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Archiv für 



Psychologie 






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* 

ARCHIV -^ K ^ 

fOb die 

GESAMTE PSYCHOLOGIE 



ÜNTEK MITWiEKUNG 

VÜi\ 

Fbov. H. HOFFDINO nr KomH^onr, Pkor. F. JODZ< ih Wmi, 
Fte. F. KIE80W nr Trani, Fftor. A. XIR8GHMANN in Tobomto 
(Cavasa), F^. E. XBAEPELIN nr MOvomr, Piov. 0. KOLPB nr 
WOisBinft, Bb. A. LEHICAMN nr KonrauflaDry Fbop. TH. IJPF8 
nr Mtamr, Fiov. O. MAKTIUS nr fion, Pmf. O. STORBINO nr 
ZtaioB mn» Fktov. W. WWDT nr Lvnia 



HER4U80EOEBBN VON 

I 



E. MEUMANN \m> W. WIRTE 

0. raoiM naBi.p. nnfnaiTlT i. a psorsaBOBA^. mnmsiviT 

XOJUVUi L W. LBDStQ 



Xm. BAND 

MTT a FIQÜRBIV Ol TUT UND UMBR TAVSL • 



LEIPZIG 

YBBLAO VON WILHELM BNGBLMANN 

1908 



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Heft 1 und 2 (S. 1 — 139; Liieraturbencht 6. 1 —1501 ara 8. September 1908. 
Heft 3 (S. Ul— 275; Litemturbericbt S. 151— 2i4j um 17. November 1906. 

HMfc 4 (g. S76— 888; Uteratarberieht 8. 815—846) mh 4 Deieniber 180& 



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Inhalt des dreizehnten Bandes. 



Atthaadlmigwii! Sfüt 

Wabstat, Wilu, Dm Tngiiehe^ ESne ptyebologiMb'luitiMlia Untw- 

Buchung; 1 

Bevubsi, VlTToaio, Zur expenmetitclleu Analyse des Zeitvergleiclui. II. 

Enrartuxxgtiett und nibjektiTe Zeitgröße. (Mit 12 Fig. im Text) 71 

ScEElimx, HoBm, wahclm von Humboldts SpradtphiloMphi« 141 

KOOH, £•, Über die OeschTriodigkdt der AugenbemguBgen. (Mit 2 

im Text und einer Tafel; 196 

"Welcke Einheit und tiuheitlichkeit 254 

Berichtigung 275 

SCHULXU, F. B. OrO, Beitrag zur Psychologie des Zeitbewufiteuns. 

8 Kg. im Text) 876 

XIB8CB1IAN5, A., Ober die Erkennbarkeit geometrieoher FSguren und Sdirilt- 

Micfaen im indirekten Beben. (Mit 4 Fig. im Ttet) 858 



Xiiteraturberlcht: 

Snmmelref ernte: 

E. Dflrr, Erkrantnispsyeholog^iehee in der erkenntnieduNiretiidi«n liteietnr 

der letzten Jahre 1 

Hanl Keller, Sammelreferat über die Neuerscheinungen der Akustik in 

den Jahren 190B— 1906 43 

]t A. Pfeifer, Litentuibeiieiit aue dem Jabre 1907 aber das Gebiet der 

optiieheD Banmwabmehmimg 816 



Eineelbeepreebung: 

h, William Stern, Penon und Saebe; Syetem der pbiloeopbiMbea Weltr 

aneebannng. L Bd. Ableitung und Orundlebre. (JBnut BUiA.). • . 118 



Referate: 

IC. Ponso, Snila jftmeauk ü organi del guito nella parte laibigea deDa 
fuinge, nel tmtto eerneale dell'eeofago e nd paleto duro del feto 

umano. (F. Kiesotc.) 132 

C. Abel, Gegensinn und Gegenlaut (E. KreUchmer.) 188 

J. OrasRct T,e rsyclusme inferieur. Etüde de physio-pathologie clinique 

des ccutrea psychiques. (K. Oesterreich.) 134 

Theodor Lippe, Die eonologieohe Grundfrage. (Pmd MmetenOh.). ... 186 



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IV 

A. Nordanhols, Sodologie, P^hologie md EOik. fPatd ManKtraUk.) . 186 

Hftns BSlart, Fjriedrich Nietzsche und Rioliud Wagner. Ihre persÖnUehsn 

Bcxichunpen, Kunst- und Weltanschauungen. (K. Oesterreich.) . . . 141 

Emil Kuemussen, Kin Christus aus unseren Tagen. (K. Oesterreich.) . . 141 
J. Bogues de FurBäc, Liu mouTement mystique coutcmporain. (K. Oester' 

rML) 145 

Anna Tnmarkin, Spinoxa. Aeht VorlMungm, gdudten an d«r Uwtmv- 

t&t Bern. (K. Oesterreich.) 149 

J. Tarkheim, Zur Psychologie de» Geistes. fJ Köhler.) 161 

Otto Lipmann, üruudiiß der Psydiologie für Juristen. (E. Meumann.) , 153 

£. Darr, Die "LAn vun dar AnfinnluHHnkiit (IfÜiur WrmkHtr^ . . . 15A 
Oikar Kramer, Zur Untetflnehiing der MerkfMrigheit Geennder. (R Mtth 

mann,) 102 

Stephan Witasek, Über Lesen und Bedlitien m ihren Besiehungen mm 

Gedächtnis. (E. Meumann.) 164 

W alter Jackson, Über das Lernen mit äußerer Lokalisation. (E. Meumann.) 167 
Ckarlee Hughei Xohneton, The feeling problem in reeent psychological 

oontroTersies. (M. KeHehner.) 110 

Elmer EIlsTrnrtt> Jones, The influenoe of bodily poiture on mentel ae1i> 

•vities. (M. Kfdchner.} 170 

i. Wayubaum, La phy&ionomie humaine, lon micanisme et sou rule sociaL 

(JL X M mm,) 17S 

Dr. W. Worringer, Abitiaktiao nnd EänftUung. (FrUibBm^ 178 

Oh* Albert Beehehaye, Progranme etlUÜwdee de la Lmgoietlqtte Tlifo> 

rique (E. KreUehmer.) . 179 

Dr. Legratid, De l'Influence du Langage sur la Mentalite Chinoise. 

(Faul Memerath.) 188 

Karl Voll, Yergleidiende Oemildeetndien. (E. Mnmmm.) 196 

Berthold Litsmann, GoeUiee »Vkuit«. (L, v. BenaM) 196 

A. Pick, Mitteilungen aus den Gtenegebielen der Pfeydiiatrie nnd Neuro- 
logie. (M. Tf^'rh^rdt.) . 990 

A. Pick, Zur Psychologie des Ve^eeseus bei Qeistee- und Menrenkranken. 

(iL JteiekardL) 201 

A. Piek, Zur Pktholngie dee lehbewußteeine. (3LJtMm4L) 901 

Dr. Wulffen, Xximinalpeyohologie im llordproieO Hm. (M. Reiehardt.) . 909 
A. Muthmann, Zur Piyeh«>logie und Thoapie aeuratiaohitt Symptome. 

(M. Reichnr^t ) 202 

Dr. j ur. Lorenz Brütt, l>ie Jüunät der Kechtsanwendung. (A. Vierkandi.) 206 

Dr. Johanne« Maller, Baueteiae fOr penOoHclie Kultur* (0»Brm$».J, . 918 

Dr. Johannee Maller, Hemmungen dee Leboie. (0, Bn mn.) 918 

fiir Oliver Lodge, Leben und Materie. (J. K8Uer.) 918 

Bernhard Hell, Emst Macht Philoiophte. (S, Mmmatm.) 914 



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Das Tragkche. 
Eine psychologisdi-krituche Untersachtmg. 

Ton 

WUU WarsUt (KiJnigsbeig L Pr.). 



Allgemeine Inhaltsttbersicht. 

Italdtais S 

Erster Abschnitt: Dm üstlieüselie VerhAltea 8 

1) Hogfttivo Baetinminig des lstii«tiM]i«ii Vwlitlteiii (K»nt) . . 4 

S) Das ästhetische Verhalten positiv beetimmt: Schddtmg zwischen 
ästhetischem Genuß und iisthffin hem Urteil, zwischen dem 
srein-asthetißchent und dem »äsihetisch-kritigcbeat Verhalten. 
Die allgemein-ästhetische Last ist >form&l< ö 

3) Dfo »ioliilttlehoii« itÜietiMhen OeftU«. Ihre Verbindung mit 

der Vorttellmiif in der p^ebologieehen Ästhetik 18 

a) »AsBOziationBästhetiker« 14 

b' »Einl"UhIunfr?ri?thetiker« 19 

4j Das Verhältnis awisciieu deiü »rein-ästhetischen« und dem 
>ä8thetisch-kriti8chen« Verhalten 22 

Zweiter A lihchüitt. Das Irakische 87 

Erstes Kapitel: Das Tragische und die Weltanschanung. . . 80 

Ij Der Optimismus: 

n) Der subjektive Optimlamai bei Sehiller 80 

b; Der metaphysische Optimismne beiViacher 84 

2] Der Pessimismus: Schopenhauer und £. v. Hartmann . . 88 

Zweites Kapitel : Das Tragische und f^eine piyehisehe Wirknng4 

Aristoteles und seine Lrkiurer 44 

1) Die Wirkung als yerstandesgemäße Reflexion bei den Kritikern 

Ter Leiiing 46 

9) Die »ASti^att als WiiknngdeeTmgiaehenbeiHome-Letning, 

Baum gart Ihr allgemeiu-äBthetischer Charakter. (Bernayn; 

ilue formale Auffassung bei Herder und Goethe) 47 

Drittes Kapital: Da«* Tr;\«rii«ch« als ef !i h 1 s k om pl ex. 
Das Fehlen eiin H iisthetiiselieu Prinzips in der Behandlung der 
objektiven Grundlage and der Auswahl der ästhetischen GeHihle 61 

1) bei Tolkelt 68 

8) bei Lippe 68 

ItcUt Ib Vkvekotoils. ZDL 1 



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2 Willi Wanttt, 



Dritter Abschnitt: b^a Tragische innerhalb der (treuzeu des rein* 
IstlietfickM V«rkftltMii 68 

EntM Kipittl: Di« objektive Gmndlage dea TragiBehea 63 

1) Daa Menaehliob-Lebendige 63 

2) Das Leiden. — Daa Tragiache der Kraft und daa Tragiaebe 

des Leidens 65 

Zweites Kapitel : Die Gefiih 1 sseite des tragi Bchcn Erlebuisaea 66 
1} Gefühle, die mit dem tragischen Snbjekt Terbunden sind: das 

tragische Leid 68 

2) Gefühle, die toSt der tragischen Gegenniaebt verknüpft abid: daa 

traglaebe Bangen.— Unterordnnngdea Ballgenannter daa Leid 68 

Abaeblnß: Die Bolle der Gefttble, die ana dem Satbetiaeb- 
kritlaeben Terbalten berrfihren 69 



Einleitung. 

Wenn wir im folgenden das Tragische znm Gegenstand einer 
psychologischen ÜnterRnchnng machen wollen, so fassen wir diese 
Aufgabe so auf, daß wir diejenige eigenartige Modifikation des 
allgemeinen ästhetiscben Gefallens einer Analyse nnter- 
siehen wollen, die gegenüber den gemeiniglieh als »tragiBob« be- 
seiobneten otrjektiTen Yoiig^bigen einzntreten pflegt 

Uneere erste nnd vor der Bebandlnng des eigentlich in Frage 
Btehenden Problems zu lösende Aufgabe mnfi demnaoh die sein, 
in kurzen Worten eine psycbologisohe Analyse jenes allge- 
meinen ästhetischen Gefallens selbst zu versncben. 

Das aatlietiscbe Gefallen lansen wir dabei als das psycho- 
logische Resnltat eines eigenartigen und vom theoretischeii und 
praktischen Verbalton öpezifisch verschiedenen Yerbaitens des 
ästhetischen Subjekts zur Welt auf^). 

Wir hoffen durch die Analyse dieses Verbaltens ein ästhe- 
tisches Prinzip zn finden, das nns in der Benrteilnng der snb- 
jektiT-psyehologiscben nnd in der Auswahl der objektlT-materialen 
TaCssdien aar Richtsehnnr dienen kann. 

Bis zur Auffindung dieses ästhetischen Prinzips glauben wir 
nämlich mit dner rein subjektiven Methode auskommen sn 
können, da dieses Prinzip, als eines, welches auf alle ästhetischen 
Eio^eltataaclieQ ohne Unterschied muß angewandt werden können, 

1) Vgl E. Menmann, Die Orenaen der psyebologiaehen latbetlk. 
WUm. Abhandl. f. Max Heinze. Berlin 1906. ailSf. nnd Ästhetik der 
Oegenwart Leipcig 1906. &37f. 



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Dtt Tngiflohe. 3 

notwendigerweise kein objektiv-materiales, sondern yielmehr nur 
ein gabjektiv-formales sein kann, d. h. nur in der Art und Weise 
gefunden werden kann, wie sich der Mensch zur Welt verhält, 
wenn er eiaea Gegenstand auf sein ästhetisches Gefallen hin be- 
trachtet — 

Seine Modifikation zum Gefallen am Tragischen kann aber 
dann das allgemein ästhetische Gefallen, als beruhend auf dem 
flilbjektir-fonnalenf eigenartigen ästhetischen Verhalten, nur doreh 
inhaltliehe Momente erhalten. Eb ist die eigenartige Beeehaffen- 
heit dea tngiflehen Objektes ala Beleben, wcAehe die Modifikation 
dea Saibetifleben Qefallena sam GeMen am Tragischen berrormft. 

Darana folgt annSebsti daB bei der apealelleii Analyse dea 0^ 
ftUena am Tragischen die objektiye Metbode mit m Hilfe 
herbeigezogen werden mn8. Wir mUssen die gegenständliche 
Grnndia^^e des Tragischen in ihrer Eigenart bestimmen und in 
ihren Wirkungen aul das Objekt klarzulegen suchen. 

Diese Wirkung muß nnn aber immer auf dem Boden des 
äethetiscben Verhaltens de« 6ul)jekt8 zum Objekt vor sich irelien. 
Wir werden daher in der Tat, um vor Entgleisungen ins auüer- 
ästhetiscbe Gebiet geschätzt zu sein, die Behandlung der ob- 
jektiven Grundlage ans dem CMobtspunkte jenea snbjektiT- 
formalen ästhetischen Prinzips Toraebmen müssen. 

Diesem unserem eigenen LOsungsrersiebe des Problems wollen 
wir jedoch noeh einen historisch -kritischen Teil yorans- 
scbickeni in dem geseigt werden soll, daß gerade in der Beband- 
faiag der objektiTen Gmndbige des Tragischen den Ästhetikeni 
hisher meist cm ausreichendes Batbeiisches Prinzip gefehlt bat 



Erster Abschnitt 
Das ästhetische Verhalten. 

>Um zu unterscheiden, ob etwas schön sei oder nicht, beziehen 
wir die VorsteUnng nicht durch den Verstand auf das Objekt zum 
Erkenntnisse, sondern darch die Einbildungskraft (yielleicht mit 
dem Veratande verbanden) anf das Subjekt nnd das Gefähl der 
Last nnd Unlnst desselben.« Dies ist die aUgemeinste Be- 
scbreibnng, die Kant im Eingange der Kritik der Bsthetiscbea 



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4 



Willi Wantot, 



Urteilflkraft ^) Tom ästhetischen Yerhiüteo gibt, und die wenigstens 

nach ihrer negativen Seite von der späteren Ästhetik rückhaltlos 
aüerkauüt worden ist. 

Diese negative Seite der Deünition enthält die prinzipielle 
Scheiduug des ästhetischen Verhalteos als eines solchen vom theo- 
retischen nnd praktischen Verhalten, das die Vorstellaiii: mit Rück- 
sicht auf ihr theoretisches Dasein oder ihren praktischen Zweck 
betrachtet Sie führt Kant zur Ansachließnng alles »Interesses« 
eineneits nnd jeden »Zweckes« und der objektiven »ZweckmttBig^ 
keit« andereracits als richtunggebend im Geschmackfiorteil. 

»Intefesse« hat Kant dasjenige WoblgefaUen genannt, »was 
wir mit der Yorstellnng der ExiBtenz eines Gegenstandes ver- 
bfaiden« >). Das Wohlgefallen an der Ezistens eines Gegenstandes 
wurde aber die Beziehnng »der Vorstellnng dnroh den Verstand 
auf das Objekt zum Erkenntnisse« Toraossetxen nnd demnach vom 
Snbjekt ein theore^hes Verhalten fordern. 

»Zweck« aber ist nun »der Gegenstand eines Begriffs, sofern 
dieser als Ursaclie von jenem (der reale Gmnd seiner Mögliclikeit) 
angesehen wird . und ^die Kaasalit«1t eines Begriffs in Anseliuiip- 
seines Ohjckts ist die Zweckmäßigkeit ' 3). Danach würde auch 
jeder Zweck, der einem Urteil zugrunde liegt, »Interesse«, d. h. 
ein erkenntnistheoretisches Beziehen der Vorstellung auf den 
Gegenstand voraussetzen; er findet mithin im ästhetischen Ge- 
schmacksnrteü keine Stätte. 

Für Kant gilt das nnn sowohl Ton einer »die Vorstellnng be- 
gleitenden Annehmlichkeit« (als einem snbjektiTen Zweck), als 
anch Ton dem anf Grand der Vollkommenheit nnd des Begriffes 
vom Gnten (als objektiven Zweckes nnd objektiver ZweckmäBig- 
keit) gefeiten Urteil Er hat so die grandsätsUche Verschieden- 
heit des ästhetischen Verhaltens auch vom praktischen Verhalten 
zur Welt festgestellt, d. h. von dem Verhalten, welches in der 
Welt praktische Zwecke zu vor w irklichen sucht und die Gegen- 
stände unter diesem Gesichtspunkte beurteilt. 

Damit gilt es auch fUr uns als ausgemacht, daß das 

1) Ka Et, Kritik der Urteilskraft Heraosgeg. von Kehr bach. (Reckm.) 
§ 1. S. 43. 

2) Ebenda. § 2. S.44. 
8) Ebenda. § 10. S. 84. 
4) Ebenda, g 11. S.65f. 



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Iku Tngiaehe. 



5 



ästhetische Verhalten jedem — subjektiven und objektiven — 
Zweck und der objektiven Zweckmäßig^keit gegenüber 
völlig indifferent bleibt; ea unterscheidet sich eben dadurch, 
daß es von Tomhereiu darauf verzichtet, ans eine Brttcke zur ob- 
jektiven Wirklichkeit herzustellen, vom theoretischen und pmkti- 
gehen Verhalten des Ifenacfaen znr Welt, das daniaf ausgeht, 
mittelB des I>eDken8 uns diese Brttcke zn liefern nnd nntsbar 
SB machen. Auf diesen beiden Punkten der negatiren Be- 
stimmung des ästhetischen Verhaltens Uegt der Nachdruck: 

1) es Yerfolgt weder theoretische noch praktische Zwecke; 

2) die Lust, welche es uns vermittelt, steht in keinem Irgend- 
welchen Zusammenhange mit Zwecken oder an dex Vor- 
stellung vorhandener objektiver Zweckmäßigkeit. 

Beide Bestimmungen sind letzten Endete nur Kuusequenzen der 
Tatsache, daß das ästhetische Verhalten gänzlich diesseits der 
objektiven Wirklichkeit bleibt — 

Suchen wir nun eine positive Bestimmung des ästhetischen 
Verhaltens, so huden wir auf die beiden Fragen: Welchen Zweck 
verfolgt dab ästhetische Verhalten? und: Welcher Art ist die un« 
dabei vermittelte Lust? nur eine Antwort: Das ästhetische Ver- 
halten ist Selbstzweck, das heißt: es vermittelt uns als solches 
schon Lust und erhält dadurch seinen eigenen Wert. 

Für die positive Bestimmung des ästhetischen Verhaltens er- 
gibt sich demnach als nächste und vornehmste Angabe die Be- 
stimmung dieser Lust nach Herkunft und Art 

Wenn wir diese Au%abe zu lOsen yersnchen, so werden wir 
uns bald tou Kant trennen mttssen, der infolge seiner eigenartigen 
Fnigeetellnng — es handelt sich ja fllr ihn in erster Reihe um 
die Analyse des »Geschmacksurteils« und nicht des ästheti- 
schen Verhaltens — die Bedeutung dieser Lust nicht in ihrem 
Tollen Maße erkannte. 

Nach Kant beziehen wir im Geschmacksurteil »die Vorstel- 
lung . . . durch die Einbildungskraft (vielleicht mit dem Verstände 
verbunden) auf das Subjekt und das GetUhl der Lust und Unlust 
desselben«*). Dieses Geftlhl der Lust seinerseits entspringt aber 
aus der »sutjektiven Zweckmäßigkeit« einer Vorstellung, mittels 

1 Vgl. die oben schon zitierte Stelle »Kritik der Urteilskraft«. ^Kehr- 
bacb.. § 1. ä. 43. 



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6 



Wüli WuBtat» 



deren sie »die Einbildunprskraft (als das Vermögen der Auscbau- 
nn^en a priori) zum Verstaude^ als Vermügen der Begriffe ... in 
Eiustimmang versetzt« i). 

Um uns Uber die StellüD^ der ästbetiscbeu Lnst und Unlust 
im »Geschmacksurteil« klar za werden, müssen wir zauächst das 
Wesen dieses »Geschmacksarteils« selber einer Untersacliiiiig 
nnterziehen. 

Kant belcnt an vielen Stellen seiner Kritik der itChetiscben 
Urteilskraft)} ansdrücklidi, dafi das Gesebmaeksnrteil kein Urteil 
ttber Vontellnngen nack BegriiTen sei; es ist also kein »Urteil« 
im gewöhnlichen Sinne der Logik, in dem wir Vorstellnngen 
nnter objektiv- allgemeinen Yerstandesbegriffen znsammeniafiten. 
Das »Gesebmaeksnrteil« Ist vielmehr ein rein psyehologiseher 
Vorgang, da nacb Kant in ihm »die Erkenntniskräfte ... in 
eiiiem freien Spiele* seien, »weil kein bestimmter Begriff sie auf 
eine besondere Erkeiiiitnisregel einschränkt«'). 

Das »Geschmark surteil« bestebt also in einer durchaus >sub- 
jektiFeti' ästlietischen; bLUuteiluiig- des Geirenstandes oder der 
Vorsteliuug »dadurch er gegeijen wird«*). Solange Kant das >Ge- 
schmacksiirteil« in dieser psychologischen Weise uuffaßt, darf er 
mit Recht behaupten, daß diese »ästhetische Beorteilang des Gegen- 
standes . . . vor der Last an demselben« vorhergehe^). 

Aber dennoch darf er auch dies wieder nnr bei einer legi- 
sehen, gedankliehen Zeigliederang des psychologischen Vor- 
ganges, insofern er sagen kann, daß »die bloß subjektive (Ssthe- 
tisehe) Beurteilung des Gegenstandes ... der Grund dieser Lnst 
an der Harmonie der Erkenntnisvermögen« sei*). Das logische 
Verhältnis von Gnmd und Folge macht aber an sich noch nichts 
ans fttr das zeitlich-psychologische Verhältnis. 

Die psychologische Einheit jenes »beurteilenden« BewiiUt- 
seinsvorgauges und der Luat daran bleibt deshalb doch immer be- 
stehen. 

Es finden sich auch sogar bei Kant Stellen, an denen er die 



1) R. d. U. Einleituiig, VIL S. 29. 

2] V^'I das »zweite Moment« des GtoBobmaokBiirteUs. K. d. U. §§ 6ff. 

3 Ebenda. § 9. S. 61. 

4; Ebenda. § 9. S. 02. 

5} Ebenda. § 9. S. 68. 

6J Ebenda. § 9. 9. flS. 



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Du Tragisch«. 



7 



Lust and das >Urteil< identiti/acrt; z. B. wenn er sagt: »Das Be- 
wußtsein der bloß formalen Zweckmäßigkeit im Spiel der Er- 
kenutniskräfte des Subjekts bei einer Vorstellung, dadurch ein 
Gegenstand gegeben wird, ist die Lust selbst«^); danach würde 
also schon das ästhetische Genießen, einer Landschaft z. fi., das 
Urteil über ihre Schönheit enthalten. Besonders tritt diese psyeblH 
logische Identifikation der Lnst and des Urteils an der Stelle her- 
▼er, wo er aneinandergetet, daß >jeDe sabjektiTe Einheit des Yer- 
hältniflees« (der ErkenntnieTennOgen] »sieh nnr dnreh Empfindung 
kensilichc machen kann, daß es nicht inteUektneU bewußt 
werden, aondem nnr empfanden, d. h. psychologiach bewnßt 
werden kann^. 

Der Hauptfehler, der bei Kant an dieser Stelle deutlich her- 
vortritt, ist der, daß er in der Behandlung der ästhetischen Be- 
wußtäcinstatsachen nicht die Methode and die Terminologie der 
Logik streng schied von der Metbode und Ausdracksweise der 
Psychologie. Er übertrug vielmehr die logische Behandlung 
auf ein dorchaofl psychologisches TatBachengebiet; und der erste 
Schritt dasn war die Bezeichnung jener eben geachilderten Yor- 
gfioge beim fisthetisohen Verhalten als »Urteil«. 

diesen ersten Schritt knüpfen sich aber weitgehende Eon- 
seqnenaen. 

Denn die Beseichnnng jener rein psychologischen Vorgänge 
als »Geschmacks urteil« yerschleierte die feinen Übergänge von 
der bisher geschilderten rein geuieüenden Seite des ästhetischen 
Verhaltens zu einem zweiten Stadium desselben, wo wir auf die . 
Vorstellung als die Ursache der sühjektiven Lust reflektieren und 
sie dadurch als ästhetisch in der Tat ^beurteilen«. Wir werden 
später diese beiden Seiten des ästhetischen Verhaltens als rein- 
ästhetisches und ästhetisch-kritisches Verhalten genanTon« 
einander an scheiden and auch wieder in ihren Bezichongai in- 
einander darzustellen suchen. 

Erst diese Vorginge im reflektierenden ästhetischen Be- 
wnßtsein kann Kant mit Beoht als »Gesehmacksarteil« bezeichnen, 
and sdn ganaes Bestreben ist anch In der Tat soletat nnr auf 
die Analyse dieses »Geschmacksnrteils« gerichtet Die Yersnche 



Ij K. d. U. § 12, a 67. 
2} Ebeada. $ 9. S. 68. 



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8 



Willi Warstat, 



einer Zergtiedermig der vor diesem Urteil zu poetDlieienden 
psyehologiseben Vorgänge hat er nur notgedmogen tmd mit 
nnsnrelehenden Mitteln nntemommen. 

Das > Geschmacksurteil« ist ihm eben im Grnnde das Pro- 
dukt der >ästheti8cheD reflektierenden Urteilskraft, die als 
solche »die Vorstellung auf die Lust oder Unlust des Subjekts 
bezieht«, und diese »ästhetische ürtoiUkratt* ist ja nur eine 
Schwester der »teleologischen Urteiiskraft«, von ihr unterschieden 
nur nach Mittel und Gegenstand des Urteils, nämlich dadurch, 
daß sie ihre Urteile nicht »durch Verstand nnd Vernunft (logisch, 
nnoh Begrififen)« Uber die »reale (objektiye} Zweckmäßigkeit« fällt, 
sondern »dnreh den Gesehmaek (llsthetisch, vermittels des Geftlhls 
der Lnst)€ ttber die »formale (blofi subjektive] ZweekmXfiigkeit« 
Das Gefühl der Lnst oder Unlnst ist gewissermaßen ein Signal, 
welebes das Subjekt anf das Vorbandensein oder Kicbtvorbanden- 
sein jener formalen snbjektiven Zweekmäfiigkeit an einer Vor- 
Btellnng anfmerksam maobt, nnd der Oescbmack niebts anderes 
»als das Vermi^^eu, durch eine solche Lust zu urteilen« 2). 

Erst bei einer solchen Auffassung des Geschmaeksurteils als 
Produkt der reflektierenden ästhetischen Urteilskraft, d. h. bei 
der psychologischen Voraussetzung) daß die Lust auf die Vorstel- 
lung als ihren Grand bewnfit beaogen wird, kann Kant behaupten, 
daß den Gesebmaeksnrteüen »Anspruch auf Gültigkeit für jeder- 
manne anbftnge (fUr unsere methodisohe Kritik kommt es bier 
nieht darauf an, ob die so postulierte AUgemeinbeit eine »objek- 
tirec oder eine »subjektive« ist)*). 

Ja, Kant sucht an einer Stelle das im Gesebmacksnrteile vor- 
handene iiewußUein von der Allgemeiiig:Ultigkeit unseres Urteils 
sogar für eine weitere Charakterisierung der ästhetischen Lust zu 
verwerten. Er sagt*): »Daß, meinen Gemütszustand, selbst auch 
nur in Ansehung der Erkeuütuisvt nnoiren, mitteilen zu können, 
eine Lust bei sich fllhre, könnte mau aus dem natürlichen Hange 
des Menschen zur Geselligkeit (empirisch and psychologisch) 
leiehtbia dartun.« — 



Ij K. d. U. Emleitnng, Vm. S.38. 

2) Ebenda. Elaleitmig, YIL S. 80. 

3) Ebenda. § 6. S. 64. 
4} Ebenda. % 9. S. 68. 



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Dm Tragische. 



9 



Wir glauben hiermit zur GenUfre auseinanderj^'esetzt zu hiihen, 
daß in der Tat bei Kant sich allmählich ein Cbergaiig von eiuer 
unbewußt p ^^ yc h ol o s eh e u AutYabBang des »Gesclunacksurteils« 
zu einer logischen voll/Jcht. 

Bei dieser letzten Aatfassuug tritt aber die Last als Selbst- 
zweck des ästhetischen Verhaltens völlig in den Hintergrund; sie 
ist alsbald für Kant nur mehr das Mittel, welches, ans der be- 
londeren, freien Art der Intätigkeitsetzang der Erkenutms?ennOgen 
erwaohsen, »den GkgenBtaad naeh der Zweekmafiigkeit der Vor- 
•teUiing (wodoreb ein Gegenstand gegeben wird) anf die Beföide- 
mng des ErkenntniBrermUgens in ihrem« (des Verstandes nnd der 
Einbildangskraft) »freien Spiele beurteilen läfit« <). Was beifit das 
aber anders, ab daß das Geftlbl, die Lnst, das Snlj^li^t hinweise 
tnf das Vorhandensein, das th/oretisohe Dasein jener sub- 
jektiven Harmonie nicht nur. eonderu auch der objektiven 
Beschaffenheit an der Vorütcllung, durch die dieae erst dazu 
befähigt wurde, jene Harmonie der £rkeuntuisvermügen Uberhaupt 
hervorzubringen ! 

Damit ist nun unvermerkt dem ästhetischen Subjekt doch ciu 
theoretisches Verhalten zugeschoben worden, ein Verhalten, das 
das theoretische Dasein eines objektiven Tatbestandes nnd eiuer 
gewissen objektiven Bescbaffenheit konstatiert und das sich von 
dem Verhalten gegeatlber der objektiven Wirklichkeit» »bei der 
der Gegenstand naeh der Wahrnehmnng dnrch den Sinn nns eine 
lange Perspektive anderweitiger Wahmehmnngen nnd £rfahmngen 
zo machen gestattet« ^, nnr dadurch nntenoheidet, daß es eintritt 
gegenober einer subjektiven Wirklichkeit, einer Welt subjektiver 
Vorgänge nnd ihrer Veranlassung. 

Danach wäre der psychiache Prozeß, der dem Geechmacks- 
nrteil zugrunde lie^jt, etwa b«» zu beschreiben: Die aus dem rein- 
ästhetischen Verhalten, dem Usthetischen Genießen, herrührende 
Lust und die mit ihr zusntiiiiirnliänü-endcn subjektiven Vorfränsre 
wtrden auf die Vorstellung und ihre objektive BescliaiVcnlKjit als 
Ursache dieser Vorgänge bezogeu. Die Vorstellung tritt also in 
ihrem theoretischen Dasein als Grund neben die Lust als die Folge. 

11 K. d. ü. § 35. S. 149. 

2) Vgl. Jacob Segal, Die bewuGte Selbsttiiuachuug ala Keru des 
üütlietiBchen Genießen«. Archiv für diu gea. Ptiycbologie. VI, 3. ,1905.) 
8.966. 



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10 



Wim Wantat, 



Dann liegt aber dem Geschmacksurteil doch ein theoretisches 
Verhalten zugrunde, das sich von dem frewöliuliehen Verhalten 
der Welt g:egenUber uur dadnrch uutcr-^clieidet, daß es sich auf 
eine nur sabjektive, »ästhetische« Wirklichkeit^) bezieht und den 
ganzen Prozeß des ästhetischen Genießens mit der daraus 
reBnltierenden ästhetiBchen Lust sar VoranBBetsiing hat 

Kant hat diese psychologpflehe VoraiiBBeteaiig mit in das 6e- 
BchmackBnrteil hineinbesogen nnd ihr dadnich ihre BelbBtindigkeit 
geraubt. 

Wir hiiltcii UU8 aber für berechtigt, diese beiden psychologisch 
auteiuanderfolgenden Stadien des allgemein-ästhetischen Ver- 
haltens oder ilsthetischeu Gefallens^/ in der Analyse voneinander 
zu trennen und als »rein-ästhetisches (genießendes) Ver- 
halten« und »ästhetiBch-kritiseheB Verhalten« gleiohberech- 
tigt nebeneinander zu setzen. 

Bas llBthettfleh-kritiBehe Verhalten ist dem gewöhnlichen theo- 
retisehen Verhalten gegenüber der Welt der Form nach wesena- 
gleich I d. h. es reflektiert ebenso wie diesefl auf das tiieoretiBche 
Vorhandensein einer Voratellnng nnd zieht damit diese in den Be- 
reich der A])püizeptiou, luu lülialtlich unterscheidet es sich von 
ihm, indem es erstens rein subjektiv-ästhetische Vorgänge 
mit der Vorstellung in Verbindung setzt und zweitens auch in 
einer nur subjektiv-ästhetischen Wirklichkeit bleibt. Das 
gewöhnliche theoretische Verhalten stellt die Vorstellung dagegen 
in den allgemeinen objektiven Zusammenhang nnd beschäf- 
tigt sich speuell mit der üerstellnng dieses Zusammenhanges in 
der objektiven Wirklichkeit 

Wenn wir daher anch in der Tat berechtigt sind, das »Ssthe- 
tisch-kritische« Verhalten als noch »ftsthetiseh« zn bezeichnen 
und es vom thcDretischen Verhalten zu unterscheiden, so liegt 
doch klar auf der Hund, daß nur das »rein-ästhetische (genießende)« 



1) Vgl. Uber »Üsthetiache WtrkHcbkeit« weiter unten S. 28 ff. nnd die 

dort zitierten Stellen. 

2 Wir beachten hier znnäclist mir die eine Seite des Allgemein-äsflie- 
tischen Verhaltens, das* »jisthetisehe Gefallen« Meuiuann ; wir glauben 
aber, «neb tur die zweite Seite, daa >kUnstlerii»cUe Schaffen«, diese beiden 
Stadien des aUgemein-XsthetiBdien Verhaltens nmehweuen tn ktfnnen. Vgl. 
hienn Xennann, Qtensen der ptyeliologieehen Äitfaetik. S. 178f. and 
Ästhetik der Gegenwart S. 38ff. 



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Dm Tngia«be. 



11 



Verbalten imBtande sein wird, uut) ein rein iläthetiäches Prinzip 
für nnsere weitereu Uutersuchung'en zu liefern. 

Für das rein-ästhetische Verhalten oder ästhetische 
Genießen ergibt sich aber ans unserer Charakteristik des ästhe- 
tiseh-kritischeii Verhaltens die unmittelbare Folgerung, daß in ihm 
die VorateUuig nieht selbständig in den Kreis der Appeneption* 
trete, nieht mit theoretiseber Deutiiehkeit neben dem Gefühle als 
seine Ursaebe in der Enge des Bewußtseins auftrete. 

Das ist nur seheinbar dne negative Bestimmung. Sobald man 
naeh der psychologischen Möglichkeit jener Forderung fragt, 
rerwandelt ä\e sich sofort iu eine positive. 

Jedes ästhetische Erlebnis hat eine Vorstcllunirsscite und 
eine Gefühlsseite, d.h. jede ästhetische \ orsieliun^^^ wirkt auf 
unser Gefühl. Es ist nun natürlich Vorbedingung auch für jedes 
ästhetiflche Geschehen überhaupt, daß die Vorstellung, die ob- 
jektlTe Seite jenes Erlebnisses, perzipiert wird; dagegen wird 
im islhetiaehen Genießen allein die subjektive Seite des Er- 
lebnisses, das Gefttbl, apperzipiert. 

Damit hoffen wir die charakteristische Eigenschaft des reinr 
isthetisehea Verhaltens angegeben und zu gleieber Zeit ein Prinzip 
gewonnen zu haben, das in gleicher Weise gegenüber den objek- 
tiven wie g:egenUber den subjektiven ästhetischen Tatsachen seine 
Verwendbarkeit beweisen dürfte. 

Die Behandlung der Vorstcllungsseite am ästhetischen Ge- 
nießen auf Grund unseres Prinzips würde in Ausführlichkeit die 
Angabe einer Theorie der Kunst sein. Wir wollen uns daher 
hier mit kurzen Andeutungen begntigen: 

Um ein rein-Ssthetisehes (genießendes) Verhalten des Subjekts 
herTorzurufen und zu erhalten, muß die Vorstellung gewisse 
otgektive Eigenschaften aufweisen, die als solche die Vorbe- 
dingung des ästhetischen Genießens und damit der allgemein- 
formalen ästhetischen Lust werden; auf sie reflektiert aber das 
naive ästhetisch-kritische Verhalten als die Ursache dieser Lust, 
die es dat» >Schönc« nennt. Der Ästhetiker wurde dieses Schöne 
das >Formal-Schi>ne^ nennen. — 

Es besteht aber darin, daß die VorstcUnng in ihrem ganzen 
Umfange sich unserem Bewußtsein mit einer gewissen Selbst- 
Terständlichkeit und Unmittelbarkeit darbietet, die es er- 
möglichen, daß der ganze Vorstellnngs^erlauf sich wohl innerhalb 



12 



Willi WuttAt, 



des Kreises der Perzeption, aber noch außerhalb des Kreises der 
Apperzeption vollzieht. Jeder Fehler, jeder Widerspruch im Vor- 
stellun^sverlaufe oder auch schon jedes zu nacbdrucksvolle Be- 
tonen der Vorstellung^sseito als solcher zieht die Aufmerksamkeit 
auf diese, zwingt um zu einer reiu theoretisch-logischen Beschäf- 
tigang mit ihr und unterbricht das rein -ästhetische Verhalten. 
Innerhalb des ästhetisch -kritischen Verhaltens, das jetzt einsetzt 
und die Mängel der Vontellang foBtstellt, werden diese Mängel 
nnn zur Uraache ästhetiaelier Unlnst, «m »Hftßliohen<<}. — 

Für die Betraehtong der sabjektiven, der Geftthlsseite 
des ästhetischen Erlebnisses nnter dem Gesiehtspnnkte unseres 
ästfaetisehen Prinzips mnS betont werden, daß nur das rein-ästhe- 
tische Verhalten, wie wir es beschrieben, wirklich im streng:sten 
Sinne Selbstzweck, 1 h. eine selbständige und eigenartige 
Quelle einer Lust werden kann, die weit daviii entfernt ist, au 
ein theoretisches oder praktisches Interesse auzukntlpfen. 

Diese grundlegende ästhetische Lust trägt nämlich 
nach unseren Auseinandersetzungen einen durchaus for- 
malen, funktionellen Charakter; sie rtthrt nicht aus der 
Qualität der Vorstellung und deren besonderem GefUhlsgehalt 
her, sondern aus der Art und Weise, wie das Subjekt sich zu 
diesem besonderen GefUhlsgehalt yerhäli 

Im rdn-äsihetischen Verhalten wird nämlieh der Strom des 
subjekÜFen Oefllhls — ganz gleioh, welcher besonderen Qualität 
es zunächst auch sei — nicht nur von den Schranken und Hem- 
mungen befreit, die theoretisches und praktisches Interesse ihm 
sonst entgegensetzen, sondern sogar die objektive Grundlage des 
Gefühls, die Vorstellnng, steigt nicht Uber den Horizont der Ap- 
perzeption. Das KesLiltat fllr das Bewußtsein ist aber TÖllige 
funktionelle Freiheit des (jefuhlsabiaufs; erst fUr die Reflexion 
würde die Gebundenheit dieses Ablaufs an die Vorstellung in das 
engere Bewußtsein treten. So ergießt sich der Strom des Geülhls 
in »freiem Spiele« dahin, nicht was wir fahlen erfreut uns 



1; Vgl. hierzu auch die Aasflihrnngen von LippB über das »ästhetische 
Wirklicbkeitsbewußtseln* im Aufsatze »Weiteres znr Einfiihlnng«. Archiv 
für die ges. l'sychologie. TV. ;ilK)5.j S. 489f. oder awch von demselben 
den Aufsatz »Ästbetische Eintublung«. Zeitschrift für Fsychol. a. Pbfsiol. 
XZn. (1900.) S. 415 ff. Vgl zur Analyse der Vorstellangaseite RUch weiter 
unten S. 26ir. 



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Dm Tngisoho. 13 

zunächst, sondern daß wir fühlen; die besondere, freie Art 
des Gefüblsablaafs im rein-Usthetischen genießende«) 
Verhalten ist die Ursache der allgemeinen ästhetischen 
Last — 

Die dnrcli die Art der Yontellviig Miiigte Qualität des 
subjektiren GefllhU ist ftlr iub Wslier gar nicht in Betracht 

gekommen. Sie kommt, da ja das formale Ustbetisehe Verhalten 
ge^renUber einer jeden ästhetischen Vorstellnng, welchen GefÜhls- 
gehalt sie auch immer haben mag-, stet» dasselbe bleibt, in der 
Tat nur innerhalb der allgemein-formalen ästhetischen Gettihle 
(Lost und Unlust) zur Geltung. 

Diese inhaltlichen Gefühle, welche an die objektire Qualität 
der VorsteUnng geknüpft sind, sind es nun, die das iisthctische 
Erlebnis Ton Fall zn Fall eigenartig färben. An ihrer Hand 
unterBeheiden wir die einselnen äBthetisohen Kategorien des 
»SeliOaen«, d. h. inbaltlieh SehOnen*), des »Erhabenen«, »Tragi- 
lehenc, »EomiBehen«. 

Eine Ästhetik, die sieh die Analyse dieser Kategorien nnd der 
in sie geknüpften Modifikationen des äflifaetisohen Gefidlens snr 
Anfgabe macht, wird also snnllchst den objektiven Gehalt der 
Vorstellnngsseite am ftsthetfaehen Erlebnis einer üntersuchnng 
uüterziebcu, d. h. sich einer objektiven Methode bedienen müssen, 
bevor sie anch die subjektive Seite ihrer Aufgabe losen kann^). — 

Nach unseren vorausgepangeneu Ausfllbrungen ist es folge- 
richtig, wenn wir die GefUhle nicht nach ihrem Inhalte in ästhe- 
tische und nicht-Hsthetische scheiden. Ein qualitatives 
Unterscheidongsprinzip kann es dafUr nicht geben: jedes GefUhl, 
das wir im gewöhnlichen Leben — nicht- ästhetisch — dorch- 
maehen können, wird llsthetisch, sobald wir es innerhalb des rein- 
Ssthetisehen Verhaltens erleben. Dabei ist aneh zunächst sein 
Lost- oder Unlasteharakter TOllig ineleyant, da er stets nor in 
Verbindung mit der ans dem isthetisehen Verhalten stammenden 



1) Wir haltea vom atob «nMren bitherfgen Anaflihraiigeii für beiwshügt, 

dji5 formal Schöne und das inhaltlich Schüne za trennen. Das erste finden 
■wir i iiMioTn Kunstgenuß, wo ein rein HsthetiachcB Verhalten eingetreten 
war. Wir stehen nicht an, nach dem Genoß einer Tragödie s. B. an sagen: 
»Es war schön.« 

2; Vgl. E. Msnaaoa, Chmnen der paycLologischea Aatiietik a. a. 0. 



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14 



Willi WarsUt, 



foimalfiD MfldietiBoheii Lust an der freien und kräftigen Fnnktion 
des GefÜblB im Bewußtsein «nftritt. 

Ebenso aber gibt es ein* formales Prinzip znr Uhterscbeidnng 
Ton ttsthetisehen nnd nnästhetischenGefUilen. Sobald irgend^ 
ein Ckfbhl das Mfftbetische Verhalten als solcbes anfhebt und ein 
theoretisches oder praktisches Verhalten herbeiführt, ist mau be- 
reehtigrt, es nnästhetisch zu nennen. Geschlechtlicbe Gefühle 
oder solche des Ekels gehören unserer Meinnng nach dazn, auch 
diese aber erst daun, wenu sie körperliche Bedeiterscheiuungen 
hervorrnfeu nnd im Begehren und im Abscheu das praktische Ver- 
halten an die Stelle des ästhetischen setzen. — 

Die bei weitem wichtigste Frage aber, die sich an die mit der 
Vorstellungsseite des ästhetischen Erlebnisses verbandenen iniialt- 
lieben Gefttble ansebiießti ist die nach der Art ihrer Verknüp- 
fung mit der Vors teil nng. Sie ist die in der modernen Ästhetik 
wohl am meisten behandelte Streitfrage <). 

In der Bearbeitong dieses Problrara sind die Ästhetiker im all- 
gemeinen zwei yerschiedene Wege gewandelt; die einen nehmen 
für die Verknüpfung der inhalfliehen äsflietischen GeAÜde mit der 
Vorstellung im ästhetischen Verhalten keine spezielle psychi- 
sche Funktion un, sondern erklären sie allciu aus der allgemein- 
psychischen Tatsache der »Assoziation« 2). ihre nächste Auf- 
gabe besteht dann naturgemäß darin, ans dem allgemein-psy- 
chischen Tatsachengebiete die ästhetischen Tatsachen, die 
»ästhetischen« Assoziationen auszuscheiden. Bei diesem Ge- 
schäfte bedienen sie sich jedoch meistens eines qualitativ- objek- 
tiven und daher nnzureichenden Gesichtspunktes als Unterscheid 
dnngsprinzip. 

Die zweite Partei glaubt mit »Assoziationen« zur Bezeiohnung 
des llsthetisefaen Zusammenhanges von Vorstellung und GefHhl 
nicht auszukommen und nimmt daher eine besondere psychische 
Funktion dafür an. 

Den ersten und grundlegenden Schritt zur Ausbildung einer 
»Assoziationsttsthetik« unternahm G. Th. Fechner durch seine 

1} Vgl. 0. Külpe, Uber den assoziativen Faktor des äatfaetiselien Ein- 
dracks. Viertel} ahrsäcbrift für wisBenachaftl. Philos. 23. (l^.j S. 14öff. 

8) Ober den BegM »Anoiistion« and seine echwaakende Audentoag 
TgL P. Stern, Einfttblimg und Aeeosiatioii ia der neueren üietbetik. Harn- 
bnig und Letpslg 1896. S. 47 Ii: 



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Dm Tragische. 



15 



UüterscheidunjJT eines »direkten« und > assoziativen* Faktors im 
ästhetischen Eindruck V- 

Diese Unterscheidnng beschäftigt sich aber zunächst nur mit 
der Voristelluufjöseite des ästhetischen Erlebnisses, dem ästhetischen 
Eindruck, und konstatiert für diese die ;illgemeini)sycho- 
logiscbe Tatsache, daß in ihr, wie in jeder Vorstellung, direkt 
gegenüber dem Objekt perzipierte Faktoren sich in inniger Vet^ 
bindang mit assosiatiT vom Subjekt binzugebraehtem Yorstelliiiigs- 
materiale befinden. 

So acbeSnt Fe ebner aUeidings fllr die Beantwortong tuuerer 
Fnge naeb der Verblndmig der inbalftieben Gefttble mit der Vor- 
steilling wenig sn leisten. Seine fünf ersten — formalen — »Xstbe- 
tiseben« Prinzipien bezieben sieb auf die qnantilatiTe bzw. qnali- 
tative Besebaffenbeit der Vorstelluug als soleber nnd auf die Art der 
Verknüpfung der perzipierten und der reproduzierten Vorstellung. 

Und auch das sechste, alleiu muteriale, das Assoziationspriuzip, 
scheint die Antwort auf nnsere Frage nur am eine entferntere In- 
stanz zn verschiebt 11 l)f nn s( hließlich behauptet es niebts anderes, 
als daß die reproduzierte Vorstellung, der assoziative Faktor auch 
seinerseits ein Objekt des Gefallens sein muß, wenn er zum ästhe- 
tiseben Eindruck etwas beitragen soll. Es trägt eben »naeb Maß- 
gabe . . als nns das geföllt oder mißfiUlti woran wir uis bei 
einer Sache erinnern , . . . aucb die Erinnemng ein Moment des 
Ge&llene oder Mififidlens zum Sstbetiseben Eindraoke der Saebe 
bei<^, zum Beispiel zum Geffdlen an einer Orange der Gedanke 
aa ihren aagenebmen Gesebmaek, die Erinnemng an Italien nsw. 

Demnaeb ist Fe ebnere Assoziationsprinzip nicbt nnr formal 
sn nmfassend, insofern es eine allgemein-psyebologisebe Tatsacbe 
konstatiert, sondern anob material, indem es Assoziationen beim 
reproduktiven Faktor als ästhetisch anerkennt, die, wie z. B. die 
Erinnerung an den angeuelimeu Geschmack der Orange, mau 
material betrachtet unmöglich als ästhetisch gelten lassen kann. 
Ein ästhetisches, material es Prinzip läßt sieb eben gar nicht 
ibden, dies maß durchaus formaler Natur sein'). 

1) Feehaer, Voisobale der Ästhetik. L (Leipzig 1876.) Kap. IX. 
8.86fll nnd Ktp.Zin. 8. 167 ff. AnBeidem TgL Stern, t. a. 0. S.41ff. 

«td KUlpe. a. a. 0. S. 163 f. 

2) Fe ebner, a. a. 0. I. S 94. 

3) Wir gebrauchen >formal< in etwas anderem Sinne als Feclitn r. Er 
■enat ein fonnftles Prinzip ein solches, das sich auf die objektive Beäcbaiieu- 



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16 



Willi Waratat, 



Die AnBfttKe zn einem Bolclien foTDuden, oberBften Xstfaetiielieti 
Prmdp, dM eine eigenartige Behandlung des Saihetiaehen Ein- 
dinoka yerUmgty finden iieh aber in cerslrenten Bemerkungen 
aneh schon bei Feohner; so wenn er a. B. sagt: »Wir erinnern 
ans dabei« (im ttrtfaetieolien Eindmek) »nicht aUes dessen einzeln, 
was zu dem Eindruck beiträgt; wie wäre das möglich, wenn 
alles zugleich Anspruch mailit, ms liewulit-seiu zu treten. Viel- 
mehr, indem es das will, verschmilzt es zu dem einheitlichen fre- 
füll lsjii;ißif!:cn\) Eindrucke, den wir die isti^'e Farhe nannten« 2j. 
Hier liegen die Ansätze za einer Auffassung der Assoziation, die 
allerdings die Möglichkeit gUhe. jene unsere erste Frage nach der 
Yeibiadoog von Vorsteliung und Gefühl zu lösen, bzw. Überflüssig 
zu machen. Wir kamen dabei allerdings in Gefahr, der Bezeich- 
nung » Asfloziation« einen neuen Sinn nnterzolegen. Deshalb 
haben wir sjiäter diesen Aasdmek llberhaqpt yennieden. 

Die neneren AssoaiationsIlBthetiker snchen nun den Ton 
Fe ebner za weit gezogenen Kreis der ilsthetlsohen Assoziationen 
za beschrttnken. Ks macht sich aber ttbeiaU geltend^ daß ihnen 
ein oberstes ästhetisches Prinzip bei diesem Geschäfte fehlt. 

Sie snchten aber ihre Prinzipien auch auf einem falschen 
Wege zu iiuden, nämlich nicht durch Ausbau der Fingerzeige, die 
auch bei Fechner auf ein subjektiv- formales eigenartiges 
Verhalten des ästhetischcu ijubjckta hinwiesen, sondern durch 
eine weitere Zerlegung der objektiven, der Vorstellnngsseite des 
ästhetischen Erlebnisses und durch deren Betrachtung nach teils 
formalen, teils materialen Gesichtspunkten; diese Gesichtspunkte 
sind dann aber, genau wie bei Fechner, stets objektiv-formal 
and objektiv-material als aus der Yorstellong entnommen, nnd 
nicht wie unser Prinzip snbjektiT-formal, als ans dem Yerhalten 
des ästhetischen Subjekts geschöpft. 



heit der Yontallmig alt solehfir besiebt; lehi materfales Prinzip betieht sieh 
auf d«B Qefthlwnhrit 4er VonteUmig. Wir bezeichnen ale eabjektlv formal 

unser Prinzip, weil es aus dem subjektiven Verhalten zur Vorgtcllimg ge- 
flossen ist. Wir mllssen beide Arten der Fechnerschen Prinzipien, weil 
sie etwää Übai die objektive Beschaffenheit der YorsteUang als solcher aus- 
sagen, als objektiv-material bezeichnen; denn ee handelt fAtAk fttr uns nicht 
nnr um die Analyee des Methetiaehen Eindrack», soadetn nm die des Metlie- 
tiechen Oenießene. 

1 Von heryoi^boben. 

2) Feohner, i. a. 0. L S. 93. 



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17 



Am bezeichnendsten flir die Entwicklung der A^^soziatio^8- 
ästbetik i^t die Ansicht von KUlpe. Er schränkt den Kreis der 
ästhetischen Assoziationen ein und verlangt von diesen, daß sie 
1) »mit dem zugehörigen direkten Faktor eine Einheit, eine Ge- 
ttDtroTBteUong bilden«, 2} »seilrat einen Kontemplationswert dar- 
Miilen« nnd 3) »in einem notwendigen nnd eindentig;en Znsammen- 
lunge mit dem direkten Faktor stehen« <). Das erste dieser 
Fruunpien ist rein > objektiv -formal, das zweite rein objektiv- 
material, das dritte wäre sowohl einer formalen, als auch mate- 
rialcn Wendimfr tabig, je nachdem man den eiadeutigen, not- 
wiudigeu Zusammeuhaug als einen formalen oder inaterlaleu auf- 
faßt. 

Mit liecht wandte Groos gegen das zweite Kttlpesche Prin- 
tip ein, daß alle möglichen menschlichen Werte, sogar Ntttaiioh- 
keitswerte, sittliche Werte n. a. zu Kontern plationswerten werden 
kOimlen, nnd gegen das dritte Prinzip, daß die Fordemng not- 
wsndigen nnd eindeutigen Zusammenhanges der reproduktiven 
iDit den direkten Faktoren nur relative Bedentong habe'). 

In seiner Verteidigung behauptet zwar KUlpe, er habe seine 
Prinzipien selbst nnr in dem Groosschen Sinne gemeint ^j, aber 
die Wucht der Groosschen Einwände ::i u seine Prinzipien 
bleibt deshalb doch bestehen. Denn was hat z. B. das Prinzip 
der Kontemplationswerte als objektiv- materiales Prinzip noch fUr 
einen Wert, wenn alle anderen mensehlichen Werte zu Kontem- 
plationswerten werden können? 

Da das aber nnr dnreh eine entsprechende Behandlong dieser 
Werte im ästhetischen Verhalten geschehen kann, so weist gerade 
der Groossche Einwand mit zwingender Notwendigkeit anf ein 
binter den Kulp eschen Prinzipien stehendes höheres ästhetisches 
Prinzip subjektiv-formaler Natur hin. 

Aach KUlpe scheint die UnzolängUclikeit objektiver Prinzi- 



1) 0. Klllpe, Über den UMwiativsa Faktor naw. a. a. 0. 8. 160 IT., 

fpewell S. 170. 

2] K. GrooB, Der UsthetiBche Genuß. Gießen 1902. S. Hoff., «ppziell 
^ 108 ff. Eine Hodifiziernng der Ktllpeschen Resnltrite vorsuclit auch 
ii Kaeser, Der assoziative Paktor im ästhetischen Eindruck. JUistiertation. 
Zürich 1904. 

S; Kfllps inderAasdge des Oro ob sehen Bnetaes aber den Xstbetisehra 
Geniiß. QVtt GeL AaMigea. (190S.) 164,2. 8. 696 ff. 



18 



Willi WwBtat, 



pieü zu fühlen; daher gibt er schließlich die Uiitersoheidung 
von direkten und jiBBoziati ven Faktoren am ästhetischen 
Eindruck vollständig auf: >Die Notwendigkeit von sinnlichen 
oder direkten Faktoren . . . steht . . . nicht fest, nnd es geht 
dämm auch nicht an, von Tornberein an dem ästhetischen Ein* 
drock sehlecbthin die bekannte UnterBcbeidnng; der beiden Fak* 
toren 7orziuiebmen« 

Wir pflichten Kttlpe YoUstlndig bei; denn in der Tat mag 
diese Unteraoheidnng allgem ei n-psycho logisch Ton Wichtig- 
keit Bein, für den apesiell ästbeti sehen Gesicfaispnnkt hat sie 
keine Bedentang. Kttlpe bat recht, wenn er sagt^): »Solange 
nicht gezeigt wird, . . . , daß der Einfloß der sinnlichen oder 
direkten Faktoren ein prinzipiell auderer ist, itld der acr repro- 
duktiven oder assoziativen, solange wird es von ästhetischen Ge- 
sichtspunkten aus nicht erforderlich sein, diese Unterscbeidimg 
vorzunehmen € » . 

Ans der Analyse des ästhetischen Eindrucks, der Vorstellnngs- 
seite des ästhetischen Erlebnisses, wird sich nie ein speziell 
ästhetisches Prinzip, sondern allerbdchstens allgemein-psy- 
obologiscbe Prinzipien ergeben^). 



1] Oütt Gel. Anzeigen. (1902.) IM, 2. 8. 907. 

2) Ebenda. S. 909. 

3; Wenn aber dann S. 910 KUlpc am Itathctischen Eindruck »formale 
(räumlicLc uud zeitliche Eigenschaften und Bezichangen)« und »materialü 
Bestandteile [Intensitäten und Qualitäten]« unterscheidet, so liegt es auf der 
Hand, 6äB diese Unteraoheidtuig ee ebensowenig mit einem SsthetiBehen Ge- 
eich tspunkt zu tim hat. 

4) Durch die AjialvMc des ästlictif'cljcn Eiudrucka. d. Ii. de» VorKtellungs- 
verlaufes im listhetischeu Erlebnisse, yucbt Dr. Edith Kuli scher [Analyse 
der ästhetischen Kontemphition. Zeitschrift für Psycbol. [1902 ] 28. tJ. 19ö ff.) 
die »isthetlBohe Kontemptetion« und damit ihrer Ansieht nach dM istbetisolie 
Verhalten nach einem rein objektir-formalen Prinzip zu bestimmen. Naeh 
ihr besteht »der eigentümliche Zustaud. in den uns die Betrachtung der 
bildenden Kunst '.und überhaupt aller Kunst') versetzt, darin, daß ein Mini- 
mum sinnlicher Kindrllckc. auf welches die Aufmerksamkeit fortgesetzt kon- 
zentriert ibt, eiu Maximum von Bewußtseiusiabalteu /i^uuiichst Vorstellungen; 
anregt« {S. 816). Das ist eine richtige Besehreibung des Kunst genasses, 
aber nieht aUgemem des ästhetischen Genosaes; denn es gibt einen ästhe- 
tischen Genuß und ein ästhetisches Verhalten nicht nur gegenüber den 
Gegenständen der Kunst, sondern auch gecrenUber der Wirklichkeit. Ka- 
lisch er begeht den Fehler, daß sie nur das ästhetische Verhalten gegen- 
llber Kunstwerken analysiert, daza vergleichond-knnsthistoriBohe Daten herbei- 
sieht und so «m Seldnl} ein IcUnstleriseh-formales Piinsip, naeh dem 



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Dia Tn^he. 



19 



DeBhaib ist es aber doch noch nicht notwendig, den zweiten 
Weg zur Beantwortang der Frage nach der Yerkuttpfmig des 
gefbhlsmäßigen Gehaltes mit der yoreteHnng einzuschlagen und 
dieee VerknttpfiiDg auf »eine eigentümliche BewafitBeins* 
fanktion«^) oder eine »wnnderbtre nnd nicht weiter xnrttckfübr- 
bare Einrichtiing unserer Natur«*) sn begründen, wie es eine 
sweite Gmppe Yon Ästhetikern (and Künstlern) rersnoht bat 

Für diese nraprUngliche nnd wunderbare »BewnBtseinsfank- 
tion« hat sitrli der Name »Einfühlung* in der modernen ästbe- 
tiscben Literatur durchgesetzt^). Wir begnügen uns hier, für die 
historische Entwicklung dieser »EinfUUlungsästhetik« auf das 
schon oft zitierte Buch P. Sterns »Einfllhlnng und Assoziation < 
usw. (S. 1 — 38! und auf t. Meumanns »A8thetik der Gegenwart« 
[s>. 43 — 60) zu verweisen, und wollen uns im folgenden nur mit 
den gegenwärtig wohl bedentendsten »fiinftthlangsästhetikem«, 
mit Yolkelt und Lipps befassen. 

Ausgebend yon der Beobaebtong, dafi im lUtbetisohen Eindraek 
ans die VorsteUnng, die Form, mit einem gewissen OefbUsgebalte 
erfüllt za sein scheint, so dafi sie txu »Aasdroeksform des Ge- 
ftlbls« wird, nnd dafi andererseits im mtensiren Mstbetiseben Oe- 
niefien uns der Gegensats Ewiscben Subjekt nnd Objekt schwindet, 
so daß wir in der ästhetiRchen Form mit zu fühlen, zugleich aber 
dennoch nur uns selbst zu tiihlen scheinen — , ausgehend von 
dieser Beobachtung findet Volkelt gerade in der »inneren Ein- 
heit« der »Geftthlsmasse« mit der »Anschauung« das »mehr, wo- 
durch sich die Einfllhlung von der Assoziation unterscheidet«. 
Diese »intoitive i^^inheit« von Yorstellaog und Gefühl, welche 



der Kffnstier die VortteUnng gestalten mnfi, wenn «e raf dem leiehtesten 
Wege und am voUkommensten das ästhetische Yerh&lteii hervoxrafen will, 

and das als solches richtig ist, ftir ein objektiv-ästhetisches hält. Der 
Grundfehler liegt auch hier in der Anwendunfj einer objektiven Methode 
•ehon auf einem Gebiete, wo noch die subjektive allein am Platze ist. 
Wir kommen jedoch auf ^ diese Theorie noch später (S. 24; zurUck. Vgl. 
hierm andi He n mann, Ästhetik der Gegenwart S.64. 

1] Volkelt, Zot Psychologie der Setlietiiohen Beseelung. Zeitaehr. f. 
Fhttoi. o. phik»a. Kritik. N. F. 11& (1896.) S. 167. 

2} Lipps, Weltons sor Einfühlung. Atehiv fttr die gel. Feyehol. IV. 

(1905.) S. 467. 

3' Gejsren die Berechtigung dieses bildlichen Ausdrucks ygl. Stern, 

a. a. 0. S. 22. 

2* 



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Wim Wantat» 



Yolkelt »Verschmelzung« nennt, setzt zwar »Assoziation teils 
nach BewuIStaeinsnachbarschaft, teils nach Ähnlichkeit voraus; 
aber es ist wesentlich mehr als nur Aflsoziatiun: es ist intaitives 
Schauen«^). — 

Zn einem ftbnlichen Standpunkte ist in seiner neuesten Ent- 
wioklang Lipps gelangt. Nachdem er z. B. noch im Jahre 1900 
g«a«gt batte, EmfUhlung sei niebt AsfloxiAtioii, beruhe aber auf 
ABBOziatioii, und zwar werde dareb diese niebt ein bestimnitea 
Objekt reproduziert und neben das wahrgenommene gesetzt, 
sondern *eUie allgemeine Weise des . . . Innerei Erregtaeins 
ttberbaupt, eine umfassende Art, mieb innerlicb zn betätigen, zu 
haben, auszuleben, zu ftblen, eine Stimmung oder Gestimmtheit 
des psychischen Oesamtgesebebens« 2), widerruft er diese Ansicht 
1^5. Er 8ag:t nun*), die Beziehung; zwischen der Gebärde und 
dem, was sie ausdrücke, sei keine assoziative Beziehung', fiurii 
keine »Verschmelznnfr« (Volkelt); die »Eiutühkingsbezi' Innige 
sei > symbolische Relation«. Diese ist so zu beseliKibcn: 
»Ich sehe die Gebärde und erlebe in der Wahrnehmung derselben 
eine Tendenz oder einen Antrieb zu einer bestimmten Art des 
inneren Verhaltens oder der psychischen Einstellnng, nämlieb 
(etwa speziell) deijenigen, die jedermann mit dem Namen 
jTrauer* bezeichnet.« Der Akt der Wahrnehmung und diese 
Tendenz »sind ein einziger ungeteilter psyohischer Aht«, und 
»die fragliche Tendenz ist in dem Wahmehmungsakt . . . ur- 
sprllnglieb oder instinktir, vermöge einer wunderbaren und 
niebt weiter zurtickfttbr baren Einrichtung meiner Nntnr 
unmittelbar eingeschlossen«^). 

Eine solche Zuflucht zu einer »wunderbaren« und »ursprüng- 
lichen« Anlage und Organisation unserer Natur erschcmt aber 
stets als letztes Rettungsmittel bei der Ratlosigkeit des Forschers. 

Außerdem ist es recht zweifelhaft, ob nun mit dieser von 
Lipps angenommenen »wunderbaren Einrichtaug unserer Natur« 

1) Volkelt. Syawm der Ästhetik. I. MUnchen 1906. S. 24öf. Vgl. 
die Polemik äteras, a. 0. ö. 44flr. 

9 Th. Lipps, Ästhetische Einltthlniig. Zeltiobr. f. Psyohol. n. Pbysiol. 
28. (1900.) S.449f. Auf derselben AufiMtong der Aflsoiistioii beruht 
Sterns Schrift. Vgl. daselbst S. 56 fr. 

3^ Lipps. Weiteres zur EinfUhlnug. Archiv iUr die ges. PsyohoL lY. 
(1905.) S. 466 ff. 

4) Lipps, a. a. 0. 8.467. 



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D«s Tragische. 



21 



eme spenell ABthetiselie Taimbe festgestellt wire. Eb fiigt 
lidi, ob Hiebt Tielmehr aiicb bier ein al 1 gemein -psycbo- 

logischer Vorgang schließlich aas dem Hintergründe hervortritt, 
ob wir nicht mit der sogenannten »Einfühlung« an difj aügoiueiu- 
p^ypholosrischen Vorgänge rühren, vermittels derer wir iiberhaupt 
in eine Vorstellung Geftihlsgehalt lesren, Tcrmöge derer ein psy- 
chisches Erlebnis überhaupt erst für uns eine Yorstellangsseite 
and eine GeAlblsseitc erLuit. Stepban Witasek^) hebt mit 
Beeht bervor, daß die CinfUbiaDg kein spezifiBob-ilstbetiBeber, 
iQDdem ein allgemein-peyobcdogiBober Prozeß sei. 

Ei kommt eben stets jedes Bestreben anf dasselbe Ziel bei^ 
«n» mag es sieb nnn daranf Hebten innerbalb des Kreises mOg- 
Heber Assoziationen den engeren Kreis der ftstbetiseben Asso- 
nationen durch objektive Analyse der Vorstellnng, sei es 
naja nach furmaleu oder Luatenaleii i'riuzipien zu beschreiben, 
oder mag es dahin gehen, tlir die Verknüpfung der ästhetischen 
Getllhle mit der Vorstellung eine (ngene Funktion niisures Hö- 
waBtaeins anzunehmen and diese nun näher zu beschreiben: das 
eine fttbrt über allgemein-psychologisobe Vorgänge nicht 
binans, das andere führt in allgemein-psychologische 
Vorgänge binein. Beides beweist die Unznlängliebkeit 
objektiver Prinzipien nnd dentet hin anf die Notwendig- 
keit eines snbjektl?- formalen Prinzipes, wie wir es 
dnreb die Analyse des rein-ftsthetisohen (genießenden) 
Verbaltens zn gewinnen sachten. — 

Mit diesem ästhetischen Prinzip in der Hand, können und 
werden w\r daOlr uns gar nicht weiter sträuben, fUr dio Ver- 
knüpfung des Gefühls mit der Vorstellung einen all- 
gemein-psychologischen Vorgang anzuerkennen. Wir 
hoffen trotzdem imstande za sein, alle in Betracht kommenden 
Fhgoi m einiger Zufriedenheit zn beantworten. 

Die Yerbindnng von Vorstellung nnd Gefllbl ist ihrem 
Wesen naeb gar keine andere als im sonstigen psychischen 
Leben. Die Wirkung der Vorstellnng anf das Geftbl ist wesent- 
lich genan dieselbe, wenn ieb in Wlrkliefakeit einen Mensehen 
leiden sehe und ihm helfe, als wenn ich in einer TragOdie einen 



Ij Stephan Witaseki GraadzU^ der allgemeinen Ästhetik 1904. 



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22 



Wim Waretat, 



Menselieii leiden sehe vnd an Beinern Leiden Lnit empfinde. Dae 
yerschiedene Ansehen nnd das Tenebiedene Resvitat erhalten 

beide Vorgänge lediglich durch das verschiedene Verhalten des 
Subjekts. 

Die Art jener Verbindung näher zu beschreiben ist dah« r 
eigentlich gar nicht die Aufgabe des Ästhetikers. Dieser kann sie 
yielmehr getrost den Spezi alpsychologen Uberlassen, da für die 
Gestaltung seiner Probleme in der einen oder anderen Weise 
materiell sich daraus nichts ergeben kann. 

Seine Arbeit beginnt erst mit der Analyse des äatfaetisehen 
Verhaltens» oder genauer gesagt» wie wir oben darzulegen suchten, 
mit der Analjse des rein -ästhetischen (geniefienden) Verhaltens. 
Er hat dann weiter zn untersuehen, in welcher Gestalt jener all- 
gemein-psychologische Vorgang sich innerhalb des ästhetischen 
Verhaltens wiederfindet, d. h. er hat ans dem rein-üsthetischen 
Verhalten das Prinzip zn nehmen, an dem er abmessen kann, 
welche formalen und nuiterialcn Eigenschaften die Vor- 
stellung haben muß, um ein rein-ästhetisches Verhalten Uber- 
haupt zn ermöglichen, nnd er hat darzustellen, wie ihr GefUhls- 
gehalt innerhalb des ästhetischen Verhaltens sich geltend 
macht 

Wir haben schon oben (S. 13 f.) angedeutet, daß, mit Rück- 
sicht auf das rein-ästhetische Verhalten betrachtet, eigentlich nur 
ein einziges, oberstes formales Prinzip für die Vor- 
stellungsseite des ästhetischen Erlebnisses oder ftlr den ästheti-* 
sehen Eindruck existiert. Dieses Prinzip fordert tou der Vor- 
stellung, daB sie geeignet sei, das rein-ästhetische Ver- 
halten hervorzurufen!) und zu erhalten. Betrachtet man 
femer die Aufgabe der Vorstellung, innerhalb des rein-ästhetischen 
Verhaltens zwar Ursache und Trägerin der inhaltliehen Gefühle 
zu sein, aber außerhalb des Kreises der Apperzeption zu bleiben, 
so wie Kiel und Steuer des Hehiiies unter dem Wasserspiegel 
dahingleiten, aber dem ganzen Gebäude Haltung und Richtung 
verleihen, so wird man finden, daß die Vorsteliung dieser Aufgabe 
am besten gerecht zu werden vermag, wenn sie Ȋsthetische 



1) AlterdingB wixd rar endgttitigeii Herrorbiingiing des Isthstischeii Vei^ 

halten^ l i ht nur die Bescbaffenlieit der Vorstelloag, eondern such eine ge- 
wisse WiUensei&Btelliiiig des Subjekte nOtig «ein. 



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Daa Tragische. 



23 



Realität« besitzt Das ist die einiige fonnale Eigenschaft, 
dvreh welche sie wirklich be&higt wird, das rein-Ssthetisohe 
Yeihalten henronranifeii und so erhalten. 

Wir verstehen aber unter »ästhetischer Realität« im wesent- 
lichen das innere Übereiustimnieu aller Vorstellun^rselemeute, 
seien es nun xlirekte« oder »assoziative Faktoren«, »formale« 
oder »materiale« Bestandteile des ästhetischen EindruckB. Es darf 
z. B., um ein besonders krasses Beispiel zu wählen^ innerhalb 
eines Tranerspiels nicht eine Person snerst sterben nnd dann in 
einer spiteren Siene wieder gesnnd nnd munter sich uns vor- 
stellen. Hierher gehört aber ebenso anch die Folgerichtigkeit in 
der EntwicUnng der Charaktere nnd der Handlung n. a. Knr 
bei Widerspmohslosigkeit der Vorstellnng in sich kann sich der 
gsnze Prosefi der Yontellnngsbildnng lediglich im Bereiche der 
PerzeptioD abspielen, ohne von der kritischen Aufmerksamkeit 
begleitet zu werden, so daß der ganze Bereich der Apperzeption 
für dag Gefühl reserviert bleibt. Wird daf^egen dnrch irgend- 
einen formalen Fehler der Vorstellnng die kritische Aufmerksam- 
keit auf den Prozeß der Vorstelluugsbildung herbeij^ezogen und 
dieser dadurch mit in den Bereich der Apperzeption gehoben, so 
treten die Felüer in der VotstellaDg sofort störend ins Bewußt- 
sein» es macht sich der Widersprach des denkenden Verstandes 
geltend nnd ein rein-Ssthetisches (genieBendes) Verhalten wird 
ftberhanpt nnm<iglioh>). — 

Es ist ttbrigens sehr interessant» daß anch Kttlpe in seiner 
letzten Entwicklung dazu gelangt ist, nur noch dieses eine formale 
Prinzip als maßjrebend fUr den ästhetischen Eindruck auzusehen. 
Er sagt in der KezeDsiou des Groosscheu Buches Ul)er den ääthe- 
Aischen Genoßt), es sei »cum grauo salis das Prinzip der 

1) Man vergleiche hier auch die Aussage eines Dichters. Heinrich 
von Kleist schreibt in seinem »Brief eines Dichters an einen andern« 
'Werke, liersQsgeg. Ton E. Sehmidt Leipzig und Wien, o. J. Bd. IV. 
S. 148 ff.): »Ich bemtlhe mich ans meinen besten Kräften, dem Ausdruck 
Klarheit, dem Versbau Bedeutung, dem Klang der Worte Anmut uiul Leben 
in geben: über bloß damit dloBe Dinge g:ar nicht, vielmehr einzii; uud allein 
der Gedanke, den sie ciuscUließcu, oröcheiue. I>euu das iat die Eigen- 
schaft aller echten Form, daß der Geist augenblioklidi und 
nnmittelbar daraai beryortritt, während die mangelhafte ihn, 
wie ein schlechter Spiegel, gebunden bSIt, nnd nns an niebte 
erinnert, als an sich selbst.« (Der Schluß von mir herTorgeboben.) 

2) Gott Gelehrte Anseigen. (1908.) 164, 2. S. 910. 



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24 



Willi WantHt, 



ÜbereixiBtimmiiiig € als ästhetisehes Prinzip allein anzner» 
kennen nnd »dae Obereinstimmende anm GefaUen, das Nicht» 
ttbeieinstimmende snm Mißfallen in Beiielrang an letien«« — 

Ebenso wie nnr ein formales, gibt es anch nnr ein mate- 
riales oberates Prinsip fltr die VorstellongBseite des ästheti- 
schen Erlebnisses. Da im rein-ästhetischen Verhalten diese Vor- 
stelluDgsseitc als solche gänzlich außerhalb der Apperzeption 
bleibt, die Geftihlsseitc allein dagegen voll bewnRt nnd mit iust- 
voller Lebendigkeit und Tiefe genossen wird, 80 muß als oberstes 
materiales Prinzip die Fordernng gelten, daß die ästhetische 
Vorstellnng Geftlhlsgehalt besitze, daß sie nicht lediglich 
abstrakter, nnanschaalieher Katar Bei, Bondem dafi sie sich durch 
Ansehanliehkeit im weitesten Sinne ansaeichne. Unter einer an- 
flchanlichen Vorstellong verstehen wir eben jede gefühlsbetonte 
Vorstellnng, nicht nnr äußerlich, Binofich-, sondern anch 
innerlich- ansehanliehe Vorstellungen, wie wir sie im 
musikalisch-ästhetischen Erlebnis tindeii. 

Damit soll nicht gesagt sein, dali ;uii ästhetischen Erlebnis, 
im ästhetischen Eindruck tiberhanpt keine unanschaulichen, ab- 
strakten Vorstellungen vorhanden sein sollten. Es kann sehr 
wohl der Fall eintreten, daß zar Herstellung des Zusammen- 
hanges und der Übereinstimmung in der YorBteHnngsseite des 
ästbetiBcben Erlebnisses abstrakte Vorsteiliingen notwendig Bind. 
Sie Bind aber nicht die ästhetiBch-wirksamen Vorstellungen. 
Ästhetiflch wirksam sind allein die gefühlsbetonten Vorstellungen. 
Deshalb Bchreibt das Gesetz der ästhetischen Ökonomie dem 
Künstler vor, die nicht-ästhetischen, abstrakten Vorstellungen auf das 
Notwendigste zu beschränken und die > menschlich-bedeutsamen c, 
d. h. die gefühlsbetonten Vorstellungen als die ästhetisch-wirksamen 
und we?5entlicheu in den Vordergrund zu steilen. Ein typisches 
Beispiel lür die Befolgung dieses Gesetzes ist der Balladenstil. 

Bis zu einem gewissen Grade hat die ästhetisch -wirksamen 
Vorstellungen für Plastik nnd Malerei Dr. Edith Kali scher in 
der schon zitierten Abhandlung »Analyse und ästhetische Kontem- 
plation« in derselben Weise bestimmt, wie wir es versuchen. 
Allerdings liegt bei ihr deshalb, weil sie von der Analyse des 
ästhetischen Verhaltens gegenttber Kunstwerken allein ausgeht 
und dabei der objektiren Analyse des Kunstwerks sogar den 
grOfiereu Pkitz einräumt ?or der Analyse des subjektiven 



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Dm Tiaciiebe. 25 

Verhaltens, der Nachdruck mehr auf der objektiv-formalen Bc- 
Bchaffenheit der Vorstellung^ als auf der GefUhUseite de» 
ästhetischen Erlebnisses. Sie findet, daß >in der ästheti- 
schen Kontemplation ... die Anfmerksamkeit anf sinnliche Ein- 
drücke konzentriert ist, denen, als Teilinhalten sehr komplexer 
TonteUimgaii, eine so grofie Bepiodnktionskraft innewohnt» daB 
dnek ein Minimum sinnlieber Daten ein Maximum geistiger Vor- 
ginge avsgelOst wird« (S. nnd behauptet, so wie wir, daß 
»isthetiflelie Frende Toa der Lnst oder Unlost, welebe die repro- 
duzierten Vorstellongen erregen, nnabhSngi^ ist«, ftlbrt aber als 
Gruüd diitür au, »weil sie nur auf dem Verhiiltuis der sinulieheu 
Eindrücke zu diesen (reproduzierten) Vorstellungen beruht* 
S. 239). Sie bleibt also gänzlich auf der Yorstellangsseite des 
ästhetischen Erlebnisses. 

Dieses Prinzip ist als objektiv - formales Prinzip für das 
Schaffen des Künstlers darchans anzuerkenn^; aber es ist 
noch keineswegs ganz nnd gar ansreiebend, denn es ist eigent- 
lich noeh gar nicbt ttstbetiseL Eine Vorstellnng oder ein Mini- 
mum sinnlieber Daten kann sebr große >Bepiodnktl?kraftc baben 
sad eine Fülle yon Vorstellnngen in der »Enge unseres BewnBt- 
Ni&s« berrormfen. Solange diese Vorstellnngen aber abstrakt 
nnd nicht gefühlsbetont sind, wird das Auffassen jener Vor- 
stellunir uie zu einem ästhetischen Verhalten fuhren. Ich 
kann das Schriftbild eines Wortes mit konzentrierter Aufmerk- 
samkeit betrachten, und es können sich eine Menge von Repru- 
dnktionen einstellen: das ist aber noch kein ästhetisches Ver- 
halten, nnd die Freude daran ist lediglich die allgemein-psycho- 
kgiseh zn erklärende Frende am lebendigen und kräftigen Vor- 
tIellimgsFerlanfe. 

Damit ein ästbetisebes Yerbalten ttberbanpt eintreten kann, 
mllsien sowobl die gegebene als ancb die reprodnsierte Vor- 
itellnng vorwiegend gefllblsbetont s^n; denn es ist die Eigenart 
des rein -ästhetischen (geDleßenden) Verhaltens an dem funktio- 
nellen Ablaut des GefUhls als solchen Freude zu empfinden. 

Das oi)jekti7-formale Prinzip von Edith Kalisclier be- 
darf also der Ergänzung durch unser aus der Xatnr des ästheti- 
schen Verhaltens entwickeltes materiales Prinzip. Erst in Ver- 
bindung mit diesem erhält es ästhetischen Wert, indem es die 
fiichtsebnnr fttr das Seh äffen des Künstlers bietet, an deren 



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26 WiUi Wantat, 

Ilaiid dieser im Kuiiotwerk besonders giiastige BedinguD^en für 
da8 Eintreten und den Verlauf des ästbetiscben Verhaltens 
schaffen kann. 

Im ästhetischen Verhalten treten nun jene «aDScbaulichen«, 
d. h. gefühlsbetonten Vorstellungen in ganz eigenartiger Weise 
ins Bewußtsein. Da ihre objektive Seite, d. h. die Vorstellnnga- 
seite, als solche nnr persipiert, die subjektiTe Seite, d. h. das 
Geftlhl, das mit der YonteUimg Terbnnden ist, allein apper- 
sipiert wird, so geht im rein-ästhetisehen Verhalten dem 
Ästhetischen Subjekt der Gegensats yon Subjekt and 
Objekt yerloren, nnd es findet jene psychologische Tatsache 
ihre Erklärung, auf der die EinfUhlungsiisthetiker ihre Tlieorie 
auliniuen. Das kühne und schlanke Emporstreben einer Siiulo 
ifit in der \ ni^tellung allgemein-psychologisch verkmijift mit 
dem augenehmen Getlihl des ktibnon und kraftvollen Empor- 
strebens, das wir alle kennen. Ästhetisch betrachtet, erhält die 
Vorstellung der Säule völlige ästhetische Realität, wir nehmen 
ihr Dasein als solche, sobald wir sie perzipiert haben, als TOUig 
selbstreiständlich an nnd heschsftigen nns in nnserer Anfmeik- 
samkeit gar nicht mehr weiter mit ihr. Unser engeres Bewnflt^ 
sem fttUt jenes Gefllhl TOlUg ans, nnd sobald wir nns hinter- 
her an jenen Znstand erinnern nnd anf die Vorstellnng der Sftnle 
als seine Ursache reflektieren, erscheint es nns so, als ob wir in 
der Säule und mit der Säule jenes Emporstreben und jenes Ge- 
fühl tlurcbircmacht hätten. In Wahrheit war aber in jenem 
Au^^enliliek nur der ZnsammenbaiiL' den Geftlhles mit der Vor- 
stellung aus unserem engeren Bewußtsein, aus unserer Anfmerk- 
samkeit geschwunden, nnd infolgedessen konnte es für uns in 
jenem AngenUicke gar keinen Gegensatx Ton Objekt nnd Ssb- 
jekt geben: er existierte gar nicht mehr PUt nns. Wenn msn 
diesen Znstand mit dem Namen »Kontemplation« beseichnen 
will, so ist dagegen kanm etwas einsnwenden. 

Ein solcher Znstand des höchsten ftsthetisehen Genusses kann 
aber allemal nnr anf Augenblicke eintreten. Es ist ein ästhetisches 
Ideal, ihn gegenüber eine Vorstelluiiu: (lauernd herbeizuführen. 
Solange wir uns auf dieser Welt bctiuden und Glieder ihres Zn- 
sanuncubanges bilden, solange sind wir aucli an sie gelesscit 
uod gehören nicht nur uns allein. So werden sich stets leicht 
in der Umwelt oder anch an der Vorstellnng nnd im Verlaufe der 



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Dm Tngischa. 



27 



Vorstelliiiigsbildnng Störongen und StoekiiDgen zeigen, die sofort 
die Vorstellung als solche in den Bereich der Apperzeption enj^ior- 
heben nnd dadurch ein ilathetiöch- kritisches Verhalten herbei- 
führen. In diesem Verhalten erseheint ans duua die V'urstellnng als 
die Trägerin d» s (Tetlibles, wir stehen vor der > {^cflihlöerf Uüten 
form«, die Form wird uns znm >bymbolc des Gehaltes. 

Das ist ein sekundärer Vorgang, und nur dieser sekandäre 
Vorgang fällt zunächst dem ästhetisch-kritischen Verhalten zu. 
Sobald aber erst einmal die Beschäitigiuig mit der objektiven 
Seite des Satfaetisoheii ErleboiMee eingesetzt haX, erweitert sich 
aetne DomJUie sofort bedeutend. Dann ist es die Aufgabe des 
isthetisch- kritischen Verbaltens, die VorsteUangSBeite zn be- 
reichem dadnreby daß es neue Assoziationen in ihr schafft Diese 
Aiaoxiationen k()nnen nnn ans den yerscbiedcnstcn Gebieten her- 
kommen, sie können dem ktlnstierisoh -technischen Gebiet, sie 
können jedem sonstigen Gebiete des Wissens aufhören. Sobald 
sich ihr Gefllhlsgchalt mit der nrsprUngliflien Vursteilun;; ver- 
knüpft hat, wird deren nrsprUncrliche »Bedeutung«, ihre Fähigkeit, 
als »Symbol« für einen Gtlühlsgehalt zu dienen, bedeutend er- 
weitert nnd yertieft, und iutuliredessen erhält auch dns n ii:- 
ägthetiscbe Genießen, sobald es einer solchen Vorstellung gegen- 
Uber wieder einmal emtritt, eine Instvolle Erweiternng und Ver- 
tiefung. Anf diese Weise ist es allein das ästhetisch-kritische 
Verhalten, welches trotz seines seknndüren Charakters eine 
ftstbetische Bildung nnd in weiterem Sinne eine ästhetische 
Erziehung ermOglieht. 

Das oberste ästhetische Prinzip kann uns aber aUein die 
Analyse des rein-ästhetischen (genießenden) VerbaltCDS liefern. 

Zweiter Abschnitt 
Bis Tragische. 

In unseren bisherigen Ausführungen allgemein-ästhetischer 
Natur haben wir in dem aligemeinen ästhetischen Gefallen zwei 
Stadien zu unterscheiden yersacht. 

Das erste Stadium, das reine ästhetische Genießen, beruht auf 
dem >rein-ästhetischen« Verhalten und ist frei tou jeglicher 
Beziehung der ästhetischen Lust auf die — formale oder materiäle — 



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28 



QualitiLt (if r Vorstellung als .solcher. Die ästhetische Lust ist viel- 
mehr durchaus funktioneller Natur nnd beruht auf dem freien und 
krafkTollen Ablauf des C;efHhl3, dessen lirundlasre und > Steuer«, 
die Vorstellung als solche, in selbstverständlicher, »ästhetischer 
Realität« anter der Oberfläche des engeren Bewußtseins schwimmt: 
die Vorstellnng ist düt »gefUhlsbewaßt«. 

Dieses »rein-Msthettsche« (genießende) Verhalten setzt also eine 
gewisse Beschaffenheit der Vor Stellung als solcher Toraiu, 
die sowohl nach fonniden, als auch nach materialen Prinzipien 
hestimmt werden kann. Diese Beschaffenheit md diese Prinzipien 
sind objektiv, sie beziehen sich allein auf die objektive, dieVor- 
steüUDgsseite des ästhetischen Erlebnisses und sind daher alle mehr 
oder weniger allircm ei n-ps yrholosriscber Natur. 

Ihren eigentlich ubthe tischen Wert erhalten eic ulk' creit, so- 
bald sie einem höchsten ästhetischen Prinzip untergeordnet und 
mit Beziehung darauf betrachtet werden. Zn einem solchen Prinzip 
suchten wir durch die Analyse des »rein-ästhetischen Verhaltens« 
zu gelangen. Es ist als solches deslialb subjelLtiT-formaL 

Wir unterschieden dann noch ein zweites Stadium des fisthe- 
tisohen Gefallens, das auf dem Ȋsthetisch-fcriti sehen Ver- 
halten« des Subjekts beruht Diesem Verhalten wird die Vor- 
stellung infolge der Lust, die sie erregt, interessant; es sncht an 
der Vorstellung die Ursache der Lust und hebt sie dadurch mit 
in den Kreis der Apperzeption cni})or. Weiter erstreckt sich die 
Retlexion dann auf alle Beziehungen der Vorstellung zu der Lust, 
und das Bewußtsein erwirbt sieh dadurch ein Wissen von der 
objektiven Beschaffenheit der Vorstellung. Von dem Grade dieses 
Wissens hängt die Höhe der ästhetischen Bildung beim l&sthe- 
tischen Subjekt ab. 

Denn dieses Wissen bereichert seinerseits den Gehalt der Vor- 
stellung und Tcrlelht ihr giOfiere »ReproduktiYkraft« (Ealischer), 
sobald ihr gegenüber wieder einmal das rein-Ssthetische (genießende) 
Verhalten eintritt — 

Wir stellten femer allerdings fest, daß die Modifizierung des 
allgemeinen-ästhetischen Gefallens zum Gefallen an den einzelnen 
Ȋstheti-rlien Kategorien* durch eine Moditizicrung des objektiven 
Gehaltes der Vorstellung erfolge, und daß wir deshalb bei der 
Analyse des Gefallens am Tragischen einer objektiven Methode 
uns bedienen mußten. 



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Dm Tragiaehe. 



29 



}sach der Steliuug aber, die unser oberste», subjektiv-formales 
lßthetii>cbes Prinzip zn allen objektiven Prinzipien in der Analyse 
de< rein-li>thetischen (ipfallens einnabm, mllssen wir auch unsere 
Schlüsse für die Bebaudi uug des Tragischen ziehen. Wir mUggen 
immer im Gedächtnis behalten, daß der tragische Genuß eben 
nur eine Modifikation des allgemein- äs thetiB eben Gennsses 
Ht md daB daber, wenn man ans dem Gefidlen am Tragischen 
die spesifisch nnd primär ÄsthetiBche heransstellen will, 
dies nur geschehen kann, indem man die objektiTe, die Vbrstel- 
Inngsseite des tragisehen Erlebnisses unter d«n GesiohtBpnnkte 
jenes subjektiv-formalen Prinzips betrachtet, d. h. zunächst aus ihr 
alles ausscheidet, was nicht innerhalb des rein-üsthctiöchen Ver- 
hÄltens im Bewußtsein vorbanden sein kann. 

Wie weit diese ausgesciiiedeneu Elemente im zweiten Stadium 
des ästhetischen Gefallens am lYagischen, das durch das ästhe- 
tifldirkritiBche Verhalten bereichert nnd emporgebildet ist, vor- 
kommen können, ist eine zweite Frage. 

Wir wollen nns also im folgenden bemtthen, mit Toller Strenge 
ii» prim&r-Asibetisehe im Gefallen am Tragischen oder das rein- 
iitbetisehe Genießen des Tragischen darzustellen. 

Gerade anf diesen Punkt ist nnserer Ansicht nach in den bis- 
bcrigen Theorien des Tragischen zuwenip* Rücksicht genommen. 
Denn die Ästhetiker, die unser Problem bei audelten, waren äathe- 
tii»ch-gebildete Menschen und analysierten (leniuach das ästhetische 
Gefallen, das ein ästbetiscb-^Tebildeter am Tragischen finden 
konnte. Dadurch kamen aber in ihre Theorien viele Elemente hinein, 
die erst sekundär durch das ästhetisch- kritische Verhalten erworben 
werden, die zwar allerdings, sobald sie erst einmal erworben sind, 
den Ssdietischen GennB bereichem nnd vertiefen k((nnen, die aber 
dennoch nicht sn seiner spezifischen Eigenart gehören. 

Wir wollen daher unsere Kardinalforderung an eine Theorie 
des Tragischen, welche die primllr-äsihetischen Elemente des Ge- 
fallens am Tragischen oder des tragischen Genusses angegeben 
Ilaben will, so foniiulii reu : Die Thcurie muß uns die Kläg- 
lichkeit an die Hand geben, den rein-ilsthetisclien Geuuli 
des Tragischen allein vom Boden des rein-ästhetischen 
Verhaltens aus zu erklären, d. h. sie darf nicht die eigen- 
artige Modifikation des ästhetischen Genießens im Tragischen mit 
oigektiTen Elementen in Verbindung bringen, die erst in einem 



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ao 



WiUi Wantat, 



durch das ästhetisch -kritiachc Vorhalteu gebildeten Bewußtsein 
ästhetisch wirksam werden kiWiüi n. 

In dieser negativen Wendung hat unsere Forderung zunächst 
eine starke kritische Kraft, die wir an den drei Uauptgroppen 
der biBberigen Theorien des Tragischen erproben wollen. — 

Erstes Kapitel. 
Das Tragische und die Weltanschauung. 

Am weitesten von unserem Ideale entfernen sieh diejenigen 
Theorien, welche das Traipsclie irireudwie mit einer Weltansehau- 
nng in Verbindung brin^on und in ihm letzten Endes irgendeinen 
metaphysischen Gehalt entdecken. 

Der Öptimiöuius. In erster lieihe kummeu hier jene Theo- 
rien in Betracht, die, aus dem Boden des metaphysischen Idealis- 
mus erwachsen, für das Tragische sich zum Optimismus ausbil- 
deten. Wir verstehen im allgemeinen unter den Theorien des 
Optimismos alle diejenigen, nach welehen der tragische Held ein 
hOohstes Prinzip, eine höchste Idee yerletzt, sei es nun allein 
durch seine Vereinzeluig ans nnd gegenttber jener Idee oder — in 
weiterer EntwicUnng — dorch sonst eine »Schuld«. Dabei wird 
dann das traglsohe Leiden zunächst zu einer Folge jener Verein- 
icImu^, bald zu einer »Strafe« für jene > Schuld«. Die ganze 
Theorie läuft damit schließlich auf die in der Tragödie waltende 
»poetische Gereobtifrkeit« nnd die Wiederberstellung der im 
Absoluten verkörperten 'sittlichen Weitordnuug« hinaos; die 
Freude daran ist der letzte Grund der tragischen Lnst. 

Die ersten Anfänge zu einer solchen Auffassung des Tragischen 
vermag mau bei Schiller nachzuweisen. In der Abhandluog^ 
>Über Anmut und Würde« setzt er den »Naturtrieb« und das 
»moralische Gesetz«, die »Sinnlirbkcit« und «Vernunft« im Men- 
schen als zwei selbständige Prinzipien einander g^penUber. Ihre 
Verbindung, ihr Zusammenstimmen bewirkt am Menschen »die 
Schönheit des Spiels« Nnn kann aber die »Gesetzgebung der 



1] Über Anmut und Würde. SUmtlicbe Schriften, heraufigegeben von 
K. Qoedake. X. 8. 97 f. »Wenn nehmlieh wedw die Uber die Sianliefakeit 
herracheDde Vemiuift, noch die über die Vemnnft hemehende Sinnliohkelt 



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D&& Tragische. 



Sl 



Katar dnroh den Trieb mit der GeflefaEgebnng der Venmnft ans 
Priasipien ia Streit geraten« die beidea Priaaipiea kebrea sieb 
ftiadUeb gegeneiaander. Ia diesem Fille ist »Bebemcbnag der 
Itiebe dareb die moraliBebe Kraft Geiste sf reib ei t, nnd Würde 
beißt ibr Ansdraek ia der Ersobeinnng« Die Unterweiüuig der 
Triebe anter die Venmnft macht aber die Natur zu einer leidenden, 
daher wird »Würde mehr im Leiden (.t«,!>ol;] gefordert< 3). 

Infoigedesseii bedient sich die Kunst der Darstellnng des Lei- 
dens Dar als Mittel za einem höheren Zwecke, nämlich zur 
»Versinnlichnng der moralischen Independenz von Natargesetzen 
im Zastaade des Affekts«^). Auch die tragische Knnst, »die sich 
das Yergnttgen des Mitleids iasbesoadere als Zweck setzt««), be- 
dieat sieh seiaer xa keiaem aaderea Ziele. Sie gibt aas em Wert- 
▼oUea, das leidet, am unsere Bttbraag za erregea*). Gerade ia 
der aatttrlicbea Zweckwidrigkeit des Leideas IftBt sie aas aber 
die bObere, morslisebe Zweckmäßigkeit empfiadea. t Diese mora- 
lische Zweekmäßigkeit wird am lebeadigstea erkaaat, wena sie 
im Widerstreit mit aaderea die Oberband behiüt«?); daher nmfaßt 
das Grcbiet der Tragödie »alle möglichen Fälle, in denen irgend- 
eine Naturzvveckmäßigkeit einer moralischen, oder auch eine mora- 
lische Zweckmäßigkeit der anderen, die höher ist, aufgeopfert 
wird* 

Die tragische Lost basiert nämlich für Schiller, ebenso wie 
Jede andere ästhetische Lnst, auf einer »Zweckmäßigkeit«. Dieeea 
Be^fT der » Zweckmäßigkeit < hat sich Schiller in Anlehnung 
aa&ant gebildet Aber er objektiTiert seinerseits den kantiscbea 
Begriff der sabjektirea Zweckmäßigkeit, die im freiea Spiele der 
sabjektiYea ErkeaataisyermOgen Eiabildangskiaft uad Verstsad 



sich !uit Schönheit des Ausdrucks vertragen, so wird [denn es gibt keinen 
Tierteu Fall), bo wird derjenige Zustand des GemUths, wo Vernunft und Sinnlich- 
ktSk — Pflicht uad Neignng nusuuneBitiiiiiiiea, die Bedingung seyn, nnter 
«dftr die SehOnheit des Spieles erfolgt« 

1 Ebenda. S. 107. 

2 El)cnda S. 110. 
3} Ebenda, S. 113. 

4] Über das Pathet. Ebenda. S. 160. 

6) Ober die tngiecbe Kunst Ebenda. S. 23. Vgl. auch 36 f. 

8) Über dte VetgaOgen an tiagisehen Gegenetitaden. Ehenda. 8. Bt 

7] Ebenda. S. 8. 
8) Ebenda. S.a 



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32 



WilU WarsUt, 



siitage tritt. Die Zweekmftßii^eit ist nimlieli flir Schiller »die 
allgemeine Qaelle jedes, aaoh des sinnliehen Vefguügens«, bei 
dem aUerdingB »die Seele dem Mecbanifmes imteTworfeii, nach 

fremden Gesetzen bewegt wird, und die Empfindung unmittelbar 
auf ihre physische Ursache erfolgt« Das Vergnügen hu der 
Kunst dag:e^en iat ein »freies Vergnügen«, d. b. dasjenige Ver- 
guUgen, »wobey die Gemiitliskrüfte nach ihren eigenen Gesetzen 
affiziert werden, und wo die Empfindung durch eine Vorstellung 
erzeugt wird«^j. Kaut sagt also etwa: die Lugt am Schönen be- 
ruht auf der subjektiven Zweckmäßigkeit, die im Spiele von Ein- 
bildangskraft und Verstand liegt; Schiller dagegen: das freie 
Yengnttgen an der Konst beruht aaf einer Zweckmäßigkeit, die 
dnreh die Tätigkeit von Vernunft nnd Einbildungskraft erkannt 
wird, und swar mit Hilfe und an einer YonteUnng*). 

Was spedeU das Tragiaehe angeht, so »ist bey jeder tragiiehen 
Rührung die Vorstelhrag einer Zweekwidrigkeit, welche, wenn die 
Rührung ergötzend seyn soll, jederzeit auf eine Vorstellnng höherer 
Zweckmiiliigkoit leitet« ^j, nämlich uui die moralische Zweckmiiiiig- 
keit^i. 

Nuu bettmt zwar Schiller an einigen Stellen ausdrucklich, 
daü das sittliche Handeln als solches nur Gegenstand der mo- 
ralischen Betrachtung sei, daß der ästhetischen Beurteilung 
einsig der Zustand, das Vermögen des Menschen unterliege^). 
Bei ästhetischer Beurteilung rühre unsere Lust an einer sittlichen 
Handlung nur daher, daß wir das »Vermögen sn einer fthnliehen 
Pfliehtmäßigkeit« mit dem Handelnden teilen; und »indem wir in 
seinem Vermögen aueh das unsrige wahrnehmen, ihhlen wir un- 
sere geistige Kraft erhobt«^. Hier ist man Tersoeht, deutUehe 

1} über die Gr. des VergnligenB an tragischen Gegenständen. SimtL 
Sehr. X. S. 4. Tn der Oripnalau&pabe der Werke Schill crs fWi^^n und 
Stuttgart 1820;, XVII, S. 133 lautet die Stelle: »wobey die Seele einer bliudea 
Kuturuotbwendigkeit unterworfen wird, nnd die Empfindung . . .« 

2] Ebenda. S.8f. In der Originalausgabe, XVII» 8.188: »wober die 
geistigen KrSfte, Vernunft and Blnbildongekirnft, thXtig find, nnd wo . . .« 

8} Vgl. SXmtl. Sehr. (Goedeke.) X. S.4: »Das Vergnitgen Ist tny, 
wenn wir uns die ZwerMatiünigkeit vorstellen.« 

4^ Über die tragische Kunst. SSmtl. Sehr. X. S, 24. 

5) Ebenda. »Ans unserer luoraiischeu Natur also quillt die Lust 
herror, wodnrch nna sehmenhifte Affekte in der Hittbeilnng entstteken.« 

6) Ober dta Fatbet Ebenda. 8. 168. 

7) Ebenda. 8. 173. Vgl. aneb dort: »Salbst von den JLnflemngen der 



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33 



Ankluuge au unseren Standpunkt zn finden, nach dem die ästhe- 
tische Lust lediglich in der freien Betätigung des GelUbls besteht. 
Aber dem stehen eine Reihe anderer Stellen entgegen. Die ästhe- 
tische Kraft liegt nach ihnen iUr Schiller doch mehr in der »Yor- 
gestellten Möglichkeit« ala in der geftthlten*). 

Daß aach für das Tngiaehe es die Tor gestellte Möglichkeit 
monliadieii HaodelnB ist, welehe YergnttgeD yenmaeht) das be- 
weist ?er allem die Art, wie er sieh mit dem Tragiaehen des Vei^ 
tmeheis absufinden sndit »Die hOebste Konsequenz euies BOse- 
widits ergOtst uns effenbar«; am diese Tatsaebe an erklSren, 
bleibt ihm als Aasweg nnr die Forderung, die Anfmerksamkeit 
>freiwillig^ v on der moralischen Seite der Dinge n bzuweudcu und 
nnr die Zweckmäßigkeit als Bolche ins Auge zu faB«en, soweit sie 
in d( r KnDseijucDz eines Rüaewichts wie Riehard TIT. zutage tritt. 
£i dürfe ans »nie lebhaft werden, daß dieser Kichard III., dieser 
Jago, dieser Lovelace Menseben sind«, für die das Sittengesetz 
GeltoDg hat'). Die reine, abstrakte Zweckmäßigkeit wird Grand 
dc0 Veignügens. Ist dieses Veignügen aber dann noeh iBthetisob? 
Schiller fllblt dieses Manko selbst, denn er gibt an, »daß eine 
mekmißige Bosheit nnr alsdann Osgenstend eines ToUkommenen 
WollgeftUens werden kann, wenn sie yor der moralischen Zweek- 
mSigkeit an Schanden wird«'). Wo das nicht der Fall ist, wttrde 
das Böse in ims nur indirekt die VurBtellung des Guten wach- 
rofen Denn > nicht allein der Glehorsam gegen d;is Sittengesetz 
gibt ms eine Vorstellung moralischer Zweckmäßigkeit, auoh der 
Schmerz Uber die Verletzung desselben tut es«*). Wir achließen 
von dem vorhandenen Bösen auf das mögliche Gute. 

Daß eine solche reflektierende Tätigkeit in das Gebiet des 
Metiseb-kritisohen Verhaltens fallen konnte, nie dagegen in daa 
dei rein-Ssthetisohen Verhaltens, liegt anf der Hand. 



oldWBilsii Tagend kaan der Dichter nlditi flir seine Abeiehten bnaohen, 
ab wai la dessalbea der Kraft gehOrl« V^ aaoh a 1961 

1) Ober das Pathet & 171 »Die poediche Wahriieit besteht . . . nicht 

darin, daß etwas wirUSeh geacbehen ist, sondern darin, daß es geschehen 
konnte al?o in der inneren Hüglichkeit der Sache. Die ästhetische Kraft 
muG aiHu schon in der Yorgeitellteu MOgUohkeit liegen« (von mir 

hervorgehoben. 1. 

S9 Über ^eOr. des Vergnügens SB tngfeehenGegeastlBdea. Ebenda. S.15ii 
8) Ebenda. B. 15. 
4)EaMBds. S.U. 



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84 



Willi WarsUt, 



SebilUr deutet wohl an, daB es die Kraft im Handeln dea 
Menaeben, aein aitHlehea Können iat, die nna eigOlat und die 
dnreh daa tragiaehe Leiden nodi eine indirekte Steigerung erfthri 
Solange daa llathetiaebe Subjekt nur dieae Kraft mit genießt, 
könntiii wir sein Verhalten zu der Vorstellnng als rein-ästhetiscb 
anerkennen. Bei Schiller ist aber der ästhetisch genießende 
Mensch nicht der naive Mensch, sondern in erster Keihe ist er 
der sittlich denkende und handelnde, für deu das mora- 
liBche Prinzip das Oberste nnd Uberall Eichtonggebende ist. 

Damit fällt aber der eigentliche Schwerpunkt der Theorie ana 
dem rein-äathetiacben Gebiete hinana. Er liegt in Momenten dea 
Cfe&llena, die im entwiekelten, individneUen äathetiaeben Be- 
wnfitaein wohl vorhanden aein können, wenn daa ftathetiaeh-kri- 
tiache Verhalten aeine Tätigkeit an der Voratellung angenommen 
hat, aie mit Rflokaioht auf das oberate Prinzip, daa nun dnmal 
(Wt einen solchen Menschen im Mittelpunkt der Welt steht, analj- 
Biert und dadurch den Uehait der Yorstellang durch solche Werte 
assoziativ vertieft hat. 

Dann können bei neu eintretendem rein-ästliotisrlien Verhalten 
diese Werte als Gefühlswerte in dem Gefallen am Tragischen mit- 
aprechen; sie sind aber nicht primär- ästhetiacher Natur. — 

Bei Schiller wird von den beiden Zwillingageachwiatem Sinn- 
Itohkeit und Vernunft der lotsten daa Eratgebmrtereebt sugeaichert 
und sngleiob daa Beeht yerliehen, aua dem Leiden der anderen, 
der Sinnüehkeit, um ao dentlioher nnd henaehender herrorsntreten. 
Sehiller fiiSt aber aeine beiden Prinzipien Vernunft nnd Sinnlieb- 
keit wesentlich nur als Bestandteile der menschliehen Natur 
als solcher auf; er gibt ihnen noch keine metuphy öische Gel- 
tung. Daher wurde es ihm möglich, au jenen Stellen, auf die wir 
hinwiesen, sich einer jisycboloicischen Erklärung dew iistheti<!chen 
Genießens und der tragischen Lust zu nähern. Diese Möglichkeit 
geht bei der metaphysischen Steigerung dieser beiden Prinzipien, 
wie aie die apekuiative Philoaophie biadite, faat ginsUch Terloren. 

£a iat hier nieht nOtig» die Stufen dieaer Steigerang bei den 
einidnen Veftretem der qiekuIatiTen Ästhetik in ihrer Ent- 
wieUung zu yerfolgen. Wir begnügen nna damit, die tragiaebe 
Theorie Friedrieh Theodor Viachera ala Paradigma zu ent* 
wiekein. 



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Dm TragiMhe. 35 

Die wichtigste Konsequenz, die mit der Erweiternng der beiden 

Prinzipien Vernimft und Sinnlichkeit und mit der Ineinsbetzuug 
des Bewußten und Unbewußten im Absolaten, in der Idee bei 
ihnen allen verbunden ist. ist die, daß der tra^isebe Prozeß TOn 
mok an einen dorcbaoB »mikrolLOBmisohen« Charakter erhält 

Bei Vi sc her vollzieht sich die Bewegung im Tragischen vom 
Hintergrunde der absolut-erhabenen Idee aus. Am diesem Hinter- 
gnmde tritt das Subjekt hervor als an sich ebenfalls erhaben, 
denn >der Hintergrund ist in ihm selbst, es ist frei, aber ebenso- 
sehr geht der Hintergnmd nnendlich Uber es hinaus, es hat seine 
Eibabenlieii Ton ihm empfangen«. »Dieser Widerspnieh rnht zn- 
Hiebst nnentfoltet, das Snl^ekt ist mit allem Eigentom seiner Er- 
habenheit dem Hintergrande schnldig. Dies ist noeh nnwirldiche 
Sebald, Ursobnld«'). 

4af dieser an sieb nnwiildioben ȟrsebnMc baut sieh das 
Tragische auf, wie es als Gesetz des Universums erscheint. 
Das Einzelne im allgemeinen Weltverlaufe »muß zu Grunde gehen, 
weil e< Riozehies ist*^] im Gegensatze zu der »im allgemeinen, 
ewigen Weltverlaufe sich verwirklichenden Idee«'). 

Jene unwirkliche »Urscbnld« entwickelt sich im weiteren Ver- 
üafe der Bewegung zn wirUicber Sebald; denn »das Snbjekt 
iit tttig, es bandelt. Indem es handelt, objektiviert es seine Frei- 
heit nnd greift dadnreb in den Komplex der allgemeinen Objek- 
tiTtttt oder Notwendigkeit hinein. Die Handlung ist aber not- 
wendig mit der Einzelheit behaftet, welche den snbjektiTen Willen 
begrenzt; sie trennt daher das Zusammengehörige und verletzt die 
absolute Einheit der objektiven Verkettung* sei es vom Stand- 
punkte der »sittlicheu Notwendigkeit« aus die Verkettung der 
xji iektiven Notwendigkeit«, sei es die eine > sittliche Notwendig- 
keit < durch die andere, denn die absolute sittliche Macht spaltet 
sich in »besondere sittliche Mächtet »Die verletzende TreunnDg 
nun ist wirkliche Schnld.« Es ist aber das Charakteristische an 
dieser »Sebald«, daß das Subjekt an ibr onseholdig ist, der wahre 



1) Vischer, ÄBthetik. § 122. 

5) Ebenda. 1 180. 
8) Ebenda. § 12. 

4) Ebenda. S 15?^. 

6) Ebenda. § 120 oad g 20. 

3* 



36 



WM Wantet» 



Grund des Scbu]dig8einB ist nur jene seine VrlcillzcluM^^ >L)io 
Schnld ist ein Werk der Freiheit, welche nicht anders handeln 
kann, weil sie nur Freiheit dca einzelnen Sabjektes ist« »das 
Yeigelieii ist Sehnld, und doch sehen wir, daß der Schnldige mit 
diesen Nerven, mit diesem Tempenunent niw. nicht andeis hanr 
dein konnte« >). 

Auf die Yerletenng der abaolnten Einheit erfolgt nun die Be- 
aktion» die > Strafe«. »Die Yerletsnog gibt sieh dem Snbjekte 
eelhst sn eifahraii indem sie den Hinteignind aufregt, dafi er 
lieh alB abflolntes Ganze in Bewegung eetsi« Zigleieh wird da- 
doreh die Tereinselnde Handlang in eine vnalwehliehe Kette ron 
Folgen hineingezogen, ftir die das Subjekt einstehen muß, obgleich 
sie ursprünfilicli gar nicht iu seinem Willen gelegen haben. »Diese 
Folgen bind aber in ihrer objektiven Reihe wesentlich zngleich 
Gegenscblag des verletzten Ganzen gegen den Verletzenden: eine 
Rüat des ÜbeLs, die ihm Leiden trägt« ^j. Die Leiden Rind dem- 
nach nichts anderes als die »Strafe« fttr jene Vereinzelung and 
die damit znsammenh&ngende Überbebnng des Einzelnen. 

Damit jene Bewegung des Absolaten in der »Strafe« ihren 
letzten Zweok, nftmlieh Anfhebong des Einzelnen erreicht, mnfi 
das Leiden notwendig snm Untergänge führen. Für Visoh er 
steht daher das Positiv-Tragisehe, in dem >dem erhabenen 
Salgekt nnter der Bedingong, dafi es seine Erhabenheit als Ans- 
floB der absoluten und ebendaher die Forttbeigehenden Leiden, 
als Rückwirkung seiner Sehuld aosdrtteklioh anerkenne, \ ergönnt 
ist, die gute Saehe siegreich dorohzusetzen und das eigene Glttck 
zn retten« auf einer niedrigeren Stufe und hinter dem Negativ- 
Tragischen, in dem das Subjekt durch seinen Untergang und 
das damit verbundene Aufgehen in das Absolute dessen Einheit 
wiederhersttdlt und seine Vereinzelung Bübnt. 

Ja, der höchste Zweck der trajj:is( Leu Bewegung ist erst er- 
reicht) wenn das untergehende Subjekt diesen Tatbestand auch 
anerkennt. »Eignet sich . . . auch das Babjekt im Untergange das 
Bewußtsein dieser leinigenden Fortdauer und der Gerechtigkeit 
seines Leidens an, so ist ebenhiennit volle Versöhnung eingetroten» 

1) Vischer, Ästhetik. § 123. 
2] Ebenda. § 119, Anm, 
öj Ebend«. § 124. 
4) Ebenda. % 128. 

> 

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Dm TngiMlie. 



ODd das Subjekt ist in diese Yercwigang als sich Uberlebende, 
Ywklärte Gestalt iiufgenoimneiK 

Und nicht nur dem leidenden Snbjekt, sogar auch dem Be- 
wuBtsem des Zasehaaero soll diese »poetische Gerechtigkeit« 
uigehen. — Zwar gehen als Wirkung dem tragischen Vorgänge 
panUel zur Seite im Znsehaiier «ach Gefühle der »Farefat« und 
anf dieser als Hiateignmd des »Selireekens« nnd »liifleids« mit 
tUen Ihren Abstnlhngen*). Die eigenflicbe Wirkung des Tragi- 
aeben Hegt aber darin, daß ancb der Znsebaner, »mitgesetzt in 
im angeschauten Sabjekten, die allgemeine Sobnld ebenso wie 
das Ltideü auch als die seiüige lllhlt und sich in dieBem Anblicke 
za dem GefQhle der absoluten Ehrfurcht ror der ubäuiuteu sitt- 
lichen Macht aufrichtet«'*). — 

Es ist fllr uns überflüssig an dieser Stelle in längeren Aus- 
ftthruDgen darauf einzugehen, ob die Begriffe der »tragischen 
Schuld« und »Strafe« nnd der »poetischen Gerechtigkeit«, wie sie 
diese Theorie anwendet, sieh mit den Begriffen deoken, die wir 
ftr gewtthnUcb unter »Sehnld«, »Strafet und »Gereehtigkeit« 
desken. Lipps hat in seiner Sehrift »Der Streit Uber die TragOdie««) 
eisen Vergleich, nnd zwar mit negatirem Besaltat, angestellt 

Derselbe bat naebgewiesen, dafi aneh jener erste Zweek des 
Tratschen, die Anerkennung der »Schuld« nnd der »poetischen Ge- 
rccLügkeit« seitens des tragischen Subjektes, in der großen Mebr- 
ZAbl der Tragödien nicht erreicht wird^): Antigone empfindet 
ihr Los als ein hartes und unverdientes! 

Einer näheren Betrachtung jedooh müssen wir die letzte und 
höchste Wirkung des Tragischen unterziehen, die es im Zu- 
lehaner herrorrnft; die Anerkennung der »poetischen Gereohtig- 
keit< auch Ton seiner Seite*}. Das Traglscbe ist eine Be- 
wegung, die deh anf dem Hintergrunde der absoluten Idee toU- 
sieht^. hk Toller Wahrheit Terwirklieht sieh diese Bewegung im 

1) Yfaeber, lathetlk % 126. 
2} Ebenda. § 143 ff. 

3} Ebenda. § 146. 

4 Kambnr? nnd Leipsig 1891. S. 11 — 36. 

ö, Ebenda. S 13 ff. 

6] Vgl. auch hierzu Lipps. IS. 25 iT. 

7} IHe netaphysisehe Bwechtigang der hier ngronde liegenden Welt« 
anscbanimg kommt hier nmicbst gar nicht in Betzteht Lippa, a. a. 0., 
bnweifelt ai«. 



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38 



Willi Wantet, 



objektiTen Weltrerlaufe. Finden wir sie daher in einem Kunst- 
werk, etwa einer Tragödie, dargestellt, bo wird dieses uns nur 
das pointierte Ablnld, das Sdhnlbeispiel, iür die objektire Wirk- 
lichkeit Verlangt Vtscher nun die Anerkennung der »poeti- 
Bohen Gerechtigkeit« Tom Zuschauer, so verlangt er damit nichts 
anderes ab die Anerkennung des paradigmatischen Oharaktem 
eines Kunstwerkes. Die Tragödie weist uns bedentungsvoll auf 
die Wirklichkeit bin, wir vcrgloicLeü unsere aktuellen Vor- 
stellungen mit Erinneruijgsvorstellungen, die wir vom wirkliehen 
Lebt'ii besitzen, uud linden dann alleufalls Ähnlichkeiten. Diese 
denkende Beschäftigung mit der Vorstelluugsseite eines ästhetischen 
Erlebnisses gehört aber dem ästhetisch-kritischen Verhalten 
an. Im rein-ästhetischen Verhalten tritt die VorsteUnngsseite 
völlig snrttck. 

