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Full text of "Forschungen zur deutschen Geschichte"

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FORSCHUNGEN 
ZUR 
DEUTSCHEN 


GESCHICHTE 





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BOUGHT WITH THE INCOME 
FROM THE BEQUEST OF 
CHARLES SUMNER, LL.D., 
OF BOSTON, 
(Class of 1830,) 
FOR 












“BOOKS RELATING TO 


POLITICS AND FINE AMTS.” 








* 





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Forſchungen 


zur 


Deutſchen Geſſchichte. 


AUF VERANLASSUNG HERAUSGEGEBEN 
UND MIT DURCH DIE 
UNTERSTÜTZUNG HISTORISCHE COMMISSION 


SEINER MAJESTAET 
DES KÖNIGS VON BAYERN 
MAXIMILIAN II. 


BEI DER 
KÖNIGL. ACADEMIE DER 
WISSENSCHAFTEN. 





— 
Götkingen, 
Verlag der Dieterichſchen Buchhandlung. 
1874, 


Inhalt. 





Kaiſer Ludwig der Baier, Meiſter Ulrich der Wilde und Meiſter Ulrich 
ber Hofmaier von ee, Bon Archivar Dr. S. DO. Riezler 





8. Die erften Sächſiſchen — ee 21 
9. Wann wurde — — af von 
. / j 





10. Weber und der fogenannten Constitutio de ex- 


itione Romana, . ; ME Kate 





Abt Hugo aus dein Haufe der Welten Markgraf von Reuftrien. Bon 
Dr. K. v. Kaldftein in Königeberg. -. ». . » — 37 
Beiträge zur Kritik mittelalterlicher Quellenſchriften. 

Kleine Bemerkungen Karolin Annalen. Bon 








Der Glofjator der Gesta — BE Bon Dr. 
E. Bern eim in Göttingen. EEE EEE 





Die Continuatio secunda — — Gall. Bon M. 
Bernheim in Strafbur. . . 





Noch einmal Magifter Guntherus. Bon Dr. A. Bannenbor 

in Aurid. . . . i — 
Ueber eine Coronica — Bas = ver⸗ 
wandte Quellen zur Geſchichte des dreizehnten und vierzehnten 

Jahrhunderts. Bon Prof. H. Ulmann in Greifswald.. — 207 
Bierzehnte Plenar-Berfammlung der hiftoriihen Commiſſion bei der 
löniglich bayerischen Akademie der Wiffenfchaften. 1873. Bericht 

DE Bis, , ss. a a a 
Der Bauernkrieg auf dem Gebiete der freien Reichsſtadt Schwäbiſch 

Gemünd. Bon Paftor E. Wagner zu Mihelbah. . . .» . — 29 

Die Wahl Wenzeld von Böhmen zum — Könige. Bon Prof, 


. Lindner in Breslaır. 











Kritif Thietmars von Merfeburg. Bon Dr. $. Strebitti in 
Neuſtadt Wir. -» » » .» 2 2. — — 





Iv 


Kleinere Mittheilungen. 
Bericht des Herzogs riftian von Braunfchweig über feinen 


Rü Stadtlohn. Bon Dr. J. O. Opel in Hall. . S. 369 
War Erzbifhof Konrad von Cöln ſchon 1241 licher Legat? 

Bon Dr. H. Cardauns in Bonn. . . . : 
Der Untergang des Schweinfurtjchen Su Bon Aovocat N 
. Stein in Schweinfurt. — RE 
Ein Erlaß Knuts des Großen. Bon Brof. F auli in 

Göttingen.... .. 

Bauordnun ber end die erftellung der Stadtmauern von 

Worms. Bon Pfarrer Dr. F. Falk zu Mombad. . . . — 397 
Nacträgliches über Ermenrich von Ellwangen. Bon Prof. €, 


Dämmier. in DE „5 28 2 8 2 6% 
Ein Suevenlönig Veremund. Bon Dr. F. Görres in Düf- 
feldorf.. » » . Eee 
Ueber den fogenannten Libellus- de — potestate in 


Urbe Roma. Bon Dr. 3. Jung in Innsbrud ; . — 409 
Die Sachſenchronik und ihr Berfaffer. Bon Dr. 8, Beiland in 


BEE a a a a a a a 
Beiträge zur Gefchichte de8 Bauernfriegs in Thüringen. Bon Paft. 
em. 3. 8. Seidemann in Dresden... - 2 2 2 2 0... z2611 
2. Die Unruhen in Langenfalze. 
Kleinere Mittheilungen. 
Die Schladht von Döffingen. Von Dr. Th. Rupp in Reutlingen. — 551 


Eine Leipziger Handjchrift der Summa cancellariae Caroli IV. 


Mitgetheilt von Dr. B. Stübel in Leipzig. ä — 
Fragment eines mitteldeutſchen Formelbuches aus - Ende des 
13. Jahrhunderts, Mitgetheilt von Dr. M. Berlbad in 
Königsberg. 22609 
= Geſchichte — Ton rof. A. Bufjon in Innsbrud. 
Der Tag des Ausmarſches aus Rom... eu — 576 


A Urkunden zur Geſchichte Conradins. } — — 583 
Das Gedicht über den Mongoleneinfall. Bon Director w. — 


berg in Bremen, . . . 2. — 5% 
Haudſchriftliches von Pfarrer Dr. F. gaıt zu Mombad; 2.0 — 613 
Die Landgrafen Hermann von Winzenburg, Bon Prof. 8. Fr. 


— 377 










— 382 








— 560 














Stumpf in Iunsbrud. . . u“ TE — 621 
Angilbert und Hibernicus exul. Bon Prof. B. Simjon in 
reiburg. — 623 





Berichtigungen (zu dem ainſebe von Mahrenholt v. XII) 
bon Dr. A. i “ en 627 


Kaifer Ludwig der Baier, 
Meifter Ulrich der Wilde und Meifter 
Ulridy der Hofmaier von Augsburg. 


Pon 


3. ©. Riezler. 


XIV. 1 


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Das im Jahre 1372 verfaßte Chronicon de ducibus Ba- 
variae gibt, um den Streit zwifchen Yudwig dem Baiern und Bapft Jo— 
hann XXII. zu erflären, folgende merfwiürdige Erzählung zum beiten !: 

„Da nun Ludwig al8 römischer König beftätigt war, fehlte ihm 
nichts von den Erfordernijjen eines weifen Mannes und Herrſchers — 
nur daß er fein Latein verjtand, Dadurch zog er fi unter anderen 
Uebeln auch den Zorn des Herrn Papftes, des Herrn Johanns XXIL, 
zu. Das nahın auf jolche Weile feinen Anfang. Ludwig hatte näm— 
lid einen Kanzler, Namens Meifter Ulrich von Augsburg, dem er 
fein Siegel und alle Schreibereien und Ausfertigungen getreulich über= 
fie. Diefer wurde beim König von einigen Vornehmen, denen es 
Ludwig nicht wohl verweigern konnte der Gerechtigfeit freien, Yauf 
zu laffen, eines ehrlofen Verbrechens beſchuldigt. Deßhalb nahın fich 

der König der Sache an und brachte fie nad) einigen Tagſatzungen 
dahin (partes suas interposuit et per quedam placita ad hoc 
perduxit), daß der genanıte Meijter Ulrich ſich mit funfzig Prä- 
laten von den Vorwürfen reinigen follte. Nachdem dieß in Nürnberg 
geichehen war, wurde Meifter Ulrich in das Kanzleramt und feine 
frühere Würde wieder eingefett. Zu derfelben Zeit ſchickte der rö— 
mifche König Qudwig, um die Gunft des apojtolifchen Stuhls zu er— 
langen, an die Curie eine feierliche Geſandtſchaft mit einem Schreiben, 
welches feinen willigen Gehorfam und feine völlige Unterwerfung ent— 
hielt. Daraus entuahm nun der genannte Kanzler die Veranlaſſung 
zu einer fchlimmen That, um feine erwähnte Beihimpfung auf 
falſchem Wege zu rächen; er fälfchte den an den Papſt zu richtenden 
Brief, jchrieb faljches ftatt wahrem, nannte den Papſt eine aus dem 
Meer auffteigende Beftie und mehr ähnliches in der Art, wie einjt 
Petrus de Vineis, alles ohne jegliches Wiljen des Könige. Dadurd) 
wurde der 2 Papſt gereizt oder vielmehr getäufcht, veröffentlichte 
gegen den König die Sentenz der Ercommunication und reizte Könige 
und Fürjten gegen ihn auf. Der Ausſäer jo großer Zwietracht aber 
fäte fo verborgen, fo liftig und fo lange den Samen feiner Bos— 
heiten unter die Häupter der Welt, bis er, al8 der König von Rom 
— mo er den Titel der Faijerlihen Würde erlangt hatte — zurüd- 


r 2 Böhmer, Fontes I, 142 (wiederholter Abbrud nad) Oefele, SS. 
‚ 40). 


1* 


4 


fehrte, durch Fügung der göttlichen Gnade auf dem Todbette feine 
Dosheit dem Kaiſer perfönlich befannte, und wie er das gethan und 
angerichtet habe aus Rache deßhalb, weil der König feine Anfläger, 
von denen oben gefchrieben wurde, nicht jogleich tödten, fondern zur 
Vermehrung feiner Verwirrung vor Gericht foınmen lief. Wie aber 
darüber der Kaifer geweint, gejeufzt und geflagt hat, kann niemand 
bejchreiben. Da er jedoch von den Aerzten erfuhr, daß der Kranfe 
binnen drei oder fünf Tagen unzweifelhaft fterben werde, jagte er: 
Obſchon diefer Schurke mit allen möglichen Foltern gepeinigt werden 
follte, wollen wir ihn doc) dem Urtheil oder der Barmherzigkeit dejjen 
überlaſſen, der ihn zu Tode getroffen“. 

Sagenhafter, einer ungefhidten Erfindung ähnlicher Tann nichts 
fingen als dieſe Anekdote, die von der genannten Chronik aus in 
zahlreiche hiſtoriſche Schriften des 15. und 16. Jahrhunderts überge— 
gangen iſt!, dieaber bei feinem einzigen gleichzeitigen Geichichtichreiber 
erfcheint und die Schon Aventin nicht mehr in feine Darftellung aufs 
nehmen mochte. Man fünnte glauben, daß diefer vorjichtigere For— 
jcher Hier wieder einmal feine Ueberlegenheit über Vorgänger und 
Zeitgenoffen gezeigt habe, da er es verjchmähte eine ſolche Fabel 
twiederzuerzählen. 

Und dennod) würde man mit einer völligen VBerwerfung der 
Sache? irre gehen: die fonderbare Geſchichte enthält einen nicht une 
bedeutenden Kern hiſtoriſcher Wahrheit, wie durd ein unanfechtbares 
Zeugniß, durch Kaiſer Ludwigs eigene Erklärung, dargethan wird. 

In dem demüthigen Schreiben vom 28. Dftober 1336, weld)es 
Ludwig durch den Pfalzgrafen Rupert und den Grafen Wilhelm von 
Jülich Benedift XII. überreichen ließ, find die Zugeftändnijfe des 

ı Im wörtlicher Meberfegung aus dem Chronicon de ducibus Bavariae, 
mit ausdrüdlicher Verweifung auf daffelbe, findet ſich die Erzählung zuerft wie— 
derholt im Chronicon de princibus terrae Bavarorum des Andreas von 
Negensburg (Fregberg, Sammlung II, 434) und in deffelben Chron. generale 
(Pez, Thes. IV, 2, 559); der Kanzler aber heißt hier: Meifter Unih Hangenor 
von Augsburg. In diefer Geftalt, bald mehr bald minder ausführlich, ift die 
Erzählung fodann aufgenommen von Sigmund Meifterlin (der einiges eigen- 
thümliche Hat, unter anderm, daß er das Schreiben an den Papft Clemens ge» 
richtet fein läßt; Chroniken dev deutſchen Städte III, 123 und, die etwas 
kürzere lateinische Faffung, 223), von Beit Arnped in feinem Chron. Bajoariae 
(Pez, Thes. anecd. III, 2, 332) und in feiner deutjchen Chronik (al8 baieriſche 
Chronik eines Ungenannten bei Freyberg, Sammlung I, 110; vgl. über diejelbe 
Kludhohn in den Forſchungen VII, 201) und im Chronicon Bavariae des 
Ulrich Onforg (Oefele, SS. I, 363). Im Chronicon Bavarorum de8 Priors 
Veit von Ebersberg (Oefele II, 719) heißt der Schuldige wieder nur Sekretär 
Ulrich von Augsburg, fo daß hier wohl eine unmittelbare Benutzung des Chron. 
de ducibus Bav. vorliegt. Aventin gibt die Erzählung nicht, obſchon fie ihm 
aus der einen oder andern der erwähnten Quellen befannt fein mußte, hat fie 
alfo aus Kritif verworfen. Dagegen hat fie Trithem. (Chron. Hirsaug. II, 
176) wieder aufgenommen. Weljer (Augsburgiiche Ehronit II, 101) nennt als 
Derräther den Augsburger Biſchof Ulrih von Schöneck, Kanzler des Kaijers. 

Wie fie unter andern Böhmer ausgeiproden hat, indem er bie Ge- 
—— für „ſagenhaft“ und „unbegründet“ erklärt (Fontes I, XVII 
um 


5 
Kaiſers gegenüber dem Papſte, überhaupt alles, was die Geſandten 
zu feiner Entſchuldigung vorbringen follten, in langer Reihe verzeichnet, 
darunter finden fich folgende Puntte: 

Item (damus legatis potestatem) ad confitendum vice et 
nomine nostro et pro nobis, quod in appellatione, quam feci- 
mus contra quondam dominum papam Joannem continetur, 
quod juravimus omnia ibi contenta vera esse, cum tamen 
multa ibidem haeretica et per ecclesiam damnata contineri 
dicantur eirca paupertatem Christi et apostolorum, multae 
etiam blasphemiae: et super his nos excusandi primo, quod 
nos expresse excepimus et diximus, cum dieta appellatio co- 
ram nobis facta fuit, quod de opinionibus fratrum Minorum 
de paupertate Christi et de. ecelesiae determinationibus nos 
immiscere seu intromittere minime intendebamus!, sed de his 
dumtaxat, quae jus nostrum et imperii tangebant. Item quod 
nos.nunquam juravimus, licet sic esset scriptum in appella- 
tione. Item quod reperitur, quod notarius, qui hoc feeit, sei- 
licet Ulrieus Goildronis malitiose et in vindietam contra nos, 
dicendo se per nos fuisse laesum, istam appellationem de 
consilio aliquorum volentium talem divisionem seminare, quod 
nunquam valeret eam aliquis reparare, fieri procuravit: et 
hoc confessus est in morte, et? a pluribus asseritur. Item 
quod illa non ceredidimus neque eredimus fore vera, in quan- 
tum sunt contra fidem et ecelesiae determinationem: nee sub- 
tilitates ibidem contentas nee alios articulos intelleximus, cum 
tales et talium ignari existamus®. Item quod de blasphemiis 
et falsis ibidem positis dolemus, quod ibi posita fuerunt et 
publicata *°, 

Diefe bisher wenig beachtete, nie genügend gewürdigte Stelle 
kann fih nur auf die umfangreiche Appellation beziehen, welche der 
Kaiſer am 22. Januar 1324 in der Deutfchordenscapelle zu Sachſen— 


ı Dieß hatte Ludwig fchon 1331 Johann XXI. erklärt. „Ir (Ludwigs 
Geſandte) mugt auch fürgeben von unſern wegen, da wir unjer Appellation 
machten unnd offenten, das wir mit Namen außnamen, das wir uns umb der 
Parfufjen chrieg, den fie von gots armut habent, nichts annemen und auch def 
nicht fweren wolten, als wir nad) erzuigen, mit unferm rat, ob fein not ge— 
ſchicht“ Gewold, Def. Lud. 119. Bon dem betrügeriichen Notar ift dagegen 
hier noch nicht die Rede; deſſen Geftändniß auf dem Todbette fällt aljo zwiſchen 
1331 uud 1336. 

2 Soll wohl ut heißen. 

° Sicut miles — heißt e8 an einer anderen Stelle defjelben Schreibens 
— scripturarum et literarum subtilitatum ignari, quia dicebantur me- 
liores magistri theologiae et fratres religiosi, non credentes nos aliquid 
contra fidem facere, appellationi eorum consensimus et sibi adhaere- 
bamus. 

* Naynald 1336 8. 33. 

5 In den Infteuftionen für die Sefandten, welche im Herbft 1343 mit 
Clemens VI. unterhandeln follten — Attenftücen, die an würdeloſer Selbfter- 
niedrigung das Schreiben von 1336 noch überbieten — findet fi in Bezug 


6 


haufen gegen den vom Papjte cingeleiteten Prozeß an ein allgemeines 
Gonzil richtete !. Hier wird zum erjten Male in einem Eaiferlichen 
Aktenſtücke die Streitfrage über die Armuth Chrifti hereingezogen ® 
und der Papſt wegen der darüber getroffenen Entfcheidung der Ke— 
gerei bejchuldigt. Die Nürnberger Proteftation vom 18. Dezember 
1323°, wenn fie auch ſchon eine Appelfation ans Gonzil enthält, 
kann doch deßhalb nicht gemeint fein, weil darin der Streit über die 
Armuth ChHrifti noch nicht berührt, dem Papfte im Gegentheil un= 
billige Begünftigung der Minoriten in einer andern Sache vorge- 
worfen wird*. Spätere gegen den Papſt gerichtete Erklärungen des 
Kaijers können ohnedieß nicht in Betracht kommen. 

In Bezug auf diefe Sadhjjenhaufer Appellation läßt nun Ludwig 
durch feine Gefandten eröffnen: als es fich um die Redaktion der- 
jelben handelte, habe er ausdrüdlich erklärt, in den rein religiöfen 
Streit, welcher zwijchen dem Papſt und den Minoriten über die Ar- 
muth Chrifti geführt wurde, ſich nicht mengen zu wollen; trogdem 
habe fein Notar, — wie er nad) mehrfeitiger Verfichernng auf dem 
Todbette befannte — um eine vermeintliche Beleidigung zu rächen 
und verführt durch die Einflüfterungen gewiffer Leute (in erfter Reihe 
offenbar Minoriten), welche den Zwiſt unbheilbar machen wollten, 
diefen Punkt in die Appellationsichrift aufgenommen; er, der Kaifer, 
halte die Anfiht der Minoriten in diefer Sache nicht für richtig, 
verjtehe übrigens als Kriegsmann nichts von diefen Subtilitäten. 

Diefe Erflärung ift um fo bedeutfamer, je wichtiger der hie- 
durch außer Kraft und Glauben geſetzte Abfchnitt der Appellations- 


auf obige Punkte ungefähr bdiefelbe Erklärung wiederholt; die den Notar be- 
treffende Stelle Iautet hier: Item quod nungquam jurabat (imperator), 
quomodocunque hoc sit, quod ita scriptum sit in appellatione, siqui- 
dem reperitur, quod notarius, qui nominatus erat Ulricus Groil- 
donis, istud fecit malo animo et ex iracundia contra illum, quia di- 
cebat se gravatum esse per eum, et sic conficiebat istam appellatio- 
nem, ex suggestione quorundam, qui ejusmodi dissensionem volebantsemi- 
nare, quam nunquam quisquam resarcire posset, et quod hoc confessus 
est in articulo mortis, sicut hoc ab omnibus asseritur. Gewold 186. 

ı Böhmer Nr. 719. Daß das Datum 22, Mai wahriheinlih in der 
angegebenen Weife zu ändern ift, hat Kopp, Geichichte der eidgenöffifchen Bünde 
V, 1, 129, gezeigt. 

2 Die langathınige, augenſcheinlich von einem Spiritualen verfaßte Erör- 
terung darüber, die mit den Worten: Non suffecit autem sibi temporalis 
imperii jura attentare — beginnt, ift vollftändig mitgetheilt in dem Abdruck 
der Appellationsichrift bei Baluze, Vitae paparum Avenion. II, 494; Dlen- 
ichlager, Staatsgeihichte, Urkundenbuch 127, hat fie übergangen, Raynald (1324 
8. 29. 30) nur einen kurzen Auszug mitgetheilt. 

3 Bei Gewold 68. 

* Durd) letzteren Hinweis beantwortet ſich auch die ofjene Frage nad) der 
Zeit der erften Verbindung zwiſchen Ludwig und den Minoriten, worüber feine 
direften Nachrichten erhalten find. Sie fällt zwilchen die Tage der Nürnberger 
und der Sachſenhauſer Appellation. Es waren aber nod) nicht die vielbeipro« 
chenen Häupter der Spiritwalenpartei unter den Minoriten, Cejena, Occam, 
Bonagratia, die damal® Schon an den Faiferlihen Hof kamen. Diefelben haben 
ſich vielmehr erft 1328 von Avignon aus zum Kaifer nach Italien geflüchtet. 


J 

ſchrift iſt. Die Gründe des Streites zwiſchen Kaiſer und Papſt 
lagen zwar natürlich viel zu tief, als daß man dem hier auf kaiſer- 
licher Seite vorliegenden Eingriff in das dogmatifche Gebiet großen 
Einfluß auf die fernere Entwidelung des welthiftoriichen Conflictes 
beimefjen könnte. Handelt e8 ſich jedoch um die Beurtheilung von 
Ludwigs Auftreten im Kampfe gegen Johann XXIL., fo mußte gerade 
diefer dogmatische Theil der Appellationsichrift bisher bejonderen An— 
ftoß erregen. Er ſchien die Reihe jener leidenfchaftlichen und maaß— 
fojen Schritte zu eröffnen, mit denen der Kaifer im Kampfe gegen 
den Papit auch jeinerfeit8 den Boden des formellen Rechts verlieh; 
er lag am Anfange der Bahn, an deren Ende Ludwigs unregelmäßige 
KRaiferfrönung, die Abjetung Johanns XXIL! und die Erhebung 
eines Gegenpapftes lagen. Wenn man nun der Angabe des Kaifers 
Glauben ſchenken darf, jo wird wenigftens einem .der vielen Vorwürfe, 
die von jeher gegen Ludwigs Kampfweife gerichtet wurden, der Boden 
entzogen ?. 

Dieſen Glauben wird man aber der faiferlichen Erklärung nicht 
wohl verfagen können. Daß Ludwig den Betrug, oder milder auf- 
gefaßt: die Competenzüberjchreitung feines Notars erfunden Habe, um 
durch bequemes Borjchieben eines DVerftorbenen feine Reinigung vor 
dem Papſte zu erleichtern, jcheint mir eine durchaus unhaltbare An— 
nahme. In diefem alle hätte der Kaifer feinem Diener vor allem 
die Berbalinjurien der Appellation zugefchrieben, die er doch hier auf 
eigene Nechnung nimmt. Daß unbekannte Dritte dem Raifer erfun- 
dene Bekenntniſſe feines Notars vorgefpiegelt hätten, ift ebenfowenig 
haltbar. Denn der überlieferte Tert der Appellation enthält ja in 
der That jenen Punkt, von dein der Kaifer Hier erklärt, daß er ihn 
nicht aufgenommen wijjen wollte. 

Die Möglichkeit einer Täuſchung des Kaifers durch feinen Notar 
aber wird ſich nicht dadurch erklären, daß der Kaiſer fein Latein ver- 
Itanden habe — wie fich die Ehronijten den Zufammenhang in naiver 
Weile zurechtlegen —, fondern dadurd), daß er von der endgültigen 
Redaktion der hochwichtigen Appellation nicht mehr Kenntniß genom— 
men hat; nur jo fanı er in der Inſtruktion von 1343 jagen: si- 
quidem reperitur, d. h. wenn der Text der an die Curie über- 
ſchickten Appellation wirklich jo lautet, wie man ihm verfichert. 

Es ergibt fi) aber nun, daß die Erzählung unferer baierifchen 
Chronif, jo unglaublich fie Fingt, doch ein gutes Stüd Wahrheit 
enthält. Nur daß hier alles übertrieben ift: daß der Kaiſer fein La— 
tein verjtand, jchrumpft dahin zufammen, daß er nichts wußte und 
wiſſen wollte von den Subtilitäten eines dogmatiichen Streites; daß 


ı Den angeblid) äufßerften Schritt des Kaijers, die Berfündigung des 


Todesurtheils gegen Johann (Böhmer, Reg. Nr. 995) erwähne ich hier nicht, 


weil dieß nur auf einer irrthümlichen Auffaffung Böhmers beruht. ©. Kopp, 
Geſch. der eidgenöffiichen Bünde V, I, 280 Anm. 6. 

? Später hat der Kaiſer freilich in wiederholten Erklärungen die dogma- 
tifche Oppofition der Minoriten auch auf eigene Rechnung genommen. 


— 


8 


der faljche Diener den Zwiſt zwifchen Raifer und Papſt entzündete, 
dahin, daß er zu feiner Verfchärfung beitrug; daß er den Papſt eime 
Beſtie des Meeres nannte, dahin, daß er ihn als Häretifer erklärte. 
Der Schuldige war ferner nicht ein Kanzler, fondern ein Notar des 
Kaifers, und die Gefchichte hat ſich zugetragen nicht bei einer der de- 
müthigen Gefandtichaften des Kaifers an die Curie!, fondern früher, 
in der Zeit der größten Spannung  zwifchen den beiden Gewalten. 
Was die näheren Angaben der Chronik über die durch Eideshelfer 
bewirfte Reinigung des Notars zu Nürnberg betrifft, jo muß deren 
Wahrheit jo lange dahingejtellt bleiben, bis es etwa gelingt fie durch 
ein gleichzeitiges Zeugniß zu befräftigen. 


Wer war aber der betrügerifche Notar, der den. Spiritualen zu 
Liebe feinen Herrn compromittirte? 

Die Frage ift weniger an und für ſich wichtig, als weil jie 
uns zugleich Veranlaſſung gibt, feit Jahrhunderten fortgeerbte Irr— 
thiimer zu befeitigen, welche das Andenken einiger unter Ludwigs Re- 
gierung hervorragender Perjönlichkeiten trüben. ine faum glaubliche 
Berwirrung herrſcht nämlich auf dem ganzen Gebiete, das wir mit 
diefer Perfonenfrage betreten. Ulrich) Goildronis oder Groildonis; 
Meifter Ulrich von Augsburg; Meijter Ulreich Hangenohr von Augs- 
burg; Biſchof Ulrich von Augsburg, Kanzler des Kaiſers; Meiſter 
Ulrich Hofmaier; Ulrich Laugenohr; Ulrich Hofmann; Ulrich) Hage- 


ı An die Gejandtihaft von 1343 hat fid) eine etwas ähnliche, doch rein 
fagenhafte Erzählung geknüpft, die fich zuerft beim Fortfeger des jogenannten 
Martinus Minorita (Eccard, Corp. hist. I, 1639) und nad) ihm wieder- 
holt bei Beit Aruped (Chron. Bajoariae, bei Pez, Thes. anecdot. III, 2, 
338) und deffelben baierifche Chronik (bei Freyberg, Sammlung I, 109) findet. 
Der Kaifer habe damals feinen Gejandten ein leeres, doch mit feinem Siegel 
verjehenes Pergament mitgegeben. In böswilliger Abfiht und um die Gunft 
des Papftes zu gewinnen, hätten es diejelben damit ausgefüllt, daß fie ihren 
Kaifer befennen ließen, er habe den Gegenpapft ungerechterweife eingelegt, er 
felbft jei ein Keter umd nicht rechtmäßig zum römischen König gewählt, jondern 
ein Eindringling. Damit hätte der Papft erreicht, was er wollte, und Ludwig ab» 
gejetst. Der Herausgeber Meifterlins (Chroniken der deutjchen Städte III, 123) 
reiht diefe Erzählung unter die oben angeführten vom falfchen Kanzler, nennt fie nur 
„etwas anders gewendet“ ; auch Böhmer (Fontes, I, 486) hat die beiden Geſchichten 
zufammengeworjen; fie find jedod) nad) Inhalt, Grad der Wahrheit und zu Grunde 
liegenden Thatfachen verschieden. Hier jollen ungetreue Gefandte ihren Kaifer 
ohne deſſen Wiffen bejchimpft haben; dort hat ein ungetreuer Kanzler ohne Wiffen 
des Kaifers den Papft befhimpft. Die Erzählung der baierifchen Herzogschronif 
ift, was die Hauptjache, den Betrug des faijerlichen Dieners betrifft, richtig, die 
bei Martin. Minorita dagegen irrig. Das Wahre an der Sadıe ift hier nur, 
daß die Vollmachten des Kaifers für feine Gejandten von 1343 allerdings jo 
weitgehend waren, daß fie fi) einer carte blanche näherten. Die Erzählung 
ift vecht bezeichnend für den Eindrud, den die faiferliche Politit der Reue auf 
Yudıwigs Anhänger gemacht Hat. Deun von einem eifrigen Anhänger des 
Kaifers rührt fie jedenfalls her, hervorgehend aus deſſen Unglauben an die That- 
fache, daft der Kaifer fo erorbitante Zugeftändnifje gemacht habe, oder aus feinem 
Beftreben, deren Schmach vom Kaijer auf andere abzuwälzen; dabei mag eine 
dunkle Runde von dem Vorfall mit Ulrich dem Wilden mitgefpielt Haben. 


9 


nauer; Ulrich der Schreiber von Augsburg: die Träger all diefer 
Namen find von älteren und neueren Hiltorifern in folcher Weiſe 
vermengt worden, daß, wenn man alle behaupteten Identifikationen 
gelten liege, die neun erwähnten Namen jammt und jonders nur auf 
eine einzige Perjönlichkeit zu beziehen und im diefer der ſchuldige Notar 
zu erbliden wäre. Die Befeitigung der durd die Chroniften ange= 
richteten Verwirrung kann nur durch Heranziehung des urkunmdlichen 
Materials gelingen, und obſchon mir nur ein Theil des einschlägigen 
zu Gebote jteht, reicht diefer doc) Hin, um wenigjtens in den meijten 
Punkten fichere Ergebniffe an den Tag zu fördern. Wir werden 
finden, daß fi) unter den aufgezählten neun Namen vier oder fünf 
verichiedene Perfönlichkeiten verbergen, der richtige Name des jchuldigen 
Notars aber nicht befindet. 

Befeitigen wir vor allem die Annahme, die jid) am leichtejten als 
Irrthum erkennen läßt, daß der Augsburger Biſchof Ulrid 
(von Schöne), Kanzler des Kaiſers, die gejuchte Perjönlichkeit 
geweien!. Ihn fünnte der Kaifer weder al8 Notar, noch als Ulrid) 
Soildronis bezeichnen ; aud) trat er erſt 1336 als Kanzler in des Kai— 
jer8 Dienft?. Der Name Ulrid) und die irrige Bezeichnung des 
Fälſchers durd die Chroniften als Kanzler gab die Veranlafjung zu 
diefer Verwechjelung. 

Ferner leuchtet ein, daß die Namen Goildronis bei Raynald 
und Groildonis bei Gewold nicht richtig überliefert fein fönnen. Ein— 
nal wegen ihrer barbarifchen Form und dann, weil ein Notar diejes 
Namens font nirgend erjcheint. Muſtert man aber die urfundlic) 
auftretenden Notare Kaifer Ludwigs dur), fo ſtößt man auf einen, 
von dem es nicht zweifelhaft fein kann, daß in ihm der Fälſcher der 
Appellation, der Ulrieus Goildronis oder Groildonis, zu ſuchen iſt. 

Am 5. September 1325 ericheint als Zeuge de8 Münchener Ver— 
trages zwifchen Ludwig und Friedrih: Meifter Ulrich der Wilde, 
oberjter Schreiber des Königs Ludwig? Zu Nom wird am 
18. Februar 1328 als Zeuge einer faiferlichen Urkunde genannt: Ma- 
gister Ulricus, imperialis aule prothonotariust, 
und am jelben Tage und Orte urfundet der Kaifer nochmal in Bei— 
jein Ulriei Wildonis, protonotarii sui?. „Der Wilde“ 
wurde latinifirt in Wildo, Guildo, Gwildo; legtere Namensform 


 &o bei Welfer, Augsburgiiche Chronif II, 101, auch bei Bzovius im 
Widerfpruch mit feiner eigenen Annahme an einer andern Stelle (vgl. Herwart 
620 und 632), 

* 1335, 30. Mai, und 1336, 25. Februar, ift er noch nicht Kanzler. 
(Böhmer, Addit. II und Nr. 1727). Meines Wiſſens erjcheint er zum erſten 
Male als folder am 16. Juli 1336, Böhmer Nr. 1779. Da er im folgenden 
Jahre ftarb, gingen Bisthum und Kanzleramt auf feinen Bruder Heinrich über, 
* — beide Biſchöfe Braun, Geſchichte der Biſchöfe von Augsburg 

?* Dlenjchlager, Staatsgeſchichte, Urkundenbuch S. 140, 

* Ludewig, Reliquiae mser. Il, 281. 

5 1, c. 279, 


10 


liegt offenbar der durch einen Schreib» Leſe- oder Drudfehler cor- 
rumpirten, überdieß irrig im Genitiv auftretenden Form Groildonis 
zu Grunde!. Daß das faijerlihe Schreiben von 1336 und die In— 
ftruftion der Gefandten von 1343 nur von einem Notar fprechen, 
während Ulrid) der Wilde Protonotar war, kann unferer Namens 
deutung fein Hinderniß bereiten; denn hier handelte es fich nicht, wie 
in Urfunden, um genaue Bezeichnung der Würde. In dem ma- 
gister Ulricus, protonotarius regis, der al8 Zeuge ‘der 
Appellation von 1324 auftritt?, dürfen wir hienad) ohne Zweifel 
eben den Fälſcher diefer Appellation, den Meifter Ulrich) den Wilden, 
erfennen ®, 

Das Andenken diefes Mannes war jchon nad fünfzig Jahren 
völlig verfchwunden, indem man feine Perfönlichfeit mit der eines 
Namensvetters und Amtsnachfolgers verwechjelte, der viel mehr von 
fi) reden gemacht hatte. Diefem treten wir nahe, wenn wir die 
Namen: Meifter Ulrih von Augsburg, Meeifter Ulrich der Hof- 
maier ind Auge falfen. Hier Haben wir es mit einer der erjten 
Stüten der faiferlichen Regierung zu thun, mit einem vielbefchäftigten 
und vielgenannten, hervorragend tüchtigen und gewandten Staats— 
manne, der e8 wohl verdient, daß man ihm endlich beim rechten 
Namen zu nennen lerne. i 

Meijter d. i. Magifter Ulrid) von Augsburg foll nad) glaub= 
würdiger Angabe au der Univerfität Paris, wo er ſich wohl aud) 
den Magiftertitel erworben, gelehrt und die Würde eines Procurators 
der englifchen Nation befleidet haben*. Der zeitgenöffische Abt Johann 
von PVictring rühmt ihn al8 ausgezeichneten Decretiften®. 1329 hob 
Urih zu Nürnberg den am 6. Januar diejes Jahres geborenen 
Ulman Stromer, den befannten Verfaſſer einer Nürnberger Chronif, 
aus der Taufe ®, 


ı Die Form Goildronis bei Raynald ift noch ſchlimmer corrumpirt. 
Die beiden Originalterte von 1336 und 1343 — der letztere befindet fi) wohl 
im fönigl. baierifchen Staats- oder im Haus- und Hofardive — ftanden mir 
nicht zu Gebote, thun aber auch nichts zur Sadje; denn ich würde meine An— 
nahme einer Spentität von Groildonis und Guildo auch dann aufredjt er- 
halten, wenn auc die Originalterte die Lejeart Groildonis ergäben; ftatt eines 
Leſefehlers Gerwolds und Raynalds läge dann nur ein Schreibfehler der kaiſer— 
lichen Kanzlei vor. 

Baluze II, 512. 

3 Sollte Ulrich der Wilde etwa auch identisch fein mit dem in der Nürn- 

berger Proteftation vom 18. December 1323 als Zeugen genannten en ar 

lricus prepositus ecelesie st. Stephani civitatis Babenbergensis? (Ge 
mwold 69). Die Bamberger Urkunden, aus denen fid) Werth oder Unmerth 
diefer Bermuthung vielleicht darthun Liege, ftehen mir nicht zu Gebote. 

* Du Boulay, Hist. univers. Paris. IV, 993. Daß unfer Ulrich ge- 
meint fei, geht aus feiner Bezeichnung ale fpäterer „Protonotar der Defrete 
Ludwigs des Baiern“ deutlich hervor. Das Datum 1340 aber für feine Lehr 
thätigkeit zu Paris iſt, wie aus unſern folgenden Angaben erſichtlich, um min— 
deſtens 10 Jahre, wahrſcheinlich viel mehr, zu ſpät gegriffen. 

5 Böhmer, Fontes I, 415. 

s Ulman Stromers Chronit (Chroniken der deutjchen Städte I, 67): 


11 


Wie das getreue Augsburg eine Hauptjtüge für Ludwigs Macht 
war !, jo haben ſich auc) des Kaifers Beamte und Vertraute zu einem 
beträchtlichen Theile aus Augsburg refrutirt. Biſchof Ulrich von 
Augsburg diente dem Kaiſer als Kanzler?, der Abt Marquard von 
St. Ulrich und Afra zu Augsburg und dejjen Nachfolger als Ka— 
plane*, ein Meifter Johann von Augsburg als Schreiber?, unfer 
Meiiter Ulrih als Sekretär, bald Protonotar. 

Mit Sicherheit ift Ulrich erft nah der Rückkehr des Kaijers 
aus Stalien in dejjen Dienfte nachzuweifen® In den Jahren von 
1331-—1343 aber fcheinen wenige andere dem Kaifer jo nahe ge= 
ſtanden, in Ziele und Wege feiner auswärtigen Politif jo tief einge: 
weiht gewejen zu fein wie Ulrich; neun oder zehnmal wandert er 
während diejes Zeitraums in Ludwigs Auftrag nad) Avignon, Paris, 
Venedig, vielleicht aucd) Antwerpen. Seine Anftellung im kaiſerlichen 
Dienjte verdanfte er wohl dem Bijchof von Augsburg, das rajche 
Emporfommen feinen Rechtsfenntniffen und feinem früheren Aufent— 
halte in Frankreich, die ihn zu Staatsgefchäften, zumal zu Unter: 
handlungen mit dem päpftlichen und franzöfiichen Hofe bejonders em— 
pfohlen haben werden. 

Im Oftober 1331 übernahm Ulrich eine faiferlihe Botichaft 
an den Papſt Johann XXI’; in dein Beglaubigungsichreiben wird 
er genannt: Magister Ulricus de Augusta, familiaris 
et secretarius noster?. Die bei Yohann gefcheiterten Sühne- 
verſuche jollte Ulrich bei den Nachfolgern, Benedift XII., dann Cle— 


„Mich Hub aus der tauf Her Ulreich, dez kaifers Ludweik kanczler“. Trotz der ir- 
rigen Bezeichnung Kanzler ift an feinen andern als unfern Meifter Ulrich von 
Augsburg zu denken; einen faierlihen Kanzler Namens Ulrid hat es 1329 
nicht gegeben, 

1Bgl. Herberger, Kaiſer Ludwig und Augsburg (im Combinirten Jahres- 
bericht des hiſt. Vereins für Schwaben und Neuburg für die Jahre 1851 
und 1853). 

2 —F in Verbindung mit dem Umſtande, daß Ulrich bei den Augsbur— 
gern als Name des Schutzheiligen ihres Bisthums ein überaus verbreiteter 
Borname war, Hat dazu beigetragen, die Berwirrung in diejen Perfonenfragen 
zu befördern. 

s Böhmer Nr. 1779. 

* Mon. Boic. XXII, 253 und 281. 

s Böhmer Nr. 1783. 

* Nach einer Bemerkung Buchners (Baierifche Geſchichte V, 255) Toll 
Raynald unfern Ulrich unter dem (irrigen) Namen Hangöhr als einen der Ver— 
faffer der Appellationsichrift von 1324 nennen. Daß diefe Angabe, die id) 
übrigens bei Raynald nicht finde, irrig fein würde, geht aus den unmöglid) 
damit zufammenzureimenden Gefandtichaften Ulrihs von 1336 und 1343 her- 
vor. — Ferner meint Welfer (Augsb. Chronik IT, 100), Kaifer Ludwig habe 
den Augsburgerit den zu Pavia ausgeftellten FFreiheitsbrief vom 24. Oftober 
1329 „auf Anbringen Ulrichs“ gegeben; die Urkunde jelbft weiß nichts davon 
(nad; gütiger Mittheilung des Augsburger Stadtarhivars Dr. Ch. Meyer aus 
einer vidimirten Abjchrift derjelben). 

Gewold 124. 

s A. a. O. 125. 


12 


mens VI. erneuern. Am 12. April 1335 finden wir den Ma- 
gister Udalricus, protonotarius imperatoris, als 
Mitglied einer an den Hof Benedikts XII. beftimmten faiferlichen 
Gejandtichaft", apud Balmam Lugdunensis dioecesis weilend ?. 
Hier ericheint er zum erjten Male urkundlid) als protonotarius, alfo 
Amtsnachfolger Ulrichs des Wilden. Neuerdings ging „der Broto- 
notar Meifter Ulrich von Augsburg“ im März 1336 als 
faiferlicher Gefandter zu Benedift XII.*. Diefe Gefandtjchaft hatte das 
oben beiprochene Schreiben zu überbringen, worin Ludwig feine Appella= 
tionsſchrift als gefälicht erklärt. Zur Entſchädigung für die Keife- 
foften wurde durch Urkunde vom 28. Dftober 1336 „dem oberften 
Schreiber desKaijers, Meifter Ulrih dem Hofmaier von 
Augsburg“ die jährliche Steuer der Stadt Augsburg für die nächjten 
drei Jahre im Gejammtbetrage von 400 Pfund Augsburger Pfennigen 
angeiwiejen und die Stadt dringend aufgefordert, denfelben der Zahlung 
zu.verjichern, „weil jonft alle Botichaft, welche der Kaifer zu dem 
Papite gen Avignon geordnet habe, damit niedergelegt und geirrt würde“ *. 

Ende Januars 1338 ging „der HofprothonotarMagiiter 
Ulrich“ zum Abjchluffe von Verträgen zum Dogen Francesco Dandolo 
nach Venedig?. In diefem und dem folgenden Fahre fehen wir ihn auch 
bei den Unterhandlungen mit England thätig. Man ahnt, welche 
hervorragende Stelle er im Rathe des Kaijers einnahın, wenn man 
erfährt, daß König Eduard III. ſich von vornherein feinen guten 
Willen durch Geſchenke im Werth von 200 Gulden zu fichern fuchte ®. 
Noch dreimal find im Haushaltbuche König Eduards Ausgaben für 
Meijter Ulrich verzeichnet: einmal 19 L. 10 Sch. fir Gefchenfe im 
Werth von 130 Florentiner Gulden an „Meifter Ulrich, Klerifer 
des Kaijers, und die übrigen Klerifer, die unter ihm in Sachen 
dc8 Königs verfchiedene vom Kaiſer bejiegelte Briefe ſchrieben“ ; dann 


! Matthias Nuewenburg., bei Böhmer, Fontes IV, 206. Heinric. 
Diessenhof. 1. c. 24 und Joh. Victor. 1. c. I, 415. Baluze, Vitae papar. 
Avin. I, 222. 

2 Dlenfchlager, U. B. 186, 

8 Urkunde von 1336, März 5. Böhmer Nr. 1733. Der Bapft nennt 
ihn in feinem Schreiben an Ludwig Ulricus Hofmairus de Au- 
gusta. Raynald 1336 $. 29. 

+ Oberbayerifches Archiv XXI, 214. Am felben Tage ift discretus 
vir magister Ulricus de Augusta noster prothonotarius 
Zeuge des Kaifers (Schütz, Corp. IV, 232). 

5 Schreiben Ludwigs an den Dogen vom 27. Januar 1338, worin Ulrid) 
beglaubigt wird. Böhmer (Fider), Additam. tertium ©, 369. 

°s Im Haushaltbuche des Königs (heramsgegeben von Pauli, Die Bezie- 
hungen König Eduards III. von England zu Kaifer Ludwig, Duellen und 
Erl. zur baierifchen und deutſchen Geſchichte VII, 424) find Geſchenke im Werthe 
von 400 Fl. verzeichnet, weldye die Meifter Ulrich und Dtto vom Rathe des 
Kaifers damals erhalten haben. 

” A. a. O. 429. Clericus wird man Hier nicht mit „Geiftlicher” über: 
jeßen dürfen; im Munde des Engländers bejonders bedeutete das Wort aud) 
clere , Notar, Schreiber; fo beionders clerici regis, die Föniglichen Notare, 
©. diefen Artikel bei Du Cange. 


13 


36 Sch. zu einem Gejchenfe im Werth von 12 fl. für den „Meifter 
von Augsburg‘; und wieder 15 L., welche am 28. April 1339 zu 
Antwerpen dem „Meifter Ulrich, Brotonotar des Kaiſers“ 
als Gefchenf für feine Mühe und Sorgfalt bei den Unterhandlungen 
zwiſchen Kaifer und König dur die Hand des Klerikers Eberhard 
überreicht wurden ?. 

Ale Wandlungen der faiferlichen Politit fehen wir den erge— 
benen Diener getreulic) mitmachen. Am 24. Januar 1341 ift 
Magister Ulrieus de Augusta zu Bilshofen Zeuge des 
feierlichen Schwures, mit dem ſich Ludwig dem Könige Philipp von 
Frankreich verbündet?. Damals wurde feine Miffion an den Hof 
dieſes Königs in Ausficht genommen, bald wohl auc, ausgeführt. 
Schon früher jedoch, noch 1339 oder 1340, muß Ulrich auch nad) 
Frankreich gewandert fein, denn ſchon am 15. November 1340 wur- 
den die Augsburger benachrichtigt, daß der Kaiſer „einem oberjten 
Schreiber, Meifter Ulrih von Augsburg“ auf ihre nächite 
Reichsitener 720 Pfund Heller verschafft habe für die Koft, die er 
in feiner Botjchaft gen Frankenreich gethan >. 

Noch einmal, im Herbſt 1341, ging Ulrich zu Benedift XII. ® 
und zweimal im November 13427 und Septeutber 1343, zu Cle— 
mens VI. Bei der Ietten Gejandtjchaft war er — Magister 
Ulricus de Augusta, noster protonotarius et se- 
eretarius specialis — einer der Spezialbevollmächtigten, 
welche die Unterhandlungen zu führen und im Namen des Kaijers 
die entehrenden und dennoch ihren Zwed nicht erreichenden Gelöbnifje 
abzulegen hatten®. Durch faiferliche Urfunde vom 27. Dftober 1345 
wurde er für die Bezahlung von 400 Pfund Heller wieder auf die 
Steuer der Stadt Augsburg angemiefen ?. 

Nach einem fo bewegten Leben im Dienfte einer jchwächlichen, 
wanfelmithigen und erfolglofen Politit mag der faiferliche Diplomat 
leichten Herzens zur Ruhe gegangen fein. Als er 1346 zu Augs- 
burg auf dem Todbette lag, ließ er ſich aus Rückſicht auf die päpſt— 
lichen Sentenzen nur heimlich mit der Wegzehrung verfehen und ord- 


ı A. a. 2.481 

2 A. a. O. 438. 

° Dlenfchlager 207, Böhmer Nr. 2135. 

* Böhmer, Addit. primum, Nr. 2843, Urkunde vom 28. Januar 1341, 
von Wait aus Paris mitgetheilt. 

5 Böhmer Nr. 2122. In der Quittung darüber vom 8. November 1341 
(Herberger, Kaifer Ludwig der Baier und Augsburg S. 69) wird Ulrich auch 
erwähnt. 

° Joh. Vitoduran. 57. Joh. Vietoriens. 445. Heinr. de Diessen- 
hoven 36. Bgl. hiezu Stälin, Würt. Gedichte III, 222. 

” Böhmer, Reg. zum November 1342, 

8 Gewold 173. 

° Böhmer Nr. 2450. Dieß ift die letzte Erwähnung Ulrichs in einer 
faiferlichen Urkunde, Als Zeuge ift der faiferliche Protonotar, Magifter Ulrich 
von Augsburg, am 8. Zuli 1345 zu Rotenburg. Böhmer (Fider), Addit. 
tertium ©. 378. 


14 


nete an, daß man ihm ohne Gepränge, nicht in der Kirche, wie feinem 
Range gebührte, jondern auf dem Kirchhofe begrabe.. Sein Biſchof 
aber fehrte fich nicht daran und ließ die Leiche feierlich bejtatten '. 

Pfeiffer hat die Vermuthung ausgefprochen, daß in Meijter 
Ulrich dem Hofmaier der Verfaffer eines von ihm gefundenen und 
veröffentlichten allegorifchen Lobgedichtes auf Kaifer Ludwig zu ſuchen 
fei. Der Dichter bezeichne fich felbit als „Schreiber“, müſſe ein dem 
Kaifer treu ergebener Mann und ein Schwabe gewejen fein; und die 
Erfindung einer Gejandtihaft an den Hof der Frau Ehre, wie jie 
die Fabel des Gedichtes bilde, habe niemandem näher Liegen Fönnen 
als dem fo oft zwiichen dem Faijerlichen und päpftlichen Hofe Hin und 
her wandernden Protonotar?. Augenſcheinlich aber genügen dieje 
Stüten — andere laffen fich nicht erbringen — noch keineswegs, um 
der darauf gegründeten Hypotheſe großen Werth zu verjchaffen. 

In obigem habe ich alle Zeugniffe geſammelt, welche mit Sicher- 
heit auf den faiferlichen Protonotar, Meifter Ulrich) den Hofmaier 
von Augsburg, zu beziehen find. Ich laffe num eine Reihe von Er— 
wähnungen folgen, bei denen, troß des völlig gleichen Namens, dicje 
Beziehung nicht in gleichem Grade geſichert, von denen es vielmehr 
mehr oder minder zweifelhaft ift, ob fie nicht eine oder gar zwei von 
den Protonotar verjchiedene Perjönlichkeiten bezeichnen. 

Zunächſt zeigen uns einige Urkunden einen Beamten gleichen 
Namens im Dienfte des Bifchofs von Augsburg. 1314 ericheint. 
Magister Ulricus dietus Hofmaiger als tabellio?, 
d. i. biſchöflich Augsburgifcher Archivar, 1315 als judex und 
offieialis curie Auguste’, d. i. Borftand des bifchöflichen geiſt— 
lichen Gerichtes, der judices curiae, des jpäteren jogenannten 
Chorgerichtes. Will man annehmen, daß diejer biſchöfliche Rechtsge— 
Ichrte, wozu ja die enge Verbindung der Augsburger Biſchöfe mit 
Kaifer Ludwig leicht Veranlaffung bieten mochte, fpäter in Faiferliche 
Dienfte übergetreten und mit unferem Protonotar identisch jei, jo 
fteht dem» weder die Chronologie noch ein anderer Umftand geradezu 
entgegen. Dann wäre der Protonotar ein Geijtlicher geweſen, denn 
nur von folchen fonnte doch wohl das Amt eines biſchöflichen Offi— 
cial8 beffeidet werden. Und das wird durch ein anderes Actenftüd ® 


ı Heinr. Rebdorf, bei Böhmer, Fontes IV, 528 z. 3. 1346, nad ihm 

Aventin lib. VII u. a. 

 ° WPfeiffer, Forſchung und Kritif auf den Gebiete des deutjchen Alterthums 
1, 53. Bol. hiezu die Ausftellungen im Literariichen Gentralblatt 1864, 
©. 160, und Pfeiffers Antwort (Die Kanzleiſprache Kaifer Ludwigs des Baier, 
in der Germania IX, 159 und Freie Forihung 361). 

3 Mon. Boica XXXI, 1, 389. 391. 

* ]. ce. 404. 

5 Mon. Boic. XXIIL, 47. 

6 Der Güte des Hrn. Domcapitulard Dr. Steichele in Augsburg ver- 
danke ich eine Mittheilung, welche die ohnedieß faum zweifelhafte Annahme, daß 
der officialis euriae U. H. ein Geiftlicher gewefen, zur vollen Gewißheit erhebt, 
da fie uns benfelben als Kanonikus von Feuchtwangen fennen lehrt. 1318, 


15 


beitätigt. Mit diefer Identität läßt ſich dann eine andere nicht ver- 
einigen: 1330 oder 1331 ftiftet nämlich ein Magister Vlricus 
dietus Hofmaiger mit Zuftimmung feiner (nicht genannten) 
Geniahlin ein ewiges Licht im Klofter St. Ulrich und Afra zu Augs— 
burg!. In dem bifchöflichen Offizial, den faiferlichen Protonotar 
und dem Ehemann Hofmaier find alfo auf alle Fälle zwei Perſonen 
auseinanderzuhalten. 

Die Verwirrung wächſt noch, wenn im jahre 1338 der Bifchof 
von Augsburg von einem „Meifter Uri, unfer Hofmaier“ fpricht ?, 
Denn hier bezeichnet „Hofmaier“ augenscheinlich ein Amt, es ift das 
eines Oberverwalters der biichöflichen Maierhöfe, eines Domänen- 
direftor8, dem auch gewiſſe richterliche Befugniffe zuftanden d. Viel— 
feicht war dieß Aınt in der Familie Ulrich ſchon Länger erblich, fo 
daß ihr der Gefchlechtsname* darans erwachien war. Ob aber dem 
faiferlichen Protonotar und Diplomaten feine Kanzlei und feine Reifen 
nod Zeit gelaſſen haben auch diefes Amt zu führen, ob das Amt für 
ihn nur die Bedeutung einer Ehrenftelle hatte, oder ob wir es hier 
wieder mit einer andern Perfönlichkeit zu thun haben, läßt fich nicht 
entjcheiden. 

So bleiben wir auch bei dein Zeugniffe des Augsburger Burger: 
buchs, wonach Ulricus Hofmeir von Biberach, angeblic) eines Lan— 
genmantel8 Stieffohn, 1339 zu Augsburg das Bürgerrecht arge- 
nommen, und bei den mehrfachen Erwähnungen eines Magifter 


Juni 5. (feria secunda proxima ante festum pentecostes) Auguste. 
Fridericus episcopus ecclesie Augtistensis questionem ortam inter pre- 
positum et canonicos ecclesie Fuhtwangensis, ubi prepositus volens 
in causis ecclesie necnon canonicorum judicare debeat presidere et 
quibus assistentibus debeat judicare, cum magistris Ar. plebano, Kraf- 
tone scolastico, canonicis ecclesie Augustensis, H(einrico) plebano 
ecclesie Fuhtwangensis, et Ulrico dieto Hofmaier, offieiali 
curie sue, canonicis ecclesie Fuhtwangensis, tamquam 
cum arbitris seu compositoribus amicabilibus sententiando diffinit. 
Aus einer Kopie s. XIV auf der NRüdjeite des Driginal® ber um 1315 dem 
Stifte Feuchtwangen gegebenen Statuten, NReihsardiv in München, Stift 
Feuchtwangen, Faſz. 1. 

ı M. B. XXI, 75. Die Ueberichrift zeigt das Datum 1330, der Tert 
13311 Die judices curiae Augustae haben auf Bitte des Ausftellers ge- 
fiegelt. 

2 1, 0. 110. 

s Bon den rechtlichen Berhältniffen des Hofmaiers zur Stadt handelt 
Artikel XI des Augsburger Stadtrechtes von 1276. Meyer, Das Stabtbud) 
von Augsburg S. 34—36. 

Daß Hofmaier wirklich Gefchlechtsname, nicht immer Amtsbezeichnung 
war, bemweift 3. B. die Augsburger Urkunde von 1327, mo „Herr Albrecht der 
Hofmaier, des Klofters St. Ulrich und Afra Reiner” auftritt (Mon. Boic. XXIII, 
63). Dadurd) widerlegt fich Pfeiffer entgegengefetste Behauptung, a. a.D. 53. 

5 Stetten, Geſchichte der adeligen Geſchlechter Augsburgs 112. (Burger: 
buch ad h. a.). Nach demfelben hat diefer U. H. „Agnes Gollenhoferin zur 
Ehe gehabt, mit welcher er Ulrich und Albrecht erzeugt, welcher Ietstere Chorherr 
bey St. Moriz gemejen iſt“. 


16 


Uri Hofmaier in Augsburger Urkunden! im unklaren, ob dieje 
Perjonen mit dem faiferlichen Staatsmanne zu identifiziren find. 
Segen die Identität fpricht die Unwahrſcheinlichkeit, daß Ulrich als 
faiferlicher Protonotar und vielbejchäftigter Gefandter noch Zeit ge- 
funden Habe, ji oft in Augsburg und deffen Umgebung aufzuhalten ; 
für die Jdentität pricht außer dem gleichen Namen der Umjtand, daf 
die Zeugfchaften oder ſonſtigen urfundlichen Grwähnungen Meiſter 
Ulrid) Hofmaiers in oder bei Augsburg doc nie in eine Zeit fallen, 
in welcher der Protonotar ſich auf einer Gejandtichaftsreife befand, 
und noch entjchiedener, daß mach 1346, dem Todesjahre de8 Proto- 
notars, auch im Augsburger Urkunden, fo viel ich ſehe, fein Ulrich 
Hofmaier mehr auftritt. Einige Wahrjcheinlichfeit dürfte wohl jene 
Löſung beanjpruchen, wonach wir in dem bijchöflichen Tabellio, Of— 
fizial, Feuchtwanger Kanonifer und fpäteren faiferlichen Protonotar 
eine, in dem verheiratheten Augsburger Bürger und bifchöflichen Hof: 
maier eine andere Perfönlichkeit erbliden. Völlig ficher ftellen läßt 
fic) die Sache nicht ?. 

Sicher ijt dagegen, daß Ulrich von Augsburg, Ritter, der 3.8. 
1318 und 1324°, und Ulrich der Schreiber (Geſchlechtsname), der 
3. B. 1330 und 1333* in Augsburg genannt wird, von Meijter 
Ulrich dem Hofmaier verjchiedene Perjönlichkeiten find ®. 

Sichere Ergebniffe unſerer Unterfuchung find ferner, daß der 
Protonotar Ulrich nie Kanzler war ®, und daß der Name Hangenohr, 
mit dem er bisher vorzugsmweife in der Gefchichte gelebt hat, ihm nicht 
zufömmt. In feiner einzigen der zahlreichen gleichzeitigen Erwäh— 
nungen wird ihm derjelbe beigelegt; erjt Andreas von Regensburg 
der Hundert Jahre fpäter gefchrieben hat, nennt diefen Namen”; 
von hier aus ijt er in viele andere Chroniken und hauptſächlich durd) 


ı M. B. XXII 270 3. 3. 1330; M. B. XXIII 90 ;. 3. 1333 (Mag. 
Ulrieus dietus H. in Augusta); 1. c. 96 3. 3. 1334; M. B. XXXIL, 
1, 519, 1328, Juli 7, zu Oberdorf al8 Zeuge; 1. c. 553, 1331, Ianuar 13, 
zu Augsburg als Zenge Herr U. d. H.; M. B. XXXII, 2, 33, 1333, No— 
vernber 22, Meifter U. d.9. zu Augsburg; l.c. 103, 1334, September 13, 
au der Spitze der Zeugen (wohl wegen feines Alters): M. U. 0.9. zu Augs— 
burg; am Schluffe: Heinrich der Hofmaier; 1. c. 113, 1345, Februar 10, als 
Käufer von Befitungen zu Othmarshaufen: der ehrbare Mann Meifter U, d. 
9. zu Augsburg. Dieß die legte Erwähnung in Augsburger Urkunden (jo- 
weit fie veröffentlicht find), 

2 Die Urkunden der Stadt Augsburg, von denen ich nicht Einficht neh— 
men konnte, deren Beröffentlihung aber in Bälde zu erwarten fein fol, werben 
hierüber vielleicht Gewißheit bringen. 

® M. B. XXXIL, 1, 425 und 476. 

« 1.c. XXI, 265; XXXII, 2, 26. 

5 Matürlicd) auch Ulrich der Judenſchriber, M. B. XXI, 152, 3. 9. 


7: 

°_ Diefer Irthum tritt Schon bei Matthias von Neuenburg und bei Heinrid) 
von Rebborf (Böhmer, Fontes IV, 228 und 528), ja jelbft bei Ulrichs Pathen 
Stromer auf. 

? Siehe oben S. 4 Anm. 1. 


17 


die Autorität Aventing auch in neuere Werke! eingedrungen. Die 
Formen Langenohr ? umd Hagenauer © jind nur Entftellungen von 
Hangenohr, ſowie Hofmann * von Hofmaier. Die Hangenohr waren 
eine hervorragende Familie, die der Stadt ſchon 1143 einen Bürger— 
meijter gegeben hatte?. Zur Zeit Kaifer Ludwigs erſcheinen urkund⸗ 
lich Johanus und Marquard die Hanganor ®, nirgend ein Ulrich ?, 
Bon einer etwaigen urjprünglichen Geſchlechtsgemeinſchaft zwiſchen den 
Tamilien Hangenohr und Hofmaier habe ich nirgend eine Spur ge= 
troffen. 

Leichter al8 die Entjtehung diejes Irrthums läßt fich die jenes 
andern erklären, der unferer Unterfuchung die Wege gewiejen: der 
vielfachen Verwechſelung des Protonotars Meifter Ulrich des Hof: 
maiers mit feinem Amtsvorgänger Meijter Ulrich dem Wilden. aß 
beide in der That verjchiedene Perjönlichkeiten find ®, dieß bedarf feines 
weiteren Beweiſes al8 der Hindeutung darauf, daß Ulrich Hofmaier 
1336 und 1343 jene Schreiben an die Curie überbringt, worin 
Ulrich der Wilde als Verräther und verjtorben bezeichnet wird. Ver» 
führt durd gleichen Namen und Würde und durch die ungleid) 
größere Bedeutung und Popularität des Augsburger Hofmaiers hat 
zuerſt da8 Chronicon de ducibus Bavariae, haben dann die meiften 
baieriihen Chronijten de8 15. und 16. Yahrhunderts Ulrich den 
Hofmaier mit feinem Vorgänger verwechſelt und ihm die Fälſchung 
des kaiſerlichen Schreibens zur Yajt gelegt”. 


ı Stälin (Wirt. Geſchichte IIT, 203 und 222) allein Hat den richtigen 
Namen genannt und dafür von Pfeiffer (Forſchung und Kritit 53) eine völlig 
unverdiente Zurechtweiſung erfahren, 

2 Aventins Chronica (ed. Cisner 1580) 394 und 402, 2; dagegen haben 
feine Annales (Lib. VII) Hangenohr. 

— So Bzovius (bei Herwart 632); Pantaleo, Prosopographiae 
‚328. 
* Gewold 118. 

5 Mon. Boic. XXVIII, 530. 

6-1, ec. XXI, 140. 142. 165. 170. 

? Erft hundert Jahre fpäter begegnen wir einem folchen: 1459 wurde 
Ulrich Hangenohr von Augsburg erſtochen. Chroniken von Augsburg I, 328. 

° Was Mannert (Kaifer Ludwig S. 466) leugnet. 

® Diefe Verwechſelung lag fo nahe, daß ich einer andern Möglichkeit, die 
ſich für die Auffaffung diefer Berichte noch darbietet, nur Erwähnung, feines- 
wegs Bedeutung geftatten will. Es wäre die, daß die Ehroniften doch Recht 
haben , wenn fie den Fälſcher „Ulrich von Augsburg“ und „Ulrich; Hangenohr“ 
nennen, daß fomwohl diefer Geburtsort als diefer Geichlechtsname für Ulrich 
den Wilden zuträfen; „der Wilde” müßte dann als ein etwa wegen unehe- 
licher Geburt beigelegter Uebername betrachtet werden. Da dieſe Hypotheje in 
feiner gleichzeitigen Erwähnung eine Stüte findet, wird fie unbedingt zurüdzu- 
weiſen jein, 


XIV. 2 


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Kleine kritische Grörterungen. 
(Fortjegung von Band XII). 


Bon 


6, Waih. 








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—d 


8. Die erften Sächſiſchen Pfalzgrafen. 


Seit Heydenreich in feinem anonym erfchienenen Entwurff einer 
Hiftorie derer Pfaltz- Grafen zu Sachſen (Erfurt 1740. 4) die An— 
ſicht aufgeftellt, daß e8 in der Zeit der Dttonen bis gegen die Mitte 
des Ilten Jahrhunderts hin eine doppelte Pfalzgrafichaft in Sachſen 
oder eigentlih in Thüringen gegeben: eine im Norden und Djten, 
die andere im Süden und Weſten diefes Landes !, hat, troß des ent» 
ſchiedenen Widerfpruches, den alsbald G. E. Erollius (Bon dem Ur- 
ſprung und Amte der Provinzialpfalzgrafen in Deutſchland, Abhand- 
lungen der Churfürftlich-Baierischen Akademie der Wiſſenſchaften Bd. IV, 
1767, ©. 54 ff.) dagegen erhoben, diefe Annahme fast allgemein 
Beifall gefunden. Namentlid) Gervais in feiner Geſchichte der Pfalz- 
grafen von Sachſen (Neue Mittheilungen des Thüringiſch-Säch— 
ſiſchen Vereins IV, 3) hat fie fich angeeignet ?, Böttcher (Die Bru— 
nonen ©. 520 N.) davon als einer befannten Sache geſprochen 
und eine Reihe willfürlicher Vermuthungen daran geknüpft (S. 705 
fi.), Gfrörer (Papft Gregorius VII. und fein Zeitalter I, ©. 
184 ff.) dagegen e8 wie eine neue und wichtige Entdeckung vorge» 
tragen. Es ijt dadurch die richtige Auffaffung wie der Pfalzgrafichaft 
überhaupt jo Sachſens al8 eines zufammengehörigen großen Stammes 
gebietS getrübt, außerdem natürlich die Reihenfolge der Pfalzgrafen 
in Unordnung gebrad)t. 

Die Feltitellung diefer ergiebt aber einfach das Irrthümliche der 
ganzen Annahme. Und fie hat in der That viel weniger Schwierigkeit ?, 
als man nach der bisher herrjchenden Verwirrung glauben follte, 

Dabei ift e8 freilich nothwendig ſich an diejenigen zu halten, 
welche wirflic) mit dem Namen bezeichnet werden. So bleibt vor 
allem jener Graf Siegfried zur Seite, der unter Heinrich) I. eine 


ı ©. 56 bringt er gar am Ende des 10ten Jahrhunderts drei Pfalzgrafen 
heraus. 

2Ebenſo Pfaff, Geſchichte des Pfalzgrafenamts S. 58. 

° Zn der Hauptjache hat auch bereits Gruber , in der Zeit- und Ge— 
ſchicht-Beſchreibung der Stadt Oöttingen I (1734), ©. 75, das Richtige ge- 
geben, daun Crollius S. 133, und ebenfo kurz Riedel, De comite palatii 
©. 60, dem Dönniges, Staatsreht S. 358 N., folgt. Für nur einen Pfalzgrafen 
erflärt ſich auch Hüllmann, Geſchichte des Urfprungs der Stände I, ©. 320, 
meint aber, es fei mit dem zerſtreuten Namen, die überliefert, nichts anzufangen. 


22 


angejehene Stellung in Sachſen einnahm, den der König einmal all= 
gemein mit feiner Stellvertretung beauftragt Hatte (j. darüber Jahr— 
bücher Heinrich I. ©. 108). 

Der erjte, welcher in autheutifcher Weberlieferung genannt wird, 
iſt Adalbero, der mütterliche Großvater des Biſchofs Beruward von 
Hildesheim, von dem Thangmar, der Biograph diejes, fagt, Vita 
c. 1, 88. IV, ©. 758: Avus quippe ejus Athelbero palatinus 
comes vir plurima virtutum laude insignis, qui commissae 
sibi praefecturae exactionem magis ex debito quam ex in- 
tentione gerebat. Er war, wie Thangınar berichtet, der Water des 
Biihofs Folemar oder Poppo von Utrecht, und wie der Name des 
Sohnes kommt aud) der feine in abgefürzter Form vor. Die Vita 
Johannis Gorziensis c. 47, a. a. D. ©. 350, berichtet: Forte ibi 
tune Trajectensis seu Dabentrensis ecclesiae pontifex claris- 
simus ... domnus Popo adfuerat ... cum suo, id est Popo- 
‚nis, genitore, viro in rerum publicarum cura strenuissimo at- 
que comite palatino, cui nomen Berno. Ueber die Identität 
der Perfon kann mac dem angegebenen Berwandtichaftsverhältnis 
nicht der mindefte Zweifel fein. 

Diefer Pfalzgraf Berno ift aber auch fonft befannt. In einer 
Urkunde, welche Otto L auf der Rückkehr aus Stalien im Jahr 
972 zu Gonftanz fir das Bisthum Cur ausftellte (Mohr, Cod. 
dipl. I, ©. 91) wird von einer gerichtlichen Verhandlung berichtet, 
welche gehalten jei sub nostri praesentia caeterorumque nostro- - 
rum primatum, Bernonis videlicet comitis palatini, Chuonradi 
u. f. w. (nod) 9 Namen) comitum. Man Hat geglaubt, hier einen 
eriten Schwäbifchen Pfalzgrafen zu erkennen (ſchon Cruſius, Schwäb. 
Chronif ©. 138; daraus Crollius S. 126; Riedel, De comite pa- 
latii ©. 60; Stälin, Würtemb. Geſch. I, ©. 526 u. a.), obſchon man 
einen folhen, überhaupt einen Grafen des Namens um diefe Zeit 
in Alamannien gar nicht nachzuweiſen wußte. Es ijt aber fein Grund 
zu zweifeln, daß wir den in Staatsgejhäften erfahrenen Sächſiſchen 
Grafen vor uns haben, der den Kaifer nach Stalien begleitet hatte 
und hier al8 der erjte unter den Beifigern eines Hofgerichts erfcheint. 

Aber noch einmal taucht er auf, in einem Actenſtück von eigen- 
thümlichem Charakter und Werth. Gruber, in der Zeit und Geſchicht— 
Beichreibung der Stadt Göttingen (I, ©. 72, 1734, und aus ihm . 
ohne Zweifel Falfe in den Traditiones Corbejenses ©. 133, 
1752) hat das Fragment einer Tradition an das Kloſter Hilwards- 
haufen veröffentlicht, angeblic) aus d. %. 973, in dem es Heift: 
Tune venerabilis palatinus comes Bern dietus nomine cum 
domina Berthilda abbatissa ad regalem curtem Grona per- 
rexit ibique coram magno et pacifico Ottone imperatore do- 


Dagegen läht Gruber S. 76 den Athelbero dem Berno folgen, Gervais 
©. 34 fie neben einander in Oft: und Weſt-Sachſen tagen. Neuerdings hat 
aud) Lüntzell, Geſch. Hildesheims I, S. 132 N., auf den Berno hingewieſen, 
fannte aber die beweiſende Stelle ber Vita Johannis Gorz. nid. 


23 


mina Helmburg cum filiabus suis in palatio, cunctis coram 
adstantibus, predietam traditionem omnium consilio corrobo- 
rando simul firmaverunt. Post in villa cui vocabulum Winithi, 
post in altera cui nomen Rostorp eandem traditionem in 
placito prenominati palatini comitis firmando corroboraverunt. 

Die Echtheit des Fragments ift von v. Werfebe (Beichreibung 
der Gaue ©. 11) angezweifelt, und der Gedanke lag nicht fern, daß 
ein Freund des Altertfums Göttinger Umgebung hier feine dichtende 
Hand gebraucht Habe. Doch war jo nicht wohl zu begreifen, wie er 
auf den damald ganz unbekannten Pfalzgrafen Berno gefommen. 
Wenigftens nur als Graf fannte ihn Gruber aus einer fpäter (Orr. 
Guelf. V, ©. 7) veröffentlichten Urkunde König Ottos von 970 
über eine andere Schenkung an das Kloſter: es ijt aber nicht unge- 
wöhnlich, dag namentlich in der ältern Zeit die neu emporgekomme— 
nen Pfalzgrafen nur allgemein als comites in den königlichen Ur— 
kunden bezeichnet wurden!. Auch die nicht gerade häufige, aber der 
Zeit wohl entjprechende Bezeichnung des comes als venerabilis und 
anderes fprach für die Echtheit. Die erwünjchte Bejtätigung derjelben 
und zugleich allerdings eine Berichtigung und Ergänzung der Publication 
Grubers hat eine gefällige Mittheilung des Geh. Archivraths Grotefend 
aus dem Hannoverjchen Archiv gegeben, nad) der die Stelle einer Ur— 
funde des Yahres 1003 entlehnt ift, ſich aber ohne Zweifel auf die 
Zeit Otto L, ungewiß welches Jahr, bezieht. ch laſſe die in mancher 
Beziehung intereffante Urkunde mit feiner Erlaubnis in der Beilage 
abdruden und füge da einige Erläuterungen Hinzu. Hier bemerfe id) 
nur, wie wir aus der Urkunde erfahren, daß Bern Vogt des Klofters 
Hilwardshaufen war und in diefer Eigenſchaft in der Pfalz Grone 
erichien und die Schenkung an das Kloſter beftätigen ließ. Er empfängt 
in der Urkunde ein nicht geringeres Yob als in der Vita Bernwardi: 
inter principes non minimus, inter prudentes prudentissimus. 

Bern oder Adalbero ftarb wahrſcheinlich 982, wie die Ann. 
necrologiei Fuldenses (Leibniz SS. III, ©. 765)? unmittelbar 
nach Otto dux einen Bern comes verzeichnen. Es ijt nicht unwahr— 
cheinlich, daß er wie einft den Vater auch den Sohn nad) Stalien 
begleitete und ebenfo wie der junge Herzog von Schwaben und 
Baiern, wenn aud) nicht in der Schlacht gegen die Saracenen, bod) 
bald nachher den Tod fand, 

Sein Nachfolger ift Dietrih. Wir finden ihn in einer Urkunde 
Dtto III. aus dem Fahre 993 (Erath, Cod. dipl. Quedl. Nr. 31 
©. 23) und der Grenzbefchreibung zwifchen Hildesheim und Minden 
(Lüngel, Didc. ©. 345). Eine neuere Bearbeitung von Bernwards 

ı Mit einem Grafen Bernhard, mit dem Wend (Heff. Landesgeſch. IT, 
©. 676 N.) ihn zufammenbringen wollte, hat er ebenjowenig etwas zu thun 
wie mit einem Adalbert im Nordthuringogau, den andere (v. Werſebe S. 170) 
für den Adelbero der Vita Bernwardi haben halten wollen, 

3 Böhmer in feinen ganz willkürlichen und deshalb unbrauchbaren 


Auszügen, Fontes III, ©. 157, hat ihn weggelaffen. — Gervais ©. 34 
ſchreibt 985 und läßt ſich fo die Combination mit dem Zuge Otto II. entgehen. 


24 


Peben ! nennt feinen Vater Thiderid) Markgraf von Balfenffeve und 
Ningelhen, Befiger der Schlöſſer Sommerfchenburg, Scheningen 
u. ſ. w., und Gfrörer (S. 189) hat in ihm den Pfalzgrafen finden 
wollen, der dann ein Schwiegerfohn des Berno gewejen und Amt 
und Güter mit der Frau empfangen hätte, während andere (v. Werfebe 
©. 169; Gervais S. 39; Lüntzel a. a. O.) doch vielleicht wahrſchein— 
licher in ihm einen Sohn vermuthen. Gegen jene Annahme jpricht, 
dat Thangmar der Würde mur bei dem Großvater, nicht dem 
Bater Erwähnung thut, auch Heinrich IL, da er eine Graffchaft, die 
Theoderih und fein Sohn Syrus (Sibert) befeffen, dem Bernward 
überträgt (Heydenreih S. 49), dieſen nicht al8 Sohn und Bruder 
bezeichnet: jene Graffchaft lang im Gau Oftfalen, und war Dietrich 
der Sohn Bernos im Leingau, jo nahın das Haus in verfchiedenen 
Theilen Sachſens eine angefehene Stellung ein. Auf eine Verwandt: 
Schaft mit Bernward weit aber Hin, daß in demfelben Gau auch der 
Bruder diefes, Thancmar oder Tammo, feine Grafichraft hatte (Lüntzel 
©. 133). Seinen Tod berichten die Ann. Quedlinburgenses 995 
(SS. III, ©. 73), denen Thietmar folgt Nr 13, ©. 773). 

Ehen diefer nennt gleich nachher (VII, 15, ©. 774) bei einem 
Kriegszug gegen die Yintizen den Pfalzgrafen Friedrih. Die Aus— 
gabe der Monumenta hat am Rande das Yahr 993 bemerkt, und 
Sfrörer (I, S. 190) nimmt deshalb an, daß er fchon in dieſem 
Jahr Pfalzgraf gewejen: e8 Habe aljo damals zwei Palatinate in 
Sachſen gegeben. Leicht aber konnte Thietmar, wenn jener Kriegszug 
wirklich 993  ftatthatte, Hier vorgreifend den Friedrich Pfalzgraf 
nennen, zumal er zwei Gapitel vorher den Tod des Dietrid) gemeldet 
hatte. Es fteht aber auch keineswegs feit, wann jene Heerfahrt unter> 
nommen ift; vielmehr fehlt e8 an jedem Anhalt für eine nähere 
Zeitbeftimmung derfelben (Wilmans, Jahrb. Dtto III. ©. 75 N.). 
So fanı fein Zweifel fein, daß Friedrich als der Nachfolger Die- 
trich8 angefehen werden muß; ob aud) durch VBerwandtichaft ihm ver- 
bunden, muß dahingeftellt bleiben, jedenfalls Fein Sohn, vielleicht ein 
Bruder. Er fungierte noch bei der Throubefteigung Heinrich II., 
da diefer zu Merjeburg die Huldigung der Sädhjfischen Großen em— 
pfing (Thietmar V, 9, ©. 795). 

Dann aber fam die pfalzgräfliche Wirde an Burchard. Er 
wird fchon im einer Urkunde Heinrich II. vom 15. April 1003 fo 
bezeichnet (Heydenreich S. 29°; Stumpf Nr. 1354) und empfing 
1004 die Grafichaft im Haſſegau? (Thietmar VI, 12, ©. 804; 

ı Rünkel, Geſch. I, ©. 132 N. Darnad) eine Deutſche Ueberſetzung 
Thangmars v. 1540, SS. IV, ©. 758 N. 

%? Bernhardus bei Leibniz Annales III, S. 836, was Hirſch, Jahrb. 
Heinrih II. Bd.I, S. 262N., vorzieht, ift offenbar verlefen. Leider entbehren 
wir fortwährend einer kritiſchen Ausgabe der Halberftädter Urkunden. 

° Indem man dies damit in Berbindung brachte, daß man den Grafen 
Siegfried unter Heinrich I., der wahrſcheinlich die Grafichaft im Hafjegan hatte, 
für den erſten Sächſiſchen Pfalzgrafen hielt (j. vorher S. 21), kam man dahin, 
alle Grafen bier für Pfalzgrafen zu erklären. 


25 


vgl. Höfer Zeitſchr. II, ©. 140), und wird dann öfter in Urkunden 
Heinrich II. und von Thietmar genannt ?: e8 fcheint daß der König ihn 
al8 getreuen Anhänger zu diefer Würde erhob. Im Jahr 1016 
ward er vom Schlag gerührt (Thietinar VII, 30, ©. 850), fcheint 
aber noch 1017 oelebt zu Haben (Urk. bei Heydenreih ©. 27; 
Stumpf Nr. 1690); das Merjeburger Todtenbuch hat den Tag feines 
Todes nicht verzeichnet. 

Als fein Nachfolger erjcheint Siegfried, Bruder des Biſchofs 
Bruno von Minden (Ann. Hildesh. 1038, ©. 102), ebenfalls 
Graf in Haffegau (Heydenreih S. 31). Er ftarb im Jahre 1038. 

Nach ihm wird ein Wilhelm im Jahr 1042 genannt, zu deſſen 
Grafichaft Merjeburg gehörte?, fo daß auch er den Hafjegau unter 
ich Hatte. Näheres ift über ihn nicht befannt. 

Dann ift ihm jener Dedi nachgefolgt ?, der und deſſen Gefchlecht 
durch die ſpätere Chronif des von ihnen begründeten Kloſters Gofef 
jo wie durch die hervorragende Perfönlichfeit des Erzbiichofs Adalbert 
von Bremen, Bruders der Pfalzgrafen Dedi und Friedrich, fo bes 
kannt geworden iſt. Der von den Chroniften gebrauchte Ausdruck 
(e. 9, SS. X, ©. 144) ‘monarchiam palatii a rege promeruit’ 
hat Heydenreih (S. 62) zu der Erklärung Anlaß gegeben: er habe 
zuerft die alleinige, das heiße die vereinigte Pfalzgrafichaft erhalten, 
und Gervais (S. 80) hat das gläubig wiederholt, Gfrörer (S. 191) 
al8 die einzig mögliche Deutung Hingeftellt*. So hat ein misverftan= 
denes Wort eines fpätern Chroniften, wie e8 fcheint, nicht zum we— 
nigjten zu einem fich forterbenden Irrthum Anlaß gegeben ?, gegen den 
doc) beide Crollius (G. Ch. Crollius, Erl. Reihe der Pfaltgrafen zu 
Aden S. 48 N.; ©. E. Crollius a. a. D. ©. 63 N. 133) ges 
warnt ®. Schon jener macht auf den Ausdrud einer Urkunde “mo- 
narchiam regni tenente duce Theodorico’ aufmerffam, ohne ihn 
doch ganz richtig zu erklären. Noch näher Liegt die Vergleichung 
einer Urk. von 1047, bei Van Lokeren, Chartes de St. Pierre 
Kr. 127 ©. 92: Flandrensium monarchiam moderante Bal- 
duino glorioso marchiso ; danı Geneal. Fland. SS. IX, ©. 304: 
eundemque Baldzonem regimini totius monarchiae praefeecit, 
und einer Stelle, die Gfrörer anderswo anführt (I, S.51) und frei= 
ih auch zu ganz unglüdlichen Combinationen benußt: ex succes- 
sione hereditaria in prineipatu monarchiae Flandrensis gratia 
Dei jam convaluerat; vgl. Gest. Camer. III, 19, ©. 471: 


* Er erſcheiut auch als Zeuge in einer Schenkung für Hersſeld, Wenck 
‚©. 42. 

2 Höfer, Zeitfchrift I, S. 170: in purewardo Merseburc et in co- 
mitatu Willehalmi palatini comitis. Ebenfo von Siegfried, Heydenreih ©. 31. 

® Er wird zuerft 1043 genannt, Mon. Boica XXIX, 1, ©. 80. 

* Köpfe in der Note referiert e8 nur. 

5 Auch Hüllmann, Stände S, 321, nimmt an dem Ausdrud Auftoß. 
’ °e Was Pſfaff a. a. O. bemerkt, ohne zu erkennen worauf es an— 
ommt. 


26 


qui participium monarchiae Frisonum tenebat. Das Wort 
‘monarchia’ bezeichnet einfach) in der jchwüljtigen Sprache mehrerer 
Autoren: Herrichaft, Würde, und nichts anderes. So iſt es auch 
ſchon bei Ducange (ed. Henſchel IV, S. 477) erflärt, der noch eine 
Stelle beibringt, wo es heißt: Qui monarchiam clericatus in pa- 
latio obtinens etc. und (II, ©. 455) aud) die monarchia palatii 
ihon im wejentlichen richtig gefaßt hat. Was das chron. Gozec. 
fo nennt, das bezeichnet die Hist. Brunvillarensis (I, 1, Ardiv 
XU, ©. 150) mit regalis palatii apicem. 

Es ift nicht ummwahrfceinlih, dag Dedi (= Theodoricus) 
und fein Bruder Friedrid), der ihm 1056 folgte, der Familie des 
Dietrih und Friedrich) angehören, die im 10ten Jahrhundert die 
Würde innehatten und nur eine Zeit lang durch Burchard und feine 
beiden Nachfolger verdrängt waren, und der erjte Pfalzgraf von 
Sachſen Adalbero oder Berno wäre dann zugleich der Ahnherr der 
Familie, welche fpäter im Mann- und Weiberjtamm lange die Würde 
behauptete. 

Wie dem aber fein mag: die Reihenfolge der Sächſiſchen Pfalz- 
grafen unterliegt feinem Zweifel; für eine doppelte Pfalzgrafichaft 
findet fich Fein Beleg. 


Beilnge. 


Abkommen zwiſchen dem Blofter Hilmardshaufen und den Honnen 

Hildeburg und Zritheburg zu Gandersheim, Töchtern der Helmburg, 

über Güter, welche jene aus einer Schenkung der Mutter zu Be: 
neficium erhalten hatten. 1003. 


+ Im nomine Patris et Filü. C. Opera Dei revelare ac 
glorificare honorificum est, quia sepe per virile, tum etiam 
per fragile per femineum sexum misericorditer triumphat ac 
gloriatur. Unde notum esse desideramus omnibus Christi 
fidelibus, tam presentibus quam et futuris, quod una matrona 
vidua nobilissimae prolis nomine Helmburhe, quae, quamvis 
prius virili sociata esset conubio, tamen forti animo in Chri- 
sti amore flagrabat, uti res ipsa declarat, quid fecit? pro 
amore parentum suorum et ob animae remedium quiequid 
predii in locis Vake, Gateredeshusun, Bernhereshusun, Ger- 
wardeshusun, Thieddecheshusun nominatis cum omnibus rite 
ad hoc pertinentibus habuit, Christo sanetoque Stephano proto- 
martyri ad monasterium Hildiwardeshusun per manus ad- 
vocati sui Thietmari tradidit, et hoc idem fieri, nimium desi- 
derantibus consentientibusque ac omnimodis confirmantibus 
quatuor filiabus suis, quarum nomina sunt hec Aethelwif et 
Maercsuit, Hildibure et Frithebure, quod bene ita poterant, 
quia unusquisque illarum hereditarium jus ab aliis possidebat, 


27 


quae omnes Deo dicate virgines, due illarum, Aethelwif et 
Maeresuit, Hildiwardeshusun, due, Hildiburhe et Fridebure, 
Gandeshem monasterium Deo servientes, bonae ancillae Chri- 
sti, divinitus afflatae atque spiritali gratia illuminate, pro 
Christo caelesti sponso, quem corde et animo semper et sem- 
per adoptabant, mundum et omnia mundana quasi pro nichilo 
computabant ac despieiebant. Tune venerabilis palatinus co- 
mes Bern dietus nomine, ejusdem® predieti monasterii Hildi- 
wardeshusun advocatus, qui inter” prineipes non minimus et 
inter prudentes prudentissimus, cum domna Berhthilda pre- 
dieti coenobii venerabili abbatissa ad regalem curtem Grona 
perrexit‘, ibique coram magno ac pacifico Ottone imperatore 
domna Helmburhe cum filiabus suis in palacio, cunctis coram 
asstantibus, predietam tradicionem omnium consilio corrobo- 
rando simul firmaverunt, post in villa cui vocabulum est 
Winithi, post in altera cui nomen Rasthorp eandem traditio- 
nem in placito prenominati palatini comitis firmando corro- 
boraverunt. Ea scilicet pactione, ut sanctimoniales ibidem 
Hildiwardeshusun Deo servientes necessaria unde viverent 
inde habuissent, nec ulla abbatissa aliquid de illo predio in 
suum servitium assumpsisset aut pro alio aliquo transmu- 
tando aufferret, et si aliquis in posterum fecisset, in die ju- 
dieii rationem reddidisset. Tunc due illarum parentibus re- 
mote atque humanis occupatae, nomine Hildiburhe et Vrithe- 
burhe, licencia abbatissae atque jam dieti palatini comitis duo 
loca Gerwardeshusun et Thieddecheshusun nominata“ cum om- 
nibus rite appendentibus, necessitate, non ulla cupiditate exi- 
gente, usque dum vivant in suos usus in beneficium recepe- 
runt. Postea vero, multo jam tempore peracto, regnante Hein- 
rico rege, prediote sorores Hildiburhe et Vritheburhe, ut sem- 
per divino igne ferventes, et infirma mundi considerantes, 
necnon et dolum instabilitatemque hominum tunc temporis 
habitantium inspieientes, euangelicum illud quod legitur cor- 
detenus diligentissime tractantes: ‘Qui ista terrena pro Dei 
amore reliquerit, centuplum aceipiet, insuper cum Christo 
aeternaliter regnabit’, hec eadem prenominata duo loca Ger- 
wardeshusun et Theiddecheshusun Christo sanctoque Stephano 
protomartyris necnon Hrohtgerdae venerabillimae abbatissae, 
qui tunc ejusdem°® predieti monasterii Hildiwardeshusun Dei 
gratia mater exstitit, quod in beneficium acceperunt, in ean- 
dem predictam pactionem iterum reddendo tradiderunt ac sta- 
tim dimiserunt. Tune venerabilis abbatissa Hrohtgerd, cle- 
mentissimae ut semper erat benivolenciae, quia sine victu 
et vestitu humana penitus deficiunt corpora, illarum predic- 


a eiiusdem Dr. b quinter Dr. ce perrixit Dr. 
d nominate Dr. e eiiusdem Dr. 


28 


tarım sororum H. et F. imbecillitatem considerans, nostro 
eonsilio fundum, quod in villa Fritherikeshusun habuit, ac 
mansos 17 cum familiis servitium ad integrum in beneficium 
usque dum vivant illis prestitit. Ad hoc etiam maltes ad 
quindeeim cervisa et sues 27 in die” sancti Thomae apostoli et 41 
malder in festivitate omnium sanctorum et oves 51 quarta 
decima die ante ascensionem Domini per singulos annos illis 
dari, omni congregationi astanti ac desideranti, firmiter sta- 
tutum est. Et quia per omnia ex utraque parte mediatorem 
nos habuerunt, hanc cartulam in presentia nostri conscribi 
jussimus, ne aliqua disceptacio in posterum oriatur, sed Deo 
adjuvante firma perseveret in secula. 

Anno dominicae incarnationis millesimo 3, regnante 
Heinrico rege, an. 3. nostre ordinationis. 

Hec cartula scripta erat fre }. 


Die Urkunde bietet viel eigenthümliches und manches ſchwie— 
vige dar. Nach dem Zeugnis de8 Hrn. Geh. Archivraths Grotefend 
iſt die Schrift gleichzeitig, das Actenſtück wie es liegt Original. 
Ein von Hrn. Prof. Steindorff jpäter angefertigtes Facſimile ein— 
zelner Stellen läßt über das Alter der Schrift feine Zweifel; die Da— 
tierungszeile ift von anderer, aber gleichzeitiger Hand. Die Zeichen 
am Anfang und Schluß der erjten mit verlängerter Schrift gejchrie- 
benen Zeile und am Schluß der letzten Zeile haben Hier nur fehr 
mangelhaft wiedergegeben werden können. Ob das lette in Verbin— 
dung mit dem vorhergehenden fre den Ausjtellungsort oder den 
Schreiber bezeichnen foll, muß dahingeftellt bleiben. in Siegel fehlt 
und ift nicht vorhanden gewejen. — Wer als Ausjteller zu denken 
und in dem letzten Theil der Urkunde von ſich als Vermitteler, feinem 
Rath u. ſ. mw. Spricht, ift nicht deutlich; man kann wegen des Aus— 
druds ‘nostre ordinationis’ vermuthen ein Biſchof "oder Abt; e8 läge 
nahe an Bernward von Hildesheim zu denfen, der dann feinem müt— 
terlichen Großvater das reiche Lob gejpendet hätte, das der Pfalz 
graf empfängt. Auch die Schrift zeigt Verwandtfchaft mit der Hil- 
desheimer Urkunden diefer Jahre. Aber das Fahr der Ordination paft 
nicht. — In nahen Zufammenhang mit diefer Urkunde fteht offenbar 
die angebliche Otto III. vom 2. Februar 997, Grone, welche Stumpf, 
Acta 29 ©. 36, herausgegeben hat. Man darf jich durch diejelbe aber 
nicht verleiten laffen, unter den Hier genannten magnus et pacificus 
imperator Otto den dritten zu verftehen, den gefchilderten Vorgang in 
jeine Zeit zu verlegen. Vielmehr ift jene Urkunde offenbar nad) diejer 
und auf Grund eines ſolchen Misverftändniffes gefälſcht. Vom Jahr 
997, überhaupt von der Zeit Otto ILL. konnte man 1003 nicht ſagen: 
multo jam tempore peracto; damals lebte auch ficher nicht mehr 
der Pfalzgraf Berno. Gruber hat das Jahr 973 angenommen wegen 
der am 7. Juni dieſes Jahrs zu Grone ausgejtellten Urkunde für 


a So fcheint zu lefen, im Or. ift nad) in ein a durchſtrichen. 


29 


Gandersheim, die er Otto I. zufchrieb. Der war damals todt; die 
Bezeihnung ‘magnus et pacificus imperator’ würde wohl aud) 
von dem Sohn gebraucht fein können; doc fcheint e8 mir am nächften 
zu liegen an den erſten Kaifer zu denfen. Die Zeit deffelben ift für 
den angegebenen Vorgang nicht zu fern, da die beiden ehrwürdigen 
Nonnen im Yahr 1003 offenbar ein höheres Alter erreicht hatten 
(auf ihre imbecillitas wird NRüdficht genommen), alſo 30 Jahr 
‚vorher recht wohl Schon ins Klofter eingetreten fein fonnten. — Auf 
den übrigen, auch rechtshiltoriich und topographifch intereffanten In— 
halt der Urkunde einzugehen, liegt Hier ferne. 


9. Wann wurde Hermann von Winzenburg Landgraf 
bon Thüringen ? 


Iſt es früher lebhaft beftritten, daß ein Hermann überhaupt eine 
gräfliche oder landgräfliche Gewalt in Thüringen gehabt (ic) verweife 
auf Wend, Heffiiche Landesgeſchichte II, S. 758 ff.; Kofen, Die 
Winzenburg und deren Beliter ©. 35 ff., der die weitere Literatur 
über den Gegenftand anführt), fo Haben die Neueren diefen Zweifel 
meijt wieder fallen lajjen, namentlid) Knochenhauer in feiner Ge— 
ichichte Thüringens zur Zeit des erften Yandgrafenhaufes S. 90 ff., 
dem Menzel in einer Anmerkung fich anfchlieft, die Sache als ficher 
begründet angenommen, und nur die Zeit näher zu bejtimmen ge— 
fuht. Dafür verwendet er zwei Urkunden, die ihn zu den Refultat 
führen, daß ſchon unter Heinrich) V. der ältere Hermann, der im 
Sahre 1122 ftarb, die Würde eines Yandgrafen erhalten und fie auf 
jeinen Sohn vererbt habe. Ach bin in der Anzeige von Kuochen- 
hauer8 Schrift (G. ©. A. 1871 St. 17) hierauf eingegangen und 
habe die Bermuthung geäußert, e8 möge die Erhebung der Winzen- 
burger mit dem Ausjterben des jüngeren Weimarer Haufes (1112) 
zufammenhängen, und deshalb nur bezweifelt, daß die eine Urfunde, 
welche Knochenhauer ins Jahr 1111 fett, hierher gehöre. Die Sache 
ift aber damit nicht erledigt, und bedarf einer genaueren Darlegung. 

Die angeführte Urkunde Adalbert von Mainz (Leibniz SS. I, 
©. 705), in welcher ein Herimannus patriae comes genannt wird, 
ift in der That in ihren Daten und fonjtigen Angaben fo verwirrt 
und widerfpruchsvoll, dag man e8 aufgeben muß fie für irgend welche 
Unterfuchungen zu benugen; Kolbe in feiner Schrift, Erzbifchof Adel- 
bert I. von Mainz und Kaiſer Heinrich V., Hat in einem Excurs 
ausführlich darüber gehandelt und mit Recht die Urkunde für eine 


ı Ebenjo Frand, Die Landgraffchaften des h. Römischen Reichs S. 158, 
3 — —— Buch gar nicht kennt und den Gegenſtand ganz unkritiſch 
ehandelt. 


30 


jpätere Fälſchung erklärt. Der Titel ‘comes patriae’ ohne weiteren 
Zufag fommt auch nicht vor dem Jahre 1137 vor. 

Faſt noch ein größeres Gewicht legt Knochenhauer auf die zweite 
Urkunde vom Jahr 1114, in der Hermann Graf von Thüringen 
heiße, al8 Treuhänder des eben verjtorbenen Grafen Ulrich von Orla— 
münde (Weimar) erſcheine. Er folgt der Ausgabe von Guden im 
Cod. diplom. 1, S. 393. Aber wir befigen feitdem einen Abdruck aus 
dem Original, Mon. Boica XXIX, 1, ©. 233, und da heißt «8: 
per manum Hervini comitis de Turingia. Das ift ohne Zweifel 
der Graf Erwin von Tonna, ber in Thüringifchen Urkunden diefer 
Zeit öfter genannt wird (Schultes, Directorium 1103—1123). 

Hiernach bleibt fein Zeugniß, das den älteren Grafen Hermann 
irgendwie mit Thüringen in Verbindung bringt; daß er in dem Auc- 
tarium Claustroneob. 1122, SS. IX, ©. 628, als comes provineialis 
de Saxonia bezeichnet wird (daraus in den Ann. Reichersp., XVII, 
©. 653, nur comes provincialis), fann nur als eine Uebertragung 
jenes Titel8 von den Sohn auf den Vater angefehen werden; ur— 
fundlich heißt er wiederholt comes de Saxonia; Mon. B. XXIX, 
1, ©. 210. Url. B. d. 8. ob d. Enns. II, ©. 128. Ried, Cod. 
dipl. Ratisb. I, ©. 171. Fickler, Urkunden ©. 33. 

Für den jüngeren Hermann giebt e8 nur die Urkunde Lothars 
vom 13. Juni 1129, Orr. Guelf. II, ©. 494, die ihn als land- 
gravius nennt, meines Wiffens feine die ihm irgendwie mit Thü— 
ringen in Verbindung bringt. 

Und fo fünnte man doc) zweifelhaft werden, ob nicht die Bedenken 
Schumaders, Wends, u. a. begründet feien, welche den landgräflichen 
Zitel niht auf Thüringen, fondern auf die Sächſiſchen Grafſchaften 
Hermanns beziehen wollen. Aber mit echt beruft ſich Menzel auf 
das Zeugnis der jenen unbekannten älteren, diefer Zeit fehr nahe ſte— 
henden Annales Erphesfurdenses 1130 (SS. VI, ©. 538), wo 
Hermann als prineipalis comes Thuringiae bezeichnet und Graf 
Ludwig als fein Nachfolger genannt wird. 

Die Frage kann dann nur fein, warın er diefe Würde empfangen. 
Gieſebrecht hat (Kaifergefchichte IV, ©. 37 N.) die Vermuthung ges 
äußert, es ſei gefchehen, da er die landgräfliche Gewalt in Meißen 
nit Konrad von Wettin Habe theilen müſſen, weiſt aber zugleich dar- 
auf hin, daß auch früher die Markgrafen von Meißen wohl fchon 
mit einer bejonderen Amtsgewalt über Thüringen befleidet gewefen 
find. Mir fcheint es aber immer noch fehr zweifelhaft, ob Hermann 
wirklich im J. 1123 die Mark Meißen erhielt, wie Giefebrecht TIL, 
©. 1216 annimmt, ebenjo zweifelhaft freilich, ob Heinemann, Albrecht 
der Bär ©. 322, die Sade richtig gefaßt hat. Daß Hermann 
überhaupt eine Mark erhalten, beruht auf einer Stelle de8 Chron. 
Sampetr. 1123 ©. 18, deren Zeit nicht feftiteht: an die Stelle des 
verftorbenen Markgrafen Heinrich habe der König zwei Markgrafen 
eingefeßt, den Wigbert und den Grafen Hermann von Winzenburg. 
Daraus gejchöpft Haben die Ann. Bosov., SS. XVI, ©. 256, und 


al 


dann Hermann bejtimmter die Mark Meißen beigelegt, die fie erft im 
Jahr 1130 bei feiner Verurtheilung auf Konrad von Wettin übergehen 
lajjen. Dies fcheint aber auf feinen Fall richtig zu fein. Und andere 
ältere Berichte laſſen Heinrih V. Meißen au Wiprecht von Groitſch 
geben. Hermann erjcheint in diefen Jahren nirgends als Markgraf; 
im Jahr 1124 wird er in einer, Urkunde Adalberts von Mainz als 
Herimannus comes de Winzinbure genannt (Heinemann, Cod. 
‚dipl. Anh. ©. 156); die älteren Annalen, die feine Verurtheilung 
1130 erwähnen, wiſſen nichts von einer markgräflichen Würde, nennen 
ihn nur Graf oder, wie die Ann. Erph., prineipalis comes Thu- 
ringiae. Allerdings giebt ihm dann viel fpäter eine Urkunde des Erz- 
bischofs Adalbert vom Jahre 1139 den marfgräflichen Titel (Orr. 
Guelf. IV, ©. 545) ; es ift überhaupt das erjte Mal daß er nad) 
feiner Berurtheilung wieder auftritt (Kofen ©. 50). Sollte Kon 
rad III. damals, al8 er den Kampf gegen die Welfen führte, den 
Winzenburger hergejtellt, ihm vielleicht die Mark des zum Herzog von 
Sachſen erhobenen Albrecht zugeiprochen haben? Das laffe ic) hier 
zur Seite. Was aber die Nachricht des Chron. Sampetrinum be» 
trifft, fo fann man wohl auf den Gedanken kommen, daß die Her- 
mann damals in Thüringen gegebene Stellung, wie eine folche früher 
wohl mit der Mark Meißen verbunden war!, den Anlaß geboten 
habe, von einer Theilung der Mark, Einfegung zweier Markgrafen 
zu fprechen. Ihm wäre dabei feineswegs ein neuer Titel beigelegt, 
und er fonnte deshalb nach wie vor im Jahre 1124 als Graf von 
Winzenburg benannt werden. Die Bezeichnung Landgraf, die eben 
jetst auffam, fand nur auf ihn wie auf andere Anwendung, welche die 
alte Stellung der Grafen behaupteten und deren Gewalt ſich von 
der blos territorialer Grafen unterfchied. 

Auch das ift zum Theil nur Vermuthung. Gewiß aber, daß 
bon dem älteren Hermann als Landgraf von Thüringen nicht Die 
Rede fein darf, daß der jüngere nicht vor 1129 mit diefem Namen, 
als Markgraf erjt nad) der Wiedereinfegung in feine Sächſiſchen 
Güter unter Konrad II. im Jahr 1139 erfcheint, während Ludwig 
von Thüringen feit 1132? oder 1133 als Landgraf genannt wird. 


10. Meber Zeit und Heimat der fogenannten Constitutio 
de expeditione Romana. 


Seit Berk (LL. II, ©. 2) bei der neuen Ausgabe dieſes eigen- 


ı Etwas ähnliches hatte ih ©. ©. A. ©. 652 im Sinne, als ich mit 
bem Tod des Ulrich von Weimar irrthümlich auch eine Erledigung der Mark 
Meigen in Berbindung bradıte. 

2 Menn der Urkunde für Walfenried (Stumpf Nr. 3268) ein echtes 
Original zu Grunde liegt; 1133 Wend II, ©. 83: regionarius comes. 


32 


thümlichen Actenſtückes e8 mit Rüdjiht auf den Inhalt wie auf die 
handichriftliche Ueberlieferung in die zweite Hälfte des 12ten Jahr— 
hunderts geſetzt Hat, iſt man faſt allgemein diefer Annahme beige- 
treten; nur Nigih (Meinifterialität und Bürgertyum S. 46) hat 
geglaubt noch Andeutungen einer früheren Zeit in den Beitimmungen 
über das Heerwejen zu finden’. Neuerdings hat Ficker in einer eis 
genen längeren Abhandlung (Ueber die Entjtehungsverhältniffe der 
c. de e. R., Wien 1873, aus den Sitzungsberichten der Wiener. 
Akademie der Wilfenfchaften befonders abgedruckt) die Frage nad) Zeit 
und Heimat noch einmal eingehend behandelt und dabei Reſultate ge— 
wonnen, mit denen ich nicht übereinjtimmen kann. 

Zunächſt führt er aus, was für die Entjtehung des Actenftüces 
in feiner jegigen ©eftalt in der zweiten Hälfte des 12ten Jahr— 
hunderts fpricht, der Gebrauch des Wortes principes, die vier 
Hofämter, welche diefen zugefchrieben werden, die Art und Weife 
wie ministerialis als Erklärung eines andern Ausdruds verwandt, 
wie die famuli neben den liberi als Inhaber von Yehen bezeichnet 
find. Dieje Gründe lafjen ſich noch verjtärfen. Cine Hauptjache ift 
der Ausdrud ‘expeditio Romana’ jelbft : er fommt in einem echten 
Actenftü nicht vor den Jahre 1154 vor (LL. II, ©. 96); aud) 
bei einem Schriftiteller, daß ich weiß, nicht vor der Staufifchen Zeit; 
Trad. Baumb., Mon. B. III, ©. 14, ijt eine jpätere Aufzeichnung 
über die Zeit Heinrich V.; Yeichtlen Zähringer S. 54 eine faljche 
Urfunde des 12ten Jahrhunderts. Daß das Wort in der Constitutio 
in dem weiteren Sinn für jeden Zug nach Stalien gebraucht wird, 
ijt gewiß mur ein Beweis mehr für die jpätere Abfafjung. — Einen 
ſolchen finde ich auch in der Stelle über die Verſammlung auf den 
Noncaliichen Feldern: man kann nicht zweifeln, daß fie aus Otto von 
Freifing entlehnt ift?. Mean vergleiche die Worte: 


Otto: 
qui sine bona voluntate do- 
minorum suorum domi reman- 
serint, in feodis condempnan- 
tur. 


Const.: 
feodo preter hos qui cum gra- 
tia dominorum suorum re- 
manserint — privetur. 








Keiner wird glauben, daß Otto feine Erzählung von den was nach 
ihm alte Gewohnheit der Könige war aus diefer Constitutio ent- 
nommen hat. 


ı Er sjeßt es im biefelbe Zeit mit „Konrad II. Weifenburger Dienft- 
recht”. Daß aber dies nicht echt fein, nicht der Zeit Konrad II. angehören 
fönne, ſchien mir auch vor den Ausführungen Breflaus unzweifelhaft; was 
Fider S. 26 zur BVertheidigung beibringt, ift jedenfalls unzureichend. 

” Hierauf bin ih, wenn mid; mein Gedächtnis nicht täufcht, zuerft von 
Hrn. Prof. Lörſch in Bonn aufmerkſam gemacht, da der vor längeren Jahren 
einmal eine Abhandlung über die Const. in meinen hiſtoriſchen Uebungen vor- 
legte. Ich glaube, fie verdiente noch jetzt gedrudt zu werden, 


33 


Daneben darf man auch die ‘rebellia regna’! anführen, ein 
Ausdruck der wohl in der Zeit Friedrich I. gebraucht werden mochte, 
ſchwerlich einer früheren Zeit entjprechend gefunden werden kann; — 
feodum läßt fich allerdings vor dem 12ten Jahrhundert nachweifen, 
faum aber “fructus feodi’, wie hier einmal gejagt wird; “marca’ am 
Anfang des Ilten Jahrhunderts wenigſtens nur in Gegenden, wohin 
nicht leicht jemand den Urſprung der Constitutio fegen möchte, in 
Baiern nicht vor dem 12ten. — Auf das rex ‘Francorum et Ro- 
manorum’ im Eingang will ich fein Gewicht legen, da Ficker diejen ? 
jelbft für jünger als den Inhalt der Urkunde hält. 

Was derjelbe aber von Spuren eines höheren Alten in der 
Constitutio entdedt haben will, erjcheint von ganz geringem Belang. 
Er findet e8 auffallend, daß bei den Angaben über die Kriegspflicht 
der Einzelnen neben den Reiſigen auch die Schildfnappen (scutarii) 
erwähnt werden: er glaubt darin ein Zeichen zu finden, daß zur Zeit 
der Abfaffung die Leichtbewaffneten noch eine bedeutendere Stellung 
im Reichsheer gehabt, und nimmt mit Nitzſch (S. 41) an, daß das 
im 11ten Jahrhundert der Fall geweien fei. Aber weder wird die 
fette Anjicht fich behaupten laſſen, noch kann man die scutarüi 
hier al8 Beweis dafür anführen. — Es läuft aud) der Irrthum 
unter, daß der scutarius der Constitutio und der seutatus anderer 
Duellen für identisch gehalten wird (Nitzſch citiert felbjt in einer 
aus Wend angeführten Stelle geradezu scutarii ftatt scutati). 
Das ift aber offenbar nicht der Fall: scutatus bezeichnet wie lori- 
catus den reifigen Mann, nicht den Schildträger oder Schildfnappen ; 
vgl. Ann. Altah. 1042, SS.XX, S.797: cum parvissima manu 
militum et servitorum, quippe nec 30 habentes scutatorum — 
im ganzen waren e8300; Vita HeinrieilV. c.5, SS.XI, ©. 274: 
aliquos scutatos ad praedietam obsidionem tendentes obviam ha- 
buit; Beyer Mittelrh. UB. Nr.338 ©.394: 40 scutatos ex ista 
parte Alpium ... mittat. In demfelben Sinne wird scutum ge— 
braucht, gerade wielorica, lancea, die einzelne Waffe für die ganze Rü— 
ftung; Würdtwein N. S. VI, ©. 314: 4 scutis serviat nobis; 
Dronfe 749 ©. 359: et in expeditionibus cum 6 scutis mili- 
taret; Ruodlieb IV, 15, ©. 160. Dagegen finden ſich scutarii 
neben custodes und tyrones bei Berthold 1080, SS. VI, ©. 325; bei 
Gosmas II, 39, SS. IX, ©. 94 werden fie den viri bello fortiores 
entgegengeftelit; vgl. III, 25, ©. 114: pabulantes scutarii; hier 
find Schildfnappen oder andere in geringerer Stellung gemeint. Noch 
anderswo bezeichnet das Wort einen Schildmacher. — Viel fingulärer 
ift der Gebraud) von brunia und halsperga für den gewappneten 
Mann: es fommt in der Weife wie hier in Denfmälern bis zum 
12ten Jahrhundert gar nicht vor; das entfprechende “loricae’ ſtatt 
‘lorieati’ nır Ann. Weingart. 1135, SS. XVII, ©. 300. Jene 


ı Menn man denn mit der älteften Handfchrift “rebellibus regnis’, und 
nit ‘regni’ lieſt. 
XV. 3 


34 


beiden Worte find urfprünglic) nicht gleichbedeutend (vgl. Sanmarte, 
Waffen ©. 34 ff.), werden aber in der Const. offenbar jo gebraucht. 
Obgleich) Ficker dies anerkennt, meint er doc) den Unterjchied heraus— 
finden zu können, daß die freien Vaſſallen in der halsperga, die 
Minifterialen regelmäßig in der Brünne dienten: nur ausnahms— 
weife habe der Herr auch diefen „das koſtbarere Waffenſtück“ aus 
„ſeinen Vorräthen“ mitgetheilt. Aber davon ijt in der Const. nichts 
zu finden, Von denen qui per hominium dominis adhaeserint 
heißt e8, daß fie, quot decem mansos in beneficio possideant, 
tot brunias cum duobus scutariis ducant, und ganz ebenjo von 
der niederen Klaffe: quicungue 5 mansos in beneficio possi- 
deant — bruniam cum uno scutario ducant. Und nun: Et 
hoc in arbitrio dominorum pendeat, quos ducant, a quibus 
stipendia accipiant, quibus etiam halspergas concedant; d. h. 
unter der Gefammtheit derer, die hier in Betracht kommen, wählt der 
Herr diejenigen aus welche er des reifigen Dienjtes überhaupt für 
würdig hält. ’ 
Die Klafje von Leuten um die es fich handelt wird bezeichnet: 
de ecelesiarum filiis vel domestieis, i. e. ministerialibus, vel 
quorumcumque principum clientela, qui cottidie ad serviendum 
parati esse debent. wider hält ſich hier an das Wort Minifterialen 
und meint, daß nach diefer Stelle die Entwicelung derjelben noch weiter 
zurückgewefen fei, al8 man im 12ten Jahrhundert annehmen fünne, 
während der technifche Gebrauch des Wortes doch eben erjt dieſer 
Zeit angehöre. Allein in der angeführten Stelle ift gar nicht von 
denen die Rede, welche jpätere Denkmäler und mit ihnen wir vor— 
zugsweife Minifterialen zu nennen gewohnt find. Diefe find, wie 
Ficker ©. 15 mit Recht gegen Eichhorn u. a. bemerft, jchon vorher 
neben den liberi als famuli qui per hominium dominis suis ad- 
haeserint aufgeführt: foweit fie in den Lehensverband aufgenommen, 
werden fie den freien Vaſſallen gleichgeftellt. Davon aber find die 
niederen Diener und abhängigen Leute unterfchieden, die auch Land 
zu beneficium haben, auch zum Sriegsdienft herangezogen werden 
fönnen, aber nicht die Lehnshulde leiten. Der Autor verwendet eine 
Mehrheit von Ausdrüden, um vielleicht die Abftufungen, welche hier 
noch) vorkommen konnten, zu bezeichnen: ecelesiarum filii, domestici, 
ministeriales, clientela, qui cottidie ad serviendum parati esse 
debent. Die letzten find wohl die niedrigft ftehenden; wir finden 
fie im Straßb. Stadtreht 111: qui necessarii et cotidiani sunt 
ministri episcopi; Beyer, Mittelrh. UB. Nr. 244 ©. 299: cottidia- 
nis claustri ministerialibus; Il, ©. 23: eottidiani servitores; 
Erhard, Reg. Wr. 164 ©. 128: qui cotidie ad curtes serviunt, im 
Grunde diefelben die als Dagefcalfen im Wormjer Dienjtrecht vor— 
fommen. ‘“Clientela’ ift ein vieldeutiger Ausdruck, auf höhere und 
niedere Diener angewandt. Domestiei entfpricht wörtlich den deutfchen 
„Hausgenoffen“; e8 wird auch anderswo fiir Minifterialen gebraucht, 
3. ®. Trad. Garstenses 41 ©. 140; 90 S. 153, während in dem Kölner 


35 


und Ahrer Dienftrecht, die Ficker vergleicht, das Wort noch in einem 
etwas anderen Sinn, als Genofjen, pares, compares, der Minijte- 
rialen, gebraucht wird. Der eigenthümlichite Ausdrud von allen ift 
wohl ‘ecelesiarum filii'. Ich finde ihn in diefer Weife in Frei— 
finger Urkunden, Zah, Fontes XXX], Nr. 93 ©. 92: de com- 
mutatione quorundam maneipiorum ex ministerialibus filiis ec- 
clesiarum suarum ... . giebt quendam filium ecclesiae suae... 
cum legitimo jure ministrorum, und erhält einen ministrum ; vgl. 
falihe Urf. Otto I. (Stumpf Nr. 383), ebend. Nr. 34 ©. 33: 
eosdem filios ecclesiae, wo vorher ministri. Außerdem habe ich 
den Ausdrud in einer Zrierer Urkunde bemerkt, Beyer Nr. 338 
©. 393: astipulatione cleri, militiae et filiorum ecclesiae no- 
strae presentis. 

Könnte die legte Stelle als ein Beleg für Fickers Anficht geltend 
gemacht werden, daß einzelne Ausdrüde der Urkunde nad) Lothringen 
zu weijen fcheinen, jo fprechen die vorher angeführten Urkunden 
Sreifings und Garſtens doch gewiß eher für eine Bairifche Heimath, 
wohin die Handjchriften weifen. Außer denen welche Per angeführt, 
werden ſolche auch in Klofjterneuburg und Negensburg im Befit des 
Fürften von Thurn und Taris genaunt; Mone Anz. 1838, ©. 346. 
Die letzte enthält ebenfo wie die Gießener einen Dtto von Freiſing 
(vgl. SS. XX, ©. 114. 112), dejjen Gesta Frideriei der Autor, 
wie wir fahen, benutt hat. Dem gegenüber können die allerdings 
ungewöhnlichen Formen bunuarius, absarius, officinarius, die er 
gebraucht, wenig beweifen. Klingen fie mehr romaniſch, fo das da- 
neben vorkommende buringi wenigftens deutſch: Graff III, S. 20 
feunt e8 aus Sangaller und Wiener Gloffen für coloni. Wahr: 
fcheinlich hat der Autor jene Worte, die jo nur er hat, ebenfo will: 
fürlic) gebildet wie da8 ‘curiam Gallorum’, in das er Rungalle, 
Roncalia, überjegt. — Eine andere Eigenthiümlichfeit, auf die man auf: 
merffam machen muß, ift der Wechfel in den Worten, den der Ver— 
fafjer liebt: beneficium und feodum, brunia und halsperga, 
marca und libra offenbar ganz gleichbedeutend neben einander; no- 
strum imperium, naddem vorher immer nur der rex geſprochen. 
Ein wenig paffender Ausdrud, namentlih im Munde eines Kaifers, 
ift das ‘quod absit’, wo von der Möglichkeit, daß ein Vaſſall meh— 
reren Yehnsherren verpflichtet ift, die Nede. — Alles weiſt auf einen 
Autor, der auf eigene Hand, ohne officielle Stellung, diefe Ausarbei= 
tung unternahm. Demſelben Charakter jcheint mir die Reimproſa 
anzugehören, die Ficker in dem Aktenſtück bemerft, aber, wie ich meine, 
weit über Gebühr angefchlagen und zur Grundlage mühfamer, aber 
wenig fruchtbarer Erörterungen gemacht hat. Das ganze Stück trägt 
deutlih genug den Charakter einer Privatarbeit an fich, bei der es 
dahingeftellt bleiben muß, ob ihr fo ein bejtimmter Zwed zu Grunde 
lag, wie Per angenommen hat. Dieje Arbeit auf zwei Perfonen 
zu vertheilen, ijt, ſoviel ich fehe, nicht der mindejte Grund: die harafteri- 
ftiichen Merkinale gehen durch das Ganze hindurch, die Spuren einer 


3* 


36 


Abfaffung im 12ten Jahrhundert treten faft in jedem Sak hervor. Das 
Document hat für uns nur deshalb einen gewiffen Werth, weil unfere 
Nachrichten über das Deutfche Heerweien bis zur Staufifchen Zeit 
hin verhältnismäßig jo dürftig find. Doc würden wir e8 ohne we— 
jentlichen Nachtheil entbehren; und der jchädliche Einfluß, den es feit 
langer Zeit auf die Forſchung ausgeübt hat, jcheint mir jedenfalls den 
Nuten zu überwiegen, den feine Nachrichten richtig verftanden und 
benutt haben Fünnen. j 


Abt Hugo aus dem Haufe der Welfen 


Markgraf von Neuftrien. 
Bon 


8. v. Ralkfein. 


Wenige Gefchlechter haben in der Zeit des finfenden Karolinger- 
reiches jo großen Einfluß geübt und eine fo mächtige Stellung er- 
rungen wie die Nachfommen des bairischen Grafen Welf. Seine 
Tochter Yudith, Ludwig des Frommen zweite Gemahlin, trug durch 
Begünftigung ihres Sohnes Karl des Kahlen den ältern Stiefbrüdern 
gegenüber am meiften zum Zerfall des fränfifchen Heiches bei. Deren 
Schweiter Emma war die Gemahlin eines derfelben, Ludwig des 
Deutjchen. Ihre Brüder Rudolf und Konrad wurden bei der De- 
müthigung Ludwig des Frommen im Jahr 830 zu Mönchen gefchoren 
und in aquitanische Klöfter gebracht !. 

In den Yaienftand zurücgetreten?, übten fie auf ihren Neffen 
Karl den Kahlen, durch den Vertrag von Verdun Herricher des weit- 
fränfifchen Reichs, großen Einfluß, ebenfo nach ihnen ihre Söhne. 
Konrads Sohn Hugo war Abt mehrerer Klöjter, namentlich von 
S. Martin in Tours, und bejaß eine Reihe neuftrijcher, das heißt 
in diefer Zeit zwifchen Seine und Loire liegender Grafſchaften, fein 
Bruder Konrad erhielt vom Kaifer Ludwig IL. die Landfchaft zwifchen 
Yura und Alpen, unter deſſen Sohn Rudolf der Mittelpunkt des 
hochburgundiſchen Reichs. 

Des ältern Rudolf Söhne Konrad und Guelfo übten unter den 
erſten weſtfränkiſchen Königen maßgebenden Einfluß, ſtarben aber kin— 
derlos. Aus den in Deutſchland zurückgebliebenen Verwandten ſollten 
ſpäter Männer hervorgehen, die den ſtaufiſchen Kaiſern die Spitze 
bieten konnten. 

Hervorragende Bedeutung für alle aus dem fränkiſchen Reich 
entſtandenen Staaten erlangte der oben erwähnte Hugo. Durch ſeinen 
Vater Konrad Grafen von Paris und Auxerre Karl des Kahlen 
Vetter und Ludwig des Deutſchen Neffe, durch Irmingard die Schweſter 
feiner Mutter Adelais und Gemahlin Kaiſer Lothar I. ein Vetter 


i Nithard I, 3. Ann. Bertiniani 830, SS. I, 424. Dümmler, Ge- 
ſchichte des oftfränkischen Reichs I, 39 und 422. Wend, Das fränfifche Reich 
nad; dem Bertrag von Verdun S. 387. Lebeuf, Histoire de l’acaddmie 
des inscriptions, Serie I, T. XXXVI, ©. 142 ff. 

2 Nach Hinfmars Brief bei Flodoard, Hist. Remensis III, 26, lebte 
Rudolfs Gemahlin nod) Ende 857, mag aber bald darauf geftorben fein, da fie 
damals trank war. 


40 


der drei Söhne des Kaiſers Ludwig II., Lothar II. und Karl von 
Provence, fpielte er im weftfränfifchen und lothariſchen eich bis in 
die Zeit Karl des Diden eine bedeutende Rolle. 

Obwohl er unbeerbt ftarb, wirkte er auf die Entwiclung Frank— 
reichs nachhaltig ein, denn feine Nachfolge befähigte die Capetinger 
zum Hundertjährigen endlich fiegreichen Kampf mit den Karolingern 
um die wejtfränfifche Krone. Er folgte dem Stammvater dieſes 
Haufes Robert dem Tapfern im größten Theil feiner Lehen, erhielt 
in diefem Gebiet durch eine faft zwanzigjährige Verwaltung das Ge— 
fühl der Zufammengehörigfeit und hinterließ Roberts Söhnen Odo 
und Robert die Macht des Vaters erweitert und befeftigt. Daß die 
durch feine Mutter Adelais, angeblih eine Tochter Ludwig des 
Frommen, wirklich; des Grafen Hugo von Tours, vermittelte Ver— 
wanbdtfchaft mit Robert dem Tapfern fpätere Erfindung ift, hat Wend 
fchlagend nachgewiejen!. Aber unter Hugo wuchjen die von ihm ver: 
walteten Gebiete zu dem fogenannten Herzogthum Franzien zu— 
fammen, das die Hausmacht des kapetingiſchen Gefchlechts bildete. 

Demnad) bin ich im DVerfolg meiner Studien über die Gefchichte 
der Fapetingifchen Herzoge? zu einer eingehenden Unterfuchung über 
diejen Abt Hugo gekommen. 


I 


Hugos Vater und fein Oheim Rudolf, Laienabt von ©. Ri— 
quier und Jumièges bei Rouen, Graf eines Gaus an der See, 
vermuthlich des Ponthien in welchem ©. Riquier lag’, mußten den 
Einfluß auf ihren Neffen Karl den Kahlen mit den Verwandten ber 
Königin Yrmintrud, namentlic) ihrem Oheim dem mächtigen Grafen 
Adalhard theilen ?. ; 

Der Gegenfag beider Familien, durch Wends Scharffinn bei 
der Spärlichfeit der Nachrichten leider nicht vollkommen aufgehellt, 
zieht fich durch die Gefchichte des Jahrzehnts 856— 866°. 842 tritt, 
neben dem in Lothars Reich reichbegüterten Adalhard, Konrad als 
Bevollmächtigter der drei Brüder zur Theilung des Reichs auf; fie 
überschritten ihre Vollmacht, indem fie Lothars Anfpritchen auf den 
Landſtrich zwiſchen Mans und Kohlenwald nachgaben ®; wenige Mo- 


ı Erhebung Arnulfs S. 84 fi. Das neuefte franzöfifche Werk von Ernest 
— Les comtes de Paris, erſchienen 1809, bringt S. 21 die alten 

ärchen. 

2 9, Kalckſtein, Robert der Tapfere. Berlin 1871. 

® Hariulfi chron. Centulense III, 9, bei Achery Spicilegium II, 
316. Gallia christiana XI, 190. Böhmer 1605. 1663. 

* MWend, Das franzöfiiche Reich S. 350, weift feinen Zufammenhang mit 
dem Abt Adalard von S. Dmer und deſſen Bruder Markgraf Eberhard von 
Friaul ſowie mit dem Kämmerer Bernhard Markgraf von GSeptimanien als 
wahrſcheinlich nach; die dagegen von Stein, König Konrad S. 52, erhobenen 
Bedenken find nicht durchichlagend. 

5. Das fränfifche Reich S. 307. Erhebung Arnulfs S. 62. 

® Nith. IV, 3. Dimmler I, 176. 


41 


nate darauf gewann Karl der Kahle den mächtigen Mann durch die 
Bermählung mit feiner Schweitertochter Yrmintrud. Aber er gab 
auch Konrad mehrfach, Beweife feiner Gunft. 849 war er Graf 
von Paris !, 

Als Graf von Aurerre machte er dem SKlojter S. Germain 
reihe Schenkungen, jchon am 30. Juni 853 ift fein Sohn Hugo 
dafelbft Abt?. Durch den foftbaren Umbau der Slofterfirche, deren 
Heiligem er feine Heilung von einer Augenkrankheit zufchrieb, verdiente 
er fic hohes Lob bei dem Mönch Hericus, dejjen Gelehrſamkeit die 
dauernde Blüthe der dortigen Schule beweift ?. 

Daß ihm Hinfmar Hochmüthiges und eitles, weder ihm nod) 
Audern nütliches Wilfen vorwirft, jpricht gleichfall® dafür, daß Kon— 
rad wie feine Schwefter Judith den von Karl den Großen auch unter 
den Paien des Hofes verbreiteten und von Karl dem Kahlen begün— 
ftigten geiftigen Bejtrebungen nicht fern blieb. 

Er wird daher auch feinen Söhnen, namentlich dem zum Geijt= 
lichen beftimmten Hugo, eine höhere Bildung haben angedeihen Laffen. 

Schon 853 ftand er bei Karl dem Kahlen in hohem Anfehn, 
denn er beffeidete nach dem Sendbotenverzeichniß des Capitulars von 
Servais im November das Sendbotenamt in den Gauen Auzxerre, 
Nevers und Avallon, fein Oheim Rudolf wahrjcheinlich in Orleans, 
Blois und den umliegenden Gauen“. Sein Vater Konrad mag da— 
gegen durch die Beſchwerden der kurz vorher im Auguft ftattgefun- 
denen Synode von Verberie über feine Ufurpation des zu S. Denis 
gehörigen elſäſſiſchen Klojters Leberau mißgeſtimmt gewefen fein. Da 
er bei dem Einfall Ludwig des Deutichen 858 nicht genannt wird, 
wohl aber 862 als hervorragender Rathgeber Yothar II., zog er ſich 
wohl ſchon damals in dejjen Reich zurüd, wo Leberau und feine 
Grafihaft Aargau lagen. Der vom Grafen Konrad und Bifchof 
Chriftian von Auxerre (feit 860) veranftaltete Taufh mit dem 
Klojter S. Germain wird daher nicht von ihm, fondern von feinem 
gleichnamigen Sohn vorgenonmen fein. Er erhielt für Perigny das 
zur Ausftattung des Grafen gehörige Kirchengut von S. Stephan, 
Teftiniacum, Leſtralium und Gremuiolum. Derjelbe wird auch das 
den Aebten gehörige Pauligny den Mönchen überlaffen haben ®. 

Daß die mißvergnügten weltlihen Großen, die mit Ludwig dem 
Deutfchen in verrätherifchen Verbindungen ſtanden, 856 Konrads 
Bruder Rudolf zum Vermittler im Namen Karl des Kahlen auser- 
fahen, deutet darauf Hin, daß auch er nicht ganz auf Karls Seite 


i Mabillon, Ann. S. Bened. II, 755. 

®: Quantin, Cartulaire general de l’Yonne I, 66. Böhmer 1868. 

® De miraculis S. Germani II, 2 und 3; Labbe, Nova bibliotheca 
ee I, 556 ff. 

*ı LL. 


5 LL.I, 421 und Neugart, Codex diplomaticus Alemanniae I, 277. 
Gfrörers Anficht, II, 176, daß Konrad Herzog von Schwaben war, hat Wend 
S. 495 Anm. 2 widerlegt. Gall. christ. XII, instrum. col. 98. Böhmer 
1830 und 1868. 


42 


ftand!. Durd ihn und andere Große wurde vom Juli bis zum 
September unterhandelt, dann fam es zu Chartres zu einem fchein- 
baren Ausgleich). 

Aber die Großen harrten nur, bis Ludwig ihren Aufforderungen 
Folge leiften Fonnte; der König behielt fich vor, die gegebenen Ver: 
ſprechungen fo bald als möglich zu brechen. 

Bald wurden felbjt die Föniglichen Unterhändler Rudolf und 
Erzbifhof Hinfmar von Reims verdächtigt, gegen den König feind- 
jelige Gefinnung zu erweden. Nichtsdejtoweniger bemühte ſich Hinf- 
mar gegen Ende des Jahres 857 Rudolfs Abfall vom König zu 
verhüten?, Er jchreibt, daß unziemende Befehle (mandata, quae 
non convenissent) von der Umgebung des Königs ausgegangen 
feien ; dies läßt darauf fchliegen, daß Rudolfs vermittelnde Vorſchläge 
nicht mehr geachtet wurden. Er könne darüber Rudolf weder jchrift- 
lich noch durch Boten etwas mittheilen, ehe fie bei einer perfönlichen 
Zufammenfunft beredet, was ihnen für den Nuten und die Ehre des 
Königs erfprieglich ſcheine. Hinkmar wolle, fo fchnelf er könne, zum 
König gehen und fich bemühen, auf feine Gefinnung und fein Handeln 
vor Gott Acht zu haben und feine Worte felbft vor denen, die für 
Freunde gälten, zu hüten. Werner jchreibt er von einer Berfammlung 
der Getreuen des Königs, von deſſen Gefinnung (direetione ipsius ani- 
mi), der Spaltung des Reichs und der früher von ihm mitgetheilten 
Reife der Königin zum König. Er fürchte viel vom König. Die 
Reife Irmintruds zu Karl und die dann folgenden Befürchtungen 
Hinkmars hängen wohl zufammen, fo daß von ihr und ihren Ver— 
wandten die Verdächtigungen gegen Rudolf und Hinfmar ausgegangen 
waren. Der fteigende Einfluß diefer Sippſchaft, namentlid) Adalhards, 
ift wahrfcheinlich die Urfache der VBerftimmung, die Hinfmar aus Rus 
dolfs Brief erfannt. Hinkmar verfpricht, was ihm Rudolf mitge— 
theilt nad) Vermögen beim König zu betreiben, und wern er wieder 
an ihm fchreibe, was er auch erfahre, zu melden. 

Er bittet ihm aber, ſich durch Vorkommniſſe nicht aufregen zu 
faffen, die folche bewegen, die Gott nicht fürchten, fondern er folle 
feinen guten Namen bis ans Ende zu bewahren fuchen. Er (Hinf- 
mar) fenne den Charakter des Königs, der, wenn er auch über ir- 
gend etwas aufgebracht fein möge, fobald Rudolf ihn gefprochen und 
ihm feine Ergebenheit bezeugt habe, fich gegen ihm wie recht und ge— 
ziemend verhalten werde. Rudolf ſoll nicht unchriſtlich grollen, ſon— 
dern Karl als Oheim mehr verwandtſchaftliche Liebe und als ſeinem 
Lehnsherrn mehr Demuth bezeigen. 

Hinkmars Rath und die Schwäche des Königs ſcheinen eine 


1Dümmler I, 433 ff. v. Kalkſtein, Robert der Tapfere S. 44. LL. I, 
444—449. 

2 ©. den leider magern und fchmwerverftändlichen Auszug feines Briefes 
bei Flodoard, Hist. Rem. eccl. III, 26. Die Abfaffungszeit ergiebt fi aus 
der Erwähnung der Ermordung des Bretonenfürften Erifpoe zwifchen dem 2. 
und 12. November 857 (Robert der Tapfere ©. 48). ’ 


43 


Berföhnung zur Folge gehabt zu haben, doch blieb Karls Miftranen 
fo groß, daß er viele Große, darunter Rudolf und Hinfmar, zu Kierfy 
am 21. März 858 einen neuen Treueid jchwören ließ!. Auf dieje 
Verſammlung iſt vielleicht in dem Brief Hingedeutet, und mag aus 
dem Namen der Schwörenden auf die Ausdehnung der mißvergnügten 
Partei zu fehliegen fein, der Rudolf angehört hatte. Außer ihm und 
Hinfmar ſchworen Bifchof Yrmenfrid von Beauvais, der 856 mit 
ihnen gemeinfam eine Vermittlerrolle geipielt hatte, Hinkmars gleich- 
namiger Neffe Bifhof von Laon, Imino von Noyon und Abt Hil- 
duin von ©, Denis. 

Bon den weltlichen Großen mag Engilfhald Hinkmars Aınts- 
genoffe vom Jahr 853 in dem Reims, Bar, Chalons und andere Gaue 
umfajfenden Bezirk, oder Sendbote in dem dritten Flandern benad)- 
barten Bezirf, wo er felbft eine Grafſchaft bejejjen hätte, geweſen 
fein. Hunger, vielleicht auch Herluin befleideten dies Amt für Rouen, 
Ponthieu und andere Rudolfs Abtei S. Riquier benachbarte Gaue?. 

Iſembard iſt vielleicht der Sendbote in den burgumdiichen Gauen 
Autumn, Macon, Dijon und Dsbert in Maine, Anjon, Touraine. 

Karls Kämmerer Engelram Graf in einem Flandern benachbarten 
Gau wird noch mehrfach) zu erwähnen fein. 

Ratbod und Hunfrid endlich find vermuthlich diefelben, die mit 
Hinkmar und Rudolf den Frieden von Coblenz im Jahr 860 unter- 
zeichneten ®, 

Der unter den Eidleiftenden noch vorkommende Odo ijt wohl 
nicht Dto, der Gejandte der Unzufriedenen an Ludwig den Deutjchen, 
eher der Graf von Anjou oder ein Großer des untern Seinegebiets, 
dein viele der Genaunten angehören*. Es ift nicht unwahrjcheinlich, 
daß Karl gerade die zum Zug mit ihm gegen die Seine-Normannen 
auf der Inſel Dijfel Aufgebotenen ſchwören ließ, weil ihn das tiefjte 
Miptrauen gegen Männer befeelte, die großentheils noch vor Kurzem 
bei ihm in höchſtem Anfehn geftanden hatten ?. 

Mit der Sippichaft der Königin hatte der König inzwifchen ent— 
ſchieden gebrochen, Adalard Abt von S. Amand und Omer ® und 


" LL. I, 458; vgl. I, 426. 

. * Ein Graf Hungar ufurpirte um 921 das Klofter S. Balery im’ der 
Diözefe Amiens; Gallia christ. IX, 1235. — Rudolfs Nachfolger in S. Riquier 
und wahrſcheinlich auc feiner Grafihaft Heligaud Hatte einen Sohn Herluin, 
man kann aljo hier an einen Verwandten defjelben denken (Chron. Centul, 
III, 10, Achery II, 316). Dody könnte der zu Kierfy Schwörende aud der 
Graf im fiebenten, die Gaue der fpätern Normandie weſtlich der Seine umfaj- 
fenden, Bezirk fein, zumal ein Graf Herluin die Pancharte für Rouen am 4. 
TWERE -.- — 1716) unterzeichnet. 


* Ann. Fuld. 858, SS. I, 371. Robert der Tapfere ©. 56. 

° Sehr unwahrſcheinlich ift v. Noordens Auffaffung (Hinkmar ©. 319) 
des Eides als freiwillig angefichtse dev Gefahr ausgetaufchtes Verſprechen, das 
er irrthümlich 857 fett. 

® Folquini cartularium Sithiense ed. Guérard, Collection des car- 
tulaires de France III, 92 und 110, 


44 


Graf Odo, die wir wahrfcheinlich dazu rechnen müſſen, forderten 
Ludwig in Deutſchland zum Einfall in das weftfränkifche Neich auf, 
vielleicht eine Folge der Ausjöhnung zwifhen Karl und Rudolf. 
Diejer blieb bis an feinen Tod ein treuer Nathgeber des Könige, 
wie Konrad und Hugo in den Burgundifchen Gebieten Karls hochan— 
gejehen. Dies beweijt feine Verwendung fir das Klofter Monftier 
Ramey (Arremarense) in der Grafjchaft Troyes! und die Verleihung 
der Abtei S. Colombe bei Send an feinen Sohn Guelfo. Wahr- 
fcheinlich damals gab Hinfmar von Laon ohne Zuftimmung feines 
Dheims von Reims das feiner Kirche von Karl reftituirte Gut Pau— 
liacum dem König zurüd, um es auf Verwendung Rudolfs und 
feines Bruders Konrad dem Grafen Nortmann als Lehn zu über— 


Die Söhne Konrads, der jüngere Konrad und Abt Hugo von 
S. Germain, ſchloſſen ſich Ludwig dem Deutſchen an, wurden aber 
an deſſen Hof gleichfalls der Sippſchaft der Königin Irmintrud nach— 
geſetzt, weil dieſe ihn von Anfang an unterſtützt, ja Abt Adalard und 
Odo ihn zuerſt gerufen hatten. 

Große Wahrſcheinlichkeit ſpricht dafür, daß Odo 853 Sendbote 
für Sens, Trohes, Melun und andere Grafſchaften und, da die 
Sendboten in dieſer Zeit meiſt in ihren Bezirken mächtige Männer 
waren, der am 25. April 864 erwähnte Graf Odo von Troyes iſt, 
Nachfolger des am 10. Jannar 859 genannten Aledrams. 

Die Wahrfcheinlichkeit erhöht ſich dadurch, daß Karl der Kahle 
am 11. October 849 einem Grafen Odo die villa Nogent en Othe 
im Arrondiffement Troyes fchenktet. Odo ſchenkte fie 871 oder 872 
durch teftamentarische Verfügung dem Klofter S. Martin in Tours, 
dem er fchon im Mai 846 mit feiner Gemahlin Guandelmoda Güter 
in Dunois und Bleſois gegeben Hatte. Diefe Befitungen machen 
wahrfcheinlich, daß Odo auch Graf von Blois war *, vielleicht ein 
Sohn des 834 mit feinem Bruder Ddo vor Orleans gefallenen 
Wilhelm von Blois®, 

Diefe Annahme unterftügt Odos Freundfchaft mit Bernhard, 
dein Sohn des gleichnamigen, mit Odo von Orleans verwandten 


ı Hariulfi chron. 1. ec. Böhmer 1720. 

2 Gall. christ. XI, 190. Hinfmar wurde zwiſchen 856 und März; 858 
Biſchof, Konrad wandte ſich bald Lothar zu. Hincmari opp. II, 699. 

® Boug. VIII, 547 (Mabillon, Ann. Benedictini), von Böhmer nicht 
aufgenommen, aber die Urkunde paßt in Karla Itinerar, der fi) am 9. Januar 
im nahen Aurerre, am 15. bei Laon aufbielt. Indietio IV ift falfch, aber die 
Indietions-Rechnung in Karls Urkunden aus diefer Zeit ift unficher, fo daß 
Bouquet verſchiedene NRegierungsepochen annahm; aud die Urkunde für Der 
vom 9. Mai des 19. Regierungsjahres aus Pontyon 1. c. ©. 549 wird ins 
Jahr 859 gehören. 

* Böhmer 1720 und 1613. Mabille, La pancarte noire de S. Martin 
de Tours Nr. L ©. 91. 

5 Mabille®r. LIS. 118 und CXLV und Roorden S. 143. Dümmler, 
I, 96, gegen meine frühere Annahme, Robert der Zapfere a. a. O. 


45 


Kämmerers. Da Odo der Vater der Königin Irmintrud war, wäre 
unjer Odo, Graf von Troyes, vermuthlich auch Blois, ein Vetter der 
Königin und Neffe ihres Oheims Graf Adalhard. In Folge des 
Aufitands wird Karl ihm natürlich feine Beſitzungen abgefprochen 
haben, und wirflich fehen wir im Mai 865 Robert den Tapfern im 
Befig der Graffchaft Blois !. 

Ludwig der Deutjche eroberte vom September bi8 November 
858 faſt da8 ganze wejtfränfifche Neich, hielt ſich namentlich in den 
Gebieten Odos und der Adalharde auf und vertheilte in Troyes frei— 
gebig Grafſchaften, Abteien und Lehen, wobei er fie vor Allem bedacht 
haben wird. Ihr Rath, unterftügt durch mächtige Verwandte am oft= 
fränfifchen Hof, galt gewiß bei ihm am meiften. 

Dadurch entfremdete er fi) Konrad und Hugo, die er zur 
— des flüchtigen Karl nach dem weſtfränkiſchen Burgund 
geſchickt. 

Sie traten mit ihm in Verbindung und ermuthigten ihn zum 
Aufbruch gegen Ludwig den Deutſchen, der unbeſorgt war und nur 
wenige Getreue bei ſich hatte. Seine Macht zerrann im Januar 859 
jo ſchnell, als ſie gewonnen war ?. 

Nächſt der durch Hinkmar beſtimmten Haltung des Klerus dankte 
Karl den welfiſchen Brüdern die Wiederherſtellung ſeiner Macht. 
Er bewies ſich dankbar, indem er Hugos Kloſter, den welfiſchen Fa— 
milienbeſitz S. Germain in Auxerre, reich beſchenkte und am Drei— 
königstag auf ſeinen Schultern die Reliquien des Heiligen in die 
von Konrad dem Aeltern mit großem Aufwand erbaute, im öſtlichen 
Theil mit einer Krypta verſehene Kirche trug. Bald darauf, am 
11. September 859, beſtätigte er auf Hugos Bitte dem Kloſter Kö— 
nigsſchutz und Immunität. Auch verfügte er auf ſeine Fürbitte, 
daß die für die Kerzen des Kloſters geſtifteten Güter in der Verwal— 
tung de& Dekans bleiben follten. Werner erhielt Hugo aın 24. März 
859 das Klofter des abtrünnigen Abts Adalard, S. Omer, obwohl 
er nicht Mönch fondern Kanonifer geblieben war®. 

Unter ihm hatte das Klofter S. Omer einen Angriff der Nor- 
mannen zu erleiden. Am Sonnabend Morgen vor Pfingjten, dem 
1. Juni 860, drangen fie vom Pontus Iſerä (Mperlemündung) 
über Terouenne nad dem Klofter vor, deſſen Mönche meift ent— 
flohen waren. Drei fanden den Märtyrertod, das Klofter wurde 
theilweife zerftört, aber noch unter Hugos Verwaltung ſchöner wieder- 
hergeftellt *. 

Hugo trifft bei dein Ueberfall feine Schuld, denn er nahm da= 


ı Hobert der Tapfere Exkurs IX und Beilage I. 

2 Ruod. ann. 858, SS. I, 372. Robert der Tapfere ©. 57 fi. 

3 ]Labbe, Nova biblioth. I, 559. Hericus II, 7 fi. Böhmer 1674 
und 1683, Quantin, Cart. de l’Yonne Nr. 72, 

* Cartul. Sithiense II, 36 ©. 107. . 


46 


mals mit feinem Oheim Rudolf, feinem Vater und Bruder Konrad ! 
an den Friedensunterhandlungen zwifchen Karl dem Kahlen und Yud- 
wig dem Deutjchen Theil. Karl gewährte den Abgefallenen die Rück— 
gabe aller nicht von ihm felbft verliehenen Befigungen, und verjprad) 
in Betreff der Yebtern auf die fich wieder Unterwerfenden nad) Ver— 
abredung mit Ludwig Rückſicht üben zu wollen. 

Trotzdem fehrten die Schuldigiten, vor Allem Graf Adalhard, 
noch nicht zurück. Letzterer trat mit allen weitfränfifchen Anhängern 
Ludwig des Deutichen erft 861 wieder zu Karl über, als feine deut= 
ſchen Verwandten, nad) Entdedung von verrätheriichen Umtrieben mit 
Ludwigs älteftem Sohn Karlınann, zum Wejtfranfenfönig flohen und 
Lothar II., mit Ludwig einverftanden, Adalhard verfolgte. Karl der 
Rahle, weiblichen Einfluß in hohem Grade zugänglich, wurde fo zu 
Gunften feiner Schwägerfchaft umgeftimmt, daß‘ er ihnen nicht nur 
ihre Lehen zurücigab, fondern Graf Adalhard bald darauf zum Er— 
zieher (bajulus) ſeines älteſten Sohnes Ludwig des Stammlers er— 

ob?. 


Hugo mußte in S. Bertin am 25. Juli wieder dem Abt 
Adalhard weichen und war am 14. September 861 auch nicht 
mehr Abt von S. Germain. Natürlich waren die Welfen durch das 
Berfahren Karls verlegt und wandten ſich wahrſcheinlich dem Beifpiel 
ihres Vaters folgend ? nad) dem eich des ihnen gleich nahe ver= 
wandten Lothar II. 

Dem jüngern Konrad übertrug Lothars Bruder Kaifer Lud- 
wig II. die der Grafichaft des ältern Aargau benachbarte Yandichaft 
zwifchen dem Jura und den penninischen Alpen. Bor ihm hatte 
Hufbert der Bruder der von Yothar veritoßenen Thietberga diejes 
Gebiet bejelfen; er war 860 ins wejtfränfiiche Reich geflohen, wo 
auch feine Schweiter eine Zuflucht fand, Obwohl er ein verheira- 
theter Priejter von zügellojem Yebenswandel war, verlich ihm Karl 
der Kahle 862 die Abtei S. Martin in Tourst. Daß Karl faft 
gleichzeitig Hufbert in feinen Schug aufnahm und Hugo abjetste, legt 
die Vermuthung nahe, daß fein. Zerwürfniß mit Letterem mit feiner 
feindlichen Stellung zu den gleid) nahe verwandten Söhnen Lothars 
und feiner Mutterſchweſter Irmengard zufammenhing, daß fie Karls 
PVarteinahme für die zu Gunften der Waldrada verftoßenen Gattin 
Lothars nicht billigten. 

In einer Urkunde Karl des Kahlen für S. Germain in 
Aurerred vom 2. Dezember 863 wird als Gemahlin eines Grafen Konrad 


ı An biefen, nicht an Rudolfs Sohn ift wohl zu denken, weil Hugo und 
Konrad neben einander aufgeführt werden, LL. I, 469 ff. 

2 Ruod. und Hincm. 861. 

° Cart.Sith. S. 109, Böhmer 1697 und 1714. Dümmler I, 464. Gall. 
christ. XII, 373. ‚ 

* Prudept. 860 und Hincmar 862, SS. I, 454 und 456. 

5 Gall. christ. XII, instrum. col. 98. Böhmer 1717. 


47 


Badaldra genannt, aus deren Morgengabe er dem Kloſter Molay in 
den Gauen Tonnerre und Aurerre gegen andere Güter, darunter Ri— 
conorum, gegeben habe. Da der Lobredner des ältern Konrad, Hericus, 
Badaldra nicht erwähnt, ſtets Adelais als dejjen Gemahlin erjcheint, fo 
iſt wahrfcheinlich, daß Badaldra die Frau des jüngern Konrad war und 
diejem die Grafſchaft feines Vaters noch bei deſſen Lebzeiten übertragen 
wurde. Der Name Badaldra, richtiger wohl Valdrada, deutet auf Ver— 
wandtſchaft mit der Konkubine Kothars hin. Dies würde Hugos und 
Konrads Ungnade bei Karl dem Kahlen erklären und das Verhalten 
des ältern Konrad noch begreifliher machen. Diefer fuchte nämlic) 
bei der Zufammenkunft Karls mit Lothar IL. und dem ihm damals 
befreundeten Yudwig dem Deutjchen zu Sablonnieres bei Toul am 
3. November 862 vergeblich die für feinen Lehnsherru fchinpfliche 
Veröffentlihung der Beichwerden Karls über Lothar ſchmählichen 
Ehehandel zu hintertreiben!. Warfen fie doch unter diefen Umftänden 
aud) auf Konrads Sohn fein günftiges Licht. 

Konrad iſt bald darauf gejtorben; doch fällt mit der Beziehung 
der oben erwähnten Urkunde auf ihn jede Möglichkeit, den Zeitpunkt 
näher zu bejtimmen. 

Das Gut Modolaius aber, eine Schenkung Karls, wurde zum Fis— 
kus gezogen, was auf ein Zerwürfniß des früheren Befigers Konrad mit 
dem König fchliegen läßt. Auc die Grafſchaft Aurerre wurde dem 
jungen Konrad entzogen, denn 865 befitt fie Konrad der Tapfere *. Auf 
die Grafjchaft Paris, die wir jpäter im Befit feines gleichnamigen Vetters 
Konrad, Rudolfs Sohn, jehen, mochte Hugos Bruder ebenfalls Anſpruch 
machen. Mit der Einziehung vieler welfifchen Lehen hängen wohl die 
Unruhen im wejtfränfifchen Burgund zufammen, wo die Welfen fo 
große Macht beſaßen, zumal die jegige Beſitzung Konrads, das 
transjuranifche Burgund dem weitfränfifchen fo nahe lag und Lothar IL. 
und Ludwig IL mit Karl dem Kahlen geſpannt blieben. Hatte doc) 
furz zuvor Hufbert verfucht, feine Grafihaft von S. Maurice im 
Wallis aus wiederzugewinnen, wo er fich als Abt behauptet Hatte. 
Ende 864 ſchlug Konrad mit feinem Bruder, unjerem Hugo, Hufbert 
bei dem Kaſtell Orbe. Hukbert wurde die Zunge durchbohrt, und 
er fiel®. 

Karl der Kahle fuchte den geloderten Gehorſam im weftfränfi- 
ſchen Burgund Herzuftellen, inden er Männer, die dem Hofe nahe 
standen und, wie es fcheint, nicht in Burgund heimifch waren, dorthin 
als Sendboten ſchickte und Robert dem Tapfern außer Autun und 
Aurerre auch Nevers übertrug. Die Graffchaft Autun konnte diefer 


ı Hincm. 862, SS. I, 458. Dümmfer I, 484. 

®2 Hinem. 865, SS. I, 470. Robert der Tapfere S. 98. Böhm. 1830. 

3 Hincm. 864. Regino SS. I, 577. Ann. Xant. 866, SS. II, 231. 
Foleuin, De gestis abbatum Laubiensium, SS. IV. Diümmler I, 485; 
II, 318 Anm. 54. Hintmar entfcheidet gegen das von Gingins Ta Sarraz, 
im Archiv für ſchweizeriſche Geſchichte IX, 88 ff., angenommene Todesjahr 867. 


48 


gegen Bernhard von Auvergne, den Sohn des gleichnamigen Günſt— 
lings der Kaiſerin Yudith, nicht behaupten. Hugo hatte inzwifchen 
die Verwaltung des Erzbisthums Köln übernommen. 

Erzbifchof Günther war wegen feiner Betheiligung an Lothars 
Ehehandel vom Bapft Nifolaus I. abgefett, wagte aber mit Ludwig II. 
nah Rom zu ziehen und zurüdgefehrt am Ofterfeft 864 bifchöfliche 
Funktionen auszuüben. Lothar wagte dem großen Papjt nicht zu 
widerftehen und verlieh im Frühjahr 864 die einftweilige Verwaltung 
von Köln Hugo, obwohl er nur die Weihe zum Subdiafon empfangen 
hatte und nur durch die Tonſur Geitlicher war. Hinfmar fagt, er 
habe in Sitten und Yebenswandel nicht einmal einem frommen Laien 
gleichgeftanden ?, ein Urtheil deſſen Schärfe durch Hinfmars Widerwillen 
gegen feinen Vater umd gegen den mehr auf Kriegsthaten als auf 
religiöfe Uebungen gerichteten Sinn Hugos mit bejtimmt war. 

Der Annalift. von Kanten neunt Hugo tyrannifch, er fei wie ein 
reißender Wolf in die Heerde gefallen, Viele jeien von ihm in dem 
Bisthum getödte. Zum Theil fpricht fid) wohl darin Widerwille 
gegen einen fremden Cindringling aus. Auch mußte ſich Hugo ge= 
waltſam Geltung verichaffen, denn Hufbert, gegen den er bald darauf 
in der Schweiz ins Feld zog, hatte in feiner Abtei Lobbes gewiß nod) 
Anhang, und Günther hatte fich unter den Kanonifern feines Spren= 
gel8 durch Freigebigfeit mit Kirchengütern und Privilegien eine große 
Partei gewonnen‘. Gfrörers Anficht, daß Hugos Einfegung ein ent— 
gegenfommender Schritt gegenüber Karl dem Kahlen gewejen, ift nad) 
dem Obigen kaum richtig. Hinkmar berichtet 866, auf Verwendung 
jeines Bruders Ludwig II. habe Lothar das Erzbisthum Hugo wieder 
genommen und Günthers Bruder Hilduin verliehen. Da Günther 
bereits am 17. Januar 866 von Yothar als Erzbifchof anerkannt 
wird, in deifen Namen Hilduin nur die rein priejterlichen Funktionen 
verfah, wird es fchon Ende 865 gefchehen fein?. Um diefe Zeit er- 
öffneten ſich Hugo bereit8 in feinem SHeimathland neue Ausfichten, 
denn die Verwandten der Königin fielen in Ungnade, und er bejaß 
noch immer einflußreiche Verwandte am Hof. 

Zwar war fein Oheim Nudolf im Januar 866 an der Kolif 
geftorben *, aber deifen Sohn Guelfo hatte noch bei feinen Yebzeiten 


ı LL. I, 501. Robert der Tapfere S. 97 und 103. 

2 SS. I], 465. 

8 Hincm. 864, SS. I, 465: Tonsura clerico et ordinatione tantum- 
modo subdiacono, moribus autem et vita a fidele laico discrepanti. 
Dies, wie Mabillon, Ann. Benedict. III, 112, glei; praecellenti zu deuten, 
ift offenbar falfch. Die Ernennung fällt wohl vor dem von Hinkmar weiterhin 
berichteten Reichstag von Piftres im Juni. 

Ann. Xant. 866, SS. II, 232. ®frörer I, 369. Mansi XVII, 275. 
Obenein blieb Lothar Günther geneigt, und Nikolaus mußte ihn im Mai 864 
vor jeder Gemeinfhaft mit demjelben warnen, 

5 Ann. Xant., SS. II, 232. Hincm, I, 471. Böhmer 706. 

6 Hincm. 866 1. c. 


49 


außer S. Colombe die Abtei des Vaters S. Riquier, wahrfcheinlich 
auch Jumièges, erhalten; für erjteres wirkte er bei Karl dem Kahlen 
anjchnlihe Schenkungen aus!. Guelfos Bruder ift zwar nicht als 
Graf von Aurerre, wohl aber als Graf von Paris, Langres und 
Berberie, vielleicht auc von Sens nachzumeifen ?, 

Als fih Lothar Karl dem Kahlen näherte und Robert der Ta: 
pfere im September oder Anfang October 866 fiel, mögen Rudolfs 
Söhne Karls Augenmerk auf den tapfern Hugo gerichtet und feine 
Ausföhnung mit dem König herbeigeführt haben. Ehe Karl zu einer 
für den 3. November verabredeten Zuſammenkunft mit Ludwig dem 
Deutſchen aufbrah, ernannte er Hugo zum Nachfolger Roberts in 
der Grenzwacht gegen Normannen und DBretonen und den meiften 
feiner Lehen, vor Allem der von Hugos mütterliher Großmutter 
einjt verwalteten Touraine und mehreren Abteien ®. 


11. 


Robert Graf von Tours und Laienabt des nahe gelegenen Klo— 
fters Marmontier hatte 861 ein weites Gebiet erhalten, von jpätern 
Quellen als ducatus inter Ligerim et Sequanam bezeichnet #, 
zu welchem außer der Touraine wahrjcheinlich die Grafichaften Blois 
und Anjou gehörten. Nach letsterer bezeichnet ihn Hinkmar als 
marchio Andegavensis; die Stellung eines Markgrafen nad) dem 
Vorbild der Vorfteher der an die Bretonen verlorenen brittannifchen 
Mark Fennzeichnet Roberts Bedeutung für das weitfränfifche Reich am 
beiten. Der Titel marchio wird jedoch offiziell in. Urkunden erft 
unter Kaijer Karl III. für mächtige Grafen, nicht bloß in Grenz- 
gebieten gebraucht. 

Die Mark Anjou gewann durch tete Einfälle der Normannen 
und Unruhen in Aquitanien, das nad) Unabhängigkeit von den ihm 
fremdgebliebenen germanifchen Franken jtrebte, erhöhte Wichtigkeit. 

864 und 865 dehnte fich, wie erwähnt, Roberts Macht nad) dem 
weitfränfifchen Burgund aus, bald darauf erhielt er auch die weit 
berühinte Abtei S. Martin in Zours. Mit vielfach wechſelndem 
Glück kämpfte Robert gegen Bretonen und Normannen, ohne ftete 
Vortjchritte der Erjtern hindern zu fünnen. 

Dem fühnen und Eugen Fürften Salomo, der 857 durch Ermor- 
dung feines Vetter Eriſpoe die Herrfchaft über die Bretonen er- 


! Chron. Centul. III, 11, bei D’Achery II, 317. Böhmer 1744. 1749 
und 1750. Ann. S. Columbae 882, SS. I, 103. Gall. christ. XI, 190. 

®2 Dümmler II, 117 Anm. 12; 133 Aum. 58. Daß er Langres beſaß, 
ergiebt fid) aus Johann VIII. Verwendung bei ihm für das in der Grafſchaft 
Langres gelegene Klofter Poutieres, Mansi XVII, 157. 
; = Hincm. 866, SS. I, 473. Robert der Tapfere S. 109. Dümmler 
‚ 606. 
4 Mobert der Tapfere Erlurs IX. Regino 861, SS. I, 571. 
5 Hincm. SS. I, 467. ®end, Das fränkische Reich S. 496. 


XVI. 4 


50 


worben hatte, gehorchten feit dem Frieden zum Entrames 863 nicht 
nur die altbretonifchen Landfchaften und die frühere bretonifche Mark, 
d. h. die Gaue Rennes, Nantes und Nez, fondern auch Theile von 
Anjou und Maine bis zur Mayenne und Sarthe, das Klojter 
©. Aubin in Angers und wahrfcheinlih die Grafichaft Avranches '. 

Der ſchwer erfaufte Friede hatte nicht lange Beitand. Salomo 
verweigerte den fchuldigen Tribut, behauptete die Unabhängigkeit der 
bretonifchen Kirche vom Erzbiſchof zu Tours unter einem eigenen von 
Erifpoes Vater Nominoe eingeſetzten Metropoliten in Dol und fchä- 
digte vielfach die benachbarten Landichaften. Endlich bereiteten ſogar 
Bretonen und Normannen, vereint unter Hafting dem Helden nor= 
mannijcher Sagen, Robert den Tapfern bei Brifferte drei Meilen von 
Angerd den Untergang?. Hugo wurde die Aufgabe, den tapferı 
Mann zu erjegen. 

Hinkmar jagt, Karl Habe Hugo die Grafjhaften Anjou und 
Touraine nebjt ber Abtei S. Martin in Tours und andern Klöftern 
übertragen. Hierunter werden zunächit die von S. Martin abhän— 
gigen Klöfter Cormery und Billeloin in der Touraine zu verftehen 
fein; auch die Befigungen des 853 zerftörten Marmoutier mögen auf 
* übergegangen ſein, da Ludwig der Stammler, dem es von 
Robert dem Tapfern abgetreten war, inzwiſchen Autun erhalten 
hatte und Karl ihn im Beginn des Jahres 867 zum König von 
Aquitanien erhob. 

Mehr läßt fih bei Hinfmars Schweigen nicht bejtimmt feſt— 
ftelfen. Roberts Grafſchaft Aurerre, obwohl einft Hugos Vater und 
Bruder gehörig, fcheint nie in feinen unmittelbaren Beſitz gelangt zu 
fein. Wenn Graf Girbold von Auxerre unter Ludwig dem Stanmler 
gerade Hugo um Unterftügung gegen die Normannen bat, läßt ſich 
darans vielleicht auf eine gewiſſe militärische Obergewalt über dies 
Gebiet Schließen 3, 

Noch vor Hugos Ernennung war Einer aus dem mit den 
Welfen rivalifirenden Gefchlecht der Königin, ihr Bruder Wilhelm, 
von Anhängern de8 Königs in Burgund gefangen genommen und in 
Senlis hingerichtet worden. Wir find wohl berechtigt, in der rafchen 
Aufeinanderfolge von Wilyelms Fall und Hugos Erhebung einen Zus 
jammenhang zu vermnthen und anzunehmen, daß Hugo fchon jet die 
Graffhaft Orleans erhielt, die Wilhelm wahrſcheinlich als Nachfolger 
feines Vater Odo befeffen. Denn Hugo ftarb dort auf dem Kranten- 
bett, ließ 876 als Abt des Klofters S. Aignan in Orleans einen 
Kleriker frei und verlieh fpäter eine villa defjelben im Gau von 
Orleans als Brefarie *, 


1Robert der Tapfere S. 12. 40 und 83, 

* Mobert der Tapfere S. 100 und 104. Auf Gfrörers luftige Hypothefe 
von einem Bündniß Salomos mit Lothar, I, 423, gehe ich nicht näher ein. 

® Adelerii Miracula S. Benedicti j. unten. 

* Hincm. 866, SS. I, 471. Böhmer 1005. Gall. christ, XIV, 553 
end Boug. VII, 709, 


51 


Nach dem Ausdrud der Quellen ift anzunehmen, daß Hugo im 
Weſentlichen ganz in die Stellung feines Vorgängers eintrat. Ver— 
muthlich führte er wie Robert den Heerbann nicht nur feiner Graf» 
fchaften fondern des Gebiets zwifchen Seine und Loire (Neuftrien) !, 
wenn auch andere Große, bejonders Gauzfrid von Maine, neben ihm 
genannt werden. 

Wie er 377 dem Regentſchaftsrath Ludwig de8 Stammlers für 
neuftrifche Angelegenheiten beigegeben wurde ?, wird er auch fonft 
der hauptfächlichite Nathgeber des Königs für dies Gebiet gewejen fein. 

Es finden fic feine Zeugniffe dafür, daß Hugo wie Robert der 
Tapfere in Anjou, Maine und Touraine die Befugnifje eines Send» 
boten ausgeübt habe, doc) ift e8 bei der Seltenheit geeigneter Männer 
und der Tendenz der Zeit auf Ständigwerden zeitweiliger Amtsgewalt 
wahrjcheinlich, daß er bei der Ausföhnung mit Karl dem Kahlen 
wieder da8 859 beffeidete Sendbotenamt in den burgundifchen Gauen 
Aurerre, Nevers und Avallon erhielt. Vielleicht jogar, wie No— 
minoe in der Bretagne, Boſo in Italien, Reginar in Yothringen, 
in einem ausgedehnteren Gebiet. Weiſt doch ſchon Stenzel auf die 
große Aehnlichkeit der Sendbotengewalt und der Herzoglichen hin, fo= 
wie auf die Entftehung von Herzogthümern aus räumlich begrenzteren 
Markgrafichaften®. So entjtand auch unter Hugos Verwaltung eine 
fi) immer weiter ausdehnende territoriale Gewalt. 

Hugo zeigte fi der ihm gewordenen wichtigen Aufgabe ge— 
wachen, in einem für feine Perjönlichfeit pajjenden Wirkungskreis 
wacker, gerecht und friedfertig. Regino ftimmt mit Andern in ber 
Bewunderung feiner Macht und Klugheit überein, er nennt ihn fogar 
humilis, demüthig; dies Lob rechtfertigt feine damals fo feltene, wohl 
durch feine Ehelofigfeit erklärliche Fernhaltung von ehrgeizigen Plänen 
zum Schaden bes Königthums. Trotz feiner weltlichen und friegeri= 
chen Richtung wibderfpricht nichts dem Lob Reginos, er fei omni 
morum honestate fundatus, von durdaus ehrenhaften Sitten ge— 
weſen“. Bei mehreren Gelegenheiten rechtfertigte Hugo das ihm von 
Hericus gefpendete Rob: nomine et officio abbas, de quo quid- 
quid dixero longe infra meritum ipsius est, indem er eifrig 
für das Intereſſe der ihm untergebenen Klöfter forgte®, 

Tapfer und unermüdlich widmete er fich feiner nächften Aufgabe, 
Neuftrien gegen Bretonen und Normannen zu ſchützen. Wahrfchein- 
ih auf Hugos Andringen beſchloß Karl der Kahle 867 einen Zug 
gegen König Saloıno. Die weſtfränkiſche Geiftlichfeit namentlich 


1 Mobert ber Tapfere Exkurs IX. Analoge Beifpiele |. Waitz, Deutſche 
Berfaffungsgeichichte III, 310, vgl. IV, 548. 

* LL. I, 539 c. 15. 

8 Mobert der Tapfere S.125. Stenzel, De ducum Germanorum ori- 


gine ©. 22. 46; De marchionum origine c. 3. 
* Regino 867 und 887, SS. I, 587 und 597. Ann. Laubienses, 

83. IV, 15. 

5 Miracula S. Germani II, 5. 


4* 


52 


hatte hohes Autereffe an einem günftigen Erfolg, um in der Bretagne 
wieder die rechtmäßigen fFirchlichen Zuftände herzuftellen. Hatte ſich 
doch Biſchof Electraum von Rennes, während die Synode von Soij- 
jons laute Klagen über Salomo nad) Rom fandte, durch Erzbifchof 
Herard von Tours und deſſen Diözefane Aftard von Nantes und 
Robert von le Mans am 29. September 866 kanoniſch weihen 
laffen, um jeine kirchliche Stellung zu legalifiren!. Daher rüjteten 
im Juli 867 namentlich die wejtfränfiichen Bischöfe. Am 1. Auguft 
jollte die VBerfammlung des Heeres, verbunden mit einem Reichs— 
tag, zu Chartres jtattfinden. in Aufgebot aller Kräfte des weit- 
fränfifhen Reichs mußte Salomo bedrohlich ericheinen. Karl der 
Kahle ſeinerſeits Hatte bereits mit Ludwig dem Deutſchen einen vor— 
läufigen Vertrag über die Theilung der Reiche Yothar II. und Lud— 
wig II. geſchloſſen und jchaute begehrlic nach Dften, auch hatte er 
die Schwierigkeit eines Angriffskriegs auf die jett obenein mit den 
Normannen verbundenen Bretonen erprobt. So fand man beider- 
jeit8 eine friedliche Vereinbarung räthlih. Geſandte gingen hin und 
her, und. man fam endlich überein, Paskwithen, Graf von Bannes 
und Gemahl der Tochter Salomos Proſtlon, jolle um den 1. Auguft 
zu Karl nad) Compiegne kommen, der feine Sicherheit durch Geifeln 
verbürgte. Inzwiſchen follte das Volk zu der angekündigten Heerfahrt 
gerüftet zu Haufe bleiben und, falls e8 beim Scheitern der Verhand- 
lungen nöthig fei, am 25. Auguft bewaffnet in Chartres eintreffen ?, 
Wirklich fam es am 1. Auguft 867 zum Frieden mit den Bretonen. 
Karl übertrug Salomos Bevollmächtigtem Paskwithen für Salomo 
und dejjen Sohn Wigo außer den bisherigen Lehen noch die Graf— 
haft Cotentin mit allen königlichen Abteien, Villen und Gütern und 
jonftigen Rechten und Befigungen mit Ausnahme des Bisthums, 
deffen Unterordnung ımter das Erzbisthum Dol Karl wahrfceinlic 
verhüten wollte. 

Die weitfränfifchen Großen befräftigten den Vertrag eidlich, und 
Paskwithen ſchwur in Salomos Namen Frieden, Hülfe gegen die 
Feinde (zunächſt natürlich die bisher mit ihm verbündeten Loire-Nor- 
mannen) und Treue gegen Karl und feinen Sohn Ludwig den 
Stammler. Die nominelle Abhängigkeit der Bretonen vom weftfrän= 
fiichen eich blieb bewahrt, aber von dem bisher beanfprucdhten Tri— 
but ijt nicht weiter die Rede. 

Schwerlid wird Hugo mit einem Frieden einverftanden geweſen 
jein, der aus einem mächtigen Feind einen noch mächtigeren zweifel- 
haften Verbündeten machte. Doc mag ihn fein Antheil an den Rü— 
tungen und Unterhandlungen in Karls Gunſt befejtigt haben, da 
diefer am 27. Dezember in Aurerre, wo er mit Hugo Weihnachten 


ı Mansi XV, 732. Gall. christ. XIV, 743, Cartulaire de Redon 
par de Courson ©. 12, vom 12. Auguft 866. 
* Hinfmar an den Papſt, Mansi XV, 772; Ann. 867, SS. I, 475. 


53 


gefeiert Haben wird, deijen Kloſter S. Martin die Zelle Chablie am 
Senin im Gau von Zonnerre fchenkte!. Wir können aus Hugos 
Anweſenheit in Aurerre auf feine Theilnahme an Karls fopflojen 
Angriff auf den Grafen Gerhard von Bourges ſchließen, zumal fein 
Gebiet an Berry grenzte. Karl hatte nämlich diefe Grafichaft, ohne 
Gerhard vor das Hofgericht gefordert zu haben, wie es heißt gegen 
bedeutende Geldgeſchenke, dem Grafen Affrid verliehen. Diefer ift 
wahrscheinlich identiſch mit dem Grafen Egfrid, der 862 Karls zweiten 
Sohn Karl von Aquitanien zur Empörung angetrieben und 864 auf 
Berwendung Robert des Tapfern Verzeihung erlangt hatte. Nach— 
dein Graf Ramnulf von Poitou an den bei Brifferte erhaltenen Wun— 
den gejtorben war, hatte Karl der Kahle Affrid fogar deffen Abtei 
©. Hilaire und bedeutende Lehen gegeben ?. 

Vielleicht Hing Gerhards Abfegung damit zufaınmen, daß kurz 
zuvor feine Graffchaft und Bourges ſelbſt von den Normannen ver= 
heert und geplündert waren, während wir von anderweitigen Erfolgen 
derjelben im Loiregebiet nichts hören ®, 

Da Gerhard ſich weigerte, feine Graffchaft Akfrid zu überlafjen, 
unternahm es Karl felbjt, diefem zum Beſitz von Berry zu verhelfen. 
As Karl im Beginn des Jahres 868 bereits heranzog, fand Affrid 
gegen die Vaſſallen Gerhards feinen Tod. Es galt jet offene Em— 
pörung zu ftrafen und das königliche Anfehn in Aquitanien wieder- 
herzuftellen. Am 7. Januar 868 befand fi) Karl in der villa 
Bellus Pauliacus jüdlid) der Yoiret, und num wurde Berry fo 
grauenhaft verwüjtet, daß viele Taufende verhungert fein follen, ohne 
daß Erhebliches erreiht wurde. Selbſt Kirchen wurden nicht ver- 
Ihont: jo mag auch Léré ein Zufluchtsort der Kanonifer von ©. 
Martin durch zuchtlofe Kriegerfchaaren gelitten haben. 

Wahrſcheinlich fand Gerhard bei andern aquitanifchen Großen 
mächtige Unterftügung. Wenigftens joll um diefe Zeit auch ein an— 
derer Zufludtsort von S. Martin, Marfat in Auvergne, mehrfach) 
überfallen und geplündert worden fein. 


ı Böhmer 1745. 

2 Fauriel, Histoire de la Gaule mertdionale IV, 352. Robert der 
Tapfere S. 80 und 90. Mabille, Le royaume d’Aquitaine, Toulouse 
1870, zweifelt an der Richtigkeit der Nachrichten Hinkmars, SS. I, 476, die ſich 
aber aus dem Vergleich von 867 Ende nnd 868 Anfarg ergiebt. 

3 ÖGhron. Masciacense, SS. IH, 169. Transl. S. Genulfi e.16. Ann. 
S. Ordinis Benedicti ed. Mabillon IV, 2, 240 über die Verbrennung des 
Klofters S. Genon am Judre. 

* Hincm. 867. 868, SS. I, 476. Fauriel® Angabe „Beau Pouilly“ 
Hingt nad) bloßer Ueherfegung. Zu der Lage paßt Beaulieu ſüdlich von Gien, 
das Sprumer als Pauliacum verzeichnet, nicht das etymologisc näher liegende 
Pouilly unweit Nevers. 

- 5 Die kurze Notiz des Chron. S. Maxentii, Bouq. VII, 229: Carolus 
Bituricas vastavit fanmıe, begründet nicht die Annahme einer vergebfichen Be— 
fagerung von Bourges, Fauriel l. e. ©. 353. Die Identifizirung Gerhards 
mit Gerhard von Bienne ift bei der Erwähnung des Letsteren als feines ge— 


54 


Namentlich Graf Bernhard von Auvergne mag alfo aud auf 
Gerhards Seite geftanden haben. Wahrjcheinlich ein Sohn Bern- 
hards, des Kämmerers Ludwig des Frommen, und nad) 858 mit der 
Graffchaft Auvergne und der Abtei S. Yulian in Brioude belehnt, 
bat er 864 einen Anfchlag auf Karl den Kahlen, Robert den Ta— 
pfern und Ramnulf von Poitou unternommen und fi, nachdem 
ihm feine Lehen abgefprochen waren, wohl wie in Autun auch in 
Auvergne und Brioude behauptet !. 

Wahrſcheinlich unterftütten zwei Namensvettern Bernhards, der 
Markgraf von Gothien, Neffe des Kanzlers Gauzlin, und Graf Bern- 
hard von Toulouſe, Hinkmars Verwandter, die Empörung: fie er- 
Schienen im Auguft 868 mit Bernhard von Auvergne auf dem 
Reichstag zu Piftres, wahrfcheinlich doch um ſich zu unterwerfen. 

Aber Karl der Kahle Hatte wahrfcheinlich bereits Warin mit 
Grafihaft und Abtei belehnt, der vom September 868 bi8 März 
869 in den Urkunden von Brioude genannt wird; aus diefem Grunde 
mag Bernhard wieder abgefallen fein. Das Ausbleiben der drei 
Bernharde in Bellus Pauliacus im Januar 869 vereitelte den Zwed 
einer dort anberaumten Verſammlung, doch wohl die Beruhigung 
Aquitaniens ?. 

Am 21. Juni 870 war Bernhard von ZTouloufe zum Gehor- 
ſam gegen den König zurücgefehrt, während Bernhard von Auvergne, 
deſſen ehemalige Abtei Brioude Karl dem Erzbifhof Frotar von 


liebten Grafen in der gleichzeitigen Urkunde Böhmer 1746 unmöglid. Bgl. 
Böhmer 1751 vom 30, (nit 31.) Januar 869. 

ı Ein Bernhard Gemahl der Liutgard ift vom Mai 846 bie März 
858 Graf von Auvergne und Abt von S. Yulian, Cartulaire de Brioude, 
Clermont 1863, die Nummern nad) Bruel, Chronol. du Cart. de Br., Bibl. 
de l’&c. des chartes VI, 2, 498 Nr. 12—16. Letztere Urkunde ift vom 20. 
Jahr Pipin (des IL.) von Aquitanien batirt; dagegen datirt Graf uud Abt 
Bernhard, Gemahl der Ermengard, im Januar 864 Nr, 18 nad Regierungs- 
jahren Karl des Kahlen. Mabille, Le royaume d’Aquitaine ©. 19. 45 ff. 
(auch als Theil der neuen Bearbeitung der Histoire de Languedoc T. II), 
hält Ermengard für die zweite Gemahlin des Vorigen und Bernhard, gleichfalls 
Gemahl einer Ermengard, für den Sohn bes ältern Bernhard und der Liutgard, 
für deffen Seelenruhe ein gewiffer Peter dem Klofter S. Iulian eine Schenkung 
machte; dies ergiebt fi) aber aus der Anordnung der Fürbitte auch für den 
älteren Nr. 37 keineswegs. Wenn der 864 auftretende Bernhard feit April 
868 aus den Urkunden verichwindet, brauchen wir nicht auf feinen Tod zu 
fließen, fondern er kann in Folge feiner Betheiligung an Gerhards Aufftand 
abgefetzt fein; ich fehe daher den Grafen von Auvergne und Abt von S. Julian 
im Jahre 864 mit dem 883 genannten, gleichfalls Gemahl einer Ermengard, 
für identifh an, und unterjcheide ihn von dem Gemahl der Fiutgard ; ber am 
31. März 841 geborene Sohn bes Kämmerer (ManualeDodanae, Mab. A. 
S. ord. Bened. V, 705 und 710) fann fehr wohl nad) Tod ober Abſetzung 
des Pipin zugefallenen Bernhard (nad) 858) Graffhaft und Abtei erhalten haben. 
Bol. Robert der Tapfere S. 89. 

2Robert der Tapfere Erfur® V. Hincm. 868, SS. I, 480. Flodoard 
III, 26. Cart. de Brioude 23—25. 


55 


Bourges vor November 869 verliehen Hatte, auf einer im Oktober 
zu Reims gehaltenen Verſammlung fehlte. Erit 872 erfolgt die 
definitive Ordnung der aquitanischen Verhältniffe, und Bernhard fpielt 
fortan in der Umgebung des damals erſt thatfächlic zum König von 
Aquitanien erhobenen Ludwig des Stammlers eine hervorragende 
Rolle!. 

Die Annahme, daß dieſe faſt das ganze öſtliche Aquitanien be— 
herrſchenden Großen mit Gerhard verbunden waren, würde bie Er- 
folglofigfeit des Feldzugs erklären. 

Karl traf fofort neue willfürliche Verfügungen. Er verlieh 
nämlich die Roberts Sohn Ddo und den Söhnen des Grafen Ramnulf 
von Poitierd noch gebliebenen Lehen an Andere?. Damals mag Hugo 
die Lehen Odos, wahrſcheinlich die Grafichaft Nevers, vielleicht auch 
Blois, erhalten Haben. In der erfteren jchlichtete er 878 oder An— 
fang 879 einen Streit des Biſchofs Abbo mit Rotbert und Roclin, 
wahrſcheinlich doc in feiner Eigenfchaft als Graf?. Für Blois läßt 
ſich fein Zeugniß beibringen, aber e8 lag zwijchen Hugos Befigungen 
an der mittleren Xoire und in Burgund und gehörte 865 Robert 
bem Tapfern. 

Bielleicht fällt in diefe Zeit Hugos Theilnahıne an einer Sy» 
node zu DVerberie, die dem Klofter S. Baaft eine Reihe von Beft- 
gungen und Rechten beftätigte und wegen der Unterfchrift des Biſchofs 
Erchenraus von Chalons vor dem Dezember 868 erfolgt fein 
muß. Der Abt Vulfo, der gleichfall8 unterfchreibt, wird Hugos 
Vetter Guelfo fein‘ — Im Herbft follte er wieder Gelegenheit zu 
friegerifcher Thätigfeit finden. Das Bisthum Aftards von Nantes 
war feit zehn Jahren durch die jtändig darin Haufenden Normannen 
völlig entvölfert und verwüftet, fo daß diefer e8 längſt verlaffen hatte ®. 
Aehnlich, wenn auch nicht ganz fo ſchlimm, war e8 den nächſtliegenden 
Bisthiimern Angers, le Mans und Tours ergangen, überdies war 
e8 hier noch mehr als anderwärts erforderlich gewejen, durch Berlei- 
hung von Kirchengut beim Verfall des Heerbanns Vertheidiger zu 
geroinnen. Namentlich für Aktard, der ſich feine Gunft erworben 
hatte, fuchte Nikolaus’ Nachfolger im Papſtthum Hadrian II. durch 


ı Hincm. 872, SS. I, 493. Böhmer 1766. Hincmari opera II, 181, 
e. 4. Cart. de Brioude 26 ff. 

* Hincm. 868 l. c. Mabille, Le royaume d’Aquitaine ©. 42. 

® Jaffe, Regesta pontificum 24—29; Mansi XVII, 99. Vielleicht ift 
Robert der zweite Sohn Robert des Tapfern, defien Bater wie in Autun auch 
in andern von ihm verwalteten Grafichaften Allodien bejefien haben wird (Ro- 
bert ber Zapfere Beilage II). In dem Bicegrafen Odo, der unmittelbar nad) 
Hugo eine Urkunde für das Klofter S. Aegidius zu Arles auf der Synode von 
Troyes unterzeichnet, dürfen wir vielleicht den älteften Sohn Roberts fehen. 

* Mansi XV, 781. 

5 Na dem Jahr 857, wo er in einer Urkunde Erispoes erwähnt wird, 
Cart. de Redon Nr. 26 ©. 22. Nach vielen Leiden in der bretonifchen Ge» 
fangenihaft entlam er zur Se. Mansi XV, 800. 


56 


mehrere zwifchen dem 23. Februar ımd 8. März 868 gefchriebene 
Briefe Erja zu gewinnen!. Bei König Karl dem Kahlen und den 
zu Zroyes Ende Dftober 867 verſammelt gewejenen Bijchöfen ver- 
wandte er fich dafür, daß Aftard ein vafantes Bisthum von minde— 
ſtens gleichen Einkünften wie Nantes überwiefen werde, auch die et= 
waigen Ueberbleibjel diefer Diözeje jolle er nad) wie vor verwalten 
und ausjchlieglih der Yurisdiftion des Papſtes unterworfen fein. 
Diefer verlieh ihm perſönlich das ſonſt nur Erzbiichöfen zuftehende 
Pallium. Offenbar gedachte er in dem ehrgeizigen und diplomatiſch 
gewandten Prälaten ein gefügiges Werkzeug gegenüber der noch ihrer 
Selbjtändigfeit bewußten galliihen Kirche zu haben. Aftard erhielt 
im folgenden Jahr 869 das Bisthum Terouenne; doch ließ fich das 
Haupt der weitfränfiichen Geiftlichkeit, Hinkmar, ſchwerlich feine Eremtion 
von feiner Metropolitangewalt gefallen. Vom Erzbifchof Herard von 
Zours erbat der Papjt für Aktard ein früher von ihm bejejjenes 
Klojter, indem er ihm mittheilte, daß er für feine verletten, von Af- 
tard in Rom verfochtenen Metropolitanrechte bei Saloıno einge— 
treten ſei?. 

Inzwiſchen hatten die Normannen die längere Abwejenheit des 
Abts Hugo aus feiner Mark benugt, um Sonnabend vor Palın= 
fonntag (20. März) 868 die Loire bis Orleans heraufzufahren:: un— 
behelligt konnten fie mit der gewonnenen Beute in ihre Quartiere 
heimfchren ?. 

Diefer neue Einfall bewog Karl den Kahlen, der bisher die Bes 
fümpfung der Normannen Salomo überlajfen Hatte, an energijche 
Gegenmaßregeln zu denken. 

Zunächſt wurde während der Reichsverfammlung zu Pijtres un— 
weit Pont de l'Arche im Augujt 868 jedem Großen, darunter ver— 
muthlih aud) Hugo, aufgetragen, einen Theil einer Burg, bei der 
dortigen Seinebrüde zu erbauen. 862—864 war hier durch einen 
Brücdenbau den Normannen die Seine nebft ihren großen Neben— 
flüffen gefperrt. Die Brüde mußte jedocd) bereits 865—866 wieder: 
hergeftellt werden und mag damals mit zwei ftarfen Brückenköpfen 
verjehen worden fein. Da fich die Großen jo viel al8 möglich der 
Erfüllung ihrer jtaatlichen Pflichten entzogen, mögen die Befeftigungen 
wieder verfallen fein®. Der Bau wurde diesmal nicht zu Ende ge= 
führt, vielmehr beabfichtigte Karl einen Zug gegen die von Hafting 
geführten Yoire-Normannen. Da fandte Salomo einen Boten, er fei 


ı Jaffe, Reg. pontif. 2199— 2203. 

? Aktards Gütertaufch mit Robert dem Tapfern bei Blois beweift , daß 
Altard in der Erzdiözefe Tours heimiſch war; ſ. Robert der Tapfere Beilage 
I; vgl. Gallia christ. XIV, 42. 

® Hincm. J. c. ©. 444. 

* Hincm. 1. c. Adonis chron. SS. II, 323. Gfrörer II, 10 folgert 
wunderlicher Weife aus den Worten: Carolus castellum mensurans pedi- 
turas singulis ex suo regno dedit, Karl habe gegen die Beichlüffe von Pi- 
* 864 den Großen den Bau von Burgen bis zu einer gewiſſen Größe ge— 

attet. 


57 


bereit fie mit einem bretonifchen Heer anzugreifen, Karl möge nicht 
jelbft zu Felde ziehen, fondern ——— ſchicken. Zum Dank 
ſandte Karl ſeinen erſten Thürhüter, geheimen Rath und Kämmerer 
Engelram mit einer gold- und edelſteingezierten Krone und den übri— 
gen königlichen Inſignien an Salomo und erfannte ihn ſomit als 
König an. Salomo nennt in einer Urkunde vom 17. April 869 
Karl feinen dilectus compater und ſchenkt dem Kloſter Redon ein 
von Karl wahrſcheinlich durch Engelram überfandtes goldgefticktes 
Prieftergewand!. Nach einer Handichrift des bretonifchen Kloſters 
S. Michel hätte Karl Salomo aud) das Münzrecht verliehen und das 
Erzbisthum Dol anerkannt. Vielleicht veripradh er ihm, beim Papjt 
für die Anerkennung der beftehenden kirchlichen Zuftände in der Bre— 
tage zu wirfen, doc, fehlen dafür zuverläffige Zeugnijfe. Salomo 
jelbjt bemühte fi um eine Ausjöhnung mit dem Papſtthum. Durch 
den einftimmigen Widerfpruch feines Volks bei der Normannengefahr 
an einer Reife nad) Rom gehindert, ſchickte er Hadrian 869 reiche Ge— 
ſcheuke, unter andern eine goldene Bildfäule. Er erhielt zwar auf 
feine Bitte zum Entgelt Reliquien des Papftes %eo III., erreichte aber 
feine wichtigeren Abfichten nicht?. 

Auc der gemeinfame Feldzug der Franken und Bretonen gegen 
die Loire-Normannen war erfolglos. Karl der Kahle hatte Prinz 
Karlmann, obwohl er ihn zum Eintritt in den geijtlichen Stand ge— 
jwungen, an der Spike einer scara Engelram auf dem Fuße folgen 
laffen; aber derjelbe vermwüftete lediglich das weſtfränkiſche Neuftrien 
und wurde deshalb im Herbſt 868 abgerufen. 

Salomo lag den Winter über im Felde, er ftand noch am 24. 
Mai 869 mit dem ganzen Aufgebot der Bretagne bei Glavizac im 
Gau von Nantes, mußte aber, auf fich allein angewiefen, um die Zeit 
der Weinernte mit den Normannen Frieden ſchließen und ihnen 500 
Kühe liefern ®, 

Karl der Kahle traf num Maßregeln zum Schuß der Nordfüfte 
und des Seinegebiets. In der Faftenzeit oder um Oftern 869 (3. 
April) erhielt S. Denis, bald darauf S. Vaaſt, die damals unmit— 
telbar unter Föniglicher Verwaltung jtanden, Befejtigungen von Holz 
und Stein *. 

Auf dem Reichstag zu Piftres 864 hatte Karl die Verpflichtung 
derjenigen, die nicht die Koften des Heerbannes beftreiten konnten, zum 
Brüden und Wegebau befonders eingefchärft, doch muß diefe Beſtim— 
mung wicht durchgeführt worden fein. 

Karl forderte jetzt von allen geiftlichen und weltlichen Großen 


! Sirmonds Notezur V. Convoionis, Boug. VII, 377. LL. I, 544 conv. 
Carisiacensis c. 23. Cart. de Redon ©. 190. 
* — Britannicum, Bouq. VII, 222. Cart. de Redon S. 67— 
® Hincm. 879, SS. I, 581. Reg. 874. Cart. de Redon &. 189 
und 193. 
* Hincm. SS. I, 481, vgl, 866, I, 473. 


58 


und Königlichen Vaſallen die Einreihung von VBerzeichniffen über die 
Hufenzahl ihrer Zehen, auf einem auf den 1. Mai, vielleicht nad) 
Berberie an der Dife, wo Ende April eine Synode jtattfand , feitge- 
festen Reichstag!. Sie follten dann außer den gewöhnlichen Natu- 
ralfeiftungen und Sjahresgefchenten auf je 100 Hufen einen freien 
Zagelöhner, auf je 1000 eine Karre mit zwei Ochſen ftellen, da— 
mit zunächit die Burg von Piftres vollendet werde. 

Nach Erlaß diefer Verordnung begab ſich Karl im Januar, trotz 
ber Jahreszeit und einer wie im Beginn des Yahres 868 eintre= 
tenden Hungersnoth, nad) Coneda vicus an der Xoire (Cöne im Gau 
von Aurerre) zu einer Zufammenfunft mit aquitaniihen Großen. 
Das Ausbleiben der drei Bernharde erfüllte ihn mit Sorge und 
vereitelte, wie oben erwähnt, die Beruhigung Aquitaniens. Hugo 
nahın an der Verfammlung Theil und erwirfte am 30. Januar 
einen Schugbrief des Königs für die erwähnten Zufluchtsorte feiner 
Ranoniker Lere und Marſat. 

Gewiß erſchien Hugo auch auf dem früheftens Ende Yuni in 
Piftres verſammelten Reichstag?. Karl der Kahle mahnte die in ftetem 
Gegenſatz befindlichen geiftlihen und weltlichen Großen, einträchtig 
zufammen zu wirfen und ſämmtlich zum Schuß des Vaterlands na- 
mentlic) gegen die Normannen bereit zu fein. Klagte doch felbft 
Hinfmar über die fchweren das Reich drüdenden Laften und über 
die en, den Kirchengefegen widerjprechende Theilnahme der Bifchöfe 
am Krieg *. 

Die befonder8 den Rechten der Geiftlichfeit günftigen Beſchlüſſe 
des Reichstags und die Vertheilung von Schäten an die Kirchen des 
Reichs im Auguft zu Senlis follten wohl den Klerus für Karls 
Pläne, namentlich in Hinficht auf die Erbichaft Lothar II., gewinnen. 
Denn er erfuhr hier den am 8. Auguft erfolgten Tod Lothars, eilte 
fofort nad) Lothringen und ließ fih in Met am 9. September durch 
Hinfmar und Bischof Adventius von Met Frönen. Diefer erſte Ver- 
ſuch eines franzöfifchen Herrſchers die Aheingrenze zu gewinnen gelang 
indeffen nur halb. Schon am 6. März 870 mußte ſich Karl zu 
Aachen zur Theilung mit Kudwig dem Deutjchen verftehen, die durd) 
ben’ befannten Vertrag von Meerjen näher geregelt wurde. Hugo 


ı LL. I, 495 c. 27 und 499 ce. 1. Böhmers Notiz zu Nr. 1758. 
Gfrörer II, 13 vermuthet nicht unmwahrjdeinlich, daß Karl auf diefe Weife auch 
eine Weberficht über die zur Eroberung Lothringens verfügbaren Streitkräfte ge- 
winnen wollte. 

* Böhmer 1751. Bougq..VIII, 613. 

° Am 28. Juni fiellt Karl eine Urkunde zu Baifieur im Gau von Amiens 
aus, aljo kann der Reichstag nicht vor dem 29. oder 30. ftattgefunden haben. 
Bielleiht dauerte er noh am 21. Yuli. LL. I, 509-512. Böhmer 1757 — 
1759. Dümmler I, 718 und 719. Wend weift in feiner Kritik der Gfrörerfchen 
Ausführungen II, 13 fi. nah, daß die Gewährungen und Verſprechungen an 
die Großen nichts weſentlich Neues enthielten. 

* Hincm. 869, SS. I, 481. Mansi XV, 772 Brief an Rilolaus I. 


59 


hatte an dieſen Ereigniffen feinen Theil, fondern war durch den Kampf 
mit den Loire-Normannen in Anfprud) genommen. 

Bereint mit Graf Gauzfrid von Maine lieferte er ihnen im 
Herbit 869 ein Treffen, in bem fie etwa 60 Mann verloren und 
geichlagen wurden. Gin den Ehriften befonders feindlicher abtrünniger 
Mönch wurde gefangen und enthauptet, ein Beweis, daß ſich man— 
cherlei Gefindel und Abenteurer den Normannen anſchloß. Karl ord- 
nete jet auch für die Loiregegenden Befejtigungen an und zwar in 
Tours und le Mans. Dieſe Mafregeln und das glückliche Treffen 
hatten den Erfolg, daß die Yoire-Normannen gegen eine Geldfummme 
und Wein-, Vieh- und etreidestieferungen mit den Neuftriern, an 
deren Spitze Hugo ftand, Frieden ſchloſſen. Durchgreifende Erfolge 
vermochte aber Hugo fo wenig als fein Vorgänger Robert zu er- 
ringen, weil es an der nöthigen Unterjtügung durd den König fehlte. 
Freilich wurde feine Macht im Yahr 870 aufs Neue erweitert. 
Nach dem Tode von Karls lahmem Sohn Yothar am 14. Dezember 
865 Hatte der erwähnte Prinz Karlmann, unter dem ein gewilfer 
Bofo die geiltlichen Funktionen verjehen zu haben fcheint, die bis 861 
von ihm bejefjene Abtei S. Germain in Auxerre erhalten !. 

Karlmann wurde aber verrätherifcher Pläne gegen feinen Water 
beihuldigt und im Juni 870 auf dem Reichstag zu Attigny aller 
feiner Abteien entjegt. Vermuthlich erhielt dann Hugo das ihm ent— 
zogene S. Germain wie fein Wetter Guelfo fein früheres Kloſter 
S. Riquier zurüd. 876 befaß er es ficher, da Erzbiichof Anſegis 
von Sens von ihm Reliquien für das Klofter S. NRemigius in 
Sens erbat ?. 

An den Mafregeln gegen Karlmann fcheint übrigens Hugo wenig 
Theil genommen zu haben, denn er fehlte auf einer im Dftober zu 
Reims gehaltenen Verſammlung, wahrjcheinlic dem kleinern Reichs— 
tag, der im Herbit ftattzufinden pflegte. Hier ließ Karl, vermuthlich 
durch die Empörung feines jüngeren Sohnes zur Regelung der Thron- 
folge beſtimmt, den älteften Ludwig den Stammier als Nachfolger 
anerfennen ®. 

Er wird daher auch fchwerlich den Eroberungszug gegen Vienne 
mitgemacht haben, der Rarlmann Gelegenheit zur Flucht gab. Diefer 
ſammelte zahlreiche Spießgejellen und verwüjtete namentlid) die Reimfer 
Diözefe. Der Auftrag des Königs, die Biſchöfe und weltlichen 
Großen zufammenzuberufen und mit ihnen gemeinfam Maßregeln 
gegen ben Empörer zu treffen, verſetzte Hinkmar in Verlegenheit. 
Karlmann jtand nicht unter feiner, fondern als Diakon von Senlis 
unter der Metropolitangewalt von Sens, und bei der Nähe des 


ı Sickel, Sur un manuscrit de Melk, Bibliotheque de l’&cole des 
chartes V, 3, ©. 31 ff. Böhmer 1750 und 1763. 

» Hincm. 870, SS. I, 487. Gall. christ. XII, 374 und Herici mira- 
cula S. Germ. II, 5, bei Labbe I, 558;; vgl. Böhmer 1830, 

® Conv. Caris. c. 4, LL. I, 538. Hincm. opera II, 181, c. 4. 


60 


Weihnachtsfeftes fonnte feine Provinzialfynode berufen werden. Er trat 
mit einigen hervorragenden Großen in Verbindung", um zu ver- 
mitteln; fie jollten nicht jofort das Volk gegen Karlmann zu den 
Waffen rufen. 

Rarlınann fcheint feinerfeitS einen der von Hinfmar um Nath 
gefragten Großen, den‘ Erzfanzler Gauzlin, und Hugos Vetter Konrad 
zu Vermittlern gewählt zu haben. Denn Hinfmar forderte fie mit 
Karlmann oder in deifen Vertretung zur Verhandlung und Anhörung 
der füniglichen Botichaft auf. Es wurden gegenfeitig Geifeln gejtellt, 
und Hinkmar riet) Karlmann fich friedlich zu verhalten und feinem 
Vater bei der Rückkehr von Vienne cum ipsis, d. h. wohl mit den 
DVermittelnden , entgegenzugehen. Auf das Verfprechen jich zu beffern 
gab Hinfmar Karlmann fogar den erbetenen Segen? Doch fehrte 
Karl der Kahle im Beginn des Jahres 871 unerwartet ſchnell zu= 
rüd, wahrjcheinlid; ehe die Bemühungen Hinkmars feinen Zorn zu 
bejänftigen Erfolg hatten, und Karlmann verharrte in der Empö— 
rung; er verwüſtete das Caſtell Mouzon bei Sedan und die Umge— 
gend. Hinfmar, durd Krankheit an der Vertheidigung des bijchöf- 
lichen Gebiets gehindert, forderte den Königsboten Harduin und deſſen 
Bruder Hadebold auf, den Frevelthaten namentlich eines gewiſſen 
Wipert entgegenzutreten und den königlichen Bajjallen Gaulf oder 
Grimulf durch Mahnung an die fchwere Verantwortlichfeit, die er 
dadurd auf fich lade, von dem den Uebelthätern gewährten Schuß in 
Zukunft abzubringen. Harduin fcheint ſich durch läffige Erfüllung 
diefer Pflichten eine Anklage beim König zugezogen zu haben. Hink— 
mar verfpricht ihn, wenn er einen zuverläffigen Boten fende, genaue 
Auskunft darüber, Rath und Fürfprade?. Karlmann erbot ſich 
durch vier Gefandte vor feinem Vater erfcheinen und fi) verant— 
worten zu wollen, wenn er feinen Genofjen das Leben fchenke. 

Karl bot feinem Sohn durch zwei feiner Gejandten fo wie durch 
Gauzlin und Karlmanns Schwager Balduin von Flandern fichere 
Rückkehr an, aber Karlmann jtellte jett umerfüllbare Forderungen, 
wahrjcheinlicd) auf Uebertragung von Lehen, die er vorher nicht bean= 
iprucht, und wandte ſich nach dem ſchon ojtfränfifchen Gebiet von 
Toul. Karl ließ jett feine Genoffen zum Tode und Gonfiscation 
ihrer Güter verurtheilen und Ende Januar 871 zu Compiegne durch 
eine Provinzialfynode unter Hinkmars Leitung exkommuniciren. 
Defjen Neffe Hinfmar von Laon verließ jedoch vor der Unterjchrift 
die Synode. Er war bereit8 mit feinem Oheim im verjchiedene 


ı Hinkmars Brief an den Kämmerer Engelram, Gauzlin und den Ober» 
jägermeifter Grafen von Laon Adalelm bei Flod. hist. Rem. III, 26. Hincm. 
Ann. 869. Dümmler I, 759 fi. 

2Hinkmar an Karlmann, Gauzlın und Konrad und an Harbuin 1. c.; 
Libellus expostulationis adversus Hincmarum Laudunensem c. 20, 
Mansi XVI, 605 und 611. 

® Hincm. 871, SS. I, 491. Flod. 1. ce. 


61 


Streitigkeiten verwidelt, von denen eine näheres Intereſſe für den 
Abt Hugo hatte. 

Hinkmar entrig nämlich dem Grafen Nortmann auf Grund 
von ihm. erwirfter päpftlicher Briefe das ihm auf Verwendung 
von Hugos Bater Konrad und Oheim Rudolf verliehene Gut Pau— 
liacum und vertrieb die im Wochenbett Liegende Frau defjelben mit 
gewaffneter Hand. Nortmanns Sohn nahın er gleichfall® einen Theil 
der von ihm ſelbſt übertragenen Lehen. Früher als Haupt der Hof- 
Geiftlichfeit ein einflußreiher Mann, war ihm beinahe eine völlige 
Ausjöhnung mit dem König gelungen, obwohl er gegen den ihm ge— 
leifteten Treueid feine Vafjallen mit Beichwerden nad) Rom gejchickt 
hatte. Setzt weigerte er fi) auf wiederholte Aufforderungen jeines 
Oheims der Exkommunikation der Genofjen Karlmanns beizutreten’, 
mit dem er im Einverjtändniß war. Der Papſt nahm ihn in Schuß 
und trat auch für Karlmann ein. Er ermahnte am 13. Juli 877 
die weitfränfiihen Großen, nicht gegen ihn zu Fämpfen. 

Wir wilfen nicht, ob Hugo an der Bekämpfung Hinfmars von 
Laon und Karlmanns theilnahm, jedenfalls jcheint er ſich der zwei— 
deutigen Haltung Gauzlins und jeines Vetter Konrad nicht ange- 
ſchloſſen zu haben. 

Wahrſcheinlich hielten ihn die Normannen in feiner Mark zu— 
rück, wenigftens machte er um die Zeit des Konzils von Douzy im 
Auguft, auf dem die erwähnten Streitigkeiten behandelt wurden, einen 
Angriff auf die befejtigte Yoireinjel, wo die Normannen hauften, ver= 
muthlih bei S. Florent unterhalb Angers. Obwohl fi Gauzfrid 
von Maine und andere meuftrifhe Großen an dem Unternehmen 
betheiligten,, mißglückte e8 gänzlih. Nur mit großem DVerluft ent- 
famen fie von der Inſel. Aber bei der Energie, mit der Hugo ben 
Kampf gegen die gefährlichen Feinde führte, ift feine unmittelbare 
Betheiligung an den Wirren im Djten des Reichs und den gleic)- 
zeitigen firchlichen Vorgängen um fo unmwahrjceinlicher. 

Auch wird ihn die Befeftigung von Tours nod in Anfpruc) 
genommen haben. Diefelbe umfaßte nur die eigentliche Stadt, deren 
alte Römermauern aus Fleinen Quadern mitteljt mächtiger zwei Fuß 
fanger Steine ausgebejfert und durch feſte Thürme verjtärft wurden. 
Diefe Mauer und ein Thurn, tour feu Hugon oder tour du Comte 
genannt, ftanden noch unter Ludwig XIV. Das Terrain zu diefem 


ı Am 1. Februar, 19. April und 5. Mai. Vielmehr Hagt Hinfmar am 
1. Juni den Oheim an, den König zu feiner Inhaftnahme in Servais ange- 
reizt zu haben. Wirklich forderte ihn diefer, als er bei einer Zuſammenkunft zu 
Solarium bei Suyppes mit dem König, Odo von Beanvais, Graf Eiricus 
uud Anderen bartnädig blieb, vor eine Synode. Hincm. libellus expostu- 
lationis adv. Hinem. Laudun. c. 20. 21. 24, Mansi XVI, 605. 618. 
Aw — c. 5, Mansi 650. Hincm. opp. II, 597. Noorden ©. 246 

. 285 fl. 
2 Jaffe Nr. 2234. 
® Hincm. 871. Wend, Das fränf. Reid S. 200. 


62 


Thurm taufchte Hugo nebſt der darauf befindlichen Mauerſtrecke und 
der Kirche S. Vibert gegen ein glei großes Stück Land von den 
Ranonikern von S. Martin ein. Letzteres erftredte fi von der rö— 
mifchen Arena und dem angeblichen Balaft Kaifer Valentinians, sala 
maledicta genannt, bis an das Ende der ehemaligen „großen“, der 
Loire parallelen Straße, zu dem Thor von Orleans, jpäter porte 
feu Hugon'. 

Auf dem fo erworbenen Terrain erbaute fi) Hugo nahe dem 
Loirehafen, port feu Hugon, und dem genannten Thor eine Grafen- 
wohnung, mit der ein Raum verbunden war, wie ihn die Capitu— 
larien Karl des Großen zur Abhaltung von Gerichtsverfammlungen 
verlangten. 

Das 864 erlajjene Verbot, ohne Fönigliche Genehmigung Burgen 
zu bauen, mag in der Noth der Zeit in DBergejjenheit gerathen oder 
diefe Genehinigung häufig ertheilt fein, denn wir fehen jet Biſchöfe 
und weltliche Große eifrig damit befchäftigt. 878 wird eine vom 
Bizegrafen Otto bei Preuiliy im Kanton de la Haye Descartes 
in der füdlichen Touraine neulich erbaute Burg erwähnt. Auch 
Biſchof Walter von Orleans ließ fich, wahrjcheinlich belehrt durch die 
868 erfolgte Plünderung, die Befeftigung feines Biſchofsſitzes ange— 
legen fein. Die Einfegung des energifchen Mannes, der mehrfach 
an Hugos Seite auftritt umd fpäter von ihm zu wichtigen Sendungen 
verwandt wurde, zwilchen dem 2. November 867 und der von mir 
868 angefegten Synode in Verberie, mag nicht ohne Hugos Einfluß 
erfolgt fein, zumal Walter zu der Geijtlichfeit von Tours gehört 
hatte. Auch der gewandte Aktard und Biſchof Willibert von Chalons 
hatten dort ihre Bildung erhalten, was darauf fchliegen läßt, daß die 
von Alkuin im Klojter S. Martin gegründete Schule noch in der 
Zeit Karl des Kahlen gute Erfolge Hatte. Befiten wir doch von 
MWillibert, Walter von Orleans und dem Erzbiihof von Tours 
Herard 856 bis 871 Gapitularien, durch welche ihrer Geijtlichkeit 
die Nothwendigkeit geiftliher Bildung und die Verpflichtung zum 
Volksunterricht eingefchärft wird®, 

Nicht ohme heftige Streitigkeiten gelangten Willibert und Aftard 
zum Bisthum Chalons und Erzbisthum Tours. Geiftlichfeit und Ge— 
meinde wandten fi) nad) dem Tode des Erchanraus nicht an den 
Metropolitan Hinkmar, fondern an den König um Betätigung der 
neuen Wahl. Vielleicht gehörten hierher die Beichwerden einer Sy» 
node von gallifchen und burgundiichen Bifchöfen über Eingriffe eines 
dux Gerhard und Grafen Kotfrid in die freie Biichofswahl; wir 
finden 825 einen Grafen Rotfrid als Sendboten in Reims, Chalons 
und andern Diözejen, dejfen Sohn al® Graf von Chalons betheiligt 


1 Mabille, Bibl. de l’&c. des ch. V, 5, 322. Salomon, L’'amphi- 
theatre de Tours 1. c. IV, 8, ©. 219. 

2 Mabille, Pancarte noire c. 11, ©. 119. LL. I, 434, c. 2. 

® Baluze, Capitularia regum Francorum I, 288, c. 17 und II, 
1377. Gall. christ. VIII, 1426. Wend, Das fränkiſche Reh ©. 81. 


63 


ſein könnte. In dem Gerhard wäre wohl der vom 7. Januar 868 
von Karl dem Kahlen als dilectus comes bezeichnete, wahrſcheinlich 
der Graf von Vienne zu finden. Willibert war deseriptor regio- 
rum stipendiorum, etwa Rechnungsführer des Königlichen Hofhalts, 
und Propft des damals Föniglichen Kloſters S. Vaaſt. Der Streit 
wurde beigelegt, indem Hinfmar am 3. December zu Kierfy mit 
einigen Biihöfen eine Prüfung Williberts vornahm und ihn dann 
im Kloſter Brittaniacus, Bretigny, weihte!. 

Als Herard am 30. uni 871 ftarb ?, wählten Geiftlichfeit und 
Gemeinde von Tours Aktard, damals Biſchof von Terouenne, zu ſeinem 
Nachfolger. Hugo als Graf wird dabei betheiligt gewejen fein. Karl 
der Kahle und die Synode von Douzh beftätigten die Wahl und erfuchten 
den Papſt um Genehmigung, auch Erzbiſchof Hinkmar befürwortete 
das Geſuch, dem Hadrian in einem Brief an Karl vom 26. De— 
zember willfahrte. Er forderte obenein die Herſtellung des Erzbis⸗ 
thums in ſeinem Beſitzſtand durch Ausſtattung mit Krongütern in 
vor den Normannen geſicherter Lage. Gleiche Fürſorge möge der 
König Marmoutier, S. Medard? und andern Klöſtern in Tours 
und Umgegend zuwenden: alle Orte derfelben müßten, wie fonjt Sitte, 
unter der Gewalt de8 Bisthums ftehen*. Viele mochten wie Mar» 
moutier und S. Martin felbit an Laien verliehen oder von ihnen 
ufurpirt fein. Endlich verlangte Hadrian, daß aucd Nantes, wenn 
e8 in den früheren Stand fomme, Aftard bleiben ſolle. Die allen 
kirchlichen Geſetzen widerfprechenden Forderungen de8 Papſtes für 
feinen Günftling, ein neuer Eingriff in die Selbftändigfeit der weſt— 
fränfifchen Kirche, bewogen Hinfmar überhaupt gegen den auf Grund 
des Pjeubdoifidor immer öfter ftattfindenden Uebergang von einem zum 
andern Bisthum aufzutreten. Der Widerſpruch des jest mit Karl 
vollkommen ausgeföhnten Erzbiſchofs bewirkte wohl, daß Aktard Nantes 
fofort dem Dekan der dortigen Kirche Ermengar verlieh, während er 
jelbft biß zu feinem Tode 873 oder 874 Erzbifchof von Tours blieb ®. 
Eine ftrenge Unterordnung der Klöfter, darunter auch der Hugo ver- 
fiehenen S. Martin und Marmoutier, erreichte er ſchwerlich. 

Mabillon macht wahriheinlidh, daß der König um diefe Zeit 
Hugo die reiche Abtei S. Vaaft verlieh”. Er mochte dazu durch die 
bewährte Kriegstüchtigkeit Hugos bewogen fein, die ihn als geeig- 
neten Vertheidiger des befeitigten Klojters -erfcheinen ließ. 


! Baluze Il. c. I, 612. Gall. christ. IX, 867. Noorden ©. 240. Der 

Streit fällt aber nicht 867, fondern 868. Mansi XII, 862 und LL. I, 246. 
Calendarium ber Cathedrale von Angers, Gall. christ. XIV, 42. 

s Später ein Priorat von Billeloin. Mabille, Sur les divisions territo- 
riales de Touraine, Bibl. de l'ec. des ch. VI, 2, S. 343. 

«4 MansiXV, 852. Dümmler I, 767. Mabille 1. c. V, 5, 322 N. 1 
folgert aus diefem Brief mißverfländlic), Hadrian habe Karl uud Abt Hugo 
jur ren der Befeftigung vor Tours aufgefordert. 

. II, 744. Noorden S. 292 
nd Chen. Brittaniae wen "Bong. VI, 52. 
! Ann. Benedictini III, 171. 


64 


Nach einer zwifchen dem 20. Juni 871 und 872 ausgeſtellten 
Urkunde befanden ſich die Reliquien des Heiligen Martin damals in 
dem ihm gewidmeten Klofter, und fcheint alſo die Befeftigung der 
Stadt im Wefentlichen vollendet geweſen zu fein !. 

Die Grafen Bofo und Bernhard als Teſtamentsvollſtrecker des 
Grafen Odo übergaben Hugo als Abt von S. Martin für die 
Geelenruhe Odos und feiner Gemahlin Guandelmoda Nogent en 
Dthe in dem Pays d'Othe unweit Troyes. Odo, wie oben nach— 
gewiefen, ein Verwandter der den Welfen feindlichen Wamilie der Kö— 
nigin Irmintrud hatte feine Grafichaft Blois wahrjcheinlich in Folge 
feiner Verbindung mit Ludwig dem Deutjchen eingebüßt, mochte aber 
durch den Vertrag zu Coblenz 860 feine ererbten oder vor Karls 
Kegierungsantritt ‚verliehenen Befigungen zurüderhalten haben und 
war 864 Graf von Troyes. Seine Freundſchaft mit Boſo von 
Vienne und Bernhard von Auvergne unterftütt die Vermuthung, daß 
er bei jeinem Tod tm füdlichen Frankreich Bejigungen hatte. In 
Dijon war nämlich 866—869 oder 8TO ein Graf Ddo Sendbote, von 
dem anzunehmen ift, daß er innerhalb des 853 noch Macon, 
Chalons, Autun und Langres umfajjenden Bezirks mächtig war ?. 

Nun wird in einer Urkunde vom 8. Yuni 871 ein Graf Odo 
von Macon als ſchon todt erwähnt, deijen Nachfolger wie der Vor— 
gänger des früher erwähnten Odo von Troyes Aledram heißt. Die 
Identität Beider ift wahrjcheinlich, zumal das Datum der Tejtaments= 
vollſtreckung des einftigen Grafen von Troyes 20. Juni 871—872 
nit der Zeit von Odos Tod nad) der erwähnten Urkunde überein» 
Stimmt. Ueberdies gewährte ein Graf Audo an der Saone, wo 
Macon liegt, den Mönchen von S. Maur bei Angers um 864 Auf- 
nahme, und Odo von Troyes beſaß nicht weit von dem Klojter in 
den Gauen von Chateaudun und Blois Befigungen. Um jo wahr= 
Scheinlicher ift die Identität Beider?. 

Boſo und Bernhard, mit denen Hugo durd) dieie Schenkung in 
Berührung fam, gelangten in derjelben Zeit zu jehr hohem Anjehn 
und verdrängten bald fajt alle Andern aus der Gunft des unbejtän= 
digen Königs. Karl der Kahle fette 872 früheftens im Mai feinen 
Sohn Ludwig, bis dahin nur Titularfönig, wirklich in Aquitanien 
ein®. Wahrſcheinlich dachte er dadurd dem Unabhängigfeitsjtreben 


1 Mabille, Pancarte CXL, V und Les invasions des Normands, 
pieces justificatives Nr. 1, wonach feine Bermuthung, die Befeftigung jei 
furz vor dem Aufenthalt Ludwigs des Stammlers in Tours 878 vollendet ge- 
weſen, hinfällig wird. 

2 Perard, Recueil de pieces curieuses pour l’hist. de Bourgogne 
©. 141—149. LL. I, 426. Robert der Tapfere ©. 21 ff. 

s Mabille 1. c. ©. 118. Auch der Name eines Odo gehörigen Gute 
villa Mauro kann auf Beziehungen feiner Familie zu S. Maur hindeuten, mo 
damals ein Odo Abt war. Mabillon A. S. ord. Bened. saec. 1V, 2, 
©. 175 ff. 

4 Ludwig fanın nicht, wie Dümmler I, 797 meint, ſchon im Beginn des 


65 


des Landes im Hinblid auf die bevorjtehenden Kämpfe um Stalien 
entgegenzufommen und dauernde Ruhe dort herzuftellen. Denn die 
Häupter der mißvergnügten Partei, Bernhard von Gothien, den er 
durch die Verleihung von Autun gewonnen haben mochte, Bernhard 
von Auvergne und den dritten Bernhard von Zouloufe, dem er nad) 
Erneuerung jeines Lehnseides Carcaſſone und Rafez verlieh, ftellte er 
feinem Sohn zur Seite!. Indeß mußte er befürchten, daß dieſe 
Männer, wie einft feine Umgebung in Neuftrien, Ludwig zur Em- 
pörung aufreizen könnten. Daher ernannte er Boſo, den Bruder 
jeiner zweiten Gemahlin Rihilde, Grafen von Vienne, zum Kämmerer 
und erjten Thürwart Ludwigs und übertrug ihm die Lehen des in— 
zwifchen wohl gefallenen oder befiegten Gerhard von Bourges. Die 
Beruhigung Aquitaniens erfolgte für die übrige Regierungszeit Karls 
durch diefe Mafregeln wirklich, aber die genannten Großen gewannen 
einen bedeutenden unter Yudwigs Regierung bejonders hervortretenden 
Einfluß. 

Auch einen andern Theil feines Reichs mußte Karl der Kahle 
zu fichern ſuchen, ehe er weit ausjehende Kämpfe um die Erbichaft 
Ludwigs II. und um die Kaiferfrone begann. Mehrere neuftrifche 
Gaue wurden nad) dem mißglücten Angriff auf ihre Inſel von den 
Normannen noch ſchwerer heimgefucht als bisher. Sie zerjtörten bie 
Burgen, brannten Kirchen und Klöfter nieder und verwandelten das 
Aderland in Wüſte. 

Nach dem 16. April 872, vielleicht erjit Anfang 873, gelang es 
ihnen fogar fid) noch tiefer im Innern des Reichs feitzufegen ?, 

Die Einwohner von Angers Hatten in Folge fteter Beunruhi— 
gung durch die Normannen die auf den Bergen des rechten Maine- 
ufers ſehr fejt gelegene Stadt verlaſſen, die Reliquien der Heiligen 
S. Albinus und Licinius vergraben. 

Noch heute erheben ſich hoch über der Maine unweit der Mün— 
dung in die Loire und unterhalb ihres Zuſammenfluſſes aus Mayenne 


Jahres eingeſetzt ſein, bis zum 20. April hielt fi Karl im eigentlichen Weft: 
franzien auf (Böhmer 1777--1779. Hincm.). Dann hört er auf dem Weg 
nad) S. Maurice, daß fi Ludwigs II. Gemahlin Engelberga, mit der er über 
deſſen Erbichaft verhandeln will, mit Ludwig dem Deutſchen verftändigt hat, und 
fehrt in Servais um, wo er die aquitanifchen Ungelegenheiten ordnet. Nach 
einem Zug nad) Burgund vermeilt er am 1. September in Gondreville, alſo 
kann die Sendung Ludwigs nad; Aquitanien nur vom Mai bis Auguft erfolgt 
fein. Für einen Aufenthalt Karls in Limoges am 13. Juli (Böhmer 1780) 
bleibt fein Raum, ſchon Bouquet beargwöhnt die Urkunde. Ann. Vedastini 
878, SS. II, 197. 

ı Mabilles Vermuthung (Royaume d’Aquitaine ©. 11), der um dieſe 
Zeit von Baffallen eines Bernhard, Sohn des Bernhard, getöbtete Bernardus 
Vitellus fei der Sohn des Kämmerers, ift unwaährſcheinlich, da fonft Hinfmar 
(872, SS. I, 494) an andern Stellen den unterjcheidenden Beinamen anmenden 
würde. 

* Karls Urkunde für die Kathedrale S. Maurice, Böhmer 1719, ſpricht 
gegen eine frühere Befeung von Angers. Cartul. Sithiense ed. Guerard 
116, gleichfalls gegen Regino 873, SS. I, 585. 


XIV. 5 


66 


und Sarthe die mächtigen Mauern des mittelalterlihen Schloffes. 
Die Nähe der ſchiffbaren Flüſſe begünjtigte die Raubfahrten der Nor— 
mannen, und der feſte Pla bot ihnen Sicherheit gegen die durch be= 
ftändige Leiden aufs höchſte erbitterte Bevölkerung, die gewiß manchen 
vereinzelten Trupp erichlug. Daher zog eine ftarfe Schaar mit Weib 
und Kind in die verlafjene Stadt ein, ftellte Mauern und Gräben 
wieder her und zog die Schiffe ans Yand!, 

Die Beforgniß wurde in den benachbarten Gauen jo groß, daß 
die Ranonifer von Tours die Reliquien ihres Heiligen vor den 
Mauern der Stadt nicht für fiher genug hielten, fondern nad) 
Aurerre und Chablie flüchteten. 

Schwerlich dachte der Führer der Normannen, wahrſcheinlich 
Hafting, wie die mit großer Ortsfenntniß verfaßte Abhandlung von 
Paillard S. Aiglan meint ?, an eine dauernde Dffupation des Landes, 
aber wenn die Normannen immer weiter vordrangen,' war dies ale 
Folge vorauszufehen, aljo ergriff Karl der Kahle endlich gegen fie 
energifche Mafregeln. Um die Normannen ficher zu macden und 
nicht in unzugängliche Gegenden entkommen zu laſſen, kündigte er 
im Auguft ein Aufgebot des gejammen Reiches gegen die Bretonen 
an. Das freundfchaftliche Verhältniß zu Salomo mochte in Folge 
der fortbejtehenden firchlichen Differenzen in der letzten Zeit geftört 
worden fein, aber auch für Salomo war die Anftedlung der Nor— 
mannen auf ber Grenze bedrohlich, zumal ihm feit 863 die Abtei 
©. Aubin in Angers gehörte. Karl bat ihn als Verwandten und 
Gevatter freundlid um Hülfe, und e8 kam zur VBerftändigung zwiſchen 
Beiden, zu deren Herbeiführung die Grafen der Mark Hugo und 
namentlid) Gauzfrid, 858—861 Salomos Bundesgenofje, das Ihre 
gethan haben mochten 9. Salomo mit vielen taufend Bretonen lagerte 
jih auf dem rechten bretonijchen Ufer Angers gegenüber, während 
Rarl die Stadt auf dem rechten Ufer mit einem Wall umfchloß und 
mit aller damaliger Belagerungsfunjt und neuern Erfindungen ans 
griff. Salomo fchicte feinen Sohn Wigo mit den Vornehmiten ing 
fränfifche Lager, um als Thronfolger Karl zu Huldigen *. 

Lange Zeit wurde auf allen Seiten tapfer gefämpft, die Nor— 
mannen wußten, daß ihr Leben auf dem Spiel jtand: die Ein- 
ſchließung zog ſich ohne Eutſcheidung in die Länge. Da famen die 
Bretonen auf den Gedanken den Fluß abzuleiten, um fich der nor= 
mannifchen Schiffe zu bemächtigen ®. 


ı Hincm. 813, SS. I, 496, vgl. Prudentius 859, SS. I, 453 und Ro- 
bert der Tapfere ©. 63. 

?2 Bibl. de l’&c. des ch. I, 1, Mabille, Invasions ©. 32. 

s Chronif v. S. Brieur. Boug. VII. 220. Cart. de Redon ©. 190. 
Robert der Tapfere S. 56. 

* Baillards Zweifel S. 348 find unbegründet, doch bezog fich die Huldi— 
—— —— nur auf die Erwerbungen ſeit 856, Robert der Tapfere 


*Regino giebt Hier wie anderwärts über die Bretonen genaue Nachrichten, 
wohl weil fein Klofter in der Bretagne Befigungen Hatte. Das Chron. S 


67 


Dieje Gefahr bewog die VBornehmen unter den Belagerten, Karl 
gegen freien Abzug ihre Huldigung, eine große Summe Geld und 
die von ihm gewünfchte Zahl von Geijeln anzubieten. 

Anſteckende Krankheiten und Hungersnoth, die in der vermüfteten 
Gegend bei dem gewiß verfalfenen Trainweſen des fränkiſchen Heeres 
ausgebrochen waren, und Kampfüberdruß der mur zu kurzem Kriegs- 
dienft verpflichteten Maunfchaft bewogen Karl den Anträgen Gehör 
zu Schenken. Auch mochte er aus jchnöder Habjucht den Bretonen 
feinen Antheil an der Beute gönnen, gegen die er vielleicht in Zufunft 
wie 862 wieder normannifche Söldner brauchen fonnte. 

So folgte er, gewiß zu großem Verdruß des wadern Hugo, 
Ihlehtem Rathe. Die Führer der Normannen leifteten durch ihren 
Eid und durch Geijeln Bürgichaft dafür, daß fie an einem fetge- 
feßten Tage, wahrjcheinlich Anfang Dftober, von Angers abziehen, ihr 
Leben lang Frieden Halten und auch andern Scaaren feine fernere 
Plünderung geftatten würden. Dafür erhielten fie Erlaubniß bis zum 
folgenden Februar auf ihrer Yoireinjel zu verweilen und Markt zu 
halten. Wer dann bereits getauft fei und wahrhaftig am Chriften- 
thum feithalten wolle, folle an den Hof kommen, und wer ſonſt nod) 
Chriſt werden wolle, die Taufe empfangen. Alle Uebrigen follten 
abziehen und nach dem weftfränfifchen Reich nicht wieder in übler 
Abficht zurückkehren’. 

Abermals hatte Karl die Gelegenheit verfäumt, aus dem fchwer 
erfauften Bündnig mit Saloıno Nuten zu ziehen, indem er an der 
Seeräuberfhaar ein warnendes Beifpiel jtatuirte, das ihre Yandsleute 
vielleicht auf lange Zeit abgefchredt hätte. Die Normannen dachten, 
al8 die drohende Gefahr vorüber war, nicht an Abzug, ſondern haujten 
noch Schlimmer und graufamer als zuvor an der Xoire. 

Wenigjtens mag er an den Getauften wie furz zuvor am dem 
alten Normannenhäuptling Rorich eine nützliche Verftärfung feiner 
Streitfräfte gewonnen Haben. Die normannifche Sage fnüpfte au 
ſolche Vorkommniſſe an, indem jie Haſting felbjt eine Zeit lang die 


Sergii und Nannetense jchreiben ihn bis auf einige Nachrichten eines codex 
von S. Brieur faft wörtli aus, Bouq. VII, 53 und 220. Argentre, Hist. 
de Bretaigne, will nod Spuren diefes Kanals bemerkt haben (Depping, Hi- 
stoire des expeditions des Normands I, 205; die Ausgabe von 1580 ent- 
hält nichts davon). Bodin, Recherehes sur l’Anjou, t. I, ch. XIX, be 
zweifelt die Möglichkeit, dem zwiſchen zwei Uferhöhen fließenden Strom eine an— 
dere Richtung zu geben. Ich muß diefelbe mit Paillard, der aber zu jehr im 
Detail ausmalt, für die Vorſtadt auf dem rechten Maineufer anerkennen. 

ı Hincmar ergänzt Negino, er hat fein tadelndes Wort für Karls Ber- 
halten, das er fogar als viriliter et strenue bei der Belagerung bezeichnet, 
und verweilt wohlgefällig bei den frommen Uebungen nad) der Einnahme. Da- 
gegen verurtheilen ihn die Ann. Vedast., SS. II, 190, wie Regino. ©frörer 
II, 106 deutet wie gewöhnlich allerlei in die Quellen hinein: Karl ſei mit den 
Normannen übereingeflommen, daß fie an einer bereits beftehenden Verſchwörung 
gegen Salomo theilnehmen follten. Pasfwithen nahm jedoch erft im Sriege 
gegen feinen Nebenbuhler Normannen in Sold. Reg. 874, SS. I, 586. 


5* 


68 


Grafſchaft Chartres befigen läßt, während fränkische Sagen aus ihm 
einen abtrünnigen Bauer aus der Gegend von Troyes machen. 

Karl beichloß feinen Feldzug, indem er mit den Bijchöfen und 
dein gejammten Heer die Reliquien der Heiligen Albinus und Licinius 
in feierlihem Gepränge in ihre Kirche zurüd brachte und reid) be— 
fchenfte. Dann ging er nad) le Mans, von wo er zur Belagerung 
aufgebrochen war. Schon am 12. October befand er fi) dort !. 

Auc feine Gattin Richilde hatte ihn dorthin begleitet und ihren 
Aufenthalt zu frommen Werfen benutt. Vergeblich bat fie Gauzfrid, 
der zur Unterjtügung feines Bruders nah le Mans gejandt jein 
mochte, um Reliquien der h. Scolajtica für das von ihr auf Fa— 
milienbejig errichtete Kloſter Juvigny bei Stenay im Wavregau. Cie 
wandte fich, als Beide abwejend, vermuthlich weil fie zum Belagerungs- 
heer geflogen waren, an Biſchof Robert von le Mans, der ſchwer franf 
nicht an dem Zug hatte theilnehmen Fünnen, und erhielt von ihm den 
größten Theil?. Als Richilde mit Karl über Evreur und Piſtres 
nad) dem weſtlichen Franzien zurückfehrte, brachte ſie die Reliquien 
nad) dem fortan der heiligen Scholajtica geweihten Klojter. Karls 
Glück bewahrte ihn vor den Folgen, die der einfeitig gefchloffene 
Frieden für das Berhältnig Salomos zum wejtfränfifchen Reich haben 
fonnte. Der abermalige Mißerfolg des mit den Franken gemeinjam 
gegen die Normannen unternommenen Yeldzugs mußte Salomos Herr— 
ſchaft bei dem leicht beweglichen Geltenvolf erjchüttern. Seine An— 
näherung an die Sranfen und, gleichfall8 ohne wejentlichen Nuten, an 
das Papſtthum machte ihn gewiß vielen bretonifchen Großen verhaft, 
ohne doc die Franken in den eroberten Gebieten mit der Herrichaft 
eines Stammfremden auszuföhnen. So brad) eine Verſchwörung 
gegen ihn aus, die feinen Sturz herbeiführte. Ich jehe darin eine 
ähnliche Reaktion, wie er felbjt fie einſt gegen Erifpoe geübt hatte. 
Wie gegen Erifpoe verſchworen fich gegen ihn nahe Verwandte und 
Männer, die hoch in feiner Gunſt gejtanden hatten: Eriſpoes 
Schwiegerſohn Gurwand, Graf von Rennes, Salomos eigener Schwie- 
gerfohn Paskwithen und Wigo, Sohn des Rivilin, deſſen Name gleid)- 
falls auf Verwandtichaft mit Saloıno fchliefen läßt ®. 

Zunächſt nahmen fie Salomos Sohn Wigo gefangen, er felbft 
flüchtete in die Landſchaft Poher in der Mitte der Bretagne nad) der 
Burg Plebelan. 

Hier wurde er am 27. Yuni 874 überfallen und fränfijchen 


ı Böhmer 1782. Die Nachricht des Chroniften von Brieur, Bouq. VII, 
221, Karl fei bei Nacht in aller Stille abgezogen, verräth gegenüber dem 
Bericht Hinkmars, wahrjcheinlich eines Augenzeugen, die Erbitterung der von 
Karl in Stich gelaffenen Bretonen. 

? Gall. christ. XIV, 362. Mabillon, Ann. Ben. III, 184. 

’ Baskwithen ericheint in mehreren Urkunden Salomos, neben dem Thron- 
folger Wigo und ihm am 14. September 868, die beiden anderen Verſchwo— 
renen am 10. Februar 872; de Courson ©. 18 und ©. 207. Salomos Bater 
hieß Rivallon, feine Söhne Rivallon und Wigo, ein Graf Rivallon ift unter 
den Angejehenften in feinen Urkunden. 


69 


Vaſſallen, namentlich einem gewiffen Fulcoald, die er ſchwer gefränft 
hatte, überliefert. Dieſe blendeten Salomo in fo graufamer Weife, 
daß er Tags darauf am 28. Juni ftarb!. 

Salomos gewaltfamer Tod hatte zur Folge, daß er in Anfnü- 
pfung an feine Verhandlungen mit den Papſt als Opfer der Ufur- 
patoren auf den bretonifchen Biſchofſtühlen und als Heiliger ange— 
fehen wurde. 

Das bretonifche Königreich, von jeher durch den Mangel einer 
fejtbegründeten Dynaftie gefährdet, zerfiel. Zwiſchen Gurwand und 
Pasfwithen brad) troß einer Theilung des Yandes Bürgerkrieg aus, 
aud) andere Grafen, namentlich die von Laon und von Golovia 
(wahrscheinlich Cornuaille), fuchten fich in ihren Gebieten unabhängig 
zu machen ?. 

So verjchwand für das wejtfränfifche Neid) jede Gefahr von der 
Bretagne her, aud) die normannifchen Schaaren fanden im Sold der 
Prätendenten oder in der Plünderung der Bretagne auf eigene Hand 
lohnendere Beute al8 im Kampf gegen den tapferın Hugo. 

Diefer wahricheinlich brachte, nachdem längere Zeit iiber Salomos 
Krankheit oder Tod Gerüchte umgelaufen waren, dem König in 
Compiegne genaue Nachricht. Mit weitausjehenden Plänen bejchäftigt, 
benugte Karl jchwerlic; die Gunft zu einem Verſuch das Verlorene 
wiederzugewinnen. Höchſtens mag er das auf dem bretonijchen Ufer 
der Maine bei Angers gelegene Klofter S. Sergius damald Hugo 
verliehen haben ®. 

Uebrigens gaben die Unruhen in der Bretagne die Ufer der 
untern Loire jchutlos den Normannen preis. Sie fuhren wieder 
nad) Nantes hinauf, und Yandram, der damalige Biſchof, bat Karl den 
Rahlen ihm einen Ort anzumeilen, wo er den Sommer über ficher- 
leben fünne. Karl wies ihm Angers an und unterhielt die Geiftlichfeit 
der Diözefe von den Einkünften der dortigen königlichen Befitungen. 
Landram verweilte noch unter Raino, der 880 den Biſchofſtuhl be- 
ftieg, in Angers ®. 

Zu diefen mißlichen Verhältniffen famen 873 und noch furdht= 
barer am Schluß des Yahres 874 Hungersnoth und Veit, die fait. 


ı Hincm. und Reg. 884, SS. I, 497 und 586; de la Borderie, Bibl. 
de l’&c. des ch. V, 5, 396. Die Ehronif von ©. Aubin, das Salomo be- 
fefien, und die von Anjou aus einer Handidrift von Bendöme, Labbe, Nova 
bibl. I. 280, entjdheiden gegen den 25. Juni als Todestag, wo Salomo als 
Heiliger gefeiert wurde und den ber jpätere Chronift Le Baud angiebt. Auch 
die Nachricht des Chron. Namnet., Bouq. VII, 221, ift zu vermwerfen, die That 
jei bei Breft an dem jpäter Merzer Salami, Martyrium Salomonis, genannten. 
Ort geichehen. 

3 Regino l. c. Chron. Namn., Bouq. VII, 221. 

: Hincm. 1. c. Hugos Name befindet fi im Nefrolog des Kloſters, was 
bafür ſpricht, Gall. christ. XIV, 643. Da fpäter Alan wieder über S. Sergius 
verfügte, gehörte es wahrſcheinlich Salomo oder fand doc unter defjen Herr- 


% Hist. Brittaniae Armoricae, Boug. VII, 52. 


70 


ein Drittel der Bevölkerung des fränkischen Reiches vdiejjeit der Alpen 
fortgerafft haben ſollen!. 

Mochte fein Volk noch fo fchwer leiden, Karl der Kahle ſann 
nur auf äußern Glanz und Erweiterung feines Reiches, ftatt feine 
Kräfte der Heilung jo vieler innerer Schäden zu widmen. Als 
Kaiſer Yudwig II. am 12. Auguft 875 ftarb und Karl zu Pontyon 
feinen Tod erfuhr, berief er noch im Auguft feine in der Nähe woh— 
nenden Käthe und eilte mit unterwegs zujfammengerafften Streitkräften 
nad Ytalien. Bereits am 9. September 872 Hatte fih Karl von 
den in Gondreville verfammelten Bifchöfen Rath und Beijtand zur 
Behauptung des ihm von Gott gejchenkten Neiches und desjenigen, 
das ihm Gott noch jchenfen werde, erbeten und ſich von den weltlichen 
Großen treue Hiülfe verſprechen laffen, um zu feinem Reich nod) das 
zu gewinnen und gegen Jedermann zu vertheidigen, das Gott ihm ver- 
leihen werde. Schon 869 hatte er Bofo, dem Neffen der verjtoßenen 
Thietberga und Bruder Nichildes, die Abtei S. Maurice verliehen, 
die er jedoch gegen Hugos Bruder Konrad oder deffen Sohn Rudolf 
nicht zu gewinnen vermochte. Diefer behauptete da8 von feinem 
Bater, Boſos Oheim, Hufbert abgenommene Klojter als Lehnsmann 
Kaifer Pudwigs II. im Jahr 872, wo alſo Konrad fchon geftorben 
war? Boſo, fein Bruder Richard und zwei Grafen Bernhard, von 
denen der eine wohl der mit Bojo engverbundene Graf von Auvergne 
war, unterftügten aber unter den weltlichen Großen fat allein Karl 
in feinen italienifchen Unternehmungen. Sonſt herrſchte gegen diefe 
gleiche Abneigung wie einft unter Pippin gegen Kämpfe mit den Lan— 
gobarden, während die Ausdehnung des Reichs nad) Weſten bei 
dem noch immer regen Gefühl der Gemeinjanfeit unter den Franfen 
auf geringen Widerftand ſtieß. 

Dagegen hoffte Papſt Johann VIII. von Karl Schutz gegen 
die jüditalienifchen Fürften, die Sarazenen und die drohende Herrichaft 
des fräftigen Ludwigs des Deutfchen über Stalien und ſchmückte den 
eitlen Fürften Weihnachten 875 mit der Kaijerfrone. Hinfmar erwarb 
fi) während des thörichten Römerzuges um Karl den Kahlen neue 
große Berdienite. 

Während nämlich) Ludwigs des Deutſchen Söhne Karl von 
Schwaben und Karlmann von Baiern Karl in Italien entgegentraten, 
fiel er felbjt, nachdem er Weftlothringen mit leichter Mühe erobert, 
ins weſtfränkiſche Reich ein. Der flandrifche Graf Engelram, von 
Bofo und der Königin Richilde aus feinem Amt als Kämmerer und 


ı Hincm. 873. Herici ann. S. Germ. Autiss., Bibl. de l’&c. des 
chr. V. 3. 

2 Hincm. 869 und 872, SS. I, 486 und 493; LL.I, 518; Gingins Ta 
Sarraz, Arch. für fchweiz. Gefchichte VII, 118 Anm. 58: Rudolf übergiebt der 
gegenwärtigen Gemahlin des Kaiſers Engelberga Befigungen des Klofters in 
Tuscien zum Nießbraud). 

So erkläre ih mir die Erhebung gegen Karl den Kahlen. Noorden, 
Hinkmar S. 313. 


71 


dem ſtets im Intereſſe des Friedens geübten Einfluß verdrängt, Hatte 
ihn gerufen; auch unter den Biſchöfen fand Ludwig diesmal Anhang, 
während fie bei feinem erjten Einfall 858 meift treu zu Karl ge— 
halten hatten. Auch viele als Anhänger des Prinzen Karlmann ihrer 
Aemter und Befitungen beraubte werden ſich dem deutjchen König 
angejchloffen Haben!. Richilde, die mit Ludwig dem Stammler das 
Reich gegen ojtfränfifche Angriffe decken follte, ließ zwar die Großen 
fchwören das Reich zu vertheidigen, aber fie plünderten ftatt deſſen 
eben jo arg als die im Dezember einrücdenden oftfränfifchen Schaaren, 
oder erzwangen für ihren Beiſtand woiderrechtliche Konzeffionen von 
Ludwig dem Stammler. 

Wie bei feinem erften Einfall verkündete Ludwig der Deutjche, 
er wolle nur das verlafjene Reich wiederherftellen und vertheidigen, 
für Frieden und Gerechtigkeit forgen und der Kirche die gebührende 
Ehre angedeihen laffen, nicht das Reich an ſich reißen. 

Da ermahnte Hinfmar feine Diözeſan-Biſchöfe in einem Schreiben, 
das auch den übrigen Biichöfen und weltlichen Großen mitgetheilt 
wurde, zur Treue gegen den König und zum Aufgebot ihrer Mann— 
ichaften, deckte aber auch offen die Gründe der allgemeinen Unzufrieden- 
heit auf?. Einige Vertraute des Königs, Boſo und feine Freunde 
werden wir darunter zu verjtehen haben , verfügten faſt ausſchließlich 
über das Reich zu Gunften derer die ihmen veiche Gejchenfe gaben, 
während Karl fich gegenüber den früher angefehenjten Männern wan- 
felmüthig bewies ? und das Reich im Stich ließ, um ferneren Erobe- 
rungen nachzujagen. Er hielt fich die Möglichkeit der Unterwerfung 
offen, indem er feine Abwejenheit auf der von Lıldwig zu Soiffons 
berufenen Synode mit Krankheit entjchuldigte und einen Priejter be— 
vollmächtigte, an Beichlüffen, die nicht den Kirchengefegen und dem 
bifchöflichen Amt zuwiderliefen, theilzunehmen *, 

In den Bitten vieler Großen, die den oftfränfifchen König be= 
wogen im Beginn des folgenden Jahres 876 in fein Reich zurüdzus 
fehren, haben wir wohl das Werk einer vermittelnden Partei zu jehen, 
welche auf gütliche Beilegung des Streits unter den Farolingiichen 
Fürften hoffte?. Da Hugo 879 einen Frieden unter Verzicht auf 
Lothringen bewirkte, fpäter die Berufung des ſchwäbiſchen Karl zum 
wejtfränfifchen König beförderte, it anzunehmen, daß auch er jett in 
diefer Richtung thätig war. 

Aber Karl der Kahle war nicht gefonnen, ſich mit den ihm durch 
frühere Verträge, wahrfcheinlich zu Met 867 mit Ludwig dem Deut- 
chen, zugewiefenen Theilen der italienischen Erbichaft zu begnügen, 


1 Hincm. 875, SS. I, 498. Dümmler I, 828. 

2 Hincm. opp. II, 158. Flod. III, 26: Dümmler I, 829 ff. gegen 
Noorden S. 303 fi. 

3 So ſuchte Bofo im Jahr 871 einen ihm Genehmen auf den Bildhof- 
ſtuhl von Senlis zu erheben. Flod. III, 26: Hinfmar an Bofo. 

* Flod. III, 23: episcopis ad synodum Suessionis convenientibus. 

5 Hincm. 876, SS. I, 498. Dümmler I, 832 ff. 


12 


fondern juchte vielmehr als Nachfolger Karls des Großen noch mehr 
von deſſen einftigem Neich zu gewinnen. Dafür gewährte er Jo— 
hann VIII. die von feinem Vorgänger vergeblich erjtrebte vollfommene 
Unterwerfung der wejtfränfifchen Kirche unter päpftlihe Herrichaft. 
Schon hatte er am 2. Januar 876 dem Erzbiſchof Anjegis von 
Sens das Vikariat über Gallien und Germanien übertragen, Bejtre- 
bungen, die wohl am meijten zu der Verſtimmung Hinkmars und der 
Mehrheit der weitfränfiichen Biſchöfe beitrugen !, 

Karl und Yohann VIII. dachten die Unterwerfung der weſtfrän— 
fiihen Kirche und. die Anerkennung Karls als Kaifer und Beherricher 
Italiens auch in feinem Erbreich auf dem Reichstag und der Synode 
von Pontyon vom 21. Juni bi8 10. Juli 876 durchzuſetzen ?. 

Auch Ludwig der Deutſche war wegen feines Einfall$ zur Ver— 
antwortung gefordert; er erjchien natürlich nicht, jondern forderte in 
der Situng vom 4. Juli durd) mehrere Gejandte, darunter Adalhard 
vom Mojelgau, wahrjcheinlih einen Sohn des einft jo mächtigen 
Grafen Adalhard, den ihm vertragsmäßig zugeficherten Antheil an der 
Erbichaft Ludwigs IL. Johann und die Synode gingen darauf nicht 
ein, fondern thaten feine Anhänger und ihn jelbjt in den Bann. 

Auh Hugo erichien auf dem Reichstag mit einigen getauften 
Normannen, die reich befchenft zu den Ihrigen zurücgefandt wurden, 
aber nad) wie vor gleich ihren heidnifchen Landsleuten Hauften, 

In der Sikung am 30. Juni erklärte er mit den Großen aus 
Franzien, Burgund, Aquitanien, Septimanien, Neuftrien und Pro— 
vence auf Karls Gebot, daß fie den Kaifer einmüthig zu ihrem Be— 
ihüger erwählten und beftätigten. Mit den übrigen Bijchöfen und 
Aebten unterjchrieb auch Hugo nachträglich die Bejchlüffe der italienischen 
Berfammlung zu Pavia vom Februar 876°. Mit ihnen und den 
weltlichen Großen unter Hinfmars Vorgang mußte er aufs Neue einen 
jehr verflaufulirten Treueid ſchwören. Bald follte fich zeigen, wie 
= die häufige Wiederholung der Eide deren Bedeutung abgefchwächt 
atte. 

Hugos Haltung in einer andern auf der Synode entſchiedenen 
Frage bewies, daß aucd er mit Karls italienischer Politif wenig ein- 
verjtanden war, die von Bojo, einem Glied der von ihm in der 
Perjon Hufberts bekämpften Sippe der Thietberga, hauptfächlich geſtützt 
wurde und jeinen Neffen Rudolf im DBefig der einen wichtigen Paß 
nach Italien beherrjchenden Abtei S. Maurice bedrohte. Johanus Hal- 
tung fand auch unter der römiſchen Geiftlichfeit Widerftand, die in 
Formoſus Biſchof von Porto einen begabten Leiter hatte. 872 hatte 
Formoſus als Bevollmächtigter Hadrians II. an der Unterhandlung 
der Raiferin Engelberga mit Ludwig dem Deutfchen über die italie- 


: Noorden S. 300. 309. Mansi XVII, 225. 
; = Nicht 21. Januar, Noorden 316. Hincm. SS. I, 500. 501. LL. 
8 DL. 1, 533. 534. Dümmler I, 845, 


13 


niſche Thronfolge theilgenommen!. Auch ftand er mit Hinkmar, dem 
Haupt der weſtfränkiſchen kirchlichen Oppofition, in nahen Beziehungen. 
Johann klagte ihn auf einer römischen Synode an, er habe als Haupt 
einer Verſchwörung gegen Kaifer und Bapft ſich ſelbſt auf den päpit= 
lihen Thron Schwingen wollen, und ließ ihn abjegen und erfommuni- 
jiren. Dies Urtheil wurde zu Pontyon in der letten Sigung am 
16. Juli bejtätigt, was indeß Hugo nicht abhielt, ihm bei ſich Zu— 
flucht zu gewähren. 

Ob Hugo, der fo jelten an Synoden theilnahm, bei jeiner ſehr 
weltlichen Richtung ſich an der in der erjten Situng nur unter Vor— 
behalt der erzbifchöftichen Privilegien und der in Uebereinftimmung mit 
den heiligen. Canones erlafjenen Defrete römischer Päpſte erfolgten An— 
erkennung des Anfegis als Primas betheiligt habe, ift jehr zweifelhaft. 

Allerdings gab Hugo 876 fehr wider Willen der Mönche von 
S. Germain auf die Bitte des Erzbiſchofs Anfegis von Send dem 
von ihm kurz zuvor begründeten Klofter S. Remigius den Körper 
des heiligen Romanus, jcheint aljo in gutem Verhältniß zu dem Ri— 
valen des feinem Vater fo feindlichen Hinkmar gejtanden zu haben ®. 

Bald nad) der Synode verweilte er in feinem Gebiet. Als Abt 
von S. Nignan in Orleans ließ er den Klerifer Neginald, mit Zu— 
jtimmung der Kanonifer, zu deren Yeibeigenen derjelbe gehörte, und 
des Nachfolgers Aftards auf dem erzbiichöflichen Stuhl von Tours 
Malhard oder Adalald al8 Lehnsheren der villa Appiariae, im 
Yau von Orleans (in vicaria Lodevensi), wo Reginald gebürtig 
dar, am 5. October 876 nad) römischen Recht frei ®. 

Da Hugo am 5. October in Orleans war, nahm er an dem 
ejten franzöſiſchen Eroberungszug über den Rhein nad) dem Tode 
Ldwigs des Deutjchen nicht theil; denn ſchon am 8. October ſchlug 
d8 Heer eines einzigen der Söhne dejjelben Ludwig von Franken 
ud Sachſen Karl den Kahlen bei Audernad) ?. 

Dagegen mag er, wie jein Better Konrad im Auftrag des Kö— 
nig vergeblih mit den..am 16. September in die Seine eingelau= 
fenn Normannen verhandelte, gegen Ende des Jahres mit den Loire: 
Nomannen zu thun gehabt haben®. Umſonſt hatte Karl der Kahle 
gega die Seine-Normannen ein Heer aufgejtellt. Von Johann zu einem 
neua Zug nad Stalien gedrängt, fette er im folgenden Jahr 877 


Formofus’ Theilnahme an der Gejandtihaft, die Karl den Kahlen nad) 

Italie einlud, ift ſchwach beglaubigt (Mansi XVII, 236). Dümmler, Auri« 
us nd Bulgarius S. 3, berüdfichtigt Hugos Stellung im folgenden Jahr 
nit, wenn er in Formoſus' Aufenthalt bei ihm einen Beweis gegen die fonft 
hervortetende Parteinahme für das oftfränkifce Herricherhaus fieht. Bol. 
Noorde. 321. 

®2 Gall. christ. XII, 374. 

® Boug. VII, 709 dvenft an Karl III., die Datirung anno I. regni 
Karoli mperatoris läßt ſich aber nur gezwungen fo deuten, da Karl III. im 
erſten Ihr feines Kaiſerthums das weftfräntifche Reich nicht beherrichte. 

* Jincm. SS. I, 501. Dümmler II, 57. 

5 ınn. Vedast. 876, SS. I, 502. 


174 


die Verhandlungen fort; endlich ließen fie fich gegen 5000 Pfund 
Silber bereit finden das Reich zu verlajfen. Da das fränkische Pfund 
nur 367 Gramm fchwer war, würde der Tribut nad) heutigem Ge— 
wicht 3670 Pfund im Werth von etwa 110100 Thalern betragen. Doch 
betrug der Durchichnittswerth des Geldes in jener Zeit nad) den 
Getreidepreifen berechnet etwa das fiebenfache desjenigen um 1850. 
Dieje Lat fonnte bei der jenjeitS des Rheins fchon weit mehr als in 
Deutjchland entwickelten Geldwirthichaft wohl nur in Folge der 
ſchweren Scidjale des Reichs feit dem Ende der Regierung Ludwigs 
des Frommen fehr drückend erjcheinen. Sie wurde auf dem Reichs— 
tag zu Compiegne am 7. Mai 877 auf das urjprünglich weitfrän- 
fische Franzien und Burgund vertheilt!. Auch Hugo al Abt von 
©. Germain in Auxerre, vielleicht aucd) als Abt von S. Vaaft und 
Graf von Nevers, mußte dazu beitragen. Alle weltlichen und geiſt— 
lichen Großen und füniglihen Vaſallen follten von jeder zum Herren— 
hof gehörigen Hufe einen Solidus zahlen (von denen 20 auf das 
Pfund Silber gingen, der Solidus hatte aljo einen Werth von etwas 
mehr als 1 Thlr. 3 Sgr., 2 Solidi zu Karl des Großen Zeit den 
Werth einer Kuh). Von jeder freien Hufe follten 8, von jeder Hufe 
eines Leibeigenen 4 Denare, halb von dem darauf Haftenden Zins, halb: 
vom Eigenthum des Inhabers der Hufe gezahlt werden (da der 
Solidus 12 Denare hatte, find dies 22 und 11 Silbergroſchen). 
Ferner follten alle Priefter nad) Verhältniß ihrer Einkünfte 4 Denarı 
bis 5 Solidi (11 Sgr. bis 5 Thaler 15 Sgr. 2 Pfennige) beitragen 
Die Biſchöfe wurden mit der Einziehung von allen, auc den den 
Kaiſer, der Kaiferin oder füniglichen Vafallen gehörigen Kirchen ihre 
Diözefe, die Aebte von denen ihrer Abtei betraut. Demnad) hatte aut 
Bug dafür zu forgen. Die Kaufleute und Städter follten nad) ihrer 

ermögen jo Hohe Beiträge al8 möglich zahlen; fpäter auf dm 
Reichstag zu Kierfy wurde feitgefett, daß die jüdifchen Kaufleute T/e, 
die hriftlichen */ıı geben follten. Sogar Kirchenschäte mußten ın= 
gegriffen werden, um die Summe zufammenzubringen, was ſich nohl 
mit aus der Widerwilligfeit vieler Zahler erklärt. Wir fünnen um 
Beifpiel aus den Beihlüffen des kurz darauf ftattfindenden Reichsags 
zu Kierſy vermuthen, daß Boſo, Bernhard, Wido und andere Große 
ihren Antheil am 14—16. Yunt nod) nicht gezahlt Hatten ?, 

Die geiftlihen und weltlichen Großen Neuftriens weftlid der 
Seine, namentlich aljo Hugo, mußten für die Loire-Normannen wie 
fie eben fonnten, eine bedeutende Summe zufammenbringen. Es iſt 
anzunehmen, daß jener durch das Abkommen mit ihnen in Anſpruh ge— 
nommen zu Compiegne nicht anweſend war. Sicher war er mmu— 


ı Hincm. 877, SS. I, 508 und LL. I, 536, vgl. 540, c. 31. 
Dümmler II, 43 gegen Noorden 335. Bol. über die le arten "Soetbeer, 
Forihungen Iv, 318. 

2 Hincm. 1. c. Ann. Vedast. SS. II, 196. Cap. Carisiac. LI. l, 540, 
c. 30 und 31. 


75 


thig über Verträge, die ihm gewiß jchwere Yaften auferlegten, während 
Karl die Loire-Normannen vor wenigen Jahren hätte vernichten können 
und die Seine-Normannen durch feine Kämpfe mit den oftfränfifchen 
Herrichern zu neuen Einfällen verlodt Hatte. 

Wie Bojo und Bernhard von Auvergne, der alfo wahrjcheinlic) 
feinen Antheil am Zribut nicht gezahlt Hatte, blieb auch Hugo dem 
Reichstag zu Kierfy fern!. Karl ernannte hier feinen nunmehr ein= 
zigen Sohn Yudwig zum Reichsverweſer und ftellte ihm für die allge- 
meinen Reichsangelegenheiten einen Rath zur Seite, dem unter Atı= 
dern Hugos Better Konrad von Paris und Abt Guelfo ange— 
hörten. So oft es mit ihrem Dienft beim König vereinbar fei, ſollten 
auch Bernhard von Auvergne und Boſo Ludwig Rath ertheilen. 
Außer dieſem Regentſchaftsrath, von dem der unbequeme Erzbifchof 
Hinkmar ausgefchloffen war, ernannte Karl noch bejondere Nathgeber 
des jungen Königs für feinen Aufenthalt in den Yanden jenfeit der 
Seine und jenfeit der Maas, aljo für Neuftrien und Lothringen. In 
Neuftrien waren es vor den übrigen Großen Abt Hugo und die 
Biihöfe Walter von Orleans, Gislebert von Ghartres und Wala 
von Aurerre. Da dieje Diözefe recht8 von der Seine lag, fpricht 
Hugos Ernennung für den durch Robert de8 Tapfern Belehnung mit 
Autumn, Auxerre und Nevers entjtandenen, nun weiter befejtigten Zuſam— 
menhang diefes Gebiets mit Neuftrien. Mlöglicherweife gab Karl Wala, 
den Bruder des Primas Anfegis, den andern als feinen Vertrauens 
mann bei; denn Wala und die Bilchöfe Willebert von Chalons aus 
Franzien und Arnold von Toul aus Lothringen follten Karl in 
feitgefetsten Frijten nachreifen, aud) jonjt jollte ihm jede wichtige Nach— 
richt durch Kuriere gemeldet werden ?, 

Karl ftellte den Großen anheim, ihm aus ihrer Mitte Rath: 
geber zur Seite zu geben, worauf fie jedoch verzichteten. Dies war 
offenbar ein Compromiß, bei dem fie ſich den Anſpruch, die Hand 
lungen des Herrſchers zu überwachen, für die Zufunft vorbehielten ®. 

Karls Miftrauen gegen die Großen und feinen Sohn beweift 
das von ihm erlangte Berfprechen, daß Richilde und feine Töchter 
im Fall feines Todes in ihren Bejigungen gejchütt fein ſollten, daß 
Richilde frei über ihre Kleine Tochter verfügen dürfe, und daß er, 
einem etwa noch gebornen Sohn das Recht auf einen Theil des Reichs 
wahrte (ec. 5 und 6). Dagegen gewährte er den Theilnehmern an 
feinem zweiten Römerzug eine Garantie, die meifPin zu ausgedehnten 
Mae als gejetliche Anerkennung der Erblichkeit der Lehen aufgefaßt 
worden iſt. Sie bezeichnet jedoch nur einen Schritt dazu, indem fie 


ı Hincm. opp. U, 181 c. 7. LL. I, 537 ff. c. 12 und 15. 

® LL.I, 539, ce. 15. 540, c. 15. Hist. ep. Autissiodorensium 
c. 39, Labbe, Nova biblioth. I, 434. 

s a. a. O. c. 3 6. 537. Noorden S. 336 Anm, und Dümmler II, 
44 ff. über die Bedeutung der Beichlüffe von Kieriy. 


16 


für beſtimmte Fälle das oft gewaltfame Beftreben der Großen legi- 
timirt. Karl verfuhr aud) jo, um die Macht feines Sohnes einzu= 
ſchränken; denn analog wie die weltlichen Lehen jollten erledigte Bisthiimer 
behandelt werden. Sie werden unter Obhut des benachbarten Biſchofs 
und des Grafen gejtellt, bis Karl jelbjt darüber verfüge. Wenn ein 
Graf oder faiferlicher Vaſſall kinderlos oder während jein Sohn nad) 
Stalien gezogen, jtürbe, joll Ludwig die Verwaltung feiner Grafſchaft 
oder jeines Yehens Verwandten oder Bertrauten dejjelben gemeinfchaft- 
ih mit dem Biſchof und den Beamten anvertrauen, ähnlich bei 
Hinterlaffung eines ımerwachjenen Sohnes verfahren werden. Sogar 
ſolchen, die nad) Karls Tode der Welt entjagen und für ihn beten, 
oder folchen die ruhig auf ihrem Alod leben wollen, wurde die Ueber— 
tragung ihrer Lehen an Söhne oder Verwandte geftattet, die ihre 
Pflichten gegen den Staat zu übernehmen vermöchten. 

Ein Gegengewicht gegen dieſe Konzefjionen bildete indeß die den 
Großen auferlegte Verpflichtung gegen ihre Aftervafallen in gleicher 
Weiſe zu verfahren. 

Ferner wurde den nad Stalien Ziehenden für ihre Güter und 
Lehen der bejondere Königsſchutz zugefihert und demnach) Verlegung 
ihrer Immunität durch das Fönigliche Heer und durch Andere mit 
dreifacher Buße bedroht”. 

Karl dachte bereitS an die Vererbung der Raiferwürde in feinem 
aufe, denn er bejtimmte, daß Ludwig nad) feiner Rückkehr einen 
ömerzug antreten ſolle. Dies Streben bedrohte die Großen mit 

langwierigen Kriegen im entlegenen Italien und gab das Reich ſchutzlos 
oftfränkischen und normanniichen Angriffen preis. Was Half den 
Großen das Zugeftändniß, bei feindlichen Angriffen folle Ludwig nicht 
fofort alle Getreuen aufbieten, jondern mit bewährten Männern und 
erlejener Mannjchaft der Großen, die micht felbjt erfcheinen fünnten, 
aljo den fogenannten scarae, ins Feld ziehen, erſt in zweiter Linie 
alle Freien, deren Zahl und Waffentüchtigfeit in erfchredender Weiſe 
abgenommen hatte? Es wurde illuſoriſch durch die Beitimmung, daß 
alle Großen, ohne weitere Anordnungen zu erwarten, zu Hülfe fom- 
men follten, fall8 einer der oftfränfischen Könige Karl !vem Kahlen 
nach Italien entgegenziche. 

Die dazu VBerpflichteten konnten ſelbſt beim beiten Willen die 
Burgen von Paris, S. Denis, auf beiden Seineufern, namentlich 
wohl Piftres, und an der Loire, worunter Angers, Tours, vielleicht 
auch Orleans zu verftehen find, nicht erhalten, wenn das Land von 
wehrfähiger Mannfchaft entblößt wurde ?. 

Die Befeftigung von Karls Lieblingsplag Compiegne, wo furz 
zuvor die nad) dem Aachener Vorbild erbaute Marienfapelle eingeweiht 
war, follte vollendet werden. 


ı L. c. c. 8-10 und 20. Dümmler II, 45. 
2 L.c. c. 26 und 27. 


77 


Der Reichstag ging auseinander, nachdem Gauzlin, einer der 
Käthe des jungen Königs, als Erzfanzler die vier wichtigften Punkte, 
Schuß der firhlicen Privilegien und der Rechte der weltlichen Großen 
und die Beitimmungen in Betreff der Fircjlichen und weltlichen Lehen, 
nochmals hervorgehoben hatte. Diefe wurden im der nächjten Zeit 
als Reichsgrundgeſetze betrachtet und von den Königen bei der Krönung 
beichworen !. 

Karl verweilte, wohl zur Ordnung der lothringiſchen Angelegen- 
heiten vom 9—12. Yuli au der Djtgrenze feines Erbreichs, während 
fein Sohn mit den nicht am Römerzug theilnehmenden Großen, wor— 
unter fih auc Hugo befunden haben wird, die Tributzahlung an die 
Normannen rvegelte und fie zum Abzug nöthigte ?. 

Das wird aud) an der untern Loire gefchehen fein; denn Abt 
Hugo befand ſich, vielleiht um darüber zu berathen, am 12. Yuli 
in Karls Umgebung zu Pontyon. Diefer beftätigte auf jeine Bitte 
einen Gütertaufch zwiſchen den nach Chablie geflüchteten Kanonikern 
von S. Martin und denen der gleichnamigen Abtei zu Autun fowie 
dem Nonnenflofter S. Yulian in Aurerre. 

Noch auf dem Marſch nad) Stalien erwies Karl Hugos Abtei 
S. Martin eine Gunft, indem er ihr am 1. Auguft zu Monasterio- 
lum an der Saone mit der Erlaubniß ein mit den Privilegien des 
Mutterflofters ausgejtattetes Stift zu gründen, die villa Milei im 
Gau von Chalons verlieh °. 

In Stalien gelangte Karl bald durch den Zug des bairischen 
Königs Karlmann über die Alpen in große Verlegenheit, hoffte aber 
durch Unterftügung des Markgrafen Bernhard von Gothien und Aus 
vergne, des Abts Hugo und Boſos fich behaupten zu fünnen. Durd) 
Bojo, der wahrſcheinlich um perſönlich Verſtärkungen herbeizuführen 
über die Alpen zurückkehrte, werden die genannten Großen Karls Auf- 
forderung erhalten und feine Bedrängniffe erfahren haben“. 

Hugo und die Genannten leijteten aber die gehoffte Hülfe nicht, 
jondern traten an die Spite der Mehrzahl der Großen, die mit der 
italieniſchen Politik Karls unzufrieden waren. 


II. 


Welche Motive mochten den Abt Hugo bewegen fi) mit Boſo 
und den beiden Bernhards an die Spite des Aufjtands gegen Karl 
den Rahlen zu jtellen? Wahrjcheinlich beanfpruchte er al8 Vetter des 
Königs, zu deſſen Wiederherjtellung er 858 wefentlich beigetragen und 
dem er feit 866 treu gedient hatte, gleichen Einfluß auf die allge 
meinen Angelegenheiten des Reichs, wie er früher beim Abjchluß des 


ı LL. I, 544. 
® Ann. Vedast. 877, SS. II. 
° RR Böhmer 1819 und 1822. Melecey nad) Mabille, Pancarte XVIII, 
* Gingins la Sarraz, Archiv für ſchweiz. Geſch. VII, 130 fi. Hinem. 
Ann. Vedast. 877, SS. I, 503 und II, 196. 


78 


Friedens zu Koblenz 860 ihm geiibt Hatte, und wie ihn feine Vettern, 
Konrad und Guelfo, befaßen. Statt dejjen jehen wir ihn unbetheiligt bei 
allen großen ReichSangelegenheiten und die Intereſſen feines Bruders und 
Neffen durch Karls Schwager Boſo mehrfach beeinträchtigt. Ihm 
hatte Karl der Kahle ein confiszirte® Gut der Vadaldra, Gemahlin 
Konrads, wahrjcheinlih Hugos Bruders, verliehen; er fcheint damals 
den Befit der Abtei S. Maurice von Hugos Neffen Rudolf wirklich) 
erlangt zu haben, denn Karl zog 875 über S. Maurice, doch wohl 
durch befreundetes Pand, nad) Stalien !. 

