während mir der Wille 

Des Himmels klar das Gegenteil befiehlt! 

Wenn dies hier dauert, und das furcht' ich fast, 

Wird mich der Papst für unfruchtbar erklären. 

Vor Ärger stürb' ich unter dieser Last ; 

Ich weiß, ich könnte mich gar wohl bewähren, 

Und mag auf keinen Fall den Papst bemühn. 

Was aber kann mir in Burgos noch blühn? 



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Alfonso 



233 



Dies wüßt' ich . . . Ehrgeiz nur hat mich verwirrt! 
O du, den meine Sinne sich erlasen, 
Alfonso, weh, warum nicht bist du Hirt, 
Nicht Hirtin ich, nicht dieses Bett ein Rasen ? 

Derweil sich Henriette so verzehrte, 

Empfand Alfonso nicht geringre Pein ; 

Er dacht' an die geheim so heiß Verehrte, 

Mit der er noch durch Blicke nur verkehrte. 

Wer könnte seiner Liebe Dolmetsch sein? 

Wer rät ihm, wie er Heinrich täuschen kann? 

Ein König ist kein Dutzend-Ehemann. 

Alfonso sieht den ganzen Reiz der Süßen, 

Die leider nun verlassen schmachten muß, 

Vergehen, lechzen und in Tränen büßen; 

Schuf Amor solche Frucht nicht zum Genuß? 

„Allmächt'ger Gott," ruft er in Herzensnöten, 

„Soll niemals, niemals eines Liebsten Kuß 

Die Lilien ihres schönen Busens röten, 

Nie halb erschließen ihren Zaubermund, 

Kein Kühner streicheln all dies holde Rund, 

Um selber sich durch solchen Rausch zu töten? 

Nein, nein, ich schwöre ..." Doch sein Schwur erstickt, 

Da Heinrich eilends nach dem Günstling schickt. 

Vertraute sind die Zwei von Kindheit an. 

Der König, der, umringt von Sklavenseelen, 

Kein besser Ziel des Zutrauns weiß zu wählen, 

Liebt ihn, soweit ein König lieben kann. 



I 



2.34 Alfonso 

Alfonso fliegt ins Throngemach, und dann 

Hält ihm, so wird berichtet, ohne jede 

Verblümung Heinrich etwa diese Rede: 

„Ich herrsche, Freund, und mich bestaunt die Welt ; 

Mir front mein Volk, ich bin mit Gold beladen; 

Krieg oder Friede wird, wie mir's gefällt, 

Macht hab' ich, um zu nützen und zu schaden, 

Gesetze geb' ich, rieht' und strafe blind, 

Bin deren Schicksal, die vor mir scharwenzen, 

Kurz, alles kann ich, alles ohne Grenzen; 

Bloß meiner Frau kann schaffen ich kein Kind ! 

Und doch, der Staat erfordert einen Erben ; 

Das ist des Volkes Wunsch, ist sein Gebot. 

Mich opfern muß ich, weil sonst Unheil droht, 

Durch kluge Staatskunst neuen Ruhm erwerben. 

Auch möcht' ich gerne gründlich abgetan 

Das Zwinkern wissen und das Spötterlächeln, 

Womit mich meines Hofes Damen hecheln, 

Und Beistand tut mir not für diesen Plan. 

Drum fühl' ich just zu dir mich hingetrieben, 

Dein groß Talent ist mir ja längst bewußt 

Und steigt, von mir beschützt, an Wert. Du mußt, 

Mußt noch heut* Abend . . . meine Gattin lieben. 

Ja, dien dem Staat, verschaff mir einen Sohn, 

Zwei, wenn du kannst . . . Nur Kopfweh sei dir ferne ; 

Beweise deinen Eifer fur den Thron, 

Genau als hättest selber du sie gerne. 

Doch, Freund, sei stumm in ihrem Arm ; ein Ton, 



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Alfonso 



235 



Ein Wort, das merk dir, wäre dein Verhängnis 

Und brächt' uns zwei gemeinsam in Bedrängnis. 

Von dir hängt ab Castiliens Geschick, 

Wie meins und deins. Sei Stütze meinem Herde! 

Belauert werd' ich rings mit scharfem Blick 

Und bin entehrt, wenn ich nicht Hahnrei werde." 

Alfonso traut erst seinen Ohren kaum, 

Im Zweifel, ob sich Heinrich lustig mache 

Oder ob ihn zum besten hab' ein Traum. 

„Nein," spricht der König, „ernst ist mir die Sache. 

Gehorch ; ich will dir keine Falle legen, 

Dir ist mein Herz und mein Geheimnis kund, 

Und du verrätst mich, sträubst du dich dagegen." 

So drängt, so fleht er mit beredtem Mund. 

Jung ist Alfonso, mehr noch, ist verliebt. 

Gläubig und eitel läßt er sich verleiten, 

Da man sein Ideal ihm übergibt 

Und er ans Ziel kommt ohne Schwierigkeiten. 

Er übersieht die Schlinge ; von Verstand, 

Von Überlegung will sein Glück nichts wissen, 

Er überläßt sich seinem Liebesbrand, 

Von Henriettens Schönheit hingerissen. 

Zusagend streckt er rückhaltlos die Waffen, 

Nimmt Urlaub von dem hohen Herrn und geht, 

Worauf in Eile seine Majestät 

Sich Mühe gibt, Vergnügen ihm zu schaffen. 



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Al] on so 



Wie er das angestellt, auf welche Weise 

Er zur Vollführung das Komplott gebracht, 

Ich weiß es nicht; ich weiß nur, es ist Nacht, 

Weiß nur, daß Heinrich sehr geschickt, sehr leise 

Einschmuggelt seinen Freund bei Henriette 

Und einen Platz ihm gibt in ihrem Bette. 

Die junge Königsgattin wundert dies. 

Sie hält für Heinrich ihn, bebt, weicht beklommen 

Zurück und weiß nicht, welch Entgegenkommen 

Sie ihm erweisen soll, der keins erwies. 

Ein leicht Geplänkel spart ihr weitres Schwanken. 

Der hochbeglückte Vizekönig flammt, 

Wagt sich heran, rückt schweigend in die Schranken, 

Und bald versehen Hand und Mund ihr Amt. 

Noch will sich Henriette zaghaft sträuben; 

Doch das Vergnügen macht die Unschuld kühn. 

Erstirbt Verteidigung nicht im Erglühn? 

Alfbnso hat vermocht, sie zu betäuben. 

Ihm kommt die Vorbereitungskunst zustatten, 

Das köstliche Präludium, das so fein 

Den Liebsten unterscheidend von dem Gatten 

Die Seele lockt in Amors Netz hinein 

Und überwältigt stufenweis' die Sinne. 

So weckt Alfonso bei der jungen Frau 

Die Stimmung zu des großen Werks Beginne ; 

Die Nacht rückt vor, und er ergreift genau 

Den rechten Augenblick für seine Minne. 

Als glücklicher Besieger zu dem Throne 



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Alfonso 

Gelangt er, der für Heinrich war bestimmt. 
Amor ist mit im Spiel, flicht eine Krone 
Bei jeder Staffel, die er neu erklimmt ; 
Derweil er die Trophäen zählt, verschwimmt 
Die Rechnung ihm . . . Stets größer wird die Zahl 
Und schafft für seine Lust noch kein Genügen. 
Die Fürstin haucht inzwischen hundertmal: 
„Mein König, Ihr ein Unmann? Oh, sie lügen! 
Oh ..." Jedes weitre Wort erstickt ein Kuß. 
Gott Amor lacht und will kein Silbenstechen ; 
Des Herkules Gespräch kennt keinen Schluß: 
Zwar schweigt er gänzlich, weil er schweigen muß ; 
Doch handeln wie Alfonso, das heißt sprechen. 

Die Königin erliegt so starken Waffen ; 

Der holde Gott hat ihre Kraft gebeugt : 

Ihr Busen wogt, ein wohliges Erschlaffen 

Beschwert ihr Auge, das vom Taumel zeugt. 

Um ihre feuchten Lippen spielt ein Lächeln ; 

All ihre Wirrnis spricht von ihrem Glück, 

Der Schlummer, der sie wiegt mit sanftem Fächeln, 

Läßt ihr im Herzen die Begier zurück. 

Alfonso wacht, er wacht und glüht noch immer. 

Die Nähe läßt sein Feuer sich erneun ; 

Doch bei des Morgenrotes erstem Schimmer 

Will er am Rausch der Augen sich erfreun, 

Dem Reiz, den er vergöttert, Weihrauch streun. 

Wer wahrhaft liebt, der wird gesättigt nimmer. 



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9.3$ 



Alfonso 



Welch Bildnis, wie sie mit geschloßnen Lidern 
Und durch den Schlummer aufgelösten Gliedern 
Auf einen vollen nackten Arm sich stützt ; 
Glücklicher Zufall, der dem Amor nützt! 
Alfonse preßt auf jedes Fleckchen Küsse, 
Da jedes neuen Zauber offenbart. 
Malt, junges Volk, euch seine Hochgenüsse; 
Ist alles doch ein Raub, was er gewahrt. 
Doch ins Gemach, die Zufluchtstatt der Liebe, 
Drangt sich der Tag; Alfbnso flüchtet sacht 
Und findet flüchtend, weil er gerne bliebe, 
Den schönen Tag so schön nicht wie die Nacht. 

Der Morgensonne leuchtend Angesicht 
, Scheucht bald den Schlummer auch von dieser Stätte ; 
Wie hold ist im Erwachen Henriette ! 
Ihr müdes Auge blinzelt in das Licht. 
Noch ist sie von Verzückung überflössen ; 
Von Dankbarkeit wird ihr die Seele warm, 
Und ihre Arme, sehnend aufgeschlossen, 
Sind ausgestreckt nach des Geliebten Arm, 
Den sie vermißt mit unterdrücktem Harm. 
Sie sucht umsonst vom Brautbett aufzustehn, 
Erhebt sich, sinkt zurück ; es stört die Sonne. 
Wem könnte dieser Schwäche Grund entgehn? 
All diese Schlaffheit ist noch immer Wonne. 
Edviga naht, die Freundin, die von je 
Mit ihrem Heimlichsten vertraut gewesen. 



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== 



A Ifonso 



23g 



„Komm," sagt sie, w daß mein Glück ich dir gesteh'; 
Schau, kannst du's nicht in meinen Augen lesen? 
Siehst nicht, wie man die Wahrheit hat geschändet? 
Kein größrer König als mein Heinrich lebt. 
Von so viel Glanz bin ich noch ganz geblendet; 
O, wie mich doch der Bund mit ihm erhebt 
Und mein Bewundern seiner Macht nicht endet! 
Er, der bei Tag gefallt, entzückt bei Nacht. 
Was hat seit gestern er aus mir gemacht ! 
Er überzeugt mich, kräftigt meinen Mut; 
Alfonso selbst wird neben ihm zum Schatten. 
Ja, daß ich ganz gehöre meinem Gatten, 
Verdient er, und ich glaub* an seine Glut. 
Ich dachte nach, Edviga; Leidenschaft 
Ist nur ein Taumel, der vorüberhastet, 
Von kummervoller Reue bald entrafft. 
Die Gegenwart entflieht, die Zukunft lastet; 
Nur Pflicht, geweiht von Lieb', ist dauerhaft. 
k Heinrich macht mir die Fessel zum Gewinn; 
Er wird sie mir mit Blumen stets um weben, 
Ich steh' dafür, und eine Königin 
Soll ihrem Volk ein Sittenbeispiel geben." 

Die zärtliche, beredte Henriette 

Wird unterbrochen, während sie noch spricht. 

Vom Höflingsschwarm umringt bei der Toilette, 

Flucht im geheimen sie der Etikette ; 

Dem Hofbrauch aber widerstrebt sie nicht, 



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Alfonso 



Zeigt heuchelnd ein zufriedenes Gesicht. 

Anmut und Adel wird an ihr bewundert, 

Ihr Haar, in Wogen wallend bis zum Knie, 

Und mit Aurora, Flora, ja, mit hundert 

Göttinnen vom Olymp vergleicht man sie. 

Nur von den Augen, die ein Flor umspinnt, 

Schweigt man, ihr ahnt, warum ; doch mit Erstaunen 

Ist man beflissen, sich ins Ohr zu raunen, 

Daß sie verräterisch gerändert sind. 

Bleich hält Alfbnso, stehend wie auf Kohlen, 

Sich abseits im Gefühle seiner Schuld. 

Schwer drückt ihn nieder seines Glückes Huld ; 

Es wäre rein, hätt' er es nicht gestohlen. 

Wenn er sich nähert, wird er kaum beachtet; 

Von Sehnsuchtsblicken gestern noch umfaßt, 

Sieht er sich heut' als Null von ihr betrachtet, 

Und vor verlegner Scheu, die wenig paßt 

Zu seinem Alter, scheint er ungeschlacht. 

Der Wechsel ist das Werk der einen Nacht, > 

Und welcher Nacht! „Ist er's, der mich besiegte?" 

Fragt sich die Königin. „O falsche Wahl ! 

Ist er's, dem sich mein Herz erobert schmiegte? 

Schon der Gedanke bringt mir Folterqual." 

Der König tritt herein, vom Schlaf gelabt, 
Mit klarem Aug' und rosig frischen Wangen. 
Alfbnso lacht, ihn wundert nicht dies Prangen; 
Der gute Heinrich hat's bequem gehabt. 



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Alf on s o 



Die Königin belebt sich, ihn erkennend, 
Schaut ihn verwundert immer wieder an, 
Fliegt auf ihn zu, sein Aussehn trefflich nennend, 
Und sagt im stillen sich: „Was für ein Mann!" 
Verblüffung; keiner von des Königs Leuten 
Kann diesen seltsamen Geschmack sich deuten. 
Die jungen Stutzer tuscheln im Verschwinden : 
„Genügt Herr Heinrich unsrer Königin, 
Dann hat sie milden, anspruchslosen Sinn, 
Und leichten Kaufe kann sie Geliebte finden." 

Man denke sich des Triumphators Wut. 

Im höchsten Grad fühlt sich sein Stolz verwundet 

Vom Unglimpf, den die Fürstin ihm bekundet. 

Von ihm entflammt, ist Eis für ihn ihr Blut, 

An ihm, der alles tat, wird nichts geschätzt; 

Daß er gefallt, für Heinrich dient's zum Lohne; 

Alfonso hat Alfonso mattgesetzt. 

Ihm, den sie liebte, raubt sie nun die Krone. 

Bei Tag der Märtyrer des Glücks bei Nacht, 

Hat er's zugleich erzeugt und umgebracht, 

War Biene, doch muß ernten sehn die Drohne. 

Was tun? Soll er, gemartert von Begier, 

Zum Schein fortan sich geiziger gebärden, 

Sein lodernd Feuer dämpfen, soll in ihr 

Haß wecken, um von ihr geliebt zu werden? 

Sein Unglück mehren zwanzig weitre Nächte. 
„Was?" ruft er, „als vermeintlicher Gemahl 

Fulda, Die gepuderte Muse '6 



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242 Alfonso 

Plag' ich Hansnarr mich ab, damit der echte 

Sich rosig färbt an meiner Siege Zahl ! w 

Kaum noch bezähmt er seines Zorns Entbrennen : 

Er kämpft noch ; Grimm jedoch beherrscht ihn ganz. 

Die nächste Nacht gibt er sich zu erkennen, 

Nimmt dem Gemahl des Buhlen Lorbeerkranz 

Und will die Glut genießen, die er weckt. 

Von dieser Kühnheit bis zum Tod erschreckt, 

Will Henriette schrein und nennt's Verrat, 

Daß als des feigen Königs Spießgeselle 

Er schamvergessen ihr an dessen Stelle 

Mit hinterlist'gem Raub zu nahe trat. 

Alfenso läßt nicht nach, beschwört sie dringend; 

Schutzwaffen sind der Würde nicht verliehn, 

Und seiner Gründe Macht ist so bezwingend, 

Daß Frevel ihm auf Frevel wird verziehn. 

Bald ist der Königin, obwohl vom Fleiß 

Alfensos man bei Hof durchaus nichts weiß, 

Die gute Hoffnung deutlich anzusehen. 

Mehr als genug war ja dafür geschehen. 

Zum aufgeblasnen Großtun wird verleitet 

Der Liebende, der zu gefällig war; 

Sein ganzes Glück liegt vor ihm ausgebreitet, 

Sein Ubermut verbirgt ihm die Gefahr. 

Mit Siegerschritten stelzt er durch die Gassen, 

Die selbstbewußte Stirn emporgekehrt, 



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A Ifonso 



043 



Ist guter Laune, keck und ausgelassen ; 
Dies niedre Weltall ist nicht seiner wert. 

Doch naht für seinen Dünkel rasch die Buße. 
Voll Angst spül t König Heinrich bald genug 
An Henriettens Blick und kaltem Gruße, 
Daß ihr verraten wurde der Betrug. 
„Der Schurke hat geschwatzt, ja, keine Frage," 
Ruft der Monarch, «und alles liegt am Tage!" 
Er sinnt auf Rache. Den Alfbnso zeiht 
Man der Verfasserschaft verbotner Schriften. 
Dem König, dessen Groll nach Sühne schreit, 
Weil Kränkung und Beschämung ihn vergiften, 
Gelingt's, den Inquisitor anzustiften. 
In Kerkergruft sagt er dem Licht ade, 
Die Folter nimmt ihn gründlich in die Schule, 
Er wird verdammt und Henriettens Buhle 
Soll nächstens zieren ein Autodafe. 

Sobald sie von dem Greul Bericht erhalten, 
Besticht sie mittels Gold das Tribunal, 
Entzieht Alfbnso pfäftlscheii Gewalten, 
Befreit ihn, wie Gott Amor ihr befahl . . . 
Man sage noch, daß der nichts Gutes tu . 
Die junge Fürstin, deren Herz gespalten, 
Sucht Trost und liebt und lodert immerzu. 
Es lassen sie hinftkrder schönen Tagen 
Die schönen Nächte von Burgos entsagen. 