Gehingen aber diese Elemente des GeUdlens am "nragiBchen 
erst dnrch die Yermittlmig des Hslhetlsch-kiitischett Verhaltens 
. ins Msthetisehe BewnBtsein, so sind sie anch erst seknndirer nnd 
nicht rein-SsthetiBcher Art Daher ist es anch kein Einwand 

gegen unsere Kritik, daß doch tatsächlich bei vielen Menschen 
das Tragische vom Hintergründe einer metaphysisch-optimistischen 
Weltanschauung genossen wird, ja daß vielen ein Genuß am 
Tragischen nur in dieser Weise tlberhaupt möglich scheint. Diese 
Tatsache können wir unumwunden zugeben. Es handelt sich ja 
eben für uns in erster £eihe nicht um die Aufzählung aller Fak- 
toren, die im Gefallen am Tragischen mitsprechen können, son- 
dern derer, die darin unbedingt mitsprechen mttssen, das heifit 
derer, die von prim&r-ästhetischer Bedentung und nicht erst in 
der individuellen Entwicklung des ästhetischen Bewußtseins 
erworben sind. 

Um jedoch zu den Weltanschauungstheorien endgültig Stellung 
ßehmeu zu können, wollen wir noch einen kurzen blick auf die 
Theorien des Pessimismus werfen. 

Der Pessimismus. Eine Theorie, die das Tragische auf 
einer pessimistisehen Weltanschauung^ aufbaut, könnte im ersten 
Augenblicke als das gerade Gegenteil der bisher behandelten 
optimistisehen Theorie erscheinen« In Wahrheit finden wir bei 
beiden denselben metaphysiBch-idealistischen Hintergrund, und 
beide begehen letzten Endes denselben Fehler. Der optimistische 



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Du Tragisclie. 



39 



Theoretikfif aber ttbendwnt den tngieehen Vorgang von oben 
her, Yim Staadpnnkte der abeolnten sittlicben Maobt ans, der 

gegenüber die Berechtigung des tragischen Subjektes zu einer nur 
relativen und damit zur Schuld wird. Der pessimistische Theo- 
retiker dagegen Überschaut den tragischen Vorgang von der Seite 
des an sich berechtigten tragischen Subjektes her, von dessen 
Standpunkt am das es femichtende Absolute zum Feindlichen 
wird. Und zwar wird es, weil es einem Sittliehen, wenn aaeh 
rieUeieht nur relativ Sittliebeni Temiehtend g^genttbertritt, xnm 
Unbereebtiglen, FbuCem, BOaen. Der PewimiiaiiiB bringt nns 
also dieselbe Saohe, nur au einem andern Ctosiehtspnnkte be- 
tnehtet Unsere Dwetellnng wird sieh denmaeh diesen Theorien 
gegenüber swnmariseher TerhaHen kutanen. 

Abtcesehen von der pessiui istischen Weltausicht ist die ungo- 
mein energische Betonung des » inikrukosmischen Charakters« 
im Tragischen das Eigenartige in der pessimistischen Theorie. 
Ftlr Schopenhauer ist der Zweck des Dramas »die Darstellung^ 
der schrecklichen Seite des Lebens, daß der namenlose Schmerz^ 
der Jammer der Menschheiti der Trinmph der Bosheit, die höhnende 
Hernehaft des Zufalles nnd der rettongslose Fall der Gereefaten 
nnd Unsdmldigen nns vorgefthrt werden: denn bierin liegt ein 
bedeutsamer Wink ttber die Besebaflenbeit der Welt nnd des 
IHueyns. Es ist der Widentrdt des Willens mit sieb selbst» 
weleber hier, auf der b9efasten Stafe seiner Objektität, am toH- 
ständigsten entfaltet, furchtbar hervortritt« '). Dieser > bedeutsame 
Wiük« erleichtert uns zugleich >die vollkommene Erkeujitnit^ des 
Wesens der Welt«, die ihrerseits, »als Quietiv des Willens wirkend, 
die Resignation hcrbeitllhrt, das Aufgeben nicht blos des Lebens, 
sondern des Willens zum Leben selbst« denn im Traaerspiel 
wird nns »die nnserm Willen geradesn widersprechende Be- 
schaffenheit der Welt nnd des Lebens vor Augen gebraobt«, se 
daß iHr es »niebt mehr wollen nnd lieben« können'). 

Aneb hier geht nnn diese Tom Tranerspiel geforderte Wir- 
kung niebt nnr am tragiseben Helden vor sieb, sondern sie 

1) Behopeahaner, Welt ab Wille und Vomtelliuig. Herausgegeben 
Ton Kehrbaeh. (Rseiini.) Bd. L S. 884. 

2; Ebenda. S. 3S4. 

3) Ebenda. Bd. a S. £06. 



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40 



WUU Waretat, 



erstreckt sich auch auf den Znschaiier, »es ist die eigentttoiliche 
Tendena and Wirkaag des Traaenpiels, jenen Geist im Zaaohaaer 
zu erwecken and jene Gesinnnng, wena aach nur vorttbergehead, 
berrorsarafen« Ja, selbst wenn der tragisohe Held nicht an 
dieser tragischen Besignation sich darohringt, bleibt »die Aaf- 
forderang zar Abwendung des Willens rom Leben die wahre 
Tendenz des Traaerspiels« und regt dann »die resignierte Er- 
hebung des Geistes bloß im Zuschauer an, durch deu Anblick 
großen, nnverächuldeten, ja, selbst verschuldeten Leidens«^'). 

Zu diesen Grund^redankeu der pessimiBtiöchen Theorie ver- 
mochte E. V. Hartman n nur wenig Originelles hinzuzuftigeu. Im 
ganzen mußte er sich darauf beschränken, sie zu systematisieren 
and weiter auszuführen. Auch er betont vor allem den meta- 
physisch-pessimistischen Gehalt des Tragischen einerseits 
nnd seinen »mikrokosmischen Charakter« andererseits. Dem 
pessimistischen Gehalt and dem »mikrokosmischen Charakter« aa- 
liebe verlangt Hartmann nan im Tragischen einen »anlOsIiehen« 
Konflikt, d. h. einen Eonflikti der anf immanentem Gebiet 
nnlOslich ist nnd daher eine transzendente LOsang verlangt'). 
Von den drei Arten, wie nach Schopenhaner das tragische 
Leiden anstände kommen konnte, nämlich »daroh aaBerordent- 
liche . . , Bosheit eines Charakters, welcher der Urheber des Un- 
glücks wird*, »durch blindes Schicksal, du.s iat Zufall oder Irr- 
tum« und endlieh »durch die bloße Stellung der Personen gegen- 
einander, durch die Verhitltuisse* ^ , erkennt Ilartmann nur die 
letzte als befilbigt an, einen unlosliclieu Konflikt hervorzubringen. 
Denn Konflikte, die sich aus der Bosheit dritter Personen oder 
ans UnglficksfUllen ergäben, seien nun einmal fUr den normalen 
Menschen nicht aattberwiadbar; ginge der Held an ihnen trotz- 
dem zagraadcy so sei er nicht mehr tragisch, sondern nnr be- 
klagenswert »Mikrokosmisch ist ein solcher Voijgpsng nicht» weil 
das Exzeptionelle eben ein Abnormes ist nnd als solches nicht 
den normalen Weltverlanf widerspiegeln kann«*). 

1) Scbopeutiauer, Welt als Wille und Vont^ong. Heransgogebon 
von Kebrbach. (Redam.) Bd. IL S. 610. 
8) Ebenda. S. 611. 

8) PfattoMpliie dss SehOnen. SKmtl. Werke. 17. 8.87Sft VgL das 
Problem des Trafnachen. Studien und Aufsätze. 3. 276 ff., epedeU 8.896. 

4) Welt als Wille un(! Vorstellung. L 8.387. 
6) Philosophie des Schonen. S. 372 f. 



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Dm TragiBobe. 



41 



Dem mikrokoenilflelieo Charakter des Tragisohen bringt soiiacb 
Hertmann Tragödien wie KOnig Oedipaä, Riehard IIL, Othello, 

liomeo und Julia zum Opfer. 

Das wirklich Traf^ische entsteht also nur aus den Charak- 
teren und ihrem Streben und auch da nur, wenn das Streben 
>prak.tisch absiolnt- ist d. h. wenn dt-n wahren und eigent- 
lichen Lebensinhalt seines Trägers ausmacht«, mit dessen Ver- 
fehlen >aach der Wert seiner Existenz aufhören würde« Er- 
fol^t nun in logischer Folge auf die Uberhebung des sabjektiren 
Willens seine Vernichtung durch den absoluten ^j, so ringt sieh im 
tngisehen Subjekt aUrnfthlieh die »geftthlsmttBige Anerkennimg« 
dmrehi >daB eine FortMtimig des Lebens zweekles und werthlos 
sei, naehdem diesem Leben dasjenige geranbt oder serstOrt ist, 
was ihm allein Zweek and Werth gab«, and diese »gefUhlsmftßige 
Anerkennung« der Wertlosigkeit des Lebens »hat wiederum die 
Ergebung in den Untergang zur Folge, . . . gleiehgtlltig ob dieser 
nun freiwillig aufgesucht . . . oder mit Resignation erwartet wird«'). 

In das Be^v^lßtsein des tra^jischen Subjektes reflektiert sich 
uuü der Kunllikt und die Anerktiiinung seiner immanenten Uulös- 
barkeit al«» der tiefste Schmerz , in das des Zuachauers als das 
tiei^te Mitleid. Aber dieses Mitleid und dieser Schmer/, bilden 
doch nur »das Relief, von dem sich die weltUberwindeude 
Willensverneinung . . . abhebt: einmal, wie schon oben dar- 
gelegt, im tragischen Subjekt: in dem Aagenblick, wo sieb 
die Abwendung des Willens vom Leben voUsieht, »schwebt der 
Geist in voller Freiheit Uber dem Irdisehen, . . .; vor der Geiahr 
eines kleinliehen Bttek&lto aber bleibt er bewahrt, indem der 
Unleigang diese MQgliehkeit absehneidet«^). 

Der mikrokosmisehe Charakter des Tragisehen bringt es aber 
mit sieh, daß aueh im Zusehaner diese WiliensTem^ung her- 
▼oigerufen wird. »Vom transsendenten Gesiehtspunkt aufgefaftt 
gibt der tragische Einzelfall die trostreiche Gewißheit, daß in der 
zum bewußtcü Geiste cutfaltcten Idee die Fähigkeit wohnt, den 
Willen zur Selbstvemeinung umzustimmen, und damit weiter die 
beruhigende und erhebende Zuversicht, daß eben dasjenige, was 

1) Philosophie des Scliouen. ä. 374. 

Ebenda. S.876f. 
3 Ebenda. S. 377f. 
4] Ebeadt. S. S7a 



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42 WÜU WmttA, I 

hier im Einzelfalle möglich ist, dereinst, wenn die Zeit erfUlel 1 
ist, wohl «veh am UmFenimi mdglieh sein dtlrila« — ■ 

hk dieser Sehilderang der Wirkang des Tngiflehea im I 
tragiaehen Snlgekt vaA im ZoBehaiier liegt der ParaUeÜBrnnB 
mit der eptimistiBcheii Theorie Friedrieh Theodor Yischers 
klar zutage. Wir hegnttgen uns daher aaeh hier damit, gegen- 
über der Frage nach der metaphyBischen und logischen 
Berechtigung des idealistischen Hintergrundes dieser Theorie 
nnd nach ihrer Übereinstimmung: mit der Erfahrung; auf 
die Ausführungen von Lippa hinzuweisen 2). Er weist nach, 
daß das > Nichts« des Pessimismus ein logisches Trugbild ohne 
allen Inhalt sei, und daß dieses »Nichtsc und die »Ruhe«, 
welche der tragische Held mich Bemer Resignatioii in ihm findet, 
keineswegs mit der >Sohe< an Terweehsefai sei, die aus nn- 
gestUrtem Ablauf der Bewegung fließe. Die »Resignation« des 
Helden klfnne also ftlr ihn gar nicht hstroll nnd yerlockend sdn. 
An der Hand von Beispielen weist Lipps sodann nach, daß in 
Wirklichkeit auch in vielen Tragödien, z. B. in der Antigone, von 
einer ivesignation des Helden gar keine Rede sei. 

Bis hierher muß mau dmn soliarfsinnigen Kritiker wohl recht 
geben. In der Darstellung der Wirkung jedoch, die nach der 
pessimistischen Theorie das Tragische auf den Zuschauer ausüben 
soll, scheint er uns jedoch zu strenge Tonengehen. Es liegt ein 
richtiger Gedanke seiner Kritik zugrunde, wenn er es an der 
Theorie tadelt, daß sie beim Zaschaner den »irostreiehen Ge- 
danken« erwartet, daß anch ihm nnd dem ganzen Weltverlanfe 
einmal eine solche > Resignation« und »Yemeinong des Willens« 
möglich sein werde. Es liegt allerdings stets dabei im Hinter^ 
gmnde die Yoranssetnmg, daß der Znsehaner sieh snr pessi- 
mistischen Weltanschauung schon bekenne oder doch gegenüber 
der Tragödie sich bekehre. Em« solche Wirkung, das betonten 
ja auch wir schon, liegt gänzlich außerhalb des > rein-ästheti- 
schen Verhaltens« oder wie Lippe sich aoadrttckt, »außcrlialb 
des Kunstwerkes«. 

Wie kommt es aber, so üragen wir weiter, daß dennoch 

1) Philosophie des Schönen. S. 380f. Man vergleiche das hier im Text 
Folirende als Beweis datlfr wie nahe eine solche Theorie der zehn didaktisohen 

AutYassiing der Kunst kommt. 

2 Der Streit Uber die Tragödie, b. 2 ä^. 



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Dm Trtgisdie. 



43 



tatsächlich solche pessimistiBchen Gefühle beim GenOBBe des 
Tiagüoben bei vielen weaigBteDB anklingen? 

Da weisen wir daianf hin, dafi dieie GefUhle allerdings anf 
gedank Hohem Wege zu der ästhettschen Voistellnng hinzn- 
gebncht worden sein mUflsen, nSmlich dnrch das »SstiietiBch- 
kritiflche« Verhalten. Sobald das aber geschehen Ist, bilden sie 
einen Teil des GefUhlsgehaltes jeuer Vorstellung. Der ge- 
dankliche Prozeii braucht nicht jedesmal bei neuem >rciu-ä8tbeti- 
schenc Verhalten wiederholt zu werden, sondern er ist sofort und 
Qnmittelbnr mit dem ästhetischen Eindrack fUr das ästhetische 
IndiTiduum da. 

So können allerdiogs solche GefUhlselemente, die mit einer 
Weltanflchannng zoBammenhängen, im indiTidnellen äathetiechea 
Gefallen am Tragischen vorhanden sein. Wir baten jedoch mit 
Absicht, das Wort >indiTidoell< an betonen. Denn in Wahr- 
beit sind alle diese Elemente, als ans dem sekundären Bsthetisch- 
kritisehen Verhalten herrUhrend, nicht allgemein-ästhetiseher 
Natnr, sondern hängen gHnzlich von der Anlage des Indivi- 
daums und von seiner spciiiellen Geistesrichtunir ab. Den besten 
Beweis daftir gibt ja die Polaritiit der WeUjinbehiumngstheorien 
selber! Wie wäre es anders erklärlich, daß der eine Ästhetiker 
in der Tragödie den Weltverlauf unter einem optimistischen 
Gesichtspunkte betrachtet wiederfindet, der andere in ihr ein 
MnsterbeiBpiel fUr seinen Pessimismas sieht 

Beide, so polar entgegengesetste Ansichten haben recht, nnd 
beide t^len auch ihr Unrecht 

Wohl können im ästhetischen Geii&llen am Tragischen Gefhhls- 
etemente mitsprechen, die anf irgendeiner Weltanschanung be- 
mben. Auf den Charakter dieser Weltanschauung kommt es 
aber dabei gar nicht au. Deitii alle diese Elemente sind erat durch 
das ästhetisch -kritische Verhalten in das ästhetisch -gebildete, 
individuelle Bcwulitsein gekommen. Wenn mnn also eine Auf- 
zählung aller psychischen Faktoren versuchen wollte, die beim 
Gefallen am Tragischen Uberhaupt m()glich sind, so wird mau 
dieee Faktoren nicht übergehen dttrfen; man wird aber anch nie 
ZQ einer endgültigen LOsnag dieser Aofgabe gelangen; denn ihre 
Zahl ist so gzofi wie die Zahl der Indiyidnen. 

Wenn man aber, wie wir,, sieh die An%abe gestellt hat, nnr 
^ Faktoren ans der unendlichen Menge der möglichen herans* 



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44 



WiUi Wintat, 



zabebeu, die im ästhetischen Gefallen am Tragischen notwendig 
sind, d. h diejenigeu, welche unbedingt und primär ästhetisch 
sind, so werden wir diese Weltanschaunngselemeute nicht dazu 
rechnen können, nnbeschadet ihrer ästhetischen Möglichkeit. 

Zweites Kapitel. 
Das Tragische und seine psychische Wirkung. 

Die Weltanschauungstheorien verlegteu alle den Schwerpunkt 
des Tragischen in einen objektiven, sei es sittlichen, sei es meta- 
physiBohen Gehalt und schrieben im Zusammeuhange damit ihm 
eine Wirkung zu, die sich uns als nicht primär-ästhetisch er- 
wiesen hat 

Kau gibt et dne Beihe weiterer Theorien, die das Tragische 
▼on seiner snbjektlTen Wirkung ans zu bestimiDen snehen. Wir 
werden uns in längeren Ansf^hmngen hier mit ihnen sa be- 
sohftftigen und nach ihnen g^nttber zu nntersnchen habeni wie 
weit die angebliche Wlrknng des Tragischen TOm Boden des rein- 
ästhetisohen Verhaltens Terotändlich nnd erklärbar und damit 
primär-ästhetisch ist. 

Im allgemeinen gehen diese Theorien alle von der berühmten 
Definition der Tragödie durch Aristoteles im seciiöten Kapitel 
der Foetik aus: tum' ovr roayMÖia niut-oig Ttga^eiog a;tovdaiag 
xal teleiag fiiyed-og txoifat]s i^dvauivof Ao/qi x*^Q^S «itciarti; ribr 
tldwv Iv Toi£ /iofiioiQ 6qo>wü>v xal ov öC dftayyeXiag di iXiov 

Während der erste Teil dieser Definition sich dorohans kunst- 
theoretisch und objektir hält, vollendet der zweite, hier hervor- 
gehobene Teil die objektiye Bestimmung der Tragödie als 
Ennsiwerk dadurch, daß er den subjektiven Zweck der ganzen 

YeranstaltUDg angibt, nämlich die auf den Zuschauer auszuübende 
AViikung: die Tragudic ist die Darstellun«: einer Handlung, 
welche »durch Mitleid und Furcht die Keinigung dieser und der- 
gleicheu') Leidenschaften Toliendet«. 



1 Vgl. Lea Bing, Hsmb. DiaiMtnrgie. Werke X. Hottoagog. von 
Lachma&n. Dritte Ausg. von Munoker. S. 118. (Stck. 77.) 



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Daa Tragiflche. 



45 



Eine ntthere ErklMrmig des Wesens und des Gegenstandes der 
td^Qifts findet sieh in der Poetik nicht. Das soholastisehe An- 
sehen des Aristoteles brachte es jedoeh mit sich, daß man sich 
Uber diesen dunklen Pnnkt in der Theorie des Meisters Klarheit 
m yersdialfeB snehte. Da aber die Anhaltsponkte ftr eine Inter- 
pretation sehr gering sind, so bewirkte es diese Sachlage und 
eben jene« Ansehen, daß fast jeder laterpretationsversucb zu^^leich 
ein Versneh wurde, die aristotelische Theorie mit der eigenen 
Theorie vom Tragischen in Einklang zu setzen und diese darch 
die Aiitnritiit des antiken Philosophen zu decken^). 

FUr den vorliegenden Zweck erscheint es daher angebracht, 
die Frage nach der philologischen Richtigkeit dieser Interpretations- 
yersaehe ▼öllig in den Hiotergrond treten zn lassen nnd einen 
jeden als selbständige Anf&ssnng Tom Wesen der tragischen 
Wirkung gelten an lassen. 

Die mittelalterlich - scholastische Anf&ssnng dieser Wirkung 
nnd im AnscUnfi daran aneh die der ilteren Kritiker ror 
Leasing, vor allem der Franiosen, bleibt eine grob ftnfierliche. 
Die Wirkung des Tragischen bemht anf dem von ihm herroi^ 

gernfenen »Schrecken« (q}6ßog) und »Mitleid« (lAtor). Die Tragödie 
soll uns vor Augen führen, zu welchen Leiden die Ijeideuscbafteu 
alö solche die Veranlassung sein könnten, und der Zuschauer soll 
durch das Mitleid mit und den Schrecken vor den Leiden von 
»den Fehlern der vorgestellten Leidenschuften« gereiiii^'t werden, 
die das Leiden heryorgerufen hatten^). Der psychologische Vor- 
gang dieser Reinigung als solcher wird als durchaus Terstandee* 
gem&B geschildert. »Das Mitleid mit dem Ungltteke, TOn welchem 
wir nnsera gleichen befallen sehen, erweckt in uns die Foreht, 
dafi uns ein ahnliches Ungltick treffen kannte. Diese Fnrcht ei^ 
weckt die Bogieide» ihm ansznweiohen, nnd diese Begierde ein 

1} Salbst in dm TlieoileB dar apAiilati?aB Asflieftar fiadan af ab SteUao, 

an deneo diese aleb dureb eiaen befriedigtan Seitenblick davon Uberzeagen, 
daß ihre Theorie schließlich auch auf eine der ariatotelischen Shnlicha 
xa^a^<rif hinauelaufe. Vgl. z. B. Viecher, Ästhetik. § 143, 

2} Vgl. AriBtoteleä Dichtkunst, ins Deutsche übersetzt von M. C. 
Cartiva. Hannorar 1768» 8. 12 aad abasda dia »Abhandlang Ton dar 
Absicht daa Tnmerspiels«. S. 393. »Er (der Znschaner) lernet dia traorigan 
Wirknnj^PT! flrr rillznheftigen Aasbrilche der Leidenschaften erkdiuiani Und 
vaadet die nüthigen Mittal an, ihra Wuth im Zaume zu halten.« 



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46 



Willi Warstet, 



BeBtrolMD, die Leidenaehaft, dareh welohe die Penoiii die wir 
betrattern, sieh ihr Unglttek yor nnBeren Augen znziehet, zn reinigen, 
m m&fiigen, zn beesem, ja gar aneznrotten; indem einem jeden 
die yernnnft sagt, daß man die tJnache abmhneiden mUase^ 

werni mau die Wirkung vermeiden wolle* Von dieser kühl 
verstandesgemäßen Auffassung der tragischen Wirknng ist es 
kaum ein Schritt bis zur völlig moraiiscli iebrliatteu Auslegung 
der Tragödie und der Kunst überhaupt. 

Demgegenüber bietet uns Lessing eine in viel höherem Grade 
ästhetische Anffassnng von der tragischen Wirkung. Er weist, 
ansgehend von Anregungen des Engländers Home'J, snnächst dar- 
auf hin, daß Mitleid nnd Furcht selber die Affekte seien, die in 
der tragisehen Wirkung eine Seinigimg erfahren^}. Dadnreh 
werden diese Glefhhle, gegenüber den Franzosenf ans ihrer nnier^ 
geordneten Stellung emporgehoben, wo sie lediglich das Mittel 
bildeten zur HerbeiAlhnmg jener Terstandesgemäßen Überlegung. 
Zugleich aber werden sie dadurch iu den Mittelpunkt des ästheti- 
schen Vorganges gestellt; sie werden erregt, damit au ihnen selbst 
die »Reinigung« vor sich gehen kann 

In der Bestimmung der Art uud Weise, wie diese »Keini> 
gnng« anstände kommen solle, weicht Leasing von Home ab. 
Bei diesem genügt die öftere Heryorbringnng nnd Wieder- 
holung dieser Gefühle zn ihrer »Beinignngc ToUkommen: »by 
the emotion of fear or terror, frequently reiterated in a Tarietj 
of moral ttagedles, the apeetators aie put npon their gnaid againat 

1) P. Corneille, Second ^scours de la trag^die. Le diMtre de 
P. Corneille. Premiere partie. Paris 1706. 2. AoBg. S. 80. >La pitiS 
d^ui malhour ot^ nons voyons tombcr nos semblables, nons porte a la crainte 
d'un pareil pour nou»; ccttc erainte au d^sir de Teviter; et ce dt'Bir ä purger, 
moderer, recti&er, et meme deraciaer eu aous la pagsion qui plouge a nos 
yenx dtns ee malhenr las persoimes qua nous pUignons, par «ette ralton 
ooniinune, mais attnreUe et indobltaUab quo poor ^viter Ytübi il faut 
retrancher la cause. Oben die Übsisetnmg Leseiags. Vgl Hamb. Df»- 
maturgie. Werke X. S. 115. 

2) Home, Elemeots of Criticism I— III. New edition Rn«pl 1795. III. 
S. 152: Our pity is eogaged for the pereons represeuted; aud uur terror ia 
opon Our own aooonnt Pliy indaad la hara msda to stand for all the 
aympsdiatie amotlonB, becauia of tbaaa it la tfaa eapital. 

3) Lessing, Hamb. Dramatnrgie. Werke X. Stck. 77 u. 78. S. 116. 
>Die8er A ri f o t p1 ... hat an keine anderen Leidenschaften gedacht, 
welche du» Mitleid uud die Fnrcht der Triigödie reinigen solle, als an unser 
Mitleid uud uusere Furcht seibat.« 



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Dm Tngisehe. 



47 



the diöorders of passion« Lessinf^ dagegen legt die Fähig- 
keit zu einer solchen Keiniguug ain objektive Eigenschaft 
der Trügudie bei, insoweit sie Kunstwerk ist und insoweit ihre 
Fabel, die Auswahl des StofiFes, dazu aniretan ist. Mitleid und 
Furcht sind eben »in der Nachahmung nur durch die einzig-p 
dramatische Form zu erregen«, da das Mitleid »notwendig 
ein vorhandenes Obel erfordere«, weil wir »längst Tergangene oder 
fem in der Zokonfl bevorstehende Übel entweder gar niobt oder 
doeh bey weitem nicht so stark bemitleiden kOnnen, ab ein an* 
we8«ndei«>). 

Objektive Eigensehaft den Stoffes ist es, die dnfob die Tra- 
gödie erregten Affekte Fnreht nnd Mitleid an »tugendhaften 
Fertigkeiten« an verwandeln«. Das soll heifien: »da bej jeder 
Tagend, nadi nnserm Philosophen (Aristoteles) sich disseits und 
jenseits ein Eztremnm ündet, zwisohen welchem sie inne stehet: 
so mnß die Tragödie, wenn sie unser Mitleid in Tugend ver- 
wandeln soll, uns von beiden Extremis zu reinigen vermögend 
sein, welches auch von der Furcht zu verstehen« ^j. — 

Diese beiden Punkte der Lessingschen Theorie sind es auch, 
die Hermann Baumgart^/ zu unterstreichen und auszubauen 
sucht. Mitleid und Furcht ^^ind nach ihm nicht die gewöhnlichen, 
allgemeinen menschlichen Gellihle, »die dem Zuschauer überhaupt 
eigentttffiUch sind, mit denen er zu der Tiagüdie herantritt, und 
die, nachdem er deren Einwirkung erfahren, er nun weiterhin 
ans derselben ins Leben mitnimmt«, sondern die der Wirkung 
der Tragödie an sieh eigenttlmliohen Geftthle (vgU Lessing), 
»die dureh die Diehtnag selbst notwendig aaftnregenden Empfin- 
dnngen« 

Dabd sden Mitleid nnd Fnreht nicht komplementäre Gefthle«), 
sondern die in uns angesiehts des Tragisehen entstehenden 



1) Home, a. a. 0. III. S. 162. 

8) Lsstiag, Hunb. Bramainrgie. WerfceX* (Laehmann'Mnncker). 

Stck. 77. S. 112. 

S Ebenda. Stck. 78. S. 117. 

4} Haadbuoh der Poetik, Stattgart 1887, and verachtodoie kleiaere Auf- 
silxe. 

6) Baiimgart, a. a. 0. 8. 48& 

^ WieLattiaglMliiiiptet Vgl Hamb. Dnnatnigie. Werke X. Sick 76. 
«.mt. »Fueht ist dM aof au Mlbit bsMgine Mitleid.« 



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48 



Willi Waratot, 



»Sehioksalflgeftthle«. Angabe des Tranenpiels ist «8 nim, 
▼ermdge seiner formellen BeBohaffenlieit diese Sehieksal»» 

geülhle, die durch den bloBen Stoff der Tragödie »in den yiel- 
fältlgsten Trübungen, Übertreibungen, aber auch VerkUmaitirungenc 
wachgernfen werden, »znr völligen Reinheit« herzustellen als die 
*Schick8al8eiüpliiidungen der echten Fnrclit und des echten Mit- 
leids« Durch die BescbreibiinjL' von Furcht und ^Iitleid als 
der »JSchicksalegefUhle« gegenüber jedem allgemeinmenöchiichen 
Schicksal wird bei Banmgart die Tragödie zam YoUkommensten 
Erzeugnis menschlicher Eunstbestrebungen. 

Zugleich tritt aber in dieser letzten Gestaltung der Theorie 
anch der Paukt am klarsten zutage » an dem alle Tta^a^atg" 
Theorien kranken. Die Erregung der GeAlhle Furoht und Hit- 
leid ist verbunden mit der T»sg6die als Eunstform (LessingJ 
und mit dem rohen tragisehen Stoff (Banmgart). Die xa^a^ais 
dagegen — das geht sehen ans den Darlegungen Lessings her- 
Yor und ist bei Banmgart klar ausgesprochen — ist eist eine 
Wirkung der kttnstlerischen Behandlung jenes Stoffes. Dar 
mit haben wir aber in der KaS^agaig nicht ein Merkmal des 
Tragischen, sondern nur der Tragödie, und auch der Tragödie 
nur insofern sie ein Kunstwerk ist, d. h. nicht nur der Tragödie, 
sondern auch eines jeden Kunstwerkes als Hulcbeii, welcher Gat- 
tung auch immer es sein mag. -/.ad-aQO { g der Gefühle ist die 
aligemeine Wirkung der Kunst. Wir haben dieselbe Wir- 
kung nls Freiheit des Gefühls beschrieben, die entstanden ist 
durch das Zurücktreten der VorsteUungsseite des psychischen Er- 
lebnisses im rein-ästhetischen Verhalten. Dnroh diese Besohreibnng 
sind wir augleich der Gefohr entgangen, die Wirkung des Kunst- 
werks irgendwie mit einer Nachwirkung an yerknUpfen, was 
gegenüber dem Begriffe der na^aQotg sehr leicht gesehehen kann: 
IMe Bemigung Iftfit sls ihr Besultat — Bmnheit snrttck. Infolge- 
dessen scheint uns der aristdelisefae Ausdruck fllr die Wirkung 
euies Kunstwerkes durehans nicht gut gewählt^). 



1) Baamgurt, a. a. 0. S. 451. 

2} Aaf dieselbe allgemeine ästhetische Wirkung führt die Art, wie Jac. 
Bernays (arsndillge der Teiloiwieii Abhandlnog des Ariatoteles über 
die Wirkung der Tragödie. AUiandL d. fabt-philo«. Qesellsoh. in BresUni. L 
Breslau 1868. S. 133 ff.) die xa9aQatf aaslegt. Er ttbWMtst die Stelle des 
Ariatotele« frei: >J>ia Xi«g(fdie bewirkt danh [Bnegong Ton] Mitleid 



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Das TngiBche. 49 

Daß ferner Aristoteles avgeiisebeiiilicli in der ita&a^is gar 
kein spezielles Merkmal der IVagOdie gesehen hat» sondern ein 
Eennseiehen allgemein Sstbetiseker Wirkung» das beweist die Art, 
wie er in der Politik von der mnsilLaliscken na9a^ts spfiebt^). 
Aaeh Banmgart findet eine xd^QOig nicht nnr gegenüber der 
Tragödie, sondern er spricht aneb x. B. von einer komiseben 

Unser Bemtlhen geht aber uul die spezielle Bestimmim^ der 
tragischen Wirknn^ hinans! 

Schauen wir nun noch einmal znrttck auf diese Theorien Ton 
der tra<ri8chfii Wirkung, so tinden wir, daß nach ihnen der Höhe- 
punkt natargemäü erst mit Vollendnng der A^^-aQOig, d. h. am 
SehlaB des tragischen VorgaDges eintreten kann. Sie verlegen 
den Sebwerponkt des Ganzen bis an das letzte Ende, wo das 
Ckuize anfhört. Da finden wir allerdings den Einwand von 
Lipps ganz bereebtigt: daß dann der ganze Zweek der TkagOdie 
darin bestehe, »dafi sie m Ende gebt«, nnd daB dann detjenige 
den YoUkommensten GenaB Ton der l^agödie haben würde, der 
>bdm Heiaasgehen aas dem Theater ans Tollster Seele rate 
kann: Gott sei Dank, daß das Überstanden istl«') 



flnd Furch i die erleichternde Eotiadung solcher [mitleidi^n und tarchtaamen] 
flemüthiaffHhtiffinea« (8. 14Q. Dabei Tentdit er noter »erielditenider Ent- 
Jadaag« m patihologisehai ffiana dl« »Behaadlang ebiM BeUomneneiit 

welche das ihn beklemmende Element nicht zu yerwandlsn oder zarück- 
ndrängen Piiobt soiKlern es aufregen, hervortreiben und dadurch Erlcich- 
ternnp des Bekioiiiiueueii wirken will« [B. 144j. Durch die Tragödie aolten 
also diejenigeu, bei denen Mitleid and Furcht zum >HabitaeUen und Cluro- 
Bi8«hen«t n »G«iii11<bsslltoklioiien« geworden aind (8.146), Gelegenheit er- 
halten, ihren »Hang unter Loatgeftthlen in unBcbädliober Weise« za tefrle- 
dt^en S. 149 . — Wenn ea nns selbst gelingen sollte, nachzuweisen, was 
pBVcbologisch gesprochen. >ehroni8che und hnbituell gewordene« GefUble 
aeien, so können wir uns doch nie mit einer Theorie befreunden, die den 
tngiaehea GeaaO la efaum Yoireolifee der »Ifltleidigen and Farchtssinea« 
C3> 149) naeht 

1) PoL ym. S. 1341b. Vgl. tach ebenda — ti dt Uyofttv n?«' nm^n^nf, 

vif tifv i'crt).(7}i, rjaXiy tf h' ml; rrfp? nniriixTi lootfitv anr^intronv — , 

Bas ist ein Hinweis auf eine aligemeine Behandloog des Qegenatandee. 

2) Baumgart, a. a. 0. S. 106 ff. 

8) Lipps, Stieit «ber die lYagOdie. S. 140. ^ Ea tei an dieaer Stelle 
eilaabc, auf swei bterpietatoren der Ariatotetliehen Definition hinanweiaea» 
die aieh dadarch von den bisher behandelten unterscheiden, daß sie die 

nA.f^f'nnw '/mr, narb der objfktivpn Spite verlegen, sie zn cinfm Beatandteile 
de« ötofieä machen: Herder und Goethe. Nach Herder erfolgt die 



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60 



Willi Wantat, 



Anoh hier irt m aber notwendig, dafi man daa Richtige, 
welches die von Aristoteles heeinflnßten Katharsis -Theorien 

bicteu, uuerkeuut. Es ist eine richtige Beobachtung, daß es im 
Tragischen die Kiirenart der objektiven, der Vorstellnn £js- 
seitc ihrem stofflichen Gehalte nach ifit, welche die ei^^e]]- 
artige Modiäkatioa des GefUliles hervorruft. Die Aristoteiiker 
versuchen diese speziell tragischen GkfUhle als »Furcht und Mit- 
leid« zu beschreiben, und auch eine genauere und eingehendere 
pqrehologisehe Analyse wird sie nnr in EinBelheiten abweichend 
und modifizierend darstellen künnen. 

Andere steht es dagegen mit der »nalkttQotg: Wenn man 
sieh klar hewnßt ist, daß man es in der lui&aqifte mit der all- 
gemeinen ftsthetisehen Wirkung jedes Knnstweikee zu tan hat, 
so ist es eine selbstverständliche Voraussetzung, daß ihre Analyse 
und Beschreibung abgeschlossen sein muü, bevor man an eine 
spezielle Auf|ra))p. wie die Analyse des Tragischen, geht. Diese 
Tatsache scheint aber den Aristotelikeru meistens nicht klar be- 
wußt gewesen zu sein; denn in ihren Theorien fällt der Haupt- 
nachdruck auf die Beschreibung der Katharsis, und dafür tritt 
die Darstellang der tragischen Geftthle selbst in ihrer Eigenart 
als das schließlich einzig Charakteristisehe im IVagischen einiger- 
maßen in den Hinlergnmd. 

Die Beschreibnng der Isthetisohen Wirknng selbst als emer 
•uttt&a^üt^* vollends klammert sieh ängstlieh an den aristoteti- 
sehen Ausdruck und damit an eine allzu plastische Auffassung 
der Psychologie. Kann iii;ui bei psychologischen Vorgängen auch 
von einer »Reiniguni:« spreehen, und woher nimmt man den Maß- 
Stab ftlr eine psychologische > Reinheit«? 

Der Ausdruck 9%d&a(faig* bringt eben im Grunde gar keine 



M^t^tt^nc aseh einem erregenden TeriMCi von Ftaidit vad Miüeid am 
tesglaehen Heldflii diiteh die ■Uhnsiide nnd ventthnende Entseheidiuig des 

Schickeala Das Drama. Adrustea. Bd. II. Leipzig 18(tt. 8. 286 ff., spedeU 
S 291— 299 — An<'h bei Goethe fallt die x'''*rro<n^ g^nz der Eigenart 
des .'^tnffpB ziL Sie erhält bei ihm sogar einen dur« haus formalen Charakter 
alä »die ab&chließende Ausgleichuug des Mitleids und der Furcht«, die in 
der TragCdie selbst vor sich gehen; sie ist »die »nsoOhnende Abmadang, 
welehe eigsatlleh von sllem Drtma, ja sogsr tob sUsn postisohsa Weritea 
gsfordert wird«, und welche im Trauerspiel »durch eine Art Menschenopfer«, 
im LnstBpiel »dnrch die Heirath« ^escbi> ht Nachlese la Aristoteles 
Poetik. SXmtl. Werke. ^Weimir.] Bd. 41, 2. ä.248f.} 



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Dts Tngiiohe. 



51 



Beschreibung, sondern er ist ledi^Hicli ein Bild, das aus objek- 
tiv* Utsächlichem Gebiet auf psychologisches Gebiet übertragen 
worden ist. Wenn man aber erst alle seine Kraft daran Retzen 
moB, VM diese« Bild zn erklären, so werfe man doch lieber 
diflsat ganxe BUd beiseite, gehe anf die nnprOngfiehen psych!-* 
wäm Voiginge xnrttck nnd beschreibe diese in kluen, denflieben 
Worten nnd ohne Bilder. 

Drittes Kapitel. 

Das Tragische Gofühiakomplex. 

Fassen wir das allgemeine Besnltat imserer bisherigen Unter- 
ioehsngen snsammen, so fhnden wir bei der Kritik der Welt- 
tssduuniagsüieorien, daB diese das ehsrakteristisehe Merkmal des 
T^agisehen in einen objekÜTen Gehalt legten. Es fehlte ihnen 
aber als Prtlfetein die graane psychologische Besehreibnng des 
ästhetischen Verhaltens; infolgedessen Übersahen sie, daß sie den 
Schwerpunkt des Tragischen in das Gebiet des aäthetigch-kriti- 
schen Verhaltens yerlegten, d. h. in das Gebiet des ästhetisch- 
gebildeten individnellen HewulitseinH und nicht in das des primiir- 
isthetischen und empirisch allgemeiiien Bewußtseins. Die Yer- 
suche der spekulativen Philosophen , das Tragische Ton der 
objektiTen Seite her, seinem objektiven Gehalte naeh an be- 
übnmen» können ans daher nicht bcMedigen. 

Aach den Theorien yon der Wirknng des Tragischen, die 
deaielben Yersvoh von der snbjektiren Seite her machen, fehlte 
jene Besehr^bnng des Usthetisohen Verhaltens. Ein richtiges 
istbetisches Gefühl bewahrte sie jedoch davor, dessen Grenzen 
zu Uberschreiten. Dütlir baheu sie jedoch iu einem psycholo- 
gischen Vorgang, der als solcher ein allgemeines Merkmal des 
ästhetischen Verb nlteus ist, ein speziel les Keunzeiciieii der tragi- 
schen Wirkung und setzten außerdem diese angebliche Wirkung 
anberechtigterweise erst an das Ende des tragisehen Vorganges. 

Daraus eigeben sich als Fordeningen an ]eine psyehologisehe 
Hieorie des Tragischen die folgenden: 

Sie mag Ton der ohjektiTen Seite ausgehen, nm anr GeftUa- 
Nite im 'tragisehen gelangen an können^). Sie darf aber an der 

1) E. Monmann, Die Chwnien der psychologiachoi Äithetik. a. a. 0. 

4* 



52 



WÜU Wtntat, 



objektiveo Seite nur das zur Bestimmung des Geftihls benutzen, 
was wirklich vom Geftthl, d. b. Tom rein-ästhetischeii Yeriialteii 
ergriffen werden kann. 

Femer soll sie die Geeamtbeit der Gefttble, die sieh an den 
tragiMben Voigang toh seinem Anfang bis sn seinem Ende — 
nnd niobt welter — knüpfen, als einen Komplex betraebfan, in 
dem die «inzeben Bestandteile annAcbst alle gleiebbereebtigt 
sind. Diesen Komplex aber soll sie dann analysieren, nnter- 
sooben, was von seinen Bestandteilen dem Boden den 
rein-äßthetischen Verhaltens entwachsen ist, und unter 
diesen Bestandteilen sich umsehen, ob vielleicht einige von ihnen 
den dominierenden Bestand und damit das charakteristisehe 
Merkmal des Tragischen bilden. Dazu ist unser im rein -ästheti- 
schen Verhalten aufgestelltes Prinzip unumgängUch notwendig. 

Nnn baben zwei der hervorragendsten modemen Ästhetiker, 
Jobannes Yolkelt und Tbeodor Lipps, es Tetsnebt, den Ge- 
fbblskomplex des Tragiseben zn besebreiben nnd zn analysiereiL 
Wir werden daber zn nntersneben baben, wie weit sie den von 
nns angestellten Forderongen Genüge leisten. 

Johannes Volkelt sieht allerdings die Hauptaufgabe der 
systematischen Ästhetik in der > Aussonderung menschlich-i harak- 
teristischer und menschlich wertvoller Gefühls- und Phantiiaie- 
typen niH dem Verlaute des seelischen Lebens«, und diese Aus- 
sonderaug betrifft nach ihm »zunächst das allgemeine ilsthetiscbe 
Gefühl in seinen Abgrenzungen gegen die sinnlichen, stofflichen^ 
moraUscben nnd sonstigen benachbarten Geftlble; sodann aber die 
besonderen Gestalten der istbetiseben Geftble in ibren Abgreii* 
Zangen gegeneinander« 

Daber maebt er aneb die objektive Seite des llstbetiseben Er* 
lebnisses, die »Sstbetisobe Wabrnebmnngsgruudlage« znm Ans^ 
gange seiner Untersuchungen. Aber das Sstfaetisebe Prinzip fehlt 
ihm giinzlich, nachdem wir diese Wahrnehmungsgrundlage und 
die daran geknüpften Gefühle zu beurteilen beabsichtigen, und iu 
Konsequenz dtivon stellt er alle Oefl^hle, die gegenüber der gepreu- 
ständlichen Seite des ästhetischen Erlebnisses eintreten, als gleich— 
bereobtigt nebeneinander; um aber trotzdem seiner Aufgabe^ 

1) J. Yolkelt, Sytten der Aitbetik. Bd. L Hflndian 1906. S. egf. 



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Dl» Tragiftobe. 



wdebe ja die AnsBonderang »mfiiiMlilich chaiakteristiBoher oid 
mensebUch wertvoller« GeftlhletypeD vmfaßte, gereelit werden an 
k<iiiiieny raeht er aof avBeristbetiBehein Gebiete, vor allem 
auf dem der Hetapbyriki Beine UDterBobeidnngepriiuipieii: IHui 
wird beeondeiB in seiner Tbeorie des IVagisehen bervortreten. 

Dm aber mnere Bebanptong^en sn beweisen, wollen wir za- 
näclist die Behandlung der »ästhetischen Wahrneiimüngsgrund- 
lage^ durch Volkelt and seine »normativen < ästhetischen 
Geföble antersnchen. 

Dem »ästhetischen Betrachten« liegt genau so wie dem 
I Ii eo Fetischen an erster bteile die rein sinnliche Wahrnehmung 
zugrunde, das heißt der Komplex sinnlicher Empfindungen, den 
das Kunstwerk wie jedes andere Objekt in uns aaslöst. Um 
eine ästbetische zu werden, maß jedoch die sinnliche Wahr- 
nebmnng dnrob drei Momente amgeaeiebnet sein: »das Wahr- 
nebmen mnfi von g^esebärfter Aufmerksamkeit begleitet sein«, 
es mnfi ferner Ton dem Geftlbl sinn lieber Fr i sehe begleitet 
sein, »es darf niebt an Ermttdnng nnd Erschöpfong leiden« und 
dann muß sieb drittens, »wenn das Seben und HOren ansdrttek- 
lieb Ton dem GeAlbl sinnlieber Frisebe begleitet ist, ... ein ge- 
wisses Verlangen danach, eine Richtung unseres stimmungs- 
gemäßen ISti ebene hinzugeßellen« 

Danach ist aber der Unterschied zwischen dem ästhetischen 
und dem tbeorctisrhen Betrachten gar kein Wesens-, »ondern 
lediglich ein Gradunterschied: das ästhetische Betrachten geschieht 
eben mit einer größeren »Hingabe« an die »Anscbauang«, d. h. mit 
gri)fierer Aufmerksamkeit ftür Bie, als das alltägliche Betrachten. 

£ine weitere Ansgestaltang eriUirt die unmittelbare Sstbetisebe 
Wabmebmuagsgrondlage dann dureb mit ibr verknllpfte Be- 
deutungSTorsteilungen. Aber aueb diese VersebmelKung der 
BedeatnngSYOfsteDuagen mit der objektiven Gnmdlage ist zunXebst 
niebta dem isfbeHseben Betraebten Eigentttmliebes. Die Sstbetisebe 
BedentangiTorBteUung stimmt sogar insofern mit der gewöhn^ 
liehen, theoretischen Bedeutungsvorstellung Uberein, als sie »In 
ihrer Bestimmtheit nicht nur von dem entsprechenden Gegenstaude 
oder Worte, sondern auch von den jeweiligen Beziehungen, unter 



1 Diese Fordenin^ ist eigentlich nnr die negativ gefaßte etate. 
2. Volkelt, System der Astiietik. Bd. L 3. 88 ff. 



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54 



Wim WanUt, 



denen sie nns dargeboien werden und Ton der Isdividaalität des 
Betrachters abhttn^>). 

Aiieh hier iit also der Untergohied swiaehen flflthetiiehem und 
theoretiflcheni Verhalten kein Wesens-, sondern nnr ein Grad- 
nntenebied, der daher rtthrt, »daB das IstfaetiBebe Veriialten sieb 
ganz in Ansehanaog hineinlegt nnd mündet«. — Ästbetisoh sind 
infolgedessen in erster Reihe diejenigen BedentangSYorstellnngen, 
»die in der biuülielieu Gestalt der ästhetischen Gegenstände 
angenscbeinlich werden« und direkt mit ihr assoziiert sind. 
Diese Direktheit der Assoziation ist für den ästhetischen 
Wert zu betonen; denn assoziierte VorBtellungen) die außerhalb 
der BedeatangsYorstellung sich an die sinnliehe Wahrnehmung 
anknüpfen, können als »Torbedingende«, »ergänzende« oder »um- 
spielende« Yorstellnngen nnr bedingten ästhetisehen Wert haben*). 

Biese ganse Analyse der YrnteUnngss^ im Sstbetiseben Er- 
lebnis dnreb Volkelt beweist nur das anfii nene» was wir in 
unserem ersten, allgemeinrXstbetiscben Absehnitt aehon aosfUhrlieb 
dannlegen Teranebten: daB nHmlieb die Analyse der Vorstellmig, 
des ästhetischen Eindrucks allein, losgelöst von der Analyse des 
ästhetischen Verhaltens, gar kein ästhetisches Prinzip erpreben 
könne, daß alle an der Vorstelluuf; gefundenen Eigentümlich- 
keiten, rein objektiy betrachtet, aligemein-psychologischer 
Natnr sind nnd erst unter dem Gesichtswinkel des rein-ästhetischen 
Verhaltens betrachtet, ihren eigenartig ästhetischen Wert erhalten. 
So exsoheint denn anefa bei Volkelt die Ȋsthetisehe Wahr- 
nehmnng« nnr graduell Yersebieden Ton der alltllgUeben tfaeore* 
tiseben Wabmebmnng. 

Bas Fehlen des Ssiheliseben Prinzipes maebt sieb konse- 
qnenterweise auch sofort in Beiner Besehreibung der Mstbetisoben 
Gefühle bemerkbar. 

Den Kern [der filleremeiagUltigen ästhetischen Lust bildet 
nämlich die »normative ästhetische« Lust, die Lust, welche mit 
der Verwirklich unc^ der seelischen Bedürfnisse verbunden ist, die 
als Tatsachenhintergnmd hinter den vier ästhetischen Grand- 
normen liogen'). 

1) Volk elt. System der Ästhetik. £d. L S. 183. 

2) Ebenda. S. 135. 

3} Auch dieee vier Normen selh&t sind rein empirisch zuBftmmeogeBncht 
und nmob kefaiem Sttitetisohen Prinsip abgeleltot. 



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Dm Tragische. 



55 



Dueh Omn theoretiielraii Charakter falleii luer tot allem »die 
Ltal am Menielilieli-Bedeatangayolleii« und die »Lust an 

Oliederiing und Einheit« auf. 

Um jene erste hervorzubringen, »müssen die Vorstellongen, 
durch die der ästhetische Gegenstand seinen Sinn erhält, derart 
sein, daß in ihnen menschliches Leben und Streben, menschliches 
Schicksal und menscbliebe Knt^vicklung nach wesentlichen nnd 
charakteristischen Seiten zum Ausdruck kommt. Eben diese 
bedeutongsTolle Besohaffenheit der ästhetischen Vorstellongen ge- 
währt einen bemerkenswerten Gennfi« ^j, das heiBt nichts anderes 
all das Erkennen dieses > Menschlich - BedentangSYolIen < ala 
»weaentlieh« nnd »chaiaktecistiachc für daa menaoUiche Leben. 
Damit befinden wir nna wieder anf dem Boden einea ttathetiaob- 
kritiaeben Yeilialtena. 

Die »Lnat an der GHedernng nnd Einheit« ist daa »Ver* 
gnttgen« an der Oeaebleaaenheit and Rnndnng der Komposition, 
an der atraigen nnd dnrehaiebtlgett OUedemng« nsw. nnd hängt 
zusammen mit der Erftilinng der Norm der > Gliederung nnd Ein- 
ijcit<2)^ Auch hier denkt Volkelt, das beweisen die Epitheta 
»durchsichtig«, »wohlabgewogen« usw., in erster lieihe an die 
Lust, die sich ans dem theoretischen Erkennen der Gliedernno- 
nnd Einheit und demnach aus einem ästhetisch-kritischen Ver- 
halten ergibt. Gliederung und Einheit am Kunstwerk sind da- 
gegen für uns nur die Vorbedingungen, die die »Selbstverständ- 
lichkeit« der Vorstellnngaseite am ästhetischen Erlebnis nnd 
damit aein Versinken ana dem Bereiohe der Appeiaeption ermög- 
behen. 

Die Lnat »am« Menaehlicli-BedentuigaTollen nnd die Lnat »an« 
Gliedemng nnd Einheit iat doch eben wohl kanm andere anf- 
safiMBen, ala daB daa Yorkandenaein dee HenBeb]ich-Be< 
deatnn^Tollen*) nnd daa Vorhanden aein Ton Gliederung und 
Einheit an der Voretellung klar im Sathetisehen BewuBtseln ist. 
Dorthinein kann es aber auf keinem anderen Wege als auf dem 
des ä^tbetisch-kritiachen Verhaltens gekommen sein, d. h. es ist 



1; Volkelt, System der Ästhetik. Bd. I. Ü.Udf. 
2] Ebenda. S. 354. 

8) DaB wir oben (8. 8A) den Audmck »meuBcUich^bedautaagtroIl« in 
ganz anderem Sinne and nur hn Vorbeigehen gebranebt liaben, braoeht' 
wohl nicht erwähnt in werden. 



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66 



Wim Wantat, 



kein primärer BeBtandteil dieses Bewufitaeiiis, BondeiD erst ein 
B«fltuidteU des tothetiseh gebildeten BewnßseiiiB. ~ 

Die dritte Art nonnsliver Lust, die Lust an der Einftthlnng, 
d. Ii. an der »Yerknttpiiing der gegenstSndlioben Gefllble mit dem 
Ansehanen des Xsthetiflolien Gegenstsndea« fiUlt fort» sobald man 
In der »EinfUilnng« keine spesifiseh Ssthetisohe psychische Fonk- 
tion erblickt 

Dagegen ist die vierte Art der normativen Luat, die -au der 
Entlastung«, d. h. an »der Befreiung? von dem Dmcke der 
Wirklichkeit, der Erlösunc' von den Fesseln des Lebens« ^i, aller- 
dings diejenige, die das rein -ästhetische Verhalten mit seiner 
eigentttmliohen Freiheit des Gefühls entscheidend aosseiehnet — 

Um nim von diesem allgemein-ästhetischen Hintecgnukde das 
Tragische in seiner Eigenart herrorheben zn kOnnen, mnS 
Volkelty da ihm ein SstiMtischee Prinzip fehlt, anf anfier- 
ästhetisches Gebiet seine Znflneht nehmen. — Er geht in der 
Beschreibnng des Tragischen, wie es nur zn billigen ist, ron der 
gegenstüudlichen Seite aus. Er findet als objektiven Grundzug 
des Tragischen ein uußt rgewöhulicbes, nntergangdrohendes 
Leiden, das sich subjektiv als »Trauer und schmerzliche 
Teilnahme« äußert 3). 

Sollen nnn diese Gefühle tragischen Charakter erhalten, so 
mnB die leidende Person »menschliche Gröfie besitzenc, d. h. sie 
mnB »das mensehltche Mittelmaß nach irgend einer bedentonge- 
voUen, wertroUen Seite hin ttberragen«. Ans der Gitffie der 
leidenden Peison nnd ihrem Kontrast zn dem Leiden entwickelt 
sieh ein »Eontrastgefuhl«, »wir empfinden einen mehr oder 
weniger scharfen Widerstreit zwischen dem, worauf der Mensch 
Anspruch hat, und seinem tatsächlichen Geschick«*). Durch 
dieses »Kuntrastgeftthl« verschärft sich aber auch das Leid und 
der Untergang in unseren Auircn. >da8 Widersinnige, Nichtsein- 
eoUende, was im Leide liegt, bringt sich uns mit Nachdruck zum 
Bewußtsein«, das Leid des Überragenden Menschen ist eine Frage 
an das Welträtsel; es läßt nns das Schicksal^ das Uber allem 

Ij Volkelt. System dar Ästhetik. Bd. L 8.813. 
2) Ebenda. S. 204. 

3} Volk elt, Ästhetik des Tragischen. 2. Aufl. München 1906. S.^S. 
4] Ebenda. & 7L 



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Das Tragüche. 



57 



DdiieUicheo Leben aoliwelit, als dunkel oder gaz granng er- 
leheinen*). 

Hier tritt flchon der pessimiBtiflciie Grondzag in Yolkelte 

Ikurie zutage. 

Trügt das Leid nun noch eiuen >8chick8alBmäßip:eu« Charakter, 
d h. entsteht der Eindruck, daß »das Hereiiiltrei lien von Leid 
wid Untergang gerade tiber den großen, aul'erordeutiichen Men- 
schen charakteristiaoli Bei<, so wird dieser pesäinii^tische Zag 
noch metaphyneoh anegeweitet: das »Menscblieh-Bedentiings- 
Tolle« wild vm »MeneelihettUeb-BedentangBTollen«, und 
m dem tragiaeben EinselfaU gebt ein vielaagendee dOeterea 
lidit aaf den Weltanaainmenbang ana«^. 

Um dieaea »tragiaebe KontraatgeAlbl«, daa dnreb seine Ver- 
tieiing ins Mensebheitiieb - Bedeutungsvolle zum »Weltgefübl« 
wird. 80 daß wir uns * angesichts des tragischen Vorganges auch 
IUI Welt teils ablehnend, teils bejahend« verhalten^), gruppieren 
Bich 'dU um eine eigenartige Grundlage eine Menge anderer Ge- 
fühle von untergeordneter Bedeutung. Es handelt sich dabei 
hauptsächlich um erhebende GefUble, die objektiv geknüpft 
aid an die Große dea Helden^), an den objektiven Aus- 
gang der Sache, wenn wir von der Dicbtung ndt der Gewißheit 
iduiden, »daß der jetst besiegten Saebe die Znkanft gebOre«*), 
ja Ngar an den Tod, d. h. an die Auffassung des Todes» s. B. 
ab littlieh befriedigend im »Tragisdien der Sohnld«. Wir kOnnen 
fliae nähere Behandlnng all dieser Geftlble Ubergeben. Es liegt 
Är die meisten auf der Hand, daß sie nur durch diis »iisthetisch- 
kritiscbe Verhalten« vermittelt werden können und daher nur von 
sekoudär-üstheti scher Bedeutung innerhalb des ästhetisch-gebildeten 
Bewußtseins sind. Die Erhebung soll das Furchtbare ja auch 
keinesweg völlig beseitigen, denn »damit wäre das Eigenartige 
des tragischen Eindmeks renuebtet«, sie soll es nnr anfbellen 
lud mildem*). 

Wir betraebten nnr das eigenartige »tragisebe Kontrast- 



1] Volkelt, Ästhetik des Tragischen. S. 72. 

2) Ebenda. S.9Sf. 

3) Ebenda. 0.28601 
4j Ebenda. S. 216. 

5) Ebenda. S. 232. 
6. Ebenda. S. 249. 



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o8 



geftthl« und aeine Awiraitiiiig zum »Weltgeftllil«. Volkelt 
Mgi: »Wir ftthlen: gend« der grofie Henaoh sollte m Oelingeii 
und Heily zu. ungehemmt segenSToUem Ausleben gelangen« ^e 
kann denn ein sololies Geftthl in nns zustande kommen? Doch 
nnr naebdem wir ein dnrobans FerstandesgemäBes Urteil naeh 
ethischen NorineQ Uber das Objekt gefällt haben: dieser Mensch 
besitzt Grüße; infolgedessen verdient er es, Glück und Erfolg zu 
haben. Dan (lefUhl des Kontrastes zu seinem wirklichen Ge- 
schick kann jetzt erst eintreten, naebdem diese Gedankenarbeit 
beendet ist: d. h. es erwächst ganz ans dem Boden des ftsthetiach- 
kritiscben Verhaltens. 

Die Answeitnng gar des »KontrostgefOhls« snm »WeltgeOÜil« 
legt in das IVa^^sehe genan denselben pessimistisch-meta- 
physisehen Gehalt, wie es die oben behandelten Weltaa- 
seliannngstheorien taten. 

Es ist sonach Volkelt nicht gelungen, die Eigenart des 
Tragischen auf dem Boden des rein-ästhetischen Verhaltens zu 
finden: er findet sie schließlich in einem pessimistisch-metaphy- 
sischen Gehalt, und insofern gelten prepen iliu dieselben Einwände, 
die wir gegen die Weltanschauungstheorien erhoben. 

Das große Verdienst Volkelts dagegen besteht darin, daß er 
die bis jetzt wohl vollständigste Aafzählung aller der Geftthle 
nntemommen hat, die wohl erfahrungsgemäß im ästhetischen, nnd 
iwar im ttsthetiselHgebildeten BewoBtsein im Gefiülen am Tragi- 
sehen bald lant, bald leiser aninklingen pflegen. Eine Siehtnng 
dieser Geftthle nnd die Einsieht, daß das begonnene Unternehmen, 
eben jene Anfitiblnng, eine Süiyphttsarbeit ist, weil jedes indivi- 
duelle Bewußtsein immer neue Elemente für sie hinzubringen kann 
und niiiii, ist fllr V'olkelt unmüglich, dcim dazu fehlt ihm das 
ästhetische Prinzip. 

Es ist bezeichnend, daß die Theorie des Tragischen bd dem 
zweiten psychologischen Ästhetiker, bei Theodor Lipps, eine 
optimistische Wendung erhält, nnd dieser Umstand scheint anoh 
hier ron yornherein auf den Mangel eines ästhetischen Prinzips 
iu der Behandlung der objektiven Grundlage hinzuweisen. 

Die ganze Theorie von Lipps steht in ihrem Aulbau und 
ihrer schUeUUchen optuuifiUschen Wendung der Theene Schillers 

1) Volke It, Ästhetik dea Tragischen. S. 877. 



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Das Tra^iAche. 



59 



nbr nahe. Objekti? Uegi bei ihm geuiv so wie bei Sehiller 
dem Thigifehen ein »WeTtroSes« ngruide, das leidet 

WlUirend aber ftr SoblHer die Reflektienmg dieaeB Leidena 

in das Subjekt als Mitleid eine einfache psychologische Tatsache 
war, bei der er sich beniliigtc, su^ht Lipps bcincrseits diesen 
psyehologischen Vorgang zu beschreiben und zu erklären durch 
seine = Einfühlung« : in ihr fühle ich »das, was ich fühle, in 
einem auderen, von mir Unterschiedenen« In dieser Einfühlung 
wird das Mitleid zugleich zur »Wertschätzung«; denn »das Leiden, 
allgemeiner gesagt, der Eingriff in den Bestand eines WertToUen, 
erhobt das GeflUil seinea Wertes« ^j. 

Wae Terateht nim Lipps unter solch einem »WerlFOllen«? 
Auf dem Boden der »Einflihlangc stehend, ist es ihm nnmöglieh^ 
dal »WertToUe« objektiv etwa als eine abstrakte »ZweckmftBig- 
kät« an bestimmen, wie es Sehiller tat Vielmehr wird ftbr ihn 
mm »Gegenstand nnserer positiven Wertung . . . jedea Leben nnd 
jede Lebensmöglichkeit, nämlich genan soweit dies Leben wirk- 
hches, d. h. pobitivea Lebeü ist, nicht Negation des Lebens oder 
der Lebensmt^lichkeiten, Maugel, Schwäche oder Zeichen der- 
selben « . 

Das Gefühl, das sieb mit diesem Wertvollen in der Erfassung 
durch die Einftihlung verbindet, ist >objekti?iertes öelbstwert- 
(^efthl«, »die Wertung dea fremden Menschen gar nichts als ob« 
jsktivierte Selbstwertnng, das Qefbhl des Wertes der fremden 
PenOnliohkeit objektivierteB SelbBtweri;geftabl«>J. 

Danach kann der allgemeine Grand des Vergnttgens am Tragi- 
sehen kein anderer sein, als die Steigerung dea »objektiyierten 
Selbitwertgeffthlea« dnrch das Leiden. Es ist »der schmenlich 
erhabene Genuß ans dem durch die Anschauung des Lddens 
vermitteltcu, darum denkbar inuigäten Miterleben der fremden 
Persönlichkeit« *). 

Werfen wir noch einen Bli« k auf die ps^yclii^'^-lK n \ urgänge 
dabeil Durch das Leiden erfährt das Selbstwcrt^^eluhU eine 
Steigerung nach dem allgemeinen Gesetze der »psychischen 



1] Lipps, Ästhetik. IL 190S. S.8. 

?! Ebenda. 1. 1908. 8.M0. 
91 Ebenda. S. 564. 
A) Ebeada. a 66& 



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60 



Wim Wantet, 



Stauung«: »Ist ein psychisches Geschehen ... in setnem natür- 
lichen Ablanfe gehemmt, gestOrt, unterbrochen, so stant sich die 
psychische Bewegung, d. h. sie bleibt stehen, nnd es steigert sieh 
an eben der Stelle, wo die Hemmung, StOning, Unterbrechung 
stattfindet» ihre Ht^he« >). Das Resultat dieeea Yoigaoges ist das 
tiagisehe Ifitleid: ich Alhle »in erhöhtem HaBe mich nnd meinen 
Menschenwert in einem anderen. Ich erlebe oder ftlhle in höherem 
Maße, was es heiBt, ein Mensch tu sein«>). 

Schon hier maclit sich bumerkbar, welche Umwandluuir der 
BegriiV des "Wertvollen« bei Lipps allmählich erfuhrt, isaunte 
er oben ästhetisch wertvoll« »jedes Leben und jede Lebens- 
möglichkeit«, so war er dazu durchaus berechtigt; wir können 
ihm sogar zugestehen, daß jede solche Möglichkeit zn positiver 
Lebensbetätigaug, daß »das Wollen und Ton«, das »strebende 
sich Bemühen« auch das ethisch Wertvolle in mir tatsächlich 
sei: es handelt sich ja dabei am die objektiTC Bestimmnng des 
Wertroltoi'). 

Es frsgt sich nnr, anf welchem Wege das mit dem >!ebend]g- 
EraftroUen« yerknttpfte ethische Wertgeftthl in das Xstfaetisohe 
BewuBtsem gelangen kann und welche Bolle es dann darin spielt 

Im lein-llsfhetischen Verhalten, wie wir es schilderten, kann 
das »lebendig-EraftFoIle« nichts weiter leisten als dne rein tat- 
sächliche Steigerung des snbjektiyen Liebensgeftlhles; denn im 
rein-ästhetischen Verhalten begüügt das Subjekt sich mit dem 
Fuhlen, dem rein Tatsächlichen und Aktuellen. 

Es muß erst die Beschäftigung mit der Vorstellung als solcher, 
d. h. das ästhetisch-kritischf Verhalten einsetzen, damit zunächst 
die Vorstellung als die Veranlassung jener Steigerung des sub- 
jektiven Lebensgeftihles im ästhetischen Genuß und somit als das 
»ästhetisch Wertvolle« zu erkennen. 

Das ästhetisch- kritische Verhalten wUrde sich zunächst also 
damit hegnOgen, ans der snbjektiTen Erfahrung im äatheti* 
sehen Genießen den Begriff des »ästhetisch WertroUen« sich au 
bilden. Sobald aber die Beschäftigong mit der Vbrstellnng als 
Boldier begonnen hat, wird diese dadurch eingereiht in den Kreis 
der Erfahrung des Suligekts Überhaupt. 

1) Li p p B , Ästhetik. L S. MO. 

2) Ebenda. S 564. 

3} Ebenda. S. ö3U— 633. 



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Di» Tragische. 



61 



Bei Lipps iBt es uan Voraussetzang, daß ein Bestand- 
teil dieses subjektiven Wissens die Erkenntnis sei, das 
»lebendig-Kraftvolle« sei das > ethisch WertTolle«, dafi 
daa Subjekt dieM Erkenntnis sich schon irgendwann erworben 
md sie anerkannt habe. 

Der nXebste Schritt ist dann der, daß die Identität des 
»istbetisoh Wertvollen« nnd des »ethisch Wertrollen« erkannt 
wird, nnd daß dadoreh die mit dem »lebendig-Kiaftrollen« als 
lern »eifaisch Wertrollen« rerknttpften ethischen Wertgeftble in 
das »isthetisch WertroUe« eingehen und dessen GefUhlsgehalt 
bereichern. 

Anf diese Weise können im ästhetischen Gefallen allerdings sich 
»ijlcho »ethisehen rTLiilhle« geltend machen, und Lipps kann mit 
Beeht behaupten, das tragi^^^'he Mitleid sei objektiviertes Seibst- 
wertgettlhl«, ich fühle »mich und meinen Menschenwert in einem 
Anderen«. 

Voranssetznng ist dabei nUTi daß dieses spezielle »Ich«, das 
leftbetisehe Individnom, es schon wisse, sich schon die £rfabrang 
erworben habe, dieses Kraftvolle, Lebendige, welches es an sich 
in einem anderen filhlt, sei anch das ethisch Wertvolle. 

80 hat Lipps mit dem »objektivierten Selbstwerlgefllhl« ein 
Element des istbetischen Ge&llens beransgehoben, das gans nnd 
gar erst dnreh die Vermittelnng der subjektiven, individnellen 
BUdang in das Ssthetiscbe Gefallen hineinkommen kann, das 
also darchans sekundärer Natur ist. Erst wenn das Individnum 
t9 erlebt hat, daÜ das Lel^eudige-Kraftvolie zugleich das ethisch 
Wertvolle ist, und daß dieses lebeDdie-- Kraftvolle in ihm seinen 
»Menschen wert« ausmache, kann es im ästhetischen Gefallen 
»objektiviertes Selbstwertgeftthl« erleben. 

Solange das > lebendig-Kraftvolle« nun nur als »ethisch Wert- 
ToUes« aufgefaßt wnrde, so war damit noch lediglich sein sub- 
jektiver Wert für das Leben des einzelnen betont. 

Wenn dann aber Lipps in der Folge bei der Scheidung von 
»Chamktertragik« und »Schieksalstragik« sagt: »Ein Mensch 
kommt zum Leiden dorch ein gutes Wollen, oder aber er kommt 
dazu dnreh die Kraft eines bOsen Wollens«, »im eisten Falle«, 
der Schieksalstragik, »gewinnt unmittelbar ein Gutes im 
Menschen dnreh das Leiden erhöhte EindmeksMigkeit«, im 
iwetten Falle, der Charaktertragik, »leidet der BOse um des 



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62 



Wüli Wantot, 



Bösen willen« so erweitert er jenen rein eabjektiTen Ge- 
sichtspunkt znm objektiven nnd ersetzt jenen ethisch e u Wert- 
bogriff dvreh einen morali sehen, das »ethiseh WertroUe« dnieh 
das »moraUseb Wertvolle«, d. h. dnrob ein Wertvolles, das nieht 
nur für mich allein, das in diesem Angenblieke äsdietiscli ge- 
nießende IndiTidonm, wertroll ist, sondern das seinen eigentlicbeD, 
objektiyen Wert erst in der objektiven Wirkliobkeit, im aoaialen 
Zosammeiilebcn der Individuen erhält. 

So wird denn der letzte Zweck und die letzte Wirkung 
des Tragischen: >uns die Macht des Guten in einer Persünli( likeit 
genießen zu lassen, wie sie im Leiden zttta|;6 tritt and gegen 
Übel und Böses sich betätigt« 

Es liegt auf der Hand, daß aneb dieses »objektive Wert- 
gefttbl«, wie wir es naeb unseren vorbergebenden Ansftbinngea 
nennen mMteUi im Sstbetiseben OefUlen vorbsnden sein kann, 
daß es aber eines von jenen Elementen ist» die ans anße^tbeti- 
seben Gebieten dnreb die Vennittehng des Xstbetiseb-kritisebeD 
Yerbaltens sekundär für das individuell-gebildete ästbetiscbe Be- 
wußtsein erworben sind. 

Wir leugnen also nicht, daß diese Geftlhle im unmittelbaren 
Gefallen des Individuums vorkommen können, wir leugnen aber 
ihren primär-ästhetischen Wert 

Dritter Abschnitt. 

Das Tragisebe inmerbalb der Orenieii des reii-lsthetiseli«!! 

VerlialteDS. 

Wollen wir die im Anfange ftlr das Tragische aufgestellte 
Forderung erfüllen und es nur vom Boden des rein-ästbetischeu 
Yerbaltens aus bestimmen) so müssen wir uns die Lehren unserer 
kritiseben üntersuebnngen zunntie maeben. 

Wir dürfen die objektive Grundlage des Tragisoben led^:lieb 
vom Standpunkte des rein-ästbetiseben Yerballens betracbten: wir 
dttrfen an ihr nichts in den Kreis unserer Untersuchungen ziehen, 
was dem rein-ä^thetiacben Verhalten als solchem nicht zugänglich 
wäre. 

1) Lipps, istfaetik. I. 8.M8f. 

2) Lipps, Streit Uber die TngOdie. S. TSe 



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Daa Tragische. 



63 



Fwner haben wir su nntemioheii, welche Gefühle die so 
gewoniieBe objektiTe Gmndlage Innerhalb dei reinrSsthetisehen 

Verhaltens ansznlOsen Termag^): in beiden Flllett spielt das rein- 

Isthetische Verhalten die Rolle eines Prüfsteins, mit dessen 
Hilfe ästbetiscb-kritisehc Bestaudteile aasgeschieden werden. 

Diejenigen Geflthle, welche sich als charakteristisch für das 
Tragische ausweisen, werden heranszostellen sein. 

Schließlich soll ein knrzer Blick auf die Holle der Geftihle 
im tragischen Genoß geworfen werden, die ans ein ästhetisch- 
kiitiaobes Verhalten Tennittdt 

Entes Kapitel. 
Die objektfye Grundlage det Traglsehen. 

Die objektive Grundlage des Tragisehen ist ein Menschlich- 
Lebendiges, das leidet. 

Ein »Lebendiges« in diesem Sinne ist jedes wie wir mensch- 
lieh fllhlende nnd sieh betätigende Wesen, 

Im gewdhnliehen Leben pflegen wir einem aolehen Lebendigen 
einen gewinen Wert sunselireiben nnd diesen Wert nach ob- 
jdctiTen Nonnen in bestimmen: einen Arbeiter nach f seinen 
Leistongen, den Mensehen als PeisOnlichkeit nash semem sitt* 
heben Handeln. 

Aach im rein -ästhetischen Verhalten erfährt, ohjektiy be- 
trachtet, das Menschlich-Lcbendi^^ü eine Wertbestimmuii^, aber 
Dach einer durchaus subjektiven »Norm« und nicht auf den» 
Wege des Denkens, sondern auf dem des Fuhlens, nur tat- 
sächlich. 

Diese subjektive Morm ist das Maß Ton Lebendigkeit, die dem 
ästhetischen Subjekt selber innewohnt. Seine Lebendigkeit 
wird in einem gewissen objektiven Verhältnis stehen zu der 
Lebendigkeit des ästhetischen Gegenstandes. Dabei sind zwei 
GreoifUla mOglieh: entweder llbenagt das Lebendige des Gegen- 
stsades das des Snljektes, oder es bleibt hinter diesem snmek. 
Dem tritt als dritter Fall hmzn, daB das Maß der Lebendigkeit 



. 1) Da die fornale Seite des Yorsteileas in CMUtaa au Trsgls^ea 
gmia dieselbe Bolle spielt wie im ellgemehi-itdietiseben OeUdlea, so 
gUaben wir eai hier fUr diesen Punkt mit dem Hinweis avf den entea 
Abiflhnirt oneerer Arbeit begnügen sa dUifon. 



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64 



WUtt Wantat, 



im Gegenstand sowohl, wie im Subjekt sich auf ungefähr gleicher 
Höhe befindet n. 

Wie verhalten «ich diese drei Fälle innerhalb des tragiaeben 
Tatsachen komplexes, d. b. beim Hinzutritt des Leidens? 

Leiden kann auf ein Lebendiges in zweierlei Weise wirken: 
entweder es erweckt deaien Widerstandskraft in der poritiTen 
Reaktion gegen das Leiden, oder diese Reaktion bleibt negatiTi 
das Lebendige unterliegt dem Leiden ohne Widerstand >). 

Die positire Reaktion wird hanptsSeUteh bei dem kraft- 
voll-Lebendigen eintreten^ die negatiTe bei den Sebwaehen. 
Besser drucken wir dies von der subjektiven Seite her aus, in- 
dem wir 8ageu: durch seine positiv- kraftvolle Reaktion gegen das 
Leiden erscheint uns der Gegenstand kraltvoil, durch seine 
negativ-leidende Reaktion schwach. So hebt sich innerhalb des 
ästhetischen Verhaltens der Mittelfall, in dem der ästhetische 
Gegenstand durchschnittlich-menschlich erschien, auf, nnd wir 
können swei Arten des Tragisehen naeh einem objektirea 
Frinaip nntersebeidai: ' Daa Tragi sehe der Kraft nnd das 
Tragiaobe des Leidens. Als Torl&nfige Beispiele sei anf dea 
rasenden Ajas einer- nnd Antigone andererseits in der antiken, 
auf Wallenstein ind Goethes Gretehen in der modernen Tragüdie 
hingewiesen. 

Dabei ist zu beachten, daß auch das Tragische der Kraft 
einen durchaus negativen Charakter trägt, da die Keaktiou gegen 
das Leiden von einem objektiv-negativen Krl'olge begleitet wird. 
Daß unsere Scheidung berechtigt ist, weist sich aber dennoch 
ans, wenn man die Ursache des Leidens im Tragischen in 
Betrachtung ninmit. 

Die Ästhetik bat unter diesem Geaiohtapunkte die »Chaiakter- 
tragik« und die »Scbiekaalstragikc untersebiedeni je nachdem 
das tragische Subjekt durch seinen Charakter sein Leiden selbst 



1) Für das Maß der Lebenskraft im Sidiilekt wird es dnen empirisches 
DnrchBcimitt geben, der innerhalb gewiaser Qransm aUgemebie Geltung hat 

2) Ein dritter IUI kommt hier nicht m Betracht. Wttzds das Lebendige 

vom T^eiden nicht berUhrt worden, d. h. es niclit empfinden «o widerspräche 
das der objektiven VorauöHetzung des Tragischen: das T.i 1 1 n iiu^r soll vom 
Leiden getroffen werden. Ist das der Fall, so uiuü es reagieren, du^ liegt 
ia ssinem Wesen. Sagt man: es bleibt dem Leiden gegenüber gleichgültig, 
io bedeutet das eise posidTe Reaktion: et sneht das Leiden m naterdrOeksn 
und m beswingea« 



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Du TiaglBdu». 



66 



beranfbescliwureü hatte oder durch rein äußerliche Umst^de 
hiueingeraten war. Die Überlegung nach dem Kausalnexas des 
Leidens können wir hier völlig beiseite lassen, denn 8ie gehOrt 
sieht dem reinräaihetischen Verhalten an. Dieses kann mir daraa 
wtentußtt sein, wie das tragisobe Subjekt sieh gegenüber dem 
Leiden, mag ee rubren wober es wolle, yerbilt Das beiBt, daa 
iBDMsflietiBebe Verbalten ist an der Unaebe des Leidena nur 
iuoweit Intereaaiert, ab sie im tragiaeben Subjekt und aeiner 
Besehaffenbeit selbst liegt, idlmUeb in der Art, wie cb ^tgen daa 
Leiden rentiert. Em Kraftvoll-Lebendiges nia^ sich sein Leideu 
gerade durch seine Kraft selbst zugezogen liabeu, wie Walleu- 
stein. Das, was das rein-ästhetische Verhalten dabei interessiert, 
ist die Kraft, mit der er sich der allmählich gegen ihn ein- 
setzenden Gegenmacht entgegenstellt, um ihr endlich zn erliegen^). 
Andererseits mag daa Sebickaal Tasaoa in seinem aebwaoben 
Charakter liegen: waa uns an seinem Untergange intereaaiert, iat 
sem Leiden, d. b. daa sobwaobe Unterliegen des Menseblieb- 
Ubendigen in ibm. Erkennen wir selbst an, daß Uber Oedipua 
eis finsteres Sebioksal walte, Quelle unseres Genusses ist daa 
sUmibliebe leidvolle Herabsinken des MenseblicbrLebendigen in 
ihm unter der Macht dieses Schicksals. 

Die tragische Gegenmacht ist in beiden Fallen fUr nns so 
objektiv und reflexionslos-tatsächlich vorhanden wie das tragische 
Sabjekt: wir be^nU;:eii uns mit der objektiven lieschaffenheit, 
die wir an ihnen vorüuden. 

Im Tragisoben der Kraft kann also ein KraftvoU-Leben* 
diges den Untergang finden: das indirekt Tragische der Kraft: 
Wailenatein; oder es kann em weniger Kraftvolles sur kraftrollen 
Beaktion gegen daa Leiden sebrelten und daduob aum KiaftroUen 
werden: das direkt Tragisebe der Kraft: Antigene. 

Im Tragiseben des Leidens gebt ein Lebendiges webrlos 
n^nde: Tasso, Julia, Emilia Galotti Der Fall, daB 
ein Kraftvoll-Lebendiges wehrlos leidend zugrunde geht, würde dem 
Begriff des Kraftvollen als solcheu widersprechen. Mödlich ist 
nur der einfache Untergang des Kraftvollen ohne vorheriges 



1) Hierher ^ehtirt auch das »Tragische des BOienc: tragische Gestaltea 
wie Jago, Bichard UL luw. 

Aithtar llr Piy«hol«gt«, im. 6 



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66 



Wim Wantaty 



Leiden: Siegfried; dieser Fall steht dann aber dem indirekt- 
Tragischen der Kraft Bchon sehr nahe. 

Dem Tragischen der Kralt sowohl, wie dem des Leidens iBt 
der Bchließliche Untergang des Lebendigen gemeinaam. Er 
Uldet den objektiven Abschluß des tragischen Vorganges und die 
nül «igleioh den Htfheponkt der tragisehen Wirkung^). 

Zweites EapiteL 

Die GefühlsBeite des tragischen Erlebnisses. 

Die bisher beschriebene ol^ektire Grundlage des Tragisebea 
ist im rein-Ssthetischen Verhalten Torhanden, sie ist aber in 
solcher Abgeschlossenheit nnd SelbstverstSndUchkeit rorhanden, 
daß sie sich nicht in den Kreis der Apperzeption mehr hineb- 
drilngt, daß das rein-Ssthetische Verhalten sich lediglich anf die 
Geflihlaseite des ästhetischen Erlebnisses beschränkt. Der Gegen- 
satz zwischen dem ästhetischen Subjekt und dem tragrischeii 
Objekt ^'■eht dadurch verloren; da.s Subjekt macht den tragischen 
Vorgang also in seinem eigenen Gefllhle durch. 

Im Bewußtsein des ästhetischen Subjekts .befinden sich nun 
sowohl die Gefühle, die das tragische Subjekt erlebt nnd 
infolgedessen enregti als auch die mit der tragischen Gegen- 
macht Terbnndenen. Wur werden sehen, daß sich beide 
Gmppen in eigenartiger Weise heeinilnsBen'). 

Das dnrehschnittlloh Menschlich-Lebendige ist nns schon als 
soldies anf dem Boden des rein-äsibetiBchen Verhaltens eine 
Quelle freier Geftihlstätigkeit, die von Lust begleitet ist, auch 
wenn die (Teillhlstätigkeit des Menschlich-Lebendigen sich noch 
nicht Uber den Durchschnitt erhebt: ist es doch dann die ästhe- 
tische Freiheit des GeiUhlfi, die uuä ergötzt. 

1) Tragödien, in denen der negative Ausgang vermieden wird — wie 
»Iphigenie« — , bieten aas nicht die bUchste, herzzerreü3ende Art der Tragik: 
Volkelt neust diese» Tkagiscbe mit Beoht das »Tragieebe der nmbiegendea 
Alt«. 

2) Wir niöcliten auch hier darauf hinweisen, daß sich natürlich auch im 
Tragischen die formale Beschaffenheit der VorBteilungsseite im Gefühl 
reflektiert als der freie und nngeheromte Ablanf des GefUhles. Dieses for- 
male GefttU ist aber niehts anderes als die allgemeine ästhetische 
Lnitf die fHr dae rein-ieihetieche Verhalten als solches oharakteristisoh ist 
und mit der wir ans daher hier nicht weiter m hescbSfügen braocheii. Vgl. 
den enten Abaehnitt dieser Arbeit 



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Dm Tngiiebe. 



67 



Ist das Menschlich -Lebendige von Toruherein ein über den 
DarchBchnitt Hinansragendes, so wird ans dadurch einerseits eine 
Stogereng der Geftthlstätigkeit und damit eine Steigemng der 
lABtTemittelt; aadereiseitt misehl eieb dieser Lust schon Unlust 
«in, denn das Snl^ekt wird wa einer stSrkertti Gef^hlstttigkeit 
geswingen ab in seinem dnrehsclinitfliehen Vermögen fiegt. Hier 
Uigft im Subjekt genan derselbe gemisehte Geftthlskomplez vor, 
wie gegeottber dem Erbabenen. 

Danafh erhält das Gefühl seine für das Tragische charakte- 
ristische Färbung erst mit dem Hinzutritt deB objektiven 
Leidens. 

Das zeigt sich hesonderg, wenn das tragische l eiden und da- 
mit der tragische Vorgang bei der dritten Art des Menschlicli- 
Lebendigen einsetzt, dem Schwachen. An sich sind mit diesem 
für das Ssthetisehe Snbjekt geringere GeAUüsmOglicbkeiten yer- 
knttpft als es fftr gewObnIicb in sieb birgt Das braucht noch 
Ulne Quelle Ton Unlust an sein, da es sich ja nicht um einen 
daueinden Zustand der Herabdrttckung bandelt, sondern nur um 
den Anfangspunkt einer Bewegung, wie in den beiden anderen 
FiDen. 

In allen drei Fällen bringt das Leiden jedenfalln für das 
ägthetische Subjekt — eigentlich am ästhetischen Objekt; aber 
der Gegenbatz zwischen ästhetischem Snbjekt und Objekt besteht 
ja im rein-ästhetiflchen Verhalten nicht — eine energische 
Heaktion aller GefUhlsmöglicbkeiten gegen das Leiden und 
dimit eine Instvolle Erhöhung der Gefühlstätigkeii So- 
gar die im Menseblich- Schwachen liegenden Geltthlsmilglich- 
ketten kOnnen auf diese Weise gesteigert werden auf und Uber 
die durchschnitdiche Hdhe. 

Selbst wenn die Beaktion gegen das Leiden keine kraftroUe, 
KMideni eine rein leidende ist, so liegt schon in diesem Leiden 
eine Lebendigkeit des Gefühls, die ihrem Inhalte nach 
wohl unlnstFoll, dagegen innerhalb des rein -ästhetischen Ver- 
häiitDä als freie Lebendigkeit des Gefühles letzten Endes doch 
lustToU ist. 

Der Höhepunkt des lastvollen tragischen Leides Ist der oh> 
jektire Untergang des tragischen Subjektes. Im Tragi- 
ichen der Kraft ist der Untergang degenige Punkt, an dem gegen- 
Iber der kraftvollen und deshalb lustrollen Beaktion des GeftOils 

6» 



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68 



Waif Wsratet, 



das Leiden sich energisch durchsetzt and dturch die damit ver- 
bundene Unlust dem tragischen GefUhl einen charakteristiflchen 
Einachlag gibt 

Im Tragischen des Leidens bildet der Unteigang lediglich den 
Gipfel in der lebendigen GefthlstStigkeit beim Dulden, Uber den 
binAos eine Steigerung nieht mOglieb ist'). 

Ala ersten charakteristischeu Bestandteil des tragi- 
schen Gefühles können wir souach das tragische Leid fest- 
legen, ein Gefühl, d:i8 seinem Inhalte nach, als Leid, unlnstToll, 
dagegen formal, durch sein Auftreten innerhalb des rein-äfltbeti- 
achen Verhaltens lostyoU ist. 

Nun ist ja aber das tragisohe Bnbjekt nvr ein Teil an der 
objektiTen Seite des tragisch* ästhetischen Erlebnisses. Zur ob- 
jektiven Seite des Tragischen gehört notwendig auch die Leid 
Tenirsachende tragische Gegenmacht Die Besidinngen dieser 
Gegenmaeht zum tragischen Subjekt sind nnn in der Vontellnngs- 
Seite des ästhetischen Erlebnisses mit voller Klarheit und Deut- 
lichkeit, mit voller SelbstvcrstUiidlichkeit vorhanden, so daß wir 
sie durchaus wissen. Dieses Wissen ist aber im ästhetischen Ver- 
halten nicht be^vnßtseinsbetont. lu den Kreis der Apperzeption 
treten nur die mit diesem Wissen verknüpften Gefühle, jenes 
nnbestimmte Bangen, das Aristoteles mit (pdßog^ Furchti be- 
seiohnete. Wir nennen es lieber das tragische Bangen, denn es 
bezieht sich weder anf den 8ethetischen Gegenstand, weil im rein- 
isthetischen Verhalten der Gegensatz zwischen Subjekt und Ob- 
jekt angehoben ist; noch anf das Msthetische Snl^ekt, denn im 
lein-ftsthetischen Verhalten bin ich nur der Ftthlende, mein reelles 
Ich ist nicht yorhanden. Es ist nur das allgemeine Bangen, mit 
dem ich mich eineiu Leide unterziclie, nach dessen Berechtigung 
zu fragen ich keine Möglichkeit habe. — 

Zu dem ersten eigenartigen Bestandteil des tragischen Gefühls- 
komplexes, dem tragischen Leid, das seinen lustvollen Charakter 
innerhalb des rein -ftsthetisehen Verhaltens als freie Geftthlst&ti^ 
keit erhült» tritt also zweitens das tragische Bangen, herrtthrend 



1) Volkelt nannte diher mit Tollem Beoht das Tragisohe mit glttek- 
liefaem Ansgang das Tragisdie »der abbiegenden Art«. 



I 



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Dm Tragisehe. 



60 



1D9 dem in der objektiven Grondlage dos Tra^nsrhen unbedingt 
notwendigen Widerspiel zwischen Leidveruisacbendem und Lei- 
dendem. Dieses Bangen besteht aber nicht gesondert neben dem 
Lad, «onden es ttnfiert sich nur in der zitternden £nt* 
lehlosseiilieit, mit der das Oefflhl des ästbe tischen 
Bvbjekts das Leid anf sieh nimmt 

Abscblnß. 

Die Rolle der Oef tthle, die ans dem ttsthetisch-kritisehen 

Verhalten herrtthren. 

Wir iioöeii mit dem bisher Gesagten iiuöere Aufgabe, Öchilde- 
roDg des Tragiächen innerhalb des rein-ästbetischen Yerbalteus, 
eimgermaßen gelöst zu haben. £s bleibt nns nur noch übrig 
darauf hinzuweisen, daß uns erfabrangsgemäß es nicht möglich 
irt, im rein-ästhetischen Verhalten lingete Zeit lu yerharren. 
Siels werden nach kurzer Zeit Bnfiere AnlSsse» mOgen sie im 
isthetisehen Gegenstände selbst liegen — z. B. teehnische 
Mingel — oder ans der ftnßeien Umgehnng — Störungen nsw. — 
henUhren, ons den Gegensatz zwischen Subjekt und Objekt wieder 
ins Bewußtsein ziii üc krulen und du die Stelle deö rein-ästheti- 
stben das ästhetisch-kritische Verhalten Petzen. 

Sobald dann das äßthetisch-kiitisi bp Vorhalten die ästhetische 
Vorstellung in Zusammenhang gebracht hat mit dem sonstigen 
individuellen Wissen, dann können anch alle Faktoren dieser in- 
di?iduelleD Bildung mit ihrem Gefuhlsgehalt in die ästhetische 
VoTsteUong eingehen, und dieser Geftthlsgehalt kann sich dann 
wieder bei neuem rem-Msthetischeii Verhalten yertiefend und be- 
reiebemd geltend machen. Im Tragischen mag dann der eine 
mikrokosmischen Charakter ftiden und in ehrforchtsvollem Schauder 
Ter der höchsten Idee stehen, der andere sich Terzweifelnd Ton 
der Welt abwenden, und jeder mag daraus so viel Lust schöpfen 
als ihm möglich ist. 

Der wissenschaftiiclie l^eobachter, der alle Elemente, die in 
dag jisthetiRche Gefallen am Triigiscbeu einiugelK u vermögen, auf- 
^leu will, wird daher auch alle diese Faktoren mit aufzählen 
müssen; und da diese Elemente gerade nur im Bewußtsein des 
isthetisehen Indiyiduums wirksam sind, so wird ihre Anzahl 
sehr groß, ja ihre empiriseh-mO gliche Anzahl unendlich werden. 



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70 



WaU Wustat» Das Tisgische. 



Nur für den ersten Aagenbliek wird es infolgedessen scheinen 
als ob auf diesen Elementen in der Analyse des Gefallens am 
Tragischen der ästhetische Nachdruck liege. 

Bemüht man rieh aber um ein ttsthetisobefl Prinsip, um 
in diese bunte Masse Ordnung zn bringen» so zeigt sieh bald der 
BekvndMre und bloß IndiTldnelle Charakter jener Elemente, und 
die primär* und deshalb allgemein- istfaetiseben lassen ^h 
mit Leiehtigkeit beranssobJUen. 

Der Grundstock der tragischen GefUhle mnß eben vom Roden 
des reiu-ästlietischeu Verhaltens aus bestimmt werden. Zu diesem 
Grundstock treten dann innerhalb des individnellen ästhetischen 
Bewaßtseins alle jene (lefühle, die durch das ästhetisch kri- 
tische Verhalten mit der Vorstellung verknüpft werden, sekun- 
där erweiternd und yertiefend hinzu, bleiben deshalb aber doch 
bloße Akzedenzien. 

Das Feuer wird dnreh daraufgeworfene Sebeite genährt und 
▼eigrOßert, aber der erste entzündende Fnnke allexn wirkte dio 
Flamme. 



(Eingegangen am 6. Mai 1906.) 



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(Ana dam pBycfaoIogiBehen LalKoaloiiiim der UniTenitiU Graz.) 



Zar experimentellen Analyse des Zeitvergleichs. 



IL 

Erwartungszeit und subjektive Zeitgröüie. 

(Mit 12 Figuren im Text) 
Ton 

« Tittoilo Bennsst 



Inhalt Mto 

Vorbemerkung 71 

§ 1. Dm Untenaobongsgebiet Metbode 

ft) Fn^teOang; b) Zur Hediode; c] Über die Anwmdimg von 
KoUektiTTeinieh«!!; d) Yerwichainatorial AiftmdtrYennehtt w ilMa. 

f 2. Der Sinflnß yon e [Erwartungszeit) und f (Folge) auf 2» 81 

a) VersQcbadaten; b Erste Krgebniaee; c) Das ± a- Moment; d] Die 
Wirkungsbedingnn^eu de» «-Momentes; el Die Tragweite der 
Momente e, f und a; f) Die Vergleicbsaussagen bei N = V; 
g) Die mulditigaii YergidchMUMigen. Btenmi. 

§ & Der Einflufi von f ond e auf 2^ 97 

a' Ycrsnchsdaten; b) Das d:^- md daa /•Xonent; e) Gegeu' 
Sätze bei und 

I 4. Daa Veriiüitnia F^iV und die VerteUongricbdgerVergleicbaauBMgen 1(H 

I & ErwartBiigneil ud Paaae 107 

1 6L Über TetsWebafitidenide FeUerqneUen III 

i 7 Ein Ezperimant Über Venebiedflnheit»* und Ahnliehkeitaaaaaage . 116 

I & Zur Tbeorie 119 

a) Der ^-£infliii3; bj Der e-Einfluß; c) Krwartongazeit und absoluter 
Eindmck. 

f 9. ZaaannieafiManBK der Emptefgebnlaae 184 

a) Tataaeben; b) Hypelbeaea. 



Der nunmebr erscheinende zweite Teil meiner Untersuchiingen 
Uber die GrunJIafrcn des Zeitveri^leieha hätte narb meiner ursprüng- 
lichen Intention einer Bestimmung der Verhältnisse gelten sollen, 
▼on welchen die Gttte nnd Fehlerlosigkeit der Reproduktion 
TOD Zeitatracken abhängt. Daa Beatreben aber, zunächst die 
Bedtagmigeii dea Zeitveigleieha m mitemielkeii, die niolit eine 



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72 



Vittoiio B«iiDBti, 



Xodililntion der bereits Tetü^endeii ZeitrerstelliiDg, Bondem das 

Zustandekommen der Zeitrorstellnng betreffen, hat mieh be- 
stimmt, deii Unterhuchnt]p;eu über Kepruduktion, sowie Modi- 
fikation einer Bnbjektivcü Zeitstreckc oder Distanz durch das Mit- 
gegebeuHciii eiuea uiusikalischen Intervalles, eine Bestini mung 
des EinHiisses der Erwartungszeit auf die scheinbare Grijße 
einer erfaßten Zeitstrecke vorauszuschicken. Die Notwendigkeit, 
sich darüber genau zu informieren, bat sich mir immer mehr auf- 
gediingt, je mehr mir klar wurde, in welchem Maße der Anf* 
merksamkeitsznstand beim Erfassen einer Zeitstrecke die schein- 
bare Gii^fie dieser Zeitstrecke selbst an modifizieren vermag; ein- 
mal im Anicblnfl an die Ansfthrangen Sehnmanns, und awar 
trots der ablehnenden Stellung, die loh ihnen gegenüber dnrob 
Tatsaehenawang dooh einnehmen an müssen meine (vgL I, § 10) 
dann in Erwftgnng des im ersten Teile der gegenwirtigen Unter- 
snehnngen präzisierten Einflusses der erhöhten Anfmerksamkeit anf 
die scheinbare Länge einer unter die »großen« Zeiten fallenden 
Zeitstreckc. Das Induktionsmaterial der vorliegeuden Untersuchung 
beläuft sich auf Uber 7000 Einzeldaten ^j. 

§ L Pas üntersnchiingsgehiet. Methode. 

a Fragestellung. 

Es seien mittels vier Grenzgeräuschen zwei ZeitdistaT^zen, ge- 
trennt daroh eine Paase Ton etwa 4", zum Vergleich dargeboten 
nnd die Yp. dnreh eüi geeignetes Signal aufgefordert, beim Er- 
ihssen der ehien (snerst oder zuzweit kommenden) Zeitstrecke nnr 
mitteibsr Tor dem Eintritt des sie erSffhenden OrenzgerllnBehea 
oder relativ lange vorher anf die kommende Zeitstreeke zu warten. 
Es fragt sieh nnn: weldien EinflnB übt die Dauer der Erwartung 
(Erwartungszeit) anf die subjektive (also scheinbare) GrOße oder 
Dauer der erfaßten Zeit. 

1) Der Plan in 4eii folgonden Auiftthmiigeii war bereits entwoxfen, als 

ich von der Arbeit G. de IIa Valle über deu > Einfluß der Erwartnng'szeit 
anf die Grüße der Keaktionszeit* P.sychol. Studien, herausgegeben von 
W. Wnndt Bd. III. ö. 294 ff.) Kenntnis nahm. Durch die teilweise 
analoge Frage bei ihm und bei mir, wwt «Mb ia besag auf völlig ver- 
sdüedeae Leistimgeii der Vp., gewaan die aigrae Arbeit für i^ieh an 
Aktnalit£t uud ich entaehloß mieh» diese Arbeit nicht bloß vor den flbrigea 
gephmtoi dorohsaftthien, sondern aaeh tor diflsea sn yerOffeatiichen. 



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IL SnrtitnngMeit nad fiibJektiTO ZeilgxOß«. 73 

Tragen wir auf eine gerade Linie, die als Zeitlinie gedacht 
ist mit Z und 7J die zwei zü vergleichenden Zeitstrecken ein und 
bezeichnen wir weiter mit Jt* die zwischen diesen zwei Zeitetrcckea 
liegende Pause und mit die Z und Z' vorausgehenden Er- 
wartnngszeiteii, 00 erhalten wir folgendes Bild a (and in der Um* 
kehmng h], 

-I — - — r-V-p ' f% * 
Hg. 1. 

Unsere Frage betrifft den Einflofi tob e, €^ anf die scheinbare 
OiOße von Z bsw. 2«. 

b) Zur Methode. 

Tm allerem einen gilt ftlr die Durchführung der gegenwärtigen 
Versuche dasselbe, was für die Versuche des ersten Teils (dieses 
Archiv. Bd. IX. S. 366 ff.) der hier fortgesetzten Untersuchungen 
«Bsgeflihrt wurde. Die Unterschiede seien hier kurz erwähnt. 

Mußte 0 biw. innerhalb ziemlich weiter Grenzen yariiert 
werden kSnneo, und swar aueb Uber die Qröße jener Zeit, die ala 
Paue dne optimale Zeit darstellt (1,8^, so mnfite icb natUrlicb von 
Tornherein anf die Einftlhrnng dieser optimalen Panse Yersiehten 
snd eme solehe wSblen, die bedeutend größer ist als sie. Lag nun 
darin aneh eine BeeintrSohtigung der YergldebsTorgänge, so war 
Ibrigeas andererseits niebt ohne Interesse, bd Gelegenheit doch aneb 
die Wirkung der nichtoptimalen Pause fzumal in Hinblick auf die 
anderwärts angenommene Förderung der Wirksamkeit > absoluter« 
Eindrücke durch diesen Umstand) näher zu prüfen. Selbstredend 
war die Panse bei allen VerHiicheu einer Gruppe konstant. Sie 
betrug, außer bei der IcTztcu Versuchsreihe (§ 5;, 4000 u. Die 
untersuchten Ztitdi stanzen waren: eine »kleine« = 450 a und 
eine »große € = 1200 a. Die e betrogen 4ö0 a und 3150 a. Bei 
e = 3160 wurde also nahezu die ganze Pause als Erwartungs- 
seit yerwendet. Außer der Pause » 4000 a wnrde noch eine 
sweite » 8000 nntersnebt, und zwar um die so nahe Berllbmng 
der Erwartnngsseit zur zweiten Zeitdistanz mit der ersten Zeitdistaaz 



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74 



Vlttorio Bttimnl, 



za yermeiden und zugleich, wie erwähnt, des Einfluß einer reUtir 
sehr großen Pause selbst näher za unteniachen^). 

Die Vonohrifi, die ich den Vp. erteilte» war denkbarst leioht. 
Auf das Wort »bitte« hatten sie sieh allgemein losnaagea an sammeln, 
das heifit, nicht eben an andere Dinge au denken. Anf das 
daianf etwa nach 1"— 1,6" folgende Wort »jetat« hatten sie mit mög- 
lichst maximaler Anfberksamkeit auf den Eintritt der Zeitdistans 
zu warten. Die Größe der Erwartungszeit war also einerseits 
durch den Klang des Wortes »jetzt*, andererseits durch das An- 
fangsgeräuscb der Zeitdistanz begrenzt. Ich wählte absichtlich 
ein Wort statt eines Geräusches zur Markierung: des Beginnes der 
£rwartttng8zeit, um womöglich der Erwartungszeit den Charakter 
einer zu eifasaenden Zeitatrecke zu nehmen, um also die MOg^ 
liehkeit, soweit es ging, annmschalten, daß die Vp. die Erwartung»* 
seit selbst als Zeitstredke erfassen konnten, statt sieh während der 
(Erwartangs^lZeitstreeke ohne ansdrttekliehes Erlassen ihrer GrOße, 
einfach in den Znstand des Wartens an versetzen. 

Auf der Ereisteünng des Schnmannsohen Eontaktapparates 
waren die Stellen gekennzeichnet, bei deren Überschreitung sei- 
tens de» iotiereuden Doppel hebelarmes ich das Wort >jtt/-t- vor 
je einer Zeitstrecke laut auszusprechen hatte. Natürlich wurde 
dadurch die Größe der Erwartaugszeiteu weniger konstant, als 
. wenn ihr Anfangspunkt durch irgendein vom Apparat selbst aus- 
antösendes Geräusch angegeben worden wäre. Doch glaubte ich 
davon in Hinblick anf das Gesagte lieber absehen au müssen, 
znmal wenn man bedenkt, daß die Variationen4er Erwartnngsaeit 
durch die Variation meiner Spreehreaktionsaeit heim Anblick der 
angegebenen Hehelannlage sehr klein nnd die awei natersnchtan 
ErwartongaaMten sehr weit voneuiander verschieden waren: die 
kleine betrug 450, die große S150 ü. 

Das Verglcichscr^cbüia mußten die Vp. unzweideutig" a.ut- 
schreiben und unsichere Fälle entweder mit Fragezeichen oder 

1} Da bd den YmiMhen der gegenwärtigen Uatantaehmig die Grenz- 
gttrihiMhe der vergiichflaen leeren Ztiten der Stixfce naeh sieht variiert 
an werden brauchten, bo kam bei der DorebfUhrnng derVersncbe nur eine 

Spitzenvorrichtuag zur Anslti^nng puiiktnellpr Geräusche allein in \'cr- 
wendaug. Da die Einsfellung dieser Ililfsvorriclitung während der ganzen 
Versuchszeit nicht modiüziert wurde, ist die Behauptung» es seien nicht nur 
die Oienzgerkoaohe einer oder sweier folgender Zeltdittanxen glefohstark 
gewesen soadeni ttherhanpt aRmtliche angegebenen, dnrehans berechtigt 



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n. Erwarfaniinait und iidjektiTe Zeitgitfflo. 



75 



dnrcb Ang-a^e der iwei kuukurrierenden \'crL;leic:ljriaus3agen , je 
nachdem eben der innere Vorgang des Vergleiches ausgefallen war, 
20 Protokoll geben. Es wurden mit Absicht nur die AuBsagen 
>, <, ^? und = bzw. =<, verlangt: bei Kollektiv- 

Tersachen wie die vorliegenden eoliien es mir geboten, die Aufgabe 
der Vp. mischet leiebt sn gestalten nnd ibre ▲nfinerksamkeit 
auBsehliefilieh mit dem Zeitvergleiche sn besehäftigen, 
ebne ibr ein Yergleieben von Vergleiebsergebnieeen anf- 
inbttTden, wie ee dort gescbiebt, wo innerbalb der Aneaagen auf > 
noeh Stufen des »grOfier« zu nntersebeiden und zu Protokoll sn 
{eben sind. Eine solebe weitere Verfetnening balte ich nur dort 
ftr am Platze, wo dieselbe Vp. mehrere Male, und zwar bei 
einer nicht uubeträchtlichcü Zahl von Wiederholungen, dieselben 
VerBuche mitmacht: dann kann sie von selbst und leicht, ohne 
sieh dadurch beunruhigen zu lassen, auch Verschiedenheits- 
grade zwischen bereits erkannten Verschiedenheiten knn- 
etatieren; ist aber die Sachlage so beschaffen, daß die Vp. nur 
Tier-, fünfmal die gleiche Versuchsreihe mitmacht, so ist einer 
spontanen Entwicklung solcher auf Verschiedenheiten von Zeit- 
gröfienversebiedenbeiten statt auf Zeitgroßen anfgebanten 
Yeigleiebnngen kaum Oelegenbeit geboten, nnd die Vp. anftufot^ 
dem, anob solebe Yeigleiobongen neben den Zeitretgleicbnngen 
antsBleOen, hiefie bloB ibr diese letsste Anfgabe ersebweren, ebne 
jede Garantie, in besiig auf jene etwas Zurerlifilicbes an ge- 
winnen. Diese Überlegung bestimmte mieb snr Besebzünknng der 
Ton der Yp. geforderten Leistung auf das Vergleichen der Zeit- 
strecken, ohne sie aufzufordern, auch Zeitstrecken Verschie- 
denheiten miteinander zu vergleichen und dadurch Stufen des 
»Größer« oder des »Kleiner« mehr oder wenin-er willkürlich oder 
Mverläßlich zu statuieren. Eine solche Unterscheidung halte ich, 
wii' gesa;^'t, nur dort fttr zweckmäßijr, wo sie sich nicht auf eine 
Forderung hin einstellt, sondern spontan aufdrängt. Hierzuist 
aber erforderlich, daß die Versnobe sehr oft wiederholt werden, indes 
tdr meine Kollektiv versuche mir wobl eine große Zahl yon Vp., 
siebt aber eine beliebige Frequenz der Wiederbolnng zu Ge- 
bote stsndi). Das Verbalten der Vp. war Tollsttndig nnwissentlieh. 



Ij £s will natürlich nicht gesagt sein, d&ß jede Differeozierung vuu Auä- 
Mges tli »Mlir groß«, »groß« a. dgl aof Vergleiehungsn von Veiadiiedea- 



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76 



Vittorio Banuai, 



c) Uber die Anwendung Ton KoUektivTersachen. 

Die Kichti^keit einer Verffleichsaussa^je, oder genauer gesagt 
ihr Erkenntniswt rt, verbürgt wedereine Korrektlieit der Eutwick- 
Inng innerer Vergleichsvorgänge, DOch der Bildung der dem Ver- 
gleiche zugrunde liegenden Vorstellungen (vgl. I, § 12, and weiter 
iinten §6), denn es kann sowohl eine Verschiebung, und zwar 
eine unbemerkt bleibende, der VergleiehsgegenBtftnde, wie 
auch eine ftnfierlioh unbegründete Veränderung einer den Ver- 
gleich begründenden Vorstellung stuttfindoi. Erst er es liegt yer, 
wenn u. U. you zwei Raumdistanzen, die auf Grund zeitlich hinter* 
einander ersoheinender Punkte erfaßt werden, diejenige trotz mini- 
maler und sonst unmerklicher objektiver räumlicher Grdßenznnahme 
sicher für grüß er erklärt wird, deren Begrenzungöpuukte in 
einem größeren zeitlichen Abstand erscheinen. Letzteres dann, 
wenn etwa eine objektiv minimale uud sonst kaum merkliche Ver- 
schiedenheit zweier Zeitstreckeu nur deswegen sicher (also als 
wäre sie Ubermerklieb) erkannt wird, weil die Grenzgeränscbe der 
verglichenen Strecken verschiedene Betonungsgestalten aufweisen 
(?gl. I, § 12}. Nun kann das äufierlich, also erkenntuiBmftftig, 
unrichtige Vergleichen bekanntlich zwei Hauptformen zeigen, die 
durch größere oder geringere Frequenz des unrichtigen Vergleichs- 
ausfalles auägezeiehnet sind. Ist diese Frequenz eine maximale, so hat 
man es mit einem konstanten Fehler, widrigenfalls mit dner Fehl- 
tendi iiz zu tun. Aus dem Vorliegen einer solchen aber einen kon- 
stanten Fehler berechnen zu wollen, halte auch ich für psycho- 
logisch unzulässig, weil dadurch das Auffassen der inneren Vor- 
gänge, die dieser Fehltcndenz zugrunde liegen, auf Irrwege 
geleitet wird. Denn man bat keinen Grund, anznnehmen, daß ein 
Fehler, der nur mit einer gewissen Frequenz begangen wird, ein- 



heiten BwaeksufUhren teiea. Sobald die Terwendetsn Untendiiede, etwa 

der zn vergleichenden Zeitstrecken, voneinander weit verecbieden und daher 
mitttnter auch sicher dentlich libennerklich verschieden sind, mag wohl eine 
Vergleichsaussage auf »deutlich <;r(jßer< n. ä. absolut gewonner} werden, 
wenigstens iu dem Maße, als es ^elin^'t, ohne jede Vergleichuug deu £in- 
drack des »Grofien« oder »Kleinen« zn erieben (vgl. I, S. 379IK)< Dies dSifte 
aber bei den gegenwlrttgea VettseheB, bei denen dwchane geringe Ünter- 
Bcbiede der zu vergletehenden Zeitetreeken snr Anwesdung gelangten, kMun 
möglich gewesen sein. 



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II. Erwartitiicmiit und SttbjektiTe ZtütgtHQt. 



77 



fach zufällig aasbleibe und als gleichwertig mit einem geringeren, 
ttberall gleich yerteilten anzosehen sei. Dasjenige, was ans einer 
FeUteadeas als konstant za erscblieSen und als solches auch 
eTentoell niunerisch ra beatiminen ist, das iit sieht die Gröfte 
des FeUem oder der Fehler selbst, sondern die Disposition zum 
Begehen desselben, nnd entsprechend die Leichtigkeit, mit der 
diese Disposition in bezng auf Bealisiemng ihres Korrelates ange- 
regt wird. 

Es kann hier nicht näher avf diesen doch hoffentlich auch in 

dieser kurzen Darstellnng genügend einleuchtenden Pnnkt einge- 
gangen wi'nieu. Vielmehr muLi ich hier nur aui' dio Auffassung 
und ErkUirungsrichtung von Fehltendenzen und konstantem Fehler, 
sowie anf die mch erp:ebende Verwendbarkeit von Kulleküwer- 
suchen etwas näher eingehen. Zuerst die Feliltendenz. Hetrachten 
wir zwei l^älle: a) das Vorkoninien scheinbarer Größenverände- 
rongen einer oder mehrerer Komponenten einer geometrischen 
Figar^), b) die scheinbare Größenverändemng einer Zeitdistana 
etwa infolge ihrer Zeitlage oder der Betonnngsgestalt ihrer Grenz- 
geritaische^. Verändemngen der ersten Art zeigen eine große 
Variation sowohl nach Gr<(fie als naeh Bichtnng der seheinbaren 
Modifikation der vorhandenen Fignrcnkomponenten; anch sind die 
Falle, wo keine snbjektiye Verttndemng vorkommt, gar nicht so 
selten. Die neuere Bearbeitung dieser Dinge hat nnn erwiesen, 
daß die Riehtung und GiOße der unter gegebenen 'Umstünden zutage 
tretenden subjektiven Größenveränderungen aus verschiedenen 
Arten inneren Verhaltens der Vp. gegenüber der konstanten 
äußeren Keizlage zu verstehen sind, und derzeit auch nur aus ihnen. 
Es heißt dies mit anderen Worten: die äußere Sachlaf^c ist bei 
solchen Versuchen so beschaffen, daß sie verschiedene Vür8tellunp:s- 
dispositionen im Subjekte zu erwecken verniag:. Natürlich sind die 
einzelnen Dispositionen nicht gleich leicht zu aktualisieren, nicht 



1) HiVrüb^r Bind meine Untersuohiuigen Uber >Ge8taltmehrdeatigkeit und 
InadäqQathcitsumkehning'« Zeitschrift ftir Psycholopip. Bd. 45. S. 188—230) 
m vergleicheu, bei vveleheu die DurchtÜhruug vuu KuUektivveraachea des- 
halb als xnilasig angesehen werden konnte, weil es sich um Venneba bei 
>BponUner< (Ebenda. S. 189 und dieselbe Zettsehrift. Bd. 42. S. 86ff.) 
Reaktion handelte Eine gedrängte Darstelluug der bei diesen Unter- 
sachangen gewonnenen Ergebnisse ist, der TTauptf.iohe nach, im letzten 
Bande der »Anu^e psycbologique« (1908. S. 43? tt. zu tiaden. 

2j Vgl. Hit alles KMhere I, besonders $ 11. 



78 



Ylttorio Beanui, 



gleich leicht anzuregen. Ftthren yerBehiedene von ihnen xu 
▼ereefaiedenen Fehlern, einzelne davon za keinem, so hat man 
das Recht, ans der Yersehiedenheit der Eigehnlase eben nnr 
anf Plnralitftt der anregharen JDiBposttlonen zn eehllefien und in 
der Frequenz (bzw. GrOBe) des Fehlers ein Maß ftr die Erreg- 
harkeit einer besonderen Disposition gegenüber den anderen zu 
erblicken. Man hat aber keinen Grund, zu behaupten, es sei 
psychologisch dort besser verglichen, wo kein Fehler begangen 
Würde, weil dieser Fehlermaugel auf die Erregung einer anderen 
Disposition, nicht aber auf ein besseres Funktionieren des Ver- 
gleich ens selbst zurückgeht. Und zwar um so eher, als es gelang, 
Yenehieden große Fehler zu bestimmen, die anter sich trotz dieser 
GrOßenTerschiedenheit einer gleichen Variation^) unterliegen, na- 
türlich einer und derselben Beislage gegeattber, — woraus sich eben 
ergibt, daß in beiden Gruppen trotz der Verschiedenheit der Fehler- 
grttße gleichgut yerglidien wurde. Ist nun die Reislage ttberall 
konstant^, so sind solche Yerschiedenheiten der begangenen Ver^ 
gleichsfehler nicht auf physiologische Moniente peripherischer Natur 
zurUekzuftthren'), sondern zunächst aul den Wettstreit im Ak- 
tualisieren verschiedener Dispositionen zu verschiedenen 
psychischen Leistungen. Uberall dort, wo es mii^^lich ist, 
in diesen Wettstreit verschiedener Dispositionen wilikttr- 
lieh einzugreifen, ist es geboten, nicht Eollektir-, sondern 
Einzelrersuche ' anzustellen, und zwar möglichst nach der 
Herstellungsmethode. Unter solchen Umstünden kann die Yp. 
dann den Vergleich anstellen, wenn sie mit bestimmten inneren 
in ihrer Gewalt stehenden Vorgängen reagiert. So z. B. b« der 
Untersuchung geometrisch- optischer Täuschungen. Eine solche 
willkürliche Beeinflussung im Wettstreite yersehiedener 
Dispositionen ist beim Zeitv ergleiche, meiiier Erfahrung 
nach, nicht möglich. Daher empfiehlt sich als entsprechen- 
deres Vorgehen auf diesem Gebiete d:is Anstellen von Koliektiv- 
versucheu. Ergeben diese besondere Fehltendenzen, so muß 
man die daraus zu erschließenden versohiedeneQ inneren Vorgänge 

1} Vgl. meino Untersuchungen >Zar Psychologie des Qegtalterfaasens« 
8. 332 in »Untersuch, z. GogexiBtandBtbeorie«, berausg. von A. Heinong. Nr. Y. 

2) Bei einer Gruppe der hier ioe Auge gefiiOten Yersnche war beiepiela» 
weise die Refadege dnrch Punkte, die wie die ucbcuBtehcnde * geordnet 
waren, gegeben (vgl. Zeitschr. f. raychol. Bd. 42. S. 27). 

3} Vgl. Zeitsohl. f. Psychol. Bd. 45. S. 215-217. 