Boſos Theilnahme an Karls italienischer Politik Hatte ihm, der ſchon 
Graf von PVienne und Berry war, die Würde eine® archiminister 
sacri palatii und das Sendbotenamt für Italien mit dem Herzogstitel 
eingetragen. Auch fein Bruder Richard und vielleicht der mit ihm 
eng verbundene Bernhard von Auvergne zogen Nußen aus den ita= 
lienischen Zügen *. Hugos Gebiet dagegen wurde in Folge derjelben 
von der Reichsmacht ſich ſelber überlajffen und mußte gerade jett un— 
erichwingliche Laften zum Losfauf von den Normannen tragen. 

Auch mochte Hugo Karls Politik gegen die Söhne Ludwigs des 
Deutschen, durch ihre Mutter Emmta feine Vettern, mißbilligen, denn 
er ftrebte fpäter ſtets ein friedliches Verhältniß zwijchen dem weft 
und ojtfränfiichen Fürften an. 

Nur widerwillig mochte er bei der Zuſammenkunft mit Karl 
dem Kahlen in Pontyon die Heerfahrt nach Italien verfprochen haben 
und, als er Karlmanns Anrüden gegen ihn erfuhr, den Augenblid 
für gefommen erachten, wo unter dem mildgefinnten Yudwig dem 
Stammler für das Reich unter Verziht auf Italien bejjere Zeiten 
anbrechen fonnten und er an der Seite dejjelben den ihm gebührenden 
Plat einnehmen werde. Aber felbit als Karls rajcher Tod einem 
Bürgerfrieg vorbeugte, mußte der Verſuch, durch Auflehnung gegen 
den rechtmäßigen Herricher der Politif des ehrgeizigen Schwächlings 
entgegenzutreten, das Königthum, die einzige Repräfentation des Staats— 
gedanfens, im verderblicher Weile jchwächen. Hugos redliches Be— 
mühen die üblen Folgen wieder gut zu machen war vergeblich, obwohl 
er fih von nun an als die treuefte Stütze des wejtfränfifchen König- 
thums bewies. Freilich Fonnte fein Bündniß mit dem gewijjenlofen 
Antriguanten Bofo fein dauerndes fein. 

Nod am 1. und 11. Auguft hatte Karl Boſo feine Gunjt be= 
wiefen, ihn feinen theueren Bofo, feinen geliebten Herzog genannt, 
aber Bojo war der Rolle eines ergebenen, wenn auch mächtigen Vas— 
fallen müde und mochte jchon hoffen, als Gemahl der entführten 
Tochter Raifer Ludwigs IL. Irmengard, diefelbe mit einer provenzalifch 
italienischen Königskrone vertaufchen zu können ?. Bernhard von Au— 
vergne hoffte wohl am Hofe Ludwigs des Stammlers, dem er mit 


ı Hincm. SS. I, 498. Böhmer 1830. 
2? Sie nahmen an den Beichlüffen von Pavia theil. Mansi XVII, 329 
und 330. 


s Regino SS. I, 587. Gingins la Sarraz a. a. O. VII, 128. 


79 


Boſo und Bernhard von Gothien fhon feit 872 in Aquitanien zur 

Seite jtand, noch höheren Einfluß zu gewinnen, als unter Karl dem 

Kahlen, während Bernhard von Gothien von dem zu Kierfy einges 

fetten Negentichaftsrath ausgefchlojjen worden war. So traten beide 

& Bojo und Hugo an die Spite der Empörung gegen Karl den 
ahlen. 

Die meiſten weltlichen Großen, ſelbſt einige Biſchöfe, ſchloſſen 
ſich ihnen an. Mußte doch ſelbſt der hervorragendſte Vertreter des 
hohen Klerus, Hinkmar, auf den ſich Karl ſo oft geſtützt, dem König 
die Vernachläſſigung ſeiner nächſten Pflichten vorwerfen. Ein Fürſt, 
der zwiſchen Schwäche und Willkür ſchwankte, deſſen Hauptcharakter— 
zug Unzuverläſſigkeit war, bot den geiſtlichen wie den weltlichen Großen 
nur geringe Bürgſchaft für die Aufrechthaltung der zu Kierſy erzwun— 
genen Zugeſtändniſſe. Selbſt bei dem Thronerben, dem Boſo und 
die beiden Bernharde nahe geſtanden, rechneten die Verſchworenen 
wohl auf nur lauen Widerſtand, wenn nicht auf heimlichen Beifall. 

Karl der Kahle Hatte Ludwig ſeit feiner Empörung im Jahr 
862 mie wieder rechtes Vertrauen bewiejen und feine Wahl zum 
Nachfolger wahrjcheinlich von der Verſtoßung feiner Yugendgeliebten 
Ansgard abhängig gemacht !. 

Sp jtanden die Dinge auch im Weftfranfenreich fehr fchlimm, 
als er fi) auf die Nachricht von Karlmanıs Anrüden Anfang Sep- 
tember mit feiner Gemahlin nad) Tortona zurückzog und die Schredens- 
funde vernahm, daß jich mit Hugo, Bojo und den beiden Bernharden, 
deren Zuzug er erwarten wollte, die meiſten andern weltlichen Großen, 
ſelbſt Bilchöfe, verfchworen hatten und nicht fommen würden. 

Mit den ihm gefolgten Großen — namentlich werden uns die 
Grafen Goiram und Pippin und Heribert, die beiden Enfel Bernhards 
von Stalien, genannt — eilte er in fein Erbreid) zurüd, Die Dy- 
fenterie, die ihn fchon ein Jahr vorher befallen hatte, wurde des tief 
erfchütterten, von der höchften Stellung in der Chrijtenheit an den 
Rand des Abgrunds gefchleuderten Kaiſers Herr. Es bedurfte feines 
Giftes feines jüdiichen Yeibarztes, die am 6. Dftober 877 zu Brio 
im Arcthal, vielleicht Avrieur am Fuß des Mit. Genis, eintretende 
Auflöfung feines zerrütteten Organismus zu befchleunigen. Freilich 
erfolgte die Verwejung fo raſch, daß feine Reſte zunächſt nur nad) 

dem Heinen Klofter Nantua in der Brefje am Weftabhang des Jura 
“ gebracht werden fonnten ?, 

Es blieb dem troß aller Wechjelfälle vom Glück hochbegünftigten 

Fürſten erfpart, einen zweifelhaften, wenn nicht hoffnungslofen Kampf 


ı Robert der Tapfere Erfurs VII. Dümmler II, 44. 

2 Gfrörer II, 154 nimmt an, Karl jei auf Anftiften Karlmanns oder der 
Berichworenen vergiftet. Dümmler II, 55 und Gingins la Sarraz a. a. O. 
iprechen über die von Hinfmar und Adelerius, Mir. S. Benedicti, Mabillon 
A. S. II, 293, geglaubte Vergiftung fein beftimmtes Urtheil aus. Ich ſchenke 
mit Noorden ©. 345 den Ann. Fuldenses, SS. I, 391, Glauben, die Karl einer 
Krankheit erliegen laſſen. 


80 


um fein Erbreich kämpfen, wohl gar dem eigenen Sohn erliegen zu 
müſſen. 

Ludwig der Stammler erfuhr den Tod ſeines Vaters in dem 
Jagdreviere Orreville bei Doullens wohl Mitte Oktober. Er be— 
mühte ſich durch reiche Vertheilung von Abteien und Kronlehen An— 
hänger zu gewinnen, reizte jedoch den Regentſchaftsrath, da es ohne 
Befragung der Großen geſchah und er über Lehen im Beſitz Anderer, 
wahrſcheinlich Aufſtändiſcher und des Abfalls Verdächtiger, verfügte!. 

Zumal nach den zu Kierſy gemachten Zugeſtändniſſen wird ſein 
Verfahren die mißvergnügte Partei verſtärkt haben, unter der wir 
auch den Erzkanzler Gauzlin Abt von S. Amand und S. Germain 
des Pres, vermuthlich auch ſeinen Bruder Gauzbert von Maine und 
Graf Konrad von Paris finden?. 

Mit den Treugebliebenen ging Ludwig über Kierſy und Com— 
piegne nach der Pfalz Ver auf dem Wege nach Paris. Da ſein 
Vater inzwiſchen ſchon in S. Denis beſtattet war, zog er ſich auf 
die Nachricht von der feindlichen Stimmung vieler Großen wieder 
nad) Compiegne zurül. Zu ihm hielten wahrſcheinlich der Kämmerer 
Theodoric) , der Oberjägermeiiter Adalelın Graf von Paon und der 
Ludwig verjchwägerte Graf Aledram? von Troyes und Macon ; denn 
fie werden unter dem Verſchworenen nicht erwähnt und jtanden bei 
Ludwig und deifen nächiten Nachfolgern in hohem Anjehn *. 

Dagegen jchloß ſich die Kaiſerin Richilde den Unzufriedenen au, 
die im Beſitz der Kroninfignien und der legtwilligen Verfügung Karls 
des Kahlen war. Stand doc ihr Bruder Bofo an ihrer Spiße. 
Sie lagerten, das Yand weit und breit ausraubend, am Mons Vit- 
marus beim Klojter Avenay >, dann näher an Compiegne zu Casnum, 
Chesne Herbelot, im Walde Cotia. Hinfmar trug Yudwig dem 
Stammler den Undanf feines Vaters nicht nad), der ihn zum Unter- 


! Hincm. Opp. II, 184 an Ludwig den Stammler c. 9. 

2 Hincm. 1. e. c. 7. Noorden ©. 350. 

s Am 10. April 868 unterzeichnet ein Graf Aledram eine Gerichtsur- 
funde für S. Denis, Tardif, Archives de l’Empire, Paris 1866, Nr. 202. 
Am 8. Juni 871 erjcheint ein Aledram als Graf von Macon, der wahrfchein- 
lich um diefelbe Zeit die Betätigung von Befitzungen des Kloftere Moutier Ta 
Celle auswirkt (Böhmer 1775 und Boug. VII, 642 ohne Datum, aber Bodo 
wird 872 neben Biſchof Dtulf von Troyes genannt, dem er nad 878 folgt. , 
Gall. christ. XII, 491 und 542). Das in letsterer Urkunde genannte Salvi- 
niacum ift wohl identifch mit dem Silviniacum, Bouq. VIII, 547 vom 10. 
Januar 859 und der dort genannte Graf Aledram von Troyes fein Bater 
(vgl. Böhmer 1726). 

Sn den erwähnten Urkunden wird Aledram als dilectus comes et mi- 
nisterialis bezeichnet, dagegen am 1. Januar 879 (Böhmer 1847) von Ludwig 
dem Stammler als dilectus propinquus, er wird es aljo durch Ludwigs 
zweite Gemahlin Adelais na 871 geworden fein. 

* Opp. II, 179, c. 1. 4 und 6. 

s S. Monod über die Ausgabe der Ann. Vedastini von Dehaisne, 
Revue critique April. 1872. Mont Aimd in der Gemeinde Bergdres les 
Bertus, im 15. Jahrhundert zerftört, im 13. Mons Wiomari genannt. 


81 


gebenen des Erzbiſchofs von Sens hatte herabdrücken wollen, fondern 
gab ihm, durch Kränfheit verhindert dem jungen König perjünlich 
zur Seite zu ftehen, brieflid) den erbetenen Rath. Vor Allen folle 
Ludwig auf Verhandlungen mit den Großen eingehen und der Habgier 
feiner Umgebung Schranken jegen. 

Ludwig bewilligte denn auch den Häuptern der Unzufriedenen 
die geforderten Befigungen. Wahrjcheinlih damals erhielt Boſo die 
GStatthalterfchaft der Provence und Gauzlin die Abtei S. Denis, 
Hugo vielleicht die Obergewalt über die burgundijchen Grafichaften 
Nevers, Auxerre und Langres!, 

Terner bejtätigte Yudwig feiner Stiefmutter alle Befitungen,, 
worauf fie Karls des Kahlen Verfügung über alle jeine Reiche zu 
Gunften Ludwigs und die Kroninfignien übergab ?, 

An demfelben Tage, dem 30. November, gelobte Yudwig der 
Stammler den Bifchöfen die Geſetze und Regelu der Kirche zu beob- 
achten und dem Volk alle Gejege und Verordnungen feiner Vor— 
fahren nach dem gemeinfamen Rath feiner Getreuen zu bewahren ?, 
Dann Huldigten ihm alle Großen unter Vortritt des Erzbiſchofs 
Anfegis. Nicht durch eine Berfaffungsänderung, fondern durch die 
Vorgänge bis zur Krönung Ludwig des Stammlers durch Hinfmar 
am 8. Dezember 877 in der Marienfapelle zu Compiegne hatte das 
wejtfränfijche KönigtHum eine weitere Schwädhung erfahren. Ludwig 
hatte ſich verpflichten müſſen, die Nechte und Bejigungen der Kirche, 
dem erjten Artifel von Kierfy gemäß, ungefchmälert zu erhalten; auc) 
die weltlichen Großen hatten ihm nur gegen den wenn auc nicht 
Ichriftlichen Verzicht auf die freie Verfügung über alle Kronlehen und 
gegen Gewährung anderer Vortheile anerkannt. Neben dem treuen 
Kämmerer Theodorich übten namentlic) die Häupter der Verſchwo— 
renen Hugo, Boſo und Bernhard von Auvergne unter dem frommen 
mild» und gerechtgefinnten, aber feineswegs energiſchen und ſchon durd) 
das Gebrechen des Stammelns gemäß in feinem Anſehn geſchmä— 
lerten Fürjten den maßgebenden Einfluß auf die Geſchicke des Reichs“. 
Hinfmar Hatte ihm befonders gerathen, ſich mit guten Rathgebern 
zu umgeben, die Vernachläffigung aufrichtigen und forgfältigen Raths 
habe ſich unter feinem Water befonders fühlbar gemacht, doch gewann er 
jelbjt feinen großen Einfluß wieder, zumal ihn Krankheit oft an feine 
Diözefe fejjelte. 

An Ludwigs Weihe mögen ſich nad) Hinfmars Vorſchlag Ver: 
handlungen über Zujchüffe zum Hofhalt und zur Reichsverwaltung 


1 Unten ©. 91. 

2 Dümmler II, 116. Noorden 359. 

® Hincm., SS. I, 505 unten. Die Eingangsformel: Ludovicus misericor- 
dia Dei et electione populi constitutus, ſcheint auf einen förmlicdhen Wahl— 
akt zu deuten, wird ſich aber auf die früher zu Reims erfolgte Zuftimmung der 
Großen zu feiner Nachfolge beziehen. 

* Moorden 353 und 354 Anm. gegen Dümmiler I, 798. Aimoin Mir, 
8. Benedicti, SS. IX, 374. Reg., SS. I, 591. 


XIV. 6 


82 


geknüpft haben, die namentlich in Folge des unter Karl dem Kahlen 
gewiß ſehr verringerten Bejtandes und Ertrages der Krongüter nothe 
wendig wurden. Dadurch ſtieg aber auc in finanzieller Beziehung 
die Abhängigkeit des Königthums von den Großen, Hinkmar hoffte 
wohl von einer regelmäßigen Bewilligung an den König Minderung 
der jchweren Yajten der Kirche. Dafjelbe Ziel hatten die Viſionen 
des Reimjer Klerifers Bernold, der Karl den Kahlen, weil er Hinf- 
mars Rathſchläge nicht geachtet, in den Qualen des Fegefeuers er— 
blickte!. 

Auch die von den kanouiſchen Geſetzen geforderte freie Biſchofs— 
wahl konnte Hinkmar nicht durchſetzen und bedrohte deshalb Ludwig 
mit dem Urtheil Gottes. Ludwig erkannte wie ſeine Vorgänger und 
unter Einfluß des ſchon jetzt mächtigen Abts Hugo nur das Zuſtim— 
mungsrecht des Erzbiſchofs bei der Wahl von Suffraganen an?. 

Dagegen wurden in Hinkmars Sinne, gewiß auch mit Beifall 
des Abts Hugo, Geſandte an den Franken- und Sachſenkönig Ludwig 
geſchickt, um ſich wegen der Feindſeligkeiten Karls des Kahlen zu ent— 
Tchuldigen und Frieden zu erhalten. Der Beicheid war nicht definitiv, 
aber gewiß nicht ungünftig®. Wir finden Hugo noch im Beginn des 
Jahres 878 am Hof. Die in Noviniacum — vielleicht Noviomacum — 
Noyon —, am 29. Januar ausgeftellte Urkunde zeigt, daß er damals 
mit Bojo in gutem Einvernehmen ftand. Denn diefer fchenfte feinem 
Klofter S. Germain in Aurerre das mehrfach erwähnte aus dem 
Fisfus an ihm gefommene Modolaicus in Tonnerre und Auxerre. 
Hugo als Abt erhielt wahrfcheinlicd den Niekbraud) de8 Guts, das 
einft zur Morgengabe der Gemahlin Konrads, wahrjcheinlich feines 
Bruders, gehört hatte *. 

Hugo mag bei diefer Zufammenfunft den König veranlagt haben, 
zur Herftellung der Ruhe und Ordnung nach Neuftrien zu gehen ®. 
Er war ſchon im April in Tours und taufchte mit, dem VBicegrafen 
Atto und deffen Gemahlin Emma Güter. Hugo erhielt Land zu 
Sanbonne (Weiler in der Gemeinde S. Jean ©. Germain), zu 
Mazere in der Vicarie Doulus (in der Gemeinde Reignac) und zu 
Viis superior in der PVicarie Abilly (Canton de la Haye; beide 
im Arrondijjement Loches). Er gab dafür Atto Land in der lettge= 
nannten Vicarie, der Billa Preuiliy®. Es ift die erfte Urkunde von 
©. Martin, in der, wie fortan häufig, ein Vicegraf erjcheint. Nas 
türlich bedurfte Hugo, der jetzt oft in Reichsangelegenheiten bejchäftigt 


ı Hincm. Opp. II, c. 8 und Flod. hist. Remens. III, 3 und 18. 
Noorden 352. 

2 Moorden 375. Flod. III, 19. 

® Hincm. l.c. c. 8. Ann. Fuld. 877, 

* Böhmer 1830. Bougq. IX, 399. 

5 Hincm., SS. I, 506. 

® Mabille, Pancarte noire CI. Die Urkunde fünnte nad) der unge» 
nauen Datirung auch unter Ludwig III. nad) dem 10. April 879 oder vor dem 
10. April 880 fallen, aber Hugo hatte in der unfichern Zeit nad Ludwigs des 
Stammlers Tode wichtigere Geſchäfte. 


83 
war, ftändiger Vertreter in feinen Graffchaften. Dies ift aber der 
ganze Hiltorische Kern der ſpätern chronitiichen Nachrichten, die den 
Urſprung des angiovinischen Orafenhaufes mit Ludwig dem Stammler 
in Beziehung bringen. In diefer Zeit fennen wir nur Atto als 
Bicegrafen von Tours. 

Vielleicht läßt fi die Einſetzung folder Beamten auf die Ver- 
theilung von Lehen in Neujtrien nach dem Math Roberts des Tapfern 
im Jahr 865 zurüdführen? Die Gewalt der Mächtigeren unter 
den Großen entwidelte ji eben immer mehr zur Obergewalt in 
größern Gebieten, zum Herzogthum. 

Ludwig der Stamunler folgte nad) den 2. April 878 dem Ruf 
feines treuen Abts und Markgrafen Hugo, um ihn gegen die Nor— 
mannen zu unterſtützen und in Neuſtrien geordnete Zuſtände herzu— 
ftellen ®. 

so hatten nämlich die Söhne de8 Grafen Gauszfrid von Maine 
dem Sohn des gejtorbenen Grafen Odo Burg und Yehen feines Va— 
ters entriſſen“. Odo war vermuthlich der Jugendfreund Ludwigs und 
Bruder jeiner erjten Gemahlin Ansgard, dejjen Vater Harduin, in 
Neuftrien mächtig, wahrſcheinlich Graf von Algia (Pays d’Auge) 
war. In dem Lande nördlid) von Maine, wo diefe Yandichaft Liegt, 
oder weſtlich davon werden wir Odos Befigungen zu fuchen haben. 
Vielleicht hatte Odo Chartres erhalten und Odo, einer der Verthei— 
Ser ‚von Shartre8 gegen die Normannen im Jahr 886, war jein 

ohn?, 

a Gauzfrids Unternehmen Hing wahrjcheinlich das Iminos 
ober Emenos, de8 Bruders des Markgrafen Bernhard von Gothien, 
zufammen, der durch feine Mutter Bilehild Gauzfrids Neffe war. 
Derfelbe Hatte ſich Evreux bemächtigt, verwüftete die Gegend ringsum 
und bedrohte fogar den nahen Gau von Rouen ®, 

Schon am 31. Oftober 876 legte Johann VIII. bei Karl dem 
Rahlen für einen gewijfen Emmenus Fürbitte ein. Er billige feinen 
ftrengen Ridhterfprud), da ihn aber Emmenus geduldig ertrage und 
jetst dem Raijer, dem PBapft und vielen Andern nüte, möge der Kaiſer 
feiner früheren Treue und Liebe eingedent Gnade walten lajjen?. 


ı Mabille, Les invasions normandes dans la Loire ©, 34. 

2 Hincm., SS. I, 471. 

3 Vielleicht in diefe Zeit fallen Hinkmars Briefe an den Grafen Theo- 
dorich, den wir uns in Ludwigs Gefolge denken müffen, Flod. III, 26. Hint« 
mar jhidt ihm die Namen der von ihm zum Dienft des Königs Beftimmten 
und Geldgefchente, während der König in dem von den Normannen verheerten 
Gebiet meilt. 

4 Bielleicht die Grafen Gausbert und Gauzlin. Mabille, Pancarte 
XVII, CXX und dronologifches Berzeihniß S. 184 Nr. 119. 

5 Mobert der Zapfere Erfurs VII. Abbo de bellis Parisiacae urbis 
I, 645 ff., SS. II, 790. 

6 Nach der anjprechenden Eonjektur von Pert, Hincm. SS. I, 506 3. 5, 
Rotomicum ftatt des unverftändlichen Eiricum. 

7 Yaffe 2285. Mansi XVL, 11. 


6* 


84 


Außer der perfünlichen Bitte des Emmenus, den ich mit unferm 
Emeno identificire, hatte wohl feine Theilnahme am erjten Römerzug 
Johann zu der wahrjcheinlic erfolgreichen Verwendung veranlaft. 
Seine und Gauszfrids Ansprüche waren vermuthlid) bei Ludwigs 
Thronbejteigung nicht erfüllt worden, und jie benugten die Schwäche 
de8 Königthums zu gewaltthätiger Erweiterung ihrer Macht. Wie 
fein Bruder Beruhard in der Touraine, war wohl auch Emeno hier 
oder in den angrenzenden Gauen begütert!. 

Ludwig der Stammler fonnte zunächit den Empörern nicht ent— 
gegentreten, deun er wurde durd eine lebensgefährliche Krankheit im 
Kloster S. Martin gefejfelt. Erſt als er einigermaßen hergeftelit 
war, vermittelten einige feiner, Käthe, vielleicht auch) Hugo, im In— 
terefje feines alten Kampfgefährten Gauzfrid. Diefer erichien mit 
feinen Söhnen vor dem König und übergab Burg nıud Pehen, die er 
ufurpirt. Ludwig geftand fie ihm dann al8 Lehen zu, ließ aljo im 
Gefühl feiner unfichern Stellung den Sohn feines Freundes und 
Schwagers Odo im Stich. Vermuthlich fällt diefer Ausgleich in die 
Zeit, wo Ludwig nad einer in S. Martin am 31. Mai auf Hugos 
Bitte dem Mönch Widrad zur Gründuug einer Zelle des Heiligen 
Flavianus, Notre Dame de Sare Fontaine in der Diözefe Langres, 
feine völlige Genefung abwartete *. 

Ganzfrid fuchte ji) für die fünigliche Gnade danfbar zu beweifen, 
indem er Ludwigs Macht nach der bretonijchen Seite erweiterte. Karl 
hatte auf dem Reichstag zu Kierjy beſtimmt, daß die Salomo und 
feinem Sohn zugeitandene Königswiürde nad dem Tode der Berech— 
tigten den bretonifchen Herzogen entzogen werden folle. Damals 
Scheint Hugo die vorher und nachher bretonijchen Herzogen gehörige 
Abtei S. Sergius und Bahus in Angers erhalten zu haben ®. 

Nad) dem am Anfang des 11. Jahrhunderts verfaßten Leben 
des heiligen Gildas fünnte man annehmen, daß ſchon vor Paskwithens 
Tod zwifchen dem 12. Juni 876 und 877 Kämpfe zwifchen Franken 
und Bretonen ftattgefunden hätten. Aus Gregor von Tourst er— 
giebt fi) aber, daß der Fall eines fränkischen Führers Beppolen, die 
Flucht eines andern Ebrachar nur gelegentlich der Erklärung des bre= 
tonischen Namens für den Gau von Barnes, Yand des Waroch, er- 
zählt werden und ſich gar nicht auf Alan beziehen?. 

Dagegen kann man die Nachricht acceptiren, daß Paskwithen 
durch Meuchelmord gefallen fei. Noch vor ihm erlag Gurwand von 


2 Mobert der Tapfere S. 79. Emeno mit Noorden S. 354 für einen 
Grafen von Poiton zu halten, ift fein Grund, 

» Böhmer 1834 fälſchlich im Gau von Boulogne; ſ. Bouq. IX, 402. 

® Gall. christ. VIII, 486. Der Netrolog des Klofters giebt auch feinen 
Tobestag. 

* Greg. V, 29. VIII, 31. IX, 13. 18. 28. X, 31. 

‚..’ _Mabillon, A. S. I, 139. Reg. 874, SS. I, 586. De la Borderie, 

Bibl, de l’&cole des ch. V, 5, 399. 


85 


Rennes nach einem Sieg über Paskwithen einer Krankheit, und es 
folgte ihm Judicael der Sohn einer Tochter Erifpoes, alfo wahr- 
ſcheinlich auch ſein Sohn. Diefer fcheint die Bretagne zunächft mit 
Pasfwithens Bruder Alan getheilt zu haben; doc) brachen zwifchen 
ihnen bald neue Kämpfe aus. Zumal Alan bald ſchwer erfranfte, 
war die Gelegenheit günftig, das DVerlorne wenigjtens theilweife wie— 
derzugewinnen. 

Wirklich berichtet Hinfmar, daß Gauzfrid mehrere bretonifche 
Große bewogen habe, König Ludwig zu Huldigen. Bielleiht war 
Alan ſelbſt unter ihnen, um Unterftügung gegen Nebenbuhler und die 
Normannen zu finden. Denn diefer datirt feine Urkunde für Rédon 
vom 12. Juni 878 nad) dem erften NRegierungsjahr Ludwigs des 
Stammlers; an demfelben Tage hatte er fich durch den Biſchof 
Ermengar von Nantes in Mair jalben laffen, jedoch nur als Graf 
von Vannes, wozu demnach wohl mit Zuftimmung des weitfränfifchen 
Königs Nantes gehörte!. An die entlegenen Theile der Bretagne ift 
kaum zu denken, fondern, wenn nicht an Alan, an die Großen der ab— 
getretenen Theile von Maine und Anjou, Cotentin und Aoranches 
oder der gleichfall8 zum Theil von Franken bewohnten Grafichaften 
Rennes und Nantes. 

Bei den verworrenen Verhältniffen, die bald über das wejtfräns 
fische Reich hereingebrochen, iſt e8 natürlich, daß die bretonifchen 
Großen, die Ludwig gehuldigt hatten, bald das loſe Lehnsband wieder 
zerriffen, wie Hinfmar mit den Worten andeutet, fie hätten wie Bre— 
tonen (d.h. treulos) gehandelt. Daher finden ſich feine weitern nad) 
Jahren fränfifcher Könige datirten Urkunden von Rédon. 

Während Pudwig in S. Martin gefährlich krank lag, hielten 
am 29. Mat 878 die missi feiner Vertreter und Sendboten, des 
Pfalzgrafen Ragenar und des Erzbiichofs Adalhard von Tours, Theo— 
dacer und Adalhard in Tours einen Gerichtstag, Sie entjchieden 
den Streit de8 Kapitels der Kathedrale S. Mori mit dem Stift 
S. Martin um einen an die Billa Casellae grenzenden Strich Yandes 
ae Montlouis im Arrondijjement Tours zu Gunften des 

tifts ®, 

Ludwig “übte alfo bei feiner Anwejenheit in der Touraine bie 
königlichen Rechte in Bezug auf da8 Gerichtswejen aus, und Hugo 
befaß noch feine vollfommene Territorialgewalt. 

Einigermaßen hergeftellt gab Ludwig Hugo und deſſen Kloſter 
mehrfache Beweife feiner Gunft. Am 20. Juni fchenkte er ©. 


ı Cart. de Redon CCXXXVI ©. 182. De la Borderie, Bibl. de 
Vécole des ch. V, 5, 404 ff., macht wahrſcheinlich, daß auf diefer mißver— 
fandenen, falſch datirten Urkunde die Nachricht von zwei bretonifchen Ehronifen 
(Boug. IX, 83) beruht, daß Alan 879 nad) Bertreibung der Normannen 
und Unterwerfung aller bretonifchen Großen vom Heer zum Herzog der Bretagne 
ausgerufen ſei. 

%* Mabille, Pancarte OXVIII und Les invasions ©. 49, 


86 


Martin die Villa Merlaus am Indre im pagus Canciacensis 
(Merlaut im Gau von Changy bei Vitry Te Francais) und legte 
die Schenfungsurfunde eigenhändig auf das Grab des Heiligen, deijen 
Reliquien noch in Chablie ruhten. — Am 24. Yuli gewährte er 
den Kanonikern Freiheit von Herberge und Herberggeld, ſowie Immu— 
nität für ihre damal8 um die Kirche S. Martin in Wiederaufbau 
begriffenen Häufer , Der König entfchuldigte fi, daß er feiner Kranf- 
heit wegen felbjt die Geiftlichfeit des Stifts habe in Anſpruch nehmen 
müſſen. 

| Zu dem beabfichtigten Zug gegen die Normannen kam es nicht, 
da Ludwig auf wiederholte dringende Aufforderungen Johanns VIIL 
zum Konzil nach Troyes ging. 

Johann fuchte bei dem Sohn des von ihm eingefetten Kaifers 
Schutz gegen feine Bedränger, namentlich die Guidonen von Spoleto 
und die Sarazenen, und dachte in ihm einen gefügigern Thronkandi— 
daten für Italien und das Kaiſerthum zu finden als in den Söhnen 
Ludwigs de8 Deutichen. Schon von Rom aus forderte er ihn auf, 
fich zur Vertheidigung der heiligen Mutter Kirche zu rüften und die 
ganze weſtfränkiſche Geiftlichkeit zur Synode anzutreiben. Um nicht 
nochmals in die Gewalt Lamberts von Spoleto zu gerathen?, floh 
er ing wejtfränfifche Neid. Am 11. Mai in Arles gelandet, dachte 
er in yon, wohin ihn Herzog Bofo geleitete, ein Konzil zu halten. 

Schwerlich war Ludwig, namentlih unter dem Einfluß des 
Abtes Hugo, fehr geneigt, fich auf fo weit ausfehende Pläne ein— 
zulaffen, während im eigenen Reich die Normannen hauften und 
fich ftetS neue Empörer erhoben?. Wenn auch SYohann die deutfchen 
Könige und Bifchöfe zum Konzil eingeladen Hatte und Herftellung 
freundjchaftliher Verhältniffe unter den Karolingern al8 Zwed feines 
Kommens betonte, waren doch die Söhne Ludwigs des Deutjchen 
nicht gefonnen auf Stalien zu verzichten und den Papſt als Scied- 
richter anzuerfennen. Sie antiworteten nicht einmal. Ludwig der 
Stammler mufte vorausfehen, daß entjchiedenes Kingreifen in die 
italienischen Verhältniſſe fein Einvernehmen mit den Vettern er— 
Schweren werde. Daraus, nicht aus feiner Krankheit erflärt fich 
wohl, daß er lange zögerte, nachdem er vor dem 10. Juni auf 
Wunſch des Papftes Troyes zum Ort des Zufammentreffens beſtimmt 
hatte. Johann forderte daher im Juni oder Juli durd) einen fehr 
fchmeichelhaften Brief den Abt Hugo nochmals auf, mit dem König 
eilig zu fonmen. Er nennt Hugo den wadern ausgezeichneten Abt 
von Föniglichem Gefchlecht, feinen geliebten Sohn; mit ihm und Lud— 
wig werde er die Chriftenheit erhöhen; Hugo möge feine Traurig- 
feit über fein neuliches Ausbleiben in Pavia (im September 877) 
lindern und fi) von aller Gemeinfhaft mit den Erzbifchöfen Johann 


» Böhmer 1835—37. Mabille, Pancarte LI und LII. 
°* Mansi XVII, 75. Dümmiler II, 75 ff. 
® Unten ©. 88 fi. 


87 


von Rouen, Adalhard von Tours und Frotar von Bourges ſowie 
von Formojus fernhalten !. 

Wir fehn, wie zahlreiche Gegner Johann noch unter der weit 
fränfifchen Geiftlichfeit hatte. Obenein verlegte er Hinfmar und Ans 
jegis von Sens, den bisherigen Vikar von Gallien und Germanien, 
indem er Erzbiſchof Rojtagnus von Arles zu diefer Würde beſtimmte, 
offenbar um in dem Metropolitan der Provence wie in deren Statt» 
halter Bojo eine Stüge fir feine Pläne zu gewinnen. Doc, ließ 
er Roſtagnus bald fallen, der ohnehin nicht die erwartete Gefügig— 
feit zeigte. 

Die Verftimmung des Papftes gegen Frotar, der gegen die ka— 
nonischen Regeln das von den Normannen verheerte Bordeaur mit 
dem vornehmſten Erzbisthum Aquitaniens Bourges vertaufcht Hatte 
und bei Eröffnung der Synode in Troyes nicht erjchien, fcheint Bern= 
hard von Gothien zur Förderung eigennügiger Pläne benutzt zu haben. 
Er Hagte Frotar an umd verweigerte ihm den Eintritt in Bourges, 
wo er ſich ſelbſt feftfeßte. Als Johann dies erfuhr, mahnte er Bern- 
hard in einem noch jehr fchonenden Schreiben ab *. 

Nachdem FZohanır lange vergeblich auf den König gewartet hatte, 
eröffnete er die Synode am 11. Auguſt. Erſt zwijchen dem 11. umd 
18. erichien Ludwig mit dem Abt Hugo. Beide unterfchrieben dem 
Dur des Papſtes vom letztern Datum für das Aegidienkloſter 
in Arles ®, 

Am 5. September beftätigte Ludwig auf Hugos Verwendung 
den Kloſter S. Martin alle Befigungen, namentlich die neuerwor= 
been Milci, Merlaut und den Zufluchtsort Nogent en Othe, audj 
alle Freiheiten und Immunitäten in feinem Neich*. 

Auf der Synode wurde über Hugos Schütling Formofus aber» 
mals der Bann geiprochen. Er ftellte fich, vielleicht auf deſſen Rath, 
ſchwor Rom nie wieder zu betreten, noch nad) feinem ehemaliger 
Bisthum Porto zu trachten und wurde als Laie wieder in die Kir— 
chengemeinſchaft aufgenommen. Cr blieb unter dem Schuß der Welfer, 
vielleicht auch des Erzbiſchof Anfegis von Sens, im Wejtfranfenreich 
und ſchenkte verichiedenen Klöſtern aus Italien mitgebrachte Reliquien, 
ſo den welfiſchen Familienklöſtern, am 6. Juli 882 S. Colombe in 
Sens?, deſſen Abt Hugos Vetter Guelfo war, dann dein Kloſter ©. 
Germain. in Aurerre. 

Da Hugo nod im demfelben Jahr feinem Better folgte, For— 
moſus aber erjt nad) dem Tod Johanns VIII. am 15. Dezember 
832 nad Rom zurückkehrte, mag Formoſus noch unter feinem Schuß 


ı Yaffs Nr. 2364 umd 2370. Mansi XVII, 223. Hincm., SS. I, 506, 

2 Yafie 2383 und 2384. Mansi’ XVII, 87. 

® Perg N. 9 zu Hincm., SS. I, 506. Dümmler IT, 85 Anm. 5 gegen 
Yafls ©. 275. Jaffé 2395, 

⁊Jaffé 2397. Bougq. IX, 167. 

5 Chron. $; Petri Vivi Senonensis auetore Clario im 12 Yahr« 
hundert, Boug. IX, 32 ff. Ann. S. Columbae Senonensis, SS. I, 103. 


88 


in ©. Colombe verweilt haben. Johann vermochte Hugo alfo nicht 
zu feinem ergebenen Anhänger zu machen. 

Ludwig erlangte für fein Eingehn auf die Abfichten des Papftes 
von demſelben am 7. September 878 die zweite Krönung, die in ihm 
den Großen gegenüber das finfende wie einjt in Pippin das aufitei= 
gende Königthum der Karolinger mit höherer Weihe umgeben folfte. 
Aber er konnte nicht durchfegen, daß Johann durd Krönung feiner 
Gemahlin Adelheid feine zweite unfanonifche Ehe janktionirte. Diefe 
Weigerung mag zu der anderweit nicht beglaubigten Erzählung Ai— 
moins beigetragen haben, wonach Ludwig eine dem Kloſter Chelles 
entrijfene Nonne geheirathet habe !. 

Auch lehnte Johann ab, die letztwillige Verfügung Karls des 
Kahlen über alle Neiche zu Ludwigs Gunften zu beftätigen, aljo feine 
Ansprüche auf Italien förmlich anzuerkennen, als die Synode eine 
Urkunde, mwonad Karl ihm S. Denis gejhenft habe, als Fälſchung 
einiger Biichöfe und Räthe des Königs, namentlich wohl Bofos, er- 
fannte. Daß Ludwig die von ihm ſelbſt Gauzlin verliehene Abtei 
dem Papſt fchenfen wollte, beweilt, daß der Erzfanzler in Ungnade 
gefallen war. Sein Bruder Gauzfrid und feine Verwandten Emeno 
und Bernhard Hatten fich offen aufgelehnt oder waren verrätherifcher 
Abfichten verdächtig, Hinfmar fchrieb damal8 an Gauzlin, der ihm 
al8 Zögling der Rheimſer Kirche nahe ftand, er folle feinen Neffen 
Bernhard von dem beabfichtigten Aufftand abbringen und wie feinen 
Bruder Ganzfrid mahnen, daß fie ihrer Väter eingedenf nicht untreu 
werden möchten. Gauzlin felbft folle fich nicht durch verwandtichaft- 
liche Zuneigung vom rechten Wege ablenken laffen . Hinfmars Be— 
forgniß war um fo begründeter, als Gauzlin furz vor dein 14. April 
878 mit Bernhard das Klofter Saxiacum (Saiffi les bois in der 
Diözefe Aurerre oder wahrscheinlicher Seffien im Gau von yon) 
befucht hatte. Bernhard wird durch den Aufftand des Grafen Miro 
von KRouffillon und feines Bruders Huncfrid, der aus dem Klofter 
entflohen war, veranlaßt worden fein, nad) feiner Grafſchaft Gothien, 
zunächft nach Narbonne, zu gehen *. 

Er war alfo damals dem König noch treu, aber Gauzfrids und 
Emenos Empörung zog auch) ihn in eine Verbindung gegen Ludwig den 
Stammler, vielleicht weil er auch unter ihm den gehofften Einfluß 
nicht gewonnen hatte. Bernhard wurde von Frotar, der inzwifchen 
die Anerkennung feiner Würde durch) den Papft erlangt haben muß, 
angeklagt, er habe Bourges, eine Graffchaft Boſos, Gegnern des 
Königs überliefern wollen und feinen Baffallen einen hochverrätheri= 
ſchen Eid abgenommen. Bernhard und feine Mitfchuldigen, nament- 


ı Miracula S. Bened., SS. IX, 374. 
® Flod. III. 24. 
® Transl.S. Baudelii, Boug. IX, 111. Die Worte quo ut rex ibat 
erklären ſich aus der Abficht Ludwigs dem Papft entgegenzureifen. 
en Ei — Le royaume d'Aquit. ©. 24 ff. Jafféo 2370. Mansi 
‚86. 


89 


(ih ein Vicegraf Gerhard verftelen nad) dreimaliger Ladung nad 
Schluß der Synode dem Bann. Noch vor ihm wurde in der Schluß— 
fitzung vom 10. September fein Bruder Emeno erfommunicirt, falls 
er fich nicht binnen 30 Tagen dem König unterwerfe. Hugo als der 
mächtigfte Große Neuftriens wird den Urtheilsſpruch vollzogen haben, 
wir hören von Emeno nichts weiter. 

Erzbiichof Adalhard von Tours hatte fich mit Johann zu vers 
fühnen gewußt, denn, der Papſt fchritt zu Gunften der Metropolitan- 
rechte von Tours den bretonifchen Bijchöfen gegenüber ein und ftellte 
feiner Kirche einen Schutbrief aus, wonach namentlic) die Bijchöfe 
von Bourges, Limoges, Boitiers, Angers, le Mans die Ufurpatoren 
der Kirchengüter von Tours durch Erfommunifation zur Rückgabe 
derjelben oder Zahlung der widerrechtlich verweigerten Zehnten und 
Neunten bewegen follten!. Die Synode hatte im Allgemeinen Räuber 
und Verwüſter des Kirchenguts gebannt und bei fortgejetter Verſtockt— 
heit mit dem noch über das Leben hinauswirfenden Kirchenfluch be= 
droht. Dies wird aber fo wenig den weltlichen Großen wie den 
Biihöfen der Bretagne gegenüber ohne Hilfe eines Fräftigen welt 
lichen Armes gefruchtet haben. Der Papſt fuchte, um feine Pläne 
durchzuführen, den König noch enger al8 bisher mit Boſo zu. ver= 
fnüpfen, den er ganz im fein Intereſſe gezogen hatte. Boſo vor 
Allem wird unter den Räthen gewefen fein, auf deren Andringen 
Ludwig den Papſt am 10. September freundfchaftlich befuchte und 
zur fetten Situng der Synode begleitete. 

In diefer that Johann auch Hugo, den Sohn Lothars II. und 
der Waldrada, in den Bann. Diefer hattenämlich im nördlichen Loth— 
ringen, wo fchon der Aufruhr des Prinzen Karlmann günftigen Bo— 
den gefunden hatte, zuchtlofe Abenteurer verfammelt und Haufte 
wahrfcheinlich im Pütticher Sprengel und den Nachbargauen plündernd 
und vermüftend. Man glaubte, er wolle fein väterliches Neich ge— 
winnen. Vergeblich ftellte ihn Hinfmar im Auftrag Ludwigs reiche 
Lehen in Aussicht, wenn er von feinen Freveln ablajje®. 

Das enge Verhältnig zwifchen dem Günſtling des Papftes und 
dem König wurde am 11. September durch einen Beſuch Ludwigs 
bei Bofo befundet. Die Näthe, die ihm begleiteten, werden Hugo, 
Bernhard von Auvergne und der Kämmerer Theodorich geweſen fein ; 
fie mögen damals vor Gott einen Freundfchaftsbund mit Boſo ge— 
Ihloffen haben, an den fie Johann wenige Monate Später mahnte *, 

Bofo und Irmingard nahmen die Gäſte glänzend auf, und 
Ludwig verlobte feinen etwa zmwölfiährigen Sohn Karlmann mit Bofos 
Toter. Dann verfügten die ihm begleitenden Großen über die 
Lehen des geächteten Bernhard. Theodorich erhielt die von mehreren 
Vorfahren bejejfene Grafichaft Autun, Bernhard von Auvergne wahr- 


2 Mansi XVII, 93 und 94. 

2 Mansi XVII, 385 und 350. 
® Flod. III, 19. 23 und 26. 
* Mansi XVII, 101. 


90 


ſcheinlich Gothien, der Reſt wurde an andere vertheilt. So hoffte 
wohl Johann viele angeſehene Große für das Intereſſe Boſos zu 
gewinnen. Er hatte ihn adoptirt, und Boſo, angeblich auf Ludwigs 
Rath, den Auftrag übernommen, die weltlichen Händel in Italien 
auszufechten, während ſich der Papſt den göttlichen Dingen widme !. 
Es ift wahrfcheinlich,, daß Ludwig mit den, was ihm Johann über 
feine Pläne mittheilte, einverftanden war, da er nidt die Kraft in 
ſich fühlte, perfönfich eine unmittelbare Herrichaft in Italien zu ges 
winnen. Mochte Boſo unter feiner Oberhoheit auch unter höherem 
Titel al8 bisher die ihn bereits von Karl dem Kahlen übertragene 
Gewalt ausüben, vielleicht konnte Ludwig unter günftigeren Verhält- 
niffen mit feiner Unterftügung die Kaiferfrone erlangen. Hugo und 
den anderen angefehenen Großen am Hofe mußte e8 angenehm fein, 
wenn Bofo außerhalb des weitfränfifchen Reichs Befriedigung für 
feinen Ehrgeiz fand. Freili waren fie fo wenig wie die meiften 
andern weltlichen und geiftlichen Großen geneigt, Bofos und Johanns 
Pläne in Italien, wie der Papſt forderte, mit dem bewaffneten Auf- 
gebot ihrer Leute zu unterjtügen ?, 

Zunächft bewogen fie, während Bofo den Papft nad Italien 
geleitete, Ludwig zum Frieden mit dem mächtigften der oftfränfischen 
Fürſten, feinen gleichnamigen Better. 

Die Empörung des Baftards Hugo, die auch den oſtfränkiſchen 
Theil von Lothringen bedrohte, und die VBerwüftungen der Normannen 
an der lothringifchen Küfte mußten den Franken» und Sachſenkönig 
zum Frieden geneigt machen. 

Nach verschiedenen VBorverhandlungen trafen die Fürften am 1. 
November zu Fouron, wahrſcheinlich Fouron S. Martin bei Viſé 
in der befgifchen Provinz Lüttich, zufammen?, Ludwig der Stammler 
verzichtete auf Oftlothringen und kam mit feinem Wetter überein, dem 
status quo in den dieſſeits der Alpen gelegenen, d. h. burgundifchen, 
Landen Ludwigs IL. aufrecht zu erhalten. Weide behielter fi ihre 
Anrechte auf Italien vor. 

Ferner fchloffen fie am 2. November ein Schuß- und Trutz⸗ 
bündniß gegen Heiden und falfche Chriften, d. h. Normannen und 
Empörer. Sie verbürgten fich gegenfeitig die Thronfolge ihrer le— 
benden und noch zu erwartenden Söhne und trafen den Beſchlüſſen 
des Frankentags von 851 in dem nahen Meerfen entiprechende Be— 
ftimmungen gegen Friedbrecher und zum Schuß der geiftlichen Güter. 
Zwar Fam e8 nicht zu der beabfichtigten Verfammlung aller Franfen- 
fönige zu Gondrevilfe bet Tonl, aber auch eine Fortdauer freundſchaft⸗ 
licher Verhältnijfe zwifchen dem oft= und weitfränfifchen Ludwig mußte 
für Beider Neich fegensreiche Folgen haben und wurde ohne Zweifel 


ı Haffs 2421 und 2430. Mansi XVII, 97 und 101. Dümmler I, 


3 Mansi XVII, 95. 
3 LL. I, 545. Dümmler II, 95. 


91 


bon dem auch den Söhnen Ludwigs des Deutfchen verwandten, mit 
ihrem Vater einft verbündeten Abt Hugo befördert. ine Folge 
de8 gejchloffenen Friedens wird c8 gewejen fein, daß Biſchof Agilmar 
von Clermont, der allein den Papft und Boſo nad) Italien begleitet 
hatte, vergeblich in Johannes Namen um die veriprochene Heeresmacht 
bat. Daß Boſos Stellung am Hofe eine fchwicrigere wurde, als er 
ohne Erfolg aus Italien zurückkehrte, beweift auch der Brief des Jo— 
hannes an Hugo, Theodorich und Bernhard, fie follten Ludwigs Ge— 
finnung für Boſo unverändert günftig erhalten und ſich jelbjt von 
ihm nicht durch Zuflüfterungen abwenden laſſen!. 

Wir haben nur geringe Spuren von Kämpfen gegen die Nor= 
mannen und Empörer in der mächiten Zeit. Vielleicht bei einem 
jolchen plünderten Vafjallen Hugos, namentlicd ein gewiſſer Conterius, 
die Güter eines Mannes und raubten ihm Pferde. Auf die Klagen 
des Beſchädigten forderte der Papſt Markgraf Hugo zu energifchem 
Einfchreiten auf?, 

In diefe Zeit müßten ferner die von Adelerius berichteten Kämpfe 
mit den Loire Normannen fallen? Dieſe follen unter Ludwig dem 
Stammler raubend und mordend über Orleans bis zum Klofter Fleury 
vorgedrungen fein. Sie verfolgten die Wagenfpuren der mit allem 
Werthvollen nad) ihrem Gut Matriniacum im Gatinois geflüchteten 
Mönde. Inzwifchen kam Hugo mit geringer Mannfchaft aus Bur— 
gund und war zweifelhaft, ob er einen Kampf zur Rettung ber 
Mönde wagen dürfe. Graf Girbold von Auxerre bewog ihn dazu, 
und er richtete unter den Normannen ein großes Gemekel an. Er 
glaubte, daß ihm die Erjcheinung eines Mönchs im Kampf den Weg 
gewiejen habe. Trotz diefer als Eingreifen des heiligen Benedikt ge— 
deuteten Viſion ift der Bericht wohl glaublih. Auf Kämpfe mit den 
Normannen in diefer Zeit deutet auch ein Brief Johanns VIII. an 
die Biichöfe Ludwigs, alfo vor deſſen Tod am 10. April 879: fie 
follten den gegen die Normannen Fallenden für alle Sünden Abfo- 
lution ertheilen. 

Aus. der Erwähnung des Grafen Girbold in Hugos Gefolge, 
aus feiner vom Papſt angerufenen Verwendung, für das Klojter Pou— 
tieres in der Grafihaft Yangres, aus Hugos Fürbitte für den Gründer 
einer Celle in derfelben Diözefe und fiir das Kloſter Moutier Ramey 
in der Grafichaft Troyes und feinem Eingreifen in Nevers läßt ſich 
auf eine gewilje Obergewalt Hugos über diefe Gaue, wahrfcheinlich 
über das ganze wejtfränfiiche Burgund fchliegen, daher erfcheint auch) 
Hugo in der jpäteren Tradition als dux Burgundiaes. 


3 Mansi XVII, 95 und 101, 

2 Jaffé 2429. Mansi XVII, 101. 

® Mir. S. Bened., Mabillon A. S. II, 393. 

Jaffs 2435. 

5 De reversione beati Martini und Gesta consulum Andegavensium; 
ſ. Mabille, Les invasions S. 14. Böhmer 1865 oben S. 84 und N. 2. 


92 


Zwiſchen den Verwandten Bifhof Abbos von Nevers und Ro— 
bert und Roclin waren Streitigkeiten ausgebrochen. Johann VIIL. 
forderte Hugo auf, dafür zu wirfen, daß das gejchehene Uebel Tieber 
durch Fünigliche Gnade als durch Strafe gefühnt werde !. 

Im folgenden Jahr 879 wurde Hugo wieder zu Eriegerifchen 
Thaten berufen. Er fchloß ſich bald nad) Lichtmeß (2. Februar) 
dem Zug Ludwigs des Stammlers gegen Bernhard von Gothien an, 
um diefem die Grafſchaft Autumn zu entreißen. 

Unterwegs wurde Yudwig fchwer Frank und mußte in Troyes 
umfehren. Gr übergab feinen höchſtens 16 Jahre alten Sohn der 
Bormundichaft (bajulatio) Bernhards von Auvergne, der mit dem 
Kämmerer Theodorich, Boſo und Hugo den Feldzug fortjegen ſollte. 

In Compiegne fühlte Yudwig das Nahen des Todes und beauf- 
tragte Biſchof Odo von Beauvais und den Grafen Albuin — vielleicht 
berjelbe, der einjt feinem Bruder Karl unheilbares Siechthum verur- 
faht? — feinem ältejten Sohn Ludwig die Neicheinfignien zu über- 
bringen und die genannten Großen zur Weihe und Krönung befjelben 
aufzufordern. 

Gleich darauf am 10. April, Charfreitag Abends, verfchied Ludwig 
ber Stammler und wurde am folgenden Tage in der Königsgruft 
von ©. Denis beigefegt. Wenn das von Hinfmar ? überlieferte Ge— 
rücht, er fei an Gift geftorben, auf Wahrheit beruht, fo iſt wohl 
Bofo der Schuldige, der fchon feine erjte Gemahlin befeitigt haben 
fol, als fie feinen Plänen Hinderlic; wurde. Ludwig hatte feinen 
Zug nad Italien wenig unterftügt, er fonnte fich entschließen, fein 
Näherrecht auf diefes Land geltend zu machen, oder Boſos Intereſſen 
dem Frieden mit den oftfränfifchen Vettern zu opfern, zumal er eben 
jetst Bernhard größeres Vertrauen al8 Bofo bewiefen hatte. — Freilich 
war ja Yudwig ſchon im Jahr zuvor Tebensgefährlih Frank ge— 
weſen. 

Zunächſt übergaben Odo und Albuin, bei dem in Burgund ſte— 
henden Heer angelangt, die Kroninſignien nicht dem Prinzen Ludwig 
ſelbſt, ſondern dem Kämmerer Theodorich und kehrten eilig um. Da— 
mit blieb die Thronfrage offen, und Hugo, Theodorih, Boſo und 
Bernhard beriefen, nad) Meaux ziehend, die Großen der angrenzenden 
Landfchaften zur Berathung dorthin. Wahrjcheinlih um Boſo dem 
königlichen Haufe treu zu erhalten, vermittelte Hugo zwiſchen ihm 
und Theodorich dahin, daß Boſo die Theodorich beftimmte Grafichaft 


1 Mansi XVII, 99. 

2 Robert der Tapfere ©. 88. Hincm. 864, SS. I, 463. 

s SS. I, 510. Ann. Vedast., SS. II, 197. Gfrörer II, 197. Bet ber 
faft gleichzeitigen Abfaffung ber Ann. Fuldenses, SS. I, 392, "Tann man nicht 
wie Gingins la Sarraz a. a. O. ©. 129 eine erfte Gemahlin Boſos beftreiten. 
Boſos Imtereffe war überdies mehr gefördert, wenn Ludwig der Stammler 
878 feinen mindeftens 12jährigen Sohn Karimann mit einer Tochter aus dieſer 
Ehe, als wenn er ihn mit der früheſtens es 877 geborenen Ingelberga 
verlobt. — Hist. de Languedoc II, ©. 


9% 


Autun, diefer zum Erfag einige Abteien Boſos in jener Gegend er- 
hielt, vielleicht unter andern S. Benignus in Dijon und Charlieu 
in der Grafſchaft Macon !, 

Die geringe Ausfiht auf Erfüllung feiner Hoffnungen in Italien 
mochte Bofo hauptfächlich bewegen, einjtweilen den Karolingern treu 
zu bleiben. Auch mag hauptſächlich aus Rücdficht auf ihn Karlmann 
gemeinschaftlich mit feinem Bruder erhoben fein. Durd ihn als zu= 
fünftigen Schwiegerſohn, fonnte Bojo hoffen, werde fein Einfluß am 
weitfränfischen Hof noch fteigen ?. 

Da er fi jedoch bald der rücdkjichtslofen Verfolgung feiner 
eigenen Intereſſen zuwandte, wurde Hugo die eigentliche Seele der 
königlichen Partei. Seine doppelte Stellung an der Spite der Hof- 
geijtlichfeit, monarchia clericatus in palatio, und feine mächtige 
Stellung unter den weltlihen Großen verjchaffte ihm den erjten 
Platz in der Verwaltung des Reichs nach dem jungen feines Raths 
und feiner Stüte bedürftigen Fürften ?. 


IV. 


Zunädjit erhielt Hugo durch feinen Eifer und feine Treue inmitten 
der fchwerjten Gefahren die gefonderte Eriftenz des weſtfränkiſchen 
Reichs, wenngleich bei vermindertem- Umfang. Die beiden Prinzen, 
feine Neffen, waren noch jehr jung und ihre Legitimität nicht einmal 
zweifellos, da-die erjte Ehe Ludwigs des Stammlers von Karl dem 
Kahlen jpät und widerwillig anerkannt worden war *. 

Noch vor der VBerfammlung von Meaur machte fic, eine ftarfe 
Bewegung zu Gunjten des oftfränfifchen Ludwig geltend. Der Erz« 
fanzler Gauzlin, Abt von S. Germain des Pres, ©. Denis und 
©. Anand, jeit feiner Gefangennahme in der Schlacht bei Andernach 
in freundfchaftlicher Beziehung zu Ludwig, feiner ehrgeizigen Gemahlin 
Liutgard und vielen oftfränfifchen Großen, glaubte jett die beite Ge— 
fegenheit zur Rache an feinen Neidern zu haben, durd) deren Einfluß 
er in den Hintergrumd gedrängt worden war und beinahe S. Denis 
verloren hatte, vor Allem wohl an Boſo und Bernhard von Auvergne. 
Durch Ausfiht auf außerordentliche Macht gewann er aud) Hugos 
Vetter Konrad, Graf von Paris, Verberie und Langres, vielleicht 
auch Sens®, der gleichfall8 nicht mehr den in der leßten Zeit Karls 
des Kahlen geübten Einfluß beſaß. 

Beide beriefen möglichjt viele Biſchöfe, Aebte und mächtige 
Männer nad) Ereil an der Mündung des Therain in die Dife, um 


1 Diümmler II, 116 Anm. 8 gegen la Sarraz 125 und 151 N. 244, 
In den Urkunden für S. Philibert in Tournus wird Bofo nur als ambas- 
ciator, Geilo als Abt genannt; Boug. IX, 670. 

2 Ofrörer I, 202, 

® Ann. 8. Columbae, SS. I, 104: ducatum regni post regem am- 
ministrabat. 

*4 Regino 879, SS. I, 590. 

5 Dümmler U, 117 Anm. 12. Hincm. 879, SS. I, 511, 


94 


nach Ludwigs des Stammlers Tod gemeinfam über Frieden und 
Wohlfahrt des Heiches zu berathen. In Wahrheit brachten fie 
Zwietradht und DVerderben über ihr Vaterland, indent fie die Erſchie— 
nenen durch die Ausficht von dem König von Germanien, wie Hink— 
mar Ludwig als den mächtigften der ojtfränfiichen Brüder nennt, die 
Lehen zu erlangen, nad) denen fie vergeblich gejtrebt, bejtimmten, ihn 
ing Reich zu rufen. Auch abgefehen von der bereitS zweimal hervor- 
getretenen deutjchen Partei, zu der gewiß Bernhard von Gothien, 
vielleicht auch Gauzbert von Maine, Gauzlins Verwandte, gehörten, 
die ſchon 853 Ludwig als Prätendenten in Aquitanien unterjtütt 
hatten ?, mochten manche Beffergefinnte ſich von dem fräftigen Fürjten, 
der damals auch Baiern in Befig nahm, befjere Tage für das Neid) 
verſprechen als unter den unmündigen Söhnen des Stammlers. 
Die deutfche Partei verfprad Ludwig und feiner Gemahlin, alle Bi- 
ichöfe, Aebte und Großen in Met zu ihm zu führen, und 309 unter 
furdtbaren VBerwüftungen und Plünderungen die Aisne hinauf nad 
Verdun. Ludwig gedachte nicht mehr der übernommenen Verpflichtung 
für die Thronfolge der weitfräufifchen Prinzen, fondern vereinigte fich, 
wahrjcheinli Mitte Mat, in Verdun mit feinen Anhängern. Hink— 
mar wirft dem deutſchen Heer Gräuel vor ärger als fie die Nor- 
mannen verübt. Der Chronift- Ludwigs? berichtet, der Lage eines 
ZThronbewerbers entjprechender, die deutjchen Truppen hätten ihre Be— 
dürfniffe bezahlen wollen, die abgeforderten hohen Preiſe aber hätten 
Kirchenraub, Mord, Schändung, Brand und andere unerhörte Frevel 
zur Folge gehabt, jo daß die ganze Stadt beinahe zerjtört worden fei. 
Dies iſt um jo wahrjcheinlicher, da bei der geringen Entwidlung der 
Geldwirthichaft in Deutjchland Zahlungen in Geld den Deutjchen 
ganz ungewohnt waren. 

Die loyale Partei wandte ſich inzwifchen auch an Hinkmar, der 
jo oft fid) al8 Stütze des wejtfränfifchen Königthums bewährt hatte, 
und bat ihn brieflich und durch Boten Rath zn ertheilen. Hinfmar 
that e8 und forderte Biſchof Hildebrand von Soiſſons zur Theil- 
nahme an der Verfammlung von Meaur auf. Auch ſchrieb er aber- 
mals an Gauzlin, warum er fich nicht brieflich oder durch Boten an 
ihn gewandt Habe. Er möge e8 zu Beider Troſt und zur Erhaltung 
ihrer gegenfeitigen Liebe öfter thun ®. 

Gauzlin fcheint Hinfmar mit dem Vorwurf, daß er die Verfü- 
gungen Ludwigs des Stammlers verletst habe, geantwortet zu Haben. 
Da Hinfmar jpäter einen Brief Ludwigs an ihn wegen Erhebung 
beider Söhne erwähnt, hatte derjelbe zu verfchiedenen Zeiten wahr= 
fcheinlich widerfprechende Verfügungen getroffen ?. 

1 Mobert ber Tapfere S.33. Ann.Fuld. Rudolfi 854, SS.I, 369. Er 
mag in Folge deffen Maine verloren haben, denn Nagnold von Maine, ber 
885 fiel, gehört dem Namen nad) zu urtheilen nicht zu feiner Familie, 

» SS. I, 392. 511 und Ann. Fuldenses Cod. Monacensis, SS. II, 
S. 589 N. 2. 

® Flod. III, 26 und 24 ad Gozliuum. 

* Flod. IH, 3 an Ludwig und Karlmann de objectis sibi a Gosleno 


95 

In einem fernern Brief hält Hinkmar Ganzlin alles Gute vor, 
das er ihm verdanfe und beſchwört ihn, zum Heil feiner Seele von 
feinem aufrühreriichen Treiben abzulafjen. 

Dieje Bemühungen waren zwar vergeblich, aber dem oftfränfifchen 
Ludwig hatten die Vorgänge in Verdun nicht geringen Schaden 
gethan. 

Die loyale Partei fcheint außer in Hugos Aıntsbereich Neus 
jtrien namentlih im weftfränfifchen Burgund ſtark geweſen zu fein, 
wo der Kämmerer Theodorich, Hugo, Aedram in Troyes und Ma- 
con, Anjchar wahrſcheinlich als Graf von Duche bei Dijon, mächtig 
waren! Su der Gegend der Reimſer Diözefe gehörte ferner Goiram 
dazu. Goiram und Anschar wurden mit Bischof Walter von Or— 
leans an den oftfränfifchen König gejandt. 

Nur durd) ein Abkommen mit Yudwig fchien e8 Hugo möglich, 
die Selbjtändigfeit des weitfränfifchen Reichs zu erhalten. Er bot 
ihm ganz Weſtlothringen, wenn er das weftfränfiiche Reich räumen 
und die Söhne Yudwigs des Stammlers im Beſitz defjelben anerkennen 
wolle. Yudwig jah die Verheigungen Gauzlins und Konrads nur 
theilweife erfüllt und hielt daher für gerathen einen großen fichern 
Gewinn den Wechjelfällen eines weit ausjehenden Kampfes vorzuziehen. 
Er ergriff Befig von Wejtlothringen und fehrte nah Frankfurt 
zurüd ?. 

Gauzlin und Konrad, mit der ihrer DVerrätherei gebührenden 
Verachtung von Ludwig fortgewiefen, fonnten kaum auf Ausjöhnung 
mit der fönigstreuen Partei rechnen , fie nahmen daher ihre Zuflucht 
zu Liutgard und ftellten ihr vor, wie fehr Ludwig fie getäufcht 
habe. Yiutgard, ehrgeiziger als ihr Gemahl, warf ihm vor, er würde 
das ganze Reich gewonnen haben, wenn jie mit ihm gezogen wäre 
und bewog ihn, Gauzlin und Konrad deutiche Große als Gefandte 
an die oftfränfische Partei und Andere gleichjam als Geifeln mitzu= 
nehmen. Er jelbjt eilte auf das faljche Gerücht vom Tode feines 
Bruders Karlmann nad) Baiern. 

Gauzlin und Konrad fehrten mit der Kunde, Ludwig werde fox 
bald al8 möglich) mit einem großen Heere erjcheinen, unter den ge= 
wöhnlichen Verwüftungen in das Weſtreich zurüd. Abt Hugo und 
die Gleichgefinuten hielten, als fie dies erfuhren, für gerathen, die 
jungen Fürſten durch Salbung und Krönung ein vollfommenes Hecht 
auf die Herrfchaft gewinnen zu laffen. Sie ſchickten Ludwig und 
Karlmann mit einigen Bijchöfen und weltlichen Großen nad) bem 


super Ludowici regis patris eorum assensu (?) et de litteris Lud. regis 
ad eum pro filiorum suorum promotione datis. 
ı Müftenfeld, Forſchungen III, 421. Diümmler, Gesta Berengarii 
S. 22. Hincm. bei Flod. Il, 26, bejchwert fi über Goirams Eingriffe in 
Reimſer Kirhengut. 
Hinem. Ann. Fuld. pars III. Ann. Vedast.; SS. I, 511 und 
392 und LI, 197. 


96 


Klofter Ferrieres, wo fie der Erzbiichof der Diözefe Anfegis von 
Sens zu Königen weihte?. 

Sie verpflichteten fih in herkömmlicher Weife fchriftlich die 
Rechte der Kirche wie der weltlichen Großen zu achten und zu bes 
wahren. Auch Hinkmar ſtimmte trog aller Drohungen der um 
Reims wahrfcheinlich meijt der deutjchen Partei angehörigen Großen 
der von ihm eifrig beförderten Erhebung der beiden Könige zu. Nie— 
mand jcheint einen Vorbehalt zu Gunften des um diefe Zeit am 17. 
September geborenen Poſtumus Ludwigs des Stammlers Karl gemacht 
zu haben, den die jpätere Tradition der Obhut des Abts Hugo an— 
vertraut fein läßt ?. 

Die Lage der jungen Fürſten wurde dadurch noch verfchlimmert, 
daß Boſo ihre jchwierige Lage benußte, in Burgund ein eigenes 
Reich zu begründen. Die eigenthümliche ZTitulatur feiner Urkunde 
vom 25. Yuli 879: Boso id quod sum, weift darauf hin, daß er 
ſchon damals jich unabhängig zu machen gedachte ?, 

Auch verſchiedene Briefe Johanns VIII. geben uns Nachricht von 
feinen Uebergriffen. Nachdem er noch furz zuvor verjichert, er fei 
der geheimen Berabredungen mit Boſo eingedenf, muß fich der Papit 
bald nad) dem 8. Mai 879 befchweren, daß Boſo ein dem Klofter 
©. Peter in Poutieres verliehenes Gut Vendeuvre in der Diözefe 
Langres feinem Vaſallen Arembert al8 Lehn gegeben und die Mönche 
jo beunruhigt habe, daß fie ihr Yand nicht bebauen fonnten. Wahr: 
icheinlih machte er die Eigenjchaft der einſt dem Papſt geſchenkten 
Billa als Krongut geltend. Auch jandte der Papft dem Abt Hugo 
die Urkunde, die das Klofter unmittelbar dem heiligen Stuhl unter— 
ordnete, und wandte ſich an Erzbifchof Anjegis und den Grafen Kon— 
rad, offenbar den von Langres, von deſſen Empörung er nichts wußte *. 

Als dies fruchtlos blieb und auf die Mitteilung Hugos und 
Rudolfs, wahrſcheinlich Hugos Neffen in dem nahen Yuraland, daß 
Boſo Aremberts Angriffe veranlaßt habe, fchrieb Johann ihnen , daß 
er Vendeuvre weder Boſo noch Jemand anders als Lehn gegeben 
habe noch geben werde, und daß er dem Biſchof Iſaak von Langres 
geboten habe, Arembert zu erfommuniziven, wenn er fi) das Gut 
noch ferner anmaße. 

Wir erfennen aus dem gegen Hugo erwähnten Brief Johanns 
an feinen geliebten Sohn den ruhmreichen Fürften Bofo, wie fchwer 
es ihn wurde Boſo ganz fallen zu laſſen. Er mahnte denſelben 
an feine Liebe zu ihm und den verjprochenen Schuß aller päpftlichen 


ı Abweichend läßt der fpäte Alberich von Trois Fontaines im 13. Jahr- 
‚hundert Ludwig und deſſen Gemahlin (fonft ganz unbefannt) nur durd) Hugo 
und einige Biſchöfe frönen (Boug. IX, 57). 

Chron. Turonense aus dem Beginn des 13. Jahrhunderte, Bouq. 
IX, 46; nit unwahrfcheinlidh, wenn gleich wohl aus jpäterer legitimiftifcher An- 
ſchauung hervorgegangen. 

s Gingins la Sarraz ©. 155. 

Jaffé 2471. 2502 und 25022, Mansi XVII, 21 und 157. 


97 


Rechte und Beſitzungen und bittet ihm nochmals ohne beffern Erfolg 
Poutieres in feinem Beſitz zu fchügen!. Auch Hinfinar bemühte 
fi) vergeblih ihn und Irmengard von Eingriffen in die Rechte an— 
derer Biſchöfe abzuhalten, während Bojo, wohl um e8 mit dem mäch— 
tigen Kirchenfürften nicht ganz zu verderbeu?, die Reimſer Kirchen- 
güter in der Provence jchütte, 

Mit diefem Raub, mit Abteien und Krongütern gewann Bofo 
Anhang in dem burgundifchen Landen und wurde von 23 Erzbiichöfen 
und Biſchöfen und vielen weltlichen Großen am 15. Oktober zu Maus 
taille ſüdlich von VBienne zum König von Burgund gewählt. Aus 
dem urfprünglic) wejtfränfijchen Theil befleidete Adalgar von Autun 
eine Zeit laug das Amt feines Kanzlers, und die Bischöfe von Macon 
und Chalons an der Saone betheiligten ſich an feiner Wahl?, 

Selbjt an die Gewinnung Staliens, deſſen Eingangsthor Sufa 
in feinem Beſitz war, fcheint Boſo noch gedacht zu haben t. 

Aber feine Hoffnung auf fernere Unterjtügung durd) den Papſt 
täufchte ihn. Johanu war durd) die Nichtadhtung päpftlicher Nechte 
in Burgund gefränft und konnte von einem mit allen Karolingern 
verfeindeten Fürſten feinen genügenden Schu erwarten. Immer 
mehr wandte er ſich daher dem ſchwäbiſchen Karl zu. Auch die durd) 
einen Biſchof überbrachte Mitteilung vom Regierungsantritt Ludwigs 
und Karlnanns beantwortete er mit einem Glückwunſch und der 
Verficherung, ihnen wie ihrem Vater und Großvater Schuß gewähren 
zu wollen. Zugleich jchried er an Hugo, Bernhard von Auvergne 
und Guido. Letzterer wird wie fein Bruder Ansfar von Duce im 
weitfränfiihen Burgund an der obern Seine zu Haufe gewejen fein; 
vielleicht war er Graf des benachbarten pagus Portisiorum, wo das 
von ihm begünftigte Kloſter Savernay lag? Johann lobt fie und 
die andern ruhmreichen Grafen ihrer Partei für ihre Treue in Schuß 
und Bertheidigung der jungen Fürſten und mahnt fie, ihrer Vorfahren 
eingedene auch ferner dabei zu bleiben. Auch forderte Yohann den 
Erzbiihof Otram von Vienne befonders wegen feines Antheil® an 
Bojos Erhebung vergeblich) zur WVerantwortung nad) Rom. 

Auch Karl von Schwaben, durch die Huldigung des Biſchofs 
von Yaufanne von Boſo im Befit feines Antheil® an Burgund bes 
droht, näherte fich den jungen Fürften und kam mit ihnen im October 
in Orbe ſüdlich vom Neufchateler See zufammen Vielleicht mit 
Rückſicht auf dieſe Verhandlungen fandte Hinfmar dem Grafen Theo= 
doric) die bei einer Zufammenkunft der Könige Karl, Ludwig und 


Jaffé 2503 und 2504. 
Flod. III, 26 und 27. 
LL. I, 547. Bouq. IX, 670 vom 2. Dezember 879. 

* Boug. IX, 672. Dümmler II, 126 ff. Der Bruder des Anfamund 
von Sufa, Biſchof von Eremona, war gleichfalls fein Anhänger. Gingins Ia 
Sarraz ©. 194 ff. 

5 Dümmiler II, 150 und Gesta Berengarii S. 23 gegen Wüftenfeld, 
Forſchungen III, 429 und IX, 414, Mansi XVII, 213. 


ZIV. 7 


on» 9 


98 


Lothar, wahrfcheinlich auf dem Frieden zu Koblenz 860 befchlofjenen 
Gapitularien !, | 

Auf der Rückkehr in den Norden ihres Reichs erfuhren Ludwig 
und Karlınann von einem neuen Naubzug der Poire-Normannen. Biel 
leicht zerjtörten fie damald bei ihrem Witt über Yand das erft von 
Karl dem Kahlen gegründete Klofter S. Pierre de Parcé, das fi 
nie wieder aus feinen Trümmern erhob. Die Touraine durchziehend, 
marjchirten die jungen Könige wohl auf der alten Römerftraße: ihr 
Zufammentreffen mit den Normannen an der Vienne würde dann bei 
dem Uebergangspunft Port de Piles jtattgefunden haben. 

Das fränfiihe Heer bradjte den Normannen am Andreastage, 
dem 30. November 879, große Berlufte bei; eine noch größere Zahl 
fam in den Fluten der Vienne um ?, An diefem Erfolg hatte Hugo 
gewiß den größten Antheil. Daß er nicht weiter verfolgt wurde, lag 
wohl in den Verwüſtungen der Normannen im Norden des Reiche, 

Dümmler hat darauf hingewiefen, daß kurz zuvor König Alfred 
von England von den Normannen in dem äußerten Weſten feines 
Reichs, in die unzugänglichen Sümpfe von Somerfet zurücfgedrängt war, 
aber im Mai 878 begann der erfolgreiche Widerjtand der Angels 
fachjen?. Um fo mehr Grund hatten die Normannen, während vers 
fchiedene Empörungen und Krankheit Yudwig den Stammler fejjelten, 
die flandrifchen Küften wieder heimzufuchen. Am 28. Yuli brammten 
fie das Kloſter S. Omer nieder, dejjen Befeftigung durd Abt Fulko 
(jeit dein 9. Februar) 878 nicht vollendet werden konnte, und ftörten 
von nun an durch Naubzüge bis in die Gegend von Reims viele 
Sahre lang fajt ununterbrochen alle Sicherheit des Verkehrs außer— 
halb der befeitigten Pläte *. 

Mac) dem Tode des Grafen Balduin Eifenarm von Flandern Anfang 
879 und während der Wirren nad) Ludwigs des Stammlers Hintritt 
wurde das Uebel befonders arg. Die Normanıen famen in zahlreichen 
Schiffen von England herüber und zerjtörten Mitte Juli 879 widers 
ſtandslos Terouenne, verwüjteten dann den pagus Mempiscus (das 
alte Menapierland) und Brabant. Hier trat ihnen Yothars II. Cohn 
Hugo entgegen, dem ich im ſolcher Noth auch der friegeriiche Abt 
von S. Baaft, Adalhards Sohn, wahricheinlic; Rudolf, angeſchloſſen 
hatte. Der Abt wurde gefangen, Hugo mußte nad) Verluft der 
meiften Gefährten mit Schimpf und Schande fliehen ?, 


1 Hinem. 879, SS. I, 512 und Flod. III, 26. 

2 Hincm. und das mir unzugängliche chron. Maxentii nad; Mabille, 
Les invasions S. 23. 

s Dümmler II, 130. Pauli, König Alfred S. 136 und 142. 

* Ann. Blandin., SS. V, 24 und Flod. IV, 1. Fullo an Papft Ste- 
phan V. Cartularium Sithiense ©. 126. 

5 Transl. S. Vedasti, Mab. A. S. V, 571. Ann. Ved. 891, SS. II, 
197 und 205a. Lebeuf, Notice raisonnde des annales vedastines, Me- 
moire de l’acad&mie desinscriptions Serie I, T. 24, Paris 1756, bält ihn 
für einen Sohn des jüngern Wdalhard vom Moſelgau. Rudolf jeit 883 


99 


Dann fchlugen die Normannen in dem für die Fahrten ihrer 
Boote nad) allen Seiten trefflich gelegenen Gent Winterquartiere auf 
und verheerten alles Yaud bis Tournay und S. Vaaſt. Ya Hinkmar 
klagt Ende 879 oder Januar 880 Hetilo von Noyon, daß die Nor— 
mannen die ganze Umgegend ausgeplündert und dann von Reims 
eine unerjchwingliche Loskaufſumme gefordert hätten !. 

Zu den immer kühneren Streifzügen der Wikinger gefellte fich 
im Januar S8O für das unglücliche weſtfränkiſche Reich ein aber= 
maliger Angriff des oftfränfiichen Yudwig. 

Diefer vereinigte ji) mit Konrad und Gauzlin in Douzy bei 
Sedan und beichied Hinfmar mit feinen Suffraganen nad Attigny. 
Diefer wagte feine offene Weigerung, ſondern entfchuldigte ſich mit 
Krankheit, warnte aber Yudwig vor unüberlegten Nathgebern und 
Ujurpation des Reichs und theilte ihm im Betreff der Erhebung 
Ludwigs des Stammlers und in Bezug auf feine Gattinnen den 
wahren Sachverhalt mit. Das Haupt der wejtfränfifchen Geiftlich- 
feit dachte, obwohl eben erjt in Streitigfeiten mit dem Hof verwicelt, 
den jungen Herrihern aud) diesmal die Treue zu wahren, und bat 
Abt Hugo um Rath, was er thun jolle, wenn der ojtfränfiiche König 
von ihm die Krönung begehre. Er theilte ihm und den Biſchöfen 
Arnold von Toul und Hetilo die Ludwig gegebene Antwort mit ?, 
Hetilo forderte er auf, den Königen zu Hülfe zu fommen und mit 
den Großen zu verhandeln, damit etwas Erſprießliches gegen die 
Normannen gejchehen könne. Denn viele Klöfter der Diözeſe Hetilos 
Noyon-Tournay waren niedergebrannt, für den Reſt ein gleiches 
Schickſal zu fürdten. 

Wirklich ſammelte Abt Hugo ein anfehnliches Heer und nahın 
mit den föniglichen Jünglingen Stellung bei S. Quentin an der 
obern Somme, zugleich geeignet zur Dedung des Sommegebiets gegen 
die Normannen und zur DBertheidigung gegen Yudwigs Heer *. 

Dieſer rückte zwar mit jeinem Anhang über Ecly am Vauxbach, 
der in die Aisne fließt, nach Ribemont an der Dife entgegen, ſah fi) 
aber faft überall als Feind betrachtet. Weberdies bedrohten die Nor— 
mannen und die troß der Einnahme einer feiner Burgen bei Verdun 
noch immer anfehnliche Partei des lothringiihen Hugo fein eich, 
jo daß er definitiv auf feine chrgeizigen Pläne Verzicht leistete und 
ih mit MWeftlothringen begnügte, in deſſen Beſitz ihn Yudwig III. 
und Karlmann wiederholt anerfannten. Nach Negino traten fie über- 
die die reiche Abtei S. Vaaft ab, eine Bedingung, die bei den ver= 
worrenen Zuftänden jener Gegend, die fid) der Normannen nicht zu 


Abt von S. Omer wird jpäter aud) als Abt von S. Vaaſt genannt. Cart. 
Sithiense ©, 127. 

* Flod. III, 26. Im feiner Ehronif berichtet er merkwürdiger Weife erft 
882 eine Heimfuhung von Reims und Umgegend durch die Normannen, 

2 Flod. III, 20, 

8 Unten S. 103 ff. Flod. III, 23. 25 und 27. 

* Ann. Vedast. SS. II, 198. Dümmiler II, 132. 


7* 


100 


erwehren vermochte, gar nicht zum Vollzug gelangt fein mag!. Bei 
der perjönlichen Zufammenfunft der Könige in Ribemont im Februar 
mögen unter Hugos Vermittlung die zu Fouron getroffenen Verabre= 
dungen zu gegenjeitigem Schuß erneuert fein. 

Liutgard forgte dafür, daß den Anhängern ihres Gemahls volle 
Amnejtie gewährt wurde. Hugo wird darauf um jo eher eingegangen 
fein, da Graf Konrad fein früher freilich vor ihn felbjt bevorzugter 
Better war. Er gewann mit den alten Würden und Yehen nicht den 
vollen frühern Einfluß wieder. Nah) dem Tode feines Bruders 
Welfo am 19. November 882 erhielt er noch deſſen Abtei Colombe 
in Sens, jtarb aber nocd in demfelben Jahr, ſchwerlich wie der 
Chronijt dieſes Familienkloſters jagt, unter großem Kummer und 
Seufzen des Reihe. Da er feine Kinder hinterließ, wurden Guilo, 
vielleicht Guido der Bruder Anskars, und Graf Guarin, der einem 
Geſchlecht des weitfränfiichen Burgund angehört haben wird, feine 
Erben? Don jeinen Lehen erhielt Hugo die Abtei S. Colombe, in 
Paris wird Odo der Sohn Roberts des Tapfern Konrad unmittelbar 
gefolgt fein, an dejjen Einfegung Hugo Antheil gehabt haben mag. 

Gauzlin ſuchte durch kriegeriſche Verdienſte feine verrätherifchen 
Verbindungen in Vergeſſenheit zu bringen, doch wiſſen wir nicht, ob 
er ſchon damals die Erzkanzlerwürde wieder erhielt, ſeine Abtei S. 
Germain des Prés erhielt 881 fein Neffe Ebolus*; denn die Regie— 
rung Yudwigs III. blieb jo ftürmifch, daß uns aus den drei Jahren 
feine Urkunde erhalten ift. Zwar hatte die Amneſtie bejfern Erfolg 
als die 860 Karl dem Kahlen abgedrungene : außer durd) Bofo wurde 
das wejtfränfische Reich in den nächiten Jahren nicht durch Empörer 
erjchüttert, aber doch gab es ſtets Anlaß zu Kämpfen. 

Zunächſt war eine Frucht des Friedens von Ribemont die Mit— 
wirkung des Abts Hugo an den Kämpfen des oftfränfiichen Pudwig 

egen die Schelde-Normannen. Bei Thuin an der Sambre, einem 
—* des Kloſters Lobbes im Hennegau, ſchlugen Beide ein ſtarkes 
Heer unter König Gotfrid auf der Rückkehr von einem Beutezug. 
An 5000 ſollen gefallen ſein, die übrigen flohen in das Caſtell. 
Bei eintretender Dunkelheit wurde der Kampf abgebrochen, weil Lud— 
wigs natürlicher Sohn Hugo verwundet in feindliche Hände gerieth. 
Am folgenden Morgen waren die Normannen nach Verbrennung der 
Gefallenen zu ihrer Flotte entflohen. Ludwig fand ſtatt des lebenden 
Sohnes, den er auszulöfen gedachte, nur feine Leiche“. 

Bon Thuin wird Hugo nad) Amiens zurücgefehrt fein, wo auf 
einem Reichstag im März 880 Ludwig und Karlmann, die bisher 
unter Leitung ihrer Nathgeber, namentlid) Hugos, gemeinfam geherricht 


ı SS. I, 512. Dümmler II, 133, 

3 Necrol. Autissiodorense. Ann. S. Columbae, SS.I, 103. Dümmler 
II, 133 Aum. 58, 

® Ann. Vedast., SS. II, 200. Ann. S. Germani, SS. III, 78. 

* Reg. Ann. Fuld. und Ved. Folcuini Gesta abb. Lobiensium; SS. 
I, 531, 393. II, 198. IV, 61. 


101 


hatten, die weitfränfifchen Lande teilten. Die zahlreichen drohenden 
Gefahren mochten das perjünliche Eingreifen eines Königs an ver- 
ichiedenen Stellen wünfchenswerth erfcheinen laſſen. Die Theilung 
entſprach dem altgermanifchen Gebrauch und gewiß auch dem Wunſch 
der fo verjchiedenartigen Bevölferungselemente im germanischen Norden 
und romaniſchen Süden. Auch konnten mehr Große als bisher auf 
maßgebenden Einfluß an einem der Höfe hoffen. Ludwig, der ältere, 
erhielt Franzien und Neuftrien mit den dazu gehörigen Marfen, d. 5. 
wohl der neujtriichen Mark Hugos und Maine, der Grenzgrafichaft 
gegen die Bretonen, Karlınann fielen zu Burgund und Aquitanien 
mit den unter dem Begriff Gothien zufammengefaßten Landſchaften Septie 
manien und der ſpaniſchen Mark!. Die Großen jedes Gebiets huldigten 
ihrem Theilfönig. Hugo gehörte durch feinen Befit beiden Reichen 
an; feinem fortdauernden Einfluß auch auf Karlmann wird es zu 
danfen fein, daß die jungen Fürften aucd in den nächſten Jahren 
einträchtig zufammen wirkten ?, 

Ludwig wird als wohlunterrichtet gerühmt; der Sinn für die 
Wiffenihaft war im Haufe Karls des Kahlen nicht erlofchen. Bei 
feiner Tapferkeit und Nührigkeit und der Erfahrung des Abts Hugo 
fonnte ſich das vielgeplagte Yand, zumal. bei Fortdauer freundicafte 
licher Berhältniffe mit den übrigen Karolingern, beſſere Tage ver- 
fprechen ®. 

Leider begannen jedoch, ehe noch die oftfränkifche Partei ſich 
unterworfen hatte, innere Streitigkeiten anderer Art. Nah dem 
Zode Raginelms von Noyon Ende 879 hatte fic die dortige Gemeinde 
herkömmlicher Weife wegen Einleitung der Neuwahlen an den Mes 
tropolitan — gewandt, dieſer übertrug die Verwaltung (visita- 
tio) dem Nachbarbiſchof Adalbern von Bonlogne*. Gleichzeitig bat 
er die damals noch gemeinfam regierenden Könige Noyon Wahlfreis 
heit zu gewähren und fchiefte die Gefandten der dortigen Geiftlichkeit 
in Begleitung des Bifchofs Berno von Chalons fur Marne an den 
Hof, um feinen Brief vorzulefen und auf die Könige und ihre Hofe 
leute zu wirken. Unter der Regierung von Jünglingen, die weſentlich 
feiner Unterftügung mit die Krone danften, dachte er die volle Frei- 
heit der Biſchofswahl zumächit in dem vorliegenden Wall durchzuſetzen. 
Aber den früher oft geübten perjönlichen Einfluß befaß Hinkmar nicht 
mehr, weil ihn Krankheit und Beſorgniß vor den Normannen jeit 


! Ann. Floriac., SS. II, 254. Ann. Lemovic., SS. II, 329 und Ann. 
Vedast., SS. II, 198. Hincm., SS. I, 512. 

2 Moordens Tadel S. 372, die Theilung habe Karlmann aufer Staub 
gefetst, Boſo erfolgreich zur befämpfen, wird dadurch entfräftet, daß auch bei 
gemeinjamer Herrſchaft nicht alle Kräfte des Reichs gegen ihn hätten verwanbt 
werben können. 

8° Angilbert von Eorbie in den Widmungsverſen des Ludwig überfandten 
Buchs von Auguftiin De doctrina christiana (Mabillon, Vetera Analecta 

65 


" & “Ann. Ved., SS. IL, 197. Flod. II, 28. 


102 


Jahren meift vom Hofe fern hielten, und er täufchte fich fehr in 
Hugo, wenn er ihn bat feinen Einfluß bei den jungen Königen im 
Sinn der angeblichen Gewohnheit ihrer Vorfahren bei Einfeßung von 
Biſchöfen zu verwenden. Hatte doc) Hugo felbft im Auftrag des 
weltlichen Herrfchers Yothar II. ein Erzbistum verwaltet und war 
feiner ganzen Xebensrichtung nach mehr deu Intereſſen des Staats 
als der Kirche zugewandt. Hatten ſelbſt die Firchlich gefinnten Karo— 
linger das Ernemmmgsrecht ftet8 ausgeübt, fo beruhte jest bei der 
fteigenden Macht der weltlichen Großen die Bedeutung des König— 
thums großentheil® auf der Verfügung über die Kirchen und ihre 
Güter. Obenein hatte Hinkmar ſelbſt die fanonifchen Regeln keines— 
wegs immer ftreng befolgt, wie das Beiſpiel feines eben geftorbenen 
Neffen Hinfmar von Yaon bewies, für den er im demfelben Brief 
Hugo und defjen Vertrante und Untergebene zu beten aufforderte. Co 
waren denn feine Bemühungen vergeblich, die Könige fchlugen Hinf- 
mars Verlangen ab. 

Da fchrieb er unmmthige Briefe an den Kämmerer Theodoric) 
und Hugo. Den Erftern mahnt er, da ihm Yudwig der Stammler 
die Sorge für feine Söhne übertragen habe, wachſam zu fein. Es 
jet nicht bloß eine große Anmaßung, jondern auch eine große Gefahr, 
daß einer allein ohne Rath und Zuftimmung der übrigen Großen 
die Ordnung des Meichs übernehme. Offenbar fuchte Hinkmar Theo= 
dorich zu bewegen, daß er feinen Einfluß bei den Königen gegen den 
Alles geltenden Hugo verwende. Yhn bat er aud) jpäter, einem Bi— 
fchof Zutritt beim König und Erfüllung feiner berechtigten Forderungen 
zu verichaffen !. 

Hinkmar ließ nach den beftehenden Vorſchriften unter Adalberns 
Leitung Geijtlichfeit und Gemeinde von Noyon Hetilo wählen. Adal— 
bern follte, wenn er zu dem Könige bejchieden werde, mit ihm ges 
meinfam überlegen, was weiter zu thun fei?. 

Diefer offene Widerftand wurde am Hofe fehr übel aufgenom— 
men, und Hinfmar fuchte fein eigenmächtiges Verfahren vor den Kö— 
nigen und Hugo zu rechtfertigen. Auf den ihm durch einen Klerifer 
Warin überbrachten königlichen Brief erwiederte er fchon im Jahr 
880, er fei nicht anders verfahren als während feiner bisherigen 
3djährigen Amtsthätigfeit. Die Bifchöfe müßten nicht aus der Pfalz, 
fondern aus der betreffenden Gemeinde gewählt werden, dem Könige 
ftehe nach der Entfcheidung des Metropolitans über die Gültigkeit der 
von Volk und Geijtlichfeit vorgenommenen Wahl nur das Zuftims 
mungsrecht zu; nach erfolgter Zujtimmung fei dann die Weihe zu 
vollziehen. Er habe die Wahl nicht auf eine bejtimmte Perfönlichkeit 
lenfen, fondern nur die Befolgung der firchlichen Regeln fichern 
wollen. — Hinfmar ſcheint aber in feinem Eifer für die Wahrung der 


ı Flod. III, 26. Gingins Ya Sarraz ©, 165 beutet Hinfmars Klage 
über die Macht eines Mannes offenbar auf Theodorich felbft. 
2 Flod. III, 23. 


103 


firchlichen Intereſſen nicht genau genug geprüft zu haben; er wirft 
jpäter dem Priejter Sigebert vor, ihn zur Weihe eines Mannes ver» 
anlaßt zu haben, der nicht einmal den einem Yaien anitchenden 
Wandel führen folle, und befchied ihn zu fich, um über die Befferung 
Hetilos zu berathen, oder fall die Gerüchte unwahr feien, fie als 
Lüge zu erweifen. 

Vorwürfen gegenüber wegen Geftattung der zweiten Ehe ihres 
Vaters erinnert Hinkmar die Könige an feine Verdienfte um ihre 
Erhebung. Er weift fie auf den Unterfchied des königlichen und bie 
ihöflichen Amts hin, deffen Aufgabe e8 fet, die Fähigkeit und Tüch— 
tigkeit zur Biſchofswürde zu beurtheilen !. Nach Heiligen Autoritäten 
fündigten fie ſchwer, wenn fie die Weihe des neuen Biſchofs lange 
verzögerten. — Aud) Berno von Chalons mußte die Könige und Hugo 
— drängen, damit die Kirche von Noyon nicht Schaden 
eide. 

Die Könige gaben in ihrer bedrängten Lage nach, zumal ihnen 
damals ein Angriff von Deutſchland her drohte?. 

Nach dem Frieden von Ribemont beſtand wieder Freundſchaft 
unter allen Frankenkönigen, und man kämpfte gemeinſam gegen die 
gemeinſamen Feinde. Hugo wird mit Ludwig III. und Karlmann 
in Compiegne (3. April 880) Oſtern gefeiert und ſie dann Mitte 
Juni über Reims und Chalons, zur Berathung gemeinſamer Maß— 
regeln gegen Hugo und Boſo mit dem oſtfränkiſchen Ludwig und Karl 
von Schwaben, nad) Gondreville begleitet haben?. Ludwig der Jün— 
gere ſchickte zu der in Ribemont verabredeten Zuſammenkunft nur 
Geſandte, Karl erſchien, aus dem eben erworbenen Königreich Italien 
zurückgekehrt, perſönlich. Er mag damals für Anerkennung ſeiner 
neuen Herrſchaft die Rückgabe Weſtlothringens verſprochen haben, 
wenn er die Erbſchaft ſeines kinderloſen Bruders antrete. Vielleicht 
ſteht mit dieſer Zuſammenkunft ein Brief Hinkmars an den Abt 
Hugo in Zuſammenhang. Er überſendet Hugo einen im Intereſſe der 
jungen Fürſten an König Karl (alſo vor der Kaiſerkrönung Februar 
881) gerichteten Brief und bittet ihn ſelbſt, ſeinen Einfluß dafür auf— 
zuwenden, daß der gleichfalls kinderloſe Karl einen der königlichen 
Jünglinge adoptire und durch einen gutgeſinnten tüchtigen Vormund 
(bajulus) erziehen laſſe, um ihm ſein ganzes Reich oder einen Theil 
deſſelben zu vererben. Ferner ſolle Hugo von Karl insgeheim er— 
wirken, daß er die Sache der Knaben und des Reichs ganz auf ſich 
nehme und ſelbſt ordne was des königlichen Amts ſei‘. Hugo möge 


1 Flod. III, 24 und 25. 

®2 Gall. christ. IX, 989. 

® Hincm. befjer unterrichtet als Ann. Fuld.; SS. I, 513 und 394. 

* Hincm. 882. Flod. III, 24 gegen Ende müßte wegen der Ordnung 
zwifchen den Briefen in der Noyoner Angelegenheit und in Betreff des oftfränfischen 
Einfalls in den Januar 880 fallen, wo Hinfmar Hoffen konnte an Karl eine 
Stüge feiner Landesherren gegen Ludwig zu gewinnen, Dümmler II, 201 ff. 
Böhmer 1106. 


104 


feinen Brief, wenn er den Inhalt für nützlich und verftändig Halte, 
mit feinem weifen Rath und Elugen Eifer unterjtüten, wenn er etwas 
anders finde, als es fein müſſe, ändern oder das Nöthige Hinzufügen, 
was er zu erlangen fuche!, 

Dem im Januar 880 ausgefprochenen Wunſch mag Hugo jetzt 
in gewijfem Sinne nachgefommen fein, indem er die Adoption eines 
der Fürften vorbereitete und das Versprechen der Rückgabe Wejtlothrin- 
gend erwirkte. Bei noch engerem Anfchluß an den König von 
Schwaben und Stalien mußte Hugo jedoch eine Gefährdung feines 
Einfluffes und der Selbitändigkeit des weſtfränkiſchen Reichs fürchten, 
ohne von ihm nachdrückliche Unterftügung gegen die Normannen Hoffen 
zu können. Diefe war cher von dem ojtfränfifchen Yudwig zu er= 
warten, der abermals ein Heer unter feinem Feldhauptmann Heinrich 
aus dem babenbergifchen Gejchleht und Adalhard vom Mofelgau 
zur Unterftüßung feines Bruders und feiner Neffen geichickt Hatte. 

Mit ihnen follten Ludwig und Karlmann auf dem Rückweg 
nad Attigny den Tothringischen Hugo angreifen, der alſo wahrſchein— 
lic in den Argonnen fein Wefen trieb. Er felbjt fcheint ſich vor der 
feindlichen Uebermacht zurückgezogen zu haben, dagegen zeriprengten 
die ojtfränfifchen Schaaren den Kern feiner Macht unter Hugos 
Schwager Thietbald, dem Führer feines Heeres (princeps militiae). 
Chrgeiz und Nachfucht hatten den Sohn des Abts Hukbert, den 
Neffen der unglücklichen Ihietberga, bewogen, die Tochter der Tod» 
feindin feines Gefchlechts, Waldrada, zu heirathen. Wahrjcheinlich floh 
der todt geglaubte fchon damals zu feinem Vetter Boſo in die Pro— 
vence. Sein Sohn Hugo follte in Stalien dem Großneffen des 
Abts Hugo in langjähriger Nivalität entgegentreten und jo den 
Kampf feines Großvaters gegen die Welfen erneuern. Der lothrin- 
giihe Hugo hielt im folgenden Frühjahr 881 für gerathen, gegen 
mehrere Grafichaften und Abteien fich dem oſtfränkiſchen Ludwig zu 
unterwerfen ?, 

Nach dem Sieg über Thietbald brachen Yudwig und Karlmann 
mit den oftfränfifchen Hilfstruppen gegen Bofo auf, der ſich Macons 
bemächtigt Hatte. Auch Karl ftieß zu ihnen, und nicht nur die Fürſten 
und Heerführer, fondern auch ihre Vaſſallen verpflichteten ſich eidlich 
den Ufurpator zu vertreiben und zu tödten ®, der ja der gemeinfame 
Feind aller Karolinger war. Im YZuli rückten die Verbündeten, 
unter deren Führern ſich gewiß auch Hugo befand, vor und vertrieben 
zunächſt Boſos Getreue aus Macon. Man kann auf ein Einver- 
ftändnig mit dem damaligen Befehlshaber Bernhard Plantapiloja 
fchliegen; ihr Lohn ward dann die Grafichaft‘. Aledram der 


ı Flod. 1. c.: vel fi foret necesse quid addere, vel (?) obtinere 
satageret. 
% Ann. Fuld.,SS.I. 393; der chronologifcd) ungenaue Regino, SS. I, 593. 
—————— SS. IV, 14. Gingins la Sarraz IX, 92 ff. Dümmler 
’ . 
® Boug. IX, 670 vom 2. Dezember 879. Reg., SS. I, 590. 
* Ann. Fuld., SS. I, 394: Bernhardum qui in ea principatum tene- 


105 


frühere Graf von Macon und Troyes mochte al8 Verwandter ihrer 
Stiefmutter bei den jungen Fürften nicht in Gunft jtehen, zumal auch 
in Troyes 882 ein anderer Robert Graf war, vielleicht der Bruder 
König Odos, deſſen Grafichaft vor dem Negierungsantritt Odos wir nicht 
fernen. Bielleicht wurde Aledram durch das Verin entichädigt, wo er 
885 Pontoife gegen die Normannen vertheidigte, und in deſſen Nähe 
= Sau von Laon ihm Ludwig der Stammler Schenkungen gemacht 
atte ”. 

Der Kämmerer Theodorich fcheint auf Autun verzichtet zu haben, 
um dur diefe Grafichaft Boſos Bruder Richard für die fönigliche 
Sache zu gewinnen, der wie der Biſchof von Autun Adalgar in den 
nächſten Fahren manchen Gunftbeweis erhielt. Auch Erzbiichof 
Aurelian von yon, obwohl er Boſo gefrönt hatte und vor Adalgar 
* Kanzler geweſen war, wird in dieſer Zeit Boſo verlaſſen 
aben. 

Nach ſolchen Erfolgen vermochte ſich Boſo nördlich der Rhone 
nicht zu behaupten und zog ſich nach dem feſten Vienne zurück, wo 
ſeine Herrſchaft ſchon ſeit der Ergebung an Karl den Kahlen 870 
begründet war. Die oſtfränkiſchen Schaaren ſcheinen ſich damit be— 
gnügt zu haben, daß Boſo aus dem Felde geſchlagen war; König Karl 
dagegen mit den Königen der Weſtfranken rückte vor Vienne, deſſen Ver— 
theidigung Boſo ſeiner energiſchen Gemahlin Irmengard anvertraute, wäh— 
rend er ſelbſt ſich wohl zu weiteren Rüſtungen ins Gebirge zurückzog?. 

Singing la Sarraz, der diefe Kämpfe mit großem Aufwand 
ſtrategiſcher Phantafie fchildert, giebt einen Begriff von der Feftigfeit 
des volfreichen Orts am Linken Rhoneufer. Drei jteile Hügel mit 
ſtarken Mauern und Thürmen aus der Nömerzeit deeften die Stadt 
nah Djten, von Wejten die Rhoöne. Zur Einnahme durch Belage— 
rung reichte die fränfifche Kriegskunde nicht Hin, wie ſchon Karl der 
Kahle erprobt hatte, alfo galt e8 Vienne einzufchliegen und auszu— 
hungern. Mancherlei andere Gefahren bedrohten überdies die ver= 
bündeten Fürften, fo daß fie Unterhandlungen mit Bofo anfnüpften. 
Aber mit. den von der Ufurpation verwalteten Gebieten unter Fränfifcher 
Dberhoheit, die man ihm anbieten mochte, war Boſo nicht gefon- 
nen fich zu begnügen, fondern mochte auf die verfchiedenen Intereſſen 
feiner Gegner rechnen. 

Freilich erfommmunizirten ihn die Biſchöfe in dem fränkischen 


bat, in deditionem aceipiunt, verglichen mit -Hincm.: ejeetis Bosonis ho- 
minibus, eum comitatum Bernardo cognomento Plantapilosa dederunt. 
Auf Grund diefes Beinamens verwirft Bouquet die von Mabille wiederaufge- 
nommene Meinung, daß Bernhard von Anvergne gemeint fei. Die Annahme 
Gingins la Sarrazs, VII, 169, Bernhard ſei ein Baffall des Auvergners ge- 
worden, beruht auf der vorgefaßten Meinung, es habe bereits feftgeichloffene 
Territorien von großem Umfang, Herzogtbiimer, gegeben. 
Gall. christ. XII, 495. Ann. Vedast., SS. II, 201. Böhmer 1847, 

2 Böhmer 1849 vom 30. November 880: ambasciator in einer dem 
Bisthum auf Bernhards Bitte gewährten Schenkung, und Böhmer 1860. 

® Ann. Fuld. und Hincm. 880. 


106 


Heere, und Johann VIII. fagte fi im Monat Juli durch einen 
Brief an König Karl offen von ihm los und verſprach demjelben die 
Raiferfrone!. Gerade dies aber brachte Boſo wejentlichen Nuten. 
Denn Karl brach etwa Anfang November heimlich bei Nacht gegen 
jein Verfprechen nad Stalien auf und ſchwächte dadurch weſentlich 
das Belagerungsheer. Als furz darauf auch Ludwig von Neuftrien, 
auf die Kunde einer Niederlage des gegen die Normannen an der 
Echelde zurückgelaffenen Abts Gauzlin, in fein Reich zurücfehrte, 
mußte die Belagerung aufgehoben werden. Am 30. November war 
Karlmann zu Neronde in Berry (Cherdepartement). Bernhard von 
Auvergne, deffen Grafichaften Septimanien und Auvergne an Boſos 
* grenzten, mag noch ferner Vienne beobachtet und Boſo bekämpft 
aben !, 

Hugo finden wir im Jannar 881 in Neuftrien. Der ma- 
gister scholae oder Scholaftifus von ©. Martin Amalrid), 849 — 
856 Erzbifchof von Tours, hatte im Auguft 841 feine Güter 
der Abtei für ewige Zeit zum Unterhalt feiner Amtsnachfolger ges 
ſchenkt, um die Möglichkeit unentgeltlichen Unterricht8 zu fichern. 
Karl der Kahle bethätigte auch hier feinen Sinn für geiftige Beſtre— 
bungen, indem er diefe Verfügung am 5. Januar 845 beftätigte ®. 
Aber Hugo verlieh im guten Glauben, daß beide Güter ihm zur 
Verfügung ftänden, die Villa Martigny und ein Feld der Villa Maigne 
in der Gemeinde Fondettes einem feiner Vaſſallen, deffen Sohn Wil: 
helm fich durch eine falfche Fönigliche Urkunde im Befit zu behaupten 
fuchte. Der Dekan des Stifts Guichard führte nun Mittwoch den 
17. Januar 881* in dem Grafenthurm an der neuhergeftellten Stadt- 
mauer von Tours Klage vor Hugos Tribunal, und diefer ernannte 
Richter, die in der Martinsfapelle an Ort und Stelle die Sache 
unterfuchen follten®, Auf ihren Bericht entfchied Hugo zu Gunften des 
Klägers. Wilhelm jelbft follte das Gut und ſoweit möglich den feit der 
unrechtmäßigen Befignahme genojjenen Ertrag herausgeben. Die er= 
nannten Richter führten den Spruch noch im Januar in Martigu aus, 

Wir jehen, daß Hugo berechtigten Klagen über Eingriffe in das 
Kirchengut auch da abzuhelfen fuchte, wo fein perfönfiches Intereſſe 
ins Spiel fam. Aber in dem Streit um die Biihofswahl nad 
dem Tode Odos von Beauvais am 28. Januar 8831 bewies er 
aufs Neue, daß er die Verfügung über Bisthümer und Abteien 
und ihr nicht urkundlich beftimmten Zwecken zugewiefenes Vermögen 


1 Ann. Ved., SS. II, 198. Mansi XVII, 184. Dimmler II, 176 ff. 

* Gingins la Sarraz a. a. D. Bouq. IX, 339 und 349. 

Pr 8° Mabille, Pancarte XXXV und XLVII; letztere Urkunde fehlt bei 
öhmer. 

* Mabille, Pancarte CIX und Les invasions S. 50, datirt 879, aber 
ber 14. Januar fällt nicht im 2. Jahr Ludwigs des Stammlers, fondern feines 
Sohnes Ludwigs III, 881, deffen Dominikalbuchftabe A ift, auf Mittwoch. 

5 Nicht in S, Martin de Ia Baſoche felbft, wie Mabille, Invasions 
©, 51, meint. 


107 


den Königen nicht fchmälern laſſen wolle. Ruhte doch fein eigener 
Rechtstitel darauf, und die Fürften bedurften deffelben wie Karl Martell 
und Pippin, um die nöthigen Streitkräfte zur Vertheidigung des 
Yandes aufzubringen. 

Hinfinar Hatte die interimiftifche Verwaltung des Bisthums 
Beauvais und die Leitung der Wahl Biichof Hadebert von Senlis 
übertragen und mahnte, da jic) Gemeinde und Geijtlichfeit ſchon vor 
der Wahl Odos forrumpirenden Einflüffen zugänglich gezeigt Hatten, 
zur Vermeidung der Simonie !. Nichtsdejtoweniger wurde ein gewiſſer 
Rudolf gewählt, den Hinfmar jofort für untauglich erklärte; dann 
Honoratus, deſſen Wahl er gleichfalls nicht zuftimmte. 

Er legte die Wahlurfunde der von ihm in der S. Mafrafirche 
zu Fimes in feiner Diözefe am 2. April 881 verfammelten neujtri= 
chen Synode vor. Dieſe ſchloß ſich Hinfmars Urtheil an und er— 
flärte das Wahlrecht des Klerus und Volks von Beauvais für verwirkt. 

Die von Hinfmar redigirten Synodalbeichlüffe Tprachen die 
Beſchwerden der Geiftlichfeit in vollem Umfang und in jchärfiter 
Form aus. Die feit 858 mehrfach aufgeftellte Behauptung wurde 
wiederholt, daß die biichöfliche Gewalt höher fei al8 die fönigliche, 
Der König folle die Kirchen und ihren Beſitz ſchützen und durd) 
Sendboten gemeinfam mit den Biſchöfen den Wandel in den Klöftern 
und ihren materiellen Zuftand unterfuchen laſſen. Die jtetS fort: 
dauernde Ufurpation des Kirchenguts und des Eigenthums milder 
Stiftungen gab Anlaß eine Reihe kirchlicher und kaiſerlicher Gefete 
gegen Raub aufs Neue einzufchärfen und zur Rückgabe des Geranbten 
zu mahnen. Endlich hielt Hinfmar im Namen der Synode Ludwig 
das Bild Karls des Großen vor Augen, der jtet8 drei feiner weijelten 
Rathgeber um fich gehabt, und felbjt bei Nacht auf einer Tafel neben 
feinem Bett Pläne zum Wohl des Reichs verzeichnet Habe, um fie 
mit feinen Näthen zu überlegen und, auf Neichstagen mehrmals ge- 
prüft, in Kraft feten zu lajfen. Noch viel mehr müſſe Yudwig, von 
allen Seiten durch Parteiungen bedroht, mehr dem Namen nach als 
in Wirflichfeit König, auf erfahrene Räthe bedacht fein, die ihn lehrten 
Gott fürchten, die Kirche und ihre Lehrer chren und nach Gottes 
Gebot herrſchen. Wie in feinem Brief an Ludwig den Stamnıler 
bei deſſen Kegierungsantritt betont Hinkmar die feit Karl dem Kahlen 
überhand nehmenden Erprefjungen von der Kirche, die Käuflichfeit der 
Aemter und der Gerechtigkeit, die Näubereien, unter denen das arme, 
von den Normannen ſchwer heimgejuchte Volk leide, und den Wucher, 
unter dem es verarme, und verlangt die Abftellung diefer Mifbräuche. 
Dann werde auch die Kraft zum Kampf gegen die Normannen wie— 
derfehren. 

Leider fehlen uns die Unterfchriften der Biſchöfe, von denen 


ı Moorden ©. 51. Briefe Hinfmars an Ludwig von Neuſtrien, Boug. 
IX, 259. Gall. christ. IX, 400. 


108 


wohl Mancher der Synode fern geblieben war, 3. B. Erzbifchof 
Adalhard von Tours und dejfen Bruder Naino, ein Kanonifer 
von S. Martin, der wohl nicht ohne Hugos Einfluß Ende 880 das 
Bisthum Angers erhalten Hatte!, Walter von Orleans und andere 
dem Hofe und Hugo nahe ftehende Prälaten. 

Wenn and unzweifelhaft Geldnoth und Schwäche des König- 
thums den großen Vaſſallen gegenüber viele Mißbräuche veranlaßt 
oder gejtattet haben werden, trugen die Biſchöfe, mißgejtimmt über 
ihren verringerten Einfluß, gewiß die Karben zu dunkel auf. Hugo 
fait ftet8 durch die Vertheidigung des Reichs gegen innere und äußere 
Feinde in Anſpruch genommen, fonnte beim beiten Willen vielfach nicht 
eingreifen; namentlich litten die Yandestheile, durd welche die Märfche 
gingen, bei dem Mangel ausreichenden Proviants und der fchlechten 
Disziplin von Bafjallenheeren, ftetS feit Ludwigs des Frommen Zeit. 

Ludwig von Neuftrien und feine Umgebung mußten durch den Ton 
des Schreibens empfindlich verlegt werden. Der König, vielleicht weil 
er inzwifchen das Mindigfeitsalter erreicht hatte, ftand damals ohne 
Hugo den Schelde-Normannen gegenüber. Seine jungen Genoffen, 
über deren üble Rathichläge Hinkmar fich wiederholt beichwert, brachten 
ihn fchwerlich von der Anfchanung ab, daß er wie feine Vorgänger 
frei über die Kirchengüter und Bifchofftühle verfügen könne. Am 
wenigiten mochte ein von weltlichen Großen und weltlich gefinnten 
friegerifchen Geiftlichen, wie den Aebten Hugo und Gauzlin, umgebener 
und von ihrer Unterftütung abhängiger Herricher ſich unbedingt der 
Seiftlichfeit unterordnen, wenngleih er am 6. Mai durch den Kle— 
rifer Teutbert Hinfmar feine Geneigtheit ausſprach, mit den Biſchöfen 
gemeinfam die geiftlichen und weltlichen Pflichten zu erfüllen. Er bes 
hielt fich den Vorſchlag eines Bifchofs in Beauvais vor und ftellte, 
um Hinfmar zu gewinnen, den diefem verwandten oder doch naheſte— 
enden Odaker auf. 

Diefer war ein hervorragendes Mitglied der Hofgeiftlichfeit, fer: 
tigte wahrfcheinlich zuerft am 21. Auguft 875? als Notar Urkunden 
Karls des Kahlen aus und wurde 877 al8 notarius secundiserinii 
d.h. zweiter Kanzler, dem Papſt nach Pavia entgegengefchidt. Viel— 
leicht war er als Verwandter eines Abts Audacher ? in der Touraine 
dem Grafen von Tours Hugo um fo. angenehmer. 

Auch in Beanvais waren Alle Odaker geneigt, und Ludwig fuchte 
Hinfmar durch das Versprechen zu gewinnen, wenn er beiftimme, 
feinem Nath zu folgen und ihn mit Gunftbeweifen für feine Ver— 
wandten und Freunde zu belohnen. Aber vergeblich) war das perſön— 


ı Gall. christ. XIV, 554. 

2 Bouq. VIII, 643 ift wohlanno XXXVI ftatt XXXIV zu Iefen, wozu 
ber Ausftellungsort Pontiliacum, Pontaille an der Saone, paffen würde. Böhmer 
©. 166 


s Schwerlich iſt er identiſch mit dem Verwandten des Lupus von Fer— 
ridres, der zwiſchen 841 und 868 Abt von Cormery und Villeloin war. Bouq. 
VIII, 450. 560 und 643, VII, 509, Gall. christ. XIV. 


109 


fiche Entgegenfommen bei der jih im Alter fteigernden Starrheit 
Hinkmars. Er antwortete durch den Prieſter Altınar ablehnend. 

Am 13. Juni jandte Ludwig den Klerifer Warin an Hinfmar, 
deſſen Botjchaft er noch heftiger und rüdjichtslofer beantwortete. Der 
Verfaſſer des füniglichen Schreibens hatte behauptet, Hinkmar wolle 
nichts Anderes al8 der König, Abt Hugo und Graf Theodorich, und 
wenn er micht beiftimme, jehe der König daraus, daß Hinfmar die 
gebührende Ehre und die echte feiner Vorgänger nicht anerfenne 
und feinem Willen in Alleın widerftrebe. Altrams Bericht über die 
Anficht des Abts Hugo, der aljo damals nicht am Hofe war, und 
über die gemäßigte Antwort Theodorichs auf die Frage des Königs 
veranlaßte Hinkmar den Schreiber des Königs geradezu der Lüge zu 
bejchuldigen. Theodorich fcheint auch hier Hinkmar näher geftanden 
zu haben, Hugo hatte fich vielleicht in der Form gemäßigter als 
früher ausgejprochen. 

Hinfmar warf dem König ferner vor, daß er unehrerbietig 
an ihn gejchrieben habe, obwohl nicht er den Erzbijchof zu feinem 
Amt berufen, jondern Hinfmar mit feinen Amtsgenoſſen und den 
übrigen Getreuen Ludwig, unter der Bedingung die herfümmlichen 
Gejege zu beobachten, zum König gewählt habe. Wenn er den Streit 
durch eine allgemeine fränkiſche Synode entjcheiden laſſen wolle, bange 
Hinfmar nicht davor. Er fürchte feine Drohungen nicht, möge Gott 
ihn dur) eine Gewaltthat Yudwigs aus feinem kränklichen, greifen 
Leibe zu fi) Heraufführen, wenn es fein Wille fei. Yudwig aber 
möge ſich hüten, daß ihn nicht auf einer allgemeinen Synode ins 
jenfeitige Yeben hinein wirkende kirchliche Strafen träfen. Cr möge 
gedenken, daß feit Karl dem Großen jeder Nachfolger fürzer als fein 
Vorgänger gelebt habe. 

Hinkmar erfüllte die im diefem Brief ausgefprochene Drohung 
gegen Odaker. ALS Ludwig ihm trog verweigerter Weihe die Befigungen 
des Bisthums überwiefen hatte, deren Unantajibarfeit Hinfmar auf 
Grund eines Privilegs Nikolaus’ I. behauptete, forderte er Odaker vor 
eine Provinzialipnode, um die Entjcheidung über feine Wahl entgegen- 
zunehmen. Odaker erfchien nicht, und die Synode ſprach ihm die Fähig— 
feit ab, je in der Erzdiözefe Reims ein Priejteramt zu bekleiden !, 

Während diefer Streitigkeiten im Sommer 881 oder im fol 
genden Frühjahr als Karl feinen Bruder Ludwig beerbt hatte, wandte 
ih Hinkmar an Kaifer Karl und bat ihn die in vieler Hinficht ver— 
fallene Kirche des weſtfränkiſchen Reichs durch weifen Rath und mäch— 
tige Hülfe wieder aufzurichten und das getheilte Reich und deſſen 
Große wieder zu vereinigen *. Offenbar billigte er die im März 
880 geichehene Theilung nicht. Wir haben feinen Beleg, daß Hink— 
mars Forderung an die von Karl den jungen Fürſten zu beftellenden 


t Noorden ©. 382, Hincm. opp. II, 381 ff. und 245. 
* Opp. II, 185 ff.: regni divisionem consolidetis ac primores ip- 
sius compaginetis. Dümmler II, 200 gegen Noorden 369, 


110 


Bormünder, jenen ſolche Genoſſen fern zu halten, die fie zu Zwietracht 
unter einander und mit ihren Getreuen verleiteten, und zu jorgen, daß 
fih) die Brüder gegenfeitig nicht bemeideten noch reisten, jondern in 
Liebe verbunden ſich unterjtütten, in Zwijtigfeiten zwiichen Yudwig und 
Karlmann begründet war. Hinfmars Vorwurf, daß ihre Umgebung 
die Könige zu unbilligen Thaten verleite, trifft natürlic) ihre Ein— 
griffe in die Nechte und Aufprüche der Kirche. Sein ganzer Groll 
gegen die maßgebenden Männer fpricht fic in der Aufforderung an 
einen ojtfränfiichen Yürften aus, was in dem eich wegen innerer 
Zwiftigfeiten Verkehrtes gejchehe zu befeitigen, und wenn einige Große 
mehr nad) Willfür als im Intereſſe der Kirche und des Reichs han— 
delten, jie durch feine Weisheit davon abzubringen oder wenn nöthig 
mit Macht zu zwingen. 

Vergeblich Hatte Hinfmar vom Abt Hugo und Grafen Theodo= 
rich, dejjen Sohn erjt 885 dem Klofter Fleury das von Theodorichs 
Bruder Effard vermachte Gut Perrecy zurücdgab ?, Eingehen auf 
jeine Forderung gehofft : vielleicht wiirde Karl, durch päpftliche Gunſt 
zum Kaiſer erhoben, auch der weitfränfiichen Kirche das unter Karl 
dem Kahlen behauptete Anſehn wieder verfchaffen, mochte aud) die 
Selbjtändigfeit des Reichs zu Grunde gehen. So ftand Hinkmar 
dem Königthum in offener Auflehnung gegenüber, dein er ein langes 
Leben hindurch treu gedient hatte, und fehrte zu dem Gedanken des 
einen abendländifchen Kaiferreich® zurüd. Gin oſtfränkiſcher Karo- 
linger follte jedem der beiden jungen Fürften reife und erfahrene, ges 
mäßigte VBormünder geben, die fich nicht über ihre Genojjen erhöben, 
fondern die Könige durch Wort und Beifpiel die Gerecdhtigfeit lieben 
lehrten, damit fie feufch und mäßig lebten, die Kirche uud ihre Diener 
ehrten und deren Rechte und Privilegien, wie die der VBornehmen und 
aller übrigen Getreuen achteten. Karl muß diefen Schritt in höchſter 
Verbitterung gethan haben, denn es war ſchwerlich zu erwarten, daß 
ih Ludwig und Karlmann Karls Bormundfchaft freiwillig unters 
ordnen würden, jelbjt wenn fie nicht mehr an feinem Bruder Yudwig 
einen Rückhalt finden fonnten. Auch Hugo und Theodorich hätten 
nicht gütlich eine ihrem Einfluß feindliche Bevormundung derjelben 
durch den Kaiſer zugegeben. 

Schwerlich war diefer felbft geneigt, auf den voraussichtlich nur 
mit Gewalt durchführbaren Plan einzugehen, zumal ihn gerade damals 
der Papft um Hilfe gegen feine italienischen Bedränger bat. Jo— 
hann VIII. Hatte unter Anderm die Rückkehr der von ihrem Gemahl 
Kaiſer Yudwig IL jeinem Schuß übergebenen Engelberga zur Bedin— 
gung der Kaiſerkrönung gemacht und Karl feine Achtung vor den mit 
den weitfränfifchen Königen geſchloſſenen Verträgen bewieſen, indem 
er ihre Zuſtimmung vorbehielt. Daher wandte fid) Johann am 12. 
——— an Ludwig, Karlmann und ihren einflußreichſten Rath 

ugo ?, 

ı Gall. christ. VIII, 1544. 

2 Mansi XVII, 194. 


111 

Er ſuchte die Beſorgniß zu befchwichtigen, daß bie intriguante 
Kaiferin Wittwe in Rom im Intereſſe ihres Schwiegerfohns Boſo 
wirken werde, indem er verficherte, daß er fie an jedem Zumider- 
handeln gegen das Intereſſe des Kaifers und der Könige hindern, und 
falls fie ſich deffen jchuldig mache, fie dem Kaiſer zurücjenden werde, 

Wir fennen die Antwort der jungen Fürſten nicht, wahrscheinlich 
waren fie und Hugo mit Beranlajjung, daß die gefährliche und einfluß— 
reihe Frau erft nad) dem Fall von Vienne im Herbjt 882 aus Ale- 
mannien nach Nom geführt wurde !, 

Hugo befand ſich am 4. Juni, alfo während des weiteren Ver— 
laufs der Streitigkeiten um die Biſchofswahl in Beauvais, in Pau— 
liacum (wohl Pouilly in Berry?) in Karlmanns Gefolge und vermit- 
telte die Schenkung des Klofters ©. Yorenz an der Nielle an Erzbi- 
ſchof Sigebod von Narbonne, ein Beweis, daß ſich fein Einfluß auch 
auf die jüdlichen Theile des Reichs erſtreckte. 

Vielleicht ſchloß er ſich Karlmanns Zug gegen Bofo an, da wir 
den König von Burgund und Aquitanien am 29. Augujt in Coſta, 
wahricheinlic; la Gojte im Gau von Vienne, finden? Trotz jteter 
Angriffe auf Bojo von verjchiedenen Seiten gelang e8 nie ihn einzu= 
jchliegen oder gefangen zu nehmen. Seine Anhänger wußte er fo 
zu gewinnen, daß fie, wir müjjen jagen meiſt, obwohl geächtet und 
aller Güter beraubt, ihm troß aller Verlockung nie die Treue brachen. 
So wird aud) diesmal das Belagerungsheer erfolglos von Vienne abge- 
zogen fein. 

Hugo ſtieß wahrscheinlich nicht zu Ludwig von Neuftrien, der 
am 3. Auguft den glänzenden Sieg von Saucourt über die Nor— 
mannen erfochten hatte umd ihnen bei einem neuen Einfall an der 
Grenze feines Neichs im Gau von Cambray, entgegentrat. Er baute 
auf den Kath einiger Großen in Etrun bei Arras eine Burg von 
Holzwerf, und die Normannen hielten für gerathen das Land des ta= 
pfern Fürften zu räumen und zu Elsloo bei Majtricht im Reich des 
ojtfränfifchen Yudwig Winterquartiere aufzuſchlagen“. 

Abt Hugo, der inzwiſchen fein neuſtriſches Gebiet gegen die 
Normannen geichiigt Haben mochte, wird unter denen gewejen fein, 
die nach des oftfränfiichen Yudwig Tod am 20. Januar 882 dem 
neuftriichen Yudwig riethen, die von wejtlothringiichen Großen in ihrer 
Bedrängniß durd die Normannen angebotene Huldigung nicht anzu— 
nehmen , fondern den den Kaiſer gegenüber eingegangenen Verpflich— 
tungen treu zu bleiben. Ludwig jchiete ihnen unter dem Grafen 
Theodorich eine Heerſchaar (scaram hostilem) gegen die Normannen 
zu Hülfe?; vielleicht hoffte er wie fpäter fein jüngerer Bruder durch 


! Hinem., SS. I, 514. 

2 Nicht la Nize im Auxerrois nad) Mabillon, Ann. Ben. III, 217. 
Böhmer 1746, 

3 Böhmer 1854. Hincm. 881 und Regino 874, SS. I, 513 und 590. 

* Hincm., SS. I, 513. Dümmler II, 156. 

5 Hincmard Worte quasi in adjutorium deuten auf heimliche Pläne 


112 


freundfchaftliche Verhandlungen wieder in den Beſitz Weſtlothringens 
zu gelangen. Hugo war wohl mit dem neuftriichen Aufgebot allein 
den Normaunen nicht gewachſen, daher finden wir im Frühjahr 882 
beide Könige an der Yoire. 

Karlmann befand ſich am 14. Juni zu Lipfiacum in Anjou und 
mag dann wieder vor Vienne gezogen fein, wo er am 8. Auguft 
eine Urkunde ausſtellte!. Vielleicht bejtätigte er damals auf Hugos 
Bitte alle Privilegien und Befigungen von S. Martin ?. 

Bermuthlich erjt nach feinem Abzug, nicht fofort nach der Oſter— 
feier in Compiegne (8. April), brach Ludwig nad) Neuftrien auf, um 
die Fürften der Bretonen zu empfangen und gegen die Normannen 
zu ziehen. Wahrjcheinlich lebten damals Alan und Judikael in 
Frieden und gedachten ſich mit dein tapfern Ludwig gegen die Nor— 
mannen zu verbinden. Doc, jcheint e8 nicht dazu gekommen zu fein, 
vielmehr verjtändigte fi) Yudwig mit dem mächtigſten Normannen- 
häuptling Hafting. Derjelbe verließ im Herbſt wirflid) die Loire, 
um andere Küften zu plündern ®, 

Zum Unheil für das weſtfränkiſche eich endete ein Unfall nod) 
vorher das Leben des tapferen Normannenfiegers, der zu den beiten 
Hoffnungen berechtigt hatte. Ludwig verfolgte in Tours in jugend« 
licher Leidenschaft zu Pferde die Tochter Germunds über die Schwelle 
des väterlichen Hauſes und verlegte ſich Bruft und Schultern fchwer *. 
Er ließ fi) nad) S. Denis bringen und jtarb dort am 5. Auguft?, 

Die Normannen in Elsloo hatten im Frühjahr vermuthlich, 
nachdem Biſchof Wala von Met bei Remich am 10. April gegen 
fie gefallen war, und als Yudwig ſich an der Yoire befand, abermals 
das weftfränfifche Reid) heimgefucht und einen Theil de8 Spreugels 
von Reims, Cambray und Arras verwüftet, wo Ludwig für die Burg 


Ludwigs, find aber wahricheinlich nur der Ausfluß der erbitterten Stimmung 
Hintmars. ©frörer II, 229. 

ı Böhmer 1858. Sidel, Forſchungen IX, 431, 

2 Er ift jpäter nicht mit Sicherheit in Neuftrien nachzuweiſen, die Auf- 
zählung von Ländern, unter denen ihm Italien und Germanien nie gehörten, 
wohl eine veraltete Kanzleiformel, beweift nicht, wie Mabille, Pancarte 
LXXI, ©. 103, unter Angabe eines faljchen Datums für Ludwigs Tod meint, 
daß die Urkunde nad feinem Regierungsantritt im ganzen Reich ausgeftellt 
wurde. Dagegen fpricht, daß Karlmann nicht wie anderer Verwandten auch 
feines Bruders als geftorben gedentt. 

s Hincm. und Ann. Vedast., SS. I, 513 und II, 199. Dimmer II, 
206 Anm. 17 gegen Lappenberg, Geſchichte von England I, 324 Anm. 1. 

*Germund iſt wohl identifch mit dem, weldem Karl der Kahle (nicht 
Karl der Große; Mabille, -Pancarte S. 79) die Billa Judeis im Gau von 
Chartres verliehen hatte. S. Beftätigung Kaifer Karls II. vom 24. October 
886, Bouq. IX, 351. Böhmer 1004. Die fagenhafte Tradition von Ludwigs 
Tod Hariulfi chron. Centul., bei Dachery IV, 518, Albericus, Bouq. IX, 57, 
Dümmler II, 153, Inüpft an den verwandten Namen Guarmund an, 

5 Hincm., Ann. Vedast., S. Columbae Senon. und Floriacenses, SS. 
I, 513 und 103. II, 199. 254, gegen Ann. Lemovicenses und Cont. Ado- 
‚ nis, SS. II, 251 und 325. 


113 


Etrun feine Befagung hatte finden fönnen, das Kaftell Mouzon bei 
Sedan niedergebrannt. Als Kaiſer Karl Ende Juli die Erwartungen, 
die auch Hinkmar bei jeiner Aufforderung, die Zügel im wejtfränfie 
ſchen Reid) in die Hand zu nehmen, hegte, durch den jchmählichen 
Bertrag von Elsloo täujchte, mußte man neue Einfälle in vergrößerten 
Maßſtab fürcten. Daher lagen die meiſten Großen bei Yudwige Tod 
bereit, gegen die Normannen ins Feld zu vüden Sie forderten 
unter fo fchwierigen VBerhäitnijfen feinen Bruder SKarlınann auf, 
unter Zurücdlafjung eines Belagerungskorps vor Vienne und gegen 
Boſo, jchleunigjt zu kommen und ihre Huldigung entgegenzunehmen, 
Diefe leijteten die geiftlichen und weltlichen Großen am 9. September 
zu Kierſy an der Dife, nadydem SKarlınann den Biſchöfen die 
zu Kieriy von Karl dem Kahlen und von ihm jelbjt in Ferrières 
gegebenen Zuficherungen ihrer Rechte ! und Privilegien erneuert hatte. 

Dbwohl um dieje Zeit die erfreuliche Kunde von der Einnahme 
Biennes kam und Hafting die Yoire jeinem Verſprechen gemäß ver= 
ließ?, blieb doc Karlmanns Yage nad) Außen wie nad) Innen jchwer 
bedrängt. Hugo und andere weile und gute Männer unter den Großen 
vergaßen daher ihren Groll gegen Hinkmar und baten ihn um Rath, 
nad) welchen Grundfägen der junge König regieren folle. Hinkmar 
jtellte der damaligen Verwirrung den Hof und die Verwaltung Karla des 
Großen und der erjten Zeit Ludwigs des Frommen gegenüber, wie er 
fie theil8 aus eigener Anſchauung kannte, theils in Adalhards Schrift 
de ordine palatii dargejtellt fand?. Er wid) feinen Schritt von 
den in S. Makra gejtellten Forderungen zurüd. Ihm erjchien die 
Neichsverwaltung Karls de8 Großen als Ideal geordneter Abgren= 
zung der verjchiedenen Aemter und gerechter und jchonender Behaud— 
lung aller Stände. Seinem hierardiichen Sinn fagte es zu, daß 
damals an der Spitze des Hofes ein Geijtlicher, der apocrisiarius, 
geitanden hatte, dem der erjte Kanzler, gleichfalls ein Klerifer, im 
Rang folgte. An Stelle des Erjteren war jegt der Erzfapellan ges 
treten, der zugleich da8 Kanzleramt bekleidet zu haben jcheint, troßdem aber 
keineswegs mehr der erjte in Einfluß und Würde war. Nennen doch die 
Annalen von S. Colombe Hugo das Haupt der Hofgeiftlichfeit, wäh 
rend: im dem ummittelbar vorhergehenden Jahren Gauzlin und Wulfard, 
Abt von Flavigny in Burgund, Erzfanzler waren. Hinfmar betont, 
daf damals: die Meitglieder der Kanzlei Fuge und treue Männer ges 
wejen ſeien, die ohne unmäßige Abgaben und Käuflichfeit die könig— 
lichen Urkunden fchrieben und Geheimniffe treu bewahrten: offenbar 
ein Hieb auf die Notare der legten Zeit, unter denen Odaker, der 
Ufurpator von Beauvais, war. Auch zu den übrigen Aemtern habe 
man Männer von edlem Herzen und ftarfem Körper, verftändig, ver= 
ſchwiegen und mäßig gewählt, aus verſchiedenen Gebieten, damit ein 


ı 1,1. 1, 59. j 
2 Hincm., SS. I, 514. Ann. Vedast., II, 199, 
8 Opp. U, 201. Noorden ©. 384 ff. 


XIV. 8 


114 


jedes in der Pfalz vertreten fei, während in diefer Zeit befonders 
burgundifhe Große in hohem Aufehn ftanden. Jeder war mit dem 
ihm Zugewiefenen zufrieden und bat, wenn erforderlich, feine Genoſſen 
um Hälfe, ftatt nad) dem Eigenthum und dem nothwendigen Unterhalt 
Anderer zu begehren. BPfalzgraf und Apokrifiarius prüften, ob die 
Anliegen von Geiftlihen ımd Laien vor den König gehörten, fo 
daß von ihm nicht Unnützliches (inutilia) und Unwürdiges erlangt 
wurde !, Königin und Kämmerer forgten für die Jahresgeſchenke 
an die Vaffallen, ihren Unterhalt und ihre Pferde, jo daß ber 
König ftets fein Augenmerk auf die Verhältniffe de8 ganzen Reichs 
richten konnte. Offenbar liegt hierin ein Borwurf für den Käm— 
merer Theodorich, da feine Königin al8 Hausfrau am Hofe waltete. 
Weiter wirft Hinfmar den Räthen des Königs Verrat geheimer 
Berabredungen mit dem Herricher vor. Ihren ficher oft mit Umge— 
hung der übrigen Großen gepflogenen Berathungen und den unregel- 
mäßigen tumultuariichen Reichstagen jtellt er das Verhalten Karls des 
Großen gegen den Reichstag und die engere berathende Berfammlung im 
Herbjt gegenüber. Preilic fühlte Hinfmar, daß jene Einrichtungen 
ſchwerlich in ihrer alten Bedeutung jich wiederbeleben ließen, denn die 
Leiter de8 Hofes zur Zeit Ludwigs des Frommen waren todt. Dod) 
lebten ja noch ihre Eöhne, deren Sitten und Eigenfchaften Hinkmar 
nicht zu feimen vorgab. Sie ermahnte er, in Tugend und Wandel, 
Weisheit und guten Bejtrebungen der Väter nicht unwerth zu fein, 
damit fie nach Berdienft deren Stellen und Aemter einnehmen könnten, 
Offenbar weiſt Hinfmar damit auf den Abt Hugo, Theodorich, 
Gauzlin, die damals noch lebenden Brüder Konrad und Guelfo hin, 
deren Väter am Hofe Yudwigs des Frommen bedeutenden Einfluß ge— 
habt hatten. 

Schwerlich werden die von Hinkmar offenbar gewiinjchten 
weitgreifenden Aenderungen in Bejegung der höchſten Hofämter ein— 
getreten fein. Karlmanns Kanzler Wulfard, Bruder feiner Stief- 
mutter Adelheid war inzwijchen gejtorben ?, aber erſt am 14. Auguft 
883 wird wieder ein Erzfanzler genannt, und zwar Gauzlin: viel 
leicht eine Folge von Hinfmars Rath, da Ganzlin ſchwer bei Seite 
zu jchieben war, aber durd) feine Empörung ſich der früher beffeideten 
Stellung wenig würdig gezeigt hatte. 

Karlmann gab auch unter den damaligen Umftänden in Betreff 
bes Bisthums Beauvais nach und ließ ftatt Odaker Hrotgar wählen ?, 
Wenngleich; Hinkmar bei dem drohenden oder bereits erfolgten Einfall 
der Normannen den Schaden, den Hugos Abwejenheit bringen konnte, 
vielleicht voraus jah, handelte diejfer doc im feinem Sinn, wenn 
er fi mit einigen Großen zu dem am 1. Oftober vom Kaiſer in 


ı 1.c.c. 19 fl. 

2 Zwiichen dem 29, Auguft 881 und 14. Juni 882. Böhmer 1857 und 
1858, vgl. 1862. 

® Ann. Vedast. 883. Noorden ©. 883; 


‘115 


Worms gehaltenen Reichstag begab. Zwar erreichte er den eigentlichen 
Zwed, die freiwillige Rückgabe von Wejtlothringen, nicht, er erlangte 
feinen bejtimmten Bejcheid. Aber es ijt wohl möglich, daß Karl ILL. 
den einzig übrigen legitimen Karolinger adoptirte und fir den Yall 
feines Einderlofen Todes für feine Nachfolge im Reich zu wirken in 
Ausficht ftelltel. Auch mag Karl auf S. Vaaſt verzichtet Haben, 
falls dies überhaupt in den Beſitz feines Bruders gefommen war. 

Aber Karlmann erhielt nicht einmal Burgund, das Gebiet jeines 
Vaters, zurüd, Außer den feit dem Vertrag von Verdun zum welt 
fränfifchen eich gehörigen Theilen mag er die deinjelben zu Meerſen 
überlajjenen Gaue von Bejancon und auf dem vechten Rhoneufer be= 
halten haben. Auch die Provence wurde ihm überlajjen *. 

Dagegen erfannte Vienne unter Bernhard von Auvergne und 
Septimanien Kaifer Karls Oberhoheit an, obwohl wejtfräufijche Streit= 
fräfte das Meijte zur Wicdereroberung beigetragen hatten. Bezeich— 
nend für die verworrenen Zujtäude der füdlichen Reichstheile ift, daß 
eine Urkunde Bernhards von Auvergne für die Abtei Conques in 
Novergue nad) Karls Negierungsjahren als König der Franken da= 
tirt ijt, eine Gerichtsurfunde aus Garcafjone und die Urkunden von 
S. Julian in Brioude zur Zeit Karlmanns nad Kaijerjahren 
Karls , jo daß auch in diefen Gebieten feine Oberhoheit anerfaunt 
wurde”. 

Karlmann verlor in Folge davon das Yutereife an der Fort— 
führung des Kampfes gegen Bofo, der Beruhard und italienijchen 
Großen überlaljen blieb. 

Er Hatte nähere Sorgen. Denn die Dänen von Elsloo unter 
dein Seefünig Eigfrid warfen fi) wieder auf das wejtfränfifche Reich 
und fuhren im Dftober 882 nad) Conde an der Scelde, das fie 
früher als vortrefflichen Ausgangepunft für ihre Unternehmungen er= 
probt hatten‘, Mögen fie aud) nicht, wie Hinkmar meint, an die Erobes 
rung des Reichs gedacht haben, jo verfolgten fie doch wahrjcheinlic) den, 
Gotfrid an den Aheinmündungen, Gutorm in Djtangeln geglückten 
Plan ein Küftenland zu ihrem dauernden Beſitz zu machen. Befand 
ſich doch wahrſcheinlich Rollo, der dies fpäter ausgeführt hat, ſchon 
unter den Normannen von Gonde >. 

Das fränkische Vafjallenheer erwies ſich vollkommen unzulänglich, 


1 Stein, Konrad I. und fein Haus, 1872, ©. 68, gegen Dümmler 


02. 

2 Urkunden aus dem Gau von yon, Gingins fa Sarraz S. 190, und 
Schenkungen im Gau von Frejus an ein Klofter in Marjeile, Böhmer 
1863. 


s Gingins la Sarraz ©. 186 ff. Hist. de Languedoc II, 14 umd 
preuves ©. 20. 21. Cart. de Brioude Wr. 33 ff. 

* Ann. Vedast. 882. Reg. 884. Asser. und Chron. Anglosaxon. 883, 
Ethelwerd chron.; SS. I, 594 und II, 193. Mon. hist. Brit. 1, 368 und 516. 

5 Dudo v. ©. Duentin in der neueften Ausgabe von Jules Lair II, 9, 
©. 150, Einleitung ©. 56. 


8* 


116 


eine weite Grenzftredie gegen ſtets drohende Angriffe erfolgreich zu 
decken. Obenein liegen mehrere Große den König, dem feine rechte 
Hand, der Abt Hugo, fehlte, im Stich. So drangen die Normannen 
durch den Wald Thierache im Duclleugebiet der Dije bis Laon vor 
und verwüfteten und verbrannten die Gegend ringsumber. Es ver— 
breitete ji) das Gerücht, dag die ganze Macht mad) Reims ziege 
und über Soiffous und Noyon zur Croberung des hoch und feſtge— 
legenen Yaon zurückkehren wolle. Da flüchtete Hinfmar am 8. No= 
vember bei Nacht in einem Tragſeſſel über die Marne nach Epernay; 
denn feine Mannfchaft war beim König!. Die Schaar der Nor— 
mannen, die wirklich nad) Reims zog, mochte in der anjehnlichen, ob= 
wohl offenen und verlajjenen Stadt einen Hinterhalt fürchten und 
begnügte ſich mit Niederbreunung der Heinen Ortſchaften vor den 
Thoren. 

Karlmann raffte alle verfügbaren Kräfte zufammen und griff die 
bentebeladenen Schaaren bei Avaur an der Aisne an. Wie von ihr 
fanden von dem von Reims Abzichenden viele, im Ganzen 1000 
Normannen den Tod? Aber der größere Theil fette fich in Avaux 
feft, deſſen natürliche Yage einen Angriff mit ungenügenden Kräften 
wahrſcheinlich nicht räthlich ericheinen ließ. Daher zogen ſich die 
Weitfranfen gegen Abend langſam zurück und quartierten ji) im den 
Nacbarorten ein. Die Normannen aber eilten, fobald der Mond 
aufgegangen war, auf dein früheren Wege nad) ihrem Standquartier 
Eonde. 

Inzwiſchen traf Abt Hugo wieder aus Worms beim König ein, 
der nad) dem feiten Gompiegne gegangen war, und jammelte auf die 
Kunde der fortdanernden Verheerung alles Yandes bis zur Dije und 
der Vertreibung der ganzen Bevölkerung ojtwärts der Seine ein Heer. 
Beide folgten den von einem Raubzug in den Gau von DBeauvais 
zurückfehrenden Normannen im Dezember in den WVicognewald bei 
Gonde?, Aber des Terrains wohl fundig zerjtreuten fich die Nor— 
mannen und entfamen mit geringem Verluſt nad) den nahen Schiffen. 

Sie fuhren den Winter über fort, weil wahrſcheinlich die Vaſſallen 
nicht zuſammenzuhalten waren, widerſtandslos zu morden und zu jengen, 
die Bewohner, namentlic) die Geijtlichen, zu vertilgen oder über Mieer 
zu verfaufen. Was ihrem Schwert entwich, erlag dem Hunger. 
Um aud in Zukunft feinen Widerſtand zu finden, riſſen fie alle 
Mauern nieder, Die Klöfter und Kirchen wurden bis auf den Grund 
zerftört oder, wie Anfang 883 S. Quentin und die Marienkirche 
in, Arras, in Brand geitedt. 

Unter fo verzweifelten Umftänden Hatte Hinfmar aus Epernay 
an die wohl großentheils zum Feldzug verfammelten Bifchöfe eine 


* ı Translatio S. Rotfridi, A. S. Bolland. Octob. I, 170. Dümmler 
211. 
Chron. Remense, bei Labbe Nova bibl. I, 359. Ann. Vedast,, 
SS. II, 200. 

5 Ann. Vedast. l. c., um die Zeit von Hinkmars Tod, 


117 


wicherholte Ermahnung für König Karlmann gerichtet. In diefer 
feiner letten Kundgebung betonte er nochmals den Vorrang der bi— 
ihöflihen Würde, die aus feinem weltlichen Beweggrund verliehen 
werden dürfe, vor der füniglichen. Als Pflicht des Regenten ftellt er 
hin, alle zu leiten (regere), deshalb müſſe er alle Unbill abftellen 
und alles Unrecht ohne Anfehn der Perſon trafen und befonders 
Flüchtlinge, Unmündige und Waifen jchügen. Er ſoll alte, weife und 
gemäßigte Nathgeber haben, die das Beifpiel guten Wandel8 geben, 
nicht betrügen und heucheln oder dem Vergnügen nachhängen und uns 
mäßig find? Wer diefe Pflichten nicht erfülle, müffe viel Unglück feines 
Neiches ertragen. Der Yandfriede werde oft gebrodyen, der Ertrag 
des Bodens gemindert und die Laſten des Volks vermehrt werben. 
Einfallende Feinde verwüſten rings die Provinzen, wilde Thiere zer— 
reißen das Vieh, felbit die Elemente fchaden den Saaten, Bäumen 
und Reben. Die Söhne und Enfel des pflichtvergejjenen Fürften 
erben nicht das Reich; denn wie der König die höchite Stelle im 
Lande einnimmt, muß ihn die ſchwerſte Strafe für die Vernachläffi« 
gung feiner Pflicht treffen. Nur dur Furcht und Liebe kann er 
die Ordnung erhalten, darf feine Frevler zu Freunden haben und nicht 
feinen Verwandten großen Einfluß gönnen ®. Hier ſcheint Hinkmar 
auf Hugo zu deuten, der als Haupt der verweltfichten Geiſtlichen feinen 
hierarchiichen Beftrebungen oft entgegengetreten war. Hinkmars Ver- 
bitterung gegen die herrichende Partei am Hof muß berüdfichtigt 
werden, wenn man dieſe düjtere Schilderung der Zuftände im Ges 
wand der Warnung licht. 

Freilich beſaß Hinfmar Mitgefühl fiir die Peiden auch des armen 
Volks, denn er verlangt, der König folle den Armen Zutritt gewähren, 
damit fie nicht durch Ungerechtigkeit und Nachläſſigkeit Unterdrüdung 
leiden. Zu Herzogen und Grafen foll er Männer ernennen, die ohne 
Gefahr für ihm gerecht und billig regieren, nicht das Volk beherrichen 
und durch überflüfjige Bauten, Tribut an die Feinde und widergeſetz- 
liche Heranzichung zu Gerichtstagen quälen. Die Grafen, Vifare, 
d. h. Hundertichaftsbeamte, und Dekane feßen eine Menge von Ges 
rihtstagen an, um von den Nichtericheinenden die Buße einzuziehen. 
Um nicht felbit fir widerrechtliche Ladung Strafe zahlen zu müſſen, 
wenden fie ftatt der alten Norm der Yadung durch die Partei, ma- 
nitio nad) Volfsrecht, bannitio an. Je nachdem es ihnen Vortheil 
bringt *, wenden fie das Volfsrecht, lex, oder das Reichsrecht, capi- 
tula, an, fo daß Beide oft für nichts geachtet werden. Der Miß— 
braud) ihres Rechts zu Geldftrafen hat zur Folge, daß, wenn früher 


u Be 
90 
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es 


—12, 
“ Opp. II, er ec. 13—15. Sohm, Altdentiche Reichd- und Gerichtsver« 
faffung ©. 113. 214 ff. und 370 Anm; 40 Hält Hinkmars Beſchwerde für 
rechtlich unbegründet, 


118 


viele, jett nur noch einige heerbannfähig find. Hinkmar trifft die wun— 
deſte Stelle der damaligen Zuftände, vermag aber nicht die Mittel 
zu durchgreifender Abhülfe anzugeben. Nicht das von ihm ſtets em— 
pfohlene Zujammenwirfen . des Königs mit geiftlichen und weltlichen 
Großen konnte helfen, denn diefe fuchten in feiner, jene in gröbfter 
Weiſe nur ihren Vortheil. Selbſt tüchtige und energifche Fürften 
wären bei der nadten Selbitfucht der höhern Stände fchwerlid im 
Stande geweſen, dem unglüdlichen Pande zu helfen. 

Auch Hinfmar war von Herrichlucht ud Leidenschaftlichkeit nicht 
frei, aber doc) ftet® bemüht geweſen, nach beiter Erfenntniß für das 
Wohl des Neichs zu wirken. Seine legte Schrift beweift, mit wel= 
heim Kummer über die Zerrüttung des Landes er am 21. Dezember 
882 fein Yeben in Epernay beichlof. 

Die Wiederbefegung des angejehenften Erzbisthums im Reich 
war natürlich für das Königthum von hoher Wichtigkeit, es galt 
jteter Erneuerung der von Hinkmar aufgeftellten Forderung vollkom— 
nıen freier Biſchofswahlen entgegenzutreten und den Einfluß des Hofes 
zu wahren. Hier verbreitete ſich das Gerücht, bie Geiftlichkeit von 
Reims und einige Laienvaſſallen hätten, ohne die Anfunft des wahr- 
Icheinlic; vom König ernannten Bifitators abzuwarten, einen Biſchof 
erwählt. Gegen diefe von Reimſer Geiftlichen erhobene Beſchuldigung 
verwahrten fich Klerus und Vaſſallen des Bisthums in einem Brief 
an Hildebald von Soiſſons und die übrigen Bifchöfe der Reimſer 
Kirhenprovinz! am 5. Februar 883. Sie fandten den Propft des 
Klofters Hautvilliers Guntram mit dem Schreiben, deffen Inhalt fie 
dem Abt Hugo und Bifchof Angeloin (wohl Ingelwin von Paris) 
mitzutheilen baten. Wir fennen den angeblich Ermwählten nicht, aber 
die MWahrfcheinlichkeit fpricht dafür, daß der Neimfer Klerus im 
Sinne Hinfmars einen unabhängigen Mann, wo möglich aus feiner 
eigenen Mitte, zu erheben wünfchte?. Dagegen erfennen wir in der 
im März erfolgten Weihe des Abts Fulfo von S. Bertin den Ein- 
fluß des Hofes, vor Allem wohl des Abts Hugo. Denn Flodoard 
nennt ihn palatinis assuetus offieiis. Er hatte al8 Mitglied der 
Geiftlichkeit Karl den Kahlen nach Stalien begleitet, zum Regentſchafts— 
rath Ludwigs des Stammlers gehört und war mit den einflußreichen 
burgundifchen Grafen Guido und Anschar verwandt?, 

Bald nad) feiner Erhebung empfahl Fulfo dem Papft Marinus 
König Karlınann, der natürlich für gerathen hielt, das freundſchaft— 
liche Verhältniß feiner Vorgänger zum Papftthum aufrecht zu erhalten. 
Auch bei Marinus’ Nachfolger Hadrian, feit Mitte 884, ermeuerte 
Karlmann durch Fulkos Vermittelung feine Huldigungent. Die ftolze 


* Mansi XVII, 414 Abdrud aus Baluze Capit. 
* Die Gallia christ. IX, 45 meint, man babe bereit? an Fullo ge⸗ 


dacht. 
s Flod. IV, 1 und IV, 5. LL. I, 589, c. 15. 
* Flod. IV, 1. 


119 


Unabhängigkeit der weitfränfifchen Kirche vom Königthum und Papfts 
thum war mit Hinfmar zu Grabe getragen. 

Das dürfen wir auch aus einigen der nächſten Bifchofswahlen 
ſchließen. So wurde der Propjt des vom Abt Hugo abhängigen Klos 
fters S. Columba Everard am 28. April 884 Erzbifchof von Sens, 
und in Beauvais bejtieg nach Hrotgars Tod der von Hinkmar ver= 
worfene Honorat 883 den bifchöflihen Stuhl, Anfang 884 der ein- 
flußreiche Gauzlin, damals wieder Erzfanzler, den von Paris!, 

Auch dem äußern Feind gegenüber ließ es Karlmann an Thätigs 
feit nicht fehlen und bemühte ſich dem fchmählichen Raubweſen ein 
Ende zu machen. Am 22. Februar 883 erlieh er auf einem Reichs— 
tag zu Gompiegne ein Capitular, wonad) die Frevler für die bisher 
verübten NRäubereien eine vom König verhängte demüthigende Strafe, die 
harmiscara, treffen jollte?, Die Yehusherren follen in Zufunft für 
ihre raubenden Bajjallen beitraft werden, wenn fie die Thäter nicht 
vor den König brächten. Dies hatte fo wenig wie das Verbot, folchen 
Aufnahme zu gewähren die ſich dem Gericht nicht geftellt Hatten und 
deshalb verfejtet jeien (forbanniti), den gewünſchten Erfolg, da die 
Großen fih an dem Raubwejen jelbjt betheiligten , namentlich; das 
niedere Volk und die Klöfter heimfuchten. Vermuthlich mit den zu 
Compiegne verfammelten Großen jtand Karlmann, ohne Erfprickliches 
ausrichten zu Fünnen, den Normannen gegenüber. Im Frühjahr ver= 
liegen fie Conde und verheerten den Sommer über Flandern mit 
Feuer und Schwert, die Bevölferung austreibend?, Hugo mag, an 
diefen Greignijjen nicht betheiligt, Neuftrien vor erneuten Einfällen der 
Normannen von der Bretagne her geichütt Haben. 

Nah dem Bericht eines Hersfelder Mönchs Diedericus aus 
dem Beginn des elften Jahrhunderts verwülteten die Normannen 
unter Karlmaunn abermals die Loiregegenden*. Die Mönche von 
Fleury erhielten fünf Tage vorher Kunde von dem beabfichtigten 
Ueberfall ihres Klofters und flohen großentheil® mit den Reliquien 
ins Kloſter S. Aignan, dein, wie wir willen, von Bifhof Walter 
befeitigten Orleans. Sechzig oder mehr mit einigen Kirchendies 
nern Zurücfgebliebene wurden niedergemegelt, alles Werthoolfe ges 
raubt und ein der Himmelsfönigin geweihtes Bethaus niedergebrannt. 
In derfelben Nacht fei dem mächtigen Vogt des Kloſters Graf 
Gislolf der heilige Benedikt erfchienen und Habe ihn aufgefordert die 
Vernichtung ihres Kloſters zu rächen. Nad vielen durch den 
Heiligen beichwichtigten Bedenken habe der Graf mit allen Lehns— 
leuten, die er zufammenraffen fonnte, die Räuber verfolgt, ihnen am 
dritten Tage bei Angers die Beute abgenommen und mehrere Gefangene 
befreit. Der König habe die Kunde von folhem Erfolg mit geringer 


1 Gall. christ. XII, 27. Ann, Ved. 883. 884, SS. II, 200, 
2 LL.I, 550. Waitz, D. Berfaffungsgeihichte IV, 445. 

® Ann. Ved.|.c. 

* Illatio 8. Benedicti, Mab. A. 8. IV, 2, ©. 364. 


— 


120 


Mannſchaft nicht geglaubt, bis Gislolf ihm verſichert, daß Benedikt 
ihnen im Mönchsgewand zu Roß vorangekämpft habe. Karlmann 
ſei mit allen Vornehmen des Reichs nach Fleury gekommen und habe 
das Kloſter im Lauf eines Jahres wiederherſtellen laſſen. Eine 
große Verſammlung von Biſchöfen und Aebten habe beſchloſſen, am 
erſten Adventſonntag, dem 1. Dezember, bei ſtrengem Froſt die Reli— 
quien von Orleans zurückzubringen. Im Vertrauen auf Gottes 
Macht habe man ſie trotz ſtrengen Froſtes in der 18 Meilen entfernten 
Stadt auf ein Schiff geſetzt, und ſie ſeien trotz des Eiſes ohne menſch— 
liche Hülfe am 4. Dezember nach dem Kloſter gelangt. Trotz dieſer 
Wundergeſchichten mag der Legende ein hiſtoriſcher Kern zu Grunde 
fiegen!. Dann wäre Hugo an der Verſammlung von Compiegne und 
der Belagerung gegen die Schelde-Normannen betheiligt zu denfen und 
während feiner Abwefenheit der Raubzug an der Loire im Winter 
882—883 erfolgt ; zwifchen März und Auguft 883 könnte Karlmann 
über deſſen Aufenthalt während diefer Zeit uns jede Kunde fehlt ?, 
nach Fleury gekommen fein. 

Am 11. Auguft 8833 befand fi) Hugo in der Umgebung bes 
Könige zu Melnacum, wahrscheinlich Mianay im Vimen an ber 
untern Somme, Unter feiner und aller Großen Zuftimmung beitä= 
tigte Karlmann Bifchof Walter die Privilegien feines Bisthums Or— 
leand. Es galt abermal® den Schutz des Reichs gegen die Nor— 
mannen, die Ende Oktober mit Neiterei, Fußvolk und allem Kriegs— 
geräth gegenüber von Laviers Stellung nahmen? Als auch ihre 
Schiffe vom Meer her in die Somme einliefen, mußte der König, 
wahrscheinlich aus Furcht vor Umgehung, fliehen und über die Dife 
zurückgehen. Die Normannen fonnten in Amiens Mintergquartiere 
aufichlagen und noch weiter al8 in den letten Jahren bis zur Seine 
und auf beiden Difeufern verwültend vordringen®. Da man ihren 
Vortfchritten fein Ziel zu feen vermochte, ſchien e8 räthlich fie durch 
einen Vertrag zum Abzug zu bewegen. Man wählte als geeianeten 
Unterhändfer Sigfrid, einen Neffen oder Enkel (nepos) des Dänen 
fönigs Horich, wohl des 854 gefallenen, der wie fein Verwandter 
Rorich weitfränfische Lehen erhalten Haben mochte und zum Chriften- 
thum übergetreten war. Derfelbe ging über Beauvais nach Amiens, 
ohne zunächit mit feinen Stammgenoſſen einig zu werden. Vielmehr 
festen die Normannen im Winter 883 ihr furdhtbares Treiben fort. 


1 Mabillon, Ann. Ben. III, 200 ff. Die Daten paffen auf den 4 
Dezember 883. Doc ift fehr möglich, daß die von Dietrich aufgezeichnete Tra— 
dition aus der Zerftörung Fleurys im Jahr 865 (Mobert der Tapfere S. 94) 
und dem Kampf Hugos zufammengeflofien ift. 

- 3 Ein anonymer Klofterchronift läßt diefelben Ereinniffe ſich unter Karl 
dem Einfältigen zutragen; Mabill., 1. c., vielleicht durch die in Fleury ſelbſt 
ausgeſtellte Beftärigungeurkunbe des Königs vom 30. Oktober 900 veranlaft, 
Böhmer 1713, 

s Böhmer 1862. Ann. Ved. 

* Chron. — 889. Kihelward, IV, 3; Mon. hist. Britann. ], 
359 und 516. 


121 


Auf allen Straßen und in jedem Ort Tagen Leichen jedes Standes, 
Geſchlechts und Alters, das chriſtliche Volk war bis zur Vernichtung 
heimgefucht. 

Außer Stand gegen fo furchtbare Leiden zu fchüten, verfammelten 
fih die Großen, die den höchſtens 18jährigen Karlmann noch als 
Kind anfahen, im Beginn des Jahres 884 abermals in Compiegne 
und verhandelten, was zu thun fei. Wieder wurde Siepfrid an feine 
Landsleute gefandt, deren bedeutendfter gleichnamiger Fürſt vielleicht 
felbft mit ihm verwandt war, um gegen Tribut die Räumumg. des 
Reichs zu erlangen. Nach vielem Hin- und Herverhandeln verlangten 
die Normannen endlich 12,000 Pfd. reines und geprüftes Silber nad) 
ihrem 4 °/o jchwereren Gewicht ? und veriprachen dafür zwölf Jahre 
Frieden zu Halten. Die Summe berechnet fih auf etwa 275,000 
Thlr. Silberwerth, der nad) den unaufhörlichen innern Unruhen und 
Normanneneinfällen gewiß mehr als das Siebenfache des heutigen betrug 
(nad) dem Getreidepreis vor 1850). Diefe Zahlung, die größte die 
den Normannen auf dem Gontinent geleiftet worden, war eine unge- 
heure Laſt für das verarmte Land. Sehr gewichtige Gründe müffen 
die Großen bewogen haben, durch folche Opfer längere Ruhe zu er- 
faufen. Vielleicht gedachten fie in der Zwifchenzeit , namentlich durch 
Bermehrung der befeftigten Pläte und Sperrung der Flüffe, wie fie 
Karl der Kahle und bald darauf Paris ausführte, Kraft zur Abwehr 
weiterer Angriffe zu gewinnen. Wurde für zwölf Fahre eine friedliche 
Entwidlung ermöglicht, fo konnte man hoffen, wie Alfred der Große 
den Normannen und fpäter Heinric I. den Ungarn mit beſſerm Er- 
folg als bisher Widerftand zu leiſten. Zunächſt wurden gegenfeitige 
Geiseln ala Bürgichaft für einen Waffenftillftand von Mariä Reinte 
gung (2. Februar) bis zum Dftober 884 geſtellt, dann follte nad) 
Zahlung des Tributs der Abzug der Normannen erfolgen. 

Natürlich nahm Abt Hugo hervorragenden Antheil am Abſchluß 
des Vertrags, zumal feine Anwefenheit in Compiegne am 2. und 3. 
Februar urfundlich bezeugt ift. Er und Frotar von Bourges baten 
Karlmann vor der zahlreichen Verſammlung geiftlicher und weltlicher 
Großen um Rückgabe der Billa Cilianum im Gau von Frejus an 
Biihof Berengar von Marjeille und das Stift ©. Bictor?. Am 
9. Februar wirfte Hugo beim König einen Schutz- und Immunitäts— 
brief für das Klofter Alfa (Moutier Namey) in der Grafichaft 
Troyes and. Hugo nahm daher wahricheinlih auch an den Ver— 
handlungen eines Theils der Großen im März zu Vernis* Theil. 

Auch aus Karlmanns Anrede an die Großen in der Einleitung 

! Ann. Vedast., Reg. 884, SS. I, 554 und II, 200. Dimmer I, 
859 und 799, 

R Ani Ann. Fuld. 882, 88. I, 397. Soetbeer, Forfchungen V, 55, vgl. oben 

s Böhmer 1863 und 1865. 

* LL. I. 551; nicht Berneuil, wahrſcheinlich Vaines 6 Kilometer mweftlich 
von Lagny, f. Longnon, Recenfion der M. G. Diplomata, Rev. crit. 1873, 
©. 129. Diümmler II, 232, 


122 


dieſes Capitulars ergiebt fich, daß die Peiden des Volks gefteigert wur« 
den durch fchimpfliche Habgier der Großen, die ihm wie Hinfmar 
al8 Urfache der Fortichritte der Normannen galt. Die vorgeſchla— 
genen Mittel zur Abhülfe waren mehr moralifche Ermahnungen als 
Mafregeln von politifcher Tragweite. Die Pfalz, der Hof folle in 
Ehrfurdt vor dem König, Gottesfurdht, Eintracht und Frieden befe- 
ftigt, von dort der Landfriede über das ganze Weich verbreitet 
werden. 

In der Erfenntniß, daß mweltlihe Mittel dazu nicht ausreichten 
und die Lehnsherren ihre Vaffallen oft im räuberiichen Treiben be= 
jtärften oder doc; beichütten, fuchen Karlmann und feine Nathgeber 
hauptſächlich geiftlihe Strafen in Wirkſamkeit zu ſetzen. 

Der Biſchof ſoll durch den Presbyter, in deſſen Pfarre der Räuber 
wohnt, dreimal zur Zahlung des Friedensgelds, zur Beſſerung und 
Buße auffordern, wenn das fruchtlos bleibt, die Exkommunikation 
ausſprechen und dem Lehnsherrn und ſeinen Mitbiſchöfen anzeigen, 
damit der Frevler nicht vor geleiſteter Genugthuung in die Kirchen— 
gemeinschaft aufgenommen werde. Wenn der Raub nicht in der 
Heimath, namentlich; auf dem Marſch oder der Hoffahrt verübt ift, 
foll der Biſchof der fremden Diözefe die Aufforderung vornehmen 
laſſen, ohne daß der Biſchof der Heimat die Jurisdiftion über feinen 
Parrochianen übelnehmen fol. Der Frevler darf die Diözefe nicht 
vor geleijteter Buße verlaffen, fein Lehnsherr und Bischof ihn nicht eher 
aufnehmen . Eo oft die Bijchöfe ihren Eik verlaffen, follen fie ge— 
eignete Vertreter zurüclaffen, in entfernteren Orten ältere befonnene 
Priejter mit Erfüllung diefer Obliegenheiten beauftragen. Sendboten, 
alle Beamten und des weltlichen Geſetzes kundige Franken follen die 
Biichöfe, ihre Diener und die Armen felbft unterjtügen, falls fie ſich 
an fie wenden ?. 

Auch die Königsvafjallen werden wegen Raub der Yurisdiktion 
der Grafen unterworfen, die mit den Sendboten befugt find, fie im 
Fall des Ungehoriams mit Gewalt zu zwingen. Walls fie vorziehen 
am Hof zur Rechenschaft gezogen zu werden, bedürfen fie der Bürg— 
haft glaubwürdiger Männer, ein Vornehmer (melior) muß felbjt 
ihwören. Der König verzichtet auf den Schuß feiner Vaſſallen, 
wenn fie im Widerſtand den Tod finden, veripricht aber den Grafen 
zur Mechenfchaft zu ziehen, wenn er den Gefallenen aus Haß oder 
Neid, nicht wegen Raubes verfolgt hat. Dffenbar verftanden fich die 
Großen nur unter jolcher Verklaufulirung zur Ausnahme von ihrer 
Stellung unter unmittelbarer Gerichtshoheit de8 Königs, zumal auch 
das Recht der Fehde wegen eines im Kampf gegen die Staatsgewalt 
Getödteten aufgehoben wurde ®. 

Damit Niemand durd) Noth zu Verbrechen gezwungen werde, eın= 


c. 56 und 8, L. c. 
ce. 7 L. c. 
LL. I, 553, c. 10—11. 


1 
2 
8 


123 


pfahl das Gapitular den Prieftern Gaftlichfeit. Sie follten auch ihre 
Parrochianen mahnen, Herberge zu gewähren und nicht theurer als 
zum Marktpreis zu verkaufen außer mit ihrer Erlaubniß!. Endlich) 
werden die vom Landvolk häufig geichloffenen Berbindungen zu eigen— 
mächtiger Selbithülfe (Gilden) gegen Räuber wie früher verboten. 

Leider mußten die ernten Bemühungen der einfichtigeren Großen, 
mit Hülfe der Kirche die Fehden einzufchränfen und dem räuberi= 
chen Amtsadel und Vaſſallenthum gegenüber die öffentliche Sicher: 
heit wieder herzuftellen, fcheitern. Die faft allein noch wehrhaften welt 
lichen Großen und Bafjallen ftanden der verweltlichten, in vielen Be— 
ziehungen finfenden Kirche zu feindlich gegenüber ; die meift aus ihrem 
Kreis ftanımenden Beamten bewiefen in Unterftütung der Geiftlichen 
üblen Willen oder nahmen gar felbit am Rauben Theil. Der jugend» 
liche König war zu machtlos die Zuftände zu beifern. Obenein hörte 
dur Karlmanns Tod bald jedes direkte Eingreifen des Königthums 
im weitfränfiichen Reich auf. 

Bermuthlic traf die Verſammlung von Vernis ähnliche Beſtim— 
mungen wie die zu Kierſy zur Aufbringung des Tributs an die 
- Normannen von Oftern, dem 16. April, an. Der Klerus wurde 
beſonders ſchwer getroffen, da die Kirchenschäge eine Fülle edler Me— 
talfe boten. Nacd den Annalen von Baaft wurden die Kirchen und 
ihre Güter förmlich geplündert: gewiß wird man bei dem Mangel 
geordneter Rechtszuftände vielfach ſehr gewaltſam vorgegangen fein. 

Zunächſt blieb Hugo in der Umgebung des Königs, der ihm am 
11. Juni in Meaur alle Befitungen und Privilegien von S. Ger. 
main beftätigte, darunter Zollfreiheit und Schenkungen Hugos unter 
Ludwig dem Stammler, Tilium, ein an das Krankenhaus gefchenktes 
Gut aus der Ausstattung des Abts Buculiacus und das von ihm 
gegen ein anderes Gut dem Klofter überlaffene Bandiliacum. Karl-— 
mann fcheint für den wadern Abt wahre Zuneigung empfunden zu 
haben, er fagt in der Urkunde, daß erihn wegen feiner ſtets bewahrten 
Treue wie einen Vater liebe ?, und erfannte ihn als feinen Bormund 
und den größten Vertheidiger feines Reiches an. 

Hugo mag dann nad) Neuftrien gegangen fein, um für Aufs 
bringung des Tributs zu forgen. Ins Jahr 884 gehört noch eine 
Urkunde deffelben für den Vizegrafen Hildegar von Pimoges. Diefer 
gab dem Stift S. Martin das Gut Athee in der Touraine (Canton 
Blere) zurück und erhielt dafür unter Hugos Zuſtimmung mit feiner 
Gemahlin Tetberga vom Dekan Galterus gegen 10 Solidi Zins die 
Billa Brigolium (Brigueil le Chartre, Dep. Vienne, Canton de la 
Tremouille) als Prefarie?. Wir haben auch von einem Prefarien- 
vertrag Hugos mit Erzbifchof Adalhard von Tours und dejjen Bruder 
Raino von Angers, alfo nicht vor Ende 880, Nachricht. Adalhards 


ic 12—13. 
2 Böhmer 1868. Boug. IX, 435 ff., vgl. 1862. 
® Mabille, Les invasions ©, 52, Pancarte OIX. 


124 


früheres Lehen vom Kloſter S. Aignan Appiariae im Gau von Ors 
leans hatte Hugo mit Zuftimmung der SKanonifer beiden Brüdern 
gegen 7 mansi und eine Kapelle der Gottesmutter in der Villa Bra- 
cidum im Gau von Plois, viearia Ascellum, als Prefaria gegeben. 
Fir den Zchnten und 5 Solidi Zins an das Hospital des Stifte 
ſollten Adelhard und Raino beide Güter auf Lebenszeit behalten!. 
Dieſe Urkunden beſtätigen ebenſo wie Hugos Entſcheidung gegen ſeinen 
Vaſſallen Wilhelm zu Gunſten der Scholaftifer von ©. Martin, 
daß er bei aller weltlichen und Eriegeriichen Richtung fich nicht auf 
Koſten ſeiner Abteien bereicherte, ſondern ihre Güter, unter verſtän— 
diger Berückſichtigung der Nothwendigkeit, kriegerifche Mannfcaft 
durch Lehen zu gewinnen, zuſammenhielt und zum Theil aus eigenem 
Beſitz vermehrte. 

Von nun am fehlen beſtimmte Anhaltspunkte über Hugos Auf— 
enthalt. Wir wiſſen nicht, ob er mit Karlmann und den Großen die 
abziehenden Normannen im Oktober von Amiens bis Boulogne be— 
gleitete, um die Verletzung des Friedens zu hindern. Leider ſchei— 
terten alle Hoffnungen auf eine Dauer deſſelben durch den plötzlichen 
Tod des jungen Königs, der am 12. Dezember an einer Wunde ſtarb, 
die ihm durch das Ungeſchick eines ihm auf der Eberjagd zu Hülfe 
kommenden Genoſſen Namens Berthold im Walde Bezu la Foreß 
nordöſtlich von Andelys geſchlagen wurde?. 


V 


Nur ein fünfjähriger Knabe, der nachgeborne Sohn Ludwigs des 
Stammlers, Karl war noch vom Hauſe Karls des Kahlen übrig, dem 
ſchwerlich Abt Hugo die Königskrone übertragen wollte, wenn er auch 
in ſeinem Namen als Vormund wie unter den letzten Königen hätte 
regieren können?. Bei der ſchlimmen Lage des Reichs, an deſſen 
Grenzen noch immer die Normannen ſtanden, wäre es thöricht ge— 
weſen. Der noch fortlebende Gedanke einer Gemeinſamkeit aller frän— 
kiſchen Reiche und die Hoffnung, von ihm Hülfe zu erhalten, führte 
die weſtfränkiſchen Großen nach Karlmanns Beſtattung in S. Denis 
zu dem Beſchluß, dem Kaiſer Karl III. auch die weſtfränkiſche Krone an— 
zubieten. Hugo ſelbſt mochte durch das Fußleiden gehindert werden, 
an dem er im folgenden Frühjahr litt, oder gedachte der Fortſchritte 
der Normannen während ſeiner Abweſenheit im Jahr 882; deshalb, 


! Bougqg. VII, 703 und IX, 352. Böhmer 1005. Da erft Karl III. 
am 27. October 886 den Vertrag beftätigte, ift er vielleicht Furz vor dem Tode 
Karlmanns oder unter ihm felbft abgeſchloſſen. 

Ann. Vedast. Reg. 884; SS. II, 207 und I, 594. Necrol. 8. 
Remigii bei Dümmler II, 234. Gfrörers Hypotheie, der im Tod Karl« 
manne, Ludwigs III. und des Oftfranken Lubwig die Hand Kaijer Karls ficht, 
II, 232. 235 und 263, ift fo wenig begründet als feine Anficht, die Normannen 
hätten ihre Züge ftets im Dienft eines der farolingijchen Fürften gegen andere 
Karolinger unternommen. 

® Gingins la Sarraz, Archiv für ſchweiz. Geſch. VII, 180, nad) Alberich 
bon Zrois Sontaines, Boug. IX, 59. 


125 


nicht als Haupt einer deutfchen Partei, wurde Graf Thesdorih ar 
den in Stalien weilenden Kaiſer geſchickt. 

Inzwiſchen hatte der größere Theil der eben abgefauften Nor— 
mannen Yothringen aufgeſucht amd in Yöwen Wintergquartiere aufge= 
ſchlagen. As jie die Kunde von Karlmanns Tod vernahmen, er— 
nenerten fie ihre Züge ins wetfränfifche Gebiet’, 

Da berittene Baſſallenheere im Winter feinen längeren Feldzug 
unternehmen konnten, Hugo jelbjt ſich zu frank fühlen mochte, ſchickten 
er und die übrigen Großen Gejandte an die Normannen mit dem 
Vorwurf, daß fie ihr Verfprechen und die geleitete Friedensbürg⸗ 
ſchaft gebrochen. Sie erwiderten, ſie hätten mit Niemand anders als 
Karlmann Bertrag geſchloſſen, und wer auc) in feinem Reiche folge, 
müſſe ihnen eine gleiche Geldjumme an Zahl und Gewicht (numeri et 
quantitatis) zahlen, wenn er ruhig und in Frieden herrichen wolle, 
Ja fie follen die Geiſeln ermordet haben ?, 

Karl betrat im Mai 885 das weitfränfifche Gebiet, erjt im 
Juni Huldigte ihn in Gondreville und Pontyon die Michrzahl der 
Grogen® In der Nähe des letztern Orts zu Etrepy weilte er 
bis zum 22. Yuni, und hier mögen auch die Yothringer an dem 
feftgefegten Tage zu ihm geſtoßen fein, um gemeinfam mit den 
Weſtfranken die Normannen in Yöwen anzugreifen. Nur Abt Hugo 
wurde durd ein Fußleiden gehindert, Karl perjönlih zu Huldigen 
und am Veldzug Theil zu nehmen, der mit Schimpf und Schande 
endete °. 

Der Raifer war am 23. Auguft wieder in Waiblingen. Den 
Weitfranfen follen die Dänen über ihre langen vergeblichen Kämpfe 
jpottend zugerufen haben: Warum kommt ihr zu ung, e8 war nicht 
nöthig; wir wiſſen wer ihr jeid, und ihr wollt, daß wir zu euch zurück— 
fehren, das werden wir thun. Die Normannen, unter ihnen wahr= 
Scheinlich auch Rollo, brachen gleich nach dem Abzug der Franfen auf, 
da fie Schon am 25. Juli Rouen befetten®, Die Vafjallenfchaaren 
des nächitgelegeneu Sranzien werden zur Deckung ihres Yandes zuſam— 
mengeblieben fein, denn die S. Vaafter Annalen berichten, daß die 
Tranfen den Normannen bis Rouen gefolgt feien *. Obgleich ihre Flotte 
noch nicht angefommen war, wußten fie genug Schiffe aufzutreiben, 
um: den Fluß zu iberfchreiten und ſich auf dem dort fehr bergigen 
wejtlichen Ufer zu befejtigenn. 

Nicht mehr ein Grenzgebiet, fondern alle Theile de8 Reichs bes 
drohten fie wie vor 877 von der Hauptverfehrsader der Seine 


ı Reg., Ann. Fuld., SS. I, 594 und 400, 

2 Reg. 1. c. fidem datam. 

® Ann. Fuld. Dem aus der Erinnerung fehreibenden Regino erſcheint 
diefe Botichaft als Grund zur Berufung Karls, 

* Diümmler II, 235 ff. Eidel, Forfchungen IX, 416. 

5 Reg. Ann. Vedast. 885; SS. I, 594 und II, 201. 

° Ann. Vedast., SS. II, 201 ff. und Dudo II, 13 in der neueflen 
Ausgabe von Jules Lair ©. 57. Böhmer 992, 


126 


aus, und die Hoffnung Aller richtete fich in folcher Noth auf zwei 
Männer geiftlihen Standes, aber friegeriihen Sinnes , die Aebte 
Hugo und Gauzlin!. 

Hugo genoß auch unter Karl III. das höchſte Anfehn im 
weitfränfiihen Weich, und die VBertheidigungsmaßregeln blieben ihm 
überlajjen, da aud) ein fräftigerer Herrjcher, al8 der Kaijer war, vom 
fernen Deutſchland oder Ytalien aus faum hier einzugreifen ver— 
mocht hätte. Hugos Klugheit, Muth und ZTüchtigfeit, hoffte man, 
werde wie früher die barbarischen Angriffe abwehren?, Seinen 
Einfluß auf die Austheilung von Yehen verwandte er wahrſcheinlich 
wie Robert der Zapfere, bejonders in Neuftrien und Burgund, zur 
Gewinnung tapferer VBertheidiger?. So erhielt Ganzlin das Bis— 
thum Paris, jein kriegeriſcher Neffe Ebolus bejaß ſchon eine feiner 
Abteien S. Germain des Pres, und wird damals aud) S. Denis 
erhalten haben. Rudolf von S. Vaaſt erhielt 883 das durch Fulfos 
Berufung nad Reims erledigte S. Bertin. Odo wurde, wie wir 
vermuthet, nach dem Tode des Welfen Konrad Graf von Paris; aud) 
fein Bruder Robert befaß damals eine Grafjchaft, vielleicht Troyes ; 
die tapferen DBertheidiger von Chartres Gotfrid und Ddo waren feine 
Bajjallen*. In allen diefen Ernennungen werden wir Hugos Ein— 
Fluß zu erkennen haben. Aber er jelbjt konnte wahrjcheinlicy nur die 
Aufbietung der Nenftrier und Burgunder bejchleunigen, nicht fie 
führen, da wir an ihrer Spige Graf Ragnold von Maine fehen, 
wegen der Wichtigkeit jeine8 Grenzgaus von den ©. Vaajter Annalen 
dux genannt. Auch er, vielleicht von Hugo an Stelle der Söhne 
des unzuverläjfigen Ganzfrid gejegt, muß ein waderer Kämpfer ges 
wejen fein, denn das Heer wurde vollfommen entmuthigt, al8 er mit 
Wenigen im Gefecht fiel. 

Jeder Widerjtand im offenen Felde hörte auf, und am 24. No— 
vember 885 erjcjienen die Normannen vor Paris?. Sie brachten 
die von Ganzlin und Ebolus, Ddo und Kotbert wader vertheidigte 
Stadt in arge Noth, als am 6. Februar 886 die fleine Brüde nad) 
dem füdlichen meuftriichen Ufer vom Strom’ fortgerijjen wurde. Bis 
dahin mochte eine wenngleich oft unterbrochene Verbindung mit dem 
Abt Hugo den Widerjtaud erleichtert haben. Nun ergoſſen jid) die 
Normannen großentheil® aud) über fein neuſtriſches Gebiet, wurden 
aber von Hugos Bafjallen Odo und Gotfrid vor Chartres uud 
ebenjo fpäter bei le Maus mit empfindlichen Verluſt geichlagen. 
Gegen Orleans, wo wahrjcheinlic Hugo weilte, dejjen Tapferkeit fie 
fo oft erprobt, wagten fie, wie es fcheint, nicht vorzudringen. Gewiß 
mit jchwerem Herzen mußte der kranke Held unthätig zufehen, wie 
Paris nad) dem Tode des Biihofs Gauzlin immer härter bedrängt 


! Ann. Fuld. 886, SS. I, 401. 

2 Mobert der Tapfere S. 102. Abbo de bellis Parisiacae urbis ]J, 
68 und Ann. S. Germani; SS. II, 781 und III, 78, 

® Abbo I, 652 ff. wird für belligeri Uddonis consulis zu leſen fein 
*Hugonis'. 

* Dümmler II, 262, . 


127 


wurde, und der Muth der tapfern Bertheidiger fanf,. Daß man auf 
ihn gehofft, beweift die Erwähnung feines Todes durch einen Mitlei— 
denden, den Mönch Abbo von S. Germain des Pres!, 

In feine legte Lebenszeit wird die Zuftimmung zu dem Tauſch 
von drei Leibeigenen der Kanonifer von S. Martin gegen den Yeibei- 
genen des Geijtlichen Aldegar, Namens Yeutard, fallen, da die Bes 
ftätigung und die bezwedte Freilajiung dejjelben als denarialis erft 
unter feinem Nachfolger Odo durd Karl den Diden jtattfand ?, 

Hugo erlag wahrjcheinlich dem Fußleiden, das ihn ſchon im 
Frühjahr 885 befallen hatte, am 12. Mai 886 in Orleans ®, 

Gewiß war die Trauer im Reich allgemein, als man Hugo bei 
feinen Verwandten in S. Germain d’Aurerre beifekte. 

Eine Urkunde ſeines Nachfolgers Odo jcheint darzuthun, daß 
Hugo ſchon bei Lebzeiten S. Martin abtrat. Sie iſt datirt mense 
Aprili rejpective Majo, anno 6. in Italia et in Francia 4, et 
in Gallia 2, regnante imperatore Karolo*, aber abgejehen da= 
von, daß bei dem Schreiber, einem Subdiafon von ©. Martin, 
Ddulrif,- genaue Kenntnig der Negierungsepochen Kaijer Karls faum 
anzunehmen ijt, war man jelbjt in der Kauzelei Karls in der Zählung 
feiner Fahre in Gallien unſicher und feine Herrichaft im wejtfränfis 
hen Reid) wahrjcheinlich erit von der Huldigung durd) die weſtfrän— 
fiihen Großen im Mai 885 au anerfannt. Dann fallen diefe Ur- 
finden in den April und Mai 887, um jo wahrjcheinlicher, da in 
der Urkunde für S. Martin vom 22. Augujt 886 dort fein Abt 
genannt wird®, 

In der Obergewalt über Neuftrien wurde nad) den Annalen 
von Fulda der Babenberger Heinrich, Karls Feldhauptmann, Hugos 
Nachfolger, fiel aber am 28. Auguft vor Paris®. Nun verlich Karl 
die meijten Lehen des Abts, die einjt großentheils Robert der Tapfere 
gehabt, dem ältejten Sohn dieſes, Ddo, dem Retter von Paris”, 

Faft zwanzig Jahre, Ende 866 bie Mitte 886, hatte Hugo über 
Neujtrien gewaltet, fieben Jahre feit dem Tode Ludwig des Stammlers 
in Wahrheit wie nad) der jpätern Tradition das weſtfränkiſche Reich 
regiert. Ihm waren als Geiſtlichem feine leiblichen Erben bejchieden, 
aber der würdige Erbe feines Geiftes und feiner Macht wurde Odo. 


ı II, 68, SS. II, 792. 

2 Bouq. IX. 360. Böhmer 1018. 

s Bor Abbo, den Ann. Fuld., Vedast. und Lemoviceuses, SS, I, 
403 und Il, 202 und 251, fallen Mabillons Zweifel, Ann. Ben. III, 243, 
über das Todesjahr, als das Regino umd die oft von ihm abhängigen 
Ann. Laubienses 887, SS.I, 597, angeben, Das Datum ergiebt der Netrolog 
von Auxerre, Martene Ampl. collectio VI, 704. . 

* Böhmer 1006. Bouq. 1X, 352. 

5° Mabille, Les invasions ©. 55 und Pancarte 106. Böhmer 1004, 
vgl. 1010—12. Sidel, Korihungen IX, 416. — 885 jetst aud) das Cartula- 
rium Sithiense den Anfang von Karls Regierung. 

® Ann.Fuld. P. V, SS.I, 403: qui in id tempus Niustriam tenuit. 

’ Ann. Vedast., Reg. 887; SS. l, 597, und Il 203. Böhmer 1005, 


128 


Hugos weltgefhichtlicher Beruf war, dem fapetingiichen Hans die Mege 
zur Königskrone zu bahnen, die bald Odo jelbjt zu Theil werden jollte. 
Sreilih war deijen Bemühungen wie die Hugos umſonſt, die Nor- 
mannen zu vertreiben. Aber Beiden gebührt dennody hoher Ruhm, 
daß fie in einer wüſten und ſchlimmen Zeit ritterlich und edel blicben, 
und ihre Yebensfraft daran jegten, in ihrem Vaterland beijere Zeiten, 
einen geficherteren Rechtszuſtand herbeizuführen. Auch waren fie die 
Letzten, die, ohne die Kirche willkürlich zu befehden und zu beranben, 
die Rechte des Königthums den Anjprüden der Hierarchie gegenüber 
verfochten. 


Beiträge zur Kritik 
mittelalterlicher Quellenfchriften. 


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Kleine Bemerkungen zu karolingiſchen Annalen. 
Bon B. Simjon. 





IL. 3u dem Chronieon Moissiacense, den Annales Maxi- 
miniani und den Aun. breves (Mon. Germ. SS. III, 123). 


Es iſt in neuerer Zeit feftgeftellt worden, daß die Grundlage 
des Chronicon Moissiacense eine Compilation aus Beda, dem Fre— 
degar und deſſen Fortiegungen u. |. w. bildet, welche bis zum Jahr 
741 reiht!. Grhalten ijt diefe noch ungedrudte Compilation in 
einer Leidener Handſchrift (Scaliger 28). Außer in dem Chron. 
Moiss. ijt fie auch) in den Annales Maximiniani zu ©runde gelegt, 
welche, von dem Baron Reiffenberg bereit8 im Jahr 1844 in den 
Situngsberichten der belgischen Commission royale d’histoire ver= 
Öffentlicht ?, in Deutſchland lange Zeit unbeachtet blieben, bis Wait ® 
fie in die Runde der deutjchen Gefchichtsquellen einführte. Und zwar 
feinen ſich dieſe Jahrbücher von St. Marimin in Trier, auch ab» 
gefehen von dem aus andern Quellen geflojjenen Zufägen des Chron. 
Moiss., der gemeinfanen Vorlage noch enger anzujdjliegen als das 
legtere. Ein Bruchſtück der nämlichen bis 741 gehenden Compilation 
ſcheint endlich aud) in den Annales breves vorzuliegen, welche in 
den Mon. Germ. SS. T. 1II S. 123 abgedrudt find. Böhner 


1 Siehe Jaffé in Mommfens Ausgabe der Chronif des Caſſiodorus Se- 
nator (Abhandl. der Lönigl. Sächſ. Gef. der Wiff. VIIL, 1861) S. 677. 680. 
Wattenbach, Deutichlands Geicdjichtequellen im Mittelalter I, 3. Aufl., S. 164 
Anm. 2, Wait in den Nachrichten von der königl. Gef. der Wiff. und der 
G. 4. Univ. zu Göttingen 1871 (Nr. 11) ©. 310. 

2 Compte-rendu des seances de la commission royale d’histoire, 
Tom. VIII (Bruxelles 1844) ©. 167 ff. 

3 Göttinger Nachrichten a.a.D. S. 307 ff., vgl. Wattenbach I, 113, — 
Ob die Ann. Max. wirklich ſchon unter Karl d. Gr. verfaßt find, möchten wir 
n. a. deshalb für zweifelhaft hatten, weil darin (a. 799 S. 184, Wait ©. 318) 
die V. Leonis III benutzt zu fein ſcheint, welche jedenfalls crft nad) dem Tode 
dieſes Papſtes (F 816), nad) den Unteriucdungen von Krofta ſogar erft nad) 
829 verfaßt ift (1. F. O. Krosta, De donationibus a Pippino et Carolo 
M. sedi apostolicae factis. Inaug. Diff. Königsberg 1862, S. 46. Wat« 
tenbach a. a. ©. ©. 223 N. 2). 

9% 


— 


132 


hatte diejelben aus einer Handſchrift der Münchener Hofbibliothef 
(cod. lat. Nr. 246) copirt, welche nad) Pergd Angabe aus dem 
Ende des 8. oder dem Anfange des 9. Yahrhunderts ſtammt und 
Bedas liber de temporibus enthält!. Gegenwärtig pflegt man 
diefe kurzen Annalen, welche Notizen aus den Jahren 721— 741 
enthalten, auch als Annales Juvavenses breves zu bezeichnen ?, 
Indeſſen gefchieht dies wohl nur aus dem äußerlichen Anlaß, daß jie 
an der angegebenen Stelle hinter Ann. Juvavenses gedrudt ftehen, 
während fie in der That mit Salzburg nichts zu thun haben. Pertz 
bemerft, daß diefe Notizen offenbar vorzugsweije auf der Fortjegung 
de8 Fredegar und den Annales Laureshamenses beruhten, überjah 
auc nicht ganz ihre Verwandtichaft mit dem Chron. Moissiacense®, 
Wattenbach“* bezeichnet fie jegt al8 aus den Ann. Mosellani und 
der Cont. Fredegarii gemiſcht. Cine Vergleihung ergiebt indejjen, 
daß dieſe Annales breves wörtlich mit dem entjprechenden Ab— 
fchnitt der Ann. Maximiniani (721— (41, Compte-rendu ete. J. c. 
S. 170-171) übereinftimmen. Sie enthalten die Faſſung der 
letzteren mit allen Eigenthiimlichfeiten, welche diejelbe von der ver= 
wandten, im Chron. Moiss. vorliegenden, unterfcheiden?, aud) dieje= 
nigen Zufäge nicht ausgejchlojfen, welche an die Ann. Mosellani 
und Laureshamenses anflingen. 

Da die Ann. Maximiniani vor der Hand wohl nicht allgemein 
zugänglich jind, lajjen wir die Zufammenftellung folgen: 


Ann. brev.: 


Anno ab incarnatione Christi 
721. jactavit Eodo Sarracenos de 
terra sua. 

725. Sarraceni Augustidunum 
eivitate distruxerunt 4. ferıa, 11. 
Kal. Septembris. 

731. Carolus vastavit duas vices 
ultra Ligere, et Raganfredus mo- 
ritur. 

7132. Carolus pugnavit contra 
Sarracenos, die sabbati, apud Pec- 
tavis civitatem. 

734. Carolus migravit in Frisia 
delevitque eam usque ad interni- 
tionem, 


Ann. Max.: 


Anno ab incarnatione Christi 
721. jactavit Eodo Sarracenos de 
terra sua. 

Anno 725. Sarraceni Augusti- 
dunum civitatem destruxerunt 
4. feria 11. Kaleodas Sept. 

- Anno 731. Carolus vastavit duas 
vices ultra Ligere, et Ragamfredus 
moritur. 

Anno 732. Carolus pugnavit 
contra Sarracenos die sabbati apud 
Pıctavis ceivitatem. 

Anno 734. Carolus migravit in 
Frisia delevitque eam usque ad 
internecionem. 


1 Die Annales breves ftehen dort auf fol. 104, f. SS. III, 122. Ob 
vielleicht die Handſchrift dieſelbe Ueberarbeitung und Fortjegung des Beda ent- 
hält, die im Cod. Leid. Scal. 28 fteht ? 

2 Bol. Wattenbad I, 114 Aum. 2. Wotthaft, Bibl. hist. &. 130. 

s SS. III, 1. e.: quas Fredegarii praecipue continuationi et an- 
nalibus Laureshamensibus inniti atque a. 725 chronici Moissiacensis 
similitudinem referre, lectores facile advertent. 


ı 9.0.0. 


5 Bol. Waitz a. a. O. S. 310 fi. 


133 


Ann. brev.: Ann. Max.: 


7391. Papa Gregorius, Romanae | Papa Gregorius Romanae eccle- 
ecclesiae episcopus, clave (sic) ve- |siae episcopus clavos (sic) vene- 
nerandi sepulchri sancti Petri et randi sepulchri sancti Petri et vin- 
vincula ejusdem cum muneribus | cula ejusdem cum muneribus magnis 
magnis et infinitis legationem ad | et infinitis? legationem ad Carolum 
Carolum principem misit, quo | prinecipem misit, quo pacto patrato, 
pacto patrato, ut a partibus im- ut a partibus imperatoris recederet 
peratoris secederit? et Romano | et Romano consulto* praefato prin- 
consulto* praefato principi Carolo |cipi Carolo sanciret. Ipse autem 
sanciret. Ipse autem princeps | princeps magnifico honore ipsam 
magnifico honore ipsam legationem |legationem recepit, munera pre- 
recepit, munera preciosa contulit |tiosa contulit atque cum suis nun- 
atque cum suis nuntiis remisit |tiis remisit Romae. 

Romae, 


737. Carolus pugnavit contra 
Sarracenos in Gotia in loco qui 
dicitur Birra. 


Anno 737. ab incarnatione Do- 
mini Carolus pugnavit contra Sar- 
racenos in Gotia in loco qui dieitur 
Birra. 

Anno 741, Carolus obiit; filii 
ejus principatum illius dividunt 
inter se: Carolomannus Austriam, 
Alamaniam atque Toringiam 
sortitur, Pippinus Burgundiam 
Neustriam atque Provincian ac- 
cepit. 


741. Carolus obiit; filii ejus 
principatum illius dividunt inter 
se: Carolomannns Austria, Alaman- 
nia atque Toringia sortitur, Pippi- 
nus Burgundiam, Neaustria atque 
Provintiam accepit. 


nn nn — — 





Neben jener bis 741 reichenden Compilation find, wie R. Dorr 
näher begründet hat, in dem Chron. Moiss. aquitanische (ſüdfran— 
zöſiſche) Nacdjrichten benußt worden. Dorr verfucht aus denfelben 
1) Annales Aquitaniei 711—785, 2) ein ausführlichere® Chro- 
nicon Aquitanicum, die Zeit vom Weftgotenfönige Witifa bis zum 
Fahr 812 umfassend, herzuftellen. Die Analyfe de8 Chron. Moiss. 
mit Hilfe der Ann. Maximiniani hat beftätigt, daß er bei diefer 
Ausscheidung im Ganzen und Großen das Richtige getroffen hat ®, 
Jedoch findet fid) die Notiz a. TIL, mit welcher Dorr die Annales 
Aquitaniei beginnen läßt”: aquae inundaverunt valde, aud) in 
den Max., die zweite a. 725 über die Zerftörung von Autun am 


2 Diefe Jahreszahl ift in den M. G. Hinzugefet, während fie in ber 
Handichrift, wie ausdrüdtich bemerkt wird, fehlt. 

2 Der Herausgeber fchaltet hier in Klammern per ein. 

3 Dies ift um fo gewiffer ein Fehler, als aud) Fred. Cont. c. 110 re- 
cederet hat. 

* ji. e. Romanum consulatum, vgl. Fred. Cont. 1. c. Waitz a. a. O. 
©. 310. Pertz, SS. III, 123. ®Breyfig, Karl Martell S. 97 Anm. 4. 

5 De bellis Francorum cum Arabibus gestis. Inaug. Diff. Kö- 
nigsberg 1861. ©. 39 fi. F. Dahn, Könige der Germanen V, 240, glaubt 
hier wohl mit Unrecht eine Benutzung der Epist. Bonifatii zu erfennen, 

: a . — ©. 309. Wattenbach S. 164 Anm. 3, 

[v7 9— 


134 


22.* Anguft d. J. durch die Sarazenen wenigftens in der Haupt« 
ſache? in diejen fowie in den Ann. breves. 

Andererjeit8 begegnet man Spuren diejer aquitanifchen Nach— 
richten aud) in einer Chronif von St. Victor in Marfeille, ans 
weldyer bei Labbe, Nov. Bibl. I, 339, Excerpte abgedruckt find 
und auf deren alte Bejtandtheile Wattenbad) (I, 220 Anm. 2)3 aufs 
merfjam macht. Co findet man dort die Notiz von der Uebergabe 
der Stadt Gerona an die Franken 785, welche fonjt nur das 
Chron. Moiss. (nad; Dorr S. 43 aus den Annales Aquitanici) 
bietet, und zwar im ganz ähnlicher Form: 

M. G. SS. I, 297: Labbe |. c.: 

Anno 785. Gerundenses homines | 785 ind. 8. Gerundam civitatem 
Gerundam civitatem Carolo regi | homines tradiderunt regi Carolo. 
tradiderunt. 

Unmittelbar hierauf und unter der nämlichen Jahreszahl fährt 
die Chronif von St. Victor fort: Apparuerunt acies in coelo et 
signum 7 in vestimentis hominum, et multi viderunt sangui- 
nem pluere, et mortalitas magna secuta est. Cine große Au— 
zahl anderer Annalen, darunter aud die Chronit von Moijfac, ver— 
zeichnet diefe Wundererſcheinungen erft unter dem folgenden Jahr 
(786). Diefelbe folgt hier den Ann. Lauresham., mit deren Faſſung 
auch die im Chron. S. Vietoris gegebene im Wefentlichen überein— 
ſtimmt. Dagegen berichtet ein Chronicon Rivipullense® (SS. I, 
297. Abel, Karl der Gr. I, 420 Anui. 1. G.Paris, Hist. poeti- 
que de Charlemagne ©. 65): Hie Carolus dietus Magnus 
anno Domini 786. cepit eivitatem Gerundae, vincens in proe- 
lio Machometum, regem ipsius eivitatis. Et dum cepit ipsam 
eivitatem, multi viderunt sanguinem pluere, et apparuerunt 
acies in coelo, in vestimentis hominum et signa crucis ete. 
Hier ift alfo nicht nur die Uebergabe ber Stadt Gerona in eine Er- 
oberung derfelben durch Karl den Gr. verwandelt, ſondern e8 werden 
auch jene Wunderzeichen zu diejem Ereigniß in unmittelbare Beziehung 
geſetzt. Zu einer folchen fagenhaften Verknüpfung beider Begeben— 
heiten konnte recht wohl eine Faſſung wie die im Chron. S. Vietoris 
vorliegende den Anlaß bieten, wo beide unmittelbar hinter einander 
erwähnt werden. 

Außerdem ftoßen wir in dem Chron. S. Victoris aud) noch auf 
andere Angaben, nämlich: 

1 Breyſig a. a. O. ©. 62 fagt unrichtig: am 21. Auguft, fol dies 
nicht ein bloßer Drudiehler if. Die Quellen haben, wie wir fahen: 4. feria 
11. Kal. Sept., und in der That fiel der 22. Auguft 725 auf einen Mittwoch. 

2 Iedoch in beiden ohne den im Chr. Moiss. enthaltenen Zufat über bie 
Plünderung der Stadt: tbesaurumque civitatis illius capientes, cum 
praeda magna Spania redeunt. 

s Mattenbach vermuthet, e8 feien dies vielleicht biefelben Annales Massi- 
lienses, welche Bethmann (Per, Archiv XII, 268) in einer Handichrift der 
Bibliothek der Königin Chriftina zu Rom (128) neu entdedt zu haben glaubte. 
(Sie ftehen jetzt M. G. SS. XXIII). 

*% Bom Klofter Ripoll in Catalonien. 


135 


715 ind. 13. Senia (Sema) rex cum Saracenis ingres- 
sus est Hispaniam. 

801 ind. 9. ‚Introivit Ludovieus in Bareinona, filius prae- 
libati Karoli, et tulit eivitatem Saracenis, 
welhe an die entiprechenden, allerdings viel ausführlicheren des 
Chron. Moiss. (SS. I, 290. 307, nad) Dorr ©. 43 f. 48 aus 
dem Chronicon Aquitanieum) erinnern. Gleichwohl möchte ich 
nicht behaupten, daß im Chron. S. Vietoris Auszüge aus den 
aqnitanischen Quellen des Chron. Moiss. vorliegen. Der Uınjtand, 
daß daſſelbe die Notiz über jene Wundererfcheinungen vom J. 786, 
wenn auch an anderer Stelle, doc in der von dem letteren den 
Ann. Laureshamenses entlehnten Falfung enthält, weiſet darauf 
hin, daß hier da8 Chron. Moiss. felbjt benugt ijt. 


II. Zu den Weberarbeitungen der fränkiſchen Reihsannalen. 


Fr. Ebrard und W. v. Giefebrecht haben im XIII. Bande der 
Forſchungen die fränfiichen Reichsannalen von 741 bis 829 und 
deren verjchiedene Ueberarbeitungen neuerdings eingehenden Unterſu— 
dungen unterzogen. Beide ? erwähnen dabei auc jene Compilation 
über das Leben Karls des Großen in einer Handichrift der Einfiedler 
Stiftsbibliothef aus dem Ende des 15. Jahrhunderts, auf welche 
Bidinger (Bon den Anfängen de8 Schulzwanges, Zürich 1865, 
©. 29 ff.) hingewiefen hat. Büdinger meint (S. 34), e8 habe dem 
Berfajfer eine, die ältere in den von Berk fog. Annales Laurissen- 
ses enthaltene Aufzeichnung bietende Aecenfion der fränkischen Königs— 
annalen vorgelegen. Er glaubt (S. 36) jagen zu dürfen, daß hier 
eine in Reichenau angefertigte Abfchrift der Königsannalen vorliege, 
welche in Achen für die Zeit Karls des Großen erweitert worden fei. 
Indeſſen ftellt fi), wie ich meine, als fehr wahrfcheinlich heraus, 
daß wir die betreffende Vorlage der gedachten Compilation weder in 
den Reichsannalen felbjt noch in einer ſonſt unbekannten Ueberarbeitung 
arg fondern in der Chronik des Regino von Prüm zu juchen 
haben. 

Büdinger vermerkt al8 einen wunbderlihen Irrthum der von 
ihm erörterten Ueberlieferung, daß a. 796 der Ring (die Burg) der 
Avaren für einen Fürften der Avaren gehalten werde?. Diefe Ver— 
wechfelung begegnet uns aber fchon bei Regino, in defien Chronik 
man liejt: Iringum gentis Avarorum prineipem .... expoliavit®. 


ı Ebrard a. a. DO. S. 471-472. Gieſebrecht S. 632. 

2 ©. 34: „von dem Avarenring heißt es zum folgenden Jahre... .: 
Ringum Hunorum principem — expoliant. 

® Mon. Germ. SS. I, 561, vgl. auch S. 182 N. Der Irrthum fcheint 
durch alle Handihriften zu gehen, vgl. Ermiſch, Die Chronik des Negino bis 
813. Imaug. Diff. Göttingen 1871. S. 16 Anm. 4. 


136 


Terner hebt Büdinger! den Zufag a. 799 betreffend die Erwähnung 
des Grafen Gerold in der Visio Wettini hervor: „Die urfprüngs 
liche Handfhrift, die unferm Verfaſſer vorlag, hatte den nur in der 
Recenfion 9 bei Pers ähnlich vorfommenden Zuſatz (S. 186 1. 21): 
et in visione Wettini Augiensis monachi inter martyres est 
annumeratus insulae praedietae“. Auch diefer Zufat findet ſich 
bereit8 bei Regino, SS. I, 562: [et in Augia sepelitur], de quo 
in visione Witini legitur, quod inter martyres sit adnumera- 
tus, und ging ohne Zweifel aus ihm in die „Necenfion 9“, d. h. 
die Annales Mettenses, über. Die andern Fehler, welche Büdinger 
notirt: Ysaac in deum ftatt Ysaac Judaeum — Trasto et em- 
porio Rerich, mögen auf die benutte Handjchrift des Regino zurück— 
zuführen fein, vielleicht auf die Karlsruher, welche aus Reichenau 
ftammt. Die Nachrichten von der Ueberjendung eines Zeltes durch 
den König Alfons von Gallicien und Ajturien (798) fowie über den Froft 
im Juli 800, aus denen Büdinger (S. 34) mit Recht folgerte, 
daß in der gedachten Aufzeichnung nicht die jüngere Umarbeitung der 
Neichsannalen (Annales Einhardi) bemutt fein könne, in welcher 
diefe Angaben fehlen, find in Reginos Chronik (S. 562) ebenfalls 
aus der älteren Redaktion (Annales Laurissenses) aufgenommen. 


III. Ueber Benutung des Livius in einer Stelle der Annales 
Einhardi. 


Unter den Zufäten, welche die f. g. Annales Einhardi gegen 
über den ſ. g. Annales Laurissenses aufweifen, nehmen ein hervor= 
ragendes Anterejfe einige Nachrichten über Niederlagen der Franken 
im Sachſenkriege in Anfpruch, welche die ältere Faffung kurz über- 
geht oder gar in fränkische Siege verwandelt, namentlic) die Berichte 
von dem Ueberfall zu Lübbecke 775 und der Schlacht am Sintel 782. 
Dieje Erzählungen gehen in das friegsgefchichtliche Detail näher ein, 
als es in den Reichsannalen gewöhnlich gefchieht. Sie find, wenn 
auch in manchen Einzelheiten anerfanntermaßen nicht correft, lebendig 
und anfchaulich, nicht ohne rhetorifche Kunſt gefchrieben. Gerade in ihnen 
glaubt man das Bejtreben wahrzunehmen, Stil und Darftellungsweife 
der alten römischen Gefchichtichreiber nachzuahmen. Indem man von ‘pa- 
bulatores Francorum’ (775, SS. I, 155), ‘exploratores’ (782, SS. 
I, 163) Tieft, fühlt man ſich gleichſam in die Kriegsberichte des Cäſar 
und Livius verſetzt. Auch fonjt finden fich klaſſiſche Reminifcenzen 
im Ausdrud (fugientium terga insequutus® — ne ad nomen 
Theodericei vietoriae fama transiret ete.) dicht gefäet. So iſt 
auch die Wendung, mitteljt welcher ausgedrückt wird, daß der Verlujt 


ı ©. 35, vgl. Gieſebrecht a. a. O. 
» 775, vgl. 782: ad fugientium terga insequenda, 


137 


ber Franken am Süntel noch mehr als durch die Zahl durch die Be- 

deutung und Stellung der Gefallenen erheblich gewejen fei, die näm— 

fihe, welche Livius in feiner Darjtellung eines der Gefechte bei 

Placentia ! im zweiten punifchen Kriege (218 v. Chr.) gebraudit: 
Liv. XXI, 59: Einh. Ann. 782 S. 165: 

Sed major Romanis quam| Sed majorFrancisquam pro 
pro numero jactura fuit,inumero jactura fuit, quia 
quia equestris ordinis aliquot et|legatorum duo, Adalgisus et Geilo, 
tribuni militum quinque et prae- | comitum quattuor aliorumque cla- 
fecti sociorum tres sunt inter-|rorum atque nobilium usque ad 
fecti. viginti interfecti etc. 

Dabei ift nicht zu verfennen, daß nur bei Livius diefer Cat 
fih an das Vorhergehende logiſch anſchließt. Livius fagt nämlich 
vorher, der Verlust fei in jenem Treffen auf beiden Seiten ungefähr 
gleich und nicht fehr beträchtlich geweien (et, sicut aequata ferme 
pugna erat, ita clade pari discessum est. Ab neutra parte 
sescentis plus peditibus et dimidium ejus equitum ceecidit). 
Ungeachtet dieſes numerischen Verhältniſſes bezeichnet er den Verluſt 
der Römer als einen fehr empfindlichen, weil auf ihrer Seite eine 
Anzahl von Rittern, Militärtribinen u. ſ. w. fiel. Daß dagegen 
der Verfaſſer der Ann. Einhardi die Yivianifhe Wendung nachahınt, 
obwohl er unmittelbar vorher erzählt, es jei in der Schlacht am 
Süntel faſt das ganze oftfränfifche Heer niedergemadt worden , bis 
auf einige, die dem Verderben entrannen (paene omnes interfecti 
sunt. Qui tamen evadere potuerunt etc.), muß als ein Mifgriff 
angejehen werden. Offenbar verleitete ihn dazu die Analogie, daß er 
ebenfalls von dem Falle der Führer zu berichten hatte?. 

Auch font finden fih in den Ann. Einh. wohl einzelne An 
länge an Livius, wenngleich weniger auffallende. Im Stil deffelben 
(vgl. Liv. XXI, 60. XXIII, 26 u. ſ. w.) ift 3.3. die Anfnüpfung: 
Dum haec in Italia geruntur (774, ©. 153). 








1 Nicht zu verwechfeln mit der Hauptſchlacht an der Trebia, 

2 Daß man in jener Periode den Livius wohl fannte und ſtudirte, bes 
weift namentlich die Epiftel des Lupus vor feiner Vita S. Wigberti an den 
Abt und die Brüder von Hersfeld (Mabillon, A. S. O. S. Ben. IIle, 673): 
Nec vero cuiquam haec ideo judicentur infirma, quod octingentesimo 
trigesimo sexto anno dominicae incarnationis, indictione autem quarta 
decima praesens opusculum cudens, ante nonaginta annos acta re- 
petere videar: cum profecto, si vel leviter est eruditus, 
non ignoret, Salustinm Crispum Titumque Livium non 
pauca quae illorumaetatem longe praecesserant partim 
auditu, partim lectione comperta narrasse. Lupus erwartet 
die Belanntfchaft mit den Werfen des Salluft und Livius alfo von jedem, der 
auch nur auf oberflächliche Titerariiche Bildung Anſpruch macht. Bol. aud 
Lup. epist. Nr. 34: Illud quod sequitur tangere nolim, donec in Livio 
vigilantius indagarem ; Nr. 74: T. Livium per hunce ...... agite, 
quia illo non mediocriter indigemus (Opp. ed. Baluze, Paris 1664, 
©. 72. 117); ferner Thegans Epiftel an Hatto, M. G. SS. II, 585: Livius 
aut Titus secum ferat ipse Catonem. 


Der Gloſſator der Gesta Berengarii imperatoris. 
Don E. Bernheim. 





Die Unterfuchungen von Ernft Dümmler in feiner Ausgabe der 
Gesta Berengarii imperatoris ! haben nicht nur den hiltorifchen 
Werth dieſes paneghriichen Epos in ein neues Licht gerückt, fondern 
eröffnen auch einen lehrreichen Einblick in den Bildungskreis italieni« 
cher Gelehrten zu jener Zeit, aus der uns nur fo wenige literariiche 
Denfmäler erhalten find. Befonders beachtenswerth find in dieſer 
Beziehung die dem Gedichte beigefügten Gloſſen, welche Dümmler 
zum eriten Male vollitändig wiedergegeben hat, und es wird nicht 
ohne Intereſſe fein, die dort vom Herausgeber aufgedecten Epuren 
weiter zu verfolgen. 

Zunächſt tritt uns die Frage entgegen: verdanken diefe Gloſſen 
einem einzigen Verfaffer ihre Entjtehung, oder haben fie, nad Art 
anderer Scholien unter verfchiedenen Händen anwachſend, allmählich 
ihren jetzigen Beſtand erreiht? Ich verneine das Letztere mit einer 
geringen Einfhränfung. Wir haben e8 mit einem Manne zu thun, 
welcher fich die Aufgabe ftellte, das vorliegende Gedicht durchgehende 
zu commentiren. Das zeigen Aeußerungen wie die Gloſſe I, 122b: 
haec fabulae velut omnibus notae non indigent nostra expo- 
sitione, und II, 250°: fabulam de Achille velut omnibus notam 
praetereo. 

Und ebenfo unverkennbar tritt und an den verfchiedenften Stellen 
eine und diefelbe Individualität entgegen, deutlich charakterifirt durch 
einen Ton geehrter Selbitzufriedenheit, wie er ſich in den Gloſſen 
I, 1%. I, 67,. I, 239». III, 241° ausfpricht und befonders charaf- 
teriftifch I, 123° bei Erklärung des Wortes Acheros: haec talia 
pro ludo habentur cognoscenti veritatem, sie tamen, ut ipse 
Indus subtilem indaginem requirat, und I, 194%, wo zu dem 
Versſchluß arma maniplos’ bemerft wird: Quod quamvis apud 
antiquos lieitum foret, ut saepe apud Virgilium invenimus, 
tamen apud nos cacenfaton est. 

Nur zu einer Einſchränkung find wir genöthigt. Da wir bie 
Stoffen wie da8 Gedicht nicht in einer Originalhandichrift befiten, 
fondern nur in einer Copie des elften Jahrhunderts (vgl. Dümmler 
©. 5), fo läßt ſich nicht entjcheiden, ob unſer Gloſſator nicht eine 


U Beiträge zur Geichichte Staliens im Anfange des zehnten Jahrhunderts. 
Halle 1871. äge 3 chich nge zeh hrh 


139 


oder die andere Notiz ſchon vorfand und in feinen Commentar aufs 
nahm. Wir werden freilich im Paufe diefer Unterfuchung fehen, daß 
dies nur im fehr geringem Mafe der Fall fein kann; wir werden 
eine Methode, einen einheitlichen Geift durch den ganzen Commentar 
erkennen fünnen. 

Jener felbftbewußte Ton, von welchen ich ſprach, tft mım um 
fo auffallender,, je mehr er von dem Tone des Dichters abfticht. 
Denn wo derfelbe mit feiner Perfönlichkeit hinter dem Epos hervor- 
tritt — im Prolog, II, 10—12 und in den Sclußverfen des 
Gedichts — redet er mit einer gedrückten Beſcheidenheit, die wir 
nicht ganz und gar für conventionelfe Maske halten fünnen. Sid - 
alfo Dichter und Gloſſator zwei verichiedene Perjönlichkeiten ? 

Dimmler hatte in feiner Ausgabe der Gesta diefe Frage da= 
hingeftelft ; nach den Bemerkungen von Wattenbad) * und Bannenborg ? 
bejaht er diefelbe jett in einem Nachtrage zu den Gesta Beren- 
garii’; nur Echeffer- Boichorft in feiner Kritif in Sybels Zeit— 
fchrift * vertritt die entgegengefekte Anficht. ch gehe daher nochmals 
auf dieſes Verhältniß ein. 

Pannenborg hat bereit8 auf eine Anzahl von Gloſſen hinges 
wiefen, welche nicht von dem Dichter herrühren können, weil fie theils 
kritiſchen Inhalts find, theil® eine irrige Anffaffung des Textes ver- 
rathen. Zu erfterer Art gehören verfchiedene Stoffen, in welchen 
mit einem ‘bene dietum est’ oder ‘bene dieit’ dem Dichter zuge— 
ftimmt wird®, Scheffer -Boichorft meint, diefe8 ‘bene dietum est’ 
dem Dichter felbit in den Mund legen zu Fönnen, indem er es iiber- 
fest „mit gutem Grund behauptet“ und dem Poeten eine gewilfe 
naive Freude über den wohlgelungenen Ausdrud feiner Mufe vindi- 
eirt. Allein diefe Auslegung ift nicht zuläffig:: erftens ift bene di- 
cit, bene dietum der folenne Sprachgebrauch ſowohl in den mittel= 
alterlichen Commentaren tiberhaupt, wie fpeciell in dem Virgilcom— 
mentar des Servius, von welchem unfer Gloſſator vollftändig ab» 
hängt (f. unten). Zweitens findet fich aber eine Reihe von Gloſſen, 
in welchen der Dichter ganz rückſichtslos getadelt wird, wie in der 
oben erwähnten Notiz zu I, 194, ferner in IL, 472. II, 76e. III, 
51b, I, 264%, Iſt e8 denkbar, daß es dem Dichter gefallen Habe, 
fich feine eigenen Fehler nachzumeiien ? — Endlich wird öfter in den 
Stoffen angemerkt, warın der Dichter Statius oder Virgilius geplün— 
dert hat. Ich alaube, folchen Selbftverrath darf man einem noch 
fo befcheidenen Poeten nicht zumuthen. 


1 In den Heidelberger Yahrbüchern der Literatur XLIV, ©. 857. 

2 In den Göttinger Gel. Anz. 1871, S. 1769. 

9 Anfelm der Veripatetifer nebft andern Beiträgen zur Literaturgefchichte 
Staliens im elften Sahrhundert. Halle 1872. 

* Sahrgang 1871, ©. 484, 

5 Außer den von Pannenborg citirten I, 164, und II, 278, führe ih 
noch an: I, 161b. II, 233%, II, 252=, III, 63a. III, 233,. III, 2923, 


140 


Noch entfcheidender find jene Stoffen, welche ein irriges Vers 
ftändniß des Tertes zeigen. Pannenborg hat hier außer I, 2305 und 
II, 15° befonders die Note zu II, 101° hervorgehoben !; es laſſen 
fid) noch einige Fälle der Art anführen. Der Gloſſator bemerft zu 
den Worten: juvenilis alumnus III, 229%: non a quo nutritus 
est, sed quem nutriebat. Er hat dabei offenbar diejelbe Erklä— 
rung vor Augen, welche er I, 21° zu alumnus gegeben hat. Er 
überfieht, daß dies Wort die Bedentung „Diener, Vaſſall“ Haben 
fann und vom Dichter in diefem Sinne in Vers 229 angewandt 
it. Auch) an der berührten Stelle I, 21 jcheint er den Sinn des 
Gedichts nicht veritanden zu haben. Nachdem dort nämlich im Texte 
geiagt ift, daß Berengar indireft von Karl dem Großen abjtamme, 
heißt e8 weiter: Zu: 

.... Karoli sed enim nutritus alumni 
Rite sub imperio, simili qui nomine Romam 
Postremus Franeis regnando coegit habenis. 

Zu Karoli bemerkt der Gfoffator: *Karolum ultimum signi- 
ficat’, zu simili: ‘pro eodem’, zu alumnus, daß es gleid) nutritor 
fei; — er nimmt alfo alumni als Appvfition zu Karoli und über- 
fieht, daß ‘simili qui nomine’ eine unleidliche Tantologie fein wiirde, 
wenn mit Karoli fchon Karl der Dicfe gemeint wäre. Irre id) 
nicht, fo ſteht alumnus hier in dem erweiterten Einne von „Spröß— 
ling“, mit Karoli iſt Karl der Große gemeint und der Vers fo 
zu verftehen: unter der Regierung des Epröflings von Karl dem 
Großen u. ſ. w.; freilich wird dadurch die hiſtoriſche Anſtößigkeit 
der Stelle nicht gehoben. 

Ferner muß die Gloſſe IT, 94a ein Mißverſtändniß enthalten ; 
wenigftens kann ich mir die Worte: verumtamen est aliqua in 
nominibus facta differentia, nicht anders erflären, als daß der 
Gloſſator meint, e8 fei früher fchon ein Bonifacius anf der Gegen— 
feite (alterab adverso im Texte) vorgefommen und der an unſerer 
Stelle fei zur Untericheidiing Bonifacns genannt. Endlich wird das 
‘diu cessare duellum’ II, 115 durch die Gloſſe II, 116° auf den 
Beginn des ganzen Krieges gedeutet, während hier der Dichter nur 
vom Beginn der Schlacht redet. Da alſo feititeht, daß Irrthümer 
vorfallen, wird man fich auch der Gloſſe wegen nicht abhalten zu 
laffen brauchen, Vers II, 125: Campus erat dudum studio 
damnatus iniquo, als Anfpielung auf Hannibal® Sieg an ber 
Trebbia zu nehmen, wie e8 die Ausdrucksweiſe und die vorhergehende 
Erwähnung des rex Poenus in Vers I, 129 nahe legt?. 

Trotz folcher gelegentlichen Mifverftändniffe muß man übrigens 


ı Den feltfamen Ansbrud ‘per Adriaticum mare furtim ad Li- 
guriam, quae pars est Italiae, navigantes’ in bdiefer Gloffe erfläre id) 
aus Schol. ad Luc. Phars. I, 442: Liguria autem est Gallia Cisal- 
pina, ibi sunt Mediolanum et Tieinum. 

2 Bol. Diümmler S. 44 Note 1. Zu Bers I, 129 cf. Isidori Etym. 
XIV, cap. 8, 13, 


141 


anerfennen, daß der Gloſſator jid) jorgfältig bemüht, dem Dichter 
überall gerecht zu werden. Cine gedanfenlofe Auffajjung deſſelben 
fann man ihn nirgends nachweifen. 

Wenn e8 nach dem bisher Gejagten als fiher angejehen werden 
faun, dag Glojjator und Dichter von einander zu trennen find, fo 
ſcheint zunächſt dadurch jeder Anhaltspunkt zur Beſtimmung der per— 
ſönlichen Verhältniſſe des Erſteren verloren zu jein. Allein Vers I, 
28 mit der Note a giebt ung entfcheidenden Aufjchluß über die Le— 
benszeit dejfelben; zu den Worten ‘Italus princeps’ im Xerte be= 
merft hier der Gloſſator: qui nunc est — aljo fällt jeine Thätig— 
feit noch unter die Negierung Berengars, vor das Jahr 924; er ijt 
ein Zeitgenojje des Dichters. 

Man könnte eimwenden: vielleicht fei diefe Gloſſe gerade eine 
derjenigen, welche unjer Glojjator möglicherweije jchon vorfand; er 
könne diefelbe mechanisch abgeichrieben haben; es jet aljo fein jicherer 
Schluß auf feine Yebenszeit daraus zu ziehen. Doc) diejer Einwand 
widerlegt fich durd die Bemerkung, daß der Gloſſator ſich dem Texte 
gegenüber nirgends eine derartige Gedanfenlofigfeit zu Schulden 
fonımen läßt, Zugleich gewinnen wir nun eine Stütze gegen die ' 
Vermuthung, dag die Gloſſen hiltoriichen Yuhaltes vom Dichter her— 
rühren. 

Es läßt fich freilich nicht entfcheiden, ob der Letztere nicht hier 
und da die Namen der Perſonen, auf welche er anfpielt, oder andere 
furze Hinweife jicheren VBerjtändnijjes wegen am ande beigefügt 
habe, aber daß er längere Glofjen der Art, wie fie uns vorliegen, 
gejchrieben habe, iſt zunächſt ſchon an und für ſich unwahrſcheinlich; 
es widerjtreitet der Beſtimmung feines Werfes, welches nad) dem 
Prolog, Vers 15—22, zu urtheilen, dem Kaiſer jelbjt überreicht 
werden jollte, um materielle Gunjtbezeugungen von demjelben zu er= 
langen. Nun jahen wir, daß der Gloſſator gleichzeitig mit dem 
Dichter lebte, wir fehen, daß auch Gloſſen hiſtoriſchen Inhalts den 
Stempel feiner perfönfichen Auffaffung tragen (vgl. III, 147°, ILL, 
115°) und jeinen den Servius nachgebildeten Sprachgebrauch (vgl. I, 
139°: per transitus historiam tangit, und weiter unten (aufs 
weiſen, wie die üorigen Gloſſen. Wir werden unbedenklich aud) 
den hiltoriichen Theil des Commentars der Hauptſache nach unjerm 
Gloſſator zujchreiben müſſen. Ob dadurd die gefchichtlichen Notizen 
an Zuverläjfigfeit verlieren? Ich glaube im Gegentheil, fie gewin— 
nen. Denn der Gloſſator jteht den im Gedichte gejchilderten Ereig— 
nijfen objeftiver gegenüber al8 der Dichter, und bewährt diejen 
Standpunkt aufs Entjchiedenfte in der angeführten Gloſſe III, 115., 
wo er zu der Hinrichtung des Grafen Ambroſius, auf Befehl König 
Arnuljs, bemerkt: Solum Arnulfum hoc loco commemorat, ne 
Berengarius utpote pius tam dirae mortis conscius esse Vi- 
deatur. 

Es kommt Hinzu, daß der Slojjator ſich als Pandsmann des 
Dichters zu erkennen giebt. Er jagt von Arnulf; Barbaris gen- 


142 


tibus imperabat (III, 147°), er theilt das Vorurtheil der Italiener 
gegen die Burgundionen (I, 259»), er überjieht den Irrthum bes 
Dichters in den Verhältniſſen Deutſchlands (I, 21), dagegen iſt er 
eingehend vertraut mit den italienischen Verhältniſſen. Beſonders be= 
fannt fcheinen ihm die Vorgänge und Perjönlichkeiten in Tuscien zu 
fein; wir dürfen ihn daher am erften dort vermuthen. Gegen ober- 
italiſche Herkunft fpricht jedenfall® der Ausdrud ‘Liguria, quae 
pars est Italiae’ in der Gloſſe II, 101°, denn jo wird man nicht 
ichreiben, wenn man jelbit aus Ligurien ſtammt, und wir fahen oben, 
daß Ligurien an diefer Stelle gleichbedeutend mit Oberitalien ſteht. 
Auch dag der Gloſſator ſich in Oberitalien aufgehalten habe, fcheint 
mir darnach unwahrjcheinlid). 

Nachdem id) fo die äußern Verhältniffe des Gloffators dem Dichter 
gegenüber bejtimmt habe, verfuche ich, das geijtige Verhältniß, in welchem 
beide Männer zu einander ftehen, zu charafterijiren. Died wird er- 
möglicht durch einen Blick auf den Standpunkt, welchen fie in ber 
Metrik einnehmen. 

Der Autor Gestorum Berengarii jchreibt vorwiegend — wenn 
man die große Zahl der aus Virgilius und Statius entlehnten Verſe 
abrechnet — in leoninishen Herametern!. Von den 1058 Zeilen 
de8 Epos weiſen 32 den Reim in der Trithemimeres, 164 in der 
Penthemimeres, 160 in der Hephthemimercs, einige wenige den Reim 
in der Senkung auf; der Prolog iſt bis auf 8 Verſe in leoninischen 
Keimen gefchrieben. Diefe Form theilt der Panegyricus Berengarii 
mit den meijten dactyliichen Gedichten der damaligen Zeit. Doc) ein 
Vergleich mit einigen derjelben, etwa mit den Epijteln des gelehrten 
Salomo von Conjtanz ?, zeigt und einen wichtigen Unterfchied in der 
Handhabung der Metrif hier und dort. Salomo dichtet treu nad) 
den Regeln, welche er in jeinen Grammatifern vorfindet; aber das 
find bei Weiten nicht mehr die Kegeln, nad) welchen Virgil und 
Dvid dichteten. Die Wechjelwirfung zwifchen Anomalie und Analogie, 
welche in der ganzen römijchen Literatur ihre Rolle fpielt, Hat fich 
auch Hier geltend gemacht und zwar in auffallender Weiſe. Man 
kann jagen, daß alle Anomalien, welche die Dichter der aetas aurea 
fi) gejtatteten und welche urſprünglich als foldye von den Gramına= 
tifern hingejtellt waren, in der Zeit nach) Karl dem Großen als voll« 
berechtigte Regeln erjcheinen. Kein eflatanteres Beifpiel läßt ſich von 
diejer jeltfamen Entwickelung, welche durch die excerpirende Manier 
der legten römiſchen Grammatifer ganz befonders gefördert wurde, 
geben, al8 die Xehre von den syllabae communes. Der Gramma— 
tifer Diomedes? führt 8 Fälle auf*, wann eine Silbe als anceps 

2 Diefer Umftand ift Pannenborg entgangen, denn er zählt in feinen 
Auffa: Ueber den Ligurinns (Forſch. zur deutſch. Geſch. XI, S. 184) den 
Punegyricus unter die Gedichte, weldye nicht in Teoninischen Verſen abge» 
apt ſiud. 

m h Canisius, Lect. Antiq. II, 3. 
® Grammatici Latini ex recens. H. Keili I, &, 429. 
* Er zählt nur 7 Fälle, da er zwei zufammenziebt, 


x 


143 


gelten kann, doch verfehlt er nicht — und mit ihm die ausführli= 
deren Schriftſteller Probus! und Charifius? — bei jedem Falle 
deſſen bejchränftes Vorkommen Hervorzuheben, ja er ſchließt das Ka- 
ae über bdiefen Ge —— mit der Bemerkung: ex his omnibus 
modis uno uti dumtaxat admittunt, qui metrorum rationis 
sunt admodum perspieui. Donatus dagegen, der Alles aufs 
Kürzefte zufammenzicht, ftellt diefelben 8 Fälle ohne jede Einschränkung 
einfach als Regeln hin, und wir ſehen aus dem Umſtande, daß Als 
fuin diefelben in feiner Grammatik? als wichtigftes Kapitel der Me— 
trif recipirt, man faßte fie damals in der That als unbedingte Ge— 
fee auf. So fommt e8 3. B., daß ein Salomo jede furze Silbe 
lang gebraucht, wenn fie vor irgend einer Cäſur fteht, weil aus den 
verjchiedenen Bemerfungen der Grammatifer zu Virgils befanntem 
Vers: Omnia vincit amor et nos cedamus amori, ſich allınählid) 
Donats Regel entwidelt hat, eine Silbe jei anceps, cum post pe- 
dem quemlibet una brevis remanserit syllaba de verbo. Wein 
man ſich gewöhnt, nad) ſolchen Regeln Verſe zu dichten und für cor— 
reft zu Halten, wie jie Salomo jchreibt ... tale aliquid aut fama 
susurrit, jo muß überhaupt das Bewußtjein über die Bedeutung 
der Quantität der Silben jchwinden und endlich jene Projodie ein- 
treten, die wir fpäter mit Befremden bei den gelehrten Effehard IV. 
von St. Gallen wahrnehmen. 

In ganz anderen Bahnen geht unfer Dichter: wohl fennt er 
die Weiteren Grenzen der grammatiſchen Metrif, wie ich fie 
nennen möchte, — das zeigen die Abweichungen von der clajjiichen 
Metrif, die er ſich geitattet: die Vernachläſſigung der Pofition durch 
sc II, 51. III, 49. III, 18, die Meffung des ablativus gerundii 
mit furzem o I, 23 und III, 299, umd bie Meſſung des Adverbs 
modo mit langem Endvofal, endlich die Zulafjung des Hiatus vor con⸗ 
ſonantiſch geltenden him Prolog Vers 14 und nach dem Eigenna— 
men III, 80. Aber man fieht aus der geringen Anzahl diefer Fälle, 
er geftattet ſich dergleichen nur ausnahmsweiſe, wie es ſich die Klaſ— 
ſiker geſtatten. Durchweg iſt er vermöge feiner nachhaltigen Beleſen⸗ 
heit in Terenz, Virgil und Statius befähigt*, ſich in den engern 
Schranken der Elafjiihen Profodie zu halten, und wir irren wohl 
nicht, wein wir in diejem entwickelteren Formenſinne vorzugsweije den 
Italiener erkennen. 

Iſt unjer Gloſſator ein Mann gleichen Schlages? Keineswegs. 


1 Bei Keil IV, S, 258. 

2 Keil J, ©. 13, 

° Canisius, Lect. antiq. II, ©. Er le ift dort noch ein 
neunter Hall aus Priécianus (ij. Keil I, ©. 

4 Befonders die vielen Neminiscenzen nn daß diefe ihm wie unmille 
fürlih aus dem Gedächtniß in die Feder gerathen fein müfjen. Außer den 
zahlreidien Etellen ans Birgil und Etatins, die Dümmler und Pannenborg 
angeführt haben, verweije ich noch auf einen Anllang an Terent. Eun. II, 
2. 5 zu IV, 77 


144 


Er fteht durchaus auf dem Standpunkt der vorhin geſchilderten, ſchul— 
mäßigen Verslehre, wie er fie aus Donat und vielleicht Marimus 
Victorinus, größtentheil® aber aus den Notizen de8 Servius zuſam— 
mengejtoppelt hat, und vertritt diefen Standpunft dem Dichter gegen- 
über jogar mit einem Gefühl von Ueberlegenheit. Die ſchon oben 
gelegentlich angeführte Gloſſe I, 194%: quod quamvis apud anti- 
quos licitum foret, tamen apud nos cacenfaton est, ſpricht das 
deutlid) aus, und überhaupt bejchäftigt ſich der metrifche Theil des 
Commentars damit, den Autor auf die Schulregeln zu prüfen — 
I, 8°. I, 28. IL, 10°. II, 51. IL, 120%, IL, 1540. III, 18. 
III, 51®. III, 80» —, wobei demjelben manchmal recht unhöflih und 
I, 194% und II, 47 ſogar ungerecht auf die Finger geflopft wird. 
Gleichwohl finden wir für die complicirteren Gefege der Metrik we— 
nig Verſtändniß; das zeigt die Gloſſe II, 516 zu dem Versſchluß 
‘sustollere sceptris’: Subtrahitur modo s causa metrj, aliquando 
nee seribitur, ut illud tum laterali dolor certissimu nuntiu 
mortis. Es läßt ſich kaum etwas Oberflächlicheres über die bei den 
Grammatifern jo verjchieden und eingehend behandelte Lehre von der 
Pofitionsfähigfeit des s jagen, als es hier geſchieht. Dem Citat 
nad) zu urtheilen jtammt die Bemerkung aus der Lectüre des Marie 
mus Victorinus de ratione metrorum!, doc) felbjt, wenn wir ung 
nur an die beiden Grammatifer halten, welche unfer Gloffator nach— 
weislich fennt, Priscian und Donat, jo ericheint dieje Gloſſe als eine 
dürftige, unklare Reminiscenz, die jchlecht genug zu dem ſchulmei— 
fternden Zone diejes Kritifers paßt. — So ergiebt ſich, daß der 
Gloſſator nicht nur eine andere Perjönlichfeit als der Dichter ift,. 
fondern daß er einer ganz andern geijtigen Sphäre angehört als 
diefer, in weldyem Dümmler einen Geijtlichen erfennt. Er ift wahre 
fcheinlich einer jener weltlichen Grammatifer, welche damals in italie= 
nischen Städten Schule hielten, und die folgende Betrachtung wird 
das befräftigen. 

Ich verfuche jetzt nämlich den Wiſſensbereich des Gloſſators, 
d. h. feine Hülfsquellen und feine Lektüre, zu jkizziren, joweit der vor— 
liegende Commentar da8 Material dazu liefert. 

Zunächſt die Hülfsquellen. Der Kreis derfelben ijt etwas enger 
zu ziehen, als auf den erjten Blick geboten ſcheint. Dümmler hat 
zu II, 2°, I, 62® und IV, 18° den Fejtus, bezüglih Paulus? 
citirt. Indeß ijt nicht anzunehmen, daß diefer Autor von unjerem 
Gloſſator benutzt ſei. Die Gloſſe IL, 2°, welche sollers erklärt: 
Solon lingua Oscorum dieitur totum, inde sollers qui astutus 
est in omnibus et studiosus, fönnte man vielleicht auf freie Be— 
nugung des Feſtus (ed. Müller S. 298 und S. 292) zurüdführen, 
wenn fich nicht in der Inkunabel 8? folgende Glofje fände?: Sollum 


i Bei Keil, Grammat. lat. VI, &, 217, 
2In der Ausgabe von Müller, 
3 Ich bezeichne mit s? das zweite, Heinere Gloffar, meldes in dem Augs⸗ 


145 


Öscorum lingua dieitur totum, inde sollers qui astutus est in 
omnibus et studiosus. Unzweifelhaft iſt unjere Gloſſe aljo nicht 
aus Feitus- Paulus entlehut, jondern aus einem jener libri glosa- 
rum, in welche ja ſchon früh Excerpte aus diefen Epitomatoren über» 
gegangen find und deren Hauptmafje die Inkunabel s wiedergiebt. 
So läßt fid) auch die zweite fraglide Stelle IV, 18: praesagat: 
praedivinat auf einen liber glosarum zurüdleiten, denn in s! 
findet ſich: praesagire conjecturare vel praedivinare. Und 
ebenjo findet fi) die ganze Paulusglojfe über forum, auf die es 
bei I, 62% anfommt, unverfürzt in s, jo daß fie vom Gloſſator der 
Gesta Berengarii jedenfall nicht aus Paulus entnommen zu fein 
braucht. Daß fie es nicht ijt, dafür fpridht der Umjtand, daß 
ftatt des letzten Abſatzes der Paulusjtelle: sexto fori ete. in unferer 
Gloſſe eine ganz andere Bedeutung von fori angegeben ijt, verbunden 
mit dem Suvenalcitat: Hie libros dabit et forulos mediamque 
Minervam. Somit fcheint auch diejer Abjag einem Gloſſar entnom— 
men zu fein, denn an Juvenalſcholien werden wir nicht denfen fönnen, 
weil das Gitat mit ‘quidam’ eingeführt ift, nicht mit ‘Juvenalis’. 
Auch findet ſich font in unferm Commentar feine Beziehung auf 
$uvenalfcholien vor; denn zu der Gloſſe Proseucha im 
Prolog Vers 6 find diefelben nicht benutzt. Dümmler citirt zu 
der genannten Stelle Juvenalis comment. ed. Cramer ©. 114. 
Dort wird proseucha erklärt: .... alii (dieunt) locum ad 
quem convenire solebant mendiei ad stipem petendam, alii 
tabernam in qua pauperes vivant. JJgoosuyeo#u, enim 
graece orare dieitur et proseucha locus Judaeorum, ubi 
orant. Unfere Gloſſe Heißt: JZ7goosvyeodas dieitur graece 
orare, hine graeco nomine proseucha dieitur casula pau- 
peris videlicet cappanna, in qua residens_pauper in qua- 
druvio vel in publico loco petebat stipem. Nun hat Jo— 
hannes Yanuenfis in jeinem Catholicon (Venetiis 1483), welches 
ja aud eine indirefte Ableitung von den alten libri glosarum 
darjtellt, unter proseuca: Proseucon graece latine dieitur 
orare, deprecari, unde haec proseuca domus paupe- 
rum et mendicorum in qua &lemosynas petunt etc. und 
ganz ähnlich) das vor dem Catholicon abgefaßte, aber durchweg 
weniger ausführliche Lexikon des Papias. Offenbar ſtammt dieje 
Notiz aus derjelben Duelle, welcher unfere Gloſſe entnommen ift, 
welche in den Juvenalcommentar mit “alii tabernam’ auftritt und 
welche ich für einen liber glosarum halte. Außer diefer Stelle 
findet fich feine Spur von einer möglichen Benutzung der Juvenal— 
ſcholien; ſomit ift die Kenntniß derjelben für unferen Gloſſator nicht 
erweislich. 


burgiſchen Inkunabeldruche des liber glosarum Salomonis Constantiensis 
episcopi, bon Kettner in feinen Forſchungen über Placidus mit s bezeichnet, 
fteht und die Glofjen Abacti — Zozommin enthält. 


ZWV. 10 


146 


Ebenſowenig darf die Glofje I, 64°: coneinnant: componunt, 
nam coneinnus dicitur proprie potio multorum pigmentorum, 
mit Dümmler aufNonius Marcellus (S. 43) bezogen werden, 
denn dort wird coneinnare durch facere ımd cinnus als potio- 
nis genus ex multis liquoribus confeetum erklärt ; aljo ijt die 
Entlehnung gewiß feine direkte. 

Welche Autoren bleibeh darnach als Hilfsquellen unferes Gloſſa— 
tors übrig? 

Hier nimmt die Hervorragendfte Stelle ein der Virgilcom— 
mentar des Servius. Ihm werden die zahflreichiten Worter- 
klärungen theil® wörtlich, theil8 mehr oder minder verkürzt entnommen ; 
jeine grammatifchen Notizen find dem Gloſſator jo gegenwärtig, daß 
er im Stande ift, diejelben jeder Zeit heranzuziehen; den Serviani= 
chen Sprachgebrauch hat er fi) jo zu eigen gemacht, daß er alle 
jene technischen Wendungen ‘bene dicit, bene dietum est, figurate 
dietum, ac si diceret’, ja gelegentlicd) ganze Phrajen, wie I, 139°: 
per transitus historiam tangit (cf. Comment. in Virgil. 
Serv. ed. Lion. ad Aen. VII, 51) von Servius übernimmt, 
Dümmler hat diefe compilirende Thätigfeit de8 Glofjators mit fo 
ausdauernder Geduld verfolgt, daß ſich kaum ein paar Stellen Hinzu= 
fügen laffen werden. Zu vergleichen fand ich noch: Serv. ad Aen. 
I, 58 zur Gloſſe II, 186%; Serv. ad Aen. VII, 49 zur Gloſſe 
I, 250°; Serv. ad Aen. I, 90 zur Gloſſe IV, 113; Serv. ad 
Aen. X, 532 Ende zur Gloſſe I, 1744, In einigen Fällen iſt 
Servius unrichtig citirt: 

1) ad Aen. V, 310 zur Gloſſe IV, 55°; 

2) ad Aen. I, 343 zu II, 12°. 

* heißt es in der Gloſſe: Cartha dicitur a cartino (ſo hat der 
Soder) oppido. Servius J. ec. jagt aber umgekehrt: Carthago a 
cartha. Die Yufunabel 8, welde ‘Carta dieta a cartädo op- 
pido’ hat, führt uns auf einen liber glosarum als Quelle diefer un= 
ferer Stoffe hin: eine Verjtünmelung von cartada jcheint bei ung 
in cartino wie bei s in cartado vorzuliegen. | 

3) ad Aen. I, 530 zu I, 37%. Die Erffärung von Hesperia 
ift vielleicht mehr aus Isidori Etym. XIV, c. 4, 19 entlehnt. 

4) Statt ad Georg. (rectius Ecl.) I, 63 ift zur Gloſſe I, 
49° Schol. ad Lucan. Theb. I, 434 zu citiven !. 


2 ch führe hier einige Drudfehler auf, welche ich in den Serviuscitaten 

gefunden habe, 

Zu II, 279 muß es beißen ad G. III, 223 S. 275. 
„uU, 2% „ u» » ad Aen.1I, 196 36, 
„ I, 219» » nn » Ad Aen. I, 487 ©. 156, 
„ Prolog.v.3lb „ „ „ ad Aen.I, 310 S. 61. 
„1, 17386 " n» n “ad Aen. V, 546 ©. 337, 
„IL 6 „nn ad Aen 1, 4306 76, 
„ U, 201a „ nn ad Aen. II, 57 ©. 185. 
„ IV, 11a „ nn n ad Aen. 1, 234 © 47, 
„ I, 328 „» nn» Ad Aen. VII, 695 ©. 438, 


147 


Es ift faft überflüffig zu bemerfen, daß die namentliche Erwäh— 
nung des Servius öfter vorkommt und dadurd die direkte Benugung 
dejjelben in jeder Weile bejtätigt wird. 

Das nächſt Servius am Meiſten benutte Werf find Isidori 
Etymologiarum libri 20, jenes Werk, das in fo zahlreichen und aus— 
führlichen Excerpten in die libri glosarum übergegangen ift. Unfer 
Gloſſator, wie das der beichränfte Raum feiner literariſchen Thätigfeit 
bedingt, zieht die Ausführungen Iſidors notizenhaft zufammen und 
macht e8 bei der nahen Berwandtichaft, die zwijchen Iſidor und Ser- 
vius bejteht, dadurd oft faum möglich, zu entjcheiden, ob eine folche 
Notiz aus diefem oder jenem ſtamme. Außer den von Dimmler 
eitirten find ficher noc) folgende Stellen aus Iſidor geſchöpft: 

1) die Gloſſe III, 292% aus Etym. V, c. 55, 2; 

2) I, 37° aus Etym. XIV, ce. 4, 19 ſtatt aus Servius, wie 
oben bemerft ; 

3) zu I, 728 ift Isid. Etym. XX, ce. 3, 1 ftatt des Serpius- 
eitates hinzuzufügen, 

Dagegen iſt nicht aus den Etymologiae die Gloſſe I, 111° 
zu phosphorus: id est lucifer: fos graece vel lux, phoros 
ferens. Iſidor fchreibt an der citirten Stelle (Etym. XX, 10, 
10): Nam yös lux est, 000g visio dieitur, unde et lueifer 
graece pwopogog appellatur. Auch Hier hilft "ung die Inkunabel 
s auf die Spur. Dieſe erklärt Fosfori: luciferi, phos graece 
lux, foros ferre; hine phospho dicitur lucem ferens, und leitet 
uns jomit wieder auf einen liber glosarum als Quelle unjeres 
Gloſſators hin !. 

Sntereffant ift die Gloſſe I, 36° Phoebus: novus interpre- 
tatur, eo quod cotidie quasi novus videtur in ortu. Die dazır 
von Dummler citirte Notiz des Iſidor (Etym. VIII, c. 11, 54) 
heißt nämlich: Phoebum quasi ephebum hoc est adolescen- 
tem, unde et sol puer pingitur, eo quod cotidie oriatur et 
nova luce nascatur. Schon der Umjtand, daß hier eine ganz an— 
dere Bezeichnung de8 Phoebus durch dajfelbe ‘eo quod cotidie’ erflärt 
wird, beweift, daß Iſidor zwei verjchiedene Quellen zuſammenge— 
fchrieben hat, von denen unferem Glofjator nur die eine vorlag, Das 
wird erhärtet durch eine Stelle de8 Mythographus tertius bei Bode 
Nr. 8 8. 4?, wo es von Apollo heißt: Sed et Phoebus i. e. 
novus vocatur, vel quod revera sol in ortu suo cotidie 
novus appareatveletc. Hier find durch das übliche ‘vel — vel’ 
die zwei Quellen deutlich geſchieden, und wir jehen in dem erjten 
Abſatz die urjprüngliche Duelle unjerer Gloſſe deutlic) durchſchimmern. 
Daß aber wiederum ein liber glosarum vorlag, beweijt die In— 
funabel s, welche unter Phebus den eigentlichen Kern der Gloſſe 
bewahrt hat; interpretatur novus vel etc. 


ı Bol. damit das bürftig verkürzte Exrcerpt im Papias s. v. phebus: 
phos i. e. lux, hinc phosphoros lucifer. 
% Scriptores rerum mythic. Latini tres. Cellis 1834. 


10* 


148 


ehrlich ift es mit II, 2065, Hier ift e8 Joh. Januenſis, 
der durch feine Notiz; lar dieitur ignis, inde in antiquorum 
proverbio dieitur: vidi larem in laribus, i. e. ignem in do- 
mibus, zeigt, daß unfere Gloffe, die von Dümmler dazu (unrichtig) 
eitirte Stelle des Iſidor, und die Notiz de8 oh. Januenſis 
aus gemeinfamer Duelle floffen, nicht aber eine aus der andern ab» 
geleitet ift. 

Endlich, meine ich, ift II, 33° nicht dem Iſidor entnommen, 
fondern jener jelben dritten gemeinfamen Duelle, deren deutliche 
Spuren ſich in der Inkunabel s fowie im Papias unter Olimpus 
und in Joh. Januenſis unter den Artifeln Olympos, nubes, mons 
verjtreut finden. 

Der Name Yfidors wird übrigens nirgends von unjerem Come 
mentator ausdrüclich genannt; es läßt fich daher zweifeln, ob ihm 
Sfidors Werk direft vorlag, oder ob er nur die Ercerpte defjelben in 
einem liber glosarum benutste !, 

Wir find im Laufe diefer Unterfuhung ſchon mehrfach auf eine 
Duelle unferes Gloſſators geführt worden, in welcher ich einen jener 
libri glosarum zu erfennen glaubte, die feit dem Beginne 
claſſiſcher Studien im Mittelalter einen jo wichtigen Einfluß auf das 
reale Wilfen und den Spracdgebraud aller Gebildeten gehabt haben. 
Herz, Prof. Studemund, defjen Anregung in Straßburg ich diefe Ar- 
beit verdanfe, Hat mic) beſonders auf die Bedeutung dieſes Gegen» 
ftande8 aufmerfjam gemacht, und ic) verweile etwas ausführlicher 
dabei. Wir fanden nicht nur in Joh. Januenſis und der Inkunabel 
8, fondern auch in Iſidors Etymologien und den Scholien zu Ju— 
venal eine gemeinjame Duelle wieder, welche fich durch ihre alljeitige 
Anonymität und aus anderen Gründen als ein Gloffar darjtellte. 

Wir fehen daraus, daß fchon vor der Abfafjung jener Enchklo- 
pädien zur und nad) der Zeit Karls des Großen, wir jehen, daß 
mindejtens fchon zur Zeit Iſidors Gloffenwerfe im Gebraucd waren, 
welche auc ausführliche Sacjerflärungen enthielten und welche nad 
ihrer Aufnahme in jene umfafjenderen Sammlungen des 8. und 9, 
Jahrhunderts verloren gingen. Wie fid) die verjchiedenen jet noch 
vorhandenen libri glosarum zu diejen früheren Werfen verhalten, 
das wird fich erjt beurtheilen Laffen, wenn der gemeinfame Grundftod 
aller diefer Gloſſare aus den verfchiedenen Handjchriften und Druden 
einmal zufammengeftellt iſt. Außerordentlich reichhaltig aber muß 
das geſammte Material gewefen fein und zum Theil noch fein, denn 
Keiner der uns erhaltenen Codices oder Drude ſtellt dafjelbe voLll- 
ftändig dar. Selbjt in dem fo ausführlichen Coder Bernensis 


1 Einige Drudfehler in den Sfidoreitaten bemerke ich hier: 
Bu I, 36% muß es heißen Isid. Etym. VIII, 11, 54. 
„ 1, 239° „ ” ” ” „ II, 37, 1. 

ee u UT, 21, 28. 


” I ’ 4 „ ” ” ” ”„ ’ 


149 


sec. IX fehlen überrafchend viele Sloffen, welche wir durch ben 
liber glosarum Salomonis 8 als alten Gloſſarbeſtand erkennen, 
Es dürfte daher auch nicht befremden, wenn fid in unferem Commen= 
tar Gloſſen fänden, welche in feinem der erhaltenen Codices ent= 
halten wären, und es ift klar, daß wir aus der Verglei— 
hung der indireften Quellen, Papias, Yoh. Januenſis 
und Jukunabel s mehr gewinnen werden, als aus ber eines einzelnen 
beliebigen Coder; denn diefe Drude repräfentiren, wenn auch in mehr 
und mehr verfürzter Form, Auszüge aus einer ganzen Zahl 
von GCodices verfhiedenen Beftandes. Mir lag neben den 
erwähnten indireften Quellen der Berner Coder Nr. 16 mem- 
bran. sec. IX! vor, der mir durch die vereinte Güte der Herren 
Oberbibliothekar Prof. Barad in Straßburg, Prof. Studemund und 
Oberbibliothefar von Steiner in Bern zugänglich) ward. Auf die 
erfteren indireften Quellen laſſen ſich außer den gelegentlich ſchon er= 
wähnten nachfolgende Gloſſen zurückführen. 

In Koh. Januenſis findet ſich die Erflärung von Endromis 
(Prolog Gloffe 172): vestis villosa de arietinis pellibus 
facta, qua induebantur Romani contra frigus?, ferner 
agitat Prolog 24°: frequenter - agit; und ber Gloſſe III, 
136%, wo der Herausgeber Papias citirt, kommt der Wortlaut im 
Sanuenfis: Frivolus quasi fere valens obulus, noch näher. 

In der Snfunabels ftehen die Gloſſen II, 117° labara: vexilla; 
Prolog 11° agitatur: ventilatur; II, 34* avitus: antiquus; ], 
97= bilis: amaritudo; I, 129» aeriae: altae; IV, 1 vixdum: 
adhue (vermuthlich seil. dum). 

Im Papias, den Dümmlet zu III, 131» und III, 136° her- 
anzieht, findet fich eine größere Zahl von unferen Gloſſen: I, 36° 
despieit: deorsum aspieit; I, 54* quin: ut non; I, 142° una: 
pariter; I, 253» malae: maxillae ; I, 118° sedet: placet; II, 
145® vieissim: alternatim; II, 183° premit: insequitur; III, 
68, radieitus: a radice; III, 225° techna: fraus; IV, 136* 
sensim: paulatim; ferner mit geringen Abweichungen I, 14° im 
Papias: stema: genealogia .. . vel filum, quo ligabantur sa- 
cerdotum capita pro corona ; unde et dieitur ; IV, 98* serta: co- 
ronae floribus insertae; IV, 160° tuceta: escae regiae; IV, 
105° subura: celebratissima via Romae est; IV, 
159° setinum: vinum a loco dietum. Vielleicht läßt ſich 
auch die verftümmelte Gloſſe I, 14. wiederherftellen *, wenn man 
Papias in Betracht zieht, wo e8 heißt recenseo, ses, Sul, recen- 
geor recensitus in divinitate; vel a recenseo, sis antiquitus. 


2 Bon Kettner mit H bezeichnet. 

2 Bol. Papias: vestis est villosa, fortis, hyemalis, qua philosophi 
utuntor. 

s Der Ietste Theil der Gloffe (prisc . . . . utrum) bürfte, mit Rüdficht 
auf Priscianus in den Gramm. lat. ed. Keil II, ©. 492, 17: censui vero 
censum, lauten: Priscianus neutrum. 


150 


Der Berner Coder, welcher befanntlich nur die Buchſtaben 
A—B enthält, weift zufälfig feine der wenigen Sachgloſſen, welche 
ic innerhalb dieſes Bereiches einem liber glosarum zuwies, 3. 8. 
Endromis oder Cartha, auf. Zufällig fage ich in dem oben aus— 
geführten Sinne, denn ein anderer Coder mag diefelben noch heute 
enthalten. Mit den rein lexikaliſchen Wortgloffen, deren Beftand 
überhaupt ein gleichmäßigerer in den verjchiedenen Codices zu fein 
fcheint, liegt e8 etwas anders. Abgefehen von etwa 20 dort und bei 
ung übereinjtimmenden Wortgloffen, unter denen ich hervorhebe I, 
36°; despiciens: deorsum aspieiens, und II, 94* adversas: con- 
trapositas, ift öfter, wo der Berner Goder mehrere Synonyme 
giebt, von unferem Gloſſator gerade das voranftehende gewählt, fo 
z. 2. I, 214° demum: novissime; H hat demum: novissime, 
postea, und jo noch fünfmal. 

Das macht ganz den Eindrud, als habe unfer Gloſſator in 
diejen Fällen fein Lexikon aufgefchlagen und das fich zunächſt Bietende 
abgejchrieben; ebenfo wenn er an verichiedenen Stellen diejelbe Ueber— 
fegung wiederholt, wie 3. B. I, 115° und III, 181° dispendia: 
damna, oder wenn er gelegentlidy zwei Synonyme anführt, wie I, 
87a exeire: exeitare, commovere; cf. H exeita: excitata, com- 
mota. Kurz wir fehen, welche Rolle diefe libri glosarum in der 
damaligen Gelehrtenpraris gefpielt haben, wie viel eine fritiiche Durch— 
arbeitung diefes Yiteraturzweige® zum Verſtändniſſe mittelalterlicher 
Shhriftiteller beitragen würde. 

Ob aud die Stelle aus Hieronymus zu II, 88° — fie 
jteht in Hieron. Commentar. in Ezechielem cap. 16 D ©. 368! 
— aus einem liber glosarum geihöpft ift, muß zweifelhaft bleiben. 
Dafür fpricht, daß gerade der Kommentar zum Ezechiel öfter als 
Quelle im Berner Codex citirt wird, 3. B. fol. 59, 1 und 59, 2; 
dagegen, daß Hieronymus in unferer Gloſſe ausdrüdlich und mit 
dem Zufat beatus genannt wird. Der vielgelefene Commentar mag 
immerhin direft von dem Gloſſator gefannt fein, wie e8 ohne Zweifel 
die damals alfbeliebten Schriftfteller Tulgentins (ef. Gloſſe I, 
123°) und? Martianus Capella (ef. II, 154°) find. Aus des 
erjteren Mythol. III, c. 7 ift noch die Gloſſe I, 244% entlehnt. 

Endlich ſcheint die Notiz I, 154 auf Zul. Rufinianus (aus 
den Rhetores minores ed. Halm ©. 62, 12) Hinzudeuten,, doch 
zweifle ich, ob der Gloſſator ſpeciell rhetorische Werfe bemutst habe, 
weil die beiden Gloſſen, worin von Nhetorif die Rede iſt — I, 216° 
und II, 248° — auf Isid. Etym. II, cap. 4, 3 zurüdzuführen 
find. 

Ich komme nun zu den Scholien, welche der Gloſſator benutzt 
hat. Dümmler verweift auf Scholia ad Lucanum zu den 
Stoffen II, 1002 und IV, 19%. Zu II, 100° ift noch zu vergleichen 
Schol. ad Lue. Phars. II, 400 ?, woher der erjte Theil der Gloſſe 


! Hieron. opera omnia ed. Mar. Victorius T. IV, 
2 m der Ausgabe von Weber T. III. 


151 


genommen ift, und ftatt der zu dem letzteu Theile citirten Stelle der 
Schol. ad Luc. (II, 615) ijt wieder Joh. Januenſis heranzuziehen, 
welcher dem Wortlaute unferer Stelle näher kommt. “Derjelbe Hat 
nämlich: Adria vel adros graece, petra latine, hine Adria 
mare etc. Dagegen find nocd folgende Stoffen aus den Scholien 
entnommen: I, 17° aus Schol. ad Luc. V, 24; I, 49* aus Schol. 
ad Luc. I, 434; I, 19° aus Schol. ad Luc. V, 191; I, 134 
aus Schol. ad Luc. V, 383 und 389; II, 74* aus Schol. ad 
Lue. VII, 158. Letztere Gloſſe erflärt in capulo durd in elte; 
fie ift bemerfenswerth, weil fie, nebft der Gloſſe IV, 143°, das Vor— 
kommen echt deuticher Wörter in Italien zu der Zeit nachweilt. 

Spärlicher, doch ficher, hat unfer Gloſſator Scholia ad 
Statium benutzt. Das zeigt die Gloſſe II, 119 auf dharafteriftiiche 
Weiſe. Nachdem der Gloffator nämlich in der Note zu Vers 117 
bemerkt hatte, daß von dieſem Verſe an der Dichter viel aus Statius 
entlehnt habe, ſchlug er ohne Zweifel die betreffende Stelle im Sta- 
tius (Theb. VII, 139) nad) und plünderte nun feinerfeit8 dort den 
Scoliaften. Dieſer jchreibt nämlich zu Theb. VII, 139: prae- 
cipitant: festinant, accelerant, ut tarditatis moras cele- 
ritate compensant, unfer Gloſſator II, 119%: id est tardi- 
tatem suam nimia celeritate compensant. Auch der erjte Theil 
der Stoffe II, 241°: Egeum mare dieitur, ut quidam volunt, 
ab Egeo patre Neptuni, ift wohl aus Schol. ad Stat. Theb. 
VI, 45 entlehnt; dort heißt e8: ab Egeo Neptuni filio Thesei 
patre, und iſt die Gloſſe danach zu verbefjern. 

Ferner find Scholia ad Horatium! in folgenden Gloſſen 
benußt: im Prolog 30® (cf. Schol. ad Hor. de art. poet. 120); 
im letzten Theil der Gloſſe I, 225%: alii dieunt etc. (cf. Schol. ad 
Epist. 1. I, 2, 7: duellum proprie estquod a duobus bellum 
geritur); endlich in III, 297% (ef. Schol. ad Carm. 1. IV, 12, 
15: gestire est toto corpore laetitiam ostendere, was dem 
Wortlaut unferer Gloffe näher kommt, als die dazu von Dümmler 
citirte Stelle aus Servins). 

Endlich wende ich mic zu den grammatifhen Quellen. 
Abgeſehen von der obenerwähnten einzigen Andeutung, dat Maximus 
Bictorinus vorgelegen habe, ergiebt ſich die Renntnig des Pris- 
cianus ımd Donatus feitens des Gloſſators ficher aus deren 
namentlicher Anführung I, 62® und I, 28%. Doch verräth gerade 
die lettere Stelle, daß unfer Sloffator den grammatifchen Notizen 
des Servius größere Autorität zumißt, als jenen beiden Grammati— 
fern. Diefes Dominiren des Servius iſt bezeichnend genug für die 
ganze Art jener grammatifchen Bildung. Ich kann hier veralfge- 
meinern, was ich oben bei Gelegenheit der metrifchen Theorie unferes 
Scholiaften ausiprad) : von einer einheitlichen grammatiichen An= 
ſchauung ift nicht die Rede; aus den verfchiedenen Notizen, wie fie 


ı Horat. cum comment. Jac. Cruguii. Lugd. Batav. 1597. 


152 


bald Servius, bald Donatus oder Priscianus bieten, ift feine Weig- 
heit unorganiſch zufammengefügt; widerfprechenden Anfichten feiner 
Gewährsmänner fteht er ohne Sit gegenüber, und wenn er fchein= 
bar ein ſelbſtändiges Urtheil fällt, ift dajjelbe meiſt aus der betreffen» 
den Duelle abgejchrieben. 

iermit habe ic) überhaupt den wiljenichaftlihen Theil uns 
feres Kommentars, auf den wir jet zurückblicken fönnen, charakteri⸗ 
ſirt. Wir hatten oft Gelegenheit zu bemerken, wie der Gloſſator 
innerhalb derſ elben Gloſſe die entgegengeſetzten Angaben verjchiedener 
- Quellen mit einem ‘vel — vel’ oder ‘alii dicunt, quidam volunt’ 
zufammenfoppelt. Um fo weniger werden wir erwarten, daß ſich in 
verjhiedenen Gloſſen über denjelben Gegenftand ein einheitlicher 
Zufammenhang findet. So find 3. B. die Bemerkungen über aftro- 
nomifche Dinge, deren ſich eine größere Zahl findet, in buntem 
Wechſel aus Martianus Copella, Iſidorus, Fulgentins, Scholien 
zum Lucan und Servius zufammengelejen ; und die mythologiſchen 
Anmerkungen zeugen von derjelben äußerlihen Methode des Stus 
diums 

Vorſchläge zu Aenderungen in den Gloſſen mögen hier 
Platz finden 

1) Die Stoffe I, 65° ift nad) saltatio zu fchließen und dann 
delicatos (jo hat der Coder) als Gloſſe zu molles zu ziehen (ef. 
Serv. ad Georg. 

2) I, 154 muß statt Antithesis ‘Antiphrasis’ ftehen. Der 
Coder hat Antiphesis, entjtanden aus der vulgären Form antiphre- 
Bis (ef, Rhetores minores ed. Halm ©. 62, 12: antiphrasis 
est figura sententiae, cum ‚quaedam negamus nos et tamen 
dieimus). Dies beftätigt das in der Gloſſe folgende “figura’, denn 
antithesis gehört zu den Metaplasmen. 

3) II, 120% ijt ftatt enclisis ‘ectasis’ zu vermuthen (cf. Do- 
nat, bei Keil IV, 396, 14), denn enclisis (cf. Consentius bei Reil 
V, 374, 12 und Macrobius bei Keil V, 612, 25) iſt Abänderung 
ber Endſilben durch Flexion. 

4) II, 146° iſt ad hune casum in ‘ad occasum' zu ändern; 
bie Berderbniß iſt aus hoccasum entjtanden; cf. IL, 146°, wo dieſe 
— ſich findet. 

5) I, 250, iſt nach dem Worte Terentius das Citat aus dem⸗ 
jelben, weiches ausgefallen iſt, Pro zupreme Juppiter einzuſchieben 
(cf. Terent. Ad I, 2, 42). Das ‘pro’ vor ‘summe’ iſt dann als 
Präpofition in der Bedeutung „anftatt“ anzufehen. 

6) I, 49% muß e8 jtatt Araris: Galliae ipse est Sagonna 
heißen Araris: flumen Galliae, ipse est S. (cf. Schol. ad Lu- 
can I, 434). 

7) Prolog 9» ift ftatt alia zu fchreiben Thalia (ef. 3), 

8) III, 278° ift nad) etiam wohl alia einzufchieben. 

9) II, 241° iſt nad patre einzufchieben: Thesei filio Ki 
Schol. ad Stat. Theb. VI, 45). 


153 


10) III, 18% muß e8 wohl heißen: 8. subtrahitur ftatt allein 
subtrahitur. 

11) II, 231° ift wohl sustentant zu ändern in sustentans. 

12) I, 76° ftatt haeret “in haeret'. 