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Mi 



Alf on so 



Was aus dem Vater ward von Heinrichs Sohn, 
Ob er verbannt ward, ob er dort geblieben, 
Das Glück ihm treu war oder ihm entflohn, 
Das hat die Chronik a nicht aufgeschrieben. 
Merkt aber, was euch die Geschichte rät : 
Nie soll man seinen König, meine Lieben, 
Zum Hahnrei machen, ob er auch drum fleht. 



STANISLAS CHEVALIER DE BOUFFLERS 



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DER AUGENARZT 



ïch liebt' und ward geliebt; jedoch das holde Kind, 

Dies einst mir teuerste, heut mir verhaßte Wesen, 

War wie der Liebesgott an Schönheit auserlesen 

Und ebenso wie dieser blind. 

Sie konnte seinem Pfeil nicht lange widerstehen; 

Von Liebe brannt' ihr Herz, von Liebe sprach ihr Mund. 

Nur ihren Augen war nicht kund 

Die Kunst zu lieben und zu sehen. 

Dem Auge dankt die Liebe viel ; 

Es fuhrt — wer je geliebt, der wird es nicht bestreiten — 

Uns schon den halben Weg zum Ziel; 

Indes, ihr schönen Fraun, gesteht, zum Liebesspiel 

Gehören außerdem noch tausend Kleinigkeiten. 

Doch fühlt gar oftmals durch der Liebe Zaubergaben 

Zu enge sich das Herz umzäunt : 

Glück ist's, ein Liebchen im Besitz zu haben, 

Und Glück ist's auch, zu finden einen Freund. 

Ein Freund war mein, schön, jung, voll Güte, 

Mir gleich an Alter und Gemüte ; 

Sein Herz und meins schlug gleichen Schlag, 



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I 



Der Augenarzt 

Und was an Freud' und Leid uns blühte, 
Wir teilten's redlich Tag für Tag. 

„Freund," sprach ich einst zu ihm, „zur Gattin möcht' ich 

wählen 

Den blinden Gegenstand von meiner blinden Glut; 
Doch schwank' ich hin und her; sprich, kannst du mir's 

empfehlen?" — 

„Warum denn nicht, da sie dir gut? 

Das Herz ist alles, Freund, das Auge nichts dagegen. 

Es richtet, wenn's auch nützt, noch größern Schaden an." — 

„Ich — sei's nun aus Vernunft, sei's einer Laune wegen — 

Ich will, daß meine Frau mich deutlich sehen kann." — 

„Das ist es nicht, wonach ich suche. 

Bist du geliebt, was tut's, ob du gesehen bist? 

Ich las in einem guten Buche, 

Der zeige bei der Eh' die einzig wahre List, 

Der eine Blinde Freit und selbst der Blinde ist." 

Er gab mir einen guten Bat ; 

Weil falsche Meinungen uns aber leicht verwirren, 

Versetzt' ich ihm: „Da liegt es grad. 

Wenn einst an meiner Statt sich ihr ein andrer naht, 

So könnte meine Frau sich irren, 

Weil sie den wicht' gen Sinn entbehrt, 

Der den Galan vom Mann sie unterscheiden lehrt. 

Ich weiß, ihr Herz ist leicht zu kirren, 

Und wenn sie den Gemahl nicht kennt von Angesicht, 

Liebt sie womöglich ihn im ersten besten Wicht. 

Damit den Hörnern ich entgehe, 



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D et A ugenarzt 



Verlang' ich bei der Brautbeschau, 
Daß die von mir erkorne Frau 
Nicht nur mich liebe, sondern sehe. 
Die Augen braucht man in der Ehe. 

Man braucht das Augenlicht ; drum will ichs ihr entfachen : 

Sag, wasduwillst,mein Freund ; mich wird's nicht irre machen. 

Ja, heißgeliebtes Kind, Gott wollte gnadenvoll, 

Daß dir das I ,icht entzogen bliebe ; 

Er schloß dein schönes Aug', damit ich s öffnen soll; 

Geöffnet werden sollt' es einzig durch die Liebe. 

Dir werd' ein neuer Sinn beschert durch Zauberschlag; 

Die Nacht, die bleiern dir die Lider deckt, zerstiebe; 

Von deines Liebsten Hand erstehe dir der Tag!" 

Das Herz von Hoffnung voll, von Eifer und von Sorgen, 

Versucht' ich s schon am nächsten Morgen. 

Es schien, als lenke sanft auf ihrem Augenpaar 

Amor mit seiner Hand die meine; 

Der innre Schleier, der davor gewoben war, 

Zerreißt; zum ersten Mal vom Himmel flutet klar 

In ihr erstauntes Aug' das Licht mit warmem Scheine. 

In ihrer Seele tut sich auf ein neues Tor; 

Neu sprießt ihr eine Welt empor. 

Sie sieht mich, starrt mich an, und mit Entsetzensschrei 
Läuft sie zu meinem Freund. (( Wie? Willstdu vor mir fliehen?" 
So rief ich. „Soll mir Zauberei 

Zum Lohn für das Geschenk des Lichts dein Herz entziehen? 



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25o 



Der Augenarzt 



Bracht' ich ein Wunder nicht hervor? 
Und dies dafür die Gegengabe? 

Bin fremd ich deinem Aug', das ich erschlossen habe, 

So muß zum mindesten erkennen mich dein Ohr." 

Sie fahrt, erwidernd kaum ein Wort, 

Auf meinen Freund zu blicken fort. 

„Nein, dich verwirrt ein Mißverständnis; 

Der, den in ihm du suchst, bin ich." 

Sie drauf: „Es überfallt mit seltsamer Erkenntnis 

Gleichzeitig Sehn und Hören mich. 

Die Liebe grub, solang ich blind war, in die Seele 

Mir Züge von bestimmter Art : 

Sie weckten Glück und Glut mit mächtigem Befehle; 
Mein Herz hat sie mir treu bewahrt. 
Das Bild, das mich so süß vermochte zu betören, 
Erblick' ich nur in ihm allein, 
Und seine Stimme glaub' ich noch zu hören, 
Die mir Gewißheit gab, geliebt zu sein." 
„Ich war's mit dem du sprachst; dein Schwur, dein Ruß 

galt mir!" — 

„Verzeih, Verwechslung ist bei Blinden kein Verbrechen; 

So oft ich mit dir sprach, glaubt' ich mit ihm zu sprechen. 

Wie sehr ich ihn geliebt, erfahr' ich nun von dir." — 

„Bist du nicht aber meine Braut?" — 

„Braut bin ich, ja gewiß; jedoch als ich fürs Leben 

Dir bräutlich meine Hand gegeben, 

Hab' ich mit innern Augen ihn geschaut. 

Nun bleibt nichts übrig mir, als zwischen euch zu wählen : 



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D er A u gen arzt 25 I 



Nur einmal kann ich mich vermählen ; 

Drum ist fur ihn mein Herz und meine Hand bereit. 

Doch du, der meinen Blick vom Dunkel hat befreit, 

Als unser Beider Freund darfist du beim Fest nicht fehlen. 

Ihn hatt' ich lieb in dir; wohlan, 

Ich nehme dich in ihm zum Mann." — 

Aus meiner Stirn hervor fühl' ich die Hörner brechen 

Bei diesem Wort. Reißaus nehm' ich, so schnell ich kann, 

Und wünsche jedem Weib die Augen auszustechen. 

Was einen Augenarzt betroffen, 
Merkt's euch, damit ihr dem entrinnt; 
Ihr Leser laßt, ich rat s euch offen, 
Die blinden Augen, wie sie sind. 




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PIERRE AMBROISE FRANÇOIS 
CHODERLOS DE LAGLOS 



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DIE GUTE WAHL 



Die Eitelkeit der schönen Geister haß' icli ; 

's ist ein verdienstlich Werk, wenn man sie duckt, 

Bis Demut ihnen aus den Augen guckt, 

Und dies Geschichtchen drum für sie verfass' ich. 

Was frommt's, wenn sie talentvoll sind geboren? 

Bringt's ihnen Ruhm, Gewinn, Vergnügen? Nein. 

Weshalb so viel drauf bilden sie sich ein ? 

Wie manchen sah ich schon verdrängt von Toren! 

Sei's in der Hauptstadt, sei's am Hof, im Heere, 

Den Geistigen pflegt man nicht hold zu sein ; 

Die Dummen haben alles, auch die Ehre. 

Das Wie und das Warum laßt mich verschweigen; 

Denn dies ist nicht mein Fach ; ich will nur zeigen, 

Daß in der Liebe wie auf andrem Feld 

Die schönen Geister oft ihr Ziel verfehlen, 

Derweil ein Eselskopf den Preis erhält. 

Mich wundert's nicht, auch will ich drum nicht schmälen ; 

Denn fiir der Liebe rätselhafte Flammen 

Wog stets das Wort geringer als die Tat. 

Zwei junge Leute hausten einst zusammen, 
Von denen jeder Freund und Kamerad 
Des andern war. Der eine hieß Pamphil, 
Durch seinen Geist bekannt in weiten Schichten, 



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256 



Die gute Wahl 



Verfasser von Novellen und Gedichten, 

Und jede Zeitung lobte seinen Stil. 

Der andre ließ nicht gleiche Gaben schauen ; 

Ein Leichtfuß, nur begabt zum Müßiggang, 

Trank er und aß gar viel und schlief gar lang, 

Um für den Rest des Tages zu verdauen, 

So daß, weil er nichts Nennenswertes trieb, 

Sein Name nicht für uns erhalten blieb. 

Was liegt auch dran? Um solche Bagatelle 

Bin ich, das dürft ihr glauben, nicht besorgt; 

Ein Name tritt an eines andern Stelle, 

Und manch Geschlecht — ich kenne solche Fälle — 

Lebt fort, weil 's einen Namen sich geborgt. 

Nur daß mein Held nicht uubetitelt bleibe, 

So nenn' ich selbst ihn Gleon kurzerhand. 

Zwar nobler würde wirken mein Geschreibe, 

Würd' er Marquis drin oder Graf genannt; 

Denn im Vertraun, die stolzesten von denen 

Sind oft genau wie er des Ruhmes bar. 

Genug davon. Bloß nötig, zu erwähnen, 

Daß Gleon mit Pamphil befreundet war, 

Zwei gutgewachsne Jungen, hoffnungsreich, 

Lebendig und einander sehr gewogen. 

Ins Haus, in dem sie wohnten, war zugleich 

Die hübsche Isidore jüngst gezogen : 

Anziehend, flott, brünett, von muntrem Wesen, 

Zwei Augen, drin der Trieb zum Schelmenstreich 

Wie das Vertraun auf Duldsamkeit zu lesen. 



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Die gute Wa b l 



Mehr braucht es nicht, um Jugend zu verführen. 
Die Freunde finden schon nach kurzer Zeit 
Bei ihrer Hausgenossin offne Türen. 
Im Anfang ist es bloße Höflichkeit; 
Doch die Begier mit ihren sanften Qualen 
Macht aus den beiden Freunden bald Rivalen. 
Jedoch, so fragt mich wohl ein strenger Richter, 
Wie können denn Rivalen Freunde sein? 
Ei, klarer als die Sonne leuchtet's ein: 
Pamphil sah hochmutsvoll als großer Dichter 
Herab auf seines Nebenbuhlers Wahn 
Und dacht', es könne seine Siegesbahn 
Von solcher Konkurrenz nicht Schaden leiden. 
Cleon, der herzensgut war und bescheiden, 
Sah mit Verehrung auf zu schönen Geistern, 
Und Ehrfurcht nimmt dein Zorne das Gewicht: 
So wußten alle zwei sich zu bemeistern; 
Rivalen waren sie, doch Feinde nicht. 
Bevorzugt ist zunächst Pamphil ; er spricht 
So wunderbar beredt, so süß berauschend, 
Daß er das Herz der Schönen durch ihr Ohr 
Bezaubert, und sie kommt? gelehrig lauschend, 
Sich im geheimen allzu strenge vor. 
Der Anfang war ein überschwänglich Lob, 
Von Augensprache wirkungsvoll begleitet, 
Worauf in seinen Reden zartbesaitet 
Der Liebe Glück er in den Himmel hob ; 
Dann ward er schwül und ließ den Feuerstrahl 

Fulda, Die gepudrrle Mu*e 17 



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2 58 



Die gute Wahl 



r 



Der höchsten Wonne sinnbetörend rasen. 
Was aber sprach inzwischen sein Rival? 
Nichts oder ein paar ungeschickte Phrasen. 
So flössen unaufhaltsam hin die Tage 
Für Isidore, Cleon und Pamphil, 
Bis Amor oder auch ein Zufallsspiel 
Für alle drei veränderte die Lage. 
Es war im Sommer und zudem am Abend ; 
Die Schöne saß nach Sonneugluteupein 
Still träumend und sich an der Kühle labend 
In ihrem lauschigen Gemach allein. 
Ihr leicht Gewand und ihre schlaffe Haltung 
Half kunstlos ihren Reizen zur Entfaltung, 
Wie Venus stets am stärksten hat entzückt, 
Wenn sie erschien auf Erden ungeschmückt. 
Die beiden Freunde nahn, vom gleichen Ziel 
Herbeigezogen, als willkommue Gäste, 
Und Hahn im Korb ist wiederum Pamphil, 
Der zwar das meiste spricht, doch auch das Beste. 
Amor verleiht erhöhte Zauberiiiacht 
All seinen Worten, und mit ganzem Ohre 
Zuhörend fühlt die holde Isidore 
Von einer neuen Flamme sich entfacht, 
Die wachsend ihr durchlodert alle Glieder. 
Nur allzu deutlich spiegelt ihr Bemühn, 
Sie zu verbergen, ihre Schwäche wieder; 
Der schönen Augen halbgeschloßne Lider 
Vermehren ihres Reizes lockend Blühu. 



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Die gute Wahl 



Sie schweigt, nur einen heißen Seufzer hauchend 

Aus offnen Lippen; ihre Wangen glühn, 

Ihr Lilienweiß in Morgenröte tauchend. 

Gewaltsam hebt und senkt sich ihre Brust; 

Von des beseligten Erliegens Stunde 

Gibt ihr vollkommnes Aufgelöstsein Kunde : 

Albano malte so die Sinnenlust. 

w O, wie berückend ist des Geistes Kraft," 

So spricht sie; „steht mit Göttern Ihr im Bunde, 

Daß Eure Stimme solche Wonnen schafft? 

O, zweifellos verrät ein solch Talent 

Sich auch in Eurer Werke Form und Wesen! 

Ich will sie sehn. Ihr werdet sie mir lesen, 

Sie lesend mir verschönern." Man erkennt, 

Die Schöne bot mit diesen Wortgewi nden 

Dem liebenden Pamphil Gelegenheit, 

V T on Cleons läst ger Gegenwart befreit, 

Allein mit ihr zusammen sich zu finden. 

Doch durch ihr Lob verführt zum eitlen Prunken 

Und mehr vom Ruhm als von der Liebe trunken, 

„Ja," rief er, „meine Verse sollt Ihr sehn, 

In dieser Stunde noch!" Und eilt von hinnen. 

Sein Nebenbuhler läßt ihn ruhig gehn 

Und sucht für sich dabei was zu gewinnen. 

Er nähert Isidoren sich verschwiegen, 

Die reizgeschmückt und wehrlos vor ihm ruht; 

In diesem Augenblick sie zu besiegen 

Scheint Kühnheit besser ihm als Redeflut. 

'7* 



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•».(io Die gute Wahl 

Sie schreit und zeigt sich überaus empört; 

Er aber, ohne daß ihr Zorn ihn stört, 

Und nach wie vor nichts redend, kämpft als Held 

So tapfer, daß trotz ihrem Widerstreben 

Ihr Fier/ am Ende sich ihm muß ergeben 

Und er darin als Sieger Einzug hält. 

Kein Wunder, daß bei diesem Siegeszug 

Gar leicht und schnell vergessen alle beide 

Den Freund Pamphil; doch der, zu seinem Leide, 

Tritt plötzlich wieder ein — und sieht genug. 

Ihr denkt nun, Isidore sei verwirrt? 

Behüte, sie benimmt sich ungezwungen, 

Nicht einmal suchend nach Entschuldigungen. 

Pamphil allein ist s, dem der Schädel schwirrt, 

Und alles wissend, weiß er nichts zu sagen. 

Jedoch die Schöne lächelt ohne Zagen 

Und spricht: „Mein Freund, gesteht mir im Vertrauen, 

Daß mehr Ihr Eure Werke liebt als mich; 

Mein Wort, ich werde mich daran erbauen, 

Ja, finde schon vorher sie meisterlich. 

Wißt aber, eine Frau, die sich ergibt, 

Herrscht gern allein in des Geliebten Herzen. 

Ich bin in Eurer Hand; drum könnt Ihr scherzen 

Auf meine Rosten, wenns Euch so beliebt. 

Doch ob in Versen Ihr, ob im Kornau 

Mich hechelt, glaubt, ich werde furchtlos bleiben; 

Denn unter uns, was Ihr vermögt zu schreiben, 

Wiegt nimmer auf, was Euer Freund getan." 



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DER MÜLLER UND DER BISCHOF* 



Zur Zeit, da noch der Wert des Wissens unbekannt, 

Ward ein Prälat, der offenbar 

Der Günstling einer sehr verehrten Dame war, 

In Frankreich ziemlich viel genannt. 

Mit schwülstiger Beredsamkeit 

War ihn zu rühmen sie beflissen 

Und pries besonders weit und breit 

Ihn als ein Phaenomen an Wissen. 

Das war er in der Tat; er wußte gut Bescheid 

In dem lateinischen Brevier. 

Las oftmals er darin ? Las er darin nur spärlich ? 

Ich weiß es nicht, ich sag' es ehrlich, 

Und nicht erheblich scheint es mir. 

Der König, der in jenen Tagen 

Regierte (wie er hieß, ward mir nicht kund), . 