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IL Erwartongneit und raldflktive Zdligrtfße. 



79 



einieren, durch äußere Umstände die Aktualisienine eines davon 
begünstigen nnd bcstiminen, ob hierdurch eiue eatspreehende 
Verschiebung der Fchltendenz erwirkt wird oder nicht. 

Aus dieseoDi Grunde hauptsächlich, nämlich der Unmöglichkeit, 
beim Zeitreigleich die inneren Vorgänge, die dem Vergleich zu- 
grunde liegen, willkUrlich zu regeln, halte ich die Anwendung Ton 
KoUektirremoben auf diesem Gebiete Atr am Platze. Während 
das Auftreten von Febltendensen tonächst ans dem Wettstreit 
rersebiedener psyobiseber Vorgänge meines Eracbtens ra verstehen 
ist, bereebtigt das Vorkommen eines (einsigen) konstanten Fehlers 
sonicbst SU einer pbysiologiseben Anffassang seiner Antesedeniien, 
nnd swir um so mehr, je mebr dieser Fehler in seinem Anftreten 
an die Natur des Reizes gebunden erscheint. Der rötliche Schein 
einer grauen i'läcbc auf lutcui (»ruude ist durch willkürlichen 
Wechsel des eubjektiveu Verhaltens nicht zum Schwinden zu 
bringen, wie etwa die scheinbare Verkürzung der Hauptliuic einer 
Müller-LyerBchen Fip-nr mit den Haken nach innen ^ewcTidet 
durch Analyse ihrer iiauptliuie nahezu auf Null zu reduzieren 
ist Uberall dort, wo die Beziehung zwischen Heiz und Fehler eine 
eindentige ist, so daß einer Reizlage ein Fehler konstanter Rieb« 
tnng entspricht, sind EinzelTOrsuche deswegen angemessener 
als KoUektirrersnebe, weil man hier bereits quantitative Be- 
stimmnngen anstreben kann, diese aber kollektiv ans nabeliegen- 
deo Qrllnden nnmOglieb anzustellen sind. Ist aber die Bedebnng 
swiseben ReiB nnd Fehler keine eindentige, sondern Teranlafit 
der gleiehbleibende Reis versebiedene niebt willkUrlieb beein- 
floBbare Formen innerer Bearbdtnng der zugeordneten EindrO<^e 
und ftlhren diese verschiedenen Bearbeitungen zu verschieden- 
artigen i'tlilcrn, so ist es memea l^achtens aufgemessener, Kol- 
lektivversuche anzustellen, weil mau eine größere Wahrscheinlich- 
keit dafUr erzielt, daß verschiedene Vp. iTn Hinblick auf die Erreg- 
barkeit verschiedeuer Dispositionen gleichen Reizen gegenüber in 
stärkerem Maße untereinander diüerenziert seien als eine Vp. zu 
verschiedenen Zeiten. Man erreicht durch KoUektivversnche u. s. L\ 
niebt bloß eine Zeitersparnis, sondern man gewinnt auch an 
Ausgiebigkeit der erhaltenen Ergebnisse. lob versnobe das Ge- 
sagte In den folgenden Siltzen knrz zusammenzufassen: 

1} y^I. hiorOber »UnterBucbtingen zur Gcgenetandstheorie und Psycho- 
logie«, berauBgegeben von A Mein eng. Hr. Y. § 6. 



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80 



Vltlorio Beiuiiii, 



Felilteudenzen können durch willkürliche oder un- 
willkürliche Umj^estaltungen der dem Vergleich zugrunde 
liegenden Vorgänge nach Richtung und Ausgiebigkeit 
modifiziert werden. Gelingt es, solche eventaell ent* 
gegellgesetzt wirkende Tendenzen willkttrlich zu iso-' 
Heren, wie etwa bei den sogenannten geometriscb-apti- 
sehen Tänsehnngen, nnd zwar mit Aussieht auf die 
Konstatierang Ton konstanten Fehlern, dann sind nur 
EinzelTersnehe, nnd zwar mit Torgeschriebener eingeübter 
Reaktion der Vp., au<;tizeigt. Sind solche Teadcuzeü nicht 
willkürlich isolierbar, dann sind Kollektivversuche nicht 
nur zulässig, sondern den Eiuzeh erBiicben vorzuziehen, 
weil sie dem Wirken verschiedenartiger Keaktionsweisen 
und derPrävalenz einzelner davon, nnd daher den wieh- 
tigeren, mehr Gelegenheit bieten. 

d) Versttchsmaterial. Aufbau der Versuchsreihen. 

Nenne ich herkömmlich N die innerhalb einer Versnchsreibe 
konstant gehaltene Zeit nnd F die variable, k die kleine, / die 
lange Erwartuugszeit, die den zu vergleichenden Zeitstrecken 
Toransgesohickt wnrde, P die Pause zwiBdlien den zwei Zeit- 
strecken, und bezdchne ioh weiter mit +» H — h» + H — h drei 
zunehmend geordneten VeigiOßemngen (= ^+ 16, 90, 45 a), mit 
— , , die drei entspreehend geordneten Verkleinemngen 

JV"— 15, 30, 45 ff) Yon V nnd mit = die FiUe F= JV, so 
lassen sich meine Versuchsreihen durch folgendes Schema wieder- 
geben, wobei die römischen Zahlen die Reihenfolge, in der die 
acht dargestellten Grnppeu untersucht wurden, bezeichnen. 



I 


II. 


m. 


IV. 


K V 


N V 


N V 


N V 


k l » 
/ k = 
l k + 

* 1 + 
k l + 
l k 

l k 4-4-4- 
k l 4-4--*- 


k l 

l k 

l k 

k l 

k l — 
l k — 
l k = 
k l » 


k l = 

l k BS 

l k — 
k l — 
k l 

/ k 

l k 

k l 


k f + . 4- -4- 
l ^- 4- -t- 4- 
l * 4--I- 
* l +-h 
k l + 

l k ^ 
k l 



I 



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IL Erwartungszeit und aubejktive Zeit^rüße. 



81 



T. 


VI. 


m 


VUI. 


F 


N 


V 


N 


V 


N 


V 


N 


k 


l + + + 


k 


l m» 


k 


l ^— — 


k 


l s 


i 


* + + + 


l 


k » 


t 


k 


1 


k = 


i 


*+ + 


l 


k — 


l 


* 


l 


k + 


h 


Z -f-H 


k 


/ — 


k 




k 


l + 


k 


l + 


k 




k 


l — 


k 


t + + 


l 


* + 


l 


* 


l 


k — 


l 




l 


k <- 


l 


k 


l 




l 


* + + + 


k 


1 


k 




k 




k 


i + + + 



Diese acht Gruppen sind ftlr A^=450 (= Z^-) und 1200 a 
(= Zyj bei P= 400J, die vier ersten anBerdem auch tHr A' = 450 
und P= 8000 a (vgl. unteu § 5) darchgenommen worden. Es 
Warden alBo eine »kleine« nnd eine »große« Zeit mit einer kleinen 
Q&d einer großen Erwartungszeit und einer mäßigen nnd einer 
großen Pause kombiniert Daß die »kleinen* Zeiten das inter- 
esiantere Untersuchungsgehlet daretellen werden, war thettretisch 
wohl zu erwarten. In Hinblick aber auf die Gegensätzlichkeit 
von kleinen und großen Zeiten in bezug auf die Wirkung der 
Folge (von der Wirkung der Betonongsgestalt ganz abgesehen 
[tc^ L]} mußten aaoh die großen Zeiten in die Untersnchnng nut 
aufgenommen werden. — Bei der Beeprechnng der Ergebnisse 
wild natürlich nicht nor der Einfluß der Erwartoogszeit (e), son- 
dern auch der Einfluß der Folge (f) nnd anderer erst zn bestim- 
mender Faktoren [a nnd g [vgl. § 2, e nnd 3, b}) in nähere Er- 
wignng gezogen werden* 

§ 2. Der Einfloß von e nnd / auf Zk^). 

n) Versnehsdnien. 

Die Dnrchftlhmng der Versuche nach obigem Schema hat das 
Material geliefert, das ich in den folgenden Tabellen Übersichtlich 
nuiinmensteUe. Die Btihenfolge der Vp. ist immer die gleiche; 
daher mag eine ansdilicklielie Beseiehnnng fttr jede einzelne von 
ihnen anshleiben* Neben den Verglele fa sn n ssagen (von mir der 
Übersieht wegen immer «nf V bezogen, bzw. htiVssN anf die 

1] Eb aei daran erinnert, daß e ErwartoaglMit, k kurze, i lange Er- 
wartongszeit, und Zk kurw& Zoitatrecke bedeutet 

AnUv ft> P«]r«h«iogM. im. 6 



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82 



Vittorio BeuMi, 



Tabelle I. 



ErwartangBzeit 
and Folge 

{k)N~il)V 



AiiaMg«iL der Vp., b«M)g6n auf V 



f> \ f 



-«--<-> V <>-- 

«<-<« f «-««« = «< 

<<<<<<<<<<<<<<<<<><-< 
<<<<<><<<<<<<<<<<<<=< 
? <<>< = << = <><«< = <<< 
„<>««<<<> ?<« = <<=? >>=»< 

Tabelle U. 



I 



8 


6 


17 


0 


19 


0 


19 


1 


14 


2 


8 


4 



£rwartaug82eit 
lud Folge 



{i)N [kiV 



Aussagen der Vp., bezogen aui V 



f> f 



= < = <<<<<< ? <<<<<<- = <<< 

<<<<<<< y <<<=<=<< = = <<< 
<<<<<<<<<<<<<<<<<<<=< 
<<<<<><<<<<<<<<<<<<<< 
<<<<<>< ? <<< = <<<<<<<<< 
--<-<>««== ?««<-«»< 

Tabelle lU. 



16 


0 


16 


0 1 


20 


0 




20 


1 




18 


1 




12 


1 





Erwtrtaiigiseit 

und Folge 

+ + + 
+ + + 

+ 



Auwigen der Vp., bezogen auf F 



= = = = >>>>>><=. ? <= ? <> = = = 
«>>>>><«<<> = >>= ?>?> = > 
>->>>>>>>>=>>>>^^>>^< 

Tabelle IV. 



7 
11 
16 
17 
17 

9 



3 
3 
1 
1 
1 
0 



f' 



Xnrsrtiingszeit 
and Folge 

(l)N {k)V 


AuBMgen der Yp., besogen avf V 


r> 
(49.6 ji] 


f< 
[9,6>i) 


f 


+ 


--»-><>><>= ? >= ? =><«=< 


8 


4 






-><>-»<>•»----- ? <>«« 


6 


5 




+ + + 


» ? >-»»>--<» ? »> ? > 


14 


1 




+ + 


>»->» ? ><»»»»>>> 


18 


1 


1 




= ?-.- = >=.> = >-> 


9 




+ 




7 1 1 


\ 



I 

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88 



Tabelle V. 



Jirw an uagaz e i t 
od Foig» 

tk\ V (Ii N 


AunfiB der Vp., bezogen auf V 


r< 




138^I«J 






==><<«<<<<<><<< = <<< = < 


14 


2 


5 






- = <<<«=>< = = >•=<<<>=< = > 


9 


3 






< 




17 


1 


8 






? <<<< = < = <<->«««-< 


14 


1 


3 






< = <<<><<<<><<< ? << = = < 


14 


2 


4 






<< = <> = < = = = > = < = <>«» ? 


8 


3 


9 



Tabelle VI. 



£n»-&nuiigazeit 
od Ffdge 



AuBsagen der Vp., bes&ogeu aiü (' 



131^}«) (80^1«) [48,01«) 



<<=<=<<===><=<=>>><=> 

«««-><>««««««-<> 

= << = = <= ? <>> = = «<> = = = > 
> = < = = - = >„>>> = = >«„>» I 

Tabelle VH. 



f> 



3 


8 


16 


8 


6 


8 


4 


3 


14 


14 


8 


4 


7 


4 


9 


3 


9 


9 



£rwvtaiigazeit 
nad Folge 



AossAgen der Vp., bezogen auf V 



r> 



f< 



l44^M(aM)»]ßO,4«f] 



+++ 

4- + 

+ i 


II V II II A A 

A V II V II A 
II V VV A II 
II II II II II A 
-VV II VA 

V V V V B 

II V V V A A 
-VVA-^A 

n VV n 1 A 

I V V II A II 

II A WA B 

V V II V V II 
B V V B B B 

V V V V II II 
WWW 
B V A V A - 
A VW B II 
AAAAAA 
WWAA 
II V II V B H 

V VWAV 


2 
3 
13 
14 
18 
8 


9 
9 
2 
9 
2 
3 


8 
8 
6 
5 

1 

10 




Tabelle Vm. 








ErwartongMteit 
ud Folge 

{l)V [k)N 


Anaaagen der Vp., bezogen aof V 


r> 


f< 


118,4>*I 


+ 

+ + 
+ + + 


? = >-=>>> = ->>> ^><>> = = < 
>>>>>>>> ?>> = >>>>>->>> 
= >>>>>>>>>>>»>>>»» 

= >> = = > = ^>> = = >>>>>=.»> 


10 
18 
20 
16 
13 
19 


2 
0 
0 
0 
0 
0 


8 
2 
1 
4 
7 
8 



6» 



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84 



VSttorio Bmiuai, 



mxweit kommende Zeit) gebe idi aoeh die Pmentdetrlge der 
riehtigen und fidsohen Aussagen. Zahl der Vp. 21, der Einiel- 
▼«raiielie 64^ daher der Anaaagen 1344. Ich bespreche raerst die 
Eigebniaie heiV^K Naehher die aieiehheitiaUe (F» N], 

b) Erste Ergebnisse. 

Stellen wir ans den im obigen wiedergegebenen Zusammen- 
sielinngen die Frosentbetrftge^ innttchst richtiger Anssageo, die sidi 
ergeben hnben, ttberaiehflieh ansammen, so erhalten wir folgendes 

BUdi): 





(/) r 


V<N 


es,o% 


l)N, 


[k) V 


r<N 


Hl 0 fi 


k)N, 


[l) V 


F> JV 


61,6 % 


l)N, 


(*) V 


V>N 


49,6 X 


k) V, 


[l) N 


V<N 


69,2 


l) V, 


[k) N 


V<N 


31.2 X 


k) V, 


(l) 


V>N 


44,8 ^ 




ik) N 




72.8 X 



Als wirkende Momente Uta die erwiesene Verschiedenheit der 
acht wiedergegebenen ProzentbetrSge kommen vordeihand hanpt- 
siehlieh die Folge (f) Ton N nnd ohne Rileksieht, ob Feder 
snerst kommt, nnd das Vorangehen einer langen oder einer karten 

Erwartiingszeit [c] zu je einer der zu yergleichenden Zeitölrecken 
in Betracht. Folge und Erwartungszeit können entweder im Sinne 
einer VerlUnfrerunc: oder Verkürzung der zuzweit erfaßten, bzw. 
derjenigen Zeit, der k oder / yorausgeht, wirken. Entscheiden 
wir uns hier Ar die ETentualität, es wirke die Folge im Sinne 
einer VerkOranng der suweit erfaßten Zeitstrecke nnd die kleine 
Erwartmigaaeit hn Sinne einer scheinbaren Verklimmg der Zeit- 
streeke, der sie Toransgeschiofct wird, bsw. die grofie Erwirtiuigs- 
seit im Sinne einer scheinbaren Verltegerong der ihr folgenden 
Zeitstrecke. Beide Annahmen präsentieren sich als darchaus be- 
rechtigt; die eine in Hinblick auf die, gleichviel ob mit Recht 
oder Unrecht, iinmerhin aber vertretene Auffaösung einer Wirk- 
samkeit von absoluten Eindrücken des »Kleinen«; die zweite in 

1] In der ersten Kolamne ist die Keihenfolge von kooßtanter iN) and 
veränderlicher (F) Zeitetrecke, sowie die Größe der ihnen Torftosgeschickten 
langen (/} oder knraen ik) Erwwtimgszeiten, in dff awcltea das GrOfien- 
▼erhiUais tob If vad F, in der dritten die ngaliOrigen FreqoiasbotiSge 
liebtigw Vetgiitchsaimagen esthaltan. 



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TL ErwwtnngBMie «ad anbjektiTe ZaHgitfße. 



86 



HiDblick aaf »VeisohmelziuigBtatsacheiic, wenn sie aoeh Yorderhaad 
haaptsüchliob, wenn nieht nur auf dem Gebiete inadilqnaten Raom- 
erfimens anzutreffen waren i). Diese zwei Annahmen voraimge- 
sebt, iflt zu bestimmen, in welchem Sinne die den obigen aefat 
Gruppen zngronde liegenden objektiTen VerBehiedenheiten def yw- 
gliehenen Zeitstrecken durch das Moment der Folge und der Er- 
wartanirszeit subjektiv modifiziert werden. Zuerst betreffs der 
Erwartung-szeit: Ist V <^N und geht ihm, wie iu der obigen ersten 
Gnippe, eine lange Erwartungszeit voraus, so wird F durch diesen 
Umstand subjektiv verlängert. Uierdoroh aber wird seine sub- 
jektive Verschiedenheit ron N yerringert Ist die subjektive 
Venehiedenheit nnnmehr kleiner geworden, so maß dadurch aneh 
diB Tei)gleiehen erschwert und mithin die Anzahl richtiger Yer- 
iteid i san s sagen im Vergleich zu dem eben zn besprechenden zweiten 
Fall herabgesetzt werden. Umgekehrt: lBtF<;JVimd geht 
ihm eine kurze Erwart ungazeit vorau, wird V subjektiv uoch 
kleiner alB es ist; hierdurch wird seine Verschiedenheit von N 
subjektiv natürlich erhöht. Diese Erhöhung der Verschiedenheit 
oiaii eine Erleichterung des Vergleichs, die Erleichterung des Ver- 
gleichs eine Zunahme der Anzahl richtiger Aossagen im Ver- 
gleich znm ersten Fall bedingen. 

In bezog auf die Wkksamkeit der Folge (f) seien ebenfalls 
>wei FWe naher analysiert: Ist die Folge VN nnd ist F< 
m muß V subjektiv größer erscheinen als es ist. Da F objektiv 
kleiner als X ist, so muß seine durch die zeitliche Folge allein 
bedingte sül)jeklive Verliingerung: eine Verringerung der subjek- 
tiven Verschiedenheit zwischen F und bedingen ; diese hinwieder 
eine Erechwerung des Vergleicheng und diese £^hwemng eine 
relative Herabsetzung der Anzahl richtiger Aussagen gegenüber 
Fall, bei dem ein F, welches grOBer und nieht klehier als N 
ist» an erster Stelle erfaßt wird. Nach dem eben Ausgeführten 
kOnnsa wir nun mit Hilfe einer Üblichen Symbolik mit D die 
objektive Verschiedenheit und mit Dzteztf die Größe der sub- 
jektiven Verschiedenheit darstellen, je nachdem sie durch e oder f 

1) Mit dem etwas ungenauen Aiisdrnck >VorKchiiieiiuug« aiud Idi t I>- 
ieiieiiiiui|pen gemeint wie etwa die BcUeiubaro Verkieiueruug oder Ver- 
p9Benng einer Baimutroeke infolge gleichseitig miter&fiter, ihr gegenüber 
Utinm oder grOOem Banmstteeken. (Vgl. die Versucbe von Pearoe, 
lieNsArehiv. Bd.L S.31ff.} 



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86 



Vittorio BeniiMi, 



(EinflilB der Erwartangszeit und der Folge) im Sinne einer Zu- 

oder einer Abnahme modifiziert wird. Tragen wir Jetzt zu den 

acht crliciltcneu obigeu Werten die ihnen zugrunde liegenden sub- 
jektiven Vörschiedenheiten , die einzig und allein für den Aus- 
fall eines Vergleiches maUgebend sind, ein, mo erhalten wir: 



1) 


NV 


V<N 


k 


l 


D — r-\-f 


68 0^ , 


2) 


N V 


V< N 


l 


k 


Jj -f- (' -f- / 


81.0 % , 


3i 


N V 


r>iv 


k 


l 


D + e-f 


61,6 9i , 


4) 


yv 




l 


k 


D-e-f 




6) 


vir 


r<N 


k 


l 






« 




V<N 


l 


k 








vx 


r> N 


k 


l 


D-e + f 




«) 


VN 


r>N 


l 


k 







Hieibei konstatieroii wir: Die zwei KombiiiAtknien (2 nnd 8), 
die + e + ^ AufWelBeiii eigeben ein Uaximiim, jene, die — e ^ /* 
•nfweiaea (4 und 6), (im DueliBehiiitte) ein Hinimnm an richtigen 
VergleielisaQSBBgeD. Die Übrigen KomMnatienen, ^ +e — f 

nnd — ^ + aufweisen, nehmen eine Mittelstelle ein. Dieses 
Verhalten besagt uns, daß gemäß der gemachten Annahmen die 
Folge im Sinne einer Verkürzung der zuzweit erfaßten 
Zeit, die Erwartungszuit, wenn groß, im Sinne einer 
Verlängerung, wenn klein, im Sinne einer Verkürzung 
der ihr folgenden Zeit wirkt. Über die relative Wirksam- 
keit dieser zwei Momente werden wir uns weiter unten noch 
einige Klarheit zu yerschaffen yersnchen. 

e) Das ± a-Momeut 

Hier fragen wir indessen: Genligen die zwei eben In Betraeht 
gezogenen Momente f nnd e m ErkMmng der festgestellten Fre- 
quenzverschiedenheit richtiger Yergleichsanssagen in den acht 

untersuchten Kombinationen? Eine graphische Darstellung wird 

uns die PrüziHieiuug dieser l iage sowie das Aufdecken von An- 
ba-ltspunkteu zu ihrer ßeantwürtmig erleicLtero. Im nebenstehen- 
den Diagramm 1 sind die Fälle gleicher subjektiver Verschieden- 
heit für die Koinhiuatiouen FJV einerseits und ^ F andererseits 
zu je einer Kurve zuHammengenoramen. Dabei merkt man: 

11 Saratliclu Werte der ;V f- Reihe (a) liegen höher als die 
entsprechenden der FiST- Reihe (/tf), 

2} Der Abstand der zwei JECeihen ist bei — e — /*, —e+f sehr 



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IL £iwattiiiign«lt und siibjMve ZeHgröSe. 



87 



groü, bei + < ^ /» klein. Wie ist die» xa ver- 

steben ? 

Man konnte TOiderluaid meinen, die bökeien BefarSge richtiger Ane» 
sagen bei ^Faeien als Wirkung nnnittelbaier »abeolnter « Eänditteke 
n betEwshton. Dies geht nber 
ndit an, weU die Wirknng eines 

absolaten Eindruckes des Kleinen, 
da bovvohl N als V den kleinen 
Zeiten angeboren, unabhängig Yon 
der Folge VN oder N V sein 
iDiiB, andereneiti aber, auch ab- 
geiehen daron, derlei Eindrucke 
mr dort eine besondere Wurk- 
lamkeit entfbUen konnten, wo bei 
derFolge^F, V>NiB% indes 
die bohere Lage der Werte ftr 
die K F- Reihe von diejsem Ver- 
hiltnis, wie eröluhtlichj völlig un- 
abhängig ist. Es muß also ein 
aeaer Faktor mitspielen, welcher 



100t 






90 






80 






70 






60 






SO 




<^ 


40 






30 






20 






10 







4- 



4- 



• e 



♦f 



+ e 
-f 



♦ f 



IXigiamm 1 (Flg. 2)<). 



höhere I^e der N F-Kurve (o) sowie den grOfieren Abstand 
der xwei Knrren an den awei eisten Stollen verstSndlieh macht 
Ich glaube, daB sieh das Nötige ans folgender Überlegong ergibt: 
Hussen swei soksesslY an erfosseode Ctogenstftnde mitdnander 
rerghehen werden, so ist man dnrohschnittlioh beim Erlassen des 
zozweit eintretenden aufmerksamer als beim Erfassen des zuerst 
eintretenden Cregenstandes (hier »Zeitstrecke«). Während man sich 
nicht viel Gedanken über die absolute ResehatYenlieit des zuerst 
erfaßten Gegenstandes macht, ist man wohl mit erhöhter Aufmerk- 
samkeit um die relative Beschaffenheit des nnn folgenden' Gegen- 
standes besorgt Womit natttriieh nichts Neoes gesagt werden wilL 
bt nnn in einer Yersnohsieihe der znzweit an erfassende Gegm- 
■tud in seiner GrOfie yerSnderlieh, so wird man eine alUUlige 
Kodifikation dieses Gegenstandes leiehter bemerken, als wenn sie 
jenen Gegenstand betriflft, der mit weniger Aufmerksamkeit — an 
erster Stelle — erfaßt wird. Das zuerst Kommende erweckt also, 
10 vermute ich, lilindrticke, die weniger vouemauder verschieden 



1) Bei a iit F statt VN zü letea! 



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88 



Viltoiio BennMi, 



sind, als sie subjektiv dann verschieden sind, wenn sie an zweiter 
Stelle auftreten. Verhält es sich so, dunu können wir in dem Plus 
an Aufmerksamlteit, das der zuzweit erfaßten Zeit znkoramt, 
ohne Unterschied, ob diese Zeit objektiv größer oder kleiner ist, 
als die zuerst gekommene, etwas erblicken, was seiner Wirkung 
als gleichwertig mit einer anbjektiren VergröAernng 
der Torliegenden objektiven YerBehiedenhelt der zu Tergleichea- 
den Zeiten zn betrachten ist Kommt die verilnderliche Zeit V an 
enter Stelle, so trifft die größere Anfinerksamkeit nicht den 
variablen Eindruck von F, sondern den konstanten Eindruck von N. 
Für das Vergleichen muß aber dieser Umstand der Wirkung einer 
subjektiven Verringerung der objektiv vor]ie2:cnden Zeitvei- 
schiedenheit gleichgesetzt werden. Bezeichnen wir mit + a die Er- 
höhung der subjektiven Verschiedenheit von N und F bei 
N Vf mit ^ a die Verringernng dieser Verschiedenheit bei VN^ 
10 erhalten wir ftr die obigen acht Fälle die folgenden Oestaltongen 
der anhjektiY wirkenden Verschiedenheit Ddz e±:f±a: 

1) e^0% D — e + Z+a, 

8) 9ifi96 D-^e-k-f+a, 

8) 61,6 9« i> + « — 

4} 49,696 1> — « — ^H-a, 

6) 69,2 5^ D + e — a, 

6) Slß% D^e — f^a, 

7) 44,8 fi- D — e + r-a, 

8) lißßC D-^e-^f—a. 

Man entnimmt ans dieser neuen Zosammensteilmig» daB die 
subjektive Venchiedenh^t flir die Gmppe N V, ohne Bflok sieht 
anf das Verhältnis V^N oder die Folge von A; nnd ^ rehüT 
gr0fier Ist als für die Gruppe FJV. Die höhere Lage der ^F- 

Werte erklärt sich also aus der Erhöhung: der aubjektiveu Ver- 
schiedenheit, bedingt durch den Umstand, daß die größere Anf- 
merksarnkeit, die vorwiegend weuigsteus den z uz weit kommenden 
Gegeuötaud trifft, auch dem veränderlichen Gegenstande gilt, wo- 
durch die Veränderung leichter erkannt und die Gegenstände besser 
Yerglichen werden müssen, als wenn die geringere Anfinerksam- 
keit der TeiMnderHehen Grt^Be gilt» wie dies bei FiV der Fall Ist 
Die höhere Lage der N F-Kurre können wir also aas der Wir- 
kung von ± a Torstehen. Nun mttssen wir uns nodi flherlegen, 
wie der größere Abstand der zwei Kurven bei — e—f und 
— e /* zu erklären sei. 



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II. £rw«rtiiiigiMit nad «ibJektiTe 2eitgz00e, 



89 



d) Die Wirknngflbedingiiiigen des a-Üomentes. 



I m dicB ZQ veröteljen, bzw. die Wirknnirslif (Iini:nne:en von ±r <i 
zji übersehen, halten wir uns zunächst an folgende Darstellung 
(Figor 3, 4), bei der durch Horizontale verschiedener 6rüße die 
objektive Verschiedenheit von V und N, sowie deren Zuwüchse 
oder Abzüge dnrch /*, d= €, dz a dargestellt werden. Nehmen 
wir (Figur 3) die räumliche VenoacluuiliehiiDg der aalgektiTen 
Venchiedeoheit filr die Gmppe 

vor und ordnen wir zu JD, e, f und a die hier willkürlich ge- 
wählten Mülimetergrößen 20, 5, 3 und 5 zu, so erhalten wir eine 
aubjektive Verschiedenheit S iFig:ur 3), die räumlich durch die 
Größe 23 mm dargestellt werden kann. Für den Fall: 

VN, V>N, kl, ^e^f^a 

erhilt man eine sabjektiTe Venchiedenlieit, die (wie in Hgnr 4 
fenuiMliaQlielit) der rftnndiehen GiOBe 18 mm soznordnen ist Es 



D-SO 



Fig. 3. 



Flg. 4. 



heiße diese Verschiedenheit S' . Nehmen wir die frleiche Berech- 
nung für — f — /" -r und — e — f — (i vor, so erhalten wir die 
subjektiven Verschiedenheiten iS, = 17 mm und S2 — I mm. Für 
die Fälle + e -\-f a und + e — f + a erhalten wir die Werte 
= 33 mm und ^ 27 mm; für + c -|- /"— a und -\-e — f — a 
die Werte 6*5 = 23 mm und iSi = 17 mm. Stellen wir die Werte 
für S (also Fälle, wo -f a vorkommt) neben die Werte flir 5' 
(wo a negativ ist), so erhalten wir die anbjektiTen Versobieden- 
beitan geordnet wie folgt: 



1) (— e-hf+a) Si«*8Siiim 

8) (— « — /-f-a) ^ — 17 mm 

3j (4- « + /■+«) 63 = 33 mm 

4) (-H«-/+a) Ä4«a7 



5?- 7inia (-e-/-a), 
S'^mSSdiid (+c-+-/^— a). 
iS^«Bl7mm — o). 



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90 



Vittorio Bennaai, 



Darani folgt, daß das ± a-MomeDt nioht ttberall dort, wo €■ 
eintritti gldohTiel sn bedeuten haben kann, sondern natitriieh dort 
am meisten, wo der Yerftndening dnieh d: a eine geringere 

sabjektive Verschiedenheit, dnrob dt e dz f bedingt, vorgegeben 
ist. Dem ± a ist in den zwei ersten Gruppen (1 und 2) eine ge- 
ring;ere subjektive Veräcbiedcuhcit vorgegeben als iu dcü zwei 
letzten: seine Wirkung muli daher dort auöschlaggebender sein 
ala iiier; ebenso wie die Modilikation der Verschiedenheit zweier 
Größen durch den Abtrag oder Zuwachs um die gleiche absolute 
Größe um so größer ist, je kleiner die Größen sind, deren Ver- 
schiedenheit durch diesen Abtrag oder Zuwachs modifiziert wird. 
St» ist die Verschiedunlioit von 4 und 8, wo 4 und 8 aus 6 — 2 
und t) -h 2 erhalten gedacht werden können, viel größer als die Ver- 
schiedenheit von 52 (= 50 + 2) und 48 (= 50 — 2). Während 8 
das Zweifache von 4 ist, sich also diese zwei Größen wie 2 : 1 
▼erhalten, ist das Verhältnis von 52 zn 48 das von 1,083 : 1 und 
daher die Verschiedenheit von 62 und 48, wiewohl deren Differenz 
(= 4) gleich ist der Differenz Ton 8 — 4, bedeutend geringer als 
die Verschiedenheit von 8 and 4. Sehen wir nun nach, wie sich 
die <S zn den dazn gehörigen S' yerhalteni so erhalten wir: 



was evidenterweise naehweist, daB die Verschiedenheit von 8 
nnd 8* in den zwei ersten FSllen größer Ist als hei 3 und 4, 
weil gleiohen Yersohiedenheiten gleiche YerhlUtniBzahlen snge- 
oidnet sind. Ist aber bei 1 nnd 2 die Yersehiedenheit der 
snbjektiren Yersohiedenheiten von V nnd JiT größer als die 
Yeischiedenheit der snigektiren Yenchiedenheiten bei 3 nnd 4, 
so ist es weiter evident, daß der Abstand der Fkeqnenz richtiger 
Ansssgen in den zwei eisten Füllen (— e — /; ^e-^f [Diar 
gramm 1]) größer sein muß als der entsprechende Abstand in 
den zwei letzten (ebenda, -f c — /; -\- e f). 

Zasarii inen fassend : Die höhere Lage der Frequenzwerte richtiger 
Aussagen iUr die Keihenfolge N V erklärt sich aus der Erhöhung 




»1^ . 



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IL EnraTtangBiflit md siibjektiT« ZdtgiOße. Ql 



der subjektivtiu Verschiedenheit dnrch das 4-a-Moment. der 
g^fiere Abstand der a- und p^-Werte bei den zwei ersten Kombi- 
nationen (—«—/', —e-\~f) aber daraus, daß die Verschieden- 
heit der sii1ijektiT6D Veriehiedenheiten Ton N und fta 
die Folge VN nnd NV^ in den swei entm Kombinationen 
grQfier ist als in den iwd letaEten^). 

Aua dem (sub c und dl Gesai^teii dilrfte also Buwohl die höhere 
Idge der N K-Werte wie der größere Abstand der er- imd -/-Werte 
an den swei eisten Stellen (in Diagramm 1) hinreichend veistünd- 
lich gemaoht werden können. 

e) Die Tragweite der Momente f nnd o. 

Über die Wirksamkeit von f nnd a kSnnen wir nns mittele 
folgender Ditferenahereehnnngen orientieren. Der Ansehaaliehkeit 
wtgen eehrdbe ieh die Freqnenzwerte riehtiger Anesagen ftr die 

acht imtersnchteu Gruppen DOchmalH auf und bezeichne jeden 
einzelnen Frequenz wert mit Ai^ , . . also: 







...Ai, 




81,0 9^ . 


A,. 




61,6 ft 


1 ■ ■ • ^% 9 




4»fi% 


... A|. 


H-e — / — a 


ö9,2 s . . . 


> • • • 1 




31^ 96 . . , 


.... j«. 










72,6 K 


....As. 



In der GrOAe der Differenzen 

At — A4, 
Af — A«» 

A^— 
^»-At 

gewmnt man ein Haß, wenn aneh natOrlieh nur mit beeeheidener 
PrtadBion Är die Wirkung von =t: /*, da nnr f bei den aneammen- 

genommenen Paaren sein Vorzeichen variiert. 



1) Dilta finden dch aiehts, wenn auu für die Folge N V woU ein 
«hknaiea + a-Motnent, dagegen aber fllr FJIT keia iriiksamei — a-Ho- 
■Mt gellea laaeea nltalite. 



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92 Vittorio Bennasi, 

Die DifferenibeMige: 

A^ — Äi, 

-A:, — J«, 

dienen dagegen als Kriterium für die Wirksamkeit von dz e, und 
entsprechend : 

■«1—47, 

■^2 — As, 

A^, 
A4 — Ad 

für die Wirksamkeit von ±-- a, weil bei jenen Paaren nur e, bei 
diesen nur a das Vorzeichen verändert Diese Differenzen be- 
tragen: 

fttr±/:18,4; f)lr±«:13,0; lttr±a:83^2; 

19,4; 12,0; 8^2; 

13^; 28,0; 24; 

13,6; 28,0; 18,4. 

Nehme ich fllr jede Gruppe den Mittelwert, bo erhält man als 

mittlere f'y e- nnd a-EinflIlise: 

ASiaflaß »16,26; 
e-Einflaß = 20,25; 
a-Einflofi = 13,05. 

Diese Zahlen, die nar einen »qualitatiTen« Wert beanspruchen, 
besagen, daft der «-EininB der wirksamste, der a-£inflnfi der 
sohwäehste ist. Am meisten yerilndert also die Größe der Er* 
wartnngszeit, am geringsten die erhöhte Anfinerksamkeit die 
GrOfie der sabjektiren Versohiedeobeit ron V nnd K Der Ein- 
ilnfi der zeitlichen Folge, also nicht der N V- oder FJ\r-Folge, 
nimmt die IGtte ein. 

Nnn wäre es hier des inneren Znsammenbanges wegen wohl 
am Platze, die Momente zn erwägen, die am ehesten geeignet er* 
seheinen, den Einflnfi von db e nnd =b f verstäodlich an machen. 
Doch halte ich es fllr angezeigt, dies erst nach der Bespreohnng 
des Einflusses von dr« nnd d: f anf die scheinbare Größe »langer« 
Zeiten (vgl. § 3) zu unternehmen. Vielleicht erleichtert uns man- 
cher Cregensatz zwiachen >lan^'eu« und »kurzen« Zeiten die Auf- 
fassung der in liede stehenden EinflUssäe. Noch ebe wir uns aber 
zu den »langen« Zeiten wenden, mtlssen wir den Einfluß von e 
und f bei objektiver Gleicbheit von und T' bestimmen und 
schließlich die in den »falschen« Fällen enthaltene Bestätigung 
für das Bisiienge, wenn auch flUcbtig, berühren. 



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IL ErwattmigaMit und svltjektiT« ZdtgrOß«. 



93 



f} Die YergleichsauBsagen bei N=V, 

Li den folgenden TUiellen IX nnd X nnd die erliallenen Yer- 
gleicfaMiuMgen im ^mmmenhaDge endmlten. 



Tabelle IX. 



itBBgnett 
1 


Avnge d^Tii., lMiog«ii uf die unweit komaende Zeit 


r' 

101,66 ji] 


[27,09 ><] 


120,16X] 


r{N) 






= = > = = ><> = = = = = ? = = ><< 


12 


4 


3 






11 


6 


6 






11 


5 


8 




^m^m^^^^^^ • ^ • ^ ^ ^ ^ *S,*<^ ^ ^ 


10 


A 

w 


8 




^ ^ ^V. ^ ^ ^ ^ — 


9 


2 


10 




•> 9 -SS- "i , - = = = <r' = = ^ ~> = > - " -- ■> 


10 


5 


4 




— ^ ■ - --^ ^ ^ — — ■ ^ ^ ^ — ^ 


7 


12 


1 


~ 1 


— ^ ^ — — — • — ' ^ 


10 


• 


3 




Tabelle X. 








k 


Aamge der Yp., Iwecgen mf die snnreit kommende Zeit 


[42,84X1 


[10,71 j^l 


/»< 

149,14^) 








= = <«>> = <> ?=-<«=? ><><> 


8 


6 


5 




«<<==<<<<=<<<«<=<=<=< 


8 


0 


13 






9 


0 


11 




-»<><-<>-«-^«<>-«-< 


9 


5 


7 




= = -«<< = = « = « = <<<<<<< 


8 


0 


13 




= < = = = = <<'^ <<<<<>«<< = > 


9 


2 


10 




= >> = < = <>=? ?< = -= = < = > = << 


9 


4 


6 




= <<«< = <<< = « = «<<<«<«< 


8 


0 


13 



Stellen wir aus Tabelle IX und X die Prozentbeträge richtiger 
und anrichtiger Aassagen ftlr die Koiübiiiationen Ä- l und / k 
'd. h. der zuerat kommenden Zeit wird die kurze, der zuzweit 
kommenden die lange Erwartungszeit vorausgeschickt und oinge- 
kebt)^ 80 erhalten wir folgende ZnBammenBtellnng: 

k l ri.61,66f« /i>»S7,09X /t<B9046}6, 



1) {r^, /*> iP», f^< if*<0 bedeute» liebtige Aungenmf Gleleh- 
kflit bnr. uurlektige AuMgen auf »sweite Zeit grO0er« md »mite Zelt 
Udaer«. 



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94 



Vittoib Bewuilt 



bei der zu erklären ist, einmal weshalb bei der Kombination k l 
die Anzahl richtiger Anssagen auf gleich größer ist als bei der 
entgogengeaetiteii Kombinatian, dann aller, weshalb hei k It /'^> 
80 wenig von <, bei l k dagegen bo weit Ton ^< yer- 
schieden ist Beides eiU&rt sieh m. £. im Hinbliok auf folgendes: 

a) Geht der zuerst kommenden Zeit k yoran (also eine kitfte 
Erwartimgsztiit , so wird, wie gezeigt (vgl. obeu 3, b , diese Zeil 
subjektiv verkürzt, bzw. die znzweit kommende infolge der ihr 
vorausgehenden langen Erwartu ups zeit 7 verliiiii^ert. Dnrch die 
Wirkung der Folge (Zeitlage} wird weiter die zuerst erfaßte Zeit 
snbjektiT vergrößert, die snsweit er£ftfite natürlich subjektir 
▼erkflTzt. Die awei Faktoren Erwartnngszeit and Zeitlage wirken 
also bei ifc / einander entgegengesetst; dafi immerhin 
etwas grOfier ist als p<Ci ist in Hinbliok daianf an verstehen, daB 
die Wirkung Ton e, wie gezeigt (vgl. oben sab e), stärker ist ah 
die von /. Nur diese Wirknngsdiflferenz e — f kommt hier zur 
Geltung, und nur um weniges kann daher /^>> größer sein 
als r<. 

b) Geht dagegen der zuerst kommenden und daher, ihrer Zeit- 
lage zufolge, subjekti? größer erscheinenden Zeit die lange £r- 
wartnngsieit (4), der znzweit kommenden und daher snbjektiT 
Terkttrsten Zeit aber die kurze Erwartnngszeit {k) Tonuii so be- 
wirkt sie auch ihrerseitB eine scheinbare Verkllrzung dieser Zeit 
Bei der Kombination l k wirken also, wie ersiebtUch, beide 
Momente e und ± f im gleichen Sinn: Ihre Wirkungen in 
bezug au 1 subjektive Zeitvcrkiirzung (bzw. Verlängerung) summieren 
sich bei den einzelnen Zeitstrecken «tatt sich bis auf eiuen ge- 
ringen Rest, wie bei k /, gegenseitig au&uheben. Die entgegen- 
gesetzte Wirkung von e und f auf eine und dieselbe Zeitstrecke 
muß eine Erhöhung der richtigen Fiüle bewirken; sie tritt auch, 
wie das Verhältnis r><rA zeigti tats&ehlich ein, weü sich bei k l 
Gleiohheitsanssagen einstellen müssen, die nicht auf ein korrektes 
Vergleichen, sondern auf die gegenseitige Aufhebung yon e- 
und /'-Einfloß zurückgehen, ebenso wie die gleichsinnige Wirk nng 
von e und / eine Erhöhung der falschen Aussagen p<Z, belogen 
auf die znzweit kommende Zeit, zur Folge haben nmü, weil diese 
Zeit durch Lage und Kürze der Erwartungszeit subjektiv verkürzt 
wird [tatsächüoh ist fk> f>]- 

Die Verteilung der Anzahl richtiger und unrichtiger Aussagen 



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IL frwftrtimgsaeit und sa^JektiTe ZeitgiOße. 95 

bei ifc i imd l k ial alio so« der Wirkung von ± e und / in 
TdUi^ znfriedensteUender Weise zu yenrteheii. 

g) Die aiirielitigen VergleieliflaaflBageii. R^same. 

Id der folgenden Ubersicht stelle ich die »falschen Fälle« zusam- 
men und sohieke einem jeden Freqncnzbetrage unrichtiger Vergleichs- 
amsagen die zugehörige Gestaltung der sabjektiven Yersehiedenlieit 
Toa V und N voran (mit /i ^ • • A Frequenzwerte 
nniiolitiger [inadfiqoater] VeigleicheergebniBBe aof S symboliBiert). 



1) 


... — • + 


fi> 


. . . 10^4 % 




. . . 17,6 % 


2) 


... I>H- « -h /"+ a 


fi> 


... 2,4 




. . . 13,6 S 


3) 


. . . Z> + c — /"-Ha 


h< 


... 7,2X 




. . . 24,8 s 




. . . D^t-^f-ta 


u< 


... 9,6 % 


A = 


. . . 88,6 X 


5) 


. . . D + e — f—a 


h> 


... 9}6 )i( 


Ä = 


. . . 28,0 9^ 


6) 


... D — e — f — a 


h> 


. . . 20,8 




. . . 48,0 X 


7) 


... I> — « + o 


u< 


. . . 21,6 9i 




. . . 80,4 «i 


8) 


. . . D-^e-tf" a 


h< 


... 1,6 J6 


A = 


. . . 18,4 % 






^/•.= 


2ft,0 , 












16,U % , 












32,0 9( , 












43,2 ?6 , 












37,6 jtf , 












68,8 % , 












62,0 X, 










5ä« 









Die Frequenz unrichtiger (inadäquater) \ crgleicbsergebnisse 
mufi nattlrlicli um so größer sein, je geringer die sulijeictive 
Verschiedenheit von und V ist, und werden die f — gegenüber 
den um ao größere Frequenzwerte aufweisen müssen, je 
größer die subjektive Verschiedenheit, und 
daher je geringer die Summe {f =) + (f ^) 
ist. Ersterc« ^':ilt liier (ihne Ausnalime (man 



10 



vergleiche ilic Summeuwerte - /, 



letztere?? tritt nur bei den Stellen maximaler 
subjektiver Verschiedenheit plötzlich sehr 
deutlich hervor, was aus nebenstehendem 
Diagramm, in dem die mittleren Quotient 



t «0 

r jn 
rn 



t 3 i 

2 (Flg.^. 



Beträge aus 



(1—4) fr» die Tier OrOfien der mb- 



jelLtiveii Verschiedenheit eingetragen sind, zu entnehmen ist 



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96 



Vittorio Beuiueiy 



Die Dsntelliiiig der 8ieh bei kmen Zeiten infolge der Varia- 
tion der Erwartangszeit ergebenden Tatbeetlnde ist biermit zn Ende 
gefHbri leb will die Eigebniaie bier kui sosammenfbiBen. Sie 
Bind: 

Die zeitliche Fulge der zwei zu vergleichenden Zeitstrecken 
wirkt im Sinne einer Tendenzbegrttndang zur sabjektiven Verktir- 
znDg der zazweit, bzw. aabjekÜTcn Yerlängemog der zuerst er- 
faßten Zeitdistanz. 

Die Erwartnngaseit begründet, wenn lang, eine Tendeax aar 
snbjektiTen VerUlagernng der ihr folgenden Zeitetrecke, wenn knn, 
eine Tendena anr salyektiTen Verkttranng der naeh Uir erfaftten 
Zeit 

Das Pias an Anfinerksamkeit, das der zoaweit erfaßten Zeit 
natOrliehenreife ankommti kann mit einer YergfOfiening der Ver- 
Bobiedenbeit von N and F in dem Fall äquivalent betraebtet 
werden, in dem V an aweiter SteDe, mit einer Verringernng die- 
aar Yeraebiedenbeit, wenn V an enter Stelle kommt; denn daa 
eine Mal trifll die grOfiere Anfknerkaamkeit die rieb veiindemde, 
das andere Mal die konstante Zeitstrecke. 

Ein Einfluß des Größenverhältnisses von N nnd l\ als F<;.^ 
nnd ^> N, ist nicht zu konstatieren, wiewohl, da V um den 
gleichen ahsoluteu lietrag kleiner oder größer war als N, zu er- 
warten gewesen wäre, daß das Verhältnis V <' N die Tendenz be- 
gründet luätte, bei dieser Kombination eine größere Frequenz rich- 
tiger (adäquater) Vergleichsergebnisse zu zeitigen als bei dem um- 
gekehrten Verhältnis von V und N (vgl. § 4). 

Beaeiehnen wir mit ±: e die Wirksamkeit der Erwartongaieit, 
mit ± / die der aeitliehen Folge, mit ± a die der erbebten Aaf- 
merksamkeit nnd mit ^ die dea rebitiren OrOßenTerbSltinaaea von 
N nnd V, so entnebmen wir ana den bereehneten IXfferensbetrigen 
riebtiger (adXqnater) Yergleiebseigebnisse, dafi i^eb d:/*, 
dra, dog ibrer Wirkaaoikeit nacb eben in dieie Beibenfolge 
ordnen laaien, indem die Wiiknng yon ± e maximal, die von ± g 
gleieb KuU iat. 



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II. ErwArtangsseit and lobjektiye Zeitfrttßa. 



97 



I S. D^r BiiiiA TM ± 0 ud ±/ Mf Zg, 

a) Yersnolisdateii. 

Die Vennche, die mit langen Zeiten (= 1200 a) angestellt worden, 
waren dem Anfbaa der Yersachsreihen, der Größe der Paoae lowie 
den Erwartnngszeiten nach den mit angestellten völlig gleiek 
Da die Anzahl der Vp. 24 war, so gewann ieh ein Indaktiom» 
mateiial Ten 1536 Awnagen. Diese ergaben, naeh Gnippen ge* 
mlB der CHeiefabeit der objektir«! Sachlage geordnet» folgende 
Zuammenstellnngen, die leb bier (Tabelle XI— XX) ToUsttadig 
wiedeigebe. leb beginne mit der Besprecbnng und Wiedeigabe 
(Tabette XI— XVm) der YergleiebeaneMigen bei objektiTer Un- 
gleiebbeit Ton N nnd V nnd werde die Fälle objektiTer Gleieb- 
beit (Fas N) flir sieb allein naebber sniammenetellen nnd eiOrteni. 



Tabelle XL 



rwrartunfrszeit 

gpd Folge AnBUgsn d«r Vp., b«iog«ii aof V 

k: N {i] r 


rf 


r> 

[26,68] 


131,081 




-~ 


» ><-->--<--<-«"»> = -?-> 

= < = = <- = = <<=< = <<< = << = < ? => 
= <>>=--<<«= = <= = <><<>> ?=>-»< 
<>>= ? »«->> ? <<< = <<<<<<<< 

«»>-><»><><--<»<-><> 

Tabelle XU. 


5 
11 

8 
14 
10 

8 


7 
1 

R 
4 


18 

11 
9 
4 

l 


rmutongszeit 
and Folge 


Anmgea dar Vp., belogen «nf V 




r y fk) V 


11)111 
1 1 1 1 
1 1 


-<< = >><< = < = <>< = < ? ■=< 
><>< = = <<<> = <<<<><<> = < ? = 

<<«= = <--<<< = <<< = «=<<< = <<<< 
<•=-> = = -=><>><<<<<><<< ? >> = 


10 
12 

17 

16 
9 

11 


4 
6 

3 
0 
7 
2 


8 
5 
4 

8 
7 

1 9 



▲ichiT ntr Psj«kotofi*. XOL 7 



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98 YiHUftio fieiiBMi, 



Tabelle XUL 


£rw«rtangszeit 
und Folge 


Aoasagen der Vp., bezogen taf V 






+ 

+ 4- 

4- + 4- 
4* 4" ''k' 

4- 


t <>«> f <>— — «< — > ? ? > 

>--»>»><? ?=>> = < = >>>> ^ > 
> = = > ? >> = = <> ? >>>>><<>> ? => 

>> = >>>>><>>> = >> = >>>>> ? >« 
>>>>>> — >^ = >>>>> = <<-» — >>>> 

-»--«-->>>>--->«<>->->-> 

Tabelle XiV. 


7 

14 
13 
18 
17 

u 


6 

2 
3 
1 
2 


Krwartnngszeit 
aad Folge 

lt\ K Ik) V 


AnaMgen der Vp., bezogen auf F 


(62,101 


r< 


-f- 

4-4- 
-+-4-4- 
•^-f4- 
H- + 
4- 


■= = > = >><<<-< ? >> ? >><<>>> = > 

>->><>>><<><>><>>><>>>>> 
>^ >>>>>><>>< = >>>>< = >> ? >> 

>>>>>>>> ?> = > = >>>»> = ><>- 
>-»> ?><?<-? ? ? - 


11 
17 
17 
18 
15 
12 


6 
6 

1 
2 

2 



Tabelle XY. 



ErwartuDgszeit 
ttnd Folge 


AungeD d«r Yp^ baogeii auf F 


rf f> 
178,86) [3.4 < 


(*) V {/) JV 


1 1 1 1 1 1 1 

1 1 1 1 ! 


II AAAA n 
II A II A A A 
0 AAAAA 
II B A A A A 
! II AAAAA 
AAAAAA 
II A - AA II 
AAAAAA 
AAAAVA 
^ V n A II a V 
• S- II AAAAA 1 
1 2: AA B AAA 
1 ® AAAAAA 
' X B AAAA B 
< AAAAAA 
• VAAAVA 
AAAAAA 
II AAAAA 
AAAAAA 
fl n A A A A 
H AAAAA 
A - A A - - 
AAAAAA 
AAAAAA 


19 
20 
28 
21 

20 

11 


1 
S 

0 

0 
0 
2 


Erwartangszeit 
und Folge 


Aumgeii dw Y]»., besogen auf V 


rf 

[76,21) 








1 1 
1 1 i 1 

1 1 1 1 1 1 


<<-< ? < ? < = ><<<<<<><«< = 

<<<<«-««<<<««<-«<< 

<<<<<<<<-<<<<<<<<<<<<<<« 
<^ = << = = < = < = =<<<<<<=?<? <- 
«< = <<*=<<<«<><>«-. ? ««« 


15 
21 

22 
22 
13 
16 


1 

0 
0 
0 
2 



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IL ErwuUaguMt and subjektiTe Zeitptißd. 99 



Tabelle XVU. 



El waiMBgnei t 

ud Folge 


4 

. Aantgea d«r Yp., bwogw auf F 


rf 
129,91J 


136,SÖJ 


f = 


fii V (l) N 


-r 

+ + 

+ + 


= =^ = = = < ? =<< = ^ = < ? <<>><<<«< 

<<<><< ? <«>«< = = >>>-■=< ? < 
>">-- ? »<> ? »><»<->=-- 

»<«< = <«-«=<<>-=>>< = = >> ?< 
= =»-<>-=<> = > ?< = = = >>><>><<< 
<«= = <>--=< = > = >> = <<<<> = > ? « 

Tabelle XYUI. 


2 
5 
11 

7 
8 
6 


11 

13 ' 
S 
9 
7 


9 
4 

8 

7 

8 
8 


Erwartangnelt 

und Folge 


▲viBagOB der Yp., beaogta anf F 


rf 
184,16] 


f< 
133,121 


f — 

136,19J 


CD r {*) N 


-r + 

1 1 ■ 
"f~~i~ "f" 

4- + + 
4- 


^«<>«<<«<=<==<«>>>=»„ ?<« 
-<<< V = = ? 

^ " ^ *< ^ " *^ " ^ *k ^ ^ ^ • ^ ' =^ 

? < = ><> = >^>..>>>= ? => 

> = = <> = >>><<<<<>> > << = >< = < 
? = ? =<<> = << = ><< = < ? «« 

b) Das =b ^ und da» db ^-Moment 

Ans Tabelle XI— XVIII entnehme ich die Frefiuenzwcrte 


4 
6 

A 

w 

9 
8 

nch- 


7 
6 

in 

2 
11 
12 


18 
10 
o 

11 
6 
7 



tiger adäquater) Vergleich8erg:el)niB8e ftlr die untersuchten Kombi- 
nationen and erhalte neben der graphischeu DaratoUang in Dia- 
gramm 3 folgende Übersicht: 



1) 


JTF 


F< N 


k 


l 


21^% 


.... J«. 


2) 


NV 


V<N 


l 


k 


61,75 % . . 


.... J,. 


3) 


N V 


r> N 


k 


l 


65,20;/ 


k • « * 


4) 


NV 


r> iY 


l 


k 


62.10 


.... 


6) 


VN 


F<iV 


k 


l 


78,86 X ■ . 


... ^5 , 


6) 


VN 


F<y 


l 


k 




.... ^, 


7) 


Vir 


v>ir 


k 


l 


a6,«[^ .. 




8) 


vir 


V>N 


l 


k 


84,15 % . . 


....Je. 



Der Verteilung der berechneten Prozentbeträj^e gegenüber er- 
hebt sich nuü die Frage, ans welchen Faktüren dicBeibe zu ver- 
stehen sei. Nimmt man an, die (zeitliche) Folge wirke im Sinne 
einer scheinbaren Verkürzung der zuzweit erlaiiteü Zeit, wie dies 
bei der Fall w ir, so erhält man für 1 ... 8 die folgenden 
8nbjekti?en Verschiedenheiten (a): 



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100 



Yittorio B«Biwit 



i> + A 



i> + /", 

+ A 
D-f. 



Mau bieht aber gleich, daß man mit üilfe dieser Annahme 
keine Ordnung in die erhaltenen Prozentwerte einfUhrt. Wohl 
aber, wenn man annimmt, die Folge wirke bei diesen Zeiten im 

Sinne einer subjektiven Ver- 
längerung^ der zuzweit erfaßten 
Zeit. Dauü erhält mau die oben 
unter [h's darere stellten Größen 
der subjektiven Verschieden- 
heiten für die Kombinationen 
1 — 8, und man sieht, daß dort, 
wo + /* Torliegt, sich anch die 
richtigen (adäquaten) Vergleichs- 
aassagen häufen und umgekehrt. 
Das Ergebnis ist also: die Folge 
wirkt bei Zg im Sinne einer Ver- 



100% 
fo 

«9 
70 
60 
M) 
40 
30 
?0 
10 




•»»•gl 
•ii-g» 



•«•gl • 
•fi-gi $ 



Diagramm 3 (Fig. 6). 



lüngermg der zuweit erfaßten 
Zeit Es fra^ sieh aber des 
weiteren y ob der Hinweis auf 
diese in der Folge begründete 
snbjektiTe Za- oder Abnahme der Verschiedenheit von N und F 
allein snm Verständnis der DiiPerensen unter den erhaltenen 
Prosentbetriigen genügt Dies ist, wie ersichtlich, nicht der Fall. 
Hauptsächlich ist der große Abstand 7on Ai^ A% gegenüber J«, Jg, 
also die Erensong der Korren ß nnd o in Diagramm 3>), aas 
der Wirkung Ton :t ^ nieht zu Terstehen. Knn steht uns die 
Wirknng der Erwartongsaeit znr Verfügung; sie ergibt in bezug 
anf Modifikation der snbjektiyen Verschiedenheit: 



1) Die Kurve a gibt die Freqaenzwerte richtiger AuBsageu für die 
FoTsj-f T' y , fi ^ N V wieder. Auf der horizontalen Achse Bind die Modi- 
tikationen der subjektiven VerBchiedenheiten durch ± f und ± g [vgL S. 101] 
»ngegeben. 



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II. ErwartongiMit imd BobjekÜTe ZeitgrOiBe. 101 



D-t — f Äu 

D + e-f J,, 

D-^r-\- f J,, 

D-e + f 

D + e + f -46, 

D—e + f 

D^t-f 

D + € — f M- 

Daß aber mit dem Hinweis auf ±l e nicht das am weaentlicbateii 
wirkende Moment getnttVon ist, gebt aus folgendem hervor: 
Eb bleibt nnerklärt, wieso Ä^^ > Ä-,, .4. - Af,, A. <; A», usw. sei. 
Nur die Erhöhung der Anzahl richtiger Ausßageu bei Ai und A^ 
gegenüber Äx und wäre aus =t e zu yeratehen. Ebensowenig 
ist ans der Berttcksicbtignng des im obigen bei Zj^ als wirksam 
erkannten =b a-Moment etwas zn gewinnen, denn dieses Moment 
wttrde verlangen, daß Äi . . . Ä^"^ . . . wäre, indes hier 
^<;^, ^2</l,, J3>J7, A^^Ä^ ist Erwartongszeit 
und gesteigerte Aufmerksamkeit scheinen also bei Zg nicht zu 
wirken. £8 bleibt ims noch ein Moment übrig, mid zwar gerade 
jene«) welobes lidi bei ^ als nnwii^sam erwies» leb meine das 
Im GrOßenTerhiUtnisie gelegene, hier knn ak ^-Moment 

an besetobnende. Dieses verlangt, dem Web ersehen GeMtse sn- 
folge, dafi dort, wo F< ^ ist, die Verschiedenheit Ton ^ und F 
giOBer ist ato bei F>J\r, gleiche ^-DiiTerais Yon JlT und F 
natürlich Toransgesetzt Berücksichtigen wir diese Fordenmg, so 
erhalten wir folgende definitive Darstellmig der snijektiven, 
wirksamen Verschiedenheiten von ^nnd F(ygl. anch Diagramm 3), 

D — f+ ff 38.64 % Ai, 

D — f -i-g öl,7ö > Ai, 

D-^f-g 66,20 % A^, 

D-^f-g «8,10X UU. 

+ 77,86 1« J«, 

D-^f-^g 7ö,21f« Je, 

D-f-g 26,91 % At, 

D^f^g 24,16X 

and ersehen, dafi bei den vier ersten FHUen / nnd g entgegen- 
gesetstes, bei den vier letzten gleiches Yorseicfaen haben: 
der Abstand von nnd gegenüber At nnd 4§, bzw. das 
dentiiche Anscinanderfallcn von gegenüber A^^- A^ gegen- 
über A^ gegenüber J| nnd A^ gegenüber ist in Hinblick 



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« 



108 Vlttorio BamiMi, 

auf die Wirkung des ^-Momeuteü ohne weiteres verständlich. Die 
zwei Momente ± f und ^ g g-enllg-en vollständig zur Erklärang 
der Verteüang von Frequeuzbeträgeu adäquater Yergleichftergeb- 
DiBse bei den F&Uen 1 . , . 8 (Tgl § 8, a). 

Zum SeUoiie seien nooh die FUle muiohtiger YefgleieliMiu- 
eagen, sowie die Vert^niig rielitiger und mniolitjgeT Anangeo 
bei iTB^Fknn enriümi Eifleie eig«ebeii (A>, A<i /i«» • 
Mevieo »faliehe« [«nrielitige» bsw. inadiqule] Auaagen auf >, 
< und «): 



1) 


... D-f-\-g 


fx>' 


. . 25,63 




. . . 31,06 X , 


a) 


...D-f+g 


ft>' 


. . 16,18 % 


h = 


. . . 28,29 X , 


4) 


,.,D + f—g 


/i<. 




/'s- 


. . . 86,22 % , 


4) 


... D + f-'g 


Ä<. 


18^ 9( 




. . . 17^ % , 


6) 




Ä>. 




Ä- 


... tt^K, 


6) 


... 


/6> . 


. . 3,45X 




. . . 16,56 % , 




... D-f-g 




. . 36(88 ^ 


r7 = 


. . . 30,36 ^ , 




... D — f—g 


A< . 


a8^i2x 




... 36^19^; 




















43,47 ^ , 












36,67 % , 












31,06 9« , 












15,87 9£ , 












20,01 % , 






















5ä« 









Die Minima an Frequenz unrichtiger Aussagen liegen, wie 
ersichtlich, bei der größten, die Maxima bei der kleinaten 
aubjektiTen Veraehiedenheit. Anfierdem ergibt sich aus der 
giOAereii Fnqnens imriehtigeT (inadlqiiater) VeigKeiehsergebniaae 
bei 1, 2 gegenUber 3, 4, daß dem ± / Ar den Ana&U dea Yeiv 
gleichea eine grOftere Bolle anftUt ata dem d: waa natttrUeb 
aneb ana den grOSeren Freqnenswerten bei J«| in Ver- 
glmeb WBL Ai, (siebe oben S. 99 nnd 101) benita zu ent- 
nehmen ist 

Die FKlle objektiyer Gleichheit Ton N und V ergeben 
folgende Verteilung richtiger (adäquater) uüd unrichtiger (inad- 
äquater) VergleichöergebDisse; 



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n. Srmrtottgneit vaA n1|)ektivt ZeitgtOOe. 



103 



Tabelle XIX. 



Krwartan^zeit 
k l 


AMmgw der Yp., betofon «nf die eoiweit erbOte Zaik 


182,24) 


[47,82] 


r ^ 
/!< 

(17,681 

III 






7 




9 








9 


9 


5 




> = >> = = <><< = <=.^=»>>>>->?=.= 


10 


9 


4 




> = ><>"=>><<= ? >>>>>><-> ? >< 


4 


13 


5 




> = >=?>»-=<-=> = >>>><>->? ?> 


6 


13 


2 




»»<»»«<>-»»»> ^ f > 


1 


17 






»-»>>-.><>> = «»>>>>< ? >> 


6 


16 


2 






10 


6 


6 



Tabelle XX. 



der Yp., betogee mf die soeirelt erftfite Zelt 



I30,16]i[46,24]^ tl5,ti] 



>- ? <«=> ? ><<=•---=<>»>>> ? -< 

>---<->«--«-<-<><>-? 

> ? = = = = < = << = <<--- = > = = < ? 

> ? ><> = >> = <- ?>< = <>>><>?>> 
>->><> ? > = >>-»>> = <>>> ? >> 
>>-><>>>>>> ? -•=><>>>>>>«> 
>-» » >-><» ? >->-»>-> ? » 
---->- ? »»-»><-<»> ? >« 



Aus den Tabellen XIX und XX steUen wir die Prozeutbeträge 
xasammen und erhalten: 

k l ... rU ... 32,24 X /i > . . • 47,32 X /i < • • • 17,68 X , 
l k,..rft... 30,16 /i> . . . 46^ 9( rs< • ■ IW . 

woraoB Bich ergibt, dafi d= ^ so gat wie wirkungslos, ± /* dagegen 
allein Aür dea Anifall des Vergleiches maBgebend ist Hätte ± e 
(ErwarkOBgsieit) auch etwas zu bedeaten, dann mttBte /3> dent- 
lieb kleiner sein ala bsw. mttBte aogenlUtert gleieb /s< 
Mio, dem, nntor Annahme einer Wirkung Ton dr e neben 
mttfit» diese zwei Momente sieb bei A Mn ihrer Wirkung enm- 
mleren, bei I dagegen gegenseitig aufheben. 

e) Gegensätze bei and Zg. 

Yeraaegeeelst} daß die in Tecgleiehendeii Zeiten dem Gebiete 
der »giofieni (langen) Zeiten angehSreni nnd daß die Fante eine 



7 


9 


6 


12 


4 


6 


14 


2 


6 


4 


12 


5 


4 


16 


2 




17 


8 


; 


16 


8 


8 1 18 


8 



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104 



Yittoiio Bommi» 



als solche znm Bewuüttiein kommende, also eiue verhältDismäßig 
lange sei, so erweisen sich, ganz ungeachtet dcsseD, ob die Er- 
wartungszeiten, die den zwei zu vergleiciiendeTi Zt iten vorausge- 
schickt werden, gleich sind oder nicht, als Itir den Vergleich auß- 
Bchließlich maßgebende Momente =b f und ± d. h. die Zeitlage 
and das Größenverhältnie von N und F, indem die zazweit erfaßte 
Zeit, weil TollaOndiger erfaßt (vgl. § 8) größer erscheint als die 
zuerst und weniger vollständig erfaßte, die Verschiedenheit von N 
und V aber bei gleicher Differenz dann natürlich größer ist, 
wenn V<CN ist. Halten wir uns Jetzt die Ergebnisse itlr Zi- vor 
Augen, so kOnnen wir die rOUige Gegenstttsliehkeit toh 
und Zg in besag auf Abhängigkeit von ^ a, g nnd e ans folgen- 
der G^genttbersteUnng klar entnehmen (die Umkebrong Ton f 
bei Zg bedentet, daß ± f hier wohl wirkt, aber mit entgegen- 
gesetztem Erfolge als bei Z^): 

für Zji ist :r / wirksam , fUr ist ^ ^ wirksatu , 



I 4. Das Yerhältnis X und die Verteilung richtiger 

Yergleichsaossagen. 

Ks wurden iia obigen immer bloü die Summen der richtigen 
(adäquaten) Vergleichsaussagen bei V^N berücksichtigt, ohne 
näheres Eingehen auf deren Verteilung bei gleichsinnigen, aber 
verschieden großen Differenzen von N und V. Solcher Differenzen 
liegen aber immer je einem weiter verwerteten mittleren Frequenz- 
betrag richtiger Aut^saeren drei zugrunde S. 84 ff.), indem bei V'^N, 
Fdrei verschiedene (xröLk'ii aul'wciBT, l)ci V --^ Febeuso m drei 
Abstufungen verwendet wurde Bei der Bereehuunp; der Frcijuenz ad- 
äquater Vergleichsaussagen auf ^ oder <^ (bezogen natürlich auf V) 
wurden diese Stufen nicht auseinander gehalten. Dies hätte ja 
angesichts der weiter oben zu beantwortenden Fragestellung nnr 
eine nnnOtige Komplikation in den zugehörigen Darstellungen ohne 
jeden Nutzen eingeführt. l>n flir jede der zwei nntersnchten 
Kormalzeiten {N) je drei Stufen des Unterschiedes illr F>iV 
und V<^N Torwendet worden, so war es völlig znllssig, die 
Frequenzwerte adSqnater Aussagen je dreier Stufen gleiehen Vor- 



±9 wirkssm, 
±0 wirkato, 
g sawirkssni 



± 9 unwirkaam , 
:±: 0 umHikMm , 
dl ff wirkasni* 



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n. ErwartmigtMft «id mibjekllT» ZcitgrOOe. 106 

Zeichens znsammenzuDehmen und sie als Anzahl richtiger (ad- 
äquater) Yeigleichgergebmue bei K>>^ und K<^^ kurzweg za 
behandeln. 

Hier soll nnn noch im besonderen nacbgetnehen werden, ob — wie 
freilich ohnedies zn erwarten ist — die Anzahl der adäquaten 
YeigleiehseigebniMe mit der Größe der objektiveD Differenz 
einigermafien entsprechend zunimmt, wobei im Auge zn bebalten 
ist, daß, N gegentlber, die positiven nnd negatiTcn Dififerenzen 
gleich groß waren, ond daß die Düferenien N^-V eine arithme- 
tuche fieihe bildeten. 

In der folgenden Znaammenstellang bedeutet — , ^ die drei 

. + 

gewihtten negativen Differenzen, also V<:^N, +, T[, + die 

drei positiven, aluo K'> Jede dieser Differenzen kam für jede 
einzelne der acht untersachten Kombinationen aus T'', .V und e 
(Erwartnntrszeit) zweimal vor. Man erhielt also llir jede zwei Fre- 
quenzwerte richtiger adäquater) Vergleichscrgebnisse. Diese Werte 
sind in Tabelle XXI a und b zu je einem Mittelwerte zusammen- 
genommen worden,^ so, daß z. B. fUr die Kombination kN^, 

l V< nur die Werte ^i+Ü ^nd anB den in fol- 

gender paradigmatischer Ubersicht eutbaltenen Eiuzelwerten be- 
rücksichtigt wurden. 

"... S.i.tt^y 

— — . , . 17 . . . 
— — — ... 19 , , t tfif 
-~ , , , 19 . . . f 

"~ — • ... 14 1 1 1 tfif 
^~ ... 8 * • . fli* . 



Tabelle XXI a. 
Z, (lange Zelt). 



Folgej 


ErwartasgB- 
seit 












+ + 


4- + + 


N v] 


k l (Ij 




10,ö 


11,0 


9,0 


15,6 


16,6 


irr 


1 * ffl) 


10«6 


10,6 


16.6 


11,0 


16,0 


17.6 


vn\ 


k l [mi 


16,0 


20,0 


22,0 


4.0 


6,6 


9,0 






16^6 


17,0 


2S,0 


3,0 


7.0 


7,6 






W 11.» 


14,6 


17,9 


(/}} 6,76 


11,26 


18,87 



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106 



Tittoiio BanoMl» 



Tabelle XXI b. 
(koiM Zelt]. 



Folge 


Erwartungs- 




v<:n 


1 


r> N 


1 «it 


- 








+ 4- 


-4-4-4- 


irv 


1 *' 




l&fi 


19,0 


8,0 


14,0 


16^ 


NV 




14,0 


17,0 


20,0 


7.5 


7,5 


16,0 


VN 


1 k l 


11,0 


11,5 


15,6 


4,0 


10,5 


13,5 


VN 


i k 


3,0 


7,5 


9,0 


14,5 


16,5 


17,5 






(«'] 8,76 


12,9 


16,9 


{fi'] 8,6 


11,9 


16,9 



SteÜen wir der ^ Bereu Atudiaiifiehkeit halber jede Gruppe 
von Zahlen (für JVF,»A /, F<; JV . . . naw.) durch eine Kurve dar, 
80 erhalten wir die Diagramme 4 — 7, Aus dicseu eracLeü wir, 
daß, wie zu crwarteu, die Anzahl richtiger (adäquater) Vergleichs- 
ergebnisse mit der Größe der objektiven Differenz von N und V 




Diignunm 4 DIagnunm 6 Diagtanun 0 Ditgttmm 7 

(Big. 7). (Plg.S). (Pig,9). (Piff. 10). 

zunimmt. Eine nähere Bestinirnnng dieses Verbältuisses ist hier 
nicht angezeigt, da es sich um Ergebnisse aus Kdllfiktiv versuchen 
handelt. Wichtiger, weil nicht von vornherein zu erwarten, ist da- 
gegen die Tatsache, daß nur hei Z,^ sämtliche Werte fttr V^N 
tiefer liegen als die entsprechenden für V<^N; bei Zj. liegen die 
Mittelwertkurven a' und ß' gleich hoch, welche Tatsache bedeutet, 
daß nur fttr die große Zeit das Mehr an Verschiedenlieit, 
das bei F<iV gegenüber F>A^ vorliegt, in den Frequenz- 
werten der VergUiohBanssagen znr Geltang kommt , indes 



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IL Enrartnngsseit md tnbjtktiT« ZeitgrOOe. 107 

f)lr den Aasfail solcher Werte bei Zj^ dieses Pius an Verschieden- 
iMit zn keiner Wirkung gelangt Dies stimmt mit der weiter nnten 
zn erwägenden Tatsache ttberein» daß nnr bei grofien Zeiten 
kein Anffälligkeitswettstreit zwischen den Vorstellungen 
der ZeitBtrecken nnd jenen der Orenzgeränschkomplexe 
Torliegt, Bo dafi die eigentlioh sn vergleiehenden Gegen- 
stände ftuek die nnff&lligeren nnd dnher aneh die in 
ikren YerAndernngen leiekter zn beacktenden sind. 

^ 5. Erwartongszeit und Pause. 

In den Untefsnehnngen ttber ZeitgrOBe nnd Betonnngsgestslt 
kennte ieh zn dem Eigebnisse gelangen, daB die Folge (bei einer 
Fense = 1,8") nur greSe Zeiten, nickt aber kleine, für welche die 
Pknse Ton 1,8* eine optimale sein dOifte (vgl. nnten 8. 190 f.), bedn^ 
floBt Die Yeiindenmg der znzweit erfiiBten groBen Zeit Im Sinne 
einer subjektiven Verlängerung versuchte ich daselbst anf der 
größeren Aufmerksamkeit und daher größeren Auffälligkeit der Zeit- 
strecke ala solcher beim Krf;iäj?cu dieser Zeit zu erklären uud ao 
dem Eiowaud auszuweiciicu, es müßte sich die optimale Tause auch 
betreffs der langen Zeiten bewähren. Bekanntlich bat man die auch 
im obigen neuerdingd be8tätig:te Tendenz, von zwei hintereinander 
erfaßten Zeiten die zuzweit erfaßte fllr kleiner '/n halten, wenn die 
verglichenen Zeiten den »kurzei)' Zeiten angehüren, für {^ößer 
dagegen, wenn die ver£;lieheiien Zeiten zu den langen zu zählen 
sind, darauf zurückgetllhrt, daß der Kindruck des »Kleinen« (und 
des »Großen«) bei der zuzweit erfaßten Zeit lebhafter ist (da die 
zuerst erfaßte Zeit bereits der Erinnerung angeh(}rt) und wir diese 
zuzweit kommende Zeit, ohne sie mit der ersten zu ver- 
gleichen, ftir kleiner (großer) erklären. Freilioh ist diese Posi- 
tioa nnhaltbar, aber von der Behauptung, es werde »Terglicken«,. 
ebne daß ein Vergleich nngsakt Sick abgespielt habe, ganz abge- 
Beken, UBt sich die Wirknng Boloker sicker Torhsndenen »abso- 
laten« Eindrücke woU dabin verateben, daB man Bagt: es werden 
niekt Zeiten, Bondein Einditteke des »Klein« nnd »Groß« dem Yer- 
gleieke zngmnde gelegt, diese TerblasBen Behr rasek, daker die 
Tendenz, die zazweit er&8te »knrze« ( » lange« ) Zeit Ar kllfzer (llnger) 
zn erklären, weil sie lebhafter den Eindruck des Knizen (Langen) 
erweckt Einer Yerlndemng erlebter Eindrucke im Gedlchtnis 



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108 



Vittorio BeniiMi, 



geht man allerdliigs sieht ans dem Wege, anfier man wollte an* 
nehmen, flolehe Nebeneindmeke weiden vOliig veigenen, oder 
Tielmehry sie liefien keine Erinnenmgsdispoeitionen hinter eieh, 
was wohl nieht den Tatsachen entsprechen wttrde. Mir schien es 

im gegenwärtigen Zusammenhange nicht nur im Hinblick auf die 
Erklänmg dea Folgeneinflusses angezeigt, eine sehr lange Pause 
zwischen den zwei zu vergleichenden Zeiten vergeben zu lassen, 
sondern auch in Anbetracht folgender Erwägung: bei der in obigen 
Versuchen gewählten Pause kam das Signal »jetzt« für den öe- 
ginn der Erwartnngszeit der snzweit kommenden Zeit nahes« an* 
mittelhar nach dem zweiten Grensgeritasch der ersten Zeitstreeke, 
so daB das mhige In-sicfa-anfnehmen der ihr entsprechenden Yoi^ 
Stellung, oder wie man sonst diesen Vorgang benennen will, etwas 
behindert worden sein dürfte, und daher die Bedingungen beim 
Erleben der zuerst und der zuzweit kommenden Zeit im Hinblick 
auf den Verlaul dieses Vorganges selbst nicht ohne weitere s als 
gleich anzusehen waren. Nun konnte ich, wenn ich die Länge 
der »langen« Erwartungspanse nicht yariieren wollte, die Gleich- 
heit der Versnehsbedingnngen nnr dadurch herstellen, daß ich eine 
längere Fanse wihlte. Diese danerte bei der eben sn besprechen* 
den Veisnchsreihe 8000 a. Im ttbrigen waren diese Versnobe denen 
der ersten Versuchsreihe gleich, bis auf die Unterlassung der Prtt- 
fung Air beide Folgen von V und N, welche uns ohnedies nichts 
Neues hätte ergeben künaeii. Es wurde bloß die Fol^^c A' V vor- 
genommen. Abwechselnd mit den Versuchen, bei denen die Er- 
wartuugszeiten ftlr zuerst und zuzweit kommende Zeit verschieden 
waren, wurden solche vorgenommen, die gleiche und zwar ent- 
weder knrse oder lange Erwartungsseiten anfmesen. 

Die Versnehsreihe war folgendeimaBen konstmiert: 



1) 


2) 


8) 


4) 


N 


V 


N 


V 


N 


V 


N 


V 


l 


t » 


l 


k 


l 


l » 


k 




k 


k * 


k 




k 




l 


k 4--4-H- 


k 


k + 


k 




k 


k — 


l 


k + + 


l 


l ^ 


l 


k 


l 


/ — 


k 




l 


l + + 


l 


k — 


l 


/ 


k 


/ -H 


k 




k 


l — 


k 


k 


l 


k + 


k 


k 4--f + 


k 




k 




f 


k = 


l 


l + + + 


l 


k - 


l 




k 


l - 



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109 





6) 


7) 1 ^ 


N V 


N 


V 


AT 
iV 


tr 
V 




\ 


i « + + + 


k 


l « 


/ 


f 


k 




A- -r -h + 


l 


k ^ 


k 




l 


k ^ 


* « -t- -h 


l 


k — 


k 


k 


l 


k + 


/ l -h-h 


k 


l - 


l 




k 


l -h 


/ / 4- 


k 


1 


l 


l — 


k 


l + + 


» *-K 


1 


k 


k 


k — 


l 


k + + 




l 


k 


k 


k^ 


l 


* + + + 


1 i » 


k 




l 


l - 


k 


1 + + + 



r>9,R9 s -It» 

80,01 < Äi, 

59.r>W A^, 



Die Yp. waren 13 und hatten eich eämtlich an den firtlheren 
Venvehen betdligt Die eifaaltenen Freqnenzwerte liehtiger (ad* 
Iqufter) VeigleicheeTgebniflse^eind, znnlehst filr gleiche (knize 
oder lange) Erwartnogszeit beider Zeitetreeken: 

1) AT V>N II D — f 

21 ivr v<:n II D-\-f 

3) NV r>iV k k D-f 

ii NV V<N k k D-i-f 7»,66fi J4.. 

Nimmt man in Übeieinatimmnng mit den biaherigen Vemch»- 
eigebniaaen an, die snaweit erfaßte Zeit werde subjektiv Ter* 
kttrzt, was eine Verringernng der Babjektiyen yereohiedenbeit 

Ton r uud N bei 1 und 3 zur Folge hat, so sind die erhiüteueu 
Freqnenzbeträge ohne weiteres verständlich: sie sind dort größer, 
wo -f fj dort geringer, wo — f vorliegt 

Aas dem Vergleich der wiedergegebenen Werte Ai . . . er- 
gibt flichi daß die £rwartiingazeiten, solange sie fttr beide 
zn Tcrgleichende Zeitatrecken gleich sind, ohne Bttek- 
sieht aaf ihre absolnte Graße, fttr die Ad&qnatheit des 
Vergleichs nichts sn bedenten haben. 

Die Koiübiuationen mit Ycrscbiedeueu Erwartungszeitcu fllr 
N und V ergeben die Werte: 



1) NV V>N k f B-^e — f 

2] NV V<N k l D^e^-f 

S! XV V>K l k D — e-f 

4) NV V<:N l k D-^e-^f 



64,77 X A\, 

67,81 X AI,, 

82,66 % A\, 



Die Wirkung der Erwartunf^szeitverschiedenhcit ist offenbar: 
die Werte bei 1 und 2, wo e und /' entgegengesetzte Vorzeiclien 
aufweisen, stehen einander sehr nahe, bei 3 und 4 dagegen, wo e 



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110 



Vittoiio B«Qasai, 



nnd f gleiehe VoneicheB halmi, die bei 3 negatiT, bei 4 «ber 
pofitiT sind, liegen digegea die sogebttrigen Freqitensbetrige 
ricbtiger VeigldcbeaiieBegeii weit Toneimmder entfemt Be- 
feebnet man ans Ji . * . 4| den EinflnB von ± f nnd :b 0, 
00 erhalt man als mittteren Differenzbetng flir e 17,78, flir f 
20,27. Yeigleiebt man diese Werte mit den entopieebenden 
ane der «eten Vennebereibe, bo siebt man, daß die Zmabme d^r 
Panse eine kaum als Steigerung anzusehende Znnahme beider 
Wirkungen, alio von rb e nnd =t f bedingt. Daraus ergibt sich, 
daß jenes oben voiläiidg als störeud angesehene unmittelbare 
Folgen von Grenzgeräusch und Vorsignal keine Wirkung aut die 
scheinbare Große der voraasgeg^genen Zeit ansUbt Bedenkt man 
weiter, daß die Pause bei dieser Versuchsreihe um das Doppelte 
länger war, «o wird man schon hier einsehen, daß nicht so sehr 
die Größe der Pause, als ihr Vorliegen, ihr Her?oriiettn als 
solche im Bewußtsein das wirksame, du; subjektive Zeitgröße 
beeintiussende Moment darstellt: tritt der Pauseneindruck auf, 
BO scheint es nicht mehr viel zu verschlagen, ob die Zeit, die 
diesem £indracke zagrunde liegt, größer oder kleiner wird; die 
Pause wirkt, mit anderen Worten, eben als Pause, sozusagen 
qaalitatir, und ist von Momenten, wie größere oder geringere 
Dauer, nnabhängig. Diese Feststellung, so wenig sie auch zu 
besagen scbeint, ist für die Auffassung der ~ /"-Wirkung nicht 
unwichtig, sofern ans ihr hervorgebt, daS hierbei Etwas im Spiele 
sein dürfte, was sieh in der Erinnerung kaum mit der Zeit (die 
zwiseben Anacbanung und Erinnerung yergebt), sondern blofi mit 
der VerSadening des Aktes, als Anscbannngs- oder Eiinnerungs- 
akt yerftaderi Als ein Bolobes Etwas werden wir die Versehiebnng 
der AufttUigkeit einiger Momente der Yergleiebsgmndlage zn 
konstatieren baben (siebe % 8). 

Bei dieser Yersuebsreibe wurde, wie gengt, nur die Folge V 
nntersuobt Bei dieser baben wir weiter obm konstatiert, daB zn 
dem EinflnB Ton ± e, ri= /* anob noeb dn + binznkommt Die 
hier erhaltenen Werte mttssen also auch naeb ihrer absoluten 
Größe mit den Frequenzwerten adäqaater Vergleichsergcbnisse bei 
unserer ersten Versuchsreihe, bei der die Pause um die HBlfte 
kürzer war, Ubereinstiuioieu. ich stelle sie hier untereinander 
zusammen : 



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II. ErwartangiBeit und subjektive ZeitgrOße. Hl 





Fnut s 


4000 <r 




N V 


V> iV 


k 


i 




NV 


V<N 


k 


i 




JV V 


r> A' 


i 




49,6 X, 


N V 


V<N 


l 


k 






r>K 








NV 


k 


l 


64,77 ji^, 


NV 


V<N 


k 


l 


67,31 % , 


NV 


V> N 


i 


k 


44,46 X, 


NV 


V<N 


i 


k 


82,56 % . 



An GleicbheitsannäheniDg lassen die Werte der einzelnen Gruppen 
fbr die ffleiebeii Eombinationeii tob V und l k l wohl 
niehlB zu wAnsehen übrig. 

Ebenso mit dem Vorhergehenden ttbeieinatimmend dnd die 
FlUle objektiyer Gleiehheit Ton N und V augefeJlen: bei 
gleiehen Erwartongizeiten fhr beide Zeitatreeken igt eine ichwnehe 
Tendenz rorhanden^ die suweit erfnfite Zeit ftr kttner sn erkllren, 
etwas steigert sie sich bei der Folge der firwartongsseiten Xr, 
und ganz dentUdi tritt sie bei ^ & hervor, wo Folge ud Erwar- 
tongszeit im gleichen Sinne wirken; neben 17,28 inadäquaten 
Yergleichsergebnissen auf findet man 39»d2 ^ inadäquate Ver- 
glelcbseigebnisse gemllfi einer snbjekÜTen VerkttrztiBg der zozweit 
er&Bten Zeit, der eine korze Erwwtmigszeit roransging. Der Um- 
Btand, daß der bloße Folgeneinflnß bei gleichen Erwartangezeiten 
sehr schwach hervortritt, mag daflii »prechen, daß die Verschieden- 
heit der Erwartuu^^ijzciten den Folgeneinflnß ihrerseits erhöht; einer- 
seite durch Kontrast, indem die Kürze der zuerst oder zuzweit er- 
faßten Zeit zur Länge einer der Erwaitungszeiteu kontrastiert, 
andererseits durch das Verachmelzen in der Erinnerung von kurzer 
Erwartungszeit- Vorstellung ! Erwartungaaeit Yor der zuerst er- 
faßten Zeit» mit der Vorstellung der kurzen zuerst erfaßten Zeit 
selbst, infolge einer Verschiebung der größeren AutTalligkeit von 
dem Grenzgeräuschkomplexe auf die 24eit6trecke, die durch die 
Gei^nsohe geteilt und begrenzt wird. 

i 6. Über TergleichsfSrdemde Fehler4|[nellen. 

Ich stelle in der folgenden Übersicht die Prozentbeträge rich- 
tiger Vergleichsaussagen ohne Rücksicht auf ihre Qualität, d. h. 
ob es sich um nchtige Aussagen auf V^N oder r<<A haiideit, 



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112 



Vittorio Beaassi, 



suammea, und swur für die drei Vetanclureiheii, die m Orien- 
tiemng in besag auf dm EinflnB der Feme nnd der Erwartung»- 
zeit bei Zif Torgenommen worden. Da bei der «weiten nnd dritten 
Yenmebsfdhe nur die Folge N V geprttft vnude, aind in folgender 
Obenieht nur jene FioientbetrSge aoa der ersten Versaebsgmppe 
berUekaiobtigt worden, die für diese Folge festgestellt wurden. Die 
Beseiehnnngen der ersten Kolnnme »yerscbieden« nnd »gleieb« 
besieben sieb anf die Erwartncgszeiten von und V; — in der 
zweiten Kolnnme sind die Beträge der Fanse,. — in der dritten 
die der Frequenz riebtiger Anssagen ; in der letzten sebliefilieb die 
knnen Oruppeiibeaeiebnangen (a, c) ftr je eine Versnebsreihe 
enthalten. Die Übersicht ergibt also: 



Erwutangszeiten 


Pause 


r-AoBaagen 


Gruppe 


▼eitohiedeii 


4000 <r 


64,06]» 


a 


Tenohladea 


8000« 


64,77 X 


b 




SOOOtf 


68,24)« 


c 



Zweierlei ist aas dieser Zasammeustellung zu entnelunen, ein- 
mal die Tatsache, daß die Verdoppelung^ der Pari seu länge die Güte 
des Verirlciclieus kurzweg fast gar nicht, die EinfUhning yerschie- 
dener Erwartunf^szeiten sie kaum herabzusetzen vermag. Über- 
legt man, daß durch die Erwartungszeitverschiedenheit, wie ge- 
zeigt, eine beträchtlich wirkende »Fehlerquelle« gegeben ist, und 
daB bekanntermaßen um so schlechter verglichen werden dürfte, 
je weiter die Vergleiehsgegenstftnde zeitlieh yoneinander gerttckt 
werden, so gelangt man znr Paradoxie, es werde die (durchschnitt- 
liche) Gute des Vergleichens durch das Hioznkommen oder den 
Ausfall Ton Fehlerquellen nieht modifiziert Nun, bezIlgUeb der 
Pause hilft man sieh gleieb mit der Annahme ans der Verlegen- 
heit, die Pause wirke sozusagen nur yermOge ihres qnalitatiTen 
Charakters^ sobald sie als solche ftlr das yergleiehende Subjekt znr 
Geltung kommt in gleichem Maße nnd unbeaehtet ihrer Großen- 
bestimmnng (vgl § 6, S. HO], Diese Annahme präsentiert sieh anch 
auf Grund der weiter unten gegebenen Auffassung der Wirkung 
▼on ± / als durobaus legitim; zumal sie der Annahme einer 
Veränderung der erlebten Vorstellnngsinhalte im GedSohtniise nicht 
bedarf 

In bezug auf die nngeföhre Gleichheit der Frequenzen rieh- 



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IL ErwartoagHeit quiI aabjektive ZeitirOße. 



119 



tiger AuBsa^en bei b und c löst sich die hervor^^t hobeiie i'aradoxie 
aber erüt, wenn wir die Verteilung' richtigor VergleichsauBsagen 
aof die einzelnen VersachskonBteiiatiüueu berttcksichtigen, die den 
eingetragenen Prozeutwertea zognmde üegen. Dies ton wir am 




-t 

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v»H.ii wm.MX ▼•»■1 *4iitft 



Diagramn 8 

.Tig. 11). 



Diagramm 9 

(Fig. 12). 



Iciebteiteii mit Hilfe der swei obenstehendfln Diagniiime, aas 
denen wir «neb sonet mandies entnehmen kennen. Dem Werte e 
liegen lEwei, dem Werte b yier FkesentbetrSge sngnnde, gemlS der 
AuaU der mVi^clien KoneteUationen bei .Y F nnd Gleiebhelt oder 
üni^eiebbeit der Erwartnngueiten. IMe Gleiobheit der mittleren 
BetrSge b nnd e wird dadnrdb ermOgliebt, daB (wie aas Diagramm 8 
etelebtUch) dvreh die EinAlhmng der Erwartoagazeitverachieden- 
heit, also dieser nenen Fehlerquelle, nicht bei sämtlichen, sondern 
nur bei einigen Kombinationen die Frequenz richtiger Aussagen 
herabgesetzt, bei anderen dagegen erhöht wird. lt>t dadurch die 
Paradoxie der gleichen Vergleichsgute trotz Wirksamkeit von einer 
oder zwei Fehlerquellen beseitigt, so entsteht gerade aus der Art 
dieser Beseitigimp; eine iicne Paradoxie, die nämlich, daß eine 
gr^ißere i^ elileigele^ eiiheit, wie sie dnrch die Verachiedenheit 
der Erwartung^zciten gegeben ist, unter gegebenen Umständen die 
Anzahl richtiger Yergieichsaussagen erhöbt 

Diese Paradoxie schwindet aber, sobald man aieh klar macht, 
daß die Anwendnog des Qegaiaatxea richtig— nnricbtig bei 

Axchir ArF^r^ologto. XUL 8 



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114 



Vittoiio BtnoMi, 



der Behandlung von Vergleidmergebnisaen wie die Torliegenden 
jedenfalls unzulässig ist. Dieser Gegensatz ist ein erkenntnis- 
mäBiger und bezieht sich lediglich darauf, ob eine ere^robenc \'t^r- 
gleichsaussage den tatsächlichen Sachverhalt wiedergibt oder nicht, 
ohne Bezuc-naliine anf die Vorgänge, die 7J\ dieser Aussage ge- 
führt haben. Verwenden wir diesen Gegensatz gegenüber den 
in Diagramm 8 dargestellten Frequeuzbeträgen, so konstatieren wir, 
daß (bei + + gegenüber Diagramm 9 ein Mehr an erkenntnifK 
mäßiger Leistung vorliegt, da hier die Frequenz liditiger Anssagen 
auf 82,55 ^ steigt. Dadurch treffen wir aber auch nur etwas lein 
Aofterliches und jenseits der psychologischen BetraohtongBartLiegen- 
dee; ein Mehr an erkenntnismäßiger Leistung, welches nnr dadurch 
gegeben ist, daß eine subjektive, SnfierUoh (dnroh die Ver- 
sehiedenheit der an Tei;^iehenden Zeiten) nnbegründete Yenchie- 
denheitsTergrOBerang der' erfaßten Zeiten an Eigehniasen, d. b. Aus- 
sagen führt» die dem tatsHoUiehen 8adiTerba!t besser entspreeben. 
Deswegen aber, weil Öfters derlei »ftufierlichc richtige Ter- 
gleicfasausaagen Yorkommen, ist noch niebt gesagt, daß eine bes- 
sere Yergleiehsleistung Torllge als dort, wo die Anzahl der 
»ftnfierlieb« richtigen Yergleichsaiissagen auf ein Minimum suikt, 
wie dies bei — e — /* in Diagramm 8 der Fall ist Die Zunahme 
richtiger Auasagen bei +e-\-f und die Herabsetzung richtiger 
Aussagen hei — f (Diagramm 8) geht nicht auf ein Plus oder 
Minus an Vergleichungsleistung, also auf ein Plus oder Minus 
an Unterscheiduiigsfähigkeit, sondern in beiden l'alleu nur 
auf eine größere Unkorrektheit in der Abwicklung der Ver- 
gleichsvorgänge zurück. Gegenüber dem Gegensatze von innerer 
Korrektheit und Unkorrektheit weisen die erhaltenen Fre- 
queuzbetrUge nichts Paradoxes auf. Das Paradoxe beginnt erst 
dann, wenn man für die erhaltenen Aussagen die Bezeiolinnnfjen 
richtig und unrichtig verwendet und die Tatsache nicht beachtet, 
daß eine äußere Richtigkeit ebenso wie eine äußere Unrichtigkeit 
in einer Unkorrektheit der Vergleichsvorgänge ihren Grund 
haben kann; sobald man, mit anderen Worten, die Tatsache nicht 
berttoksichtigt, daß es vergleichsfbrdemde, wenn auch nnr äußerlich 
fordernde, Fehlerquellen gibt, und einen fiegensatz, der nnr im 
Hinblick auf die (äußere) erkenntnismäßige Verwendbarkeit einer 
Yergleichsaussage Geltung beanspruchen kann, auf die Ergebnisse 
Ton Yergleiohungen anwendet, die nur mit Btt<Mcht auf innere 



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EL ErwirtnngvMlt und inbjdctiT« Zei<;gr5fie. 



115 



Korrektheit oder Unkoiiektheit des VergleicbenB zn behandeln 
Bind und auch ansgchließlich danach zu bezeichnen wären. 

Zum ScblusHc sei noch auf zwei Punkte hingewiesen, die aus 
obigen Diagrammen besonders deatlicli iiervorgehen ; ich meine 
die Lage der Frequenzbeträge »richtiger* Aussagen bei Dia- 
gramm 8 gegenüber der der zwei Frequenzwerte in Diagramm 9, 
and die Ansbreitiuig des Schwanknngsgebietes der Frequeos 
lichtiger Aassagen bei Diagramm 8. Sind die Erwartangs- 
Seiten fUr beide Zeiten gleich (Diagramm 9) und kommt alBO 
nur ± f -mr Wirkimg, so sind die Grenzen des Schwankangs- 
gebietes richtiger YeigleichsaiiisageKi doioh 59 (bzw. 69,49) ond 
73,66 (bsw. 80) ^ gegolten. Kommt sor d: f-Witkang noeh eine 
dz e-Wirknng dem, so kJßmea wir bei Diagnmm 8 mit giOBter 
Deatliehkeil sehen, wie sieb die Wirl^nngen Ton e und f, wenn 
diese Einflüsse en^gengeselsten Vondebens sind, anfbeben: 
das Sehwankmigsgebiet ist dnrob 64,67 fif ond 67,31 ^ begrenit 
Sind mm die Yoneieheii Ton e nnd / gleich, so Ist das Sehwaor 
knngsgebiet natttrllch grOfier als dort, wo nnr ± f wirksam war 
(Diagramm 9), doch ist die Erweiterang im Sinne einer Zn- 
nabme der (änßerlichj »richtigen« Yergleiohsanssagen viel ge- 
ringer ab die Erweiterang im Sinne einer Abnahme dieser Ans- 
sagen. Diese Tatsache ist als eine Folge der Ottltigkeit des 
Weberschen Gesetzes in bezug anf die Veränderung der (sabjek- 
tiveui Verschiedenheit von N und T durch subjektive Momente 
auuufassen: wirkt das Moment c zu einer gegebenen subjek- 
tiTCD Verschiedenheit insofern nach beiden Hichtungen gleich, als 
dorch dasselbe diese Verschiedenheit nm gleiche aljsolute Beträge 
erliTiht <nler verringert wird, so muß die wiikeiide VerMnilei uug 
der subjektiven Verschiedenheit in dem Fall, iu dem sie hci ab- 
gesetzt wird, ftir das Vergleichen ausgiebiger sein, als dort, 
wo sie am den gleichen absolaten Betrag erhöbt wird. 

^ 7. Ein Experiment Uber Verschiedenheit^- ond Ähnlichkeits- 

aassage. 

Die Tatsache, da& sich eine yerglei<^iissage statt nach den 
eigentliehen an vergteichenden Gegenstlnden nach nneigent* 
lieben, natürlich Tergleicbbaren Momenten richtet, brancht nicht 
erst hier erwiesen an werden; sowohl anderwXrts wie auch in den 



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116 



Vittoffo Benuii, 



gcgCDWiftigeB Untersuchimgeii haben tieh hierfür Belege gaiii|[ 
eigeben. Ebenio imbMlreitbar dttrfifce iiiin auch die Behaaptmig 
Moi) eim Mlolie Veracfaleinmg der Veig]eloli4gegeDifiiide inner' 
Üb der dem SatKlekte gebotenen VeigleidiflgnindUge sei nur am 

der Verteilnng der AnillÜligkeit auf die etgeotliehen und nneigent- 
liclieü Vergleichsgegenstäiide zu versteheD, und zwar so, daß sich 
die Vergleichsaussage u. ^. Tl. dnrcb das Auffälligere mehr als 
durch dae Eigentliche beatimmen lasse, einleuchtend diese 
Anlfaarang auch Schemen mag, so durfte es immeriüu von Yorteii 
eeini ne an einem VemelL su demonstrieran, der meines Erach- 
teni in beaonderem MaBe geeignet sein dHrfle^ an zeigen, daB sieh 
das VeigleieliBeigelMiis nach den anfXUligeren Komponenten der 
Vergleiohigrandlage bestimmt Und swar betriill dieser Vertneh 
niebt das Entsleben einer Vergleiebsavssage, anf »Venebiedenbeit« 
oder »Gleichheit« lautend, öüudcni das Eutstebcn einer Vergleich»- 
aussage auf »Ähnlichkeit« oder »Verschiedenheit« >«atürlich 
braucht kaum bemerkt zu werden, daß die Bedingungen, die all- 
gemein das Vergleichen 2a einer Versolüedenheits- oder Ähnlicb- 
keitsaossage als dessen Ergebnis bestimmen, bisher alles eher als 
nntonrocbt worden and aaob hier niebt zn nntersaehen sbid, so 
wifshtig sicher eine derartige Untersnchnng fllr die allgemeine 
Psyehologie des Yeigleicbeas sein mag. Für nnseie nSchsten 
Zwecke genüge also der Hinweis anf folgenden Versneb: 

Zeigt man einer Vp. zwei graue Flächen, eine hellgraue und 
eine dnnkelgraue, und fordert mau Bie auf, den Eindruck mitzu- 
teilen, der sich heim Verc-leichen des Gesehenen als erster ein- 
stellt, so wird man kaum andere Aussagen zu Gehör bekommen, 
als daß die zwei Gran-Nnancen in bezng anf Helligkeit nattirlich 
wsehieden (baw. sehr Tersehieden) seien. Die Tendenz, beim An- 
blick der geieigten Fsrben mit einer Verschieden hei tsansesge 
an reagieren, ist, wenn nnr die zwei Gran-Nnineen genügend ent- 
fernte Stellen im Sehwarz-WeiB-KontinnQm einnehmen, eine maxi- 
male, nnd erst anf Gmnd einer mittelbaren Reflexion entsteht 
auch der Gedanke, die zwei verglichenen Grau-Nuancen seien 
selbstredend aach ähnlieh nnd nicht bloß verschieden ^j. Die 

1) Die EntBcheiduDg der nunmehr entstehenden Fra^e, ob jene Grau- 
Naance, die, verglichen mit Weiß (Schwarz), ebenso leicht das 
VergleiohieB im Sinne einer Ähnlichkeit- als in Sinne einer Ver- 
sebtedenbeitattsiage beBtlmmt, aach diejenige Ist, die mit 



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IL Erwartiiiign«it and rabjektiTe Zeitgrüße. 



in 



Tendenz, a. d. g. ü. mit einer Verscliledeiilieitsaiisiage ss 
nigi6ien, hat aneh niehte fiefiremdendM an sieh: je weiler dia 
iwd gMehenen Qua-Nnaiiesii im Weiß-8ebwan-KonCiMimi tqb- 
emander entfenift liegen, nm ao gfOBer ist ilira YencliiedeBlieily 
•m so kleiner ihfe ÄbaHelikeit; daber Ist aneh mn flo lei^iler 
jene liiid um schwerer diese zu erkeuneu, bzw., subjektiv be- 
trachtet, um so auffallender jene nnd um so weniger anffallend 
diese. Hier nrhon treffen wir alrto einen Fall an, wo das Anf- 
Migere das Yeirgieichen bestimmt. Es fehlt aber hier ein Wett- 
ftreit zwischoi Teiaoliiedenen Vergleichsmomenteii an der Ver~ 
g^eichagniBdlage aelbat Diea iat bei dem eben ananfthrenden 
Tenaeh leaUriert Stellt man, sm bequemsten mittels lotieiender 
Sebeiben, awel rdtllelie Fttehen snaammen, die den fruheran 
nret grauen der Helligkeit naoh gieieb sind nnd anBerdera nnter 
sich nicht nur annaherud gleiehcu Farbeutoiies. sondern auch an- 
nähernd gleicher Sättigung sind, und verlangt man \s ieder von der 
vergleicbenden Vp. Auskunft Uber den «ich zuerst einstellenden 
Eindruck, ob er nämlich ein EindruGk des Ähnlichen oder dea 
Yenduedenen ist, so konstatiert man gegenüber der ersten Saeh- 
l^e leiebt einen Umsehlag in der Veigleiebongstendena der Vp., 
iadem inter den nenen TerbSltnissen niebt mehr die Ansangen 
laf Yersebiedenbeit, sondern die Aussagen nnf Äbnliobkeit, 
wenn aneb nicht ansBcbUeBlIeb , immerbin in den »eisten Füllen 
vurkommeu. Diesen Umschla^^ iu der Vergleicbsrichtung kann man 
sich nun so erklären, daB man sa^: von den zwei vorgelegten 
untpr^srbeidbaren Paaren von VergleicbsgegeüBtändeu, nämlich Hellig- 
keiten (Grau -Nuancen) und Farben (Sättigungt^gradc; im engeren 
Sinne, sind letztere relativ auffälliger, werden daher zunächst 
belebtet, nnd das Vergleiehsergebma richtet eich nach ihnen. Da 
mm bei ihnen die Äbnliebkeit, die sie aoansagen rerbindet, viel 
gröfier ist ab die YeiBohiedenbeiti die sie trennt, büdlicb ge- 
sprochen natnrKeb, so wird eben jene eher nnd leiebter beachtet 
tis diese, und das Ergebnis des Vergleichungsakt^s lautet auf 
Ähnlichkeit. Allerdings könnte man angesichts dieses Falles mei- 
nen, es könne die Verschiedenheit der zwei ^'^eselienon Hpllifrkeits- 
nnancen kleiner sein als die Ähnlichkeit der zwei miteriaUten 

Weiß and Sehwftrz, wenu man sie gleichzeitig mit ihnen erfaßt, gleiche 
Aballebkelt bsw. Yersohiedenheit aufweist, muß einer iMsondeioa 
Ottlmsaehmiig ▼ozbebilten bleiben. 



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118 



Vittofk» tauwi, 



Sättigangen und deswegen allein wäre diese leichter zu erfassen 
als jene, ohne daß man es für nötig fUnde, zur Deutung des kuiiBta- 
tierten Umschlages der Vergleichsaussage auf eine Veref*hiedenheit 
der Auinilligkeit des Paares » Grau-Nuancen < gegenüber dem Paare 
»Sättigungsgrade* rekurrieren zu müssen. Es würde der erörterte 
Fall 80 zu vPTstebi n sein, daß Yon den gegebenen Gegenständen 
Verschiedenheit und Ähnlichkeit jener, der >größer« ist, das Ver- 
gleichen bestimmt, aacb hier aber ohne Wettstreit einzelner Kom- 
ponenten der Vergleichsgrandlage. Kan zeigt aber ein dritter FaU, 
daB diese Art der Auffassung, eine also, die ohne ZnhilfenAbme 
einer AnHQUligkeitaTersohiedeniieit der einzelnen Paare von Ver- 
gleichegegenetänden auszukommen Teirsncht, doch nnstatthaft ist 
Stellt man zwei farbige Flächen — weh hier natürlich am 
l^dileeten mittels rotierender Seheiben — , die enbjektiT mezimal 
Hhnliehe Helligkeit aaftreiaen, nnd wenig Tersehiedene FubentOne 
snbjektiTer gleicher Sftttignng her, so wird man wieder eine 
flfcarke Tendenz konstatieren, dem Gesehenen gegenüber eher mit 
einer Yerschiedenheitsanssage als mit einer ÄhnliohkeltBaiiSBage 
an reagieren. Eine solehe Tendens widersprieht aber dem erwähn- 
ten ErklftrongsTersnch deswegen, weil naeh ihm anoh hior, da die 
maximale Helligkeitsäbnliehkeit großer nnd daher leichter er&fibar 
ist als die minimale EarbenTersohiedenheit, das Vergleichen im 
Sinne einer Ähnliehkeitsanssage bestimmt werden mUBte. Knn 
sind die Ctogenstandspaare, die in dieson Falle die Vergleiohs- 
grundlage aasmachen, zwei Helligkeiten (Grau-Nuancen) maximaler 
Ähnlichkeit und zwei Farbennuancen geringer Verschiedenheit; 
dal) an uud für sich die maximale Ähnlichkeit leichter zu erfassen 
sein miiliLc ;ils die sehr kleine Verschiedenheit, ist evident. Ebenso 
evident aber auch, daß, wenn sich trotzdem das Vergleichen im 
Sinne einer Verschiedeuheitsaussage bestinniun laßt, dies nicht 
durch die Auffälligkeit der Verschiedenheit^größe, »oudcm 
durch die größere Auffälligkeit des Verschiedenen im Ver- 
gleich zur gerin iro reu Auftalligkeit, nicht der maximalen Ähn- 
lichkeit, sondern des maximal Ahnlichen bediii;j^t werden muß. 
Wären Grau- und Farbennuaneen im engeren Hinne als solche 
gleich auffällig, so müßte sich die Vergleichsaussage auf Ähn- 
lichkeit oder Verschiedenheit nur dnroh die größere Auffälligkeit 
bsw, das Größersein eben eines dieser zwei Oegcnstände bestimmen 
lassen. Die Tatsache aber, daß sich dies nicht bewährt, nnd daA 



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H ErwaftoogHeit und fobjcktfre ZeitgiOße. 



119 



sich die Vergleieiisaussa^e hauptsächlich nach der ÄLulielikeit 
oder Verschiedenheit der Farbenmomente bestimmt, gleichviel ob 
die Ähnlichkeit oder Verschiedenheit dieser größer oder kleiner 
ist als die, die zwischen den mitgegebenen Gran-Nnaneen be- 
steht, hat darin ihren Omnd, daß die Farbenmomente leiehter 
ata die HeUigkeitemomente bemerkt nnd daher aneh leiehter Ter- 
Reihen werden, nnd daß lieh daa Yeigleieken eben eher dnroh 
das leiehter Bemerkbare als dnreh das stärker Verschiedene beein- 
tiuäseu läßt. Das leichter Bemerkbare heißt aber das Auffälligere. 

ü 8. Zur Theorie. 

a) Der /-Einfluß. 

Es worde im Laufe dieser Unteianohungen sehon wiederholt 
darauf hingewiesen , daß die Yergleiehsgmndlage beim Vergleich 

leerer Zeiten, genauer beim Vergleich von Zeitabständen gegebener 
iGrenz- Geräusche, keiue einfache ist. Vielmehr sind an ihr zwei 
Paare von VergleicliHp:ei:tiistäuden zu iiuteischeideu : die zwei ge- 
gebenen Zeitabständc und die zwei Komplexe von Grenzgeräusohen. 
Das Veigleiehen, das immer auf erstere zu beziehen ist, kann 
M ganz gegen unsere Absieht nnd unabhängig Ton unserer Witt- 
kSr trotidem nieht immer auf Grund der Yontellungen der Zeit* 
siMtinde entwickeln. Dies ist um so eher der Fall, je mehr Ge- 
legenheit daftr geboten wird, daß an dem einen komplexen Ver- 
gleicbsglied mehr der Zeitabstand, au dem audereu mehr der 
Komplex der Grenzgeränsche die Anfmerksamkcit auf sieh zieht, 
d. h. die größere Auffälligkeit aufweist, lu dieser liiusicht scheint 
mir die Tanse, die die zwei zu yergleirh enden Zeitabständc trennt, 
eine wichtige Bolle zu spielen. Natürlich nur dann, wenn sie uns 
mfolge hinreichender Lttnge] als solche mit einem spenfischen 
>quditatiyen< Charakter zum Bewußtsein gelangt und wir den 
Eindruck haben, zwei einander folgende sdbstftndige Zeitabstiinde 
n erfassen, was nieht der Fall ist, wenn die Pause, der Zeit> 
abstand der zwei zu vergleichenden Zeitabstände, so kurz ist, 
daß wir nicht mehr den Eindruck gewinnen können, zwei Zeit- 
distanzen hintereinander als selbständige ncgeriHtäude erfaijt zu 
baben, sondern vielmehr das Bewußtsein erlangen, die Vorstellaug 
einer einheitlieben Zeitgestalt, an welcher letzteren wir nicht zwei. 



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190 



Tittorio Beauii, 



sondern drei Zeitabstände als deren Grandlage voneinander anter- 
seheiden können, erlebt zu haben. Dies aber nur nebenbei. Die 
Tateehe, deren VeretSnclms hier, freilich auf etwas traditioiialose 
Art, yertnebt werden maß, ist snnichst die Tendenz, von zwei 
dnroh eine auch anbjektiy als aolehe zur Geltang kommende Pause 
getrennten knrsen Zeiten die snsweit er&Bte ttkr kürzer zu 
erklären. Eine Tendenz, die bekanntermaßen bei einer Panse Yon 
ungefähr 1,8" nahezn schwindet. Ob sie jenseits dieser Panse, 
also bei kleineren Zeitwerten dieser letzteren, wieder aoftritt, ist 
meines Erachtens nicht als endgültig entschieden zu betrachten. 
Sollte sie aber naohsnweisen sein, so wird man hauptsächlich 
die Tatsaohe erwttgen müssen, daß unter solchen Umständen die 
Kwei sn Teigleichenden Zeitabstände nioht mehr als »selbstitaidigc, 
sondern in einer kompliuerteren Zeitgestalt erfaßt worden, nnd 
daher infolge der inneren Vorginge, die znr Bildnng' einer kom- 
plexeren Gestaltvorstellung ftthren, ebenso ihrer subjektiven Größe 
nach modifiziert werden können, wie die Vorstellungen räumlicher 
Strecken u. s. U. tatsliehlieh modifiziert werden. 

Die hier zu entwickelnde Auffassung der genannten Tendenz 
stutzt sich auf folgende Beobachtung: Sobald Erlebnisse wie die, 
die beim Hören objekÜT. sehr kurz gehaltener Zeiten aktualisiert 
werden, sn Erinnemngserlebnissen werden, deren Gegenstände wir 
ans also mittels Erinnerangs« statt Ansehannngstorstdlnngen Ter- 
gegenwärtigen, merkt man eine eigenartige Versehiebung der Anf> 
fälligkeit jener Komponenten, die wir als Zeitabstand und Komplex 
der Grenz^eränsche an diesen Gegenständen unterscheiden können; 
das was in der » An9chiiuuu|r' da? Auffälligere war, ist in der Er- 
innerung das minder Auffällige, und umgekehrt Nattirlich ist die 
Sache viel leichter zn erleben als zu besehreiben. Immerhin glaube 
ich richtig zn beobachten, wenn ich sage: denkt man auf Grund 
▼on ErinnemngTorstellnngen an eine sehr knrze Zeit, so seist 
soznsagen das Denken mit dem VorBtellen einer Zeitstreeke, sn 
der man eine enge Begrenzung hinzuphantasiert, ein. Natürlich 
ist der entgegengesetzte Fall ebensowenig ausgeschlossen als der, 
daß mau das Erlebte ohne jede AnffHlligkeitsverllndemng seiner 
Bestandteile erinnert. Ich irlanbo ja auch nur eine Tendenz 
konstatieren zu können, derzufolge am spontansten kurze Zeiteu 
in der Erinnerung als gar nicht so »knrz«, wohl aber mit einer 
nnanschanlichen Engbegrensnng erfoßt werden. Jedenfalls kann 



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121 



ein jeder die fieobeefatmig enetelleii, defi^ wenn swei kine Zätea 
bintereinender bei ntnge tiele&dem PaoflenbewnStsein erfiifit 
werden, nneh dem Hitoen der Gienzgeränsche der ersten Zeit, wenn 
eieb etwa deren Eindrucke »ausgelebt« haben, nicht die Vorstel- 
langen jener, sondern die Vorstelhin;; dieser, d. h der Strecke, 
die ^«ßere Perseveration aufweist, und daher die Strecke iu der 
Erinnerung mehr beachtet wird. Werden nun die Grenzgeräuscbe 
der zuzweit kommenden Zeit erlaßt, so ist das Verg-leichsergebnis 
meistens auch gleich da, ohne daß man beide Zeiten als in der 
Erin n er ung gegeben verglichen hätte. Das heißt also : der Ab'Jchluß 
des Vergleichsvorganges ist subjektiv so wie jjlei* lizciti^c mit 
dem Erleben der Vorst* llimjr der zuzweit kommenden Zeit gegeben. 
Natürlich nicht immer ; dies stimmt aber mit der Tatsache, daß bloß 
bestimmte Tendenzen zn konstatieren sind, bzw. begründet werden, 
bestens ttberein. Nnn ist es fttr das Verständnis des Vergleiefaflani> 
falles wohl wichtig, zu bedenken, daß dabei nach den angegebenen 
Umetfnden nieht gleiobartige Gregenstände Tergliehen werden. 
Mit anderen Worten: es werden komplexe Gegenetttnde verglichen, 
deren eben ni Teigleiebende Teflbestimmmigeii, nttmlieb die Zei^ 
nbettnde, niebt in beiden Erlebnisien, die die nötige Yergleidie- 
gnndlage besorgen, s^eieb anfflUlig aind. Werden nun komplexe 
Dinge verglieben, bei denen des GrOBenmoment (ZeitBtreeke) am 
anent erfaßten Gegenstände anffftlliger ist eis beim snzweit er- 
sten , wo das AnfflÜligere niebt das Gröfienmoment Zeitotreeke 
ist sondern das qnalüatiTe Geetsitmoment der GtorXosehfolge oder 
des Geritasebkomplexes, so eisebeint es gans natttrliob, daß das- 
jenige fttr grdßer erklärt wird, an dem eben das GrOfien- 
moment dentlieber bervortritt Dieses Moment tritt aber in 
unserem Fall an der Vorstellnng der zuerst erfaßten Zeit banptsSeblieb 
zutage. Weil beim Erleben dieser Erinnernngsvorstellung 
das Zeitstreckenmoment die ^rüßere Beachtung findet, 
wird die erinnerte Zeit für größer gehalten als die un- 
mittelbar anschaulich erfaßte. Durch diese Auffassung ver- 
meidet man, soweit ich ermessen iiann, sowoiil die Hyputhen«", daß 
sich Erinnerungsvorstellungen verändern sollten, wie auch die 
in der Theorie des absoluten Eindriu kus gelegene UunatUrlicbkeit, 
daß Vergieichberg'chiiigse ohne Veri:h iehsvorciinge zustande kamen. 
Von dieser Unnatüriichkeit aber uuch abgesehen, ist die Tendenz, 
die zuzweit erfaßte kurze Zeit fUr kurzer zu halten, nur insoweit 



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122 



Vittorio Bennui, 



aus einer Wirkung absoluter Eindrücke zu verstehen, als diese Ein- 
drücke selbst erst durch die genannte UmkeUrung des Auffälligkeits- 
verhältnisses in einem Komplexe, bestehend aus einem Grenz- 
geräaschkomplex und einem Zeitabstand) von Geiänscbkomplex 
und Zeitabstand, entstehen und mitwirken können. 