Jene äußerliche Art des Wifjens, welche fi) in dem wiſſenſchaft⸗ 
lichen Theil des Commentars bemerklich machte, tritt uns nun nod) 
auffallender entgegen, wenn wir die Lektüre unſeres Gloſſators 
und deren Verwerthung ins Auge falfen. Er nimmt nämlich die 
Gitate, welche er als Belegftellen anführt, fajt nie aus feiner eigenen 
Lektüre, fondern entlehnt diefelben zugleich mit den betreffenden Gloſſen 
aus ihren Fundorten. Dies Verhältniß tritt in Dümmlers Ausgabe 
nicht deutlich zu Tage, aber es iſt für die Charafterijtif des Gloſſa— 
tor® nicht ohme Bedeutung. Das Citat aus Horaz II, 132° ftammt 
aus ber dort exrcerpirten Serviusgloffe. — Das Yuvenalcitat II, 
276* aus Servius 1. c.; IV, 19° aus Schol. ad Lucan.; II, 
47° aus Schol. ad Lucan. VII, 404; Prolog 30° aus Schol. 
ad Hor. de arte p. 120. — Das Terenzeitat II, 263° aus 
Priscianus 1. VII, 26°; I, 250° aus Servius Aen. VII, 49°; 
I, 6° aus Priscianus J. c.“ — Das Statiuscitat II, 263» aus 
Priseian.1l, e. — Das Pliniuscitat II, 263° aus Servius Il. c. — 
Das Gicerocitat II, 6% aus Priscianus l. XVIII, ©. 281. — 
Nachzuweiſen ift noch das Citat aus Sidonius Apollinaris zu Ca- 
libes II, 822; ferner die auch ihren Autoren nach unbekannten Ci— 
tate zu turbo II, 185°, zu domus I, 162°; und endlich der Autor 
des Verſes I, 261, welcher in der Gloſſe als Francigena be» 
zeichnet ift. 

Aus dem Gefagten ergiebt ſich, daß wir die Lektüre des Gloffa- 
tors nicht ohme Weiteres nad) feinen Gitaten bemeffen dürfen; nur 
die Kenntniß derjenigen Autoren fünnen wir ihm mit Sicherheit zu— 
fchreiben, auf welche er zu Plagiaten oder Neminiscenzen des Dich— 
ter8 hinweift, denn in dieſem alle muß er die betreffenden geleſen 
haben. Darnach ergiebt fich ficher die Kenntniß folgender Schrift- 
fteller: des Virgilius aus 21 Stellen in allen 4 Büchern des Ge- 
dichtes ; des Statius aus I, 168°. II, 117e. III, 194%; des Te= 
rentius aus II, 261°; des Sedulius aus III, 1605; des Boethius 
aus IV, 25°; der Bibel (Genesis) aus II, 9. Das fparfame 
Vorkommen biblifcher Anspielungen hat Dümmler in der Einleitung 
zu den Gesta Bereng. S. 9 ſchon hervorgehoben; es paßt in der 
That ganz zu dem weltlichen Charakter, welchen die Bildung jener 
italienifchen Grammatifer zum größten Aergerniß der Geiftlichleit an 
fi) trug. Ferner folgt aus der Benugung von Scolien zu Luca= 
nus und Scholien zu Horatius die Bekanntſchaft mit diefen Dichtern. 


ı Horat. cum comment. Jac. Cruquii Lugd. Batav. 1597. 

2 Nicht VII, 24, wie in ber Ausgabe. 

° Das Eitat ift aus Terent. Adelph. II, 1, 42 — nidt II, 1, 4, 
* Das Eitat ift aus Terent. Adelph. V, 4, 17 — nidt 16. 


154 


Natürlich ift es nicht erlaubt, den obigen Schluß negativ zu menden ; 
der Kreis der Lektüre mag noch andere Schriftiteller umfaßt haben, 
vor Allen wird Cicero noch hineingehören; aber ungefähr ift mit den 
oben genannten der Umfang der Literaturfenntniß flizzirt, wie er zu 
jener Zeit in den Schulen üblich war. 

Wenn demnach unfer Gloffator mitten in der allgemeinen Bil« 
dung feiner Zeit fteht, fo darf man wohl die charafteriftiichen Züge, 
welhe an ihm hervortreten, als charafteriftiich für diefe Bildung 
gelten Taffen: jenes zufammenhanglofe Nebeneinander von Notizen, 
jene Unterordnung unter einen ſyſtemloſen Commentator wie Servius, 
jene unfruchtbare Art der Lektüre, — auf der andern Seite eine aus— 
dehnte Belefenheit, ein bedeutendes Gedächtniß, achtenswerther Fleiß und 
die gewöhnliche Zugabe zu einer mehr äußerlichen Art des Wiffens, eine 
Itarfe Einbildung auf die zur Schau getragene Gelehrſamkeit. Frei— 
lich zeigt uns ähnliche Züge das geiftige Reben des Mittelalters über— 
all, allein ich glaube nicht, daß wir diefelben irgend fonft in fo 
fcharfer Ausprägung beifammen finden, wie hier, wo fie durch feine 
Vertiefung nach idealer, nach religiöfer Seite hin gemildert werden. 
Ich verweife nur auf den zuletzt genannten Charakterzug, den Eigen 
dünkel, welchen wir bei unserem Gloſſator fo entwicelt fanden. Die 
mittelalterliche Welt fühlt fich durchweg den alten Klaffifern gewaltig 
iiberlegen; man braucht nur die Confutationes rhetorieae, dia- 
lecticae, grammaticae von Effehard IV. von St. Gallen! zu 
leſen, um zu erftaunen, wie fehr diefer Mönch das Alterthum ver= 
achtet, trotdem er e8 unermüdlich und mit Vorliebe ftudirt. Aber 
er verachtet e8 nur, weil es heid niſch ift, er fühlt fich nur durch 
feinen Glauben dariiber erhaben; die formale und produftive Ueber— 
legenheit deijelben erfennt er mit befcheidener Ehrfurcht an. Unfer 
Stoffator dagegen, umgeben von der frivofen Atmosphäre, welche im 
zehnten Jahrhundert Italien durchweht, fühlt dem Altertum gegen- 
iiber nichts al8 die einaebildete Leberlegenheit feiner einenen gelehrten 
Perfon und verfteigt fich daher bis zu den Ausdrücken faft lächerlicher 
Arroganz, die ich früher erwähnte, Wir wiffen auch von anderer 
Seite?, daß nerade diefe Arroganz eine hervorftechende Eigenichaft 
jener Grammatifer und Pehrmeiiter Italiens war, von deren Wirk— 
famfeit uns ein direftes Abbild in dem Gloffator der Gesta Beren- 
garii erhalten ift. 

Wenn es mir gelungen ift, diefes Bild richtig aufzufaffen, fo 
tragen diefe Zeilen ein Weniges bei, zu erflären, warum alle die 
Gelehrſamkeit Italiens im zehnten Jahrhundert fo geringen Einfluß 
auf die fittliche und geiltige Energie des italienischen Volkes gehabt, 
warım al’ ihr Thun faum mehr als eine flüchtige Spur in der 
Geſchichte der Literatur und der Studien hinterlaffen hat. 

1 &, Dimmler in Hanpts Zeitichrift fiir deutiches Alterth. Bd. XIV. 


2 S. Gieſebrecht, Gefchichte der deutichen Raiferzeit I S. 357 ff. und des— 
jelben Abhandlung De litterarum studiis apud Italos. Berol. 1845. ©. 18, 


Zur Kritit der Geſchichtſchreiber des erften Kreuzzugs. 
Bon J. Gurewitid. 


Schon feit mehreren Decennien ift die Parifer Akademie mit der 
Herausgabe der abendländiichen Geſchichtſchreiber der Kreuzziige bes 
ihäftigt, von denen bis jet in großen Zwifchenräumen nur drei, 
allerdings ſehr ftarfe Bände erfchienen find, in glänzender typogra= 
phifcher Ausstattung, mit einem woeitichichtigen gelehrten Apparate 
verjehen. Es Liegt nicht im meiner Abficht, und e8 würde mir ‚auch 
das dazu erforderlihe Material fehlen, in eine umfafjende Erörte— 
rung der hier geleijteten Gonjtituirung der” einzelnen Texte einzutre= 
ten. Um fo entjchiedener ift ein anderer, nicht weniger erheblicher 
Punkt zu betonen, der völlige Mangel an einer fyftematifchen Ans 
ordnung des Stoffes, an jeglicher Unterfcheidung der primären und 
abgeleiteten Quellen. In erjter Reihe haben die Parifer Herausges 
ber das Werf des Wilhelm von Tyrus, feiner Ueberſetzer und Fort— 
jeger abgedrudt, obgleich bekanntlich die erjte Hälfte dejjelben nichts 
als eine ftylifirende Compilation aus älteren, befannten und vorhan— 
denen Büchern if. Man fönnte hierbei zur Rechtfertigung etwa be= 
merken, man habe zur Eröffnung des Unternehmens mit einer ums 
faffenden, univerſalhiſtoriſchen Darjtellung der Kreuszüge beginnen 
wollen. Aber aud im dritten Bande, welcher einen Theil der gleich— 
zeitigen Quellen fiir die Gefchichte des erften Kreuzzugs enthält, fett 
fi der erwähnte Mangel fort. Urfprüngliche und abgeleitete Be— 
richte, Originale und Copien ftehen unterfchiedlo8 neben einander; von 
einer Gruppirung der Berichte nach ihrer Abſtammung iſt feine Nede, 
und wenn einmal ein folcher Verſuch gemacht wird, verfehlt er, wie 
wir gleich darthun wollen, das Richtige. Sybels Geſchichte des er- 
jten Kreuzzugs, welche für diefes Gebiet das Wefentliche geleiftet hat, 
ift den Herausgebern unbefannt geblieben, wie oft fie auch in den 
trefflichen (franzöſiſchen) Schriften de8 Grafen Paul de Riant citirt 
wird. Die bedeutendfte der hierhin gehörigen Quellen ift, wie man 
weiß, der Bericht eines anonymen normannifchen Pilgers, welchen 
Bongars unter dem Titel Gesta Francorum publicirt hat, der 
fhon im 12. Jahrhundert gleich) nach feinem Erfcheinen weite Ver- 
breitung fand, und vielfache Benutzung und Leberarbeitungen erfuhr. 
Beitritten ift jedoch für diefen Autor ſelbſt das Verdienft der Origi— 


156 


talität; zahlreiche Stimmen haben fic für die Anficht ausgefprochen, 
daß fein Buch nichts fei als die abfürzende Copie, oder gar nur, 
wie Paulin Paris! ausführte, ein verjtümmeltes Manufeript von 
ber Relation eines franzöfischen Priefters Tudebod von Sivray. Diefe 
Meinung wurde vertreten von Besly?, den DBenedictinern der Hi- 
stoire litteraire?, von Geillier in der Histoire generale des au- 
teurs sacres et ecclesiastiques +. Die entgegengefette Behaup⸗ 
tung, daß das Buch des Anonymus die Quelle und Tudebod der 
Copift fei, wurde in älterer Zeit von Barth ohne nähere Begründung 
ausgefprochen?, in neuerer von Sybel in eingehender Erörterung bes 
wieſen ®, dann von Saulcy, unabhängig von Shbel, aufs Neue dar- 
gethan ”, Ohne von diefer Controverfe irgend welche Notiz zu neh- 
men, haben jetzt die Parifer Herausgeber fi wieder fiir Tudebods 
Priorität entfchieden, deſſen Bericht in zwei unweſentlich abweichen- 
den Redactionen vorgelegt, und die Erzählung der Geſten als dritte, 
als Tudebodus adbreviatus Hinzugefügt. Nach ihrem Worgange 
hat neuerlich Pollok in einer befondern Differtation ® nochmals Saul= 
ch8 und Sybels Beweiſe für die Geften geprüft, und fi) troß der- 
felben für Tudebod entjchieden. 

Die Frage ift num nicht bloß von litterargefchichtlicher Bedeu— 
tung, jondern, wie man .fehen wird, auch von fachlichen Intereſſe 
für die gefchichtliche Erfenntniß des Thatbeſtandes. Denn fei der 
erite Autor welcher er wolle, der Bericht ift nad) allgemeinem Zu— 
geſtändniß der erheblichite und lehrreichſte unter allen gleichzeitigen 
Quellen. Zugleich aber find, bei wörtlicher Uebereinftimmung beider 
Redactionen in dem größten Theile des Buches, die Differenzen zwi- 
hen ihnen zahlreih und in vielen Fällen erheblich für das Bild 
einzelner Vorgänge, ja für die Gefammtauffaffung des ganzen Krie— 
ges. Es verlohnt ſich alfo, die Unterfuhung nochmals aufzunehmen 
und, wenn möglich, zum Abichluffe zu bringen. 

Was Sybels Fritiiche Unterfuchung über Tudebod und die Ge- 
iten von allen früheren und fpäteren Crörterungen diefer Frage un— 
terfcheidet, was als der wichtigite und eutfcheidendfte Beweis für die 
Driginalität der Geften angefehen werden muß, ift die Hinweifung 
auf das Verhältniß Tudebods zu Raimund von Agiles. Tudebod 
benutt neben den Gejten das KRaimund’sche Buch, jagt Sybel, er 
hat mehrere Stellen wörtlich daraus in feine Compilation herüber— 
genommen. Hätte ihn der Verfaſſer der Geften abgefchrieben, fo 


Chanson d’Antioche, introduction I, 27. 

Duchesne IV, 773. 

T. VII, S. 629. 

T. XXI, S. 165. 

Reliquiae manuscr. III, 21. 235. 262. 

Geſchichte des erften Kreuzzugs ©. 23. 24. 

Bibl. de l’&cole des chartes IV, 302. 

Carolus Pollok, Quaestionum de IV primi belli sacri historiis, 
quae sub Tudebodi nomine comprehenduntur, Pars prima. 


oo a a nm > w 1 m 


157 


— nicht denlbar, wie nicht cine in deſſen Text übergegaugen fein 
ſollte !, 

Es ift gewiß nicht zu verfennen, daß, wenn der von Shhbel 
aufgeftellte Sag durch eine eingehende Vergleihung des Raimund’= 
chen und Tudebod'ſchen Textes bejtätigt wird, damit in der That 
ein fejter Boden und ein leitender Anhaltspunkt für die Unterfuchung 
gewonnen iſt. 

Nun Hat allerdings Sybel in feiner gedrängten kritiſchen Be— 
fprechung der Geſten geglaubt, ſich mit der wörtlichen Anführung ei 
nes einzigen Beiſpiels von der Benugung Raimunds durch) Tudebod 
begnügen zn können, und gerade diejes Beispiel ift falſch. Die Stelle 
bei Raimund, von der Sybel annimmt, jie fei von Raimund aus 
den Geften übernommen, und Tudebod habe diejelbe nicht aus den 
Geften, fondern aus Raimund gefchöpft, Hat auch Tudebod gewiß 
aus den Geften abgefchrieben; dies zeigt die unverfennbare wörtliche 
Uebereinftimmung. | 

Tudeb,, Hist. III, p. 22. Gesta Franc., Hist. III, 126. 

Mandavit itaque imperator co- Mandavit itaque imperator co- 
miti, sicuti superius diximus, quod | miti, ut faceret ei hominium et fi- 
fecisset ei hominii fiduciam, quem- | duciam, sicuti alii fecerant. Et 
admodum alii fecerant. Et dum/dum imperator haec mandabat, 
haec imperator mandaret, comes | comes meditabatur, qualiter vin- 
meditabatur, qualiter vindictam | dietam de imperatoris exercitu ha- 
de imperatoris exercitu habere | bere posset etc. 
potuisset etc. 

Allein wenn diefe Stelle für die Erhärtung des Sybel’fchen 
Satzes unbraudbar ijt, fo bleibt der Sat ſelbſt dennoch) unbejteitbar 
richtig, und findet durc eine Reihe anderer aus Raimund gejchöpf- 
ter Angaben jeine vollftändige Beſtätigung. Ich ftelle diejelben in 
furzer Ueberficht zuſammen. 

1) Tudeb., Hist. occid. III, p. 13—22 = Raim., H. oce. 
III, p. 236; die Stelle, die jid) auf den Zug der Provenzalen von 
Stavonien nad) Conjtantinopel bezieht. 

2) Tud., Hist. occ. III, p. 47 = Raim., Hist. oce. III, 
p. 249; die Erzählung von einer wunderbaren Heldenthat Gottfried, 

3) Tudeb., Hist. occ. III, p. 104 — Raim., Hist. oce. III, 
Bi 297; die Bejchreibung der Prozeffion des Kreuzheeres um Jeru— 

em. 

4) Tudeb., Hist.occ. III, p. 114 = Raim., Hist. oce. II, 
p. 304; die Erzählung von einem wunderbaren Falle bei der Be— 
lagerung Aſkalons. 

5) Tudeb., Hist. occ. III, p.85—86 = Raim,, Hist. occ. 
III, p. 262; die Beſprechung des Todes des Biſchofs Ademar und 
feiner großen Verbienfte um den Kreuzzug. 

Die weniger bedeutenden Stellen, in denen die Uebereinftimmung 
des Berichtes Tudebods und Raimunds nicht fo augenjcheinlich klar, 
oder nur im einzelnen Strichen hervortritt, find Folgende : 


ı Shyhel, Geſchichte des erften Kreuzzuges S. 24—25, 


158 


) Tudeb., Hist. oce. III, p. 90—91 —= Raim., Hist. occ. 
III, p. 280; die Epifode von der Erfcheinung des heiligen Andreas. 

2) Tudeb., Hist. occ. III, p. 77 = Raim., Hist. oce. III, 
p. 283; die Beichreibung der Auffindung der Heiligen Lanze. 

3) Tudeb., Hist. oce. III, p. 44 = Raim., Hist. oce. III, 
p. 247; einige Einzelheiten bei der Beichreibung der während der 
Belagerung Antiochiens vorgefallenen Schlachten. | 

Am deutlichiten tritt die Mebereinftimmung Tudebods und Rai— 
munds in der Beichreibung des Zuges der Provenzalen aus Slavo— 
nien nad) Gonftantinopel hervor. 

Die betreffenden Stellen hier im Ganzen abzudruden, Halte ich 
für überflüſſig. Ich erlaube mir mur einige Fragmente aus der be= 
treffenden Erzählung beider Autoren nebeneinander zu ftellen, da in 
ihnen nicht bloß die völlige Uebereinftimmung, fondern auch die Art 
und Weife, wie Tudebod den fremden Bericht umzugeftalten beftrebt 
war, um feiner Darjtellung wenigjtens den Schein der Selbftän- 
digfeit zu verleihen, recht Kar wird. 


1. 


Tudeb., Hist. occ. III, p. 183—22. | Raim., Hist. occ. III, p. 206 £. 
Et inde (id est de Slavonia)| Venimus Dirachium; cre- 


pervenit Dirachium, quae|didimus esse in patria no- 
civitas imperatoris est, cupiens- 
que jam esset in terra sua, 
quandoque inimicorum inyasus est 
pessimorum manu etc. 


stra, existimantes imperatorem 
Alexium et satellites suos nobis 
esse fratres et coadjutores. Hi 
vero ritu leonum pacificos inva- 
dunt etc, 


2. 


Interea illi (Raim. homines) coe- 


Incipimus iter. Habuimus ob- 


perunt carpere iter et obviaverunt | viam litteras imperatoris de pace, 
imperatoris litteris de pace et fra- |de fraternitate et, ut ita dicam, 
ternitate eo tenente sicuti cum de filiatione; haec autem verba 
suis filiis etc, tenus etc. 


3. 


Quadam autem die, dum Po- 
dieusis episcopus hospitatus fuis- 
set, contigit forte, quod a Pinei- 
natis captus est, qui continuo eje- 
cerunt illum de mula, in qua se- 
debat, et in vertice capitis vulne- 
raverunt. Sed quia tantus ponti- 
fex adhuc populo dei erat neces- 
sarius, per ejus misericordiam vi- 
tae reservatus est etc. 


In der erjten Stelle ijt das 


Quadam autem die, quum es 
semus in valle Pellagoniae, episco- 
pus Podiensis gratia convenienter 
hospitandi, quum paulisper a ca- 
stris discessisset, a Pincenatis cap- 
tus est, qui dejicientes eum de 
mula spoliaverunt et in capite 
graviter eum vulneraverunt. Sed 
quia tantus pontifex adhuc populo 
dei erat necessarius, per ejus mi- 
sericordiam vitae reservatus est etc. 


unflare “cupiensque jam esset 


in terra sua’ bei Tudebod nur als eine ungeſchickte Umgejtaltung 
de8 Raimundſchen: ‘credidimus esse in patria nostra’ zu verſte— 


hen. 


Der Ausdrud des Legteren befommt durch das Participium 


159 


existimantes etc. jeine richtige Begründung, die Tudebod aber, weil 
er eben die ganze Sache gründlich mißverjtanden zu haben fcheint, 
fortläßt. 

In der zweiten Stelle find die Worte Tudebods ‘eo tenente 
sieuti cum suis filiis’ eine Paraphraje der Worte Raimunds ‘litte- 
rae, ut ita dicam, de filiatione’ etc. 

Man fieht, wie oft die Umschreibung Tudebods zu unflaren, 
unverftändlichen Ausdrüden führte. Durch das Streben, fein Pla— 
giat unter einer jcheinbar jelbjtändigen Erzählung zu verbergen, ijt 
Zudebod, wie aus der dritten Stelle zu fehen iſt, aud) zu einer völlig 
finnlofen Darftellung gefommen. Dieſer Darjtellung gemäß wurde 
der Biſchof Ademar überfallen, al8 er jchon einquartirt war, und 
doch de mula, in qua sedebat heruntergeworfen! Und diefer Unfinn 
it, wie man fieht, aus der Umfchreibung der Klaren Worte Rai— 
munds: episcopus Podiensis gratia convenienter hospitandi 
quum paulisper a castris discessisset ete., entjtanden. Die 
Vortjetung diefer Epifode, die Angabe nämlich der Umjtände, welchen 
der Biſchof feine Rettung zu verdanken hatte, iſt bei Raimund aud) 
viel flarer und volljtändiger als bei Tudebod. 

Ebenſo ungeſchickt wie die Wiedergabe der Raimund'ſchen Erzäh- 
lung, ift num ferner aud die Einfügung derjelben in den Text der 
Seiten, jo daß hier die Ynterpolation eines fremden Bejtandtheils 
unverfennbar wäre, auch wenn ung das Original bei Raimund nicht 
mehr vorläge. 

So ſpricht Tudebod unmittelbar vor der Bejchreibung des Zuges 
der Provenzalen von dem Zufammentreffen Boamunds mit Kaijer 
Alerius in Konftantinopel und von den zwiſchen ihnen jtattgefunde- 
nen Verhandlungen: Concordaverunt se ambo, fährt er fort, 
Imperator quidem permisit Boamundo 15 dietas terrae in 
longitudiue Romaniae et 8 in latitudine; Boamundus vero 
fecit ei fiduciam terrae suae, quod non auferret ei neque 
consentiret auferri!, 

Nachdem er dann von dem Zuge der Provenzalen und von dem 
Zujfammentreffen Raimunds mit dem Kaiſer Alerius erzählt hat, bes 
richtet er zum zweiten Male, was er vorher von den gegenfeitigen 
Verſprechungen des Kaiſers und Boamunds gejagt hatte: Fortis- 
simo autem viro Boamundo dixit imperator, quem valde ti- 
mebat et in corde suo, quodsi libenter ei jurasset 15 dies 
eundi terrae suae in extensione ab Antiochia, retro daret et 
octo in latitudine ?, 

Unter den Auterpolationen, denen wir im Texte Tudebods öf— 
ter8 begegnen, treten bejonder8 Har diejenigen hervor, welche die 
Neigung Tudebods zum Wunderbaren charafterifiren, und von denen 
feine einzige bei dem anonymen Autor nad dejjen fühlerem Charakter 


ı Tudeb., Hist. oceid. T. II, ©. 18, 
2 Ibid. ©. 22. 


160 


zu finden ift. Diefe Stellen find aber bei Tudebob, wie mehrere 
andere and Raimunds Bericht entnommenen, bei dem der Wunder- 
glaube, wie e8 ſchon Sybel bemerkt hat, in einer fo wilden Weife 
öfter8 hervortritt !, 

So erzählt Tudebod an einer Stelle, die im Texte der Parijer 
Akademie fehlt, die aber in Duchesnes Ausgabe zu finden ift, von 
einer außerordentlichen, wunderbaren Heldenthat Gottfrieds, der, mit 
denn Schwerte in der Hand auf die Sarazenen fich ftürzend, einem 
von ihren Fürften einen ftarfen Hieb beibringt, ut in duas partes 
ipsum divideret a vertice videlicet usque in sellam equi; 
dann fährt Tudebod fort, um das Wunderbare noch mehr hervorzu— 
heben: actumque est ex dei providentia, ut quamvis in duo 
diseissus ex toto de equo dilaberetur?, Dann wirft fi) Gott- 
fried auf einen anderen, und auc ihn zerhaut er von der Seite in 
zwei Hälften (eX obliquo secuit per medium). Das feindliche 
Heer wird dadurch von einer folhen Furcht ergriffen, daß es in 
der Flucht feine Rettung fucht, und da ihnen der Weg nirgends of- 
fen und die vor ihnen liegende Brücke zu enge ift, fo fallen meh— 
rere Feinde in den Fluß, die anderen werden von den chriftlichen 
Fürften ins Waffer gejtürzt, noch andere todt gejchlagen. 

So lautet der Bericht Tudebods. Diejelbe Erzählung, nur in 
einer gedrängteren und anders geordneten Form, finden wir bei Rai— 
mund, Die wenigen Worte: porta clausa est et pons strictus, 
fluvius vero maximus etc., die bei Raimund der Beichreibung der 
vn Gottfrieds vorhergehen, find bei Tudebod erft nad) diefer 

efchreibung in folgender Paraphrafe ausgedrückt: Locus vero fu- 
giendi non erat, nisi solummodo per pontem, qui tune illis 
perangustus erat etc. Au dem Berichte Raimunds iſt gar nicht 
zu zweifeln, wie e8 die Worte: audivi a multis qui ibi fuerunt, 
quod 20 Turcos et amplius de ponte in flumine abruissent, 
beweifen. Dann erjt fährt Raimund über Gottfried fort: Claruit 
ibi multum dux Lotharingiae. Hic namque hostes ad pontem 
praevenit atque ascenso gradu pervenientes per medium di- 
videbat. Es jcheint deutlid), daß diefe Epijode bei Tudebod nichts 
ift, als eine fehr grobe Umarbeitung des aus Raimund entuomme— 
nen Materiald: aus der Zerfprengung der Schaar ift die Zerſchnei— 
dung der Kämpfer geworden. 

In Bezug auf die bei Tudebod und Raimund anfcheinend über- 
einftimmende Erzählung von der Schlacht bei Askalon erklärt Besly 
daß die Darftellung Raimunds unvollfommen und nur eine Abfür- 
zung der bei Tudebod ſich findenden feit. “Die Histoire litteraire® 


Sybel, Gefchichte des erften Kreuzzuges ©. 16. 

Hist. occid. T. II, ©. 47. 

Raim, Hist. oceid. T. III, ©. 249. 

Duchesne IV, 776: mancum est et imperfectum etc. 
Bist. litt. VIII, 628. 


u >» oo = m 


161 


und die Parifer Akademie ! behaupten fogar, daß die erwähnte Be— 
ſchreibung bei Raimund ſchon in älterer Zeit von fremder Hand er= 
gänzt jei, da fie im dem guten Handfchriften des XII. Jahrhunderts 
fich nicht finde. Besly jagt ganz beſtimmt: Neque primum frag- 
mentum, ut vocat et putat optimus Bongarsius, debuit dubi- 
tare esse alterius quam Raimundi ?. Jedoch bei einer genauen 
Vergleichung der die Schlaht von Asfalon betreffenden Stellen bei 
Zudebod und Raimund läßt fi) gar nicht daran denfen, daß der 
leßtere die Tudebod'ſche Darftellung verfürzt oder abgeichrieben habe. 
Wenn wir alle Einzelheiten diefer Erzählungen bei Raimund, feine 
eigenthümliche Art und Weife der Darjtellung wie auch die ſprach— 
liche Ausdrucksweiſe berückjichtigen, fo finden wir alle die charafterijti= 
ſchen Züge, die fi) auch ſonſt in feinem Buche zeigen, von einem 
weſentlichen Unterfchiede aber auch nicht die Spur. 

Vergegenwärtigen wir uns den inhalt und den Zuſammenhang 
der bei Raimund an den betreffenden Stellen erzählten Begebenheiten, 
fo tritt der jelbftändige Charakter diefer Daritellung flar hervor. 
Zuerft Spricht Raimund von der Wahl des Patriarchen Arnulf und 
mit einer gewilfen Bitterfeit von feinem Verhältniß zum niederen 
Glerus; dann erzählt Raimund, wie der Patriarch bei der Bevölke— 
rung Jeruſalems Erfundigungen nad) dem Kreuz anftellte, welches 
die Pilger vor der Eroberung Serufalems anzubeten pflegten, wie die 
Bevölkerung dies herauszugeben ſich weigerte und doc endlich den 
Ort der Aufbewahrung des Kreuzes anzeigte, und mit welcher Freude 
ein folcher Bund die Kreuzfahrer erfüllte. Alles diefes findet ſich nur 
bei Raimund. Dann geht er auf folgende Weife zur Darjtellung 
der eigentlichen Schladht über: Dumque, sieut superius diximus, 
de duce Lothringiae ordinatum esset, quod eivitatem reti- 
nere deberet, nunciatum est nobis, quod rex Babyloniorum 
Ascalonam venisset cum innumerabili paganorum multitu- 
dine etc. ®, 

Man sieht, daß hier der Anfang der Darftellung von der 
Schlacht an die vorhergehende Erzählung angefnüpft wird, was jchon 
ein Beweis dafür ift, daß diefe Beichreibung nicht interpolirt oder 
bon fremder Hand ergänzt ift. Werner ijt mehrere, was von der 
Prahlerei des Babylonifchen Königs bei Raimund erzählt wird, we— 
der in den Geſten noch bei Tudebod zu finden: Sed non his ad- 
huc contentus similiter Antiochiae et Boamundo facturum se 
ajebat. Damasei etiam et reliquorum eivitatum diadema ca- 
piti suo impositurum dicebat. Nihil Turcos, nihil Francos, 


ı Hist. occ. III, pröface S. XXIV: Le dernier &pisode, im- 
prime par Bongars à la suite de son texte, n'est pas de notre auteur, 
c'est un abreg& du tlıöme XVI de Tueboeuf, qui a été reproduit dans 
les manuscrits du XIII siecle. 


2 TDuchesne IV, 776. 
® Raim., Hist. occ. II, ©. 302, 


XIV, 1 


162 


Turcorum vietores esse dicebat, considerata multitudine pedi- 
tum suorum et militum etc. ! 

Das Zufammentreffen der Kreuzfahrer mit den arabifchen Hir— 
ten ift auch bei Raimund viel ausführlicher als in den Gejten und 
bei Tudebod erzählt . Kurz, ich halte es fiir unmöglich die Erzäh- 
fung Raimunds von der asfalonischen Schlaht von der betreffenden 
Schilderung Tudebods abzuleiten. Im Gegentheil, bei einer nähe- 
ren Betradhtung der Sache erfcheint mir die Vermutung nicht ab- 
zuweiſen, daß Tudebod feine Bejchreibung auch in diefer Stelle aus 
den Geften und Raimund compilirte. So ijt bei Tudebod die Vor— 
bereitung zur Schlacht wie die Anordnung der Schaaren faſt wörtlic) 
aus den Geften abgejchrieben. Dann aber iſt die Angabe von dem 
Wunder während der Schlacht augenfcheinlic) eine Abkürzung der be= 
treffenden Erzählung Raimunds; dann folgt Tudebod in feiner Er— 
zählung wieder den Gejten. 

Ich finde aljo feinen Grund, die Beichreibung der Schladht von 
Askalon Raimund abzufprechen. Und ſelbſt, wenn dies wegen ihrer 
Weglaſſung in den ältejten Handjchriften unvermeidlich fchiene, würde 
damit Tudebods Sache nicht verbejjert. Denn die Vergleichung würde 
dann feinen Zweifel darüber lajjen, daß fie unter diefer Vorausſetzung 
viel eher für eine Ableitung aus den Gejten al8 aus Tudebod zu halten 
wäre, was auch von den Parifer Herausgebern felbjt eingeräumt 
wird ®, 

Daß, wie wir ed in dem Bisherigen ausgeführt, zwifchen meh— 
reren Stellen Tudebods und Raimunds eine augenfällige Ueberein— 
ftimmung ftattfindet, können übrigens auch die eifrigiten Verthei— 
diger des erftern nicht verfeimen. Besly“* und Geillier ® fuchen da= 
neben Tudebods Selbitändigfeit durch die Annahme zu retten, daß 
beide Autoren als gute Kriegsfameraden ſich ihre Aufzeichnungen ges - 
genfeitig mitgetheilt hätten. Pollof ® dagegen ift der Meinung, Rai— 
munds Bud) ſei dem Priefter von Sivray unbekannt geblieben, ihm 
feien nur einzelne anonyme Bruchſtücke dejfelben zu Geficht gefommen. 
Es ijt diejelde Hypothefe, mit welcher ſchon Sybel einzelne Schwie— 
rigfeiten für die Kritik Guiberts von Nogent und Wilhelms von 
Tyrus zu erläutern gefucht, und welche dann Paulin Paris näher 
dahin ausgedrückt hat, es feien einzelne Stüde aus den Berichten 
der Pilger jonntäglich von den Kanzeln in der Heimath verlefen und 
jo unter den Gläubigen in Umlauf gefett worden. Man fann dies 
einräumen und damit Tudebods und Wilhelms Wahrheitsliebe ret= 
ten, wenn jie bei feitenlanger Benutzung älterer Bücher dennoch erflä= 
ren, feine frühere Schriften, jondern nur Erinnerungen der Theil= 


Ibid. ©. 303, 

Ibid. S. 303 -304. 

Hist. occ. III, S. 305—307 Note a. 
Duchesne IV, 776, 

Vol. XXI, 166. 

S. 31. 33, 


oo m a m m Mm 


163 


nehmer benußt zu haben. Offenbar aber treffen alle diefe Erörte— 
rungen den Punkt nicht, auf den es uns hier anfommt: das Ver— 
hältnig Zudebod8 zu den Gejten. Mag Zudebod das ganze Bud) 
Raimunds oder nur Bruchjtüce defjelben bemugt haben, inner bleibt 
die Thatfahe, daß in den Geſten feines diefer Bruchſtücke ſich vor— 
findet, daß mithin Tudebods Erzählung ſich al8 eine Compilation 
darjtellt, welche in den Text der Geſten Raimund'ſche Stüde einfügt. 

Nach der Beichreibung einer kirchlichen Proceſſion während der 
Belagerung von Serufalem und eines dabei ſich ereignenden Vorfalles 
bemerft Tudebod: Credendus est, qui primus hoc seripsit, quia 
in processione fuit et oculis carnalibus vidit, scilicet 
Petrus Tudebodis, sacerdos Sivracensis '. Hierauf geſtützt ja= 
gen die Parifer Afademifer, indem fie unter Berufung auf die Hist. 
litter. Tudebod als den erjten Berfafjer bezeichnen: Cest ce qui 
lui a inspire la confiance de se donner pour le premier, qui 
eüt traite ce sujet: “qui primus scripsit’, dit il en parlant de 
lui même?. Noch Harer ijt dafjelbe bel Geillier ausgeſprochen: 
Il fut le premier des croises, qui écrivit les expeditions, du 
moins il le dit en termes formels. Ainsi l’on ne peut le re- 
garder comme plagiaire?. Außerdem führen die Vertheidiger Tu— 
debods noch zwei Stellen al8 Grund für ihre Behauptung an: in 
der einen ift die Rede von einem verftorbenen Bruder Tudebods 
Arvedus Tudebodis, einem tapfern Srieger, dejjen Beerdigung der 
Priefter Petrus Tudebodis beimohnte *. In der anderen erzählt Tu— 
debod von dem Tode eines Arnoldus Tudebodis, der in der Schlacht 
bei Marrah gefallen ijt? und den Besly aud einen Bruder Tude— 
bods nennt, obwohl bei ihm fein Grund dafür zu finden it. 

Aber welhen Schluß kann man mit Sicherheit aus allen diefen 
Stellen ziehen? Gewiß nur den, daß ſich Tudebod wirklich ſelbſt an 
dem Kreuzzuge betheiligt, daß er mehrere von dem bei ihm eingefcho= 
benen Epifoden, unter anderen die bei der Belagerung von Jeruſa— 
lem erzählte, jelbft erlebt hat. Daß aber Tudebod mit feinen Brü— 
dern dem Heere folgte, da8 beitreitet auc Niemand, und das gibt 
auch Sybel gerne zu. Wie kann man daraus aber auch die Ori— 
ginalität de8 ganzen Werfes folgern und auf ſolche Stellen geſtützt 
den Bericht der Geften aus dem des QTudebod ableiten wollen? Dazu 
gibt wenigjtens die oben angeführte Stelle “Credendus etc.’ aud) 


ı Hist. occ. II, ©, 106. Cf. Paulin Paris, Le chanson d’An- 
tioche, Introd. chap. V ©. 26: Dans le manuscrit de la bibliotheque 
royale Nr. 5135 sous le titre ‘Historia belli sacri primi’, qui est d’ail- 
leurs plus correct que les Editions de Bongars et de Duchesne, nous 
trouvons aussi le nom de l’auteur Petrus Tudebodus sous l’addition du 
manuscrit de Besly ‘sacerdos sivracensis’. 

Hist. oce., preface ©. V. 

® Ceillier, Hist. des auteurs sacres T. XXI, ©, 165. 

* Hist. occ. III, S. 67. 

5 Ibid. ©. 85. 

° Sybel, Geſchichte des erften Kreuzzuges S. 23. 


11” 


164 


nicht die mindefte Berechtigung. Die Worte “qui primus hoc 
seripsit’ beziehen ſich augenscheinlich nicht auf das ganze Werf 
Tudebods, wie es die Parijer Akademiker behaupten, fogar nicht 
einmal auf das ganze Thema, au deſſen Schluſſe diefe Worte ftehen: 
fie find nur auf die Beichreibung der Prozeſſion und des fic dabei 
ereignenden Zufalles zu beziehen, was aus den Worten Tudebods 
Har hervorgeht. Die Urſache, nad) der Tudebod ſich vollen 
Glauben erbittet, ijt im den Worten ‘quia in possessione fuit’ 
ganz deutlich angegeben, und die Auslegung diejer Stelle in der Vor— 
rede der Pariſer Akademie: Nous croyons, que l’auteur a bien 
eu le droit de dire en parlant de lui m&me ‘qui primus hoc 
seripsit’, que cette parole s’applique non pas seulement au 
contenu du theme quelle termine, mais à tout l’ouvrage — ! 
erfcheint mir demnach als eine völlig willfürliche und unbegründete, 
Ya wir fünnen hier nod) weiter gehen. - Denn auch an diejer Stelle, 
wo Tudebod mit ſolchem Nachdruck feine Augenzeugenjchaft befennt, 
bat er ohne Zweifel die entiprechende Erzählung des Raimund von 
Agiles vor ſich gehabt und ausgejchrieben, während in den Geſten 
der ganze Vorfall unerwähnt bleibt. Ich jtelle Raimunds und Zus 
debods Darftellung zur Vergleichung neben einander, 


Tudeb,, Hist. occ. III, 104. | Raim., Hist. occ. III, 297. 
Quod cum vidissent nostri se-| Placuerunt haec verba(b.h. 
niores (nämlid daß die Saracenen | die vorhergehenden Erzählungen des 
die Chriften überall todt jchlugen), ni- | Priefters Petrus Defiverius und des 
mis irati fuerunt et fecerunt | Bruders des Biſchofs Ademar): Viri 





concilıum, in quo episcopi |fratres humiliemur domino et cir- 
et presbyteri laudaverunt,jcumeamus civitatem Jeru- 
ut fecissent processionem |salem nudis pedibus princi- 
circa civitatem. Itaque epi-|pibus et omni populo, et ideo 
scopi et presbyteri nudis pedi-|publice jussum est, ut in sexta fe- 
bus et sacris vestibus induti et ria clerici properarent se 
cruces in manibus ferentes de ec-J|ad processionem cum cru- 
clesia S. Mariae ad ecclesiam S.|cibus et sanctorum religuiis et 
Stephani ete. . . . Ülerici quo-|milites atque omnes viri 
que ita erant induti, milites|fortes sequerentur eos cum 
et clientes pergebant juxta/|tubis et vexillis atque armati 
illos armati. Sarraceni hoc|nudis pedibus incederent. 
videntes similiter pergebant per | Quae omnia secundum jussionem 
muros civitatie, Mahomet in qua- |dei et principum laetanter — 
dam hasta deferentes uno panno | vimus 

coopertum. Christianis pervenien- |sed licet multa praetereamus, hoc 
tibus ad ecclesiam S. Stephani, | unum praeterire non libuit. Quum 
etipsi Sarraceni desuper)circumiremus civitatem de 
muros astantes clamabant|foris cum processione, tu- 
et ululabant cum buccinis/jmultu Sarraceni et Turei 
etomne genus derisionis,/jultra civitatem girabant 
quodcunque reperire potue-/ multi modo nos deridentes, 
rant, faciebant. Insuper|cruces super muros pone- 
sanctissimam crucem, viden- bantin patibulis, afficien- 
tibus omnibus christianis cum tes eas cum verberibus at- 
quodam ligno verberabant,jque contumeliis, 


ı Hist, occ. III, preface ©, VIL, 


165 


et postea, ut majorem christianis 
inferrent dolorem, ad murum eam 
frangebant, dicentes alta voce: 
Franci agip salip (Franci, est 
bona crux). E 

Die Uebereinftimmung diefer Stellen und fogar einzelner Aus— 
drücke ift nicht zu verfennen. Wenn man Sat für Sat vergleicht, 
fo fieht man nur eine verjchiedene Auswahl in dem Detail der Er- 
eigniffe, das Wefentliche aber, der Kern der Erzählung, ift bei Tu— 
debod und Raimund derſelbe. Die Wiederholung aber einiger Aus— 
drücke, die fich hier bei Tudebod finden “Itaque episcopi et presby- 
teri sacris vestibus induti ete.’ und dann wieder ‘eleriei quoque 
ita erant induti’, zeigt den fompilatorifchen Charakter de8 Werkes 
Tudebods auch an diefer Stelle. Allerdings könnte man aus mans 
chen Einzelheiten der Erzählung, die bei Raimund fehlen, den Schluß 
ziehen, daß Tudebod in diefer Epifode Tediglich ein eigenes Erlebniß 
erzähle. Wenn wir aber das allgemeine Verhältniß Tudebods zu 
Raimund und die vielen von ihm Wort für Wort abgefchriebenen 
Stellen ins Auge fajjen, jo wird die Vermuthung höchſt wahrfchein= 
fh, daß Tudebod auch hier den Raimund benutzt und nur einzelne 
eigene Erinnerungen in deſſen ZTert einfchiebt. 

Steht es num fo ſchwach und ſchwankend fir den Hauptbemweis, 
fo ift noch viel weniger Gewicht auf einige Nebenargumente zu le— 
gen, mit welchen Pollof die Priorität Tudebods erhärtet. Tudebods 
Erzählung fei in “themata’ getheilt, jene der Geften in Bücher und 
Capitel, offenbar jei jenes die urfprüngliche Form. Es Tiefe fich 
hören, wenn jedes Thema einen fachlich abgegrenzten Theil des 
Greigniffes enthielte: daran ift aber nicht zu denken, die Abfchritte 
find mit voller Wilffür gemadht. Dann foll Tudebods Styl, der 
Schlechter und roher ſei als jener der Geften, die Urſprünglich— 
feit beweifen; man habe hier die erjten rafchen Aufzeichnungen im 
Drang der Ereigniffe, während der Verfaffer der Geften bei ruhigem 
Abſchreiben Muße zur ſtyliſtiſchen Vervollkommnung gehabt habe. 
Die Zeitgenoſſen, Robert, Guibert, Balderich, welche ſämmtlich die 
Geſten, nicht aber Tudebod benutzten, hielten ihrerſeits den Styl der 
Geſten für höchſt barbariſch, und in der That wird eine unbefan— 
gene Vergleichung keinen anderen Vorzug deſſelben anerkennen, als die 
Abweſenheit jener Entſtellungen und Mißverſtändniße, welche Tude— 
bod durch ungeſchicktes Compiliren ſich zu Schulden kommen ließ. 

Ich habe ſchon früher Beiſpiele ſolcher verunglückten Einſchiebun— 
gen aus Raimunds Buch angeführt: es ſteht nicht beſſer, wo Tu- 
debod aus anderweitigen Quellen Zufäte in den Text der Geften 
einfügt. Dahin gehört fein ganzes achte8 Thema, wo er die Thäs 
tigfeit des Grafen Raimund von Touloufe für die Bewahrung eines 
gegen Antiochien aufgeführten Caſtells und ſodann die Ermordung 
des Rainald Porchet und einiger anderer Chriften in Antiochien er» 
zählt. Von jener Thätigfeit des Grafen von Touloufe redet auch Rai- 
mund Agiles, nur nicht fo ausführlich wie Tudebod; über den Märs 


166 


tyrertod Porchets berichtet nur noch eine etwas fpätere Compilation, 
die Historia peregrinorum. Die Geften erwähnen Beides nicht; 
aber daß deren Autor hier eine Auslaffung gemacht, daran ift nicht 
zu denken, vielmehr jchreitet der Verlauf feiner Erzählung gerade an 
diefer Stelle ohne die mindeite Lücke fort. 

Facto igitur castro, jagt der anonhme Autor, mox coepi- 
mus ex omni parte coangustare inimicos nostros, quorum su- 
perbia ad nihil jam erat redacta. Nos autem secure ambula- 
bamus huec et illuc ad portam et ad montanas, laudantes et 
glorificantes dominum deum nostrum, eui est honor et gloria 
per omnia saecula. saeculorum. Daum führt der Anouymus als 
Reſultat der oben angegebenen Stellung des chrijtlichen Heeres zu 
den Saracenen folgendes an: Jamjamque omnes semitae prohi- 
bitae et incisae undique erant Tureis, nisi ex illa parte flu- 
minis ubi erat castrum et quoddam monasterium ete.! Bei 
Zudebod ift nun vor den Worten ‘Jamjamque omnes etc. die 
oben angeführte Erzählung, die den Anhalt des VIII. Themas aus— 
macht, hineingefchoben, und damit, wie feines weiteren Beweiſes be= 
darf, der wohlgefugte Zufammenhang der Darjtellung plump zer— 
rifjen. 

Eine Ähnliche Interpolation finden wir bei Tudebod bei der 
Beichreibung der Belagerung von Marrah. Dem Berichte der Ge— 
ften gemäß waren die Schaaren der Saracenen bei der Ankunft des 
Kreuzheeres vor Marrah (am Anfange November 1098) fo zahlreic), 
daß das chriftliche Heer in diefem Monat feinen Angriff auf fie wa- 
gen durfte. „Da die Fürſten des Kreuzheeres“ , fährt der anonyme 
Autor fort, „vorausjahen, daß unter diefen Verhältniſſen an feine 
weitere Unternehmung zu denfen fei, errichtete der Graf Raimund 
ein ftarfes und hohes hölzernes Gajtell“ *. Tudebod fchreibt an die— 
fer Stelle, wie faft überall, den anonymen Autor Wort für Wort 
ab, fchiebt aber feinerfeits cine Epifode ein, wodurd die eben ange— 
führte kurze und bündige Darftellung unterbrochen wird. Nachdem 
nämlich Tudebod die Ankunft der Chriften vor Marrah, die Unmög— 
lichfeit eines Angriffs gegen die ſtarke Maffe der Saracenen und ihre 
Leiden durch eine furchtbare Hungersnoth berichtet hat, fügt er die 
Erzählung von einer neuen Erjcheinung des Hl. Andreas hinzu, der 
fich Peter Bartholomäus wieder zu erfreuen hatte. Der heilige An— 
dreas ermahnt die Chriſten, in Frieden umd chriftlicher Yiebe unter- 
einander zu leben und den zehnten Theil von ihrem Hab und Gut 
für die Geiftlihen und Armen auszuliefern, dann würde der All- 
mächtige bald die Stadt Marrah in die Gewalt der Chrijten fallen 
lafjen. Nach diefem fehr langen Zwiſchenſtück fährt Tudebod, den 
Geften folgend, weiter fort: Non post multum temporis feecit 
Raimundus s. Aegidii facere quoddam ligneum castrum ete.?— 


ı Hist. occ. III, ©. 139. 
2 Hist. occ. III, ©. 154. 
® Hist. oce. III, ©, 90—91. 


167 


was offenbar nicht als eine confequente Fortſetzung der eben erzählten 
Epifode erfcheint. Die Epifode von der Erjcheinung des hl. Andreas 
iſt auch noch viel ausführlicher bei Raimund von Agiles erzählt, 
Bei Raimund aber ift unter mehreren Crmahnungen des hl. Ans 
dreas die über die Auslieferung des Zehnten blo8 mit wenigen Wor— 
ten angedeutet!: De decimis vero bene fecerunt, quod eas, 
sicut praecepi, dederunt. Multiplicato itaque eos ete. Tude— 
bod will aber auch von bejtimmten Vorſchriften des Hl. Andreas über 
die Vertheilung des Zehnten wijfen: quam praediectam decimam 
partem jussit dividi in quattuor partibus, una quarum detur 
episcopo, alia sacerdotibus, alia ecclesiis, alia pauperibus ®, 
Der Autor, wie man fieht, jorgt eingehend für die Intereſſen fei= 
ner priefterlichen Standesgenofjen, ein Beſtreben, welches bei Tude— 
bod aud) an einigen anderen Stellen jehr merfbar hervortritt. So 
3. B. indem er von dem Tode des Bifchofs Ademar fpridt und 
feine großen Verdienfte, feine ehrenvolle Stellung und Thätigfeit im 
Kreuzheere hervorhebt, fagt er von ihm folgendes: Ipseque ordina- 
bat clericos et praedicabat et submonebat milites et alios 
divites diceendo: Quoniam nemo ex vobis salvus fieri potest, 
nisi honorificet et reficiat pauperes clericos, vobisque oportet 
illos regere et nutrire, quia nesciunt perquirere, neque inve- 
nire sicut et vos seitis ete.? Raimund von Agiles, mit defjen 
Bericht die Erzählung Tudebods auch an diefer Stelle eine große 
Aehnlichkeit Hat *, und Fulcher von Chartres ®, der ebenfalls mit dem 
größten Lobe von der Theilnahme und der Bertretung Ademars für 
die Armee fpricht, wiſſen aber nichts von jenen Ermahnungen an die 
Ritter und andere Reichen, den armen Prieftern Hilfe zu leiften. 
Davon weiß nur Tudebod allein. Auch der Mönch Robert beichränft 
fich hier auf die kurze Grmahnung: Episcopus Podiensis consi- 
lium erat divitum, sustentator debilium. Hie militibus dicere 
solitus erat: Si vultis esse triumphatores et amici dei, pau- 
perum miseremini ®, 

Wenn wir die Erzählung von der erſten Erjcheinung des hl. 
Andreas (in Antiochien) bei Tudebod ° und in den Gejten ® verglei— 
chen, fo erjcheint fie bei dem erjten in viel wunderbarerer Art als 
in den legten. 

In der Darftellung Qudebods führt der hl. Andreas den Peter 
Bartholomäus nad) Antiochien noch während der Belagerung durch die 
Chriſten. Da ihm endlich Andreas zu dem Kreuzheere zurückzukeh— 
ren befiehlt, erwiedert Bartholomäus darauf: O Herr, wie follte 


Raim., Hist. occ. II, ©, 280, 

Hist. occ. III, ©. 91. 

Hist. occ. III, ©. 85—86. 

Raim., ibid. ©. 262. 

Fulch. Carnot., ibid. ©. 350—351. 

Rob. Monachi hist. Hieros., Hist. occ, II, S. 839, 
Hist. occ. II, ©. 70. 

Ibid. ©. 147. 


a oa a» on ww — 


168 


ich gehen, da doch die Türken auf der Mauer ftehen, und mid) tödten 
werden, ſobald fie wich gejehen haben. Darauf jagt ihm der Apoſtel 
Andreas: Geh’, fürchte nichts! Da fing Peter Bartholomäus an die 
Stadt angefichtd der Türken zu verlaffen, die ihm denn auch im 
Wahrheit nichts anthaten. Es ift doch nicht zu verfennen, daß der 
einfachere Bericht der Geſten die urfprünglide, der gefteigerte des 
Tudebod die fpätere, ausgeſchmückte Geftalt der Sage zeigt. 

Ebenfowenig ſcheint es zu der Annahme, daß Tudebod in— 
mitten des Kriegsgetümmels ſeine Aufzeichnungen darüber gemacht 
habe, zu ſtimmen, wenn er bei der Erwähnung der alten Herrlich— 
keit Antiochiens die fabelhaften Namen der angeblichen 75 Könige der 
Stadt, Mirgulandus, Ebramdons, Bamurafres ꝛc. ꝛc., gewiſſenhaft 
aufzäglt!. Wie ſollte ev im Lager zu dieſem Kataloge gelangen, wie 
die Namen im Gedächtniß behalten? Alles ift erflärlich, jobald man 
ihn als den Gopijten der Gejten betrachtet, der nad) Haufe zurück— 
gekehrt deren Text mit ſonſtiger Gelehrſamkeit ausſchmückt. 

Diefe Aufzählung der ehemaligen Könige Antiochiens erfcheint 
noch auffallender, wenn man fie mit einer anderen Stelle bei Tu— 
debod zufanımenhält. Wörtlic übereinjtimmend mit den Geſten fpricht 
Zudebod am Anfange feines Berichtes von jenem Theil der Kreuzfah- 
ver, der feinen Weg durch Ungarn nad Gonftantinopel nahm, und 
gibt dabei nur einige Namen der Heerführer, wie Peters des Ere— 
miten, ottfrieds von Lothringen und feines Bruders Balduin, an; 
dann fährt er folgenderweife fort: Isti prudentissimi milites et 
alii, quos ignoro, venerunt per viam ete., und um feine 
Unwiſſenheit zu rechtfertigen, fchiebt er folgende Worte, die in den 
Gejten fehlen, hinein: penitusque ductore careo ?, was Pollof als 
einen ficheren Beweis der Originalität Tudebods gegen das von Sy— 
bel über ihn ausgefprochene Urtheil anführt ?, 

Wie fonderbar it e8 nun, daR Tudebod, ein echter Franzofe, 
die Namen der Fürften, die an der Spike der Kreuzfahrer, die aus 
Frankreich in Ungarn eintrafen, nicht fannte, und doc) eine folche 
ſpecielle Kenntniß von den ehemaligen Königen Antiochiens bejaß ! 
Meiner Anficht nach) ijt dieſer Umſtand nur ein neuer Beweis, daf 
Tudebod jeinen Bericht aus den Geiten abfchrieb, aber fein Plagiat 
zu magfiven wiünfchte. Der anonyme Autor, der, wie aus feinem 
ganzen Berichte klar hervorgeht und von Saulcy ausführlich bewie- 
fen wird‘, aus Italien ftammte, kannte natürlich) nicht alle Namen 
der franzöjiichen Fürften, die durch Ungarn ihren Weg nahmen, und 
deshalb bemerkt er auch ganz offenherzig, ohne ſich feiner Unwiſſen— 
heit zu jchämen, und um einen Grund dafür anzuführen: quorum 


! 'Tudeb., Hist. oce. III, S. 89—90. 

? Tudeb., Hist. oce. II, ©. 10. 

®° Pollok, Dissert. &. 26—27: Quae verba de Sybeli conjecturam 
excutiunt, cum nobis demonstrent, Tudebodum omnem swi temporis 
historiam ignorasse. 


* Bibl. de l’&cole des chartres T. IV, I. serie, S. 302—303. 


169 


nomina ignoro. Tudebod aber gibt einen folhen Grund an, meil 
er damit feine Abhängigkeit von den Geſten zu verhehlen hofft. Der 
anonyme Autor weiß aber als Staliener die Namen aller Fürften, 
die durch Stalien und Dalmatien ihren Weg nahmen, und dazu Na= 
men, die bei Tudebod nicht alle zu finden und die vielleicht von 
ihm mit Abficht weggelaffen find‘. Ebenſo natürlich erfcheint es, 
dag der anonyme Autor al8 Italiener jo wenig das Coneil zu Cler= 
mont berücffichtigt , fonderbar aber, daß Tudebod als Franzofe und 
dazu Priefter fo wenig davon weiß. Wenn wir jedoch das paffive 
Abſchreiben Tudebods von den Gejten berüdfichtigen, jo ift auch die 
fer Umstand jehr erflärbar. | 

Mie mit den Einfchiebungen verhält es ſich auch mit den Ab- 
fürzuugen, welche Tudebod fich gelegentlich gegenüber dem Texte ber 
Geften erlaubt. Syhbel deutet nur einen, aber jehr charakteriftifchen 
Zug an, nämlich die Darftellung der Belagerung von Nicäa bei 
beiden Autoren. 

Nachdem Tudebod die Ankunft der von Boamund befehligten 
Kreusfahrer erwähnt hat, fährt er fort: Hoc autem totum factum 
est. Omnes itaque (christianae religionis) congregati 
sunt in unum et sic pervenerunt ad portum (i. e. Constanti- 
nopolis) omnesque una transfretaverunt bracchium et commu- 
niter exierunt terram et applicuerunt Nicomiam etc.?. Daf 
diefe Daritellung durch umd durch falſch ift, iſt leicht einzufehen. 
Bekannt ift e8, daß in der That die Kreuzfahrer erjt allmählich und 
die Provenzalen erſt mehrere Tage fpäter als die anderen in Con— 
ftantinopel eintrafen; es ift ferner aus den Geften, Fulcher und Rai— 
mund leicht zu erfennen, daß die Kreugfahrer gar nicht zuſammen 
zur Belagerung von Nicaen eingetroffen find. Zuerft find den 6. 
Mai 1096 Gottfried und der Graf von Flandern ?, dann ben 
9. Mai Boemundt, dann erſt acht Tage fpäter die Provenzalen 
vor Nicäa eingetroffen ®. Die Belagerung fing erft am Himmel- 
fahrtötage, das heißt den 15. Mai °, an, und Raimumd, der an die— 
fem Tage noch entfernt war, konnte erft den 18. Mai feine in der 
That fehr wichtige Mitwirkung leiften. Robert von der Normandie, 
Stephan und einige andere find erft Anfang Juli ?, und noch fpäter 
endlich Roger Barnavilla ® dort angelangt. 


ı Hist. occ. II, S. 123: In hac parte fuerunt Boamundus et Ri- 
chardus de Principatu, Rotbertus Nortmannus comes Flandrensis, Hugo 
Magnus, Evrardus de Puisatro, Achardus de Monte Merloi, Usuardus 
de Musione etalii plures. Qgl. Tudeb., Hist. occ. S. 13—14, und Gesta 
Franc. ©. 123—124. 

2 Tud., Hist. occ. III, ©. 22. 

Hist. occ. III, ©. 126. 


3 

4 * 

5 Ibid. ©. 20. 

8 (test. Franc., Hist. occ. III, 126 und Fulcher Carnot., ibid, 
©. 332. 


Gesta Frane., Hist. occ. III, 127. 
8 Ibid, 


170 


Da aber Tudebod ſchon vonvorneherein ganz beftimmt fagt, 
daß die Kreuzfahrer zu derfelben Zeit und zufammen in Conftantino» 
pel und dann zu Nifomedien anlangten, fo läßt er ferner alles, was 
in dem Berichte der Geſten dieſer feiner Darjtellung widerfprechen 
würde, ganz weg. 

Sybel glaubt, daß Tudebod die oben angeführte falfche Nachricht 
aus einer Notiz der Geften oder vielleicht aus einer Angabe Raimunds 
umgeftaltet habe. Mich dinft, daß Tudebod hier ohne Zweifel 
aus den Geften und zwar im wörtlicher Wiederholung abjchreibt. 
Nachdem der anonyme Autor das allmähliche Eintreffen der Kreuz— 
fahrer bis auf die legten Echaaren und dann die Ordnung, in wel- 
cher das vereinigte chriltliche Heer die Stadt auf allen Seiten be— 
drängte, auf die genauefte Weife angegeben, fügt er dann als einen 
feine Darftellung fchließenden Sat hinzu: fueruntque ibi omnes 
congregati in unum?, es feien hier bei der Belagerung von Ni- 
cäa die fämmtlichen Kreuzfahrer zum erften Male zufammengefommen. — 
Daß die angeführten Worte nur diefen Sinn haben fünnen, ift auch 
aus dem gleich Folgenden Ausruf flar: Et quis poterat nume- 
rare tantam Christi militiam! Cine folche Auslegung der be= 
iprochenen Stelle wird noch durch eine Vergleichung mit der betref- 
fenden Stelle bei Fulcher beftätigt: nachdem er nämlich von dem Ein— 
treffen der ſämmtlichen Kreuzfahrer zur Belagerung von Nicäa ge— 
ſprochen, fagt er folgendes: Itaque tanto collegio ab oceidenta- 
libus partibus procedente paulatim per viam diatim de innu- 
mera gente concrevit exereitus exereituum undi- 
que convenientium, ut de linguis quam plurimis et re- 
gionibus multis videretis multitudinem infinitam; qui tamen 
in unum exerceitum non sunt congregati, donec 
ad Nicaeam urbem pervenimus®. 

Ungeachtet diefer einzig möglichen Auslegung der eben befproche= 
nen Stelle der Geften meint doch Pollof, daß fie von dem anony— 
men Autor aus Tudebod in abaefürzter Form entnommen * und nur 
an das Ende der betreffenden Grzählung geftellt worden fe. Mir 
Scheint nicht der mindefte Zweifel daran zu fein, daß hier der um— 
gefehrte Fall ftattfindet. 

Pollok bemerkt, daß Tudebod zwar in Duchesnes Ausgabe alfe 
Kreuzfahrer, alle hriftlichen Kämpfer fich in Gonftantinopel verſam— 
meln lafje, daß aber in dem durch die Afademnie feftgeitellten Texte 
die Worte “christianae religionis’ fehlen, und mithin Tudebod nur 
von der Vereinigung der normannifchen Heerestheile in Conftantino- 
pel rede. Iſt diefe Parifer Lesart wirklich die richtige, fo hat dann 
Tudebod feinerfeits feinen fo groben Schniter gemacht: nur wird man 
gerade dann am Wenigften behaupten können, daß der anonyme Au— 


1 Gybel ©. 24. . 

9% Gesta Franc., Hist. occ. III, 127. 

® Fulch. Carnot. hist. Hieros., Hist. occ. III, S. 328, 

* Pollok, Dissert. S. 30: qui locus in Gestis contractus. 


171 


tor ihn ausgefchrieben, da e8 in vollem Maaß evident ift, daß die— 
fer nicht von der Vereinigung bloß der italienischen Normannen, fon= 
dern aller chrijtlichen Heerfchaaren reden will. Hier wie überall ift 
Alles Kar, wenn man von der Priorität der Geſten, Alles unver— 
ſtändlich, ſobald man von jener Tudebods ausgeht. 

Bongars, Sybel und Saulcy, welche für die Originalität der 
Seiten ſich ausgefprochen, haben als den charafteriftiichen Zug des 
anonymen Autors deijen Italiſche Herkunft und Anhänglichfeit an 
Boamımd betont. Ganz in derfelben Weife. heben aber auch die 
BVertheidiger Tudebods ihrerfeit8 die Ergebenheit deſſelben an Boa— 
mund hervor, dem er bis zu der Zeit, als Boamund die allgemeine 
chriſtliche Sache verließ, treu geblieben feit. Die Parifer Heraus- 
geber bezeichnen fogar Boamund als den Helden Tudebods, 
dem er immerwährend folge, bis endlich das chriftliche Heer fich in 
drei Abtheilungen auflöfe?. DBongars jugeait au style de la 
piece, fagt die Histoire litteraire, et & l’affeetion que l’auteur 
y fait paraitre pour Bo&mond, que c’etait la production d’un 
Ytalien. Mais ces indices sont trop &quivoques pour y Etablir 
cette opinion, puisque le plagiaire y a retenu le style de 
Pauteur original et que celui-ci se montre aussi fort 
affeetionne A Boemond®. 

Geillier äußerte fich, diefer Meinung folgend, in derjelben Weife 
über die vermeinte Aehnlichkeit Tudebod8 und des anonymen Autors 
in Bezug auf ihr Verhältniß zu Boamund *. 

Ich bin dagegen feſt überzeugt, daß nach einer unbefangenen 
vergleichenden Analyfe der beiden Berichte ein weſentlicher Unterfchied 
ihrer Verfaffer in dem Verhältniß zu Boamund nicht zu verfennen 
it. Der Anonymus bleibt in feiner ganzen Schrift ein immerwäh— 
rend treuer Verehrer der Tapferkeit ımd Klugheit Boamunds, faft 
niemal8 vergißt er zu feinem Namen das ehrenvolle Epitheton vir 
prudens oder prudentissimus, oder auch doctissimus hinzuzufügen ; 
in jeder Stelle fucht er die Thätigfeit Boamunds in erfter Reihe 
hervorzuheben, kurz die Sympathie und Ehrfurcht des Autors Boa— 
mund gegenüber bleibt fich immer aleich und folgeredt. Das Ver— 
hältniß Tudebods zu Boamund erfcheint im Gegentheil unklar, infon= 
fequent, verwirrt; es läßt fich bei ihm im diefer Hinficht ein Zwie— 
jpalt feiner eigenen Sympathien bemerfen, der mit dem fompilatori= 
chen Charakter feines Werfes im engiten Zufammenhange fteht. Bald 
hebt er, den Gejten folgend, die Klugheit und Tapferkeit Boamunds 


ı Hist. occ. III, preface S. III. 

° Ibid.: L’histoire accompagne son héros dans son voyage 3 
travers l’empire grec. Il est avec lui au sitge de Nicee et lui de- 
meure attach& etc. 

® Hist. litter. T. VIII, ©. 634 - 635. 

* Ceillier T. XXT, ©. 166: Ils paraissent l'un et l'autre favo- 
rables à Boemund, prince d’Autriche; ainsi il n'y a pas raison de 
conjecturer de la, que l’anonyme 6tait Italien. 


172 


hervor, bald fucht er feine Bedeutung zu vermindern und auf feine 
Koften Raimund von Tonloufe hervorzuheben. Mehrere Stellen Tu— 
debods beweifen dieſes Streben, den Ruhm Boamunds von feiner Höhe 
herabzufegen, indem er entweder die Initiative defjelben gänzlich igno= 
rirt oder auf Raimund überträgt, oder endlich diefe oder jene That 
Boamunds als das Nefultat eines gemeinfamen Beſchluſſes fämmt— 
licher Fürften darſtellt. Dieſes wechſelnde Verhältniß Tudebods zu 
Boamund iſt aber leicht zu erklären, wenn wir die Geſten als die 
Grundlage für den Bericht Tudebods annehmen, zu welcher er noch 
ein fremdes umpaſſendes Element aus dem Berichte Raimunds von 
Agiles hinzufügte, ſo daß die überwiegende Sympathie des anonymen 
Autors zu Boamund und Raimunds von Agil zu dem Grafen von 
Toulouſe ſich in der Compilation Tudebods durchkreuzten. 

Vielleicht aber wird man noch einen Schritt weiter gehen können. 
Denn fo ſtark tritt an manchen Stellen Tudebods Vorliebe für den 
Grafen Raimund hervor, daß die Vermuthung gerechtfertigt erſcheint, 
er habe ſich geradezu bei den von Raimund befehligten Schaaren 
befunden. 

Um dies im Einzelnen zu begründen und durchzuführen, müſſen 
wir wenigſtens die wichtigſten und in dieſer Hinſicht charakteriſtiſchen 
Stellen bei Tudebod und in den Geſten vergleichen. 

Von dieſem Standpunkte aus wird der oben angedeutete Unterſchied 
in der Beſchreibung der Belagerung von Nicäa bei Tudebod und dem 
anonymen Autor ſofort erklärlich. Tudebod weiß, daß der Graf 
Raimund mit den Provenzalen ſpäter als die anderen Kreuzfahrer 
in Konſtantinopel wie auch vor Nicäa anlangte, ſucht aber dieſen 
Umſtand, welcher ihm wahrſcheinlich als ungünftig für Raimund er— 
Ihien, zu verhehlen, und deshalb behauptet er, daf alle Kreusfahrer 
zufammen die Bosporifche Meerenge überfchritten hätten und vor 
Nikomedien angelangt feien, und verichweigt die fpätere Ankunft Rats 
munds. Alles aber, was in diefer Erzählung der Geften zu Gunften 
Boamunds dienen konnte, alles, was von der nützlichen Thätigfeit 
Boamunds in Conftantinopel und ferner bei der Belagerung von 
Nicka erzählt wird, alles dieſes läßt Tudebod einfach fort: Prius- 
quam autem Boamundus venisset ad nos, jagen die Geften, 
tanta inopia panis fuit apud nos unus panis venderetur 20 
aut 30 denariis. Postquam venit vir prudens Boamundus, 
Jussit maximum mercatum conduci — et fuit maxima ubertas 
in tota Christi militia!. Werner fpielt auch bei der Belagerung 
der Stadt nach dem Berichte der Geften überall Boamund die erite 
Rolle: Boamundus denique obsedit urbem in prima fronte ete.?, 

Tudebod verjchweigt diefes Alles, er der nach der Anficht der 
Parifer Herausgeber unter Boamund den Krieg mitgemacht, der 
Boamund zum Helden feiner Darftellung erwählt hat. 


1 Gesta Franc., Hist. occ. III, 126. 
2 Ibid. 


173 


- Wie vor Nicäa, jo auch vor Antiochien. Bei einen der türki— 
ſchen Entſatzverſuche forderte nad) dein Berichte der Gejten Boamund, 
zuerjt über die Annäherung des Feindes unterrichtet, die anderen 
Fürſten des Kreuzheeres auf, das ganze Heer in zwei Abtheilungen 
zu theilen: die Weiterei dem Feinde emtgegenzuführen, mit dem 
Fußvolk aber die Verſchanzungen des Lagers gegen die Stadt zu 
deden. Den folgenden Zag ſchickte Boamund Kundſchafter voraus, 
um die Lage des feindlichen Heeres auszufpähen. Dieje fehrten bald 
zurüc mit der Nachricht, daß die Feinde fchon in der Nähe jeien: 
Reversi sunt namque celeriter speculatores dicentes: Ecce, 
ecce veniunt. Igiturestote parati omnes, quia iam prope nos 
sunt. Dixitque vir sapiens Boamundus aliis: Seniores et in- 
vietissimi milites, ordinate ad invicem bellum. Responderunt- 
que illi: Tu sapiens et prudens, tu magnus et magnificus, 
tu fortis et vietor, tu bellorum arbiter et certaminum judex, 
hoc totum fac, hoc totum super te sit. Omne bonum, quod 
tibi videtur, nobis et tibi operare et fac. Tune Boamundus 
jussit, ut unusquisque principum per se dirigeret aciem suam 
ordinatim. Feceruutque ita, et ordinatae sunt sex acies ete.!, 

So die Gejten. In der Darjtellung Tudebods dagegen gehört 
die Initiative nicht Boamund fondern dem ganzen Fürjtenrathe : 
audientes namque nostri majores innumerabilem gentem Tur- 
corum venisse super nos, ceperunt consilium ete.?, Nachdem 
fie einige Reiter vorausgeſchickt, um die Yage der Feinde auszufpähen, 
fährt Tudebod fort: Reversi sunt ergo celeriter nostri (bei dem 
Anonymus heißt es viel Earer speculatores) dicentes: Ecce, ecce 
iam veniunt; estote igitur omnes undique parati ete. Divise- 
runtque nostri inter se et unusquisque ex maioribus ordinat 
suam aciem per se’. Damm endlich ſetzt QTudebod Hinzu; Flan- 
drensis comes fuit in primo capite etc. Nicht nur aljo läßt 
Tudebod die angeführte Acclamation der Fürften an Boamund aus 
den Seiten weg, jondern erwähnt nicht einmal den Namen Boamunds 
und, feine wichtige leitende Rolle völlig ignorirend, betont er, daß an 
der Spite des Heeres der Graf von Flandern ftand. 

Wir könnten noch mehrere Beijpiele als Beweife de8 oben aus—⸗ 
gefprochenen Berhältuijes anführen; wir wollen uns aber nur nod) 
auf die folgende Stelle bejchränfen, in der die Unbeftimmtheit und 
Tarblojigfeit der fompilatoriichen Darjtellung fehr deutlich hervor— 
tritt. 

Nach) der Niederlage Kerbogas bejchließt der Sohn des antios 
Hifchen Fürften, das ihm anvertraute Gajtell den Kreuzfahrern zu 
überliefern. Tudebod erzählt nun: statim cum magna festina- 
tione coepit petere Francorum vexilla. Comes s. Aegidii, 


i Gesta Franc., Hist. occ. T. II, ©. 136. 
2 Tud., Hist. occ. III, 43. 
® Ibid, 


174 


qui in miontanea ante castellum astabat, jussit ei portare 
vexillum suum. Ille autem accepitillud cum ma- 
gno gaudio atque laetitia etconcordatus est cum Boa- 
mundo!. Ganz anders aber erjcheint der Vorfall in den Geften. 
Hier heißt e8: Comes igitur s. Aegidii, qui illic astabat ante 
castellum, jussit ei portari suum vexillum. Ille autem acce- 
pit illud et diligenter misit in turrim. Statim dixerunt Lon- 
gobardi, qui illie stabant: Hoc vexillum non est Boamundi. 
Interrogavit ille et dixit: Cujus est? Qui dixerunt: S. Aegi- 
dii comitis. Accessit ille et apprehenso vexillo rediit comiti. 
Ipsa vero hora venit vir honorabilis Boamundus, deditque 
illi suum vexillum; ille autem illud accepit cum magno gau- 
dio et iniit pactum cum domino Boamundo ?. Pollok muß hier 
nah jeiner allgemeinen Anſicht über das Verhältniß der beiden 
Schriftiteller zu dem Schluffe fommen, daß der Anonymus aus Ab— 
neigung gegen die Provenzalen den wahrhaften Bericht Tudebods 
willfürlich umgearbeitet habe?: indejjen erhellt, wie ich denfe, das 
Gegentheil unwiderleglich zunächit aus dem Tenor des Tudebod'ſchen 
Berichtes jelbjt, bei dem ganz unverſtändlich bleibt, wie nad) der fer— 
tigen Abfunft mit St. Gilles der Türfe plöglic) nod) einmal mit 
Boamund pacifeirt, dann aus dem Stillihweigen Raimunds de Agiles, 
der einen ſolchen Erfolg feines Fürſten, wie ihn Tudebod meldet, ge= 
wiß nicht umerwähnt gelajjen hätte, endlich aus dem mehrfach be= 
zeugten hohen Anfehen, welches Boamund damals bei den Drientalen 
genoß. Es wird aljo dabei bleiben müfjen, daß Tudebod den Bericht 
der Geſten zu Gunften de3 Grafen Raimund umgearbeitet hat. 
Pollok glaubt die hier von ihm vermuthete Abneigung der Geſten 
gegen die Provenzalen durch die Annahme erklären zu können, daß 
der Autor ein Nordfranzoje, ein Franzöfiicher Normanne, gemwejen fei*. 
Die Gründe aber, die er dafür beibringt, find nichts weniger als 
überzeugend. Wenn der Anonyınus von der Rede des Papſtes Ur- 
ban, die er auf dem Concil zu Clermout gehalten hat, jagt, daß fie 
animos audientium per universas regiones ac Galliarum pa- 
trias moverit, fo ift das gewiß noch fein Beweis für die Abſtam— 
mung des anonymen Autors aus Frankreich; ‘ac Galliarum patrias’ 
ift hier nur jo zu verjtehen, daß die Rede Urbans in allen Yändern, 
befonders aber im Vaterlande der Franzofen einen jtarfen Eindruck 
machte. Hätte der Anonymus damit fein eigenes Vaterland an— 
deuten wollen, jo hätte er gewiß einfad) fagen können ‘ac per pa- 
trias nostras’ oder etwas ähnliches. Der Ausdruf mostri 
Franci’, der bei dem Anonymus zuweilen vorkommt, ift auch fein 


Tudeb., Hist. oce. III, 82. 

Gesta Franc., Hist. occ. T. III, &, 151. 

Pollok, Dissert. ©. 24. 

‚* Pollok, &. 25: ut autor ipse Francogallus septentrionalis fuerit 
ponimus Anonymum Normannum francicum fuisse. 


— — © 2 


175 


Beweis: für die Saracenen waren alle Kreuzfahrer Franci, wie ja 
noch heute die Chrijten (Rajahs) von den Türken als Franken be= 
zeichnet werden. Es genügt hier an den bei Zudebod angeführten 
Ausruf der Saracenen während der kirchlichen Prozeſſion um Jeru— 
jalem (Franei agip salip!)! zu erinnern. Sed peregrini — ge- 
neratim Francorum nomen non semper in se converterunt, 
jagt darauf Pollof?. Ganz gewiß, erwiedern wir, nicht immer, aber 
manches Mal, wie e8 eben der Anonymus thut. Mit diefen Dingen 
ift alfo die nordfranzöſiſche Geburt dejjelben nicht darzuthun. Wohl 
aber gibt es für feine italienische Herkunft zwingende Beweiſe, die 
wir bei Saulcy zufammengeftellt finden?. Der Anonymus fagt gleic) 
am Anfauge feines Berichtes: apostolicus namque Romanae se- 
dis Urbanus ultramontanas partes quanto cus profectus 
est cum suis archiepiscopis etc. Diejen Ausdrud‘ultramon- 
tanas’ fonnte nur ein Italiener brauchen, für den Frankreich jen— 
feit8 der Alpen lag. Sodanı bei der Beichreibung der Ankunft der 
Kreuzfahrer zu Nicomedien fagt der Anonymus: Ubi divisi sunt 
Lombardi et Longobardi et Allemanni a Francis, quia 
Franci tumebant superbia. 

Gewiß hätte ſich ein Franzofe nicht auf diefe Weile ausgedrüdt : 
unfer Autor bleibt ein italienischer Norimanne, felbit wenn es Pollok 
gelungen wäre, die italienischen Ausdrüde, welche Saulcy in der 
Sprache deſſelben nachweiſt, auch im Altfranzöſiſchen wieder zu 
finden *. 

Wenn alfo hiermit das angebliche Motiv für die Autipathie 
des Autors gegen die Provenzalen wegfaällt, jo ift ſchließlich zu jagen, 
daß dieſe Autipathie eben nur eine Vermutung Polloks ohne that= 
fächliche Begründung ift. Die Erzählung der Geften zeigt?, daß der 
Autor im März 1098 die Heerjchaar Boemunds verließ und fich zu 
den Truppen gefellte, welche Naimund von Toulouſe nebjt Robert 
von der Normandie gegen Tripolis und Marrah führten. Da hierin 
ſich nichts weniger als bitterer Haß gegen Raimund ausdrückte, jo 
vermmthet Pollof weiter, der Autor habe ſich dem bei diefem Zug 
anmejenden Tankred angejchlojfen®. Es wäre möglid, aber wahr- 
jcheinlich ijt e8 ganz und gar nicht, da der Autor wohl manche Ein— 
zelheiten des Zuges gegen Marrah und Tripolis erzählt, des Tankred 
aber nicht einmal Erwähnung thut. 

Wir jehen alfo, wie richtig und unbejtreitbar die von Sybel und 
Saulch ausgefprochene Meinung über die Originalität der Gejten 
und wie unhaltbar die vermeintliche Urjprünglichfeit Tudebods erjcheint. 
Tudeb., Hist. occ. III, 105. 

Pollok S. 23 und 24. 

Bibl. de l’&cole des chartres T. IV, serie I, ©. 303, 

Pollok, Dissert. ©. 5—7. 

Gesta Franc., Hist. oce. III, ©. 157: Tunc exeuntes quattuor- 
decim ex nostris militibus ierunt contra Tripolim urbem. De exitu 


vero Raimundi comitis exierunt etc. 
® Pollok, Dissert. S. 25. 


a >» @ 1 m 


Die Continuatio secunda der Casus $. Galli. 
Bon M. Bernheim. 





Die Klofterchronif Eckehards IV. erhielt befanntlich erft nach ge— 
raumer Zeit eine Fortjegung, welche die Jahre 975—1203 umfaßt 
und von %. v. Arr als Casuum S. Galli Continuatio II. in den 
Mon. Germ. (SS. II, ©. 148 sqq.) herausgegeben ift. Das Ori— 
ginalmanufeript it verloren, die ältefte Abfchrift bietet der Sangaller 
Coder Nr. 615, der aus dem zwölften Jahrhundert oder aus den 
eriten Jahren des dreizehnten ſtammt. Hierin ijt fein Berfafjer ge— 
nannt, ebenjowenig in drei jüngeren Abjchriften, welche Melchior 
Goldajt bei jeiner editio princeps ! benußte. In allen dreien ftand 
am Schluſſe Edehards nur: Finit Ekkehardus junior, ineipit 
aliud praelogquium de casibus. Nur in einem vierten Manufeript 
fanden jich) von der Hand des Vadianus? gefchrieben die Worte: 
Ineipit Burckhardus. Goldaſt jelbjt legt auf diefe Angabe wenig 
Werth, weil er nicht weiß, aus welcher Quelle fie geſchöpft iſt. Auch 
der meuejte Herausgeber, v. Arx, weiß nicht mehr über den Autor 
zu jagen. ch glaube aber nachweifen zu fünnen, daß dieſe ganze 
Continuatio II. nit von Einem Verfaſſer herrühren Tann. 

Im fünften Kapitel erzählt der Chronift, er hätte fich über den 
Abt Thietpald, der im Jahre 1034 gejtorben fei, bei Greifen erkun— 
digt, die behaupteten ihn noch felbft gejehen zu haben. — Und dann 
hätte derjelbe Autor das Werf noch bis zum Jahre 1203 fortge= 
führt? Wären jeine Berichterjtatter wirklich jo alt gewejen, dann 
hätte er fie gewiß nicht einfach als senes bezeichnet, jondern würde 
von einem erjtaunlich hohen Alter u. dgl. gefprochen haben. Es 
würde ums doc, auch ziemlich unmwahrjcheinlich vorfommen, wenn je 
mand erzählte, er hätte im jeiner Jugend mehrere Leute gekannt, 
die der Schlacht bei Höchſtädt oder der Krönung des erjten Königs 
von Preußen beigewohnt hätten. 

Verner liefert die Vorrede ein Argument gegen die Einheit des 
Werks. Diejelbe enthält nämlich) weiter nichts als eine Klage dar— 
über, daß Eckehard IV. fein Verſprechen, die Klofterchronif bis zum 


ı Rerum Alamannicarum SS. I, Einleitung. 
2 Ein Sangaller Gelehrter, F 1551. Goldast, Tom, II l.c. Eim 
leitung. 


177 


Abt Nordpert zu führen, micht erfüllt, fondern fchon bei Notker 
(+ 975) geendigt habe; ferner darüber, daß feitdem auc) von feinem an— 
deren gejchildert feien die benefacta et negligentiae der Aebte Immo 
(975— 984), Ulrich I(—9I90), Kerhard (— 1001), Burchard II. (— 
1022), Zhietpald (1034), Ulrid IL. (1072—1077), Nordpert 
(1034— 1072, 7 nad) 1077) '. Hiernach wird jeder nur eine Ge— 
ſchichte bis zum Tode Nordperts erwarten, d. 5. eine Erfüllung des 
Berfprechens, das Edehard gegeben?. In der Art mittelakterlicher 
Schriftteller liegt es gewiß nicht, weiter zu gehen, al8 fie in der Vor— 
rede in Ausficht jtellen. 

Das ältefte — wie ſchon erwähnt nicht autographifhe und 
c. 1200 entjtandene — Manufeript rührt in feinen Haupttheilen 
von bdenfelben beiden Abfchreibern her, die die Casus Ekkehardi 
in demfelben Codex Nr. 615 gejchrieben haben, und zwar geht der— 
jelbe, der den erjten Theil Edehards (bi8 S. 138 Note 82) ge= 
jchrieben hat, in der Continuatio II bi8 ©. 153 N. 28, umd bder- 
jenige, von dem der zweite Theil des Eckehard copirt ift, fette auch 
unfere Schrift fort, aber nur bi8 ©. 161 N. 99°. An diefer Stelle 
und ebenfo S. 162 N. 11 fett eine ‘alia manus coaeva tamen’ 
im Coder Nr. 615 ein, an Punkten, wo zugleich auch im Anhalt 
ein Abfchnitt ift. Dieſe von einer den darin gefchilderten Ereigniſſen 
gleichzeitigen Hand gejchriebenen Zufäge laffen, wenn auch nicht mit 
Nothwendigkeit, doc) mit Wahrfcheinlichfeit auf eine andere Abfajjungs- 
zeit ſchließen“. Es ift auch wohl möglich, daß für diefe Zufäke un— 
fere Handſchrift autographiich ift. 

Gewichtiger noch al$ diefe äußeren Gründe fpricht gegen bie 
Einheit des Werks feine innere Beſchaffenheit. Denn es treten 
an verjchiedenen Stellen fo wejentliche Aenderungen im Styl und im 
Charakter der Daritellung ein, daß es pfychologifch unmöglich er= 
Scheint, daß alle Partien der Schrift von Einem Verfaſſer herſtam— 
men. Im Einzelnen bleiben freilich) Zweifel; doc) aber ergiebt 
fi) mit voller Sicherheit, daß die wichtigjten Theile der Continuatio, 
der von Gap. 1 bis Cap. 4 und der von Cap. 7—8, verfchiedenen 
Ursprungs find. Im Ganzen, glaube ich, find folgende Abſchnitte zu 


machen ®: 
A. Cap. 1—4. 
B. Cap. 5—6. 


ı Daß Ulrich II., der Nordpert in ber Regierung nachfolgt, hier vor 
diefem aufgezählt wird, findet feine Erflärung darin, daß Nordpert feinen Nach⸗ 
folger überlebte. Ipse vero aliquibus annis supervixit. 

? Mon. SS. II, ©. 78 im praeloquium. 

’s Siehe SS. I die Einleitung zu — und zur Continuatio II 
und die citirten Noten. Bgl. auch das Facfim 

* 9». Arr gelangt zu dem Schluffe, daß — Autor dieſe Zuſätze ſpäter 
in höherem Alter verfaßt habe. 

5 Auf Einzelnes, das in Betracht fommt, hat mich Hr. Prof. Wait auf- 
merkſam gemacht. 


XIV. 12 


178 


C. Cap. 7—8. 

D. Cap. 9 bis Cap. 10 Arm. 99. 

E. Gap. 10 Anm. 99 bis Cap. 12 Anm. 11. 
F. Gap. 12 Anm. bis zu Ende. 

Nah den Worten der Vorrede erwartet man zunächſt eine ein— 
heitliche Darjtellung bis zum Tode des Abts Nordpert, aber auch 
diefer Schriftiteller Hat offenbar feine Abjicht, das Verſprechen Ecke— 
hards zu erfüllen, nicht ganz ausgeführt, fondern bricht fchon mit 
dein Ende des Cap. 4 ab. Bisher ift die Fortführung nämlich in 
großer Ausführlichfeit und Weitfchweifigfeit, ganz in der Art Ecke— 
hards gejchrieben, die Reichsgeſchichte erfreut fich eingehender Berüd- 
fihtigung. Der zweite Theil B Cap. 5—6 ijt weit fürzer behau— 
delt, die langen Pegierungen Thietpalds und Nordperts werden in 
wenigen Zeilen befchrieben ohne Benutzung Schriftlicher Aufzeichnungen. 
Die Berfe ‘Constat Nordpertum’ u. ſ. w. fcheinen aus dejjen Grab— 
fchrift entlehnt zu fein; jedenfall® aber werden die Nachrichten aus 
der Reichs- und Kloftergeichichte in den Sangaller Annalen und im 
Hermann von Reichenau, welche beide im eriten Theil nachweislich 
benutzt find, jetzt plößlich ganz bei Seite gelaſſen, obgleich fie wich— 
tiges Material geboten haben würden. Wären die Theile A und 
B von demfelben Verfaffer, fo hätte diefer doch gewiß die ihm viel 
näher Tiegende Zeit eingehender als die entferntere und nicht umge— 
fehrt jene in jo auffallender Kürze gejchildert. Die einfache Erklä— 
rung hierfür ift die, daß der erjte Autor nicht fertig geworden, und 
ein anderer, der viel weniger beleſen und jchreibluftig war, deffen 
Vorhaben raſch zu Ende geführt Hat. 

Mit dem Cap. 7 wird Screibweife und Darftelung wieder 
eine ganz andere. So furz aud) im Theil B die Erzählung aus— 
fällt, jo ift die Ausdrudisweije ſelbſt dod) nod) breit genug und ge— 
ſucht; e8 wimmelt im diefen wenigen Zeilen von überflüffigen Syno— 
men und Reimen; jelbit die Bemerkung, daß Menfchenmord 
ſchlimmer iſt als Landesverwüjtung, wird der Aufnahme für würdig 
befunden. Der Autor B fchlieht mit der hochtönenden Phrafe: 
Quantus autem fletus omnium fuerit, prius dies finiretur, quam 
in cedula seriberetur; mit den einfachen Worten: Uodalrieus 
autem successor ipsius ecelesiam nostram quinque annis rexit, 
beginnt der neue Autor C. Bisher hieß es bei jedem Abtswechfel : 
loci nostri suscepit regimina. &o einfad), wie fie begonnen, geht 
von nun an die Erzählung fort, ohne jeden jprachlichen oder rheto= 
riſchen Aufput ; der Styl ift eher ungelenf als geſucht ?. 

Abſolut undenkbar ift aber die Spentität von A Cap. 1—4 


‚‘ Possessiones igne, preda et — quod pejus est — hominum 
occisione consumptae. 

? Man beachte 3. B. nur die Anfänge der Sätze von S. 158, 41 bis 
©. 159, 32: inter haece etiam mala; inter haec mala; inter haec 
etiam mala; inter haec; super haec etiam mala. 


179 


und C Gap. 7—8; es kann kaum zwei abweichendere Schreibweifen 
geben. Auf der einen Seite die größte Nedfeligkeit, kleinliche Detail- 
malerei, Exrelamationen!, Gefühlsergüffe?, Ausframen von Gelehr- 
jamfeit ®, Hiftorifche Parallelen, Hyperbeln?, Gleichniſſe und Bilder ?, 
Sprüche trivialer Weisheit über Welt und Menfchen*, Häufung von 
Synonymen und Hajchen nad, Wortgeflingel; auf der andern Seite 
ſchlichtes Aufzählen der Thatfachen in ſchmuckloſem Styl. Nur ein: 
mal finden wir hier eine Hiftorifche Parallele, aber auch diefe aus 
der biblischen Gedichte. Im Theil C fteht fein Wort über fchrift- 
liche oder mündliche Tradition, während im Theil A häufig von den 
Quellen die Rede ift?. Der Theil A liefert mehr eine Abtsge- 
ihichte, C eine Klofterchronif. Dort erfcheint al8 Hauptaufgabe des 
Schriftſtellers die Charafterijtif der Aebte, wobei Alles in die zwei 
großen Kategorien der Heiligen und der bodenlos Verworfenen ge« 
teilt wird; hier finden wir nur einmal eine Vergleichung des Abtes 
Uri III. von Sangallen mit Edehard von Reichenau. Aber dies 
find feine der ftereotypen Mönchsgeitalten des Mittelalters, jondern 
Männer, wie jie die Leitung fo mächtiger Abteien damals erfor- 
derte: moribus agiles. Endlich entlehnt der Autor A, wenn bie 
Geſchichte feines Kloſters durch die Reichsgeſchichte bedingt wird, die 
legtere fajt wörtlich aus den gangbarften Quellen, und durch das 
Ausjchreiben gänzlich) irrelevanter Stellen documentirt er feinen une 
biftoriichen Sinn. Hierin unterfcheidet ſich fein fpäterer Fortſetzer 
fehr vortheilhaft von ihm, C weiß das Nöthige vom Unnöthigen 
weit befjer zu jondern. Es iſt doch unmöglich, daß ein Menfch fo 
viele Gegenfäße in fich vereint. 

Mit dem Cap. 9 tritt abermals ein Wechſel in der Daritel- 
lungsart ein, und der Styl wird gewandter und weniger jchlicht. 
Den Hauptftoff liefert wieder die Perfon und die Charafterijtif der 
Aebte?. Zunächſt wird die Nachfolge Werner nicht mit der im 


1 23.8. ©. 150, 30: Oquanto in ejus transitu fratres dolore tabe- 
scebant. 

2 3.8. ©. 151, 22: Nunc currentem figimus pedem, prae nimio 
quippe dolore gesta Kerhardi nos potius provocant ad flendum quamı 
ad dicendum sqq. 

s Er erwähnt Cicero und Boethius, Nero und Cato, 

* &.150, 16: Plurima etiam opera sus tanta ammiratione magni- 
ficata sunt, ut, si regina Austri hocin tempore fuisset, Salomone trans- 
ito ad Immonem declinasset. 

5 3.8. ©. 152, 8: Gleichnis vom Glüdsrad. S. 151, 29 aus Ev. 
Joh. Kap. 10. 

°e ©. 151, 37: Quoniam altissimorum profundior est casus. 

©. 153, 54: Set ut facilior pluvia humectat lutum quam sco- 
ulum. 
E " 3.8.6. 151, 44: Exinde multiplicatae sunt invidiae, conten- 
tiones, irae, rixae, dissensiones. 

8 S. 149, 37. 150, 3. 21. 47. 151, 11. 154, 38. 155, 5. 

® Vielleicht ift Schon der Schlußſatz des Cap. 8 über die Beftattung des 
Abts Mangold vom neuen Autor D. 


12* 


180 


Theil C üblichen Einfachheit (successit, electus, constitutus, in 
abbatem promotus est) jondern feierlid, mit den Worten berichtet: 
Suscepit ecclesiae S. Galli gubernacula cum concordi omnium 
fratrum electione. Dann folgt eine Schilderung, wie er Eircjliche 
Strenge erheuchelt und eine heftige Oppofition der Mönche hervor- 
gerufen habe, wie er ihnen äußerlich Liebe erwiefen, im Innern aber 
jeinen Haß bewahrt, wie er fich endlich im Alter gebeffert und fogar 
dem heiligen Leonhard eine Kirche erbaut habe. Endlich wird die Ein- 
fegung Ulrichs IV. mit großem Pomp berichtet: Post hunc eccle- 
siae S. Galli regimina suscepit Oudalricus ab omnibus fratri- 
bus — Deo gratias! — in abbatem promotus. Hie quia fuit 
per humilitatis virtutem ad tale culmen deductus, illam sem- 
per tenuit et numquam per superbiam maculavit, 

An diefer Stelle S. 161 Anm. 99 fett im Coder Nr. 615, 
wie fchon erwähnt, eine nova manus coaeya ein. Es ijt nicht 
unmwahrjcheinlich, daß das Folgende (Theil E, S. 161 Arm. 99 bis 
©. 162 Anm. 11) ein fpäterer Zuſatz ift, denn auc inhaltlich ift 
hier ein Abſchnitt. Mit den Worten: Hujus itaque mores et ac- 
tus cum describere cupiam, erfolgt eine weitläufige Charafteriftif 
Ulrichs IV. Die Darftellung gleicht übrigens ziemlid; der im 
Theile D. 

©. 162 Anm. 11 folgt zum zweiten Male eine nova manus 
coaeva (Theil F von hier bis zu Ende). Die Erzählung verfolgt 
weit niüchternere Zwede als bisher; es werden ganz furz die Hof 
und Kriegsfahrten des Abtes erwähnt und fast nach Art einer Buch— 
führung die Summen angegeben, die er jedesinal hat aufwenden 
müſſen. 

So iſt alſo dieſe Fortſetzung der Casus Ekkehardi — ebenſo 
wie die Chronik von Petershauſen und die größeren Sangaller An— 
nalen, die man früher auch für einheitliche Werke anſah — in meh— 
rere Theile zu zerlegen, die zu verſchiedenen Zeiten von verſchiedener 
Hand abgefaßt ſind. 





—— 


Die Abfaſſungszeit der einzelnen Theile läßt ſich nur annähernd 
beſtimmen. In ſeiner Vorrede ſagt der Autor A, er wiſſe nicht, ob 
Eckehard IV. noch eine Fortſetzung ſeiner Chronik geſchrieben, oder ob 
dieſe verloren ſei. Wenn dies auch nicht gar zu wörtlich genommen 
werden muß — denn dieſer Schriftſteller liebt es überhaupt, die 
Dürftigkeit der ihm überlieferten Nachrichten zu übertreiben —, ſo 
müſſen wir die Zeit der Abfaſſung doch wohl auf etwa 50 Jahre 
nad) Eckehards Chronik, alſo bis ce. 1120, Hinausfchieben !. 

Der Verfaſſer B berichtet im Gap. 5, daß er Greiſe geſprochen, 
die den Abt Thietpald (F 1034) nod) gekannt, und im Cap. 6, daR 


ı Neber Edeharbs ig vol. Forſchungen 8b. VIII, Studien zu 
Edeharb IV, Casus S. Galli von 3. Heidemann, und Dümmler in Haupts 
Zeitichrift für Dentfches Altertum Bd. XIV. 


181 


er nicht mehr wife, im welcher Weife Nordpert die Präbende ver— 
befjert. Beiden Angaben ift ficherlich genügt, wenn wir die Abfaf- 
fungszeit ec. 1130 anfegen, d. h. 100 Jahre nad) Thietpalds, 50 
nad) Nordperts Tode. . 

Der dritte Theil C macht ganz den Eindrud, als fei er, wenn 
nicht geradezu von einem Zeitgenoffen, doc zu einer Zeit gefchrieben, 
in der die Ueberlieferung noch fehr lebendig war. Jede der vielen 
Burgen, die angelegt, belagert oder zerjtört find, ift genau aufgeführt. 
Dabei verfährt der Verfaſſer durchaus nicht ſtreng chronologiſch oder 
ſyſtematiſch, denn er jchicdt manches voraus, manches erwähnt er 
nachträglich und mur gelegentlich, fo daß er frei über feinen Stoff 
zu fchalten fcheint. Auch v. Arx fcheint von diefem Theil der Schrift 
denfelben Eindrud empfangen zu haben, indem er in feiner Vorrede 
von einem scriptor contemporaneus der von Gregor VII. anges 
fachten inneren Kämpfe jpricht. Hiermit ſtimmt denn allerdings fehr 
ichlecht die wenige Zeilen vorher gemachte Angabe, daß derſelbe Mann 
ec. 1190 gelebt und bi8 1203 gefchrieben habe. ch glaube, diefer 
ae C iſt c. 1140 bald nad) dem Tode des Abtes Mangold ent= 
tanden. 

Die übrigen Theile find ebenfalls, wie das Alter des Coder 
Nr. 615 beweiſt, den in ihnen gejchilderten Greigniffen nahezu gleic)- 
zeitig. 


Was die fchriftlihen Duellen der Continuatio II betrifft, fo 
Scheint zunächjt der Autor A nidht fo ganz von denfelben entblößt zu 
fein, wie man nad) feinen wiederholten Klagen glauben follte. Ecke— 
hards Chronif, aus der er einen Vers auf Notfer citirt, kannte er 
natürlich; aber auch für die jpätere Zeit fcheint ihm vielfache, nament— 
lich poetiſche Ueberlieferung zu Gebote gejtanden zu haben. Wenn 
aud) die Verfe über Immo aus dejjen Grabfchrift ftammen mögen, 
fo citirt er doch bei der Anklage des Abts Kerhard mehrere Verſe. 
Bor allem ift folgende Stelle ©. 155, 3 beachtenswerth: Diver- 
sorum metrorum studia revixerant, quibus cum instantia lau- 
dabant, transacta jocundissime damnabant. Daraus geht zum 
mindeften hervor, daß damals Gedichte erijtirten, die die Zeit Ker« 
hards und Burchards behandelten. Zugleich ift dies wieder ein Be— 
weis dafür, wie viel uns von der reichen Yiteratur Sangallens ver- 
foren gegangen ; auch die Verſe in den Annales Sangallenses ma- 
jores find wol nur Bruchſtücke aus größeren Gedichten. Für feine 
Angaben aus der Neichsgejchichte hat A die Annales Sangallenses 
majores bis zum Jahr 984 benutzt. 

Casus 8. Galli: Ann. Sang.: 


Notkerus abbas defunctus..| 975. Stella cometis tempore au- 
est. Eodem anno etiam Burchar- |tumni visa est. Mox secuta est 
dus antecessor suus.. obüt ..|mors abbatis Notkeri et ejus quon- 
Notkerus etiam medicus..|dam antecessorisBurchardi et Not- 
moriens.. .sepultus est. Cum enim !keri medici. 





182 


Casus S. Galli: Ann. Sang.: 


stella cometis in autumno 
visa fuisset, horum mortem 
et maximam regni turbationem 
signaverat. Nam inter Ottonem | 976. Orta est hoc anno gravis 
imperatorem et nepotem|de regno contentio inter Ottonem 
ejus Henricum ducem Ba- | imperatorem et nepotem ejus Hen- 
joasriaegravisde regno con-|ricum, ducem Baioariae. 
tentio orta est. 

Hic bene maturo transit pater| 984. Hic bene maturo u. |. w. 
ille sub aevo u. f. w. 


Bon da an find nicht mehr die Annalen, fondern Hermann von 
Reichenau benukt. 


Ann. Sang.: Casus S. Galli: Hermannus: 


1002. Otto imperator| Nam Otto impera-| 1001. Otto impe- 
sine herede defunctusitor dum Italiam lu-/rator Italiam sibi 


est, cui successit H. de strat, quaquaversum subdi- 
regio genere, dux quo- tam lustrat. 

que Bajoariorum ter- 1002, Otto imperator 
tius eo nomine. in Italia in castro 


in castro PaternojPaterno immaturo 
immatura morte de-|obitu decessit. Et 
cessit. Henricus|H., Bajoariae dux, 
vero Bajosriae dux,jassumptis insigni- 
assumptis insigni-|bus regni, rex pro eo 
bus regni, post ip-ieffetus, regnavit 


sum regnavit. annis 23. 
Kein Anklang an diejet per Veronam Ita-| 1004. Henricus 
Casus 8. Galli. liam petens, omnesirex per Veronam 


illarum partiumiItaliam petens, om- 
civitates sıbi sub-Ines sibi partium 
jeeit. Papiamipsalillarum civitates 
qua coronatus estisubjecit. Papiam 
dieirrumpens, gla-ipsa qua coronatus 
dio et igne perdo-iest die irrumpens, 
muit, et acceptis KR etigne per- 
obsidibus, Saxo-domuit. Inde, ac- 
niam reversus adiitceptis obsidibus,. 
— . „in Saxoniam re— 
versus. 
spiritu dei repletus] 1007. H. rex summo 
juxta castrum Ba-'studio apud castrum 
inberg nobilem/suum Babinberg 
et divitem episco-nobilem et divi- 
patum construxit,tem episcopatum 
construxit. 
et Benedicto papa| 1020. Benedictus 
vocato, ecclesiampapa ab imperatore 
inibi in honore S.linvıtatus Babinberg ve- 
Stephani consecrari nit ibique ecclesi- 
fecit. am 8. Stephani de- 
dicavit. 
expeditionem| 1021. H. rex in Ita- 
in Campaniam condixit — expeditionem 
movit, 


183 


Ann. Sang.: Casus S. Galli: Hermannus: 


1022.H.imp. ingraviilHenr. cum exercitul 1022. H. imperator 
manu Apuliam ingres- Campaniam occu-/Campaniam petens, 
sus, a Beneventanisipans, BeneventumiBeneventum in- 
gratulantibus honorificelintravit, Trojamitravit, Trojam op- 
suscipitur. Trojam,joppugnavit, cepitijpugnavit et cepit, 
Capuam, Salernam, ur-|Neapolim,Capuam,|Neapolim, Capu- 
bes imperii sui ad Gre-|Salernam, aliasquejam, Salernam, 
cos deficientes, ad dedi-Jeorum locorum civi-jaliasque eo loco- 
tionem coögit, quarumltates in dedicio-rum civitates in 
Troja u. ſ. w. nem accepit, etdeditionem omnes 

Nordmannis qui-laccepit, et Nord- 
busdam, qui tem-|mannis quibusdam, 
ore ejus illo con-qui tempore ejus 
luxerant, quod-illo confluxerant, 
dam illis in parti-/quoddam, ut ferunt, 
bus territorium do-Jillis in partibus 
navit. territorium con- 
cessit; 

Sed circa egressumlsiceque per Romamisicque per urbem 
Italiae pestilentia ex-|transiens, vietor/Romanam transiens, 
ercitum ejus aflfecitrrediit in Germa-ivictor rediit in 
.... Dominus Purch.|Iniam. PestilentialGermaniam. Pesti- 
abbas, elegantissimumliin exercitu ortajllentia in exercitu 
S. ecclesiae speculum,|multos exstinxit,orta multos ex- 
Immo et Purchardusiinter quos Ruod-Istinxit, inter quos 
bonae indolis adole-Jhardus Constan--Ruodhardus Con- 
scentesipsa expeditioneltiae episcopus et/istantiae episcopus 
interierunt. Notker,!Purchardus nosteriet Burghardus ab- 
Heribert .... Ruod-obierunt. Notke- bas de coenobio S. Galli 
hardus etiam Constan- rus quoque magi-obierunt.... Not- 
tiensis episcopus obiit.ister et alii prae- kerus quoque ma- 

stantes fratres gister et alii prae- 

apud S. Gallum de-stantes fratres 

cesserunt. apuıd 8. Gallum 
decesserunt. 


Die Uebereinftimmung der Casus mit Hermann ift hands 
greiflich Elar, während die VBerwandtichaft derjelben mit den Annales 
Sangallenses vom Jahre 1002 an lediglid; auf das Abhängigfeits- 
verhältnis zurüdzuführen ift, in welchem Hermann feinerjeits zu 
den Annalen fteht. Daher iſt der einzige Quellennachweis?, den die 
Ausgabe unferer Schrift (SS. II, ©. 155 Anm. 34) giebt, irrig. 

Der Autor B, Cap. 5—6, hat ſich wohl nicht mit fchriftlichen 
Quellen geplagt, und die Verſe über Nordpert aus dejjen Grabſchrift 
genommen. 

Ueber die Quellen des Theils C, Gap. 7—8, läßt fich wenig 
Pofitives angeben. Die Lokalgeſchichte hat der Verfafjer, wie fchon 
gejagt, aus eigener Erinnerung oder ſehr junger mündlicher Tradition 
geichöpft, obwohl -fic die Möglichkeit, daß ihm ganz kurze Aufzeich- 
nungen vorgelegen haben, nicht bejtreiten läßt. Auch für feine An— 


! Quae proxime sequuntur, ex ann. Sang. majoribus a. 1022, flux- 
erunt. 


184 


gaben aus der Reichsgeſchichte habe ich Feine fchriftliche Quelle ent- 
deden können. Es ift jedoch ſehr wahrjcheinlih, daß er eine folche 
benutzt hat!. Jedenfalls ift fie uns nicht erhalten. 

Andererfeits muß ich Mone widerfprechen, melcher behauptet, 
diefer Theil der Casus S. Galli fei von den Casus monasterii 
Petrishusensis benutt?. Nach dem oben Ausgeführten läßt ſich 
dieje Annahme nicht mehr einfach durch die fpätere Abfajjungszeit 
widerlegen, wie Weiland und Abel dies noch durften?. Auch geben 
die beiden Casus allein den Namen der 1077 belagerten Burg 
(Siegmaringen) an und Haben allein von den uns erhaltenen 
Duellen genauere Nachrichten über die Vertreibung Gebhards von 
Conſtanz. Dies ift aber erftens aus der gemeinfamen Heimath 
(Schwaben) beider Schriften Teicht erflärlich; zweitens weichen fie in 
ihrer Erzählung jo weit von einander ab, daß von irgend einem Ab- 
hängigfeitsverhältnis feine Rede fein kann. Die übrigen Anflänge, 
die Mone anführt*, — zum Theil aus der Natur jeder Klojterge- 
fchichte Hervorgehend — beweifen höchſtens, daß der Mönch von Peters- 
haufen „angeregt durch da8 Vorbild von St. Gallen“ feine Chronif 
fchrieb, aber auch nicht mehr. 

Die nachfolgenden Theile D, E, F haben fchwerlich jchriftliche 
Quellen benutzt. 

Für die Lofalgefchichte ift unfere Feine Schrift gewiß von hohem 
Werth, und aud für die Neichsgefchichte kann fie immerhin einige 
Bedeutung in Anſpruch nehmen. Sie führt uns an dem Beifpiel 
des einft fo glänzenden St. Gallens die traurigen Wirkungen des 
Inveſtiturſtreites auf das Kulturleben der deutichen Klöfter recht leb— 
haft vor Augen. Auch einzelne andere thatjächliche Angaben find 
nicht ganz unerheblich. 


ı Bol, 3. B. die beftimmten Angaben S. 156, 25: pascha Verone mo- 
ratus; ©. 160, 3: cum Mantuae pascha perageret. 

2 Duellenfammlung zur badiſchen Landesgeihichte I, S. 317 Anm. 

s Mon. SS. XX, ©. 623. 

ı 1.c.©. 113. 141. 151. 

5 Morte Wattenbachs, Geſchichtsquellen 2, Aufl. S. 475, 


Noch einmal Magifter Guntherus. 
Bon A. Pannenborg. 





Meine Abhandlung in Bd. XIII der Forfchungen, worin als 
Autor des Yigurinus der Magifter Guntherus, Verfaſſer der Hi- 
storia Constantinopolitana und des Tractats de oratione jeju- 
nio et elemosina, denen ich die Historia Peregrinorum meinte 
beifügen zu dürfen, erwiejen werden follte, hat zwei gewichtige 
Stimmen zu entfchiedenem Widerfpruch veranlaßt: Gaſton Paris! 
und W. Wattenbach ? ſprechen den von mir vorgeführten Gründen 
für die Zufammengehörigfeit der vier Schriften alle Beweisfraft ab, 
erfterer refumiert dagegen furz die als unwiderleglich bezeichneten äu— 
feren Gründe, die er in feiner Dissertation critique sur le po&me 
du Ligurinus näher dargelegt, und wiederholt zum Schluß den aud) 
von Wattenbach bis auf etwaige neue Handjchriftliche Aufſchlüſſe ge— 
bilfigten Sag: der Ligurinus wird ohne Zweifel ein anonymes Werf 
bleiben. Zu der Historia Peregrinorum nehmen beide eine ver= 
Ichiedene Stellung ein: während Paris geneigt ift fie dem Dichter 
des Pigurinus zu belaffen, jcheint Wattenbad) „die Hist. Peregr. 
nit ihren vielen eingeftreuten Verſen weder zu dem Yigurinus noch 
zu Gunthers Werfen zu pafjen“. Wattenbac Hat hiermit, glaube ich, 
den fchwächiten Punkt in meiner Ausführung richtig getroffen. Wei— 
tere Prüfung hat mir klar gemacht, daß die Hereinziehung der Hist. 
Peregr. meinerfeits ein Misgriff war: die Stelle über das Träu— 
men auf dem Parnaß gleich im Prolog ift von mir unrichtig gedeu— 
tet, fie bezieht fich nicht auf frühere Dichterthätigfeit, ſondern auf 
die Hist. Peregr. felbft?; die Uebereinftimmungen mit dem Liguri— 
nus und den beiden profaiichen Schriften find bei weiten nicht fo 
zahlreich uud jo aufs Wort genau wie diejenigen, welche diefe unter 
einander verbinden, die wirklich auffallenden laſſen ſich aus einer ge= 
naueren Yectüre des Ligurinus vereint mit gleihmäßiger Schulbildung 
erklären; die übereinftimmende Charakteriftif Friedrichs Tann daneben 


! Revue critique d’histoire et de litterature vom 12. Juli 1873, 
S. 32—38. 

2 giterar, Eentralbl. vom 9. Auguft 1873, Nr. 32, ©. 997. 

s Wattenbach hat dies richtig erfannt und in einen Briefe an Herrn 
Prof. Waitz ausgejprochen. 


186 


zum großen Teil beruhen auf der fcharf ausgeprägten Perfönlich- 
feit des Kaifers den beide verehrten; der Stil der Hist. Peregr. 
ijt nachläffiger ; manche technifche Wörter und Wendungen, die aus dem 
Yigurinus in der Hist. Const. und der Schrift de oratione wie- 
derfehren, ſucht man hier vergebens, oder es finden fich dafiir an— 
bere, wie 3. B. ftatt suscipere bei dem feierlichen Empfang hoher 
Berjönlichkeiten regelmäßig recipere; die eingeftreuten gereimten Verſe 
ſtimmen nicht recht zu dem Dichter, der die clafjishe Eleganz wieder 
einzuführen die ausgeſprochene Abficht Hatte — kurz, ich bedaure hier 
auf irreführenden Wegen gegangen zu fein und die Pilgergejchichte 
dem Dichter des Ligurinus zugewiefen zu haben. Die Befeitigung 
diefe8 Irrthums ermöglicht nun aber einen Hareren Blid für die Ei- 
genthümlichkeiten, die in den übrigen drei Schriften hervortreten: die 
Ueberzeugung von der Identität des Magifter Guntherus mit dem 
Dichter des Ligurinus hat jid) mir immer tiefer gewurzelt und fejter 
geftaltet, und um dieſer Weberzeugung allgemeine Geltung zu ver- 
jchaffen, oder wenn das nicht fein kann, den Gegnern wenigftens eine 
ſtriete Widerlegung zu erleichtern, führe ich in gedrängter Ueberſicht 
noch einmal äußere und innere, alte und neue Gründe vor, welde 
meine Behauptung ftüten. 

In der Schlußnotiz unmittelbar unter dem letzten Verſe der 
Ed.princeps, April 1507, heißt eg: Guntheri Ligurini poe- 
tae clarissimi de gestis divi Frideriei primi Decem libri foe- 
lieiter editi: et impressi per industrium ete. Hier zum erften 
und legten Male in der ganzen Ausgabe findet ſich für den Dichter 
der Name Guntherus Ligurinus, fonft immer nur Ligurinus, 
vorher wie nachher. Aus dem Vorkommen des Namens Guntherus 
nur an diefer Stelle vereint mit anderen Indizien ſchließt Paris, der- 
jelbe fei von den Herausgebern während der Zeit de8 Drudes er- 
funden, während ich glaube annehmen zu müfjen, daß in der Sub— 
feription des Coder der Name Guntherus fi) vorfand. Beide Mög- 
lichkeiten find zu prüfen. 

Die Herausgeber, fo argumentiert Paris!, hielten im Beginn 
de8 Drudes, für den er den Zeitraum von 1500—1507 in An— 
ſpruch nimmt, Ligurinus für den Namen des Dichters: fo nannte 
ihn Geltis in feinem Yobgedicht, jo Peutinger und Genoſſen in der 
Borrede; bald erfannten fie ihren Irrthum?, und ihr Forfchen 
nad) dem Namen des Verfaſſers ergab ihnen Guntherus; deshalb 
am Schluß: Guntherus Ligurinus poeta clarissimus. Aber hier 
ericheint ja doch wieder der Titel ganz deutlid) als Name des Dich— 
ters! Der Irrthum, den fie erfannt hätten, ift hier in feiner Weife 
gehoben ?, die richtige Erfenntniß hätte an die Hand gegeben: Gun- 


ı Bol. zu dem Artikel in der Rev. crit. aud) Diss. ©. 14 ff. 

® Diss. ©. 14: C’est sans doute dans le courant de l’impression 
qu’ils s’apergurent de leur faute et essayerent de la corriger, au 
moins en partie. 

® Paris jagt: Ils firent de Ligurinus non plus le nom, mais 


187 


theri p. el. Ligurinus. Zur Entftehung des Namens foll dann 
nad) Paris den Anlaß gegeben haben der von Sigebert und Trithe- 
mius genannte Guntherus Elnonensis; ihn hätten die Editoren 
für den Dichter des Ligurinus gehalten. Aber thatfächlich ift nicht 
nachgewiejen, daß vor Pithoeus, der im Jahre 1569 in einem fehr 
confujen Artikel ! den Fehler machte, irgend jemand die beiden Gun- 
therus ? identificierte; und nichts berechtigt ung Männern wie Peu— 
tinger, der eine Genealogie des Haufes der Staufer der Ausgabe des 
Ligurinus beifügte®, den Glauben zuzumuthen, Friedrichs Biograph, 
den fie al8 Deutſchen erfannten, fei ein franzöfifcher Zeitgenofje Kai— 
fer Heinrich IV. geweſen: Zrithem fett den Guntherus Elnonenfis 
ausdrüclich in deffen Zeit mit beigefügter Jahreszahl 1100%. Und 


le surnom du poöte, qui aurait pu le recevoir à cause de son ouvrage 
möme. Alſo Lucanus Pharsalia, Statius Thebais, Aegidius Carolinus! 

ı Bol. deufelben Forſch. XII, ©. 272. 

2 cd meine den beim Ligurinus genannten G. und G. Elnonensis; denn 
ſchon 1507 hatte Leontorius in dem Magifter Guntherus von Paris letzteren 
zu erfennen geglaubt, freilich nicht ohne jenen ins Fahr 1100 zu fegen. Bol. 
Forſch. XII, ©. 272. 

s Gleich auf dem folgenden Blatt nad) der Schlußnotiz, die den Namen 
Guntherus Ligurinns enthält, nennt Peutinger Heinrih IV. Tochter Agnes, 
„die Wittwe Friderici senioris Sueviae et Franconiae ducis, imp. caes. 
Frideriei I. Aug. avi“, und „Mutter Ottos von ie, aus zweiter Ehe 
mit dem Markgrafen Leopold.“ Weiterhin führt er aus, diefer Friedrich, Groß- 
vater Kaifer Friedrichs, habe von Agnes, Tochter Heinrich IV., die beiden 
Söhne Fridericum juniorem et Conradum gehabt, dann fei er 
geftorben und in cenobio quod erexerat Loricensi begraben. Heinrich V., 
ihr Bruder, habe zu der zweiten Ehe der Agnes jeine Zuftimmung gegeben :c. 
„Friedrich der Züngere, Monoculus, wurde Herzog von Schwaben, Conrad er- 
hielt Franken, wurde nad dem Tode Kaifer Lothars zu Koblenz zum Kö- 
nig erwählt. Er machte einen Kreuzzug. Seine Söhne von der Gertrud von 
Sulzbach waren Fridericus alter dux Sueviae, der auf einer Römer- 
fahrt dem Fieber erlag, und Heinrich, der vor dem Vater ftarb. Friedrich 
der $üngere, monoculus, erzeugte ex conjuge ejus prima Juditha ... 
Fridericum Primum Aug.” Augeſichts jolder und nod näherer Angaben, 
die doch zum mindeften Mar beweifen, daß man damals die Zeiten Heinrich IV. 
und Friedrich I. durch Heinrih V., Lothar und Konrad III. getrennt wußte, 
und die von Peutinger, dem Herausgeber der Ed. princ., ſelbſt berrühren, ja 
die er zur Erläuterung dem Ligurinus beigab, erklärt Paris, Diss. &. 16, 
der Anachronismus der in der Wahl de8 Guntherus Elnonensis lag, ‘n’avait 
rien alors de bien choquant'; und warum niht? „Weil“, meint Paris, 
„auch in fpäterer Zeit der Dichter oft mit Gunther von St. Amand identificiert 
wurde!” Man hat nicht da8 Recht jenen Männern Irrthümer aufzubürden, 
die fpäter bei folhen auftauchen, die mit der deutſchen Gejchichte weniger ver- 
traut waren. 

* Barie, Diss. S, 14. 15, nennt die Wahl felbft ‘deraisonnable", die 
Art wie man dazu fam, eine ‘“maniere enfentine de proce&der.' Er führt 
dann aus, auf Ehriftian von Mainz habe man gerathen, weil der von Trithem 
genannte Ehriftian Erzbiihof von Mainz geweſen, andererfeits aus dem Ligu- 
rinus an verjchiedenen Stellen erfichtlich fei: que l’auteur connaissait fort 
bien Mayence et ses environs et habitait sans doute cette contree. 
Aber lediglich von Bebel ift bezeugt, daß er Ehriftian für den Verf. gehalten, 
als er das Werk noch nicht gejehen hatte, und dann ift ganz Mar, daß ber 


188 


hätten fie den fo ſehr verkehrten Glauben wirklich gehabt, warum 
änderten fie dann Guntherus Elnonensis in Guntherus Ligu- 
rinus? Aud der Nachweis, daß die Editoren geſchwankt hätten, 
welchen Namen fie dem Dichter geben follten, ift nicht beigebracht. 
Conftatiert ift nur ein Schwanfen Bebels um 1501, zu einer Zeit 
als er das Werk felbft nicht gefehen und nur fehr oberflächliche 
Kunde! von demjelben hatte. Damals bezeichnete Bebel den Verfaj- 
fer der neu gefundenen Gesta Frideriei als: Christianus vel ut 
alii volunt Guntherus Alamannus. Warum fönnen die “alii’ 
nicht gerade folche gewefen fein, die den Codex gefehen Hatten, dei 
Bebel, wie er felbft bezeugt, noch nicht Fannte? Und was berechtigt 
ung bei Guntherus Alamannus an Guntherus Elnonensis 
zu deufen? Aus dem Beinamen Alamannus fönnte man doc) 
höchſtens auf einen Gegenſatz zu letterem ſchließen. Auf Chriftianus 
zu vathen lag ſehr nahe: in Trithems Scriptores ecelesiastiei fand 
man diejeın Gesta Frideriei, und fo nennt ja auch Bebel das Werf, 
zugeſchrieben, während man einen Guntherus zu Friedrichs Zeiten 
vergeblich juchtee Als Bebel das Werk ſelbſt kennen gelernt hatte, 
gab er den fid für anonyme Gesta Friderieci fo fehr pafjend dar- 
bietenden Chrijtianus wieder auf und citierte den Dichter al8® Gun- 
therus Alamannus ?. Hätten die ‘alii’ feine beſſeren Beweisgründe 
gehabt, als Sigeberts oder Tritheins Artifel über G. Elnonensis, fo 
hätte er das nicht gethan. Iſt e8 auch nur wahrſcheinlich, daß jener 
bei Bebel auftretende Guntherus Alamannus bei den ‘alii’ aus der 
richtigen Erkenntnis hervorgegangen fei, Ligurinus fei Titel des Ge- 
dihts? Diefe Erkenntnis, fchon 1501 gewonnen, hätte unmöglic) 
verborgen bleiben können, und doch erfcheint das “Guntherus Liguri- 
nus’ der Unterfchrift der Ed. princeps genau fo wieder in Trithems 
Annales Hirsaugienses, und in dem erften Drud der Chronif 


Titel ‘Gesta Frideriei’ ihn auf Chriftian führte. — Fir die Wahl Guns 
thers von St. Amand bei den Herausgebern entdedt er weiter feinen Grund 
que l’assertion, toute gratuite d’ailleurs, de Tritheme, qui lui attri- 
bue: metro et prosa quaedam praeclara volumina, de 
quibusad notitiam pauca venerunt; und diefen Grund Hat er 
jelbft, Rev. crit. S. 37, wieder hinfällig gemacht durch den Hinweis auf die 
befannte Thatfache, daß Trithem faft immer ſolche Phrajen feinen Charakterifti- 
ten beifüge (ich Hatte nämlich Forſch. XIII, S. 331 hervorgehoben, daß im 
Falle Gunthers Trithem „nun doch“ einmal Recht habe). Freilih, um das 
zu finden, brauchte man nicht auf die Zeiten Heinrich IV. zurüdzugreifen, 
Einen Beweis dafür, daß Gunther von St. Armand von den Editoren in dem 
Explieit gemeint fei, findet Paris in dem von Trithem und den Editoren ge» 
meinfam gebrauchten ‘poeta clarus’ reip.‘poeta clarissimus’. Auch 
wer auf ſprachliche Webereinftimmungen mehr Gewicht legt als Herr Paris wird 
folchen Beweijen wenig Zutrauen ſchenlen. Vgl. unten S. 189 Note 2. 

ı Bebels Worte find in extenso abgedrudt Paris, Diss. ©. 7. 8, Er 
fpriht von 12 Büchern ftatt 10. 

2 De veteribus Germanis Encomion c. XIX: Unde Guntherus 
Alemannus lib. 2 de rebus gestis Frid. Caes. Bgl. Forſch. XI, S. 173, 
Wann das Werk geichrieben wurde, ift mir unbelannt. 


189 


de8 Nauclerus ! (1516). Erinnern wir uns der früher von Stälin 
beigebrachten Notiz, daß fchon 1521 Chriftian Tubingius “Gunthe- 
rus Ligurinus’ mit ‘Guntherus Italus Ligur poeta’ um— 
jchrieb, fo fcheint die Annahıne berechtigt, man habe ‘Ligurinus’ mit 
„Italiener“ überfegt und um die deutjche Nationalität des Dichters 
zu wahren in “Alamannus’ abgeändert. Alfo die richtige Erkennt— 
nis des Titels des Gedichtes, das man als Gesta Frideriei’ ci- 
tierte, ift auch bei Bebel nicht erwiefen, viel weniger bei den Edi— 
toren, die durch ihr ‘Guntherus Ligurinus’ nod) 1507 das Ge- 
genteil bezeugen; die Hhpothefe von dem Schwanfen der Herausge- 
ber und der Entftehung des Namens Guntherus aus Guntherus 
Elnonensis? ift aud) von diefer Seite ohne allen reellen Boden. 
Ganz anders ftellt fich die Sache, wenn wir die zunächſt lie— 
gende Annahme ins Auge faffen, der Name Guntherus Yiguri- 
nus ſtamme aus der Subfeription der Ebracher Handſchrift. Geltis 
fagte den Augsburger Freunden auf ihre Trage, ob er auf feinen 
Reifen durch Deutſchland ihnen vorher unbekannte Schriften gefunden 
habe, se invenisse Ligurinum quendam aegregium poe- 
tam de rebus gestis per Fridericum primum Cae- 
sarem. Wir erfennen in diefen Worten bereit8 den misverſtande— 
nen Titel, den das Werk in der Handfchrift trug. Ueber ſämmtli— 
Ken zehn Büchern in der Ed. prine. wiederholt fi}: Incipit liber 
primus (secundus ete.) Ligurini de gestis imp. caes. Fri- 
derici primi aug., der Titel der Ed. prince. hat: Ligurini de 
gestis i. c. F. p.a. libri decem. Nun nennt der Dichter jelbft 
X, 616. 622 jein Werf Ligurinus, und I, 114. 165 erflärt er 
die forcia gesta, regia gesta Friedrichs befchreiben zu wollen, 
nichts Hindert uns alfo anzunehmen, daß der Titel: Liguri- 
nus de gestis Frideriei, vom Dichter felbjt ftamme, daß er 
in der Handichrift ſich vorgefunden habe. Und da die ohne 
Zweifel aus der Handichrift genommenen Argumenta die Leber: 
jchrift tragen: Ineipiunt Argumenta in decem libros Ligu- 
rini, fo wird das decem libri’ in dem Titel der Ed. prine. eben= 
falls alt fein. Wir hätten alfo: Ligurini de gestis Fri- 
deriei libri decem. Die leicht konnte aus einen folchen Titel 


1 Mattenbach bemerkt, Kentralbl. a. a. D., daß eine Ausgabe von 1501 
nicht eriftiert; damit ift die Möglichkeit gegeben, daß fchon vor 1501 Nauclerus 
‘“Guntherus Ligurinus’ jchrieb, da8 dann fiher nur aus dem Coder ſtammen 
konnte. Möglich freilich nad; dem was Mattenbad) gelagt, daß Camerarius die 
Stelle einfügte, 

2 Schon Köpfe, Hrotivit S. 275, bemerkt: „Kaum zu glauben ift es, 
daß die Herausgeber deu Verfaſſer ohne Weiteres für jenen Günther, Mönd) 
von St. Amand, gehalten haben follten, deffen Namen fie bei Trithem fanden, 
welcher ihn einen poeta clarus nennt, der mancherlei in Vers und Proſa ger 
fchrieben haben follte; denn ausdrücklich fest er diefen im die Zeit Heinrichs IV. 
zum Jahre 1100.” 

3 Man beachte auch, daß ſchon 1501 Bebel das noch nicht gejehene Wert 
al8 Gesta Friderici bezeichnet. 


1% 


die Meinung entfpringen, Ligurinus fei Name des Dichters !, ‘de 
gestis Friderici’ Titel des Werks, eine Meinung die Schon bei dem 
Verfaſſer der Argumenta faciih fi vorfindet: Ligurinus 
carmina seribit. Wie verhält fich dazu die Unterfchrift unter dem 
Text der Ed. princeps? In ihr ehrt jener Titel, vermehrt um 
den Namen Guntherus, vollftändig wieder: Guntheri Ligurini 
poetae clarissimi? de gestis divi Friderici primi De- 
cem libri foelieiter editi: et impressi etc. Was hindert uns 
anzunehmen, daß an diefer Stelle im oder ſich der wirkliche Name 
des Autors erhalten Hatte, der, ſei es durch einen früheren Schrei— 
ber, der fchon den Irrthum des Verfaſſers der Argumente teilte, ſei 
es durch Geltis und die Herausgeber, mitteljt des eingejchobenen 
‘poetae clarissimi’, mit Ligurini' zu einem Ganzen vereinigt wurde ? 
Enthielt der Ebracher Coder in der Subfeription: Guntheri Li- 
gurini de gestis Friderici decem libri?, fo erflärt 
jic) das Misverftändnis in den Argumenta, bei Celtis und den Her— 
ausgebern, weiterhin bei Nauclerus (oder Camerarius) und Trithes 
mius*, fo erklärt es fi, weshalb jchon 1501 Bebel den Namen 
Guntherus kennt umd denfelben gegen den aus den Scriptores bes 
Trithemius entnommnenen Chriftianus endgültig accepttert, fo bleibt 
überhaupt Feine Dunkelheit. Mit dem misverjtandenen Titel und 
dem durch diefen ſelbſt auch getäufchten VBerfajfer der Argumenta be= 
zeichneten Geltis und die Editoren auf dein erften Blatt, und Peutinger 
noch auf den legten Seiten, den Dichter einfad) als Ligurinus; 
mit der Subfeription jchrieben fie am Schluß des Epos: Gunthe- 
rus Ligurinus. Ein Widerſpruch zwifchen dem fürzeren und länge— 
ren Namen war für fie nicht vorhanden. Unter diefem Namen ift 
dann der Dichter noch bis in die neueſten Zeiten von vielen citiert 
worden, obgleich jchon der Tübinger Grammatiker Heinrichmann“ — 
und er ijt der erjte von dem wir es bejtimmt wilfen — den Titel 
in dem ihm von Peutinger gejchenkten Exemplar der erjten Ausgabe 


1 Hehnliche Misverftändnifje find befanntlih im Mittelalter nicht felten; 
der Solimarius hatte dafjelbe Schidjal. 

2 Aus den oben citierten Worten des Celtis in der.Borrede: Ligurinum 
quendam aegregium poetam, fünnte man fchließen, daß er da8 ‘poeta 
clarissimus’ vor Angen gehabt; aber ebenfo nahe liegt der Schluß, diefe Worte 
feien hier wie dort zwilchen den Titel eingeichoben. 

3 So präcifiere ich die von Wattenbah mit Recht als zu beſtimmt be- 
zeichnete Faſſung Forſch. XII, &.276: Guntheri poete clarissimi Ligurini 
sive de gestis divi Friderici decem libri feliciter expleti. 

* Frithemius fett den Guntherus Elnonensis zu 1100, den Guntherus 
Ligurinus zu 1184. Nach Paris muß man fic denfen, daß der gelehrte Abt, 
nad) deffen Artikel über jenen erfteren der letztere erdichtet war, und zwar von 
ihm nicht fehr ferne wohnenden Freunden, den von ihm unbewußt getauften 
ganz naiv an der richtigen Stelle in feine Annalen eingefügt habe. 

5 Bol. Dümge, ed. 1812, S. LVI. Auch in der Ausgabe von 1531 
ift Guntherus von Ligurinus richtig getrennt; Paris, Diss. S. 16, ſcheint 
anzunchmen, daß erft Pithoeus den Fehler berichtigte. 


191 


ergänzte: Guntheri Alemanni! Clarissimi Poetae 
(Ligurini de gestis etec.). 

Blos der Bolljtändigfeit halber will ich beifügen, daß noch eine 
dritte Möglichkeit für das Auftreten des Namens Guntherus Ligu- 
rinus in der Unterjchrift der Ed. prine. vorhanden ift: Guntherus 
könnte unabhängig ſowohl von Guntherus Elnonensis wie von der Hand 
ichrift auf literariichen Wege überliefert worden fein. Dies wiirde 
ebenfalls auf einen Dichter Gunther im der Zeit Friedrichs führen, 
den für den DVerfajfer des Yigurinus zu halten bejjere Gründe vor= 
lagen als bei dem für den Verfaſſer von Gesta Friderici gehaltenen 
Erzbiihof Ehriftian von Mainz. Doc angejichts der vorliegenden 
Thatſachen erjcheint es überflüffig noch weitere Ueberlegungen anzu= 
jtellen: eine gut beglaubigte Lleberlieferung, das fteht feit, bietet uns 
als Verfaſſer des Ligurinus einen Guntherus. 

Suden wir nun nad) einem Gunther in der Zeit des Dich— 
ters, fo tritt uns der Verfajfer der Hist. Const. und der Schrift 
de oratione entgegen, erjtere abgefaßt 1206, letztere fpätejtens 1210. 
1212. Zwiſchen der Abfaffung des Ligurinus (1186) und diejen 
Schriften liegt ein Zeitraum von 20, bezw. 24. 26 Jahren. Darf 
man muthmaßen, daß der Gunther des Ligurinus mit diefem iden- 
tiih it? Der Dichter des Yigurinus giebt fi) als Mann von höch— 
ſtens 30 Jahren, 1206 ijt Magijter Guntherus gegen 50 Yahr ? 
alt; diefer iſt Weltgeiftlicher, Magijter und Scolaftifus gewejen, be— 
vor er ins Klofter eintrat (1202—5): der Dichter des Yigurinus 
iſt Weltgeiftlicher und erſichtlich Schulmann; feit 1193—95 ift Ma— 
giſter Guntherus des weltlihen Treibens müde geworden: 1186 
nimmt der Dichter lebhaften Anteil an dem was die Welt bietet, aber 
er weilt hin auf die Unzuverläffigkeit irdiſcher Freuden ? und zeigt 
iiberall einen ernten Siun; den Magijter Guntherus finden wir im 


1 So mit feinem Tübinger Freund Bebel, wohl aus denjelben Gründen. 

2 Berüdfichtigt man, daß de orat., fiher nad) der Hist. Const. ver- 
faßt, jhon 1207. 1209 zu feten fein könnte, jo wäre Gunther, der am Schluß 
feiner legten Schrift 7 Jahre Mönd war, 1202—1205 ins Klofter eingetre- 
ten; 10 Jahre vorher, fagt er, fei er der irdilchen Dinge überdrüffig gewor- 
den, alfo 1192—95. Da er nun vorher Magifter und Scolafticus gewe— 
fen, auch eine ſehr gediegene Kenntnis befittt von ftaatlichen und kirchlichen 
Berhältniffen, dazu in der fpäter ausdrücklich zurücgeftellten weltlichen Literatur 
fehr bewandert ift, darf man annehmen, daß er fi) bis dahin mit allem die— 
ſem zu befaffen Zeit gehabt, 1192—95 aljo etwa ein BVierziger geweien, Seine 
Geburt fiele dann 1152-55 (um 1150 fagte ich früher), und 1186 war er 
31—34 Jahr alt, 1206 alfo 51—54. Will man den Magifter um 5 Jahre 
jünger machen, fo ift ev 1186 noch immer 26—29 Jahr; und um weitere 5 
Sahre, fo bleibt ein Alter von 21—24 Sahren für 1186, wodurd immer 
noch der Dichter des Ligurinus nicht ausgejchloffen wäre. Da Magiſter Gun— 
therus aber 1210 ſchon Prior ift, jo ift dadurd), auch abgejehen von der Un— 
wahrfcdeinlichteit der MWeltentfagungsgelüfte bei dem Dreißiger, ein veiferes Alter, 
jo wie wir e8 vorausjegen, an die Hand gegeben. 

*Bgl. 3. B. Lig. I, 603: Usque adeo nulla est hominis sincera 
voluptas. 


192 


Klofter Paris im Elſaß: ins füdmweftlihe Deutfchland gehört der 
Dichter des Yigurinus; beide find begeifterte deutjche Patrioten, dabei 
jtrenge Vertreter dogmatifcher und fittliher Reinheit in der Kirche; 
beide beherrfchen in umfaſſender Weife das Gebiet der weltlichen Liz. 
teratur, -in der zweiten profaifchen Schrift treten namentlich Citate 
aus denjenigen Autoren auf, die dem Dichter des Ligurimus geläufig 
find, unter andern aus dem im Mittelalter fo jeltenen Lucretius 
diejelben, die wir hier finden; der Stil ijt hier wie dort aufßeror- 
dentlich fließend, der Magijter Guntherus deutet indireet an, daß er 
einft auch gedichtet hat, und feine an poetischen Wendungen und Bil- 
bern veiche Proja bejtätigt dies — Gründe genug die Möglichkeit 
näher ins Auge zu faffen, daß der Magijter Guntherus im Kloſter 
Paris mit dem Guntherus, von dem die Ueberlieferung des Liguri= 
nus weiß, identijch fein Fünne. Diefe Möglichkeit fteigert fich zur 
Gewissheit, wenn ſich zeigt, daß der Ligurinus und die beiden pro= 
faifchen Schriften troß des nicht geringen Zeitabftandes in Gedanken, 
Wendungen und Worten in einer Weife übereinftimmen, wie das bei 
Schriften verfchiedener Verfaſſer bis dahin nirgends beobachtet wor— 
ben ift. 

Dies deutlich zu machen habe id) eine ganze Reihe von Ueber— 
einftimmungen zwifchen dem Yigurinus und den Schriften de8 Ma— 
gifter Guntherus zufammengeftellt, aber Paris und Wattenbad), beide 
vielleicht irregeführt durch die Hist. Peregr., die ic) in gleiche Reihe 
ftellte, erjierer dazu fichtlich unter dem Einfluß?! feiner Hypotheſe 


1 Ich ſchließe das aus der Art, wie Paris meine Gründe befeitig. Er 
beginnt mit einigen Stellen, denen ich jelbft (S. 252) nur „untergeordnete 
Bedeutung beigelegt”, verweift ein paar andere, die wichtiger fcheinen, in die 
Noten. Nicht alles hat er richtig verftanden. Unter der Rubrik: M. P. en 
decouvre bien d’autres qui parfois deviennent vraiment presque co- 
miques par la gravite avec laquelle il les signale, erſcheint 3. B. neben 
meiner Bemerkung über den Solimarius von S. 241, die idy vollftändig auf 
recht halte (man beachte die Fragen, die ich anjchließe, die Paris iüberfieht), 
folgende Stelle von S. 261 mit beigefügter Seitenzahl: Si dans le Ligu- 
rinus Frederic est compar& & Charlemagne, I’H. C. releve trois res- 
semblances entre l'abbé Martin et le c&lebre saint de ce nom. Dieſe 
Worte bilden bei mir einen Teil der Einleitung zu folgender Pointe: „und 
dann jchließt der Berfaffer mit einer Neminiscenz aus dem Ligurinus: qua- 
propter utrumque debito fine honoris venerari nos condecet; 
vgl. Lig. VI, 518 ff.: Principis an pape fuerit pars justior, alter, qui 
melius potuit cognoscere, judicet: at nos Ignari rerum partem 
veneremur utramque, und die Gegenüberftellung feiner eigenen Mei— 
nung zu anderen findet fich wiederum entipredhend Hist. Const. c. 19: Vi- 
derint ergo alii, quomodo hoc factum metiantur, ego in omnibus 
his etc.” Jetzt füge ich noch bei, dag alii und ego fid) noch genau fo 
wie im der letzten Stelle wiederfinden Lig. I, 474: 

Forsitan hec alii culpent, ego nobile factum 
Laudo viri; 
und zu den obigen drei Verſen aus dem Lig. vergleiche man noch d. o. IX, 3: 
alii vero sive acutiores sive rerum ipsarum diligentius ordi- 
nem intuentes, rem quodam ornant artificio .. . nos utriusque 


193 


über die Entftehung des Namens Guntherus, fprechen denfelben alle 
Beweisfraft Tab. Paris verweilt, um mich zu widerlegen, auf die in 
Band XI der Forfchungen von mir felbjt zufammengejtellten gemein- 
famen Eigenthümlichfeiten mittelalterliher Schriftiteller: ich habe in 
der That auf diefe und ähnliche Sammlungen fortwährend Rückſicht 
genommen, mir fcheint es aber bei der großen Menge von Ueber- 
einſtimmungen nicht einmal fehr erheblich in Frage zu kommen, ob 
die eine oder die andere Stelle auch in diefem oder jenem  gleichzei= 
tigen oder antifen Autor fich wiederfindet; nicht weniger als in ein— 
zelnen ins Auge fpringenden Stellen liegt die Beweiskraft in der Aus- 
wahl von Gedanken, Wendungen und Worten, die gerade hier und 
in gleicher Weife bei feinem anderen Schriftſteller ſich vorfindet. 

Hier eine kurze Ueberſicht des Augenfälligſten. 

Zu den Gemeinplätzen gehört der Gedanke, daß irdiſche Güter 
übermüthig machen ?; im gleicher Form und gleicher Verwertung fand 
ich ihn nur 

H.C. e. 11: divine seil. bo- 


Lig. 1, 527: nitatis consilium, quod gen- 
Nec melius stulte furor et |tem illam elatam ex re- 
superbia plebis rum opulencia.ab illo fastu 


Puniri poterat, quam tanta | |suo deprimi et ad pacem et 
ut causa tumoris | concordiam sancte universalis 
Eriperentur opes, et quos ? ecelesie revocare hoc or- 
opulenceia rerum || dire disponebat; congruum 
quippe videbatur, ut gens illa, 

que aliter corrigi non valebat, 
paucorum cede et rerum tem- 
poralium, quibus intumue- 


rat, amissione puniretur. 

Hier kommt zu dem *elatam ex rerum opuleneia’ in fo ei- 
genthümlicher Weife das “revocare’ hinzu, in dem ‘rerum tempo- 
ralium quibus intumuerat amissione’ fpricht jo flar jenes “ut 


Fecerat elatos, in se re- 
vocaret egestas. 





morem gerere cupientes... illas tractare conabimur, lectoris 
arbitrio relinquentes, hie ordo an ille pocior an verior sit 
estimare — Noch öfter hat Paris meine Ausführungen misverftanden, 
wie 3. B. die, wo id) Gunther eine „mehr al® gewöhnliche Kenntnis des Grie- 
chiſchen“ beifege, die er, tie jeder Lefer des Tractats de orat. erfennt, auch 
wirklich befittt: nirgends bin ich aber fo meit gegangen ihn griechifche Texte 
Iefen zu lafjen, vielmehr vermeife ich ſtets auf Tateinifche Bearbeitungen (3. B. 
bei Homer, Plato und Ariftoteles). 

ı Man begreift dabei faum, wie Paris dennod) auf ‘poeta clarus’, vgl. 
oben ©. 4 Note 1 in fin., und ‘sermone plano atqud palpabili' im Pro— 
log der Hist. Const., vgl.: stilo tamen humili et plano et sermone pal- 
pabili im Prol. de orat., vgl. Diss. S. 17 Note 35, großes Gewidt Ie- 
gen konnte. 

® Hist. Peregr. c. 23 wird al8 Duelle Hrabanus Maurus genannt, 
und bie von ihm citierte Stelle erſcheint auch Joh. de Alta Silva, Dolopa- 
thos ed. Oesterley ©. 6, '%. Bgl. auch Otto, G. F. I, 5. Hier überall 
affluencia oder prosperitas ftatt opulencia. 


XIV. 13 


194 


causa tumoris eriperentur opes’, ‘nec melius ..... puniri po- 
terat’ wiederholt fi) jo unbewußt in “congruum quippe videba- 
tur ut... puniretur’, daß man, um die Webereinftimmung zu er— 
Hären, nothwendig Einen Autor annehmen muß, der unwillkürlich 
feinen Gedanken und Worten diefelbe Wendung giebt. 

Dajjelbe zeigt die Ausführung in dem Brief der deutfchen Bi— 
ihöfe an den Papſt, wo deutlich gemacht wird, daß die Kaijerfrone 
nicht von diefem, jondern direct von Gott fomme, verglichen mit einer 


Stelle in de orat. über das nur an Gott zu richtende Gebet: 


Lig. VI, 560: 

Excessere modum magnorum 
munera regum, 

Sitantum cuiquam jus in sua 
regna dederunt; 

Sed neque tanta fuit lar- 
gitio, nec dare quis- 
quam 

Quo caret ipse potest; 
hujus collatio regni 

Autorem sortita deum, con- 
tingere nulli 

Jure potest hominum: 
collator muneris hujus 

Est deus, hoc summis re- 
gnumconferturab astris. 





\tis stulticie . . . 


de orat. VI, 7: Quare ad cer- 
tam personam orationem sem- 
per dirigi oportet, eteam ta- 
lem que possit largiri quod 
petitur. Petere enim ab eo 
qui dare non potest, vel 
oceulti erroris est vel eviden- 
sed neque 
illa bona...quisquam pre- 
teripsum (deum) largiri 
potest, quoniam sunt dona 
spiritualium graciarum, que 
anullo hominum...iin 
alium possunt conferri. 


Stellen, wo der Dichter von fich ſelbſt und feinem Werfe redet, 
heben fi) von Otto und Nadewin jehr deutlich ab: 


Lig. IV, 609: 
hi solide possunt descri- 
bere gesta, 
Quos oculata fides simul 
et presencia facti 
Instruit. 


H.C. e.15: structuram au- 
tem edificiorum ... vix ullus 
vel describere potest, 
nisi qui ea oculata fide 
cognovit. 


Der Gedanke ift, wie man weiß, lanbläufig, ‘deseribere posse’ 
in ähnlichem Zufammenhang ift häufig, “oculata fides’ aber Habe 
ich fonft nirgends damit zufammengejtellt gefunden. Dajjelbe gilt von 


Lig. X, 611 ff.: 
Sed quisquis rerum,quas 
scripserit ille, nitorem 
Te perhibente leget, pulchri 
quoque premia facti 
Noverit, — vereint mit I, 141: 
at si quis summatim car- 
pere tantum 
Rem satis esse putat, no- 
stris(se.scriptis)apponat 
ocellum. 


H. C. im ®rolog: Quis- 
quis ergo huic niostre pa- 
ginule manum vel oculum 
leeturus admoverit, ani- 
mi quoq.ue diligentem soler- 


Xtiam rebus ipsis, de qui- 


bus hie agitur, subtiliter 
intuendis studiosus adhibeat. 


it a BZ an nl —— 


195 


Die Uebergangsformel Lig. III, 342: neque enim reor esse 
silendum, jteht auch H. C. c. 5: neque illud silendum credi- 
mus; eine andere Wendung Lig. II, 581: nee mihi cujusdam 
virtus reticenda videtur, ähnlich d. o. VI, 10: neque tamen 
hoc loco penitus! erant reticenda?. Und auffälliger nod) 


Lig. I, 356: [d.o.IV,1: de quibus omni- 
Hane ego rem penitus||no reticere quamparum 
quam dicere paucal)dicere tucius est. 


silere _ d. o. XIII, 3: tucius tamen 
Tueius esse puto. esse credo, und: tucius 
tamen est. 
Lig. X, 586 ff.°: \{H. C. c.22°: Libet quedam 
Hoc quoque me fame, si de-| |inserere, que sola, si alia 
sint cetera, solum deessent, satis possent 
Conciliare potest. astruere. 


) \d.0.],3: si cetera desint. 


Dahin gehören weiter: Lig. VIII, 442: Id poeius...viden- 
dum, vgl. d. o. II, 1: Illud pocius videndum est. — Lig. X, 
312: extremamque manum prestare labori, vgl. d. o. XI, 1: 
et incepto operi supremam * manum conabor imponere. — 
Lig. X, 610 ff.: die weiteren Thaten Friedrichs propositi memo- 
res ad tempora nostra trahemus; vgl. d. o. x: aliam quo- 
que expositionem promissi memores prosequi studeamus. — 
Kleine Zwifchenfäge wie Lig. II, 85: imo ut vera loquar, VIII, 
474: ut verum fatear, vgl. d. o. VII, 1: sed ut verius lo- 
quar, ebenfo II, 1; V, 1; liceat modo dicere, Lig. I, 126, 
l. m. memorare I, 114, vgl. d. o. I, 3: ut ita loqui liceat, 
zählen nad) Dutzenden; die Steigerung mit imo etiam begegnet bei 
beiden oft, Lig. I, 43; X, 591; d. 0. 1,4; II, 1; IH, 1; umd 
Verſe wie 


ı Diejes Wort ebenfo Lig. I, 356. 

2 Bgl. H. C. Prol.: neque tamen omnino poterimus reticere (ta- 
cere jagt die Hist. Peregr.); nec reticere libet, Lig. I, 450; II, 532 
u. ö.; libet aud) H. C. 22; d. 0. IV, 2; VI, 3; IX, 3. 

8 Hierzu bemerft Paris: voila oü on en arrive par ce systeme 
d’argumentation & outrance. 

* Zu beachten ift, daß der Autor, wie das im jener Zeit allgemein war, 
mit den Synonymen beliebig abwechielte; vgl. 2. Müller, Ueber den Auszug 
aus der Ilias des fog. Pindarus Thebanus ©. 13. Auch bei Gunther be- 
merkt man überall die „Neigung zu variiren“. 

5 Meine Bemerkung, Forſch. XII, S. 269, daß ſich derartige Säte fo 
auch in der Hist. Peregr. finden, beruht auf einer Verwechſelung. Bon den 
3. 14—17 genannten Ausdrüden gehören dahin nur: tucius est, necesse 
habemus, pacem reformare; ftatt des Guntherſchen brevi temporis ar- 
ticulo’ findet ſich H. P. 2. 34. 42 vielmehr: (in tanto) necessitatis 
articulo. Gerade in fo unfcheinbaren Kleinigfeiten weicht die Hist. Peregr. ab. 


13* 


196 


Lig. III, 190: 
non est tractabile sensu 

Eloquiove meo, 
fehren wieder in Stellen wie d. o. VII, 1: quod humane facul- 
tatis (non est!), quas deus orationes aut suseipiat aut re- 
pellat vel comprehendere sensu? vel eloquio diffinire. 

In der Charafteriftit Friedrich® heißt e8 Lig. I, 192: 

Fortis ad instantes casus prudensque futuri 

Preteritique memor. 

Gegenwart, BVBergangenheit und Zufunft treten ebenfo hervor d. 
o. VI, 2: deus, qui et tempora condidit (die8 aus Lig. I, 
169: qui tempora condidit) . .. nec preteritorum immemor ® 
esse potest, nec ignarus presencium, nec improvidus futuro- 
rum, sed preterita quidem memoriter tenet, presencia cernit, 
futura prenoseit. Ju der Wendung preterita mem oriter te- 
net, befundet fich ein Anklang an Lucretius * (II, 583; III, 871. 
1073): 

et memori mandatum mente tenemus, 
eine Stelle die fajt wörtlih Lig. X, 531: 

et memori seriptos in corde° tenemus. 

Sehr intereffant für unjern Zwed iſt Lig. I, 299 ff. die Aus- 
führung, daß nicht hohe Ehrenftellen einen guten Charafter verder= 
ben, fondern ein von Natur fchlechter Menſch vielmehr die ihn ges 
wordene Auszeichnung misbrauche. Da heißt e8: . 

Immeritique hominem violasse putantur honores, 

Quos magis ille malo corrumpit et inquinat usu; 

At cuicunque bonum et nullo violabile casu 

Ingenium natura dedit, si letus honorem 

Forte tulit quo dignus erat, tunc tempore rapto 

Illa latens probitas leto pubescere fructu 

Incipit, et sese virtutum germina produnt: 


ı non est fehlt im Tert, ift aber fchlechterdings nothwendig. 

» gl. d. o. IX, 2: ut vix cujusquam mortalium vel sensu capi 
valeat vel explicari sermone. 

s Im einer Stelle bei Otto, G. F. I, 8, ſteht ähnlich: neque enim 
priorum tuorum meritorum immemor existo nec futurorum ingratus 
ero. Aber e8 fehlt eben das bei Gunther dabei wiederkehrende “preteritorum' 
und ‘providus’, und die Nücdficht auf die Gegenwart. Mit jener Stelle bei 
Dtto berührt fid) Lig. X, 509: nec tamen immemorem forte ingra- 
tumque putetis. 

* Daß im Ligurinus Luerez benutt fei, bat ſchon Rittershuſius bemerft, 
Noten zur Ausg. ©. 43, wo zu Lig. I, 715: 

et eterne laudis monumenta reliquit, 
der Lucreziiche Vers: 
Aeternis famae monumentis insita florent, 
eitiert umd andere Spuren angedeutet find. Weiteres vgl. unten &. 199 Note 4. 

° cor und mens find im Lig. und ben beiden projaijchen Schriften ohne 

Unterfchied gebraudt. 


197 


Sie puer a tenero castis qui moribus evo 

Floret et hunc habitum nature vertit in usum, 

Qualis erit? 

Wer erfennt nicht, daß die honores, die ‘malo usu’ beſchmutzt 
werden, den res medie angehören, von denen Gunther de orat. 
VI, 6 fagt, daß fie je nad) Umftänden bene vel male utenti- 
bus bona sive mala efficiuntur, daß da8 bonum ingenium oder 
der habitus, welchen natura dedit, gleich it dem an Plato und 
Diogenes d. o. IV, 1 gelobten Gemüthszuſtaud partim a natura 
datus!, und dem dort behandelten habitus mentis? (ebenfo 
Lig. I, 7) bene composite, zumal die virtutum germina? 
ebenfall® wörtlich wiedererfcheinen d. 0. X, 4, und ‘id quod na- 
ture usus exigit’ d. o. X, 2. 

Bon denen die eine Rede Friedrichs Hören wollen Heißt es Lig. 
X, 497: stantibus arrecta capiendis vocibus aure, und 
die Wendung * ehrt wieder vor der Kreuzrede Martins H. O. c.3: 
stabant igitur omnes arrectis auribus. Nicht gefunden 
it bis jet die Quelle für suspiria, singultus, gemitus, lacrime, 
Lig. X, 213 ff., die genau im umgefehrter Reihenfolge ftehen H. C. 
c. 3, und dort wieder verbrämt mit Worten aus anderen Stellen 
des Ligurinus: videres lacrimas ... per ora omnium largis- 
sime defluentes, vgl. Lig. IV, 350: et largis ora rigatos fleti- 
bus aspiceres. 

Sogar unter der Rubrik der Firdlichen Feſte bleibt ein Heft, 
der jich weder aus den Hymnen noch aus anderen mittelalterlichen 
Schriften belegen läßt. Wo findet fich zu den vom Heil. Geift am 
Pfingitfeft gebrauchten Worten Lig. V, 228: desuper effuso lin- 
guas distinxit in igne, eine fo genau entfprechende Wendung wie 
H.C.c.3: sp. sanctum in linguis igneis super eos effudit ? Fried» 
rich feiert folche Tage: quanto potuit honore, Lig. IX, 264. 263; 
und gerade bei Heiligen Handlungen fteht auch H. C. c. 23: qua 
potuit reverentia, quantas potuit graciarum actiones; d. o. II, 
1 fin.: quanta possunt humilitate, und ähnlich) an anderen Stellen. 

Betrachten wir ein paar Sätze aus dem 17. Gapitel der H.C., 
wo die Belagerung Conſtantinopels bejchrieben wird, fo erfennen wir 
unter der Schablone auch hier fehr deutlich die aus dem Ligurinug 
befannte Perjönlichkeit: 


ı Bol. noch zum Ausdruck Lig. II, 625: natura dederat, und VI, 
35: natura dedit. 

2 ®gl. d.o. XII: habitum hic dieimus qualitatem mentis. 
Vgl. Emo, ed. Feith en Stratingk ©. 81. 143, 

3 Der Ausdrud ift fehr ſelten. 

Bgl. Ter. Andr. V, 4, 30: arrige auris, Pamphile; Pl. Rud. V, 
2, 6: Suohic mihi sermone arrexit aures. Dieje Stellen citiert Forcellini 
s. v. arrigere u. auris. Das ‘stare’ dabei ift bis jet nur iu den ange» 
führten Stellen des Lig. u. der H, O. nachgewieſen. 


veluti quosdam scalarum 
gradus, per quos animosi 
jJuvenes ad tuendas naves 
et hostes desuper impu- 
gnandos....ascendere pos- 
sent et descendere.... 


deinde turrigeris navi- 
bus quantum fieri po- 
tuit ad murum admo- 
tis... 


eum qui primus hostiles 
muros insiliret.... post- 
quam vero unus inventus 
est, quiprimus muros in- 
siluit... tum hostes velut 
resumpto spiritu tum pudore 
tum periculo impulsi ce- 
perunt in quandam respi- 
rare audaciam, et seipsos 
mutuo exhortantes, cla- 
more simul et omni genere 
telorum eos vehementissime 
perurgebant. 


198 


[ Lig. IV, 555: scalarum si- 

mulare gradus. 

n IX,347: seu gradibus 
scalarum scandere 
turres. 
X,364:scalarumgra- 
dibus celsas apprendere 
pinnas. 

„ X,400: belloque furens 

animosa juventus! 

Fixerat in summi vesti- 

gia margine muri. 

II, 515: missis et desu- 

per implicet hastis. 

X,398: Jam quantum 

poterant muris acce- 

dere turres 

Admote fuerant longi- 

que ad menia pontes. 

X,408: Horum unus... 

primus in attonitos sal- 

tu se miserat hostes. 

X,535:quiprelia primi 

Tentare aut murum 

conscendere fortiter ausi. 

X, 405: insiluisse levi 

trepidantia menia saltu. 

II, 321 ff.: 

Nee minus infausti sum- 
mis e turribus hostes... 

Adiciuntque animos se- 
que exhortantur in 
arma, 

Urget quippe metus fa- 
ciuntque pericula 
fortes. 

IX, 358: nec respirare 

licebat (vgl. VIIL, 196). 

II, 142: et teli quo- 

eunque modo. 


3 


3 


S 


Be 


3 


3 


S 


3 


3 


Solde Stellen bedürfen feines Kommentars. 
Unter den Bildern und bildlichen Wendungen ift fehr eigenthüm— 


animosa juventus nod) Lig, II, 555. 


Wenn in der Hist. Peregr. 


animositas u. animosus gebraucht wird, fo fehlt juvenes oder juventus, 


vgl. c. 8. 11. 34. 


199 


ih! “blando spiramine ? solis’, da8 aus Lig. I, 38 in d. o. 
V, 1 wiederfehrt. An das Bild von den verjchiedenen Flüffen und 
der einen Quelle, Lig. IV, 367 ff.: uno de fonte ete., vgl. ex 
uno fonte etc. d.o.IX, 4, fei hier nur noch einmal erinnert, aber 
das bezeichnendfte von allen führen wir wieder volljtändig vor, 


Lig. VII, 182 ff.: \f d.o.IV, 1: Cum enim aura 
Mox ubi tranquilli al spiritus sancti .... placido 
tior aura Favoni flatu velut quidam Fa- 
Ceperit excluso RRITSEeN vonius cepit aspirare, 
benignius Austro creat mox in ea ceu ver— 
Protinus ad placidos fla-f\ nos flores bonas quasdam 
tus sua germina rami mentis qualitates. — d. o. III 
Produeunt solitoque nitent = 5: salubris aure flatus 
gulta decore. | aspirans. 
Lig. I, 176: ) 
tempore verno? flores. 


Die ‘aura Favoni’ weijt uns hin auf Lucrez‘, aber vergeblich 


ı Auch Paris (Rev. crit. a. a. O.) findet e8 „wahrhaft charafteriftifch.“ 
Aber er will wetten, daß e8 fi) in einem von beiden Autoren benutten alten 
Schriftſteller vorfinde. Damit wäre die Beweiskraft der Wendung nicht einmal 
ganz befeitigt, wenn fie allein fände. 

Bgl. Lig. II, 501: Zephirus lasso spiramine und d. o. III,5: 
venti spiramine; Lig. IV, 189: calidi spiramine celi. 

® tempore verno, Lucr. V, 800. 

* Bol. Lucer. I, 11: 

Nam simul ac species patefacta est verna diei, 
Et reserata viget genitabilis aura Favoni etc.; 
flores vorher in Vs. 8. 
Man könnte an Catull 64, 282 denken (aura parit flores tepidi fa- 
cunda Favoni), wenn nicht auch fonft in beiden Schriften Lucrez erfennbar 
wäre. Das ‘genus omne animantum’ Luer. I, 4 erſcheint in d. o. X, 2: 
omne genus animantis; die Ausführung Lucr. II, 269—271 liegt zu- 
grunde d. o. IV, c. 2 (bej.: quemadmodum in pueris bi® excitat actio- 
nes). D. o. III, 2: flabrum spirantis aure simul spirat etc. 
vgl. Lucr. VI,428: graviter spirantibus flabris; VI, 1128: spi- 
rantes auras. An die Berfe, aus denen die “aura Favoni’ entnommen, 
lehnt fi) aud) das Bild Lig. I, 38 ff.; die pecudes Vs. 39 und volucres 
Vs. 41 ſtehen Lucr. I, 12. 14, und nod) genauer ftimmt Luer. II, 342 ff.: 
Praeterea genus humanum mutaeque natantes 
Squamigerum pecudes et laeta armenta feraeque 
Et variae volucres laetantia quae loca aquarum 
Concelebrant circum ripas fontesque lacusque etc. 

vgl. Lig. I, 39 fi.: 
Ceu pecudes hominumque genus sic parvula opaci 
Monstra soli viridesque solent gaudere lacerte, 
Utque suo volucres celum modulamine mulcent, 
Sie fruticosa leves quaciunt arbusta eicade. 

Intereffant ift e8 zu beobachten, wie mit Luereziſchen ſich Hier Bergilfche 
Neminiscenzen miſchen: aus letterem ftammen die virides lacerte (B8.40 
ui Eel. II, 9) und: arbusta cicade (Vs. 42, vgl. Ecl. II, 13; Georg. 

‚ 328). 


200 


wird man jich bemühen, bei der Annahme verjchiedener Verfaffer aus 
diefer Quelle die Uebereinſtimmung zu erklären. 

Das Bild vom Stammler gebrauchen mittelalterliche Autoren 
gern als Ausdruck der Beicheidenheit für ihre eigenen Leitungen; 
aber in der Wendung Lig. I, 43: 

Imo eciam mos est ut plus cantare laborent, 

Qui gravius cantant: et balbi plura locuntur, 
— eine Auffaffung die näher erläutert wird d. o. VI, 1: atque in 
hoc quoque balbutientes videmur imitari, qui dum preceden- 
tis verbi defectum sequenti cupiunt emendare, vitio suo in- 
sistentes balbutire non cessant — iſt es unferen Schrif- 
ten eigenthümlich. Gleich im Proovemium ! des Tractat8 de orat. 
begegnen uns wieder die *arenae littoreae’ aus Lig. V, 332; bie 
originelfen Gleichniſſe? von den fchlechten Dienern Lig. III, 255 ff. 
und V, 175 ff. finden ihre Gegenbilder in den guten und böjen 
servi, die bei ihrem Herrn ſich anflagen oder entfchuldigen, d. o. 
VII, 2 u. 10. Die für die Wirklichkeit zu kühne an DVergil und 
Prov. Salom. 7 fich leicht anlehnende Ausmalung Lig. IV, 309: 


Der Diditer will Lig. I, 136: 
velut e pleno decerptis floribus horto 
Principe digna suo breviter compingere serta; 


vgl. Lucr. I, 927: 
juvatque novos decerpere flores 
Insignemque meo capiti petere inde coronam. 


Unmittelbar vorher geht bei Lucrez: 
Juvat integros accedere fontes 

Atque haurire; 
im Ligurinus folgt: 

Si quem igitur rerum prolixior ordo fidesque 

Incorrupta juvat, doctorum scripta virorum 

Consulat atque ipso latices de fonte petitos 

Hauriat. 
Man kann auch nicht zweifeln, daß Lig. I, 11 die den Dichter befeelende 
‘spes magna’ ein Anflaug ift an Luer. L 922: acri percurrit tbyrso lau- 
dis spes magna meum cor. Weiter Lig. I, 24: cui nullum parve 
priusve spirat in orbe caput, vgl. Luer. Il, 544: Cui similis toto ter- 
rarum non sit in orbe (vgl. aud) Lig. VI, 109: et toto nulli cessurus 
in orbe, und IV, 522); Cujusad arbitrium Lig. IV, 520, aus Lucr. II, 281; 
Si bene promerui Lig. X, 578, vgl. Lucer. I, 62; II, 651: Nec bene prome- 
ritis (Lig. X, 566 gehört alio meritis bene zufammen); (sol) lucem fundit 
Lig. V, 581, vgl. Lucr. II, 147 (sol) sua perfundens omnia luce; gran- 
dia saxa Lig. II, 512 u. Lucr. I, 291; in gleicher Situation wie Lucr. I, 
143: et inducit noctes vigilare serenas, fagt der Dichter Lig. X, 639: 
tot in officio vigilatis noctibus isto; munera militiae X, 582 u. Lucr. 
I, 30; mortalia corpora Lig. V,517 vgl. Luer. I, 233. 736; II, 906 u. b. 
Dft bei beiden certum tempus, certus locus, certa ratio; in promptu 
esse u. dgl. mehr. Dazu vgl. oben S. 196 Note 4. 


ı Der ganzen Stelle ift zu vgl. Lig. IX, 112 ff, wo aud) ‘adicere". 
? Das Nähere Forſch. XI, ©. 224. 


201 


et calidam pedibus calcare favillam! 
Non timet et prunis ardentibus urere plantas, 
iſt am Plate als Bild d. o. VII, 2: non aliud fere est quam 
prunas sub einere! latentes nudis calcare vestigiis; 
die nuda vestigia entiprechend Lig. VIII, 246. Das leßtere Bild 
tritt nod) einmal fajt wörtlich jo auf d. o. XIII fin., mit dem Zus 
fat: ut sic quoque proverbialiter dietum est, womit e8 fchon 
hinüberweift auf die nicht unbedeutende Zahl von fprichwörtlichen Re— 
densarten, die in den drei vorliegenden Schriften auftreten. Wir 
übergehen diejelben ebenſo wie die jchönen und fehr ausführlichen 
Gleichniſſe von Schiffahrt und Mleeresftürmen, die in Lig. und de 
orat. die Aufmerkſamkeit des Leſers auf fich ziehen. Hier holen wir 
nur noch nach, daß Lig. X, 632, wo Friedrich und feine fünf 
Söhne mit der Sonne und ebenfo viel Sternen verglichen werden: 
elaroque piam cum prineipe prolem 
Ceu totidem stellas nitido cum sole videbis, 
erläutert wird dur) H. C. c. 15: quemadmodum in somno Jo- 
seph per solem et lunam et stellas undecim pater ejus et 
mater et fratres undecim designati ... reperiuntur. 


Genau fo wie Lig. V, 521 ff. werden H. C. c.16 scriptura 
und usus einander gegenübergejtellt: 
de nomine certum, 
Vingevum sceriptura vocat, nil tradidit usus, 
und H. C: territorium, quod tam moderno usu quam apud 
veteres scripturas mons Carmeli nominatur. Ob ſich das 
fonft in Schriften jener Zeit noch findet? Auch in dem Werf d.o. 
beichäftigt fi) Magifter Gunther gern mit dem usus, einmal mit 
dem erläuternden Horazifchen Vers, Ars poet. 72: 
Quem penes arbitrium est et jus et norma loquendi. 
Sollte es zufällig fein, daß diefer Vers fchon im Ligurinus 
mehrmals variiert wird in Formen wie III, 257: 
Quem penes et rerum jus est et tota regende 
Cura domus,. 


Wir werden das hier fo wenig annehmen dürfen wie bei den 
oben berührten gemeinfamen Citaten aus Qucrez, um fo weniger da 
der Vers? Ars poet. 97: 

Projieit ampullas et sesquipedalia verba, 
nicht nur zugrunde liegt d. o. VI, 10: quibusdam, ut poetice 
loquar, verborum ampullis, jondern auch fchon Lig. VI, 143: 
portantes munera pompe 
Verbaque mandatis satis ampullosa superbis. 


ı fav. u. cin. find in unfern Schriften ftets ohne Unterſchied gebraucht; 
ebenfo pedes und vestigia, von denen letzteres aber auch in den proſaiſchen 
überwiegt. 

2 Xehnlich Hor. Ars poet. 16 in Lig. I, 127 und d. o. I, c. 1. 


202 


In folcher ein: dürfen wir noch beifügen das Citat ! aus 

Stat. Theb. II, 18 

Insultare malis rebusque aegrescere laetis, 
das anflingt Lig. IV, 124: 

gaudens in tanta strage malorum 

Insultare malis .. . ait, 
und d. o. VI, 9: ideo vitam petit, ut possit aliorum eruciati- 
bus insultare, vgl. H. C.20: misero probris et jurgiis et con- 
tumeliis insultare. 

Der Brennerpaß war Lig. II, 9 ff. bejchrieben: von Trident 
aus gelange man per anf ractus rigidos, angusta loco- 
rum, nad) Verona; genau fo H. C. c. 6: das Kreuzheer, von Ba— 
jel aufbrechend , stratam illam arripuit, que per angustos 
Tridentine vallis anfractus Veronam ducit. 

Man glaubt dem Dichter noch), wenn er von den hohen Raub— 
ſchlöſſern ſagt, Lig. V, 213: 

Predonum castella jugis horrentia summis 

Et vix spectandas celsis in rupibus arces; 
H. C. c. 15 muthet er uns gar zu die Türme der Stadt feien jo 
hoc) gewejen: educte in tantam celsitudinem, ut quivis in 
culmen ipsarum aspectum dirigere perhorrescat. 

Lig. IX, 499 ift der Mörder: pronus ad alterutrum 
vel sese subdere morti vel patrare nefas; fo die Krie— 
ger H. C. e. 14: ad utrumque parati erant vel ad rece- 
dendum ... velad subeundam mortem 

In gleihem Zufammenhange. erjcheinen Wendungen wie Lig. 
VII, 101: vobiseum dura malo pati et tristes partiri 
gaudeo casus, vgl. H. C. c. 3: prospera vobiscum et ad- 
versa partiri desidero. Lig. III, 102: ſchlechtes Waffer vix 
mediis ex hostibus ense recepta sumimus, vgl. H.C. 
c. 14: die Krieger müffen, da fie fi) in medio inimicorum 
befinden, was fie hoffen ab eis gladiis exsecare. Bon 
Friedrich) heißt e8 Lig. X, 566: meritis bene munera larga 
erogat; von Gott ſei nicht zu fürchten, leſen wir d. o. XIII (S. 216 
Migne): ne merito jam et digno premium sit negatu- 
rus; qui voluit te mereri, vult utique remunerare me- 
rentem. 

In bunter Fülle und in ganz verjchiedenem Zufammenhange 
wiederholen ſich Wortverbindungen die ſchon dem Dichter des Ligu- 
rinus geläufig waren. Dahin gehören: 

Lig. V, 538: grande tibi nomien primo nancisceris evo, und H. C. 
c. 22: grande sibi nomen comparare; Lig. Ill, 372: quem sibi recto- 


rem delegit, und d. o. IX, 11: quem tibi regem elegeris; Lig. VIII, 
147: proprii mihbi mens bene conscia voti, und d. o. XII, 3: bene 


ı Mörtlich findet fi) der ganze Vers Helinandi Sermo IX. in ramis 
palmarum,, bei Migne, Patrol. CCXI, 556 A. 
® Bol. no H.C.c.9: ad utrumlibet parati erant, vel...vel 


203 


sibi mens conscia!; H.C. 20: ille sibi votorum suorum conscius; con- 
fusa mens Lig.I, 105 und d. 0. IV, 2; Lig. VII, 5: ex diversis venientia 
partibus agmina, und d. o. XIII, 3; vie ex diversis partibus venientes; 
Lig. 1I, 70 (vgl. IX, 557; I, 474): Forsitan hos aliquis, und d. o. XI, 
3 fin.: Hec forsitan alicui; Lig. IX, 133: nec fuit ambiguum, und 
d. o. XUI, 1: non est ambiguum?; Lig. VIII, 612: comparare mer- 
cede, ebenjo d. o. XIII, 3; fehr häufig bona pars — ein gut Zeil Lig. IV, 
280. 383; V, 425; VIII, 211 und H. C. 21 etc. etc.; daneben öfters 
bona portio; magna parte sui Lig. X, 45, und H. C. 17: magna sui 
arte (vgl. Lig. IV, 195: parte sui majore; VI, 330: prima parte sui; 
I, 465: ne qua parte sui); Lig. III, 263: protulit ortu pestifero, 
und d. o. VI, 4: pestifero fetu produxit; Lig. V, 550: cassa virum 
spes utraque lusit, und H. C. 21: cassa fuit spes, dazu wieder Lig. IV, 
419: cassa fuit machina fraudis (cassari H. C. 4); Lig. III, 48: studiis 
nocturna diurnis jungimus, und d. o. VIII, 2: nocturnos diurnis con- 
tinuare laboribus; Lig. III, 1: mistica cene discipulis statuens convivia, 
und H. C. 3: cenans cum discipulis suis... instituit sacramentum; 
Lig. III, 126: exemplum sancire, ebenjo d. o. I, 3; X, 3; fama vulgavit 
Lig. II, 59. 583; VIII, 93, und ebenfo d. o. IX, 10 u. a.; fortuiti casus 
Lig. II, 642, und ebenfo H. C. 25; d. o. VIII, 9; ni fallor und ni falli- 
mur Lig. II. 466; VII, 356; I, 296; V, 536, und H. C. 17; d. o. II, 
3. 4 u. ö.; gens illa Lig. II, 350 u. ö., ebenfo H. C. 8. 11 (4 mal) 17; 
daneben plebs illa; te quoque teste Lig. VII, 151, und: te ipso teste 
d. o. VIII, 4; hostilis rabies Lig. X, 165 und H. C. 10; reputare pro 
nihilo Lig. IX, 534, und reputare pro magno d. o. XI, 2; ostentamina 
vana Lig. II, 312, und ostentatio vana d. o. I, 1; quanto studio .. 
tanto Lig. III, 471, und ebenjo H. C. 14; stulta supersticio Lig. VII, 
664, und ebenſo d. o. VI, 9; miseranda sorte Lig. VII, 97, und misera 
sorte d. o. XIII, 1; si quid... enorme Lig. VII, 155, und aliquid enorme 
d. o. XI, 3; vix tandem Lig. X, 104; IX, 153; VII, 655 u. ö,, und 
ebenjo oft d.o. (XI, 3; III, 5; etc.); Lig. VIII, 486: senium passas leges 
renovare, und H. C. 16: eivitas quasi neglectu et senio ® defuncta per 
te . renovanda est; vivendi cause Lig. III, 111, und ebenfo zweimal 
d. o. V; usu venire Lig. III, 145, und ebenfo d. o. VII, 5; Lig. I, 374: 
non nisi post longos iterum coitura labores (vgl. II, 12) und d. o. III,5: 
vix tandem post multum temporis et laboris rediturus, cf. H.C.23; Lig. 
III, 392: articulos fidei non satis exacta pietate fovere, und d. o. II, T: 
articulos fidei pervertere; Lig. II, 163: tanto affeetu diligit, und H.C, 
13: affectu tanto fovere; omni plena bono Lig. II, 369. 380, und plenus 
omnibus bonis* H. C.18; d.o. VI, 8; belli jure Lig. III, 74, und H.C. 19; 


! mens sibi conscia Lucr. III, 1031; vgl. d. o. XIII, 3: mens boni 

— * conscia; XI, 1: homo suorum sibi conscius malorum; ebenſo 
. ©. 20. 

2 Bemerkenswert ift, daß der Dichter fi) Lig. I, 734 entſchuldigt, er 
habe im Solimarius an einer Stelle gejchrieben versu ambiguo, deshalb 
einen Fehler gemacht; im Prolog der H. C. wird veriprocdhen, nil falsum vel 
ambiguum folle aufgenommen werden, am Schluß des Tractats d. o. 
bittet er um Nadjfiht: si quid in hoc opusculo suspectum vel ambi- 
guum minusve planum occurrerit. Zu den ambigui vultus der For- 
tuna Lig. I, 4 vgl. die Erläuterung über die ambigue rupes d. o. III, 5. 

s senium in demfelben Sinne Lig. VIII, 311: 

veteres sarcire ruinas 
Jussit et annosi senium deponere fati. 
Bon Menſchen Gotifr. Viterb. G. F. 152. 155. Bgl. noch Lig. III, 334. 

* terra referta bonis jagt Gotifr. Viterb. G. F. 396; omne bonum 


204 


digne satis Lig. X, 504, unb d. o. V, 1; expirat morte Lig. III, 54, 
und expirare et moriri d. o. II, 2; invadere regnum Lig. VIII, 398 
und H. C. 14. 

Die Stellen H. C. 18: omnibus bonis uberrimus, und 22: bonis 
omnibus abundare, bezeugen, daß Lig. II, 99 mit Barth! gegen die Ed. 
princ. zu leſen ift: 

Omnibus ingenuis uberrima rebus abundat. 

Weiter: jurgia probra zufawmengeftellt Lig. III, 351, vgl. probris et 
jurgiis insultare H.C. 20; negocia regni magno pertractans studio Lig. 
I, 507, vgl. eirca regni negocia studiis ingentibus occupari H. C. 21; 
publica negocia Lig. II, 353; I, 188. 216, ebenfo H. C. 14; nomen tra- 
here Lig. II, 95. 10; d. o. V (S. 142); fraudis molimina Lig. IX, 332, 
ebenjo H. C. 14; alti sanguinis Lig. I, 597. 634; H. C. 14. 

Die juriftiiche Terminologie in dem Verſe des Mönches Gunther, d. 0.IX, 4: 

Adrogo, qui suus est et habet meus esse necesse, 
feunt jchon der Poet Gunther, Lig. III, 524: 

Dum mea non esses, summo discrimine jussi 

Esse meam: nunc, cum mea sis jam facta, relinguam ? 

Wie beftimmte Gedanken und Wendungen, fo fehren in dem 
Epos und in den beiden profaifchen Werfen gewiffe Wörter auffal— 
lend häufig wieder. Dahin gehört satis, das aber auch fonjt von 
gleichzeitigen Autoren, bejonders Poeten, im Uebermaß angewandt 
wird; weit charafteriitiicher ift certus, certe: in dem ganzen erjten 
Bud von Ottos Gesta Frideriei fand ich e8 nur 5 oder 6 mal, 
in den 1221 Verſen der Gesta Frideriei Gotfrids gar nit. In 
etwa derfelben Zahl von Verſen des Ligurinus, beliebig genommen 
aus Bud) I und IX, zählte ic) e8 18 mal (in den 28 Berjen IV, 
479—506 allein 4 mal), in den 26 Gapiteln der Hist. Const. 
26 mal und im einem entjprechenden Abjchnitt de8 Tractats de 
orat. war die Zahl nicht viel geringer. Wie bei Lucrez, der 
auch Hier zum Mlufter gedient zu haben fcheint, und Vergil wird es 
in allen drei Schriften gern verbunden mit tempus, locus, ordo, 
mors, series, doc) auch mit pignus, spes, fides und anderen 
Wörtern. Ueberwiegend in der Häufigfeit des Auftretens Tiegt die 
BDeweisfraft für die Zufammengehörigfeit der drei Schriften auch bei 
den Beiwörtern validus, placidus, precipuus, fedus, manifestus. 
Uber wer durch die obigen Zufammenftellungen nicht überzeugt ift, 
der wird auch durch Zahlenbeifpiele diefer Art nicht zu gewinnen 
fein. Ich will deshalb nur noch betonen, daß der Wortichag in dem 
Epo8 mit dem der beiden profaiichen Schriften — de orat. al 
theologijch = philofophiiche Arbeit bietet natürlich eine große Zahl von 
Wörtern, die in Lig. und H. Const. nicht angebracht werden 
fonnten, und umgekehrt — aufs bejte harmoniert. Bemerkeus— 
wert hervor treten u. a. noch übereinftimmend die Wörter: af- 
auch 792; plenus fehlt aud) in der Hist. Per., wo e8 ähnlich Heißt c. 15: 
regio bonis omnibus opulenta; c. 22: bonorum omnium copia; c. 25: 
bonorum omnium ubertatem, que humane vite sunt necessaria. 

! Die Ed. princ. hat acerrima, und fo aud) noch Dümge; ©. Paris 
acceptierte von Anfang an uberrima, vgl. Diss. ©. 81; ich meinte früher 


acerrima fefthalten und “ingenuis’ von ‘rebus’ trennen zu müffen, Forſch. 
XI, ©, 243, 


205 


fligere, abrumpere, audire — obedire, animantia, contemptus, 
compendia, commercium, deputare, exaggerare, exsuftlare, 
extenuare, generosus, instrumenta, prodigialis, resarcire, suffo- 
care, immergere, rimari, tenuare, vexare, vitalis, sibi usurpare. 

Gold) ungejuchte durchgehende Uebereinſtimmung zwijchen vers 
fchiedenen Schriften iſt nicht erflärlicy aus einer Benutzung der ei» 
nen durch den Berfajjer der andern, nicht daraus, daß fie ein Pro» 
duct derjelben Schule wären: fie bezeugt die Identität des Berfaf- 
fer. Wo innere Gründe jo deutlich reden, da muß nöthigenfalls 
die jo vielen Zufällen unterworfene äußere Ueberlieferung jchweigen. 
In unſerem Falle aber widerſpricht diejelbe wicht nur nicht dem ges 
wonnenen Nefultat, fondern jie beftätigt dajjelbe: der Name Guns 
ther ijt überliefert mit dein Ligurinus, und ummwiderlegliche innere 
Gründe erhärten die Identität dejjelben mit dein Verfaſſer der Hi- 
storia Constantinopolitana und der Schrift de oratione. 

Was im XIII Bande der Forfchungen über Magijter Guns 
therus gejagt worden behält aljo in allem wejentlichen feine volle 
Geltung: nur was fi) an die Historia Peregrinorum anſchloß ift 
zu entfernen. Trithemius hat wie bei mandjem anderen nun doc) 
auch) bei Guntherus Recht, wenn er ihm außer den poetifchen pro= 
ſaiſche Werfe beilegt, und wohl auch wenn er ihn unter die curia- 
les verfeßt. Gunther, dabei bleibt e8, der gewandte Dichter ? und 
Stiliſt, der tieffinnige Theologe und ſcharfſinnige Philologe, der für 
Kaijer und Reich und das deutſche Volk begeijterte Geichichtichreiber, 
ijt neben Johann von Salisbury der hervorragendjte Vertreter „der 
auf dem Studium des Alterthums beruhenden Bildung im Mittel» 
alter.“ Je näher man ſich mit jeinen Werfen befaßt, dejto mehr 
lernt man ihn jchäßen. 

Hier mögen zum Schluß nod ein paar Berichtigungen? und 
Ergänzungen defjen was früher beigebracht worden Pla finden. 
Herr Profeffor Dr. Loerſch in Bonn? weift in einer fehr dankens— 
werten Mitteilung nad), daß der Forjchungen XIII, S. 300 wie: 
dergegebene Cat Gunthers: „Nach den leges forenses iſt das Gut 
der förperfichen Freiheit fo groß, daß dafür Feine Wertbejtimmung 


ı Paris, Diss. S. 61, fagt von dem Dichter des Ligurinus: Plus libre 
d’allures que Gautier de Chätillon, plus simple et plus correct que 
Gille de Corbeil, il prend avec Joseph d'Exeter le premier rang 
dans ce groupe trop peu étudié de nos jours et qui merite de l’ötre 
d nouvenu. 

2 Die Correctur Martinus licet fl. Martinus Litz, Forſch. XIII, 233, 
fowie die fünf erftien in Note 2 dafelbft find bereits von Basnage im feiner 
Ausgabe gemacht. — S. 293 3.2 von oben lies oder specificae, ft. uud. — 
©. 297 gehängt fl. ans Kreuz geichlagen. Vgl. W. v. Giefebreht, Arnold 
von Brescia S. 29. — ©. 251 3. 2 von unten frequentibus (mit MS) 
fl. sequentibus. — opus Solimarium praenotatum bei Trithem, Forſch. 
XI, 252, heißt „betitelt.“ 

s Bu der Abhandlung Über den Ligurinus im XI. Bande ber for» 
fhungen vgl. denfelben in Reuſch, Literaturblatt 1871, Sp. 29. 


206 


gegeben wird (ut aestimationem non capiat)“, nicht nad) dem 
Sprachgebrauch deutjcher Rechtsquellen mit „Wergeld“ zu erklären ift, 
fondern daß hier wie überall, wo er auf die leges forenses hinweiſt, 
Gunther fih eng an den Sprachgebrauch des römischen Rechts an- 
fchließt. „Die Stellen die ihm hier vorjchwebten“, Heißt es, „Find 
nämlih: L.1, $.5 und Tin fin. Digest. de his, qui effuderint vel 
dejecerint, 9, 3. Lex 1,5 lautet: Sed cum homo liber periit, 
damni aestimatio non fit, quia in homine libero nulla corpo- 
ris aestimatio fieri potest. L. 7 i. f.: Cicatricum autem aut 
- deformitatis nulla fit aestimatio, quia liberum corpus nullam 
recipit aestimationem — jene ſtammt aus Ulpians, diefe aus 
Gajus Schriften. Auch die übrigen a. a. DO. uritgetheilten jurijti= 
ſchen Ausführungen Günthers würden fich unzweifelhaft ebenfo Leicht 
aus den Pandecten belegen lafjen“. Die Bemerkung von Loerſch iſt 
in jeder Hinficht richtig: auch alle die andern verzeichneten Stellen, 
über Sclaverei, Adoption, Commercium, Stipulationen, und mehr 
noch finden ſich, meiſt wörtlih, in den Amjtitutionen und Digeften, 
aus denen auch verfchiedene Stellen im Ligurinus direct erläutert wer— 
den müſſen. 

Aus den Fortjegern von Moreri Dictionaire historique hat 
Petit-Nadel in der Hist. litter. de France, Bd. XVII, ©. 287 ff., 
bedauernd daß die Quelle nicht genannt fei, verzeichnet, Gunther jei 
im März 1223 gejtorben . Das Dietionnaire hat aber wahrjceinlich 
feine Notiz aus der Vorrede des Ganifius zu feiner Ausgabe der 
Historia Constantinopolitana entlehut, wo e8 am Schluß heift: 
decessit anno incarnati verbi 1223, undeeima Marti. Dieje 
Worte beziehen ſich aber nicht auf Gunther, fondern auf den von 
ihm im 25. Gapitel genannten Bischof Heinrich Graf von BVeringen. 
So dürfen wir denn bei unferer Vermuthung bleiben, daß der am 
Schluß der Schrift de oratione über ſchwere Förperliche Leiden kla— 
gende Magifter Guntherus bald nach 1212 geftorben fei. 

Die Echtheit des Ligurinus ift nunmehr allgemein anerkannt 
bei den docti, 

quorum tutandus amore 
Atque fovendus erit (Lig. X, 615); 
möge nun auch in Bezug auf diefe Kundigen der für Kaifer Fried» 
rich berechnete Wunfch des Dichters ſich erfüllen, daß fie anerkennen: 
nomen et auctorem (X, 625). 


ı Bol. Paris Note 57; Forſch. XIII, S. 275. 





Ueber eine coronica principum Misnensium und einige 
verwandte Ouellen zur Gefchichte des dreizehnten und vier- 
zehnten Jahrhunderts. 


Don 9. Ulmann. 


Neue Ausgaben wichtiger Quellen und Bearbeitungen von bes 
rufener Hand haben neuerdings dunflere Partien in der älteren Ge— 
ſchichte des Wettinſchen Fürftenhaufes und der demfelben untergebenen 
Lande aufgehellt. Noch aber ijt erft der Grund gelegt. Hauptſächlich 
die größeren Werfe find kritiſch unterfucht worden. Noch Harren 
‚eine Anzahl Heinerer Aufzeichnungen der eingehenden Prüfung und 
Berwerthung. Einen Beitrag zu diefer Aufgabe follen nachfolgende 
Zeilen geben. Nur, auf einen jolhen, nicht auf eine völlig abjchlie= 
gende Behandlung der einjchlägigen Fragen konnte bei dem Mangel 
an Hülfsmitteln und bei der weiten Entfernung des Verfaſſers von 
den literarifchen Schäten der Heimath deſſen Abſicht gerichtet fein. 

Mende Hat im zweiten Band feiner SS. rerum Germ. eine 
in deutiher Sprache verfaßte Aufzeichnung herausgegeben, welcher 
er den Namen eine® Chronicon parvum Dresdense giebt‘. Er 
begründet das (praef. X) durch das öftere Vorkommen diefer Stadt. 
Am Rand feines Coder fteht zwar: videtur esse chronicon Oscha- 
sense, doc) weilt er das mit Necht zurüd. Die Mendejche Hand» 
Schrift, früher im Dresdener Archiv, befindet ſich jet auf der könig— 
lichen Bibliothek dafelbft (I. 46). Sie beiteht aus einer einzigen Yage 
Pergament und enthält auf Blatt 1—9* eine legendenhafte Erzäh- 
lung über die heilige Helena. Bon der Mitte des angegebenen 
Blattes bis Blatt 10% folgt unfere Chronif, von der auf meine 
Bitte Herr Arhivar von Poſern-Klett eine genaue Abjchrift mir ans 
fertigte. Mitteljt derjelben kann ich eine Anzahl bei Mende verderbter 
Stellen herjtellen, wenn auch mehr, Fehler, als ich zuerjt glaubte, 
auf Rechnung des Abfafjers zu jegen find. 

Die Quelle führt den von Mende weggelaffenen Namen: Co- 
ronica prineipum Misnensium. Der Mendejche Titel 


ı ©. 345— 350. Der vollftändige Titel lautet: Chronicon parvum 


vernaculum rerum in Misnia ab a. 1175. ad a. 1349, quod non imme- 
rito Dresdeuse dici posset. 


208 


ift jedenfall8 ungenau. Denn nit 1175 ift das Anfangs- 
jahr. Es ift das nur die zuerjt vorfommende Jahreszahl. Die Er- 
zählung beginnt aber mit Konrad dem Großen, aljo, da es fih um 
feine Gemahlin Handelt, zwifchen 1116—1119. Daß die Chronif 
in Dresden entitanden ift, daran zweifle auch ich nicht. Syedenfalls 
it die HS. da zufammengejtellt!. Die Chronik ift fehr durch 
Fehler entitellt, die ihren Werth zweifelhaft machen. Um jo mehr 
ift eine Prüfung und Scheidung der weit zahlreicheren, nicht fofort 
als irrtHümlich erkennbaren Angaben geboten. Wenn es gelänge auf 
diefe Weife der Vorlage wieder näher zu kommen, fo dürfte dieje 
Aufzeihnung, die nicht vor dein letten Viertel des vierzehnten Jahr— 
hunderts gejchrieben iſt, doch einen eigenthümlichen Werth erlangen. 
Diefelbe ift neuerdings befonders von Wegele? benußt worden, doch, 
wie mir fcheint, im zu willkürlicher Weife. Aber gerade fein Vor— 
gang hat gezeigt, an wie manchen Bunkten diefe Quelle unjere Kennt— 
niß jener dunfeln Zeit fürdern kann. 

Die 'Coroniea’ hat es weſentlich mit den Vorfahren und Nach— 
fommen Heinrichs des Erlaucdhten zu thun. Die Söhne Konrads des 
Großen werden, befonders in ihrem Klofterftiftenden Eifer, genannt, 
aber blos Ditos Nachfommenfchaft wird weiter abgeleitet. Die weit- 
aus meilten Nachrichten betreffen die thüringifch = oberfächfiichen Ge— 
biete. Nur zu fünfzehn Fahren werden ganz Furze Notizen aus der 
Reichs- und Kirchengeichichte gegeben. Die meijten derjelben ſiehen 
in naher Bezichung zu den Geſchicken der Wettinſchen Lande ?., Von 


ı Herr v. Pofern-Klett theilt mir brieflich folgendes mit: „Daß die HS. 
in Dresden entftanden, ergiebt ſich aus einzelnen Cinträgen, der Tödtung 
der Thüringer auf dem Wiliichen (Wilsdruffer) Thor, verichiedenen Altarftiftungen 
u.a. m. Da die HS. zum %. 1236 erwähnt, daß Conftancia aus Defter- 
reich ein Stück des heiligen Kreuzes nad) Dresden gebracht habe (weiches fpäter 
das größte Heiligthum der hiefigen Kreuzkirche bildete), fo könnte man der Ber» 
muthung Raum geben, daß die Verbindung der Legende von der heiligen Helena 
ber Kreuzfinderin mit der Chronik Feine zufällige, daß vielleicht die HS. für 
die hiefige Kreuzfirche angefertigt worden fei”. Ich muß nur Hinzufügen, daß 
diejelbe Notiz ſich auc) findet in dem fpäteren Chron. terrae Misnensis bei 
Menken III, 324. 

2 Friedrich der Freidige. Wegele nimmt Angaben auf das alleinige 
Zeugniß derielben auf, 3.8. zum $. 1305 (S. 265) und verwirft dann wieder 
die beftimmteften Daten, 3. B. das Jahr 1268 als Termin der Bermählung 
Dietrichs von Landsberg mit Helena von Brandenburg (S. 355). Letztere Ans 
gabe ift hefauntlich wichtig für die Frage der angeblichen Verheirathung Kon— 
radins. Diefelbe, welche ich in den von mir geleiteten hiftoriichen Uebungen an 
biefiger Univerfität unterfuchen ließ, ‚gab mir die Beranlafjung mid mit dem 
fogenannten Chron. Dresd. eingehender zu beichäftigen. Vgl. aud) Raumer, 
Hohenftaufen IV, 407, und Klöden, Waldemar I, 410. 

s 1205. Auffommen des Predigerordens. 

1206. Aufkommen des Barfüßerordens. 

1245. Tod Friedrichs von Oeſterreich (Bruder der Conftancia). 

1278. Tod DOttofars von Böhmen. 

1292 (sic). Tod Rudolfs von Habsburg, Wahl Adolfs (in den fol- 
genden Jahren feine Feldzüge gegen die Wettiner). 


209 


Konrad dem Großen bis zum Tode Friedrichs des Ernjthaften werden 
Geburten, Verheirathungen, ZTodestage der Wettinichen Fürften mit 
wechjelnder VBolljtändigfeit verzeichnet , dazwifchen Kriege und fonftige 
Vorkommniſſe, als Yudenvertreibungen, Auftreten der Flagellanten, 
Hungers- und Wajjersnöthe, Klofterjtiftungen und einzelne Angaben 
über die geiftlihen Herren in Magdeburg und Meißen. Nicht Yahr 
für Jahr berichtet regelmäßig die Quelle. Abgefehen von den ein- 
leitenden Sätzen fommen Zwijchenräume von zwei, drei, ja bis zu 
zwölf jahren vor. Die Nachrichten find von der Geburt Heinrichs 
des Erlauchten an mit dem Jahresdatum verjehen, vom Jahr 1270 
ab öfter auch mit genauer Bezeichnung des Tages. Die Yahres- 
zahlen find oft unrichtig, doch vielleicht zum Theil nur durch Ber: 
fehen des Abjchreibers. Denn, wenn man die Zahl verbejfert, wird es 
in der Regel nicht nöthig, nun auch die Reihenfolge der chronologiſch 
folgenden Ereigniffe zu vertaufchen. Freilich find eine Anzahl Fehler, 
bejonders Namenverwechfelungen , offenbar die des Verfaffers. Denn 
nicht eine Neihe nad) und nach entjtandener annähernd gleichzeitiger 
Notizen liegt Hier vor. Das Ganze iſt nad) Schreibart und Haltung 
offenbar von demfelben Verfaſſer geſchrieben. Diefer muß daher 
bei der Länge des behandelten Zeitraumes nad) anderweitigen Vorlagen 
gearbeitet, diejelben, wie c8 wahrjcheinlich ijt, überjegt und excerpirt 
haben. Die Uebertragung aus dem Latein würde am Beſten manche 
Fehler, Entjtellungen von Namen, die dem Gefichtsfreis des Lleber- 
jeger8 fernlagen, erflären!. Der Wunſch, eine bequeme deutfche 
Ueberſicht zu haben, ‚Hat vielleicht die Entjtehung veranlaßt. Es find 
uns dadurd eine Anzahl ſonſt verlorener Angaben erhalten geblieben. 
Welches ift nun diefe Vorlage? Iſt fie erhalten, oder kann man 
wenigitens auf fie zurücjchliegen ? 

Dank den Bemühungen von Wait befiten wir jest eine Ausgabe 
der jogenannten Annales Veterocellenses, welche die verfchiedenen 
Beitandtheile diefer vom 9. bis ins 15. Jahrhundert reichenden Quelle 
genügend fondern läßt. Es ift möglich geweſen, die Hände des 12., 
13., 14. Jahrhunderts paläographifch zu fcheiden ?. Ich glaube nun 


1297. Adolfs Tod. Wahl Albrechts. 
1304, Bergiftung Wenzels von Böhmen. 
1306. Ermordung des Königs von Böhmen zu Olmütz; der Herzog 
von Defterreih nimmt Böhmen ein. 
1308. Ermordung Albrechts. Wahl Heinrichs. 
1313. Tod Kaiſer Heinrichs. Doppelwahl. 
1316. Wahl Papft Johanns XXII. 
1322. Sieg Lubwigs von Baiern. 
1324. Johann XXI. predigt den Krieg wider Ludwig. 
1334 Tod Johanns XXL. 
1346. Wahl Karls IV. 
2 Auf eine Tateinifche Vorlage deutet diveft nur ein beibehaltenes Wort 
3. J. 1258: Dtto prefectus von Donyn. 
2 Mon. Germ. hist. SS. XVI, ©. 41 ff. Lorenz, Deutſchlands Ge- 
Ihichtsquellen S. 141 Anm. 2, möchte fie lieber als notae bezeichnet wifjen, was 


XIV, 14 


210 


nachweiſen zu fönnen, daß eine ziemlich enge Berwandtichaft beiteht 
zwifchen diejen Annalen und unjerer Chronif. Möglih, daß der 
Berfajier der letteren eritere direft für jeine Zwecke überjest hat ; 
wahrfcheinlicher ilt es mir aber, dar Bejitandtheile der Ann. Vetero- 
cell. bereitS vorher in eine andere Duelle übergegangen waren, aus 
der der Verfaſſer unjerer Chronif diejelben zujanımen mit Nachrichten 
anderer Abjtammung herübernahm. 

Eigenthümlich iſt es gleich, dag von den ſechs Söhnen Konrads 
des Großen in beiden Quellen nur diefelben vier, welche die öfter 
Gelle, Zichillen, Doberlug, Brena geitiftet haben, namhaft gemacht 
werden. Gbenfo die Gründung von Altenzell 1175: zugleich die 
erite Jahreszahl, welche in der Coronica vorfommt. Doch fann 
man darauf und auf eine Reihe ähnlicher, übereinftinimender Angaben 
über Geburten und Todesfälle, die in localen Chronifen nicht fehlen 
dürfen und der Natur der Sprache gemäß Anklänge zeigen mülfen, 
Tein großes Gewicht legen. Diefelben erregen in unjerem Wall nur 
die Aufmerfiamfeit, weil ihre Anzahl im Berhältnig zu dem übrigen 
Inhalt der beiden Quellenichriften eine recht große it. So finden 
fi) in den Ann. Veteroe. gleichzeitige Eintragungen zu den %. 1243 
(Zod der Gonitancia), 1246 (Tod Friedrichs von Dejterreich), 1258 
(Zod Biſchof Albrehts von Meiken), und von der Hand des vier- 
zehnten Jahrhunderts zu dem Jahre 1218 Geburt Heinrichs des Er— 
fauchten, 1220 Tod Dietrichs des Bedrängten, 1240, 1242, dann 
1256, 1257, 1260 Geburt Albrechts des Unartigen, Dietrichs des 
Weifen, Heinrichs von Altenburg, Friedrich des Freidigen und Diez- 
manns, welche ganz den Angaben der Coroniea entiprehen. Auf— 
fälliger und entjcheidend find die Berichte über das folgende Jahr— 
zehnt. Ach muß diefelben gegenüber jtellen?: 


1; 
Annales Veterocellenses: | Coronica princip. Misnens. vulgo 
Dresd.: 
1261... Flagellatores in hac| Alz man schreib 62 vortreb 


et aliis terris fuerunt. Hos | bischof Albrecht dy busere dy do 
episcopus Albertus excommu-|gyngen mit pyczen. 
nicavit et de terra expulit. 


2. 


1263 ...6. Cal. Novembris| Alz man schreib 63 langrave 
Albertus lantgravius et Theoderi- | Albrecht und margrave Fride- 
cus marchio de Landesberg fratres| rich (sie) von Landisberg stritten 
congresi cum duce Alberto de | myt herezogen Albrecht von Bruns- 
Brunswik apud castrum Witin, wig ezu Wyttyn unde vingen yn 


auch zur Unterſcheidung von den großen Altenzeller Arınalen bequem wäre. 
Seinen Zweifel hingegen, ob die Unterfcheidung der Jahre (fol heißen der 
Hände) verläßlich fei, darf man wohl einfad) übergehen. 

\ —— in beiden Quellen mache ich durch geſperrten Drud 
enntlich. 


211 


Annales Veterocellenses: Coronica princip. Misnens. vulgo 
Dresd.: 
ceperunt eum cum multis arma- |unde myt ym wol ezweyhun- 
tis; inter quos erant precipuildert man, unnder den waz grave 
Heinricus comes de Anhalt et co- |Heynrich von Anhalt, Kuncze von 
mes Gunzelinus de Swerin et filius | Swerin unde syn son unde vil 
ejus et alii quam plures nobiles. |ander gute lute. 


3. 


1266. Obiit Albertus — Alz man schreib 66 starb bi- 
m us Misnensis ecclesiae episcopus !schof Albrecht czu Missen. 
Cal. Augusti. | 


4. 


1268. 6. Idus Octobris obiüt| Alz man schreib 68 starb mar- 
marchionissa Agnes. gravynne Angnes; in dem jare 
1269.... Fridericus, filiu/nam margrave Ditterich der 
Theodorieci marchionis de Landes- | wyse dez margraven tochter 


berg, nascitur anno 1269. - von Brandenburg, myt der 
|hatte her margraven Friderich 
|Tuten. 
5. 


1270. Margareta nobilis domina | In dem 70 jare weych dy 
lantgravia Thuringiae, filia jedele vrowe Margarita von War- 
Friderici imperatoris, fugit die s.|tynberg, keyser Friderichez 
Johannis baptistae, obiitque 6. Idus | tochter, an sente Joannes tage dez 
Augusti eodem anno. touferz unde starb darnach an sente 

Cyriacus tage. 


(Beide Daten fallen auf den 8. Auguft). 

Ich bemerfe, daß für den angegebenen Zeitraum mit diefen No— 
tizen der Text der Coronica erichöpft ilt; die Ann. Veteroc. enthalten 
noch einige weitere Notizen zur Papftchronologie, eine Sonnenfinfter= 
niß, die Nachricht über Konradins Hinrichtung und einen in unferm 
Texte unvollendeten Satz, der etwas über Yeipzig auszufagen fcheint. 
Dod) treten fie an Länge hinter den ausgezogenen Stellen jehr zurüd !. 
Dieje werden feinen Zweifel darüber erlauben, daß in die Vor— 
lage der Coronica die Ann. Veteroe. mit hineingearbeitet waren. 
Die Abweichungen find meijt unbedeutend oder leicht zu erklären. 
Unter Excerpt 2 iſt „Friedrich“ einfacher Textfehler für „Die— 
trich“. Auffälliger it die genauere Bezeichnung der Zahl der Gefan- 
genen. Diefelbe mag, wie unter 5 die Wartburg, aus anderweitiger 
Kenntniß Hinzugethan fein. Die weniger umftändliche Perjonenbe- 
zeihnung und die minder fpecielle Datirung der Coronica- fann 
nicht auffallen. Schwierigkeit maht nur die Abweichung unter 4. 
Gerade diefe Stelle dient neben einigen anderen Erfcheinungen zur 


1Oben find die Auslaffungen durch Punkte kenntlich gemacht. Dazu im 
$. 1265 ganz felbftändige Nachricht über Clemens IV. 


14 * 


* 


212 


Stüte meiner Anficht, daß nicht in der uns vorliegenden Geftalt die 
Ann. Veteroe. benutzt worden find. Ich werde darauf zurüdfommen. 

Auch nad) 1270 und bis zum Schluß bleibt bei vielen Nach— 
richten die enge Uebereinſtimmung beider Quellen bemerkbar , außer 
einer Anzahl blos genealogischer Notizen, 3. B. 1315, 1316, 1325, 
1335, 1342, 1346. Zum Jahr 1349 haben 


Ann. Veteroc.: Coronica: 
Dominus Fridericus marchio In demselben jare starb mar- 
Mysnensis obiit. grave Friderich an sente Ylse- 
| beten abunde. 





Es iſt das einzige Mal, daß der Verfaffer der Coronica genauer 
datirt als die Annalen. Es bejtärkt diefe Angabe daher die Annahme, 
daß er den Todestag Friedrichs des Ernſthaften erlebt Hat. 

Das Gefagte wird genügen, ſonſt könnte man bei der Kürze vieler 
einzelner Stellen nod) Gewicht legen auf das jtatiftifch überwiegende 
Berhältnig der übereinftimmenden Stellen zu den nicht benutzten in 
diefem Theil der Altenzeller Annalen. 

Ich habe oben unter den aus den Ann. Veteroe. ftammenden 
Stellen eine Anzahl Geburtstage Wettinfcher Fürſten namhaft ges 
macht, die erjt von der Hand des 14. Jahrhunderts eingetragen find. 
Es bleibt möglich, daß diefe Angaben aus einem bejonderen genea— 
logischen Breviarium, wie e8 deren gab, in die Coronica gefommen 
find. Gerade hier zeigt diefelbe falfche, von den Annales abweichende 
Sahreszahlen, 3. B. die Geburt Dietrichs von Landsberg zu 1240 
ftatt 1242. In diefem Fall wären nur die gleichzeitigen (in den 
Text bei Perg recipirten) Eintragungen benugt. Diürfte man daraus 
ſchließen, daß die Vorlage unſerer Coronica entſtanden ſein muß zu 
einer Zeit, in der jener Interpolator des vierzehnten Jahrhunderts 
noch nicht Gelegenheit gefunden Hatte, feine Einfchaltungen zu machen ? 
Es wird num nothwendig, die Trage zu erweitern. Giebt es feine 
Spur mehr von jener Quellenfchrift, welche die Brücke bildet zwifchen 
den Altenzeller Annalen und unferer Chronif? Suchen wir zunächft 
nad) Berührungspunften der letsteren mit anderen Quellen. Ich muß 
dazu etwas weiter ausholen. 

Dpel hat nachgewieſen, daß der von früheren Herausgebern ge— 
druckte Appendix zur Yauterberger Chronik ein felbjtändiger Libellus 
de gente comitum Wettinensium fei und als Quelle für erjtere 
gedient habe!. ‘Derfelbe hat ferner darauf aufmerffam gemacht, 
daß nicht diefer Libellus ſelbſt, fondern eine Fortfegung dejjelben zur 
Duelle gedient hat für das große Chronicon Veterocellense, das 
im Anfang des 15. Jahrhunderts von dem Leipziger Profejjor Tylich 
zufammengefetst wurde?. Jene Fortfegung, die von Manchen fäljch- 


ı 3.08. Opel, Das Chronicon Montis Sereni fritifch erläutert S. 19 ff. 
Bol. Cohn in den Göttinger Gel. Anz. 1860 ©. 847 ff. 

2 ©. 27 und 66. Weber das Verhältniß felbft kann Fein Zweifel fein. 
Dies Chron. Veterocell. (id) nenne e8 jo zur Unterfcheidung von den obeu 


' 213 


lich für eine fchlechte Haudfchrift des Chron. Veteroe. gehalten wurde !, 
ift im recht Liederlicher Weife herausgegeben worden von %. P. de 
Ludewig unter dem höchſt fonderbaren, offenbar verderbten Titel eines 
Catalogus brevis lantgravii Thuringiae et archiepiscopo- 
rum Misnensium ?, Diejer zerfällt naturgemäß in drei Theile: 1) 
einen Eingang, S. 172—174, enthaltend eine fabelhafte Abſtammung 
der Wettiner von Wittefind, der als Gründer Wettins und Witten- 
bergs hier bezeichnet wird — diejes iſt das Werf des Verfafjers; 
dann 2) im einen Rumpf, S. 174—184 oben, der lediglich eine 
durd) Fehler verunzierte Wiedergabe des Libellus ift; endlich 3) eine 
Fortſetzung des legteren, ©. 184—186. Der Catalogus im Ganzen 
umfaßt demnad) die Periode von etwa 785—1346; der letzte Theil, 
mit dem wir e8 hauptlächlich zu thun Haben, von 1220, dein End» 
punft des Libellus, bis 1346, beginnt recapitulirend mit Dietrich dei 
Bedrängten, dem Vater Heinrich! des Erlaudhten, ©. 184. Bon 
dieſem Dietrich, feiner Vermählung, feinen Kindern war ſchon vorher 
die Rede (S. 181), wojelbft der Libellus ausgefchrieben iſt (Eckſtein 
©. 187). Lebterer — ein glänzenderes Zeugniß für feine Gleich— 
zeitigfeit, wenn es deſſen bedürfte, könnte e8 gar nicht geben — 
weiß, obwohl feine lette Nachricht vom Yahre 1220 ift, nichts von 
dem 1221 unter Vormundſchaft erfolgten Pegierungsantritt des 
1218 geborenen Heinrih. Er nennt ihn gar nicht unter den Kin— 
dern Dietrihs. Die Fortfeßung mußte daher, wenn fie ihre Vor» 
lage nicht umarbeiten wollte, den abgerijfenen genealogifchen Faden 
an diefer Stelle wieder aufnehmen. Dieſe Fortſetzung unterfcheidet 
fih nun vor allem in Einem von dem urfjprünglichen Libellus: bis 
zum Jahr 1346 giebt fie die Thatfachen ohne Jahreszahlen, was, 
wie wir gleich fehen werden, Unrichtigkeiten zur Folge hat. 


befprochenen Annal. Veteroc.) umfchreibt die Angaben des Libellus, während 
jene Fortjegung diefelben wörtlich wiedergiebt. Dazu ändert erftere8 auch zu 
Gunften feines genealogischen Planes die Reihenfolge, Bon den Söhnen des 
Grafen Dietrich (F 1034) werden nicht wie im Libellus und feiner Fort] e⸗ 
tzung die beiden Erſtgeborenen auch zuerſt beſprochen, ſondern die Linie Thie— 
mos von Brena, der als Großvater Konrads des Großen Stammvater der 
ſpäteren Wettiner wurde, geht voran. 

ı Nicht nur von Adelung, wie Opel anführt, ſondern noch in Potthaſt's 
Bibliotheca hist. 139. 

? Reliquiae manuscr. VIII, 172 ff. Vgl. Archiv für ältere deutiche Ge- 
ſchichtskunde XI, 382. Die hier beichriebene Hannov. Handſchrift Scheint diefelbe zu 
fein, die Ludewig von dem Freiherrn v. Plotho erhielt (S. 42). In beiden 
gehen dem Catalogus zwei fremde Stüde: De Welpone duce Austriae und 
Quomodo Saxones primo venerunt ad terram Saxoniae, voraus, und es 
folgt das Chron, Veterocell. nad. — Letzteres benutze ich in der Ausgabe 
- Mendes, SS. rer. Germ. II, 377 ff. Opels in ben „Mittheilungen der 
deutſchen Geſellſchaft zur Erforihung vaterländifcher Sprache und Alterthümer“ 
längft gedruckte, aber unbegreiflicherweife durch die Nedaction noch nicht ausge: 
gebene Ausgabe, auf welche trotzdem Einzelne recurriren durften (3. B. Th. 
—5— in ſeiner Ausgabe des Nicolaus de Bibera S. 148), blieb mir unzu— 
gänglich. 


2i4 


Ich Habe angegeben, daß der Catal. bis 1346, bis zum Tod 
der Marfgräfin Mathilde (1346) reihe. Was bei Ludewig von 
8. 34 an folgt, jcheint mir jpätere Zuthat. Die hier mitgetheilten 
Thatjahen würden die Abfafjung bis ins Jahr 1431 hinabrüden 
(Tod Aunas, Gemahlin Friedrichs des Friedfertigen, Cohn Tafel 61): 
das ijt aber unmöglich, weil ja der Catal. Tylichs Vorlage geweien 
ijt!. Diefer Verfaſſer des Chron. Veteroc. fennt die Nachrichten 
de8 Catal. auf) nur bis zum Tod der Mathilde. Die weitere 
Fortſetzung, die er bringt, jteht mit dem bei Yudewig gedrudten 
Schluß des Catal. in feinem Zujammenhang, fie Handelt von Friedrid) 
dem Strengen und jeiner Nachkommenſchaft. 

Der Catalogus ſcheint in Altenzell verfertigt zu fein. ©. 185 
wird von Friedrid) dem Ernfthaften berichtet: qui edificavit 
capellamin honore sanctiAndree apostoli et duxit 
Mechtildam filiam Lodowiei V. imperatoris. Aus dem Chron. 
Veteroe. Tylichs wijjen wir (S. 415), daß dieſe Kapelle in Altenzell 
erbaut ward. Nur ein dortiger Inſaſſe konnte jo ohne weitere Orts— 
bezeihnung diefe Angabe machen. Näheres über das Verhältniß 
der beiden genannten Quellen würde hier zu weit führen. Uns ins 
terejjirt nur der Catalogus und vorzugsweile fein letter Bejtand- 
theil. Ich Halte es für in hohem Grade wahrſcheinlich, daß der lekt- 
genannte auf diejelbe Duelle zurückgeht wie unfere Coronica prinei- 
pum Misnensium. {ch jtelle mir das Verhältnig folgendermaßen vor: 

Ann. Veteroc. X 


— 


Coronica pr. M. Catalogus 


Chron. Veteroe. 


Unter X verjtehe ich eine verlorene Fortſetzung des Libellus, 
deren Angaben glei) dem uriprünglichen Theil des letsteren mit ges 
nauen Daten verfehen gewejen jein müfjen. Die Ann. Veteroc. fünnen 
nicht hineingearbeitet gewejen fein, weil der Catal. ſonſt dod) irgend 
eine Beziehung auf diefelben enthalten müßte. Der Coronica ihrer- 
jeit8 ftanden außerdem noch Dresdener Localnadhrichten zu Gebote. 
Diefe vorerji bei Seite lajjend, glaube ich den Beweis der gemein- 
ſamen Abjtammung der Coronica und des Catalogus von X in 
Folgendem zu erfennen: Fehler der Coronica werden durch Heranzies 
hung des Textes des Catal. verjtändlih. Es iſt früher gejagt, daß 
die Einleitung der Coroniea fi) nur mit denjenigen Nachkommen 
Konrads des Großen beichäftige, welche direft auf Heinrich den Er— 
lauchten führten. Nur eine Ausnahme wird gemacht zu unten 


ı Diejer fchrieb bei Lebzeiten Friedrichs des Streitbaren (FT 1428) und 
Wilhelms des Reichen (F 1425), Denn er nennt faft am Schluß ©. 415 
Friedrich den Etrengen pater principum nostrorum. Den dritten der 
Brüder, Georg, bezeichnet er ein paar Zeilen fpäter al® Georgium jam mor- 
tuum. 3 


215 


Dedos von Rodlis. Eine Tochter deifelben, Agnes, vermählt mit 
Berthold von Meran, hatte ſechs Kinder; unter diefen eine Tochter, 
die, wie es der Catal. S. 182 aus dem Libellus ausfchreibt , ver= 
heirathet ward dem Hinrico duci Slesiae in Polonia. Nur 
hieraus ift da8 Mifverftändnig der Coronica zu erklären, wenn fie 
diefe Tochter an den „herczogen von Polen“ vermäplt fein läßt. 

Aehnlich ein paar Zeilen weiter. Da berichtet unfere Coronica, 
Dtto, älteſter Sohn Konrads des Großen, habe Hedwig „hercezoge 
Albredk tochter von Sachſen“ zur Frau genommen. Ein 
Blid auf den Catalogus, der auch hier den Libellus ausjchreibt, 
macht das Mifverjtändnig fofort far. Da heißt e8 S. 180: Hed- 
wigam fillam Alberti marchionis Brandenburgensis 
de Saxonia. Tiefe. ung leicht verjtändliche Bezeichnung Albrechts 
des Bären war dem Berfafler der Coronica unbefaunt , Bon DOttos 
Sohn Dietrich dem Bedrängten an beginnt nun, wie mitgetheilt, im 
Catalogus die eigentliche Hortiegung. Von ihm an bis auf die erjte 
Bermählung Friedrich des Freidigen finden fich die Angaben des 
Catal. aud) in der Coronica wieder. Freilich find dielelben ſtyliſtiſch 
jo fnapp, daß eine Evidenz ſchwerlich ic) gewinnen lajjen wird. Auch 
fehlt e8 nicht an Abweichungen, wie in ven Beinamen, die fi wohl 
aus den localen Einflüffen erklären, unter denen beide Ableitungen 
von X zu Stande gekommen find. Dietrich) von Yandsberg heißt 
im Catal. pinguis, in der Coronica der Weiſe; Heinrich der Er- 
lauchte dort illustris princeps, hier der milde Fürft?. Dazu 
fommen in der Coronica offenbare und vermuthliche Leſe- oder 
Schreibfehler des Verfaſſers. So kann über den Entftejungegrund 
des Fehlers fein Zweifel fein, wenn 1313 Friedrich von Dejterreic) 
„Hannus“ von Baiern als Rival gegenübergeftellt wird; denn 
1322 wird des Kampfes der beiden Prätendenten unter ihren richtigen 
Namen gedacht. Ebenſo verhält es ſich mit einigen anderen Namen, 
345 Harnsberg Statt Heinsberg’, ebendaf. Heinrich ſtatt Friedrich 
von Brena; ferner zum Jahr 1256 „dez herezogen tochter von 
Flozill“ (? Mende: Nozill) ftatt üliam ... dueisSlesiae; 1263 
Markgraf Friedrich ftatt Dietrich) von Yandsberg; 1273 Heinrich 
von Dresden ftatt Friedrich. Nicht deutlich ift e8 mir geworden, 
welchen Ort 1322 „Yutenriez“ bezeichnen joll, an dem die Verlobung 
Friedrichs des Ernthaften oder des Jungen, wie ihn die Coronica an 
diefer Stelle nennt, mit einer Tochter des Königs von Böhmen er— 


1 Der Libellus ſelbſt (Edftein 186) hat einfach: marchionis de Saxonia. 
S. aud Heinemann, Albredht der Bär S. 282. 

2 Auch für Fürften, die im Catal. feine Kofenamen führen, hat joldhe 
die Coronica, und zwar zum Theil von der herfüömmlichen Bezeichnung abwei: 
ende: Dietrich der Lahme (F 1315) heißt hier der Hinfende; Friedrich der 
Ernfthafte (geb. 1310) der Magere. 

? Der Catal. madıt aus dem Himisberg des Libellus jogar Hunol- 
desburg. 


216 


folgt jei’. Auf einfacher Verwechſelung beruhen dagegen wieder die 
Geburtstage der vier Söhne diefes Friedrih. Diefelben find unter 
einander vertauscht ?. 

Die wenigjten und umbedeutendjten der aufgezählten Fehler 
fommen übrigens in Betracht für das Verhältnig zum Catal. Nur 
des Zufammenhangs und der Volljtändigfeit halber habe ic) diejelben 
hier eingefügt. Auch der Catal. hat Berjehen, die die Coronica nicht 
fennt, wie die faljche Reihenfolge der drei Frauen Heinrichs des Er— 
laucjten, die Nennung Dietrich vor Albrecht dem Unartigen. Dod) 
ift ja von einer direkten Benutung nicht die Rede, nur von einer 
gemeinfamen Grundlage. Die Annahme einer folchen kann bei der 
ichlechten Handjchriftlichen UVeberlieferung beider Ableitungen durch eine 
Handvoll Fehler nicht alterivt werden. 

Gehen wir nun zur Vergleihung über. Schon bei Dietrid) 
dem Bedrängten und feinem berühmteren Sohn Heinrid) findet eine 
Uebereinftimmung ftatt. Doc) ift diefelbe weniger auffallend, da die 
Coronica, hierin vermuthlich der Vorlage getreulich fich anſchließend, 
die Thatfachen chronologiſch auf einzelne Jahre vertheilt. Bon Hein- 
rihs Söhnen hat die Coronica eine Anzahl chronologisch eingeord- 
neter Notizen, die zum Theil auch in den Ann. Veteroc. begegnen, 
welche im Catal. fehlen; der Juhalt der letzteren findet ſich dagegen 
in der erjteren wieder. 


Catalogus $. 32: Coronica p. M.: 
Theodericus vero marchio de) Alz man screib 68 (f. oben S. 211 
Landisberg duxit uxorem He-|den Bergleid) mit Ann. Vet. unter 4) 
lenam, filiam marchionis Bran- |in dem jare nam margrave Ditte 
denburgensis, de qua genuit Fre-|der wyse dez margraven tochter 
dericum marchionem Misnensem !von Brandenburg, myt der hatte 
nomine Tute. |her margraven Friderich Tuten. 


Mit Ausnahme der gleichgültigen in der Coronica fonft fchon 
genannten Titel und des Beinamens Dietrichs hat jede der beiden 
Duellen ein Unterfcheidendes. Catal. nennt den Namen der Braut, 
Coroniea giebt die Jahreszahl. Das Fehlen des Namens in der 
Coronica fann nicht auffallen. Die Vornamen der zu verheirathen- 


! Bol. über die Thatſache Chron. Sampetrinum (ed. Stübel) S. 162, 
Palacky, Geſch. Böhmens II, 2, 142. Wegele a. a, DO, 340. 

2 Bmwei Berjehen ungewöhnlicd ftarfer Art hat auferdem noch die Co- 
ronica. Böllig unerflärbar ift die Bezeichnung der Gemahlin Dietrichs, Sohnes 
Konrads des Großen, als „Eudocia dez herczogee tochter von Koborg”, wäh— 
rend Libellus und Catal. richtig Dobergane von Polen nennen. Sollte eine 
Verwechſelung mit Dietrich), Enkel Friedrihs von Brena, vorliegen, defjen Ge- 
mahlin Eudoria hieß? Soweit ich fehe, ift fie die einzige diejes Namens im 
älteren Wettinfchen Haus. Ferner nennt die Coronica Heinrichs des Erlauchten 
dritte Fran „Elizabeth dez lantheren tochter geheyjen von Lichtenſteyn“. Der 
Catal. kennt den Familiennamen nicht. Sie gehörte dem Geſchlecht von Maltit 
an (Cohn Tafel 61). Bol. Tittmann, Heinrich der Erlauchte II, S. 137, der 
jener Bezeichnung nicht erwähnt, 


217 


den oder verheiratheten Züchter werden in derjelben im der Kegel 
nicht angegeben. Was die Jahreszahl 1268 anbetrifft, fo fehlt die- 
felbe im Catal. einfach deswegen, weil derjelbe in diefer Partie über- 
haupt feine Daten giebt. Co fcheint beides trefflich zu ftimmen. 
Vielleicht ift es aber erlaubt hier einmal einen Augenblid zur Kritik 
der Thatfachen überzugehen. Es ijt erinnerlich, aus welchen Gründen 
diefe Jahreszahl ein Stein des Anftopes geworden ift. Nach der 
früher citirten Stelfe der Ann. Veteroe. iſt Friedrich Tuta 1269 ge» 
boren. Er müßte demnach, wenn die Heirat) feiner Eltern 1268 
vollzogen iſt, das ältejte Kind fein. Nun ift aber beweisbar, daß 
nicht er, ſondern feine Schweiter Sophia die Erjtgeborene ijt!; es 
ijt befannt, daß nad) den Forſchungen Wegeles diefe im Yahr 1266 
mit Konradin verlobt worden fein fol. Sind Wegeles Gründe 
jtichhaltend, fo wird natürlich die Jahreszahl 1268 als Hochzeitsjahr 
der Eltern der Braut unhaltbar. Hat diefelbe aber bereits in der 
Borlage der Coronica gejtanden, jo gewinnt jie durch ihr Vorkom— 
men in noch früherer Zeit eine verftärfte Beglaubigung. Erledigen 
kann ich die Frage hier nicht; aber ich halte es bei fo vielen entge= 
genttehenden Gründen fir nicht unmöglich, daß jene ominöſe Zahl 
nicht aus der Vorlage unferer Quelle ſtammt, und daß hier vielmehr 
ein Irrthum der Coronica, vielleicht eine falſche Kombination ihres 
Verfajjers vorliegt. Er knüpft feine Angabe an eine andere, die er 
vorher ins Jahr 1268 verjegt, nämlich den Tod der Markgräfin 
Agnes? Es kann fein, daß er in den Ann. Veteroec. zum Jahr 
1269 die Geburt Friedrich Tutas? notirt fand und deshalb die Ver- 
heirathung der Eltern dejjelben, welche er ohne Datum in X fand, 
ins vorhergehende Jahr 1268 verlegte. Zwar finde ich dafür fein 
weiteres Beifpiel. Doc) fett wenigftens der Verfaffer wiederholt in 
das Geburtsjahr eines Kindes die Verheirathung, 3. B., wie wir 
bald noch näher fehen werden, unter 1256, das Geburtsjahr Hein- 
richs von Altenburg, die Heirath feiner Eltern Albrecht und Marga— 
rethe (thatſächlich 1254). Oder er giebt erjt zugleich bei der Mel— 
dung einer Geburt die Che an, jo 1273, 1292, Wenigjtens fcheint 
mir dies die einzige Möglichkeit die unbequeme Jahreszahl zu befei- 
tigen. Einen Schreibfehler, wie er fonft gerade in den Zahlen nach— 


ı S. die Chronik des St. Elarenflofters in Weißenfels, herausgegeben 
von Opel, Neue Mittheilungen des thitringifch-fächftichen Vereins XI, ©. 384 
und bejonders 386. Dietrich und Helena find die Gründer diejes Klofters. 

2 Beiläufig notire ic) bei Cohn Tafel 61 den Drudfehler 1263, den 
übrigens auch Wegele in feine Gejchlechtstafel der Wettiner aufgenommen hat, 
obwohl er im Text feines Buchs S. 65 das Datum richtig angiebt. 

3 Diefer auch in gleichzeitiger Duelle erjcheinende Beiname gilt als noch 
nicht erflärt. Wegele 93 (ſ. 143). ©. die Vorrede Opels zu der Anm. 1 
angeführten Chronik ©. 382. 

4 Der Unterfchied ift hier der, daß es in Fällen der erfteren Art Heißt: 
„a. nahm M.“, was unter dem angegebenen Jahr falſch ift, während e8 in den 
Fällen der zweiten Art weniger anfechtbar Heißt: „F. Hatte A.“. 


— 


läſſigerweiſe mehrfach vorkömmt, 


21 


8 


kann man hier nicht annehmen, 


weil das Todesjahr der Agnes einen unerſchütterlichen Anhaltspunkt 


bildet. Doch kehren wir zurück zu 


Catalogus $. XXXIII: 


Albertus vero marggravius| 
Thuringiae duxit uxorem Marga- 
retham, fillam Frederieci II. impe- 
ratoris, de qua genuit tresfilios, 
scilicet Fredericum, Henri- 
cum et Titzmannum. Henricus 
lantgravius de Aldinborg duxit 
uxorem Hedwigam, fillam Erici 
ducis Slesiae, de qua genuit 
Fredericum cognomine Anelant. 


unjerer Aufgabe. 


Coronica p. M.: 


.. alz man screib 56... 
langrave Albrecht von Doringen 
margraven Heynrigis son 
nam Margareten, keyser Friderichz 
tochter von Stoufen, mit der 
hatte er langraven Heynrich von 
Aldenburg. Derselbe margrave 
(sic) Heynrich hatte Hedewygen, 
dez herczogen tochter von Flo- 


'zill, mit der hatte er langraven 


Friderich geleysen Ane lant. 


Ich bemerfe, daß in der Coronica die beiden jüngeren Söhne 


an anderer Stelle unter ihrem Geburtsjahr ericheinen. 


Dagegen 


vermißt man dajelbjt den Namen Eric), der freilich unrichtig ift, 
und hat die Schon berührte Entjtellung „Flozill“. Die abweichenden 
Zitel können nicht auffallen, da beide mit denjelben fehr flüchtig und 
willkürlich umſpringen. Die Stelle über Heinrich von Altenburg 
und feinen Sohn Friedrid ohne Yand erjcheint um jo wichtiger, da 
andere Quellen wie das Chron. Veteroe. den Beinamen „ohne Yand“ 
fälſchlich gleich auf Heinrich beziehen !. 
Unmittelbar nad) obiger Stelle heißt es 


Catalogus: Coronica: 
Titzmannus lantgravius duxit| Alzman screib 60 wart lant- 
uxorem Juditam, filiam Bertoldi | grave Tyczeman geborn unde 


comitis de Henneberg, et obiit sine 
herede. 


Friderieus _ vero Misnensis 
marchio duxit uxorem Agnem, filiam 
ducis Karinthiae, et genuit ex 
ea Fridericum primogenitum 
suum, qui obiit sine karode | 


hatte Jutten, grave Bertoldus toch- 
ter von Hennenberg, unde starb 
ane erben. 

Do man czalte 92.... mar- 
grave Friderich der hatte An- 
gnisen, dez herezogen tochter von 
Kerntyn, myt der hatte her mar- 
grave Friderichden hynkenden. 


Noch wären hierher zu ziehen die jchon früher erwähnten Ge— 
burtstage der Söhne Friedrichs des Ernthaften: Friedrichs, Balthafars, 
Ludwigs und Wilhelms. Diejelben finden fih in ganz ähnlicher 
Weiſe fowohl in den Ann. Veteroe. als in dem Chron. Veteroc. Ty— 
(ich8 verzeichnet. Dieje Autoren ftinnmen hier bald überein, bald 
weichen fie ab in fortwährender Permutation der Namen und Tage. 
Ein Gewinn für unjere Frage fcheint mir daraus nicht zu. ziehen. 

Ob es mir überhaupt durch das Vorhergehende gelungen ift meine 
Vermutung wahrjcheinlic; zu machen, muß ich dahingeftelit fein 
laffen. Naheliegend jcheint mir diefelbe jedenfall, denn da der Li- 
bellus eine Sammlung chronologifch geordneter genealogifcher Notizen 


2 Bol. über beide Wegele a. a. O. 89 f. 


219 


it, jo hat e& nichts Wunderbares, ſich denjelben in ähnlicher Weiſe 
fortgejett zu denfen. Die, wie mir jcheint, unleugbare Aehnlichkeit 
der Coronica und des Catalogus erflärt fi) fo aufs Natürlichite. 

Es bleiben ein paar furze, genealogiiche Notizen iiber das ältere 
thüringiiche Yandgrafenhaus, deren Vorfommen nichts Auffallendes 
hat. Doch kann mar diejelben nicht aus einer der genannten Quellen 
ableiten. 

Außerdem enthält endlich die Coronica noch eine größere Anzahl 
von Angaben, die jpeciell die Wettinfche Gefchichte betreffen und, da 
fie aus feiner vorhandenen Quelle abgeleitet jind, mit feiner auch 
nur DVerwandtfchaft zeigen, als jelbjtändiger Inhalt anzujehen find. 
Diejelben reichen zurüd bis in die erjte Hälfte des dreizcehnten Jahr— 
hunderts, hier freilich noch ſehr fpärlich, und werden gegen das Ende 
zu immer zahlreicher. Da die Coronica feine Zuſammenfaſſung 
gleichzeitig entjtandener Eintragungen it, fondern ihre Abſtammung 
aus anderen jpäteren Niederichriften zum heil nachgewiefen, zum 
Theil wahrſcheinlich gemacht it, jo müſſen auch die früheren Notizen 
auf schriftliche Aufzeichnung zurücgehen, während die jpäteren wohl 
Zuthaten des Verfafjers find. Bon welchen Jahr ab letteres der 
Fall fei, wage ich nicht mit Bejtimmtheit zu entſcheiden. Bei der 
Kürze der einzelnen Angaben ift e8 zu gewagt, auf manche £leine Un— 
gleichheiten Gewicht zu legen. Sonst fünnte e8 auffallen, daß vom 
%. 1507 an ausnahmlos die Nachrichten mit den Worten eingeführt 
werden: ‘In dem... . jare’, höchitens daß auch jare' noch weg— 
fällt und blos die Zahl fteht. Dagegen ift bis zum J. 1270 die 
Formel: alz (oder ‘do’) man schreyb herrichend, von 1270—1307 
werden beide abwechjelnd gebraucht; doch lege ich, wie gejagt, darauf 
fein großes Gewicht. Ueber die Perfon des Verfaſſers läßt ſich 
ichlechterdings nichts errathen. Die eigenthümlichen Nachrichten weiſen 
auf Dresden al8 Ort der Abfaffung. Daß er ein Geijtlicher war, 
muß aus der forgfältigen Regiſtrirung zahlreicher Klojtergründungen, 
Stiftungen von Meffen u. ſ. w. geichlojfen werden. " 

Der Aufgabe, die dem Verfaſſer eigenthiimlichen Nachrichten ein= 
zelı zu prüfen und dadurc einen feſten Maßſtab feiner Beurtheilung 
zu gewinnen, muß ich mich leider entzichen. Mir fehlt hier durch— 
aus das Material zu einer derartigen Arbeit. Es muß mir genügen, 
vielleicht eingehender die Aufmerkſamkeit auf diefe immerhin beachtens- 
werthe Quelle gelenkt zu haben. Diefelbe darf nicht mehr fo be= 
handelt werden, daß man auf gut Glück einzelne ihrer Nachrichten, 
die mit anderen zufällig ftimmen, aufnimmt, von weiteren Nach— 
richten jedoch, auch wenn fie und gerade weil fie fonftigen Berichten 
widerjprechen, ſich glaubt difpenfiren zu dürfen. 


” ” 34 7 


" " ” 


„m 860 


und in der folgenden Zeile: 


vortreben. 


” 


"„ 


” 


1280 
1288 
1292 
1293 
1294 


1997 
1304 
1315 
1316 


1321 
1322 


1324 
1342 
1349 


220 


Anhang. 
Richtigere Yesarten der Handjchrift !. 
Menken ©, 346 ;. 9. a lies Flozill ftatt Nozill. 
1268 


” 


” 


” 


Margarita ftatt Margarete. 

dem graven ftatt den. 

unde hole me lute ftatt un holem luete. 

Habilsberg ftatt Habilsburg. 

Vroburg ftatt Vroberg. 

do her der ftatt do her dy. 

alleyne ftatt allegne. 

erslug herczoge Albrecht... . koning 
Adolfz son (?) flat koning 
Adolfen. 

ieht ftatt acht. 

gewissere gar ture dri jar ftatt ge- 
wisser unn gar ture czyt. 

yrsten tzu ftatt ursten czu. 

vorkaufte Dreseden ftatt vorkaufte ... 

sebyn tusent schock ftatt sebyn 
misener schok. 

lebete alle jar ftatt lebete, a. j. 

der sulden ftatt dor sulden. 


Büling ftatt Bucling. 

Friderich dem jungen czu Lutemricz 
ftatt F. den Jungen .. Luten(n ?)ricz. 

Lodewig ftatt Ludewig. 

uber ftatt wider. 

eyn Dreseden ftatt eyn in D. 

buser myt piezen ftatt buser ..... 


vorbannen unde vortreben ftatt .... unn 


ı Nur fahlid) bedeutjame Abweichungen von den Mendefhen Drud 
3. 8. drudt Diende ftet8 unn flatt unde u. |. w. Die 
Kommas find ſämmtlich feine Zuthat. 


wurden berüdfichtigt. 


Vierzehnte Plenar - Berfammlung 
der hiſtoriſchen Commiſſion bei der füniglich 
bayerischen Akademie der Wiljenichaften. 
1873. 


Bericht des Secretarints. 


Münden im October 1873. Die diesjährige Plenarver- 
fammlung der hijtorifchen Commilfion wurde in den Tagen vom 
20. bis 23. October abgehalten. Bon den auswärtigen Mitgliedern 
nahmen außer dem Vorfigenden, Geheimen Negierungsrath v. Ranke 
aus Berlin, die Profejjoren Dümmler aus Halle, Hegel aus Er- 
langen, v. Sybel aus Bonn, Wait aus Göttingen, Wegele aus 
Würzburg und Weizfäder aus Straßburg an den Berhandlungen 
Antheil; von den einheimijchen Mitgliedern betheiligten jic) der Vor— 
Stand der k. Akademie der Wilfenfchaften, Neichsrath v. Döllinger, 
Dberbibliothefar Föringer, die Profefjoren Cornelius und Kluckhohn, 
Geheimer Gabinetsrath a. D. Freiherr v. Pilieneron, Reichsarchiv— 
director dv. Löher, Reichsarchivrath Muffat und der ftändige Secretär 
der Commiſſion Geheimrath v. Giejebredt. 

Der Vorfitende gedachte in der Rede, mit welcher er die Ver— 
ſammlung eröffnete, der großen Verluste, welche die deutiche Geſchichts— 
wijjenschaft im den legten Jahren durch das Abjcheiden Georg Ludwigs 
v. Maurer und Friedrichs dv. Naumer erlitten hat, indem er Beide 
in ihrer politifchen und literarischen Thätigkeit characterifirte. Worte 
danfbarer Erinnerung widmete er Juſtus v. Liebig und Wilhelm v. 
Dönniges, die fi) um die Begründung der Commiſſion bejondere 
Verdienſte erworben hatten, und ſchloß mit einer eingehenden Würdi— 
gung Chriftoph Friedrichs v. Stälin, deſſen fürzlich erfolgter Tod in 
der Commiſſion, zu deren thätigiten Mitgliedern er zählte, eine ſchwer 
auszufüllende Lücke gelafjen hat. 

Ueber die Gefchäfte des abgelaufenen Jahres erjtattete darauf 
der Secretär den ftatutenmäßigen Bericht. Es find abermals für Die 
Zwecke der Commifjion zahlreiche Archive und Bibliotheken durch— 
forjcht worden, und find diefe Arbeiten von den hiefigen und aus— 
wärtigen Behörden mit derjelben Zuvorkommenheit und Yiberalität 
unterjtüßt worden, welche die Commiſſion fchon jo oft danfbar anzu= 
erfennen hatte. Alle Unternehmungen find in unmmterbrochenem Fort— 
gang, und die Hemmmniffe, welche einzelne Publicationen durd bie 
Arbeitseinftellung in den Drudereien erfuhren, jett bejeitigt. Trotz 
jener Hemmniſſe haben feit der vorjährigen Plenarverſammlung im 
Drud vollendet und dem Buchhandel übergeben werden können: 

1) Gefchichte der Wiffenfchaften in Deutjchland. Bd. XII. 


224 


Sm der deutfchen Philofophie feit Leibniz von Dr. Eduard 
eller. 

2) Die Chronifen der deutjchen Städte vom 14. bis ins 16. 
Jahrhundert. Bd. X. Die Chronifen der fränfijchen Städte. 
Nürnberg. Bd. IV. 

3) Briefe und Akten zur Gefchichte des fechszehnten Jahrhunderts 
mit bejonderer Rückſicht auf Bayerns Fürftenhaus. Bd. I. 
Beiträge zur Neichsgefchichte 1546—1551. Bearbeitet von 
Auguft v. Druffel. 

4) Bayeriſches Wörterbuch von J. Andreas Schmeller. Zweite, 
mit des DVerfafjers Nachträgen vermehrte Ausgabe, bearbeitet 
von ©. Karl Frommann. Lieferung VIII. und IX. 

5) Forſchungen zur deutichen Geſchichte. Bd. XI. 

Weit vorgefchritten find im Drud, jo daß baldige Publication 
zu erwarten fteht, folgende Werfe: 

1) Deutſche Reichstagsakten. Band IL, herausgegeben von Pro— 
fejfor J. Weizfäcer. 

2) Briefe und Aften zur Gefchichte des dreißigjährigen Krieges 
in den Zeiten des vorwaltenden Einfluffes der Wittelsbacher. 
Bd. II, bearbeitet von Profeſſor M. Ritter in Bonn. 

3) Gedichte der Wiffenschaften. Bd. IL. Abth. 2. Die zweite 
Hälfte der Gefchichte der Chemie in der newern Zeit vom Ge— 
heimen Hofrat) H. Kopp in Heidelberg. 

4) Die Receffe und andere Akten der Hanfetage von 1256 — 
1430. Bd. III, herausgegeben von Dr. 8. Koppmann in 
Hamburg. 

5) Jahrbücher der deutfchen Gefchichte. Die Geſchichte Kaijer 
Heinrichs III., bearbeitet von Profeſſor E. Steindorff in 
Göttingen. Erjter Band. 

Die Berichte, welde von den Leitern der einzelnen Unternch- 
mungen im Berlaufe der Verhandlungen erftattet wurden , gaben von 
dem Fortfchritt der’ Arbeiten nach allen Seiten erwünfchte Kunde. 

Die Geſchichte der Wijfenfchaften wird zunächſt eine fehr erfreu— 
liche Erweiterung erhalten, da die Gejchichte der Nationaldconomie 
on Geheimen Kath W. Roſcher in Leipzig jetst der Preſſe übergeben 
werden kann. 

Bon der großen unter Profeffor Hegels Leitung veranftalteten 
Sammlung der deutfchen Stadtchronifen hatte der Drud des fünften 
Bandes der Nürnberger Gefchichten, gleid) dem vierten von Profeſſor 
v. Kern in Freiburg bearbeitet, jchon vor längerer Zeit begonnen, 
mußte aber wegen jchwerer Erfranfung des Bearbeiters unterbrochen 
werden. Auf diefen Band werden zwei Bände Cölnifcher Chroniken 
folgen, von denen der erjte, von Dr. H. Cardauns und Dr. C. 
Schröder bearbeitet, im nächiten Jahre gedrudt werden fol. Wenn 
die feit langer Zeit erwartete neue Ausgabe der Lübecifchen Chroniken 
noch immer nicht der Preffe übergeben werden konnte, jo liegt der 
Grund in den vielen Amtsgefchäften des Herausgebers, Profeljor 


225 


Mantels in Lübeck, doch iſt zu hoffen, daß ihm die Muße zum Ab- 
ichluß feiner Arbeit jet gewährt werden wird. 

Dem im Drud faſt vollendeten zweiten Band der bdeutjchen 
Neichstagsakten wird fich der dritte alsbald anſchließen; derjelbe wird 
die Anfänge König NRuprechts betreffen, auf dejfen fpätere Zeiten 
fich der vierte Band beziehen wird. Die Arbeiten für die Regierungen 
Raifer Sigmunds und Albrehts IL. find durch Bibliothefar Dr. 
Kerler in Erlangen jo weit gediehen, daß auch der Drud der Akten 
diefer Periode für die nächiten Jahre in Ausficht genommen werden 
fann. Inzwiſchen werden durch Dr. Fr. Ebrard in Straßburg die 
Vorarbeiten für die Akten in der Zeit Kaifer Friedrichs III. gemacht, 
um fie künftig ummittelbar au den Abdrud der Akten Albrechts IT. 
anzuſchließen. Nach den Mittheilungen des Leiters diefer großen Unter- 
nehmung, Profeſſor 3. Weizfäder, ftehen dem rafcheren Fortgange 
dejfelben feine Hinderniffe mehr im Wege. 

Die Sammlung der Hanfereceffe ift durch die von Dr. K. Kopp- 
mann tm vorigen Spätjahre unternommene Reife nad) den ruſſiſchen 
Dftjeeprovinzen erheblich bereichert worden; augenblicklich befindet fich 
Dr. Koppmann auf einer archivaliichen Reife in den Niederlanden. 
Die Bearbeitung des vorhandenen Material® wird ununterbrochen 
fortgefegt , und wird fi) an den Druck des dritten Bandes jogleich 
der. des vierten anjchliegen. 

Die Yahrbücher der deutjchen Gefchichte werden demnächit um 
mehrere Bände vermehrt werden. Bon der Geſchichte Ludwigs des 
Frommen, bearbeitet von Dr. B. Simfon in Berlin, hat der Drud 
de8 erſten Bandes begonnen. Der Schlußband der Geſchichte Hein- 
rich II., bearbeitet von Dr. H. Breflau in Berlin, ift zum größern 
Theil vollendet und wird bald dem Drud übergeben werden fünnen. 
Die Geſchichte der Regierungen Lothars und Konrads III hat Dr. 
W. Bernhardi in Berlin übernommen. Zu befonderer Freude gereicht 
es der Commifjion, daß Profejfor Dümmler die durch den Tod Rud. 
Köpfes unterbrochenen Arbeiten für die Geſchichte Ditos des Großen 
wieder aufgenommen Hat und der Bearbeitung diefer wichtigen Periode 
für die Jahrbücher zumächft feine Kraft widınen wird. 

Auch die Arbeiten für die Wittelsbachſche Correfpondenz find 
wieder nach allen Seiten gefördert worden. Für die ältere pfälziiche 
Abtheilung ift Dr. Fr. dv. Bezold unter Beihülfe des Profejjors 
Kluckhohn thätig geweſen und hat aus dem hiefigen Staatsarchiv und 
der hiefigen Hof» und Staatsbibliothek bereits ein fehr reiches Ma— 
terial für die Correfpondenz Johann Kafimird gewonnen. Für die 
ältere bayrifche Abtheilung, welche unter Leitung des Reichsarchivdirectors 
v. Löher fteht, wird Herr Dr. U. v. Druffel die begonnenen Arbeiten 
ohne Unterbrechung fortfegen. Fir den zweiten Band, welcher die 
Beiträge zur Reichsgeſchichte 1552 — 1555 enthalten foll, Tiegt das 

Taterial reichlichjt vor und wird von demnächjt zu unternehmenden 
archivalifchen Neifen noch weitere Ausbeute erwartet. Inzwiſchen haben 
ſich zahlreiche Nachträge zum erften Bande theil® aus den hiefigen 


XV, 15 


226 


Archiven, theil® durch Nachforſchungen in Trient und Caſſel ergeben; 
auch Haben wegen des Umfangs, welchen der erite Band gewonnen 
hat, die früher für einen Anhang diefes Bandes beftimmten größeren 
Aktenſtücke, Protofolle, Memoires u. ſ. w., vorläufig zurückgelegt 
werden müſſen. Es ift die Abficht, diefe Ergänzungen im dritten 
Bande mit den gleichartigen Stücken für die Zeit von 1552 bis 1555 
zu publiciren, und wird der Drud der erjten Abtheilung diefes Bandes 
ihon im nächſten Jahre erfolgen fönnen. Die Arbeiten der älteren 
pfäßzifchen Abtheilung, von Profeſſor Cornelius geleitet, find durch 
Veränderungen der amtlichen Thätigfeit des Profeſſors M. Ritter 
mehrfach beeinträchtigt worden, doch find die Arbeiten fir den dritten 
Band joweit gefördert, daß der Druck deſſelben fait unmittelbar nad) 
Vollendung des zweiten Bandes wird beginnen fünnen. Die dem 
Dr. Baumann übertragenen Arbeiten find durch deſſen Berufung 
an das fürftl. Fürjtenbergiiche Archiv zu Donanefchingen unterbrochen 
worden. Für die jüngere bayrifche Abtheilung, ebenfalls von Pro— 
fejfor Cornelius geleitet, war Dr. %. Stieve auch in dieſem Jahre 
unausgejegt thätig. Das bereit angefammelte Material wurde ver= 
mehrt und geordnet; nach Ausführung einiger archivaliſchen Reiſen 
fol der erjte Band diefer Abtheilung zum Drud fertig geftellt werden. 

Die Hoffnung, mit dem Regiſter die große Sammlung der 
deutfchen Weisthümer fchon in diefem Jahre abzuſchließen, hat ſich 
nicht erfüllt. Zur Nichtigftellung der Texte mußten mehrere Reifen 
unternommen werden, welche die Vollendung aufhielten. Doc ift 
gegründete Ausficht vorhanden, daß der Drud des Regiſterbandes, 
von Brofeffor R. Schröder in Würzburg unter Mitwirkung des 
Profefjors Birlinger in Bonn bearbeitet, im nächften Jahre ausge- 
führt werden und damit dieſes Unternehmen zum Abſchluß gelangen 
wird. Auch die neue Ausgabe des Schmellerichen Wörterbuchs wird 
vorausfichtlic; im nächften Jahre vollendet werden fünnen. 

In der Nedaction der Zeitfchrift: „Forſchungen zur deutjchen 
Geſchichte“ ift durch Stälins Tod eine Lücke entjtanden, welche durd) 
Profeffor Diimmler ausgefüllt wurde. Die NRedaction wird demnach 
in Zukunft aus den Profefforen Waig, Wegele und Dümmler be- 
jtehen. 

Der Drud des erjten Bandes der allgemeinen deutfchen Bio- 
graphie wurde im Anfange diejes Jahres begonnen, mußte aber theils 
wegen ber Arbeitseinftellung in der Druckerei theils wegen einer 
jchweren Erkrankung des Redacteurs, Freiherrn von Liliencron, bald 
unterbrochen werden. Dieſe Unterbredhung war infofern dem Unter- 
nehmen förderlih, als noc, einmal das ebenſo umfangreiche wie 
ſchwierige Werk nad) allen Seiten Hin in reiflihe Erwägung gezogen 
werden fonnte. Es ſtellte ſich dabei heraus, daß die bisher dem Re— 
dacteur aufliegende Gefchäftslaft eine übermäßige fei, und es trat 
deshalb nach dein Beichluß der Commiſſion Profeffor Wegele in die 
Redaction ein, um die der politiichen Geſchichte angehörigen Artikel 
zu redigiren. 


227 


Se weiter ſich die Unternehmungen der Commiffion ausgedehnt 
haben, dejto mehr mußte fi ihr das Bedürfniß aufdrängen, fich 
nach den ſchweren DVerluften, die fie in letter Zeit zu beffagen hatte, 
wieder von Neuem zu ergänzen. In der vorgefchriebenen Weiſe 
wurden deshalb mehrere deutjche Gejchichtsforicher von anerkannten 
Berdienften gewählt und Seiner Majejtät- dem Könige zur Ernennung 
zu Mitgliedern der Commiſſion in Vorſchlag gebracht. 

Bekauntlich werden im Angenblid über die zufünftige Leitung der 
Monumenta Germaniae historica Verhandlungen gepflogen. Die 
Direetion derjelben wird, welche Gejtalt fie auch gewinnen mag, viel= 
fah auf ein Zufammenwirfen mit der hiftorifchen Commiſſion fic) 
hingewiefen fehen, deren Aufgaben zwar zum Theil andere find, ſich 
aber auch vielfach) mit denen berühren, weldye jener Direction geſtellt 
werden müffen. Auch in diefem Betracht ftellt fich der Fortbejtand 
der Commiſſion, welche fo viele und fo große Intereſſen der deutjchen 
Geſchichtswiſſenſchaft vertritt, über die ihr zunächſt geſetzte Friſt hin— 
aus als höchſt wünſchenswerth dar, und die Commiſſion ſelbſt glaubte 
der Hoffnung Raum geben zu dürfen, daß es an den Mitteln nicht 
fehlen werde, um der Schöpfung König Maximilians II., welche ſeines 
königlichen Sohnes Huld md Freigebigfeit gepflegt und die fic bisher 
für die deutsche Wilfenfchaft To jegensreich erwieſen hat, dauernden 
Beitand zu fihern. 


Nachſchrift. 


Auf Grund der von der vierzehnten Plenarverſammlung der 
hiſtoriſchen Commiſſion getroffenen Wahlen haben Seine Majeſtät 
König Ludwig II. von Baiern die Profeſſoren Dr. Theodor Sickel 
zu Wien und Dr. Wilhelm Wattenbach zu Berlin zu ordentlichen 
Mitgliedern und den Archivsaſſeſſor Profeſſor Dr. Ludwig Rockinger 
zu München zum außerordentlichen Mitgliede der hiſtoriſchen Com— 
miſſion allergnädigſt zu ernennen geruht. 


Der Bauernfrieg 


auf dem Gebiete der freien Reichsſtadt 
Schwäbiih Gmünd, 


Don 


Emil Wagner. 


XV. 16 


“ch 


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na 


Eine Veröffentlichung der wichtigften Originalurfunden, welche 
über die Vorgänge um Gmünd und in Gmünd von März bis Mai 
1525 Aufſchluß geben, erjcheint beſonders durch den Umjtaud gerecht- 
fertigt, daß einige derfelben zwar in Schwabs Nedarfeite der ſchwä— 
biihen Alb S. 283—289 theils volljtäudig theils im Auszug mit— 
getheilt find, die dortige Darftellung aber in Folge der Unvollſtän— 
digkeit des Urfundenmaterial® und unkritifcher Benutzung des Vor— 
handenen ein verfehrtes Bild der Thatſachen gibt. Dieſes haben 
dann auch andere Darfteller, 3. B. Grimm, Gejchichte der ehema— 
ligen Reichsſtadt Gmünd, 1866, ©. 162 ff., aud zum Theil die 
Beichreibung de8 Oberamts Gmünd, befonder8 ©. 261 ff. wicder- 
gegeben. 

Schwab ſchöpfte aus dem durch fein Verdienſt geretteten und in 
einen Band gebradjten: „Fasceieulus Actorum über die 126 Ori— 
ginal- und andere authentifche Urkunden und Beilagen, deren in des 
heiligen Reichs Stadt Schwäbiſch Gmünd von 1525 bis 1635 ange— 
dauerte lutherifche Religionstroublen, zufammengetragen 1738“, Der 
Band gehört dem Gmünder Ardiv an. 

Der unbekannte erfte Sammler diejer Urkunden, von denen 13 
dem Jahre 1525 angehören, Fonnte einige, auch von Schwab für 
unlesbar erklärte Stüde nicht entziffern und mit Beſtimmung von 
Daten nicht umgehen und Hat durd die Art, wie er die zum Theil 
datumlofen Urkunden mumerirte, die Chronologie verwirrt, zum Theil 
auc das Verſtändniß durch beigefügte unrichtige Regeſte erichwert. 

Diefem Einfluß, welcher die Darjtellung Schwabs, auch älterer 
Gmünder Chronijten beherricht, fi zu entziehen, war dem Referenten 
feihter gemacht, nachdem er, gleichzeitig mit dem Fasciculus, im 
Gmiünder Archiv 93 weitere Urkunden aus demfelben Zeitraum, dar— 
unter 23 über den Bauernfrieg, vorgefunden Hatte, welche diejelben 
Ereigniffe betreffen ımd zu denen des Fasciculus eine wefentliche 
Ergänzung bilden. 

Auf dieſes Material und weitere im Augsburger Stadtarchiv 
vorgefundene urkundliche Belege, deren Benugung mir die Güte der 
Herrn Bürgermeifter Dr. Friſch und Archivar Dr. Mayer dajelbft 
in danfenswerther Weife ermöglichte, ſtützt fic) die folgende Mitthei— 


16* 


232 


lung. Die Gmünder Urkunden find zum Theil wörtlich, zum Theil 
im Auszuge wiedergegeben. 

Wenn aud) die Hauptzüge diefer Darftellung nicht neu, fondern 
bei v. Stälin, Wirtembergiihe Geſchichte IV, 1, ©. 292, in ges 
drängter Kürze ſchon gegeben jind, fo wird doc) die hier vorliegende, 
nahezu volljtändige Correfpondenz zwijchen den Gmündern und den 
Führern der dort auftretenden Bauernjchaaren, von der Berichtigung 
irriger Darftellungen abgeſehen, ſelbſt ein Hijtorijches Intereſſe in 
Anjpruc nehmen. 

Die Urkunden des Fasc. Act. citiren wir, wie fie dort numerirt 
find, die übrigen Urkunden nad) den Nummern des von dem Refe— 
tenten geordneten Beilagenbandes. 


Seit der Mitte des März 1525, nachdem der ſchwäbiſche Bund 
durch eine gedrudte Warnung und Abmahnung an das Yaudvolf ſich 
entjchieden gegen die Bewegung unter demjelben erklärt hatte und nach— 
dem von Seiten der Bauern die „12 Artikel” aufgeftellt worden 
waren, wuchs der Bauernaufruhr äußerlich und erjtarfte innerlich 
durch das Bewußtfein gemeinfamer Intereſſen. Um den 26. März 
etwa begannen die friegerijchen Angriffe (v. Stälin S. 272—277). 
In diefen Tagen erhob ſich der Sturm auch in der Uingegend 
Gmünds, der freien Neichejtadt, von den wirtembergiſchen Vögten 
zu Lord ängſtlich beobachtt. Man wußte (mac) einem Schreiben 
von Statthalter und Negenten in Stuttgart an den ſchwäb. Bund, 
im Augsburger Arhiv) am 18. März in Stuttgart, „daß der 
Schenken von Limpurg und der von Gmünd Unterthanen ſich aud) 
eınpört und des Prälaten zu Lord Unterthanen ganz bedrohlichen 
“erfordert, zu ihnen zu ziehen“. Die Bauern, im Verein mit Yeuten 
aus der Gmünder „Gemein“ hätten Spraitbah und Schechingen, 
Dörfer bei Gmünd eingenommen, „des Fürnehmens und Meinung 
in das Klofter Lorch zu ziehen“. Am 29. wird von 2000 Mann 
berichtet, die bei Ickingen ſtehen; von Alfdorf jei ein Haufe, 400 
Mann ftarf, nach Mecklingen gezogen. 

Noch vom 28. ift ein Aufruf der Bauernführer datirt, den wir 
hier buchjtäblich wiedergeben (Beil. Nr. 1): 

„Unnfern freuntlichen gruß und alles guts in Crifto und ewan— 
gelifch brüderlicher Liebe. Wir hauptleut und gemeiner heller Hauff 
entbietten euch zu, dem nad) und ſich der Huff verfamelt hat und fic 
bey ewangelifch brüderlicher verainung alt herfomen der gutt und leyb 
aigenjchafft, aud) anderer articul nad) laut ains libels und außweyſung 
des erbern hauffen, darumb ift unnſer fleyſſig und bruderlic bit an 
euch bei uns zu Yckingen bey Gmund gelegen! uff hinacht nach da= 
tum des brieffs in aller maß und geftalt als welle er je zumal ein 
verfprochene ſchlacht zuthun, dasfelbig werden wir uns zu eud) der= 
maßen verjehn. Wa aber ſolches nit gefchehe, werden wir über euch 
i 2 ne die Gedichte des großen Bauernkriegs von Zinmermann, 1856, 
: j 


233 


verhengen und zu euch laſſen greyffen an leyb er und gut, aber in 
hoffnung ir werden euch dermaſſen halten, das ob got will in bruder= 
licher liebe gehalten werd, foll nymants unrecht zugefchehen. Geben 
uff Dinstag nad) Yätare 1525. 

An vierlut und ganze gemainfchafft zu Oberbetringen aud) 
Underbetringen Bargen und Weyler in Bergen, auch anderen umbfaffen 
zu überantworten und verfiinden. 

Mends furt und furt“. 

Auch in den Dörfern der nächſten Umgebung wurde alfo verfucht, 
die Bauern in den Aufjtand Hineinzuziehen, und das mit Erfolg, fo 
dag auch die Abmachungen der Gmünder Regierung zuerft vergeblich 
waren, die Bauern behaupteten, fo gern fie fich losjagen möchten — 
ihrer „gedrungenen Pflichten halben“ fünnten fie nicht (Schreiben 
von DBirgermeifter und Rath an die öftreichiiche Statthalterfchaft 
in Stuttgart d. d. 29. März, im Augsb. Archiv). 

Uebrigens lag es vorerft nicht in der Macht der Gmünder 
Regierung! etwas Erntliches gegen die Bauern vorzunehmen. Aud) 
innerhalb der Stadt gab e8 Unzufriedene, welche den Augenblick ge= 
fommen glaubten, um gewünfchte Neformen, politifche und kirchliche, 
der regierenden Ariftocratie abzunöthigen. Die Statthalterfchaft zu 
Stuttgart berichtet unter dem 28. an den fchwäbifchen Bund: „haben 
auch die Gemein zu G. dem Rath die Schlüffel zu den Stadtpforten 
genommen“. Hiedurch waren die Bürger in den Stand geiekt, ſich 
nit den Bauern, foweit e8 ihre Zwecke erforderten, in Verbindung 
zu ſetzen. Ob wirflih — wie man in Schorndorf wiſſen wollte — 
eine größere Anzahl von ihnen an der Einnahme von Spraitbadh und 
von Schechingen theilnahm, ijt übrigens zweifelhaft; die Panik in 
Lord, wo man die Gmünder mit den Bauern gemeinfchaftlihe Sache 
machen und zu einem Ueberfall heranricden ließ, beruhte wohl auf 
einem blinden Pärm; denn gleichzeitig mußte e8 ein Fiſchhändler von 
Schorndorf in Gmünd zu feiner nicht geringen Verlegenheit erfahren, 
daß die Gmünder Niemand zur Stadt hinausließen. Das Mittel 
der Belegung der Thore und Befeftigungen hatte übrigens, ehe der 
obige Bericht abging, feinen eigentlichen Zwed erfüllt; denn unter 
dem 27. März hatte die Stadtregierung der Bürgerfchaft nachgegeben 
und die Proclamation erlaffen, welche Schwab ©. 286 nad) F. A. 
Nr. 7 mortgetreu (mur chronologisch nicht an. rechten Orte) mit— 
theilt?. Der Nath Hatte fich, wie er es darftellt, aus Patriotismus, 
an den er auch bei feinen Gegnern appellirt, entichloffen, „daß ein 
ehrbar Rat und eine fromme Gemeinde zufammen ſchwören und 
verpflichten follen, daß fie einhelfiglich das heilig Evangelium — 


ı Die aus zwei Bürgermeiftern und einem Rathe von 24 Mitgliedern, 
einſchließlich 8 Zuchtmeiftern beftand. 
2 Daffelbe bei Grimm ©. 166. Unrichtig find nur die Worte am 
Schluß: „und feiner will das Alles — in fein Weile”. — Dafür fieht im 
Driginal: „und keins — foviel dei alles — gegen den andern rächen noch 
eiffern im fein weiſe“ u. ſ. w. 


234 


wollen einander Helfen handhaben — Leib und Gut dabei bleiben 
laſſen, auc alle böjfe Ordnung und Satzung diefer Stadt abthun 
und gut Ordnung auf Helfen richten, wie fi gebührt nad allen 
ziemlichen Dingen“. 

„Sie fein in der Stadt wieder eins, haben zufammengefchwo- 
ren“, fonnte man von Lord) am 31. nad) Stuttgart berichten. Auch 
die Haltung den Bauern gegenüber war fofort eine andere. Hatten 
bisher Beziehungen zwiſchen diefen und einer Anzahl von Bürgern 
ftattgefunden : die Ausföhnung hob ſie auf. Der Rath vermwahrte 
fi) in Stuttgart (d. d. 29. März) gegen den Verdacht der Bethei- 
ligung am Banernaufruhr umd feindlicher Abfichten feiner Bürger 
gegen Lord. Bauern feines Gebiets hätten fich allerdings dem Auf- 
ruhr angeichloffen und durch Abmahnungen davon nicht abbringen 
laſſen. Als in diefen Tagen ein Banernhaufe — im Abzug be= 
griffen — vor der Stadt erfchien und „begerte, ihnen etlich heraus— 
zugeben, dann ihnen ein Zufagen geſchehn fei mitzuzichen“, fragte 
man fie: „Wer die feien ?* „Die wollen fie nit anzeigen“ — fie 
mochten e8 an dem veränderten Benehmen der Städter merfen, daß 
es nicht mehr räthlich fei, ihre Anhänger zu verrathen (Acten des 
Augsb. Archivs). 