Kam in die Gegend einst zum Jagen, 

Wo der Prälat in solchem Ansehn stund, 

Und drauf begierig, daß er selber sehe, 

* Vgl. Bürgers um etwa ein Jahrzehnt jüngeres Gedicht: „Der Kaiser und der 
Abt.» 



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264 Der Müller und der Bischof 

Wie weit die Wissenschaft des guten Bischöfe gehe, 

Schrieb er ihm dies: „Prälat, Ihr sollt vor meinem Thron, 

So lautet mein Befehl, erscheinen in vier Tagen, 

Um zu erteilen in Person 

Antwort auf folgende drei Fragen : 

Zum ersten nennet mir den Mittelpunkt der Welt, 

Dann, was ich wert bin, und zum dritten, 

Was ich mir denke." Unbestritten, 

Daß wie der Ochs, den vor den Berg man stellt, 

Sein Wissen hier versagt. Ihn schreckt die Grille 

Des Königs und verwirrt sein Hirn. 

Ks riebe sich vor solcher Pille 

Wohl auch ein Klügerer, so dünkt mich, bang die Stirn. 

Was hilft es ihm, daß er sich kratzt am Ohr? 

Wie soll er Antwort finden, und so schnelle? 

Dies Dunkel, wie verwandelt man s in Helle? 

„Ich werde", sagt er sich, „dastehn als blöder Tor!" 

Auf seinem Landgut ging, den bösen Brief in Händen, 

Er mit gar tief bedrücktem Sinn 

An eines Berges Fuß dahin, 

Indem er sich den Kopf nach allen Enden 

Umsonst zerbrach ; da trat dem frommen Herrn 

Sein Müller in den Weg. Der Bischof hatte gern, 

Leutselig, wie er war, des muntren Müllers Wesen, 

Der stets mit Freimut sprach und ohne Federlesen. 

„Hoch würden," sagte der, „man sieht's Euch an von fern, 



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Der Müller und der Bischof 



Euch liegt ein schwerer Kummer im Gemüte. 

Sagt an, was ist sein Gegenstand? 

War Eure Suppe heut beim Frühstück angebrannt? 

Erfror im Weinberg Euch wohl gar die Rebenblüte? 

Ah, dies Papier in Eurer Hand 

Enthält, so schwant mir, was Euch kränkt." 

Der Bischof drauf: „So ist's; der König läßt mir künden, 

Ich soll den Mittelpunkt der Welt ergründen, 

Dann, was er wert ist, und zum dritten, was er denkt. 

Und, guter Mathurin, schon in vier Tagen 

Soll ich ihm dieser Rätsel Lösung sagen." — 

„Deswegen Eure Kümmernis? 

Da sieht man, wie ein Nichts oft kann belasten 

Ein groß Genie. Enthält doch ganz gewiß, 

Hochwürden, Euer Kopf mehr Geist in seinem Kasten, 

Als meine Mühle Wasser hat. 

Ihr lest mit bloßem Aug' auf pergamentnen Blättern 
Latein, Ihr könnt Geschriebnes grad so glatt 
Entziffern wie die kleingedruckten Lettern 
Und laßt von solchem Quark Euch niederschmettern! 
Was denn beängstigt Euch? Ein bloßes Stück Papier? 
Drei Fragen, weiter nichts! Drum, Herr, vertraut nur mir: 
Ich helf Euch da heraus mit meinem bißchen Grütze. 
Hört, Ihr, der Bischof, sollt für heut der Müller sein, 
Und ich, der Müller, schlüpf ins Bischofskleid hinein ; 
Ja, gebt nur acht, man ist zu manchem nütze. 
Der König hat, soviel ich weiß, Euch nie gesehn. 
Ich werde gradeswegs mich zu ihm hinbegeben, 



266 



D er M üller und der Bischof 



Und mag er, mit Verlaub, mir hundert Schlingen weben, 
Ich will gehörnt sein, werd' ich ihm nicht Rede stehn." 

Zustimmung wurde diesem Rate ; 

Noch selben Tages, unverweilt, 

Streut sich der Müller Mehl ins Haar und eilt 

Hin zu des Königs Hof im geistlichen Ornate. 

„Sire," spricht er, „Antwort sei von mir erteilt 

Auf das, was Eure Majestät voll Gnaden 

In diesem Briefe mich gefragt." 

Der König drauf: „Wohlan, die Prüfung kann nicht schaden, 

Ob ausnahmsweis' der Ruhm die Wahrheit sagt. 

Gebt, hochgelehrter Mann, drum Antwort mir geschwinde, 

Wo sich der Mittelpunkt der Welt befinde." 

Mit großem Zirkel zog der Müller einen Kreis 

Hierauf um sich herum und rechnete ganz leis: 

„Der Mittelpunkt, mein Fürst, ist hier. Indessen 

Falls Ihr noch etwa wünscht genaueren Beweis, 

Beliebt nur selber nachzumessen. 

Die zweite Nuß ist äußerst hart. 

Ihr fragt nach Eurem Wert, und ich erwog ihn fleißig: 

Für neunundzwanzig Silberlinge ward 

Einst Jesus Christ verkauft. . .Ich schätz' Euch denn aufdreißig. 

Dawider dürft Ihr keine Klag' erheben : 

Ehrfurcht schuld' ich dem Thron; jedoch auf Ehr', 

Wenn so viel Münzen man für einen Gott gegeben, 



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Der M aller und der Bischof 



267 



Dann ist ein König gut bezahlt mit einer mehr." — 

„Rechtschön " , entgegnet ihm derKönig ; „ doch was denk ' ich ? 

Mir scheint, mit dieser dritten Frage senk' ich 

Euch in Verlegenheit." — „O nein, sie lichtet 

Sich gleichfalls leicht", versetzt der Müller folgerecht; 

„Ihr denkt, daß Euer Wort Ihr an den Bischof richtet, 

Derweil ihr seinen Müller sprecht." 

Der König war ergötzt ; nachdem er laut belacht 

Des Müllers Streich und seine Reden, 

Sprach er zu ihm: „Du hast mir großen Spaß gemacht; 

Nenn' einen Wunsch mir! Ich erfülle jeden." 

Der Müller drauf: „O Herr, so fordr' ich denn als Lohn 

(Ihr braucht nicht seinethalb zu schröpfen Eure Staaten), 

Daß von der Kriegslist nie verlauten soll ein Ton 

Und daß die Ehre fällt auf den Prälaten." 

Der Fürst versprach's und hielt sein Wort; er schwieg. 

Verkündet ward, daß sich bei Lösung der drei Fragen 

Der Bischof hab' erprobt als beispiellos beschlagen, 

W T odurch sein Wissensruhm noch höher stieg. 

So ward durch seines Müllers Geist 

Des Bischofs Ruf bewahrt vor einem Krache, 

Und wegen dieser Mär verlacht ihn wohl zumeist, 

Wer gerne glänzt im gleichen Fache. 

Darf drum ihn des Betrugs man zeihen? 

W r eshalb denn soll's in einer Schwierigkeit 



2 68 



Der M ü II er und der Bischof 



Verboten sein, Genie und Geist sich auszuleihen, 

Genau so wie man Geld sich leiht? 

Dies ist ein sichres und bequemes Mittel, 

Beliebt und angewandt in jeder Zeit. 

Gar viele, die noch nie geschwitzt im Arbeitskittel, 

Sind hochberühmte Zeitgenossen! 

Und würde stracks auf höheren Befiehl 

Die Bank, die solche Anleih n gibt, geschlossen, 

Wie mancher Schöngeist stund' vor uns dann als Kamel! 




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DER ONKEL UND DER NEFFE 



Ein junger Liebeskaudidat, 

Der erstmals war gequält von sehnendem Verlangen 

(Durch diesen Zustand sind wir all' einmal gegangen), 

Fand seine nächtliche Vereinzlung jammerschad 

Und achtete das Zölibat 

F'ür aller Stände schlimmsten Stand. 

Besonders einst, an einem schönen Tage, 

Geriet der Taugenichts aus Rand und Band 

Und rief: „Ich bin doch nun ein reifer Mann und frage: 

Warum hab' ich kein Weib? Warum? 

Vermähl mich, Onkel, oder — bring mich um." — 

„Mein Neffe, welch verschrobne Klage!" 

Sprach drauf in ernstem Ton der Onkel. „Ei, noch kaum 

Zeigt sich an deinem Kinn der erste Flaum, 

Und du begehrst ein Weib? Glaub, daß wir Männer bald 

Ein solches Spielzeug satt bekommen. 

Schau mich : fast sechzig Jahre bin ich alt 

Und habe nie ein Weib genommen. 

Folg meinem Beispiel." Wißt nun, daß im stillen 

Der Greis, der dieser Worte sich vermaß, 

Ein Liebchen in der Stadt besaß. 

Er war ein Staatsanwalt, erfüllt von Widerwillen 



270 



Der Onkel und der Neffe 



Vor Klatsch und drum so sehr auf Heimlichkeit bedacht, 
Daß seihst die Freundin kaum ihn kannte 
Und wechselnd er sie stets in zwei Quartiere bannte, 
Eins für den Tag und eines für die Nacht. 

An jedem Abend schlich auf leisen Sohlen 
Clarisse sich (so hieß die hübsche Buhlerin) 
Zum letzteren Quartiere hin, 

Zu dem sich kurz darauf der Greis begab verstohlen. 

Er sorgte sonst auch noch dafür, 

Daß nicht ihm seine Liebe ward verleidet 

Durch Zeugen. Wenn er einsam, schlicht gekleidet, 

Vom Mantel dicht verhüllt gelangt war an die Tür, 

So suchte tastend er den King, 

Der neben ihr versteckt in einer Nische hing. 

Mit diesem King verband sich eine feine Schnur, 

Die durch das Mauerwerk hindurch nach oben führte 

Auf ganz und gar verborgner Spur 

Und leis dort eine Klingel rührte 

Im Schlafgemach der Fee. Behutsam dergestalt 

Verständigt, ward sie schleunigst munter, 

Stieg ohne Licht zur Tür hinunter 

Und ließ durch einen schmalen Spalt 

Ihn ein. Dann stiegen alsobald 

Empor die beiden flüsternd und auf Zehen, 

Betraten das Gemach, noch immer ohne Licht, 

Und taten . . . oder taten nicht, 

Was zwischen Liebenden pflegt zu geschehen. 



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Der Onkel und der Neffe 



271 



Auch Therville (dieses war des Neffen Name) 
Wollt' eine Freundin einst sich wählen kurzerhand ; 
Doch ihre Gunst, so schwor die tugendstrenge Dame, 
Sei nur erreichbar durch der Ehe heilig Band. 
Von neuem liegt nun immerfort 

Der Neffe mit dem Wunsch dem Oheim in den Ohren, 

Ihn zu vermählen ; doch die Mühe bleibt verloren : 

„Folg meinem Beispiel", ist sein stetig W r ort. 

Doch da der Neffe schließlich darauf achtet, 

Daß aus dem Hause nachts der Onkel heimlich flieht. 

Und er ihn morgens wiederkehren sieht, 

Schließt er daraus, daß er wo anders übernachtet. 

Er folgt nunmehr ihm wie sein Schatten, 

Und seiner Kriegslist kommt zu statten 

Mit hilfsbereitem Strahl der Mond. 

Er sieht, wie sich in gradem Gleise 

Zum Haus der Onkel schleicht, wo seine Liebste wohnt, 

Am Ring dort zieht, und wie die Tür dann leise 

Sich öffnet und sich schließt auf gleiche Weise. 

Am nächsten Tage schweigt der junge Geck 

Beim Wiedersehn mit unbefangner Miene 

Von seiner nächtlichen Entdeckung, zu dem Zweck, 

Daß er sich ihrer selbst bediene. 

Gelegenheit kommt ihm entgegen, 

Sodaß er drauf nicht lang zu warten hat. 

Am Abend dieses Tags fühlt sich der Onkel matt 

Von einem Unwohlsein und will sich schlafen legen. 

Dem Neffen scheint somit, er köim' es ruhig wagen, 



A 7 2 



Der Onkel und der Neffe 



Dem Hing zu nalin. Er wagt's, indem er dicht 
Sein Antlitz unterm hohen Kragen 

Des Rocks verbirgt, und auch der Mond hat sein Gesicht 
In Wolkentücher eingeschlagen. 

Er kommt zur Haustür, sucht zunächst vergeblich dort 

Die Schnur, die läuten läßt im obern Stock die Klingel ; 

Doch fingernd spürt zuletzt der Schlingel 

Den Hing; er zieht ihn an, und heimlich naht sofort 

Ciarisse. Lautlos öffnet sich nach innen 

Die Tür, und ohne lang sich zu besinnen, 

Folgt er der Fee mit leisen Schritten. 

Sie leitet ihn und spricht im Flüsterton : 

„Nur sachte, lieber Freund; recht sachte, laß dich bitten! 

Nicht alle Nachbarn schlafen schon." 

Er handelte sehr tollkühn offenbar; 

Befürchten mußt' er ja, sie werd' ihn gleich erkennen. 

Wie könnt' er wissen denn, daß es hier üblich war, 

Bei keinem Stelldichein jemals ein Licht zu brennen? 

Ö, Jugend achtet nicht Gefahr! 

Mehr glücklich war er diesen Tag als klug; 

Sein Wunsch traf keine Hindernisse. 

Er tappt nach oben und ist bald genug 

In dem Gemach und in den Armen von Ciarisse. 

Ihr Leser, jede Wette geh' ich ein, 
Ihr habt schon ungefähr begriffen, 
Wer wohl die lockere Sirene mochte sein, 
Die so bewandert war in Liebeskniffen. 

V 

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Der Onkel und der Neffe 



273 



Es war die Spröde, die mit kaltem Nein 

Streng abgewiesen hatte Therville's Frage, 

Vermählung forderte bei Tage, 

Hingegen drauf verzichtete bei Nacht. 

Amor, das hast du gut gemacht! 

Dem Therville schwant nicht, daß jetzt eben 

Sein Herzblatt ruht an seiner Brust 

Und er zugleich bestraft ihr Widerstreben : 

Für Liebende welch süße Lust, 

Sich so für Grausamkeit zu rächen ! 

Obwohl sein Blick verfinstert war 

Und er vermied, ein Wort zu sprechen, 

So sprach er wortlos doppelt klar. 

Anfängerschaft ist in der Liebe kein Gebrechen. 

Ihr könnt euch denken, Wohlgeneigte, 

Ciarissens Fassungslosigkeit, 

Als heut ihr Freund sich so verwandelt zeigte ! 

Nur tat es ihr nicht grade leid. 

Sie rief berauscht: „Ach Gott, wie bist du jung!" 

Dies log sie nicht. Es wuchs mit jedem Augenblicke 

Ihr Staunen ; halb so groß war die Verwunderung 

Aurorens, als in ihrem Arm 

Sie Tithon fand, verjüngt vom gnädigen Geschicke. 

Doch bald gab's ärgeren Alarm ! 

Derweil sie hier genoß, vom Dunkel eingesogen, 

Vor Wonnen und Verblüfftheit stumm, 

Ward abermals die Schnur gezogen 

Und läutete die Klingel wiederum. 

Fulda, Die gepuderte Muse 18 



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274 Onkel und der Neffe 

Sie dachte, daß der Schlag sie treffe. 

Weit weniger betroffen sprach der Neffe 

Kaltlächelnd : „Sorgen Sie, mein Fräulein, rasch dafür, 

Daß nicht muß warten vor der Tür 

Mein Onkel." Übergehn wir das Gespräch der zwei; 

Auch wurde flugs die Unterhaltung 

Durch neues Klingelzieh n gestört in der Entfaltung. 

In eine Kammer nebenbei, 

Die leer war und an Kaum gering, 

Ward Therville eingesperrt, um dort die Nacht zu sitzen. 

Sie bat ihn, still zu sein, und ging 

Von neuem auf den Zehenspitzen 

Zur Tür hinunter. Sich von jedem Argwohnsgrunde 

Zu reinigen ward ihr nicht schwer; 

War zum Betrug geeignet wohl die Stunde, 

In die tagtäglich fiel des Alten Wiederkehr? 

Nichts unwahrscheinlicher als dieses. Kein Verdacht 

Hieß ihn die Liebesglut bezähmen. 

So stieg er hinter ihr hinauf die Treppe sacht, 

Um sein gewohntes Plätzchen einzunehmen. 

Sie fragt beim Eintritt ins Gemach : 

„Freund, hast du hier am Ort Familie?" — 

„Ich? Ei, weswegen, meine Lilie, 

Die Frage?" Sie erwidert: „Ach, 

Aus Anteilnahme." — „Nun, mein Engel, 

Mir lebt ein Neffe hier." — „Ist er schon groß?" — „O ja ! 

Sehr groß. Es kostet mich der Bengel 

Viel Geld . . . soviel wie du beinah." — 



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Der Onkel und der Neffe 



275 



„Und war es nötig denn, daß man mir dies verhehle?" — 
„O nein." — „Der Neffe muß bestimmt, so dünkt es mich, 
Ein Schwerenöter sein", sagt sie; „denn sicherlich 
Schlägt er dir nach; nicht wahr?" — „Ja, meiner Seele. 
O süße Maus, dein Wort allein 
Versetzt mein Herz schon in Geflacker; 
Ich brenn', ich lodere ! So komm doch ; komm, du Racker!" 
Er legt mit ihr geschwind sich schlafen und . . . schläft ein. 
Sein Schlummer dauert bis zum Morgen. 
Erweckt vom jungen Tag zieht er sich eilends au 
Und will grad heimgehn ängstiglich verborgen, 
Da fügt's der Satan, daß den jungen Mann, 
Der sich erkältet hat bei Nacht, 
Ein Husten überfällt. Der Onkel, scheu gemacht, 
Fragt: „Fräulein, was ist dies?" — „Ich habe nichts ver- 
nommen". — 
„Von dort ist das Geräusch gekommen." — 
„Die Ohren haben dir gerauscht." 
Ciarisse zittert, Therville lauscht. 