Yom Standpunkte der hier vertretenen Anfitaaenng i8t du Vor- 
kommen einer optimalen Panae beim Vergleichen knrxer Zeiten 
ohne weiteies venttadlich ; sie iat dnreh jene ZeiiigrOBe gegeben, bei 
w^eher sieh die erwähnte Umkehrang der AnffllUigkeitsTerteilnng 
auf GrenzgcräuBcbkomplex und Zeitabstand in der Erinnerung noch 
nicht vollzogen hat. In diesem Falle stützt sich das Vergleichen 
auf cichartige Gegenstände, gleichartig in bezug auf AutTällig- 
keit der Komponenten, und entgeht damit der aus der oben hervor- 
gehobenen Umkehning der Anffälligkeitsverteilong entspringenden 
Fehlerqaelie. Anoh ist auf Grand der liier vertretenen Anffaaanng 
die TMeaehe sn TOiatehen, daß trotz der Vorsignale fttr jede der zwei 
zn Teigleiehenden (kurzen) Zeiten die Tendenz, die znzweit erfaßte 
(fta kurzer zn erklSreni sich anfreebt erhält Nach der Theorie Sohn- 
manns etwa mttfite eine solche Tendenz wenigstens zn einem Mini» 
mum reduziert werden müssen, da durch die vom EiiiTi ilt der Zeit- 
Strecken zeitlicli gleich entfernten \"or8ignale erreicht werden müßte, 
daß beide Zeitstrecken bei gleichen Eritwicklungsstadien der Auf- 
merksamkeiti angeregt durch das erste Grenzgeräusch, erfaßt werden, 
oder ihnen gleiche £ntwicklungBphasen der Aufmerksamkeit ent- 
spr&ehen. Der Umstand, daß sich diese Tendenz trotz Vorsignal 
als wirksam erweist, hat aber darin seinen Omnd, daß, wenn 
ancb die Entwicklnngspbasen der Anfmerksamkeit beim Erfassen 
der beiden Zeitstrecken f^eieh sind, niebtsdestoweniger die Vor- 
stellung der zuerst eilußicu Zeit beim Vcr^deichsaktc eine viel 
geringere Annäherung an eine Anschuuungsvorstellung aufweisen 
kann als die der zuzweit erfaßten, und sich eben an ihr jene 
Verändeiong vollzieht, die eine größere AuiTüliigkeit der Zeit- 
streoke gegenüber dem Grenzgeräuschkomplex bedeutet. Diese 
Vocilndemng bzw. Umkehrnng der Anfißüligkeit ist sicher aneh 
nieht zum geringsten Teile dadnreh veranlaßt, daß die Vp. eben Zeit- 
strecken verglelohen will nnd an einem Erinneningserlebnis leichter 
diese beaobten kann als an einem nnmittelbaren , bei dem ihre 
Aufmerksamkeit vorwiegend durch den Geiiiuschkomplex iu An- 
sprach gcuommen wird. 



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II. Erwartungfoeit und »objektive Zeitgrttße. 



123 



SSatA die m Tergletchenden Zdteo »lange« Zeiten, dann UBt 
■ielii wenn aneh mit geringerer Fkeqoenx nnd daher mit geringerer 
Sieberheit, immerliin eine Yerinderang des AnffliUigkeitsverhilt» 
niaaea von Zeiiatneke nnd Grensgerinaeben konatatieren, die die 
entgegengeaetate Bkhtong der bereite erwähnten einaehlägt. Beim 
nnmittelbaien Erleben von Voratelkngen leerer langer Z^ten ist 
daa Anfflilligere die Zeitstreeke, beim Erinnern dieiea Erlebniiaes 
ist das AnffiUligere der Geriaaefakomplex, an dem, relativ nnansohan« 
lieh, eine »lange« Zeitstreeke hinzaphantasiert wird. Direkte Ver- 
gleich^^i;egen8tände sind daher bei Entwicklung eines Vergleichsvor- 
gangeä zwei kümplexeTatbeötäude T, T\ zusamnieniresetzt :ius einem 
Grenzgeräuschkomplex ( G bzw. G') und einem Zeitabataud (Z bzw. Z'), 
wobei G bei 1\ bei T' dagegen 7/ das AutliiUigere ist. Daß nun 
dort, wo die Zeitp^röße als solcho auffälliger ist, sich leichter 
em Yergleichsergebnis im Sinne des FUr-größer-bnltens jenes Tat- 
bestandes, welcher die größere Auffälligkeit auf dci Kumponente Z 
aufweist, einstellt, als umgekehrt, versteht sich vim selbst. Im 
übrigen gilt hier in bezug auf Wirkung der Pause, mit den ent- 
sprechenden Änderungen, alles, was ülr Zj^ oben ausgeführt wurde. 
Nar eins tritt beim Vergleichen langer Zeiten hinzu: das ist die Wir- 
kung gesteigerter Aufmerksamkeit beim ELr&ssen der anzweit 
kommenden Zeit. Dieser Punkt muß hier kurz von nenem erörtert 
weiden: Es dürfte kaum besweifelt werden, daß, wenn man awei 
Dinge hintereinander, einer anzustellenden Vergleichuog wegen, 
sor Kenntnis nimmt, der Anfmerksamkeitsaostand des Beobaohtera 
beim EtÜMsen dea snzweit erseheinenden Dinges intensirer ist als 
der beun Erfiusen des zneist eiseheinenden Gegenstandes, nnd 
awar deswegen, weil erst in diesem Angenbliek der betreffende 
Beobaokier Tergleiehen mnB nnd er erst jetat nm daa Yergleieha- 
eigebnia aoansagen beaorgtwird, indem er den eraten Qegenatand 
einiSaeb so nimmt, wie er iat, ohne sich Oedanken machen an 
müssen, wie er anch in Hinblick anf einen anderen Gegenstand 
sei Das Mehr an Anfmerksamkmt kann natürlich bei Teraobi^ 
dener Besehaffenheit der er&ßtoi GegenstSnde YerBchiedenes snr 
Folge haben. Handelt es sich nm einen Zeitstrecken vergleich, so 
scheint mir die natürlichste Annahme die zu sein, daß die Zeit, 
die aufmerksamer erfalit wird, deswegen lauter erscheint als die 
minder aufmerksam erfaßte, weil bei dieser letzteren Zeittt ile un- 
beachtet bleiben, während der aufmerksamer erfaßte Zeitabstand, 



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124 



Vittorio Bennmi, 



weil Tollständiger und adl^llater erfaßt, relativ (aber nicht auf 
Grund einer Täoflclmiig) gtOfler encheint Wird nim die Panse 
awiselien den zu Tergleichenden Zelten lingeri 00 kemmt n 
diesem Moment anoh nodi die verlftngernde Wirkung der er* 
wShnten AnflMligkeitBTenebiebnng anf die znsweit er&Bte Zelt 
hinzu, und die scheinbare Verlängerong der zuzweit erfaßten Zeit 
wird natürlich, da zwei Momente gleichsinnig wirken, um ao 
auffallender. Dies stimmt damit tlherein , daß die Teudenz. die 
zuzweit erfaßte lange Zeit fUr länger zu halten, stärker, aasgeprägter 
ist, als die entgegengesetzte Tendenz beim Erfassen kurzer Zeiten. 

Daft die Teadenx zn einer Yenehiebnng der größeren Anfüdüg^ 
kdt Ton der Zeltatreeke, d. h. vom Zeitabatand der Grenzgeitneehe, 
anf den GrenzgeiftHBobkomplez bei langen leeren Zelten, sobald sie 
dnroh Erinner angsrorsteUnngen nns vergegenwürtigt werden, im Ver- 
gleich znr entgegengesetzten Tendenz der AnffJÜligkeitsyerschiebang 
beim Vergleich kurzer Zeiten viel schwächer ist, ^2:eht. von dafDr 
sprechenden Sclbstbeoliachtiiiii^en abgesehen, auch daraus hervor, 
daß bei laugen Zeiten eine optimale Pause wenigstens nicht 
tibereinstimmend anzutreffen ist, indes die Tendenz an einer Ver^ 
sebiebnng der gri^fieren Anfälligkeit von einer Komponente eines 
Torgeatellten Gegenstandes anf eine andere, sobald der betreffende 
Gegenstand niebt dnreb eine relativ nnmittolbare Ansebannngs-, 
sondern dnrob eine ansgesproebene ErinnernngSYorsteilnng nns snm 
Bewußtsein gebracht wird, das Vorkommen einer optimalen Paase 
(bei der sich eben eine solche Verschiebung der Auffälligkeit noch 
nicht vollzogen hat und sich hienrtit auch keine Tendenz zur sub- 
jektiven Verkürzung der zuerst erfaßten Zeit entwickeln kann) 
fordert. So scheint mir ftir das Verständnis der Tendenz, die zuerst 
erfaßte lange Zeit für kürzer als die znzweit erfaßte zn erklären, der 
Hinweis anf das voll ständigere Erfassen der znsweit kommen- 
den Zeit Infolge erbObter Aufmerksamkeit zu genügen, und die 
Zubilfenabme einer Verseblebnng der AnifftllIgkeit vom Zeltabstind 
anf den Grenzgeränschkomplex als ein minder stark wirkendes 
Moment nur im Hiublick darauf zulässig;, daB die Tendenz zur 
subjektiven Verkürzung von znerst erfaßten langen Zeiten aus- 
giebiger seiu dürfte als die zur subjektiven Verkürzung von zn- 
zweit erfaßten kurzen Zeiten. 

Zusammenfassend meine ich also den Elinfluß der (zeitlichen) 
Folge von V und N folgendermaßen auffassen zn dürfen: Der 



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IL ErwirtaasMile and mljektlva Z«if^6e. 



125 



Einfluß der Folpe kann nnr durt zur Wirkung gelangen, wo die 
zwei bintereinnüder erfaßten tiegenBtaiide durch emc ah solche 
dem Re >bachter zum BewoJitsein kommende Pause ^'ctreuut sind. 
Tritt die^J ein, so In'^sen sich folc^ende Auffälligkeitsverschiobungeü 
innerhalb der ILomponcnten je eines dem Vergleiche zugrunde 
liegenden komplexen Gegenstandes konstatieren: Sind die Zeiten 
»korz«, ao liegt beim unmittelbaren Erlebnis eines solchen Gregen- 
gtandes anerkanntamuiBen die größere Auffälligkeit bei den Grenx- 
gcränschkomplexen, oder m besteht wenigstens die Tendenz, 
di» Gfenzgeräuschgestalt hauptsächlieh sn beaditeii; beim £r- 
iiiD«niBgaerlebiiiB denelben Zeiten dagcgea diiogt aidL Hiebt der 
Ckrimdikoinplex» Mndem die hiefdiiidi begieute Zeitstreeke 
Behf auf; oder ee beeteht wenigsten« die l^eignng, dieser die 
giVfiere Beeebtong sn eebenken. Wird nim auf Grand lole^r 
Erlebniise TergUehen, eo liegen dem Yeijg^eiebe swel nicht y Vllig 
fleieliartige Sibitrate sngrande; es wird nSmlieh ein kom- 
plexes Erinnernngserlebnia, bei den die Zeitstrecke, ab» ein 
OrOfienmoment, eher beachtet wird, und ein komplexes nnmUtol- 
baies Erlebnis, bei dem die giOßere An£8U)igkett nioht das 
QrOSenmoment Zeitrtreeke, sondem das Qnalitfttsmoment Ge- 
ränsebkomplex oder Geräuschgestalt trifft, dem Vergleicbsvor- 
gange zugrunde gelegt. Dasjenige, bei dem sich dae Größen- 
morceat deutlicher unserer Beachtung aufdrängt (also die zucr.st 
erfaßte Zeitj, muß aber ganz korrekt leichter und daher öfters für 
größer erküirt werden als dasjenige, woran etwas Qualität! res in 
den Vordergrund tritt 

Sind die zn vergleichenden Zeiten >lang«, m vollzieht sich die 
entgegengesetzte Aufräiiigkeitsverschiebuug und der Erlös ist natür- 
lich ebenso entgegengesetzt: es entsteht die Tendenz, die zuzweit 
erfaßte Zeit für länger zu halten, vreil die Neigung besteht, am 
£rinnernngserlebnis einer langen Zeit die größere Beachtung nicht 
dem Größenmoment »Zeitstrecke«, sondem dem Qualitäts- 
moment »Begrensong« zu schenken. Im gleichen Sinne wie die 
eben genannte Tendenz wirkt beim Vergleioh »langer* Zeiten auch 
noch der weitere Umstand, daß die znzweit erfaßte Zeit durch- 
schnittlieh Tollstftndiger, wtil bei gespannterer Aofmerksamkeit 
er&fit wird als die anenrt und weniger aofinerlcsam erfiiBte. Die 
ToOsttiidiger evfaSte Gr5Be mnB aber snlg^tiT grOfier »aossehen« 
als die minder ToUstSndig erfaßte. Unmittelbar hat die reine 



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126 



Vittorio Beniuti, 



Folge als solohe niehts zu bedeuten, und ist daher das eben Aud- 
geAlhrte, streng genemmen, nur ungenau unter der Übenoluift 
»Einflufi der leiflichen Folge« untmubringen, 

b) Der e-Einflufi. 

In Sacben des e-Einflasses, d. h. Einflnsses der Erwartungs- 
zeit, iät hauptsächlich auf zwei Momente aaftnerksam zu machen: 
erstens auf die Verschiedenheit des Zeitphantasieznstandes der 
Vp. bei kleiner und großer Erwartungszeit, dann auf die Verschie- 
denheit der inneren Bereitschaft fUr das aufiiierksame Erfassen 
der kommenden G^egenständOi je naehdem der Vp. au einer eolehen 
mehr oder weniger Zeit gekaeen wird. Diese swei Momente» wo- 
Ton luuiptaSeUieh dw sueret genannte etwas nftber prttsimert xu 
werden yerlangt, kOnnen natOrlieh sowohl gemeinsehaltiieh wie 
anoh einzeln zur Wirkung gelangen. Da aber beide im gleichen 
Sinuc die Q-röße der subjektiven Zeit beeiutiuöben dürften, so mag 
hier die Wirksamkeit jedes einzelnen in bezug auf absolute Trag- 
weite näher untersncbt werden. Hierzu mtlßten doch auch zahl- 
reichere Versuchsdaten vorliegen, als mir solche zu sammeln mög- 
lioh war. leh meine also beztlglioh des suerst genannten Mo- 
mentes: worauf immer auch vor dem Versuehe die Qedanken der 
Vp. gerichtet gewesen sein m9gen, so tritt beim Signal »jetat« 
an sie die eneigisehe Forderung heran, jetzt auf die eintretende 
Zeftfltreeke, anf das Eintreten des ersten Vergleichsgegenstandes 
zu achten. Mehr oder weniger iöt der Zustand des Wartens bei 
derlei Versuchen mit der Phantasie von GrenzgerHuschkomplexeii 
inid hauptsächlichst Zeitstrecken doch aber nur dann ausgetüilt, 
wenn mau der Vp. Zeit läßt, sich solchen Phantasievorstellungen 
hinzugeben, d. h. also bei lang dauernden Erwartungszeiten. 
Tritt dagegen die Zeitstrecke, die den einen (gleichviel ob den 
ersten oder den zweiten) Yeigletchsgegenstand abgibt, unmittel- 
bar nach dem Signal ein, so li^ streng genommen nicht eine sehr 
kurze, sondern nahezu gar keine Erwartongsz^ Tor; schon des- 
wegen nicht, weil eiue Zeitstrecke erst dann als eine solche Er- 
wartungszeit zum Bewußtsein kommt, wenn während ihres 
Ablaufes Zeit hat. an das zu Erwartende zu denken, also eine, 
gleichviel in welchem Grade, anschauliche (Phantasie-) Vorstellung 
des Erwarteten zu erleben. Für den Znstand der Vp. ist beim 
Ablauf dieser kurzen (also nur im Hinblick auf den objektiTea 



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IL EnrartimgiMit wäd inbjektiTa ZütgtöQe. 



127 



Tatbestand, kaum aber mit ßezng aaf das gubjektive Verhalteu 
der Vp. so zu. nennenden) Erwartungazeit zweifellos charakteristisch, 
daß sie dem eintretenden Zeiterfassen keine bereits anp-ere^- 
ten Zeitphantasievorgänge entgegenbringt, während dic^ bei 
langer Erwartuncszeit, als*» hei einer subjektiv als solcher zum 
Bewußtsein kommenden Erwartung, wenn nicht immer, so doch 
sehr häufig der Fall sein wird. Von der Frequenz dieser Art voa 
Erwartung — d. h. einer mit anschaulichen ZeitvorsteUangen zum 
Teil aiugefttUten Zeit — wird natürlich die Frequenz der damit 
Hand in Hand gehenden subjektiTen Modifikation der daraufhin er- 
faßten Zeit abklingen. Es liegt nun sicher der folgende Gedanken- 
gang Babe: gehen einer unmittelbar an gewinnenden ZeitTorBtellong 
Erinnerungs-(hzw.P]iantaai^)Torete]langen Yon Zeiten Tonn, so 
mag dadaieh bedingt werden, daß beim Erleben der angegebenen 
Zeilitre<^e nebst GeränBohbegrenznng, die Zeitstreeke selbst 
mehr als der Ger&nsehkomplez anffftllt, weil für deren Erftssen 
In paychiseber Hinsieht soznsagen der Boden beteits vorbereitet» 
d. b. die Disposttlon an einer soUshen BetStigong des Zeitstreeken- 
erfassens and -beachtens bereits angeregt war. Das gestei- 
gerte Beachten des GrOfienmomentes »Zeitstrecke« (Zeitsbstand) 
maß aber das Veigleicbsergebnis im Sinne eines »ftlr grOfier 
Haltens« jenes komplexen Gegenstandes, bei dem das Gr5Ben- 
moment anffKlliger ist, zur Folge haben; dieser Gegenstand 
ist aber in unserem Fall diejenige Zeitstrecke (derjenige 
Zeitabstand), welcher (welchem! eine lange, also eigentliclie Er- 
wart ungszeit vorangeht. Eine solche Wirkung der Erwartungs- 
zeit, die gleichsara zur Tendenz führt, den Geräuschkomplex, 
den man erfaßt, einer bereits in der Phantasie vergegenwärtigten 
Zeitstrecke anzupassen, kann natürlich nur dort ausgiebig zur Gel- 
tung kommen, wo nornmlerweise beim Erfassen der ohii ktiven 
Sachlage, durcli welch*' t ine Zeit begrenzt wird, die Begrenzung 
selbst, also der Komplex der Gronzgeräusche auffälliger ist als 
das Begrenzte, nämlich die Zeitstrecke; d. i. beim Erfassen 
kurzer Zeiten. Bei diesen allein kann die lange Erwartungs- 
zeit durch die berührte Dispositionsbegrttndung auf den Ausfall 
des Vergleichs im Sinne einer subjektiven Verlängerung der 
ihr folgenden Zeitstrecke wirken. Sind die zu vergleichenden 
Zeiten lang, so ist es ganz natürlich, dafl die Bedentang der Er- 
«artongSMit ftr ihre scheinbare U&nge so gat wie Nnll wird, 



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128 



Vitloiio Büuuiit 



weil hier die Erwartongszeit sozusagen nur die emotionalen Be- 
gleiteraoheiiiinigen beim Hören des ersten GrauKgeiiiuehes bo> 
einflnsBen kann, nidbt aber die Bolle des eraten Giemgerlnaekee 
als Antrieb rar Spaimiing der Aafmerksainkflii imd Erwartune des 
nuweit kommenden Geiinaohes. Da beim Erüusen nnd Vergleidien 
langer Zeiten kein Wettstreit in bezng anf AafftUIgkeit cwisehea 
Geräusclikumpiex uiid Zeitütrecke emtreten kann, da hier das 
Anffälligere (die Zeitstrecke) mit dem eigentlich zu Vergleichenden 
zuaammenfälit, so kann auch die Erwartunpszeit, die nnr deu Auö- 
fall eines solchen Wettstreites beeinflussen kann, nicht im Sinne 
Irgendeiner Fehlertendens znr Geltung kommen. 

Naehdem hier sehen Tom sieherlioh emottonal gefibrblen Zastaade 
dar Erwartung die Bede war, so sei nebenbd aneh anf die Unannehnr 
barkeit einer Identittt von Erwartangsgeftthl nnd Zeitbewofitsflin 
oder einer ProportionalitSt swisehen Intensität der Erwar- 
tuü^bgeflihle und subjektiver Grüße der Erwartnngszeit, 
oder, genauer, der Dauer des Wartens hiugewiesen: Die Steigerung 
etwa der Uulustgeftihle beim Warteu oder Erwarten Längt von dem 
Werte dessen ab, worauf gewartet wird. Je größer dieser Wert, 
um so rascher die Entwicklung der Erwartnngsnnannehmlichkeil. 
Gleiche Unaanehmlichkeilsgrade mflßtsn nnn entweder gleichlaage 
Erwartangsieiten im Bewafitsein begleiten, oder wenigstens nngleiehe 
aneh nngleiehe Zeiten gleicher Veisehiedenheiteriehtong, also das 
geringe Unlnstgefthl die kürzere Zeitstreeke begleiten nsw. lüTan 
zeigt aber die Erfahrong, daß man sehr lange warten und nur 
schwache, sehr kurz warten und sehr starke Unlustgeliible 
in sich konstatieren kann. Dies hängt eben vom Werte des er- 
warteten Gegenstandes ab. Derlei GefUhle dürften daher meines 
Erachtens nieht ttbennerklich die subjektiven Zeiten beeinflnssen 
können, aasgenommen etwa den Fall, daß Zeitstreeken mit Un- 
Insigefhhlen ansgeftUt, Uiager an seht scheinen als solche, die 
Instbetont sind. Dies erkJXrt sieh aber wieder natllrlieher daiaaa, 
daß man beim Erleben eines ünlnstgefthles mehr anf die Zeit achtet, 
weil man es gern los werden möchte, indes beim Lnstgeffthl die 
Zeitkoraponente in viel geringerem Malie zum licwußUeiii kommt. 
Die iinluötlietonte Zeit erscheint dann aber nicht wepen der 
Unluätbetonung länger, sondern unmittelbar nur deswejreTi, 
weil die Unlustbetonung ein größeres Beachten der 
Zeit bedingt, nnd nns daher die Zeit in ihren slImtlieheB 



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II. £rwartiingas«it und tnbJektlTO ZeitgrOße. 



129 



ZeHteOen, d. h. in ihrer tatslelilielieii Unge zum Bewußtsein 

gelangt 

Zur Aus^cangsfrage zurückkehrend, kann man abschlieBeud 
sagen; bei kurzen Zeiten wirkt eine lanere Erwartungüzeit des- 
wegen im Sinne einer Tendenz zur bcLeiüUareu Verlängerung der 
ibr folgenden Zeit, weil sich die Tendenz entwickelt, wahrend 
der Erwartongszeit an Zeitstrecken zn denken, das Eintreten des 
Erwarteten Bozusagen in der Phantasie vorwegzunehmen Bei 
Bolchen phantasieraäßifj: verpregenwärtigti n Zeitabständen liegt aber 
die größere AaÜUlligkeit auf dem Grüß enmorneDt Zeitstrecke, auf 
welche sich eben das Denken hauptsäclilich richtet. Dies hat, 
was daa innere Verhalten der Vp. anlangt, die Folge, daß die 
Grenigeränsche der objektiv angegebenen nnd nach der langen 
ErwsrtuigSKeit erfaßten Zeitstrecke weniger beachtet werden als 
Bonflt, weil die Vorstelliing der Zeititreeke, da ihr eine Zeit?or> 
BteUong in der Plientaeie Yoransgegangen war, sozosegen eine 
größere innere Beeonanz erwirkt, leichter zustande kommt nnd in 
größerem Maße die Anfinerkeamkeift anf sieh an aJelmi Termag, 
ab wenn jene innere BereitBehall snm Eriauen Ten Zeitatreeken 
niekt gegeben wira Sind die Zeüen lang, ao wird der erwilmle 
▼erheigehende PhanlaflieaDitand deiwegen l)elaii|^o§y weil l>ei dieien 
Zmten, was die Yoiginge dee nnmittdbaren EHauena anlangt, 
ohnedies die größere Beaehtong (sowohl beim Erfassen der Zeit- 
atreeke ndt Isnger,- wie beim Erftsien der Zdtstreoke mit ksTMi 
Erwaitnngszeit) den Zeitstreeken selbst gilt 

Zn diesem eben ansgefttbrlea Moment, das sieber niebt lelebt 
in Worten wiedenngeben ist, kommt noefa dn aweites binsn, eben- 
fidls ab Folge der Erwartungszeit nnd ebeaso wie das berdts 
berührte nur bei kurzen Zeiten in Betracht kommend. leb meine 
die Ablenkung der Aufmerksamkeit von der Zeitstrecke und Hin- 
lenkung derselben :iiif deü Geräuschkomplex bei kurzer Erwar- 
tnngazeit, oder die Übeiruschung durch den Eintritt des GerUusch- 
kompiexes bzw. der kurzen Zeitstrecke, wenn die Erwartungrtzeit 
sehr kurz ist. Die Tendenz, bei kurzen Zeiten hauptsächlicli den 
Geräuschkomplex und nicht die Zeitstrecke zu beachten, wird 
sicher durch den Umstand, daß dieser Komplex plötzlich, ohne 
vorausgegangene innere AufnierkHamkeit^^einstellung hierfür ein- 
tritt, gefördert. Überrascht lUhlt man sich unter solchen Umstanden 
durch die Plötzlichkeit und die kurze Dauer der Zeit, die schon 

AnMT fir fqrahatoite. XUL 9 

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ISO 



Yittörio BeikiiMi, 



vorüber ist, ehe mau sich auf ihren Eintritt oder Verlauf nucli recht 
besianen kouiite nif ht aber durch den Eintritt des zweiten Grenz- 
geräusches. Darin kann ich auf Grnnd von Selbstbeobachtung 
Schumann nnmög'Hch beistimmen, so sehr ich ihm darin zo- 
btimuic, daß der Anfraerksamkeitsznstand, allgemein verstanden, 
eine wichtige Rolle, wenn auch nur mittelbar, fllr die Beetim- 
mnng der subjektiven Zeitlänge spielt. Der erwähnte Eindruck, 
die Zeitstrecke sei bereits vorüber, bevor man sich auf sie so- 
znsagen besinnen konnte, tritt viel seltener ein, wenn die Ei^ 
wartnngBzeit lang ist. Es entwickelt sich hier die bereits er- 
Wlümto Tendenz, mit Zeitphantasie den Eintritt der Zeitstrecke 
SU erwarten nnd infolgedessen ihr mehr Beachtung als dem Grens- 
geräusch komplex zu schenken. Die eben dargestellte AnfCuunngf 
scheint mir natürlicher als die, die Bich aus der SehnmannBohen 
Position ableiten ließe, daß nftmlieh, wenn die Erwartongnseit knn 
iflt| das Zeltbewnfiteein lieh anf Grandlege eines im Ansehwellen 
eist begriflbnen Anfinerksamkeitsstsdinrns entwiekeln (bsw. dieser 
Znstsnd selbst sein), bei langer Erwartongsseit dag^n mit einem 
Anfinerksamkeitsstadinm maximaler Spannung sosammentUlen 
würde; natürlielier deswegen, weil fbr die Sebnmannsoke Auf- 
fassnng die Erwartongsseit kanm Ton Einfloß so sein brancbte, da 
nach dieser Aoflkssnng niobt der Aofmei^samkeitssustand beim 
Eintritte des ersten Qeiinsebes, sondern der sieb naeb Ein- 
tritt dieses Gerftnscbes erst entwickelnde nmßgebend sein durfte. 
Davon aber anefa abgesehen, konnte man sieb die Sache immerbin 
so zurechtlegen: Beim Signal »jetzt« tritt ^e Anfmerksamkeito- 
Spannung oder die Entwicklung eines Aufmerksamkeitszastandes 
ein, er erreicht, bildlich gesprochen, beim zweiten Grenzgeränsch 
die Intensität a; ist die Erwartnngszeit lang, so ist die Intensität 
der Aufmerksamkeit beim Eintritt des zweiten Geräusches gleich b 
und natürlich größer. Liegen solche Intensitätseindrücke dem Ver- 
gleiche zTis^runde, wenie'stens im Sinne einer Tendenzentwickhing, 
so ergibt sich die Vergleichsauasap;? : >2 länger«, weil der Aufmerk- 
sarakeitszustand beim Erfassen der zweiten Zeit intensiver war. 
Setzt aber beim Eintritte des ersten Grenzgeräusches eine neue 
Aufmerksamkeitsanspannong ein, so kann vom Standpunkte der 
hier ins Auge gefaßten Auffassung nicht verständlich gemacht 
werden, weshalb bei langer Erwartungszeit eine subjektiTe Ver- 
iXngemng der nach ihr erfaßten Zeit eintritt Da nun diese 



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n. ErwftrtBiigaMit und mbJiktiT« Z«i«grV0e. 



131 



zweite Möglichkeit nicht auszuschalten ist nnd die Erfahrung ftir 
die erstgenannte nicht zu sprechen scheint, so glaube ich mich be- 
rechtigt^ die weiter oben dargestellte Fassung für die den&eit adäqua- 
tere zn halten. So meine ich zusammenfassend für den EinfloB der 
£rwartungszeit folgende zwei Momente yenuitwortiudi machen zu 
dürfen; einmal den dnroh den langen ErwurtongstuBtand her- 
vorgerufenen Zeitphantaflieustead und die konsequente Tendenz, 
der kleinen ZeitBtrecke zuungunsten des Geräuschkomplexes 
mehr Beeehtnng zn schenken, dann den Umstand, daß bei knner 
ErwaitniigaBelt nna der Eintritt und YerUtnf der Zeitetredce ttber- 
raaeht) so daB er Torttber ist, ehe w auf ihn aneh nur einigermaBen 
hätten aehien ktfnnen, wobei natürlich nneere Anfine^Bamkeit 
hauptsüohlieh mit Gehöre- nnd nieht mit ZeitatreokenTorgtel- 
langen beeehüfUgt wird. Zum SehlnB mnB ieh noeh auf eine knne 
YennehBroihe hinweisen, die mir ftr die hier Tertretede Ansieht 
an sprechen soheint nnd die Modifikation absolnter Ein- 
drücke dnreh Tersehieden lange Erwartnngsseiten betriiR. 

c) Erwartungsseit nnd absolnter Eindrnek. 

Enreekt eine mittels zweier Grenzgeränsehe angegebene knrse 

Zeitstrecke in uns mehr oder weniger lebhaft den unmittelbaren 
Eindruck des »Knr/.eu«, so liegt der Grund hierzu darin, daß 
Ton den zwei unterschiedlichen Komponenten, ala Zeitstrccke und 
Begrenzung durch Geräubchkomplex, die zu/weit genannte Kom- 
ponente mehr oder weniger lebhaft auff;illt als^ die zuerst ge- 
nannte. Wird durch die Erwartungszeit und die mitbedingte Be- 
reitschaft jener Vorgänge, die zum Erfassen und Beachten der 
Zeitstrccke ftihren, die Auffälligkeit der Zeitstrecke erhöht nnd 
tritt der unmittelbare Eindruck des Kurzen mit dem Hervortreten 
der Zeitstreckenauffälligkeit zurtlck, so muß sich beim Erleben 
objektiv gleicher Zeiten der Eindruck des Kleinen relativ 
weniger oft einstellen, wenn eine kleine Zeit nach einer langen, 
als wenn sie nach einer kurzen Erwartnngszeit erfaßt wird. 
Anfierdem muß, bei Zeiten, die bereits den Eindruck des »Großen« 
erwecken I die Frequenz dieses Eindruckes relativ herabgesetzt 
werden^ wenn die Erwartungszeit, die dem Erfassen dieser Zeiten 
Toransgeschickt wird, knrz ist. Um diese Sachlage nachzuprüfeni 
habe ieh folgende Yeisnehsreihe angestellt (was die Instruktion 
der Yp. anlangt, veigleiehe man I, S. 38S). Die nntersnchten Zeiten 

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132 



Yittorio Beoossi, 



wmn gleieli, 60, 100, 150, 200, 250, 300, 850, 400, 450, 500, 
560, 600, 650, 700, 750 und 800 a. Die lange ErwartongSEeit be- 
trog 1350, die kurze 460 ü. Die experimentolleii Bilfemittel waren 

die der übrigen Versuchsreihen. L>ic Anzahl der Vp., sämtliche 
hatten Bicli an den Versuchen Uber Zeitrerfrleich beteilig^;, war 10. 
Jede zn prUI'eiule Zeit wurde zweimal mit vorausgehender kun^er, 
zweimal mit vorausgehender langer Erwartungszeit der Anffassnog 
geboten. Man erhielt BO für jede Zeit 40 Aussagen, wovon die 
eine Hälfte den langen, die andere den kurzen Erwartongsseiten 
zufiel. Die Beihenfolge, in der lange und kuise Erwartungsieiteu 
einander ablösten, und die Gruppierung der untersuehten Zei^ 
gr6fien ist ans folgender Ubersiohi au entnehmen. 



Zeitstreoke 


£rwartuDgszeit 


Zeitstrecke 


ErwartUQ^Bzeit 


■ ■■- 
aOOir .. 




100« . 




400 <r 


450 ff 


800« 


450 ff 


ff 


1350 (t 


750 ff 


450ff 


4')0 <j 


ia')0 ff 


ööO ff 


13.'tO ff 


ÖUÜ a 


13öOff 


eoOff 


4ö0 ff 




460 <r 


700« 


450 0 


160 <r 


1360tf 


SSO« 


18B0« 


260«., 


.... 460« 


160« 




700 ff 


ISöOff 


350ff 


450 ff 


600 (t 


1350 ff 


50 n 


450 ff 


650 a 


1360 ff 


iAA) a 


1350 ff 


7öO a 


460ff 


800 ff 


1360 ff 


SOOtf 


460« 


460« 


1360« 


100 


1360« 


660« 


460« 


350 tf 


450« 


m« 


1S60« 






200 ff 


450ff 


600 a 


1350 <T 


150 ff 


450 ff 


800 ff 


450 ff 


2ö0ff 


450 ff 




1350« 


700« 


1350 ff 


6600 


460« 


600« 


1360« 


400tf 


460« 


660« 


460« 


200 a 


1960« 


750 ff 


460« 


200 a 


1350 ff 


300 ff 


1350 ff 


400 (T . . 




100 ff . . 




dOOff 


1360 ff 


100 ff 


lÖöO ff 




460« 


aoo« 


1360« 


660« 


460« 


760« 


1860« 


450 rr 


460« 


550« 


1350 ff 


SOOff 


450ff 


600« 


1360« 


600 IT 


450ff 


700 ff 


450ff 


50 ff 


1350 ff 


250 ff 


450ff 


3Ö0 ff 


1360 ff 


150 ff 


460ff 



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IL Erwutangweit und rabjektive Zeitgrtfßa. 



133 



Die Verteiiung der Frequenzbeträge für die Eindrücke sk, 
a und <7, d. h. »sehr kurz«, >karz<, > anbestimmbar« und >groß< 
bei langer ond kurzer Erwartongsaeit sind im folgenden znaammen- 
«esteUt: 



kiine Erw«rtitii|f»ze!t 


Unge Enrartnngaxelt 


Zeitatrecke j ^ ^' i k 


a 


9 


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200 ff 




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0 


19 


1 




260 « 




19 


1 




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1 


17 


2 




300 ff 




16 


4 




360« 




15 


6 




! 3Ö0 ff 




12 


8 




400 IT 




6 


8 


6 


400ff 




9 


9 


2 


450 ff 




3 


9 


8 


1 450 ff 




3 


12 


6 


600« 




4 


10 


6 


600« 




8 


9 


9 


660« 




6 


6 


8 


860« 




2 


6 


12 






3 


4 


13 


GOn r! 




1 


6 


13 


650 o 






6 


14 






1 


1 


18 


700« 






7 


13 


TOOff 






1 


19 


760« 






6 


14 


760« 






3 


17 


800« 






1 


19 


800« 






2 


18 


Summu 


V 


8» 


63 


|101| 


1 Summe 


1 61 


84 


62 


113 



Aus den erhaltenen Suuuneuwertcii 71 83, 63, 101 für sk-^ k-, 
a- und f/-Ein(lrücke bei kurzer gegenüber Gl, 84, 62, 113 bei 
langer Krwartung^szeit ^^cht ohne weiteres hervor, daß die längere 
Erwart angszeit, indem sie das Erfassen bzw. das Beachten der 
Zeit 8 trecke (durch die während der Erwartungszeit eintretenden 
Zeitphantasievorstellungen) erleichtert und mithin zu einer Er- 
hühQDg der Zeitstreekenauffäliigkeit gegenüber der desBe- 
grenzangskomplexea tou Geräuschen fuhrti die Freqnenz der 
unmittelbaren «A;-Eindrücke, die sich um so eher einstellen, 
je größer die AoffUlligkeit des Geräoaehkomplexes gegenüber der 
der Zeitstreeke selbst ist, herabsetzt Entsprechend erhöht sie 
aber die Frequenz der ^-Eindrttcke^ indem dureh die lange 
Erwartungszeit erreicht wird, daß an leeren, durch Gerftnsche be- 
grenzten Zeitstreeken, bei welchen, wenn ihnen eine kurze Erwartungs- 
seit Torangeht, der drenzgeränschkomplez das auffUUgere Moment 
ist, infolge der Erwartung die grOfiere Auffälligkeit auf das 



134 



Vittorio BenoMi, 



Zeitstreekenmoment selbst ttbertragen und miüiiii die Tendenz 
begründet wird, nnter soleben Umständen von Zeiten, die sonst den 

Eindrack des Kurzen oder des Unbestimmbaren erweckten, einen 
nnmittelbareu Eindruck des Großen zn gewinnen. Das. was bei den 
cbcu erwähnten Versuchen die lange Erwartungszeit leistet, durfte 
auch eine Wiederholung M des alB Erstes aufzufassenden Ver- 
gleichsgliedes (Zeitstrecke) mit sich führen, und zwar ebenfalls 
infolge einer Auffiilligkeit8?er8chiebnng vom Grenzgeräuschkomplex 
auf das Zeitstreckeü-(Zeitab8tand-)müment, - einer AuffölHgkeits- 
verscbiebung, die nicht durch die hier im obigen erwähnte Dispo- 
r^itioiiRanregung zur BeachtunG- von Abständen hervoif-ernfen wird, 
»oüdern durch die Abstumpiung der unmitteibaren Eindrücke infolge 
des wiederholten Erlebens derselben und der bei der Wiederholung 
des Erfassens knrzer Zeiten sieb entwickelnden Übnng in der 
Analyse der Zeitstreeke. 



Die subjektive Zeitgröße wird beim Yergleiehen von ZeiteOi 
die dem Gebiete der kurzen Zeiten angeboren, bei dentliehem 
Heirortretea der Pame zwiseben den einzelnen Yergleiebsgliedem 
N nnd F nnd Verscbiedenbeit der Je einer der zn veigleiehenden 
ZeitBtieeken vorani^ehenden Erwartnngszeit dnroh folgende Mo- 
mente beeniflnßt: 

a) dnreb die Lftnge der Erwartnngszeit im Sinne der Be- 
gründung einer Tendenz zur subjektiven Verlänge- 
rung der einer langen Erwartnngszeit folgenden 
Zeitstreeke'); 

b) dnreb die seitliobe Folge von N und V, ebne Bttek^ebt 
darauf, ob V oder N zuerst erfaßt wird, im Süme der 
Begründung einer Tendenz zur sebeinbaren Ver- 
kürzung der an zweiter Stelle erfaßten Zeitstrecke'); 



1) Vgl Katz, Zeitschrift für Psychologie. Bd. 42. S. 441 ff. 

2) Vgl. §& S.84f. 

S) Wohl flbereinBtittnend mit den Ergeboiss«»! von Eats (a. a. 0. 

S. 418) und frühere UnterBuchungen von Schumann fZeitechrift fUr Psycho- 
logie. Bd. 4. S. Iff.), tfeamsnn a. s. (v^ hierüber den aoagezeichiietai 



I 9. Zusammenfassung der Hauptergebnisse. 



a) Tatsaeben. 




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IL EnrartiiDgueit und sabjektiTe Zeitgröße. 



135 



e) durch die SteUang von V imd N im Sinne euer Ten- 
denz znr YergrSfiernng der Bnbjektiven Verschie- 
denheit von V und N bei der Stellung NV^), 

d) Da« GrOfienmliftltnis F> oder V<:N bleibt wider alles 

Erwarten einflußlos^). 
Bezeichnen wir die Veränderung der subjektiven Verschieden- 
heit durch das öub a) erwähnte Moment, je nachdem die Größe 
der Erwartungszeit im Sixme einer TendenzbegrUndong znr snh- 
jektiren Vergrößernn^ oder Verkleiuernng der Yereehiedenheit 
TOD JV^nnd F, bei oder iV<K, wirkt, vut+e nnd — 

und mit Äj^* die Anzahl der zugehörigen richtigen (ad- 

Iqnaten) VergleicfasauBcagen, so kOnnen wir das erste Uaupt- 
ergebnis durch das Symbol 

teteUen: Setzen wir den Einflnß der snb b) nnd c) erwihnten 

Momente bezieheutiich gleich dr f und rL- a, bo küniien wir das 
Gesamtergebnis der gegenwärtigen Unteisuchiuigen betrefiPs knrzer 
Zeiten durch die Symbole 

< < 

iHedeigeben. 

Sind die zu yergleichenden Zeiten »lange* Zeiten, so ergaben 
sich als vergleichsbestimmende Faktoren: 

aj die zeitliche Folge von N und V, nnd zwar wirkend im 
Sinne einer Tendenz zur subjektiven Verlängerung 
der aU zweite erfaßten Zeitstrecke^^), was hier mit 
Bezug auf die Kombinationen .^/>F und N<CV, sowie 



Bericht ^[u.iiidtH .linges Archiv. Bd. VITT. S. 143flF. (des Lit-Ber.]). Eine 
lAivergenz zwitschen meinea uüd anderwiirtigen diesbeztigUcheii Aasflihmngen 
besteht also bloß in der Deatang, nicht in der Fettttelliing des Folgen- 

1] Vgl. das aaf S. dßff. Uber den o-Ebiflii0 Augofthrte, was hier wegen 
im ipateUeien CShaxakten der mgebdfigen Bestfmmimgeii iiiolit nsammen- 
fsbfit Hilden kann. 

2) Dies natürlich ivgl. S. 99 ff.) deshalb, weil »ich das Vern-leichen bei 
>lianeii« Zeiten mehr durch das subjektive Aufnilligkeitaverhältnis von Zeit- 
abtt&nd iZeitstrecke) und Grenzgeräuschkompiex, als doroh die tatsächlichen 
€iOfiendifferenzen der za vergleichenden ZeitabstKude beiÜmmen JMßt, 

3] Vgl §3. S.9eit 



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t36 Vittorio Beniiui, 

die sieh ergebenden VerftndeniDgen (± f) der enl^jek- 

tiven Verschiedenlieit nach Za« oder Abnahme und konse- 

quüuter Erhühuri^ oder Herabsetzung der Frequenz ad- 

> > 

llqnater VergieiehBeigebniflae mit A^^'^A~^ wiederza- 
geben ist; 

b) das GrtffienyerbältDiB von N and F, und zwar indem 
gemäß dem Web ersehen Gesetze bei dem Verhältnis r< 
eine Tendenz zur Zunahme riehtiger (adäquater) Yer- 
gleiehsergebnisse begründet wird^). Bezeichnen wir die 
Veränderung der snbjektiren Versehiedenheit gegenüber 
der objektiven Differenz Ton V nnd N der zwei zn ver- 
gleichendcn Zeitstrecken bei F<<3r mit + ^r, bei V^N 
mit — /7, indem hierdurch die Tatsache ausgedrückt werden 
Boll, dati die VerBcliiedenheit von V und X trotz Gleich- 
heit ihrer Ditferenz bei V<^N ^Mer ist als bei F>.*y, 
80 kouuen wir das Ergebnis durch da« Symbol 

wiedergeben. 

c) Die Stellung von FJV, oh also VN oder N V vorliegt, 
sowie die Gröfie der Erwartnngszeit bleiben bei Zg 
ohne merklichen Einfluß 

Lauge Erwartungszeiten wirken im Sinne einer Ileiiiuiung 
unmittelbarer absoluter Eindrücke des > Kurzen« und umfrekehrt, 
knrze Erwartunarszeiten im Sinne pinor Bc.irnnstigung, einer För- 
dernüLT des Eintritts solrlier Eindrücke und einer Hemmung von 
absoluten Eindrücken des »Lanjrpn«'). 

In bczo«^ auf die Momente, die die subjektive \ erschiedeulieit 
von -A' und l'zu modifi/ieren imstande sind, \ erhalten sich »kurze« 
und »lauge« Zeiten völlig entgegengesetzt: bei finden wir 

als wirksam a, =fc e, ± /; bei dz f uaä ± g*]. Dies alles 



1) Vgl. obeu S. 101 ff. u. 107. 

2) Wm lieh daraus erklärt, daß hetni Vergieieben langer Zeiten kaum 

ain merklif ]ier Wettstreit in der Attfif^ligkeit von (irenzgeränscbkomplex 
und Zeit^öße eintritt, vielmolir eins eigentlich zu Vergleichende ancli das 
stärker Beachtete ist, indes die Erwartungszeit bei kurzen Zeiten, wie ge- 
zeigt, hauptsächlich auf den Ausfall eines solchen Wettstreites wirken dtlrfte. 

3) Tgl. s. las f. 

4) Vgl. §3. S.108e 



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n. Enrartnnfiieit niid aobjelctiTe ZeitgrVße. 



137 



weist cUuraaf hin, daß dem subjektiven Verhalten beim Vergleichen 
in deo zwei Fällen verschiedene Grundlagen geboten sein 
mttssen. Hierüber läßt sich derzeit ohne jeden Anspruch auf End- 
gttltigkeit immerhin vielleieht niofat ohne innere Bereehti|pmg fol- 
gendes Termvten: 

b) Hypothesen. 

Die Tecgleiobflgnmdlage beim Yeigleieben leerer Zeiten ist 
keine ei nfaohe» Zwei Paare Ton Gegenstftnden sind ei, die in be- 
eng anf TergleiehBbeBtimmnng in Wettet reit stehen: die zwei Ge- 
rinsehkomplexe (Oeilluohgestalten) als qualitative nnd nnter 
sieh qnalitatiy versohiedene Dinge» nnd die swei Zeitatreeken 
als quantitativ zu bestimmende nnd an naterseheidende Gegen- 
sUbide. tdk heseiohne ndt JT', JE* die Gerilnschkomplexe der 
erst, bzw. zuzweit erfaßten Zeit, und die zuerst und zuzweit er- 
faßte Zeitstrecke mit und Z" . Die Gesamterlebnisse, an 
denen die den Gegenstäudcu JT', JT", Z\ Z" zugeordneten 
inneren Partialerlebnisse des Vorstellens, /r', U\ x, x" zu uuter- 
Bcheiden sind, seien durch y', g" darg-estellt, die dazugehörigen 
Gegenstände mit O'. G". Beim Erleben von g\ g" brauchen die 
AuffälligkeitHverliältniHöe zwischen Z' K' und K" Zi' nicht kon- 
stant zu sein. Es kann vielmehr bei erfaßten G'y Z' aaffalli,L'er 
nein als K' , bei G\ K" auffälliger als Z" Was das Ver- 
pleichsergebnifl anlangt, muß die größere Auffälligkeit von Z' 
eine Tendenz im Sinne des »Ftlr-länger-haltena« dieses Z 
begründen, nnd umgekehrt >). 

Nun glaube ich aus Erfahrung konstatieren sn können, dafi 
beim Yergleioh — das Herrortreten der Paose vorausgesetzt — 
Ton O'f &\ auf Grund einer »Anschauung« von G" und einer 
Erinnerung von G' die größere AuffälUgkeitsbestimmnng 
bei Gr dem iT, bei 0^ aber dem Z' ankommt liegt die Saobe 
se, so ist die Tendeos, beim Erleben yon ^ das sageorduete 
ftr klirser ni halten, ohne weiteres TerstÜndUeb, weil das 
Ordfienmoment hier weniger anffillig ist als beim 
(ISriBttenmgs-)Erlebnis d,h. beim Erinnem von 

Dieee Yersobiebnng der größeren AnfifiÜligkeit Ton JT' anf 



1) YgL oben S. 119. 

2) YgL 8. 190 ff. 



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138 



Vittorio Bcmwi, 



sobald Q' durch ein ErinueruugBerleijuis vergegenwärtigt wird, 
!8t, glaube ich, bei der geccbenen Versncliftanordnung mit voller Be- 
stimmtheit zn konstatieren Die cnt-:ei:eu gesetzte AulTailigkeitöver- 
schiebung dürfte, wenn auch mit geringerer Frequenz, bei solchen 
denen lange Zeiten zugeordnet sind, eintreten. Daraus ist zum 
Teil die Tendenz, eine zuzweit erfaßte > lange < Zeit für länger 
za erklären im Vergleich m einer objektiy gleichgroßen, aber 
saerst erfaßten, zu veretehen. Zum anderen Teil erklärt sich diese 
Tendenz in Hinbliok auf das vollständigere Erfassen der zu- 
zweit kommenden langen Zeit infol^ gesteigerter Anfinerksamkeit 
wihrend ihres Verlanfes^). 

Den d= ««ESnÜnfi glanbe ieh, ebenfalls anf Gnind von SeUMt- 
heobacfatongen, anf folgende Art auffassen an mttssea: Geht dem 
an er&ssenden komplexen Gegenstände Q (bsw. Q% G^) eine 
lange Erwartnngszeit Toran, so entsteht die Tendensi Teilerleb- 
nisse der Z-Art an phantasieren. Dadueh wird beim Erieben 
des folgenden CT die Z-Bestimmnng daran snbjektir anffilliger. 
Die Tendena zur größeren snbJeküTen Anffftlligkeit der 
^Komponente hat aneh hier das nümliohe wie hei ^ aar Folge, 
nKmlieh eine Tendenz, die unter solchen Umständen erfaß* 
ten O fttr großer an halten als dann, wenn infolge der sehr 
kurzen Erwartnngszeit die grüBere Auffälligkeit nicht der Z-, 
sondern der A"- Komponente zukommt. Dies an erster Stelle. An 
zweiter Stelle ibt zu berücksichtigen. Bei kurzer Erwartungszeit 
erlebt man iJ relativ unaufmerksam, daher die Gelegenheit, 
Teilzeiten gleichsam unbeachtet zu lassen und deshalb eine Zeit 
zu erfassen, die subjektiv verkürzt wird: umgekehrt wird bei 
langer Erwartungszeit und mitgegebener grüßerer, auf Z gerich- 
teter Autmerkäamkeit die Zeit^treeke als solche vollständiger 
erfaßt und infolgedessen ftlr größer erklärt 

Den =b a-£influß, worin sich die Tatsache knudgibt, daß bei 
kurzen Zeiten bei der Stellung iV^ F öfters richtig verglichen wird 
als bei VN^ versnohte ich ans der größeren Aufmerksamkeit beim 
Erfassen der zweiten Zeitstrecke verständlich an maehen, zumal 
beim Erfassen dieser Zeitstrecke auch die Tendenz bestehen dttrfle, 
dem Zeitmoment mehr Beachtung als dem Geränsehkomplex 



1) YgL oben 8. Iffi nad I, % U, 8. 448f. 
8) Vgl. & 196C 



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II. Erwaitangazeit and aabjektive Zeitgrüße. 139 

n lehenkeD. Der nur bei Ungen Zeiten eintretende EinflnB des 
Verblltniwes V^Nim Sinne der BegrUndiuig einer Tendenz zur 
AnUbifiing riebtiger (adäquater) VergleichsergebnisBe bei F< JV, 
ist natürlich als Folge der trotz gleicher Differenz doch bei V<^N 
vorlief enden größeren Verschiedenheit der zu vergleichenden Zeiten 
abzuleitcD, und zwar um so elier. als bei langen Zcitt n (law auf- 
fälligere Moment gerade die Zeitstrecke ist, und daher Um- 
tfbDde, die ihre snbjektiye Veiändernng beeinflussen, sieh als be- 
Midem wirkiam erweiien mllesen. Bei kurzen Zeiten, wo das 
nfQÜligere Moment in Komplex der Grenzgei^iuche gegeben iit, 
fehlt abereinetimmend der EinfloB des Yerbttltnisses V^N^ bei 
langen Zeiten dagegen der Yon ± o. 

Auf Gnmd der im obigen kurz zusammengefaßten Hypothesen 
können wir auch die Ergebnisse dieser Untersuchungen als eine 
Bestätigung des Satzes ansehen, daß alle Momente, die im 
Sinne einer Auffälligkeitserhühung des Grenzgeräusch- 
komplexes wirken, eine Tendenz zur subjektiren Ver- 
kürzung, alle diejenigen dagegen» die im Sinne einer 
AsffftlligkeitserhObang des zeitliehen Abstandes der 
Grensgerttnsobe wirken, eine Tendenz zor snbjektiTen 
Verlingerang der unter soleben Anffftlligkeitsverbttlt- 
nitsen erfaßten Zeit begründen. 



(Eingtgaiigen am 4. April 1906.) 



Wilhelm von Emnboldts Sprachphilosophie. 

Von 

Xorlti Sehelnert (Leiioig]. 



Inhalt. 



L Huiaboldts spxachphil 

geil« 



1} SpiMhe «ikd Geist 142 

2; Gedanke and Laat 144 

3) SpfHfbp als Objektiviernn,' df>9 
Geistes, ihr StimmuDg&geiialt 
und ibre dadurch bedingte 

Wirkiuff 146 

4; Außere und innere Sprachform 14f? 
5 Der Ciiarakter der Sprachen . 148 
6] Die vollendete Sprache . . . Iö2 

7) Dm Wort 167 

8) Die Wonoln 169 



sophiscbe AnsohAaangen. 

9) IMe grsmnMtisoheii Ponn«n . 161 

10) Der Satz 168 

11) Znr KUssifikatioB dor Spra- 
chen 166 

12j Die geschichtliche Kntwick- 

Inng der Spreehe 166 

18) Spneho ud Sehfift .... 169 

14) Poesie nnd Prosa 170 

15] Die Sprache im Leben der 

Gemeinschaft 171 

16) Plulosopliie der Spraehe . . 172 



n. Richtltuieu uud Methode vou llumboldts Forsehuni^. 

1) Zur Entwicklung^ »eiuer Studien 175 3j Die Hezieliungen zur Öprach- 

2, Die Uauptbegrifie uud diu wisseusebaft 184 

Beiieliiuigeii wa Kant imd ^ Humboldts Methode .... 186 

ScliiUsr 176 6) ünsete Stelloiig an HamlMldt 199 



Wilhelm Ton Humboldts Spracbphilosophic beruht in 
weiterem Umfange auf der Beurteilimg von Tatsachen, als man 
gemeinhin aazimebmen pflegt. Das zeigt deatlicli die vielea bis- 
her Ungedrockte enthaltende Ausgabe der K. Preuß. Akademie der 
Wiflsenschaften. Freilich ist Hamboldt» DarstellnngaweiBe und 
Stil der Erkenntnis dieses Saehrerhalts hinderlich gewesen. Die 
▼erliegende Abhandlnng yersncht, einmal, soweit als möglich und 
ftr die allgemeineii Gesichtspunkte ndtig, den tatsilchlichen Grund- 
lagen von Humboldts Anschauungen sowie diesen selbst in 
ihren Tersehlungenen ZosammenlUIngen nachzugehen, und dann 
die Hanptbegiiffe sowie die Methode Humboldts au beleuchten. 

AnUv Ar P«fiM«(te. Xm. 10 



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142 



Moritz Scheinert, 



Sie will also einen knnen Kommentar za seinen Werken in 
eystematieelier Form bieten, nieht ilir Stadinm ttbeifillBsig maohen, 
das aneh dem Eängeleaeaen, namentlioh in Einigelten , immer 
wieder Probleme anfgribt In Toller AbBieht wird reiehlieh mit 
Zitaten gearbeitet; Humboldts persOnliebe Antfassnng wird in 
abstrahierter Wiedergabe zu leicht verwischt, und er hat seinen 
Gedanken in so vielfacher Form Ausdruck geliehen, daß man 
leicht manche iu die Darstellung eiuüecuteu kuuo'). 

I. Humboldts spraehpbflosepbisehe InseliannngflD. 

1) Sprache nnd Geist Den !'rn:rund Ton Humboldts 
Sprachforschung^ bildet die Uberzeugunf; von der wirkenden Kraft 
des menschlichen Geistes. Dieser äußert sich in Gesellschaft and 
Staat, in Wissensohaft nnd Ennst aller Axt; so auch in der 
Sprache. Wie nun das geistige Vermögen nnr als Tätigkeit exi- 
stiert'), so ist Sprache nicht ein Erzeugtes, sondern eine Er- 
sengnng. Sie ist etwas beständig Vorübergehendes, also ktm 
iQ'/ovj sondern eine Ivegyeia^). Dabei ist sie dem ganzen Wesen 
des Menschen so eigenttlmlich yerwoben, daß sie nieht erst als 
ein Piüdnkt der Not etwa ans Hilfemfen herroigehend — 
erklärt zu werden bianoht oder ttberhanpt erklärt werden darf. 



1) Zitiert wird aaeli dar genaanteii, ehroBOlogiseh geordneten Aiugabe, 
deren 7. Band ich durch die Güte des Herans^bers, Herrn Professor Leitt* 
maan, schon in den Korrekturbogen benateen durfte. Klaramern in wört- 
lichen AnfUhmngeu siud von mir zur Ergänzung des Zusammenbanges ein- 
gefügt Zur Übersicht seien die Seitenzahlen der wichtigsten und größten 
Sdirillen hier mitgeteilt: Orundillge des allgemeinen Spraolitypns. 
(1824—26.) 5,364—476. ^ Über die VerBohiedenheiten des meaeeh- 
liehen Sprachbaues. '1827—29.1 6 (1. Hälfte), III— 303. — Von dem 
grammatischen Baue der Sprachen. (1827—29.; 6 (2. Hälfte), 337— 486. 
Von genannten Schriften waren bisher snrAoazUge gedruckt in Steinthals 
kommentierter Anegabe »Die epraehphfloeophiaehen Wwke W.e ^n Hnm- 
boldt«, Berlin 1883. Manches aus ihnen ist wörtlich Ubergegangen in daa 
Hauptwerk Ȇber die Verschiedenheit dos mensehlichen Sprach- 
bsaes und ihren Einfluß auf die geistige Entwicklung des 
MenschengeschleehtB«. (1830—36). Bd. 9, 1. HSlfte. Es ist bereits 
wiedergegeben im Kewiwerk (l.Bd.), dem es eis EinlritUDg dient, im g. Bude 
der alten Ausgabe (Gesammelte Werke), bei Steintbal nnd In der Ausgabe 
von A. F Pott, Berlin^ 1880. — Eine an<>f{jhrliche Darstollong findet eich 
bei R. Häjm. W. von Humboldt Berlin Iböti. 

3) 7,66. 3) 7,46. 



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Wilhelm von Hamboldta Spnehphiloaophie. 



143 



YieUnehr iet sie eine nnwillkdrliobe natoniotweiidige Emanatioii 
dea GtiBtes. »Es gibt kdne Kraft der Seele, welobe hierbei nicht 
tätig wXre« Wegen dieser innigen Znsammenhänge liegt in den 
ersten Äußerungen schon die Möglichkeit zu umfassender Ausbil- 
dung im Verlaufe weiterer Erzeugung: eiogeacblossen. Daraus er- 
gibt sich, daß die einmal sich ausprägenden Gesetze ihrer Er- 
zeugnog wichtiger sind ala die Art des jedesmal Erzeugten. Oder: 
Sprache existiert nicht sowohl in der Menge des bereits Geiiußerten 
al3 vielmehr in der Totalität des Sprechens nach dem dabei ein- 
mal einf^( -^i lilaf^cueu Verfahren. Dies Verfahren oder, vorsich- 
tiger ausgedrückt, diese cini,'e«oli1:\geueü HiobtnuL-en r sind den 
physiologischen r}e«ot7en des organischen Körpers analog. Wie 
aber das so Produzierte, »wie das Innerliche die Welt berührt, 
wirkt es für sich fort, und bestimmt durch die ihm eigne Gestalt 
anderes, inneres oder äußeres Wirken« 3). Dies kommt einmal in 
Flage für Generationen, die eine schon mehr oder weniger ana- 
gehildete Sprache als Stoff Überliefert erhalten. In solchen Fftllen 
wirken jene Verfahmngsweisen nicht stets im Sinne einer Nen- 
prodnktion, sondern oft bloß im Sinne einer Umgestaltimg. Das 
Indiridnnm andeieraeits nntzt die ihm hOrbar oder sehiiftlieh 
fixiert entgegentretenden Anfienuigen weniger als Belehmng denn 
ab eine Anregung zu selbfltiindiger spraohlicher Erzengnng, yer^ 
mOge der gemeinsamen Omndlagen der Menaehennainr. 

2nr weiteren ErUSmng der apraehlichen Eizengnng lehnt sieh 
Hnmboldt an die Kritik der reinen Yenranft an. Die Anffaanmg 
eines Objekts geschieht nie rein reseptir, sondern mit den resep- 
tiren sind immer spontane Momente im Akte der Apperzeption 
Terhnnden. »Die Sprache, im einseinen Wort nnd in der Terbnn- 
denen Bede, ist ein Akt, eine wahrhaft schOpferisefae Haadlnng 
des Geistes« <}. Die Sprache stellt also nie die Gegenstände bloß 
dar, sondern immer die durch den Geist von ihnen gebildeten Be- 
griffe. Öfters erscheint diese Darlegung Humboldts modilizicrt 
unter dem Einflüsse der Wissenschaftslehre*), und es ist dann die 
Rede vom Akte des selbsttätigen Setzens durch Syntheeis: sub- 
jektive Tätigkeit bildet das Objekt. Dies werde dann durch den 
sprachlichen Ausdruck erst in wirkliche Objektivität biatlberrer- 
setzt. 



1)7,86. 2)7,97. 3)7,16. 4) 7, 211 ff. 

10* 

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144 



Moritz Scheinext, 



2) Gedanke uud Laut. Den ersten Eindruck von der Sprache 
erhalten wir dareh ihre Lautl'orm. Diese wird mit dem Gedanken 
verbunden im Akte der Synthese, nnd daher ist die Spraclie >die 
sich ewig wiederholende Arbeit des Geistes, den artikulierten Laut 
Knill AasdruclL des Gedanken fähig zu machen« i). Sie bringt »aus 
den beiden sn verbindenden £iementen ein drittes hervor, in wel- 
chem das eini^elne Wesen beider verschwindet« ^J. Fttr die Ba- 
ziehnngen beider lassen sieh «mächst bloß Analogien auffinden. 
Wie der Oteitt nnwiUkttrlich sich auswirken muß, so brechen nach 
Humboldt die Laute aus jedem Volke hervor, ohne daß sich er- 
klären ließe, wie dies zugeht; auch ohne Sprache beg^leiten sie ja 
die Gemtttsbeweguu^eu. Wie sich im syiitliL^i sehen Akt die Auf- 
merksamkeit auf einen Punkt konzentriert , so erschallt der ijiat 
in abgerissener Schärfe und Einheit. Genauer läßt sieh noch be> 
stimmen, daß die Artikulation des Lautes, im Gegensatz zu nn- 
artiknllerten Katuxlaaten, analog ist der GUederosg der Gedanken. 
Beide zerlegen ihr Gebiet in Gnmdteüe, die Teile neuer Ganzen 
werden wollen'). 

Da aber das Denken außerdem Zusammenfassung fordert, so 
beruht schließlich die Artikulation »auf der Gewalt des Geistes 
über die Sprach werk/>eu<?e, sie zu einer der Form stin es Wir- 
kens entsprechenden Behandlung zu nötigen«^]. Trotzdem ist die 
Bezeichnung des Begrififs durch den Laut »eine Verknttpfnng von 
Dingen, deren Natur sich wahrhaft niemals vereinigen kann«*), 
und für die man sich als erUUitemdes Beispiel etwa die Darstel- 
lung einer Idee, die Formung des StoiEs durch den bildenden 
Ettnstler vor Augen halten kl^nnte*). Die Idee hat, um sich im 
Laute zu manifestieren, eine Schwierig^keit zu llberwinden ^, nnd 
im cin/.clncu iiiUi sich meist nicht erklären, wie die Eindrucke 
der Sinneuwelt samt subjektiver Zutat durch Eindrücke auf das 
Ohr dargestellt werden können. Es ist aber möglich, in einer 
Keihe von Fällen Beziehungen zwischen Gedanke und Laut 
aufzufinden, nämlich: 1) der Ton eines tönenden Gegenstands ist 
in artikulierten Lauten naehgeahmt; 2) eine dem zu Bezeichnenden 
eigentttmliche Beschaffenheit ist durch eine als verwandt empfhn- 
dene des Lautes symbolisiert; 3} einander verwandte Begriffe sind 

1] 7,46. 2) 7,212. 3 ;,Ü7. 4) 7,66. 5) 7,100. 6, 7,95. 7, 7,82. 



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Wilbelni Ton Huiaboldts SpracbphiloBophie. 



145 



nach Analogie dnroh einander ähnliche Laute bezeichnet Man 
muß eben, bo meint Humboldt, hier seine Znflaoht daza nehmen, 
daB man im lotsten Qmnde, »in den unpiUnglieben Bewegnngen 
dea Gtoktes«, Laut nnd Idee nieht geschieden denken kann, weU 
flie beide der allgemeinen Einiiehtiing der elnheifliehen Menachen- 
natnr angehören Nor die Anfierong an andere IndiTidnen nnd 
die sehriftliehe Überlieferang ala fertiges Besnltat der Sprache 
erMogong bereohtigen nnd Teipdiehten an geschiedener Betrach- 
tang Ton phonetischer Technik nnd Ton intellektneller Technik. 

3) Sprache als Objektiviernng des Geistes, ihr Stim- 
mnngsgebalt nnd ihre dadurch bedingte Wirkung. Auf 
ein paar Gesichtspunkte, die später noch bei Terschiedenen ein- 
aeben Problemen an behandeln sind, muß von Tonifaerein anfmerk- 
sam gemacht werden. Die Sprache wird immer mehr anm Ab- 
druck der Subjektivitftt des Mensehen^J, das Denken wird im 
Lante wahrnehmbar ftlr die Sinne, nnd so immer mehr objekti- 
▼iert*). Nor mnß erst der BegriiT die nötige Klarheit eneiehen, 
um rieb Ansdntek Im Wort an erzwingen. Denn »ee qne Thomme 
eon^oit atree Tivacit^ et elarti dans la pens6e, il Texpiime in* 
failliblement dans son langnage«*). Das Aosgesprochene mnß 
dann aber mit yiel swingenderer Bestimmtheit in dem Anfiieh- 
menden wirken als Unansgesproohenes^. Oberhaupt ist es ja 
»em Gesetz der Existena des Mensefaen in der Welt, daß er nichts 
aus sieh hinansausetzen Toimag, das nicht augenblicklich zu einer 
auf ihn zurttekwirkenden und sein tmtsm Schaffen bedingenden 
Masse wird« 

I 7, 76 fr. 2 7,83. 3) H. nacht 7.100f. einen Venueh, «nf Lant 

und Idee den Srl fniHtisintiH der reinen Vorstand psbegrifff anzuwenden. 
Zu ihrer Yerinitthi:!;: i niB in der Vorötellung ein Drittes vorlianden sein 
aiiümai (»iuDlicUer Nuiur. Dureli duraut' gerichtete Analysen hoU man zu- 
gleleh das allgemeine Verfkhren einer Sprache, venigttene in seinen Hanpt- 
mnriBBen i! ir/.n&tellen imstande sein. H. -will das yennittelnde Element anf 
Extension, Intension oder atif Verändeninf^ in beiden, also auf Kaum. Zeit 
nnd Empftndnn<?»grad zarückliihreu. \'iel Greifbares wür<le eicli dabei kaum 
ergeben, und so gehört auch das eine von den gegebenen Beispielen iVer- 
nraft—- Nehmen) in die Betreehtnng des BedentQngewnndels oder die Psyeho- 
logie der Wortvorstellongen, das aadeie {BWte— Vorstellaag des Hervor- 
([•ipHptis vielleicht nnter die Lautgebärden. Sonst dürfte höchstens die Unter- 
suchung der hei der Wortbildung tätinren Tnteressenrielittintren durclifiihrbar 
sein, was aber nur auf eehr Konkretes filhren künute, nicht aut Fuuktionsgesetze. 
4) 4,27. ö) 7,65. 6; 6, 270 f., ähnlich 6,316, 7,28. 7) 6,390. 8] 7,261. 



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14Ü 



Uorlti Sebeinert, 



In feinerer Weis^ xeigt sieh da« noch «n etwas andeKm. 
Sprache bildet eich im ZuBammenwirken aUer GeisteBTeimOgeii. 
Welchen Anteil daa Geftlhl dabei hat, wird klar, wenn man be- 
denkt, daß der Kern der Sprache Empfindungsanadmck gewesen 

sein muß' . Aber jedes einzelne Wort hat noch seinen Geftihlston, 
begründet in der »auffassenden Stiuiinung«*]. Diese wirkt 
nun wieder anregend auf den Hörenden. Am dentlicLsteu wird 
sie im Znaammenhange des persiinUchen Etiles, »^'est-ce pas 
toigonrs . . . Thomme i^ont^ k la pensee, e'est ä dire le etyle . . . 
qni none fait ^pronver cette satisfaction . . . ? L'id^e nne, dö- 
ponrvne de tont ce qn^dle tient de TexpreBBion, offre tont an plvB 
nne inBtrnction aride. . . . C'est la manike de rendre et de pi^ 
senter les iddcB, d'exeiter l'esprit k la möditation, de remner 
l'äme, de lui faire decouvrir des routes nenres de la pens^o et du 
sentiment, (jui transmct non pas senlement les doctrines, mais la 

force intellectuelle menie qui leg a produitcs Texpression 

prete a l'idee, ne peut point cu etre dctachee aans l'alterer seu- 
Bibiemeut, eile n'eat la m€me qne dana la forme dans laqaeile 
eile a ötö con^ne par Bon antenr«'). 

4) Änfiere nnd innere Sprachform. Die »VerfahmngB- 
weisen« % die sich in der ISpraebe entwickeln, kann man wegen 

ihrer relativ konstanten Wiederkehr auch Formen nennen^]. Diese 
Formen sind das verknüpfende l.u: i in der Sprache, »denn in 
ihrer innerpten Natnr macht sie ein zubamuieulutu^^eudes Gewebe 
von Analogien aus^ in dem Bio das fremde Element (aus einer 
fremden Sprache) nnr doroh eigene AnknUpfong festhalten kann« % 
Diene Formen Bind ob aneh ganz bcBonderSy nach denen anAer 
naeh den exakt analyalerten Wurzeln die VerwandtBÖhaft der 
Sprachen benrteilt werden kann^). Die Form, soweit Bie flieh hi 
der phonetischen Konstitntion der Silben nnd Worte zeigt, kann 
man die äußere Form nennen. Mit ihren Umformungen hat es 
die phonetische Technik besonders zu tun. Diese hängen einer- 
seits ab von der Leichtigkeit oder Schwierigkeit der Aassprache, 
andererseits hindert ein mehr »geistiges l'rinzip« die schranken- 
lose Anadebnoug dieser Tendenzen, die alle Znsammengeh(trigksit 



})7,Mf. a}7,m 3) »,288; iholioh 4,481, 6,95, G,8|M)l 4} Sulfit. 
6) 7,47. 6) 7,278. 7) 7,61. 



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Wflhelm von HnmboMts Sprachphilot*oi»hie. 147 

der Wort© zerreißen würdet). Grofks Intereöse hat Humboldt 
dem Akzent zugewendet. Er erklärt ihu aus der Abstufung; der 
Hauptbegriffe nach ihrer Bedeutung, dem Drange nach klarem 
Ausdruck und dem Affekt^). Er hängt also nicht vom bloßen 
BedOrftiis des Verstehens ab; das zeigt sioh im Englischen, wo 
er »sehr h&afig das Zeitmaß und sogar die eigentttmliehe Geltnng 
der Silben verändernd mit sich fortreißt« 

Fomi ist aber in der Sprache ein relativer Begriff, nnd man 
miß Moh innerhalb der inteUektaeUen Technik noch Fom nnd 
Stoff icheiden. Es werden nXmlieh einmal GegenatBnde oder 
selbständige Begriffe beseiebneti andererseits, da das Denken in 
Trennen nnd Verknüpfen besteht, die mit diesen anfgefiiBten Be- 
liehnngen. Diese bestehen in Katsgorisierong nnd in fiesiehnng^ 
setBong im engeren Sinne*), das sind zwei Arten der Formnng. 
Sie bemhen auf den allgem^nen Formen der Ansehanong oder 
der logiseben Ordnung der Begriffe. Ihr Audmek sind die 
grammntisehen Formen. 

SeblieBlich sncht Humboldt noch etwas Feineres heranszn- 
aaalysiereu. Am Worte kann man scheiden seine Geltung für 
die Anschanung (also auch für das Gehür], seine Kategorisierung 
und logische Abgrenzung und seinen GefUhlseindruok Die dem 
sinnlichen Stoff der Wirklichkeit entsprechende Geltung für die 
Sinne und das Getllhl kann aber das Wort bloß durch die Ver- 
mittluug der lutellektualität erhalten. »Dies gebchieht aber nur, 
indem dieser Sinnen- nnd GefUhlsgehalt zugleich, und wieder 
synthetisch, als Stoff vernichtet und als Form (Anregungsmittel fUr 
den Auffassenden) erhalten wird, was das Werk der Einbildungs- 
kraft ist.« In ihr trifft sich beides schließlich auch mit dem 
Verstandesgehalt*). Das £lement nnn, womit das Wort die Re- 
produktion des Begrilb anregt, nennt Humboldt seine Materie, 
das Znsammenivirken von Anschauung und Gcftlhl mit den Phan- 
tasiefunktionen dabei seine Form^). £rst im Kawiwerk hat er 
hieiiHr den Aosdmek »innere Forme geprigt*). Zn nntersnehen 
ist snnicbst die ftr einen Bogriff gewihlte Beseiehnnng; so kann 
z. B. der Elefant der Zweiiahnige oder der zweimal Trinkende 
genannt weiden. Anf dem Woge der Erfoisohnng des Merkmals, 



1) 7,71. 2) 4,346. 3) 7,141. i] 7,49, 80. 6) 6,419. 6) 5,420. 
7)ft,421, 7,90f. 8)9,86ff. 



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148 



Morits Sehfliiiert, 



das i er Nainenp:ebung: dient, soll f?ich der verschiedene Anteil 
etwa Yon Anschauung und Gefühl daran bestimmen lassen Im 
allgemeinen ist die Beteiiigang psychischer Tendenzen auch schon 
siohtbw an dem Beiohtnm einer Sprache an gewissen Begriffen; 
80 gibt ee im Sanskrit eine liohe Zahl religiOa^philosopluaeber 
Wdrter. Die zweite F^e» die die Unterznohnng der inneren 
Form anfisnwerfen hat, ist die nach der Vdllitftndigkeit des in 
einer Sprache YOrhandenen Be^fl^ehatzes nnd im Znsammen- 
hange damit die scharfe Abgrenzung der Bedeutungen gegeueiu- 
ander^}. Drittens läßt sie sich am Satzbau studieren 

5) Der Charakter der Sprachen. Mit der inneren Form 
hingt anfs engste der Oliarakter einer Sprache zusammen, nnd 
oft sind beide in Humboldts Untersnchnngen nieht streng ge- 
schieden. Am Eindmcke der Lantform zunächst wird nicht bloß 
die yersohiedenhett, sondern die ansgesproehene Indiridua- 
lität einzelner Sprachen deutlich. Sie erstreckt sich aber auch 
anf das ganze geistige Gepräge. Der Auffassung ist sie unmittel- 
bar j^ewiß; aber die Sprachforschung soll von ihrer Art und ihren 
Ursachen Rechenschaft geben. Denn eine Nation ist nicht bloß 
nach Abstammung und Zivilisation, Gemeinschaft des Welmens 
und Wirkens, sondern nach geistigen Anlagen und interessen- 
richtungen ein in sich Zusammengehöriges, ein trotz Torhandener 
innerer Unterschiede als Ganzes von anderen Lebenskreisen Ge- 
schiedenes. Dies äuBert sich besonders in der Sprache, und in 
ihr erscheint jede Nation sozusagen als eine menschliche Indivi- 
dualität; sie ist »ein auf bestimmte Weise sprachbildender Men- 
schenhaufen«*), ihre Sprache zeigt einen eigenen btai iimnkt der 
Weltansicht. Es ist also flir die Summe der Eigentümlichkeiten, 
die sich in der Sprache beobachten läüt, die gemeinschaftliche 
Quelle zu suchen. Erst »die Entwicklung der Sprache fhhrt die 
nationellen Verscliiedenhciien in das hellere Gebiet des Geistes 
ttber«^), und wenn so das Studium eines Nationalcharakters ef- 
leiohtert wird, so ist das von allgemeinstem Interesse; denn »auch 
die geschicbtlieben Schicksale mOcbteo, wenn uns gleich der Zo- 
sammenhaug bei weitem nicht in allen Punkten durchschimmert, 

1) 7,91; TgL unten «6. 2} »,424 f., 3,9a $ Darttber unten % 10. 
4) 3,171. 



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Wilbtlm TOD Humboldts Bpracbphilosophie. 



149 



Ton dem inneren Wesen der Völker and lodiridaen so nnabhlbgig 
nicht sein«*). 

Der anfiUlIi^ste Untersehied ist der der Lantform^). Öfters 
inBert Humboldt, dafi er In mannigfaltigereB Variationen anf- 
treten kOnne ab der des geistigen Charakters'), modifisiert aber 
an anderen Stellen diese Anffassnng dahin, daß swar das rein 
Ideelle mehr gldehartig sdn mflsse, dafi aber Phantasie nnd Ge- 
ftlhl Indmdnelle (Sestaltongen bis ins Unendliche hervorbringen 
können. Gleichheit in dieser Hinsicht wttre also blofi denkbar, 
wenn die Sprache lediglich dem Bedürfnisse des Yerstehens ge- 
nügte, ohne rom Geltlhl beeinfinfit an sein. 

Die Untersnchnng erfordert nnn folgende Betrachtungen.^ Was 
studiert werden kann, ist nicht das innere Sein des Charak- 
ters, sondern dessen individuelle Ersclieinnn^, also sein Wirken. 
Man muß aber das Sein immer alö Endpunkt vor Augen haben*), 
denn es be^^rUndet die Einheit des Charakters, ohne die die Ana- 
lyse zwecklos wäre. Da aber der Endpunkt selbst unerreichbar 
ist, so ist klar, daß der Charakter, den man in jeder Sprache 
fülilr, ninht deutlich an etwas Ausgedrücktem haftet. Dickem fühl- 
baren Hauche liegt zugrunde die »treibende und i^timmonde Kraft«, 
die die Einheit der Wirkungen des Cliaraktcra ausmacht, und, in 
höherer Form, die Ahndung eines (fcbietH Uber der Sprache die 
zu immer weiterem Spracht^chatleu in der eingeschlagenen Rich- 
tung antreibt, oder das Ideal ^j, unter dem allein der Mensch die 
Art seiner Kraft »ich klarmachen kann. Dies Wirken geschieht 
als menschliche Tätigkeit in Freiheit, nnd gerade deshalb so 
mannigfaltig. 

Hnmboldt hat selbAt für eine Reihe von Sprachen ansfUhr- 
li^e Charakteristiken entwerfen wollen. Begonnen ist nur die 
des Sanskrit^, die in die kleinsten Einielheiten der Formenlehre 
ants genaneste eingeht Was sich sonst hier nnd da an Gesicht»- 
punkten findet, ist etwa dies: Es kommt Tor, dafi ein Volk be- 
sondere Neigang znr Ansbildnng eines wohltiSnenden Lantsystems 
leigt*); man denke an den Gegensatz ron Sanskrit nnd Englisch*). 
Von herrorragender Bedentting ist der Akzent; denn, *wenn alle 
anderen Teile der Sprache mehr mit den intellektnellen Eigen- 



1) 7,211. 23 7,ö2. 3) 7,82. 4) 7,179. 6} 7,178. 6) 7,184. 
7)e,3g6ff. 8}6,lia 9)7,8R. 



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160 



Moiits Sohdaeit» 



tUiiilichkeiten der Nationen in Verhinduui: stehen, bo hängt die 
Betonung zaglelcb näher und aut mindere Weise mit dem Cha- 
rakter zasammen« M. Wie weit die grammatischen Formen') oder 
Einzelfragen, etwa die der Wortkumposition ') hier in Flage 
kommen, wird noch ausführlicher zu erörtern sein. 

Die Übrigen und hauptsächlichen Gesichtspunkte zeigen, wie 
wenig scharf Hnmboldt innere Form und Charakter sondert 
In der geistigen Kraft ist zu unterBcheiden ihre Stärke und Be- 
schaffenheit und die Art ihres Tätigkeitsverlaufs : heftig oder 
ruhig, schnell wechselnd oder mehr beharrend^). Um die fie- 
Bchafifenheit handelt es sieh, wenn wir ein Überwiegen ?on Ver- 
Btand, sinnlicher AnBohannng^), Phantasie» Gefühl bemerken. Die 
Lebhaftigkeit der Phantasie kann sieh in Bildenreiehtum aosspfeehen, 
so in vielen amerikanisehen Spraeben; einseitige Verstandesanlage 
darin» daß der Qefilhlston des Wortes hinter der nackten Beseicb- 
nnng stark znrnektritt Eine grofie Rolle spielt wieder die bereits 
gestreifte Frage nach der Begriffsbildong. Das zur Bezeiehnnng 
gewftblte Merkmal nnd sein etwaiger Geftüilston sind eharakteri- 
stiseh fäx ein Volk*), »bidem diese (die Kation) die aUgemeinen 
Bedentangen der WOrter immer anf dieselbe individuelle Weise 
anfiiimmt, nnd mit den gleichen Nebenideen nnd Empfindnngen 
begleitet . . erteilt sie der Spradie dne eigentOmliehe Fajrbe 
nnd Schattierung, welche diese fixiert nnd so in demselben Geiste 
zurückwirkt« Damit ist einmal gesagt, daß die Wörter meh- 
rerer iSpraeheu nie wahre Synonyma sind, ferner, (Lili (I( r ^«utiuiial- 
charakter sich in einem langen N'erlauic der Zeit wescutlich gleich 
erhalten kann, eben durch den ausgebildeten und weitere Aus- 
bildung in ähnlicher Art anregenden Sprachstotl'. Nicht auller 
acht zu lassen ist des weiteren, wie frewisso Gruppen im Wort- 
schatz klasBitiziert werden — es können z. B, statt der Genera 
lebende und leblose Dinge zusammengeordnet werden — und die 
bereits erwähnte Abgrenzung der Begrifle. 

Von her>'orrageQdem Interesse ist nattirlicb auch die Syntax. 
»Es ist auch begreiflich» wie sich das in dem Innern heftiger 
oder schwächer, flammender oder dunkler, lebendiger oder lang- 
samer lodernde Fener in den Ansdmck des ganten Gedanken nnd 



1) 7, 141. 8) Vgl. antra | 0. 8} § & 4) 7, m 6) Vgl laten « 18. 
$1 7,190. 7] 7,m 

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Wilhelm tod Hnmboldte BpndipliUoiophl«. 



161 



der auöstrümeudeü Reihe der Emplintiimgen vorzuf,^8 weise so er- 
peßt, daß geluc eigentümliche Natur unmittelbar daraus hervor- 
ieachtet« ^j. Jede sprachliche Erzeugung ist ja eiu Akt der Syn- 
these. Es muß sich also auch im Satze ihre Eigenart erkennen 
laasen 

Za heilerer Deutlichkeit entwickelt sich der Charakter einer 
Sprache, wenn sie iu der Literatar eine reiche Verwendung er- 
fuhrt. Ein Beispiel nach den gegebenen Kriterien findet Harn- 
beldt in der grieohiBeben Poesie ^ wo Gesang, Mosik nnd Tans 
in ihrer Veieinignng sich der gleichen Nationaliiät - (doriseh, 
ioliseh usw.) hStten ftigen müssen, and wo eben die Mnsik be- 
sondere denflich noch dem stimmenden und anregenden Momente 
Ansdxaek Terleihe. Den Bttmem sei der Trieb nach Ansdrock 
einer einhettUehen Gemtttslage eher abgegangen*). 

Als hOobster allgemeiner Gesichtepvnkt fllr die Charaktero- 
logie gilt Humboldt die Frage, wie weit die Reseptivität von 
^flaS gewesen ist, nnd wie weit die Spontaneitftt sieh aaage- 
wirkt hat. Es bt bloß anders ausgedrückt, wenn es ihm darauf 
aakoDomt, wie der Mensch »die Wirklichkeit als Objekt, das er 
aafhimmt, . . . mit sich verknüpft oder auch unabhängig von ihr 
sich eigene Wege bahnt. Wie tief und auf welche Weise der 
Mensch in die Wirklichkeit Wurzel achlä^rt, ist da« iir-]irUng:liche 
charakteristische >ferkmal seiner Individualität« ^j. Ult erscheint 
diese Frage vermiücht mit der nach der Stärke der spontanen 
geistigen Kraft, die die Eindrücke in höherem Sinne innerlich 
verarbeitet. FTumboldt ist auch Uberzeufrt. daß man dies fest- 
sten rn könne, denn z. ]J. »in den Äußerungen der Freude eines 
Haul'eus von Wilden wird sich unterscheiden lassen, wie weit sich 
dieselbe von der blolien Befriedigung der Begierde unterscheidet, 
und ob sie, als ein wahrer Götterfunke, aus dem inneren Gemttte, 
als wahrhaft menschliche Empfindung, bestimmt, einmal in Ge- 
sang und Dichtung anfznbltlhen, hervorbricht« In einer feinen 
Bemerkung sucht Humboldt auch diesen Unterschied, znm Teil 
durch eine Fortbildnng des Prinzips der synthetischen Einheits- 
funktion, noch genauer zu bestimmen. »Wenn man den Grund 
des Unterschiedes hierrou tiefer untersucht, so findet man ihn in 
der mehr oder minder empfnndenen Kotwendigkeit des Zusammen- 



1)7,M. 41 Vgl. nnten f la 8) 7,184. 4) 7,179. 6) 7,179. 



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Moiits 8«hein«rt, 



hanpes ;iller Gedanken und Ein]^tindung^en des Individaums durch 
die ganze Zeit seines Daseins und des pleielien in der Natur fre- 
abndeten nnd geforderten. ... Je beweglicher und lebendiger ihre 
(der Seele) Tätigkeit ist, desto mehr regt sieb alles in rersrhie- 
denen Ab8tufang:eTi mit dem Hexrorgebrachten Verwandte. Über 
das Einzelne schießt also immer etwas minder bestimmt Anszn- 
druckendes tlber, oder vielmehr an das Einzelne hängt sich die 
ForderaDg weiterer Darstellimg und Entwicklang« >). Man kOnnte 
hier den Ansatz finden sn einer Untereeheidnng von innerer Form 
nnd Charakter. Bei diesem kttme es also einmal an anf die ein- 
heiiüehe AaBemng der Pbyche, dann aber noch besonders anf das 
Treibende nnd Stimmende» weiteres Wirken Veranlassende^). 
Innere Form wäre etwa die snbtUste Erseheinang des Charakters 
in der Sprache. Die einheitliche IndiWdnalitSt regt aneh an, das 
Objekt in höchster Individnalisiernng anfenfassen*}. Die Griechen 
haben dies erreicht durch trenliehes' Eüigehen anf die einselne 
Anschauung (Homer), durch »objektiTe Realität« nnd sie be- 
währen dabei die yoUendetste Hannonie. Die Neueren suchen das 
Individuelle mehr in der »inneren Empfindung«^), in »subjektiTer 
Tnnerliehkeit« nnd dabei gibt es > stärkere Gegensätze, schroffere 
Übergänge, Spaltungen des Gemttts in unheilbare Kluft« 

6^ Die vollendete Sprache. Zweimal hatte die Berliner 

Akademie die Preisauffrahe gestellt, das Ideal einer vollkommeneu 
iSpraebe zu entwerfen; 1796 erschien dartlber die niit dem Preise 
ausgezeichnete Schrift von Jenisch. Der Gedanke ist auch bei 



1) 7,180. 2^ 7.177. 7,181. 4) 7.91. 6) 7. 185 f. 6^ 7,91. 

1] 7,186. Steintlial iü seiner Aufgabe S. 348 ff. schiebt 11. eine äußeröC 
■diufe Unklarheit Ittr 7t91> ^a, wena er das Sohema anfiitellt: 

ohjektiv BvhjektiT 

, , , ^ 

äußerlich iancrlich Uußerlicb inuerlich 

I I 
Griechen. Deatsehe. 

Soll et dnrehans ein Schema sein, so mttßte man es wohl so machen: 

spontan wirkende IndIvidnalltSt (7, 181) 



anachauUch (obj. Eealität) innerlich (subjektiv] 

I I 
Griechen. Deutsche (iahOeheler 

Voliendnng Goethe). 



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Wilhelm von Hnmboldto SpnohpbUoflophie. 163 

Hamboldt deatlich zu sptlreu. Ganz allgemein betrachtet er die 
Sprache als eine Idee, das bedeutet bei ihm eine Kraft, die mit 
innerer Notwendigkeit in der Richtung auf ciu Ziel wirkt, aber 
eia Ziel, das erst nach seiner £ireicbiuig klar faßbar wäre. Die 
allgemeine Sprachkraft hat nun die Tendenz, das Seelische in die 
Laatfonn ttbenoftkhien, und die einMinen Sprachen eind die indivi- 
dnellen Ereehemiingsfonnen dieser Sprnohkraftt). Die Torlftniigea 
Geeiebtspiinkte, die Hamboldt zur Benrteilnng entwirft» und 
dleee: »Wenn man die Sprachen genetiseh, als eine auf einen 
beatimmten Zweck gerichtete Geistesarbeit betrachtet, so ftllt es 
Ton selbst in die Augen, daB dieser Zweck in minderem oder 
httherem Grade erreicht werden kann, ja es selgen sidi sogar die 
Tcrschiedenen Hanptpnnkte, in welchen diese Ungleichheit der 
Eireiehang des Zweckes bestehen wird. Das bessere Gelingen 
kann nimlioh in der Stiirke and Fttlle der auf die Sprache wir- 
kenden CMsteskraft ttberfaanpf, dann aber aach in der besondwen 
Angemessenheit derselben zur Sprachbildang liegen« 2). Hum- 
boldt nähert sich dem Begriflfe des Sprachideals — er g-ebraucht 
selbst dieseu Ausdruck, nicht ■ — iu lolgeMdem butze; *Ea köuute 
nämlich eine Reihe von iSpracheu eiufacheren uud zusamnieuge- 
setzteren Baues geben, welche, bei der Ycrirleicliuug miteiuunder, 
in den Priuzipieu ihrer Bilduiig eine fortächreitende Aniiuberuog 
au die Erreichung des gelungensten Sprachbaues verrieteu« 
lluiiiljnldt hat selbst Bein Spracbideal uie iusainnjcnhäugend 
eutworlen, soiideru hier und da einzelne Seiten beleuchtet. Von 
vornherein verwahrt er sieli da^^ejxen, die damals so beliebte all- 
gemeine Grammatik zu benutzen, da sie sich bloß mit dem Zer- 
gliedern des Produkts der sprachlichen Prozesse abgebe, während 
es das Wesentliche sei, für diese selbst den allgemeinen Typus 
festzustellen^). Was dann an allgemeiner Grammatik noch denk- 
bar wäre, müßte auch zum ^uten Teil aposteriorisch festgestellt 
werden: >Oo ponrralt en reonissant m^thodlqaement Porganisation 
de tontes les langnes eonnnes former une grammaire, ou plutöt, 
poisqne Pidee de grammaire est trop r^^de . . . nn Systeme du 
langnage non pas philosopbiqaement, mais historiqnement g^n^ral« 

Obenan steht fHv Humboldt das Ideal geistigen licbens Uber- 
hanpt, nftmlich yollkommene und klare Ansbildong aller Kräfte 



1) S.B. t,821. 2} 7,19. 8; 7,21. 4) 6,373. 6} 8,326. 



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154 Horlta Seheiaert, 

in möglichster liarmouie*). Übertiii*(t man dies Ideal auch auf 
die Lautform der Sprachen, so erfordert es eiu abgerundetes 
System von Lauten, beruhend auf der FiU)ig:keit. alle der 
menschlichen Anlage möglichen l^aute iu ächarl'er Abstufung durch 
alle denkbaren Modifikationen hindurch zu bilden. Im Sanskrit 
soll es nabm erreicht sein^). Hamboldt legt diesem Gesicht»- 
piinkt hohe Bedeatnng hei: »Gette disposition naturelle k des sons 
monotones oq Tarifs, paums on riehes, plus on moins harmodenx 
est de 1a plns grande inflnenoe dans les langaes«*). 

Humboldts Hauptforderung an die Sprache läßt sich etwa io 
entwickeln. Daa Ziel der geisticrcn Ausbildunfr ist »die Besiegung 
aUer Dunkelheit und Verwirrung durch die llcrrächaft klar und 
rein ordnender Formalität« d. h. in hohem Grade auch der Denk- 
funktionen. Wir wissen bereits, daß lebhaft Gedachtes anch in 
der Sprache seinen Aasdroek findet, und daß Anogesproehenes die 
Funktionen, die dazu führten, am wirksamsten anregt Daraus 
ergibt sich die allgemeine Fordemug, daß die Sprache den Ge- 
danken begleiten solP), und die besondere, daß auch die Bezie- 
hungen, die das Denken zwischen den Be^ritlcn herstellt, irj^end- 
wic ansgedrUckt sein mtlssen, am besten durch Flexiuusrorinen. 
Humboldt hat auch tatsächlich auf Grund seiner Sprachkenutnis, 
also nach Art des »sjsthme du language historiquement gön^iai« 
diese Behauptungen erläutert. Erst durch mannigfaltige gramma- 
tische Formen wird ein Satz wirklich eindeutig, wührend msn 
z. B. den chinesischen Satz tA kÖ tAo ttbersetzen kann durch Tulde 
plorarit, dixit; valde plorans dixit; yalde plorando dlzit; em 
magno ploratu dixit*). Hier wird einmal die Dentliehkeit^ uoct 
Bchiirfere Nuancierung unterbunden, zugleich aber auch kompli- 
zierterer Pcrioden])an "^j. Durch gleichzeitigen Ausdruck der im 
Bpeziellen Falle gebrauchten Beziehuui^ wird dagegen das W"it 
individuell belebt. »Plus l'idee est rendne individuelle, et plas 
eile präsente de cotes ä toutes les facultas de Thomme, plns eile 
remue, agite, et inspire Tfime; de m^me plus 11 existe de vie et 
d'agitation dans Pftme, et plus le eoneours de toutes ses faenlt^ 
se r^unit dans son actiritö, plus eile tend k rendre Tid^e indivi- 
duelle. . . . n se rdpand par Ik plus de Tie et d*aetivit6 dsns 



1) 5, 466, ?, 1Ö7. 2j 7, 69. 3) 5. 304. 4) 6,466. 6) 4,908, 311, Sil 
6] 6,270, 316. 7; 7,29. 8j 5,313, 466. 



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Wilhelm von lluiubolUts Sprachphilosophie. 165 



r&me, tontea tet hm\i/h agisMot avec plus de eonoert . . .«i). 
Darum hat in der yoUendeten Sprache das Gemtlt das Bedttrfins, 
»was aar irgend innerlich wahrgenommen and empfimden wixd, 
aneh Infierlieh mit Laut cn vmkleiden« >). 

Horn hol dt fühlte anch» wie sehr das hier liegende Problem 
des Avsdnieks da istfaetisehes Ist, and so wird an Tielen Stellen 
die Frage ins Ästhetische hinttbergespieli Wie beim Kunstwerk 
in der Daistellnng der Idee darch den Stoflf, soll man an der 
Sprnehe die »Innigkeit der Darchdringang« yon Idoe and Laat 
heobaehtea kVanen. Nur eine auch hier die höchsten Fordemogen 
crfMlende Sprache wird zugleich die Fordernngen des Wohlklangs 
befriedigen. »Denn die innere Arbeit des Geistes hat sich erst 
dann auf die kühnste Höhe geschwungen, wenn das Schünheitä- 
getuhl seine Klarheit darüber ausgießt«^). Und »die melodisch 
nnd rlivthmiäcb künstlerisch behandelte Lautforniung weckt, zurück- 
wirkt nd, in der Seele eine engere Verbindang der ordnenden Ver- 
staiidt ökräfte mit bildlich schaffender Fhantame, woran» also die 
VerHchlingmng der sich nach außen nnd nach innen, nach dem 
Geist und nach der Natur hin bewegenden Kräfte ein erhöhtes 
Leben nnd eine harmuuischc Kegsamkeit schöpft«^). 

Die geforderte Tnni^^keit der Dnrchdringang Yon Lant nnd Idee 
kommt zustande dorch die Kraft der Synthese. Denn ttber^ 
baupt »hängt von der Stärke und Gesetzmäßigkeit dieses Aktes 
die Vollendung der Sprache in allen ihrai einzelnen Vorzügen . . . 
ab« *). Hanptbegriff und Beziehung, sowie wohlklingende Laat- 
form in Tollendeter Parallele, das bringt er alles zugleich hervor^. 
Am dantliehsten abef lIlBt «ach die Synthese an drei Punkten des 
Satabsaes Tcrfolgen, am Verbum, das Sabjekt nnd P^ldikat xa- 
sammaaknttpft, nnd an Eoi^nnktion nnd Belativpronomeni die 
swei Sitze aar höheren Einheit verhinden and ihr Verhtttnis an- 
deatea*). DaB die Kritik der reinen Yemanft nach sonst, abge- 
sehen von der Synthese, anf die Theorie der Tollendeten Sprache 
eingewirkt hat, zeigt die Forderang, daß die grammatiBchen For» 
men in einem möglichst ToUst&ndigen System Torhaaden sein 
soOen, so wie es a priori ableitbar ist*). Das Ideal der Klarheit 
ferner TcianlaBt Humboldt, zu verlangen, daß die Wortheden- 



1) 6,293. 2 7.187f. 3 7, 95 f. 4) 7,98. ö) 7,121. 6} 7,211, vgl. 7,238. 
7; 7, 167 f. 8J Darüber unten § 10. 9) 5,442. 



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1Ö6 



Horits SoheinMt, 



taugen scharf yoneinander abgegrenzt sind, so wie sie ein »nackter 

Artikulationssinn« in zweifelloser Bestimmtheit den ein^lneu 

Lauten zuordnet 

Alle Völker haben nach Humboldt die gleiche Tendenz, das 
Ri('hti;.'e und Naturgemäße Ii ervorzubringen ^j. Da aber die Sprache 
nicht mit bewußter Absicht vom Menschen prodnziert \yird, son- 
dern sich mehr aus seinem innersten herausringt, so kann sie in 
dem Augenblicke, wo sie in Erscheinung tritt, auf Schranken 
stoßen-*) und so in ihrer freien Entwicklung gehemmt werden. 
Im Grande freilich ist dann allemal der Schluß auf Schwäche 
der Bprachbildenden Kraft zu ziehen; >denn die volle Kraft 
entwickelt aich immer nur auf dem richtigeii Wege. . . . Wenn 
also die saiukritiBohen Sprachen mindestens drei Jahitansende 
hindurch Beweise ihrer sengenden Kraft gegeben habra, so ist 
dies lediglioh eine Wirkung der Stärke des spraebersohaffenden 
Aktes, in den Völkern, weloben sie angehörten«*). Die MSngel 
einer Spmebe kOnnen sich in yersehiedenster Art zeigen. . Es kann 
ein geringeres Bedürfnis nach licht?oUer logischer Ordnung vor- 
handen sein*); so kOnnen nnterscbddbare Dinge, etwa Foinr nnd 
KoignnktiT, zusammengeworfen werden*). Die Komposita in der 
Delaware-Sprache smd nicht genügend logisch gegliedert*). Oder, 
es ist ein Hangd an Sjstem, wenn in der Quiehna- Sprache der 
Plural in einem Satze am Nomen, aber nicht zugleich am Yerbum 
bezeichnet wird*). Wie unendlich vorsichtig aber Humboldt die 
Miiugel einer Sprache beurteilt, zeigt die Bemerkung: »Eine un- 
vollkommenere Sprache beweist zunächst den j^eringeren auf nie 
gerichteten Trieb der Nation, olmc darum über andere intellektaelle 
Vorzüge derselben zu entscheiden« Den Gipfel der Vollendung 
mag keine Sprache erreicht haben. Doch pflegen »aiioniale« 
Sprachen eine Seite des Ideals gut auszubilden, uud küuuea so, 
wenn ihnen auch »wahre innere Konsequenz^ fehlt, irgendeinen 
Vorzuir iTf^'winnen Wenn also auch das Chinesische etwa kaum 
ein »vorzügiu'h geeignetes Organ d("J I>epke?is« ist, so »kann nie- 
mand leugnen, daU das des alten Stils dadurch, daß lauter ge- 
wichtige Begriffe unmittelbar aneinander treten, eine eigreifende 



1) 7,79. 8) Ober Wortoinheit anten $ 7. 3) 7, 276 f. 4) 7,812. 

6) : 1:^ 7,110 7! 7,82. 8)7,269. 9} 6, 861 f. IQ) 7,256. 
Iii 7,277. 12) 7,277. 13j 7,168. 




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WUh«lni Ton Hvinbolfllt» SpniebpUloiophie. 157 



Würde mit sick fllhrt, ond dadurch eine einfache Große erhätt, 
daß es gleichaam, mit Abwerfung aller nnElitzcn Nebcubezit hun^'en, 
nnr zum reinen Gedanken vermitteltet der Sprache zu euitiiehea 
scheint. . . . Die semitit^chcii Sprurheu bowaiiren eine bcwunde- 
rungswördigo Kunst in der feineu Untcrsclieidung der Bedeutsam- 
keit vieler Vokalabstutungeu« ^1. Natürlich ist mit solchen Eins^l- 
heiten über das einheitliche Bildungsprinzip einer iudiyiduelleii 
Sprache nichts gesagt Dieses tatsächlich aufzuzeigen, hält Hum- 
boldt selbst nur in beschränktem Maße ftir möglich. Unmöglich 
sei eben, das in Worten darzasteUen, was das Geftihl in aotrOg- 
licher Sicherheit empfindet 2). Aber snch >iiber den Vorzug der 
Sprachen Toreinander entscheiden jene einseinen Fnnkte niebi 
Der wahre Yorzng einer Sprache ist nur der, sich ans dnem 
Priniip nnd in einer Frdheit sn entwickeln, die es ihr mOglieh 
machen, alle intellektnelle Vermögen des Menschen in reger Tilig- 
kdt zu erhalten, ihnen zum genUgenden Organ an dienen und 
durch die sinnliche FttUe nnd gdsttge GesetimSßigkeit, welche 
sie bewahrt, ewig anregend auf sie einsawirken. Li dieser for- 
malen BeschafliBnheit liegt alles, was sich wohltiltig tOt den Geist 
ans der Sprache entwickeln IftBt . . . Denn wirUieh schwebt er 
anf ihr wie aof einer nnergrllndlicfaen Tiefe, ans der er aber 
immer mehr sn schöpfen ^eimag, je mehr ihm schon darans m- 
geflossen ist«']. 

7) Das Wort Man könnte verbucht sein, das Wort unter die 
Klasse der Zeichen zu rechnen. Aber Zeichen fUr das Objekt 
kann es nicht sein, da es vielmehr Äquivalent tHr die von ihm 
gebildete Auffassung ist^); auch nicht deichen ftlr den Begriff, da 
das Bezeichnete seine eigene Existenz zu haben pflegt, während 
der Begriff »erst selbst seine Vollendung (weiterer Bearbeitung 
fähige Klarheit) durch das Wort eriUUt« Auf der anderen Seite 
ist das Wort anoh vom Symbol zu scheiden. £s gleicht ihm, weil 
es den Begriff vor der £inbildaag8kraft (dem QehOr) in sinnlichen 
Stoff TorwandeÜ Das Symbol aber »yerlaiigt eine TcUstiadige 
flir sich bestehende Katoifcim, die anch ohne alle Bemehnng aof 
äne inwohnende Idee betnchtet werden kamt. . . . Der lant im 



1) 7,164^ wo noch ncbr Btftpleto. 9 7,48. 8) 7,164, ifaaliefa m 
4} 7,89. 6) 8,428. 

inUvflrV^gichslofiAu Zm. U 

I 

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158 



liorite Sehdinert, 



Wort ... ist hin^et2:en nichts ohne Beziehung auf den Be^ff« 
Also > verstehen die Menschen einander nicht dadurch, daß sie 
Bich Zeichen der Dinge wirklich hingeben, . . . sondern dadurch, 
daß sie gegenseitig ineinander dasselbe Glied der Kette ihrer noih 
tiehen VonteUimgen imd inneren Begriffsersengimgen berttbren«*). 
So liexeiebnet aneb das Wort nieht Indivldnen, sondern genau ge- 
nommen Klassen der WirUiebkeit'), and «o kommt et» daß kein 
Indiyidanm beim gleichen Worte genan dasselbe denkt wie irgend- 
ein anderes*). Die Vcrschiedeuheit hängt zur Hauptsache ab vom 
ZuBaumienhange der Gedanken und damit ron der > auffassen- 
den Stimmun^<; es ist z. B. etwas anderes, ob man einen Baom 
za fällen betiehlt, oder ob man ihn in eineoi Gedichte besingt*). 
Von höchstem Interesse ist dabei die Erwägang, »ob die Sprache 
anf ein inneres Ganzes des Gedankenznsammenbanges und der 
Empfindung bezogen oder mit yereinzelter Seelentätigkeit einseitig 
KU einem abgescbloßnen Zweeke gebranebt wird«*). Da aber 
immer irgendeine Stimmong der Seele yorbanden ist, kann dnreh 
das klassenbezeichnende Wort nicht alles ausgedrückt werden, 
vielmehr ist das »Wort allerdings eine Schranke ihres (der Seele) 
inneren, immer lutilir enthaltenden Empfindens, und droht oft le- 
rade sehr eigentümliche Nuancen desselben durch seine im Laut 
mehr materielle, in der Bedeutung mehr allgemeine Natnr za er- 
Btiekent Daß Überhaupt der Begriff Ausdraok im Worte findet» 
Ist der Beweis Air seine vollendete Klarheit*). Wenn also etwa 
Possessira nnd Personalpronomina nicht versebiedeoe Lantformea 
haben, so Ist der Unterschied »niebt mit der formalen Schärfe und 
Bestimmtheit, welche der Übergang in die Lautbezeichnung ei^ 
fordert«, gefühlt worden 

Die Wortbildung beruht auf Modiükatiou schon vorhandener 
•Stammwörter nach instinktartig in der Öeele liegenden Formen. 
Da diese Formen fUr eine Gemeinschaft wesentlich gleich sind, 
so kann man sagen, daß das Wort der Teil der Sprache ist, bis 
sn dem die Nation als ganze sebttpferiscb Ist^^). Dem Yoigaog 
selbst, als dem »tiefsten nnd gebeimnlsTollsten« aller Spraehen, 
genan naebzngeben, halt Hnmboldt fUr nnmOglieb. 

Diu zu ior der Ilde Abgegreuztheit des Begritlä muli auch iu der 



1) 5,429. 2 7. 169 f. 3)5,419. 4) 7,64, 19a 6)3,176 ^7,17«. 
7) 7,100. 8) 7.28. ^ 7,231. lOj 7,73. 



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Willlelm TOD Humboldts Spnchphiloiophie. 



169 



1 antlichen Einheit und Selbständigkeit des Wortes erkennbar 
sein. »Die Wörter in der Sprache sind, was die Individuen in 
der Wirklichkeit«^). Die Lauteinheit wird, so meint Hnmboldt, 
im Zusammenhang der Rede deutlich dnrob ein merkbnres Inne- 
halten der Stimme, das ein geübtes Ohr am Ende der Wörter 
wahrzunehmen yermdge,^). Besonders wichtig ist sie in der Ver- 
eini^ang tod Haapt- nnd fieziehnngsbegriff (Stamm und Flexions«- 
elementj. Hier pflegt nnter der Einwirkung des Akzents eine 
enge Yenehmelsiing nach Wohllantregeln Tor sich zn gehen, nnd 
in den Sandhiregeln des Sanskrit glaubt Hnmholdt ein besonders 
feines Mittel zur Siohening der Worteinheit, noch dazu in mehr- 
faeher Abstnfiuig, m sehen. So »entspringt ein angldeh den Yer^ 
stand nnd das isthetisehe GeAthl befriedigender Wortbanc *}. 

Hier nnd da hat Hnmboldt anoh die Wortansammen- 
setanngen yerfolgt. Er nnteiseheidet swei Arten. Bei der ersten 
wird ein Begriff dnrcb einen zage fügten bloB Terdentlicht, bei der 
zweiten wird ans zwei Begriffen ein neuer gebildet (Sonne = Ange 
des TagCb,. Die zweite Methode muß allmählich immer mehr zur 
Bilduug neuer Wörter verwendet werden, wenn die Wortbildung 
durch Tonmalerei usw. nachy-ulassen beginnt. Auch (Ihhh ^-ibt es 
noch Unterschiede des Charakters: die Bildungen kuuutiu z. H. 
dichterisch sein oder, wie im Neuchinesischen, spielerisch-wit/Jg*). 
Im Sanskrit werden sie äußerst häuÜL^ gebraucht, während sio im 
Lateinischen im Verlaufe der 2^it immer mehr verschwinden^). 

8) Die Wurzeln. Bei der Zergliederung einer Anzahl von 
Wortbildungen weisen viele verwandte Elemente auf, und man 
sieht sich zu dem Ergebnis geführt, daß »eine mäßige Anzahl 
dem ganzen Wortvorrate sum Grunde liegender Wurzellaute durch 
Zastttse ond Veränderungen auf immer bestimmtere nnd mehr zu- 
sammengesetzte Begriffe angewendet wird«^). Völlig rein erschei- 
nen die Wnneln genau genommen nie; denn wo sie in der Bede 
anftreten, nehmen sie eine dem Qedankenznsammenhang entspre- 
chende Kategorie an, werden also als SnbstantiTa, Yerba usw. 
Terwendet'}. Wie weit blofie Wnneln in nrsprttnglichem Spraeh- 
sQStande gebraneht worden sind, ist zweifelhaft *); wir kennen sie 



1) 7,269. 2) 7,122. 3) 7,124. 4) 7,319. 6] 7,190. Q 7,103. 
71 7,78. 8) 7,106t 



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IflO 



Morits Scheiaert, 



iMt Jinr als Resultate wjggenaehaftlicher Analyse Als real kann 
num alle Wsrzeln insofern anseben, als sie tob den Bedeaden mü 
iaitinktiver Sielierheit benutzt werden. Am dentUcbsten siiid m 
nach Hamboldt erkennbar, wenn sie in den sablreioben Varia* 
tioaen eines gut ansgebfldetra Konjugatioiissvbteais TorkommeD. 
Überhaupt stimmt er den SaDskrit^rammatikern bei, wenn sie alle 
Wurzeln als Verbalwurzelu aubulicuj da die ßcwegungs- samt den 
Bescbaffenheitsbegriffen die ersten hätten seiu mllssen, die be- 
zeichnet wurden, weil erst durch sie wieder Gegenstände benannt 
werden konnten 3); Überdies könne ein lebhafter Spracbsinn die 
Beaekaffenheit leiebt zur Bewegung hinreißen ^j. Im GbinesisefaeB 
gibt es Wurzeln in dem erörterten Sinne niobt» oder sie fbllem mit 
den Worten zusammen, weil jede Flezionsform fehlt. 

Im (gesamten Wortsehatz sind naeb Bopps Vorgang objek- 
tive uud Bnbjektive Wörter zu uiiterüchiideü ^; , d. Ii. bolclie 
beschreibender oder erzählender Natur und solche, die eine Be- 
ziehung aut die Persünliciikeit herBtelien, die Pronomina. Hum- 
boldt erklärt, daß die Personen Wörter in jeder Bprache die nr- 
sprüDgliobsten sein mUssen, da die Persönlichkeit des Sprecbenden, 
lebbaft empfanden, naftiirgemäß einen Ansdmck erhalten mttsse. 
Nahe liegt anob die Beseiebnnng des angerufenen Du»], und es 
ist bei der Benennung des Oegenttberstebmiden einleuebtend, daft 
eine Verwandtscbaft mit Ranmangaben, also dem Gebiete der tSan- 
liehen Anschauung, vorhanden sein kann«). Doch ist, sagt Hum- 
boldt schließlich wieder, »meiner innersten Überzeugung nach, 
Älie BeHtmimiing einer Zeitfolge in der Bildung der wesentlichen 
Bestandteile der Hede ein Unding« 7), und so sieht er sich zu der 
Einschränkung veranlaßt, daß der Empändangsansdrnck der iVr- 
attnliebkeit ebenso objektiv gebraaebt werde, wie die Beaeniuiag 
Irgendeines äußeren Oegenstandes, und daß es andererseita PM- 
MMÜna geben könne, die von Bägensebaftswttrtem bergenommea 
«ad, wie aneb unter den lokalen Prtt|M>8itioDen solche, die 
vien einem Nomen abstammen (z. B. ein Wort för »vor« fob 
> Brust« usw.)^}. 

Die Auisoehang der Wurzeln ergibt ein- und zweisilbige. 



1) 7, 10& 3) 6, 44a 8) 9, 107. 4) 7, 108. 5] Auf Ich nad Nieht-Ich 
«ird Besag genomBeB €,84, 7,101. 6) So im ToagiMheii 6,186, 814. 
7) 8,807. 8) 7,101. 



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Wilh«liii ToiL Hmboldts BpnchphilMophie. 



161 



Ä priori iiei/;t Huinboldt zu der Meiuuiifr, die oin«ilbiiren seieu 
ereprüDglicb, da venimtlich ein einzeloer Begriö durch ein einzel- 
nes Wort beieichnet worden sei. Die zweisilbigen Wurzeln, die 
die Forachang anfBtellen mnfi, sind vielleicht bloß fUr unser Wiasen 
idabt wdter analTflierbar. Sprachen, die, wie die aemitieehen, 
tweiflilbige AusdrUeke als Warxeln rervenden, kOanen sehr wohl 
damal beide Arten Ton Wurzeln nebeneinander gehabt haben 
— Zweisilbigkeft kann ja unkenntlich gewordene Zasainmen- 
fletznng sein und erst später sei dus Gesetz der Zweisilbigkeit 
«lurchgeführt worden. Es ist aber wieder ein Beweis dafür, wie 
weuig voreingenoninieu Humboldt war, wenn er versi(!hert: »Bloß 
des aUgemeinen Satzes wegen, dali eine Warsei immer einsilbig 
tein maß, mOohte ich auf keine Weise auch ursprünglich zwei- 
«Unge leugnen« 

9) Die grammatisohen Formen. Die Sprache entwickelt 
eigene Formen mehrfacher Art, darunter die Ausdrucke ftr Be- 

«ehungen des Denkens, die gruuimatischen Formen. In diesen 
üläo treffen sich die F^ormen des Denkens mit denen der Sprache'). 
Die grammatischen Formen sollen nun, wie wir wissen, mö^rlichst 
reichhaltig vorhanden sein; denn »der abstrakte Verhältnisbegriflf 
prü^rt sich, in sinnlichen Beispielen beständig wiederkehrend, dem 
Geist fester ein« 3). Zu ihrem wirklichen Eingang in die Sprache 
bedarf es natttrlich der Anregung durch empirische Beobachtung. 
Ik ergibt sich aber bei versehiedenen Sprachen eine Yerachieden- 
heit der Resultate. Sie kann dreierlei Art sdn: 1) »nach der 
Aaffassung der grammatischen i Vjrnien nach ihrem Begriff (Grade 
der Klarheit, der Intellfktnalisieruii'r . 2 nnch der Art der tech- 
nischen Mittel ihrer Bezeichnung FlexiiOis.siilieu oder 8e]l)ständige 
Worte, z. B. Abhängigkeit andeutende Partikeln), 3) nach den 
wirklichen zur Bezeichnung dienenden Lauten« £s lenchtet 
obne weiteres ein, daß die ersten beiden Punkte die wesentliek- 
eten sind. 

In den flektierenden Sprachen steht nun die Sache so, 
difi die Stammlaute eines Wortes selbständige Begriffe, die Neben- 

lante, eben die Flexionen, die allgemein modifizierenden Elemente 
Mädriicken. Diese Nebeolaute sind meist auch, weil sie bloB 

1] ^331. 2) 6,466. 3) 6,39a 4) 6,81 * 6,464. 