Bürgermeilter und Rath, durch die Ausföhnung mit ihren Bür- 
gern geitärft, fandten am 30. März den Spitalmeifter mit drei An— 
deren an den Ausschuß und die Hauptlente der Bauern nad) Hohen- 
statt; fie überbrachten ein eben eingetroffenes Mandat des ſchwäbi— 
ichen Bundes fowie eine jchriftliche Ermahnung an die „Hinterjaifen“, 
welche fie fchon „zwyr durd ihre Nathsbotichaft lajfen abjondern“, 
— die Ermahnung, „nad ihren Pflichten und Eiden fich wieder an— 
heim zu thun. — So wollen wir diefer Handlung gegen euch in 
Argem nit gedenken“. — „Esift zu beforgen — daß dei Alles euch 
zu großem Werderb Leibs und Guts reichen möchte, was wir — 
eure Herrn und Gutthäter aus fondrer Neigung nit haben wollen 
verhalten“ (F. A. Nr. 8). 

Ueber den Erfolg diefer Miffton erfahren wir aus einem Be— 
richte der Gmiünder Regierung an ihren Gefandten beim ſchw. Bunde 
in Ulm, Bürgermeijter Egen; datirt vom 1. April (F. A. Wr. 10), 
daß die Hauptlente den Abgefandten ihre Schriften abnahmen, um 
diefe, weil heute „der Hauff weinig fei“, morgen demfelben mitzu— 
theilen. Des andern Tages, 31. März, als die Geſandtſchaft fich 
wieder auf den Weg machte, um die Antwort entgegenzunehmen und 
ein neuftes Mandat des Bundes mit einem DBegleitfchreiben (F. A. 


1 Der Auszug aus diefem Actenftüd bei Schwab S. 287 ftimmt biemit 
überein, die folgende Erzählung bedarf einiger Berichtigung. Der zweite bort 
erwähnte Brief der Gmünder Regierung, dev aber nicht an bie Bauern ge— 
langte, war fürzer, aber nicht weniger wohlwollend und von einem Bilfet (Beil. 
Nr. 3) begleitet, worin der Rath die Hinterfafen einladet, ihre etwaigen Be— 
ſchwerden „frolich anzuzeigen; der Rath wolle ſich gegen einen Jeden erzeigen 
wie fi gebührt“. 


235° 


Nr. 9) zu übergeben, ftieß fie jhon in Schechingen auf einige ber 
Hauptleute, von denen Jörg Betz ihr den Beſcheid gab: die geftrigen 
Schriften feien den Bauern mitgetheilt worden, darauf fei „der Hauf 
abgezogen und anheim“. Es fei darum nicht nöthig, die neuen Schriften 
zu verlefen. Die Bauern feien „der Sachen uneinig worden“ und 
auf zwei Haufen „von einander getreten“. 

Nach diefem Vorfpiel (nicht wie e8 bei Schwab fcheinen fönnte : 
Ende) des Bauernfriege, mag in der Nähe von Gmünd eine Paufe 
eingetreten fein; wenigitens find wir bi8 zum 26. April ohne Nach— 
richt über die Bewegung auf diefem Gebiet, und in Lord dachte man 
vergnügt (Schreiben vom 31. März, im Augsb. Ardiv): „Und ift 
wahr, wo Lord nit befest worden, fo wäre es von ihnen umges 
nommen und allein um Lieferung willen gefchehen, denn fie großen 
Mangel haben und fchreien viel von ihnen, man foll ihnen heimhelfen. 
E8 laufen ihnen bei 200 Weiber nad), und it ein liederlich Volk“, 

Indeſſen mußte das Stadtregiment eine neue Umwälzung über 
fih ergehen laſſen. Wir berichten darüber, foweit e8 zum Ver— 
ftändniß der fpäteren Verhandlungen mit den Bauern nöthig ift. 

Rath und Bürgerfchaft hatten wirkfih am 27. März zufammen- 
geihworen und ſich Eintracht, Aufrichtung des Evangeliums und Ab— 
ftellung der Mifbräuche gelobt. Diefe Conceffionen hatte dem Rath 
eine aus „Bürgern“ und „Inwohnern“ beftehende Partei, ohne 
Zweifel die Mehrheit der Einwohnerfchaft abgedrungen. Diefelben 
hatten ſich „mit Eidespflichten zufammenverpflichtet, daß fie einander 
wollen handhaben und was Einen angang folle den Andern auch be= 
treffen“ (F. A. Nr. 10 und 14). Dem Ausschuß, welcher an der Spike 
der Verſchworenen ftand, war ein Eremplar der obenerwähnten Pro= 
clamation des Raths, gleichſam als Vertragsurkunde, übergeben 
worden. Derſelbe hielt aber, auch nach erfolgter Ausſöhnung, ſeine 
Aufgabe, als eine Art Volkstribunat die weiteren Schritte des Raths 
zu überwachen, nicht für beendigt. Er ſtellte Schon am 1. April an 
den Bürgermeijter Brauch verichiedene von Mißtrauen zeugende An— 
fragen. Man traute dem Rath die Abficht zu, mit Hilfe einer 
bündiichen Beſatzung die verlorene abfolute Gewalt wieder an jich zu 
reißen. Für jet Tieß man fich befchwichtigen (F. A.Nr. 10). Aber 
daß die nächiten Wochen die Spannung nicht verminderten, fondern 
erhöhten, beweiſt die Kataftrophe am 16. April (Diterfeit). 

„Es hat fich begeben am heiligen Ofterabend“ (Vorabend, 15. 
April), erzählt (F. A. Nr. 14), ein Bericht (Concept) an die fpäter 
zur Vermittelung angerufenen Städte, „daß ein muthwilliger böfer 
Bub fih Nachts in die Pfarrfirche verborgen, Willens, Nachts darin 
zu bleiben“. Der Stettmeifter (erfter Finanzbeamter der Stadt) 
und Pfleger der Kirche Lie denfelben gefangen ſetzen. „Alſo haben 
ſich etlih unferer Bürger bei nächtliher Weyl zufammengethan — 
und fich entichloffen, daß fie den Buben als ihren Mitgenofjen außer 
dem Gefängnig wollen haben und alfo um eins nad Mitternacht — 
einen Lärm umgefchlagen und — Öffentlich laſſen umſchreien: alle 


236 


die fo verfchienener Weyl zuſammengeſchworen haben, das heilige 
Evangelium zu handhaben, die follten bei gefchworenem Eid mit ihren 
Wehren und Harnifh fommen auf den Markt. — Und als ber 
Dürgermeifter folches gewahr worden, ift er zu ihnen in den Haufen 
gegangen, fie mit gütigen Worten befpracht, fagend, was fie mit 
jolher Zufammenrottierung ohne Wiffen eines Raths meinen, haben 
fie frevenlich Antwort gegeben: fie wollen den Gefangenen haben, 
darauf fie der Bürgermeifter gebeten Geduld zu haben, bis morgen 
wolle er einen Rath fammeln und ihn ledig laffen. Aber fie fich 
ſolches Beſcheids nicht fättigen lajfen; alfo Hat der Bürgermeifter 
den Buben müffen ledig laſſen — und alfo die Nacht (in der ganzen 
Stadt brannten Feuer) mit verwaffneter Hand bis auf den Tag 
beieinander auf dem Markt geblieben und morgens am heiligen Djter- 
tag durd ihren Ausschuß an einen Rath begehren, den frommen 
Mann, den Stettmeilter, Raths zu entjegen“. Ungern und unter 
Proteftationen des Raths und des Stettmeifters felbit wurde ihnen 
willfahrt.. „Der Haufe“ nahm aud) wieder die Schlüffel zu den 
ZThoren, die wurden „Tag und Nacht gewaffneter Hand verwacht“. 

Die Aufftändifchen fetten num vor Allem die Anerkennung ihres 
Ausschuffes als einer Behörde (von Stadtverordneten, |. u. S. 241) 
durch. Mit Widermwillen geftand e8 der Rath zu, „weil es nicht 
gut fei, zwei Käthe in einer Stadt zu haben“. 

Als die Menge auseinanderlief, brachen Viele ins Prediger- 
Flofter ein und plünderten Vorrathskammern und Keller. 

Der Ausfhuß, wird ferner. berichtet, „hat ſich unterfangen den 
Rath abzuſetzen“ (d.h. 14 von feinen 24 Mitgliedern, Beil. Wr.23b), 
„treffliche wohlhabende redliche Perfonen ‚darauf und den Rath mit 
Andern zu befegen und hat eine neue Ordnung gemacht, wie ins 
Künftige Rath und Gericht erfett werden folle“, ungeachtet aller 
Abmahnungen des Raths, der fie auf die für die Stadt zu befürd)- 
tenden Folgen hinwies und ihnen vorhielt, „wie fie dem Math oft 
zugefagt, fie werden ihn bei feiner Freiheit und Obrigkeit und bei 
Recht bleiben laſſen“. „Was fie für Ordnung fürgenommen, dem- 
felbigen hat müfjen Folge gefchehen, es fei unfer Will gewejen oder 
nit“. Nur die Zunftmeifter wollten ihnen nicht beitreten‘. 


2 Ibige Darftellung erfordert eine Auseinanderfegung mit ber bei Schwab 
S. 288 nach der Mitte gegebenen. Erftere bafirt auf der von Schwab für um- 
leferlich erklärten, aber vollftändig entzifferten Nr. 14 des F. A., Ietstere gibt das 
Regeft des Sammler8 wieder, mit bdeffen Irrthümern. Der Bericht Nr. 14 
ftammt vom Juli oder Auguft 1525, und die berichteten Vorfälle ereigneten ſich 
um Oftern 1525, nicht wie nad) dev Nummernfolge — und nad) der richtete 
fi) Schw. — feinen könnte im Jahre 1526. Die Worte des Regeſts: 
„wollen das reine Evangelium Haben“, „der in der Pfarrkirche geftohlen“, 
„Klöfter* in der Mehrzahl, „belegen die Stadt mit neuen Steuern“ ſtehen nicht 
in diefem ganzen ausführlichen Actenftüde. Was das Evangelium betrifft, fo 
ift Teicht zu erflären, warum die aufftändiiche Partei, die freilich zugleich bie 
Iutherifche war, dieſe Forderung gerade damals nicht erhob und bdiefelbe in 
Nr. 14 nicht erwähnt fein kann: die Lutheraner hatten das reine Evan- 


237 


Der ar ſich unbedeutende Vorfall in der Nacht vor Oſteru 
würde fo weittragende Folgen nicht gehabt Haben, wenn fich micht 
Rath und Bürgerfchaft zuvor in der höchſten Spannung des Miß- 
trauens, diefe einen Staatsſtreich, jene eine Revolution von ihren 
Gegnern befürchtend, gegenübergeftanden wären. So tumuftuarifch 
nun allerdings das Vorgehen der Bürgerſchaft war, bis fie fich der 
Gewalt bemächtigt hatte, fo- günftig die Meinung, welche ihr Ver- 
halten bei den Unterhandfungen mit den Bauern, da8 wir weiterhin 
beobachten werden, erwedt: wir haben es offenbar — abgejehen von 
den auch diefer Bewegung fich - anhängenden unreinen Elementen — 
bei den Führern nicht mit Feinden der Ordnung überhaupt, fondern 
mit einer Neformpartei zu thun, die aber zur Ueberzeugung gefom- 
men war, daß der Syſtemwechſel vom 27. März ohne einen Wechſel 
in den regierenden Perfonen feine Bürgſchaft feines Beſtandes 
abe. 

j Der Bauernaufruhr, der unterdeffen die nrößten Dimenfionen 
angenommen hatte, bedrohte nun auch die Obrigfeiten Frankens und 
Schwabens ernftlich (ſ. v. Stälin IV, 292). Am 16. April erfolgte die 
Einnahme von Weinsberg mit ihren Gräueln, am 18. die von Heil- 
bromm!, Am 17. traten die Bauern aus der Herrfchaft Yimburg 
unter Wolfgang Kürfchenbeiffer, Pfarrer von Frickenhofen, ihrem 
Ranzler, zufammen, rücdten, durch die Hälfifchen Bauern verftärft, 
füdwärts über Murrhardt, bis fie am 26. April mit ihrem Haupt- 
quartier Lorch befetten (f. v. Stälin ©. 292. Zimmermann II, 
180). In jenen Tagen ? erhielten fie weitere Verftärfung aus den 
Dörfern um Gmünd, deffen Lage aus dem Bruchftüi eines Schrei= 
bens (Soncept Beil. 12) vom 25. April, Nachts 1 Uhr (wahrfchein- 
(ih) an den Bürgermeilter Egen in Ulm) erhellt: „weyl wir dann 
alfo belegert und wir taglich8 und all ftund befchedigung libs und 
guts wartig muffen ſeyn, bitten wir E(ure) Weisheit) wolle ſolichs 
den ftenden des bunds amzaigen, damit wir folich® laſts entladen 
mochten werden, das wollen wir im der glichen befchulden. Dat. 
Inn eyl Aftermontags nach Quasimodogeniti”. 

Die innere Lage, die Neigung der revolutionären Elemente, ſich 
an der Priefterichaft zu vergreifen, und das Beſtreben der neuen Re— 
gierung, Eintraht und Ordnung im Innern aufrecht zu erhalten, 
kennzeichnet ein vom 27. April datirter Anfchlag (F. A. Nr. 16): 

„Uff dornjtag nad) dem fontag Quafimodogeniti 1525 hat fich 
die briejterfchafft uff anfuchen ains erbern Rats und des außſchuß 


gelium, das ihnen Andreas Althamer ſchon 1524 prebigte, feit dem 27. März 
1525 vom Rath nicht mehr gehindert. 

ı Eine fehr timides Schreiben von da d. d. 25. April an die Gmünder, 
Beil. N. 4, zeugt von der Noth der, H. Regierung. 

2 Aus welchen die auf einem Blättchen Beil. 17 verzeichnete Erklärung 
des Pfarrers von Heuchlingen ftammen mag, die wir am Schluß in Beil. 
2 mittheilen. 


238° 


bewilligt und begeben, das fie ir leyb und gut und alles ir vermögen 
zu einem erbern Rat und gantzer gemainde fegen wollen. 

Darumb fo ijt von einem erbern Rath und dem außſchus ernit= 
lich verlaßen, das nymant weder geiltlich noch weltlich bejchedige, das 
ir nemen oder ainen gewalt bewijen foll; wer das uberfert, der wirdet 
darumb nad) gelegenheit der verhandlung geitrafft an leyb oder 
gut“, 

Aus diefer Verpflichtung der Priefterfchaft, fich der politifchen 
Umwälzung anzufchließen und fie — um den Preis zugeficherten 
Schutes für Perfonen und Eigenthum — anzuerfennen, machen 
dann fpätere Quellen (3. B. die Dolliſche Chronik und ihr folgend 
Grimm S. 360 und die Beichreibung des Oberamts Gmünd ©. 
263) — das Datum und die Zuftände im betreffenden Augenblick 
verfennend — ein Gelübde, den alten Glauben aufrecht zu erhalten, 
wovon Nichts dafteht und was wenigjtens der Ausschuß gewiß nicht 
al8 feine Sache betrachtete. 

Zwei Tage fpäter, am 29. April, erließ das bäuerliche Haupt» 
quartier folgendes Schreiben (Beil. Nr. 5): 

„An die erfamen günftigen gemeinen Tieben bürger und mit 
brüder in Chriſto der ganten gemeinfchafft und burgerfchafft 
Gmiündt. 

Wir oberfte hauptleut und gemeiner heller hauff hie zu Lorch 
entbietten euch unfer freumtlich dient unnd bruderlich treu zuvor. 
Ginftige lichen brueder in Chriſto. Als wir in bruderlicher lieb 
bey ainander verfammelt findt uffzurichten das heilig Gvangeli, welches 
uns langher verjchwigen und undergetruckt geweit ift, zu [ob got dem 
almechtigen, zu troft unnd nutz dem armen, und aufreuten alfe böfe 
mifbreuch, fo durch menfchen gedicht wider got und das heilig Evans 
geli, auch unferm neben menjchen bißhero geichehen ift!: Co ift an 
euch unfer freuntlich bit und beger, de heilig Evangeli helffen be= 
halten und auffrichten, bei unns in bruderlicher lieb und treu zu er= 
fcheinen und ſolch graus befchwer des gemeine volcks von der ober— 
feit bijfher geliten abzuthon und die zwelff artickell uffzurichten. Als 
fi) dann die fürjten und bern auch vom adel ſich ergeben und ſolch 
genant zwolff artidel von den oberjten hauptleuten und helfen hauffen 
hie zu Lord) angenomen und mit iren hinderſeſſen gericht und geftelt, 
wollen auch uns folcher meinung genglich in bruderficher Lieb zu euch) 
verjehen. Wo aber das mit gefchech, mueften wir gegen euch fur= 
nemen, das wir vil lieber vertragen wolten fein?. Aber ums zweifelt 
gar nit an euch folche böſs mijhendel abhelffen ftellen „— (ihr Secret 
fei beigedruckt)). Samftag nad) Quasimodogeniti anno 1525. 

Bon uns Hauptleuten und rath des gemeinen hellen hauff jet 
zu Lord“. 


1 Bol. dazır die ähnliche Stelle bei Zimmermann II, 150. 
» Als Muftration dazu konnten die Gmünder den Brand der Burg 
Hohenftaufen in der folgenden Nacht anjehen. S. Zimmermann II, S. 186 fi. 


239 


Bon diefen Schreiben, das in der Anrede gewinnend, zulett 
auch drohend die Gmünder in die Bewegung Hineinzuziehen fuchte, 
ließ fich die Bürgerfchaft nicht verloden, verınied es aber doch, die in 
religiöfer Hinſicht Gefinnungsverwandten zurüczuftoßen; fie fandte, 
mit ihrer Meinung in politieis klüglich zurückhaltend, Tags darauf, 
30. April, folgende, wahrjcheinlid in einer Gemeindeverfammlung be= 
fchloffene Antwort (Beil. Nr. 6, Concept): 

„Wir die burger gemainlich und fonderlich der ftat Swabiſchen 
G. enbietten den hauptlewten rätten und gemainem hellem hauffen, 
fo jego zu Lord bey einander verfamelt find, unnfer freuntlich dienft 
zuvor. Ewer jchriben uns von euch geitern ſambſtags ſpat zufomen, 
haben wir alles feines innhalts horn lefen, und haben mit froden 
gant gern gehort, das ir des erlichen criitenlichen und loblichen für— 
nemen® und maynung jeyen, das Hallig evangelium und gottes wort 
zuhandhaben als frum crijten. Deffelbigen gemuts willens und may— 
nung wir auch jeyen, haben auch alle jamptlich und fonderlich vor 
difer weyl einhelligklich zufamen gefworn, das hailig ewangelium 
und goßwort zuhandhaben, fchugen und ſchyrmen alles unnfers ver= 
mogens leybs und guts, auch darmider nit zu fein noch handlen, 
und darbey fterben und genefen, des alles wir euch, den wir zu 
freuntlichen dienften zu beweyſen genaigt feyen, uff ewer gethan fchrey- 
ben nit Haben wollen verhalten. Geben — — uff Contag Mis. 
domini 1525“. 

Darauf wandte ſich das Hauptquartier der Bauern am 1. 
Mait — dieß Mal den legalen Weg einschlagend — an Bürgermeijter 
und Rath der Stadt, „ihre befonders lieben und guten Freunde”, und 
begehrte Durchzug bei ihnen zu haben, wozu die Gmiünder ihnen 
„ihr fchriftlich frei, jtrack, ficher (nicht „ehrbar“, wie es bei Schwab 
heißt), Geleidt durd; die Ueberbringer dieſes unabſchlägig zufchiden 
und damit Fein Verharrung haben follen ?*, 

Ihre Antwort gaben Bürgermeifter und Nath am gleichen Tage, 
im gewöhnlichen Negierungsftyl ihren Gruß entbietend und das Be— 
gehren ziemlich vornehm abweifend. 

„Dieweill und nit gelegen, auch ganntz nit verantwurtlich ift, 
euch durch unfer ftat laſſen zutzichen, fo haben wir auch nit macht, 
yemandt ufferhalb unnjer tat zuvergleiten. So ir aber ye willens 
jeyen üwern fürtzug umb uns zu haben unnd fürtzunehmen, wellen 
wir uns zu euch verjehen, ir werden euch geburlich halten, unns, die 
unfern und all unnfer zugehörigen und verwanten nit beleidigen noch 
beichedigen. — Darnad) haben zu richten“. 

ı Bol. auch Zimmermann II, 191. 

2 F. A. Nr. 1; während das Actenftiid der Zeit nach hinter Nr. 10 ge 
hört. Bon der chronologiſchen Ordnung abgefehen, ift diefes und das folgenbe 
Schreiben wortgetreu abgedrudt bei Schwab S. 283 ff. Die „unleferliche” Stelle 
S. 284 lautet: „haben wir ünnjer flatt Mein fecret zu rud uffgetrudtem inn- 
figel“ u. f. w. Eine Correfpondenz vom gleihen Tage mit Hall ſ. Oechsle, 


Beiträge zur Geſchichte des Bauernfrieges in den ſchwäbiſch-fräukiſchen Gtenz- 
landen, Heilbronn 1830. ©. 404. 


240 


Auf dieß hin verfuchten die Bauernführer,, gleichfalls von Lorch 
aus, durch die Bürgerſchaft und trog dem Rath zum Ziele zu kom— 
men und erliegen eodem dato einen Tags darauf abgegebenen Brief 
(Beil. Nr. 7) mit der Abdreffe: 

„An ein erfame gemeindt und ewangelifchen bruder zu Gmunbd, 
unfern lieben bruedern. 

Unnfern grues!, freuntliche willige dienft in bruderlicher Liebe 
zuvoran. Gunftigen lieben und befundere gutte bruder unnd freunde. 
Nachdem wir in verfamlung bruderlicher freuntfchafft jetiindt zu 
Lorch begriffen unnd im willeng bey euch fürzug unnd freuntlichß ge= 
iprech zu haben fürgenommen, auc einen rath darumb begrüeffett, 
das unns abfchlegig zugefchielt worden, des wir unns zur inen gantz 
nit verfehen. Aber wie dem allen iſt unfer freuntlich begeren, unfern 
freuntlichen und bruderlichen willen hellfen zuvolſtreckenn und einss 
rats troung fein ſchweigung (?) zu forchten, dan wir bei euch und an— 
dern anhengenden nachbauren zu auffung und merung des wort 
gotts leib, leben, guth und ere fegen wollen. Damit begeren wir ewer 
antwort fchrifftfichen verfigelten gleidt, in freuntlicher verfammelter 
bruderlicher liebe gejprech zu Halten, des wir uns unabfchlegig unnd 
zu euch vertroften mit begerung ewer jchrifftlichen antwort. Datum 
montag nach) Misericord. dom. 1525. 

Hauptleutth Retthe und gemeiner auffchus des gemeinen hellen 
hauffen zu Lord“. 

Den weitern Gang der Begebenheiten verfolgen wir an der 
Hand eines für den Geſandten in Ulm beftimmten Berichts vom 3. 
Mai (Beil. Nr. 12, Concept), den wir in zwei Abſätzen, die darin 
berührte Correipondenz einfiigend, mittheilen : 

„Wir Burgermeifter und Rat ꝛc. — embietten — unnfer freunt= 
ichaft zuvor und fuegen E. W. zuvernemen, das ung gejtern — 
von den auffrierigen bauren zu Lorch Tigende ein fchrifft zufomen ift 2 
— md die wil dan ſolich Schrifft an ein gemeinde geftanden, haben 
wir fampt dem außichus ein gemainde laſſen zufamen beruffen, folich 
de8 helfen hauffen fchriben inen für laffen Halten und uns mit inen 
Be antt(wort) entſchloſſen, die inen in fchrifft zugeſtelt“ (Copie 
ag bei). 

; Diefe „ſchrifft“ Tautete (Beil. 8) im Concept: 

„Wir die ganz Gemainde der tat Sch. G. embieten haupt— 
leuten u. f. w., fo jeß zu Lorch verfamelt jeyen, unnſern grus zuvor. 
Ewr fchriben uns abermals gethan, des dat mwehfet montags nad) 
Mife., die — haben wir horn lefen. Nun haben ir aber nochermals 
unnfern herrn B. und R. laſſen fchriben mit beger euch ein durch- 
zug zuwilligen, auch zuverglaitten, deßhalben auch anttwort gegeben 
worden, ongezwifelt ewre freuntichafft wiſſend, darbey wir es noch: 
malen laffen beleyben. Diewil dann ewer gemitt ift ewern fürzug 


2 Dies Wort etwas zweifelhaft. 
2 ine Eopie berfelben Tag bei. 


241 


bey ung furzunemen, mit uns geſprach zu haben, wollen wir aud) 
nit abſchlagen, doch mit einem zimlichen außſchuß, wes uns dann 
verner euch anttwort zugeben gebürn wiirdet, wollen wir uns aller 
gebur Halten. Doch wollen wir ung verjehen, ir wert euch gegen 
uns und den unnſern geburlicher weyfe halten — (u. f. w.). Geben 
— afftermontag nad) Philippi und Jacobi 1525". 

Bon diefer Antwort, die Zeuguiß ablegt von dem nunmehr in 
Gmünd zwiſchen NRegierenden und Regierten Herrichenden Vertrauen, 
fagt der oben erwähnte Bericht weiter: „unnd vermaint fie folten fich 
daran fettigen laſſen, aber des alles unangejehen haben jie iren fürzug 
uff unnſer ftat fürgenomen !, unnd als ſie zu der freußmulen ? 
fomen, haben fie irn außſchus fur unnfer ftat geſchickt mit beger 
inen den außſchus der 15 perfon von ain gemainde verordnet zuze— 
fchiefen, de8 wir mit verwilligung der gemainde gethon Haben, fie 
verner begert fie durch unnſer jtat zieh und pajfieren lajjen und ein 
verfchriben gelait zu geben, darauff wir und die gank gemainde ung 
entſchloſſen und inen zu autwortt gegeben, das wir es bey vorgebener 
anttwort lajjen beleyben, darauff fie wider hynder fich gerugft und 
ivn zug uff Werhain? furgenomen (hier ein naher zu erwähnendes, 
corrigirtes und zulett ausgeftrichenes Stück) und feyen alſo die ver- 
gangene macht eins tail8 im clojter und ains tails der groſſe Hauff 
zu Mutlang gelegen, darnad) uff hewt datum umb fünff hor vormit- 
tag hat uns der hell hauff wider gefchriben * (Copie lag bei); darauff 
wir inen fhein anttwort geben“. Ueblicher Schluß. Mittwoch nad) 
Mis. dom. 1525. 

Mit dem gleichem Datum Haben die Bauern von Muthlangen 
(1 Stunde von Gmünd) noch folgendes Schreiben nad) Gmünd ab- 
eſendet: 

„Den erſamen und furſuchtigen burgern und gemaind der 
criſtemlichen ſtatt Gmünd, unſern lieben brudern, gehörtt der brieff. 

Unſer freuntlich willig dienſtt in Criſto, auch briederlicher liebe. 
Gunſtigenn lieben brieder und gutte freund. Dem nach und wir 
jetzund mitt unſer verſammlung zu Muttlangen unſer leger geſchlagen, 
aber etlich uſſ den unſern, nemlich der hauptmann von Gaildorff der 
brofoſſ mit ſampt iren mitthelffern, an (ohn) unſer wiſſenn und 


ı Bon Lord) nach Gmünd find es zwei Wegſtunden. 

2 Eine BViertelftunde weſtlich von der Stadt, 

* Merhain jetzt Wetzgau |. Mofer 158; Beichreibung des Oberamts 
Welzheim. Sie zogen aljo von der weftlid) gelegenen Kreuzmühle nördlich nad) 
Wetzgau und von da öſtlich nad) Muthlangen, das nördlid) von der Stadt auf 
demjelben Höhenzuge liegt. Eine andere Abtheilung umging die Stadt nördlich, 
wahrſcheinlich im Thale, auf dem rechten Remsufer bleibend, und gelangte zu 
dem öſtlich liegenden Klofter Gotteszell, nahm e8 ein, „und liegen“, heißt e8 in 
Beil, Nr. 11 vom gleichen Datum 3. Mai, „mit höres crafft in clofter und umb 
unfer ftat, und muſſen all ſtund forgen, wa fie uns etwas verpfändlich® zu- 


gen. 
* Dies Schreiben fcheint verloren, 


242 


haiffenn in daſſ clofter Gotzzeell den frawen gemalt bewifen, daſſ 
fur war unff Hauptlent und dem g. 5. hauffen ein trewlich laib ift, 
auch angeficht diſß brieffs dem brofofenm nach geyltt und nad im 
mutt zu greiffen und zichtigen, auch alle andere daſo unſs angeznigt 
werdend. Darumb unjer fraintlich briederlih bitt an euch ift, unſs 
follichj8 mitt verargen und in fainen weis entgelten lajjenn. Dann 
wir der mainung gar mitt feind, der ſtatt Gmünd oder den ewren 
fain überdrang zu thun, ſunder in briederlicher liebe und in ainifait 
mitt euch handlen, höben und lögen, Daſſ mögen ir euch gögen unſs ver— 
fehen, daſs wir unſs auch gögen euch trejten. Geben in unferem leger 
zu Mutlang an Mittwoch nad) Mis. dom. im 1525 jar. 

Auch fo ſey euch fundt, dafs wir den hauptınan von Gaildorff 
ihon in gefängnujs habenbd. 

Bon uns hauptleuten und deſs gem. hell. h. ausſchuß und rätt 
zu Mutlang“. (F. A. Wr. 5). 


Hierauf jcheinen die Gmünder von den Bauern ein Geleit- 
jchreiben verlangt zu haben, etwa, um Unterhändfer zu ihnen fchicken 
zu können. Der Geleitbrief, den die Bauern unter dem 4. Mai 
fandten, lautet (F. A. Wr. 4): 


„Wir die Hauptleuth rethe unnd außſchuß des gemeinen hellen 
hauffen igundt zu Mutlangen befennen offentlichn hiemit difem brief, 
das wir den erfamen und wehjen burgermeijtere, rath unnd ganger 
gemeynde der ftat Schwebiichen Gemünde uff ir fehrifftliche begerung 
unnfer frei ſtrack ficher geleidt, von und big wider in ir ficherheit, ge= 
ben und zugejagt haben, geben und fagen inen das zu wiljentlich mit 
unnd in crafjt dies Driefs für leib und guth, und des zu warem 
urfhunt haben wir obgemelte h. r. u. a. des g. h. 5. unſer fecret 
zu ende diefer fchrifft thun drudhen. Datum ꝛc.“. 

* Siegel ſtellt eine Sturmglocke vor, über welcher eine Wage 
webt). 


Das Begleitſchreiben (P. A. Nr. 3) lautet: 
„Dem furgeachten e. w. burgerm., rath und ganzer gemeinde zu 
Gemündt, unſern beſundern guten und lieben brudern. 


Unnſern freuntlichen grues in bruderlicher liebe zuvor, beſunder 
günftige und liebe brüder. An euch iſt unnſer gütlich und freuntlich 
begeren unnd bitt, ir wollent unns unnd unſerm hauffen zu guth 
auch erjpriejfung und Lieferung wein und brots ewern mitburgern 
dafjelbig zu unns in unfer leger zu furen vergonnen. Dagegen jedem 
das fein genugſamliche bezalung gejcheen foll, haben auch in gantzem 
gemeinem hellem hauffen ernjtlich, auch bei verlierung leib8 und guts 
verpotten, euch und dem clojter khein uberlejtung zuzufugen, wo aber 
fi) einer ungehorfamlich dar innen erzeigen wurde, wmecht ir gegen 
inen handeln unnd furnemen nach ewerm gefallen oder ung die ſel— 
bigen uberantwortten,, die wir ungeftrafft nit lajjen wollen, geben 
auch Hiemit allen und jeden unfer frey ſtrack ficher gleidt, unnd be— 
dorffendt euch nichts anders dan alles gutt® zu unns unnd ges 


243 


meinem 5. 5. getroften, verjehen uns auch zu euch in bruderlicher 
liebe feines abſchlags. 
9. r. u. ganzer g. 5. h. izundt zu Mutlang“. 

Gmünder Abgejandte famen, wie wir hernad aus F. A. Nr. 6 
erjehen werden, ins bäurifche Hauptquartier, brachten die Beſchwerden 
der Stadt vor und bezeugten auch die DBereitwilligfeit derjelben, dem 
Bauern „in dem was friedlich und gut zu handeln, willig und 
dienftlich zu fein“. 

Seltjam nimmt ſich neben dieſen verhältnißmaßig friedlichen 
Verhandlungen die Nachricht aus, die wir aus den Acten des Augs— 
burger Stadtarchivs jchöpfen, daß am 5. Mai eine Gmünder Raths⸗ 
botſchaft zu Ulm einen „kläglichen“ Hülferuf an den Schwäbiſchen 
Bund gerichtet habe, „wie ſich die Bauerſchaft ob 8000 Mann ſtark 
für ſie geſchlagen und ihnen das Waſſer abgegraben und zu ihnen 
hineinſchießen“. Hierbei genügt es nicht, an die Befürchtungen zu 
denken, welche freilich den Gmündern beim Anblick der zahlreichen 
Schaaren aufſteigen konnten, nachdem ſie ihnen den Durchzug ver— 
weigert hatten, ſondern es müßte angenommen werden, daß die An— 
führer einzelner Bauernſchaaren, welche mit dem Hauptquartier nicht 
immer einig gingen, ſondern es zu großer Rückſicht auf Gmünd 
ſpäter (ſ. d. Beil. Nr. 15) offen beſchuldigten, vom 3. auf den 4. Mai 
eigenmächtig zum Angriff gegen die Stadt geſchritten ſeien. Auffal— 
lend iſt nur das völlige Schweigen der Correſpondenz zwiſchen Gmünd 
und den Bauern über ſolche Handlungen, auch an ſolchen Stellen, 
wo es ſehr nahe lag fie zu erwähnen, z. B. wo von Klagen die 
Rede it, Entjchuldigungen vorgebradht werden. Deshalb ift man 
verjucht, in jenem Hülferuf ſchon die Tendenz zu erfennen, die ſpäter 
nur zu deutlich hervortrat, die aber ein Theil der Gmünder Regie— 
rung damals jchon Haben mochte, die Noth der Stadt als recht 
groß, das Bedürfniß bündischer Hülfe als recht dringend erfcheinen 
zu lajjen — um Unterftügung zu gewinnen, nicht gegen die äußere, 
jondern die innere Revolution. — Was man am 4 Mai in Ehingen 
wiſſen wollte, Gmünd fei nicht nur ſtark belagert, fondern ſchon ein— 
genommen, war und blieb ein bloße Gerücht. Che noch der Ober» 
befehl&haber Jörg Truchſeß von Waldburg daran denken Fonnte, 
(wozu er von Bundes wegen dringend aufgefordert wurde), den 
Gmündern Hilfe zu bringen, durfte am 6. Mai der bündijche 
Hauptmann Ulrid) Arzt von Augsburg ſchreiben: „Gmünd ijt nicht 
verloren, jondern auf gejtern die Bauern (von Muthlangen nad) 
Gaildorf) abgezogen !“. 

Eine weitere Correfpondenz der Gmünder mit dem bäurijchen 
Hauptquartier verdient, obwohl fruchtlos geblieben, erwähnt zu werden, 
weil fie zeigt, daß die Neutralität der Gmünder zwar eine, foweit 


ı Schon am 3. Mai hatte man die nächft bei der Stadt lagernde Bauern« 
ſchaar das Remsthal aufwärts abziehen Dt aber dem Frieden noch nicht 
veht getraut. S. Oechsle a, a, O. ©. 4 


244 


die Umſtände es gejtatteten, ftrenge, aber immerhin wohlwollende war. 
Soweit mag der Ausdrud der Oberamtsbeichreibung S. 246, vgl. 283, 
gelten, des neue Kath fei „der Bauernjache freundlich“ gewefen, was 
nad) dem bisher Berichteten nicht ohne Einſchränkung wahr ift. 

Am 7. Mai jandten die Bauern von Gaildorf ein Schreiben 
an „Erjamen Rath und ganze Commun zu Gmünd“, worin fie von 
Neuem die Gmünder auf ihre Seite zu ziehen fuchen: 

„Gnad fried und ainikait in Criſto Jeſu jampt. briederlicher Liebe 
und trewe zu for, Erjamen günftigen und weije liebe herrn. 

Als ir jungjt im hellen haufenn von uunſs gefchaiden, euch er= 
botten, wo ir unſs umd dem ganzen helle Huffen was fridlid) und 
guths zu Handlen, darinn ir willig und dienjtlih uns| fein wollend, 
darann hauptleut ꝛc. ain ſunderlich gefallen, deſs verhoffen zu ewer 
weijsheit, fülchen ewern zufagen folg zu thun, daß fich daun gögen 
ainem erbaren ratt und ganze gemain zu Gmünd mit unterthänigen 
gefliffen dienft allzeytt willig Hauptleut ꝛc. urbittig zu verdienen und 
beſchulden. Zum andern fingenn wir ainen e. w. rath u. f. w. 
unterthänigjt wiſſenſs der ſchmach und Täfterung, jo etlid) der rätt 
vor gemeinen helle h. gethaun, die einer ganzen jtatt durch den helle 
h. gejchehen jein follen, dafs wir dann, als fiel uns fund und wiſſend 
it, verantwurtt habenn. Daran wir verhoffenn, euch begnügen 
laſſen. Aber dep beger und furtrag eurer armen unterthanen land- 
ſaſſen, nemlich daj8 Evangelium, dajs biſs hieher Hein und wenig in 
ewrer ſtatt gehandlutt worden ift; aud) der 12 artidel halben, fo 
ynzund etlich furjten und herren mitfampt etlichs adels iren unter- 
thanen brieff und figell geben, biſs uff zufunftig reformation zu hal— 
ten ?, ift darauff unſer unterthenig bitt und beger, mwöllend das gotſs 
wortt mit fammt den 12 articlen helffen handhabenn. Alſs wir unſs 
dan genzlich verjehen, uns ſölchſs bitt und begeren, dieweill daſs göttlich 
it, nit abjchlagen, wöllen wir mit leib und gut allezeytt umb einen 
erbrn ratt und ein ganz gemaind mit unferm gebett und dienjten 
ungefjpartt verdienen. Wo aber ir euch ſolchſs widern wurden, dafs 
dann unbillich gejcheh, und wir gögen euch ſölchſs nitt verhoffen, den 
wir ganz nichj8 begeren denn waſs dem gottswort gemäß ift, würden 
wir uſs göttlicher gerechtigfeit, auch fonhaitt, die wir aus dem wort 
gottes empfangen habend, gügen euch fürzunehmen als den gotlaußen 
und feinden gotteſs, dieweyll ir dem wort gottej8 wider feind, daß wir 
fill lieber wöltten vermeiden. Sölchſs wir euch als unjern gunftigen 
lieben herrn unterthänigß verjtand nitt haben wöllen verhaltten; ver- 
hoffen unſs ein fraintlich chriftenliche briederliche antwurtt gen Gail— 
dorf uff afftermontag nach dato diefes briefs zu geben, wöllen wir 
alſs arme unterthan willenglih von euch annehmen. Geben am 
Sontag Yubilatte 1525. 

Don Hauptleutten und des gem. Hell. Hauf ausſchuß und rätten 
zu Gaildorf“. (F. A. Nr. 6). 


2 Bol, dazu Oechsle S. 454 fi. 


245 


Am gleichen Tage aber hatten die Gmiünder, welche aus dem 
Mürtembergifchen für die Bauern bedenkliche Kundſchaft erhalten 
hatten (ſ. Dechsle S. 409), ein Schreiben an die Bauern abgejchict, 
in welchem Bürgermeifter, Rath und ganze Gemeine der Stadt 
Gmünd fich den Bauern al8 Vermittler zu einem gütlichen Vergleich) 
anbieten, „daß diefe Empörung und Zwietracht dur Güte erlegt 
möchte werden“. 

„Darum wo ihr nachmalen des gemuths wärt und gütlichen 
bericht leiden möchtet, jo möget ihr uns dejjen bei diejem boten ver- 
jtändigen, wollen wir bei etlich umliegende ftätt allen möglichiten vleiß 
haben und furnemen mit den felbigen ftätten, foweit fie auch folichs 
gemuths feien und das bewilligen wollen, helfen handeln, doc) in 
alleweg auf willigung und zugeben der ftände des löblichen Bundes 
zu Schwaben“ (Beil. Nr. 12). 

Die Tags darauf dem Boten mitgegebene Antwort der Bauern 
lautet entgegenfommender, al8 ihr voriges Schreiben erwarten ließ; 
vielleicht, daß fie bedenkliche Nachrichten dur; den Gmünder Boten 
oder ſonſt woher empfangen hatten: 

„Euer verſchrieben“, antworten fie „den erjamen, w. u. g. 
lieben herren und briedern ainer gantzen Commun der jtadt Gmündt“ — 
„haben wir mit freunden empfangen und verlefen. ft unfer fleiffig 
und freundlich brüderlich bitt auf — ſolchs erbieten, daß ihr — nit 
feiern wollet, damit fein verzug geichiehet, mehrer fojten und zwie— 
tracht zu vermeiden, gegen den jtädten eilend botjchaft zu fchreiben. — 
Aber des (Schw.) Bundes halben, achten wir gänglich, daß er uns 
nit gemäß fei — darum je myner ir ung den Bund einflechten, je 
lieber ung. — Nit mer denn der fried Chrifti fei mit uns allen“ 
(Beil. Nr. 14). 

Dem lag — von der gleichen Hand — das für die Lage, be= 
fonders auch) für das geheime Einvernehmen des oberjten Hauptmanns 
für den Gaildorfer Haufen, Philipp Fierler, mit dem Prälaten von 
a): mit Gmünd und Hall! bezeichnende Billet bei (Nr. 15 
der Beil.): . 

„Auch weytter euch unverhaltten zu laſſenn, jo ftaund wir 
hauptleut und gemeiner ausihuß im großer gefärigfeit gegen dein 
gemeinen mann, und nämlich Georg Hartmann und Jörg Bet; denn 
fie fagen unverholen,, wir tragen euer ftatt über ruck, auch die von 
Wöllwart — darum bitten wir euch zu Hulden und nich zu ver- 
ziehen, damit wis den gemeinen mann uffenthalten“. 

Das erftere Schreiben der Bauern (©. 244) und das letztere 
beantworteten Biürgermeifter, Rath und ganze Gemeinde der Stadt 
Schw. Gmünd zugleich am 9. Mai (Beil. Nr. 16). Die Haupt: 
ſtellen lauten : 

„Sr begeren euch Huldigung zu thun. Nun traget ir unge- 
zweyffelt gut wifjen, das wir ein ftat des heiligen Reychs feyen, deß— 


ı ©. Zimmermann II, 189, 
XIV. 17 


246 


halben uns gant nit verantwurttlich noch gebürlich iſt, euch ainiche 
Huldigung Hinter K. Majeftät, unſerm alfergnädigiten herren, dem Bl. 
Reych und Löblichen Bund zu Schwaben zu thun, dann uns das an 
unfern aid 8. Maj. gethan verleglich wäre. 

. um andern: als iv begert — euch das hl. Evangelium und die 
12 articul helfen handhaben — dieweil uns dann der 12 art. wes 
und was fie inhalten nichſs bewißt ift, deßhalben wir diejelben art. 
nit wiſſen noc) Funden handhaben. Aber das Hl. Evangelium — zu 
handhaben feyen wir urbittig, wollen auch dabei jterben und genefjen 
— defjelben gemüts — wir auch feyen — gut ordnung aufrichten 
und boſe abjtellen, wie wir dann vor diefer weyl einhelliglich zuſam— 
mengejchworen haben, darum wir von euch unbilliglich gottlo8 ge= 
fcholten werden. — Diewil ir euch aber in ewerm ſchriben laßen 
hören, daß ir von uns und den umliegenden ftetten güttliche Handlung 
mögen leiden, doc) ausgejchlojjen der ſtende des Bunde, will uns nit 
gebühren ohn wiljen dijer zu Handlen. So ir aber die ftend mögen 
leiden, wollen wir allen vleiß fürwenden“. — Folgt nod) eine War— 
nung, des „Reichs verwandte“ nicht ferner zu bejchädigen. 

Ob eine Antwort hierauf, welche die Gmünder erwarteten, er= 
folgte, ijt nicht befannt. 

Der Knoten, dejjen Löfung von vorn herein auf ſolche Schwie— 
rigfeiten ftieß, follte nad) wenigen Tagen zerhauen werden. Am 12, 
Mai wurde in der Schlacht bei Böblingen der ftärfjte Bauernhaufe 
vom Oberfeldherrn des Schwäbiſchen Bundes gänzlich geichlagen. 
Um 20. traf eine bündiſche Schaar von 600 Mann in Hall ein 
(Oechsle 419 f.). Ehe diefe gegen die bei Thann concentrirten 
ah Bauern vorrücte, bewog fie der Rath zur Unterwerfung. 

as fich nicht unterwarf, zerjtreute fih. Die vom 24, datirte, auch 
an die Unterthanen der Herrjchaft Limpurg geſchickte jchriftliche Auf— 
forderung des Truchjeß von Waldburg gelangte nad) Gaildorf und 
bewog den dortigen Haufen zur Unterwerfung (Oechsle 459). Die 
Gmiünder Regierung Hatte unterdeg noch mit den Bauern verkehrt, 
aber wie es jcheint, nur noc) wegen Entlaffung von Gmünder Bür— 
gern aus ihrem Heere. 

Hieher gehören Beil. Nr. 18 und 20. , 

18. „Wir hauptleut ꝛc. zu Gaildorf thun kunth meniklihen — 
daß dieſe nachgenante unjere diener gewefen, mit namen Wolff Hertle 
Pfeuffer und Veit Bed von Gmünd Trummenſchager — mit ver- 
willigung und redlich von hauptlenten ꝛc. von uns uff dato dieſes — 
abgejchieden“. Siegel. Mittwoc) nad) Cantate (17. Mai). 

20, „Bit Jeger Rats Hat angezeigt uff 5. p. Cantate (19. 
Mai), daß Peter Deg der ftadtbot gefagt: als er zum hellen haufen 
gefchiet jei worden, Hab Bez Jörg offennlich gefagt, er wolle den 
Bund aufffnüpfen, und jolt in St. Valentin ankommen“. 

Während die äußere Gefahr für Gmünd hiemit ihr Ende er— 
reicht hatte, ließ die in den Perſonen der Bürgermeifter und eines 
Theils vom Rath nod) vertretene arijtofratifche Partei dem Bunde 


247 


feine Ruhe, bis er auch jetst noch ein Hülfscorps ſandte. Mit Hilfe 
deſſelben wurde zuerft dem „Prädicanten“ Althamer nachgeftellt, bis 
er ſich durch die Flucht rettete, und dann durch einen Staatsftreich 
— umter der fhonenden Form einer Vermittelung durch Botjchaften 
benachbarter Reichsſtädte — an Bartholomäi, 24. Auguft 1525, der 
neue Rath gejtürzt und der alte wieder eingejekt. 

Ueber die Aufgaben, welche Gmünd bei der Wiederherftellung 
der Ordnung nad) dem Bauernfrieg zufielen, möchte Referent, bis 
ihm ein vollftändigeres Material von Urkunden zu Gebote fteht, 
hauptjächlich auf Oechsle ©. 433 f. verweifen. 


Beilage l. 


Zur Beftimmung des noch zweifelhaften Datums für die Ver- 
brennung des Kloſters Lorch gibt eine Stelle in dem oben ©. 241 
Anm. 3 citirten Schreiben, Beil. Nr. 11, einen Anhaltspunkt: „— ver- 
Schienen tagen haben fich unjere und andere bauren umb uns gefejjen 
zufammen rottiert, das clofter Lord eingenommen, alle profant wein 
forn und anders verzert, gebeutet und geplündert, und ftet man in 
forgen, fie werden das verbreunen, wie fie dann das ſchlos Hohen- 
ſtauffen bey unfer ftat gelegen verprent haben“. 

Diefes Schreiben — vielleicht das Concept zur Antwort auf 
bie in Beil. 10 vorliegende Anfrage von Stettmeijter und Räthen 
zu Hall d. d. 1. Mai, ob an den ihnen gemeldeten Empörungen 
um Gmünd etwas, und was daran ſei — enthält von den Creig- 
niffen des 3. Mai, von welchem e8 datirt ift, noch Nichts, wird alfo 
in der Frühe gefchrieben fein. Darum ziehen wir aus obiger Stelle 
den Schluß : die Verbrennung des Klojters Lorch, aın 3. Mai früh 
in Gmünd noch nicht befannt, iſt ſchwerlich früher als am 2. Mai 
Abends erfolgt. 

Halten wir damit ferner zufammen, daß in dem oben ©. 240 
angeführten Schreiben (Concept) vom gleichen Tage, Beil. Nr .12, 
wahrſcheinlich um Mittag abgefaßt, an einer durchjtrichenen Stelle 
die Worte ftehen: „und die das clojter Adelberg und Lorch ver- 
brent und plindert“, jo ergibt fich die weitere Bejtimmung: die Ver- 
brennung des Klofters ereignete fih ſchwerlich ſpäter als in ber 
Naht vom 2. bis 3. Mat, höchſtens in der Frühe des 3. Mai. 
Sie wurde, wie es jcheint, von der Nachhut des am 2. Mai abzie- 
henden Bauernheeres verübt. 

Demnach wird die Darftellung bei Zimmermann Il, 185 und 
das Urtheil Mofers, Beichreibung des Oberamts Welzheim S. 189, 
zu berichtigen fein. Der 26. April ift wohl für die Einnahme, der 
2. Mai für die Verbrennung des Klofters das richtige Datum. Da— 
mit ftimmt ganz gut, eben wenn man die Worte preft, die Erzäh- 
lung des Abtes Sebaftian von Lord (T. v. Steichele, Beiträge zur Ge- 
ſchichte des Bisthums Augsburg I, 61 f.), der an den Bifchof von 


17* 


248 


Augsburg Schreibt: „nachdem uns unſer gotzhus von den ufruerigen 
pauren geplindert und nach geends uff den boden abgebrennd“. 
Weitere Correfpondenz Gmünds mit Hall ſ. Dechsle S. 406. 8. 


Beilage 2. 


Im Beilagenband lautet Nr. 17, auf ein fleines Blättchen ge— 
ſchrieben: 

„Ich maiſter Hans Drechſell, pfarrer zu Heuchlingen, befhen mit 
dilfer meuner handgefchrifft, das mich der hauff volcks Hat gefordert, 
das Evangelium und die warhait zu predigen. Nach meine beiten 
verjtand das hab ich gelopt, das helff Gott. Zu warzeichen han ich 
geben zwu gelten mit wein und funff laib brotts“, 

Die „handgefchrifft“ iſt diefelbe wie die des Geleitichreibens 
Beil. Nr. 18; f. 0. S. 246. Daraus geht hervor, daß Dredjiel fid) 
fpäter im Hauptquartier der Bauern befand. 


Die Wahl MWenzeld von Böhmen 
zum römijchen Könige, 


Von 


Ch. Lindner. 


Die Wahl Wenzeld von Böhmen ift im neuerer Zeit mehrfach 
Gegenstand der hiſtoriſchen Unterfuchung gewejen. Die Aetenftücke 
über die Verhandlungen mit dem päpftlihen Stuhle, welche Theiner 
im zweiten Bande de8 Codex dipl. dominii tempor. sanctae se- 
dis 1862 veröffentlichte, machten die alten Anfichten völlig unhaltbar; 
Höfler verfuchte zuerit, das neue Material zu verwerthen!. Aber 
erſt Weizfäder hat in den „Reichstagsacten“ mit ausgezeichnetem 
Scharffinne das richtige Verhältuiß erfannt und das Verſtändniß er— 
fchloffen ; auf feinen Reſultaten fußte fofort die Dijfertation Henric)s ?. 
Aber jo forgfältig und fcharfjinnig diefe Arbeit ift, fo leidet fie doch 
an dem Fehler, daß fie ſich mit felbft gemachten Schwierigfeiten her— 
umfchlägt; dem Pfalzgrafen Ruprecht wird eine Rolle zugewiefen, 
die ganz ungerechtfertigt erjcheint, in vorgefaßter Meinung werden ge= 
waltjame Deutungen in die Vorgänge Hineingetragen. Bald darauf 
behandelte Höfler ein zweites Mal die Wahl Wenzels?; er verfucht 
die Dinge im Großen zu faſſen und läßt darüber gelegentlich das 
Detail allzufehr außer Acht. Die neuejte Unterfuchung, welche 
Senfner * angeftellt hat, ift fehr unbedeutend; der Verfaſſer fcheint 
weder die zweite Arbeit Höflers noch die Henrichs gekannt zu haben 
und giebt ein fehr breites, aber wenig befriedigendes Raiſonnement. 

Wenige Herricher Deutjchlands haben fo weitausfehende und wohle 
berechnete Pläne verfolgt, wie Karl IV.; feine ganze meifterhafte, wenn 
auch nicht immer ehrliche und in ihren einzelnen Momenten oft nichts. 
weniger als großartige Politik diente Zweden der Zufunft. Aber 
grade ihm blieb lange ein Erbe, ein Sohn verfagt, und als dem be= 
reit8 feit 26 Jahren zuerjt mit der franzöfifchen Blanca, dann mit 


ı 8. Karls IV. Ordnung der Nachfolge im Reiche 1376, in Mittheil. 
bes Bereins für Gef. der Deutfchen in Böhmen. 3. Jahrg. IV. 1865. 
101—115. 

2 Ferd. Henrich, De Wenceslai regis Rom. electione. Diss. inaug. 
Bonnae 1868. 

° Menzel von Luxemburg Wahl zum römischen Könige 1376, in Si— 
tungsber. der £. f, Akademie in Wien, phil.hiſt. El. LX, 1868. 649 — 674. 

* Leber die Wahl König Wenzels. Differtation von Hans Jenkner. 
Berlin 1873 (Hallenfer Diff.). 


252 


der pfälzischen Anna verheiratheten im J. 1350 ein Söhnlein geboren 
wurde, ftarb es fchon im folgenden Jahre dahin. Bald folgte ihın 
die Mutter ins Grab; raſch vollzog der König die dritte Che mit 
Anna von Schweidnitz-Jauer. Aber fait acht Jahre vergingen, bis 
jie endlich) am 26. Februar 1361 in Nürnberg Wenzel gebar, „einen 
fräftigen und wohlgeftalteten Sprößling“ , wie die erfreuten Eltern 
dem Reiche und dein Papſte jchrieben!. Es war wohl nicht allein 
„Schwäche für fein Blut“, wie man gemeint hat, wenn Karl den 
erjt zweijährigen Knaben am 15. Juni 1363 zum böhmischen König 
frönen ließ; die Nachfolge wurde ihm dadurch einfürallemal ge— 
fihert. Um fo mehr mußte das dem Kaijer wiünjchenswerth er= 
icheinen, da er kurz vorher zur vierten Che gejchritten war, nachdem 
Anna in einem neuen Kindbette gejtorben. Politiſche Rückſichten 
hatten die Wahl auf Elifabeth von Pommern gelenft, aber vielleicht 
mag nicht weniger die Niefenftärfe der neuen Gemahlin ? dem Kaifer 
die Hoffnung erwedt haben, daß er fie nicht jo rajch verlieren wiirde 
wie die früheren Gattinnen, und weitere Nachkommenſchaft von ihr 
erwarten dürfe. Und in der That war die Ehe nah Wunſch Frucht» 
bar, rafch hintereinander gebar Elifabeth ſechs Kinder, vier Söhne 
und zwei Töchter ?. 

So war die Weitereriftenz des Karolinifshen Haufes reichlich ge= 
fichert; dejto eifriger dachte Karl daran, deſſen Zukunft möglichft glän— 
zend zu gejtalten. Vor allem lag ihm am Herzen, aud) die deutjche 
Krone und damit die. Kaiferfrone feinen Kindern zu vererben; denn 
mochte auch ihr Glanz unendlich verloren haben, noch immer war ihr 
Beſitz aufjtrebenden Fürftenhäufern von größten Werthe. Wie viel 
hatte das Gefchlecht der Wittelsbacher, wenn es auch durch Zwietracht 
ſich jelbjt noch mehr gejchadet hatte, durch die Uebertragung der Kai— 
jerwiirde an das Haus Luxemburg verloren ! 

Gewiß Hat Karl ſchon von dem Anfange feiner Regierung an 
ſich mit dem Gedanken getragen, die deutfche Krone feinem Gefchlechte 
zu wahren; erſt nach der Geburt Wenzels fonnte er ernftlich daran 
denken, die Verwirklichung feines Planes in Angriff zu nehmen. 
Man wird bei Beurtheilung der Handlungen Karls ſchon von 1361 
an diefes Moment nicht aus den Augen fegen dürfen. Noch mehr 
aber mochte die Geburt Sigismunds und Johanns 1368 und 1370 
zur Verfolgung des beabfichtigten Planes auffordern. ine Theilung 
der Erbländer war in Zukunft nicht wohl zu vermeiden, um fo 
winfchenswerther wurde e8, dem ältejten Sohn durd den Beſitz der 
deutjchen Krone eine ftarke Stellung im Reiche zu bewahren, dadurd) 


Pelzel, Karl IV. II. Urf. 254. 255. Wencker, Appar. 221. 

? Chron. Benessii de Weitmil ad a. 1371 (SS. rer. Boh. ed. Pelzel 
et Dobrowsky II, 409). 

’ Sigismund 1368, Johann 1370, den frihverftorbenen Karl 1372, 
einen mugenanuten, wohl bald nad der Geburt verschiedenen Sohn im Juli 
1377 (vgl. Neues Laufit. Magazin XVII, 1840, S. 100 Anm.; Chronifen 
ber deutjchen Städte, Magdeburg I, 274), Anna 1366, Margareth 1373, j 


253 


ihn aber auch den Brüdern gegenüber mit überwiegender Macht hin— 
zuftellen; jo fonnten am chejten Spaltungen und Zwiftigfeiten, wie 
fie die WittelSbacher zerrütteten, vermieden werden. 

Aber dieſes Ziel war vielleicht am fchwierigiten zu erreichen von 
allen, welche fi) Karl auf feiner langen Yaufbahn geſteckt. Seit 
mehr als Hundert Jahren war im Reiche nicht mehr der Sohn dem 
Bater gefolgt ; der einzige Herricher, der mit Energie verfucht hatte 
feinem Sohne das Königthun zu bewahren, Rudolf von Habsburg, 
hatte vor dem entjchiedenen Widerfpruche der Fürften feinen Plan 
aufgeben müſſen. Die Neichspolitif der Kurfürften, wie fie fich feit 
dem Interregnum entwicelt hatte, beruhte ja geradezu auf den Grund: 
jate, daß der Sohn dem Bater nicht fuccediren dürfe; in der gol- 
denen Bulle hatte Karl ſelbſt die abjolute Wahlfreiheit ftatuiren 
müſſen. Und eben dajjelbe Reichsgeſetz bot eine andere Schwierigkeit. 
Wollte Karl die Nachfolge feines Sohnes völlig ficher tellen, fo mußte 
er erreichen, daß die Wahl unter feiner perjönlichen Einwirkung, zu 
jeinen Lebzeiten geſchah; ſonſt war wenig Hoffnung auf Erfolg und 
auf die beſtimmteſten Verſprechen doch wenig Verlaß. Die gol- 
dene Bulle aber jprad) nur von der Beſetzung des thatjächlich erle— 
digten Thrones; ein Verhältniß, wie es Karl herzuftellen wünſchte, 
war in ihr gar nicht vorgejehen und ſchon deshalb von Rechts wegen 
unmöglid). Freilich war da der Ausweg vorhanden, daß Karl reſig— 
nirte, das Reich aufgab. Aber in dem thatfächlihen Stande der 
Dinge wurde dadurd wenig geändert, nur Unzuträglichkeiten gejchaffen. 
Denn wenn auch Karl den Herrjchertitel niederlegte, das Factum der 
unmittelbaren Succeſſion des Sohnes bei Yebzeiten des Vaters, alfo 
der Beginn der Erblicyfeit der Krone, blieb dajjelbe; ebenfo die 
Machtverhältniffe der Luxemburgiſchen Familie; die etwaigen Beſorg— 
nijle der Kurfürften konnten dadurch wicht bejchwichtigt werden. Zus 
dem konnte Karl vorfichtiger Weife erjt vefigniven, nachdem die Wahl 
wirklich vor fich gegangen, Wenzel als König anerkannt war. Wenn 
daher gelegentlich bei den Verhandlungen die VBerzichtleiftung Karls 
als Eventualität ind Auge gefaßt wurde, ernftlic) hat weder er, noch 
irgend Jemand daran gedacht, Vonvornherein, müſſen wir anneh- 
men, hat Karl danad) gejtrebt, die Wahl Wenzels zu erreichen, bei 

feinen Lebzeiten, ohne daß er refignirte. Gelang e8 ihm überhaupt, 
die Kurfürften für die Nachfolge des Sohnes zu gewinnen, mußte fic) 
das Weitere dann von felbft ergeben. - 

Freilih war das Ziel nicht auf einmal zu erreichen; langſam 
und allmälih mußten die Hinderniffe befeitigt, die Fürften gewonnen 
werden. Zu raſches Handeln konnte verjtimmen und deu Widerjtand 
verjtärfen. Solange Wenzel noch unmündiges Kind war, fonnte der 
Kaifer außerdem nicht erwarten und verlangen, daß die Fürſten ih 
wählten. Wohl waren in früheren Yahrhunderten die föniglichen 
Sprößlinge ſchon im zartejten Alter zu künftigen Herrjchern erforen 


ı Anders Höfler 652, 


254 


worden; aber dieje Zeiten waren für immer dahin. Mit der Theorie 
de8 Wahlreiches war cher vereinbar, dag ınan den erwachienen Sohn 
wählte, al8 ein Kind; letteres wäre doch ein bedenklicher Präcedenz- 
fall gewejen. Wie große Unzuträglichfeiten konnten ferner entftehen, 
wenn Wenzel vor den Mindigfeitstermine gewählt wurde, und Karl, 
bejjen Gejundheit fo ſchwankend war, plötzlich ftarb ? 

Noch andere Rückſichten mögen den Kaifer veranlaft haben, mit 
der Ausführung feines Lieblingsplanes zu warten. Das Abkommen 
mit Otto von Brandenburg in Betreff der Marf war 1371 wieder 
in Frage gejtellt worden; eine Zeit lang ſah fih Karl fogar von 
ernjtlihen Gefahren umgeben. Erjt im Auguft 1373 gab der Für— 
ftenwalder Vertrag das Land ganz in Karls Hände. So lange aber 
dieſe Tragen nicht entjchieden waren, ift nicht anzunehmen, daß Karl 
durch Aufſtellung der Throncandidatur feines Sohnes fie noch mehr 
verwidelt, ihre Löſung außerordentlich erfchwert haben follte. Und 
umgekehrt ift mit Hecht bemerkt worden, daß grade die definitive Er— 
werbung der Mark die Wahl Wenzels für das Luremburgiiche Haus 
faft zur Nothwendigfeit machte; nur jo fonnte in Zufunft einer et= 
waigen Oppofition gegen die Vereinigung zweier Kurftimmen in einer 
Hand oder doch in einer Familie vorgebeugt werden. Es iſt nicht 
unwahrfcheinlic), daß eben deswegen, weil den Kurfürften ein folches 
Verhältniß unerwünscht fein konnte, im Fürftenwalder Vertrage die 
Kurjtimme und das Erzkämmereramt vorläufig Dtto auf Lebenszeit 
refervirt blieb ?. 

Soviel wir wilfen, hat Karl vor dem Ende des Yahres 1373 
feine Schritte gethan, Wenzeld Wahl zu ermöglichen. Allerdings 
hat Weizfäder und ihm folgend Henrich in den Bündniffen, welche 
Karl felbjt in den Fahren 1367 bis 1370 auf Lebenszeit mit Nürn- 
berg und zahlreihen anderen füddeutfchen Städten ſchloß und welche 
durch Verträge mit Wenzel für den Fall von Karls Tode bis zur 
Neuwahl verlängert wurden, das Beſtreben zu finden gemeint, die 
Städte für das Nachfolgeproject zu gewinnen ®. Uber ic) glaube 
doch, daß Hier nur Bündniſſe vorliegen, wie fie zu gemeinfamer Ver— 
theidigung damals gang und gäbe waren*. Es lag ja überhaupt 
nicht in Karls Politik, fih auf die Städte zu ftügen, wenn er es 
auch gelegentlich gethan Hat; immer wieder fucht er fi an die Fürs 
ften zu halten. Grade im diefer Angelegenheit, bei welcher er ganz 
auf den guten Willen der Kurfürften angewiefen war, würde ein 
Einverjtändniß mit den Städten diefe nur abgeneigt gemacht haben. 
Die Hilfe derfelben konnte zudem nur dann von Bedeutung fein, 
wenn es der Raifer auf offenen Kampf anfommen lajjen wollte; aber 
nach allem, was wir über den Charakter der Staatsfunft Karls 


ı Höfler 652, 

%* Riedel, Cod. dipl. Brand. II, 3, 540; II, 3, 8. 
: RA. ©. 2. und Nr. 27—37. Henri 8 

* Ebenfo Höfler 658 Anm. 


255 


wiffen, ſchreckte er ftetS davor am meiften zurüd, und es war doch 
fehr fraglich, ob die Städte felbft dazu geneigt gemwejen wären. Sie 
wußten am beiten, daß Karl ihnen micht wohl wollte?! und fie nur 
als eine unerfchöpfliche Finanzquelle betrachtete; der Kaiſer felbft forgte 
1373 dafür, daß den Städten darüber feine Täuſchung bleiben 
konnte?, Nach allem fcheint es durchaus nicht, daß Karl je daran 
gedacht hat, die Städte für fein Project zu gewinnen. 

Die wiederholten ſchweren Erkrankungen des Kaifers legten den 
Fürften des Reiches den Gedanken an deffen Abfcheiden, an die dann 
nothwendige Neuwahl nahe genug; nichts natürlicher, als daß man 
hin und wieder darauf bezügliche Abmachungen in Verbindung mit 
politifchen Combinationen mannigfachſter Art triffl. So vereinten 
ih) am 10. Januar 1371 die Herzöge Wenzel und Albrecht von 
Sachſen und Wittenberg mit Otto von Brandenburg, mit welchem 
fie zur Groberung Liüneburgs verbunden waren?, zu gemeinfamen 
Verfahren bei der Königewahl® Aber ihr Bündnig trennte fic) raſch, 
als Karl wenige Monate fpäter mit Dtto, welcher die Verträge in 
Betreff Brandenburgs widerrufen, in Krieg gerieth; die fächfiichen 
Herzöge Hatten allen Grund, zu Karl zu halten, welcher ihre An— 
ſprüche auf Lüneburg aufs Fräftigfte unterſtützte; ſchon im December 
1371 und im April 1372 verpflichteten fie ſich zur Aufrechthaltung 
der Verträge von 1363, welche Karl und deffen Sohne die Mark 
zuficherten®. Damit war jene Wahlverabredung abgethan. — In 
der Folgezeit fonnte Karl auf Sachſens Ergebenheit ficher rechnen. 

Bon größerer Wichtigkeit fcheint eine andere Abmachung zu fein. 
Am 20. Juni 1371 verpflichtete ſich Friedrich von Köln gegenüber 
feinem Oheim Kuno von Trier, welchem er das Erzbisthum verdanfte, 
bei der Wahl eines römischen Kaifers wie diefer zu ftimmen und ohne 
deifen Wiſſen feine Zuftimmung zu einer Wahl bei Lebzeiten des Vor— 
gänger8 nicht zu geben‘. Man fieht, Karls Plan wird in feinem 
vollen Umfange blosgelegt. Aber doch ift e8 nicht nöthig, daraus zu 
ſchließen, daß er ihn bereits offen ausgeſprochen; es konnte gewandten 
Politikern nicht ſchwer fallen, denfelden vonvornherein zu vermuthen 
und zu errathen ?, 


ı Wann er was ain durchaechter der cristenhait. Chronifen 
der beutjchen Städte, Augsburg I, 42. 

— oe Geſch. des ſchwäb. Städtebundes 1376—1389, in Forſchuugen 

8 Bgl. Riedel II, 2, 507. 

“ RA. Nr. 24. 

5 1371 Dec. 18. und 1372 April 4. Riedel II, 2, 525 f. 

6 RA. Nr. 9. 

” Höfler 654 bemerkt mit Net, die Urkunde fei fo allgemein gehalten, 
daß es nicht nöthig, an Wenzeld Wahl zu denken. Wie Karl damals im Mai 
1371 fo ſchwer erfrankt war, daß die Aerzte an feinem Aufkommen verzweifelten, 
erzählt Benefh a. a. DO. 41l. — Droyfen, Geſch. der preußifchen Politik I, 
192, beruft fich betreffs der Wahl Wenzeld auf eine Erklärung Kunos von 
Trier; fie findet fih in der Fortfegung von Detmars Chronik * v. Grau⸗ 


256 


ie ſchon gejagt, erft nach dem Fürſtenwalder Bertrage hat 
Karl, foweit wir fehen können, bedeutfame Schritte gethan; fie galten 
der Gewinnung der Mainzer Stimme. Am 4.April 1373 war der 
dortige Erzbiichof Johann nad) zweijährigen Pontificate geftorben. 
Er war vom Papite ernannt worden gegenüber dem jugendlichen und 
ungejtümen Grafen Adolf von Naſſau-Wiesbaden-Idſtein, welchen das 
Gapitel poftulirt hatte. Für diefen, der inzwiſchen Biſchof von Speier 
geworden war, entjchied ſich nach Johanns Tode das Mainzer Ca— 
pitel wiederum; da der größte Theil des jtiftiichen Adels in nahen 
Beziehungen zu den Naffauern ſtand, gelang es Adolf, fich ſchon im 
April 1373 in dem Erzbisthum unter dem Titel eines „Adminiftrator 
Mompar und Provifor“ feitzufegen!. Aber der Kaifer war gegen 
ihn, ſei es, daß er fürcdhtete, die Familie der Naſſauer könne am 
Rhein zu mächtig werden, fei c8, daß er Adolf perfönlich für ihm 
nicht genug ergeben hielt. Er begünitigte vielmehr einen Gandidaten 
aus einer ihm treu gefinnten Familie, den lebensluftigen Biſchof 
Ludwig von Bamberg; mit Hilfe des Papites follte deſſen Ernen« 
mung durchgejetst werden. Yudwig war der dritte der vier Söhne des 
Landgrafen Friedrich des Ernfthaften von Thüringen-Meiffen. Dieſe 
Familie ftand wiederum in den engiten Beziehungen und Verwandt- 
Ihaft zu einer anderen Karl treu ergebenen Familie, den Burggrafen 
von Nürnberg; als Ludwig nad) Avignon ging, hatte er Friedrich 
en Nürnberg, feinen Schwager, zum Pfleger feiner Lande be= 
tellt ?, 

Während Ludwig in Avignon weilte, erwies der Kaifer feiner 
Familie einen wichtigen Dienft. 


toff, I, ©. 393. Die ganze Stelle lautet: [Karl] ilde darmede, wo he ene 
[Wenzel] mochte maken to enen rom. coninghe in sinen junghen 
jaren. Het loet de korheren det rom. rikes tosamende unde leghede 
en vore sine begheringhe unde bat darumme, dat se sinen sone wol- 
den keysen to enen rom. coninge. Des nemen de korheren eren rat. 
Des weren en deels dar wol to gheneghet dorch gunst willen des key- 
sers, men des was de olde here mank en, de ersebisscop van Trere, 
dar se alle raet ane sochten. Ok sprak he: Wo willen gy juwe ere 
unde juwen eet bewaren? Jo hebbe gy gesworen to alme kore, dat 
gy willen to enen rom.coninghe kerzen den alder duchteghesten ridder 
unde den wisesten, de dar ıs in Dudeschen lande; dit is noch en 
kint, dar nyne wisheit noch duchticheit ane is. — Darmede satte he 
sik up sin pert, unde de anderen alle mit em unde redden en wech; 
also vorgenk de raet. De keyser Karolus settede enen anderen dach 
unde brachte se mit listicheit weder tosamende; dar wart de kore 
vullenbrocht, dat he scolde syn rom. koning. Dit unde mennich an- 
dere ding bewogede de koreheren in dessen vorbenomeden jaren, dat 
se den koning van Behemen wolden af hebben. — Die ganze Darftel- 
ung ift völlig unrichtig und unbrauchbar; fie wurde erft nad) Wenzels Abjeung 
und unter deren Eindrud niedergejchrieben; Detmar felbft hat nichts dergleichen. 

2 Guden III, 515. 

2 1373 October 12. Mon. Zoll. IV, 249. Bgl. Paul Handloß, Adolf 1. 
——— von Mainz und fein Gegner Ludwig, Biſchof von Bamberg. Breslar 
1874, 


257 


Der alte Landgraf Heinrich der Eiferne von Helfen hatte nad) 
dem Tode feines Sohnes Dtto des Schügen feinen Neffen Hermann 
den Gelehrten zum Mitregenten angenommen. Dadurch jah ſich Otto 
der Quade von Braumfchweig » Göttingen, des Yandgrafen Enkel, in 
feinen Hoffnungen auf Heffen getäufcht; er beſchloß, feine vermeint— 
lichen Ansprüche mit den Waffen in der Hand geltend zu machen, 
Unfchwer fand er Genojfen, gleich beutegierig wie er ſelbſt; der ges 
waltige Ritterbund der Sterner unter der Hauptmannſchaft des Grafen 
Gottfried von Ziegenhain wurde geftiftet; im Januar 1372 begann 
der Kampf mit allen den Gräueln und Verwüftungen, welche die da= 
malige Kriegführung bezeichnen. Standhaft leiftete Hermann Wider- 
jtand, der fich in den Waffen ebenſo tüchtig erwies, wie vordem in 
den Büchern; aber der Feinde waren fo viele, daß Helfen Bundes— 
genofjen fuchen mußte. Diefe fanden ſich nun in den thüringifchen 
Brüdern; am 9. Juni 1373 wurde zu Ejchwege eine ewige Erbver- 
brüderung zwifchen Heffen und Thüringen gejchloffen. Die faiferliche 
Beftätigung war notwendig, um jo mehr als frühere Erbverträge 
zwifchen Meiffen und Brandenburg vorlagen. Hermann begab ſich 
felbſt nad) Prag; am 6. December reichte ihm der Kaijer die Lehen 
von Hejjen, am 13. December erfolgte die kaiſerliche Bejtätigung der 
Erbverbrüderung, welche Wenzel mit unterzeichnete, zum Zeichen, daß 
jene früheren Verträge erlojchen?. 

In diefen Tagen, am 6. December, wurde in Prag die erite 
Urkunde ausgeſtellt, welche fi auf Wenzel Wahl, wenn auch nicht 
direct, fo doc unzweidentig bezieht ?. Schon früher hatte Karl als 
König von Böhmen für ſich und feine Erben mit den Biſchöfen und 
deren Nachfolgern und Stiftern von Mainz ımd Würzburg ein 
Bündniß geichloffen; jest war Mainz erledigt, aber von Yandgraf 
Ludwig mit Hilfe des Kaiſers umworben; Biſchof von Würzburg 
war Gerhard Graf von Schwarzburg, der mit feinem Stiefbruder 
Heinrich) die Beſtätigung der heifijch = thüringifchen Erbverbrüderung 
unterzeichnet hatte. Heinrich aber war der Sohn der Helene von 
NürnbergeZollern, einer Tante des gleichfall® anweſenden Friedrich, 
Burggrafen von Nürnberg, wie überhaupt unter den Zeugen die 
thüringifch-zolfernfche Verwandtſchaft ſtark vertreten iſt. Cs lag dem= 
nach einerfeit8 nahe, die Mainzer Angelegenheit zu bejprechen, ans 
dererfeits jah fic der Kaifer im Kreife feiner Getrenen; jo war denn 
eine Combination vorhanden, wie fie für feine Pläne nicht erwünſchter 
fein konnte. 

In der gedachten Urkunde wird das alte Bündniß zwiſchen 
Böhmen, Mainz und Würzburg erneuert, zugleich eine Beitimmung 
über die Königswahl aufgenommen. Die Urkunde hat mancherlei 
Schwierigkeiten gemacht; man Hat dabei nicht berückſichtigt, daß wir 
offenbar nur das von Kaifer und König für Würzburg ausgejtellte 


ı Rommel, Gedichte von Hefien II, 191. 
2 RA. Nr. 1. 


258 


Eremplar befiten!, während der Gegenbrief Gerhards und der Mainz 
betreffende unbekannt find. Denn daß auch im Namen von Mainz 
Briefe ausgefertigt wurden, erjcheint mir unzweifelhaft ; da Ludwig 
faum gegenwärtig war, wird es durd) feine anmwejenden Brüder ge= 
fchehen fein. Ludwig war allerdings noch nicht ernannt, deshalb wird 
auch in der Urkunde der Mainzer Erzbiſchof nicht namentlich be— 
zeichnet, fondern e8 Heißt: das Stift zu Mainz und fein rechter Vor— 
mund, wenn es zur Zeit feinen Erzbiſchof geben jollte. Aber der 
rechte Vormund war für Karl und die in Prag verfammelten Fürften 
unzweifelhaft Ludwig; nannte ſich doch aud) Adolf von Naſſau feiner- 
feit8 VBormünder des Stiftes. Wir können daher mit Sicherheit an- 
nehmen, daß auch von Seiten Ludwigs Briefe ausgeftellt wurden, 
welche in der Erwartung, daß er Erzbifchof würde, die gegenjeitigen Ver— 
pflichtungen zuficherten. 

Mainz und Würzburg verjprachen demnach unter Anderem, wenn 
das Neich ledig würde durd) Karls Tod, oder furbazz ledig wirt, 
wie diek und wie offte daz geschiht, Wenzeln getreulid) be- 
holffen sein zu der köre? mit aller irer macht; es wird aljo 
Schon die Möglichkeit einer Wahl bei Karls Lebzeiten angedeutet, jeden- 
falls Wenzel die Beihilfe von Mainz gefichert. 

Ob damals in Prag noch weitere Schritte gethan worden find, 
ift fraglich. Friedrich von Nürnberg ift vonvornherein al8 gewonnen 
zu betrachten; dem Herzoge Friedrih von Baiern, welcher fih in 
Prag aufhielt, um die Angelegenheiten in Betreff der Marf Bran- 
denburg zu ordnen, und der die Erbverbrüderung zwijchen Thüringen und 
Heſſen unterzeichnete, wurde damals oder wenig fpäter die Vogtei 
von Oberſchwaben übertragen, welche bis dahin der Nürnberger Burg» 
graf innegehabt hatte. War das eine weitere Entihädigung für 
die Abtretung der Marf, oder follten die Schwierigkeiten, welche 
Friedrich, auch ohne Kurfürft zu fein, erheben konnte, befeitigt werden, 
um jo mehr, da fein Oheim Otto noch die Kurftimme führte? 

Km Frühjahr brad) Karl nad) der Mark auf, wo er bis zum 
Auguft verweilte, unabläffig befchäftigt, den neuen Beſitz zu fichern 
und mit immer fejteren Banden an Böhmen zu knüpfen. ‘Dort er- 


ı Daß dem fo ift, zeigt unzweifelhaft die Faſſung von Paragraph 7 und 
8 — Henrich Anfihten S. 19 find demnach verfehlt, und noch irrthümlicher if 
feine Meinung, daß Karl IV. Ludwigs Prätendentenjchaft begünftigt habe, um 
die hairifchen und pfälzifchen Wittelsbacher zu trennen. Sch vermuthe, daf Karl 
den Pfälzer bewogen, Ludwig zu unterftüßen; allerdings verband Ruprecht da» 
mit bejondere Abfihten; im Zujfammenhange fteht, daß fein Enkel Ruprecht, 
der fpätere König, im Juni 1374 die Tochter Friedrichs von Nürnberg, Elifa- 
beth, welche früher mit Wenzel verlobt geweſen war, heirathete. 

» Höfler 652 irrthümlih: zu der kron. 

’ Stälin, Würtembergifche Gefch. III, 314 Anm. 9. Am 8. Februar 1374 
urkundete Friedrich als „des Heil. röm. Reichs oberft Landvoigt au Oberſchwaben“. 
Nach Henrich 15 hätte das Karl freilich nur gethan, um den bairiſchen Herzögen 
ee der Städte zuzuziehen! — Vgl. aud) die Urk. in Reg. Bo. IX, 

un : 


259 


ſchien aucd Ludwig, welchen der Papft vor dem 28. April zum Erz 
biichofe von Mainz ernannt Hatte!; feierlich übertrug ihm Karl im 
Mai in Tangermünde die Neichslchen; als Erzbiſchof von Mainz 
und Erzfanzler unterzeichnete Yudwig am 29. Juni die Urkunde, in 
welcher der Kaifer die Incorporirung der Mark in die Krone Böhmen 
beftätigte ?. 

Im Herbite ging die Fahrt ins Reich; in Nürnberg trafen An— 
fang October ſämmtliche Wittelsbacher der bairischen wie der pfälzi- 
hen Linie mit Karl zuſammen. Berjchiedene Abmachungen wurden 
getroffen, meiſt das brandenburgifche Geſchäft betreffend ; die Wittels— 
bacher entjagten nochmals ſämmtlich feierlid) allen Anfprüchen auf die 
Mark; die beiden großen Familien garantirten ſich gegenfeitig ihre 
Befiungen. Den bairischen Herzögen aber wurde eine neue Bewil- 
ligung gewährt ; die Landvogtei des Eljajjes wurde ihnen für 30,000 
Gulden verpfändet ®. 

Bon Nürnberg zog Karl, geleitet von dem Pfalzgrafen Ruprecht, 
nad) Mainz. Es galt, Yudwigs Ernennung zum Erzbifchofe auch zur 
Geltung zu bringen. Dein ſchon hatte zwijchen beiden Prätendenten 
offener Krieg begonnen; jeitdem Adolf ein enges Bündniß mit Dtto 
dem Quaden von Braunfchweig gejchloffen, verflocht fic) der Bis— 
thumsjtreit mit dem Kampfe um Heſſen“. Adolf war indefjen im 
thatfächlichen Beſitze des Erzbisthums; der Adel war ihm ergeben, 
ebenfo Erfurt, die rheinischen Städte fcheinen ihn geneigter geweſen 
zu fein, als dem Thüringer. Für diefen wollte nun Karl in Mainz 
wirfen; war ihm doc) Ludwigs Stimme für die Wahl Wenzels 
fiher. Ruprecht jtand auf Seiten Ludwigs, fei e8 nun wegen der 
Berwandtichaft, welche wir oben erwähnten, ſei e8 daß er fich für 
deſſen Unterftügung große Conceffionen von ihm felbjt wie von Karl 
verfprach; wie wir jehen werden, ftrebte der Pfälzer danach, Reichs— 
pfandichaften der Stadt Mainz in feinen Bejig zu bringen. In 
Mainz erjchienen auch die Erzbiichöfe von Trier und Köln; von er— 
fterein wijfen wir mit Bejtimmtheit, daß er Adolf Hold war, wenn 
er ihm auch nicht direct unterftügt zu haben fcheint ®, 


1 Reg. Bo. IX, 313. Am 28. April ernannte Gregor Lamprecht an 
Stelle des auf den Mainzer Stuhl beförderten Ludwig zum Bifcofe von Bam- 


tg. 
2 Riedel II, 3, 42; vgl. Chroniken der deutjchen Städte, Magdeburg 
I, 266. 
8 Bol. die Urkunden in Reg. Bo. IX, 319 320. — Riedel II, 8, 
52 ff. — Oefele II, 194. — RA. ©. 35 Anm. 3. — Im Januar 1375 
wurde Friedrich ferner die Bogtei von Augsburg übertragen; Reg. Bo. IX, 
324 


*« 1374 Auguft 30; Sudendorf, UB. zur Gef. der Herzöge von Braun- 
ſchweig und Lüneburg V, 39. 

5 In dem oben erwähnten Bündniffe nimmt Adolf ausdrüdlih Kuno 
‘unsern hern und nefen’ aus; vgl. bei Görz, Reg. des Erzb. v. Trier 1375 
Februar 4. — Chron. Mog. misc. fragm. ad a. 1374, bei Böhmer, Fontes 
rer. Germ. IV, 373. — Es ift bezeichnend, daß im den gleich zu beiprechenden 

Abmahungen die Mainzer Frage gänzlic) ignorirt wird, 


260 


Jedenfalls erreichte Karl feinen Zwei, Mainz für Ludwig zu 
gewvinnen, nicht; nur wenige Tage fcheint fein Aufenthalt gewährt zu 
haben. „Denn Adolf fammelte viel Ritter und Knechte und wollte 
den Kaiſer fangen. Das wurde der Kaifer inne und bat ihn um 
Geleit; das gab ihm der Biſchof bis aus feinem Lande. Alfo fuhr 
der Kaiſer mit Schande vom Rhein gen Nürnberg ; dazu wollten ihm 
die Städte am Rhein feinen Pfennig geben ?* 

Gleichwohl war diefer Mainzer Aufenthalt für Karl von der 
größten Bedeutung; er bemußte das Zufammentreffen mit den 
rheinischen Kurfürjten, um mit ihnen über die Wahl feines Sohnes 
zu verhandeln, und der Erfolg war ihm günftig. Alles fam darauf 
an, Kuno von Trier zu gewinnen. Denn diefer genoß im Reiche 
und namentlich im Wejten das größte Anfehn; Friedrich von Köln 
war ihn unbedingt ergeben und ja bereits feit drei Jahren für 
den Fall einer Wahl verbündet; mit Ruprecht von der Pfalz war 
Kuno ebenfalls befreundet, während feine Beziehungen zu Karl und 
den Luremburgern nicht immer die beften gewejen waren. Nur die 
glänzendften Zuficherungen konnten ihn dem Kaifer willfährig machen ?. 

Wir befigen die Urkunden, welche damals zwijchen dem Kaiſer 
und dem Erzbijchofe ausgetaufcht wurden %; betrachten wir zunächſt 
das Verjprechen, welche der Erzbifchof in Betreff der Wahl Wenzels 
gab. Kuno gelobte nämlich, wenn das Reich durch Karls Tod oder 
Reſignation ledig würde, wolle er Wenzel und Niemand anders zum 
römischen Könige wählen, bei diefer Wahl verharren und ihm als 
einem römischen Könige beijtehen. Wenn aber Wenzel bei Karls 
Lebzeiten, ſolange dieſer noch Kaiſer ſei (alfo ohne daß er refignirte), 
von den Kurfürſten einftimmig oder von ihrer Majorität, unter welcher 
ſich Friedrid) von Köln und Ruprecht von der Pfalz befinden müßten, 
gewählt würde, wolle er ihn auch küren. Wenn aber Wenzel bei 
Karls YPebzeiten nicht einſtimmig oder nicht von der bezeichneten Ma— 
jorität erforen würde, folle er auch nicht verpflichtet fein, an ihn feine 
Stimme zu wenden, doch folle er binnen der Zeit feinen Andern 
wählen noch der Wahl der anderen Kurfürften entgegentreten. Wenn 
dann aber Karl ftürbe oder das Neich aufgäbe, jo wolle er nur 
Menzel feine Stimme geben. Doc müffen in jedem Falle Karl oder 
Wenzel ihm und Friedrich von Köln vor der Wahl die gemachten 
Zuficherungen völlig gehalten und ausgeführt haben; ſonſt Fünne er 
wählen, wen er wolle. 

Kuno erklärte fich aljo vonvornherein mit der Nachfolge Wen- 
zel8 einverjtanden; mur die Frage einer Wahl bei Karls Lebzeiten 
ohne Reſignation hielt er offen und band fich für fie an die Zuſtim— 


ı Nad) den UB. vom 9, bis 14. November. 

2 Augsburger — ©. 42. Ofr. Chron. Mog. miso. fragm. ad a. 
1374 a. a. O. ©. 
— — At jeine Stellung handelt gut Henrich 16 ff. 


4 


261 


mung feiner Mitkurfürjten Friedrich) und Ruprecht; da er aber für 
den Fall, daß einer derfelben fich weigerte und er ſelbſt mit feiner 
Stimme zurüchalten konnte, doch die Wahl nicht zu hindern ver- 
ſprach, war dem Kaiſer noch immer die Möglichkeit einer Majori— 
tätswahl nicht abgejchnitten. 

Zunächſt war es erforderlih, aud mit Friedrich und Nuprecht 
zu verhandeln. Erſterer wird wenig Schwierigfeiten erhoben haben; 
hatte er doch einft feinem Oheim Kuno gelobt, fich in der Wahl- 
angelegenheit ganz nach diefem zu richten, und aus der von Kuno 
gegebenen Urkunde geht hervor, daß Trier und Köln in völligem Ein- 
verftändnijfe handelten. Leider iſt uns die Urkunde nicht erhalten, in 
welcher Friedrid) dem Kaijer feine Stimme zufagte; wir fennen den 
Sachverhalt nur aus der von Karl für den Kölner erlajfenen. In— 
deifen müffen wir nad) dem damaligen Geſchäftsgebrauche annehmen, 
daß der Wortlaut jener im wejentlichen mit der letzteren überein— 
ftimmte. Die Vereinbarungen waren demnach nicht jo complieirter 
Art, wie die mit Kuno getroffenen: Friedrich verpflichtete ſich, jofort 
wenn er von Karl oder Wenzel ermahnt werde, ohne Widerrede und 
Derzug Wenzel zu wählen und zu Frönen; er band fi für alle 
Tälle !. 

Sehr Schwierig ift e8 zu entjcheiden, ob Karl damals bereits 
mit Ruprecht von der Pfalz angefnüpft hat. Jene Abmachung mit 
Kuno nöthigte ihn dazu, und da Nuprechten die anderen Verhand- 
lungen doc nicht unbekannt bleiben konnten?, ift es mehr als wahr- 
fcheinlih. Aber Feine Urkunde berichtet davon; nach ihnen, wie wir 
fehen werden, hat der Pfälzer erſt im Februar 1375 feine Zuftim- 
mung gegeben. Man hat daraus jchliegen wollen, daß Nuprecht den 
Wiünfchen Karls völlig abgeneigt gewejen, ja daß er felbit nach der 
Krone geftrebt habe. Namentlich Henri Hat auf diefe Anficht feine 
ganze Auffaffung von den Vorgängen bei Wenzels Wahl aufgebaut. 
Aber es findet fich Feine Spur, daß der Pfälzer nad) dem Throne 
geftrebt. Henrich weiſt darauf hin, daß Ruprecht in dem Streite 
zwiſchen Karl und Dtto über die Mark Brandenburg auf Seiten der 
bairifchen Herzöge geftanden?. Allerdings hatte Ruprecht mit Ludwig 
von Ungarn im Jahre 1369 ein Bündniß geichloffen, das offenbar 
gegen den Kaifer gerichtet war, leßterer bezeichnete ihn beim Aus- 
bruche de8 Krieges gegen Otto von Brandenburg als feinen „offen- 
baren Feind“ und befahl gegen ihn zu rüſten“. Aber nach allem 
was wir irgend wilfen, ift e8 nicht zum Kampfe zwifchen dem Kaifer 
und dem Pfalzgrafen gefommen; Ruprecht hat Dtto feine thätige 
Hilfe geleiftet. Andererfeits war er freilich ebenfowenig gewilft, dem 


! RA. Nr. 10. 

* Daßer auweſend war, bezeugt nicht nur die angeführte Augsb. Chronik, 
fondern auch der Fürftenfpruch bei Lacomblet III, 643 vom 9. November. 

s S. 12. 


* Stälin, Wirtemberg. Geſch. III, 304. 
XIV. 18 


202 
Kaifer gegen feine Verwandten Hülfe zu leiften!, und daß die Wit- 
tel8bacher die Mark einbüßten, kann ihm nicht gleichgültig gewefen 
fein. Uber wenn demmach eine Zeit lang eine gewiffe Spannung 
zwiichen Karl und Ruprecht geherrfcht hat, war fie damals gewiß be= 
jeitigt ; jonft würde Ruprecht nicht Ludwig von Bamberg, das Ge— 
Ihöpf Karls, unterjtüßt haben. Freilich wäre es irrig, deshalb zu 
denfen, daß er Karls Pläne für Wenzels Wahl ohne weiteres begün— 
jtigt Habe; wie alle Anderen ließ er ſich nur durch gebührende Be— 
zahlung gewinnen. Dieſe aber bejtand, wie wir noch fehen werden, 
zum großen Theil in der Ueberweilung von Städten und Ortfchaften, 
welche damals der Stadt Mainz verpfändet waren und welche diefe ungern 
herausgab. Wir hörten nun oben, daß Karl fchleunigit aus Mainz 
weichen mußte, weil Adolf gegen ihn zog; nicht unwahrfcheinlich ift 
e8 ferner, daß auch die Städter, welche ohnehin erjt zwei Jahre 
früher den jchlimmften Aufruhr gegen Karl erhoben?, von jenem 
Anſchlage auf ihre Gerechtfame hörten und Karls Page zu einer bes 
denflichen machten. So iſt e8 denn jehr leicht möglich, daß durch 
den plößlichen Aufbruch aus Mainz die Verhandlungen mit Auprecht 
unterbrochen und daher erſt Ipäter zu Ende geführt wurden. Da der 
Kaiſer ummittelbar darauf in Nürnberg und Eger fo zuverfichtlich 
auftritt, liegt e8 nahe zu vermuthen, daß er der Zuſtimmung Ruprechts 
bereit8 gewiß war. 

Es erübrigt noch, einen Blid auf die Verheißungen zu werfen, 
mit welchen Karl die Bereitwilligfeit de8 Trierer Kirchenfürften er— 
kaufte. Sie find in der That ganz enorm. Karl und Wenzel ge- 
lobten, nie, um feiner Sache willen, gegen den Erzbifchof und das 
Stift Krieg zu führen, fondern ihm gegen alle Feinde zu helfen ; 
fein Bündniß mit Trier oder anderen Städten des Bisthums einzu— 
gehen und ihnen ohne Wiſſen des Erzbiſchofs Privilegien weder zu 
verleihen noch zu bejtätigen. Die auf Kuno liegende Ungnade des 
Papites folle befchwichtigt und dafür Sorge getragen werden, daß der 
kürzlich ansgefchriebene Zehnten der gefammten deutichen Pfaffheit er— 
lafjen wirde?, Das Stift jollte von allen weltlichen Gerichten be= 
freit fein. Mehrere Neichslchen, die Veſten Schönburg und Hammer— 
jtein, fowie die Herrichaft Yimburg jollten fünftig von Trier zu Lehn 
gehen, ſechs Neichsdörfer, die an den Grafen von Spanheim verjett 
waren, Trier zu Pfande gegeben, die Pfandjumme auf Boppard 
u. f. w. von 50,000 Mark auf 60,000 erhöht, der nur für Kunos 
Lebzeiten verliehene Moſelzoll dem Stifte ewig gegeben, die Landvogtei 
in der Wetterau nebſt anderen Aemtern an das Stift fiir 20,000 
Marf verpfändet, oder dafür Kuno vor der Wahl 40,000 Gulden 
ausgezahlt werden. Auch die erjte Bitte in dem ganzen Erzfprengel 
jolfe Kuno zufallen. Berner jolle Wenzel ohne Karls Willen feine 


ı Bol. Riedel II, 2, 529; Fejer, Cod. dipl. Hungariae IX, 4, 543. 
? Welzel, Karl IV. II, 851. Chron. Mog. misc. fragm. a. a. O. 373. 
° Bol. Sugenheim, Gejchichte des deutſchen Bolfes III, 484 und 487, 


903 


Regierungsgeſchäfte ausüben, che nicht legterer geſtorben ſei oder ent— 
jagt habe ’, damit das Reich nicht im zwei oder mehrere Theile zerriffen 
werde. Endlich folle die Beltimmung der goldenen Bulle, daß die 
Wahl in Frankfurt geichehe, widerrufen und, „damit die Wahl und 
Kur frei fein möge“, diefelbe in dem Baumgarten zu Nenje gehalten ? 
und der Gewählte erjt dann in Frankfurt nach altem Brauche auf 
den Altar gejetst werden. Che nicht alle diefe Verfprechungen voll 
zogen, fei Kuno zur Wahl nicht verpflichtet. 

Die Verſprechungen, welche Köln erhielt, waren ebenfalls nicht 
unbedeutend. Friedrich jchuldete dem Papfte noch von feiner Erhebung 
her 120,000 Gulden. Karl wollte nun bewirken, daß diefe Summe 
ganz niedergejchlagen wiirde, oder dem Erzbiſchofe 30,000 Gulden 
auszahlen; außerdem noch 6000 Schock Prager Grofchen. Wenn 
ein Bisthum oder font eine Kirche ledig würde, nach welcher Friedrich 
ftrebe, wolle ihn der Kaiſer unterjtügen? In einer weiteren Urkunde 
nimmt Karl Friedrich zum Tiſchgenoſſen an und fett ihm, da er ihn 
oft bei Hofe zu fehen wünsche, um fich feines Nathes zu erfreuen, 
für die Daner feines Aufenthaltes an demfelben ein Wochengeld von 
100 Goldgulden aus *, 

Der Kaifer ging über Frankfurt nad) Nürnberg, wo er Anfang 
December eintraf?. Hier gab nun Ludwig von Mainz die bindende 
Erklärung ab, fobald er dazu ermahnt und e8 ihm angemuthet werde, 
wolle er Wenzel zum römischen Könige wählen und ihm treu fein ®. 
Und fchon ließ Karl ſich vom Grafen: Eberhard von Wirtemberg die 
Erklärung ausstellen, daß er den König Wenzel, wenn er zu Karls 
Lebzeiten oder nach deſſen Tode von den Kurfürften oder ihrer Ma- 
jorität zum römischen König erwählt würde, als folchen anerfennen 
und ihm treu fein wolle”. 

Bon Nürnberg zog der Kaifer nad) Eger, wohin er ſchon im 
vorigen Jahre einen Reichstag ausgejchrieben Hatte, der aber nicht 
zu Stande gelommen war? Diesmal fcheinen zahlreiche Fürften 


ı Henrich macht daraus ©. 22: nec vero electum Wenceslaum ex- 
templo regem fore Cuno voluit, sed regem designatum. 

2 Das that Karl fofort, RA. Nr. 5; fiehe darüber jpäter. 

° Wahrſcheinlich ift Straßburg gemeint, wo es nad) der Verſetzung des 
Biſchofes Lamprecht am 28. April 1374 nad) Bamberg zu einer zwiefpältigen 
Mahl gefommen war. Wenn Friedrich fpäterhin fi die erften Bitten in ber 
Didcefe von Straßburg ſchenken und Ausfiht auf die Landvogtei im Elſaß er- 
öffnen Tief, Scheint der Zufammenhang nirzweidentig zu ſein. 

+ RA. Rt, 11. 

5 Movember 25, Frankfurt. December 4, Nürnberg. Böhmer, Cod. 
dipl. Moeno-francof. 738. 

° RA. Nr. 2. December 8. 

” RA. Nr. 38. December 8. 

s Riedel II, 3, 7: Etiam imperator statuit certum terıninum elec- 
toribus et aliis prineipibus imperii veniendum in Egram dominiea 
proxima post festum sanete Katharine (November 27) ad ejus praesen- 
tiam etc. Dies kann ſich nicht auf 1374 beziehen, wie Weisfäder, RA. 
©. 65 Anm. 1, will. Denn vorher wird erzählt, die Herzöge von Oeſtreich 


[8* 


264 


verſammelt gewefen zu fein, welche der Herricher für feine Pläne zu 
gewinnen wußte. 

Dorthin kam vor Allen Derog Albrecht von Deftreich, welcher 
foeben am 8. December feine Verlobung mit Beatrix, der Tochter des 
Burggrafen Friedrid) von Nürnberg, gefeiert hatte, nachdem der ener— 
giihe Einspruch des Papjtes ihn von der beabfichtigten Verlobung 
mit Violanta Visconti abgebradit. Albrecht legte dajjelbe Gelöbniß 
ab, wie furz vorher in Nürnberg Graf Eberhard von Wirtemberg; 
dagegen verſprach Wenzel, jobald er gekrönt wäre, Albrecht und dejjen 
Erben alle Privilegien zu bejtätigen und die Reichslehen zu verleihen. 
Karl aber verpflichtete fich, dem Herzoge innerhalb eines Jahres nad) 
der Krönung Wenzels * 10,000 Schod Prager Groſchen auszuzahlen 
oder ihm fichere Bürgfchaft darüber zu geben. Albrecht Hatte guten 
Grund, Karls Freundihaft zu fuchen; jtand er doc mit feinem 
Bruder Leopold im übeljten Einvernehmen, und der Ausbrud) eines 
Krieges zwifchen ihnen war täglich) zu befürchten , — Doch wird 
Karl ſelbſt damals beftrebt gewejen fein, auch zu Leopold gute Be— 
ziehungen aufrecht zu erhalten. Denn leterer war gerade damals be= 
——— den Ehevertrag zwiſchen ſeinem Sohne Wilhelm und Hedwig, 
der Tochter Königs Ludwig von Ungarn zum Abſchluß zu bringen ®, 
Rarl aber trug ſich mit dem Plane, feinen zweiten Sohn Sigismund 
mit Ludwigs Tochter Maria zu verloben. Schon war der päpftliche 
Difpens ertheilt worden ; daher wurde aud) in diefen Tagen (30. Dec.) 
die Verabredung aufgehoben, laut welder Sigismund dereinft die 
Tochter Friedrihs von Nürnberg heimführen follte. Aber bereits 
Tags vorher war eine andere Yamilienverbindung, die ſchon 1368 
projectirt worden war, ehe die beiderfeitigen Kinder das Yicht der 
Welt erblickt hatten, feſtgeſetzt; Friedrichs Sohn Johann follte der- 
einst das jett erjt zwei Monate alte Töchterhen Karls Margaret 
ehelichen, wie e8 denn fpäter auch geſchah. Noch mancherlei andere 
Berabredungen wurden zwifchen dem Kaiſer und dem Burggrafen 
getroffen, legterer verſprach Hülfe gegen die bairifchen Herzöge, wenn 
diefe, im Falle daß Herzog Otto ohne Erben ftürbe, die für 100,000 
Gulden verpfändeten Ortfchaften Karl nicht wollten auslöfen lajjen. 
Natürlich gelobte auch Friedrich, Wenzel als König anzuerkennen und 
ihn als folchen zu unterftügen, wogegen diefer Beftätigung aller Privi— 
legien und bejonders des Antheiles am Zolle zu Selz zuſicherte“. — 


Albreht und Leopold feien nad) Prag gekommen, weil fie in Zwietracht Iebten ; 
diefe habe der Kaifer verföhnt. Das gehört aber ins Jahr 1373. Bol. Birk 
Reg. 1129 — 1135, bei Lichnowsty, Geſchichte des Haufes Habsburg IV. — 
Anfang December 1373 war Karl in Prag; Belzel, Karl IV. II, 879. 

! RA. Nr. 39. 40; fiehe aud) die Anm. 

2 Kurz, Defterreich unter Herzog Albrecht III. Bd. I, 123. — Die Urk. 
bei Birk, Reg. a. a. DO. 1201, nach welcher Albreht am 26. December 1374 in 
Bien, gameien, gehört zu 1373. 

‚Re. a. a. O. 1181. 1209. — Am 25. November hatte Karl 
zu — ad gegen Straßburg verfügt; a. a. ©. 1191. 
* Mon. Zoll. — RA. Nr. 41. 42, 


265 


Auch den drei thüringifchen Yandgrafen wurde für ihre fräftige Unter- 
ſtützung Bejtätigung der Privilegien und Erjag aller Koften, welche 
fie in Wenzel Dienft zu tragen hätten, verheißen !. 

So war ein Erfolg mehr und mehr gefihert ; im Januar 1375 
verpflichtete fi) auch der Kurfürft von Sachſen, Wenzel jeine 
Stimme zu geben. Demnad) erübrigte nur noch, Ruprecht von der 
Pfalz, fei e8 erft zu gewinnen, oder mit ihm zum Abjchluffe zu kom— 
men, wie e8 wahrjcheinlicher ift. Zu dem Zweck war Ruprecht in 
die Nähe des Hofes gefommen; bereits am 4. Februar treffen wir 
ihn in Amberg?. Wahrjcheinlich erjchien er nicht felbft in Prag, 
jondern ließ durch Bevollmächtigte die Verhandlungen führen. 

Am 12. Februar ftellt Karl in Prag die Urkunden aus, welche den 
Preis für Ruprechts Stimme bezeichnen; auch diefer war enorm hod). 
Zunächſt ſchlug Karl 50,000 Goldgulden hinzu zu den 100,000, welche 
auf Ruprechts Keichspfandichaften jtanden ; er geftattete ihm ferner, 
Keichslehen zu faufen und zu verpfänden. Werner verlieh der Kaifer 
Ruprecht I. und feinem Großneffen Ruprecht II. Burg und Stadt 
Oppenheim und Gau-Odernhein, Schwabsburg, Nierjtein, Ober: 
und Nieder » Ingelheim, Großwinternheim nebjt den dazu gehörigen 
Dörfern und die Stadt Kaiferslautern. Oppenheim aber und die 
andern Ortfchaften waren der Stadt Mainz für 71,000 Gulden ver- 
pfändet; daher verſprach Karl, diefelben bis zum St. Georgstage oder 
vierzehn Tage nach demjelben einzulöjen und dem Pfalzgrafen zu über- 
geben. Ginge Mainz nicht auf die Löſung ein, jo wolle er die 
71,000 Gulden Ruprecht Hinterlegen und fofort Feind von Mainz 
werden, die Stadt in die Reichsacht thun und fie jo lange befriegen, 
bis fie das Pfandobject herausgegeben. Würde num Wenzel von der 
Majorität der Kurfürften gewählt, ehe Ruprecht die Städte erhalten 
oder das Geld hinterlegt wäre, jo ſolle der König doch die Wahl nicht 
eher annehmen, ehe er nicht den Pfälzer befriedigt, und dann fofort 
nad) der Krönung den Kampf gegen die Stadt beginnen“. Vorher 
aber wollen weder Karl noch Wenzel Ruprecht ermahnen, feine Stimme 
zu geben, wie es leßterer verſprochen. Endlich beftätigte Karl dem 
Pfalzgrafen und feinen Nachfommen das Reichsvicariat in Deutjch- 
land, wenn das NeichSoberhaupt „über Berg zieht“; am 14. Fe— 
bruar gelobte Wenzel bei feiner Krönung alle Freiheiten der Pfalz 
zu bejtätigen. Des Falles, daß Wenzel gar nicht gewählt wiirde, 
geichieht Feine Erwähnung. 

Am 22. Februar erfolgten die Gegenverfchreibungen der drei 
Ruprechte in Amberg. Zunächſt befannte Nuprecht der ältere, daß 
er Briefe gefehen und lejen gehört, in welchen die andern Kurfürften, 


ı RA. Nr. 43. 

2 Bol. RA. Nr. 25, 

3 Reg. Bo. IX, 325. 

Es kam zu feinen ernfteren Weiterungen, da die Stadt fid die Auslöfung 
gefallen ließ. gl. Reg. Bo. IX, 345. 


266 


Kuno von Trier, Yudwig von Mainz, Friedrich von Köln umd 
Wenzel von Sadjfen (Brandenburg wird übergangen), jeder beſon— 
ders verjprochen, Wenzel wählen zu wollen. Da habe er, wie er 
verpflichtet jei, Nuten und Ehre der Chrijtenheit und des heiligen 
vömifchen Reiches erwogen und den Frieden der Yande und Yeute 
und die Eintracht feiner Mlitkurfürften. Und da er nad) beftem Ge- 
wiffen, das heil. Reich und dejjen Würde zu mehren und zu hand» 
haben, überzeugt fei, daß Wenzel an Macht und Wiürdigfeit, wie fie 
einem römiſchen Kaifer und Könige zufommen, in deutjchen Landen 
der bejte und mützlichjte fei zu einem Römiſchen Könige und zukünf— 
tigen SKaifer nad) dein Tode Karls oder deſſen Entfagung vom Reiche, 
jo wolle auch er mit feinen genannten Mitfurfürften oder der Mehr- 
heit derfelben feine Stimme Wenzel geben. Cr gelobe daher bei 
fürjtlicher Ehre, fobald er von Karl oder nad) deifen Tode von 
Wenzel ermahnt werde, diefen ohme jede Widerrede zu wählen und 
ihm gegen Jedermann beizuftehen. — Für den Fall, daß Nupredt I. 
vor der Wahl ftürbe, verpflichteten ſich zugleich deijen Neffe und 
Großneffe, dann das Gelübde zu erfüllen. 

Man hat die Verpflihtung Ruprechts jo aufgefaßt, daß er die 
Mahl nur dann vollziehen wolle, wenn Karl ftürbe oder das Reich 
anfgäbe !. Aber wenn das wirklich der Fall gewejen wäre, jo würden 
die Worte ‘noch tode oder ufgabe des reiches’ ficher an einer 
prägnanteren Stelle jtehen; der die Verpflichtung enthaltende Paſſus 
jagt von einer ſolchen Beichränfung nichts, ebenfowenig das Verjprechen 
der beiden jüngeren Ruprechte und die Urkunde Karls vom 12. Fe— 
bruar. Die ganze Stellung der Worte nöthigt vielmehr, fie Lediglich 
zu beziehen auf die unmittelbar bevorjtehenden ‘zukunfftigem keiser’; 
und davon, dag Wenzel neben Karl Kaifer würde, konnte ja nicht 
die Rede fein; die Wahl zum Könige wird durch fie gar nicht tan= 
girt. 

Auffällig iſt dabei, daß, wie es ſcheint, zu gleicher Zeit die drei 
Ruprechte das Verſprechen gaben, wenn einer von ihnen König würde, 
wollten ſie doch Wenzel gegenüber alle Einigungen und Bündniſſe halten, 
welche fie mit Karl eingegangen. Mau hat auf dieſe Urkunde weitgehende 
Schlüſſe gegründet; Henrich (S. 27) und Höfler (S. 657) glaubten 
geradezu darin eine Hinweiſung erbliden zu müſſen, daß Ruprecht 
noch immer Hoffnungen auf die Krone hegte ?. Aber dem ſteht doch 
die beſtimmte Verpflichtung entgegen, welche alle drei Pfälzer eingingen. 
Wenn die Urkunde wirklich erſt damals und nicht ſchon früher, etwa 
im October 1374 in Nürnberg, ausgeſtellt wurde, fo war fie eben 
nichts als ein Act höchiter Vorficht zu dem Zwede, die Mark Bran- 


ı geizfäder in der Ueberjchrift von Nr. 20. — Henrid 27. — Höfler 


? And, Weisfäder, RA. ©. 3, deutet derartiges an. — Nach Henrid 27 
hätte ſich Ruprecht auf dieſe Verhandlungen nur eingelaſſen, um Karl zum 
Kriege gegen Adolf zu zwingen, in der Hoffnung, daß der fränfliche Kaiſer den 
Strapazen des Feldzuges erliegen würde! Ich glaube, daß die Erhebung Ludwigs 
mehr in Karls Intereſſe als in dem Ruprechts lag, vgl. oben, 


267 


denburg auf alle Fälle dem Yureinburger Haufe zu bewahren. Wenn 
wirklich Auprecht noch irgend Tolche Pläne gehegt hätte, würde er 
jie am wenigiten Karl gegenüber jo offen ausgeſprochen haben !. 
Mit diefem Amberger Acte war Karl der Erreichung feines 
Ziele fiher. Gleichwohl zögerte er noch ein Jahr, che er zur Voll— 
ziehung der Wahl ſchritt. Man hat verjchiedene Gründe angeführt, 
welche Karl zum Hinhalten bewogen hätten: es habe an Zeit gefehlt, 
andere wieder meinten, Karl jei feiner Sache nocd) nicht völlig jicher 
- gewefen, ferner habe der Krieg gegen Jugilram von Coucy den Erz— 
bifchof von Trier und den Pfalzgrafen allzu jehr in Anſpruch genome 
men; endlich ſei erjt der Widerftand des Papftes zu überwinden ge= 
wejen?. Aber Karl dürfte andere Gründe zu warten gehabt haben. 
Wenzel war im %. 1361 geboren, alfo eben erjt vierzehn Jahre 
alt: nad dem fränkischen Rechte war der König mit fünfzehn Jahren 
mündig. Freilich hatte Karl in der goldenen Bulle das acıtzehute 
Jahr als Majorennitätstermin für die Kurfürjten fejtgefegt, aber 
unzweifelhaft galt für den König noch das alte Recht ?. Erfolgte 
aber Wenzels Wahl erjt, wenn er volljährig war, jo waren von— 
vornherein mancherlei Bedenken abgefchnitten. Und täufchen wir 
uns nicht, jo war ein weiterer Punkt von Wichtigkeit. Es war zu 
erwarten, daß die päpftliche Curie alle möglichen Hinderniffe ins Feld 
führen wirde; ihr gegenüber war es nicht ohne Werth, wenn der 
Throncandidat bei feiner Wahl bereit8 miündig war. Der Gang 
der jpäteren Verhandlungen mit der Curie zeigt die Nichtigkeit diefer 
Anfiht.e Zwar erklärte Gregor in jeinem erften Schreiben vom 4. 
Mai 1376 den defectus aetatis al8 ganz befonderes Hinderniß; 
ohne Zweifel aber ijt er bald eines bejjeren belehrt worden, daß von 
Rechtswegen die Jugend Wenzel® nicht urgirt werden fünne. So 
jehr fid) aud) der Papſt und feine Gejandten bemühten, Schwierig— 
feiten zu erheben, den Grund, daß er nod) nicht mündig fei, der dod) 
jo plaufibel geflungen Hätte, bringen fie nicht mehr vor®. Niemals 
ferner in den geſammten Wahlverhandlungen und Feſtſetzungen ift 
von der Minorennität Wenzel die Nede; er wird als vollkommen 


ı Sämmtliche Url. in RA. Nr. 16—21; vgl. aud) die Anmerkungen. 

2 Bol. Henrich 29. 30 in den Anm. 

s Kraut, Die Vormundfchaft nad) den Grundſätzen des deutichen Rechtes 
III, 115 f. — Id fann mid) zugleich auf die mündlich eingeholte Autorität 
von Hermann Schulze berufen; vgl. defjen Abhandlung, Geihichtliche Eutwicklung 
der deutſchen Hausverfaffungen im Mittelalter, in Zeitfchr. für Rechtsgeſch. VII, 
400 ff. 


* Nur in den fpäter ausgewechlelten Urkunden d. d. 1376 Diär 6 und 
Mai 3 (RA. Nr. 87 und 88) heißt e8: licet etate sit juvenis; das heißt 
aber nicht: unmüudig. — Daraus macht das Schreiben des Gegenpapftes 
Clemens VII. (RA. Nr. 93) allereings: licet tune minoris etatis esses; 
doch ift es einerjeits nad der Stellung der Worte nicht ganz klar, ob fie nicht 
auf Wenzels Wahl zum böhmischen Könige zu beziehen find; amndererjeits ift 
das Schriftftüd nie von Wenzel acceptirt worden (ſ. hinten). — Mit Recht er— 
Härt Weizſäcker die augebliche Correfpondenz zwifchen Wenzel und feinem Bater 
betveffs der Wahl für Stylproben; vol. RA. S. 125 Anm. 


268 


geeignet bezeichnet und nimmt völlig felbjtändig Regierungshandlungen 
vor. Man wird daher vermuthen dürfen, daß Gründe diejer Art 
Karl zum Warten bewogen. 

Ym Sommer 1375 entbrannte der Kampf in Mitteldentichland 
zwijchen Helen, Thüringen und Ludwig von Mainz einerjeits und 
Dtto von Braunfchweig, Adolf von Naſſau und deren Verbündeten 
aufs Heftigjte. Adolf war ins Eichsfeld gefommen ; nad) mancdherlei 
friegerifchen Actionen Hatte er ſich in das jtarfe Erfurt, deſſen Bür— 
gerichaft und Geiftlichkeit ihn anhingen, geworfen. Die Stadt wurde 
acht Wochen von einem ftarfen Heere belagert ; jo furchtbar die Um— 
gegend litt, gegen die Stadt jelbjt wurde nichts erreicht. Da erfchien 
Ende Augujt der Kaifer, begleitet von feiner Familie, im Heere der 
Belagerer ; e8 gelang ihm, einen vorläufigen Frieden zu vermitteln. 
Derjelde fam am 6. September „zu Felde vor der Burg Tonna“ 
zu Stande, er follte bis Johanni 1377 dauern. Karl hob die Reichs- 
acht auf, welche er über Erfurt und dejjen Verbündeten verhängt; 
die Geiftlichfeit des Mainzer Stiftes, mochte fie nım Adolf oder Lud— 
wig anhängen, jollte in ihren Benificien u. ſ. w. unbeläftigt bleiben ; 
doc folle Yudwig in der Zwifchenzeit feinen Gegner nicht mit Pro— 
cejfen oder päpftlichen Briefen bejchweren!. — So fam die Ver: 
mittlungspolitif, welche Karl fo gern einfchlug, auch hier zur Geltung; 
die Ruhe wurde bis über die Wahl hinaus gewahrt, aber iiber die 
Rechte und Ansprüche der beiden Prätendenten fein beftimmter Ent- 
icheid getroffen. So erreichte der Kaifer, daß Yudwig für die Wahl 
feine Stimme nicht verfagen durfte, während von Adolf, der mit dem 
Abkommen fehr zufrieden jein mußte, Feindſeligkeiten nicht zu fürchten 
waren, ein Umſtand, der bei der Nahbarfchaft von Mainz und Frank: 
furt von großer Bedeutung war. Daher bejchwichtigte, wie wir fehen 
werden, Wenzel jpäterhin noch mehr den unruhigen Sinn Adolfe. 
Und endlich foll Karl auch den pefuniären Vortheil nicht vergefjen 
haben ; bedeutende Strafgelder, welche Erfurt zahlen mußte, floffen 
in feine Tafche. — Durch die Mark z0g dann Karl nad Lübeck, 
wo er am 22. October eintraf, begleitet von zahlreichen Fürften, 
unter denen fid) auch Erzbifchof Friedrich von Köln befand, der feit 
längerer Zeit den Hof begleitete, um faiferliche Hilfe gegen die wider- 
ipenftigen Kölner zu erlangen ?. Erjt Ende des Jahres war der 
Kaiſer wieder in Prag. 


Als die Verhandlungen foweit gedichen waren, daß Karl von 
den Fürften des Reiches das Verſprechen einholen konnte, dereinft 
Wenzel treu zu fein, war es nicht mehr möglich), diefelben vor dem 
Papſte geheimzuhalten. Wie wird diefer, wie wird die Curie ſich 


ı Hist. de Landgr. Thuring. bei Pistorius I, 986. — Joh. Rothe 
During. Chr. ed. R. v. Lilienfron 628, — Guden III, 518. 
2 SLacomblet III, 672 ff. 


269 


zur Wahl Wenzel8 jtellen? Es ift befannt genug, daß die Wahl 
Karls IV. ſelbſt Lediglich ein Werk des Papftes geweſen; die maß— 
lojen Anfprüce, welche Johann XXI. gegen Yudwig den Baiern 
erhoben, hatten durch fie Anerkennung und gewiljermaßen Berechtigung 
erhalten. Dagegen jchwiegen fpäterhin die Wahlbeftimmungen der 
goldenen Bulle völlig vom Papfte. Seit langer Zeit war die Frage, 
in welchem Verhältniffe der Papſt zur deutfchen Königswahl jtehe, 
die ja zugleich den fünftigen Kaifer ergab, eine überaus ſchwierige, 
da fie eben nicht auf Nechtstitel gegründet, fondern eine Machtfrage 
war, die unter verjchiedenen Verhältniffen die verichiedenartigfte Deu— 
tung finden fonnte und fand. Es ijt hier nicht der Ort, genauer 
darauf einzugehen; nur auf die Zuftände des lettverfloffenen Jahr— 
hunderts mag furz hingedeutet werden. Jedenfalls war, troß aller 
Theorien der Minoriten und ihrer Gefinnungsverwandten, es nicht 
möglich, thatfächlich die Königswahl von jeder Beziehung zum Papfte 
zu löfen; da einmal der deutſche König ſich als legitimen Erben der 
Kaiferfrone betrachtete, die er doch nur dur den Papſt erhalten 
fonnte, war e8 in der Yage der Dinge begründet, daß der Stellver- 
treter Chrifti ein gewijjes Anerkennungsrecht der Wahl beanfpruchen 
und aud ausüben mußte, mochte man dajjelbe und die Wirkungen 
dejfelben mehr oder minder ausgedehnt fajfen wollen. Konnte doch 
bei den Machtverhältniffen des vierzehnten Jahrhunderts Fein deutjcher 
König hoffen, einen widerwilligen Papft zu zwingen, ihm die Kaiſer— 
frone zu ertheilen. Schon war für diefen Anerfennungsact die tech- 
nische Bezeichnung approbatio in Gebrauch gekommen !; aber die 
rechtlichen Beziehungen derjelben waren überaus ſchwankend und dehnbar. 
Bezieht ſich diefe approbatio ſchon auf die Königswahl oder mur 
auf die eventuelle Kaiferfrönung ? bedarf alfo der Erwählte, um über- 
haupt herrichen zu können, erjt der päpftlichen Approbation ? in wel- 
chen Fällen kann fie der Papit verfagen ? Co ijt es nicht zu ver- 
wundern, wenn bei fo ſchwankenden VBerhältniffen die extremften An— 
fihten zu Tage treten, daß energifche Päpfte, wenn die Gelegenheit 
günftig fchien, die äußerſten Konjequenzen gezogen; Bonifacius VIII., 
Johann XXI. Haben geradezu behauptet, daß der Erwählte nicht 
regieren dürfe, bevor er nicht die päpftliche Approbation erhalten, 
und Karl IV. Hatte diefelbe erft eingeholt, ehe er fich krönen ließ. 
Die deutfchen Kurfürften dagegen faßten bei den verjchiedenen Wahlen 
die Sache fo auf, daß ihre freie Wahl dem Könige die Negierungs« 
rechte verleihe, und die Gunft des Papſtes lediglich behufs der Kaifer- 


1 Schon Engelbert von Köln bedient fich derfelben in dem Bericht über 
die Wahl Rudolfs an den Papft: processum vero tam rite, tam provide, 
tam mature de ipso sic habitum gratiose approbationis applausu be- 
nevolo prosequentes — — dignemini etc. (LL. II, 394). Sonft wird er 
in der Regel von den deutſchen Königen und Kurfürften vermieden [nur die 
Mähler Friedrichs de8 Schönen bitten um approbatio (electionem appro- 
bare. Dlenfchlager Urt. 66)], während die Päpfte feit Bonifacius VIIL. ftets 
die fchroffe Form anwenden: personam approbare. 


270 


frone zu erbitten je. So war es namentlich bei der legten Wahl, 
die in regelmäßiger Weife erfolgt war, der Heinrichs VIL gehalten 
worden. Und man darf mit Sicherheit annehmen, dag von diefem 
Standpunkte Karl bei Abfaſſung der goldenen Bulle ausging; die 
Wahl und Krönung zum Könige wurde als interne Sache Deutſch— 
lands geordnet und dabei des Papites Einfluß, wie es mit Recht 
geschehen konnte, ausgeichieden; die Kaiferfrönung aber ward in der 
goldenen Bulle gar nicht behandelt, hier blieb alfo eine Vereinbarung 
mit dem Papite offen. Wird nun Karl diefe Anficht durchführen ? 
Zum erjten Male jeit Erlaß der goldenen Bulle jollte eine Wahl 
vor ſich gehen; nachdem die Wahl des Vaters in volliter Abhängig- 
feit vom Papite geichehen war, jollte die des Eohnes frei erfolgen. 
Es war vonvornherein nicht wahricheinlih, daR die Curie freiwillig 
darauf verzichten würde, ihre vermeintlichen Rechte zur Geltung zu 
bringen; die ungewöhnlichen Umstände, daß die Wahl bei Yebzeiten 
des Vaters geichehen follte, mußten ſie noch mehr ermuthigen, jich 
jtörend einzudrängen und möglichit große Conceffionen zu erzwingen. 
Zudem war man in Avignon gewiß nicht jehr mwohlwollend gegen 
Karl gefinnt, troß der perjönlichen Freundſchaft zwiſchen diefem und 
Gregor; der Kaifer, der immer fo viel verſprochen, hatte jchliehlich 
wenig gehalten und mit jeltener Meijterichaft die Erwartungen ge= 
täufcht, ohne daß man ihn etwas anhaben konnte. 

Mit größter Vorfiht und Klugheit hatte hier der Kaifer zu 
verfahren. 

Anfang 1375 mag Karl dem Papjte feinen Plan eröffnet haben, 
und zwar gleidy in vollem Umfange, daß er, ohne das Reich aufzu= 
geben, Wenzel zum römischen Könige wählen lajjen wolle. Groß war 
die Aufregung und Beftürzung in Avignon; dort war man am we— 
nigften damit einverjtanden, daß in Deutichland eine Familie das 
Königthum dauernd innehatte und es dadurch wieder Eraftvoller machen 
fonnte. War doch auf diefem Wege fogar die unwillkommene Aus— 
jiht eröffnet, daß aus dem jchwanfenden Wahlfönigthume eine feite 
Erbmonardie ſich entwidelte. Indeſſen ganz und gar ablehnen 
fonnte man nicht; ſchon der Umſtand, daß der apostoliiche Stuhl 
wieder nad) Rom zurückverlegt werden ſollte, gebot, Rüdjichten auf 
den Kaiter und deſſen Wünfche zu nehmen. Und wenn nicht Alles 
trügt, hat man fih in Avignon über die Stimmung der deutichen 
Fürſten getäufcht. Denn wenn diefen auch im Anfange der Plan 
Karls nicht weniger unangenehm geweien fein mag, als der Curie, 
jo hatte bereits Karls Geihid und Opferwilligfeit die Bedenfen be— 
jeitigt md den guten Willen erfauft; und jo wenig die Mehrzahl 
der deutichen Fürſten dem luxemburgiſchen Haufe ergeben fein mochte, 
noch mehr waren fie erbittert gegen das Papjtthum und dejjen maß— 
(oje Anſprüche in Geldfahen wie in anderen Dingen. Gene Renfer 
und Frankfurter Beihlüffe von 1338 entiprangen doch der wahren 
Herzensimeinung der Deutjchen, und wenn fie auch augenblidlich ve= 
ſultatlos waren, ihre Grundideen wirkten weiter. Die Mißſtimmum 


271 


war jetzt nicht geringer, als vierzig Jahre früher. Daher konute 
der Kaiſer, wie wir jehen werden, gerade gegenüber den Ansprüchen 
der Curie an die deutfchen Fürſten appelliren, während diefe glaubte, 
die Fürjten würden einen jo energifchen Widerftand erheben, daf 
Karl ohne die Hülfe des Papftes gar nicht zum Ziele kommen fünne. 
Man bejchloß daher in Avignon, zwar auf Karls Wiünfche einzugehen, 
aber dafür fo große Koncefjionen zu verlangen, daß die Gefahren, 
welche Wenzel8 Wahl bringen konnte, nicht nur beichtworen wurden, 
fondern aud) der päpftliche Einfluß auf die Königswahl trog der gol— 
denen Bulle für alle Zeiten gefichert war. Die Art und Weife der Er- 
hebung Karls IV. follte, zum Gewohnheitsrecht firirt, die Norm für 
alfe fünftigen Wahlen werden. 

Als Gefandter wurde Thomas de Amanatis beftimmt, der er— 
wählte Biihof von Nimes. Der Papſt fchrieb dem Saifer, feine 
Abſicht, Wenzel bei jeiner eigenen Lebenszeit und ohne daß er refignirt, 
zum Könige wählen zu laffen, fei durchaus ungewöhnlich; nicht allein 
das zu geringe Alter Wenzeld, auch andere ſtarke und inhaltſchwere 
Gründe ftänden im Wege. Daher habe er, der Papſt, nur mit 
Mühe das Cardinalcollegium vermocht, überhaupt auf die Sade ein— 
zugehen; er müſſe daher auf der Erfüllung gewijfer Bedingungen be= 
jtehen. Wir fernen diejelben allerdings nicht in ihrem Wortlaute, 
vermögen fie aber aus den jpäteren Verhandlungen zu entnehmen. 
Karl und Wenzel follten vor Allem perſönlich nach Avignon kommen, 
dort die Eide leiften, welche einſt König Johann und Karl i. J. 
1346 vor des letteren Erhebung gejchworen, dann den Papſt bitten, 
dag er den Kurfürften erlaube, die Wahl vorzunehmen; wenn dieſe 
vor fich gegangen, müſſe ſodann die päpftliche Approbation eingeholt 
und erſt nach diefer dürfe die Krönung vollzogen werden. Ferner 
müßten beide geloben, daß in Zukunft nie mehr ohne ganz befondere 
Genehmigung des Papites der Sohn bei des Vaters Lebzeiten zum 
Könige gewählt werde, und ihre Einwilligung dazu geben, daß der 
Papſt darüber eine ausdrückliche Conſtitution erlafje!. 

Im April 1375 war Thomas auf der Reife; es iſt fehr zu 
bedauern, daß wir von dem Gange, den die Berhandlungen nahmen, 
nur ſehr wenig wiſſen. ebenfalls verhielt fich Karl nicht ablehnend ; 
wie der Papft verfichert, gelobte er die Erfüllung eines Theile der 
Bedingungen; ficher fagte ev zu, nach Avignon zu kommen. Aber 
vonvornherein hat er kaum die Abficht gehabt, das Verſprechen zu 
halten; trat er doc vielmehr Ende Auguft die große Reiſe nach dem 
Norden an. Gewiß war Thomas vorher nad) Avignon zurückge— 
fehrt; wir würden fonft feinen Namen bei dem Waffenftillftande von 
Tonna oder in Lübeck erwähnt finden. In Avignon war man mit 
den Erfolgen zufrieden; die Bedingungen wurden näher formulirt; 


ı Dies folgt aus RA. 61-63, Dazu traten jedenfall® nod) andere, 
nicht in unmitteſlbarem Zufammenhauge mit der Wahl ftehende Bedingungen, 
etwa Stalien u. ſ. w. betreffend. 


272 


Anfang Januar 1376 war Thomas wieder in Deutfchland!. Wann 
nun Thomas den Kaifer getroffen hat, wiſſen wir nicht, ebenfowenig, 
welche Aufnahme er gefunden hat?; nur zu bald jollten er und feine 
Auftraggeber über die wahre Meinung Karls aufgeklärt werden. Die 
ganzen vorhergegangenen Berhandlungen hatten mur den Zweck, die 
Curie in Sicherheit zu wiegen, fie von vorzeitigen Schritten abzu= 
halten, um fie dann plötzlich zu überrafchen. 

Indeſſen waren in Stalien jehr bedenkliche Zuftände eingetreten ; 
eine Erhebung in den gewaltigften Dimenfionen war gegen die päpſt— 
liche Herrihaft ausgebrochen; Florenz jtand an der Spike; der 
ihlimme Bernabo Visconti, mit dem Gregor faum erſt Waffenftill- 
ftand gejchloffen, Johanna von Neapel, achtzig Städte traten hinzu ; 
im November 1375 wurde auch der Kirchenjtaat von der Bewegung 
ergriffen, am 6. Januar 1376 wurden, wenn auc) vergeblich, die 
Römer zum Anſchluſſe aufgefordert ?, 

Da bedurfte der Papft des Kaifers; im Februar fuchte er drin- 
gend deſſen Hülfe. Wir befiten nicht den Brief, den Gregor an 
Karl ſelbſt ſchickte, wohl aber ein Begleitjchreiben defjelben vom 23. 
Februar, vermuthlih an Erzbiihof Johann von Prag gerichtet, in 
welchen derfelbe aufgefordert wird, den Kaifer zu thatfräftigem Ein— 
greifen zu vermögen? Wiederholte Krankheit Karls hatte in Avig— 
non die Sorge wad) gerufen, daß derfelbe jchnell fterben fünne. Im 
gegenwärtigen Augenblide wäre der Curie nichts unwillkommener ges 
weſen; gerade jett, wo man auf die Unterftütung des luxemburgiſchen 
Haufes rechnete, wollte man diefelbe nicht durch eine eventuelle ftrei= 
tige Königswahl einbüßen. Daher jchrieb Gregor an Johann zu= 
gleich, der Cardinal Robert von Genf, der nächſtens in Deutjchland 
eintreffen werde, habe den Auftrag, wenn während feiner Legation 
Karl etwas Menfchliches zuftoße, dann die Kurfürften zu vermögen, 
Wenzel zu wählen ?, 

Die Empörung in Stalien mußte auch für Karl ftörend fein, 
fchon deswegen, weil durd fie die erwünſchte Verlegung des apojto- 
lifchen Stuhles nad) Rom hinausgefchoben werden konnte; indefjen 


I Die Reifen des Thomas ergeben fid aus RA. Nr. 61 und 62; vgl. Reg. 
Bo. IX, 327 (1375 April 4.) und 338 (1376 Ianuar 1). — Am 24. Nov. 
1375 bevollmäditigt der Papft Gregor in Avignon Thomas — cum te ad 
Alamanie et Boemie, Polonie et certas alias partes pro quibusdam 
nostris et ecclesie Romane negotiis transmittamus — überall Untercollec« 
toren für Erhebung des Zehnten einzufegen. Theiner, Vet. monum. Polon. 
et Lith. I, 726. 

: Im Mai 1376 ift er in Baiern, wahrſcheinlich in des Kaifers Uimge- 
bung. Reg. Bo. IX, 348. 

s Gregorovius, Geichichte der Stadt Rom im Mittelalter VI, 453 ff. 

* RA. ©. 94 Anm. 1. 

5 Ut quidquid legatione durante de imperatore contingeret .. . 
Dies fteht offenbar nicht im Zufammenhange mit den fchwebenden Berhand- 
lungen über Wenzels Wahl bei Lebzeiten Karls; dieſe betrachtete man in Avig- 
non al® geheime, 


273 


konnte er andererjeits durch energiſche Schritte gegen die Empörten 
den Papſt nachgiebiger ftimmen. Jene Bitte um Hilfe muß etwa 
Mitte März in des Kaifers Hände gelangt fein, als derfelbe bereits 
in Nürnberg war, auf dem Wege nad Frankfurt zur Wahl Wenzels. 
Dort erließ aud) der Kaifer bereit8 am 26. März ein abmahnendes 
Schreiben an die Florentiner und verhieß, nachdem er ſich in nächiter 
Zeit mit den verſammelten Fürſten des Reiches berathen, eine feier- 
liche Geſandtſchaft zu fenden !, 

In Nürnberg, wo der Kaifer von Mitte März bis Mitte Mai 
mit Furzer Unterbrechung verweilte, waren zahlreiche Fürften verſam— 
melt. Bor Allem des Kaifers Söhne Wenzel, Sigismund, der zum 
ersten Male den Titel eines Erzkämmerers des heil. röm. Neiches 
führt, und Johann, die Erzbiichöfe Ludwig von Mainz, Friedrich 
von Köln, Ruprecht von der Pfalz, Friedrih von Nürnberg und Ans 
dere; auch die Baiernherzöge werden erfchienen fein? Am 30. März 
num erließ der Kaifer einen entfcheidenden Brief an den Papft. Die 
Kurfürften, bei ihm in Nürnberg anwefend, um über die Wahl Wen- 
zels zu berathen, jeien einjtimmig übereingefommen, daß die Wahl 
deifelben aın 1. Mai in Frankfurt gefchehen und unmittelbar darauf 
die Krönung in Aachen vollzogen werden folle. Wenn er früher durch 
Thomas verjprochen, nad) Avignon zu kommen, fei er jet verhindert 
durch Fürperfiches Leiden; er ſchicke daher Odolerius Bonizonis, feinen 
Kaplan, dem er volles Vertrauen zu fchenfen bitte Mit eigner 
Hand fette der Kaifer unter den Brief: „Heiligfter Vater und zu 
fürdhtender Herr! Gerne wäre ich jetzt zu Euch gekommen, aber ic) 
bin noch fehr frank“ ®! 

Der Ton des Briefes iſt überaus auffallend; wenn ihn auch 
Karl durch die Nahichrift etwas verfühte, war er geihäftsmäßig im 
höchſten Grade; aud nicht ein Wort fteht darin, welches den Papjt 
zu irgend einer Theilnahme aufgefordert hätte; die ganze Sache wird 
jo behandelt, als ob fie deufelben nicht im mindeften anginge, Wir 
werden fpäter fehen, wie eiferfüchtig die Fürften der Curie gegenüber 
die Freiheit der Wahl vertheidigten; unzweifelhaft war das Inſtru— 
ment mit ihrem Wiſſen und ihrer Billigung entworfen worden. Es 
war ein bedeutfamer Wink für Gregor, wie die Dinge ftanden, wie 
ſehr er Urfache Habe, nicht allzu weit zu gehen. 

Aber bald nachdem Dodolerius aufgebrochen, trug Karl Sorge, 
daß Gregor nicht allzu fehr erbittert wurde. Am 31. März hatte 
Gregor einen furchtbaren Bannfluch gegen Florenz gefchleudert ; gewiß 
hatte er den Kaiſer davon rechtzeitig unterrichtet. Dem entfprechend 

! RA. ©. 91 Anm. 1. 

? Lünig, Cod. Ital. d. II, 221. — Daß die Baiern gar nicht erjchienen, 
läßt fi) nicht beweifen, wie Henrich) 38 meint, — Kuno von Trier war nad) 
Görz Regeften am 7. April in Ehrenbreitftein, wird aljo faum nah Nürn— 
berg gelommen fein. 

® RA. Nr. 60. 

* Wahrſcheinlich ift die Meldung zwifchen dem 30. März und dem 5. 
April in Nürnberg eingetroffen. 


274 


ſprach diefer am 5. April die Neichsacht über die Florentiner aus: 
fie jelbft, ihre Kinder und Kindesfinder wurden als Sculdige der 
beleidigten Majejtät erklärt, aller Ehren, Aemter und Würden entjetst, 
alte ihre Güter und Einkünfte der faiferlichen Kammer zugeeignet, 
alfe ihre Freiheiten, Nechte und Privilegien vernichtet!. Um des 
Reiches Nechte zu wahren, wurde Biſchof Yampreht von Bamberg 
nach Italien gefandt; er follte fich dort dem päpftlichen Yegaten, dem 
Gardinal Wilhelm Noelleti zur Difpofition ftellen, um von ihm Wei- 
fung zu empfangen? 

Der Bote, welcher diefe Nachricht nad) Avignon bringen follte, 
nahm zugleich ein Schreiben Karls vom 4. April mit, welches fich 
über die Wahl Wenzel8 in ungleich zuvorfommenderer Weife erging, 
als jenes vom 30. März. Da er vom Alter gefchwächt fei, aber 
doch nicht dem Reiche entjagen wolle, hätten ſich die Fürſten, geilt- 
liche wie weltliche, entſchloſſen, zu feiner Unterftügung Wenzel zum 
römischen Könige zu wählen. Er bitte daher feine Heiligkeit, gemäß 
der Zuneigung, welche der Papft immer dem föniglichen Haufe er- 
wiejen, er möge der Wahl fein Wohlwollen und feine Beiltimmung 
zoffen und dem zu Wählenden feine Gnade und Gunft fchenfen. — 
Freilich fieht man den Brief näher an und prüft ihn, fo ift er un— 
verfänglich genug. Den päpftlichen Ansprüchen fam er in feiner 
Weiſe entgegen; die ſchönen Worte liefen nur darauf hinaus, daß der 
Kaifer als Chriſt und als Freund de8 Papites Wohlwollen erbat, 
von irgend einem Zugejtändnijfe, von Beeinfluffung, Genehmigung 
oder Betätigung der Wahl ift nicht die Rede ®, 


ı Vgl. RA. S. 92 Anm. 

?2 Reg. Bo. IX, 345. April 18. Karl befiehlt dem Pfleger zu dem Ro— 
temberge während der Abweienheit des Biſchofs Lamprecht, der in Reichsange— 
legenheiten gen Lamparten gefendet wurde, des Bisthums Leute und Güter 
zu ſchützen. — RA. Nr. 67 Paragraph 1. 

® RA.Nr. 73. Weizfäder hält den Brief fiir nachträglich ausgeftellt und 
vom Papfte verworfen, weil in demfelben nit da8 Wort beneplacitum vor— 
fommt. Uber nad) meiner Meinung ift derfelbe entichieden echt und wirklich 
am 4. April ausgeftellt. Allerdings ftimmt fein Inhalt nicht mit dem Briefe 
vom 30. März; Tetsteren aber haben wir als offizielles Schreiben zu betrachten, 
während hier ein vertrante® Schreiben de8 Kaifers vorliegt, der den völligen 
Bruch vermeiden wollte, Der Inhalt aber ift, wie im Texte bemerkt, wenig be- 
beutend und dem Papfte nichts gewährend. Dieſer wollte, wie wir jehen werben, 
einen Brief, in welchem Karl um ausdrückliche Erlaubniß zur Wahl bitten 
follte. Das geichieht hier Feineswegs; deswegen fteht der erfte Punkt der capi- 
tula concordata (RA. Nr. 63) keineswegs der Echtheit unſeres Schreibens im 
Wege. Man vergleiche dafjelbe nur mit Nr. 87, um den Unterſchied zwiſchen 
beiden zu bemerken. — Noch andere Gründe fprechen für die Echtheit, zunächſt 
die ganze äußere Form. Weizſäcker jelbft hat bemerkt, daß die Worte ‘quod 
nos — — favoribus’ aus dem Edjreiben vom 23, Februar entnommen find; 
ebenjo ftimmt S. 111 Zeile 5—8 faft wörtlich mit dem Briefe überein, in 
weichen Karl fpäter dem Bapfte die geichehene Wahl anzeigte (Nr. 81). Die 
Schlußformel personam vestram ete. findet ſich in allen Briefen Karls an 
den Bapft und es iſt wohl nicht zufällig, dafs fie gerade in dem untergefchobenen 
Briefe Nr. 87 fehlt; diefer Umftand weift darauf hin, daß deffen Formular in 


275 


Während der Kaifer Ende April nad) Weiden ging, um dort in 
zahlreicher Berfammlung brandenburgijcher und meflenburgifcher Edlen 
feinen jüngjten Sohn Johanu mit der Tochter de8 Herzogs Albrecht 
von Meklenburg zu verloben, war Odolerius mit dem Briefe vom 
30. Mai in Avignon angekommen; e8 fcheint, daß er mit Abficht 
nicht übermäßig geeilt hat. Man war dort im höchiten Grade über- 
rajcht über dem entjchiedenen Inhalt des faiferlichen Schreibens; einer 
Commiſſion von drei Cardinälen, Petrus Corfini von Florenz, Simon 
Broſſano von Mailand und Guido von Poitiers fiel die Aufgabe zu, 
die nöthigen Schritte zu erwägen. Man beichloß, vor Allem zu ver= 
fuchen, ob Karl nicht doc noch beivogen werden fünne, die früher 
aufgejtellten Bedingungen zu erfüllen; wenn fic) die Wahl aber nicht 
hindern ließe, jolle wenigjtens bewirkt werden, daß die Krönung erſt 
nah Einholung der päpftlichen Approbation geichehe. Wir befitgen 
die Inſtructionen, welche dem Gefandten, dein Propfte Audibert von 
Pignans zur Richtſchnur übergeben wurden; es iſt intereffant, zu 
fehen, welche Argumente man gegen Karl ins Feld führte !. 

Das Verhältniß zwifchen Karl und Gregor fei von jeher ein fo 
inniges gewefen, daß der Papft von Herzen wünſche, Wenzels Wahl 
möge in der pflichtmäßigen und einträchtig verabredeten Weiſe ge— 
jchehen ?, damit diefelbe guten Erfolg Habe. Da müſſe ſich der Papit 
wundern, wie Karl ihın nun plößlich jchreibe, er könne nicht fommen, 
obgleich er dies früher zugejichert. Noch mehr aber wundere er id), 
dag er ihm dies jo jpät mitgetheilt Habe, da doch in der Wahl ohne 
vorherige Erfüllung der Bedingungen völliger Niücktritt von dem 


der päpftlichen Canzlei entftanden., Wenn diefer Brief vom 4. April „beftimmt 
war, als nachträgliche Urfache der Bulle vom 7. Mai (Nr. 74) zu gelten“, wie 
Weizſäcker meint, wirde er ihr wohl mehr im Wortlaute correjpondiren, wie das 
bei Nr. 87 und 83 der Fall if. — Auch die äußeren Verhältniffe weiien auf 
die Authenticität hin. Odolerius muß von Nüruberg abgereift fein, ehe die Reichs— 
acht über Florenz ausgeſprochen war; fonft würde der Papft in der Juftrnetion 
Nr. 62 fie erwähnen. Das gejchieht in den wärmften Worten de8 Dankes erft 
in der Iuftruction vom Mai 18—20, Nr. 67; dort heißt e8 zugleid; in Para— 
graph 4: quod in nomine domini fiat de filio electio, prout est a do- 
mino imperatore petitum. Das würde aber der Papft ohne den Brief vom 
4. April nicht haben fagen können; es gefchieht auch nicht in der Inftruetion 
Nr. 62. Alio muß nad) Odolerius, der den Brief vom 30. März bradıte, 
bald darauf eine zweite Botichaft mit der Nachricht von der Acht gegen Florenz 
und dem Briefe vom 4. April abgegangen fein. — Die Erwähnung in der 
Kanzleiaufzeihnung Nr. 86 weift in Teiner Weife darauf hin, daß der Brief 
nicht authentiich ſei; es foll nur ein Anhalt für die Datirung gegeben werden, 
welche um drei Monate vor die Wahl gerückt werden jollte; daher hat auch 
Nr. 87 ftatt 2. non. apr. entiprechend 2. non. mareii. — Euplid) ſpricht 
auch für die Echtheit, daß der Brief ſowohl in Prager als Pariſer Handſchriften 
enthalten iſt, während er in die die Wahl betreffenden Papiere nicht aufge— 
nommen wurde, Für Nom hatte ev wegen feines farbloſen Inhaltes feinen 
Werth, während er anderweitig als bekannt gewordenes Actenftücd aufbewahrt 
wurde. 
ı RA. Nr. 62. 
2 Per modos debitos et concorditer ordinatos. 


276 


früher Verabredeten liege. Nur mit Mühe habe der Papſt die Car- 
dinäle bewegen fünnen, daß fie überhaupt auf den ungewöhnlichen 
Borgang einer Wahl bei Lebzeiten eingegangen fein. Das habe der 
Biſchof von Nimes mitgetheilt, welchen der Kaiſer gewiſſe übermittelte 
Forderungen des Papſtes zugejtanden habe. Der Papjt müſſe nun 
bitten, daß fie Beide kämen und diefe Bedingungen perjünlich er— 
füllten, da die Cardinäle lediglich durd) die Ausficht auf ihre perſön— 
liche Ankunft fich hätten zur Zuftimmung bewegen lafjen. Auch aus 
anderen Gründen wünſche Gregor Karls und feines Sohnes Kommen ; 
e8 ſei darüber in der ganzen Welt fchon fo viel Gerede, welches nur 
durch die Ausführung bejeitigt würde. Ueberall fei e8 befannt, daß 
er fommen wolle; geichähe das nicht, fo würde man glauben, es fei 
Mißachtung gegen die Kirche oder Gefinnungswechjel gegen Gregor. 
Bei ihrer Gegenwart würden die fchwierigen Verhandlungen fich 
leichter führen laffen, e8 würde ſich bei der Gelegenheit ein unlös— 
liches Band um Wenzel und die Curie fchlingen. Werner fei ja eine 
‘bona reformatio in orbe’ durdaus nöthig, da die ganze Welt in 
Unglück und Aufregung ſei; darüber habe er aber mit Karl zu jpre= 
hen!. Komme diefer, jo würden viele andere Fürften und Herren 
fommen und ſchicken, und fo ließe fich viel Gutes ausrichten, , da ja 
ihnen Beiden die Yeitung der Welt zuftehe?.. Karl möge nicht die 
Reife für eine zu fchwere Bedingung anfehen; er felbjt jei früher in 
ähnlicher Angelegenheit gefommen, und die jetzige Sache ſei ja viel 
bedeutfjamer. Wenn er nicht käme, fee er fich der Gefahr aus, daß 
Alles, was er in der Angelegenheit thue, hinfällig fei und jpäter ver= 
nichtet werden fünnte. 

Sollten diefe Argumente ihre Wirkung verfehlen, jo war Aus 
dibert angewiejen, fchärfer aufzutreten. Seine Inſtruction enthält 
einen Nachtrag, dem ausdrüdlich die Bemerkung beigefügt ift, daß 
Audibert ihn nicht zufammen mit jenen obigen Gründen vorbringen 
folle; erjt in einer zweiten Unterredung, wenn die erjte feine Reſul— 
tate erzielt, follte er davon Gebrauch machen. Wenn Karls Reife 
nad) Avignon nicht zu erreichen und die Wahl fich nicht Hintertreiben 
ließ, fo follte er doch abgehalten werden , die Krönung ohne vorher= 
gehende Approbation folgen zu laffen. rreichte man das, dann war 
ja noch nicht Alles verloren. 

Daher Heißt es in der Inſtruction: Der Papft wundere fi, 
wie der Kaifer fchreiben fünne, daß der Wahl unmittelbar die Krö- 
nung in Aachen folgen folle. Denn ehe nicht die Wahl vom heiligen 
Stuhle confirmirt fei, dürfe der Erwählte weder gefrönt werden, noch 
fi) König nennen, noch irgend einen Act der königlichen Gewalt aus— 
üben. Gerade deshalb habe ja Johann XXII. fo fchwere Proceife 


ı Dieje reformatio, von ber aud) fpäter die Rede, war wohl nur eine 
Lodjpeife für Karl und die deutjchen Fürſten. 

» Die Berbefferung duos S. 97 Anm. a) ift nicht nöthig, auch mit do- 
minos, twie der Tert hat, ift der Sinu Mar. Es find eben dominus impe- 
rator und dominus noster, von denen fortwährend die Nede ift. 


277 


gegen Ludwig erhoben. Auch Karls eigenes Verhalten beftätige das; 
vor der Approbation habe er ſich nur erwählten römijchen König ger 
nannt und nicht das königliche Siegel geführt. Die Ehre der Kirche, 
engagirt durch Johanns Vorgang, dulde nicht, auf ſolches Anfinnen 
einzugehen; jo möge deun Karl des Weltfriedens willen und überdies 
wegen der perfönlichen Freundſchaft zu Gregor nicht Urfache fein zum 
Aergernig der Kirche und Erregung von Zwiſt. — Mündlich erhielt 
Audibert noch den Auftrag, in jedem Falle eine DVerfchiebung der 
Wahl bis zur Ankunft des Cardinal® Robert zu bewirken !; für den 
Tall, daß Karl und Wenzel bereit feien die verlangten Eide zu ſchwö— 
ren, nahm er die Kopien derjelben mit. 

Sehr gemefjenen Tone® war das Schreiben gehalten, welches 
Audibert Karl ſelbſt überreichen jollte; e8 war voll von Vorwürfen 
und Drohungen. Offenbar verfaßten e8 diejelben Cardinäle, welche 
die Anjtruction entwarfen: dieſelben Ausdrüde finden fich in beiden. 
Mit der höchſten Verwunderung habe der Papit Karls Brief, den 
Ddolerius gebracht, gelefen. Karl werde ſich erinnern, daß Gregor 
nur unter der Bedingung, daß Karl und Wenzel ſelbſt fänen, um 
die mit Thomas vereinbarten Punkte zu bejchwören, auf feinen Wunſch 
eingegangen ſei. Aber jetzt fcheine er Alles umwerfen zu wollen. 
Das würde dem heil. Stuhle zur Unehre gereichen und des Kaiſers 
Handlungen ungültig machen. Man bitte ihn, bei der Liebe, welche 
er immer der heiligen Kirche erwiefen, derjelben ſolche Schande zu 
erfparen. Was vollends feine Abficht beträfe, der Wahl unmittelbar 
die Krönung folgen zu laffen, fo fei die noch viel mehr ſtaunenerre— 
gend, da dies völlig unftatthaft fei. Daher möge Karl durch über- 
große Eile nicht feine ganze Abficht vereiteln und die Kirche heraus- 
fordern. „Wir werden unfern geliebten Sohn, den Cardinal von 
Genf, Deinen Verwandten, welchen wir wegen der Reformation des 
deutjchen Clerus als Pegaten nach Deutſchland ſchicken wollen, über 
dieſes Geſchäft unterweiſen, welcher daran Hülfe und Gunſt wenden 
wird, wenn die pflichtmäßige Ordnung gewahrt wird“. Im Uebri— 
gen ſchicke er Audibert, der da8 Nähere auseinanderfegen werde ?. 

Audibert muß feine Reife, auf welcher ihn der rückkehrende 
Odolerius begleitete, jchnell vollführt und den Kaijer auf dem Wege 


1 Bol. Nr. 64,1. 

2 Mr. 61. — Der Text B ift ficher der urfprüngliche, Audibert mitge- 
gebene, er wurde erft fpäter, als Johann v. Agen eine Copie des Schreibens 
erhielt, in A verändert (ſ, S. 282). B ift vielfach entftellt; im Schlußpaſſus 
ift ftatt informaremus: informabimus und ftatt informatione: reformatione 
zu leſen. — Daß Audibert bereits ein Genehmigungsichreiben vom Papſte 
mitbefommen, um von demfelben eventuell Gebraud) zu maden, wie Weizläder 
©. 88 meint, halte ich nady dem ganzen Zufammenhange für höchſt unwahr- 

einlich. 
— geht unzweifelhaft hervor aus den auch von Weizſäcker S. 106 
Anm. 1 angeführten Stellen und ſtimmt volllommen mit dem ſonſtigen Gange 
der Dinge überein. 


XIV. : 19 


278 


von Nürnberg nad) Heidelberg getroffen haben!; am 22. Mai waren 
feine Verhandlungen bereits zum Abfchluffe gedichen. Wir befiten 
die Aufzeihnungen, welche er von feinen Unterhandlungen gemacht 
hat. Forderung und Antwort des Kaijers find gegenübergeftellt. 

Der Kaiſer jolle in offenen mit faiferlichem Siegel verfchenen Briefen 
den PBapjt bitten, daß diefer aus bejonderer Gnade den Kurfürjten ges 
ftatte zufammenzutreten und Wenzel zum König zu wählen, jo daß 
diefer, wenn er erwählt und von der Kirche confirmirt wäre, dann nad) 
Karls Tode oder dejjen Nefignation die Regierung antreten und ſich 
in herfömmlicher Weile krönen laſſen könne. Karl gab feine directe 
Antwort, er wich aus, indem er erklärte, es fei ihm unglaublich, daß 
der Papſt derartiges verlange. Er — ber Kaiſer — würde damit jeine 
eigne Ehre vernichten und fich ſelbſt zu Grunde richten, denn die 
Kurfürften würden ſich für von ihm verrathen halten und ihm vor= 
werfen, daß er ihr Wahlrecht vernichtet habe. Wenn fie überhaupt 
etwas davon erführen, würden fie dem Kaifer und jeinem Haufe 
ewig feind fein und einen ſolchen Aufruhr gegen ihn erregen, daß er 
fih nicht ſchützen könne. Der Papſt fenne nicht die Bosheit und 
Nichtswürdigfeit vieler Herren in Deutjchland?; er fei überzeugt, 
daß, wenn der Papſt ſich nicht in Acht nehme, das Imperium an 
einen Feind und Rebellen der römischen Kirche foınmen werde. Der 
Papjt möge ſich überlegen, welche Häufer denn in Deutjchland ihm 
ergeben wären. Wenn er, der Kaifer, nur ficher wäre, daß man fein 

aus nicht feindlich behandle, wirde feiner der Seinen jemals das 
perium übernehmen. 

Der zweite Bunkt: Wenzel möge in feierlichen Briefen bejchwören, 
baß er weder jelbjt bewirfen noch geftatten werde, daß bei feinen 
Lebzeiten ohne vorherige Refignation ein Anderer zum römischen König 
gewählt werde, wurde ohne weiteres zugejtanden. Auch erklärte fich 
Karl damit einverftanden, daß er und fein Sohn diefelben Eide 
ihwören wollten, welche einſt bei feiner eigenen Erhebung 1346 ge= 
feiftet worden waren. 

Jetzt trat Audibert mit dem wichtigiten Theile feines Auftrages 
hervor. Bevor irgend welde Schritte gethan würden, follten Karl 
und Wenzel perjönlidh, wie fie e8 verjprochen, nad) Avignon kommen, 
um zu erbitten, zu verjprechen und zu bejchwören alles, was im 
Vorhergehenden gefordert und zugeitanden war. Wenn fie dann vom 
Papite die Erlaubniß zur Wahl erhalten, möge man zu ihr fchreiten ; 
nach verjelben folle der Heil. Stuhl um die Confirmation gebeten 
werden, wie e8 fonft immer gejchehen, fobald Jemand zum Kaiſer erwählt 
war. Karl antwortete; „Vor der Wahl fünnten weder ic) noch mein 


ı Karl war am 16. Mai nod in Nürnberg; am 23. wirb im Heidel- 
berg geurtundet. 
ch möchte hier nicht, wie Höfler und Henrich S. 44 thun, an beſtimmte 
ru denken; wir haben die Aeußerung wohl nur als Redensart zu 
etrachten. 


279 


Sohn gehen, weil die Kurfürjten einig find über die Vornahme ber 
Wahl. Und wißt, daß eine geringe Verzögerung mein Vorhaben für 
immer verhindern kann, was, wie ich glaube, nicht in des Papftes 
Abfiht Liegt. Ich kenne fehr wohl die Gefahren, welde drohen; 
mit allen Mitteln und aller Vorficht, welche ich anwenden kann, ver= 
mag ic faum das Gefchäft völlig durdyguführen. Aber gewiß, wenn 
der Papſt das Vorhaben mit meinem Sohne befördert, werde id) 
perjönlic gehen und verjpreche es hiermit handſchlägig. Ich habe 
bereit8 zum Könige von Franfreih um jicheres Geleit gefchickt, weil 
ich jehr wünjche, mit ihm wegen vieler Angelegenheiten zufammenzu= 
fommen, und jo glaube ich, daß e8 mir und ihm nügen wird. Wenn 
ich aber merkte, daß der Papft mid) nicht fördern wollte, und wenn 
ih Schon am Thore Avignons wäre, id) würde nicht eintreten und 
jogleich zurückgehen. Schreibt ihm jo bejtimmt, auc ich jchreibe ihm 
fo durch Ddolerius“. 

Audibert verlangte ferner die Einwilligung des Kaiſers und des 
Königs, daß der Papſt eine Konftitution erlaffe, damit nicht die Kur— 
fürften in Zukunft aus diefen Vorgängen Grund zum Unrechthandeln 
ihöpfen möchten, daß diejelben eine gültige Wahl nur vornehmen 
könnten, wenn das Reich thatfächlic erledigt fei, daß aber, wenn der 
Kaiſer noch lebe und nicht entfage, die Kurfürften bei Strafe des 
Bannes nur mit Öenehmigung des Papftes zur Wahl fchreiten dürften. 
Doc wolle der Papſt alle Abmachungen geheim halten bis nad) der 
Wahl und deren Beftätigung ; auch beftehe er nicht auf der angebotenen 
Refignation!, Karl entgegnete jehr fein und ironisch: „Der Bapit wird 
jeine Conftitutionen machen, wie es ihm gefällig ift, und ich werde ge— 
duldig zufehen und nicht widerjprechen ; auc) braucht der Papſt, mit feiner 
Erlaubniß, von mir weder Genehmigung noch Briefe darüber, weil 
jeine Vorgänger dieje nicht von den meinigen erbeten haben, wenn fie 
ganz andere Conftitutionen erlichen“. — Er wies wiederholt Hin auf 
die feindfelige Haltung der Kurfürften. 

So fah denn Audibert feine Abfichten, den Kaifer zur Erfül- 
fung der päpftlichen Forderungen zu bewegen, faft gänzlich gefcheitert. 
Er brachte darauf den zweiten Theil feiner Inſtruction vor, welcher 
dahin lautete, dag Wenzel vor der Approbation weder gekrönt werden 
noch Regierungsacte ausüben dürfe. Aber mit gewohnter Meifter- 
ihaft wußte Karl ſich zu Helfen; er legte den Fürften den päpftlichen 
Brief vom 4. Mai vor. Audibert fchildert jelbit in lebhaften Zügen 
die Entrüftung, welche derſelbe hervorrief. Man Habe e8 niemals 
gejehen oder gehört noch ftehe es irgendwo gefchrieben, daß der Papſt 
die Wahl eines Kaiſers beftätigt habe. Aebte und Biſchöfe könne 
der Papft confirmiren, nicht Könige; er tafte an die Freiheiten der 
Kurfürften und die Rechte des Reiches. So mußte denn der Ges 


ı Hier liegt wohl eine Flüchtigkeit des Berichtes; Karl wollte ja gar nicht 
entjagen. 


19* 


280 


fandte zufrieden fein, daß der Kaiſer fich endlich bereit erklärte, die 
Wahl vom 1. Juni bis zum 10., aber nicht weiter, zu verjchieben. 
Eilboten follten dem Cardinal Robert entgegengefchiett werden, damit 
biefer feinen Weg bejchleunige und bis dahin eintreffe?. 

Bon Heidelberg ging die Reife nach) Oppenheim. ‘Dort ftellte 
gemäß der Zufage Karls in den Tagen vom 21. bis zum 29. Mai 
Wenzel eine Vollmacht aus für den Grafen von Valence? und den 
Caplan Odolerius, dein Papſte zu geloben, daß der König, wenn er 
bei Xebzeiten Karls von den Kurfürjten gewählt werde, dem Papjte 
die Eide, welche einft Heinrich VII. und Karl bei ihrer Wahl ge— 
leiſtet, ſchwören wolle, fobald er dazu aufgefordert würde?. Zugleich 
nahm Odolerius einen neuen Brief Karls an den Papjt mit, welcher 
und indejfen nicht erhalten ijt. Sein Inhalt mag ein ähnlicher ge= 
wejen fein, wie der des Schreibens vom 4. April; indeffen ijt es 
wahrjcheinlih, daß die gewählten Ausdrüde den päpftlichen Forde— 
rungen etwas mehr entgegenfamen. In jenem wurde nur in ganz 
allgemeinen Ausdrüden um Beifall und Zuftimmung zur Wahl und 
um Gunft und Gnade für den zu Erwählenden gebeten, wahrjchein- 
lich wurde jet die Bitte etwas fchärfer dahin formulirt, daß des 
Papftes Beiſtimmung gefucht würde, damit die Wahl gefchehen könne. 
Darin lag eine fcheinbare Eoncejfion an die Curie, nachdem deren 
Verlangen, der Papſt jolle erjucht werden, den Kurfürften ausdrücklich 
die Wahl zu geftatten, abgefchlagen worden war. Und damit die 
Curie in Zufunft den Schein für ſich habe, als fei ihre Beiftimmung 
noch zur rechten Zeit gejucht worden, wurde der Brief auf den 26. 
April zurücatirt *. 

Jene Boten, weldje dem Cardinal Robert entgegengeſchickt waren, 
trafen bereit8 in Baſel nicht diefen, wohl aber einen andern Gejandten 


ı Mr, 68. Nr. 64, 1, 2. — Cursores, doch wahrjcheinfich die Dechanten 
Dietrih und Johann, für welche Karl, am 23, Mai Heidelberg, von Straßburg 
Geleit Heiicht (Nr. 69). Es heißt auch ausdrüdlih: also das unser bot- 
schafft ungesaumet beleibe; wenn gejagt wird, daß diejelben zum Papfte 
gehen, ift das nur ein biindiger Ausdrud. Denn wenn fie wirklid mit den 
Dppenheimer Mandaten (f. weiter) gejchidt worden wären, würden ihre Namen 
in der Botſchaft an den Papft genannt fein; auch fonft wird nirgend erwähnt, 
daß fie in Avignon angelommen wären. 

2 Diejer war wahrſcheinlich nicht anweſend, ſondern follte von Odolerius 
unterwegs mitgenommen werden. Da demnach feine Gegenwart in Avignon 
nicht fiher war, erhielt Odolerius Vollmacht, eventuell allein den Auftrag aus- 
zuführen. Vgl. ©. 290 Anm. 2, 

® RA. Nr, 70, 


* Nr. 72, 1. Die Rüddatirung hat Henrih S. 50 gut nachgewieſen, 
nur irrt er, wenn er glaubt, daß Odolerius gar nicht in Deutichland geweſen, 
fondern den Brief durd den oben genannten Dedanten erhalten habe. — Der 
Brief genügte der Curie nicht, weil er zu allgemein gehalten war und nidjt das 
Wort beneplacitum enthielt. Die Bulle vom 7. Mai (Nr. 74, fiehe unten) 
wird ſich in ihren Ausdrüden im Großen und Ganzen wahrſcheinlich ebenjo an 
ben kaiſerlichen Brief vom 26. April angejchloffen haben, wie man fpäter Ar, 
87 und 88 correjpondiren ließ. 


281 


Gregors an, den Bifchof Johann von Agen!. Denn bald nachdem 
Audibert Avignon verlaffen hatte, war dort Karls Brief vom 4. 
April und die Nachricht von feinen energischen Schritten gegen Flo— 
renz eingetroffen. Dadurch wurde die Stimmung eine mildere, war 
dody jener Brief in anderem Tone gehalten, als das harte Schreiben 
vom 30. März. Man beichloß daher gelindere Saiten aufzuziehen. 
Den Gardinal Robert freilich konnte man nicht ſchicken; die beiden 
Cardinäle, welche der Bapft mit dem Zuge nad) Stalien betraut hatte, 
waren erkrankt, und die Kriegsvölfer verlangten ftürmiih, daß ein 
Cardinal als päpftlicher Legat fie begleite. Gern mochte der kriege— 
riſche Robert dazu bereit fein; er brah am 27. Mai von Avignon 
auf? An feiner Stelle fandte Gregor den Biſchof Johann von 
Agen nad) Deutichland. Auch diefer wurde mit Inſtructionen vers 
jehen, welche uns erhalten find. Er arbeitete fie felbjt aus nad) der 
mündlichen Anweifung und legte fie noch einmal dem Papſte zur 
Billigung vor. 

Er ſolle den wärmften Dank jagen für Karls Vorgehen in ber 
italienischen Angelegenheit und das Ausbleiben Roberts entfchuldigen, 
welcher indejjen im Herbfte in Deutfchland erfcheinen folle. Aus 
Liebe zu Karl wolle Gregor von den Forderungen abftehen, melde 
er durch Audibert erhoben. Da einmal die Kurfürften zuſammen— 
fümen und Karl deshalb große Ausgaben mache und eine Verzögerung 
vielleicht ſeine Abficht ganz durchkreuzen könne, fo fei der Papjt einver- 
ftanden, daß die Wahl vor fich gehe, wie der Raifer ihn gebeten. 
Doch müſſe Karl alle die Punkte, welche durd; Thomas de Ama- 
nati8 vereinbart worden, vorher durch gefiegelte Briefe ficher ftellen. 
Und nur unter folgender Bedingung: nad) der Wahl dürfe Wenzel 
nicht gefrönt werden und nicht den königlichen Namen annehmen, bevor 
er nicht vom Papfte approbirt wäre, Andernfall® würde der Papft 
- protejtiren und ihn niemals approbiren; er würde in jeder Weife 
der Wahl widerftreben, der Stadt Aachen verbieten, ihn zur Krönung 
aufzunehmen und den Kurfürften unterfagen, der Wahl und Krönung 
beizuftimmen. Diefer Punkt erfchien Johann wichtig genug, um ſich 
noch bejondere Anmweifung darüber zu erbitten. Er fei angewieſen, 
wenn Karl behaupte, daß Wenzel unmittelbar nach ber Wahl fi 
frönen laſſen fünnte, dann zu verlangen, daß man unterfuche, wie es 
früher bei Karls Erhebung in diefem Punkte gehalten worden fei. 
Wenn nun fi finde, daß Karl vor der Approbation gefrönt worben 
jei, jolfe er dann darauf dringen, daß Wenzel e8 Hinausichiebe, bis 
er durch einen Eilboten den Papft benachrichtigt und deffen Antwort 
erwartet habe? Und wenn er e8 nicht erlangen Fünne, ſolle er dann 
auf die Eidesleiftung und Austellung der oben befprochenen Briefe 
beitehen? Wenn ferner der Kaifer fi) auf frühere Vorgänge be= 
rufe, um die Krönung vollziehen zu laffen, fo wolle dann der Papft 


ı Nr. 64,1. 
» Rt. 67, 3. — Baluze, Vitae pap. Aven. I, 1114. 


282 


der Krönung widerfprechen und ihn durchaus nicht approbiren, da 
er darauf beitehe, daß alles gehalten werde, wie bei Karls Wahl 
und wie e8 durch Thomas ausgemacht worden fei? Gregor ent» 
ſchied, daß er allein Bezug nehme auf Karls Erhebung, wenn es 
auch früher anders zugegangen fein möge; durchaus müſſe darauf 
— werden, daß der Sohn vor jeder Krönung approbirt 
werde. 

Vor der Wahl ſollte ferner, wenn es irgend zu erreichen wäre, 
Karl zur Verpflichtung bewogen werden, der Kirche zur Wiederer- 
langung des Patrimoniums beiftändig zu fein; alle Brälaten Deutjch- 
nn namentlich die Erzbifchöfe von Köln und Trier follten gleiches 
geloben. 

Daß der Kaifer jelbft nad Avignon kommen würde, war nad) 
diefen Erklärungen nicht mehr zu hoffen; man wünfchte nunmehr, 
daß dann Wenzel allein nad) der Wahl und vor der Krönung mit 
feinen Räthen, befonder8 dem Erzbifchofe von Prag, fomme, um die 
Approbation zu erbitten. 

Entjprechend diefen veränderten Inſtructionen wurde Johann 
von dem Briefe vom 4. Mai, welchen Audibert überreicht hatte, eine 
etwas erweiterte Faffung mitgegeben. Jener fchroffe Paſſus, daß 
Karl durch fein nunmehriges Vorgehen die früheren Abmahnungen 
gänzlich aufgehoben , wurde durch einen Zufat etwas gemildert, und 
ein Sat eingefchoben des Inhaltes: man hoffe, daß Karl im Som— 
mer Fräftig genug fein werde, nad Avignon zu kommen; daß, wen 
die8 aber nicht möglich fein jolle, wenigſtens Wenzel mit feinen Räthen 
erjcheine und der Wahltermin hinansgeichoben werde. Die Ans 
funft Roberts wurde noch immer in Ausficht geftellt, aber in etwas 
fernere Zeit gerüdt!, 

Zugleich erhielt Johann zwei Beglaubigungsichreiben an Audi— 
bert, vom 18. und 20. Mai. Das eine‘, offenbar bejtimmt, Karl 
vorgelegt zu werden, ordnete ihn einfach Audibert bei, da Robert nad) 
Stalien beftimmt fei; das andere ermahnte Audibert, zufammen mit 
Johann und Thomas, darauf zu dringen, daß ſich Wenzel nicht vor 
der Approbation Frönen laffe, damit nicht das gute Einvernehmen 
zwifchen der Curie und dem Faiferlichen Haufe geftört werde, im 
übrigen aber die italienifchen Angelegenheiten geſchickt zu betreiben ?. 

Während Yohann ſich auf der Reife befand, war Karl in den 
legten Tagen des Mai nad Bacharach gereift. Der Stand der 
Dinge im Mainzer Erzbisthum war feit den Frieden vor Tonna 
unverändert geblieben; Adolf war dort der unbeftrittene Herr. Am 
13. April hatte er mit Hermann von Hefjen ein Abkommen geichlojfen, 
welches wohl hauptfächlich den Zweck hatte, die Page der Geijtlichkeit 
in Hefjen erträglich zu machen; im Mat war Adolf unterftütt durch 
Zuzug von Köln und Trier gegen Speier zu Felde gezogen?, Der 

ı Nr. 61. Tert A fiche S. 277 Anm. 2, 

2 Nr. 65—68. Bol. Nr. 76. 

® NRommelII, 194. — Remling, Gejchichte der Bifchöfe zu Speyer I, 651 f. 


283 


Kaiſer mochte ähnliche Gefahren befürchten, wie fie im November 
1374 ihn bedroht hatten; da er felbft im gegenwärtigen Augenblice 
feinen Schritt thun durfte, der irgend gegen Ludwig, deſſen Stimme 
man bedurfte, gedeutet werden fonnte, wurde Wenzel vorgefchoben, 
um den Gegner zur Ruhe zu bewegen. Unter Berufung auf das 
alte Bündniß zwifchen Böhmen und Mainz gelobte Wenzel, gegen 
Adolf und fein Stift und alle von ihm innegehabten und noch innezu= 
habenden Schlöffer u. f. w. nicht fein zu wollen, fo lange Adolf 
lebe, fofern er zu Wenzel halte. Letzterer wolle nie gegen ihn Krieg 
führen, und wenn er König würde, dies Verfprechen unter königlichem 
Inſiegel erneuern. Man wird diefe Zufage nicht lediglich als formell 
zu betrachten haben: daß der fünftige König ihn nie befriegen wolle, 
war fiir Adolf nicht ohne Werth !. 

Dort in Bacharac waren fämmtliche Kurfürften um Karl ver» 
fammelt: Ludwig von Mainz, Kuno von Trier, Friedrih von Köln, 
Ruprecht von der Pfalz, Wenzel von Sachen, während Wenzel als 
König von Böhmen und Sigismund als Markgraf von Brandenburg 
die Siebenzahl der Rurfürften ergänzen; außer ihnen werden erwähnt 
Johann Erzbifchof von Prag und Edard Bischof von Worms, Jodocus 
Markgraf von Mähren, die Herzöge Heinrich von Brieg, Bunzlaus von 
Liegnis, Konrad von Dels und zahlreiche böhmifche Edle und faiferliche 
Beamte. Karl war bejtrebt, die Kurfürften bei guter Stimmung 
zu erhalten; wir fennen Urkunden für den Pfälzer, den Kölner und 
den Tierer. Ruprecht wurde „zu Beſſerung, Schirm und Frieden 
der Landftraßen zwifchen Worms und Speier“ ein Geleit verliehen, 
von jedem Laftpferd ein Königsturnos?. Kuno erhielt die feierliche 
Beltätigung aller Trierſchen Privilegien, in umfangreiher Urkunde 
fihert Karl einen Theil jener Verfprechungen zu, welche er dereinft, am 
11.November 1374, in Mainz gethan, namentlich die Erhöhung der 
Pfandſumme auf die Städte Boppard und Wefel und die halbe 
Burg Sterrenberg, die Vogtei in Hirzenah und das Gericht zu 
Galgenſcheid von 50,000 auf 60,000 Goldgulden. Die Bewohner 
diefer Gebiete werden angewiefen, der Trierer Kirche den Fidelitäts— 
eid zu leilten und von derfelben ihre Lehen zu nehmen, Tetsteres ſolle 
auch befonder8 denen von der Veſte Schönberg anbefohlen werben. 
Diefe Pfandfchaften werde er nie einlöfen und in ihnen Kuno gegen 
Jedermann vertheidigen. Der Zoll von Boppard wurde beſtätigt, 
und genehmigt, daß die Abter Prüm, deren Einfünfte längft von denen 
des Conventes getrennt find, durch den apoftoliichen Stuhl mit dem 
erzbifchöflichen Tifche vereinigt würden ®. Amt zahlreichiten aber find 
die Urkunden für Friedrih von Köln. Friedrich war feit langer Zeit 


1 Gudenus III, 524; vgl. RA. ©. 10 Anm. 1 und die Notiz in bem 
Frankfurter Stadtrehnungen RA. ©. 87 Beile 30. 

? RA. Nr. 23. — Mitte April hatte Karl jene an Ruprecht übermwie- 
fenen Städte Oppenheim u. |. w. von der Stadt Mainz ausgelöft. Reg. Bo. 
IX, 345. 

s RA. Nr. 6 und 7 nebft Aum. 


284 


in dem bitterften Streite mit der Stadt Köln um die erzbifchöflichen 
Gerechtſame, wiederholt war Karl in der entichiedenften Weife für 
ihn eingetreten, aber weder Bann noch Reichsacht hatte den Stolz 
der Etadt gebeugt; fie war zum Kampfe entjchloffen. War hier 
Sriedrih auf des Kaifers Hilfe angewiefen, fo war auch feine Stel- 
lung zur Curie eine ungünftige. Für feine Erhebung auf den Kölner 
Stuhl fchuldete er der Curie 120,000 Goldgulden, welche er nicht 
bezahlen konnte und wollte; die üble Stimmung, welche in Avignon 
deswegen herrichte, war noch vermehrt durch den entjchiedenen Proteft 
des Kölner Capitels vom 14. October 1372 gegen die Zahlung des 
Zehnten, welchen die päpitliche Kammer verlangt hatte. Deswegen 
hatte Karl bereits im Mainzer Abkommen Friedrich. feine Vermittlung 
zugejagt ; aber da Wenzel bisher weder gewählt noch gefrönt war, 
hatte Karl wahrscheinlich weder Schritte in diefer Angelegenheit gethan, 
noch die versprochenen 30,000 Goldgulden ausgezahlt. Die päpftliche 
Kammer hatte daher gegen Friedrich den Proceß angeftrengt; am 6. 
September 1375 Hatte der päpftliche Kämmerer die Geiftlichen der 
Kölner Didcefe angewiefen, den Grzbifchof fiir meineidig zu erflären 
und Interdikt, Suspenſion und Ereommunication gegen ihn auszu= 
Iprechen!. Wie ſich zeigte, war Thomas beauftragt, diefe fchweren 
Genjuren nunmehr wirklich zu verhängen , vielleicht war e8 des Kai— 
ſers Einfluß gewefen, der ihn vorläufig zurückgehalten Hatte, um nicht 
Störungen in der Wahl zu verurfachen. Nach beiden Richtungen 
hin erſtreckten fich vornehmlich die Bewilligungen, welche Karl jett 
gewährte. Karl und Wenzel gelobten, nach Wahl und Krönung bie 
Privilegien von Köln zu beftätigen, das Neichsvifariat dieſſeits der 
Alpen auf zehn Fahre und dann bis auf Widerruf zu verlängern ; 
ferner gewährten fie ihm die erite Bitte in den Didcefen von Köln 
und Straßburg, das Recht, die an die bairifchen Herzöge verfeßte 
Landvogtei des Elſaſſes einzulöfen?, nicht zu bewirfen, daß der Papſt 
ihnen oder Jemand anders einen Zehnten auf die Kölner Diöceje 
gebe. Ferner gelobte Karl, Friedrich und feinem Stifte gegen die 
Veinde beizuftehen, fein Bundniß mit der Stadt Köln zu machen, 
diejer fein dem Erzftifte fchädliches Privileg zu geben und etwa ge= 
gebene zu wiederrufen; er verbot allen Neichsunterthanen, in den 
Orten des Erzbiichofes Gemeinderäthe einzufegen oder fich dazu wählen 
zu laffen oder fich folder Gerichtsbarkeit zum Schaden der Kölner 
Kirche zu unterfangen ; die geächteten Bürger follten ohne des Erzbi— 
ſchofes Willen nicht aus der Acht entlajjen und aller Privilegien 
— erklärt werden, wenn ſie Jahr und Tag ungehorſam 
ieben , 

Als der Tag der Wahl war urſprünglich der erſte Juni be— 

ſtimmt geweſen; aber auf Bitten Audiberts hatte Karl fie bis zum 10. 


* Enmen, Gedichte der Stadt Köln II, 691. 710. 
» Diefe follte dann wahrſcheinlich Pfand für die 30,000 Gulden fein, 
® RA. Nr. 12—15, Sacomblet III, 682 ff. 


285 


uni Hinausgefhoben. Die Kurfürjten waren bereits vollzählig er- 
fchienen. Wir erinnern uns, daß Karl früher auf Begehr des 
Trierer Erzbifchofes die Beſtimmung der goldenen Bulle, welche 
Frankfurt als Wahlort bezeichnete, aufgehoben Hatte; in Renſe ſollte 
fie vollzogen werden (S. 263); in dem Briefe au Gregor vom 4. 
Mai war aber Frankfurt genannt worden. Karl hatte einen Mittel- 
weg gefunden, welcher ſowohl den Forderungen Trier als den Be— 
ftimmungen der goldenen Bulle Rechnung trug und zugleid) das Her- 
fommen wahrte. Schon früher mögen die rheinischen Kurfürften oft 
in Renſe zufammengefommen fein, um ſich zu berathen. Der Ort 
lag in der Trierer Diöcefe und ftand unter Kölnischer Yurisdiction; 
fo dicht jtießen Hier die Gebiete der vier rheinischen Kurfürften zu— 
fammen, daß man den Klang einer in Nenfe geblajenen Trompete 
in vier Schlöffern hören fonnte, welche je einem der vier Kurfürften 
gehörten. Im vierzehnten Jahrhunderte betrachtete man daher Renſe 
al8 Ort, wo von Alters her die Kurfürften zufammenfämen, um 
Reichsangelegenheiten zu berathen ; ganz beſonders wurden die Vorbe— 
ſprechungen vor den Königswahlen hier gehalten. So war e8 zuerft 
bei der Wahl Heinrich VII. gehalten worden; ehe die Gegenfönige 
Triedrih und Ludwig erhoben wurden, hatte gleichfalls eine Vorbe— 
rathung in Renſe ftattgefunden, die freilich zu feinem Nefultate führte ; 
Karl war endlich in Renſe gewählt worden. ‘Der Raifer felbft ſprach 
e8 damal8 aus, daß in Renſe die Kurfürften pflegten übereinzulommen, 
den römischen König zu nennen und zu wählen, wie das Gewohnheit 
von Alters her geweien. Eben diefer Tradition wegen mochte Kuno 
darauf gedrungen haben, daß die Wahl in Nenfe gehalten würde; 
wurde doch dadurch der Glanz der Diöcefe vermehrt und den rheini- 
ihen Kurfürften ein gewiffer Einfluß auf die Verhandlungen gefichert. 
Daher wurden auch diesmal dort die Berathungen am 1. Juni ers 
öffnet und damit der einmal feitgefetste Termin doch aufrecht gehalten !. 
Wenn uns erzählt wird, die Erzbifchöfe von Köln und Trier feien 
mit dem Kaiſer „etwas ſtößig“ geworden, jo mag der Streit wohl 
darum gegangen fein, ob die definitive Wahl oder nur die Vor— 
wahl folle vorgenommen werden ?, 

Der erjte und wichtigfte, wenn auch nur formelle Punkt der 

ı Karl erflärte am 11. November 1374 (Nr. 5), die Wahl folle in Renſe 
gehalten werden: umb dez willen, daz die kur und wale frij sijn muge. 
Die Fürften mochten auch Bedenken tragen, einen fo wichtinen Act in Mitte 
einer mächtigen Bürgerfchaft vorzunehmen, welche allerdings leicht einen Drud 
ausüben fonnte. Berweigerte doch fpäter Kuno nad Frankfurt zu kommen, 
weil der von der Stadt außgeftellte Geleitsbrief nicht genügte (RA. Nr. 190). 
— Ueber Rene fiche die noch immer brauchbare Zufammenftellung von Er 
Dav. Köhler, De inclyta sede regali ad Rense. Altorf 1735; die neueren 
Aufſätze in den Hiftorifch-politifchen Blättern VII, 1841, 273 ff., Rhein. Pro- 
vinzialblätter N. 5. 1835, I, 3 ff., Lepfius, Kleine Schriften III, 181, find 


wertblos. Die Urkunde RA. Nr. 96 zeigt, daß der Königsftuhl erft zwiſchen 
1376 und 1398 erbaut wurde, 


ET ah Johann Pfaffenlap. RA. Nr. 53. Bgl. überhaupt Nr. 44. 53, 54. 


286 


Berathung wird der gewejen fein, ob man überhaupt zu einer Wahl 
fchreiten folfe; nachdem dies bejaht war, wurde Wenzel als der wür— 
digfte genannt. Noch mancherlei andere Fragen waren zu erledigen. 
Sollte man Ludwig von Mainz für vollberechtigt halten, obgleich er 
vom Bisthum jo gut wie nichts innehatte? Er felbft hatte einen 
Entjcheid provociren wollen und war von der Berathung weggeblieben; 
erjt al8 man feine Stimme für gültig erffärte, holte ihn Pfalzgraf 
Ruprecht herbei. Zweifel konnten ferner entftehen, wie es mit der 
Handhabung der Kurftinmen von Brandenburg und Böhmen ges 
halten werden ſollte. Wie wir wiffen war Otto die erffere referpirt 
geblieben; wahrscheinlich jedoch hatte er, der gar nicht anmwefend war, 
vorher feine Einwilligung gegeben, daß Sigismund bei allen Wahl: 
handlungen Titel und Stimme führte. Freilich war diefer noch mi— 
norenn; eben deswegen ijt zu vermuthen, daß die Kurfürften in Nenfe 
ſich erft in der Frage ſchlüſſig machten. Ebenfo mögen fie einig ges 
re fein, daß Karl, nicht Wenzel die böhmiſche Stimme führen 
olfe !, 

Nah Schluß der Berathung verkündete Kuno von Trier feier- 
lid) den 10. Juni als Wahltag. 

Bon Rense fehrte man nad) Bacharad) zurück, von dort benad)- 
richtigte der Raifer am 3. Juni die Stadt Franffurt, daß Wenzel 
einftimmig zum römifchen König genannt fei und den 10, Juni in 
Frankfurt gewählt und am 24. Juni in Aachen gekrönt werben folfe. 
Der Bapft habe einen Legaten geſchickt mit der Botfchaft, daß er und 
die Sardinäle iren guten willen und volbort, sovil und sie an- 
gehoret’, gegeben. Das war allerdings nur vom Standpunkte Karls, 
nicht von dem Gregors richtig. 

Am 8. Juni, Sonntags Abende, famen der Kaifer, fein Sohn, 
begleitet von den Kurfürften von Mainz, von der Pfalz, Brandenburg 
und Sachſen in Frankfurt an; unter Glodenklang geichah der Ein- 
zug, zwanzig Knechte trugen große Wachsferzen auf Stangen voran, 
Die Frankfurter wollten Wenzel bereits fönigliche Ehren erweifen, 
aber Ruprecht verwies das: Wenzel fei noch nicht gewählt?. Am 
nächſten Tage folgten die Erzbifchöfe von Trier und Köln. 

Anzwifchen war Johann Biichof von Agen mit den neuen Auf- 
trägen des Papftes angelangt. Er erreichte nur, daß der Kaifer ſich 
bereit erklärte, die auf den 24. Juni angefette Krönung um fünfzehn 
Tage hinauszufchieben. Er wolle gleich nach der Wahl Gejandte 


1 Weber Otto fiehe S. 288. — Karl fagt Nr.44: wir kurfursten etec., 
in Nr. 80 und 81 wird er princeps elector genannt, dagegen Nr. 82 zwei« 
deutig: nos tamquam rex Boemie et alii principes imperii coelectores 
videlicet .... Wenec. rex Bo., doch fpridht Karl im weiteren Texte von 
fi als Wähler. Pal. Ulman Stromer (Ehron. der deutſchen Städte, Nürn- 
berg I, 34): der kayser der di kur zu Beheym het. Bgl. RA. ©. 121 
Anm. 1 und SS. rerum Bohemicarum (ed. Pelzel et Dobrowsky) II, 
433. 

2 Das war Iebiglich berechtigte Wahrung des Ceremoniells; Henrich S. 58 
will auch bier böfen Willen erfennen. 


287 


zum Papfte fchiefen, und da die Dauer einer Reife nad Avignon auf 
höchſtens fechszehn Tage berechnet wurde, fünne Gregor die Approba= 
“tion und das fonft Erforderliche noch vor der Krönung vollziehen. 
Im Uebrigen erklärte er bündig, die Krönung müſſe jtattfinden und 
könne nicht weiter verfchoben werden. So erreichte der Kaiſer durch) 
dieje Scheinconceffion, daß die Legaten fich zufrieden geben mußten. — 
Menzel hatte ſchon in Oppenheim fich bereit erklärt, die Eide feines 
Urgroßvaters und Vaters zu feiften; am 9. Juni gelobte er den 
beiden päpftlichen Gejandten in Gegenwart des Erzbifchofs Johannes 
von Prag, des Herzogs Heinrich von Brieg, des faiferlichen Hof- 
meifter8 Peter von Wartenberg, und einiger Notare — Reichsfürften 
al8 Zeugen hinzuzuziehen, war, gewiß mit Abficht vermieden worden —, 
daß er, fobald er zum König gewählt würde, die gedachten Eide (eiften 
würde, deren Wortlaut in die Gelöbnigurfunde bereit8 aufgenommen 
wurde (Nr. 71). Aber auch hier erhob der Kaifer Schwierigkeiten. 
Audibert Hatte die Copien der Eide bereit8 mitgebracht, aber die Au— 
thenticität ihres Wortlautes wurde bezweifelt. Karl und Wenzel 
fchwuren daher, daR die Eide im ihrem echten Wortlaute follten ge— 
feiftet werden, und man kam beiderfeitig überein, daß der Protonotar 
Konrad von Geifenheim, welcher die Approbation in Avignon nad)= 
fuchen follte, gefiegelte Membranen mitnehme, auf welche er an Ort 
und Stelle den authentifchen Text fchreiben ſolle. So erreichte der 
Raifer in unverfänglichiter Weife, daß der Papft feine bindende Ur— 
funde in die Hand befam, ehe er nicht Karls Willen nachgegeben !, 

Am folgenden Tage, Dienftag den 10. Juni Vormittags neun 
Uhr, erfolgte die Wahl in der Safriftei von St. Bartholomäus nad) 
den Beſtimmungen der goldenen Bulle, einftimmig und ohne Wider⸗ 
ſpruch. Der Kaiſer wie die Kurfürſten verkündeten dem Reiche das 
Geſchehene, jeder in beſonderen Briefen, und forderten zur Huldigung 
auf; ſie gelobten dem Erwählten Treue und Beiſtand, während Karl 
und Wenzel gleichfalls verſprachen, ihnen zeitlebens beiſtändig zu ſein. 
Unter Darbringung reicher Geſchenke leiſtete die Stadt Frankfurt ihre 
Huldigung; perſönlich nahm dann Wenzel den Eidſchwur des benach— 
barten Friedberg entgegen, wohin ihn Frankfurts Bürgermeiſter mit 
fünfzig Pferden“geleitete ?, 

Rarl verfehlte nicht, einzelnen Rurfürften alsbald feinen Dank 
für die Gewährung ihrer Stimme abzuftatten. Noch am Tage der 
Wahl beftätigte er dem fächftichen Herzoge Wenzel und deffen Descen- 
benz das Kurrecht, an welches der Neffe deffelben, Albrecht, Anſprüche 
erheben konnte, und beiden zufammen den Befit Püneburgs; es ift 
die8 die fogenannte goldene Bulle Sachſens. An Kuno von Trier 


ı Nr. 76. 

2 Nr. 45—59. Der 1411 entworfene modus regem Rom. electum 
Francofordie introducendi, bei Würdtwein, Subsidia dipl. I, 120 ff., 
der zum größten Theile auf älteren Ordnungen beruht (vol. Slen ſchlager, 
Erläut. Staatsgeſch. Urk. 277), giebt einige auf die Ceremonien bei Wenzels 
Wahl bezügliche Einzelheiten. 


288 


wurden die 40,000 Gulden ausgezahlt, welche diefem verſprochen 
— für den Fall, daß er die Landvogtei in der Wetterau nicht 
erhielte!, 

Wir bemerften bereits, daß Eigismund die Kurftimme Branden- 
burgs geführt hatte. Gewiß geſchah das nicht ohne Einwilligung 
Ottos, deſſen Recht zugleich formell gewahrt wurde. Obgleich er 
nicht in Frankfurt anweſend war?, wurde doc) eine Urkunde, datirt 
10. Juni, ausgeftellt, in welcher er wie die übrigen Rurfürften er» 
flärte, Wenzel feine Stimme gegeben zu haben und ihm treu und ge= 
wärtig fein zu wollen (Nr. 48). Wahrjcheinlich wurde diefe Urkunde 
fpäter ausgefertigt, denn erft am 27. Juni verſprach Karl in gleicher 
Weife, wie er es vorher den andern Kurfürften gethan, Otto 
beiffändig zu fein, da er Wenzel feine Stimme gegeben und bejtätigte 
die Privilegien der Baiernherzöge. Wenn er ihnen damals (Juni 
24) die Reichsſtadt Schwäbiih Werd für 60,000 Gulden verpfän— 
bete, ijt der Preis, welchen er für den guten Willen zahlte, deutlich 
genug bezeichnet. Wahrjcheinlid) war Friedrid) damals felbft beim 
Raifer gegenwärtig, er mochte zur Krönung gekommen fein, die ur— 
ſprünglich am 24. Juni ftattfinden follte; wenigftens ift er dann in 
Aachen mit eingezogen ®. 

Die Wahl war glücklich vollzogen, ohne daß ber Kaiſer des 
Papftes Genehmigung abgewartet hätte. Die Forderungen Gregors 
waren nur zum geringften Theil und auch das nur fcheinbar erfüllt 
worden ; jet fam der Cardinalpunkt derjelben in Frage: die Einho= 
lung der Approbation vor der Krönung. Es geht Ear aus den 
ganzen Verhandlungen hervor, daß Karl hierin nicht nachgeben wollte; 
andererfeit8 fam es ihm darauf an, doch einen Bruch mit dem 
Papite zu vermeiden. Wir erinnern ung, daß er vor der Wahl fich 
des Beiftandes der beutfchen Fürſten verfichert hatte, indem er ihnen 
das päpftliche Schreiben vom 4. Mai vorlegte; noch gingen bie 
Wogen der Entrüftung hoch, und als Karl jetzt an die Curie Gefandte 
ſchicken wollte, verweigerten die Kurfürften oder ein Theil berfelben 
die Briefe über die Wahl, indem fie behaupteten, ihre Freiheit und 
die Reichsrechte würden angetaftet. Vier Tage gingen die VBerhand- 
lungen; Karl „erhielt endlich ihre Briefe in der Form, wie er Fonnte 
und nicht wie er wollte“, verfichert Andibert. Doc dem Kaiſer war 
die Weigerung der Fürften gewiß willfommen; auf fie geftütt konnte 
er die Curie hinhalten, während er feinerfeitS den Schein der Ergeben- 


ı Nr. 26, — Nr. 8. 

2 Er wird nie in den Urkunden als Zeuge u. ſ. w. genannt, auch die 
Urkunden in Reg. Bo. IX, 349 f. zeigen, daß er fi damals in Landehut- 
Münden aufhielt. i 

® RA. Nr. 51; ©. 86 Anm.; S. 170. Bilder a. a. D. Reg. 80. — 
Daß im Namen der vier bairifchen Herzöge am 24. Juni in München geurkunbet 
wird (Reg. Bo. IX, 350), beweift nicht, daß fie ſämmtlich anweſend waren, 
ba Friedrih am 5. Juli ficher in Aachen war. Dadurch aber fällt das von 
Henrich Gefagte zuſammen. 


289 


heit und Gefügigfeit wahrte. Ye länger der Abgang der Gejandten 
verzögert wurde, deſto weniger wurde e8 möglich, daß in der ohnehin 
auf knappſte zugemefjfenen Zeit die päpftliche Approbation erfolgte und 
nad) Aachen gelangen fonnte?; dann aber war die Krönung ohne 
vorherige Approbation eine Thatſache, mit der den Papſt ſchließlich 
auszuföhnen immer noch möglich war. So war jener Aufſchub der 
Krönung, zu welchem fich Karl verftanden hatte, immerhin eine Con— 
ceſſion, aber doch ohne jeden praftiichen Werth. 

Wahrſcheinlich geſchah es in Folge dieſes Widerfpruches der 
Fürſten, daß die Anzeige der Wahl an den Papft in einer doppelten 
Form vorliegt. Gewig die erjte Abfaffung iſt in den Briefen ent— 
halten, welche ganz in dem Zone de8 Schreibens vom 30. März 
deu Papite furz die Thatjache mittheilen, die verſammelten Kurfürjten 
hätten Wenzel gewählt zur Unterftügung des vom Alter gebeugten 
Kaiſers; fie bäten den Bapft, dem einftimmig Erwählten die gewohnte 
Gnade und Gunft zu erweilen. Wahrjcheinlich gelang e8 dann, wie 
Audibert verfichert, den Bemühungen de8 Kaiſers, zu vermitteln und 
eine mildere Sprade und zweite Urkunden zu erreichen. In weit 
umfangreicheren Schreiben wird die Wahl ausführlid) motivirt und 
in dem Papjte gewiß willflommener Weiſe namentlid) auf die in Ita— 
lien drohenden Gefahren Hingewiejen, deren BVejeitigung einen kräftigen 
Herricher erfordere ; die Vorgänge der Wahl felbjt werden des Wei- 
teren berichtet. „Daher bitten wir Eure unermeßlice Milde demüthig 
und ergeben, daß Ihr den Erwählten mit väterlicher Güte umfaffen, 
ihn König nennen und feine Perſon für pajfend zu einer jo hohen 
Würde halten möget, dag Ihr zu angemeffener Zeit und angemejjenem 
Ort ihm die Weihe zu ertheilen und das faiferliche Diadem eigenhändig 
aufzufegen die Gnade haben möget, wie e8 von Alters her gebräuchlich), 
damit Alle wiljen und einjehen, daß Euch Gott gefetst hat zur Leuchte 
der Völker und durd den Entjcheid Eurer Heiligkeit dem Crdfreife 
nad) dunklem Gewölk der erfehnte Heitere Himmel ftrahle ®*. 


ı Ebenfo wurde ein etwa möglicher päpftlicher Proteft vor der Krönung 
unmöglich gemadıt. 

2 Man muß mit Beftimmtheit annehmen, daß ſämmtliche Kurfürften 
ſolche Briefe ausftellten, wenn fie auch nicht alle erhalten oder befaunt find; 
die Anficht Henrichs, daß die Briefe der rheinischen Kurfürften in der Form 
abgewichen (S. 60), ift ganz unftatthaft. — Auf den Umftand, daf die Briefe, 
welche dem Reiche und dem Papſte die Mahl meldeten, theils vom 10., theil® 
vom 12, Juni datirt find, ift faum irgend Werth zu legen. Das lag einfach 
an der Kanzlei, welche mit Geſchäften überhäuft war. Gerade die Schreiben 
der Kurfürften an den Papft im beiderlei Geftalt, von denen wir doch ausdrüd- 
lich wifjen, daß fie nicht fofort ausgeftellt wurden, find vom 10, Juni datirt, 
während das längere des Kaifers den 12. Juni trägt. Am wenigften dürfen 
daraus jo weit gehende Folgerungen gezogen werden, wie e8 Jenkner ©. 47 ff. 
gethan hat. 

® Quapropter vestre immense clemencie cum dietis meis collegis 
coelectoribus principibus supplicamus tam humiliter quam devote, qua- 
tenus dictum dominum nostrum Wenceslaum in Rom, regem concorditer 


290 


Es iſt nicht ohne Intereſſe, dem letzteren Paffus einige Auf- 
merfjamfeit zu jchenfen. Die Formel ift im Wejentlichen für folche 
Zwede ſchon lange gebräuchlich; in ähnlicher Weife kommt jie fchon 
bei der Wahl Rudolfs von Habsburg vor !., Fat wörtlich fteht fie in 
den die Wahlen Heinrich VII. und Yudwigs anzeigenden Schreiben (vgl. 
die Anm. unten). Erſt in der Wahlverfündigung Karls IV. wurden 
hinter “amplectentes’ die Worte ipsum regem Rom. nominantes 
et reputantes’ eingejhoben und damit alfo dem Papfte eine nicht 
unerhebliche Goncejfion gemacht. Diefe Worte wurden, fogar noch 
etwas verjtärkt, auc jest aufgenommen, aber das Schlußſätzchen 
‘prout extat ab olim fieri solitum et consultum’ neu hinzugefügt; 
dadurch wurde das echt des deutichen Königs am Kaiferthume ge— 
wahre. Gewiß wird man annehmen müffen, daß die Worte mit 
großer Sorgfalt erwogen wurden, und wie die Rurfürften den ver- 
mittelnden Wünfchen Karls Rechnung trugen, fuchten fie nicht weniger 
ihren Standpunkt zu wahren. — Der ganze Pajjus bezieht fich le- 
diglich auf die Kaiferfrönung; von einer Approbation ift feine Rede 
und die Aachener Krönung wird als jelbftverjtändliche Folge der Wahl 
gar nicht erwähnt. 

Die Briefe zu überbringen, wurden der Biſchof Edard von 
Worms, der Graf Eberhard von Katenellenbogen und der Dekan 
von Speier, Konrad von Geijenheim, bejtimmt; eine Anzahl burgun— 
difcher Herren follten unterwegs herangezogen werden, um in Avignon 
glänzender aufzutreten? Ahnen übergab auch der Erwählte Auf- 
träge. Sie follten den Papſt bitten, Wenzel feine Gunft und Gnade 
zu gewähren und ihn nad) Karls Tode oder Refignation mit der 


sic electum in imperatorem promovendum paternis affectibus benignius 
amplectentes, regem Rom. nominare ejusque personamad apicem tante 
dignitatis ydoneam reputare necnon eidem munus consecracionis ac dya- 
dema sacri imperiü loco et tempore oportunis per vestre beatitudinis 
sanclas manus conferre dignemin:, prout extat ab olim fieri solitum et 
consuetum, ut sciant .... . etc. Nr. 80 und 82, (Die liegend gedrudten 
Stellen entiprechen den Schreiben bei den Wahlen Heinrichs VII. und Ludwigs), 
— Die Bemerkung Henrihs S. 60, die Kurfürften hätten ihre Zuftimmung no- 
minacio et electio genannt, damit fi) der Papft nicht diefer Ausdrüde be- 
dienen könne, ift finnlos. 

ı Vos itaque quaesumus, pater sancte, suscipite filium singula- 
rem ..... eundem, cum vestre sanctitati placuerit et visum fuerit 
opportunum, ad imperialis fastigii diadema dignemini misericorditer 
evocare, ut sciant .... etc. LL. II, 394. 

2 RA. Nr. 77. Daß alle die genannten Herren nicht in Frankfurt 
waren, fieht man daraus, daß fie dort nirgends erwähnt werden und man es 
in Zweifel ließ, ob fie wirklich in Avignon zur Stelle fein würden und die 
beutichen bevollmächtigte möthigenfall® allein die Aufträge auszurichten. — 
Karl beauftragte feiner Zeit in gleicher Angelegenheit faft die nämlichen burgun- 
difchen Herren (Ademarum Valentinensem et Amadeum Gebenn. comites, 
Ludovicum de Sabaudia. Theiner II, 172); vielleiht war es ein onus, 
— ihnen oblag; was weitere Unterſuchung und Vergleichung leicht ergeben 
önnte. 


291 


Kaiferkrone zu ſchmücken; ferner auf feine Seele zu ſchwören, daß er 
die Eide leiften würde, wie Heinrich VII. und Karl IV., und melde 
fonft erforderlich wären. Der Brief, in welchem Wenzel dem Papſte 
die Aufträge feiner Bevollmächtigten mittheilte, entjpricht wörtlich 
(natürlich) mit den durch die verjchiedene Zeit gebotenen Abänderungen) 
dem Schreiben, welches einjt Heinrih VII. am 2. Yuni 1309 an 
Papſt Clemens V. richtete, mehrere Monate nad) feiner Krönung. 
Mit volljter Abficht wich alfo Wenzel von dem bei Karls Erwählung 
eingehaltenen Verfahren ab; dejjen überaus demüthiges und die weitge— 
hendſten Verpflichtungen gelobendes Schreiben, in welchem fortwährend 
von der Ertheilung der Approbation die Rede ift, wurde verworfen !, 
Bon Approbation jteht nichts in der Urkunde, nur, wie in der Voll— 
madht, von Gnade und Gunſt. — Al Zeugen unterfchrieben die 
Kurfürften von Mainz und von Sachſen; gemäß dem früheren Ver— 
jprechen bedient fid) Wenzel feines Siegels als böhmiſcher König. 

Am 15. Juni etwa traten Audibert und Biſchof Johann, die 
Gefandten des Papjtes, den Heimweg an; jie hatten gegenüber der 
gewandten Politif des Kaifers nichts erreicht. Bei Hofe blieb Tho— 
mas de Amanatis zurück, weldem Audibert die Copien der Eides— 
formeln übergeben hatte, deren Authenticität aber bezweifelt worden 
war. — In ſeine Hände legte Wenzel am 16. Juni den Eid nieder, 
daß er, jobald der Papjt ihn approbirt haben würde, die bewußten 
Schwüre leijten wolle; wiederum wurden die Eide in ihrem vollen 
MWortlaute aufgenommen; gewiß aber haben Kaifer und König diejelbe 
Berwahrung eingelegt, wie am 9. Juni, und Thomas feine in gehö- 
riger Form ausgefertigten Urkunden übergeben ?, 

Zur feitgefegten Zeit, am 6. Juli, wurde in Aachen die Krö- 
nung Wenzels und feiner Gemahlin Johanna durd) den Erzbijchof 
Friedrich von Köln vollzogen; daran jchlojjen fich die glanzvollen Ce— 
remonien der Huldigungen?, in heftiger Streit zwifchen dem Kur— 
fürften von Sachſen und dem Herzoge Wenzel von Yuremburg, wel— 
cher von beiden das Schwert vortragen dürfe, wurde vom Kaiſer da= 
hin gejchlichtet, daß er feinen Sohn Sigismund damit beauftragte *, 
Ueberaus zahlveic; war die Menge der erjchienenen Herren, Won den 
Kurfürjten fehlte nur Yudwig von Mainz, warum wiſſen wir nicht; 


! RA. Nr. 8. Dfenfchlager a. a. ©. 17. Theiner a. a. ©. 173. 

2Weizſäcker RA. ©. 90. — In dieien Eiden (Nr. 83. 84, vgl. Nr. 71) 
ſpricht allerdings Wenzel mehrfach) von Approbation; fie find aber im Wort« 
laute jo genau denen Karls entiprechend, daß Heinrich als ultimus imperator 
bezeichnet wird, wie Höfler S. 667 bemerkt. Es ift hier nicht der Dit, auf den 
Inhalt der Eide (Karls IV. 1346, September 19; Heinrichs VII. 1312, Zuli 6) 
näher einzugehen, und eben der Umſtand, daß Karl und Wenzel gegen ihre Ab- 
legung feine Einwendungen machten, zeigt, daß fie diejelben als wenig bedeutend 
betrachteten. In der That waren ja die darin ausgeiprochenen Verpflichtungen 
theils veraltet, theils dem Papfte, wie die Berhältnifje feit dem Interregnum 
ſich geftaltet, nicht mehr zu beftreiten. 

s SS. rerum Boh. II, 433. RA. ©. 152 ff. 

* Dynteri chron. ed, de Ram III, 72, 


292 


fein Bruder Markgraf Wilhelm von Meißen war dagegen anweſend. 
Alle drei Ruprechte von der Pfalz verherrlichten durch ihre Gegen» 
wart die Feier, der andere wittel8bachijche Zweig war vertreten durch 
Herzog Albrecht von Holland, den Echwiegervater des Königs, und 
Herzog Friedrih von Baiern. Dazu kamen die benachbarten Fürjten, 
der Herzog Wenzel von Luxemburg, die Grafen von Juülich, von 
Berg, von der Mark, von Nafjau und wie die Herren alle hießen !, 

Das Ziel Karld war erreicht; e8 erübrigte noch, den Kurfürften 
den Dank abzujtatten und die ihnen gegebenen Verſprechungen zu er= 
füllen, foweit es nicht bereit3 gejchehen war. Friedrich von Köln 
erhielt die verfprochene Betätigung der Privilegien durch Wenzel, 
die zugefagten erjten Bitten in den Diöcefen und Städten von Köln 
und Straßburg , die ftrengen Sprüche gegen die widerfpenftige Stadt 
Köln wurden erneuert. Aber wenn Karl früher Friedrich zugejagt, 
beim Bapfte die Erlajjung der gefchuldeten 120,000 Gulden zu er— 
wirfen, fo waren diefe Bemühungen, vielleicht weil Karl im Puntte 
der Wahl zu wenig nachgegeben hatte, vergeblich geweſen; am Tage 
nad) der Krönung hatte der päpftliche Legat in Aachen felbit das In— 
terdiet über Köln wegen Nichtbezahlung jener Summe verhängt. Im 
October entband derſelbe ſogar Köln von allen Verpflichtungen gegen 
den Erzbifchof; erſt Gregors Nachfolger Urban VI. gab zwei Yahre 
fpäter den Wünfchen Karls nad, da er des Kaifers freundlicher Ge- 
finnung dringend bedürftig war, und reducirte die Schuld auf 30,000 
Gulden ?. Karl hatte Friedrich Shon in Mainz im November 1374 
verfprochen , ihm jedenfalls 30,000 Gulden zu zahlen; jene in Ba— 
charach ertheilte Erlaubniß, die für die gleiche Summe verfeßte Land» 
vogtei im Eljaß einzulöjfen,, ftand gewiß im Zufammenhange damit. 
Wir wiffen nicht, in welcher Weiſe und warn die Schuld getilgt; freilich 
berichtet eine wohl gleichzeitige Nachricht von 50,000 Gulden , welche 
Friedrich für die Wahl und Krönung erhalten ®. Die Elſäſſiſche 
Landvogtei wenigjtens ift nicht in den Beſitz Kölns gefommen; am 
14. September 1377 verpfändete fie Karl fir 30,000 Gulden an 
feinen Bruder Wenzel von Yuremburg und ließ obige Summe am 
30. November 1377 den bisherigen Pfandinhabern, den Herzögen 
Friedrich und Stephan, auszahlen‘. Der Zwiſt des Erzbijchofes 
mit der Stadt ging weiter und artete fogar in offenen Kampf aus; der 


1 RA. Nr. 94—100. Die Namen der Anmefenden ergeben fich theils 
aus dem großen Privileg für Aachen, tbeild aus den Stadtrehnungen (Herzog 
—— ©. 170; wahrſcheinlich iſt derſelbe gemeint S. 177 Zeile 5, wo der 

rt corrumpirt if. Weizläder ergänzt Herzog Albrecht, dieſer figurirt aber 
immer als Herzog von Holland). So interefjant die Notizen der Stadtrech— 
nungen find, dürfte e8 doc kaum möglich fein, aus ihnen ein zujammenhän- 
gendes Bild der Feftlichkeiten zu entwerfen. 

2 Ennen a. a. ©. II, 710 fi. 

® Contin. Levoldi a Northoff bei Seiberg, Quellen zur weſtfäl. Geſch. 
I, 419, 

* Publications de la societ6.... des antiquites.... de Luxem- 
bourg XXIV, 164. ®gl. RA. ©, 36 Anm. 


293 


Raifer beharrte im feiner feindfeligen Haltung gegen die Stadt, deren 
Privilegien er im ‘December für vernichtet erklärte; erft im Beginn 
des nächſten Jahres vermittelte Kuno von Trier eine Sühne zwifchen 
den ftreitenden Parteien. 

Auch den übrigen Kurfürjten wurden die Verfprechungen erfüllt 
und die nöthigen Briefe von Wenzel ausgeftellt, welche zum großen 
Theil erhalten find. Für Ruprecht wurde nod) das Recht der erjten Bitte 
in den Städten und Didcefen von Worms und Speier hinzugefügt. 


Wenden wir und wieder zur Curie. Wir erinnern uns, daß 
Ddolerius Ende Mai zum zweiten Mal nad) Avignon aufgebrochen 
war; er nahm die in Oppenheim in den Tagen vom 24—29. Mai 
ausgeftellte Erklärung Wenzels, daß er die Eide ſchwören wolle, und 
den auf den 26. April zurüddatirten Brief Karls mit. Er wird 
Mitte Juni angelangt fein; zu derjelben Zeit müjjen die erſten Be— 
richte Audiberts über feine Erfolge oder vielmehr Mißerfolge bei der 
Curie eingelaufen fein, wenn fie nicht Ddolerius ſelbſt anvertraut 
waren. Der Papſt und die Gardinäle ſahen, daß die Wahl, die ja 
bereits gejchehen, jich nicht mehr hintertreiben ließ; man machte zum 
böjen Spiele gute Miene und fuchte zu retten, was zu retten war. 
Sener Brief Karls half die Brücken zur Vermittlung ſchlagen; aber 
feine Form war noch nicht genügend; man wollte durchaus, daß die 
Curie um die ausdrüdlice Genehmigung zur Wahl gebeten werde. 
Es follte daher vom Kaiſer ein neuer Brief ausgefertigt werben , in 
welchen er mit bejtimmt vorgejchriebenen Worten um Gnade, Gunft 
und Genehmigung zur Vornahme der Wahl bitte; gerade das Wort 
„Genehmigung“, beneplacitum, auf welches man Gewicht legte, fehlte 
in den bisherigen Briefen Karls !. Die neue Urkunde follte eben- 
falls das Datum des 26. April oder ein noch früheres tragen. In Er— 
wartung, daß dies gefchehe, wurde eine correjpondirende Bulle vom 
7. Mai ausgeftellt, in welder auf Bitten Karls die Genehmigung 
ertheilt wird, daß die Wahl vorgenommen werden könne ; doch jollte 
diefelbe dem Kaifer erjt dann in die Hände gegeben werden, wenn er 
den oben gewünfchten Brief ausgefertigt habe. Im übrigen blieb 
man bei den alten Bedingungen ftehen: Wenzel und Karl follten die 
bewußten Eide ſchwören und geloben, diejelben acht Tage nad) der 
Wahl zu erneuern; nach der Wahl folle Wenzel entweder felbjt oder 
durch geeignete Gejandte die Approbation nachjuchen, vor diejer weder 
Negierungsgejchäfte vornehmen noch fich krönen laſſen; ferner müſſe 
Wenzel ſchwören, daß in Zufunft fein Römiſcher König bei Yebzeiten 
des Vorgängers gewählt werden folle, ohne ausdrückliche Erlaubniß 
de8 Papſtes. — In einem geheimen Zufage zur Inſtruction wird 
nochmals der Punkt als bejonders wichtig hervorgehoben, dag Wenzel 


ı Nr. 72: gratiam, favorem et beneplacitum ad factum electionis 
adhibere. 


XIV. 20 


294 


ohne Approbation fich nicht dürfe frönen lajjen; wenn er aber felbft 
fomme oder eine Gejandtichaft ſchicke, wolle fie der Papft jofort er- 
teilen. Karl gegenüber follte hervorgehoben werden, der Papſt 
wünſche nicht, daß im gegenwärtigen Augenblik irgend ein Streit 
über die Frage, ob der Gewählte ohne Approbation regieren dürfe, 
erhoben werde; dad habe Johann XXII. unzweifelhaft entjchieden 
und gerade auf diefen Punkt Hin feine Proceffe gegen Yudwig den 
Baiern gegründet. Und wenn Karl fage, daß früher einige Erwählte 
fofort die Regierung antraten und fi in Deutſchland frönen ließen, 
jo fei ihm zu entgegnen, daß früher fehr viele Kaifer der römijchen 
Kirche Unrecht angethan hätten, welches erſt durch fromme Herrſcher, 
wie der Kaijer felber einer fei, abgeftellt worden. Karl müffe aud) 
einwilligen, daß der Papit zu gelegener Zeit eine öffentliche Erflärung 
darüber abgebe, daß bei Lebzeiten des Vorgängers fein römiſcher König 
erwählt werde ohne den Willen der Curie. Der Papit wolle das 
noch geheim halten, doc müßten über alle die geforderten Eide heim— 
lid) Urkunden ausgeftellt werden, die fobald wie möglich dem päpft- 
lichen Kämmerer zu überweifen wären. Während der erjte Theil der 
Anftruction dem Kaijer gezeigt werden follte, müjje diejer Nachtrag 
geheim gehalten werden!, 

Diefe Inſtructionen wurden Odolerius anvertraut, welcher fie 
in Frankfurt den päpftlichen Gefandten übergeben follte. Aber jchon 
unterwegs in Air traf er diejelben an; da ja die Dinge fi) in ganz 
anderer Weije entwidelt, al8 man in Avignon geglaubt hatte, und 
die Krönung ohne Approbation zur Thatſache geworden, waren jene 
Vorſchriften überflüfjig geworden; Audibert und Johann nahmen fie 
nad) Avignon zurüc, ebenfo die Bulle. Am 3. Yuli trafen fie dort 
ein, ihre Reife war noch verzögert worden durch eine Gefangenſchaft 
von fünf Tagen, in welche fie gerathen waren ?®, 

Zu gleicher Zeit mag die faiferliche Geſandtſchaft eingetroffen 
fein, welche zugleid) mit den Legaten aus Frauffurt etwa am 15. 
Juni aufgebrochen war. Ihr Empfang wird nicht der freundlichjte 
gewejen jein, alle Erwartungen der Curie waren ja getäujcht worden. 
Unter diefen Umſtänden fonnte ſich Gregor nicht entſchließen, die 
Wahl und Krönung Wenzel8 anzuerfennen und ihm für die Zufunft 
die faiferliche Krone zuzufichern. Aber Konrad von Geifenheim war 
ein umfichtiger Geſchäftsmann; da er von dem Papfte nicht die ge= 
wünſchten Briefe bekam, hielt er es für gerathen, demfelben feine 
Wenzel verpflichtenden Urkunden in den Händen zu lajjen. Er nahm 
daher die gejiegelten Pergamente, auf welche gemäß dem königlichen 


ı RA. Nr. 72. 74. 75. 

2 RA. ©. 115 und 101. — Daß Karl der geheime Veranſtalter dieſer 
Gefangenſchaft geweſen, wie Henrich S. 65 meint, ift ſchon deswegen nicht wahr- 
ſcheinlich, weil die päpftlichen Gejandten mit den kaiferlichen zufammenreiften. 
Es läßt fich auc kein Zweck einfehen, da es ja aud ohne dieje Verzögerung 
nit mehr möglid war, daß etwaige Gejandte Gregors nod vor der Krönung 
in Aachen anfamıen. 


295 


Auftrage die von Wenzel abgelegten Eide Karls IV. und Heinrichs 

I. nun in Avignon gejchrieben worden waren, wieder mit nad) 
Haufe zurüd, zum großen Aerger der von diefer Vorficht wenig er= 
bauten Eurie!. 

Es ift fehr fchwierig, den weiteren Gang der Dinge zu ver- 
folgen; wir find angewiejen auf wenige Briefe und Urkunden; wie 
viel verloren gegangen oder noch unbefaunt ijt, bleibt zweifelhaft. 
Denn e8 ift nicht wahrfcheinli, daß die vorhandenen Schriftjtüde 
die einzigen find, welche zwijchen Papft und Kaifer gewechjelt worden 
find; es ift daher ſehr mißlih, auf fie fichere Schlüffe zu bauen. 
Aber da jeder Anhalt fehlt, die Lücken zu ergänzen, erjcheint es am 
gerathenften, nur mit dein Gegebenen zu rechnen. 

Soviel ift ficher, daß der Papſt ſich zunächft nicht zur Anerfen- 
nung Wenzels entſchloß; Gregor hat ihn ſtets nur als Erwählten König 
bezeichnet. Aber offen gegen die Wahl zu protejtiren und Gewalt— 
fchritte zu thun, trug er doch Bedenken ; die fchwierigen Verhältniffe 
in Stalien gejtatteten nicht, den mächtigen Rückhalt am Kaijer zu 
entbehren. Karl wiederum beharrte auf feiner Anficht, daß der 
beutjche König nicht der päpftlichen Approbation bedürfe, um zu re= 
gieren; alsbald nad) der Krönung bediente fic) Wenzel des Titel8 und 
Siegels als römischer König; im Februar 1377 übertrug ihm Karl 
officiell die Regierung des Reiches außerhalb der Yuremburgiichen 
Erblande?, So fehr der Kaifer auch die Anerkennung der Wahl 
wünſchen mochte, die Koncejfionen , welche er dafür zu machen bereit 
war, fonnten fid) nicht auf jenen Gardinalpunft der päpftlichen For— 
derimgen erjtveden; nur auf der Baſis des bereitS Zugejtandenen 
war er zur Nachgiebigfeit bereit. 

Es ift möglich, daß Thomas de Amanatis, welcher in Deutfch- 
land blieb und gelegentlich in des Kaiſers Umgebung getroffen wird, 
die Unterhandlungen weiter fortgeführt hat?. Doch erfuhren fie wahr- 
fcheinlidy eine Unterbrehung durch den Krieg mit den fchwäbifchen 
Städten, in welchen ſich Karl und Wenzel im Herbfte 1376 vers 
wickelt fahen, noch mehr durch die Ueberfiedelung der Curie nad) Rom, 
welche vom September 1376 bis in den Anfang 1377 dauerte; am 
17. Januar hielt Gregor feinen Einzug in Rom. Im Mai ver- 
legte er feinen Aufenthalt nach Anagni; damals fcheinen die Ver- 
handlungen wieder lebhafter aufgenommen worden zu fein, da jchon 
Ende April die Ueberfendung der auf die Wahlen Karls und Wenzels 
bezüglichen Actenftüde aus Avignon verlangt wurde. Erſt gegen Ende 
Yuni fönnen die in den Händen Audibertd und Yohanns befindlichen 
Papiere bei der Curie eingelaufen fein, 


ı RA. ©. 140 (Nr. 86). Bol. S. XC f. 

2 RA. NR. 101. 

: 1376 Auguft 14. Nürnberg. — 1377 Januar 10. Bamberg. — 1377 
April 16. Erfurt. Reg. Bo. IX, 355 ff. — Er fam am 9. November 1377 
nad Rom zurüd. Baluze I, 1200. 

* RA. ©. 90 Aum, 


20* 


296 


Mir wiffen nicht, von welcher Seite die Unterhandlungen wieder 
begonnen wurden, aber im Zuſammenhange damit wird ftchen, wenn 
Karl am 27. Juni in QTangermünde die Gonftitution des Jahres 
1359 erneuerte, welche die kirchlichen Freiheiten in den Erzjtiften von 
Magdeburg, Mainz und Köln wahrte und fchütte!. — Gregor trug 
fi nod) immer mit dem Wunfche, daß Wenzel nad) Ftalien komme 
und fi) die Approbation perſönlich hole; er jchrieb am 24. Auguft 
1377 dem Erzbifchofe Pileus von Ravenna, welcher ſich al8 päpſt— 
liher Nuntius in Belgien aufhielt, er möge zu erreichen ſuchen, daß 
der Herzog von Luremburg-Brabant mit feinem Neffen dem Könige 
im nächſten Frühjahre nad) Italien käme. Es fcheint auch in der 
That, daß Wenzel folche Abfichten Hegte; aber dann ijt bei dem 
Standpunkte, den er und fein Vater in der ganzen Angelegenheit 
einnahmen, zu vermuthen, daß dies nur gejchehen jein würde, nach— 
dem Gregor vorher ſich zur Anerkennung verftanden ?. 

Wie dem nun auch fein mag, in der zweiten Hälfte de8 Sep— 
tember finden wir als päpftlichen Gejandten den Biſchof Galehard 
von Spoleto am faijerlichen Hofe in Tangermünde. Es iſt jehr 
wahrscheinlich, daß wir die Inſtruction, welche er erhalten, in einer 
päpftlichen Ganzleiaufzeihnung zu erbliden haben. 

Vom Kaiſer follte ein Brief ausgeſtellt werden, datirt lange vor 
der Wahl, in welchen zur Vornahme derjelben von Papſte gracia, 
beneplacitum et favor et consensus erbeten werde. Dieſem ent= 
fprechend follte eine päpftliche Genehmigungsbulle gefertigt werden, 
mindeſtens einen Monat vor der Wahl datirt. Vater und Sohn 
follten jchwören, daß jie niemals bewirken wollten, daß bei ihren Leb— 
zeiten eine Wahl vorgenommen werde. Im Geheimen jollten fie ſich 
einverjtanden erklären, daß eine päpſtliche Satung zu geeigneter Zeit 
gegeben würde, welche die Vornahme einer Neuwahl bei Lebzeiten des 
Raifers ohne Erlaubniß des Papftes verbiete. Item habeatur lit- 
tera super facto regis Franciae. Endlich follten die durch den 
Biihof von Worms und deſſen Begleiter nad) Avignon überbracdhten 


: Bgl. RA. ©. 146 Anm. und quarta vita Gregorii XI bei Baluze 
’ * 

2 RA. ©, 138 Anm. 1. Vgl. Osio II, 192. 1377 November 27, 
Guilielmus comes de Axenburg supremus camerarius domini imperatoris 
ift jedenfalls Wilhelm von Hajenburg, supremus regni Bohemiae dapifer, 
consiliarius, vgl. Ludewig, Reliq. mscr. VI, 65. Der Name des kaiſerlichen 
Gejandten Johannes episcopus Carminensis ift verftümmelt, vielleicht foll er 
Olmucensis heißen. Da erzählt wird, daß diefer Johannes den Vergleich zwi— 
chen dem Papſte und dem Präfecten von Bico vermittelt habe, muß er Eude 
Dctober bei Gregor gewejen fein (Gregorovius VI, 478); dann fanıı aber, 
nad) den was wir fonft wiffen, feine Sendung fid) nicht auf die Anerkennung 
Wenzels bezogen haben, — Die fragmentariiche Notiz aus Avignon vom 17, 
Juli 1376 bei Osio Il, 183: hie dieitur quod rex Rom. nuper ellectus 
se preparat ete., bezieht fich wohl lediglicd; darauf, daß man damals bei der 
Curie ſich nody in der Täuſchung befand, Wenzel würde vor der Krönung nad 
Avignon kommen, 


297 


authentifchen und gefiegelten Briefe, welche der Dekan Konrad allzu 
vorfichtig zurüdnahm, dem Papfte wieder ausgeliefert werden (Nr. 86). 

Die Nachgiebigkeit, welche der Papſt an den Tag legte, war 
jehr bedeutend ; die Forderungen gehen im Großen und Ganzen nicht 
über die von Karl bereit8 früher bewilligten hinaus, 

Der erſte Punkt wurde -von Karl zugejtanden; es wurden in 
der That Urkunden in der gewünfchten Form ausgetaufcht, deren Ori- 
ginale mit Siegeln noch heute fih im Vatican und in Wien bes 
finden; die failerliche datirt vom 6. März, die päpftliche vom 3. 
Mai 1376. Das Formular, welches beiden zu Grunde liegt, ift 
wahrfcheinlih von der päpjtlichen Kanzlei entworfen worden. Die 
Genehmigung des Papites ijt im die oben angegebenen Worte gefleidet ; 
die Form ift möglichſt fcharf gehalten. Daher heißt e8 in der faifer- 
lichen Urkunde: cum autem ad hujusmodi eleccionis celebracio- 
nem nobis viventibus procedi non valeat sine vestris bene- 
placito etc.; in der päpftlichen: et licet electio hujusmodi te vi- 
vente minime de jure possit aut debeat celebrari, und weiter: 
per hoc tamen non intendimus eisdem electoribus vel eorum 
successoribus aliquod jus acquiri nec Romane ecclesie juri 
et auctoritati prejudieium generari. 

Ferner ftellte Karl am 23. September das eiblihe Gelöbniß 
aus, daß folange er Kaiſer fei oder Wenzel nach ihm e8 wäre, fie 
nicht bewirfen wollten, daß ein römischer König gewählt werde, ja es 
nach Rräften verhindern würden?. Eine Einwilligungsurfunde zur 
beabfichtigten päpftlichen Satzung eriftirt nicht; gewiß gab Karl die- 
jelbe harte Antwort, die er fchon früher ertheilt. 

Wie der Anhalt des Frankreich betreffenden Briefes fein follte, 
läßt fich nicht errathen, die Conjecturen find müffig, um fo mehr, da 
wir gar nicht wiſſen, ob ein folcher ausgeftellt wurde. Karl führte 
befanntlich feine Abſicht, Karl V. in Paris zu befuchen, Ende des 
Jahres aus; der Zweck derfelben war jedenfall ein politiſcher. Es 
wird ſich darum gehandelt haben, den franzöfiichen König zu bewegen, 
daß er feinen Widerftand gegen die Rückkehr der Curie nad) Rom 
aufgab, die italiichen Berhältniffe wurden jedenfall8 in den Kreis der 
Beiprehung gezogen. Wir wilfen ferner, daß Frankreich Tebhafte Be- 
ztehungen zu Ungarn unterhielt, obgleich das Verlöbniß des Herzogs 
Ludwig von Anjon, des Sohnes Karl V., mit Catharina, der älteften 
Tochter Ludwigs des Großen, durch den Tod der Braut war getrennt 
worden; es ift leicht möglich, daß Karl, der die nunmehrige Erbin 
Ungarns Maria als Gemahlin für feinen Sohn Sigismund in Aus— 
ficht genommen, auch nad) diefer Seite hin etwaige Hinderniffe zu beſei— 
tigen wünſchte. Aber wie gejagt, wir kommen hier über Vermu- 


ı Nr. 87. 88. Bol. oben S. 274 Aum. 3, 

2 Nr. 89. — Karl bat offenbar mit Abficht diefe Form gewählt, weil 
er fo vermeiden konnte, von einer eventuellen Einholung der päpfllichen Gench- 
migung zu ſprechen. 


298 


thungen nicht hinaus; wir wiſſen nur, daß Karl feinerfeits in Paris 
da8 leere Verſprechen, gegen England Beiftand zu Teiften, gegeben 
und dem Dauphin Karl den Generalvicariat in der Dauphind be= 
ftätigt hat. 

Die Auslieferung jener Eide endlich, welche Wenzel am 9. und 
16. Juni 1376 in Frankfurt abgelegt, it wahrfcheinlich damals er- 
folgt, da fie fich im Vatican befinden und von ihnen fpäter nicht 
mehr die Rede iſt. Zweifelhaft ift, ob Karl, wie e8 verlangt worden 
war, ebenfall8 den Eid geleiftet, dem einjt fein Vater Johann 1346 
abgelegt. Nach den Ausfagen Audiberts ift es geichehen!, und ob— 
gleich) die Documente nicht mehr vorhanden, ift e8 doch glaublih. 

Gewiß wurde aud damals in Tangermünde im Namen des 
abwefenden Könige Wenzel ein neues procuratorium an den Papft 
ausgeftellt. Es entfpricht wörtlich dem von 10. Juni 1376, nur ijt 
das Sätschen eingefchoben:: et singulariter ad petendum pro no- 
bis et nomine nostro dietam eleceionem publicari ac literas 
sanctitatis vestre desuper procurari concedi. Darin lag eine 
weitere Conceſſion an den Papft, wenn fie auch nicht viel zu bedeuten 
hatte. Der Brief ift datirt Piſek, den 22. September; den früheren 
Bevollmächtigten, deren Namen wohl mır aus formellen Gründen 
genannt werden, wird als thatfächlicher Geichäftsträger der Dekan 
Konrad von Wefel Hinzugefügt. Um den Papſt, der fi) damals in 
arger Geldverlegenheit befand, geneigter zu machen, nahm er 40,000 
Florentiner Gulden mit, ein Geſchenk an den Papft unter dem Namen 
des Darlehns ?, | 

Stürme und andere Hinderniffe verzögerten die Neife der Ge— 
fandten; am 4. December war Gregor über den Gang ber Ver— 
handlungen noch im Ungewiſſen. Er fchrieb damals dem Raifer, er 
fet bereit, die Approbation zu ertheilen, wenn die von ihm geftellten 
Bedingungen erfüllt würden ; aber noch habe er feine Nachricht von 
Galehard erhalten. Klagen über die Florentiner und das Zögern 
Karls, gegen diefelben energifhe Mafregeln zu ergreifen, Bitten, bei 
der Zufammenkunft mit dem Franzofenherricher das Wohl der Kirche 
in Erwägung zu ziehen, füllen den größten Theil des Briefes 

rt. 90 


(Nr. 90). 
Am Februar endlich theilte der Papft dem Kaiſer mit, daß Gale— 
hard angefommen ſei. So warmen Danf er dem Kaiſer für beffen 


ı RA. ©, 114, 

2 NM. 85. — S. 137 Anm. 3. — Da bie Gefandten erft kurz vor 
Februar 1377 nach Rom kamen, ift e8 immerhin möglich, daß fie von Tanger—⸗ 
münde erft zu Wenzel gereift find und bdeffen Procuratorium zwar fpäter aus- 
geftellt, aber vorbatirt if. Da indeffen ber Papft fpäterhin die Sadıe fo dar⸗ 
ftellt, daß Galehard gar nicht mit Wenzel zufammengelommen, ift wohl die im 
Tert ausgeſprochene Anficht die richtigere. — Ob die frühere Gefandtihaft, Bi« 
{hof Effard von Worms u. f. w., noch beim Papfte weilte, ift zweifelhaft und 
laſſen fich Gründe für und wider anführen (vgl. Henrich S.85), doch iſt e8 mir 
wenig wahrſcheinlich. 


299 


freundliche Geſinnung gegen die Kirche abftattet, fo beffagt er fich, 
dag Wenzel die von ihm geforderte Urfunde nicht mitgeſchickt, obgleich 
der Biichof diefelbe ausdrücklich gefordert habe. Vielleicht feien fie 
durch Wenzels Abwejenheit verzögert worden. Gleichwohl werde er 
zur Approbation mit den gehörigen Feierlichkeiten fchreiten, aber bie 
Urkunde darüber fo lange zurüdhalten, bis die Wenzels eingetroffen 
fei (Nr. 91). 

Es ift nicht Har, welche literae electi petitae gemeint find. 
Wenn wir uns an die Inſtruction Galehards halten, kann nur bie 
Urfunde gemeint fein, im welcher Wenzel geloben folle, folange er 
Kaifer fei, Feine Neuwahl vorzunehmen. Eine folhe war, wenigjtens 
foweit wir wijjen, nur von Karl ausgejtellt worden. 

Aber ehe! Gregor feine Abficht ausführen konnte, ereilte ihn 
am 27. März 1378 der Tod. Es erfolgte unter ftürmifchen Scenen 
die Wahl eines Italieners, des Erzbifchofes Bartholomäus von Bari 
al8 Urban VI.?, Aber bald gerieth diefer mit den franzöfijchen Car— 
dinälen in Streit, ſchon Mitte Mai entfernten ſich mehrere derfelben 
aus Kom und gingen nad Anagni; immer jchärfer fpitte ſich der 
Conflift zu; am 16. Juli fam e8 bereits zum Kampfe zwifchen den 
von den Gardinälen in Sold genommenen Bretonen und den Urban 
anhängenden Römern. 

Unter diefen Umftänden mußte Urban Alles darauf anfommen, 
fih der Geneigtheit Karls zu verfihern. Es ift bei dem maßlofen 
Temperamente Urban durchaus glaublich, daß er, wie fpäter erzählt 
wurde, Anfangs nicht geneigt gewejen fei, nachzugeben und die Aner— 
fennung Wenzels auszufprechen®; aber unter dem Drude der DVer- 
hältniffe blieb ihm nichts übrig, als im jeder Weife dem Faiferlichen 
Haufe entgegenzufommen. 

Es ijt darüber geftritten worden, ob Wenzel nochmals durch 
feierlihe Gefandtichaft Urban um Anerkennung erfucht oder nicht; 
die Ausfagen über diefen Punkt ftehen fich diametral gegenüber. Doch 
e8 fcheint nicht ſchwierig fie zu einigen : jene Geſandtſchaft vom Sep— 
tember 1377, deren Führer Konrad von Wefel war, weilte noch in 
Rom; fo fonnten die Einen jagen, eine Gejandtichaft Wenzels habe 
die Approbation nachgefucht, die Andern es läugnen“. 

Am 26. Juli hielt Urban in Tivoli ein Confiftorium, an wel= 
chem freilich nur drei Gardinäle können Theil genommen haben, und 


ı Bifchof Angelus von Peſaro (Baluze I, 1264) erzählt, Gregor Habe 
Menzel nicht beftätigen wollen, doch kann er Hier leicht eine Verwechſelung mit 
ben früheren Vorgängen gemacht haben. Der Bericht ber vita prima Greg. 
XI (a. a. O. 439) leidet offenbar an Ungenauigkeiten. 

— S. meine Abhandlung, Die Wahl Urbans VI., in Sybel, Hiſt. Zeitſchr. 
8° Bol. die von Henrih S. 85 und 86 gejammelten Stellen. 

* Bol. RA, S. 148 Anm. 2, 

5 Da fhon am 20. Juli ſämmtliche ultramontanen Cardinäle von Anagni 
aus die vier italienischen, von denen Franciorus Tibaldeſchi S. Petri in Rom 
frank lag, zu Berhandlungen auffordern. Rayn. 1378. 40. 


300 


ſprach die Anerkennung aus. Wir befigen die Approbationsurfunde 
ſelbſt nicht ; indeifen lautete fie jedenfall wie diejenige, welche jpäter- 
hin der Gegenpapft Clemens anbot; fie nahm die Einleitung aus 
jenen fpäter ausgetaufchten Briefen vom 6. März und 3. Mai 1376, 
während die eigentliche Approbationsformel diejelbe ift, welche bei 
Karl IV. und in ähnlicher Weife fchon früher bei Heinrich) VII. und 
Albrecht I. von der päpitlichen Kanzlei gebraucht worden war. 

In einem überaus freundlichen Schreiben vom 29. Juli theilte 
Urban dem Könige das Geichehene mit; jeder Ausdrud, der Anſtoß 
erregen Fonnte, wird vermieden, der König zu baldigen Kommen ein 
geladen. — E8 fcheint, daf die Anerkennung bedingungslos erfolgte ; 
alle etwaigen Forderungen der Curie mußten ja jet gegenüber dem 
drohenden Schisina zurüdtreten; felbit die Wiederholung der Eide 
Karls IV. und Heinrichs VIL, welche nad) erfolgter Approbation ge= 
ſchehen folfte, ift unterblieben; wenigjtens Fennen wir fein darauf be= 
zügliches Document. 

Faffen wir noch einmal kurz das Nefultat zufammen. Karl hat 
den Standpunft der goldenen Bulle mit Glück gewahrt. Denn wenn 
auch nachträglich Urkunden ausgetaufcht wurden, auf welche die Päpite 
ein Anrecht auf Einholung ihrer Genehmigung vor der Wahl gründen 
konnten, fo galt das nur für den auch in der Bulle nicht vorherges 
jehenen Fall einer Wahl bei Lebzeiten des Kaifers; damit war die 
Berechtigung des Papftes, in eine unter gewöhnlichen Verhältniffen 
vor ich gehende Wahl einzugreifen, ausgefchlojfen. Da ferner bie 
Kurfürften nicht ihre Genehmigung gaben und aucd Wenzel jede dar= 
auf bezügliche Urkundenausfertigung unterließ, war die Begründung 
der päpitlichen Anfprüche ſelbſt für diefe Fälle eine ſchwache, und 
Karl fonnte fpäteren Zeiten ruhig die Sorge überlafjen, auch hier die 
päpftlihe Anmaßung zurüdzuweifen. Daß aber ber Erwählte vor 


I RA. Nr. 92. 93; vgl. S. XCI f. Die blühende Sprache in Nr. 92, 
an welcher Henrich S. 88 Anftoß nimmt, findet fich auch im anderen Bullen 
Urbans VI. Ueber das Schreiben Clemens’ VII. fiehe RA. ©. XCIII und 
Höfler S. 671 Anm. — Die Approbation Wenzels wird erwähnt in der meines 
Wiffens ungedrudten Leichenrede auf Karl IV., welche Adalbertus Ranconis 
de Ericinio in Boemia scholasticus ecelesiae Pragensis hielt. Consola- 
tionem etiam magnam in morte nostri cesaris debemus accipere ex 
eo quod nos orphanos non reliquit, sed nobis de suo inclito germine 
heredes suorum principatuum substituit sexas utriusque, et specialiter 
subrogavit nobis pro se jam defuncto seren. prineipem et dn. dn. 
Wenc. filium karissimum in regem Rom. et Boemorum regnorum, 
quem etiam in vita sua coronavit et coronis sanctorum regnorum de- 
coravit, cujus etiam coronationem electionem provisionem et pro im- 
periali regimine nominationen et que circa personam prefatam in 
regem Rom. electam et assumptam gesta sunt et geri poterunt in 
futurum sanctissimus pater noster dn. Urbanus papa sextus una cum 
dnis. cardinalibus approbavit et approbaverunt, ratificavit et ratifica- 
verunt, autemticavit et autemticaverunt hiis diebus, propter quod 
5 possumus illud ..... .. Univerfitätsbibliothet in Prag. XIV. 


* 


301 


ber Krönung und um regieren zu können der päpftlichen Approbation 
bedürfe, hat er energifch zurückgewiefen und feine Meinung durchge- 
fett. — Daß der König dem Papfte ſchwur, deifen Rechte im Kirchen- 
ftaate u. ſ. w. zu bewahren und der Kirche treu ergeben zu fein, daß 
er ferner um Anerfennung und um die Zufage der Kaiferfrönung bat, 
war in den Berhältnijfen, wie fie einmal bejtanden, durchaus be— 
gründet. Mean darf dabei vor Allem nicht vergejfen, daß dadurd) die 
Stellung als Herrſcher an und für fich nicht berührt wurde: fobald 
Wahl und Krönung rite vollzogen waren, war der Erwählte wirf- 
* König; jene Bitte um Anerkennung wurde dadurch zur For— 
malität. 

Man wird daher der Politik Karls, ſo gewunden und künſtlich 
ſie war, Beifall nicht verſagen können; in ruhiger, klar bewußter 
Weiſe hat er verſtanden, die Forderungen der Curie abzuwehren, 
ohne einen Conflict heraufzubeſchwören. Durch die goldene Bulle 
und ſein Verhalten bei der Wahl ſeines Sohnes hat er die Ver— 
—— ſeiner eigenen Erhebung nach Möglichkeit gut zu machen 
geſucht. 


Eiko von Repgow und der Sachjenfpiegel. 
Von 


F. Winter. 


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1. Die Vorfahren Eilos. 


Zum erjten Male tritt und das Gefchleht der Repgows im 
Sahre 1156 entgegen. Als Markgraf Albrecht zu Wörpzig am 28. 
December 1156 ein placitum abhielt, erjcheinen al8 Zeugen der 
Verhandlung: Eyco et Arnolt de Rypechowe !. 

Aber wir haben fie hier nicht blos als zufällige Zeugen zu ver— 

zeichnen: einer unter ihnen ift ficherlich zugleich als Schöffe zugegen. 
Ar der Spite der langen Zeugenreihe jteht schultetus Otto und 
Reynhardus preco ; geſchloſſen wird fie mit Udalrich de Edelristorp, 
einem Gejchleht, von dem die Vorrede des Sachſenſpiegels bezeugt, 
daß es zu den Schöffen des Reichs von ſchwäbiſcher Herkunft ge— 
öre?. 
Wir haben hier alſo den urkundlichen Beweis, daß die Herren 
von Repgow zu den ſchöffenbar freien Leuten gehörten; und daß einer 
unter ihnen thatſächlich daſelbſt auch das Schöffenamt ausübte, dürfte 
daraus mit Gewißheit hervorgehen, daß wir mit Weglaſſung der 
Brüder und der zweiten Namen deſſelben Geſchlechts 24 (2>< 12) 
Zeugen zählen. 

Sodann erfcheinen ihre Namen wieder im Jahre 1159. In der 
zweiten Hälfte dieje® Jahres übergeben Marquard, Eico und Arnold 
1’/s Hufe ihres Erbgutes an das Erzitift Magdeburg unter der Bedin- 
gung, daß fie den Zehnten von ihrem gefammten übrigen Befit 
(hereditas) in Ripechove vom Erzitift als erbliches Lehen empfangen. 
Bon dieſem Zehnten jollen dem Eico zwei Theile, dem Marquard 
und Arnold aber ein Theil zuftehen. Zum Zeugniß darüber itellen 
fie eine Urkunde aus und bejiegeln fie. Den Vorſitz bei diefer Ver— 
handlung führte der Erzbiichof Wichmann; Beijiger waren der Abt 
Arnold von Bergen, vier Dombherren, der Burggraf von Magdeburg 
und fünf Edle ®. 

Die Ausjteller nennen ſich nicht ausdrüdlich Herren von Rep— 
gow; aber jowohl die Lage ihres Beſitzes zu Reppichau wie die 


1 9, Heinemann, Cod. dipl. Anhaltinus I, 312, 
2 Homeyger, Eadjienipiegel, 3. Ausgabe, S. 139. 
s Cod. dipl. Anhaltinus I, 330. 


306 


Uebereinſtimmung zweier Namen mit denen von 1156 fennzeichnet fie 
unzweifelhaft ald Herrn von Nepgow. Brüder fcheinen fie, wenn 
man nac) der ungleichen Vertheilung des Zchntertrages fchließen darf, 
nicht gewejen zu fein. 

Die Abficht des Vertrags ijt, den Bejig in Neppichau von dein 
Zehntrecht zu befreien, das der Erzbifhof von Magdeburg als Did- 
cefanbifchof, resp. der Dompropft als Ardidiaconus des Bannes 
Eöthen ausübte". Die Herren von Repgow verfügen in diefer Ur- 
kunde völlig frei über ihren Beſitz; fein Laudesherr genehmigt oder 
bejtätigt die Uebertragung der 1'/s Hufe ans Erzitift. Auch hiernach 
wieder erjcheinen die Herren von Repgow als freie Mannen. 

Woher mögen dieje jchöffenbar freien Herren von Repgow wohl 
gefommen fein? Als urjprünglih im Gau Serimunt angejefjen 
fünnen fie auf feinen Fall angejehen werden; denn diefer Gau war 
bis zu den ſächſiſchen Kaifern Hin fo gut wie ganz wendiſch, und big 
1100 hatte das deutjche Element nur in fpärlichjter Weiſe fich feitge- 
ſetzt. Erſt im zwölften Jahrhundert jtrömte das deutjche Leben 
mafjenhaft ein, und die edlen Herrn famen von allen Enden, um ſich 
hier und im übrigen Wendenlande feitzufegen. Die Herren von 
Wulfen find mit den Herrn von Seeburg verwandt, famen alfo wohl 
aus dem Hafjegau; die Herren von Göthen mit ihrem feltenen 
Namen Huswart fcheinen einem Geſchlecht Hafeborn entſproſſen zu 
fein, das denjelben Namen führt; die Herren von Dröbel und Els— 
dorf find nad) der Vorrede de8 Sachſenſpiegels geborne Schwaben, 
entſtammten aljo dem Schwabengau. Die Herren von Lupene dürfen 
wohl als Edle von Schneidlingen angefprochen werden, da Theodulf 
von Yupene 1147 als rechtmäßiger Erbe des Edlen Friedrich von 
Schneidlingen auftritt ?. 

Ueber die Herkunft der Herren von Repgow giebt vielleicht der 
feltene Vorname Eifo noch etwas Licht?. Bis jet fteht indeß nur 
fo viel fejt, daß das Gefchlecht zu den Sachſen gehört. Denn da 
die Vorrede des Sadjfenjpiegel® die von Repgow nicht unter den Ge— 
ſchlechtern mit aufführt, die den Franken oder Schwaben entitammen, 
und hinzufügt, alle andern freien Herren und Schöffen, die nicht auf- 
gezählt find, ſeien Sachſen, jo zählt diefelbe die Herren von Repgow 
ihrer Abſtammuung nad den Sadjen bei. 

Wenn auf das namensähnliche Dorf Räbke zwiſchen Helmitedt 
und Schöppenjtedt al8 den Stammort der Familie? hingewiefen 
worden ijt, kann jet nad) dem Bekanntwerden der bejprochenen Ur— 
funden jedenfall® nicht mehr davon die Rede fein, daß fie davon ihren 


2 Bol. Magdeburger Geichichts-Blätter IT, 64, wo die Kirche in Repes- 
chowe als unter dem Dompropft ftehend aufgeführt wird. 

2 Cod. dipl. Anhaltinus I, 255. 

s Der Name Eifo ift uns im 12, Jahrhundert nur begegnet bei den 
Edlen von Viehringen, den Edlen von Dorftatt und den fchöffenbarfreien Herren 
von Gatersleben (1156). 

* So Conring nad) Homeyer, Sachjenfpiegel S. 6 Anm, 


307 


Namen trug. Um aber aud) der Annahme vorzubeugen, daß durch 
die Familie der Name Räbfe auf einen neu angelegten Drt im Wen⸗ 
difchen übertragen worden fei, fo bemerfe ih, daß die älteſte Na— 
mensfornm für Räble — Redepe feinerlei Aehnlichkeit mit Nippes 
chowe hat. 


2. Die urkundlihen Nahrichten über den Verfaſſer des 
Sadjenjpiegeld Eiko von Nepgow. 


Zu ben ſchon länger befannten vier Urkunden, in welden Eiko 
von Repgow genanıt wird (von 1209. 1215. 1219. 1233), find 
in neueſter Zeit noch zwei hinzugefommen (von 1218 und 1224), 
Diefelben Hat zuerft Beyer in feiner Geſchichte des Ciſtercienſer-Klo— 
ſters Altzelle in deutjchem Auszuge 1855 veröffentlicht . Sie wurden 
indejjen von den Nechtshiitorifern nicht beachtet. Erſt als v. Poſern— 
Klett 1863 in feinen Beiträgen zur Gejchichte der Verfaſſung der 
Markgrafichaft Meißen im 13. Jahrhundert die betreffenden Stellen im 
Urterte publicirte und auf das Vorkommen Eifo8 von Repgow aus— 
drücklich hinwies?, wurden diefelben für die Geſchichte Eikos ver- 
werthet. 

In der Urkunde von 1209 erjcheint Eifo von Repgow auf der 
Dingftätte der Grafihaft Wettin, in Mettine, einem jegt unbefanuten 
Orte, der aber auch im Jahre 1208 als Dingftätte vorkommt ?, 
Friedrich von Krofigk fit dort ausgeſprochener Maßen anjtatt des 
Grafen zu Wettin zu Gericht; Heinrich Rabil, der Schultheiß der 
Grafſchaft, erjcheint an erjter Stelle nad) dem Markgrafen Dietrich 
von Meißen; die Herren von Gniez, Dröbel find ebenjo wie die 
Nepgows als jchöffenbarfreie Leute befannt: es Liegt daher die Ver— 
muthung fehr nahe, daß die Zeugen bis zu Eifo von Repgov Hin aud) 
Beifiger des Gerichtd waren. Dieſe Vermuthung wird Gemißheit, 
wenn wir nun weiter jehen, daß auf die genannten Namen die Herren 
von Scfeudig und andere folgen, welche unbejtritten zum hohen 
Adel gehören und fonft immer vor den erjtgenannten ejchlechtern 
ſtehen. Es kann demnach Eifo vor Repgow hier feine Stelle vor 
den Herren von Schfeudig, dem Burggrafen von Kirchberg und dem 
Grafen von Negenftein nur einnehmen, weil er Beijiger des Graf- 
ſchaftsgerichts zu Mettine war. 

Defjen ungeachtet kann er ebenjowenig wie die Herren von 
Dröbel zu den ftändigen Schöffen diejer Grafjchaft gerechnet werden. 
Im Jahre 1208 erfcheint er nicht unter den Zeugen, welche beim 
placitum in Metene gegenwärtig waren. Ebenfowenig finden wir 
ihn 1207 und 1222 zu Deligfch beim Landding, al8 dort zugleich die 

1 ©. 531 und 533, 

ı ©. 29. 80. 


® Köhler, Kloſter Petersberg S. 59. Magdeburger Gejchichtsblätter 
YII, 236. Schultes, Direct. II, 465. 


308 


Schöffen der Grafihaft Wettin mit zugegen find. Auch fehlt er 
1214 auf dem placitum, das zwijchen Yandsberg und Brehna ab— 
gehalten wird !. 

Dagegen finden wir ihn am 2. Mai 1224 auf dem Landding 
zu Delitzſch, das offenbar Landgraf Ludwig abhält. Es Handelt ſich 
auf demfelben um eine Verleihung des Dorfes Wizk feitens Volrads 
von Landsberg an das Klojter Altzelle. Der Ort ijt das wüjte Dorf 
Weiffig bei Delitzſch nach Werbelin zu?. Das Landding wird als 
für die Grafſchaft Eilenburg (Landsberg) geltend angefehen werden 
müffen. Eifo von Repgow fteht hier mitten unter foldhen Namen, 
die wir fonft auf dem Yandding zu Deligfch anzutreffen gewohnt 
find, und auc) hier wieder läßt fi die Bermuthung kaum abweifen, 
daß er beim Landding felbjt mit thätig war; aber wir müffen auch 
bemerken: e8 iſt das einzige Mal, daß er auf dem Landding der Mark 
Eilenburg zu Delitzſch in anjcheinend richterlicher Thätigkeit er— 

eint. 

ſch Dagegen finden wir ihn ſchon früher, am 21. Mai 1218, in 
Grimma thätig. Es handelt ſich nämlich um den Ankauf von Hufen, 
die zu dem Hofe des Kloſters Altzelle in (Mark) Rauſtedt gehörten, 
und die in Miltitz und Glaſowe (Lauſen?) gelegen waren, wozu 
Graf Friedrich von Brehna ſeine Einwilligung geben muß. Die 
Uebergabe hat am 21. Mai zu Grimma ſtattgefunden. Unter den 
Zeugen wird nun auch Heiko von Ripchowe erwähnt. Es iſt nicht 
geſagt, daß in Grimma ein Landding ſtattfand, aber die Zahl und 
die Namen der Zeugen deuten darauf Hin. Grimma iſt allerdings 
fein gewöhnlicher Ort für das Yandding, aber ganz unerhört ift 
er nicht?. Jedenfalls ift Hierbei zu bemerken, daß ſowohl Grimma 
als auch Nanftedt mit Umgebung der Grafichaft nicht angehörten, 
für welche Delitzſch Dingjtätte war. Wir finden alfo Eifo in einer 
dritten Grafjchaft thätig, aber wieder nur dies eine Mal, 

Als feftitehend wird bisher angejehen, dag Eifo Schöffe in der 
Grafſchaft Billingshocd; war, die Graf Hoier von Valkenſtein ver— 
waltete, und daß Eikos Schöffenjtuhl zu Salbfe ſtand'. Die Ur- 
kunde von 15. October 1233 jcheint auch feinen Zweifel zu laffen, 
wird doc Eifo von Repgow ausdrüdlid unter den Schöffen in der- 
jelben genannt. Und doc) leidet jene Annahme an einem vierfachen 
Srrthume. 

Zunächſt gehörte weder das Dorf Billingsdorf, um das es ſich 
dabei handelt, noch der Ort der Oerichtsverhandlung, Salbfe, zur 


ı Ibidem ©, 57. Gersdorf, Cod. dipl. Saxoniae II, 1, 89. Hennes, 
Codex dipl. ordinis Teutoniei S. 15 (mit fehlerhaften Namen). 

2 Meue Mittheilungen des Thür. Sächſ. Vereins I, 6. Die Urkunde bei 
Beyer, Altzelle S. 533. v. Pofern= Klett, Zur Geſchichte der Verfaſſung der 
Markfgrafihaft Meißen S. 29. 

PR Heinrich dev Erlauchte I, 120. v. Bofern-Klett 1. c. Beyer 
. c. 
Homeyher, Sachſenſpiegel S. 8. Stobbe, Rechtsquellen I, 296 fi. 


309 


Grafſchaft Billingshoch, jondern zur Grafſchaft Mühlingen, die nicht 
von den Marfgrafen von Brandenburg, fondern von den Fürften von 
Anhalt zu Yehn ging. Es ift eine ganz faljche Annahme, daß die 
Srafihaft Billingshod) die ganze Strede des Nordthüringaus zwischen 
Dhre und Bode umfaßt habe, und daß die Grafichaft Mühlingen 
nur eine Unterabtheilung gewejen fei. Die Grafſchaft Billingshod) 
endigte au der Sülze!. 

Sodann war nidht Hoier von Falkenſtein hier Graf, fondern 
Bederich von Dornburg. In jener Urkunde fteht ausdrücklich: in 
presenecia comitis Bederici de Dorinbure illius terre comitis, 
und auch font erjcheinen die Grafen von Dornburg ausfchlieglic als 
Srafen von Mühlingen. | 

Drittens war die Brücke bei Salbfe über die Sülze nicht die 
gewöhnliche Dingjtätte. Es iſt ganz ausnahmsweiſe, daß hier hart 
an der Grenze der Grafichaft das Grafengericht gehalten wird, und 
iſt eim zweiter Fall nicht befannt. Die gewöhnliche Gerichtsftätte 
war Mühlingen. | 

Endlih kann ifo von Nepgow micht zu den gewöhnliche 
Schöffen diefer Grafichaft gehört haben. Ganz auffallend ift feine 
Stellung Hinter dem praeco. Der Frohnbote hat fonft feine Stelle 
entweder unmittelbar Hinter dem Schultheißen und dann vor allen 
Schöffen, oder am Ende aller. Wenn num Hier der Frohnbote vor 
Eifo jteht, fo deutet das, wie wir glauben, auf eine außergewöhn— 
lihe Stellung Eifos Hin. Eifo war nur für dies eine Mal hinzu— 
gezogen. Und in der That finden wir, obwohl wir feit 1209 eine 
Reihe von Urkunden haben, welde nus die Schöffen der Grafichaft 
Mihlingen vorführen, Eifo von Repgow unter ihnen jonft niemals 
erwähnt. 

Eifo kann demnach für die Grafichaft Mühlingen feine andere 
Stellung eingenommen haben, als für die Grafichaften Wettin und 
Eilenburg. Wir müſſen demnach die Folgerungen Homeyers nud 
Stobbes, daß Eifo in der muthmaßlichen Zeit der Abfajfung des 
Sachſenſpiegels dort (ftändiger) Schöffe war, daß er in der Graf: 
Schaft Mühlingen Grundeigenthum befaß, daß dort alfo auch fein 
regelmäßiger Wohnfis war, und daß endlich im diefer Yandichaft der 
Sadjenfpiegel entjtanden fei, als auf irrigen VBorausjegungen ruhend 
betrachten ?. 

Weiter jehen wir Eifo von Repgow bei der Eigenthums-Ueber— 
tragung durd den Grafen Heinrich von Ajchersleben an das neuge— 
gründete Stift in Coswig zugegen, und zwar in Gemeinfchaft mit 
Hoier von Falfenftein. Es wird dem Stifte der Pla, auf dem es 
jtehen foll, fowie das Eigenthumsrecht über das Dorf Loceke (Yotjchfe, 
nördlid) von Coswig) gefchenft, und zwar mit Zuſtimmung Hoiers 


1 Der Beweis für den Umfang beider Grafichaften wird anderswo ge- 
führt werden. 
2 Homeyer, Sadjjenfpiegel, 3. Ausg., S. 14. Stobbe, Rechtsquellen I, 297. 


XIV. 21 


310 


von Falfenftein der damit belchnt war. Die Urkunde darüber ijt 
1215 ausgejtellt (datum) zu Lopene — es ijt dies das vormalige 
Schloß Pippehne, nahe bei Raguhn, das 1205 genommen wurde! —, 
allein die Verhandlung braucht dort feineswegs jtattgefunden zu Haben ; 
es iſt wahrjcheinlich, daß die donatio zu Coswig ſelbſt geſchah. ALS 
testes, qui huie nostre donationi intererant, werden aufgeführt ?: 
nobilis vir Hogerus de Valkenstein, Odalricus de Vredeberge, 
Johannes de Gniz, Wernerus de Suseliz, Conradus Makecherf, 
Heeco de Repechowe, Bertramus et Balduinus de Thornowe, 
lauter Edele und Freie, die in und meben dem Anhaltiichen anges 
jeffen waren. Darnad) fommen noch eine Anzahl Männer, welche 
ausdrücklich als Minifterialen bezeichnet werden. 

Daß hier eine gerichtliche Verhandlung ftattfand, ift durch nichts 
angedeutet, aber auch durch nichts ausgefchlojfen. In der Beſtäti— 
gungs = Urkunde des Bifchofs Balduin von Brandenburg aus dem 
Jahre 1216 wird diefe Uebereignung als eine donatio prineipis 
de Anhalt legitimorum heredum conniventia rite acta be— 
zeichnet ?, ein Ausdruck, der immerhin auf eine gerichtliche Uebergabe 
gedeutet werden könnte. Jedenfalls jteht es feit, daß es eine feierliche 
Uebereignung war, bei der Eiko anweſend ericheint. Ebenſo muß her— 
borgehoben werden, daß Hoier von Falkenſtein der eigentliche Stifter 
des Stift war. Er giebt den Grund und Boden, die er zu Lehn 
hat, zur Stiftung her, er bietet auch die Ausftattung; der Graf 
Heinrich bejtätigt nur als Lehnsherr. Deßhalb wird dem Grafen 
Hoier vom Biſchof auc das echt bejtätigt, den Decan des Stifte, 
der zugleich Pfarrer der Kirche fein foll, zu bejtimmen® Wir fehen 
aljo Hoier von Falfenftein in und um Coswig augejeffen, und von 
hier aus war die Berührung mit Eiko eine fehr naheliegende. 

Endlich wird Eifo in einer Urfunde vom 2. April (4. Non. 
Aprilis) 1219 erwähnt. Graf Heinrich von Anhalt giebt darin 
den Canonicis zu Goslar das Recht, ihre in feinem Gebiet gelegene 
Meierhöfe verpachten zu dürfen. Bei diefer Verhandlung (actum) 
find Zeugen: Comes Hoyerus de Valkensten, borchgravius 
Hermannus de Wetin, Henrieus de Gniz(?), Conradus Maket- 
serf, Conradus Slichting, Hugoldus de Reder, Eico de Repe- 
chowe, Conradus dapifer de Waldeser, Olricus dapifer de 
Welsleve, Helembertus de Hekelinge, Conradus de Maudere®. 
Was hierbei auffallend it, ijt dies, dak Eiko zwifchen Namen fteht, 
welche ſonſt zu den Minifterialen gezählt werden. Es ift höchſt wahr— 
ſcheinlich, ja dürfte durch diefe Urkunde faft als erwieſen angejehen 
werden, daß Eifo neben feiner Eigenſchaft als jchöffenbar Freier auch 


* Magdeburger Schöffendronif, ed. Janicke, S. 127. 

? Bedmann, Hiftorie von Anhalt I, 312. 

3 Ebenda 314. 

* Ebenda S. 313. 

ER ent, Becmamus enucleatus ©. 216. Die Eigennamen find nad) 
gütiger Mittheilung des Herrn v. Heinemann verbefiert. 


5 


311 


im Miniſterialen-Verhältniß zu den Fürſten von Anhalt ſtand. Er 
hatte wohl neben ſeinem reichsfreien Beſitz zu Reppichau Lehnsgut 
von dieſen angenommen!, wie denn in der nächſten Zeit (1244) Jo— 
hannes von Repgow unzweifelhaft als Miniſterial der Fürſten von 
Anhalt erſcheint? Da nun die Urkunde von 1219 mit Beſtimmt— 
heit nicht auf einem Grafending ausgeftellt ift, der Graf Heinrich) 
von Anhalt vielmehr hierin als Yandesherr verfügt, fo ift es ſehr 
erflärlich, werhalb Eifo unter den Zeugen als Minifterial erjcheint. 