„Laß schauen", sagt der Greis; „ich möchte wetten fast, 

Es ist wer drin", und nähert sich der Pforte . . . 

Da plötzlich ruft der ungeratue Gast: 

„Ich bin s, mein Onkel", und erscheint am Orte. 

O, welcher Auftritt! Um die Sterblichen zu äffen, 

Hegt Amor Tücken ohne Zahl ! 

Therville erkennt sogleich die Dame seiner Wahl, 

Sie ihren Freiersmann, der Onkel seinen Neffen. 

Der Onkel schrie : „Was machst du hier?" Der Neffe sprach : 

18* 



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Der Onkel und der Neffe 



w Ich folge deinem Beispiel nach." 

Die Sache klärte man nun auf zu dreien; 

Der Onkel hielt's für klug, nicht länger Wut zu speien, 

Und lia Id, verbannend alle ltauheit, 

Beschwor er ihn: «Halt reinen Mund; 

Meinthalb verhelf ich dir zu einem Ehebund." 

Ciarisse blieb allein und sah trotz ihrer Schlauheit 

Von beiden Seiten sich um den Gewinn gebracht. 

Sie war nur eine von den allzuvielen, 

Die gern bei Tag Lucrezia spielen 

Und Pbryne werden bei der Nacht. 




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DIE BESIEGTE PHILOSOPHIE 



Man schelte, wie man will, aufs weibliche Geschlecht, 

Man kommt nicht von ihm los. Ein Lebemann wird sagen 

Die Weiber seien schwach, versch lagen, 

Unzuverlässig, launenhaft — schon recht ; 

Doch sie sind reizend, und ich wette, 

Ihr, die von ihnen ihr so Böses sprecht, 

Liegt selbst zuletzt an ihrer Kette. 

Natur, die nimmermehr was ohne Plan erschafft, 

Hat jedes schöne Weib erschaffen zum Beglücken ; 

Gleichviel drum, ob sie treu sind oder flatterhaft, 

Sie sind der Sterblichen Entzücken. 

Stets? Ja; Beweis ist leicht erbracht: 

Wenn eine, die uns Gunst gespendet, 

Sich drauf zu einem andern wendet, 

So tut sie's nur, damit auch ihn sie glücklich macht. 

Du, der Luisen zürnt, weil sie dir schnöd entwich, 

Bedenke doch, so muß ich bitten: 

Wenn diese holde Sündrin sich 

Nicht hätt' vergangen gegen dich, 

So war sie grausam gegen einen dritten. 

Just so wie alles ist, so ist es gut bestellt. 

Ihr Freunde, sagt, warum schmäht ihr die Frauenzimmer 



Die besiegte Philosophie 



Sie sehn vielleicht euch morgen knien; denn immer 
Ist man im Hecht, sobald man uns gefällt. 

Der große Schlachtcnheld, der König Alexander, 
Der triumphierend flog von 1>and zu Land im Streit, 
Ward mitten in des Kriegs unsel gem Durcheinander 
Erfaßt von milder Menschlichkeit. 

Wer nahm dem Donnergott den Blitzstrahl aus der Hand? 

Ein indisch Madchen zog ihn ab von Schlachtenplänen 

Und sparte so der Welt viel Tränen. 

Amol-, dies nackte Kind, dies waffenlose, fand 

Sogar im Sturm des Kriegs nur selten Widerstand. 

Der König, der so viele Kön'gc schlug, 

Iiäßt, wenn er zu der Liebsten schleicht verschwiegen, 

Im Winkel Diadem und Zepter liegen; 

Denn seine Lieb' ist ihm genug. 

Vom Späherblick des Hofs ward er gar bald betroffen : 
Wann hätt ein König im geheimen je geliebt? 
Das Höflingsauge bleibt bei Tag- und Nachtzeit offen 
Und zählt die Ktisse, die er seiner Freundin gibt. 

Viel Mißlichkeit gab's freilich unterdes. 

Der König trieb die Staatsgeschäfte fahrig; 

Es wurden Hof und Heer im stillen widerhaarig; 

Ihn tadelte zumal drum Aristoteles. 

Der weise Denker, der beim ganzen Siegeszug 

Des hohen Schülers ihm zur Seite stets gewesen 

Und wachsende Besorgnis um ihn trug, 



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Die 



besiegte Philosophie 



279 



Bemühte sich, dem Herrn der Welt den Text zu lesen. 
Er scheute nicht den Ton, in dem man spricht als Lehrer, 
Was damals noch den Königen gefiel; 
Des Sittenrichters rückhaltlosen Stil 
Ertrügen heutzutag wir schwerer. 

Er sprach : „ Erhabner, wie ? W r as hat mein Ohr vernommen ? 

Du, der beansprucht, Göttern gleichzukommen, 

Erniedrigst dich zum Liebesspiei ? 

Die Stiere laß der Liebe dienen, 

Die weidenden ; der Mensch jedoch 

Verdient, wenn er wie sie verfällt dem Sinnenjoch, 

Daß man ihn weiden schickt gleich ihnen." 

(Könnt' er ein stärkres Kraftwort wählen? 

Und doch mißfiel es Alexander nicht; 

Ich möchte keinem Höfling anempfehlen, 

Daß er in solchem Ton zu Fürsten spricht.) 

„Vorsorge triff, daß nicht dein Ruhm verblaßt erscheine, 

Und grad heraus, es wird der Hof, 

Es wird das Heer von dir zurückgesetzt um eine ..." 

Dies Wort verschluckte der Herr Philosoph. 

Der König sagt ihm ohne Groll: 

„Nein, Meister, weit gefehlt." Dann läuft er unvermittelt 
Zu seiner Liebsten und erzählt, wie vorwurfsvoll 
Ihn Aristoteles bekrittelt. 

„Was? Aristoteles?" versetzt sie. „Das ist toll! 
Um Leute, die dir nichts zu leid getan, zu töten. 
Erlaubt er dir den Sturmlauf durch die Welt, 
Und dieser gute Doktor hat's vonnöten, 



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Die besiegte Philosofhi 



Daß jetzt er deine Liebe dir vergällt ! 

Fürwahr, es nehm' an ihm Gott Amor seine Rache ; 

Ihr, sei gewiß, entrinnt er nicht." 

Sie gab von ihrem Plan dem Könige Bericht, 

Und selbst mit Eifer war er bei der Sache. 

Vor eines Turmes Mauerwand, 

Drin sich das Hauptquartier befand, 

Zog abgeschieden sich ein schöner Garten hin ; 

Es wechselte Pomona dort mit Flora. 

Und Orphale (so hieß die junge Inderin) 

Begab sich, als den Ost Aurora 

Mit Purpur überzog, allein zu dieser Stätte. 

Ob Cephalus nicht seinen Sinn 

Bei ihrem Anblick flugs geändert hätte? 

Es war, als zeige neugeboren 

Sich Flora selbst im Schmuck des leichten Frühgewands, 

Abstattend ihren Dank Auroren 

Y\\r ihres Gartens Wunderglanz. 

Es schien, als ob heut morgen ihr 

Natur der Kleidung Kosten spare; 

Die Schönheit ihrer fünfzehn Jahre 

War ihres Bildes einz'ge Zier. 

Beim Drüberhuschen streifte kaum 

Ihr kleiner Fuß den Rasensaum. 

Bald flutend bis zu ihrem Gürtel flogen 

Die Locken ihres Haars herab in goldnem Schein; 

Bald hüllten seine freien Wogen 



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Die besiegte Philosophie 



281 



Den halb entblößten Busen ein. 

Ihr fragt: Betrat sie diesen Garten immer 

Bereits beim frühen Morgenschimmer? 

Gleich sollt ihr merken, was die Holde plant: 

Es ging auf diesen Park hinaus das Zimmer 

Des Lehrers, der so streng den hohen Herrn gemahnt. 

Er hatte sich, schon lang bevor der Morgen graute, 

In einem Bücherhauf zu forschen angestrengt, 

Als eine Stimme, die mit Vogelsang sich mengt, 

Ihn an das Fenster ruft mit silberhellem Laute. 

Was sieht er? Orphale. Und steht erstaunt, betreten ; 

Ihm war, als hab' er vormals nie 

Solch lieblich Weib gesehn. Sie pflückte von den Beeten 
Ein Röslein, halb so frisch wie sie, 
Und sang ihm diese Medolie : 

Komm, o komm, du süße Rose, 
Halt auf meinem Herzen Ruh 1 ; 
Hauch mit schmeichelndem Gekose 
Meinem Busen Düfte zu. 
Ob auch, du betaute Rose, 
Mich dein Wohlgeruch berückt, 
Will mein Herz, das ruhelose, 
Zeitvertreib, der mehr entzückt; 
Komm, o komm, du süße Rose, 
Bis mir meine Hand beglückt 
Hier die Liebesblume pflückt. 

Sie tut, als merke sie des Doktors Neugier nicht, 
Der keinen Blick vermag zu wenden ; 



Die besiegte Philosophie 



Sic singt noch immerzu mit lächelndem Gesicht 

Und hält das Höslcin in den Händen. 

Dann steckt's die schelmische N'erfiUirerin 

Mit Fingern, die durchtrieben scherzen, 

Inmitten zweier Knospen hin. 

Will sagen, dicht an ihrem Herzen. 

Doch nicht die Blume wirkt magnetisch auf den Sinn 

Des milder schon gewordnen Weisen. 

Den unvergleichlichen Verein 

Von so viel Anmut darf sein Späherblick umkreisen. 

Sie breitet vor ihm aus zu freiem Augenschein 

(Wie eine Schönheit, die nicht glaubt belauscht zu sein) 

All ihren Keiz, von dem sie grad genug enthüllt, 

Damit die Sehnsucht ihn erfüllt, 

Noch mehr davon sich vorzustellen. 

Dann unter einem Blumenhui 

Sieht er sie glätten flink des Haars gelöste Wellen 

Und auf ein grünend Bett sich strecken, wo sie grade 

Dicht unter seinem Fenster ruht. 

O W r eisheit, Weisheit! Welch ein lockend Gift! 

Sein Auge fangen ohne Gnade 

Zwei Hügel, deren W r eiß den Marmor übertrifft; 

Ein köstlich Zwillingspaar, das stets, damit noch stärker 

Ihn der Verwirrung Netz umzieht, 

Sich unterm Schnürband hebt und sich getrieben sieht, 
Zu fliehen aus dem Kerker, 
Doch niemals ihm entflieht. 

So lag hier Orphale, durch Trägheit sich verschönend 




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Die besiegte Philosophie 



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Und mit kokett gespielter Lässigkeit 

Unordentlicher Muße frönend. 

Ein reizend Füßchen, ausgestreckt zu weit, 

Ist willens, in der Wollust Schlingen 

Das alte Unschuldslamm zu zwingen. 

Sein Herz verstrickt sich drin, und eine jähe Glut 

Fühlt er in seiner Brust und seinen Adern brennen. 

„O," denkt er, „dies Gefühl, wie soll ich's nennen ? 

Welch heimlich Feuer rinnt mir durch das Blut? 

Wie? Nun, da meine schmucken Jugendjahre 

Sich von mir wandlen, da mir auf der Stirn 

Des Alters rauher Frost nur ließ vier graue Haare, 

Soll ich wie ein verliebter Schäfer girrn ! 

Nein, list'ger Amor! Mich betörten meine Sinne! 

Hilf, Weisheit, mir, daß ich dein rettend Licht gewinne, 

Drauf öffnet er ein Buch und schließt 

Es wieder. Aristoteles wird inne, 

Daß Büchern hier kein Heil entsprießt. 

Zuletzt erschöpft vom Kampf mit diesem innern Brande!" 

Von Liebespein zum ersten Mal besiegt, 

Eilt er zu Orphale hinaus und liegt 

Auf Knien vor ihr, zu sprechen außerstande. 

Sie stellt sich überrascht: (( Ihr Götter, ach, 

Trügt mich mein Auge? Mir zu Füßen 

Liegt Aristoteles?" — „Ich bin's", versetzt er schwach; 

„Vielleicht läßt nun dein Stolz mich durch Verachtung büßen, 

Alt, wie ich bin. Umsonst versucht' ich tausendfach, 

Mich zu bezähmen; ach, ich bin der Wünsche Knecht, 



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Die besiegte Philosophie 



Bin gänzlich dein." Sie ruft: „O Himmel, hör' ich recht? 
Ein Aristoteles, der hätte sich verliebt ?" — 
„Ja, ja, vor Liebe brenn' ich, werd' ich sterben." — 
„Indessen deine Weisheit?" — „Liegt in Scherben." — 
„Dein Alter?" — „Heut noch, wenn dein Ohr Gehör mir gibt, 
Werd' ich, glaub mir, durch dich die Jugend neu erwerben." 

• 

Drauf sie: „Nur sachte, mit Verlaub. Solch ein Erguß 
Von dir, du Weiser, ist so schwer zu glauben, 
Daß, um den Zweifel dran zu rauben, 
Man erst Beweise haben muß. 

Der Liebsten W'unsch erfüllt, wer liebt, in allen Stücken: 

Es packt mich ungestüme Lust 

Nach einem kleinen Ritt auf deinem Rücken ; 

Doch scheint hierzu mir zweckentsprechend just, 

Dir einen Sattel aufzuschnallen. " 

Der Philosoph, der Schönen ganz verfallen, 

Antwortet ihr aus tiefster Brust: 

„Dein bin ich, Orphale; nie sei mein Fleiß gespart, 

Wenn sich's um deine Wünsche handelt!" 

Der Plan wird ausgeführt ; ein Schauspiel seltner Art : 

Ein Weiser, in ein Pferd verwandelt! 

Seht Aristoteles, zu neuem Dienst erkoren, 

Mit Sattel und mit Zaum behäuft, 

Wie durch den Garten er auf allen vieren läuft. 

Amor, wie machst du Weise leicht zu Toren ! 

Es dreht, betäubt vom Wehen deiner Flügel, 

Der rauhe Herkules die Spindel emsiglich ; 



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Die besiegte Philosophie 



Die junge Nymphe führt durch dich 

Den Aristoteles am Zügel. 

So streift, auf seinem Kücken thronend, 

Die hübsche Reiterin bequem durch ihr Gebiet 

Und trällert, seine Müh' belohnend, 

Ihm unterdessen dieses Lied : 

Ja, so geht's, wenn unbedacht 
Man sich fangt in Amors Schlingen. 
Wer ihm heute kann entspringen, 
Beugt sich morgen seiner Macht: 
Ruhig wartend hält er Wacht; 
Jeder muß Tribut ihm bringen. 

Tragt ihr noch so langen Bart, 
Um vor uns Reißaus zu nehmen, 
Amor weiß Vernunft zu lähmen, 
Läßt ein Mägdlein jung und zart 
Einen alten Graubart zähmen. 

Ja, so geht's, wenn unbedacht 
Man sich fängt in Amors Schlingen. 
Wer ihm heute kann entspringen, 
Beugt sich morgen seiner Macht: 
Ruhig wartend hält er Wacht; 
Jeder muß Tribut ihm bringen. 

Inzwischen tappt mit aller Würde 

Der Weise, der zum Toren ward, 

Durchs weiche Gras dahin und harrt 

Auf den ersehnten Lohn, still tragend seine Bürde, 

Als durch ein lautes Lachen, das er hört, 



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Die besiegte Philosophie 



Sein Gleichmut plötzlich wird verstört. 

Wie ftihlt er sich verdutzt und his ins Mark erschreckt, 

Als unvermutet er aus eines Buschwerks Mitte 

Den König treten sieht, der dort sich hielt versteckt, 

Damit er Zeuge sei von diesem seltnen Ritte. 

Ihn scharf betrachtend rief der Schlachtenlenker: 

„Von solchem Aufzug hat mir wahrlich nie geträumt! 

Wie? Du, der Philosoph, der Denker, 

Bist hier gesattelt und gezäumt! 

Tritt wirklich so geputzt mein Lehrer mir entgegen? 
Hast ganz vergessen du, sag an, 

Wie streng du gestern erst mich meiner Liebe wegen 
Gerügt? Und lässest, weiser Mann, 
Heut als ein Reittier dich erblicken? 
Dich muß man auf die Weide schicken ! rt 

Bei diesen Worten bäumt in arger Seelennot 

Der Meister sich empor und springt herab die Schöne. 

(< Ja, w sagt er, „spotte, Herr; der Fehltritt macht mich rot, 

Und mir gebührt, daß man mich drum verhöhne. 

Doch mögst du wenigstens die Lehre draus dir merken. 

Erwäg, ob ohne Grund mit meinem Rat 

Ich gegen Amors Macht dich Jüngling wollte stärken, 

Da bis zu solchem Schwächegrad 

Er die Vernunft in mir zerrissen, 

In mir, der ich als Philosoph bekannt, 

Gefeiert bin im ganzen Griechenland 

Und zwiefach war gefeit durch Alter und durch Wissen!" 



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Die besiegte Philosophie 



287 



Er geht. Der König dankt für diesen hübschen Streich 

Der Rache seinem Lieb mit Hand und Lippen, 

Und seine Zärtlichkeit wird doppelt reich, 

Obwohl er klar gesehn der Liebe Klippen. 

Doch Aristoteles blieb dem Entschluß 

Getreu, das Liebesspiel von nun an stumm zu dulden. 

Des Königs Lust ward bald von selbst zum Überdruß; 

Der eignen Tugend dacht' er Dank für das zu schulden, 

Was er aus Unbestand beging. 

Kurz, er verließ das arme Ding. 

Die Liebe legt vors Aug' uns Binden; doch zuweilen 

Wird unser Blick durch den Verstand befreit; 

Weit besser kann von ihr die Zeit 

Als Aristoteles uns heilen. 




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DIE DREI GEHÖRNTEN EHEMÄNNER 

Wie man ein junges Mädchen hüte, 

Ist ein Problem, das Mühe macht. 

Doch ohne daß er sich zu sehr bemühte, 

Hat einst ein Vater drei bewacht. 