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162 



Moritai Sehemert, 



intellektuell getViiite Beziehungen andeuten, schon in der 
Lautform körzer als die Stammlaute. Die ZerleerimiE: in Wort- 
Btamni und Angebildetes ist für die Untersuchung sehr fruchtbar, 
aber man darf sich beides nicht als mechanisch aneinandergefügt 
denken, sondern wie der Geist untrennbar beides znsammendeokt, 
80 gießt anoh der Lant beides Tor dem Ohie in eioB. Eine andere 
Art der Flexion , weniger yorzUglich, weil sie den Hanptbegriff 
ZQgleieli mit umändert mindestens nieht ftor alle Fülle passend, 
ist Lantamfonnnng innerhalb des Stammes. Bie ist allemal bild- 
lich. Das ist bei den Flexionssilben ui gewis?^ein Sinne auch der 
Fall, nämlich insofern, als mnu solche nicht nur die betrachten 
darf, die etwa nie eine selbjständige Bcileutung gehabt haben 
sondern auch die im Laufe der Zeit abstrakter gewordenen. Nur 
haben Termntlich die meisten Flexionssilben nicht irgendeine be- 
liebige sinnliche Bedeutung gehabt, sondern haben die notwendige 
Beziehong dureb eine Beziehmig auf die Person des Spreche» 
angedeutet) werden also pronominal gewesen sein*). Der Sprach- 
sinn hat dieser deutlichen Beziehungen schließlieh nieht mehr be* 
dürft und sie zu Deutemitteln hcrabgedrlickt, wobei Lautgewohn- 
heiten, z. B. Assimilation und Verschmelzung aneinander stoßender 
Laute, mitgewirkt haben. 

Die Agglutination unterscheidet sich von der Flexion da- 
durch, daß sie die Beziehungen nicht im gleichen Grade bloß 
intellektnell faßt; sie bildet yielmehr Elemente von irgendwelcher 
konkreten Bedeutung an das Stammwort an. Dann ist eben nach 
Humboldts Überzeugung der logische Wert der Beziehnng und 
ihre Abhängigkeit vom Hauptbegriff nieht deutlich genug gefühlt 
worden, und das Affix deshalb nicht eng genug mit dem Worte 
verschmolzen; durch den einfließenden SaehbcgrifT kann nicht so 
wie durch Flexion der Sinn fUr Formalität geweckt werden^). 
Sie kann indes im Laufe der Zeit scheinbar zu Fiexiou werden, 
und so ist der Unterschied beider allerdings bloß graduell*). 

Den vollen Gegensatz zu beiden bildet die Wortisolierung, 
die Beziehungen fast gar nicht lautlich ausdruckt Das Chinesische 
ist der einzige Vertreter. Hier wird also der Forderung gleich- 

1) Dies ergibt sieh Bcbon ans dem Postnlst des PanlleliBmus von Laut 

tind Idoe; klar auagesprochen 7. 125, 263. Anders Ilay m , W. v.H. Berlin ISoß. 
S. .520. Weitere Btark mit Vorl)ehalteu durchflochtcne Erürtemngen darüber 
7, 263 ff. 2} 3,116. 3j 7,116. 4j a,46&^ d) 7, lU, lia 



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Wilhelm von Humboldts Spnohphilosophie. 



163 



mlBiger DnTehdringnng Ton Lant und Idee «m weDigsten genllgt 
Das dniehaehnittliche praktische Yentündiiis wird nicht beein- 
trilcbtigt, wohl aber die bestimmtere Naaaeieraog der Gedanken >). 
DaB Hamboldt aoeh bei diesen Erörterungen Uber Flexion Tat- 
sachen vor Angen hatte, mag folgende feine Bemerkung aber den 
Konjnnktiy beweisen: »Das dnreh ihn ohne Hinzukommen eines 
materiellen Nebenbegriflfs (etwa eines Hilfsyerbs) aasgedrUckto nn- 
gewisse und abhängige Setzen kann in Sprachen nicht angemessen 
bezeichnet werden, in welchen das einfache aktuale Setzen keinen 
formalen Ansdrnck findet«'). 

10) Der Satz. Von ;i:rüiiicr Bedeutung für die Spraehwissen- 
Bchaft ist die Betrachtung des Satzes. Das erhellt schon daraus, 
daß vermöge der nafüissenden Stimmung >ein Wort meistenteils 
seine yoll8täQ<lige Geltung erst bat durch die Verbindung, in der es 
erscheint«^). Von vornherein ist festzuhalten, daß der Satz nicht 
eine mttheYolle Zusammenkntlpfung ist; sondern im Akte der Syn- 
these erteilt die »geistige Ansieht« im Satze »dem scharf und toU- 
stindig angenommenen Eindmok« lantliehe Gestaltung <). Jede 
noch so nnvoUstindige Anssage macht dir den Sprechenden an- 
nlchst wiikßeh einen geschlossenen Gedanken ans. Im einfach- 
sten mit GeHlhl geinBerten Ijant liegt der Keim snr spKterai Ent- 
wicUnng der Worte im Satz*), nnd es ist eigentlich richtiger, bei 
der Untersttchnng vom Satze anssngehen*). »Der Mensch . . • 
glanbt nicht, ihn ans einzelnen WOrtem zosammenznaetzen« ^J. 
»Die Bede bildet im Geiste des Sprechenden, bis sie einen Ge- 
danken erschöpft, ein Tcrbnndenes Ganzes, in welchem erst die 
Beflexion die einzelnen Abschnitte anfsnchen mnß«^). 

In der liedclliguiig uÜcnbaren Bich die Verschiedeubeitcu der 
Völker; denn >gerade hierin cuthUUt 5>ich erstlich die Klarlieit 
und Bestimmtheit der logischen Anordnung, welche allein der 
Freiheit des Gedankenflugs eine sichere (irumllnge verleiht und 
zuj^leieb GesetzmäBi^'keit und Ausdehnung der liitellektualität 
(laitut, und '/woiteus das mehr oder minder durcbsehoinende Be- 
dürfnis nach »iunliehcni lieiehtum und Znsammenhang, die Fur- 
derang des Gemüts, was nur irgend innerlich wabigenommen und 



1) 7,313 Anm. 2) 7,280. 3| 7.173. ähnlich 5, 4 7.158. 
6; 7,149. 6)7,143.148. 7j d,446f. 8; 6,114, ähnlich 6, U7, 7,72, 123. 



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164 



Morits Sehfiinert, 



empfunden wird| auch ftaBerlieh mit Laut zvl umkleiden« Frei- 
lieli lassen sieh die sahnosen existierenden Abstaflingen nieht 

leiclit abstrakt auseinandersetzen. Man kann aber, znm Teil 
analog mit der Untersclieidang der grammatischen Formen, iiU 
Hauptformen ansehen die Ückticrende samt der ugglutinierendcD, 
die isolierende und die einverleibende. 

Die flektierenden Sprachen ermöglichen bei ihrer klaren 
Ausbildaug der Worteinheit scharfe Trennaug der Satzteile, also 
Begriffsklarheit, und der wertvolle Besitz der grannnatischen For- 
men befähigt zu deutlieher DarstHInng der synthetisclien Einheit 
des Satzes, namentlich durch das Verbnm. Man hatte die merk- 
würdige Theorie ausgebildet^), daß das Verbum. auch wenn ch 
nicht mit einer Form wie seiu< zusammengesetzt ist, immer das 
Sein enthalten mtlsfle nnd daB es dadurch im synthetischen Akt 
das Prädikat mit dem babjekte erst wirklich verknüpfe, nnd zwar 
so, >daQ das Sein, welches mit einem energischen Prädikate in 
ein Handeln übergeht, dem Subjekte selbst beigelegt, also das 
bloß als verkntipfbar Gedachte zum Zustande oder Vorgange in 
der Wirklichkeit wird. Man denkt nicht bloß den einsohlagenden 
Blitz, Bondem der Blits ist es selbst» der hemiederführt . . . Der 
Oedanke, wenn man sich so sinnlich ansdrtt<&en konnte, yerlMfit 
dnrok das Verbnm seine innere Wohnstätte nnd tritt in die Wirk- 
liohkeit ttber«'). Das Verb ist ohne dies »eiistentieUe Setwn« 
undenkbar^}. Fllr die Vollkommenheit einer Sprache ist somil 
notwendig, daB gerade die Verbalformen in möglichster Voll- 
stftndigkeit yorhanden sind, so wie man sie ab einheitliches 
System a priori ans Begriffen ableiten kann. 

Den flektierenden Sprachen ist die Isolierende, das Chine^ 
»ische, insofern nlebt nnähnlich, als in ihr die einseinen Teile 
des Satzes Toneinander getrennt gehalten werden. Der funda- 
mentale Gegensatz ist trotzdem unleugbar; denn es fehlt lantliohe 
Beziehungsbezeiehnung, und der üörer muß sich den Sinn des 
Gauica erst zusauiiiicnsuehen. 

Ganz anderer Art sind die einverleibenden Sprachen, für 
die das Mexikanisclie al^ Typus gilt. In den beiden Sätzen 
ni-naca-(iua , ich Fleiscii esse, und ni-c-qna in uaeatl, ich es 
esse, das Fleisch, wird das Objekt als Substantiv oder als Pro- 



IJ 7,187f. 2j Vgl. unten Kapitel U. §3. 3)3,214. 4)5,466. 



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Wflhelitt yon Hnmboldti Spnobphiloiophie. 165 

Domen dem Verb eiiigcÜi^^L, und die Lautform bekommt das Ge- 
präge eines cn^: geknüpften, aber weni;:: umfassenden Ganzen. 
Hier stehea nach Hamboldt dem Sprachsinn die Gegenstände 
nicht in gleicher Klarheit und ^onderung vor Augen %vie iu den 
flektierendeu Sprachen. Es iat aber noch ein Vorzug des Mexi- 
kanischen, daß es den Ausdruck der Beziehungen ans Verb an- 
knüpft, gewissermaUen alles um dieses gruppiert. Nur entstehen 
d:ibe! zu große und unhehilflicbe Massen. Sjmren von Einver- 
leibung Hind übrigens auch vorhanden im Status constructus der 
semitischen Spraohen and in SsnAkritkompositiB wie den Bahn- 
Trihis 

Eine eigentümliche Satzbildnng wird am Barmanischen er- 
örtert. Hier tritt nicht bloß statt der logisch natürlichen Wort- 
folge Subjekt, Verb, Objekt die verkehrte Subjekt, Objekt, Verb 
ein, sondern das Verbom ermangelt ttberbanpt des klaren Ana- 
draeka der synthetiaehen Funktion, ibnelt ▼ielmehr dem Homen. 
Also ist der Sata keine wirkliolie Einheit, sondern es wird bloB 
immer ein Wort dnreh das andere modifiaiert, nnd sogar eui 
ganser Satz kann als Attribut zn einem Snbstantivnm gesetst 
werden. Da aber gtammatisohe Fonnen im Übrigen nicht gana 
fehlen» so steht diese Satxform awisehen der flektierenden nnd 
der isolierenden. 

AnBer am Yerbnm sacht Hnmboldt die Eigenart der Sati- 
bildnng noch an der Konjunktion und am Relativpronomen 
IU beobaehlen. Mit Hilfe der Eoi^janktion werden zwei Sfttae 
aufeinander bezogen, in einer »Terwiekelteren Synthese«') 
znsammengefaBt. Ermangelt also eine Sprache der Konjunktionen, 
wie das bei weniger gebildeten vorzukommen pflegt, so ist uut 
Schwäche der synihctiachen Kraft zu schließen, (iauz ähnlich 
verhält es sich mit dem Kclaüvpronomcu. So werden z. B. in der 
Qöichua- Sprache die beiden in Frage kommenden Sätze einfach 
nebenemander gestellt; ihre Beziehung kann bloß erraten werden. 

11) Zur Klassifikation der .Sprachen. Die Uauptarten 
des Satzbaues sind [wenn auch nicht ganz zusammenfallend mit 
den Unterschieden nach Ausbildung grammati.scher Formen) cbenso- 
▼iele Sprachty-pen. Aber man kann die Sprachen deshalb niolil 



1} 7, IM. 8) 7,233. 

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166 



Morits Scheinert, 



ohne weiteres in RaDgstnfen ordnen. HOehstens kann man etwa 

Sanskrit und Chine^iii^ch als äußerste EndpuDkte ansetzen*), zwi- 
schen denen alle Ubricren irL'cndwo in der Mitte liegen. Überhaupt 
trag:en ja die meisten ri})ruciieu eine oder andere Formarten za- 
gleicb au sich: üektiereud, agglutinierend oder einverleibend. Zur 
Bearteilong der Vorzttge einer' Sprache kommt es darauf an, wie 
sie diese abstrakten Formen in ihre konkrete anfgenomiDen bat^). 
Die vorhandenen einyerleibenden Sprachen z. B. verdienen dieVer- 
nrteilnng nicht in gleichem Mafie wie ihr abstrakter IS^pns. Nur 
wird allerdiugB allen die Fähigkeit abgesprochen, ein gleick 
vielseitii^en Gebrauchs fähiges Ausdrncksmittel zu sein wie eine 
Flexionssprache. Doch gibt Humboldt zu, daß nicht alles er- 
klärt werden kann, und deshalb ist an einer Klassiüiiation , die 
den Anspruch machte, mehr zu bieten als Kichtlinien, ailerdiDg« 
an verzweifeln. »Es ist ein durchaus unglücklicher Gedanke, und 
es beweist, daß man die lebendige Individualität der Sprache 
gänzlich verkennt, wenn man die Sprachen in gewisse feste 
Klassen einzuzwängen versucht«'}. 

12] I>u' ^geschichtliche Entwickluni, der Sj)raebe. Im 
ursprünglichsten Zustande eine Sprache zu beobachten, haben wir 
keine Mitf^lichkeit. Doch mnW hu einfaelisten Empfindungsausdrutk 
alles angelegt sein, was sich später entfaltet. Denn »denkt man 
sich ... die Spraelibildung sukzessiv, so muß man ihr, wie allem 
Entstehen in der Natur, ein Evolntionssystem unterlegen«^). Die 
Entwicklung geht so ununterbrochen vorwärts, daß, »genau ge- 
nommen, keine Sprache auch nur ein einziges Jahrzehend hin- 
durch oder auf einem irgend ausgedehnten Räume dieselbe ist«^). 
»Zumal bei Nationen von großer Geistesregsamkeit bleibt dieee 
Geltung (die der Worte) ... in beständigem Flusse« Es lassen 
sich nun Stufen des Vorrüekens in der Spr:i(*b!»ildung uuterscbtiatii. 
Die erste Periode, die, wo die Sprache fast die ganze geistige 



1) 7,874. 8} 7,264. 3) S,477. A. W. v. Schlegels Seheidmig in 

analytische and synthetische Sprachen lehnt II. ab, weil auch diese Grenu 
nicht scharf sei, weil der Ausdruck »synthetisch« nidit auf all»' Flexionen 
anwendbar sei 'z. B. band zu bimlc . und weil in den »obenan uten ans- 
lytiöcheu .Sprachen gar keine Autlööuug einer Byntbetiseheu Form vor eich 
gehe, sondern dnrch neue Verbindungen ältere entbehrlich werden. 6,260. 
4) 7,149. 5) 0,243. 6j 7,191. 



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WUbelm Ton Hmnboldli Sprichphiloiophie. 



167 



Kraft in Ansprach nimmt und durcbaiis ihre liauptäußerung ist, 
knnn mau die der formalen Ausbildong nennen. Es werden also 
die notwendigen Grandlagen des Begriffsschatzes und besondera 
des Formensystems geschaffen. Dann erst erfolgt die Anwendung 
der Sprache in der Literatur. Freilich sind dies mehr findponkte 
des Oberwiegens ato streng geschiedene Perioden. Denn wie 
poetische ÄnBeriingeD schon in frtthen Zeiten anftreien, so kommen 
andererseits während der literarischen Blate noeh Lantnmfonnnn^en 
vur. In der Folge der menschlichen Geschlechter wird natürlich 
neben dem Bildunf^sprinzip auch der bereits hervorgebrachte 
öpraL'h^toflf wirksam 'i. 

lu sehr iiUber Zeit mag Bclion Sprachmischung durch Ver- 
lehmelzuDg mehrerer Volksstämme eingetreten sein. So könnte 
man, meint Humboldt, die yerschiedenen Stammformen beim 
penSttliehen Fürwort erkl&ren'), andererseits werde beim Chine- 
nieben die Mischung gefehlt haben, so daß eben eine Lautform 
für eine Menge ron Bedeutungen herhalten muB*). 

Cbarakteristiäch t'tlr der Natur näher stehende Völker ist die 
Siriiilii'likeit des Ausdrucks. ^11 est uaturel a rhonune et 
sartout a riiomme dont Tesprit est eucore peu dcveloppe, d'ajouter 
en parlant ä l'idee principale une foule dld^es accessoires ex- 
primant des rapports de temps, de liea, de personnes, de circon- 
stiDces, Sans faire attention si ces idöes sont pr^is^ment n^- 
ecasiiTes 14 oh Ton les place Humboldt ist aber nicht ohne 
weiteres geneigt, der abstrakteren Sprechweise den Vorzug zu 
geben. Zwar meint er, daß die Bezeichnung des Gegenstandes 
dnrch eine Eigenschaft, solange diese Bedeutun:: noeli nicht yer- 
blaßt sei, die Freiheit der Vorstellung hemuie^); auf der anderen 
JMiite jedoch hat die Sprache >uur von diesen (Anschauung, Ein- 
MlJungskraft, Ocfillil; Stoff und Bereicherung zu erwarten; von 
der Bearbeitung durch den Verstand . . . eher Trockenheit und 
Dürftigkeit zu fürchten« *J. Ebensowenig läßt Humboldt auf 
Grond der Beobachtung von Sinnlichkeit ohne weiteres Schlüsse 
IS auf die Jugend einer Sprache. Denn >die Anwendung tou 
Zeitbegriffen auf die Entwickinn? einer so ganz im Gebiete der 
sieht zu berechueudeu urtjpiüu-iicheu Seeleavermögeu liegeuden 



1 7, 160. 2; 6,268^ 810. 3} 6,304. 4j 6,284, ähnlich 5,19, 7,166. 
d. i,422f. 6,6,127. 



168 



Moritz Scheinort, 



menschlichea Eigentfimlichkeit als die Spraebe hat immer etwm 
eebr Mißliches« So wagt er z. B. nicht von den phantasievoU- 
anschaTilichen CompositiB der Delaware-Sprache auf hohe Ur- 
flprBoglicfakeit zu BoblieBeD, da man nieht wisaen iLOnne, wieviel dar 
bei nieht der Zeit, sondern dem Charaicter des Stammes zukomme. 
Indes weiden dnrch die Bearbdtang in der Literatur die Begriffe 
gekUbrt, rerfeinert^ Tertieft, and man kann ganz im allgemeinen 
daran festhalten, daß eine Tendenz zu mehr intellektneUer Anf- 
fasBQog vorliegt 

Bire Wirkung ist ancb das Schwinden der FlexioussOben in 
den Flezionsspracben. Der Geist »erachtet in der steigenden Zu- 
versieht anf die Festigkeit seiner inneren Ansiebt eine zu sor^- 
iUItige Modifizierung der Laute für iilH'riliissi<r und eine i^ewisse 
phantasievülle Fronde an der Vereinigung und Fülle der Keun- 
zeichen nimmt Ott steht damit in Zuf5ammenhan^ der Ersatz 
der Formen durch Ililfsverba und Flexionswörter. Dnrt h sie bleibt 
der (irundcliarakter der Formalität erhalten, und in manchen 
Fallen wird sogar ihm Verständnis erleichtert und die Bcstimmtlieit 
vennoln-t. In den germanischen Sprachen soll der Verfall der 
Endungen an einem Nachlassen des formenschaffenden Bildnngs- 
prinzips liegen. In anderen Fällen der Sprachentwicklung soll 
die Kraft in ihrer Richtung gewechselt haben nud ein neaes 
Prinzip eingetreten sein. Das ist bloß durch eine ErachUtterang 
der ganzen Kation möglich s). Die griechische und die römische 
Kation worden zertrttmmert; die nengebildeten Kationen schufen 
das Keugriechisclie nnd das Italienisehe. Die Grammatik beider 
war erst in Verwirrung geraten, nm sieh nachher in nener Gestalt 
zn erheben. Im Ansehlnß an diese Betraohtnngen entwirft Hum- 
boldt eine kohne, aber interessante Hypothese ttber die fintstehang 
des Sanskrit und des Aligriechisehen mit seinem Kulminations- 
punkt im homerisehen Zeitalter. In beiden ist von zerschlagenen 
Formen einer unteigegangenen Sprache wie bei den vorhin genannten 
nichts zu spüren, vielmehr ist das Bildungsprinzip in ihnen än6erst 
rege. Sie sind deshalb bloß >aus einer steigenden, nicht aus 
einer schon wieder sinkenden Kraftentwicklung« erklftrbar«), und 
werden also durch den ZusammensohluB neuer Kationen sich ge- 
bildet haben*). Rechnet man noeh den Einflnfi der Umgebung 



1] 7, 149. 2, 7, 239. 3, tt, 267. 4j 6, 269. 5 6, 267. 



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Wilhelm von üamboldts Siurachphilosopiiie. 



169 



hinzu, so ktoneii aeiie Sprachen entstehen: 1) dnreh den blofien 
VerUnf der Zelt, 2) dnreh Verändemn^ des Wohnsitaes — Tran- 
nnng der Volker, Hiedeflaesen in nener Umgebong, 3) dnioh 
Misehang, 4) dnreh Umgestaltnng des inneren Zastandes; es kOnneB 
noch mehrere dieser Homenle ▼ereint anftielen. 

Aneh ohne dafi w etwa zu einei Venniscbuog kommt, kann 
eine Sprache auf eine andere einen starken Einfluß ausüben; so 
die klaäbiäohen auf uuBure Muttersprache. 

13} Spraehennd Schrift Eins der einsehneidendsten Ereig^ 
nisse in der EntwicUnng der Sprache wird heselchnet dnreh die 
Einftthrung der Schrift Ober ihre Bedingungen ist an sagen, dafi 
sie »erst die Reflexion voranssetzte, die ^ch immer ans der eine 
Zeit hindurch bloß natürlich geübten Kunst entwickelt, und eine 
größere Entlaltun^,' der Verhältnisse dcB bürgerlichen Ixbens, 
welche den Sinn hervorruft, diu Tätigkeiten zu soDdern und ihre 
Erfolge dauernd zusammenwirken zu hissen*'). Dann spielt nicht 
mehr wie frllher das Gediiehtniti die Hauptndie in den {geistigen 
Bestrehan^en3\ und eben durch die Fixierunf^ und Aul'hewahrung 
wird die Möglichkeit des Uberdeukeiis erhüht. Von den ver- 
schiedenen Schriftarten nun entspricht die Bildersehrift der Spruche 
nicht, weil sie unnötige Nebenbeziehungen zu wenig ausschließt*}, 
die Figurenschrift (im Cbineaischen) ebensowenig, weil t^ie will- 
kürliche Zeichen für die Begriffe benutzt, und damit die eigen- 
tümliche psychische Wirkung des sprachlichen Tons teilweise bei- 
seite setzt ; denn sie zwingt ja nicht zur Reproduktion des speziell 
gebninchten Wortes, und kann sogar für verschiedene Sprachen 
gebraucht werden. Vollkommen wird die Schrift erst dann, warn 
sie die m(iglichst Ittekenlose Reproduktion der Sprache mit ihren 
hestinunten Lantwerten nnd in derselben Anordnnsg^ befi)rdertf 
nnd wenn sie nicht wie die Bildeisohrift sn viele Nebenbesiehnngea 
anregt. Dies tut nnr die Bnehstahensehrift. Sie befestigt an- 
gleidi das Lantsystem, nnd sie gewUirt Einblick in die Artikn- 
lation. Diese aber ist Gliedemng, nnd »Gliedenmg ist gerade 
das Wesen der Sprache«^. 



11 5.33. 2)7,206, 8) 6,m 4) 6,Sö, 10». 6; 6,118. 6) 6,S7. 
7) 0,121 f. 



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170 



Horits Sebeiftert, 



14) Poesie und Prosa. Die bOcbsten Bluten der Sprsebe 
sind Poesie und Prosa. Die Anlage zn beiden liegt von Anfimg 
an in der Spraebe, und es ist erkennbar, ob sie mebr znr poe- 
tischen Stimmung neigt, die die Wirklichkeit in ihrer ErBcbeinnng 
auffaßt, oder zur prosaischen, die ihre Wurzeln zu ergründen 
sucht Die Prosa kann auch bloß zu bestimmten Zwecken ge- 
brauclit werden. Aber erst wenn sie »den höheren Weg rerfolgt< 
und »Umfassen ihres Gegenstandes mit allen vereinten Kräften des 
Gemttts verlangt«, wird sie »die Gefiihrtin der Poesie auf der in- 
tellektnellen Laufbahn der Nationen« »In beiden mnfi ein roa 
innen entstehender Schwang den Qtmt heben nnd tragen«'). »Beide, 
die poetische nnd die prosusche Stimmung, müssen sieb zu dem 
Gemeinsamen ergänzen, den Menseben tief in die Wirklichkeit 
Wurzel ächla«:en zu lassen, aber nur, damit sein Wuchs sich desto 
fröhlicher Uber sie in ein freieres Element erheben kaim«^). Die 
Prosa hat wegen ihrer ungebundenen Form größere Beweg- 
lichkeit als die strenge Poesie, nnd insofern liegt das Bedürfnis 
zu ihrer Ausbildung »in dem Reichtum nnd der Freiheit der In- 
tellektnalität«. Troiadem bleibt sie den Verhllltnissen des gewSbn- 
liehen Lebens Terwandter, »das durch ihre Veredlung in seiner 
Oeistigkeit gesteigert werden kann«*). 

Besonders bedeutsam fUr die Sprache selbst wird die wissen- 
schaftliche Prosa mit ihrem verwickeiteren Charakter. Denn 
sie veranlaßt >die letzte Schärfe in der Bonderung und Feststellung 
der Begriffe und die reinste Abwägung der zu einem Ziele zu- 
samraenstrebenden Sätze und ihrer Teile«. Mit der systematischen 
Wissenschaft und mit der philosophischen Untersuchung des £r- 
kenntnisTermOgens tut sich dem Geiste etwas ganz Neues aot 
»welches alles Einzelne an Erhabenheit ILbertrifil«, und dies wiikt 
sngleich auf die Sprache ein, f^bt ihr einen. Charakter höheren 
Ernstes und einer, die BegriiTe zur höchsten Klarheit bringenden 
Stärke«. Dabei soll die Sprache, »ohne eigene Selbständigkeit 
geltend zu machen, sich nur dem Gedanken so enp; als müglicli 
anschließen, ihn begleiten und darstellen Eine so vervoll- 
kommnete Prosa »entzündet« wiederum den Geist zu weiteren 



1) 7,198. Ober Poesie in proniBcher Form 7,197. 8) 7,191 
^ 7,196. ^ 7,194. 6) 7,197. 6) 7,199f. 



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WilhdiB von HnmboldU Si»r»Ghpliilotopliie« 



171 



FufschuDgeni). Mangelt die Wissenschaft einem Volke, so bleibt 
aoch die Sprache im Kiickötaiide; diea geschieht aber auch, »wenn 
dch das Schaffen des Geiates zu gelehrtem Sammeln verflacht« 

15) Die Sprache im Leben der Gemeinschaft. Darin, daB 
der einzelne Mensch die Sprache mnfi auf sich wirken lassen, 
liegt ihre Gesetsmftßigkeit, in dem was er spontan umgestalten 
kiOD, ein Prinzip der Freiheit. Beides ist stets nntrennbar Ter- 

bnndenf denn auch das schriftlich Fixierte muß, soll es wirken, 
spouUü im Deukukt aufgefaßt, also zum Objekt geiuacht werden. 
Die L;>^u!»g des Gegensatzes liegt letzten Eudes darin, daß die 
Sprache nur unter Individuen denkbar ist, und das geistige Wesen 
in bedingtem Dasein bloB in geschiedener Individualität erscheinen 
kdimen. In der von den gleich organisierten Individuen aus- 
galiOBden Sprache gehen dann Abhängigkeit und UnabhSngigkeit 
ineinander Uber. So wird die Sprache zn einem Organ der Ver- 
mittlung swisclien den Individuen und der umgebenden Welt, 
wie zwischen den Individuen selbst, und es findet ein spontanes 
Zasammf ms irken der Gemeinschaft statt. Deshalb ist auch die 
Maolit des Einzelnen gegen die Totalität der Sprache geriug. Und 
so maelit der feine Mensehenkcnner liamboldt die nachdenkliche 
Betuerkong: »Der Mensch lebt mit den Gegenständen hauptsäch- 
lich .. . so, wie die Sprache sie ihm zufuhrt« 3). 

Aber ganz abgesehen von der Möglichkeit individueller Färbung, 
i B. im Satzbau, kann ^mal ein einzelner einen maßgebenden 
EinfluB auf die Sprache austlben und die Gemeinschaft zwingen, 
ikm darin nachzufolgen. Dies ist allemal, wie in anderen Ge- 
Meten des Lebens, das Genie. »Die kraftvollsten und die am 
leisesten bcriihrbarcn, die eindringendsten und die am fruchtbarsten 
iü sich lebenden Oemüter git l'eu m sie ihre Starke und Zartiitut, 
ihre Tiefe und Innerlichkeit« ^j. Im Genie sind die spontanen 
Kräfte, ist die Freiheit gewissermaßen konzentriert, und wirkt pro- 
dnktiv. Es ist aber, eben weil es frei schafft, nicht im einzelnen 
erklärbar, höchstens sein eigentümliches Gepräge läßt sich an- 
Blheind darstdlen. Besonders aber unterscheidet sich die »ans- 
eeteichnete GeisteseigentttmUchkeit« noch dadurch, 9 daß ihre 
Werke nicht bloß Grundlagen werden, auf die man fortbauen 



1)7,201. 2)1,202. 3) 7.6a 4)7,25. 



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172 



Hofits Sdioiiidrt, 



kauD, Bonderu zugleich den wieder entzttndeuden Hauch iu sich 
tragcD, der sie erzeugt« ^j. An der Einwirkung des Genies wird 
abo besonders deutlich, daß die Sprache anf den Gleist der Nation 
surückwirkt. Der vollendete Sprachbau TOr allem regt das Zu- 
■ammenstrebea aller geistigen Kräfte an, und es entsteht, »so wie 
nnr ein irgend weckender Fanke entiprUht, eine Tätigkeit rein 
geistiger Gedankenentwicklung; und ao raft eiq lebendig empfbn- 
dener glllcklieher Spnushbaa durch sdne eigene Nator Fbilosopbie 
nndDiektiuigberTer«^. Kor eine Forteetznng dieMS Gedankenganges 
ist die Vennntong: »VersKnke aber aneh eine mit aoteber Sprache 
begabte Nation durch andere Ursaehen in GeisteBtlltigkeit und 
Scbw&ehef so würde sie sich immer an ihrer Spraehe selbst kiditer 
aus diesem Zustande herToraibetton kOnnen«^). 

Zur Zeit Tcrfeinerter Ausbildung der Spraobe auf höherer 
Kuhurstufe seigt die Kation und damit die Sprache ehie Spaltung 
naeh Stünden deutlicher als firtther. Aber der eigentlich spraefa- 
schaffende Teil bleibt durch seine ungehemmte Triebkraft ron 
Anschauung, Phantasie und OefÜhl das Volk, während die Gebil- 
deten — das Genie natürlich ausgenommcu — mehr läuternd und 
Bichtend^i wirken, indem sie Bedeutungen festlegen, Worte aue- 
stuüen usw. Das ^vünbchcnswerte Verhältuiö ist uuu dies, daß 
die Sprache durch den Zusammenhalt beider Teile der Kation sich 
fortentwickelt, indem die höhere Bildung die Volkssprache als 
Grundlage anuimint und den Zweck vertblgt, »durch eine bestän- 
dLs-e Tingehemmte und energische Gemeinschaft zwischen diesen 
beiden Teilen der Natictn zu bewirken, daß auf das Volk alle 
wesentlichen Früchte der Bildung, und mit Ersparung des mühe- 
vollen Weges, auf dem sie erlangt werden, herabströmeu, die 
höheren Stände aber durch den gesunden, geraden, kräftigen, 
frischen Sinn des Volkes, durch das in ihm lebende Zusammen- 
halten alles Menschlichen bewahrt werden vor der Mattigkeit, 
Flachheit, ja Verschrobenheit unTerhältaismäßiger Einwirkung ein- 
seitiger Bildung«»). 

16) Philosophie der Spraehe. Ans der Bertthmng der Welt 
mit dem Mensehen ^ringt die Sprache wie mit einem elektriselien 
Schlage hervor, »nicht bloß in ihrem Entstehen, sondetn immerfbit, 

1)7,^. 2)7,238. 8) 7,161. 4} «,819. 5} «,217. 



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Willielni Ton HunboMii SpnMbplilIofloitlile. 173 



80 wie Menachen denken imd reden ' Dnrch die Sprache erst 
gewinnt das gleichzeitig cutstchende Denken 1)< ntlicbkeit'), eiDmal 
weil sie, weTiig-stens in den Flexionssprachen, Einsicht in die for- 
maieu Beziebangcn des Denkens weckt zweitens, weil so die 
Vonteiliiiigen objektiviert werden^) und erst weitere BearbeitnDg 
snkASeo^). Die Welt wird, so kann man die Sache Ton der 
anderen Seite betrachten, in Gedanken TcrwaDdelt*). Die hier 
wallende Tendenz der Objektiviernng aller inneren Vor« 
fftnge hat ttberbanpt nmfassende Bedeitnn^: »Die SabjektlTÜli 
der gansen MeneeUMit wird aber immer wieder in siok an etwaa 
Ot^ektivem. Die turspribig^he ÜbereinstiBimitng iwisefaen der 
Welt mmi dem Menseken, aaf weleker die X9g]icU:eit aller Ep- 
kenntniB der Wahrheit boraht, wird alio aieeh auf dem Weg der 
Eneheiiiwig stttokweiie and fortushreitend wiedergewonnen. Denn 
immer bl«bt das Ol||ekliTe dai elgentBöh an EmAgende«'). 

Dareh die ObjektiTienug in der Sprache wird eitt die Hit- 
teilang an andere ermöglicht, und diese wieder ist dne weeenft- 
liehe VonwiMlnmg ftr die Etfonehnng der Wahiheit; dem »die 
Denkkraft bedarf etwas ihr Gleiches and doeh von ihr Gesclilednes. 
Dnrch das Gleiche wird sie entztlndet, durch das Ton ihr 
schiedne erhält sie einen Prüfstein der Wahrheit ihrer inneren 
Lrzeagnügen«*'}. Die Bedeiitun^^ der Sprache ppfelt aber darin, 
daß sie »die erste notwendige Stufe« ist, »vou der aas die Nationen 
erst jede höhere meDSchliche Regang %n verfolgen imstande sind«*]. 
>Erst dnrch die vermittelst der Sprache bewirkte Verbindung eines 
andern mit dem Ich entstehen nnn »De den ganzen Menschen an- 
regenden tieferen uad edleren (Tctülile, welche in Freundschaft, 
Liebe nnd jeder i;eistigeü (kineinschaft die Verbindung zwischen 
aweien zn der höchsten und innigsten machen« ^^). 

Wir haben wiederholt gesehen, daß die Objekti?ierang alle 
seeÜBchen Regangen nrnfassen soll. »Nichts in dem Inneren des 
Measeben ist so tief, so fein, daß es nicht in die Sprache ttber- 
giege nnd in ihr erkennbar w&re« ti]. Biehtig betraohtet, bedealet 
dieser Sats nnr eüie Ftthlbarkeit der Chnmdstimmnngen ; dem 
Hamboldt rerkennt Ja nioht, dafi das Wert dam Gedanken oft 
niefat gemigt Vielmefar liegt oft eine Sehwiorigkeit des Ansdraeks 



1] g,90a 8) 7,59. S) 7,119. 4) 7,66. iS) 7,68. 6) 7,4t 
7) 4,81 f. Q 7,66, Shnltdi «,26. 9^ 7, 4L 1€| 11) 7,86. 

AnilT flr Pijra<l«fi«. ZUX. 18 

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174 



Moritz Sciieiaert, 



Tor. »Wie der €Mst etwas wahThaft Neues adliaiR» maB er mit 
der Sprache, es ansaadittokeii, ringen, durch dies Singeii, ni 
welchem sie ihm aelher die Kraft leiht, gewinnt die Sprache, sie 

kann sogar auf dem intellektuellen Wege nur so und auf keine 
andere Weise gewinnen*^). Jener »Satz von der Erkennbarkeit ibt 
also mehr ein Aasdruck Hlr das Ideal der »Sprache, und es ergibt 
neh aus alledem, daß das innerste Wesen der Sprache sich aar 
als ein Streben charakterisieren läBt Gerade darin aber erkenma 
wir, datt »die Herrorhrmgung der Sprache ein inneres Bedtirfiiis 
der Menschheit vt, nicht blofi ein Sufierliches aar Unterhaltsng 
gemeinsehafttiehen Verkehrs, sondern ein in ihrer Natur selbflt 
Iiei3^eiides, zur Entwicklung ihrer gcUtigcu Kräfte und zur Ge- 
winnung einer Weltanschanunp: . . . unentbehrliche»«'). 

Die Sprache ist innig mit allem Menschlichen verknüpft Sie 
hat 80 auch — das lag Humboldt besonders am Herzen — eine 
ästhetische Seite. »Abgesondert Ton dem körperlichen Dasdn 
der Dinge, IiSngt an ihren Umrissen, wie ein nur ftr den Hensehea 
bestimmter Zauber, SuBere Schönheit, in welcher die Gesetindtfig- 
keit mit dem sinnlichen Stoff einen nns, indem wir Ton ihm e^ 
griül'u und hingerissen werden, doch unerklärbar bleibenden Band 
eingeht. Alles dies finden wir in analogen Anklängen in der 
Sprache wieder, und sie vermag es darzustellen . . . Durch die dem 
Laute in seinen Verknüpfungen eigentümliche rhythmische und 
musikalische Form erhöht die Sprache, ihn in ein anderes Gebiet 
▼ersetzend, den SchOnheitseindrock der Naturi >}. Und dies gerade 
trigt besonders dasu bei, daß der Mensch sich liemttht, immer 
mehr in die Sprache hinehiznlegen. Im tieftten Grunde aber eat- 
qmllt dies nach Humboldt >der lebendigen Uberzengnng, diB 
das Wesen des Menschen Ahuduug eines Gebietes besitzt, welches 
über die Sprache hinausgeht«*). Der Mensrb kann eben nur schaffen 
in der Richtung auf ein Ideal auch wenn es nicht bewußt Tor- 
gestellt wird, und die Sprache, die ihm dazu am unentbehrlicbsten 
ist, erscheint als die »idealischste Blttte« des mensolilichen Geistes*). 
Die Sprache würde also die roUkommenste sein, die den lebendigen 
Trieb zu immer höherer Gestaltung des Ideals hat sich bkgi Be- 
traditet man nun diesen Trieb im Zusammenhange mit der Geistes- 



1^ 6,234, &bnlioh 4,432, 6,291. 2) 7,80. d) 3,61. 4) 7|177 
6J?,184. 6)J,167. 



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Wilhelm von Hnmboldts Sprachphilosophie. 



175 



eDtwieklnng der gmunten Menschheit >), so ist, da die verschiedenen 
Sprachen meist nor eine Seite des allgemein (menschlieben* Ideals 
zam Ansdrack bringen, die Annahme mOgliohi dafi aiieb rSninlieh 
«od leitUeh «neinaiidefliegeiide Spraeben lieh ordnen kunen als 
atnfenartige Eriiebnngen mm Ideal^. Damit igt aber das immer 
sieb erbObende Bingen des Spraebaebaffens angeknüpft an doi 
obersten Qesiebtspankt fbr das Werden des UniTenmms. Denn 
•die Endabsiebt wie das Wesen alles Gesebebenden beetebt nur 
darin, dmB sie (die Fülle der Kraft) sieb ansspriebti nnd sieb ans 
diaotisebem Unten snr Klarbeit bringt«^). 



IL Biebtüiien nnd Hetkede von Humboldts Fonehiig. 

1) Zar Entwieklnng seiner Stadien. Bei Überseteoagen 
ans dem Grieobiseben batte Wilbelm von Humboldt Uber die 
Spraebe im allgemeinen sn reflektieren begonnen. Bereits 1795 
Stilireibt er an Sebiller: »Ich gehe lange daranf ans, nm die Kate- 
gorien zu. finden, unter welebe man die Eigentümliebkeiten einer 
Spradie bringen konnte, nnd die Art anfiniaaeben, einen be- 
stimmten Charakter irgend einer Sprache zn schildern«^}. Da ward 
er auf einer Keiäe iu Spanieu auf das Studium der vas^kischen 
Sprache ^^cfuhrt, und er berichtet an den berllhmteu i'hilolofjcu 
Wolf: »Ich fühle, daU ich mich kUuuig noch ansschlieüeuder dem 
Sprachatndiuüi widuien werde, und daß eine gründlich nnd phiio- 
iiuphiscb auge»tellte Vergleichnng mehrer Sprachen eine Arbeit ist, 
der raeine Schultern nach einigen Jahren ernstlichen Studinmp 
vielleicht gewaehseu «eiu können*^). Und nach ein paar Jahren 
änßert er sich aus Kom an denselben Uber seine Interessen iu 
folgender Weise: >Im Grunde ist alles, was ich treibe, auch der 
Pindar (den H. übersetzte , Sprachstudium. Ich glaube die Kunst 
entdeckt zn haben, die Sprache als ein Vehikel zu gebranchen, 
nm das Höchste nnd Tiefste, nnd die Mannigfaltigkeit der ganzen 
Welt zu durchfahren«*). Dazu eine sichere Methode nnd tief ein- 
dringende Leitsätxe za finden, wird immer mehr der Mittelpunkt 



1 7,13. 8)7,90. 9) t,864 £ 4) Hamboldts ßriofwcclisel mit 
Schiller. heraiis?p!?f>beii von Leitzmann. S. 211. (2(3 Novbr. 1795. 
b) Werke, Alte Ausg. 6,214. {20. Dezbr. 1799.) 6) Ebenda. 6,266i. 
a6.Jani 1806.) 

12* 

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176 



MoiltB Seh«iMtC, 



geiüffir BeBtrebnfigen, «m naeh 8eiiier Befreiong Tom StMtidicoito 
l^buUeh TOD Jbm Besiti nt nehoiffi. Er breitet eeiiie Stodien 
ünnier welter aie. Er beeebftftigt lieh eingebeDd mit Sanslott; 
aber ebenso nit einer Menge ron amerikanisebeii Sptaeben, für 

diü ihm »ein Bruder manche Hilfsmittel rerscbaffte, und schließlich 
auch mit den verschiedensten aniatiBchen Idiomen. Seine Schriften 
legen von seiuer erataunlicben Kenntnis dan beredteste Zea^nis 
ab. Hand in Uand mit deren Aneignung geht Ansbau, Festigung 
und Klämng der Theorie. B. Haym hat in seiner Biographie die 
EntwieUnng Ton Hnmboldts Spraehstndien an den lablreioben 
Abbandinngen eingebend verfolgt Ibr Gang wird sich wobl blofi 
so bezeiebnen lassen, daß bereits im Anfange, z. B. in der ersten 
ansfUhrlicheren ÄnBeriing Uber S|»raehe>), ntnUcb im Anfinize 
über Latium uud ilellas (18Ü6\ eine js^anze Reihe wichtige allge- 
meine Gedanken ansredeutet sind oder im Keime liegen. Schärfste 
Beobachtung der Tatsachen wird schon verlangt in der Ankfln- 
dignng einer Monographie über die Urbewohner Hispaniens, 1812, 
nnd ist dnrehgefuhrt, and Kwar in trefflicher Weise, in den davon 
ausgearbeiteten Teilen, 1820—21. Am Ende des Weges, 1835, 
entspricht einer gewaltigen Spracbkennfesis ein weit ansgefllbrtos 
Gebftnde spraebphilosophisober Ansobannngen. 

2) Die Hauptbegriffe und die Beziehunfren zn Kant 
nnd Soll iii er. Um Humboldts Ansichten und Gedunkenbildungen 
völlig klarzoiegen, ist es nötig, seine Mauptbegriffe nnd seine 
Methode, sowie seine Beaiebnngen an anderen Forsebem an be- 
trachten. 

Deijeaige Begriff, der in alle Untennchnngen Hnmboldts 
Mh tiefste verknüpft ist, ist der der Kraft Er scbaffl sich hier 
fttt den praktischen Oebraneb bei der Forschnng eine naheliegende 

metaphysische Ergänzung zur Kritik der reinen Veruunitj an (he 
er sich vielfach anlehnt'). Aus einer Reihe von AuBemngren ergibt 
sich, daß er eine transzendente Urkraft annimmt, von der wir nur 
die ErKcheinangen kennen^). Aach theoretisch vertritt er diese 
Anschannng als die Gmndlage »echter Wissenschaft«. Denn »das 

1) 3,166-169; die An!::abe des Jahres folfirt den SchlÜBsen Leitx- 
manns. 8,372, 2 Parallelen aas Herder und Forstor hif Steinthal 
in seiner Ausgabe S. 199 ff. anpezoe-en ; zur Annahme der Entlehnung ewisgen 
sie natürlich bei diesem Begriä' kaum. '6, 1,90, «,1S. 



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Wilhelm von Huiboldtfl S^rtebpliUoMpliiew 



177 



wiMoniehaftlkbe Bedttrfhis, in seinen manni^altigsten Ersebei- 
nongen, iat, wenn man ee auf sein cinfachefl Wesen zurückführt, 
immer das Erkennen des Unsichtbaren im Sichtbaren«'). Wie die 
Gnmdkraft transzendent ist, so entzieht sich auch das eigentliche 
Werden unserer Beobachtung - , aber wir müssen voranssetaen, daß 
alles in einer nie rastenden Entwicklung begriflfen ist. 

Für die geistige Kraft übernimmt nun Humboldt von Kant 
die Grundanschauung der Kausalität aus Freiheit. Am deut- 
lirlisten läßt sie sich beobachten am Genie. Denn die Taten des 
Genies bieten der Geschichtsforschung > Knoten, welche der wei- 
teren Lösung widerstehen. Es liegt dies eben in jener geifltigen 
Kraft, die steh in ihrem Wesen nicht ganz darchdringen und in 
ihrem Wirken nicht Torher berechnen läßt.« Nor sein eigentttm- 
liehM Geprftge kann man «mpfinden; darstellen nur bis zn einem 
gewissen Grade*). Die genaneren empirisoben Beetimmnngen ttber 
daa QeDie> die Kant gibt, bleiben bei Hamboldt nnbeaehtet, nnd 
wftbiend Kant das Oenie bloA in der Knnst findet, stimmt Hnm- 
boldta weiterer nnd metaphyBiaeh gefilrbter Geniebegriff offenbar 
mit dem Goethes ttberein, der sieh sn Eekermann so ansge- 
spiochen hat: »Es gibt kein Otm» ohne prodnktir fortwirkende 
Knüf ttttd femer, es kommt dabei gar nicht anf das Gesch&ft, 
die Knnst oder dss Metier an, das einer treibt, es ist alles das- 
selbe ... Es kommt bloB darauf an, ob der Giedanke, das Apercu, 
die Tat lebendig sei nnd fortzuleben Termöge^).« Yon Kant hat 
Humboldt bloß die Annahme der Unerklürlicbkeit genialer 
Schöpfungen übernommen^). Auch sonst spielt die Freiheitslehre 
eine wichtige Rolle. Der Zweck, der in der Menschheit wirkt, ist 
»die freie Entwicklung innerlicher Kraft««). In der Sprache ist 
Freiheit nnd Gesetzmäßigkeit verschlungen, z. B. »erlauben die 
grammiitii^ch gesetzmäßigsten Sprachen den freiesten Schwung des 
Periodenbaus«''). Die Abweichungen von der volbMidetf'Ti Sprache 
beruhen auf individueller Freiheit*\ Gerade durcii die Freiheit 
des Geistes unterscheidet sich auch die Sprache vom Gebiete 
des Organischen, und sie kann »niemals im eigentlichen Ver- 
stände eine organisohe Verrichtang genannt werden«*). Indessen 



1)8,348. 2) 7,39. 3j 7, lö. 4) 11. März 1828. (Reclam.) 8, 161 f. 
6) Erit.d.Uit 147. (Hartenstein t,819.) Anthrop. $66. (Hartenstein 7,64&) 
6) 6,38. 1) S,461. Q 7,266. 9) fi,461, 

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178 



hat Kants Theorie des Orgauiscben sichtlich auf Huuiboldt ein- 
gewirkt; denn Kants Begriff der bildenden Kraft klingt wörtUch 
au in Hnmboldts sprachbildender Kraft. 

Wenn Humboldt in der geistigen Kraft ein Streben immer 
und immer wieder betont» so dürfte da« in dieser dentliefaen Ans- 
büdnng eine AnldinnDg an Fichte sein. Mit demn Aneekanimgr 
daß das Ideal dea Strebens ina Unendliebe erhöht werden kann*), 
stimmt er anch tiberein, wenn er fordert, daß die Völker »dies 
Ideal iiictit in die Schranken der Tanglichkeit zu bestimmten 
Zwecken tiinäclilieUen, sondern, woraus immer Freiheit und AH- 
seitigkeit hervorgeht, dasselbe als etwas, das seinen Zweck nur in 
seiner eigenen Vollendaug suchen kann, als ein allmähliches Auf- 
bltthen zu nie endender Entwicklung betrachtend). Jn der jnak- 
tischen Yerwendong Beines Ideals der ToUkommenen Sprache lehnt 
er Bich wieder an Kant an, dem die Ideale »ein nnentbehrlicbcs 
KiehtmaB der Vemmift abgeben, die des Begriffe Ton dem, was in 
seiner Art ganz vollständig^ ist, bedarf, um darnach den Grad uud 
die Mängel des Unvollständigen au schätzen umi abzumessen«^;. Die 
Lehre, daß eine Annäherung an dies ideal statttindet, und daß 
versohiedene Seiten des Ideals von einzelnen Sprachen dargestellt 
werden, ist wieder nahe verwandt mit Kants geschichtsphilo- 
Bophischen Stttsen: »Alle Natoranlagen eines Geschtfpfs sind be- 
stimmt, Bich einmal ToUstttadig und zweckmäßig ansznwickeln««). 
»Am Menschen sollten sich diejenigen Natnianlagen, die auf den 
Gebrauch seiner Vernunft abgezielt sind, nur in der Gattung, nicht 
aber im Individuum vuilötäiidi^^ entwickeln«*). 

Wenn aber Kaut in der Kritik der reinen Vernunft im An- 
schluß an Plato erörtert, daß »ein Gewächs, ein Tier... nur 
nach Ideen möglich sind«, und daß Uberhaupt die »Ideen ... die 
nrBprttnglichen Ursachen der Dinge Bind«*), so hat Hnmboldt sieh 
bemüht, das hierin Hegende teleologische Moment in semer Ideen- 
lehre anssnschalten. Allen ErBcheinnngsgruppen, wie der Sprache, 
der Ennst, legt er eine entsprechende Idee zugrunde, faßt aber 
Idee als gleichbedeutend mit einem »inneren, sich in seiner FtiUe 
frei entwickelnden Lebensprinzip«, einem Streben in bestimmter 

1) Oraudiage der ges. WiBseDschaftsIehre. Tübingen 1802. S. 252. 
2) 7,186. 3} Krii d. r. Vera. (Hartenstein 8,392.] 4) Idee zu einer 
allgem. Qeseliielite in weKbttrgorl Abeicht, Satt I (Hartensteia 
5} Ebeads, Sst^ II; Sholieh Krtt der r. Yeni. 9,260 f. 6j Ebenda. 



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Wühelm von Humboldto Spracbphilosopkie. 



179 



Bilm. »DiMd liifidit Ist gftnzlioli T<m der der Zwecke Ter- 
whiedeOf da pe nieht naeh einem geBteekten Ziele hin» sondern 
Ton einer ab nneigrOndlieh anerkannten Ursaehe aiugdit« Man 
kann neh aber daa erscbiiefibare Endresoltat als ein Ziel vor- 
stellen. Denn »ee ist ttberall in der Hensekbeit so, daß sieb ans 
Ersohemangen, die durch die bloBe Frnohtbarkeit zeugender 
Kräfte wie zafälliff im Dasein treten, sich ein Ganzes aufbaut, 
aus dem nachher dem l)tM>l);ichtenden Geiste die Einheit * iner Idee 
entgegeoBtrahlt«^. Die Tätigkeit der Kraft oder der Idee bestimmt 
sich erst im Verlaufe ihres eigenen Wirkens^). Die Idee der 
Sprache ist also die Aiißerniißr der geistigen Kraft in der Mensch- 
heit, soweit sie in der sich eutfalteuden Sprache sichtbar wird, und 
VCD der man Uberzeugt sein muß, daß sie sich zu erößerer 
Mannigfaltigkeit und Darstelluugsfähigkeit entwickelt. Uumboldt 
unterscheidet nämlich an der Idee ihre Kichtung — also die Idee 
in Sprache oder Kunst usw. — und zweitens die Krafterzeugung, 
d. h. diejenigen ihrer Wirkungen, die als freie unerklärbar siad 
wie die des Genies. Dahin soll z. B. gehören daa »Hervorbreoken 
der Kunst in ihrer reinen Foim in Ägypten«^). 

Heifit so die allgemein-menscbliche Spraebanlage eine Idee, so 
wird ikre Ersekeinnng in einer Nation oder einem Indindanm eker 
Priniip oder Energie genannt, anek spraehbiidende Kraft 
Hnmboldt ist — wohl nnter der Einwirkung von Kants An- 
sobanng, daß in der Seele sieh aUes in kontianierUehem Flnase 
befindet — der erste, der mit der Anwendung dieses Energie- 
begrilb auf die Si»aehe Emst gemaekt bat Es branoht naeh dem 
Dargestellten niekt mehr erOrtert zu werden, dafi dieser Begrlif 
aofier dem einer Fonktion den einer siek in bestimmter Biohtong 
aaswirkenden nnd entwiekelnden Kraft entblllt. 

Er ist zugleich eine der Grundlagen von Humboldts Psycho- 
logie, wenn man bei ihm davon überhaupt reden darf. Denn 
er lehnt bloße psychologische Analyse, besonders bei Handlungen, 
yon Tornherein ab, weil sie zu kleinlich sei, weil sie das Letzte 
and Tiefste der Geistesentwioklung unerkannt lasse*}. Er sucht 
eben immer nach Anknttpfnne: an das »Unsichtbare*. Mit in Rech- 
nung zu ziehen ist hier natürlich der Mangel eines Humboldts 



1 7,18. 2} 5,427. 8} I,fi04; vgl. Steimtbal b s. Aug. 8.11». 
4) 4, 51 f. 6) 4« 49. 



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180 



Moritz Scheioert, 



feinem psychologischen Instinkt genugtaenden Systems und be- 
sonders Kants Skepsis gegen die Psychologie. Es ist merk- 
würdig, zu beobachten, wie er ihr geflissentlich aus dem \Ve.ge 
i;eht^J. So bleibt auch die »Physiologie des iDtellektaeilen 
Menschen«^), die den Ersatz bilden sollte, in der BegrififsbestimmiiBg 
flkeekea. Deaüioiieii Emfluft KantB zeigen auch ieine Übenea- 
gttigei Yon der AktiuUittt des Seelenlebens*} nnd die TertzteOui^ 
der SeUMtbeobaditnig: »Schon die Absieht Twindert den iGfegen- 
stand der Beobaehtnng««). Dafi er auch fwrsOnlfeh das fiBinste 
psychologische Gefühl besaß, beweisen seine Erörterungen Uber 
die WortYorstelluugen. Das beweist auch seine tiefsinnige oben^) 
zitierte Bemerkung zur Charakterologie, daß die Originalität der 
geistigen Verarbeitung, deren eine Persönlichkeit fähig ist, in Ver- 
bindung steht mit der Beweglichkeit der geistigen FanktioMS 
überhaupt nnd mit dem Streben, alles durch sie Venurbeitete in 
einheitliehen Zusammenhang an bringen. Psyohologische Theorien 
hat natllrlieh Humboldt wenig yertreten, wenn er auoh oft nieht 
umhin kann, sdne Gefühle zu änBem. Es gehört zu seinen 
festesten IJberzengnngen, daß stets alle psychischen Tendenzen 
zusammenwirken; mit Vorliebe aber sucht er den Terschiedenen 
Grad ihrer Beteiligung, also etwa den von Anschauung oder Go- 
lihl zn bestimmen. Besonders wendet er sich gegen alle Beflexions- 
pqrchologie und verfieht eneigiseh die Ansehauung, daß der Über- 
wiegende Teil aller psyehisohen Funktionen, also auch in der 
Sprache, unwillkttrlich, triebartig Yor sich geht Mit ansge- 
sprochenem Interesse betont er ja die Stimmung. Der Yennögens- 
theorie schließt er sich nicht an; offenbar ist ihm da die Scheidung 
zu scharf. 

Ersatz der mangelnden Psychologie schafl't sich nun Humboldt 
in seinen metaphysischen Ergänzungen und in Umbildungen von 
Begriffen aus der Kritik der reinen Vernunft. An der geistigen 
Kraft ist — es gesehieht das im AnsehlnB an das darüber beieitB 
Dargestellte — »das MaB ihrer Freiheit und Stärke« ni be- 
trachten*), dann der Anteil der Terschiedenen psyohisehen Rieh- 
tungen. Die Gr<)fie der Kraft, oder die St&rke des Sprachsmns 
soll nun besonders erkennbar sein an der Syntbesis. Am besten 

1) Li dsr Eialsitiuig kommt das Wort Psychologie ttberhanpt nieht, 
sout höchst selten Tor. 2) 4, 8, 5, 32. 8) $, 334. 4) ft, 481. 6) B. Ißl l 
6) 7,17. 



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Wilheim von Hnmbolüta äprAchphiloaophie. 



181 



ttBt flift aeli Tvfolgaii In der Saliliildiing nad üt hier im Omiide 
das, was wir ApperMption neimes. In Beinw Ansobannnp worde 
Humboldt skher bestärkt dnrefa die Yenebiedenheit des Ein- 
dmekfli den er yon prildikniiren oder mebr aikribniiy gebauten 
S&tsen» femer Ton aasammengeBetsten AppenseptloosTerbindvBgen 
(bei den Eoi^nnktional- nnd BelatiTiItien} oder Ton asBOBiativ 
aneinandeigereibten Sitsen empdag*). Dareb die gewonnenen 
BaanHate lat der aogeweadele Oesiebtapaakt etaer der frnditibaiBlen 
in HnmboldtB Sprachforschung, wenn anch znyiel Veraehiedenes 
darin zusammeiiL^efaßt ist. Wie bereits erwähnt, erscheint der 
Begriff der Synthübe liier und da modifiziert im AnstliluB an 
Fichte. Da« zeigt auch die Art, die einzelnen Formen drr Synthese, 
aUü die im Satze, die Verbindun*^ von Haupt- aud Beziehnngs- 
begriü usw. immer weiter zu scheiden, und am Ende zu erklären, 
daß alle d'wäe Synthesen in eiuer und derselben untrennbaren 
Handlun^^ deg Geiste« geschehen. 

Der Begriff der bynthese wird auch — für uns wenig llber- 
zengend — angewendet auf die Verbindung von Laut und Idee. 
Hnmboldt fordert hier, daß keins von beiden das andere ttber- 
wiegen solle. In dieser Forderung krenzen sich eine ganze Reihe 
Ton Hnmboldtschen Ideengängen. Im Yordergrande atebt die 
Annahme, daß lebhaft Vorgestelltes oder Geftlhltes auch sprach- 
Hellen Anadrnek fiade, verbundoi mit der anderen, daß der Geist 
strebe, immer mebr olgektiT aas sieb beransinBetsen. Gerade 
wenn es im Grande der Seele etwaa gibt, das mit dem Spraeb- 
aaadraok niobt infrieden ist, wird das an einer Anregong, sieb 
immer mebr dem Ideal des Tldllgen Paiallelismns aa nftbem. Auf 
die Gestaltung dieses Ideals bat siebtlieb Schillers Ästhetik ein- 
gewirkt, lob zitiere einige Stellen ans dessen Briefen ttber die 
ästbetisebe Eniebnng des Menseben, die bei Hnmboldt teilweise 
wttrtfieben Aoklaag finden: »Ans der Weebselwirknng zwei ent- 
gegengesetzter Triebe (Sioffitrieb nnd Fonnfrieb) nnd ans der Ver- 
bindung zwei entgegengesetzter Prinzipien haben wir das Schöne 
her vorgeben sehen, dessen höchstes Ideal also in dem möglichst 
vollkommensten Bunde und Gleichgewicht der licalität und der 
Form wird zu suchen sein ... In der \\ Hklicbkoit wird immer 
ein Übergewicht des einen Elements Uber das andere Übrig bleiben, 



1} Vgl Wandt, Völkerpsychologie. I, 2>. S. 239 ff. 



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1B2 



Moritz äobeinerty 



und d«B HOeliflte, wts die Eriabnuig leistet, wird in einer Sehwin- 
knng Bwiiolien beiden Pkinsipien beeteben, wo b«ld die BeelitMti 
bald die Fom Überwiegend ift«'). — »Die SekOnheit . . . verknUpft 
zwd ZoBtünde nnteinander, die einander en^egengesetst Bind, nnd 
niemals dns werden können«'). 

Sehliefilich gehiu^^ Scbiller an einer bOberen Bewertung der 
Form, mit der der EOnitler den Stoff >TertUgen< soll*). Dam 
findet Bich wieder bei Humboldt eine Parallele in der bObeven 
Bewertnng des Geistigen. Denn wenn er anch den Wert des 
Geistigen gegenüber der Anschaalicbkeit in der Sprache nur mit 
großen Vorbehalten erörtert^), so findet er doch, liameiitlich im 
Gebrauch der grammatischen Formen, ein Fortschreiten der »mehr 
gereiften intellektuellen Tendenz«*), und er fordert auch 
einen derartisren, also von sinnlichen NebenbedeatoQgen freien 
Ausdruck der Beziehungen des Denkens. 

Diese Forderung Terknüpft sich mit der vorigen des Paralle l Is- 
mus von. Laut und Idee in dem Begriffe der Form. Denn 
diese ist, abgesehen Ton der bloß phonetischen Form, einerseits 
die Herstellung begrifflicher Beziehung, also intellektuelle Vcr- 
' arbeitung des aufgefaßten Stoffs, andereneita der Ausdruck fUr 
diese Beziehungen in grammatischen Formen. Aus dieser Doppel- 
Stellung des Formbegriffs ergibt sich das Resultat, daß das Chine- 
sische verurteilt wird, weil die intellektnellen Formen keinen lantr 
lieben Aasdmek gefnnden baben, die agglutinierenden Spraeben 
dagegen (wenn anob bei Humboldts Vorsieht lauge niebt in dem 
Maße) desbalb, weil die in ibnen ao^gedrllekten Formen nicbft 
gonUfond intellektwalisiert sbid. Der B^grüf der inneren Form, 
dessen tastende und suebende Anwendung auf die Spraobe gSnz- 
lieh Humboldts Eigentum ist, war im 16. Jabrbundert niebt ge- 
rade selten. Er begegnet insbesondere bei Goetbe in der Anwen- 
dung auf ein Kunstwerk und bei Kant flir die Struktur, d. k die 
Lage und Yerbindnng der Teile eines nach eüibeitliehem Zweek 
sieb bfldeaden Organiseben*). 

In der Betrachtung der Sprache als Objektivierung des 
Denkens, die Humboldt ziemlich fruchibar gestaltet, wird mau 

1) 1& Brief. Vgl. Hvmboldt 7,M: kdns soll «ber äaM andora «ber- 

sohießen. 2 18 Brief. Tgl. oben S. 144. 3) 22. Brief. 4) Oben S. 167 f. 
5)7,189. 6 Krit. d. Urt. §66. iHartenatein 5.389.) Vgl. im ttbtigea 
Goethe-Jahrbach 18,229, 14,296, 1S,19Ü; Eapborion 4,205,446. 



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Wilhelm von Hiunboldto Spraehpbilosophi«. 



183 



▼ielleielit nun TeQe Fleht es Leine Tom Selsen in etwas popaUiw 
metaphyBiBote Flrbnng wiedererkennen können. Wenn Hnm- 
boldt 80 oft die in den sprachlichen Ansdrnck verflochtene 
Stimmang betrachtet und die anregende Wirkung der Sprache 
hervorhebt, so findet er sich wieder im Eiuklaiig mit Schiller, 
dem in den iistlu tischen Briefen eben die Untersuchnng der ästhe- 
tischen Stimmuuf^^ und der Wirkung des Schönen Hauptzweck 
war^). Der Kern des Gedankens stammt auch hier wieder von 
Kant, der es als Eigenscbatt der iistlietischen Idee erklilrt, daß 
sie viel zu denken veranlaßt, daß sie das Gemüt belebt, »indem sie 
ihm die Aussicht in ein onabsebliches Feld verwandter Yorstellongen 
eröffnet« 2^. 

Zum Schluß sind zu erwähnen ein paar Gedankenbildnngen, die 
mit Humboldts ganser Persdnliehkeit aoiii innigite verweben sind. 
Es iet diei einmal der Begriff der Einbeii Das letste Streben 
des menseblioben Denkens geht anf die Anfsnehnng immer mebr 
umfassender Einlieit*). Daber also die Annahme einer einxigen 
nnendlieben Urkiaft; daber aber aueb die Oberzengnng TOn der 
absolntea Einheit aller geistigen Regungen und Betätigungen eines 
Volkes«) oder eines Individuums. Aneh hier weifi sieb Humboldt 
eins mit Sebiller*). Mit diesem Gesiebtqpunkte hängt auch 
Humboldts stark ausgeprägter Indiridualismus sasammen. Er 
besaß Ton Jugend auf ein tiefes BedHrfnis nach Ausbildung seiner 
persönlichen Anlagen, und weiterhin hat er im Verkehre mit den 
vornehmsten und gebildetsten Kreisen ganz Europas sein Gefühl für 
das Individuelle aui das allerfeinste geschult. Das ist aucli la 
seiner Sprachforschung Uberall zu äpUreu. Das Ideal nun, das er 
fUr die Ausbiidang des Individuums wie fUr die Entwicklung der 
Menschheit aufstellt, ist dasselbe, das er als Schillers Ideal be- 
zeichnet: sDie Herstelhini? der Totalität in der menschlicIu Ti Natur 
durch das Zusaniraeustmimea ihrer geschiedenen Kräfte in ihrer 
absoluten Freiheit«*). Humboldt ist wahrscheinlich selbst an der 
Ausbildung dieses Haimonieideals lebendig beteiligt gewesen. 



1) Vgl.». B. den 22. Brief. 2 Krif d I rt §49. 'Uartenstein 6,326.) 
3) 4,307. 4)z. B. 7,42. öj Schiller im 19. Brief, Humboldt 1,92. 
6) 6,601. (Über Schiller nud den Gang seiner Geistesentwicklun^^.) 
VgL K. Berger, Die Entwiekluug von Schillers Ästhetik. Weimar 1694. 
8.2BS. Über deu Einlliiß KOrners. Ebenda. S.79. Über den Sbaflet- 
bviye Wahel In Sebiller, Sinti. Werke. SMkqbvaneg. (Cotta.> 11, IX. 



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184 



Moritz Scheiiiert, 



3) Für die Beziehuiigeii HamboldtB znr Sprach witsen- 
flchaft, anoli im allgemeinen Grammatik, ist der erste Band toi 

A. h\ l'ottH Ausgabe von Humboldts Hauptwerk eine unschätz- 
bare Fundier übe. Deshalb hier bloß ein paar Bemerkungen. Die 
meisten Jbäden laufen zu Herder und Bernhardi. Bei Herder 
sind eine Reihe allgemeiner Probleme Humboldts im Keime an- 
gelegt; aber auch speuelle fiemerkongeiiy wie die individuellen 
Differenzen der WortFontellnngen, begegnen. Bernhardi wird 
ron Humboldt mehrere Haie mit Achtung genannt Es zeigt sieb 
aber gerade an dem Unterschiede der beiden Forscher, was Hum- 
boldt erreicht hat einmal durch die Durchführung: des Aktnalitäts- 
prinzips, dann vermöge seiner ungeheuren Sprachkeuninis uad 
seiner uuifasst ndeii und weitausHchauendcu Zusammen fassung aller 
irgendwie eiubeziehbaren Trobleme. Bernhardi ist im ganzen 
stark rationalistisch, und die mehr formalistisch-logischen Erfr- 
ierungen nehmen einen breiten Baum ein; z. B. die tiber Wortarten. 
Seine Tendenz ist offenbar, vom Standpunkte Kants aus die 
Sprache als das zweckmäßige Ausdrucks- und Darstellungsmittel 
menschlicher VorstelluDgen zu erweisen. Uber die Sprache ab 
Ausdruck des Nationalcharakters gibt es bei Bernhardi ein paar 
Anklänge^); Uber die Bildungsepocben der Sprache 2); über daa 
Unter^'eheu der »iiuaginativen Ansicht«''); auch die Möglichkeit 
freierer Wortstellung als Vorzug der Flexionssprachen wird be- 
handelt) ebenso die Synthesis im Satze^). Direkt von Bernhardi 
llbemommen hat Humboldt die Lehre daß das Yerbum das 
Sein oder das existentielle Setzen in sich enthlüt Soweit diese 
Anschauung nicht einen Einfluß Ficht es yerrftt, ist sie Torgebildel 
in dem 1751 erschienen Hermes des Engländes Harris, der nur 
Substanzen und Attribute l^ennt und deshalb den letzteren die 
Verba zuzählen muß. »Previously to . . . every . . . posaible attri- 
bute, whatever a thiug may be . . . it must first of necessity eiist, 
before it can possibly be any thing eise. For existence may be 
considered as an universal genus, to which all things of all kinds 
are at all times to be referred. The verbs therefore which denote 



1) A. F. Bernhardi, VoUttKad. lai Onumn. L Berlin und Leipzig, 
1796. S. 1. 8) Ebenda. 8. 6. 8) Bernhardi, AnfangegrOnde der 

SprachwiBsenschftft. Berlin 1805. § 37, 5. 4} Bernhardi, Sprachlehrs. !• 
Berlin laOl. S. 307 326 ff. 6) 7, m 



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Wilhelm von ilaiuboldts Sprachphilosophie. 



185 



it, elaim preoodence of all othen, m being esBential to tlie rery 
being of mrj propomtion (Satz), in wliich they may itill be fonsd, 
dtber oxprened or by implicatioiif ezpraned, as when we say, The 
81U Ii bright; by implication, as wbea we say, The snn riaes, wbieh 
meam, when retolred The snn ia rising« i). Und wenn Humboldt 
etkl&Tt: »Das Yerbnm ist das Zusammenfsssen eines eneigisdien 
Atblbntinim . . . dofoh das Se!n<>], so heiBt es bei Harris: »AU 
verbs, that are Btrictly so called, denote energies«'). Hamboldt 
^urde offenbar in seiner Theorie bestärkt, nU Bopp das erste 
SanBkrit-Futurum in Stamm und eise Furm vou dem Verbnm as 
=5 Bein zerlegte*). 

Den deotlichen Einflnß Friedrich Schlegels auf Humboldt 
übersieht man klar bei Delbrtlck'). Uber Htimbo Id t^i Verliültni» 
zu den PhilologPTi ist zu bemerken, daß er mit dem Homer kntik er 
J. A. Wolf befreundet war nnd ilin stark anregte, daß er Bopp, 
Bökh, Pott, Jakob Grimm eingehend studiert hat. 

Als Stoff und Form ptiegte man vor Hamboldt Laut and Be- 
deutuig gegenUberzastellen; so Harris, so Meiner*); Bernhardi 
behandelt aasftthrlieher die grammatischen Formen and erklärt fUr 
die höchste Form der Sprache den Satz; kehrt also das Verhältais 
fast nm^. Hamboldt übertrifft beide Anflichten mit seinem zwar 
nieht ▼51% geklärten, so doch viel weiteren nnd tieferen Form- 
begriff. 

4) Hnmboldts Methode. Es bleibt ans noch übrig, Ham- 
boldt s merkwürdige Methode sn analysieren. Er will dorchans 
aaf Tatsachen fofien. So erklftrC er in der Abhandlnng über 
die Verschiedenheiten des meniehliehen Sprachbaues: »Es ist aber 



1) J. Harri B, H«niia« or a pbfloMpliietl inquiry eoaoendng wiiTetaal 
grammar.* London 1786. (EneUen ttbersetzt mit Anmerkungen von Wolf. 

H*Ue 1788.' S. 88 2)7,223. 3} Harris, S. 173. 4 7, 218. — Rern- 
hardis Lehre vom rahcndeu Sein fAnfanpjBf^riindo S 258 hat Hnn boldt 
nicht übernommen. Besonderen Wert legt dem Verbum auch schon iierder 
boi, s. B. Werk« (Snphaii} 6,68. 6) EuMtnng in dM Stndinn der faido- 
germaniscbon Sprachen.* Leipzig 1904. S. 37ff., besonders 8 41. — In 
F Srhlefi;el8 Vorleeunpen über Fliiloeopbie der Sprache nnd des Worte» 
findet sich natllrlit-h auch nrinches mit H. Verwandte Ith weit überwiegen- 
den Teile handeln aie übrigens von Sprache höherer i^rt, uuwlich Kunst. 
6} J. W. Hein er, Vennoh einer an der menaoUieheu Spndie abgebildeten 
Yemnnftlehre oder philosophischen und allgemdnen Spmehldire. 1781. 
7) AafiMgsgrttade 11,3; Sfiraehlehre S. 86. 



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186 Morils Seh^Dert, 

nicht der Zweck dieser Schrift, Verrnntnngen nachzuhängen und 
Hypothesen aufzustellen, sonderu einzig die Natur der Sprache 
ans Tatsachen und auf dem Gebiete geschichtlicher Forschung za 
entwickeln« >). Er ist überzeugt, daß nichts dem Spracbstndinm so 
empfindlichen Schaden znftigt als »allgemeines, auf nicht gehörige 
Kenntnis gegründetes Rftsonnement«^). Und er stellt anch in dieser 
Hinsicht ganz bestimmte Anfordonuigra an die Sprachforschung. 
»Nielita iat mit ihrem Stndinm so nuTertriiglieb, als in ihnen blofi 
das Grofie, Geistigei Yorherrsehende aufsaehen an wollen. Genaues 
Eingehen in jede grammatische Snbtiliüt nnd Spalten der Wörter 
in ihre Elemente ist dorchans notwendigi nm sieh nieht in allen 
Urteilen Uber sie Irrtflmern ansansetsen«*). So verwirft Humboldt 
aneb die Benrteilnng der Sprachen ans Wtfrteibttehern, sondern 
▼erlangt das Stndinm zosammenUlngender Sprachproben Es ist 
eharakteristiseh für ihn, daß er das beliebte Problem vom Urspmog 
der Sprache flberbanpt nirgends anfroUt, sondern blofi ein paarmal 
ndt wenigen Worten strdft Wirklich finden sich in seiner For^ 
schnng oft Mnsterbeispiele schärfster Kritik in der Yerwertnng der 
Tatsachen. Dabin pehijren z. B. die Erörterungen Uber die Hiero- 
glyphen^,, üahiu gehört etwu die über die >Kiudhcit« eines 
Volkes'). Und ein modemer Phonetiker könnte die Lautlehre 
einer Natursprache nicht skeptischer abschließen als Humboldt 
es einmal tut mit den Worten: »Ich bin indes w. it entfernt zu 
wilhnen, daß die obige Aufzählung der tonc-isclu n, neuseelän- 
dischen, tabitisehen nnd hawaiischen Laute voiisiändig sei, und 
noch weit mehr, daß man dadurch einen genauen und vollkommen 
richtigen Hegriif ihrer Aussprache erhalte«'). Mit vollem Recht 
betont Leitzmann in der neuen Ausgabe auf Gmnd der »nn* 
zähligen kleineren Ausarbeitungen , Studien, Sammlungen, Exzerpte, 
Notizen Uber fast alle Sprachen der £rde<*J, daß Humboldts 
Wissenschaft auf empirischer Grundlage erwachsen ist. Der beste 
Beweis ist der, daB er vor Abfassung der ersten größeren sprach- 
philosophischen Abhandlung, der Gnmdsllge des allgemeinen 
Sprachtypus, etwa 30 Einaelgnmnmtiken amerikanischer Sprachen 
ftosgearbeitet hat*). 

Interessant sind seine Bemerkungen Uber das Sprachideal. Die 

l) 6,275; vgl. 5,296, 7,18. 2j 4,a0ö. v^?l. 2.77. 5,449. 8' 7,50. 
4; «,43. öj ö,4Ht 6j 6,2%. 7) Kawiwerk »,ö01. 8j 4,436. 
9; 6,470. 



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WülieLm von Humboldts Spracbphilosophio. 



187 



Vergleichung der einzelnen Sprachen mit dem idealen Gebietei das 
sie aasdrfleke, scheine zn fordern, damit man überhaupt eine 
Richtschnur habe, daß man fiir die Wörter verschiedener Sprach ea 
vüQ dem JErleichen Begritfe ausü:ehe. Das sei deshalb unmöglich, 
weil die Begriffe — Humboldt denkt vermatiich zimäcliBt an Ah- 
itoakta und an AnsdrUeke für Geistiges — zun Zwecke dieser 
üitenaehnng eben lehon mit Worten gestempelt werden rnttfiten, 
ind weil sie dnieh diese (bei solchen Ausdrucken meist bildliche) 
Wcfte Ms zn einem gewissen Grade indiTidnell nnaneiert würden. 
VersQche man, von der anderen Seite aasgehend, ron Tomherein 
die Begriffe in leate Kategorien zu ordnen, so zeige sich bei der 
Bachträ^lichen Vergleichung mit dem Wortschatz, daß auch die 
en^tc Kategorie durch eine unübersprmgbare Kluft von der schärfer 
naancierten Wortbedeutung getrennt sei. Auf eine umfassende 
Yeigleiohnng nnd Beurteilung der Sprachen in dieser Weise sei 
slio zn verzichten, »da der Weg der Begiifiiireiiwejgnng nicht 
dmhfthrbar ist, nnd der der WOrter wohl das Geleistete, nicht 
aber das zn Fordemde zeigt«'). Deshalb also hat idch Hnmboldt 
von der ausführlichen Darstellung emes Sprachideals ferngehalten. 

In voller Schärfe aber hat er die zu seiner Zeit so Üppig 
wachernde allgemeine Grammatik abgelehnt, weil sie die 
Sprache wie ein totes Produkt des Geistes behandle. Man wolle 
der Sprache allgemeine Gesetze aus Begriffen da aufdringen, »wo 
nnr die besonderen geschichtlich erforscht werden können. Die 
asgeblich ana Begriffen geschöpften Gesetze haben alsdann meisten- 
tefls auch nnr einer geschichtlichen, aber oberflSchlich nnd onToU- 
aOndig gemachten Induktion ihren Ursprung zn verdanken, nnd 
dieses einseitig philosophische Verfahren ist bei weitem nach- 
teiliger als das . . . einseitig bibtorische, da das I/Ctzterc docli zu 
andrer Benutzung branebbare Materialien sammelt, das crstere 
aber nur eine hohle und leere Theohe zurtlckläßt«^). Tadelnd 
spricht sich Humboldt auch aus Uber die Anwendung des Schemas 
der lateinischen Grammatik anf eine beliebige Spiache, so bei der 
Besprechung der japanischen Grammatik von Oyanguren'). Die 
Sache sei deshalb besonders gefilhrlich, weil jede Sprache ent- 
vickhmgsfthig sei und alle möglichen grammatischen VerhXltnisse 
M würden in liir auabilden lassen; es komme aber ullonbar 



1) 7,10L 2) 5,449. 3) 6,237. 



188 



darauf an, was ihr sclbbt von Haus aus natl5rli<'li sei'J; 80 dürfe 
man eben im BarmanidclKMi keine Deklination ^suchen'). 

Das Verhältnis von Logik und Grammatik bemüht sich 
Humboldt genau festzulegen. Die Grundbestimmungen der 
Grammatik entstammea allerdings den apriorischen Denkgesetzen*), 
■nd iofloweit, aber nur insoweit fallen Logik and Qnunmatik n- 
sammeu. Die Scheidung nun, in deutlicher Anlehnung an Fichtes 
WisseuHcbaftslehrey macht Humboldt so: »Die Logik behandelt 
. . . die Begriffe . . . rein objektiv, im Gebiete der Möglichkeit oder 
Tielmekr des absolatea Seins, femer «a sich und ohne Beiiehnng 
anf eine Person. Die Qtammetik, vennOge der Eigentümliehkeit 
der Spmehe^ den Gedanken ans sieh hinaas . . . nnd an einen 
anderen geriehtet steh gegeattbersnstellen, bringt das existoatieUe 
Setwn, nnd das Darstellen des Sal^ekts als eines Selbsttltigen, 
das Frftdikal handelnd mit sich Yerbindoiden, so wie den BegrilT 
der in Weohselwiiknng stehenden Persönlichkeit» das Ich und das 
Do, hinn«^). So sollen die ersten vier Kasns ans blofier Begrifi- 
ableitong notwendig folgen, nindich ans der Kategorie der Belalion; 
anf Gmnd der Erfahrung sind dagegen zu erkl&ren das Verbnm 
und die Pronomina (beide sind also spezifisch grammatischer Art); 
ebenso der Instrumental und der Lokativ, die durch Mithilfe der 
Begriffe des Werkzeugs niid des Ortes eutisteiien. 

Diese Bemerkungen Uber die Kasus zasammen mit solchen 
Ulter das Konjugationssystem sind auch die einzigen Stellen, wo 
Humboldt einen Versuch macht, Einzelheiten der Kategorienlebre 
usw. anzuNs ciideii Kr iöt eben nie zur Durchführung eines 
Schemas ^enei^'^t, sondern er zieht es vor — das trat licira Klassi- 
ükationsprobleni zutage — , Gradunterschiede anzusetzen. 
Zweifellos hat ihn außer der Achtung vor dem Tatsächlichen sein 
unendUch fein ansgebildetesGeftlhl fttr den individuellen Cha- 
rakter Ton Dingen oder Verhältnissen an tibertriebener Systema^ 
tisierung gehemmt. Es ist bei ihm kein Wunder, daß er dw 
Bedeutung dieses ÖeAlhlfl auch theoretiseh Aosdmek gegeben hat. 
»Die Schwierigkeit gerade der wiehtigsten nnd feinsten Spraeh- 
nntersnchnngen liegt sehr hlnfig darin, daB etwas ans dem Gesamt* 
eiadreck der Sprache Fließendes twar dnreb das klarste nnd fiher- 
seogendste Gefühl wahrgenommen wird, dennoch aber die Versnehe 



1) 4,287. 2) 7.m 3) »,461. 4) 6,468. 



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Willkeim von Humboldts Spraohpliilosopbie. 



189 



scheitern, es in genügender VoUfltftndigkeit darzulegen und in be- 

bestimmte Begriffe zu begrenzen. ... So bleibt immer etwas nn- 
erkannt in ihr übrig, nnd gerade dies der Bearbeitnng Entschlüp- 
fende ist da^jeuige, worin die £iobeit und der Odem eiuea 
Lebendigen mt* 

So Tertritt Hnmboldt einen unbeirrbaren und anoh theoretiaeh 
leklirten TatOchUebkeitssinn. Anderefseits jedoch hat die Dar- 
fleUiuig seiner Anaehanongen ergeben, daß er es fttr seine Pflicht 
bilt, die S|nrachforsefanng an die höchsten ästhetischen, ge- 

schichtsph ilosophischcn und luetapb ysisclieu Probleme 
anzuknüpfen, während das so notwendige Verbindungsglied, die 
Psychologie, ziemlich fragmeutariäch bleibt, und ihr Hanptbegriff, 
der der Synthese, auch in metaphysischer Abtönung auftritt. Das 
Eigebnia ist eine eigentttmliche zwiespältige Methode^). Schiller 
hit das YoUkommen sntreffend fttr die ästhetischen Versnche seines 
FVenndes ansgesprochen. Es fehle ihm das Hittelglied zwischen 
der MetaplivBik der Dichtkunst nnd der Einzelanwendnng. »Ich 
sagte oben, daß ich in diesem Fehler meinen Einfluß zu erkennen 
glanbe. Wirklich liat uns beide unser jremeiuschaftlicLes Streben 
nach EiemeDtarbegriffen in ästhetischtii Dingen dahin prcftlhrt, daß 
wir die Metaphysik der Kunst zu unmittelbar auf die Gegenstände 
aowenden, nnd sie als ein praktisches Werkzeug, woxn sie doch 
sieht gut geschickt ist, handhaben 3).« Dnrch die geschilderten 
Eigeiischaften gewinnt Humboldts Methode einen durchweg heu* 
tistiseben Charakter. Er sagt selbst einmal, das Prinzip des 
itsfenweisen Vorrttckens des Spraehbildungsprinzips In der Mensch- 
heit möge zu hypothetisch erscheinen, aber man >küiiiie und 
müsse* es als Anregung benutzen. Es wird also etwa, um Ge- 
sichtspunkte zu entdecken, eine Problcmzerlegung vorgenommen: 
es wird ein Tatsachenkomplex als Ursache und Wirkung ge- 
•chieden, obwohl das Vorhandensein dieses Yerbältnisscs noch 
vQUig Bweifelhaft ist; oder es wird zu einer tdeologisehen Be- 
tnchtung gegriffen, obwohl Hnmboldt, wie wir gesehen haben, 
weniger teleologisch dachte als Kant. Oder es wbd eine Frage 
gewissermaßen von verschiedenen Seiten angebohrt: es werden 
etwa »abstrakte« Sprachformen entworfen und dann gefragt, wie 



1 48, 7gl 4, 433. 2j Vgl 3, 33d. 3} H.s fidefnreohiel mit SohilUr 
herioig^. Yon Leitsmann. ä. 294. 

iMidT Hz pqr^hoiogto. xnL Ift 

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190 



MoriiB SdiefaMrt, 



man die > konkreten« darunter klassifizieren küune. Humboldt 
äoBert auch auadrUcklich, daß die Betrachtung etwa der Geistes- 
kraft und der Sprachcharaktere sich >gegenBeitig aafzuhellen Ter- 
mOsfe«^). Öfters erklärt er nach einer seiner Soheidangen, etwa 
der von Artikolationssinn nnd der diesem Torangehenden Begiiflfb* 
bUdangy daB sie eben bloß ftlr die Sprachzergliederung, nicht in 
der Natur vorhanden gei^). An aadenm SteUen erscheinen die 
beiden Hanptbetraehtangearten, die empiriaohe and die phüo- 
aephieehei mehr Tenehliingen. 

£b war nieht ande« mQgliebt ak daß dieie heniiatiMhe Methode, 
Bomal hei Humboldts aoegeapioehener Ehrlhrofat Tor aUem Indi* 
vidneUen» hiofig zu Analogien flihren mnfite. Teile eind sie rein 
Btilietifleher Katar*); teile wird, am etwas Unerklirbwes eindringend 
m Tersnsehaaliehen, eine poesievolle Umsohreihnng gewählt So 
heifit es einmal: »Wie das Denken ui s^nen mensehliehstea Be- 
ziehungen dne Sehnsaeht ans dem Dvnkel nadi dem Licht, aas 
der Beschränkung nach der Unendlichkeit ist, so strömt der Laut 
aus der Tiefe der Brust nach außen . . .«<). Humboldt läßt wohl 
auch einmal, wenngleich seltener, einer uietaphyBischen Laune die 
Ztigel schießen. So, wenn bei Behandlung ded Duals nicht etwa bloß 
auf gewisse sinnliche Erscbeinuugen eingegangen wird, wie die bila- 
terale Symmetrie des Menschen- und Tierkrrpcrs, sondern auch auf 
das Ich und Nicht-Ich der Wisseuschaftsiehre, auf die Zweiiioit der 
Wechselrede, in der sich der Dualismus als dem ursprünglichen 
Wesen der Sprache verwachsen zeige, und wenn achließlich der 
Begriff der Zweiheit »die glückliche Gleichartigkeit mit der Sprache« 
besitzen soll, »welche ihn vorzugsweise geschickt macht, in ne 
Uberzogehen«*). Humboldts kühler Kopf aber, der unter Europas 
Diplomaten so sehr gefürchtet war, wird sich bewußt gewesen sein, 
daß er auf diese Weise keine Erkenntnisse vermittelte. So bemerkt 
er KU der Behauptung, dafi die Suffixa durch die vnerforadiliohe 
Selbsttätigkeit der Sprache aus der Wurzel herrorbrechen, diese 
VorsteHong erkläre nichts, da sie ja auf das Unerklärliche hisgehe; 
sie Terhalle das nicht an erhellende Dunkel unter bildlichem Ans- 
druck*). 

Der seltsame Zwiespalt in der Methode ftthrt notwendig sn ür- 

l: 7,15. 2 7,00, vgl. 7,106. 3) »ÄngstHchkeit des SpracLeinns« 
7,2RH vgl. 1,222; »Absicht des .Sprechenden« 7, 143^ dieser Ausdruck ver- 
urtöiit J,127. 4) 7,54. ö) 6,27. 6) 7,113. 



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Wllheln von Haniboldti SpiMhpliIloMiiiliie. 191 



teilen, die sich irgendwie widersprechen oder zn widerapreehen 
lehtinen. Dm liegt eben daran, daß die Probleme je nach der 
augenblicklich angewendeten Methode eine verschiedene Färbnng 
erbalten. Bioberlich würde Humboldt, anf offenbare Fehler auf- 
neilcsam gemaebt, sie ohne weiterea zugegeben haben; anf Wider- 
flpmohe bingewieeen, wflide er erUirt haben, dafi er den leisten 
EänheitspBnkt eben noeli anohe. Denn er nennt sieh nieht'bloB 
selbst belintnni^), sondern bewihrt dniehweg die larteite Yor- 
siebt Oft genug wird das Urteil ftberlianpt ansgesetsi Oft wird 
eine lange Untersnehnng mit einem Vorbehalt abgesehloasen. Nichts 
ist fttr Harn hold t eharakteristiscJier als wenn er sagt: »leh 
wttnnehe ttberbanpt nieht, dafi man das obige ftr entscbkdne 
Bebanptimgen halten mOge, da solebe fester begründet sein 
mllfiten«'). Oder es heifit %, B. bei einer Betrachtung ttber Wurzel- 
sprachen: »Ich führe dies aber bloß als eine Möglichkeit an; daß 
es »ich wirklich mit einer Sprache also vcrbiclte, könnte nur ge- 
schichtlich erwiesen werden«^). Und er uiaclit auch ausdrücklich 
den Anspruch darauf, daß man seine Ikhauptungen nicht leichthin 
alä Lu kilbn verwerfe. So erklärt er, nachdem er erörtert hat, 
daß in jeder einzelnen noch so kleineu Anßemng der e-anze ein- 
heitliche Charakter des Individuums der Nation licireii müsse: 
»Ich wünschte nicht, das, was ich soeben vom Erscheinen der 
ganzen Sprache an jedem einzelnen Gesprochenen sagte, möchte 
fhr eine der Übertreibungen gehalten werden, welohen man sich 
in allgemeinen von Beispielen entblößten Bäsonnements leicht an 
überlassen Gefahr läuft««). 

Wenn es dem Leser, namentlich solange er noch nicht ge- 
nügend mit Humboldt yertrant ist, manchmal schwer wird, diesen 
Wnnsefa zu erftUlen, so liegt dies nieht bloß an der Doppelmethode, 
sondern anoh an den Hingein der Darstellnng, an dem, wie 
wieder Schiller antrelfond gesagt bat, «diflAisen Vortrag«*). Nennt 
er doeh selbst einmal seinen Hangel an Hetfaode ein »radikales 
Gebrechen«*). Denn abgeseben yon der bereits erwühnten Unhe- 
BtimmUieit der Ansichten, abgesehen Ton stiUstisehen HMngeln 
— besonders endlosen Partizipial- nnd AttrihntiTkonstroktionen — ^ 
abgesehen von dem Fehlen einer Oberen Terminologie, gibt es 

1 An Wolf, 23. Jan. 1793, altp Ausg. 6, 20 f. 2) 6,38. 3) 7,76. 
i r> 394 6) Schiller, a. a. 0., S. m 6) An Wolf, 23. Deibr. 1798, 
alte Aasg. 6,176. 

IS* 



192 



Hoiite Seheinert, 



bei Humboldt auch keine genügende bcbärfe in der Gliedenmg 
des Sto£feB, oft keinen sichtlichen Fortgang in der Entwicklimg 
der Qedanken, Vielmehr wird zameiat jeder saeb eehon lingBt 
behandelte Gesiehtspnnkt» sowie er wieder einmal anftanekty immer 
Yon neuem daigelegt* So maehen seine Sehriften oft den Eindinck 
▼Ott sehriftlieli fixierten Monologen eines Forschers, der naeh Kkr- 
heit ringt, ohne auf ein Pniilikum iiück sieht nehmen zu müssen 
oder an ein Publikuia zu denken, einen Forsehers aber uu ■!!, dem 
als unverrückbare Ziele vor Augen stehen die unbedingte Wahrheit 
und die größte erreichbare Tiefe. Es darf aber nicht verschwiegdA 
werden, daß Humboldt auch manchmal in größeren AbhandlongeB 
einen besseren Flnfi des Vortrags eireicht hat, besonders Tielleicbt 
in der yon d^ grammatischen Baue der Sprachen, die in kldse 
Absfttse sEersohlagea und in einem sehr empirischen Tone abgo- 
faßt ist. 

Im tiefsten Grunde hängt aber Humboldts »diffuse« Dar- 
stellung auch mit einer Eigenschaft zusammen, die zu ^eineo 
bedeutendsten Vorzügen gehört: mit dem btreben nach um- 
fassender Kombination der Probleme. Schon früh hatte er 
sich als Ziel gesteckt die »Kenntnis und Beurteilung des menseb- 
liehen Charakters in seinen rersehiedenen Formenc<). Philologie, 
Geschichte, Menschenkunde, Ästhetik, Philosophie, alles lag seineffl 
Interesse gleich nahe, und so gelingt ihm eine Problemverschlingung, 
wie sie im 18. Jahrhundert wohl nur Herder übte, mit dem Unter- 
schiede jedoch, daß bei diesem meist verschwommene Anre^g 
bleibt, was bei Humboidt auf wissenschaftliche Festlegung hio- 
zieli Er sucht nach allen Seiten Fäden zu ziehen, um ja nicht 
irgendeiner Einseitigkeit zum Opfer zu fallen: von der Fonnea- 
lehre schaut er nach der Syntax aus» vom Stil zur literatur, betont 
Natnreinflttsse und KulturrerhUltnisse; oder er lenkt seinen Bück 
▼on der Sprache nach anderen Geistesäufierungeu, um etwa eine 
Kompensation zn entdecken. Es versteht sich bei Humboldt tob 
selbst, daß er diesen Stautipiiukt auch theoretisch vertrat: »liest 
d'un errand interet daus toutes les recherches quelquonques de ne 
n^gliger autant qae possible aucun des rapports qne presente le 
Bujet«^). Und wir können unser Urteil nicht besser abschlie&eo, 
als mit den Worten, die diese zur Beflexion geneigte Natur tou 



1) An Wolf, 2a. Des. 1796^ slte Ausg. 6, 176. 2) 8, 830. 



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Wilholm You Uomboldts äpraüliphilo80|»hie. 



193 



iieii fl«lb§t brandit: »Wenn ich zu irgend etwas mehr Anlage ab 
die aHermeisten besitzef so ist es zu einem Verbinden sonst ge» 
wObnIieh als getrennt angesehener Dinge, einem Zusammennehmen 
mehrerer Seiten, and dem Entdecken der Einheit in einer Mannig- 
faltigkeit von Erscheinungen«^). 

5) Unsere Stellung; zn Humboldt Nnr sehr weniges ans 
Hnmboldts Resultaten können wir heutzutage ohne weiteres Über- 
nehmen. Es muß aber betont werden, daß es bei ihm verlmltuis- 
mäßig wenig erweislich Haltloses gibt. Nicht viel Wert legen wir 
natu Hieb auf seine pocsievollen Analogien; in seinem wunderliehen 
Begrill der Einverleibung werden wir ein Problem des Satzbaues 
und der Wortstellung sehen. Die Klassitikationsversuche können 
wir nicht gut skeptischer abschliefien als er es tat ; wir werden 
aber weniger Mühe darauf verwenden. Gerade bei diesem Problem 
seigt sich, wie Humboldt mit den Anschauungen seiner Zeit ringt. 
Das gleiche Ringen wird sichtbar bei der Sdieidung von Flexion 
«nd .Agglutination nnd l>eim Worzelproblem ; in beiden Fällen fehlt 
ihm ZQ einem modernen Standpnnkte blofi die Entsohiedenheit des 
Ansdmcks. 

Eine Menge Ton Dingen aber hat er richtig geihbli Der Psy- 
chologie der Wortroistellangen heiznkommen, mttht er sich auf 
den Yersehiedensten Wegen. Im (Gebiete der Syntax hat er manches 
anseinajideigehaiteny was erst Wandt TdUig klargelegt hat; in 
dem Yon ihm betrachteten Satzban mit mangdhaikem Terbnm er- 
kennen wir heute den attrihutiTen; auch die Konstruktionen mit 
oder ohne Koi^junktion sind wir heute sebirfer zn analysieren im- 
stande. Für die Benrteilaog des Charakters einer Sprache hat 
Humboldt, etwa in der Scheidung von dem Interesse ftlr Kon- 
kretes und dem fUr Abstiuktts, trelTeude Winke gegeben. Mit 
seinem Formbegrift' hat er, wcim aiicli feste Form und Funktion, 
ja sogar Cliarukter darin noch uugeschieden liegen, die tiefsten 
Fragen aufgeworfen und zn leisen gesucht. 

Zweifellos festhaUcu mUdäeu wir an dem Gesiclit-j)uiikti: der 
iorlschreitenden Intellektualisiemng, die in der Entwicklung der 
Bedeutungen und des Stils sich erweisen läßt; nicht minder 
wichtig dürfte der andere so aktuelle sein, daß in der neueren 



Ii An Wolf, 89. Dez. 1796, alte Ansg. 6, 115 f. 



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194 



Moritz Scbeiacrt, 



Zeit die Komplisiertheit der indlTidaellen Fiyelie sagenom- 
men listi). 

Seibit VOR der »ToUendeten Sjnraehe« wird man diehenrietieclien 
AnibteUimgeii, wie Beicbtum an Begriffen und Uare Oeechiedenlieit 
in einer psyehologiBeh-pliiloiophiBehen Spraebveigleicbong nieht 
yemaoliUbidgen können. OberliMipt wird eine FhiloBophie der 
Spiaehe, sollte sie wieder gewagt werden, an Humboldt niebt 
aebfloe Torübeiziigehen braneben. Sie wird, Tielldebt beginnend 
mit einer Betaraebtung des Rbjfbmne und der Tonftlbrnng, eingehen 
mflfHien auf die ästhetische Seite der Sprache. Sic wird die Ge- 
sichtspunkte der VermittluDg, der Objektiviernnp des Innerliclicu, 
dec der Sprache als eines Vehikels lür das Deuken, sowie zur 
Zasammeutassuiig die Bedentnng der Sprache für das gesellige Leben 
ganz im allgemeinen wie für die geistige Entwicklang des einzelnen 
schärfer abgrenzen und klären müssen. 

Der Forderung des Parallclismus von Laut und Idee in vollem 
Umfange stimmt niemand mehr bei. Wir sahen aber, dul! in dieser 
Forderang aach das Problem des Ausdrucks liegt Freilich ist es 
eben nicht zatreffend, daB klar Erlebtes in der Spraebe Aosdrack 
f^nde. Zar Einengang des Problems ist, ganz abgesehen von will- 
kttriioher Unterdrttckang des Aasdrocks, die hemmende GrefUhls- 
komponemte zn berücksichtigen, die den Ansdrack heftiger Erleb- 
nisse zum wenipten anfbalten kann; schließlicb gelangt man beim 
Stadium der Bedingungen ftlr das Znatandekommen des spraob^ 
Ueben Ansdro^ in die Torwiekeltsten Fragen der Cbaiakterologie. 
Besonders am Henen lag Humboldt das Problem der Wirknng 
der Spraebe; nabm er doeb in den Titel seinea Hanptweriu den 
»Einfluß« der Spraebe »auf die geistige Entwioklung des Hensdiea- 
geeebleobia« mit auf Bieber liegt in Humboldts weiter Fassung 
das Prinzip der Einttbung nodi eüigebllllt Man wird aber be- 
denken mttsaen, dafi etwa der woblgegliederte fiansösisehe Sats 
oder die merkwürdig praktiseb abgeklirzten Eonstruktionett sowie 
die ebenso praktische, fast grenzenlose kategoriale VerecUebung, 
dereu das Englische fähig ist, ganz bestimmte Gefühle und An- 
regongeu auBlüst. Zum Teil liegt die anregende Wirkung^) der 



1) Ton E. aUerdlngB bloB entworfen fttr den Untenehied von modemer 
nnd antiker Literatur. 7, 185 f. 2} Über Anregung und Belebnag bei 
Suis er Tgl. AroUv flk die ges. Psyeh. 10, 206 f. 



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Wilhelm vou Uamboidcs Sprachphilosüphie. 



195 



Spnehd In der ftUlMfea Stimiiumg, und Ar dieses liebling»- 
pnUesi hst Humboldt mxk etwas danemd BranclibareB ge- 
NUfen: die psychologische Stilistik, deren Mangel seltsamerweise 

aoeh lange nicht in genügender Klarheit emptuudeu zu werden 
scheint, wird, so darf man hoffen, den Begriff der anffassenden 
iStinimnng als eine ihrer Grundlagen herUbemehmen können. 

Eine gnte Reihe yon Problemen also» die sieb an Wilbelm 
m Hamboldt anknttpfenl 



(fiiagecMigen «n 9. JnU 1906.) 



(Ans dem psyebologisdieii Institiit der Univecsität Kiel.) 



Über die Gesohwindigkeit der Augenbeweguugen. 

Von 

£. Koeh (Kiel). 
(Mft Tafel I und 2 Figwen Im Text) 



I. Die feiskevigeii Hefheden nnd Resultate. 

Um Uber die Geschwindigkeit der AüfrenbcweguDgt n \m klare 
zu kommen, hat man sich direkter und indirekter Methoden be- 
dient. Beide Arten sind schon mehr oder weniger ausflihrlich von 
Brtlckner and seinea Vorgängern besprochen worden. Doch 
stellen wir sie aoeh einmal anter einem eystematischen Gesichts- 
ponkt zusammen und bringen dort, wo es nOtig erscbeint, kritiscbe 
Znsätze an. 

Wir beginnen mit den indirelLten Metboden. Es bedienten 
sieh ihrer Lamaneky^), Dodge*)» Brückner') und Gnillery^). 

Ganz allgemein oharakterisieren sieh diese Methoden dadurch, 
daß man yon BubjektiTen Beobachtungen ansgeht, am ans ihnen 
die Gesohwindigkeiten au berechnen. Lamansky, Dodge nnd 
Brttekner benutzten die Tatsache, dafi intermittierende Lichtreize 
durch die Augenbewegung Air die subjektiYe Beobachtung in dne 
Reihe von Bildern auseinandergeriasen werden. 

So ließ Lamanaky auf einen Episkotister mit 24 Ansscbnitten 
die Ton einem Spiegel reflektierten Strahlen einer Petroleumlampe 



1) Bestimmung der Winkelgeschwindigkeit der Blickbewcfniug. bzw. 
Angenbewegang. Päügers Archiv für die gesamt« Physiologie. Bd. 2. 
1660. S.416ff. 

2} Erdmann und Dodge, Psjeliologiselte Untetsnehoiigen Uber das 

Lesen. Halle 1898. S. 346 ff. 

3) Über die Anfangsgeschwindigkeit der Augenbewegungeii. Pflügem 
Archi?. Bd. 90. 1902. S. 73ff. 

4) thier die SelmeUigkeit der Angenbevegnngen. Pflttgers Aiebiv. 
Bd. 73. 189& 8.87 ff. 



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Obw die OesehwiDdigkeit dar Aiifeiib6wegttBg«iL. 197 



fallen. Ein Spalt vor der Lampe und ein System von Linsen 
zwischen ihr und dem Spiegel dienten dazu, den Eindnick recht 
scharf sa machen. Ein Prisma lenkte die Strahlen nach ihrem 
Durchgang darch die Scheibenöflfnimgen in die Blickrichtaog. Den 
Episkottster betrieb ein Helmboltz scher Elektromotor. Das rechte 
Auge ToUzog im Dmikelzimmer zwiaehen swei Marken, die den 
Spalt swiflchen aich hatten, die Bewegangen. Znr Bereehnnng der 

Winkelgeschwindigkeit diente die Formel v = worin (p der 

▼on der Blieklinie dorcblanfene Winkel, t die Zeit zwiBchen swei 
liobtreizen, wie eie sieb ana der UmdrehongsgeBehwindlgkeit des 
Motors nnd der Aniabl der EpiskotiBterOffnangen ergab, n die 
Anzahl der Kacbbilder bedeotet Für jede EzknnionBweite nahm 
Lamansky ans 20 — SOVerencben das Mittel der Kacfabilderanzabi, 
ebne zwischen Hin- und Bttekbewegnng zn nnterecheiden, ohne 
aaeh auf die yerBcfaiedene Lage des Ansgangspanktes im Seh- 
felde, die STentnell Ton Bedeatung sein könnte, Rlleksiebt zn 
nehmen. 

Da 03 für Lamansky nach seiner eigenen Angabe schwer 
war, viele Isachbilder zu zählen'), so wählte er die (Tcscliwiudig- 
keit deä Motors so, daß im Mittel höchstens sccbs ^iachbildcr er- 
schienen. Das hat aber mehrere Nachteile. Je gcrinErer die Nach- 
bilderanzabl ist. um so ungenaiKr imiH die Gi si hwiudigkeitß- 
bestimmun^ ausfallen, wenn man — ganz abgetfchoii von dem 
Fehler in der Distanzschät/r.n«:; liberliaujit — darauf \crzichtet, 
Braehteilc der Naehbilddistanzen mit in Kechnan,u- zu ziehen. Vor 
and hinter der Keihc der Nachbilder bleibt von dem zurückgelegten 
Weg ein unter Umständen ziemlich beträchtliches Stück ohne Be- 
deutung für die Geschwindigkeitswertc^). Mit der geringeren 
Anzahl der Nachbilder nimmt weiter die Möglichkeit ab, aus der 
Verschiedenheit der Distanzen in derselben Naehbilderreihe etwas 
Uber den Verlauf der Bewegung, ihre etwaigen Beschleunigungen 
nnd YerzOgeningen zu entnehmen. 

' Yersnche, die ähnlich denen Lamanskys im hiesigen psycho- 
logiseben Institut mit intensivem licht angestellt wurden, ergaben, 
daB es durchaus nicht so unmt^licb ist, eine größere Beibe von 



1) Aach Briiükuer giaobt das bestätigeD zu mlisscu. a. a. 0. 2ä. 75. 

2) Vgl. Guillery, a. ». 0. S. 89. 



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198 



£. Eoeh, 



Nacbbildern zn zählen, und daß man znr Not auch etwas xou den 
Geschwindigkeitsänderangen im Verlaofe einer Einzelbewegmig 
konstatieren kann. 

Ein zweites, erhebliches Bedenken gegen die Zuverlässigkeit 
der Werte Lamanskys grOndet sieb darauf, daß es seiner Methode, 
wie jeder der anderen Formen der Kaohbildmethode «aml^^li 
war, eine Garmntie fttr die wirkliche Ansfühiung der heabeiohtigton 
Bewegung m itbemehmen. Dies Bedenken ist snerst Ton Brttekner 
geinfiert worden ond soll bei Besprechung seiner Arbeit genaner 
erörtert werden. 

Praft man die mitgeteilten Yersnche nach, so zeigt sich eine 
Ersefaeinnng, die ToriAnfig noeh nicht in befriedigender Weise er- 
klärt werden kann. Sowie nimlich die Eiknrsionen etwas grOfier 
werden nnd der Ausgangspunkt für die Bewegung in der Nähe 
des Licbirci/Ls lic^t, tritt eiuc eigentümliche Verschiebung in 
der Lokaliöiitiuu der Nachbilder ein']: man sieht die Bilder- 
reihe in einer Kichtung, die der der Augenbewe^ong gerade ent- 
gegengesetzt ist. Man bat diese Erscheinung »die falsche Nach- 
bildlokalisat ion • gen-innt Im allgemeinen ist es mißlieb, auf eine 
noch nicht aufgeklärte ErHcbeinung seine Keehnungen aufbauen zu 
mttssen, wenn auch — wie in diesem Fall — aller Wahrschein- 
lichkeit nach mit der Lokalisationsverscbiebuug keine bedeutendere 
Fehlerquelle fUr die Distanz der Nachbilder entsteht 

Almlich wie Lamansky arbeitete Dodge*). Nur stellte er 
den intermittierenden Licbteiudmck nicht zwischen die Marken, 
sondern vollzog bei fixierter Kopfhaltung die Bewegung znr Licht- 
quelle, die im Zentrum eines Perimeters stand, hin. Dodge wollte 
auf diese Weise yermeidea, dafi die Naehbilder der Marken — es 
waren teilweise mit Transparentpapier ttberklebte Öfihungea, die 
Ton der auch die Lichtrdie Hefemden Petroleumlampe erhellt 
worden, teilweiBe groBe weiBe Striche auf Kaiton — sieh Uber 
die des intermittlereaden Liehtreises legten. Ihm stand keine 



1) Die »fidsohe NacbbUdlobilisstioik« gilt sieht tUeiit für dieMB FaU, 

der mehr für die Anordnung Lamanskys zutrifft. Vgl. E. Haeh, Btitrige 

zur Analyse der Empfindnngfin. 4. Aufl. 1903. S. 108; ferner Anfßätze 
vou Lipps, Cornelias, Schwarz und Fraudtl in der ZeitscbrUt fUr 
Psychologie und Physiologie der Sinnesorgime. Bände 1, 2, 3, 42. 

2) Erdmann und Dodge, t. a. 0. Sr846ff. 



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über die Geschwindigkeit der Aogenbewegaugea. 199 

Pqpkelkammflr tnr YerfUgimg; er uMM» in den qMltett Nteli- 
mittagB- nnd Abenditiinden und fand eine Umgelintig loloher 
Oberlageningen nnUberwindiieL 

Daa ist erktiiriieb. Die Sohwierigkeiten fallen hinweg, wenn 
man im Dnnkelzimmer und unter Anwendnng atarker Lichtquellen 
ailwitet, dal>ei Sorge dafür hSgt, d^B GeeCalt und Intensittt der 
Marken bsw. der LtcbiqneDe dentlieli voneinander unteraekieden 
sind. Man kraneht als entere nur Punkte oder kleine Strieke aua 
Lenektfarbe zu nehmen, ala letztere eine Nernstlampe, die lange 
Spalte bescheint, nnd eine Konfandierung der beiden Arten von 
Nat hbilderii i^^t nicht mehr möglich. Auch gelingt es nach einiger 
Ubniif:: diinn h iebt, mehr als 6 — 7 Nachbilder ins Ange zu fassen, 
zamal wenn man weitere Lenchtpnnkte oder Lenohtstriche auf 
dem Karton znr Orientierung anbrin^. 

Von einer >fal9chen« Nachbildlokalisation erwähnt Dodge 
nichts. Sic kommt auch bei seiner Art zu beobachten fast gar 
nicht in Frage, da » falsch « lokalisierte Nachbilder bei Bewegungen 
aar Lichtquelle hin sich nur iu selteneren Fällen einstellen. 

Auch Dodge beobachtete nur 4—6 Nachbilder. Daa früher 
Geaagte gilt deshalb auch hier: seine Werte kOnnen keinen An- 
Bpmeh auf giofie Siekerkeit machen. 

Nur mit »falsch« lokalisierten Nachbildern arbeitete Bruckner. 
Er aekaffle daftr ohne weiteiea die Bedingung dadurch, daß er 
den Auflgaugapunkt der Angenbewegung in die liektquelle hinein 
▼erlegte. Er benutite Mnen Karton mit emet kleinen quadratieehen 
öffiinng von etwa IVi mm Seitenlinge und brachte dieae öffiiung 
in die BUoklinie der FrimArlage. Dnrek sie hindurch aah man die 
Funken swiacken den Platmelektioden dnea BidnktionaapparatB 
llbenpringen. Neben der öflhung befiuiden aieh auf der einen 
Seite Marken aua Leoektfiirbc, wdcke den Zielpunkt ftlr die 
Angenbewegnngen abgaben, auf der anderen Seite feine Punkte 
aua deraelben Farbe, die Uber die Distanz der »falach« lokaliaierten 
Nachbilder orientieren sollten. Der Beobachter, dessen Kopf 
— wie schon in den Versuchen von Dodge — diir* h ein Beißbrett 
fixiert war, befand sich in den mcibtcu Verisucheü 20 cm von 
dem Karton entfernt. Er stellte sich die Aufgabe, die Entfernung 
der zwei ersten Nachbilder genau zu bestimmen und dabei nur 
die größten Distanzen zu berttduichtigen, bei denen zugleich 



200 E- Koch, 

das eiste Naebbfld mtfgtieliBt nahe an der Öffnnng lag. Auf diese 
Weise sollte die Anfifuigsgesehwiiidigkcit mtfgliclist genan emiitteh 
werden. 

Diese Anordnung: stellt, wie man zugeben muß, in objektiver 
Hinsicht die Redin j;iin«ren flir die Beobachtung so günstig wie 
möglich her. Bruckner selbst aber hat das Bedenken, daU durch 
eine gleichzeitige Beachtung von Zielpunkt, Nachbildern und 
Orientiemngsmarken die Bewegung beeinflufit, wie er meint: Te^ 
langsamt werden könnte. Ein solcher EinflnB Ist sieher da. Wahr- 
seheinlich maeht -er sich weniger als Verlangsamnng geltend wie 
als Hemmung, die das Ange sehen vor dem Zielpunkt znr Ruhe 
kommen läßt. Dabei bietet die Nuchbildmethodc in keiner Rich- 
tung ein Mittel, Uber die wirklich vollzogene Bcwegunp: etwas 
auszusagen. Sie muß in dieser Hinsieht dem guten Willen und 
dem Geschick der Yp. alles Überlassen und stets eine Kongroenz 
TOn Absicht und Ausführung yoraussetzen. Wie wenig ein solches 
Vertrauen selbst ftlr den. Fall, daß jede Beobachtung ron Kadi- 
bildem nnd Orientiemngsmarken wegfällt, gerechtfertigt ist, werden 
unsere Tabellen zeigen. Hier liegt der Hauptmangel der Kach- 
bildmethode in allen Arten ihrer Anwendung. 

Mau kann die Naehbildmethode noch in einer anderen Weise 
ftlr unsere Frage nutzbar zu machen suchen, und das ist von 
Gnillery geschehen^). Er benutzte eine enge, linienO)rTnige verti- 
kale Scbirmöfiuaug von 23,5 mm Länge und 0,5 mm Breite, die 
drehbar war und deren Neigung an einer Gradeinteilung abgelesen 
werden konnte. Durch einen Episkotister mit vier schmalen Spalten 
Yon 2Jb^ Öffnnng wurde sie intermittieTend erleuchtet Sie befand 
sich auf der rechten Seite des Eptskotbters in der Hohe semer Die- 
hnngsachse und wurde bei dessen Umdrehung im Sinne des Uhr- 
zeigers allmählich von üben nach unten erhellt. Bewegte uvaü 
nun das Auge Uber die Schirmöifnuug in horizontaler KiehtuDg 
hinweg, so erhielt man eine Keihe rhombischer Isachbilder — 
rhombischer, weil die Erhellung nach und nach erfolgte und die 
zeitlich ersten Eindrücke durch die Bewegung des Auges ebe 



1 Tabelle 9flf. 

2 Über intermittiorendp Netzhauterregnng bei bewcptcm Auge. Pfltijrere 
Archiv für die gesamt.! Physiologie. Bd. 71. 1898. Ö. 607 ff. und Über 
die Schnelligkeit der Augenb«wegangen. Ebenda. Bd. 73. 1898. S. 87 ff. 



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Ober die GMehwindigkett der AngeDbewegongen. 201 

seitliche Verschiebung vor den spätero]! erhielten. Diese Ver- 
schiebung wnrde in der Zeit erreicht, die der £piskoti8tor ge> 
brauchte, um die ganze Linie zu erleachten, die sich also ans der 
bekannten UmdrehungsgescbwiDdigkeit defl Episkotlsters nnd der 
LHoge der Linie ergab. Aus den Zeitwerten and denen der Nei- 
g:iiDg der Naekbilder ließ sieh dann die GeBebwindigkeit der Augen- 
bewegung bereehnen. Hierbei erwies es sieb als scbweri die 
Neigung des Naehbildes genau m scbätsen. Deshalb wurde um- 
gekehrt die Sobirmöffnung so hinge gedreht, bis sie bei einer 
Augenbewegnug Tertüul erschien. Die scheinbar yertikale Stellung 
wurde durch einen Vergleich mit einem yertikal herabbttngenden 
wttBen Faden festgestellt Für die Bewegnng der Augen nach 
oben und unten erhielten Schirmöffnung und Faden ^e wage- 
leehte Lage und wurden so Tor dem Episkotister aufgestellt, daB 
die Erhellung von links nach rechts oder umgekehrt erfolgte. Vor 
dieser Anordnung befand sich ein Perimeter, das die Markeu 
trug. In den meisten Versuckcn befand sich die Anordiiuii- in 
der Mitte des Perimeters, fUr den B* (»iiMchtcr in der i'nmarlage. 
Die Bewegungen erfolgten üu ihr hin und endeten bei ihr. Das 
geschah, um die Vergleichung mit dem vertikalen, weißen Faden 
zn erleichtern. Guillery bestimmte auf diese Weise, wie er *iich 
ausdruckt, »die Geschwindi;.;keit in der Mitte der Bahn«. Djo 
Bezeichuungöweise befremdet zunächst, weil man unwillkürlich an 
die Bahn, die das Auge beschrieb, denkt, nnd die gewonnenen 
Werte auf das Ende dieser Bahn beziehen zu müssen glaubt Da 
aber Guillery dieselben Mittelwerte erhielt, wenn er die Augen 
von der äaBersten rechten Seite sur äußersten linken Uber die 
Sehifmüffnung hinweg bewegte — er konnte dabei noch Neigungs- 
unterschiede Ton l** wohl erkennen — , so sah er »die für die 
Mitte der Bahn gefundene Schnelligkdt als die grOßte erreiobbare 
der gsnzen Strecke« an. Und auf die grüßtmfigliehe (Jesohwin- 
digkmt In den yeischiedenen Bichtungen kam es ihm allein an: in 
allen semen Yenuchen wühlte er die größten Neigungen aus, um 
auf diesen Angaben seine Berechnungen aufzubauen. Für Jede 
Bewegungsriobtnng suchte er sehn solcher größten Neigungswinkel 
nt gewinnen, aus denen er das Mittel nahm. 