Wenn dagegen in den übrigen Urkunden feine Eigenschaft als 
ihöffenbar Freier nicht füglich bezweifelt werden kann, jo fragt es 
ji: in welcher Thätigkeit erjcheint er dort? v. Pojern - Klett ant- 
wortet darauf?: „Es ift ebenfo denkbar, dag ihn fein Auf als Rechts— 
fundiger jeweilig in die Umgebung unferer (dev Meißnifchen) Fürſten 
führte, als dag die Namilie von Repgow jchon damals in der Dit- 
marf angefejlen war“. Schon Homeyer hat die lettere Möglichkeit 
unmahrjcheinlich gefunden und die erjtere Erklärung vorgezogen *. 
Daß Eiko durch Beſitz hervorragend gewefen fei, davon iſt weder 
bei ihm noch bei dem fpätern Geichlecht eine Andeutung vorhanden. 
Was ihn an fo verfchiedenen Gerichtsftellen erjcheinen läßt, das ijt 
fein Ruf als rechtserfahrener Mann. Den Befit Eifos wird man 
faum anderswo als im Gau Serimunt juchen dürfen. Es ijt fein 
Beweis dagegen, daß wir Eifo nicht auf dem Grafending des Gaues 
Serimunt als Schöffen thätig finden;_ wir haben leider aus jener 
Zeit auch nicht ein Beispiel von der Abhaltung eines folchen. 

Nun wiſſen wir überdies, daß Eikos Vorfahren ihren freien 
Befig in Neppichau hatten. Wo anders follen wir für Eifo das 
Gut, das praedium libertatis suae, das ihn ſchöffenbar frei machte, 
fuchen, al8 da, wo es feine Vorfahren befaßen, in Neppichau? Und 
auf diefem Freigute müſſen auch noch fpäterhin, als einzelne Zweige 
de8 Gejchlechts bereits in das Miniſterialitäts-Verhältniß übergetreten 
waren, Nachfommen Eikos »al8 freie Mannen gejeffen haben. Wir 
fehen das bis zur Evidenz aus der Urkunde von 1287, laut welcher 
die Fürften von Bernburg ihren Bejig in Reppichau an das Stift 
Coswig verfaufen. Es geht daraus hervor, daR nicht das ganze 
Dorf verfauft wird, fondern nur ‘bona omnia in campis et in 
villa Reppechowe ad nos olim pertinentia”. Vor allen Dingen 
machen wir darauf aufmerffam, daß das Kirchlehn ganz unerwähnt 
bleibt, offenbar weil dies in den Händen der Familie Eifo8 war. 
Die Zahlung des Kaufgeldes fand ferner auf dem placitum ftatt, 
und als auf demjelben anweſend werden an erjter Stelle genannt: 


ı Das wiirde ihn freilich noch nicht zum Minifterialen machen, Fonnte 
aber wohl dazu führen ih zu diefen zu ftellen, wie denn Hugold von Redern 
und Konrad Schlichting nur ale Minifterialen vorfommen. 

2 Bedmanı, Hiftorie von Anhalt III, 315. 

s Zur Geſchichte der Verfaſſung dev Marfgrafihaft Meißen im 13. Jahr: 
hundert S. 30. 

Sitzungsbericht der Berliner Afademie vom 29. October 1866. 


21° 


312 


Ghero senior de Reppechowe, Bernhardus de Wulve milites, 
Bruno schultetus de Aquis generalis in distrietu nuncius, qui 
vulgo vronebode dieitur. Diefe drei Herren find als ſchöffenbar 
freie vorangeftellt, und nun erft folgen andere, welche die Fürſten 
als milites nostri, alfo als ihre Minifterialen bezeichnen !. 


3. Die Vorrede von der Herren Geburt. 
a. Die Zeit der Abfaffung. 


„Der geichichtlich wichtige Aufſatz, welcher die Herkunft der im 
Lande zu Sachſen wohnhaften Herren angiebt, ijt der älteften Ord— 
nung der Handjchriften noc) unbekannt **. So Homeyer. Im weitern 
Berfolg feiner Ausführung kommt er, indem er auf die dort er= 
wähnten PBerfonen eingeht, zu einem abjchliefenden Reſultat darüber 
sicht, ob diefe Vorrede noch dem Eifo beizulegen, oder fpäter zugefügt 
fei; doch neigt er mit Klöden (Gefchichte einer altmärfifchen Familie 
©. 36 ff.) zu erjterer Annahme. 

Stobbe äußert ſich in feiner Geſchichte der Nechtsquellen (I, 
303) ähnlich: „Die Vorrede von der Herren Geburt jteht jeltener 
in den Handjchriften und fcheint der zweiten Hälfte de8 13. Jahr— 
hunderts anzugehören“. 

Die Frage kann nur durch genaue Specialfenntniß der edlen 
und jchöffenbar freien Geſchlechter in Dftfachjen entjchieden werden, 
und einen Beitrag dazu foll das Folgende liefern. 

Der Berfaffer fchließt jeine Aufzählung der Geſchlechter: Unde 
darto (sint geborne Sassen) alle die vrien herren unde sce- 
penen, die to Sassen wonehaft sint unde de me kündich 
sint bi miner thid, sunder de hir Yore benümet sint (nämlid) 
von ſchwäbiſcher oder fränkiſcher Herkunft). Werner gebraucht er bei 


! Bedmanı, Hiftorie von Anhalt I, 321. 

Das Dorf Reppichau hat jetzt fein Nittergut, auch fein Freigut unter dem 
Bauernhöfen. Das nicht unbedentende Dorf umfaßt 29 Aderhöfe mit größerem 
oder geringerem Befit. Dagegen lebt in der Bolfstradition noch die Erinnerung 
an dag einft vorhandene große Freigut, das am DOftende des Ortes lag, hart 
neben der Kirche, deren fchöner vomanischer Thurm aus dem 12. Zahr- 
hundert ſtammt. Aus diefem großen Gute find im Laufe der Zeit fünf oder 
ſechs Aderhöfe gebildet worden, welche noch jetzt die größten im Orte find. Auf 
dem bedeutendften derjelben war, wie mir mitgetheilt wurde, der Tette adliche 
Befiter ein Herr von Selhow. Weit ausgedehnte Gärten und große Filchteiche 
Ichloffen fi in früheren Zeiten diefem alten Nitterfig an. Bon alten Gebäuden, 
welche einem Nitterhofe angehört hätten, Konnte ich nichts entdeden; dagegen 
find auf dem Areal defjelben mehrfach Alterthümer wie Streitärte u. dgl. ge— 
—— worden. Mit Wall und Graben iſt der Ritterſitz nicht befeſtigt ge— 
weſen. 

2 Homeyer S. 53. 


313 


der Aufzählung ſtets das Präfens, 3. B. under den vrien herren 
sint Suavee etc. Danach kann es feinem Zweifel unterliegen, daß 
der Berfafjer nur ſolche Gejchlechter aufgezählt hat, welche zu feiner 
Zeit noch blühten. Können wir demnach nachweifen, daß einzelne 
von den genannten Gejchlechtern im Yaufe des dreizehnten Jahrhun— 
derts ausgejtorben find, fo muß nothwendig die Abfaffung der Vor- 
rede vor jene Zeit fallen. 

Unter den Edlen, welche ſchwäbiſcher Abfunft find, werden auch 
de von Osterburch, de von Aldenhusen genannt. um fteht e8 feft, 
daß um 1242 dies Gejchlecht mit Graf Siegfried von Oſterburg 
und Altenhauſen ausgejtorben ift!. Vor 1242 muß denmad) dieje 
Borrede abgefaft fein. 

Ferner werden als geborne Schwaben die von Amersleben er- 
wähnt. Auch dieje jterben um jene Zeit aus. Don dem letten 
männlichen Sproß Walter jagt das Todtenbuch des St. Bonifazius- 
ftift8 in Halberjtadt: Walterus nobilis de Amersleve oceisus 
eontulit ecelesie nostre 2 mansos in Strobeke ?, und zum 19. 
März: Hoc die translata sunt corpora prepositi Werneri et 
fratris sui Walteri nobilis viri et Drutkindis uxoris ipsius 
Walteri, de Bossenleve. Walter war ebenfo wie feine Gemahlin 
und fein 1216 geitorbener Bruder Werner, der Dompropft und 
Propft von St. Bonifazius war, im der letztgenannten Kirche bes 
graben. 1240 wurde nun das Bonifaziusftift von feinem bisherigen 
Plage in Bofjenleben in die Stadt Halberjtadt hinein verlegt, und 
da die Glieder der Familie von Amersleben noch in Bofjenleben be— 
graben waren, jo wurde die Ueberführung der Yeichen nach dem neuen 
Stift angeordnet ?. Demnach muß das Gejchlecht von Amersleben 
im Mannsſtamm fpäteitens 1240 ausgeftorben fein. Walter fann 
aber aud nur erjt 1239 oder 1240 getödtet worden fein. Denn 
im Jahr 1239 erjcheint er noch im Gericht der Grafen von Regen— 
jtein, oder fall8 dies früher gejchehen fein follte, jedenfalls in diefem 
Fahre vor dem Biſchof Yudolf von Halberftadt, um zu erklären, daß 
feine Tochter feinen Rechtsanſpruch au den bereit früher dem Klofter 
Walfenried überwiefenen Gütern in Schauen habe“. Daraus folgt 
mit Nothwendigfeit, dag die Vorrede von der Herren Geburt jpäte- 
jtens im Jahre 1240 abgefaßt ift. 

Unter den edlen Gefchlechtern von ſchwäbiſcher Geburt kamen 
ferner vor: de burchgreven von Gevekenstein. Auch diefes Ge— 
ichlecht erlojch um dieje Zeit. In gedrudten Urkunden findet ſich 
der lette Sproß diejes Geſchlechtes 1229 verzeichnet, der Burggraf 
Johann von Giebichenftein?. Wenn das Jahr 1229 nun auch kei— 

I dv. Raumer, Brandenburger Regeften, Stammtafel XI. 

2? 9. Grote in der Zeitfchrift des Harzvereins III, 920. 

® Ebenda. 

* Wrkundenbudh des Hiftor. Vereins für Niederfadhfen Il, ©. 164 mit 
Acta sunt haec 1239. Als Todestag Walter8 wird im Todtenbuche des Bo— 
nifaciusftifts 7. Idus Augusti angegeben. 

5 Magdeburger Geidhichtsblätter VII, 241. 


314 


neswegs das Jahr des Erlöfchens bezeichnet, jo muß das Ausſterben 
dejjelben doc) nicht lange darauf erfolgt fein. Da fowohl Johann 
wie jein Bruder Walter bereits im Jahre 1207 vorkommen, fo ift 
es nicht wahrjcheinlich, daß ihre Yebenszeit fi über das Jahr 1250 
hinaus erjtredt hat. Ein gleiches gilt von den Domwögten von 
Halberſtadt. 

Wir vermögen aber auch unter den namentlich genannten 
ſchöffenbar freien Mannen mehrere nachzuweiſen, deren Lebenszeit und 
Thätigkeit jedenfalls theilweiſe in die Zeit vor 1240 fällt. Einen 
Heinrich von Schneidlingen hat man merkwürdiger Weiſe bisher nur 
für die Jahre 1255 bis 1257 nachgewieſen, und man hat es über— 
ſehen, daß Henricus et filius suus de Snetlingen bereits 1223, 
und zwar zu Aſchersleben in placito provineiali als fungirender 
Schöffe, jedenfalls als jchöffenbar freier Mann erjcheint !, 

Ebendort erjcheint auch ein anderer in der VBorrede als des 
Keiches Schöffe genannter Mann in gleicher Stellung: Anno de 
Irinegistorpf, im Sachjenjpiegel Anne de Ireckestorp, Jerkestorf, 
Jerchinstorff u. f. w. genannt, eben im Jahre 1223 ?. 

In eben derfelben kommt aud) Teoderieus de Sedorp als Schöffe 
vor, dejjen Geſchlecht die Vorrede ebenfalls als jchöffenbar frei be— 
zeichnet. 

De voget Albrecht von Spandowe mitten unter den Herren 
von Schneidlingen vorfommend und dieſem Gefchlechte erwieſener 
Magen angehörig ijt bereits von Kopp, Niedel und Klöden in den 
Jahren 1209—1235 nacgewiefen. Wir find aber in der glüd- 
lihen Yage ihn mit dem hart daneben vorfommenden Alveric von 
Snetlinge al8 Bruder und al8 in Schneidlingen angeſeſſen nachweifen 
zu können. In einer ungedructen Urkunde von 1233, welche fich 
im Archiv zu Wolfenbüttel unter den Originalen des Klojters Mi— 
chaeljtein befindet, beurfundet der Abt Konrad von Konradsburg, daf 
er vier Hufen mit vier Höfen in Snetlige a domino Alverico 
et Alberto fratribus erworben habe. Ja auch 1223 erfcheint uns 
in dem Albertus prefeetus (judieii oder de Spandowe) et Con- 
radus frater suus ein Bruderpaar der Herrn von Schneidlingen 
gemeint zu fein, eben der Vogt Albrecht von Spandau und fein an— 
derer Bruder Konrad °. 

Ergiebt ji) alfo aus dem Erlöſchen des Gefchlechtes der Edlen 
von Amersleben mit Evidenz, daß die Vorrede von der Herren Geburt 
jpäteftens im Jahre 1240 abgefaßt fein muß, fo machen die übrigen 
angeführten Thatjachen die Abfaffung derfelben in den Decennien von 
1220—1240 in hohem Mafe wahrjcheinlic). 

Fragen wir nun, ob fi) nicht auch ein frühfter Zeitpunkt 
für die Abfaffung der Vorrede gewinnen läßt. 


I Bedmann, Hiftorie von Anhalt I, 177. 

? Bedmann 1.1, mit der falichen Namensform Vrinegestorp. Das Ori- 
ginal lieſt Irinegistorpf (gütige Mitteilung des Prof. v. Heinemann). 

° Bedmann 1. 1. 


315 


Vier hat nachgewiejen, daß der Sachjjenfpiegel nicht jpäter als 
1235 und nicht früher als 1224 abgefaft fein fönne!. Wenn wir 
uns diefem Reſultate al8 einem, wie wir glauben, fichern anſchließen, 
fo ift damit auch die Möglichkeit befeitigt, daß die Vorrede von der 
Herren Geburt vor 1224 entjtanden fein fünne. Denn daß die Vor: 
rede vor dem Sachſenſpiegel niedergefchrieben ei, wird doch im Ernft 
Niemand annehmen. 

Für die Feftjtellung des Jahres 1235 als äußerſten Termins 
für die Abfaffung des Sachſenſpiegels fällt ganz bejonders ins Ge— 
wicht, dag Eifo das im Yahr 1235 gegründete Herzogthum Braun— 
ſchweig⸗Lüneburg unter den Fahnlehen im Lande zu Sachſen nicht er- 
wähnt? Dagegen hat nun die VBorrede von der Herren Geburt 
gerade die Herzöge von Lüneburg mit aufgezählt: De hertoge von 
Lüneborch unde sin geshlechte sint geborne Sassen. Danad) 
liegt es fehr nahe, anzunehmen, daß für die Vorredte 1235 ale 
frühftes Abfaſſungsjahr jtatuirt werden könne. 

Indeſſen als einen vollgültigen Beweis dafür fünnen wir diefe 
Erwähnung der Herzöge von Lüneburg doc nicht anfehen. Etwas 
anderes ijt e8, das Herzogthum als Fahnlehn des Reiches aufzählen 
fönnen und etwas anderes von den Nachfommen Heinrichs des Löwen 
als von Herzögen von Yüneburg fprechen. Diefelben nennen ſich in 
Urkunden auch vor 1235 zwar nicht ausschließlich, aber doc für ge— 
wöhnlich: dux de Luneborg oder de Brunswik®. Der Berfaffer 


ı Fider, Entftehungszeit de8 Sadjienfpiegels. 1859. 

2 Fider 1.1. Homeyer ©. 12. , 

3 Mir geben Hier eine Zufammenftellung‘, wie Dtto das Kind zwiſchen 
1215 und 1230 genannt wird; wir verdanken dieſelbe der Freundlichkeit des 
Herrn Archiv» Secretärs von Echmidt- Phijelded in Wolfenbüttel, Otto das 
Kind wird genannt: 

1215. Otto de Luneborg (Or. Guelf, IV, 97). 

1221. Otto dux de Luneborg (vom Könige von England. Suden— 

dorf, Guelfenurfunden des Tower Nr, 47). 

1223. Otto dux de Brunswik (vom Pfalzgrafen Heinrid. Or. Guelf.). 

1224. Otto dominus de Luneborg (Or. Guelf. IV, 102 und 103). 

1224. o. — de Luneborg (Orig.Urk. von Michaelſtein in Wolfen: 

üttel). 

1225. Otto dux de Luneborg (Or. Guelf. III, 700. IV, 103). 

1225. Otto dux in Luneborg (Or. Guelf. III, 701). 

1225. Otto dominus de Luneborg (Or. Guelf. II, praef. 87). 

1226. oo — de Luneborg (Riedel A. XXI, 90 Nr. 7 und 91 

r. 9) 

1226. Otto dux de Brunswik (Riedel A. XXI, 90, Nr. 8. Or. 
Guelf. IV, 104). 

1227. Otto dux de Brunswik (Or. Guelf. IV, 105). 

1228. Otto dux de Luneborg (vom Dänenlönig Waldemar. Or. 
Guelf. IV, 111). 

1228. Otto dux de Brunswik (Or. Guelf. IV, 112). 

1229. Otto dux de Brunswik (vom Könige von England, Sudeu— 
dorf, 1. c. Nr. 48—53). 

1229. Otto dux de Brunswik (Or. Guelf. IV, 118 und 130). 


316 


der Vorrede kann jehr wohl dem Sprachgebrauch des Volkes ſich 
anbequemt haben, und das um fo mehr, als er fie von den vorher 
genannten Edlen von Lüneburg durch den Zuſatz „Herzog“ am beften 
unterjcheiden konnte. 

Troßdem wir die Erwähnung der Herzöge von Lüneburg als 
einen ftrieten Beweis für das Jahr 1235 als frühjten Abfaffungs- 
zeitpunet nicht anzuerfennen vermögen, wollen wir doc) nicht ver- 
ichweigen, daß diefer Umstand jo ganz gleichgültig nicht ilt. Der 
Verfajfer des Sachſenſpiegels lebte in Gegenden, im denen nur po— 
litifche Gegner Heinrichs des Löwen und feiner Nachkommen herrichten. 
Soweit uns befannt ift, hat derfelbe auch nur in welfenfeindlicher 
Umgebung ſich bewegt. Sollte diefer Umſtand nicht auch dem Ver— 
faffer der Borrede eine gewiffe Scheu eingeflört haben, von Herzögen 
von Lüneburg vor 1235 zu fprehen? Die Möglichkeit, daraus 
das Jahr 1235 als frühjten Termin der Abfafjung unjerer Vorrede 
feitzuftellen, bleibt jedeufalls offen. 

Wenn wir nun die Abfajfung der Vorrede vor 1240 nachge- 
wiejen haben, fo haben wir damit die Entftehungszeit hart an die 
urkundlich beglaubigte Lebenszeit Eifos gerückt, und es iſt ein trif- 
tiger Grund nicht vorhanden, dem Eiko die Abfafjung diefer Vorrede 
abzujprechen. 


b. Der Umfreis der Runde Eifos. 


Obwohl Eifo das Necht der Sachſen, alfo de8 gefammten ſäch— 
fiihen Stammes behandeln will, jo läßt es fich doch nicht leugnen, 
daß er eine perjönliche Erfahrung für diefen weiten Umfang nicht 
gehabt hat. Richtig ift es, daß er die allgemeinen Verhältniſſe 
von ganz Sachſen (Weftfalen, Thüringen und die Marfen einges 
ihlojjen) kennt; es find ihm ſämmtliche Bisthümer Sachſens und 
der Marken befannt, er nennt die Fahnlehne Sachſens und die Fürjten 
dejjelben. Allein fpeciellere Kenntniß hat er nur von Oſtſachſen ges 
habt. Insbeſondere darf der Sprengel von Halberftadt und Magde— 
burg als der Kern feiner perjönlichen Kunde angejehen werden, und 
an diefen Kern lehnt ſich nur das Uebrige an. 

Schon die urfundlichen Zeugnifie weifen uns Eiko vorwiegend 
in dem Bereich diefer beiden Sprengel auf; mur zweimal weilt er 
außerhalb derjelben, einmal in Coswig, das nur durd) die Elbe von 
der Magdeburger Didcefe getrennt ift, und einmal in Grimma, nicht 
a von dem füdlichiten Endpunfte derjelben Diöcefe, bei Eilenburg, 
entfernt. 

Schen wir von den Fürften ab, fo liegen die Heimathsorte, 


1230. Otto dominus de Luneborg dux Saxoniae (vom König von 
England. Subendorf, 1. c. Nr. 54). 

1230. Otto dux de Brunswik (Or. Guelf. IV, praef. 89). 

1230. Otto dux de Brunswik et dominus de Luneborch (Or. 
Guelf. IV, 119). 


317 


von denen die edelen und jchöffenbar freien Gefchlechter der Vorrede 
ihre Namen tragen, faft alle in den Sprengeln von Halberftadt und 
Magdeburg oder doch nahe bei ihren Grenzen. Außerhalb diejer 
Diöcefen liegen Spandau, Klöden (zwijchen Eljter und Elbe), Cottbus, 
Yüneburg, Poppenburg, Lichtenberg, Dobin (bei Wittenberg). Von 
fajt allen diefen Gejchlechtern werden wir aber nachzumweifen vermögen, 
daß fie ihren Urfprung oder ihren Wohnfig in dem Bereiche der 
Sprengel von Magdeburg und Halberjtadt hatten. 

Eifo führt ja allerdings nur Gejchlechter namentlich) auf, welche 
nicht ſächſiſchen Urſprungs find, und es iſt deßhalb Ichwer, den Be— 
reich ſeiner Kenntniß zu controliren. Auch wird man ſagen können, 
daß es Geſchlechter ſchwäbiſcher Abkunft anderswo in Sachſen nicht 
gab, als in dem Bereiche des Schwabengaues, dem Sitze der Nord— 
ſchwaben, und deſſen nächſter Umgebung. Ganz undenkbar iſt es in— 
deß, daß Thüringen und die Marken Meißen und Oſterland, welche 
letztere einen nicht geringen Theil ihrer Coloniſten aus Franken em— 
pfingen, der edlen und ſchöffenbar freien Geſchlechter fränkiſcher Geburt 
ganz ſollten entbehrt haben. Hier bleibt eben nur die Annahme übrig, 
daß dieſe nicht in den Bereich der Kunde Eikos gekommen ſind. 

Mit einer Anzahl der von ihm genannten Edlen hat Eiko nach— 
weisbar perſönliche Berührungen gehabt. Wir ſehen ihn in Urkunden 
der Markgrafen von Brandenburg, Meißen, der Landgrafen von 
Thüringen, der Grafen von Anhalt und von Brehna. Von Edel— 
herren erſcheinen mit ihm zugleich als Zeugen: die Herren von Kro— 
ſigk, die Burggrafen von Giebichenſtein, die Edlen von Arnſtein, die 
Grafen von Regenſtein, die Herrn von Suſelitz, Gniez, von Dobin. 
(Domherr in Magdeburg), von chöffenbar freien: Offo von Dröbel. 
Eine ganze Anzahl anderer edler Gefchlechter, die mit Eifo zuſammen 
in den Urkunden erjcheinen, wird man um deßwillen, weil er fie nicht 
namentlich aufführt, als Edle ſächſiſcher Abſtammung mit Bejtimmt- 
heit recognoseiren müſſen. 

Ein Zweifel an der Vollzähligfeit in der Aufführung der edlen 
Geſchlechter ſchwäbiſcher und fränfifcher Abkunft innerhalb des Hal- 
berjtädter und Magdeburger Sprengels könnte dadurch entſtehen, daß 
man einige jolcher Gefchlechter nicht mit verzeichnet findet, die ihren 
Namen von Orten des Schwabengaus tragen. Als ſolches Gefchlecht 
nenne ich bejonder8 das der Grafen von Dorndburg und Mühlingen, 
das zugleich die Burggrafichaften Brandenburg und Arneburg und 
die Herrichaft Belzig innehatte. Es war dies nachgewiefener Maßen 
eines Stammes mit den Edlen von Mehringen bei Ajchersleben. Nun 
führt Eifo allerdings ein jchöffenbar freies Gejchleht von Mehringen, 
das durch Hermann von Mehringen repräfentirt wird, als fchwäbi- 
cher Herkunft auf, erwähnt aber die obengenannten Zweige mit feinem 
Worte. Unbekannt fönnen die Grafen von Mühlingen u. f. w. ihm 
nicht gewejen fein, da er ja ſelbſt als Schöffe unter dem Vorſitz des 
Grafen von Mühlingen einmal fungirt. Dies Geſchlecht muß viel- 
mehr al8 ſtammesverſchieden von dem angejehen werden, welches der 


318 


Ichöffenbarfreie Hermann von Mehringen zur Zeit Eifos repräfen- 
tirte und die- Edelherren, welche zu feiner Zeit eine jo hohe Stellung 
einnahmen, waren nicht Schwaben, obwohl fie ihren älteften Namen 
von einem Orte im Schwabengau tragen. Sit doch felbit das Ge- 
fchlecht der Grafen von Falfenjtein von Eiko als ein nicht ſchwäbiſches 
bezeichnet, obwohl feine nachweisbar älteſten Site, Konradsburg und 
Balkenftein, im Schwabengau lagen. 

Ein wohlberechtigtes Bedenfen würde ferner davon herzunehmen 
fein, daß von fchöffenbarfreien Geſchlechtern ſchwäbiſcher Herkunft nur 
jo wenige namhaft gemacht werden, während uns dod) eine Urkunde 
von 1156 deren eine viel größere Anzahl zeigt. In diefer Urkunde, 
in welcher Markgraf Albrecht auf dem Landgerichte zu Afchersleben 
Zuwendungen an das Stift Simonis und Yudä zu Goslar bejtätigt, 
werden folgende al8 Zeugen namhaft gemacht: Ruodolfus de Snet- 
lingen, Burchardus comes de Valkenstein, Frithericus de Ha- 
“eaburnen, Liuderus de Grobene, Volmarus de minori Ane- 
gremesleve et ejus fili Conradus, Gero, Otto, Ruothardus 
de Snetlingen, Erpho de Snetlingen et ejus frater Wichelmus, 
Liuderus de Snetlingen, Widekinus de Snetlingen et alii eo- 
rum consimiles, Bruno de Sethorp et alii ipsius consimiles, 
Friderieus de Widestorp et alii liberi de Widestorp et de 
Dalthorp, Everhardus de Reinsteden et alii liberi in eadem 
villa manentes, Thiderieus de Aschersleve, Arnoldus de Re- 
dere, Burchardus de Gersthorp et ejus filius Ruotholfus, Fri- 
therieus de Gatersleve et Eico ejus coneivis, Elvericus et 
Gevehardus et alii scephenen de Winnengen, Fridericus de 
Hardestorp, Huswardus de Hacaburnen, Heinricus de Amen- 
dorp, Fritherieus et ejus frater Liuderus de Eilwardestorp, 
Bernardus de Wilmarstorp, Otto et ejus frater, Conradi filius 
Wieoch et ejus frater, Sigelogus et Adelgogus et alii nobiles, 
Bruno de Gittenstein, et Bernhardi filii de Segelingen, Iso 
et Adelbertus frater ejus de Querenbeke !, 

Es find hier gerade vorzugsweile Ichöffenbarfreie Gefchlechter auf- 
geführt, und, abgejehen vom Grafen Burchard von BValfenjtein, Fries 
dric) von Hakeborn (und Linder von Gröben), gehören fie unftreitig 
alle in diefe Kategorie, zumal da die fonjt als mobiles bezeichneten 
erjt nachher und nach einem erfennbaren Zwiſchenraum folgen. 

Man wird nicht fagen fünnen, daß hier eine Anzahl Geichlechter 
ſächſiſchen Urfprungs dazwifchen fei. Wenngleich ſolche nicht fehlen, 
wie das Vorkommen Burdards von Valkenſtein zeigt, jo bilden fie 
doc) auf dem Landgericht des Schwabengaus gewiß nur eine fleine 
Minderzahl. Biel mehr Wahrfcheinlichkeit hat es für fi), daß eine 
große Zahl diefer urfprünglich fchöffenbarfreien Mannen in der Zeit 
von 1156 bis 1230 in das Minifterialitäts-Berhältnig getreten find. 
So ijt e8 nachweisbar bei den Herrn von Redern gejchehen. Cbenfo 


! v». Heinemann, Cod. dipl. Anhalt. I, 303. 


319 


ift das Gefchlecht des Husward von Hafeborn bis dahin in dag Mi— 
niſterialitäts-Verhältniß getreten. Bei vielen andern wird fich das 
bei näherer Nachforſchung ebenfalls erweifen laſſen. 


ec. Die Gruppirung der Öejdledter. 


Schr verwunderlich erfcheint die Anordnung der Gefchlechter, 
welche Eifo aufzählt. Im erjten Abjag zählt er die Fürften, im 
zweiten die freien Herren, im dritten des Keiches Schöffen von ſchwä— 
biicher Abfunft auf. So weit it die bejte Ordnung, und auch der 
vierte Abſchnitt, welcher die Edelen fränfischer Abkunft bringt, ijt na= 
türlih. Nun folgen aber im fünften und jechsten Abjchnitt wieder Edle 
ihwäbifcher Abſtammung, während ein fiebenter Abjag den Herzog 
von Lüneburg und alle die nicht genannten freien Herren und Schöffen 
zu den gebornen Sachjen weiſt. Was Hat e8 fir einen Grund, fo 
fragt man, daß im fünften und jechsten Abſatz noc einmal Edle von 
ſchwäbiſcher Abfunft genannt werden, -die ſich jcheinbar von den freien 
Herren im zweiten Abſatz nicht unterfcheiden? Daß Abjag fünf und fechs 
ein Nachtrag ſei, muß entjchieden bejtritten werden; Eifo faın ad 2 
die viel bedeutenderen Geſchlechter ad 5 und 6 nicht überfehen haben. 
Man Fan fi auc damit nicht helfen, dag man etwa in den einen 
Gruppen Gejchlechter aus dem Nordihwabengau, in den andern jolche 
von den füddeutichen Schwaben eingewanderte Familien fieht. ifo 
denft bei den Schwaben immer an die Nordſchwaben, und die Ge— 
ſchlechter ad 6 gehören urjprünglic) unzweifelhaft den Nordſchwaben 
an, auch bei den ad 5 dürfte e8 nicht zweifelhaft fein. Wir glauben 
den Grund in der verichiedenen Stellung der Gejchlechter in den ver- 
fchiedenen Gruppen zu erfennen. Die Qualität der in der fünften 
und jechsten Gruppe genannten Gejchlechter als mobiles ift unbe: 
jtreitbar; allein es ift uns zweifelhaft, ob Eifo ihnen das Prädicat 
„Freie Herren“ Hat geben wollen. Die Hauptbedeutung diefer Ge— 
Schlechter lag darin, daß fie Orafichaften, Burggrafichaften, Burg— 
warde, Vogteien von Fürften, Bilchöfen und Stiftern zu Lehn ge— 
nommen Hatten; fie waren alfo in ein Dienftverhältnig getreten, 
während dies bei den freien Herrn von Hafeborn, Gniez und Mücheln 
nicht der Fall gewejen zu fein fcheint. Wir find wenigftens bei den 
von Hafeborn und Gniez bis 1230 Hin irgend ein Abhängigfeits- 
verhältniß zu andern Herrn nachzuweifen nicht im Stande, während 
e8 bei den übrigen faum eines Nachweifes bedarf. 

Sollte ſich aber auch dieſe Unterfcheidung nicht als richtig er— 
weiſen, eine andere Gruppirung beherricht unbejtreitbar die Anord- 
nung der Aufzählung: die Zufammenftellung nad) Geſchlechtsſippen. 
Schon bei der Fürjtenlifte tritt das hervor; zuerft werden die drei 
Linien des Ballenjtedter Geſchlechts genannt: die von Anhalt, Bran— 
denburg und Orlamünde ; dann folgen die beiden Pinien der Wettiner : 


ı Beitichrift des Harzvereins III, 984, 


320 


die von Meifen und von Brehna. Bei den fchöffenbaren Geſchlech— 
tern haben wir jchon auf die fippenhafte Zufammenftellung des Vogts 
von Spandau mit feinem Bruder Alverih von Schneidlingen oben 
hingewiefen. Am evidentejten erjcheint diefer Grundſatz aber bei der 
Aufzählung der edlen Geſchlechter. 

Um vom Befannteften auszugehen, jo bedarf die Stammesge= 
meinfchaft der Grafen von Negenftein und von Blanfenburg, welche 
hier neben einander jtehen, feines Beweiſes. 

Ebenſowenig ilt ein Beweis nöthig, um nachzuweiſen, daß die 
Grafen von Oſterburg und Altenhaufen (bei Neuhaldensleben) eine 
Sippe bildeten ; fie find dem Geichlechte der Edlen von Beltheim ent— 
jproffen!. In gleicher Weiſe evident ift die gemeinfame Abſtam— 
mung der Domvögte zu Halberjtadt und der Gdelherren von Su— 
ſelitz. Es genügt dafür folgende Stellen anzuführen: 1190. Lu- 
dolfus advocatus major et frater ejus Wernerus de Suseliz. 
1186. Ludolfus advocatus et Wernerus frater ejus. 1194. 
Liudolfus advocatus und hinter ihn Wernerus de Suseliz ?. 
Suſelitz oder Seufelit, von dem ein Zweig dieſes Gejchlechtes feit 
1185 jeinen Namen trägt, ift nicht, wie Schlemm will, im Meißni— 
ſchen zu ſuchen, jondern ift der Burgwardsort Suselzi, die civitas 
Siusili, in Urkunden von 965, 1004 und 996 im Gau Nifizi er- 
wähnt?. Diefe Burg muß nahe dem Zufammenflugß der Mulde 
und Elbe gelegen haben, und eine Urkunde von 1314, worin von 
der Wiſche zu Sufelit die Rede ift, bejtätigt, daß der Ort hart an 
der Elbe lag. Diefe Burg mit ihrem Bezirk hatte alfo ein Zweig 
der Halberjtädter Domvögte wahrjcheinlih von den Herzögen von 
Sachſen (Bernhard) zu Lehn genommen, und von diefem wichtigen 
Beſitz nannte es ſich nun. Daher treffen wir denn auch das Ge— 
Schlecht, abgefehen vom Halberjtädter Lande, befonders an der unteren 
Saale und der Elbe, während e8 mit den Markgrafen von Meißen 
jo u wie feine Beziehungen hatte. 

Mit Recht fpricht Eifo in der Einheit von „dem Dumvoget 
von Halberjtadt“. Bon der Hauptlinie diejes Gejchlechtes Tebte da— 
mal® nur noch ein männlicher Sproß, Dietrid), der 1226 die 
Domvogtei an den Biſchof von Halberjtadt verfaufte, und 1232 zu= 
letzt urkundlich erwähnt wird. Die Hauptlinie muß um 1240 aus= 
geitorben fein, während die Nebenlinie der Edlen von Suſelitz noch 
bis ins 14. Jahrhundert hinein blühte?. 

Für gleichen Stammes halten wir auch die von Eifo unmittel— 


I 9. Raumer, Brandenburger Negeften, Stammtafel XI. 

2 Beitjchrift des Harzvereins V, 429. I, 278. V,429. Bgl. dazu Schlemmi, 
in vd. Ledebur Allg. Archiv XIII, 121 fi. Magdeb. —— vl, 217. 

3 v. Heinemann, Cod. dipl. Anhalt. I, 75. 68. 76. 

* Bedmann, Hiftorie von Anhalt III, 329. In dem Siezlitzer Berg 
zwiſchen der Elbe (lintes Ufer) und dem Kapen - Graben ift noch eine Reminis- 
cenz an jene Burg erhalten. 

5 Sclemm 1. 1. 131. 143. 


321 


bar darauf genannten Herren von Lichtenberg. Lichtenberg, eine noch 
in Trümmern fenntlihde Burg liegt 2—3 Meilen wejtlid) von 
Wolfenbüttel an der Grenze des Braunfchweigichen und Hildeshein- 
ichen Gebiets, und ift Schon zu Heinrichs des Yöwen Zeiten eine an— 
jehnliche herzogliche Burg. Nach diefer Burg benannt erfcheint zu= 
erſt 1190 Wernerus de Lichtinburg?, ſodann erjcheint er wieder 
zwifchen 1194 und 1198 in einer Urkunde Konrads, erwählten Bi— 
ihofs von Hildesheim?. Es ijt jehr bemerfenswerth, daß Werner 
von Yichtenberg nie im Urkunden der rechtmäßigen Eigenthümer diejer 
Burg, Heinrichs des Yöwen und feiner Söhne, erjcheint, jondern ſich 
ausſchließlich auf Seiten der Biſchöfe von Hildesheim und Halberjtadt 
zeigt. Ferner Hat derjelbe, ſoweit man fieht, durchaus feinen Grund 
beit innerhalb der Welfiſchen Lande gehabt. Er dürfte alſo ſchon 
danach als Sproß eines auswärtigen edlen Geſchlechts anzuſehen 
ſein, der von der Staufiſchen Partei auf die von ihr einige Zeit hin— 
durch innegehabte Burg Lichtenberg geſetzt war und davon den Namen 
annahm. Werner von Yichtenberg erſcheint bis 1212 in Urkunden. 
Nach ihm tritt Siegfried von Yichtenberg auf, wohl fein Sohn. 
Diefer lebte erjt der Abficht, Geijtlicher zu werden, und trat zu dem 
Ende in das Hildesheimer Domcapitel*. Später aber fehrte er in 
den weltlichen Stand zurück, verheirathete fi) mit Margarethe von 
Kranichfeld, des nachherigen Biſchofs Volrad von Halberjtadt Schwe— 
jter. Er erfcheint im Halberjtädter Urkunden 1238, 1242, 1243. 
Nach feinem finderlofen Tode heirathete deſſen Wittwe den Edlen 
Malther von Arnjtein, den fie ebenfalls überlebte. Das Gut, welches 
jie als Heirathsgut von ihrem erjten Gemahl Siegfried erhalten 
hatte, 3 Hufen zu Anderbed, 2 Hufen zu Vedenjtedt und 7 Hufen 
zu Quenſtedt, jchenfte fie vor 1272 an das K dloſter Marienberg bei 
Helmjtedt ?. Damit verfchwinden die Edlen von Lichtenberg aus der 
Geſchichte. 

Dieſelben haben nicht nur die Namen mit den Edelvögten von 
Halberjtadt gemeinfam, Tondern fie pflegen in Urkunden auc) neben 
ihnen und ihrer Sippe zu jtehen. So 1190, 1207, 1211, 1212, 
Außerdem Haben fie auch da Beſitz, wo wir die Domvögte von 
Halberjtadt umd Herren von Suſelitz begütert finden. 1208 macht 
da8 Burchardikloſter in Halberjtadt Ankäufe in Afpenftedt, Quenftedt 
und Werftedt von Werner von Sujeliz, Domvogt Yudolf und Werner 
von Lichtenberg. Es erhellt daraus, daß die Edlen von Yichtenberg 
in diefer Umgegend begütert waren, ſpeciell in Quenſtedt und Vecken— 
jtedt. Nach dieſem Allen dürfte es kaum einem Zweifel unterliegen, 


1 Beitichrift des Harzvereins I, 429. 
2 Ungedrudte Stederburger uriunde. 
—8 Gülige Mittheilung des Herrn Archiv⸗Secretärs v. Schmidt- Vhiſeldec 
in Wolfenbüttel. 
* Urkunde von 1210 im Archiv von Wolfenbüttel. - 
5 Yrfunde vom 18. März 1272 in Wolfenbüttel. 
6 Leuckfeld, Antig. numariae 119. 


322 


daß die Edlen von Pichtenberg mit den Dommwögten von Halberjtadt 
den Gefchlechte der Edlen von Quenſtedt entiproffen waren, als deren 
Ahnherr Beringer von Quenſtedt 1114 ericheint. 

Auch die von Eifo unmittelbar nach denen von Lichtenberg ge= 
nannten Edlen von Dobin halten wir für ftammverwandt mit den 
genannten Gejchlechtern; diefelben tragen ihren Namen von der Burg 
Dobin, eine Feine Meile nördlich von Wittenberg, deren Spuren in 
dem gleichnamigen Dorfe noch heute wahrzunehmen find. Dobin 
. wird als Burgward zuerft um 1187 erwähnt!. Bereits früher ins 
deß ericheinen deren Inhaber in Urkunden unter den Edelherren. Zus 
erit tritt Dtto von Dobin 1179 in einer Urkunde des Biſchofs 
Ulrich) von Halberftadt unmittelbar hinter dem Domvogt Yudolf und 
vor (dem Burggrafen) Konrad von Wettin auf?. Sodann erjcheint 
1182 Otto de Thobin et filius ejus Borchardus?. Otto von 
Dobin ftarb vor 1197 und hinterließ vier Söhne, Dtto (jchon 1190 
Domherr zu Hafberftadt), Burchard, Werner und Albert, die in 
Watenftedt und Stöckeim begütert erjcheinen®. Unter diefen ift der 
Edelherr Werner vielleicht identiih mit Wernerus de Stokcheim, 
der 1185 unter den nobiles erfcheint®, oder mit Wernerus de 
Dobin, der 1194 als Zeuge in einer Urkunde Herzog Bernhards 
1215 auf einer Brandenburger Didcefan-Synode zu Ziefar auftritt 6. 
Möglicher Weife hieß auch der Sohn, der früher nach Stödeim ſich 
nannte, nach des Vaters Tode Edelherr von Dobin. Späterhin find 
es befonders drei Domherren, die uns ans diefem Gefchlechte noch 
entgegen treten: Dtto von Dobin, Domherr zu Halberjtadt (wohl der— 
felbe, den wir bereitS 1190 und 1197 und noch 1232 in diefer Würde 
finden), und Dietrih von Dobin, Domherr zu Magdeburg 1229, 
1231, 1233, 1236 °; endlich) erfcheint im Jahre 1262 Otto de Dubin 
al8 Domherr in Magdeburg? Jedoch findet fic) auch noch 1249 
Wernerus de Dobyn unter weltlichen &dlen ®, 

Den Edelherren von Dobin ijt mit den Domvögten von Halber- 
ftadt , den Edlen von Sufelig und den Edlen von Lichtenberg der 
Name Werner und Dietrich gemein. Feſt Steht auch, daß fie in der 
Halberjtädter Didcefe begütert waren. Diefe Beweife genügen freilich) 
nicht, um eine VBerwandtichaft zu conjtatiren. Geltend machen 
darf man dagegen wenigſtens nicht die Entfernung Halberftadts von 
Dobin. Siedelte ein Zweig des Gejchlechts nach Sujelig über, To 
war es bis zum Burgward Dobin nur ein Schritt. 


Riedel, Cod. dipl. Brand. I, 10. 76. 

Wolf, Chronik von Pforte I, 159. 

Ludewig, Rell. man. V, 5. 

Annales Stederburgenses, Mon. Germ SS. XVI, 228. 
Zeitichrift des Harzvereins I, 278, 

Beckmann, Hiftorie von Anhalt I, 441. 313. 

Lude#ig, Rell. man. V, 28. 84. Abel, Chronil von Walbed. 
Beckmann, Hiftorie von Anhalt I, 470. 

Riedel 1. 1. I, 10, 336, 


® 
? 


.@ 1a ma mh mo mw —- 


323 


Eine gleichfalls ftammwerwandte Sippe, deren Stammort int 
Schwabengau noch nachgewiefen werden kann, bieten uns die vier 
vorher genannten Geſchlechter: Die von Arnjtein (ſüdlich von 
Aſchersleben an der Eine, jetzt noch als Ruine vorhanden), die von 
Biejenrode (Dorf etwas weiter ſüdlich an der Wipper), die von 
Amersleben (Dorf Hamersleben weſtlich von DOfchersleben), die Burg- 
grafen von Giebichenjtein (Burg bei Halle). 

Da wir für diefe Stanımeseinheit, die auch v. Ledebur nicht 
ahnt, den Beweis zu erbringen haben, jo beginnen wir mit den 
Edlen von Biefenrode und Amersleben. 

Zunächſt finden wir dieſe beiden Familien, wenn. fie in Urkunden 
zufammen genannt werden, auch neben einander ftehend; jo 1226 
Waltherus et Wilhelmus fratres de Amersleve, Albero de 
Bisenrodhe?. 1213. Albero et Albertus fratres de Bisenrodhe. 
Walterus de Amersleve°. 

Keinen Zweifel läßt indeß an diefer Stammesgemeinſchaft eine 
Urkunde des Dompropftes Werner von Halberjtadt, worin diefer den 
Kämmerer A. und Allbert) von Bieſenrode, beides Magdeburger Doms 
herren, feine Brüder, jowie Walter und Wilhelhn von Amersleben 
feine Bettern (fratrueles) nem, um 1203% Wenn wir nun über- 
dies noch jehen ?, daß beim Ausjterben des Gejchlehts Walter von 
Amersleben im Bonifaciusſtift zu Halberjtadt ein Jahrgedächtniß für 
fi, feine Gemahlin, feinen Bruder Werner (Dompropft und Propft 
zu St. Bonifacius) und den Yaienbruder (laicus) Albert von Bieſen— 
rode ftiftet, jo fann an der Stammesgemeinſchaft .diefer beiden Fa— 
milien füglich nicht gezweifelt werden. 

Die Edlen von Hamersleben finden wir nun aber weiter in 
engiten Beziehungen zu den Edlen von Arnjtein. In Urkunden, 
welche die verwandten Gejchlechter mit großer Sorgfalt in den Zeu— 
genreihen zufammenzuftellen pflegen, finden wir beide Yamilien hart 
neben einander genannt. So 1156: Waltherus de Arnstede et 
Conradus et Albero filii patrui sui, Willehelmus et Othelri- 
cus de Amersleve® Dieje Stammesgemeinfchaft äußerte ſich auch 
in gemeinfamen Thaten. 1213 erbauten Walter von Barby fowie 
Sriedrih und Wilhelm von Amersleben zufammen die Unfeburg bei 
Egeln und raubten von da aus im Yande ?, 

Nicht minder treffen wir die Edlen von Bieſenrode in Gemein— 
Ihaft mit den Herren von Arnjtein au. Jener 1156 genannte Al— 
bero, Better Walters von Arnftein, dürfte Niemand anders fein als 
der ſonſt unter dem Namen Albero von Biefenrode vorkommende, 


I». Ledebur, Die Grafen von Valdenftein S. 88 ff. 
2 9, Ledebur, Archiv XIII, 154. 

® Erath, Cod. dipl. Quedl. 133. 

* Malfenrieder Urkunden-Buch I, 43. 

5 Beitichrift des Harzvereins III, 921. 

° Cod. dipl. Anhaltinus I, 303. 

" Magdeburger Schöppendronif, ed. Janide, S. 137. 


324 


Ferner fteht 1188 Hart neben einander: Waltherus de Arnestein, 
Walterus de Bisenrode !. 

Endlich ijt die Stammesgemeinschaft der Burggrafen von Gie- 
bichenftein mit den Edlen von Arnjtein eine Thatſache; von Mül— 
vertedt im feiner Abhandlung über die Burggrafen von Giebichen- 
ftein? glaubt fih mit dem Nachweis des Zufammenhangs diefer 
(etstern mit den Edelherren von Spören begnügen zu müſſen. Diefer 
Zufammenhang dürfte unbejtreitbar fein; aber da aud) die letteru 
doch gewiß fein eingebornes Edelgeichleht waren, jo ift die frage 
noch unerledigt : woher kamen beide Familien? Gr ijt auf der rich— 
tigen Fährte, indem er aus dem einmal vorfommenden Familien— 
namen Walter und dem beiden gemeinfamen Wappen, Emblem des 
Adlers, auf eine Zugehörigkeit zu den Edlen von Arnftein hinweiſt ?. 
ZTrotdem ſtellt er diefelbe in Abrede, weil die andern Vornamen 
Konrad und Yohann den Arnfteiner fremd find, und weil dieſe letz— 
tern feinen Grumdbefig in den Gegenden von Bitterfeld und Zörbig 
haben. Nun fommt aber der Name Konrad in der That im Arn= 
jteinifchen Geſchlecht vor (1156). Was weiter den Grundbejig anbe- 
trifft, jo lag der Hauptbejig der Arnfteiner im 13. Jahrhundert, 
der Barby und Walter » Nienburg an der Elbe umfahte, viel weiter 
von der eigentlichen Heimath ab, als der Beſitz der Burggrafen von 
Giebichenſtein und Edelherren von Spören. 1156 ftehen denn aud) 
Walterus de Arnenstide, Conradus de Givekenstein in einer 
Urkunde, welche eine lange Reihe von edlen Geſchlechtern aufzählt, 
unmittelbar neben einander *. 

Wir haben es hier aljo mit einem vielverzweigten Gejchlechte 
zu thun. Die Abzweigung der einzelnen Familien fcheint in der erjten 
Hälfte des 12. Jahrhunderts ftattgefunden zu haben. Um 1120 
treten uns nämlich Adelbert, Adalbero, Anno und Walter von Arne 
jtedt entgegen, welche v. Yedebur als Brüder in Anfprud nehmen 
möchted. Wir find in der Yage, diefe Vermuthung zur Gewißheit 
zu erheben. In einer noch ungedructen Urkunde des Klojters Bergen 
bei Magdeburg von 1107 wird beurfundet, daß matrona quaedam 
Juditha eum filio suo Annone campsionem cujusdam posses- 
sionis S. Johannis bapt. (8. Bergen), Rode nominatae, tam 
studiose quaesierit, ut praedietus ejus filius cum Heinrico 
archiepiscopo campsionis licentiam a rege Heinrico quinto 
acceperit. Quam possessionem cum ecelesia et cum omni 
jure insuper et in villa Schmalbek 2 curtes ei praefatus ab- 
bas concessit. Addita sunt ei quoque 10 talenta ab eodem 
patre (dem Abt), pro quibus omnibus ipse ab eis predium 8 


Cod. dipl. Anhalt. I, 485. Stumpf, Reichskanzler III, 240. 
Magdeburger Geichichtsblätter VII, 224 fi. 

Ebenda S. 248. 

Cod. dipl. Auhalt. I, 311. 

v. Ledebur, Die Grafen von Balfenftein S. 89. 


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325 


mansorum quod jacet in villa Stemmer dieta recepit. Hace 
enim omnia ab ipso Annone et fratribus ejus Waldero, 
Wernhero, Adelberone et Adelberto confirmata sunt. Leider 
iſt der Gefchlechtsname nicht angegeben, aber die genaue Ueberein— 
ftimmung der Namen mit denen, welche um 1120 in der Familie 
der Edlen von Arnftedt vorfommen, läßt darüber feinen Zweifel ob— 
walten, daß wir es hier mit Gliedern dieſes Gejchlechtes zu thun 
haben. Anno war vicedominus in Magdeburg, und als folder kommt 
er mit feinem Bruder Walter 1110 vor Cuno von Wippra und 
1121 vor Dietrich von Ammensleben vor’; er gehörte demmach un— 
zweifelhaft einem edlen Gefchlechte an. Nehmen wir noch die 1156 
vorfommenden Namen Konrad, Wilhelm und Ulricd Hinzu, jo haben 
wir hier fänmtlihe Vornamen, welche in dem weitverzweigten Ge— 
Schlecht mit Vorliebe gewählt werden. 

Den genannten Gefchlechtern voran fteht das der Grafen von 
Bernigerode. Bode hat in einer interejfanten Abhandlung es zu 
einer großen Wahricheinlichkeit erhoben, daß der geichichtlich nachweis- 
bar ältefte Befit diefer Grafen in der Diöcefe Hildesheim lag, und 
daß der ältefte Ahnherr, der zuerjt feinen Namen von Wernigerode 
führt, Adalbert (feit 1121), identisch fei mit dem 1117 erwähnten 
comes Adelbertus de villa Heymbere?. Aber felbjt wenn dies 
richtig ift, würde das Gefchlecht nicht als ein eingebornes des Hildes- 
heimfchen Sprengel® gelten fünnen, da die Vorrede des Sachſenſpiegels 
es ausdrücklich als „ſchwäbiſcher Abkunft“ bezeichnet. 

Wir möchten genealogiſchen Forſchern folgende Punkte zur wei— 
teren Beachtung geben: die Grafen von Wernigerode ſtehen in der 
Vorrede zum Sachſenſpiegel dicht neben dem Geſchlecht der Herren 
von Arnftein und haben mit diefem den Vornamen Adalbert gemein. 
Außerdem mache ich auf folgende Stelle aufmerfjam: Im Jahre 
1199 brachte die Aebtijfin Agnes von Quedlinburg Güter in Hoym 
und Habenrode wieder ans Stift, welche Berthold von Hoym und 
deffen Töchter als Erbgüter anjahen. Dabei heißt e8: Interfuit 
etiam prediete dispensationi comes Albertus de Werningero- 
the et Albero de Bisenrothe, ubi haec omnia resignarunt ®, 
Es jcheint faft, als ob diejelben nicht blos al8 einfache Zeugen zu— 
gegen waren. 

Bon den Vögten von Braunfchweig foll nur bemerft werden, 
daß fie zu der vielfach vorkommenden Familie von Dalem oder 
Menden gehörten. Dahin dürften auch die von Lüneburg zu zählen 
jein. Die Grafen von Boppenburg an der Leine trugen von den 
Biſchöfen von Hildesheim eine Grafichaft zu Lehen, waren aljo Yehns- 
grafen wie die von Blankenburg, Wernigerode, Djterburg. 

Wenden wir und nun zu den Gefchlechtern fränkiſcher Abkunft. 


I Ungedrudte Urkunden des Klofters Bergen. Cod. dipl. Anh. I, 151. 
? Beitjchrift des Harzvereins IV, 32 - 34. 
° Erath, Cod. dipl. Quedlinb. ©. 108. 


XIV. 22 


326 


Hat man fchon bei den schwäbischen Gejchlechtern die „widerfinnigen 
Abftammungen des in Sachſen wohnenden Adels“! befämpft, jo findet 
man die fränfifche Abjtammung von Gejchlechtern, die zur Hälfte 
einen wendiichen Namen tragen, noch viel bedenfliher. Zunächſt ift 
dagegen zu bemerken, daß die adlichen Gefchlechter im ehemals wendi— 
chen Gebiete meiſtens eingewanderte deutjche Adelsfamilien find ; 
gerade hier iſt daher die Anfiedlung fränkiſcher Edlen am natürlichiten. 
Prüfen wir nun an der Hand der Urkunden, wie weit die Angaben 
Eifos ſich bewahrheiten, und beginnen wir mit den Edlen von 
Kroſigk. 

Hier haben wir zunächſt die Lesart feſt zu ſtellen. Gute Hand— 
ſchriften haben auch die Lesart: de von Druzke. Nun giebt es in der 
That Edle von Droyſſig (bei Zeitz), die von 1190 an in bedeut— 
famer Stellung vorkommen? Trotzdem glauben wir, daß die Edlen 
von Kroſigk gemeint find, und daß zu leſen ift: de von Crozuc®. 
Der Ort, von dem diefes Edelgejchlecht feinen Namen trägt, liegt am 
Petersberge bei Halle, aber feinen Urjprung vermögen wir bis hart 
an die Grenze des fränfifchen Gebiets zu verfolgen. Guncelinus 
de Crozuc, der zuerſt 1143 auftritt, iſt noch bi8 1154 zu Bruftedt 
bei Gerode im Eichsfeld begütert, und zwar befitt er dort ein freies 
Eigen. Ebenderſelbe ericheint 1155 als erfter unter den judices 
auf dein placitum zu Seligesbach, al8 es fi) um Zumendungen an 
das Klofter Lippoldsberge an der Weſer Handelt*. In jenen Ge— 
genden, nahe der heſſiſchen Grenze und in Heffen würden demnach 
die eigentlichen Stammgüter der Familie zu fuchen fein. 

Bon dort her muß ſchon früh ein Zweig des Geſchlechts in die 
Saalgegend übergefiedelt fein und am Fuß des Petersberges in und 
um Kroſigk wichtigen Beſitz erhalten haben. Um 1116 bat der ge= 
ächtete Wiprecht von Groitfch den Dedo von Kroſigk um Aufnahme. 
Diejer Dedo, welder 1103 als Teto de Crossue urfundlich vor= 
fommt °, war mit Dia von Harbfe vermählt, und fein Sohn war 
der oben erwähnte Gunzelin?. Zwijchen 1240 und 1250 ging die 
Herrichaft Krofigk in den Beſitz des Erzitifts Magdeburg über, und 
feit jener Zeit fcheinen die Edelherren von Kroſigk in die Minifteria- 
fität herab gefunfen zu fein. Noch 1250 erfcheint indeß Johann von 
Krofigk unmittelbar hinter Hoier von Balfenftein ®. 

Der Verfaſſer der Nachrichten zur Gefchichte des Gefchlechts 


ı Kopp, Bilder und Schriften der Vorzeit I, 134. 
F — Schultes, Directorium II, 669 sub voce Drozie. Kopp 

° Die Form Crouzke fommt urkundlich nicht vor. 

* Cod. dipl. Anhalt. I, 219. 298. 301. 

° Annales Pegavienses, SS. XVI, 232 ff. 

°°Repfius, Biichöfe Naumburgs ©. 235. 

” Annalista Saxo, SS. VI, ©. 685; vgl. R. v. K., Nachrichten zur Ge- 
ſchichte des Gefchlechts von Krofigt S. 51 und 174. 

®° Erath, Cod. dipl. Quedlinburgensis 182, 


327 


von Kroſigk fpricht die Vermuthung aus (S. 78), daß die 1212 
vorfommenden Heinrich und Gebhard von Kroſigk vielleicht bei der 
dazumal geringen Stabilität der eben entjtandenen Bamilien=- Namen 
denfelben gegen den einer neu erworbenen Befitung gewechjelt haben. 
Da nun der Sacdjfenfpiegel unmittelbar Hinter den Herrn von Krofigf 
de von Gotebuz (Kotebus) nennt, jo wollen wir darauf hinweijen, 
daß im Sahre 1222 Henrieus de Chotebuz in hervorragender 
Stelle als Zeuge zu Propftheida, anjcheinend in richterlicher Thätig— 
feit vorkommt, zufammen mit Männern, die ihrer Heimath nad) dem 
- Lande öſtlich der Saale zugehören!. Ohne damit den Zufammenhang 
beider Gefchlechter als ſicher hintellen zu wollen, möchten wir dod) 
diefen Fingerzeig zu weiterer Nachforihung geben. Die Herren von 
Kottbus kommen zuerſt 1156 vor, wo Heinricus castellanus de 
Chotibuz unter den nobiles und Burggrafen erfcheint, in deren 
Gegenwart Markgraf Konrad feine Waffenrüftung zu Meißen ab- 
fegt. 1199 fommt ein Thymo von Cottbus vor, wenn hier nicht 
Colditz zu leſen ift?. Endlich) das Vorhandenfein diefes edlen Ges 
ichlechtes zu Eikos Zeit beweift der oben bezeichnete Heinrich von 
Cottbus. 

Die Burggrafen von Wettin, welche ebenfall8 unter den 
Edlen fränfifcher Abkunft genannt werden, erfcheinen zuerft unter dem 
Namen „von Schodwit“. Als erite Vertreter erfcheinen 1133 Gero 
et frater suus Odelrieus de Scochwize, ebenjo 1144*, Syn dem 
leßtgenannten Jahre treten auch ſchon Söhne Ulrichs auf, nämlich) 
der Halberjtädter Domherr Gero (der fpätere Biſchof) und fein 
Bruder Hugold®. Ein dritter Bruder war Bodo von Schochwitz, 
der als weltlicher Edelherr nocd) lange vorfommt®. Cie ſämmtlich 
werden als viri nobiles in den Urfunden bezeichnet. ine Linie 
diefes Gefchlecht, wahrjcheinlic) die Söhne Geros, oder vielleicht diejer 
ſelbſt ſchon, überfamen nun von dem Wettiner Fürftengefchlecht das 
Burggrafenamt zu Wettin. Schon am 30. November 1156 er- 
fcheinen in diefer Würde: Odelricus castellanus de Witin et filii 
ejus Odelrieus et Cuonradus, und unmittelbar nad) ihnen folgt 
Bodo von Schochwitz“. Auch 1181 jtehen wieder «dicht neben ein- 
ander Othelrieus de Witin, Bodo de Scochewitz®. Die Edel— 
herren von Schochwitz verichwinden gegen Ende des 12. Jahrhunderts. 
Aber auch fie waren in Lehnsverbindung mit den Grafen von Wettin 
getreten und Hatten von denfelben einen bedeutenden Beſitz um 


Codex dipl. Saxoniae II, 1, 86. 

Cod. dipl. Anhalt. I, 311. Schultes, Direct. dipl. II, 123. 
Schelt, Gejchichte der Yaufi 495. 

Zeitichrift des Harzvereins I, 256. Codex dipl. Sax. II, 1. 51. 
Zeitichrift des Harzvereins I, 262. 

Ibidem 277. 

Cod. dipl. Anhalt. I, 311. 

Köhler, Klofter Petersberg S. 52—54, 


. oa uan» on »- 


22* 


328 


Schweinit an der fchwarzen Elſter erhalten!. Dorthin fiedelte im 
13. Sahrhundert auch die Linie der Burggrafeu von Wettin über, 
und diefe waren lange Zeit das erjte Adelsgejchlecht in der Yandichaft 
an der ſchwarzen Eljter und den weftlichen Theilen der Niederlaufit ?, 
Bertreten ijt das Gejchlecht zur Zeit Repgows durd) die Burggrafen 
Hermann und Ulrich von Wettin ®. 

Zwifchen den Burggrafen von Giebichenftein und den Herrn 
von Kroſigk ftehen: de von Klodene. Bei den verjchiedenen Orten 
diefes Namens, welche es in den früher wendijchen Yandestheilen giebt, 
ift e8 zweifelhaft, von welchem Orte die von Eifo genannten Edlen 
den Namen trugen. v. Klöden nimmt in feiner Gejcichte einer 
altmärkiſchen Familie ©. 28. 29 das Dorf Kläden im Kreife 
Stendal dafür in Anfpruch, welches in der That in fpäteren Jahr— 
hunderten im Beſitz einer adlichen Familie von Klöden erfceint. 
Allein die dort erjcheinende Familie findet ſich nur im Stande der 
Minijterialität, während Eifo nur edle und freie Gejchlechter aufzählt. 
Schon nad) den Landjchaften, in denen die ältejten Herren mit dem 
Namen „von Klöden“ erfcheinen, iſt es faum zweifelhaft, daß wir 
e8 mit zwei ganz verjchiedenen Gejchlechtern zu thun haben: einem 
in den füdlichen Marken, den Wettiner Yanden, dem Stande der Edel- 
herren angehörend, und einem Meinifterialengefchlecht in den nördlichen 
Marken, den Brandenburger Landen. Das erjtere Geichlecht ift es, 
welches Eifo im Auge hat, und diejes kann nur von dem ehemaligen 
Burgfleden Klöden unweit Pregich, dem Site einer zum Meißner 
Sprengel gehörigen Propftei, feinen Namen tragen. Clotnie fommt 
als Burgward ſchon 981 vor*. Und einen Burgward zu Lehn zu 
tragen, entſprach der Bedeutung eines edlen Gejchlechtes, welches Eiko 
mitten zwiichen die Burggrafen von Wettin, die Edelherren von Krofigt 
und die Gajtellane von Kottbus jtellt. Ein Petrus de Clodene er— 
Scheint zuerjt zur Zeit des Markgrafen Otto von Meißen und ver- 
fauft an Kloſter Altzelle jech8 Hufen in Ojtrau unweit Meißen. Ob 
die Brüder Chriftian, Emmerih, Waremund und Werner, von denen 
das Klofter ebenjo ſechs Hufen in Oftrau für den gleichen Preis kauft, 
auch Herren von Klöden waren, ift zwar nicht gewiß, aber auch nicht 
vonvornherein in Abrede zu ftellen?. Es ift uns indeß zweifelhaft, 
ob diefe Herrn von Klöden zu dem von Eifo gemeinten Gejchlecht ge— 
hören; vielleicht Haben wir es hier mit einer eigenen Meißniſchen 
Pinie zu thun, deren Nobilität Feineswegs fejtiteht. 

Bon dem hier in Frage kommenden Geflecht tritt ung zuerft 
im Sahre 1131 Wernerus de Cludene in einer Urkunde des Mark— 


! Ludewig, Rell. man. V, 1 ff. 

2Scheltz, Geſchichte der Lauſitz S. 502. 

® Medlenburger Urfundenbuch I, 329. Scleswig-Holft. Urkundenbud I, 
202, 467. Scultes, Dir. dipl. Il, 703. 

* Cod. dipl. Anhalt. I, 54. 

5 9. Klöden, Gejchichte einer altmärf. Familie S. 122. Beyer, Klofter 
Aftzelle 290. Märker, Burggrafentbum Meißen S. 169. 


329 


grafen Otto von Brandenburg unter den Edlen, und ſodann 1201 
im Gefolge des Herzogs Bernhard von Sachſen als erſter weltlicher 
Zeuge entgegen bei der Einweihung der Kirche in Wörlig!, 1233 
ericheint jodann dominus Rembertus de Clodene an der Spike 
der Burgmanten von Belzig, durd) das Prädicat dominus vor den 
übrigen al8 in hervorragender Stellung befindlic) bezeichnet. Da— 
gegen jcheint 1286 Heyse de Clodene bereits in das Minifterialen- 
Verhältuig herabgefunfen zu fein; doch ift er Nitter?. Bei der Fa— 
milie von Klöden ift ein Verwandtichaftsverhältnig mit den andern 
Familien fränkiſcher Abkunft, welche der Sachſenſpiegel aufführt, nicht 
völlig nachweisbar, aber doc) jehr wahricheinlid). 

Wie im Sachſenſpiegel das Geſchlecht von Klöden hinter dem 
der Burggrafen von Wettin erwähnt wird, fo jteht 1181 in einer 
Urkunde hart neben einander: Conradus de Witin, Wernherus de 
Cludene®. In einer Urkunde des Herzogs Bernhard von Sachſen 
von demjelben Jahr finden wir nun weiter folgende Zufammenitellung : 
Othelricus de Within buregravius, Conradus frater ejus et 
Wernherus frater ejus®. Syn diefem leßtgenaunten Bruder des 
Burggrafen Ulrid von Wettin, der unter dem Gefchlechtsnamen „von 
Wettin“ nicht weiter vorfommt, find wir geneigt Werner von Klöden 
zu juchen. 

Wenden wir und nun zu den „freien Herren“ und zu „des 
Reiches Schöffen“ von ſchwäbiſcher Abjtanımung. Die freien Herrn 
von Hafeborn tragen ihren Namen von dem Dorfe Hafeborn am 
Hafel unweit Egeln. Ihr ältejter bekannter Ahnherr iſt Swicher 
von Hafeborn, der 1116 und 1118 mit feinem Erben Bruno vor- 
fommt®. Diefer Bruno von Hafeborn erfcheint 1118—1151', 
Sein Sohn war Swideger de Hakeborne®. Derfelbe hatte vom 
Raifer den Burgward Kleutſch jenfeit der Mulde zu Lehn, welchen 
er 1144 an das Klofter Nienburg verfaufte?. Wenigjtens dürfte es 
nicht gewagt fein, unter dem nobilis vir Suidiger eben jenen Frei= 
herrn von Hafeborn zu fuchen. Ein Sohn oder jüngerer Bruder 
dejjelben war Friedrid; von Hafeboru (1155— 1197), der nad) Cohn 
mit einer Gräfin von Wippra verheirathet war. Deſſen Sohn Al- 
brecht (1189—1231), verheirathet mit einer Gräfin von Ziegenhain, 
ift e8, der zu Eikos Zeit lebte !°, 


Bedmann, Hiftorie von Anhalt III, 396. Cod. dipl. Anh. I, 545. 
Eilers, Belige Chronik S. 270. 
v. Klöden, 1 . 1. 188. 
Codex dipl. Anhalt. I, 446. 
Ibidem 447. 
Cohn, in Neuen Mittheilungen des Thür. Sächſ. Bereins XI, 154. 
Denn Cohn ihn nod 1178 vorkommen läßt, jo überfieht er, daß diefe 
Erwähnung zu 1151 gehört. Vgl. Zeitjchrift des Harzvereins I, Tl. 
Cod. dipl. Anhalt. I, 263. 

® Tbidem 222. 

ı° 1189 fommt er vor, Zeitjchrift des Harzvereins I, 274; 1231, For— 
ſchungen XIII, 624. 


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330 


Wie bereit aus diefer kurzen Zufammenftellung erhellt, nehmen 
die Edlen von Hafeborn eine hohe Stellung unter dem Adel ein. 
Sie treten durch Verheirathung in Verbindung” mit fürftlichen Ge— 
Ichlechtern und befigen Neichsgut. Im Fahre 1195 erjcheint Friedrich 
von Hafeborn unmittelbar nach Herzog Bernhard von Sachſen und 
vor den Lehnsgrafen!. Friedrih von Hafeborn war Schultheif in 
der Grafichaft Aſchersleben; als judieii praefecetus fommt er 1174 
vor. AS die Markgrafen von Brandenburg ferner dem Erzbiſchof 
Yudolf von Magdeburg ihre Güter im ducatus transalbinus zu 
Yehn auftragen, erjcheint im Gericht Friedrih von Hafeborn wiederum 
an einer Stelle, daß man in ihm den Schultheißen vermuthen muß ?. 

Die freien Herren von Gneiz, Gneß, Gniez, Gnys (wie die 
bejjern Yesarten im Sadjjenfpiegel lauten) müſſen ihren Namen von 
dem Dorfe Gnieft bei Kemberg haben, wenn nicht vielmehr ein unter- 
gegangener Ort in der Saalgegend ihnen den Namen gegeben hat. 
Uns iſt dies Geſchlecht erft in der Zeit Eikos in Urkunden entgegen 
getreten. Und zwar finden wir die Freiheren von Guez grade mehr- 
fach zufammen mit Eifo felbft genannt. So erjcheinen 1207 Jo- 
hannes et Heinricus de Ginehz (Gniehz?) zwiſchen den Edlen 
Werner von Ampfurt und dem jchöffenbar freien Offo von Dröbel 
mit Eifo zugleich”. Ebenſo ijt 1215 Johannes de Gniz in Coswig 
mit Eifo zufammen; er jteht zwijchen den Edlen Ulrid) von Friede: 
burg und Werner von Sufelig?. In gleicher Weife ijt Henricus 
de Gnez zufammen mit Eifo Zeuge in der Urkunde des Grafen 
Heinrich von Anhalt für das Stift Simonis und Indä in Goslar?. 
Am 29. Januar 1222 erjcheint fodann Henricus de Gnets zu 
Leipzig bei einer richterlichen Verhandlung ®; er jteht auch hier un— 
mittelbar hinter Edelherren. 

Die Freiherren von Mücheln haben ihren Namen von der Stadt 
Miücheln unweit Merjeburg. Zwar giebt e8 aud) ein Dorf Mücheln bei 
Köthen und bei Wettin, allein da diefe Herren zuerjt im Urkunden der 
Biihöfe von Bamberg erjcheinen, fo kann e8 feinem Zweifel unterliegen, 
daß die dem Hochitift Bamberg gehörige Stadt dem Gejchlecht den Namen 
gab. Zuerſt treten in einer Urkunde des Biſchofs Engelbrecht für 
Klojter KölbigE von 1144 auf: Anno, Bucco, Isenhart, Adel- 
brecht de Muchil?. Der Biſchof erzählt, daß das Bisthum bei 
Mücheln in Sachſen eine waldbewachjene Fläche ohne Ertrag gehabt 
habe, welche e8 habe roden und urbar machen laſſen. Auf diejer 
Rodung fei das Dorf Adelbrehtisrod entitanden, offenbar benannt 
von einem Adelbrecht von Mücheln, und dies übereignet er dem neu= 


Zeitichrift des Harzvereins V, 430. 

Cod. dipl. Anh. I, 524. Magdeburger Geſchichtsblätter V, 252, 
Schultes, Dir. dipl. II, 465. Magdeburger Gejhichtsblätter VII, 236. 
Beckmann, Hiftorie von Anhalt I, 312, 

tens, Becmannus enucl. ©. 216 mit der faljchen Lesart Gratz. 
Cod. dipl. Saxoniae II, 1, 86. 

Cod. dipl. Anhalt. I, 228, 


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331 


gegründeten Prämonjtratenferflojter Kölbigf, das ebenfalls dem Bis— 
thum Bamberg zujtand. Aus der Umgebung diefes im Schwabengau 
gelegenen Kloſters wird auch wohl das Geſchlecht der Edlen von 
Mücheln entiprojjen geweſen fein und dort fein Handgemal gehabt 
haben. So fommt denn aud) 1162 Otto de Mochile in einer Ur— 
funde des Erzbiihof Wichmann von Magdeburg mitten unter Edlen 
aus den Anhaltiichen und Magdeburgiichen vor!. Gegen Ende des 
12. Jahrhunderts muß das Gefchlecht ziemlich zahlreich gewejen und 
theilweis ganz im der Nähe von Bamberg fich niedergelaſſen haben, 
So ſteht Heinrich von Muchele als letter unter den Freien in einer 
Urkunde B. Ottos II. von Bamberg für Klofter Yangheim ?. 1199 
ericheinen in einer Urkunde des B. Thimo von Bamberg, die aber 
in Magdeburg ausgeitellt iſt, Albertus et Anno fratres de Mou- 
chele, item Waltherus et frater ejus de Mouchele unter Edlen, 
zufegt fommt noch Friderieus de Mouchele?. Schon vorher finden 
wir 1197 Anno de Müchele unter den Schöffen zu Schfölen, 1190 
Albert von Muchele in einer Urkunde des Yandgrafen Hermann, 1196 
Albert und Annas von Mluchele unter Edlen in einer Urfunde des 
Grafen Dietrid” von Weißenfels. Aus dem 13. Jahrhundert no= 
tiren wir 1203 und 1204 Anno de Muchil, 1206 Albertus de 
Muhchele, 1208 Friedrich von Muchele, 1216 und 1218 Heinrich 
von Muchele (Domherr zu Meerjeburg), 1239 Heinrich von Muchele 
(Schwiegerfohn der Yucardis von Studnig aus dem Gefchlechte der 
Edlen Schenken von Saalek)?, alle in Thüringen und feinen Marken 
auftretend und in einer Stellung, welche jie als Freie erjcheinen läßt. 

Bon den Schöffen, welche die Vorrede ald Schwaben bezeichnet, 
haben de von Trebüle ihren Namen vom Dorfe Dröbel öſtlich von 
Bernburg. Rodolphus de Tribuli erjcheint unter den Schöffen 
zu Wörbzig 1156°. Offo de Tribul ift zufammen mit Eifo Schöffe 
zu Mettine in der Grafichaft Wettin?, 

De von Edelerestorp haben ihren Namen von Elsdorf nörd- 
(id) von Köthen. Udalrich de Edeleristorp fommt 1156 unter 
ihöffenbar freien Herren vor und ijt beim placitum in Wörbzig 
gegenwärtig’. Einen zu Gifos Zeit lebenden Herrn diefes Geſchlechts 
vermögen wir für jett nicht nachzuweijen. 

Es folgt die Reihe der Herren von Schneidlingen, genannt von 
dem nördlich” von Aichersleben gelegenen Orte. In diefem Dorfe 
jagen eine Anzahl freier nicht verwandter Gejchlechter. 1155 kommt 


ı Cod. dipl. Anhalt. I, 347. 

3 9. Reitgenftein, Regeften der Grafen von Orlamünde ©. 65. 

s Ibidem ©. 67. 

* Cod. dipl. Anhalt. I, 526. Wolf, Klofter Pforte I, 197. Scultes, 
Dir. dipl. II, 343. 379. 

5 Scultes, Dir. dipl. II, 419. Beyer, Aitzelle 524.531. Rein, Thur, 
sacra II, 122. Wolf, Klofter Pforte I, 309. II, 34. 

s Cod. dipl. Anhalt. I, 312. 

* Magdeburger Gejchichtsblätter VII, 237. 


332 


an der Spitze von Zeugen, die auf dem Yandgericht zu Aſchersleben 
find, zunächſt Rudolfus de Snetlingen vor, ein Mann, der aud 
ſonſt unter den Edlen ericheint. Außerdem aber finden fich dort noch 
unter den ſchöffenbar Freien: Ruothardus de Snetlingen,, Erpho 
de Snetlingen et ejus frater Wichelmus, Liuderus de Snet- 
lingen, Widekinus de Snetlingen et alii eorum consimiles !. 
1174 ericheint ebendort Heinriecus de Snetlinge unter den Edeln, 
Wedekinus de Snetlinge und Fridericus de Snetlinge unter den 
Schöffen?. 1223 fteht an der Spite der Zeugen auf dem Yandge- 
richt Albertus prefectus et Conradus frater suus, wahrſcheinlich 
Herren von Schneidlingen, und zwar der erjtere als Schultheig ; nachher 
fommt noch Henricus et filius suus de Snetlingen unter den 
Schöffen? Rudolf von Schneidlingen darf 1155 wohl mit Beitimmt- 
heit als Schultheiß im Grafengeriht zu Ajchersleben angeiprochen 
werden. Während dann nad) ihm Friedrich von Hafeborn als Schult= 
hei fungirt, ſcheint Albreht von Schneidlingen, der zugleich Voigt 
von Spandau war, wieder die Schultheißen-Wiürde gehabt zu Haben. 

Es wird dann Serapen kind von Jersleve genannt. Das 
Seichleht trägt ſeinen Namen von Giersleben an der Wipper im 
Schwabengau. Thidericus de Jersleve et frater ejus Arnoldus 
ericheinen 1174 unter den Schöffen im Pandgericht zu Afchersleben *. 

Anne von Jreckestorp ſcheint jeinen Namen nicht von 
einem Orte des Schwabenganes zu führen, fondern von dem Orte 
Jerdingsdorp, einjt Ardidiaconatsfig, jett Vorwerk bei Wormsdorf 
im Nordthüringau. edenfalls it die Heimath diefes Geſchlechts 
der Schwabengau. Borchardus de Irinestorp ijt 1174 auf dem 
Yandtage zu Ajchersleben unter den Schöffen, Anno de Irincegstorf 
1223 ebenfo. 

Herman von Meringe trägt feinen Namen von dem Dorfe 
Mehringen jüdöftlih von Ajchersieben an der Wipper. Urkundlich 
vermögen wir dies Geſchlecht nicht cher nachweiſen als 1269, wo 
Henricus de Meringe in einer ungedrudten Urfunde des Marien- 
flofter8 zu Ajchersleben vorfommt. 

Die von Winningen tragen ihren Namen von einem noch 
bejtehenden Orte im Schwabengau. Auch hier jagen mehrere jchöffen- 
bar freie Gejchlechter neben einander. 1155 werden uns aufgezählt: 
Elvericus et Gevehardus et alii scephenen de Winnengen. 
1174 erjcheint bei dem Yandgericht in Ajchersleben Albertus de 
Winninge. 

Die von Seedorf haben ihren Namen von einem eingegange- 
nen Dorfe, welches am Ajcherslebener See lag. In der Urkunde 
von 1155 erjcheint Benno de Sethorp et alii ipsius consimiles 


Cod. dipl. Anhalt. I, 303. 
Ibidem 404, 

Bedmann 1. 1. I, 177. 
Cod. dipl. Anhalt. I, 404. 


— # Bu U Zu 


333 


1174 ift Conradus de Sedhorp und 1233 Teodericus de Sedorp 
auf dem placitum in Aſchersleben. Noch 1268 führen die Grafen 
Dtto und Heinrich von Anhalt unter ihren Schöffen Arnoldus de 
Sedorp auf". 

Homeyer hat in feiner Abhandlung „Ueber die Heimath nach 
altdeutjchem Recht“ nachgewiefen, daß die Heimath eines Gejchlechts 
von der Yage des Handgemald abhängt, d. h. dem freien mit einem 
wehrhaften Wohnfige verjehenen Grundſtück eines Vollfreien, dem 
praedium libertatis, welches als Haupt- und Stammgut der Fa— 
milie galt. Und zwar beſtimmt ſich danach nicht blos die Stammes— 
angehörigkeit für den Beſitzer ſelbſt, ſondern auch für einen gewiſſen 
Kreis ſeiner Angehörigen, namentlich für die nicht zum Beſitz gelan— 
genden jüngern Söhne?. Da nun nach der Stammesangehörigkeit 
das Necht des Einzelnen fich beſtimmte, fo mußte c8 für die praktische 
Rechtskunde fehr wichtig fein, zu wiſſen, welches Recht für den Ein- 
zelnen anzuwenden war. Schon um defwillen muß ſich für den 
Sadjenfpiegel jehr bald die Nothwendigfeit fühlbar gemacht haben, 
eine Zufammenftellung der Gejchlechter zu Haben, auf welde das 
Sadjfenredyt nicht oder nicht ganz Anwendung fand. Aber zugleic) 
erhellt daraus, wie die Zufammenftellung der Sippen, welche ein 
Handgemal hatten, ſich von ſelbſt ergab. 


4. Die Sprade in der Heimat) Eikos. 


Bekanntlich ift e8 noch eine Streitfrage, in welcher Mundart 
der Sachſenſpiegel urfprünglich abgefaßt ift. Die nachfolgende Unter— 
juhung will die Frage nicht entjcheiden, aber doc) einen Beitrag zu 
deren Löſung bringen. 

Der Schauplag der Thätigfeit Eikos wird von der Sprachgrenze 
zwifchen Mittel- und Niederdeutich durchichnitten. Die Grenze felbft 
ijt in der Litteratur indeß jo wenig feſt geitellt, daß es ich Lohnt, 
zunächit der Frage näher zu treten, welches heut die Sprachicheide 
zwijchen den beiden Mundarten ſei. Schaumann behauptet, daß man 
in den Gegenden vom Harz nad) der Elbe zu feinen der beiden Dia- 
lecte vein reden höre. Er nimmt den Breitengrad von Eisleben 
als Scheide an, nördlich deifelben fei ein Hinneigen zum Niederſäch⸗ 
ſiſchen, ſüdlich hingegen zum Hochdeutſchen?. Bernhardi in feiner 
verdienftlihen Sprachkarte von Deutſchland“ (S. 109) nennt als 
die nördlichiten Hochdeutfchen Drte Meisdorf, Harferode, Sanders- 
leben, Güften, Staßfurt, Calbe a. d. Saale und Barby an der 


I Ungedrudte Urkunde des Marienklofters zu Aſchersleben. 
— 2 Bol. Schulze, Das Erb- und Familienrecht der deutſchen — 
. 24, 
s Schaumann, Geſchichte des Niederſächſiſchen Volles S. 531. 


J 


334 


Elbe, Niederdeutfch find dagegen, wie er fortfährt, Benefenjtein, 
Blankenburg, Neinftedt ſammt allen an der Bode liegenden Ort— 
ſchaften bis Egeln einjchlieglih, Gernrode, Ermsleben, Cochſtedt, 
Salze. Er fügt indeß vorſichtig hinzu: „Bevor eine hiſtoriſche Er— 
läuterung verſucht werden kann, muß dieſe Grenze erſt auf einer 
Specialkarte ergänzt und berichtigt werden“. Dies iſt in der That 
ſehr nöthig, da die Notizen vielfach falſch ſind. 

Es kommt uns hier nur darauf an, den öſtlichen Grenzzug feſt— 
zuſtellen, und wir fangen da an, wo die Sprachſcheide auf die Bode 
ſtößt: es iſt dies bei Staßfurt. Während Heklingen und die jetzt 
zu einer Stadt verſchmolzenen Orte Stadt Staßfurt (ſüdlich der Bode) 
und Alt-Staßfurt (nördlich der Bode) noch niederdeutſche Mundart 
haben, ſprechen Neuendorf und Hohen Erxleben bereits mitteldeutſch. 
Zwiſchen dieſem letzteren Orte und Staßfurt überſchreitet die Sprach— 
grenze die Bode und überweiſt die an der Bode liegende Orte Löobnitz, 
Hohendorf und München-Nienburg der mitteldeutihen Mundart, wäh— 
rend die nördlid) davon gelegenen Dörfer Förderſtedt, Uelnitz und 
Brumby platt reden. Indem jo die Sprachſcheide nördlich von Nien— 
burg auf die Saale ftöht, wird diefer Fluß von da an bis zu feiner 
Mündung die Grenze beider Mundarten. Wedlitz, Wispitz, Schwars, 
Trabitz, beide Rofenburg find mitteldeutfch, die auf dem linfen Saal— 
ufer liegenden Orte niederdeutfh. Allerdings find in Barby nad) 
den mir gewordenen Mittheilungen feine oder ganz geringe Reſte von 
niederdeutjcher Yautjtufe mehr vorhanden, allein die Sprache iſt nicht 
mitteldeutich, fondern ein unvollfommenes Schriftdeutich, und die 
Klangfarbe der Sprache ift ausgeprägt plattdeutjch. Ebenſo find in 
der Stadt Calbe nur wenig Reſte von der niederdeutfhen Mundart 
vorhanden, aber die hart anftopenden Dorfgemeinden Schloßvorſtadt 
und Bernburger VBorjtadt haben eine fo ausgeprägt niederdeutiche Volks— 
jpradje, daß man fie von den benachbarten Dörfern weſtlich davon 
nicht unterſcheiden kann. Da nun Städte für die Bejtimmung der 
Volksmundarten nicht entjcheidend find, fo muß man die Saale bis 
zu ihrem Ausflug als Spracdgrenze annehmen. 

Bon der Miindung der Saale bildet die Elbe nad) Often zu die 
Sprachſcheide bis zur anhaltiichen Grenze bei Griebo. Hier verläßt 
fie die Elbe, und in einem Bogen geht fie die Landesgrenze hinauf, 
indem fie Apollensdorf, Wittenberg, Dobin, Nudersdorf, Euper und 
Zahna dem mitteldeutichen Sprachgebiet zuweiſt!. 

Mas den Unterfchied zwifchen Nieder- und Mitteldeutich aus— 
macht, ift ja in erfter Linie und hauptfächlich die Differenz der Yaut- 
ſtufe; und hierbei muß conftatirt werden, daß ins Niederdeutfche wohl 
einzelne Wörter in Hochdeutfcher Form eingedrungen find, daß ſich 
aber im mitteldeutichen Sprachgebiet jet faum ein Wort findet, 
welches die niederdeutjche Lautſtufe vepräjentirt. — Für den, welcher 


! Stier, Die Abgrenzung der Mundarten im ſächſiſchen Kurkreife. Pro- 
gramm des Wittenberger Gymnafiums von 1862. _ 


335 


ein geübtes Ohr für die Verjchiedenheiten der Mundarten hat, giebt 
e8 aber noch ein zweites Merkmal, worin er niederdeutjches und 
mitteldentsches Idiom mit ziemlicher Sicherheit unterfcheidet, nämlich 
die Klangfarbe der Sprade. Während das Niederdeutiche tonlos ift, 
eine gewifje Härte verräth, und das Magdeburger Platt in dem Rufe 
steht, vecht grob zu fein, jo hat das Mlitteldeutiche einen weicheren 
Ton und ift in der Ausſprache gefärbt. Diefer Unterfchied tritt jeden, 
der über die Bode ind Anhaltiihe kommt, entgegen, und die Stammes— 
unterfchiede zwifchen Nordthüringern und Schwaben machen fich hier, 
wie in manden andern Dingen, jo auch beſonders in der Sprache 
geltend, 

Eine andere Frage ift e8 nun, ob zu allen Zeiten die oben be— 
jchriebene Sprachgrenze als Scheide zwiſchen Platt- und Mitteldeutjch 
galt? Es ift dies von zwei Seiten im ganz entgegengejetter Weife 
verneint worden. Stobbe (R. Q. I, 314) behauptet, daß in der 
Nähe von Magdeburg das Oberfächliiche im Meittelalter vorgeherricht 
habe, wie die Magdeburger Rechtsquellen zeigten (?). Homeyer da= 
gegen behauptet, daß im 13. Jahrhundert alle Gebiete, denen irgend 
die Herkunft oder die Thäthigkeit Eikos beigemefjen werden mag, der 
niederſächſiſchen Sprache angehörten. _ Dies gelte nicht nur für das 
jest wie damals plattdeutiche Nordthüringen, fondern auch für den 
ganzen das Anhaltiiche einjchliegenden, jett theilweife hochdeutichen 
Landſtrich zwifchen Wittenberg, Halle und Quedlinburg !. 

Wir müſſen geftehen, daß die Anficht Stobbes jedes Anhaltes 
entbehrt. Mehr Grund hat die Aufitellung Homeyers für fih. Die 
Beweife, welche Homeyer anführt, können und müffen wir noch um 
eine Anzahl vermehren. 

Beginnen wir bei Aſchersleben, einer Stadt, die heut wohl auf 
der Scheide beider Mumdarten Liegt. 

Hier haben wir im Mittelalter das entfchiedenfte Vorherrichen 
des Platten. Als der Kath von Ajchersleben um 1440 die Klage: 
punfte aufſetzt, welche er gegen die Grafen von Schwarzburg und 
Stolberg vorbringt, thut er dies niederdeutich: Dit is unse schel 
unde ghebreken, so we.borgermeister unde radmanne der 
stad Aschersleven hebben unde meynen to hebben van der 
genanten unser stad jegen unde wedder disse nagheschreven 
heren, so hir na volgende is?. Die Urfunden des dortigen Non— 
nenflofters find im 13. Jahrhundert alle lateiniſch abgefaßt; wir 
fönnen daraus mur folgende Namensformen notiren: Wedestorp, 
Reinstede, Sedorp, Akkenborch, Ninstide, Ekenthorp, gogreve, 
Arnesten, Warmestorp°. 

Südlich von der Bode, alſo im jegigen mitteldeutfchen Sprach— 
gebiet, liegt an der Wipper Kölbick, ein früheres Prämonjtratenfer= 


ı Homeyer, Sachſenſpiegel I, 3. Ausgabe, S. 15. 
2 Urkundenbuch der Stadt Quedlinburg, ed. Sanide I, 351. 
* Urkunden des Klofters im Staats-Arhiv zu Magdeburg. 


336 


kloſter. Schon der Name Kolbecke fcheint die plattdeutjche Wortform 
beke fir Bad) in fich zu fchliefen. Doc) fünnte e8 auch aus einem 
Havischen Kolbig germanifirt fein. Won diefem Klofter liegen uns 
num eine Anzahl Urkunden aus dem 14. und 15. Jahrhundert vor, 
welche in der ältern Zeit vorwiegend plattdeutſch abgefaßt find. So 
1354: Vredehelm, Otto brodere und riddere heren zu Plozke 
bekennen, dat wy vorkoft hebben! (dem Kloſter) 1 werder 
holtes ... Wer ock, dat de vorbenomede werdere grotere 
worde van waters wegen, also sullen se on hebben. 1355: 
Hennung und Hinrick brodere, beseten in dem dorpe Ilver- 
stede, bekennen, dat wy vorkoft hebben drei verndel landes 
up dem felde Colbeck dem gotshuse tho Colbeck. 1357: 
dat se (die Mönche) holden schollen alle weken twe missen 
in sunte Nicolawes capellen in ohreme kloster; dan wille wy 
vor geven eine marcke geldes zu Rapmestorpff uppe Smal- 
tes gude, ader tein marck Brand. sulver tho betalende up 
winachten, de nu thokomende sint. Dagegen jtellt Fürſt Bern- 
hard zu Anhalt 1393 zu Güften eine Urfunde mitteldeuticd aus, ohne 
daß aud nur ein Anklang von plattdeutichen Formen darin wäre, 
Ebenſo 1394 Chone van Alenburch (Altenburg, Nienburg gegen= 
über): das ick verkouft habe, 2 mark jerliker gulde vogetgel- 
des uf 2 hubyn uf dem velde zu Plotzkow. Disse hoven 
haben in bruchk. Hans Klocke gift van 1 hofen ete. Sn der 
Folgezeit find bis 1450 hin die Urkunden meift noch überwiegend 
‚platt, ſodann aber werden fie fajt ausſchließlich mittelhochdeutich, be= 
ſonders auch die vom Convent felbjt ausgegangenen Schriftjtüce !. 

Bon ganz befonderem Intereſſe find Spracdproben aus Afen 
wegen der Nähe von Reppichau. Glücklicher Weije find wir nun in 
der Yage aus einem jekt im Magdeburger Archiv befindlichen Aken— 
ichen Stadtbuche noch aus der Zeit des 13. Jahrhunderts Proben 
geben zu können. 

Actum est Anno incarnationis domini M. cc. Lx.VI sub 
prefecto Vr.. 

Hence vor * dore gaf Hermanne van Kotene ein let 
imme kophuse. 

Tiderie die suarte unde sin wif gaven Bussen up dem 
markete ein erve, dat Sivekens des kremeres was. 

Tamme die klocgetere und sine kindere gaven Jane und 
Greten sime wive und irme kinde ir erve, swelk ir lenger 
levede, dat die behalde. 

Hinrie van Parleve und Conrat und Bernart gaven He- 
neken Schelen und Aleyde sime wibe die rosmolen und dat 


* Kopialbud; von Kölbigk im Archiv zu Cöthen aus den 16. Sahrhundert, 
das leider ſehr incorrect ift. 

2 Auf das Stadtbuc hat ſchon Homeyer, Situngsbericht der Berliner 
Akademie (philoſophiſch-hiſt. Elaffe) vom 29. October 1866 bingewiejen. 


337 


erve, swelk ir lenger leve, dat it des si; und her Hinrik gaf 
sin deil des silberes Conen und Bernarde; swelk ir lenger 
lebe, dat des si. 

Hwilleken van Stitoiz und sin wif gaven Gereken dem 
kolnere ein leit in dem kophuse. 

Beatre Bertoldes wif des roden gaf ir radeleve und al 
ir kleder tu dem godeshusen und to voren eine halve mare 
tu unser Vrowen, und einen ferdine dem perrere; und swat 
des anderen is, dat sal man delen gelike tu den kirken 
und tu de[m] spetale, dat untfine Jordan. 

Reineke des vogedes svager gaf Greten sime wive, dat 
he hadde an dem erbe, dat des vogedes [was]. 

Albrecht van Lucie gaf Gereken dem kolnere ein leit in 
dem kophuse. 

Lucia und Aleid gaven Johannes dem smede tvei erve, 
die hern Mer | tines waren. Die selve Jan sal | aleyde vif 
mark geven und sal | sie halden tu iren jaren. Die sel | 
ve Johan gaf Lucien sime wive an dem erven und an sime 
bereden | gude tuelf mark; swelk ir lenger lebe, dat dessi'. 

Ryde Tene vorteich des erves, dat sines vaters was. 

Jan die bedere gaf Henninge Korn[ijken eine word bi 
Andreas. 

Johan die bedere gaf sime wibe Gerderude und Johan- 
nen und Aleyden sinen kynderen sin erve und al sin gut]; 
swelk ir lenger leve, dat des si, und sie solen sine seult 
gelden na sime dode. 

Rubeken de wantsnidere gaf Soffien sime wive xL 
mark an sime redesten gude; swelk ir lenger leve, dat des si. 

[H]encen wif des langen und Herman gaven Greten dat 
erve, dat Meinekens des smedes was. 

[Hleideke die timberman gaf Ditmare dem kremere und 
sime wive dat erve bi Segeboden; svelk ir lenger leve, dat 
des si. 

Ditmar der kremere und sin wif gaven Conen (?) Woste- 
huven und Johannen sime wive ein erve; svelk u. f. w. 

‚Arnolt Tegelere und sin wif gaven Godeken dem tol- 
nere (und sime wive) dat erve, dat hern Heinen van Stie- 
boie was. 

In Wittenberg fehen wir im 14. Jahrhundert niederdeutjche 
und wmitteldeutiche Mundart mit einander ringen. Kine Urkunde des 
jüngern Rudolf von 1354 ii überwiegend niederdeutih : Wyr herezoge 
tuo Zassen bethugen oppenbar in disme oppene brife, dat wy 
hebben vorkoft ledich unde vrie gegheven unser stad tuo Wit- 
tenberg den overghen lettins, den wy hadden boven achte 


ı Es ift der Rand etwas verlegt; ich Habe daher das Ende der Zeilen mit 
Strichen bezeichnet, wie ich anderwärts die Ergänzungen in Klammern ge: 
Ichloffen habe. 


338 


mark, dy de stat vore het. Eine andere Urkunde aus der Zeit 
nad) 1356 ift fait ausſchließlich mittelhochdeutih: ezuo, daz, vor- 
buozzen, breche, gewantmecher. _ Ein gleiches Ringen beider 
Mundarten finden wir in dem Stadtbudhe: 1377 Claws Prambalg 
und Margrite syne eliche husfrawe synt gekomen vor geheite 
bank und habin gegebin Hanse Mughin al yre gudir, dy sy 
habin nach yrem tode, uszgenomen ezen Bemische schog, det 
(wohl der?) sy bede macht solen habin thu vorgebin wenne 
und weme sy wollin. 1385: Boldeke Becker unde Gese sin 
swester hewin vorlatin tu orre stiffmudir hant gesin — di 
Boldeke Beckirs husfrouwe ist gewesin, alle dat on ange- 
storfen ist van oren vadere!. Sn fpäterer Zeit, bejonders jeit 
dem Ausjterben der Herzöge aus dem Ballenjtedter Haufe tritt hier 
das Mittelhochdeutiche in den Urkunden ausſchließlich auf. 

Während nun alle die genannten Orte nahe dem Rande des 
heutigen plattdeutichen Gebietes liegen, ftehen zwei Städte mit ihren 
niederdeutichen Schriftſtücken ganz ifolirt da: Gönnern und Halle. 

Aus Cönnern iſt uns das Bruchſtück eines Stadtbuches über 
die Jahre 1434 bis 1438 erhalten, und dies bietet uns ein fo reines 
Plattdeutfh, daß es mitten im niederfächfiichen Sprachgebiet nicht 
correcter hätte abgefaßt werden fünnen. Wir geben nur eine furze 
Spracdyprobe: To orkunde hebbe we vorgeschreven radmann 
dat laten schrifen in unser statbok anno domini 1434, unde 
ok dat de upgenante Meyne mit alle den synen geloved het 
unde gesworn, dat land unde dat gerichte to Alsleve unde 
Conre to mydene up 2 mile w eges na°. 

In gleicher Weiſe finden wir in Halle die älteſte Stadtordnung 
niederdeutſch. Dieſelbe wird von Förſtemann in den Anfang des 14. 
Jahrhunderts geſetzt? Um auch von dieſem reinen Plattdeutſch eine 
Probe zu geben, ſetzen wir folgende Stelle her: Ok willekore wie 
durch vrede und eindracht unser stad, uppe dat, dat iemant 
dorve spreken oder denken, dat die goddis gave und die 
geniet, die von den bornen velt, in der bornemeistere oder 
iemandes sunderliken vromen kome, sunder in der stat vro- 
men gemeyne, so scal mant umme die bornemeister ammecht 
ewichlicken also halden. Dabei mag erwähnt werden, daß mur 
dieſes Stadtreht von Halle plattdeutich iſt, alle andern find mittel= 
hochdeutſch. Dagegen find die ältejten Stadtbücher ebenfall® nieder- 
deutih. Von 1266 bis 1400 überwiegt darin das niederdeutjche 
Element jo, daß die mitteldentichen Formen kaum in Betracht kommen ; 
von 1400 an indeß überwiegt das mittelhochdeutiche Clement ent= 
ichieden, und die niederdeutichen Formen bilden die Ausnahme. Wir 
geben daraus folgende Proben: 


ı Stier, Die Abgrenzung der Mundarten im Kurfreife S. 19. 20. 

3 u a8 Brudjftüd ift herausgegeben von Förftemann, Nene Mittheilungen 
I, 4, 
eat, 2, 62 fi. 


BE 


339 


In deme jare von goddes gebort over dusent jar und 
twei hundert jar und ses unde sestich jar bi des byscop Ro- 
prechtes tiden unde bi des borchgreven tiden heren Borchardes 
und bi des jungen scultheten tiden hern Janes von Halle, do 
worden unse herren de scepenen von Halle des tu rade mit 
der borger wilkore, dat se bescriven leten alle de gave, de 
vor gerichte und vor den scepenen gegeven worde, der stat 
gemene, armen und dem riken tu eren und tu vromen und 
tu nut. 

(1265): Har Everhart und har Frederie von sente Mau- 
ricies quamen on geheget dhing, unde de marc geldes, dhe 
dat goddes hus von sante Maurieius hadde an dheme hove 
haren Kapardes kindern, leten sie wedher op denselven kin- 
‘ deren haren Kapehardes von dhes goddes wegene. 

(Um 1318): Hans Molle elagete over Prierowen, dat he 
sete up sines vader und sines vedderen erve: dar antwerde 
Prierowe also tu, hi sete von der junevrowen weghene up 
deme erve!. 

Nach dem Allem fcheint es unzweifelhaft zu fein, daß Homeyer 
mit feiner Annahme der Verbreitung der plattdeutichen Mundart bis 
tief in das jeßige mitteldeutiche Gebiet hinein völlig Recht hat. Man 
müßte demnach ein jehr bedeutendes Zurückweichen des Plattdeutjchen 
jeit dem Ausgange des Mittelalters annehmen. 

Nun ift e8 in der That eine unbejtreitbare Erſcheinung, daß in 
unferer Zeit die niederdeutſche Mundart an Terrain verliert. Es ift 
nachgewiefen, daß ſüdlich von Jüterbog die niederdeutjchen Wortformen 
früher ftärfer vertreten waren als jeßt, und daß dort am ande des 
plattdentichen Sprachgebiets die Mundart mit mitteldeutjchen Elementen 
fid) ftark durchjeßt zeigt ?. Ebenfo ift in der Gegend von Wittenberg 
ein Vorrücken des Mitteldeutichen auf Koften des Plattdeutichen nach— 
gewiejen, welches noch in das Bewußtſein der heutigen Generation 
fältt?. In gleicher Weiſe nehme ich eine Zurückdrängung des Platten 
für die nördlich der Bode gelegenen Orte Löbnitz, Hohndorf und 
Nienburg an. Aber in allen diefen Fällen Handelt es ſich nur um 
den Verluft eines Grenzitriches von höchitens einer Meile Ausdeh- 
nung. Berner find hier nachweisbare Gründe vorhanden, welche diefe 
Unmandlung herbei führten. Um auf das lette Gebiet einzugehen, 
jo it bei Nienburg als einer Stadt und bei der jahrhundertlangen 
politischen Berbindung mit dem vorwiegend mittelhochdeutichen Anhalt 
das Verschwinden des Platten jehr erflärlich. Hohndorf ift mit dem 
jüdlih der Bode gelegenen (alſo urſprünglich mittelhochdeutfchen) 
Gattersleben zu einem Dorf verwachjen; es hat überdies in neuer 

I Dreyhaupt, Eaalfreis II, 478. 480. Die Schöffenbücher find jetst auf 
ber Univerfitäts - Bibliothek zu Hal, eins in Wernigerode. Sind die Proben 
bei Dreyhaupt wohl ganz correct? 

2 Winter, Die Sprachgrenze zwifchen Platt» und Mitteldeutich im Süden 


von Süterbog, in Neue en des Thür. Sächſ. Vereins IX, 2, S.1 ff. 
8 Stier a. a. O. S. 


340 


Zeit aus dem mitteldeutichen Gebiet eine große Menge Berg: und 
Vabrifarbeiter erhalten, und jo ijt auch hier die Umwandlung fehr 
erflärlih. Löbnitz endlich) bildet mit dem genannten Orte ein Kirch— 
ſpiel. Endlich wiljen wir ja, daß im leßten halben Yahrhundert die 
Schule, die verallgemeinerte hochdeutſche Spradbildung, die focialen 
Berhältniffe der Conſervirung des Plattdeutichen nicht günftig geweſen 
find: aber was hat jchon im Mittelalter, was in dem Jahrhunderten 
nad) der Reformation eine ſolche Unwandlung der Volksſprache be= 
wirft, daß weite Landſtriche dem Plattdeutichen verloren gingen? 
Bei der Zähigfeit, mit welcher unfer Volk, befonders die Yandbevöl- 
ferung, an feinen Sitten hängt, und in früheren Jahrhunderten viel 
mehr hing, ift e8 undenkbar, daß es im vergangenen Zeiten, in 
denen die Volfsdialefte ja noch eine größere Gleichberechtigung hatten 
als jetst, feine miederdeutihe Mundart in einem Gebiet von vielen 
Duadrat-Meilen follte aufgegeben haben. 

Wir glauben nicht, daß jene urfundlichen Beweije darthun, daf 
das Niederdeutfche als Volksſprache bis Halle Hin geherricht hat. 
Wenn in dem Klojter Kölbigk die älteften Urkunden vorwiegend nie— 
derdeutſch abgefaßt find, jo it zu bedenken, daß die Abfaſſung faft 
alfer Urkunden von Mitgliedern eines Konventes erfolgte, der aus ver— 
Schiedenen Gegenden, und nicht am jchwächiten aus den Gegenden des 
Halberftädter und Magdeburger Landes ſich ergänzte. Die Klöſter 
der Magdeburger Prämonjtratenfer Kongregation lagen überdies alle 
bis auf drei (Klofterrode, Ilfeld und Mildenfurt) im oder dicht am 
niederdeutjchen Sprachgebiet, und bei jtattfindenden Verſetzungen mußte 
nothtvendig das miederdeutjche Clement die überwiegende Mehrheit 
bilden. Wenn man dazu nimmt, daß das Haupt der Congregation 
das Klofter U. 2. Frauen in Magdeburg war, fo wird man in der 
That die niederdeutfchen Urkunden des Klofters Kölbigk nicht für einen 
Beweis anfehen fönnen, daß die platte Volksſprache weiter nad) Eüden 
über die Bode und Wipper Hinausreichte als jett. Ueberdies find 
ſämmtliche plattdeutfche Urkunden mit mitteldeutichen Formen durd)= 
flochten, und darf vielleicht gerade darin ein umwillführlicher Einfluß 
der das Kloſter umgebenden mitteldeutichen Volksſprache erblickt 
werden. 

Wenn nun in dem altgermanifchen Lande weſtlich der Elbe und 
Saale feit den allerfrühjten Jahrhunderten unferer geichichtlichen 
Kunde eine jtabil bleibende Sprachgrenze wird angenommen werden 
müffen, und zwar im Ganzen diejelbe, die noch heut bejteht, Yo Liegt 
die Sache in den Gebieten der deutjchen Golonifation öftlich der 
Saale anders. 

Zwar haben auch Hier die deutichen Volksſtämme im Ganzen 
parallel fi) nach Oſten vorgejchoben, aber nicht in einer mathematijc) 
geraden Yinie und nicht ohne vielfache Durchbrechung ihres gegenfeitigen 
Coloniſations-Gebiets. Den Sachſen it fait ausichlieflich das Yand 
nördlich der Elhe bis zur Oſtſee Hin al8 Colonijations= Gebiet zuge— 
fallen, während das Mansfelder Land und Thüringen den Ueberſchuß 


341 


feiner Bevölkerung in da8 Gebiet warf, das in weiten Bogen von 
der Elbe umfpannt und durch die Saale begrenzt wird. Volksart, 
die Mundart, befonders aud) die Sprachfärbung, vielfach die Tradıt, 
der Urfprung der meijten adelichen Gefchlechter, welche wir im Mittel- 
alter hier angeſeſſen finden, alles deutet auf eine Herkunft der Bevöl— 
ferung aus mitteldeutfchen Sprachgebiet hin. Daneben aber find auch 
beftimmte Nachrichten von niederdeutfchen Anfiedlungen vorhanden, 
und e8 muß im dreizehnten Jahrhundert in diefem fonft mitteldeut- 
ſchen Gebiet niederdeutfche Sprachinſeln gegeben Haben. So find nad) 
urfundlichen Nachrichten an der untern Mulde um Dejfau im zwölften 
Jahrhundert Anfiedler nad) flämiſchem echte angeſetzt worden, 
aller Wahrjcheinlichfeit nad) darum aud) Niederländer mit nieder- 
deutfcher Mundart. Noch jett ijt in der Sprache um Deffau eine 
gewiſſe Breite fenntlich, deren Urfprung wohl auf niederländifche Co— 
lonifation zurüdzuführen fein dürfte. Ein Orts- und Volkskundiger 
berichtet mir aus Woderode, daß dort eine breitere Sprache herrjche 
als in Reppichau. Die Bevölkerung hat ein ruhiges, phlegmatifches 
Weſen und dabei eine ungemeine Ausdauer und Zähigfeit in der Ar— 
beitsfraft. Von niederdeutſcher Lautftufe jollen dort feine Reſte mehr 
zu finden fein. Unterfcheidende Worte: gaensch, Reppichau: ganse- 
rich; lüke, Reppichau: lauke; kraut, Reppichau: kohl. 

Ebenſo halten wir Afen für eine niederländifche Colonie, welche 
den Namen der Stadt Aden hierher an die Elbe verpflanzt hat. 
Aken kann erft gegen Ende des zwölften Jahrhunderts entjtanden 
fein, und zwar aller Wahrfcheinlichkeit nad) auf gerodetem Wald- 
boden. Jetzt jedoch Herricht dort ebenjo wie in dem benachbarten 
Reppichau (Repke, Ripke, im Volksmunde) ausgeprägtes Mittel» 
deutfch, das fich in beiden Orten von einander nicht unterfcheiden ſoll 
ſowohl in der Lautjtufe wie in der Tonfärbung. Als Eigenthüm— 
lichfeit heben wir hervor, daß das r meiſt fcharf ſchnarrend gefprochen 
wird, und daß in gefchloffenen Silben e zu a wird, 3. B. Zarbst 
(Zerbft). Als Sprachprobe geben wir folgende Wörter aus Neppi- 
hau: röchen (rauchen), brauchen, zön (Zehe), löfen (laufen), 
allehöfe (allzuhaufe, allefammt), fellen (Fohlen), waon (Wagen), 
klie (Klee), enkein (entgegen), hennig (ja nicht), wecke meine 
er ” (güfte Vieh), aege (Egge), stöwe (Stube), stewel 

tiefel) ?, 

In gleicher Weife könnte man geneigt fein, bie urfprüngliche 
Bevölferung von Halle und Cönnern als niederfächfifche Colonien an— 
zufehen. Dieje Annahme würde ja dadurch einige Wahrfcheinlichkeit 
für fi) haben, daß beide Drte von früh an zum Erzftift Magdeburg 
gehörten. Allein felbjt angenommen, e8 jei dies jo gewefen, daß der 


1 9, Heinemann, Albrecht der Bär S. 219. 260. 

2 Als Euriofum berichten wir, daß da8 Dorf, welches durch den Ber- 
fafier des Sachſenſpiegels weithin Berühmtheit erlangt Hat, im der Umgegend 
als „dumm Mepte” verjpottet wird, 


XIV. 23 


342 


erfte deutfche Stamm, welcher das ſtädtiſche Gemeinwejen deutjch ein- 
richtete, niederſächſiſchen Urjprungs geweſen jei, jo iſt e8 doch durch— 
aus nicht denkbar, dag unmittelbar an der Grenze des mitteldeutichen 
altgermanifchen Yandes und in mitteldeutfcher Umgebung das Nieder- 
deutfche die herrichende Volksſprache ſollte geblieben fein, bejonders in 

alle, da8 an den Hauptitraßen lag, welche durch mitteldeutiches 

prachgebiet führten. Cs fommt dazu, daß, abgejehen von der ältejten 
Stadtordnung, alle andern ohne Ausnahme mittelhochdeutſch abge= 
faßt find !, 

Es giebt indeß noch eine andere Möglichkeit für die Erflärung 
der niederdeutjchen Abfajjung der Stadtbüchher zu Halle und Gönnern: 
das Niederdeutiche war, nachdem das Yatein feine Alleinherrichaft ver— 
foren hatte, im dreizehnten und theilweis im vierzehnten und fünf— 
zehnten Jahrhundert die amtliche Sprade für die Rechtspflege im 
Gebiete des ſächſiſchen Rechts, ganz befonder8 aber im Bereich des 
Erzitifts Magdeburg, ebenfo wie das Mittelhochdeutiche im dreizehnten 
Jahrhundert die Sprache der Poeſie war. Bon Magdeburg holten 
die Städte ihre Enticheidungen, und die Magdeburger Schöffenur- 
theile wurden niederdeutich gegeben. Aus Magdeburg, der Mutter- 
ftadt für das ſächſiſche Recht der neugegründeten Städte, mag aud) 
mancher rechtskundige Mann in die jungen Städte geholt worden 
fein, um dort die Schöffenbücher zu führen, und wie von jelbjt war 
damit der Gebraud des Niederdeutichen als amtliche Rechtsſprache ge— 
geben. 

Wir find denn aud in der Lage, nachzumeifen, daß bereitS im 
dreizehnten Yahrhundert in der Landichaft zwiichen Halle und der 
Fuhne das Mitteldeutiche als Volksſprache galt. Das Chronicon 
Montis sereni braucht zwar durchweg die Form dorp, indeß dieſe 
Form geht ziemlich) weit nad) Süden hinauf und ift fein Beweis für 
die niederdeutſche Volksſprache, während allerdings die Form dorf 
dem Plattdeutichen unſeres Wiſſens völlig fremd if. Dagegen ge= 
braucht das Chronicon niemals die Form borch, fondern immer 
burg, bure, burch. Wir nemmen ferner die Orte Richenbach, 
Salzemunde, Valkinstein, endlich die Form heimece für Himten ?. 
Ferner in der über die Gerichtsverhandlung zu Mettine von Friedrich) 
von Kroſigk ausgejtellten Urkunde von 1209 fommen die Ortsnamen 
Brunistorf, Winitorf, Prozzindorf vor?. In einer Urkunde von 
1181, welche bei einer Provinzialiynode auf dem Petersberg ausge— 


1 Hertberg (in dv. Hagen, Die Stadt Halle I, 10) jchreibt: „Was die 
deutſche Bevölferung angeht, jo ift diefelbe ihrer großen Mafje nad) wohl von 
dem niederfähfiihen Stamme ausgegangen; wenigftens ift der ganze Typus 
der Halliihen Bevölkerung bis nad) dem dreißigjährigen Krieg herab viel mehr 
dem Niederfähhfiichen ala dem Thüringiſch-Meißniſchen Weſen verwandt”. Uns 
will e8 indeß fcheinen, als ob nur das Patriciat vorwiegend niederdeutſch war. 

2 ed. Edftein S. 111. Die Namen fiehe im Regiſter. Wenn S. 183 
Sulta und Willebeke vortommt, fo ift zu bemerken, daß die Stelle aus 
Thietmar entlehnt if. 

® Magpdeb. Gejchichtsblätter VII, 236. 


343 


ftelft ift, beißt es: nisi publico clamore, id est wafenheiz, 
venire cogantur, und ebendarin wird Beierstorf genannt!. Aus 
der Urfunde vom 30. November 1156, die auf dem Petersberg beim 
Eintritt des Markgrafen Konrad ins Klojter ausgeitellt wird, notiren 
wir die Namenformen: Mulendorph, Tsempendorph, Giveken- 
stein, Ruchtendorf *. 1324 verjchreibt Ritter Konrad von Redern, 
zu Oſtrau geſeſſen, wmittelhodhdeutih den Bürgern von Halle feine 
Hüffe. Heinrih von Merwig jtellt 1367 feinen Lehnsrevers über 
jeinen Hof Merwig in Giebichenftein ebenfalls mittelhochdeutih aus *. 

Ya Halle jelbft bietet uns jchlagende Beweije dafür, daß die 
Abfaſſung der oben erwähnten älteſten Willfür und die niederjäd- 
fiihe Mumdart der ältejten Stadtbücher feinen endgültigen Nachweis 
für die Volfsiprade liefern. Gegenüber jener oben angeführten äl- 
tejten Stadtordnung aus dem Anfang des vierzehnten Fahrhunderts 
in en Sprache haben wir auch eine Willfür von 1316, 

welche mittelhochdeutich abgefaßt iſt. Ein Stück, das auch in der nieder⸗ 
deutichen Bearbeitung enthalten iſt, lautet hier jo: Ouch willekoren 
wir, weme der rat eyn gebot tete, wer das nicht hilde unde 
das breche frevelich unde der stad ire busse nicht engebe, 
des frunde sal der rat besendin unde sal yn sagin, das sie 
iren frund anwisen, das er der stad gebot halde, adir die 
busse gebe*. Allerdings ift diejes Stüd in einem Transſumpt 
enthalten, welches Biſchof Nicolaus von Merjeburg 1420 in mittel- 
hochdeutſcher Sprade abfaßt. Mean fönnte jagen, er habe die 
urſprünglich niederdeutihe Faſſung mittelhodhdeutih wiedergegeben. 
Allein abgejehen davon, daß die Faſſung der Willfür in Orthographie 
und Formenbildung fi) von dem Mittelhochdeutich der Urkunde unter- 
jcheidet, jo wird auch ausdrüdlich geiagt, dat in der Abichrift „feine 
Schrift, Buditab, Wort oder Sinn des Buches verwandelt oder ge= 
ändert ift“. Unter diefen Umjtänden iſt es jehr fraglih, ob die 
ältejte Willfür von Halle niederdeutich geichrieben war. 

In Betreff der vom Rathe in Halle ausgejtellten Urkunden 
machen wir folgende Bemerkungen: die älteiten, die wir aus dem 
Anfange des vierzehnten Jahrhunderts befigen, find plattdeutich, jo die 
Urfunden von 1324. 1327. 1328. 1333. 1339. 1341. 1343. 
1345°. Dieſelbe Erſcheinung finden wir bei den Klöſtern der Stadt. 
Neuwerk ftelit 1343 und 1344 niederdeutiche Urkunden aus®. Vom 
Morigflofter finden wir eine jolde von 1338, vom Kloſter der Ma— 
rienfnechte zwei aus dem Jahre 1339°. In der zweiten Hälfte des - 

ı Köhler, ae Peteräberg ©. 48. 

2 Ebenda 5 


: Drenbaupt Saaltreis IT, 208. 922. 
* —— Mittheilungen des Thür. Sachſ. Bereins II, 336; vgl. mit 
‚ Dreybaupt, Saallreis I, 56.63. II, 853. 877. 854. 252. Reue 


? Drenhaupt ). 1. I, 759. 777. 778. 
23% 


344 


vierzehnten Jahrhunderts treten nun aber auch ebenjo ausnahınlos 
die mittelhochdeutichen Urkunden auf; jo 1386. 1390!. Ebenſo 
finden wir vom Kath in Cönnern bereit$ aus dem Jahre 1364 
eine mittelhochdeutjche Urkunde, während die Schöffenbücher noch im 
fünfzehnten Jahrhundert plattdeutic geführt wurden ?, 

Mit der Mitte des vierzehnten Jahrhunderts tritt im der anıt= 
lichen Sprache im Gebiete des Erzbisthums Magdeburg ein unver- 
fennbarer Umſchwung ein, der mit der Belegung des erzbiichöflichen 
Stuhls zufammenhäng.. Bis auf Erzbiihof Burchard II. und 
Heidenreihh waren die Kirchenfürften fait ausnahmslos aus dem 
Schooße des eigenen Domcapitel8 hervorgegangen. Waren fie auch 
jehr vielfach Familien entjprofjen, welche im mitteldeutichen Sprach— 
gebiet ihre Heimath hatten, jo waren fie doc durd ihren längern 
Aufenthalt in Magdeburg jo in die niederſächſiſchen Traditionen ein— 
gelebt, daß das Niederfähjiiche für jie und ihre Kanzlei, foweit 
darin nicht das Yatein herrichte, Amts- und Verkehrsſprache war ?. 
Das änderte fi) mit Erzbiichof Otto jeit 1327. Von jet an werden 
nad einander dem Erzitift durch den Papſt und den Kaiſer eine fort- 
laufende Reihe von Erzbifchöfen aufgedrängt, welche alle dem Süden 
angehörten. Und als jpäter da8 Domcapitel wieder zu einiger Selb- 
ftändigfeit in der Wahl fam, waren es wieder ausnahmslos fürſt— 
liche Gefchlechter des Südens, deren Söhne die hohe Würde eines 
Magdeburger Metropoliten befleideten. Von num an wird unter dem 
Einfluß dieſer Erzbiichöfe, die ihre Notare aus dem Süden mit- 
braten, das Mittelhochdeutiche die Kanzleifprache in den erzbiichöf- 
lichen Urkunden. Die niederfächjiichen Städte des Magdeburger Landes 
lajjen ſich freilich dadurd nicht beirren: fie ftellen ihre Urkunden nad) 
wie vor bis zur Reformation niederdeutich aus. Allein in den mittel- 
deutichen Städten fam nun das Mitteldeutich der Volksſprache auch 
in amtlichen Schriftjtüden je länger je mehr zur Geltung, zumal da 
bis dahin und bejonders, feitdem die Bevölferung nad) der Peſt von 
1349 ſich neu ergänzen mußte, das ſporadiſche niederdeutiche Clement 
öftlich der Saale jo ziemlich) ganz überwunden gewefen fein wird. 

Selbit da8 Magdeburger Domcapitel unterfcheidet fich darin von 
der erzbiichöflichen Kanzlei, daß es feine Urkunden noch lange Zeit 
mit Vorliebe niederdeutſch abfaßt. inen recht jchlagenden Beweis 
bieten die Willfüren der benachbarten Städte Schönebed und Safe. 
Obwohl diejelben faſt aus einer Zeit find, jene von 1490, diefe von 
1470, iſt die erjtere doch niederdeutich, die letztere mittelhochdeutjch 
abgefaft. Der Grund liegt natürlich nicht in einer Verjchiedenheit 
der Volksſprache, da die Gleichheit der plattdeutichen Volksſprache in 
beiden Städten zu jener Zeit unmibderleglich feitjteht, ſondern er 


2 NMene Mittheilungen II, 319. Dreyhaupt II, 254. 

2 Dreyhaupt II, 828. 

® Die beiden älteften deutjchen Urkunden der Erzbiichöfe von Magdeburg 
find von 1299 und 1305; beide find niederdeutich; ſiehe Magdeburger Geſchichts— 
blätter V, 408, 409. 


345 


beruht einfach darauf, daß die Stadt Schönebeck unter dein Domca- 
pitel, Salze aber unter dem Erzbifchof ftand, die erftere Willfür alfo vom 
Domcapitel, die letstere vom Erzbifchof gegeben, resp. beftätigt wurde !. 

Faſſen wir die gewonnenen Nefultate über die Spraͤchentwicke 
lung zuſammen, ſo ſind es folgende: 

1. Die Sprachgrenze zwiſchen Mittel- und Niederdeutſch war 
im altgermaniſchen Gebiet zu Zeiten des Mittelalters im Ganzen die= 
jelbe, wie in der heutigen Zeit. 

2. In den germanifirten Mendenländern hat das Gebiet zwi- 
ichen Elbe und Saale vorwiegend feine Colonifation aus dem mittel 
deutjchen Sprachgebiet empfangen. Trogdem aber diefe Landſchaft 
dem Gejammtgepräge ihrer Sprade nad) vonvornherein zum mittel- 
deutichen Sprachgebiet gehört hat, fo hat es darin im zwölften und 
dreizehnten Jahrhundert eine Anzahl plattdentiher Spradinfeln ge— 
geben; ja es iſt die Möglichkeit nicht ausgeichloffen, daf der Nordrand 
diejes Gebiets, d. h. das jüdliche Elbufer von Elſter bi8 Barby, eben- 
jo viel niederdeutiche wie mitteldeutiche Elemente gehabt Hat. 

3. Das Niederdeutiche, die Sprache des ſächſiſchen Volksſtam— 
mes, galt im Bereich des Erzitifts Magdeburg und der angrenzenden 
mitteldeutichen Gebiete al8 die amtliche Rechtsſprache, und fie wird 
als jolhe auch noch gepflegt, feitdem in der erzbifchöflichen Kanzlei 
von 1327 an das Mittelhochdeutiche zur alleinigen Herrichaft gelangte. 

Wenn dieſe unfere Annahmen und Folgerungen richtig find, fo 
dürfte die Frage nach der urfprünglichen Sprache des Sachſenſpiegels 
um ein gut Theil ihrer Löſung mäher geführt fein. Hat ſich das 
Niederdeutiche als die Nechtsiprache des Volkes ſchon früh Geltung in 
den germanifirten Gebieten zwijchen Saale und Elbe verichafft, fo 
würde die Abfaſſung des Nechtsbuches des ſächſiſchen Volfes in der 
Sprache diefes Volkes, dem Niederdeutichen, ebeufo nothwendig fein, 
wie e8 natürlich war, daß die Reimvorrede fi) in die Sprache der 
Poefie, das Mittelhochdeutiche, Eleidete. ? 

* — Wilſtüren finden ſich in den Magdeb. Geſchichtsblättern VIII, 
o 
2 Mir benuten diefe Gelegenheit, um einige urkundliche Notizen über Hoier 
von — zuſammen zu ſtellen, welche erſt neuerlich bekanut geworden find: 

1214 iſt Graf Hoier von Valkenſtein erſter weltlicher Zeuge in einer un— 
gedruckten Urlunde des Biſchofes Friedrich von Halberſtadt für das Johaunis— 
kloſter daſelbſt. 

1216. 22. Juni. Auf dem Falkenſtein. Hoierus de Valkensten beur- 
ge daß er den Stiftsherren zu St. Marien in Coswig 28 Hofftätten und 

a Hufen dajelbft übereignet habe. Neue Mittheilungen IX, 2, 49. 

1220. 10. Auguſt. Hogerus comes de Valkenstien Zeuge in einer 
Urkunde des B. Friedrich von Halberftadt, anicheinend auf einer Diöceſanſynode. 
Ibidem ©. 36, aus dein Original von v. Heinemann mitgetheilt. 

1231. 17. Juli. Fulda. Hoyerus de Falekenstein Zeuge in einer Ur- 
funde des Königs Heinrich VII. für Klofter Bergen. Forſchungen XIII, 624. 

1254. Comes Hogerus de Valkensten erhält durch den Erzbiichof 
Rudolf von Magdeburg die Zufiherung, daß das Klofter Bergen ihm, a. lange 
er lebt, 40 Dark jährlih zahle. Neue Mittheilungen IX, 2, 37. Ob nod 
derjelbe Hoier? 


Zur Kritik Thietmars von Merfeburg. 


Bon 


Ioh. Strebihki. 


1. Itinerarium Thietmars. 


In meiner Diſſertation: Thietmarus episcopus Mersebur- 
gensis quibus fontibus usus sit in chronicis componendis 
quaestiones criticae. Regimonti 1870, behandelte ic die ſchrift— 
lichen Quellen der Chronik Thietmars von Merſeburg. Ich wies 
darin nach, 1) daß Thietmar im erſten Theile ſeiner Chronik bis 
zum Jahre 997 die Annales Quedlinburgenses benutzte (S. 7—11), 
daß er den Anhalt der.vita Udalriei fic) durch Lektüre erworben und 
das für ihn Einfchlägliche frei aus dem Kopfe reproducirt habe (©. 
12—13), daß er den Widukind excerpiert habe (S. 13—20), daft 
er Ruotgers vita über Bruno von Köln zwar gefannt, aber nicht 
benutt habe (S. 20 — 22), daß endlich Thietmar vom 20. Capitel 
de8 vierten Buches die Annales Quedlinburgenses nicht benutt 
habe (S. 20— 22). Ich befchäftigte mich darauf feine übrigen 
Quellen feitzuftellen und gewann die Weberzeugung, daß er außer 
jenen vorzugsweife mündliche Quellen benutt habe. Um diefe nad) 
Zeit und Ort feitzuftellen, ſchien ein Itinerarium dieſes Schrift- 
ſtellers nöthig. Zwar befiten wir die Negeften der Merjeburgifchen 
Bifchöfe zufammengeftellt von Wilmanns im Iten Bande des Archivs 
für ältere deutſche Gefchichtsfunde. Aber da die auf Thietmar be= 
züglichen auf Grund der Abhandlung Lappenbergs in den Monumenta 
Germaniae SS. III, ©. 723—30 gearbeitet find, diefe Abhandlung 
aber nicht ausführlich ift, fo find fie für eine genaue Unterfuhung der 
Chronif Thietmars unzureichend. Ich machte mich alfo daran ein 
möglichſt vollftändiges Itinerar Thietmars zu bearbeiten und veröffent- 
liche e8 im Folgenden, weil ic) glaube, daß es einen bis dahin ent- 
behrten Wegweifer durch die oft verwirrte Chronologie diefer Chronif 
bieten wird. (W. zeigt die Data an, die ſchon Wilmanns a. a. O. 
gegeben hat). 

975 (?), Geburt Thietmars!, 

ı Mit großer Webereinftimmung giebt man 976 als das Jahr ber Ge 
burt Thietmars an (vol. Lappenberg, Einleitung zur Ausgabe Thietmars, 
Mon. Germ. SS. III, S. 724), ebenfjo Wilmanns in den Negeften der Merſe— 
burger Biſchöfe (Archiv für ältere deutiche Gefchichtsfunde, Bd. XI, S. 150) 
und hierauf fußend Wattenbach, Deutſchlands Geſchichtsquellen, 3. Aufl. S. 261, 
und andere. Doc fcheint mir diefe Angabe nicht richtig zu fein. Bon allen 


350 


989, 1. November, Thietmars Einverleibung in das Klofter St. Moriz zu 
Magdeburg ?!, 

994, Thietmar in Stabe ?. 

1002, 7. Mai, Uebertragung der Probftei Walbel?, 


wird zum Beweiſe für das Jahr 976 Thietmars eigene Ausſage, chron. III, 4 
(Mon. Germ. ©. 724) ceitiert. Hier handelt Thietmar von Dtto II. und 
zwar III, 1 und 2 von deſſen erften Regierungsjahren; c. 3 fpridt er vom 
zweiten Negierungsjahre Dttos II. und giebt dann auch das Jahr 975 als 
das an, von welchem er Facta berichten will. Im 4. Eapitel giebt er folche 
Facta und fügt dann am Schluffe des Capitels die Notiz hinzu: Tempo- 
ribus hiis ego natus sum 8. Kalendas Augusti mense Julio. Daß Thiet- 
mar wohl faum 976 als fein Geburtsjahr bezeichnen will, geht, wie mir 
fcheint, daraus hervor, daß er gleich nad) diejer Geburtsangabe das nädhfte 
Eapitel mit den Worten beginnt: Anno vero dominicae incarnationis 976. 
Henricus etc. Wenn man diefen Zufammenbang betrachtet und das ‘vero' 
in feinem dem Borhererzählten gegenüberftehenden Sinne fat, wie es wohl 
nicht anders gefaßt werden kann, fo liegt auf der Hand, daß Thietmar vor 
976 geboren if. Man ift num wohl verleitet worden, das Jahr 976 als Thiet- 
mars Geburtsjahr aus dem Grunde anzufetsen, weil kurz vor diefer Notiz der 
Todesfall Brunos von Verden angegeben wird, der, wie wir aus andern 
Duellen wiſſen in das Jahr 976 fällt (vgl. Potthaſt, Bibl., Reihenfolge der 
Berdener Biichöfe), doch Icheint mir ficher, daß Thietmar diefen Todesfall nicht 
genau dem Jahre nad) Fannte. Einen andern Beweis, daß wir 976 nidht als 
Geburtsjahr Thietmars angeben können, fondern daß wir fagen müſſen, Thiet- 
mar wußte felbft nicht genau, wann er geboren war (und dies fcheint mir 
fhon ans der ziemlich vagen Angabe ‘hiis temporibus’ hervorzugehen), bietet 
uns eine andere Stelle VIII, 8: Iste annus quo hunc attitulavi librum 
(er meint 1018) nativitatis meae quadragesimus est primus vel paulo 
amplius. Wenn diefe Angabe Thietmars richtig wäre, fo wäre er erſt 997 
geboren, er wußte e8 aber felbft nicht genau. 

ı Gern hätte ihn fein Bater im Klofter St. Johannes untergebracht, 
doch diefes gelang ihm nicht, und deshalb wurde er der Mauritiusbrüderſchaft 
einverleibt. Lappenberg a. a. O. ©. 724 erflärt die Sache anders, er jagt, weil 
ber Bater ihn zum Eanonifus bei St. Moritz nicht erheben fonnte, ließ er ihn als 
Hilfsgeiftlichen bei diefer Kirche eintreten. Er bezieht alfo in dem Satze IV, 11: 
Ibi (nämlich zu St. Johannes) tresannos ego conversatusin omnium festi- 
vitate sanctorum ad sanctum Mauricium, quia ad altare hoc me dare non 
potuit, fraternitatis consortio ab eo junctussum, ‘altare hoc’ auf die ca- 
nonici, fraternitatis consortium auf die Hilfsgeiftlichen bei St. Mauritius, 
Doch jcheint mir diefe Erflärung deshalb eine falfche zu fein, weil altare hoc 
und fraternitatis consortium beide auf St. Mauritius bezogen feinen Gegenfat 
bilden, aud) die canonici gehören zum fraternitatis consortium. Ich fafle 
daher da8 ‘hoc’, wie das Thietmar öfters hat, im Sinne von illud und 
beziehe e8 auf St. Iohannes, dann kommt eine einfache ungezwungene Weber: 
fetsung heraus. Bol. Laurent, Ueberſetzung Thietmars S. 95. 

2 Bal. Thietm. IV, 16. 

3 Diele Uebertragung hat fiher am 7. Mai 1002 ftattgefunden, denn 
wenn auch Thietmar VI, 30 ein anderes Jahr als diefes genannt haben follte, 
fo bleibt uns noch eine zweite Beftimmung für diefes Faetum. Thietmar jelbft 
fagt VI, 30, er fei in Walbek 7 Jahre, 3 Wochen und 3 Tage praeposi- 
tus geweſen. Da er nun im den Yetsten Tagen des Mai 1009 nachweislich in 
Walbek war, um die PVrobftei niederzulegen, fo folgt daraus, daß ihm Anfangs 
Mai 1002 die Probftei übertragen wurde. VI, 30 (M.G. SS. II, ©. 819) 
heit e8: ac ejusdem ecclesiae, cujus tunc fui paterna traditione servus 


351 


1002 — 1003, Reife nad; Köln !, 

1003 (?), 21. December, Allftedt (Weihe zum Presbyter)?. 
1004, März, Augsburg ®. 

1004, Palmfonntag, Gernrode®. 

1004, Oftern, Magdeburg ®. 

1008, Frühling, Süterbof *, 

1009, April, Rotmerslevo ®. 

1009, 10. April, Magdeburg ®. 

1009, 19. April, Augsburg ®. 

1009, 20. April, Augsburg, Inveftitur®. 
1009, 24. April, Neuburg, Ordination ®, 


dominicae incarnationis anno millesimo 2. Nonas Mai custos effectus 
sum, annuente id antecessore meo ob acceptam commutationem sibi 
placitam. Webefind (Noten III, 10. Heft, S. 254) will num Tefen: anno 
millesimo Non, Mai custos effectus sum, und fagt, indem er custos im 
Gegenfat zu praepositus nimmt (vgl. VI,30: Inde ad Wallibizi, ubi tunc 
prepositus annos ac tres ebdomadas et tres dies rexi): Thietnrar wurde 
am 6. Mai 1000 Euftos und am 31. 1002 Probft zu Walbek (vgl. Wedekind 
a. a. O. 255). Es ftimmt aber nicht der 31. März 1002, wenn wir 7 Jahre 
24 Tage Hinzuzählen, mit Thietmars Angabe (VI, 30) über die Niederle- 
gung diefer Würde, Mir fcheint alfo an jener obigen Gtelle für ‘anno 
millesimo 2. Nonas Mai’ anno millesimo secundo Nonis Mai zu leſen 
zu fein. Wir erhalten dann den 7. Mai 1002 als Datum, an dem Thietmar 
Probft von Walbek geworben ift, und wenn wir dazu 7 Jahre 24 Tage hinzu 
addieren, genau die Zeit (Ende Mat 1009), in der Thietmar nachweislich diefe 
Würde niederlegte. 
ı VI, 30 


2 Ganz beftimmt, wie Lappenberg (a. a. O. S. 725), meint ift das nicht. 
Wir können nur fagen früheftens war e8 1003, denn fir Heinrich II., der bei 
der Weihe zugegen war, ergeben die Urkunden, daß er 1000 und 1001 in Italien, 
1002 in Regensburg um diefe Jahreszeit war (vgl. Böhmer und Stumpf, Re- 
geften a. 1000, 1001, 1002). Daß Thietmar am 19, März 1004 zu Kempten 
bei der Einweihung einer Marienkirche war, kann troß der Behauptung Lappen- 
bergs nicht aus dem Merfeburger Todtenbuche ad h. d. ermiefen werden. Bgl. 
— Das Merſeburger Todtenbuch, in Förſtemanns neuen Mittheilungen, 

s VI, 1—3. *« VI, 24. 

5 Die Daten erhalten wir aus VI, 27. Sonntag nad Oftern war am 
En April, Oftern am 17. April, Balmfonntag am 10. April. Ueber das Jahr 
vgl. unten. 

® Bol. VI, 27. Hier wird nur der 24, April angegeben und daß es 
am Sonntag nad) Oftern war. Ebenfo in dem Chron. episc. Merseb., M.G. 
SS. X, ©. 174, das auch nod) nicht das Jahr zu wiffen fcheint. Aus dem 
Bufammenhange des VI. Buches bei Thietmar kann das Jahr nicht beftimmt 
werben. Dtte (Neue Mittheilungen von Förftemann, Bd. V, Hft. 2, S.141) 
bat daher, da man, wie er meint, das Jahr der Ordination aus Thietmars 
eigenen Schriften nicht nachweifen könne, aus den Angaben, daß diefer Tag auf 
den weißen Sonntag und den 24. April gefallen fei, das Jahr 1009 ausge— 
rechnet. Doch kann man das Jahr auch aus Thietmars Chronif VIII, 8 be- 
flimmen. Hier fagt er, indem er das Jahr 1018 zur befchreiben beginnt: Iste 
annus, quo hunc attitulavi librum, nativitatis meae quadragesimus 

est primus vel paulo amplius, in mense vero Aprili 5. Kalendas Mai 


352 


1009, Mai, Regensburg !, 

1009, Mai, Malein!, 

1009, Mai, Stari!, 

1009, 21. Mai, Merjeburg, Inthronifation 2, 

1009, 22. Mai, Merfeburg ?. 

1009, 23. Mai, Merfeburg ?, 

1009, 25. Mai, Magdeburg ?, 

1009, 26. Mai, Magdeburg ?, 

1009, 31. Mai, Walbek, Niederlegung der Probftwürbe®, 
W.1009, 5. Juni, Merjeburg *. 

1009, Juni, Magdeburg 5, 
W.1010, 28. Juli, Merjeburg®. 

1010, Spätjommer, Belegori?, 

1011, Januar, Merjeburg ®. 
W.1011, Januar, Liubufua ®, 

1011, 2. Februar, Liubnfua ®. 
W.1012, 6. Mai, Bainberg ?. 
W.1012, 1. Juni, Merfeburg !°. 

1012, 12. Juni, Merfeburg !1, 
W.1012, 14. Juni, Grona!t, 

1012, 15. Suni, Grona !!, 

‚ 1012, 21—23, Juni, Magdeburg ''. 

1012, 24. Suni, Klofterbergen ', 


decimus ordinationis meae introivit annus. Folglich war 1009 fein Or— 
dinationsjahr. Ueber den Ordinationstag vgl. auch Höfer, Ein Kalender der 
Merfeburger Kirche, Archiv für ältere deutſche Geſchichtst. Bd. IV, und Dümm— 
ler nn ©. 233. 

2 


2 Das Datum erhalten wir, wern wir den Zufammenhang ber c..29—31 
in lib. VI genauer betradhten. Bor Pfingften, d. h. vor dem 5. Juni diefes 
Iahres, war Thietmar in Walbek, er reifte dorthin ungefähr am 27. Mai (vgl. 
VI, c. 29 Ende). Himmelfahrt war er in Magdeburg, an den vorherge- 
benden Bitttagen, d.h. den 23. Mai, noch in Merjeburg, Sonnabend vorher 
war feine Inthronifation, d.h. am 21. Mai. 

° Aus dem Zufammenhange von c. 29—31, lib. VI, ergiebt fi), daß 
diefe Niederlegung der Probftwürde Ende Mai 1009 war, nehmen wir nun 
das ©. 350 Anm. 3 ausgeführte Datum der Annahme der Probftei den 7. Mai 
1002 an, fo erhalten wir, wenn wir nad Thietmars Angabe VI, 30, 7 Jahre 
3 Wochen und 3 Tage Hinzuzählen, genau den 31. Mai 1009 als den Tag der 


Niederlegung. 
* VI, 31. s VI, 32, 
s Für diefen Ort haben wir in Thietmars Chronik feine Belegſtelle. 


Wilmanns führt am a.a.D. nad Höfers Zeitfchrift fir Archivfunde I, 160 
eine Urkunde zum Beweiſe au, nad) der Heinrich II. am 28. Juli 1010 der 
Kirche Thietmars einige Hörige gejchenft hat (Stumpf Neg. Nr. 1538). 

” Bol. VI, 38, 8 Bal. VI, 39, 

®° VI, 40, 10 VI, 41. 

11 Bei der Beſtimmung dieſer Data, die zum Theil in dev Ausgabe der 


1012, 24. Juli, Zribenz !, 

1012, Ende Juli, Belegori !. 

1012, 7. Auguft, Merjeburg ?. 

1012, 8. Auguft, Merfeburg ?. 

1012, 8. Auguft, Giebichenftein ®, 

1012, 10. Auguft, Merfeburg ?, 

1012, 12. Auguft, Giebichenftein ®. 

1012, 12. Auguft, Koniri®, 

1012, 13—14. Auguft, Magdeburg . 
W.1012, 22. Auguft, Magdeburg’. 
W.1012, 21. September, Seehaufen ®. 

1012, 22, September, Magdeburg ®. 

1012, Ende September — Ende October, Merfeburg ®. 
W.1012, 13. November, Wolmirftedt ”, 

1012, 14.—15. November, Walbek?. 
W.1012, 25. December, Bölde®, 

1013, Januar, Merjeburg?, 

1013, 25. Mai, Merjeburg !°, 

1013, 21. September, Merjeburg U. 

W(?)1013, 22. September, Balgftädt '?, 


Chronik Thietmars in den Mon. Germ. a. a. O. am Rande gegeben find, muf; 
man von der Angabe Thietmars VI, 41 ausgehen, daß Tagino der Erzbiichof 
von Magdeburg am Montage (feria secunda), d. h. am 9. Juni, geftorben ſei, 
drei Tage nad) jeinem ZTodestage ift fein Begräbniß, aljo am 12. Juni. Sonn- 
abend darauf ift Thietmar in Grona, ebenjo Sonntag den 15. am Feſte des 
Heil. Vitus. Sonnabend und Sonntag den 21. und 22, ift Thietmar bei Ge- 
legenheit der Inthronifation und Salbung Walthards in Magdeburg, den 23. 
Juni une diefe Stadt, am 24, ift er in Klofterbergen. 

ı ‚45. 

2 Thietmar fam am 7. Auguft erft nad) Merjeburg, nicht wie Wilmanns 
a. a. D. meint, jhon am 3. Auguſt. Vgl. VI, 45. Wilmanns mag zu biefer 
Angabe durch die Notiz Lappenbergs a. a.O. ©. 726 verleitet worden fein, der 
aber nur jagt 3. Aug. Merseburgum rediit, mas aud) nicht ficher nachge— 
wiejen werden kann. 

s VI, 45. 4 Bol. VI, 46, s VJ, 4. 

°s VI, 49—5]. ’ yLB5l. 

8 VI, 53. Nicht aus VI, 51 läßt fi dies, wie Wilmanns auf Grund 
von Lappenbergs Notizen angiebt, ſchließen. Lappenberg giebt auch feine Be- 
Iegftelle au. Die Gegenwart Thietmars in Pölde können wir nur aus den 
Worten c. 53 fließen: Walkerus .... nobis inde euntibus ibidem 


reliquitur. 

® Bol. VI, 54. 10 VI, 55. 12 VI, 56. 

12 Bol, VI, 56, wo e8 heißt: Rex... iterum ad nos repedavit; et 
inde 11. Kalendas Octobris discedens ..... . Da der König aljo am 21. 


September von Merfeburg aufbrad), am 22, aber nad) Höfer, Zeitichrift für 
Arhivfunde a. a. O. J, S. 163, der Merjeburger Kirche in Balgerstedi ein Erb» 
lehn ausſetzte (Stumpf Nr. 1586), jo ift wohl anzunehmen, daß Thietmar ihn 
dahin begleitete, doch ift das nicht, wie Wilmanns a.a.D. S. 151 meint, fidher, 


354 


1014, November, Helpithi! (Helpte). 

1014, November, Walbet !, 

1015, März, Magdeburg?. 

1015, 6. April, Merfeburg ?. 

1015, 10, April (Oftern), Magdeburg?. 
W.1015, 18. Mai, Merjeburg *. 

1015, 24. Juni, Klofterbergen . 

1015, 8. Juli, Sclancisvordi®, _ 
W.1015, September, Merjeburg ”. 

1015, 8.—22. October, Meißen ®. 

1015, 25. Dectober, Mucdjerini®, 

1015, 25. October, Eurbizi®, 
W.1015, 1. November, Walbet?, 

1016, 18. März, Merjeburg !°, 
W.1017, 22. Sebruar, Magdeburg U. 

1017, 31. März, Meißen 12, 

1017, 8.- 11. Juli, Leizkau '8, 


1VII, 4. 2 VII, 25. 

3 Bol. VII, 25. Der Bericht an diefer Stelle widerſpricht nicht dem in 
VII, 6 Erzählten, wonad) e8 fcheinen könnte, Thietmar habe Oftern in Merje- 
burg gefeiert, doch ift an letsterer Stelle der Ort gar nicht genannt. Daß an 
der hier eitirten Stelle VII, 25 nur vom Jahre 1015 die Rede fein fann, nicht, 
wie Lappenberg meint, von 1016, wird jpäter bewiefen werden. 

* VII, 8 und Chron. episc., M. G. SS. X, ©. 176 und 177. 

s VII, 25. "WILL; ” VL, 15 Auf, 

8 VII, 15. ®° VU, 16. 

1° Vgl. VII, 19. Aus diefem Jahre fünnen wir über Thietmar nichts 
mehr berichten. Lappenberg jedody in der Einleitung zu Thietmars Chronif, 
0.0.0. ©. 726, behauptet, daß Thietmar 1016 von Oftern bis Johannis in 
Magdeburg gewejen jei, auf Grund von VII, 25. Indeß der Bericht des c. 25 
muß nothwendig in das Jahr 1015 geſetzt werden. VII, 23 will Thiet- 
mar ſich mehrerer Vergehn aus früherer Lebenszeit anklagen. Da erzählt er 
dann c. 25 fein Benehmen gegen Probft Reding in Magdeburg und theilt bei 
diefer Gelegenheit mit, daß er ſowohl Oſtern als aud) Johannis im defjen 
Todesjahr mit ihm zufammengeweien if. Daß nun aber Probft Reding 1015 
am 5. Auguft jchon geftorben iſt, kann ficher nachgewiejen werden. Thietmar 
meldet nämlid einmal, daß Probft Reding am 5. Auguft geftorben fei unter 
dem vom Jahre 1015 erzählten Faktis; vgl. VII, 13. Dann aber berichtet 
er VII, 44, daß Reding Johannis 1012 zum Probft erhoben worden fei, und 
VII, 25 fügt er hinzu, daß er 3 Jahre und 6 Wochen diejes Amt verjehen 
hat. Aus diejen beiden Angaben geht mit Sicherheit hervor, daß Reding am 
5. Auguft 1015 geftorben iſt. Demnach ift das in VII, 25 Berichtete 1015, 
nicht 1016 geichehen, uud Lappenberg bat ſich Hier in der allerdings oft ver— 
worrenen Chronologie Thietmars geirrt. 

ı VII, 37 ı3 VII, 89 

is MWilmanns hat feinen Ort angegeben, Auf Grund einer Urkunde vom 
10. Juli 1017 fteht aber feft, daß Thietmar Zeuge einer Schenkung des Kaifers 
an das Bisthum Paderborn gewejen fei. Bol. Wilmanns a. a. O. Da nuu 
Kaifer Heinrich II. am 10. und 11. Juli in Leizfau war (Stumpf Nr. 1687. 
88), auch Thietmar VII, 42 den Zug des Kaifers nad) Yeizfau vom 8. Juli 


355 


W.1017, 1. October, Derjeburg !, 
W.1017, 3. November, Allftedt !, 
1018, 17. Februar, Magdeburg ?, 
1018, 17. März, Salbozi ?, 
1018, 2. Mai, Rohren ®, 
1018, 2. Mai, Rodlit t, 
1018, 3. Mai—9. Mai, Kohren 5, 
1018, 1. December, Todestag ®, 


an genau bejchreibt, jo folgt daraus, dag auch Thietmar in diefer Zeit dort ge- 
wejen if. Die Notiz von Wilmanns, daß Thietmar im November 1017 wie- 
derum im Leizlau gewejen fein foll, für die er Vita Meinwerei c. 42 citiert, 
ift ganz unſicher. Die Vita Meinwereci giebt gar fein beftimmtes Datum, 
wahrjcheinlich meint fie die Fürftenverfammlung zu Leizkau im Juli. 

ı Bol. VII, 48. 2 VII, 6. 

3 VII, 7. « VII, 10. 

5 VBgl. VII, 10. Er verweilte aljo die längfte Zeit in Kohren, nicht 
in Rochlitz, wie dies Wilmanns a. a. O. S. 151 behauptet. Thietmar jagt VIIL, 
10: rectoque itinere ad Rochelinzi tendens paucos illie confirmavi ... 
Tune redii ad curtem supra memoratum .... alfo nad) Rohren (Chorun), 
wovon er foeben geiprodhen hatte. Rochlitz ift auch nicht Thietmars curtis, 
fondern gehörte dem Markgrafen Effehard von Meißen. 

© Meber das Todesjahr ift man nod) nicht ganz im Heinen. Wilmanns 
0.0.0. ©. 151 und 152, Dtte in den Neuen Mlittheilungen, Bd. V, Heft 2, 
©. 141, Ufinger, Forihungen IX, S. 359, und auf Grund diejer Wattenbach, Ge- 
ihichtsquellen, 3. Aufl., ©. 262, geben 1019 als das Todesjahr an, Lappenberg 
und Adolf Cohn, Forſchungen VIII, ©. 161 f., 1018. Meiner Anficht nad) 
fann nur 1018 die richtige Angabe fein. Wenn wir die Quellenangaben für diejen 
Punkt heranziehen, jo haben wir als gleichzeitige Quelle hiefür die Quedlinburger 
Annalen, welche 1018 angeben (vgl. M. G. SS. III, ©. 84). Die fecundären 
Quellen Annalista Saxo und die Annales Magdeburgenses geben 1019, 
hiemit ftimmt ſcheinbar aud) das Chronicon episc. Mers., M. G. SS. X, 
S. 177, überein, welches jagt, Thietmar habe als Biſchof annis 10, mensibus 
7, diebus totidem regiert. Dttes Beweisführung für 1019 ift uun die, daß 
er zum 24. April 1009, dem Tage, an dem Thietmar nachweislich, zum Biſchof 
ordiniert wurde, diefe Zeit Hinzuzählt und fo den erften December 1019 her— 
ausfindet. Wilmanns a. a. O. Hat ſich diefer Argumentation angejchloffen. 
A. Eohn dagegen hält ſich an die Angabe der gleichzeitigen Quedlinburger An— 
nalen, was mir das einzig Richtige zu fein fcheint, und weift a. a.O. ©. 161 
nad, daß alle Ereigniffe, die vom Duedlinburger Anmnaliften unter das Jahr 
1018 gefetzt find, wirflic dahin gehören. Das Zeugniß dev Merjeburger Bi— 
Ihofschronit will A. Cohn dadurch entfräften, daß er durch den Nachweis, 
Thietmar fei nicht, wie fie behauptet, 42 Jahr alt geftorben, die Sicherheit ih- 
rer Angaben überhaupt zu erſchüttern jucht. Einen andern Beweis für das 
Jahr 1018 findet Eohn in der Thatſache, daß Thietmars Chronik nicht über 
das Jahr 1018 in ihren Berichten hinausgeht. Beide Beweife Cohns bedürfen 
jedoch noch der Ausführung. Denn was die Lebensdauer Thietmars angeht, fo 
fönnen wir nur aus einer abweichenden Angabe über diejelbe, da uns fein Ge- 
burtsjahr nicht ficher befannt ift, wie oben S. 349 Anm. 1 fj. nachgewiefen ift, nicht 
die Unglaubwürdigfeit der Merſeburger Biſchofschronik nachweiſen. Daß aber 
diefe fich im der Angabe, Thietmar Habe annis 10, mensibus 7, diebus 
totidem auf dem Biſchofsſtuhle gejeffen, geirrt habe, fcheint mir unzweifelhaft 
daraus hervorzugehen, daß gerade dieje Duelle jelbft in der Vita des dem Thiet« 
mar folgenden Biſchofs Bruno 1018 als das Todesjahr Thietmars angiebt 


356 
2. Meber die Familie Thietmars, 


Thietmar ift aus edlem Gefchlechte entjproffen!. Seine beiden 
Urgroßväter waren Grafen, der eine aus dem Gejchlechte Walbek, 
der andere von mütterlicher Seite aus dem Geſchlechte Stade. Beide 
Urgroßväter fümpften im Heere Heinric) des Erften gegen die Slaven 
und fielen 929 in der Schlacht bei Lenzen?. Auch die beiden Groß- 
väter väterlicher und miütterlicher Seit8 waren bedeutende Perfonen 
im Neihe. Sein Großvater väterlicher Seits, Liuthar Graf von 
Walbek, Hatte im Fahre 941° an einem Complott gegen König Otto I. 
Theil genommen, wurde aber, nachdem er ein Jahr verbannt gewejen 
war, fchon begnadigt und erhielt nicht nur feine vom Könige einge= 
zogenen Güter zurüd, fondern noch andere dazu‘. Zur Sühne ſei— 
nes DVergehens erbaute Graf Liuthar von Walbef an einem Orte 
Wallibizi ein Klofter?. Sein Großvater mütterlicher Seits war 
Graf Heinrich von Stade, der unter König Dtto II. im Jahre 975 
und 976 auf dem Feldzuge gegen die Dänen eine höchſt bedeutende 
Stellung als dejfen Nathgeber einnahm® Thietmars Water, der 
Sohn Liuthars von Walbef, war Graf Siegfried, der fid mit der 
Tochter des Grafen Heinrich von Stade Kunigunde vermählte. Aus 
diefer Ehe war Thietmar der zweite Sohn, der ältefte war Graf 
Heinrich, der dritte Friedrid) Burggraf von Magdeburg, der folgende 


(vgl. Chron. episc. Mers. ed. Wilmanns, M. G. SS. X, 178), welche Jah: 
reszahl nur von einer jüngern Hand in 1021 verändert worden ift (vgl.a.a.D. 
Anm. des Tertes c). Auch der zweite Beweis Cohns ift zu erweitern. Thiet— 
mar berichtet in c. 17 des achten Buches, daß Kaifer Heinrich II. von feinem 
Zuge nad) Burgund zurücdgefehrt fe. Da nun nad) den Regeften Heinrichs IL. 
(Stumpf Nr. 1712) feftfteht, daß der Kaifer am 2, September 1018 in Züri) 
(Thurego) war, jo geht daraus hervor, daß Thietmars letzte Berichte im Oe— 
tober 1018 niedergeichrieben find. Denn hätte Thietmar noch das Jahr 1019 
erlebt, fo hätte er, ein fo fleißiger Sammler, gewiß nod) Manches hinzugefett, da 
er VIII, 6 e8 ganz offen ausfpridt, daß er nur auf Neuigkeiten für feine 
Chronif warte (Interim dum fama velox aliquid- novi ad describen- 
dum deferst mihi, hominum vitam piorum ... explanare nunc ardeo). 

1 Bol. die Stammtafel in den Mon. Germ. SS. III, ©. 723. 

2 Bol. Thietm. I, 6: Ex nostris duo abavi mei, uno nomine, 
quod Liutheri sonat, signati, milites optimi et genere clarissimi, decus 
et solamen patriae, Nonas Septembris cum multis aliis oppeciere. 
Daß Thietmar von feinen Ahnen nicht zu viel rühmt, zeigt der Bericht der 
Quedlinburger Annalen, der unter a. 930 bei der Erwähnung diefer Schladht 
die Liutheri namentlich hervorhebt, und ebenfo die Notiz bei Widufind I, c. 36: 
Ceciderunt etiam ex nostris in illo proelio duo Liutharii et alii no- 
biles viri nonnulli. 

Thietm, II, 14. Ueber die Zeitbeftimmung dieſes Complottes Annal. 
Quedlinb. a. 941. 

* Thietm. II, 14. 

° Thietm. VI, 30: Unde monasterium qui dieitur Rivus silvati- 
cus in honore sanctae Dei genitrreis construxit, d.h. in Wallibizi 
(oder Walbek in der Grafſchaft Mansfeld). 

° Thietm. III, 4, 


897 


Biihof von Verden, und der jüngfte, dem Thietmar jein Chronikon 
dediciert hat, Siegfried zuerjt Abt von Klofterbergen, dann Biſchof 
von Miinfter. Die Familie Thietmars war fehr reich, das geht 
einmal aus den in feiner Chronik erwähnten ihm gehörigen Beſitzun— 
gen Netmerslevo ?, Egisvilla?, Haslinga* u. ſ. w. hervor, dann aber 
auch aus einem Geſchenke, welches er und feine drei Brüder Siegfried, 
Abt des Kloſters Bergen, Heinrich der Markgraf und der Burggraf 
Vriedrih dem SKlofter zu Bergen machen. Siegfried fchenft ein 
Kreuz verziert mit Gold und Edelgeſtein, einen goldenen Altar und 
eine Menge werthooller Kirchenutenfilien, außerdem eine Bibliothef. 
Hierzu fügen Thietmar, Heinrich und Friedrich drei Hufen Landes >, 
Einen weitern Beleg hiefür bietet die Unterhandlung Heinrichs II. 
mit Thietmar in Bezug der Merfeburger Bifchofsftelle, bei welcher 
der Raijer verlangt, daß Thietmar das ihm zur verleihende Bisthum 
Merjeburg mit einem Theile feines Vermögens unterftüßen folle ®. 


3. Ueber die Abfafjungszeit der Chronik Thietmars. 


Einen Bericht über die Abfaffungszeit der Chronif Thietmars 
haben wir in folgender Notiz der Merſeburger Biſchofschronik: Anno 
vero decimo ordinationis suae, nativitatis vero 41”°, divertit 
ab oneribus seculi hujus dorsum ejus faciemque mentis in 
tranquillitatem quietudinis instituens ac animo tribulos solli- 
eitudinis evellens, fructus permanentes novae plantationis ger- 
minavit. Scripsit enim cronicam per quinque regum tem- 
pora digestam, incipiensque ab Heinrico humili, qui primus 
hoe imperii nomine et hujus narrationis ordine ab Ottone 
magno, secundo et tertio, vieissim sibi succedentibus, ad Hein- 
ricum pium, nostrae eccelesiae reparatorem ac exaltationis au- 
torem, progreditur'., Doc) diefe Notiz, die alſo angiebt, daß Thiet- 
mar erjt ein Jahr vor feinem Tode die ganze Chronif abgefaßt ha- 
ben foll, kann aus dem natürlichen Grunde nicht richtig fein, daf 
Thietmar in diefer kurzen Zeit eine jo umfaſſende Arbeit neben ſei— 


1 Die Brüder finden wir aud einzeln in Thietmars Chronif erwähnt, 
Heinrich und Friedrid; IV, 26, Bruno IV, 47 (vgl. Ann. Hild. M. G. SS. 
III, a. 1034), und Siegfried gleich in der Widmung. Alle Söhne des Grafen 
Siegfried von Walbef werden mit Ausnahme Brunos als Wohlthäter des 
Klofter8 Bergen in einer Handſchrift Nr. 32 der Hamburger Stadtbibliothek 
erwähnt (vgl. Archiv Bd. IX, ©. 439). Außerdem hatte Thietmar noch 
einen Bruder Willegis (vgl. VI, 31), den er fratrem meum ex patre nemut, 
der alſo wohl ein umehelicher Sohn Siegfrieds war. 

* 7 2 VI, 29 ⁊VIII, 8. 


14. ‚29. 
5° Bgl. Archiv IX, 438 — 440. 
e VI, 27: Postera die vocatus interrogabar ab eo jussu regis, si 
aliqua parte hereditatis meae eclesiam vellem adjuyare meam. 
" 88. X, ©. 176. 


XIV. 24 


358 


nen bedeutenden Amtsgeſchäften nicht angefangen und vollendet Haben 
kann. Bethmann! hat nun die Sache näher unterfucht und behaup- 
tet, daß Thietmar im Fahre 1012 die erften fünf Bücher und den 
größten Theil des fechiten, und zwar im letten Monate diefes Jahres, 
den Reſt des fechften im Jahre 1014, das fiebente am Ende des 
Yahres 1017 oder anfangs 1018, die erſten fieben Gapitel des 8. 
Buches im April 1018 verfaßt habe. Diefen Behauptungen Beth- 
manns, die auf höchſt fcharffinnigen Unterfuchungen beruhen, muß ich) 
doch Einiges entgegnen. Ginmal glaube ich nicht, daß Thietmar im 
Sahre 1012, und zwar nach dem Tode der Lindgard, der am 13. 
November erfolgte, die umfaffende Arbeit diejer ſechs eriten Bücher 
angefangen und vollendet haben fol. Am 15. November ijt Thiet- 
mar noch in Walbef und am 25. December fchon in Pölde?, und 
hätte aljo diefe Arbeit in etwa 4 Wochen gemacht. Das ift nicht 
gut möglich, ich glaube vielmehr, daß Thietmar die Stelle, die vom 
Tode der Liudgard handelt ®, und welche Bethmann, da diefer Todes» 
fall erit am 13. November 1012 ftattgefunden hat, zum Beweiſe 
für den Beginn der Arbeit Thietmars genommen, erjt fpäter einge- 
fügt Hat. Daß Thietmar überhaupt eingefügt, fteht feit*, aber auch) 
der ganze Charakter diefer Stelle, die mit den Worten: Sed quia 
duo vel tres ad unum sufficiunt testimonium, haec quae no- 
vellis nostris evenere temporibus seripsi, beginnt? und mit den 
Worten: Et ego repetam longius aberrata, ſchließt, fcheint dafür 
zu fprechen. Werner glaube ich, daß man vom Ende des jechjten 
Buches bis zum Anfange des achten wicht gut ein bejtimmtes Jahr 
für die Abfaffung jedes einzelnen Buches ſetzen fann, wie dies Beth- 
mann thut, jondern daß man richtiger annimmt, Thietmar habe, jo= 
bald er etwas Neues hörte, dum fama velox, aliquid novi ad 
scribendum deferat mihi’, wie er felbft VIII, 6 fagt, gejchrieben, 
und zwar das Ende des fechiten und den Anfang des fiebenten Bu— 
ches, worin die Jahre 1013 — 1018 behandelt werden, gleichzeitig 
mit den Greignifjen, ebenfo das achte Bud), dejjen erfte 7 Capitel er 
im Mai 1018 vollendet hatte. 


4. Die mündliche Meberlieferung in Thietmard Chronik. 


Thietmars von Merjeburg Chronik fcheidet ſich in Bezug auf 
ſchriftliche Quellenbenugung in zwei Theile. In den vier erjten 
Büchern verwandte er zu feiner Darftellung eine Reihe auch ung 
befannter Quellen der jächfischen KRaiferzeit®. Im zweiten Theile 


ı M. G. SS. III, ©. 727. 

* Bol. oben 353. 

® Thietm. I, e. 7. 

* M.G.SS. III, ©. 729. 

° M. G. a. a.O. ©, 738. 

° Thietmar benutzte die Annales Quedlinburgenses, die Vita Udalrici, 


309 


dagegen that er dies nicht, nicht einmal die ihm fehr leicht zugäng- 
fichen Quedlinburger Annalen find von ihm Hier bemußt worden !, 
Doc nicht allein aus schriftlichen, fondern aud) aus mündlichen Quellen 
hat Thietinar geſchöpft. Wie er dies that, werden wir aus der 
zweiten Hälfte feiner Chronif nicht erkennen können, da hier nicht zu 
unterscheiden ift, was aus Autopfie, was aus münbdlicher Quelle ge— 
floffen ift. Nur die Unterfuchung der erſten Hälfte wird in diefer 
Richtung zu einem Ergebnig führen. — Daß Thietmar mündliche 
Quellen für feine Darjtellung benuten wollte, geht aus I, 2 hervor 2. 
In der That fetten ihm eine reiche Yamilientradition ®, fein Aufent- 
halt in den Klöftern zu Magdeburg und feine vielen Reifen in den 
Stand zuverläffige Nachrichten für feine Chronif zu erhalten. Diefe 
mündlichen Berichte charafterifieren ſich äußerlich auf dreifache Weife, 
entweder werden fie durch die Anführung eines beftimmten Gewährs- 
mannes oder durch ein allgemeines Gitat angekündigt, oder der In— 
halt der Stelle verräth aud) ohne das eine mündliche Quelle. Nach 
diefen drei Gefichtspunften werde ich im Folgenden die mündlichen 
Quellen in den vier erjten Büchern zu fondern fuchen. 

Mündliche Quellen mit beftimmten Citat, d.h. ſolche Quellen» 
berichte, welche von Thietmar auf einen bejtimmten Gewährsmann 
zurückgeführt werden, finde ich im erften, zweiten und vierten Buche. 
Die erjte Stelle ift I, c. 7. Hier erzählt Thietmar eine Wunderge- 
ichichte des Biſchofs Balderich von Utrecht, die er von der Tochter 
feines Baterbruders, von Brigitta, der Aebtiffinn des Laurentiusklo— 
ſters in Magdeburg, gehört zu haben verfihert . Im zweiten Buche 
c. 8 erzählt Thietmar die Gefchichte einer Viſion bei Gelegenheit des 
Berichtes über die Beſetzung der Magdeburger Kirche durch Gifiler. 
Er führt für diefe Erzählung Dodico (mit anderm Namen Waltherd), 
den nachmaligen Biihof von Magdeburg and. Am Ende deſſelben 
Capitels folgt wieder eine Traumgefchichtserzählung, die ihm fein 


ben Widukind u. ſ. w., aber nicht den Auotger, wie dies noch bei Wattenbadh, 
Geſchichtsquellen, 3. Aufl. S. 263, behauptet wird. Vgl. meine oben angeführte 
Differtation: Thietmarus quibus fontibus usus sit ete., ©. 21 ff. 

ı Mattenbady a. a.O. S. 262 hält dies durch meine Abhandlung (S. 21 ff.) 
noch nicht für vollftändig erwieien. Sämmtliche annaliftiiche Stellen find aber dort 
bon mir verglichen worden. Während ſich nun nach einer Fritiichen Vergleichung 
des erften Theiles der Chronit (I— IV) die Benutung der Annales Quedl. 
fofort ergiebt, fommt im Thietmar V— VII feine einzige Stelle vor, die mit 
diefen Annalen irgendwie übereinftiimmt, ja manche Stellen bei Thietmar, 3. B. 
VI, 49, find bei weiten genauer, als die Angaben der Annales Quedlinbur- 
genses (cf. a. 1012). 

? „... quia antiquorum sagaci memoria certum indagare ne- 
queo, nec per scripta invenio.... M. G. SS. III, ©. 734. 

3 Bgl. die Stammtafel M. G. a. a.O. ©. 723. 

* Hoc ego cum subsequenti die nepti meae, quae Brigida dice- 
batur, ... referrem, ... tale percepi responsum. M. G. a.0.0. ©. 738. 

5 Post mortem quoque ejus Walterdo sibi dileeto, qui et Dodico 
vocabatur, ut ipse mihi pro vero narravit etc. M. G. a. a.O. ©. 762. 


24* 


360 


geiftlicher Mitbruder Husward berichtet Hat!. IL, ec. 11 citiert er 
für eine Wundergefchichte den Capellan Meftwins Avico?. Im vier- 
ten Buche bei der Erwähnung einer Viſion führt er Meinswith 
(wahrjcheinlid) einen feiner geiftlihen Mitbrüder) als Bürgen an?, 
ce. 44 feinen geiftlichen Mitbruder Husward * und c. 45 Marquard?, 
beide Male bei der Erzählung eines Traumgefichts. 

Sehr oft hat Thietmar das von ihn Berichtete nicht von einem 
Gewährsmann, fondern von vielen, dann citiert er, allgemein, entwe= 
der furz mit ‘audivi’ 'oder ‘a veracibus testibus accepi’, oder er 
führt die Bewohner einer Gegend ald Zeugen auf. So erzählt er 
gleich im Anfange feiner Chronif (I, c. 2), er habe ſich über die 
Herricher Merfeburgs von Chriſtus bis auf feine Zeit bei den hoch— 
betagtejten Yeuten erfundigt, aber nichts erfahren können. 

Die Gejchichte der Duelle Glomuzi bei Chemnitz, deren Localität 
er genau kennt, ihre wunderbaren Erjcheinungen, und wohl auch die 
Gejchichte des Biſchoffs Arn von Würzburg (I, c.3), der dort den 
Märtyrertod erlitt, hörte er von den dortigen Bewohnern, wie er 
jelbjt jagt®. Für eine Wundergefhichte aus Magdeburg eitiert er 
die Ausfage zuverläffiger Zeugen und wiederholt diejes Citat noch ein= 
mal in der Mitte deffelben Capitel8 (I, ce. 7). Im erſten Buche 
c. 8 erzählt Thietmar, König Heinrid) I. jei aus Neue über eine 
Schuld nad) Nom zur Buße gewallfahrtet. Diefe Erzählung führt 
er nur mit dem Worte faudivi’ ein®. I, c. 9 kommt Thietmar bei 
Gelegenheit des Berichts über Canuths Bekehrung zum Chriftenthum 
auch auf die Schilderung der heidnifchen Opfer derjelben, die er ge- 
hört hatꝰ. Eine Wundergefchichte berichtet Thietmar IL, c. 10 mit 

er i Confrater meus nomine Huswardus, ut mihi retulit. M. G.a.a.D. 
S. } 

°? Et id mihi indicavit Avico, capellanus tunc ejus (Mestwini) et 
spiritualis frater meus postea effectus. M. G. ©. 764. 

® Quae (mater Ottonis III) talia, ut mihi Meinswith post retulit, 
sicut ab ipsa percepit, in somnis vidit. M. G. ©. 770 

* Nec lateat te lectorem cujusdam fratris mei constantia Hus- 
wardi, von dem Thietmar eine Bifion erzählt und dann hinzufeßt: nobis om- 
nibus et antecedens ac consequens intimavit. M. G. ©. 786 u. 787. 

5 Nec taceam Merquardi visionem confratris nostri. Hic, utipse 
mihi gemens retulit.... M. G. ©. 787. 

° Ut incolae pro vero asserunt oculisque approbatum est a multis, 
©. 735. Daß die num folgende Gejchichte über den Tod des Biſchofs Arn 
auch aus derfelben Duelle geflofen ſei, jcheint mir unzweifelhaft aus der Notiz 
hervorzugehen, der Biſchof habe dort feinen Märtyrertod gefunden, wo heute 
no in der Nähe der Duelle oft brennende Lichter erblidt würden (ubi hodie 
sepe accensa videntur luminaria, S. 735). 

’ Sicut a veracibus accepi testibus ... . und fpäter: ut idoneum 
in multis approbat testimonium, cujus magnam partem scio, majorem 
autem ignoro, sed veracibus testimoniis credo. M. G. ©. 738. 

® Audivi, quod hic (Henricus) Romam causa orationis petens 
plus pedibus quam equo laboraret, et a multis interrogatus, cur sic 
ageret, culpam profiteretur. M. G. ©. 739. 

° Sed quia ego de hostiiseorundem antiquis mira audivi, haec in- 
discussa preterire nolo.. M. G. ©, 739. 


361 


bem allgemeinen Citat: „wie ich gehört habe“ !. II, c. 16 fällt Thiet- 
mar ein gutes Zeugniß über die Thätigkeit des Biſchofs Gero von 
Köln nad) der Ausfage feiner Zeit?, IV, c. 19 erzählt Thietmar 
von dem Tode des Biſchofs Bernward von Achaja, durch den Gott 
noch jet viel Wunder thue, „wie viele verfichern“ *. 

IV, c. 22— 25 erzählt Thietmar die Gefchichte des Grafen 
Ansfried und feiner Frau, namentlich des erjteren Wunderthätigfeit, 
al8 er nad) dem Tode feiner Gemahlin Biſchof von Utrecht geworden 
war. Am Schluffe der Erzählung citiert er für diefelbe „höchſt glaub- 
würdige Leute“*, und diefe fcheinen nad) einem vorhergehenden Gitat 
die Utrechter gewefen zu fein? Das würde dafür fprechen, daß 
Thietmar in Utrecht gewejen fei. Doc, fünnen wir dies nicht nach— 
weifen, am weiteften nad) Welten war er nachweisbar in Köln. Da 
nun Bruno von Köln in der Erzählung eine nicht unbedeutende Rolle 
al8 Erzieher des Ansfried Spielt ®, jo könnte man annehmen, daß dies 
in Köln ihm erzählt fei, und zwar auf Grund der Ausfage der Ut— 
rechter ; denn daß eine Erzählung von Augenzeugen vorlag, geht aus 
dem Detail hervor, das Thietmar giebt. 

IV, ce. 46 berichtet Thietmar über feinen geiftlichen Mitbruder 
Günther, was andere ihm erzählt haben '. 

Alle diefe Stellen mit beſtimmtem oder unbeſtimmtem Citat häu— 
gen alfo (mit Ausnahme der Stelle in I, ec. 2, wo Thietmar über 
die Urgefchichte Merfeburgs berichten will) mit Wundergefchichten und 
Zraumerfcheinungen zufammen. Bei folden Berichten war Thietmar 
alſo am genaueiten und fügte, wenn er nur fonnte, ftetS die Duelle 
Hinzu, aus der er die Erzählung entnommen. Diefe Strenge ift aber 
nicht nur eine Eigenthünnlichfeit Thietmars allein, fondern jenes gan— 
zen Zeitalters, das fich aus Wundergefchichten erſt die Profangefchichte 
zu erklären fuchte. 

Obgleich; wir nun in feinen fonftigen Berichten über Profange- 


= — —— autem, quod de ejus clerico audivi nomine Poppone. M.G. 
a. a. 

ı U — hodie declaratur, nomen et offitium Deo hominibus 
accepte, dum vixit, tota mentis devotione portavit. M. G. ©, 751. 

® Per quem quia plurima Deus faciat mirabilia, plures affirmant. 
M. G. ©. 776. 

* Bol. Ende IV, c. 24: Post translationem corporis sacri fragancia 
miri odoris percepta est in via, quae ultra tria miliaria veracissimo- 
gr — sicut ipsi testantur, nares perfudit et pectora. M. 

. 778. 

®° Quod dum niterentur, corpus a Trajectensibus sustollitur et 
levissime, sicut ipsi jurant, ultra aquam ducitur. G. ©. 778. 

IV, c.22: a patruo, seilicet suo equivoco, 15 comitatuum comite 
strennuo domino Brunoni archiepiscopo Agrippinensi traditur ad res 
militares. M. G. S. 777. 

” Hoc vidi et de caeteris audivi, quod vir justus et bene timo- 
ratus fuit, mitis et castus, et sicut hii, cum quibus modo requiescit, 
asserunt, — zu 'valere aput Deum, ut signis probatur in 
multis. M. @. ©, 


362 


fchichte nirgends das Citat eines Gewährsmanns finden, fo können wir 
doch mit Sicherheit annehmen, daß er auch in diefen Partien hie und da 
mündliche Berichte benußte; nur fügte er für diefes bei aller Bedeu— 
tung ihm nebenfächliche Hiftorifche Material nicht die Quelle Hinzu. 
An einzelnen Stellen wird e8 uns aber möglich fein aus dem Cha— 
rafter der Erzählung auf eine mündliche Ueberlieferung zu fchließen. 

Mindlihe Nachrichten ohne Citat, wohl aus Familientradition 
gefloffen, finden wir in der erjten Hälfte der Chronif Thietmars an 
manden Stellen. Zuerſt wird ein folcher Bericht wohl IL, c. 14 
fein, wo die Verſchwörung de8 Großvaters Thietinars gegen Raifer 
Dtto I. erzählt wird. Auch II, ec. 18 u. 19 beruht auf folcher 
Familientradition, hier wird das Verhältnig des Großvaters Thiet- 
mars, des Grafen Heinrich von Stade, zu Herzog Hermann von 
Sachſen gejhildert. II, c. 19 wird über die Schlacht bei Cidni be= 
richtet, in der Thietmars Vater Siegfried mitfämpfte. III, c.4 hat 
ebenfalls einen folchen Charafter, Hier wird der Feldzug Kaiſer Ottos IL 
gegen die Slaven bejchrieben, bei dem der Großvater Thietmars zu= 
gegen war. III, e.7, wo der Streit der Grafen Gero und Waldo 
und das Gottesgericht zwijchen beiden gejhildert wird, ift aus Fa— 
miliennachrichten: der Vater und ein Oheim Thietmars waren zuge= 
gen. III, c. 10 wird ein Zraumgefiht, das Thietmars Vater ge- 
ſehn, erzählt. Diefer Pafjus und der darauf folgende Bericht über 
einen Zug gegen die Slaven, auf dem Thietmars Vater activ war, 
rühren von diefem her. Ebenſo hat Thiemar den Bericht über den 
Kampf Mieskos von Polen gegen Boleslav von Böhmen im Jahre 
990 aus gleicher Quelle, denn fein Vater jtand damals auf Seiten 
Mieskos!. IV, ec. 11 wird ein Traumgeſicht mitgetheilt, das fein 
Vater gehabt. IV, ec. 16 berichtet Thietmar über die Gefangennahme 
feiner Oheime Heinrid), Udo und Siegfried von Stade. Auch dieje 
Nachrichten ftammen aus Yamilientradition. Ueber den Kampf des 
Biihof Gifiler bei Harnaburg (Arneburg) gegen die Slaven erhielt 
er Nachricht von feinem Oheime, dem Mearfgrafen Liuthar, der den 
Biſchof von feinem Poſten ablöfte ?. 

Es ift das Verdienſt von W. Giejebrecht zuerjt darauf aufmerf- 
fan gemacht zu haben, daß die Chronif Thietmars Spuren ausge- 
bildeter Sagen in ſich trägt. Er hat dies für eine Stelle des drit- 
ten Buches nachgewiefen, für den Bericht Thietmars über die Schlacht 
in Galabrien (982)? Es ilt anzunehmen, daß Thietmar noch an 
anderen Stellen jagenhafte Partien Hat, und glaube ich einige zu der 
Gieſebrechts Hinzufügen zu können. 

Die Sage zeigt fih uns ihrem Urfprunge nad immer münd— 
(ih, fie motiviert jofort da8 Ereigniß, während die Annaliftif nur 


1 Bol. den ausführlichen Bericht über diefen Kampf im 9. Kapitel des 
vierten Buches. 

2 Bol. IV, c. 25. 

3 Bol. Thietmar III, c. 12. Miüllenhoff und Scherer, Denkmäler, 2. Ausg. 
S. 337. 


363 


kurz dafjelbe notiert. Später erweitert fi der ganze Stoff und wird 
bis in die Eleinften Details ausgemalt!. Solche Sagen bildeten fich 
jedod) nicht nur im Volke allgemein aus, ſondern auch in einzelnen 
Kreifen, jo namentlich, wie ich glaube, in den Grenzen eines Bis— 
thums, in der Umgebung des Königs oder eines Biſchofs. Der- 
artige jagenhafte Partien, die weniger Gemeingut des ganzen Vol— 
fe8 als beſtimmter Kreife waren, finden ſich auch bei Thietmar. Sie 
werden aber nicht auf die Unzuverläfjigfeit des Schriftfteller8 deuten, 
fondern gerade auf eine große Genauigkeit aud) im Sammeln folcher 
Nachrichten, und vorjchnell iſt e8, aus diefen Gründen bei einem fo 
gewilfenhaften Schriftiteller wie Thietmar anzunehmen, daß er hie 
und da fabelte, wie dies Dönniges auf Grund einer ihm unerflärli- 
chen Stelle der Chronif Thietmars behauptet ?. 

Die erite jagenhafte Stelle bei Thietmar fcheint mir I, c. 3 zu 
fein. Hier wird die Geſchichte des Apoftels Kilian erzählt, der von 
den Schotten fommend bei Würzburg das Cvangelium predigte ®, 
dort aber durch die Gemahlin des Herzogs Gozbert mit feinen Ge— 
fährten Kolomann und Zotmann den Märtyrertod fand. Eigenthüm— 
(ic) wird diefer Bericht dadurch, daß Hinzugefügt wird, der Küchen— 
meijter (magister coquorum) habe dies vorausgefehen und feine Zög- 
linge durd) folgende Worte ermahnt: Nolite tardare, sed quae 
vobis sunt credita diligenter et sine mora operamini. Dominus 
enim noster Kilianusinclita ex se nunc agit signa absque omni 
mora. Der magister coquorum ijt aber in jener Zeit eine denk— 
würdige Perfönlichfeit, er ftand in großem Anfehn beim Volke ımd 
hatte etwas Heiliges an fih*. ine ähnliche Rolle fpielt er auch 
in der Efbafis®. I, c. 13 wird erzählt, daß Karl von Lothringen 
Heinrih) I. um Hilfe gegen einige Empörer gebeten habe. Während 
Midufind I, ec. 30 bejtimmt fagt, Heinrich habe dies nicht gethan, 
fagt Thietmar mit emphatifchen Worten: Nec mora inclitus miles 


ı Bol. Döllinger, Bapftfabeln ©. 34 ff., und in den Nachrichten der 
König. Gefellichaft der Wiffenfchaften zw Göttingen 1863 die Abhandlung 
über die Vita Ezonis von Wait, S. 10, wo der Berfafjer mit Recht behaup- 
tet, daß folche größere aufgezeichnete Sagen aus Liedern gefloffen feien, die der 
Schreiber aus dem Munde des Volkes entnahm Das bemeift auch eine Stelle 
bei Thietmar V, 1. Hier heißt e8 über Heinrih IL: De quo (Henrico II.) 
post mortem imperatoris cuidam venerando patri revelacione divina 
sic dietum est: Recordaris frater, qualiter cecinit populus: ‘Deo 
nolente voluit dux Heinricus regnare’, nunc autem debet Heinricus 
divina predestinatione regni curam providere. Treffend überfetst Laurent 
(Gefchichtjchreiber der deutſch. Vorzeit XI. Jahrh. I, S. 140) diefe Stelle: 
Erinnerft du dich, Bruder, daß einft das Volk fang: , 

Herzog Heinrich wollt’ regieren, 
Unfer Herrgott wollt! e8 nicht? 

2 Bol. Dönniges, Jahrbücher des deutfchen Reichs unter Otto J. ©. 30 ff. 

= Bol. Wattenbach a. a.O. ©. 97. 

* Bol. 3. Grimm und A. Schmeller, Lateinifche Gedichte des 10. und 
11. Sahrhunderts ©. 386. 

5 Bol. ebendafelbft ©. 251 u. 252, 


364 


invietrieibus se armis eircumeingens, proximum laborantem 
visitat etin erepeione ejusac restitucione dignus operator mer- 
cedem suam promeruit et honorem pristinum sibi suisque 
successoribus in tantum adauxit, eine Schilderung, die von der 
fonft einfachen Erzählung Thietmars auffällig abweicht. An Ddiejen 
beiden Stellen vermuthe ich) eine fagenhafte Ueberlieferung. Unzwei— 
felhaft jcheint mir aber eine folche vorgelegen zu haben in I, ce. 14. 
Hier erzäglt Thietmar eine Klatihgeihichte von König Heinrich und 
feiner Gemahlin Mathilde. Am grünen Donnerstage habe nämlich 
der König einmal feiner Frau beigewohnt; da habe Satanas bewirft, 
daß der fo gezeugte Sohn, der nachmalige Otto I., die Folgen diejer 
Berfündigung gegen die Heiligkeit der Charwoche habe tragen müſſen, 
denn unter ihm fei nie ein ficherer Friede im Reiche geweſen. Dieſe 
Erzählung ijt bis in die Kleinften Details von Thietmar ausgemalt, 
ohne Angabe einer Quelle; hätte er fie von einer beſtimmten Perfon 
erfahren, jo hätte er, wie er ja jonjt eine große Kigorofität bei 
Wundererzählungen beobachtet, namentlich da fie dem föniglichen Ge— 
ichlechte einen Vorwurf macht, jedenfalls den Gewährsmann citiert. 
Sie jcheint aber dem Thietmar jo feitzuftehen, daß er das Citat un 
terläßt und mur durch eine andere Ähnliche Begebenheit zu erflären 
ſucht. Die ganze Sage iſt aber jedenfalls erft unter Otto I. ent- 
ftanden, als man jich die fortwährenden Kriege unter diefem Könige 
erklären wollte md nad) damaliger Anfchauung als Strafe Gottes 
auffaßte. 

Ebenso finde ich in II, c. 15 entſchieden die Spur fagenhafter 
Ueberlieferung. Hier wird erzählt, auch Erzbiſchof Bruno habe ſich 
einmal eine Untreue gegen feinen föniglichen Bruder Otto I. zu 
Schulden fommen lajjen. Bruno habe nämlich als dux Lotha- 
ringiae, wozu er von Otto I. im Jahre 953 ernannt wurde, dem 
Könige von Francien die lothringifche Königsfrone verſprochen, ihn 
and am Djtermorgen zu Köln Erönen wollen, doch da habe fich fein 
Herz gewendet, und befonders durch die Rede feines Geheimfchreibers 
Folkmar fei er von feinem böjen Wege zurücgefehrt. Dönniges ? 
verwirft diefe ganze Geſchichte als fabelhaft. Doch fünnen wir mit 
Beitimmtheit jagen, Thietmar bringt nie Fabeln, er hat diefe Erzäh- 
fung dem Munde bejtimmter greife entnommen, die ein unbe— 
deutendes Faktum, über das vielleicht mit Abficht Nuotger in feiner 
Vita Brunonis nicht8 bringt, weitergejponnen und ausgemalt haben ®. 


! ®Bgl. Ruotgeri vita Brunonis c. 20. Flodoardi Annales a. 953 
und Cont. Reginonis a. 953. 

2 Dönniges, Jahrbücher des deutjchen Reichs unter Dtto J. a. a. O. 

3 Daß Bruno bei manden Geiftlichen jener Zeit in nicht beſonders gutem 
Rufe ftand, fcheint mir aus Thietmar Il, c. 10 hervorzugehen. Hier wird ein 
Traumbild des Faiferlichen Kapelans Poppo erzählte Diejer habe einmal im 
Zraume fi) in den Himmel verfetst gefehen. Hier ſei Bruno von Köln wegen 
nichtiger und eitler Anwendung der Philoſophie verklagt, aber von St. Paulus 
mit Erfolg vertheidigt worden. Siehe SS. III, ©. 748. Bekanntlich ftellte 


365 


Dieje Stellen beweifen, daß Thietmar an mehr als einer Stelle Sagen 
in feine Chronif aufnahm. 

Nicht überall wird man in Thietmars Chronifon genau nad)= 
weijen fönnen, ob mündliche oder schriftliche Quellen zu Grunde 
liegen, doch wird man von einigen Berichten mit ziemlicher Beftimmt- 
heit den Ort nennen können, von dem fie herrühren. Solde Be- 
richte Stelle ich im Folgenden zujfanımen. I, ec. 4 erzählt Thietmar 
die erfte Ehe König Heinrichs I. mit der Hatheburch der Tochter 
Erwins aus Magdeburg. Dieſe Erzählung hat Thietmar ganz allein, 
ſelbſt bei Widukind wird nur des aus dieſer Ehe entſproſſenen Soh⸗ 
nes gedacht!. Der Ort, an dem die Werbung ſtattfindet, iſt Mer— 
jeburg. Auch nad) der Heirath halten ih Heinrich und Hatheburd) 
hier auf. Der Vater der Hatheburd) ift ein Mann, dem ein großer 
Theil Merfeburgs gehört *. Alle diefe Angaben fcheinen ficher Mer— 
jeburg als den Ort der Quelle zu bezeichnen. I, ce. 8 berichtet Thiet- 
mar, wie Heinrich I. auf der Flucht vor den Ungarn in die Stadt 
Büchen fi rettete und fo dem Tode entrann. Da Püchen fpäter 
zur Diöcefe Thietmars gehörte, auch ganz nahe Merfeburg lag, fo 
kaun man mit Sicherheit annehmen, daß Thietmar von dort diefe 
Nachricht erhielt?. Das fcheint auch der Zufag, den Thietinar macht, 
zu bejtätigen, daß nemlich die Einwohner von Püchen ſich noch jetzt 
der Rechte erfreuen, die Heinrich I. ihnen damals ſchenkte“. I,c. 12 
erzählt Thietmar die Gejchichte des Biichofs Sigmund von Halber- 
jtadt. Aus der Hinzugefügten Beichreibung feines Grabmals geht 
hervor, daß Thietmar es ſelbſt gejehen, und man darfwohl annehmen, 
daß er ſich an Ort und Stelle über das Leben des Biſchofs erfun- 
digted®. Einiges mag ihm auch Biſchof Hilliward von Halberftabt 
mitgetheilt haben, der Thietmar getauft und confirmirt hat®. Andere 
Nachrichten, die Thietmar von feinen geitlihen Mitbrüdern zu Mag- 
deburg und Merjeburg erhielt, zeigen fi II, c. 5, wo Thietmar ge— 
nan die Gründung der Abtei Magdeburg erzähft, ebenfo II, ce. 11, 


Bruno das Studium ber fieben freien Künfte wieder ber. Vita Brunonis 
von Auotger c. 5: oblitteratus diu septem artes retexit. Ueber jeine 
philofophierende Zhätigfeit c. 6: Saepe inter Graecorum et Latinorum 
doctissimos de philosophiae sublimitate aut de cujuslibet in illa flo- 
rentis diciplinae subtilitate disputantes doctus interpres medius ipse 
consedit. 

ı Bol. Widukind I, ce. 21. 

” Xhietmar jagt I, c. 4: Haec erat filia Ervini senioris, qui in 
urbe predicta (Merfeburg), quam antiquam civitatem (Altftabt) nomina- 
mus, maximam tenuit partem. M. G. ©, 735. 

° 'Thietm. VII, 16. 

* Urbanos majori gloria, quam hactenus haberent vel compro- 
vinciales hodie teneant, et ad haec muneribus dignis honorat. M. G. 

. 789. 


° Positum est autem corpus prefati presulis in dextera parte altaris 
protomartiris in gradu prejacenti, ut ipse antea premonstravit, 
non jacendo, sed supra cathedram sedendo. M. G. ©, 741. 

6 'Thietm. IV, 12. 


366 


wo die Uebertragung der Gebeine des heil. Mauritius nad) Magde- 
burg gejchildert wird. Aus Merſeburg jcheint ferner II, c. 12 her- 
zurühren, wo die Geſchichte des Biſchofs Boſo von Merfeburg, eines 
Borgängers Thietmars, erzählt wird. Die Beichreibung, wie Erz= 
biſchof Ethelbert bei Merfeburg erkrankte und ftarb, ift jedenfalls aus 
Merſeburg. Thietmar weiß ganz genau anzugeben, wo Ethelbert in 
der Nähe der Stadt ftarb und bei wen er fi) zuvor aufgehalten 
at!, 

2 Berichte, die er auf feinen Reifen erhielt, verrathen auch einige 
Stellen in den vier erften Büchern. I, c. 19 wird die Zerftörung 
von Lebus unter Heinrich I. erzählt. Dies hat Thietinar wahrſchein— 
li) an Ort und Stelle erfahren, da er fid) nachweislich einige Zeit 
in Lebus aufgehalten Hat?. Die genaue Nachricht, daß Berengar 
nad) Bamberg verbannt und dort auch gejtorben jei, verdankt Thiet- 
mar auch wohl feinem Aufenthalte dort?, ebenfo feinem Aufenthalte 
in Regensburg * die genauen Angaben über die Bijchöfe Günther und 
Michael von Negensburg (IL, c. 17), die Gefchichte Geros von Köln 
feinem Aufenthalte in Köln?, — 

Die Refultate der vorftehenden Unterfuchung in Bezug der münd- 
lichen Duellenbenugung Thietmars find aljo folgende: 

1) Thietmar citiert bei feinen mündlichen Quellenberichten nur 
bei der Erzählung von Wundergejchichten und Bifionen, er führt dann 
entweder einen beftimmten Gewährsmann oder die Ausjage meh- 
rerer an. 

2) Thietmar erhielt feine mündlichen Nachrichten von feinen 
geiftlichen Mitbrüdern, von den Bewohnern eines Ortes oder von 
feinen Verwandten. 

3) Thietmar nahm fagenhafte Partien in feine Darftellung auf, 
en die überlieferten Erzählungen gewijfer Kreife, er citiert auch hier 
nicht. 

4) Bei vielen Berichten über Profangeſchichte, die nicht mit 
Wundern zuſammenhängen, in denen auch keiner ſeiner Verwandten 
activ auftritt, können wir zwar nicht ſagen, ob ſie aus ſchriftlicher 
oder mündlicher Quelle gefloſſen ſind, doch annähernd den Ort, wo— 
her der Bericht gekommen iſt, nach ſeinem Itinerar beſtimmen. 


! Thietm. III, 8: proximamque noctem cum Hemusone venerabili 


laico laetus duxit. 
° Thietm. VI, 39. ® VI, 40. ‘ VI, 27. 
5 VI, 30. 


Kleinere Mittheilungen. 


Bericht des Herzogs Chriſtian von Braunfchwei 
über 8 Rückzug nad) Stadtlohn. ö 


Bon 3. O. Opel. 





In meinem Buche „Der niederfächfiich- dänische Krieg“ Bd. I, 
S. 540, habe ic) bereit8 auf einen Bericht Chrijtians von Braun 
ihweig an Mori von Oranien über feinen Rüdzug nad) Stadtlohn 
aufmerfjam gemacht, welcher auszugsweile in Wilfons History of 
Great Britain 242 ff. enthalten iſt. Unmittelbar nach der Schil— 
derung der Schlacht Iefen wir hier nämlich folgende Stelle: The re- 
liques of this broken army tbat scaped, the author saw at 
Eltem on the hill in Cleveland, and this relation was made 
by the duke of Brunswick to Maurice prince of Orange for 
his own vindication. And from a French copy that the duke 
gave to theearl ofEssex, he! translated it then into English, 
that some of our nation there might partake of the true 
knowledge of his misfortunes. In deutjchen Archiven fcheint 
diefer Bericht des Herzogs nicht mehr vorhanden zu fein, wenigftens 
bin ich ihm nirgends begegnet. Dagegen habe ich wenigjtens ein 
Stück deifelben, und zwar in franzöfiicher Sprade, in der Gamerari- 
fhen Sammlung zu Münden?, deren Durchficht ich der Yiberalität 
des Herrn Directors Halm verdanfe, angetroffen. Er ijt natürlich 
ihon als ein Driginalbericht des jtürmifchen, Eriegerifchen Herzogs 
von Wichtigkeit. Allein er verdient auch wegen feiner Ausführlichkeit 
und der lebhaften Schilderung, in welcher der Herzog die Schuld des 
Mißlingens ausfchlieglic den Heerführern beimißt, Beachtung. Die 
abgefürzte Beichreibung, welche Wilfon, von dem Rückzuge gibt, wird 
erſt durch die bejonderen Angaben des Originalberichts recht ver- 
jtändlid). 

Bevor wir jedoch das Bruchſtück — denn als folches jtellt es ſich 
heraus — mittheilen, wollen wir den Eingang der Beichreibung, wel- 
chen nur Wilfon, und zwar alfer Wahrfcheinlichkeit nad) nicht ohne 
Zufäte, darbietet, vorausichiden?: 


1 Gemeint ift doch wol ber Berfaffer, the author. 
2 Collectio Camerariana XLVII. Cod. Manh. Bl. 264—266. 
:s Wilſon a. a. O. S. 242, 


— 


370 


The commanders in chief of this army under the duke 
of Brunswick were duke William of Wimar, marshal- ge- 
neral of the field, count Stirum, general of the horse, 
count Isenbourg, general of the ordnance, and Kniphuisen, 
sergeant-major - general, men acquainted with war and 
danger. But whether the divine fate had laid a mouldring 
hand upon this gallant army, or ‚whether the enemy with 
a full hand had charmed some of these great officers (as 
by the carriage of the business may be suspected) to be 
of his party, was not discovered; but the ruin of it was as 
strange for the manner as unknown for the means. For 
after Brunswick had taken a resolution at Kettington! in 
Brunswick-land to joyn with the prince of Orange, he de- 
clined all occasions of encountring with Tillie, the imperial 
general, who was with an army at a good distance atten- 
ding Brunswicks motion, not knowing (as may be conjectu- 
red), whether he would bend his course into the palatinate or 
into the Low-countries, so that upon Brunswicks march he 
left him in his reer. And lest Tillie should follow him? too 
close and interrupt him in his army into three brigades: 
the van-guard was commanded by duke William, in which 
was three regiments, his own, colonel Mayers and colonel 
Frenkes; Kniphuisen, the serjeant-major-general had the or- 
dering of the batail, the collonels under him were Guertsken 
and Spar. And the count de la Tour brought up the — 
with duke Bernard of Wimars regiment, the Rhinegrafs an 
colonel Spees, with direction that these three bodies should 
keep equal distance and observe this order: that having in 
their march the enemie at their backs, if the rear-guard 
made a halt, the battail should to the same, and consequently 
the van-guard (according to the best diseipline), attending 
with firm foot the cause of the halt, thatthey may be ready 
to put themselves in order for service, if occasion were pre- 
sented. The army thus coming to pass any passage, while 
the van-guard did advance, the battail and rear-guard should 
make a stand with the front towards the enemy. The van- 
guard being past, also should do the same for the rear-guard, 
that they might be ready upon the approach of an enemy 
to assist one another. 

With this order and direction they began to march into 
Westfalia, Brunswick trusting to Stirem, Kniphuisen and 
Frenck, who being natives of the country gave him assu- 
rance of the save conduct of his army by wayes short and 
commodious. And he commanded especially the general of 
the horse, to sent out parties of horse every way, that he 


1Es fann nur Göttingen gemeint fein. 
2 Wilfon ©. 243. 


371 


might have intelligence of the enemies motions, who gave 
him assurance, that the enemies army was not within thirty 
English miles, when by other hand at the same time he had 
certain notice, that the enemy was within three English mi- 
les with his whole power. This miscarriage made Brunswick 
hast away to Newburgh, the next town, where resting a 
little he took a resolution to march all night, to recover 
time and ground again, that Stirums negligence had made 
him lazily lose. And to that end he commanded Kniphuisen 
and count Isenbourg to make the baggage march at eleven 
o clock at night, the cannon at midnight, and the army two 
hours after. But Brunswick getting up at three o clock in 
the morning, hoping to find his commands obeyed and the 
army in a good forwardness of advance, found nothing done 
and these great officers in their beds. This disobedience 
of his officers troubled Brunswiek much, but he was con- 
strained to diligence as well as patience. And hastening 
them away, they pretended forwardness, but made it light 
of the clock in the morning, before the rear-guard stirred 
out of their quarters. 

Bon hier haben wir dem franzöfifchen Texte des braunfchweigifchen 
Berichts die englifche Ueberarbeitung zur Vergleichung beigefügt. Aus 
ber Ueberfchrift des erjtern geht hervor, daß vornehmlich der Eingang 
bes franzöſiſchen Originalberichts verkürzt oder verftümmelt ift. Auch 
der Schluß jcheint mir nicht ganz volljtändig zu jein. 


Colleetio Camerariana XLH. Cod. Mon. 397. 
H. Chriftianus’ von Braunjdweig Klag wider den 
Oberjten Kniphauſen. 


Lordre donne de marcher estoit tel. 


1. Apres que le bagage, canon et toute l'infanteri fu- 
rent hors du troisiesme passage, marchants au quatriesme, 
il me fut dit, que lennemy marchoit en bataille un quart de 
lieuö de nous, partant allay vers ma cavallerie arrestee nay- 
ant passe aucuns destrois, et commenday au comte Stierem, 


Wilson ©. 243 ff. 


1. From Newburgh to Statlov bridge (a place of security) was 
but fourteen English miles, and there were in that way seven passa- 
ges or straits, where a few men might oppose an army. The bag- 
gage, cannon and munition (except six pieces with munition, that 
marched with the rere-guard) had past them all(?) and the foot three 
of them without disturbance, but count Stirum with the horse witered 
still behind at Newburgh, which caused Brunswick to make the 
whole army face about and stay for the horse sending a striet com- 


372 


general d’ycelle, d’advancer en bon ordre et n’arrester pour 
aucune chose, quoiqu’il survienne quelques escarmouches. 
Puis restournay a liinfanterie au quatriesme passage et vo- 
yant que ladite cavallerie n’avancoyt, luy envoyay dire quelle 
marchast et se joignist a l’infanterie, pour repousser l’ennemy 
qui se voulait jetter sur la queu@ des nostres, a cause que 
les passages (distans seullement l’un de l’autre d’un quart de 
lieue) ne furent gardez par ceux qui en avoyent eu charge. 
Ce qu’entendant restournay au troisisme passage, commendant 
a Stierom d’envoyer de ma part 500 mousquetaires, pour 
retirer les engagez des nostres par la faute de Knyphaus, 
sergent-general de Ja bataille et chef de l’arriergarde. De 
rechef m’en viens ici au quatriesme passage, ou attendis ma 
cavallerie qui estoit en desordre, et fis halte avecq toute l’in- 
fanterie plus de trois heures. Soudain quelg’un madvertit 
que lennemy estoit passe a la queu@ de ma cavallerie et 
qu’il s’aprochoit en haste. Croyant quelle fust engagee, ju- 
geay nessessaire de l’aller regevoir avecq l’arriergarde de 
Vinfanterie pour le quatriesme passage, faisant donc tourner 
face et approchant trouvay Knyphaus, a qui demanday si 
elle estoit engagée, le quel respondit que tout alloit bien. 


Toutefois advanceant je recogneus le contraire, car l’en- 
nemy l’avoit ja attacque. Enfin fallut dilligenter dela joindre 
a linfanterie pour meilleure asseurance et la desangaiger 
par la faveur de deux milles mousquetaires. Or arrivay au 
quatriesme passage (tres commode pour nous) un certain 
cavallier, le demanda en sa protection sur sa vie et qu'il 
Vavoit bien recogneu. Knyphaus toutefois le print en la 
sienne par nostre accord avecq les 2000 mousquetaires. 


mand to Stirum with all speed to come up and joyn with the foot 
and not to skirmish with the enemy at any rate. But he stayed so 
long that the enemy began to charge him in the rere, before he ad- 
vanced to the third passage, so that he sent to Brunswick for five 
hundred musqueteeres to amuse the enemy, till he had passed the 
third passage. The duke sent these musqueteers according to Sti- 
rums desire, and advancing his army forward, he passed the fourth 
passage, and there made the rere of his foot face about, the better 
to favour and receive his horse. Which having done, he speeds back 
towards Stirum, to see how the business went with him, and incoun- 
tring Kniphuisen, he asked him what the enemy had done? Who 
answered: ‘Nothing, all is well. But Brunswick going forward, 
found the contrary, for the enemy had made a great slaughter, 
laying almost a thousand horse upon the ground. 

This perplexed Brunswick exceedingly, so that whith some passion 
he sent a command to Stirum to advance his horse towards the body 
of the army, who had stayed three hours for tlem at the fourth 
passage,. whither the duke returned to secure the same, planting two 
peeces of demicannon at the mouth of the passage, and leaving two 
thousand musqueteeres to guard it for the assistance of the horse, if 


373 


Ainsi que cheminions, Stierom avoit la main droicte, le quel 
entra dans le bois et laissa l’infanterie a. descouvert sans 
nulle ayde, et Knyphaus, a qui javois laisse deux regiments 
de cavallerie, sur le passage bien muni de fosse, bois, hayes 
et autres les laissa. 

2. Puis venant au cinquiesme trouvay led. Kniphaus 
en chemin et luy demanday, si son ordre estoit bien garde, 
qui dit tresbien, a linstant survindrent quelques cavalliers 
disant que les 2000 mousquetaires a luy laissez se retiroyent, 
quoy oyant linterrogeay de plus, si le lieu estoit conserve, 
respondit qu’ouy. Les cavalliers oyant cela sapprocherent 
et luy demanderent, comment il estoit conserve, aux quels il 
advoua estre delaisse, et que l’ennemy lavoit passe en haste. 
Lors il luy dirent, que cestoit un zele de bon service, et a 
moy, que j’estois desgeu — quil m’eust aſsseuréeé deux 
fois dud. lieu) redoublant luy demanday: ‘comment est-il 
possible, que l’ennemy ayt desja passe’? Et l’envisageant 
pour scavoir le vray, dit quil ne pouvoitresister a une armee 
entiere. Lors me tournay vers les cavalliers, et leurs dis: 
‘que ne m’avez-vous donne plustost advis’! et dis: ‘“trahison, 
trahison , je suis trahy’. Que voyant Knyphaus tout trouble 
me dit: ‘Monseigneur, jay recogneus que ce passage respond 


the enemy should come to charge them at the entrance, and so he 
marched forward with the rest of the army. But Stirum drew the 
horse into a body ander the side of a wood, which was in the middle 
of a spacious plain betwixt the two passages, and that brought the 
enemy to a stand: for they suspected, the whole army stood in batte- 
lia behind that wood, and therefore did not advance, which shewed, 
they watched only for advantages.. And Stirum seeing the enemie 
at a stand, drew his horse towards the fourth passage, which the 
enemy observing made allthe haste after that could be, to pelt them 
in the rere, but the horse passed the fourth passage, before the enemy 
came up. 

2. "Then Brunswick drew off his cannon and marched away to 
the fifth passage, leaving Kniphuisen (who undertook it voluntarly) 
with two thausand musqueteers, to make good that passage, which 
was of that advantage, that half the men might have done it, and 
twoo regiments of horse were left to give assistance to the foot, to 
bring them off, when they should retire and joyn with the army. 
But the van -guard to Brunswicks army had scarce entred the fifth 
passage, but he discovered some musqueteers running towards a 
wood, that was on thisside and not far from the fourth passage, and 
riding back to see whether all stood firm, he met Kniphuisen and askt 
him if the p e was made good. Who answered: “Take you no 
care, trust me’. But presently discovering some of the officers that 
had command of the musqueteers, running towards the army, he took 
a more lively apprehension, that the passage was lost, and meeting 
Kniphuisen with some head: told him, he had betrayed him. But 
Kniphuisen excused himself that he could not keep it against an 
army, and complained tbat the horse had abandoned him. ‘But, said 


XIV. 25 


374 


au. einquiesme, et quil est en moy le deffendre contre toute 
force, laissez le moy doneq en ma charge avecq un regiment, 
et si je ne le conserve, faictes moy esquarteler. Quoy oyant 
jJugeays bon luy donner un regiment complet d’infanterie 
a son choix, demy quart d’heure apres me dit quil le pou- 
voit garder avec 100 mousquetaires. Lors luy dis estre 
grande difference dun regiment a 100 mousquetaires, neant- 
moings il en prit 500. 

3. Comme nous eussmes passe le cincquiesme, on mad- 
vertit d’attendre Knyphaus, parce que plusieurs cornettes en- 
nemyes marchoyent de lautre cost& pour attacquer le ba- 
gaige de l’avantgarde (chose neantmoins inaueree (?)). Je- 
stois encore alors abandonne de ma cavallerie, qui faisoit 
halte une heure et demye dela le bois, en fin recogneus 
venir aud. passage le regiment de cavallerie du prince Alten- 
bourg, auquel feis commandement passer et se teniren main 
senestre pour conserver le bagaige. Puis manday au comte 
Stierom, qui (?) vint vers nous en bon ordre et que suivit la 
queue de l’infanterie, affın dempecher les pretensions de l'en- 
nemy. En ceste fagon je demeurois aux abois dicelle et de 
larriere garde. Mais voyei venir Knyphaus, a qui deman- 
day, silgardoit le cinequiesme passage, qui me dit fort bien. 
Sur ces propos japerceus approcher les soldats en nombre, 
qui tornoyent visage vers nous, luy demanday, si cestoit 
des nostres. Il me respondit estre ceux qui gardoyent le 
passage. Lors je luy dis: ‘il nest pas possible, car ils soui- 
vrent(?) et tournent vers nous’. Les quels advances passerent 
au cincquiesme come au quatriesme, faute destre gard& par 
Knyphaus, qui senfuyit sans attendre un coup de mousquet 
et quitta ce lieu comme les autres. Or lennemy approchant 
je eriay: ‘A tout, A tout’, et mis ordre que la cavallerie 
sadvance faisant bracquer deux pieces my-canons affın d’em- 


he, the next passage is of as great importance as the last, and i will 
undertake to keep that upon forfeiture of my head, to redeam my 
eredit again’, and to that end he desired an entire regiment of foot, 
which the duke granted him, but assured him, he should answer it, 
if any ill succeeded by his default, 

3. Whilest the army was passing thefifth passage, the duke sent 
to know, whether the horse, placed according to his direction in the 
rere, made good their station, and he had intimation, that the horse 
were retired close to a wood, and by that means discovered the foot 
to the enemy. And the army was no sooner passed the fifth passage, 
but Kniphuisen quitted it tho the enemy, without so much as a mus- 
quet shot forward them. And the more to weaken his force (before 
he quitted the passage) he comes to the duke and tells him (but it 
was not true), that the enemy with thirty cornets of horse struck 
towards the left hand, to cut away to the baggage to possess that. 
And Brunswick looking about perceived within a little wood not far 
off a body of horse, which proved to be the prince of Ouldenburgh (?), 


375 


eischer l’assaut. Voyant ma cavallerie jointe je mesjouys 
Gore de petite duree), car elle se retira aussitost dans le 
bois et abandonna l’arriere garde. 

4. Peu apres Stierom me fit dire que les mousquetaires 
ennemys blessoyent nostre cavallerie. Enfin restant presque 
seul en campaigne je fis tirer les deux my-canons, qui re- 
pousserent lennemy a grand haleine, et larriere garde se 
retirant en la bataille, nous allasmes au sixiesme passage en 
bonne heure. Lequel fut donne en garde a Kniphaus avecq 
500 mousquetaires. Affın de donner temps a lavantgarde 
et armee, l’arriergarde nous devoit suivre pour nestre presse, 
mais elle fit halte avecq Knyphaus. Comme nous advancions 
oultre, je recogneus sur le chemin du septiesme passage une 
campaigne vaze (? vas&?), marescageuse, estimant que l’en- 
nemy ne pouroit nous joindre avecq sa cavallerie, doncq ren- 
gees en bataille, j’aperceus l’ennemy, qui estoit esparts par 
nos canonades. Je posay davantage descadrons en bataille, 
nous tenans prets pour attacquer de nuict, que je croyays 
nous estre favorable, puis advancer les deux ou trois lieues 
de reste et nous asseurer par ce moyen. 

Passant nostre chemin arrive lennemy (que mon arriere 
garde eust aisement battu) au sortir dun champ labourable, 
et mesme que ma cavallerie le touchoit pres du bois, si elle 
ne se fust escartee de rechef encore une heure et demye de 
moy et fut trois heures absente de nous. Je fis doncq ad- 
vancer quelques escadrons et manday maintefois a Stierom, 
quil fit dilligence pour retirer mon arriere garde et infanterie, 
le quel s’excusa a cause des marras. Je luy fis dire quil 
suive nos pas, mais pour toute mes instances neffectua rien. 
Javois aussi adverti Kniphaus de se haster vers la bataille 
et avantgarde, pour s’assurer du bois, dou il pouvoit mettre 
en desroutte lennemy: ce qu'il negligea. 

En apres commenday au conte d’Isenburg de dilligenter 
avecg six pieces de canon (?), pour mettrel’ennemy en fuitte: 
mais la cavallerie Knyphaus ny le comte d’Isembourg ne sui- 
virent l’ordre, tellement que l’ennemy voyant nostre desordre 


who was colonel of a regiment of a thousand horse, whom he sent 
to resist the enemy, if they should attempt upon the baggage. 

4. And advancing his army to the sixth passage, he passed that 
also before the enemy came to it; but here was Brunswicks error in 
trusting Kniphuisen the third time, which was only as he said to re- 
deem his former faults, for he gave the keeping of this sixth passage 
to him also, which he delivered to the enemy at their first approach, 
as he did the others. Anddrawing therere-guard out of the way on 
the right hand (contrary to Brunswicks commands) and the general 
of the ordnance striking out on the left hand with his body and 
cannon, and Stirum, sheltring himself in the woods with his horse, 
the enemy advanced freely (seeing them thus scattered) and charged 


25* 


376 


et appercevant l’arrieregarde recardee!, vient au sixiesme 
passage, comme es autres sans difficulte, et enfl& de gloire 
se servit de l’occasion attacquant mon arrieregarde en un 
champ command& dun bois. 

Moy voyant cela priay et suppliay la reste qui maccom- 
paignoit, d’aller en secours, et redoublay mes prieres avecq 
grand instances m’offrant daller le premier au combat, mais 
personne ne voulut advancer. 

Bref appercevant le desordre de mon arrieregarde com- 
manday a la bataille qui marchoit en mouvais ordre, de 
s’advancer pour deffendre. Laquelle tourna le dos de sorte 
que tout le corps de l’armee sespouventa et prit la fuitte. 
Les cheffs premiers quitterent leurs esquadrons, quoyque l'ar- 
riergarde ne fut encore du tout deffaicte, et que Kniphaus 
senfuivant (?) vers lavantgarde lespee nue en main, moy le 
voyant viens a luy la larme a leuil, et luy dis: ‘sont cela 
les effaicts de vos promesses? Me trahissez-vous en telle 
facon ?” Respondant dit, quil se retiroit et avoit faicte le 
deu de sa charge; sesquartant demoy un demy quart dheure 
me fit dire, que jenvoyasse informer de luy a larrieregarde. 
Ainsi tout fut mis en routte par luy, qui sergent general dar- 
mee chef darriergarde mancqua a son devoir. 


on all sides with his whole power. But little resistance being made 
(the general officers leaving the field) every one shifted for himself: 
Some escaped over Statlov-Bridge, many were drawned in the river, 
the slaughter and ruin was great, so was the confusion and fear, 


ı rebardee (?). 


War Erzbifhof Konrad von Cöln fhon 1241 päpftlider 
Regat ? 


Von H. Cardauns. 


Daß der Cölner Erzbifchof Konrad von Hoftaden 1249, 14. März 
von Papjt Innocenz IV, zum Legaten für Deutjchland ernannt wurde !, 
war eine längſt befannte Thatſache. Neuerdings hat nun Scirr- 
macher ? nachzumeifen verfucht, ſchon Papft Gregor IX. habe furz 
vor feinem Tode dem Erzbifchof Konrad die Pegation übertragen, und 
eine andere Autorität auf dem Gebiete der ſtaufiſchen Geſchichte Hat 
diefe Annahme als richtig adoptirt®. Für die deutſchen PBarteiver- 
hältniffe während des Kampfes Friedrichs II. mit der Curie würde 
dieſes Reſultat von nicht unbedeutendem SYntereffe fein. Die Füh— 
rung der deutſchen Fürften-Oppofition würde dann nicht Mainz, 
jondern Cöln zufallen. 

Schirrmacher ftügt fi) auf einen undatirten Bericht*, welchen 
der magister H. dietus portarius Spirensis, nuneius et clericus 
vester, dem Erzbifhof Konrad als apoftolifchen Legaten über feine 
ungünftige Aufnahme bei den bayrifchen Biſchöfen erftattet. Nach 
Schirrmaderd kann diefer Bericht nicht 1249 gefchrieben fein, „da 
die Biichöfe von Negensburg und Freifing (1249) auf Seite der 
Curie ftanden, auch war Biſchof Sigfrid (von Regensburg), von dem 
die Rede ift, ſchon 1246 geftorben“. 

Man könnte zum Beweiſe des Gegentheils anführen, es fei 
auffallend, daß der Nuntius H. den Legaten archiepiscopus nennt, 
ein Titel, den Konrad von Cöln erjt jeit 1244 führte‘. Auffallen- 
der noch würde e8 fein, daß Gregor IX. 1241, anjtatt feines eifri- 
gen Anhängers, des Erzbifchofs von Mainz und ehemaligen Neichs- 


Baluze, Miscell. (ed. Paris. 1715) VII, 495. 
Albert von Poffemünfter 115 ff. 
Winkelmann in v. Sybels hiſt. Zeitſchr. XXVII, 161. 
Er ſteht im Miſſivbuch Alberts von Poſſemünſter, bei Höfler, K. Fried⸗ 
. ©. 405 und Bibl. des Stuttg. liter. Ber. XVI, 60. 
Albert v. Poſſem. 120 Note. 
Archiv f. d. Geſch. d. Niederrheins VII, 221. 


3 
x 
eo owm 


378 


verweſers Sigfrid von Eppftein, den Cölner Konrad mit der Legation 
betraut haben foll, der damals noch nicht einmal das Pallium er- 
halten hatte, daß ferner 1241 ein Nuntius des Cölners in Bayern 
wirfen follte, während dort noch Albert von Poifemünfter als päpft- 
licher Legat in voller Tätigkeit ift, daß die Cölner Annalen von der 
angeblichen Legation 1241 nichts wiljen, daß auch Albert von Poſſe— 
münfter derfelben feine Erwähnung thut, und was der allgemeinen 
Bedenken mehr find. Den durchſchlagenden Gegenbeweis aber liefert 
die Beantwortung der von Schirrmacher felbft angeregten Frage: 
wird in dem Bericht de8 Nuntius H. wirklich der 1246 verftorbene 
Regensburger Bischof Sigfrid erwähnt? Ich finde im Gegentheil 
einen deutlichen Hinweis auf dejjen Nachfolger Albert von Pütengau. 
Der Nuntius fagt nämlih, er Habe den Biſchof von Negensburg 
wegen feiner Widerfpänftigfeit fufpendirt, feinen Bruder aber, den 
Vicedominus von Regensburg !, abgefest. Regensburger Vicedominus 
“aber war bis 1250, in welchem Jahre er Biichof von Paſſau wurde, 
Berthold Graf von Sigmaringen, und diefer war Alberts von Pü— 
tengau Bruder?. Der frühere Vicedominus Rapoto von Ortenburg 
ftand meines Wiffens mit Biſchof Sigfrid nicht in verwandtichaftli- 
chem Verhältniß. Mithin ift der Bericht de8 Nuntius H. unter 
Biſchof Albert, alfo nad) 1246, gefchrieben. 

Daß der Biſchof von Freifing 1249 auf Seite de8 Papftes 
ftand, wie Schirrmacher hervorhebt, ift richtig. Aber der Bericht 
des Nuntius H. fpridt auch nicht von einer Oppofition des Frei- 
finger8 gegen die Curie, fondern jagt nur, derjelbe habe die Man— 
date des Erzbifhofs Konrad verfpottet, und der Negensburger 
habe feine Qualität al8 Legat beftritten: asseruit vos esse ... 
non solum a legatione remotum, verum et ab.honore episco- 
pali omnino deponendum. Wahrjcheinlich war dem Erzbifchof 
Konrad — er nennt fich zulett April 1250 apoftolifchen Legaten F — 
die Legation entzogen worden, und er verfuchte trotzdem, diefelbe in 
Bayern noch geltend zu machen. Dazu ftimmt, daß fein Agent für 
Defterreih und Steiermark, der Propit Konrad von St. Guido zu 
Speyer, mit Albert von Pofjemünfter in heftigen Conflict fam. 
Forderte doch letzterer Juli 1250 den Abt des Wiener Schottenflo- 
fter8 auf, die Legation des Propftes für erlofchen zu erklären und 
ihn im Falle der Widerfetlichfeit gefangen nehmen zu laſſen“. Uns 
mittelbar dahinter findet fich im Miſſivbuch Mlberts eine Weifung 
deffelben an den Bfterreichifchen Theil des Paffauer Didcefanklerus, 
dem neugewählten Paſſauer Biſchof Berthold — dem bisherigen Vi— 
cedominus von Negensburg — nit dem 1250, 17. Febr. abgefeß- 


I Schirrmadher 120 fagt irrig: „feinem Bruder und dem Regensb. 
Vicedominus.“ 

2 Schirrmacher 159. 

® Bol. die unten beigefügten Regeſten. 
* Alberts Miſſivbuch, Bibl. des lit. Ber. XVI, 137. Bol. Schirrmacher 


379 


ten Rüdiger zu gehorchen!. Die Sache fcheint Kar: Erzbischof Kon— 
rad verfuchte, den Rüdiger im Beſitz feines Bisthums zu halten, der 
Paffauer erfcheint im Bericht des Nuntius H. als der einzige bayrifche 
Biihof, mit dem der Nuntius auf gutem Fuße fteht?, Wie wäre 
dies Verhältnig 1241 zu erklären, wo der Paffauer auf Seite des 
Raifers ftand und deshalb durch Albert von Pofjemünfter ercommus= 
nicirt worden war ? 

Schirrmacher ? hat die angebliche Legation von 1241 mit einer 
Notiz des Matthäus Paris in Verbindung gebradht, nach welcher 
Erzbifhof Konrad 1242 auf der Rückreiſe von Nom gefangen wor= 
den fei. Früher Hatte Schirrmacher — ohne Zweifel ridtig — 
angenommen, dies beziehe fi auf die Gefangennahme Konrads durch 
den Grafen Wilhelm von Jülich, die Februar 1242, allerdings nicht 
auf der Rudreiſe von Rom, ſondern in einem Treffen bei Lechenich 
erfolgte“. Jetzt meint er aus jener Nachricht entnehmen zu können, 
Konrad fei vielleicht gerade bei ſeiner Romreiſe mit der Legation be— 
dacht worden, wahrſcheinlich ſei die Reiſe 1241 zwiſchen 29. Mai 
und 10. Sepib. zu ſetzen, da aus dieſer Zeit keine Urkunden Kon— 
rads vorhanden ſeien. Letzteres iſt irrig. 1241, 27. Juni ſtellt 
Konrad eine Urkunde für das Capitel zu Vreden aus’, eine Laacher 
Urkunde von 11. Juli trägt fein Siegel, mense „Augusto beftätigt 
er eine Urkunde des Grafen Heinric) von Say ' ‚ und 1241 in 
octava assumptionis b. Marie vidimirt er eine Urfunde apud 
Nussiam®. Seine einzige mir befannte Reife nad) Rom fällt 1239. 

Mit unferem negativen Nefultate ftimmen denn auch die zahl- 
reihen Urkunden, die Konrad als apoftolifcher Legat austellt ®. 


1249 Apr. 10. 8. beftätigt dem Cölner Urfulaftift die SIncorporation der 
Pfarrficche zu Kelz. Lacomblet, Urfb. II, S. 175 Note. 
„ Iunil3. An das Eapitel von Osnabrüd. Möfer, Osnabr. Geſch. III, 
©. 381. 
„ Iuli 7. Für den Edelherrn Gotfrid von Eppenftein. Joannis, Spi- 
cileg. ©. 280. 
„  . 11. Für das Klofter Düfferen. Lacomblet a.a.D. ©. 185. 


ı Bol. Schirrmacher 157 ff. 

2 Bericht des Nuntins H., zu Ende, 

3 Albert von Poſſem. 116 Note. 

4 Bol. Annalen des hift. Vereins für den Niederrhein, Jahrg. 1870, ©. 
275. Annal. S. Pantaleonis, Mon. Germ. SS. XXII, 537. Weber den an⸗ 
— Gefechtsort Badua vgl. Winkelmann in v. Sybels Zeitſchr. XXVII, 
162 


s Niefert, Miünfterfche Urkundenfammi. IV, 193. 

ee Günther, Cod. dipl. Rheno-Mos. II, ©. 191. 

7 Drig. in der Bibl. der kath. Gymnaſien zu Cöln. 

s Lacomblet, Urkundenb. II, 57. 

oDas Jaht wurde in Konrads Canzlei mit Oftern begonnen, Bol. 

nnal. d. hift. Vereins 1870, 272. Daraus erklärt fi, daß einige Uxff. jo- 
ern 1250 als 1251 angefetst werden könnten. 


1249 Juli 22, 


” 


” 


Aug. 28. 


Sept. 6. 


1250 Ian. 1. 


1250 Zebr.19. 


” 


” 


”„ 


= ER 
März21. 


„ 23. 


„ 27. 


7] 31. 
ww +++ 


Apr... 


380 


Für Eornelimünfter. Quix, Cod. dipl. Aqu. ©, 81. 

Für das Klofter Himmelspforten, Seibertz, Weftfäl, Urk.⸗B. 
I, 258. 

K. vidimirt eine Urkunde bes Grafen Adolf von Walded, Alf- 
terfche Urkundenfammlung (Bibl, der kath. Gymnaſ. zu Eöln) 
XXIV, 145. 

An Decan und Scolafter zu Fritlar, Alfterſche Urkunden- 
fanmlung XIX, 174. 


. An die Stadt Attendorn. Fahne, Urkundenb. d. Geſchl. Me- 


ſchede ©. 8. 


. Für das Klofter Marienforft bei Bonn. Crombach, Annal. 


Colon. (Hdſchr. im Stadtard). zu Eöln) III, 961. 

Für den Grafen Dtto von Geldern. Alfterfche Urk. S. XXIV, 
191. 

An das Eapitel von Heiligenftadt. Acta SS. Boll. 16. Jun. 
II, 81. 

Für die Dominicanerfirhe zu Frankfurt. Boehmer, Cod. 
Moenofranc. ©, 82. 

Für die Dominicaner zu Würzburg. Lang, Reg. Boica II, 
423. 

Für das Hofpital zu Andernad. Günther, Cod. dipl. Rheno- 
Mos. II, 237. 

Für das Kölner Stift S. Maria ad gradus. Alfterſche 
Samml. XI, 231. 

Für das Klofter Gnabenthal. Orig, der Univ.-Bibl. zu Bonn. 
Für den Eölner Burggrafen Heinrih und Gerhard Herr von 
Wildenberg. Fiſcher, Gefchlechtsregifter der Häufer Runkel ꝛc. 
Urkunden ©. 49. 

Betr, die Kirche zır Styven. Pusch, Diplom. sacra ducatus 
Styriae, ed. Froelich, I, 321. 

Für die Juden zu Dortmund, Fahne, Grafihaft und freie 
Reichsſtadt Dortmund, Urk⸗B. ©. 30. Könnte auch 1251 
geſetzt werben. 

Betr. Güter des Stifts zu Soeſt. Seibertz, Weſtfäl. Urk.B. 
I, 260. 

Für das Mpoftelftift zu Eöln. Liber rub. SS. apost. 28- 
Stadtarchiv zu Eöln. 

Betr. Güter des Hofpitals zu Neuß. Lacomblet II, 189. 
Könnte auch 1251 gefetst werden. ! 


Wir befigen aljo aus den Jahren 1249 —50 nicht weniger 
als 23 Urkunden, die Konrad als päpftlicher Legat ausftellt, aus 


Ganzʒ vereinzelt fteht die Urk. 8.’8 Coloniae a. D. 1250 Nonis Febr., 
die nur 1251 angeſetzt werden könnte; Möſer, Osnabr. Geſch. III, 384. 


381 


früherer Zeit Feine einzige. Nur zwei Urkunden mit offenbar vers 
dorbenem Datum bilden eine fcheinbare Ausnahme. Die eine, für 
das Klofter Deut !, iſt datirt 1240, 9. Fehr. Sie erwähnt aber 
fhon ein Privileg Innocenz IV., der 1243 Papſt wurde. Es ift 
alfo zu leſen entweder 1249 mense Febr. oder 1249 9. kal. 
Febr. Die andere, für den Propſt von Varlar, ift datirt 5. kal. 
Sept. a. D. 1240 et primo?, Hierzu ift zu bemerfen: 1) daß 
Konrad 1241 nod) nicht archiepiscopus war, wie er fid) in dieſer 
Urkunde nennt, fondern den Titel ecclesie Colon. minister führte ; 
2) daß in Konrads Urkunden fonft nirgendwo die Einer den Zehnern 
* et beigefügt werden. Auch dieſe Urkunde iſt zweifelsohne 1249 
zu ſetzen. 

Die Annahme einer Legation Konrads im J. 1241 ift alſo un— 
zuläſſig. 


1 Crombach, Annales III, 933. 
2 Möſer III, 332, 


Das Ende des markgräflihen Hauſes von Schweinfurt. 
Don Fr. Stein. 





In einer früheren Abhandlung über die Herkunft des Marf- 
grafen Lintpold I. von Dejterreich * habe ich die Anfänge der von 
Schweinfurt benannten Markgrafen feitzuftellen geſucht, deren Reihe 
man mit Berthold, dem Vater de beſonders durch feine Empörung 
wider König Heinrich II. befannten Markgrafen Heinrich oder Ha— 
zilo beginnt, mit deſſen Sohne Otto von Schweinfurt, Herzog der 
Schwaben, diefe Linie bereit8 im Mannesftamme erlofjh 27. Sep- 
tember 10572. Nach feinem Tode geriethen Ottos Befitungen in die 
verfchiedenften Hände durch die Heirathen feiner Töchter. Dies Ende 
des marfgräflihen Haufes von Schweinfurt, bisher eines der reichiten 
und mächtigften in Deutfchland, hat die Geichichtsforicher wiederholt 
beichäftigt, da die Angaben über Ottos Töchter und deren Gatten 
und Kinder nicht übereinftimmen und unvollftändig find. 

Sehr befannt ift die Stelle des Annal. Sax. a. 1036 ®, welche 
al8 Töchter Ottos außer der Aebtiffin Eilica noch Judith, Beatrix, 
Bertha und Gifela nennt. Die bereitS mehrfach benutzten Angaben 
in der Reimchronif des Klofters Kaftel in der Oherpfalz von deſſen 
Abte Hermann (1322—1336)* übergehen die Eilica und Yudith, 
nennen die Beatrir Petrijfa, wie fie auch in einer wohl unächten Ur— 
funde von 1090 hHeißt?, die Bertha aber Perht. Statt der Gifela 
nennen fie eine Sophia und fügen noch Gertrud, die Halbfchwefter 
berjelben aus einer weiteren Ehe von Dttos Wittwe, Hinzu. Den 
Dtto felbft nennt Abt Hermann Otto von Ammerthal nad) diefer 
zwifchen Kaftel und Amberg gelegenen Burg, die in der Gefchichte der 
Markgrafen Berthold und Hezilo als deren Eigengut vorkömmt. 

Vergleicht man diefe Angaben mit den urfundlichen Zeugniffen, 
fo ergiebt fi, daß abgefehen von der Eilica vier Töchter Ottos 


2 Korfchungen XII, 115 ff. 

2 Ekkehard. Uraug. chron. a. 1057 und andere Belegftellen bei Stälin, 
Würtemb. Geſch. I, 492 RN. 1. 

® Mon. Germ. SS. VI, 679. 

+ Bollftändig abgedrudt bei Mori, Geichichte der Grafen von Sulzbach 
II, 120— 158. 

5 Menue Mittheilungen des thür.ſächſ. Vereins zu Halle X, 1, 135. 


383 


Audith, Beatrir, Alberada und Gifela in den Urkunden erfcheinen, 
von welchen Beatrix einen ſchwäbiſchen Edeln, die drei übrigen aber 
in bayrifche Gefchledhter heiratheten. Es ergiebt fich ferner, daß alle 
diefe Töchter Kinder Hatten, gleichwohl aber nur die Söhne der Gi- 
ſela zu einem größeren Theile der Güter Dtto8 von Schweinfurt ge= 
langten und dadurch der Grund gelegt wurde zu einem nach feiner 
jpäteren Vereinigung mit dem Burggrafthume Nürnberg bedeutenden 
Territorium des deutfchen Reiches. 

1. Judith war nad) dem fächfischen Annaliften zuerft mit dem 
1053 abgefetten Herzog Konrad von Bayern vermählt, dann mit 
dem unter feinen Anhängern erjcheinenden Botho in Kärnthen!. Diefe 
zweite Heirath ift urkundlich bejtätigt. In dem Dotationsbriefe des 
von Botho dotirten Klofters Theres am Maine oberhalb Schwein- 
furt d. d. Würzburg 2. September 1094 ift ein Gedächtniftag für 
feine Gemahlin Yudith und deren Vater und Großvater Otto und 
Heinrich bejtimmt?. Ferner fagen in einer Urfunde aus der Zeit 
des Biichofes Embrico von Würzburg (1125—1147) Minifterialen 
bes Würzburger St. Stephansflofter8 aus, daß fie Minifterialen 
jeien aus der Clientel des Herzogs Otto von Schweinfurt, deijen 
Enfelin Adelheid, Tochter des Grafen Botho und Gemahlin des 
Herzogs Heinrich von Pimburg, fie dem St. Stephansflofter über- 
geben habe?. Andere Kinder der Judith, als diefe Adelheid , fennen 
wir nicht. 

2. Beatrix war vermählt mit Heinrich) von Hildrizhaufen in 
Schwaben, wie wir aus dem Codex Hirsaug. erfehen* und dadurd) 
bejtätigt finden, daß Hildrizhaufen im Beſitze der Enkel der Beatrix, 
der Grafen Gottfried und Dtto von Kappenberg, erjcheintd. Wohl 
durch feine Heirath mit Beatrir Fam er zu dem Titel eines Marf- 
grafen, den Namen feines Burgfites läßt der ſächſiſche Annalift aus— 
fallen, die Reimchronik des Abtes Hermann nennt den Markgrafen 
Heinrich nach der erheiratheten Burg von Schweinfurt. Diefe Burg 
befaß urkundlich Beatrir®. Außer einer Tochter Beatrir, nachmaligen 
Gräfin von Kappenberg, fennen wir drei Söhne aus bdiefer Ehe: 
Dtto, Eberhard und Konrad’, Nach dem Tode des Markgrafen 
Heinrich) Hatte feine Wittwe Beatrix die Burg Schweinfurt abge- 
geben, wie e8 fcheint, an ihren Sohn Dtto®, der aber erblindete und 


ı Kleimayrn, Juvavia Anh. 239. 240. 

2 Mon. Boic. XXXI, 372. 373. 

93 Schannat, Vindem. liter. I, 78. 

* Cod. Hirsaug. ©. 58. Gieſebrecht in den Gitungsberichten der 
Münchener Akademie 1870, S. 576. 

5 Mon. Germ. SS. XII, 529. 

® Urk. vom 5. Februar 1100 in den Neuen Mittheilungen des thür.- 
ſächſ. Vereins zu Halle X, 1, 129—131. 

? Cod. Hirsaug. S. 58. Ekkehard. Uraug. a. 1104 (Mon. Germ. 
SS. VI, 226). 

8 Der Name ift in der Urkunde vom 5. Februar 1100 (eitirt in Anm. 6) 
ausgefallen. 


384 


Mönch zu Hirfchau wurde!, Da ihre beiden anderen Söhne fich 
dem geiftlihen Stande gewidmet hatten, befchloß Beatrix, ihren Bes 
fig einer Kirche zuzumwenden, und mit ihrem bisher defignirten Nach- 
folger übergab fie nad) Urkunde vom 5. Februar 1100 denfelben an 
die Magdeburger Kathedrale, wo der damalige Erzbifchof Hartwig 
deſſen Beſitz bis zu feinem ſchon 1102 erfolgten Tode behauptete ?, 
Konrad, jüngster Sohn der Beatrix, verließ aber den geiftlichen Stand, 
und zwar doch wohl nur, um fein Erbe zu fordern, konnte es jedoch 
nicht antreten, da er fchon 1104 als Jüngling im Kriege fiel. 
Beatrir ftarb bald darauf, Am ihrer Erben Eberhard und Beatrix 
Hand kamen nun die von Magdeburg zurücfgeholten Güter Schwein- 
furt, Königshofen und andere. Eberhard, welcher 1098 Biſchof zu 
Eichjtädt geworden war, wandte fie jodann mit Zuftimmung feiner 
Tamilie dem Bisthume Eichftädt zu *. 

3. Alberada wird zwar vom fächfifchen Annaliften und vom 
Kafteler Reimchroniſten, aber niemals in Urkunden Bertha genannt. 
Die Identität der urkundlich genannten Alberada, Stifterin des Klo— 
fter8 Banz am Maine oberhalb Bamberg, mit der Bertha des An— 
naliften und Reimchronijten läßt ſich trog der von Schöpf? und 
Morig ® erhobenen Einwürfe zur Evidenz nachweifen, wozu freilich 
etwas eingehender von den fie und ihren Gemahl Hermann von Habs— 
berg betreffenden Duellenftellen gehandelt werden muß. 


Alberada hatte nad) der Banzer Klofterchronif eine Tochter, 
welche einer ihrer Minifterialen, Schenk von Ratenburg, entführte 
und mit fi) vermählte, ohne daß eine Ausfühnung mit den gefränften 
Aeltern erfolgte”. Ebenſo fagt der ſächſiſche Annalift von der Bertha, 
daß einer ihrer Minifterialen ihre Tochter Judith zu feiner Ge— 
mahlin mit unfeligem Erfolge gemacht habe. Werner iſt Alberada 
nad dem Nefrologium des Michaelisberger Klofter8 bei Bamberg, in 
welches fie fich zurückgezogen hatte, am 1. Januar gejtorben®, und 
ebenfo fagt der Reimchronijt von der Bertha, fie fei gejtorben, „da das 


ı Cod. Hirsaug. 1. c.: Eberhardus Aystetensis episcopus pro fratre 
nostro Ottone ceco, Heinrici marchionis filio de Hiltershusen, dedit 
Biberbach —, quia frater ejusdem Ottonis erat. 

% Chron. Magdeburg. ap. Meibom SS. II, 320. 

® Mon. Germ. SS. vi, 226. 

* Liber pontific. Eystett. (Mon. Germ. SS. VII, 250). Schultes, 
Geſchichte von Henneberg I, 84. Falkenstein, Cod. dipl. Nordgav. 78.79, 
und einige ungedructe Urkunden im ftädtiichen Archiv zu Schweinfurt. Bol. 
Sar, Geſchichte des Hochftiftes Eichftädt 123. Die Rechte des Reiches und 
Eihftädts in Schweinfurt regelte Rudolf I. 29. Juni 1282 endgültig (unge 
drudte Urkunden im Schmweinfurter Archiv). 

5 Oftfränf, Geich. II, 45. Dagegen Gruner, Opusc. I, 180. 

s Geſchichte der Grafen von Sulzbach II, 18. 

” Ludewig, SS. rer. Bamberg II, 49. 

8 Schannat, Vindem. liter. I, 47. 


385 


Jahr anhebet*. Der Gemahl der Alberada Heigt urkundlich Hermann ? 
und wird auf feinem Siegel unter dem Banzer Stiftungsbriefe Marf- 
graf Hermann von Banz genannt, Er ftarb nad) der Banzer Klo— 
jterchronif eines gewaltfamen Todes, indem er bei einem Qurniere 
getödtet wurde?, Der Todestag Hermanns fiel nad) dem Micaelis- 
berger Nefrologium auf den 4. October?. Der Kajteler Reimchroniſt 
nennt den Gemahl der Berfha zwar Friedrich) von Kaſtel und giebt 
ihm außer einem Sohne Otto von Habchesperg — dem ganz nahe 
bei Kaſtel gelegenen heutigen Habsberg, das der ſächſiſche Annalijt 
Havefesberg in Bayern, d. i. im bayerifchen Nordgau, nennt — 
noch einen Sohn Hermann, aber es ijt leicht nachzuweijen, daß er 
diefen letteren Hermann um eine Generation zu tief gejett hat und 
derfelbe der Gemahl der Alberada ift. 

Triedrih von Kaftel und fein Sohn Dtto find die urkundlich 
bezeugten Stifter des Klofters Kaſtel 1103. Derjelbe Abt Hermann, 
welcher die Kajteler NReimchronif verfaßte, hat al8 Vorarbeit eine la— 
teinische Klofterchronif gefertigt, welche bloß aus Nachrichten über 
das Ableben der Glieder der Stifterfamilien, der Aebte, der Kaiſer 
und einiger Päpſte bejteht. Sie beginnt mit der Klofterftiftung : 
M. C. III. Iste locus Romane ecclesiae fit tributarius, und 
fährt dann fort: Dominus Fridericus comes monasterii hujus 
fundator — viam universe carnis ingressus est 3. Idus No- 
vembris, sepultus est in monasterio suo, quod ipse construxit. 
4. Non. Jan. Bertha comitissa, uxor domini Friderici funda- 
toris, obiit. Non. Kal. Octobr. Hermannus comes, filius Fri- 
deriei fundatoris, oceiditur. Augenfällig hat Abt Hermann hier, 
wie bei den folgenden Angaben der lateinischen Klofterchronif ein im 
Kloster befindliches Nekrologium bemutt, welches, wie e8 bei den Ne- 
frologien die Regel bildet, die Todestage ohne Beifügung der Jahr— 
zahlen enthielt; denn die von Abt Hermann in der lateinischen Chronif 
den Todestagen der Glieder der Stifterfamilien von Sulzbach, Kajtel 
und Habsberg, die unter ſich verwandt find, beigefeßten Yahrzahlen, 
denen er zum Theil ſelbſt circiter' vorgefett hat, find ſämmtlich, 
foweit wir fie durch die Angaben anderer Quellen kontrolliren kön— 
nen, faljh ®, während die Todestage genan angegeben find. Es ift 
nicht glaublih, daß im Jahre 1103 faft gleichzeitig Graf Friedrid), 
Gräfin Bertha und Graf Hermann — nad) des Chronijten Aus— 
legung Gemahl, Gemahlin und Sohn — verftorben ; der Chronift 
hat diefe Perfonen erjt unter diefes Jahr zuſammengeſtellt und ift 


I Urkunde von 1069 bei Mainberg, Epist. cens. ad Schannat 108, 
Ussermann, Episcopat. Wirceb. Cod. prob. 21. 22. 

2 Ludewig |. c. 48. 

8 Schannat |. c. 55. 

* Urkunde des Papftes Paſchalis 9. Mai 1103, bei Mori, Geſchichle der 
Grafen von Sulzbach II, 141 Note. 

s Sie ift abgedrudt bei Morik 1. c. II, 103—116. 

6 So die Jahrzahlen 1123, 1176, und 1177, 1181, 1226 u. ſ. f. 


j 


386 


ebenfo willführlich in der Anweifung ihrer genealogifchen Stellung 
verfahren, die in Nefrologien ebenfall® nicht angegeben zu fein pflegt. 
Wenn er zu Bertha comitissa obiit fegte uxor domini Frideriei 
fundatoris und zu Hermannus comes oceiditur fette filius Fri- 
deriei fundatoris, fo ftimmt dazu der päpjtliche Bejtätigungsbrief 
der Klojterjtiftung zu Kaftel nicht, worin Friedrich mit feinem Sohne 
Dtto allein genannt ift, und es ift aus den beigefügten Daten flar 
zu entnehmen, daß nicht nur Bertha die Alberada, jondern auch Her- 
mann (vermuthlich Friedrichs Bruder) der Markgraf Hermann von 
Banz, ihr Gemahl, ift. Die hier angegebene Todesart: Hermannus 
comes oceiditur, ift die nämliche, welche die Banzer Klojterchronif 
von dem Gemahle der Alberada Hermann erzählt, der in einem Tur— 
niere getödtet wurde. Endlich aber fiel aud) der für Herimannus 
marchio im Mlichaelisberger Nekrologium angegebene Todestag 4. 
Non. Oct. mit dem Todestag de8 Hermannus comes tm Kaſteler 
Nekrologium nicht minder zufammen, als die Angaben über den To— 
destag der Alberada und Bertha. Denn e8 jchreibt der Kafteler 
Chronift die Zodestage der Bertha und des Hermann jo: 4. Non. 
Jan. Bertha comitissa. Non. Kal. Oct. Hermannus comes. 
Augenſcheinlich ift nun Hier das ‘Kal.’ vor Hermannus, nachdem ſchon 
die Non. hier ftehen, zu tilgen und es zeigt fid) daraus, daß der 
Schreiber der Chronik irre geworden war zwifchen Non. und Kal. 
Das ‘Kal. gehörte zur vorherftehenden Bertha, nicht zu Hermannus, 
dagegen die Zahl 4 vor dem zu tilgenden “Non. bei Bertha zu ‘dem 
Non. bei Hermannus. So ergiebt fi) nad) Hebung diefer Ver— 
wechſelung in völliger Uebereinjtimmung des Kajteler und Meichaelis- 
berger Nefrologiums für erjteres: Kal. Jan. Bertha comitissa. 4. 
Non. Oct. Hermannus comes oceiditur, für letzteres Kal. Jan. 
Albrat conversa. 4. Non. Oct. Herimannus marchio. 

Alberada und ihr Gemahl Hermann erfcheinen in Urkunden von 
1069 über die von ihnen geftifteten Klöfter Heidenfeld am Maine 
unterhalb Schweinfurt und von Banz am Obermaine und in einer 
weiteren Urkunde über Banz von 1071!. Eine frühere, jchon meh— 
rere Jahre vor 1058 eingegangene Ehe der Alberada mit einem uns 
befannten Gemahle anzunehmen, wurden die Gefhichtsforfcher beſtimmt 
dadurh, daß Schannat die Kapitel 60a und 66 des oder des 
Mönches Eberhard von Fulda? unter die von ihm herausgegebenen 
Fuldiſchen Traditionsurfunden eingeftellt Hatte?. Erſt die Herausgabe 
des Eberhardiſchen Coder durch Dronfe hat gezeigt, daß man es hier 
nicht mit Urkundenterten zu thun hat, jondern Eberhard die angeb— 
lichen Anfprüce Fuldas an die Klöfter Banz und Theres begründen 
will, wobei er mit Thatſachen und Yahrzahlen in der Weije ums 


1 Diefe Urkunden find zufammen abgebrudt bei Gruner, Opuscul. I, 
209— 218. 

2 Dronke, Trad. et antiquit. Fuld. ©. 138 sq. 144. sq. 

3, Schannat, Corpus tradit. Fuld. Nr, 608 und 612. 


387 


fpringt, die ich fhon früher in Bezug auf das Klofter Theres be— 
ſprochen habe!. 

Außer der durch ihre Mißheirath bekannten Tochter Yudith 
fennen wir feine Kinder Alberada® und Hermanns. Der jpäte 
Berfaffer der Banzer Klofterchronif berichtet, dag auf einem Weih- 
rauchfaſſe des Klofters die Namen Otto und Heinrich jtänden, die er 
für Söhne der Stifter hält, obwohl fie auch den Vater und Groß— 
vater der Alberada anzeigen Fünnten, jedenfall feien fie bald ver- 
ftorben.. Ihre Güter verwendete Alberada zu Klofterftiftungen in 
Heidenfeld, Banz und (Langen-) Selbold an der Kinzig, einem Erb« 
jtüde von ihrer Großmutter Gerberga, Tochter des Grafen Heribert 
vom Kinziggau; viele Güter am Obermaine außer den Banzer Klo— 
ftergütern erhielt da8 Bisthum Bauberg von ihr ?, 

5. Giſela Heißt beim fächfischen Annalijten die lette Tochter 
Dttos von Schweinfurt, vermählt mit dem Grafen Wichmann von 
GSeeburg, Mutter Geros und Großmutter des Erzbiichofes Wichmann 
von Magdeburg; in der Kafteler Reimchronif dagegen heißt die letzte 
Tochter Ottos Sophia, Gemahlin desjenigen Grafen von Andechs, 
welcher der Vater Bertholds und Großvater des Bijchofes Otto von 
Bamberg gewejen. Wenn wir bisher die Angaben des jächjifchen 
Annaliften betätigt fanden, jo ift dies hier entjchieden nicht der Fall, 
denn in einer ſeit länger befannten Urkunde nennt der Erzbifchof 
Wichmann von Magdeburg die Mutter feines Vaters Bertha?. Der 
vom Reimchroniften bezeichnete Vater Bertholds und Großvater des 
Biſchofs Dtto von Bamberg ift Arnold von Andechs. Bon defjen 
beiden Gemahlinnen hieß aber feine Sophia, jondern die erfte war 
Irmingard von Scheyern, die zweite hatte den Namen Gifela *, deren 
Geſchlecht unbefannt ift, wenn fie nicht aus dem Schweinfurtifchen 
Haufe fein ſollte. Würde fie diefem Haufe angehören, fo bliebe es 
zwar noch unerflärt, wie der Annalijt zu feinem Irrthume gefommen 
wäre, wenn nicht etwa erweislicd) würde, daß Gero vor der Ma— 
thilde von Wettin eine Stieftochter der Giſela geehlicht und mit ihr 
die Herrjchaft Gleuß und die Bezeichnung als Glied eines bayerifchen 
Haufes erlangt hätte, wo dann der Annalift, wiſſend, daß Gero 
hierzu durch eine Zochter der Irmingard gefommen fei, die Tochter 
der Irmingard von Scheyern und die Tochter der Jrmingard, Ottos 
Gemahlin, verwecielt und die Tochter der Lebteren, den Altersver- 
hältnifjen entjprechend, zu feiner Mutter gemacht haben würde. Im— 
merhin fteht ſchon jegt die Thatfache eines auf Seite des Annaliften 
vorliegenden Irrthumes, urkundlich nachgewiejen, feit. 


1 Forſchungen XII, 127. 128. 
Ludewig 1. c. I, 81. II, 48. 
° Mäheres darüber Cohn in den Neuen Mittheilungen des thür.-ſächſ. 
Bereins XI, 137 ff. 
* Mon. Boic. VIII, 297. 302. Mon. Germ. SS. XVII, 328. 
°_ Seiner GStief- Schwiegermutter konnte Gero felbft den Neverenztitel 
Mutter geben, 


388 


ı Die nenerdings mehr und mehr Anerkennung! gewinnende An- 
gabe der Kaſteler Reimchronik, dag die Mutter Bertholds von An— 
dechs, des Vaters von Biſchof Dtto zu Bamberg, die legte Tochter 
Ottos von, Schweinfurt Gifela war, läßt ſich in einer meines Er— 
achtens kaum mehr einen Zweifel zulaffenden Weife begründen, wo— 
bei die Berwechjelung der Namen Gijela und Sophia in der Reim 
chronik um fo weniger ins Gewicht fällt, als jener Berthold zwar 
nicht eine Mutter, aber eine Gattin des Namens Sophia Hatte, die 
indeß als eine Tochter Poppos von Yitrien und der Richardis von 
Spanheim und Lavant ihrem Gemahle nichts von Schweinfurtifchen 
Erbe zubringen konnte. In diefem Erbe tritt aber Berthold ſchon 
jo frühe auf, daß er damals auch noch kaum mit Sophia (7 1156) 
vermählt war. 

Das Schmweinfurtiihe Haus hatte zur Zeit des Lebens der 
Töchter Ottos fast alle Orte im Thale der Wern zwiſchen Schwein— 
furt und Gemünden inne. So erjcheinen in der Dotationsurfunde 
von Klofter Theres mit Gütern der Judith 1094 die Zubehörungen 
zum Gute Rounfeld, die in Weringewe liegen ?, und namentlich kömmt 
Dattenfol im Werngrunde vor. In dem UWebergabsvertrage des Be— 
fige8 der Beatrix an das Erzitift Magdeburg 1100 werden aud) die 
Schweinfurtiichen Baffallen übergeben, die zum Theile als Zeugen 
dienen und worunter mehrere dem Wernthale angehören, zu Thüngen, 
Büchold, Wilprehtshaufen (jet Wüftung) bei Arnftein, Euffenheim?. 
Hier hat num zwifchen den Jahren 1106 und 1113 Biſchof Erlung 
von Würzburg von dem Grafen Berthold von Andechs ein Gut zu 
Gänheim nächſt Arnftein erworben*, und die Nachfolger Bertholds 
befaßen hier noch Arnftein, und ebenfo neben dein früher Schwein- 
furtifhen Aura a. d. Saale und Sulzthal noch Ramsthalꝰ. Im 
nördlichen Theile des Nadenzgaues, wo der Schweinfurtiiche Befit 
befonders ausgedehnt war, hat schon diefer Berthold von der am 
Obermaine gelegenen Burg auf dem Blaſſenberge bei Kulmbad) den 
Namen eines Grafen von Blaſſenberg erhalten, den auch ſein Sohn 
Berthold führte. in anderer Sohn des älteren Berthold war 
Dtto, welcher Bischof zu Bamberg wurde, und er hatte aud) eine 
Tochter Giſela, die den Namen ihrer Großmutter geerbt Hatte. Nach 
dem Reimchroniſten hatte Berthold der Aeltere noch einen Bruder 
Friedrich, wohl identifchh mit dem 1112 mit der Benennung von Am— 
merthal vorfommenden Friedrich) '. 


ı Morig, Geſchichte der Grafen von Sulzbach II, 136 N. Neue Mit- 
theilungen des thür.ſächſ. Vereins XI, 139. XII, 254. 
Mon. Boic. XXXI, 372. 

⸗ Meue Mittheilungen des thür.-fähl. Vereins X, 180, 

* Mon. Boic. XXXVI, S. 36. Erlung war 1106 Bischof geworden, Ar- 
nold von Andechs 1104 geftorben. 

5 Urkunde von 1204 bei ar — — Geſchichte J, 244. 

8 Mon. Boic. XXXVII, ©. 6 

* Schultes, Hiftor. Schriften L Ay "ud hatte er einen des Großvaters 
Dito Namen tragenden Bruder (F um 1120); Mon. Boic. VIII, 297. 


389 


Nach dem Eintreten Bertholds , des muzweifelhaften Sohnes des 
Grafen Arnold von Andechs und feiner Gemahlin Gifela in Schwein— 
furtifches Erbe kann man kaum anders, als auf feine genannte 
Mutter, die eben dadurch als Ottos von Echweinfurt Tochter gekenn— 
zeichnet wird, den Umjtand zurüdführen, daß fortan die bayerijchen 
Grafen von Andechs das an Befig und Macht vorherrichende Ge— 
ichleht im Radenzgau und in anderen Theilen Franfens waren, fo 
daß man fie ſchon längſt als Schweinfurtiſche Nacherben erkannt 
hatte!, ohne den genealogiſchen Zuſammenhang conſtruiren zu können. 
Ihre Herrſchaft Blaſſenberg bildete das einzige größere Bruchſtück 
aus den Beſitzungen weiland Herzogs Otto von Schweinfurt in welt— 
licher Hand, und fie wurde der Kern eines Territoriums in Franken, 
das fpäter den Burggrafen von Nürnberg zuwuchs. 

Dies war der Ausgang des marfgräflichen Haufes von Schwein- 
furt, das unter feinen Gliedern Berthold, Heinrid) und Otto an Gü— 
tern und an Würden mit den erften Häufern Deutſchlands ſich ver— 
gleichen durfte, aber durch die Heirathen, Schickſale und Verfügungen 
von Ottos Töchtern in kürzeſter Frift die Zerfplitterung und Ent— 
fremdung faft aller Hausgüter und den Verluſt einer bevorzugten 
Stellung im Reiche für die Nacherben Dttos erfahren hat. 


1So Seidel, Köhler, Schöpf, Schultes und befonders Gensler, Geſchichte 
bes Grabfeldes II, 296—301. 


XIV. ’ 26 


Ein Erlaß Knuts des Großen. 
Bon R. Pauli. 





Bor einiger Zeit jchrieb Herr William Stubbs, Profeffor der 
Geſchichte in Oxford, die nachfolgende, bisher noch nicht veröffentlichte 
Urkunde aus einem dem Kapitel der Kathedrale von York gehörenden 
Codex ab. Er theilte fie mir in einer Copie von feiner Hand mit 
und ließ fie darauf aud) in usum amicorum möglichſt getreu ſammt 
dem Verſuch einer englifchen Ueberſetzung abdruden. Nach den brief- 
lichen Anmerkungen des Herrn Stubbs enthält der Coder durchweg 
von einer Hand des eilften Jahrhunderts die angeljächjischen Evan— 
gelien, Gebete und Berzeichnifje von Reliquien der Fostermen Aelfries, 
einige Predigten des Erzbischofs Wulfitan von York (II, 1005— 
1023) und Achnliches, das nächjtens wohl in den Sammlungen der 
Early English Text Society erjcheinen wird. Auch die Sprade 
ift wie die Schrift den Tagen Knuts gleichzeitig. Der Coder aber 
fcheint jowohl B. Thorpe, dem Herausgeber der Angeljächjifchen Ge— 
jege für die Record Commission, wie J. M. Kemble für feinen 
Codex diplomatieus aevi Saxonieci entgangen zu fein. 

Die Urkunde begegnet unter jenen Zuthaten der Evangelien. 
Sie ijt demnach nicht Original, fondern Copie, aber allerdings eine 
nach Zeit und Form dem Original fehr nahe ftehende Abjchrift. 
Nichtsdeftoweniger ergeben ſich bei näherer Prüfung mehrere Verſtöße, 
die der Flüchtigkeit des Abjchreibers zur Laft fallen. Er hat mit- 
unter Wörter ausgelaffen und einmal geradezu den Sinn verwirrt. 
Die Heritellung des Textes ijt außer der trefflichen Wiedergabe des 
Herrn Stubb8 ganz befonders der freundlichen Beihilfe meincs Col— 
legen des Herrn Profejlors Theodor Müller in Göttingen zu vers 
daufen. Daß die Urkunde weder datirt ift nod) Unterjchriften von 
Zeugen hat, wird man indeß dem Abjchreiber nicht in die Schuhe 
jchieben dürfen, da die Natur des intereffanten Documents dergleichen 
nicht erfordert. Als litera patens an Yedermann gerichtet beruht 
es offenbar auf dem Beihluß eine® Witena Gemot oder einer 
Synode. 

Auch auf eine bejtimmte Berfammlung läßt es fich nach feinen 
eigenen Angaben jehr wohl zurücführen. Aus dem Yahre 1018 
wird das Witena Gemot von Oxford erwähnt, auf welchem Dänen 


391 


und Engländer über DBefolgung der Gejege König Eadgars einig 
wurden. Im Jahre 1019 fuhr Knut auf Jahresfriſt nad) Däne— 
marf. Der Erzbiſchof Lyfing von Canterbury, welcher 1020 ftirbt, 
ift noch am Leben, und jeines Nachfolgers Aethelnot) wird noch 
nicht gedacht. Thurkyl, Earl der Oftanglier, des Königs lang— 
jähriger Waffengenofje, welcher im November 1021 verbannt wird, 
aber 1023 als Knuts Statthalter wieder in Dänemark erjcheint 
(vgl. Freeman, History of the Norman Conquest I, 474), fteht 
noch in vollem Anfehn. Nun Heißt e8 unter dem Jahre 1020 in 
den Angeljächjischen Jahrbüchern und bei deren Ueberſetzer Florenz 
von Worcefter, Mon. Hist. Brit. I, 594, unmittelbar nach der Notiz 
von der Rückkehr Kuuts aus Dänemark: and pa on Eastron was 
micel gemot xt Cyrenceastre — et in paschali festivitate 
apud Cirenceastram magnum consilium habuit, fo daß man 
auf diefe Verſammlung jchliegen fünnte, wenn nicht eine ſpätere Zu— 
ſammenkunft während defjelben Jahrs noch bejjer paßte. Die An— 
nalen, ſpeciell Ms. Cott. Tiber. IV, fahren nämlich fort: and on 
pisan geare for se cyng and purkyl eorl to Assandune and 
Wulfstan arcebiscop and odre biscopas and eac abbodas and 
manege munecas and gehalgodan paet mynster »t Assandune. 
Drei Handichriften der Chronik knüpfen hieran die Notiz vom Tode 
de8 Erzbiſchofs Ayfing. Dazu gehört dann wieder Florent. Wigorn. 
l. c.: Eodem anno ecclesia, quam rex Canutus et comes Tur- 
killus in monte qui Assandun dieitur construxerunt, illis prae- 
sentibus, a Wulstano Eboracensi archiepiscopo et multis aliis 
episcopis cum magno honore et gloria dedicata est. Bei As- 
sandun aber, Ashington im Norden von Eifer, hatten die beiden 
gemeinfam im jahre 1016 den Aetheling Eadmund Eifenfeite end» 
gültig befiegt. Durch die Erbauung diefer Kirche befiegelten fie nun— 
mehr recht eigentlich) ihren Llebertritt zum  chrijtlihen Glauben. 
Freeman I, 473 fnüpft daran die Bemerkung, daß diefer Tag gleich: 
falls die formelle Verſöhnung zwijchen dem dänischen Könige und jeinen 
engliichen Unterthanen bezeichne, daß fortan auch) in den oberen Aemtern 
Dänen durch Engländer erjegt würden. Unfer Document, das ihm 
unbekannt geblieben, jagt noch beſtimmter, daß König Knut bereits im 
voraus die ärgſten Friedenjtörer in die Heimath zuricgeführt habe. 
Außerdem aber ſtimmt alles Wefentliche zu den Tage jener Kirch: 
weihe in Aſſandun. Erzbifchof Wulfjtan von Norf vollzicht fie, und 
feine Predigten gerade begegnen mit der Urkunde in der gleichzeitigen noch 
in York aufbewahrten Handſchrift. ES find viele Kleriker, Biichöfe 
Aebte und Mönche zugegen. So war e8 die erjte und günftigfte 
Gelegenheit, un mit dem mächtigen Herrſcher die fanonifchen Grund- 
finien der Beziehungen feines Staats zur Kirche zu vereinbaren. 
Der feierliche Erlaß, der mit einer Echlufformel der Liturgie und 
dem Amen endet, gibt fic gleicdyjam als der erfte Entwurf der ohne 
alle Frage doch erft fpäter vollendeten Gefeßgebung Knuts zu er- 
fennen. ch möchte im diefer Beziehung auch au die einfache Titu— 


26* 


392 


latur Cnut eyning erinnern, während es in der Leberfchrift ber 
Gefete Heißt: Cnut eyninge ealles Englalandes eyninge and 
Dena cyninge and Nordrigena cyninge (Thorpe I, 358. 
R. Schmid 250). Lappenberg, Geſchichte von England I, 467, macht 
darauf aufmerffam, daß diefer volle Titel für ein fpäteres Jahr 
- spreche, als Knut Norwegen wieder erobert und den Peterspfeunig 
neu eingeführt hatte, von dem $. 9 der Kirchengefetse handelt. Dem 
ſchließt ſich Freeman I, 480 Anm. 2, an gegen Schmid und gegen 
Kemble, The Saxons in England II, 259, von denen der erjtere 
das in jener Ueberfchrift erwähnte Witena Gemot von Winchefter zu 
Weihnachten in das Jahr 1018, alfo nad) dem befanuten in Oxford 
abgehaltenen , der andere zwijchen die Jahre 1016 und 1020 ſetzt. 
Der Inhalt und die Datierung unferer Urkunde gibt Yappenberg und 
Freeman Recht, um jo mehr als das Geſetzbuch erjt nach der Rom— 
fahrt und der Unterwerfung Norwegens und aljo jpäter als 1028 ab- 
gefaßt fein kaun. | 

Mir haben demnach die Reichs- oder beſſer Synodalbeſchlüſſe 
von Aſſandun vor uns, ausgefertigt in einem königlichen Erlaß, den 
fih) der Erzbifchof von York, der höchſte geiftliche Wiürdenträger, 
welcher zugegen war, in fein Evangelienbudy eintragen lief. Das 
Document ijt nicht nur durd) die perjünlichen Beziehungen, deren es 
gedenkt, werthvoll, fondern der König erfcheint aud) bereits in Ver— 
fehr mit Nom, fieben Jahre ehe er dort mit Konrad IL. zuſammen— 
trifft. Er hat ſich völlig der Lehre und der Ordnung der Kirche 
angejchloffen, die durd) feinen Mund im Ton der Zeit ſpricht. Staat— 
(ic) tritt er ganz als König von England auf, der die Gefeke feines 
Borfahren Eadgars betätigt und jich auf das Witena Gemot von 
DOrford im Jahre 1018 beruft, wo ein ſolcher Beſchluß gefaßt wurde. 
Die ehr auch durd ihm die Willkür der Krone und eine ariftofra- 
tische Verwaltung des Reichs gejteigert wurde, die alten Formen der 
Berathung mit den geiftlichen und weltlichen Großen ſchimmern dod) 
jehr hell aus den Zeilen auch diejer Urkunde hervor, zu der aller- 
dings die von Kemble zur Regierungsepoche Knuts geſammelten Do— 
cumente feine nähere Erklärung bieten. 