Die Wahrheit ist, daß er die Sorg um diese Frage 

Dem Himmel überließ. Spiel, Tanz und Zechgelage 

Erkoren sich zum Stelldichein sein Haus. 

Tagtäglich herrschte Saus und Braus, 

Und bleiche Fastenzeit verirrte 

Sich nie zu diesem muntren Wirte. 

Auch seiner Töchter Kleeblatt war 

Ein Herz und eine Seele mit dem Alten; 

Denn Freiheit ließ er ihnen ganz und gar. 

Wer das Vergnügen liebt, bringt schonendes Verhalten 

Gern dem Vergnügen andrer dar. 

Drum ließ er guten Muts die jungen Stutzer 

War der drei Grazien nur würdig Rang und Blut, 

Der Mantel fein, die Wäsche sauber, 

Und zog man achtungsvoll vorm Herrn Papa den Hut, 

So durfte frei man sich erfreun au ihrem Zauber. 

Euch denken könnt vermutlich ihr demnach, 

Daß man nicht über schlechte Zeiten, 

Krieg, Steuern und dergleichen sprach; 

Man sprach von Liebe, sprach von süßen Heimlichkeiten 



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Die drei gehörnten Ehemänner 



Kein fruchtlos Zwiegespräch : das Herz 

Der schönen Jüngferchen war keineswegs von Erz. 

Auch wirft ein Liebender, dem keine Hoffnung loht, 

Zu euren Füßen sich, um Mitleid zu erringen; 

Er stöhnt, er windet sich, er droht, 

Vor euren Augen gleich sich umzubringen : 

Wollt ihr verschulden seinen Tod? 

Bei diesen drei starb niemand, nein behüte; 

Dazu war allzu groß der Schwestern Seelengüte. 

Doch weil im Liebesspiel man sich nicht zügeln mochte, 

Ward bei Lucrezia, die dergestalt 

Aufs Vorrecht ihrer Erstgeburt wohl pochte, 

Das Mieder allzu enge bald. 

Und schon, obgleich die Ärmste tat, 

Was irgend möglich, und sich schnürte, 

So gut es eben ging, vollführte 

Ihr leicht geblähter Rock Verrat. 

Sie mußt' am Ende sich dem Vater anvertrauen ; 

Welch peinlicher Bericht ! Sie fiel auf ihre Knie 

Und ließ die Tränen niedertauen. 

Der Herr Papa geriet in hellen Zorn und schrie. 

Erst spielt man polternd den Gestrengen ; 

Doch man besänftigt sich sodann: 

Ob solcher Kleinigkeit war unser Mann 

Noch lange nicht gewillt, sich aufzuhängen. 

Das weise Sprichwort war ihm wohlbekannt, 

Daß Übel, dië uns schwer bedrängen, 

Fulda, Die gepuderte Muse «9 



Die drei gehörnten Ehemänner 



Geduld zu lindern ist i instand. 

Er handelte danach, erwog insonderheit 

Zuvörderst, wie den Fall er vor der Welt verdecke; 

Ein ihm vertrauter Arzt sprang bei zu diesem Zwecke 

Und sprach, Lucrezia bedürf auf einge Zeit 

Der Luftverändrung. Doch derweil die Fee 

An einer abgelegnen Stelle 

Im neunten Monat wird erlöst von ihrem Weh, 
Beschleicht dasselbe Weh die Schwester Isabelle, 
Und beichten muß auch sie dem Vater, was geschah : 
„Gott sei gelobt," sagt der Papa, 
«Die Welt nimmt zu." Hierauf begibt er schnelle 
Sich zu der jüngsten Tochter hin, 

Die zwar bis jetzt noch nicht beengt war vom Korsette, 

Jedoch sich allerdings schon im Beginn 

Dazu befand. Er sprach: „Wie geht es dir, Lucette? 

Schenkst etwa mir auch du gleich deinem Schwesternpaar 

Ein Enkelchen ?" Ihr war nicht solche Keckheit eigen; 

Doch was ihr Wort nicht möchte zeigen, 

Macht ihr Erröten offenbar. 

„Wohl," sagt ihr Vater, „ich versteh' dein Schweigen: 
Es ist noch nicht so weit; doch bist du nahe dran. 
Großvaterglück werd' ich zum drittenmal erleben: 
Stirbt jemals aus die Welt, so kann 

Wahrhaftig, Gott sei Dank, mir niemand schuld dran geben. " 
Und richtig, eh' viel Zeit verrann, 
Genas von einem Kind der Lieb' im Wochenbette 
Gleich ihren Schwestern auch Lucette. * 



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■ 



Die drei gehörnten Ehemänner 291 

Die Zeit mit ihren raschen Schwingen 
Flog unsern Dämchen flink vorhei, 

Und schließlich ward geplant, sie an den Mann zu bringen. 

Doch welcher findet sich? Das Schicksal dieser drei 

War mehr als einem Nachbar kund. 

Es schien das klügste drum, sie billig loszuschlagen ; 

Nur kann, wer schwach war vor dem Ehebund, 

Es wieder sein; wer sollt' es darauf wagen? 

Wer konnte wissen, ob zu dem Befund 

Nicht mehr als einer beigetragen? 

Die Füße stammten ab vielleicht von Valentin, 

Von Jean der Kopf, von Nikolas die Hände ; 

Für was hienieden ist Gewißheit uns verliehn? 

Der Vater, kurz und gut, war schlau genug am Ende, 

Nach andren Gegenden zu ziehn. 

Der fremden Schönen Reiz fangt an dort aufzufallen : 

Bald sieht der Vater in sein Haus 

Ein wechselnd Heer von Freiern wallen 

Und wählt zuletzt drei Brüder aus, 

Die reichsten, nobelsten von allen. 

Die beiden ältsten, forsch und geckenhaft, 

Beriefen prahlend sich als vielerfahrne Kenner 

Auf ihre Liebesheldenkraft 

Und höhnten die Genossenschaft 

Der hintergangnen Ehemänner. 

Sie gaben vor, daß ganz genau 

Sie könnten am Gesicht, an Hals und Hand erkennen, 

M)' 



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292 Die drei gehörnten E h emänner 

Ob vor der Heirat eine Frau 

Die Blume sich gewahrt, worauf die Männer brennen, 
Die zu Paris mau hoch muß zahlen 
Und von der Lieb 1 im Dorf zumeist umsonst erhält. 
Der jüngste, Monreal, nicht so von Stolz geschwellt 
Und klüger als die zwei, vermied ihr Prahlen 
Und spielte nicht wie sie sich auf als Springinsfeld. 
Doch mußt' er ebendrum von jener ältren beiden 
Hochmütigem Gespött manch spitzen Stich erleiden. 

Beiseite nahm nunmehr, als er am Ziel sich sah, 

Flugs die drei Töchter ihr Papa, 

Und mild zu ihnen sprach der alte Knabe: 

„Für jede von euch drein, ihr Kinder, steht zur Wahl 

Ein junger Mann; doch ziemt sich dieses Mal, 

Daß ein Notar die Hand im Spiele habe. 

Nicht wieder dürft ihr ihn verfehlen. 

Auch müßt vor allen Dingen möglichst gut 

Ihr eure Witwenschaft verhehlen. 

Je nun, warum auch nicht? Nur Mut! 

Wer übern Graben springt, der darf nicht zittern. 

Sorgt nicht um das, was einst geschehn: 

Nachts spielt sich alles ab, und nachts kann man nicht sehn ; 

Drum seid getrost. Und wenn sie doch was wittern, 

Dann ist's ihr Pech. Ich frag' euch meinerseits: 

Habt ihr sie denn geliebt bereits 

Zur Zeit von eurem Abenteuer?" 

Sie sagen lächelnd nein. „Nun also, seht ihr nicht? 



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Die dr ei gehörnten Eh em änner 



293 



Sie waren damals noch nicht euer; 
An sie drum also band euch keine Pflicht. 
Kurz, jede von euch drein beging, indem sie tat, 
Was ihr gefiel, nicht Meineid noch Verrat. M 

Nachdem er fertig war mit dieser schönen Predigt, 
Die er so kunstvoll ausgeschmückt, 
Ging er von dannen hochbeglückt 

Und sah durch diesen Bund sich schon im Geist entledigt 

Von einer Last, die schwer gedrückt. 

Genau nach Sitt' und Brauch schloß man am Hochzeitstage 

Erst den Vertrag, dann gab's ein festlich Mahl ; 

Ich will, Freund Leser, dich nicht laden zum Gelage, 

Noch auch bericht' ich dir der Speisen Art und Zahl. 

Die Bräute trugen höchst bescheidne, zücht'ge Mienen, 

Die wundersam verheißend schienen. 

Jedoch die Kennerschaft des ältren Brüderpaars? 

O, die bewährten Zeichen logen ihnen 

In diesem Fall. Gewißheit war's 

Für sie, daß ihre Braut mit jenem holden Beben 

Der Ahnungslosigkeit sich ihnen werd' ergeben. 

Doch dank dem Satan ging es schief; 

Denn ein Rival, der nur ein Drittel wußte, 

Schrieb einen anonymen Brief, 

Der arg die Gatten foltern mußte. 

Ein jeder von den dreien findet 

Solch Briefchen auf dem Weg zum ehelichen Bett, 



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Die drei gehörnten Ehemänner 

Und seine Hochzeitsglut entschwindet, 
Indem er heimlich liest von A bis Z: 

„Ihr von dem süßen Wahn Berückte, 

Daß euch sich eine Rose schenkt, 

Wißt: Hymen denkt und Amor lenkt, 

Und einer von euch drein hat eine schon gepflückte. 

Unrettbar ist er heimgefallen 

Der /Ainft, auf deren Stirn Gott Amor Horner setzt; 

Sie wachsen noch vielleicht euch allen, 

Doch einer unter euch trägt sie bestimmt schon jetzt." 

Nie auf der Bühne ward geweckt 
Durch plötzlich angelangte Briefe 
Kin tragischerer Knalleffekt. 

Der Ältste bleibt zunächst, bis in den Tod erschreckt. 
So stumm und starr, als ob er in Betäubung schliefe; 
Dann mit Gewalt ermannt er sich : 
„Gott, was erfahr' ich? Trifft es einen 
Von meinen Brüdern oder mich?" 
Die Braut, die nicht begreift, was diese Worte meinen, 
„O Himmel!" ruft sie bang, „was bringt dich auf, mein 

Lieber?" 

Er hält den Brief ihr hin. Man denke sich die Macht 
Des Sturms, den das in ihr entfacht! 
Doch sie bezwingt zuletzt das Überraschungsfieber 
Und lispelt : „Schwöre mir, du mein geliebter Mann, 
Verschwiegenheit, und ich vertraue 



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Dir dieses wichtige Geheimnis an." 

(Er schwört's.) „Die Wahrheit steht im Brief, die ganzgenaue. 

Der Ehre Schranken übertrat 

Die eine von uns drein vor Jahren." — 

„O, welche denn? Laß mich 's erfahren!" — 

„Lucette. Glaubtest du sie fähig solcher Tat? 

Sie hat ein Kind." Er reibt sich seine Stirne trocken 

Und ruft: „Gottlob! Ich atme auf. 

Der Jüngste, gut! Sich's einzubrocken 

War er ja stets bemüht; nun nehm' er s in den Kauf." 

So walzt Lucrezia von sich des Argwohns Schatten 

Zur Last der dritten ab. Zu gleicher Frist 

Hilft Isabelle sich mit ganz derselben List. 

Getrost zu Bett gehn die zwei Gatten. 

Sei's nun, daß die Erfahrung dieser Gecken, 

Mit der sie so geprunkt an allen Ecken, 

In diesem Punkte mangelhaft, 

Sei's, daß man mit der Kunst vertraut war, zu verstecken 

Die Spur geheimer Mutterschaft — 

Stolz huldigen die beiden um die W r ettr 

Dem Hymen. Doch, so fragt ihr nun, 

Was mocht' inzwischen wohl Lucette 

Als jüngste der drei Schwestern tun? 

Sie hatte zum Gemahl den Monreal; 

Derselbe Brief, derselbe Zwischenfall 

Und bei Lucette drum die nämliche Verwirrung; 

Doch sie besaß mehr Offenheit. 

So gab sie denn ihm redlichen Bescheid 



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2q6 Die drei gehörnten Ehemänner 

Von ihrer Schwestern Fall und ihrer eignen Irrung. 

O, welch ein Bild, da sie dem Bett entsprungen 

Sich zitternd, kniend straft mit Selbstbeschuldigungen! 

Dabei vergißt Lucette ganz 

Die Unordnungen des Gewands; 

Zwei schwere goldne Locken wallen 

Aus ihrem aufgelösten Haar und fallen 

Auf ihres Busens Marmorglanz. 

Geschlossen halb sind ihre Lider, 

Und ihrer Tränen Strom begießt 

Zwei Rosenknospen, die das Mieder, 

Das leicht bewegliche, zugleich dem Blick erschließt. 

So, während sie sich selber schuldig spricht, 

Erwartet sie von ihm mit ausgestreckten Armen 

Entweder ein zermalmendes Gericht 

Oder ein liebevoll Erbarmen. 

Wer ist der Türke, wer der Wilde, 

Der nicht sich müßt' entwaffnet sehn hiernach? 

Ihr Reiz, ihr Gradsinn zwang den Gatten so zur Milde, 

Daß er „Steh auf, Lucette!" sprach; 

„Durch Freimut löschtest du die Schmach." 

Sie zu beschwichtigen mußt' aber ihr Gemahl 

Ihr die Verzeihung förmlich erst besiegeln ; 

Doch auch das Siegel schien noch nicht die Zweifelsqual 

Lucettens völlig abzuwiegeln. 

Ihr Liebesungestüm gab dem Erbeben 

Der Sorge stets von neuem Platz, 

Er habe halb ihr nur vergeben ; 



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Die drei gehörnten Ehemänner 297 

„Beruhige mich doch, mein Schatz, 

Beruhige mich doch ! " ruft sie beständig. 

Und Monreal muß ihr bekräftigen, daß tot 

In ihm der Groll und nur die Liebe noch lebendig. 

Ein zärtlich Herz, wie leicht erliegt es dem Verzagen ! 

Sie fiel von Angst in Angst; er hatte seine Not, 

Stets neue Sorgen zu verjagen, 

Bis endlich aufeuglühn begann das Morgenrot. 

Die beiden ältren trieb die Neubegier, zu wissen, 

Ob das Geheimnis auch dem andern schon bekannt, 

Hinweg von ihrem Ruhekissen, 

Kaum, daß die Dämmerung entschwand. 

Sie stehen voreinander da : 

„Mein Bruder, nun, gibt's Neuigkeiten?" — 

„Ei wohl, das läßt sich nicht bestreiten." — 

„ Bekamst auch du den Brief?" fragt jener. — „Freilich, ja. 

Als ob das nicht von uns ein jeder kommen sah ! 

Schlimm ist es nun mit ihm bestellt. 

Der arme Cato ! Traun, es hätte 

Das kleine Mütterchen Lucette 

Nie weder dich noch mich geprellt." 

Der andre ruft : „Jawohl, auf Ehre ! 

Der Spaß wtird' aber noch verstärkt, 

Falls unser Bruder nichts gemerkt! 

Kein Zweifel, daß dazu der Gimpel fähig wäre. 

Glaub mir, er ahnte nichts, der Blinde. 

Ich möchte sehn, was heut der arme Wicht 



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Daheim wohl macht für ein Gesicht, 

Ein Bild, das schon vorher ich höchst ergötzlich finde. 

Gehn wir ihn suchen." Sie verfügen 

Sich zu ihm. Seine Miene spricht 

Von Kummer keineswegs, wohl aber von Vergnügen. 

Jedoch sie denken sich, der Schein kann trügen. 

Man bietet ihm den Gruß verlegen und zerstreut, 

Rückt mit der Sprache nicht heraus und sagt am Ende: 

„Mein Bruder, guten Tag." Dann fährt man fort, als fände 

Kein ander Thema sich: „Sehr schönes Wetter heut." — 

„Sehr schön", sagt Monreal. — „Betracht' ihn dir genauer", 

So tuschelt Icis das Brüderpaar; 

„Ich wett', ihm ist sein Los bekannt und wird ihm sauer." 

Laut fragen sie darauf: „Weißt du wohl gar . . .?" — 

„Ja, ich weiß alles. " — „Dann ist'sBruderpflicht, im Schmerz, 

Der dich Bedauernswerten hat betroffen, 

Dir unsern Trost zu leihn. Wir hoffen, 

Du trägst s als Philosoph und hältst dein Herz 

Gleichzeitig für den Mut und ftir die Klugheit offen. 

Dir gab ja beide reichlich die Natur. 

Und im Vertraun, wem's widerfuhr, 

Daß er dies ward, begrab s in Stummheit ; 

Sonst kommt er in der Leute Mäuler nur : 

Es sein ist Mißgeschick; es eingestehn ist Dummheit." 

„Doch," fährt der Ältste fort, „wie konntest du nur glauben, 
Da du Lucette sahst als ausgewachsner Mann, 
Daß nicht ein anderer gelesen schon die Trauben? 



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Die drei gehörnten Ehemänner 



^99 



Das sieht sogleich man einem Weib doch an. 
Frag unsern Bruder; so betrogen 

Wird nie, wer Augen hat. " Der Jüngste drauf: „Wohl wahr; 

Und habt ihr selber nicht gesehen sonnenklar, 

Daß ihr das gleiche Los gezogen?" — 

„Das gleiche? Ha, wir halten Wache; 

Sei nur ganz unbesorgt. Glaub, das ist unsre Sache." — 

„Ihr haltet Wache? Gut; und sehr zur rechten Zeit. 

Sagt mir, ob ihr zufrieden seid 

Mit eurem Schicksal ?" — „W T as für eine Frage! 

Sie zeugt von bittrer Ungeduld. 

Wenn du gelangt in schlimme Lage, 

Dann ist wohl keiner dran als nur du selber schuld. 

Mein Brüderchen, sei nicht verstimmt 

Und folg dem guten Bat, den wir dir gaben." 