1) Diese ganze KxkurBtoa oder »ganze Baba«, wie er es nennt, betmg 
fOr Gaillery uogetahr 90°. 



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Abgesehen von den genannten Restimmnnfren Hurhte Gnillery 
Werte für die Gesobwindigkeiten der Augen in der Autani:«- und 
Endstellung, wie er es neniit. Im ersteren Fall blieb die An- 
ordnung 80 wie sie bisher beschrieben wurde; die Augenbewegungen 
nahmen nur von der Schirmöffhung ihren Ausgang. Im zweiten 
Fall be&nd sich die Öffiiang mit Faden 36** nach aofien am Peri- 
meter, »während das Auge 45° nach innen gerichtet war und nun 
Ton diesem letzteren Punkte bis znm enteren unter Benatzong der 
daselbst angebrachten Marken die Bewegnng ansfUhrte« ; oder die 
Öffinnng wurde 45*^ nach innen, der Aaegangepnnkt der Angen- 
bewegong 35° naeh aaBen Terlegt, wenn es steh nm die End- 
stelinngswefte ftr die Innenwendnng handelte. 

Gnillerys Arbeit ist ror der Brilekners eisehienen. Sie de- 
tailliert die Werte neeh nieht filr die Tersehiedenen WinkelgrOfien 
in jeder Bewegnngsrichtang, sondern begnügt sieh mit den grOBten, 
die Überhaupt bcd »möglichst schnellen« Bewegungen erhalten 
wetden konnten. Es ist fttr uns interessant nnd verdient heraus^ 
gehoben an werden, wenn er bemerkt: daB bei derselben Winkel- 
giOBe »nieht alle Eontraktionmi an Schnelligkeiten gleich 8ind<i). 

Einen besonderen Vorzug seiner Methode gegenüber der 
Lamanskya findet Guiller? darin, daß er keine Zählung von 
Kachbilderu vorzunehmen braucht, sondern aus der Winkelneigung, 
»die mit Hilfe der weißen Linie sehr scharf eingestellt werden 
kann«, seine Werte erhält. Merkwürdigerweise erhielt er dasselbe 
Resultat, wenn er die »tranze Bahn« von etwa 90° zurtlcklegte oder 
nur eine ÜewtL'un^' zur Mitte des PerimeterB vollzop-. Dies 
Besnltat wird uns nocii beöchuftigen. Es wird sich zeigen, daß man 
— etwa im Anschluß an Bruckners Proportionalitätsgesetz — 
aoB ihm nicht ohne weiteres auf eine Unempfindlichkeit der an- 
gewandten Methode schließen darf'-). 

Dagegen bleibt das andere Bedenken, daß keine Naehbild- 
melhode genane Angaben Uber den Winkel der ansgeftlhrten 
Bewegnng in machen imstande ist, anoh hier bestehen. 

Neben all den UnsnllngUohkeiten, die bisher die Einael- 
bespreohnng ergab, haben die indirekten Methoden anoh den Naeh- 



1) a. a. 0. S. 100. 
8) 89, 



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Ober die GeiehwlBdigkelt der Angenbewefoiifeii. 203 

teil, daß sie den Verlauf einer Einzelbewegang gar nicht oder 
nur andentoogsweise zu fassen erlauben. Deswegen galt es, direkter 
SU Werke zn gehen. Wir scheiden die diiekten Methoden in 
registrierende nnd photogriphiselie» 

Die Beepfeehnng der ersten Gruppe leit^ wir mit einer Dai^ 
Btellnng nnd KritUs der Untersnebnngen Volkmann s«) ein, die 
überbnnpt sun erstenmal eine Bestimmnng der Angengesehwindii^ 
keiten unternahmen. Yolkmann säblte die Ansah! der Bewegungen, 
die er zwisehen swei Kadeln als Marken während dO" = 1800"' 
ansftlbren konnte, dividierte die Zeit durch die Anzahl nnd glaubte 
im Quotient die Dauer einer Aufjenbewegung gefunden zu haben. 
Das war cm Irrtum. Freilich uiclit au» Grüuden, die Dodge') 
angibt. Er meint nämlich, die Fälschung der Werte beruhe auf 
folgenden zwei Gruppen von Vorgängen, die in die Resultate ein- 
geganjren seien nnd zum Abznsr konnufn müßten: einmal auf den 
VorgaDgen »vom liegiuii der seiisorischen Latenzzeit für die Keiz- 
wirkiing der indirekt gesebeneu >iadel bis zum Px^-inn der Be- 
wegung, welche durch diesen Reiz ausgelöst wird*, sodann auf 
der Vorgang^folge »vom Beginn der Reizung, welche die fo?ea 
oeatralis durch die fixierte Nadel erfährt bis zn dem Moment, 
wo diese erkannt wird«. IMese Zeiten spielen gewißlich eine 
Bolle, gehen aber nur mit einem minimalen Wert ins Resultat ein. 
Viel mchtiger ist das andere Moment, das Bruckner*) beraashob: 
das der Pansen an den Umkehrpunkten der Angenbewegnngen. 
Diese Pansen nehmen ~— wie die Tabellen seilen werden — 
Zeiten in Anspmeb, die die Bewegnogszeit ganz bedeutend über» 

« 

treffen. 

Dodge SQobte die Volkmannscben Messungen dnrch eine Um- 
rechnung noch einigermaßen fruchtbar zu machen. Er verfolgte 

den Zuwachs der Bewegungszeit fUr je 10", stellte diese Differenzen 
für mehrere gleiche Wiukelunterschiede her und nahm dab arith- 
metische Mittel. Er erhielt auf diese Weise einen Wert, der ziem- 
lich zu seinen eigenen paßt (vgl. Tabelle 1 und 2). 



1] WagnereHaadwSrlatbiiehderFliyriologie. Bd. in»! lfil& 8.S7fi 

— are. 

2) Erdmann und Dodge, a. a. 0. S. 347. 

3) VgL aacb Dodge and Cline ia der später zitierten Abhaadlong 
S.146. 



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Die präziseren Versaehe^ bei denen das Auge selbst das Regi- 
strieren ttbemimmty setzen mit Abrensi) ein. Er setzte dem Ange 
eine Elfenbeinkuppe auf, die eine Borate znm Anfsebreiben der 
Bewegung trug. Delabarre'} Tersnebte es mit dem Gipsabguß 
einer kUnstlieben Cornea, der eine zentrale Öffnung besaß nnd 
der Cornea des kokainisierten AujS^es appliziert wurde. Ein Faden 
verband die Kappe mit einem Jleljel, der die Hewcj,'ung des Auges 
auf einer beruliteu Fläche luarkierte. Die Maikicrang konnte man 
den Hebel dir. la losfUhren lassen oder mit Ililfe der Funken 
eines Induktiuu.sa]>parateö, die aus dem Hebel auf die berußte 
FlUche Ubeiticblupren. Der Hebel machte dabei leicht Schleude- 
ruugeu, so daß Delabarre selbst seme Methode als eine rcdie 
bezeichnet. liuey^ benutzte eine ähnliche Anordnung bei öeiueu 
Versuchen Uber das Lesen, er setzte die Kappe direkt mit dem 
Hebel in Verbindung. Seine Angaben sollen später zum Vergleich 
folgen. Au Stelle des Hebels setzte Orschansky^) — wohl 
nach Delabarrea Vorschlag — ein Spiogelobenj das einen Licbt- 
strahl reflektierte. 

Die Autoren Tersiebem, daß die Vp. sich sehr bald in das 
UngewObnliebe der Situation scbielLten. Jedenfalls aber bleiben 
diese Metboden unbequem nnd liegen in ihr snTiel HOgliebkeiten 
lar Störung der Bewegungen. Das TeranlaBte Dodge und Cline*), 
es mit der Pbotograpbie zn versueben. Das Auge selbst, speziell 
die Pupille erwiesen sieh dabei als schlechte Objekte*}. Dagegen 
gelang es, das Comeabild eines von der Sonne beleuchteten 
schmalen Papierstreifens photographiseh zu fixieren. Bei der Auf- 
nahme wurden Platten benutzt, die Tor einem Sehlitz der Kamera 



1) Bewegungen der Andren boim Solireibou. Rostock 1891. 

2} Americaa Journal ol Fsychology. Bd. i». 1898. S. 672 ff. 

8) Amerleaa Jomit«! of Psychology. Bd. 9. S. 676—686 nnd Bd. 11. 

8. 283-m 

4) Zentralblatt fiir Phyeiolofjie. Bd. 12. 1899. 

5) The angle-Vfloc'ity of eye-movcinouts, Fsycholo^rifal Keview. Vol. 8. 
1901. S. 145 ff. Die Versucbo von ät ratton, Eye-moyements and the 
MBtheticB of Tiftsal form, Phllosophiiehe Stadien» Bd. 80, 190S, S.836i^ 
kommen hier nieht in Betracht, weil sie nicht auf die QeBohwIndigkeit der 
Angenbewegungpn :ibzic1(;D. f^ondera nnf die FetteteUmg ihrer Bahnen beim 
Betrachten bestimmter Figurcu. 

6) Ähnlich BrUciiner, a. a. 0. S. 91. 



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Ober die Geechwindigkeit der Angenbewegviifen. 206 



herunterfielen tind dabei einen Kolben in einen Zylinder hinein- 
trieben. Wurde dafllr {gesorgt, daß die im Zylinder komprimierte 
Luft schneller, bzw. langsamer entweichen konnte, so war dadurch 
eme Begnliening der Fallgeschwindigkeit gegeben. Die Kopf- 
lage war durch Stirn- und Kionbalter fixiert. Als Marken ftlr die 
Bewegungen dienten in den ersten Versuchen Hibwarze Linien auf 
weißem Grande. £b stellte sich aber bald eia Übektaod ein: 
jede Bewegung Uber 16** wurde in swei Phasen anigeflihrt. Die 
erste bracbte das Ange etwa in 3—4^ Entfernung von der Qner- 
Unie» in der sweiten korrigierte das Auge den Fehler nach einer 
Pause von 200 a. Als Nadeln anstatt der Striehe gewühlt wurden, 
flcbwand diese eigentttmliohe Beaktionsweise. Die erhaltenen 
Photogramme ließen meh im allgemeinen wegen der Zartheit der 
Knrren sehleeht ansmessen; dooh wurde, wie die Verfasser angaben, 
BcblieBlieh eine Genauigkeit bis auf 1 a erreicht 

Über die Genanijykeit der Gradmessnni;: bei einer bcBtimraten 
Bewegung finden sich iu dtr Abbandkng k^ine Angaben. In der 
Schwierigkeit der Gradmessnng aber hat diese Methode ibie L'rijBte 
Fehlerquelle. Es ist freilich einfach, die Angabe der Grade fUr 
die beabsichtigte Bewe^nnp: ans den Stell uniren der Marken zn 
entneliiii 'H. Der Absicht entspricht aber, bei^ondc rs bei einer lu ilio 
kontiiiuirrlich anfeinanderfolfrender Bewegungen, die Ausführung 
angenähert nur in den selteneren Filllen, f::enau niemals. Das zeigen 
die späteren Tabellen. Dazu kommt noch der Umstand, daß man 
nicht ohne weiteres von dem Weg, den der von der Cornea 
reflektierte Strahl zurUcklcgt, auf die Bahn der Angenbewegung 
schließen darf Die Hornhaut ist keine regelmäßige Kugelftäche, 
rotiert anrli nicht um ihr eigenes Zentrum. Wäre beides der Fall, 
so wflide der reflektierte Strahl sich während einer Augenbewegung 
nberbanpt nieht bewegen. Die ünregelmilBigkeit der Flüche und 
die besondere Lage des Drehpunktes erzeugen erst die Aus- 
weiehusgen des reflektierten Strahles. 

Diese Bedenken hinsiehtliek der Gradmessong trieben C. H. 
Judd, C. N. MoAllister und W. H. Steele*) m neuen Vei^ 
suchen. Ihre ersten Bemühungen gingen wieder dahin, die Pupille 
selbst au photograpbieren. Das gelang nur in den selteneren 



Ij Yale Psyohological Studie». New series. Vol. L Nr. I ed. by Char- 
les H. Judd. 1905. SS6 S. 

14 

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206 



E. Koch, » 



Füllen, dAnn, wenn die Iris Yiel heller war alfl die Papille, üit- 
angenehm war zugleich dabei der Wechsel des PapillendaichmeHei» 
sowie seine G^rOße: beides erschwerte die Bestlmmang des Zentnnu 

als des Punktes, dessen Gesehwindi^'kcit man bestimmen wollte. 
kScliließlich gelang die Herstellung einer Marke, die man der 
Cornea aufsetzen konnte und die genug Stralilen zurückwarf. 
Eine dUnne Schicht Zinkweiß wurde auf eine mit Paraffin be- 
strichene Glaspatte aufgetragen, um ihre Konsistenz zu erhoben. 
Nach ihrer Eintrocknung wurde sie in feine Sttt<^chen geadmitteD. 
Flttasiges Paraffin machte die Partikel undurchdringlich gegea 
Feuchtigkeit War das ttberflttssige Paraffin durch Strichen Aber 
eine wanne Glasplatte entfernt, so konnte ein solches Sttickchen 
auf die Hornhaut gebracht und dort durch eiue Verschiebung des 
unteren Lides vermittels der Fiuger an eine bestimmte Stelle ge- 
rUckt werden, am besten etwas unterhalb und nasal von der 
Pupille. Dort störte es der Lidschluß beim Blinzeln am wenigsten. 
Es saß fest auf der OberflSche und yemrsachte keine besonderen 
Beschwerden, wenn es einmal unter die Uder geriet. Die Uber- 
wiegende Mehrzahl der Vp. ertrug die Applikation der StUckdien 
ohne weiteres. Bei der AufDahme dieser Marke und ihrer Be- 
we^^ug mit dem Auge, die n;ich dem kinematographischen Ver- 
fahren geschah, wurden Zclliili idfilm^ von etwa 50 Fuß Länge 
benutzt. Für gewöhnlich heirug die Expositionsdauer ÖO — 70 tf, 
in selteneren Fällen nur 15 o. Um diese Zeitbestimmungen zu 
erhalten, war mit der Triebkurbel der Films eine Welle in Ye^ 
bindung gesetzt. Sie trug in Interrallea, die denen der Exposi- 
tionen entsprachen, metallische Streifen. Beim Beginn einer Ez- 
Position schlössen die Streifen einen elektrischen Strom. Dadareb 
wurde ein Hebel in Bewegung gesetzt und die Anzahl der Ex- 
positionen auf einem Kymographion notiert. Dessen UmdreliuiiL-- 
geschwindiirkcit wurde durch einen rnterbrecber, dessen Periuile 
50 (/ betrag, bestimmt. Der K.opf war durch ein Beißbrett lixiert 
Trotzdem ergaben sich noch sehr kleine Bewegungen desselben. 
Um Uber die Bahn des weiften Fleckes wfthrend der Bewegnng 
schnell orientiert zu sein, trug die Vp. ein Brillengestell, auf 
dem glänzende metallische Eugelchen angebracht waren. Diese 
blieben immer an derselben Stelle der Photogramme. Nach der 
Entwicklung wurden die Autuahmen durch einen Projektions- 
apparat auf das Sechsfache ihrer natürlichen Dimensionen ver- 



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über die GeBchwindjgkeit der Augenb«wegimgeii. 



207 



giOBert und auf einer Papierebene abg^ebildet Die Einstellnng 

jeder nenen Aafnahme geschah mit Hilfe der Bilder der uietul- 
lischen KUgelclien. Es war dann verlKiltuiömäüig einfach, die 
Bahn des weißen Fleckes zu verfolgeii. Der Fehler der Grad- 
fflMsimg betrag in keinem Falle mehr als 1'' Es fiel anf, daß 
Form und Lage des weißen Fleckes währeud einer Bewegong 
l«i€hte Variationen erfnliren. Die Verfuser Bohließen darans auf 
«ine gewisse »ünstetigkeit des Angesc, die sich besondere bei 
lehnellen Bewegungen geltend maehe. 

Bei dem bisher beschriebenen Verfahren war es ein großer 
Ausfall, daß die Zeit, während der der Film zur neuen Exposition 
sich fortbewegt, unbenutzt blieb. Deswegen kombinierten die Ver- 
fasser mit der ersten Kamera eine zweite derart, daß beide ab- 
wechselod Aafoahmen machten, und daß das Ende der Expositions^ 
diiier flir den rechten Film teilweise vom Beginn der Ezpositions- 
daner ftlr den linken ttberdeckt wurde nnd nmgekebrt. Die 
Besultatey die mit dieser Kombination erhalten wurden, stehen noeh 
üb; nur die mit der einfaehen Kamera gewonnenen sind mi^eteilt 
Sie beziehen sich weniger auf die Geschwindigkeit der Au^^tn- 
bewe^ungen als auf ihre Form und kommen deshalb nur teilweise 
ftlr unsere Aufgabe in Betracht. Gedacht ist dabei besonders an 
die zweite Abhandlung der Aofsatzreihe, die von Cloyd K. 
McAUister stammt. 

Die Kraft der Methode liegt in der Genauigkeit der Grad- 
meisiiiig. Es wird sieh fragen» wie weit die Gesebwindigkeit 
g e st eiger i werden kann» unbesehadet der Deutlichkeit der Auf- 
nahmen. 

Den Methoden lassen wir die Resultate Iblgcu. 

Wenn auch die Werte Volkmanns unbrauchbar sind, so bieten 
sie doeh der Vergieiehnng ein interessantes Material und seien 
desiislb in Tabelle 1 Torangesebiekt t bedeutet Tertien, die Ton 
Dedge in u umgerechnet wurden« V. und H. sind die beiden Vp. 
Die Werte gelten ebenso wie die der folgenden Tabellen, wenn 
nicht besonders das Gegenteil angezeigt wird, für Horizontal- 
iMiwegungen. 



1) Erdmann nnd Dodge, a. a. 0. 3.347. 

14* 

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206 



S» Koclii 



Tabelle 1. 



WiBkel 

i 


V. 


H. 


1 


c 


t 


a 


!• 


25 


41? 


84 




400 


6» 


26 


434 


28 




466 


10° 


28 


466 


18 




300 


20" 


28 


466 


18 




300 


30° 


30 


500 


19 




317 


40» 


ao 


fiOO 


19 




317 


60° 


32 


534 


20 




884 


60° 


36 


684 


21 




360 


70° 


d9 


660 


21 




360 



Die GrOfie der Zeitweite rtthrt Ton den Pauen ber, wie die 
Bpftteren ZoBammeBstelliuigen TerdeotUeheii. Anders nimmt ndi 
sehen Tabelle 2 ans» die ebenfalls ron Dodge stammt'} nnd 
neben den seinen die Werte Lamanskys enthült, sowie einen 
andereu, den er ans Yolkmanns Angaben dnreb Umreehnnng 
gewann. Znm sefanelleren Vergleich mit den späteren Werten 
wurden von nns die Geschwindigkeitswerta in Graden pro sec. 
hinzageHlgt. 

Tabelle 2. 



Volkmann 


LamitDBky 


1 

1 Dodge^i 


Winkel n. Zeit 


V pro Bec. 


Winkel n. Zeit 


r pro sec. 


' Winkel n.Zeit 




10*0116,66« 


600« 


6"= 10 ff 

160^16« 

32° = 22 o 


600° 

1000» 

1466° 


1 6'> = lö« 
10«»lfr-a0a 

|i6o„a0tf 

30° = öO« 


383« 

685-nO* 
500** 

600« 



Die größeren Zeitwerte bzw. geringeren Gesohwindigkeitswerte^ 
die hier Dedge für sich anfetellt, fbhrt er anf persOnlicfae Diffe- 
renien anrttek. Er sdieint nicht abgeneigt zn sein, Lamanskys 
Werte als dem Dnrchscbnitt nKher liegend sn betrachten*). 



1) Erdraann nnd Dodtre. a. a. 0. S. 3fiO. 

2) Lamansky nnd Dodge gebr&aciiteu das rechte Ange. 
3] a. a. 0. S. 360. 




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über die Geschwindigkeit der Augenbewegongen. 209 

Tabelle 3 ist teilweise dem AnisatM Hneye entnommen. Die 
Werte stammen ans LeseTersnehen. Die kleinen Winkel in dieser 
Tabelle sind di^enlgen, die das linke Ange beim Lesen zarttok- 
legte, nm dann fUr eine gewisse Zeit» die Lesepause zu rohen. 
Die großen Winkel besobrieb das Auge, wenn es Tom Ende einer 
Zeile tum Anfang der näebstfolgenden ttberging. IHe dritte Reibe 
von Werten gewaDuen Dodge und Cline für das rechte Auge 
mit der photograpliisclien Methode. Sie gibt durchweg geringere 
Zeiten an, so daß die \eiiasser aich berechtigt glauben, anzu- 
nehmen, daU die ^Vrbeit, die das Auge in Uneys Versuchen leisten 
mußte, seine Geschwindigkeit bedeutend verzögert habe. Mag 
dem sein, wie ihm wolle — jcdtiihUlj^ »ind alle Zeitwerte größer 
wie die dt 1 Tabelle 2. Der Uurerncbied wird auch zahlenmäßig 
Tcrdeutiicbt bei einer Durchsicht der Aogabeu fdr die Cresehwindi^ 
keiten, die ich beifügte. 



Tabelle 3. 



Hodge 




1 Dodge und Cline 


Wukel n. Zeit 


r pro eec. | 


Winkel o. Zeit 


f pro sec. 


Winkel u. Zeit 


p pro seo. 


3" 46' = 41,8 a 
— 40,7<x 


-V ! 

90,2° 
96,3» 


3" 21' = 44,1 ff 
2«£8' — 46,0ff 

8«87'B48,0tf 


76,0» 
62,4» 

71,9« 


2»— 7» = 32,8 Max. 
16,6 Hin. 
88,9 2> 

4 ■ 


873»-a»,7'» 


12" 4' ^51.6 ff 
U» 40' = 04,7 ff 


233,9° 
213,3» 


M 

12" 4' = 57.0 ö 
12" 8' =68,3 ff 
13» 4' = 58,1 ff 


211,8" 
177,6» 
225,0» 


la»— 14« =44,3 Max. 

36,4 Min. 
40,9 


293,4»-342,2' 



Dnrchsphnitt. Hodge und Hney g'ebrauchten das linke, Dodge und 
Cline das rechte Auge. Die Pfeile geben den Bewegtiugssinn an. 

Von Brtickner ist die vierte Tabelle zusammengeatellt worden. 
In ihr kehren die frllheren Werte von Lamansky nnd Dodge 
wieder. Eine neue Reihe aus den Versuchen von Dodge und 
Cline fügt er hinzu. Direkt sind alle diese Werte mit denen 
Brttekners freilich nicht zu vergleichen, da er sich auf die fie- 
stimmnng der Anfangsgeschwindigkeiten beschränkte. Wiederam 



i; Hney fand als Wert fUr di« Fksien 108 ff. in anderen FUIen 190 a. 
Brdmsnn und Dodge nehmen annlhentugsweise 2ao a aa. a. a. 0. S. 77. 



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210 



£. Koch, 



eisdieitMii die Angaben von Lamansky und Dodge sa groß. 
Die Werte der dritten and Tieiien Kolumne dageg^ paflsen gnt 
zneinaader. 

Tabelle 4. 



Lamunsky 



Dodge 



6« »333*20' 



6«>48'c= 677°62' 



82*46' »1464" 6' 



Dodge u. Cline^ BrUckuer 



10«asfiOO» 1) 



20'' = 000" 



26* B 

30« = 600" 



40»««800o 



ßO* = 833«30' 



6* «173*36' 



10* «207« 44' 

— 

16" = 311" 12' 



20» = 365 ' 2' 



30° = 368" öl' 
461*38' 

40° = 401" 37' 
-=4ö9n4' 



8"32'» 143*44' 
— 116*68' 



16*42' = 2Br 56' 
-c296<>60' 

21*48' =296*36' 
«2W*17' 

30n4' = 374*61' 
«342*11' 

40" 22' =408*20' 

«801*68' 



Ans allen Angaben tritt herror, daB die Geschwindigkeiten 
bzw. Anfangsgeschwindigkeiten mit dem Exknrsioas<- 
Winkel wachsen. Freilich sind die Deatliehkeitsgrade, mit 
denen dies geschieht, recht ?enchieden. Bruckner glanbt nach 



1) lu dieser zweiten Kolumoe habe ich deu Wert fUi 10", der vou 
Br(l«kiier ndt 200* aogveetst ist, nsoh dem Original verbessert, ferner «Be 

Werte für 2ö" und 50* hiszngefUgt. — D»ß die DetaüHemng in der dritten 
und viertf^T! Kolumne flir die Hin- und Riickbewegungen krine besondere 
Bedeutung beanspruchen ksan, werden die späteren Tabellen ergeben. 



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über die Oeiehinndlgkeit der Angenbewegongen. 211 

seinen Resultaten den Satz sogar so weit präzisieren zu dürfen, 
dal) er sagt, die Zunahme der Geschwindigkeiten (d. h. der An- 
fangsgescli windigkeiten) erfolge proportional der scheinbaren 
Entfernung des Zielpunkts, nicht proportional der intendierten 
Bewegung. Die peripheren Teile der Netzhaut besäßen einen um 
so kleineren »Breiten- bzw. HGlienwert«, je weiter sie vom Zen- 
trum entfernt lägen. Infolgedessen k9nne der Innerratioiiflimpiils 
kleiner «lufaUen, als es fUr den Fall einer yollkommenen Kon- 
gruenz Ton Sehranm und wirklichem Raum nötig sein würde. 
IHese Bemerkungen bedürfen nach zwei Seiten hin einer £in- 
sobiftokong. Einmal ist die Absieht, die Angenbewegongen mOg- 
Uebst energiseh sa TolUfeken, nieht gans ohne EinflnB anf die 
Geseliwindigkeileni wenn derselbe aneh niebt vnbegrenzt ist So- 
dann aber zeigt eine ansitlhrllehere Tabelle Brilekners selbst die 
grofien Störungen, die die Proportionalitilt aneb dann noeb er- 
leidet, wenn man die Werte so answttblt, wie er es tat 
Wir lassen sie folgen (Tabelle 6). Die Winkel in der ersten 
Horiiontalreibe beidshnen die Ezkarsionen, die der llbiigen die 
(resicbtswinkel, anter denen die zwei ersten Naebbilder neben dem 
Spalt erschienen. 

Tabelle 5. 



Winkel 


8^32' 


in»' 




1^42' 


18^41' 


21048' 


24"14' 






34*1' 


38<>40'j4(r>22' 


RJLaachtoßen 


2» 56' 






4» 44' 


e» 6' 


ßo 2' 


6» 88' 


epfie' 




T>Ö6' 


8*40' 


8° 20' 


LA. > > 


8*88' 








e»80' 


0»83' 


T 3' 


rSB' 


7» 89' 




8*88' 


»»80' 


R A. Dich innen 




5^ 0' 




4^50' 


5" 2«' 


fr 4' 


6" 15' 


6» 51' 


6" 59' 


T 18' 




7" IT 


LA. > > : 


2° 26' 


3° 12' 


,2» 66' 


3^03' 


4''36' 


4« 67' 


6» 6' 


V 


6«»4ö' 




6" 23' 


6» 8' 



Die Frage, ob man wirklich ron einem Proportionalitätsgesetz 
sprechen kann, wird später noch einmal erörtert. Jedenfalls sind 
alle Autoren darin einig, daß die größeren Exkursionen im allge- 
meinen Tom Auge schneller zorUckgelegt werden wie die klei- 
neren i). Kaeb Lamanskj ist der Qmnd ftlr diese Eisebeinong 
dazin za soeben, dafi bei kleinen Winkeln »eine sehr sebwaebe 
Anstrengung der Hnskeln ansgettbt wird ond daß eine gewisse 
Zelt vergeben mnß, bis die Muskelkontraktion ihre YoDe Energie 
erreiebt bat«. 



1) Von Ovillery li^^ keine analUlnltebea Reihen vor. 



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212 



E. Koch« 



Uber den Verlauf eiuer Einzelbe wegiiuf; liefen nur wem^Q 
zahlenmäüige Angaben vor. Dodge^j zieht aoB seinen Versuchen 
den Schiaß, >daU die Bewegung gegen das Ende hin schneller 
verläuft als am Anfange. Er findet dabei die Endgeschwindig- 
keit aehr veränderlich und abhAngig von der WinkelgrOfle der 
Augenbewegung und zugleich »von dem Impetus der Bewegnng, 
d. i TOn dem Bemühen, das Auge flehneller oder langsamer xa 
bewogen«. Nach Gnillery dagegen zeigen die »Endrtellaiigeii« 
gegenüber den »An&ngMtellangen« eine Abnahme der Gesobwindig- 
keii In Tabelle 6 sind ■eine Werte zuBammengestellt Die Ge- 
eehwindigkeiton sind in MiUlmetem angegeben, d. b. in der 
Slieeke, die der Homkantpol in der Zeiteinheit nulicklegen wOrde. 



Tabelle 6. 




AnfangBStellung 


EndBtellang 




V pro aeo. 


9 pro MC. 


UakM Ange aacb aaßen 

» » » innpn 
Beohtee Auge nach auOeu 
» » » inueu 


65,106 nun 276" 
86,809 . =3G7° 
72,633 . =308" 

77,636 » «aa»' 


30.88ßiiijn = 131° 
55,247 » =234" 
34,317 . = 145« 
45,107 » =1910 



Wir fttgf en die Anzahl der Grade pro scc. hinzu *). Man muß bei der 
Durchsicht dieser Werte nur festhalten , daß die »Endstellunpreu« 
(Tüillerys niemals iu der Medianebene liciren, sondern dort, wo 
das Au^'C seine äußerste Ausweichnng- nach innen oder außrii 
vollzogen hat. Seine Werte unter >Eud8tellung:< beziehen sich 
also auf die Endphase von Bcwoguogeu, die außen oder innen 
^bren Zielpankt liaben, die unter »Anfaugsstelluug« auf den Be- 
ginn von Bewegungen, die in der Medianebene ihren Anagangs- 
pnnkt haben. Ob Guillery auch der Eudphase von solchen 
Bewegungen, die in der Medianebeue ihr Ziel haben, eine Ge- 
echwindigkeitaabnahme znBprieht, erseheint zweifelhaft. Man Ter- 
mutet das Gegenteil, wenn man sieht, wie er — nach der ganzen 



1] a. a. 0. 8. a59. 

2) Bei der Unirechnung wurde der Drehpunkt desAuges mit Douders 
und Doijer 13,6 um liiuter dem Ilornhautpole aufgenommen; die Werte 
sind ub;^erundet. Iii den Tabelleu iat diese Abrundung viel zu wenig aus- 
geübt worden. 



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Ober die Gebchwiudigkeit der Augenbewegungcu. 213 

Art fleiner YenaebBABOfdniuig — offe&W ans der Endpliase sei- 
eher Bewegungen die Geflehwindigkeifawerte fta Beweguigen Ton 
innen naeh «ifien oder nrngekehrt, also »ftlr die ganxe Streeke« 
in seiner AnadreeluweiBe entnimmt und wenn er hinsnillgt, dnreli 
eolehe Bewegongen, die in der Medianebene ihr Ziel Idttten, er- 
halte man die grOfite Gesdiwindigkeit , die man llb«faanpt «nf 
»der ganzen Streeke« erhalten konnte. 

Bruckner läßt bei allen Bewegungen iuDcrhalb der ersten 
20,4 a das Maximuni der Geschwindigkeit erreicht sein, im wei- 
teren Verlauf der Bewegung nimmt nie nach ihm ab']. 

Ancli bei den Angaben Uber die Bewegungen in den ver- 
gchiedenen Richtungen zeigen sich nicht nur in den einzelnen 
Werten, sondern auch in der allgemeinen Charakterisierung un- 
ausgeglichene Differenzen. Naeh Volkmann werden vertikale 
Bewegungen schneller als horizontale und solche in schräger Kich- 
tung vollzogen. Lamansky tindet im Gegenteil, daß die verti- 
kalen relativ langsamer sind als die horizontalen. Kaoh Dodge 
Ubertrifft die Innenwendung des Auges die AoAenwendnng, ebenso 
nach Gniilery, der speziell dem linken intemne eine noch größere 
Energie zneprieht als dem rechten. Bruckner polemisiert ane» 
drtteklieb gegen die Superiorität des internne im Aneohliifi an 
Tabelle 7, die niehta Yon einer aolehen zeigt Er stimmt dagegen 
mit Gallier j darin ttberein, dafi die Hebnng der Augen sebneller 
erfolge wie die Senkang. 

Tabelle 7. 



Bichtong 
der Bewegong 


Geeeh^ndigkeit 
bei 8«8&' 


Maximale Geeebwindigkeiteu 
bei 88' 40' uad 40« 28' 


H. A. nach außen 


U3" 44' 


424" 40' 


L. A. » > 


164» 68' 


416" 80' 


B. A. naeh innea 


llö» 68' 


374« 61' 


L. A. » » 


118» 2ö' 


312" 47' 


R. A. nach oben 


113" 31' 


411" 36' 


L. A. » > 


116" 47 ' 


423" 31' 


B. A. uacli unten 


66*' 68' 


194« 28' 


L.A. » 


88*» 89' 


201» 43' 



Zum Vergleich diene noch Tubelle 8 von G uillery, in der zuerst 
wiederum die Neigungen der Lichtlinie, dann die Geschwindigkeiten 



1) a. a. 0. S. 91. 



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214 £- Koch, 



Tabelle 8. 







9 pro see. 


UnkM Auge oaeh ts6«a 


21^* 


68.052 mm 


= 288» 


» > » )nii6n 


27,4* 


88,233 . 


= 374° 


Becbtes Aoge nach außen 


23,6" 


75^ > 


=.319'> 


> » > innen 


25,8« 


88^078 » 




> » • obea 




79,285 • 


»986« 


» » > imtea 


28,7* 


72,004 » 


^906* 



eines Hnmhantpunktos in mm sec"' angegeben sind. Die Grade 
wurden wie früher berechnet Der Unterschied der Werte iür 
Hebung and Senkung ist in dieser Tabelle sehr klein , während 
er bei Bruckner viel bedeutender sieh geltend macht. 

Die Ergebnisse der Untersuchung von Cl. N. Mc Allister*), die 
wir anhangsweise folgen lassen, beziehen sieb, wie schon hervor- 
gehoben, nicht anf die Geschwindigkeit der Angenbewegnngeo, 
flondem auf ihre Form. Er iand snaammeDgefaßt etwa folgende«: 

Während des FixiereDS befinden sich die Angen niemals in 
vollkommener Rnhe. Sie ttberstreichen yielmehr einen Besirk Ton 
etwa l^f der nngefthr der foTea centralis entspricht Liegt der 
Fizierpnnkt swiseben kleinen Strecken (Fignr la), so weiden die 
FixationsBchwanknngen in bestimmter Weise modifiziert: der Fixier- 
bezirk wird in der Richtung der betreffenden Strecken erweitert. 



\ 

/ 

I / 

- . 

I \ 
/ \/ 

/ /\ 

AB AB 

Fig. la. Fig. Ib. 

A Aosgangaponkt, B Zielpunkt. 

Auch durch Winkel, in deren Scheitelpunkt der Fixierpunkt liegt 
(Figur Ib), wird der Schwaukungsbezirk vergrößert, uiine daß 



1) Yale Psychological Studles. Vol. I. Kr. 1, 1906. S. 17-ÄJ. 



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über die Geschwindigkeit der Aagenbewegnngen. 215 

sich freilich eine bestimmte Form desselben herausstellte, die wie 
vorhin auf die Form der Fixationefigur zurUckscIilieiieu lielie. 
Die Art der Schwankimgen berechtigt in all diesen Fällen nicht 
dazu, in ihnen einen mnsknlären Tremor zn sehen. Die Bahn 
der Angenbewegongen weiter ist niebt immer dieselbe; bei bori- 
umtalen Bewegungen sind aber die Abweicbnngen Ton der Tor- 
gMefariebenen Linie sehr gering. Die Prifadsion wttebet mit der 

m 

UhoDg. Blickt das Ange tiber eine gerade Linie hin, so kann die 
Bewegung ihr unter Umständen sehr e:enau folgen. Auch die 
Treffsicherheit beim Wechsel des Fixierpunktes wächst mit der 
Ubang. Sowohl beim Fixieren als beim Vollzog von Bewegungen 
endlich erweisen sieb beide Augen darehans nicht als koordiniert. 
Otre Scbwanknngen bzw. Bewegungen erfolgen mobt im selben 
Zeitpnnkt, niebt in derselben Art nnd Weise, niebt in derselben 
Bicbtnng. 

n. Die YenmelisaiLordniuig. 

Unsere Versnebe sind eine Fortsetenng der von Dodge nnd 
CHne unternommenen Wiedemm wnrde das Bild der Cornea 
photograpbiert Es galt Tor allem, mügliebst dentliebe Pboto- 
gnmme tn gewinnen, dabei die Geschwindigkeit der Hebtempfind- 

liehen Schicht zu steigern und Uber die Beziehnng der Angen- 
beweguiig zu der Bahn des Lichtflecks eine raüglichst genane 
Kenntnis zu erlangen. Bei Dodge und Cline ließen sich die 
Kiir?en der Negativplatten selbst schlecht messen. Die er- 
reichte Geschwindigkeit der Platten betrag, wenn man sich an 
4ie reproduzierten Kuren hält, etwa 600 mm seo~', nnd ttber 
die Gmnigkeit der Gradmessnng liegen bei ihnen keine Hit- 
teüuigen tot. 

Eine DenÜicbkeit der Kurven war bald erreicht durch die An- 
wendung einer Nemstlampe, deren Liclit reich uü ]»ljotographi8C'h 
wirkBanieu Strahlen ist und deren eigenes Bild zur Aufnalinie 
gelangte. Von einer Einschiebung eines l'apierstreifens in den 
Strahlenweg warde abgesehen. Benutzt wurde eine Lampe mit 
drei Magnesiastftben, die parallel nebeneinander lagen und die 



1) Sie wsrea rot neiner BeksuBtsehaft mit den Tele Feyehologietl 
StadieB der Haaptsaehe aaeb abgeacUoMen. 



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216 £• Koeh, 

dnrch einen BiinseDbrcnner vorerwärmt werden maßten Ihre 
Cornealbilder verschmolzen hinreichend miteinander, bo daß bei 
guter £in9tellang ein scharf nmrissener Fleck aaf der Mattscheibe 
sich seigte. Die Anordnung wnr sohUefilich folgende (Figur 2): 



K 



vv 




Fig. 8. 



K bedeutet die Kamera mit der Seiteiiwaud Wj die aul- und 
niedergezogen werden kunnte. Das Nemstlicht N warf seine 
Strahlen auf die Hornhäute Cj und C, der Vp. (Versncbspen^on], 
die sie durch zwei im Tubus T verschiebbare Linsen und durch 
den photographischen Verschluß V in die Richtung 0 reflektierten. 
An 0 vorbei wurde durch eine Führung liindurch Filmpapier-' 
emporgezogeu. Dieses Euiporzielien besorgte entweder ein Kymo- 
graphion oder ein fallendes Gewicht, von denen ein Faden in die 
Kamera zum Filmpapier hinführte 3). . Im Tubus T befand sich 
seitlich eine Öffnung für ein total reflektierendes Prisma, das die 
Strahlen des Spaltes S ebenfalls in die Richtung O brachte. Vor 
dem Spalt konnte an der Stelle D ein elastischer Draht in Schwin- 
gungen Tersetzt werden, um die Zeitsclireibang zu liefern. Das 



1) Nenerding« hat man den Stäben eine gekreuzte Stellang zaelnaader 
gegebeu. Wabrseheiiilich wird dieser Typus noch vorteilhafter fttr die Ver- 
wendung »ein. 

2) Benui/t w imie Negativpa]iier der N. i' 0. 

3; la der jbi<,'iir fehlt dieser iuii der Auordauiig. 



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über die Oeechwindigkeit der AagenbewegungeD. 217 



LinsenBystem Lf Li diente znr scharfen Einstellniig des Spalt- 
bildes. Geschützt war diese NebeaaiKMdDiiiig duch einen Sehinn. 
Die Vp. benntste bei den Vefsnehen ein Beißbrett, das ihr er^ 
lantite, wihrend der Einftthmn^ des Fibnpapien nnd seiner Yer- 
bindnng mit dem Faden frei nnd nngeawongen sn sitsen. Eist 
während der Einsehaltnng des Stromes in die Lampe nnd der Vor- 
erhitznng der Stftbe wnrde die Kopflage von ihr fixiert Wiedel^ 
holte Naehprttfbngen ergaben nnr änfierst geringe Differenzen in 
der Lage der liohtflecke, wenn sie nach einer Pause von nenem 
die geforderte Kopf- nnd Angenstellnng einnahm. 

Zwischen dem Tubns nnd den Angen der Vp. wnrde ein 
schmales Spiegelglas angebracht, das den Angeu die Hilder von 
Marken zei^jte. Zwischen den Bilderu vollzog- sie die Bewegungen. 
Es bereitete keine Schwierigkeit, ans den Entfernungen des Spie- 
' geis von den Marken nnd den Augen der Vp. die Exkursions- 
winkel zu berechnen. Bei einer Veränderung der Bewegungs- 
richtung war ein Umbau dieses Teiles der Auordnang jedesmal 
notwendig; er ist in der Ficrnr fortirelassen worden. 

Auch die Stellung der Kamera war niciii immer dieselbe. Es 
wurde immer die Stellung gewählt, in der die größten Exkursions- 
winkel zur Aufzeichnnng gelangten. Bei den horizontalen nnd 
schrägen Angenbewegnngen wnrde der Film Tertikai empoigeiogen; 
die Kurven, die ron den schrägen Bewegungen berrUhrteD, wurden 
Tor der Ausmessung umgezeichnet. Bei den vertikalen Augenbe- 
wegongen wnrde die Kamera dagegen so nmgelegt, daß das licht- 
empfindliche Papier sieh horizontal fortbewegte. 

Die größte Qesehwindigkeit, bei der noch dentliche Karren 
erhalten wnrden, betrug 803 mm sec*, so daß 0,8 mm 1 «r ent- 
sprachen. Die gewöhnlich benutzten €lesohwindigkeiten aber lagen 
zwischen 200—400 mm seo™* , also 0,2^0,4 mm a'*. Die Ge- 
nanigkeit der Zeitmessnng war damit hinreichend garantiert 

Nicht so einfach stellte sich die Berechnung der Anzahl der 
Cfimde, die das Auge wirklich durcheilt hatte. Darin liegt — wie 
wir schon frtther betonten — die hauptsächliche Fehlerquelle des 
Verfahrens. Um den Schwierigkeiten nach Kräften zu begegnen, 
wurde jedesmal vor den eigentlichen Bewegungen bei ruhendem 
Film und möglichster PrUzision der Einstellung Anfangs- und Ziel- 
punkt der Bewegung mindestens zweimal aufgenommen. Erst 
dann wurde der Film in Bewegung gesetzt, um die Augen- 



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218 K.«ch, 

bewegQDgen derselben Weite m fixieren. Ans den ersten AngabeOf 
sowie ans denen der Bewegangen ergab sich im Mittel die Streek«, 

die (1er geforderten Gr.idanzahl eutHpracb. Bei diesür Ikstimmuu^- 
wurden nnr solche Werte außer Betracht gelassen, die auffällig 
vom Darchscbuitt abwichen und die iu der anf die Bewegung 
folgenden Pause von der Vp. selbst korrigiert worden waren. Es 
kern dieser Fall äußerst selten Tor. Wurden später die Angaben 
fttr die einzelnen Exknrsionsweiten bei einer Anfiiahmeeerie Tei^ 
glichen, so war es mögliefa, sie anszogleieben. Die Ansgleiehmig 
hatte freilieh znr Bedingung, daB die Pbotogramme unter kon- 
stanten Verhältnissen, besonders bei derselben Orientierung der 
Lichtquelle zu den Augen der Vp. üulgcuoiüinen waren. Deshalb 
wurde jede Bewefrun^srichtung niö^'licbst an einem Abend er- 
ledigt. Nahm — wie das nicht anders zu erwarten steht — die 
Anzahl der Grade, die 1 mm entsprechen, in einem bestimmten 
Verhältnis ab oder zn, so wurden unter Umständen die Mittel- 
werte detailliert Um Uber die Streuung der Werte nicht im Un- 
gewissen zu lassen, sind den Tabellen die mittleren Variationen 
beigefügt. 

Die vor den Bewegungen gemachten AuInahineLi von AusgaugB- 
und Endsteiluug der Augen bei ruhendem i'ilm hatten noch zwei 
andere Vorteile, die der Zeitmessung zugute kamen. Lagen die 
Punkte, die der Anfangs- und Endstelluug der Augen entsprechen, 
nicht genau auf einer Senkrechten znr Bewegnngsrichtung de« 
Uohtempfindltchen Papiers, so ergaben sieh nun die Konektoren. 
Feiner war es mOglioh, daß die Zeitschieibung etwas hoher oder 
tiefer begann als die Bewegungen. Aueh dann hatte man einen 
festen Anhalt dafür, welche Schwingung mit der aufgezeichneten 
Bewegung kombiniert werden mußte. 

Die Ausmessung der Kurven fand zuerst mit einer Teilmaschnje 
statt. Es war sehr zeitraubend. Schneller und mit hinreichender 
Genauigkeit führte die Benutzung einer Schublehre zum Ziel. Es 
sind schon Angaben ttber die Geschwindigkeit des Filmpapien 
gemacht worden. Aus ihnen geht heryor, was eine Genauigkeit 
bis anf etwa 0,1 mm besagt Für die Grade kamen Answeichnngeu 
bis zu 13 mm in Frage. Bei der relatiren Kleinheit dieser Grdfien 
wurde aui iure Ausmessung besondere Sorgfalt verwandt. Nnr 
bei sehr großen Geschwindigkeiten bereitete die Bestimmung von 
Anfang und Ende der Kurve eine gewisse Schwierigkeit. Die 



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Obor die Geschwindigkeit der Angenbewegangea. 219 



Zeitschreibnng gab mit ihrer Spar geoaa den Weg an, den der 
Film genommen, auch etTvaige dchwanknngen, die er nnterwega 
erfahren haben konnte. Warden nun die Karren langsam verfolgt 
nnd immer die Entfemong ihrer Punkte von der Spur der Zeit- 
fldireibang gemeaaen, so ergaben sich Anfang nnd Ende mit hin- 
reichender Dentlichkeit Bei sehr grofien Geschwindigkeiten war 
der Obelgang von der Bewegung aar Pause so langsam, daB der 
Trennnngspnnkt nicht so sicher gefiinden werden konnte. 

Vp. war bei allen Aufnahmen Herr S., Heiser an der hiesigen 
Unirersittti Er besitzt Augen yon normaler Refraktion nnd Seh- 
sehArfe. Tor jeder Anfriahme fbhrte er zur Einllbung einige Be- 
wegungen Ton der geforderten Ezknrsionsweite ans. In den meisten 
Füllen hatte er die Aufgabe, die Bewegungen möglichst prisis 
ansznfttbren, ohne ÜberstHrzung, aber auch ohne zu groSe Pansen. 

Der Ausgan^punkt für die Bewegungen lag ftlr gewtthnlicli 
iu der i'riuiiir]ui;c — nicht immer ganz ^cuuu, da die Autbtel- 
lung der Marken und des sie reflcktiercudcQ Spiegels das nicht 
erlaubte. Die Abweichungen waren aber unbedeutend und, wie 
eich später zeigen wird, ohne Bedeutung". Von der Primärlaee aus 
erfolgten die Beweguniren lu ri/üntal nach rechts und links, vertikal 
nach oben und iint. ii < udlich unter 45" nach oben und unten, 
innen und aulien. Daneben wurden einige absichtlich »schnelh 
ToUzogene Bewegungen, ferner Konvergenzbewegungen registriert. 

Die beigegebene Tafel bringt die Reproduktionen einiger Nega- 
tive Im allgemeinen ist der Kopf mit den Angaben der Ans- 
gsngs- nnd Endstellnng der Augen fortgelassen, da er wegen 
starker Schwärzung gewöhnlich nur im durchfallenden Licht die 
Einzelheiten hinreichend deutlich erkennen läßt. Daftlr sind die 
Punkte a nnd x (Anfangs- und Zielpunkt) nach dem Mittel ein- 
getragen; ein Strich durch die Zeitschreibung gibt ftlr sie den 
entsprechenden Moment an. Die Schwingnngsdauer betrSgt in 
den mitgeteilten Reproduktionea immer 87,8 wie sich ans ihrer 
glmehzeitigen Aufiiahme mit den Schwingungen einer Stimmgabel 
(100 y.-D. pro sec.) ergab. Nr. 1 gilt fttr das rechte Ange nnd 
horizontale Bewegungen, Nr. 2 ftlr »möglichst schnelle« Horizontal- 
bewegungen, Nr. 3 ftr Konvergenzrersuehe beider Augen. Nr. 4 
zeigt die yerschiedenartigen Bewegongsformen während der Pansen. 

1 HiDBichtliob der DeatUchkeit bleiben die Abstige eehr hinter den Vor- 
lagen zarttck. 



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220 



E. Koeli, 



IIL Regv]t«te. 

Wir teilen miiftoliBt die Ergebnigfle mit, deren ErmitÜnng das 
Hanptsiel der Arlieit war und die üch aof die bei den Bewegnngen 
erreiehten Geachwindigkeiten beziehen. Ihnen folgen dann andere 
Aber daa Verhalten der Angen während der Pansen und ttber ihre 
Koordination. 

a) Die Bewegungen und ihre Geschwindigkeiten. 

TabeUe 9 gibt die Geschwindigkeiten des rechten Auges bei 
Bewerbungen aas der Primürlage horisontal nach außen und snrttck 
an. Die erste Vertikalkoliunne enth&lt jedesmal die Anzahl Grade, 
die wirklich durchmessen wurden. Man halte sie mit der sechsten 
Vertikalkolnmne znsammen; dort findet sich der Winkel, der dnreh- 
messen werden sollte, in runden Klammem beigefügt Ans ihren 
Angaben kann man zugleich ersehen, welche Kurven bei derselben 
Aufuahnie crhiilten wurden. Teilwciee zeigen beide Kolumuen 
recht beträchtliche Unterschiede. Znr Erklärung wird mau zu- 
nächst auf mangelnde Übung zurückgreifen. Aber daneben wer- 
den auch St^rungeu der Vp. nicht abzuweisen sein. Freilieh war 
äm Bestreben darauf gerichtet, durch Btete "Wiederholung der Aut- 
gabe und vereinbarte Kommandoruic eine möglichst gute Vorbe- 
reitung zu erzielen. In der Mehrzahl der Fälle wurde sie aiich 
erreicht, und die Vp. drückte spontan ihre Befriedigung über ihre 
Beaktionsweise ans; aber der Manipulationen waren so viele, daß 
nicht immer eine gleichmäßig mhige Ausführung erreicht wurde. 
Aach die Empfindlichkeit gegen das seitlich einfallende Licht war 
an den einzelnen Arbeitstagen sehr verschieden. Es wurde daTon 
abgesehen, durch nachtrMgliches Befragen die Art der Störung an 
ermitteln. 

Die Kolumnen 2—5 enthalten nun die Werte der Geschwindig- 
keiten in Graden pro sec. : 2 das Mittel ihr die ganze Bewegung, 
3 für den Anfang, 4 für die Uitte und 5 ftlr das Ende der Be- 
wegung. Unter ihnen befinden sich in eckigen Klammem die zu- 
gehörigen Werte der cf. Die Angaben der Grade würden die 
Tabelle sehr belastet haben; zudem ergeben sie sich leicht ans 
den Werten fttr v und <r. 



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über die Geschwindigkeit der Augenbewegiingen. 221 



, Tabelle 

' pr pr 

R A. -> R. A. 



Ana. 1 


Geechwindigkeit 


U 




1 

1 Aus- 


Geschwindigkeit 




AQI- 


f§riihrt€ 




Graden 





gegebene 
Bewegung 


gefllhrte 
Bewegung 




Graden 




gegebene 
Bewegung 


















1 Graden 


Mittel 


Anfang 


Mitte 


Ende 


in Graden 


in Graden 


Mittel |Anfang 


Mitte 


Ende 


in Gruden 


1 

10.8* 


201° 


90" 


327" 




10,2" 
















' • O £1 — 

[Oö.o a 


10,6 


23,4 


19,b| 
























11,9" 






211" 


160" 


10,2") 
















159 5 (I 


18.2 


21,1 


20 21 














1 Q j4 
Jo,4 




9(11 


432 




;13,ö) 


14,0 


3üä 


^77 


522 


23a 


(13,0) 




|46,8fj 


11,2 


21,0 


14 61 




[45,9 ö 


11,6 


11,6 


22.7] 














'18,4 


2fLL 

(76,4 ff j 








(16,9) 


*18,7 


2iü 

[76,1 








16,9; 


19.1 


aiü 




3Sß 


2äii 


:i9.8j 
















[61,6 0 


16,9 


20,7 


24,0) 














^ 


302 
[67.6 <r 


282 
14,7 


403 

19,8 


250 
33.11 


f2o,7) 

1 














•20,8 


Ol n 


122 


303 


1H5 


i .16.9; 


















19,0 


29,4 


4G,5| 














•21,1 


Afg 

|1U4,^ a 


299 
44,6 


1 

1 oU 




















2fil 


ÖOO 




i :19,8; 
















(70,0 fj 


20,8 


17,2 
















•22,9 


2Q1 


360 


109 


(25,01 


22,9 




2ai 


439 


275 


25,7 




|102,9 a 


42,1 


70,8] 






(67,7 a 


23.8 


25.4 


18,51 




*24.6 


123 


222 


138 


(2ö,0i 


24,5 


32H 




420 


19.8; 




[127,7 «T 


45,9 


ol,o 






[74,7 o 


34,5 














1 


♦27,9 


2H4 








16.9: 




221 


187 


407 


IM 


1 

;3l,0; 




[98.3 if] 












20,4 


35.2 


(i9,3 


















278 


422 


2Qq 


1 (22.9;i 
















[102,4 ff 




67,9 


























♦29,7 


259 








22,9; 
















114.7 (7j 




















*30,6 


2iil 

[105.1 .t] 








26,0; 














30,6 


335 


243 


422 


321 


31.0 
















[91,3 ß 


34.0 


38,5 


18,8] 




ISI 


213 


355 


m 


(35,8) 










[177^ ff 


17,6 


41,8 


117.8] 












35,8) 










33.8 


317 
1W,7<i 


1S3 

:i5.7 


404 

52.8 


326 
18,21 












1 

1 
1 


*34.3 , 


2K6 

j 120,0 <T 


2M 

64,6 


m 

55,6] 


25,0) 












i 


':^,0 

1 


305 

124,7 ff 


197 
40,8 


357 
83,91 


22.9j 



pr = PrimärateUimg. — • Aqb einer früheren Serie. 
Die Horizontalreiben, die in der 6. Rubrik die gleichen Angaben anfweiten, 
stammen Ton derselben Aufnahme her. 

ArehiT fikr Payehologie. XUL Ih 



222 



Die Abgrenzung der drei Phasen gegeneinander fand auf fol- 
gende Weise statt. Jede Kurve besitzt einen Weudepoükt, iii dem 
ihre Konvexität in die Konkavität übergeht. Es wnrde nun das 
KarrenstUck, auf dem der Weudeponkt liegt, verfolgt, und zwar 
so weit, als es einer Geraden sieh möglichst annäherte. Die Rest- 
atlleke der Knrfe eigabeii dann 700 selbst »Anfang« und »JSnde«. 

Die TäbeUe enthSlt die Resultate sweier Anfbahmeserien; die 
der enten sind mit • Terselien. üire mV (mittlere Variatieii) 
betrigt ^ 6,5 ^, die der sweüen Serie dr 4,7 ^. FaBt man nh 
nächst die Mittelwerte llllr die ganzen Beweguugeu in der zweiten 
Vertikalkolumne ins Ange, so entsprechen sie im allgemeines 
denen, die Gnillery, Dodge und Cline, Bruckner gewannen. 
Aber es zeigt sieh bei ihnen nichts von der Regelmäßigkeit, 
die jene Autoren mehr oder weniger dentlich zu finden glaubten. 
Nor gans allgemein lüBt sieb im Anseblnfi an die TabeUe ngcoi 
daB die Qeaebwindigkeiten Ton den kleineren Winkeln an 
waehsen>), nm sieb dann anf einem breiten Niyean tu 
halten oder wohl gar wieder abzunehmen. Mit diesem 
Resultat wird es nicht andera, wenn man jede Serie fUr sich ge- 
öoudert betrachtet. Es fällt dann nur anf, daß die Werte der 
ersten Serie absolut genommen kleiner sind als die der zweiten. 
Auch die Werte für die einzelnen Phasen der Bewegungen, wie 
lie in dw dritten bia fünften Vertikalkolumne angegeben sind, 
geben kein Beebt, Ton einem proportionalen Anwaobaen der Ge- 
sohwindigkeiten mit den Winkeln zu spreehen. 

Für dieses Resultat kann man niebt die Ungenauigkeit der 
WinkelmeBsuntr verantwortlich machen. Die mV sind angegeben. 
Bestünde wirklich ein proportionales Anwachsen, so wären ihre 
Grüßen nicht imstande, ein solches Tollötandig zu verdecken und 
in einigen Fällen in ein Abnehmen zn ?erwandein. Zur Erklärung 
darf man auch nicht besondere StJirungen der Vp. oder ihren 
Mangel an Übung beransieben. Nur in seltenen Fällen drBekte 
sie eine ünunfiriedenbeit mit ihrer Reaktionsweise aus; im allge- 
meinen hatte sie die Übeneugung, der gestellten Aufgabe gerecht 
geworden zu sein. Eine gewisse Übung besaß sie ebenfalls, und 
es kam nicht darauf au, den Grad der Feinheit, bis zu dem eine 

1) DiesM Aawafihseii der Geschwindigkeiten tou kleiaeren Winkeln in 
tritt später ans den Tabellen, die Winkel unter 10* bertlekaiehtigeB, deal- 
licher wie in Tabelle 9 herror. 



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über die GMoliwindigkeit der Augeubewegungeu. 223 

Übimg te Angonbew^gmig«!! getrieben weiden kann, aiisfindig 
in madwn. 

• SeboD in te Kxitik der firflberen Veiraohe ist im Hinblick 
nnf nniera Ergebnisse snf die Sebwnnknngen in den Gesdiwiii- 
digkeitswerten mflnerksam gemnoht worden. Gnillery merkt 
besonders ss, dafi nieht alle Kontraktionen bei denelben Wlnkel- 

grOBe »an Scbnelligkeit gleieb sindc. Er erhielt bekannfliek die- 

Belben Werte, weDn er die »^nze Bahn« (also von der äußersten 
bis zur ianerstcn Augeustellungj durclimaß oder nur biä zur rhmär- 
steUttng die Bewegungen vollzog. Er wählte dieselben grüßten 
Werte aus. Daß er in solcher lüchtuDg auswählen konnte, zeugt 
aber von der Varia) ilität der Geschwindigkeiten. Brückners 
Tabelle widersprach ebenfalls einer durchgehenden Proportio- 
nalität der Geschvvindigkeitszunahme. Die relative fvegeimäßig- 
keit, die sie aufweist, war wiederum nur Resultat einer Aus- 
lese der Werte: er notierte wie Guillery die grüßten aha die 
definitiven. Aach Dodge nnd Cline teilten Maxima and 
Minima mit» die teilweise auf bedeotende UnregelmiAigkeiten hin- 
wiesen. 

Naeh dem bisherigen ist die MflgUebkeit, daß ein Froportio- 
nalittltsgesets existiert, nicht direkt ansgeseblossen. Man kffnnte 
dieses Gesell» das die C^kwindlgkeiten allein dniek die gestellte 
Angabe nnd die Eigensefaaften der Netahant bestimmt sein iUBt, 
inuner noeb als »reinen Fall« hinstellen. Ehe wir jedoch sn dieser 
Frage SteUnng nehmen, wollen wir den Verlaaf der Ebuelbewe- 
gnngen im Anseblnfi an die dritte bis filnfte Vertikalkolnnme ins 
Ange ikssen nnd sehen, wie sich in ihm die YerKnderliolikeit der 
Qesefawindigkeiten geltend macht 

Mit großer Konstant zeigt sich hier wie aneh später, daB die 
Geschwindigkeit im Anfang der Bewegung annimmt, naeh einiger 
Zeit ein Maximum erreicht nnd in der Endphase wieder abnimmt. 
Nur wenige AusuaLmcn liegen vor — üiic bei den Kückbewegungen. 
£s bestätigt sich also im allgemeinen Bruckners Angabe, die im 
Gegensatz zu der von Dodge stand. 

Die Anlangswerte sind ungeläbr von der Art, wie Brückner 
sie fand. Man muß in Kttcksicbt ziehen, daß er nur die grüßten 
Werte notierte, läie TCrhalteu sich ganz wie die Mittelwerte: von 



1} Mitg«toUt aU Tabelle ö. 

r 

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224 



£. Koch, 



dm Uemeiai ^nnkaln an WMliaeii sie, um später giofier Ter- 
ftnderlichkut nntenrorfeii zn aeui. 

E« war niobt m Bobwer, in den Konren nngeflUir den Ptankt 
umgeben, wo das Mailninm als DmehBebnittowert seinen Anfang 
nabm. Das eigenfliobe Maximnnii das yon diesem Wert flir ge- 
wObnlieb nur wen^ abweiebl, lag etwaa spiter. Immerbin aber 
können die Angaben der o in der dritten Vertikalkolnmne an- 
genähert als die Zeit betrachtet werden, nach deren Verlauf das 
Maximum eintrat. Nur für die Mehrzahl der Fälle bestätigen eie 
die Angabe Brückners, daß die Geschwindigkeit innerbalb der 
ersten 20,4 a ihren grüßten Wert erreiche. In dieser und den 
folgenden Tabellen zeigen Bich Werte bis 64 a. Man mnß danach 
fÄr das Eintreten des Maximums einen Spielranm von 50 — 60 a 
annehmen. Oft setzt die Bewegung sehr bald mit dem größten 
Wert ein, so daß sich keine Anfnngsphase deutlich nntcrsrhcideu 
läßt. In anderen Fällen rUckt das Maximum mehr an das Ende 
der gesamten Bew^nngszeit, wohl gar in die Endphase, die fUr 
gewOhnlioh eine Verzögenug bringt. Anffälligerweise findet diese 
Verspätung des Maiimnms gerade bei den Bttckbewegongen smr 
Frimärlage statt 

Faßt man nnn neben den Geschwindigkeitswerten zogleiob die 
der a ins Ange, so tritt die gio0e Mannigfiütigkeit in den Be- 
wegangen reebt dentlieb hervor. Selbst dort» wo denelbe Weg 
mitteikgelegt wird, ist der Bewegmigsablaof ein dnrebans ver- 
sebiedener. Man vergleiebe In Tabelle 9 etwa die Angaben fltar 
die Winkel 22,3<> nnd 22,9». Eine Bewegung kann sofort krüflig 
einsetsen; eine Anfimgspbase bebt sieb kanm ab. Die andere 
gebranobt eine TerbAltnismäBig groBe Zeit bis isr Entwieklnng 
des Kaiimnms. Die eine Bewegung fiOlt g^gen das Ende hin 
sebnell ab ; die Zieleinstellung erfolgt präzise. Die andere nibert 
sieb dem Ziel dagegen langsam und geradezn tastend. Bei der einen 
Art endlich sind die Werte ftlr die einzelnen Phasen voneinander 
sehr verschieden. Die andere stellt — man möchte sagen — 
Zwisohenformen der Reaktionsweise dar, bei denen die Differenzen 
der Phasengescbwindigkeiten weniger groß sind. In der letzten 
Hinsicht vergleiche man etwa die Angaben fUr 10,8° und 11,9**. 

Die mitg^ctcilteu Daten gestatten uns nun, die Hauptmomente, 
die den Rewegungs Vorgang beeinflussen, heraoszaheben und zom 
Proportionalitätsgesetz äteilong zu nehmen. 



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über die QeeehwiiuUgkeit der Angenbewegniigflii. 225 

Hvr fllT die kleinen Winkel leigt sieh eine Znnalnne der 

Geschwindigkeiten mit dem Waolieen des Exkursionswinkels. Sie 
besteht also nicht, wie man frUher dachte, durchgehend für alle 
Winkeigrüßen; auch in dem kleinen Bezirk, fUr den sie gilt, felilt 
eine bis ins einzelne gehende Abstafang der r mit den Winkeln. 
Ben Grand für diese Tatsache hat schon Lamausky angegeben, 
obwohl auch er den Bezirk, in dem sie gilt, für lyrößer hält als 
er wirklich ist. Er 8agt^): *Mit dem Wachsen des Blickwinkels 
wird auch die Geschwindigkeit der Blickbewegunp größer. Dies 
läßt sich wohl erklären aus dem Umstände, daß bei kleinen Be- 
wegungen des Auges eine sehr schwache Anstrengung der Muskeln 
MSgeUbt wird, und daß eine gewiaee Zeit vergehen muß, bis die 
Mnskelkontcaktion ihre volle Energie eireiebt bat.« Man hat sich 
zn denken, daß die Gegenimpulse, herYorgerofen duoh die Kttck* 
deht auf das Ziel, bei den kleinen Exkursionen schon mit Beginn 
der Beweguig oder sehr 1>ald danach flieh geltend machen nnd 
die Geeebwindigkeit TenOgem. Mnn bat es nicht in der Gewatti 
die Bew^inngen m forcieren. Die Vp. machte bei einem Winkel 
Ton 7^ Bpontui die Bemerknng, ob sei ihr trots besten BemfttienB 
nicbt mOglidi, prlbsise sn reagiem^. Selbst wenn man eneigiicb 
reagieren wQl, xerstOren die Gegenimpolse den gewollten Bffekt; 
man erbUt den Eindroek der Ohnmacht Machen die Gegen- 
impnlBe sich sofoit beim Beginn der Bewegung stark geltend, so 
wird die LOsnng des Fixationszostandes yon Tomherem schwach 
vollzogen. Setzen sie erst nach Beginn ein, so genttgt doeb die 
Zeit, in der ihr Einfloß noch nicbt wirksam ist, selbst bei kräf- 
tigeu Impulsen nicht, um größere Gesciiwiudigkeiten — etwa 300° 
und mehr — sich entwickeln zu lassen. 

In diesem Zusammenbaug verdient eine flul)Jcktive Beobachtung 
erwfihnt zn werden. Bei sehr kleinen Exkursionen ist der Ein- 
drnck, den die Bewejrangsem]>linduiiir*'ii liiiiterlassen, unter Um- 
ständen 80 gering, daÜ man gar iii( hl entscbi irlen mag, ob mau 
wirklich eine Bewegung vollzog oder nicht. Die i^ixationsschwan- 
knngen während der Pausen mit ihren kleinen Winkeln gehen 
ebenfalls vor sieb, ohne auch nur im geringsten bewußt zu 
werden. Hier zeigt sich die geringe Differensiemng der Be- 
wcgnngseii^findangen. 

1) a. a. 0. S. 422. 

2) Die Werte ftr den Winkel 7* finden sieh hi Tibelle 11. 

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226 



E. Koohf 



Dm Zunahme der Gesell windigkeitea bei kleinen Winkelf^fien 
igt nur eine n]](j;emeine^ der Jede Froportionalitftt fdilt Bei größe- 
ren Winkeln finde! flleb dieeer Mangel viel denflieher ausge- 
epfoeben Tor; hier ist er sogar das einzige CharakteriBtiknm. In 

beiden Fällen sind es dieselben Momente, die ihn her7orrufen. 
Werden die Winkel größer, so steht genügend Zeit tlir die Ent- 
faltung der größeren Geschwindigkeiten zur Verfügung. Zugleich 
aber gewährt die Zeit den physiologischen und psycho- 
logischen Momenten einen größeren Einfluß auf den Ablauf 
der Einzelbewegungen und verleiht ihnen » ine ;j:roIie Variabilität. 

Als physiologische Momente kommen vor allem Tonus und 
Innervation in Betracht, die psychologischen kann mau unter dem 
Aasdmok »Aufinerksamkeit« zasammenfassen. Beide Gruppen 
wirken zusammen, oft in gleicher, oft in entgegengesetzter Rieh- 
tnng. Es ist nicht möglich, ihren £inflaß gegeneinander abzu- 
gronsen. Eine hinreichende innerration wird vielleicht durch die 
jeweiligen TonnsyerhiUtnisse gehemmt and gestört oder eine 
mangelbille Innermtion doroh dieselben Yerbesaert Beide» Tonns 
nnd Innermtion, können einem glatten, prisisen Ablauf der Be- 
wegung gllneftig sein, aber die Aufmerksamkeit yersagt: die Vp. 
wird dureh das Kommaadowort oder andere Umstände «bemsehti 
es fehlt ihr die Bereitschaft, der Zielpunkt ist womOglieb nioht 
bestimmt genug aufgefaBt und was deigleichen sonst noeh mUg- 
lieh ist Alle die genannten Faktoren zusammen geben deif Be- 
wegung ihre speiielle Form. So erklären sieh das sebnellere oder 
langsamere Ansteigen nnd AbiUlen der Geschwindigkeiten, die 
Lage des Maximums im Verlauf der Bewegung, die verschiedenen 
Keaktionsweisen der Vp. zu verschiedenen Zeiten, wie sie sich in 
den Abweichungen der ersten und zweiten Aufnabmesehe doku- 
mentiert. 

Der Umstand, daß bei den ROckbcwegungen die Endphase oft 
(las Maximum zei^t, läßt sich nicht auf diese Momente zurUck- 
tllliren, wenigstens nur zum geringen Teil. Es ißt nicht ausge- 
öchlossen, daß die Primärlage fllr die Vp. mehr »betont« war als 
die Attßenlage, und daß infolgedessen die Einstellung' in ihr mit 
besonderer Präzision erfolgte. Es zeigt sich hier vielmehr der 
JSinflofi mechanischer Momente. Beim Beginn der Rttckbe- 
wegnng ist die Spannung des rectns internus eine sehr große. 
Während der Bewegung kann er diesen Zustand tösen. So kom- 



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über die Qesohiriiidigkeit Augmbvwegaa^Uu 227 



men die elastischen Klüfte dee Muskels dem Impalse der Rttek- 

bewe^ung za Hilfe and verstärken ihn. Die Verstärkung zeigt sich 
besonders m der Endphase, weniger in der Mitte und im Anfang, 
wo sie nicht etwa ausgeschlossen ist. Das erscheint zunächst be- 
fremdlich, wenn man an die verzögernde Tendenz des Zielpunktes 
denkt. Aber die Endphase bietet für das Auftreten einer ver- 
stärkten Wirkung insofern sehr ^äins:iti^^e Bedingungen, als in der 
Primärla;2:e und ihrer nächsten Umgebung die Hemmnngen, wie 
sie in den Seitenstellungen sich geltend machen, wegfallen. Die 
Geschwindigkeit wird nicht durch die Spannung der übrigen 
Moskeln, besonders der Antagonisten, nicht dnrch die Wider- 
Btftnde, die ans der Hülle des Bulbus und der Form des Aug- 
apfels erwaobseni verzögert Sie kann sich unter dem doppelten 
EinfloB ungestört entwickeln, um am Ziel schnell nnd sicher ab- 
anfidlen. 

Die grOfitmOg^ohen Exknisionen konnten bei der gewühlten 
Anordnung nieht sor Anfiithme gelangen. Die reflektierenden 
FISoken worden n anregehnlBig, das Bild anf der MaltsiMhe 
wurde immer liehtsehwftcber nnd yerschwand sehlieBIick gans. 

Trotzdem erlaubt uns Tabelle 9, zusammen mit den bisher ge- 
machten Bemerkuneren , auch Uber sie einige Andeutungen zu 
machen. Man wird bei den grüüteu Wiukelu z,wibelieü Hin- und 
KUckbewegung unterscheiden müssen. Bei der Außenweudung 
werden die Mittelwerte der Oescbwindigkeiteu die Tendenz zum 
Kleinerwerden zeii!:en; besonders die Endphaseu werden dieses 
Resultat beschleunigen. Bei der Kürkwenduug zur I'riüiärlage 
hin werden die Mittelwerte kaum gegen frUher sich andern, da 
nirgendwo, weder für Anfangs- noch für Endphase, ein besonderer 
Grund zu Verzögerungen vorliegt. Im ersten Fall hat der rectos 
externns mit zunehmendem Winkel stets neue Hemmungen zu tiber- 
winden: je weiter seine eigene Kontraktion fortgeschritten ist, um 
so langsamer wird die Fortsetzung derselben erfolgen, und daan 
erwachsen ihm auf dem weiteren Wege die frtther anfgezählten 
Widersttnde. Umgekehrt beginnt der reetns intemna mit einer 
llbemormalen Spannnng, die ilin jene Widerstünde leicht tther- 



1) Handbuch der Physiologie des MenBcben, benafl^g. vou Nagel. 
DL S.89(l Na«fa Wandt kaan dar Widenlaad dM Optikuntieles Ttt- 
laddlnlgt werden. 



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E. Koeht 



winden llBt, und je melir er Bich ieinem Ziel Ulbert, um m> we- 
niger WidentSnde findet er vor. Aneh Min eigener Eontraktions« 

zuatand erlaubt noch Steigerungen der Grcschwindigkeiten. Tabelle 9 
läßt das abweichende Ycrhalteü des internus uud extemo» ziem- 
lieh deutlich hervortreten. 

So klärt das Moment der Zeit im Verein mit einer Reibe 
physiologischer, psychologischer und mechunisober Momente alle 
iYj^en auf. Dag Proport i o n al i tät^gesetz , das nur die gepfeilte 
Auftrabe biw. den entspreelicmlen ImpnU und einige Eip:cntura- 
lichkoiten der Netzhaut in Rechnung zieht, erweist sich als Uber- 
fitlssig und Ton jenen Gesichtspunkten aus selbst als »reiner« Fall 
alt uwahiBobeinlich. Es übersieht die Menge von Bedingungen, 
later donen eine Einielbewegang wKlireod ihres Ablaafo steht 

Tabelle 10 gibt die Geschwindigkeiten von Bewegungen dea 
reebten Auges an, die von einem median gelegenen Punkte nach 
innen nnd saittek ToUsogen worden. Der Ansgangspnnkt lag 
nieht genau in der Ftimftrlage, sondern ein paar Grad naeh leehts 
anfien. Die mV betragen ± 3,6 ftg* Alle früher gemaebten B«- 
obaobtnngen lassen steh an dieser Tabelle noeh einmal anstellen. 
Bei den kleineren Exkursionen wachsen die Geschwindigkeiten 
mit dem Whikel, ohne ^e Proportionaliült einzuhalten. Spitter 
bleiben sie unter groSen Schwankungen auf einem gewissen Kiveau, 
um weiterhin yieÜeioht eu suikea, wie bei 41,7^ und 43,9". Jede 
Einzelbewegnng zeigt ein Anwachsen der Geschwindigkeit bis zu 
einem Maximum und dann einen Abfall. Das Maximum wird dies- 
mal in allen Fällen währcud der ersten 20 o erreicht — nach 
froheren Bemerknngen ein Zeichen dafür, daß die pbysiologischea 
und psychologischen Momente sehr günstige waren, also daftlr, 
daß die Bewegungen präzise und energisch erfolgten. Auf das- 
selbe deutet auch die absolute Größe der Werte hin. Sie ist viel- 
fach größer wie in der vorigen Tabelle. Mittelwerte wie 432'^ 
and 476" kamen dort nieht vor, ebensowenig ein Maximum 621°. 
Man braucht diesen Werten kein Mißtranen entgegenzubringen. 
Die Werte 476** nnd 621** stammen von der Aufnahme, bei der 
die aufgegebene Bewegung (28,8 ^) betrug. Dieselbe Aufnahme 
lieferte eine Innenwendung mit dem Exkursionswinkel 29,6**) deren 
Gesehwindigkeiten sich in durchaus bekannten Grenzen halten. 
Es ftUt auf| daß gerade die Werte bei den Rttekwendungen auBer- 



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übw die GeMhwiBdjffkdt d«r Aogeabewegoiifeii. 229 
Tabelle 10. 



L 4 1 B.A. I > 





Qetehvindigkeit 




Auf- 


Aas- 


Geschwindigkeit 


! 


Auf- 




in. Oiadtt pro seo. 


gegebene 


geführte 


in Graden pro sec. 


gep:ebene 


FZ 










Bewegung 


Bewegung 










Bewegung 


























in Qnäen 


in GndflM 


■WEM 




iuibie 


£<ucie 


in Gnden 






• 








7,0« 


171» 
[40,9« 

296 
(47,8« 


181« 

18,8 

199 ' 
9.3 


261» 

16,7 

439 
19,7 


109» 

11.61 

187 
1831 


a4Ä 




266«» 
[60,1 <r 


236« 
18.4 


360" 
17,3 


24,4j 


{14»8T 


18,5 

23,5 i 


342 

(64,2 a| 
432 


810 
18,8 

325 


451 

18.8 

567 


256 
17,2J 

3til 


(21,7) 
(27,9) 
















r644« 


12 6 


91 0 


20 91 




868 

[107.0« 


187 
7,7 


377 
89,8 


176 
80,0] 


(98,8) 
















389 


881 

16,6 


411 

86,6 


816 

41 n 


(88,6) 
















929 


837 


136 




















1 


1 






*89,9 


476 
[62,9« 


289 
6,0 


621! 
20,6 


42Ü 
37.31 


im 


IM 


312 
:97,1<T 


132 
14,3 


412 
37,4 


285 
4ö,8j 


\27,9j 




















1 






1 

37,2 


381 
197,8« 


644 
44,1 


248 
68^1 


(42,8) 


1 
1 






1 






88,2 


421 
190^« 


678 
19,8 


533 
30,4 


265 

41,2] 


(38,5) 




m 

|ll06,6(f 


277 
12,4 


1405 
44,3 


352 
61,9) 


(88,6) 
















1225 
(185,0 ff 


007 
12,6 


430 
1 34,1 


168 

i 138,3] 


(60,0) 














42,7 


369 
119,üe 


175 
8.9 


422 

42,9 


352 
65,6] 


(4S»8) 




• 












245 

il79.3ff 


149 
lb.9 


, 518 
1 39,2 


167 
126,1] 


1 (60,0} 














nV 


r 




1 

1 


















• 3,6 i» 























j)r = Primäratellung, mit einer geringen Abweichung oAch re<sht8 außen. 

• Von einem zweiten Abend. 



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230 



E. Eooh, 



gewöhnliche Höhen erreichen. Das scheint einen ähnlichen Grand 
zu haben wie früher dio Tatsache, daß bei den RUckwendüugen 
von außen zur Primärla^'c das Maxininm vielfach in der Kndpbase 
lag. Jetzt ist es der rectus externus, der bei Heginn der Be- 
wegung in übernormaler Spannung sich befindet und im Verlauf 
derselben von dieser Sp<innang nntersttttst wird, dabei um so 
weniger Hemmungen Torfindet, je mebr er eich dem Ziel in der 
Primttrlage nähert. 

£» xeigt Bieh immer wieder eine große Mannigfaltigkeit der 
Bewegongsformen, die es zn verbieten leheint, dem reetns intenme 
oder reetns extemns an nnd fttr sieh eine Überlegenheit znzn- 
iobreiben. Die anatomimhen Ergebnisse spreeben freilich snnSobst 
fta den intemns. Er bedtit naeh Zoth>) grOBeree Gewicht, 
größere Lftnge und größeren Querschnitt Die Unterschiede swisohen 
rectos externus nnd reetns intemns sind aber doch sehr gering, 
nnd die Gesamtheit der früher genannten Faktoren ist tob wa 
großer Wirkung, als daß ein kleiner natürlicher Vorzug des einen 
Muskels TOr dem anderen rein aum Ausdruck gelangen künnte. 
Auch Brtkckner fond von einem solchen nichts vor^). 

Den Absf^hluR der Verbuche über llorizontalbewegungen geben 
Tabelle 11 und 12 wieder. Tabelle 11 enthält die Geschwindig- 
keitswerte für Bewegungen, die »möglichst schnell«, d. h. mtJg^ 
liciist zahlreich vollzogen werden sollten. Linkes nnd rechtes 
Auge schrieben ihre Bewegungen zu j^^eher Zeit auf. Zwei in 
der Tabelle nebeneinanderBtcbcnde Bewegungen gehören also zu- 
sammen; die Babrik »aufgegebene Bewegungen) ist eine gemein- 
same. Die mV betrogen ±:12^. Der Grund Air diese Größe 
des Streuungsbereiohes der Werte ist darin zu suchen, daß bei 
»möglichst schnellen« Bewegungen das Ziel leichter verfehlt wird 
als bei prisisen. Infolgedessen zeigen die Aufhabmen in dcB 



1) Nabels Handbuch der Physiologie. III- S. 2Ü0. Der Querschjutt 

wild beroohaet nach der Foimel 9 * , wobei p das Gewicht des Mus- 

kctoi I seiae I^nge, s sein spezifischea Gewicht 1,058} bedeutet 

2i Tm Ffill einer Myopi»- uillßte Bchon allein durch die Form des Aug- 
apfels die Leistung des r. iateroos wesentlicher beeinträchtigt werden als 
die. des r. externus. 

8) Der angeflUtrte HVIakel ist der fttr das redite Aege gültige. 



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über die Gesohwindii^keit doi Aagenbewegangoa. 



231 



Tabelle 11. 



LA. 



B. A. 



Aos- 
gd&hrte 



b Gnden 



Geschwiadigkeit 
in Gnden pro aee. 



Mittel 



8,7» 
12,7 • 
15^ 

29,1 
34,4 

IM 



376« 

[25,8 <rj 

305 
[41,5 a] 

311 

383 
[76,0 «X 

374 
(98,0« 



Mitte 



Ende 



Aafgegebene 
Bewegaag 

flr dM 
reehtoAng« 



Aofl- 
gefülirte 
Bewccmg 
in Gnd«! 



gldebmXßlg 

I- I 



gleiehmlfiig 



f 

183! 
334 

[106,6 ff 
317 



100 
13,8 

392 
37,6 

622 

290 
47,7 

218 
87,2 

394 
77,3 



390 
87,0] 

376 

88,6] 

267 
63,4] 

184 

UÄ 

160 
60,6J 

17R 
29,3] 



■4— 



gleidunlßig 



(12,9) 
(34,4] 



(12.9) 
02,9) 



9,6« 
18,8 
16,6 
27,1 

32,8 



17,9 
86,8 
87,9 



pr — Pfinüüntellimg. 
AU« Bewcpufeii iiiid »niOgiifilitt iobAdl« 



GeBchwindigkeit 
in Graden pro aeo. 



Mittel 



327« 
[28,9 ff] 

391 

[33,8 ff] 
337 

336 
[80,9 ff 

324 

[101,4 ff 

900 
[08,8« 



363 



Mitte 



Ende 



gleichmäßig 

I I 

gleichmäßig 



426 
41.4 

448 
48^9 



180 
14,1 



240 

39,6] 

206 



373 
28,2 



338 

im 



gleichmäßig 



380 



(108,4« 78,4 

366 

I106,6ff]; 



ftoageAltrt. 



267 
24^ 



Puascn anch beträchtliche Korrektionabewegungen, die sonst eut- 
weder ganz fehlen oder nur selten und dann fttr gewöhnlich in 
geringeren Dimensionen auftreten 

Über die Koordination der beiden Augen während der Be- 
wegungen soll später zusammenfassend berichtet werden. Für 
Jetzt interessieren nur die Gesohwindigkeitswerte. 



1) Vgl. Nr. 8 der BeprodidctioiMa, gegenüber L Die Koneklloiie' 
bewegongett weiden bei der Beepreeliiiag der PniseB genener eilStlart 



I 



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232 



£. Koch« 



1 



Tabelle 12. 



M H 1 *■ 

K. A. B. A. 



Ana- 
gefUuto 
Beweguig 


Gwdiwiiidigkeit 
in Ocaden pro mo. 


Auf- 
gegebene 
Bewfgnng 


Aus- 
geführte 
Bewegang 


Geeehwindigkeit 
in Gittden ]iffo lee. 


Mittal 


Anfang 


Mitte 


Ende 


Mittel 


Anfang 


Mitte 


Ende 


30,6 


480 


488 


613 


360 




30,2 


426 


467 


626 


961 






4.9 


88,4 


30,8] 






17,1 


31,7 


























31,8 


294 


287 


497 


189 
















[106,1 


27,4 


26,1 


54,6)1 













30,60 and BOfi'' sind »mOglidiet «dmell« dvnlieflt, Sl^S" priliiae. mV»±^%, 

DtoM Bind, absolat genommeiii nnr wemg gegwittber den giOfie- 
ren Wetten, der Tabellen 9 nnd 10 gestiegen. Dagegen ftltt 
. anf, daB beeonden die Pbasea ^ teilweise aaeh die IGttehrerte — 
eine weitgehende Gleiebmftfiigkeit zeigen. Vlelfaeb konnte die 
Bestinimnng der Pbasen ger nieht yorgmemmen weiden, da die 
Karre mehr nnd mehr einer Geraden sieb näherte. Beides, das 
nar geringe Steigen der Hittelwerte nnd die Gleicbm&Biglceit im 
Ablauf der Bewegungen — sind eine natürliche Folge der Anf- 
gabe, möglichst schnell, d. h. möglichst zahlreich zu reagieren. 
Infolge der geringen Zeit, die die Vp. sich günueu darf*), wird 
ihre Innervation möglichst gleichmäßig; sie stellt sich auf ein 
gUnsüges Mittelmaß ein und sucht so ihrer Aufgabe gerecht zu 
werden. Auch die psychischen Momente der Aufmerksamkeit, 
die sonst mit ihren großen Srhwankungen bemerkenswert in den 
Ablauf der Bewegungen emgreiten können, werden infolge des 
Zeitmangels in ihrer Wirkungsweise eingeschränkt und nivelliert. 
So stellt die Aufgabe, zahlreich zu reugieren, durchaus keine 
günstigen Bedingungen für den Fall her, daß man das größt- 
mögliche Masimuni der Energieentfaltung, wie wir es sonst in der 
Mittelphase vorfanden, erzielen will. Dean mtlßte die Aufgabe 
auf eneigisehe Bew^;nngen mit großen Pansen, die der Innerration 



1) E« Migc aich ein« ttaike Terkflneng der FMuea, deren Werte epXter 
folgen. 



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über dia Gesehwindigkeit der Aagenbewegangen. 233 

Zeit lasMiii lAntoiL GewiBwnnftBeii siim Emts fttr diesen Aus- 
fall der HOebsÜeistimg wdwn Anfangs- und Endpliaaen größere 
Werte auf. 

Als Nachtrag bringt Tabelle 12 unter 30,5° nnd 30,2° die 
Werte für 'möglichst schnelle« Bewegungen des rechten Auges, 
bei deneu Ausgangs- und Zielpunkt seitlich von der Primärlage 
sich befanden. Die Große der Werte befremdet zunächst. Es ist 
aber dazu zweierlei zu bemerken. Einmal ist die gewählte Lage 
von Ausgang und Ziel ftlr die Entfaltung der Energie die gün- 
stigste: die Hemmungen, die die Muskeln erfuhren, sind auf 
diesem Wege am geringsten. Sodann zeigen die Pausen, daß die 
Vp. noch verhältnismäßig bequem reagierte; ihre Verkttrzmtg iat 
nicht so groß wie sie hätte sein können. 

I*llr die nidithorizoiitalei) Bewegungen kommen die Tabellen 

13 — 16 in Betracht Alle enthalten die Geschwindigkeitswerte 
flir diiH liukc nnd rechte Auge zugleich — abgesehen von Ta- 
belle 14, die aus einer Zeit stammt, in der die Anordnung für 
die Doppelaufnabme noch nicht getroffen war*). 

In Tabelle 13 kommen nur größere Exkursionswinkel zur Be- 
rücksichtigung. Die Werte liegen im allgemeinen etwa« höher 
wie früher. Das ist »wohl bei den Mittelwerten als auch bei 
den Werten der Mitteiphasen der Fall. Reichten jene frllher 
kaum an 400°, diese kaum Uber 500" hinaus, so findet man jetzt 
als entsprechende Zahlen 500° bzw. 600" und mehr. Bei 2ö,6° 
eneiebt das linke Auge sogar die Geschwindigkeit 705°, während 
das rechte mehr in den bekannten Grenzen bleibt. Die »mög~ 
liehst schnellen« BewegODgen weisen wie schon früher in den 
Ckschwindigkeiten keinen nennenswerten Zuwachs anf. 

Für dieses gehobene NiTean der Werte kann man nieht die 
Winkehnessnng Terantwortlieh maehen. Die mV betrSgt Ar beide 
Asgeo etwa ±9 Man kann aneh nicht anfeine BeTorsngnng 
der in Frage stehenden Bichtang sehließen. Das maebt Tabelle 14 
inmOglieh, deren mF±5j|^ beträgt Ihre Werte passen sich 
denen der früheren Tabellen sehr wohl an. Die beiden Tabellen 



1) Die Tabellen sind ongefähr in der Reihenfolge gewonnen worden, in. 
dar lie BW B«pncinng gehagen. Nur Tabelle 14 entstsad aaeb 18 und 
?w 11. 



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234 



E, Koch, 



Tftbelle IS. 

IT 



L. A. 



46* 



goflflttte 


(ksehwincUgkeit 
in Onden pro aee. 


Angegebene 

R A tir 1 n er 

ftir das 
rechte Ajige 


geführte 


In Ondan pro Me. 


Beir^ging 


iüttel 


Aufsog 


Mitta 


Ende 


jBewegnog 


Mittel |Aix£&ng|MiUe 




84,4 


438 

ffi6,3*r 


370 
13,5 


606 

27,3 


178 

15,4; 


(29,3] 


25,7 


437 
[(Wf9tf 


870 


595 




25,6 


494 
[61,6 <r 


310 
12,1 


705! 
24,8 


299 

14,6 


mi 


27,8 


876 
[7U,vtf 


198 

1B,7 


681 
«M 


867 
BMI 


«26,9 


439 

177,1 «r] 








(29.8) 


•80,0 


886 








♦34,1 


622 

[66^] 








(29,8) 


«86^2 


660 
[61,9 tf] 








•36,0 


406 
[86,4«] 








(29,3) 


♦88,7 


414 
[78,9 tf] 


















\ 


1 
1 








18,8 


378 


376 
13,1 


480 
22,8 


228 
18,7] 




26,8 


888 

(69,0 ff 


234 
24,0 


642 

25,7 


387 
19,4J 




'm 


30ö 
17,4 


424 
60,2 


188 
61,6] 


i29,3) 


•42,8 


347 
[123,3 


224 

16,7 


432 
78,0 


187 
28,^ 


♦36,8 


34Ö 
[106 tf 


234 
22,7 


386 
56,8 


26,5; 


129,3) 


♦39,1 


319 

[122,9 tf 


223 
88^ 


429 
68,6 


177 
90,41 


mV 
±8,7% 












tnV 
±9,2% 











pr « PriminteOiing. 



* »mOgliebet idmeUe« Bewegmgen.' 



bieten ein ähnliches Rild wie die in Tabelle 9 vereinigten beiden 
Aufnahraeserien. Dort wnrde als erklärendes Moment ftir die Ver- 
schiedenht it des Dnrchschnittsnivcau« ein Wechsel der Reaktions- 
weisen an den einzelnen Abenden, wie sie durch eine Reihe 
physiologischer and psychologischer Faktoren bedingt sind, heran- 
gezogen. Ähnliches wird hier vorliegen. Dazn kommt folgendes. 
Tabelle 14 entstand vor 12, 13 später. Es ist nicht aasgesch1osseii| 
daß im Liaafe der Aoüiabmen das Kommando »präziBe« im Simi 



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ülwr die GMdnrliidigkdt der Angenbewegnogen. 235 



V 

46 °X 



Tabelle 14. 



B.A. 



46< 



IM- 


OesehwinUigkeit 
im Gnden pro mo. 


Auf- 
gegebene 


' An.. 

geführte 


1 Geschwindigkeit 
in Graden pro teo. 


Auf- 
gegebene 


Mittel 


Anfang 


Mitte 


jEnde 


Bewegung 


Bewegung 

! 


Mittel Anfang 1 Mitte 


Ende 


Bewegung 




121 

[28,6 <T 


104 

8,7 


1Ö6 

8,7 


107 

11,2J 


' m 


8,6 
























191 


129 


211 


25Ö 
15,7, 


m 


h 

1 


m 


222 
18,6 


33Ö 
16,9 


i:« 

18,6] 


^8,y> 














8«S 


88! 
13,6 


382 
81,8 


176 
13,3] 


17,3; 


16,6 
18,8 


293 
(68,1a 

302 
[68,4« 


891 
18,8 

469 
16,7 


88? 
81,6 

406 
21,1 


186 

m 

25,7] 


(26,1) 


1 

1 


305 
P0,la 


234 
14,1 


378 

25.3 


286 
30,91 


{81,3j 


80,7 


343 
[60,6 tf 

384 
[70,4 <r 


286 
14,1 

271 
11,9 


464 

29,1 

534 
21,3 


847 

201 
37,2] 


(17.S) 
{89,?^ 




472 
[614 


466 
40,7 


Ö09 
20,4] 


{26,1) 
















,339 


305 
82,» 


3Ö8 
66,8J 


(89,8) 















mV = ±6%. 
pr — PximlnteUang. 



von >energi8eli« gonommen warde, dafi aUo bei IS die InnerTa- 
tion besomlers krftftig erfolgte. Danuif waiaen zngleioh die An- 
ftngflgeicliwiDdigkeiteii bin. Diese AnfSufluig sebeint ftr sieh 
m genllgeD, so daß es mmOUg wird, auf indiTidnelle anatamisebe 
ind pbysiologisebe Bedingiingeii snrtteknigieifen. 

Sehr deutlich triit iu Tabelle 14 das Anwachsen der Ge- 
Bchwindipkeiten mit den Exkureioneu, solange es sich um kleinere 
Winkel handelt, hervor. Die ganz charakteristischen Werte tou 



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I 



236 



L. A. 




Ana- 
Bewegung 



CtotoliwiBdigkeit 

ia Onden pro see. 



Bewegung 

fftr (Ins 
rechte Auge 



Auö- 
geftihrte 
B9W9gung 



QeMhwisdigkdt 
is Chrata pm im. 




mV 
±16% 

pr s Phnuurstellong. 



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über die Gesell windigkcit der Aageubeweguugea. 



287 



Tabelle lü. 



B.A. 



GMdurindigkflit 
ia Graden pro sec. 



Mittel 



187 
(883«] 



[«8,4« 
188 

[loe^tf 

149 

(l«7,7<r 



Anfang Mitte 



184 
11.6 

117 
88.8 

77! 
«,1 



102 
(34,2 

164 

[33,8 a] 

2m 

[92,lfl 

266 
190,7 ff 



264 



287 
[82.6 < 



221 
19,3 

131 



374 

80.7 



86,7 

184 
97,6 



Ende 



Aul- Ana- 
Bewegung lIBewegnng 



Gfiehwiadjgkait 
itt Qtate pio aae. 



901 

161 
18Ä 

101 
40M 



373 
37,4 

373 
37,3 



163 
3ö,4] 

201 

46,0] 



353 
31,2 



142 

i2,a 

andentlieh 

286 307 
6.9 67,3 



206 
36,0] 



231 
20,1] 



(4,8) 
(88.6) 



i 



m 
m 

(22.6J 



ri4.0) 



(30,8) 



IM 
99.8 
88,4 



8,9 

9,0 

28,1 

22.6 

mV 
±S,7% 



91.6 
91,9 
29,9 



Mittel 



Anfang 



188 
187,9») 



380 

(97,6« 

199 

[106^6« 



Mitte 



7.9 

941 
77,8 



884 
16,2 



197 
18^7 



116 

[24,9 a 

239 
[37,ba, 

277 
[78,0 a 

263 
[85,4 a 



262 

326 
[67,1 a 

269 
[82,4 a 



182 

21,1 

356 
9,0 



313 
62,1 



Ende 



188 
96^ 

188 
80,4] 

98 

84Ä 



221 
7^ 

382 
14,3 

90 
10,8 



ÄtAif ttx Pi9«lid«fi«. Xm. 



I 

16 



342 288 
37,7 21,2] 

430 il59 
26,1 Ö0,3j 



418 
30,8 

664 
13,8 

342 
44,4 



160 

189 
39,1] 

238 
31,2] 



D 



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238 



E. Koch, 



100—200" stellen sich ein. Auch bei den mittleren Winkebi 
bleibt das Bild du bekannte. Die Weite halten kein »Oeeeti« 
ein. Die Einielbewegiuig bat im aUgemeinen ibr Geacbwindie» 
katamaximui in der Hittelpbaae. Nnr bin und wieder (so bei 
28,8"* und 31,1<^) überwies die Endpbase. lleikwilrdig gering 
ist die Anfimgsgesebwindigkeit bei 11,7^, die noch nnter 100** 
liegt Das kommt sehr selten bei Bewegungen derutigw Weite 
▼or. Sie ist yeranlafit dnieh eine größere EinsteUangäbewegnng 
in der Torhergehenden Pause. Das Auge korrigierte in ihr sdne 
Stellong nm 2,4°; danach blidien nnr noch 115 a Dir die Inner- 
yation der neuen Bewegung ttbrig. Auch die psychischen Momente 
konnten sich nicht mit Ruhe entwickeln: die Bewegung fiel zu 
kurz aus. 17,3" wurdeu verlangt, 11,7" wirklich zurückgelugt. 

Tabelle 15 erinnert vielfach an 13. Auch sie zeigt an man- 
chen vStellen ein gehobenes Wertenivean. Bei 28.0 ' kehrt der 
Gteschwinili^'keitswert 705" wieder. Ein Zweifel an seiner Gültig- 
keit wird durch die W erte für 33,9°, die dcrselbeu Aufnahme an- 
gehören und sich in der Nähe der gewöhnlichen Grenzen bewegen, 
beseitigt. Autläilig ist auch der große Mittelwert für 5,9". Bei 
derartig kleinen WinkelgrOßen ist das ein seltener, jedoch nicht 
absolut ausschließbarer Fall, wie später herausgehoben werden 
soll. Seine Erkläning findet er höchstwahrscheinlich dadurch, daß 
das rechte Ange zur selben Zeit 11,9" mit einer fllr solche Ex^ 
knrsionen ganz geläufigen Geschwindigkeit zorttcklegte und eine 
Aogleichnng der Geschwindigkeiten beider Angen stattfimd. 

In Tabelle 16 findet man nichts TCn anßergewOhnlichen Werten, 
nicht eükmal ^n gehobenes NiTcan wie in 13 nnd 15. Eigentum- 
lieb niedrig ist der Anfangswert ftr die Ezkorsion 23,6». Die 
ErklSrong kann nicht anf den Ihnlidien Fall der Tabelle 13 
sQjttckgreifen. Die rorhergehende Panse betrag 396 ff, war also 
groß genug, am der Eneigic ein sofiirüges kittftiges Einsetsen an 
erlanben. Berücksichtigt man den Verlauf der Bewegung, der 
kanm 200» erreicht, so bleibt kein Zweifel, daß die Innerration 
als ganze recht schwach war. Bei Hebung und Senkung wirken 
recti Liud ubliqui zusammen. Beide Muskelpaure erreichen diesen 
Effekt nicht so eiulach wie exteruus und internus die Seitenwen- 
dnngen. Deren Wirkung stellt sich für den Fall, daß die Augen 



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.über die Geschwindigkeit der Augenbewegongen. 239 



▼on der PrimärataUniig augehoiiy all nmt Seiteiiwondiiii§f dar. 
Zvtiiogt man daffesen bei den oberon niid nnteren reeCi vnd obliqni 
die Kraft Jedes Hnskela, die Im InaertionBpniikt in seiner Muskel- 
ebene tangential angreift, in drei senkreebte Komponenten, 
parallel den Aebsen eines im Drebpnnkt angenommenen Koordi- 
natensjstemsi so erbilt man ein komplizierteres Bfld. »Dar obere 
nnd untere gerade Mnskel werden positive nnd negative EirbeboDg 
des Blitzes als Haaptleistong, dabei aber w^en der sebiefen Lage 
ibrer Drehnngsacbsen ancb negatiTe and podtiTe Bolinng and in 
geringem Grade negative oder positive Seitenwendnng als Neben- 
leistung aafweisen. Die beiden scliiefen Muskeln endlich mUsseu 
entsprechend der geneigten La^^e ihrer DrclmugsacLsen als ilaupt- 
leistung negative und positive KoUung, als ziemlich betrUchtliche 
Nebenleistung negative und positive Erhebung, in viel geringerem 
MaBe positive nnd negative Seitenweudung darbieten« Bei 
Hebung nnd Senkung können also leicht dem einen Muökei aus 
dem mitwirkenden Widerstände erwachsen, die die Geschwindig- 
keit verzögern müssen. Im vorliegenden Fall beschränkte sich 
die Störung auf das linke Auge; das rechte reagierte in bekannter 
Weise. 

Bei der Hebong 23,7° bsw. 22,2"^ zeigt umgekehrt das rechte 
Auge eine geringe Anfangsgeschwindigkeit , während das linke 
Ange normal reagiert Die der Bewegung voraufgehenden PauMn 
betragen Unke 240 er, rechts 233 <r. £e ist mOgUoh, daß diese 
knrae Zeit flbr die Innervation des reebten Auges nicht genOgte. 
Der gleichseitige normale Yerlanf beim linken Ange deutet aber 
andererseits an, wie nnbereebtigt bei diesen ErkUmngsveraiiehen 
das Znrllckgreifen aaf nnr einen Faktor ist. 

Es ist sicher, dafi die Geschwindigkeiten mit waehsender 
Obang noch steigen können. Daranf denten schon die lotsten 
Werte der TkbeUe hin. Man wird aber nach Dnrobsicht der 
Tabelle sehwerlieh von einer natttrliehen Bevorzugung der Hebung 
vor der Senkung — wie Gnillery nnd Brückner sie gefttnden 
zu haben glaubten — sprechen, schwerlich auch von einer natür- 
lichen Bevorzugung der Hebung, die von unten bis zur Primär^ 

1) IHt M ukelebene ist bestimmt duxeh Ursprangi- und üuertioaspunkt 

der AogenmuBkeln, sowie durch den Drehpunkt des Auges. 

2) Nagels Haadbueh dar Physiologi« des Menschen. 1904. Bd.IU. 
S.301. 

16» 



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340 



£. Kociit 



stoUnng erfolgt Die Mannigfaltigkeit der KontraktioDen, wie ne 

in den früheren Tabellen hervortrat, verbietet jeden Schiaß nieli 

dieser Riohtnng. Sie würde — wie das schon früher bei der 
Fra^e nach der Bevorzn^nng des iütemus vor seinem Antag:oDigten 
hervorgehoben wurde — jede etwa bestehende gehnge überlegen- 
keil etnes Moakels ToUatändig yeidecken. 

* 

b) Die KoordinatioD der Augen. 

Hinsichtlich des Bewegangtsveihmts hielt schon Gnillery den 
Ifaiigel einer Koordination (Ur müglieh. Nach seiner Ansicht 
ttbertriffl der intenins den extemiu, nnd eo entstand Air ihn die 
f^!age, ob und wann ein AuBgleioh der Gesehwindigkeiten statt- 
finde. Ohne auf Experimente oieb attttzen zn kOnnen» dachte er 
sich den Anegleich besonders in der Endpbaae mit Huren ge- 
ringeren Geschwindigkeiten vollzogen. Auch schien es ihm un- 
nötig, daß die Äußren im selben Zeitpunkt zur Kühe kämen. Er 
schreibt >): »Nehmen wir nun den Fall, die Drehung der Augen 
f^hide nicht in der Weise statt, daß ihre Blicklinien einem hng- 
sam bewegten Gegenstände folgen, sondern so, dafi sie sich sehnell 
?on irgendeinem Punkt des Banmes an einem seitlieh gelegenes 
wenden, so besteht während dieser Drehung kein Bedttrfius ftr 
die Beibehaltung einer gleiehmäfiigen Gesebwindigkeit, da das 
Interesse nicht vorhanden ist, die auf der Strecke gelegenen 
Gegenstände, welchen sich die Aufmerksamkeit gar nicht zu- 
wendet, genan zu gleicher Zeit mit den Blicklinien jedes Auges 
zu erreichen. Es wäre also denkbar, daß die Augen nicht im 
gleichen Moment ihre Drehungen beendigten, sondern die Blick- 
linien des einen etwas sebneller am Ziele einträfen als die des 
anderen, nnd hier erst durch knne Binstellungsbewegung die 
richtige Fixation wieder gewonnen würde.« Gnillerj beruft 
sieb bei dieser Gelegenheit darauf, daß sehen die Selbstbeobach- 
tung die Not^veüdigkeit einer gewissen Zeit fiir die Rinstelluug 
auf einen feinen Punkt aufweise, sowohl bei Konvergenz wie bei 
Seite übe wegung. Geradezu einen Anlaß zur Ungleichmäßigkeit 
findet er darin, daß bei gewissen Bewegungen der Nasenrtlcken 
die Blicklinie eines nach innen gewendeten Auges auffange nnd 
so den binokularen Sehakt stOre. 

1} a. a. 0. Bd. 90. IdOa S. 108f. 



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Ob«r die Ofltehwindigkett d«r Angenbewegungen. 241 

Onillery hält es iMch diesen äätstea tta mOgliob, daß die 
Augen einem langsam bewegten Gegenstande folgen, Tielleiobt 
sogar mit gldcbmäßiger Gesebwindigkeit. G^n eise ao\6b% 
MOglicbkeit aber spthht alles, was wir bisber tod der Lmer- 
▼aftioneweifle der Aiigeii keaoeii gelernt haben. Die Energie lifit 
tieb wiUkfirlich fast gar niebt abstufen. Der Bewegongsablanf 
aeigt Besehlennigimgen und YenOgernngea; eine gleiebmäßige 
Geschwindigkeit wird nnr annftbeningsweiie in seltenen Fttlen 
eneiebt Seihst wenn es einmal safftUig gelänge, eine bestimmte 
Oesebwindigkeit mit den Angen an erreioben, so wSre es nnmOg- 
Uefa, sie snch nur tttr den Braebteil einer Sekunde heiznhehalten. 
Pbysioloe^be nnd psychologische Momente geben jeder neuen 
Kontraktion ein besonderes Gepräge. Gewisse kleinste nnd größte 
Gesehwindif,'k«.'iteii sind überhaupt uicht herstellbar. Das »Folgen« 
der Aiigeu hinter einem bewegten Gegen8taüde her kaua deshalb 
nur diskuutiimierlich Tor sich gehen 

Im übrigen besHitiprt sich, daß die Zeiteu fttr die gleichzeitigeu 
Bewegungen heider Augen voneinander verschieden sind — in 
einem größeren Umfang verschieden, als Guillery es ahnte. 
Diese Differenz in der Erreichung des Zieles rührt nicht daher, 
daß die während der Bewegung empfangenen Eindrücke kein 
Interesse darbieten. Selh.st bei einem starken Interesse fttr sie 
würde es nicht anders werden. Vielmehr ist es wiedemm die 
Art des Kontraktionsvorgangs, die beide Augen in versobiedenen 
Zeiten das Ziel erreichen läßt 

Jndd nnd seine Mitarbeiter fanden den Mangel an Koordina- 
tion fUr beide Angen bei ihren Versnelien sehr ausgedehnt Die 
kleinen Angensebwanknngen während des Fizierens erfolgen naoh 
ihnen niebt im selben Zeitpunkt, nicht in gleichem Sinn und 
gleicher Art. Das eine Auge kann ferner den Elzaiionsaustand 
schon veilassen haben, während das andere noch in ihm Terbaitt. 
Alles das bestätigen unsere Aufnahmen. Sie erlanben zngleicb 
quantitative Angaben zn machen. Es handelt sich dabei zunächst 
nur um das Verhalten Ijeidcr Augen während der Bewegungen, 
nicht während der Pausen, das besonders /ai Sprache kommen soll. 

Sühuu die Tabellen 11, 13, lö und 16 ^igen die Verschieden- 



1] Ich vermute, daß die Ditkoatiunitäten mit dem Qrade des Fixiereiui 

Aiuigespro ebener werden. ■ 



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242 



E. Koch, 



heit der Art, wenn man links nnd rechts die Gesclns indigkeiten 
Tergleiciit. Durchweg besitzen beide Augen eine große Selbständig- 
keit in der Reaktionsweise y von der die Vp. nichts weiß. Die 
Geschwindigkeitsdifferenzen gehen bis löO'^ pro sec. In anderen 
Fällen nähern sich die entsprechenden Geschwindigkeiten einander: 
die Gesamtheit der physiologischen nnd psyehologischen Moment« 
hil dnnn einen ilbnlieben Effekt 

Die Vefsdiiedenbeit der Geseliwindigkeiten rttbrt einmal Ton 
der Terscfaiedenen Ansabl der Grade» die von beiden Angen «nrttck- 
gdegt werden, sodann von den Terschiedenen Zeiten, die sie dain 
gebmneben, her. Ober beiderlei Ungleiebheiten geben wieder die 
Tabellen 11, 13, 16 nnd 16 Ansknnft. Die Differena der beider- 
seits anrttckgelegten Bogen reicht im Maxim^ip bis an 8^; für ge- 
wOhnlieh aber ist sie bedentend geringer. Sie spielt hinsichtlich 
der Verschiedenheit der Geschwindigkeiten eine greringere Rolle 
wie die Difierenz der Zeiten. Auffällige Beispiele für diesen Tat- 
bestand bieten Tabelle 15 nnd 16. Dort gebiaucLt das linke Auge 
fttr 36,8° 93,4 fx, das rechte zn gleicher Zeit für 36,5 ' 147 a; hier 
sind die entsprechenden Zahlen fllr 23,6" 157,7 o und fUr 23,4o 
105,6 o. Die IJngleichmäßigkeiten erfolgen — wie die Beispiele 
schon zeigen — niemals in einem bestimmten Sinn, etwa so, daß 
das linke Au^e stets mehr Zeit gebrauchte als das rechte'). Jedes 
Ange reagiert innerhalb des Spielraumes, der ihm gelassen ist, 
mit ziemlich großer Selbständigkeit. Um besser übersehen zn 
können, wie dadurch Anfang nnd Ende der Bewegungen bei 
beiden Angen anseinanderfallen , wurde Tabelle 17 znsammen- 
geslellt Sie enthält in den beiden ersten Kolumnen für beide 
Angen (1. nnd r.) die Zeitwerte in a, die nach der ersten Panse, 
der ersten Bewegung, der zweiton Panse nsw. im gansen sdt 
dem Zeitpunkte, in dem der Film in Bewegong Tersetst wurde, 
yecflossen. In der dritten nnd vierten Kolumne ist dann jedesmal 
Iftr das linke Ange das Voraneilen (+} bsw. ZurS<^bleiben (^) 
hinter dem rechten bei Anfang nnd Ende einer Bewegung ange- 
geben. Bei der Durchsiebt muB man im Ange behalten, daB die 
»eiBto Pause« nicht eigentlich eine ToBstilndige Bnbepanse angibt 
Das Kommando, Augenbewegungen an TolMehen, wurde vielfoeh 



1) Eid derartiger bOHtimmter Sion wird sicli iu solchen Fälleu zeigen, 
wo ein Moskel geschwächt oder die Nenrenleitnng erschwert ist 



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Ob«r die GeMhwindigkdt der AagenbewegniigeB. 



248 



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1 . Pause 

1. Bewegung 

2. Pause 

2. Bewegung 



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schon etwas frUher gegeben, als der Film sich in Bewegung setzte. 
Es geschah, nm möglichst riele Bewegungen bei einer Aufnahme 
zn registrieren. Die ersten Ze itwerte sind infolgedessen oft stark 
verkürzt wie etwa bei Ann dem Werte für die zweite Pause 
läßt sich dagegen nach Subtraktion des unmittelbar voraufgehenden 
Wertes die Zeitdauer einer Panse ablesen. Bei / nnd m war eine 
JfessoDg der Zeit, die bis zum Einsetzen der ersten Bewegung 
verflossen war, nicht möglich. Die angeführten Differenzen sind 
deahftlb nicht wie in den übrigen Rubriken absolut, sondern reUtir 
zu nehmen. Die Enbriken a, 6, c gelten für schräge Bewegungen 
nach linkg unten, e, f PXt solche nach rechts oben, g für solche 
naeh iMhts miteu, h nnd i fttr Vertiknlbewegnngen nach oben, 
k nnd l fftr »möglichst sehnelle« Horisontnlbewegangen naeh rechfs 
änBen nnd m ftr »möglichst schnelle« Bewegungen nneh links 
nnten. Bei beiden Angen erfolgt dns Vonndlen nnd Zurttck- 
bleiben ohne WahL Beides kann im Lanfe mehferer Bewegungen 
miteinandef abwechseln. Auch die OröBe der in Betracht kom- 
menden Zeitwerte ist sehr variabel (vgl. c). Werden die Be- 
wegungen »möglichst schnell«, so tritt damit — wie schon her^ 
vorgehoben — eine starke YerkUrzung der Rahepansen ein. Die 
Impulse werden schwächer, da keine genügende Zeit für das An- 
wachsen der Energie vorhanden ist, und es besteht die Gefahr, 
daß die Werte fUr die Inkoordination wachsen (Rubrik A;. 

Bei der Nachprüfung der Vol k m ;inn sehen Versuche bemerkte 
Dodp:e, wie die Ermüdung »seh n vnr dem Ende einer halben 
►Sekunde (Vj als sehr lästig« empfunden wurde Die Versuche 
endeten nach ihm >fast jedesmal in Verwirrung und iStoekung«. 
Derartige esUieme Fälle sind von uns nicht aufgenommen worden, 
aber die gewonnenen Daten erlauben wenigstens ein angenl&hertes 
Bild der in Betracht kommenden Momente. Beim Vollzug »mög- 
lichst schneller« Bewegungen wird die Vp. infolge des Eoordi- 
nationsmangels sehr bald eine ermttdende Hemmung empfinden. 
Dem aufinerksamen Fizieien erwachsen xngiäeh Schwierigkeiten, 
die an leichteren Graden der Verwirrung itfhren. Werden die Be- 
wegungen trotidem wdter vollsogen, so vermögen die gesehwSchten 
Impulse des Eoordinationsmangels nidit mehr Herr zn werden; 



1^ ii.rduiaaii und liodge, a. a. 0. S. 347. Statt »Sekunde« acUwohl 
»IDaute« «teben. 



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über die Geschwindigkeit der Aagenbewegangeu. 245 

EnnUdong und Verwimiiig flteigeni sieb, bis die Buier?ation Uber- 
hupt stoekt. Nor eine längere Paiue kann dann erat die Ver- 

wirrang beseitigen nnd mit der Korrektor des Koordinationsmangels 

die Möglichkeit für neue Innervationen schafl'eu. 

£8 existiert demnach bei der AnsfUhrang der Augenbewegungen 
weder eine GleichmäBigkeit noch Gleichseitigkeit Die Yp. bat 
den Eindrock einer einbeitUchen WillenBregnng nnd Anafübrong. 
Betreib der Ansftlbrnng ttnsebt der Eindrnek jeden&lls. Trots- 
dem k5&nte man den Impnlsen eine Gleiebmäßigkeit zosebreibeB 
tnd alle Unregelmäßigkeit der Ansfhhmng ans den frtther er- 
wähnten physiologischen und psychologiachen Momenten her- 
leiten. Eine Eutscheiduiig lUüt sich vorläufig nicht truiien. Die 
Größenordnung der in Betracht kommenden Werte scheint 
aber dem »Geeetz der gleiohmäfiigen Innenration« nicht günstig 
n aain. 

o) Konyergenxbewegnngen. 

Es wurden ttber Konre^ieoK (bsw. Divergenz) nur wenige Ver- 
noke angestellt. Der Vp. fehlte die nötige Obung. Lagen Aus- 
gangs- nnd Zielpunkt in der Medianebene oder In der Visierlinie 

eines Auges, so hatte sie große Schwierigkeiten zu überwinden, 
am die gespiegelten Marken als hintereinander liegend aufzufassen. 
£fl wurde deswegen von der Benutzung der Öpiegel abgCBehen; 
Aosgangs* nnd Zieimarken fanden neben dem Apparat in ?er- 
aehiedenen Entfernungen von der Vp. ihre Aa£»teUung, und nur 
uuymmetrisehe Konvergenz wurde verlangt 

Die Eonvergenzbewegungen sind im allgemeinen langsamer als 
die gleichsinnigen. Schon die nuhjektive Beobachtung gibt hier- 
von einen ungefähren Eindruck. Konvergiert man von einem 
Kernpunkt in der Medianebeue auf einen nahen Gegenstand in 
derselben £bene, der bei Beginn der Bewegung in Doppelbildern 
erscheint, so kann man sich von der geringen Größe der Qe- 
sehwindigkeit, mit der die Doppelbilder zusammenfliefieni leiebt 
Vbeneugen. Wir bezeiebnen die Differenz der Konveigen^ 
wnikel, also der Winkel, die die Blieklimen zu Anfang und 
Bsde der Bewegung miteinander bilden, mit Wi —w^y die Ge- 
Mbwmdigkeit pro sec. wieder mit r. Es ergehen sich folgende 
Werte: 



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246 



E. Koeb, 



Tabelle 18. 