Ich Habe dem Text eine möglichjt wortgetreue Ucberjegung, 
einige Emendationen und thatſächliche Erläuterungen beigegeben. 


Cnut cyning gret his arceb; Knut König grüßt feine Erz- 
and his leodbiscopas, and biſchöfe und Suffragan-Biſchöfe, 
Thureyl eorl!, and ealle his | und Thurkyl Earl und alle jeine 


1 Des Königs Waffenbruder, Earl der Oftanglier feit Knuts NRegierungs- 
antritt 1017, nad) Dänemark verbannt um Martini 1021, Angeljähf. Chronik: 
Her on dissum geare to Martines mzsssan Cnut cyning geutlagode 
purkyl eorl. Florent. Wigorn., Monun.. Hist. Brit. I, 595: Canutus rex 
Anglorum et Danorum ante festivitatem S. Martini Turkillum saepe- 
dietum comitem cum uxore sua Edgitha expulit Anglia. Bgl. Lappen- 
berg I, 472 und Freeman I, 473, 


393 


eorlas, and ealne his leod- Earle und all fein Volk, Edle und 
scype, twelfhynde and twy- | Gemeine, Geweihte und Laien, in 
hynde !, gehadode and laewede, | England freundlich; und ich finde 
on Englalande freondlice; and Euch, daß ich holder Herr jein 
Ic ceythe eow thæt ic wylle will und nicht weichend von Gottes 
beon hold hlaford and unswi- | Rechten und rechten weltlichen 
cende to Godes gerihtum and | Geſetz. Ich nahm mir in Erin— 
to rihtre worold lage. Ic nam nerung die Schriften und die 
me to gemynde tha gewritu | Worte, welche der Erzbifchof Lyfing 
and tha word the se arceb. | mir von dem Papſte aus Rom 
Lyfing? me fram tham papan ? brachte, daß ich jollte überall Gottes 
brohte of Rome, thæt ie scolde | ob erheben und Unrecht nieder- 
æghwær Godes lof uparzseran legen und vollen Frieden wirken 
and unriht aleegan, and full | mit der Macht, die mir Gott geben 
frith wyrcean be thsre mihte | wiirde. Nun achtete ich meiner 
the me God syllan wolde. Nu Schätze nicht, dieweil euch Un— 
ne wandode ic na minum | friede an der Hand war. Nm 
sceattum tha whille the eow ich mit Gottes Hilfe das zer— 
unfrith onhanda stod. Nu ie | theilte mit meinen Schäten, da 
mid Godes fultume that to- | fündete man mir, daß und mehr 
twsmde mid minum scattum, | Harm zuwuchs, als und wohl ge— 
tha cydde man me that us fiel, und da fuhr ich jelbit mit 
mara hearm to fundode thonne | den Mannen, die mit mir fuhren, 
us wel licode, and tha for ie nach Dänemarf, von denen auch 
me sylf mid tham mannum | anı meijten Harm fam, und das 
the me mid foron into Den- | habe ic) mit Gottes Hilfe voraus 
mearcon the eow m&st hearm | verhindert, daß euch niemals fort- 
of com’, and thaet hæbbe an von da irgend ein Unfriede 
be) mit Godes fultume forene | zukomme, dieweil ihr die Menfchen 
orfangen, thæt eow nzxfre in rechter Weije haltet und mein 
heononforth thanon nan un- Leben dauert. Nun danfe ich dem 
frith to ne cymth, tha while 

the ge men rihtlice healdath 

and min lif bytu. Nu thancige 











1 Befauntlid) nad) dem Wergeld von 1200 und 200 Edilling. 

2 Erzbiſchof von Canterbury 1013—1020, 

3 Benedict VIII. 1012—1024. 

+ Bon feiner Ronmfahrt ift nichts weiter bekannt. Er ift wohl zu unter— 
fcheiden von Living, Abt von Taviſtock, feit 1027 Biſchof von Erediton , durd) 
welchen Knut feine eigene Romfahrt Papſt Johaun XIX. aufündigen ließ; 
Florent. Wigorn. 596. 

sAugelſächſ. Chronif 1019: Her gewende Cnut cyng (mid IX sci- 
pum, Ms. Cotton. Tiber. B. IV) to Denmearcon and por wunode ealne 
winter. 1020: Her com Cnut cyng to Englalande. Florent. Wigorn. 
s. a.; vgl. Adami gesta Hammaburg. eccl. pont. II, 63, Pertz, SS. V, 
329: ipse aliquando visitans Danos, aliquando vero Nortmannos, sae- 
pissime autem sedit in Anglia. Freeman I, 465. 469. 

8° Fehlt im Manuscript. 


394 


ic Gode »lmightigum his ful- | alfmächtigen Gott für feine Hülfe 
tumes and his mildheortnesse, | und feine Barmherzigfeit, daß id) 


thaet ic tha myelan hearmas 
the us to fundedon swa gelo- 
god habbe, that we ne thur- 
fon thanon nenes hearmes us 
asittan', ac us? to fullan ful- 
tume and to ahreddingge gyf 
us neod byth. Nu wylle ie 
that we ealle eadmodlice Gode 
Aelmihtigum thancian thære 
mildheortnesse the he us to 
fultume gedon hæfth. Nu bidde 
ic mine arceb. and ealle mine 
leodb., that hy ealle neodfulle 
beon ymbe Godes gerihta zle 
on his ende the heom betaht 
is; and cac minum ealdorman- 
num ic beode, that hy fylstan 
tham biscopum to Godes ge- 
rihtum and to minum kyne- 
scipe and to ealles folces 
thearfe. Gyf hwa swa dyrstig 
sy, gehadod oththe laawede, 
Denise oththe Englise, that 
ongean Godes lage ga and 
ongean minne cynescype oth- 
the ongean worold riht, and 
nelle betan and geswican «fter 
minra bisceopa tæcinge, thonne 
bidde ie Thureyl eorl and eae 
beode, that he thene unriht- 
wisan to rihte gebige gyf he 
mæge. Gyf hene mage, thonne 
wille ie mid. uncer begra 
erefte, thet he hine on earde 
adwæsce otlthe ut of earde 
adrefe, sy he betera sy he 


wyrısa. And eac ic beode 
eallum minum gerefum be 
minum freondseype and be 


eallum tham the hi agon and 


den großen Harm, der uns zu— 
wuchs, jo beichwichtigt habe, daß 
wir von da feines Harms ung 
beforgen,, jondern uns getröften 
dürfen voller Hilfe und Errettung, 
wenn ung deran Noth ſei. Nun 
will ih, daß wir alle demiüthig 
Gott dem Allmächtigen danfen für 
die Barmherzigkeit, die er ung zu 
Hilfe gethan Hat. Nun bitte ic) 
meine Erzbiichöfe und alle meine 
Suffragan=Bifchöfe, daß fie alle 
aufmerkſam feien auf Gottes Rechte 
jeder an feinem Ende das ihm 
befohlen iſt; und auch meinen 
Ealdormannen gebiete ich, daß fie 
beiftehen den Biſchöfen zu Gottes 
echten und zu meinem Königthum 
und zu alles Volks Bedarf. Wenn 
Jemand jo dreiſt fei, Geweihter 
oder Laie, Dänifc oder Englifch, 
daß er gegen Gottes Geſetz gehe 
und gegen mein Königthum oder 
gegen weltliches Recht und wolle 
nicht büßen und nachgeben der 
Lehre meiner Biſchöfe, dann bitte 
ih Thurfyl Earl und auch ge- 
biete, daß er den Unrechtweifen zu 
Net wende, wenn er könne. 
Wenn er nicht könne, dann will 
id) mit unfer beider Kraft, daß er 
ihn auf Erden vertilge oder von 
Erden austreibe, fei er bejjer fei 
er fchlechter. Und auch gebiete ich 
allen meinen Vögten bei meiner 
Freundſchaft und bei Allen was 


: Ein Verbum asitan kommt nicht vor, asettan einjegen gibt feinen 
Einn; es wird onsittan fürdten zu fchreiben fein mit pleonaſtiſch vefleri- 


vem us. 


* Hinter us ift das Verbum ausgefallen hycgan oder hyhlan, hoffen, 


ſich getröften. 


395 


be heora agenum life, that hy ' fie haben und bei ihrem eigenem 
æghwær min fole rihtltee heal- | Ycben, daß fie iiberall mein Volt 


dan and rihte domas deman 
be thæra scira bisceopa ge- 
witnesse, and swylce mild- 
heortnesse thaeron don swylce 
thære seire bisceope riht thince, 
and the! man acuman mzxge. 
And gyf hwa theof frithige 
oththe forene? forliege?sy he 
emsceyldig with me tha the 
theof scolde, buton he hine 
mid fulre lade with me ge- 
elensian mæge. And ie wylie 
thaet eal theodseype, gehadode 
and lawede, fastlice Eadgares 
lage* healde, the ealle men 
habbath gecoren and to ge- 
sworen on Oxenaforda’, for 
tham the ealle bisceopas sec- 
gath, that hit swythe deop 
with God to betanne, that man 
athas oththe wedd tobrece, 
and eac hy us furthor lærath, 
thet we sceolon eallan ma- 
gene and eallon myhton thone 
ecan mildan God inlice secan 
lufian and weorthian and le 
unriht ascunian, that synd 
mægslagan and morthslagan 
and mansworan and wiecean 
and wieleyrian and æbrecan? 
and syblegeru. And eac hy° 
beodath on Godes Aelmihtiges 
naman and on ealra his ha- 


ı Ms. se. 


2 Ms. forene. 
3 


recht halten und rechte Sprüche 
Iprechen bei der Shire-Biſchöfe 
Zeugniß, und ſolche Barmherzig— 
keit daran thuu, als den Shire— 
Biſchöfen Recht dünket, und die 
man erreichen könne. Und wenn 
Jemand einen Dieb ſchirme oder 
vorher verlengne, ſei er mir gleich 
ſchuldig dem was der Dieb ſchulde, 
außer daß er ihn mit vollem Ge— 
leit bei mir reinigen könne. Und 
ich will, daß alles Volk, Geweihte 
und Laien, feſt Eadgards Geſetz 
halten, das alle Männer gekoren 
und zugejchiworen haben in Oxford. 
Denn alle Biſchöfe jagen, daß es 
jehr tief fei gegen Gott zu büßen, 
daß man Eide oder Pfand breche, 
und auch lehren fie uns ferner, 
daß wir mit aller Macht uud 
allem Nermögen den ewigen milden 
Gott gleichweife fuchen, lieben und 
würdigen und jedes Unrecht ſcheuen 
follen, als da find Verwandten 
mörder und Todtjchläger und Mein 
eidige md Heren und Walfyrien 
und Ehebrecher und Ungzüchtige. 
Und auc gebieten fie in Gottes 
des Allmächtigen Namen und aller 


Forliegan, fornicarı ganz unfinnig an diefer Stelle, vom Abjchreiber 
dem fpäteren Zufammenhang entnommen, 


Sollte niht forlygne ftehen müſſen? 


* An König Eadgars (959 — 975) Geſetze fchließt die Geſetzgebung Knuts 
überhaupt an; vgl. Stubbs, Select. Chartres ©. 13, uud Freeman], 462. 482, 
5 Angeljähf. Ehronit 1018: And Dene and Engle wurdon sam- 


mwsle at Oxnaforda (to Eadgares 


lage, Ms. Cotton. Tiber. B. IV). 


Florent. Wigorn.: Angli et Dani apud Oxenafordam de lege regis 
Eadgari tenenda concordes sunt effecti. Mon. Brit. Hist. I, 594. 
° Hier ift is oder beo ausgefallen. 


’ Für ewbrecan. 
8 Ms. the. 





396 


ligra, thet nan man swa dyr- | feiner‘ Heiligen, daß fein Mann 
stig ne sy, thæt on gehadodre | fo dreift fei, daß er geweihte Non 
nunnan oththeon munecenan?! |nen oder Mönchinnen zum Weibe 
gewifige. And gyf hit hwa |nehme. Und wenn es einer gethan 
gedon hebbe, beo he utlah | habe, fei er von Gott ausgeftoßen 
with God and amansumod |und von aller Chriftenheit gebannt 
fram eallum Christendome, and | und gegen den König jchuldig 
with tbone eyning seyldig | alles des das er habe, außer daß 
calles tes the he age, nn lieber nacgebe und um fo 
he the rathor geswice and the tiefer gegen Gott büße. Und wir 
deopplicor gebete with God. |ermahnen nod ferner, daß man 
And gyt we furthor maniath, des Sonntags Feierzeit mit aller 
that man sunnan dæges freols ? | Madıt Halte und würdige von 
mid eallum mægene healde | Sormabends Mittag bis Mon— 
and weorthige fram Szeternes | tags Frühlicht, und fein Mann jei 
dæges none oth Monan dæges | jo dreijt, daß er entweder Kauf- 
lyhtinge, and nan man swa | handel treibe oder eine Verſamm— 
dyrstig ne sy, that he athor | lung anſage an dem heiligen Tage. 
oththe eypinge wyrce oththe | Und alle Leute, arm und reich, 
znig mot geszce? tham halgan | folfen ihre Kirchen fuchen und um 
"ze. And ealle men, earme |ihre Sinden dingen und alfe ge= 


Uxe* 
and eaige, heora cyrcan se- |botenen Faſten gern halten und 


cean and tt, heora synnum |die Heiligen gern würdigen, welche 
thingian and »le”goden fa- | uns Die Meffepriefter gebieten 
sten? geornlice healdan »,‚and ſollen, daß wir mögen und müjjen 
tha halgan georne weorthian| le ſammt durd des ewigen 
the us mæsse preostas beodan Gottes Barmherzigkeit und feiner 
sceolan, thæt we magan and en Dermittlung in des Hin- 
moton calle samod thurh thas | melrei Seligfeit Tommen und 
ecean Godes mildheortnesse | mit ihm Wohnen, der IR Mm 
and his halgena thingr&dene | regiert ewig ehne Eude. Amen 
to heofena rices myrthe becu- \ 
man and mid him wunian, 
the leofath and rihxatı a 
butan ende. Amen. \ 

J 


TR 43 
Knuts Kirchengeſetze 8. 6 Bei Thorpe, Ancient 127° and Institu 
of England I, 364 unterfcheiden ebenfalle munecas and Funecena, eapas 


nicas and nunnan. 
2 


And healde mon ælees sunnan dges freolsun oe 
rd * — dieges lihtinge; Ruuts Kirchengefehe $ ie 
And »unnan dsges cypi S 
wle fole gemot; $. 15. 7. c. FPIDgoR wo Torbobdad ao eoron 


“ Ms. faestan. feinen 
° And pet man wle beboden festen healde; $. 16, 1. c, F 


— — 


Biihöflihe Bauordnung, betreffend bie Herftellung der 
Stadtmauern von Worms, 


Bon F. Zalt. 





Einen wichtigen Beitrag zur Geſchichte des ftädtifchen Weſens 
am Rhein, zunächſt der Stadt Worms, Liefert die bald dem Bifchofe 
Theotolah (891— 914), bald dem Bijchofe Burchard (1000— 1025) 
zugefchriebene Bauordnung, welche die Wiederherftellung der Mauern 
der genannten Stadt zum Gegenjtande hat. 

Dem Bifchofe Burchard fchreibt fie zu Zorns Wormfer Chronif 
©. 39, und zwar nad) einem „alten Buch in dem Stift Neuhaufen 
gefunden“. Werner der über feine Duelle ſich nicht äußernde Schannat, 
Ep. Worm. I, 211. Den Bifchof Theotolach nennt der Abdruck bei 
Böhmer, Fontes II, 209, und darnach Mon. Germ. hist. SS. XVII, 
37. Böhmer nahm feine Abfchrift von einem Eremplar einer Zorn= 
ſchen Chronif auf dem Wormſer Stadtardhive, zu welchem ein Unbe- 
fannter um die Mitte des 17. Jahrhunderts Ertracte ex veteri ma- 
nuscripto libro latino chronicorum Wormatiensium beige- 
fügt Hatte. 

Gehört die Bauordnung dem Bifchofe Burchard an, fo ift fie 
eine ſpecielle Ylluftration zu der in der Vita Burchardi (Mon. SS. 
IV, 835) in fräftigen Zügen gefchilderten Bauthätigkeit des Bifchofs !. 

Veber ähnliche Bauordnungen der Nachbarftädte Mainz, Coblenz, 
Speier, Trier, vgl. Bodmaunn, Rheing. Alterth. S. 23. 24. 

Ich folge bei dem Abdrud dem etwas weiteren Zornfchen Texte, 
welchem ic) die Schannat'ſchen Varianten mit Sch., die Böhmer’fchen 

dem mit B beifüge. Bei der weiteren Behandlung ift mit Uebergehung des 
hiſtoriſch⸗juriſtiſchen Momentes mehr die topographifche Seite dejjelben 
iberüerporgehoben. Im Allgemeinen diene als Vorbemerkung, daß dem 
— heinlaufe entlaug die Bewohner von Oppenheim bis Ludwigshafen für 
en Mauerring der Stadt Worms aufzukommen hatten. Bon Oppen- 
kad 


Bgl. Hirſch, Heinvich II., im II. Bde Ercurs VII über die flädtifchen 
Berhältwiffe gegen Ende des 10. Jahrhunderts; Arnold, Freiftädte I, 84. 


398 


heim nördlich begann die Pflicht für Mainz, von Ludwigshafen füdlich 
die für Speier. ö 





(Der Böhmer’sche Text leitet ein: Descriptio Wormacien- 
sis eivitatis facta a Theodelacho episcopo Wormaeciensi anno 
DCCC. LXX. III, qui obiit in Neuweiller anno DCCCC. X. 
IIII. Kal. Sept., episcopatus anno quadragesimo primo). 

De loco qui dieitur Frisonenspira usque ad Rhenum ipsi 
Frisones restauranda muralia procurent. 

Ridelsheim (Sch. Riedelesheim, : B. Rudolscheim), Gims- 
heim (Sch. Vuinesheim, B. Gunsheim), Eichana, Ham (B. 
Hamum), Ubersheim (fehlt bei Sch.), Durkheim (fehlt bei Sch., 
B. Turkheim), Alsheim (fehlt bei Sch.), Mettenheim a supra- 
dieta Frisonenspira (Sch. Frisonum-Spira) usque ad locum, 
qui Rhenispira vocatur, provideant. 

In eodem latere eivitatis familia S. Leodegarii portam 
quandam reaedificare debent. 

Deinde usque (B. u. ad) Pawenportam (Sch. Pavonum 
portam) urbani qui heingereiden (Sch. heingeriden, B. heim- 
gereiden) vocantur, operando pervigilent. 

Hine usque ad angulum meridianum Bobenheim, Ligris- 
heim (Sch. Ligrichesheim), Roxheim, Agresheim (Sch. B. 
Agersheim) et omnes juxta Rhenum habitantes usque ad 
Hemmingersheim (B. Hemmingesheim) praevideant (B. pro- 
videant). 

Media pars de Rucheim et sie omnes ab alia porta 
Rheni (Sch. parte Rheni, B. ab alia parte platee Rheni) ha- 
bitantes usque ad fluvium, qui Karlebach vocatur, in occeiden- 
tali angulo terminum operis ponant. 

De quo angulo incipientes ab (B. ex) utraque parte Kar- 
lebach (Sch. ex utraque Karlebach) usque ad Kircheim et us- 
que ad S. Andreae portam. 

Abhine omnes ex utraque parte fluvii qui Isara (Sch. 
B. Ysana) vocatur sedentes usque ad Mertesheim muros eivi- 
tatis usque ad portam Marfini procurent. ! 

De qua omnes juxta utramque fluvii partem, qui Prymma 
vocatur, quousque Malesbach eundem fluvium influit, usque ad 
jam dietam Frisonenspiram (Sch. Frisonem-Spiram) provideant. 

Praeterea de media parte Muntzenheim usque ad Dien- 
heim tam hi quam omnes qui (qui fehlt bei Sch. B.) infra am- 
bitum praedietorum fluviorum et villarum habitatores (Sch. 
habitantes, B. fügt hier eandem eivitatem bei) cum propu- 
gnaculis et omnibus necessariis, prout tune temporis locus exe- 
gerit, incessanter insistant. 

Frisonenspira, Frisonum Spira, d. i. Spira der Friſonen. 
Wie in Mainz, wo der bejte Theil der Stadt der von riefen be= 


399 


wohnte war, welcher um Meitfaften 886 abbrannte (Ann. Fuld. ad 
h. a.), fo hatten fi) auch im Worms Friefische Händler feitgefett. 
Die Friefen zu Worms kommen jchon im 6. Sahrhundert vor. Die 
Kaijer Ludwig und Lothar ftellten gemeinfam 830 eine Urfunde aus, 
in welcher fie die Schenkungen ihrer Vorfahren bejtätigen, nämlid) 
die der Frankenkönige Dagobert, Sigebert und Hilperich, welche zuge= 
ftanden Hatten, daß, was immer für Kaufleute oder Handwerker oder 
auch Frifionen zur Stadt Worms kämen, der ganze Zoll, von woher- 
font, ob in der genannten Stadt oder aud) in den Burgen Yaden= 
burg und Wimpfen der Fiskus ihn einnehme, ganz dem Wormfer 
Dome zufallen folle (ut quanticumque negotiatores vel artifices 
seu et Frisiones apud Vangionem civitatem devenissent, et 
in castellis Lobedunburg et Winpina exigere poterat etc. 
Schannat II, 5. 18). Es fuhren aljo die Friefen auc den Neckar 
hinauf. Es bleibt Hierbei unentſchieden, ob Sigebert (geft. 575) oder 
erſt Chilperich (gejt. 584) die Zolleinnahme ſchenkte. Dagobert jchenkte 
anderes Beſitzthum und andere Nechte dem ‘Dome. 

Bei der Beichreibung der Pfarrgrenze von St. Paul aus dem 
Jahre 1081 kommt der Ort nochmals vor. Nos parrochiam S. 
Pauli terminamus a porta S. Martini deorsum usque ad por- 
tam Judaeorum sive usque ad Frizenspira et sursum contra 
Renum usque ad portam panis ete. (Schannat II, 60). 

An die Stelle Friefenjpira ſchloß ſich aller Wahrfcheinlichkeit nad) 
die Sriefenftraße, welche in einer Urkunde des Jahres 1141 vorkommt, 
wonad) das Stift St. Andreas einen eine Unze Zins abwerfenden 
Hof in diefer Straße befaß: curtis una in foro superiori solidum 
a alia (sc. curtis) in platea Frisonum unciam (Schannat 
u, 73). 

Zu einer befriedigenden Erklärung de8 Wortes spira waren die 
benutzten Mittel nicht ausreichend. Gleichwohl können wir fagen, daß 
die riefen in Worms ein eigenes Viertel beſaßen, das am heine 
lag und von einem Stadtmanertheil begrenzt war, deſſen Herjtellungs- 
pflicht den Nachbarn felbjt oblag: in loco Frisonspira ipsi Frisones 
procurent. In der Abgrenzung der St. Paulspfarre heißt es, die 
Grenze gehe von der Martingpforte nach der Judenpforte oder and) 
Sriejenfpira und von da den Rhein hinauf zum Brodthor, alfo lagen 
Judenthor und Frieſenſpir dicht beiſammen, welcher Annahme der 
Hamann’iche Stadtproipect von 1650 entſpricht. Faſt möchte ich im 
Hinblide auf Rheniſpira das Wort Spira mit einer befondern Aus» 
gangsthire deuten (gleih Sperre), da nach demjelben Stadtprofpect bei 
der AYudenpforte und der Manerefe an der Stadtfront hinauf das 
Rheinthor (Rheni porta) verzeichnet ift. 

Ridelsheim, ehedem bei Oppenheim gelegen. In Urkunden kommt 
der Ort vor als Rudelshein, zuerft 765 als Rudolfesheim. Vgl. 
Wagner, Wüftungen Rheinhejfens ©. 138. 139. 

Gimsheim ſammt dem vorgenannten und allen folgenden Orten 
liegen ſämmtlich dem Rhein entlang zwiſchen Oppenheim und Worins. 


400 


Eichana heißt nun Eich, Ubersheim jett Jbersheim; Dürkheim 
erhielt zum Unterfchiede von Dorn » Dürkheim den Beinamen Rhein— 
Dürkheim. Der legtere Ort liegt Worms am nächften. 

Alsheim und Meettenheim haben nod) dieſelbe Schreibart. 

Die familia S. Leodegarii hatte in eodem latere civitatis, 
d. h. auf der dem heine zugefehrten Seite, ein nicht näher bezeich- 
netes Thor (portam quandam) herzuftellen. Es wird wohl die porta 
panis (Brodthor, in welches die, Brodgafle mündete) fein, welche in 
jener die Pfarrgrenze von St. Paul betreffenden Urkunde von 1084 
vorfommt. Die Familie des h. Leodegar ift die des Kloſters Mur 
bad) im Elſaß, das aljo ohme Zweifel in der Gegend von Worms 
Beſitzungen hatte. 

Die Pawenporta, Pfanenthor, hat noch bis ins 17. Jahr— 
hundert ihren Namen bewahrt nach Ausweis des Hamann'ſchen Pros 
jpects. Sie jtand jedoch nad) Hamanı nicht mehr in der Pangfeite, 
jondern auf der Schmaljeite des länglichen Vierecks (der Stadt-Grund- 
plan gleicht nämlich einen Länglichen Vierede, deſſen eine Yangjeite 
dem Rheine ſich zufehrt). 

Nahe beim Pfanenthor bog die Stadtmauer um die Ede: angu- 
lus meridianus, Südecke oder genaner Südoſtecke. Don hier an 
hatten die füdlich von Worms gelegenen (jetst ſämmtlich rheinpfälzi= 
chen) Ortichaften einzutreten. Es werden genannt Bobenheim, ferner 
Ligrisheim, ein ausgegangener Ort zwijchen Bobenheim und Worms 
da, wo jett der ſogenannte Nonnenbufc (ein Hofgut in ehemaligen 
Beſitze des Nonnenflojters Maria-Münfter vor Worms) liegt. Nur 
Wenige fennen ihn unter dem Namen Littersheimer Hof. Unter 
diefem Namen führt den Hof der Scematismus de8 Bisthums 
Speyer nad) dem Stande des Yahres 1864 auf. Wagner, Wü— 
itungen Rheinheſſens S. 153, verlegt irrthümlich reiche Notizen iiber 
die Firchlichen Verhältniffe unjers Orts nad) dem ausgegangenen bei 
Dffftein gelegenen Lindrisheim (Yandrichesheim). 

Dicht bei Bobenheim liegt Roxheim. Das darauf folgende 
Ageresheim ijt das heutige Oggersheim. Ueber die Geſchichte und 
Wortummandlungen diejes alten Orts j. Widder, Beichreibung der 
Pfalz II, 354. 

Usque ad Hemmingersheim, war am Rhein gelegen. Der 
Ort hat fich nicht erhalten, mur fein Name in Hemshof, und zwar 
bei Friejenheim am heine. Hemingesheim fennt ſchon Cod. dipl. 
Lauresh. II, Wr. 956. Bol. Widder II, 369, 

Media pars de Rucheim, der Halbtheil von Ruchheim, einem 
ehemals Dalberg'ſchen Dorfe bei Fuß-Gönheim, und alle wejtlic) 
vom Rheine bis zum Flüßchen Karlebach, das jest nod) feinen Namen 
trägt, haben die ganze Schmaljeite von der Südoſtecke bis zur Süd— 
weſtecke zu beforgen. 

Don da an bis zur Andreaspforte bauen die beiderfeitigen Au— 
wohner des Karlebach bis hinauf nad Kirchheim, jett Kirchheim an 
ber Ed, Filial zu dem katholiſchen Pfarrort Neu-Leiningen. 


401 


dach dieſen kommen die Anwohner der Isara, bejjer Isana, 
des durch Worms durchfließenden, urkundlich oft genannten Eisbaches 
bis Mertesheim bei Grünftadt; fie bauen vom Andreasthor bis 
zum Martinsthor, welches Thor jest den Namen des abgeriffenen, weiter 
nad) Mainz gejtandenen Mainzer Thors geerbt hat. 

Ihnen folgen die Anwohner der Pfrimm, welde vor Worms 
die Malesbach, die Mühlbad), aufnimmt und unterhalb Worms in 
den Rhein fließt. Die Pfrimm-Anwohner bauen bis zu dem Ausgangs» 
punft Friejenpira. 

Darauf haben die vom Halbtheil Muntzenheim, d. i. Monzen- 
heim (micht zu verwechfeln mit Monsheim) bis zu Dienheim bei 
Oppenheim die Pflicht. Alle dieje felbft wie auch die im Umkreiſe 
der vorgenannten Flüffe und Dörfer Wohnenden müflen die Stadt 
mit propugnacula, Weghäufern, Wehrthürmen, und allem Nothwen- 
digen je nach Orts- und Zeitverhältniffen verfehen. 

Bon Dienheim gegen Mainz und ins Land Hinein begamı die 
Baupflicht für Mainz. 


Noch verdient bemerkt zu werden, daß fid) eine Wormfer Vor— 
jtadt suburbium bereits im 10. Jahrhundert nacjweifen läßt. Kine 
Urkunde von 985° umnterfcheidet zwifchen der Zolleinnahme intra ur- 
bem Vangionensem vel in suburbio, welder doppelte Zoll dem 
Dome bejtätigt wurde. In derjelben Urkunde folgt ein anderer Aus— 
druck dejjelben Sinnes: intra ductum novae et antiquae urbis. 
Da die Urkunde aber nur eine Beftätigung einer Urkunde Ottos IL. 
enthält, jo reicht unfere Kenntniß noch weiter hinauf. 

Das Centrum diefes Euburbiums war eine uralte Kapelle, aus 
der Später der Wallfahrtsort und das Stift Piebfrau entjtand. Kaifer 
Heinrid) II. hatte diefe ecclesia sita in suburbio ex proprio 
1006 dem Dome gejchenft (Schannat II, 36. 37). Das Alter diejer 
durch chriftlichen Cultus geheiligten Stätte ergiebt fid) aus den nahe 
dabei gemachten Funden von chrijtlichen Grabjteinen des 7. bis 8. 
Sahrhunderts, welche jetzt da8 Mainzer Mufeum zieren ?, 








Bon gleichem Antereffe dürfte die Kenntniß der kirchlichen 
Gintheilung der Stadt in vier Pfarreien fein. Deun jo frühe 
wie in Worms hat fie fi) wohl in feiner rheinischen Stadt voll- 
zogen. Burchard nahm fie vor noch vor dem Jahre 1016 (Schannat 
II, 41. 42). Bifchof Adalbert bezeugt 1084, daß ihm die Stadt 
al8 von jeinem Vorgänger Burchard I. in vier Pfarreien getHeilt 
überfommen ſei: eivitatem nostram ab ipsis (Burchardo et Ar- 
noldo) divisam in quatuor parrochias accepimus (Schannat 
II, 60). Adalbert beftimmte die Grenze vom Pfarrbezirk St. Paul 


! Schannat II, 26. 
2 Falk, Das Gnadenbild U. 8, F. in der Vorſtadt Worms, in Marien- 
rofen 1871. Heft Febrnar und März. Jnnsbruck. 


402 


folgendermaßen : Bon dem Martinsthor bis zum Judeuthor oder auch 
Srigenjpira, von da den Rhein hinauf zum Brodthor und von diejem 
durch die Brodgafje bis zum Haufe des Ebo, und von da mitten 
durch die Straße der Stadt bis zurück zum Meartinsthor. Heute 
werden wir jagen: Vom Mainzerthor die Promenade hinunter bis 
zum heine, den Rhein Hinauf bis zum Fiſchmarkt, von da hinauf 
durch die Peterftrage zum Marfte au die Rhake'ſche Buchhandlung 
und die Kämmererftraße hinunter bi8 zum Mainzerthor !. 

Die andere Pfarrei auf der Nordfeite der Stadt war St. Lam— 
bert bei St. Martin. Beide Pfarreien find nun zu einer ver= 
ihmolzen, haben aber gegen die zwei übrigen Stadtpfarren heute noch 
ihre Grenze bewahrt: ein feltenes Beiſpiel. Die nächjte Pfarrei war 
St. Johann am Dome und St. Magnus, welches zur Stiftskirche 
St. Andreas gehörte. St. Magnus, jegt der evangelischen Gemeinde 
zugehörig, kann als der ältejte Firchlihe Bau von Worms betrachtet 
werden *. 


ı Das alte Mainzerthor lag vom Martinsthor hinaus die Mainzerftraße 
entlang im äußerften Mauerbering. Seit Abbrud) des alten Martinsthors (am 
Ausgange der Martinsftrage) benannte man die Stelle nad) dem jetst auch nicht 
mehr beftehenden Mainzerthor. 

° Falk, im Organ für hriftliche Kunft 1872. Nr. 6, ©. 70, 


Nachträgliches über Ermenridh von Ellwangen. 


Bon E. Dümmler. 





Nachdem ich Gelegenheit gefunden die oben (S. 476) erwähnte 
St. Galler Handſchrift von dem Leben des h. Solus ſelbſt einzuſehen, 
bemerke ich, daß dieſelbe ein ſelbſtändiges Stück des nur zuſammen— 
gebundenen Codex 571 bildet, das oben auf S. 235 als liber S. 
Galli bezeichnet in der That noch den 9. Jahrhundert angehören 
könnte. Am Schluſſe von ©. 263 hinter dem Hymnus trägt e8 die 
Unterjchrift: Marco. P. adest || Et. 1.C.L.M. Augustinus servus 
dei, die ic) nicht zu erklären vermag. Merfwürdig ijt, daß der etwas 
hat. Auf S. 235 fteht epistola ASG diaconi ad Grm. dia- 
conum, ebenfo kehrt dies ASG auch weiterhin wieder und nur am 
Schluſſe auf S. 262 heißt e8: Finit sermo Ermi diaconi et mo- 
nachi u. ſ. w. Berner nennt der Schreiber mit willfürlicher Aende— 
rung Nabanus durchweg Erzbifchof, fo in dem erften Briefe ©. 236: 
venerabilem archiepiscopum domnum Rabanum und salvo 
domni archiepisceopi privilegio, in dem zweiten ©. 238: domni- 
que archiepiscopi patrui mei licentiam defero, in dem Texte 
ec. 6 ©. 250: domnus Rabanus archiepiscopus, mur in c. 10 
©. 258: dominus meus beatissimus abba (dahinter eine Lücke). 
Man wird in diefen Abweichungen nicht etwa nachträgliche Verbefje- 
rungen des Autors ſelbſt erfennen dürfen, denn diefer fonnte un: 
möglich (in c. 6) den Erzbifchof Naban als Vorſteher des Kloſters 
Fulda bezeichnen, ſondern igenmächtigkeiten des Cchreibers, der 
Raban in feiner Zeit als Erzbifchof von Mainz (847—856) fannte 
und daher glaubte, ihm den gebührenden Titel beilegen zu müſſen. 
Eine weitere Eigenthümlichfeit des ſonſt, abgefehen won manchen Feh- 
fern, mit den Münchener Handfchriften meiſt übereinſtimmenden St. 
Gallers ijt die, daß er einige Male für Solus die im Volksmunde 
gebräuchliche Form anwendet: S. 237 Suali beati monachi, 241 
sancti Suali, 242 (in den Gapiteln) beatissimus Sualus, 244 
beati Suali, 247 ec. 3 Solum quam Sualonem et cellam ipsam 
cellam beati Suoli quam cellam Sualonis, 250 beatus Sualus; 
weiterhin nicht mehr. Die Berufung auf ein Gemälde inc. 8 fehlt 


404 


nicht. Die Stuttgarter Haudjchrift der Vita Hariolfi gehört nicht 
(S. 480) in das 11., jondern nad) einer gefülligen Angabe des Hr. 
Archivraths Dr. Paul Stälin erjt in das 12. Jahrhundert. 

Zu den jeltenen Worten, welde Ermenrid gebraucht (S. 484 
Arm. 3), wäre ans dem Briefe Gundronus nod) prologum scarpsi- 
nans (scrapsinans: cod. S. Galli) hinzuzufügen gewejen, da Du 
Gange den Ausdrud gleichfalls nur aus diefer Etelle kennt!. 

In der epistola Ermenriei bitte id ©. 42 3. 5 den Drud- 
fehler seilicat für seilicet zu berichtigen. Die Verſe Habe ich, wie 
fie in der Handichrift überliefert werden, faft durchweg unberührt ge 
lafjen, weil ihre Fehler theils jchwer zu heilen waren, theils der Art, 
dag man bisweilen zweifelt fann, ob fie dem Verfaffer oder dem Ab— 
fchreiber zur Lajt fallen. Ich erwähne noch, daß es ©. 20 in dem 
eriten Verfe aus Lukrez divinitus heißen müßte, ©. 45 v. 66 di- 
cere bei Aufonius. Lücken, durch welche die Verſe fünffüßig gewor— 
den find, finden ſich ©. 40 v. 1, 44 v. 4, 45 v. 56, dagegen ift 
©. 41 v. 23 fiebenfüßig. ©. 46 v. 93 ſchlägt Wattenbady für das 
unverftäudliche risum risu vor: Perspieit ettalem cum risu doctus 
Homerus. In den Verſen an Grimald (S. 35—37) hat, wie id) 
erjt Fürzlich entdeckte, Ermenrich außer Theodulf noch einen andern 
bisher ungedrudten Dichter aus der Zeit Karla des Großen mehrfad) 
geplündert, der uns unter dem Namen Naſo ein in Gefchäftsform 
abgefaßtes Lobgedicht auf den großen Kaifer Hinterlaffen hat. Aus 
einer Londoner Handfchrift wird dajjelbe demnächit in der Zeitichrift 
für deutfches Alterthum veröffentlicht werden. — Ungewöhnlich ift in 
dem Gedichte Ermenrichs (S. 45 v. 70) die Bezeichnung der Waal 
al8 Wandalus und wenigftens felten (v. 73) die der Normannen, welche 
feit 834 die Rheinmündungen häufig heimjuchten, als Markomannen, 
obgleich fc, diefer Name gerade auch bei Rabauus findet (De inventione- 
linguarum: Marcomanni quos nos Nordmannos vocamus; Gol- 
dast, SS. rer. Alamann. II, 69). Vgl. außerdem die Ann. Mascia- 
censes a. 865 und 873 (Mon. Germ. SS. III, 169) und weſt— 
fränfifche Urkunden bei Tardif, Monuments 132, und bei Bouquet, 
Recueil des hist. des Gaules IX, 460. 


ı Für das von ihm aus unſerer Vita c. 7 citierte calculosum Iefen die 
Münchener Handfchr. clanculum, die St. Galler cancalum. 


Ein Suevenkönig Veremmud. 
Bon F. Görres. 





Das neueſte Buch von Emil Hübner (Inscriptiones Hispaniae 
christianae, Berolini 1871) enthält eine ſtattliche Anzahl von Ju— 
feriptionen des chriftlichen Spaniens, durch die das etwas bürftige 
Duellenmaterial für die Gejchichte der Germanenherrfchaft auf der 
phrenäifchen Halbinfel in der erfreulichiten Weije ergänzt wird. 

Beſonders intereffant ift folgende Weihinfchrift (vgl. Hühner 
©. 43, Nr. 135): In n(omin)e d(omi)ni perfectum | est tem- 
plum hunc (sie \ per M | arispalla | d(e)o vota | sub die XIII 
k | (alendas) Ap(riles) er | (a) DXXIII reg | nante sere | nis- 
simo Ve | remundu (sic!) re | x. — Aera 523 p.Ch. 485, 20. 
März. Diefe Infeription wurde im Bezirke von Braga (Conven- 
tus Bracar-augustanus), alfo im nordweftlichen Theile de8 heutigen 
Portugal, aufgefunden. Hübner (a. a. O.) äußert fich des Näheren 
über den Fundort, wie folgt: In coenobio S. Salvatoris de Vai- 
r%o S. Benedicti, in pariete domus o celleiro dietae versus 
meridiem juxta dormitorium novum, in lapidibus septem juxta 
positis. — Hübner hat unferen ‘titulus dedicatorius’ an Ort und 
Stelle nicht einfehen können. Gleichwohl hält er, und das aus trif— 
tigen Gründen, an der Echtheit deffelben fett — für die Authenticität 
läßt fich unter Anderem die bei allen Weihinfchriften des chriftlichen 
Spaniens (in fpäterer Zeit) vorkommende Cingangsformel In no- 
mine domini anführen —, ja er räumt fogar ein, der Titulus könne 
der Zeit angehören, wie fie die bezügliche Datirung befagt (vgl. 
Hübner a. a. D. und praefatioS. VIII). — Die Frage ift: Was 
für ein Herricher war der in unferem Titulus erwähnte König Ve— 
remund? Börftemann * ift über die Perfon diefes Fürften volfftändig 
im Unklaren: er nennt ihn einen „unbekannten König“. Anders 
Hübner; er bezeichnet jenen Veremund wiederholt (S. 110. 112) 
als „Weftgothenfönig*. Daß aber auch er noch erheblichen Zweifeln 
Raum gibt, befunden deutlich folgende Worte (S. 43): Veremundi 


ı „Altbentche Namen aus Spanien“ in der von Adalbert Kuhn rebigirten 
Zeitihrift für vergleichende Sprachforſchung u. |. w. Bd. XX, Berlin 1872, 
Het 6, ©. 433, 


XIV. | 27 


406 


regis hujus regnum quemadmodum conjungi possit cum tem- 
pore, quod in titulo indicatur, incertum est. Ein Weftgothen- 
fünig war nun Veremund freilich nicht; die Weftgothen wurden viel- 
mehr zur Zeit der Abfaffung unferer Inſchrift (20. März 485) be— 
fanntlich von dem großen Eurich beherricht, dem übrigens noch vor 
September dejfelben Jahres fein Sohn Alarich IL. (reg. 485—507) in 
der Regierung folgte (vgl. Dahır, Könige V, S. 101 Anm. 4; ©. 102. 
233). — Da der Titulus, wie vorhin erwähnt, unweit von Braga 
(Augusta Bracara), der alten fuevifchen Hauptjtadt, alfo auf ſue— 
pifchem Gebiete (vgl. v. Spruner-Menfe, Lieferung II, Karte 14), 
gefunden wurde, fo repräfentirt die Anfeription ein ung aufbewahrtes 
Stück der ſueviſchen Gefchichte; mithin haben wir den Veremund als 
einen um 485 regierenden König der fpanifchen Sueven aufzufaſſen. 
Diefes Nefultat ift um fo ermwinfchter , als uns das Jahr 485, wie 
es eben die Anschrift aufweift, in eine Periode der ſueviſchen Ges 
fchichte verfetst, über die uns fo zu fagen alle authentischen Nachrichten 
fehlen. Nachdem nämlich Sfidor von Sevilla in feiner Suevorum 
historia unter Zugrundelegung der Chronif des Idatius eine kurze 
Ueberficht der älteren ſueviſchen Gefchichte gegeben und zulett erzählt 
hat, wie König Nemismund die Mehrzahl feines Volfes zur Härefie 
des Arius verführt habe, bricht er plötlich mit dem Jahre 468 ab 
und fertigt eine faft Hhundertjährige Periode arianifcher Herricher — 
von Remismund bis Theodomir I. (468—c. 560) — mit folgenden 
dürren Worten ab (ef. Isid. Hisp. Suevor. histor. ed. Areva- 
lus VII, ©. 136 Nr. 90): Multis deinde Suevorum regibus 
in Ariana haeresi permanentibus, tandem regni potestatem 
Theudemirus suscepit. — Mit Hülfe unferer Anschrift dürfte alfo 
wenigſtens einer der jener dunflen Periode angehörenden ſueviſchen 
Könige der DVergeffenheit entriifen fein. Alle weiteren Verfuche, für 
die Zeit von 468 bis c. 560 ſueviſche Königsliſten aufzuftellen, find 
aber bei dem gänzlichen Mangel des bezüglichen authentischen Quellen— 
material8 als verfehlt zu betrachten. Mit Necht hat alfo fchon Fer— 
reras (Spanien, Deutfh von Baumgarten II, S. 295. 242) zweien 
zwifchen Remismund und Theodomir eingefchobenen Suevenfünigen 
Namens Rechila und Thendemund die Hiftorifche Eriftenz abgeſprochen. 
Man wird ferner Dahns Kritik adoptiren müſſen, wenn diefer For— 
ſcher (VI, ©. 569) auch den Hermenerich II. und den Ricilian, zwei 
weitere zwiſchen 468 und c. 560 eingefchobene Suevenfürften (vgl. 
Acta s. Vincentii Legionensis abbatis in den Acta Sanctorum 
Boll. T. VII, mensis Martii T. II [Venetiis 1735], ©. 62 .63), 
für apokryph Halten möchte. — Aus der Datirung des Titulus geht 
hervor, daß Remismund, deffen Gefchichte Idatius und (nach ihm) 
Iſidor bis 468 verfolgen, das genannte Jahr nicht allzu lange über- 
(ebt hat. Veremund wird, wo nicht der unmittelbare, jo doch einer 
der nächften Nachfolger Remismunds gewefen fein. Intereſſant ift noch die 
Titulatur serenissimus rex, die Veremund in der Inſchrift erhält ; 
fonft läßt fich das Epitheton gloriosissimus als Prädicat der Sue— 


407 
n. nachweifen (vgl. die betreffenden Quellenbelege bei Dahn VI, 
. 581). 


Was den gleichfall8 in unferer Aufeription vorkommenden Namen 
Marispalla anbelangt, fo ift Hübner (praef. S. VIT) geneigt, den- 
jelben für gothifch zu halten. Gothiſch iſt er aber ficher nicht; es 
handelt fi nur darum, ob wir ihn als ſueviſch oder genereller aus— 
gedrückt als deutfch, oder ob wir ihn als romaniſch auffaffen müſſen. 
Förſtemann ift zweifelhaft. Sehr mit Recht erblickt er aber in dem 
Worte einen weiblichen Namen: für diefe Annahme fpricht das ale 
Appofition grammatiſch zu Marispalla gehörende deo vota. Viel- 
leicht läßt fi) zu Gunſten der deutfchen (ſueviſchen) Abftammung 
Marifpallas der Umjtand geltend machen, daß der regierende Sueven- 
fönig ausdrüdlih in unferer Inſchrift erwähnt wird. Ob wir e8 
hier mit einer Arianerin oder Katholikin zu thun haben, diefe Frage 
bleibt freilich troß der Datirung nad) dem arianischen Germanen- 
fürften umentjchieden. Nach der überzeugenden Argumentation Xe 
Blants (Manuel d’epigraphie chretienne d’apres les marbres 
de la Gaule [Paris 1869] S. 185—188) zeigen nämlid) die In— 
feriptionen des Occidents im fünften und fechiten Jahrhundert alfe 
nur den allgemein chriftlihen Typus, laſſen aber feinerlei unterfchei= 
dende confefjionelle Merkmale der Orthodorie oder der Härefie (Aria— 
nismus) erfennen. 


1 Er äußert fich über den Namen S. 435: „Iſt der erfte Theil deutſch, 
fo fügt fi der Name gut zu Namenb. I, 911; der zweite Theil freilich läßt 
fi) bis jest noch in feiner Weife als deutfch erweiſen“. 


Ueber den jogenannten Libellus 


de imperatoria potestate in Urbe Roma. 


Bon 


3. Jung. 


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u u 


Das merkwürdige Actenftüd, das von Per ‘Libellus de im- 
peratoria potestate in urbe Roma’ genannt worden ift, wurde 
zuerft herausgegeben von dein befannten Magdeburger Genturiator 
M. Flacius Illyrieus in feinem Catalogus testium veritatis, 
Straßburg 1562. Bd. I, 89 ff. As Vorlage diente ihm, wie er 
feloft anführt, eine Handfchrift de Eutrop, d. 5. wol der Historia 
miscella, der am Ende der unbekannte Autor beigebunden war!, 
Die Ausgabe wurde daher überjchrieben: Eutropii appendix , wor- 
aus ſich dann unter den Gelehrten der Zeit die Fabel entwickelte, 
Eutropius, ein ‘presbyter Langobardus’, fei der Verfaſſer ge— 
weſen. Die zweite Edition gab Goldast, De Monarchia Imperii 
I. unter dem Titel: ‘de juribus ac privilegiis Imperatorum in 
Imperio Romano’, wobei er einige Emendationen anbrachte; aud) 
die fpäteren „verbejjerten und vermehrten“ Auflagen des Catalogus 
testium veritatis hatten deren bereit mehrere verfucht; nad) einer 
der letzteren erfolgte dann der Abdrucd in den Mon. Germ. historica 2, 
Die Handfchrift felbit, die Flacius benugte, ift verloren gegangen. 

ı Slacius a. a.D.: Habeo exemplar manuscriptum satis vetustum 
Eutropii et adjunctorum scriptorum in XXVI libros distributum. In 
ejus fine est quaedam vetusta historiola ... . 

2 Die Editio princeps zeigt in Folge deffen einige bemerfenswerthe Ab- 
mweichungen von dem Texte der Mon. Germ. SS. III, 719—723. 


Editio princ.: Mon. Germ.: 
In palatium Papae In palatium Papiae 
lateratus Lateranis 
solvebantur. solebat (mo Perg richtig emendiert). 


Auch die Interpunction differirt einigemale: 

Editio princ.: qui praeerat regia vice ante Romanis, videretur 
post esse subjectus. 

Mon. Germ.: qui praeerat regia vice ante, Romanis videretur post 
esse subjectus. 

Goldaft und in einem Eitat der anonyme Berfaffer der Schrift: Ot- 
tonis III. Imp. donatio Sylvestro II. papae facta (1607) S. 32 ff. emen- 
dieren nicht ungeſchickt ad' (reip. in) dedecorem imperii, fir ad decorem 
des lacius (und Mon. Germ.). 

Auch andere Berbefferungen erlaubt fi) der Anonymus 1. c.: 

quatenus is ft. quatenus ut is (Flacius, Mon. Germ.). 


prae ft, pro. 
Das mußte feitgeftellt werden, um über die Zuperläffigkeit unferer Aus- 
28* 


412 


Wenn man den Inhalt des Libellus — wir wollen diefe 
ihon geläufig gewordene Bezeichnung beibehalten — näher betrachtet, 
jo begreift man die Freude, die der Genturiator über feinen Fund 
hatte; von den Päpften wird darin nicht mit befonderer Liebe und 
Hochachtung geſprochen; zugleich würde diefer Umſtand unferen Ver— 
dacht rege machen — glei) das nächſte, was der Catalogus bringt, 
ift die verdächtige Vorrede zum ſog. Heliand —; doch werden diefe 
Bedenken dadurd) völlig befeitigt, daß wir jett wiljen, wie bereits im 
zehnten Jahrhundert der Libellus anderweitig benugt worden ift — 
ein Umftand, den Flacius noch nicht kannte, und der erft durch die 
Herausgabe der Chronif Benedifts von S. Andrea auf dem Soracte 
in den Mon. Germ. hist. offenbar geworden ift. 

Ich ftelle die betreffenden Abfäe de8 Chronicon und des Li- 
bellus zujammen. . 


Libellus SS. III, 720: Benedict. Mon. Germ, SS. III, 712: 


Tanta nempe imperialis| Imperator Lodvicusin tanta 
virtus ibi vigebat, ut siin legali | virtus in Italia extitit, 
judicio minoris vel inscii causa 
postponeretur, et ille alicujus con- 
silio pedes teneret legati impera- 
toris, petens ab eo justam legem 
et missus adjuraret principes Ro- 
manorum, dicens: ‘Per eam fidem, 
quam domino imperatori debetis, 
facite huie homini justam legem', 
nemo erat ausus declinare neque 
ad dexteram neque ad sinistram, 
etiam si a propinquis ponti- 


ficisillataessetinjuria. Multotiens |]ut sanguinium pontificis 


vero non ante apostolicum, sed in 
judicialiloco ad Lateranis, ubi 
quidam locus dicitur ‘Ad 
Lupam’, quae mater vocaba- 
tur Romanorum,ibi judiciariam 
legem finiebant. 


Si aliquis iram incurrebat im- 
„ peratoris episcopus aut judex Ro- 
manus et licitum esset caesari ve- 
nire Romam, veniebat; sin autem, 
mittebatur dix Spoletinus, com- 
prehendebatur offensor et ducebatur 
in exilium. 


Romani a legibus non po- 
tuisset erueret. Abebat au- 
tem in palatioLateranensis 
judices preordinati per sin- 
gulos dies, a locus ubi dici- 
tur a Lupa, quod est mater 
Romanorum, 


ut populum Romanum per distric- 
tum placitum a dux Spoletinus 
Aciprandum nomine discutiendum. 


Zu dieſer Hauptjtelle kommen noch einige andere, weniger be= 


beutende. 


Der Libellus fpridht von drei beſtimmten Reichsabteien und 


ihren Verpflichtungen; Benedict dehnt dies (S. 712) noch auf einige 
andere Klöfter aus. Erſterer berichtet über die Enthauptung von 
dreihundert Römern in campo Lateranensi bei Gelegenheit des 


gaben und die Tragweite von allfälligen Aenderungen, die fid) Editoren er- 
laubten, Klar zu werden, 


z 413 


Aufftandes gegen Leo III.; Benedict folgt ihm darin wörtlich 
(S. 711). Die Phrafe: Roma per patriecios prineipabatur, 
des Libellus (S. 719) gibt der Mönch in feiner, wie gewöhnlich), 
aller Grammatik Hohn fprechenden Weife wieder, indem er princi- 
pabantur fest, den Plural für den Singular. Nach dem Tode K. 
Ludwigs IL. bemerkt Benedict; regnum fraudatum est a Karulo 
neptus ejus (S. 713); was dem Sinne des Libellus entſpricht, 
nicht aber der fonftigen Parteiftellung des Chroniften. 

Aus all dem geht hervor, daß diefer den Libellus benutte, aber 
nicht gerade in der verftändigiten Weiſe. Iſt er gewöhnlich Abbreviator — 
wie an jener größeren Stelle —, fo fördert er, wenn er mehr geben 
will al8 die Vorlage, in der Regel eine Unrichtigfeit zu Tage; wie 
3. D., wenn er einen bejtimmten Herzog Aciprand von Spoleto an— 
führt, wo der Libellus feinen Namen nennt; im ganzen 9. Jahre 
hundert hat es feinen Herzog diefes Namens gegeben. 

Aus der Schreibart der beiden Autoren ergibt ſich zugleich, daß 
es Männer von ganz entgegengefetter Bildungsitufe geweſen fein 
müjfen. Der Libellus ift in gutem Latein abgefaßt; Benedict zeigt 
eine große Unkenntnis der Sprachgefege und fchreibt eine höchſt vul= 
gäre Mundart. 

Außerdem befigen wir eine Urkunde K. Dttos III für Papit 
Sylveſter II., welche den Libellus fennt und ihn ausjchreibt. Es 
handelt fih um ein Privileg Karls des Kahlen für das Papftthun, 
das man faiferlicherfeits nicht gelten laſſen will. Die betreffenden 
Stellen lauten: 


Libellus S. 722: Urfunde Ottos III. M. G. LL. II, 162. 


Qui (Carolus Calvus etc.) veniens] Haec sunt etiam commenta, qui- 
Romam, renovavit pactum cum | busdicunt, quendam Carolum sancte 
Romanis: perdonans illis jura | Petro nostra publica tri- 
regni et consuetudines illius, | buisse. 
tribuens illis sumptus de tribus 
supradietis monasteriis, i. e. Do- 
mini Salvatoris et beatae Mariae 
semper virginis in Sabinis atque 
sancti Andreae juxta montem So- 
ractis, et de caeteris quam pluri- 
mis monasteriis fiscalia patrimonia. 

Patrias autem Samniae et Cala- 
briae simul cum omnibus civita- 
tibus Beneventi eis contulit; insu- 
per ad decorem (l.: dedecorem) 
regni totum ducatum Spoletinum 
cum duabus civitatibus Tusciae, 
quod solitus erat habere ipse du, 
id est Aricium et Clusium: qua- 
tenus utis, qui praeerat regia vice 
ante Romanis, videretur post esse 
subjectus. Removit etiam ab eis 





! 2gl. Fatteschi, Duchi di Spoleto ©, Tl, 


414 


Libellus ©. 722: Urkunde Ottos III. M. G. LL. IIv, 162. 
regias legationes, assiduitatem vel 
praesentiam apostolicae electionis. 

Quid plura? Cuncta illis contu-}| Ergo quod non habuit, non de- 
lit, quae voluerunt, quemadmodum | dit; sic dedit, sicut nimirum dare 
dantur illa, quae nec recte ac-|potuit, utpote qui male acqui- 
quiruntur nec possessura|sivit et diu se possessurum 
sperantur. non speravit. 


Die Abhängigkeit beider Schriftſtücke tritt noch mehr hervor 
durch den Umftand, daß beide vdenfelben Fehler begehen, Karl den 
age auf der Flucht vor Karl IIL, ftatt vor Karlmann, fterben zu 
aſſen. 


Libellus: Urkunde Ottos IIL: 
Fugato itaque isto Carolo prae| Ipsum Carolum nihil dare jure 
metu alterius Caroli. potuisse, utpote jam a Carolo 


meliore fugatum, jam desti- 
tutum et annullatum. 


Aus der Vergleihung der Urkunde mit den betreffenden Sätzen 
de8 Libellus ergibt ſich mit ziemlicher Sicherheit, daß erjtere diefen 
vor Augen gehabt hat; man muß in der That den Autor zur Hand 
nehmen, um zu verjtehen, was unter dem „ehr großen Theil des 
Neiches“ und unter den „Rechten“ dejjelben eigentlich gemeint ift. 
Erheben ich feine fonftigen Bedenken gegen die Echtheit der Urkunde, 
jo haben wir e8 hier mit einem der nicht ganz feltenen Fälle zu 
thun, wo eine Urkunde einen Schriftiteller ausjchreibt; eines der in= 
tereffanteften Beifpiele davon ijt, daß K. Friedrich I. einmal zwei 
Kapitel aus der Chronik Dttos von Freifing in ein Privilegium ein= 
rücen ließ, um dadurch die Authenticität von des Hl. Bartholomäus 
irdischen Ueberreften verfchiedenen Anfeindungen gegenüber feftzuftellen !. 
Nach mittelalterlichen Begriffen lag in einem folchen Verfahren durch— 
aus nichts Anſtößiges. 

Aus diefen verfchiedenen Benutzungen des Libellus ergibt ſich 
zugleich beiläufig die Zeit feiner Entftehung. Die Datierung der 
Urkunde fehlt zwar; da aber Benediet von ©. Andrea ficherlich ſchon 
früher geichrieben Hat, ift dies für unferen Zweck gleichgültig. Be— 
nediet fchrieb nämlich offenbar unter dem gewaltigen Eindrude, den 
die Wiederherftellung des Kaifertums durch Otto den Großen auf 
ihn gemacht hatte: die Vermählung Dttos II. mit Theophano wird 
noch erwähnt, dann bricht er ab mit einem Fluche auf die Sachſen, 
die Kom und die Kirche unterdrückten. Das verräth den Zeitge— 
noſſen *, 


2 Urkunde vom 6. Auguft 1167 bei Böhmer, Acta imperii selecta I, 
Nr. 125. Der Kaifer citiert: annales predecessorum nostrorum catholi- 
corum imperatorum revolvimus — in ipsorum annalium sexto libro 
invenimus. Es folgt dann Ottonis Fris. Chron. VI, 24—26, über die trans- 
latio des S. Bartholomaeus von Benevent nah Nom durch K. Otto II. 

2 Die bei Benediet ftchende Phrajc ‘usque ad presentem diem’ 


415 


Aus dem lapsus memoriae, den fi dan der Verfaſſer des 
Libellus felöft zu Schulden kommen läßt, indem er die beiden oſt⸗ 
fränkiſchen Prinzen Karl und Karlmann mit einander verwechſelt, 
werden wir zugleich auf einen jenen Ereigniſſen zeitlich ferner jtehenden 
Autor ſchließen müffen, zumal wenn er fich fonjt gut unterrichtet 
zeigt '. 
Mit Ruckſicht auf diefen Umftand wie auf die Benugung durch 
Benedict, würden wir die Zeit, innerhalb deren der Libellus ge⸗ 
fchrieben fein müßte, allenfalls zwifchen dem Anfange des zweiten und 
= Ende des dritten Viertels des zehnten Jahrhunderts abzugrenzen 
haben. 

Das ift denn auch die jetzt Herfchende Annahme. Pagi? wollte 
diefe Zeitgrenze bis 1020, Perg? im Zufammenhange mit jener Ur— 
funde Ottos II. bis 1000 vorrüden — die Chronif Benedicts 
kannte jener nicht; diefer hielt den Chroniften mit dem Verfaſſer des 
Libellus für identiih —; alfein feit Wilmans in einem Exceurje der 
Ranke'ſchen Jahrbücher“ die Unzuläffigfeit von Per’ Suppofition 
gezeigt hatte, fette man mit ihm die Entftehung der Schrift in die 
Zeit um das Yahr 950. 

Bezüglich der näheren Beſtimmung aber giengen die Meinungen 
auseinander. Maurenbrecher ® behauptete, der Libellus fei auf Be— 
fehl Ottos I. nad) feiner Kaiſerkrönung verfaßt, um deſſen Mapregeln 
gegen Rom und das Papſtthum zu vertheidigen ; auch) Pertz hatte in 
demfelben eine kaiſerliche Parteifchrift gefehen; die übrigen aber nah- 
men an, es drücke fi) im Libellus das Verlangen nad) Wiederher- 
ſtellung der alten Faijerlichen Gewalt aus; jo namentlid) Giefebrecht © 


dauere dies und jenes: c. 14 (S. 712) irritum magnum inter Beneventos 
et ejus succedentia et Salernum et divisio usque ad praesentem 
diem; ©. 712: ablatum est regnum Aquitanie a Francis usque in 
praesentem diem; ebenda bei Erzählung der Niederlage K. Ludwigs II. 
gegen die Saracenen: propter hoc populi Romani in derisione abuerunt 
Franei usque in hodiernum diem; endlich S. 713: propter hoc 
amplius rex Francorum non regnavit usque ad presentem diem, 
würde an und für fich feine genauere Beftimmung ermöglichen; als jubfidiären 
Beweis mag man fie immerhin gelten laſſen. 

ı 3,8, Verwechſelung von Karl II. und Karl III. fonımt bei Liutprand, 
Widukind, dem Fortſetzer Ados vor. Dändliker, Hiſt. Zeitſchr. XXVIII, 238. 
Beim Panegyriſten K. Berengars, bei dem es ungleich ſchwerer wiegen würde 
(wie Dümmler bemerkt), ſcheint dies Verſehen noch nicht vorzufommen. Bgl. 
Anſelm d. Peripatetiler S. 108 die Nachträge zu den Gesta Berengarii im- 
peratoris. 

2 Critica ad Baronium, ad a. 875. 

s Mon. Germ LL. IIb, 162. SS. III, 696. (Daran hat fid neuer 
dings Bethmaun⸗Hollweg, Civilproceß V, 244. 10 gehalten). 
a * Bd. II, Abth. 2, Exe. XI ©. 235 ff. 

5 De historicis deeimi saeculi, qui res ab Ottone gestas memoriae 
tradiderunt, 1861. S. 57. 

° Kaiſerzeit (4. Aufl.) I, 344. 782, 


416 


und Wattenbach!; auch Gfrörer?, nur daß er ihm zugleich gegen das 
wüſte Treiben der römischen Großen gerichtet fein ließ. 

In der That kann eine nähere Beftimmung der Entftehungszeit 
nur im Hinblid auf die Tendenz, in der das Schriftſtück abgefaßt 
ift, vorgenommen werden. 

Wir müſſen zunähft an die Löſung der Frage gehen: welche 
Stellung nimmt der Libellus den großen politifchen Ereigniffen feiner 
Zeit gegenüber ein, welches ift feine Tendenz ? 

Da ift nun, wie ic) glaube, vor Allem darauf aufmerffam zu 
machen, daß der Autor unferer Schrift eine nicht geringe Animofität 
gegen das Papftthum zur Schau trägt. 

Es tritt dies bereit8 in der Einleitung derfelben offen zu Tage, 
welche die Ereigniffe vor Karl d. Gr. kurz refumirt. Es läßt ſich 
daraus für die beglaubigte Gefchichte unmittelbar Nichts gewinnen ; 
man fieht vielmehr, wie nebelhaft diefe den Späterlebenden erfchien ; 
ja in unferem Falle werden wir fagen müffen, der Verfaſſer hat es 
abſichtlich auf eine Täufchung abgefehen; in tendentiöfer Weife ver- 
dreht er die Ausfagen der Quellen, auf die er fich ftütt. 

Es find dies erftend Drofius, der chriſtlich-orthodoxe Hiftorifer 
de8 5. Yahrhunderts, der damals die Heiden und die feterifchen Impe— 
ratoren allein für das Unglück verantwortlich gemacht hatte, das den 
Orbis Romanus betraf: der Libellus citiert ihn, um anfchaulich zu 
machen, was einjt die Kirche, die römische zumal, fi) von den Kaiſern 
habe gefallen lafjen, ohne dagegen zu murren oder Oppofition zu machen. 

Die zweite Quelle, welche den hierauf folgenden Ausführungen zu 
Grunde gelegt wird, ift das römifchePontificale felbft, und hier 
fönnen wir fehen, wie unfer Autor Greigniffe, die mehr als dreißig 
Fahre auseinanderliegen, verquidt und die Erzählung ſelbſt in ten— 
dentiöfer Weife fich zurechtlegt. 

Das Papftbuch berichtet in der Kebensbefchreibung des Silverius ®, 
der von 536 an auf dem römischen Stuhle faß, daß diefer mit der 
Kaiſerin zerfiel; in Folge deffen ließ die Monarchin den Papft durd) 
falſche Zeugen des hochverrätherifchen Einverftändniffes mit den Gothen 
bejchuldigen. Der Patricius Belifar — fonft dem Silverius ge= 
wogen, aber durch Befehle gebunden — heißt diejen zu fich in den 
Palajt fommen; dort macht ihm noch Antonina, die Patricia, heftige 
Vorwürfe; dann wird ihm das Pallium abgenommen, feine Entjeßung 
dem Volke verkündet *. 

Diefe Erzählung des Papftbuches verknüpft nun der Libellus 
mit jener anderen von Narfes, der die Pangobarden ins Land gerufen, 
während die Römer felbft und ihr Bifchof dem byzantiniſchen Regi— 


ı Deutihlands Gefchichtsquellen (3. Aufl.) I, 311. 

2 Papſt Gregorius VII. und fein Zeitalter V, 77—79. 118. 180. 182. 
Er Hatte von dem Werthe des Libellus al8 Geſchichtsquelle (nebenbei bemerkt) 
unter allen Hiftoritern die höchfte Meinung. 

s ed. Vignoli I, 209 ff. 

* Liber pontif. ed. Vignoli I, 227 ff. 


417 


mente Oppofition machten. Die Bejtrafung läßt der Libellus noch 
ſchärfer ausfallen als das Papſtbuch!. 

Zugleich ergreift der Verfaſſer des Libellus die Gelegenheit ſich 
über das damalige Verhältnis der römiſchen Kirche zur Staatsgewalt 
auszuſprechen: wie der Papſt nur für Kirchen und Kleriker zu ſorgen 
gehabt; wie er hingegen vom Staate ſeine Einkünfte bezog; wie er 
Unterthan des Kaiſers war, deſſen Befehlen er Folge leiftete, auch 
wenn er gewiß wußte, daß man ihm ins Exil Schicken würde, 

Die ganze Ausführung erinnert ſehr an die Streitichriften, die 
nachher zur Zeit des großen Kirchenftreites von faiferlicher Seite 
gegen die Gregorianer gerichtet worden find, 

In derfelben Weije, wie der Libellus begonnen, fährt er aud) 
fort. Nachdem die Griechen durch die Pangobarden aus dem Felde 
geichlagen waren, ‘cessavit imperium ab urbe Roma usque ad 
Francos’, weil die neuen Ankömmlinge durch Könige regiert waren; 
merfwürdiger Weife läßt der Libellus ihre Herrichaft auch auf Rom 
fi) erftreden. Aber auch gegen fie intriguirt der Bapft; er weiß 
den Frankenkönig Karl mit den Langobarden zu verfeinden, indem er 
ihm das imperium verjpricht. Als diefer dann wirklich das Neid) 
eingenommen, müſſen die faiferlichen Beamten vor allem dafür forgen, 
daß auch die Verwandten des Papites zur Redenfhaft 
gezogen wurden, wenn fie Unrecht thaten ?. 

Papft Nicolaus verfolgt treue Diener des Kaifers, wie den Erz- 
bifhof von Ravenna; zuletzt wird das Reich unter dem Vorwande 
der Freiheit der Kirche (al8 ob fie Jemand unterdrüdte!)? feiner 
ihönften Provinzen beraubt. ; 

Alſo gegen die Päpſte und ihre Verwandten richtet fich die 
Tendenz des Libellus, wie wir fehen; und um diefen Kern gruppieren 
fich) die übrigen Factoren der römischen Stadtgefhichte: für die Rö— 
mischen Großen im Allgemeinen hat unjer Autor Worte freundlicher 
Anerkennung *; Hingegen das niedere Volf, die Maffe der Römer 
treffen zugleich feine Vorwürfe; mit ihm ift das Papftthum verbindet, 
ihr Intereſſe wird identificiert ®. 

Wir fönnen weiter gehen und fragen, aus welchem Grunde denn 
der Pibellift dem Papſtthum und feinem Anhang feindlich entgegen- 


ı (Narsus) fecit eum comprehendi et tonsorari, vestemque mo- 
nachicam induere, necnon sedentem asino ad monasterium s. Sabae 
perducere. Bon dem letsteren fteht in Lib. pontif. fein Wort. Die Pa- 
tricia heißt im Libellus Polyxena. 

° Etiam si a propinquis papae illata esset injuria. 

s Die Päpfte an Karl den Kahlen: er folle ‘de servitutis jugo ad 
propriam libertatem reducere suam ecclesiam, ut quasi per vim 
ab aliquo esset oppressa), 

* (8, Ludwig IL) habens strenuos viros ejus urbis, scientes 
antiguam imperatorum consuetudinem, et intimantes caesari etc. 

5 Karl der Kahle, nachdem bisher die Päpfte mit ihm unterhandelt hatten: 
renovavit pactum cum Romanis, tribuens illis u. f. w. 


418 


tritt? Auf welchen Schluß hat es der Autor mit feinen Ausfüh- 
rungen abgefehen? Gibt er eine “invectiva in Romam’ wegen 
theologifcher Differenzen, oder eine ‘Antapodosis’ wegen perfönlicher 
Kränfung, oder beklagt er vielleicht den fittlichen Verfall der 
Hauptftadt der Chriftenheit ? 

Quid plura ?” Die große Shenfung Karls des Kahlen, 
die Aufgabe aller NReichsrechte in Nom und feinem Gebiete; die Entſa— 
gung der Einflußgnahme auf die Papftwahl; die Abtretung der drei 
Neichsabtein S. Salvator, ©. Maria (Farfa), S. Andrea am 
Berge Soracte u.f. w., desgleichen der Landichaften (patriae) von 
Samniumund Calabrien fammt den Stadtbezirken (eivitates) Bene— 
vents; endlich die Unterwerfung des Herzogs von Spoleto (mit Chiufi 
und Arez30) unter den Papft: das ijt der Gegenstand, der den Zorn 
des Libelliften erregt hat; in der Zurückweiſung der Nechtsverbind- 
lichkeit eines Pactums, das ein Ufurpator, weil er nichts rechtmäßig 
hatte, auch nicht geben fonnte, darin gipfelt die ganze Ausführung 
unferes Schriftitüds. 

Und weiter: e8 beflagt, daß feiner der fpäteren Kaifer oder Kö— 
nige den erlittenen Schaden wieder gut gemacht habe (nemo impe- 
ratorum, nemo regum acquisivit); e8 fehlte die Tüchtigfeit oder 
die Erfenntnis (aut virtus defuit, aut scientia); daraus hätten 
fih) für das eich die bejtändigen Bürgerkriege und Gewaltthätigs 
feiten al8 nothwendige Folge ergeben (unde multa praelia, dela- 
tiones et rapinae fuerunt in regno). 

Damit bricht der Libellus ab; in dem Leſer aber läßt er den 
Eindruck zurüd, daß, um Ruhe und Ordnung wiederherzuftellen, 
nichts weiter nöthig fei, al8 jenes Pactum Karls d. K. zu negieren 
und wieder auf die Zuftände unter den früheren Kaifern, wie fie die 
Schrift des weiteren auseinandergefett hat, zurüczugehen. 

ft nad) dem bisher Gefagten die Tendenz des Libellus gegen 
die Bildung eines felbftändigen römischen Gebiete8 unter der Herr— 
ichaft des Papſtes (und feiner Verwandten — denn gerade diefen 
Zug werden wir nicht vergejfen dürfen —) gerichtet, jo wird man 
zum zweiten die Frage aufwerfen, zu weſſen Gunften der Autor 
fchreibt, wen feine Sympathien gelten. 

Bekanntlich wurde bisher gewöhnlich eine directe Beziehung zur 
Neftauration des KRaiferreiches durd; Otto d. Gr. angenommen , fei 
e8 daß deren Intereſſe verfochten, ſei e8 daß deren Eintritt dadurch 
vorbereitet werden ſollte. Schon die üblichen Benennungen, die durch 
Goldaſt und Pertz vorgefchlagen waren, leifteten diefer Annahme 
Vorſchub. 

Wenn wir aber näher zuſehen, ſo ergibt ſich denn doch, daß 
dem nicht ſo ſei. Nicht ſowol das Kaiſerthum an und für ſich iſt es, 
wofür der Libelliſt eintritt; vielmehr iſt es die „Ehre des König— 
reiches“, für die er fchreibt; vor dem regnum!’ tritt das “im- 
perium’ zurüd; und wenn er fi) doch eingehender mit dent leß= 
teren bejchäftigt, fo ift e8 micht die univerfale Monarchie der erſten 


* 


419 


Rarolinger, fondern das italienische Kaiſerthum Ludwigs II., was als 
Seal Hingeftellt wird. 

Unfer Autor ift ein Anhänger des italiſchen Einheitsftaates ; 
gerade die darauf bezüglichen Beftrebungen des letztgenannten Kaifers 
haben ſeinen beſonderen Beifall; er habe auch Benevent und Calabrien 
ſich zu unterwerfen gedacht, weil es eine Provinz Italiens ſei“ (quod 
provincia esset Italiae, volens totius regni fines suae vendi- 
care ditioni). Und aus demfelben Grunde beflagt er die Aufgabe 
Roms und feines Gebietes durch Karl den Kahlen als eine Schmad) 
für das Reich (dedecus regni): er will feinen Kirchenftaat innerhalb 
defjelben dulden. Er gibt fid) ung zugleich ziemlich deutlich als Lan— 
gobarden zu erfennen; denn dies Volk ift für ihn zur Herrfchaft über 
Stalien berufen. Um dies auch aus der Gefchichte darthun zu können, 
nimmt er nicht Anftand fie zu fälfchen; fo 3. B. erzählt er, daß 
nah dem Sturze der biyantinifchen Herrichaft in Nom die Lango— 
barden regiert hätten; nach Pavia läßt er von Rom Tribut zahlen ?; 
bezüglich des Ueberganges des Königreiches an die Franfen drückt er 
fi) genau fo aus, wie andere langobardiiche Gefchichtsjchreiber ?; der 
ganze fpätere Nechtszuftand wird auf die Langobardenepoche zurückge— 
führt, fo die Stellung der Herzöge von Spoleto zu Rom u. f. w. 

Damit fommen wir auf einen weiteren Punkt zu fprechen, der 
dem Berfaffer des Libellus befonders am Herzen zu liegen fcheint. 
Rom folle dem italischen Könige (Raifer) unterworfen fein, diefer 
dort die altherfömmlichen Hoheitsrechte ausüben; aber als Statthalter 
des Königs oder Kaiſers Hat nad der ftaatsrechtlichen Theorie des 
Libellus dort in den früheren Zeiten, die er al8 maßgebend hinftelft, 
immer der Herzog von Spoleto fungiert; er datiert dies Verhältnis, 
wie bemerft, bereit in die Epoche der Langobardenherrſchaft zurüd, 
und läßt es durch die ganze Karolingerzeit forteriftieren und fogar 
weiter ausbilden t; vor allem die Intervention bei den Papftwahlen, 
die Ausübung der hohen Gerichtsbarkeit über die Römer. 


1 Das erzählen übrigens auch andere Chroniften, wie 3. B. das Chron. 
Novalic., Mon. Germ. SS. VII, 81. 

a Constituebant autem annualia dona in Papiae palatium per- 
ducenda, auri libras decem, argenti centum, pallia optima decem, 
exceptis privatis donis. 

Die Editio princ. hat hier allerdings “in Papae palatium’; alfein der 
en ſcheint doch die Faffung der jpäteren Ausgaben zu rechtfertigen. 

Bgl. 3.8. Chron. Salernit. c. 2 (Mon. Germ. SS. III, 472): Per 
idem tempus invidia diaboli Stephanus papa Romanus inter Lango- 
bardos et gens Francorum, Allamannorum, Burgundionum supersemi- 
navit zizania, hoc ordine, quod inferius declaramus, worauf in bie 
Erzählung bes Bapftbuches eingelenkt wird, Ebenfo der Libellus: (Pontifex) 
seminans inter reges discordias etc. 

* &.720 3.20 ff.: Spoletanorum duxRomae constitutus 
est vice regis, tali pacto, ut quando apostolicus obiret, interesset 
dux praefatus electioni futuri pontifieis, accipiens plurima donai in partem 
regiam. Sı autem lites inter Romanos surgebant, ex primatibus regis 


420 


Da nun in der ganzen Darlegung nur weniges richtig, dies 
aber fehr übertrieben ift, fo werden wir auch Hierin eine der tenden- 
ziöfen Entftellungen des Libellus zu fehen haben. Nach dem Aus— 
gange der Karolinger waren in der That die Spoletiner mächtig em— 
porgefommen, Hatten fogar die Raiferfrone errungen und dann in 
Rom gefchaltet und gewaltet; in der Piteratur mag fi) das immerhin 
jo geltend gemacht haben, daß man zur Legitimierung diefer Zuftände 
diefelben in die früheren Zeiten zurückdatierte. Und unter dem Einfluffe 
ei Tradition ſcheint der Verfaſſer des Libellus geſchrieben zu 

en !, 

Nah dem Ausgange der MWidonen war die Macht des Herzog- 
thums zurücdgegangen; doch fpielte Marfgraf Alberich, der e8 neben 
Gamerino wol innegehabt haben wird, in Rom als Freund und 
Bundesgenoffe P. Johanns X., dann als Gemahl der Marocia, eine 
bedeutende Rolle. Damals brachte die Sippe der letteren hier alle 
Gewalt an ſich; nach Alberichs Tode vergab fie mit ihrer Hand die 
Herrichaft über die Stadt: das Papftthum, das formell diefe inne— 
hatte — Münzen und Urkunden trugen feine Signatur —, wurde 
die Apanage ihrer Kinder. 

Das italienische Kaiſerthum Berengars (915—924) hatte hier 
wenig eingegriffen, da fein Negiment fih kaum über Mittelitalien 
hinaus erftreckte; mit Johann X. Hat er in gutem Einverftändnis 


adveniebat missus cum eodem duce, ad deliberandas causas et lega- 
liorum judieia. Dann fpäter in der fränfiichen Kaiferzeit S. 72 3. 4 f.: 
Si enim aliquis iram incurrebat imperatoris episcopus aut judex Ro- 
manus, et licitum esset caesari venire Romam, veniebat; sin autem, 
dux Spoletanus. Karl der Kahle gibt auf: totum ducatum Spoletanum 
cum duabus civitatibus Tusciae, quod solitus erat habere ipse dux, 
id est Aricium et Clusium: quatenus ut is, qui praeerat regia 
vice ante Romanis, videretur post esse subjectus. 

I Bur Bergleihung mögen hier die Stellen ftehen, nad) denen ber Herzog 
bon Spoleto während ber früheren Karolingerzeit wirklich in die römifchen 
Berhältniffe eingriff.. Im Jahre 799, als Leo III. aus Rom entfliehen mußte, 
a Winigiso duce Spoletino, qui audito hujusmodi facinore festinus 
Romam advenerat, susceptus, ac Spoletum deductus est. Einh. ann. 
ad a. Im Sabre 815 bei einer ähnlichen Gelegenheit, Bernhardus rex missa 
manu per Winigisum ducem Spoletinum et seditionem illam sedavit, 
et eos ab incepto desistere fecit, quaeque gesta erant, per legatos suos 
imperatori nunciavit. Einh. ann. ad a. 9m Jahre 846, als die Sara- 
cenengefahr drohte, Gregorius (vielmehr Sergius II.) papa legatos misit a 
Quido marchione, ut veniret et succurreret civitatis Romane ecclesie 
sancte et dona amplissima reciperet. Perrexit igitur marchio Quido 
cum omni exercitu gentis suae Langobardorum in urbem Romanam, 
ingressi ceperunt pugna ineipere .... Sie fiegen, worauf Quido mar- 
chio accepta dona amplissima et gratias Romanum populum in pro- 
pria est reversus. Benedicti chron., Mon. Germ. SS. III, 713 (vgl. Dümmler, 
Oſtfr. Reich I, 289. II, 19). 867 kam H. Lambert von Spoleto zur Confe- 
fration Hadrians II. nad) Rom. Vita Hadriani c. 20 (ed. Vignoli III, 
231). Man vgl. hiezu noch die Briefe Johanns VIII., in denen biefer gegen 
Lambert polemiftert, 3. B. Jafle 2353. 2355. 


421 


geftanden ?; auch mit Alberich jcheint er ſich vertragen zu Haben ?, 
Zuscien, Spoleto, Rom bildeten damals eine engverbundene felbitän- 
dige Gruppe auf der Halbinfel. 

Erſt König Hugo hat die Beftrebungen, diejelben mit Stalien 
vereinigt zu fehen, wieder energifch aufgenommen; befonder8 war auf 
Rom ſelbſt fein Augenmerk gerichtet. Er hatte durch feine Vermäh— 
lung mit Marocia, die jeit dem gewaltfamen Tode Johanns X. 
(928) ganz über die Stadt zu verfügen fchien, zum Ziele zu gelangen 
gefucht, aber ein Aufjtand der Römer vertrieb ihn; während dort nun 
Alberich II. zur Herrichaft fam, zog Hugo eine Reihe von Jahren 
hindurch gegen die Stadt, ohne fie aber nehmen zu können: weder die 
Berheerung des Gebietes, noch die Beſtechung der Bürger führte eine 
Uebergabe herbei; Liutprand jchreibt e8 den verborgenen Rathſchlüſſen 
Gottes zu?. Zugleich fieng der König an, wie Tuscien, fo nament- 
lich auch Spoleto und Camerino mit ergebenen Anhängern, zum Theil 
feinen nächiten Verwandten, zu bejegen; wurden fie ihm verdächtig, jo 
wußte er fie wol wieder aus ihrer Stellung zu entfernen; fo folgten 
fich) hier Theobald, Anfcharius, Sarlio, Hubert. 

Das war die Stellung, welche die beiden Parteien, die fich gegen- 
überftanden, nämlid) Rom und Italien, zu einander einnahmen. Bald 
fuchten fie diefe noch durd weitere Mittel zu verftärfen; und da 
waren es die alten Keichsabteien, die damals zuerjt wieder nad) 
langer Verödung als Achtung gebietende Factoren den politiichen 
Schauplatz betraten: ein Moment, das für uns befonders in Betracht 
fommt, weil der Libellus neben dem Herzogthum Spoleto gerade 
auf die drei Klöfter der Sabina, indem er fie zu wiederholten Malen 
nennt, das größte Gewicht zu legen fcheint ®. 

Seit den Zeiten der Langobarden und der Franken — die 
Rarolinger hatten hier zuerjt auf italienischen Boden fejten Fuß ge— 
faßt® — hatten diefelben ihre volle Immunität zu wahren gewußt, 


ı ol. Dümmler, Gesta Berengarii Imp. ©. 53. 58. 

2 Ym Diplom Berengars für Farfa von 920 (Murat. SS. IIb, 460) 
wird auch beftätigt: quidquid — Albericus marchio in idem monasterium 
aliaque inscriptione condonavit in comitatu Firmano. Bgl. aud) Dümmler 
a. a. O.; Gregorovius, Geſchichte der Stadt Rom III, 279. 301. 

8 Antapod. V, 3. 

* Bol. Fatteschi, Duchi di Spoleto, 85 ff.; vgl. Liutprand IV, 8, 
V,4 ff. III, 20. 

5 Erant denique monasteria in Sabinis, domini Salvatoris et 
sanctae Dei genitricis Mariae necnon et monasterium b. Andreae apo- 
stoli juxta montem Soractis, seu caetera fiscalia patrimonia intra Ro- 
manos fines ad usum imperialem (©. 719). Sie haben ben Faijerlichen 
missus in Rom zu erhalten (S. 720), Als 8. Ludwig II. in Rom war, de 
praedictis quoque monasteriis cotidiana exigebantur servitia per di- 
versos apparatus (S. 721). Unter dem, was Karl d. 8. den Päpften über- 
liefert, werden die sumptus de tribus supradictis monasteriis, i. e. domini 
Salvatoris et b. Mariae virginis atque s. Andreae juxta montem So- 
ractis zuerft genannt (S. 722). 

6 Vgl. Cod. Carol., epist. 23. (Jaffe, Bibl. rer. Germ. IV, 97) und 


422 


befonders den Beitrebungen der Püpfte gegenüber, welche fie als zum 
Patrimonium gehörig für fih in Anfpruh nahmen. Bezüglich) 
Farfas fünnen wir diefe Händel genauer verfolgen. Der Chronijt 
deffelben zieht daraus die Lehre, daß zwiſchen der römischen Kirche 
und feinem Stifte ‚feine Freundichaft möglich feit. Won welcher 
Wichtigkeit aber da8 dominium über eine ſolche Abtei war, zeigt uns 
Hugo von Farfa durd die Schilderung der Herrlichkeiten feines Klo— 
fter8 vor dejjen Zerjtörung durch die Saracenen im J. 882. Wie 
eine nicht unbedeutende Stadt nahm ſich Farfa von Ferne aus mit 
feinen Thürmen und Wällen, den fünf Kirchen, den zahlreichen Oeco— 
nomie- umd fonjtigen Gebäuden: für den Kaifer ftand ein eigener 
Palaft zur Verfügung, wenn er zum Befuche fam?, 

Und nod) bejjeren Einblid in diefe Verhältniffe erhalten wir aus 
Gregors von Latina riefigem Werfe, dem großen Hhypothefenbuche 
des Kloſters. Die Befizungen Farfas lagen quer durch die ganze 
Halbinfel in dreizehn und mehr Komitaten zertreut, von Meer zu Meer. 
In der Stadt Rom jelbft beſaß man einige Häufer und zwei Kirchen 
bei den Alerandrinifchen Thermen; deswegen war man im Slojter 
über die dortigen Vorgänge ſtets genau unterrichtet. Tauſende von 
Hörigen waren von der Abtei abhängig: fleißig hat Gregor ung die 
alten Berzeichniffe derjelben, welche zugleich) Notizen über ihre Fa— 
milienverhältniffe, ihre Brauchbarfeit u. ſ. w. enthalten, aufbewahrt ?. 
Aus ihren Eigenleuten und Pächtern ftellte die Abtei wol in ſtürmi— 
ihen Zeiten ein Heine Heer auf; während des Inveſtiturſtreites hat 
fie jo den benachbarten Grafen und Edelherren gegenüber, die nach 
den Reichthümern des Kloſters vonjeher lüftern waren, meift bewaff= 
nete Neutralität einzuhalten gewußt. 

Man fieht hieraus, von welcher Wichtigkeit dieſe Abteien waren ; 
Kleine Kirchenftaaten, im denen geiftliche und weltliche Herrfchaft ver= 


epist. 42 (S. 140) bezüglich der Soracteflöfter, Auf S. Andrea war befannt- 
lid Pippins Bruder Karlmann Mönch gewefen, bis ihn die große Zahl der 
bejuchenden Landsleute nad) Monte Caſſino vertrieb, 

Nachdem unter anderem aud) die a pontificibus Romanis eorum- 
que actionariis restitutas vel ablatas — possessiones aufgeführt find, 
bemerft Gregor: Haec omnia ideirco hic adnotare curavimus, ut — cunctis 
intimaremus, nos a sancta Romana ecclesia multotiens sustinuisse in- 
commoditates; et non benevolentiam, sed potius invidiam; non benig- 
nitatem, sed contradictionem; non augmentum, sed minorationem; non 
justitias, sed praejudiceia; non diligentiam, sed calumniam; non aug- 
mentum, sed amplius detrimentum in nostris bonis frequenter ab eis. 
Mur. SS. IIb, 459. Immer wieder werden neue Sachen und Perfonen ver- 
zeichnet, welche der hi. Maria von Farfa gehören, aber ihr von den Beamten 
(actores) der röm. Kirche entriffen worden feien, ©. 418. 451. 452. 453. 

2Bgl. Historiae Farfenses, Mon. Germ. SS. XI, 532. 

8 Muratori, SS. rer. It. IIb, 428 fj.: De servis hujus monasterii 
et substantiis eorum. S. 435 Subsequitur enumeratio aliorum servo- 
rum. Viuratori verzweifelte daran, fie vollftändig wiederzugeben. Das erfte 
Verzeichnis ift um das Jahr 800 abgefaßt, da H. Winigis (791— 821) darin 
als lebend erwähnt wird, 


423 


einigt war; Gulturcentren in der wüjten Barbarei, die ringsum 
herrichte. Nicht umfonjt macht Gregor von Gatina geltend, daß der 
Abt nicht allein ein frommer, jondern auch ein politifcher Mann 
jein müſſe. 

Diefe Klöfter nun lagen am Anfange des zehnten Jahrhunderts 
alle noch in Trümmern: Farfa, S. Andrea, S. Salvator! waren 
ſämmtlich von den Saracenen zerftört worden. 

Acht und vierzig Jahre dauerte für Yarfa die Zeit der Zerſtö— 
rung; erſt im dritten Decemium des zehnten Jahrhunderts begann 
allmählich die Neftauration. Der Sieg am Garigliano, den im Jahre 
916 die Fürften Mittel- und Unter-Ftaliens über die Saracenen er— 
fochten Hatten, bezeichnet den Anfang der neuen Epoche. Aber nur 
langfam jchritt das Werk vor. 

Innere Zwiftigfeiten unter den Mönchen waren namentlich die 
Urſache diefer Hemmung. Nur wenn eine fräftige Hand hier ein- 
griff, die fich über die Parteien ftellte und fie beherrichte, Konnte die 
Wiederaufrichtung der Abteien erfolgreich durchgeführt werden. 

Es war Alberich, der glorreiche Fürjt der Römer, dem dafür 
die Chroniften dankbare Anerkennung zollen, der ſich diefer Aufgabe 
unterzog. 

Zunächſt wurde die Reftauration von S. Andrea am Berge So— 
racte in Angriff genommen. Alberich fette über diefes Kloſter den 
Priefter Leo, der zugleich Arzt war; eine in Rom ſehr angejehene 
Perjönlichkeit, die uns auch fonft in Urkunden der Zeit begegnet ?. 
©. Andrea ward wieder aufgebaut; Alberich bedachte das Klojter 
reichlich mit Befigungen; zugleicd) wurden dem neuen Abte die übrigen 
Klöfter auf dem Soracte, ja zulett eine Zeit lang Farfa felbft unter: 
geordnet. 

Hier Hatte unterdeß König Hugo eingegriffen und einen feiner 
Verwandten zum Abt eingefett, einen weltflugen Mann, der fich aber 
um die Mönchsregel wenig fünmerte?; im Jahre 936 vergifteten 
ihn einige feiner Untergebenen; Campo, der eine von ihnen, erhielt 
von Hugo die Inveſtitur und theilte dann mit dem Genoſſen feines 
Verbrechens, Hildebrand, die Beſitzungen der Abtei *. 

Nachdem aber Alberic einmal angefangen hatte, die Klöfter des 
römischen Gebietes zu reformieren und fo in ftaatsfluger Weife die 
firchlichen Intereſſen, was für feine Stellung von befonderer Bedeu— 
tung war, zu wahren — er ftand dabei mit Cluny in enger Ver— 


2 Bezüglich des letztgenannten vgl. Ann. Farfenses ad a. 891, SS. XI, 
588: Monasterium sancti Salvatoris a p@ganis incenditur. 

2 Der Leo presbyter et medicus in einer röm. Urfunde des J. 927 
(bei Galletti, Del vestarario ©. 46) ift ficherlich identifch mit unferem Abte 
bei Benedict, chron. c. 33 (Mon. Germ. SS. III, 716). Es ift dies infofern 
von Jutereſſe, als die Nachrichten Benediets über die römijchen Berhältniffe 
jener Zeit wol auf diefe Mittelsperfon zurückgehen mögen, 
3 Mon. Germ. SS 534. 


* Ebenda ©, 535. 


’ 


424 


bindung —, kam auch an Farfa die Reihe; als Campo fich wieder- 
fette, ward er vertrieben und ein neuer Abt Dagibert aufgeitellt ; fo 
daß das Farfenſer Gebiet nun drei Vorftände Hatte: Dagibert in 
Farfa ſelbſt, Campo in Reate (wohin er fich zurückgezogen hatte), 
Hildebrand in der Mark Camerino. 

Es war eine tolle Wirthfchaft, die da angieng; und auch in der 

Politik fpielten die Theil» Aebte eine Rolle. Als Sarilo, durch R. 
ugo veranlaßt, im Jahre 940 dem Anfcharius das Herzogthum 
poleto entrijjen Hatte, feste ihn der König zugleich über alle Ab- 
teien in demfelben!; aber Hildebrand erhob fich dagegen mit feinen 
zahlreichen und mächtigen Vaſſallen? und hielt fih, da Sarilo bald 
jtarb, in feiner Macht bis auf K. Dtto I. 

Man fieht, die Abteien fiengen an wieder eine impofante Stel= 
lung einzunehmen, und die zeitweiligen Machthaber fuchten fich derſelben 
zu vergewijjern. Durch den Zwiejpalt zwifchen Nom und dem übrigen 
Stalien waren fie, wie wir an Yarfa fahen, auf das innigjte berührt. 

Namentlid) da S. Andrea im Libellus wiederholt genannt wird, 
ift wohl nothwendig anzunehmen, daß diefer nach dejfen Reſtauration 
geſchrieben ift. 

Da auch die Verhältniffe de8 Herzogthums Spoleto am ehejten 
für diefe Zeit pajffen — denn die Nachfolger K. Hugos ſchloſſen mit 
Alberich, dejjen Stellung ſchon eine fetere geworden war, Frieden; 
als Johann XII. mit Berengar und Adalbert brach, jtand Herzog 
ZTheobald zu ihm gegen die Könige —, werden wir die Entjtehung 
unferer Schrift wol in die Zeit der dreißiger oder den Anfang der 
vierziger Jahre zu feen haben. Eine nähere Beitimmung fcheint 
nicht möglich zu fein; namentlich der bemerfenswerthe Zujat des 
Libellus von den zwei Städten Arezzo und Chiufi, welche der Herzog 
von Spoleto innegehabt haben fol, läßt ſich nicht weiter controllieren?. 
-» Bisher fuchten wir im Allgemeinen Tendenz und Entjtehung 
des Libellus nachzuweiſen; es ift derjelbe nun noch als Literarisches 
Erzeugnis einer Epoche im Zufammenhange mit der ganzen Cultur— 
entwiclung derjelben zu betrachten; dadurd) können wir den bisher 
darüber aufgejtellten Anfichten gegenüber manche Bunkte genauer präci= 
fieren und zu größerer Klarheit bringen. 

Wodurch unterfcheidet fi denn unfer Schriftſtück von ähnlichen 
anderen? Wir find im Beſitze einer Reihe von Auseinanderfegungen 
zwifchen imperium und sacerdotium aus der Zeit des jchon ent= 
brannten Kampfes zwifchen beiden Gewalten. Wir fehen, wie darin 
die ganze Angelegenheit behandelt wird. Es ift gewöhnlich ein Con— 


1 Preposuit eum supra cuncta monasteria regalia, que erant in- 
fra fines Tusciae et Firmanae marchiae. 4. a. O. ©. 537. 

2 Militibusque, quos plures et magnos habebat. Ibid. 

s Als im Jahre 866 bei Gelegenheit des Kriegszuges gegen die Gara- 
cenen Miffionsiprengel abgegrenzt wurden, werden zufammengeftellt: Florentia, 
Volterra et Aritio einer-, Clusio und Sena andererjeit8 Mon.Germ. LL.1, 
504. Das kann wohl für nichts beweijend fein, 


425 


glomerat von Gitaten aus geiftlihen und weltlichen Gefegen; zur hie 
ftorifchen Deduction wird höchſtens noch das Papſtbuch herangezogen. 
Es ift eine Ausnahme, wenn 3. B. Wido von Osnabrück in feiner 
Streitfchrift gegen Sregor VII. aud) nod) die <quaerimonia Roma- 
norum’ über die Creignijje de8 J. 864 auführt!. 

Man fennt die Gontroverje, die ji) kurz vor dem vollendeten 
Ausbruce des Inveſtititurſtreites in Italien unter den beiden Par— 
teien erhob: ob wol nicht Schon der Antichrijt geboren fei, da das 
Kaifertfum aufgehört Habe zu erijtieren, meinten die Gregorianer ; 
das Kaiſerthum habe ja nicht aufgehört, aljo fei auch der Antichrift 
nicht geboren, verfocht Wibert von Ravenna, Hildebrands großer 
Gegner ?, 

Petrus Craſſus, der Navennater Yurift, machte es nicht anders. 
Die Anklagefchrift gegen Gregor VIL., die er im J. 1080 Heinrich IV. 
überreichte, überjchüttet den Gegner mit Stellen aus den Kirchenvätern 
und dem römischen Recht 3. 

Die ‘orthodoxa defensio imperialis’, die damals in Farfa 
zu Gunſten der Juveſtitur gejchrieben wurde, enthält jo wenig hifto- 
riiches Detail, daß man bisher es nicht der Mühe werth erachtete, 
fie herauszugeben ®. 

Dafjelbe beklagt für frühere Zeiten Diümmler, bei Beiprehung 
der Fiteratur, welche durch die Angelegenheit des Papftes Rormofus 
und der von ihm ertheilten Weihen hervorgerufen worden ift?, 

Im ſtricteſten Gegenjate hierzu verfidt der Libellus nicht das 
Raiferthum im allgemeinen, jondern ganz detailliert die Gewalt, welche 
die Beherrſcher Staliens aud im römischen Gebiet von je her aus— 
geübt hatten; und wir werden jehen, daß er hiezu hiſtoriſche Quellen 
von Michtigfeit benutzte. Daß er diejelben nicht blos compilierte, wie 
das fonft bei den Autoren der Zeit gewöhnlich war, fondern auch 
verarbeitete, und zwar einer beftimmten Tendenz gemäß, wurde bereits 
auseinandergejeßt. 

Indem man der Frage nad) dem allfälligen Entſtehungsorte des 
Libellus nachgieng, wurde wol die Anficht aufgejtellt, e8 ſei derjelbe 
in Rom oder in einer der drei mehrfach genannten Reichsabteien ges 
ichrieben worden‘, Was nun das erjtere betrifft, fo iſt vorher gezeigt, 
daß unſere Schrift gegen die Römer nicht jehr freundlich gefinnt 
ift; man hat für jene Annahme überhaupt gar feinen Halt. Und 


ı Bol. Cod. Udalrici (Jaffe, Bibl. V), ©. 339 ff. 

2 Bei Lami, Novelle litterarie (Firenze, 1768), S. 803. 

3. Nunmehr wieder abgedruckt bei Fider, Forſchungen zur Meichs- und 
Rechtsgeſchichte Staliens IV, 106 ff. 

* Bol. Bethmann im der Einfeitung zu feiner Ausgabe der Historiae 
Farfenses, Mon. Germ. SS. XI, 558. 

5 YAurilins und Vulgarius, Onellen und Forſchungen zur Gejchichte des 
Papſtthums im Anfange des 10. Jahrhunderts ©. 35. 

° Vgl. Wattenbach, Geſchichtsquellen I, 3. Aufl., ©. 311. 


XIV. 29 


426 


was das letztere angeht, fo ftimmen damit die allgemeinen Verhält— 
niffe jener Abteien, die wir ziemlich genau Fennen, wenig überein !. 

Bor Alten Farfa befand jich damals in einem höchſt verwahr- 
(osten Zuftande. Das „Hurenregiment“ hat nicht blos in Rom ge- 
herrſcht, es hatte ſich auc Hierher erjtredt. Wie dort die Päpfte, 
jo begründeten in Farfa die Aebte fürmlihe Dynaftien. Hatte 
doc) der gerade damals (936— 962) regierende Campo von mehreren 
Frauen, mit denen er lebte, fieben Töchter und drei Söhne, die mit 
ihrer ganzen Sippe vom Kloftergute zehrten. Und wie der Hirt, fo 
die Heerde. Auch die Mönche Heiratheten und richteten ſich ala 
Bauern ein. Mit dem Golde der Meßgewänder ſchmückten fie ihre 
. Weiber. Während der Woche verweilten fie bei diefen in den Dörfern, 
nur Sonntags famen fie ins Kloſter hinauf. Und fo behaglich 
fanden fie dieſe Lebensweife, daß fie abjichtlic) deſſen Baulichfeiten 
verfallen ließen, um niemals wieder dorthin zurückkehren zu müſſen. 
Das ift die Idylle von Yarfa, wie fie uns Abt Hugo in einfach 
ſchlichter Erzählung überliefert hat?. Zum Biücjerjchreiben hatte 
man unter ſolchen Umjtänden in Farfa weder Zeit, nod Luft, nod) 
auch Gelegenheit. 

Ueber die Verhältniſſe der zweiten Abtei, die Hier in Betracht 
fonımt, S. Andrea am Berge Soracte, find wir ebeufall® durch die 
Chronik Benediets genauer unterrichtet. Daſelbſt hatte, wie wir wiſſen, 
unter der Aegide Alberichd die Reform, wie fie damals von Cluny 
ausgieng, zuerjt feiten Fuß gefaßt. Hier hätte man fich am wenigjten 
für die Tendenz begeijtert, die der DVerfajfer des Libellus vertrat. 
Das Kaiſerthum Ottos de8 Großen, das diefe Ideen jpäter verwirf- 
lichte, wird gerade deswegen von Benedict fo angefeindet. Es ijt 
nicht richtig, werm man ihm dabei nationale Motive unterzuſchieben 
gejucht Hat?. Der Chronift fteht vor allem auf dem Standpunkt der 
allınfalfenden Kirche, die über jede Nationalität erhaben ift. Er 
nimmt Partei gegen die Yangobarden, jo Lange diefe die Orthodorie 
und den römischen Stuhl bekämpfen“. Er nimmt Partei gegen die 
Franken, jobald diefe nicht mehr im Stande find, die „Mutter aller 
Kirchen“ gegen die Anfälle der Saracenen zu vertheidigen?®. Der 
römische Adel fteht in fchlechter Gunft bei ihm, weil er gegen die 


’ ı Schon Gregorovins, Gejdichte der Stadt Nom III, 544, kamen Be— 
denfen. 

2 Mon. Germ. SS. XI, 535 f. 

3 Maurenbredier, De histor. decimi saeculi scriptoribus ©. 66 f. 
und Hift. Zeitichrift V, 125. 

* Bol. 3.8. c. 12 Mon. Germ. SS. III, 700, über die „Beftialität“ diejes 
Volkes; c. 17. c. 19. ce. 22. (l. ec. 703. 704. 706) über die “persecutiones”, 
welche fie gegen die Kirche verhängen. Der Papſt tritt c. 18 ein ‘pro populo 
Romano et sanctae ejusdem ecclesiae defensione'. Wegen der justitia 
s. Petri’ entbrennt dann der Krieg zwifchen Langobarden und Franken, 


s 0.256. 712, 


427 


kirchliche Herrfchaft confpiriert!. So fehr er jonft Alberich erhebt, 
dennoch tadelt er ihn, weil er ein jo jchweres Joch auf das Papit- 
thum gelegt habe. Freilich erwähnt er dabei auch mit Befriedigung, 
daß damal8 „weder ein Langobardiicher nocd ein transalpinijcher 
König“ in Rom etwas zu jchaffen gehabt habe?; und er beflagt in 
der Folge die Fremdherrichaft der „Sachſen“: aber es kommt dies 
Moment erft in zweiter Linie zur Geltung, wie das Mittel zum 
Zwed, d. i. der „Freiheit der Kirche“, und der Fall Noms wird be= 
flagt, weil e8 aus einer Herrin aller Völker nunmehr zur Sflavin 
geworden jei ?. 

Für die weltlihe Herrihaft der Päpfte ift Benedict jehr einge- 
nommen. Er fennt die Schenkung Gonftantins und führt fie öfters 
an; ebenfo fpäter die Beſtätigung der Privilegien der römiſchen Kirche 
durch die Könige und Kaiſer. Für ums ift da befonders zu beachten, 
daß diejelben im allgemeinen — vielleicht die allerdings jehr confufe 
Angabe bezüglich der Pippinfchen Schenkung ausgenommen, in die er, 
wenn wir recht verjtehen, aud) Benevent, Salerno, Capua, Neapel, 
Gampanien mit einbegreift, — nur auf den Umfang bezogen werden, 
welchen die terra 8. Petri nad) dem pactum von 817 eimmahın *; 


ı «Viri scelerati Romani’ c. 8. c. 17 (S. 698. 703). ie bildeten 
nad) einander die gothijche, die Jangobardijche, die faiferlidhe Partei in Rom, 

3 0.34 €. 717. 

3 0.39 ©. 719: Celsa tuarum triumphasti gentibus, mundum 
calcasti, jugulasti regibus terrae; — a Saxone rege expoliata et men- 
struata fortiter u. ſ. f. 

* Ich führe die betreffenden Stellen an, meil fie nicht ohne In— 
terefje find: die Schenfung Conftantins wird zuerft erwähnt c. 9 ©. 699, fie 
befteht aber nur de Pentapolim et de Tuscie finibus. Bgl. c. 17 
©. 704, wo der Pangobardenfönig omnia Pentapolim et Tuscie fini- 
bus et quieqnid a sancte Romane ecclesie videtur illi restituit, c. 19 
S. 704 über die Echenfung Pippins: magis magisque de justiciis s. Petri 
confirmavit, ut stabilis permaneret, quos antea promiserat, et insuper 
Ravenna cum Pentapolim et omnem exarcatum conquisivit, et 
per precepto s. Petro tradidit. Ebenjo c. 20 S. 706: cuncta ejus cives 
Romana et Tuscie finibus et cuncta Pentapolim et Cottia- 
rum montes in ecclesia b. Petri apostoli constituit. C. 21 ib.: Et 
erux Domini, que in suis cervicibus appendebat, in venerabilis cenobio 
concessit, seu Beneventani principatus et Salerni Capuagque 
et tota Neapolim finibus, et quiequid Campanie destitutım est, 
in suo sacramento constituit. Et cuncta Pentapolim et omnia 
Tuscie finibus apostolicis Pauli et suo jure concessit. Bon Karl d Gr. 
c. 228.708: fecitque rex Karolum, filium Karoli, vindietam de Romani, 
et omnia Tuscie finibus et Ravenne Pentapolim a summo pontifice 
constituit. — Ib. ebenfalls von Karl d. Gr.: omni Tuscie finibus seu Pen- 
tapolim Ravenne in apostolicis Leonem constituit. C. 23 ©, 711: 
ordinataque Urbe, et omnia Pentapoli et Ravenne finibus seu Tuscie, 
omnia in apostolici potestatibe concessit. Bon Ludwig d. Fr. c. 24 
€. 712: omnia Pentapolim atque Tuscie finibus in pontificis con- 
stitnit. Ebenda von Ludwig II.: Pontifex Gregorius s. sedis apostolice 
quiequid a Constantinus imperator concessa fuerat Ludovicus im- 
perator concessit. — Bon Otto I. eudlich c. 36 ©. 718: Ordinata cuncta 


29* 


428 


mindeftens von Spoleto ift nie die Nede. Zur Zeit, da Benedict 
ſchrieb, war alfo kirchlicherfeits von Anfprüchen darauf nichts mehr 
befannt. 

Macht es das Geſagte ſchon in hohem Grade unwahrſcheinlich, 
daß ein Mönch von Farfa oder S. Andrea oder auch Salvator — 
denn dies theilte mit den beiden anderen alle Schickſale — der Autor 
des Libellus geweſen ſei, ſo läßt ſich noch ein Schritt weiter thun 
und behaupten, daß in feiner der Abteien das nöthige Material vor— 
handen war, um die Schrift, wie fie vorliegt, abzufaffen. Es jah 
nämlich mit dem Bücherjchäßen derjelben, foweit wir dies controllieren 
fünnen, überhaupt und noch in&bejondere in der Zeit, die hier in Be— 
tracht fommt, keineswegs jehr glänzend aus. 

Ein Verzeichnis ans der Zeit, da Farfa durch die Fahrläſſigkeit 
jeiner Bewohner an den Rand des Verderbens gebracht wurde, er- 
gibt beiläufig folgenden Beſtand: Kirchenväter, wie Cyprian und Au— 
guftin (de eivitate dei); Erklärungen der Evangelien Johannes 
und Lucas; desgleichen eine der Genejis u. ä. m. Bon eigentlichen 
Sefchichtswerfen wird nur die Langobardengeichichte de8 Paulus Dia- 
conns und “historiarum liber unus’ genannt, 

Als dann Farfa eine Zeit lang dem Abte von S. Andrea unter- 
geben wurde, machte diefer nach Hugos Bericht ſich um das Klofter 
namentlich auch durch Wiedereinführung von Büchern jehr verdient ?. 

Aus den Gitaten Gregors von Gatina in der großen Yarfenjer 
Chronik erficht man, was fpäter noch hinzugekommen war: für die 
älteften Zeiten wird Oroſius eingehend benutt?; ſpäter Liutprand 
von Cremona — den man überall hatte —; zur großen Ausführung 
gegen die Anfprüche des Papſtthums dient vor allem, wie regelmäßig 
auch ſonſt, der Liber pontificalis und der daran ſich ſchließende 
Bapftcatalog (Watterih I, 64 ff.); dazu Pſeudo-Iſidor umd einiges 
andere. Die constitutio Tieinensis Ottos IL. über das Kirchengut, 
die man auch beſaß, citiert Gregor in Folge deſſen dreimal; um die 
Anſprüche auf das Kloſter S. Vinzenz am Volturno geltend zu ma— 
chen, wird fleißig Pſeudo-Iſidor herangezogen; denn die Argumente, 
die man von der römiſchen Kirche ausgehend bekämpfte, wandte man 
gegen Schwächere ſelbſt an. 

Im Uebrigen wird aber von den Aebten, die ſich um die Bi— 


Tuscia et Pentapolim finibus in aecclesia apostolorum prineipis 
et Leoni papa concessit. Auffallend ift die Hervorhebung von Tuscien, ins 
fofern damit nicht blos der römiſche Antheil gemeint wäre. Dort hatten die 
Soracte-Klöfter ihre Befigungen; S. Silvefter, das ältefte derfelben, führte feinen 
Beſitzſtand ebenfalls auf K. Eonftantin zurüd. Bened. chr. e. 1. 2. 
ı Historiae Farfenses, Mon. Germ. SS. XI, 536. Ib. 532 werben 
nur bie foftbaren Meßbücher, ihre Zahl und ihre Onalität, gerühmt, 
l. c. 538: compassus illius (monasterii) desolationi , in aliquo 
— de suis beneficiis in libris et aliis rebus. 
Bol. Ozanam, Documents inddits 189. Im Gegenfate zum Libellus 
wird hier Droſius zu einem kritiſchen Exenrje über die Gothenzeit ſehr geſchickt 
verwerthet. 


429 


bliothef verdient gemacht Hatten, diefer Umstand ſtets hervorgehoben ; 
jo ſchon von Abt Benedict (um 800) '; beſonders aber von Almeric) 
(dem Lehrer Heiunrichs ILL.) in der erjten Hälfte des 11. Jahrhun— 
derts: diefer Habe 42 größere und kleinere Werfe „angehäuft“; es 
waren diejelben jedoch nicht Hijtorifchen Inhalts, fondern befaßten 
ſich mit der Kunſt der Grammatik und mit der Auslegung der hl. 
Schriften?. 

Gerade damals wurde auch in Monte Caſino, wo die Dinge 
vielfach ähnlich lagen, dem Mangel an Büchern, der ſich fühlbar 
machte, abgeholfen?. Unter den Werken, die der Abt Theobald 
(1022—1035) abjchreiben ließ, ift aud) hier die hiſtoriſche Literatur 
ſpärlich genug vertreten. 

Es waren jene Jahre überhaupt eine Zeit des Aufſchwunges 
für die großen Klöſter Italiens; in einer Reihe von dieſen können 
wir gerade damals ähnliche Beſtrebungen nachweiſen“. Wie theuer 
übrigens manchmal literariſche Erzeugniſſe auch hier zu ſtehen kamen, 
zeigt unter anderem der Umſtand, daß in deu Rechnungsbüchern von 
Farfa aus der Mitte des 10. Jahrhunderts neben den anderen Er— 
werbungen des Kloſters einer=, den Bergabungen zu Zins andererjeits 
auch der Kauf eines Ritual- Buches erwähnt wird, das, wie aus ber 
Anmerkung erfihtlih, auf eine erkleckliche Summe Geldes gefchätt 
und fchlieglih mit einem Stück Wald bezahlt wird®. 

Unter folchen Umftänden ift e8 leicht zu erklären, daß man ſich 
durch Enchelopädien zu Helfen juchte: in eine Kloſterchronik ward regel— 
mäßig Alles aufgenommen, was die Bibliothek an Werfen (mwenig- 
jtens an hiltorifchen) in ſich faßte. 

Aus S. Andrea beſitzen wir feine directe Nachricht darüber: 
aus Benedictd Chronicon lernen wir aber ficherli den ganzen 


ı In libris et altaris vestibus atque diversis utensilibus con- 
struendis nimis sagaeissimus. Muratori SS. IIb, 358. 

2 Eecclesiastica quoque ornamenta et librorum volumina in hoc 
monasterio studiosissime auxit. Ferturautem, quod artis grammaticae 
et scripturae divinae libros 42 majores minoresve hic accumulare 
curavit. Murat. SS. Ib, 571. 

® Bgl. Leo Ostiens. chron. II, 51. 52: Codices quoque nonnullos, 
quorum hic paupertas maximua usque ad id temporis 
erat, describi precepit, quorum nomina indicamus u. f. w. Darunter 
finden fi) Paulus Diaconus, das Papftbud) u. a. Bgl. übrigens Giesebrecht, 
De litterarum studiis ap. Italos ©. 28 ff. 

* Bol. bezüglich Pompojas Wattenbah, Schriftweien des Mittelalters 
©. 334; den Büchercatalog von Bobbio (Muratori, Antiqu. III, diss. 43 
S. 818' fi.); dazu Ozanam, Documents inedits 36. 

Muratori SS. Ib, 468: Item pro uno libro, qui appellatur 
‘Comes’, valente solidos 30 et insuper solidos 20 dedit in gualdo novo 
modios 30. Nach Muratori ein Lectionarium, das Baluze tom. II. Capitular. 
reg. Franc. edierte und das auch fonft in den Catalogen der Zeit öfters erwähnt 
wird; z. B. Muratori, Antiquit. III, 836. Man vgl. was Watteubad) 
a. a. O. 297 ff. über den Buchhandel des Mittelalters jagt. 


450 


Borrath an geichichtlicher Piteratur fennen, den man damals auf dem 
Berge Soracte befaf. Man war reich) an Heiligenlegenden: die Le— 
bensbefchreibungen von S. Pigemius, ©. Martin, S. Barbatıs, 
die Translation des hl. Bartholomäus von Lipari nad) Benevent 
waren da. Dazu famen dann — man ift hier beijer verforgt ge= 
wejen, als anderswo — das Papjtbuc und feine Fortfegung (li- 
bellus episcopalis citiert Benedict e. 37), Bedas des Chrwürdigen 
Shronif, die vorſcher Annalen, Einhards Leben Karls d. Gr.; der 
Langobardiſche Edictus — man lebte in den NeichSabteien nad) Lan— 
gobardenrecht —; endlich unfer Yibellus von der Raifergewalt in Rom 
und feinem Gebiete!. Das übrige Material, das Benedict verar— 
beitete, bejtand aus den eigentlichen Archivalien feines Klofters. Und 
man fennt den ungeheueren Reichtum, der 3. B. Farfa, Monte 
Gafino, fpäter Ya Cava in diefer Hinficht auszeichnete; aus Benedict 
erfehen wir, daß er die vorhandenen Privilegien, Schenkungsurkunden 
u. ſ. w. fleißig benutzte. 

Nach diefen Quellen arbeitete dann der mönchiſche Hiftorifer 
feine Chronik aus. Zugleich) Hatte man natürlich auch die Tendenz, 
den eigenen Wohnſitz möglichſt hervorzuheben. Die Farfenſer und 
Monte-Cafiner Chronif verfolgen ja ausdrüdlid) den Zwed , zugleid) 
die rechtliche Deduction für den gefammten Befigftand jener Klöfter 
zu geben. Und ſelbſt wenn man Univerſalgeſchichte ſchrieb, konnte 
man fich von dieſer Einſeitigkeit nicht losmachen. So ift es z. B. 
Benedict vom Monte Soracte ergangen. Fleißig verzeichnet er die 
Züge der Kaifer nad) Stalien; aber dabei pajfiert es ihm, daß er 
Urfahe und Wirkung verwechlelt: er führt jene Züge auf das Be— 
jtreben der Herricher zurück, dem Heiligen feines Klofters oder aud) 
der römischen Kirche die althergebradhten Privilegien zu beftätigen. 

Daneben waren Wunder md Reliquiengefchichten fiir folh einen 
Univerfalhiftorifer von weltgefchichtlicher Bedeutung und wurden mit 
behaglicher Breite in die Erzählung mit eingeflodhten. Es ent— 
ſtanden, inden politische Ereigniſſe dann mit den Yegenden fich verbanden, 
Sagenchelen, in denen das ganze Mittelalter fortan lebte und webte. 
So berichtet befanntlich Benedict zuerjt von einem Kreuzzuge Karls d. Gr. 
nad) dem Drient?. Es ijt faum zu bezweifeln, daß einer der Gründe, 
welche den Chroniften zur Aufnahme der fabulofen Geſchichte bewogen, 
der war, das Vorhandenfein eines Stückes (aliquantulum) vom Leibe 
de8 hf. Andreas in feinem Klofter zu erklären. Denn diejer befand ich 
in Conftantinopel. 

Dorthin hatte denfelben eine große Haupt- und Staatsaction 
gebracht. S. Andreas befand fic nämlich vor den Zeiten des Kaiſers 
Yuftinian — fo erzählt Agnellus, der treffliche Berichterftatter — 
zu Ravenna. Aber bei Lebzeiten des genannten Kaifers, war man in 


ı Bol. Perk, Vorrede zur Ausgabe Benedict®, Mon. Germ. SS. III, 62, 
2 Chron. S. Andreae c. 23, Mon. Germ. SS. III, 709 ff. 


431 


Byzanz felbft nad) der Neliquie begierig. „Das alte Rom hat den 
einen Bruder, wir wollen den anderen haben; es ijt billig, daß die 
zwei Schweftern fich in die beiden Brüder theilen. Wo der Sit des 
Reiches, muß auch der Peib des Apoftels fein“. „Und wäre ©. 
Andreas in Ravenna geblieben“, fo fchließt Agnellus, „jo würden 
ung die römischen Bifchöfe niemals fo unterjocht haben *. 

Warum ich dies anführe? ES fcheint nicht zur Sache zu ge- 
hören. Und doch, ſolche Züge gerade charakterifieren die Zeit und 
den allgemeinen Zuftand der Dinge; hätte man ſich diejelben vor 
Augen gehalten, fo würde man den Gegenfag, in dem fich der Li- 
bellus gegen derlei mönchiſche Diatriben befindet, gewürdigt, jchon 
aus diefen allgemeinen Gründen den Autor dejjelben nicht in einer 
jener Abteien gejucht Haben. 

Aber auch ganz abgeiehen davon, e8 wirden ©. Salvator, 
S. Maria zu Tarfa, S. Andrea am Soracte keineswegs auf fo 
gutem Fuße mit einander geftanden haben, daß etwa das Mitglied 
irgend einer derjelben zugleich für die Wohlfahrt der anderen ge= 
jchrieben hätte, 

Wir find darüber ziemlid) genau unterrichtet. Zwiſchen den 
Klöftern Mittel-Jtaliens hat zu allen Zeiten ein veger Verkehr ftatt- 
gefunden; der literarische Nachlaß des einen ift zugleich Quelle für 
die Gejchichte des anderen. So 3. B. fennen wir die Abtreihe von 
©. Salvator nur aus einem Berzeichnijfe, das fic) davon in Su— 
biaco erhalten hat?. Aus Monte Cafino fuchte Abt Hugo Mönche 
heranzuziehen, um in Farfa zu reformieren. Mit S. Vincenzo am 
Bolturno ftritt man hier am Ende des 11. Jahrhunderts wegen des 
Dominiums, das Farfa in Auſpruch nehmen wollte u. |. w. 

Bor allem fommt S. Salvator bei Neate im Regiftrum von 
Varfa ungemein häufig vor; beide Abteien waren wenige Stunden 
entfernt, und e8 fand zwifchen ihnen ein lebhafter Verkehr ftatt; da 
freuzten fich denn ihre Intereſſen in mannigfaltiger Weife: wir fehen 
aus den Documenten, in denen die Grenzen der Grundftücde angegeben 
werden, wie ihre Güter neben und durd einander lagen. Da werden 
dann Kaufverträge abgefchloffen; es kommen Tauſche zu Stande; es 


! Quod prima unum tenet Roma fratrem, istum vero secundum 
teneat (Conftantinopel. Ambae sorores, et hi ambo germani.... ubi 
sedes imperialis est, expedit et ibi corpus esse apostoli. Agnellus, 
Liber pontificalis Rav. ed. Bacchini II, 93 f. 

? Revera fratres, quod si corpus Ändreae germani Petri aposto- 
lorum principis hic humasset, nequaquam nos Romani pontifices sic 
subjugassent. Ebenda. 

3 Bgl. Mabillon, Annal. Benedict. IV, 267 : Constantius, Landoinus, 
Berengarius, Petrus, Berardus, Ingizo. (Möglicherweife bezieht fich übrigens 
diefe Angabe auf S. Salvator am B. Amiate; Mabillon wirft dies aud) 
fonft gewöhnlich irrthümlicherweiſe mit unferem S. Salvator ‘in territorio 
Reatino, juxta montes Letiniano seu Bogiano’ (wie es Benedict ©. 712 
näher bezeichnet und e8 aud) im reg. Farf. Heißt), zufammen. 


432 


ereignet fich mitunter, daß auf einen alten Sünder, der dem Ende 
nahe war, beide Klöfter eine fürmliche Hetzjagd veranjtalteten: der 
ihlug dann wohl die Mittelftraße ein und theilte fein Gut unter 
die beiden Rivalen. Einmal ift c8 auch vorgefommen, dag der Be— 
treffende, um das bejtändige Drängen (08 zu fein, dem einen Kloſter 
eine Urkunde über Dinge ansftellte, die er dem anderen bereits geſchenkt 
hatte: das gab dann zu VBerdrieklichkeiten und zu Procejjen Aulaß!. 
Denn jo eutſprach es eben dem Genius der Zeit. 

Kam dann der Kaifer nach Farfa, fo eilte der Abt von ©. 
Calvator herbei, um aud für fih die Privilegien beftätigen zu 
laſſen. Yudwig II. hat das im J. 872 in einem Document für 
beide Klöjter gethan?; ein Beweis, daß in der That zur Zeit 
der famojen Schenfung Karls d. K., deren der Libellus er- 
wähnt, diejelben vereint ihre Rolle fpielten. 

Das dritte Glied in diefem Bunde war S. Andrea. Aud) dies 
Klofter fehen wir in ähnlichem Verhältuig zu Yarfa, wie ©. Sal: 
pator; fie waren Grenznachbarn; doch haben fich feit den dreifiger 
Jahren des zehnten Jahrhunderts ihre Beziehungen weniger freund— 
lich geftaltet : politiſche Verhältniſſe entfremdeten fie einander. 

Wir wilfen, daß Alberich, al8 er die Abteien reorganifierte — 
die alte Reichsgewalt über fie ansiibend —, Farfa auf einige Zeit 
dem Abte Leo von S. Andrea unterjtellte. Nun muß man die 
Eiferfucht diefer Abteien kennen und wie fie einander mit Argus= 
augen beachten, um zu begreifen, wie empfindlich) e8 die Yarfenfer 
berührte, unter einem fremden Krummſtab jtchen zu müſſen. Ab— 
gefehen von allen hämifchen Bemerkungen, die fie fich gegenfeitig 
in den Chronifen jagten: in dem „Verzeichnis der Befigungen, die 
dem Klojter Farfa geichenft worden und die dafjelbe bis zu feiner Zer— 
ſtörung unangetaſtet beſeſſen, nachher aber durch die Hinterlijt böjer 
Menfchen verloren hat?“, fteht auf dem Inder der „böjen Menjchen “ 
auch der Abt von S. Andrea. 


1 Zuerſt erfcheint S. Salvator in den Urk. von Farfa im 3. 752 (Gal- 
letti, Gabio 101 Aum. 3); die anderen hier vorgeführten Fälle fommen vor 
bei Galletti, 1. c. 91; Del vestarario 46. 100. 103; Muratori SS. IIb, 
356. 360 (um das J. 800). 419.451. 462. 467 (Mitte saec. X); Antiquit. 
It. V, 699. (3. 3. 807); Galletti, Primicero 200; Fatteschı, Duchi di 
Spoleto 323 (3. $. 1028) u. a. ©. 

Muratori SS. IIb, 402 fi.: cum sancto die pentacostes in mo- 
nasterio sanctae dei genitricis Mariae, quod situm est in territorio 
Sabinensi, moraremur, et per basilicam atque refectorium simul cum 
monachis ejusdem cenobii, nec non et de monasterio, quod est proxi- 
mum in honore domini et Salvatoris nostri, reverentiae causa deam- 
bularemus, complacuit, .. . quatenus — horum coenobiorum presentes 
abbates, Anastasius scilicet et Johannes u. j. w. 

® “Ineipiunt res huic monasterio legaliter collatae, et jure anti- 
quitus possessae ante ejus destructionem, quas postea perdidit iniquo- 
rum hominum sublatione’. Murat. SS. IIb, 418 ff. Darunter ©. 419: 
In loco, qui dieitur Corolianus, tenet abbasS. Andreae ipsum locam 


433 


tie hätten ſich alle drei Abteien der Sabina erforderlichen Falls 
zu einer gemeinjamen VBertheidigungsjchrift entſchloſſen: fie würden 
es ſich gegenfeitig nicht gegdunt haben. Das war eben im Cha— 
rakter des Mittelalters begründet, daß der zünftige Gorporationsgeift — 
jedes Recht war ja privilegiert — Alles beherrighte. Ein Privat: 
mann, der in Rom jchrieb, kümmerte ſich in der Kegel nicht um 
die Neichsabteien; dieje noch weniger fid) um die Angelegenheiten der 
Geijtlichfeit von Ravenna; hier wieder wußte man nichts von Spo— 
feto und von den zwei Städten Arezzo und Chiufi, „die einjt dazu 
gehört Hatten“; am allerwenigiten interejfierte man ſich für die 
Schenkung ganz Unter = Ftaliens an die Römische Kirche: jo lange 
man nur jelbjt ungejchädigt blieb. Eine Schrift zu Gunften aller 
jpeziellen Antereffen des Reichs — nicht für diefes im Allge— 
meinen — zu jchreiben, überließ man getrojt dem Reiche ſelbſt. 
Darauf beruht die Eintheilung, die Wattenbah „Deutjchlands Ge— 
ſchichtsquellen“ Hat angedeihen laſſen. — 


Zunächſt ſei noch eines der Denkmale, die wir dem ſchier uner— 
ſchöpflichen Urkundenſchatze von Farfa verdanken, Erwähnung gethan, 
weil wir dadurch noch einen Schritt weiter geführt werden dürften. 

Wir beſitzen nämlich einen Brief des Abtes Hugo von Farfa — 
des bekannten Geſchichtſchreibers ſeines Kloſters — an Landoin, den 
Abt des benachbarten S. Salvator, aus dem zweiten Decennium des 
11. Zahrhunderts!. Wieder iſt es eines der gewöhnlichen Tauſchge— 
jchäfte, welches die beiden Kollegen zu einer eingehenden Correſpondenz 
veranlaßt. 

Man erinnere fi), was bereit über die Beziehungen, welche 
die klöſterlichen Nachbarn mit einander pflogen, auseinandergefett 
worden ift, und man begreift, wie Hugo ſich bewogen findet, ad 
captandam benevolentiam cine längere Einleitung zu maden: er 
thut dies in Form eines hiſtoriſchen Rückblicks, der beweijen ſoll, 
daß ihre Intereſſen jchon von Alters her auf das engfte mit einander 
verbunden geweſen feien. Als Beweis dafür führt der Briefſteller 
unter anderem jene Urkunde K. Yudwigs II. von 872 an, die für 
beide gemeiuſam die Privilegien bejtätigt habe: dem Hugo ift fie 


cum pertinentiis suis, juxta ipsum Corolianum terram et vineam, quas 
in isto monasterio dedit Supo presbyter de Mozano, et modo tenet 
minister ejus et soror et filius ejus (einer der verheiratheten Priefter, 
deren in diejem Verzeichnis ziemlich viele vorfommen; auf derielben Seite filius 
episcopi Benedicti, filius Leonis presbyteri; Jobannes presbyter — cum 
eonsortibus suis u. ſ. f.). 

! Hugonis abbatis Farfensis epistola ad Landuinum abbatem 
monasterii sancti Salvatoris Reatini de permutatione terrarun inter 
eos facienda; bei Mabillen, Annal. Bened. IV, 706 (app.). Die Da— 
tierung würde beiläufig auf das Sahr 1019 treffen: was Hugo in feinem 
Briefe vorfchlägt, ericheint damals im Reg. Farf. als vollzogen, Vgl. Muratori, 
SS. IIb, 527, wo Aum. 18 das Schreiben wiederholt ift. 


434 


wieder unter die Augen gefommen, als er neulich die Papiere feiner 
Kirche ordnete !. 

Vom Libellus fein Wort, der doch auch für ihre gemeinfamen 
Opntereffen eingetreten war. Was fchon die Auseinanderjegung über 
die Bücherfchäge der Neichsabteien zu zeigen jchien, diirfte damit wol 
zur Gewißheit erhoben werden: in Yarfa und S. Salvator hat man 
von dem Libellus und den Kämpfen, die fi daran fnüpften, nie etwas 
erfahren . Bon den letteren fcheint man fi) auch auf dem Berge 
Soracte feinen Begriff gemacht zu haben, wo man den Libellus aller= 
dings beſaß: er wird aber nur als Gejchichtsquelle für das 9. Jahr— 
hundert, vor allem die Zeit K. Ludwigs (wobei der erfte und zweite 
diejes Namens zufammengeworfen worden) benutzt; worauf der Autor 
dejjelbeu bejonders Gewicht legt, wozu der Libellus überhaupt ge= 
jchrieben zu fein Scheint, die (angebliche oder thatfächliche) Schenkung 
Karls d. K. übergeht auch DBenedict mit Stillfchweigen ; andere 
Duellen meldeten davon eben nicht. 

Co kämen wir denn ſchließlich nod) auf die Frage zu ſprechen, 
wer denn etwa der VBerfafjer des Schriftſtücks ſein möchte; auf Namen 
wird dabei wohl von vorn herein zu verzichten fein; aber die fonftige 
Bildung und Lebensftellung des Mannes dürfte aus feiner Yeiftung 
fi) wol erfennen lafjeı. 


! Lucidius exquirentes cartas et tomos sive menıbrana nostrae 
ecclesiae, authentica munimina reperimus et antiquissima, quae pro 
certo continent, quod ab olim inter ipsum istumque conventum magna 
est concordia, et dilectio continua extitit, et de nostris ad vos et de 
vestris ad nos eundiet redeundi, cuicumque libuit, semperque licuerit, 
nullique aliquando abnegatum fuerit. Quapropter tempore hiemis 
vel aestatis familiariter ac domestice uterque conventus multotiens 
permanere consueverat. Unus etiam imperator, cum die pen- 
tacostes ad hoc monasterium devenisset, et huic loco et 
domno Johanni nostro abbati ipsique monasterio d. Sal- 
vatoris et d. Anastasio praeceptum insigne optimae li- 
bertatis de omnibus bonis acquisitis et acquirendis 
dignissime fecit. #olglih, jchließt Hugo, absque aliquo dubietatis 
scrupulo nostras explere valeamus placitas commutationes cum utrius- 
que monasterii proficuo. - 

2 Mas Farfa betrifft, jo ift das wol unumſtößlich. Bei der groken Aus- 
einanderjegung gegenüber den römiſchen Anfprüchen am Anfang des 12, Jahr- 
hunderts, Mon. Germ. SS. XI, 567 - 577, wird in der bereits charakterifierten 
Beife gegen die Schenkung Eonftantins und das Privileg Ludwigs d. Fr. po- 
lemiſiert; der BVertheidiger des Klofters entnimmt feine Argumente der Geſchichte 
und den Rechtsſatzungen. K. Ludwigs Il. Verhalten gegen die Päpfte wird 
nad) dem Liber pontificalis augeführt; derielbe S. 576 mit Ludwig dem fr. 
verwechielt; die Händel zwiſchen Silverins und Belifar S. 569 ebenfalls nad) 
dem Papſtbuche berichtet. — Murat. SS. II, 416 f. handelt Gregor v. Catina 
iiber die Zeiten des Verfalles feines Klofters und die Verlufte, die e8 durch die 
ſchlechten Aebte (mali rectores) des 10. Jahrhunderts erlitten hat: placuit 
autem nobis in hoc opere ad utilitatem legentium sive audientium 
a veridicis historiographis descriptis regum, imperatorum ac Roma- 
—7 pontificum uti temporibus; im folgenden wird Liutprand ausge 

trieben. 


435 


Gr wird, namentlich wenn man feinen Stil mit dem DBenedicts 
von ©. Andrea vergleicht, wol einer der in den Grammatiferjchulen 
des oberen oder mittleren Italiens gejchulten Männer gewejen fein, 
die damals in der Piteratur eine Rolle fpielten. 

Dabei ift e8 beachtenswerth, daß unfer Autor doch über die 
rein formale Seite jener Bildung, womit die zeitgenöjfiichen Gram— 
matifer fich jo fehr zu brüften pflegten !, fich zu erheben den Anfchein 
gibt: er fpottet, wenn ich recht verjtehe, über Karl d. K., „der ein 
Philofoph gewefen bei den Büchern“ ?, dafür aber fein Neid) von 
diefer Welt den Römern und den Päpften preisgegeben habe. 

Denn gerade jene „Philofophie* , die in völlige Sophiftit und 
Haarjpalterei ausgeartet war — das ift das Urtheil, welches wir 
jelbit aus den Schriften jener Periode, die auf und gefommen find, 
ung gebildet haben? —, hat damals, von Seiten der Praftifer 
eine manchmal jchroff genug ſich äußerude Oppofition hervorgerufen. 
Es genügt in diefer Hinfiht nur an den Ausspruch Gregors d. Gr., 
der in der Folge fo oft wiederholt wurde, zu erinnern: das Wort 
Gottes brauche ſich nicht den Kegeln des Donat zu unterwerfen; oder 
wie jener päpftliche Yegat Leo dem gelehrten Gerbert gegenüber gel= 
tend machte: S. Peter habe ſich aud) nicht um das „Vieh von 
Philofophen“ gekümmert und fei doch Pförtner des Himmels ge— 
worden *, 

In ähnlicher Weife mögen auch fonft die Politifer auf die 
Schulgelehrten herabgeblict haben. Yiutprand felbjt, der fich mit 
diefen Kreifen aufs engite berührte, wenn er aud) aus denfelben 
weit hervorragte, läßt hier und da feinen Wit in diefer Richtung 
fpielen ?; doch jtellt auc er die Gefchichtfchreibung neben der Komödie 
als eine Art Erholung von der wichtigeren und mehr auftrengenden 
Beichäftigung mit Grammatik und Poetik Hin 6, 


1 Bol. E. Bernheim, Forſchungen zur deutichen Gefchichte XIV, 154 u.a. 

2? ‘“Quia erat in litteris quasi philosophus’. v. Noorden, Hincmar 
v. Rheims 299, der eine andere Kombination verſucht, Scheint mir die feine 
Sronie, die im Ausdrud liegt, zu mißverftehen. Man muß den ganzen Abjat 
leſen, bis zu: ecclesiam, ut quasi per vim ab aliquo esset oppressa. 

s Bol. darüber namentlid) Dümmler, Aurilius und Bulgarius S. 45 f., 
Anfelm der Peripatetifer ©. 6 u. a. 

* Bol. Ozanam, — inédits S.7, und Wattenbach, Geſchichts— 
quellen I, 3. Aufl., S. 2 

Man vgl. — V, 21 über die griechiſchen Mönche: coenobita- 

rum multitudo pbylosophabatur; dahın wollen die Verſchworenen auch den 
K. Romanos bringen: philosophandum ; dieſer entfommt und ftedt dieſelbeu 
nun feinerfeits ins Klofter philosophandum. Und gleih in der Einleitung 
zum berührten Werte heißt e8: phylosophy ydropicorum more, qui quo 
amplius bibunt eo ardentius sitiunt, quo sepius legunt eo avidius 
nova queque perquirunt. 

° Antap. c. 1: plane mens achademicorum, peripatheticorum, 
stoicorumque doctrinarum jugi meditatione infirmatur, sinon aut utili 
comoediarum risu aut heroum delectabili historia refocilatur. 


436 


In Bezug auf die Politit Ftaliens Nom gegenüber ſtimmen 
der Bifchof von Gremona und der Berfafjer des Libellus in ven 
meilten Bunkten überein. Auch Yintpraud betrachtete K. Ludwig den 
Zweiten als Bertreter der italifchen Gejammtjtaatsidee, wie er in 
Konstantinopel geltend macht ; dort erforderten es dann freilich die 
politifchen Rückſichten, den Byzantinern ihr Verfahren gegen die 
Päpfte zur Zeit ihrer Herrihaft in Nom vorzuhalten; Otto I. aber 
wird von ihm „gerechtfertigt durch den Hinweis auf das Weiberregi- 
ment und die Tyrannis Alberihs, des Kerfermeifters der Päpite!: 
ein Zug, den der Libellus nicht hat. Don den Grichen ſcheint 
übrigens der legtere eine ebenſo chlechte Meinung gehabt zu haben, 
wie Pintprand 2, 

Das wiedererſtehende Kaiſerthum hatte die Politik, die der Li- 
bellus verfochten, eben wieder aufgenommen und zur Durchführung 
gebracht, wenn auch nicht in der Form eines National-, jondern in 
der eines Univerjalreiches. — 

Schen wir ung nunmehr den Inhalt des Libellus näher an. 
Bon der legendarifchen Einleitung dejjelben wurde jchon früher ge— 
ſprochen; es zeigt diefe eben diefelbe Konfujion in der Auffaſſung der 
itaatsrechtlichen Verhältnijfe der früheren Zeiten, die uns 3. DB. in 
Graphia urbis Romae? begeguet: ohne daß übrigens beide Schrift- 
jtüde in Abhängigkeit von einander wären. Und da zugleich gegen 
die politischen Beſtrebungen der Päpite Oppofition gemacht wird, ver— 
wahrt fich der Berfaffer gegen den Vorwurf der Heterodorie ebenfo 
energiſch, wie das furz vor ihm Aurilius in feiner Streitihrift zu 
Gunften des Formofus gethan hatte *. 

Nachdem fo das Bekenntnis des Primates Petri voransgefchickt, 
hingegen den Kaiſern und Königen gegenüber ihre Unterthanenpflicht 
betont, die Misachtung derjelben herbe Eritifiert worden, werden die 
Zuftände in Nom unter den erjten Rarolingern dargelegt; ohne daß 
dabei die Negierungen der einzelnen Herricher von Pippin bis Lud— 
wig IL. unterſchieden würden: auf Karl d. Gr. wird alles zurückge— 
führt: die Befreiung des P. Zadjariad aus den Händen der Yango= 
barden, das pactum der römischen Kirche, die constitutio Romana 
vom J. 824. 

Auf die lettgenannte constitutio gejtügt, entwirft ſodaun der 
Berfaffer ein Bild von der Faiferlichen Gewalt in Stadt und Ge— 
biet. Es wird uns das Doppelregiment von Kaifer und Papit vor= 
geführt; die Ausübung der Gerechtigfeitspflege durch die römischen 
judices und duces. Als oberjter Yuftizbeamter, der eine dem by— 


! Bgl. Legatio ce. 5. c. 60. 

* Bei Erzählung der Vorgänge von 864 von den Mönchen und Nonnen, 
die gegen den Kaijer beteien: projecerunt cruces et iconas, quas porta- 
bant, sicut mos est Grecorum. Das ift wol eine Anfpielung auf die 
Bilderftürmerei. 

3 Mol, Ozanam a. a. D. S. 165 f. 

* Bei Dümmler, Auxilius und Bulgarius ©. 59. 


437 


zantinijchen praefectus urbi analoge Stellung einnimmt, fungiert ei 
jtändiger missus im Namen des Kaiſers — die einzige Kunde, die 
uns davon erhalten ift, die aber inmmerhin glaubwürdig genug ift!. 

Ueber die Dertlichfeiten, an denen Recht geſprochen?, über die 
Formeln, die dabei gebräuchlich waren?, weiß unfer Autor befonders 
gut Beſcheid; wo wir ihn controllieren können, zeigt er ſich genau 
unterrichtet. Wir werden daher auch die ihm eigenthümliche Nad)- 
richt, daß außer den gewöhnlichen Gerichtsfigungen, die in Gegenwart 
de8 Apoſtolicus abgehalten wurden — was die erhaltenen Urkunden 
bejtätigen —, aud) jolde am Yateran „bei der Wölfin“ ftattfanden, 
annehmen dürfen: Benedict von S. Andrea, der mit römischen Ver— 
hältniffen fehr vertraut ift, hat diefe Stelle aus dem Libellus in jeine 
Chronik aufgenommen t. 

Es wird dann weiter von der Wirkſamkeit der jährlich zur Con— 
troffe eintreffenden anßerordentlichen missi und der faiferlichen judices, 
die fie begleiteten, Erwähnung gethan; wie die Compoſitionen zwijchen 
dem päpftlichen und dem faiferlichen missus getheilt wurden, während 
die Confiscationen dem Kaifer allein zufielen; wie diefem denn aud) 
die höhere Strafgewalt durchaus vorbehalten war. Den Unterhalt 
für den Faiferlichen Beamten in Nom bejtritten, wenn die Einnahmen 


ı Bol. Giefebrecht, Kaiferzeit I, 865. Simſon, Jahrbücher Ludwigs d. Fr. 
T, 226 Anm. 3, macht dagegen geltend, daß zur Prüfung der Papftwahlen von 
827 und 844 befondere missi abgejchictt worden wären (Einhardad ann. 827 
©. 216. Prudentii Tree. ad ann. 844 S. 440), was unverftändlid; wäre, wenn 
ein faiferlicher in Rom gewefen wäre. Darauf läßt fid) erwiedern, daß die 
ftändigen missi der Zeit auch fonft nur rihterliche Functionen übten, zu 
politifher Eendung „wandernde” Boten gebraucht wurden. Vgl. Fider, 
gt. Forſchungen II, 50 fi. und 127, wo defjen Stellung indeß ebenfalls zu 
weit aufgefaßt fein dürfte; der Libellus jagt einfach: (inventum est), ut suus 
(sc. imperatoris) missus omni tempore moraretur Romae, ad deli- 
berandas litigiosas contentiones. Alle weiteren Befugniffe wer- 
den dem Herzog von Spoleto zugefchrieben. (Im demſelben Berhäftwiffe ftanden 
Anfangs des 11. Jahrhunderts der praefectus urbi und der patricius zu 
einander). 

2 Morabatur quippe in palatio s. Petri (sc. missus). Dort fteigt 
‚auch 8. Ludwig II. ab, da er nad Rom kommt. Nod) im Anfange des 11. 
Jahrhunderts wird ein Placitum abgehalten: ad basilicam b. Petri apostoli 
in palatio domni Karoli imperatoris ante praesentiam domni prefecti. 
Farfenſer Urk. von 1017, Galletti, Primic. 254. 

s Der Libelluserwähnt, daß, wenn Unzutömmlichkeiten in der Rechtspflege 
vorfamen, dann missus adjuraret prineipes Romanorum dicens: ‘Per 
eam fidem, quam domino imperatori debetis, facite huic 
homini justam legem’. In einer Gerichtsurtunde von 829 fragen die 
zwei (auferordentlichen) missi in finibus Spoletanis seu Romania — ad 
singulorum hominum causas audiendas et deliberandas, die Zeugen 
per ipsum sacramentum, quod domno imperatori factum habebant; 
worauf diefelben ebenfo antworten: ‘Per ipsum sacramentum, quod 
domno imperatori factum habemus’. Bei Galletti, Del pri- 
micero 185. 

ı ©. oben ©. 412, 


438 


des Fiscus Hierzu nicht ausreichten, nad) dem Libellus die drei Reichs— 
abteien S. Salvator, S. Maria (Harfa) und S. Andrea am 
Eoracte. 

Es find, wie ſchon gejagt, diefe Züge, welche der Libellus au— 
führt, durchaus den Geſetzen des Jahres 324 entlehnt!, durch welche 
die Stellung des römischen Gebietes und feiner Enclaven (dev großen 
Abteien, die im Domininm des Neiches ſtanden) innerhalb des frän— 
fisch-abendländifchen Imperiums endgültig geregelt worden war. 

Sowohl die constitutio Romana als auch die Privilegien der 
Klöfter muß der Berfaffer des Libellus gefannt haben. Bei jener üt 
dies Gegreiflic), denn fie iſt auch fpäter immer als das Grundgeſetz 
für „Romanien“ anerkannt worden: als jolches hat fie in den Liber 
Papiensis Aufnahme gefunden ?, war alfo den langobardijchen Yegiften 
wohl befannt. 

Was die Privilegien der Abteien betrifft, fo hat der Libellus 
einen Paſſus, der unverjtändlich it, wenn man nicht annimmt, der 
Autor Habe jene vor Augen gehabt und eine Bejtimmung derjelben 
Schlecht wiedergegeben. Karl d. Gr. hatte nämlich bei Eroberung 
Staliens 774 Farfa diejelbe Stellung zugefichert, welche die großen 
Abteien des Franfenreiches einnahmen: beiläufig daffelbe fagt der Li- 
bellus; nur wäre c8 für feinen Zweck nicht nöthig gewejen, der Sache 
Erwähnung zu thun ®. 

Zeigt ſich über all diefe Verhältniffe unfer Autor im Ganzen 
ſehr gut unterrichtet, jo wird es von Jutereſſe fein, ihn nunmehr 
auch über den Umfang des römischen Gebietes und die Art der Re— 
gierungsgewalt, die in demjelben der Bapft ausübte, zu vernchnen ; 
eine Frage, die von jeher jehr controvers war und für die jede Ein— 
zelheit, die uns nähere Auffchlüffe gibt, willkommen iſt. 

Man fennt die Bedingungen, unter denen einft der Bund der 
Karolinger mit dem römischen Etuhl zu Etande gekommen war: die 
Verheißung Pippins von Onierzy (754) und ihre Bejtätigung durch 
Karl im %. 774: wie dann die ganze Unklarheit der Faſſung, die 
Schwerkraft, welche die althergebrachten Verhälmijfe ausübten, die 
ganze Politik, die das neu entjtandene Weltreich nothwendig befolgen 
mußte, zu weiteren Abmachungen führten, deren Inhalt uns durd) das 
pactum vom %. 817 bekannt iftt: damit jtimmen durchaus alle 


1Schonu Fider, It. Forſchungen II, 352. 2, hat dies bezüglid) der Con- 
stitutio Romana bemerft. 

* Mon. Germ. LL. IV, 545 — 546. 

® Das Priv. v. 774 bei Muratori, SS. II, 350, das dann 824 
durch Lothar beftätigt wurde (l. c. 386), nachdem 817 Farfa fi) dem Vapſte 
zu unterwerfen genöthigt geweſen war (J. c. 366), beftimmt: qualiter ipsa 
casa Dei sub tali privilegio esse deberet, sicut cetera monasteria Li- 
rinensium , Agaunensium et Luxoviensium . . . Der Libellus bingegen 
jagt: Non solum autem in Italico regno, verum etiam in Francia pro- 
ficiscebantur monachi, ferentes vectigalia, vina et alia donaria juxta 
virium posse. 


* Bol, über die ganze Frage Fider, It. Forfchungen II, 299 ff. 332 fi. 


439 


Angaben, die uns anderweitig überliefert find. Schon in der Thei— 
fungsurfunde von 866! wird die “terra s. Petri’ als abgefondertes 
Ganze Hingeftellt, deſſen Integrität durch die Theilung felbft nicht 
angetajtet wird: der Erardjat und die Pentapolis einer-, das römische 
Gebiet im engeren Sinne (Ducat von Rom, Campagna, Sabina) 
andererjeit8, verbunden durch einen fchmalen Streifen Yand bei Pe— 
rugia, Civita Caftello, Gubbio lagen innerhalb der ‘“termini s. Petri’ 
und unterftanden deffen Nachfolger, dem römischen Papſte: von an— 
deren Gebieten, die einft die „Verheißung“ umfaßt, wie Tuscien und 
Spoleto befam er jenen Theil der Einfünfte, der bisher an den König 
nad) Pavia abgeführt worden war ?, 

Andere Denkmale zeigen uns ſodann die Stellung, die der Papft 
al8 Inhaber jenes Territoriums innerhalb des Kaiſerthums einnahm. 
Die Münzen tragen den Namen des Papjtes und des Kaiſers: als 
Karl d. Gr. Benevent fi) unterwarf, mußte der Herzog in gleicher 
Weife dejjen Namen neben den feinen jegen. Noch nähere Aufjchlüjje 
gewährt uns ein Kapitulare Kaifer Lothars vom %. 846, das erit 
neuerlich befannt geworden ift?, 

Kom hatte damals eben durch einen Weberfall von Seite der 
Saracenen jehr gelitten; die Petersfirche ſelbſt war zerftört worden ; 
Lothar befiehlt nun durch einen Brief und jeine missi dem „Apo— 
ſtolieus“, die Kirche durch eine Mauer zu befeſtigen“. Zugleich ift 
für das nächſte Jahr ein Feldzug nach Unter-Italien gegen die Sa— 
racenen in Ausficht genommen; und hierzu ward auch der Papit als 
Fürft des Neiches aufgeboten. Man bedurfte einer Flotte; diefe Hatte 
für die Pentapolis der Apoftolicus, der Doge Peter von Venedig 
aus beizujtellen ®. 

Man jieht, ſowohl was die Rechte als was die Pflichten be- 
trifft, Stand der Inhalt des pactum der römischen Kirche nicht mur 
auf dem Pergament, fondern war thatfächlid) in Kraft. Die Zuſammen— 


343 ff. (über die Iuterpolation in Gregorianifcher Zeit). Die formellen Be- 
denken Sidel®, Acta Carol, II, 381 f. 434, auf die Simfon, Zahrb. Ludwigs 
d. Sr. I, 80 Anm. 7, zurüctommt, lafjen eine anderweitige Erklärung zu, und 
die innere Kritif entjcheidet zu Gunften des Privilegs, mit Ausnahme der Stelle 
über die Anfeln, die fpäter interpoliert fein wird. 

Mon. Germ. LL.1, 141. Fir das Nähere vgl. Fider a. a. ©. 349. 

2 Dol. Fider a. a. O. 299 ff. 

8 Aufgefunden von Maafen im Kapitelardhive zu Novara, vollftändig 
wieder abgedrudt und bejprochen von Blume, Zeitjchrift für Nechtswifjenichaft 
1873, 9. 2, S. 258 ff. 

* Decernimus et hoc apostolico per litteras nostras et missos 
mandamus, ut murus firmissimus eirca ecclesiam b. Petri construatur. 
c. VII, 1. c. ©. 260. 

5 Similiter apostolico et Petro Vaenaeciarum (sic) duei (manda- 
mus), ut adjutorium ex Pentapolim (sic) et Venecia navali expeditione 
faciant ad opprimendos in Benevento Sarracenos. ce. XII, ]. c. ©. 262. 
Hiermit entfallen die Bedenken Fiders a. a.O. III, 448 Nachtr. zu II, $. 352, 
das römische Gebiet nicht Kriegsdienft zu leiften gehabt hätte, 


440 


ftelfung des Apoftolicns und des Dogen in dem angeführten Kapi- 
tulare ift auch infofern fehr zutreffend, al8 Venedig wie Nom inner- 
halb des Reiches eine ziemlid) ähnliche, aber eigenthümliche durch ein 
pactum geregelte Stellung einnahmen. Dieſe Analogie wiirde 
fogar noch) zutreffender fein, wenn jene eigenthünmliche Nachricht des 
Libellus begründet wäre, Nom habe nad) Pavia jährlid) einen Zins 
von 10 Pfund Gold, 100 Pfund Silber, 10 fojtbaren Mänteln zu 
liefern gehabt, wie Venedig in der That zu ähnlichen Peiftungen verpflichtet 
geweien ift. Doch meldet das pactum von 817 davon nichts; die 
Leſung der enticheidenden Stelle (Papae oder Papiae) ift unficher, und 
fo müſſen wir die Sache auf ſich beruhen laſſen!; bemerfenswerth. ift 
jene Angabe bei einem ſonſt jo gut unterrichteten Autor auf jeden Fall. 

Im übrigen aber bildete „Nomanien“, wie es wol aud) genannt 
wurde, unter der Herrichaft des Papjtes eine der großen Provinzen, 
in die Stalien eingetheilt war: Yangobardien, Romanien, Benevent, 
Zuscien, Venetien zählt einer der Faiferlichen Erlaſſe auf?. 

Das war im allgemeinen die Yage der Dinge bis zu dem Mo— 
mente, da K. Lothar nach der Sitte der fräufiichen Dynaſtien das 
ohnedies fchon mehrfach getheilte Kaiſerreich nochmals theilte und 
hierbei feinem älteften Sohne Yudwig II. Italien und die Kaiferfrone 
zufiel. 

Damit hing es zuſammen, daß munmehr der Kaifer öfters in 
Kom verweilte; war dies aber der Fall, jo mußte vor ihm der Be— 
herrfcher der “terra s. Petri’ nothwendig in den Hintergrund 
treten. 

Und für diefe Situation und für das Verhalten des Papſtthums 
in derjelben ift grade unfer Libellus die Hauptquelle; fein Held ift, 
wie wir wiffen, Kaifer Pudwig II. 

In Rom waren die Großen immer bereit, gegen das päpftliche 
Negiment fich aufzulchnen; namentlich national = öfonomifche Gejichts- 
punkte famen dabei in Betradht; die Kirche juchte möglichjt allen 
Grundbefig im ihrer Hand zu vereinigen, und wenn ihr das gelang, 
jo war der Adel ruiniert. Dieſer fuchte gegen die Uebergriffe der 
Kirche am Kaiſerthum einen Rückhalt; die constitutio Romana von 
824 war eben durch einen ſolchen Couflict hervorgerufen worden >. 

Bon diejer Partei wurde der Gedanke, Nom wirklich zum Sitze 
des Neiches zu machen, mit Sreuden ergriffen: jie ermunterten Ludwig 
(jagt der Libellus) die alte (byzantinische) SKaifergewalt zu er— 
neuern“. 

Aber die Idee der Freiheit und Unabhängigkeit der römiſchen 


ı Rolf. Waitz, Deutſche Verfaſſungsgeſchichte IV, 95. 

2 Mon. patr. XIII, 348 aus dem $. 861: omnibus fidelibus nostris 
in partibus Langobardiae, Romaniae sive Beneventi atque Tusciae nec 
non Venetiae. 

3 Bol. die Belege bei Simfon, Jahrb. Ludwigs d. Fr. I, 62, 

* Hie quia magis Italiam habitare elegit, vieinior factus est Romae ; 
ubi et ampliori quadanı usus est potestate, babens strenuos viros ejus 


441 - 


Kirche Hatte im Abendlande bereits zu tiefe Wurzeln gefchlagen: „die 
Ehrfurdt vor den Hl. Apofteln hielt Yudwig IL. ab, jenen Plan zur 
Ausführung zu bringen“ !. 

Und jchon ergriff das Papſtthum die Offenfive; e8 war die Zeit 
feiner großen Erhebung unter Nicolaus I., der gegen die Franken— 
fönige einſchritt, als fie das Sittengebot übertraten, der in Byzanz 
jelbft den Primat Petri zur Geltung brachte, der gelajjen die pſeudo— 
ifidorifche Frucht pflückte, die auf einem anderen Stamme gewachſen war. 

Gerade um der Grundfäge willen, die Pfeudoifidor vertrat, ent— 
brannte auch in Stalien der Kampf des Papal- mit dem Metropo- 
litanfyften; das lettere fand Hier an Johann, dem Erzbifchof von 
Ravenna, feinen Vertreter, der feinerjeitS ebenfalls am Kaifer einen 
Rückhalt ſuchte. | 

Es ift hier nicht der Ort, auf die Einzelheiten einzugehen ?. Als 
Papft Nicolaus ſich um die kaiſerliche Regierung nicht im geringften 
fümmerte, gegen ihre Abgejandten vielmehr mit firchlichen Zwangs— 
mitteln vorging, erfolgte der völlige Bruch zwifchen beiden Gewalten. 
Gerade darüber num ift der Bericht des Libellus interejfant und für 
die ftantsrechtliche Stellung der ‘terra 8. Petri’ und des Papftes im 
Reiche fehr bezeichnend, bisher trotzdem gewöhnlich vernachläffigt. 

Gegen Nicolaus wurde nämlich zulegt wie gegen einen aufrühre- 
riſchen Neichsfürften vorgegangen: in der Pentapolis ward die Re— 
——— verhängt und die geſammte Verwaltung der römiſchen 

irche abgenommen, bis auf die Abgaben, welche die Schiffe zahlten 
(wenn ich den Ausdrud des Libellus recht verftehe)®. Hier wie in 
der Campagna wurden die Patrimonien confiscirt und die Einkünfte 
zum Nuten des Kaiſers und feiner Getreuen verwendet*, Das ftimmt 
genau zu dein, was wir aus dem Capitulare von 846 erfahren haben: 
an einer Stelle, wo wir feine Angaben prüfen können, bewährt fich 
die Glaubwürdigkeit des Libellus vollſtändig. Was man gegen diefe 
vorgebracht, weil der Autor erſt verhältnismäßig ſpät gefchrieben habe, 
erfcheint nicht als ftichhaltig. 


urbis, scientes antiquam imperatoris consuetudinem et intimantes cae- 
sari. Qui suggerebant illi, repetere antiquam imperatorum domina- 
tionem. („Eine fehr anjchauliche — an deren Wahrheit nicht ge— 
zweifelt werben Tann“. Köpfe, Zeitjchrift für Geſchichtswiſſenſchaft VI, 44). 

ı Et nisi ob reverentiam beatorum apostolorum dimitteret, pro 
certo faceret. 

2 Der Libellus einer-, das Bapftbuch (Vita Nicolai c. XXI ff. ed. Vignoli 
183 ff.) und die Alten einer römischen Synode vom Nov, 862 andererfeits 
find dafür umfere einzigen Ouellen. Beide vertreten hierbei entgegengeſetzte 
Standpunkte. Bol. Dümmler, Oftfr. Reid) I, 495. 

® Pentapoli beneficiales ordines suis distribuit, praecipiens, nul- 
lam administrationem impendere Romae, exceptis suffragiis 
navali deportatione. 

* Fecit etiam occupare nonnulla patrimonia in Campaniae par- 
tibus regio usui suorumque fidelium. Man vgl. über folhe Mafregeln 
Ficder, Das Eigenthum des Reiches am Reichslirchengute S. 104 f. 


XIV. 30 


442 


Der Kaiſer reifte jelbft nad) Rom ab, um die Sache feines ver— 
trauten Freundes, des Erzbiihofs von Ravenna (von diefem allein 
fpricht der Libellus) zu führen. Und Hier erfolgte endlich die denf- 
würdige Rataftrophe des %. 864. 

Die kaiferlihen Soldaten erfüllten die Stadt; ihnen gegenüber 
entwicfelte die ftreitende Kirche ihre Schaaren. Der Papft ordnete 
öffentliche Bittgänge an „gegen Fürſten, welche übel handeln“. Durch 
zwei und fünfzig Tage dauerte diefer Zuftand, und die Stimmung 
ward immer erbitterter. Zuletzt fam es zmwifchen den Soldaten und 
einer der genannten Procefjionen zu einer Schlägerei; Kreuze und Re— 
liquien wurden zerichlagen, Mönche und Nonnen mishandelt; dieſe 
flohen nach allen Richtungen. 

Damit hatte aber auch die Krife ihren Höhepunkt erreicht; als— 
bald trat eine Verſöhnung ein. Aber der Ruf jener Vorgänge hallte 
durd) ganz Europa wieder. Noch in den Tagen Gregors VII. hat 
man fid) daran erinnert; aus der Yiteratur der Zeit erficht man zu= 
gleich den Stand der öffentlichen Meinung. Außer unferem Libellus 
nimmt alles gegen den Kaiſer Partei, fo die Schrift ‘De querimonia 
Romanorum’!, fo Erchempert von Monte Cafino ?, der alles Unglüdt, 
das in der Folge den Kaifer traf, darauf zurücführt. Auch Hincmar 
von Rheims, fonjt fein Freund des Papftes Nicolaus, erklärt fich gegen 
den Raifer?. Dabei intereffiert fih Hincmar für die ganze Sache 
nur, infofern damal8 auch die Angelegenheit feiner beiden Kollegen 
von Köln und Trier zum Austrag hatte gebracht werden follen. 

Wie gejagt, der einzige Libellus nimmt entfchieden für den 
Kaiſer Partei; ihm zufolge ward der Papft nad) jenen Auftritten 
„zahmer“ und konnte nur durch inftändiges Bitten den Kaifer ab- 
halten, ftrenger gegen den römischen Klerus vorzugehen *. 

Zugleich ftellt der Libellus im Gegenfag zu allen übrigen Be— 
richten durchaus den Erzbiſchof von Ravenna in den Mittelpunft des 
ganzen Streites. Das ift nicht ohne Intereſſe. Man erinnere fich 
des einfeitigen Charakters, den die mittelalterliche Hiftoriographie an 
fich zu tragen pflegt. 

Aus jenem Hervorfehren Johanns von. Ravenna dürfte wol ein 
Schluß zu ziehen fein bezüglich des Ortes, woher der Verfaſſer des 
Libellus feine Quellen jchöpfte. Denn daß die ganze Erzählung auf 
— fie Aufzeichnungen zurüdgehen muß, kann nicht wol zweifel- 

aft fein. 
hef Ich denke, wir haben es hier mit Ravennater Ueberliefe— 
rungen zu thun. Erzbiſchof Johann, ſagt der Libellus, war der ver- 


ı Bei Wido von Osnabrück, Cod. Udalrici (ed. Jaffé, 340). 

%. Mon. Germ. SS. III, 253. 

3 Annal. ad. a. 864, Mon. Germ. I, 462 ff. 

* Imperator graviter est promotus in iram, et pro qua causa 
apostolicus mitior effectus est. Profectus est denique idem pontifex 
ad s. Petrum, rogans imperatorem pro suis talia patrantibus, et vix 
obtinere valuit. 


443 


traute Freund K. Ludwigs II. (serviens imperatori familiarior erat). 
Ravenna war gerade zu den Zeiten, von denen hier die Rede ilt, 
häufig der Verſammlungsort der Neichstage, die Reſidenz der Kaifer: 
unter ſolchen Umſtänden ift im Mittelalter ſtets die Lo— 
calgefhihtfhreibung in die Reichshiſtoriographie über- 
gegangen. Zudem hatte man zu Ravenna alle Urſache auf den allge— 
meinen Gang der Begebenheiten, namentlich auch auf das Verhältnis 
des Kaiſerthums zum Bapftthum fein Augenmerk zu richten; nur wenn 
erfteres ftarf genug und zum Schuße bereit war, konnte die Kirche des 
hl. Apollinaris fich der Uebergriffe der Kirche des Hl. Petrus in dem 
Geifte erwehren, den man aus dem Pontificalbuche des Agnellus 
fennen lernt. 

Berfolgen wir weiter die Entwidelung der Dinge, wie fie uns 
der Autor des Libellus vorführt; wir fommen hierbei zu den Vor— 
gängen nad) dem Tode Kaiſer Ludwigs IL, da das Papſtthum wieder 
die kirchliche Action mit der politifchen im großen Stil vertaufchte 
und durchaus in den Vordergrund der Ereignijje trat. 

Auf das Jahr 864 war eine Zeit der Ruhe gefolgt. Der Raijer 
war anderweitig bejchäftigt; die Päpfte, Nicolaus und Hadrian II., 
fein Nachfolger, fahen für fi) den Moment noch nicht gekommen, be= 
reiteten ihn aber vor. Ludwig IL. war kinderlos und nad) feinem 
Tode mußte fi) naturgemäß die Frage erheben, wer fein Nachfolger 
in der Raiferwürde fein werde, Die beiden anderen Linien der Karo— 
(inger, die oſt- wie die weſtfränkiſche, ftrebten nach der Erbichaft. 

Rad) dem Libellus, dejjen Angabe durch die Karlmanns felbft 
beftätigt wird, Hatte Ludwig IL zuletzt feinen deutjchen Vettern 
die Nachfolge zuwenden wollen; in Rom war man entjchloffen, die 
Kaiſerkrone Karl dem Kahlen zuzuwenden, wenn er nur auf ihre Be- 
dingungen eingehen wollte. Und zwar hatte, wenn wir Johann 
VIIL Glauben fchenfen dürfen, ſchon P. Nicolaus J. der Po— 
(itif der römischen Kirche diefe Richtung gegeben ?:; nur gegen Er- 
füllung der „VBerheißungen“ Pippins und Karls von 
754 und 774 follte der König der Weſtfranken fein 
Ziel erreiden. 

Zu der That muß es zuleßt zum befriedigenden Abfchluffe der 
geheimen Verhandlungen gekommen fein: im Mai 872 fchreibt Ha— 
drian II. au Karl d. K.: niemals werde er freiwillig einen anderen 
al8 Herrſcher in alien und als römiſchen Kaifer anerkennen, 
als ihn?®, 

1 Bol. Dümmler, Oftfränt, Reich I, 779 Anm. 23. 824 Anm. 14. 
dv. Noorden, Hincmar dv. Rheims, 295 Anm. 1, will das nicht gelten 
laſſen, ohne daß man bei dem Mangel anderer Nachrichten den Grund davon 
einſieht. 

' 2 Johann VIII. zu Ravenna 877: Et quia pridem apostolicae me- 
moriae decessori nostro papae Nicolao id ipsum inspiratione coelesti 
revelatum fuisse comperimus, elegimus hunc (farl d. 8.) merito et 
approbavimus. Mansi XVII, App. 172. 

s Jafis Mr, 2241: ut sermo sit secretior, et literae clan- 


30* 


444 


So weit waren die Dinge gedichen, als im J. 875 Ludwig IL 
ftarb. Die Kaiferin-Wittwe fandte fofort an Karlmann nad, Deutſch— 
land; Johann VIII. nad) Franfreih!; und in der That gelang es 
Karl d. K. zuvorzufommen; zu Weihnachten 875 ward er vom Papite 
zum Kaiſer gekrönt. Um den Preis feiner Würde hat er nicht länger 
gemarft; wie aus dem Folgenden mit Nothwendigfeit hervorgeht, hat 
er das Document unterfchrieben, das ihm päpftlicherfeits nach Ueberein- 
funft unterbreitet wurde. Doch blieb der Vertrag vorläufig geheim ?; 
die zeitgenöffifchen Annaliften berichten von ihm nichts, mit Ausnahme 
des Libellus, deſſen Glaubwürbigfeit wir aber gleichwohl zu erhärten 
im Stande find. | 

Es ift nicht unfere Aufgabe, die Unternehmungen Johanns 
während des nächſtfolgenden Jahres ausführlicher zu verfolgen. Karl 
hatte ihm den Herzog Lambert von Spoleto und deſſen Bruder Guido 
„zur Hulfeleiſtung — wie Erchempert von Monte Caſino es aus— 
drückt? — beigegeben. Damit kriegte der Papſt gegen Neapel; mit 
größter Grauſamkeit gieng er vor; die Gefangenen wurden geköpft, 
der Magiſter militum Sergius ſelbſt ſo barbariſch geblendet, daß er 
daran zu Grunde gieng. Johann VIII. ſchickte ſich an, die neuen 
„Schenkungen“ zu erobern. Da ſcheiterte er an dem Widerſtande 
des Herzogs von Benevent und Lamberts von Spoleto. Der letztere 
war nämlich zu den Gegnern der päpſtlichen Politik übergetreten und 
fieng an, die Patrimonien der römiſchen Kirche zu beunruhigen, ohne 
ſich um Johanns Verſuche, ihn an ſich zu feſſeln“, im geringſten zu 
fümmern. Zugleich wurden im Süden die Saracenen wieder furcht— 
bar; in Rom felbjt rührte fich eine Gegenpartei, die mit Lambert in 
Berbindung trat und die Rechte der ojtfränkischen Karolinger der 
Ufurpation Karls d. 8. gegenüber wahrzunehmen behauptete: kurz 
der Verſuch, durch Diplomatie und Anathem fid) Mittel- und Unter- 
Stalien dienftbar zu machen, war gefcheitert und Johann in der 
größten Gefahr, feinen Gegnern zu unterliegen. 


destinae nullique nisi fidissimis publicandae ..... nunquam ac- 
quiescemus, aut sponte suscipiemus alium in regnum et imperium 
Romanum nisi te ipsum. 

ı Die Angaben des Libellus flimmen durdjaus zu denen der Urkunden; 
fein anderer Autor weiß fonft über diefe Dinge Beſcheid. Vgl. Dümmler, 
Oſtfr. Reich I, 824 Anm. 12 und 14. 

2 Dem Klofter Farfa wurden von Karl d. 8. damals feine Privilegien 
beftätigt; Muratori, SS. IIb, 405. Da die Vereinbarungen mit der römijchen 
Kirche nachher doch nicht in Wirkfamfeit traten, fo ift e8 begreiflih, wie man 
in den Klöftern von benfelben nichts erfuhr. 

5 Cum Carlus filius Judittae sceptrum insigne Romam suscepisset, 
Lambertus ducem et Guidonem, germanum illi, Johannis papae in 
adjutorium dedit. Hist. Langob. c. 39, Mon. Germ. SS. III, 253. 

* Bol. den Brief des Papftes an Lambert vom 14. December 876, 
Mansi XVII, 20 (J. 2302): honorem atque tuum profectum nostram 
gloriam esse putamus. Das Detail der Berhandlung follte geheim geführt 
werden. Latores vero praesentium missos apostolicae sedis — ad tuam 
pobilitatem direximus, ut hi, quod pagina reticuit, viva voce edicant, 


445 


In diefer Stimmung find die Briefe an Karl d. 8. gefchrieberr, 
welche diefen in den ftärkjten, faft drohenden Ausdrüden zur ſchleu— 
nigen Ylfeleiftung „gegen Heiden und fchlechte Chriſten“ auffor- 
derten !. 

Schon mußte man darauf bedacht fein, das bisherige Beſitzthum 
der römischen Kirche ficherzuftellen: die WBegehrlichfeit der Großen 
richtete fich bereit8 auf daffelbe; fo fam im Sonmer 877 die Sy— 
node von Ravenna zu Stande, welche den alten Rechtszuſtand aufs 
neue befejtigen follte. 

Zugleich ergriff Hier Johann VIII. die Gelegenheit, für das 
Kaiſerthum Karls d. K. in die Schranfen zu treten ?: in feinen An— 
fpielungen gibt der Papit das Verhältnis zu erkennen, in dem er zu 
letzterem jtand; er preijt feine Demuth und Unterwürfigfeit unter die 
Kirche. Nicht anmaßend habe er fich bemommen, um feine Würde zu 
erlangen?. Er vergleicht ihn mit Karl d. Gr., dem fiegreichen Kaiſer 
und Freunde aller Kirchen, und der römischen zumal, die er ſtets in 
den alten Stand und die alte Ordnung zurüdzubringen bemüht ge- 
wejen jeit; mit Ludwig d. Fr., der in diefer Beziehung durchaus 
in die Fußitapfen des Vaters getreten fei?. Alle feine Ahnen aber 
habe Karl d. K. übertroffen; indem er ſich nicht damit beguügte, ein- 
fad) die überfommenen Zuftände aufrechtzuerhalten, habe er in edlem 
Wetteifer noch ein Uebriges gethan und die Kirche befchenft und die 
Priefter geehrt®. Wegen dieſer Eigenſchaften allein habe ihn der Papſt 
zur m berufen 7. 

Man fieht: offen Scheint man noch immer nicht hervorzutreten 
gewagt zu haben. Die Ausführung des neuen pactum verzögerte 
fi) mehr und mehr. Ende 877 starb Karl d. K. auf der Flucht 
vor Karlmann, der heranzog, feine Rechte auf das Kaiferthun geltend 
zu machen. 


ı Yohann an Karl, 877 Februar 10, Mansi XVII, 27 (J. 2306) und 
Mai 25, Mansi, XVII, '47 (J. 2327). Bol. aud) J. 2307—2310. 

a Dal. feine Rede bei Mansi XVII, App. 171 ff. (über Zeit und Ort 
derjelben Jaffe, Reg. pont. ©. 269). 

a Neque enim sibi honorem praesumptiose assumpsit, ut impe- 
rator fieret . . humiliter ac obedienter accessit. 

— (Carolus magnus), qui cum omnes ecclesias sublimasset, semper 
hoc ei erat in voto, semper in desiderio, sicut in gestis, quae de eo 
scripta sunt, legitur, ut sanctam Romanam ecclesiam in antiquum 
statum et ordinem reformaret. (Wohl eine Anfpielung auf den Bericht des 
Papftbuches zum 3, 774). 

#® Ludovicus — patrium solium adeo religione imitatus, ut erga 
praelatam principalem ecclosiam libertatis insignia pius natus aequi- 
pararet et roboraret. 

6 Karolus vero, de quo Schle sermo est, — non solum monu- 
menta progenitorum — alacriter acquiparavit, verum etiam omne avi- 
tum studium vieit, et universum paternum certamen in causa reli- 
atque justitiae superavit, ecclesias videlicet domini opibus 

itans, sacerdotes ejus honorans. 

” Nisi enim nos talem ejus cognovissemus intentionem, nunquam 
animus noster fieret tam promptus ad ipsius promotionem. 


446 


Das verfchlimmerte übrigens Johanns Lage nicht viel. Der Weft- 
franfe, der nicht die geringfte Thatkraft bejeffen Hatte, war ihm feine 
Stüte gewefen. Als gewandter Diplomat, der er war, wußte fid 
der Papft gleich zu faffen: er bot nunmehr feinerjeit8 dem neuen 
Prätendenten die Kaiferfrone an, wenn er auf feine Bedingungen 
eingehen wollte. Legaten überbrachten da8 Document, das der Fünftige 
imperator zu unterzeichnen hätte!. 

Für feine Perfon wäre vielleicht Karlnann zu beftimmen ges 
wefen, dem Papfte den Willen zu thun; die Partei aber, die ſich nad) 
ihm nannte, war feineswegs gemeint, fich dies gefallen zu laffen; das 
hätte ja geheißen, fich ſelbſt aufgeben. 

Rarlmann kehrte, von unheilbarer Krankheit ergriffen, nach Baiern 
zurüd, ohne feine Abficht erreicht zu haben. 

Aber im Frühjahr 878 drangen Yambert von Spoleto und Wido 
von QTuscien mit gewaffneter Hand in Rom ein, und ließen Karl— 
mann, als fünftigen Kaifer Treue ſchwören?; e8 wiederholten fich die 
Auftritte von 864; die Proceffionen, die wieder in Scene gejetst 
werben follten, wurden auseinander gejagt; durch dreißig Tage blieb 
Rom in diefer Weiſe beſetzt; dann zogen die Herzoge wieder ab®. 

Man fieht, in welche verzweifelte Lage die römische Kirche durch 
die Bolitif ihrer Vorfteher gerathen war; aus den Händen der Kaiſer, 
welhe Rom „aus Ehrfurdht vor den Hl. Apofteln“ immer doch mit 
einem gewiſſen Anftande behandelt hatten, war man in die der Großen 
gefallen, deren Triebfeder vor allem der Eigennutz war: ftatt Eines 
Herrn hatte man ihrer viele, die fih nun in den Patrimonien per 
as et nefas einzurichten fuchten ®. 


ı Johann an Karlmann November 877, Mansi XVII, 53: De causa 
sane vestriad nos adventus vestraque sublimissima promissione, Romanae 
ecclesiae super omnes, qui fuerunt ante vos, ejusdem exaltatione: — 
legatos ex latere nostro ad vos solemniter dirigemus, 
cumque pagina, capitulariter continente, quae vos matri 
vestrae Romanae ecclesiae vestroque protectori, b. Pe- 
tro, perpetualiter debetis concedere. 

?2 Bgl. die Ann. Fuld. ad a. 878 (Mon. Germ, SS.I, 392), die hier fehr 
gut berichtet find. 

Bol. den Brief des Papftes an Fohann von Ravenna, Mansi XVII, 72. 
Es ift intereffant, den Bericht befjelben mit dem des Libellus über das 9. 864 
zu vergleichen. 

* Sohann VII. auf der Synode von Ravenna 877: interdicimus, 
ut amodo deinceps nullus quilibet homo petat patrimonia sanctae 
nostrae ecclesiae: Appiae vid. et Lavicanense, vel Campaninum, Ti- 
burtinum, Theatinum, utrumque Sabinense et Tusciae, porticum sancti 
Petri, monetam Romanam, ordinaria et actionarica publica, ripam, 
portus, et Ostiam; c. 15. (Mansi XVIl, 339). C. 17 S. 340: ut amodo 
et deinceps nullus — homo monasteria, cortes, massas et salas, tam 
per Ravennam et Pentapolim et Aemiliam, quam et per Tusciam 
Romanorum atque Langobardorum et omne territorium s. Petri a 
stoli constitutas praesumat beneficiali more, aut scripto aut aliquo- 
libet more petere, recipere vel conferre. 


447 


Aber mit der ihm eigenen Zähigkeit hat Johann die einmal eins 
geichlagene Politik bis aufs äußerste feitgehalten: fobald er wieder frei 
mar, interdicierte er Rom und hinderte die Wallfahrt zu den Schwellen 
der Apoftel, was die ganze chriſtliche Welt in Aufregung verſetzen 
mußte; dann ſchiffte er ſich nach Frankreich ein, um wie im vorigen 
Jahrhundert Stephan, Zacharias, Hadrian von dort mit einer 
Armee zurückzukehren, welche den Zwecten der römiſchen Kirche ſich 
dienſtbar machte und ſeine Gegner vernichtete !. 

Faſt ein ganzes Jahr hat der Papſt dann im Intereſſe ſeiner 
Politik in Frankreich zugebracht. 

Um den Einen Grundgedanken gruppirt ſich ſein ganzer Brief⸗ 
wechſel: die „Verheißungen“ Pippins und Karls mit Dir eines ber 
Könige durchzuführen, dem er dann dafür die Kaiferfrone zuwenden 
wollte. Zu diefem Zwede galt e8 vor allem, die Herzöge von Tus— 
cien und Spoleto, die auf eigene Fauſt die alte Kaijerpolitif fort- 
jegten, zu demüthigen und desgleichen denjenigen Theil des römischen 
Klerus, der mit Johanus Politik nicht einverſtanden war, öffentlich 
und feierlich durch eine Synode verdammen zu lafjen. 

Der Papſt unterhandelte zu gleicher Zeit mit Yudwig, dem Sopne 
Karls des Kahlen, und den ojtfränfischen Königen: fie alle wurden mit 
ihren Biſchöfen zu einer großen Kirchenverfammlung entboten?. Ne— 
benbei ward gegen Lambert und Wido gehebt; jener Ludwig aber nod) 
befonders ermahnt, in die Fußitapfen feines Vaters zu treten, des 
Gönners der römischen Kirche?. 

Aber in Deutfchland war man taub gegen die Bitten und die 
Befehle des Papftes; weder antwortete man auf feine Briefe, noch kam 
man der Einladung auf die Synode, die am 1. Auguft 878 zu 
Troyes zufammentrat, nad). 

Sp mußte diefe mit den Weftfranfen allein abgehalten werben. 
Mit großem Pomp ward fte gefeiert; K. Ludwig ward gekrönt, um 
jo die Analogie mit den Vorgängen des 8. Jahrhunderts noch auf- 
fallender zu machen. Dann ward zum Streiche ausgeholt, der alle 
Gegner Johanns VIII. mit einem Male niederjchlagen follte. Durd) 
geſchicktes Diplomatifieren wußte der Papſt von der Synode eine 
völlige Billigung feines bisherigen Verhaltens zu erlangen, ohne daß 
die verfammelten Bifchöfe fich defjen ſelbſt Har geworden wären €, 

Lambert von Spoleto und Wido von Tuscien wurden als Feinde 
der Kirche verdammt und ercommuniciert ; jehr allgemein hatte Johann 
die Anklage geitellt, und ebenfo allgemein ließ er darüber bejchliegen: 


ı Zohann felbft fpäter an Berengar von Friaul: In Franciam ivimus, 
quaerentes tranquillitatem atque auxilium, ubi nostri antecessores 
quaesiere pontifices. Bei Mansi XVII, 97. 

2 J. 2364—2366. 

®° Mansi XVII, 75. (J. 2364). 

* Die Aeten der Synode bei Mansi XVII, 345 fi. 


448 


um wenigſtens die Seelen zu retten, ſollten ſie ſchon zeitlich geſtraft 
werden !, 

Es kamen dann allgemein Firchliche Verhältniffe zur Sprache: 
Nachwehen des großen Streite8 zwiſchen Metropoliten und Suffra- 
ganen, der noch immer nicht beigelegt war ?, 

Zum vierten wurden die ‘pervasores eccelesiarum’ excommuni⸗ 
ciert und die darauf bezüglichen Gebote Gottes neuerdings in Erinne— 
rung gebracht ®. 

‚Darauf wurde die Verheißung der Könige ver- 
lefen und die Eidfhwüre, welche Pippin und Karl dem 
hl. Betrus geleiftet Hatten *“. 

Es folgen noch andere Beichlüffe: die Verdammung des Biſchofs 
Formofus von Porto, des vornehmften Gegners Johannes in Rom, ward 
bejtätigt u. f. w.; aber alles gejchieht nur mehr, um die Aufmerf- 
famfeit der Verfammlung von dem Punkte abzulenken, auf den es 
dem Papfte zunächſt und vor allem anfam. Denn daß dies der Fall 
war, zeigt der Umitand, daß Johann gerade darüber zu gleicher Zeit 
mit den Söhnen Ludwigs des Deutfchen unterhandelt; in einem der 
Briefe an Karl III., die dabei gewechfelt wurden, jagt er, indem er 
die Abwefenheit der oftfränfifchen Karolinger von der Synode beflagt, 
e8 geradezu heraus: er jei von Nom nad Frankreich gefommen, um 
fie alle zufammenzuberufen, auf daß fie in Erfüllung brächten, was 
ihre Väter und ihre Großväter der römifchen Kirche verheißen hätten ®. 

Das ift deutlich genug; es ift ganz die Sprache, die durd) die 
Briefe des Codex Carolinus geht, al8 der erjte Hadrian mit Karl 
dem Gr. um diejelben „Verheißungen“ Unterhandlungen pflog, Nur 
tritt Johann VIII. weit ftürmifcher mit feinen Forderungen hervor, 
als dies einft fein Vorgänger gethan Hatte. 

Uebrigens erreichte der Papft feinen Zweck nit. K. Ludwig 
erfranfte und ift bald darauf geftorben; fo fam der Zug nad) Ita— 
lien, der projectirt war, nicht zu Stande. Mit Hilfe Boſos von 
Provence trat Johann den Heimmeg über die Alpen an. Es be— 
durfte feiner ganzen Schlangenflugheit, um glücklich durch das Gemwühle 
der Parteien, das Ober-Italien erfüllte, hindurchzulavieren; einen 
Gegner hetzte er gegen den anderen, ben Biſchof von Pavia gegen den 
Erzbifchof von Mailand, die Navennater gegen den „verfluchten Lam— 


ı TUt digna ultione temporaliter puniti spiritu salvi sint in die 
domini nostrı Jesu Christi ; 1. c. 348. 

2 Actio III» 

8 Actio IVa, 

* Deinde promissio regum lecta est, et sacrämenta, 
quae Pippinus et Carolus obtulerunt b. Petro, lectasunt; 
l. c. 347. 

5 Mansi XVII, 92 (J. 2412): ab urbe et Romana sede in Fran- 
ciam venimus; omnes vos — convocare, ut pactum, quod avi et 
patres vestri sanctae Romanae ecclesiae jurejurando 
promiserunt, adimplere contenderetis. 


449 


bert u. ſ. w., während er zugleich mit beiden Theilen freundfchaftliche 
Briefe wechfelte. So kam Yohann wieder nah) Rom zurück. 

So viel Hatte er gefehen, auf eigene Fauft werde er nimmer— 
mehr durchzudringen vermögen. Jetzt nach dem Tode Ludwigs von 
Weitfranfen, wo in defjen Weiche völlige Anarchie eintrat, ſuchte er 
fi) der oſtfränkiſchen Partei zu nähern: nur auf ſeinen Bedingungen 
beſtand er mit eiſerner Conſequenz. 

Als im Sommer des Jahres 879 Karl III. über die Alpen 
zog, die Erbſchaft des Bruders anzutreten, kam ihm der Papſt bis 
Ravenna entgegen, auf daß ihm die Zugeſtändniſſe Karla d. K. er— 
neuert würden !. 

Aber auch Rarl III, mochte er num perjönlich wollen oder nicht: 
gab er den Anträgen Yohanns Gehör, fo Hatte er feine eigenen An= 
hänger gegen fi. Indem er diejelben abfchlug, erlitt feine Krönung 
zum Kaiſer einen Aufſchub. Das ganze folgende Jahr vergieng noch 
unter Verhandlungen ?; fie führten zu feinem Ziele. 

Endlich ermannte fid) Karl und that, was der Papft längſt ge- 
fürchtet hatte. Ohne fid) um deſſen Forderungen weiter zu kümmern, 
marjchierte er Anfangs 881 auf Rom los. Wergebens fchickte ihm 
der aus feiner Ruhe aufgefchredte Johann feine Legaten entgegen: 
er folle nicht wagen die Grenzmarken S. Peter8 zu überfchreiten, 
bevor nicht die näheren Verbindlichkeiten feftgeftellt feien; vergebens 
war es, daß er diefe „in Kapitel eingetheilt *" — es war noch immer 
das alte Document — gleid) beilegte ; der König ließ ſich nicht Tänger 
aufhalten; er rücdte in die Stadt ein, und Johann mußte ihm nun 
wider feinen Willen zum Kaifer frönen (Februar oder März 881). 

Das pactum Karls des Kahlen ift nicht mehr erneuert worden ; 
er wurde von der neuen Regierung als Ufurpator betrachtet: Karl IIL 
ſowohl wie die Spoletiner* und Arnulf, der lette der Karolingiſchen 


* Yohann an Karl zu Anfang 880 (vgl. Dümmler IT, 112 gegen Jaffe, 
Reg. 2507) Mansi XVII, 161: a longo jam tempore vos ad culmen im- 
perii volentes perducere vocavimus, ac postmodum ad vos Ravennam 
pervenimus, sperantes honorem s. Romanae ecclesiae severitatem com- 
primere; sed quia de his nihil apud magnitudinem peregimus, rever- 
tentes (Romam) prioribus pejora reperimus. Karl hatte die Herzöge von 
Spoleto und Zuscien mit der Beſchützung der römischen Kirche beauftragt 
(J. 2539), womit Johann allerdings nicht gedient war, 

» J. 2542. 2545. 2548. 

s Johann an Karl, 881. San. 25, Mansi XVII, 191 (J. 2556): 
susceptis literis gloriae vestrae, quibus vos monstratis ad limina apo- 
stolorum precipiti gressu et; velle convolare, attoniti, vel magis stupe- 
facti — legatos sane a latere nostro plene instructos direximus, qui- 
bus omnia ad purum credere non ambigatis in his, quae verbotenus 
et scriptis capitulariter dedimus in mandatis. (Bgl. oben 446 Anm. 1). 
Die bisher entichieden ablehnende Haltung des Föniglichen Hofes — man hatte 
die Forderungen Johanns für „abjurd” erklärt — erzürnte dieſen befonders: 
Quod jussionem nostri pontificii ingenti praesumptione ‘absurdam’ 
posuisti, omnimodis temet ipsum proprio jaculo en i. 

BVBgl. die Synode von Ravenna 898, Mansi XVIII, 23 


450° 


Raifer T, die — einander zur Herrſchaft kamen, ſuchten die alten 
Kaiſerrechte in vollem Umfange zu üben. 

Aber ſchon war der ganze frühere Rechtszuſtand durch die Er— 
eigniſſe der letzten Jahre über den Haufen geworfen: der römiſche 
Adel, die Herzöge von Spoleto und Tuscien hatten während jener 
kaiſerloſen Zeiten, die dem Tode Ludwigs II. folgten, ſelbſt ihre Sache 
geführt; was fie gewonnen, wollten fie nicht mehr herausgeben. 

Papft Johann VIII. felbft fiel zuletst feinen Gegnern zum Opfer ; 
feine eigenen Verwandten haben zum Morde die Hand geliehen. 

Das war das Ende eines Papſtes, der mehr Politiker als 
Priejter gewefen war, der ebenbürtige Nachfolger von Nicolaus I. und 
Hadrian II, von deſſen raftlofer Thätigfeit und den Zielen, die er 
verfolgte, wir faft nichts wiffen würden, wenn nicht das Geſchick, 
oder wenn man will der Zufall?, zwei Monumente derſelben Hinter- 
lajjen hätte: feine Briefe und den Libellus. 

Und zwar fo, daß fich beide Quellen ergänzen: ber Libellus 
lehrt uns den Schlüffel der Situation kennen, durch den allein wir 
im Stande find, in dem Briefwechjel Spreu vom Waizen, den wirfe 
lichen Gehalt vom diplomatischen Flosfelwerf zu fcheiden. Diefer zeigt 
uns hinwieder, durch welches Labyrinth von politifchen Schadhzügen 
P. Johann VIII. einen höchſt einfachen Gedanken zu realifieren den 
Verſuch machte. 

Dies Verhältnis ift bisher nicht, oder doch nicht fcharf genug 
firiert gemwejen. Ueber die Glaubwürdigkeit der Angabe des Libellus 
herrichten Zweifel. Eigentlich) hat fie zulest nur Gfrörer ver- 
fochten®; freilich mit Hinblid auf die Verhältniffe von Capua, 
was feineswegs beweijend wäre*. Giefebredht nahm die Schenkung 
beiläufig als geichehen an; aber jehr entichieden ſprach ſich dagegen 
Dümmler aus®; er erklärte diefe Nachricht eines „fpäteren Schrift- 
jtelfers“ für „Sicherlich außerordentlich übertrieben“ ; fein Zeitgenoffe 
berichte darüber. 

Dabei war nur überfehen, daß diefer jpätere Autor auch fonft 
über Dinge unterrichtet ift, welche anderen zeitgenöffiichen Ehroniften un= 
befannt geblieben find, und dann, wie ſchon einmal angedeutet, das 
(ocale Moment, das in der Hiftoriographie des Mittelalters fo fehr 
in die Wagfchale fällt. In Fulda, Rheims, Trier fonnte man recht 
gut über Dinge im Unklaren bleiben, die man zu Ravenna 5. D. 


1 Bol. den Eid, den er die Römer ſchwören ließ, Ann. Fuld. ad a. 
896, Mon. Germ. SS. I, 412. 

2 Sohanns VIII. Eorrefpondenz ift uns nur in einer einzigen Handjchrift 
(Eopie des XI. Jahrhunderts aus Monte Eafino) erhalten. Vgl. Gieſebrecht, 
Allg. Monatſchr. 1852, ©. 107, 

3 Zuletzt Gregor VII. Bd. V, 78. 

+ Bol. Ficker, It. Forſchungen II, 357 RN. 7. 

5 Kaiſerzeit I, 450. 

° Bol. Oftfränf. Reich I, 835. Vgl. aud) Gesta Berengarii imp., 
135 Am, 2; Augilius und Bulgarius S. 7 f. 


451 


genau wußte. Denn hier handelte e8 ſich um die nächften Intereſſen, 
während man dort nur für dem großen Gang der Creigniffe einen 
Sinn hatte. Ä 

Die Angabe des Libellus ftimmt völlig zu dem, was die Reden 
und die Briefe P. Yohanns VIII., die Hauptquelle zur Geſchichte 
dejjelben, da das Papſtbuch verjfagt, uns Fund thun. Der Inhalt 
de pactum von 875, wie ihn der Libellus gibt, ergänzt jo ziem— 
ih das alte pactum der römischen Kirche, das auf die Bejtim- 
mungen von 817 und 824 zurücgeht, zu dem Umfange der „Vers 
heißungen“ von 754 und 774, wie wir diefelben aus dem Codex 
Carolinus fowol, wie aus dem Berichte der Vita Hadriani des 
Liber pontificalis! fennen. Nur daß hier den unbejtimmteren 
Ausdrüden der ‘promissio’, welche immerhin verjchiedene Deutung 
zuließen, jetzt eine fehr beftimmte Exegefe zu Theil geworden war ?, 

Wir jehen, worauf alles anfanı; der Libellus gibt die Differenz- 
punfte zwifchen den päpftlichrömifchen und den faiferlichen (königlichen) 
Anfprüchen: die Legationen, die Beauffichtigung der Papſtwahl, die 
eremte Stellung der Abteien in der Sabina; hierzu das Verhältnis, 
in dem das Herzogthum Spoleto, das inmitten der ftreitenden Parteien 
gelegen war, beiden gegenüber fi) befand. Mindeſtens zur Zeit, da 
der Libellus gejchrieben wurde, Hat man darauf wieder das größte 
Gewicht gelegt; wenn man bedenkt, welche Rolle die Spoletiner jene 
ganze Zeit hindurch in der Geſchichte Roms gefpielt Haben, wird man 
dies vollkommen gerechtfertigt finden. 

In dem Kampfe, der die Anfänge des Kirchenftaates erfüllt, 
handelte e8 fich immer wieder um den Inhalt jener Verträge, die wir 
hier beiprochen haben. Auf Seiten des Papſtthums ftütte man jich 
hierbei zunächſt auf jene Preisgebung der Neichsrechte duch Karl 
den Kahlen; in den fpäteren Zeiten erft gieng man wieder direct auf 
jene „Verheißungen“ zurüd. Der Kaifer Hingegen nahm die Rechte in 
Anfpruch, welche ihn kraft der Constitutio Romana vom %. 824 
zuftanden; daneben famen die fonftigen Bejtimmungen des Privilegs 
der römischen Kirche vom %. 817, das von den fpäteren Herrichern 
erneuert zu werden pflegte, in Betracht. 


: II, 193 ed. Vignoli. Was hier gejagt ift, hat bereit8 Borgia, Breve 
historia del dominio della santa sede ©. 48 ff., nachzuweiſen geſucht. 
Si riduca pertanto il detto di Eutropio, ancorch® alquanto intraleiato 
e confuso, ad una ampia conferma della donazione di Carlo M., e 
questa senza riserba ed alla cessione delle consuetudini de’ messi e 
giuramenti e tutto sar& chiaro e manifesto; ©. 60. 

2 Das Haben weder Delsner, Jahrbücher Pippins 497 ff., noch Abel, 
Korfungen zur Deutichen Geſchichte I, 469 ff. und Jahrbücher Karls d. Gr. 

‚ 131, bei Beſprechung der „Verheißungen“ beachtet. Bol. übrigens Ficker, 
It. Forſchungen II, 8. 346 und den Nachtrag hierzu im 3. Bande, Borgia 
a. 0. D. ©. 61 meint wohl nit mit Unrecht: Da si fatta maniera di 
scrivere quasi se ne potrebbe arguire che Eutropio avesse alle mani 
una qualche copia dei diplomi, che Carlo allora diede al Pontefice. 


452 


‚ „Darum drehten fich die Aufprüche und die Gewährungen und 
die Kämpfe der folgenden Jahrhunderte. 


Noch einmal taucht in der Gejchichte der Libellus auf; es ift 
dies in einer höchſt merkwürdigen Urkunde K. Ottos III. für P. 
Sylveſter II., der das Programm des Namens, unter dem er ©. 
Petrus’ Stuhl beftiegen hatte, zur Wahrheit machen wollte und zur 
Begründung feiner Ansprüche auf die Schenkung Conftantins und 
auf das pactum Karls des Kahlen fich berief. 

Das Document, um das e8 fich hier handelt, ftammt aus den 
päpftlichen Archiven felbft. Man fennt die Wanderungen, die ein 
großer Theil von dieſen in Folge der Veberfiedelung der Curie nad) 
Avignon durchzumachen gehabt Hat. Als man dann wieder nad) Nom 
zurückkehrte, blieb manches Actenſtück aus Unachtfamfeit in Frankreich 
zurück. Und in diefe Klaffe gehört auch die Urkunde Ottos III. für 
Sylveſter II. 

Im %. 1339 ward von P. Benedict XII. der Notar Amelio 
nach Aſſiſi geſchickt, um Abfchriften von Aftenftücen zu nehmen, die 
man gerade nöthig hatte!. Die Abfchriften follten notariell beglaubigt 
werden, um vor Gericht diefelbe Geltung zu Haben, wie das Original. 
Die Commiſſion fand bei ihren Nachforſchungen auch ein Privileg, an 
deſſen Pergament eine Beibulle hieng. Diefe trug auf der einen 
Seite die Umfchrift “Ottho Imperator Romanorum’, auf der an= 
deren ein Menfchenhaupt ‘cum pilis erispis et cum spatulis’ mit 
der Umfchrift ‘Aurea Roma’, 

Daher war die Urkunde wieder befannt geworden. Dietrich von 
Niem hat fie einmal angeführt, und auch der Franzofe Bodin fannte 
fie wenigftens im Auszuge aus den Negeitenbüchern des Vatikans. 
Eigentlich ans Tageslicht gezogen aber wurde fie erft am Anfang des 
17. Jahrhunderts durch Baronius und einen ungenannten Autor, 
der im %. 1607 darüber eine Monographie veröffentlichte, die von ihn 
polemijch gegen das Papjtthum zugefpist und dem Dogen von Ve— 
nedig gewidmet wurde. 

Zugleich fprac ſich Baronius gegen die Authenticität des Do= 
cumentes aus; denn die Schenkung Conjtantins, jo behauptete er, 


Bol. die Vollmacht des Papftes: Cum certis privilegiis, registris, 
libris et scripturis ecclesiam Romanam tangentibus, quae in thesauro 
ejusdem ecclesiae, qui conservatur in civitate Assisi, existunt, pro qui- 
busdam incumbentibus ad praesens ecclesine memorate negotiis egea- 
mus u. ſ. w. Bol. Bethmann, Arch. der Gefellichaft XII, 203. 

2 Bericht Amelios bei Baronius, Ann. eccl. ad a. 1191, und dem 
Anonymus von 1607 S. 1 fi. Auf die Abdrücke diefer beiden Autoren gehen 
alle fpäteren der Urkunde zurücd. Dem des Anonymus folgen Goldast, Constit. 
imp.I, 226; Lünig, Reichsarch. XV, 140; Leibniz, Ann. imp. Ill, 721. An 
Baronius Schließen ſich an Pertz, Mon. Germ. LL. IIb, 862; Watterich, Vit. 
Pontif. I, 695. Die hauptfächlichfte Abweichung befteht darin, daß die erftere 
Recenfion als Ausftellungsort ‘Romae’ angibt, während die zweite die Datierung 
fortläßt. Stumpf fetst fie nad) Ravenna auf den 24. April 1001. 


453 


jei von Seite des Papſtthums zuerjt von Leo IX. vorgebracht worben ; 
zudem ftieß er jich an jener Stelle, welche den einen Karl durd) einen 
zweiten vertrieben werden lieg — den Libellus kannte Baronius 
nicht. Auch die Aeußerlichfeiten der Urkunde erwedten ihm Be— 
denfen. j 

Der Anonymus widerlegte diefe Einwendungen mit guten 
Gründen; er wies nad), daß Dtto III. aud font Bleibulfen be- 
nußte und desgleichen den Zitel ‘servus apostolorum’ führte, Zu— 
gleich machte er auf die Uebereinjtiinmung der Angabe des Libellus 
mit jener der Urkunde aufmerkſam, ohne aber auf eine Abhängigkeit 
beider von einander Schlüffe zu ziehen !. 

Seitdem ift die ganze Trage noch öfter erörtert worden. Perk 
ließ die Urkunde und den Libellus gleichzeitig unter Otto III. ver- 
faßt fein, letzteren nämlich als Apologie des Inhaltes der erfteren ?; 
Wilmans kam wieder auf die Anfichten des Baronius zurüd und 
hielt die Urkunde für gefälſcht mit Zuhülfenahme des Libellus; dafür 
hat ſich noch neuerdings Olleris erklärt”, jo daß Baxmann wieder 
alles dahingeftellt fein ließ“. Doc ift zulet bei den bedeutendften 
Vorfhern ? die Echtheit der Urkunde anerfaunt, diefelbe von Stumpf 
in die Negeften der Kaifer als authentifh und unverfälfcht aufge 
nommen worden ®, 

Denn allerdings, meint Giefebrecht, müſſe e8 befremben, dag man 
in der Faiferlichen Kanzlei den Libellus gebraucht habe, um eine Ur- 
funde zu concipieren. (Daß dies am Ende doch nicht fo befremdend 
ift, zeigt ein früher angeführtes Beiſpiel). Gleichwol fei es unmög— 
li eine Fälſchung anzunehmen; denn diefe müßte dann fehon zu 
Ottos III. Zeiten, oder unter den Augen Sylvejter IL felbjt ge- 
jchehen fein, zu welder Annahme nichts berechtige; der Fäljcher 
hätte außer dem Libellus auch noch die Gerbertiche Briefſammlung 
und die Geheimniffe der Kanzlei Dttos III. fennen müffen?, 

So fpreden äußere wie innere Gründe für die Echtheit der 
Urkunde. Die Sonderlichfeiten, die in derfelben vorkommen, muß 
man eben den originalen Naturen, die damals Papſtthum und Kaiſer— 
thum vertraten, zu Gute halten ®, 


! Othonis III. Imp. Donatio Sylvestro II. papae facta, S. 31 ff. 
2Mon. Germ. LL. IIb, 162. SS. III, 696. 
® Öeuvres de Gerbert, 1868, ©. 551. 

*Politik der Päpfte II, 68, 

Bgl. Gfrörer zuletzt Gregor VII. Bb. V, 892. Giefebrecht, Kaiferzeit 
I, 727 f. 851; ©regorovius, Geſchichte der Stadt Rom III, 502 f.; Döllinger, 
Kirche und Kirchen, Papſtthum und Kirchenſtaat S. 502; Fider, St. Forſchungen 
I, 319 Anm. 6. Wegen der Erwähnung der Schenkung Conftantins und ihrer 
Ausftattung mit Soldichrift vgl, Döllinger, Papftfabeln, 70 und Wattenbach, 
Schriftweſen 150. 

° Reichskanzler II, 1, Reg. Nr. 1256. 

” Für uns würde die Urkunde zunächſt dafjelbe Intereffe haben, wenn fie 
eine Falſchung wäre: gerade wegen ihrer Beziehungen zum Libellus. 

Wilmans, Jahrb. Otto III. ©. 242, nahm an dem Ausdruck ordinare, 

den der Kaifer gebraucht, Anftoß; aber diefelbe Phrafe findet fid) bei Schrift. 


454 


Wenden wir uns zum Inhalte der Urkunde, fo fällt es auf, 
wie manches in Form und Zuhalt an den Libellus erinnert. Wieder 
finden wir die feierliche Ginleitung, in der der Ausjteller fich zur 
Orthodoxie befennt; der fatholifche Staat des Mittelalters kündigt 
fih) an; die Frage, um die es ſich handelt, it die gleiche; auch hier 
fagt der Kaifer dem Papftthum bittere Wahrheiten; aber zuletzt wird 
doc) eingelenft, und wozu Otto III. fich jchon früher bereit erklärt 
hatte?, führt er jett aus, indem eran Sylveſter die acht Comitate der 
Pentapolis vergibt. 

Nur ward den Ansprüchen des Papftes gegenüber, die fich auf 

die Schenkung Conftantins und auf jene® pactum, das einjt Karl 
der Kahle geichloffen, jtüten und das Kaiſerthum als eine auswärtige, 
höchſtens coordinierte Macht betrachteten, die in Bezug auf das Papft- 
thum wohl Pflichten, aber feine Rechte hatte — diefen Ansprüchen 
gegenüber ward von Otto III. energifch betont, daß Rom und fein 
Gebiet Boden des Reiches fei, daß er den Papft eingejettt hätte, daf 
er hier verleihen und auch wieder nehmen könne; wenn er jene Graf- 
fchaften dem hl. Petrus übergebe, fo gejchehe dies nicht, weil er etwa 
hierzu verpflichtet wäre, fondern aus freiem Entjchluffe, aus Liebe zu 
feinem „ehren, dem Papſte, zur Ehre Gotte8 und des Apoftel- 
ürften *, 
Es entſprach das ganz der Politif der Ottonen und des Kaiſer— 
thums, das fie begründet hatten. Das deutiche Königthum war im 
engften Bunde mit dem Episcopate des Reiches erjt der Herzöge 
Herr geworden; um aber auch der Biſchöfe Meifter zu bleiben, mußte 
man nothwendig das Haupt der abendländifchen Kirche, den römischen 
Papft, in feiner Gewalt haben; man mußte die Rechte wieder an fid) 
nehmen, welche einft die Karolinger über denjelben gelibt. 

Innerhalb diefer Grenzen konnte man dem Papſtthum immerhin 
jegliche Freiheit geftatten; der Wiederherftellung der terra s. Petri, 
wenn nur die Faijerlichen Hoheitsrechte über diejelbe gewahrt blieben, 


ftellern wie Lintprand, Gesta Ottonis c. 8. — Ebenſo fpäter bei Bo— 
nitho und Peter Damiani; vgl. Lorenz, Papſtwahl und Kaijertfum ©. 73. 
Johanu VII. gebraucht fie in umgefehrtem Sinne und erwähnt Karls d. 8. 
‘a nobis electi et ordinati principis’; Mansi XVII, 236. 

2 Bol. feinen Brief bei Olleris, Oeuvres de Gerbert epist. 217. 
(Dlleris interpungirt, nebenbei bemerkt, wie Fider, It. Forſchungen II, 318). 
Man vgl. aud) epist. 220 über die allgemeinen Abmachungen bezüglich der Herr- 
ſchaft im kirchlichen Gebiete. 

Ex nostra liberalitate s. Petro, quae nostra sunt, non sibi, quae 
sua sunt, veluti nostra conferimus; octo igitur comitatus pro amore — 
Silvestri papae s. Petro offerimus et donamus, ut ad honorem dei et 
s. Petri cum sua et nostra salute habeat et teneat et ad incrementa 
sui apostolatus nostrique imperii ordinet. Daß dabei der Libellus citiert 
wurde, zeigt eben, daß die Staatsdoltrin der Dttonen bezüglich des Kirchen⸗ 
ftaates durch denfelben ihren beften Ausdrud fand. In der That hat Dito III. 
dem Gegenpapfte, den die Nömer erhoben hatten, jo ziemlich diefelbe Strafe an— 
— laſſen, welche nach dem Berichte des Libellus einſt Silverius durch 

eliſar erlitten hatte. 


‘455 


ftand in diefer Hinficht nichts im Wege. Kaijer Otto I. hatte das 
Privileg der römischen Kirche von 817/824 bejtätigt; im J. 967 
jtellte er demgemäß auch wieder ihre Hoheit über Navenna und an— 
dere lange verloren gegangene Befigungen wieder her!; freilich gieng 
„bei der Sorglofigfeit und Unwiſſenheit“ der folgenden Päpſte — 
wie Otto III. bemerft — Alles wieder verloren, indem fie „nicht 
nur was fie außerhalb der Stadt beſaßen verkauften und verjchleu- 
derten, fondern aud in Rom felbft, um fid) leichter gehen lajjen zu 
fönnen, S. Peters Eigen für Geld Hingaben“. So ward die Beftä- 
tigung der päpftlichen Privilegien illuſoriſch gemacht ?. 

Wie daneben dennoch die Fabel von der Schenkung Conjtanting 
und die Erinnerung an das pactum Karls d. 8. fi) erhielt, haben 
wir eben gejehen. 

Es iſt fehr merkwürdig, daß man im Zeitalter Hildebrands und 
feiner nächſten Nachfolger, da das Papſtthum aufs Neue fich erhob 
und alle jeine Rechtstitel, die auf jene Zeit überliefert waren, wieder 
zur Geltung brachte, ſich dabei wohl auf Konjtantin, auf die „Ver— 
heißungen“ Pippins und Karls, auch auf das pactum Ludwigs des 
Frommen berief, niemal® mehr auf die Schenfung Karls d. K. 
Rücfiht nahm, weder auf kirchlicher noch auf faiferlicher Seite?: 


1 gl. Contin. Reg. ad a. 967, Mon. Germ. SS. I, 628. 

2 rk. Ottos III.: non solum quae extra urbem esse videbantur 
vendiderunt, et quibusdam colluviis (colludiis, Anonymus v. 1607) a 
lare s. Petri alienaverunt, sed — si quid in hac nostra Urbe regia 
habuerunt, ut majori licentia evagarentur, omnibus cum vindicante 
(mediante, Anon.) pecunia in commune dederunt .... Confusis vero 
papaticis legibus u. |. w. 

s Namentlich für das Herzogthum Spoleto würde fich hierbei ein wichtiger 
Präcedenzfall ergeben haben; denn die Anficht von Fider, It. Forſchungen II, 
321 f., der aud) Janus ©. 151 beiftimmt — die Autorität Dümmlers veran- 
lafte, von den Angaben des Libellus völlig abzufehen —, daß feit deu Tagen 
Karls d. Gr. bis auf Gregor VII. nie von päpftlicher Seite auf Spoleto ein 
Anſpruch erhoben worden wäre, ift zu modificieren. Die drei Pontificate Nico- 
laus I., Hadrians III., Johanns VIIL find in jeder Hinficht als die Vorläufer 
und die Vorbilder Hildebrands anzufehen: in der firhenftaatlihen nit 
weniger als in der firhlihen Politik. (Auch daß Silvefter II. auf 
das, was einft Johaun VIII. erreicht Hatte, zurückkommt, ift zu beachten). Daß 
auch S. Salvator unter den alten Anſprüchen der römischen Kirche mit inbe- 
griffen war, zeigt aber das Zinsbuch derjelben, wie e8 damals vom Cardinaf 
Deusdedit zufammengeftellt, nahmal® von dem Kämmerer Cencius in feine Re— 
daction übernommen wurde: Item monasterium Sublacense et Salvatoris 
apud Reate et Farfense juris b. Petri sunt, quoniam in ejus pa- 
trimonio et territorio — sita sunt. Borgia, Dominio della santa sede, 
App. ©. 4. Muratori, Antiqu. V, 828 f. Bgl. Murat. ©. 901 bie no- 
mina abbatiarum et canonicarum regularium sancti Petri in Italia, 
wo an der Epite von den Soracteflöftern S. Sylveſter mit aufgezählt wird: 
Monasterium s. Silvestri in monte Soracte. Monasterium 
Farfense. Monasterium s. Salvatoris in Reate. 6, Andrea am 
Soracte ſcheint erft im zehnten Jahrhundert in den Vordergrund getreten zu 
fein; wo wir e8 aus dem Libellus und Benedict kennen lernen; das möchte wol 
für das Zurüdgehen jener päpftlichen Aufzeichnungen auf das Ende des 8., den 


456 


der Libellus blieb von da an vericholfen. Hätten wir noch bie 
Handihrift, die einjt dem Flacins vorlag, jo wiirde vielleicht aus 
deren Alter und ihrer Herkunft in diefer Beziehung fi ein Schluß 
ziehen laffen ; denn an das Licht gekommen ift unfer Schriftſtück erft 
wieder, als neuerdings eine große Partei gegen das Papftthun ich 
erhoben hatte und für ihre Oppofition nad) Rechtstiteln in der Ver— 
gangenheit ſuchte. Habent sua fata libelli. 


Anfang des 9. Jahrhunderts beweifend fein, daS. Sylvefter au im Cod. Carol. 
als Hauptllofter am Soracte erſcheint. Bei Borgia fteht furz zuvor (S. 3), daß 
Adrianus papa obtinuit a Carolo rege Francorum et patricio Roma- 
norum, was Pippin „verheißen“, darunter necnon et cunctum ducatum 
Spoletanum, seu Beneventanum,. Es waren durdaus bie Anjprüche ver 
Karolingerzeit, die man wieder ermeuerte, 


Die Sachfenchronit und ihr Verfaffer. 


Bon 


£. Weiland. 


XIV. 31 


r 
\ 





Im dreizehnten Bande der Forfchungen Habe ich verjucht der 
Kritif der Sachſenchronik durd eingehende Erörterung mehrerer feit 
her nicht Herangezogener Quellen eine neue Grundlage zu fchaffen. 
Daß diefe Grundlage, da mit unbefannten Größen, den verlorenen 
Lebensbeichreibungen der Magdeburger Erzbifchöfe und der verlorenen 
Chronik Albert von Stade, gerechnet werden mußte, eine recht un= 
genügende, ſchwankende für die Sicherung weiterer Fritifcher Reſultate 
jei, konnte ich mir damals fchon nicht verhehlen. Und in der That 
find diefer Umftand fowie der faſt unbegreiflih wirre Zuftand der 
verjchiedenen Handfchriftlich erhaltenen Recenſionen des Werfes die 
Hauptgründe, welche mich zu bejtimmten, befriedigenden Reſultaten 
über Kompofition, Abfafjungszeit und Verfaſſer nicht haben gelangen 
laſſen. Es ſchien daher geboten, die Unterfuhung über diefe Punfte 
eingehend darzulegen, feine Schwierigkeit zu verfchweigen, um mit der 
troftlofen Frucht langer Arbeit zu fchließen: daß wir nichts wiſſen 
können. Sollte e8 Anderen gelingen, mit Hülfe der bier gegebenen 
Anhaltspunkte zu beftimmteren, annehmbareren Refultaten zu gelangen, 
jo würde ic) befriedigt jein, nicht vergebens gearbeitet zu haben. 


1. Verſchiedene Recenfionen. 


Um zur Klarheit zu gelangen über das ——— der verſchie⸗ 
denen Recenſionen der Sachſenchronik (8.), ſoll von den augen— 
fälligſten Unterſcheidungsmerkmalen ausgegangen werden. 

In Bauſch und Bogen betrachtet ſcheiden ſich die vorhandenen 
Handſchriften leicht im drei größere Gruppen, innerhalb welcher ſich 
jpäter wieder Heinere zufammengehörige Kreife abfondern werden: 

A. fürzefte Recenfion. Dieje enthalten: 

Wolfenbüttel Aug. 23,8. (Mafmann WW!) 
Münden germ. 55. (M.) 
Wien 2695. (w!.) 
elberg 525. (h.) 
anffurt. (F.) 
Münden germ. 327. (m? und M?.) 


np m 


31* 


460 


7. Auffeß, jett nicht mehr aufzufinden. (A.) 

8. Münden 3959 (nicht 570 wie Maßmann angibt) enthält 
nur den Anfang bis Yulius Cäſar. (m!.) 

9. T. D. Weigel in Leipzig. 

10. Wolfenbüttel Aug. 83,12. (W®.) 
11. Berlin germ. 4°. 284. (b.) 
12. Hamburg hist. univ. 10°. (H.) ine Abſchrift diefer 
Handſchrift ift Wien 2917. (w?.). 
B. Mittlere Recenfion enthalten in: 

13. Petersburg. Fragment umfaffend Marimian, Diocletian 
und einen Theil von Conftantin, abgedrudt bei Minzloff, Die alt- 
deutſchen Handjchriften der kaiſ. öffentl. Bibliothek zu St. Petersburg, 
1853, ©. 82—88. (p im Verzeichniß, P in den Varianten). 

14. Kopenhagen 1978. 4°. (K!. 
15. Leipzig 1308. Lateinische Ueberfegung. (L.) 
16. Bremen a. 23. (Br.) 
17. Berlin germ. fol. 129. (B.) 
C. Weiteſte Recenfion enthalten in: 
18. Dresden J. 54d. (d. 
19. Hannover XI, 674 (von Maßmann nicht gekannt). 
20. Straßburg, untergegangen. (S. 
21. Bommersfelde 2723. (P.) 
22. Kopenhagen AKS. 457. (K?.) 
23. Wolfenbüttel Aug. 44, 19. (W?.) 
24. Gotha I, 90. (G.) . 

Der durchſchlagendſte Unterfchied zwifchen A. und B. einerfeits, 
und C. andererjeit8 num findet ftatt bei dem Texte der Kaiſer Hein- 
rich V. bis Friedrih I. bis zum Jahre 1177. Gegenüber der 
Maffe, welche hier C. in ziemlich genauem Anfchluffe an die Pöhlder 
Annalen (P.) oder Effehard (E.) geben, ift die Faſſung von AB. 
geradezu dürftig zu nennen. Dieſes Verhältnis beginnt ſchon in der 
letzten Zeit Heinrichs IV. Wait! hat mit fchlagenden Gründen gegen 
Schöne dargethan, daß der Tert von C. hier original fei; weiter be— 
hauptet er, daß AB. hier nur einen Auszug geben. Lebtere Anficht 
vorläufig al8 richtig angenommen, ift zunächſt zu conjtatiren, daß 
AB. jedenfall8 fein Auszug aus C. fein können. Sie haben troß ihrer 
Kürze Nachrichten, welche C. nicht enthält und deren originaler Cha— 
rafter nicht abzuftreiten ift, da fie fich theilweife auf diefelben Quellen 
zurücführen laffen, welche aud in C. benugt find. So z. B. die 
Nachricht von der Zujammenfunft Friedrihs I. und Heinrichs des 
Löwen, welche id? der verlorenen Chronif Alberts von Stade zu— 
weifen zu müſſen glaubte. 

In einzelnen Fällen zeigt die Faſſung von AB. troß aller Ver— 
fürzung engeren Anſchluß an Ekkehard als C. Die Erzählung der 


VUeber eine ſächſiſche Kaiſerchronik S. 10 ff. 
2Forſchungen zur Deutſchen Geſchichte XIII, 176. 


461 


Kämpfe Heinrichs IV. mit feinem Sohne Heinrih V. (Maßmann 
377 fi. Schöne 50 ff.) ift in AB. ein großes dronologifches 
MWirrfal und, wie es ſcheint, ein Verſuch die reichhaltigen Nach— 
richten Effehards und der Pöhlder Annalen auf engem Raume zu— 
faınmenzuziehen. Die Wahl des Sohnes zum König (1105) fchließt 
ſich mittel8 eines großen Sprunges an den Tod des Gegenpapftes 
Wiprecht (1100) an. Mitten in die Erzählung der Kämpfe fchiebt 
- fih ein Sat des Inhalts, daß der Kaifer habe predigen laſſen, er 
wolle feinem Sohne das Reich lajjen und das Kreuz nehmen, der 
Creigniffe de8 Jahres 1103 meldet, welche ausführlicher C. in rich 
tiger zeitlicher, Einreihung (Schöne 48°) gibt!. Weiter folgt in AB. 
ein Sag, welchen man ſchwer unterbringen fann: Se (de vorsten) 
worden to rade, dat se to Megenze makeden enen hof, unde 
dat se dar worden to rade, wat se to desen dingen deden. 
Zweifello8 geht diefe Nachricht auf den Weihnachten 1105 abgehal- 
tenen Hoftag, findet ſich aber in C. gar nicht, und in E. wenigftens 
nicht in folder Faſſung?. Glaubt man hier das Walten eines jelb- 
jtändig denfenden Geiftes zu erfennen, jo wird diefe Hoffnung gleich) 
zu nichte, wenn man fieht, wie ungefchict ſich jener Sag mitten in 
die Erzählung der Kämpfe am Regen hinein ſchiebt. Diefe find E. 
entnommen und ftimmen, wenn auch kürzer, mit C. im allgemeinen 
überein. Nur überwiegen hier AB. durd) die Notiz, daß der Herzog 
vou Böhmen auf der Seite des Kaiſers geweſen, dieſem aber gegen 
den Sohn nicht habe helfen mögen. Dies findet ſich in C. nicht, 
geht aber auf E. zurück. 

Nocd bedeutender ijt die Uebereinjtinnmung von AB. und E. 
gegenüber C. bei der Erzählung von dem Hoftage zu Mainz felbft 
(M. 381. Sc. 51’. 55). C. berichtet hierüber: To demeselven 
hove quam oc de alde keiser, unde berouwen in sere sine 
bosen dat, dehegedan hadde, unde begonde wenen unde dro- 
vich wesen. He segede, dat ime geschen were, dat were 
van sinen sunden. He vel to vote sinen sone unde vor de 
vorsten alle unde oc vor des paveses boden unde san genaden. 
Bon den Worten unde begonde wenen’ an jtimmt diefer Bericht 
wörtlich mit den Hildesheimer Annalen? überein, ift alſo jedenfalls 
aus P. genommen. Wahrjcheinlih fällt dann diefen auch der hiſto— 
riſche Verſtoß zur Laft, daß dies zu Mainz gejchehen jei, während die 
Hildesheimer Annalen richtig Ingelheim angeben. AB. folgen hier 
dem zuverläfjigeren Berichte von E. 1106: De keiser wolde do 
to Megenze komen, de herren baden en, dat he to Ingelheim 
bleve, wante se vrochten, of de vader unde de sone tosamene 


1 9m AB. ſowohl als in C. geht dies auf EP. zurüd. 

2 Anlaß zu der Notiz könnte allenfalls nur der Sat in E. 229, 36 ge- 
geben haben: Mogontiam — atque colloquium curiale, quod ab uni- 
versis regis principibus super presenti negocio condietum in nat. Do- 
mini expectabatur. 

® 88. II, 110 zu 1106. 


462 


quemen, dat dar en strit worde. Der letzte Gedanke ift ziemlich 
frei aus den Worten von E. gebildet: propter cavendum tumul- 
tum vulgi, suae (imperatoris) potius quam filii parti favere 
solentis —, das ganze überhaupt mit gutem Verftändnis aus E. 
gearbeitet. 

Wenn AB. (M. 397. Sch. nn berichten: De paves sande 
do twene cardinale an Dudesch lant; se maneden sere den 
keiser, dat he Godes gedachte (1122), fo erfennen wir hierin eine 
freie Umfchreibung von E.!: Ostiensem episcopum — cum duo- 
bus cardinalibus, qui nichilominus a sede s. Petri ob recon- 
ciliationem regni et sacerdotii missi fuerant. C. hat nichts von 
den beiden mit dem Biſchof von Oſtia gefandten Cardinälen. 

Neben E. jehen wir dann auch P. in einigen Kleinigkeiten ge— 
nauer in AB. benugt, als in C., z. B. M. 401. Sc. 62° ent- 
jpriht: he wan oc de borch to Nurenberch, befjer dem ca- 
strum Norenberg in P. 1127, als C. (M. 552. Cd. 64), 
wo nur von Norenberch die Rede ift. 

Für andere von C. abweichende Nachrichten in AB. ſucht man 
vergebens Dedung bei E. und P. So überfegt C. einfach P. 1119: 
Do hadde de paves Calixtus en coneilium to Remis, dar ne- 
was de keiser nicht verre, he wolde horen, wat dar geredet 
worde. Van niner sone neward dar geredet, wan dat men 
in tobanne dede. AB. dagegen führen aus: De paves Kalixtus 
makede do en conecilium to Remis, dar waren des keiseres 
boden, de scolden vorevenen den paves und den keiser. Des 
nemochte nicht geschen, wante de keiser newolde nicht vor- 
tien des sattes in den biscopdomen. Also wart de keiser in 
der stunt to banne gedan. Do irhof sich aver allet led. 
Lag dem Schreiber hier E. vor, jo müßte die Vorlage jedenfalls jehr 
frei und willkürlich verarbeitet fein: ubi et colloquio suo (impera- 
toris) domni papae legatis concesso, tandem inducias denuo 
— propter generale colloquium cum principibus haben- 

um, pro investituris scilicet ecclesiasticis, quas tantopere 
cogebatur amittere. Von einer Erneuerung de8 Bannes weiß E. 
nichts, und fo ift die Faſſung in AB. vielleicht doch wol nur als 
eine Ausführung des von P. Gegebenen anzufehen. Aehnlich ift der 
Bericht von P. 1130 in AB. ausgeführt. 


C P AB. 


Do starf paves Ho-| Honorius papa obiit, De paves Honorius 
norius, unde worden tolet Rome duo pape eli-|starf; it worden twene 
Romegekoren twe pa-iguntur; deinde conci-|pavese gekoren, dar- 
vese. Do makede Eu hai 16 episcoporum aivan wart grot 
koning en concilium rege Lothario Wirciburg'strit. Van der not 
van 16 bischopen to, congregatur, cui affuit|wart deercebiscop van 
Wirzeburch, dar was archiep. Ravenne,aplice Ravene to deme ko- 
de erzebischop van Ra- sedis legatus; ibiqueninge Ludergesant 


1 ©. 259, 7. 


463 


©. P. 
venna; de strit ward dar/dissipata lite, Innocen-|v: 
gescheden, unde wardjcius ab omnibus collau-|ning Luder samnede 
gestadeget Innocencius/datus confirmatur. do en grot concilium 
to pavese. Ivan 16 biscopen. Dar 
waren oc de boden 
van Rome; dar wart 
gescheden de _strit 
twischen den pa- 
vesen, also wart ge- 
stedeget Innocencius 
de paves. 


Höchſt wahrſcheinlich ebenfalls freie Phantafie ift e8, wenn AB. 
zu 1117 eine Hungersnoth ftattfinden laſſen. C. führt bier nad) 
P. eine Anzahl Wunder und Zeichen auf; AB. faffen diefelben zu— 
jammen in die Worte: It gesca och an den tiden wunders vele. 
Dar wart och ertbevinge, darvan vordarf ludes vele, — jeßen 
dann aber noch zu: It wart och grot hunger, wovon weder P. 
noch E. etwas wiljen. 

Woher AB. die Nachricht haben, daß Lothar III. auf dem 
Concil zu Lüttich) 1131 die Beſetzung der Bifchofftühle wieder: in 
feine Hand bringen wollte, weiß ich nicht. Ebenſowenig läßt fich zu 
1142 der Sag in AB.: Do vortech oc marcgreve Albrecht des 
hertochdomes to Sassen, auf eine beftimmte Quelle zurüdführen. 
Man ift verfucht dieſe letzteren und einige andere unbedeutendere 
Nachrichten, durch, die fihh AB. vor C. auszeichnen, auf die vollſtän— 
dige Chronik Albert® von Stade (St.) zurüdzuführen, doch laſſen bei 
jenen Nachrichten die jetigen Stader Annalen fowol als ihre nod) 
erreichbaren Quellen, die Rofenfelder und Magdeburger Annalen und 
Helmold, im Stiche. 

Ergab ſich ſchon bei einigen der betrachteten Stellen, daß AB. 
manchmal genauer unterrichtet find als C., fo find in diefer Bezie— 
hung noch ein paar Stellen heranzuziehen. C. nennt in der aus E. 
1085 oder P. 1086 entnommenen Erzählung die Gräfin Mathilde 
marcgraven Ekbertes suster van Bruneswik, welcher unbhiftorifche 
Beifat AB. fehlt. . 

Zu 1119 erzählt C. nad) P. ausführlich die Ereignijfe diejes 
Yahres. Dabei finden ſich zwei Verftöße gegen die Vorlage: He 
(de keiser) quam van Langbarden an dat lant to Swaven, 
und : he stadede ener gemenen sprake to Wormeze. P. (und 
E.) geben hier Germaniecis regionibus und apud Triburium. AB. 
nun überjegen in ihrem viel kürzeren Berichte im erjten Yalle richtig 
an Dudesch lant, dann laſſen jie relativ genauer den Ort des 
Hoftages ganz weg. 

Haben wir fo erwiefen, daß AB. in dem Theile von Heinrich IV. 
bis Friedrich I. fein Auszug aus C. fein können, fondern auf eine 
principiell verichiedene Recenſion zurüdgehn müffen, jo ift e8 unnöthig 
aus den Theilen vor und mad diefen Zeitraum weitere Beiſpiele 


AB. 
van Rome. De ko- 








464 


heranzuziehen. In diefen Theilen geben, abgefehen von den anfchei= 
nend fremdartigen Einfchiebjeln in C.!, AB. fo ziemlich diefelbe Fülle 
des Stoffes. Neben mannichfacher Weglaffung von einzelnen Sätzen 
finden wir aber auch im erjten Theile vor Heinrich IV. Stellen in 
AB., welche auf ſelbſtändige, ja erfchöpfendere Benutzung Effehards 
zurüdgehen. Nach 1177 ftimmen A. und B. vielfach, in ftiliftiichen 
Wendungen gegen C. überein; fachliche Differenzen treten weniger 
hervor. Zu bemerfen ijt bei der Achtung Heinrich® des Löwen, daß 
C. hier gibt: do dede in de keiser to achte dur den marc- 
greven Diderike, AB. dagegen: dor des marcgreven Diderikes 
klage; C.: egen "und len, dat len in de koninglike walt; dat 
len al sinen herren en AB. ſetzen beim zweiten Male das 
Lehen vor das Eigen”. C. läßt 1182 Heinric den Löwen to sente 
Jacopes missen ? nad) England fahren, AB. dagegen to paschen. 

Auch in dem erften Theile (vor Heinrich IV.) finden wir an 
einzelnen Stellen eine andere Faſſung in AB. als in C. Unter dem 
jüdiſchen Richter Aoth haben fie gemeinfam den Zufat: Bi den ti- 
den wart dat grote orloge twischen Israhelis slechte und 
Benjaminis durch er nichtelen, de behorit was vor Gabaon 

en dot, eine Nachricht, die fih am diefer Stelle fürzer in P. 
findet, in St. dagegen ähnlicher: Hujus tempore fuit bellum inter 
populum Israel et Benjamin propter uxorem levitae apud 
Gabaon constupratam‘. 

Unter Caligula — AB. ſtatt des kurzen Satzes von C.: He 
makede Herodem den jungen to koninge, eine ganze Reihe von 
Nachrichten: He was och Pilato also swar, dat he sich selven 
dodede. He vorsande och Herodem den a ngen to der stat 
to Leun uppe der Rodene. Sin wif Herodiadis vor eme na, 
und vordorven beide jamerliken in deme ellende. Dit was 
de andere Herodes, de Johannem baptistam sloch unde an 
unses heren martere was. Gajus de keiser makede den 
dridden Herodem in Judea to —— Beide Faſſungen gehen 
auf E. zurück. 

Eine andere, verſchiedenartige Claſſe von Unterfcheidungsmerf- 
malen zwifchen AB. und C. fcheint den Charakter fpäteren Zuſatzes 


1 Bon melden unten zu handeln fein wird. 
2 Und kommen fo der Fafjung des Sächſ. Landrechts I, 38, 2 näher. 
Bol. — Ueber die Entſtehungszeit des Sachſenſpiegels 71. 

So auch P., deren Benutzung von 1174 an ſeither nicht angenommen 
worden iſt. Ich ſehe aber keinen! Grund ihre Benutzung für den Frieden von 
Benebig in C. 1177 wegzumeifen und in Confequenz davon ihuen auch die 
obige Zeitbeftimmung zu vindieiren. O. wäre bier P., wie auch fonft, im Ge— 
genjat zu AB. gefolgt. Daß der Berfaffer überhaupt von 1177 an P. weniger 
zu Rathe zog, ift einfach daraus zu erflären, daß ihm von da an andere, reidh- 
haltigere Duellen zu Gebote ſtanden: vor allem die Gesta archiep. Magdeburg. 

SS. XVI, 285, 50. Die Nachricht geht auf die Imago des Honorin® 
von Autun zurüd, welche, was Lappenberg entging, wie in anderen ſächſiſchen 
Quellen aud in der Stader Chronik vielfach benutzt ift. 


465 


in O. zu tragen. Hierzu gehören die aus der größeren (nicht mehr 
erhaltenen) Chronif des St. Michaelisflofters in Lüneburg, aus der 
Kaiſerchronik und irgend einer anderen fabel- und Tegendenreichen 
Quelle entnommenen Nachrichten, welche den Text von O. in aus— 
giebiger Weife gegenüber AB. vermehren. In Beziehung auf erjtere 
hat ſchon Waitz! darauf aufmerffam gemacht, daß man fie al8 Zu— 
fa zu dem urfprünglichen Werke faffen fünne. Und in der That ift 
nicht abzufehen, wie ein Abfürzer gerade immer folche Stellen weg- 
gelaffen Haben follte, welche auf die Michaelschronif zuridgehen. 
Diefelben find aber nicht alle roh in den Text hineingefchoben ; bei 
einigen wenigjtens zeigt ſich das Beſtreben die Nachrichten der neuen 
Quelle mit dem aus EP. entnommenen alten Texte organiſch zu ver- 
fnüpfen. Zweifellos gehört hierher die Erzählung der dänischen Ver— 
hältniffe unter Dtto 1.?, die fich in der erhaltenen Chronif von St. 
Michael nicht findet und auf Helmold I, 9. 15. 11. 12 zurückgeht?. 
AB. geben hier die Belehrung der Dänen durch den Pfaffen Poppo 
nah P. mit dem @ingang: In den tiden worden de Denen 
kristen, dat gescha aldus. C. erzählt die Belehrung des Könige 
Godfrid (nad) Chron. S. Mich.), behält aber die Erzählung von P. 
bei mit dem veränderten Eingang: Oc schude do en grot teken, 
und fchließt dann daran noch mehreres aus Chron. S. Mich. über 
Sueinotto. 

Einfchiebungen eines Fremden anzunehmen könnte man geneigter 
fein bei den Zufügen von C. aus der Kaiſerchronik und der anderen 
Tabelquelle. Vorab hegreift man nicht, wie der Verfaffer, dem man 
doch einen beftimmten Plan unterlegen muß, der auch überall zu Tage 
tritt, Später diefem fo untreu hätte werden, fich zu folchen Geſchmack— 
lofigfeiten hätte verirren können, wie fie diefe Einfchiebfel mit ſich 
bringen. Am kraffeften tritt dies zu Tage, wenn zwifchen Nero und 
Galba in ©. die lange Gejchichte des Gollatinus aus Trier und des 
Zarquinius Superbus aus der KRaiferchronif eingefchoben wird, mit 
dem zur VBermittelung ungefchietten Eingang: Under den alden ko- 
ningen to Rome was en de het Tarquinius, und dem zur Ent- 
ſchuldigung wenig befriedigenden Schluß: Dit mere is gescreven 
buten der tale, de men den keiseren toscrift. Aehnliche Redens- 
arten finden fih am Sclufje ſolcher Einfchiebfel mehrfah: Dese is 
buten der keisere tale; Dises herren (de8 fabelhaften Kaifers 
Fauſtinian, eines angeblichen Bruders und Nachfolger8 des Claudius) 
jar scal men reden an de jar, de Claudio sin togescreven 
sinen broder. Scheint aus ihnen wirflich der Verfaffer zu fprechen, 
fo könnte doc auch ein Bearbeiter dergl. Entfchuldigungen feiner be= 
mußten Gejchmadlofigkeiten gefchrieben haben. 


1 ©. 20. 

2 ©. darüber Forſchungen XIII, 196. 

2 As Berfchlecdhterungen und meitere Ausführung Helmolds find zur be- 
merfen ber Name bes Dänenkönigs Godefrid für Harald und die Sage vom 
Ditenfund, Beides ftand wohl fchon fo im alten Chron. S. Mich. 


466 


Gänzlich ungeſchickt und unmotivirt find die Zufäge von O. 
über Karl den Großen, welche fi) erft an den Bericht von feinem 
Tode anhängen und nur zum Theil auf die Kaiferchronif zurückgehen. 
Sie führen zur Wiederholung der Aufzählung ') der von Karl in 
Sachſen gegründeten Bisthümer, welche hier um Kovende (jpäter 
Berden), Merjeburg, Minden, Zeig, Osnabrüd vermehrt erfcheinen, 
während Halberitadt fehlt; zur Wiederholung der Erzählung von 
der Blendung des Papftes Leo und der Race Karls an den Rö— 
mern; ja fogar zum direften Widerſpruch gegen. die frühere Angabe, 
dag Widukind von Karl aus der Taufe gehoben fei; hier fchlägt ihn 
Herzog Gerold todt?. Da hier auf Grund der Kaiſerchronik gejagt 
wird: Men vint oc gescreven an eteliken boken, dat paves 
Leo were koning Karles broder, jo muß fic) vorher der gemeine 
Text (aus P. ‘Leo de grote’) in C. die Correftur gefallen lafjen : 
Leo des groten Karles broder. &8 ſcheint geradezu undenkbar, 
daß der BVerfaffer fein Werk derart verunftaltet haben jollte. 

Im Gegenfag zu diefen roh zufammengejtoppelten Stellen tritt 
anderwärts das Beftreben unverkennbar zu Tage, die Nachrichten der 
Kaiſerchronik u. a. mit den aus EP. entnommenen (urfprünglichen) 
Nachrichten organisch zu verbinden. | 

Unter Tiberius geben AB. nad) E.: Pilatus umbot Tiberio 
van dem dode und van der upstandinge Jesu Christi und 
van sinen jungeren; dat unfeng he wol; he brachte it vore 
de senatores mit groteme vlite. C. jchiebt hiervor eine lange Er- 
zählung von der Heilung des Tiberius durch das Schweißtuch der 
Beronica ein, in der Pilatus fchlecht wegfommt?; der Eingang ber 
Stelle paßte aljo nicht mehr, und fo ändert denn C. hier: Tiberius 
brachte dat mit grotem vlite vor de senatores. 

Da C. aus unbefannter Quelle den Leichnam Tibers in ben 
Tiber werfen Täßt, welcher davon den Namen erhalten, jo paßte die 
Angabe von AB., daß der Raifer in Campanien vergiftet worden fei, 
(aus E.) nicht mehr recht und wird meggelaffen. 

Achnlich bei Galba, wo C. einigen Notizen aus der Raifer- 
chronik zu Liebe die Charafteriftif Galbas (in AB. aus E.) wegläft. 

Der erfte Theil des Kaifers Heraclius ſcheint in. recht eigent- 
(ich aus dem Texte von AB. (aus P.) und einer fabelhaften Vor— 
lage über die Kämpfe des Kaifers mit Cosdras von Perfien, welche 
mit der Legenda aurea cap. 137* durdaus übereinftimmt, zu= 
fammengearbeitet. Angaben von P. und jener Vorlage mechjeln hier 
förmlich ab, überall iſt das Beſtreben unverkennbar beider Nachrichten 
zu combiniren. 

Unter Kaiſer Martian laffen AB. die Auffindung des Hauptes 


1 Die Duelle diefer Nachricht ift mir unbelannt. 

2 Mach Kaiſerchronik 14877. 

Trotz einzelner Abweihungen und Erweiterungen ſcheint diefe Erzählung 
doch der Kaiſerchronik entnommen. 

* ©, 606 der Ausgabe von Gräfe. 


467 


Johannes des un . Nachricht auf E. zurückgeht ?) gefchehen : 
in den tiden (=E.); C. hat hier geändert : Bi keiser Theodosii 
des ersten tiden, welche Zeitbeftimmung der Kaiferchronif 6448 
eutſpricht. 

Wenn nun auch ſelbſt die letzterwähnten Stellen die Annahme 
eines bald geſchickter bald ungeſchickter operirenden Interpolators nicht 
ausſchlöſſen und demnach ohne große Schwierigkeit ausgeſchieden wer⸗ 
den könnten, zeigen andere doch noch einen anderen Charafter, ſodaß 
man bei ihnen entweder an eine Kürzung in AB. oder an eine vom 
Verfaſſer ſelbſt vorgenommene eg in ©. denfen muß. 

Unter Conftantin dem Großen, wo C. jehr viel mehr gibt als 
AB., find diefe Vermehrungen wohl ficher original. Alle drei Recen- 
fionen erzählen die fabelhafte Taufe Conftanting durch Papft Silveſter 
nach den falſchen Akten des heiligen Silveſter“; ferner die Conſtan— 
tinifsche Schenkung mit Berufung auf die Decrete, und eine Fabel 
von dem Traum Gonftantins, welcher den Kaiſer veranlafte das ver- 
fallene Byzanz wieder aufzubauen? In unmittelbarem fachlichen 
Anſchluß folgt dann, nur in C., die Erzählung von der Liſt Eonftan- 
tins, durch die er die Frauen der römischen Ritter veranlaßte, ihren 
Eheherren nach Gonftantinopel nachzufolgen?, dann auch nur in ©. 
eine lange Erzählung von der Disputation Silveſters mit den Juden 
mit zweimaliger Berufung auf die Vita Silvestri, alfo derjelben 
Duelle wie das Vorhergehende in ABC. entnommen, was auch eine 
Vergleihung mit Vincenz rechtfertigt. Danı folgt in C. die Bän- 
digung eine® Drachen in Rom durch Silvefter, welche ſich ebenfo in 
Vincenz XIII,53 aud im Anfchluß an die vorhergehende Erzählung 
findet, ſowie bie Entjtehung diefes Drachens“. Da allen diefen Er- 
zählungen von C. wohl ficher die Acta Silvestri zu Grunde liegen, 
jo rühren diefelben gewiß auc vom Verfaſſer her. 

Nach einem aus E. entnommenen Abfchnitte über Artus und 
die Päpfte nad) Silvefter, welcher ABC. gemeinfam ift, folgt in O. 
eine lange Erzählung von der Auffindung des heiligen Kreuzes durch 
Helena, welche aus der Historia ecclesiastica des Ruſinus (X,7.8) 
und den Actis S. Judae-Quiriaci ® componirt ift. AB. geben dafür 
nur die furze Notiz: In den tiden de koninginne Helena Con- 
stantini moder vant dat heilige kruze under der erde. Dar 
was over maket Veneris belde den kristenen to schanden, 


ı Ihr lateinifer Text foll in Mombritius, Sanctuarium, gedrudt jein, 
welches Buch ich nicht einfehen konnte, Als Erfat diente Vincentius Belvac, 
XIII,47 ff., der fie ausgiebig abgejchrieben hat. Weſentlich abweichend von 
diefen Alten ift die bei Surius gedrudte Vita Silvestri. Die Kaiſerchronil, 
welche jehr mweitläufig über Eonflantin handelt, hat S. hier keinenfalls benutzt. 
Kaif. hat ähnliches aber doch fehr abweichend. Die Nachricht gehört auch 
den Actis Silv. an, gleichwie da8 folgende in C. Wenigften® gibt Althelmus, 
De laude virginum (bei Canisius, Ant. Lect. V, 2, 814), der ebenfalls die 
Acta — at, dieſe Erzählung auch. 

8 Welche ſich in Vincenz nicht findet. Kaiſ. weicht auch hier, wie überall ab. 

* Act. Sanct, Bolland. Mai. I, 445. 


468 


welche man zunächſt al8 aus der etwas längeren Angabe in E. 112,15 
gefloffen anfehen möchte. Der Zufat aber: Dat vint men al ge- 
screven. De dach is in deme meie, beutet bejtimmt darauf hin, 
daß derjenige, der ihn fchrieb, einen größeren Bericht vor fich Hatte, 
d. h. hier entweder die Erzählung von O. oder deren Quelle in einen 
Auszug brachte. Verſtärkt wird diefe Annahme ficher noch dadurch, 
dag auch C. als felbjtändigen Zufag das Sätzchen enthält: Dise 
hochtit beget men in deme meie. ferner dadurch, daß die Hi- 
storia ecclesiastica dem gemeinen Texte befannt ift; fie findet fich 
eitirt in der fogenannten geiftlihen Betrachtung oder Predigt vor 
Eonftantin dem Großen, welche Handichriften aller drei Necenfionen 
geben ! und die alſo dem urfprünglichen Werke nicht abzufprechen fein 
wird. — Nach der Erzählung von der Findung des Kreuzes folgt in 
C. eine Nachricht von den Reliquien, welche Helena nad) Trier fandte, 
die recht gut auf die Kaiferchronik zurüdgehen Könnte und dann 
vielleicht dem urfprünglichen Texte abzufprechen wäre. Es folgt dann in 
C. eine fabelhafte Erzählung von der Herkunft des Kreuzholzes, das 
bon einem Baume herrührt, der aus dem von der Taube Noahs ge- 
brachten Zweige erwachjen.? Joſephus, der hier citirt wird ®, gibt 
weder im Jüdiſchen Krieg noch in den Alterthiimern hierüber etwas, 
wohl aber finden wir einen Theil der Erzählung wörtlich in der 
Historia scholastica des Petrus Gomeftor* wieder. Da die Hist. 
schol. mehrfach im gemeinen Texte benußt ift, ziemt es wohl auch) 
jene Fabel dem Verfaſſer zuzufprechen. 

Aehnlich verhält e8 fich mit der Erzählung von dem Jüdiſchen 
Kriege, der Belagerung und Zerjtörung Jeruſalems. AB.5 behan- 
dein diefes Thema ziemlich kurz mit Berufung auf Joſephus und 

egefipgus: Dit scref vollichlike Josephus und och Egesippus. 

hr Eurzer Bericht läßt fich auch durd) EP. ſchlecht decken. C. nun 
vertheilt die Gefchichte unter Nero und Veſpaſian, beginnt mit den 
Worten Effehards: (Alse hi vore gescriven is,) Nero an deme 
13. jare sines rikes hadde gesant Vespasianum over mere in 
Judeam ®, und erzählt dann ſehr weitläufig die Gejchichte des Krieges 
wirklich nad) Joſephus, mehrfacd allerdings weiter ansführend, und 
auch öfter die Vorlage misverftehend. Auch der Kampf Veſpaſians 
mit Vitellius wird nad) Joſephus gefchildert, jowie der Tod bes 


ı A: 1—7. 9 hat menigftens den Anfang; B: 16. 17. 13 Hat einen 
Heinen Theil; C. 18. 19, 21-24. 

° Eine ähnliche doc) vielfach abweichende Fabel gibt die Legenda aurea 
cap. 68, ed. Grässe S. 304. Das Holz ftammt hier von dem Baume der 
Erkenntnis im Paradis. 

® Hirvan spricht Josephus. 

* Ev. 81, über den Engel, der über den See Bethesda fliegt, wodurch 
diejer Heilkraft erhält. 

Zu bemerken ift, daß A. diefe Nachricht jchon unter Bespafian fett und 
nod etwas kürzer ift als B, welche diefelbe erft unter Titus gibt. 

° E. 101,48: 13. a. Neronis. Vespasianus dux exercitus adver- 
sum Judaeos — a Nerone missus. 


469 


legteren: Sine viande namen ine van deme capitolio und slo- 
gen in an der strate dot und togen ine durch de strate. 
Den win den he getrunken hadde, de vlot van ime ummate. 
Letsteren Gedanken finden wir nicht bei Joſephus, wohl aber bei 
Hegefippus !, mit dem fonft die Darftellung feine Verwandtfchaft 
zeigt: perimitur et vina simul et sanguinem fundens et eruc- 
tans crapulam. Das Citat in AB. erhärtet alfo hier die Urfprüng- 
lichkeit des Textes von C., und wie ſich auf der anderen Seite hier 
zeigt: der kurze Text von AB. rührt ebenfalls vom Verfaſſer felber her. 
Daſſelbe Verhältnis fcheint bei Yulianus ftattzufinden. Zunächit 
ließe jich hier ohne Schwierigkeit al8 Interpolation ausfcheiden eine 
längere Erzählung in C., wonach Julianus als Pfaffe eine Wittwe 
um zehn Pfund Gold betrügt und fih dann dem Abgott Yupiter 
verfchreibt . Dann folgt eine Gefchichte, welche auch E. 114,15 
fürzer kennt, wie eine in einer Stadt für die Kampffpiele aufgehängte 
Krone zufällig dem Julianus aufs panpt fällt, worauf er zum 
Kaiſer ausgerufen wird, ferner fein Verhalten gegen die Chriften, 
das ſich auf Feine beftimmte Duelle zurüdführen läßt, und endlich) die 
Geſchichte der Heiligen Johannes und Paulus mit Verweis auf ihre 
Paffio, die ihr Mörder Terrentian gefchrieben habe?. Sie ift denn 
auch diefer Legende *, gleichwie ſchon einiges im vorhergehenden ent- 
nommen. AB. nun haben dies alles viel kürzer, ſchließen ſich aber 
in einem Punkte enger an die Passio an, indem fie mit diefer den 
Kaiſer zu den beiden Heiligen fagen laffen: Je hebbet an iuwer 
scrift: Celum celi domino u. f. w., während C. weniger genau 
dies überhaupt allen Chrijten jagen läßt. — Nach einem ABC. ge- 
meinfamen Abfchnitte aus P. und E., deſſen letter Theil über die 
Verbrennung der Gebeine Johannes des Täufers durch Julian han— 
delt, fährt C. allein mit der Nachricht fort, daß es nicht möglich ge— 
weſen die Finger de8 Täufers zu verbrennen, mit denen er auf 
Chriftus gewiefen habe?, und erzählt darauf ausführlich den gefchei= 
terten Verſuch Yulians, Jeruſalem durch die Juden wieder aufbauen 
zu laffen. Da diefe Erzählung durchaus auf Hist. eccles. X, 35. 
37—39 zurüdgeht, nehme ich feinen Anftand, fie für original zu 
alten. 
y Bedenklicher fteht e8 mit der Erzählung von dem Ende Julians 
und deffen Verhältnis zum heiligen Bafilius. AB. haben hier einen 
furzen Bericht, der im weſentlichen auf P. zurücgeführt werden kann ; 
was diefen fehlt, der Name der Stadt Cäfaren fowie am Ende bie 


ı IV, 32. 

2 Aehnliches in Kaif. 10653 ff. Doc find Hier die einzelnen Züge an— 
ders: ftatt 10 Pfund Heißt e8 nur scaz, und der Abgott Mercurius. C. ift 
aud) eiwas weiter ausgeführt. 

s He scref oc ire passionem. 

4 Act. Sanct. Bolland, Jun. V, 159. 

5 Die Duelle diefer Notiz fenne ich nicht. 


470 


Berufung: Dit vint man also vullichliken gescreven in Vita 
sancti Basilii, ift wohl aus den fürzeren Berichte in E. 114,50 
ergänzt. Wichtig wird hier Bafilius Biſchof genannt. O. nun, 
die ſich am Ende ebenfalls auf die Vita Basilii beruft ?, macht ben 
Bafilins zum Abte, führt die ganze Erzählung fehr aus und zwar 
mit wörtlihen Anflängen an die Kaiferchronil. Dabei Hat C. aber 
doch einzelnes aus P. bewahrt und mit den der Kaiſerchronik ent- 
nommenen Angaben organisch verbunden; 3. B. den Ausruf Yulians : 
Vieisti Galilee, der fi in Kaif. nicht findet, ferner daß der hei- 
lige Mercurius up enen blanken orse gefommen fei. C. gibt 
ferner die Nachricht, da der Heilige Mercurius unter Decius ent- 
hauptet worden fei, während die Kaif. ihn von Julian ſelbſt ent= 
haupten läßt. Da die Zeitangabe in C. auf P. zurückgeht, ſich 
aber in AB. nicht findet, jo müſſen wir, aud nad) Ausjcheidung 
des der Raif. angehörigen, in O. einen "etwas reicheren Text ans 
nehmen. 

u Neben den eben behandelten und den Lüneburger Vermehrungen 
in C. finden fich zweimal folche aus der Historia Romana des 
Paulus, welche, da diejelbe an zwei anderen Stellen im gemeinen 
ZTerte benutzt ift, für original gelten müſſen. 

Verhältniß von A. zu BC. A., obwohl im allgemeinen 
B. gleichftehend, iſt vielfach noch kürzer als diefe Kecenfion; BC. ge= 
ben vielfach übereinftimmend Nachrichten, welche fih in A. nicht fin- 
den; dann zeigt auch A. Abweichungen und Vermehrungen. 
dem letten Theile nach 1177 zeigen ſich BC. gegenüber A. haupt- 
ſächlich durch ſolche Nachrichten vermehrt, welche ſich mit hoher Wahr- 
Scheinlichfeit auf die volljtändige Chronik Alberts von Stade zurüd- 
führen laffer. Nimmt man die Ausgabe von Schöne zur Hand und 
betrachtet von Seite 72 an das einfach eingeflammerte, jo enthält 
dies vorzugsweife norddeutjch- dänische Nachrichten, welche zum Theil 
noch in den jeßigen Stader Annalen Dedung finden. Der größte 
Theil derfelben ift fo lofe in die übrige Darftellung eingefchoben, daß 
der Charakter fpäteren Zujages nicht ausgejchlojjen ſcheint. Wie 
follte aucd) ein Abkürzer nur immer gerade ſolche norddeutiche Nach— 
richten weggelaffen haben ?? Einige diefer Zuthaten unterbrechen fogar 
ziemlich auffällig die Zeitfolge. So ſchieben BC. zwifchen die Ab- 
reife Heinrich8 des Löwen nad England (1182) und den Dortag 
zu Mainz (1184) ein: Darvore was sente Thomas geslagen 
van Cantelberge *; und ward dat lant to Rujan lovich (1170). 
Do ward oc sente Knut gehaven up van Denemarken’°. 


ı Nos autem in libro Vitae sancti Basilii Caesariensis episcopi 
certum legimus. 

* Dit vint men gescreven in Vita Basilii. 

s Einem Süddeutſchen Tagen Magdeburg, Onedlinburg u. ſ. w. ebenfo 
fern al8 Hamburg und Bremen. 

* Bol. Ann. Stad. 1171. 

5 Dies geſchah 1171 nad) den Ann. Ryenses. 


471 


Verner nad der Darjtellung des dritten Kreuzzuges: Twe jare 
er des keiseres dode tovorde de hertoge Heinrie Bardewie!. 
Unter Heinrich) VI. erfcheint in BC. die Nachricht: He schop oe, 
dat de vorsten sinen sone Vrederike to koninge loveden und 
dat se eme sworen?, erjt unmittelbar vor des Raifers Tod und 
außer Zufammenhang mit feinem Erbfolgeplan. Den Charafter 
jpäteren Zufates oder Randgloſſems trägt auch unzweifelhaft der in 
BC. unter die einzelnen Kaifer vertheilte Katalog der Erzbiſchöfe von 
Bremen-Hamburg, welcher den Gang der Darftellung meift in fehr 
ungejchiefter Weile unterbricht. Die Anfänge der beiden Bisthümer 
gehen zweifelsohne in letter Linie auf Adam von Bremen zurüd 
und finden in St. durchaus genügende Dedung. Der Synchronismus 
der Raifer und Erzbifchöfe weicht freilich verfchiedentlihh von dem in 
St. ©. 328 gegebenen ab. Doc) ftehe ich nicht an, alle diefe No- 
tigen der Chronik Alberts zu vindieiren. So wird denn auch ein 
Zufag in BC., der theilweife wenigſtens durch P. Dedung findet, 
nicht diefen Annalen, ſondern ebenfall® St. zuzumeifen fein. Die 
Darftellung des Yahres 1080 unterbrechend, erzählen BC.: Bi den 
tiden was bischop Albrecht to Hamborch und to Bremen, 
na ime ward Liemarus bischop, darna ward bischop Hum- 
bertus. Bi den tiden marcgreve Ude wan den Weneden af 
Brandenborch. Do ward oc dat closter to Hersevelde ge- 
stichtet. P. geben die beiden legten Nachrichten zu 1100 und 1102 
(nad) Ann. Rosenveld); St. allerdings nur die letzte zu 1100, aber 
den Namen in Vebereinftimmung mit BC., während er in P. Roſſe— 
veld Iautet. Die Driginalität aller diefer Zuthaten in BC. erhält 
alfo durd St. eine nicht geringe Unterjtügung; eine weit größere frei- 
li wird ihr durd) den Umſtand zu Theil, daß fich diefelben gleichmäßig 
in zwei fo grundverjchiedener Recenſionen, B. und C., vorfinden. 

Sind wir im allgemeinen geneigt, alle diefe Nachrichten, insbe— 
fondere die Bremer, für fpätere Zufäge oder Randgloſſen des Ver— 
fafjers zu Halten, jo finden ſich doc auch ein paar Stellen, bei 
"denen A. eher den Charakter eines Auszuges zu tragen ſcheint. So 
zu 1181°: Griedrich N) buwede Hartesburch unde vor mit 
groteme here to [derElve, unde de hertoge brande sin selves 
hus Erteneburch. De keiser vor over Elve vor] Lubeke unde 
gewan dat. [Dar quam de koning Waldemar van Denemarken 
unde sin sonede koning Knut unde worden beide des keiseres 
man unde] he geweldegede den hertogen Bernarde des her- 
tochdomes, dat he ime in der vasten darvore gelegen hadde. 
3u 1203: 


1 Bol. St. 1189. 

2 Bor Schluß des Jahres 1196, ſ. Toeche S. 444, Ann. Stad. geben 
feinen Anhalt. 

3 Das in Klammern eingefchloffene geben nur BC. 


472 


BC. A. 
Do gewunnen de Dudischen unde | Do ward Constantinople van den 
de Walen Constantinople unde na- | Latinen gewunnen. 
men dar vele gudes. De van Ve- 
nedie namen dar oc grote cyrode. 


Ganz ähnlich ift das Verhältnis bei Erzählung der Gefangen- 
nahme Waldemar von Dänemark durch Heinrih von Schwerin 
1223 und der Theidung zu Bardewif 1224; ferner der Löſung des 
Dänenkönigs 1225, der Schlacht bei Bornhöved 1227. A. hat aud) 
bier jo ziemlich diefelben Worte wie BC., gibt aber weniger Details. 
Doch ijt augenfcheinlich Hier nirgends die Annahme ausgejchloffen, daß 
der Verfaſſer felbft bei Anfertigung einer neuen Ausgabe den Wort» 
laut der früheren aus denfelben Quellen vermehrt habe. 

Und daß A. gegenüber BC. eine eigene originale Recenfion re= 
präjentirt, nicht etwa bloß als eine weitere Verkürzung von B. an— 
zujehen ift, zeigt fich an folgendem. A. ermangelt zunächſt einiger 
biftorifcher Verftöße, welche fi) BC. zu Schulden kommen laffen. Unter 
Raifer Lothar I. geben ABC. nad) E.: In denselven tiden wor- 
den de Ungeren kristen, wozu BC. allein fügen: de hadden do 
enen koning de het Stephen. Bei Erzählung der Schlacht auf 
dem Lechfeld nennen BC. als eigener Zufag zu E. unter den deutfchen 
gerzogen ganz unrichtig auc den Herzog von Sachſen, den wir in 

. nicht treffen. Es müßte fchon ein in der Gefchichte recht bewan- 
derter Abfürzer gewefen fein, der folcherweife die Vorlage verbeferte. 
Die Gleihmäßigfeit von B. und O. erweift aber hier, daß diefe Ver— 
ſtöße dem Verfaſſer ſelbſt zur Laſt fallen; ähnliches haben wir oben 
in C. gegenüber AB. bemerkt: mit der Fülle des Stoffes wuchs eben 
die Unfähigkeit denfelben zu beherrfchen, dann wohl leider auch bie 
Luft am Ausmalen, am Fabelhaften. Noch wichtiger ift anderes. 
Unter Balentinian geiat A. felbjtändige Benutzung von E., ſchließt 
deſſen Nachfolger Valens, E. 119 folgend, ohne Yahrszahl als 
Appendir an BValentinian an, ſodaß man hier feinen neuen Kaijer 
vermuthen möchte. BC. holen dann das Verfäumte nach und entnehmen 
aus E. 130 das erfte Jahr der Regierung des Valens nach dem 
Zode ſeines Bruders. Nach Erzählung der vergeblichen Unterhand- 
lungen König Heinrichs um die Löfung des Dänenkönigs 1224. Sept. 
Det. !, berichten BC. den Zug des Grafen Adolf und des Erzbiſchofs 
von Bremen nad) Holjtein an sente Thomases avende (Dec. 20.) ?, 
welchen A. wegläßt, und fchliegen daran mit dem richtigen Uebergang 
Tohant darna die Schladt bei Mölln. In A. erjcheint hier, da 
beim Wegfall des vorhergehenden Satzes diefe Zeitbeftimmung un— 
richtig fein würde, der jelbjtändige Uebergang: Na des koninges 
gevencnisse over anderthalf jar. Die Berechnung ift annähernd 


. dier ift A. zuletzt formell reicher al BC.: Des karde de koning 
Heinric [unde der bischof van Colne A.] weder. 
2 Bol, St. 1225 


475 


richtig 1; ein fremder Abkürzer, dev den vorhergehenden Sat wegließ, 
würde ganz außer Stande gewefen fein diejelbe anzuftellen. Ganz 
jelbftändige Faſſung zeigt A. gegenüber BC. zu 1227. 


BC. | A. 


Do starf oe de hertoge Heinric!| Do starf oc hertoge Heinrie de 
van Brunswich, des keisers Otten |leste van Brunswich, unde hel- 
broder,unde wartdembiscope den de statdeme rike unde 
vanBremendestatunde dat deme hertogen vanBeieren 
lant to Stade. Do wan och de | (nämlid die Bürger.) Do gewan se 
hertoge Otte van Luneborch de |de hertoge Otte van Lunenborch 
stat to Brunswich unde stridde in mit der marclude helpe van 
der stat mittes keisersluden unde Brandenborch unde stridde 

behelt den sege. | mittes keisers luden in der stat. 