Doch Monreal, der draus mit Sicherheit entnimmt, 

Daß die zwei Schwestern sich entlastet haben 

Auf Kosten von Lucette, schwört sofort 

Mit hohem Eid, sich selbst und sie zu rächen. 

Er fragt sie, ohne was zu sprechen 

Von seiner Absicht, nach dem Ort, 

Wo die drei Püppchen sind, die Brut der drei Prinzessen, 
Läßt niemand in die Karten schaun 
Und ladet eines Tags zum Essen 
Die Brüder ein mit ihren Fraun. 

Man fand im höchsten Grad verschwenderisch das Mahl; 
Doch das Dessert war ohnegleichen. 



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3oo 



Die drei gehörnten Ehemänner 



Der Zaubrer Monreal gibt mit dem Stab ein Zeichen, 
Und augenblicklich hüpfen in den Saal 
Die drei schon ziemlich aufgeschoßnen Rangen, 
Die dank dem Unterricht, den sie zuvor empfangen, 
Sich drängen um den Tisch, ausrufend hundertmal: 
„Papa! Mama!" Von dieser Szene 

Gleichwie vom Blitz gerührt, saß die Gesellschaft stumm. 

„Seht her, wie jeden ich von euch belehne", 

Sagt Monreal, „mit seinem Eigentum. 

Unleugbar, daß die Güter unsrer Frauen 

Im Ehestand auch unsre sind. 

Hier, Bruder, magst du deine Tochter schauen ; 

Der Knabe dort ist dein, und dieser ist mein Kind. 

Ihr Damen," sagt er zu den Müttern, 

„Erkennt ihr sie wohl an?" (Sie tun es wie gelähmt.) 

„Die Wahrheit wolltet ihr erschüttern ; 

Verzeiht, wenn ich euch drum beschämt. 

Ihr Brüder seht nun ein, wir drei sind völlig quitt. 

Das beste, scheint mir, ist, als ein Geschenk zu hegen 

Den allzu frühen Kindersegen. 

Es bracht' uns allen drein die Braut ein Kleinod mit, 

Das schon geschliffen und gefaßt uns winkt entgegen." 

So bat sie Monreal nach der gestillten Rache, 

Sie möchten allesamt verzeihn; 

Zur Nachsicht stimmte nebenbei der Wein. 

Sie folgten seinem Rat, und unter ihrem Dache 

War Friede fürderhin und eitel Sonnenschein. 



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JEAN PIERRE CLARIS DE FLORIAN 



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DER TURTELTAUBE H 



Wenn ich des Glückes Gipfel es genannt, 
Als Weiser, fern dem weltlichen Getriebe, 
Zu leben still befriedet auf dem Land, 
Beiseit mit Absicht ließ ich da die Liebe. 
Zwar nur die Liebe kann das Leben schmücken, 
Doch kann sie 's auch verheeren : bange Wahl. 
Sie hat mich reich bedacht mit ihren Tücken, 
Und ihre Freuden fand ich äußerst schal. 
Ich kenn' euch, ihr verehrlichen Koketten, 
Und weiß vor eurer Nähe mich zu retten ; 
Und euch desgleichen, deren Unschuldsmienen 
So täuschend unser Zutraun sich verdienen; 
Und euch zumal, vom spröden, herben Schlag, 
Die uns mit Starrheit und gelindem Grollen 
Mehr foltern als der Treubruch es vermag, 
Ich kenn' euch all; und ohne Gall' und Gift 
Will unter anderm Namen diese Schrift 
Entlarven euch in euren Falschheitsrollen, 
In euren Kniffen, die uns weinen machen, 
Durch ein Geschichtchen, angetan zum Lachen. 

Ein Turteltauberchen, in trauter Hut 
Des elterlichen Nestes noch geborgen, 



3o4 



Der T urteltauber 



Verlor durch eines Habichts Räuberwut 
Das Paar, das schützte seineu Lebensmorgen. 
Der arme Vogel, elternlos, allein, 
Welch hartem Schicksal ist er überlassen ! 
Solch zarter Sprößling kann noch nicht erfassen, 
Wie groß das Unglück ist, verwaist zu sein. 

Zwei Tage drauf entschlüpft er aus dem Nest, 

Gequält von Hunger, setzt zuerst nur zagend 

Den Fuß auf ein benachbartes Geäst; 

Dies biegt sich, und der Vogel, flügelschlagend, 

Verliert das Gleichgewicht und schwankt und sinkt 

Zu Boden, wo er kläglich weiter hinkt. 

Was auch geflogen kommt auf seinen Wegen, 

Er sieht es stets als Turteltauben an, 

Streckt flatternd seinen Schnabel ihm entgegen 

Und fleht so laut um Hilfe, wie er kann, 

Indem er schreit: u Ach, geben Sie mir Futter; 

Ich bin's ja, ich! Sind Sie nicht meine Mutter?" 

Doch Vögel denken leider, ganz wie wir, 
Ein jeder nur an sich ; das zeigt sich immer. 
Und der Verwaiste lernt es nun auch hier. 
Kein Echo meldet sich auf sein Gewimmer. 
Doch die Natur gibt mählich ihm Erfahrung 
Und lehrt ihn, selbst zu finden seine Nahrung ; 
Zum Dulden seiner Not gewinnt er Kraft: 
Es ist das Mißgeschick, das Helden schafft. 



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Der Turteltaub er 



3o5 



Der Sommer flieht, das Laub wird welk und fallt; 

Der Winter, der nun anfängt zu regieren, 

Läßt unsern armen Turteltauber frieren ; 

Denn um zu leiden sind wir auf der Welt. 

Jedoch ein einzger froher Tag vertreibt 

Den Kummer eines Monats voll Beschwerden ; 

Hauptsache nur, daß man am Leben bleibt. 

Der junge Vogel sieht es Frühling werden ; 

Die Luft wird klar, die Veilchen blühn hervor, 

Und rings um ihn ersprießt ein neues Leben ; 

Die Nachtigall und andre Sänger heben 

Zu singen an den hellen Jubelchor, 

Und Ringeltauben schaukeln auf den Ästen, 

Die stille Zeugen sind von Liebesfesten. 

Der Tauber schaut und lauscht und wird erregt ; 

Er spürt im Herzen schauderhafte Leere : 

„Ich wähnte," sagt er, „daß ich glücklich wäre, 

Und fühle doch zu Seufzern mich bewegt! 

Die andern, ach, sind glücklicher als ich ; 

Ein jeder wüßt' ein Weib sich zu besorgen 

Und ist im sanften Ehejoch geborgen ; 

Nur ich bin einsam, und das langweilt mich. 

Doch ihrem Beispiel folgen will ich morgen, 

Will mir ein Schätzchen suchen und sie frein ; 

Denn wohl befindet man sich nur zu zwein." 

» 

Entschlossen, eine Schöne zu gewinnen, 

Streicht glättend er die Federn seiner Schwingen ; 

Fulda, Die gepuderte Muse 20 



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3o6 



Der Tu r t elt aub er 



Sein Spiegelbild betrachtet er ira Bach, 

Er brüstet sich, Bewundrung ruft ihm wach 

Sein hübscher Schnabel, seine schlanke Rundheit, 

Sein Halsband, dessen schattentiefes Dunkel 

So prächtig absticht von des Halses Buntheit, 

Und seines Auges klug und zart Gefunkel. 

Dies all verheißt ihm einen Siegeslauf, 

Und sicher des Triumphes fliegt er auf. 

So zog der schöne Paris unerschrocken 

Aus Troja fort, um Helena zu locken. 

Schnell nähert sich der Vorsatz des Verwegnen 
Dem großen Ziel. Fortuna läßt alsbald 
Ein junges Lerchen fräulein ihm begegnen, 
Das hübsch und schmuck von Antlitz und Gestalt 
So leichten Fußes durch die Wiesen hüpft, 
Daß unter ihm die Halme kaum sich beugen; 
Er macht sich flugs an sie heran und knüpft 
Das folgende Gespräch an ohne Zeugen : 
„Mein schönes Kind, zwar Ihnen unbekannt, 
Bin im Bewußtsein, daß zum Glück auf Erden 
Gehört, zu lieben und geliebt zu werden, 
Ich von daheim gezogen über Land. 
Zu lieben bin ich ganz gewiß inistand; 
Ich fühlt' es gleich, sobald ich Sie gewahrte; 
Geliebt zu sein. steht nicht in meiner Wahl, 
Ich bitte nur um einen Hoffnungsstrahl." 
Er schwieg. Die Lerche gab auf dieses zarte 



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Der Turteltaubâr 



3o 7 



Geständnis Antwort ohne Zorane witter, 
Gesenkten Blicks und fast ein wenig zag, 
Als richtige Kokette, die den Ritter, 
Den sie nicht liebt, gern an sich fesseln mag. 

Der Held wird zugelassen als Gefährte; 

Doch plötzlich hebt ins Blau sich die Begehrte, 

Schwebt, schießt mit Blitzesschnelle hin und her, 

Erscheint, versch windet, schwingt sich auf und nieder. 

Der Tauber will ihr nach, verliert die Fährte, 

Sucht, findet sie, verliert sogleich sie wieder: 

„Ach," ruft er keuchend, „halt, ich kann nicht mehr! 

O Teure, der mein Herz entgegenschlug, 

Nicht lieben kann einander man im Flug ; 

Ich weiß hierin zwar noch nicht recht Bescheid, 

Jedoch das Glück mit seinem sanften Schauer 

Soll uns erfreun in ungestörter Dauer, 

Und wahres Glück verlangt Gemächlichkeit." 

„Kann sein", erwidert ihm die Lerche keck; 

„Doch was dem einen Glück ist, ist's nicht allen ; 

Hübsch aussehn, singen, fliegen und gefallen, 

Das ist mein angeborner Lebenszweck, 

Darin allein das Glück für mich besteht." 

Sie spricht noch, als ihr in die Augen blitzt 
Ein Spiegel, den an einer Schnur verschmitzt 
Ein Vogelfänger hin und wieder dreht; 
Sie fliegt heran, um drin ihr Bild zu schauen. 



3o8 



Der 7 ur teltaub er 



Der Tauber mahnt sie, halb gelähmt vor Grauen, 
Sich vor dem Garn zu hüten; doch zu spät: 
Die sorglos Törichte wird von den Schlingen 
Dahingerafft im selben Augenblick. 
Umsonst sucht ihr Galan ihr beizuspringen, 
Entrinnt nur knapp dem tödlichen Gestrick 
Mit dem Verlust von Federn seiner Schwingen, 
Kann bloß ihr noch sein trauernd Mitleid schenken 
Und flieht auf einen Zweig, um nachzudenken. 

„Nun bin ich Witwer vor dem Ehestand", 
So sagt er sich, „und war' ein rechtes Närrchen, 
Kam' ich noch einmal außer Rand und Band, 
Um zu verfolgen diese tollen Lerchen : 
Wer klug ist, hege vor Koketten Scheu ; 
Dies lockere Geschlecht kann nichts als fliegen. 
Das Weib, das ich mir suche, sei gediegen, 
Sei minder hübsch, doch minder ungetreu 
Und nur mich zu beglücken ihr Begehr. 
Geist gilt mir viel ; doch Ruhe gilt mir mehr. 

Gesagt, getan. Auf saatbegrünter Erde 
Kommt eine feiste Wachtel ihm in Sicht, 
Die langsam wandeln heißt ihr Schwergewicht, 
Mit Unschuldsblick und schüchterner Gebärde ; 
Der Tauber schwingt sich rasch an ihre Seite 
Und geht mit kühnen Worten auf die Freite. 



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Der Turteltauber 



3o 9 



„Sie lieben mich? Fürwahr, ich bin entzückt", 

Versetzt die Wachtel ; wohl, Sie sind willkommen ; 

Zusammenleben werden wir beglückt; 

Ist doch mein Herz in Gcgenlieb' entglommen." 

So redend gab sie gleich ihm die Beweise. 

„Welch ein Gemüt!" ruft unser Freiersmann, 

„Wie schlicht und wahr! Wie mein Geschick ich preise, 

Daß ich solch unberührtes Herz gewann ! " 

Die Wachtel zwar versteht hiervon kein Wort, 

Antwortet falsch, liebkost ihn aber richtig, 

Und dies allein von allem ist ihm wichtig. 

In Lieb' und Eintracht leben sie hinfort, 

Als gegen Abend ihr beglückter Tauber 

Erst einen Wachteljüngling sieht erscheinen, 

Dann zwei, dann drei, drauf schließlich nochmals einen. 

Er starrt auf diesen sonderbaren Zauber, 

Eilt hin zu seiner Frau und fragt sie sachte: 

„Sind diese Herrn als Hochzeitsgäste hier?" 

Sie lispelt: „Nein, die sind vermählt mit mir." - 

„Was?" — „Freilich." — „Alle sieben?!" — „Ja, der achte 

Bist nun von heut an du, beliebt es dir. 

Ein jeder hat sein Teil, wie recht und billig, 

Und so bereit' ich allen gleiches Glück ; 

Anstrengend ist's, doch ich bin opferwillig." — 

„Und ich — lebwohl! — mein Wort nehm' ich zurück; 

Das ganze Herz von einer ganzen Wachtel 

Verlangt' ich, und ich wünsche nicht ein Achtel." 



3 i o 



Der T urteltaub er 



Er fliegt hinweg, und äußerst aufgebracht 
Verbringt in einem Wäldchen er die Nacht. 

Man schläft nur mäßig, wenn man kocht vor Grimm. 

Der Tauber schilt nach zeitigem Erwachen 

Sich selbst: „Mir ging es in der Liebe schlimm; 

Doch ich bin schuld und will's nun besser machen. 

Vorsichtig und behutsam will ich sein, 

Will prüfen, schon bevor ich mich gebunden, 

Und namentlich mit Pfiffigkeit erkunden, 

Ob die von mir Erkorae sittenrein. 

So leicht nicht wieder fängt man jetzt mich ein." 

Gesonnen, diesem Plane nachzugehn, 

Als Philosoph durchwandert er die Gegend, 

Versucht gedeckt zu horchen und zu spähn, 

Erkundetes mit scharfem Sinn erwägend. 

In nächster Nachbarschaft entdeckt sein Trachten 

Bald eine Spröde, noch nicht sehr bejahrt, 

Mit Reizen, die durchaus nicht zu verachten, 

Und nur von etwas herber Sinnesart. 

Kein Wunder, denn ein Würgerweibchen war es. 

Der Tauber läßt hiervon sich nicht beirren : 

Er naht. Beim ersten Stelldichein des Paares 

Herrscht Kühle; dann ist man erweicht, gerührt, 

Und bald beginnt ein wechselseitig Girren : 

Die Spröden sind am hurtigsten verführt. 



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Der Turteltauber 



3 1 1 



Das Würgerweibchen liebt ihn heiß und züchtig; 
Kein Nebenbuhler droht, er herrscht allein. 
Bald aber foltert, rasend eifersüchtig, 
Sie den Gemahl mit namenloser Pein. 
Sie klagt ihn an, macht Szenen ihm tagtäglich, 
Verfolgt ihn, spioniert, ist unerträglich, 
Versetzt aus Zärtlichkeit ihm Schnabelhiebe 
Und schlägt ihn zur Verstärkung seiner Liebe. 
Dann weint sie wieder, will, daß ihrem Reiz 
Durch ihren Gatten größres Recht geschehe; 
Sie schätze dieses Spiel zwar ihrerseits 
Gering; doch müsse man in einer Ehe 
Auf diesem sittlichen und holden Wege 
Sich den Gemahl von neuem stets ergattern, 
Ihn dergestalt verhindernd am Entflattern. 

Doch er, des Joches müd und all der Schläge, 

Zerzaust und kläglich abgemagert, nützt 

Die Stunde, da sein Weib, den Kopf geschützt 

Von ihrem Flügel, schläft an seiner Seite, 

Steht leis und zitternd auf, begibt geschwind 

Sich aus dem Nest und sucht alsdann das Weite, 

Mit keinem Ziel, als daß er ihr entrinnt. 

Ein tüchtiges Stück Wegs durchfliegt er bald ; 

Er möchte fliehn bis an des Weltalls Ende. 

Zuletzt in einer Wüste macht er Halt, 

Sich duckend unter öde Felsenwände. 

„Hier", sagt er, w ist mir wohl, hier weich' ich nimmer, 



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Der Turteltauber 



Hier wird nicht Wachtel mir noch Lerche nahn ; 
Zu dieser Zuflucht bricht sich keine Bahn 
Das Blendwerk tugendhafter Frauenzimmer. 
Hier werd' ich einsam leben ; denn es gibt 
Kein Weib von trautem, zärtlichem Betragen, 
Gibt keins, von dem der Gatte, den sie liebt, 
Nicht wird betrogen oder totgeschlagen. 
Ach, einer bessern Liebsten war ich wert, 
Ich wäre bis zum Grab ihr treu geblieben ; 
Ein Turteltauber, wenn er Liebe nährt, 
Stirbt eher, als er seinen Schwur versehrt; 
Doch ach, kein andrer Vogel weiß zu lieben." 

„Sie täuschen sich", versetzt mit mildem Hauch 
Ein Turteltäubchen, weiß, mit sanften Mienen ; 
„Zärtlich und treu gleich Ihnen bin ich auch 
Und glaube gleichfalls Liebe zu verdienen : 
Ich bin noch ledig; machen wir Bekanntschaft!" 

Der Tauber schaut und findet Lieblichkeit : 

Er nähert sich, er spricht, empfängt Bescheid ; 

Des Täubchens Geist und Stimme zeigt Verwandtschaft, 

Zeigt gleiche Sanftmut, gleichen schlichten Sinn. 

Sie sind bestimmt, einander zu gefallen, 

Und schnelle Neigung reißt sie beide hin. 