»I — "» 



Lbdcee Auge 



BechtM Auge 



(konv.) 14,7" 
(div.) 14,7» 
(div.) 16,9" 
(div.) 86* 



IMa 



269 <F 6V 



= 110" 



2280 p= 66" 

206ö = 72" 

U9<r «118* 

898tf « 86* 



Da die Yp. in solchen Yer^^nebcn nn^ettbt wsr, 80 ist 68 8e]ir 
ingUch; ob sie die wirklioh geforderte Konvergenz ausführte, be- 
Sonden fnglich bei wt — iv^ss 25*' nad 26°. Bei ibnen lag der 
Aii8g«iig8pmikfc der Direigensbewegoiig dem Auge bedeutend näber 
als der Habpnnkt der Akkommodation^ was nnter pbyriologiseben 
Urastibiden ja sebr wobl mUglieb ist Jedenfalls beben die Ge- 
Bchwindigkeltswerte von denen fllr gleicbsinnige Bewegnngen sieb 
ohne weiteres ab; sie Hegen etwa bei 

Ober den Bewegnngsablanf Iftfit sieb anob obiges sagen. Die 
frnber ikst dnrebweg hervortretenden drei Phasen mit ihren Be- 
sehlennigungen nnd Verz9genmgen fehlen. Die Bewegung nühert 
sich einer gleichförmigen, ohne im strengen Sinn jemals eine 
solche zu werden. Mitten im Ablauf tritt für einige a Stillstand 
ein; diese Rnhepansen fallen hei beiden Angen ebensowenig zu- 
sammen wie Anfang nnd Ende der ganzen Bewegung. Ihre zeit- 
liche Ausdehnung ist sehr yerschieden. Die längeren unter ihnen 
kann mau manchmal au den vorhin erwähnten Doppelbildern be- 
obachten. 

Die Seitenwenduugen , die mit unsymmetrischer Konvergenz 
verbunden sind, liegen der Hauptsache nach vor der Konvergenz- 
bzw. DivergenzbewegODg (Kr. 3 in der Tafel). Gleich im Anfang 
werden die Blicklinien ungefähr in die Richtung gebracht, in der 
der Zielpunkt zu suchen ist. Dann erst beginnt die Konvergens. 
Ob mit jener Seitonwendnng nicht xngleich ein gewisser Teil der 
Konveigens ansgeftbrt wird, läBt sieb ans den Aufnahmen nicht 
entoebmen. Jedenfalls aber bebt sieh die Geschwindigkeit der 
Seitenwendnng dentiieh Ton der der KonTcrgenzbewegong ab. 
Unter UmstSnden erfolgen gegen das Ende der Bewegung aene 
kleinere Seitonwendnngen, die die Blieklinien definitiy in die ge- 
forderte Lage bringen. 



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über die Geschwindigkeit der Aagenbewegnngen. 



247 



Maaebo Fragen mllMeii oifen bleiben. Hat unter pbyuiH 
logiaehen Bedingongen die Konvergenz vor der DiTeigenz einen 
Yonng oder mngekehrt? Gibt es TieUeieht Besirke des Kon- 
reigensbeidohee, die selineUer nnd leichter dnrdimeBaen werden 
wie andere? Wirkt der Eonveigeninutuid anf die gleiehainnigen 
Bewegnngen TenQgemd ein? Wober rQbrt die geringe Geseh windig- 
kdt der KonveEgenzbewegangen? 

Was die letrte Frage betiüRi so wird man wohl im aOgemeinen 
n der Annahme neigen, daB sngleioh mit den Eonyergenzbewe- 
gangen glelehBinnige Innervationen stattfinden , die fortwihrend 
ttberwnnden werden mtlssen. In der Tat kann man im AnseUiiB 
an die Betrachtung der Kurven leicht zn dem Eindruck kommen, 
als ob bei der Konverpen/, das Auge unter stets erneuter luuer- 
vation sich aeiuer Ausübe entledige, bei den gleichsinnigen Be- 
wegungen dagegen der Impuls mehr momentan and einleitend 
wirke. 

d) Die Pansen. 

Die Dauer der Pausen kann ohne Schwierigkeit und sehr 
genau gemessen werden. Bei der gewübnlich verlangten präzisen 
Reaktionsweise ergeben sich als Durchschnittswerte für sie 300 
bis 500 a. Selten nor begegnet es, daß sie grOfier oder kleiner 
ansfallen. Sowie > möglichst schnelle < Bewegnngen gemacht wer- 
den, sinken die Fansenwerte auf 200 — 300 a. Lange Jedooh 
können die Angen in dieser Weise nicht reagieren, wie schon 
froher bemerkt wurde. Zwischendurch stellen sich wieder größere 
Werte (bis n 400 a nnd darttber) ein. 

Die Größenordnung der miigeteilten Werte erklärt die Eigeb- 
nisse Volkmanns, wie sie in Tabelle 1 wiedelgegeben sind. 
Wenn bei H. die Zeitwerte mit waebsender Exkursion abnehmen, 
so rührt das nur daher, daß er im Verlauf der Versuche die 
Pausen stark zu verkttnen sieh bemtthte. 

In allen Fttllen bestätigt sich die von Judd und seinen Hit- 
arbeitem hervorgehobene Tatsache, daß die Augen während der 
Paus^ niemals ruhen, sondern Schwankungen erleiden. Be* 
sonders bei den präzis vollzogenen Honzontalbewegungen iUIlt der 
Sobwanknngsbereich nicht größer ans, als die amerikanischen 
Forscher ihu vorfanden, etwa V\ Mehrmals wurden 0,5, 0,7, 
0,9" gemessen. Bei den »möglichst schnellen« Bewegungen ist 



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246 



£. Koch, 



der Bereich bedeutend größer (bis zu 7"). Für beide Augen sind 
Zeitpunkt. Geschwindigkeit und Sinn der Sohwnnkungen ganz 
vLiN( dl 11. Da Anfang und Beginn der Schwank iin:ren wegen 
<lt r Kleinheit der dabei in Betracht komnn ndrü Alniii-^Mungen 
nicht genau antlludbar sind, so lassen 8!ch die ( !e<( liwiiidiirkeitfi- 
werte t\lr sie nur im allgemeinen angeben. Die Erwartung, daß 
hei Beginn oder Ende einer Bewegung gröBere Schwankungen 
itattfilnden, bei Beginn eine Art ausholender Bewegung, beim Ende 
eine unmittdbu erfolgende größere Einstelhingf^scbwanknng» er- 
füllte flieh nur selten. Im allgemeinen setzten die Bewegimg«n 
mit ungestört wachsender Oeseiiwindigkeit ein und fielen ebenso 
ungestört ab. In den wenigen anderen Fällen^) wurden fltr das 
rechte Auge die Werte der Tabelle 19 erhalten^ in der zuerst die 
Ezkurrionen der Schwankungen angegeben sind» dann die snge* 
hörigen GesdiwindigkeiteD und In der dritten Kolumne die Aaaahl 
der ff| die beim Beginn der Schwankung Ton der Pause Terfiossen 
waren. 





Tabelle 19. 




Exkunioa 


Oeechwiodigkeit 


Von der Paoso 




pffO MC« 


lind TetfloHMi 




25° 






43 




2,7 


33 


29 


8.0 


86 


. 75 


d,6 


40 




8,6 


48 


38 


4^ 


88 


29 


6^ 


fiO 


106 



Man kann demnach sagen , daß die Geschwindigkeiten der 
Schwankungen im allgemeinen unter pro sec liegen. Sie 
sind die langsamsten Bewegungen, noch langsamer als die Eon- 
yergenzbewegnngen. Teilweise stellen sie sich sehr bald nach 
Be^n der Pausen ein. 

Bei den Annahmen ftlr beide Augen ergab sich ebenialls eine 
günstige Gelegenheit zur Messung derartiger langsamer Einstel- 
lungen: i'ür (las linke Auge betrug Exkursion bzw. Geschwindig- 
keit 11" bzw. 55" pro sec, für das rechte 10° bzw. 49**. 

1} Vgl. Nr. 4 der T*fel. 



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Uber die Gesciiwiudi^keti der Aageubewcguugea. 



249 



Mail kann hn Zwoifel darttber aeiii, ob maa die nietet «r- 
YriUmta Bewegaagea mit großen BzkaisioiiswiBkeln a«f eine Stnfe 
mil den Sehwanknngen, deren Winkel oft nnCer 1** liegen, stellen 
darf. Wlütrend jene ihrem Weeen naek klar sind and offenbar 
der Einstellnng dienen, kann man ahnliebee Ton dieeen nieht okne 
weiteres sagen. Wenn wir beide Grappen msammensteUten, so 
lag der Grand illr soleke Anordnung lediglieli in der gleleben 
OrOftenordnnng der Gesohwindigkeiiswerte. 

Für die Schwankangen kleiner Exkursion bieten sich haupt- 
sächlich zwei Erklärongsmöglichkeiten : 

1) Man kann in ihnen leichte tonische Schwankungen sehen, 
die fortwährend den jeweiligen Kontraktionszustand der Muskeln 
zu Hiid( rii streben. Sie wären dann etwas ähnlichen wie ein mus- 
kulärer Tremor. Leider sind die Schwanknngsweiten so gering, 
daB die Fonu der Bewegungen nicht deutlich heraustritt und so 
eine Entscheidung in dieser Frage sehr ersehwert ist. Mc Allister 
bemerkt, möglicherweise seien die Bewegungen beider Augen 
sowohl dem Zeitpunkt ihres Beginns naeh, als anch nach ihrer 
Gesehwindigkeit verschieden; infolgedessen dttrfe ans dem Koordi- 
nationsmaogel nieht anf Tremor gesohlossen werden. In der Tat 
leigen die mitgeteilten Tabellen die Geltnng dieser Annahme fBr 
die elgentliehen Bewegungen; ebenso besteht sie naok den Anf- 
nakmen fUr die Sohwanknogen. Nnr Ist damit die Verwandtsebaft 
der Sobwaaknngen mit dem Tremor niobt absolnt ansgeseblossen. 

2) Das Bestreben, die einmal gewonnene Fixation anfreebt an 
erkalten, maoht immer neue Impulse nOtig. Es ist bekannt, dnB 
die Bnlbi, wenn sie nieht fixieren, ihre Stellung beständig ftndem, 
ebenso wie bei geschlossenen lidem'). Danach entstunden jene 
Schwankungen aus dem Widerstreit der Fixationsimpnlse mit Be- 
wegungsantrieben , die zur Lösung der Fixation führen wHrden. 
Man hätte sich eine Art von >2saclistromen< der Fixationsimpnlse 
während der Pausen zu denken. Diese zweite Erklärangsart 
scheint vorläufig nach allen Richtungen hin zu genttgen. Aus ihr 
wtirda die I^ngsamkeit der Schwankungen großer nnd kleiner 
Exkursion nicht zu schwer zu folgern sein. Infolge des [iestrt bens 
zu fixieren unterliegen die Augen einem steten ^wang, ähnlich 



1) \g\. scIioD J. Purkiuj«, BeobMiitugen nad Tetsaehe sar Physio- 
logie der Sinne. I. S. 163. 



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260 



E. Koob« 



wie bei Ko&Tergenzbewegmigen dem Zwang zu Seiteuwendimgeii. 
Dieser Zwang kontrolliert aie uid Terhindart «n Anstoigeii der 
GeeeliwiiLdigkeitea 

Tabelle 20. 



Linkes Ange 


Rechtes Auge 






Oe- 


Yoft d«r 




Ge- 


Von dar 


Bewegnngs- 


tiX- 


Hcnwindig- 


Pause 




scowinoig- 


Pftuse 


konion 


keit 


sind ver>j 


koj-sion 


keit 


sind ver- 






pro MC. 


flössen 1 




pro sec. 


flossen 










1^» 

1,9 
4,6 


08« 

116 
174 


1 

166« 

122 
119 


nonzoQbu oaon 
Hau 








3,7 


145 


289 










4,2 


169 


129 


IL • i » 1^ L 

norizontal tiaßk 








8,0 


814 


168 








2,0 


75 


149 


rechts 








3,8 




124 


■ 








2,4 


2m. 


197 










2,8 


87 


101 


1 nAch Unk» oben 








a.i 


179 


81 








9,5 


378 


91 






58" 


163(7 


1,4 


69 


164 




4,Ü 




168 


6,0 


188 


148 


horizontai nach 


6,0 


888 


898 


3,0 


161 


230 


1 linkt 


7,0 


988 


190 


6|jO 


966 


HO 


und »möglichst 


7,0 


818 


147 


6,0 


289 


138 


sehneU« 








6,2 


268 


48 




8,6 


190 


140 


3,7 


213 


142 




8.7 


187 


188 


i 3,6 


144 


170 


1 nach oben 


6ß 


8881 


9S 


1 1.1 


88! 


« 1 


naoh rechts nnten. 



Abgesehen you den SchwankimgeD kleiner Exknnion nnd den 
EinsteUiiDgen mit grOBeren Winkeln treten während der Pauien 
denftteh abgegrenzte gleichsinnige Bewegungen anf. Besonders 
aahlieieh sind sie, wenn die Fiziermarken nidit deutlich siehtbar 
sind, etwa weil sie diesseits des Akkommodationsgebietes ange- 
bracht sind, nicht minder zahlreich, wenn die Bewegungen »mög- 
liehst schnell t vollzogen werden und ihr Ziel beträchtlich verfehlen. 
Im letzteren Fall geht die Bewegung vielfach etappenweise ?or 

1) Die Bedentang der gevonnenen Besoltate fOr eine EDrltik der Bamn- 
tfaeoiien mnß in diesem Zosammenhang nnerOrtert bleiben. Vgl. dazu den 
Aufsatz von Judd. Movement and oonicioosnesB in den Yalo Ptyohologieal 
^tndiee. VoL L Nr. t S. 199 ff. 



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über die Ge8cbwiadig;keit det i^ugeubewe^ngen. 251 

noh irie l»eiiE Lem^). Tabelle 20 orientiert Aber die in Betracht 
kommenden Exkunionen, Gesehwindigkeiten nnd Zdien» die bei 
Eintreten der Koirektionsbewegnngen, wie wir eie einmal nennen 
wollen» von der Farne scbon Terfloaeen lind. 

Die Geeeliwindigkeiten, die die Tabelle angibt, sind nns von 
fittber ker bekannt ala solobe bei Ueinem Ezknrsionen oder als 
Aniaugsgesehwindigkeiten. Aneh kier kerrsekt keine Proportio- 
nalität Bei kleinen Winkeln liegen die Werte nm ICO^, bei 
grVBeren etwa nm 200^. Die Bewegangeriobtung ttbt ecbeinkar 
keinen EinfloB ans. Die Zeiten, die Yon der Pavae TerflosBen 
siod, sind im allgemeinen größer wie in Tabelle 19. Ein anffM- 
ligea Beispiel flir den Koordinationsmangel gibt die letzte Reihe 
der Tabelle mit ihren Werten 3ü2° und 83" für das linke bzw. 
rechte Ange. Es liegt schwerlich ein Messnngafehler vor: die 
ToranfrrehendcD gleichsinnigen Bewegungen haben die Geschwindig- 
keita werte 433" bzw. 437». 

Von der Mannierfaltigkeit der in Betracht kommenden Be- 
wegungsarten mat: norh ein letztes Beispiel überzeugen: in einer 
Faase erfolgten zwei der voraufgegangenen entgegengesetzte Be- 
w^ungen, die erste ö a nach Beginn der Pause mit der Exkur- 
sion 1° und V = 76° sec"*, die zweite nach weiteren 39 a mit 
der Exknrsion 5^ nnd t; = 112°Bec~*. Dieser Reichtum der 
Formen, von dem die Yp. keinen Eindruck erhält, und daneben 
die Schnelligkeit im Wechsel der Impnlee baben vorläufig noch 
▼iel Problematiaebee. Gerade die Pansen geben mehr des Rätsel- 
vollen alB die Eontraktionen. In ihnen findet fortwährend ein 
Gegenspiel der Impulse *bebn LOsen nnd Wiederherstellen des 
Fizationssnstandes statt. Je mehr dieser Znstand geltet wird, nm 
so mehr können die Gksekwindigkeiten bei den Einstellnngsbewe- 
gungen waehsen; statt der langsamen Schwankungen kleinerer 
oder größerer Exknrsion kOnnen die Korrektioosbewegangen anf« 
treten. Wiederum zeigt sich die Bedeutung der physiologischen 
nnd psychologischen Momente, Ton denen firfiher bei den gleieh- 
sinnigen Bewegongen die Rede war: ile geben ja dem Fizations- 
zustande das Gepräge. — 

1) Es würden k^e gitfOonm Sohwterigkirftea m 11berwfaid«B Min, nm 

mit der getroffenen Anordnong die motorischen Prozesse beim Lesen genwier 
aU es bisher geschah za nnteräucbüD VlM 7.n diesen ruckweise vollxogeaea 
Beweg^oiigen die Beobaohtongeu yon Dodge, S. 20ö dieser Arbeit 



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252 



Wir fassen zmammeii: 

1) Die Geschwindigkeit der Angenbewegnngen ist nicht ein- 
deutig von der Exkursion abhängig. Es besteht kein Pro« 
portloiialitftligeBetK. Bei kleinen Winkeln beträgt die 6e> 
ichwindigkeit etw» 100^200«, bei den grOfieien 200-500^ 

2} Jede Bewegong zeigt drei Phsaen. Für gewöhnlieh liegt 
das Maximom der Gesehwindigkeit in der mitHeien, hin nnd 
wieder in der Endphase. Die Maxims iteigen bla 700^. 
Für Ihr Antreten moft man dnen Bpfelranm hia fiOnnd 00«r 

lassen. 

3) Selbst bei derselben Exkuiöioü können die Bewegungen der- 
selben Vp. hüchst verschieden ausfallen. 

4) Die geringen Geschwindigkeiten bei kleinen Winkeln rUhren 
hauptsächlich von dem Zwang her, den die alimäliliche Ein- 
stellung auf das Ziel schon während der Beweg:ang ausübt: 
die Energie hat keine Zeiti sieh zu entfalten. Bei den grOfie- 
ren Winkeln kommen Innervation, Tonne nnd die Geeamt- 
beit der Eraobeiniingen, die wir mit »Anfmerkaamkeit« 
beieiehnen, ab raiiierende Momente in Betraeht 

5) Besondere VersOgenngen kOnnen, abgesehen bierron, aneb 
ans rein meebamschen Umstünden erfolgen, nntor physio- 
logischen Umständen ans dem bereits erreiebten Kontrsk* 
tion^zuätaudc des Mnskels, der eine weitere Znsanunen- 
ziehauj,^ oif^chwert, aus der Spannung des Antagonisten, der 
Hülle des Bulbus, der Form des Augupicls. 

6) Die Geschwindigkeiten, die bei >möglicb8t schnellen« Be- 
wegungen erreicht werden, weichen von den bei präziser 
Beaktionsweise gewonnenen nicht ab. Oft wurde dagegen 
eine Angleichong der Phasengeschwindigkeiten beobachtet. 

7) Sine nennenswerte pbysiologisohe Berorsagnng einer Be- 
wegongsriobtong Ul^ sieb niebt iuidea. 

8) £s seigt sieb dnrebweg ein Mangel an Koordination. Bei 
den Bewegungen beider Augen berrsebt weder Gleiebmäßig- 
keit noch Gleichzeitigkeit. Bis zn 60 «r nnd darüber kennen 

sie auseinanderfallen. Eine Vergrößerung des Koordinations- 
mangels zieht Verwirrung uud Stillbtaud der Bewegungen 
nach sich. 



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Ober die (ieschwindigkeit der Augenbewegongen. 253 

9} Die EonTeigenzbewegnngen erfolgen yiel langsamer wie die 
gleiebsinnigeii. Ilire Geaehwindigkdten liegen bei 60—100**. 

Sind zugleicli mit ihnen Seiteuwendungen auszuführen, au 
lic;rcn diese am Anfang vor der Konvergenz. Später — he- 
sonders am Ende — kann dann noch eine kleine iSeiten- 
wenduDg als Korrektur folgen. Die Konvergenzbewegnogen 
erfolgen unter der steten Kontrolle yon Impulsen, die maneh- 
mal für knrze Zeit anssetsen; bei den gleiehsinnigen Be- 
wegODgen wirkt der Impnls mebr einleitend. 

10] Die Pansen dauern bei präziser Keaktiousweise 30O — 500 (t, 
bei »mögliehst schueiler« 200 — ^300 a. In ihrem Verlauf 
finden ScbwankangeQ kleineren und größeren Umfanga statt 
mit einer Geschwindigkeit von 50^ pro sec, femer Eorrek- 
tionsbewegangen mit v ^ 100 — 200". Das Anfibreten der 
einen oder anderen dieser Formen bingt Ton der größeren 
oder geringeren LOsnng des Fixationsznstandes ab. 

In Tabelle 21 sind die rersebiedenen Bewegnngsarten mit ibren 
Oesebwiiidigkeiten aufgeftlbrt. Letsteie sind einmal in Graden 
nd zugleich in der Anzahl der Millimeter, die der Hombantpol 

IQ der Sekunde zurtlcklegt, ausgedrückt. 

Tabelle 21. 

Sdiwiiikmigen kleinerer and größeier Ezkunon etwa 50" = 11.8 mm aee"* 
KoDTergeuzbewegnngeii £0—100'' = 11,&— 23,6 » 

Korrektionsbewegoiig«! in den Pausen \ ^^ ^oQo « 23,6- 47,2 » 
Gleichsinnige Bewegung bei geringer Ezknnion j 

Gleiehaianige Bewegung bei gx^fiefer Ezkonion 900-600« = 47,8-118,0 » 

äaximiun der Bewegung in der Mlttelpbase bin 700*^ 166,8 » 

Die Versuche sind im hiesigen psyobolo^i sehen Institut ange- 
iteUt worden. Es ist mir eine angenehme Pflicht, Herrn Professor 
Martins flir die Liberalit&t, mit der er mir seine Hilfsmittel zur 
Yerfbgmig stellte, wie ibr das Interesse, das er dieser Arbeit sn- 
ivindte, berzUebst zn danken. 



(Eingegangen am 10. Juli 190Ö.) 



amUv fb p^ittkoiAflto. xm. 17 



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Einheit und Einheitlichkeit. 

Yoft 

Dr. Welcke (München). 



In die Erörterungen Uber das Wesen der Einheit und Ein- 
heittiohkeit ist besonders große Verwirrnog gekommen, weil man 
auf Omnd peychologisttseher Antriebe sieht klar genug die Ein- 
heit, welehe jedes Ckgens^ndliche dantellt, sofern es in einem 
Akt des Ueinens erlebt ist, nnterschieden hat Ton der Einheit, 
welehe dem G^egenständlichen an sieh snkommi 

Für die Klärung ästhetischer Probleme ist diese strenge Unter- 
BOheidung von grüütor Wichtiekeit. 

Will man z. ß. erforschen, worauf der eigenartige, einheitliche 
Anfbaa der Töne innerhalb konsonicrcnder Klangeinbeitcn sich 
gründet, worauf also im wesentliohen die Konsonanz oder Stimmig- 
keit beruht, dann muB man sich darüber klar sein, ob soloha 
Einheitlichkeit und ob die Einheit des Klangganzen, in dem soleha 
EinhdtUehkeit des Aufbaues der Teile sich findet, dem Tongebilde 
selbst zukommt, als seine Eigenheit, als etwas, das duA Ton- 
gebilde au und ftlr sich hat, oder ob solche Einheit und Ein- 
heitlichkeit ihren Ursprung in dem wisseuden, auffassenden Geiste 
haben, der die Tongebilde zu Gegenständen seines Wissens und 
seiner Anteilnahme macht 

Jenachdem man der einen oder anderen Oberzeugung ist, whd 
man den Grund des Konsonierens in den Eigenheiten der Tonwelt 
allein, oder aber auch in den Eigenheiten des menschlichen 
Geistes zu finden suchen, wird man bloße Tonwelterforschung oder 
aber auch psychologische Forschung zur Erklärung: der Einheit 
und Einheitlichkeit der Tongebikie treiben. — Lipps z. B., der 
in seinen Untersuchungen tlber Konsonanz und Dissonanz von der 
Ansicht ausgeht, daB alle Einheit und Einheitlichkeit ihren Ur- 
sprung und ihre eigentliche Sttttte im menschlichen Geiste habe, 



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Einheit and Einheitlichkeit 



255 



betraehtet die Untemiehing Uber das EooBonieieii und DiBioiiimii 
der Tt^ne als psychologuobe Untenocbiiog; eine Anaiebti die ieb 
für eraiebtlieb fidseb belte. 

leb will in den folgenden Untennebongen einige Fragen be- 
zflgliob des Weaena der Einbeit und Einbeitliobkeit mit beeonderer 
Rttcksicht auf ihre Bedeatang für ästhetische Untersachungen er- 
örtern. 

Einheit des Meinens nnd reaie Einheit der Qegenstinde. 

Soferu man mit einera geistigen Griff irgend etwas meinend 
erfaßt, wird dies durch das Erfassen umgrenzt, wird eine Einheit, 
etwas Abgeschlossenes, im Gegensatz zum KiuhthegreoxteDi Nioht- 
gesonderten. 

Diese Einheit, welche jedes Korrelat eines Meinungsaktes 
dnreh das Meinen gewinnt, kommt zwar auch dem Gemeinten 
sn, aber in gans anderer Weise wie etwa einem Dinge die Ein- 
heit als Anfban ans all seinen Eigenheiten zukommt 

Die TOiUge Verschiedenheit der tatsächlichen nnd wirklichen 
Einbeit von der Einbeit des Heinena, wird dentlich, sobald man 
sieht, daB die Eigenbmten der einen, Eigenheiten der anderen atraeka 
entgegengesetzt sind. 

Die Einheit', welobe einem Gegenstand an nnd ftbr sieh sn- 
konnnt^ z. B, die Einheit, welche dem Anfban aller Einzeleigen- 
heiten, die ein Apfel zeigt, zukommt, diese Einheit hat der Apfel, 
als Moment, das in ihm md nnr in ihm, nnabhängig yon dem 
Zvstand, Ton oder Verhalten eines IndiTidaoms seinen Qmnd bat 

DieJänheit des Meinens dagegen, a. B. die Einheit, die der 
Ecke meines Zimmers ankommt, sofern ieb sie »mdnec nnd so 
durch einen geistigen Griff zu einem Abgesonderten nnd Umgrenz- 
ten mache, diese Einheit, hat nicht die Zinimerecke als Eigenheit 
an und fUr sich, sondern nur, sofern sie Augnütipunkt und Halt 
meines Meiuuugsaktes ist. 

Die Einheit eines Apfels tinde ich vor, abgeschlossen und um- 
irrenzt fregen die Umgebung, ich erkenne stückweise ihren Auf- 
bau, indem ich alles auffasse, wa?« nich /n ihr zusammentut. 

Die Einheit »Ecke meines Zimmers« besteht nicht für sich, 
ich üüde sie nicht in natürlicher Umgrenzung vor, sie entsteht 
und besteht teilweise dnroh mich. — Sie entsteht, indem ich mit 

n* 



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256 



Welcke, 



einem geistigen Griff, inciDend, aaf ein Stttck der nicht psychiscbeD 
Welt das umgrenzte Licht meinee Meinens, meines geistigen Hin- 
zielens, fallen lasse nnd so durch den Licbtscbeln meines Geistes 
auf der gemeinten Weltstelle einen abgegrenzten Bezirk schaffe, 
der sich gegen alles, in dem bestimmten Homent nicht Gemeinter 
als Einheit, als Abgesondertes and Umgrenztes abhebt 

Der an und fUr sieh Torhandenen Einheit von GegenstSnden, 
wie z. B. der eines Apfels, läBt sieh, ohne Rückgriff auf das 
Verhalten eines geistigen IndiTidnnms eine zeitliche Stelle zu- 
weisen; sie kann als Einheit entstehen, danem und Tcrgehen, oh 
sie wissend erfafit wird oder nicht 

Yoa der Einheit des Meinens hat es gar keinen Sinn, zu sagen, 
<ie sei in der Zeit entstanden, habe gedauert nnd sei wieder ver- 
gangen. 

Will man die Einheit des Meinens mittelbar zeitlich bestimmeD, 
daun ^^clit das nur auf dem Umwege Uber das > Meinen«, das 
psychische Verhalten, das seine Stelle in der Zeit hat. 

Auch läßt sich die p8ycliop:ene Einheit des Meiueiis nicht in 
bloßem Hinblick auf das vou ihr Umfaßte besiimnien und er- 
fassen; auch nicht allein im Hinblick auf das » Meinen s diese» 
psychische Verhalten, sondern einzig: im Hinblick auf beides zu- 
gleich, im >Geme!ntsein*; weil die Einheit des Meinens nicht 
allein im Meinen, noch allein in dessen Korrelat steckt, sondern 
da» wo das Meinen und sein Korrelat aafeinander treffen nnd sich 
gegenseitig abgrenzen. 

Und auch da ist die Einheit, welche Jedes Korrelat einea 
Meinnngsaktes darstellt, nicht zn fassen, ohne daß man, in einer, 
wenn aneh noch so nnanfißliligen rtlckläufigen Bewegong» den 
Strahlen des Meinens entlang, anf das meinende Ich, den Brenn- 
und Ansgangs- nnd Sammelpunkt der Heinnngsstrahlen znrttck- 
greift. 

Denn die Einheit als Korrelat der Meinung ist stets nnr Ein- 
heit fttr ein meinendes Ich, nicht Einheit an nnd fttr sich, 
wie es die rein sachlich gegründete Einheit ist 

Von dieser letzteren, der Einheit eines Gegenstandes, die ihm 
an nnd ftar sich ankommt, erseheint es mir widersinnig, zn be- 
haupten, sie sei psychogenen Ursprungs, da diese Behauptung 
nnr von der Einheit, die einem Gegenstande im Akte des Meinens 
zukommt, gelten kaun. 



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£inbeU nnd EinbeitUchkeit 



257 



In gewissem Sinne ist allerdings die Ansicht, daß alle Einheit 
p8yehog:encn Ursprungs sei, wohlbejrründet. 

Walirscheiulicli hat uns iicuiiiifh die Tatsache der Einheitlich- 
keit des Bewnßtseiosbestandes jedes Momentes, durch die gemein- 
same Beziehung alles Bewußten auf das eine, anteilbare Ich, erst 
II dem Begriffe der Eiaheit geflihrt, uns den Sinn dessen, was 
Einheit flberhanpt besagen will, zuerst nnd nrsprQnglieh gelelirt. 

Aber wenn aneb das Verständnis f&r den Begriff der Ein- 
heit seelischen Ursprunp:s ist, und wenn ancb die erste Erfahrung, 
die iu seiner Fiiidang geführt hat, d;ts Innewerden einer seelischen 
Einheit ^^eweseu ist, schließt dn> doch niclit ans, daß es auch 
äußerseelische Gebilde gibt, die wir wegen ihrer gauzeu Eigen- 
heit als ähnliehe Einheiten erkennen, wie sie der Gehalt nnseres 
Ich in jedem Angenblieke darstellt; nnr insofern von diesen 
psychischen Einheiten TCrscbieden, daß niebt die Eigenheit eines 
seeliBeben, eines leb bildendes Moment derselben ist, sondern 
etwas dem leb und allem Seelischen TÖllig Entzogenes. 

Und wenn nun solche sachlichen Einheiten, die nicht bloß 
durch einen i;eistigen Griff umgrenzt sind, sondern wirl^-lich um- 
grenzt vorgefunden werden, auch auf Grund psychischer Erfah- 
rungen als Einheit erkannt und Einheit genannt werden, dann 
bedeutet das noch laoge nicht, daß sie der Einheit des Ich ihr 
Dasein verdanken. 

Die drei Einheiten: Einheit des BewnBtseins, Embeit des 6e- 
tneuten nnd Einheit des Dinges oder dinglichen Gebildes sind in 
der verschiedensten Weise gegründet. 

Die Eiüheit des Bewußtseinsbestandes, des psychischen Gehaltes 
eine« Individuums in jedem Momente, j^rUndet sich darauf, daß das 
alle seine Habe in jedem Moment zur Einheit zusammenfaßt. 
Die Blnheit des Gemeinten beraht darauf, daß der Lichtstrahl des 
Meinens ein Stttck der Gegenstandswelt umgrenzt Die Einheit, 
welche den Gegenständen selbst zukommt, gründet sieb daranf, 
daß die Gegenstände selbst Sitz von etwas sind, das ihren sBmt- 
liehen Gehalt znr Einheit znsammenfaBt. 

Und die AulfabbUu^.^tUtigkeit des Individumna (wie Lipps 
meint; ist nicht dieses zusammenfassende Etwa», das die Einheit 
der Diu^;e und dinglichen Gebilde begründet. 

Zur Einheit des Gemeinten, welche jedes Korrelat eines Mei- 
BQiigsaktes darstellt, gebtirt selbstrerständlioberweise die Meinung 



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258 



Welcke, 



eincB Tndiyidaoms als bildendes Moment; alle Einheit des geistigen 
Griffes yerliert ihren Sinn, wenn man von jegUehem IndiTidnnm 
absieht. 

Zu einer taUäcbliclieii Einheit, wie s. B. der einet Apfel» oder 
dnes ZttBammenldangs, gehört aber keineswegs ein IndiTidnun 
als hfldendes Moment; ond solehe Einheit kann aneh sehr wohl 
itr Ersehanong gebraoht werden, ohne daß man geswnngen wSie, 
auf ein Individanm snrttckzngrdfen, das solche Einheit snm Oegeii- 
atande seiner Beachtnng oder seines Meinens macht 

Damm ist die psjchologistische Anscbanong von Lipps, dafi 
alle Einheit psychogenen Ursprungs sei, nnr haltbar, soweit sie 
sich anf die Einheit besieht, die Jeder Gegenstand hat, sofern er 
in einem einzelnen Akte des Heinens erfaßt ist; die Einheit, in 
die jedes Quäle, sofern es gemeint ist, notwendig gefaßt ist In 
ihrer Verall/;emeineruug eutöpriciit die LippsBcbe Anschauung 
nicht den Tatsachen. 

Lipps sagt iLeitfaden der Psychologie. I. Aufl. S. 64): 

»Was d&a eiubeitlicbe Ich zamal erfaßt, ist eben damit zasammeu'- 
ge&Ot Und dsdoreh tat es ntr Einheit geworden. Zngleieh ist 
hiermit der Shin aller Einheit beieichnet. Alle Einheit der Welt 
entsteht darch solche« ZnaammenfsMen, Terdaakt also ihr Daaeni 
der Einheit des Ich « 

Femer »Einheiten und Kelationon«, S. 22: 

»Diese Einheitsapperzeptiou iat es, wodurch fUr mich alle Einheit 
entsteht . . . Alles aber, demgegenüber ich sie ttbe, oder alles, wss 
leb In Boleher Weise fnnerlieh sossmmennehme, Ist eben dsssit Ar 
mich znr Einheit geworden. ~ Es kann also für mich altes anr Ein- 
heit werden . . .c 

S.23: 

»Und damit ist nnn angleieh gesagt, daß der aUgemefne Ston 
dos Wortes «Einheit' Uberhaupt in dem Stattfinden einer solchen 

Einbeitsapperzeption besteben muß.« 

Femer mit leichter And?^runp: in der 2 Aufl. (Leitf.d. Psych. 2. Anfl. S.llSjj 
»Die EinzelapptTioption ist d:iB Erfassen oder UuifasHcn irgend- 
eines an sich Einfachen oder Mehrfachen uit einem einzigen und 
eiafteben inneren Oriff oder Bfick des geistigen Auges. In ihr wird 
das Erfaßte fOt mich zum Ungeteilten, .einen', in sich abgeschlos- 
senen Gegenstand oder gewinnt f&r mein Bewußtsein daa Daaein 
für Bich.« — 

»Diese Einheit ist nicht eine sinnlich wahrneiiuibare Eigenschaft 
^es Qegenstsades, sondern sie ist eine Bestimmtheit desaelben, die 
ihm für mein Bewußtsein in der Einseiapperzeption entsteht; eine 

appf rreptive, wenn man will, pine kate<rnriale Bestimmtheit, oder, 
unter Voranseetzung eine« weiteren Begriffes der Form, eine kate- 
goriale Form des liegenstanües.« 



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Einheit ttttd Einheitlielikeit 



859 



»Sie ist die Eiofachheit and Einzigkeit des BUckes des geiutigeu 
Anget, den ich ■]■ auf diMen bMtimmten Oftgantand belogen, ihii 
nmscbließend and hmnshebend und iaeofem ab eine flun eignende 
Bestimmtheit onmlttelbar erlebe.« 

Obwohl in dieser Faesnag der «weiten Anfluge des »Leit&dens 
der Peyebologie« niebt mehr wie in den Torher angeführten Stellen 
▼on einem Enletehen der Einheit der Gegenetitnde in der Einheite- 
apperzeption Bebleebtbin, sondem jetst von einem Entstehen 
»fttr mich« die Rede ist, maeht sieh doch im SeUnBiata die 
frühere Meinniig auch hier noch in voller Klarheit geltend. 

Was fllr die Einsheit und Einheit, die jedem Gegenstande, 
als Zielpunkt und Angriffspunkt eines geistigen Griffes (oder wie 
man auch sagen kann, eines Meinuugsaktcs), gilt, daß sie nämlich 
in dem geistigen Griff, oder wie Lipps sagt, in der Einzelapper- 
zeption entstellt, das wird von jeder Einheit schlechthin be- 
hauptet, auch abgesehen davon, daß und ob sie gerade Angriffs- 
punkt meines Meinens ist. Die Einzigkeit and Einfachheit des 
geifltigen Blickes soll man als eine, dem geistig erblickten Gegen- 
stand eigene, Bestimmtheit nnmittelbar erleben. 

In der Einzelapperzeption soll das Er&fite anm nngeteilten 
»einen«, in sich ahgeBohloeeenen Gegenstand werden, fttr mein 
BewnBtsein das Dasein ftr sieh gewinnen. 

Fttr die Einheit, die jedem Korrelat eines eUiselnen Meinnngs- 
aktes ankommt, treffen Im allgemeinen die angefahrten Ansichten 
von Lipps an. 

Diese Einheit ist psychisch bedingt, wenn auch nicht ganz im 
Sinne von Lipps, weil Lipps unter der Eiuheitsapper/eption, 
durch die alle Einheit in der Welt entstehen soll, etwas anderes 
versteht wie ich unter dem Akte des Meinens, unter dem ich 
das schlichte innerlich auf etwas Gerichtetsein verstehe, das noch 
nicht irgendwie näher ui« \ orstelleu, Empfinden, Aufmerken, Auf- 
fassen usw. bestimmt zu sein braucht. 

Wenn aber Lipps auch die Einheit, welche Gegenständen 
an und für sich zukommt, wie z. B. die Einheit, zu der Ton- 
höhe, TonfUlIe, Tonlautheit sich im Ton zusammenschließen, als 
bedingt durch ein psychisches Verhalten erklärt, dann setzt er 
sich, ohne daftlr zwingende Grttnde anznfllbren, in Widersprach 
mit der Er&hrong. 

Jeder, der sieh, frei von Voreingenommenheit ftr hestimmte 



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260 



Welcke, ' 



erkenatnistheoretiBehe Dogmen, seinem schlichten Erleben hingibt, 
mnB die Beaebreibnng oder Behraptong yon Lipps (Leitfaden d. 
Psych. 2. Aufi. S. 126 und 127), derzofolge x. B. HVhe und Sttrke 
eines Tones erst durch mich zor £talieit des Tones verkottpft 
werden, für falsch erklären. 

Die Einheit eines Eiuzeltones, eines Farbenfleckes, ist nicht 
eine Bestimmtheit, die dem Ton, dem Furbeuücck m der Einzel- 
apperzeption entsteht, weder dem Ton für sich, noch dem Tun, 
sofern er mir bewußt ist, sondern eine Bestimmtheit, die ich 
wahrnehmend an ihm erfasse und vorfinde, und die ich au ilrni 
ohne den geringsten Rückblick auf die Einzigkeit und 
Einfachheit des geistigen Blickes mir zur Ersohauang bringen 
kann. 

Ich erklärte vorhin, daB man wohl nor im Banne gewisser 
erkenntnistbeoretischer Dogmen zu solcher psyobologistischer An- 
sicht kommen ktfnne. 

Eines dieser Dogmen, von dem auch Lipps beeinflußt wird, 
ist die Behauptung, dafi es eine andere Wahmehmnng Ton Gegen- 
ständen der Anßenwelt, als die sinnliche Wahrnehmung, nicht 
gebe, daß mithin z. B. die Einheit, welche sich ans sSmtlichen 
Eigenheiten eines Klanges oder eines Apfels aufbaut, nicht etwas 
sein könne, was dem wahrnehmbaren Apfel an und ftlr sich zu- 
komme (weil ja die Einheit nicht sinnlich wahrgenommen wird), 
sondern nur etwas, was ihm beim Wahrnehmen und Auffassen 
entsteht 

Kommt sur Befangenheit in diesem Dogma dann noch die 
G-rnndkrankheit der Psychologisten, Aufbau, Ausbau und Eigenart 

des menschlichen »Wissens um etwas < mit dem Aufbau, Aus- 
bau umi ilei- Eigenart des > Wissend-ErfalUon * zu verwechseln, 
dann ist eine Auffassung wie die von Lipps die leicht erklärliche 
Folge. 

Dali Lipi)s tat-afblich unter der Herrschaft dea erwähnten 
Dogmas steht, beweist seine Bemerkung: > Diese Einsheit ist nicht 
eine siaiilieh wahrnehmbare Ei^'-enschaft eines Gegenstandes, son- 
dern sie ist eine Bestimmtheit desselben, die ihm für mein He- 
wußtaein in der Einzelapperzeption entsteht . . .< Das von Hnme 
aufgestellte Dogma Em gibt keine andere Wahrnehmung von 
Gegenständen der Auüenwelt als die sinnliche, ist nicht haltbar. 

Es gibt zweifellos eine unmittelbare, auBersinnliche, auf 



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Eiahdit und Einlieitliobkeit. 



261 



Außenwelfliches gerichtete Wahraehmong tos Kategorialem und 

von Beziebangen mancherlei Art, eine Wahrnehmung, die gen an 
Bo arsprttnglicb, genau so anrermittelt ist, wie die sinnliche 

Wahmehrann^. 

Wir nehmen Dauer, zeitliche und räumliche Beziehungen, 
Ähnlichkeit, Gleichheit, Eonsonans, Einheiten in der Anfienwelt 
ohne Rdekblick aaf ein paychiaches Verhalten, gerades- 
weg« als Eigenheiten der Saehenwelt wahr, so gnt wie Farhen 
und T5ne. 

Mit dieser meiner Behauptung steht die Tatsache, daß zum 
^ianlichen Wahruehmen ein bloßes auffassungsbereites Zu- 
wenden zum Gegenstand der Wahrnebmuug zu dessen Erlassen 
genügt, während zu dem auBersiuulichen Wahrnehmen erst ein 
Alfmerken und geistiges Tun (Vergleichen usw.) führt, dnreh- 
Mit nicht im Widersprach. 

Denn ich will ja dnrchans nicht bestreitett, daft zn den Vor- 
bedingungen des ErfasBens Ton Einheiten z. B. ein heBtimmtes 
psyehisches Verhalten gehört. Aber ich will darauf hinweisen, 
daB auf Grund dieses Verhaltens dann das Erfaßte geradeswegs 
als Eigenlitit der Außenwelt wahrgenommen, nicht bloß er- 
schlossen oder irgendwie der Aulieuwelt zugedacht oder za- 
gescliriebon wird. 

Bezüglich der Einheiten kann man sogar behaupten, daß bei 
sehlichtem Zuwenden zur Welt der dinglichen, sachlichen Gegen- 
ifiKnde wir gewöhnlich zuerst in sich geschlossene Einheiten 
wahnebmen. — Dies Wähmehmen von in sich abgescUossenen 
Einheiten der sachlichen, realen Welt tritt unmittelbar und zu- 
^rlt'ich mit dem sinnlichen Wahmebmeu, ühue weitere geistige 
Tätigkeit, ein. — Alles Wissen um die Besonderheiten der Aulieu- 
welt beruht darauf ; alles deutliche Unterscheiden, alles Vergleichen 
setzt schon das Wahrnehmen ¥on Einheiten, die sich voneinander 
abgrenzen, Yoraus^ 

Die Zerlegufcg solcher Einheiten, z. B. der einfachen Gegen- 
itzndseinheit eines geformten Farbenfleckes in Farbe und Form, 
oder der Einheit eines Klanges in Hohe, Lautheit, Fttlle, Färbung 
Teiltöne, fiudet meist erst später statt, als Ergebnis der 
Zergliederung eines, zunächst nur in seiner Abgeschlossenheit, als 
sachlich reale Eiulieit, Erfaßten. 

Und dieses außersinnliche Wahruehmen hat auch gegenüber 



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262 



Weleke, 



dem sinnlichen durchaus nichts Verwunderliches. — Denn ich finde 
68 ebenso selbstverständlich oder vielmehr ebenso verwunderlich, 
daß wir Farben, Töne usw., kurz, sinnlich Erfaßbares, als Be- 
Btandstück der Außenwelt wahrnehmen, als daß wir diese Gegen- 
stände in gewisser Fonn, ab fimheiten und in Beziehaogen zu- 
einander wahrnehmen. 

Und weder das sinnliohe noch das aufienionliche Wahrnehmen 
sehafft irgend etwas von dem Wabigenommenen. — So wenig 
unser nnnliohea Wahnebmen und nnser Beachten Farben, TQn» 
und die anderen sinnlieh erimfibaren Eigenheiten der Anfienwelt 
entstehen läßt» so wenig Ittßt unser anBersinnliehes Wahrnehmen 
nnd das geistige Verhalten, das ihm vorbeigeht, irgend etwas 
entstehen, wenn es eine Einheit erfafit, zu weleher sieh solche 
Sinnlich wabniehmlMure Eigenheiten znsammenschliefien. 

Unser Wahrnehmen and Beaehten, sowie das i^ychische Ver- 
halten, das schliefilich zun Wahrnehmen ftlhrt, läßt, soweit es auf 
Anfienweltliohes gerichtet ist, nichts von dem Wahrgenommenen 
oder an dem Wahrgenommenen entstehen, auch nicht >fttr 
mein Bewußtsein«, wie Lipps sich im >Leitf. d. Psych.« 
2. Auti. ausdruckt, sondern es UiCt uur Wissen um das Wahr- 
genommene und seine Eigenheiten entstehen. 

Wenn wir uns beachtend, vergleichend und wahrnehmend von 
der Einheit eines k ni^ nierendon Tonzusammenklanges und von 
seinen Eigeuheiten, sowie von der Einheitlichkeit des Znsammen- 
klauges seiner Teiltöne ein Wissen verschaffen, dann schaffen 
wir nichts Tonartip:c8, auch nichts, was auch nur eine Be- 
stimmtheit des Klanges bildete, auch nichts, was wir ihm zu- 
schrieben oder ihm hinzudächten, sondern wir finden alles 
Wahrgenommene in der Außenwelt vor; finden außer dem durch 
sinnliches Wahrnehmen Erfahrenen, in anßersinnlicher Wahr- 
nehmoog noch die Einheit des Klangganzen mit all ihrer E^pen- 
heit, sowie die TeiltOne in ihrer einheitliehen Beziehung zu- 
einander vor. 

Was z. B. an sachliehen, gegenstftndlicfaen Eigenheiten ent- 
stehen soll, sei es schlechthin oder »Air mein Bewußtsein«, wenn 
ich sehend, tastend usw. mir tou der Form, Farbe, Körperlich- 
keit usw. eines Apfels nnd yon dem Znsammenhang dieser Einzel- 
heiten zu einer Einheit ein Wissen yerschaffe, das finde ich trotz 
gewissenhafter Beobachtung nicht 



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Einheit und Einheitlichkät. 



263 



Was in solchem Falle durch mein ptyehiflobes Verhalten ent' 
sieht, mein Wissen um den so oder so besehaffenen CfregeiH 
stead, dieses Wissen natttrlioh kann ohne ein psyehisehes Ge- 
sehehtti, sei es ein bloBes, anffassnngsbereites Zuwenden, oder 
außer diesem noofa ein Vergleiehen oder eine andere Form des 
Denkens, nicht entstehen. 

Aber dieses Entstehen» dieses »Bewafit-Werden« heiBt 
nioht »£ntstehea«, nicht »Wordene im Sinne Ton »ins Dasein 
treten«, sondern nur im Sinne Ton »in den Uehtkieis meines 
hewnftten Seins treten«. 

Schwerlich kann aber doch Lipps die allra einfache Wahr- 
heit, daß ich von der Einheit der Gegenstände der Anßenwelt 
nur dann ein Bewußtsein, ein Wisi^en haben kann, wenn ich sie 
aufmerkend iu ihrer Eigenheit erfasse, kurz sie apperzipiere, 
haben aassprechen wollen. Vielmehr scheint er durchaus zn mei- 
nen, was er ansspricht, daß jede Einheit und Ganzheit erst durch 
ein psychisches Verhalten entstünde and in dem Sinne etwas 
Psychisches sei. 

Diese Behauptung aber, so wohiverständiich sie vom Stand- 
punltte Lippsscher Erkenntnistheorie ist, widerspricht dem un- 
widerleglichen Zeagnis der schlichten Erfahrung. 

fäasheit und Ganzheit werden in der Welt der Dinge sowohl 
wie auf andere Gebieten des Vorhandenen vorgefunden, nicht 
etwa bei einem psychischen Verhalten oder auf Grund eines sol- 
chen in die einheitlichen Gegenstände hineingelegt oder ihnen 
sonstwie' zugeschrieben. Sie werden, wo sie sich in der wahr- 
nehmbaren Sachenwelt Torfinden, in dieser nnd an dieser er- 
faßt nnd wahrgenommen, nicht in oder an der Psyche. 

Tdlweise nnd mittelbar erkennt Lipps in ^er Alteren Wen- 
dnng dies anch an. So sagt Lipps selbst (»Einheiten nnd Relsr 
tionen«, S. 26): 

»ObjektiT« fSnlieit besagt nichtB als dies, daß meine appeneptive 
ZusainineiiftMitiig dnreh das Gii|«kt, d. b. den OegemtaDd bedingt, 
im Objekt b^giOadet, duieh das Objekt gefordert ist« 

In dieser Wendnng ist doch anerkannt, daß beim Apperzipieren 
der objektiyen Einheit offenbar noch mehr als die bloßen, sinn- 
lich erfaßbaren Eigenheiten wahrgenommen wird; nämlich etwaa 
FordeiuUes, und zwar etwas eigens Auffassung als Einheit For- 
derndes. An spaterer' Stelle fUhrt dann Lipps noch aus, daß 



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204 



Welcke, 



diese Forderang einen >Recht8snBpntcb< darstelle, den wir aner- 
kennen mttSBen, wenn wir nns roUbcachtend dem Gegenstande 
znwenden. 

Damit ist doch Bchlieht und dentlich gesagt, daß außer dem 
sinnlieb Erfaßbaren noob etwas vom (jegenstand Ausgebendes mit- 
erlebt wird, das uns bei voller Beaobtnng des Gegenstandes er- 
kennen Iftßt, daß ibm an nnd für sieb Einbeit zukommt Knr ist 
mit der Anfsielinng der »Fordemng« dem Geigenstande noob eine 
Art leb zngesebrieben, welehes Yon sich nnd Ton etwas außer 
sieb ein Wissen bat 

Denn ein Fordern ist weder ebne ein forderndes Ich, nocb 
obne ein Wissen nm das Geforderte, noeb ohne den Zielpunkt der 
Forderung denkbar. Wollte man aber behaupten, die Einheit, auf 
die der Gor^eustuud, z. B. ein ZusuiniDenklaui^, einen »Reehts- 
uuHpruehw hat, werde nicht an dem /usummenklang \viiLr<:;e- 
nommen, sondern hestehe nnr in dem Erleben der von ihm 
anstehenden Forderung dnrcli mich, dann ceriit mnn in Wider- 
spriu'h damit, daß ja das wcsentlicln' und H.-uipikciin/A'icheu des 
Saehlicheu-Gegenständliehen ist, daß et* seine Kii^cnheit unabhängig 
von meinem Beliehen nnd meinem Benehren hat nnd bewahrt, 
daß der Huehliehe Gegenstand bleibt, der er i«t, ob ich seine 
»Forderung« höre oder nicht; ob irgend jemand da ist, von 
dem er fordern könnte oder nicht; so daß also der » Rechtsanspruch < 
des Gegeustandes auf Einheit nicht von meinem Erleben abhängig 
sein kann, wofern er einen wirklieben Rechtsanspruch dar- 
stellt. Abgesehen davon erhöbe sich auch die Frage, wie denn 
das Erleben der Forderung, als Forderung des Gegenstandes, 
stattfinde? 

Bei konsequenter Ausbildung des zuletzt angeführten Lipps- 
sehen Gedankenganges wttrde man also auch wohl za der von 
mir vertretenen Ansicht kommen, daß die Einheit realer Gegen- 
stände eine ihnen an nnd für sich zukommende Wesensform 
darstellt, die beim Apperzipieren nieht erst entsteht, sondern 
als Einheit vorgefunden nnd wahrgenommen wird. 

Mein Wissen um die Einbeit der Gegenstände entsteht erst, 
tritt erst ins Dasein dnreh meine »Einhettsappcrzeption«. 

Der Gegenstand und seine Einheit werden dnrch letztere erst 
zu einem Gegcnniund für mich, d. h. treten durch sie in den 
Lichtkreis meines Wissens. 



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Liuücit uud Eüihcitliclikeit. 265 

Bei dem psycliisoheii Verhalten, das biersa ibhrt, halie ich 
aber nicht etwa das Bewnßteelni dafi ich irgend etwas ins 
Dasein treten lasse, wie ich es etwa habe, wenn ich ans 
meinem Wellen ein Ton, ans meinem Denken einen Gedanken 
herrorgehen lasse, noeh habe ich das Bewußtsein, ans dem ge- 
samten, mir gegenwärtigen Gegenstflndlichen willkttrlieh etwas 
heranszugreifen nnd willkttrlieh au umgrenzen, sondern das Be- 
wnßtseiu, daß ieh außer nnd unabhäugig ron mir Torfaandene 
Eigenheiten auffasse, Torbandene Grenzen auffassend noch einmal 
nachsiehe. 

Dabei ist diese Einbeitsapperzeption fllr gewöhnlich yiel 
weniger ein Zusammenfassen als vielmehr ein schlichtes Ab- 
grenzen oder Greuzenerkennen. Denn das Entstehen unsere» 
Wissens um eine Einheit in der ^Pj^enst:indlich realen Welt voll- 
zieht sich beim Apper/.ipieren des beu< t]{ jiden Gegenstandes ge- 
wühnlich nicht «o. d:iß zuerst alle Einzel In iren des Gej^enstandes 
apperzipicrt nnd nun auch noeh zuletzt liir Aufbau zu einer Ein- 
heit erfaßt würde, sondern fast immer so, daß zunächst mit einem 
Schlage, wie bei der Beachtung eines Mosaiks, etwas Ganzes, 
eine vielgestaltete Kinheit als Einheit deutlich, aber in ihren 
Einzelheiten nur obenhin, wahrgenommen wird. Die Apper- 
zeption der Einzelheiten erfolgt meist erst durch eue gesondert 
auf sie gerichtete spätere Analyse. 

Das Wissen um die Einheit, zu der sich die Einzelheiten 
einer Gegenstandseinheit aufbauen, setzt sieb nicht erst zusammen 
aus dem Wissen um die Emzelbeiten auf Grund einer auf diese 
gerichteten Beachtung, sondern ist schon vorher als nnanatysiertes 
Wissen um den Gesamtgegenstaad als Einheit da. 

Z. B. ein Wissen darum, daß ein vieltöniger Zusammenklang 
eine wohllautende Klangeinheit ist, baut sich nicht erst auf einer 
Apperzeption der EinzeltSne und ihrer Verhältnisse Innerhalb des 
Ganzen auf, sondern ist bei der Wahrnehmung des Klanges mit 
einem Schlage da. Das außersinnliche Wahrnehmen in sich ab- 
geschlossener Einheiten ist bei allem Wahrnehmen sogar viel ur- 
sprünglicher als das siiiiiliche Wahrnehmeu der Einzelheiten, welche 
sich zu der Eiaheit aufbauen. 

Auf (rrund der vorgebrachten Erwägungen halte ich mich fllr 
bcreehtiirt. die Einheit saehlieh realer Gegenstände, wie z. B. die 
Einheit eines Tougebildes, als etwas zu betrachten, das den Gegen- 



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266 



Welcke, 



8tif]iden der Tonwelt an irad fUt sich, abgesebeii von dem pqrcld- 
floben Yerhaltei eines IhdiTidoimiB, als ihre Eigenbeit snkooiiiit, 
und dessen Wesenheit daher wok nnt im Hinbliek »nf die 
Tongebilde, nidii im Hinblick anf ein psyehisebes Verhalten 
erforseht weiden kann; dessen Erforschung gar keinen Rllekbliek 
anf psy chisebes Verhalten und psycMsebe GesdnnSfiigkelt erfordert^ 
sondern einzig und aDein strenge Einstellong «nf die Tonwelt nnd 
deren Eigenheiten. 

Erfabriingseiubeit und EmbeiUichkeit. 

Eine Einheit ist jedes Etwas, das sich ge^en ein Anderes 
durch rüamliche, zeitliche oder gehaltUohe Bestimmougea deatiich 
abgrenzt. 

Unter den Gebilden, die sieb durch solche Abgrenzung als Ein- 
heiten darstellen, unterscheiden wir noch solche, die in besonderem 
Sinne eine Einheit bilden, nämlich einheitliche Gebilde 

Besonders für die ästhetische Betrachtung und Forschung, so- 
weit wenigstens deren theoretische Deutung in Betracht kommt, 
ist die Frage nach der Wesenheit einheitiieber Gebilde von 
grofier Bedentong. 

Ich erinnere nur an die Bedeutung dieser Frage fUr die Lösung 
des Problems der Konsonanz und Dissonanz, welches sich dabin 
anspitst, daß konsoderende Tongebilde einbeitliehe Gebilde sind, 
nnd dftB das Konsonieren begründet ist durch eben dasselbe, 
worin ancb die Einheitüebkeit der Tongebilde beruht nnd be- 
gründet ist 

Bei den folgenden Oberlegangen will ieb, hanptsSeblioh in 
Hinsiebt anf das eben erwihnte Problem, die Hanptstfge der 
Wesenheit einheitlicher Gebilde seichnen. 

Damit ein Gebilde einheitlich sei, genügt es nieht, daß es 
sieh bloB nach anfien gegen ein Anderes abgrense, sondern es 
mttssen anderdem noch, innerhalb seiner Begrenzung, seine Teile 
einen bestimmten Aufbau von Beziehungen zeigen, einen Anfban, 
bei dem irgend etwas ciiuii Sitnimelpuukt für die Beziehungen 
der Teile oder für Gruppen vuu Beziehungen zwischen den Teilen 
abgibt, 80 daß das Gesamtgebilde ein gegliedertes Ganzes dar- 
stellt, oder ein Ganzes, das von einer bestimmten Ordnung be- 
herrscht erscheint. 



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Einheit und Einheitliehkeit 



207 



Zur VerdeiLtüohaDg des Unterecbiedes zwischen einer einfaolien 
Erfidunn^einlieit nnd einem einheitUehen GeliUde stelle ieli einem 
mngeformten Eilketein ein regelmäßig geformtee Kalkaieinokteeder 
gegenüber. In dem ungeformten Kalkstein sind dessen nnter- 
scheidbare Seiten nnd Teile einfaeb tatsXcfalieb nnd anfällig dnreb 
räumliche, zeitliohe and gebaltliche Beziehangen za einer Einheit 
vereinigt. Die Erfahrong belehrt mich darüber, daß es so ist, 
erweckt aber in mir keinerlei Einsicht dariu, ob und warum 
die tatsächlich vorhandene Auorduung der Teile eine mehr oder 
minder passende, einheitliche sei. 

Die Teile eines regelmäßigen KalksteiuoktaederB dac:egen sind 
nicht bloß schlechthin, in e^fah^ull^,^si:^ mäßer Tatsächiichkeit, zu 
einer Einheit vcrciuigt, sondern zeigen durch das System von Be- 
ziebangen, das zwischen ihnen besteht, einen planmäßigen Anf- 
baa von erkennbarer Ordnung. 

Die Einsicht in die erkennbare, planmäßige Anordnung der 
Teile bewirkt, daß wir da, wo uns solches einheitliches Gebilde 
entgegentritt, nicht nnr Kenntnis davon bekommen, daß in dem 
Qebilde gewisse Teile mit ihren Eigenheiten sich zn einer Einheit 
rersinigen, sondern aneh ein besonderes Verstindnis daAlr emp- 
fangen, daS in Hinsieht anf die ersiohtliehe Banordnnng 
des Ganzen die Teile nnd Eigenheiten gnt znsammengehOren, 
riehtig sosammenpassen. 

Ans den angeführten Gründen hat es gegenttber einem regel- 
los geformten Kalkstein keinen rechten Sinn, an fragen, oh eines 
seiner FlSebensttteke zn den anderen FlAohenstttoken gnt oder 
sehleoht passe, wfthrend solche Frage gegenttber einem mehr oder 
minder yollkommenen Kaiksteinoktaeder sinnvoll nnd angebraeht 
ist Ebenso hat es keinen Sinn, sich za fragen, ob die Laute 
eines völlig geräuachartigen Tonwirrwarr», in dem man keinen 
hulbwegs reiucu Ton uuterscheidcu kauii , gut oder schlecht zu- 
einander passen, während mau sich bei einem mehr oder minder 
dishouiereiiden Tongebilde, in dem eine erkennbare Ordnung des 
Aufbaues angestrebt erscheint, mit Sinn und Kecht so fragen 
kann. 

Was ist nun das Vereinheitlichende, worauf die Glieder oder 
Teile einheitlicher Gebilde sich alle beziehen und in Hinsicht 
worauf sie zusammenpassen? 

Je nach der Wesenheit des einheitUehen Gebildes etwas dorohans 



268 



Welcko, 



VeraeliledeneB, z. B. bei einheitlichen rilnnUehen Gebildes, wie 

etwa einem Kreis oder einer Kagel, ist es eine regelmäßige räum- 
liche Ordnung, d. h. eine Ordnung, bei der innerhalb des Ganzen 
gewisse Gruppen von Beziehungen sich stete in gleichem Ab.-tande 
wiederholen; bei einheitlichen Gedankengeb Uden, wie z. B. einer 
einheitlichen Diciitung, ist es ein verwickelter, reicher Aufbau m 
QegenBtttnden ideeller nnd psyebiBcher Wesenheit, in einer Stim- 
mnng, die den vereinheifliohenden Beziehnngspnnkt abgibt, n 
dessen Anfban alle Teile der Diohtnng angemeseen beitragen; bei 
Schmnekgegens^nden, wie t. B. Vasen, kann eine bestimmte Art 
des Lebensgefühlö, welche das Gebilde in seinem Au; bau versinn- 
bildlicht, das sein, zn dessen Ausdruck alle Teile des Gegen- 
standes sich vereinigen. 

Bei einem einheitlichen konsonierendeu Tongebilde ist es die 
nnr hindentnngsweise zu bezeichnende Grnndtönung des Klaii^ 
ganzen, zu deren Erzengnng die Eänselttf ne anf Gmnd ihres Banes 
beim Zngleicherklingen geeignet sind, das, woranf Lipps wa]l^ 
scheinlieh hinzielt, wenn er Tom Grandrhythrnns konsoniereader 
Tongebilde redet, dessen Wesenheit er aber nicht klar erschaut hat 

Das Vereinheitlichende einheitlicher Dinge oder dinglicher Ge- 
])ilfie ist btets etwas ideelles, ist nicht ir^'cudwie seinem Ge- 
balt nach mit den Teilen, die sich zu einem einheitliehen Auf- 
bau vereinigen, zu vergleichen, ist nicht irgendeine Eigenheit, die 
den Teilen an nnd für sich innewohnt. Weder die Bildnngsregd 
eines Kreises oder einer Kngel, noch der Stil eines Ornamentes 
oder Gebändes, noch der ideelle Gehalt einer Vase oder der Grand- 
ton bzw. Grnndrhjtbmns eines konsonierenden Klanggebildes sfaid 
etwas dem Material, das nacli solcher Kegel, bolchcm Stil, solcher 
Idee, solchem Grundton einheitlich aufgebaut ist, irgendwie Aha* 
liches oder Innewohnendes. 

Das Vereinheitlichende ist auch nicht eine Qualität der Ge- 
samtform oder der Gestalt des Ganzen. »EinheitUche« Gebilde 
haben anoh hinsiehtlioh ihrer Gestalt oder Fonn, sofern man diese 
blofi als so oder so beschaffene rftnmlieh, zeitlloh oder ge- 
haltlieh bestimmbare Gebilde betrachtet, nichts ?or irgendeiner 
Dinges- oder dinglichen Einheit voraus. 

Diese Tatsache hat auch wohl Lipps veranlaßt, in seinen 
früheren Schriften über Konsonanz nnd Dissonauz zu erklären. 
daU man von Konsonanz and Dissonanz um eines bestimmten 



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Einhalt md EfaiheUHclikeit 



268 



irefühles wiiien spreche, daB aber die konsonanten und disso- 
luuüeii Toogebilde, rein als Tongebilde genommen^ nichts 
Weseisrencliiedeaes hatten. 

Das Yerdnheiiliehende einheitUeher Gebflde ist der ideelle 
Gdudt, den das Osnze in tdnem Anfban angemessen verkörpert 
oder Bnm Ansdnick bringt. Wenn Ich dieses YereinheitlicheDde 
allgemein mit einem Worte treffen will, finde ich kein passenderes 
als den »Bauplan«, oder den >BildungsgedankLn«, oder das »Form- 
prinzip« des Gebildes, alles Bezeichnungen, mit denen ich das 
Kennzeichnende einheitlicher Gebilde, daß sie einem Plan, einem 
Gedanken oder einem anderen ideellen Gegenstand entspreehend 
iifgebant aind, knnnm mit einer bestimmten Absieht aufgebaut 
rind oder an^bant zu sein Schemen, treffen will. 



Ds8 Zneinanderpassen der Teile einheitlicher Gebilde und dessen 

fiinsichtigkeit. 

Dnrcb ihren Aufban, entsprechend einem Plan, Gedanken oder 
mit Hinsicht auf den Ausdmck irgendeines Ideellen, gewinnen 
einheitliche Gebilde noch eine Reihe Yon Eigenheiten, die sie vor 
anderen Einheiten auszeichnen. Die Einheitlichkeit solcher Ge- 
bilde besteht daxin, daß ihre Teile in Hinsicht anf einen Bildnng»- 
pbm oder die An^gestaltong eines Ideellen im Anfban des Gans» 
sisammenpassen, nnd die Einheitliehkeit besteht nur, insofein 
vnd insoweit die Teile in dieser Hinsicht zusammenpassen. 
Infolgedessen ist die Zusammeugebürigkeit der Teile in Ge- 
bilden, die in ihrem Aufban ihrem Bauplan völlig anp:emessen 
aasgestaltet sind, sowie die Unzusammengebörigkeit solcher 
Gebflde, bei denen das nicht der Fall ist, unmittelbar erschau- 
lieh. £b int nmnittelbar erschanüch, daß die Teile in Hinsicht 
snf den Baoplan gnt oder sohlecht msammenpassen; nnmittelbar 
«aiehtlieli, dafi in dieser Hinsiebt der Anfban des Ganzen 
richtig bxw. nnriehtig ist 

Lipps benennt dieses einsichtige Zusammenpassen, diese 
mmiittelbar ersichtliche Zu8ammenc:eböri(:keit der Teile einheit- 
licher Gebilde eine »qualitative Znsammengehörigkeit« Ton Teilen, 
die ihrer Katar naeh rasammenpassen. 

Was meint man nun mit dem »Zneinanderpassen« der Teile 

amu» Ai vi94k«i«fff» xm. 18 

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270 



Welek«, 



eines einLeitiichen Grebildee, mit dem »ihrer Isatur nach« sq- 
»ammengehören ? 

In allen Fällen, ob man nnn meiut, daß eine Speise bei da 
Mahlzeit zor anderea passe, oder daÜ eine Farbe zur andern 
oder ein Bmchatttok «a sein Gegenstllok puae» immer meint vn 
mit diesem Passen ein Verhftltais tob Teilen innerhalb einet 
Ganzen, zn dem sie znsammengesteUt sind. leh will indes mift 
der Fra^e, was man mit diesem Passen meint, nnr an solche Ge- 
bilde herantreten, deren Teile ihrer Natur uach, uliue liinsicbt 
anf irgendwelche menschliche Anteilnahme an ihnen, zueammeu- 
passen nnd durch dieses Zasammenpassen ein einheiüichea Ge- 
samtgebilde darstellen. 

Je nach der Natur dessen, woraufhin das Gebilde einhetthek 
ist, meint man mit dem Passen ein yersohiedenes Verhältnis oder 
ein Verhältnis zwisehen Verschiedenem. 

Wo das Tereinheiiliehende Prinzip rein ittamlieh oder safluh 
zu bestimmen ist, wie bei dem Formprinzip regelmäßiger Ranm- 
oder Zeitgebilde (z. B. Kreis oder Rhythmus), da meint man mit 
dem Passen aucli ein räumlich, bzw. i^eitlich bestimmbares Ver- 
hältnis zwischen Baum-, bzw. ZeitgröBen. 

Wo aber, wie bei dem einheitlichen Stil in einem Ornament, 
das VereuiheitUchende eine in dem Ornament zum Ansdmck kosh 
mende Kraft- oder Lehensänfiemog ist, da ist mit dem »Passen« 
aach nieht nnr ein xänmlieh bestimmbares Verhältnis swisehss 
den rftnmlichen Formteilen oder ein qualitativ bestimmbares ye^ 
hültnis zwischen den dinglichen Qualitäten des Ornamentes ge- 
meint, sondern ein Verlialtnis zwischen den Formteileu und söd- 
ßtigeu diugliehcn Qualitäten des Ornamentes nur sofern und so- 
weit in ihnen ein Verhältnis von Kraft- oder Lebensäufle- 
rnngen zum Ausdruck kommt. Wo, wie bei konsoniereoden 
Tongebilden, das Vereinheitlichende eine bestunmte GnmdtOnmif, 
eme Stimmigkeit des Elangganzen, deren Eigenart man sieht 
weiter heschreiben, anf die man nnr hindeuten kann, das Veiehi- 
heÜUehende ist, da meint man wiederum mit dem »Passen« ein 
YerhUltnis völlig' cigeucr A t, das sich nicht auf iigeudein anderes 
Verhältnis zurückführen oder als Abart eines anderen Verhält- 
nisses bezeichnen läßt. 

Man kann sogar einem und demselben einheitiichen Gebilde 
gegenüber mit dem »Passen« etwas gans Verschiedene! 



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Einheit oad Einheiflichkeit 



271 



meinen, je nachdem man die Einheitlichkeit deö Gebüdeä im 
einen oder anderen Sinne meint. 

So meint man mit dem Zasammenpassen zweier Tt^ne einer 
Melodie etwas yOllig Venchiedenes, je nachdem mm das rein 
toiale ZiiMiiimeiipMBem der Tdne, ihr KonMunereDy für sieh 
hetmehtet, oder ihr ZosammenpaMen als Teil 4er Melodie, 
mit allem, was diese ansdrttekt, im Avge hat 

Im einen Falle meint man mit dem »Passen«, daB die TOne 
iü solchem reiu tonalen Verhältnis stcheu, daß sie sich zu einem 
glatten, gleichmäßigen, in seinen Einzelheiten leicht zu erkennen- 
den Gesamtgebilde aufbaut, dessen Teile sich, ohne von ihrer 
Eigenart einzubüßen, zum Ganzen zusammenfttgeu ; im anderen 
Falle meint man damit, daß sie nieht nnr fttr sich genommen 
in der eben hesehriebenen Weise aosammenpassen, scmdem anfi or- 
dern, daß sie mit allem, was sie an Kraft- oder Lebens- 
Ittfiernngen ansdrttcken, nnd an der Stelle, die sie in dem 
Gesamtgebilde der Melodie, mit allem, was diese an Kraft- 
oder Lebeusäußerungen ausdruckt, passen, und ^^uemauder- 
gehoren. 

Da es nicht meine Absicht war, eine ganz ins einzelne gehende 
Untersuchung zu beginnen, sondern nur Grundzüge zu geben, will 
ieh im folgenden nmr noeh in Hinsieht auf das eigenartige Zn- 
■ammenpassen nnd die Einheitliehkeit konsonlerender Tongebilde 
die Fragen stellen, welcher Art das Yerhftltnis des Zneinander- 
psasens ist, woranf es sich gründet, inwiefern dieses Znsammen- 
passen ein in der Natur der zusammenpassenden Töne begrtin- 
aeks, der Natur der Töne angemessenes und in diesem Öiuue 
emticbtiges Zosammeupassen ist 

Was ist das Zueinaudcrpadseu? 

Das Zaeinaadarpasson der Teile einheitlieher Gebilde, wie x. B. 
siMS konaonierenden Tongebildea, ist ein EiglUismigBTerhältins 
der Teile nntereinander. Aber nidit nvr ein YerhXllBis zwischen 
Mn Teilen, tta sieh genommen, sofern diese Innerhalb des Oansen 

al^renzbar sind, sunderu ein Zueinauderpasseii in Hinsicht auf 
ein bestimmtes Ganzes. 

Also nicht nur ein Verhältnis jedes Teiles zu seinem Nachbar- 
teü, sondern ein Passen jedes Teiles zu dem bestimmt gearteten 
Aafban aller tkbrigen Teile znsanunen, ein Yerhiltnis der Einoid- 

18» 

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272 



Weicke, 



mmg in ein b€«timiDt gestaltetes Gamsee, niolit ein bloBee Zvoid- 

nungByerhältnis von Teil zu Teil. 

Bei koiisoüierenden Tong^bilden tist dieses Verhältnis eine 
nicht weiter beschreibbare oder zurück führbare Eio-enheit zugleicii, 
oder nacheiiuuider erkUngender Töne, die, ohne einander zu stören 
oder m seratVieii, ein glattoe» tonartigeB Klangganze bilden, neb 
zvL solchem eijg^biBen. 

Je naoh der Wesenheit dessen, in Hinsieht woranf ein Gebilde 
ein einheitliches ist» kann dieses Znsanunenpassen aneh ein ifimh 
lieh oder zeitlieh oder ein naoh dem Lebensgehalt der Teile bo- 
Btininxbareii Verhältnis sein. 

Worauf gründet sieb dieses Zusammenpassen? 

Das Zusammenpassen der Teile einheitlicher Gebilde {gründet 
sich nicht etwa auf eine jedem Teile an und fUr sich innewoh- 
nende Eigenheit, sondern darauf, daß jeder Teil geeignet ist. 
innerhalb eines nach bestimmtem Bauplan aufgeführten Ganzen 
eine Stellang und ein Verhalten zu ttbemehmen» das zur Ausge- 
Btaltnng des BUdnngspiinzips in diesem angemessen erweise 
fllhrty knrznm darauf, dafi jeder Teil geeignet ist, eine yerelnh^t- 
liebende Funktion zn ttbeniehmen. 

Inwiefern kann man von einem Zusammenpassen der 
Teile ihrer Natur nach und von einer Einsichtigkeit 
dieses Znsammenpassens reden? 

Jedes Zasammenpassen der Teile efnheitHeher Gebilde ist ein 

Passen nur binsichtlieh einer gewissen Natur des Ganzen, nämlich 
hinsi( htlieh des^j'cn, was die Einheitlichkeit des Gebildes ausmacht. 
Die Teile passen nur dann ihrer Natur nach zusammen , wenn 
sie, ohne ?on ihrer Natur, d. h. von ihrem Grundwesen, etwas ein- 
znbOfien, znm Anfban eines bestimmt gearteten, ihnen wesens- 
gleichen Gesamtgebildes geeignet sind. 

Ctoiade hei konsonierenden Tongebüden ist dies in ^rpiMher 
Weise der Fall 

Die Natur eines Tones, sein Wesen, um dessentwillen man ihn 
(ob<^leich er ein Laut ist, wie ein Geräusch oder ein Knall oder 
ein Kratzen) vor audereu Lauten als etwas Besonderes hervorhebt, 
ist Glätte, Khirheit, Gleichmäßigkeit des LanUichen. 



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fiiniieit und iüaheitlichkeit 



273 



Wo daher TOne 00 snsainmeiikliiigeni dafi lie in ihrer Katar, 
d. h. in der Glätte, Elaiheit, Glfliohniißigkeit ihres Lanlliohen, 
keine EinbnBe erldden und dabei ein Gesamigebade «rgeben, das 
eine tongrleiehe Glitte» Klarheit and GleiehmiBigkeit des Laniliehea 
leigt» da pasMU die TOne ihrer Katar naeh snaammen. 

Denn das Grandweeen konsonierander Tttne iit anoh die all* 
gemeine Glitto, Klarheit nnd Gleiehmäfiigkeit, das bei aller Ton- 
mehrheit Tongleiohe dee GeaamCgeUldea. 

Und es ist ein Weeemtgeeets, dafi Teile, die eieh unter Er- 
haltong ihrer Tollen Eigenart, laokenloa nnd in sosnaagen oiga- 
aiBcher Yersehmelsnng, zu einem wesensgleiehen Geiamtgebilde 
snaammenaebliefien, ihrer Katar nach zvsammengeliitreD. 

Gerade an dem Ittckenloaen and keine natOrliehen Grenzen 
anfWeisbaren Zuammenflein von Bealandteilen eikennen wir, daB 
Bestandteile eine Einheit bilden. Und in Fftllen, wo dieses Zn- 
sammensein nicht bloß tatsächlich nnd zwangsmäßig vorhanden 
ist, sondern einen Anfban von bestimmter Ordnnug darstellt^ bei 
der sich die Bestandteile in Hinsiebt auf einen ideellen Gehalt 
des Gesamtgebildes gmppieren und zusamnienfügen, da glauben 
wir in besonderem Maße die KatUrlichkrit und innere Berechtigung 
der Zusammengehörigkeit der Teilt; x.a cibc; Lauen, wie etwa bei 
den Einzeltönen eines konsonlerenden TongebildeB. 

Diese besondere Einsichtigkeit der Znsammengehörigkeit der 
Teile einheitlicher Gebilde scheint mir daraul zu bernhen, daß 
solche Crcbilde eine gewisse Ähnlichkeit mit dem Bewußtseins- 
bestande in solchem Au;j:euhlicke, wo das, was nnser bewußtes 
Sein ausfüllt, sich zw aii^'l Ofi und restlos 2U einem Gesamtgebilde 
aufl>aut. ilesHcu iiestandteile alle der Erzeugung oder Unterhaltung 
einer bestimmten Tönung des Erlebens dienen, sei diese eine Art 
des Tuns oder Wolleus, des Fuhlens oder des wahrnehmenden 
Erscbauens. Denn in solchem einheitlichen Erleben bekommen 
wir die innere Yortrefiflichkeit nnd den ursprünglichen, inneren 
Wert der Ordnung nach irgendwelchen Piinzipien am unmittel- 
barsten nnd innigsten za spUreu, lernen erkennen, daß solche 
Ordnung ihrem Wesen nach etwas Wertvolles, ihrer Natur nach 
etwas Woiilberechtigtes, in höherem Maße Daseinsberecbtigtes ist. 

Und wo wir in der Welt der Dinge und dinglichen Gebilde 
eine solcher Ordnniig ähnliehe vorfinden, da erscheint uns das, 
was sieh an ihr znaammenftigt, aneh in unmittelbar eniehtlioher, 



274 



Welck«, üaahoit und jaUnhe i tkichkeit. 



BtfMln eiwditiliote Weiae waaammmgMnm md wanmen- 

zupassen. 

Mit dem zuletzt vorgebrachten will ich nnr bebatipten, daß kl) 
den Ursprung der Erkenntnis, daß die Teile einheitlicher Ge- 
bilde in aumittelbar erscbaulicher Weise zusammeopassen , ans 
einem einheitlichen Erleben hertoite, daft iok aber die onmsttel- 
baro Ei8oha«lichkait dos ZuamiiieapaflfleiiB der Teile einbeiflicbar 
Gebilde nicht in einem nentehliehen Erleben, ieodern dani 
begrtsdet sebe, dnB Ordnug^, wo »ie eieb aneb y^rfindea 
mag, als etwas an sidi Wertvolles erscheint, so dafi die Teile, 
die ihr gemäß angeordnet sind, noch in besonderer Weise, ab- 
gesehen V ( II iliiem schlichten, tatsächlichen Beieinander»^, xa- 
gammenge b ö ren . 

Je mehr allerdings das, WM die einbeitliobe Ordnung begründet, 
Audnu^ Ton LebeniftaBenmgen ist, nm flo licbtreUer ist die Za- 
Hanwiengebgrigkeit der nnob ihr an%ebantan Teile enehadidL 



(Eingegangen am 29. Jani 19ü8.j 



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BoicbtigBigm. 



in Band XI aaf S. 193 des LiteratarbericiitcB wurde der Preis von 
Fr. Nietsicbei Werke. TMeheoftoagabe. Leipzig, C. G. Nanmaims Ver» 
lag, 1906b Uagebnndea mit M. &— etett M. 4.» aagegelwii. 

iü der Abliandluu- Schpuiort 1?d. XIIP maß es auf S. 191 Zeile 16 von 
unten beißen: des ladividuumu odur der Natioa. 



(Ans dem psyebologisoben Listitat der UniTeraittt WUnbnig.) 



Beitrag zur Fsyohologie des Zeitbewnfstseins. 

Von 

F. £• Otto Sehaltze (Frankfiirt M.). 

(Mit 3 Figureu im Text) 



Inbaltaangabe. mf 

Vorbemerkungen 276 

I 1« Den^ongtration der Eaupterscheiniuigeii Im Exporiment* 6nind> 

vertiui Ii !vm Zeitsinnapparat 277 

§ 2. Die Iu3truktion und die Ausfragang der VersachsperBonen . . 282 
§ 3. Obenieht Iber die Btizgeschwindigkeitenf bei denen diese Er- 
■ehebningen eintreten. — Methoden der AlMtnfhng nnd Btotnng 

der Beizgeechwindigkeiten 284 

§ 4. Die Trillererscbeinangen 292 

§ 5. Die Bedingnngen der Trillererscheinnnfren 296 

§ 6. Die Kotlektiongerflcheinung^en und der Kollektionsakzent .... 300 

§ 7. Die Bedingungen des Kollektionsakzentes 30ö 

i e. Yennitungen 8ber Ae Kntor dei Kollektioniaksratee Sil 

f 9. Die Braeheinnngen der rabjekttven Blnheitliebkett 816 

$ 10. Beziehungen ▼ob KoUektioniakaent, eobfektlTer Einh^tUofakeit 

und Rhythmus 326 

§ 11« Sinnliche nnd ^gedankliche BegleiteriebnisBe der gesohilderten 

zeitlichen Gebilde . 329 

§ 12. ScheiüäiuQÜche Nachdauer und Bewußtfieiuäumfang 333 

1 13. Allgeneine Bemeiknagen sor Hrntor der idtUehea OebQde ... 346 

Haehtng 849 

360 



Vorbemerkttugeu. 

Die vorliegende UntenoehiiDg bat siob die Aufgabe gestellt, 
die Erlebnifwe tn analysieren, die wir beim Wabmebmen ein- 
facher, zweigliedriger zeitlicher Gebilde auf akustischem, optischem 
und tüktilem Gebiete haben, und hieraus bclilüsse za ziehen. Den 
.^osgaagspaakt der Arbeit bilden daher Versuche, in denen dem 
Beobachter awei untereinander gleiche Keize aus demselben Öimies- 
gebiet — aleo entweder akustische oder taktile oder optische 
Seise — geboten wurden. Der Uateraebied der Beize bestand 

19 



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276 



F. £. Otto Sduütse, 



außer bei deu libythmusversuchcn nur in ihrem zeitlichen Ab- 
stand. Der Wechsel des zeitlichen Abatandes genügte, um eine 
Reihe qualitativer Unterechiede des Eindrucks festzustellen, die 
bisher wenig oder gar nicht beobachtet waren. Hinsichtlich der 
IntenaitiU der Beize ist zu bemerken, daß sie stets mittlere In- 
tenaltitt miter AnsBohloß jeder sabjektiveB BeUstigiiDg beitfieo. 
Nur Biiter den akustischen. Gebilden ist gdegeniHch swisebei 
geringen und httberen Intensitllteii geschieden worden. FSlle, ii 
denen zufällig innerhalb des einzelnen zeitlichen Gebildes objektive 
Intensitäts unterschiede eingetreten waren, wurden nicht verwertet. 

Die Veräucbsanorduuug hatte unter diesen Umständen die 
Anfgabe, die Darbietung von gleichstarken nnd zeitlich genas 
abgestnften Beizen sa ermöglichen. 

Infolgedessen wurden in den Stromkreis einer sehr konstanten AkkS' 
mnlatorenbatterie mit entsprechendon Wider^tnnflcn der vom Kymo^phion 
getriebene nnne große Wundtsche Zeit-innaiitiar.it mit Schleitkonuktea 
nnd drei Apparaten für akuätische, optische bzw. taktile Reize mit ent- 
sprechenden Sch&Itangsvorrichtangen eingefügt. Die SchaltongsvorrichtangeB 
erlaubten eisteiu gsiis naeb BeUebeo den optisehen oder den taklOei 
oder den aknstiBelieii Beisappuat in Arbeit treten an laeeen nnd nreiteei 
den Strom Überhaupt beliebig ni UBterbceehen und sn seUiefien. 

Als Reizapparate dienten: 

1) ein SchallhnmTii er. d^r nur ^erince, für unsere Veranche belang- 
lose Änderungen gegenüber dem von Wandt ^ abgebildeten und bescbiiebeneB 
Modell besitzt; 

8) ein Induktionsapparat Die sekundäre (Übrigens im SeUItiet 
lanfende) Spide dietee Apparates fllhrle an einem Pol einen Draht, an deM 

Ende sich ein breiter Knpferring be&nd. Dieser IKng wurde um das etae 
Handgelenk des Beobachters gelegt und erlaubte unmerkliche Stromzuleitunsr 
in den Körper der Vp. Der andere Pol leitete vennitrel?* eines Drahte? zn 
einem Metallpinsel, deHsen Boraten zusammengebund u wan n. Dieser Pin»«'! 
wurde zwischen die Fingerspitzen genommen. Von punktuellen Reizen wurde 
abgeeehen, weU dann leicht die QualitKt der Druckempfindungen durch Ve^ 
eohiebung der Elektrode sieh Sndert. StOrende Irradiationen der Bebe 
worden durch entsprechende Stromreguliemng seitens der Vp. vermiedas; 

3j ein Funkenzieher. Derselbe befand sieh in einem eehalldicbten 
Kfisten ih'T innen anf ftinf Seiten mit schwarzem Tuch ausgekleidet, aaf 
der heciisteu heite mit einer dicken, einschiebbaren Olasplatte feet Ver- 
schlüssen war. Die für den Funkenzieher erforderliche Erhöhung der Stiom- 
Spannung wurde dnreh ela entsprechend angebrachtes Induktorium ermög- 
licht. 

Als QehOiarebe minimaler IntensitKt wurden die Funken des Fsnkes- 
aieben nach Aufeiehuag der Glasplatte venrertet 



1) Wilhelm Wnndt, GmndzUge der physiologischen F^ydielogie. 

V.Aua m.Bd. s.6oa. 



k 



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Beitrag znr PsTobologie des ZeitbewnOtMint. 277 



Vom Metronom wurde wpiren sn'nrr beschränkten Verwendbarkeit, zumal 
der geringen V&riabüiüt der ^eiubstäude imd wegen sonstiger Fehler- 
qnellen, beioidflitderSdiAlhiiiteneliiedederEliiMlMhläge, sehr liald abgesehen. 

£• tri Boeh bemerkt, däB wegen der Stflmiig doreh die GerXneehe dee 
KymographioDB und dee ZeÜsinnapparatee YMraebflpereon und Tenadie- 
leiter in getramten Zimmem «rbeiteten. 

§ 1. Demonstratiou der Uauptiisdiciaungea im Experiment. 
GraudYeraaeli am Zeitäiiiiiap]Mrat. 

Man IftBt mit Hilfe eine« elektromagnetiielien Hammen anf 
die Vp. eine Anzabl Ton Reiipaaran willen, denurt, da8 man 
jedeamal die zwei kommenden SohlHge yon den yoiaiiigehenden 
durch eine genügend lange Paoae (yon etwa 4") alittennt ICan 
beginnt mit einem Abstand der beiden Beiae Ton etwa 2* and 
ULßt ibn gleiebmftfiig nm etwa 150 a abnebmeni bis man die gcOfite 
so enielbare Geschwindigkeit von etwa 44 a eneiobt hat. Die 
yp. wird aufgefordert, sich unbefangen dem Eindruck der Schlüge 
hinangehen und zu sagen, ob die Änderung des Eindruckes yon 
Schritt SU Schritt glcichmäBig oder sprunghaft erfolgt. Dann 
zeigt sich, dafi der objektiven (der Vp. unbekannter Weise), gleich- 
mftfiig erfolgenden C^esehwindigkeitszunahme keine gleich- 
mftfiige Änderung des subjektiven Eindruckes entspricht, sondern 
es fidlen zwei ziemlich plötzlich einsetzende Änderungen auf 

Die Vp. geben bei genügend oft wiederholter Beobachtung 
untereinander Ubereinstimmend etwa folgendes au: »Mit einem 
Male tritt eine Beziehung der beiden Reize aufeinander ein; diese 
erscheinen unmittelbar zusammengehörig. Nach einer weiteren, 
wieder ziemlich plötzlichen Geschwindigkeitszunahme, erscheinen 
die hoidon Schläge gewissermuBen gleichzeitig, ohne vortretenden 
Sukzessionsunterschied, wie auf einmal gegeben! Ja, man kann 
sogar die Schläge nicht recht zählen. — Es erscheint bei diesen 
Änderungen jedesmal etwas Neues; der Eindruck der Schläge ist 
ec^'en früher qualitativ verschieden.« Andere Anauben von Vp. 
lauteten ähnlich. >Die Schläge erscheinen bei diesem Übergang 
von einem Typ zum anderen wie in einem anderen Lichte, sie 
bekommen anderes Aussehen, wenn man sie miteinander ver- 
gleicht.c iSie wirken ganz anders auf einen ein. Nicht etwa, 
daß man sie zusammenfaßt, sondern ganz von selbst 
ergibt sich der Eindruck der Zusammengehörigkeit; die Schlttge 

19* 



278 



F. K Otto Sdndise, 



erscheinen organiäoh Terbunden, organisiert, mau kann sie 
ninht voneinander trennen, ohne die Erscheinting zu zerstören. 
Sie wirken wie Glieder einer Perlenkette; unmitteibar berühren 
sie einander and das andere Mal gehen ue wie In einem Sdüa^ 
zuBammen.« 

Der gellbte Yenrachaleiter wird fttr die erste Vorftdming dieser 

Erscheinungen meist eine Tolle Versnchsstonde rechnen mttsses. 
Die einzelnen Typen müssen der Vp. allmählich klar werden ond 
niüFs^en sich einprägen, eo daß dieselben iu späteren Versuchen bei 
sprunghaftem Wechsel der Reizgeschwindigkeiten sinnlich wieder- 
erkannt werden können. Es handelt sich bei diesen Besch reibimgen 
nicht um abstrakte Merkmaie wie laut, leise, grofi und klein oder 
nm relative Begriffe, wie sehnell, langsam, sondern nm ebarak- 
teristisehe Erseheinimgen, die man als selehe unter anderen er- 
kennt nnd mit Namen belegt 

Im folgenden aähle ieh nnn die Typen der Reihe 
naeh mit ihren Hauptmerkmalen auf, znnttehst die, welche 
bei sehr grofier Geschwindigkeit anftreten, dann die bei etirss 
geringerem Abstand der Reize erscheinenden, hierauf die bei noch 
größerer Langsamkeit eintretenden FUle usf. Die Namen sind 
nur versuchsweise eingeführt. Demnach finden sich also folgende 
Typen vor: 

1} Volle Verschmelzung (1^1) nenne ich den Fall, wo 
die Vp. einen Schlsg zn hören angibt, wo objektiT aber swsi 
SchlSge gegeben sind. 

2) Als Trillerersebeinnngen [Typ 3) bezeichne leb die 

Fälle, in denen (raindesteusj zwei Uuliepunkte in der Erscheinung 
auftreten. Zwischen diesen Höhepunkten liegt aber keine leere 
Zeit, sondern es ist die erste Höhe noch nicht geschwunden. Der 
zeitlichen Dauer nach sind diese Erscheinungen eher als momentan, 
d. h. als zeitlich nicht ausgedehnt, an bezeichnen, znmal die Höhe- 
punkte des GebUdee keine klare seitliclie Ordnung aufweisen. Die 
SeblUge fließen ineinander Über; es ist mn »Tnr«, dn >Flaeken< 
gegeben. 

3) Von Kollektionserscbeinungen (Typ ü und 7) spreche 
ich, wo die Sukzession der bchliige deutlich wird; das Interridl 
ist entweder mit einem starken Kachball des ersten Schlages e^ 
lUllt oder es ist leer. Eigentttmlieh ist aber dabei, daß der erste 



biyilizüü by GoOglc 



Beitrag zur Psychologie dea Zeitbewußtoeiiu. 279 

Beil stets noeh im Bewnßtsem ist, wenn der zweite eintritt; er 
dsnert sob eins innlich nach. Beide Schläge reihen sich un- 
mittelbar aneinander au und bilden ganz von selbst eine deutliche 
sinnliche Einheit miteinander. Das InterTall zwischen den Schlägen 
ist nicht eindringlich nnd kommt nioht anedrUcklich zum Be- 
wußtsein. 

4) Die Ersehe in engen der subjektiven Einheitlieh- 
keit Typ 9) sind dnieh ein dentliehes Pansenerlebnis ansge- 

zeichnet; es besteht in der Hauptsache in irgendwelchen) nfcht 

völlig konstanten Organempündungen. Die Reize hängen auch 
hier miteinander zuöammen, aber nicht durch ihre eigene Kraft, 
soudern sie erscheinen dem Beobachter als von ihm unwillktirlioh 
«wammengefaBt 

5) Im letrten FaU, dem der absoluten Selbständigkeit 
oder der Besiehnngslosigkmt der Schläge folgen die beiden Beiie 

beiiehimgsloB anfeinander nnd haben nichts miteinander zn tan 

fTyp 11). Eh fehlt jede Vereinheitlichung der Heize auch durch 
d&ä subjektive Erlebnis der Vp. 

Zwiseken diesen Ty]^ gibt es nun Obergmgsexsefaelniuigen, 
die als l^p 4, 6, 8 und 10 beseiohnet worden sind. Man weifi 
m diesen FiUen nicht, soll man das Erlebnis mm nächst höheren 
oder tieferen Typaa rechnen. 

Das Hauptmerkmal, das in der vorliegenden Arbeit untersucht 
wnrde, ist das der Zusammengehörigkeit der Schläge zu einer 
Grappe. Bei Typ 1 and 11 fehlte dieses Merkmal wegen der 
Verschmelzang, bzw. wegen der rollen phänomenalen Beziehnngs« 
kMigkdt 1^ 5 nnd 7 leigen eine besondere Form der Zn- 
«unmeDgehOrigkeit der Beiae: durch ein irinnliches Merkmal, 
dnreh einen Wirknngsaksent, sind sie miteinander Tcreinheit- 
1idit>). Für dieses Merkmal schlage ich den Namen Kollektions- 
akzent vor. 

Typ 9 war hinsichtlich der Vereinheitlichung der Heize durch 
du sabjektiTe Erleben des Beobachters charakterisiert. 

Tjp 6 nnd 7 nnterseheiden sieh dnndi das mehr oder weniger 
rolbattdige Abklingen des ersten Beiies im InterralL 



1) Ein Bedenken g«gen diese AnffiuMiuig der Znsammengehttrigkeit ist 
in Mtohtng S. 849 bflsprochea. 



280 



F. £. Otto Sebnltee, 




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Boitn« sor Piqr«hol«gio ZeitbewoOttefau. 281 



Ali dem Schema von S. 280 kann man sich die IS pen leicht 
klar machen. Ks wurde den Vp., nachdem sie genügend in der 
Analyse und Erkennung: dieser Krsrhpiniin£ren eingeübt waren, 
während des VorHuches in die Hand gegeben. Im unwissentlichen 
Verfahren wurden dann die in Betracht kommenden Keizpaare ge- 
boten. Die Vp. hörte sich dieselben an, ließ sie öfters (meist 
t^nfmal) wiederholen, bis sie ganz sicher in ihrer Benennang war 
und gab dann die Nommer des Schemas zu Protokoll 

Die vorliegende Einteilung stimmt in erfreulicher Weise mit den 
Ergebnissen von zwei anderen experimentellen Arbeiten überein, die 
offenbar gleichzeitig (im wesentlichen wohl 1905) mit nnd un- 
abhängig von der hier vorliegenden Untersuchuug gemacht worden 
sind. Katz^) nnd Benussi') haben mehr als Vorarbeit eine 
Unterscheidung von Typen des absoluten Eindruckes zeitlicher 
Gebilde TOi^mommen; mir war das unwillkürlich aar Hauptauf- 
gabe geworden. — Der Unterschied liegt in einer weitergebenden 
Verwertung der sogenannten »Selbstbeobachtung« bei mir nnd in der 
Verwertung auch noch kürzerer Zeiten als von 90 a (Benugsi) und 
250 a 'Rata). Diesem letzten Pnnkt entopringt die Scheidung 
der Triller- von den Kollektionserscheinnngen, die in jenen Arbeiten 
fehlt. Was diese beiden Forseher als knrze Zeiten bezeichnen, stimmt 
im wesentUehen mit meinen KoUektionsezsehdnimgen ttberein. Das 
von Katz als angenehm oder angemessen bezeichnete Intervall 
ist teilweise das der subjektiven Einheitliehkeit — nftmlich das» 
in dem sieh nnwiUkflrlieh die Schlage sntjektiv vereinheittichen. 
Die langen nnd sehr langen Zeiten gehören entweder zn dieser 
Form der subjektiven Einheitlichkeit oder zn der absichtiich her^ 
beigefilhrten. (ffierzn ist einiges auf S. 325 ff. Aber die Grenze will- 
kttrUeher Zusammenfassung gesagt) — Besonders die von Katz 
gegebenen Zahlen stimmen mit den von mir gefundenen gut 
Oberein. 



1] D. Kats, fizperimentelle Beitrilge snr Pvyehologie des VergleiebM 

im Gebiet 1 a ZeitsiDoes. Zeitachrift für Psychologie (I. Abteilung der Zeit- 
aehxift für Psychologie:. Bd. 42. 1906. S. 302 und 414. 

2) Vittorio Benassi, Zar experimentelleD Analyee des Zeit^'cr^leichee. 
Archiv fUr die gesamte Psychologie. Bd. IX. Heft 4. 1907. S. mff. 



282 



F. E. Otto SohuUwi 



§ 2. Die Instruktion nnd die Ausfragimg der Tersachspersonen. 

Hinsiohflioh des Verbalteni der Vp. galt im allgemeiiMn foV 
geiidw: soweit es anging, wurde (Um anwiBsentliclie Yer* 

fahren dnrchgeftlhrt. Die Reaktion hatte dnrehans natttrlioh zu 
erfolgen; die Vp. liatte sich dem Eindruck völli^^ liinza^jeben: vor 
allem durfte sie sich keine Oedanken über eins Kommende macheu 
oder es irgendwie zu beeinüussea suchen. Diese Forderung wurde 
g^enllgend oft, in der ersten Zeit mindestens vor jeder längeren 
Versnohsreihe wiederholt. Wenn es dem Beobachter niebt gelang, 
dieser Bediognng sn entspreeben, hatte er es sa Protokoll n 
gehen. Dies ist wiebtig, weil niemand unter den Vp. sieh 
gans frei yon nnwillkttrlieben KeigungeUf den Ver- 
suchaverlauf zu beeinflussen, hat halten können. Es 
trat allerdin:,^^^ bei den einzelnen Beobachtern recht verschieden 
stark herv ur: bei dem einen kam es nur wenige Male im Verlauf der 
monatelangen Versnche vor; bei anderen war es so häufig and stark, 
daß es sich un vermeidlieh zeigte, das Prinzip der nnwiss ent- 
lieben Metbode wenigstens teilweise zu dnrebbreehea. 
Es wurde dementspreebend a. B. die kommende Gesebwtadig- 
keitsftnderang im allgemeinen bekannt gegeben; es wnrde etm 
gesagt: »Es kommmi jetzt Reise mit m- und dann mit abnebmes- 
der GtiBchwindigkeit; ich sage es, weuu die Keihe sich umkehrt.« 
Oder »die Schlagfolge wechselt jetzt ganz unregelmäßig usf« 
Damit war die Aufmerksamkeit in bestimmte, teilweise sogar 
durch Ausfragen der Vp. vcrfolgbare Bahnen gelenkt. Die so ent- 
standenen Änderungen im Eindruck sind bei der Analyse berfick- 
siobtigt worden. Von besonderer Bedentong bätte der Einfluß der 
EinsteUnng nnd der willktlrlieben Anfmerksamkeit anf die leit- 
lieben Bedingungen der Wirknngsakzente sein können; besondere 
Versuche haben jedoch gezeigt, daß dieser Einfluß recht gering ist 

Alle Forderungen, die sich aus den Bedingungen des unwissent- 
lichen Verfahrens, der uiitürliehen Reaktionen, der Fragestellung usf. 
ableiten lassen, wurden anfangs tunlichst für alle Vp. in gleichem 
Wortlaut formuliert und vorgelesen. Erst wenn eine gewiise 
Stereo^ie dieser Formebi eingetreten war, börte dies anf. 

Die Gesiebtspnnkte des Abfragererfabrens sind eb- 
gebend in einer besonderen Arbeit (Arobir fUr die ges. Psyebologie. 
Bd. Vm. S. 253) entwiekelt worden. 



biyilizüü by GoOglc 



Beitrag zar Psydiologie des ZeitbewolStseini. 



283 



Die ProtokoUaofn«hmo. Die Vp. muBte lliie Angaben un- 
mittelbar^) maclien, ohne sieh das Erlebnis noehmaU ans- 
driloklieh zu yerg e genwftrii gen. Soweit dies dennoeh gesehah, 

Wirde es im Protokoll festgelegt. Dies ist wichtig, weil schon dieser 
dn&oiie Akt der Keproduktion den iirsprüDglicheu Eiüdruck ge- 
le^ntlich nachweisbar verändert. — Zanächst beschrieb die Vp. selb- 
stäadig, was sie erlebt hatte; dann erst wurden Fragen gestellt. 

Die Protokolle worden sofort nach jedem Binzelveisiieh anf- 
gaMMmnen. Entweder ging der Versnehsleiter in den Banm des 
fieobsehters und sehrieb dort die Angaben nieder (telephonisehe 
Uoterkaltongen wttrden fftr die angedenteten Bespreehnngen 
dirchans anratsam sein) oder es rief die Vp. bei kurzen Angaben 
(Torhanden, zweifelhaft, nein) das Resultat laut dem Versuchsleiter 
zu, 80 daß man es durch die Wand hindurch verstand. 

Die Angaben der Vp. wurden fast stets wörtlich festgehalten. 
Weggelassen wurde fiut niehls, weil sieh oft snfiülige und nebenr 
fliddiehe Bemerknngen naefatrXglioh als wesentlieh erwiesen. 



1) Bierin liegt tibi weeenHieher üntenehied gegen BenussL Urteile 
wie km, lang uf. habe ieh abetohtUeh von meiner Yp, nieht geben liaeen; 
mir hudelte ee lich um die Erlebnisse, die diesen Urteilen lagmnde liegen 

mQssen. Meine Bf'obachter haben sich ausnahms^ng g:egen den Zwang^, ab- 
solnte Urteile zu geben, so gesträubt und ihre Angaben waren in den aller- 
diüga wenigen VerBuchen, die ich hierüber angestellt habe, so widersprechend, 
daß ich das Vorhaben nach wenigen Stunden aufgegeben habe. — Benussia 
Etgebaia iet niehtedeetoweniger psychologisch aehr iatereaeaat Es xeigt, 
^ die mniehst ab Vergewaltigiuig der Y p. erMheiaeade LutnikfeioB doeh 
n einem anffsüligen and in sieh einheltUeben Eigebnia geführt hat, und daß 
man daran denken kann, aus den erzwnnprenen Urteilen mit einer gewissen 
Wahrscheinlichkeit auf einen absolnten Eindruck zn prhlipßen. Bei der Be- 
arteUnng seiner Tabellen nnd Knrven kommt jedoch das schwere Bedenken 
ie Betracht, daß seinen Vp. nni eine im Grand geringe Anzahl von 6e- 
•dnriadigkeiten Toilag: fiber 48 sdtUehe AbetXade swlsehen 90 und 8700 « 
•oDtee lie Urteile ibgeben. Ee fit lonüt reekt wohl denkbar» ds8 Mi eine 
oswillkttrUdbe Einengiing der Urteile YoUiogea hat, nlrnUeh kam gilt im 
allgemeinen in hezn^ auf die höheren nnd lang in bezng anf die niederen 
onter den als Reiz gegebenen Geschwindigkeiten. — Ich habe meine Vp. 
mit Geschwindigkeiten bis zu 10 000 er >geqaält< and bin deshalb vielleicht 
eicht zn einem einheitlichen Ergebnis gekommen. Könnte man im Experi- 
ment ¥limtim, Btosdea mid Tage nnd eo fwt ale Beiie anwenden, so kSme 
am n M atliker widerepreeiieadeB Srgebniaeen; die Oeiegenhettibeobaeh- 
tno^ im Alltagsleben könnte hier gutes Material geben. — Hir aebdnt eO' 
mit eiiu' nHafitTkeit^statJHtik Uber bestimmte Urteile nicht sicher genug", 'ini 
einen »absolaten Eindruck« abzuleiten; hier kann nor psychologische Ana- 
lyse und ainniichee Wiedererkennen bestimmter Typen entecheiden. 



284 



F. £. Otto Scbvhab, 



Zudem läßt einen das sich erst allmählich bildende Verständnis fUr 
den Sprachgrebrauch der Vp. nachträglich manche Meinung anders 

versteLcü als während der Frotokollab^'ube. 

Die Dauer der Protokolhiufnahme bei eingebcudcü Analysen 
war höchstens 4 — 6 Minuten. Wir ließen sie nie 6 — 7 Minuten 
überachreiten, da sonst eine TrUbang der Erinnerung mit Sicher- 
heit nicht ansznschließen ist. Wenn das i rutuiiüU abgebrochen 
wnrde, wurde das Prinzip der Frakii'mieruug'j angenommen; das 
beißt: die Angaben wurden bei einem oder mehreren anderen 
Versufbcu euUprcrlieud neu gemacht und da*^ Protokoll mit Vor- 
sicht ( ritsprecbend ergänzt. Die dazu nötigen Versuche wurden 
entweder sofort oder in einer »späteren Versuchsreihe ausgetührt. 
Sonstige Bemerkungen Uber Arbeitsweise und Vp. finden sich im 
Archiv fUr die ges. Psychologie. Bd. VHL S. 241/2. 

§ 3. Überaielit Aber die fieisgeschwindigkeiten, bei denen diese 
Enekeimgen eintreten. — Methoden der AbstaAug mi 
Bietnng der BeisgescbwindiglLeiteii* 

Hanpibedingung fUr die in IVage stehenden Eischeinnngen ist 
eine riohtig abgeBtnfle Gesehwindigkeit der Reise, denn nnr bei 
einem yeililUtniBmäBig wenig vanablen Abstand der Eeize treten 
die gesnehten Typen klar heraus. 

Um über die sich bietenden Verhältnistie einen Überblick zu 
bekommen, wenden wir uns zurück zu dem Schema S. 280. Wir 
fanden dort (von liiikb nach rechts gehend) Verschmelzung, Triller- 
und Kollektionserscheinungeu und Erscheinungen der bubjektiven 
Einheitlichkeit. Diese begriffliche Reihenfolge entspricht aber 
zug:leich einer zeitlichen Folge: die Verschmelzung tritt nur bei 
größter Reizgescbwindigkeit auf, die Triller finden sich bei ge- 
ringerer Geschwindigkeit, Kolkktion bei noch geringerer usf. 
Die Geschwindigkeiten, bei denen die einzelnen Typen auftreten, 
sind ziemlich konstant: man kann sagen: bei dem einen Heiz- 
abstund treten vorwiegend Triller-, bei dem anderen vorwiegend 
Kollektionserscheinungen auf usf. 

Diese vier Erscheinungsformen hatten im Schema die Kam- 
mern 1, 3, ö bis 7 und 9 erhalten. Dazwischen liegen die 
Nummern 4 und 8,* sie haben den Zweck, anzudeuten, daß 



1) Arcliiv ttir die ges. Peycbologie. Bd. Vlil. ä. 254. 



Beitrag nr Payehologie dee ZeitbewafitaeiiiB. 285 



zwischen 3 und 5 und 7 und 9 noch andere Geschwindigkeiten 
liegen, die dadarch aaegezeicbnet sind, daß bei ihnen bald die 
eine, bald die andere Erscheinung auftritt, und zwar jeweils nur 
eine der benachbarten. So treten bei 4 entweder 3 oder 5 auf, oder 
man ist zweifelhaft, ob man die gegebene Erschemnng alB 3 oder 
als 5 bezeichnen soll. 

Die Methoden, mit denen man diese Enoheinnngen am besten 
demonstrieren kann, sind verschieden. 

Bei unseren Versnchen griffen qualitative und zeitlich quanti- 
tatire Bestimmungen unmittelbar ineinander; erst allm&hlieh bil- 
deten sich die Methoden herans, naeh denen sieh wohl am besten 
die Eigentllmlichkeiten der einzelnen Typen demonstrieren lassen, 
loh sehlng in der Hauptsache swei Wege ein: einmal bot ich den 
yp. Schlagpaaie mit zu- nnd dann mit abnehmender Geschwindig- 
keit; das andere Hai weehselte ieh beliebig zwischen ganz ver- 
sohiedenen Geschwindigkeiten. 

Zonächst mnßte jede einzelne Encheinnng geg«n die anderen 
I^ypen abgegrenzt werden» zumal die Eollektionserscheinnngeo. 
Um die Yp. möglichst wenig hi bestimmter Bichtnng voreinzn- 
nehmen, geschah dies nach der ersten der zwei Methoden. Es 
woxde mit großen ReizabstSnden begonnen nnd allm&hlieh nnd 
gleichmäßig zu den geringen Übergegangen. Die Geschwindigkeits- 
znnahme war innerhalb der einzelnen Versnchsreihe völlig gleich- 
mäßig; nni zwischen verschiedenen Yersnehsrdhen bestanden im 
MaB der Gescbwindigkeitszunabmen Unterschiede; je nach Bedürf- 
nis betrug der Unterschied in dem Abstand der Reize des Schlag- 
paares (10, 20 oder 30° des Zeitsinnapparates: das sind) 55, 110 
bzw. 165 (7. — Das Verfahren war uiiwisseutlich. — Die Vp. hatte 
hierbei ein Zeichen zu geben, wann eine mehr oder weniger deut- 
liche Änderung in der Erscheinung eintrat oder wann ein Erschei- 
nungscharakter undeutlich wurde oder verschwand. Uber die 
Beobachtungen wurde sofort ein Protokoll aufgenommen. — So 
konnten die einzelnen Paare schließlich mit Typeunamen beuaunt 
werden, und hieraus ergab sich allmählich das bereits erläuterte 
Schema S. 280. Als Grenzen B, ( , J-' und G wurden die arith- 
metischen Mittel der Keizzahlen angeu nniu u, die für die nächst- 
liegenden, doutlich beobachteten Fülle der jeweiligen Nachbartypen 
(z. B. fltr B waren dies 13 und 4, für ( 4 und d] gefunden waren. 

Das zweite Verfahren unterscheidet sich vom ersten dadurch, 



286 



F. E. Otto Sohaltte, 



daß die Keizgesehwindigkeiten nicht gleichmttßlg zunehinen uid 
emtiien toh emem der Vp. angesetgten Zeitpunkt an vMet 
almehmen; sondern daß die versoMedenen BeizgeecbwindIgkeiteB 
bunt miteinander abwecliBein. Wegen dieses sprunghaften WecMs 

habe ich daa Verfahrtiu im Verkehr mit meinen Vp. Sprung- 
verfahren genannt. — Dieses Verfahren hat nun zwei Variationen: 
einmal wechselt man innerhalb einer geringen Breite von Ge- 
schwindigkeiten, das andere Mal in einer großen; so ergeben sich 
die Namen des kleinen und großen Sprnngyerfahrena 

Das kleine Sprnngr er fahren hat den Zweck, awei einaad« 
nahestehende Erscheinnngen gegeneinander abKOgrenzen und n 
▼erdentliohen: z. B. die Triller- und die KoUektionBerBcheinnngeD, 
oder die KoUektionserscheinnngen und die der snbjektiren Ein- 
heitlichkeit nsf. Nachdem man bei zu- und abnehmender Ge- 
schwindigkeit die Typen anfgewieeen hat, bietet mau die gleichen 
Geschwindigkeiten wieder, die man vorher als charakteristisch Air 
die m beobachtende Erscheinung gefunden hat; nur in anderer 
Beihenfolge — sprunghaft wechselnd. Die an die Vp. in der 
Ittstniktion zn riohtende Frage ist bei den einzelnen Veisaebi* 
reihen yersehieden. Für die Feststellnng der Grenze B lautet die 
Frage: »Ist jetzt die TrillererBoheinnng da oder nieht? oder ist 
es zweifelhaft?« Bei einer anderen Keihe, die der Feötlegung der 
Grenzen C oder F dient, fragt man: >Sind die KoUcktionserschei- 
unngen jetzt vorhanden oder fehlen sie, oder müssen Sie die Frage 
offen laasen?« Der Unterschied der beiden Versuchsreihen für die 
Grenzen C und F liegt in einem entsprechenden Unterschied der n 
bietenden Beize. — ImVersnchsprotokoU trügt man Beligeechwindig- 
keit and Antwort der Vp. Ja (s -|-); Ndn 0) nnd ZweifeOisft 
(~ ?) ein. Die Verreehnnng ftbr die TabellenbOdnng geselüeht ia 
der Weise, daß man ein Schema ans Horizontal- und Yertikal- 
rubrikeii bildet. Im Kopf der wagerechten Reihen stehen dann 
die Reizgeschwindigkeiten, z. B. 44, 83, 110 a usf.; im Kopf der 
genkrec Ilten lieihen die Antworten der Vp.: 4-, ?, 0. Dann ergibt 
sich, daß die H — Fälle sich an der einen Stelle des Schemas, z. 6- 
links oben, anhänfen; die 0*FäUe hänfen sieh rechts nnten; die 
?-FäUe bleiben in der Mitte. Die gesnehte Grenze liegt in der 
Mitte zwischen der Geschwindigkeit, bei der noch kein ?-F»llf 
sondern nnr +-FlUle TOrkommen, einerseits nnd der ihr nlchitea 
Geschwindigkeit andererseits, bei der ?-Fälle vorkommen. 



biyilizüü by GoOglc 



Behng txa Psychologie dee ZtitbewoOtaciiu. 287 

Das große Spran^erialneii ist ähnlich; nur steht hier die 
Fhige nicht nach einem Typ, sondern nach allen möglichen Typen. 
Man sagt daher der Vp. in der Instruktion etwa folgendes: sie 
werde hei jedem Einselreisach swei aufeinanderfolgende Reize 
mit einem hestimmten, ihr im voraus nicht bekannten Zeitabetand 
liSien; sie solle disselben aufmerksam anhOren nnd sieh Uber den 
Typ, dem sie zuzoordnen sind, mhig klar weiden. FUnlmal kekrte 
jedesmal das Beizpaar wieder (wenn sie es wttnsekte anoh Öfters), 
dann erst loUte sie im Ansehlnfi an das Schema S. 280 sagen, welehe 
Bfseheinnng Torlige. Der Versnohsleiter weehselt somit bei jedem 
Versnob, der also ans mindestens fünf Darbietongen bei gkkber 
Geschwindigkeit besteht, die Qesehwindfgkeit nnregelnXfiig 
zwischen den AbsOnden 44, &5, ,83, 110, 138^ 165, 220, 276, 330, 
386, 440, 496, 550, 610, 770, 880, 1100, 1265, 1430, 1650 nnd 
1670 a. Jede Geschwindigkeit kehrt im ganzen in drei Fünfer- 
gruppen wieder, so d&B im ganzen 63 (bzw. 68 x 6} Einzelrersnche 
zn dieser Reihe gehören. 

In den Tabellen 8. 288—290 sind die Ergebnisse dieses Ver- 
fiihrens in TereinfiicbterFoim mit einer nnweientlichen Umreelmnng 
wiedergegeben. In den saikreehten Reihen stehen die Hänfigkeita^ 
zahlen fttr das Auftreten der einzelnen Typen 1 — 11; die Buchstaben 
^, t, o gehen an, daß jeweils akustische, taktile und optische Reize 
geboten wurden. Die horizontalen Reihen öind den angegebenen 
GeschwiiuÜL'keitcii nach {geordnet. Die erbalttiicu Zahlen sind aU 
Maßz-aLlcu rclHtivcr lläuügkeit auf die Einheit IS bezogen. 
Wenn 18 dasteht, so heiüt es also, daß iu ailcu überhaupt bei 
dieser Reihe ans^cfUhrtea Versuchen die Zuordnung des unter- 
suchten Eindruckes zu dem betreffenden Typus stattgefunden bat; 
bei 9 üar in der Hälfte der Fälle usf 

Es ist ohne weiteres Terständlich , daß hier pefragt werden 
muß: geben die yerschicdeiK ii Methoden nicht verschiedene Zahlen? 
Da es uns mehr auf die «lualitative Analyse ankam, habe ich diese 
Frage nicht systematisch durchgeprüft. Die vorliegenden Tabellen 
(18 Reihen mit 242 Einzelversucheu an sechs Vp.) lassen annehmen, 
daß tatsächlich das Sprungverfahren, in der eben geschilderten 
Form angewendet, etwas größere Zahlen gibt als die Methode der 
an- und abeteigenden Geschwindigkeit. — Deutlich und sicher- 
gestellt ist der Unterschied jedentalls bei der Grenze F. Wir 
werden epiter dnranf znrttokkommen. Es ist je aneh ohne 



288 F. £. Otto Scholtze, 



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Beitrag znr Psychologie dM Zeitbewaßtseins. 