Beide Faffungen fcheinen auf die Stader Chronik zurüdzugehen, 
. vielleicht auf zwei verfchiedene Necenfionen derjelben. Die Ann. Stad. 
haben hier: Heinricus dux et palatinus comes Reni sine filio 
obiit, et Bremensis archiepiscopus comitatum Stadensem obtinuit. 
Heinricus, imperatoris filius, eivitatem Brunswich, pro eo quod 
imperator eam a majori dieti prineipis filia comparaverat, 
emptionis titulo impetebat, et dux Bawarie pro eo quod ejus- 
dem junior filia suo filio nupserat, jus hereditarium allegabat, 
cum interim Otto dominus de Lunenborch portas Brunswich 
irrupit et eam in deditionem recepit. 

Hat A. in dem letzten DBeifpiele jchon einiges vor BC. voraus, 
jo finden fich ſeit König Philipp mehrere Nachrichten, welche BC. 
gar nicht kennen. Dieſe meiſt oberfächfiiche, magdeburgiſche Verhält— 
niſſe berührenden Zuſätze ſtehen in ſo genauem Zuſammenhange mit 
der ganzen Darſtellung des gemeinen Textes, daß man ſie unmöglich 
als Interpolationen faſſen kann, vielmehr für original halten muß. 
Auch glaube ich ihre Quelle in den auch im gemeinen Texte benutzten 
Gestis des Magdeburger Erzbifhofs Albrecht gefunden zu haben ?, 
Ale diefe Zufäge find aber auch in ſolch richtigem Zufammenhange, 
dag man fie lieber in BC. fpäter vom Verfaſſer jelbft weggelafjen, 
als in A. fpäter von demfelben zugejett halten möchte, Neigte ich 
jeither unjere Anficht jedenfalls mehr zu der Annahme, daß A. früher 
als BC. abgefaßt fei, fo fprechen die oberfächfiichen Zufäge von A. 
jicher nicht dagegen. 

Zur Charafterifirung von A, erübrigt e8 noch fein Verhältnis 
zu B. ins Auge zu faffen in der Partie non Heinrich V. bis 1177. 
Beide Necenfionen ftimmen hier, wie gefagt, im großen und ganzen 
gegen C. überein. Doc hat B. aud) hier wieder mehr: die Erz- 
bijchöfe von Bremen (unter Heinrih V. und Friedrich L.); unter 
Konrad III. die Verzichtleiftung Albrechts des Bären anf Sadjen, 


ı Maldemar wurde gefangen am 7. Mai 1223, die Schlacht bei Mölln 
fand höchſt wahrſcheinlich im Januar 1225 ftatt; ſ. Ufinger, Deutjd- dänifche 
Geſchichte 337. 

2 Forſchungen XII, 190 ff. 


XIV. 32 


474 


den Tod des Grafen Rudolf in Ditmarfchen,! den Rachezug des 
Erzbiihofs Hartwig dahin; ferner unter Friedrich I. den Hoftag 
zu Merjeburg 1152 und die übrigen dänischen Verhältniſſe, den 
Wendenzug Heinrichs des Löwen 1164, die Translation Karls des 
Großen. Alle diefe Nachrichten, mit zwei Ausnahmen, finden fich 
auch in O. und laffen fi) mehr oder minder durch St. decken?, ge= 
hören aljo in die oben? berührte Kategorie. 

Dann hält aber aud) A. hier feinen Standpunkt als ſelbſtändige 
Recenfion feſt durd ein paar Heine Zufäge. Von Heinrich IV. heißt 
es nad) dem Hoftage zu Ingelheim: De keiser vor do to Ludeke 
und was dar*. Der Tod Heinrichs des Stolzen findet fih in 
B. nicht, wol aber in A. in demſelben Zufammenhange, in dem ihn 
auch O. gibt. Zulett gibt A. den Ort der Zuſammenkunft Frie= 
drichs I. und Aleranders III. (Venedig) an, den B. wegläßt. Einen 
weiteren Zujat glaube ich überhaupt aus dem Texte ausjcheiden zu 
müffen. Er betrifft den Wendifchen Kreuzzug des Yahres 1147, 
findet fi) nur in den Handfchriften 11. und 12. und enthält die 
falſche Nachricht, daß damals der Graf Adolf von Schauenburg ges 
blieben fei, ift alfo ficher Zuja eines unmijjenden Interpolators. 

Suden wir ung nad) dem erörterten ein vorläufiges Bild der 
Compoſition der drei Necenfionen zu conftruiren, jo möchte vielleicht 
folgende Annahme allen Gründen für und wider am meiſten gerecht 
werden. Der Berfajjer jchrieb zuerft ein weniger umfangreiches 
Werf A; die Darjtellung der einzelnen Kaifer follte Hier ziemlich 
gleich; an Umfang fein, daher war es nöthig unter Heinrich V. bie 
Friedrich I. die Fülle des Stoffes der Vorlagen E. und P. unge— 
mein zufammenzuziehen; es ift ihm aber hier nicht überall gelungen 
fi) präcife auszudrüden und die hronologijche Folge zu wahren. Bei 
einer zweiten Ausgabe feines Werfes (B.) behielt er A. im ganzen 
al8 Grundlage bei, vermehrte fie aber vielfach, zumeift aus Nach- 
richten, die er der Stader Chronif entnahm und von welchen wol 
ein Theil urfprünglid) am Nande Pla fand; einige hiſtoriſche Ver— 
ftöße liefen hier mit unter ; anderes wurde verändert; verdrängt durch 
diefe neuen Nachrichten wurde ein Theil der alten, jo bejonders die 
oberſächſiſchen Süße. Bei der dritten Ausgabe genügte dem Ver— 
faffer die jo gejchaffene Grundlage überhaupt nicht mehr, er wollte 
in umfaffender Weife den vorhandenen Stoff für fein Werk ver- 
werthen. Daher ausgiebige Benutzung des Joſephus, der Historia 
ecclesiastica, der Acta Silvestri, des Paulus u. f. w., bejonders 
aber Neubearbeitung der Partie von Heinrich V. bis 1177 in engem 
Anſchluß an P. Einiges, das die früheren Necenfionen boten, wurde 


1 Beides fehlt in C. und ift auf Feine beftimmte Quelle zurüdzuführen, 
Vgl. aber St. 1141. 1144, 

2 Bol. Forſchungen XIII, 176. 

:s ©, 471. 


i * Mol nad) E. 236,19 und entfprechend C,: He vor do to Ludeke 
wider. 


475 


fo von den Schwall des Neuen weggefhweuunt; einige Kleinigkeiten, 
welche B. überjehen und weggelafjen Hatte, wieder zu Ehren gebracht. 
Die Vermehrungen von B. blieben zum größten Theil erhalten; die 
oberfächfiichen Zuſätze verloren. Zweifelhaft muß es noch bleiben, 
ob in diefer dritten Ausgabe der Verfaſſer jelbjt neue Quellen: die 
Lüneburger Michaelischronif, die Kaiſerchronik und eine andere fabel= 
hafte Quelle heranzog, oder ob hier die Hand eines fpäteren Inter— 
polators waltete. 

Eine Betrachtung der Texte der einzelnen Handjchriften der Re— 
cenfion C. jcheint in letter Beziehung weiter zu führen, jchafft aber 
nur neue Schwierigkeiten, die ſchwer zu löfen fein dürften. Dieſe 
Necenfion fcheidet fich zunächit in zwei Gruppen: 18. 19. 21—23. 
auf der einen, 24. auf der anderen Seite. Die Zufanmengehörig- 
feit der erjten Gruppe zeigt ſich: erſtens darin, daß ihre fünf Vertreter 
eine gemeinfame Yortjegung bis zu Rudolf von Habsburg geben!; 
zweitens haben fie in der Partie von 1125 bis 1177 vielfach we— 
niger als 24. In diefer Partie, wo C. durchweg nicht viel anders 
iſt al8 eine Ueberjegung von P. lajjen die fünf Handfchriften überein- 
ftimmend ganze felbftändige Sätze oder Nebenjäge weg, ohne dag dem 
Sinne Eintrag gejhähe, aber auch ohne jegliches Syſtem?. Es fei 
fürs erjte dahingejtellt, ob hier Kürzung des urjprünglichen Textes 
oder für 24 Vermehrung durch den Verfaſſer jelbjt vorliegt. Jeden— 
fall8 werden wir auf gemeinfame Vorlage für die fünf Handjchriften 
geführt. 

Berwidelter jedoch wird die Sachlage dadurd), daß in vielen 
anderen Beziehungen ſich die Handichriften von C. in diefe Gruppen 
fondern: 18. 19 (c*.) und 21—24 (e.). Die beiden Handjchriften 
18.19. find in vieler Beziehung fo merkwürdig, bieten aber auch der 
Kritik jo viele Schwierigkeiten dar, daß wir fie im Zufammenhange 
mit den feither gewonnenen Hejultaten eingehender betrachten müſſen, 
zumal ihnen feither überhaupt noch Feine Wirdigung zu Theil ge= 
worden ijt. Sie find aus einer und derſelben, ſchon mitteldeutfchen 
Vorlage gefloffen und ftimmen bis auf Kleinigkeiten durchaus mit 
einander überein. Vielfach Hat die Vorlage den niederdeutjchen Text 
Ihon misverjtanden oder in Unverjtändliches manchmal durch recht 
fühne Veränderung Sinn Hineinzubringen verjucht: Verhältniffe die 
uns hier weiter nicht interejjiren. Dann ijt der Text vielfach durch 
Sätze aus der Chronif Martins von Troppau?, doc) nicht maſſen— 


2 Heransgegeben nad; 23 von Waik in den Forſchungen IV, 599. 

2Bemerkt jei übrigens, daß die erfte diefer Auslafjungen zu 1125 noch 
in einen Abfchnitt fällt, für den E. und P. gleihmäßig als Duelle gelten 
fünnen; jowie daß zwei derfelben Säte betreffen, die nicht P., fondern wahr: 
fheinfih St. zur Quelle „haben. Zu 1145 fehlt der Rachezug Hartivigs von 
Stade nad) Ditmarſchen, den 24. in Uebereinftimmung mit B. gibt; zu 1168 
ber Sat: darna wart bischop Sivrid, de was broder des hertogen 
Bernardes, welden Sat B. übereinſtimmend mit 24. gibt. 
8 Recenfion C. 


32* 


476 


haft, interpolirt, Zufäte, die leicht auszufcheiden find, einige Male 
allerdings auch originale Sätzchen verjchludt Haben !. 

c*. repräfentirt, troß aller Uebereinftimmung mit e, eine eigene 
Recenſion. An vielen Stellen ift in c*. Effehard in Kleinigkeiten 
ausgiebiger benutzt als dies c., BA. thun. Ich hebe nur einiges 
heraus. Auguftus heißt in c*.: von deme vatere Octavio unde 
sin mutterlich gesleehte Abenen — E. 91, 43: Hie Octavio 
patre senatore genitus maternum genus ab Aenea — sorti- 
tus est. Nerva erhält den Beinamen Coctenis für Coccejus E.; 
ebenfo Severus: der hiez ouch Lucius Animus; Yeo Bessica ; 
Balencian ift von einer stad Cybala = E. de Cibala civitate; 
Opilius regiert mit sime sone Dyademecio; die Braut des Con— 
ftantin Leonis ift Tochter Karls d. Gr. unde Hildegardis der 
koninginnen ; vn III. zweite Gemahlin Agnes heißt richtig nach) 
E.: herzogen Wilhelmes tochter u. a. m. Cinige Male ijt das 
Latein der Vorlage noch nicht abgejtreift: der Mörder des Helius 
Pertinar, Yulianus Salvius erhält nad) E. das Epitheton juris pe- 
ritus; Yeo Beſſica ernennt zum Kaifer sinen neven (richtiger Enfel) 
Leonem, ex Ariagie (Ariagne E.) filia, Zenonis filium. 

Neben folhen baaren Zufägen aus E. findet jich auch einige 
Male jelbjtändige Verarbeitung diefer Duelle. Unter Nerva fteht 
- ftatt des gemeinen Textes: He kos to deme rike Trajanum enen 
edelen man. Darna starf he mit groten eren — ebenfall® E. 
entnommen: In den geziten schreip Johannes de ewangelia. — 
Unter Nero, nad) deſſen Regierungszeit, fchiebt c*. Folgendes ein: 

a) Aus E.: Der Nero was Agrippinam bruder (filius E.), 
wenne Claudius sin wip totte, genant Messalinam, unde nam 
Agrippinam, unde iren son Domiecii nam her zu eime sone. 
Nero als her keiser wart, wart her also bose, daz von siner 
bosheit schande zu sagen ist. (Wegen des letzten Satzes läßt 
dann c*.-im fpäteren gemeinen Texte weg: Sine bosheit de was 
also grot, dat si umminschlie to seggende is). 

b) Wenne her lies sich von den erzten swanger machen. 
Symon magus in siner geinwertikeit vorging. 

ce) Aus E.: Unde lies Rome an vier enden an enpornen. 
Petrum ceruzigete her, Paulum lies her enthoupten. (Wegen 
fetsteren Satzes wird ſpäter ein ähnlicher des gemeinen Textes weg- 
gelajjen). 


ı Daß diefe Interpolationen fchon fehr früh erfolgt find, zeigt die Erzähs 
fung von den Kurfürften unter Otto III. 18. 19 geben hier genau nad) Martin: 
Alz nu disse dri Otten von gesipe halbin nach enander keisere wor- 
den, da wart furbas gemacht unde gesazt, daz man den kiesen solde, 
unde nemlichin die in kiesen solden, alz der bischof von Menze, der 
bischof von. Trire, der bischof von Colne, der margrave von Branden- 
burg, der phalzgrave von Rin, der herzoge von Sachsin unde der konig 
von Behemen; fügen dem aber zu: Der ist von rechtem alder zu der 
kore nicht, sunder her ist nuwelich darzu geschigket. Dies ſcheint 
bald nad) der Wahl König Adoljs gejchrieben zu fein, 


477 


d) Bi den geziten schreip Lucas daz ewangelium. 

x Aus E.: Jacobus der kleine wart von den Joden ge- 
steint. Zu den geziten lebeten Lucanus unde Josephus die 
meistere. 

Es tritt aljo hier erftens eine felbftändige Behandlung von E. 
zu Tage, zweitens find damit eigene Notizen verbunden, vor denen 
die sub d fih in St. ad a. 70 findet: Lucas evangelium 
seripsit!. Betreffs der beiden sub b mag einjtweilen darauf hinge— 
* werden, daß die Kaiſerchronik dieſe Geſchichten ausführlich 
erzählt. 

Auch P. findet ſich dreimal ausgiebiger benutzt. Unter Lothar J. 
hat der gemeine Text: Bi des koning Lodewikes tiden regendet 
dre dage und vier nacht blut van dem hemele in ener stat 
to Langbarden; c*. gibt hier: zu Brixin der st. t. L. Unter 
Dtto I. fügt c*. nad) der Regierungszeit aus P. zu: In sime an- 
‚deren jare buwete her Meideburg; ferner zu 968: Ez was 
ouch des selbigen jares eclipsis solis. 

Slaubten wir oben ſchon eine Spur felbjtändiger Benutzung 
von St. zu erfennen, jo fcheint in einem anderen Falle diefe Quelle 
jehr umfaſſend verwerthet zu fein. Statt eines langen Abjchnittes 
nämlich des gemeinen Textes?, welcher das Ende der Yüdifchen Kö— 
nige Joachim und Sedechias, die Geſchichte Nabuchodonofors, Bal— 
thafars, Cyrus, Aleranders des Großer und der Sachſen Ankunft 
enthält, gibt c*. nad) Erwähnung des Sedechias nur die Namen und 
Negierungszeiten aller babylonifchen und perfiichen Herricher ſowie 
der Ptolemäer bis auf Cleopatra. Da nun St. nad) Erzählung des 
Unterganges des Reiches Juda? die Gefchichtsdarftellung au die Neihe 
der babyloniichen, perfiichen, ägyptiſchen Könige knüpfen“, jo glaube 
ic) troß einzelner Abweichungen in den Zahlen, die fich leicht durch 
die Nachläffigkeit der Abfchreiber erklären laſſen, daß St. Hier von 
c*, zur Grundlage genommen wurden. 

Dies wird genügen in c*. eine felbjtändige Necenfion zu er— 
fennen. Das Verhältnis von c*. zu ce. ftellt fi mın fo. c*. hat 
zunächit alle Erweiterungen von e., welche aus der Raiferchronif und 
den anderen legendenartigen Quellen genommen find. Nur einmal, 
bei dem geſchmackloſen Einfchiebfel der Gejchichte de8 Tarquinius und 
des Gollatinus zwiichen Nero und Galba, gibt c*. nur den Eingang 
derjelben und verweift dann zurück: Alz man daz vindet geschre- 
bin vor den dietatores unde den senatores geziten. Ferner ijt 
unter Numa Pompilius der Abjchnitt von den Wochengöttern, den c. 


Dieſe Notiz ift, wie vieles andere in St., ber Imago des Honorius 
von Autun entnommen. 

: Mm. 49—70: Josias de hadde dre sone — unde buweden oc 
borge in deme lande to Sassen. 

s SS. XVI, 287. 

* St. entnehmen dies theils Beda, theils der Historia scholastica, theils 
läßt fi die Quelle nicht nachweisen. 


478 


vielfach mit Beibehaltung der Reime der Kaiferchronif entnahın, ir 
Proſa umgeſetzt und gekürzt; jtatt der in c. folgenden Gefchichte vor 
den klingenden Bildjäulen auf dem Capitol ? findet ſich hier der Sag: 
Wer dissis dinges mer habin wolle, der lege vor sich Gesta 
Romanorum unde lese dy, do vindet her nach mancherley 
ynne. Mir ift nicht zweifelhaft, daß dieſe beiden Divergenzen auf 
einen fremden Weberarbeiter zurüdzuführen find, daß die mittelbare 
Borlage von c*. in beiden Fällen mit ec. übereingeftimmt hat?. 

Auch die Liineburger Zufäte kennt c*. Bemerkenswerth ift je= 
doch hier, daß c*. die beiden erjten diefer Zufäte noch wegläßt und 
hier durchaus mit dem Texte von AB. übereinftimmt; die Verände- 
rung, welche wegen Einjchiebung des erjten c. am gemeinen Texte 
vornahm, hat c*. nicht?. Auch den folgenden Zufag über die Grün— 
dung des Erzbistums Magdeburg und über das Herzogthum Sachfen 
läßt c*. aus und gibt conjequenter Weife dann zu Ende Ottos I. 
mit AB. die Nachricht: He stichte och dat biscopdom to Mege-- 
deboreh van sime unde van des rikes gude, weldhe e. um die 
Wiederholung zu vermeiden; hier wegläßt, c*. bildet alſo hier den 
Uebergaug von AB. zu e.; die Annahme bloßer zufälliger Aus— 
fälle oder willfürlicher Kürzung in der Vorlage von c*.* reicht zur 
Erklärung nicht aus. 

Willfürlihe Kürzung möchte man geneigt fein anzunehmen beim 
Tehlen einiger Bremer Zufäte: die Erzbiſchöfe Nimbert, Adalger, 
Hoier, Unni, Mabrand und Friedrich find fo in c*. nicht aufgeführt. 
Vorher und nachher und zwiſchendurch ericheinen die anderen Bremer 
Zufäte. Doch kann hier auc noch ein anderes Verhältnis gedacht 
werden. Wie wenn diefe Zufäge im Originale der Recenſion c*. am 
ande ftanden ? Leicht konnte e8 jo kommen, daß in der Abjchrift 
einige derfelben verloren gingen. 

Ein Zufammengehen von c*. mit AB. gegen e. findet auch häufig 
statt in gleichen Zufäten und Auslaffungen, welche ich ihrer geringen 
Bedeutung wegen nicht einzeln aufführen mag. Doc lohnt es dar— 


1 Welche auf eine andere Duelle zurücgeht. 

2 Das Citat der Gesta Roman. paft aud nicht recht; die Tateinifchen 
kennen weder die Gedichte der Götter noch die der Bildfäulen mit den Schellen ; 
letztere werden Furz erwähnt in Cap. 21 der deutichen Gesta, aber abweichend 


in ABe. beigeichriebenen Conftitutionen, welche c*. bis zu Damaſus mwegläßt. 
Denn daf diefe in der mittelbaren Vorlage geftanden, ergibt fid) unter Dionyfus, 
wo ABe. geben: An den. tiden vorscheid Dyonisius de 22. paves, de 
besched to Rome den presteren parrochias; c*. hat dies fo verballhornt: 
An — paves unde der prister prochias. Willfürliche Kürzung ift es auch 
wohl, wenn in c*.-da8 Ende der Königsregierung Karls d. Gr. fehlt, M. 250— 
252: In deme silven lande vant de koning Karle groten scat — Nu 
kome we weder to der ceroneken. 


479 


auf aufmerffam zu machen, daß im dem beiden oben! aufgeführten 
Stellen unter Aoth und Caligula c*. die Zufäge von AB. gibt; 
ferner daß c*., gleihwie AB., unter den von Karl d. Gr. geftifteten 
Bisthüimern auch Bremen aufzählt. Andere Stellen zeigen jicherer 
einen Uebergang, eine Verquickung von AB. und ec. Unter Tiberius ? 
folgt c*. durchaus c., hat aber die Nachricht von AB., daß der Kaifer 
in Campanien gejtorben fei, zurücbehalten. — Unter Galba gibt c*. 
die Erweiterung von c. aus der Raiferchronif, hat aber auch die Cha- 
rakteriftif Galba8 (= AB.) bewahrt, läßt jedoch danad) einiges weg, 
da8 ABc. aus E. gemeinfam haben. 

Am wichtigſten ift, daß c*. auch in der Partie von 1106— 
1177, wo AB. fo fehr von ec. abweichen, vielfach) Berührungen mit 
jenen Recenfionen zeigt. Beim Kampfe Heinrichs IV. mit Heinrich V. 
geben ABC. gemeinfchaftlih: It was oc en bose bilede den kin- 
den wider de vadere, dann gehen fie auseinander : | 


AB. C. (jedenfalls nad) P.) 


Do wart grot orloge twischen | Do de vader disse mere vornam, 
deme vadere unde deme sone, men |he wolde den sone hinderen unde 
vorbrande dat lantin allenthalben | nemachte iedoch des nicht don. — 
undetovorde klostere und kerken.|Do wart verbrant dat lant in al- 

lenthalven unde tovort klostere 
unde kirken. 


c*. nun ſchiebt vor die Faffung von c., der es font durchaus 
folgt, noch den mit AB. übereinftimmenden Sat: Wenne da wart 
gros orleige zwischen dem vater und dem sone. 

Den Tod des Grafen Dietrich III. von Katlenburg im Yahre 
1106 erwähnen AB. nad) dem Tode des Kaiſers: Darna starf de 
greve Diderich van Catelenborch in deme here vor Colne. 
e. nun erwähnt denjelben zweimal: zuerft im Zufammenhange der 
aus E.? entnommenen Erzählung: Dar (vor Köln) starf greve 
Diderik van Katelenburch, de des koninges truweste vrunt 
was. Dann nad Zwifchenfchiebung verichiedener Nachrichten, nach 
dem Tode des Raifers: Na sineme dode des viften dages starf 
greve Diderik. Diefe Nachricht iſt P. entnommen, in deren Quellen, 
den Hildesheimer (und Paderborner *) Annalen, fie fi) aljo findet: 
Quinto abhine die comes Theoderieus de Embike Aquisgrani 
moritur. Die Identität des Grafen von Einbeck mit dem Katlen— 
burger muß dem DVerfaffer bei Abfaffung der Necenfion e. alfo aus 
dem Gedächtnis gefchwunden fein, trogdem er bei Abfaſſung von 
AB. den Beinamen zugefügt hatte, denn E. hat denfelben nicht®. 


ı ©, 464. 

2 ©. oben ©. 466, 

8 ©, 236. 

4 Bei Eheffer-Boihorft S. 115. 
Zu beachten ift im diefer Beziehung, daß AB. unter Lothar IIT. die 
Katlenburger als Stifter von Einbed erwähnen, welche Stelle C. fehlt. Ob die 
Notiz vom Tode Dietrichs in AB. aus E. oder P. ift, dariiber läßt ſich zweifeln: 


a 


480 


c*, nun fett bei der zweiten Erwähnung die Worte von AB. von 
Catelenborg in dem here vor Colne zu — ein Verhältnis, welches, 
wenn wir die zeitliche Reihenfolge AB. c*. e, fejthalten wollen, doch 
wohl nur jo zu erklären fein dürfte, daß der Verfafjer bei Abfaſſung 
von c*. nocd mehr feine eigene frühere Ausgabe zu Rathe zog, bei 
der Abfaffung von ec. dagegen mit Beifeitefegung derfelben die Quellen 
jelbft allein vornahın und fo über die Identität der beiden Grafen 
getäufcht wurde. 

Die Vertreibung des Gegenpapftes Burdinus durch die Römer 
im Jahre 1119 leitet ec. ganz dem Wortlaute von P. entiprechend 
ein: Do de keiser dannen vor!, de Romere u. f. w. AB. 
weniger wörtlih: De keiser vor do van Rome, de Romere 
u. ſ. w. c*. hat beides: Der keiser fur da von Rome; da der 
keiser dannen fur, die Romer ı. f. w. 

Den Zug Herzog Lothars und Hermanns von Winzenburg 
gegen Münfter im Jahre 1121 erzählen ec. und AB. übereinstimmend 
(letstere etwas verkürzt) nach P. Vorher erwähnen AB. aber auch 
ſchon diefe beiden dem Kaifer feindlichen Fürften im Zufammenhange 
der Erzählung des Jahres 1119: De biscop (Adelbert von Mainz) 
orlogede weder den keiser; de hertoge Luder unde de greve 
Herman van Wincenborch de waren oc sere weder den keiser. 
Die Nachricht, welche ich auf feine Quelle zurüdführen kann, fieht, 
wenigitens was Yothar und Hermann anlangt, aus, wie ein aus 
Verſehen verirrter, doppelt gejetter Paljus. Auffallend, dag c*. 
feinen Bericht über Münſter damit beginnt: Hertoge L. unde 
greve H. v. W. de waren ouch sere widder den kei- 
ser unde voren mit eme starken here to Munstere, dat se 
wider satten bischop Thiderike u. ſ. w. wie c., welches das 
geiperrt Gedructe, das aud in P. feine Begründung findet, wegläßt. 

ec. erzählt die Vorgänge auf dem Hoftage zu Bamberg 1124 
ansführlih und genau nach) EP., befonders aud den Abjchied des 
nach Pommern aufbrechenden Biichofs Otto. AB. geben hier viel 
fürzer, ohne wörtlichen Anflang an EP., nur: De keiser makede 
do enen hof to Bavenberge, dar nam de biscop Otte 
orlof van deme keisere unde vor do predegenin 
dat lant to Pomeren, dat bekarde he to Gode. Die 
geiperrten Worte num fügt c*. im den Bericht von e. ein (nad) den 
Worten baden ime gudes gevelles). Den Gedanken dat bekarde 
he to Gode finden wir in EP. hier überhaupt nicht, wol aber in 
St. 1118 (aus Helmold I, 40): gentem illam convertit ad Do- 
minum. 

Zu 1131 führen AB. das Concil zu Lüttich ein mit den Worten: 
De paves quam do toDudescheme lande unde makede 


für P. wiirde fprechen, daß fie nad) dem Tode des Kaifers ericheint, für E. der 
Beifat in dem here vor Colne. 
! Discedente igitur cesare. 


481 


en coneilium; O. mit Ausnahme von c*. gibt die gefperrten Worte 
nicht, welche auch in P. feine Begründung haben. 

Zu 1148 gibt c*. den volljtändigiten Tert, der, c. und AB. 
combinirend, mit P., wenn auch nicht wörtlich, übereinſtimmt. 


AB. ce. c*.: Do de koning Conrad genas (diefer Satz fehlt 
P.), he vor to deme heiligen grave (to Jerusalem ce.); 

AB. c*.: he moste oc deme keisere loven, dat he weder 
(fehlt c*.) queme to Constantinople unde hulpe eme orlogen 
uppe den koning van Pulle.. Do quam de koning Conrat to 
Jerusalem !, 

AB. c. c*.: unde besat? (de stat to AB.) Damasch. 


c. c*.: Dar vertech sin de patriarcha unde de koning van 
Jerusalem mit untruwen, unde he ne gewan de stat nicht. 

AB. e. c*.: He vor? wider to Constantinople, alse he 
gelovet hadde, unde swor (aver AB. c*.), dat he deme keisere 
helpen wolde wider den koning van Pulle (Roeziere c. c*.). 

AB. c.: Mit der rede quam he wider to Dudischeme 
lande. 

Statt de8 letzten Sätschens hat c*. die wohl auf freier Phantafie 
eines Abjchreibers beruhende Nachricht: daz her ouch selbir mete 
hervarten solde. Daz geschach. Sie zogen gein Pullen, unde 
also quam koning Conrad widder zu lande. 


Bergleichen wir hiermit P.: Rex Conradus subplere deside- 
rans itineris sui detrimenta, raro milite convocato Jerusalem 
adiit, sepulerumque Christi debito honore veneratus, collecto 
undecunque populo Damascum obpugnaturus expeciit, qua 
robur gentilium exerevisse didicerat. Ubi cum res [ita esset], 
ut seeundum spem obsidentium posset obtineri castrum, pa- 
triarcha et rex Jerusalem, placati clam castellanis, acsi de- 
monstraturi commodiorem urbis aditum, ab inchoato devotius 
opere jamque prospere consummando manum pugnatorum cal- 
lide retraxerunt. Sie bona tantum regis voluntate manente, 
quam solus pensat Deus verus, de reliquo cassum laborem 
habuit in omnibus. Quoniam autem obligaverat se 
Juramento reversurum Constantinopolim, regreditur et 
cum rectore civitatis adversus Rozierum consilia molitur. — 
Grecus vero non ante dimisit regem Romaunorum, quam 
iterato firmaret juramento, cum oportuerit contra pre- 
fatum ducem sibi auxilio futurum. 

Es ergibt jich, daß e. im ganzen der Vorlage am treuejten ges 
folgt if. AB. und c*. ordnen den in P. beiläufig erwähnten erften 


! Donuk.C. gein J. quam, her. c*. 
2 Her gewan c*. irrig. 
° Do vor he AB. 


482 


Schwur des Königs felbftändig chronologifch ein und geben ihm als 
weiteren Inhalt den Gegenstand des zweiten Schwures!. 

Auch dem eigenen Zuſatz von AB. von der Verzichtleiftung Al— 
brechts des Bären auf Sadjjen? finden wir in diefer Partie in dem= 
jelben —— in c*. wieder. 

Nod mehr: c*. ftimmt in einer Reihe von Fällen mit A. gegen 
Be. überein. Zunächſt in Auslaffungen, auf die ic) fein allzu großes 
Gewicht legen mag, von denen ich aber doc einige der bedeutenderen 
namhaft machen will. Unter Domitian heißt e8 im gemeinen Terte: 
Sente Dyonisius wart do mit sinen gesellen gemarteret bi Paris, 
wozu Be. noch fügen: unde droch do sin hovet twe Walsche 
mile, dat nu het to Sente Dynise, welcher Sat in Ac*. fehlt. 

Wichtiger it, daß c*. gleich) A. den Herzog von Sachſen nicht 
auf dem Yechfelde erfcheinen läßt ?, 

Weiter zeigt fich Uebereinſtimmung von c*. und A. in gemein 
Ihaftlichen Zufägen. Unter Claudius II. fügen beide Necenfionen 
aus E. den Sat zu: He let och slan Aureolum, de Galienum 
erslagen hadde, c*. etwas früher als A. — Unter Anaftafius 
wiſſen beide, daß der Langobardenfönig Liutprand den Leichnam des 
hl. Auguftin von Sardinien nad) Pavia übergeführt habe, welche 
Ortsbeitimmung Be. fehlt. Sie ftammt wie der ganze Sat aus E. 
Zu 1225 geben nur A. und c*, den Namen des ermordeten Erzbi- 
ihofs von Köln an. 

Am wichtigjten erfcheint, daß c*. einen Theil der oberfächfiichen 
Zufäße von A. gibt. Bei einigen derjelben zeigt ſich aber eine von 
A. verfchiedene Stellung, bei anderen eine Verquickung mit der Faſ— 
fung von Be. An derfelben Stelle wie A. hat c*. den Zuſatz vom 
Brande Magdeburgs 1207; die Urfache de8 Todes Ottos IV. (van 
der rore); die Vertreibung der Aebtiffin Sophia von Quedlinburg 
1223. 

Eine Vermiſchung mit dem Texte von Be. resp. Umſtellung 
der Zuſätze von A. findet in c*. ii an folgenden Stellen. Schlacht 
bei Remkersleben 1213: 


Be. A. 


De bischop quam weder enemit| De bischop quam eme tojegen 
den sinen bi Remkersleve unde mit den sinen, unde stridden bi 
ward vluchtig, unde de keiser vieng | Remkersleve. De keiser behelt 
des bischopes lude vele. den sege unde vieng der riddere 

vele. 

Do vieng her Vrederich 
van Kare En bischop unde 
vorde en up to Gronen- 
berch; dar wart he eme ge- 
weldeelichen afgewunnen. 


2 Mol aus flüchtiger Betrachtung der Worte: et cum rectore ceivitatis 
adversus Rozierum consilia molitur, al® ob dageftauden: moliturum. 

2 ©, oben ©, 473, 

® Bol. oben ©. 472. 


483 


c*,. hat folgende Faffung: De bischop quam weder ene mit den 
sinen biR. unde ward vluchtig, unde de keiser behelt den 
strit unde vieng des bischopes lude vele. Darnach 
vieng u. f. w. wie A. 

Unter Otto IV. zu 1215 gibt A. ftatt einer Reihe der Stader 
Chronik entnommener Nachrichten in BC.: Do wart och grot wa- 
tervlot in deme Nortlande, dat land unde der lude erdrunken 
wol 36000. Darna wan der hertoge unde der greve sin bro- 
der Swedekumme de burch. Do wart och Lopene vorraden 
deme marcegreven van Misne. — BC. nun gedenfen der Waſſer— 
flut fpäter ! nad) einem St. entnommenen Sate alfjo: Do wart oc 
du grote watervlot, de lude unde lant irdrenete wol 360002, 
c*. ſchiebt dann hier nach watervlot, gleich A., in deme Nortlande 
ein und gibt danach noch die anderen Nachrichten von A.: Darnach 
gewan der herzoge Sindekume unde wart Luppe vorraten 
deme margraven von Missen. 

Zu 1220 erzählen BC. zuerft den Tod des Markgrafen Albrecht 
von Brandenburg (Februar 24), darauf den Hoftag zu Frankfurt, 
auf dem des Kaifers Sohn Heinrich zum König gewählt ſei (April 23). 

A. jtellt den Hoftag, im Wortlaute ganz mit BC. übereinftim= 
mend, voran und führt dann rückgreifend fort: Darvor was de 
maregreve Albrecht van Brandenburch dot, und fügt felbjtändig 
hinzu: unde och de abbet Gernant van Nienburch geblant®. 
Do wart och Anehalt verloren unde tohant weder gewunnen. 
c*. num hat die Reihenfolge und den Wortlaut von Be., jchiebt aber 
die Blendung des Abtes und die Eroberung Anhalts (im Wortlaute 
gleih A.) nad) dem Tode de8 Markgrafen ein. 

Zwifchen die Nachrichten des Jahres 1225 jchieben BC. ein: 
In dem anderen jare darma (aljo 1226) ward grot hunger. 
A. läßt diefem Sate vorhergehen: In deme selven jare wart grot 
sterfde van ve over alle lant, van rinderen unde van schafen, 
und folgen eine jelbjtändige Nachricht von einem Nathe des Grafen 
Sifrid von Blankenburg zur Linderung der Hungersnoth*. c*. hat 
den Wortlaut von c., fügt aber chronologisch unrichtig, wenn wir 
die Chronologie in A. als richtig annehmen, Hinzu: unde vihe- 
sterbin°. 


ı Chronologisch richtiger nad) den Ereigniffen des Jahres 1218, denn die 
Fluth fand ftatt 1219 Jan, 16 nad! Emo von Werum, SS. XXIII, 488. 

2 Die Nachricht geht alfo hier vielleicht auch auf St. zurück. 

s Dies geichah ſchon 1219. Vgl. Chron. Mont. Sereni. 

+ Einen ähnlichen Rath legt die Magdeburger Schöppencdhronit 143 bei 
diefer Gelegenheit dem Grafen Hoier von Falkenftein in den Mund, Beides 
ftand wol in den Gestis Alberti. 

5 Bon den jog. oberſächſiſchen Zuſätzen von A. fehlen alfo in c*, nur 
zwei: ımter Otto IV. up dat leste sin selves broder de hertoge Heinrik; 
unde de hertoge Albrecht eme gestunt alene, des hertogen Bernardes 
sone, wante an sin ende, und der über die Hochzeit Albrechts von Sachſen 
unter Friedrih II. Dazu fommt der oben zuletst erörterte, 


484 


Einige andere Stellen zeigen ein Ähnliches Verhältnis zwifchen 
A. und c*. Unter Heinvich III. fchliegt der gemeine Text die aus 
P. entnommene Erzählung von dem Zimmermannsjohne Hildebrand 
mit den Worten: He. ward monic, he vor mit sineme abbede 
to Rome und ward to hove lef, und ward to jungest paves 
lange darna. Die beiden letsten Worte, welche in P. feine Be— 
gründung finden, läßt A. weg, jchließt dann aber hier einen Sag an; 
Dit is de sevede Gregorius, de allererst weder des keiseres 
willen paves wart, he dede och den keiser Heinrik to banne. 
c*. läßt ebenfalls die Worte lange darna oben aus und fügt zu: 
Dis ist der sibbinde Gregorius, der allererst wedder des kei- 
sers willen babist wart darnach lang. Unter Heinrid) IV. 
num geben Be. zu 1074 ähnliches: Dit is de sevede Gregorius 
de paves, de dede oc den koning Heinrike to banne, im Zus 
fammenhange der aus P. entnommenen Darjtelung und hier auf 
diefe zurücgehend. A. läßt hier den Sat weg; c*. aber hat ihn 
hier gleichfalls. 

Zu 1191, Gefchichte des dritten Kreuzzuges, geben 


BC.: A. ftellt um: 


Des keiseres begrof men en del Wat ir genas de voren to An- 
to Anthioc, dat ander del vorde |thioc und darna to Akers. Des 
men to Surs und begrof it dar mit | keisers — eren. De hertoge Vrederic 

roten eren. De hertoge Vrederic | des keisers sone starf vor Akers. 

es keiseres sone und de pele- 
grime, swat ere genas, de voren 
to Anthioce und darna to Akers. 
Dar starf de hertoge Vrederic vor 
Akers. 


c*., das die Stellung von Be. beibehält, fchiebt vor deren Faſſung 
aber noch den Sat ein: Was ir genas die furen gein Anthioch, 
hat alfo denfelben zweimal. 

In der oben S. 472 angeführten Stelle über die Schlacht bei 
Mölln, vor welcher c*. die Zufäge von Be. bewahrt hat, leitet es 
mit Kombination der Worte von A. und Be. über: Na des ko- 
ng vangnisse over anderthalf jar (= A.) tohant darna 
= Be.). 

Beſonders dieſe drei letzten Stellen und auch einige der früheren, 
welche Vermifchung von c*. mit A. oder mit AB. zeigen, find der— 
artig, daß man zunächſt wohl an eine ungejchiette Verbindung, Zu— 
fammenfchweißung zweier verjchiedener Necenfionen durch einen Frem— 
den denfen könnte. Doc) halte ich dies nicht für wahrſcheinlich. c*. 
zeigt ſich, abgejehen davon, daß es unzweifelhaft in den zu allererft 
betrachteten, von ec. abweichenden Stellen auf eine felbjtändige Aus— 
gabe des Berfaffers hinweist, im großen und ganzen an Umfang mit 
e. conform. Wie follte es jemand in den Sinn gefommen fein, 
diefes ausführliche Werk, dem gegenüber A. und auch B. auf den 
erjten Blick nur als ein Auszug erfcheinen, mit den mühſam aus diejen 


485 


Recenfionen herausgefuchten Sätzchen zu ergänzen, welde c*. zufällig 
nicht enthielt. Ich denfe, die durch Berührung mit zwei Recenfionen 
(ec. und A. oder c. und AB.) auftretenden Wiederholungen in c*. 
find vielmehr fo zu erklären, daß c*. urſprünglich vom Berfaffer 
über eine A. ähnliche Faſſung übergearbeitet worden iſt; ein Exemplar 
diefer diente al8 Grundlage, Radirungen wurden maſſenhaft vorge= 
nommen, der Rand ganz vollgefchrieben, ganze Quaternionen wurden 
eingefchoben, um die Maſſe der Veberjegungen aus P. u. ſ. w. aufs 
zunehinen , dabei wurde manches der alten Recenſion überfehen, ges 
rieth bei der Reinſchrift an falſche Stelle. 

Eine Verwandtichaft in Einzelheiten zeigt c*. mit dem Texte 
der Handſchrift 10., welche innerhalb der Recenfion A. eine etwas 
diftinguirte Stellung einnimmt, Hier finden wir nämlich gerade 
einige der charakteriftiichen Zufäge von c*. wieder. So bie oben 
aufgeführten von der Erbauung Magdeburgs und der Somnenfin= 
jternis (aus P.). — Die Eroberung des heiligen Yandes durch Sa— 
ladin beftimmt der gemeine Text zeitlich aljo: Twe jare na der 
hochtit (zu Mainz 1184) Saladin gewan u. ſ. w. c*. und 10 
geben Hier iübereinftimmend, noch irriger: In deme jare na der 
hochzit zu Menze der soldan gewan?. — 3u 1225, Ermordung 
Engelberts von Cöln, fügen von allen Handſchriften allein c*. und 10, 
dein Texte: wante he sin man und sin mach was, den Sat 
bei: unde hatte mit im des tages gessin®. Darumbe so wart 
her vortrebin unde alle sine husere* zubrochin. — Aud in 
dem Theile von 1106—1177 zeigt fi) einmal Berührung von 
c* und 10. Am Ende der Negierung Konrads III. fügen beide zu: 
Nach ime wart gekoren der herzoge Frederich von Swabin; 
10. hat aber hier noch mehr als c*.: sines brudir son. Bi des 
ziten wart die dritte zweiunge schuschen deme stule zu Rome 
und deme riche. Die erste was bi deme keisere Heinriche 
deme ubelen, der vortreben wart von sime sone, der wedir 
sinen vater zu konige gekoren wart; die dritte zweiunge 
wart bi keiser Vrederiche, die werte sechzen jar. Den leiten 
Satz möchte ich in Anbetracht, daß ſpäter in allen Handjchriften die 
Dauer des Papſtſchismas unter Friedrich J. auf zwanzig Jahre angegeben 
wird, für Interpolation halten, zumal der Text von 10, fid) auch fonft 
vielfach Umgeftaltungen hat gefallen laſſen müfjen ?. 


2. In — Beſchaffenheit iſt z. B. die Originalhandſchrift des Martin 
von Troppau A. 

2In dem jare darnach gewan oder ähnliches (ohne Menze und 
soldan) geben auch die Handſch. 1—6. 

Unde mit im geßen hadde unlange desselbin tages 10. 

* vestene 10. 

5° Durd) die ganze Handſch. geht die Hand eines Eorrectors, vielleicht die- 
jelbe wie die des Schreibers. Sie tritt mafjenhaft befonders unter Friedrich I. 
auf und hat oft ganze Sätze itberichreibend geändert. Doch ift der Tert der 
Zeile immer der urſprüngliche. Daß fid) 10. vor allen anderen durch Hinzu- 


486 


Trotz diefer Hebereinftimmungen von c*. und 10. wäre die Att- 
nahme nicht gerechtfertigt, daß erjteres über lettere sei gear= 
beitet fei. 10. fchließt fich im übrigen enge an den Text der anderen 
Handjchriften der Necenfion A. an; fie fennt nicht die umfajjendere Be— 
nugung Ekkehards, wie folche in c*, im Gegenſatz zu allen anderen 
Texten zu Tage tritt. Es bleibt eben, um fi) ein annehmbares Bild _ 
der Kompojition der verfchiedenen Kecenfionen zu machen, aus diefem 
Wirrſal nur der einzige Ausweg anzunehmen, daß der Verfaſſer jehr 
häufig Umgeſtaltungen feines Werkes bei neuen Ausgaben vornahm, 
ee einer dritten dag wieder wegließ, was er bei einer zweiten zu= 
gefügt . 

Einen Uebergang von einer Necenfion zur anderen gibt auch der 
Text der Handihrift 14. zu erfennen. Aus Martin von Troppau 
und im erjten Theile mafjenhaft aus einer mit der Legenda aurea 
in Verwandtſchaft jtehenden Duelle interpolirt, deren Erzählungen 
mehrfach mit denen in O. Berührung zeigen, aber ausgejchieden 
werden müſſen, — zeigt diefer Text, der fonjt die Bermehrungen von 
B. ebenfall® hat, in einzelnen Lesarten häufig Uebereinftimmung mit 
A. AS jelbjtändige Arbeit des Verfajjers zeigt fich 14. in feinem 
Schlußſatze über die Errichtung des Herzogthums Braunſchweig-Lüne— 
burg, der von BC. abweicht, zu welchen dann der Text von 15. und 
weiter der von Detmar überlieferte den Uebergang bildet?. Ferner 
bei der Aufzählung der Fürfien des erjten Kreuzzuges, wo jtatt des 
unbeſtimmten Ausdrudes aller übrigen Haudjchriften: unde en bi- 
schop van Walscheme lande, 14. allein: unde de biscop van 
Poye jett?, was jelbftändige Benutung der hier vorliegenden Duelle, 
des in der Handjchrift der Pöhlder Annalen enthaltenen Auszuges 
von Effehards Hierfolymita?, vorausjegt. Wir müſſen uns alfo jeden= 
fall8 den Verfaſſer bei der Entjtehung der einzelnen Texte thätiger 
denfen, als dies auf den erjten Anblick fcheinen mag. 

Ungelöjt und in Bezug auf die Originalität oder Nichtorigina— 
fität der Einjchiebfel aus der Kaiferchronif in C. wichtig ift noch die 
Frage, die wir oben nur berührten, nad) dem Verhältnijfe des Gegen— 
fates der Gruppen 18. 19. 21—23. zu 24. und der Gruppen 18. 
19. 31 21—24. Wie fhon erwähnt, unterfcheiden fi) 18. 19. 21— 
23. von 24. dur gemeinfame Auslaffungen in dem Theile von 
1125—1177, ferner durd) eine gemeinfchaftliche Fortfegung bis 1275. 
Am einfachjten löſte ſich die Zwitterftellung von 18. 19., wenn man 


fügung von Jahreszahlen namentlih in dem fpäteren Theilen auszeichne, wie 
Waitz ©. 53 angibt, fann ich nicht finden, 

ı Ein Analogon bietet die Chronik Richards von Cluny, über deren ver- 
ſchiedene Texte ic) im Archiv der Gejellichaft XII, 43 ff. gehandelt habe. (Ebenfo 
bie Ehronif Korners). 

2 Bol. Forichungen XII, 185 Anm. 1 und Waik S. 29. Den Tert 
biefer Stelle in 14. f. im Archiv der Geſellſchaft VII, 650. 

s Auch 15. hat hier nur: quidam episcopus de Gallia. 

#* Episcopus Podiensis, 


487 


diefe Forſetzung dem Verfaſſer felbjt vindicieren dürfte. Dagegen er- 
heben fich aber doch die gewichtigjten Bedenken. Ganz abgejehen da— 
von, daß nad) Ausweis anderer Beobachtungen der Verfaſſer dann 
über 40 Jahre mit feinem Werfe bejchäftigt gewejen fein müßte, ift 
an der Vollendung der verjchiedenen Necenfionen vor dem Tode Kaifer 
Friedrichs IL. fejtzuhalten. Die Handjchriften geben nämlich feine Re— 
gierungszeit in der verichiedenften Weile an. Eine bloße Lücke geben 
hier 15. 16.1; eine von fpäterer Hand mit der Zahl 32 ausgefüllte 
Lücke 17.; desgl. eine mit 37 ausgefüllte 1.; 24. gibt von fpäterer 
Hand 33, wie e8 fcheint auf einer Raſur; 23. corrigiert 33 in 32; 
ain jar und 36 jJargibt 2.5; 37: 3.; 33: 4—T. und 9.; 36: 10.; 
30; 11. 12.; 34: 14.; 32: 18. 192, Es wird alfo fein anderer 
Ausweg übrig bleiben als eine durch einen Fremden vorgenommene 
Uebertragung diefer Fortſetzung von einer Recenſion im die andere 
anzunehmen. Mit der Annahme einer foldhen Uebertragung ift es 
nicht abgethan, da die Handjchriften 18. 19. 21—23. ebenfalls die 
Kleine Fortfegung der der fo verfchiedenen Clajje B. angehörigen Hand- 
fchrift 16. bi8 zum Jahre 1260 enthalten. Halten wir an der Ab- 
fajjung des Werfes vor 1250 feſt, jo ftellt augenſcheinlich der 16. 
18. 19. 21—24, gemeinfchaftliche Text (alfo bis zum Ende von 24.) 
die äußerſte Grenze dejjen dar, was wir dem Verfaſſer ſelbſt zueignen 
dürfen. Den Schluß bilden Hier in richtiger chronologijcher Folge 
die Wahl Wilhelms von Holland (1247 Oct. 3), die Einnahme 
von Achen (1248 Oct. 18), eine beabfichtigte Heerfahrt der Fürften 
von Brandenburg, Sachſen, Braunfchweig nach Böhmen mit Angabe 
de8 Datums to sente Mertines missen (1248 Nov. I1)?, ein 
Donnerwetter am 25. December und zulegt Sturm und Meeresflut 
in der Nacht der unfchuldigen Kinder, Dee. 28%. Vor diefen Nach— 
richten nun findet ſich, die font genau eingehaltene chronologijche 
Ordnung unterbrehend, die Erzählung der Empörung Abels gegen 
feinen Bruder, den König Erich von Dänemark, und deren Sühne, 
ſowie die Unterftügung, welche die Lübecker dem Herzoge zu Theil werden 
ließen: reignifje, welche, 1247 beginnend, bi8 in das Jahr 1249 
reihen?. Ich Habe diefelben ſchon früher mit St. in Parallele ge= 
ftellt: vermuthlich find fie einer der Zufäge, welche, wie wir mehr— 
fah fahen, der Verfaſſer aus St. feinem Werke fpäter beifügte, 
vielleicht am den Rand ſchrieb. Die Handjchrift 16. nun hängt in 


ı 16. fett bis 1260 fort. 

®? Gar nit in Betracht kommen bier 21. 22,, welche den ganzen Sat 
durd) einen aus Martin entnommenen evjett haben. 

s Sonſt nirgends überliefert. Bol. Palady, Geſch. von Böhmen II, 1, 132, 

* Die Flut erwähnen auch St. zu 1248, was nad) unſerer Zeitrech— 
nung 1247 fein würde. Doc fteht das Jahr 1248 umferer Zeitrechnung ficher 
durch Menfo, SS. XXI, 542. St. ift befonders im letzten Theile in den 
Sahrszahlen jehr verwirrt. Bol. 3. B. Lappenberg Anm. zu 1249 und 1251. 

5 Bol. St. 1247. 1249 und Detmar 1249, 

° Forfhungen XI, 173. Ergänzend bemerfe ich noch, daß aud) bie 
Seeräuberei der Lübeder St. 1247 erwähnt wird, 


488 


engem fachlichen Zufammenhange dieſem Einfchiebfel noch glei ar 
die Ermordung Erich durch) Abel (1250 Aug. 9) und den Tod 
des letteren (1252 Juni 29). Berner ift fie am Schluffe noch 
nit folgenden furz gehaltenen Nachrichten vermehrt: Gerücht vom 
Tode Friedrichs II. (1251); Hochzeit Wilhelms von Holland (1252 
San. 25); Kampf defjelben mit der Gräfin von Flandern (1253 
Yuli 4); Tod Wilhelms (1256 Ian. 28); Enthauptung der Her— 
zogin von DBaiern (1256 Yan. 18); Tod des Erzbifchofs Rudolf 
von Magdeburg 1260 am Margarethentag (Yuli 13). Alle dieje 
Nachrichten, ſowohl die eingejchobenen als die angehängten, finden wir 
nun auch in 18. 19. 21—23. wieder. Was ihre Provenienz an— 
langt, jo Halte ich es nicht für unmöglich, daß auch fie einem Exem— 
plar der Chronik Alberts entftammen, mit welcher fie alle, mit Aus— 
nahme der letten, Verwandtſchaft zeigen!. Yeicht Fonnte man in 
Hamburg, wo die Handich. 16. in dem achtziger Fahren des Jahr— 
hunderts gefchrieben ift, dazu fommen, ihren Text noch mit einigen 
einer weitergehenden Recenſion Alberts entnommenen Notizen zu ver— 
mehren. Daß nämlich diefe in 16. urfprünglic), in 18. 19.21—23. 
übertragen find, fchließe ich daraus, daß fie, mit Ausnahme der ein- 
gefchobenen über Erich) und Abel, in diefen Handichriften an eine 
falfche Stelle gerathen find: fie folgen hier gleic) auf die Eroberung 
von Achen und trennen von diefer die drei letten mit 24. gemein 
famen Nachrichten des Jahres 1248? Derjenige, welcher übertrug, 
hatte jie alfo wohl an den Hand gefchrieben. Kaum enticheiden läßt 
ji) dann, ob dieje Forſetzung bis 1260 zuerſt auf 18. 19. und von 
diefer Kecenfion weiter auf 21—23. übertragen worden ift, oder um— 
gekehrt. Daſſelbe gilt von der weiteren Fortſetzung diefer fünf 
Handſchr. bis 1275, welche ich mir zumächit einem ſchon mit der 
Fortſetzung von 1260 vermehrten Eremplare beigejchrieben denfe, von 
welchem fie in die aus diefem direct abgeleiteten Handſch. derjelben 
Claſſe iüberging und auf die gemeinfame Vorlage der anderen über= 
tragen wurde. Zwei Differenzen zwifchen 18. 19. einer= und 21— 
23. andererſeits tragen augenscheinlich zur Entjcheidung nichts aus, 
Zuerft nämlich jchieben 18.19. zwifchen den Tod Rudolfs von Mag— 
deburg und die Schlacht an der Marc) 1260 (welche ſchon der 
zweiten Fortſetzung angehört) einen Sat über den Tod des Herzogs 


ı Bol. Forſchungen XIII, 143. St. haben ebenfo wie S. den Srrthum, 
daß König Wilhelm felbft den Sieg über die Gräfin von Flandern davonge- 
tragen; er erjchien vielmehr erſt fpäter, nachdem fein Bruder Florenz gefiegt 
hatte, j. Böhmer, Reg. ©. 26 und dazu Ann. Erford. 

2 Diefer Annahme fcheint faft entgegenzuftehen eine Heine Vermehrung, 
welche 18. 19, 21—23. gegenüber 16. geben, Sie laffen den Erzbiſchof von 
Magdeburg alle gaies dodes fterben, welche Worte 16. fehlen. Doch ſcheint 
mir dies gegenüber dem Grunde für obige Anordnung von geringem Gewichte; 
leicht konnte der Weberarbeiter, der in der Vorlage fand, daß der Erzbiichof 
über Tiſch geftorben fei, dieſe überflüſſige Bemerkung Hinzufügen. Auch 
lönnen dieje beiden Worte zufälliger Ausfall in 16. fein, wenn wir noch ein 
Zwiſchenglied annehmen, 


489 


Dtto von Braunfchweig (1252 Juni 9) cin, welcher in 21—23. 
fehlt. Man möchte denjelben nun bei der Mebertragung auf 21—23. 
ausgefallen halten; doc, könnte er auch in 18. 19. ein jelbjtändiger 
Zufaß, oder in der gemeinjfamen unmittelbaren Vorlage von 21—23. 
zufällig ausgefallen fein, während ihn das Original, aus weldem auf 
18. 19. übertragen wurde, hatte. Mit der zweiten Differenz verhält 
e8 fid) umgefehrt. 18. 19. laſſen bei dem an unrichtiger Stelle ges 
ftellten Sate über die Heerfahrt der morddeutichen Fürjten nach 
Böhmen den Anfang weg?, ohne dem Sinne zu ſchaden. Möglicher- 
weije fiel dies bei der Uebertragung aus, kann aber auch zufällige 
Weglaffung in der unmittelbaren Vorlage von 18. 19. fein, welche 
ja auch ſonſt vielfach verwirrt geweſen ijt. 

Abzuweiſen ijt noch die Annahme, daß außer der Lebertragung 
der Fortſetzung bis 1260 auch noch andere Uebertragungen von 16. 
aus ftattgefunden. Nimmt man nämlid für 18. 19. die Priorität 
diejer Uebertragung an, jo drängt fi) die Betrachtung auf, daß die 
oben bargelegten Vermifchungen diefer Necenfion mit B. vielleicht eben- 
falls aus Uebertragung entjtanden fein Fönnten. Doc abgejehen da- 
von, daß, wie jchon oben bemerkt, ein Interpolator ſchwerlich müh- 
fam die verhältnismäßig geringfügigen Abweichungen von B. Heraus 
gefucht und mit dem fo viel reicheren Texte von c*. verbunden hätte, 
würde eine folhe Annahme zur Erflärung des eigenthümlichen Textes 
von c*. durchaus nicht ausreichen; die Vermiſchungen deffelben mit A. 
wären immer noch ungelöft. 

Ein anderes, das fi) hier aufdrängt, ift die Frage nach der 
Originalität der Zufäte aus der Kaiferchronik und der anderen fabel- 
haften Quelle. Da diejelben die beiden fo verjchiedenen Necenfionen 
c. und c*. gleihmäßig haben, fo ift e8 ficher zumächft Forderung der 
Logik, diefelben dem Verfaſſer zuzufchreiben. Bedenft man aber, daf 
eine Uebertragung zwifchen diefen beiden Recenſionen notorifch ftatt- 
fand, fo ift die Erwägung jedenfall® gerechtfertigt, ob nicht auch diefe 
Einfchiebjel mit übertragen fein könnten. Auf diefe Weiſe ließen fich 
diefelben auf eine Necenfion befchränfen, und es ftände dann nichts 
mehr im Wege, fie als fremde Zuthat auszufcheiden. Eines nur 
Steht einer folchen Annahme entgegen, und dies ſcheint wirklich aus— 
ichlaggebend zu Gunjten der Originalität jener Zufäge: die Verwandt- 
haft von 18. 19. und 21—23. gegenüber 24. erſtreckt fich weiter 
als auf die durch Uebertragung zu erflärende gemeinfchaftliche Fort: 
fegung. Jene fünf Handichriften laſſen, wie fchon oben erwähnt, 
gegenüber 24. vielfach Sätze aus, welche ficher original find. Da 
dies 18. 19. und 21—23. gleichermaßen thun, jo gehen diefe Aus- 
laſſungen fiher auf den DVerfaffer zurüd, und 21—23, repräfentiren 
aljo doch gegenüber 24. wieder eine eigene Recenſion defjelben. Die 
Logik diefer Folgerung wird fi durch nichts wegdifputiren laſſen. 

ı [Darna to sente Mertines missen de marcgreve van Branden- 


burg] de hertoge van Bruneswic unde de hertoge van Sassen voren 
mit groteme here to Behem wart. Das eingellammerte fehlt 18, 19, 


XIV, 33 


4% 


Undenfbar nämlich fcheint folgender Ausweg. Angenommen, daß die 
gemeinfame Vorlage von 21—23., welche ſchon um die beiden Fort— 
jegungen vermehrt war, in jenen Säben willkürlich von einem Fremden 
gekürzt worden fer, jo Könnte vielleicht Yeınand auf die Vermuthung 
kommen, daß derjenige, welcher diefe beiden Fortfegungen und die 
Einſchiebſel aus der Kaiferchronif (welche letzteren 21—23. als In— 
terpolationen ſchon aus der ihnen mit 24. gemeinfamen Vorlage über- 
fommen hätten) auf 18. 19. übertrug, nun auch aus dem urſprüng— 
lich reicheren, 24. gleichitehenden Texte von 18. 19. die betreffenden 
Säte herausgeworfen hätte. Augenfcheinlich eine Vermuthung, über 
deren Abjurdität Fein Wort zu. verlieren ift. 

Solange aljo nicht neue Hilfsmittel der Kritik eröffnet werden, 
müſſen wir übel oder wohl an der Urfprünglichfeit diefer fatalen, die 
geiftige und Literarische Fähigkeit des Verfaſſers fo ſehr herabjegenben 
Einſchiebſel feithalten. Für diefe Anficht läßt fi) dann auch noch 
manches geltend machen. Zunächſt die organiiche Verbindung , in 
welche einzelne diejer Zufäge mit den aus E. oder P. entnommenen 
Theilen gebracht ſind!. | 

Es iſt dann nicht außer Acht zu laffen, daß aud) der gemeine 
Text einige Male Spuren der Bekanntſchaft mit ähnlichen Fabeln 
zeigt, wie fie in C. jo maſſenhaft auftreten, Freilich tritt hier theil= 
weile wieder das Verhältnis zu St. helfend ein, deijen weitere Re— 
cenfion vielleicht in noch umfangreicherer Weife dergleichen Fabeln 
aufgenommen Hatte. So fchien e8 mir jchon Früher gerechtfertigt, die 
in O. eingerücte Legende von der Auferwedung des Hl. Maternus 
durch den Stab Petri für original zu halten, da wir hier eine auf- 
fallende Uebereinſtimmung mit einen aud) von St. gegebenen Ge— 
danken fanden *, Auch den Stader Annalen, wie fie jetzt vorliegen, 
waren folche Hiftörchen nicht fremd. Die Sage von der Sachſen 
Herkunft Habe ich ebenfalls hierher ziehen müffen?. St. kennen ferner 
die auch in der Kaiferchronif verwerthete Sage* von Curtius (in 
Kaiſ. Jovinus genannt), indem fie dem aus E. entlehnten Hiftorijchen 
Berichte zufügen: Dieunt quidam, quod per hoc allectus fuerit, 
quod data ei licentia fuerit, infra annum faciendi in Urbe 
quicquid vellet, ut anno expleto insiliret. Desgl. finden wir 
in St. 807 die Legende von Karl dem Großen und dem Hl. Egidius ®, 
welche ebenfalls die Kaiſerchronik verarbeitet hat ?. 


ı S. bejonders Tiberius, Galba, Yulians Ende, Eraelius u. a. oben 
berührte. 

; St. 47, ©. 300, 60: A tali casu papa baculo non utitur. Bgl, 
Forſchungen XIII, 174, 

8 Bol. ebenda. 

* Aus diefer in C. übergegangen. 

5 ©. 288, 19. 

6 Eigene Zuthat des Berfaffers zu den aus E. genommenen Nachrichten 
diefes Jahres, fie wäre daher im der Lappenbergifchen Ausgabe nicht Petit zu 
drucken geweſen. 

7 Aus welcher fie C. in dem Anhängſel zu Karl d. Gr, aufnimmt, 


491 


Adgefehen von der Sachſen Herkunft! finde ich in folchen jagen- 
haften Stellen des gemeinen Textes nur einmal eine leife Berührung 
mit St. Unter Otto III. wird vom Papfte Silvejter erzählt: Dit 
is de paves, van dem dumme lude wanet, dat sin graf swete, 
alse en paves sterven sole?; wante it is maneges stenes art, 
dat he nat wirt. — St. mın halten im Papftfatalog? das Grab 
Silvefters wenigftens fir erwähnenswerth, während dies bei feinem 
anderen Papſte jtattfindet: Sepulchrum ejus in ecclesia s. Salva- 
toris in meridionali latere est de marmore albo. So fünnte 
alfo vielleicht in der reicheren Recenſion Alberts die Sage vollftändig 
geftanden haben. Denfelben Nothbehelf könnte man denn auch für 
drei andere fabelhafte Stellen des gemeinen Textes herbeiziehen. 
Unter Beipafian heißt e8 (allerdings nur in BC.): Men seget oc 
dat he gesunt worde van den wispen, de an sineme hovede 
waren, van deme antlate unses herren, dat dar hetet Vero- 
nica*, wozu dann C. noch fügt: dat Tiberius hadde gehalet 
laten van Jerusalem, dar van ime bat was worden van ener 
groten suke, ohne zu bemerken, daß mit dem Namen BVeronifa hier 
das Bild des Schweißtuches, vorher aber unter Tiberius die Be— 
figerin dejfelben bezeichnet wurde. — Unter Cäſar heißt e8: He or- 
logede oc do in Britanniam (nad) E.) unde vor mit gewalt 
want an Borcesare. De berch wart na ime Borcesere ge- 
nant, dat quit to Latine Portus Cesaris?®. Danad) folgt die 
Niederlage des Craſſus nad) E. und darauf: Julius Cesar buwede 
uppe des Rines stade Ducen de burch unde in Dudischen 
landen manege burch, mit den besatte he dat lant unde vor 
wider to Rome. Steine bdiefer drei Sagen findet fich in St. ange— 
deutet; die lette derjelben gibt die Kaiferchronif ausführlicher (Vers 
379. 455), und es ijt Pflicht darauf hinzuweiſen, daß wenigftens 
eine Stelle im gemeinen Texte exiſtirt, für welche Benutzung diefer 
Dichtung wahrjcheinlich gemacht werden fan. Ob die anderen, wie 
fo manches in C., auf St. oder eine andere Fabelſammlung zurück 
gehen, fönnen wir bei der allgemeinen Unficherheit unferer Reſultate 
füglich dahingeftellt fein laſſen. 


ı In A. ift diefe Nachricht verfürzt. 

2 Die Sage fennt auch Bincenz von Beauvais XXIV, 107. 

:s ©, 298, 36. 

* Ueber das Vorkommen diefer Sage vgl. Maßmann, Kaiſerchronik III, 
583. Die Handihrift 14. hat darüber eine weitläufige Interpolation, gedr. in 
Zeitfchrift für deutiches Altertum N. 5. V, 147, 

* Der fabelhafte Ort Borcesare erſcheint aud) in der Kaiſerchronik umter 
Karl d. Gr. und ift aus diefer in das Anhängſel in C. übergegangen. Er ift 
zu unterjcheiden vom Porta Cesaris Kaiſ. 14959; vgl. Mafmanı III, 1013, 
Es ift vielleicht darunter zu verftehen Cap Bares in Gallicien, von den Emo, 
88. XXI, 478 jagt: portum habens flexuosum turre sublimi presignata 
a Julio Cesare constructa. 


33* 


492 


2. Abfaſſungszeit. 


Zur Beitimmung der Abfaffungszeit der Chronif und ihrer ver- 
ſchiedenen Recenſionen ift e8 nöthig die einzelnen Gruppen innerhalb 
der letsteren näher ins Auge zu faſſen. Innerhalb A. ergeben fich 
vier Gruppen, deren charakteriftiiche Unterjcheidungsmerfmale ich Eurz 
notire. 

a. 1—8. bis 1225 Schlacht bei Mölln (bi sinen ome den 
koning van Denemarken). Reimvorrede fehlt, Predigt unter Con— 
ftantin dem Großen ijt da. Die Handſch. find alle oberdeutfch und 
gehen auf eine gemeinfame, jedenfall auch ſchon oberdeutiche Vorlage 
zurück, welche vielfach willkürlich gekürzt hat und welcher fchon 
einige Blätter gefehlt haben müſſen, da der ganze Anfang Heinrichs IV. 
bis zum Concil zu Oppenheim 1076 in allen Handſch. fehlt. Die 
‚ Genealogie diefer läßt fich mit Ausnahme von Handſch. 8. mit zweifellofer 
Sicherheit beftimmen. 

Einzelne Lesarten und Satzſtellung nähern diefe Gruppe der 
Handich. 10., ohne daß ſich deren charakterijtiiche Eigenthümlichkeiten 
fünden, und umnterjcheiden fie von 11. 12, 

b. Handſchr. 9., oberdeutfch, beginnt erjt mit Chriftus und endigt 
etwas fpäter, gleichfall® 1225, mit dem Reichstag zu Nürnberg und 
dem dort paffirten Unfall (unde auch anderswo lanck dornoch 
von dem selben gedrange). Sie läßt mafjenhaft willfürlih aus, 
fodaß viele Merkmale der Unterjcheidung verloren gehen; doch fteht 
fie augenjcheinlich 11. 12. ferner al8 den Handſch. 1—8. Von der 
Predigt hat fie wenigftens den Eingang. 

c. Handſch. 10., mitteldeutih, in Thüringen gejchrieben, endigt 
noch etwas fpäter, aber ebenfalls noch 1225, mit der Löſung Walde- 
mars von Dänemarf (unde syner sone drye blebin gevangen 
czue gysele deme grefen Heynriche von Czwerin). Reimvor— 
rede fehlt; Predigt ijt da. Die Eigenthümlichkeiten diefer Handſch. 
und ihre Berührung mit 18. 19. find oben beſprochen. 

d. 11. 12. endigen 1230 mit dem Tode Otafars I. von Böh— 
men (starf de alde koning Odaker van Behem). 11. ijt nieder- 
rheinifch, 12. oberdeutſch in Oeſterreich geſchrieben. Neimvorrede ijt 
da; Predigt fehlt. Vielfach ſchließt fi) 12. dem gemeinen Texte enger 
an, wo 11. abweicht, ſodaß diefe Abweichungen als willfürliche zu be— 
trachten find. 

Sunerhalb der Recenfion B. fcheiden fic) folgende Gruppen: 

e. 13. 14. niederdeutih. Die Zugehörigkeit des Fragments 13. 
zu 14. zeigt fich dadurch, daß beide in gleicher Weile aus Martin 
von Zroppau interpolirt find?, Die Neimvorrede, fowie die Predigt 
fehlt 14.; von legterer jcheint 13. wenigjtens einen Fleinen Theil ge— 


ı Hierdurd wird aufs neue erhärtet, wie voreilig Schöne verfahren ift, 
ber in 11. den urfprünglichften Tert gefunden zu haben glaubte, 
2 Bol, Maßmann 168 Anm. 6, 


493 


Habt zu haben. Ende 1235, Errichtung des Herzogthums Braun—⸗ 
ſchweis, kürzer und abweichend von den folgenden Gruppen. 

. 15. lateiniſche Ueberſetzung, ohne Reimvorrede und Predigt, 
endigt 1235 wie 14., doch iſt der Endbericht etwas erweitert. Zwi— 
Ichen dieſem und dem folgenden Texte fteht dann der von Detmar 
bis 1238 benutzte. 

g. 16. 17. niederbeutfch, Tettere am Ende verftümmelt; mit 
Reinworrede und Predigt. 16. endigt wie die Recenſion C. Ueber 
die Fortfeßung f. oben ©. 488. 

Die Gruppen der Recenfion C. find ſchon oben erörtert worden. 
Bemerkt jei noch, daß die untergegangene Straßburger Handſch. 20. 
durch 21. 22. vollkommen erfett wird. Alle drei Haben faſt den 
ganzen Martin von Troppau und die halbe Kaiferchronif in ſich auf- 
genommen. 

Haben wir ſo die Handſchriften nach dem verſchiedenen End— 
punkte, mit den am früheſten endenden beginnend, gruppirt, ſo iſt dieſe 
Gruppirung feine a priori nad) dieſem Geſichtspunkte gemachte. Es 
zeigt ſich bei genauerer Betrachtung der Lesarten, abgeſehen von 
Unregelmäßigkeiten z. B. bei 10., daß die verſchiedenen Texte wirklich, 
dem regelmäßigen Fortſchreiten der Endjahre entſprechend, eine regel— 
mäßige Veränderung zeigen. Die verſchiedenen Endpunkte ſind alſo 
wohl keine zufälligen, willkürlich von Fremden durch Weglaſſung am 
Ende! oder Ausfall in den Handſchriften ausgehende. Ich glaube 
in der That, daß diefe verfchiedenen Abjchlüffe von dem Verfaſſer 
jelbjt Herrühren. Schien die Annahme am plaufibeljten, daß der 
Verfaſſer, vom fleinen zum großen fortjchreitend, die erjten Ausgaben 
feines Werkes fürzer faßte, daffelbe allmälich vermehrte und an Um— 
fang anjchwellen ließ, jo find die am früheften endenden Texte als 
die fürzeften auc für die zuerft abgefaßten zu halten. Damit ift 
freilich noch nicht erwiefen, daß das Schlußjahr auch ungefähr den 
terminus ad quem der Abfaffungszeit enthält ?; der Verfaſſer konnte 
jehr wohl in den dreißiger oder vierziger Jahren eine Ausgabe ver- 
anjtalten, die nur bis 1225 reichte. Bei der Maſſe des zu bewäl- 
tigenden Stoffes fonnte Ermüdung eintreten, das Streben das Wert 
jo raſch als möglich der Deffentlichkeit zu übergeben. Sicher ift je 
denfalls nur, daß bezüglich des terminus ad quem für alle Texte 
da8 Jahr 1250 oder 1251 feitzuhalten ift. Was den terminus a 
quo anlangt, fo fehlen im den früheft endenden Texten, denen der 
Recenſion A., alle und jede Anhaltspunkte denfelben hinauszuſchieben; 
nirgends finden ſich fpätere Ereigniffe vorgreifend erwähnt. 

Anders in den beiden anderen Necenfionen BC. Fider hat zu= 
erjt darauf aufmerkſam gemacht, daß in diefen zum Jahre 1218 der 


18 begreift ſich auch nicht leicht, daß ein Abſchreiber, wenn er aud) 
fonft fürzte, gerade das für ihn Intereffantefte, den Schluß der Chronik, megge- 
lofien haben jollte, 

2 Aud) von Fider, Entftehungszeik des Sachſenſpiegels 77, hervorgehoben. 


494 


Tod des jungen Königs Waldemar III. von Dänemart (1231 
Nov. 28) vorgreifend erzählt wird; daß ferner in B. zu 1219 eine 
Urkunde Friedrichs II. für Bremen vom März 1232 erwähnt wird. 
Freilich ift mit diefen Stellen im ganzen nichts gewonnen, da die 
Recenfion C. erjt mit dem Jahre 1249 und die Fürzeften Texte von 
B. (14. 15) erſt mit 1235 jchließen. 

Mafgebend fir diefe Fragen ift unzweifelhaft das Verhältnis zu 
den benutten Quellen, den Gestis der Magdeburger Erzbiichöfe und 
der Chronik Albert von Stade. Beide find, wie id) erwiefen zu 
haben glaube, in allen Recenſionen benutt. Erſtere anlangend jo 
würde dadurd) der terminus a quo aud der am frühejt endenden 
Texte bi8 1232, in welchem Jahre Albert von Magdeburg jtarb, 
hinausgefchoben, wenn wir feine Pebensbefchreibung erjt nach feinem 
Tode gejchrieben annehmen. Aber letsteres ift nicht außer Zweifel; 
wahrfcheinlich vielmehr, daß diefelbe zu feinen Lebzeiten aufgezeichnet 
wurde und das Jahr 1230 nicht überfchritt!. Sicher iſt dann alfo 
der terminus a quo nur bi8 1230 hinauszufchieben. 

Noch unficherer fühlen wir uns der verlorenen, reichhaltigeren 
Chronik Alberts gegenüber. Wüßten wir bejtimmt, daß der Abt erjt 
1240 die erfte Ausarbeitung feines Werkes abgefchloffen, fo fünnten 
auch die Terte mit dem frühejten Endjahre erjt nad) diefem Jahre 
abgefaßt fein. Doc) jcheint eine Ableitung des Werkes, die Bremer 
Annalen, zu beweifen, daß eine Recenſion dejjelben nur bi8 1227 
reichte, alſo dreizehn Jahre vor 1240 abgefaßt fein kann. Weiter 
fommen wir hiermit aber auch nicht, es müßte denn bewiefen werden, 
daß der Verfajfer der Sachſenchronik verjchiedene Wecenfionen der 
Stader Chronik für die verfchiedenen Necenfionen feines Werkes be= 
mußt habe. Für unmöglich halte ich dies allerdings nicht. Nimmt 
man an, ihm Habe nur eine Necenfion zu Gebote gejtanden, dann 
fönnten auc die früheſt endenden Texte erit nach dem Jahre ge= 
Schrieben fein, in welchem die letzte Berwandtichaft von St. mit irgend 
einem Texte ftatthat. Die letzte ſichere Berührung habe id) zum 
Jahre 1234 finden zu müſſen geglaubt, bei einer Nachricht des Jahres 
1236 (in St.) war ic) jchon zweifelhaft?. Vermuthlich gehört aber 
noch eine von mir überfehene Nachricht des Jahres 1237 hierher, 
die in St. zu 1236 verzeichnet ijt?. 


8. M, 486. Sch. 89. 
Desselven jares to herremissen | Facta est maxima strages pere- 
voren de pelegrime van Liflande |grinorum in Livonia circa festum 
uppe de Lettowen unde worden ge- | Mauricii. 
slagen twe dusent der pelegrime. 


St. 1236, 





« : ©. Forihungen XIII, 194. 

2Forſchungen XII, 172. 

3 Daß dieje Niederlage wirklich 1237 ftattfand, glaube ic; nad) der Ein— 
ordnung in S. und nad) den Ann. Dunamund. et Sambiensis canonieci 
(SS. XIX, 703. 709); Bonnell, Ruſſiſch-Livländ. Chronologie, ſetzt fie, geſtützt 
auf St. 1236, St. find aber chronologiſch nicht genau. 


495 


Und felbft Nachrichten der Jahre 1247 bis 1249 kann man mit 
demſelben Nechte den St. binbieiren , mit welchen ich dies bei mans 
chen anderen gethan habe!. Ueberall aljo Unficherheit. Undenkbar 
freilih), daß alle die verfchiedenen Texte den Fahren 1249—1251 
ihre Entjtehung verdanken, was doch der Fall fein müßte, wenn der 
Verfaſſer nur nad) einem Eremplar der Stader Chronik, das bis 
1249 reichte, gearbeitet hätte. Ich möchte daher lieber annehmen, daß 
die Benugung von St. überhaupt nicht über 1234—1237 hinaus- 
reicht; dahingeftellt bleiben muß, ob der frühere Schluß der fürzeften 
Texte der Recenſion A. durd) die Abhängigkeit von früher endenden 
Necenfionen von St. motivirt oder der Willfür des Verfaſſers zuzu— 
ſchreiben ſei. Mit jenen Jahren ftimmt denn auch ungefähr der 
Schluß der Fürzeften Handſch. der Recenſion B. (14. 15.), welche 
mit der Errichtung des Herzogtums Braunſchweig 1235 abbrechen. 
Ein Zufat in 14., welchen wir Feine Urjache haben nicht für original 
zu halten, weijt auf 1236 als terminus a quo der Abfaffung diefes 
Textes ?, 

; Weiter hat Ficker aus einer Stelle zum Jahre 1219 in Re— 
cenfion O. gefolgert, daß diefer Theil diefer Neceufion vor 1232 ab- 
gefaßt fein müßte Bei Erzählung der Abtretung der Grafichaft 
Stade durd; den Pfalzgrafen Heinrih an Bremen gibt nämlich C. 
den Zuſatz: Do spraken ettelike lude, dat he’t nicht don ne 
machte ane erven lof, ettelike dat he’t don mochte sunder 
erven lof. Dar ward enes ordeles umbe gevraget. Do vant 
men to rechte: were he en Swavei, he mocht’ it wol don. 
Dat is wol witlik, dat he nen Swavei newas, wane en recht 
Swaf van allen sinen alderen. Statt dieſes Sates mm gibt 
B.: Dese gift, de de hertoge gaf deme godeshuse, de stede- 
gede keiser Vrederik mit siner guldenen hantveste lange 
darna to deme hove to Ravene. Es ijt dies die Urkunde Frie— 
drichs IL. vom März 1232°. „Statt der Nachricht von der 1232 
erfolgten faijerlichen Beftätigung der Vergabung finden wir alfo in 
C. einen Zweifel an der Rechtmäßigkeit derfelben ausgeiprochen. Die 
Stelle in C. iſt unzweifelhaft die urjprünglichere; es liegt fehr nahe, 
daß der Berfaffer diefe durch die Nachricht über die faiferliche Beſtä— 
tigung erjette, während das umgekehrte Vorgehen unerflärlich fein 
würde. Dann wird aber auc weiter zuzugeben fein, daß der Ver— 
fajfer die Stelle in C. früher gejchrieben haben wird, als ihm die 
faiferliche Beſtätigung bekaunt war, alfo etwa vor der zweiten Hälfte 
des Jahres 1232, was dann natürlich auch für die früheren Theile 
der Chronik maßgebend fein würde“. So Fider‘. Diefe Deduction 


ı ©. Forſchungen XII, 173. 

2 Beim Tode der hl. Elifabeth (1231) jegt 14.3u: Dar wart se sedder 
upgehaven (1236 Mai 1) unde canonizeret (1235 Juni 1). Do me se 
upnam, do was keiser Vrederik dar unde mennich eddele man. 

® Bölımer, Reg. Frid. Nr. 714. 


167% 


496 


Scheint fchlagend. Es würde durch fie das ganze. Bild, das wir ums 
von der Compofition der verjchiedenen Recenſionen zu machen ver= 
jucht Haben, über den Haufen geworfen. CO. wäre zeitlich früher zu 
ſetzen als B., wenigftens die früheren Theile bis 1219 etwa. Une 
möglich ift das freilich nicht ; der Verfaſſer könnte ganz gut nad) Ab— 
folvirung von A. die größeren Ausgaben in die Welt geſetzt haben, 
um dann wieder zu der Anfertigung kürzerer (B.) zurüdzufehren. 
Die lesten Theile von C. bis 1249 wären dann als fpätere Fort— 
jeungen zu betrachten. Doch kommt noch eine andere Erwägung in 
Betracht. Die ganze Erzählung von dem Bertrage des Pfalzgrafen 
mit Bremen 1219, die fi) nur in BC. findet, geht dod wohl un= 
zweifelhaft auf St. zurück! und ift augenscheinlich nad) der betreffenden 
Urkunde ſelbſt gearbeitet ?, deren Einficht dem Stader Abte leicht zu= 
gänglich war. Schon der Eingang ift mit der Urkunde überein 
ſtimmend. 


Do wart versont dat lange or-Notum sit — quod discordia, 
loge twischen deme stifte to Bre- | que diu duraverat inter ecclesiam 
men unde deme hertogen Heinrike | Bremensem et Heinricum ducem 
van Bruneswic. Saxonie, sic est conposita. 


Der materielle Theil de8 Vertrages in BC., bejonders die präcife 
Unterfcheidung zwiſchen dem Eigen in der Grafichaft Stade und dein 
Comitate ſelbſt, entjpricht ebenfall8 genau der Urkunde. Daß der 
nach 1230 jchreibende Verfaffer, der feine Kenntnis diefes Vertrages 
aus St. fehöpfte und vermuthlic) doc in der Gegend von Magdeburg 
zu Haufe war, aus eigener Kenntniß und Erinnerung einen damals 
gefüllten präjudiciellen Urtheilsfpruch beigefügt haben follte, ift mir 
höchſt unwahrscheinlich, während dem Stader Abte ein ſolche Ausfüh— 
rung wol anftand. Daß derartiges damals ftattgefunden, bezweifele 
ich nicht, denn die Schenfung von Eigengut ohne Zuftimmung der 
Erben (im dieſem Falle des 15jährigen Neffen Dttos des Kindes) 
fteht einzig da und ift durchaus gegen das geltende Recht?. Auch 
fcheint die Urkunde felbft dergleichen anzudeuten, wenn fie jagt: Hec 
donatio palatini facta est sub banno regio in oppido Stadensi 
et per sententiam ibidem confirmata. Mit ordelen aljo 
wurde die Schenkung zu Stade beftätigt, d. h. auf Frage erkannt, 
daß fie zu Necht habe jtattfinden fünnen. Wol mochte der Abt, der 
vielleicht jelbjt bei der Verhandlung zugegen war, fi) erinnern, was 
der Inhalt der Frage gewejen, über die Urtheil erging. Der letste 
Sat: Dat is wol witlik u. f. w. wird dann wohl allerdings dem 
Berfaffer von ©. felbft zuzuschreiben fein, deffen Heimath in der Nähe 
des ſächſiſchen Schwabengaues zu fuchen ift. leicherweife wie den 
Bericht über diefes Urtheil, möchte ich aber auch den über die Be— 


ı ©. Forſchungen XIII, 171, 
2 Hamburger U. B. 375. 
3 Bol. Sadjjenfpiegel I, 52. 


497 


ftätigungsurkunde Kaiſer Friedrichs der Stader Chronik zumeifer. 
Die Kenntnis von fpecielle Dinge betreffenden Urkunden? Habe ich 
font nirgends in der Sachſenchronik angetroffen; der Abt von Stade 
dagegen hatte die Urfunde wohl felbft gejehen und ſich überzeugt, daß 
eine Goldbulfe daran hing. Die beiden Süße in C. und B. fliegen 
fih ja auch nicht gegenfeitig aus; fie fonnten beide zufammen von 
Albert gefchrieben fein. Der Verfaſſer der Sachſenchronik verfuhr 
dann mit der Vorlage, wie auch fonft mehrfah: er nahm in eine 
Recenfion einen Sat derfelben auf, in die andere einen anderen ®, 
In Anbetracht diefes unficheren Bodens, glaube ich, ift e8 gerechtfertigt 
diefen Stellen Fein entſcheidendes Gewicht bei der Beſtimmung der 
Abfaffungszeit von O. zuzulegen. 

Eine andere Frage, die Ficker amdeutet, ijt die: wie weit der 
übereinftimmende Text von C. und 16. noch dem erften Verfajjer an— 
gehören dürfte, „Ueber 1242 (M. 491) dürfte er ſchwerlich Hinaus- 
gehen“. Schon die Webereinftimmung der beiden fo grundverſchie— 
denen Mecenfionen in dem ganzen letzten Theile fpricht gegen eine 
folhe Annahme. Ein anderes wäre, ob überhaupt zu 1242 (d. 5. 
doc) wohl nad der Erzählung von der Verbrennung der jüdischen 
Bücher zu Paris) ein Abfchnitt zu machen ift, ob der Berfafjer, der 
bis dahin etwa gleichzeitig aufjchrieb, hier abbrach, um etwa fpäter, 
1250 oder 1251, die Greignijfe der Jahre 1243 bis 1249 nachzu— 
holen. Dazu fehe ich aber wirklich feinen triftigen Grund. Die 
Erzählung ift fchon früher (feit Heinrich) VI. etwa) ziemlich chro— 
nologiſch gehalten, auc in den Partien, wo die Benutzung der 
St. und ber Gesta archiep. Magdeburg. überwiegt; fie wird es 
gegen Schluß der Handſchr. 11. 12. (1230) immer mehr, obgleid) 
fih hier ſchon große Partien finden, deren Quelle wir nicht nach— 
weifen können. In dem folgenden C. und B. gemeinschaftlichen 
Theile bis 1235 fchreitet fie gleichfalls ftetig und chronologisch ziem- 
lic genau dahin; der Umfang deffen, was unter den einzelnen Jahren 
erzählt wird ijt fogar ziemlich gleich, wenigjtens zeigen ſich feine auf: 
fallenden Bernachjläffigungen einzelner Jahre. 14. 15. emdigen mit 
einem Ereignis vom 15. Auguft 1235, C. und 16. fahren mit einem 
jolhen vom November dieſes Jahres fort. Danad) folgen in guter 
Ordnung Greignijfe der Jahre 1236 und 1237 bis zur Schlacht 
bei Gortenuova, im Anſchluß woran gleich der Auffnüpfung des Po— 
deita von Mailaud 1238 (des anderen jares) gedacht wird’. Dann 
folgt: Darna legede de keiser enen hof to Berne, dar let he 
bidden de Dudischen vorsten unde de herren. Der Hoftag, ur- 


‚.., ol die Kenntnis allgemeiner, das ganze Reich betvefiender, 3. B. das 
Reichsfriedensgefeh von 1235. 
2 Ein Beifpiel derart ift oben S. 473 aufgeführt. 
®° Diefe Auffnüpfung feßen die Ann. S. Pantaleonis, SS. XXII, 533, erft 
zu 1240; die Ann. Veron. Parisii de Cereta, SS. XIX, 10, weldje fie auch 
— haben keine nähere Zeitbeſtimmung, ſondern leiten den Bericht mit 
einde ein. 


498 


fprünglich auf den 1. Mai 1238 beftimmt, wurde alfo vermuthlich 
im Anfange des Jahres 1238 ausgefchrieben ?. 

Daraus nun, daß zwiſchen diefer Nachricht und der fpäter fol= 
genden von dem Verlauf des Hoftages zu Verona andere Nachrichten 
zwijchengejchoben find, hat Ficker“ „auf allmäliche, faſt gleichzeitige 
Weiterführung“ gejchloffen. Diefer Schluß wäre doch nur dann be= 
rechtigt, wenn diefe zwiſchengeſchobenen Greignijjfe in die Zeit von 
Ende 1237 bis 1238 Mai fielen. Statt dejjen finden wir aber zu— 
nächſt die chronologiiche Ordnung verlaffen durch Erzählung allge— 
meinerer Art. Bi desselven keiser Vrederikes tiden erhof sic 
diu kristenheit to Prucen; zur Zeit feines Vaters Heinrich wurde 
Livland bezwungen ; das Auffommen der Bettelorden , deren Stifter 
canonifirt wurden (1227 und 1234); dann Tod des Biſchofs von 
Bamberg vor Wien 1237 uni 5; des andern jares darna Tod 
des von Köln und Osnabrüd, 1238. März 26 und December 30; 
in demselven jare (aljo 1238) Gefangennahme Ottos von Bran= 
denburg durch den Bischof von Halberjtadt. Diefe Art und Weife 
entjpricht ganz dem auch ſonſt vielfach zu beobachtenden Berfahren 
des Verfaſſers, die chronologifche Ordnung durch allgemeinere Süße 
zu durchbrechen und auch zeitlich früheres nachzuholen. Dann find 
die Ereigniffe der Fahre 1239 bis 1242 in ziemlicher Ausführlich- 
feit und gut chronologiſch erzählt bis zu der oben angeführten Stelle. 
Hierauf wird wieder zurüdgegriffen, um die Päpfte der Zeit an— 
zubringen, wie wir dies in den früheren Partien de8 Buches regel= 
mäßig jehen. Es hat dies alfo nichts auffallendes. Do starf de 
paves Gregorius (1241 Aug. 21) unde wart gekoren Celestinus 
(Oct. 26), de starf an deme 17. dage (Nov. 10). Do stunt 
Rome ane paves in dat dridde jar. Do wart gekoren Inno- 
ceneius (1243 Yuni 25) mit des keiseres willen. De helt 
densilven ban, den de paves Gregorius an den keiser hadde 
gedan; sich erhoven do degedinge twischen en twen, de to- 
gingen also, dat deme keisere besceden wart to Genewe; 
dar newolde he nicht komen, wante he der borgere vigent 
was? Der Abbruch der Verhandlungen erfolgte 1244. Die Jahre 
1243 und 1244 find alfo hier etwas jtiefmütterlich behandelt. Auch 
von folgenden Jahre wird nur des Concils zu yon ausführlich ge= 
dacht, woran ſich dann gleich ganz natürlich die Erwählung Heinrichs 
von Thüringen (1246 Mai 22), fowie die Schladht bei Frankfurt 
ſchließt (Aug. 5). Dann folgt wieder rücgreifend der Krieg der 
Sultane von Aegypten und Damaskus, Schlaht bei Gaza (1244 


ı ©, Böhmer 180. 

? Die Quellen laſſen hieriiber im Stid). 

ı6©.78. 

* Daß der Papſt dem Kaifer zugemuthet nad) Geuua zu kommen, finde 
ich weder im den gleichzeitigen Duellen noch in den Aktenftücken angedeutet. Es 
ift auch unwäahrſcheinlich, da fonft der Kaifer wohl nicht verfänmt haben würde, 
es in feinen Bertheidigungsichriften zu erwähnen. 


499 


Oct. 17); dann wieder Ereigniffe von 1246; die Fehde Erichs und 
Adels von Dänemarf 1247—1249; die Wahl Wilhelms von Hols 
land (1247 Sept. 29) und die anderen oben ſchon aufgeführten Er- 
eigniffe bis zum Schluß. Im großen und ganzen ift die Art und 
Weiſe der Compofition diefes Theiles von 1243 an dod) nicht anders 
als die des früheren, und die Kürze der Nachrichten der Jahre 1243 
und 1244 fünnen mich allein nicht beſtimmen, zu 1242 einen Ab— 
ſchnitt anzunehmen. Finden wir doch auch ſonſt die bedeutendſten 
Ereigniſſe mit Stillſchweigen übergangen, wie z. B. die Heerfahrt 
des Kaiſers gegen Friedrich von Oeſterreich 12371, den Bann 
Gregors IX., der nur beiläufig erwähnt iſt, die Seeſchlach des 
Jahres 1241 md die Gefangennahme der Gardinäle, die Schlacht 
bei Parma 1248 Februar 18. Ueberhaupt machen die legten Theile 
(von der Charafterifirung der früheren, wo noch nachweisbare Quellen 
benutzt find, fehe ich ab) troß einzelner vorzüglicher Nachrichten einen 
jehr aphorijtifchen Eindrud; es überwiegt allerdings die Reichsge— 
hichte, doch treten dazwiſchen auc andere höchſt unbedeutende oder 
fernliegende Ereigniffe auf. Immer wieder tritt die Verſuchung 
heran zur Annahme, der Verfaſſer habe bi8 zu Ende eine Quelle 
ziemlich ſyſtemlos excerpirt ?, 

Iſt fomit die Annahıne eines Abfchnittes zu 1242 wegzuweiſen, 
jo fragt e8 fi), wie die Uebereinftimmung von C. und 16. bis zu 
Ende zu erklären fei, wenn wir annehmen, daß die Vollendung von 
C. erft zwifchen 1249 und 1251 ftattfand, die der Recenſion B. im 
allgemeinen aber früher. Ich glaube, der Verfaffer hat nad) Vollen- 
dung von C. einem Gremplare von B., das er nod in Händen hgtte, 
die Fortjegung jener Recenſion nachträgli noch zu heil werden 
lajjen. 

An ficheren Refultaten haben wir alfo nur zu verzeichnen, daß 
alle Kecenfionen nad) dem Jahre 1230, vielleicht erſt nad) 1232, 
und vor dem Bekanntwerden de8 Todes Kaifer Friedrichs II. in 
Deutfchland, 1251, abgefaßt find; möglich ift, daß fie allefammt erft 
nach 1240 entjtanden find, wenn wir für alle die Benutzung der 
einen in diefem Jahre endenden Kecenfion der Stader Chronik an- 
nehmen. Für die fpäter als 1230 endenden Texte fchiebt ſich dann 
der terminus a quo mindejtens über das Endjahr hinaus, für 
Handich. 14. wahricheinlich über den 1. Mai 1236; die Vollendung 
der Texte der Recenfion ©. hat in den Fahren 1249 bis 1251 Anz 
fang ftattgefunden. Achtzehn bis neunzehn Jahre wäre alſo der Ver: 
fafjer mit Anfertigung verfchiedener Ausgaben befchäftigt gewefen. 


ı Daß der Berfafjer davon Kenntnis hatte, beweift der Beifat zu dem 
Tode des Bischofs von Bamberg: in der hervart to Wene, fowie 1240: 
davore gewan de hertoge van Österrich des keisers hulde unde wart 
eme Wene weder. 

2 (Doc; wohl cher aphoriſtiſch ihm zufommende Nachrichten — 

G. W.) 


500 


3. Berfaffer. 


Stiegen wir bei Betrachtung fowol der Compofition al8 der Ab- 
faffungszeit der Sachſenchronik auf eigenthümlihe Schwierigkeiten, 
welde eine präcife, endgültige Beantwortung diefer Fragen aus— 
le jo ift dies nicht minder bei der Frage nad) dem Verfaſſer 
er Fall. 

Daß feine Heimath im niederdeutichen Sprachgebiete zu ſuchen, 
unterliegt feinem Zweifel: die niederdeutjchen Handichriften des Werkes 
find wie die ältejten, fo auch die urfprünglichiten, die mittel- und 
oberdeutjchen die übertragenen. - Bei der Forſchung nach der engeren 
Heimath find vor allem auszufcheiden alle lokalen Bezüge, welche fich 
in den früheren Theilen finden und mit Sicherheit oder Wahrjchein- 
lichkeit auf benutzte Quellen zurückgeführt werden fünnen. So vor 
allem die auf die Michaelschronif zurückgehenden Lüneburger Nach— 
richten, alles auf den Bereich der Hamburg- Bremifchen Erzdiöcefe, 
auf Hofjtein u. ſ. w. bezügliche, welches aus der Stader Chronik 
abgeleitet ift; wenn ferner bis gegen 1230 häufig Magdeburg und 
feine Umgebung: Quedlinburg, Gatersleben, Staßfurt, Calve, Afen 
an der Elbe, Anhalt, Lopen zwifchen Raguhn und Jeßnitz im Her— 
zogthum Anhalt ? Hervortritt, jo macht die erwiefene Benutzung der 
Gesta archiep. Magdeburg. jeden hieraus zu entnehmenden ört- 
lichen Hinweis werthlos. Der fette Theil etwa von 1230 au, welcher 
doc) vermuthlich als felbjtändige Arbeit des gleichzeitigen Verfaſſers 
gedacht werden muß, behandelt, abgefehen von den St. noch zuzuwei— 
jenden Partien, vornämlich Neich®- und allgemeine Geſchichte. Daß 
Nachrichten wie der Tod Liutpolds von Dejfterreih, die Heerfahrt 
Wenzels von Böhmen nad) diefem Herzogthume, der Tod Otafars I. 
(alles 1230), die Ermordung des Herzogs von Baiern (1231), die 
Heerfahrt des Böhmenkönigs gegen Mähren und die Eroberung von 
Brünn (1233), der Tod Friedrichs des Streitbaren von Dejterreic) 
in der Ungarnſchlacht (1246) zur Localbeftimmung nicht herangezogen 
werden fünnen, liegt auf der Hand: es waren dies eben jo bedeutende 
Greigniffe, daß fie überall in deutfchen Landen, wo ein denfender Kopf 
die Feder führte, intereffirten. Prägnante Details ericheinen auch hier 
nirgends. Dafjelbe gilt von dein Tode einzelner Biſchöfe: Halberſtadt 
1236. 1241; Bamberg 1237; Köln und Osnabrüd 1238. Mit 
Borliebe nehmen alfe mittelalterlichen Chroniften diefe Todesfälle auf, 
wo fie ihrer habhaft werden können. Nach Ausſcheidung diefer und 
alfer Reichsnachrichten fallen einzig auf die Nachrichten über die 
Kämpfe der Markgrafen von Brandenburg mit den Bifchöfen von Hals 


ı Bol. Anm. Ianides zu S. 127 der Ausgabe der Schöppenchronik. 
Die Sotsmann - Schropp’iche Karte des Herzogthums Magdeburg, entworfen 
* und revidirt 1813, weiſt zwiſchen Raguhn uud Jeßnitz noch ein Le— 
ehna auf. 


501 


berftadt und Magdeburg zu 1238. 1240 und 1241'. Trotzdem 
daß dies rein locale Fehden zwijchen Lehnsheren und Vaſſall geweſen 
find, weiß der BVerfaffer hier ſolche Details, dag wir ihn gleichzeitig 
und in der Nähe des Schauplates dieſer Ereignijje jchreibend an— 
nehmen müffen. Der Schauplatz iſt aber das Herzogtum Magde— 
burg (Alvensleben, Calve, Hadmersleben), Fürſtenthum Halberjtadt 
(LZangenftein), die Altmark (Biefe), die Mark (Plane, Köpnid, Mitten- 
walde). Der Berfaffer fennt hier die beiden Dienftleute, denen es 
endlich gelang, den Frieden herbeizuführen: Godfrid von Weddingen ? 
und Borchard von Srrleben?. Bei allem Detail iſt die Darſtellung 
diefer Kämpfe fo objectiv, daß ein Parteiftandpunft des Verfaſſers 
uicht zu Tage tritt; ebenfogut ein Magdeburger wie ein Branden- 
burger könnte fie gefchrieben haben*. Für einen Brandenburger könnte 
vielleicht noch geltend gemacht werden, daß zu 1242 die Gefangen- 
nahme des Biſchofs von Brandenburg durch den von Havelberg er- 
zählt wird, fowie die Uebergehung der Magdeburger Biſchofswechſel 
in den Jahren 1232 und 1235.- Freilich hatten die Markgrafen, 
abgejehen von der Altmark, auch rechts der Elbe Bejigungen (Had- 
mersleben, Alvensleben) und Bafjallen. 

Die NReimvorrede der Chronik unbefangen aufgefaßt, läßt feinen 
Zweifel darüber, daß einer von Repgau der Verfaſſer des Werfes 
jei. Die Originalität diefer Vorrede ift durch ihr Vorkommen in 
allen drei Necenfionen erhärtet ; ihr Fehlen in einer Anzahl Hand- 
Ichriften ijt ganz natürlid), zumal wenn man beachtet, daß es ober— 
deutjche oder fpäte Handfchriften find. Es war den Schreibern jeden- 
fall8 bequemer die alten, unverjtändlichen niederdeutjchen Reime weg— 
zulajjen al8 in ihre Sprade umzugießen. War es nun der Repgauer 
Eife, der Verfaſſer des Sachſenſpiegels, der die Chronik fchrieb ? 
Die Zeit jeines urkundlichen Borkommens 1209—1233 ftünde diefer 
Annahme nicht im Wege, da er, wie jchon Fider ? bemerkt, nod) 
manches Jahr nad) 1233 fchreiben konnte. Seine perfönlichen Be— 
ziehungen zu den Fürſten Norddeutſchlands — er erjcheint urkundlich 
in der Gejellichaft des Fürſten Heinrich I. von Anhalt, der Mark» 
grafen von Brandenburg, des Grafen Hoier von Balfenjtein, der 
Grafen von Dornburg und Reinjtein, des Tpäteren Erzbiſchofs Wil- 
brand von Magdeburg, des Markgrafen Dietrid) von Meißen, des 


ı Die Schladht vor Brandenburg zwiſchen dem Markgrafen und Albrecht 
von Magdeburg 1229 heranzuziehen, wage ich nicht, da hier nod) die Gesta des 
letsteven benutt fein fünnen. 

Die drei Pfarrdörfer Ofter-Rangen- und Alten-Weddingen liegen 12 
Meilen ſüdweſtlich von Magdeburg. 

s 1./, Meilen nordweftlih von Magdeburg. 

* WBartei zur nehmen ift überhaupt nicht des Verfaſſers Sache und Zweck. 
Man vgl. die Darftellung deffen, was über Friedrich IT. und die Päpfte erzählt 
wird, ar die Nachrichten über die Wahl der Gegenkönige, 
5 [2 74. 


502 


Landgrafen Ludwig von Thüringen! — lajjen ihn als wohl befähigt 
erfcheinen, die Reichsgeſchichte feiner Zeit zu fchreiben. 
Werthlos als Argument für die Autorfchaft Eifes ift zunächſt 
die Neimvorrede der fog. Weichbildchronik: 
Got gebe siner selen rat, 
der diz buch getichtet hat: 
Eike von Repchowe .... 
Herrn Eiken wort meren, 
Wenn von der genaden sin 
Ist diz buch worden min. 
Unter diz buch verfteht Schöne? die Sachſenchronik, aus der die 
MWeihbildchronif excerpirt ſei; ficher unrichtig. Abgejehen davon, 
daß der Berfafjer der Weichbildchronif no aus anderen Quellen, 
dem ſächſiſchen Landrechte, einem Katalog der Magdeburger Erzbiſchöfe, 
ercerpirte, fo könnte er doch die Worte: der diz buch getichtet 
hat, trog der ausbündigften Bejcheidenheit gegenüber feinem Verdienſte 
an jeiner Compilation, deren beiten Theil er Eifen (dem Berfajjer 
der Sachſenchronik) verdanfte, doc auf diefen gewiß nicht anwenden. 
Die Erwähnung des DValfenfteiners aber, auf dejjen Bitte ınan das 
Bud in Deutſch ſähe, paßt doch nur auf den Sachſenſpiegel und 
ſchöpft feine Kenntnis aus dejjen Neimvorrede. Homeyer hat hier 
fiher das Richtige getroffen, wenn er urtheilt?, daß das Gedicht eher 
als Epilog zum Sachſenſpiegel denn als Prolog zum Weichbild (oder 
deſſen Chronif) paſſe. Das Gedicht Hat mit diefem eben nichts zu 
thun, jeine Verbindung mit demfelben erkläre ich mir ganz äußerlich: 
der Verfaſſer der Weichbildchronif hängte fein Werf einem Ereuplar 
des Sachſenſpiegels an, weldem das Gedicht al8 Epilog beigegeben 
war, jpätere mechanische Abjchreiber behandelten e8 als Einleitung zu 
jener®. Noch weniger aber hat das Gedicht mit der Sachſeuchronik 
zu thun, mit welcher es auch nicht einmal äußerlich) verbunden er= 
cheint. 
ZTrefflih pafjen auf Eife die oben aus der Sachſenchronik ge= 
ſchöpften localen Beziehungen. Eike iſt Schöffe, freier, Grund— 
eigenthümer in der Grafichaft Billingshohe?, deren eine Dingjtätte, 
Salbfe an der Elbe oberhalb Magdeburg, 1—1'/e Meile von den 
1 ©, Homeyer, Sadjjenfpiegel I, 6 ff.; fiir die beiden letzten Pofern-Klett, 
Borftudien zur Geſchichte der Berfaffung der Marf Meißen im 13. Jahrhundert 
©. 29. 30 (vgl. Homeyer in den Monatsberichten der Berliner Akademie der 
Wiſſenſchaften 1866, S. 630 ff.). 
2 ©. 15. Aehnlich Fider ©. 73, 
8° Die deutfhen Rechtsbücher des Mittelalters 29. 
% Auf die anderen von Schöne gegen die Auffafjung disses buches ale 
Sachſenſpiegel aufgeführten Gründe gehe ich hier nidht ein; fie find aber fo 
nichtig, wie faft alle Behauptungen dieſes Herrn. Dabei bleibt die Annahme 
—— daß der Verf. der Weichbildchronik zugleich der Dichter des Epi— 
0 € 
: Eee der Grafſchaft Mühlingen; vgl. Winter oben S. 308, defjen 
Gründe gegen die Anfäffigkeit Eifes in diefer Grafſchaft mir nicht ausreichend 
zu jein ſcheinen. 


503 

drei Dörfern Weddingen entfernt liegt. Die ganze Grafichaft gehört 
den Stifte Magdeburg, die Markgrafen haben fie von diefem zu 
Lehen, von diefen wieder die Grafen von Dornburg und Valkenſtein. 
Auf der einen Seite alfo örtliche Beziehungen zu Magdeburg, auf 
der anderen Beziehungen zu den Markgrafen als unmittelbaren Lehns— 
herren des Gomitatsinhabers, in deren Gegenwart er 1233 zu Salbfe 
des Schhöffenamtes waltet. Eife war fo recht im Mittelpunfte des 
Terrains angejejfen, auf welchem ſich die gejchilderten Kämpfe ab- 
fpielten. Unzweifelhaft war er mit den beiden benachbarten Mini- 
fterialen von Weddingen und Srrleben perſönlich befannt. Borchard 
von Irxleben erfcheint mit Eike als Zeuge der Urkunde der Marf- 
grafen von Brandenburg 1233, neben Liudgar, Dietrid) und Heinrich) 
von Weddingen !. 

Freilich können mit demfelben Fug und Recht diefe Beziehungen aud) 
für einen Anverwandten Eifes, einen Sohn oder Bruder, ſprechen; 
und ein gewichtiges aus dem Inhalte der Sachſenchronik hergenom- 
mened Moment fcheint die Autorjchaft Eifes direct auszuschließen. 
Unter Conftantin dem Großen tritt im verjchiedenen Handfchriften, 
recht geihmadlos für eine font nüchtern gehaltene Weltchronif, eine 
lange Betrachtung über die Kindheit der Chrijtenheit vor Couftantin 
auf, gegenüber welcher bejonders die Hab- und Herrſchſucht der zeit- 
genöffiichen Geiftlichen herbe getadelt wird. Der Verfaſſer diefer Be— 
trachtung documentirt ſich mit den mehrfach wiederholten Worten: 
We geistiken lude, als Geiftliher, und da die Betrachtung in allen 
Necenfionen erjcheint, fünnen wir nicht umhin den Verfaſſer der 
Chronik für einen Geiftlichen zu erklären. Dies jchliegt aber Eife 
aus ?, der ftetS unter dem weltlichen Zeugen, als liber, als Schöffe 
urkundlich ericheint. Bei diefem NRejultate werden wir uns zu— 
nächſt beruhigen müffen. Zwei Auswege böten ſich allerdings dar: 
einmal fönnte Eife fpäter geiftlich geworden fein und erjt im diefem 
Stande die Chronik verfaßt haben. Sein Nichterfcheinen in Urkunden 
nah) 1233 mag man hiermit zujammenhalten. Dann könnte die 
ganze geiſtliche Betrachtung aus einer der benutten Quellen überfett 
ſein?. Analoga für ein fold) mechanijches Verfahren ſelbſt bei be= 
deutenden Chroniften fehlen ja nit. Da möchte man denn am 
alfererften an die Chronif Albert von Stade denken. Noch die 
Stader Annalen, wie fie jet vorliegen, weifen ja dergleichen fremd- 
artige Einfchiebfel zur Genüge auf: abgejehen von dem Verzeichnis 
der römiſchen Conſuln“, der Kaiſer und dem Papitfatalog, die Zeichen 
des Thierfreifes, Excerpte aus den Schriften der Hl. Hildegard und 


! Riedel, Nov. cod. dipl. Brandenburg II, 1, 14. 

2 Mas gegen diefen Schluß Maßmann ©. 667 ff. vorbringt, zu wider« 
fegen, kann niemand verlangen. 
et ° Auch Fider 73 berührt jchon diefe Hypothefe, ohme fie weiter auszu⸗ 
ihren, 

4 Diefes Verzeichnis ift der Imago des Honorius von Autun ent 
nommen, 


504 


befonder8 den langen Dialog der beiden Schüler Firri und Tirri. 
Dem Abte Albert, der fein Klofter, in welchem nach dem zweifelsohne 
von ihm eingegebenen Schreiben des Papftes Gregor IX.! „das Heil 
der Seelen nicht ohne Schändung des göttlichen Namens hintange— 
fest wurde“, vergeblid) nad) der Regel von Eifterz zu reformiren 
trachtete und fich endlich nach vierjährigem fruchtlofem Bemühen, um 
wenigftens die eigene Seele zu retten, dem DBettelorden der Minder- 
brüder in die Arme warf, — ihm ftand es wohl an, gegen die Ver— 
weltlihung der Geiftlichen feiner Zeit zu eifern, gegen ihren Befit 
an großen Dörfern, Höfen und Land, an Dienftmannen und Eigen 
leuten, gegen ihren reichbefetten Tiſch mit Wein, Meth und Dide- 
bier, gegen ihre jchönen Kleider und jtolzen Rojje, gegen ihr Trachten 
nad) weltlihem Ruhm und nach der falfchen Lober Lob; ihnen als 
Spiegel vorzuhalten das Leben der erften Chrijten, denen alles, was 
fie hatten, gemeinjam war, unter denen es feine Armen gab, da ihnen 
das wenige, das fie hatten, genügte. Wäre diefe Predigt für fi) als 
Denfmal des 13. Jahrhunderts überliefert, jo wirde wol niemand 
anstehen, fie einem Mlitgliede eines der Bettelorden zuzumeifen, welche 
ja gerade durch den Kommunismus der Armuth das Heilige Yeben der 
eriten Chrijten wieder verwirklichen wollten. — Spuren einer Ueber- 
feßung aus dem Lateinischen fehlen in der Predigt nicht: die Bibel— 
fprüche werden zuerſt latein, dann deutſch mitgetheilt; bei den Eigen- 
namen finden ſich Lateinische Cafusendungen; einmal leſen wir de 
heilige ecclesia. Dod) kann ich hierauf fein Gewicht legen, da der 
Berfafjer der Chronik auch unabhängig von feinen lateinischen Quellen 
dgl. gebraucht ?. 

Auf der anderen Seite fprechen wieder die deutfchen Reime : 
It is nu alsus gedan, we moten vore de heiligen kerken 
stan, ofte se mot togan — nicht gegen eine lateinifche Vorlage, 
da der Verfaffer, auch fonft mehrfach, Luft am Reime zeigt”. So 
überjett er unter Theodofius I. frei nad) Effehard und bringt die 
Reime an: Na deser dat quam de keiser to Meilan und wolde 
in dat munster gan — Herre keiser denke des du hevest 
gedan, du nemacht mit blodeger hant vor godes altare nicht 
stan. — Bei der Erzählung vom Hl. Maternus, der jedenfall auch 
eine lateinische Quelle zur Vorlage gedient hat: He bekarde mit 
der godes lere manegen Romere. Am auffallendjten zeigt fich 
bes BVerfafjers Freude am Reimen, fein Selbftgefühl auf feine Fä— 
higfeit, wenn er, der Kaiſerchronik folgend, deren Reime verſchmähend, 
aber doch wol durch die Vorlage angeregt, jelbftändige Reime vor= 


ı Ann. Stad. 1240 ©. 366, 

2 Beſonders charafteriftiih ift im diefer Beziehung die Form Romani, 
wo die überſetzte Vorlage, Effehard, populus Romanus gibt, unter Tarquinins 
Superbus, Mafmann 83, 3. 2 v. u. Ein anderes Beifpiel derart gibt ſchon 
Waitz ©. 18. 

5 ’ Daß er im Neimen nicht ungelibt war, zeigt ja ſchon die Reimvors 
gebe. 


505 


bringt. So bei der Erzählung von Tiberius und Veronica; Tibe- 
rius vrowede sik sere, he gaf dem bilde michele ere; bei der 
Erzählung von Severus und Abelger: Der storm wart dar vile 
grot, der Romere bleven sestich dusent dot; hier ift neben den 
Neimen auch der ganze Gedanke der Kaiferchronif fremd, während 
die vorhergehende Schilderung unzweifelhaft auf diefe zurückgeht. 
Terner bei der Erzählung vom weißen und jchwarzen Dietrich (unter 
erh Ich genas aleine und quam an en sant, dar mich 

e vischere vant; unter Karl dem Großen: Do richte koning 
Karl mit eren algelike armen und riken; dat recht let he 
do seriven, allerhande manne und wive. Das Vorkommen 
der deutjchen Keime in der Predigt wäre alfo fein Grund gegen die 
Zurüdführung berfelben auf eine lateinische Vorlage, 

Auch eine eingehende Vergleihung des Sachſenſpiegels mit der 
Chronik führt uns'nicht weiter, ja fcheint in einzelnen Fällen direct 
gegen die Annahme eines — Verfaſſers zu ſprechen. 
Daß in der Chronik „der Mann des Rechtes“ ſich geltend mache, 
wie Mafmann ! angibt, kann ich nicht finden, jedenfall® würde 
e8 noc nicht viel für Eife beweifen. Zu dieſem Behufe müßte 
gezeigt werden Können, daß die Chronit mit Vorliebe Redts- 
füge, die im Sp. erfcheinen, an Hiftorifche Vorgänge anfnüpfte, 
befonder8 auch ihre Entftehung durch ſolche motivirte. Und letteres 
kommt nur in drei Fällen vor. Einmal die Entjtehung der 
Vererbung des Hergemwätes, welche ja im Sfp. eine nicht unbe: 
deutende Rolle fpielt, unter Heinrich I: De koning gebot oc, dat 
de eldeste broder in dat here vore; dat se dat herewede 
nemen, dat ward do recht?. Wichtiger find zwei andere Stellen. 
Don Erzbiſchof Wichmann wird unter Heinrih VI. erzählt, daß er 
zuerft das Recht abgefchafft, daß Dienftleute von freien Weibern feine 
freien Töchter gewinnen konnten, und daß diefe Neuerung zuerft bei 
den Scwefterkindern Gumprechts von Alsleben praftiich geworden 
fei. Hierzu fteht vortrefflih Sip. III, 73, worin zuerft gejagt wird, 
daß die Kinder aus Ehen fchöffenbarer Frauen mit Landfaffen und. 
BDiergelden der ärgeren Hand folgen, und fortgefahren wird: Dit 
selve recht hadden och die denstman went an den biscop 
Wichmanne von Megedeburch®, dat die sone behielt des 


ı ©, 670; ähnlich Fider, 

2 Allgemeineren ftaatsrechtlichen Charakters find höchftens folgende Stellen: 
Hofbieten des Herzogs von Baiern unter Heinrich I; dann findet der Rechtsſatz 
Sſp. III, 57, 1, daß der Papft den Kaifer nur um dreier Dinge willen bannen 
dürfe: of he anme geloven twiflet, oder sin echte wif let, oder 

odes hus tostoret, zweimal in der Chronif Anwendung, bei Lothar II. 
em Ludwig IL): wante he sin wif hadde gelaten, und bei Friedrich I: 
Dese Alexander dede den keiser to banne, wante he sin wif gelaten 
hadde und genomen ene andere. Die erfte Stelle ift aber E. entnommen 
und bei der zweiten wenigftens Einfluß von P., welche den Gedanken in an- 
derem Zuſammenhang geben, nicht ausgeichlofjen. 

3 Hier fcheint mir zu ergänzen: de stadede do, de satte do, ober der⸗ 
gleichen. Anders ſcheint mir kein Sinn in die Stelle zu bringen, 


ZIV, 34 


506 

väter recht und die dochter der muder, und hotden na ih, 
of sie (d. h. der Vater im erften, die Mutter im zweiten Wall) 
dienstlude waren. Der game Artikel im Sſp. iſt Zuſatz erfter 
Hand, wohl noch von Eife ſelbſt, und Fider ninmt an, daß Die 
Chronik auf denſelben ſchon eingewirft haben fünne!. Jedeufalls 
ſchöpft Hier diefe nicht au8 Sſp., aber auch die Selbftändigfeit dieſer 
Stelfe ift zum mindeften zweifelhaft: die Gesta Wichmanni fchei- 
nen hier Quelle zu fein? Ebenfalls Einwirkung der Chronif auf 
einen Zujag in Sfp. I, 3, 3 nimmt Ficker an für die Nachricht von 
der anf dem Lateranconcil ertheilten Erlaubnis, in der fünften Sippe 
zu heirathen, unter Otto IV. Diefe Satzung geht aber das Yand- 
recht gar nichts an?; cher em Geiftlicher als der ſächſiſche Schöffe 
mochte fich für fie intereffiren. Zwei weitere Stelfen, welche vielfach 
fhon herangezogen find, tragen noch anderen Charakter und bürften 
genau genommen eher gegen die Autorichaft Eikes ſprechen. Weber 
die Dürjtellung der Verurtheilung Heinrichs des Löwen in S. habe 
ic in anderen —— gehandelt * nnd dieſelbe größtentheils 
der Stader Chronik zumeifen zu müſſen geglaubt. Doc feugne id 
hier nicht Einfluß des Sfp.°, welcher zur Verwirrung des Sadjver- 
haltes und zur unpaſſenden Zufügung eines Sates über das Ver— 
haltniß der Erben zum Eigen geführt hat. Es hält in der That 
fchwer, den Verfaffer des Rechtsbuches, ben in Anwendung der Rechts- 
füge geübten Schöffen, einer ſolchen Konfufion für fähig zu halten. 
— Die zweite Stelle zu 1219, in der des Unterfchiedes der Nord— 
ſchwaben gedacht wird, habe ich oben ebenfalls der Stader Chronik 
vindieirt. Das damals zu Stade Eee Urtheil ftreitet aber di— 
rect gegen die Definition des Sſp. I, 19, wonach da8 Recht der 
Nordſchwaben fih von dem ſächſiſchen nur im Urtheilfchelten und 
dadurch unterſcheidet, daß der Schwabe een und Erbe auch 
tiber die fiebente Sippe hinaus, foweit er jene Schwertmagſchaft er— 
mweifen Tann, in Aufpruch nehmen darf. In Bezug auf die Zu— 
ftnmmang der Erben zur Uebertragung von Eigen aber gilt aud) für 
den Schwaben der allgemeine Sat I, 52, 1: Ane erven gelof 
und ane echt ding nemut nieman sin egen noch sine lude 
geven. War 8 für den, der mit ſolcher Beftimmtheit dieſe Sätze 
Yingeftellt, der felbjt ganz in der Nähe des Schwahengaus zu Haufe 
war, nicht fo zu fagen nothwendig, bei Erzählung des Stader Ur- 
theils, nicht nur einzuwenden, daß defjen materielle Grundlage (näm« 
lich daß der Pfalzgraf Heinrich ein Nordfchwabe fei) irrig, ſondern 
daß auch die Stader Schöffen des Schwäbifchen Rechtes gänzlich un- 
fundig waren ? 

Auf der anderen Seite können einzelne Anklänge in der Chronif 


ı ©. 75. Für die Autorſchaft Eifes ift dies augenſcheinlich irrelevant, 
° ©, Forſchungen XIII, 189, 

8 Was ja and) Sip. I, 3,8 direct ausgefprodyen wird. 

— Forſchuugen XHI, 181 ff. 


7 a. 





507 


anden Sip. gleichfalls nichts für die Autorfchaft Eifes beweifen, voraus- 
gejett, daß man au der früheren Abfaffung diefes, an feiner Benutung 
in der Chronif feithält. As auffallend bemerfe ih in der Reim— 
vorrede der Chronif 11. 12: unde jewelichen man sines rechten 
godes gan — Praef. rythm. 20: jegeweme ich rechtes gutes 
gan. — Chronif M. 7: Dit was de erste dach, de je gewart, 
den hete we och sunnendach — Sſp. II, 66: de sundach 
was de erste dach, de je gewart. 

Daß die Hiftorifchen Angaben de8 Sſp. nit in die Chronik 
übergingen, felbft wenn Eife der Verfaffer lekterer war, dürfte an— 
dererjeit8 auch nicht auffallen, da er bei Abfaffung letterer durchweg 
an der Hand zufammenhängender Quellen fchrieb!. Auch bei der 
Hauptftelle, welche man in Zujammenhang mit dem Sp. gebracht 
hat?, und welche der Sachſen Ankunft behandelt, glaube ich eher 
Benutung der Stader Chronif annehmen zu müſſen?; die Stelle 
zeigt, wie ſchon Wait* bemerkt, Feine wörtlichen Anklänge an Sip. 
III, 44, 2 und gibt aud einen Gedanfen mehr als diefer: nämlich, 
daß die Sachſen Burgen in dem neu eroberten Lande gebaut?. 

Ziehen wir die Summe, fo dürften die Gründe, welche gegen 
die Autorfchaft Eikes fprechen, die gewichtigeren fein. Nur künſtlich 
ließen ſich einige derfelben befeitigen, andere vielleiht nur nad) Ent- 
deckung neuen handſchriftlichen Materials, wozu freilich; fehr geringe 
Ausfihten vorhanden find. So muß fich bei diefer Frage, gleichwie 
bei denen nach der Compofition und Abfaffungszeit der verfchiedenen 
Necenfionen der Sachſenchronik die Kritif leider befcheiden, die Gründe 
für und wider Scharf darzulegen, auf die Schwierigkeiten hinzuweiſen, 
welche einer allgemein befriedigenden, präcifen Löſung im Wege ftehen. 


Anhang. Der Sachſen Herkunft. 


Das Verhältnis ber Quellen, in welchen die Nachricht von der 
Sachſen Ankunft vorkommt, zu einander bedarf auch nad) den Er- 
örterungen von Bider® und Wait noch der jchärferen Faſſung. 
Beide nehmen nad) dem Vorgange von dv. Daniel8® an, daß Sip. 


ı Ich rechne hierher Sp. III, 7, 3: Josephus weder den koning Ve- 
spasianus, do he sinen sone Titus gesunt makede von der jecht. Eine 
ausführliche Erzählung dieſes Borganges ſ. Zeitichr. f. deutich. Altertum N. F. 
V, 157. — Sſp. III, 42, 3 Belegung der drei Welttheile dur) die Söhne 
Noahs. Die III, 44, 1 erwähnten vier Weltreiche ftimmen ja allenfalls mit 
ber Chronik. 

2 Ficker 75. 

s Ann. Stad. 917, ©. 311; vgl. Forſchungen XIII, 174. 

ı ©, 22 Aum. 

5 Ueber das Berhältnis der Onellen, in denen diefe Nachricht überhaupt 
vorlommt, zu einander vgl, den Anhang. 

6 _ Entftiehungszeit 55. 76. 


34* 


508 


III, 44, 2 hier das Künige buoch alter und niuwer & (Ausg. 
von Mafmann in v. Daniels, Land- und Lehnrehtbuh I, ©. 
CXXIII) benutt habe. Diefe durchweg die Geſchichte durch Fabeln 
fälfchende Chronik beruht im zweiten Theile auf der gereimten Kaifer- 
hronif, von welcher fie auch in ihrem Schluffe (Konrad III.) ab: 
hängig ift, im erften Theile auf einem ähnlichen Gedichte des alten 
Bundes. Da fie als Einleitung zum Schwabenfpiegel, ein Theil der 
alten & (bis Nabuchodonofor) als Einleitung zum Deutfchenfpiegel er- 
fcheint, jo möchte man vonvorneherein eher geneigt fein, anzunehmen, 
daß fie, gleichwie diefe beiden Kechtsbücher, fpäter als der Sp. ge- 
fchrieben fei. In der That kann ich bei näherer Betrachtung der 
von Ficker geltend gemachten Paralleljtellen Feine zwingenden Gründe 
dafiir erfennen, daß das Verhältnis ein umgekehrtes jei, daß Sip. 
aus Kb. geichöpft habe. Daß Eife in der Praef. rythm. 235 dem, der 
fein Nechtsbuch fälfche, den Ausfag des Yezi an den Hals wünscht, 
fann nicht auffallen, da wir dergl. fromme Wünſche in zahlreichen 
Urkunden des Mittelalters auch finden; daß er hierbei nody Naamans 
gedenkt, der von dem Ausſatz erlöit wurde, ijt ein überflüjjiger Ges 
danfe, der ihn aber, aud) ohne daß er die weitläufige Erzählung des 
8b. XLVILL vor Augen gehabt zu haben brauchte, in Folge feiner 
Kenntnis der bibliſchen Geſchichte, in die Feder gekommen fein kann. 
Die Angaben über Konftantin d. Gr. im Sp. text. prol. und III, 
63, 1 jtehen überhaupt nur in ſehr entferntem, formellem Zuſam— 
menhange mit Kb. CXLIHI. Während im text. prol. überhaupt 
nur davon die Rede ijt, daß Konſtantin Satungen gemacht, welche 
jetst noch in Sachen Geltung haben, fpricht III, 63,1 zunächft von 
dem weltlichen Gewedde, das Konftantin dem Papſte Silvefter ver- 
fiehen, wovon ſich im Kb. nichts findet, und erwähnt ferner im All- 
gemeinen die Verpflichtung des geiftlichen und des weltlichen Gerichts, 
einander zu unterjtügen (vgl. I,1). Sicher bezieht ſich diefe Rechtsan— 
ſchauung, wie aud) jchon Homeyer anführt, auf die in vielen Reichsge— 
jegen des 12. und 13. Jahrhunderts! wiederkehrende Beſtimmung, daß 
Acht den Bann und Bann die Acht nad) fich ziehen folle. Im Kb. wird 
die Einfegung diefes Rechtsſatzes auf Konftantin zurüd- und präcife 
dahin ausgeführt, daß ein Zeitraum von ſechs Wochen und einem 
Tage erforderlich jei zum ingreifen des anderen Gerichtes?. Da 
num aber auch der Dip. 317 diefe Beitimmung (allerdings ohne Be— 
ziehung auf Konftantin) dem Texte des Sfp. zufügt, fo fcheint es 
mindeſtens ebenjo wahrfcheinlih, daß Kb. feine Kenntnis deffelben 
diefem entnommen, als daß Eife den präcifen Nechtsfat des Kb., 
ber doc) das Landrecht jo enge angeht, in jenen allgemeinen Sat 
aufgelöft Haben follte, 

1 Zuerſt, ſoweit ich fehe, 1187 in der Const. de incendiariis, Leg. II, 184. 

2 Nach dem Geſetz von 1187 und der Treuga Heinrichs (VII) von 
1230 (Leg.II, 268) jcheint da8 zweite Gericht unmittelbar nad) Bekanntwerden 
des Urtheils des erften eingreifen zu ſollen; im Geſetz Friedrichs II. 1220 Nov. 
22 ift ein Jahr Friſt (Leg. II, 235). Die Geſetze Friedrihs 1220 Apr. 26 
4Leg. II, 235) und Konrads IV. von 1240 (Leg. II, 334) haben 6 Wochen, 











509 


Einen fehlagenden Beweis für die Urfprünglichkeit des Sſp. 
und die Mittelftellung des Dip. glaube ich zu finden in der Angabe 
über die vier Weltreihe, Sp. III, 44,1. Dip. 282 Hat diefe Stelle 
aus demfelben herübergenommen, hat hier aber aus Misverjtändnis 
der nieberdeutfchen Sprache: Den (Darius) versant (für vor» 
segede, befiegte) Alexander. Kb. CXXI adoptirt dieſen Fehler 
nicht nur, fondern fügt zur Erklärung aus eigener Phantafie zu: 
daz nie nechein man innen wart, war er je bekaeme. Die 
weiteren Ausführungen des Kb. an diefer Stelle find auch recht un— 
geſchickt: De jungiste Darius der nam ez (daz riche) hin ze 
Constantinopel, daz lit in Kriechen. 

In der Stelle von der Sachſen Herkunft deutet aber jchon der 
Eingang im Kb. CXXIII auf Verallgemeinerung, auf das Mittel 
glied des Dip. Hin. Die Sage ift ja doch, wie aus Widufind und 
den Quedlinburger Annalen erfichtlich, nicht deutſche National- ſon— 
dern ſächſiſche Stammesfage, als folche hält fie der Sip. feit; der 
Dip. 282 will fie, ohne eine Aenderung am Texte des Sip. vor— 
nehmen zu müſſen (da er ja ein Spiegel aller deutjchen Yeute fein 
will), wohl auf alle Deutfchen bezogen wife. Das Kb. fagt dies 
beftimmt: Wanne tiutsche liute komen sint, daz sullen 
wir iu sagen. Alſo fortichreitende Verfchlechterung, angejichts deren 
es ſchon fchwer hält, den Sp. aus Kb. abzuleiten. Dann läßt Kb. 
die Thüringe ganz beifeite; fie pafjen ja aud nicht mehr hierher, 
wenn die Anklömmlinge die Vorfahren aller Deutichen fein follen. 
Einzelne weitere Ausführungen im Kb. beweifen gewiß nichts für die 
Ableitung des Sfp. aus demfelben. So der Untergang der Schiffe 
bis auf 54 durd) die nachſetzenden Feinde. Es lag nahe, 
da in der Vorlage über die Urſache diefe8 Untergangs! nichts zu 
finden war, dies einzufügen. Werner die Schilderung der bäuerlichen 
Laften, welche Kb. von diefer Eroberung Deutſchlands Herleitet, auch 
eine Ausführung, deren Nichtvorhandenjein im Sfp. nichts gegen 
dejjen Urjprünglichkeit beweijen kann. Der Schlußſatz im Sip.: Von 
den laten, die sik vorwarchten an irme rechte, sint komen 
dagewerchten, den Dip. noch beibehalten, ift im Kb. aus Mangel 
an Verftändnis in das nachläſſige: Man seitouch von einer hande 
liute, die heizent tagewurchen, verwäffert. Nach diefem Ergebnis 
ſcheint e8 mir nicht zweifelhaft, daß die Lesart Rujan des Sip. die 
urfprüngliche if. Rügen neben Preußen entipricht der fächjifchen 
Sage und ift außerdem noch dur) die Ann. Stad. beglaubigt. 
Bechaim wäre für die fächfifche Sage unfinnig, da man dahin mit 
Seejhiffen nicht gelangen kann. Der oberdeutiche Verfaſſer des 
Dip., der Rujan nicht unterzubringen wußte, verballhornte eben diejen 
Namen in Bechaim, und Kb. fchrieb dies getreulich nad). 


ı Es ift doch wahrfcheinlich als Urſache Sturm gedacht, wie ſich in ber 
ähnlichen, im einzelnen aber vielfach abweichenden Erzählung des Chron. Holtzatiae, 
88. XXI, 257 findet. 


510 


Gleichwie alfo der Dip. eine Veralfgemeinerung des Sip. auf 
alfe Deutfchen ift, ebenfo wurde durch ihn zuerft die ſächſiſche Stam— 
mesſage zur deutjchen Nationaljage umgeftempelt und fand als folche 
Eingang in Kb. Durch diefes einfache Verhältnis wird dann auch 
die Annahme eines älteren Kb. überflüſſig. Möglicherweife haben 
wir den Verfaſſer des Dip. auch für den Verfaffer des Kb. zu halten. 

Die Benugung des Sip. durch die Sachſenchronik hat fchon 
Wait in Zweifel gezogen, und ich glaube wenigftens wahrfcheinlich 
gemacht zu haben, daß eher die Stader Chronik zur Vorlage gedient hat. 

Aber auch die Benugung des Sſp. von Seiten diefer glaube 
ich wegweifen zu müjfen. Albert hat beider Erzählung, wie fi) noch 
in den jegigen Ann. Stad. zeigt, offenbar zwei Berichte combinirt: 
einmal den aus Widufind und der Translatio S. Alexandri zu= 
jammengefetsten des Effehard!, dann aber einen anderen, deffen Nach- 
richten jich doch nicht alle im Sſp. wiederfinden. Abgefehen davon 
daß Sip. die Sachſen herto lande, die Ann. Stad. aber ad Albiam 
fommen lafjen, findet jich im Anſchluß an die Landung Hier die 
Nachricht, daß die Anfajjen eines der Schiffe über der Elbe den 
Wald angebaut und gerodet hätten, in welchem fie fpäter vorgefunden 
und Holzaten genannt worden fein. Will man nicht noch einen 
dritten Bericht in It. benutt annehmen, jo muß man auch in der 
folgenden Erzählung von der Vertreibung der Thüringe einiges von 
Effehard Abweichende dem zweiten zuweilen. So vor allem die 
Etymologie des Namens der Sachen von der Waffe mit dem beut- 
jhen Spruche: Nemet iuwe saxes?. Die theilweife fehr genaue 
wörtliche Verwandtichaft zwifchen Sp. und St. macht es allerdings 
jehr wahrfcheinlich, daß beide eine gemeinfame Vorlage benutzt Haben, 
daß diefe eine deutjch gefchriebene gewefen, iſt, wenn auch nicht unbe— 
dingt nothwendig, fo doch wahrjcheinlich, wie der deutſche Spruch, die 
nur im Deutjchen verftändliche Herleitung des Namens Holtaten von 
silva (holt), fowie der litones quia ab eis vivere sunt per- 
missi? darthut. Möglich, daß auch ein Theil des auf Effehard 
Zurüdzuführenden fchon in diefem Berichte Aufnahme gefunden, die 
Erzählung ift in St. fehr zufammengezogen und läßt vielfach wört— 
lichen Anklang an Effehard vermifjen. Die Sage war jedenfalls zu 
diejer Zeit in Sachſen weit verbreitet, und fo darf es nicht wundern, 
wenn Sfp. und St. diefelbe felbftändig aufnahmen. Die Benutzung 
von Sſp. IH, 57, 2 in St. 1240 (die Kurfürften) wage ich nicht 
in Zweifel zu ziehen. 

ı SS. VI, 176 ff. $ider 67. 68 irrt wenn er bier einen felbftändigen 
aus Widufind, der Translatio und Ekkehard combinirten Aufjag als Duelleannimmt, 
der im Anfange der Gothaifchen Handfchrift der Sachſenchronik deutſch erhalten 
jei. Diefer Anhang ift eben auch nur eine Ueberſetzung Effehards. 

2 Diefer Ausfpruc findet fi) auch in der verwandten, aber doch im ein- 
zelnen abweichenden und fpätere Sagenbildung verrathenden Erzählung des 
Chron. Holzatiae, SS. XXI, 257.258; zuerft wol im Nennius c. 46. 

s do lieten sie die bure sitten ungeslagen — dar af quamen die 
late Sſp. Bon Peer 67 wird dies mit Recht gegen die Herleitung des Sſp. 
aus St. geltend gemacht. 


Beiträge 


zur Gefchichte des Bauernkriegs in Thüringen. 
(Fortfegung von Bd. XI). 


Don 


Joh. Karl Seidemann. 


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2. Die Unenhen zu Rangenjalze. 


Wichtiger noch als für Mühlhauſen find, bei der größeren Ar— 
muth an anderweitigen Zeugniffen, die Akten des Dresdener Archivs 
für Langenſalza. 

In Salza war bereit8 1523 die ganze Gemeine in aufrühreri= 
ſchem Sinnen auf dem Auguftinerficchhofe verfammelt gewejen, aber 
doch wieder friedlich auf gejchehene Vorftellungen aus einander ge= 
gangen. Die Unzufriedenheit mit dem Beftehenden und die Gährung 
dauerten an. Der herzogliche Amtmanı Sittih von Berlepſch war 
unbeliebt. Die herzoglichen Erlaſſe wider da8 Tutherifche Weſen machten 
erbitterte, ftillingrimmige Herzen. Dazu fam, daß Finanzerei, welche 
der gemeine Mann ſich auf gut deutſch als Schinden und Schaben 
verdollmetfchte, wie allerwärts, fo auch hier vielfeitig geiibt wurde. 
Einzelne Salzaer waren. in Alljtädt gewefen und hatten Münzer pre- 
digen hören; Valtin Trötfchel ging vielmals nah Mühlhaufen zur 
Predigt. Liborius Gleifberg, Anton Belam fammt feiner „faft muth— 
willigen und vorwißigen Hausfrau“ Hatten das Gelüfte, mit den 
Reichen zu theilen und rothe Schauben ! zu haben. Claus Hufener, 
Zelihmüller oder Silichmüller genannt, ein Töpfer, pflegte zu äußern, 
wenn er den Leuten Defen machte: e8 würde noch werden, daß er 
umfonft Defen machen und man ihm ohne Geld Fleifch aus den 
Bänfen, fo er darnach fchicte, jenden werde. Im Auguftinerklofter 
gab e8 etliche lofe Brüder, die haben viel Lutherei im Klofter ge— 
halten und Melchior Weigand und andere fih mit den Mönchen etwas 
berathichlagt. Der alte Bornheinric las fleißig in der Bibel und 
anderen Büchern, und Freunde famen zu ihm, ihn vorlefen zu hören. 
Hier und da af man Fleiih an den Fafttagen, wie 3. B. Born- 
heinrichs Eidam Albrecht Steinbrüd, ein „Löber“ (Lohgerber) in der 
Neuftadt, der hat, al8 er auf felbem Handwerk Obermeifter gewejen, 
auf des Handwerks Kerzen auf das Felt Corporis Chrifti nicht, wie 
üblich, Lichter machen lafjen und ift fammt feinem Schwäher martinifch). 

Da fam der Jahrmarkt, den Salza feit 1482 hielt, wieder, 


1 Schauben find lange Leibröde; e8 gab deren für beide Geſchlechter. 
Friſch unter diefem Worte. 


514 


Sountag Quaſimodogeniti, 23. April 1525, mit ihm viele Fremde 
aus der theilweis ſchon in Aufruhr gejesten Umgegend. Die herr- 
chende Stimmung war dem Nathe der Stadt wie den Amtleuten und 
Befehlshabern Georgs an jenen Orten fein Geheimnig mehr. Diefe 
letsteren, nämlich Sittich von Berlepſch, der Amtmann Filipp Reibiſch 
zu Herbsleben, Hartmann Goldader zu Uffhofen, Dr. Dietrich von 
Werthern zu Wiehe u. a., hielten daher den 24. April eine Berathung 
zu Weißenfee, namentlich in Bezug auf Erhaltung der Ruhe in Saba. 
Zwar ftimmte für Kampf Hartmann Goldader, deſſen Bruder Hans 
zu Uffhofen gefährlich frank lag, ſchon als er auf dem Wege nad) 
Weigenfee bei Ganglofſömmern mit Filipp Reibiſch und vielen andern 
vom Adel zufammentraf und Neibifch erzählte, wie er von des von 
Beichlingen Schöffer glaublich berichtet fei, daß eine große Empörung 
im Gericht Kraienberg vorhanden wäre, die der Schöffer gejehen 
habe, und gedächten alfo fürder zu rücken und hätten etliche Edelleute, 
fonderlich den Ludwig von Bömelburg und andere, gedrungen, mit 
ihnen zu ziehen; zwar fuchte er noch in Weißenfee den Amtmann 
Reibiſch und den Dr. Dietrich von Werthern zu bewegen durch drin= 
gende Mahnung und Bitte, daß fie von des Herzogs wegen möchten 
den Glockenſtreich laſſen angehn, ehe die Kraienberger Motten ins 
Land ihnen fielen; zwar erbot er ſich, jelbft wenn er nur 200 Pferde 
hätte, den Empörern entgegen zu rücken, ber Zuverficht, fie mit gött— 
licher Hilfe zu fangen oder zu trennen, weil fie feinen reiſigen * 
hätten. Aber es war vergeblich, Mahnungen wie Bitten fielen na— 
mentlich bei Dietrich von Werthern in taube Ohren. Nur folgende 
Artikel wurden durch die herzoglichen Räthe zu Weißenſee für das 
Befte angeſehen, nach Geſtalt der Läufte zu handeln, belangend die 
Empörung des fremden Volks jenes Fürſtenthums: 


„Zuerſt dem Herzoge Georg ben Handel, fo das fremde Volk verurſacht, 
nad) der Länge durch eilende Poft aller Nothdurft nah zu melden und ben 
Grafen und Nittern hierorts zu fchreiben, daß jeder daheim bleibe und fich rüfte, 
um dem zu erwartenden Befehle Georgs zu geleben. Sodann: Ob vom Rathe 
zu Salza Ansuchen geſchähe, weß man fid) in diefer Sache halten folle, oder ob 
fein Anfuchen geſchähe, fo foll man ihnen anzeigen und, weil fie ſich allıwegs 
dem Willen Georgs gehorfam gehalten haben, melden, daß diefer die Berfamumn- 
Inng fremden Volks belangende Handel durch eilende Poft dem Herzog zuge: 
fchrieben fei in der Hoffnung, feine f. G. werde ihr Gemüth hierin aufs Förder- 
lichſte gnädiglich zu erkennen geben. Das foll dem Rathe zu Salza angezeigt, 
auch mit den Biertelsmeiftern und den Oberften aus den Handwerken befchei- 
dentlih, mit Erinnerung, wie gnädiglich fich der Herzog bisher in allen Sachen 
gegen fie bezeigt habe, gehandelt werben. Weil auch Berathichlagung dieſer 
Sachen noth, follten Herr Ritter Apel von Ebeleben, Herr Georg von Hopf« 
garten, Herr Hans Goldader, als feiner f. G. Räthe, und fonft drei oder vier 
vom Adel ins Amt bejchieden werden, fi von wegen Herzog George im Beifein 
des Raths zu Salza davon zu berathen. Es follten auch die Heimbürgen aus 
den Pflegen ins Amt fchleunig gefordert, und mit denen auch befcheidentlich ge- 
handelt werden von diefen Dingen. Actum zu Meißenfee Montags nad) Qua— 
fimodogeniti Anno 2c, 25”, 


In Salza flüfterte man ſich an diefem Tage das Gerücht zu, 


515 


der Amtmann Sittich von Berlepich gehe zufolge herzoglichen Befehls 
damit um, acht Wagen voll martinifch geſinnter Bürger nach Rochlitz! 
abführen zu laffen. Der Barbier Hand Schuchert, der allerdings 
fpäterhin von dergleichen nichts wiffen wollte, follte vom Bürgermeifter 
Fenſterer gehört haben, daß der Amtmann gejagt habe: mich erbarmt 
des armen Volks, daß man fie noch fo jämmerlich wird wegführen. 
Diefes Gerücht, vielleicht völlig unbegründet, wirkte verderblich, denn 
mehrere Bürger, Hans Krohn oder Krohme, Hans Lofinke, Hans 
Zigiller fonft Hans Melchior genannt, Dietrich) Gans, deifen Vater 
40 Jahre lang Bürgermeijter und Rathmann zu Sala und Thams- 
brück gewefen war, jchliefen diefe Nacht nicht mehr in ihren Häufern; — 
und damit war der Anlaß zum Ausbruch der Empörung gegeben. 
Schon feit zwei Jahren nämlich war man in Salza aud mit einem 
Aufruhr umgegangen, zu deffen Erhebung ſich allmählich einzelne 
Bürger zufammengefunden hatten. Am Weidenborne pflog man der 
Unterredung darüber; wenigitens war Steinbrüd dort mit dem alten 

offemann im Spital, Kunhard Waltern in der Salzgajje, Hans 

rötfcheln und Silihmüllern, die aber dort nichts Widerwärtiges ge— 
redet zu haben behaupteten. Hans Beidder, der Kannegießer in der 
neuen Pforte, Hans Melchior, Hans Schützemeiſter, der 1525 nad) 
Gotha entkam, Baftian Sattler machten 1523 Anfchläge, Pfeifern 
nad) Salza zu bringen, daß er da predigen follte, und gingen des— 
halb nad; Mühlhauſen. Zufammenfünfte ferner hatte man gehalten 
in des Bäder Hans Wetftein Haufe in der Judengaſſe, in des 
Ceiler8 Haufe auf dem Krautmarkte, in Claus Heinzens, Hans Kro= 
mens, Hans Lofinks, Hans Melchiors Häufern; da ſaßen die 
Freunde des gewaltfamen Fortichritts immer bi8 Mitternacht beifan- 
men, und fam 3. B. Albrecht Steinbrüd nad) Haufe, dann redete er 
graufam von der Sache, wie daß ein großer Haufe Hundert Taufend 
jtarf bei einander liege, die wollten den Dom zu Mainz umfehren 
und darnad) aller ins Land ziehen, würden allhier auch Unluft ma— 
chen, und ſagte, folche Botichaft hätte Kilian, der Bruder von Kro— 
mers Weibe, gethan, derfelbe, welcher den Bürgern etliche Mal auf 
dem Bergfirchhofe gepredigt hatte. Namentlich aber ftanden zwölf 
Man in einer Secten, die evangelifche Prediger haben wollten: 
Wolf Bornheinrich, des alten Boruheinzen Sohn, Meldior Wigand, 
Baftian Setteler, Albrecht Steinbrüd, Hans Kromen, welcher, als 


ı Das Gerücht Tantete fogar dahin, der Amtmann hätte in berfelben 
Nacht das Landvolk in die Stadt bringen wollen, um durch daſſelbe die acht 
Wagen voll Bürger wegbringen zu laffen. Münzer fcheint demnach ungenau 
berichtet gewefen zu fein, wenn er feinen lieben Brüdern in Thüringen fchreibt: 
„Siehe, da ich die Worte fchreibe, fam mir Botſchaft von Salza, wie das Volk 
deu Amtmann Herzog Georgens vom Schloß Tangen wollen, um deswillen, 
da er drei hab wollen heimlich umbringen“. Altenb. III, F. 134, welder 
Brief aljo vom 25. April ift. — Zu denken ift an die „Rochliger Jupen“, ge- 
fürchtete Gefängnißthürme des Rochlitzer Schloffes; wer die anhabe, deu friere 
nicht, ſagte das Sprichwort. 


516 


die Empörung nun flott war, zu Wenigenvargula äußerte, er fei 
fammt feinen Gefellen feit zwei Jahren auf Aufruhr bedacht geweſen, 
Claus Heinze, Valtin und Claus (Hufener) Töpfer, Nicolaus Som: 
mering, Johann Auerbah, Hans Wepftein der Bäder, und Hans 
Ranngießer bei der neuen Pforte; — oder, wie der junge Jacob 
Bornheinrich fpäter diefe Zwölf bezeichnete: Hans Krome, Baltian 
Setteler, fein Bruder Wolf Bornheinrich, Albrecht Steinbrüd, Claus 
Beine, ya Wetftein der Bäck, Johann Netell, Johann Auerbach, 
aspar Nickel, Chriftof Stiefel, Melchior Wigand, Claus Heufener. 
Wolf Bornheinricd) ging ſchon am Montage, 24. April, mit 
feiner Büchfe von Salza weg, um „den ſchwarzen Haufen!“ zu 
fuchen, aber fein Vater ſchickte ihm nad) und ließ ihn wieder heim— 
holen. Am Morgen des Dienstages aber, 25. April, famen Krohn, 
Lofinf, Hans Melchior und Gans zu Melchior Wigand, der eben 
got fpaltete, und beſprachen mit ihm die Gefahr, die ihnen dem 
erüchte nad) vom Amtmanne drohen follte, denn Amtmann und 
Rath feien diefe Nacht beifammen geweſen. Wigand, ein „Schuh 
läpper“ (Schuhflicer), der früher den Kriegen nachgegangen war 
“und, nachdem er zu Salza in ehelihem Stande geſeſſen und mit 
Wolf Bornheinrich verfchwägert war, fid) da mit Fechten und an— 
derem leichtfertig gehalten hatte, fchritt alsbald zur That. Er holte, 
begleitet von Rotermund, der kurz zuvor von Tonna herüber gezogen 
war, die Trommel? auf dem Thurme beim Hausmanne, ohne von 


ı Späterhin behauptete der Rath, Wolf Bornheinrich fei acht Tage vor 
der. Empörung aus der Stadt gelaufen und habe den Haufen im Klofter Reins- 
born und fürder zu Mühlhaufen gereizt, gen Salza zu kommen. Dietrid Gans 
ſollte eine halbe Stunde vor dem Lärmſchlagen feinem Schwager, einem Schneider, 
gefagt haben, es folle ein Bote von den Schwarzwäldern gefommen fein, ber 
wäre allbier zu Salza und brächte Botfchaft, die Schwarzwälder würden fommen, 
und man würde bald färm ſchlagen. Gans felbft jagt darüber in feinem Bitt« 
ſchreiben an den Herzog v. 3. 1525: „Ungefährlidy eine Halbe Stunde zuvor 
habe id; von dem Melhior Wigande mit befchwertem Gemüth erfahren, wie 
daß man bald würde Lärm fchlagen. So denn berjelbige Wigand vor zwei 
Jahren (da aud ein großer Haufe auf dem Auguftinerlicchhofe verfammelt ge— 
weien) zu mir gefchidt, habe ich ihn damals unterwiefen, daß der Haufe zu 
Friede geftellt worden ift und fidh zu feiner Empörung erhoben hat. Derwegen 
io abermals, als er bei mir geweſen, mit ganzem Fleiß ihm das Lärmſchlagen, 
die Aufruhr zu erwecken, aufs Heftigfte widerrathen und ihm zuvor gejagt alles 
Arge, wie das denn fintmals alles ergangen. Antwortete mir aber, ihrer wären 
dritthalbhundert und mehr, die ſich zufammen verpflichtet, und die Sache fei fo 
ferne an den Tag gelommen, daß fie nicht könnte zurücgewandt werden. Und 
als ic ihm darüber mit Erzählung vieler Erempel mwiderftanden, ift er in Zorne 
von mir gefchieden, drohend, daf er mit feinen Brüdern merken wollte alle, die 
ſich zegeln würden“. 

* Die Trommeln jener Zeit waren von gewaltiger Größe, wie Bier- 
tonnen, die Pfeifen jehr lang; vgl. den Holzſchnitt bei Lienhart Frönſperger 
Folio VII, — Asmus Hutter eutſchuldigte fich in feinem Bittichreiben um 
Wiedereinlaß gen Salza zu Frau und Heinen Kindern vom 18. Juni 1527 bei 
Georg: „Gezwungen flug ich die Pauken und Trommel, denn ich dem Rathe 
vorher vielmal® mit der Pauken Gehorjam leiften mußte”. — Ein Pfeifer fand 


517 


dejfen Sohne ſich abhalten zu laſſen; ein Trommelfchläger, Asmus 
Hutter, Wigands Nachbar, war bald zur Hand. Mittags 12 Uhr 
begann das Lärmfchlagen, und es wurde das erwähnte Gerücht laut 
ausgefchrieen und der Auf gehört: „Wer da will bei der Stadt 
Salza jtehen, der fomme vors Schloß!“ Vorauf lief Wigand, mit 
ihm feine Nachbarn auf dem Korn- und Srautmarkte, Yudwig Noter- 
mund eine Hellebarte tragend, Henz Herlip Schreiner, Georg Schmidt 
der Büttner; ferner Dietzel Walter mit einer Art bewaffnet, Daniel 
Wenke, kurz vorher aus Gotha nad) Salza gezogen, Hans Buttjtädt, 
— Pfaffe, Hans Krohme, Hans Fiſcher, Vinz Spetter, Augſtin 

ommering, der früher auf den Gaſſen in Salza zu predigen, bie 
Geiftlihen und Andere freventlic zu verfprechen pflegte und durch 
vieles Gefängniß doch nicht zur züchtigen geweſen, (leugnete aber fpäter, 
beim Ausbruche der Empörung daheim gewefen zu fein), Berlt 
Schroter, Kaspar Aisfeld, Claus Töpfer, Baſtian der Seiler, Simon 
Porz, Hans Wigand, Henz Hafenberg, der vorhin Kinder und alte 
Leute betrübt und beleidigt und zwölfmal ‚Stadtgefängniß erlitten 
hatte, Georg Hain, Hans Venus alias Seifart, Andreas Seifert, 
Hans Tylo, ein lediger Gejell, Klaus Wald, Hans Zigiller, be- 
holten, fich früher wider feinen Vater, feinen Bruder einen Priejter, 
auch in Verfanmlung des vollen Handwerks muthwillig erzeigt zu 
haben, Heinz Holle, Chrijtof Stübner, Hans Wetzſtein, Heinz Lerch, 
Günther Hilbrand unter dem Berge, kürzlich von Mühlhauſen herge— 
zogen, der Wagner in der Yudengaffe, Hans Melchior alias Ziegler, 
der vor dem Ausbruche geäußert haben jollte: e8 würde noch feltiam 
zugehn und jo wild, daß darnad) einer den andern fragen würde: 
wo haft du dich die Zeit enthalten? u. a. Eilenden Yaufes ging e8 
durch die Gaſſen der Stadt unter Trommelſchlag. Noch aber zögerten 
viele, fi) dem Haufen anzufchließen; andere liefen erft heim, wie 
er Meifter, um den Harniſch anzulegen und dann fich zu jtellen; 

einz Herlip der Schreiner, zu dem ein Bürger in die Werfftätte 
trat und ihn aufforderte mitzugehn, fchickte den alten Geiß auf das 
Rathhaus nach Kunde, ob das auch des Raths Wille fei, und erjt 
als diefer nicht, wohl aber der Bürger wiederfam und ihn bedrohte, 
e8 gelte das Leben, z0g er mit. Da eilte Melchior Wigand auf den 
Donifaciusfichhof, auf weldem neben der Kirche die große Glode 
hing, und läutete Sturm, um die ganze Gemeine zujammenzubringen. 


fid) jpäter in eben dem Sohne des Hausmanns, den hernach Konrad Bitthum 
von Edftedt und Gangolf von Heilingen zum Trompeter für ihre Neifigen an— 
nahmen, die der Herzog nad) dem Aufruhre in Salza einlegte; er Tebte unange- 
fochten als Tediger Gejcll bei feinem Vater auf dem Thurme, und blies den 
Neitern zu Tiihe und ſonſt. Als Fähnrid gab ficd den Salzaerır für ihre 
Ipäteren Züge Diegel Schmidt Her, ein lediger Gefell, der ſich jedoch weigerte, 
das Fähnlein weiter zu tragen, als des Herzogs Befehl, heimzufehren, verlefen 
wurde. — Göſchel 1. 1. II, 108: „Die unruhigen Rebellen follen fi) in der 
Nebellsgaffe veriammelt haben, und davon foll diefe ihren Namen erhalten 
haben“. Sie hie aber ſchon 1434 jo; Seidemann, Geſch. d. Familie Gute 
bier Bd. I, 40. 


518 


Das gelang. Vergebens fuchte e8 der Nath zu hindern, vergebens 
fandte er den tobenden Läufern feine Nathsdiener, ſelbſt Rathsper— 
ſonen unter Augen, vergebens Tieß er ihnen anfagen, von ihrem Vor— 
nehmen abzuftehn, und ob fie an etwas Mangel hätten, möchten fie 
aufs Rathhaus kommen, fo follten fie wie gebührlic gehört werben 
und guten Beſcheid finden; vergebens denen, die fich durch den Anblick 
des Haufens und durch da8 Gejchrei aus den Hänfern gethan hatten, 
gebieten, in ihre Häufer zurüczugehn, denn dies Vornehmen fei ohne 
des Raths Befehl erhoben. Es wurde ſelbſt Widerftand geleitet. 
Der Stadtdiener Andreas Kecht redete in der Neuftadt bei der Oel— 
mühle den Trommelfchläger Asmus Hutter einhaltend an; alsbald 
that fih mit anderen Hans Meldior Ziegler von Hans Niethens, 
‚der die Zeit Bier ſcheukte, Haufe zu ihm und ftach nad ihm mit den 
wüthigen Worten: Du Böjewicht, Du follft fterben! alfo, daß Kecht 
ihm entfallen müjjen, wie diefer nachgehends eidlich betheuerte. Die 
Rädelsführer gaben zugleich der Herbeiltrömenden Menge als Zweck 
ihres Unternehmens an, Waſſer und Weide freizu haben, den Wucher, 
Zins, Zoll und Zehnten abzuthun; miederfäufliche Zinfen follte man 
nicht mehr geben. Meifter Baltin, der Seiler im Plan, Claus 
Zöpfer vor dem Erfurter Thor und Diekel Walter Hatten ihr Vor— 
nehmen, alle Dinge eigen zu haben. So führte man die in gehar- 
nifchter Wehre verfammelte Gemeine auf da8 Rathhaus, woſelbſt fie 
die Thüren allenthalben verjperrten und verwahrten, und fie forderten 
nun die Schlüffel zu den Stadtthoren, auch, daß man die Perfonen, 
jo von wegen ber Gemeine beim Rathe fiten, zu ihnen fommen 
ließe, worauf fie alsbald alle und jegliche Thore fperrten und mit 
ftarfer Hut aus der Gemeine beftellten, aljo, daß ohne ihren Wijfen 
und Willen niemand zur Stadt aus- noch eingehen konnte; zugleich 
mußten die Stadtdiener und Schwertfnechte ihre Wehr von fich legen. 
Als nun die Gemeine in Harnifh und Wehr, mit Handbüchfen und 
angezündeten Lunten faft beifammen war und die Thür am Rath— 
haufe inmwendig, daß niemand davon fommen möchte, auch das Rath: 
haus auswendig und die Stadtthore mit Gewappneten beftellt waren, 
erklärten fie, fie wollten die Schlüffel zu den Stadtthoren bei den 
Zwölfen, die aus der Gemeine in den Räthen ſäßen, forthin wiſſen 
und laſſen und jett noc zwölf Männer aus ihrer Gemeine Eiejen, 
‚die neben denen im Rathe figen und ihre Sachen antragen und han— 
deln follten. Da fendeten die drei Räthe diejenigen von den zwölf 
Gemeindeverordneten, welche bei der Hand waren, in den Haufen 
vor die Rathsſtube umd gaben ihnen den Stadtjchreiber Georg 
Höpfner ! bei, der auch mit füglichen Worten den Haufen erinnerte, 
diefer Meinung: „weil fie alle und ihrer ein jeglicher ohne Zweifel 
wohl wiffen und ohne Zweifel ſich erinnern, daß des Rathes Regi— 
ment, wie e8 bisher gehalten, von dem Landesfürften verordnet und 
beftätiget fei, der Rath und Näthe dazu gehörige Pflicht gethan und 


ı Göfchels Chronik II, S.180 f. Seidemann, Fam. Gutbier I. Regifter S, 99, 


519 


bie von der Gemeine alfenthalben dem Nathe fürder, als anftatt des 
Landesfürften, Gehorfam gelobt Haben, jo wolle dem Rathe nicht 
leidlich fein, und ihnen, der Gemeine, aud) nicht fügen, mehr Per— 
fonen in den Rath zu ftellen, viel weniger fich alſo, wie fie vorge— 
nommen hätten und gegenwärtig wären, zu verfammeln; darum fei 
des Nathes und der Näthe gütlich Begehren, mad) gehörten vorerin- 
nerten Pflichten, zufrieden zu fein und ſich andeim zu fügen, mas 
und worin fie aber Beſchwerung hätten, ſolches in Verzeichniß ftellen 
u laffen, wogegen der Rath ſich aller Gleichheit in Aufſchreibung 
Shrer Antwort wollte vermerken laſſen, und ob man um egliche Ar— 
tikel joeben nicht zufammenftimmen würde, folle der Yandesfürft fie 
beiderjeit8 darin gmädiglich zu weifen haben“. — Damit jedod, waren 
die Berfammelten keineswegs zufrieden. Hans Melchior, auch Ziegler 
geheißen, entgegnete jofort: „Ei, Herr Stadtichreiber, das vergelte 
euch Gott! Wolft ihr uns aljo abweilen? Nein, wir find zufams 
mengefommen und wollen nicht von einander, es ſei denn gefchehen, 
was wir wollen“. Und als er ſich zu der Gemeine wenbete mit der 
Frage: „Ihr Brüder, iſt's nicht euer Wille“ ? da fchrieen Alle: Ya. — 
Unter mannigfaltigen ungeftümen Läjterungen und Schmähworten 
wider den Rath wählten fie ftrads unter fi) noch zwölf Männer, 
verzeichneten fie auf einem Schieferftein und ließen ihn in die Raths— 
ftube tragen mit dem Begehren, man ſolle die aljo hinein figen Lajjen 
und derjelben Namen ihnen abzeichnen. Das mußte der Rath, wie 
billig, dulden und thun. Hierauf kündigten die Unrupejtifter an, fie 
wollten fich etlicher Beſchwerung bedenken und die verzeichnet übergeben, 
auch die Antwort des Rathes darauf und die Abftellung diefer Be— 
ſchwerungen Haben, ehe fie fi von einander ſchieden. Alſo Haben fie 
die Zwölf angezeichnet und in die Rathsſtube zu den Räthen geſetzt. 
Da ward es Abend; die Gemeine zog vom Nathhaufe und legte ſich 
im Harniſch im etlichen Haufen Hin und wieder in die Stadt und 
beftellte, wie es ihnen gefiel, die Wache jehr ſtark. Die Namen 
derer, welche am diefem Tage aus der Gemeine dem Nathe beigegeben 
wurden, find folgende: Hans Fifcher, Andreas Dreicher, Hans Mel- 
hior, Hans Lofink, Ludwig Rotermund, Dietri Gans, Hans 
Schmidt, Hans Tuta der Schänfe am Berge, Yudwig Therner, Ans 
tonius Spiler, Hermann Dorhoff der Aeltere, Antonius Fuldener 
der Wirth am Plane. Regierender Bürgermeifter war Heinrich 
Stuhler. 

Der Bericht über diefe Dinge, den Dietrich Gans i. %. 1527 
in feiner Bittfchrift um Einlaß an den Herzog Georg gibt, wird 
kaum gänzlich unwahr jein. Er behauptet: 

„Der Rath hat uns Zwölf gebeten, anzunehmen, auf daß Friede würde, 
E. F. ©. und der Gemeine zu Gutem. Georg Höpfner, damals Stadtjchreiber, 
jetst Bürgermeifter, ift damals unter den Haufen getreten, als wir geforen 
wurden, und hat gefagt, fie follten nun ihre Mängel und Gebrechen den Herren 


ı Göfdel IL, ©. 137 Verzeichnis der Rathsglieder, aber unvollſtändig. 


520 


von der Gemeine und den Zwölfen zu erkennen geben und des andern Tags 
früh dem Rathe fchriftlich üderliefern. Allda wurde derſelbige Stadtſchreiber, 
al8 ein Gemeindediener, erfordert, daß er diejelbigen Artikel fchreiben follte. Er 
wegerte e8 aber und ſprach: ob er gleich ihre Sachen zum aller beften ausrichte, 
jo würden fie doch feinethalben immer Sorge tragen, wenig trauen, alles, was 
durch ihn gemacht jei, ummenden, und er werde alfo. nur vergeblide Mühe 
ausrichten. Und fo zeigte er mid ihnen an, daß ich's ihnen fchreiben follte. 
Ich Habe es aber aud) abgefchlagen und die Urfachen aus einander geſttzt, die 
mir jet zu Handen kommen. Es jagte aber der Stabtichreiber, das follte mir 
aus allem Schaden fein, und hat mich von megen der drei Räthe, auch feinet- 
halben gebeten, damit willig zu fein; die Räthe follten def allewege gegen mich 
im Guten gedenfen. Auch der Rath hat uns flehentlich gebeten, folches nicht zu 
verfagen, denn fie wüßten fonft keinerlei Weife die Empörung zu ftillen; auch 
wollten fie uns E. F. ©. verantworten, wie daß wir folche® auf ihre Bitte, 
ganzer Gemeine und folgende E. F. ©. zu Gute gethan und uns nicht aus 
eignem Frevel dazu gemöthiget hätten, und als fie uns de ihre Brief und 
Siegel angeboten umd gegeben, haben wir ums zur Annahme überreden laffen“. 


Dietrid) Gans fchrieb die Artikel der Gemeine noch diejelbe Nacht 
in des alten Hermann Dorhoffs Haufe. 

Den folgenden Morgen, Mittwoch nad) Quafimodogeniti, 26. 
April, trat der Kath zeitig zuſammen, und Meldior Wigand ver— 
hehlte feine Freude nicht, als er über die Zwölf, welche gejtern die 
Gemeine geforen hatte und die nun mit in der Ratheftube ſaßen, 
feine Blicke ſchweifen ließ; denn troß des Altars, der dort ftand, ging 
e8 laut und wild Her, und Wigand lief, gleid) anderen, feines Be— 
liebens aus und ein; er fagte an diefem Morgen in der Rathsſtube 
öffentlich: „Diefe Sache habe ich erhoben und viele Mühe gehabt, 
ehe ichs dahin gebracht Habe, e8 ijt um den Kopf zu thun!“ — Die 
Gemeine erjchien nämlich wieder im Harnifch auf dem Rathhaufe und 
ließ ihre zwölf Artifel, wie fie während der Nacht abgefaßt worden 
waren, in die Rathsſtube tragen, wartete auch mit großem Ungeftüm 
auf die Antwort, die der Rath aufjegte und der Gemeine übergeben 
fieß, diefes Lautes: 


„Erſtlich fagen die Räthe, fie feien nicht bedacht noch geliebet, die Bürger 
oder Jemand bei unſerm gnädigen Herrn dem Landesfürften zu verunglimpfen, 
daraus einige Unbilligteit zu vermerken möchte fein. So haben fie auch in 
Wahrheit fein Wiffen, daß jetzt jemand follte verunglimpft oder vorhanden fein 
geweſen, etliche Wagen voll oder irgend Einen mwegzuführen, denn fie je dazu 
fein Geliebens, auch das Hinfürder ungern erfahren und ſehen wollten. Auf 
den erften Artikel begehren die Räthe, anzuzeigen, an welchen Predbigern 
allhier Beihwerung. Darauf wollen fie alsdann neben denen von der Gemeine 
beim Herzoge auf das Allerbittlichfte und Unterthänigfte Anfuhung thun, daß 
ſ. F. G. uns als hriftlichen Leuten gelehrte und verftändige Prediger aus Gnaden 
ober um ziemliche Befoldung allher beichaffen wolle, die das heilige Evangelium 
laut ſ. 5. ©. Befehls und des Artikels dem Volke allhier predigen möchten. 
Auf den andern Artikel find die Räthe Hochgeliebet, daß der Aufruhre 
halber, die in Landen vorhanden find, aufs Befte Auffehen gehabt und davor 
getrachtet werde, dak wir von Fremdlingen nicht überzogen, fondern uns Allen 
zu Nute und Gute Veberfall möchte verhütet werden. E8 haben aud) die 
Räthe geftern, als fie zufammen davon gerathichlagt, für gut befunden, Thore 
und Thürme und andere Nothdurft dazu zu beftellen, deſſen fie auch noch aljo 
bedacht, denn ihnen aud Etwas daran gelegen, und wollen der Bitte der Ge— 


521 


meine nad) fleißig und fo viel möglidy mit ihrer Hülfe davor trachten , denn 
fi) die Gemeine alles Schutes, Schirmes und guter Förderung zu den Räthen 
verjehen follen, fofern ihnen Leib und Gut vermöglicht, def ſich auch wiederum 
die Räthe zu der Gemeine alfo verfehen und verlafien wollen. Auf den 
dritten Artifel fagen die Räthe, daß ihnen gar nicht geliebet, die Bürger 
leichtlih in den „Steig“ jeten zu laffen, wollen auch hinfort ſich gegen die 
Bürger aller ziemlichen und gleihen Strafe mit dem Gehorſam gegen die be- 
jeffenen Bürger, und fonft gegen andre, nad Gelegenheit der Verwirkung, 
gegen einen jeglihen Verbrecher nicht anders, denn nad) Erfenntniß des fitenden 
Raths und Beifein derer von der Gemeine im Rathe zu halten wiffen; es wären 
denn Sachen, jo eilend, daß man den Kath nicht haben möchte. Dennoch wollen 
fie fid) darin auch nicht wider die Billigfeit erzeigen. Auf den vierten Ar- 
tifel jagen die Räthe, fie mögen der Fremdlinge halben Anzeiquug leiden. Wo 
denn jemand allhier wäre, der nicht aus jonderlichem des Landesfürſten Schub 
und Geleit oder mit ziemlicher Kundſchaft eingefommen wäre, gegen die will man 
ſich Inhalts der Stadt Gebote aud) hinfort gegen jedermann alſo halten. So 
ift Herren Daniel Röſten feiner widerwärtigen Schrift Borhaltung gethan wor— 
den, wiewohl er auch geſaget, fich alſo in die Sachen zu richten, damit der Stadt 
und Gemeinde fein Nachtheil zur befahren ſei, worauf er folgends weggezogen 
Und man will ſich jo viel immer möglich fleißigen, die Beichädigung durch unjers 
gun. Herrn und der Stadt Feinde? aufzuhalten und zu verflommen. Auf den 
fünften Artifel: Der Stadt Thirme, Manern und Steine? halber mögen 
die Räthe Anzeigung feiden, worin der Gemeine zu Berdrieß gehandelt ei. 
Darauf wollen dann die Räthe fi) alſo darin halten, daR der Stadt Schade 
nicht Soll vermerkt werden. Auf den jehsten Artikel wollen die Räthe, 
fo Aufgebote oder Heerzüge gejchehen follten, ſich, wie der Artifel meldet, dem 
Armen wie den Neichen ganz unverdächtig zu halten wiffer, jo daß, ob Gott 
will, feine Ungleichheit foll vermerkt, auc) feine Murmelung derwegen vonnöthen 
werden. Auf den fiebenten Artifel fagen die Räthe, fie wollen fich gegen 
alle verdächtige Handlung und Perſonen bei Geiftlichen und Weltlichen Inhalts 
unſers gnädigen Herrn Befehls und der Stadt Gebot halten, wie fie denn darin 
allbereits Schrift und Befehl getan, auch fonderlid Hanfen Krämer ifo mit 
einer Schrift außen haben, wie Hierneben Kopei zu hören, und wollen den 
fürftlichen Befehl unverrüdt handhaben. Auf den achten Artikel fagen die 
Näthe, ihnen fei felbft entgegen, daß der Amtmann die Wochenmärfte, wie an« 
gezeigt, verhindern follte. Es ift aud) hievor vom Mathe derhalben, als e8 in 
der Stadt rüchtig worden, beſprochen, Hat er nicht geftanden, daß er das Ver— 
bot dermaßen wollte gethan haben. Er hats aud) in den Kirchen widerrufen 


ı Stitz, Stüß, Stieß (Steige), landfhaftlich, nod immer im Munde 
des Bolts für Feine, unbehaglice Wohnung. Lenz, Gemeinnütige Naturge- 
fchichte, Gotha 1835, Bd. II, ©. 312: „Am beften ift es, fie in fogenannten 
Gänjeftiegen zu mäften“ ꝛc. „An beften ift e8, wenn der Stieg in einem ganz 
ruhigen Stalle fteht”. — 

2 „Claus Heufenere Vaters halben ift ber Töpfer Hans Tolde E.F ©. 
Stadt Salza Feind geworden, daraus jein Vater und die Seinen lange Zeit 
hier in der Gemeine merflichen Unwillen und Verdrieß geurſacht“. So berid)- 
tete nad) dem Aufruhr der Nath über Heujenern an Georg. Das Fehdeweſen 
ftand noch in guter Blüthe, umd in ihm findet der von den Bauern geübte Fug 
und Unfug aud) mit feine Erklärung. 

3 Die Gemeine hatte ſich in ihrem fünften Artikel beffagt, daß der Math 
dem Amtmanne hinter der Gemeine Wiffen Steine geichenft habe. — Die Ar- 
tifel der Gemeine find nicht zu finden. Beim Berlejen derjelben ftand Matthes 
König, ein Bäder, Kasper Königs in Salza Sohn, neben Hans Meifter in ber 
Rathsſtube und „hat mehr denn andre mit freveligem Gefchrei alfe Artikel ge- 
reizt und verſpitzt“. N 


AIV.. ; 35 


522 


faffen, und wollen die Räthe all ihres Vermögens die Märkte beffer zu machen 
befleißigen. Auf den neunten Artifel wollen die Räthe dem Amtmann 
anzeigen, daß er Hinfürder in dem Brauhaufe der Stadt der Gemeine zu Nad)- 
theil Brauens ſich enthalte!. Auf den zehnten Artikel fagen die Näthe, 
fie wollen fid) der wiederfäuflihen Zinje halben und womit fonft die Bürger 
möchten zu ſchwer beladen fein, bei den Einnehmern allermöglichft befleißigen, 
die auf ziemliche, trägliche Mittel zu handeln, und Hierin der Bürger Nutz und 
Nothdurft bedenken, wie denn unſer gnädiger Herr darin aud Befehl gethan 
hat. Was auch befunden wird, daß fies nicht jchuldig, davor will man fie 
hüten und vertheidigen?. Zum Eilften fagen die Näthe, wenn, was man 
der Gemeine Gebot und Verbot verfündigt hat, die von jemand aus den Räthen 
oder den Ihren verbroden oder übertreten würden, jollen diejelben Webertreter 
mit aufgejettter Pön und Buße unverichont, gleich denen aus der Gemeine, In— 
halts derjelbigen Gebote geftraft und verbüßt genommen und darin niemandem 
gefährlich verichont werden. Auf den zwölften Artikel will man mit dem 
Amtmanne reden, die Bürger an Enden, da man von Alters her gefticht, defjen 
nun nicht zu verhindern, derhalben und jonft auc die Bürger mit ungeſtümigem 
Zorne und Schmähworten nicht zu belaften; denn ohne das würden wirs unferm 
gnädigften Herrn nicht verhalten. Auf das Letzte jagen die Näthe, fie feien 
bedacht und wollen mit der Hilfe Gottes, wie auch frommen, criftlichen Re— 
genten gebührt und wohl anfteht, fi hinfort in allen ziemlichen, gehörigen 
Saden fonft aller Gleichheit und Billigfeit gegen die Bürger halten. Ob aber 
jemand, einer oder mehrere, darin wider den Nath Beſchwerung zu haben fich 
bedünfen ließe, wollen und mögen Kath und Näthe diefer Stadt, als die ge- 
horſamen Unterthanen ihren Pflichten gemäß, unfers gnädigften Herrn Weifung 
um folhe Beihmwerung und diefe obgemeldten Artikel, was und fo viel feiner 
F. Gn. darin gefällig, dulden, und bitten wir hiermit einen jeglichen Bürger, 
ſich Hierin and) aller jchuldigen Billigfeit, daran wir denn nicht zweifeln, halten 
zu wollen ®, 


Als diefe Antwort des Nathes der Gemeine vorgelefen wurde, 
ward jeder einzelne Artikel von vielen mit muthwilligen Worten und 
höhnischer Deutung „artieulirt* und folche Ungejtümigfeit dabei ge- 
hört, daß die Räthe in der Rathsſtube ſich alles thätlichen Ueber— 
falfens verjehen und befahren mußten, denn die in der Gemeine Tießen 
etliche Mal durch ihre Verordneten hinein jagen, yamentlic) aud) 
durd Melchior Wigand, es wäre nichts mit den Artikeln, die fie ge— 
jetzt hätten, nichts mit des Rathes geitellter Antwort, die Gemeine 
habe noch viel mehr und anderes vorzubringen, und das wollten fie 
allenthalben geändert haben, che fie fich von einander ſchieden. In 
diefer Weife wurde Hin und her geredet und verhandelt, gejchrieen 


ı In ihrem neunten Artikel hatten die Verfaſſer der Gemeindeartifel ge» 
jagt: der Amtmann Berlepfch folle entweder fein Hofbier oder das Geld dafür 
nehmen und das Gelbftbrauen laſſen. 

? Ueber den Zinsfauf vgl. Weller, Altes aus allen Theilen der Gejchichte 
II, ©. 266; Hoffmann, Oſchatz I, ©. 412. Man betrachtete das Kapital, 
das man auslich, als das Kaufgeld, die Zinfen aber als die Waare, die dadurch 
erlangt ward. 

®_ Dieje zwölf Artikel waren es, melde Nath und Gemeine zu Salza 
an Georg einjendeten, jener wohl in dem Bewußtſein, Georg werde nichts ges 
währen, diefe in Hoffnung, Georg werde fie annehmen und Ja dazu fagen. 
Bon dem Artifelbriefe der Bauern, den fie in einem Abdrude fpäter, den 5. Mai, 
einſchickten, wagten fie gar nicht, das zu erwarten. Und mit Recht! 


525 


und getobt bis Nachmittag um Besperzeit. Da verbreitete ſich das 
Gerücht, e8 kehre fich ein großer Haufe Kriegsvolfs von Mühlhauſen 
nad der Stadt, und von demfelben ſei ein Zeddel an die Gemeine 
zu Salza geftellt worden. Diejer Zeddel hatte die Unterfchrift : „Der 
Bruder von Mühlhaufen ꝛc.“, und meldete, fie hätten erfahren, daß 
die Gemeine zu Salza riftliche Meinung vorhabe, wo man nun der 
von Mühlhauſen bedürfte, wollten fie ihnen zu Hilfe kommen. Nun 
traf ſichs, daß diefes Schreiben durch der Gemeine Verordnete zuerft 
an den Rath gelangte, und beide antworteten in Eile: 


„Unferm lieben Bruder zu Mühlhaufen zu Handen. Lieber Bruder, Wir 
haben Euer Schreiben und Erbieten verfianden , bedanken uns Eures Erbietens 
freimdfich, wollen, ob Gott will, unſre Sachen unter uns zu gutem Friebe 
wirfen. Damit feid auch Gott befohlen. Datum am 26. Tage Aprilis Anno 
1525. Die riftlidie Gemeine zu Sala“. 


Zugleich; wurden vom Rathe Dietric) Gans und Hans Schenk 
am Berge al8 Gemeindeverordnete entjendet, um an den Mühlhau— 
fenern zu hören, warum ſie gefommen wären oder was gegen Salza 
ihre Meinung fei. Die lagen nämlich) vor dem Oberthore etwa 600 
Mann ftarf und führten ein weißes Fähnlein, worin ein Negenbogen 
prangte!, und ftanden unter Pfeifers Anführung. Pfeifer machte 
mancherlei Anforderungen, begehrte aber ganz befonders die Tödtung 
des Amtmanns Sittich von Berlepfch, derjenigen, die von Mühl— 
haufen entwichen waren, und der Barfüßer zu Salza; dod) ließ er 
endlich durch Gans ſich vorläufig beichwichtigen und zum Abzuge be- 
wegen. Bon den, was andere erzählen, daß man dem Haufen zwei 
Faß Salzaifches Bier verchrt habe, welches auf dem Gotternjchen 
Riede verzehrt wurde, und daß Pfeifer mit feiner Schaar diejelbe 
Nacht in Höngeda geblieben, am Donnerstage nad) Germar gezogen 
jet und dort auf dem Kirchhofe ein Lager gemacht habe, um die 
Nacht darin zuzubringen, Jo wie darüber, daß Münzer mit in dieſem 
Haufen vor Salza geweſen fei, jhweigen die Hier benutzten Berichte; 
fie deuten nur ‚an, daß Melchior Wigand den Zuzug des Mühlhau— 
jener Haufens vermittelt haben dürfte, wogegen diejer ſpäterhin jede 
Bekanntſchaft mit Münzer, den er nie gejehen habe, verneinte. Dieje 
Gefahr wäre aljo glücklich befeitigt gewejen, wären nur die Gemüther 
nicht gleichzeitig durc) das Gerücht aufgeregt worden, daß ein andrer 
großer Haufe von Eiſenach herein auf dem Wege wäre. Daher 
liegen noch denfelben Abend die aus der Gemeine durch ihre Verord— 
neten dem Rathe anfagen: fie wollten ftrads, daß die Priejter in der 


* 


ı Natürlich war, ſchon um bes Anftandes willen, das Fähnlein von 
Seide; Münzer ließ deren in Mühlhaufen. fleißig ftiden, Die Fähnlein jener 
Tage ftanden im Verhältniß zu Trommel und Querpjeife und waren fo groß, 
daß ein Mann ſich bequem Hinein wideln konnte. Lienhard Frönjperger 1. c. 
Blatt XXX: „Die Schanzbauern follen ein Fähnlein haben, ift ohne Noth von 
Seiden, fondern von Leinwand, darein gemalt Hauen und Schaufeln, dazu 
einen Trommelſchläger, ohne einen Pfeifer“, 


35 * 


524 


Stadt Bürger würden und „faffen“ und wachen und Geſchoß geben 
müßten wie andere Bürger auch; desgleichen wollten fie die Mönche 
und Nonnen aus den Klöftern, e8 auch mit der Kirche Aemtern jo 
bejtelit haben, wie man e8 zu Gotha und Eiſenach hielte; wolle das 
der Rath nicht alsbald thun, jo würden fie felber es durchfegen, und 
der Haufe von Mühlhaufen, der noch im Felde lüge, wolle ihnen 
dazu helfen; das Silberwerf und die Stleinodien in Kirchen und 
Klöftern . muſſe man auf das Rathhaus in Verwahrung nehmen. 
Man jiceht, das Ericheinen Pfeifers und feine Hilfsanerbietungen 
hatten gewirkt, und viele jahen nur ungern ihn unverrichteter Dinge 
hinwegziehn. Durd großes Bitten und Flehen erlangte an jenem 
Abende der Rath faum, daß die Gemeine mit Erfüllung ihres Be— 
gehrens bis auf den Tag ſich vertröften ließ, auf daß die 
armen Jungfern und Mönche! gegen die Nacht nicht dürften ver— 
elendet und die Klöfter ſo erbärmlich geplündert und zerbrochen werden. 
Aber länger als bis den folgenden Morgen um 5 Uhr wollte die 
Gemeine nicht verziehn noch Zeit geben, Mund noch an ı diejem Abende 
mußten (die Vorftcher der Klöfter? und) die vom S. Peterpauls- 
ftifte auf dem Rathhauſe fich jtellen, um den über fie gefaßten Be— 
ſchluß zu vernehmen, 

Am Donnerstage, 27. April, wurde folder Beihluß beiten 
Glimpfs nad) Gejtalt der drangfeligen Umftände durch die Räthe im 
Beijein der Gemeindeverordneten ausgeführt, während die Gemeine 
den ganzen Tag im Harnifch zu bleiben und in der Stadt hin und 
wieder fich) zu lagern fortfuhr. Die Nonnen vertheilte man in unbe— 
ſcholtene Bürgerhäufer; den Mönchen fagte der Math wiederholt, es 
ſei der Wille der Gemeine, in ihrer Stadt einige Sammlung geift- 
licher Klofterleute nicht zu wiljen, doc) finde man an ihren Perfonen 
feine Schuld. Der Barfüherguardian Frater Andreas Judicis ent- 
faın bald nad) Yeipzig. So ward denn auch der Gottesdienjt, wie 
er bisher nad) altem Kirchenbrauche mit Meſſen, Vespern und der= 
gleichen ftatt gefunden hatte, eingeftellt, den Geiſtlichen angefonnen, 
unter weltlichen Gerichtszwange zu leben, zu frohnen, zu kaffen, zu 
wachen, Heerfahrt zu leijten und zu heirathen. Zwei martinijch ge: 
finnte Prädicanten fingen wenige Tage hernach an, die Firchlichen 
Handlungen zu verjehen: Johann Zeigfuß, der verheirathete Pfarrer 


ı Das Jungfrauenklofter S. Bonifacii zu Salza war Marienmagdalenen- 
ordens, befaß 1 Hufe Landes, 7 Ader Wieſenwachs, welche Ietstere dem Prediger 
überlaffen wurden, 50 Ader Hol, 3 Badhäufer, von welchen (i. J. 1539) der 
Prediger des Klofters Brode befam, 178 alte Schod und wiederkäufliche Zinfen, 
und etwas Getreide. Des Probftes Wohnung lag hart am Kloſter. Im $. 
1539 gab das Klofter einen Zufhuß zur Unterhaltung der evangeliſchen Geift- 
lihen. — Die Auguftiner bejaßen 96 alte Schod an Gelde, 24 Malter 4 
Scheffel Waizen und Hafer, 11 Malter 6 Scheffel Gerfte, 71, Malter und 6 
Scyeffel Hafer jährliches Einfommen, 106 Ader Sol, 8 Ader Weinwachs, 3 
Acer Weide, 30 Ader in der Harth, 20 Ader in dem Steingraben und 4'/, 
Ader Wienſewachs. Urkundlich. — Bol. Fam. Gutbier I, 76 Regifter. 


525 


von Kirchheilingen, und Herr Kratz, ein vor vielen Jahren ausge- 
laufener Mönd. Teigfuß war ungefähr. ſchon acht Tage, bevor der 
Aufftand zu Salza ausbrah, in der Stadt eingetroffen. Albrecht 
Steinbrüd, der jett, um feine Verachtung der Gebietenden recht ficht- 
bar an den Tag zu legen, immer einen Schaubhut auf hatte, kannte 
ihn, denn er erzählt in feiner Bittfchrift an Georg v. J. 1527: 


„Der Prediger ift zu uns gefommen auf der Brüder Kirchhof, da hat ein 
Auguftinermönd gepredigt. Da habe ic) ihn gebeten, weil ic, ihn gefannt habe, 
mit mir zu effen, als gut mirs Gott hätte befcheeret. Darauf ift er mit dem, 
der predigte, ins Klofter gegangen und hat mit ihm gegefien. Abends aber ift 
er zu mir geflommen. Hat mein Weib mir einen Boten gejchict, ich ſolle heim— 
tommen, ich habe einen Gaft. Bin ich heimgegangen, hat er des Abends bei 
mir gegefien, mid) um Herberge gebeten und ift die Nacht bei mir geblieben. 
Darnad) ift er aufgenommen worden zu einem Prediger zu Salza zu ©. Bo- 
nifacio ohne mein Bewußt“. 


Daß Teigfuß eine Nacht in Steinbrüds, zwei Nächte in des 
alten Bornheinrich® Haufe geherbergt habe, bejtätigte die Ausſage des 
jungen Jacob Bornheinrichs, dejjen Yehrmeijter und Schwager Stein= 
brüd war!. 

Den Freitag, 28. April, redete der Nath mit der Gemeine Ver- 
ordneten und erflärte, es wolle ſich nicht anders leiden, man müſſe 
diefe Sachen Herzog Georgen zu erkennen geben. Wirklich vereinigte 
man ſich über eine Zufchrift an den Herzog, von welcher aber her— 
nach der Rath Flagte, daß jie nicht jo ausgefallen ſei, wie fie die 
Räthe gern gethan hätten, jondern wie die Gemeine fie hätte haben 
wollen. Sie lautet: 


„Durdlauchter, Hochgeborner Fürft und Herr! Euern fürftlihen Gnaden 
find unfre unterthänigen Dienfte im ſchuldiger Pflicht allezeit zuvoran bereit. 
Gnädigfter Fürft! Es ift leider allhier zu Ninge um uns ber, auch Hinfeits 
Eifenady und weiter foldhe Empörung und Handlung vor Augen, daß allhier 
zu Salza, nachdem nädhftvergangnen Sonntags ein Jahrmarkt allhier gewesen 
und viel fremdes Bolt in die Stadt gelommen, fid) den folgenden Dienstag 
auch ein Aufruhr begeben, dadurd die Gemeine verjammelt worden. Hat fid) 
wohl etwas unluftig und beforglid) angelaffen, aud weiter ein Haufen Kriegs— 
leute mit einem weißen Fähnlein mit einem Regenbogen, wie man die gejehen, 
bei 600 ftart, aus Mühlhaujen bis an dieje Stadt gethan, und fonft das Ge- 
rücht geweſen, daß ein andrer großer Haufe von Eifenady herein auf dem Wege 
wäre, dadurch das Volk jo gar verivret, daß man ſchwerlich ohne größeren 
Schaden eine Stillung maden fünnen. Nachdem denn auch das Klofter Hom- 
burg bei uns durd andre viel fremde, dieman nicht kennt, die Zeit jämmerlich 
ausgeplündert, was darinnen zerriffen und zerichlagen, die Herren. daraus ver- 
drumgen , desgleihen Sanct Georgenthal und mehr Klöfter aljo verftört, haben 
wir Rath und Gemeinde im Beften aus Nothdurft die Kleinode und Gejchmeide 
allhier aus den Klöftern auf das Nathhaus in Verwahrung genommen und die 
Perjonen, damit fie nicht mit unziemlihem Stürmen weiter betrübet, daraus 


ı „Sie haben uns darauf bisher die Kirchen verſchloſſen und aller Ge: 
zeiten zu halten verhindert, einem Mönch, welcher, vor vielen Jahren verlaufen, 
eines ungeiftlichen Lebens ift, und einem ehelichen Dorfpfaffen, jeicht gelehrt, die, 
ärger denn Jutherijch, wie der Alftädter zu Aufruhr reizen, das Predigtamt be» 
fohlen“. Brief des Kapitels zu Salza vom 15. Mai 1525 an Georg. 


526 


in der Bürger Häufer gehen laſſen. Man Hat aud) zu Sättigung des Bolts 
zugejaget, den alten Gebrauch der Kirchenämter, inmaßen es damit zu Gotha 
und Eifenady! gehalten wird, zu verändern, Haben aud wir, die Gemeine, 
etliche Artifel wider den Rath, und wir, der Rath, unfre Autwort darauf, wie 
E.F. Gn. hier inliegend gnädiglich zu vernehmen, geftellt. Weil wir denn aud) 
E. F. ©. Zukunft vertröftet, haben wir das der Nothdurft E. F. ©. nicht zu 
verhalten wiſſen, diejelbe €. F. ©. als unjern gmädigen Fürften und Herrn 
unterthäniglich bittend, E. F. ©. wollen fid) folder Nothdurft allher verfügen 
und dieje Empörung nad) E. F. ©. hohem fürftlihen Verſtaude auf gnädige 
Mittel wirken. Sind wir erbötig, das über fchuldige Pflicht in aller Unter: 
thänigfeit zu verdienen. Datum jehr eilend Freitagg nad) Duafimodogeniti 
Anno 1525, Bitten E. F. ©. gnädige, tröftliche und fchriftliche Antwort bei 
gegenwärtigem Boten €. F. ©. unterthänigen drei Räthe und ganze Gemeine 
zu Salja“. 


Der unterthänigft erbetene Beicheid ward von dem befümmerten, 
aber ungebeugten Yandesfürjten fchriftlich gegeben und ging unter Au— 
drohung von Strafe einfach) und ſehr amtlich dahin, fie follten die 
alten Gottesdienjte wieder anrichten, die Nonnen, die am Beten in 
ihren Zellen aufgehoben wären, und die Mönche wieder in ihre Klöfter 
bringen, die Kleinode wohl verwahren. Auch hatte der Rath dejjel- 
bigen Tags noch auf Andringen der Gemeineverordneten diefen eine 
Verſchreibung unter der Stadt Secret auszuftellen, daß beide gemein 
ſchaftlich die Klofterjungfern und Mönche aus den Klöftern hätten 
ziehen lajjen. Daraus z0g man nacgehends eine unbegründete Fol— 
gerung und wollte behaupten, man habe fich beiderjeits eidlich ver— 
bunden, bei einander zu jtehen. Dieſe Verjchreibung mußte dreimal 
umgefchrieben werden, che fie angenommen wurde; auch ftellte man 
fie auf den Donnerstag, folgenden Inhalts: 


„Zu wiffen, daß auf Willen und Gefinnen der Gemeine wir, die Räthe 
zu Salza, neben den Zmwölfen von der Gemeine, als diefelbe Gemeine iko für 
fi verordnet haben, damit fie geftillet und der Fremden halben nicht diirfen 
MWeiterung gewarten, die Kleinod und Gefchmeide aus den Klöftern auf das 
Rathhaus in Verwahrung geftellt, und haben wir, die drei Näthe, fammt den 
zwölf Berordneten und der ganzen Gemeine, wie obgemeldet, die Geiftlichen 
aus den Klöftern ziehen laſſen. Zu Urkunde haben wir der Stadt Secret bier 
aufgedrüdt. Gegeben am Donnerstage nad) Ouafimodogeniti. Anno 1525”. 


Bis hierher, fo ſchlimm auch die Dinge innen und außen ftanden, 
war doch alles recht Leidlich abgewicfelt worden, und e8 der gemäßigten 
Partei, den Gemeineverordneten, die alle Urfache hatten den Räthen 
zu mißtrauen, gelungen, heftigere Ausbrüche und gröbere Thätlich- 
feiten niederzuhalten. Die böfejten Tage aber waren noch zu erwarten. 
Den Sonnabend früh, 29. April, nachdem der ganze Haufe in der 
Stadt auf dem Auguftinerficchhofe ſich verfammelt hatte, ließ er durd) 
feine Verordneten den Kath wiſſen, „der Hauscomtur Antonius von 


ı Fu Gotha predigte damals der befannte Friedrich MYyconius, Mekum, 
der Luthern im Geficht fo ähnlich ſah. In Eifenad) der bekannte Dr. Jacob 
Strauß. Es ergiebt fi), daß Salza auch in diefem Punkte noch der Mäßigung 
huldigte. 


527 


Harftall zu Neilftädt (Nägelftädt) hätte herein fagen Lafjen, e8 wären 
folche große Haufen und Verſammlungen vorhanden, daß er Nägel- 
jtädt und den Vorrath darin nicht wüßte zu vertheidigen; da denn 
doc Fremde alles nehmen würden, jo gönnte er e8 lieber denen von 
Salza. Nun hätten fie Homburg (gejtürmt den 26. April) verfäunt, 
das durch Fremde geplündert worden fei. Wo fie Nägeljtädt aud) 
verfäumten, wirden fie e8 an dem Rathe fuchen“. Da Hatte der 
Kath gut Vorftellungen thun: „fie wühten ja, was der Amtmann 
allpier zu Salza mit Zufchidung der Schrift des Comturs gejtern 
Abend allher am den Kath und die Verordneten der Gemeine ge- 
ichrieben habe, was gar”anders Elinge; ſollte aber der Komtur doch 
fo, wie fie jagten, fchreiben, dann hätte man fich darauf immer noch 
weiter zu bedenfen“. Die Gemeine entgegnete mit ihrem gewöhnlichen : 
„Flugs, flugs! es muß alfo fein und nicht anders; fie wollten ſtracks 
hinaus, und man könne es nicht wehren!“ Geſagt, getan! Dom 
Kirchhofe weg zogen fie mit der Trommel nach dem Nathhaufe und 
weiter, Johann Teigfuß als Prediger an der Epite, nad) Nägeljtädt. 
Weil der Rath jah, daß er nicht im Stande fei diefes Vornehmen 
zu wehren oder zu wenden, jo fagte er den Berordneten, fie möchten 
doc) eilends Hinausfragen lajfen, was die Meinung des Comturs 
wäre, damit fie, wo die Sache eine andre Geſtalt hätte, nichts Thät- 
liches vornehmen liegen. Während nun der Haufe draußen beichäftigt 
war, kam Ludwig Terner, der vielleicht zuvor aus der Verordneten 
Geheiß hinaus geritten fein mochte, herein und erzählte, der Komtur 
hätte den Vorrat), aus angezeigter Noth und aus Furcht vor den 
Tremden, denen von Calza in vieler Leute Gegenwart übergeben. 
Die Gemeine führte demnach das Getreide und anderes herein, brachte 
alles in den Neinhardsbrunner Hof, in welchen es, nachdem fie et= 
liches Korn unter ſich vertheilt Hatte, bejchloffen und verwahrt wurde, 
nöthigte auch Knechte und Mägde mitzuziehn. Bei diefer nachbarlich 
freundlichen Uebernahme holten die Salzaer aus der Kirche zu unfrer 
lieben Frauen und ©. Sebaftian in Nägeljtädt alle Kelche, Meßge— 
wänder, Kreuze, Monjtranzen, jilberne Kleinodien ſammt aller Kirchen- 
zier, zerbrachen und entfremdeten drei Sloden, zerfchlugen Thurm und 
Fenſter, braden Boden und Dad) der Scheine auf, und führten 
z. B. außer anderem hinweg 200 Spedjeiten, 60 Eimer Weins, 
aus dem Brauhaufe Hopfen, Malz und alles Geräth, von 415 
Nöffern! die Wolle, 42 melfe Schafe, 170 erfurter Malter Waizen 
und Roggen, 34 erfurter Malter Gerjte, 60 Malter Hafer, 3 


ı Nöffer. Grimm, Deutiche Rechtsalterthümer S.765: ‘nosser (armenta)'. 
In einem Erbzinsbucde des Nonnenklofters Rohrbach, Kreyſigs Beiträge zur 
Hiftorie der Sächſ. Lande III, S. 302, werden genannt 50 Rind-Nöſer und 
900 Schaaf-Nöfer. Das Wort hängt mit Nuten zufammen, und Nöffer, im 
Gegenfat zum gelte ftehenden Vieh, find Nuten gebende Vierfüßler. — Hans 
Ziegler Melchior, Berlt Molsdorf und Dietrid) Gans hatten kurz vor der Em— 
pörung vom Comtur zu Neilftädt für eine gute Summe Gerfte geborgt, 
„vielleicht der Meinung, fie nicht zu bezahlen“. 


528 


Malter Rübſamen, von der Scheune und dem Steiuhaufe 350 er- 
furter Malter Waizen und Roggen, ferner den von beiden Pfarren 
zu Mühlhaufen gekommenen Vorrath an Getreide und anderem. Anz 
tonius von Harftall jah bei der freiwilligen Hingabe diefer Güter 
wohl auch zugleich die fommende Entjchädigung dafür mit voraus. 
Andere, wie z. B. der Homburger Abt, verfuhren als Eluge Haus- 
halter gerade jo. Dieſe Yeute alle befagen die Gabe „des zweiten 
Geſichts“, die freilich den Bauern, zumal Münzer, abging. 

Deſſelben Sonnabends Vormittags famen zwei Männer von 
Großengottern, Hans Fache, der alte Heimbürge, und Kurt Mar— 
fchall, der Bauermeijter, zu den Gemeineverordneten mit Botjchaft 
von dein großen WWeberjtädter Haufen. 

Wie es in Gottern ftand, zeigt der Brief diefer Gemeine an 
Herzog Georg vom Dienstage nach Jubilate, 9. Mai: 


Der Herzog wife den Aufruhr allenthalben und daß fie bisher al8 arme 
Leute fi) nad jeinen Gebote gehalten hätten und gar nicht beirren laſſen. 
Uber am Freitage nad Duafimodogeniti (28. April) habe ein Haufen ihre 
Feldnachbarn, Ritter, Ehrbarleute, Bürger und Bauern überzogen und an ihre 
VBereinung angenommen; foldyer Haufe habe auf einem Feldwege bei ihnen ge= 
ruht, fie aber hätten aus Furcht etliche aus ihrem Mittel an diejen Haufen 
abgeordnet, um defjen Gemüth zu erfahren, und zur Antwort erhalten, man 
wolle eine Zehrung halten in ©ottern. Darduf hätten fie beim Amtmanı in 
Salza um Rath und Hülfe angelucht, die aber nicht erhalten, und feien alfo 
ohne Troſt oder Hilfe als die Schafe unter den Wölfen verlaffen gemeien. 
„Folgenden Tags find fie mit großer Macht bei uns erichienen, haben mit Ernft 
uns vorgehalten, ob wir beim Wort Gottes und den zwölf Bauerartifeln ftehen 
und bleiben wollen, worauf wir neantwortet: Beim Worte Gottes zuvörderft 
find wir alle Chriften ſchuldig zu bleiben, und jo die zwölf Artikel der Billig. 
feit und des Landesfürften Obrigfeiten nicht entgegen , jo wollen wir diejelbigen 
neben dem Evangelio aud) gern annehmen und halten“. 


Das melden, freilich erit am 9. Mai, unter den demüthigſten 
Grbietungen von Unterthänigfeit, Gehorſam, Zireue, und mit der 
Bitte, der Herzog möge ihnen jeine fürftliche Gnade ja nicht ent- 
ziehen, die Heimbürger, Vormünder und ganze Gemeine zu Großen- 
gottern an Georg (demn Kurt Krug hatte 20 Knechte als Rottmeiſter 
aus Gottern angeführt und einige Tage beim Mühlhaufischen Haufen 
im Felde gelegen), der ihnen von Weißenfel® aus den I1. Mai er- 
widerte: 


„Wir haben euer Schreiben und Entihuldigung diefer aufrührigen Empö- 
rung halben ſammt eurer Bitte, euch vor Gewalt zu [hüten und zu ſchirmen, 
alles Inhalts hören leſen, und zweifeln nicht, ihr wißt, wie wir eud) und andre 
unfrer Unterthanen allezeit in gnädigem Schuß gehalten und uns gegen euch 
als der guädige Landesfürft mit allen Gnaden bewiefen, derhalben wir uns 
wiederum unterthänigen Gehorfams allezeit zu euch verfehen gehabt. Weil ihr 
euch aber wider euer Pflicht, damit ihr uns verwandt feid, dem aufrührifchen 
Haufen anhängig gemadıt und aus unſerm Gehorfam getreten, damit ihr uns 
zu dieſem Zug bewegt, und aljo in große Schäden, Unkoſt und Mühe geführt, 
wo ihr nun uns darum Abtrag zu thun bedacht, mögt ihr etlidhe aus euch, 
in Bollermadt der andern, aufs Förderlichfte zu uns, wo wir anzutreffen jein, 
ſchicken umd abfertigen, unfern Begehr, Willen und Meinung anzuhören, euch 
darnach zu richten”. 


529 


Jene zwei Männer brachten, wie erwähnt, Botfchaft, und be= 
richteten, der große, gewaltige Haufe, der zu Mülverftädt und Weberftädt 
liege, und die Edelleute zu Wangenheim (denen von Yichtenhain zuftändig), 
ingleichen die von Hopfgarten zu Weberjtädt und die’ Soldader zu Uff- 
hofen in feine Brüderfchaft gebracht habe, zu denen fie mit andern 
Dörfern fi) auch hätten verſprochen, habe ihnen befohlen, denen zu 
Salza anzuzeigen: fie hörten, daß in der Stadt das chrijtliche Regi— 
ment auch follte vorgenommen fein, darum wünschten fie zu wiljen, 
ob ſich die Salzaer aud) al8 chrijtlihe Brüder halten wollten. Der 
Rath wies diefe Boten ab; die aber wendeten fich an den Haufen, 
der auf dem Schloſſe lag, wo fie bereitwilliges Gehör fanden und 
Anfichten, die von denen des Rathes abwichen, der jedoch, weil ihm 
genauere Nachrichten über die Yage der Sachen draußen vorenthalten 
wurden, zwei Kundſchafter abjchiekte, die aber erjt den folgenden Tag 
zurücffehrten umd ausjagten, der Haufe draußen fei bei 2600 Mann 
ftarf und ziehe gen Großengottern und habe ihnen befohlen, dem 
Rathe zu vermelden, wo fich derjelbe nicht in die zwölf Artifel, von 
denen fie einen Abdruck mitjendeten, bewilligen würde und bei dem 
Worte Gottes zu ftehn und das helfen zu vertheidigen, fo wäre der 
Haufe aljo gejchidt und wüßte den Anhang und Hilfe, den Rath 
dazu zu bringen. Die Kundſchafter erzählten ferner, der Haufe wolle 
zu den Grafen von leihen zu Tonna, die fi) auch in die Artikel 
und ihm einen Trunk zu fchenfen bewilligt hätten, bei welcher Ge— 
fegenheit er vor Salza vorbeizichn werde, und es wäre der Haufe 
ihon auf dem Wege. Bon diefen Dingen hatte die Gemeine in 
Salza bereit8 den Sonnabend genaue Nachricht und drang darauf, 
man folle fic dermaßen zu dem Worte Gottes halten und die zwölf Artikel 
bewilligen, wa8 man auch, „dieweil das Gedrängnig größer von der 
Gemeine in der Stadt gewejen, denn man von den Fremden gelitten, 
hat aljo von Raths wegen miſſſen mit bewilligen und dem Haufen 
zu erfennen gegeben“. Abdrüde der zwölf Artikel waren in Salza 
vorhanden; die Merrlebener Anführer ihres Aufftandes liegen durch 
Frig Schrötern einen ſolchen „Artifelbrief“ daſelbſt Faufen. 

Den Sonntag Mifericordias Domini, 30. April, langte der 
gewaltige Haufe, der deu Freitag und Sonnabend zu Miülverftädt und 
Weberjtädt vorm Hainich, wo er die Edelleute Farnroda u. a. in 
feine Brüderfchaft gedrungen Hatte, verſammelt gewejen und den 
Sonnabend nad) Grofengottern gezogen war, mit ihm die Edelleute, 
vor Salza an; Sebajtian Roſt von Thamsbrüd war Trommel— 
ichläger im Haufen, Die Gemeine und deren Verordnete verlangten 
die Erlaubnig zum Durchzuge für den Haufen draußen durd) die 
Stadt und fendeten Yudwig Ternern an das Thor, da denn der Thor— 
wart auffchloß und der helle Haufen hereinfluthete. Der Rath, bei 
welchem am ?Freitage, 28. April, ein Schreiben der Grafen von Glei— 
chen um Beijtand vom 26. April eingegangen war, das er nicht be= 
antwortete, fonnte weder diefen Durchzug, noch auc) das verhindern, 
daß viele Salzaer fich der Fahrt nad) Tonna anſchloſſen. Zwar 


530 


hatte er Vorkehrungen treffen, den Hartmann Goldader von Uffhofen 
hereinzufommen bitten, mit ihm allenthalben die Straßen befichtigen 
und berenten lajjen, zu etwaiger Gegenwehr, aud Claus Heufenern, 
Diesel Walthern, Hanfen Pfannfchmidt zum Geſchütz, und aus Nach- 
giebigfeit gegen die Gemeindeverordneten, Yudwig Ternern und Hanfen 
Scheffener, der dies Jahr beim Nathe von Seiten der Gemeine ge— 
jeffen, Zeugmeifter zu fein bejtellt. Aber die Gemeine, die wie un— 
finnig in der Stadt, auf dem Rathhauſe und vor der Rathsſtube 
tobte, feste ihren Willen, der Anschluß, nicht Widerftand beabjichtigte, 
durch. Die Salzaer famen, nachdem in Uffhofen Halt gemacht und 
das Geſchenk der dortigen Gemeinde, zwei Faß Bier, getrunfen worden 
war, bei 200 Geharnifchter mit Büchjen, Hellebarten und Spießen 
und mit zwei Schlangenbüchlen, geführt vom Schneider Fiſcher und 
Melchior Wigand, der den Webel machte, vor Tonna an, während 
den Bauerhaufen Albrecht Menge von Großenbehringen, ein Mann 
von ebenmäßiger Yänge, fenntlich durch eine Schramme int Baden, 
feines Gewerbes je nad) Umftänden ein Franzofenarzt oder ein Bars 
bierer oder auch Tuchjcheerer, Herrmann Tunkel aus Weberjtädt und 
Jacob Krauje leiteten. Da die Grafen Filipp, Ernft, Sigmund und 
Johann zögerten in die große Brüderichaft zu treten, ſchickten die 
Salzaer zu den Ihrigen heim, um andre große Büchſen gegen das 
Zonnaer Schloß und mehr Volks kommen zu lajjen. Claus Heufener 
führte als Büchjenmeifter, auf einer Büchſe fitend, das größere Ge— 
Ihüs mit dem Zimmermeijter Dießel Walther, der auch der Gemeine 
Büchfenmeifter war, bis zum Siechhofe zu Tonna, woraus die Gra— 
fen den Ernft vermerkten und die Artikel eingingen, während die Füh— 
rer im Namen des Haufens dagegen bei Treuen und chrijtbrüderlicher 
Liebe zufagten, es folle fein Schade gethan, nichts im Schloſſe ge— 
brochen, genommen oder zerjchlagen werden; nur Aetzung und Trank 
hätten die Grafen brüderlich zu reichen. Allein verſprochen iſt überall 
jchneller, als gehalten. Man eröffnete da8 Gefängnig des Thurmes 
und zerfchlug darin den Stod, brad) einen Keller mit Gewalt auf, 
in dem über 200 Eimer Rhein- und Franfenweine lagen, räumte 
die Speiſe- und Fleiſchkammern, die viel dürres Fleiſch bargen. Die 
Salzaer namentlich fijchten einen Teich), und führten eine gräfliche 
Steinbüchſe und zwei Tonnen Pulvers mit fort, und nur ein Schmalz— 
fchwein verehrte denfelben der chrijtlihe Bruder Graf Filipp frei 
willig!. Indeſſen dies den Sonntag in Tonna vorging, liefen zu 
Salza viele vor das Schloß, forderten den Amtmann vor, begehrten, 
er jolle mit nad) Tonna, denu der große Haufe habe das aljo ange- 
fonnen, und drängten ihn in Folge einer Schrift, die Münzer her 
an die Gemeine gethan Hatte, daß er bewilligte, morgenden Montags 
mit gen Tonna zu ziehn. Dafjelbe, nur weiter ausgedehute Begehren 
fagte die Menge derer, die fchon an diefen Sonntage von Tonna 


ı Sagittarii Hiftoria der Grafſchaft Gleichen S. 398 f. (28. und 29, 
April in diefem Schreiben der Gemeinden). 





531 


zurückfehrten, in Sala an: alle Priejter, der Aıntmann und der 
Bürgermeijter Stuhler müßten den Montag früh hinaus gen Tonna 
gehn und die Artifel geloben, ſonſt würde der Haufe fie holen und 
dazu bringen. Das gedachte Schreiben Münzers, der an diejem 
Tage zu Ebeleben lag, lautet folgendermaaßen: 


„Unjern lieben Brüdern, der ganzen Gemeine zu Salza. Göttliche Gunft, 
Freude im heiligen Geift zuvor. Allerliebften! Es ift vor uns erichollen, daß 
ihr nicht allein das Reich Saulis, jondern aud das ſchandbar Negiment Hagag 
mit Euern verkehrten Häuptern anrichtet. Deß tragen wir Brüder alle feinen 
Gefallen, Nachdem Ihr durch Euere Berurfahung uns erregt!, müßt Ihr 
Euch nicht alfo kindiſch fiellen. Den wieder angenommenen Böfewicht follt Ihr 
durch unjere Bitte peinigen oder aufs wenigſte (?!), fonft würdet Ihr wider die 
Warnung Gottes im Schooß eine Schlangen erwärmen und aus dem Wolfe 
ein Schaf machen. Auch hütet Eudy vor den faljchen Predigern, Iſt unfer 
Chriftlicher eruftlicher Begehr. Den Helbolt haltet zu Recht. Damit unſerm 
Könige Iheſu Chrifto befohlen, Amen. Geben aus dem Felde zu Ebeleben im 
Fahr Ehrifti 1525 Mifericordia Domini“, 


Aufſchluß aber über das Loos der nad) Tonna Vorbejchiedenen 
vermittelt die Klagichrift, welche den 15. Mat durch Dechant Johann 
von Erfa, Kapitel und Vicarien Sanct Peters, Pauls und Stefans 
Kirchen zu Salza, an Georg aufgejegt wurde: 


„Wiewohl uns die Mannſchaft zu Oberndorla, Langala und Niederdoria 
unſre Zinfe in das vierte Jahr und heute noch wider aufgerichteten fürftlichen 
Rezeß, mannigfaltige darauf geichehene Befehle und ihrer Junfern, der Ganerben 
zu Treffurt, Gebot jelbftgewaltig vorenthalten haben, wie denn ſolches mehrmal 
an E. 5. ©. klagweis gelanget, davon wir nicht Heinen Mangel erduldet und 
mittlerzeit weiigers nicht die göttlichen Kirchenamt vollendet; jo hat fi) dod) 
eine Rotte aus den Bürgern zu Salza durch beſchloſſene Conſpiration verfammelt 
und Dienftag nad) Duafimodogeniti mit der Trommel Lärm gejdjlagen, den 
ehrbarweijen Rath in Furcht und Bewilligen ihrer angegebenen Artikel ge 
drungen, die Nonnen und Mönche ausgetrieben, in unjern Häufern unſern Vor— 
rath zu Efjen und Trinken dienend verzehrt. Des folgenden Mittiwochens find 
wir aufs Rathhaus zu Salza erfordert, ift uns, ungeachtet gegebener Freiheit 
Herzog Wilhelms feliger Gedächtniß und daß wir nicht weltlic ſchoßbare Güter 
haben, angejonnen worden, Bürger zu werden und alfo unter dem Gerichtszwange 
weltlicher Obrigkeit zu leben, zu frohnen, fafjen, wachen, wie ein auderer Bürger 
Heerfahrt zu leiten, welches doch ein unprieſterlicher Handel ift, irregularitatem 
zu tragen. Zum Andern wollten fie den einzelnen oder den Eheftand von ung, 
und zum Dritten binfort feine Meffe, Vesper oder andere, wie fie e8 geheifen, 
dergleichen Kädelet von uns gehalten haben. Sie haben uns darauf bisher die 


1 BVerbächtiget waren Melchior Wigand, dei erften „Mühlingichen“ Haufen 
unter Pfeifer „erregt“, Dietrich Gans, eine Schrift nad) Mühlhaufen erlafjen 
zu haben, Daher jagt Gans im einer feiner vielen Bittjchriften an Georg um 
Einlaß zu feiner Frau und feinen acht Fleinen Kindern: „Auch joll ich der Schrift 
halber, jo gegen Mühlhauſen gefchehen, im Verdacht fein, ich) fage aber auf Grund 
der Wahrheit, daß niemand je Schreibens dahin der Sachen halben von mir 
begehrt, auch ich durch mich felbft dahin zu fchreiben nie gedadjt oder vorgenom- 
men babe, fonft auch in diefer Sache nichts gefchrieben, denn was dem Rathe 
und den Zwölfen wiſſentlich“. Die näheren Umftände bleiben dunkel. — Bon 
Münzers Hand ift obiger Brief nicht, er fcheint aber in die Feder gefagt, denn 
Hagag ift doch wohl Ahab. Der wieder Angenommene iſt Berlepſch, Helbolt 
vieleicht der Prediger von Gotha (?). 


532 


Kirchen verichloffen und aller Gezeiten zu halten verhindert, einem Mönch, welcher, 
vor vielen Jahren verlaufen, eines ungeiftlichen Lebens ift, und einem ehelichen 
Dorfpfaffen, feicht gelehrt, die, ärger demm Iutheriich, wie der Alftädter, zu Auf: 
ruhr reizen, das Predigtamt befohlen. Zum letzten ift uns angemuthet, ihnen 
alle unfre Erbregifter, Privilegien, Briefe und Eiegel zu übergeben, damit fie 
die Zinfe, deren wir nicht viel zu Salza, jondern allermeift in den obangezeigten 
Dörfern haben, ganz niederfchlagen und tilgen wollen. Doch hat der Rath 
folde unfre jura aus fonderlicher Wohlmeinung in der Sacriften und Kaften 
©. Steffens Kirchen bis anher in Verwahruug fteben laſſen, die vier Artikel 
aber haben wir angenommen, weil fie mit Mord, zum Kriege geihidt!, wären 
gegenwärtig geftanden, und haben gejagt, fie wollten uns wohl dazu bringen, 
Eo waren wir aud) zuvor durch fromme Leute gewarnt, auf alles zu willigen 
und feinen Borbehalt zu machen, damit wir nicht über den Verluſt unfrer Güter 
auch noch erichlagen würden, denn dieweil die Thore zugeiperrt, modten wir 
nicht entfliehen. Dabei e8 die Erheber ſolches Aufruhres nicht gelafien, und 
uns fammt €. F. ©. Amtmann Sittidh von Verlips?, dem Abte zu Homburg, 
etlichen Auguftinern, Barfüßern, der ganzen Priefterfhaft und einem jetzt re- 
gierenden Bürgermeifter, Stuler genannt, vor Tonna in das Heerlager unter 
die Bauern geführt, einem unächtigen Albrecht Mengen, ihrem Hauptmannte, 
der auch ein Bauersmann aus Behringen ift, überantwortet, der ums allen 
gleidy einen folchen Eid, diefe Meinung einhaltend, geftabet: „Daß ich bei dem 
heiligen Evangelio und den zwölf Artifeln, die in der Schrift gegründet find, 
mit Leib und Gut halten will, das ſchwöre ih, als mir Gott helfe und die 
Brüder oder Brüderſchaft“. Und wiewohl E. F. ©. geichrieben hat, die Geift- 
lichen zu reftituiren, jo haben dennoch die Aufrührer darnad) vor Tennftädt und 
Weißenfee kriegsweiſe ausgezogen, etliche von der Priefterichaft und andere dem 
Handel nicht geneigt dazu befonder8 ermählet und nicht nad der Ordnung oder 
nad) dem Looſe erfordert, def wir höchlich befchweret. Wir bitten, E. 5. ©. 
wolle dazu thun und E, F. ©. Stift, das über 500 Jahr befteht und allein 
mit den zwei Stiften zu Erfurt und dem Stift Jechaburg jonderliche Juris» 
dietion hergebracht hat, erhalten“. 


Nun dürfte e8, ehe die nächſten Ereignijfe weiter verfolgt wer— 
den, Zeit fein, hier einzufchalten, was über das Scidjal des Amt- 
manns Sittich von Berlepſch fi) glaubwürdig darthun läßt, denn 
offenbar falſch ift vieles, fehr zweifelhaft einzelnes von dem, was 
über fein damaliges Loos erzählt zu werden pflegt?. Leider jind 


ı Der Rath felbft Hatte viel zu dulden. Hans Melchior Ziegler pflegte 
in die Nathöftube mit geladener dreirohriger Büchſe und brennender Lunte zu 
gehen, kam auch fo ins Nonnenklofter. Desgleihen jaß Ludwig Notermund auf 
diefe Weiſe bewaffnet unter den Verordneten. Berlt Moledorf, Wolf Born 
heinrich, Hans Wetzſtein Tiefen häufig in Harniic und Wehr in die Rathsſtube. 

2 Mamentlid) waren es Notermund und Terner, die am Sonntag Abend 
von Tonna heimfehrend anjagten, daß die Priefter, Berlepih und Stuhler hin: 
aus nad Tonna müßten. Henz Futterer und Berlt Schröter forderten, be- 
gleitet von einer großen Menge, den Amtmanı vom Schloſſe. — Doch jahen 
jpäter zu Gotha gefangen Franz Schudart und Johann Sommering, Bürgers- 
ſöhne von Salza und Auguftinerapoftaten, die aud) den Aufruhr haben helfen 
anrichten. 

3 Streif J. 1. ©. 72 f. erzählt: „Seine Abwejenheit benußten die Auf: 
rührer zu einem Angriff auf dag Schloß, den Wohnfits des Amtmauns. Diejes 
wurde erftürmt, geplündert, die Habfeligfeiten des abwejenden Beamten wurden 
ausgeräumt, und jett follte auch deffen kleines Kind, Ehrid), welches man den 
Händen der Amme entriffen, zum Fenfter hinab geftüirzt werden, als bie Geiſtes— 








533 


eigenhändige Berichte darüber von ihm nicht vorhanden, weil er 
höchſt wahrscheinlich mündlich dem Herzoge Auskunft gab, und der 
Rath zu Salza, der für ſich hinreichend zu thun hatte und hernach, 
weil es doch mit über den eignen Sädel ging, zudeckte und ausschied, 
wo er fonnte, behilft jich immer damit, daß er jagt, der Amtmann 
wijje davon am Beſten felbjt zu melden. Urkundlich beglaubigt er- 
Scheint nur Nachitehendes. — Sittid) war noch am 24. April mit 
zu Weißenfee in der Beratung der fürftlichen Befehlshaber gewejen 
und nad) Salza zurücgefehrt. Von Dienstag, 25. April, an ward 
er im Schloſſe belagert, und er fcheint fi in einen Thurm des 
Schloſſes zurücgezogen zu haben. Daher fchrieb Reibiſch den 27. April 
an Dr. Dietrid) von Werthern: 


„Der Amtmann zu Salza Hat abermals einen Boten insgeheim kei mir 
gehabt und anzeigen laffen, daß er fih wohl noch ein Tager vier mit Gottes 
Hülfe auf dem Thurme enthalten wolle, und mid) fleißig gebeten, daß ich Euch 
das anzeige, und daß hr bei Euren Herren und Freunden, wie ich auch thun 
möge, Leute aufzubringen Euch fleifigen wollet ihm zu Hülfe. Es fcheint mir 
gut, ein Gerücht im Lande zu machen, um die von Mühlhaufen in Furcht zur 
jagen ſammt andern, denn jonft wird ſich das ganze Landvolf in Aufruhr be= 
geben, und ich werde mid auf die Länge hier auch nicht enthalten können und, 
wo ichs jo gut haben werde, flüchten müffen. Der Amtmann zu Salza bittet 
auch, Ihr wollet die Sache fchleunigft an Herzog Georgen gelangen laſſen. Wollet 
heifen auf gute Wege tradhten, dadurd) dem muthwilligen Haufen ſchleuniger 
Widerftand gethan werde“. 


Und den 28. April: 


„Die Gemeine zu Ealza hat wiffen wollen, was wir, nämlich Ihr, Ber- 
lepſch umd ich diefer widerwärtigen Läufte halben jüngft zu Weifenfee mit 
einander fiir Unterrede gehabt, Da hat ihnen Berlepſch wie inliegend zur Ant« 
wort gegeben. Darauf haben fie, wie ic) aus ihren auf mein Schreiben an 
mid; gethanen Schriften, auch ans Berlepſchens mündlichem Zuentbieten ver: 
ftanden, heute eine Bereinigung mit ihm machen laffen, wovon ich Euch, unfers 
Zuſammenkommens, ob Gott will, wohl weiter unterrichten will. Dod) darf Ber- 
lepſch ihnen noch zur Zeit nicht viel vertrauen, aud) aus der Stadt nicht kom: 
men. Auch ſollen fie, wie ich höre, an Herzog Georg geſchrieben und fich der 


gegenwart bes Weibes mit dem PVorgeben, es fei ihr eignes Kind, den zarten 
Säugling und in ihm dem Vaterlande einen fpäterhin hocdjverdienten Staats- 
beamten rettete. Die Bemühungen des bald darnad) zurüdgefehrten Schloß— 
hauptmanns, den Aufruhr zu dämpfen, waren vergebens, und er jah fic) ge 
nöthigt, vor den Rebellen in einen feften Thurm des Schlofjes ſich zu flüchten, 
wo er aber aud) bald entdedt und ergriffen wurde. Man führte ihn auf einen 
freien Plat, in einen von der Menge umjcloffenen Kreis. Hier wurde ihm 
die Wahl geftellt, entweder zu fterben, oder zu ſchwören, daß er die Stadt auf 
immer meiden wolle — er wählte das Letztere und ward aus der Stadt gebracht”. 
Vgl. ©.100.102. Zimmermann, 2. Aufl. II, S. 425, nennt die Bauern von 
Urleben als die, welche den jungen Eric) Volkmar, Sittichs Söhnlein, hätten 
herabftürzen wollen. Bol. Schumann - Sciffners Lerilon XII, S. 88 unter 
Uhrleben. — Sittich, Filipps von Berlepſch Sohn, geb. 1480 F 1544, hatte 
von 2 Ehefrauen 19 Kinder, Johann Lezneri Berlepiche Chronica cap. 25. 
Olearii Rerum. Thur. Synt. II, 235. 


534 


bemeldten Unterrede zu Weißenſee! erkundigt haben, weshalb mir Berlepich in- 
liegendes Berzeihniß zugeſchickt und Euch daffelbe fortan zu überſenden gebeten 
hat, darnach wir uns ſämmtlich zu richten haben“. 


Ferner bald darauf an den Herzog: 


„Der Amtmann zu Calza ift noch gefangen, und ich weiß ihn nicht zu 
erledigen“. 


Ganz abgefchnitten war alfo Sittich8 Verkehr nad) außen An— 
fangs nicht. Aber Binz Spetter in Salza fing des Amtmanns 
von Herbsleben Boten, der in der Empörung einen Brief an Sittich 
brachte, auf, nahm ihm den Brief ab und fagte: „Hie fommt der 
Rechte, der Briefe bringt, uns wegzuführen!“ So klagt denn nun 
der Thamsbrücder Rath am 10. Mai dem Herzoge: 


„Wir hätten vorhin wohl gern E. F. G. Amtmann zu Sala um Rath 
angeſucht, wüßten wir ihn ficher zn finden“. 


Auch jagt die Gemeine zu Schönftädt noch den 7. Juni 1526 
dem Herzog Georg, zu dem Amtmanne Berlepſch hätten fie damals 
im Aufruhr nicht durchfommen fönnen, weshalb fie vier Mann an 
den Rath zu Salza gefchiet hätten, um anzufragen, wie fie dem 
Haufen entkommen möchten; der Rath habe ihnen gejagt, er könne 
ihnen nichts helfen: „ihr Habt einen Yandesfürjten, den bejucht; iſt 
euch der zu weit, jo habt ihr da einen Amtmann, zu dem geht!“ 
Der aber jei ja gefangen gewefen. — In einem Bittbriefe an Ber— 
lepſch, vom 20. Yuli 1527, ſich feiner beim Herzog anzunehmen, er- 
zählt Dietrich Gans, der von ihm viel Gutthat genoſſen zu Haben 
befennt: 


„So denn auch Euer Geftvengen den Tag zuvor (25. April) an die Ge- 
meinen gejchrieben, und Heinz Holle, dergleichen fein Bruder Lucas, auf dem 
Auguftinerkicchhofe vor der ganzen Gemeinde bittlic) vorgetragen haben, daß 
man Eure Unjchuld hören und Euch zur Antwort wollte fommen laffer. Und 
wiewohl Andreas Dreicher, ich und andre gute Freunde allda Euer Beftes ge- 
redet, ift doch alles mit ungeftümen Worten abgeſchlagen und ganz unfruchtbar 
gewejen. Des folgenden Tages, als ich mit den drei Räthen zu den Barfüßern 
im Kapitelhaufe geweien, hat mid) obgedadhter Lucas Holle aus dem Kreuzgang 
heiſchen lafjen und mir angezeigt, wie er bei Euer Geftrengen auf dem Schloſſe 
gewejen jei, und hat mir Eurer Unfchuld Klagen und Erbieten erzählt, und wie 
Ihr in großer Angft und Beſchwerung wäret, daß man Eud) nicht wolle zur 
Antwort fommen laffen, und wie Ihr ihm befohlen hättet, daß er nochmals 
gute Freunde anriefe, Teinen Fleiß zu fparen, bis Ihr zur Antwort fämet. 
Darauf hat er mich um Gottes willen gebeten, mic) def zu unterwinden. Habe 
ich defjelbigen Abends (27. April) in Neichweins Haufe die Zwölf darum an- 
fprochen und ihren Willen dazu erlangt. Darauf bin ic) die ganze Nacht von 
einer Rotte zu der anderu gegangen, habe allwegs einen oder zwei, zu denen 
ich mic Gutes verjehen habe, in Eurem Beften angefprochen, bei den anderen 
dazu zu verhelfen, daß Euer Geftrengen zur Antwort möchten fommen. Früb 
bei Tagesanbrud; habe ic die Zwölf geweckt, fie auf dem Weinfeller verfammelt, 
ihnen gelagt, fie Tollten nicht die ganze Gemeine, fondern nur die Rottmeifter 
in Eurer Sadje hören, was fie und der Stadtichreiber gebilligt haben. Das 


ı Aud) Hans Meifter fagte Zieglern vom Todtfcdlagen des Amtmanne 
und der Barfüßer, 


535 


ift denn auch gefchehen, die Rottmeiſter Haben ſich beredet und die Antwort ge 
bracht, Ihr follet vor den Nottmeiftern zu Antwort gelafjen werden. So bin 
ih, Euer Geftrengen vielleicht unbewußt, Euer guter Förderer geworden und 
bitte, Euer Geftrengen wollen nun aud) meiner fih annehmen“. 

Schade, daß Berlepſch dazu dem Herzoge nichts weiter zu ſchrei— 
ben hat, als: 

„Was Ganfens Uebung geweſen vor und im Aufruhr, wird der Rath 
beffer denn ich zu berichten wilfen. Ic fende aber doch E. F. ©. in Abichrift 
fein Schreiben an mid), woraus zur erfehen, wie derjelbigen Gefellichaft Gemüth 
gemejen ift“. 

Viel gefährlicher, als die chriftlichen Brüder zu Salza, waren 
für Sittich die theologischen Mühlhaufener. Daß Pfeifer feinen Tod, 
Münzer feine Peinigung, beide aus altem Groll, forderten, haben wir 
oben gejehn!. Den 27. April ſtand Münzer zu Volkerode ud 
empfing dafelbft Botjchaft aus Merzleben, das durd) Claus Niceln 
anfragen ließ, weh fie ſich halten follten. Münzers fchriftliche Ant- 
wort ließ auf dem Anger in Merzleben Frik Schröter durd den 
Pfarrer vorlejen; fie enthielt: fie jollten auf den Amtmann zu Salza, 
den Tyrannen, den Bluthund, gut Acht haben, dag er nicht hinweg— 
fäme, denn fonft würde es nicht gut werden, oder ihn todtjchlagen. 
Auch nach Salza ſchickten die Merglebner, und zwar Schrötern und 
Dietel Bucnern, mit gleiher Anfrage an die Zwölf der Gemeine, 
und erlangten die Weifung: fie follten jich nach dem richten, was 
Salza thue; wenn die zögen, follten jie auch ziehn, und fonft wohl 
zufehn, daß der Amtmann nicht wegfäme, denn man verfähe fich, er 
würde über die Brüde zu Merrleben feinen Weg nehmen ?. Aeuferft 
erbittert auf den Aıntmann war Merten Salzmanı von Merzleben, 
weil Sittich deſſen Vater, den der Weberftädter Haufen endlich be= 
freite, lange gefangen gehalten Hatte, jo daß Salzmann oft vor vielen 
Leuten, auch dem Haufen von Weberftädt jagte, man jolle den Amt— 
mann erjtechen oder todtichlagen. Noch einmal war Sittich, jo viel 
befannt ift, im Lebensgefahr, vor Tonna am 1. Mai. Die Merr- 
febener nämlich hatten Volkmars und Heinrichs von Kreuzburg Güter 
in Beſitz genommen und endeten fi) mit dem Begehren an die 
Hauptleute des Weberjtädter Haufens, ihnen diefe Güter zuzufprechen. 
Bon den Hanptleuten deshalb an die zwölf Gemeindevertreter Salzas 
gewiefen, hörten fie von diefen als Sciedsleuten, im Beifein des 
Amtmanns Berlepſch, den Spruch: Heinrich Kreuzburg fei chriftlicher 
Bruder geworden und ihm fein Beſitzſtand umverfümmert zu lafjen. 
Da redete Volkmar Weber von Merxleben, der Krieger geheifen, Ze— 
liar Webers Sohn, öffentlih: Hätte der Amtmann um der Güter 
Kreuzburgs willen wider fie mit Worten gejträubt, jo wollte er ihn 
unterm Haufen erjtochen haben. — Sittich juchte die Tage feiner 

ı . 531. 

2 — Schiffners Staats-, Poſt- und Zeitungs-Lexikon von Sach— 
ſen Band VI, S. 443: „Beim Dorfe geht eine Brücke über die Unſtrut, 


welche ein bedecktes Thor hat und der Engelspaß heißt. Sie iſt ganz ſteinern 
und im Jahre 1545 erbaut“. Fam. Gutbier, Reg. S. 140. 


536 


Ohnmacht zu vergejfen, nicht aber milder und jomit beliebter zu 
werden. " 

Nachdem des Montags Nachmittag, 1. Mai, der Salzaer Heer- 
zug aus Tonna heimgefehrt war, ziemlich voll von dem genofjenen 
gräflichen Weine — Claus Heufener fuhr wieder auf feiner Büchſe 
fitend herein —, fingen ihrer viele an, in der Stadt umzulaufen, 
die Gefängniffe im Schloſſe und Nathhaufe ohne Wilfen und Be— 
willigung des Rathes zu eröffnen, die Stöcke herauszufchaffen, zu zer— 
ichlagen, zu zerhauen, die Weinmaße (ein Zehentmaß) aus dem 
Stadtfeller auf die Gafjen zu tragen, zu zeriwerfen, zu zertrümmern, 
das fürjtliche Weinzollvappen an eines Bürgers Haufe, etliche Tafeln, 
Bilder, des Amtmanns Yeichenftein und Epitafium zu den Barfüßern 
zu zerfchlagen u. |. w. Ein Haufen bei 100 Mann ftarf, darunter 
Wolf Bornheinric, Matthes König, Balzar der Schuſter, Barthel, 
der Knecht der Antonius auf dem Plane, ſchlugen Bartholomäus 
Brühls, der damals Gangolfjümmeringen vom Herzog pfandweije 
inne hatte, Haus auf und nahmen ihm etliches Silbergefhirr, das 
Melchior als Hauptmann bei ſich behielt. Hans Beidder wüthete 
wider des Hauptmann Yeichenftein im Kloſter und rief, der jei eine 
Abgötterei, man jolle ihn wegthun. Hier ſah man Binz Spettern, 
wie er zu den Barfüßern Sanct Kaifer Heinrichs und Kunigundis 
Hiltorien, die auf ein Tuch gemalt waren, an einer Hellebarte aus 
der Kirche trug und ins Waffer warf. Dort jchaute ein „frommer“ 
Bürger, den der Nath hin beordert hatte, um aufzuachten, wie Silich- 
miüller, einer der erjten ins Kloſter und in die Kirche, im Chore 
um fi) ſchlug und zerbrah, als wäre er unfinnig, fonderlic) aber 
eine Tafel auf einem Altare, die einft, wie die Sage ging, ein Hirt 
follte geichnitst haben, von Keinen Bildern im Gedächtniß des Yeidens 
Chriſti, gar zertrümmerte. Bei den Bildern der Heiligen waren fer= 
ner rührig Hans Großholt ein Tagelöhner, Hans Naub, der zwei 
Heilige zum Gejpött in der Stadt herumtrug!, Haus Hajenberg, 
Baltin Töpfer, Valtin Zrötichel ein Wagner und einige Jahre 
Stadtdiener an einem Thore, Kunz Koppe, Hans Ziegler, Stefan 
Ludolf. Albrecht Steinbrück behauptete fpäter, er ſei allerdings mit 
zu den Barfüßern gewejen, habe aber mit Hänfel Tröticheln die Tü— 
cher von den Altären abgeräumt, damit jie nicht genommen werden 
follten, und fie in eine Kite Hinter S. Annen Altar gelegt; und der 
alte Hänfel Trötichel gab an, er jei in die Kirche gefommen, um 
feinen Sohn Valtin zur Heimkehr zu bewegen. — Die Weinmaße 
im Stadtkeller holten Haus Ziegler und der junge Hans Keßler, und 
erfterer half auch das vom Herzog verordnete Tuchzeihen in Marx 
Kulens Haufe wegichaffen, und rief, als die Stöde auf dem Rath— 
haufe zerhauen wurden: „Bürgermeiſter Stuhler, fomm, fee mic) 


1 In feinem Bittichreiben um Einlaß nad) Sala vom 26. Juni 1527 
tröftet Raub ſich und den Herzog darüber durch die Bemerkung, die Bilder 
feien ja wieder zurecht gekommen. 


537 


nun wieder in den Stod; in dem Yoche habe ich Hievor geſeſſen!“ 
Beim Zerfchlagen diefer Stöde waren ferner gefchäftig Herr Vincenz 
Erfing, der Mönch von Homburg, Baer Kraberg, ehemaliger Ge— 
richtödiener und Stadtfuccht !, Andres Seifert, Hans Wenfe, Claus 
Wald u. a. Die Stöde auf den Schloffe zertrünmmerten Chriftof 
Steffel, Balzer Ebelin, Hans Kraula ein Müller, Balzer Kraberg, 
Friedrich Rudiger, Kranz und Binz Spetter, Hans Yutterodt in der 
Neuftadt, Kaspar Schröter, Dorfelds Sohn der Schufter, der junge 
Hans Seifart, Wolf Bornheinrih, Peter Ferbers Sohn, Henz 
Verche, Henz Broſius, Hans Auleb, den man zum Stedenfnecht ge- 
foren, erwählt und gekleidet hatte. Arbeit Schärft Hunger und Durft. 
Die Priefter mußten der Gemeine zu eſſen und zu trinken geben, und 
der Dechant Johann von Erfa wurde vom DBergthurme, wohin er 
ji zurücgezogen hatte, heruntergeholt und mußte ihnen Yebensmittel 
reichen; darüber erfchraf er jo, daR er von dem Augenblicke an nie 
wieder recht gefund wurde und 1529 ftarb?. Hans Auleb Tief ſich 
der Gemeine zu Gefallen in der Priefter Häufern willig mit Zapfen 
‚von Mein und Bier brauchen. Hans Beidder aber gerieth auf dem 
Schlojje zu eifernen Büchjenfugelt, die er nahm, um fie zum Ges 
Ihüte zu brauchen. 

Die folgenden Tage über blieb die Gemeine in gleicher, „muth— 
williger“ Empörung und ließ, objchon der Rath ihnen aufgab, der 
Prediger halben auf de8 Herzogs Zuſchickung zu warten, den Johann 
Zeigfuß, einen Prediger, den der Amtmann früher der muthwilligen 
Predigt wegen von Kircchheilingen aus feinem Amte verjagt Hatte, auf 
dem Auguftinerfirchhofe und in S. Bonifaciusfirchen ohne weiteres 
Anfragen und ohne Wilfen und Willen des Nathes predigen. Der 
hielt denn auch deutſche Meſſe und predigte „ungefcheut alles, was 
zu Aufruhr reizt“. Als der Kath um alles Guten willen dem Rathe 
zu Gotha um einen Prediger, der das Wort Gottes in gehörigen 
Frieden bis auf George Ankunft predigen möchte, gefchrieben und ein 
jolcher fich auch eingefunden hatte, der die wahrhaftige Schrift, die 
auf allen Frieden gegründet ift, beftändig anzeigte, da beunruhigten 
ihn Teigfuß und feine Anhänger in der Kirche, ja Teigfuß lief zu 
ihm hinauf auf den Predigtjtuhl, als wüßte er feine Predigt zu 
widerlegen, ließ aber doch nichts Beltändiges hören, ſondern fchalt 


1 Kraberg oder Kratsberg erzählt dem Herzoge in feinem Bittjchreiben 
um gnädigen Einlaß von 2. November 1526: „Ich bin im Aufruhr gewaltig 
gezwungen und mit Berluft meines Lebens bedroht worden. Ich fragte in jol- 
der Bedrängniß den Schultheißen um Rath, der mir fagte: ic) ſähe, wie fie 
jelber geziwungen und genöthigt wirden, ich jolle ihm aud) jo thun“. — Der 
Mönch Erfing follte jpäterhin fi) nad) Noclits gewendet haben, denn Haus 
Kürfchner zu Salza, der ihn gefänglich einbringen ſollte, hatte ihn gewarnt. 

2Göſchel II, S. 120. Er ftarb 22 Dezember 1529. Er bejaß eine 
Vicarei in der Pfarrtirche zu Treffurt. Probft der Stiftlircdhe zu S. Stefan in 
Salza war 1527 Zohaun von Stein, Domherr zu Mainz und Augsburg, und 
hatte als ſolcher die Pfarre in Oberdorla zur verleihen. 


XIV. 36 


538 


nur wider Obrigkeit und Regenten, als ob alles zu Trümmern gehn 
müßte. 

Am Donnerstage Nachmittag, den 4. Mai, langte die herzog- 
fihe Antwort auf das Schreiben der Salzaer vom 28. April an, 
welches vorgelejen und dabei die Gemeine unterrichtet wurde, weil 
dies eine gnädige Antwort fei, jo gebührte ſich auch, daß die Gemeine 
zufrieden wäre und in umterthäniger Stille auf de8 Landesfürften 
Zufunft wartete; weil jedod) die Gemeine feit jenem erjten Schreiben 
an den Herzog mit Annehmung der gedructen Artikel und durch an 
deres, jo ſeitdem ergangen, weiter verjchritten Hätte, jo wäre gut, daß 
man folches, wie es ergangen, dem Herzoge auch unterthänig an— 
zeigte, und daß dies mit perjönlicher oder jchriftlicher Vermeldung ge— 
Ichähe, ungezweifelter Hoffnung, feine F. Gn. würden nach Gelegen- 
heit der Yäufte ein gnädiger Herr fein. Darüber ging die Gemeine 
zur Berathung zuſammen und ließ ſodann durch ihre Verordneten 
dem Rathe anjagen: 

„weil in unferes gnädigen Herren Antwort berührt ift, daß e8 feine F. ©. 
bei dem alten Kirchengebraudhe wollen bleiben laſſen, aud, daß diejenigen, 
welche gejagt Haben, der Amtmann hätte etliche Wagen voll aufladen und ge 
fänglih wegführen wollen, angezeigt werden follten, damit f. 5. ©. ſich mit 
gehöriger Strafe zu halten wife, jo wollen wir def gar nicht erwarten, fon- 
dern alsbald ausziehn und jehn, wo wir bleiben“. 

Die Käthe freilich fuchten das wieder zu verhüten, baten aufs 
fleißigfte die Erbitterten und jtellten vor, das wolle fid) gar nicht 
fügen, und fie würden dadurd ihre Sachen auch ärger machen. Aber 
das Half alles nichts. Die Gemeine ließ aufs neue Yärm fchlagen. 
Daniel Wenfe fchrie durch die Gafjen: „Wer beim Worte Gottes 
ftehen will, der komme heraus; wer nicht kommt, den werden wir 
holen“! Sammelplat war der Auguftinerfirchhof, wo man fich über 
das Ausziehn und die, welche mit hinaus follten, vereinigte. Won 
da aus ließen fie dem Mathe vermelden, das folle man dem Herzoge 
Schreiben, ihnen aber die Schrift zuvor leſen. Diefes Schreiben an 
Georg vom 5. Mai, „mit bejchwertem Gemüthe erlaſſen“, lautet: 

„Durchlauchter, hochgeborner Fürft und Herr. Euern Fürftlihen Gnaden 
find unfre unterthänigen Dienfte allen Fzleißes zuvor. Gnädigfter Herr. Eurer 
5. ©. Antwort auf vorige unjer Schreiben, wie fi) die Sachen allhier ber 
geben, haben wir unterthäniglic verftanden. Weil dann €, F. ©. Gemüth 
daraus vermerkt, bei dem alten Brauch zu laſſen und, gnädiger Herr, feit um« 
ferm vorigen Schreiben ſich der Handel aljo zugetragen, daß am nädjftvergang- 
nen Sonnabend ein großgemwaltiger Haufen um Weberftädbt, Mülverſtädt und 
Großengottern ſich gelagert, dem alle die Bauern und andere hierumlang zu— 
gelaufen, diefelben diefe umfeßhaftigen Edelleute in ihre Brüderſchaft der zwölf 
Artikel, laut inliegenden Abdruds, und fonderlihe Zufage, bei dem Worte Got- 
tes und heiligen Evangelio zu ftehen, genommen, die auch mit ihnen in ihre 
Ordnung getreten, von dem Haufen an uns dergleichen auch gelonnen 2c., da— 
mit wir num diefe E. %. ©. Stadt und unfer aller Leib und Güter nicht in 
ganzen Berderb und Verluſt geftellt, haben wir folche Artikel und Berbrüderung, 
jammt €. F. ©. Amtmann, aud) angenommen und mit dem Haufen gen Tonna 
zu den Grafen von Gleichen gezogen, diefelben Grafen aud in die Artikel umd 
Brüderjdaft getreten. Weil aud) von den Hauptleuten deffelben großen Haufens, 


539 


nad Willen deffelben,, angezeigt, e8 müſſen die Stöde aus den Gefängniſſen 
getban und zerhauen, auch Hinfort feine Geleite, Zölle, der Zehnte und der» 
gleichen Ungeld gefordert noch eingenommen werden, ift folches allenthalben all 
bier durch den Haufen auch abgelegt. Und ift noch ein großmächtiger Haufe, 
der fi) aus Mühlhaufen und andern Enden verfammelt, der aud) Volkerode, 
Ebefeben, Almenhaufen, Suffera, Keula, Neifenftein und mehr Flede und Klö- 
fter und Schlöſſer verftöret, wie man fagt 11 oder 12 Zaujend ftarf, noch bei— 
fammen, der etzliche Mal an unjre Gemeine gejonnen diefer Meinung: Wo bie 
Artikel und chriſtliche Verbrüderung, wie angezeigt, allhier nicht gehalten und 
gehandhaber würde, will derjelbe Haufe weiter dazu thun. Alfo jagt man, daß 
um Arnſtadt aud) ein mächtiger Haufe, desgleihen um Schmalfalden ein großer 
Haufe bei einander; darum wir davor nicht zu weigern. Dod) nicht der Mei— 
nung, €. F. ©. gehörigen Oberfeit uns zu entwirfen, fondern angezeigten Ar— 
titeln gehörige Folge zu thun. Dermaßen etlihe aus unfrer Gemeinde itst 
aud) ausgezogen. Unterthäniglich bittend, E. F. ©. wollen uns die in gnä— 
diger Bedacht, weil doch im letzten Artikel berührt, ob was dem Evangelio ent: 
gegen, nichts fein joll 2c., zu feinem Ungehorfam, anders denn aus berührter 
Gelegenheit geſchehen, achten. Das wollen wir in fchuldiger Pflicht zu ver— 
dienen fleißigen. Datum unter der Stadt Secret Freitags nad) Mifericordias 
Domini Anno ꝛc. 25. Bitten E. %. ©. gnädige Antwort. E. F. ©. unter» 
thänigen drei Räthe und ganze Gemeine zu Salza“. 

Diefes Schreiben wurde zu fichererer Weberbringung zweimal 
ausgefertigt und mit zwei verjchiedenen Boten abgefendet. Der Her- 
zog jagt in feiner Antwort aus Leipzig vom 6. Mai: 

„Wir möchten leiden, daß die Sachen mit euch anders geftaltet und unfrer 
nächften euch zugeichriebenen chriftlichen Wohlmeinung nachgegangen wäre. Da 
wir aber dafür halten, daß ihr in die eingegangenen Artikel zwänglich geführt 
feid, fo müffen wir es dieſer Zeit auch dabei bewenden laffen, des zuverfichtli- 
hen Bertrauens zu euch, ihr werdet euch bei unjerm zu euch Anfommen gegen 
uns eurer ſchuldigen Pflicht nad) alles Gehorſams, auch mie euch geziemt und 
ihr von Alters bisanher gethan, halten“, 

An jenem Donnerstage, den 4. Mai, ſammelte fich die Gemeine 
auch vor dem Schlofje, nachdem fie ihren Hauptmann Melchior Wi- 
gand, ihren Fähnrich und Webel geforen Hatten, und jtellten die An— 
forderung, der Rath jolle ihnen einen Kriegsmeifter nebjt Knecht mit- 
geben. Hartmann Goldader, chriſtlicher Bruder geworden, redete fie 
im Beifein des Bürgermeifters Stuhler und mehrerer andrer vom 
Mathe an und befahl ihnen, fie follten niemandem etwas nehmen, 
niemand befchädigen, auch ſonſt fich ziemlich Halten. So erhob ſich 
die Gemeine Freitags den 6. Mai, ohne dem Rathe Lebewohl, ohne 
was ihr Vornehmen ſei oder wohin fie wollten zu jagen; nur fo viel 
liegen fie vermerken, daß fie diefe Nacht zu Tenuſtädt liegen wollten. 
Sp wie der Rath den Kriegsmeifter fammt Knecht mitgeben mußte, 
fo mußten auch die Grafen von Gleichen, Amtmann Berlepſch und 
Heinrich von Kreuzburg mit hinaus, 

Die Tennftädter Unzufriedenen nämlich hatten ſich an die Gleich— 


1 Wigand fagte fpäter aus, Hans Schmidt und Hartmann Goldader 
bätten ihn gebeten, die Hauptmannsftelle anzunehmen, babe er geantwortet: ihr 
wäret beffer dazu gefchidt, denn ich. Alſo hätte man ihn ausgerufen zum 
Hauptmann im Beifein des Bürgermeiſters Stuhler. 


36 * 


540 


gefinnten zu Salza, der Kath, dafelbit aber an den Salzaer um Rath 
und Beiltand gewendet. Als der Kath zu Tennjtädt um Erfundigung 
nad) Salza ſchrieb und der Kath zu Salza ziemliche Antwort ftellte, 
die man den zwölf Verordneten lejen mußte, ftand Hans Lofink in 
der Rathsſtube auf, lief bis an den Tiich, jchlug mit einer Fauft auf 
die „Sidelbanf“ und fagte: „Ihr Herren, man muß nicht alfo Linde 
mit der Sache umgehen, ihr müßt gejtrads jchreiben, daß man ſich 
zu dem Worte Gottes verbunden hat und dabei zu ftehn; das Wort 
Gottes leidet nicht ſolche Heuchelei; ihr dürft uns nicht jo geringe 
achten, Gott hat uns auch Verſtand gegeben“. Damit reizte er die 
andern, daß man eine andre Schrift ihres Willens an Rath und 
Gemeine zu Tennſtädt unter der Stadt Secret jchreiben mußte. In 
diefelbe Zeit fällt nun wohl auch die Aeuferung, welche Matthes 
König wider Einen des Rathes that: „Da gehet aud) der Heuchler 
Einer!” Yojt Weiland, Hans Rübe und noch zwei famen von Tenn— 
jtädt herüber, pflogen der Unterredung mit dem Hauptmann’ und den 
PVerordneten der Gemeine, und fo wurde endlicdy gemeinfchaftliche 
Sache gemadt. Die Bemühungen des Herbslebener Amtmanns Rei— 
biſch, Tennſtädt in Stillftehen zu erhalten, waren alſo umjonft. Die 
Nädelsführer zu ZTennjtädt waren Joſt Weiland, Hans Rübe, aud) 
Kleineberlt genannt, der ſich oftmals zum Allftädter begab, Hans 
Leimenkloß, der junge Thomas Run \, der junge Hans Fügefpan 
Kiftner oder Käftner, Wendel Mench, Tafchens Sohn, Hans Schenf 
der Handſchuhmacher, Michael Becks Sohn, der alte gewejene Schäuf 
Bollmar, Stefan Töpfer, Yudolf Balbirer, Morichen, Hans Folker. 


ı Thomas Höpfner ward 1527, zu Großenfahner, das den Brüdern Otto, 
Hans und Yobft von Seebach gehörte, gefangen am grünen Donnerstage, vom 
Tennftädter Rathe beſchuldigt, das Herzogliche Zollzeihen am Geleitshofe zu 
Tennſtädt abgejchlagen zu haben. Ferner: als der Haufe Herrn Merten Tham- 
rot um 3 Faß nordhäuſiſch Bier büßte und das trank, ift Höpfner unterdeß auf 
der Gaſſe auf und nieder gegangen, bat fich ganz unſchicklich geftellt; trotzdem 
daß der Rath in demjelbigen Biertrinfen vor alle Tiſche ein Verbot anjagen 
ließ, Hat Höpfner trommelnd und dazu pfeifend den Haufen nah Wenigentenn- 
ftädt geführte, dem Pfarrer dort ein Meffer auf die Bruft gefeßt und ihn ge— 
zwungen, ihm Geld zu geben; der Pfarrer gab ihm 3 ßv., die Höpfner auf des 
Pfarrers Bitten an ſich genommen zu haben behauptete, Nad) langer Haft und 
peinlicher Frage, in der Höpfner alles ftandhaft Yeugnete bis auf die Ueber— 
nahme des Geldes, die er bejahte, und nachdem ein Heidelberger freifprechendes 
und ein Leipziger verdammendes (!) Nechtsurthel eingeholt war, liefen ihn die 
von Seebad (ein Ehriftof von Seebad) war Hauptmann zu Erfurt) im Sahre 
1529 aus Fahner entichlüpfen. Andres Höpfner, Bürger zu Gotha, war jein 
Berwandter. Dian hatte 1527 deshalb erft nad) Thomas Höpfnern gefahndet, 
weil ex zu feiner Schwiegermutter in Tennftädt, die e8 heimlich anzeigte, gejagt 
haben follte: er wolle etlichen des Tennftädter Raths einen vothen Hahn aufs 
Haupt ſetzen. — Im Jahr 1529 beklagte ſich der Tennftädter Nath beim Her— 
zog bitter über die zahlreichen Priefterföchinnen, die ihr Weſen fo ungejchent 
trieben, daß viele andre liederliche Mägde und Weiber nach Tennftädt zogen, die 
Ehemänner verführten, und, wenn der Rath die Zucht aufrecht erhalten wollte, 
ſich auf die Priefterföchinnen beriefen, Natürlich famı mit der Reaction auf 
die alte, gute Zeit wieder, 


541 


Beſonders Rübe ſoll den Zug der Salzaer nach Tennſtädt bewirkt 
haben. 

Den Freitag Abend, 5. Mai, rückten die Salzaer Brüder zu 
Tennſtädt ein. Am Sonnabende, 6. Mai, erliegen fie folgendes 
Sendſchreiben: 


„An die Chriſtlichen Räthe und Chriſtliche ganze Gemeine der Stadt 
Weißenſee, unſern lieben Brüdern: Alle Chriſtliche Brüder von Salza mit— 
ſammt andern Brüdern anhangende. Unſern Chriſtlichen brüderlichen Dienſt in 
brüderlicher Liebe allezeit bereit. Lieben Freunde. Euch iſt ungezweifelt wohl 
wiſſentlich, wie daß wir von Salza aus göttlicher Verleihung und um des 
heiligen Evangeliums willen ausgezogen, und etliche Artifel, aus der heiligen 
Schrift gegründet, allenthalben zu Halten und Folge zu thun, auch fonft andre 
Artikel, durch melde jetst mande Stadt, Dörfer und Pflege beichwert, melde 
man euch (wann wir zu euch fommen) unterrichten und vorhalten wollen, wann 
wir auf heute Sonnabends zu Abend, will Gott, willens find, bei euch mit— 
fammt unſern chriftlichen Brüdern, die zu uns fommen und kommen find, 
Derhalben an euch unjer freundliche Begehr, mwollet euch als Brüder (als wir 
def ganz zu euch verjehen) erzeigen und alsbald fchleunige Antwort wiederum 
bei diefem Boten jchiden, auf daß wir uns darnach wifjen zu Halten. Wollet 
euch gutwillig erzeigen. Wollen wir als Brüder wiederum willig gerue ver- 
dienen. Datum eilend Sonnabend nad) Mifericordia Domini Anno ze. 25.“ 


Weißenſee ſchrieb zurüd: 


„An die Chriſtlichen Brüder zu Salza ſammt ihrem Anhange, unſern 
guten Freunden. Lieben Brüder. Euer Schreiben haben wir Jnuhalts verleſen 
und bedanken uns folcher Erinnerung; Hoffen, wiewohl wir ohne Sünde nicht 
leben mögen, haben uns bisher anders nicht gehalten, denn frommen Chriften- 
leuten zuftehet. Würden wir aber mit Grunde ein Befferes unterrichtet, woll- 
ten wir uns gern weiſen laſſen. So find wir aud im ungezweifelter Hoffe 
nung, under gnädiger Herr, der Laudesfürft, werde uns, was Beſchwer wir 
haben, als wir denn dei feiner F. On. Gejdidten mündliche Bertröftung, 
gnädiglich entladen. Derhalben fo wifjen wir uns igund im nichts weiter zu 
begeben, fondern bei dem Worte Gotte8 und unſerm gnädigen Herrn, dem 
Landesfürften, wollen wir, fo weit unfre Leiber und Güter reichen, feiben und 
leben. Haben wir euch zu Antwort nicht verhalten wollen und find euch zu 
dienen willig, Datum Sonnabends nah Mifjericordia Domini Anno ꝛc. 25. 
Chriftlicher Rath und Gemeine zu Weißenſee“. 


Gleichzeitig mit obenſtehendem Schreiben der Salzaer war früh 
7 Uhr eine Zufchrift George vom 5. Mai in Weißenfee eingegangen, 
des Inhalts: 


„Euer Schreiben au Chriſtof von Faubenheim (Amtmanı zu Freiburg) 
haben wir in deffen Abwefenheit erbrodhen und gelefen. Wir ftehn in Arbeit, 
uns zu rüften. Wollet euch manulich und ehrlich halten und unfere täglid) 
nähere Zufunft erwarten, Daß ihr bisher alle bei einander als die frommen, 
— Unterthanen treulich euch bei uns gehalten, wollen wir in Gnaden bes 
denfen“ 


Auf diefe Zufchrift meldeten die vom Adel’, auch Rath und die 


ı Chriftoph von Taubenheim Hatte in Weifenfee einen. Edelmann und 
feinen Diener Meldior von Sondershanfen zurüdgelaffen. Außerdem lagen 
hier: Frig Steiger mit 4 Pferden; Barthel Bruel zu Gangolfiomerden 4 
Pferde; Ehriftof von Haufen zu Lütenfomerden 3 Pferde; Volkmar von Kreuz- 
berg zu Merrleben 2 Pferde; Erhart Zenge zu Uttenhauſen 3 Pferde; Werner 
Na zu Gangolfſömmern 2 Pferde; Nidel Schuetz zu Weftgreußen 2 Pferde; 


542 


Berordneten der Gemeine zu Weißenfee eilend denfelber Sonnabend 
dem Herzoge: 

„Wir haben E. F. Gn. Schreiben von geftern mit Freuden iiber feine Ber: 
tröftung empfangen. Aber gleich diejelbe Stunde fommt uns von denen von 
Salza Schrift zu, die wir ganzer Gemeine vorgelefen haben, welche mit auf 
geredten Fingern veriprochen hat, bei E. F. ©. zu ftehen. Unfre Antwort an 
die Salzaer legen wir in Abichrift bei. Wir beforgen aber alle Stunden, fie 
werden uns überziehen. Wir bitten, E. F. ©. wolle mit Hilfe kommen. (Zeddel: 
Die von Salza haben ſich geftern Abend, Freitags, gegen Tennftädt begeben, 
gedenken heute Abend fich gegen Weißenfee zu wenden; fie jollen auch, wie bas 
Gerücht ift, etliche Geſchütze haben“. 

Den ferneren Berlauf der Ereigniſſe Ichren die nächſten Schrei— 
ben aus Weißenfee. Zuerſt an den Grafen Ernjt von Mansfeld zu 
Heldrungen, 6. Mai: 


»Heute Abend, Sonnabend, um 5 Uhr ift der Safzaer aufrührifche Haufe 
vor Weißenfee gerüdt und hat begehrt, Geſpräch mit uns zu halten, welches 
wir ihnen zu weigern nicht gewußt und dafjelbe von ihnen angehört, worin fie 
an uns gefonnen, daß wir uns zu dem heiligen Evangelio und in Wahrheit 
auch zu zwölf Artikeln, jo in der heiligen Schrift follten gegründet fein, zu hal: 
ten, uns zu ihnen verbinden follten, dann wollten fie uns als chriftliche Brüder 
unbedrängt und unbeichädigt aller unfrer Habe und Güter annehmen, in An- 
ſehung, daß joldyes unjerm gnädigen Herrn, dem Landesfürften, auch feiner F. 
©. Landen und Leuten zu gutem Gedeihen foll gereihen und gelangen; wo wird 
nicht thun würden, fo fäme der ungeftimige Mühlhaufiiche Haufe, der itsumd 
im Eichsfeld die beften Schlöſſer, und zwar deren viel, zerftürmt und zerbrochen 
habe, welcher Haufe ihres Verſehens jetst gegen Nordhauſen! ziehe oder bereits 
drinnen liegen würde, und der würde uns um Leib und Gut bringen; aud 
jeien fie felber gefandt, uns zu dringen, daß wir uns an fie begäben. Da ha— 
ben wir mit großer Mühe und Arbeit, jolches an die Edelleute, den Rath und 
die Gemeine gelangen zu laffen, bi8 morgen früh um 5 oder 6 Uhr Hintergang 
erlangt und die Gemeine gebeten, bis dahin Antwort zu geben. Wir bitten 
€. ©. und die vom Abel, die E. ©. find als des Herzogs Hauptleute, um 
ſchriftlichen Rath und Bedenken ohne Verzug, und ob E. ©. zu Hilfe fommen 
und ums entjetsen wolle. (Nachichrift:) Sie haben uns berichtet, daß fich der 
„Molliſche“ Haufe bis in die 18000 Diann erfirede, auch merkliches und treff- 
liches Geihüt habe, welches uns Graf Ernft von Gleichen, der Amtmaun zu 
Salza und andre zween Hauptleute, deren einer der Pfarrer von Kirchheilingen, 
Johann Teigfuß genannt, mitgeteilt haben, und hat der Hauptmann Berlepſch 
das Wort von der hriftlichen Brüder wegen? geredet umd angetragen. (Nach— 


Friedrih Wolfedorfs dafelbft 1 Pferd; Albrecht Zeige daſelbſt 2 Pferde; 
Andres Elingesore zu Uttenhanfen 1 Pferd; Hans und Heinrich Natza 2 Pferde; 
Hans von Greufen zu Kutzleben 2 Pferde; Degen vom Hof zu Kannewurf 2 
Pferde. „Summa 31 Pferde“, : 

ı 68 ift ein Schreiben Herzog Georgs an Nordhaufen vom Freitag nad) 
Erandi, 2. Juni 1525, aus Salza vorhanden, worin er fagt: Auch in ihrer 
Stadt werde, wie in dem eroberten Mühlhaufen gefchehn, das gemeine Bolf 
durch ungeſchickte Prediger nicht in Heinen Irrtum geführt; daher mahne er, 
die nicht zu leiden, fondern fromme Prediger zu halten und driftliher Kirchen 
Ordnung nachzugehn; dazu wolle er rathen und helfen. 

2 Mas Streif 1.1. S. 100—108 über diefe Vorgänge berichtet, iſt 
ziemlich unbrauchbar. Er theilt die Worte, die Berlepſch geiprochen haben joll, 
mit und jagt dann ©. 105: „ALS die Abgeordneten immer no Anftand nah- 
men, eine beftimmte Antwort zu geben und zur Berathung in die Stadt ſich 
zurücbegeben wollten, fetste der von Berlepfc noch folgende merkwürdige Worte 


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ſchrift.) Wo uns allein eine Tonne Pulvers von E. ©. und Geftrenge möchte 
füglich mit dem Morgen zugebracht werden, wollten wir uns bis auf €. ©. 
und Geftvengen Hilfe, die aber in Kürze gefchehen muß, eine Weile aufhalten, 
wo anders uns die Gemeine Beiftand thun wollte, weldhe8 wir vor Morgens 
nicht wiffen mögen. Datum ut fupra“. 