Sie fühlen einer stillen Glut Beginn, 

Und weil die Herzen feurig überwallen, 

Eint sie noch selben Tags ein Ehebund, 



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Der Turteltauber 



3i3 



Der unverbrüchlich dauern wird fürs Leben ; 
Sie bauten, ganz einander hingegeben, 
Ihr friedlich Glück auf einen festen Grund; 
Und unser Freund, in warmem Nestgewinde, 
Gab zu, daß ausnah msweis' man Perlen finde. 




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DER JAGDHUND 

Oft, wenn ich eine Liebste hatt' erkoren 

Und diese mit Verrat mich heimgesucht, 

Hab' ich mein zärtliches Gefühl verflucht 

Und alle Lieb' auf ewig abgeschworen. 

Fort, sagt' ich mir, mit dieser eitlen Glut ; 

Es möge die Vernunft vor ihr mich retten ; 

Frei will ich fürder sein und frohgemut. 

Hinweg, hinweg mit den verhaßten Ketten, 

Die mich erniedern, schwächen und beschränken! 

Mir will ich leben und dem Studium, 

Ganz in die schönen Künste mich versenken. 

Nachdem ich dies gesagt, blickt' ich ringsum ; 

Ich war verlassen, einsam und allein, 

Nichts weckte Sehnsucht mir und nichts Vergnügen, 

Es quälte mich ein wachsend Ungenügen : 

In leere Herzen fallt kein Sonnenschein. 

Bald ward ich untreu meinen weisen Plänen; 

Da zwischen Lieb' und Tod nur blieb die Wahl, 

Kehrt' ich zur Liebsten heim voll Reuetränen 

Und ließ mich hintergehn zum zweitenmal. 

Ihr glaubt mir nicht, daß man so tief sich beugt? 
Ihr lacht mich aus, den Zweifel im Gesichte? 



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Der Jagdhund 



3 1 5 



Damit ihr euch handgreiflich überzeugt, 
Hört eines Jagdhunds wahrhafte Geschichte. 

Ein junger Hund, der Medor hieß mit Namen, 
Ein Tier von anerkanntem edlen Blut, 
Kühn, feurig, eifrig, ohne zu erlahmen, 
War eines alten Wächters einzig Gut. 
Er folgt zur Jagd ihm jeden frühen Tag ; 
In Wald und Feld, im Dickicht und im Grase, 
Stets wittert er mit hochgehobner Nase; 
Er läuft, er spürt, er späht auf einen Schlag, 
Sucht alles ab für seines Herrn Gewehr, 
Bringt ihm das Wildpret auf, setzt hinterher, 
Und ihm zum Opfer fällt gar mancher Hase. 
Der flüchtgen Wachtel folgt er, den Fasanen ; 
Das scheue Rebhuhn, das quer übers Feld 
Sich einen Rettungsweg versucht zu bahnen, 
Wird eingeholt von Medor und gestellt ; 
Er wartet reglos mit gespitztem Ohr, 
Geschärften Augen und gereckten Krallen, 
Bis aufgescheucht vom Jäger sich empor 
Das Rebhuhn hebt, um gleich zurückzufallen. 
Er stürmt herbei mit blitzgeschwindem Sprung, 
Packt's mit den Zähnen, ohn' es zu verletzen, 
Und apportiert es seinem Herrn im Schwung. 

Talent genug, um Medor hochzuschätzen. 
Doch sind ihm auch noch Tugenden beschert; 



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3i6 



Der Jagdbund 



Er ist nicht nur geschickt, er ist auch fügsam, 

Sein Herz kommt seiner Nase gleich an Wert: 

Er ist gelehrig, zärtlich, sanft, genügsam 

Und treu vor allem. Ach, von altersher 

Wohnt diese Tugend meist in Hundeherzen ; 

Das Menschenherz beut ihr kein Obdach mehr. 

Mich grämt, wieviel wir uns dadurch verscherzen. 

Ja, Medor liebte nicht nur seinen Herrn, 

Auch dessen Weib, auch dessen kleine Kinder 

Und Vettern, Freunde, Nachbarvolk nicht minder. 

Er sagte zu sich selbst: „Von Herzen gern 

Lohn' ich die Sorgen derer, die mich nähren. 

Wie sind sie doch zu mir so liebevoll ! 

Wollt" es das Unglück, daß ich sterben soll, 

So weiß ich, daß sie todestraurig wären. 

Drum will ich ihnen dienen lebenslang." 

Dies waren des getreuen Hundes Worte, 

Dies war sein Vorsatz. Doch im Nachbarorte 

War dazumal ein junger Herr von Rang, 

Reich, glänzend, Jägersmann von echtem Schrot, 

Der für die Rebhuhnjagd sein Dorf verheerte, 

Die Bauern sterben ließ vor Hungersnot, 

Jedoch im Winter die Fasanen nährte 

Und sich beklagte, wenn bei Saat und Ernte 

Der Ackersmann die Wachteln ihm entfernte. 

Er sieht den Medor, ist von ihm entzückt; 

Er geht zum Wächter, zeigt ihm Gold in Haufen: 

„Dein Hund gefällt mir gut; ich will ihn kaufen." — 



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Der Jagdhund 



„Ach, gnädger Herr, mein Hund ist hochbeglückt, 

Weil er zu solcher Ehre ward erkoren. 

Medor, hierher!" Doch mit gesenkten Ohren 

Und trägem Schritt naht Medor sich bedrückt, 

Legt zitternd ihm zu Füßen sich ; zu schmeicheln 

Um Gnade scheint sein demutvoller Blick : 

Jedoch umsonst. Es schlingt, statt ihn zu streicheln, 

Der Wächter um den Hals ihm einen Strick 

Und stößt ihn unbarmherzig, ungerührt 

Mit grobem Fußtritt und mit rohem Hiebe 

Zum neuen Herrn, der ihn sogleich entführt. 

„Weh mir," sagt Medor sich, „war das die Liebe?! 

Ist er im Handumdrehn mir nicht mehr hold? 

Mein Leben gab ich ihm, wenn er gewollt, 

Und der Verräter gibt mich hin für Gold ! 

Es zwang ihn wohl dazn die Dürftigkeit: 

Gar teuer kommt es, einen Hund zu pflegen ; 

Die Armen dürfen keine Liebe hegen. 

Sie tun mir, ach, von ganzem Herzen leid! 

Anhangen will ich meinem neuen Herrn; 

Dien' ich ihm gut, hat er gewiß mich gern, 

Und ganz gesichert wird hierdurch mein Heil sein ; 

Denn weil er reich ist, werd' ich ihm nicht feil sein." 

Von nun an kennt der Hund kein ander Streben, 
Als daß er seinem neuen Herrn gefällt; 
Und es gelingt. Geduldig und ergeben 



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3i8 



D er 7 a i db u n à 



Kommt er zum Ziele, das er sich gestellt. 

Der Liebling seines Herrn ist Medor bald, 

Er folgt ihm stets, darf an der Tafel essen ; 

Von ihm wird ausgestochen jung und alt, 

Es kann mit ihm an Gunst sich niemand messen ; 

Ihn zieht sein Herr in unverdecktem Spiel 

Sämtlichen Freunden vor und all den Seinen, 

Selbst seiner Frau. Dies wird euch glaubhaft scheinen; 

Denn solchen Herrn gilt ihre Frau nicht viel. 

Medor, der glückliche, weckt manchen Neid, 

Das alte Schicksal aller wahren Größen. 

Vom Kammerdiener bis zur Küchenmaid 

Haßt jeder ihn, und doch mit Rippenstößen 

Drängt jeder sich an ihn als Weihrauchspender: 

„Was für ein süßer Hund!' 1 so rufen sie, 

«Wer teuer den gekauft, war kein Verschwender." 

Dann leis, beiseit: „O das verdammte Vieh! 

Wann werden von dem Köter wir befreit?" 

Ein Jahr verrinnt, und Medor, im Gedanken, 

Daß ihn sein Herr vergöttert ohne Wanken, 

Frißt, säuft und schlummert voll Zufriedenheit. 

Doch eines Tages, da — wie zu geschehen 

Es täglich pflegt — sein Herr zur Jagd ihn führt, 

Läuft, aus Versäumnis oder aus Versehen, 

Der große Medor, ohne daß er spürt, 

An einem Rebhuhnschwarm vorbei. Ergrimmt 

Versetzt sein Herr dafür ihm Peitschenschläge. 

Geprügelt jagt nun Medor doppelt träge 



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Der Jagdhund 3 I q 

Und steigert, weil er mürrisch sich benimmt, 
Den Mißmut seines Herren bis zum Rochen. 
Das Urteil wird ihm alsobald gesprochen : 
Hinaus mit Medor! Flugs mit Rutenhieben 
Wird von dem übereifrigen Gesind 
Der gute Medor aus dem Haus getrieben, 
Und unser Hund, der aus der Schlacht entrinnt, 
Zerbleut und lahm, mehr tot als noch lebendig, 
Erkennt, daß die gepriesnen Herrn von Stand 
Nicht stets mit ihrer Freundschaft sind beständig 
Und ihren Günstling wechseln kurzerhand. 
„Wohl," sagt er, „klüger macht mich diese Strafe: 
Grausam von einem Edelmann zerrauft, 
Von einem Wächter schonungslos verkauft, 
Will ich nicht länger fronen als ein Sklave. 
Die Männer meid' ich; sie sind bös und roh. 
Weit minder grausam sind gewiß die Frauen ; 
Sie sind so sanft und lieblich anzuschauen. 
Versuchen wir's damit." Kaum sprach er so, 
Als Medor eine schöne Dame sieht, 
Die sich ergeht an ihres Liebsten Arme. 
Der Hoffnung trauend, die sein Herz durchzieht, 
Naht er und fleht, daß man sich sein erbarme, 
Leckt von des Pärchens Schuhen ab den Staub, 
Blickt auf zu ihm und säuselt: „Mit Verlaub, 
Wollt ihr nicht Mitleid gönnen meinem Harme?" 
Das Herz der Liebenden ist immer weich. 
Die schöne Frau, gerührt im tiefsten Grunde, 



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320 



Der Jagdhund 



Erklärt zur Freundin sich dem armen Hunde 

Und führt in ihre Wohnung ihn sogleich. 

Der gute Medor zeigt mit manchem Blick 

Und manchem Sprung, wie sehr sein Dank sie segnet, 

Und als er ihrem Ehemann begegnet, 

Bellt er, aus Zufall oder aus Geschick, 

Ein Tun, das ihr erscheint als höchst vergnüglich, 

Und Medor wird ihr Liebling unverzüglich. 

Ein fröhlich Leben ist ihm nun bereitet: 
Viel glücklicher als bei dem großen Herrn, 
Schirmt er die Herrin, die er stets begleitet, 
Bei Tag und Nacht wie seinen Augenstern, 
Schläft neben ihr und glaubt sich ungestört 
Dank ihrer Huld von jeglicher Bedrängnis. 
Doch eines Nachts will leider das Verhängnis, 
Daß der Geliebte, dem ihr Herz gehört, 
Ihr etwas ganz Geheimes will gestehen, 
Sich leiser, als ein Dieb es je vermocht, 
Um zwölf nach allgemeinem Schlafengehen 
In ihre Wohnung schleichend auf den Zehen, 
Sacht an das kaum verschloßne Zimmer pocht, 
Worin die Schöne, seiner harrend, weilt. 
Beim ersten Laut stürzt Medor auf der Stelle 
Wachsam herbei mit schrecklichem Gebelle, 
Sodaß das ganze Haus zusammeneilt, 
Der Liebste blitzgeschwind das Weite sucht, 
Im stillen diesen Satanshund verflucht 



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Der Jagdhund 



Und wütend schwört, er werd' an ihm sich rächen. 
Die Dame schwört es auch, mit gleichem Groll. 
Am Morgen nach dem nächtlichen Verbrechen 
Nennt die barmherz'ge Frau den Medor toll. 
Schon seit drei Tagen meid' er Speis' und Trank, 
Und wolF ihr auch das Herz dabei zerspringen, 
Müss' einen Hund, der so gefährlich krank, 
Dem Allgemeinwohl man zum Opfer bringen ; 
Drum stimmt sie zu, daß man ihn stracks ersäuft. 
Sofort mit Stöcken, Knütteln, Spießen, Schlingen 
Verfolgt man ihn, zum Rudel angehäuft. 
Doch Medor kommt zuvor, ergreift mit Schrecken 
Die Flucht vorm Tode, der ihn schon umkrallt, 
Rennt weit hinweg, um in dem dichten Wald 
Sich fern von seinen Feinden zu verstecken. 

Er denkt: „Wohlan, wenn's lang so fortgehn mag, 
Dann wird sein Ende finden all mein Kummer. 
Bisher ging's immer schlechter Schlag auf Schlag; 
Bald bringt Erlösung mir der ew'ge Schlummer. 
Doch will ich wenigstens in Freiheit sterben, 
Will keinem dienen mehr und keinen sehn, 
Will selbst mir meinen Unterhalt erwerben, 
Beliebig jagen, rasten, kommen, gehn, 
Nicht mehr Tyrannen blind Gehorsam zollen. 
Dann bin ich frei von jeglicher Gefahr 
Und muß nicht furchten, daß, von Gift geschwollen, 
Mich eine schöne Frau verschreit als Tollen, 

Fulda, Die gepuderte H use 31 



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32 2 



Der J agdhund 



Bloß weil ich treu, bloß weil ich tapfer war. 
Entschlossen bin ich, ganz fur mich zu leben." 

Er tut's; doch dieses triste Dasein droht 
Dem Überdruß ihn bald anheimzugeben. 
Für andre leben gilt als Hauptgebot 
Den armen Herzen, die Gefühl durchloht. 

Bald sehnt sich Medor, tief bedrückt von Gram, 
Nach der Vergangenheit, selbst nach den Schlägen, 
Die einst von Herrn und Herrin er bekam. 
Er spürt, wie sein Verdruß und Zorn sich legen, 
Sucht in dem Dorf den alten Wächter auf, 
Kehrt heim zu diesem ersten, liebsten Bunde, 
Vergißt in ihm den schmählichen Verkauf 
Und sagt beschämt im Kreis der andern Hunde : 
(( Ich bin im Unrecht, freilich; doch ihr seht, 
Wie weit nun einmal meine Schwäche geht 
Für dies Geschlecht, das unser wert ist nimmer. 
Verzeiht mir, bitte, meinen Selbstbetrug. 
Wer Undankbare liebt, hat's schlimm genug; 
Wer niemand liebt, hat's aber zehnmal schlimmer. 1 




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DIE HENNE VON GAUX 

Man weiß, daß manche guten Leute blind 

Ihr Vaterland herabzusetzen pflegen, 

Der andern Länder Sitt* und Brauch dagegen 

Verhimmeln, ohne daß die besser sind. 

Ob solcher Unbill, daß ich's nicht verhehle, 

Ist manches Mal mein heller Zorn entbrannt; 

Nicht als besäß', mit gegen teil'gem Fehle, 

Ich Freundschaft, Achtung nur fürs eigne Land. 

Fern sei mir solcher Pöbelwahn ; er ist 

Der unglücksel'ge Quell von Haß und Zwist! 

Die Redlichen sind Brüder allerwärts. 

Doch ohne fremde Völker drum zu hassen, 

Kann man das eigne schließen in sein Herz. 

Man trifft, ihr mögt euch fest darauf verlassen, 

Am Seine-Ufer grad so viel Verstand, 

Geist, Anmut, Ehre, Tugend, obendrein 

Auch Glück, als man am kalten Themse-Strand, 

Am Po, am Tajo findet und am Rhein. 

Ich will versuchen, daß ich's euch beweise; 

Und wenn aus Freimut ich auf meiner Reise 

In kleinen Zügen etwas boshaft bin, 

Laßt, Italiener, Spanier, Deutsche, Briten, 



324 



Die Henne von C aux 



Mich im voraus um eure Nachsicht bitten ; 
Denn euch zu kränken hab' ich nicht im Sinn. 

Im alten Neustrien, im Landstrich Caux, 

Den unsre samtlichen Gerichte kennen, 

Wuchs eine Henne, guten Futters froh, 

Heran als Zierd' und Vorbild aller Hennen. 

Denkt euch Gefieder schwarz wie Ebenholz, 

Mit goldnem Rand verbrämt, ein Silberschöpfchen, 

Ein vom Zinnoberkamm gekröntes Köpfchen, 

Die Augen lebhaft, Gang und Miene stolz: 

Da habt ihr sie. Nehmt hiermit im Verein 

Ein weiches und empfängliches Gemüte, 

Sanftmut, vor allen Dingen Seelengüte, 

Genügend Geist, um liebenswert zu sein, 

Und nicht genug, um unbequem zu werden. 

Ihr einz'ger Fehler war die Eitelkeit; 

Ach, wer ist völlig frei davon auf Erden? 

Bereits in ihrer ersten Jugendzeit 

Verdrehte sie den Kopf den Nachbarhähnen ; 

Doch nicht auf Siege von so leichter Art 

Erpicht, entzog sie sich dem Liebessehnen. 

Vergeblich werben rings um sie geschart 

Die ritterlichen Hähne heiß und zart, 

Den Hals gebläht, im Stelzschritt sich bewegend 

Und mit dem Flügelpaar den Boden fegend : 

Die reizgeschmückte Henne bleibt inmitten 

So vieler Freier kalt, hört ihre Bitten 



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Die Henne von Caux 



325 



Zerstreuten Blickes, haucht ein grausam Nein 

Und läßt sie stehn. Kommt mit entschlossnen Schritten 

Ein Waghals unternehmend hinterdrein, 

Schärft sie mit zorn'gem Schnabelhieb ihm ein, 

In Ehrerbietung Abstand zu bewahren, 

Wie einst Pénélope, die man noch jetzt 

Um ihrer Tugend willen rühmt und schätzt, 

Entfloh dem Angriff der Verfolgerscharen. 