Indeß fiel der Salzaer Haufe, da Weißenfee feine Thore ge— 
fperrt hielt, in DOttenhaufen ein, dejjen Heimbürgen jo eben zu 
Weißenſee beim Schöſſer Matthes Pottinger, der Nitterfchaft und dem 
Nathe waren mit der Bitte um Entjegung für den Fall, daß ſich die 
von Salza in ihr Dorf begeben würden, aber zur Antwort erhielten: 
„Dir können euch Armen nicht entjegen; wollet ihr aber zu ung 
herein kommen, ſo follen euch die Thore geöffnet werden, und wir 
wollen euch gern zu uns einnehmen“. Als die Heimbürgen im ihr 
den Junker Georg Haak gehöriges Dorf zurüdfamen, wirthichaftete 
ſchon der Haufe darin, deſſen Hauptleute die verdrieglichen Worte der 
Einwohner, wie dieje nachmals behaupteten, nicht achten wollten. Dei 
dem Haufen in Ottenhaufen waren auch die Dörfer Herbsleben, Ge— 
befee, Eichenberga, Großbalnhauſen, Wenigenbalnhaufen, Schweritedt, 
Strausfurt, Tunzenhaufen, Herrenfchwende, Giünftädt, Nauſiß, Grü— 
ningen, Merzleben, Nägeljtädt, Klingen, Hentſchleben, Kutzleben, 
Gangloffümmeringen, wo Hans, Heinz und Werner von Naba, die 
da wohnten, Schädigung erlitten. Dem Erhard Zenge zu Ottenhaufen 
fielen Salzaer und Zennftädter bei 30 Mann ftark in feine Behau— 
jung, übten an einem Grucifire, das er gegen feinen Tiſch hängen 
hatte, das Allertrübfeligite und zerjchlugen es, wornach fie ihm den 
andern Morgen Ofen und Fenſter zertrümmerten, Fleiſch, Hühner, 
Sped, Käje, Butter nahmen, ein großes Feuer im Haufe machten, 
zu kochen anfingen, Haus und Hof in Brand zu ſtecken drohten, 
Zengens Gefinde und ihn jelbit, den fie in den King forderten, durch 
viele Schmähworte hart anließen und auf 40 FI. Schaden verur— 
fachten. Die DOttenhaufener aber Hatten auf Befehl des Schöffers 
gleih) Anfangs das Hausgeräth des Kloſters auf das Weißenſeer 
Schloß geführt, alle Kleinode und Gefchmeide des Klofters hingegen 
mit Bewilligung des Abtes von Homburg und der Aebtiffin in ihrer 
Dorfkirche verwahrt und fo erhalten. Die Aebtiffin hieß Gertrud, 
die Priorin Clifabeth Laubartin; fie ftellen gegen einen jährlichen 
Zins von Korn und Gerfte ihre Mühle zu Uttenhaufen nebjt 2 Eſeln 
und einem Kornfajten dem Meifter Konrad Teihmüller auf 15 Jahre 
zu, Dienstag S. Dorotheä, 6. Februar 1526. Nur Aebtiffin und 
Priorin waren noch im Slofter geblieben. Am Tage Nativitatis 
Mariä, 8. September 1525, zog auf Georgs Erlaubniß die Aebtiffin 
Katharina aus Bonroda ſammt Convent im Kloſter Uttenhaufen an, 


hinzu: „Thut auf meine Rede, was Ihr wollt. Ich bin zu alledem gezwungen 
und wollte lieber, daß ich erftochen wäre; denn mir ift der Landesfürft nie un— 
gnädig geweſen, fondern hat mir immer wohlgewollt. Jetzt bin ich mit Weib 
und Kind fo arm, wie nur irgend Einer“. — Daß Sittich jo dachte, ift ficher, 
daß er fo geſprochen, kaum glaublich. 


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wo fie noch 1530 verweilten ; Vorfteher wurde 1526 Hans Potſtatt, 
wohnte im Vorderhaufe des Klofters, befam jährlid) 6 Lawen und 
2 Fuder Neisholz aus dem Klofter, im %. 1530 Johann Vollmund. 
In Bonroda war 1525 Friedrich Hopfe, Schwager des ehrenfeiten 
Heinrich Zengen, Kloftervorftcher gewejen. 

Ein zweites Schreiben der Weißenfeer ift ıumter dem 9. Mai 
an den Herzog gerichtet, worin jie, nachdem fie bemerft haben, daß 
jie gleichen Inhalts wie an Graf Ernft von Mansfeld vorhin ſchon 
an Georg geichrieben hätten, ſagen: 


„Bir haben denjelben Haufen diesmal abgewendet; da er aber gezeigt bat, 
daß er E. F. ©. folches wollte zur erkennen geben, ift e8 uns nicht mißfällig 
geweſen, daß fie joldes E. F. ©. durd ihr Schreiben oder durch Jemand von 
ihretiwegen zujdiden. Sie haben and) den Amtmann Berlepſch, Dietrich Frie: 
fern, Georgen Höpfner und etlihe von der Gemeine zu Sala, dergeftalt bei 
E. 5. ©. um Gnade anzufuchen, abgefertigt, welche aber auf Heldrungen ge 
ritten umd da durch Graf Ernften von Mansfeld gefänglich angenommen worden 
find, was uns nicht wenig erjchredt hat, weil dies Salza und alle umliegende 
Fleden und Dörfer wiederum aufrühriſch machen wird und wir im jchmerer 
Gefahr ftehn. Graf Ernft hat bei Brand geboten in die Aemter Weißenſte 
und Sachſenburg, daß die Leute Proviant von Beichlingen gen Heldrumgen holen 
follen, welcher geſchwinden Schrift wir uns in diefen Läuften zu feiner Gna— 
den in feinem Falle verfehen hätten. Derhalben befahren wir uns wieder 
höchlich des Weberziehens, und wiſſen uns alsdann nicht zu halten, denn uns 
E. F. ©. Hilfe und Beiftand nicht möglich fein will, Graf Ernft hat ums 
damals mit Hilfe auch verlaffen, als die von Salza hier waren und wir ihm 
geichrieben haben, und hat uns nur gejchrieben, daß er Heldrungen zu befeten 
und zu befeftigen gedädhte, das möchten wir mit Weißenfee auch thun bis auf 
E. F. ©. Zukunft. Das aber haben wir ſchon gethan und wollen es nod 
gern thun. (Nahichrift:) So eben beim Schließen des Brief3 fommt uns 
glaublihe Nachricht, daß der Salzaer Haufe, vielleicht in Folge des Gefängnifjes 
ihrer Abgeordneten fich wieder jammelt. So foll Graf Ernft diefe Nacht den 
Unterthanen obengenannter Aemter, jo fie Proviant nicht Holen, ernftlich mit 
Brand gedroht haben. Sollten wir, die wir fihon jo in Gefahr find, mit den 
armen Leuten verbrannt werden, jo Hätten wir daran nicht wenig Bejchwer. 
Auch erfahren wir, daß die von Frankenhauſen geflern Abend von der Sachſen— 
burg mit 4000 Mann und etlichen Geihüten nach Beichlingen übergegangen 
find, was aber ihr Vornehmen fein wird, ift uns nod) verborgen. Auch be: 
ſchweren ſich die Leute, Proviant für Graf Ernften zu Beichlingen oder anderswo 
zu holen; aber wo €. %. ©. des Orts fommen, wollen fie fid) in dem und 
anderem als die Gehorjamen halten und E. %. ©. Proviant und anderes, 
was €, F. ©. begehren, zuführen”. 

In Salza langten Sonnabend Abends, 6. Mai, aus Weißenjee 
Kopieen etliher Schriften und Befehle, die der Herzog nad) Weißenſee 
erlaffen und darin fich hatte gnädigen Troftes vernehmen laffen, auf 
fein Geheiß an, deren Empfang ihm der Kath und die Gemeine 
verordneten zu Sala unterm 7. Mai meldeten, mit der Anzeige, daß 
fie diefelben dem Ausgezogenen nachgejendet und fie daneben durch ein 
eignes Schreiben heimgefordert hätten. Dieſe Briefichaften wurden 
zweimal an die Heerzügler geſchickt. Das erjte Mal wirkten fie nur 
jo viel, daß der Haufe dem Grafen und dem Amtmanue die Erlaub: 
niß gab, heimzufehren, wobei fie dein Amtmanne eine Antwort, die 
ihm vom Herzog Georg zugefommen war, vorhielten, ohne daß fie 





545 


jedoch dem Rathe hätten zuentbieten laffen, ob fie ſelbſt heimkehren 
wollten oder nicht. Das andere Mal fertigte der Rath dieſe Schrei— 
ben dem Haufen zu durd zwei der Gemeindeverordneten, von denen 
er vorausſetzte, daß fie ihnen noch am Erjten gehorchen follten. Es 
waren Hans Yofinf und Hans Melchior, die zu den Ausgezogenen 
hinausritten und bei Greußen fie antrafen. Lofink überredete den 
Haufen zum Umkehren, indem er Hinwies auf die Wohlthaten und 
Gnaden, die der Yandesfürjt ihnen allen immer erzeigt habe, obgleich) 
e8 ſchon mehr die feige Furcht, al8 die wagende Hoffnung war, 
welche den Ausgezogenen die Heimkehr anrieth. So hatte Wolf 
Bornheinrihs und Matthes Königs Gegenrede Feine Kraft auf die 
Herzen. Beide traten mit noch zweien oder dreien bei Greußen 
aus dem Haufen und fprachen: „Wer beim Wort Gottes ftehen und 
das helfen will handhaben, der trete zu uns und den Unfrigen, wir 
wollen fürder ausziehn gen Frankenhauſen“. Aber die Menge blieb 
mit Angefiht und Schritt nad) Salza gewendet, das fie wohlbehalten 
am Montage Jubilate, 8. Mai, erreichten. Def waren die Weiber 
herzlich froh, und die Kinder auch. — Schon am 7. Mai hatte fich 
der Rath mit dem Amtmanne vereinigt, den Herzog unterthänig zu 
erjuchen und ihm von dem eigentlichen Hergange zu unterrichten. Der 
Amtmann, dejjen Geltung von nun am wieder im Steigen begriffen 
war und blieb, willigte um fein jelbjt willen gern in die Bitte des 
Nathes, ſich in diefer Sache mit brauchen zu laſſen, und jo gab man 
ihn dejjelben Tages etliche vom Rathe bei, den Bürgermeifter Fen— 
fterer, den Kämmerer Schermberg, den Stadtjchreiber Höpfner und 
zwei aus den Gemeindeverordneten, den Andres Drejcher und Lud— 
wig Terner, damit man füglicher zum Ausreiten und zur Bericht: 
erjtattung fommen möchte. Dieje Gefandtjchaft nahm Graf Ernit 
von Mansfeld gefangen, weshalb die drei Näthe und ganze Gemeine 
zu Salza fid) bei Georg in einem Schreiben vom 11. Mai be- 
jchweren: 

„Nächftvergangenen Sonntag gegen Abend Haben wir neben Sittih von 
Berlepſch abgefertigt Dietrich Fenfterern, unfern Bürgermeifter, Konrad Schern— 
bergen, Kämmerer, Sorgen Hopfener, Stadtichreiber, Andres Dreichen und 
Ludwig Terner, der Gemeine Berordnete, E. F. ©. perfönlid zu erfuchen und 
unsre und gemeiner Stadt Nothdurft und Anliegen ſammt unferm unterthäni- 
gen und gehorfamen Erbieten E. F. ©. anzuzeigen. Die find von Graf Ernft 
von Mansfeld im Felde vor Heldrungen durch feine Reiter gefangen genommen 
und auf das Schloß dafelbft gebracht worden, wir wiffen nicht, weshalb, Wir 
bitten, €. F. ©. wolle verfügen, daß fie des Gefängniffes ledig werden und zu 
E. 5. ©. ziehen dürfen. Auch bitten wir um gnädige Antwort bet gegenwär— 
tigem Boten, und erbieten uns, wo Graf Eruft uns zu bejprechen hätte, wollen 
wir vor E. F. G. Antwort ftehn. E. F. ©. wolle unſer gnädiger Landesfürft 
und Herr fein. (Zeddel:) Auch gnädigfter Fürft und Herr, e8 hat uns E. F. 
G. Scöffer bei uns zu Salza (Antonius Trötichel) nächten Mittwochs ange- 
zeigt, e8 würden unfre gnädigen Fürften und Herren dev Landgraf zu Heſſen, 
Herzog Eric) und Herzog Heinrich zu Braunihweig mit 2000 gerüfteten Pfer- 
den und 5000 Fußknechten diefe Woche zu Salza einfommen und ihr Lager zc. 
da haben wollen ꝛc. Bitten wir ganz unterthäniglih, was wir uns hierin 
halten und thun jollen, gnädiglich zu vermelden. Denn wir uns gegen E. F. 


546 


G. al8 unfern natürlichen Herrn und Landesfürften alles Gehorfams bezeigen 
und fleißigen wollen. Datum eilend Donnerstags nad) Jubilate“. 


Darüber berichtet Graf Ernft von Mansfeld aus Heldrungen 
dem Herzoge Montags nad) Zubilate, 8. Mai, eigenhändig: 


„Seftern find die von Salza mit etlihen hundert Mannen vor Weißenfee 
gezogen und haben fie durch Sittichen von Berlepih, der das Wort hat reden 
müfjen, mit harter Drohung wollen dahin bringen, fi) zu ihnen zu thun. Wo 
ſolches geichehen wäre, wollten fie denen von Frankenhauſen zugezogen fein und 
fi) mit ihnen hier vor gelagert haben, Nachdem aber die von Weifenfee, zu— 
vörderft der Adel, etwas hart gehalten und ſich dareim nicht begeben wollen, 
find fie wiederum abgezogen, haben im Abzuge etliche vom Adel geplündert 
und großen Schaden zugefügt. Eo ift der Haufe aus Mühlhaujen auch von 
einander und find jett zur Zeit des Orts Feine Haufen mehr bei einander, 
denn der zu Franfenhaufen, deren eine große Anzahl ift, ihun Hin und wieder 
großen Schaden, find geftern in Wallhaufen und Brüden gefallen, haben da 
geplündert und viel Guts weggebradjt, treiben großen Uebermuth. Nachdem id) 
denn weder mit Neißigen oder Fußvolk geſchickt, ift mir nicht möglich, ihnen 
Abbruch zu thun, wie E. F. ©. zu bedenken; wo mir aber von E. $. ©. Zu- 
ſchickung, wie id) vielmals angefucht, geichehen, fo verhoffte ich zu Gott, id 
wollte die Wege gejucht haben, damit die Empörung des mehrern Theils jollte 
geftillt fein worden, welches alio mit großer Mühe nunmehr zugehn wird. Es 
find mir von denen, jo E. F. ©., auf heute hier einzulommen, bejchrieben, 
nicht über 30 Pferde zugelommen, beforge mich, ohne was mein Bruder (Hoier) 
und Bettern nod) ſchicken möchten, daß es faft dabei bleiben wird. Es hat mir 
der Amtmann von Sangerhauſen gleich in der Etunde gefchrieben, daß die 
Einwohner der Stadt des Orts auch wollen aufftehn, mit Bitte, ihm von €. 
5. ©. wegen 200 Pferde und etliches Fußvolk zu Rettung zu fchiden; wo es 
nicht geichähe, jo würden fie diefen Abend ihrem Vornehmen Folge thun. Die- 
weil ich denn deren nicht gehabt, ifts unterlaffen. Wollen nun E. F. ©. die: 
fer Empörung vermittelft göttlicher Hilfe vortommen, fo müffen E. $. ©. ohne 
weitern Berzug dazu trachten. Dies wollen €. F. ©. gnädiglid) von mir ver» 
ftehn, wie ich denn E. F. ©. anzuzeigen fhuldig. E. F. ©. haben mir jüngft 
geichrieben, Provifion zu ſchaffen. Solches wollte ich gerne thun; was ich habe, 
will ih E. F. ©. gern famt meinem Leib und Gut mittheilen. Nachdem aber 
E. 5. ©. Gemüth nicht ift, daß ichs tragen foll, wär mir auch nicht möglich, 
jo bitte ih, €. F. ©. wollen E. F. ©. Amtleuten gnädigen Bejehl thun, zu 
verichaffen, was zu Erhaltung des gemeinen Haufens Noth fein will. E. 5. 
©. Perjon, und die, jo E. F. ©. bei ſich haben, will ich, als viel mir mög- 
lich, gern, das Befte ic) habe und vermag, verihaffen. Ic) habe Herren Hanſen 
von Werthern um Provifion, nachdem feine Häufer wohl veriehen, gejchrieben, 
welches er ſich zum Theil erboten, bedäucht mid) aber, er follte wohl ein Meh— 
reres thun können. Wie ich ihn denn angefucht, ift er etwas ummillig auf. 
Ob id) verklagt würde, wollen mid E. F. ©. zu guädiger Antwort fommen 
lafjen. Ich habe E. F. ©. Unterthanen des Amts Sadjfenburg und Weißenfee 
bei dem Brande, als heute etliche hundert Mann zu E. F. ©. Nothdurft auf 
€. 5. ©. Befehl herzufchiden, geichrieben; ift ihnen verdrießlich geweſen, gedenten 
e8 auch nicht zu thun. Ob nun, dieweil ich feine Hilfe habe, nichts ausgerichtet, 
€. 5. ©. wollen des feine Ungnade auf mid) haben und meine Entihuldigung 
hierin gnädiglich beherzigen. So habe ich die Räthe, ausgejchloffen Filipp Rei— 
bijchen, denen E. F. ©. neben ihm und mir Befehl gethan, keinen bei mid) 
bringen mögen. Es find heutigs Tages Sittich von Berlepfch, Fenfterer von 
Salza, der Stadtichreiber, und noch Einer des Raths, dazu drei von der Ge- 
meine, hier vor Heldrungen über gezogen, des Gemüths, als fie vorgeben, €. 
F. ©. zu beſuchen. Dieweil denn von denen von Salza als ungebührlich gegen 
E. 5. ©. gehandelt, habe ic; hinaus gefchickt, die lafen fangen, Sitlichen und 


547 


die vom Rathe in einer Stuben (dev Hofftube) betagt, aber die von ber Ge- 
meine in den Thurm gelegt, denn mic, bedeucht, es Sollen die rechten Meut- 
macher fein, habe bewogen, dieweil alfo wider E. F. ©. gehandelt, und follte 
nicht, dieweil man fie Gaben möchte, ein Ernft gegen fie gebraucht fein worden, 
daß e8 E. F. ©. und auch mir, als dem der gemeine Haufe nach meinem Leib 
und Leben trachten, fchimpflich fein follte und auch nachtheilig, Verhoffens, €. 
5. ©. werden darin fein Ungefallen haben, darum ich unterthänig will gebeten 
haben. So habe ich auch jonft Urfache darin gehabt, weldhe ih E. F. ©. nod) 
wohl berichten will, Berhoffens, es joll €. F. ©. zu mehrerem Nuten denn 
Nachtheil gereichen. Naddem mir Herr Hans von Werthern auf mein An— 
ſuchen und E. F. ©. zu Gefallen etlichen Hafer und Getraide feinen Leuten 
berzufahren geboten, haben die Berfammlung zu Franfenhaufen ihnen ſolches 
zu thun verboten und haben, als heunt gegen Abend, 1500 gerüfteter Mann 
nad) Beichlingen gefhidt; was die ausrichten werden, ift mir verborgen“, 


Auf diefes Schreiben des Grafen antwortete der Herzog zweimal. 
Zuerft am 9. Mai: 


„Bis Donnerstag wollen wir uns hier erheben, bis Sonnabend zu Nacht 
in Sangerhaufen eintommen, wohin wir die brandenburgiichen Reiter auch be— 
ſchieden. Landgraf Filipp wird Sonntags oder Montags auch bei uns zu Thü- 
ringen anfommen. So verjehn wir uns, der Kurfürft von Sachſen werde ſich 
auch freundlicy gegen uns erzeigen. Dann wollen wir, wie wir ſchon lange 
gerne gethan hätten, alle unſre Bertröftungen erfüllen“. 


Und am 10. Mai: 


„Morgen, will Gott, wollen wir uns hier mit aller Macht erheben und 
den erften Tag zu Weißenfels, den andern zum Eckersberg, den dritten zu 
Sangerhaufen unfer Lager nehmen. Begehren derhalben gnädiglich, ihr wollt 
unfern Amtmann von Sala Berlepfchen und den enfterer von Salza be» 
firiden, daß fie fi) aufs Allererfte zu uns, wo fie uns antrefien mögen, be 
geben. Wollet auch die Bauern, welche den Proviant zu Beichlingen haben 
holen follen und nicht geholt haben, nicht brennen, auf daß die ander zu wei— 
terem Aufruhr nicht verurſacht werden.“ 


Das Ende diefer Sache ergiebt fi) aus dem Schreiben Graf 
Ernjts an Georg vom Samstag nad) Cantate, 20. Mai: 


„Ich habe Sittichen von Berlepih auf eine altglirfried in E. %. ©. Hand 
losgezählt, die andern, fi) gegen Sala auf das ß einzuftellen, 6 Wochen 
lang betagt“. 

Er Hatte nämlich den Amtmann und enfterer verftrickt, ſich, 
wenn fie vom Herzoge abreiten würden, wieder in Heldrungen zu 
ftellen; die von der Gemeine zu Sala faßen am 12. Mai immer 
noch im Thurme zu Heldrungen, und Graf Ernft rieth an dieſem 
Tage bein Herzoge, fie ernftlich befragen zu laffen. 

In der guten Stadt Salza herrſchten bange Erwartung der 
fommenden Dinge und unheimliche Furcht. Die legten, vergeblichen 
Anftrengungen, den begrabenen Eifer für Gewalt wieder zu erweden, 
machten der nothfejte Melchior Wigand, Wolf Bornheinrich und Hans 
Wetzſtein. Yetstere beide redeten im Harniſch den Bürgermeifter jtolz= 
lid) an: man folle gedenken, den Landgrafen nicht einzulaffen, man 
müßte auc die Gemeinde mit dem Lärmfchlagen wieder zuſammen 
bringen. 


548 


„Und wo aud auf die Zeit, als ber Landgraf fam, durch ſonderliche 
Schidung des allmächtigen Gottes, die Gemeine durch höchſtes Ermahnen des 
Naths nicht gewendet worden wäre, hätte fi Melchior Wigand unterftanden 
mit feinem Anhange, den Landgrafen nicht einzulaffen, wollte fi) auch zu 
Felde legen, einen Haufen, wie er fagte, mit 1500 Wagen, die er wüßte auf- 
zubringen, verfammeln und dem Landgrafen entgegenziehn, wodurch die Stadt 
und Alles darin zu Grunde wäre verderbt worden“. 


Landgraf Philipp Fam den Freitag oder Sonnabend, 12. oder 
13. Mai, von Eijenad) ein. 








Kleinere Mittheilungen. 


Die Schladht von Döffingen. 
Bon Th. Rupp. 


Der Bund, welchen die fchwäbiichen Städte zum Schuß ihrer 
Intereſſen gefchloffen und 1384 auch auf die fränkischen ausgedehnt 
hatten, hat ſich nur wenige Jahre aufrecht erhalten; die fränkiſchen 
Städte waren es, welche der Verbindung zuerft entjagten. Ohne 
Zweifel hat das die Niederlage der Städte bei Döffingen in Schwa— 
ben herbeigeführt. 

Der Hergang der Schladht ift, wie natürlich, im Lande des Sie— 
gers vielfach zu deſſen Verherrlihung ausgeſchmückt und mit der be= 
fanuten Mähre von der Kriegsliit des Grafen Eberhard von Wirtem— 
berg verwoben worden. 

Die Auffindung und theilweife Veröffentlichung weiterer Auf— 
zeichnungen aus den Ende des 14, und dem Anfang des 15. 
Jahrhunderts Laffen indejjen faum einen Zweifel darüber, daß der 
Anführer der fränfiihen Städte Graf von Hennenberg, ein naher 
Berwandter des Grafen Eberhard, deſſen Frau eine von Hennenberg 
war, die Städte verrathen hat, indem er im Rücken der Städter die 
Flucht ergriff und dadurd) die Niederlage herbeiführte. 

Unterfuchen wir die Aufzeichnungen der Zeitgenoffen, welche im 
Stande waren die Wahrheit in nächſter Nähe durch unparteiijche 
Perfonen zu ermitteln, fo finden wir, daß 3. B. die Zwiefalter An— 
nalen jo wie das Ellwanger Chronifon (beide bei Berk SS. XII) 
ſich auf die Angabe bejchränfen, Graf Eberhard habe bei Döffingen 
am Tage vor Bartolomäi (23. Auguft) 1388 über die Städter ges 
fiegt und fein Sohn Ulrich fei dabei umgefommen, Die Conjtanzer 
Chronik (bei Mone, Quellenfanmlung I) führt außer dieſen That— 
ſachen auc den befonderen Verluft der Konftanzer und den Umstand 
an, daß kaum 100 Mann auf der Wahlftatt todt gefunden worden, 
die meijten aber auf der Flucht geblieben feien. 

Die Jahrbücher des Stifts zum heiligen Kreuz in Stuttgart 
(Annales Stuttgartienses), jo wie der weiter von Stälin (III, ©. 
344 N.) angeführte Coder der Stuttgarter Bibliothek enthalten neben 
diefen Angaben noch die Gejammtzahl der von den Städtern Gefalle- 
nen und Oefangenen, mit dem Bemerfen, daß die Städte eine große 
Summe Geldes als Entihädigung an Eberhard bezahlen mußten. 
Ueber die Kriegslift ift aljo in diefen Quellen und foviel mir befannt 


552 


in Würtemberg überhaupt, feine Aufzeichnung aus der Zeit de | 


Schlacht erhalten geblieben !. 

Die erften Würtemberger, welche von dem Ereigniſſe eingehender 
und zwar übereinjtimmend fprechen und die Kriegsliſt erwähnen, find 
Sc. Küng und Gabelfover, aus dem 16. Jahrhundert. Der 
Letere war Yeib-Medicus de8 Herzog Yudwigs von Würtemberg 
und fol feine Geſchichte des würtembergiichen Fürftenhaufes auf Ur- 
funden des herzoglichen Archivs gegründet Haben. Seine Erzählung 
(Hdſch. der Stuttg. B.) lautet: „ALS Sie nun baiderjeitS einander 
anfichtig worden, und nicht wenig auf einander erbittert gewefen, iſt 
das Treffen erftlihen hart angangen. Dann Graff Ulrich im erften 
"Anlauf gleich erichlagen worden, jambt Graff Albrechten vor Löwen- 
ftein, einem Graffen von Werdenberg, einem Graffen von Zollern 
und vilen (60) von Adel. Als nun die übrige anfahen zu weichen 
und die Neichjtättiiche anders nit vermeint, dann fie haben das Tel 
ſchon allerdings erhalten, hat Graff Eberhardt al8 ein beherzter Held, 
den feinigen zugeſprochen, daß fi mannlich Fechten, und dern Fein— 
den, die auf der andern Seiten ſchon anfahen zu weichen, dapfer 
zufezen follen, dazu auch der von Winnenftein mit feinen Yeuten fom- 
men; als nun die Neichjtättifche Graff Eberharts Stimm gehört, dat 
die ihrige fliehen, und ſich darnad) umgejehen, auch frifche Pferd 
Schon herzu eilen, Haben fie ernftlich anfangen zu flihen, und jind 
in der Flucht 600 gefangen, und 1800, theils jagen nur 1000, 
theil8 1500, getödet worden“. 

Steinhofer, der in feiner Neuen Wirtembergifchen Chronif ? Ga- 
belfhover zum guten Theil abjchreibt, fand feiner Aufgabe entfprechen: 
der Graf Eberhard den Geinigen zurufen zu laſſen: „Erjchredet 
nicht; Er ift wie ein anderer Mann: Stehet tapfer! fiche die Feinde 
fliehen“, und fügt Hinzu: „das fagte er und rennte zugleich voll 
tapferen Muths auf die Feinde und mit ihm der Graf von Bitſch“ u. ſ. w. 

Mit ungefähr denjelden Worten berichtet Cruſius (get. 1607) 
in feiner Schwäbiſchen Chronif II, 3 den Verlauf der Schlacht. Nach 
feiner Angabe hat er Nauclerus, Münfter, Mutius und gefhriebene 
Nachrichten benükt. 

Die Erzählung findet fich in der Hauptſache ſchon bei Königs— 
hoven. Er jagt über diefe Schlacht (Chron. der deutichen Städte S. 840: 
„Und zehant wart der junge herre grofe Ulrich von Wurtenberg er- 
flagen, und ein grofe von Loweſtein, einre von Zolre, einre von 
Werdenberg und uf 60 rittere und edelfuehte die in nachvolgetent. 
und wart der erjte drug des ftriteS den herren anegewunnen, das fü 
bi verzaget worent. do jterfete jü der alte von Wurtenberg und 


! Die Chroniei Moguntini fragmenta, bei Böhmer Fontes IV, 381, 
jagen in diefer Beziehung nur: tamen invaserunt eos et diviserunt exer- 
eitum eorum cum magno labore et captivaverunt eos u. f. w. 

®? Ehre des Herzogtums Wirtemberg in feinen Durchlauchteften Regen— 
ten I, 105. (Er folgt wohl bejonders Naucler, bei dem die Worte ed. 1516 
©. 1029, lauten: Quid trepidatis, state viriliter, ecce fugam. G. W.). 


553 


ſchrey die herren ane und ſprach: „Sehent, wie die jtette fliehent ! 
vechtent unerjchröfenliche, fü find zehant alle unfer“. do wondent et= 
liche die Hyndenam bi dem ftriteworent, e8 were alfo, und beguns 
dent fliehen. under difen dingen jo kument die herren von Bitſche 
und der vougt von Roſenfelt zugerant mit 100 glefen, die worent 
gerumet und entworchtent der ftette her. do wart zehant den ftetten 
der drug Wieder anegewunnen, das ſü underlogent. aljo gefigetent die 
herren und behubent das velt. hHiemitte was der jtrit ergangen und 
wurdent der von den ftetten erjlagen uf tufent man und uf 6 hun— 
dert gefangen. die andern entrunnent. aber in der herren her wart 
erjlagen der junge von Wurtenberg und andere... dirre ftrit beſchach 
an eime ſunnentage fruge an fant Bartholomewes obende, noch got 
gebürte 1388 jor“. 

Daß der fiegende Theil die erſte und ausführlichfte Kunde von 
dem höchſt wichtigen Erfolg verbreitet hat, verjteht ſich wohl von 
ſelbſt und, daß Graf Eberhard oder die ihm im Kampfe nahejtehen- 
den DVertrauten das perjönlid) Geleiftete oder Nichtgeleiftete zuerſt be- 
richteten, Fan wohl feinem Zweifel unterliegen, 

Wenn nun Königshoven al8 Zeitgenoffe den Bericht von diefer 
Schlacht mit allen Einzelheiten, wie diefe nad) ihm gäng und gebe 
wurden, zuerjt in feiner Elſäſſiſchen Chronik mittheilt, jo ift der Zeit 
nach, im welcher diefe Nachrichten von ihm niedergefchrieben werden 
konnten, anzunehmen,‘ daß diejelben aus erjter Hand ftanımen, und 
zwar in der Form, im welcher der Sieger fie aufbewahrt haben 
wollte. Was aber aus diefer Duelle hervorgegangen, ift, wie wir 
aus dem Wortlaut und den ſchon angeführten und den fpäter erwähn— 
ten Aufzeichnungen erkennen werden, mehr al8 anderthalb Jahrhunderte 
fpäter nachgefchrieben, und auf die Autorität von Königshoven, wenn 
diefer aud) nicht genannt wird, als würtembergifche Gefchichte wieder- 
gegeben worden !. 

Der Weg, auf welchen die erwähnten Berichte dem geiftlichen 
Herrn von Könighoven zukommen Eonnten, liegt jehr nahe. 


ı Sattler (Geſchichte des Herzogthums Wirtemberg unter den Grafen) 
bringt in feiner Fortfegung I, Beilage 2 eine ältere Mittheilung, nämlich den 
Abdrud eines um das Jahr 1480 erjchienenen Büchleins. Diejes erzählt unter 
wenigem anderen die Schlacht bei Reutlingen und daun die Schlacht bei 
Döffingen mit folgenden Worten: 

„Bon dem Stryte zu Wyle. 

— und injunder jo drat d’jung Herr von Wirtemberg mit etwievil graven 
und edler für die andern an den ftrit; dagegen ftalt ſich d’ftet volf zu were 
u. ſ. w. — — und ward der erft trud des fiytes den herren angewunnen, das 
fi nad) vertagt waren, do fterft fie der alt von Wirtemberg und fchrey die 
herren an, und ſprach: Sehent wie die ftet fliehent, herumb vechtens uner- 
ihrodenlich, fi find zu Hand all unſer. Alſo wonten etlid von dem ftetten die 
dahinden waren, e8 were alſo, und begunden zu fliehen. Im dem famen 
die Herren von Bitſch und der Vogte von Rojenfeld mit Hundert glienen (glieven) 
zugerant und waren geruwet, die zerfiranten der ftet here, aljo das zu hand 
den ftetten d’trud wider angewunnen ward” u. |. w. 


xiv. 37 


554 


Der Dechant des oberjten Stiftes in Straßburg war ein Herr 
von Ochjenftein, den Graf Eberhard, als derfelbe von dem Straf: 
burger Capitel zum Biſchof erwählt worden war, unterm 24. Februar 
1375 „ünfer Deheim“ nannte und empfahl. 

Neben diefem gewiß treuen und fräftigen Bermittlungsorgan 
waren die Räthe des Grafen Eberhard in der Yage, ſowohl perjön- 
lic) al8 durch Untergebene vielfach mit den Einwohnern Straßburgs 
zu verfehren. Eberhard hatte verjchiedene Befiungen in der Nähe 
Straßburgs, die zum Theil jchon fein Vater Ulrich III. erworben !, 
und auf welche auch die Biſchöfe Straßburgs gewijje Anfprüche gel 
tend machten. Wahrjcheinlic fam er unter anderem dadurd) in den 
Fall, welchen Königshoven 1392 unter Eberhards Nachfolger be- 
rührt ?, Gülten und Zinfe nad) Straßburg bezahlen zu müſſen, die 
eben wegen der bijchöflichen Rechte ohne Zweifel den geiltlichen Stif- 
ten gehörten. (Zufällig war in der Zeit Eberhard des Greiners — 
geit. März 1392 — Königshoven Pfleger mehrerer folder Stifte). 

Außerdem iſt anzunehmen, daß der Tochtermann des Grafen 
Eberhard des Greiners, Herzog Johann von Lothringen, nicht unbe— 
theiligt an der Verbreitung der Nachricht geblieben ift, welche geeignet 
war, den Ruhm feines Schwiegervaters bei Grafen und Fürften jehr 
zu erhöhen; uud da der Verkehr der Stadt Straßburg mit dem 
Lothringer Hofe ein jehr lebhafter war, jo hatte man auch Gelegen- 
heit zur Genüge, an geeigneter Stelle der erwähnten Darjtellung von 
dem Hergang der Schladht Gehör zur verfchaffen. 

Unfer Gefchichtfchreiber war faiferlicher Notar, dabei ein jehr 
fürftlich gefinnter, gelehrter Geiftlicyer, der die zu feiner Zeit ume 
fajjendite und bei weiten am meijten benügte Chronif, vom Anfang 
der Welt bi8 auf 1415, deutſch gejchrieben hat. 

Aus feinen Aufzeichnungen geht hervor, daß cd ihm weniger um 
Erforſchung der Wahrheit al8 um eine gedrängte Darjtellung ge: 
Ihichtlic) geglaubter Ereignifje zu thun war, und er überhaupt von 
dem Berufe eines Hijtorifers einen ſchwachen Begriff hatte. 

Was die gleichzeitigen, auswärtigen Geichichten betrifft, fo fchrieb 
er, ohne Kritik, in gern gelejener Forın nieder, was er in Straßburg 
erfahren konnte (vgl. Chroniken der deutjchen Städte VIII, Ein- 
leitung 182). | 

Wenn wir nun diefem in Hinblid auf unfern Gegenjtand bei- 
fügen, daß er neben feiner antiftädtischen Gejinnung ein Straßburger 
Bürger war, fo fönnen wir ihn, in Beziehung auf die Sache der 
Städte, um fo weniger für unparteiiich halten, als befanntlid Straß: 
burg (dur feine Edlen und Weifen) nad) Königshovend eigenen 
Worten ? gegen die Hilfe ſich ausſprach, welche der rheinijche Städte: 


ı Stälin, Wirt. Gefchichte III, 177. 283. 

2 Königshoven, Chroniken der deutichen Städte IX, 684. 

® Chroniken der deutichen Städte IX, 836: „do hettent die ſwebeſchen 
ftette gerne me helfe gehebent, und trugent ane mit den von Strosburg 





555 


bund dem ſchwäbiſchen in dem vorliegenden Kriege leiſten wollte und 
theilweiſe auch geleiſtet hat’. 

Die weit verbreitete Chronica von Königshoven wurde vielfach 
wörtlich benütt. So nahm unter andern auch Konrad Yujtinger, 
der im Jahre 1420 von dem Kath der Stadt Bern den Auftrag er— 
hielt die Geichichte der Stadt zu fchreiben, was er von Deutſchland 
mittheilt, auch den eben angeführten Bericht über die Schlacht bei 
Döffingen, in feine Berner Chronik auf. 

Betrachten wir nun diefe Nachrichten, welche, wie oben ange— 
deutet, al8 aus der nächſten Umgebung des Siegers jtammend ange» 
nommen werden fünnen, an und für fich, jo finden wir, daß die— 
jelben aller Glaubwürdigkeit entbehren. 

Die Niederlage der Städter wird dem liftigen Ausruf Graf 
Eberhards zugeichrieben: „jehent wie die jtet fliehent!“ Aber wer 
floh? „die hyndenan bei dem jtrite worent“, jugt Königshoven und 
die Beilage von 1480. 

Wenn wir nun aud) Graf Eberhard mit der gewaltigen Stimme 
des Aegypters begabt glauben wollen, welcher im Heere des Darius 
an den Ufern der Donau den Milefier Hiftiäus zurücgerufen hat, 
können wir doc) nicht zugeben, daß fein Zufpruch oder fein Ausruf 
bei einem Zufammenftoß von vielen Taufenden, unter dem Geflirr 
der Waffen, dem Wiehern und Stampfen der Pferde, dem Gefchrei 
und Getünmel der Kämpfenden gerade von denjenigen feiner Feinde 
gehört worden jei, welche ihm am entferntejten jtauden, und daß diefe 
dadurd zuerſt und in dem Augenblide zur Flucht veranlaßt wurden, 
in welchem fie ihre Genofjen im Kampfe fiegend vordringen ſahen. 

Graf Eberhard war nicht einmal in der erjten Reihe — wenig— 
ſtens berichtet das niemand —, mo vielleicht die vorderften der 
Etädter ihn hätten hören fünnen; er war in der Mitte feiner Rampf- 
genofjen, wo er als Feldherr fein konnte, oder, wie von anderer Seite 
behauptet wird, im Rüden der Seinigen, was auch der Umftand an— 


und mit andern fetten die in dem ryneſchen Bunde worent, das fü fidh 
foltent verbünden zu den fwebeichen ftetten. do widerrietent e8 die edeln 
und die wijen zu Strosburg und fprochent, e8 were eine berte jache: “oltent 
die von Strosburg und die rynefchen ftette helfen den Swoben ire Triege 
alle ustragen die fü von alter ber gehebet hettent, men möhte fin kumen 
in groffen fchaden und fumber. und fprochent fürbas: ſiü hettent von ihren 
vordern den alten und den wiſeſten dicke gehoert jagen, das die ryniſchen ftette 
foltent feinen bunt madjen über Ryn zu den Swoben oder zu andern, anders 
fili gewünnent niemer vume. das half alles nüt“ u. ſ. w. (1383). 

Mit Genugthuung fügt diefer Mittheilung Königshoven bei: „Do dis bie 
grofen von Wurtenbery enpfundent, do trugent jü ane mit vil fürften und 
— das die ouch mahtent under in einen bunt“, unter Angabe ihrer 

amen. 

1Straßburg wurde wegen des erwähnten Widerſpruchs, nach Abſchluß 
des Friedens, von der zur bezahlenden Eutſchädigungsſumme freigeſprochen, viel— 
leicht wurde eine Betheiligung bei der Flucht der Franken (ſiehe S. 556 Burkhard 
Zenf) ach berücdkfichtigt. 


37* 


556 


zugeben fcheint, daß er den Tod feines Sohnes nicht ſah, jondern nur 
hörte. Die Flucht war alſo nicht Folge des Rufs. 

Die wirkliche Urfache der Flucht, welche durch ſolche Geichicht- 
en von ritterliher Bravour und Selbjtverleugnung in Vergeſſenheit 
gebracht werden follte, it indejfen im ihrer nackten Wahrheit von 
nachbarlichen Zeitgenofjen erhalten worden, welche durch ihre Dar: 
jtellung nur Thatjachen der Nachwelt überliefern wollten. 

Die Chronif von der Gründung der Stadt Augsburg (Chro- 
nifen der deutjchen Städte IV, 314) fagt 3. B. — „und der grauff 
von Henmperg nam gelt von dem von Wirttenberg und macht ain 
flucht under den jteten, wanıı er was ir hauptman, er tet unerlich“. 
Der Augsburger Burdhard Zink! (Zingg von Memmingen geb.) bes 
richtet (ebend. V, 40): — „es iſt zu wißen, daß gar große untreu under 
den jtatjoldnern was und verrätterichaft, und infonderhait Hetten die 
von Nürmberg ain hauptmann, hieß der von Hennenperg, der macht 
ain Flucht uud etlic) jüldner vom Nein mit im, damit mueßt der jtett 
volf niderligen, und wer des nit geſchechen, daß der valjch verrätter 
und die mit im fluhen die Flucht nit gemacht hetten, der ftett volf 
wer den herren allen obgelegen, und als das nun gejchehen was, da 
fam die Flucht in der jtett volk und zertranten ſich und flohen“. In 
gleihem Sinne fpredyen die Augsburger Chronif von 1368 bis 1406 
(ebend. IV, 86), Wahraus (IV, 248) und andere. 

Aus dem Fragment einer Chronik in einem Sammelband P.I. 1 
der Lindauer Stadtbibliothef vom Anfang des 15. Yahrhundert, 
welches Stälin in den Wirtenbergiihen Yahrbüchern von 1864 
veröffentlicht Hat, erfahren wir: — „do nament die Franken die 
flucht ?, das warend die von Niürenberg, von Wottenburg an der 
Tuber und ihr jüldner, das was ob 300 fpieien. Anders die jtette 
hettent dozemal das feld behept. Das was ein grauff von Hennen— 
berg, der Franken hoptmann, der was dem von Wirtenberg hoch er= 
boren und nac), und der machet ouch die Flucht unter den ſteten“. 

Mülich (gejt. 1486), deſſen Augsburger Chronik Stälin erwähnt, 
fpricht von taufend Gulden, welche dem Hennenberg von Graf Eber- 
hard verjprochen, aber wegen zu jpäten Aufbrechens nicht gegeben 
worden fein jollen. Stälin findet diefe Quelle indeffen zu jung und 
für die Städte parteiiich. 

Wenn wir nun auch zugeben müffen, daß die Stellung der Ge— 
Ihichtsfchreiber nicht immer ohme Einfluß auf ihre Darjtellungsweife 
geweien fein wird, fo iſt doch zu berückjichtigen, daß dies von beiden 
Parteien angenommen werden muß, der Verrat aber doch von bei 
weiten den meilten Berichterjtattern mitgetheilt wird, bei denen ein 
gegenjeitiges Abjchreiben nicht wohl angenommen werden kann. 


* Chronik des Burkhard Zink von 1368 bis 1468, eines der vorzüglichften 
biftorifchen Denkmale des 15. Sahrhunderts. 
2 Bon der Kriegslift des Grafen Eberhard ift aud hier feine Rede, 


557 


Sehr von Bedeutung für die Annahme eines Verraths, glauben 
wir, iltdas, was Ulman Stromer mittheilt, nicht weil er den Verrath 
wörtlich bejtätigt, was nicht der Fall ift, fondern weil er ihn den 
andern Berichterftattern gegenüber auf eine Weife umfchreibt, welche 
die Abficht erkennen läßt, den Namen der Stadt Nürnberg von der 
gefchehenen That fern zu halten. Ulman Stromer jaß nämlich in der 
vorliegenden Zeit im Nathe der Stadt Nürnberg und Hatte wicht nur 
das Bündniß für Nürnberg mit den Städten 1384 mit abgeichloffen, 
fondern ohne Zweifel auch Hennenberg als Hauptmann der Nürn— 
berger mit bejtellt. | 

Wie wir gleich fehen werden ignorirt er Hennenberg in jeinem 
Beriht, ebenfo die Kriegslift und den Verrath, obgleich der Ver: 
dacht hierüber gewiß ſchon auf der Wahlftatt ausgejprochen, durch 
die Heimfchrenden in ganz Süddeutſchland und der Schweiz verbreitet, 
auch nad) dem von Graf Ulrid) 1246 gegebenen eclatanten Beifpiel, 
geglaubt werden konnte. Er jagt in feinem Büchel, von meinem ge= 
jlechet und von abentewr von 1349 bis 1407 (Chronifen der deut= 
ihen Städte I, 42): — „der von Wirtenberg ward erjlagen und 
mit im ein graff von Werdenberf u. ſ. w. alzo daz di jtet mit dem 
erjten den ftreit gebummnen beten. do waz graff Eberhart von Wir— 
tenberg zu roſſ und Hinten an dem hawffen! und flug und traib daz 
volf, daz ſich daz weren muft, alſo daz die ſtet den ftreit verluren. 
und der burden zu tod erjlagen bey 300, fo burden ir gefangen bey 
200. alſo fagen die jtet auf denfelben tag der nyder uud verluren 
den jtreit“. 

Der Herausgeber der Chronif von Ulman Stromer ftellt die 
Führung der Franken durch Hennenberg in der Schlacht bei Döffingen 
in Abrede (vgl. Chronifen der deutjchen Städte I, Beil. 4, ©. 187), 
indem er auf die ſtädtiſchen Rechnungen Niürnbergs hinweiſt, in wel- 
hen Hennenberg von 1387 an nicht mehr al8 Hauptmann, dagegen 
ein Ulrih von ZTreutlingen bis zum sten Mai 1388 und damı ein 
Apel Fuchs als folcher vorkommen. NAuffallenderweife ijt diefer An— 
gabe beigefügt: (Auguft 1388) „St. ded. hern Appel Fuchs 100 
guld., die im die burger ſchankten“. 

Da die Abrechnungen der Zahlmeijter, jowie fie dem Rathe der 
Stadt übergeben werden mußten, nicht al8 primitive, mit den Vor— 
fommmilfen gleichzeitig fortichreitende Protofolle, fondern nur als 
periodiche Angaben der Zahlmeifter betrachtet werden fünnen und 
folglid) unnachweisbare Veränderungen zuliegen, fo ift c8 nach dem 
Ausgange der Schlacht ſehr wahrfcheinlich, daß die Nürnberger ihren 
Anführer im diefem Schmählichen Kampfe nicht für Jahrhunderte aufs 
gezeichnet wilfen wollten, und er darum im diefen Angaben fehlt. 
Zudem widerfpricht eine andere Führung der Tradition, auchdem Wort— 
laut der oben erwähnten gleichzeitigen Chroniken ; auch kommt der Umstand 
in Betracht, daß Ulınan Stromer die Angabe anderer Berichterjtatter, 


ı &o konnte die Lift, weil unmöglich, umgangen werden. 


558 


welche Hennenberg bei diefer Gelegenheit einen Verräther nennen, 
nicht mit der Neunung des wirklichen Namens entfräftigt und damit 
ſchon die Wahrheit ihrer Mittheilungen verdächtigt hat, wenn dies 
überhaupt hätte geichehen können. 

Das Nihtvorfommen des Namens Hennenberg als Hauptmann 
in den Zahlungsregijtern beweijt auch nicht, daß er neben Apel Fuchs 
als Hauptmann der Stadt zu dem Zug nah Echwaben von den 
Niürnbergern nicht befonders bejtellt worden ijt, da Fuchs bei dem 
gleichzeitig vorbereiteten Einfall der Nürnberger in das Gebiet des 
Burggrafen Friedrich (Chroniken der d. Städte I, 42. 43), bei wel- 
chem diefem mehrere Feitungen, Städte und Dörfer weggenommen 
und zeritört wurden, verwendet werden fonnte. 

Uebrigens hat das Gejchenf, welches die Bürger Nürnbergs dem 
Hauptmann Fuchs machten, auffallend den Charakter einer nt: 
fyädigung, eben weil dafjelbe von Bürgern, und nicht won ber 
Stadt gegeben wurde. Auch ijt die Ernennung Hennenbergs zum 
Hauptmann für die Hilfstruppe in der ſchwäbiſchen Fehde, trotz dei: 
fen Verwandtichaft mit dem alten Greiner, bei dem Widerwillen der 
Nürnberger an den Kriegen der Städte gegen die Herren Theil zu 
nehmen, nad) ihrem damaligen Streben durchaus nichts auffallendes. 

Der Einwand, daß der Gedanke eines DVerrath dur) Hennen- 
berg erjt fpäter entjtanden fei, ift unhaltbar, da ſolche Gedanken ſchon 
aus dem Gefühl der Schuldlofigfeit und treuer Pflichterfüllung gleic 
nad) der Niederlage entjtehen und bei dem Befauntjein des Führers 
der Franken als Kampfgenofjen hier jedenfalls fofort entjtehen mußten. 

Die Flucht der Nürnberger beftätigt noch der Bericht der ſogenann— 
ten Klingenberger Chronif, die nicht auf Seiten der Städte ſteht!. 

In diefer Chronif, welche Henne 1861 nad) den von Tſchudi 
und andern benütten Handichriften herausgegeben hat, lautet der Be— 
richt der Schlacht bei Döffingen S. 146 alfo: 

„St in demfelben zit anno dni 13883 ward erjlagen graf Uolrich 
von Wirtenberg, und vil herren, ritter und knecht mit im vor Wil in 
Swaben, von den richitetten und ihren helfern. Do gelagent die 
richitett deffelben ftrit8 darnider, und gelag der von Wirtenberg ob, - 
und fchuoffent das die von Niüremberg, die nament zum erften die 


ı Wie der Ehronift in Bezug auf die Beftrebungen der Städte dachte, 
möge ferner das Klagelied bezeugen, mit dem er feine Beichreibung der Schlacht 
bei Sempach (1386) ſchließt, S. 121: 

„O Sempady, wie fhantlich fi din trüwe brach, 
Bon dem dir nie laid geſchach! 

Fürbas geb dir got ungemad), 

das ſye Hinfür din beftes tach, 

war difes übels biftu ain urſach, 

und ift nu doch din geftalt ze ſwach. 

Wie fan man das genuog verklagen, 

daß von den finen ift erjlagen 

der edel fürfte hoch erboren, 

und bi im fo mänig from man hat verloren !’ 





559 


flucht; und Hettint fi das nit tuon, fo wär den ftetten wol gelungen. 
Sibradent od) zum erjten den pund und fwuorent den landtfrid wider 
den pund; das geſchach nad) dem ftrit an fant Bartolomeustag des 
porgenanten jars. Die aidtgenofjen erfchrafent übel, und was ihnen 
laid, daß die ftett nidergelagent, wan fi hattent guoten troft an 
ainandern, die richitett und die aidtgenoffen, wan fi tatent den qidt- 
genofjen menge guote warnung und jtarfktent fi die haimlich“. 

Die Niederlage von Döffingen war von der weittragenditen Be— 
deutung, Weniger wegen des VBerluftes an Mlenjchen, al8 wegen des 
nachhaltigen Mistrauens, welches durch die ſchlechte That zwiichen die 
Städter geworfen worden war, auf alle mögliche Weife genährt und 
von den Gegnern ausgebeutet wurde. 


Eine Leipziger Handfhrift der Summa cancellariae 
Caroli IV. 
Mitgetheilt von B. Stübel. 


Die Anzahl der aus der Kanzlei Kaifer Karls IV. hervorge- 
gangenen Formelſammlungen, die im allgemeinen unter dem Namen 
Summa cancellariae Caroli IV. befannt find, ijt eine ziemlich be 
deutende. Nocinger! hat aus Perks Archiv mehrere handjchriftliche 
Ausgaben aufgeführt, ſodann Hat Böhmer? eine Wiener und Neus 
mann? eine Görlitzer beichrieber und Proben daraus mitgetheilt. Woll- 
jtändig publicirt worden iſt bis jetst nur eine ſolche Sammlung, nämlich die 
von dem faijerlichen Notar Yohann von Geylenhaufen entworfene und als 
Colleetarius perpetuarum formarum bezeichnetet. Mader? Hat nur 
24 Brief- und Urkundenformeln aus einer Helmftädter Handfchrift ab- 
drucken laſſen; beinahe ebenjoviel Hat Pelzel in dem Urkundenbuche zu 
feiner Gejchichte Kaifer Karls IV. aufgenommen, und zwar mit Zus 
grundelegung der im der Bibliothek des Prager Domcapitel8 befind- 
lichen Handjchrift (sign. I. 26) der Summa cancellariae®, Werner 
jind von Mende aus einem Coder der Peipziger Univerfitätsbibliothef, 
der unter andern auch ungefähr 200 Brief-- und Urfundenformeln 
aus Karls IV. Kanzlei enthält?, 37 Nummern der leßteren veröffent- 
licht worden?, Erwähnt jei noch, daß ein Brief des Biſchofs Johann 
von Peitomifchl an einen Ungenannten neuerdings aus der jchon er- 
wähnten Wiener Handſchrift (phil. 71) in Böhmers Acta im- 
perii seleeta ©. 754 Nr. 1060 abgedrudt worden ift. 

Zu den bisher noch jo gut wie gänzlich unbefannten handichrift- 
lichen Ausgaben der Summa cancellariae Caroli IV. gejellt fich num 
noch eine, die gleich) der von Mende benusten im Befit der Leipziger 


1 Veber Formelbücher vom 13. bis 16. Jahr). S. 175. 176. 

2 In Haupts Zeitihrift Bd. VI, ©. 27 ff. 

Neues Lauſitziſches Magazin g. 1846, Bd. XXIII, ©. 147 ff. 
I, * — in J. W. Hoffmauns Sammlung ungebrudter Nachrichten Br, 

fi 

5 Gervasii Tilberiensis Commentatio de imperio Romano S. 86—117. 

°eS. Bd. I, Vorberidt. Sodann Palady, Ueber Formelbücher in den Ab- 
bandlungen ber 8. Böhmischen Gefellichaft der Wiffenihaften N. F. Bd. V, ©. 
4 und 5. 

In Perg Archiv Bd. VI, ©. 219 unter dem Titel CarolilV. Rescripta 
quamplurima angeführt. 

8 Scriptores Rerum Germanicarum III, ©. 2010 ff. 


561 


Univerfitätsbibliothef ift!. Es ift eine Papierhandichrift in Folio aus 
dem Ende des 14. Jahrh., fauber und gut von einer Hand ge- 
ichrieben, die auf der Vorderfeite des Kinbandes die Auffchrift 
‘Formule quedam litterarum missilium’ führt. Sie enthält von 
fol. 5 bis fol. 111 im ganzen 330 Briefe, Urkunden und Theile 
von Urkunden (Arengen 2.) und gehört zu den reichhaltigiten hand» 
Schriftlihen Ausgaben der Summa cancellariae. Geylenhaufens 
Sammlung befteht bloß aus 315, die von Pelzel benutte Prager 
Handihrift aus 279, die von Neumann befchriebene Görliger aus 
214 Nummern, 

Unter den Briefformeln befinden fih nun etwa 60, deren 
Driginale von dem langjährigen Hoffanzler Karls IV., Johann von 
Neumarkt, erſt Biſchof von Leitomiſchl (1353 —1364) und fodann 
von Olmütz (1364 — 1380)?, an verjchiedene Perſonen ausgejtellt 
find; die übrigen nmebjt den Urkunden rühren mit wenig Ausnahmen 
von Karl her. Mit der Geylenhaufenfchen Sammlung verglichen, fo 
find 51 Nummern derfelben auch in unferer Handjchrift vorhanden. 
Die von Mader publicirten Formeln find bis auf drei volljtändig 
hier enthalten, ebenfo der bei weiten größte Theil der von Neumann 
aus der Görliger Handjchrift angeführten Stücke?. Auch in der für 
Pelzels Urkundenbuch benugten Summa cancellariae finden wir eine 
Reihe von Formeln in der Leipziger Haudjchrift wieder. Verſchieden 
von dieſer iſt dagegen die andere Leipziger Handſchrift, aus der, wie 
oben erwähnt, Mencke 37 Nummern hat abdrucken laſſen; keine einzige 
derſelben iſt in der unſrigen vorhanden. 

Wir theilen nun im Folgenden einige bis jetzt noch nicht edirte 
Formeln aus der Leipziger Handſchrift Nr. 1273° mit, 


I. (fol. 107-—- 108) 


Rex quidam rogat papam ut confirmet cesarem. 


Orbis terrarum et universi, qui habitant in eo voce festive 
joeunditatis exultent, assunt festa celebra, assunt sacris fidelibus 
et alumpnis imperii nova redivive letitie gaudia post suspiria 
etlamenta. Nam omnipotens et misericors Dominus, quamquam 
ad expiationis interdum exterminium fideles suos patiatur 
affligi, mira tamen sue celementie modestia didieit oblivisei, 
et ob hoc mox cum percusserit suspenso flagelli aculeo pro- 
pieius consolatur. Exsurgit et ecce imperii facies, quam in- 
clite recordationis domini H. Romanorum imperatoris genitoris 


ı Nr. 12738 in Berk Archiv Bd. VI,S.219 als Caroli IV. epistolarum 
volumen bezeichnet. 

2 ©, Lorenz, un Geſchichtsquellen S. 230, und Böhmer in Haupts 
Zeitſchrift Bd. VI, S. 

3 Neumann hat 35 ah vollftändig publicirt und von den übrigen nur 
die Weberjchriften nebft Anfangs» und Sclufworten wiedergegeben. 


562 


nostri decessu nebula luctuosi meroris obduxerat radio 
successivi sideris in accessu, Serenissimum prineipem domi- 
num K. Romanorum regem novum patrem suscitans pro 
defuncto, ipsum qui a teneris annis morum et virtutum lumen 
amictus sicut vestimento in candore justitie et prudentie 
precelleneia adolevit, pre consortibus unctus oleo letitie super 
thronum regni sui. Verum quia ad prosecutionem tanti 
assumpti negotii S. v. auxiliam et juvamen predicto domino 
K. est permaxime oportunum, S. v. humiliter supplicamus, 
quatenus aspirantes hujusmodi ipsius causam, ymmo totius 
reipublice nee non sancte ecelesie dignemini adjuvare ipsumque 
vestris in omni semper promptitudine mandatis jugiter pari- 
turum ad imperii de sacrosanctis vestris susecipiendum manibus 
dyadema, cum se facultas obtulerit, benigniter evocetis. 
Specialem ete. 


IT. (fol. 107) 


Littera missa pape per cancellarium et episcopum 
Olomucensem. 


Sanctissime pater et domine metuendissime! 

Quantum vobis in eterne letitie et gaudiorum attulerit 
quantisve celaritatibus corda nostra respersa fuerint, dum 
scripturas S. v. suaves tamque dulces et paterne benignitatis 
delinitas studio videremus, quas serenissimo et invictissimo 
prineipi et domino, domino K. etc. illustri domino gratioso 
S. v. provisio decrevit transmittere, et quantam consolationem 
inde sumpserimus, novit ille qui nichil ignorat et cui sunt 
abdita quevis humanarum mentium consilia manifesta; et 
revera, sanctissime pater, merito de tractivis sermonibus, 
quibus filii Belial, seminatores discordie, aures beatitudinis 
vestre fatigare presumunt, fidem non curatis apponere, pre- 
sertim in hiis, que prefatum dominum nostrum imperatorem 
conspieiunt, cum ipse ab ineuntis etatis sue primordiis virtuti 
et devotioni deditus, sanectam Dei ecclesiam et ejus anti[sti]tes 
tam piis quam etiam frequentibus fuerit promotionum et 
favorum beneficiis prosecutus, sicut etiam hujusmodi sue no- 
bilis intentionis initia grati[ils quidem continuavit mediis(?) et 
sollieitudine cottidiana produeit et auctoritate domini cunctis 
etiam futuris temporibus prosequetur. Et quia, sanctissime 
pater, juxta sanctissimi et salutaris vestri mandati conti- 
nentiam ad hoc frequenter totius mentis studio inniti volumus, 
qualiter erga sedem vestram et sanctitatis vestre honorem 
domini nostri conservetur affeetus, promoveatur voluntas, 
augeatur devotio et filialis dileetio roboretur, ideirco dignetur 
eadem $S. vestra hujusmodi vanis relatoribus, dum et quoties 


563 


talia scandala vobis referri econtingerit, non solum non credere, 
ymmo audientiam penitus denegare, ut prefatus noster do- 
minus fiat erga S. v. de filio devoto devotior, de prompto 
promptior et benignior de benigno, et nobis humillimis 
cappellanis vestris sit de tam suavi orbis prineipum conver- 
satione solatium et etiam exinde universalis ecelesia con- 
solaretur. 


Diefer Brief de8 Biſchofs Yohann von Olmütz, feit 1364, an 
den Papft bezieht ſich jedenfalls auf die wegen der Wahl Wenzels 
zum Römischen Könige im Jahre 1376 zwijchen dem Kaiſer Karl 
und Papſt Gregor XI. (1370 — 1378) entitandenen Zerwürf— 
niffe (j. Jenkner, Ueber die Wahl König Wenzels, Halle 1873 
©. 18 ff.). 

Die — folgenden vier Briefe Kaiſer Karls betreffen deſſen im 
im Anguſt und September d. J. 1360 unternommenen Feldzug 
gegen die rebelliſchen Grafen Eberhard und Ulrich von Würtemberg 
(ſ. Pelzel, Bd. II, ©. 644 ff.). 


II. (fol. 92) 


Imperator mandat cuidam ut cum paucis familiaribus ad 
eum veniat. 


Karolus ete. Fidelis dileete. Fidelitati tue injungimus et 
presentibus seriose mandamus, quatenus aliis postpositis tuis 
negotiis cum paucis familaribus et equis apud nos in Nurem- 
berg sis in dominica!.. absque more diffugio omnimode con- 
stitutus. Nam ex tunc tuo et aliorum baronum regni con- 
silio, quos ad eundem terminum vocamus, quedam necessaria 
auctore Domino tractabimus commodum nostrum et regni nostri 
Boemie continentia et honorem. Nullam in eo, sicut reetum 
ejusdem regni honorem diligis, negligentiam commissurus. 
Datum et cetera. 


IV. (fol. 92) 


Imperator hortatur quosdam, ut cum amicis suis veniant 
ad expeditionem. 


Fidelis dileete. Propter gwerram, quam auctore Deo 
illis de Wirtemberg potenter movere nostra proponit serenitas, 
tuam presentiam cognoscentes nostre celsitudini oportunam, 
seriose te requirimus et vocamus, quatenus statim visis pre- 
sentibus cum ceteris consanguineis, quos potesadducere, armis et 


ı Mad; Nürnberg, wo er am 20. Juni 1360 eintraf und bis Ende Juli 
verweilte, hatte der Kaifer die Grafen von Wirtemberg vorgeladen. 


564 


rebus ad hoc necessariis expediti ad nos, omni excusatione 
cessante, cum alia gente nostra de Boemia procedatis. Scrip- 
simus siquidem venerabili episcopo ete., ut tibi velit cum 
curru ad expeditionem, cum equis, vietualibus et aliis ne- 
cessariis bene munito ad necessitatem talis itineris sub- 
venire. 


V. (fol. 92) 


Item rogat, ut quidam veniat cum tota sua potentia ad 
expeditionem. 


Fidelis dileete! Vidimus et sane intelleximus tuarum 
eontinentiarum litterarum fidelitatem, sieut pridem petivimus, 
sic iterato attentius requirentes, quatenus ad diem et locum 
tibi per nos aliter designatos cum tota tua potentia talium 
quidem hominum, quos apud nos manere delectet, non qui 
petunt cottidie se remitti, ad nostram se transferre presentiam 
non obmittas. Hoc enim quamplurimum affeetamus, tam 
propter tue fidelitatis fidele consilium et auxilium hiis 
temporibus oportunum, quam etiam propter barones alios, 
quos exemplo tuo sieut ad obsequendum nostro culmini non 
ambigimus animari, sie per contrarium sua nobis sentiremus 
obsequia recordari. Nee tibi sit grave nos adire, licet cum 
sumptibus et impensis ; seiturus, quod super hiis ab omni te 
volumus dispendio indempniter relevare ete. 


VI. (fol. 92) 
Item hortatur quendam, ut veniat ad curiam celebrandam. 


Karolus ete. Princeps et avuncule carissime! Postquam 
debite pacis federa cum illustri.. tali ete.! aliisque prineipibus 
Alemannie, annuente Domino, reformata existunt , curiam 
generalem in Nuremberg in octava talis festi instantis? 
favente Deo intendimus celebrare. Verum quia nobile et 
excellens imperii membrum revera censeris, tuaque presentia 
eirca dietam curiam celebrandam quamplurimum oportuna 
existit, dilectionem tuam sincera fiducia deprecamur, quatenus 
antedictam curiam in prefato termino personaliter visitare 
nullatenus pretermittas, regie celsitudini et honori gratam in 
hoc complacentiam ostensurus. 


ı Gemeint ift hier jedenfalls der Herzog Rudolph IV. von Defterreich, des 
Kaiſers Schwiegerfohn, der fich bekanutlich mit den Grafen von Wirtemberg 
gegen Karl verbunden hatte, 

2 Diefe Verträge wurden Anfangs September d. 3. 1360 zu Eflingen 
geſchloſſen. S. Pelzel Bd. II, ©. 651 u. 652, 

3 Nad) Beendigung des Feldzuges in Schwaben hielt der Kaifer erft einen 
Reichstag in Mainz und traf jodann am 16, Dftober in Nürnberg ein, wo— 
jelbft er bis zum Mai d. J. 1361 verblieb. ©. Glafey, Anecdota ©. 
410 ff. 


565 
VII. (fol. 92—93) 


Item hortatur episcopum !, ut statim arripiat iter versus 
Romanam curiam. 


Princeps, eonsiliarfiJe et devote dilecte! Cordi gerentes 
quamplurimum et plenis desideriis affectantes, ut viam, quam 
ad Romanam curiam te nostra providit serenitas tuaque 
spopondit devotio transituram, absque more dispendio statim 
arripias et arripiendo proficias et consumas, eandem tuam 
devotionem affectuose requirimus et attenter rogamus, desi- 
derantes, ut statim visis presentibus ad presentiam nostre 
celsitudinis iter arripias, veniendi ita dispositus sieque sar- 
einulis tuis in domo tua dispositis, prout jam te hujus rei 
tempestive hec previdisse nequaquam ambigimus, quod in 
nostre sublimitatis presentia mox versus predietam curiam 
transeundi dirigas gressus tuos, nec illud te moveat quomo- 
dolibet ad morandum, quod dieta legatio apparet non esse 
taliter expedita, quia, hoc non obstante, sed considerato quod 
in majori parte effeectum quem desideramus est sortita, iter 
tuum valde te petimus et concupiscimus maturare. Ne vero 
nulla te surripiat ex eo perplexitas, quod nuper adversus illos 
de Wirtemberg certam gentis armate militiam ? a te duximus 
postulandam et nune velud actenus ad tale iter te providi- 
mus destinandum, ecce hoc ultimo a te benigne contenti, de 
diete gentis armate militia te presentialiter habere decernimus 
excusatum, sperantes indubie, quod presens negotium ita tibi 
sit cordi, sieut de dilectione qua nostros honores amplectaris 
a nostro culmine signanter volueris commendari. Datum ete. 


VII. (fol. 87) 
Item scribit Delphino Viennensi? de statu suo. 


Karolus ete. Illustris nepos* carissime! Scire velit tua 
dileetio, quod per Dei gratiam nos cum Serenissima ?® et cum 


1 Vielleicht ift hier der Biſchof Dietrich von Minden (1353— 1361), Erz. 
bifhof von Magdeburg (1361— 1367), der als Diplomat, Feldherr und Finanze 
mann bei Karl in hoher Gunft ftand, gemeint. S. Palady, Geld). v. Böhmen 
Bd. II (2), ©. 354. 

2 malitia Cod. 

s Karl, der nachmalige König Karl V. von Frankreich (1364 — 1380), der 
Schn König Johanns (1350—1364). Er wurde i. J. 1337 geboren und 
empfing 1349 das Delphinat. 

* Kaifer Karls Schwefter Jutta war an König Johann von Frankreich 
vermählt. 

— von Schweidnitz, ſeit 1353 mit Karl vermählt, ſt. d. 11. Juli 
1362, oder Eliſabeth von Pommern ſeit April d. J. 1363 mit Karl vermählt. 


566 


dilecto filio ! nostro ac filia ? plena corporis ac animi sospi- 
tate gaudemus et in omnibus nostris et imperii sacri negotiis 
feliciter prosperamur, id ipsum de serenissimo principe geni- 
tore tuo ac fratre nostro ac de te audire cordialiter affectan- 
tes. Ideirco rogamus tuam dilectionem presentibus seriose, 
quatenus de prefati genitoris tui ac tuo statu felici et pro- 
speris vite successibus nos velis tuis litteris pro singulari 
gaudio erebrius informare. Nam vestra corporalis sanitas et 
successuum vestrorum jocunda prosperitas parat nostri cordi 
letitiam singularem etc. 


IX. (fol. 87—88) 
Item scribit @. de Medioluro® de stalu suo. 


Karolus ete. Fidelis earissime! Auctore benignissimo do- 
mino Jesu Christo sua benignitatis clementia illud disponente, 
feliciter una cum liberis nostris corporis incolumitate gaude- 
mus et in omnibus agendis nostris eirca partes Alemannie 
et regni nostri Boemie ac vieinarum regionum optata pro- 
speritate potimur; de te nee non dilectis consanguineis nostris, 
tua consorte', filio tuo? et conthorali ipsius ® dulces novitates 
et placidas semper desiderantes audire et potius propris 
oculis intueri; et de sinceritate tam constantis et solide dilee- 
tionis et fideiÄ, quibus, sicut nobili familiare tuo referente 
cognovimus, erga personam nostram et sacrum Romanum 
imperium indesinenter afficeris, multum contentatur nostra 
serenitas tibique grates inde referimus, volentes Dei adjutorio 
non solum tibi verbis aut scripto respondisse pro talibus, sed 
oportunitate nacta, et dum conditio tue sortis illud exigerit, 
hujusmodi tue dilectionis et fidei meritis gratis beneficiorum 
fructibus, celarissimis etiam operum indieiis gratiosius respon- 
dere, desiderantes attente et hoc a te specialis hortiminis 
studio deposcentes, ut nos de tuo consortis tue nec non filüi 
tui et ejus uxoris, neptis nostre, statu et successu felicibus 
velis ad singulare solatium tuis litteris multoties informare. 
Nam tua et ipsorum corporalis sanitas et prosperitas disposi- 


ı Menzel, der nachmalige Römiſche König, geboren an 26. Februar 1361. 

2 Elifabeth, geboren den 18. März 1358. Dieſer Brief müßte aljo hier: 
nach zwiichen den Jahren 1361 u. 1364 geichrieben fein. 

3 Galeaz II. Bisconti, Reichsvilar. Er wurde i. 3. 1372 mit der Reicht: 
acht belegt. Schon i. 3. 1368 fämpfte er mit feinem Bruder gegen ven 
Kaiſer. 

Blanca Maria von Savoyen. 

5 Johann Galeaz geb. 1357. 

° Iſabella, Tochter des Königs Johann von Frankreich, jeit dem Jahre 1360 
mit Joh. Gaieaz vermählt. Da num der Kaifer in diefem Briefe nur feine 
Kinder, nicht auch feine Gemahlin erwähnt, fo ift anzunehmen, daß er ihr 
zwiichen dem 11. Juli 1362 und April 1363 (f. oben ©. 565 Note 5) ge 
jchrieben habe. 


567 


tione Dei jocunda cordi nostro procul dubio paruit letitiam 
specialem, nee te moveat prefati familiaris tui diuturna ab- 
sentia, si forte ultra creditum sibi tempus moram traxit in 
nostri presentia, cum preter voluntatem suam ipsum tenueri- 
mus ad hoc specialiter, ut de nostro statu et successibus te 
ipso redeunte possemus plenius et-sufficientiusinformare, sicut 
etiam ipse de hiis, que vidit et expertus est in tempore 
demorationis, quam fecit, te debebit et poterit luculentius 
docere. Datum ete. 


X. (fol. 80) 
Imperator restituit R. de Warth pristinas libertates, eo quod 
propter excessus patris etc. ! 


Karolus quartus ete. Nobilitas innate nobis clementie 
in hac precipua et in evidenti claritate refulget et cesaree 
benignitatis claret mansueta proceritas, si miseremur excessi- 
bus et illis indulgemus obnixe, qui non proprio sed alieno 
reatu laborant, et tanto nostri creatoris fiducialius imitari 
speramus exemplum, quanto benigniore consilio subjectorum 
nobis fidelium excessibus miseremur. Sane cum nobilis R. 
de Warth, nunc familiaris consiliarius domesticus et commen- 
salis, fidelis noster dileetus, propter excessus notabiles olim 
R. de Warth genitoris sui, qui dive recordationis Albertum 
quondam Boemie regem depravate sortis malitia occidisse 
refertur, adeo jura sua, perdiderit, ut per sententiam diffini- 
tam celebris et recolende memorie divi H. quondam Romani 
imperatoris, avi nostri karissini, una cum suis fratribus reus 
Judicatus fuerit eriminis lese majestatis, nos attendentes, qua- 
liter publice fame docente relatu idem R. junior, ut premit- 
titur, tempore patrati sceleris et dum pater ejus talem reatum 
committeret minorennis extiterit, consideratis etiam moribus 
et laudabili conversatione dieti R. familiaris nostri, satis 
evidenter nobis sue virtutis exempla demonstrantis, eum circa 
paternos conatus non debere culpari, qui probitati et virtuti- 
bus frequenter nititur, sicut hoc cottidianis ipsius actibus 
experimur. Quapropter maturo prineipum baronum et procerum 
nostrorum accedente [consilio], animo deliberato, non per errorem 
aut improvide, sed de certa scientia ac de plenitudine impe- 
ratorie potetastis, predictum R., heredes et successores suos 
ad omnia jura, privilegia, libertates, status, conditiones et 
gratias, quibus progenitores eorum jure et observata consue- 
tudine freti sunt actenus, plene reducimus, decernentes, quod 
omnibus juribus, privilegiis, libertatibus, statu, conditionibus 
et gratiis potiantur et gaudeant, quibus ante patrationem 
dieti excessus paterni gaudebant, quodque excessus hujusmodi 


I Bergl. hierzu die Urkunde Nr. 510 bei Glafey, Anecdot. ©. 636. 


568 





eis in vitium imputari non possit seu valeat, de plenitudine 
dicte potestatis cesaree presentibus declaramus, non obstanti- 
bus legibus, constitutionibus in contrarium, quibus omnibus, 
si et in quantum presenti nostre restitutioni et declarationi 
in aliquo obviare censentur, penitus derogamus, supplentes 
omnem defectum, si quis ex defectu solempnitatis obmisse 
obscura vel dubia interpretatione verborum sive quovis modo 
alio compertus fuerit in premissis. Nulli ergo homini liceat 
hance paginam infringere seu ei ausu quolibet temerario 
contraire sub pena 1000 marcarum auri purissimi, quas ab « 
qui contra fecerit toties quoties contra factum fuerit irremi- 
sibiliter exigi volumus et earum medietatem nostri imperialis 
erarii sive fisci, residuam vero partem injuriam passorum 
usibus applicari etc. 


Fragment eines mitteldentichen Formelbuces 
aus dem Ende des 13. Jahrhunderts. 
Mitgetheilt von M. Perlbad). 


Die im folgenden bejchriebenen Fragmente eines Formelbuches 
jtehen auf zwei Pergamentblättern, mit denen die Innenſeite der beiden 
Deckel einer Basler Ausgabe der Legenda aurea von 1486, auf 
der Bibliothek zu Königsberg !, beflebt war. Beide waren gefaltet 
und bildeten die äußeren Glieder einer Yage, deren innerſtes Blatt 
fehlt: es ergiebt fich dies, abgejehen von dem Inhalt, fchon daraus, 
daß das eine Blatt, feltfamerweije auf der Innenſeite?, mit XXXIIII 
und XXXIX, das zweite mit XXXV und XXXVIII (ebenfalls 
innen) fignirt it: fol. XXXVI und XXXVII dagegen fehlt. Auf 
jeder Seite ftehen auf braunen Linien in 2 Spalten 46 Zeilen, 
ſämmtlich von derjelben Hand, die Ueberfchriften find in roth ausge: 
führt. Die Schrift gehört dem 14. Jahrhundert an. 

Der Inhalt giebt ſich jofort als Formelbuch zu erfennen, zeichnet 
ſich aber dadurch auf den erjten Blid vor allen übrigen bisher pu— 
blicirten derartigen Stüden aus, daß durchgängig je 2 Briefe (mur 
aus jolchen befteht das Fragment) al8 Auftrag refpective Anfrage 
und Antwort zujammengehören. 26 folder Paare find volljtändig 
erhalten, 2—14 und 16—29°: von 1 ift nur die Antwort vorhan- 
den, von der Anfrage nur eine Zeile, von 15 fehlt die Autwort, von 
16 die Aufforderung, beide bildeten Anfang und Schluß der fehlenden 
fol. XXXVI—XXXVIT; 30 befteht nur aus einer Zeile. 

Leider gehört unfer Fragment zu derjenigen Klaſſe von Formel— 
büchern, deren Benutung für den Hiftorifer eine precäre ift, da bie 
Namen faſt ganz ausgelajjen find: nur zweimal 17a und b und 19a 
wird der lantgravius Thuringie, das erfte Mal G., das zweite H. 
genannt. Wichtiger ift die Ueberfchrift von 21: princeps prineipi 
ut bona Moguntine ecclesie restituat; gleid) darauf ift von einer 
langen Sedisvacanz der erwähnten Kirche die Rede. 


1 Incunab. Nr. 1457 (altes Zeichen Zz 63.): Legenda sanctorum 
alias Lombardica historia. Am Ende: impressa Basilie et felieiter 
consummata per Nicolaum Kesler sub anno domini millesimo qua- 
dringentesimo octogesimo sexto die vero 25. mensis Junii. 

2 Mir bezeichnen daher die äußeren Seiten mit XXXIIII. ꝛc. 

3 Die Zahlen Haben wir der Weberficht megen zugeſetzt. 


XIV. 38 


570 


Am längiten war der Mainzer Stuhl im Mittelalter, ſoweit es 
für uns in Betracht fommen kann (13.—14. Jahrhundert), nad) 
dem Tode Werners von Eppenftein, nämlid) vom 2. April 1284 — 
25. Mai 1286, erledigt !; Nr. 21. dürfte alſo in die nächjte Zeit 
nach dem Mai 1286 nad) dem Antritts Heinrichs von Isny fallen. 
Damit haben wir wenigftens einen feiten Punft gewonnen. 

Ein beftinmter Plan in der Anlage unjerer Sammlung ift un- 
ſchwer zu erfennen: fie war für die Curie eines weltlichen Fürſten 
beftimmt. Schon äußerlich theilt fie fih in 2 Abfchnitte, deren 
Uebergang leider fehlt: Correipondenz des Fürften mit einen Grafen, 
2—15, und Schreiben an Fürften 16—27 ?, Es beziehen fich ferner 
1 und 2 auf die Beſchützung der Geiftlichkeit; 3, 4, 8 und 9 auf 
die Belehrung von Bajjallen; 6, 11, 12, 13, 14, 16, 17 u. 21 
auf den Streit eines weltlichen Bürjten mit einem Biſchof oder Erz 
biſchof; 5, 10, 15, 22, 23 handeln vom Kriege zwifchen zwei Fürjten 
überhaupt, 24 von dem eines Fürſten mit einem dux; in 18, 19, 
25, 26, 28 u. 29 ijt von Beläftigungen der Unterthanen durch 
Nachbarfürjten die Rede. Ganz allein ftehen 7, 20 u. 27 da: in 
7 fordert der Fürſt einen Grafen auf für befjere Verwaltung feines 
Erbtheils zu forgen, in 20 bittet er einen Fürſten um Nachrichten 
über die Abfichten des Königs auf gewilfe Länder, in 27 verfpridt 
ein Vater feinem vertriebenen Sohn Beiltand. 

Die einzige Gruppe, welche einen Anhaltspunft gewährt, ijt die 
dritte, die Streitigkeiten mit dem Bischof. Wir werden wohl nicht 
irre gehen, wenn wir gejtütt auf Nr. 21 diefen durchgängig für den 
Mainzer halten *, im Streit mit ihm ift nach 16® und 17® ein dus, 
der fich felbft Al. nennt: damit dürfte wahrfcheinlich Herzog Albrecht 
der Große von Braunſchweig-Lüneburg gemeint fein, der in langen 
Hader mit dem Erzbischof Werner von Mainz lag’. Faſt Hat es 
den Anschein, als ob ſich Nr. 17 auf einen Vorfall aus dieſein Streite, 
der urkundlich bezeugt iſt, bezieht: der Erzbiſchof, berichtet der Land» 
graf von Thüringen einem Markgrafen, Habe einen von ihm felbit 
vorherbeftimmten Termin zur Briedensverhandlung nicht eingehalten 
unter dem Vorwand, die von den Parteien anerkannten und vom 
Könige eingejetsten Schiedsrichter habe er nicht angenommen. Wir 
wifjen aus einer Urkunde, daß der Erzbifchof in der That 1269 am 
Montag vor Petri Stuhlfeier (18. Febr.) auf einem Tage in Caſſel 


1 Potthast, Bibliotheca Supplem. 354. 

2 Bei 1, 23—30 fehlt die Ueberjchrift. 

° Dazu jcheint auch Nr. 22, die ſich an 21 anichließt, zu gehören: die 
rebelles in 21 find wohl mit den profugi in 22 identiſch. 

* Daß er häufig nur episcopus genannt wird, flört nicht: ift doch in 
Nr. 21 jelbft nur dom dominus episcopus die Rede, in 17b wird diejelb: 
Perſon zuerft als archiepiscopus, fodann als d. episcopus bezeichnet. 

5 Bgl.- Ropp, Werner v. Mainz S. 139. Auf die Siglen ift jedod 
fein Gewicht zu legen: jo heißt der lantgravius in 16b u. 19% (Thhuringie) 
H., in 176 G. (Thuringie), der marchio in 17° u, 18% Jo., in 176 H. 
der dux in 16b Al., in 18b H. 


571 


ausblieb !: der König, zu dem ich nach 17 alsdann der Herzog 
begab, wäre demnach Richard von Gornwallis gewefen, der urkund— 
lic) bei einer neuen Appellation des herzoglichen Geſandten in Mainz, 
Pfingften 1269 anweſend war *. 

Einen weiteren Anhalt giebt Nr. 20: ein Fürſt bittet einen an— 
deren, ihm die Pläne des Königs mitzutheilen, ob er ein gewiſſes 
Pand für das Weich durch jeine Beamten verwalten lajjen wolle ®: 
er befommt die Anwort, daß dies in der That die Abficht des Königs 
fei, er wolle die Verwaltung einem Hauptmann anvertrauen. Die 
Bermuthung liegt nahe, diefes Schreiben auf König Rudolfs erften 
Zug gegen Ottofar von Böhmen zu beziehen, 1276. Wir hätten 
demnach für Nr. 17: das Jahr 1269, Nr.20: 1276, und Nr.21: 
1286 (f. oben) gewonnen. Docd ijt damit nicht bewieſen, daß wirf- 
(ic unferer Sammlung authentifche Briefe zu Grunde liegen. Schon 
die fortlaufende Neihe von Schreiben und Antwort muß mindeftens 
dies fraglid) machen; ein ſolcher Briefwechjel ift wohl faum im da= 
maliger Zeit erhalten. Dazu kommt, daß ſich der Styl eines und 
dejjelben Schreiberd nicht verfennen läßt: auffällige Wendungen 
fehren mehrfach, wieder, jo der Gebrauch von emuli für Feinde, potesta- 
tiva violencia rejp. presencia 8° u. 20°, pacem reformare (ſehr 
oft), strepitus disceneionis und strepitus guerrarum 28° u. 24* 
u.a. m. Die Form, in der uns diefe Briefe jet vorliegen, ijt 
daher wohl eine freie Bearbeitung; bei einigen aber dürfte, wie wir 
nachzuweifen verfucht haben, ein Bezug auf die zeitgenöffifche Politik 
vorhanden fein. 

Die Ueberlieferung unſeres Fragmentes ift feine zufriedenftellende. 
Abgejehen von mehreren Löchern im Pergament %, liegt uns nur eine 
fehlerhafte Abjchrift vor, wie die zahlreichen Irrthümer, Echreibfehler, 
Auslaffungen, Verwechſelungen, bejonders vester und noster, dar- 
thun. Unſere Abfchrift gehört dem 14. Jahrhundert an, das Original 
kaun alfo wohl noch ins 13. fallen. 


Ueber den Ort, wo unſer Formelbuch zufammengeftellt ift, laſſen 
ſich kaum Vermuthungen ausſprechen. Mainz und Thüringen werden 
genannt, Braunjchweig glauben wir ergänzen zu können; in Mlittel- 
deutjchland wird alfo die Kanzlei zu juchen fein, für die es ange— 
fertigt wurde. 

Der Fundort gewährt leider auch nicht den geringften Aufſchluß 
hierüber. Es läßt fich nicht einmal feftitellen, warn die betreffende 
Incunabel Eigenthum der Königsberger Bibliothef geworden iſt, 


! Orgines Guelf IV, I2 N. 

2 ib. 14 MN. o 

s ut ipsam terram occupet, oceupatam usibus imperii deputet et 
deputatam per officiorum suorum preseneiarum potestativam ab hostili- 
bus incursibus tueatur, 

“Mo wir diefelben ausfüllen konnten, ift dies durch Klammern an— 
gedeutet. 

38* 


572 


ebenso fehlt jedes Merkmal eines früheren Befiters!. Nur das if 
far, daß erjt nad) 1486 die Fragmente Bejtandtheile derjelben ge— 
worden fein fönnen. 


Da ein Abdrud des Ganzen kaum gerechtfertigt fein würde, 
find hier nur die durch die bejprochenen Namen bemerfenswerthen 
Nr. 16—21 mitgetheilt, die zugleich eine Probe von dem Charafter 
der ganzen Sammlung geben. 


XVI. 


....ꝰ affini® suo karissimo H. lantgravio Al. dei gracia 
dux de . . dilectionis et sincere amicicie inerementum. Cum 
dominus archiepiscopus super reformande pacis articulos una 
nobiscum in arbitros consenserit et arbitrio promulgato super 
singulis et omnibus in eo contentis fideliter et inviolabiliter 
observandis omnimodam voluntatem obtulerit*, approbante 
multorum nobilium testimonio, miramur, quo consilio sedue- 
tus in promisso inveniatur negligens et remissus. Verump- 
tamen non attendendo °, qualiter in hoc facto se res habeat, 
ad celebracionem colloquii prenotatis die et loco, veluti 
postulastis, vita nobis comite honorifice veniemus. 


XVII. 
Princeps principi ut sibi scribat tractatum colloquii. 


Preclaro prineipi lantgravio Thuringie Jo. dei graeia 
marchio .. ad quevis beneplacita sincere promptitudinem 
voluntatis. Quia minus bene ab aliquibus prineipibus possit 
eredi, ne dominus archiepiscopus tante humilitati animum 
suum submiserit, ut ad satisfactionem super emundacione 
offensarım se paratum offerat tali prineipi, vestram sinceri- 
tatem petimus intimo ex affectu, quatinus, si rei geste modum 
nostre aperiatis noticie, finalem tractatum colloquii habiti 
inter predietum archiepiscopum et ... ea precipue racione, ut, 
si indeterminatus recessus a colloquio aliquid odii vel rancoris 
videtur ingerere, super qualitate eujusdam negocii diligens 
serutinium habeatis. 


ı Der Band ift in ftarfe Holzdedel, die mit Leder überzogen find, gebunden, 
in letzteres find beraldifche Lilien eingepreßt. Nandbemerkungen finden fich nur 
ganz unmefentliche, fo fol. 1 von einer Hand sec XVI. primus sexternus, 
fol. 160* mantel schief, fol. 162‘ humiliter, omnino, fol. 163 non ä. 

2 XXXVIIL, Sp. 1. 

® Veber die Lücke |. Einleitung. 

* obtulerint Msc. 

5 attendo Msc. 








573 


Glorioso prineipi H. marchioni .. G. dei. graeia lant- 
gravius Thuringie ad beneplacita se paratum. Convocatis ex 
parte dueis multis nobilibus ad confirmandum feliciter traeta- 
tum colloquii, ceujus diem et locum dominus archiepiscopus 
prefixerat, pro ordinanda inter ipsum et predietum ducem 
sponsione amicabili, omnia et singula, que tenor continet ar- 
bitrii promulgati, revocare conabatur. dominus episcopus, af- 
firmans se non consensisse in arbitros elecetos et constitutos ! 
per potestatem regie majestatis. Hiis auditis dux assumptis 
arbitris ad regis accessit presenciam, proponens que propo- 
nenda fuerant de arbitrii articulis per dominum episcopum 
nullatenus attemptandis. Rex vero moleste ferens et de se(!) 
delusum dolens, contra archiepiscopum graciose in partem 
dueis subito se convertit. 


XVII. 
Princeps principi, ut homines suos detineri non faciat. 


Illustri duei de... Jo. dei gracia marchio .. paratum 
animum complacendi. Nunciantis fame eloquio accepimus, 
quod per incitamenta vestrorum civium, qui per distrietum 
nostrum noeturno tempore transeuntes rerum suarum passi 
sunt dispendia, nostros detineri jusseritis® homines, per 
quorum detensionem (!) eonsequatur recuperacio ablatorum. 
Quod considerantes improvide factum, vestram amicieiam de- 
precamur, quatinus nichil acceptamenti transferri jubeatis in 
molestias et dampna nostrorum hominum, quare si cives 
nostri eorum injurifa]tores in terra nostra deprehenderint, 
i[psils exhibebimus habundanter justicie complemfentum]. 


Inclito marchioni .. H. dei gracia [dux] de ... sincerum 
in omnibus affeetum ........ .° nolentes a nostris eivibus 
proteetionis nostre graciam pro restituendis bonis eorum 
ablatis in jurisdietionis vestre terminis, inquisicionem per 
nostri mandati rigorem fieri petimus diligentem. Recepit 
enim verisimilitudo, quod extraneorum hostilis incursus in 
distrietu nostro spolia non presumat committere ignorantibus 
vestris advocatis, qui subditis vestris per vestram potestatem 
sunt prefeeti. Super impedimento ordinando vestris hominibus 
respondemus, quod a recepeione preseneium infra 9 mensium 
spacium vestris ciibus per terram [nostram] liber patebit ®, 
spe prorogata de restitucione plenaria ablatorum. 


1Sp. 2. 

2 inseritis Msc. 

3 So) im Msc. 

* transitus fcheint zu ergänzen zu fein. 


574 


XIX. 
Princeps principi, ut indebite usurpaciones restitui faciat. 


Excellenti prineipi duci.. H. dei gracia lantgravius 
Thuringie sinceritatis affeetum. Nostrorum fildelium] molesta 
relacione accepimus, [quod] ad[vocaltus! vester in tali 
distrietu per vestram magnificenciam constitutus ursurpacionis 
manum non cohibet a subditorum nostrorum possessionibus, 
quas curie vestre adjudicat, juris ordine pretermisso. Cumque 
nee deceat nec expediat, ut nostrorum hominum injuriosa 
dispendia vultu dissimulacionis pretereat vestre magnificencie 
sublimitas, placeat vobis retractare, quod per vestrum advoca- 
tum factum est illieite, ne insufficientes ad nostrorum pre- 
sidia censeamur. 


Cognitis hiis que contra advocatum nostrum proponit 
vestre querele continencia et comparente advocato didieimus, 
quod bona que adjudieata dicerentur? nostre curie, quondam 
possedit quidam nostrorum fidelium, qui ea a manu nostra 
tenuit tytulo feodali, quo mortuo et nullo herede superstite 
vestri advocati, eo quod metis vestris essent contigua, vestro 
applicabant dominio, nostrorum officialium negligencia ad- 
mittente. Unde revocacionem predietorum bonorum illieitam 
non [nomilnetis, cum justa de causa facta 'sit [revo]cacio 
eorundem. 


XX. 
Princeps prineipi, ut sibi.......... regiam? 
voluntatem. 


Multorum nobilium tenet credulitas, quod regalis potestas 
suos processus intendat committere ad partes ea racione 
potissime, ut ipsam terram occupet, occupatam usibus imperii 
deputet* et deputatam? per officiorum suorum presenciam 
potestativam ab hostilibus incursibus tueatur. Denique cum 
de statu regalis eurie plena vobis ® sit noticia, eo quod ne- 
gociorum prolixitas vos’ in ea detinuerit, petimus intimo ex 
affeetu, quatinus super regie voluntatis finali proposito hesi- 
tanti nostro animo aperiatis certitudinem, üt nostre patule 
aures a multiplici rumorum tedio conquiescant °®. 


1 pn. XXXVIO. Sp. 1. 

* dicantur ausgeftrichen Msc. 

3 Loch; denunciet wird zu ergänzen fein. 
* deputetur Msc. 

5 deputatum Msc. 

® nobis u. nos Msc. 

” detinuetur Msc. 

8 conquiviscant Msc. 


575 


Quamvis diffieile sit occulta regum perserutari lucide et 
aperte intelligere sue voluntatis propositum, ad [satis]facien- 
dum tamen vestris desideriis [vobis] dfux]jimus declarandum, 
quod regalis ' intentio ad hoc plene dirigitur, ut terminos 
terrarum, quibus tales prineipes predominantur sue subiciat 
dcminationi, et postquam rex terras predietas sibi subjugaverit, 
capitaneum in eisdem substituat, coram quo ventilentur liti- ‘ 
gia et cause, sicut consuetum erat, in presencia prineipum, 
quando sua dominia gubernabant. 


XXI 
Princeps principi, ut bona Moguntine ecclesie restituat. 


Post diutinam vacacionem dominus dignatus est provi- 
dere ecclesie de pio pastore et ydoneo, qui seit potest et 
vult viduatam diu ecelesiam juri suo restituere, proscriptis 
rebellibus et fidelibus, quos injuriosa violencia compulerat ? 
experiri exilium, ad sinum pacis et gracie revocatis. Sane 
cum pro? illieita detentacione bonorum ecelesie contra vos * 
sit mota questio coram rege per dominum episcopum, consul- 
tum et utile estimamus, ut amicabilis composicionis interve- 
niente formula restituatis que restituenda sunt ecelesie 
prenotate. 


Hortamentis vestre affeetuose sinceritatis nolentes con- 
traire in aliquo, juxta vestre dominationis consilium reformari 
volumus, petentes omni studio et affeetu, ut in taliloco et die 
nostram exspectetis presenciam, quia de bonis restituendis 
ecclesie prediete vobiscum specialem tractatum habebimus, 
quid expediat vel deceat in premissis. 


I galis Sp. 2. 

3 compleverat Msc. 
® per Msc. 

*“ nos Msc. 


Zur Geſchichte Conradins. 


(Fortfegung von Band XI!) 
Bon A. Buflon. 


3. 
Der Tag des Ausmarfdies aus Rom. 


Die Frage, an weldhem Tage Conradin an der Spite feines 
Heeres zum Entjcheidungsfampfe gegen Karl von Anjou Rom ver: 
ließ, ijt im nenefter Zeit mehrfach ventilirt worden. Es Handelt fid 
um die beiden Daten 10. oder 18. Auguft, um die Angabe Billanis 
auf der einen, des Ptolemäus von Lucca auf der andern Seite. 
Während die älteren Darjteller, unter den neneren auch noch re: 
gorovius und Keumont, durchweg den Ptolemäus bevorzugen und mit 
ihm den 18. Aug. al8 Tag des Ausmarfches annehmen, entichied ſich 
Del Giudice, wie früher bereits Böhmer ?, für Villanis (refp. des 
noch als echt geltenden Ricordano) Angabe, für den 10. Auguft ®. 
Daſſelbe that, durch die gleichen Gründe bejtimmt, auch Schirr— 
macher *. Gelegentlich hat ſich auch Sceffer-Boichorft für den 10. 
Auguft ausgefprocen ®. 

Trotzdem glaube ich, daß die ältere Anficht das Wichtige ge- 
troffen hat, und daß der 18. Auguft als Tag des Ausmarfches ganz 
entfchieden feitzuhalten iſt ©. 

Del Giudices Gründe, die, wie bemerft, von Schirrmacher 
adoptirt wurden, mögen hier vollftändig Plat finden”: mon mi 
sembra verosimile, che essendo Corradino uscito di Roma il 

2 Zu dem Forid. z. D. G. XI, 135 Beröffentlichten über den falſchen Eon- 
radin trage ich Hier nad) die Stelle Ann. Basil.M.G. SS. XVII, 194, zu 1270: 
Per Basileam transivit quidam Stochieinus nomine, qui dicebat se esse 
Conradinum, filium regis Conradi, quem Carolus frater regis Francie 
cum 3 nobilibus fecit decollari. 

? Reg. Conrads Nr. 55b. 

® Cod. dipl. Ang. Ilse, ©. 186, 

Letzte Hohenftaufen, S. 571 Anm. 4. 

5 Archiv der Gefellich. XII, 466 u. Anm. 1. v. Sybel, Zeitihrift XX VIII, 438. 

° Mid veranlaft auf diefe Detailfrage hier einzugehen eine im Innsbruder 
hiftorifchen Seminar vorgelegte Arbeit von Herrn Anton Nagele, die zur dem 
meiner Anficht nad richtigen Reſultat gelangte, ohne daß id) die dafür geltend 
gemachten Gründe alle billigen konnte. 

"Aa. O. ©. 186 Anm. 


577 


18. con tutto il suo esercito (meglio che sei mila cavalli oltre 
i fanti) avesse potuto trovarsi pronto alla battaglia nel 22. 
Agosto nei campi Palentini. In questa lettera che Carlo 
scrisse al pontefice, leggesi, che l’Angioino per tre giorni e 
per tre notti (anzi per quattro, come dalla lettera à Padovani) 
segui passo passo le mosse dell esereito Alemanno, il quale 
giä giunto & confini andava cercando il luogo, onde potesse 
piü sicuramente entrare nel regno. Se per tre giorni l’ esercito 
di Corradino vagffö per la regione Marsicana, si deve dire, 
che era giä giunto a confini nel 19. Agosto; e si può credere, 
che ciò avesse potuto avenire, partendosi il 18. da Roma? 

Die Gründe diefes Naifonnements find für mich durchaus nicht 
überzeugend. Die Strede von Nom bi8 auf die palentifche Ebene, 
auf der am 23. Augujt gejchlagen wurde, ijt doc Feineswegs jo 
groß, daß fie nicht vom Conradinifchen Heer in den fünf Tagen vom 
18—22, Auguft mit größter Bequemlichkeit, alle Schwierigfeiten des 
nöthig werdenden Gebirgsübergangs in Rechnung gezogen, hätte 
zurückgelegt werden fünnen!. Aa man wird gerade umgefehrt bei 
Anfegung des Ausmarjches auf den 10. Auguft an dem Umſtand 
den größten Anjtoß nehmen müſſen, daß Gonradin, für den bei 
Lage der Dinge alles auf Schnelligkeit anfam, auf den Eurzen Weg 
von Nom fo lange, foftbare Zeit vergeudet Haben fol. Man müßte, 
um diefe Zeit auszufüllen, entfchieden mehr Raſttage als Marſch— 
tage annehmen?. Meiner Anficht nach) Sprechen die innern Gründe 
möglichit entfchieden für den 18. Auguft als Tag des Aufbruchs 
aus Rom. 

Indem ich die Gründe, die Del Giudice dem von ihm oben er- 
wähnten Brief Karls für feine Anficht entnehmen zu können glaubt, 
vorläufig unberücjichtigt laffe, wende ich mich zunächſt zu den in 
Betracht fommenden Quellenjtellen. Ich beginne hier mit der Nach— 
richt, die mir für die Trage unbedingt entjcheidend zu fein fcheint, 
mit der, die uns die ftet8 gut unterrichteten * Annales Placent. 
Gibellini bieten*: Et motus rex Conradus a civitate Sene . 


1 In diefer Beziehung fcheinen mir die auf perfönliher Durchforfchung 
der in Frage kommenden Gegend beruhenden Ausführungen Naumers, der jelbft 
den Ausmarſch Conradins auf den 18, Auguft anſetzt, durchaus maßgebend zu 
jein, Hohenftaufen 2. Aufl. IV, 555 ff. 

2 Darauf hat in anderer MWeije jchon Naumer IV, 555 Anın. 1 hinge— 
wiefen: „Nach Malefpini c. 192 brach Conradin bereits am zehnten Auguft 
von Rom auf, und müßte fi) dann freilich) zu Tange in Tivoli aufgehalten 
haben; Raynald, Ann. 8 29, hat dagegen den 18, was mit der Entfernung und 
der Ueberrafhung Karls beffer paßt und, wie es jcheint, auf ardivalifchen 
Nachrichten beruht“. 

8 Allerdings bat Del Giudice gegen einzelne Nachrichten der Annalen 
Zweifel erhoben, jo Cod. dipl. IIs, ©. 149 Anm. 1, S. 160 YAum. 1, wos 

egen Scirrmader a. a. U. ©. 567 Anm. 95 die Annalen vertheidigt, dann 

5. 155 Anm. 1, wogegen wieder Scirrmader ©, 568 Anm, 98 zu ver- 
gleichen — problematiſch S. 214 Anm. 1. 

S. 528. 


578 


equitavit Grossetum ... Et die 24. mensis Julii intravit 
Romam cum tota gente sua ... et mora facta in urbe per 
26 dies, habito consilio dieti senatoris et prineipum Romano- 
rum .. cum rex Conradus non posset per pontem de Ce- 
perano iter facere, per terram de Bruzio cepit festinare gres- 
sus suos. Durch die Angabe des Tages der Ankunft und die An— 
gabe der Dauer des Aufenthaltes wird der Tag des Ausmarjches 
hier beſtimmt — aber leider, wie zugejtanden werden muß, im nicht 
vollkommen unzweidentiger Weiſe. Schirrmacher ? bezieht die Angabe 
der Annalen auf den 19. Auguft — er zählt die 26 Tage der 
Annalen vom 25. Juli und nimmt den 26. Tag als Tag des Aus— 
zugs an. Mit demjelben Recht kann man aber aud) die 26 Tage 
Aufenthalt buchjtäblich nehmen, indem man weder den Tag der Ans 
funft noch den des Ausmarfches in fie einvechnet — dann käme man 
auf den 20. Auguft als Tag de8 Auszuges. Oder man kann aud 
das von den Annalen gegebene Datum der Ankunft, Juli 24, in bie 
26 Tage mit einbeziehen ?, und käme damit auf den 18. Auguft als 
Tag des Auszugs?. 

Um jeden falfchen Eirfel möglichit zu vermeiden, wollen wir uns 
zunächit auf das von diefen Möglichkeiten unabhängige Reſultat be= 
Ichränfen, daß nämlich diefe durd) die Zuverläffigfeit ihrer Angaben 
ausgezeichnete Quelle durch die Mittheilung der Dauer von Conradins 
Aufenthalt in Rom die Annahme des 10. Auguft als Tag des Auszugs 
bejtimmt verbietet, und vielmehr je nach der verfchiedenen Zählung 
auf die Tage vom 18.—20. Auguft verweilt. Neben den Ann. 
Placent. verdienen andere Quellen, die in mehr oder weniger unbe= 


ı 9%. a9. ©. 571 Anm. 4. 

2 So redynet Del Giudice a. a, DO, 

3 Eine fefte Negel, wie in ſolchen Fällen die Annalen zählen, wird fid 
kaum ermitteln laſſen. S. 563. Montag, 22. Juni ftirbt Papft Innocenz V., 
Samftag, 11. Juli wird fein Nachfolger Adrian V. gewählt, et die martis 
18. Aug. obiit. Adrians Tod wird S. 564 nochmals erwähnt mit dem Zu- 
fa: qui vixit 38 dies — dabei ift entweder der Wahltag, oder der Todes- 
tag mit eingerechnet. 

©. 564, Dienftag, 8. September wird Sohann XXI. gewählt, ©. 568 
fein Tod zum 20. Mai berichtet mit der Bemerfung: vixit.. 8 menses et 
13 dies. Bei den 13 Tagen ift der 8. Mai und der 20. Mai, ber Todes⸗ 
tag, mitgezählt. 

©. 569. Die Neuwahl erfolgt Nov. 25, et cessavit apostolatus sex 
menses et 6 dies — dieje ſechs Tage ergeben fi, wenn man den 20. und 
25. in fie einrechnet. 

©. 572. Nicolaus III. ftirbt Donnerftag 22. Auguft, vixit.. per duos 
Bet et 8 menses et 23 dies — hier hat der Annalift ſich offenbar 
verzählt. 

. 573. Die iovis 4. mensis Sept. dietus marchio .. venit ad 
———— ad Meregnanum, deinde in guastis Laude, et stetit ibi 
per 15 dies, et die Mercurii 17. Sept. recessit. In dieſer Stelle werden 
die 15 dies offenbar analog dem italieniſchen quindici giorni gleich unfern 
„vierzehn Tage” gebraucht. 


579 


ftimmten Ausdrüden von einem kurzen Aufenthalt Conradins in 
Nom reden, kaum Beachtung !. 

Mit dem jpäteren Ausmarſch fteht nun aud) der Brief Karls 
von Anjou, den Del Guidice für den 10. Auguft geltend machen zu 
fünnen glaubte, gewiß nicht im Widerjpruch, vielmehr im jchönjten 
Einklang. Es iſt der furze Bericht Karls an Clemens IV. über die 
Schlacht und feinen Sieg?. Die hier in Betracht fommende Stelle 
lautet: Noveritis igitur, quod manu domini, que mei tutrix est 
et patrona justitie, meos feliciter et salubriter dirigentes 
progressus, postquam Corradinus ejusque sequaces? regni mei 
finibus propinquarunt* querentes foramina per que possent 
latenter ingredi seque conjungere Saracenis, ego ipsos de 
passu in passum per tres dies totidemque noctes sequens °® 
et persequens, tamdem percepto quod dieti hostes per Tittui ® 
partes ingressi sperabant per Mareiana ? rura descendere et 
pervenire Sulmonam ®, quodque inter Sculeule ” et Curti '° 
montes in quadam planicie sua infelieia castra defixerant die 
mereurii, ocetava videlicet assumtionis B. Virginis, de cujus 
potissime sperabam auxilio, de pratis Ovinali secus lacum 
Fuchini et villam ad necem!! aciebus instructis, divina me 
gratia comitante demum procedentes !? ad quemdam collem 


! &o bie von Schirrmadher angeführten Ann. Cavens. und Thomas 
Tuscus: diebus paucis ibidem exercitu recreato, dann die verlorenen Gesta 
Florentinorum, deren Benuter Ptolemaeus Lucensis jagt: quievitque 
aliquibus diebus pro apparatu de gente facienda. Bergl. über Anfänge 
bei ihm an Thomas Tuscus: Sceffer, Archiv XII, 443. Durdaus unver- 
ftändlich ift mir, wenn Schirrmacher meint, die Annahme des Auszugs am 
18. Auguft erwiefe ſich als eine Unmöglichkeit, „zumal die Nömer das Heer 
per duas dietas begleiten durften“. Diefe von Saba Malaspina, Del Re II, 
274, erzählte Begleitung per duas dietas fonnte dody bei einem Ausmarſch 
am 18. ebenjo gut ftattfinden, wenn nur die Römer ſich zu einem etwas 
ſchnelleren Tempo verftanden, als bei dem „immer langjam voran“, das wir 
mit dem 10. Auguft in den Kauf nehmen müfjen. 

2 Noch am Schlachttag felbft, 1268 Aug. 23, erlaffen, zuletzt gedruckt Del 
Giudice Ile, S. 185 Nr. LVII. Zum Bergleid) muß ftets der am 24. Aug. 
an Padua gerichtete Brief, ib. 190 Nr. LVII herangezogen werden, 

3 Der Brief an Padua macht den Senator Heinrid) namhaft. 

* An Padua: appropinquarunt, 

5 An Padua: insequentes. 

6 Barianten: Tieleri, Tecli. 

? ®arianten: Martitana, Marsiana. 

° An Padua: quod dicti hostes per Sculcule partes ingressi spera- 
bant libere pertransiti via recta descendere et venire Sulmonam et 
exinde ire Luceriam., 

® So wäre im Tert zu leſen nad) einer Variante ftatt Scultule, 

1° Variante: Tanoii. 

11 Dazu theilt Del Giudice die Varianten mit: Avizani, Avezini, die ge 
nugfam zeigen, daß hier Avezzano gemeint if. Das letztere beftätigt der Brief 
an Padua: villam Anzanii. 

12 An Padna: maturis gressibus procedentes 


580 


prope Albam, qui per duo parva milliaria distabat ab hosti- 
bus, ex quo campus Placentinus se explicat, iter meum 
prosequendo perveni et hostium exinde castra prospiciens, 
quia gens mea et equi potissime pro labore nimio faticati, 
deliberavi, et jussi castrametari in eodem colle exercitum 
christianum. 

Taffen wir zunächſt die allgemeine Lage ind Auge. Conradin 
war der bequemfte Weg ins Königreich, über Geperano nämlich, ver— 
jperrt. Er mußte alfo über das Sabinergebirge, oder dajjelbe auf 
weiten Umweg im Norden umgehend feine Bereinigung mit den Auf— 
ftändifchen im Königreich, zunächit mit den Saracenen von Yuceria 
fuchen. Dieſen Hauptzwed Conradins hebt Karls Siegesbericht an 
den Papſt jehr bejtimmt hervor. 

Aus der hier in Frage kommenden Stelle diejes Siegesberichts 
haben nun Del Gindice fowol wie Schirrmader Dinge herausge- 
fejen, die im demfelben abjolut nicht ftehen. Se per tre giorni 
Vesereito vagò per la regione Marsicana, si deve dire, che 
era giä giunto a confini nel 19. Agosto, e si puö credere 
che ciò avesse potuto avenire, partendosi il 18. da Roma, 
meint Del Giudice. Aber Karls Brief fagt von einem dreitägigen 
Schweifen Conradins in der Marjicana feine Silbe; der ganze auf 
diefe willführliche Annahıne gegründete Schluß zerfällt alfo in Nichts. 
Schirrmacher fchreibt!: „Drei Tage und drei Nächte folgte Karl den 
Dperationen des Heeres, dann verlor er die Spur“. Da darf man 
wol fragen, hatte Karl denn überhaupt eine Spur, um diejelbe ver- 
lieren zu fünnen? Es genügt ein Blid auf die Karte, um zu zeigen, 
daß die Angabe des Briefes von einer Verfolgung durd) drei Tage 
und drei Nächte ? nicht im ftrengen Sinn wörtlid) genommen werden 
darf. Die beiden feindlichen Heere find durch das Gebirge getrennt, 
von einer Fühlung zwiſchen beiden kann feine Rede fein, darum aud 
von feiner eigentlichen „Verfolgung“. Auf die Kunde, dag Conradin 
feinen Marſch gegen das Königreicd) angetreten, beginnt auch Karl 
feine Bewegungen. Conradin fucht einen UWebergang über das Ge— 
birge — querentes foramina per que possent latenter ingredi 
— in feinem Schladhtberiht an Padua fpecialifirt Karl das latenter’ 


9.0.0.6. 373. 

2 Der Brief an Padua fpricht von viertägiger Berfolgung: nos eos de 
passu in passum per quatuor dies et noctes totidem insequentes et 
etiam persequentes. Del Gindices und Schirrmaders Verhalten diefer ab- 
weichenden Angabe gegenüber ift nicht zu billigen; Schirrmacher — Del Giudices 
Anficht oben im Tert — meint ©. 571 Anm. 4: „übrigens ſpricht Karl in 
feinem Brief an die Paduaner fogar von viertägiger Verfolgung“, Es hat 
nicht die geringfte Wahricheinlichkeit, daß Karl im zwei woejentlich gleich conci- 
pirten Briefen ſich einen ſolchen Widerjpruch feiner Ausjagen hat zu Schulden 
fommen lafien. N wird e8 heißen entweder — oder, und da wird man fidh 
nad) der handfchriftlichen Weberlieferung für den Brief an den Papft und feine 
drei Tage entjcheiden müfjen, da der zweite nur aus dem Chron. Paduanum 


befannt ift, 


581 


nod) weiter: foramina per que sine ullo nostrarum virium obice 
possent ingredi. Karls Aufgabe fonnte nur fein, Conradin bie 
BVerbindungslinie mit den Aufftändifchen im Königreich zu verlegen. 
Er weiß nicht, wo der Feind den Uebergang verfuchen wird, er muß 
daher fo zu jagen überall zugleich fein. Dazu die raftlofen Märfche, 
drei Tage und drei Nächte lang. Dieſe ganze Situation fchliekt 
jede Möglichkeit einer „Verfolgung“ und, darf ich Hinzufegen, eines 
„DBerlierens der Spur“ aus. 

Es hat denn auch wirklich nicht viel gefehlt, und alle An— 
ftrengungen Karls wären vergeblich gewefen. Ich kann nämlich 
Schirrmacher nur beiftimmen, wenn er jagt!: „Karl fcheint ſich in 
der Täuſchung befunden zu haben, den Feind im Aternothal erwarten 
zu müſſen“ — benn er fommt wirflih, al8 er die Kunde vom ge= 
Iungenen Gebirgsübergang der Gegner erhalten hat — tandem 
percepto ... quod per Titui * partes ingressi — von Norden 
ber, von Dvindoli gegen den See von Avezzano herangezogen, um in 
geringer Entfernung vom feindlichen Heer, das bei Scurcola ftand, 
zu lagern, Mittwoch) 22. Auguft. Daß Karl ſich zu Dvindoli bes 
funden habe, als er zuverläffige Kunde von der Lagerung des Feindes 
bei Scurcola erhielt ?, ergiebt ſich aus der oben mitgetheilten Stelle 
ſeines Briefes unmittelbar wenigjtens nicht. Die weitere Angabe 
Schirrmaders, daß es Conradin gelang, am 21. Auguft nad) Scur- 
cola zu kommen, ijt nicht zu belegen. Nach den Ann. Plac. Gib., 
deren Wortlaut leider nicht ganz unzweideutig ift, ſchiene Conradin 
im Gegentheil erſt am 22. Auguft Hier angefommen zu fein ®. 
Auh da Karl am Morgen des 22. Auguft von Ovindoli auf- 
gebrochen, ijt eine durch nichts zu begründende Annahme Scirr- 
machers, die außerdem in Widerfpruch fteht mit der bejtimmten An— 
gabe der Gesta Ludov. IX., Karl habe um die Abenddämmerung 
feine Stellung in geringer Entfernung vom Feind erreicht, können 
wir dennunmöglich bei der großen Eile Karla annehmen, daß er zur 
dem furzen Marſch von Ovindoli bi8 auf das Schlachtfeld den ganzen 
Tag von Morgens bis Abends verfchwendet hat ®. 

Nimmt man die Angaben des Briefes, jo wie fie find, ohne 
Fremdes in fie Hineinzulefen, jo geben fie nicht nur feinen Anhalts— 


ı 9.0.0.6. 378. i 

? Eine Erflärung, welche Dertlichfeit damit gemeint, fehlt bei Del Giudice 
und Schirrmacher, und aud ich vermag fie nicht zu geben, wenn nicht etwa 
nad) den oben mitgetheilten Varianten an eine bloße Korruption für Sculcule 
gedacht werden darf. 

s So Schirrmacher a. a. O. ©. 378, 

S. 528: Et cum fuisset in valle Albe 10. exeunte Augusti, 
Karulus cum gente sua ultra aquam cui Riale dieitur apparuit. 

° Duchesne Ser. V, 379: .. contra hostes intrepide iter arripuit. 
Vix enim portionem requiei militibus suis et equis deputans, in tantum 
continuavit laborem itineris, donec circa horam crepusculi prope 
inimicorum tentoria, segregante cos tantum parvi fluminis alveo, 
castra fixit 


582 


punkt für die Annahme des zehnten Auguft als Tag des Ausmarjches, 
ſondern fprechen ganz entjchieden für dem achtzehnten. Am 22. Auguft 
jtehen fich die beiden Heere gegenüber an der Stelle, wo am folgen- 
den Tage die blutige Entjcheidung fallen ſollte. Karls dreitägige 
Märfche füllen entweder die Tage vom 19—21., oder 20—22. 
August; beſtimmte Entiheidung, ob fie am 19. oder 20. begonnen, 
wird bei dem mitgetheilten Wortlaut des Briefes faum möglich fein. 
Daß die Kunde von Conradins Aufbruch gegen die Grenzen des 
Königreich — finibus propinquarunt — in einem Tage zu Karl 
gelangt jei, wie man annehmen muß, wenn man den Beginn von 
Karls dreitägigen Märjchen auf den 19. anjegt, zwingt zu der Ans 
nahme eines vortrefflihen Sicherheitsdienftes auf franzöfiicher Seite, 
zu deifen Organijation aber Gonradins langer Aufenthalt zu ont 
Zeit genug gelajjen hatte. Daß aber für Conradins Marjch von 
Kom bis in die palentinifche Ebene fünf Tage vom 18—22. Auguft 
vollauf genügten, wäre meiner Anficht nach unzweifelhaft auch ohne 
die ausdrücdliche Bemerkung der Ann. Plac. Gib., daß Conradin 
Schnell marſchirte — cepit festinare gressus suos. 

Den 10. Auguft als Tag des Ausmarfches geben uns zwei 
Benuber der verlorenen Gesta Florentinorum, Billani ! und Si— 
mone della Toſa?. Dagegen nennt Ptolemäus von Yucca, ein 
anderer Benutzer der verlorenen florentiner Quelle, zweimal, in feinen 
Ann. Lucens. und in der Hist. eceles. den 18. Auguft?. Da nun 
aber die zwei Stellen des Ptolemäus fich auf eine redyciren, weil die 
Annalen jchon in der Sirchengeichichte benußt find, da weiter der 
jehr nah verwandte Wortlaut der Annalen und Della Tojas verbürgt, 
daß hier von beiden die Gesta wiedergegeben werden, weiter aber 
auch Billani den 10. Auguft nennt, jo nahm Sceffer an, daß in 
den Gesta der 10. Auguft angegeben war, und der 18. des Ptole— 
mäus auf einem Schreibfehler beruhe. Bei feiner weiteren Be— 
merfung abert: „Ihm mit GCherrier, Gregorovius und Reumont den 
Vorzug geben, iſt ebenſo jehr ein kritiſches Verjehen, als e8 Ueberfluf, 
gegen Ptolemäus und, wie Schirrmader . ., zugleich gegen Jordanus 
zu Felde zu ziehen“, jtellt ſich Sceffer zu einjeitig auf den Boden 
der florentiner Weberlieferung allein. Selbſt ganz abgejehen von dem 
möglichen Spiel des Zufalls, ein und derjelbe Coder der Gesta mit 
dem falichen Datum 10..Augujt Habe Billani und Della Toſa in die 
Irre geführt, Ptolemäus aber aus einem andern Goder derjelben den 
richtigen 18. Auguft einfach abgejchrieben, und angenommen, die 
Gesta haben wirklid) den 10. Auguft gehabt, ic glaube nicht, daß 


ı VII, 25. 

2 Sceffer, Archiv XIL, 465. Paolino di Piero und der ſ. g. Anony- 
mus Florentinus geben feinen Zag an. 

s Daß jein Abjchreiber Jordanus neben ihm nicht, wie von Schirrmacher 
geichehen, beionders in Rechnung gebracht werden darf, hat Sceffer a. a. ©. 
und bei v. Sybel a. a. O. ©. 435 hervorgehoben. 

1 A. a O. XU, 466 N. 1. 


583 


fie irgendwie die bejtimmte Angabe der Ann. Plac., für die alle 
innere Wahrfcheinlichkeit jpricht, zu entfräften vermögen. Zugleic) 
wird man bei diefer Annahme Sceffers den „Schreibfehler“ des 
Ptolemäus wohl eher unter den Gefichtspunft einer „Eorrectur“ 
bringen dürfen. Endlich darf Hier am Schluß unferer Ausführungen 
gerade wegen diefer Angabe des Ptolemäus das als wahrjcheinlich be— 
zeichnet werden, dem amı Anfang ausgewichen werden mußte, daß 
nämlich die 26 Zage der Ann. Plac. fo zu zählen find, daß fie auf 
den 18. Auguft führen. 


4. 
Hrkunden zur Geſchichte Conradins. 


Schirrmacher veröffentlichte! neuejtens das Fragment einer Ur— 
Funde, das bereit8 früher aus demjelben Turiner oder ? durd) 
Dönniges befannt gemacht war ?, und bezog daffelbe, zweifellos richtig, 
auf Eonradin *, 

Das Aftenftüd, dem dies Fragment angehört, findet fic) voll 
ftändig in einem Cod. chart. saec. XIV. zu Florenz, Magliabech. 
XXV, 341. Ich laſſe daſſelbe nad) Fickers mir mit gewohnter 
Sreundlichkeit zur Verfügung gejtellter Abjchrift Hier zunächſt im 
Wortlaut folgen, um einige Bemerkungen zur Grläuterung jpäter 
beizufügen. _ 

Corradus secundus dei gratia Romanorum in regem 
electus, Jerusalem et Sicilie rex, dux Suevie. Prineipibus °, 
marchionibus, comitibus, comunitatibus® omnibusque totius 
imperii fidelibus suam benivolentiam et gratiam cum salute. 
Requirit imperatoria celsitudo, que nutu divino interposito 
nostris humeris admietenda, quod fideles imperii requiramus 
et res fiscales in omni suo robore confirmentur. Expectans 
expectavi jam diutius a venerabili papa domino Clemente et 
Urbano ? memorie bone predecessore suo sancte Romane 
ecclesie, quam semper matrem et dominam recognosco, ad 
imperii electionem regnique Sieilie et Apulie cessionem *®, quod 
attenus fuit Romani imperatoris domini Frederigi et Corradi 
regis Sicilie bone ®? memorie, scilicet patris nostri, post obi- 

ı Die Testen Hohenftaufen S. 597. 

® Msc. Bibl. Taurin. f. 70 durch Elaretta. 

° Dönniges, Geſchichte des Deutſchen Kaiſerthums I, 335. 

* Die Anmerkung Schirrmachers zu feinem Abdruc des Fragments: „Seit- 
dem mir das ganze Fragment vorliegt, kann ich es nicht, wie ich gethan Habe, 
auf Conrad IV. beziehen“, verftehe ich nicht, da das Fragment in ganz gleichem 
Umfang von Dönniges herausgegeben war. 

5 Der jehr fchlecht geichriebene Codex hat: principalibus. 

6 oder: comitatibus, 

? oder: verbis. 

s Es fehlt das Verbum. 

° Fehlt im Coder. 


584 


tum cujus Manfredus, vir! nobilis et illustris, natus olim 
ipsius domini Frederigi, vietoriosissimus retinebet *. Ad illam 
potius aliquam et cum non ® prenominata venditam rationem 
pertineat*, quamquam a talibus concessionibus sim dejectus. 
Video namque pontificem sancte matris ecclesie tramitem 
excedere rationis, que quidem sunt verba incredibilia et 
inaudita, nequaquam aliqua ratione inspecta, jus et justitiam 
concennando cui dedeceat, alii supervenienti, fratri ® regis 
Franeie, locaverit rengnum meum. Heu qualiter dormivit 
amor domini, imposita Petri sedi® et mundi cardinalibus 
pietas est obsconsa! Cui preberi debet justitia, ei judieium 
exibetur, Italicorum et Alamanie principes conculcando, ut 
ex toto perdereut dingnitatem et in Gallicos imperialis ex- 
cellentia deveniret. Non enim tantum vereor nec rengni doleo 
cessionis, quantum mortis Manfredi, viri nobilissimi, sum 
afflietus et christianorum mangnatum, qui propter honorem 
Ligurie et Alamanie dingnitatem se ipsos exposuerunt ad 
mortem. Contra quos crucem quemadmodum contra hereticos 
et paganos universaliter predicari fecerunt, ut ejus ingenio’' 
destruerent® gentem nostram. Accedite ergo et videte grande 
perieulum et abhominabile scelus, ferventium crudelitate ne- 
fandam ®? presumptionem, quod non permiserunt tantorum !' 
mortuorum corpora seppeliri, sed potius dimiserunt avibus 
feris et bestiis devorari, de quo celum palescere, terra tre- 
mere debuerunt, et solis radii '! nube tegi. Cum igitur ad partes 
vestras venire disponam!? potentia violentia et nutu divino 
Alamanie prineipes in mei favoris suffragium “ potentissime 
sint parati ad rengnum ’? recuperandum Italicorumque " 


1Coder: vir Manfredus. 

2 E8 fehlt das Object. 

® nisi? 

Es iſt mir nicht gelungen diefen offenbar ganz corrupten Eat zu 
emendiren, 

5 Coder: fratis. 

6 ftatt sede des Kober. 

So ber Coder. 

® Coder: destruerunt. 

® Koder: ferventiam crudelitate nefandi. 

1° Bon hier an war das Aftenftüc früher gedrudt. 

11 So der Eoder; Dönniges: radius, Schirrmader: radiis. 

12 Eo die früheren Drude, der Eoder das durch die Eonftruction verbotene 
disponamus. 

13 Statt diefer im oder und den früheren Druden übereinftimmenden Stell 
wäre vielleicht zu emendiren: potenter, voluntate et nutu divino. 

14 Die früheren Drude: suffragio. 

15 Die früheren Drude Hier und im ähnlichen Fällen ſtets die correct: 
Form regnum und dergl. 

16 Die Drncke: Italicorum 


585 


honorem et Alamanie dingnitatem, ideirco ! fidelitatem ? et 
universitatem® vestram monendo requiro*, quod in adventu 
mei sollicite ac attenti auctore domino taliter existatis?, quod 
mecum prineipes recipiantur a vobis et alii singuli venientes, 
vos autem equis et armis ita paratos valeam ° invenire man- 
gnifice, quod videatur ” nostra sopita potentia vigilare, et 
quod assolet® diutius non dormitet, sieque” possidentes agrum 
Sieilie rengni mei'’ et usurpantes!! indebite aliena corrigan- 
tur in eorum excessibus, sicut!? decet nostrumque dedecus 
vindicando!”. Nempe si divinam nequeo fugere'* ultionem, 
nullatenus est mirandum, cum hiis, quibus sunt divina per 
scripturam '° commissa, non solum suffieit, quod mihi rengnum 
Ytalie subtraxerunt, sed conantur!® assidue addere !’ mala 
malis, injurias inculcare !® injuriis, contra me anathematis 
sententias '” fulminantes. Quid ?° enim peccaverim, deus 
novit, ingnoro, nec quod culpam aliquam misteriis ?? dei et’ 
ecelesie commisserim ??, nulla me conscientia reprehendit, 
verum ex quo in Urbe non invenio auditorem ?®, qui inter 
dexteram et sinistram justitiam et judieium ventilaret, ap- 
pellare ab eo ?* promoveor coram illo, cujus sunt sententie 
finaliter ?° judicande, dum ejusdem tam iniqui processus ap- 
pellatio et querimonia non auditur ?®, 


1 oder: ideico, Fehlt in den Druden. 

? Coder: felicitatem. 

8 Fehlt in den Druden. 

* oder: requirimus, 

5 So die Drude, Coder: insistatis. 

° Die Singularform des Verbums übereinftiimmend mit der de8 Subjects 
bier auch im ober. 

?” oder ftatt deffen in. 

8 Eoder: quod assolet et. 

9 Coder: sic quod. 

10 Codex: nostri. 

11 Codex: usurbantes. 

12 oder: sicud. 

13 nostrumgue — dedecus fehlt in den Druden. 

14 Die Drude: effugere. 

15 So die Drude, Coder: scriptura. 

18 So Codex, die Drude: conatur. 

17 So ift zu verbefiern ftatt addicere im Eoder und den Druden. 

18 Fehlt bei Schirrmacher, Dönniges hat e8, aber vor injurias wie aud) 
Schirrmacher: et. 

19 Die Drude: sententiam, 

20 Die Drude: quod, 

21 Die Drude: ministeriis. 

22 Gober fo. 

23 So die Drude, Eoder: adjutorem. 

24 Soder: ab ea, die Drude: appellare alta promoveor voce. 

25 So die Drude, Coder: fideliter. 

20 Diefer Sat fo in den Druden, im ober corrumpirt und ſchwer 
leſerlich. 


XIV. 39 


586 


Die vollftändige Urkunde beftätigt, abgefehen zunächft von dem 
für Conradin unpafjenden Titel “in Romanorum regem electus’ 
aufs beftimmtefte Schirrmachers Beziehung des Fragments auf 
Conradin. 

Zugleich aber wird es ſehr fraglich erfcheinen — auch hier 
wiederum zunächſt von dem Titel abgejehen —, ob wir das Aften- 
ſtück als eine authentische Urkunde anfehen dürfen. Die Form bietet 
im Ganzen wenig Anftößiges. Die eigenthümlide DOrthograppie, 
rengnum, mangnatum, ingnoro, fällt wohl nur einem Abfchreiber, 
vielleicht dem Schreiber des Florentiner Coder zur Laſt, da das 
Turiner Fragment überall die correcten Formen bietet. 

Befremdlich ift dagegen die einmal vorkommende Bezeichnung 
Italiens als Ligurien, auffallend auch der an anderer Stelle vor: 
fommende Ausdrud rengnum Italie, der nad) dem Contert doch nur 
als eine Bezeichnung für Sicilien genommen werden fan. Es wird 
weiter faum zu viel behauptet fein, daß der Sat: Italicorum et 
Alamanie prineipes conculcando, utex toto perderent dingni- 
tatem et in Gallicos imperialis exellentia deve- 
niret, in einer echten Urkunde nicht ſtehen kann. Die überaus 
günftige Beurtheilung Manfreds in dem Sag: Non enim tantum 
vereor nec rengni doleo cessionis, quantum mortis Manfredi 
viri nobilissimi sum afflietus, und vorher: vietoriosissimus 
retinebat, contrajtirt aufs jchroffite ınit dem harten Urtheil, das Con 
radin bei anderer Gelegenheit über Manfred geiprochen. Allerdings 
ift zu beachten, daß unfer Aktenſtück, wie Schirrmacher bezüglich des 
Tragments mit echt hervorgehoben Hat, als ein Manifeſt an die 
Staliener anzufehen ijt. Sm einem folchen wird man gewiß ein 
milderes Urtheil über Manfred erwarten dürfen, als das, welches 
Conradin den Deutjchen aussprechen konnte. Auf diefen Umftand 
hat mit Recht Schirrmacher bezüglich einer anderen Urfunde Conra— 
dins aufmerkſam gemacht!, auf die ich weiter unten zurückkommen 
werde. Hier begnügt Conradin fi, ftatt weitere Vorwürfe gegen den 
Fürften von Tarent zu erheben, mit der einfachen Bemerkung: qui 
princeps etsi predietum regnum de jure non tenebat. Dod 
wenn wir auch dieſem Umjtand gebührend Rechnung tragen, werden 
die überfchwänglichen Lobeserhebungen Manfreds immer noch als ein - 
Argument gegen die Authenticität unferes Aktenſtücks betrachtet werden 
dürfen. 

Das oben erwähnte harte Urtheil Conradins über Manfred 
findet fi in der |. g. Protestatio *. Diefe ijt ein weitläufiges 
Manifeft an die deutjchen Fürſten, mit ausführlicher Darlegung der 
Rechte Conradins, feiner Verhältniffe zu Manfred und der Curie, 
ſowie der Ujurpation feines Reiches durd Karl von Anjou. Es 


Wa O. 6. 550 Ann. 2; ©. 477 Anm. 1 über Conradins Briefe an 
die Zorriani Ann. Plac. ©. 523, 
% Reg. Eonradins 46, 


587 
erfcheint geboten, zur Würdigung unferes Aktenſtücks einen Vergleich) 
dejjelben mit der wefentlid) analogen Protestatio anzuftellen, 

Die Form der Protestatio!, die in höchſtem Maaße rhetoriſch 
gehalten, bietet manches auffallende?. . Dahin rechne ich Wendungen 
wie: Innocentius, nocuit innocenti — decoraverunt ornatibus 
et diversis decoribus ornaverunt — terras nostras munifice 
distribuere cepit in suos consanguineos et nepotes, velut qui 
corrigias partitur amplas in corium alienum — filium suis 
curis expositum sine cura postposuit, qui filium innoxium 
sive obnoxium potius exheredationis pena perperam condem- 
navit — solent ad insolentias alterare — fide si fidem ha- 
buerat in perfidiam permutata — sophisticans in eo se do- 
minum — offensio nascitur unde defensio sperabatur — 
domino Urbano qui nobis extitit inurbanus — Clemens non 
clementiam sed inclementiam potius operatus in nobis — 


ferens abhominabilem vitam nostram et verens — in 
nostris juribus injuriam juraverunt — defecit in potestate 
auctoritas et in auctoritate potestas — penes vestram con- 


scientiam habeatis nostram innocentiam excusatam. Weiter 
das häufige Vorkommen der Erelamation: Ha Deus! und die nicht 
minder häufige Anwendung von Fragefägen, alles Dinge, die ebenfo 
ungewöhnlich für eine authentifche Urkunde find, wie gewöhnlich für eine 
Stilübung, der ein gewandter Dietator ſolche Pointen und Gegen- 
füge als höchften Schmud einfliht. Aber ausnahmsweife könnte 
doch, zumal in einer Kanzlei, die wir uns wohl als nicht allzu 
vollendet denfen dürfen, auch eine echte Urkunde in diefen ungewöhn— 
lichen Wendungen abgefaßt fein. Selbft wenn die angeführten Einzel: 
heiten genügen jollten, die Protestatio als bloße Stilübung zu er— 
weifen, ihre Bedeutung für die Gefchichte Conradins würde fi) da— 
durch kaum vermindern. Die Protestatio fann nämlich, mag nun ihr 
Verfaſſer die Feder officiell für Conradin angefet, oder aus eigenem 
Antrieb das Aftenftüc als bloße Stilübung concipirt haben, ganz 
gewiß nur von einem außerordentlich gut unterrichteten Zeitgenofjen 
abgefaßt fein. Dafür bürgt die genaue und richtige Darftellung aller 
in ihr berührten Verhältniffe, dafür bürgen aber auch die Nachrichten, 
die wir theils ganz, theil® mit anderweitig nicht befannten Einzel— 
heiten ihr allein verdanken, Nachrichten, welche die höchſte innere 
Wahricheinlichkeit für fi) haben. Dahin rechne ic) die Nachricht 
über Unterhandlungen, die Alexander IV. durch den Biſchof von 
Deroli mit Conradin geführt hat ®, die Nachricht über Conrad IV. 
Zeftament und Uebertragung der Vormundjchaft über Conradin an 


1 Ich benuße den Abdrud Ecod. msc. bibl. Athenaei Taurin. mit der 
falfhen Nummer: n. III. f. 10 — fie follen richtig lauten D. 38, Dönniges 
Geſch. d. d. Kaif. I, 314 — bei Dönniges Acta Heinriei II, 246. 

* Schirrmader, der fie a. a. O. ©. 338 im Tert benußt, hat eine ge- 
nauere Erörterung derfelben nicht gegeben, fondern nur ©. 550 Anm, 1 ihre 
Abfaffungszeit beftimmt mit Gründen, denen ich mid) nur anſchließen kann. 

3 Bergl. Schirrmacher a, a. DO. ©. 201 u. 488 Anm. 28. 


39 * 


588 


ben Papft, die auch durd; Jamſilla beftätigt wird!; auch die An- 
gaben über die Unterhandlungen zwijchen Urban IV. und Manfred 
wird man hieher ziehen dürfen ?. 

Zu einem Vergleich unſeres Aftenftüds mit der Protestatio 
fordert nicht nur der erwähnte Umftand auf, daß beide als Gegen— 
ſtücke bezeichnet werden Fünnen, jondern auch der weitere, daß beide 
Urkunden in demjelben Turiner Coder fich finden 9. 

Der Bergleich der Protestatio mit unferem Aktenſtück fällt durd- 
aus zum Nachtheil des letzteren aus. Statt des reichen thatfächlichen 
Inhalts der Protestatio, der in einzelnen Punkten felbft eine weſent— 
liche Bereicherung unferer Hijtorifchen Kenntniſſe bietet, giebt uns 


unfer Aftenftüc im der Hauptfahe nur Phrajen ohne Details. An 


den wenigen Stellen, wo Anläufe zu concreteren Mittheilungen ge 
macht werden, find diefe fehr fragwürdiger Qualität. Der Sat: 
Expectans expectavi jam diutius a venerabili papa domino 
Clemente et Urbano memorie bone predecessore suo . . ad 
imperii eleetionem regnique Sicilie et Apulie cessionem_ [se. 
vocari], verräth eine totale Unfenntniß der wirklich beftehenden Ver— 
häftniffe und der Haltung der beiden genannten Päpſte in der ficilifchen 
Frage, wie wir fie in einer authentifchen Urkunde Conradins unmög— 
lich vorausfegen dürfen. Die Behauptung, quod non permiserunt 
tantorum mortuorum corpora seppeliri, sed potius dimiserunt 
avibus feris et bestiis devorari, enthält nur Unrichtiges, fogar unter 
der Vorausſetzung, daß dem BVerfajjfer die Ausgrabung und Wieder: 
beerdigung der Leiche Manfreds durch den Biſchof von Cofenza vor: 
geſchwebt habe*. Sie find nur geeignet unfere oben ausgejprocheue 
Meinung zu unterftügen, daß wir es mit einer Stilübung zu thun 


aben. 

u Zugleich aber fcheint es nach diefem Vergleich nicht unmöglid, 
daß der Verfaſſer unferes Aktenſtücks die Protestatio gefannt und für 
daffelbe benutzt habe. Es finden fich zwilchen beiden mehrfache Leber: 
einſtimmungen, deren jede einzeln für jich nichts beweiſt, die aber 
in ihrer Geſammtheit doc) wohl der legten Vermuthung zur Unter: 
ftügung dienen werden. 


Protestatio : Die Stilübung: 

Salva tamen in omnibus ecclesie] ecclesie Romane, quam semper 
catholice sanctitate, quam cultu | matrem et dominam recognosco. 
sacro et debita reverentia toto 
corde et corpore veneramur. 


ı Schirrmader S. 70 u. 424 Anm. 1. 

2 Schirrmader ©. 220 n. 449 Anm. 50. 

3 Vergl. Dönniges, Geſchichte des Deutichen Kaiferthums I, 314 ff. Der 
oder, dem vor dem Fragment unferer Urk. fol. 70 mehrere Blätter fehlen, ift 
geichrieben „größtentheil® gegen die Mitte des 14. Jahrhunderts”. Die jehr 
zahlreich vorlommenden Toskaniſchen, Bolognefiihen, Ravennater u. ſ. w. Stüde 
fönnen als Fingerzeig dienen, daß diefer in feinem Inhalt fonft fehr bunte 
Formularis urſprünglich Mittelitalien angehört haben mag. 

* Bergl. Schirrmader a. a. DO. ©. 296 u. 534 Anm. 33, 


— — ——— ——— — — 


589 


Nam Saracenos Lucerie, contra 
uos dominus papa crucen sumen- 
m fecerat predicari et in quorum 
gentes excidium seducte fuerant 
et abducte, salvos illesosque ser- 
vavit; et christianos miseros non 
solum exhausit rebus, sed occidit 
innumeros et afflixit mille generibus 
tormentorum. Aperite oculos 
et videte, qualiter isti sub recti 
specie mundum decipiunt et elu- 
dunt; et_videte, si eis iterum in 
eodem negotio sit credendum, vi- 
dete,quomodo cruceChristi 
fallaciter in christianorum 
perniciem abutuntur. 
dum nos intra sepem imperii la- 
teremus, quasi jacentes humiliter 
attoniti vel absconditi sub obscuro 
intendebat .. contra nos .. ex- 
communicationis sententiam fulmi- 
nare,non reputans esse satis, 


quod contra deum et omnem justi-|.. 


tiam ablatum fuerat nobis regnum. 

Adhuc etiam idem pater a per- 
secutionum instantia non desistens, 
sed omnem viam et modum ex- 
cogitans, quibus nos posset per- 
petuoconculcare, si diei liceret, 
extendit ad illicita manus suas, et 
falceem mictens in nostram messem, 
prefatum Carolum per univer- 
sam Ytaliam Romani vica- 
rium imperii statuit in no- 
stram injuriam manifestam, ut com- 
modius vires nostras reprimeret 
et accessum nostrum ad regnum 
facilius impediret. 

Quidunquammalifecimus, 
o sancta mater ecclesia, quod in 
nos tuum devotum fillum olim pu- 
pillum tue tutele comissum per 
tuosrectores sic aspere novercaris ? 
In quo te unquamoffendimus, o ve- 
nerande pater, quod ita conversus 
in vitricum nos multimode pro- 
sequeris et injuste? Forte verum- 
tamen gravem offensam reputas, 
quod vivimus super terram. Cum 
sciat deus, nos aliam nesci- 
amus. 


Contra quos crucem quemad- 
modum contra hereticos et paganos 
universaliter predicari fecerunt, ut 
ejus ingenio (vielleicht in signo ?) 
destruerentgentemnostram. 
Accedite igitur et videte 
grande periculum et abhominabile 
scelus. 

quod videatur nostra sopita po- 
tentia vigilare et quod assolet 
diutius non dormitet. 

nonsolum sufficit, quod mihi 
rengnum Ytalie subtraxerunt, sed 
conantur assidue addere mala malis 
contra me anathematis senten- 
tias fulminantes. 


Heu qualiter dormivit amor do- 
mini, imposita Petri sedi et mundi 
cardinalibus pietas est obsconsa, 
cui preberi debet justitia, ei ju- 
dieium exibetur, Italicorum et 
Alamanie prineipesconculcando, 
ut ex toto perderent dingnitatem 
et inGallicosimperialisex- 
cellentia deveniret!., 


Nempe si divinam — fulminan- 
tes. Quid enim peccaverim, 
deusnovit, ingnoro, nec quod 
culpam aliquam misteriis dei et 
ecclesie commisserim, nulla me 
conscientia reprehendit. 


Es zeigen jich hier bei einzelnen auch wörtlichen Anklängen mehr- 


ı Iſt meine Annahıne begründet, fo zeigt gerade dieſe Stelle beſonders 
ſchlagend, wie ungeſchickt in unſerm Altenſtück die von der Protestatio gebotenen 


Anhaltspunkte verarbeitet find. 


590 


fache Uebereinftimmungen im Gedanfengang. Nehmen wir dazu die 
fteten Beziehungen unjeres Aktenſtücks auf die deutfchen Fürjten und 
ihre fir Conradins Sache bereite Unterftügung, fo wird man vielleicht 
die Annahme, daß der Verfaſſer unferer Stilübung die Protestatio, 
die fi) an die Deutjchen wendet, gefannt und benußt habe, um ihr 
ein an die Italiener ſich wendendes Gegenftüd an die Seite zu ftellen, 
als wenigſtens nicht ganz unbegründet gelten laſſen. 


Demfelben Cod. Magliab. XXV, 341 entnahm Ticker noch eine 
zweite Urkunde Conradins, die hier ebenfalls Platz finden möge. 

Corradus secundus dei gratia Romanorum in regem elec- 
tus ete. Noverit ille per quem vivimus et cui nichil estat 
incognitum, quod semper ! hodie, qua versus partes Italicas 
cepimus iter nostrum pro recuperatione hereditatis regni nostri, 
tenaciter in corde gessimus per Ytaliam statum ponere paci- 
ficum et concordiam generalem, sedare discordias et utramque? 
partem comuniter et singulas in equitate favere, ut non cen- 
seamur ® partialis dominus, sed comunis, et justitie ministrator 
ubilibet judicemur, ut Ytalieis sedatis malitiis et minis gaudeat 
unusquisque salutifero dominii nostri statu. Etsi* actenus 
preteriti conditione poscente emulo nostro Karulo Provineie 
comiti adhesistis, dum recolimus, quod id non potuit per vos® 
salubriter caveri®, molestum non gerimus nee miramur, cre- 
dentes indubie, quod ad subjacendum tam impio domino 
tamque”? injusto non voluntas, sed potius violentia vos coegit. 
Verum si amodo, quod potestis tam perfidum et iniguum do- 
minum evitare, quia videtis, quam mangnifice quamque miri- 
fice divina potentia tuetur causam nostram, in quantum pro- 
movet statum nostrum, sublimat et dirigit actus nostros, con- 
terit et anulat hostem nostrum et per omnem partem impedit 
actus suos, in eo quod hominis cor non possit hodie cogitare 
nec actenus potuisset, staretis in contumacia in nostris ser- 
vitiis et honore, miraretur excellentia nostra valde, et non 
sine causa graviter moveretur; propter quod devotionem 
vestram requirimus et ortamur rogantes, quatenus, dimisso 
errore, in quo dudum stetistis inviti, voluntarii et celeres® re- 
deatis ad fidei nostre cultum nostraque ? servitia et honores, 


1 €8 fcheint vor hodie zu fehlen usque. 

2 Soder: utranque. 

3 oder: censeatur. 

So ftatt Eoder: salutifero domini nostri statuet si. 
5 Gober: nos. 

8 Coder: cautam. 

? &oder: tam. 

8 Coder: celebres. 

9 Eoder: nostramque. 





591 


opponentes vos! sine mora qualibet predieto Karulo hosti 
nostro tam viriliter quam potenter, Provinciales et Francigenas 
et Picardos et aliam gentem suam, qui se in vestra ? potentia 
receperunt, facientes viriliter, realiter et personaliter detineri, 
ut ex hoc grandi servitio et accepto, quod a nostra memoria 
perpetuo non labatur, inveniatis omni tempore gratiam nostram 
vobis benevolam et paratam. Quidquid autem super hiis...? 
vestra prudentia faciendum, hine ad diem sabati proximam 
per totam diem nostro culmini * nuntietis, ut vostra congnita 
voluntate mangnificentia nostra discernat, qualiter erga vos 
tam de gratia quam de jure nos gerere debeamus. Nam 
fecimus has litteras in quaternis mangne nostre curie re- 
gistrari; igitur, si transierit terminus predicetus a vobis rex- 
ponsione non accepta et inde aliquod ingratum vobis acei- 
derit, non nobis sed vobis et vestre negligentie solumodo 
reputetur. 

Abgeſehen zunächſt auch hier wieder von dem für Conradin un— 
pajjenden Titel eines erwählten römischen Königs, bietet die Urkunde 
meines Erachtens nichts, was gegen ihre Authenticität befonderen An— 
ftoß erregen fünnte. Wohl aber finden fich Einzelheiten, die gegen 
die Annahme, auch diefe Urkunde fei bloße Stilübung?, ſich geltend 
machen lajjen. Dahin wird man rechnen dürfen die genaue Zeitbe- 
ftimmung des dem Adreſſaten zur Abgabe feiner Erklärungen ges 
ſetzten Termins: hine ad diem sabati proximam. So etwas wird 
ein Stilift nicht leicht frei erfinden. Auch die Bemerkung am Schluß: 
Nam fecimus has litteras in quaternis mangne curie registrari, 
dürfte kaum als das Erzeugniß ftiliftiicher Phantafie anzufehen fein. 

Unter der Vorausſetzung aber, daß wir e8 hier mit einer echten 
Urkunde zu thun Haben, wird fic der Adreffat und die Zeit des 
Schreibens genauer ermitteln laffen. 

Im Allgemeinen ergibt ſich ſchon aus dem Anhalt felbft, daß 
die Urkunde der erften Zeit von Conradins italienischen Zuge angehört : 
hodie qua versus partes Ytalicas cepimus iter nostrum. Die 
überaus ſelbſtbewußte Sprache Conradins — quia videtis, quam 
mangnifice quamque mirifice divina potentia tuetur causam 
nostram, in quantum promovet statum nostrum, sublimat et 
dirigit actus nostros, conterit et anulat hostem nostrum et per 
omnem partem impedit actus suos — widerfpricht diefer Annahme 
nicht, da die guten Nachrichten über die Fortfchritte feiner Anhänger 
jowohl im Königreich wie in Rom fie fehr erklärlih machen, befon- 
ders wenn wir annehmen, daß die Urkunde erlajfen wurde, nachdem 


1 Coder: nos. 

3 ober: nostra. 

® Im Cod. ein umnleferliches Wort, vielleiht decreverit. 

* Coder: culmine, 

5 Der Eoder enthält nah Fickers Mittheilungen meben offenbaren Stil- 
übungen auch nicht wenige echte Urkunden, 


592 


der thatenlofe Aufenthalt in Verona beendigt und der Weitermarſch, 
zunächſt nad) Pavia, angetreten war. 

Unzweifelhaft ergiebt jic weiter aus dem Inhalt, daß wir dem 
Adrejfaten in Keichsitalien, nicht im Königreich zu fuchen haben: 
tenaciter in corde gessimus per Ytaliam statum ponere 
pacificum et concordiam generalem, sedare discordias et 
utramque partem comuniter et singulas in equitate favere. 

Weiter aber folgt aus dem furz bemefjenen Termin am Schluß, 
daß der Adreffat von dem Ausftellungsort der Urfunde nicht weit 
entfernt geweſen fein kann. 

Die Urkunde verlangt von dem Adrefjaten, unter dem wir nad) 
dem ganzen Inhalt am eheiten eine Stadt vermuthen dürfen: qua- 
tenus .. . opponentes vos... . predicto Karulo hosti nostro 
tam viriliter quam potenter, Provinciales et Francigenas et 
Picardos et aliam gentem suam, qui se in vestra potentia 
receperunt, facientes viriliter realiter et personaliter detineri. 
Diefe Stelle legt ung die Frage nahe, wo etwa in Oberitalien, an 
das wir zunächit denken müjjen, zu folcher Aufforderung Beranlafjung 
gegeben war? Sie läßt fi in erwünſchter VBolljtändigfeit beantworten 
mit Hülfe der ghibellinichen Annalen von Piacenza. Aus ihnen er— 
fahren wir, daß Karl von Anjou in der Lombardei, wo er ben 
Städten Piacenza und Cremona die Podejtäs fette, ein kleines Corps 
von 400 Mann unter dem Befehl feines Vicars Wilhelm L' Etandard 
unterhielt !. 

Dieſe Truppen verweilten, wie uns die Annalen weiter belehren, 
zu Piacenza? Wir werden unter diefen Verhältniſſen vorläufig 
wohl an Piacenza als Adrejjaten unferer Urkunde denken dürfen. 

Nach dem früher über den kurz bemejjenen Termin Bemerkten 
muß der Ausstellungsort nicht zu weit von Piacenza gejucht werden. 
Conradin hatte, am 17. Januar von Verona aufbrehend, am 20. 
Pavia erreicht, wo er bis zum 22. März blieb’. Ohne weitere 
Anhaltspunkte jogar würde die Vermutung kaum zu gewagt er- 
Icheinen, daß unfere Urkunde zu Pavia erlaffen fei. Glücklicherweiſe 
aber bieten die Annalen der Anhaltspunkte fo viele, daß wir nad 
ihnen mit einer an Sicherheit ftreifenden Wahrfcheinlichfeit den bisher 
ausgefprochenen Vermuthungen gemäß die Urkunde einreihen Fönnen. 
Die dominico 3. exeunte Januario, erzählen die Annalen ?, mi- 
licia regis cum Papiensibus ceperunt et combuxerunt Laudem 
regiam, et tunc rex misit suos nuncios adcivitates 
et marchiones, ut obedirent, set nullus de Lom- 
bardia excepto Alberto marchione Malaspina obedire voluit. 


! Ann. Plac. ©. 524: Eodem tempore (1267) Cremonenses et Pla- 
centini acceperunt per comitem Karulum potestates; et erat Guillel- 
mus Standardus vicarius istius comitis in Lombardia cum 400 militibus 
Provincialibus. 

% Ann. Plac. ©. 525. 

® Ann. Plac. ©. 524 u. 526. 

4 ©. 524. 


593 


Eine Aufforderung ut obedirent mit einer für Pincenza pafjenden 
Specialität ift unfer Brief. Nach dem Wortlaut der Annalen bleibt. 
e8 allerdings zweifelhaft, ob das ‘tune’ beſtimmt ſich auf den vorher- 
genannten Tag, Sonntag 29. Januar, beziehen fol, oder nur appro= 
rimativ gebraucht iſt. Man wird alſo nicht beſtimmt den 29. Ja— 
nuar als Datum unferer Urkunde bezeichnen dürfen, wohl aber, da 
der in ihr gejtellte Termin „bis zum nächſten Samftag“ nur den 
Spielraum einer Woche nennt, den in der Urk. genannten Samftag 
auf Samftag 4. Februar beziehen dürfen. Als wahrſcheinlich mag 
- daneben bezeichnet werden, daß der Urkunde das Datum Pavia, 
Sonntag 29. Januar, zufomme. 

Schon aus der zuleßt angeführten Stelle der Annalen wiffen 
wir, daß die Aufforderung Conradins zum Gehorfam ohne Einfluß 
auf die Entſchließungen der Piacentiner geblieben if. Die Annalen 
beftätigen das noch im Einzelnen durch ihren weiteren Bericht: Die 
jovis, secundo mensis Februarii, comes Ubertinus de Lando, 
qui erat ad rocham suam de Bardi, eivis Placentie, cum 70 
militibus forestatis de Placentia de parte sua intravit civi- 
tatem Papie ad regem Conradum, jurando ei fidelitatem et 
eonsilium ejus, et domnus rex confirmavit ei totum comitatum 
Bonafrie, adjuncto sibi comitatu Murisii!; bejonders aber durch 
eine folgende Meittheilung, daß die am Ende unferer Urkunde für den 
Tall des Ungehorfams von Conradin ausgefprochene Drohung wirf- 
(ich, freilich ohne Erfolg, ausgeführt worden ift: Die Mercurü 
8. mensis Februarii comes Ubertinus de Lando cum 100 mi- 
litibus forestatis de Placentia et 1000 militibus Theotonieis 
et milieia Papie ad tractatum prepositi de Fontana et Guido- 
nis et Zagni fratrum ejus, qui nuper de civitate Placentia 
exierant — vielleicht auf Conradins Schreiben Hin? — equitavit 
nocte silenti usque ad portas eivitatis Placentie. Guido de 
Fontana habebat cum militibus pennonum pinetum ad arma 
sua, et Zagnus ejus frater cum navibus et populo cum alio 
pennono per aquam ire debebat; set populus Papie noluit ire, 
sieut ordinatum erat a Monticellis infra; bene enim intrassent 
omnes in eivitate absque ? aliqua contradietione; fuerunt 
milites usque ad portas eivitatis, quod intrinseci non perpen- 
derunt, magnus enim timor et tremor fuit in ceivitate. In 
defensione cujus eivitatis erant 400 milites Provinciales pro 
comite Karulo.. Unde cum viderent, quod non possent ibi 
aliquid facere, reversi sunt homines et bestias capiendo et 
domos quam plures comburendo. 


! Molisii. 


2 So corrigirt die ed. pr. zweifellos richtig da® in M. G. SS. XVII 
beibehaltene ab. 


594 


Es erübrigen noch ein paar Worte über den fir Gonradin na— 
türlich unpaffenden Titel ‘Romanorum in regem electus’, den er 
in den beiden befprochenen Urkunden führt. Am nächiten liegt wohl 
die Vermuthung, daß ein fpäterer Abfchreiber der Urkunde, verleitet 
durch den gleichen Namen des Ausftellers, die Titulatur der Urkunde 
vorgejegt Habe, deren fich bekanntlich Conrad IV. ſtets ausſchließlich 
bedient. In der erjten Urkunde, die ich als bloße Stilübung dar— 
zuthun fuchte, dürfte auch die ganze Arenga: Requirit imperatoria 
— confirmentur, die zu dem Anhalt des Altenſtücks abjolut nicht 
paßt, ähnlicher Herkunft fein. Diefe näherliegende Annahme erfcheint 
mindejten® viel wahrjcheinlicher, al8 etwa die Vermuthung, daß ein 
Späterer bei Einreihung der beiden Aftenftüce in einen Formularis 
nach dem Inhalt derjelben fich berechtigt geglaubt habe, dem Ausjtelfer 
den Titel eines erwählten römischen Königs beizulegen. Ich erwähne 
der letteren nur, als ja wirklich an Punkten der Art in beiden 
Stüden fein Mangel ift. Gleich) am Anfang der Stilübung fpricht 
Conradin von feinem langen Harren auf die päpftliche Berufung 
ad imperii electionem, ein Ausdrud, der, nebenbei bemerkt, nicht 
jehr für die Klarheit des Stiliften in ftaatsrechtlichen Dingen ſpricht. 
Auch die zweite Urkunde wendet ſich — ganz abgefehen von dem oben 
gewonnenen Refultat — offenbar an Bewohner von NReichsitalien 
und nicht des Königreiches. In dem oben verfuchten Nachweis, daß 
die erjte Urfunde nur eine Stifübung fei, habe ich diefe Punkte ab— 
fichtlich bei Seite gelaffen, da fie für die dort ventilirte Frage neben— 
ſächlich find. | 

Daß Conradin und feine Umgebung wirklich) hochfliegende Pläne 
verfolgt haben, ift befannt. Sicilien war nur ihr erjtes Ziel, ihre 
Träume gingen weiter auf das Kaiſerthum. Conradin, der Spröß— 
ling Faiferlicher Ahnen, der felbft die Erwartung ausſprach: ut illud 
magnificum genus nostrum, quod jam longis et antiquis tem- 
poribus imperavit, nostra non degeneret in persona®, durfte 
ſolche Hoffnungen um fo eher hegen, als er ja zweimal, 1262 und 
1266, ZThroncandidat in Deutfchland war °, vielleicht auch ſchon in 
den Wahlverhandlungen vor der Doppelwahl von 1257 fein Name 
genannt worden iſt“. Martin IV. hat jpäter Conradin offen des 


1 Daß ber Florentiner Coder keine Urkunden Conrads IV. zu enthalten 
ſcheint, vermag dieſe Vermuthung natürlich nicht zu erſchüttern. 

2 Protestatio a. a. O. S. 250. 

3 Forſchungen z. D. ©. XI, 135 und Anm. 5. 6. 

+ Meitere Conceifionen als dieſes „vielleicht“ Tann ich nach wiederholter 
Prüfung der Sache den Erörterungen von Schirrmacher a. a. O. ©. 453 
Anm. 20 nicht machen. Feſtere Formen Hat das Wahlproject, gegen das 
Schirrmacher Alerander IV. Brief gerichtet anficht, ganz gewiß nicht ange- 
nommen gehabt, da die Eurie fonft, wie die analogen Fälle von 1262 und 1266 
zeigen, den concreten Fall gewiß deutlich genug bezeichnet haben würde. Statt 
meines früheren Ausdruds „Präventivmaßregel für alle Fälle“ wäre wohl ridh- 
tiger zu fagen — wegen des Zwifchenraums von 6 Monaten zwiſchen der 
Thronerledigung und dem Erlaß des Briefes — „eine Mafregel vielleicht 
veranlaßt durch Gerüchte von einer beabfichtigten Erhebung Eonradins‘. 


595 


Strebens nad dem Kaiferthum geziehen !, und zwar, wie verfchiedene 
Urkunden Conradins zeigen, mit Recht?. In einer Urkunde, auf die 
ich hier etwas näher eingehen möchte, jagt Conradin, während er 
fonft nur feine Hoffnungen für die Zukunft zum Ausdrud bringt, 
in Bezug auf das Kaiſerthum fehr beftimmt: cum .. nobis assi- 
due consulatur, quod, antequam progrediamur ad recupera- 
tionem regni nostri, provinciam Lombardie jugo imperii suppo- 
namus, und wirft am Schluß den Adreffaten ausdrüdlich vor: quoniam 
adhuc rebelles fuistis imperii. Ich Habe früher bezüglich diefer 
Urkunde im Allgemeinen meine Bedenken geäußert ?, dann dieſelben 
dahin fpecialifirt, daß in derfelben Urban IV. als Urbanus tertius 
bezeichnet wird, und Gonradin von quibusdam regibus unter feiner 
Begleitung Spricht. Auh Schirrmacher hat von dem letzten Sat 
gemeint, daß er „nicht aus Conradins Feder jtammen fann“ 5, wenn 
er auch im Text das Aktenſtück wie ein authentifches benutzt ®. Zur 
Dequemlichteit des Leſers möge das Altenjtüd hier vollftändig Plat 
finden ', 


Et tunc rex Conradus, dum esset Tridenti, episcopo Cumano et 
fratribus misit litteras continentes ita: 

Conradus secundus Dei gratia Jerusalem et Sicilie rex, dux Suevie, 
venerabili viro Raymondo de Lature episcopo Cumano, Napolioni et 
Fransisco ejus fratribus, universis etiam de cognatione® predicta spiri- 
tum consilii sanioris.. Novit enim mundus, nec est, ut credimus, & 
vestra noticia peregrinum, in quantum Urbanus tertius episcopus urbis 
Rome diu = tum odium erga parentes nostros tunc effuderit contra 
nos, quum hereditatem nostram, videlicet regnum Seicilie, filiis contu- 
lerit alienis. Qui non solum hoc fatiens propriam ipsiusconscientiam 
lexit, verum etiam contra voluntatem omnium cardinalium tunc tem- 
poris fratrum ejus memoratum perpetravit excessum. Tandem super- 
venit novissimus Clemens, cujus nomen ab effectu non modice distat, 
qui electionem factam de regno per predietum Urbanum in personam 
Karuli Provineie comitis adeo funditus executioni mandavit. Cui pre- 
dicto Karulo regri ipsius imposuit diadema, eidem suggerens, quod 
tam regni quaın corone collactio ad Romanam ecclesiam pertinebat. 
Ipse vero invasor publicus in facinore confortatus, in tantam pervenit 
audattiam furoris, quod non solum regnum Seicilie, verum etiam 
principatum Taranti invasit, occisso Manfredo quondam prineipe Ta- 
rentino. Qui princeps etsi predictum regnum de jure non tenebat, 
quia tamen per ipsum nulla fiebat comiti injuria, non spectabat ad 
ipsum, vindietam sumere de eodem. Cum igitur simus Tridenti cum 
quibusdam regibus et nonnullis principibus, ducibus, marchionibus, 
comitibus et aliis militibus infinitis, et per eos qui juxta nostrum 
latus militant nobis assidue consulatur, quod, antequam progrediamur 
ad recuperationem regni nostri, provinciam Lombardie jugo imperii 
supponamus, ideirco vobis mandamus et tam corporis quam anime 


1 Korichungen XI, 135 Anm. 6. 

Reg. Eonradins 36. 44 u. 55. 

8 Korfhungen XI, 135 Anm. 6. 

* Kopp, Reihsgeihichte Bud V, S. 123 Anm. 6. 
s A.a. O. ©. 650 Anm. 2. 

°e%.a.0D. S. 338 u. 339. 

? Nach Ann. Plac. ©. 523. 

8 Der Text hat cognitione beibehalten. 


596 


consulimus ad salutem, quatenus nostris vellitis parere mandatis; 
quod facientes, inter alios Lombardos confratres vestros vos habebi- 
mus cariores. Alioquin in proximo nostrum expectetis triumphalem 
adventum, quia militibus et peditibus sic nostram vallabimus civi- 
tatem !, quod illi quos hactenus offendistis de vobis tute poterunt 
sumere ultionem. Nec quisquam vestrum miretur, si vos in princi- 
pio litterarum nostrarum non salutavimus. Non est moris, quoniam 
hucusque rebelles fuistis imperii, quos et hodie eadem labe polutos 
credimus, nisi que vobis mitimus faciatis. Non igitur a rege salutari 
meretur, qui contra regem tociens sit molitus. Data Tridenti etc. 

Ich glaube jetzt noch entjchiedener wie früher annehmen zu 
dürfen, daß wir es auch hier nur mit einer Stilübung zu thun 
haben. Könnte man Urbanus tertius auch als Verſehen des Ab- 
Ichreibers paffiren lafjen, jo bleiben doc) die quidam reges als eine, 
wie gefagt — bereit8 von verjchiedenen Seiten al8 unüberfteiglich be— 
zeichnete Klippe. Aber auch die bereits angeführte Stelle: quod — 
Lombardie provinciam jugo imperii supponamus, und die ana— 
loge Stelle am Schluß möchte ich doch jet nicht mehr für fo unver— 
fänglich halten, wie ich das früher gethan habe. Zwiſchen diefem 
Gedanken und den jonjt in Conradins Urkunden ausgeiprochenen 
Hoffnungen auf das Kaiſerthum ift doch ein großer Abjtand, der 
billig gegen dieſe Stelle in ihrer Vereinzelung mißtrauifch machen muß. 

Man kann mir einmwenden, daß die richtige Nennung der drei 
Brüder Della Torre als Adreffaten gegen die Annahıne, der Brief 
fei nur eine Stilübung, ſpreche. Dem Einwurf kann ic) Bedeutung 
nicht verfagen, glaube aber ihm gegenüber eine Vermuthung aus— 
fprechen zu dürfen, wenn ich auch überzeugt bin, daß ein Beweis für 
diefelbe nicht zu erbringen fein wird, 

Die Politif der Zorriani war dem Unternehmen Conradins 
gegenüber eine zweideutige. “Die Annales Placent. Gibell., unfere 
ftet8 fich bewährende Hauptquelle für die Dinge in Oberitalien, be= 
richten darüber allerdings nichts; Conradin, heißt es, pervenit apud 
sanctam Christinam, nemine sibi obviante neque contradicente, 
licet Mediolanenses magnum fecissent apparatum cum carro- 
cio contradicendi sibi et obviandi?, Dieje Stelle wird man 
ficherlich nicht durch fubtile interpretation fo deuten dürfen, als ob 
die Bemerfung den guten Willen der Mailänder contradicendi et 
obviandi verdächtigen wolle. Bejtimmt erheben dagegen den Vor— 
wurf einer zweideutigen Politik gegen die Torriani die fpäteren Mais 
länder. Gualvaneus Flamma? fagt von Gontadin: a Turrianis 
non est impeditus, eo quod ecelesiam persequebatur. Scärfer 
noch drücken fich die Annales Mediolanenses * aus: Et intrans 
(Sonradin) comitatum Mediolani, Turrianis oceulte faventibus. 
Diefe fpäteren Mailänder benugten alte uns verlorene Aufzeihnungen, 
jo daß es mindeftens ſehr wahrjcheinlich wird, folche Vorwürfe eines 


1 &o ber Text. 
» ©. 524 


8 Muratori Ser. XI, 698. 
* Muratori Scr. XVI, 708. 


597 


zweidentigen Verhaltens jeien gleichzeitig ſchon gegen die Torriani 
erhoben. it das aber der Fall gewefen, jo waren die Torriani bei 
dem raſchen unglücklichen Ausgang des Unternehmens Conradins, in 
diefer Nichtung compromittirt, in einer gewiß nicht angenehmen Lage. 
Karl von Anjou wie der Papft waren über den geringen Widerftand, 
der Conradins Zug durd die Lombardei geleijtet war, in fehr ges 
reizter Stimmung. Karl verlieh derjelben ſchon Ausdruck in feinem 
Brief ! an Wilhelm L'Etandard, feinen Vicar in der Yombardei, und 
zwar in recht bitteren Ausdrücken?. Später, als Conradins Durd- 
zug nad) Toskana gelungen war, hat Clemens IV. ebenfalls über die 
Lauigkeit der Lombarden in ihrem Widerftand gegen Conradin jchwere 
Klagen erhoben ®. 

Bei diefer Lage der Dinge glaube ich den Verdacht ausfprechen 
zu dürfen, ob wir in unferer Urkunde, die id) aus angeführten 
Gründen für eine authentifche nicht Halten Fann, nicht am Ende mehr 
zu leſen haben als eine bloße Stilübung, nämlich eine Fälſchung im 
Intereſſe der Torriani. Jedenfalls war eine folche Urkunde, wenn 
fie aud), wie wir ſehen, mehrfache Mängel hatte, der beſte Beweis, den 
die Torriani produeiren konnten gegen die Vorwürfe, die man ihnen 
wegen ihrer zweideutigen Haltung Conradin gegenüber machen Fonnte, 
vielleicht gemacht hat. Der bejondere Nachdruck, mit dem Ende der 
Urkunde auf die fehlende Salutatio Hingewiefen wird, hat mid) in 
meinem Verdacht nur beitärfen fünnen, zumal der Eingang: spiritum 
consilii sanioris, der in päpftlichen Urkunden an Excommunicirte 
oder Genfurirte jehr oft gebraucht wird, in Königsurkunden der Zeit 
mir nicht befannt ift. 

Dem von mir geäußerten Verdacht darf ich Hinzufügen, daß 
der Verfaffer der Ann. Plac. das Aftenftüd doch wohl bona fide 


% Ann. Plac. ©. 525 zwiſchen Ereigniffen vom 8. Februar und 22, März 

* = er — al8 nod zu Pavia anweſend voraus. Auch Del Ginpdice 
s, ©. 103. 

2 Et bene vellemus, quod Lombardi amiei nostri ita facerent pos$e 
suum in servicio dei et ecclesie atque nostro et suo proprio, sicut 
facimus posse nostrum et sicut faciunt inimici in servicio diabuli 
stando in excommunicatione et in servicio Conradini. Nam Papienses 
et Veronenses et homines Burgi sancti Dompnini sunt soli in Lom- 
bardia, nichilominus cum Pisanis et parte Senensium et aliquibus pau- 
peribus Gibillinis nutriunt Conradinum et militiam suam, et nostri 
Lombardi nullam militiam extraneam suis expensis habere voluerunt. 
Quare facta sus minus valent et possent adhuc minus valere, nisi 
provideant sibi melius, quam fecerint usgquemodo. Unde mandamus 
tibi, quatenus loquens cum legato et inducas eum, ut convocet eos 
sine mora omnes de Lombardia, ut mitant ambaxatores eorum ad par- 
lamentum generale in Placentia u. j. w. 

3 Brief vom 15. Mai 1268, Martene et Durand Thes. II, 597. Del 
Giudice IIa, &©.150: Sane si Lombardos puduerat, Conradino perdi- 
tionis filio de Verona venienti Papiam nullum obstaculum prestitisse: 
longe magis pudere nunc potest, a te monitos et vocatostranseuntem 
ejus militiam per viscera Lombardie, nedum ut tu volueras, impedisse, 
sed nec etiam terruisse, 


598 


aufgenommen Hat. Denn wenn er aud einmal ebenfo wie das 
Alktenſtück einen Diſſens zwifchen Papſt und Gardinälen betont, jo 
thut er e8 bei ganz anderer Gelegenheit!. Aud das Vorkommen 
defjelben Wortfpiel® mit dem Namen Clemens: cujus nomen ab 
effectu non modice distat, in der früheren Erzählung der Annalen? 
wird ung nicht berechtigen, den ausgeſprochenen Verdacht der Fälſchung 
auf diefen fo außerordentlich zuverläffigen, gewiſſenhaften Geſchicht⸗ 
jchreiber auszudehnen. 

2 Ann. Plac. ©. 521 wird bemerkt, daß die Sendung der Truppen burd 


den Papft nad) Florenz absque conscientia cardinalium erfolgt. 
2 Ann. Plac. ©. 517, 


Das Gedicht über den Mongoleneinfall. 
Bon W. Herkberg. 


In Bd. XU, ©, 645 ff. diefer Zeitfchrift wird von Herrn 
Profeſſor Wattenbach ein lateinifche8 Gedicht aus der Mitte des 13. 
Sahrhunderts auf den Einfall der Zartaren in Ungarn nad) einer 
von Herrn Prof. Dümmler genommenen Abjchrift aus dem Salz— 
burger Ms. des Stiftes zu St. Peter, Cod. IX, 2, mitgetheilt. 

Dafjelbe trägt deutliche Spuren eines italienischen Urfprungs : 
ch vor e und i um den harten Laut des c zu bewahren, während 
im andern Fall (dreimal vor u) das urjprünglide ch in e ver- 
wandelt ift; die romanische Elifion von se (Pron.) vor feinem Ver- 
bum; der unklare Gebraud) de8 h im Anlaut (habundant; dagegen 
irsuti); ftatt th überall t; zabulus ft. diabolus (S. Diez’ Gr. I, 
S. 228), vielleiht aud) gramula in Anlehnung an das it. gramola. 
Auch die metrifche Behandlung der accentuirten und tonlofen Silben 
jpriht für den romanifchen Urfprung. Anderes im weiteren Verfolg 
diefer Bemerkungen. So erfcheint denn das Gedicht in Verbindung 
mit dem gleichfalls von Wattenbach mitgetheilten ermunternden Brief 
der römischen Curie an König Bela IV. gewiffermaßen als eine 
poetifche Beigabe, eine epistola consolatoria an die bedrängten 
Ungarn. Natürlic) haben wir in der Salzburger Hoſch. nicht das 
Autographon des DVerfafferd vor und. Das verbietet ſchon der 
äußere Zuftand derfelben. Denn nach Herrn Diümmlers Bericht find 
die Verſe auf der Innenſeite des Einbanddedel8 des erwähnten Cod, 
gefchrieben. Aber durd) viele Hände find fie auch nicht gegangen ; 
font würde der Tert mehr Gorruptionen zeigen. Wir dürfen ans 
nehmen, daß unfer Ms. die unmittelbare Copie des Originals ift. 

Bon dem Gedichte felbft urtheilt Herr Wattenbad), daß, wenn 
e8 gleich weder poetifch uoch metriſch jehr zu loben, auch nicht überall 
verftändlich fei, e8 doc) einige charakteriftiiche Züge von diefen wilden 
Feinden enthalte, 

Es fei mir gejtattet, dies Urtheil des hochverdienten Gejchichts- 
forfchers und ausgezeichneten Kenners der mittelalterlichen Schriftſchätze 
in etwas zu wmodificiren. 

Allerdings ift das Gedicht weder nad Form noch nad Inhalt 
ein Meifterwerk; aber jene von Wattenbach in ihrer Hiftorischen Be— 
deutung hervorgehobenen conereten Züge, von einer zeitgenöffifchen 
Hand entworfen, geben demjelben zugleich ein poetifch warmes Colorit 


600 . 


und eine friſche Gegenjtändlichfeit, wie die Tateinifchen Poeſien des 
Mittelalters (mur zu häufig phrajenhafte Centonen aus Virgil, Ovid 
und Statius) jie nur felten bieten. Cine originelle Yndividualität 
wenigftens ift diefer Production nicht abzufprechen. 

Ferner zeigen die Verſe felbjt in ihrem bunten Rhythmen— 
wechjel, der ſich meift mit richtigem Gefühl dem Anhalt anfchmiegt, 
eine gewijfe wilde Grazie, die eine nicht ganz gewöhnliche poetifche 
Begabung des Verfaſſers verräth. Wir machen, un anderer Stellen 
nicht zu gedenfen, nur darauf aufmerkſam, wie eindrudsvoll B.130 
ff. der Tag der Rettung und Vergeltung in dem herrlichen Rhythmus 
des ‘Dies irae’ angekündigt wird, der uns wie Pojaunenflang des 
jüngjten Gerichte8 gemahnt. 

Auch find die Verje bei genauerer Betrachtung nicht fo regellos 
gebildet, wie es bei der erjten Lejung erjcheinen mag. 

Alles Gründe genug um unſer Intereſſe an dieſer eigenthüm— 
lichen Production und den Verſuch zu rechtfertigen, auch über die 
minder verftändlichen Partien ins Klare zu fommen. Ich glaube, 
daß fich dies Reſultat durch eine richtige Interpunction des Textes 
und mit Hülfe einiger ſich leicht bietenden Emendationen annäherungs- 
weife wird erreichen lajjen. Zuerjt aber werfen wir noch einen Blick 
auf die metrifche Form. 

Es find ſ. g. rhythmiſche Verſe, d. h. fie find nicht nach den 
Gefegen der antiken (quamtitirenden) Profodie, fondern nach dem 
Accent gemeſſen, am Schluß und oft auch in der Mitte, in theilweife 
fünftlihen Verſchlingungen gereimt. 

Im allgemeinen trifft der Wortaccent richtig auf die Arfis; 
doch hat der Verf. fich von diefem Gejege nicht wenige Ausnahmen 
erlaubt; nämlich an folgenden Stellen: M. 6. tartära. 10. stimülum. 
11. obsitis. 12. Cönsumptis. 16. necät. 21. 23. im Reime auf 
viam: Ruscyam Turchyam, Gorgyam (i. e. Georgiam) , wo— 
bei die eigenthümliche Orthographie zu beachten ijt, nad) welcher der 
Berf. das lange i durch ein y bezeichnen zu müſſen geglaubt hat 
(wohl um ein Doppel-i auszudrüden nad) Analogie des italienifchen 
Schluß-j). 23. Vastäns; Persidam. 30. Currens. 32. Indös. 
33. Tartärus. 35. Contra orbem. 45. cerüoris. 50. Doeti. 
51. Subito; dominum. 54. Ferri. 56. Terrä. 68. 69. Sue 
(i. e. suae). 70. Longe. 71. More. 74. Femina. 79. Armis. 
81. sägitta. 82. Ledit. 85. Fortis, arte, sitü. 91. Parit. 
128. morte. — Man beachte übrigens, daß von bdiefen 34 Fällen 
mehr als die Hälfte (18) dem erjten Fuß angehören, in welchem aud 
die deutfche Metrik eine Umkehrung des Rhythmus — wenigjtens bes 
Jambus in den Trochäus — geitattet. 

Die durch gleiche Reime verbundenen VBerspaare und vierzeiligen 
Strophen haben ſtets diefelbe Meffung. Nur dreimal it im Jambus 
die Anakrufis ausgefallen. V. 13. Tartarus,. 95. Cöhors. 120. C&lum. 
Innerhalb der Verſe ift aber diefe Negel jo genau beobachtet, daß 
ich mich für berechtigt Halte, die einzige Ausnahme (V. 87) reserve- 


601 


tur als einen Schreibfehler zu betrachten und ohne den Sinn irgend 
zu alteriren, dafür servetur herzuftellen. 

Der Hiatus wird, wie in allen rhythmiſchen Verſen, nicht be— 
achtet. Nur ein einziges mal findet ſich (V. 51.) die (wie fchon 
oben erwähnt) durch den Gebraud der romaniſchen Sprachen ge— 
läufig gebliebene Eliſion: s'ingerunt, allerdings nicht durch die 
Schrift ausgedrückt. 

nn Versſchemata find folgende: 

Je vier Verſe durch gleiche Reime am Schluß und in der 
Cäſur zu Couplets verbunden. 

V. 13—16: (mit Ausnahme des um die Anakruſis verkürzten 
ihon oben erwähnten V. 13): 
in zwei NReimpaaren. 

V. 17—20 wie 1—12. 

V. 21-24: — — — ||. 

Mit gleichem Neim am Schluß und in der Cäſur. 

V. 25—29 wie 1—12; aber die Reime in der Cäſur nur 
paarweis ſich entſprechend. 

V. 29—36 wie 13—16; aber im erſten Couplet die Reime 
nur paarweis, im zweiten fich durchgehende entſprechend. 

V. 37-40: — — —. 

Reime paarweis. 

. 41—44: ⸗—— —. Hier iſt der Verſuch eines 
Anapäſtes im rhythmiſchen Vers zu beachten, der in V. 43 wahr- 
Icheinlich in die zweite Stelle gerückt ift, da Sed sanguis pro vino 
sumitur ſich befjer fo: — —— — —— als nad) dem obigen Schema 
lift. Reime paarweis. 

45-47: — —— — —. Hier zeigt fich derfelbe Verſuch 
mit einem Daktylus, der V. 48 auch in der erjten Stelle auftritt: 
— — _.— —. Der gleihe Reim geht durch alle vier Verſe. 

V. 49. 50: — ——— |. 

V. 51. 52: —— — — | --—. 

Diefe 4 Verſe find außer den paarweifen Neimen am Ende 
noch unter ſich in der Cäſur durch vier gleiche Reime verbunden. 

535—56 wie 13—-16; aber der Schlußreim durchgehend. 

57--60 wie 37—40; Reime paarweis. 

65—74 wie 13—16; Reime paarweis. 

75—76 wie 1—12: auch dem Heim nach, aber nur auf 
ein Verspaar beichränft. 

77. 78 wie 51. 52. 

79—82 wie 13—16. 

83--84 wie 1—12. 


85—92: — — — — |... 
Durch ie vier gleiche Endreime zu Couplets verbunden. 
Zn h — Auch ne ⸗ ñ ⸗ñ —. 


XV. 40 


602 


(Mit Ausnahme des oben erwähnten, um die Anakrufis ver- 
fürzten V. 95). Vier gleiche Endreime. 
. 97—98 wie 1—12. 

99—100 wie 51—52; aber ſämmitliche vier Verfe durch gleiche 
Endreime verbunden. 

101—104 wie 13—16. 

107—109 wie 13—16. 

110—112 wie 105—106. 

113—115 wie 13—16. 

116—117: ———.., 

Unter diefen Verſen (101— 117) findet aber eine äußerft künſt— 
liche Reimverfhlingung ftatt, indem V. 101 —104, 107 — 109, 
113—115 fänmtlih unter einander, 103, 107, 108, 109, 113, 
114 auch nocd durch‘ einen Doppelveim, und wiederum 104, 109, 
113 durch denfelben Binnenreim, endlich auch 105, 106, 111, 112, 
116, 117 durd) den gleichen Endreim verbunden find. | 

118—121 wie 51.52; paarweis gereimt. Wegen Celum j. oben. 

122—125 wie 49, 50, mit gleihen Schlußreimen; aber nur 
das erite Paar aud) in der Cäfur gereimt. 

126—129: —— — | — — 

Durch alle vier Verſe derſelbe Reim am Schluß und in der Cäſur 
(alſo 8 mal), ſo aber, daß die Cäſuren unter ſich und die Versſchlüſſe 
unter ſich noch durch Doppelreim verbunden ſind. 

130—137 wie 37—40; aber durch je 4 gleiche Reime in 
zwei Couplets geordnet — alfo der Rhythmus des ‘Dies irae’, 

134—141: — , mit gleichen Schlufreimen. 

Aus der obigen Analyje, die einen fo reihen Rhythmenwechſel 
aufweift, wie er fich faum in einem zweiten mittellateinifchen Gedichte 
wieder finden dürfte, ergibt fi von ſelbſt, daß die Eintheilung des 
Abdrucks (ob auch de8 Ms. — ?) in vierzeilige Strophen einer ſtarken 
Beihränfung bedarf. Es ijt möglich, daß der Dichter fie urfprünglich 
beabfichtigt hat, er ift aber durch den Schwung jeiner Berfification 
über diefen engen Rahmen hinausgetrieben. 

Den Anhalt betreffend, hebt da8 Gedicht mit einem an Pfalnı 
7, 12, 13 ſich anlehnenden Bilde an. Gott der Rächer und Richter 
ſchwingt fein Schwert; die Poſaune erklingt; er ruft durch Propheten 
mund die Menjchheit vor feinen Stuhl. Er hat zur Geißel den 
Tartaren auserjehen (der ſchon durch feinen Namen feinen Ur— 
fprung aus dem ZTartarus erkennen läßt); durch ihn ftraft er die 
Böſen und läßt die im Herzen DBerhärteten (duros) fofort der Hölle 
(tartara) übergeben. Es folgt Strophe 9—13: 

b extremis finibus api sibilavit, 
Ad stimulum plebibus muscam praeparavit, 
Que obsitis sepibus valles occupavit, 
Consumptis segetibus speciosa pavit. 

Man fieht, die Tartaren fommen wie ein Heuſchreckeuſchwarm 
(fo faßt der Dichter musca), die über die Fluren verwüftend 





603 


berfalfen und „alles Schöne abfreſſen“ (pascere in diefem Sinne 
jelbft der claffischen Latinität nicht fremd; ſ. Tibull II, 5, 25). 
Aber was will die feltfame und auf den erjten Blick ſiunloſe 
Wendung: api sibilavit —? Es drängt ſich faft von jelbft die Ver— 
muthung auf, der Verf. habe gejchrieben: abisieitavit, d. i. abyssi 
eitavit. Damit würde auf das gefälligfte ein Pafjus in dem gleich— 
falls von Wattenbach mitgetheilten, mit unferm Gedicht in demſelben 
Ms. vereinigten Sendjchreiben der römischen Curie an König Bela IV. 
zufaınmenftimmen: Pontifices et prelatos neenon quamplures de 
genere levitarum vix satisfeeisse voragini gladiorum, quos 
gentes extere quasi locuste de ore abissi erumpentes 
intingere minimum reputarunt sanguine caet. 

Doch e8 bedarf weder diefer Conjectur, wie verlodend fie auch 
erfcheint, noch irgend einer andern. Denn der Dichter hat unzweifel— 
haft die Stelle de8 Jeſaias vor Augen gehabt, die in der Vulgata 
(7, 18 ff.) jo lautet: Et erit in die illa: Sibilavit Dominus 
muscae, quae est in extremo flumine Aegypti, et api, quae 
est in terra Assur, et venient et requiescent omnes in torrenti- 
busvallium et in cavernis petrarum et in omnibus frutetis et 
in universis foraminibus. Das Pfeifen oder „Züfcheln“ (wie 
Luther überſetzt) verftehen die Erflärer des Jeſaias von dem eigen- 
thümlichen Ton, mit welchen der Zeidler die Bienen zum Schwärmen 
lodt. Man fieht, der Dichter hat zwar die Fliegen zu Heu- 
ichreden (offenbar einem pafjenderen Bilde) umgedeutet, daneben aber 
doc, dem Propheten zu Liebe, die Bienen bejtehen laſſen. 

In der folgenden Strophe (V. 13—16): 

Tartarus a tartaro 

Averni eclaustra barbaro 

Plutonis fert insignia 

Rex qui necat tot milia — 
hat Wattenbah mit Recht elaustra durch ein parenthetifches sic 
angezweifelt. Es wird elaustro zu jchreiben fein; der Singular, 
ſchon in der claffifchen Latinität nicht ohne Beispiel, ijt dem Mlittel- 
alter, zumal in der Bedeutung eines eingefchlojfenen Ortes (dann 
„Klojter“) völlig geläufig. Der Tartarus wird demnach der „graufe 
Verſchluß des Avernus“ genannt, da fein Eingang von diefem Ge— 
wäſſer umflutet ift. Oder, wenn man diefe übrigens aus Virgil 
billig genug zu fchöpfende Eleganz unferem Dichter nicht zutrauen 
will, jo fajje man Avernus als Unterwelt jelbft; dann wäre der 
Genitiv zu elaustro der Gafus der Identität. 

Rex im letten Verſe ift die — allerdings etwas ſpät fommende 
Appofition zu Tartarus; e8 ift zunächſt Batu Khan jelbjt ge— 
meint; was aber von ihm gilt, gilt von feiner ganzen Horde. Unter 
insignia wird man das ganze äußere Anjehen des Höfllenfürften, 
alſo namentlich die frazzenhafte Gefichtsbildung der Mongolen zu 
verftehen haben. Doch läßt fi) der Gedanke kaum zurüchveifen, daß 
der Dichter noch fpeciellere insignia gemeint habe. An Standbildern 
des Pluto, ſelbſt mit Unterfchriften konnte es in Nom nicht fehlen, 


40* 


604 


Die Identificirung des Gottes mit Tod und Teufel mußte auch das 
Intereſſe einer chriftlihen Bevölkerung an demfelben rege erhalten. 
Es fann nicht bezweifelt werden, daß aus dem zweizadigen Scepter 
des unterirdifchen Zeus die famofe Dfengabel in den Händen des 
Satanas geworden ift. Ob in der Ausjtattung des Tartaren-Khans 
fi) ein Analogon dazu bot, weiß ich nicht, bezweifle e8 au. Da— 
gegen erinnert der Modius auf Plutos Haupt entfchieden am die 
Zartaren-Müte. Ferner wird der Tod auf antifen Sarkfophagen 
ſehr häufig als Schüge mit Bogen und Pfeilen dargeftellt (der 
harakteriftifchen Waffe der Mongolen). ine weitergehende Gelehr- 
famfeit traue ich unferm Dichter felbjt nicht zu. Sonft wäre der 
mit dem griechiichen Pluto identificirte römijche, oder vielleicht genauer, 
etrusfiiche Vejovis Heranzuziehen (Martian. Capell. II, 9), der 
auf dem Capitol mit Bfeilen in der Hand dargeftellt war (A. Gell. 
N. A. V, 12. Vergl. Müllers Etrusf. Th. I, ©. 59 ff.). 
In der Strophe V. 29—32: 

Coceitus duleis glareis 

Currens cum Stigis flammeis 

Produxit istos Cielopes 

Indos, Mauros, Etyopes, 
vermuthet Wattenbach ftatt duleis: duris (zu glareis), da aller 
dings duleis als Attribut zu Cocytus unerträglich ſcheint. Ich 
jelbft Hatte eine, wie ich glaubte, den Zügen des Originals näher- 
fommende Conjectur verfucht, unterdrüde fie aber jegt gern, da mein 
gelehrter Freund, Paſtor Manchot, dem ich noch manchen andern 
Fingerzeig zur Interpretation diefes Gedichtes verdanfe, mid) darauf 
aufmerffam macht, daß wir es auch hier mit der Paraphrafe einer 
alttejtamentlichen Stelle zu thun Haben. Die Vulgata läßt Hiob 
(21, 33) fagen: 

Duleis fuit glareis Cocyti et post se omnem ho- 
minem trahet et ante se innumerabiles. Man follte auch hier 
ſchon erwarten: Dulces ei fuerunt glareae C., denn die LXX_ giebt 
den Tert: "EyAvxdvinoav adıd yalızes xaımabbov za Orılca 
avrwv nüs Edvdomnog arslslostn, xal Zungoodev vol 
Avapidungov. Welche Schwierigkeit aber diefe Stelle, welche erjt 
durch die neuften Interpreten des Hiob zu einiger Klarheit gebradt 
ift, vonjeher den Hermeneuten gemacht, erhellt aus den verjchiedenen 
Ueberjetzungen des hebräifchen Textes. Luther giebt fie wieder: „Es 
gefiel ihm wohl der Schlamm des Bachs, und alle Menfchen 
werden ihm nachgezogen“. Die englifche Ueberjegung hat: Theclouds 
ofthe valley shall besweetunto him, andevery man 
shall draw after himself. 


— — 


Es iſt ſchwer zu ſagen, wie Hieronymus ſich die Sache gedacht 


hat, noch ſchwerer aber, wie unſer Dichter, der die Conftruction des 
lateinischen Textes wieder in eigenthiimlicher Weife verdreht. Man 
wird faum umhin können zu der — immerhin gefährlichen — Gr: 
klärung feine Zuflucht zu nehmen, daß er duleis ironifch gefaßt habe. 
Es bleibt noch flammeis, als Adjectiv mit einem ergänzten glareis 


605 


— ehr ungefüge. Ich glaube daher, daß biefer abl. plur. von 
einem fubftantivifchen flammeus oder flammeum abzuleiten fei, das 
der Dichter gleich) famma zu gebrauchen gewagt habe. 

Vers 37—40: Tartarorum gens brutalis, 

Spurca crueis eruentalis 
Ursa, parda et leena 
Carnes vorat ut hyena. 

Hier ijt erueis im 2 V. ſehr auffallend und auch von Watten- 
bad) durch ein sie in Parentheje hervorgehoben. Ich glaubte ſchon 
dem Dichter den Solöcismus trucis — trux zutrauen zu dürfen; aber 
bei näherer Erwägung wird fid) das handjchriftlihe erueis doch noch 
beſſer jchügen lajjen, wenn man nämlihspurca cauſativ faßt — spur- 
eifieus, spurcans, aljo das Kreuz bejudelnd und verhöhnend — ein 
Charafterzug der gottesläfterlichen Heiden, den man beinahe ungern 
in diefer Schilderung vermiffen möchte. Ob das Adj. eruentalis 
mit feiner wuchernden Ableitungsfilbe alsdann zu erucis (das blutige 
Kreuz des Herrn) oder zum Subject zu beziehen fei (blutdürftig, 
blutbeflect, graufam) muß dahingejtellt bleiben; im letteren Falle 
wäre nad) erucis ein Comma zu fegen. 

B. 49—52: 

Equorum greges nutriunt qui dominum sequuntur, 

Docti bellis inserviunt, parati obsecuntur. 

Subito marti se ingerunt, dominum eircumdant. 

Tesauros istos congerunt, talibus habundant. 

Hier hat Wattenbac) subito im 3. Verſe durch ein Fragezeichen 
angezweifelt. Sch fehe feine Schwierigkeit darin, fobald man subito 
adjectivijch mit marti (Kriegsgott für Krieg, Schlacht) verbindet. 
Die Pferde find jo gut zum Kriege abgerichtet, daß bei einer plößlich 
fi) anfpinnenden Schlacht fie fi) fofort um ihre Herren drängen 
und in den Kampf ftürzgen — ob mit oder ohne Reiter, bleibt 
zweifelhaft; wahrjcheinlich iſt doch aber ertere® gemeint. Sollte das 
Fragezeichen dem Versmaß gelten, fo erinnere ich an das im diefer 
Beziehung oben Vorausgefchidte. 

Strophe 53—56 ift in der Handſchrift defect: 

Est silex equi ungula 
Ferri oa... .: gerula 


Terra ... . et gramula. 
Für den erjten Vers verweift Mandot auf Jeſaia 5, 25: ungula 
equorum ejus ut silex; im dritten rejtituirt Wattenbad) fehr richtig 
pabula. Ich wage die weitere Ergänzung: 
| Ferri, clavi non gerula. 
Radices his sunt pabula 
Terrae fruges et gramula. 

Die Hufen der Pferde find feit wie Kiefel; fie fino daher weder 
mit Eifen nod) mit Nägeln bejchlagen (das Ajyndeton — ferri, clavi 
— ift unferm Dichter fo geläufig, daß jede Strophe dafür Beifpiele 
bietet). Für fruges geftehe ich ein befferes Wort zu winfchen, da 


606 


darin eben Fein bejonderes Zeichen von der Genügjamfeit der 
Zartarenrojfe liegt. Mehr als Früchte des Feldes verlangt fein Pferd. 
Dürfte ic) daher vorausjegen, daß Herr Dümmler das et nad) der 
Lücke nicht genau gelefen hat, und daß darin ein Reſt von at ſteckt, 
jo wiirde ic) mit größerer Sicherheit vorschlagen : 
Terra si negat (oder non dat) gramula. 

„Die Pferde freſſen Wurzeln, wenn die Erde ihnen fein Gräs- 
chen bietet“. Das ſehr anomal gebildete Deminutiv gramulum (von 
gramen) lajje ich unangetajtet. 

V. 57: Arcus tendit plus quam gentes ift ſehr fonderbar 
gefagt. Ich nehme Arcus al8 acc. plur. und ergänze — als Sub— 
ject zu tendit den Tartaren felbjt, der ja das ftilljchweigend gedachte 
Subject de8 ganzen Gedichtes ift; gentes bezeichnet dann alle andern 
Bölfer, und der Sinn des Verſes ift: der Tartar ſchießt mit dem 
Bogen weiter al8 alle andern Menfchen. Diefe Interpretation wird 
bejtätigt durd) V. 66 ff. 

Sagitte volant eminus 
Sue, sed nostre cominus. 
Sue, non nostre, sauciant, 
Cum longe nostris jaciant. 

In dem leiten Vers fteht longe ungenau aber unverkennbar 

jtatt longius. 
Vers 71 ff. More pardorum feriunt, 
Sagittas post se jaciunt — 
it pardorum für Parthorum gemeint; ob die Sünde dem 
Abjchreiber zur Laſt fällt, ift fraglich, da die Eigennamen auch fonjt 
bei unjerm Dichter eigenthümlich verſtümmelt erfcheinen. Daß er nicht 
an Leoparden gedacht, ijt Elar genug. 
V. 77 ff. Sagittat jacens Tartarus lancea prostratus, 
Non servat fidem barbarus hostibus prelatus. 
iit das legte Wort fehr unklar; doc) möchte ich) aus verjchiedenen 
Gründen es nicht in servatus ändern, was der Sinn zu erheifchen 
icheint. Die Hinterlift des Tartaren wird auf doppelte Weile be- 
zeichnet: Er jchießt noch, wenn er fchon von der Yanze durchbohrt 
niedergeſtreckt Liegt, er fchießt auch noch, wenn ihn Schon Pardon ge— 
geben ift. Dies wird der Dichter, um das ſchon einmal gebrauchte 
servare zu vermeiden, durch praelatus haben ausdrüden wollen, denn 
in der Schonung eines Beſiegten liegt eine Bevorzugung, zumal in 
fo wilden Zeiten. 
Vers 81 ff. Hec sagitta resiliens 
Ledit nec ensis feriens, 
möchte ich ftatt Hec: Nec lefen, was bei einem unzialen N oder 
H faum eine Gorrectur zu nennen ift. Sieht man jedoch Haec 
wegen der Beziehung auf das ®. 79 vorhergehende armis vor, fo 
muß in dem erjten Gliede ein nec ergänzt werden — eine Freiheit, 
die auch der claſſiſchen Yatinität nicht völlig fremd iſt. 
In der Strophe 89—92 : 
Sed servant ex his omnibus electsm juventutem, 


607 


Que fortiter si dimicat, non efferunt virtutem. 

Perit: si cedat, ceditur; non amant servitutem, 

Nee virginem, quam violant, post servant ad salutem. 
find befonder8 die beiden mittleren Verſe dunkel. Ich glaube fie fo 
verstehen zu follen. In der vöthergehenden Strophe war gejagt, daf 
die eingenonmmenen Städte gejchleift und alle Einwohner vertilgt 
werden. „Nur“, fährt der Dichter fort, „die ftreitbare Jugend 
wird (zunächit) verfchont und (was man allerdings Hinzudenfen muß) 
in die vorbderften Reihen des Zartarenheeres gejtelit. Kämpfen fie 
dann tapfer, fo erhalten fie fein Lob und feinen Lohn für ihre 
Tapferkeit, werden vielmehr (alsdann) getödtet ; weichen fie aber in 
der Schlachtreihe, jo werden fie von den dahinterftehenden Tartaren 
niedergemacht ; überhaupt lieben diefe nicht Sclaven zu halten (non 
amant servitutem), daher fie denn auch die Yungfrauen, nachdem 
fie diefelben entehrt haben, niedermegeln“. 

In Strophe 93 -96: 

Decurio, centurio, pentarcus, 

Dux, miles, procer, comes, cyliarcus, 

Cohors, falanx, legio, exarcus, 

Stat, pugnat, silet, imperat monarcus. 
muß nad) silet eine ſtarke Interpunction eintreten; dann ift der 
Sinn: Alle vom Gemeinen bis zum höchſten Befehlshaber müffen 
gehorchen, ſchweigen und kämpfen; nur der König Hat zu befehlen. 

Die nächſte Strophe (97—100) leidet auch etwas an Dunkelheit. 

Precursorum milia currunt, paucos ledunt. 
Que secuntur media elaudunt, sic procedunt, 
Dum subito preveniunt et securos reddunt, 
Ne fugiant: effugiunt nulliÄ, omnes cedunt. 

Ich faffe den Sinn fo: Eine leichtberittene Schaar fchwärmt 
vor dem eigentlichen Heereskörper voraus, ohne den Feind wefentlich 
zu verlegen, der dadurch ficher gemacht wird und nicht flieht. In— 
zwifchen ift, durch die Tirailleurs gededt, da8 Gros des Heeres an- 
gerückt und macht alles nieder, jo daß Feiner entfommt. 

Die folgenden Berfe 101—-117 bedürfen zu ihrem Verftändniß 
einer dirchgängigen Veränderung der Interpunction. Sie lauten in 
dem Abdruck: 

Et euruum currilium 
Velut tempestas imbrium, 
Inundans ut diluvium 
Currentium torrentium. 
105 De montibus in planum 
Collegium prophanum 
Ut tigrium et dencium 
Feralium mordencium. 
Seindeneium fundencium 
110 Sanguinem humanum 
Ut pecudum ut canum, 
Hoc proelium insanum. 


608 


Est gentium fremencium 
Pugnantium cedencium 
115 Necancium tot milium 
Hominum in vanum, 
Juvenem et caflim. 

Zunächſt Hat im erften Verſe bereits Wattenbach für curuum 
— curruum rejtituirt; currilium aber dur ein anzweifelndes 
Fragezeichen notirt. Doc hat unfer Dichter gewagtere Adjectivbil- 
dungen als diefe, wozu fi) die gleichbedeutende Nebenform currulis 
bereit8 bei Appulejus findet, abgejehen von dem claffischen curulis, 
das nach einer (allerdings fraglichen) Elymologie gleichfalls auf 
eurrere zurücgeführt zu werden pflegt; eurrilis ſelbſt aber findet fid) 
in der Vulgata, Reg. 4, 26. Hier find allerdings curriles (sc. 
equi) Wagenpferde. Aber e8 hindert auch nichts fie an diefer 
Stelle jo zu falfen.. Dann muß man nur hinter curruum ein 
Comma jegen und das unſerm Dichter fo geläufige Aſyndeton 
(jt. curruum et eurrilium) ftatuiren. Daß ferner die Abtheilung in 
bierzeilige Strophen hier nicht an der Stelle ift, haben wir fchon 
früher angedeutet; nicht nur der Reim, jondern auch die Verszahl 
wehrt fic) dagegen, und der Zufammenhang des Sinnes wird vollends 
dadurd; zerriffen. Wir ftellen diefen durch folgende Interpunctions— 
änderungen her. Nach torrentium (104) das Punktum zu ftreichen, 
nad) planum (105) ein Comma zu fegen, nad) mordencium (103) 
ftatt des Punktes ein Comma zu jegen, hinter canum V. 111 einen 
Punkt jtatt des Commas, hinter insanum das Punktum zu ftreichen, 
desgleichen hinter vanum das Comma. 

Hiernach ergiebt fi) der Sinn in möglichjt wörtlicher Leber- 
ſetzung: „Von rolfenden Wagen erhebt fich gleihjam ein Regenjturm, 
der überftrömt wie eine Siündflut von Sturzbächen, die fi) von den 
Bergen in die Ebne ergießer, eine jchnöde Sippichaft ! wie von Ti- 
gern und mit tödtlichen, beißenden, zerfleifchenden Zähnen, die 
Menfchenblut vergießen, ald wäre e8 Blut von Bieh und Hunden. 
Dies ift der wahnfinnige Kampf von tobenden Völfern, die ftreiten 
und würgen und von fo vielen taufend Menfchen Yünglinge und 
Greiſe morden“. 

8.118—121: Dum celum tonat fulgurat, mittit contra celum 
Sagittas, pelli murmurat fulgur propter telum. 
Celum celi domino, ei terra cedit 
In sue sortis termino, gens misella credit. 

Hinter tonat im erften ®. ein Komma zu jeßen; das fchon 
öfter8 bemerkte Afyndeton. Sinn: Wenn der Himmel donnert und 
blit, fendet er feine Pfeile gegen den Himmel und murmelt, der 


ı Menn e8 hart ericdeint collegium profanum als Appofition zu 
tempestas curruum zu faffen, fo erwäge man, daß nad) einer befannten Met- 
onymie bei currus an die in den Wagen Sitenden gedacht wird und tem- 
pestas c. nur eine weitere Anwendung derfelben Figur if. Wirklich Hart, 
aber doch unzweifelhaft ift die Verbindung der zwei völlig ungleichartigen Genitive 
tigrium et dentium, 


609 


Blitz werde verfcheucht durch fein Geſchoß. Der Himmel gehört deut 
Herrn des Himmels, ihm gehört die Erde als Gebiet feines Antheils, 
glaubt das elende Volk (in termino ce. ftatt in terminum c.) 

Etwas dunkel erfcheint auch die folgende Stelle V. 122—125: 

Quam plurimi continuis congressibus se cedunt, 
Incendiis et spoliis ad invicem se ledunt. 
Heretici apercius securius incedunt, 

Seismatici apostate judieium non credunt. 

Ich verstehe fie dahin, daß bei der allgemeinen Verwirrung und 
Auflöfung der bürgerlichen Ordnung, die durch den verwüſtenden 
Einfall der Barbaren herbeigeführt ift, die Einwohner des Landes 
jelbft in einem bellum omnium contra omnes einander zu ſchädigen 
und zu vernichten anfangen und Keter und Scismatifer das Haupt 
erheben, da fie in diefer Calamität das Gericht des Herrn nicht er= 
fennen wollen. 

Die größte Schwierigkeit aber bieten die dem Schluß vorher» 
geheuden Verſe, die ich fanımt dem Schluß ſelbſt gleich nach der mir 
nothiwendig erfcheinenden Interpunction gebe: 

Hec sunt quadricornua orbem ventilencia. 
Seindunt corda fatua pactum facientia 
Cum morte perpetua Zabula versucia; 
Acherontis pascua colent cum tristicia. 


130 Fabri quatuor parantur, 
Ad tremendum isti dantur, 
Christi vestibus ornantur, 
Arma lucis induantur, 


Ut ab ira imminente 
135 A furore irruente 

Liberemur nune repente; 

Convertamur tota mente 


Ad elementem dominum, 

Qui est pater luminum, 
140 Tergens noxas eriminum, 

Maculas peccaminum. 

Hier ift nun zwar zumächft foviel Har, daß unter dem quadri- 
cornua die Tartaren verjtanden werden, Ungeheuer, welche Gott ges 
jandt Hat, um durch fie die Welt zu fichten, die Spreu von dem 
Waizen zu fcheiden und die Böſen der Verdammniß anheimzugeben. 
Aber warum nennt der Dichter fie quadricornua? Es liegt nahe, 
darin eine Anfpielung an eine apofalyptifche Viſion zu fuchen. Aber 
die gehörnten Thiere und Unthiere der Offenbarung Yohannis find 
theils zehuhörnig, teils fiebenhörnig, theils zweihörnig. Die Species 
quadricornua ift nicht unter ihnen vertreten. Dagegen verweilt 
mich Manchot auf dern Propheten Sadarja II, 1—4 (alias ], 
18—21), deſſen Worte in der Faſſung der Vulgata ohne allen 
Zweifel unferem Dichter vorgefchwebt haben: 

(1) Et levavi oculos meos et vidi et ecce, quatuor 


610 


cornua. (2) Et dixi ad angelum qui loquebatur in me: 
Quid sunt haec? Et dixit ad me: Haec sunt cornua quae 
ventilaverunt Judam et Israel et Jerusalem. (3) Et 
ostendit mihi dominus quatuor fabros. (4) Et dixi: Quid 
isti veniunt facere? Qui ait dieens: Haec sunt cornua quae 
ventilaverunt Judam per singulos viros, et nemo levavit 
caput suum; et venerunt isti deterrere ea, ut dejiciant 
cornua gentium, quae levaverunt cornu super terram Juda 
ut dispergerent ea. 

Wie die wiljenfchaftliche Kritif diefe Stelle zu deuten hat, küm— 
mert ums natürlich nicht. Uns geht nur an, wie der Dichter fie 
verftanden und zu feinem Zweck verwandt hat. Zunächſt hat er die 
abftracten Hörner, zu denen beim Propheten feltjamer Weife der 
Kopf fehlt, auf dem fie gewachien, zu einem charakteriftifchen Schmud 
vierhörniger Wefen gemacht; er fagt nicht mehr quatuor cornua fondern 
quadricornua. Solche vierhörnige Dämonen find ihm die Tartaren ! 

Alsdann hat er ventilare, wofür die LXX oxopnilsw, Luther 
zeritreuen fett, ficherlich nicht in diefem letzten Sinne gefaßt, 
fondern in dem gut Haffifhen: worfeln, mit der Wurfichaufel 
fichten, vielleicht mit der (ebenfall® noch klaſſiſchen) Nebenbedeutung 
de8 Beunruhigens, Quälens, Aengftigens. 

Aber die Macht der Dämonen hat bei Sadarja ſowohl wie 
bei unferem Dichter eine Schranke. Nachdem fie die Unverbejjerlichen, 
die von des Satans Liſt verführt mit dem ewigen Tode, d. i. der 
Hölfe, einen Vertrag zu machen gedenfen, in die Unterwelt und ewige 
Verdammniß gefandt haben, erheben fich gegen fie, damit fie dem 
Frommen nicht ferner fchaden, vier fabri (V. 130), die al8 Engel des 
* die Guten, welche Buße thun, befreien und zu Gottes Thron 
führen. 

Was hat ſich aber der Dichter unter den fabri gedacht? Luther 
überſetzt: „Schmiede“, die LXX: zexıoves, die engliſche Bibel: 
carpenters. Sind e8 die Zimmerer, welche die zerftörte Welt wieder 
aufbauen und ein neues Zion gründen follen? Zu folder Auffaffung, 
die ein tiefere Verſtändniß feines Textes vorausfegt al8 dem Dichter 
zuzutranen ift, giebt der Zufammenhang feiner Worte nicht den ge= 
ringften Anlehnungspunft. Warum denn aber, wenn er uns nur 
Engel des Lichts im fiegreichen Kampfe mit den Kindern der Finfter- _ 
niß zeigen wollte, fuchte er ftatt hundert anderer Stellen gerade diefe 
myſtiſchen fabri in der entlegenen Vifion des Sacharja aus? Ohne 
Zweifel, weil er in ihnen fchon font ihm vertraute Geftalten wieder 
zu erfennen glaubte. 

Als Solche aber bieten fich uns ungezwungen die vier artifices 


ı Db in der damaligen Kopftracht, vielleicht im Helmfchmud, der Tartaren 
etwas lag, das diefem Ausdruck noch eine fpeciellere Beziehung gab, weiß ich 
nicht; wir bebiürfen derfelben auch nicht. Denn wenn, aus gleich zu erwähnen- 
den Gründen, der Dichter der fabri als Retter bedurfte, jo war ihm die 
Geftalt ihrer Geguer durch Sadarja von felbft gegeben. 


611 


metallici dar, die Quatuor Coronati, jene vier Steinmegen 
aus Bannonien, die nach der fchönen, durch Wattenbach wieder 
ans Licht gezogenen Legende! von Diofletian gezwungen werden 
follten, ein Bild des Mesculap zu fertigen und, da fie fich dejjen 
weigerten, den Märtyrertod erlitten. Allerdings ijt die Sage ſchon 
früh mit dem Martyrium von vier römischen Cornicularii verſchmolzen, 
deren heilige Gebeine mit den ihrigen angeblich im derfelben Kirche 
auf dem Cälius beigejegt waren, und die mit ihnen den Tag des Heiligen= 
falender8 (8. November) theilen. Ya, da die Zahl der Steinmeßen 
durch Hinzufügung des von ihnen erſt befchrten Genojfen (Simpli= 
cius) auf Fünf vermehrt wurde, fo ift der Name der „vier Ge— 
frönten“ gleichfalls fehr früh auf die Cornicularii im Gegenfaß 
zu den Steinmegen übertragen. 

Gleichwohl haftete Name und Zahl durch das ganze Mittel- 
alter und vorzugsweife, wie aus der handichriftlichen Fortpflanzung 
der Legende zu erhellen fcheint, vom XII. bis XV. Jahrhundert an 
den pammonifchen Steinhauern und ift auch Heute noch nicht in dieſer 
Bedeutung verfchollen ?. 

Nun weift aber alles darauf hin, daß das vorliegende Gedicht 


ı Passio Sanctorum Quatuor Coronatorum, zuerft in den Situngs«- 
berichten der Wiener Afademie X, 115—137 und nochmals nad) Hfchr. revidiert 
in Büdingers Unterfuchungen zur Römischen Kaifergeihichte III, S. 321—338, 

2 Es ift für unfern Zwed vollftändig gleichgültig, ob der von uns oben 
bingeftellte Hergang der Sagenverfchmelzung der richtige ift, oder ob, wie ſich 
durch Büdingers neufte Unterfuhung (a. a. O. ©. 357 ff.) herauszuftellen 
jcheint, die Cornicularier einen älteren Anfprucd auf den Namen der „vier 
Gekrönten haben. Ich bin nicht in der Lage den gelehrten Argumenten und 
Iharffinnigen Conjecturen entgegenzutreten, durch melde dieſer Foricher das 
höhere Alter ihrer Legende und ihre frühere Verehrung in Rom nachzuweifen 
* Ich führe zur Unterſtützung der obigen Darſtellung nur folgende That— 
achen an: 

1) In den älteſten Berichten, in denen die Benennung Quatuor 
Coronati in Verbindung mit Heiligennamen vorkommt, find es immer die 
Namen der Steinmegen, nicht die der Cornicularier. So in der (c. 650 
verfaßten) anonymen Stadtbejchreibung bei Wilh. von Malmesbury und Beda 
(+ 755). ©. Büdinger a. a. O. ©. 360 ff. Allerdings in dem Martyrolo- 
gium Hieronym. nad) D'Acherys Abdrud findet das umgekehrte Verhältniß 
ftatt. Aber Büdinger felbft bezeichnet denjelben al8 ungenau. Bon etwas 
Späteren: Wandalbert (bei Büdinger S. 370 Anm. 3) und in den Sermones 
de Sanctis cod. lat. Monac. 5854 (daj. S. 363 Anm. 2). 

2) Die Ueberfchrift der echten Legende in den meiften Handfchriften bezeugt, 
daß wenigftens vom 12. Sahrh. an die Pannonier al® die 4 Coronati gelten. 

3) Nad) den Mirabilia ff. 56, 6, Parth. follen die 4 Coronati die Thermen 
des Diocletian ausgemalt haben, eine Verwechſelung, die fich begreift, wenn fie 
Künftler, nicht wenn fie Militärchargirte betrifft. S. Büdinger a. a. O. ©. 
370 Anm. 3. 

4) Der in diefen Dingen ſehr zuverläffige Reumont, welcher das Berhält- 
niß der Legenden fo auffaßt, wie e8 oben dargeftellt ift (Geſch. d. Stadt Rom 
Th. II, S. 71), berichtet, daß die Märtyrer durch Kronen mit eifernen Epiten 
getödtet feien. Diefe Tradition, die den Stempel des Alterthums trägt und den 
Namen der Coronati lebensvoller und concreter erflärt als die phrajenhafte 
von Engelskronen, die fonft im Schwange ift, hat nur Sinn, wenn man fie 
auf die Eteinmetsen bezieht, als höhniſche Belohnung ihres Kunſtgeſchicks. 


612 


in Stalien und zwar in Rom verfaßt ift. Seine Verbindung mit 
dem Sendichreiben der Curie macht es zu mehr al8 einer bloßen 
Bermuthung, daß der Glerifer, der es gefchrieben, in naher Bes 
ziehung zu dem Confiftorium ftand. Dann war ihm auch aus eigner 
Anſchauung die Kirche der Quattro Coronati in nächſter Nähe des 
Laterans befannt, in deren ftattlicher Pfarrei ſelbſt Päpſte refidirt 
und päpftliche Gäfte vielfach Herberge gefunden hatten (S. Reumont 
a. a. O. ©. 272. 414. 562). Es war fomit ein naheliegender 
und gewiß fein unglücklicher Gedanke, daß er die gefrönten Heiligen 
aus dem Ungarlande ihren Landsleuten als Netter von den mongo— 
lifchen Unholden verhief. Es fcheint darauf auch der Umftand Hin- 
zudeuten, daß der Dichter B. 21 ff. bei der Aufzählung der von den 
Zartaren verwüſteten Länder ganz gegen die hiſtoriſche Keihenfolge, 
alfo recht mit Abjicht Pannonie in erfter Stelle nennt und dicht 
daneben Hungaria, durch eine Art Ev da dvoiv damit verbunden, 
wie denn ſtaatlich beide Yänder es längft waren. 

V. 128 ſchlägt W. zabuli ftatt zabula vor; dem Sinn nad) 
gewiß ganz richtig; aber unfer Dichter ift ehr ungenirt in Wort- 
bildungen und fonnte daher zabulus wohl als Adjectivum gebrauchen ; 
es iſt faum gewagter als Romula vincla bei Properz. 

131 ad tremendum isti dantur, empfängt feine Er— 
flärung aus der Stelle de8 Sacharja: venerunt isti terrere ea, 
wenn nicht vielleicht geradezu terrendum zu corrigiren; auf jeden 
Fall ift die Meinung, daß die Feinde vor ihnen erbeben follen. 

Die Erklärung des ganzen Schluffes nad) unferer Auffaffung 
ergiebt fi) aus der nachitehenden möglichſt wortgetreuen Ueberjegung: 

„Dies find die Vierhörnigen, welche den Erdfreis fichten; fie 
zerreißen die bethörten Herzen derer, welche durch teufliiche Schlaupeit 
einen Vertrag mit dem ewigen Tode machen wollen; fie werden die 
Gefilde des Acheron in Trauer bewohnen. 

Vier Werkleute werden bereitet; fie werden gefandt um Schreden 
zu verbreiten, fie ſchmücken fi) mit den Gewändern Chrijti, fie 
waffnen fich mit den Waffen des Lichtes, auf daß wir von dem 
drohenden Zorn, von dem hereinbrechenden Grimm auf der Stelle 
befreit werden und und mit ganzem Gemüth zu dem gnädigen Herrn 
wenden, welcher ift der Vater des Lichts, der die Schuld der Ver— 
brechen, die Flecken der Sünden [von uns] abwäſcht“. 

Daß von V. 136 am der Verf. die erfte Perfon Plur. eintreten 
läßt, kann nicht befremden, wenn man fie auf die ganze Chrijtenheit 
bezieht, die insgefammt das göttliche Strafgericht erkennen und ſich 
zu Herzen nehmen ſoll. Die Wendung würde aber noch einen präg— 
nanteren Sinn durch die Annahme gewinnen, daß der geiftliche 
Dichter ein in Rom heimiſch gewordener Ungar war. 


Handſchriftliches. 
Mitgetheilt von F. Falk. 





— 


Eine Handſchrift des königlichen Archivs in Hannover, Bode— 
manns Satalog XVIII, 1003, Eccardi Seligenstadensia, Papier in 
Quart, enthält unter anderen !; 

Recordatio fratrum defunctorum inter mona- 
chos Seligenstadenses fraternitatem habentium. 

Quoniam vigilanti consideratione mentis est attendendum, 
ne nos in hoc loco Deo militantes negligentes simus aut 
desides in recordatione fidelium defunetorum, necessarium vi- 
detur et utile, per scripta adnotare, quid cuique nostrorum 
ex debito sit agendum pro fratribus defunctis, nobis frater- 
nitate adsociatis ob hoc maxime, ne quis se de ignorantia 
potuerit excusare. 

Igitur de congregatione S. Albani?, cum quis obierit no- 
bisque per sceripta denunciatum fuerit, pro eo septem missae 
communiter a nobis explebuntur et 30 verba mea. 

Similiter de S. Jacobo*, de S. Nazario°, de Michelen- 
stad®, de S. Michaele Babenberch?, de S. Maximino®, de 8. 
Petro in Salevelt, de S. Paulo Trajectensis civitatis, de S. 
Burchardo?, de S. Stephano !', de sanctimonialibus Mo- 


ı 1) Epistola Congregationis S. Benedicti in Monte Cassino ad Ka- 
rolum M.Regem, in veteri codice ms. Seligenstadiensi Regulae S. Be- 
nedicti praemissa. Inc. ep. Congr. 8. Bened. ad K. regem Francorum 
de privatis eorum moribus. 2) Recordatio etc. 3) Exc. e martyrol, 

2 Gt. Alban ord. s. Bened. zu Mainz, 

3 Mit diefen Worten beginnt der fünfte Pjalm. 

St. Jacob in monte specioso zu Mainz, ord. s. Bened. 

5 Lorſch an der Bergftraße, 1 St. von Bensheim, 

° Im Odenwalde, Propftei unter Lorfcher Obedienz, |. Fall, Kloſter 
Lorſch ©. 100. 

” Et. Michael bei Bamberg, Stiftung Biſchof Ottos (1103—1139). 

8° Trierer Klofter. 

° Abtei bei Würzburg. 

ı In Würzburg feit 1057, 





614 


guntiae!, de Godesowa?, de Elofstat?, de Amanaburch‘*, 
de Amarbach’, de S. Bonifacio Fuldae, de Slutere ®, de 
Breidingun, de Winvolo(?), de S. Euchario Treviris, item de S. 
"Udalricho et de S. Afra Augustae; similiter de Lorecho ’’, 
de Eschebrunna®, de Ahusun’, excepto hoc solum, quod 
nomina eorum non in regula, sed in libro vitae tantum 
seribuntur. Fratribus de S. Vito!’, de Tharissa!! 7 offieia, 
30 verba mea in conventu explemus. Id ipsum fratribus de 
S. Michaele in Clinga'?, necnon et fratribus de Selseburch, 
item fratribus de Eberaha '?, simili modo fratribus de monte 
S. Disibodi'*. Fratribus de Spanheim plenariam et mutuam 
fraternitatem, de Vruwa, de Selbolt, de Eberbach'®, de sanc- 
timonialibus in Kizzingum !’; simili modo sororibus de Nie- 
rolde, fratribus de Nuenstat eundem, quem inter nos habe- 
mus communem fraternitatis modum, plane per omnia debe- 
mus. Simili modo fratribus de S. Albano plene etper omnia; 
similiter fratribus de Spanheim et de monte S. Joannis"®, Fra- 
tribus de Blidinstat!?” eundem, quem inter nos habemus com- 
munem fraternitatis modum, per omnia debemus. Fratribus 
autem de Kamberch ?®’ 30 dies verba mea et septem officia 
in conventu, et quisque presbyterorum missam privatam; re- 
liqui vero minoris ordinis unusquisque 50 psalmos; conversi 
psalmos ignorantes 50 pater noster. In eadem autem die 
quando obitus pronuneiatur in capitulo, praebenda super men- 
sam abbatis ponatur. Similiter de S. Willibrordo, excepta 


1 Wohl die Nonnen zu Altenmünfter, einer Stiftung der 5. Bilhildis 
saec. VII. 

2 Gottesau bei Karlsruhe, Hirſchauer Colonie im ehemaligen Speirer 
Sprengel. . 

s Ilbenſtadt, Godefrids von Kappenberg Stiftung, in Oberheffen, nördlich 
von Frankfurt, 1123 gegründet; die Infaffen waren Prämonftratenfer. 

4 Amöneburg, im ehemaligen Kurfürftenthum Hefjen. 

5 Amorbad, bei Miltenberg am Main. 

s Schlüchtern ander Kinzig im ehemaligen Kurfürftenthum Heffen. Dehn- 
Notfelfer und Lot, Baudenkmäler im Negbez. Caſſel S. 239. 

7 Bei Schwäbiih Gmünd. 

8 Eſchelborn? bei Sinsheim bei Wimpfen am Nedar? 

9° Anhauſen, 958 geftiftete Abtei im Eichftädtifchen. 

1° In Corvei oder Ellwangen? 

1 Kloſter Theres bei Haffurt am Main? 

12 Klingenmünfter in Rheinbayern. Remling, Abteien und Klöfter im 
Rheinbayern I, 88. 

13 Am Rande fteht: Eberacha. Die befannte Abtei im Würzburgifchen. 
Difibodenberg bei der Nahe. Remling ©. 14, 
15 Sponheim bei Kreuznad). 
Eiftercienfer Klofter im Rheingau. 

7 Am Rande die Variante: Kizzingen, bei Würzburg. 

18 St, Zohannis (auch Bichofs)berg im Rheingau, deffen kurze Geſchichte 
in Dahl, Rheiniſch. Antiquarius ©. 151. 

9° Kerrutinsklofter und Stift zu Bleidenftadt bei Wiesbaden, 

20 Im ehemaligen Herzogtum Naſſau? oder Abtei Comburg? 


> 





615 


praebenda. Fratribus de Sigeberch 7! officia in conventu, 
et 30 verba mea. Privatim autem unusquisque presbyter 3 
missas, religui vero minoris ordinis 1 psalterium. Fratribus 
de cella S. Mariae de Fezera tria tantum officia in communi 
peraguntur. Fratribus de Lintburch ? 7 offieia in conventu, 
et pro verba mea ex voce mea unusquisque presbyter 3 
missas; reliqui vero minoris ordinis 1 psalterium. Simili 
modo fratribus de Sconowa°. Item fratribus de Heride* 7 
officia in conventu, et quisque presbyterorum unam missam, 
reliqui minoris ordinis 50 psalmos. 

Die Aufzeihnung jcheint dem 12. Yahrhundert anzugehören. 

Der große Gewinn aus der Kenntniß diefer Recordation bejteht 
darin, daß fie uns einigermaßen Einblid in den gegenfeitigen Ver» 
fehr der Klöfter gewährt. Die Todtenlifte wanderte von Klofter zu 
Klofter glei) einem Poftbrief, es folgten hierbei gewiß noch andere 
Mittheilungen, in welden mir den Stoff zu allerlei hiftorifchen 
Aufzeichnungen finden. 

Für Tranfreid) liegt eine Unterfuchung vor über die rouleaux 
des morts du IX. au XV. siecle, recueillis et publies par 
la societe de Y’histoire de France (L. Delisle). Paris 1866. 8. 


II. 


In Mainz befinden ſich zwei Pergamenthandfchriften, deren 
Kenntniß von Intereſſe it. Die eine enthält die Vita b. Godefridi 
Cappenbergensis, die zweite die Vita b. Ludovici comitis in 
Arnstein. 

Die erfte Handjchrift mit dein Leben Godefrids von Cappenberg 
ſtammt aus der Stiftung Godefrids felbft, nämlich aus Kloſter Ilben— 
ftadt in Oberhejfen, wo ein Theil feiner Gebeine ruht. Einer der 
Klojterherren nahm in Folge der Klofterauffebung die Pfarritelle zu 
St. Quintin in Mainz an, wohin er unter anderm aud das in 
Nede ftehende Manufeript mitnahm. Augenblicklich Liegt diefelbe im 
bifhöflichen Seminar zu Mainz. Der Coder befteht aus 27 Blättern 
von 17 Gentimeter Höhe und 12 Gentimeter Breite. Der Einband 
datirt laut eingepreßter Zahl aus dem Jahre 1614. Die Innen— 
feiten des Einbands find je eine mit einem Bildniffe St. Georgs 


1- Siegburg. 

2 Limburg an der Haardt. Nemling ©. 114, 

s Es gibt drei Schönau: 1) bei Heidelberg, welches hier gemeint fein 
muß; es gehörte zum Wormfer Eprengel und befolgte die Benedictinerregel; 
2) Schönau im Trierer Sprengel, jest im Naſſauiſchen, befannt durch Efifabeth 
von Schönau, war Nonnenklofter; 3) Schönau an der Saale im Würzburgi— 
ſchen, war gleichfalls Jungfrauenkloſter. 

Herrieden, vorher Haſenried, im Eichſtädtiſchen. 


616 


beffebt. Das eine trägt die Einfchreibung: Reverendo in Christo 
patri ac d. domiuo Georgio Conradi hujus monasterii prae- 
posito admodum dignissimo, ad felieissimum novi anni 
MDOXII ...... hanc imaginem offerebat F. W. D. S. 
Die letzteren Anfangsbuchſtaben Hat “eine neuere Hand ausgeſchrieben 
gegeben: F. Wendelin Dierle subprior. Das andere Bild hat 
die Dedication: Admodum reverendo d. d. Georgio Conradi 
praeposito Ilbenstadiensi, obsequii ergo F. Matthias Nieren- 
bergius Confluentinus, prior Romariae Villae. Anno 1615 
17. Augusti. 

Der Schrift nad) gehört die Handfchrift in die erfte Hälfte des 
13. Jahrhunderts, fie ift gut und leferlich gejchrieben. 

Die Vita beginnt; Inestimabilem beneficiorum dei magni- 
tudinem, und endigt — comitis Simonis de Tytneburg. Nad) 
letzterem Worte fängt unmittelbar (ohne Trennung durd Aline, 
Großbuchſtaben, rothen Strid) eine Heine Vita an, welche beginnt : 
Compunctus est paupertatis spiritus. Die größere ift die, welche 
auch die Bollandiften mittheilen, unfere Handjchrift Hat aber noch 
Capitelüberjchriften. Die Eleinere, gleichfalls von den Bollandiften 
gedrudt, erweift ſich als ein Extract aus ber Vita b. Norberti. 
Den Schluß diefer Handichriften bilden Notizen über den Giftercienfer- 
orden, die ich mittheile für die Wahrfcheinlichfeit, daß fie noch nicht 
im Drude wiedergegeben find. 

Anno millesimo centesimo vigesimo secundo pluviam vo- 
luntariam benedictionis divine hereditati sue rege celesti de 
largifluo miserationum suarum secretario uberius infundente, 
aput locum qui dieitur Cistereium ordo monachorum inchoa- 
tus est Griseorum sub abbate venerabili nomine Stephano. 

Anno domini 1113. a constitutione domus Cistereiensis 
15. servus domini Berhardus annos natus eireiter 23 Cister- 
cium ingressus cum sociis ferme 30, sub memorato abbate 
Stephano suavi jugo Cristi collum submisit. Ab illa autem 
die dedit dominus benedicetionem, et vinea illa domini Sabaoth 
usque ad hec tempora raro habitatore exculta per visitatio- 
nem sancti spiritus et tam celebris viri industriam dedit fruc- 
tum suum, extendens palmites suos usque ad mare et ultra 
propagines suas. Isdem dei famulus Berhardus Clarevallensis 
cenobii primus abbasaliorumque amplius quam centum sexa- 
ginta monasteriorum pater tercio decimo kalendas Septembris 
inter filiorum manus obdormivit in Cristo. Acta sunt hec 
regnante in Romanorum imperio Friderico illustri hujus no- 
minis primo. 

Diefe Handſchrift ift um fo wichtiger, weil fie die einzige ge= 
rettete zu fein fcheint, denn die Perg’shen Monumente haben die 
Vita b. Godefridi aus dem ‘Drud der Acta 85. entnommen. 
— hat der Bollandiſt Gamans dieſe Handſchrift vor ſich 
gehabt. 


617 


Die Handihrift Hat einige Nachträge von jüngerer Hand, die 
mit blafferer Dinte jchrieb. 

Am Ende des Abjchnitt8: Anno dom. incarnationis 1148. 
indiet. 11. presidente sedi apostolice, welder ſchließt: perpetuo 
stabilitatis et pacis forent tuicio, ftehen die Worte: ossorium 
construxit Beatrix anno 1120 (Rand ijt abgejchnitten). 

In dem Abjchnitt, der endigt: regionis Westphalie lumen 
effulsit, findet fid das Anhängjel: qui dedit nobis omnia bona 
propria in Elofstad !, 

Die Kleinere Vita endet mit dem DBeigejchriebenen: in capella 
Elofstadensi constructa a Beatrice Anno 1120, 


Die andere Handihrift gleichfalls in Pergament, befindet fich 
gegenwärtig in der Bibliothek des bifchöflihen Haufes, welcher fie 
durch Biſchof J. %. Colmar, gejtorben 1818, 15. December, ein⸗ 
verleibt wurde. Die Innenſeite des Vorderdeckels hat den a: de 
la bibliotheque de Mr. l’Evöque de Mayence, f J. Louis. 

Der fleine, modern gebundene Codex bejteht aus 56 Pergament- 
blättern von 10 Gentimeter Höhe und 8 Gentimeter Breite. Die 
Schrift liejt ſich ohne Mühe; Ueberfchriften, Anfänge der einzelnen 
Abſätze find in rother Farbe gegeben. 

Die Vita beginnt; Inter diversas mundialium rerum va- 
rietates, und endigt: Ad hanc perfectionem et coronam regni 
qui nos invitavit, post mortem carnis inducat Ihesus Christus 
dominus noster. Amen. 

Darauf das Epitaphium Ludovici comitis et fundatoris 
in Arnstein. 

Messuit hunc florem etc. 

Das legte Blatt belehrt uns beftimmt über die Zeit der Ab- 
Ihrift, indem e8 jagt: Reverendissimo in Christo patri, illustris- 
simoque principi electori ac domino, d. Jacobo Trevirorum? 
archiepiscopo, domino suo clementissimo 

Henricus humilis abbas in Arnstein summa cum reve- 
rentia hoc opusculum offert. 

Auf derjelben vorlegten Seite beginnt ein neueres Inſeript: Post 
mortem domini cancellarii de Sohler, in revisione ejusdem 
‚bibliothecae, hie libellus reductus est in Arnstein per admo- 
dum reverendum et eximium dominum Hubertum Wolff, ss. 
theologiae doctorem, qui poslon Romae obiit, 1716. 

Wie die Handichrift aus des Letzteren Befi in den Colmars 
kam, darüber beſteht in Mainz keine Ueberlieferung, auch keine Muth— 
maßung. 

Potthaſt kennt nur eine Handſchrift mit der Vita Ludovici 
in Deutſchland, nämlich zu Trier s. XVII; eine zweite zu London, 
Brit. Muſ. s. XI. 

ı ©, oben S. 614 Anm. 3. 

* Sacob I. von Sierk regierte 1439—56, 


IV, 41 


618 


III. 


| Die Sammlung des hijtorifchen Vereins für Afchaffenburg und 
Unterfranken befitt eine Handſchrift, welche der Katalog S. 299 
Nr. 1166 betitelt: Sammlung verjchiedener hand» und drudjchrift- 
lichen Dokumenten über die Stadt Worms aus dem 15. und 16, 
Jahrhundert. 

Die Handſchrift liegt vor mir und birgt unter ihrem Titel 
eine feither nicht beſprochene Wormſer Chronif von Zorn mit Re— 
baction von Wilk!. 

Der eigentlichen Chronik find mehrere Blätter mit Hiftorifchen 
Notizen (Stellen aus Druckwerken über Worms, VBocabularium, 
Namen etliher Kapellen und Gafjen der Stadt) vorgebunden. Die 
Chronik Telbft bekundet ſich durch den breitfpurigen Titel als das 
was fie ilt: 

„Chronologia ? der uhralten freyen Keyſerlichen Reichsſtadt 
Wormbs, aus bewerten Annalibus, glaubwürdigen Diplomatibus, 
wahren Hiftorien und denfwürdigen Actis zufammengefchrieben durch 
den würdigen, achtbaren und wolgelerten Herrn M. Fridericum 
Zornium, der Stadt Schul zu Wormbs wolverdienten 4öjehrigen 
Rectorem. Descripta et absoluta ab Andrea 'Wilkio Sleusingensi, 
Wormaciensium Ecclesiaste.e. Anno Domini MDCXIII*. 

Die Xitelfeite enthält das Inſcript mit Blafferer Dinte: Jo- 
'hann Jacob Lasser j. u. dr. — Unter der Yahrzahl 1608 das 
weitere Inſeript: Chriſto. rang von Huttin (futtin?) 1713. 

Auf der Rückſeite des Zitelblatts ſteht: 

Epitaphium doctissimi viri Domini M. Frideriei Zornij, 
scholae patriae Reipub. Wormatiensis Rectoris fidelissimi ad 
annos 45, qui pie in Christo obdormivit die 7. Octob. anno 
Christi 1610, eum vixisset annos 72, menses 7, dies 7. 

Hac jacet in tenui Fridericus Zornius urna, 
Doctrina claris notus ubique viris: 

Praesertim ante alios constanti pectore fidus, 
Magne Chytraee, tuus semper amicus erat, 

Qui titulos docti dedit Heidelberga magistri, 
Aonidum casto condecorata choro. 

Qui quadragenos quinosque fideliter annos 
Vangionum patria rexit in urbe scholam: 


2 Arnold kennt dieſe in feiner Ausgabe, Stuttgart 1857, nicht, erwähnt 
über ©. 2, daß Wilk dem Zorn die Leichenrede hielt. Eine andere Haudſchrift 
findet fi in Münden, Deutſche Handiriften Nr. 1247. XVII—XVIU. 
Jahrh. fol. 1006 S.: S. 1— 907 Friderici Zornii Chronologia der Stadt 
Worms, descripta et absoluta anno 1613 ab A. Wilkio Sleusingensi ' 
am ecclesiaste. — Schannat, Epist. Worm. I, 212, fennt 
das Werk. 

: 2 u der Titel in der Frankfurter Handigrift E, in Arnolds Aus 
gabe ©, 7, 


619 


Erudiens blanda teneram gravitate juventam, 
In linguis, studiis, moribus inque bonis. 

Historicos sacros evolvens atque profanos 
Perlegit vigili sedulitate libros. 

Optato tandem decessit fine beatus, 
Commendans animam, Christe benigne, tibi: 

Cum vitae satur et mundi pertaesus iniqui 
Annos vixisset septuaginta duos. 

Hic male non moritur, DOMINUM quieungue timere, 
Et verbo didieit fidere, CHRISTE, tuo. 

Seriptum ab Andrea Wilkio Ecclesiaste, 

Andreas Wilk redet im Laufe der Chronif mehrmald von fich, 
fo Blatt 333 ad annum 1583: „Id Andreas Wilf (der diß ges 
ſchrieben) hab felber ein halb Fuder Wein faufft umb 7 fl." — DI. 
370 heißt er parochus d. Andreas Wilckius; Bl. 372 lutheri— 
ſcher Prädicant Andreas Wilckius genandt. 

Die legten Einträge betreffen die Jahre 1614 und 1615. 

Wilfens Arbeit erweiit fi) auf Grund häufiger Vergleihung nicht 
einfach als bloße Abfchrift der Zornfchen Chronif mit eigener Weiter- 
— ſondern als eine mehr ſelbſtändige Arbeit, welche auf Zorn 
aſirt. 

Während Zorn über den religiöſen Zwieſpalt, wie er vom 
zweiten Viertel des 16. Jahrhunderts an in der Stadt tobte, faſt 
gänzlich ſchweigt, gibt A. Wilk nicht unerhebliche, objective Thatſachen 
zur Aufhellung diefes innern Theils der Gefchichte der Stadt. 

Ferner ftanden noch Wilk alte Quellen zu Gebote, deren Berluft 
wir heute beffagen. So muß er die Chronica clericorum gehabt 
haben, denn ich finde bei ihm zwei daraus citirte Stellen, welche ich 
in Zorn vergebens fuchte. 

Blatt 45a. Chron. elericorum. Burchardus praepositus 
S: Vietoris Moguntiae, Franconis frater, 6. Id. Martii ordina- 
tus. Obijt a. 1024. 13. Cal. Septemb. Hic muris eivitatem 
eircumdedit. Sepultus sub altari S. Laurentij: tandem ex- 
humatus, cujus ossa in quadam cista antiqua et pieta depo- 
sita sunt, quae habetur supra altare majus in posteriore 
parte, et singulis annis monstrantur in anniversario ejus re- 
liquiae. 

Blatt 152a. Ex veteri chron. sacerdotum '. Anno 1281. 
decreverunt capitulares majores ecclesiae, ne quis filius bur- 
gensis, propter vim aliis concanonicis illatam, nempe Jacobi 
cantori, Wernhero parochiano, et illis de Stockheim, in con- 
fractione domorum, ullo unguam tempore ad canonicatum 
aliquem vel ad praelaturam assumatur, nisi adeo devotos et 
obsequiosos cum parentibus ecelesiae se reddiderint, quod de 


"Abweichend von der gewöhnlichen Benennung, aber doch wohl identifch 
mit clericorum. 


620 


communi omnium canonicorum consensu, ne üno eorum con- 
tradicente, procedere videatur assumptio eorum. Huie decreto 
appenderunt sigilla Friderieus episcopus ete.!. Hanc bullam 
Gregorius papa 14.Cal. Januarij, pontificatus sui anno primo 
eonfirmavit. — Fehlt bei Zorn, welcher S. 129 den Anhalt deutich 
gibt und die Namen derer, die gefiegelt haben. 

Bon manden Stellen, die Zorn wörtlih aus ungenannten 
Quellen allegirt, gibt Wilk feine Duelle deutlih an. So Zorn S. 28 
unten: Ludovicus IL. rex Rom. communicato consilio ete., 
Mile gibt denfelben Pafjus und zwar: ex vetusto chronico ms. 
Blatt 156 Hat eine Stelle über einen großen Herbſt 1291, 
Blatt 164 über den Urfprung der Wormfer Juden, Blatt 227 über 
den Domprediger Joh. v. Wefel, und zwar alle8 ex antiquo chron. 
- Das Wirzburger Exemplar zeichnet ſich noch durch eine andere 
Eigenthümlichfeit aus. Am verfchiedenen Stellen finden fich ftarf 
vergilbte Blätter beigebunden, jowie vorn Drudicriften aus Franz 
von Sickingens, Huttens, Luthers und der Neformatoren Zeit und 
deren Beziehung zu Worms. 


ı Mit diefem zc. bricht der Autor ab, ohne die Namen der derjenigen, 
die gefiegelt haben, zu geben. 


Die Landgrafen Hermann von Winzenburg. 
Bon K. Fr. Stunpf'. 





Die Auseinanderfegung über Hermann von Winzenburg (oben 
©. 29) hat mich nicht überzeugt. Sch glaube, daß doch aud) der 
Vater Schon als Landgraf angefehen werden muß. Daß in den 
Quellen jener Zeit die Uebertragung eines Titeld von dem Sohne 
auf den Vater vorfäme, ift wenigftens mir völlig unbefannt; wol 
fommt aber da8 Gegentheil wiederholt vor, daß die directe wie auch 
angeheirathete Descendenz fich der Titel der Vorfahren bedient (wohl 
in vermeintlicher Berechtigung?). So z. B. der Pfalzgrafen- Titel 
vom Rhein: Wilhelm in Reg. 3233—3239 (und faum nad) Gieſe— 
brechts Auslegung) — oder gar Otto von Rinegg in Reg. 3352. 3336. 
3354 u. f. w. Ich könnte daher die jedenfalls ſehr beachtenswerthe 
Stelle im Auct. Claustroneob. faum in diefem Sinne interpretieren, 
ſelbſt wenn feine weiteren unzweifelhaft echten urfundlichen Beftätigungen 
fi für diefelbe finden Tießen. Dem ift aber nicht jo, fondern es 
ftehen uns zur Bekräftigung derſelben auch Urkunden zu Gebote. 
Abgeſehen von der Urfunde Herzog Heinrichs des Löwen von 1168 
Juni 2 (Orr. Guelf. III, 505 ex or.), wo Heremannus provin- 
cialis comes genannt wird, gibt es ein noch viel älteres Zeugnig, 
welches umfomehr ins Gewicht fällt, weil e8 von den beiden Söhnen 
Hermanns I. (Winzenburg) und von Ludovicus landgravius de 
Tyring unterfertigt ift und noch dazu ausgeftellt ward zur Xebzeit 
des erften Abtes von Reinhauſen, Reinhards, der dem Mitgründer 
feines Klofters, dem ältern Hermann, gewiß nahegeftanden hat. Das 
ift die unzweifelhaft echte Urkunde K. Konrads III. von 1144 Oct. 16 
zu Hersfeld — Reg. 3480 (bei Martene Coll. II, 600 ex or.), 
worin e8 ausdrücklich heit: ab inelytae recordationis Herimanno 
patriae comite. Alſo ein Titel gebraucht, der wenigſtens da— 
mals vollftändig identifch mit lantgravius galt. 

Am Hinblid auf diefe Data, deren Nichtigkeit fi kaum be— 
zweifeln läßt, dürfte der Hermannus patriae comes in der mit 
Recht als interpoliert gehaltenen Urt. Erzb. Abdelberts I. für Rein- 


1 Aus einem Brief an Prof. G. Waitz. 


622 


haufen bei Leyser, Hist. Com. Eberst. 17; Harenberg, Hist. Gand. 
1520 und Leibniz, SS. Br. I, 705) faum unbedingt abgemiejen werden, 
Gewiß iſt in jener Urk. manches gefälſcht, wie Kolbe S. 139 ff. 
richtig bemerkt; allein dem hiſtoriſchen Berichte in derſelben (verglichen 
mit dem der Urk. Reg. 3480 und der Urk. Erzb. Heinrichs von 
Mainz 1148 bei Leyser, Hist. Com. Eberst. 85, wie der Urf. Abts 
Reinhard bei Leibniz, SS. Br. I, 703) liegen ſicherlich echte Nach— 
richten zn Grunde. Außer einer ältern Urf. über die Reinhaufer 
Stiftung (wahrscheinlich aus dem erſten Decennium des 12, Yahrh.) 
ift gewiß auch eine Urf, Erzbifchof Adelbert I. ‘sedis apost. legatus’ 
vorhanden gewefen, und zwar vom Jahre MO(XVILI) ind. X, 
welche dann fpäter interpoliert worden ift. — Daß übrigens Her— 
mann I. in den übrigen Urkunden nicht als ‘comes patriae’ oder 
‘Jantgravius’ ete. zeugt, fällt deßhalb nicht ins Gewicht, weil er 
dies nicht vor 1113 geworden fein konnte; bis dahin finden wir ihn 
ſtets als comes de Saxonia oder comes de Winzenburg atıgeführt 
(außer in den a.a. O. citierten Fällen, aud) Reg. 3055. 3057. 3060. 
3085. 3086 u. f. w.), bei feinem nächften urfundlichen Auftreten im 
Jahr 1114 finden wir ihn bereit8 als marchio de Saxonia (Reg. 
3110. 3111, und wol auch in 3116): denn daß diefer Hermannus 
marchio de Saxonia fein anderer al8 unfer Hermann I. von Winzen= 
burg (Vater) ift, läßt fih (im Widerſpruch p Wenck II, 718 
Note m., wo freilich irrigerweife Hermann II. gemeint ift) ba= 
durch erhärten, daß uͤm jene Zeit unter alfen ſächſiſchen Magnaten 
es nur einen Hermann (bisher comes de Saxonia) gegeben hat, 
nämlich den Winzenburger, der überhaupt hier in Betracht kommen 
könnte. Ich fehe ſoeben, daß auch Gieſebrecht (III, 845 und 1194) 
dieſelbe Anſicht theilt, deſſen weitern Folgerungen ich allerdings nicht 
zuſtimmen kann. Was für eine Markgrafſchaft Hermann I. inne⸗ 
hatte, läßt ſich freilich nicht feſt beſtimmen, wahrſcheinlich dieſelbe, 
von der fpäter fein Sohn bis zu deſſen Entſetzung 1130 als mar- 
chio genannt wird; nach meinem Dafürhalten der weſtliche Theil der 
marcha Misnensis, zwiſchen Elbe, Mulde und Saale, den wir als 
marcha orientalis Saxoniae fennen. Der Sohn ift eben in den 
Beſitz der Güter wie Würden des Vaters eingefegt worden. Auf dieſe 
Weife erhärtet den ‘comes patriae’ des Vaters allerdings des Sohnes 
landgravius in Reg. 3245; vgl. auch Ann. Stad., Mon. Germ. 
SS. XVI, 319 Zeile, 29 und die Annales Erfurt, Mon. Germ. 
SS. VI, 578 wo aber itrig prineipalis comes ſteht — offenbar 
ftatt provineialis comes; vgl. aud) Ann. Stad., SS. xVI, 326: 
comit. provine. Thuringie]; wie andrerfeits wieder des Sohnes 
Marchiat durch des Vaters uͤrkundlichen marchio de Saxonia Er- 
gänzung findet. 


Augilbert und Hibernicus exul. 
Bon B. Simſon. 


— 


Wattenbach! hat gerügt, daß in meinem Auffage über das ger 
möhnlich dem Angilbert zugefchriebene Gedicht auf die Zuſammenkunft 
Karls des Großen und Papſt Leos III. in Paderborn (Forſchungen 
XU, 567—59%0) die Bergleihung der Sprade und Verskunſt mit 
anderen Gedichten jener Zeit gänzlic) verfäumt fei. Zu meiner Ent— 
ſchuldigung könnte ich jagen, daß ich nicht beabfichtigt und beansprucht 
hätte eine erfchöpfende Würdigung diefes Gedichts zu geben, fondern 
nur gewiffe Bemerkungen ausjprechen wollte, die fid) mir über diefen 
Gegenjtand aufgedrängt hatten. Vornehmlich wollte ich die zwar fchon 
längft wahrgenommene, jedoch einigermaßen in Vergeſſenheit gerathene 
Abhängigkeit des Poeten von älteren Vorbildern wieder in Erinnerung 
bringen und noch näher im Einzelnen nachweifen. Indem ich zugleich 
darzuthun verfuchte, daß der Dichter diefe Mufter keineswegs immer 
geſchickt benutzt habe und feine zwar lebhaften Schilderungen im 
Grunde ebenfowenig lebensvoll als originell feien, gab ich der 
Anficht Ausdrud, daß das jeinem Werke gezollte Lob einiger Ein- 
fchränfung unterliegen dürfte. Ach wies darauf Hin?, daß andere 
gleichzeitige Poeten, von dem feinen geiftreichen Biſchof Theodulf von 
Orleans bis herab zu dem plumpen Ermoldus Nigellus, obwohl ihre 
Werke dem diefes Dichters in formeller Hinficht zum Theil weit nach— 
ftehen, unvergleichlich anfchaulichere Vorftellungen von den Verhält- 
niffen und Perſonen des farolingijchen Hofes in dem Leſer hervor- 
rufen, ein lebendigeres Mitgefühl der damaligen Zuftände erzeugen. 
Auf eine DVergleihung ihrer Sprache und Verskunſt mit der feinigen 
bin ich allerdings dabei nicht eingegangen, während Wattenbachs Mei- 
nung offenbar iſt, daß eben dies der Maßitab fei, welcher an feine 
Leiſtung angelegt werden müffe, und fich zugleich auf. diefem Wege 
am eheften Anhaltspunkte für die Löſung der Frage nad) der Autor— 
Ichaft finden lajfen würden. Jedenfalls fommt mir weniger darauf 
an, den mir gemachten Vorwurf abzulehnen als ihn einigermaßen gut 


1 -Dentichlauds Gejchichtsquellen im Mittelalter ‚I, 8. ‚Aufl. S. 186 
290.06, 580, 


624 


zu machen. Sch verfuche dies, indem ich das gedachte Gedicht wenig- 
ſtens einer Vergleihung mit demjenigen unterziehe, welches ihm nad) 
Gegenftand und Form am nächiten jteht und alſo zu einem folchen 
vorzüglih auffordert. Ich meine das herametrijche Gedicht jenes 
‘Hibernicus exul’? auf den Abfall und die Unterwerfung des Baiern- 
herzögs Zaffilo im Jahr 787, welches zuletzt (1833) Angelo Mai 
(Classicorum auctorum e Vaticanis codieibus editorum T. V, 
©. 405 ff.) aus einer dem zehnten Jahrhundert angehörigen, an 
alten Gedichten reichen Handſchrift der Vatikaniſchen Bibliothek her— 
ausgegeben hat ?. 

Die Aehnlichkeit zwifchen diefen Poefien befchränft ſich nicht 
darauf, daß beide in der Form des Heldengedichts Thaten Karls des 
Großen behandeln, fondern fie zeigen aud) fonft in Gedanfengang 
und Ausdrucdsweife eine gewiſſe Uebereinftimmung. Wie hier der 
Zwift zwifchen dem Franfenfönig und dem Baiernherzog, wird dort 
die Empörung gegen den Papſt Yeo und dejfen graufame Mißhandlung 
der Eingebung der böſen Schlange (des Satans) zugefchrieben, welche 
von jeher Zwift und Unheil in der Welt gejtiftet habe. Zwar ijt 
diefe Darlegung in dem Gedicht auf den Abfall Taſſilos bei weiten 
ausführlicher, aber am beiden Stellen Hat fie doch ganz den näm— 
lichen Sinn und bewegt fi) aud in ähnlichen Wendungen : 


Hibernicus exul, Mai l.c. S. 406— | 
407: 


Die igitur modulans nutrix mihi 
maxima vatum, 

Quis pacem eximiam conatus fran- 
gere patrum? 

Quis frustra egregiam commovit 
in arma quietem? 

Quae pestis tetigit servum per 
cuncta fidelem, 

Ut domini faciem meruisset cer- 
nere tristem ? 


ı Man hat die anfprecjende, wenn aud) keineswegs fihere Annahme auf- 
geftelft, es ſei der geehrte Ire Dungal, welder um 825 als Lehrer in Pavia 
wirkte und zuletzt Mönch im Klofter Bobbio an der Trebia gewejen zu fein 
fcheint. Siehe über denfelben Lothars Capitular von Corte Olona 825 c. 6, 
LL. I, 249; Tiraboschi, Storia della letteratura Italiana III?, 180 ff. 
Neiffericheid in Ber. d. Wien. Afad. LXVII, 563; Wattenbad, a. a. D. und 
©. 121, fowie Geſchichtſchr. der deutſchen Borzeit IX, 3, ©. 4 N. 1; Jaffé 
Bibl. IV, 631. (Monach. Sangall.I, 1); Vl, 714 N. 2 (ad Alcuini epist. 
Nr. 217); Abel, Karl der Gr. I, 325 N. 2. — Bon Dungal von St. Denis 
(vgl. Dümmler im Archiv f. Kunde öfterreih. Gejhichts-Ouellen XXI, 282— 
283. 289) wird man ihn doch wohl unterjheiden müffen, 

2 De defectione Dasilonis ducis Bajoariorum. Xeltere Ausgabe in 
Martene et Durand, Veterum SS. ampliss. collect. VI, 811—814; aud) 
bei Bouquet V, 405. Bol. Wattenbad) 1°, 118 N. 3; Bähr, Geſch. der 
Röm. Literatur im larolingiſchen Zeitalter S. 90 ff.; Abel, Karl der Gr. I, 
vn a n > N. 4; Waitz, Deutſche Verfaſſungsgeſchichte III, 104 N. 1; 

I ® [ 


625 


Hibernicus exul, Mail. c. &. 406— | Angilberti Lib. III, v. 346 fi., M. 
407: G. SS. II, 399 (ed. Orell. ©. 33). 


Lubricus hoc serpens profudit 


ab ore venenum, — — nam serpens saevus et 
Idem qui quondam miseris edixe- atrox, - 

rat anguis Qui solet unanimes bello com- 
Conjugibus mortis mortales pec-| mittere fratres, 

tore voces, Semina pestiferi jactare nocenda 
Qui geminos saevo laniavit vul-| veneni, 

nere fratres Suasit in innocuum caecatis men- 
Et qui germanas maculavit san-| tibus omnes 

guine palmas, Saevire . +. 
Fraternum foedus letales vertit in 

iras, 
Quique pietatis nescire suasit 

amorem 


(Hinc natus delirans patrium de- 
risit honorem)!, 

Qui populos dudum docuit consoen- 
dere turrim 

Et dominum servis jussit nescire 
tonantem. 

Hic solus scindit perfectae foedera 
pacis 

Et populos saevis gaudet com- 
mittere bellis, 

Ut nullus Christo digne famuletur 
in orbe, 

Mortiferis suadet verbis consurgere 
lites, 

Seminat et rixas, ubi pacis sola 
jubentur 

Foedera, perpetui quis dantur 
praemia regni. 

Invidus hic serpens temptavit 
frangere pacem, 

Qua rex egregius Karolus duxque 
inelytus una 

Dassilo perpetue tenebantur jure 
beato. 


Man vergleiche ferner Hibern. ex. J. c. ©. 406: Et celer 
aequoreas ventus dum verberat undas mit Angilb. v. 7; 
©. 408: Feliei eursu dietum transnavigat amnem — In- 
elytaque innumeris tremuit Germania turmis mit Angilb. v. 
415. 423; At rex Francorum stipatus milibus altis mit 
Angilb. v. 431; Ad quem haec rex placidis deprompsit 
dieta loquellis mit Angilbert. v. 382 (placidam depromens 
voce loquellam); ©. 409: Oscula tum libans genibus 
praeduleia regis mit Angilb. v. 459. 498. Auch Ausdrud und 
Formen wie sacro stipante metallo? (Mai l. c. ©. 405), donis 


2 Diefer Vers könnte eine fpecielle Beziehung auf die Empörung Pippins 
des Budligen gegen Karl den Großen (792) haben und fpäter hinzugefügt fein. 
» Bol. Angilb. v. 189. 206. 243. 


XIV. 42 


626 


opimis! (©. 408), inelytus (S. 407. 408)2, Ast? (S. 406. 
408. 409) u. f. w. erinnern an das dem Angilbert zugejchriebene 
epiiche Fragment. 

Außerdem zeichnen ſich beide Gedichte, wenn wir nicht irre 
vor den weiten andern Erzeugniſſen der damaligen Poefie dur 
Klarheit de8 Ausdruds und einen regelmäßigen und fchnellen Fort— 
chritt der Erzählung aus. Beide find verhältnigmäßig leicht ver- 
jtändlih. Auf der andern Seite leidet die Schilderung des Hiber- 
nieus exul an derfelben Oberflächlichfeit und Inhaltsloſigkeit, die 
fi) in dem vermeintlicd) von Angilbert herrührenden Epos unter glän- 
zenden Farben umfonft zu verbergen fucht. Beweis und Folge 
deffen iſt der äußerſt dürftige Ertrag, welchen beide für die Ges 
Ihichte und Sittenfunde jener Zeit abwerfen. Weniger fommt in 
Betracht, daß die Anlehnung an Bergil, welche bei dem angeblichen 
Angilbert fo ſtark hewortritt*, auc bei dem irischen Sänger Bier 
und da nicht zu verfennen ift. Berückſichtigt man jedoch, daß das 
Feld der Vergleihung ein ziemlich eng begrenztes ift, da von dem 
einen Gedicht, dem auf Taſſilos Abfall, nur noch ein bürftiges 
Bruchſtück vorliegt’: fo wird man die hervorgehobenen Uebereiu— 
jtimmungen als nicht unerheblid) anerfennen. Sie geben einigen 
Grund zu der Vermuthung, daß beide von dem nämlichen Verfaſſer 
herrühren, in welchem Fall die Antorſchaft Angilberts in Betreff des 
größeren Epos bejeitigt wäre. Dagegen würden wir, felbjt wenn 
diefe Vermuthung zutreffen follte, nicht annehmen, daß beide Geſänge 
zu ein und demfelben Ganzen gehört haben. Man könnte darauf 
verfallen, da beides Fragmente find und beide Begebenheiten aus ber 
Geihichte Karls des Großen in epifcher Form behandeln. Wie ich 
bereitS früher auszuführen verfucht habe®, ift e8 jedoch überhaupt 
ungewiß, ob das größere Ganze, deſſen dritten Geſang das Gedicht 
von der Zufammenfunft des Könige mit dem Papfte in Paderborn 
gebildet zu haben fcheint, durchgehende den Thaten Karls gewidmet 
war; der unmittelbar vorhergehende Theil dürfte mindeftens nicht au 
feinem Hofe gefpielt haben. Das Gedicht über den Abfall und die 
Unterwerfung Taffilo8 war dagegen, nad) feinem Eingange zu jchließen, 
ein felbjtändiges Ganzes für fih. Der Dichter bringt e8, wie er 
mit einer bei den Poeten jener Zeit auch fonft üblichen Einfleidung 
jagt, dem Könige ftatt der Jahresgeſchenke dar, welche demfelben die 
Großen und Bermögenden überreichen. | 


! Bal. Angilb. v. 60. 64. 166. 186. 196. 203. 386. 468. 482. Fors 
ſchungen XII, 589 N. 5. 

3 Bol. Angilb. v. 63. 72. 267. 

3 Bol, Angilb. v. 76. 103. 

* ©. Forſchungen XII, 570—575. 

5 S. Martene et Durand |. c. col. 813. Mai ]l. c. ©. 408. Wat⸗ 
tenbad, a. a. O. 

° Forfhungen XI, 585. 


627 


Beridhtigungen. 


Der Aufjag von R. Mahrenholg über Johann von Victring, Bd. 
XII, ift Gegenftand einer Beurtheilung von A. Fournier in der Zeitihrift 
für d. Defterr. Gymn. 1873, ©. 717, geworden, in der auf einige 
erhebliche Verſehen des Verf. aufmerffam gemacht ift. So ilt z. 2. 
©. 544 die Belagerung Berns auf Verona bezogen, ©. 547 von 
einem Heirath&bund zwifchen Brabant und Naſſau ftatt — 
geſprochen; S. 558 von der Beſtattung ſtatt Abſetzung (depositio 
Friedrich II. die Rede. Die von M. in Zweifel gezogene Benutzung 
des Martin von Troppau iſt überzeugend dargethan, der Zweifel 
gegen die Abhängigkeit von Ottokars Reimchronik als großentheils 
unbegründet nachgewieſen. Hr. Fournier hat der Redaction außerdem 
eine Anzahl kleinerer Berichtigungen zugeſtellt, die fie ſich verpflichtet 
hält hier mitzutheilen. 


©. 538 3. 10 v. o. ſtatt: und 194 zu lefen: und 193, 
„nn Bu0 „ 668 „673. 
„nn „n 12vu „ 269-280 „269-279. 
—4806b. u. 161 „162. 
„Ss4l,„ 620 „ um „ bis 
„nn Tmo iſt ©. 283 zu ftreiden. 

„nn 8». 0. ſtatt: 13—18 zu lefen: 15— 18. 
ee o. 388 23. 

„rn Bu. 58 u 

„ 190 v. "GE : „297. 
„nn. iIiuıu. „ Mae „ Konrad. 
„542 „ 200.0. „ 82 „ 84 
va 7 „ 296. 

u... BED 86867 „285. 
„nn 272.0 „Eduard » Edmund. 
„543, 1500 „ 107 „ 104-107. 
„54, 600. „ 190 „ 188. 

ya BEE: 208 „ 28. 

„545 „ 180.0 „ co. 358 „ ec. 3593—359. 
„on Mlvu „ ec. 288—299 „ e. 288-300. 
„ua. Iiuwm „ 581 „ 551. 

„546 „ 110.0. „ 818 „ 818. 
„547, 100 „ ce. 447 . 537. 
„nn 21v. o.„ 559-560 554-560. 
„nn 3800. „ Würzburg „ Salzburg. 
„548 „ 21v.0. „ 502 „682. 
„549, 80m „ 7087| „ 0 7f. 
„550 „ 16». u „ Defenftein » Aufenftein. 

„ "nn 6ov.u.ift (cum) zu ftreichen. 

„51. 17 vu. flatt: S. 343 zu lefen: ©. 341. 
„552 „ 190.0. „ 825 und 826 „ 824 f. und 828. 
„258, 16 v. u. „ S. 340 „ 6. 335, 


11 v. 
15 v. 


14 v. 
16 v. 
13 v. 
19 vd. 
22 v. 
12 v. 
13 v. 
11 v. 
4 v. 


Bzesppeer 


628 


: 1335 zu lefen: 1334. 


de jure se nulli facere debere joll e8 heißen: 
se nulli de jure debere facere. 


regho zu leſen: regni. 

378 „ 372. 

©. 481 „ 68. 381. 

Marbad „»  Mauerbad). 

Neuburg „ Neuberg. 

Neukirchen „Neunkirchen. 

Neukirchener „Neunkirchener. 

Albrechts „Ottos. 

Toloſa „Toledo. 
Göttingen, 


Druck der Dieterich'ſchen Univ.-Buchdruckerei. 


W. Fr. Käſtner. 





APR 1 1884 J——— | 
\PR 261884 | 





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