Hochmut ist selten unbestraft geblieben ; 
Er macht nicht froh, langweilt uns schauderhaft: 
Es ist die jammervollste Leidenschaft, 
Hienieden niemand als sich selbst zu lieben. 
Unsrer Normannin kam dies bald zu Sinnen : 
Ihr schien zuletzt ihr Dasein öd und schal, 
Und ihres Herzens Leere schuf ihr Qual. 
Sie seufete tief. Ach, aber was beginnen? 
Sich ändern? Minder spröde sich betragen? 
Den jungen Hähnen kam' das wohl zu paß; 
Was aber würden dann die Hennen sagen ? 
Man kennt doch ihr Geklatsch und ihren Haß. 

So martern unsre Heldin Zweifelsfragen, 
Bis einst ein Brite, der auf mancher Reise 
Beständig vor der Langeweile flieht, 
Auf seinem Heimweg unsre Henne sieht 
Und augenblicklich kauft zu teurem Preise. 



3 2 6 



Die Henne von C aux 



Er schifft sodann sie mit der größten Schonung 

Nach London ein, und ein behaglich Nest 

Nah bei Northampton gibt er ihr zur Wohnung. 

Kaum sitzt in England die Französin fest, 

So sagt sie sich: „Es scheint mir an der Zeit, 

Daß meine stolze Strenge sich vermindert, 

Meine Moral sowie mein Ton sich lindert. 

Bisher ging meine Sittsamkeit zu weit ; 

Daß ich zu jung noch war, hat mich behindert. 

Jetzt aber nehm' ich hier, sobald ich kann, 

Mir einen frischen, guten, treuen Mann. 

Mir blüht ein Glück nur, wenn ich Mutter werde. 

Ein Etwas tief im Herzen sagt mir s an, 

Daß dies mein Lebensziel ist auf der Erde." 

Viel eingeborne Hähne nahn ihr bald. 

Schmuck, selbstbewußt und stattlich von Gestalt 

Sind alle; doch bei näherer Betrachtung 

Bemerkt man ihre gründliche Verachtung 

Für jedes Huhn, das nicht aus England stammt. 

Sie schau n auf sie herunter insgesamt, 

Und ohne lange Umstandskrämereien 

Beginnt um sie der hübschste so zu freien : 

w Hör', Miß, in mir gewahrst du deinen Herren. 

Doch du gefällst mir; ich bin Sultan hier 

Und will dir meinen Harem nicht versperren; 

Komm denn mich lieben, ich befehl' es dir." 



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Die H enne von C aux 3 2 7 

Auf dieser Redeblumen duft'gen Flor 
Verbleibt sie stumm und ohne sich zu regen ; 
Denn allzu groß kommt ihr die Ehre vor. 
Dem Sprecher tritt ein andrer Hahn entgegen 
Und sagt: „Goddam, Ihr seid sehr gnadenreich! 
Ihr hier der Herr? Ihr Sultan? Diese Worte, 
In unsrer Sprache sind sie nicht am Orte, 
Wir sind als Briten alle frei und gleich. 
Mit welchem Recht wollt Ihr allein gefallen 
Der fremden Henne, die doch Untertan 
Und eigen ist genau wie Euch uns allen?" — 
„Da ist mein Recht", versetzt der erste Hahn 
Und hackt mit seinem Schnabel auf den Kamm 
Des Gegners ein, der wie ein Felsen stramm 
Dem Angriff trotzt, sich auf die Sporen hebend 
Ausweicht, zurückkehrt, und, vor Kampfwut bebend, 
Gereckten Halses stürzt zum Gegenpralle. 
Die beiden Kämpfenden umdrängt man dicht, 
Man nimmt Partei, man mengt sich ein, man ficht, 
Reißt sich in Fetzen. Aus dem wilden Schwalle 
Flieht unsere Französin ganz entsetzt 
Durch Wald und Feld, läuft, fliegt, um dieser Meute 
Schnell zu entgehn, von dannen wie gehetzt. 
„Was für ein Land!" so ruft sie; „was für Leute! 
Die Freiheit ist fur sie nur Kampf und Zwist; 
Sogar in ihrer Liebe sind sie Flegel. 
Hinweg, hinweg von hier!" Nach kurzer Frist 
Kommt sie zur Themse hin, entdeckt ein Segel, 



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Die Henne von C aux 



Das nah dem Ufer gleitet durch die Wogen. 
Sic schießt drauf zu ; das ganze Schiffsvolk lacht, 
Da sie ins Wasser purzelt unbedacht; 
Doch wird sie gleich darauf herausgezogen, 
Und so gelangt sie unversehrt an Bord. 

Dies Schiff hat Fracht nach Spanien zu tragen 

Und landet in Cadix nach wenig Tagen. 

Hasch flattert unsre Henne von ihm fort, 

Um sich ins unbekannte Land zu wagen. 

Sie sieht in seiner Täler Üppigkeit 

Oliven untermengt mit Maulbeerbäumen, 

Die Purpurtrauben und das Goldgetreid', 

Sieht die Orangen an den Straßensäumen, 

Die süßen Duft verhauchenden Zitronen, 

Die schon von Kindheit an durch Überfluß 

Gleichzeit ger Blüt' und Frucht dem Gärtner lohnen, 

Verbindend mit der Hoffnung den Genuß; 

Der Weidelämmer munteres Gewimmel, 

Die Rosse, die sich tummeln auf der Flur, 

Kurz, überall das Füllhorn der Natur, 

Das Gaben ausstreut unter günstgem Himmel. 

Sollt' euch die lauge Schilderung ermüden, 

Vergebt sie mir; ich schwärme für den Süden. 

Geschmack an ihm gewann auch unsre Henne; 
Ganz leise, voll Bewundrung sagte sie: 
„Dies Land ist vorzuziehn der Normandie. 

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Die Henne von Caux 



So sehr, daß nie mehr ich von ihm mich trenne." 
Im selben Augenblick tritt auf die Szene 
Ein junger Hahn, von ihrem Reiz berückt, 
Ein junger Hahn, den mancher Vorzug schmückt; 
Zwar ist er nicht so schön wie Englands Hähne; 
Doch hat er einen Zug von Majestät, 
Der stark verfuhrt ; auch weiß er zu bestricken 
Durch Augen, die so klug wie feurig blicken. 
Er spricht zur Henne feierlich beredt 
Und würdevoll, wie hier zu lesen steht : 
„Fürstin der Hennen, Zierde dieser Ebnen, 
Ja, dieses Fruchtlands neue Sonne nun, 
Ihr werdet jeden Eurer Untergebnen 
Abspenstig machen seinem Lieblingshuhn. 
* Unbillig wär' es, würd' uns das verdacht. 
Geblendet waren wir bisher von Sternen, 
Die nicht mit Euch vergleichbar sind an Pracht ; 
Doch wenn wir anderen den Hof gemacht, 
War's nur, damit wir Euch zu lieben lernen. w 

Dies sprach der Hahn von Andalusiens Aun, 
Und seine Rede, wenn auch sehr geschliffen, 
Schien der Französin hübsch ; sie gab ergriffen 
Ihm Antwort voll Beseeltheit und Vertraun. 
Geführt von Amor wandeln sie zu zweit, 
Als eine Elster leise wie auf Socken 
Mit scheuem Blick, in schwarz- und weißem Kleid 
Vorüberhuscht. „Ach," ruft der Hahn erschrocken, 



33o 



Die H enne von C au x 



„Ich bin verloren, bin dem Tod geweiht!" — 

„Was redet Ihr? Was schafft Euch solchen Schreck?" — 

„Der Vogel dort." — „Vor einer Elster zagen? 

Mit Schnabelhieben werd' ich sie verjagen." — 

„Nehmt Euch vor ihr in acht !" — „Zu welchem Zweck?" — 

„Ich merk', Ihr kennt nicht unsres Lebens Klippe: 

So wißt, daß diese schnöde Vogelsippe, 

Die man hier haßt und dennoch hegt und hütet, 

Mit einem scheinbar freundlichen Gesicht 

Allüberall belauert, was man spricht 

Und was man tut, ja, was im Geist man brütet, 

Um es auf tausend Arten zu verdrehn 

Und flugs an Koch und Köchin zu verraten; 

Dann aber ist's gar bald um uns geschehn; 

Denn ohne Mitleid werden wir gebraten." — 

„Gebraten?!" — „Trotz der Unschuld unser beider, 

Jawohl. Ich hab' Euch leis mein Herz entdeckt, 

Ihr habt gelauscht, und das genügt schon, leider, 

Daß man heut Abend an den Spieß uns steckt." — 

„Wohl!" sagt sie, wieder auf das Schiff sich schwingend, 

„Ein Glück, daß ich den rechten W T eg nun weiß. 

Zwar euer Land ist schön und herzbezwingend, 

Für unsereins jedoch etwas zu heiß. 

Voll Lieb' und Trauer geb' ich euch den Schwur: 

An Geist und Herzen wärt ihr Mustergatten; 

Doch alles, was euch schenkte die Natur, 

Vor den schwarzweißen Spähern tritt's in Schatten. 

Mögt ihr von ihnen säubern euer Land." 



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Die H enne von C aux 33 I 

Sie sagt's und hat an Bord kaum Platz genommen, 

Als schon das Frachtschiff seine Segel spannt 

Und nach Livorno fährt. Dort angekommen, 

Lustwandelt sie zuvörderst an dem Strand 

Und sieht dort einen fetten jungen Hahn 

Dicht am Gestad' mit sanfter Miene nahn ; 

Er dreht sich um, tritt mit verschiednen Grüßen 

Hin zu der Fremden, spricht mit einem süßen 

Und hellen Tone, recht wie ein Galan: 

„Will Euer gütig Herz, bezaubernd Wesen, 

Zu dero Gnaden Cicisbeo nicht 

Sich einen italien'schen Hahn erlesen? 

Ich bin auf dieses Ehrenamt erpicht. 

Ach, meine Fehler kenn* ich wohl, mein Engel ; 

Doch durch Verehrung und durch Sklaverei 

Will ich ersetzen meines Wertes Mängel." 

So spricht er, seufzt und senkt den Blick dabei. 

Unsre Normannin hat gelauscht in Stille ; 

Doch warnt ein unbestimmter Widerwille 

Sie vor dem fetten, honigsüßen Herrn, 

Zumal vor seines Sprechens hellem Klange. 

Sie läßt ihn stehen, und es währt nicht lange, 

Da schaut sie, wenig Schritte von ihr fern 

Ein andres Huhn und fragt es : „Gebt mir kund, 

Gevattrin, wenn's beliebt, warum soeben 

Mir dieser Hahn solch heftig Widerstreben 

Hat eingeflößt. w — „Ach, wohl aus einem Grund, 

Der hart und traurig ist, doch nach der Mode 



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33s 



Die Henne von Caux 



In diesem Land, wo leider mit Methode 
Man eine schöne Stimme höher stellt 
Als andre Gaben, die ich zwar nicht nenne, 
Doch die von Fall zu Fall für eine Henne 
Sehr wichtig sind. Einst weckten in der Welt, 
So sagt man, unsre Hähne höchstes Staunen, 
Stark in der Liebe, fürchterlich im Streit. 
Es ändert, ach, sich alles mit der Zeit; 
Wir merkens: unsre Hähne sind Kapaunen. w 
Die Henne ruft im Zorn: „Ihr tut mir leid. 
Ich habe schon durchwandert viele Staaten; 
In England haben Schläge mir gedroht, 
Sodann in Spanien wollte man mich braten; 
Doch hier zu leben däucht mir schlimmre Not." 

Nach diesen Worten schwingt sie pfeilgeschwind 
Sich auf den ersten besten Reisewagen, 
Läßt sich, gleichviel wohin, von dannen tragen, 
Damit sie nur Italien entrinnt. 

Ein Deutscher saß in diesem Wagen drin 

Und führte nach Germanien sie hin, 

Zu seinem Schlosse bei Kursberchtolfgixen; 

Am Draufluß zwischen Innsbruck liegt's und Brixen.* 

Kaum sieht die Henne sich in diesem Land, 
Als ihre Schönheit hundert Hähne feiern ; 

* Man sieht, der gute Florian nimmt es mit der deutschen Geographie nicht 
genau. Der Übersetzer. 



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Die Henne von C aux 



333 



Doch sorglich von den vielen neuen Freiern 

Studiert sie den Charakter vorderhand. 

In dieser Hinsicht hat sie's gut getroffen: 

Sanft sind die wackren Deutschen, warm und offen, 

Die Ehre liebend, nicht die Schmeicheleien, 

Vorziehend der verlognen Kunst des Scheins 

Die minder leichte, beßre Kunst des Seins. 

Drum einen dieser Trefflichen zu freien 

Entschließt sich unsre Henne bald. Sie wählt 

Sich den, der ihr am besten hat gefallen, 

Und sie gesteht in Gegenwart von allen 

Ihm zu, daß gern sie sich mit ihm vermählt. 

„O, welches Glück!" versetzt mit Herzenspochen 

Der junge Hahn. „Doch frei herausgesprochen, 

Ihr wißt wohl, was als erstes hierzuland 

Von nöten ist, um Ehen anzubahnen : 

Daß Ihr den Nachweis bringt von sechzehn Ahnen." — 

„Wie? Sechzehn Ahnen?" fragt sie hochgespannt. — 

„Ja, dies die Vorschrift, und sie wirkt als Zwang." — 

„Erklärt mir doch; ich kann Euch nicht verstehen: 

Was denn für Ahnen?" — „Nun, von Adelsrang. 

Denn Adel wiegt weit mehr iu unsern Ehen 

Als Zärtlichkeit; und mangelt es an dem, 

So kann ein Hahn den Zutritt nicht erhalten 

Zu jenen sogenannten Zuchtanstalten, 

In denen er sich unnütz und bequem 

Auf Kosten seines Vaterlands ernährt. 

Desgleichen werden unsre jungen Hennen 



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334 Die H enne von Caux 

\— — ... 1 ■ — 

So gut gefüttert und so hoch geehrt, 

Daß lebenslänglich sie nichts andres kennen 

Als Kurzweil, Müßiggang und Wohlgefuhl." 

Die gute Henne lauscht mit offnem Schnabel, 
So staunend, als erzähl' er eine Fabel, 
Denkt nach und sagt ihm ruhig, aber kühl : 
„Ich, lieber Freund, bin nicht von Adelstand, 
Weiß nichts von euren Regeln und Schikanen; 
Doch Lieb' und Tugend sind mir wohlbekannt 
Und wichtiger als eure sechzehn Ahnen : 
Ein Brautschatz, der mir ganz genügend scheint. 
Drum will ich nicht in diesem Land verharren, 
Wo wen'ger Klugheit herrscht, als ich gemeint. 
Ich merke, jedes Land hat seinen Sparren ; 
Mir — ohne die verschiednen zu vergleichen — 
Ist meine Heimat mehr als andre wert. w 

Nach diesen Worten macht sie schleunigst kehrt 
Und will gradaus ihr Vaterland erreichen. 
Es war ihr Plan, so sagt mir ein Gemunkel, 
Ein Buch zu schreiben, sehr abstrakt, sehr lang, 
Besonders, um ftir tief zu gelten, dunkel, 
Behandelnd Ursach' und Zusammenhang 
Von Recht, Gesetz und Sitten der Nationen 
Nebst manchem höchst erleuchtenden Beleg. 
Wohl mochte sich ein solches Werk verlohnen; 
Doch die Verfaßrin fraß ein Fuchs am Weg. 



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QUELLEN VERZEICHNIS 



Vergier, Jacques. Geb. Lyon 1657. Gest. Paris 1720. 

Oeuvres. Londres, 1780. 1 
Du Cerceau, le Père Jean Antoine. Jesuit. Geb. Paris 1 670. 
Gest. Véret (Touraine) 1730. 
Poésies diverses. Paris, 1772. 
Rousseau, Jean Baptiste (nicht zu verwechseln mit seinem 
jüngeren und berühmteren Namensvetter Jean Jacques). Geb. 
Paris 1670. Gest. Brüssel 1 74 1 - 

Contes inédits, éd. V. de Luzarche. Bruxelles, 1881. 
Grécourt, Joseph Willart de. Geb. Tours i683. Gest. ebenda 
1743. 

Oeuvres diverses. Paris, o. J. • 

Oeuvres badines. Brüssel, 1881. 
Piron, Alexis. Geb. Dijon 1689. Gest. Paris 1773. 

Oeuvres complètes. Paris, 1776. 
Voltaire, François Marie Arouet de. Geb. Paris 1694. 
Gest. ebenda 1778. 

Oeuvres. 

Erstdruck in: Contes de Guillaume Vadé. Genève, 1764 
Gresset, Jean Baptiste de. Geb. Amiens 1709. Gest. ebenda 
1777. 

Oeuvres. Paris, 1793. 
Desfontaines La vallée (eigentlich: Guillaume François Fou- 
ques des Hayes). Geb. Caen 1733. Gest. 1825. 

Chefs d'œuvre des Conteurs Français, XVIII. Siècle, éd. 
Charles Louandre. Paris, 1903. 



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Quellenverzeichnis 337 

Dorat, Claude Joseph. Geb. Paris 1734. Gest. ebenda 1780. 

Recueil de contes et de poèmes. La Haye, 1776. 
Bouffiers, Stanislas, Chevalier de. Geb. Nancy 1738. 
Gest. Paris i8i5. 

Oeuvres choisies. Paris, 1827. 
Choderlos de Laclos, Pierre Ambroise François. Geb. 
Amiens 1741. Gest. Tarent i8o3. 

Poésies, éd. A. Symons et L. Thomas. Paris, 1908. 
Imbert, Barthélémy. Geb. Nîmes 1747. Gest. Paris 1790. 

Historiettes ou Nouvelles en vers. Amsterdam et Paris, 1774. 
Florian, Jean Pierre Claris de. Geb. Schloß Florian 1755. 
Gest. Paris 1794. 

Oeuvres complètes. Leipzig, 1826. 




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Berlin. Die Einbände fertigte die Leipziger Buchbinderei A.-G. 
vorm. G. Fritzsche in Leipzig nach Entwürfen von Hugo Steiner» 
Prag. Zweihundert Exemplare wurden au f hand- 
geschöpftes Bütten abgezogen und numeriert. 



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