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385 -440 


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770—880 


1100—1265 


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290 Otto SehnltM, 



Vp. y. Aknstifleb. 





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44-83 






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llO-lfiö 










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220—330 










,3 






5 








385-440 
















18 








495-660 












9 


6 


3 






















10,ö 


7.5 


1100-128Ö 


















6 


13 


1430-1650 






















T8^ 



weiteres verBtändlieh, daß ein Weduel zwischen wenigen und wenig 
venobiedenen Oeeebwindigkeiten nnd eine FrageeteUnng wie die: 
»Sind Triller da oder niebt?« die AnfmerkeamkeH in bestinunter 
Biebtong einengen. Wenn man dagegen im SpmngTer&hren 
swisehen Gesehwindigkeiten niebt nur Ton 44 bis 110, mdeni bis 
1870 a weobselly nnd wenn man die Fmge stellt: »Sagen Sie, 
welcber Typ liegt bier Tor?« dann ist die Anfinerksamkeit anf elf 
HOgliebkeiten eingestellt, nnd man wird andere Zablen bekommen. 

Mustert man nan diese Tabellen, so Alllt ohue weiteres die 
HäufuDg der Zahlen bei bestimmten Gesch wiudie: k e i ten 
anf; Unterschiede Iiiutiichtlich der Vp. nnd Sinncoqualität lallcu 
erst öpäter auf. Nur in zwei Tabellen stechen zwei Lücken her- 
vor, bei Vp. V und IX konnte die Unterscheidung des Typtis 6 
und 7 von 5 und 9 nicht vorgenommen werden. Einen Grund 
kann ich nicht bestimmt angeben, vermutlich ist es der, daß diese 
Vp. bei weitem nicht die große Übung besaßen wie Vp. I bis IV. 

Die eig'entUmliche Verteilunfj; der Zahlen lehrt, daß wohl bei 
der gleichen Geschwindigkeit mehrere Typen vorkommen, daß 
aber im wesentlichen dor L'leicbe Typ nur bei verbiiltuismäßig 
wenig Oeschwindigkeiteu auftritt; daß IVp 11 bei einer großen 
Anzahl noch höherer Gescbwindigkeiten zu erwarten ist, ist eine 
•Selbstverständlichkeit. 

In der folgenden Figur 1 ist in Kurven der große Einfluß 
der Natur der Vp. anf die Verteilung der Häufigkeitszablen 
ftlr akustische Reize dargestellt worden. Die senkrechten Haupt- 
linien geben die Beizgesebwindigkeit Ton 0 bis 1650 a an, die 



Beitrag zur Psychologie des Zeitbewaßtseine. 



291 




üiyiliZüQ by Google 



292 



F. E. Otto Sehnltie, 



Zahlen und Striche iu der uberöten Reihe ^^elx n die Geschwindig- 
keiten an. hei denen nntereucht wurde. Die borizontaleii Linien- 
grenzeu geben die Basis, auf der sich die Häuligkeitskurven der 
einzelnen Vp. aufbauen. Nach oben von der horizontalen Mittel- 
linie erheben Bich die Kurven, in denen aich die Uäutigkeit der 
Fälle des betreffenden Haupttypes (1, 3, 5, 7, 9, 11) knndgibt; nach 
VDten sind die Ear?eii für die Übergangstypen 2, 4, 6, 8, 10 ge> 
seichnet. Läuft eine Enrre punktiert, dicht bei der Grundlinie, 
so heißt das, daß bei der entsprechenden Geschwindigkeit die 
durch die Kurre bezeichnete £neheinung nicht aufgetreten ist, 
während sie sich bei höheren nnd niederen Geschwindigkeiten 
findet; sie hätte also bei einer noch größeren Anzahl von Ver- 
•nchen auch wohl hier eintreten mtlggen. mn sieht die ziemlich 
weitgehende Konstanz der Erseheinnngen bei großen Geaehwindig- 
keiten nnter den Vp.; bei den geringeren (JeBchwindigkeiten treten 
aber die individnellen Unter lehiede Unr hecans. 

% 4. 0le THUereneliraiiiBgen. 

Die Erscheinung, die bei der größten Geschwindigkeit 
auftritt, wird zunächst meist dadurch charakterisiert, daß man 
sa^:!, es ist als ob beide Reize in einem Schlag- c-eeeben wären. 
Dies wurde von der Vp. anfäng^lich (tiioiii:iT(ijM)etisch bezeichnet 
durch ein »Trr«. Wir können hieran anknüpfen und so den 
Namen »Trillerer8cheiuun^'< einführen oder uns des bei Weyer^) 
gebrauchten Ausdruckes Flimmern bedienen 'Wobei jedoch zu be- 
rücksichtigen ist, daß Weyer diesen Ausdruck in sehr engem 
Sinn braucht und den Fall, wo es zweifelhaft ist, ob zwei Funken 
da sind, und den anderen Fall, wo zwei Funken deutlich sind, ohne 
daß das Intervall bemerkbar ist, nicht einschließt). Sie sind in 
der Hanptaache dnreh die folgenden Merkmaie beatimmt: 

1) Die Strecke zwischen den beiden Sehlägen oder Licht- 
punkten ist nioht leer, sondern erfttlli Der Abstand zwisehen den 
intensiTsten Teileben dieser (Gebilde ist nur gedanidieh abtrennbar. 
Er besteht nicht in dem Fehlen eines sinnlichen Eindmekes, es 
istTielmehr bo, daß eigenilich blofi eine Empfindung besteht, daß 
ein sehr lebhafter Kaohhall, ohne scharf abtrennbar sn 



1) Eduard Moffat Weyer, Die Zdtschwelleii gleichartiger aad di^Mh 
nter SinneMindrfieke. PhUoi. Studien. Bd.XY. 8.69->7a 



^ Beitrag zur Psychologie des Zeitl^ewußtseias. 293 

aeiii, den Abstend swisolien den Höhepunkten der Wahmehmnngeii 
einnimmt; man kann am beaten Ton einem Flackern, yon einem 
Triller reden. Diee seigt aicb aneh noch in folgender Weise: 
Wenn man der Vp. im Sprangrerfabien, d. h. bm nnTermntetem 
Weeksel der Beiigesehwindigkeiten, die Aufgabe stellt, jedesmal 
sn sagen, ob sie die Panse anadmeklieh wahrnehmen kann oder 
nidit, so bekommt man als Grenxzahl Ton Wahmehmbarkeit nnd 
Niehtwahmefambaikeit etwa die gleiebe Zeit wie für die Triller- 
ersehelnnngen. 

2 Die zeitliche Ordnung der Höhepunkte dieser Erscheinung 
ist mindestens bei den schnellsten Fällen] dadurch auffällig, daß 
mau nicht recht angeben kann, welcher von den beiden Reizen 
der erste ist. und daß der erste noch da ist, wenn der zweite 
Reiz bereits eintritt. Diese Beo bachtun wurde von allen Vp. 
anabhängig yoneinander gemacht, wiederholt mit den gleichen 
Worten. 

WertTolle Beobnrhtnnfren in dieser Richtung stammen von 
L. W. Stern 1]. Er hat dafür den Ausdruck »psychische Präsenz« 
eingeführt, denn die hierher gehörigen Gebilde erscheinen minde- 
stens bei den größten Geschwindigkeiten absolat simnltan. Stern 
charakterisiert dies dadnrch, daß er etwa sagt, wir nehmen in 
diesen Fällen Ändernngen innerhalb des Momentes wahr, es sind 
hier zur Feststellung der Änderungen nioht ansdrttcklich verschie- 
dene Phasen, etwa wie bei der Dämmerung, nötig. Ahnl^che^A 
gih übrigens aneh noeh von den KollektionserseheinnDgen; doeh 
darüber sirilter. Ich möchte Torl&nfig erst einiges ergftniend hin- 
xnftogen; znnKehst Angaben von Versnohspersonen: 

»Der Akt scheint nicht in der Zeit in verlanfen; von eigent- 
licher Dauer kann ich nicht reden.« »Die Reize folgen aufeinander 
nnd doch scheinen sie eigenüieh gleichseitig.« »Würen die Reize 
einander absolat gleich, so kannte ich eigentlich nicht sagen, 
weiches der erste ist; Ja, ich bin nnsicher, ob der erste oder der 
zweite der stSrkere war.« »Ich habe nach dem Anhören des Ge- 
bildes einen Nachhall nicht der einzelnen SchlSge, sondern des 
ganzen Gebildes.« »Wenn ich den letzten Schlag hfire, scheint der 
erste noeh mit ToUer sinnlicher Frische gegeben zu sein«. »Es 



1) L. William Stern, Paychiiebe Prisensseit. ZdtMhrift für Fiyeliol. 
nnd Pfiytlol. der SInneioigane. Bd. zm. 1687. 8.325 ff. 

20* 



294 



F. £. Otto Scbaltze, 



feblt die klare Ordniug.c »ManweiB sieht reebt, welcher Schlag 

eigeutlich der erbte iöt. « Weuii einmal zufällig der erste Schlug 
stärker war als der zweite, hieß es Öfters: »Wenn der erste Schlag 
nicht stärker gcweeeu wäre, hätte ich nicht aagea können^ welcher 
von beiden der erste war.< 

Wenn man die Vp. hierüber fragt, ao xdgt sieh der Wide^ 
sprach swisehen der logisch nnmOgiiefaeii und psyehologiseh not- 
wendigen Anssage in bisweilen geradesn belästigender Weiie. 
Vorsichtige, peinliehe Natnren wollen immer wieder sagen: dw 
geht docli nicht! — und angesichtri der Erscheinung ver&agt ibr 
Widers iiruch. »Es schlägt das logische Gewissen« — war die 
komisch verzweifelte, stehende Bemerkung einer besonders pein- 
lichen Vp. in der ersten Zeit Schließlich ergab sie sich dem 
Schicksal. 

Dieses Merkmal der psychisehen Präsenz oder der Qleiehieitig- 
keit kann den Angaben naeh (znm mindesten oft) als das der 

Seheingleichzeitigkeit oder der zeitlichen Unordnung bezeichnet 
werden. Es ist dies eine auch sonst leicht in nnserem Seelenleben 
zu beobachtende Tatsache, z. B. wenn sich uns heim Reaktion^- 
Yersuch und im Alltagsieben im Anschluß an eine KrscbeinuDg 
(gleich, ob es steh um ein Reizwort oder ein opttflchea Bild bandelt) 
eine »Fülle Ton firscheinongen«, eine Menge von nenen Bildenit 
▼on Qedanken und Vorstellnngen anfdiüiigeni so befinden wir aas 
oft in der gleieken Ratlosigkeit wie bei den Trillererschehiangeii: 
wir können nicht sagen, welcher Gedanke, welche Yorstellnng 
zuerst da war. Die zeitliche Unordnung und der Eindruck der 
Gleichzeitigkeit kauu hier ebenso deutlich sein wie bei den op- 
tischen, akustischen und taktilen Trillem. 

Es liegt hier somit ein Symptom von allgemeiner Bedentosg 
Tor, dem nnsere Arbeit leider nicht näher nachgehen konnte. 

3) Ein weiteres Merkmal der Trillerersoheinnngen ist die 1^ 
Sache, daß mindestens bei den grOBten Geschwindigkeiten eui 
Zählen der Höhepunkte der Wahrnehmung eigentlieh 
nicht reeht möglich ist. Zählfehler und Zählsehwierigkeitea 

habe ich bei yier Vp. beobachtet; aber ich habe leider nur zwei 

Vp. daran ( hin näher uiiicrsuchen können und fordere daher zur 
Systematik !■ Ihm 1 Nachprüfung auf. Die Versuchsanordnung war ein- 
fach. Im unwissentlichen Verjähren wurde die Zahl der Kontakte 



biyilizüü by GoOglc 



Btitng vtt Pbyehologia de« ZdtbewnßtaeliiB. 295 



des Zeitsilmapparates gewecbselt, den Vp. wurden somit Gruppea 
von 2, 3, 4 oder 5 Ilammersclilägen mit eiaem Abstand von 43, 
48, 57, 68, 75, 88, 100 and 114 a geboten. Sie hatten die Auf-' 
gäbe, die Zahl der Hdhepnnkte der TriUererscheinnDgen ama- 
geben. 

Das Ergebnis der Verenche war eine auffallend große Zahl 
Ton Fehlem, die die Yp. bei der LOsnng dieser Angabe macbte. 
Bei einer Reihe von 110 ElDzelyersnchen der einen Vp. waren nnr 
38 ßii richtige Angaben vorhanden. Bei der anderen Yp. waren 
unter 46 ßinselFennchen 39 richtige Angaben. Die ttbrigen 
Angaben waren entweder »zweifelhaft« (dies in 35 bsw. I&^j 
oder dii^t &Mi (dies in 25 bsw. 46^J. loh teile die FtatokoUe 
nicht ansfllbrllofa mit, sondern gebe nnr einen Teil derselben in 
tabeUariseher Fom wieder. 



Objektive ] 
Zahl der 

Keize J 


n 


3 Beize 


n 


• 4 Beixe 


1 


6 Beiie 


Zahl der 
Bsfaeitach 

Angabe 
der Vp. 






3 


4 


5 


6 




3 


4 


5 


6 




4 


5 


keitderf 


10 


3,60 


6,50 


0,00 


0,00 


1 

!l2 


1,25 


6,35 


2,00 


0,40 


10 


10,00 


0,00 


Angab. 1 
bei U7a 




7,00 


0,00 


2,Ö0 


0,ö0 


1» 


0,00 


3,25 


6,15 


0.40| 




5,7o' 4,30 
1 



in der obenstehenden Tabelle sind zunächst in der wagereebten 
Reihe die Anzahl der Reize angegeben, die objektiv geboten wurden. 
Darunter stehen die einzelnen Antworten, die die Vp. gab. Der 
I'.infaLhheit halber sind diem zuuaiuiiieQgeüriluct. So ist z. Ii. die 
Autsvort »vier, vielleicht drei Schläge« mit der Antwort >drei, 
vielleicht vier Schläge«, oder mit der anderen Form »drei bis vier 
Schläge« psychologisch nicht gleichwertig; aber wegen ihrer Ver- 
wandtschaft gegenüber den Antworten »vier« oder »drei« usi. ist 
ihre Zusammenordnimp in einen Heihenkopf berechtigt. In der 
senkrechten Reihe links atthen die Geschwindigkeiten, in denen 
die Keizö aufeinander folgten. In den P'inzelfä ehern, die durch 
die Krcnzung der senkrerliten und waireriM hten Linien entstehen, 
linden sich die Zahlen für den Ausdruck der Häufigkeit der ein- 
zelnen Antworten; so heißt z. B. die 10, daß die fUnf Reize beim 



296 



F. £. Otto Schulue, 



Abstand von je 48 a in sehn Fällen fUr Tier Beixe gehalten woidn 
sind. Diese letzten Zahlen der H&nfigkeit der Antworten beriehce 
sieh aaf die gleiche Gesamtzahl 10; die absolute Zahl der Elsiel- 

versuche ist jedesmal unter n aagogeben. Wo diu eii]z.elne 
Verbiiehsreihe nicht ans zehn Einzelvcrsnchen bestand, sind die 
Häutigkeitszahlen eutuprechend umgerechnet worden. 

Die Tabelle zeigt, daß richtige Schätzung , Über- und Unter- 
Schätzung gleichmäßig yerteilt sind, wenigstens, wenn man bloB 
die Mazima der Hänfigkeitszahlmi berttelLsiehtigt^). Diese anf- 
älligen Tatsachen nnr anf Schwierigketten und Fehl«') beun Ab- 
schätzen der Schlagsahl znrtteksaftahTen^ ist mir nnwahrschemlieh; 
▼ielmehr glaube ich, daß hier besondere, noch wenig untersuchto 
Vorgänge gegeben sind'}. 

§ 5. Die Bedingungen der Trillererseheinnngen. 

Hinsichtlich der Bedingungen der Trillererscheinungen konnte 
es sich im Rahmen dieser Arbeit nnr dämm handeln, die Ge- 
schwindigkeiten festsnstellen, bei denen sie am h&nfigsten Antreten. 
Dies ist nach den S. 285^1 geschilderten Methoden geschehen. Be- 
reits ans den Tabellen Yon S. 288—291 kann man ersehen, btt 
welchen Reizabstibiden sie sich finden. In der Tabelle S. 297 sind 
dicbe Zahlen wenigsten für drei Vp. in die letzte Heihe eingetragen 
worden. Tabelle S. 297 ist so gewonnen, daß die ira sog. kleinen 
Sprungverfahren (S. 286) auf akustischem Gebiet gefundenen Alittel- 
zahlen für die Grenze jB, das ist (vgl. S. 280) für die Grenze zwischen 
den einen Geschwindigkeiten, bei denen nichts als Trillerefscbei- 
nnngen vorkommen, nnd den anderen, hei denen Triller- mit KoUek- 
tionserscheinnngen gemischt anftreten, znsammengestellt sind. In 

1} Boi 48 a ist die hSnfigste SeUtzsng Ton vier B«ÜEen (mit 6^ bei drei 

objektiven eine Überschätzung; die Angabe von Tier Bobjektiven bei Tier 
objektiven eine RichtigschätzuTur dio Kinschätznng: von vier subjektiv«! bei 
fünf objektiven Reizen eine Unteißchätzung. Äbnlich bei 57 a. 

2) Vgl. hierzu Nanu, Helene Alexander, Zur Psychologie der Zalil- 
anffassung. Dissert. WUrzborg 1904. 

9) Von theoretischem Interene soheiiit mir diei m sein bei der Tng» 
■sah der Hinimaldaaer der Eapfiadnng: daraus, daß ich bei sehr eebnelkr 
Heizfolge noch bei 30 oder 1000 Reizen in der Sekunde diskontinuierlicbe 
Empfindung habe, glaube ich nicht Bchließen zu dürfen, d;iß 30 oder 
Empfindungen dagewesen sind. Die Übertrairun^' physikalischer VerhältnitfO 
auf die Psychologie ist nicht ohne weiteres zulässig. 



biyilizüü by GoOglc 



Betrag tar PAyefaologle des Zcitbewnßtieiiis. 297 

den senkrechten Reihen stehen zuerst die BezeichnnDgen der Vp.; 
dann folgen die Anzahlen (flr die Versnchsreihen und für die Einzel« 
Tersuche, die mit diesen Vp. angestellt sind. Hierauf folgt die 
Grenze B und dann diejenige Geschwindigkeit, bei der die ent* 
sprechende Vp. überhaupt noch Triller im kleinen Sprungverfahrea 
beobachtet hat. — Tn der letzten senkrechten Reihe stehen die 
für einige Vp. gefnndeiien Zahlen des großen SprungrerfahreDS* 
In der letileii horinontelen Beihe derTabdle steht 4er Zentralwert 



Tabelle der fllr Trfllereraehetnmigen besonders eharakteristisehen 

Reisgesehwindigkeiten. 



f 

Vp. 


Anzabl der 
VB 


Z&hl der 
EV 


Grense 
B 


ünterste beob. Grenze fUr 
Trillererachemangen 




USprV 


grSprV 


I 


2 


83 


97 « 


196« 


166« 


n 


S 


42 


T7 «r 


124« 


166« 


m 


1 


16 


60« 


192« 


88« 


z 


: 


20 


89« 


97 « 








20 


69tf 


97« 




zw 


1 




69 a 


124 a 


1 



VB ■BYereacbsreihe. EV=: Einzelversüche. Grenze B = siebe Sohena 8.280: 
Ofen^e 7wiprhen den Geacb windigkeiten reiner Triller nnd den reinen nnd nn- 
refaien KollektioDserscheinaugen. Z\r = Zeatralwert. klSprVsa kleines 
Spnmgverfiüiren (vgl 8. 286]. gr SprV ob großes Sprangverfahren (vgl. S. 287J. 



Das Ergebnis dieser Tabelle ist, daß wir bei akustischen Reizen 
am ehesten bei dner Gesehwindigkeit, die zwischen der Ver- 
sehmebnngsgrenze Ton Gerftnsehen ttberhanpt nnd etwa 70 bis 
bOehstens 100 a liegt^ TriUerersebeinnngen erwarten dürfen, daß aber 
individnelle ünterscbiede nnd solebe der üntersnebnngsmethoden 
an mebr oder weniger weeheelndem Ergebnis führen werden. 

PeadiiTsrsaebe^). 

An dieser SteUe sei es erlaeb^ siaige BeobeehtniigeD «umfOgMi, die tn 

einem bewegten Objekt einer Pendelstange, bei sehr karzen Expositionszciten 
gemacht wür<lcn Sie wurden ausgeftilirt. um Über den oben S. 293i geschil- 
derten Eindruck der Scbeiogleiohzeitigkeit etwas zu ert'aliren, ein eigentUm- 

1) Ans der gleichen VersuchBreibs stammen die im Arebiv für die ges. 
Piyehologie, Bd. XI, 8. 161/8 geeohilderten Venuehe mit »optisehen R^ea«. 



298 



F. K Otto Sefanltse, 



liches ErsclieiunngBnierkmal, das später eingebend untersucht werden wird. 
Die ÄhnbVlikpit mit den Trillererscheinungen ist sehr autTäliig; ich möchte 
es bei dem Uiuweit* Ijtiwtuden lassen, da die Zahl der Beobachtungen zu 
iSchlilaBen nicht ausreicht. Nachprüfung und Weiterverarbeitung scheint uur 
lohnend sn tein. 

YersacbBanordnang. Ich schnitt In ein Stück Pappe einen 3 cm 
Iiohen nnd «m Inagvn SeUlte. Dwek «ntqmoliflnd gelegte Papiera leB 
•ich der Spelt anf eine beliebige Strecke TenehmlUeni. ffinter dem Spitt 
und dnrch denaelben gegen einen ^eichmlßig erleuchteten Hinteignud 
sichtbar, bewegte sich ein Pendel von etwa 1 cm Durchmesser in bekannter 
Gpsphwindigkeit vnrbpi. In der Mitte des Schlitze^ war ova Fixationspunkt 
siclitbar: Er bestand in einer Reißzwecke, die auf dem hinter dem Pendel 
behndlicben, herabhängenden weißen Tuch eingesteckt war (eine Vp. zog es 
apEter Tor, bei einer Speltbreite von 1—6 cm diesen Punkt entfernen n 
lueen, sie konnte nncb so genügend fixieren). Die PendeUinge betrag llifiA 
der horizontale Schlite wir 80 bzw. 120 cm nnterhalb des AnfhSngepnnIriw 
angebracht. Die Vp. aaßen 2,76 bzw. 3,76 m vom Pendel entfernt Dnrdi 
vorgehängte Tücher war verhindert, daß die Richtunpr der Pcnilclbeweö^ni?e!! 
im voraus erkannt wurde. Die Fragestellung^ der YersuchBanorduung giog 
auf genaue Analyse des Erlebteni besonders des Eindruckes der Scheis- 
gleichzeitigkeit 

Beobachtungen bei geringer Spaltbreite. 
1—6 em («- 18 bia 108 a Expositionadaner). 

Fehler in der Beurteilung der Bewegungsrichtung des Pendels 
kamen inSerat aelten vor, nnd swar bei einem nnr 1 cm breiten Spalt (dai 
iat bei 18 bia 28 Expositionadanei). Eine dentliehe Snkaeaaion der Sa- 
drücke fehlte bei so kurzen Zelten; deshalb war die Angabe dea Ornndei 
für die Beurteilung der Bewegungsrichtung nnsicher. Vp. I konnte erst nach 
mifhroreTi Vorsuchen folgende Begründung geben: >Ee?e)mäPif!- trat nach dem 
Verachwinden des Reizes eine dunkle (optische; ErsclK immi^ ein, die sich in 
der Richtung des Pendehi weiterbewegte, vielleicht eine undeutliche Tor- 
ateilong einea Fendelfragmentesi zugleich spürte ich einen Dmek in dar 
Angengegendi nnd ea war, aia folgte daa Ange dann ndt Dien beaeblftiKta 
meine Anfinerkaamkelt kono Zelt, nnd dann tist daa BewnStoein ein, nnn iit 
ea Torbei.« 

Die Bilder, die das Pendel bot| waren reeht mannigfaltig und 
inkonstant: bei breiterem Spalt war häufiger nnr in der Mitte de? Heob- 
achtung^feldes ein breiter, au den seitlichen Riindern verwaschener btreitea 
sichtbar, der in der Richtung des Pendels zu entstehen schien, aber scheinbar 
nie Ganaea gleichzeitig gegeben war. Rechts und links bis zu den Spalt- 
rSndexn blieb jedooh daa Feld frei. Der Geaamteindmek dleaea dnnUta 
StieilbttB aehien in einem Angenbiiek gegeben: von Dauer der Enehebnag 
konnte aieht die Bede aein. 

Ändere Erscheinungen waren die, daß an mehrefen Stdlen nacheinander 
— 'dies erinnert f^leichfalle an die Trillererschefnnngen, wo die Zahl der 
Kelze und die der Ereeheinnngen nicht stets Ubereinstimmen) — ein Bild ded 
Pendels sichtbar war; so erschienen 2, H und 4 Bilder je nach der Breite des 
Spaltes. Aber diese Erscheinungen waren nie scharf begrenzt; das FtM 



biyilizüü by GoOglc 



Beitrag zur i'öycbologid des ZeitbewuCtseuis. 



299 




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»wischen ihnen blieb nie frei. Wenn sie eintraten, wnrde von deuth'cher 
SukzesBion der Reize und somit von Fehlen der Schein^rleichzeitif^keit j?e- 
sprochen. Dies trat bei einer Spaltbreite von mindestens 3—6 cm auf. Das 
•Btoprielit einer Expositionadmer von 
56—106 «. Wenn man bei noch 
IdeinerfMH Spnlt untersuchte, sah man 
entweder ein »Etwas«, über das mau 
nicbta auäsageu i^onnte — oder eiuen 
Fleek tm Geeichtifeld, der nadentUeh 
geigen den nngeibenden, vom Eindmek 
de» Hintergrnndes gebildeten anderen 
Teil desselben abgegrenzt war. — 
Gann eigenartige Enobeinangen fanden 
deii M etwa 1 em bieltm Spalt» Drei« 
ecke oder breite Streifen, deren 
Ränder mehr oder weniger dia- 
gonal gerichtet waren] teils waren 
■i« IHagonekn, tefls eetrten ete 
am oberen boiiBonlalen Bande oder 
am unteren Ende des vertikalen Randes 
mehr nach der Mitte zu an. Nur 
selten waren ihre Ränder dem Pendel 
Tolletiadig oder analbemd parallel. 
Hierbei lag daa untere UndB irtets nach 
der Seite, wo die Beweguuf? hinging 
und das obere Ende da, wo die Be- 
wegung herkam! Selten zeigte sich ein 
Dreieek, daa mit seiner Baals nach 
oben einen Teil des oberen Bandes ein* 
nahm und mit seiner nndentlich aus- 
laufondeu und meist etwas schief ge- 
richteten Spitze etwa 1—1 Vs cm ober- 
halb dea vnteren Banden lag. Die 
Mannigfaltigkeit dieser Erscheinungen 
war fiberraschend , von Ttü sn Fall 
änderte sich der P^indrucic! 

Aas sechs aofeinandertolgenden 
Beobaehtmtgen atammen dia etaten 
aeehs beigefügten Bilder, ^o eine Vp. 

scbematisch aufzeichnen konnte. Die 
anderen Zeichnungen gab eine zweite 
Vp. Unter diesen Figuren befinden 
aieh Pfdle, Ton denen der obere je- 
weils die objektive, der vntera die 
anbjektive Beweg^ngsrichtnng angibt. 

Für diese Erscheinungen darf 
man unbedingt von einem l-^indruck 

dut) Momentanen, Nichtdanernden reden. Entweder wurde sofort oder 
«rat nacli der oben beaehzlebeaen Naebwifknng ^e Biehtimg dea Pendeln 
beatioinit. Steta war aber daa ganae Qebilde wie auf einmal gegeben. 



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300 



F. £. Otto Schaltxe, 



§ 6. Die Kollektiouserscheiauiigeii und der KoIiektiousakieiL 

Die zweite Grnppe von Erscheinnnj^en , die im Grundversuch 
abgegrenzt worden ist, ließ sich dadurch bestimmen, daß wir 
sagten, die Schläge Bcheinen einander unmittelbar nahe und mit- 
einander in beflondera enger Beziehung zu stehen ; sie reihen sieb 
aneinander wie die Perlen einer Perlenschnur. Die Vp. beieidh 
neten diese Erscheinung anfHngtich als die der unmittelbaren Folg» 
oder als Gruppe sehleohtiiin. Die groBe Eigenart dieser PhSao- 
mene verlangt jedoch eine prägnantere Bezeichnung. Um die 
Eigenart der Zusammeuladbung im Namen hervurzuheben, habe 
ich deshalb den Namen Kollektionsersch e i n uugen flir die 
Erlebnisse als Gesamtheit und den Namen Koilektionsakzent 
für ihr Hauptmerkmal vorgesehlagen. Die Ableitung dieser Namen 
werde ieh sogleioh geben; znnMehst mikshte ich noch einige To^ 
fragen bespreehen, durch die wir der Eigenart des ErlebmasM 
näher treten. 

Die siehere Feststellung und Beobachtung des positiven smu* 

liehen Merkmals der Zusaiümcii^ehürigkeit zur Gruppe setzt große 
Übung voraus. In der ersten Zeit pflegen die Vp. sehr zu er- 
müden (dies erinnert an die Ermüdungserscheinungen Iieim Aus- 
suchen Ton Farbenproben, von Stoffen in Geschäften, von Fboto- 
graphien; beim Betrachten von Bildern in Museen und Galerien > 
man ftthlt sich dann gegenüber den Beobachtungen unsicher und 
weiß bald nicht mehr, ob das Merkmal der ZusammengehSrigkett 
als nnanschanliches Wissen oder als Erscheinung an beseiehoeo 
ist. — Der Versuchsleiter muß dies vermeiden so weit es geht, 
indem er die Gegensätze zu anderen Erscheinungen heraushebt 
und die zweifelhaften Fälle meidet und nicht allzu glcichmüBice 
Gesch^vindigkeiteu zur Beobachtung gibt, soudem deutlich ver- 
schiedene Gebilde. 

Zunäolist ist hierbei festzustellen, daß das Eigenttlmliche der 
Erscheinungen nicht im Intensitätsnnterachied der swei ScUig« 
bemht Eine grofie Anzahl von Versuchen konnten whr ftr die 
zahlenmäßige Feststellung nicht brauchen, weil dieser Fiaktor niekt 
auszuschalten war. Technische Gründe des Apparates — bei 
Hautreizen bebunücrri die leichte Verschiebbarkeit der Elektroden 
und die verschiedene Empüudliohkeit der Haut an den verschie* 



biyilizüü by GoOglc 



Beitrag zar Psychologie des ZeitbewuCtseias. 301 

denen, selbst ganz nalie beieirnnder liegenden Hantstellen — , 

weiterhin subjektive Intensitätfiuntcrbchiede küDnen leicht eintreten. 
Man maß die Versuche erst wiederholen, bis man ganz Bieber ist, 
(laß die Zusammengehörigkeit, um die es sich handelt, aocii bei 
absolnt gleichen Heizen da ist. Am beäten geschiebt es so^ 
dtB die Vp. erst den »Gnmdrersach« Ton S. 277 genan kennen 
lent Dann weefaaelt man beliebig im sogenannten Sprangyer* 
fsbren swisehen den Gesehwindlgkeiten, die für die oben beaeieh- 
netw elf Uagliebkeiten nötig sind. Nach Tabelle S. 280 mnB 
dann die Vp. ihre Benennung der Erscheinung vornehmen. Nun 
steigt eich dt bei den ersten Vers uchen keine Klarheit; wenn man 
aber den Versuch 3 — ömal /^seltener bis zu 10- und 12mal) wieder- 
holt, dann gibt die Vp. eichereu Bescheid. Auch hier kommen 
nrisohendurch Vereuclie mit Intensatätsnnterscliieden vor. Durch 
diese wird swar der Eindmek der ZosanmiengebOrigkeit der Schläge 
snr Gmppe eefar sturk, da aber der IntenaitJUannteisehied anflQlUiger 
ist als das Merkmal der Zusammengehörigkeit, wird letzteres au- 
niohst gar nicht erkannt mid yon der Vp. in Abrede gestellt. 
Man darf dann nicht rubcu, bevor man deutlich gezeigt bat. dali 
»nnhcbe Zosammcngehorigkeit bei gleicher Intensität der iieize 
möglich ht 

Die zweite Frage ist die: liegt die Zosammengehürigkeit, von der 
wir sprechen } in der Erscheinung — oder ist sie ein unmittelbar 
g^beneSf zwingendes Denken oder Wissen? Hieran ist es nOtig, 
die Gerichtepnnkte an kennen, nach denen man diese Unteraehei- 
dnogen ToUziefat. Ich habe sie in meiner anfangs aitierten Arbeit 
eingehend darznstdlen versucht. Ich kann leider nicht umhin, 
den üäücr Interessierten liieraut" zu verweisen. Die Frage ist 
am besten so zu stellen: »Läßt sich das Gesamterkbnis, um das 
es sich handelt, vollständig büstimmen durch die Angabe der sehr 
raschen Sukzession nnd gleichen Intensität der zwei Schläge? oder 
lisgt noch etwas anderes in der Brscbdnnng? Ist dieses Pins ein 
Wissen, ein Urleilen, eine Urteilsmöglicbkeit oder eine Urteils- 
bereüschaft oder etwas an der Erscheinung selbst, ein Merkmal 
der Erscheinung, etwas Tom Er8cbeinnngscharakter?€ Ein Wissen, 
etwas Begriffliches, Unanschauliches liegt nicht vor. Dies ist 
1.B, gegeben, wenn ich zwei nebeneinander stehende Stuhle als 
ein Paar auflasse. Die Erseheinung bleibt unverändert, mag ich 
die beiden Lindrllcke bzw. ihre Gegenstände als Paar auüassen 



302 



F. £. Otto Sohiütze, 



oder nicht. Gans anders hier! Hier tritt ein Plus auf, um desaent- 
wiHen wir yon Grnppen, you »Paar« im enggten Shme BjvreeheD. 

Sicher ist dieseb Vluä nicht optischer, uku^tidchcr und taktiler 
Qualität im grobeu Sinne. Wollte man sagen, es gibt ein Gefühl 
der Einheitlichkeit, so öchiene mir das bedenklieb, jedentalb muß 
mau dann genau aufweisen, um was für ein Geflihl es sich dann 
handelt M. £. sind keine genügenden Beebaebtnngen hierüber 
gemaeht Es gilt, anTerlÜssige Anordnungen m treffsn oder Ge- 
legenheiten fOi Alltagsbeohaehtangen ansvgeben, in denen dies 
GefQhl emtritt; femer mnfi das Geftdil genau klassifioert und 
seine qnalitatiTc Selbständigkeit nachgewiesen werden. Soweit icb 
sehe, erlebt man in dcu bisher angegebenen Fällen tatsächlich, 
aber nur ganz selten, Gefühle; aber das nind (nicht iri^'eudwie 
charakteristische) Lustgefühle. Meist treten aber gar keine Getlihls- 
reaktionen hierbei ein. Alle derartigen Erlebnisse sind jeden- 
falls niehts, was gerade fttr diese Einheitliohkeit oharak- 
teristisoh wftre. Man Terweehselt gar zn leicht Gefühl mit etwas 
anderenii mit dem Instbetonten Wissen davon, daß man leieht tos 
dem einen Inhalt mm anderen ttbergehen kann, oder mit der 
Erinnerung daran, daß man leicht in dieser Weise Ubei^angen ist. 
Aber dieses Wir^sen ist keine Erscheinung, wie ja ein Wisisen nie 
Erscheinung ist; und das Ubergehen ist eine Aufmerksamkeits- 
erscheinung, die durchaus nicht für die Einheitlichkeit charakte- 
ristisoh ist. Es hat nur den Wert, daß man an ihm sich deutlieh 
macht, daft die einheitliehen Inhalte nahe Terwnndt sind. £s iat 
eine Folge des Grundes, um dessentwillen wir Ton Einheitlichkeit 
sprechen, und awar eine recht anschauliche, und es kann mntrelss, 
wenn wir Erscheinungen willkürlich zusammenfassen; das sind 
dann die Appcrzeptionserlebnisse, von denen maiu^he rsycholo^ea 
handeln. Auf ihre nähere Besprechung hier einzugehen, ist kein 
Grund*). Schon ihre Lokalisation im phänomenalen Ichraum zeigt, 
daß sie etwas anderes sind als das sinnliche Plus, das wir za 
bestimmen haben. Sie kommen aweifellos oft bei der Wahmehmnng 
▼on Kollektionserscheinungen vor; sie sind es aber nicht, was ich 
mehie. Die Protokolle der Vp. mögen reden und rerstindlieh 
machen, worum es sich handelt 



1) Vgl. Archiv für die ges. Psychologie. Bd. IX. S. Ii9. 



biyilizüü by GoOglc 



Beitrag snr Peychologfo im ZtMtvwußtuün. 



303 



Protokoilaugaueu der Yersuchspersonen bei der Beobachtung der 

KollektlonsenohclBiuig«!!. 

Yp. I. legte den Nachdruck ia ihren Angaben auf den Gegea&atx von 
Ich imd Niehtidi. Bereits in der enteil Yennebaetande eagte sie bd der 
UnterBucbnng von langsameren Seblagreihen : »Jeder lUkdiite Schlag schloß 
sich an den vorangehenden in einer hinreichend bequemen Goprliwindigkeit 
an. Ich hatte den Eindruck der Kontinuität meiner Auftasöung, nicht 
der Belse; dss Bewußtsein der Eontinnitftt meiner Anffassnng 
Ist mebr oder weniger nnabhXngig von der Ornppenbildnng«. 
SpUter sagte sie bei schnelleren Schlägen: >Dic zwei Reize erBcheinen mir 
unmittelbar wie eine Einheit loh wurde mir des Intervalls kaum be- 
wußt.« 

In späteren VersuchHstuaden gab der gleiche Beobachter zasaiumen* 
Cusend folgend«« Protolcoll: »Der ISndrack der nnmitteOMien Folge ist 
ttlebt gleichartig. £s gibt drei Modifikationen: Ii die, wo die beiden Bdse 
00 rH«»rh siufeinander fols^en, daß gewi?pf maßen ein Auffassungsakt von ihnen 
in Anspruch genomoieu wird. Das ist eigentliche Gruppenbilduug (KoUek- 
tionsskzent}. Hier veranlaßt mich die Beschaffenheit der Ein- 
drfleke sie tnsammensnordnen. 9} Eine Erwartung bildet das Binde- 
glied; sie ist besonders von der vorangehMMlen Oeschwindi^keit abhXn^. 
3' Sind die langsam ablaufenden Fälle zu nennen, wo ich unwillkürlich sym- 
bolische Figuren, z. B. optische Bilder eines Bogens, bilde, und wo ich mit 
den Angen innerlidi folge, oder wo Keblkopfempfindungcn eintreten. Bsmit 
kann ich siemlich grofie BKume Oberbrdeken vnd einen Zusammenhang her- 
stellen. Wenn der Eindruck auf das Ende des Bogena fällt, habe ich den 
Eindruck der unmittelbaren Folge. Die zwei letzten Modi&katiotten sind nicht 
Gruppen im engeren Sinn, sondern willkürliche Gruppen.« 

Bei der Zusammenfaiiaang am bchluü der tblgeuden VersucluiBtUQde be- 
meikte die gleiche Yp.: »Der Eindmek der Qmppe ist sieher gegen- 
ständlicher Natur. Snbjektive Manipulationen fehlen; einSnehen 
fehlt auch, ebenso Organempfindungen.« 

Beim Vergleich optischer und taktiler Beizgmppen. deren Beize je einen 
Abstand von 3(X) <t besaßen, sagte derselbe Beobachter: »Der Eindruck der 
Znsammenftssuug war taktll Tiel lebhafter als optisch. Optisek war eigoit- 
liflh nur dn nnmittelbaree Aufeinanderfolgen der GeslehtsempfindungeB dsu 

Es riß gewissermaßen der Faden nicht ab. Taktil war objektiv eine 
Trennung da und trotzdem eine Gruppe — zwangsmäßigl Eine 
wirkliche Eindringlichkeit des intervalles war nur taktil da. Vp. gibt einmal 
an: »Tone, Intervalle und Gruppe waren stets gegenstSndlioh.« — 
Beim Vergleicb Ton Füllen, in denen zwei selbständige Reize auftraten, mit 
anderen Füllen ans der Zone des Kollektionsakzentes bemerkte die gleiche 
Vp.: >I)ie Reize al« solche machen einen anderen Eindruck.« Und 
dann: »Die Reize als solche scheinen innerhalb des Gebildes iu besonderer 
Beriehnng in stehen.< — Sehr anscbanlleh bemerkte die Tp. folgendes: »Die 
Gruppe ist da, bevor Über^ung eintritt« Damit ist dentlick dargetan, da6 
das im Kürperbezirk lokalisierte Ichcrlebnis der Überraschung durchaus 
»sekundär ist gegenüber dem der Gruppenbildung im phänomenalen Außen- 
raume. 



F. £. Otto Schiiltie, 



Die gesperrt gedruckten Stellen sind nur zu UberleBen, damit 
man »i« ht, wie bestimmt den Vp. das Merkmal der Zus<ammeii- 
gchörigkeit als sinnlich in der Erscheinnog der Schlüge liegeud 
entgegentritt; es ist sinn lieh -anschaulich, es besitzt Erschei- 
nangschar akter und ist in der Erscbeinang; des phänomeualcu 
Aaßenraames lokalisiert 

Als zweites Merkmal dieses »Plnsc AUlt die UnmOglicbkeit 
«nf, ea tax sich sn erleben. Man kann es nicht isolieren, 
wie man eine Farbe, einen Ton, eine Bertthningiempfindiuig 
iaolieri 

Damit und die Kriterien gegeben, wie wir sie Ton den als 
Wirknngsakaent') bexeichneten nnd näher charakterinertai Er» 
lebnisaen erforderten — nnd da es der fttr die Kollektions- 
era cheinnngen entaoheidende Wirknngaakzent ist, empfiehlt sieh 
der Käme Kollektionaaksent Er iat also dai^enige positive, 
nnaelbatSndige nnd anaohanliche ErseheinungsiDerknial, nm dea- 
aentwillen man yon Znaammengehörigkeit znr Gmppe apreehen 

Das ^nptmerkmal der Kollektionaeiaeheinangen konnte viel- 
leicht anders aufgefaßt werden, nllmlich ala der Eindmek einer 
beaondeien Gaaehwindigkeit; nm einen ebarakteriatischen >ab8oIn- 
ten< Eindmek einer gewissen Geschwindigkeit könnte es sich 
handeln. — Dagegen ist zu sagen, daß man bei der Bestimmung 
der sinnlichen Zusammengehijrigkeit zur Gruppe nicht auf die Zeit 
achtet. Man bekommt im Sprungverfahren so beliebig wechselnde 
und 80 stark verschiedene Geschwindigkeiten, daß diese Vorstellung 
ausgeschlossen iat. Man achtet nicht auf die Zeitdauer, weder auf 
die abddlutc noch auf ein relatives Kürzer oder Jünger, sondern 
ganz naiv erkennt man sinnlich die »Gruppe« wieder. Mau stellt 
nicht das Fehlen des »Pausenerlebuisbes* fest, sondern das positive 
Merkmal der unmittelbaren Zusammengehörigkeit der Erscheinungen 
zu einer Gruppe 'J. 

1) Vgl. Archiv für dio ges. Psychologie, üd. VIIL S. 339—384. 

2) Vgl. jedoeh das hieritber a^nßerte BedeDken im Nachtrag. 

3) Daß dio sinnlichen Faktoren bei kunrai seitlichen Gebilden du eotp 

scheidende Merkmal abgeben, hnt zumal Meumann in seinen Beitrügen zur 
Psycholu^te de» Zeitbewuütsoins betont Vgl. besoDders Pbilos. Studiea. 
Bd. XU. S. 130 und 131. 




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Beitrag mu Ptoyeholofle des Zeitbewnßtaein«. 305 

Nachdem nunmehr der Hauptpunkt an den Kolleküonserscbei- 
nungen hervorgehoben ist, ist eB mögliob» die anderen Haapt- 
merkmale dieser Erlebnisgriippe zusammenzufassen. 

Was die zeitiiohe Anordnimg der Inhalte betrifft, so ist die 
Sukzession klar erkennbar; eine deutliche Andemiig des Eindruckes 
tritt im Intervall ein. Das Intervall ist deutlich wahrnehmbar, 
wenn auch nicht eindringUeh. Hierdurch unterscheiden sieh diese 
Eindrücke von der spStor zu besprechenden dritten Gruppe, tod 
den Erscheinungen der sabjektiven Einheitlielikeit; Air diese ist 
es bezeiehnend, daft das Intervall eindringlioii ist, so daS wir bei 
ihnen von einem »Fansenerlebnis« sprechen mttssen. Bei derBe- 
sehrribnng der Erscheinnng dnioh die Yp. erseliien dieser Unter- 
schied zwischen KoUektionseisclieinungen nnd Erscbeinongen der 
subjektiven EinbeitUohkeit so beieicbnend, daß die Yp. anfilaglieb 
glaubten, die Erscbeinnng genügend beschrieben in haben, wenn 
sie dieses nsgaüre Merkmal angaben: es fehlt das Fansenerlebnis. 
Tatsieblicb erwies sich die sinnliche Zossmmengehdrigkeit der 
Schlüge snr Gruppe als HanptmerkmaL 

Eine EigentOmliehkeit der zeitliehen Ordnung bleibt aber fUr 
die meisten FUle von EoUektionsakzent bestehen, die Tatsaebe, 
daß der erste Eindmcfc noch im Bewnfitsein gegeben erscheint, 
wenn Aer zweite eintritt Genanere zeifliche Messnngen haben 
gezeigt, daB dieses Herlunal sich bei den Fällen mit gröfiraem 
gegenseitigen Reizabstand nicht mehr findet. Dieses Yerhalten 
ist in dem Abschnitt Uber »acheinainnliche Nachdauer und Be- 
wufitBeinäumlaug« uui S. 305 S. diöser Arbeit dargestellt 

§ 7. Die Bedingnngen des Keliektiensakientes. 

Unter den Bedingungen, die auf das Erscheinen des Kullek- 
tionsakzentes von Bedeutung sind, stehen Geschwindigkeit der 
aufeinanderlolgenden Reize und Qualität dtruelhtui an er??ter 
Stelle. An Sinnesqualitäten sind nur Gehur, Gesicht und 
Getast nsilier mitersucht worden. GelegenhcitHbeobachtunffen 
liegen über Bewegungsempfindnngen vor. Die übrigen Qualitäten 
sind außer acht gelassen. Von einschneidender Bedeutung ist die 
große Übereinstimmung der akustischen^ taktilen und motorischen 
ErBcheinungen und ihr großer Gegensatz zu den optischen. — Bei 
den optischen Gebilden fehlt der KoUektionsakzent fast 



306 



F. E. Otto Sohnltse, 



völlig, oder er ist liier wehr undeutlich. Die» beweisen die An- 
gaben der Vp ein iiso wie die Zahlen der Tabelle S. 288 und 289. die 
eine wesentlich geringere GleichfÖnnigkeit in den optischen Ver- 
suchen aufweisen: teilweise konnten BOgar geeignete Zahlen aus 
den Tabellen lUr optische KoUektionserscheinungen nicht abgeleitet 
werden. — Im Beginn der Untersuchungen wollten sogar einige 
Vp. das Vorhandensein des KoiiektionBakzents fUr dia optischen 
B«is6 Toliständig in Abrede steUen. 

Hierilbwr folgendes Frotokoll; 

Die VerBochsanorduuD^ war die, wie sio miter dem Titel Grundvereach 
(S.277; beschrieben worden \^f. IMi Reize waren optisch; die Angaben lauten: 
^Ein Analogen zu der eogeaanaten unmittelbaren Folge (KoUektionsakzcnt] 
fehlt Die Reize werden nicht aufeioAnder bezogen. Sie bekomoien keine 
Botomuig mnlw diiode. UnwiOkllrlidi befreite tob die optlseben Eindrtteke 
mit Kelilkopfempfindangen, und ieh amfi mich hüten, diese Neigung zur 
Rbythmisiemng dieser Empfindünir nicht nnf (üp optischen Eindrücke zu über- 
tragen. Durch den Wechsel der Geschwindigkeiten wird dies vermieden.c — 
»Die (sprungweise eintretende} Geschwindigkeitszuubme ist sehr deotUob 
meikUeht aber gldehartig, sie bat etwas TbeiMretlsehes; GefttUe und Wirkaags- 
aksente treten nicht hinzu. SchHeßUeh trat ein Flackem ein.« 

Als daranf zum Vergleich taktile Reize gegeben werden, gab die Vp. 
an : »Die Beziehung der Reize aufeinander ist ganz unvergleichlich stärker, 
es ist ein viel wichtigeres, interessanteres, persönlicheres Einenangehen — 
im Oegeasate mt der kühlen, IddeosohaflaloseB Beobaditang der Gesiehta- 
reize. Kefalkopfempfindungen fehlten bei den taktUen Bdsen, sie Terhaltea 
sich sonst geaaa wie die akostischen.« 

Eni naeh einiger Obnng gelang es, die KoUektioiuencheiniiiigen 
aoeh auf optiBehem Gebiet siober nacbsaweiaen. Zweifelloa eine 
Folge des UnteneliiedeB der Denfliebkeit der Eoltektionaerscliei- 
Hangen zwiaeiien optiseben, akiutiflobeD und taktUen, biw. tnoto- 
riaehen ErBcbeinnngen war die Titsaohe, daB, wenn man bei 
optiseben Versneben gleich acbnelle Nebeng er ftnaobe am Apparat 
niebt annehloß, die Vp. die Neigung spurte, ihren Eindruck 
nach dem gleichzeitigen oder kurz yorangegaugenen 
akustischen Erlebnis zu bestimmen, und so in Schwierig- 
keiten der Analyse kam. Ferner traten gerade bei optischen 
Reizen, zumal bei häufiger Wiederholung des gleichen Keizpaares 
in kurzen Abständen, motorische Begleiterscheinungen vorwiegend 
in der Kehle, im Kehlkopf, in der Zunge, seltener in anderen 
Körperteilen ein; auch diese waren miteinander, soweit die Ge- 
schwindigkeit eut.^prechend groß war, durch den Kollektinn sakzent 
vereinheitlicht, und sie zeigten die Tendenz, das Urteil Uber die 




Google 



Beitrag zur Psychologie des Zeitbewußtä«inä. 

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gleiehx«itige& optischen Ein- 
drUeke xn beeinfliisBen. Bei 
taktUen Beizen waren diese 
Begleitefscheiniuigen weseni- 
fich seltener; akustiBeb felilten 
sie ganz, dodi blieben indi- 
Tidnelie Differaisen. Bei 
einer aknstiseb-motorisch Ter- 
anlegten Yp. waren sie im 
Falle der geaaneren Einsel- 
analyse der Versuche nicht 
selten nnd sehr deutlich da. 
Kam es aber bloß auf die 
Angabe der Diagnose in 
Zahlen nnd möglichst Tieler 
Versnche im Sprangverfahren 
an, 80 fehlten sie fast Töllig 
oder waren nur ganz selten. 

An zweiter Stelle ist unter 
den Bedingungen für das Auf 
treten der Kullcktionserscbei- 
nangen die Geschn in lig- 
keit der aufeinaüderfolgen- 
den Reize abzugrenzen; zum 
Zwecke ßchuellerer Verstän- 
difTunp: sind die Kamen der 
Grenzen B, C, F und (r cin- 
L'fAlhrt. Die Vertahrcn, die 
hierfür angewendet worden 
sind, sind uns von i? 3 her 
bekannt: bei auf- und bei ab- 
steigender Geschwindigkeit 
und bei sprunghaftem Wechsel 
der fieizabstände wurdra die 
entsprechenden Fragen im 
nnwissentlichen Verfahren von 
der Yp. beantwortet. Bei 
Versuchen mit pprunghaftem 
Wechsel <der Geschwindig- 

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308 £• Otto SohaltM, 

keiten iu kleinerem Maßstabe (zwischen 200 uüd 550(7, nicht, 
wie im § 3, im sogeuannten großen Sprungverfahren zwischen 
44 und 1870 a) lautete die der Vp. yorj[re1eirte Frageformel 
fUr die Grenzen F und G: »wSiud Koliektionseröcheinungeu vor- 
handen, zweifelhaft oder nicht ?c Bei der Verrechnimg der Zahlen 
fttr die Tabelle wurde nnn als F di^enige Zahl genommen, welche 
die Grenze iwirolien den OeschwindigkeitBsalilen bfldete, bei denen 
nnr reine Kollektionserselieinmigen anftrtten nnd den Zablen, bei 
denen zweifelbafte oder weebeelnde Angaben gemaofat wndeit 
G bildete die Grenze zwiöciien der Breite wechselnder und zweifel- 
hafter Angaben und den ZahleOi bei denen Kollektion nicht mehr 
eintrat. 

In Tabelle S. 307 finden sich die Zahlen ftir F und G. Hier 
igt swieehen akastieehen nnd taktilen Yeranehen geecbieden worden. 
Lmerbaib dieser wieder sind jedesmal Rnbiiken fllr die drei ge- 
nannten Hetboden angebraelit: xu heifit UnteiBaehnng bei sv- 

nehmender, ab bei abnehmender Geschwindigkeit. Die bei diesen 

Weiseü des Vorgehens gefundeucü Zahlen wurden jedoch nicht 
fttr sich genommen, sondern aus ihnen wurde der Durchschnitt 

^ ^ gebildet; denn diese Verfahren ergänzen sieh gegenseitig: 

bei aufsteigender Geschwindigkeit wurden die Zahlen verständlicher- 
weiae fast ausnahmslos htlher als bei absteigender Gesohwindigkeit 
geflmdea. Sjprld bedeutet sprunghaften Weehael der Bdi- 
gesohwindigkeiten bei kleineren Belzuntersohieden, Sprgr bei 
großen Reizuntersohieden von 44 bis zu 1870 <r. n bedeutet die ZsU 

der Versuche, mF die jeweilige mittlere Variation; JS^ ^ ^- 

das arithmetische Mittel aus Spr M und Spr (jr. — Senkrecht la 
diesen Beihen verlaufen die Linien der einzelneu Vp. 

Bei der Durchmnstemng der Zahlen zeigt sich, daß die Ter- 
sofaiedenen Zalilen der Grenze F einander nahe stehen, ebenso die 
der Grenze F ist wichtiger als 67, denn bis zu F findes 
sich Kollektionserseheinungen vorwiegend bzw. aussehlieBHch: 
zwischen F und O kommen sie nur verstreut und mit anderen 
Typen (8 — 11) gemischt vor; unterhalb von G bleiben sie über- 
haupt aus. 

Daß die einzelnes Methoden große Unterschiede e^beSf liegt in 
deren Natur. Die Frage ist bereite S. 287 erOrtert Im 



biyilizüü by GoOglc 



Beitrag tax Psychologie dee ZeUbewoOtoeins. 



309 



kleinen Spruogvenahren'} wird die Vp. gefragt. »Kommen hier KoUek« 
tfoBWiteMiiiiigeB YOtt tM ri» swdfeüutft oder sieht?« Die Anfmerketmlceit 
iit Borait tnf einen Typ «ngeetellt, radem weehaeln die (Jeeehwindigkeiten 
nicht iO etirk wie bei den anderen Versuchsanordnangen , erstens nar 
zwischen g-erine^eren maximalen Unterschieden*) und zweitens mit viel gerin- 
geren relativf n TTnf erschieden fif^r aufeinanderfoicenden Reize'''. Es fehlt 
daher hier die iieraushebung des CharaktiTi^tisclii n durch den (-Jofrensatz. 
Die ErseheinuDg muß sehr deutlich sein, wenn ja geantwortet werden üüII. — 
AndeiB beim großen SprnngTerfahren, wo swieofaen elf Möglichkeiten 
llbeibanpt sn iriihlen ist nnd wo die engere Wahl in sweifeHialten FKUen aieh 
laf mindestens drei Möglichkeiten erstreckt. — Das Beobachten beim Zn- 
tind Abnehmen der Geschwindigkeit fragt nicht nach bestimmten 
Typen, sondern nri( b Änderungen. Erst nacbtrüf^lich wird festg^estellt, wie 
der Typ zn benennen ist. Die Zanahme der Reizabstände ist gering: jedes- 
mal i/io bis Vs"' Hier wird man natürlich oft einen geringen Unterschied 
lidit aofort bemeiken und lo eist bei einer höheren biw. geringeren Cto- 
•ehwindigfceit die iUdening angeben kOnneii. Da man sich nun das eine 
Mal den grdiSeren Geschwindigkeiten, das andere Mal den geringeren nähert, 
wird man zu einem größeren Unterschied zwischen niederen und hnheren 
Zahlen kommen. Die mittleren Variationen aeigen uns indeSf daß die Zahlen 
nicht allzusehr schwanken. 

Da uns Tabelle S. 291 einen großen Unterschied zwischen den 
einieliieD Vp. gOMigt hat, mOchie ieh mit der DnrohBehnittabereeh- 
niuig yoniditig sein. Die ÜbereinetimiiHiiig der Zahlen der Tabelle 
8.307 genügt: naeli dem Durehiehnitt- aller bierhergehOrigen Be- 
obachtungen liegt F bei akustischen Reizen bei der Berechnaug 

390 tf, bei derBereehmmg ^^fJ+L^ bei 368 a, 

F bei taktilen Reizen entsprechend bei 518 und 340 a; 
G bei akastischen Heizen ebenso bei 618 bzw. 552 
0 bei taktilen Betzen ebenso bei 740 baw. 499 a. 

Die Zahlen itlr die Grenae E sind niebt anadrUeklieh bestimmt 
worden. E« durfte genügen, zu sagen, von wann an sieb nnter 
den Kollektionsersobeinnngen Triller zeigten ond von wann an 
die Triller überwiegen. 

1) 7gt 8. 886 dieser Arbeit 

2) Daa dorchsnehte Gebiet betrog beim kleinen Spningverfahren meist 

275—385 (7, beim großen SpningverfUiren nnd bei sa< nnd abnehmender Qe- 

aehmndigkeit 183fi <r. 

3 Im kleinen Sprungverfahren wurden z. B. die Reizzahlen 228. 248, 
275, 303, 330 nsf. bis 38ö a verwertet; im großen Sprungverfahren 44, 50, 
8a. 110, 138, 166, 220, 276, 330, 385, 440, 495, ööO, 660, 770, 880, 1100, 
1261», 1430, 16fiO^ 1870 ^ Bei an- nnd abnehmender Qesehwindigkeit war 
die Reihenfolge 1660, 1640, 1375, 1210, 1046. 880, 716^ 660, 885, 880, 66^ 44» 
66, aao, 385, 660, 716 <r. 

81* 



310 



F. £. Otto ScholtM^ 



Der EinfUB der InteBsitftt der SohUge wurde avb ledi- 
nieeben Grttnden nur bei aknstboben Reizen «ntersttebt: dag 
Knistern der Fonken des Fnnbendeberi faft alt leises GerSueb, 

müglichst laute HaTnnierschlägc als starker Keiz ^i^ulvcrexplosionea 
mit Zündhütchen könnte man als Beispiele ftlr sehr starke Reize 
in g:leicher WcIbc unterBuchen). Aus diesen Vernuclieu zeigt sieb 
ein wesentlicher Eiuüaß; die Grenze der Kernzone wird tob 
der Zone der leisen Schläge nm rnnd 100 bis 200 a Terscboben, 
bei Yp. n um 100 a, bei Vp. m nm 600 al Die leisen Sebläge 
sebwinden also eebneller ans dem Bewußtsein als die 
lauten. — Aneb die Zweifelssone lindert sieb bei Vp. n deodiek 
nnter dem EinflnB der Intensität der Schläge, sie wurde breiter; 
bei Vp. III blieb sie gleich! 

Ein weiteres experimentell festzastellendes Merkmal war das 
zeitlicbe Yerbalten des Kollektionsakzentes. In Üb6^ 
einstunmung mit sonstigen Untersuobnngen füblt man sieb zu der 
weiteren Frage geleitet: Wann tritt der KoUektionsaksent 
ein? Wann sebwindet er? Was ist seine Latenzzeit? 
Allein es widerspricht der Natur eines Wirkungsakzentes, 80 la 
fragen; denn der Wirkungsakzent ist nicht eine Erscheinnng nebeo 
einer andereu Erscheinung, die selbständig einträte nnd verschwände, 
sondern er ist eine unselbständige Erscheinung. £s ist nicht so, 
daß eine Empfindung eintrittp und dafi ibr dann eine zweite m 
anderem firsebeinungsebankter folgt, sondern die einzelnes 
Empfindungen sind qnalitaliT yergUeben einander gteicb. Aber ^ 
erscbeinen mit einem Haie als ein Ganzes, als eine Einbeit be- 
sonderer Art. 

In besonderer Weise könnte man diese Frage von der weiterea 
Frage ans beantworten: Wie lang muß eine Schlagreihe sein, da- 
mit der Kollektionsakzent schwindet? Man hätte für diese UntB^ 
suebung Reizreiben ron 2, 3, 4 nnd mebr Gliedern miteinander 
zu Tekgleicben und die Mazimalzabl von kolUgierten Reizen feit- 
znstellen. Nibere zablenmäBige Untersuchungen darflber, wieviel 
Reize so zusammengefaßt werden können, und wie die Geschwin- 
digkeit die*««: Zusammenfassung beeinflußt, stehen hier lioch au*. 
Vermutlich ist das Verhalten des Kollpktionsakzentes bei Ter- 
scluedenen Geschwindigkeiten verschieden. Bei geringen Ge- 
sebwindigkeiten dürfte die Zahl der Glieder der maximalen Gruppe 



biyilizüü by GoOglc 



Beitrag tnt Piyebologla dea ZdtbawitBtseiiu. 311 



nicht sehr groß seiu. Tcchukch wird die Uatersuchung wegen 
des Eintrittes subjektiver Betonnngsanterschiede sehr schwierig, 
woin man die Zahl der Glieder einer Reihe erhöht 

§ 8. Venmtiiiigeii Iber die Natur des Kollektiornksentes. 

Um die Natur der KoUektionserscheintmgen noch näher zu be- 
stimmen» mochte ich Tersnchen, ihre Ähnlichkeit mit gewissen 
Komplexen Ton Organempfindnngen henromhehen. 

Wie vielen Wirkungsakzenten kOnnen wir aneh beim EoU 
lektionsakzent eine Verden t lieh nng^) ronehmen, d. h. wir können 
nna das Erlebnis dnreh ein anderes ansehanlieher, ainneiifiUliger 
und klarer machen; diese Yerdenfliehnng mnft natürlieh so ge> 
sehehen, daß wir swingend die Obersengang daTOn bekommen, 
daS eine Ahnliefakeit swisohen yeransehanliohtem Wiiknngsakient 
and Yeraasobaalichnngsmiiftel Torliegt 

Der Eollektionsaksent wird m. E. am besten dnreh eine will- 
kllrliehe innere Bewegung, die Tom ersten Sehlag som aweiten 
SeUag hlnfttbrt, yerdentlieht M. a. W.: Die im Veisaoh sinnlieb 
wahrgenommene, eigenartige gegenseitige Besiebnng der swei 
Söhlige der Kollektionsersehehrang wird einem in ihrer Bedentnng 
amwhanlWl« und eisdieint eigentlieh erst dann reeht ▼erstanden, 
wenn man sieh sagt: es liegt iiier eine ZnsammenfiMsnng vor, fthn- 
lieh der, die wir absiehtUeli avsflilirea kennen, indem wir in der 
Vorstellnng yon einem Schlag snm anderen flbergehen, den 
zweiten zum ersten hinzonehmen und so eine Einheit bilden. Der 
Unterschied zwischen den beiden Weisen der Vereinheitlichung 
liegt uur darin, diiM er in der Kollektionserscheinung automatisch 
geschieht und au die Öinneswahrnehmuna^ ^'cbimdcn erscheiut, 
während sich im zweiten Fall eine in uuscrcm phänomenalen 
Körperraum auftretende Erscheinung einstellt und Träger der zu- 
aanimenfassendeu Tätigkeit wird. Um noch klarer zu machen, 
was wir meinen, können wir somit unter Vorbehalt sagen: 
eä findet sich ein Gegensatz der Lokalisation; und zwar liegt 
er zwischen einem Wirknngsak/-cnte , der an eine Erscheinung 
den phiiiMimcnalon AnBenraumes gebunden ist, niid einer ihn ver- 
anschaulichenden Erscheinung, die im phänomenalen Ichraum 



1) Niherat ygl. Archiv für die gM. Paychologie. Bd. VIIL a 307—308. 



312 F. £. Otto Schaltze, 

lokaÜBiert ist Gelingt es nun, diesen Gegensatz mehrfaeb nach- 
zuweisen, 80 steigt die Wabncbeinllebkeft der Annalime, daB der 

Kollektiousakzeiit gewifetjcrmriiU-ü das l'rodukt der Veleguu^' sub- 
jektiver OrganempfinduBjsrBkdiiiplexe in den phänomenalen AnBen- 
ranmist. »Gewissermaikn« Datürlieb nur, denn OrgaaempÜudoDgeii 
sind keine Körper, die verlegt werden können. 

Die gesaebten Analogien finden sicli leicht — zmüLchst erinnere 
loh an die ersten Beispiele meiner Arbeit, an denen ich des 
Wirknngsaksent demonstriert habe: an das Lftobeln und fthnlicbe 
mimisebe Affektansdrttoke. Sie sind gewissennafien »Objektira- 
tionen« von ErlebnisBen, die in unserem phänomenalen InneniMSk 
lokalisiert sind. — Weiter fanden wir in der Natur und in der 
Kunst ^\ irkuugsakzente. welche nns ein eiirentüniliches Leben 
in Bangliedern und kimBthandwerklichen Gebilden vorzatäusciieQ 
scheinen. Das, was wir zunächst in nns erlebt haben, das Sich- 
dehnen, Sichrollen, das Schweben, das Anfstreben, die Rahe (ich 
könnte fort&hren, all die Dynamien, die sieh anfsäblen lassen) — , 
all das scheint gelegentlieh in sinnlicher Frische an Wsh^ 
nehmnngen gebunden und im phttnomenalen Anßenranm lokalisieit 
zu sein. Als drittes Beispiel nenne ich die sinnlichen Lust- und 
Unlnst^refUhle; sie sind im Fall des Wohlgeschmackes, des Wulil- 
geruebes in der Geschmacks- und in der Geruchfeeuipliüduiior selbst 
lokalisiert, ebenso verhält es sich analog beim Wohlklang and mit 
dem Wohltuenden einer schönen Farbe. Selbst- oder IchgeHlhle 
sind es nun, die nns das, was »Wohlcharakter«, was sinnliche 
Annehmlichkeit nns eigentlich sind, yerans«^anIiohen; sie shid der 
Katnr nach den Lustgefilblen gleichartig, die im phlKnomensleB 
Icbranm lokalisiert sind; der Unterschied liegt in der Lokalisalios- 

Derartige »raumlieiie Verdchicbungc von Erscheinungen (d. h. 
das Auftreten von sinnlichen Geftlhleu au Stelle der zu erwarten- 
den Ichgefühle oder neben ihnen) findet sich nun, soweit ich sehe, 
bloß wenn der Ansdruekswert und der Gefühlswert einer Er- 
scheinung besonders groß ist; nnr an sehr prftsisen, gerade as 
besonders eunfachen Eindrucken, wie an Karikatur- nnd Omames^ 
gebflden werden die Geftable sinnlich: d. h. psychologisch ge- 
sprochen, treten Wirknngsakzente auf. Mt je weniger Hitteb 
ein Ausdruck erreicht ist, um so stilrker ist seine Wirkung — dss 
ist die ;dLe Regel, die hier ihren Ltklärungdhmtergrund in einer 
bestimmten lüchtong bekommt. 



biyilizüü by GoOglc 



Beitrag sur Psychologie dM Zeitbewafitseiiu. 313 



Die j:leichen Verhältnisse lassen sich auch beim Kollektions- 
akzciit nachweisen: zwei einfache akustische oder taktile Ein- 
drücke zwingen uu» durch ihre schnelle Auieiuauderfolge den 
Eindruck ihrer Zasammengehörigkcit ab — genau wie eine ge- 
kriimmte Linie durch ihren Verlauf (dank der Geschicktbeit und 
Einfachheit ihrer Stilisierung) uns den Eindruck des Lächelnden, des 
Spöttischen, des Sehelmischen, des Enttäuschten aufzwingt; genau 
wie der bestimmte Geruch, Geschniacl: nnd Ton uns durch unbe- 
kannte Hedm^uugen ijeiuc Annehmlichkeit siniicnfälliLr werden läßt. 

Schließlich liißt ^ich noch eine letzte Puralhlc zwischen Kol- 
iektionsukzciit und Tätigkeit oder Zusanimeufassnn-; ziehen. Ebenso 
wie wir 1h - riillich-gedanklich feststellen künueu, daß ein Wesen 
sich wohllühit, daß es sich dehnt, ebenso können wir auch be- 
grifflich feststellen, daß Körper zusammengehören. Die Möglich- 
keit gedanklich - begriff lieber Vermittlung der Tätigkeiten, die 
im Wirknngsakzent Torkommeiii findet sich also anoh beim Kol* 
lektionsakzent 

Eine weitere Sttttze dieser Anffassnog bietet uns die Tatsache, 
daß beim Versuch mit an- oder absteigender Geschwindigkeit in 
der gleichen Weise wie der Kollektionsakzent deutlich wird, die 
Eindringlichkeit der Pause schwindet. Das bedeutet aber zu- 
gleich: die Eindringlichkeit der Anfmerksamkeitsencheimingen Iftfit 
bei der Geschwindigkeit naeli, wo der Eollektionsakzent 
eintritt biw. dentliob wird. Es filllt uns also anf, daß swei 
einander iUinliclie Erseheinnufen in einer siemlioli besehrtnkten 
GeieliwindigkeitBzone swei dnselmeidende Verändeningen zeigen: 
die eine tritt anf, die andere Bckwindet oder wird sehwaeb. Dieser 
Umstand kann, meine idi, ans* nut Beeht daranf hinweisen, daB 
diese beiden Andemngen dem Macbaniimna nach snaammen- 
hSngen, anoh wenn der Heohanismos selbst nns nnbekaant ist 

DaB bei dem Eintritt der objektiTen sinnlichen Zusammen- 
gehörigkeit der Bei» gleiebxeitig analoge Eriebnisie im phllno- 
menalen lehranm Torkommen, spricht nicht gegen uns: denn aneh 
wenn sinnliche Lns^fiihlc gegeben sind, hOnnen glelehzdtig Ich- 
geftthle sich ünden. (Ob sie stets da sind, ist mir ttbrigens znm 
mindesten swafelhaft; allerdings gebe ich so, daB die Festatellang 
Ton sehr schwaehen Ichgefthlen ungemein schwierig ist ; jedenfalls 
fordert deutlich sinnlich objektive Woblgefälligkeit nicht deutliches 
subjektives Lustgefühl.) 



314 



F. E. Otto Soholtae, 



Schließlich noch ein Wort Uber die Beziehung des Kollektions- 
akzontea sa dem BubjektiTeii £rlebiiifl des ZuBammeiifasseDs: eioe 
Gleielutrtigkeit der Erflcheiniiiigeii möchte ieh als wahncbeiidieii 
annehmen; wenn ich anch nicht abstreiten weide, daß das Ver- 
fahren der Verdenflichiing in gewissem Sinne als wiHkttrHeh be- 
zeichnet werden kann, znmal flir den in qualitativer Ana]>'9e 
wenig Geübten. Anf Gi uud dieser Gleicbartiffkeit möchte ich dürun 
denken, die in Kede stehende r>e/>iehnng als eine Beziehung zwiscbeD 
Keimform und vollentwickclter Form aufzufassen, so wie ich sie 
früher einmal daigetan habe. Anch Uber die Keimformen ist s*> 
weni^ analytisch anssnsagen, daß erst Verdentlichmig und bild- 
liche Besehleibung den Znsammenhang klarer werden IssMo. 
Theorien ttber diese Frage sind aber m. £. noch nicht spmcbieif. 

Die Bcdtiutuii^ des Kollektionsakzentes im seelischen 
Haushalt wird aus den bisherigen Darstellungen nicht klar. Mas 
könnte meinen, es handelt sich um ein Labnratoriumspräparat, um 
eine Spezialität ohne besonderen Einfluß im Seelenleben. Du ist 
nicht der Fall. Im Alltagsleben treten diese Erscbeinmigen alle^ 
dings sehr znmek: klopfe ich sweimal sehneil anf den ISseb, m 
iHUt mir an der Wahmehmnng dieses Klopfens nichts Besonderes 
anf. Das "Hcken der Uhr, das Klappern der Mühle, die nngleidi- 
mäßigen Schritte eines lahmen Menschen, der Eindmek sweier 
schnell fallender Schüsse oder Pfiffe im einsamen Walde, die un- 
mittelbare Sukzession von Blitz und Donner Bind ErscheinungeD, 
die mich auf etwas Besonderes hinweisen kOnnen, wenn ich sie 
mir anschaulich Torstelle und auf das ihnen Gemeinsame hin be- 
trachte; aber klar tritt dies nicht herans. Gegensätzliche FäUe» 
in denen der KoUektionsakaent (also das diesen Erscbeinmigen 
meinsame Merkmal) fehlt, mttssen den oben genannten geg«attbe^ 
gestellt werden, z. B. Knattern von Kleingewehrfener, Basseb emer 
elektrischen Klin;?el einerseits als Geräusche mit schneller Folge, 
andererseits das langsame Trotten eines alten Gaules nachts durch 
die enpre Straße eines Landstädtchena (das c-eht gleichmäßig öde. 
ohne Zusammenhang, müde, Sehritt tUr Schritt): zwischen den Unf- 
schlägen fehlt der unmittelbare sinnliche Znsammenhang, sie haben 
im sinnlichen Eindruck nichts unmittelbar miteinander su tan. — 



1} Vgl. Archiv fllr die ges. Psychologie. Bd. YUL 8. 906 ff. 



biyilizüü by GoOglc 



Beitrag zur Psychologie des Zeitbewuütsoms. 315 

Wie dem aber sei, erst die Oegenttbentelliing vad die Beinigimg 
Ton ZoflUigkeiteii inf Experiment präparieren das Eigenartig 

klar heraus. Hat man es dann erst einmal gnt gefaßt, dann sieht 
man es vor allem alb ein Haupteleraent des Rhythmus, dieser tief 
D nnser höheres ScelcDlcben eingreifenden Art der Ordnung und 
Gliederung von Erlebnissen. 

Da jedoch hierfUr das Verständnis dessen, was sabjektiTe Ein- 
heilliehkeit iat, mieriäßlieh ist, darf ich die Besiehiuig des Kol- 
lektionsakzenles mm Bbythmiis erst iiaeh dem folgenden Para^ 
gnq[>hen hersteUen. 

§ 9. IMe Erscheinniigen der sabjekÜTen Einbeitlichkeit. 

Während bei den KoüektiouserBcheinuugeu die gegebenen Reize 
voa selbst sich aneinander anscbloBsen, wird bei der in der Über* 
Bcbrift genannten neuen Gmppe von Erlebnissen die Einheit durch 
den Anteil eines ErBeheiniingskomplexes vermittelty der (meist sogar) 
mabr oder weniger entfernt yom Gehörten, Gesehenen and Geq[iflrten 
im phlaomenalen EOrperraam gelagert anftriti Es sind Otgan- 
empfindnngen, die entweder im Kopf, in der Brust oder im ganzen 
Uumpf lokalisiert sind, welche diese eigenartige Leistung überütibmeu. 

Es ist aber nicht einfach so, daß z. B. dort im phänomenalen 
Aaßenraum zwei akustische oder optibche Erscheinungen und hier 
in meinem Körperinnenraum Organempfiudungen mehr oder weniger 
deutlich lokalisiert auftreten; es ist nicht ein bloßes zeitliches 
Kebenr nad Naeheinaader von Empfindnogen, sondern eine Ein- 
bcit ans bdden, denn der erste Hammerschlag sehliefit sieh ganz 
flSTermittelt mit meinen Organempfindungen in nmittelbarem Za- 
ttmmenbang zu einer Einheit zusammen, und ganz ohne weiteres 
ftgt sich mit diesen der zweite Sc^bla;: zusammen. So eutötebt 
eiß festes GefUge, aus dem sich ni( hts hornusnehmen läBt, ohne 
d&B das Ganze sich ändert und gerade das Charakteristische, seine 
Einheitlichkeit, verliert. Die Bnbjektiven Erseheinnngen werden 
m zum Trftger der Einheit 

Usn kann diese Znsammenfassang oft mit Erfolg nnterdrttcken. 
Gelegentlieh aber mifilingt es, nnd dann tritt aneh ungewollt sab- 
jektiTe ^heitlicbkeit der Reize ein. Eine Vp. schilderte die Be- 
deutung der Körperersebeinung sehr treffend mit den Worten: Wo 
Zosammenfassung war, war Spannaug dal 



316 



F. E. Otto SeiNiltMb 



Dieses Bild kann sich nnn noch dadurch verwickelter gestalten, 
daß in diesen Komplei von Orgauempfindungen (ohne daß darauf 
irgendwie der Begriff der Lokalisation anwendbar wäre] andere 
Erlebnisse eingehen, Uber deren ebenerlebtc Tatsächlichkeit wir mit 
der gleichen Sicherheit Angaben machen können wie darttber, daß 
wir Hammerschläc-e pebJirt oder TJchtfnnken gesehen haben. Es 
nind dies Frlobuir^^i' dc> Erwarteus, des Wüllens, des Beachtens, 
Bowoit nir Ik'wiiBtheiten Bind'). Da^ ii^achten kann sieh dabei auf 
die Schläge uder auf ihr Tntervall richten : das Wollen kann auf 
Trennung oder auf Vereinheitlichung der Schläge ausgehen; stets 
aber entspricht dem großen Unterschied dieser Absichten kein 
ebenso großer Erscheinungsuntersohied; denn die Unterschiede 
liegen dann in den Bewußtheiten. 

Es kann aber auch Torkommen, daß bei einem ziemlich ge- 
ringen Abstand der Reize (z. B. von 1357 o-, seihst hei 880 a ist 
es beobachtet worden) erst im Verlauf des Intervalles sich eine 
starke Erwartung entwickelt, die den zweiten Schlag unmittelbar 
erfaßt und sich mit ihm angenehm löst trotzdem braucht dabei 
subjektive Einheitlichkeit nicht eingetreten zu sein: es fehlte die 
enge Beziehnng des erstes Schlages zu dem subjektiven Erlebnis ; 
nnr der sweite Sehlag, niobt «nch der erste, ging anscbanlieh-gktt, 
mOebte leb Bsgen, in die Erwartung anl Andererseits kann unmittel- 
bar erlebte Erwartung im Interrall da sein, aber der Anteil TOn Oigan- 
empfindnngen ist sebr sebwaeb und ebne eigentliebe Besiebnng an 
der Erwartong; aneb dann fehlt die ersebeinongsniXBige Einbeii 

Noeb eine andere Mtfglicbkeit bietet sieb: es fehlt eine Er- 
wartung des zweiten Seblages; die subjekttren Aufinerksamkeita- 
ersebeinnngen sind noeb nicht ganz, aber nsbezn TOUig abgeklungen, 
wenn der zweite Seblag da ist'). Auch in diesem dritten Fall 
febli — wegen der geringen EuidringUebkeit der Anfmerksamkeits- 
erscbeinungen — die ersobeinungsmifiige, subjektiTe EinheitUebkeit 

Dieser letzte Fall ftbrt uns zu den im AUtagsleben bllufigsten 
FSllen. Wir nehmen Tiele EindrUoke wahr, die in denjenigen 



1) Wm in vielen Fallen von Erwartung, Strebua usf. erscheinnngsmäßig 
da sein kann, Ist In du Arbeit »Ober Organempfindangen und KOrpei^efUhle« 
geiagt. Archiv für die gee. Piyebologie. Bd. XI. 8. 147— S07. 

2 Vp. I ecliihlert dies im Protokoll auf S. 325 mit den Worten: »Sub- 
jektive Einheitliclikoit und Phase IV (ebenabklingende AufmerkMunkeite- 
erscheinuQg) ist nicht dasaelbe«. 




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Beitrag zur Psychologie des Zeitbewnßtseins. 



317 



inflidieii Abatlndan aufeinander folgen, in denen wir Im Experi- 
ment subjektive Einheitlichkeit beobachten, nnd doch finden wir 
keine subjektive Einheit. Der Grand dafür liegt darin, daß im 
Versuch die Verhältnisse nicht so einfach liegen als es zunächst 
erscheint: die Isolierung der zwei aufeinanderfolgenden Schlüge von 
sonstigen Eindrflekeni die Fragestellung nnd die g|inzc Situation 
frifken offenbar mit, nm den eig^tttmlichenfiindmek der Einheitlich- 
keit SQ erzengen. Eine Yp. sagte ganz riditig: »Bei den langsamen 
Oesehwindigketten wire ich gar nieht darauf gekommen, von einer 
Zusammenfassnng zu reden, wenn raieh nieht die allgemeine 
Fragestellung dieser Versuche dazu gebracht hätte.« Uic »Kennt- 
nis«, nicht die >Bewußtheit« davon, daß zwei Schläge kommen, 
ist hier von Einfluß — und so sind diese leicht übersehbaren und 
schwer nachweisbaren Faktoren von besonderer Bedeutung für die 
£rklänmg dieser Befunde. Da uns jedoch dieae Erklärong noch 
nichts angeht, sei dieae Schwierigkeit nnr angedeutet 

Ea ist ohne wetterea yerständlich, daß anniehst die Organ- 
empfindnngen in ihrer EigentttmUchkeit etwas nllher dargestellt 
werden müssen, beror an die weitere Erörterung der subjektiven 
Eiiihciliichkeit herangetreten werdeu darf. 

Der Anteil der Organempfindungen am Ph&nomen der 

subjektiven Einheitlichkeit. 

Die allgemeinsten Tatsachen Uber Organempfindnngen, die an- 
MUDmenznfassen mir im allgemeinen und besonders fttr die m- 
li^gende Arbeit nOtig erschien, habe ich getrennt yerOffentlieht. 
Die Bemerknngen Uber ihre Qualität und Lokalisation und Deut- 
lichkeit scheinen mir bei dem augenblicklichen Stand der Lehre 
aävun nicht unwichtig. Ich darf daher auf diese Seiten verweisen. 

Für unsere augenblickliche Untersuchuiiir ist zuerst derEinÜuli 
der Sinnesqualität der Keizc auf die Körpeiein{)fiudnngen hervor- 
zuheben, die bei Aufmerksamkeitsleistungen antreten. Einigen Vp. 
fiel sofort der grofie Unterschied daawiaohen auf, ob sie bei 
akustisehen oder optischen Beizen auftraten: im letzten Fall sind 
sie sehwicher, nndeutiieher und deshalb viel schwerer zu beobachten 
imd zu bescbreibett. Die lokale Aufinerksamkeit war bei den HOf- 
veisachen in der Ohrgegend stark, bei den Sehversuchen in der 
Augengegend meist schwach oder gar nicht nachweisbar. Dies 
erinnert an die Beobachtungen beim Kollektionsakzent, wo optisch 



318 



F. E. Otto Soboltee, 



sofort eine frewisae Uuinteresaiertbeit und Lcidcuscbuftalosigkeit 
konstatiert wurde. Eine Vp. schilderte den Eindruck der optischen 
Iteize mit den Worten: Diese Heize greifen einen weniger an, sind 
weniger aufdringlich; sie kommen ftinem weich vor im Qegenflatz zu 
dem harten aknstischen. 

Hinsichtlich des Verlauf es der AnfinerkBamkeitseraoheiniuigen 
läßt sich folgendes sagen: 

Gab man in einem geeigneten Abstand nach einem Vorberei- 
tongssignal einen einseinen Uammerschlag od» in grOfieren Ab- 
stttttden je einen Hammerschlag zu hören, so erschien bei den 
meisten Vp. die Aafmerksamkeitserscheinnng sofort nach dem 
Schlag auf beträchtlicher Höhe nnd sank dann mehr oder weniger 
rafloh ab. Es war leioht dahin sn bringen, dafi die Vp. — aunial 
bei Znhitfenahme eines Sehemas — Verlanfiiphaien seheiden lernte: 
so bedeutete im beigefügten Sehema (Figur 3): 

I. die Anfinerksamkeit ist auf ihrer Hohe; 
n. de beginnt eben naohsulassen; 
HL rie ist etwa in der Mitte des Abfalles; 
IV. sie ist eben im Versehwhiden begrifen; 
V. sie ist 'geschwunden. 




Fig. 8. 

Ohne weiterem nind damit auch die Bemerkungen wie die ver- 
ständlich, Wiederau st iri: der Aufmerksamkeit aus Phase III usf. 
Ebenso die Abkürzungen der Tabelle S. 320 wie III« osf. Sie 



Beitrag zur Psychologie des Zeitbewaßtseins. 



319 



bedeaten, daß Typns I bzw. III da war, aber daß doch eine 
KeigHBg bestand, die Erscheinung auch als II bzw. IV aufzufassen. 

Den ganzen Verlauf der £neheii»iDgen von Phase I bia V . 
hat maa mit dem Beebt bttdlieber BeBehreibmig als Anlmerkaam- 
keitBMlnitt beaeiebnet, ea mnBte nnaere Aufgabe Bein, diesen 
Sehritt bei den einzelnen Vp. zn meaaen nnd in seinen Besiebnngen 
znr aabjektiven Einheltliebkeit Uatzolegen. 

Für diese Hesanngen galt nnn folgender Gesiehtspnnkt: 

Der Anfing derartiger Eiacheuningen iat mit TüUiger Genanig- 
keit nieht an bestimmen. Ea ist niebt so, daB man in einem fbrm- 
lieben Bnok die (lokale nnd die allgemeine) Anfinerksamkeit aplirtr 
sondern in dem Aagenbliek, wo der Reiz da iat, ist eine (lokale) 
Anfinerksamkelt da. Infolgedeasen wird ala Anfangspunkt der Anf- 
merksamkeitaersebeinong der Beiz gesetzt nnd eine Latenzdaner 
ala wirklieb oder sobeinbar niebt rorbaaden anfier aebt gelassen. 

Das Ende der AnfinerksamkeHBersebeinong zn bestimmen, maeht 
grofte Muhe. Man konnte daran denken, hier einen Beaktions- 
Teraaeb an machen, indem man der Vp. aufgäbe, in dem Avgen- 
bliek, wo sie merkte, daB die Anfinerksamkeitseracbeinung ver- 
klungen wäre, ein Signal zu geben. Es ist ohne weiteres ersicht- 
lich, daß dieser Weg nicht gut gangbar ist. Es würde zumal 
schwierig aeiu, die lokalcu Aufuicrksanikeitsspaniiungen, die durch 
die neue Aufgabe bedingt sind, von den durch den Reiz als sol- 
chen ausgelüsten zeitlich scharf zu trennen. — Eintlu lier und 
natürlicher ist daher das Verfahren, daß man der Vp. zwei auf 
einanderfolgende Reize gibt, deren zeitlichen Abstand bestimmt 
und fragt, wie sich die Aufmerksamkeit in dem Augenblick ver- 
hielt, wo der zweite Reiz eintrat. Es zeigen sich dann die ge- 
nannten fünf HauptmÖglichkeiteu und Abarten derselben. 

Der einfachste Fall in der Reihe der so geforderten M(ti:lich- 
keiten ist der Doppclschlag. In dieser Hinsicht ist zu bemerken, 
dafi zwei intensiv gleiche, an gleicher Stolle und ganz schnell 
aufeinanderfolgende Heize in einen Akt der Aufmerksamkeit auf- 
genommen wurden; mit anderen Worten: daß in diesem Fall die 
Zweiheit der Schläge keinen Unterschied im Verlauf der Anfmerk- 
samkeitBeiBch einungen braobte. Es war, abgesehen vielleicht von 
einer unmerklichen oder unschätzbaren Intensitätsdifferenz beim 
ein&ehen Reiz das Erlebnis etwa daa gleiohe wie beim ganz kuzen 
Doppebreia. 



320 



P. E. Otto Scbultze, 



Würde nun der Abstand größer, bo linderte eich das Bild zu- 
nächst nicbt: aach hier blieb noch die (spätestens) sofort im An- 
sehloA an den SehJag eingetretene AnfmerkBamkeitserseheinnng 
auf ihrer HShe, ttnt dann sank sie ab — doeb nur aUnlUiefa. 

Die UnterBehiede der xeÜIieben Daner der eimelnen Fhaaen 
sind in den folgenden Tabellen (8. 320, 322, 323) snm Anadraek 
gekommen : 

Vp.I. 





Aknstlseh 


Taktil 




23.NOV 


27. Nov. 


4. Dez. 


4. Dez. 


lü.Jan. 




1906 


19ÜÖ 


19ÜÖ 


1905 


1906 


1 

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IV 


IV 


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6(30 a 


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IV 


IV 


V 


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770 a 




IV5 


V 


IV» 


III 


880 <f 


IV 


IV5 


V 


V 


m 


yyo a 


IV 


IV 




V 


IV 


1210 (T 










lU* 


1820 9 


V 


V 








im 9 










IV 


leSOir 










V 


1880 9 










V 



HiliBlehtlltth der Abktttnuigen P, IIP mw. vgL S. 318 unten. 

Die obige Tabelle ist ans mehrere n \ ersuchsreihen zusamuieu- 
gcstellt. Akustische und taktile liei/o wurden der Yp. I an ver- 
schiedenen Typen geboten. Die FragestelluriE: war »stets die gleiche: 
»In welcher Phase befand sich die subjektive Aufmerksamkeits- 
erscheinung, wenn der zweite lieiz eintrat?« Der Abstand der 
Reize in a ist in der linken senkrechten lieihe angegeben. Das 
Verfahren war stets unwissentlich. Die Reihenfolge der Ge- 
schwindigkeiten war ganz unregelmäßig. Die ächlagpaare wurden 
Je nach Bedürfnis 3- bis 5 mal wiederholt 

Die Versnchsanordnongen der einzelnen Tage waren aber in 
einigen anderen Funkten vencliieden. Am 23. Not. waren keine 
anderen Terenchsbedingungen da als die eben genannten. Am 



j . . y Google 



Beitrui; zur Paycliologie dca Zeitbewußtaeias. 



321 



27. Not. kam die Aufgabe hmza, bei den gegebenen Erscbei- 
nimgen aneh den jeweiligen TjpoB sn beitiminen, irie wir ilin 
ans dem Scbema 8. 280 kennen gelernt haben. Nach dem An- 
hören einee einsigen SehlagpaareB konnten nieht beide Bestim- 
mnngen gemacht werden; daher bestimmte die Vp. innftehit nach 
dem Sehema S. 280 und bei den nftchsten Wiederholnngen naeh dem 
Schema S. 318. Am 27. Ko7. waren nur aknitisehe Beise geboten 
worden; am 4 Des. wurden aneh tiÜLtile nnd optisohe in ent- 
tpreehendem Weohsel gegeben, woTon die taktilen Zahlen in der 
Tabelle mitgeteilt sind. Am 10. Jan. ist eine letzte Seihe gewonnen, 
genau naoh demVerfahren wie am 28. Not., nnr an taktüen GebiId«B. 

Vergleiohen wir nnn die gefimdenen Zahlen miteinander, so 
zeigt sieh eine grofie Tenehiedenheit an den einielnen Tagen. 
Z. B. liegt die (fUr nna wichtigste) Ghrenze awieehen den Phaaen 
m und IT am 23. Not. swiBoheo 660 und 880 am 27. Not. 
zwischen 660 nnd 660 <r und am 4 Dei. swischen 440 imd 550 o. 
Ähnliche Untersohiede zeigt die Grenze zwischen lY nnd Y. Die 
Tabelle zei^ uns also, daß wir mit absolaten Zahlen bei der- 
artigen Versuchen recht vorsichtig sein müssen. 

Zaf^Iigo ScliNvaiikunt^eü, die in der Natur der Vp. ihren Grund 
^'ehabt hatten, sind für die Erkliiriiug dieser Untiracbicde kaum 
beruuzuziehen; denn gerade hinsichtlich der Grenze zwischen III 
und IV gibt die an der gleichen Vp. am 4. Dez. in der geschilderten 
Weise gewonnene Tabelle S. 323 eine hervorragende Konstanz 
unter 42 Versnchen: bei allen drei Qualitäten lictrt diese Grenze 
zwischen 440 imd 495 a. Außerdem zeigte die Reihe vom 
23. Nov. 1905 mit der vom 10. Jan. 1906 beste Ubcrcinstijurnuug, 
wiewohl die Keizqnalitäteo verschieden sind. Am ebcHtt-n nnichte 
ich daher geneigt sein, die Versuchsumstuudc, besonders die Frage- 
Stellung für die gefundenen Unterschiede, verantwortlich zu machen. 

Eine zweite Bedingung ftlr die Verschiedenheit des Verlaufes 
der Aufmerksamkeitserscheinungen zeigt die folgende Tabelle 
S. 322. Ftlr drei Vp. I, V, IX ist an akustischen Reizen geprüft 
worden, welche Aufmerk8amkeit8t3rpen bei den in der linken Reihe 
angegebenen Zeitabständen der Reize eintraten. Die Zahlen für 
Yp. I und V stimmen genügend Uberein ; bei Vp. V sind die Zahlen 
etwas niedriger: die Aufmerksamkeit klingt etwas schneller ah. 
Ganz anders bei Vp. IX. Hier hält die Aufmerksamkeit länger 
an. — Eni bei 825 und 950 a tritt eine Neigung zn stärkerem 



322 



F. E. Otto Schultze, 



Nachlaß ein; dann treten wieder hohe Zahlen, I und II, hervor. 
Bei 2 Sekunden scheint endlich die AufmerkBamkeit zur Ruhe 
gekommm zu sein. AlleiB bei idgte sieh »Anstieg ans nie, 
und bd 4 und 6^ wiid I angegeben. Änfient ehankteristiaeh 
sind dafttr die PfetokoUangaben im letzten Fall: >KoiitinaierIiehe 
HOhel leb bin beinahe nerrSs geworden. leb spllrle Unnihe in den 
Fingeispitaen; iefa weiB niefat» ob iefa sie wirUieh bewegt «habe. 



1 


Vp.1 


Vp.V 


yp.ix 


140 <r 


I 


■ — ■ ■ 


I 


276 «r 


n 


l bis II 11^ 


♦ 
1 


400<r 




II IP m in* 


I 


550 a 




UI UI« IV 


I II 


700 0 


III 


m« V 


I bis II II 


825 a 


IV 


V 


I bis II UI 


950 a 


IV 


V 


n m nr 


1100 a 




V 


n ra 


1375 ff 


V 




U III 


1650 a 






I UI IV 


2000« 






m mbisiT nr y 

AUmühl. Aaitieg 


3000 a 






AuBtieg aas IH 


4000 a 






I 


6000 a 






I 



Sonst habe ich nicht viel gesptirt, vielleicht etwas Unbe- 
BÜmmtes im ilinterkopf.« Ofifenbar handelt es sich hier nicht um 
einfache Aufmerköamkeitserscheinüngen, sondern es kommen eigen- 
artige Reaktionen der Ungeduld Beitens der Vp. zum Vorschein: 
sie gingen nnraerklich hervor ans der Erwartung des zweiten 
Sehlages, der so lange auf sich warten ließ. Der Beobachter 
stellte sieb 'da er den theoretischen Hintergrund der Versnobe 
nicht kannte] nicht streng in meinem Sinn ein: er ließ nicht der 
Aufmerksamkeit freien Lanf niid benutzte nicht bloß den zweiten 
Schlag als Zeichen ftlr einen bestimmten Zeitpunkt des Erlebens, 
den er schildern sollte« 

Noch eigenartiger war das Verhalten eines weiteren Beobach- 
ters: Bei ihm stieg die »Brr^fong« (er .sprach Ton einem lebhaften 
Gefühl der Erregung, einem inneren Zittern) gleich nach dem 
ersten Beiz. an, blieb eine gewisse Zeit auf der Höhe, Uefi naeh, 



Beitrag mr P^dn^ogie dM Zdtbewttßtaeiiifl. 323 



stieg nochmals au und ebbte dann ab. Dieser guize Prozeß dauerte 
23 — 24" und ist in der genaueren zeitlichen Bestimmung der zwei 
Maxima von mir konstruiert worden: im unwissentlichen Verfahren 
bei der gleichen Instruktion wie bei Vp. IX wurde er nach Y4, 
Vs> V4) ^) ^} ^1 3 Sekunden gefragt, welcher YerlAof sich 
gezeigt hatte und bei weksher Fliase er jeweils aogekommea war. 



Rais- 

geachwindig- 
keiten in a 



ÄkaBtiseh 



Takttl 



Typen: 4 6 



6 7 



165 T 
220 o 
27d tf 
330 <r 
986 9 
440tf 
496 <r 
660 <r 

im (i 

770 T 
SSO n 
990 tf 
1100 « 
1820 <r 



II 

II* 

m 
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8 9 



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11 



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4 ö 6 1 7 



8 



12 



V 
IV 



IV 



I 



' v' 



IV 
V 



I 



m 
II 

IV 



rv 



10 



11 



Optisch 



5 6 7 8 9 



10 



11 



V 

1V5 



II 



n 

m 



II 



III 



IV 



IV 
IV 



IV 



V 
V 

V 
V 
V 



Mit L iiier wunderlichen Regelmäßigkeit und mit geringen Sehwaa- 
kuugeu ließ sich an zwei Versuchstagen im ganzen in 33 Einzel- 
versuchen das Gesamtbild dreimal mit nur geringen Varianten so 
konstruieren, wie es in dem Schema S. Hl 8 darjjestellt ist. Nicht 
iminteresgant ist hierbei, daß, je deutlicher der Erregungs- und 
Spannniii:>^zubtaud wurde, um so mehr sich die Aufmerk.suiukeits- 
erscheiüuiigcn im Körper anebreiteten. Zunächst waren sie in 
der ohereu Kürperhälfte, bcBonders im Kopf lokalisiert, dann 
dehnten sie sich auf die initore Körperhillfte ans — Uber die 
Oberschenkel hin weiter hinab bia zur Ferge und ähnlich an den 
oberen Gliedmaßen an den Oberarmen und auch vielleicht (d. h. 

ArUt flkr PBjrehologi«. XUI. ^ 



V. EL Otto Schölts«, 



die Aogmbe darüber blieb zweifelhaft) in dem Gesicht Beim Nach- 
laß zogen sicli die Erscheinnngen förmlich zusammen oder, mit 
anderen Worten, wanderten sie ihren Weg wieder znrttck. — Erst 
bei einem vierten Versuch ergaben sich ähnliche Zahlen wie bei 
Vp. I und V; Anhaltspnnkte znr Erklärung des eigenartigen Vei^ 
lukltonB ließen sieh mit genttgender Beitimnitlieit nieht erhalten. 

Ich gebe somit so, daß die Zahlen der Tabelle von S. 882 llittht gleich- 
wertig Bind. Wenn ich sie trotzdem vcnJffcntliclie, so tue Ich e», weil ich 
glaabe, damit ein aaregendea Material za geben. Die Haaptacbwierigkeit lag 
in der Übung der Vp.; es Ist leldar ein» Folge nnseres UniTerritittabetriebee, 
daß dl« Yp. Öfter« weeMii mUMea» «ad dafi maa aar w«flig« Vp. fladat, dl« 
über mehrere Semester an der gleichen Arbeit helfen und so mit ihrrm Q, - 
fHnkcn^nf^ an dem übun^fortschritt der Selbstbeobachtung teilnehmen 
körnten. Aach hierin zeigt sich die Notwendigkeit eingehender gegenseitiger 
Yflistiadigung nriachea Vp. nnd VerBiiehflltiter aad die UBTena«idbariEeit 
d«r AaifragaBg der Yp. bei der^PiotokoManfartm«. 

Die Anfmerksamkeitserscheinnngen in ihrer Beziehung 
aar Bnbjektiven Einheitlichkeit nnd den lonttigen Typen. 

Von besonderem Intereiee maßte nnoli diesen Erfidurnngen das 
Verhalten der »Oigtnempfindnngen« xa den einielnen T}pea sein. 
Die Frage erforderte k^e nene VenraebMnordnnng. In den 
S. 320 nnd 821 geiehilderten Yenneken Tom 24. nnd 27. Kot. nnd 
anderen geeigneten Yenraolmi wurde die Yp. aUmftUieh Toilwreitet^ 
dieser recht schwierigen Beobaditnngen Herr an werden. 

Die Vennohsanordnung ermöglichte beliebigen Wechsel zwi> 
sehen akustischen, taktilen und optischen Schlagpaaren. Im un- 
wLSbciitln-hcu Verfahren wurden bei sprunghaftem Wechsel zwi- 
schen den drei SiuucBijualitiitcn uud den g-egebcucu Geschwindig- 
keiten der Vp. die Reizpaare jeweils flinfmal geboten. Die 
Instruktion lautete: Achten Sie stets darauf, welche Typen Ihnen 
bei der kommenden Gruppe entgegentreten. Insb t sondere at hteu 
Sie darauf, ob es Fälle gibt, wo subjektive Aufnierksamkeits- 
erscheinungen noch da sind, vio aber buhjektive Einheit fehlt. 
Geben Sie nach dem Auhüren der Schläge in Übereinstimmung 
mit den hjeideu Schemata, die Sie in der Hand haben bchema 
S und b. 318), zunächst die arabische Schemanummer und 
dann die römische an. 

Angaben der Vp. nach Schluß der Beobac^htungen : 

»Bei demselben Reizpaar ist es unmöglich, zugleich auf beide 
Fragen an achten. Ich habe meist zwei Versnche znr Beobach- 



Beitrag nr Psychologie dei ZeitbewnOtadi». 



325 



taug für das eine Schema und zwei für das andere Schema ge- 
brancht. — Der Bindrnck des Ganzen ändert sich durch die Ände- 
rang der Einstellang der Aufmerksamkeit. So fehlte mitunter bei 
der sweiten EinstoUiuig der Eindruck der Einheitlichkeit der Reize, 
der zuerst dagewesen war. — Sabjektive Einheitlichkeit ist nioht 
einlach dasselbe wie Phase IV. — Bei den optischen Venmehen ist 
die Angabe der Gruppierung sehr schwierig, besonders ob es sieh 
um ol^ektiYe oder sabJektiTe Einheit handelt« — 

Aas diesen Versncben eigibt eieb, daB akostiBch nnd taktil die 
KoUektio|serscheiniuigen stets in das Bereich der noch lebhaften 
oder sicher nachweisbaren Anfmerksamkeitserscheinungen fielen, 
während die sabjektive Einheitlichkeit samt ihren Grenzfalleu 
wesentlich mit der im Schwinden begriffenen AufmerkBamkeit ver- 
bunden war. Wenn in der Tabelle S. 323 Typus 10 mit V zusam- 
men vorkommt, so ist das kein Widersprach, denn Tvpus 10 setzt 
als nndeutliclie subjektive Einheit auch subjektive Erscheinungen 
vuranB, also miudesteus Phase IV; außerdem kommt hierAlr die 
Protokollangabe der Vp. in Betracht, daß durch die Änderung 
der EinsteDung der Aufmerköauikeit sich der Eindruck änderte 
und vieles SL lhätiindig erschien, was vorher einheitlich war 

Daß die subjektive Einheitlichkeit wirklich mit den Aufmerk- 
samkeitserscheinuiigen zQsainniiuhängt, scheint mir auch po kein 
Zweifel zn sein. Sicher ist aber ebenso, wie schon betont, Typ 9 
nicht dasselbe wie Phase IV. 

Nun noch einige Worte Uber den Einfluß des Willens auf die 
subjektive Einheitlichkeit. 

Wie frtihere Bemerkungen ergaben, entwickelt sich die lätig- 
keit der Zusaramenfassnng häufig ungewollt. Es lie^-t (l.ilier nahe, 
zu fragen, welches die Grenze der Fähigkeit willkürlicher 
Zusammenfassung von sukzessiven Reizen ist. Die Protokoll- 
angaben der Vp. weisen darauf hin, daß willkürliche ßewcgune-cn 
oder Ändernng der Bewegungen in der Stirn, in der Ateramusku- 
latur und den Gliedmaßen hierbei die eutsi lieidende Kolle spielen, 
bo wurde wiederholt angegeben, daß eine \s illkUrliche und an- 
schauliche Zusammenfassung im Sinn dessen, was wir als subjek- 
tive Einheitlichkeit bezeichnet haben, gelang, wenn die beiden 
Reize z. B. in die gleiche Phase der Inspiration fielen. Die so 
gefondene Grenze der snbjektiTen Einheitlichkeit ist jedoch nicht 



326 



F. K Otto Schnitze, 



sehr viel hoher als die der spontan eingetretenen snbjektiTen Em* 
beitliehkeit Mit Sicherheit konnten swei Reize sn ansehanlieber 

unmittelbarer Zusammeng^ehörigkeit yon Vp. I noch bei etwa 1870 0 
Abstand zusammengefaßt werden; ebenso von Vp. II. Bei Vp. III 
fanden sich etwas liüliere Werte, 23üO o bis za fast 5 Sekondeo, 
doch dann war der Erfolg nicht stets sicher. 

Wenn man in anderen Yersitehen sich gegen die sabjektife 
£inheitliehkeit wehrte, dann htfrte bei Vp. I and X jede gegeiH 
seifige ansohanliehe Besiehnng der Reise schon bei 990 a auf; 
nnr Yp. II gab auch bei 1880 a an» noeh gelegentlieh subjektive 
Einheitliefakeit erlebt za haben. — 

§ 10. Beiiehugen von Kollektiousakzent, sabjekliver Eiikeit- 

liehkeift uid Bhyfthniis. 

Bereits am Schluß de» Paragraphen 8 über den Kollektioiu- 
akzent war bei der Würdigung seiner Bedeutung im seeUscben 
Haushalt unter anderem auf seine Besiehnng zum Bhythmas his- 
gewiesen. — In dem eben abgesehlossenen Furagraphen Uber 
subjektiTe Einheitlichkeit ist die Ünnnttelbarkeit des Zusammoi- 
hanges der akustischen und taktnen ErsebeinuDgen mit den im 
phänomenalen Ichranm auftretenden Komplexen von Körper- 
eni})findiiügen betont worden. 

Diese beiden Momente kommen nun im ßhvthmuö zusammei} 
als dessen Uauptkomponenten vor. Der Intensitätsunterschied der 
Reize und ihr regelmäßiger zeitlicher Abstand scheinen die Hilfis- 
mittel zu sein, mit denen die zweifache Einheitlichkeit eneielit 
wird: die Euiheitliehkeit der Reize untereinander und die Etnheil- 
llchkeit der Reuse mit den suhjektiren Erscheinungen der Aaf- 
merksamkeit, des Mitgehens und der Erwartung. 

In der sogleich zu schildcindcu Versuehsauurdnung zur Er- 
zeugung rh}i;hmiseher Erlebnisse brauchte nur auf den regel- 
mäßigen zeitlichen Abstand und auf den Intensitätsonterscbied 
Bedacht genommen zu werden. Alles andere, und zwar das Wick- 
ügstey kam in der Vp. selbst hinzu. Hierüber das Protokoll 

Versaehsanordnung. Vp. I, Zeltsinnappant; et folgen bei jed« 

Yersach vier Reize mit einem Abstand von je 3/4 Sekunden aafeinander. Dv 
eri^te und dritte Reiz sind deiitlioli lauter als der zweite und vierte. Der 
erste und dritte und der zweite und vierte sind pnarweise in der Intensität 
einander absolat gleich; der Intensitütsuntcrschied iut durch die £istchaUafl|^ 



biyilizüü by GoOglc 



Beitrag zju Fsyohologie des Zeitbewußtaeins. 



327 



flisM FlfiaaigkeitBwidBntuides ermOgU^t Zw Sicberung der Beobaehtmigeii 
wird jede Gruppe Ton vier Selilligen mit knnmi Pftneen ▼OB swn Sekondeo 

Tiermal geboten. Als Reizapparat funktionierti wie üBten »gegeben, bei den 
einzelnen Yersachareihen jeweila der SchtUhiumner oder der Fankensieber 
oder der Indoktioiiaappftrat 

1) Vereueh mit SohAllhtmmoricbllgen «le Reisen. 
Angaben der Yp.: 

Die ertte Gruppe worde im Bbythmna | * « | ; . | aofgefaßt; die 
tveite Gmppe Inntete gewieeemmßen I • • ! • | . Ee wnrde nlio die 
Bliytfamlftiening erst bei der iweiten Gmppe tob vier ScbUgen dentiieb ni 
dier Bhjtbmidemng det ganten Gebildes. Bei der dritten Gmppe eisebien 
dar eiste SeUsglanter nieder dritte, so dsß der Bbythmns war: ]l ^ • .. 

In der Hatigegend traten dabei Empfindongen anf, die in der Inteneitit 

etwa den Schallschlägen entaprachen; der stilrkere tsktile Eindnick schien 

weiter nach außen in der Haut lokalisiert zu sein, als der scliwachc. Diesea 
taktile Gebilde erschien dem akustischen gegenüber als eine Ver^rruberunfr. 
Außerdem traten Hewegungsinipulac auf, die al.-* t iue Art Auecliweilen von 
innen heraus erlebt wurden. Diebes Anschwellen trat bloß als eine Art \^or- 
itoß, nieht ab BUekstoß ein nnd batte Erwsrtnngschsrskter. In der Obr- 
gegend war niebts yob Empfindongen wahnnnebmen. 

% Optische Vermache mit dem Funkonzieher im schalldichten 

Kasten. 

Eine Rhythmisiening trat nur ein, wenn Bich eine Erinnerung an die 
TOfsngegangenen SebsUdndrIleke aufdrängte, oder wenn leb wülkflrUeh 
ATthmisehe, motorisebe Eiscbeinnagen, besonders in der Lippengegend, er- 

xeogte. Der hierbei eintretende rbythmische Charakter war auch an die 
optischen Reize {rebunden, in d^nen sich flii^chaulich aoch noch ein Merkmal 
der Über- und l'nterordnuDg zeigte. Wenn die optischen Eindrücke allein 
aojgefaßt wurden, fehlte jeder Rhythmus. 

3) Taktile Versnche mit dem Induktionsapparat 

Der Eindruck der taktilen Rhythmisiening war dem der nkustibchen etwa 
gleich und von dem der oi)ti8("hen •riinzlidi verschieden. Für die taktile 
kbythmiaierang selbst kommt der KoliektionBakzeut gauz woseutlicb in Be- 
tneht; RbythmiBiening ist nicht bloß der Eintritt von intensiv verschiedenen 
lekslen Aufinerkssrnkeitserscbeinungen. Dieae letsteren bestsnden in ge- 
l^genäichen Wsbmehmungen won motorisehem Cbatakter; sie waren im Kopf 
lokditiert, zeigten eine Bewegung von innen naeb links außen in deutlieber, 
nitlicher übercinatimmuno^ mit den taktilen Reizen. 

Außerdem zeigte eich eine Neigung zur Wiedergabo der akustischen 
Eindrücke, gleichfalls iu doutUcher zeitlicher Übereinstimmung mit den taktilen 
Bözen; es war, wie wenn diese SchaUeindrilcke dumpf mit der Stimme wieder- 
gigeben wurden. AnflUlend fein war der Parallelismus der LitensitXt der 
Belle und der subjektlren rhythmiieben EFSobeinnng. 

Dieses Protokoll zeigt, daß die Zusammenfassung der Sehlil^re 
III einem Ganzen nicht »ofurt da war. ZaerBt hieß das Schema 
' I • t I • If d. h. je zwei Schläge bildeten eine Einheit; die 



328 



F. E. Otto Scbultzd, 



ABfaogwellUge dieser Einheiten standen gleichwertig nehenehiandcr. 
Dann tnt dn anderes Gehilde anf : | : , : • | . Damit ent m 

gesagt, daß also auch 2 nnd 3 zusammenhingen. Im nSdütMi 
Fall treten, wie die Vp. selbst angibt, Inteusitatännteröchiede ein: 
der erste Schlag war lauter als der dritte; | • . • . | wurde dir 
mit die Formel des Ganzen. 

Die Frage lautete nun: wodurch wird diese Einheit erxeogt? 
Sieher sind die regelmäßigen zeitlichen Abstände der Schlage 
sehr wiehtig; ftr den, der die liier geschilderten Versnehe niebt 
kennt, sogar das einzige. Es mag auch noch ein hesondens 
Moment der Über- nnd Unterordnung hinzukommen; daittber 
könnte ich zurzeit noch nichts aussagen. Sicher ist aber, daB 
der Kullektioubukzeut und die subjektive Einheitlichkeit Haupt- 
komponenten desRen sind, was wir rhythmisches Erlebnis nenneu. — 

Nach Anhören der akustischen und optischen Erscheiuoiigeo 
ist dies unserem Beobachter beim Auftreten der taktilen Gebilde 
besonders klar geworden, denn diese ihnein den akustischen sehr 
stark und sind von den optischen sehr yersehieden. Daher die Be- 
merkung: »Fttr die taktile Bhythmisierung kommt der 
Eollektionsakzent ganz wesentlich in Betracht!« 

Aber nicht nur der Kollektionsakzent ist entscheidend; man 
mulj, wie gesagt, oft von einem doppelton Charakter der libyth- 
misierung sprechen. Bei diesen Versuclieii kommt das bei den 
optischen Erlebnissen besonders deutlich zum Ausdruck, denn hier 
fehlt der Rhythmus von Natur aus so gut wie völlig oder yoll- 
Ständig. Nach Angabe der Vp. trat hier ein rhythmischer Charakter 
der Beize entweder durch Erinnerungen an die Torangegangenea 
Schalleindrttcke von rhythmischem Charakter oder durch wiDknr- 
lieh herbeigeftihrte Kttrperempfindungskompleze dn; stets war er 
au die optischen Heize gebuüdeu. 

Für das Alltagsleben sind die :ik astischen und motorischen 
Rhythmen am wichtigsten. Sie sind selten »reme« Fälle; meist 
sind bei den akustischen Rhythmen Kollektionsaksent nnd sub- 
jektiv vereinheitlichende motorische Begleiterscheinungen gegeben; 
teilweise (so bei den langsameren Geschwindigkeiten der Tsas- 
mnsik) sind die letsteren sogar ttherwiegend. 

Die reinen motorischen Erscheinungen ihrerseits haben die 
htfehste rhythmische OUedemng im Tanz erfahren. Dessen Aaa- 
lyse ist aber besonders schwer, experimentelle Beobachtangcu nnd 



biyilizüü by GoOglc 



Jkitng cur Fiyehologie 4ot Zcitbowiiiltsdiie. 



329 



Auordnuiiij;eu fehlen; die Schaukel für deü ganzen Körper oder 
Kurpertcile küunte hier von BedentuLio^ werden. Dies Thema ibt 
als Ganzes somit nicht als abgeschlossen auzosehen. Ich möchte 
daher nur die eine Fragestellung aufgeworfen haben: Wa^i macht 
die motorischen Erlebnisse von rhythmischem Charakter so be- 
sonders einheitlich? Auch die Frage ist hier au8drMrkli( h als 
noch nicht beantwortet hinzustellen: Wodurch erscheinen bei den 
uütersuchteu (kbiiden von subjektiver Einheitlichkeit z, B. aku- 
stische Gebilde und Korj^ereinptindungen so einheitlich? Sind hier 
auch KollektiouBakzente anzunehmen, oder was hegt vor? Erst 
entsprechende Versuche werden uns darüber belehren können. 

Der Zusammenhang zwischen Kollektionsakzent und Rhythmus 
ist fUr sich uoch besonders herrorzuheben. Bisher hatten wir nur 
geieigt, daß der EoUektionBakzent eine wichtige, wenn auch nur 
eine gelegentliche Komponente des rhythmieohen Erlebnisses ist 
Daß beide auch dem Meehanismos nach eng zosammenhängen, 
scheint mir daraus her?orzQgdien, daß bei optischen Gebilden 
BhythmuB und Kollektionsakzent gleich wenig ausgebildet sind, 
wiliTend sie akustiscii und taktil (besser dynamisch) sich beide 
^t entwickelt erweisen. 

Eine genanere Unteimchang des YerhältniBaes Ton Bhythmns, 
KoUektioosakicnt ind beglMtenden Organempfinduigskompleien 
würde sn eingehenden Disknssionen und somit snweit vom Ziel 
der Analyse ein&eher seitUeher Gebilde aUtthren. 

§ 11. Sinnliche und gedankliche Begleiteriebnisse der geschil- 
derten zeitlichen Gebilde. 

QedanUiehe Erlebnisse waren hei nnseren Versnohen nicht 
sehr selten; sie sind jedoch keiner ansdrileklichen Untennichung 
unterworfen worden. Anf ihre Hinfigkeit nnd Eindringliehkeit 
wlixde die Anfinerksamkeit des naehträglichen Beobaehtens einen 
sehr starken Einflnfi haben. Es genügen hier folgende Angaben: 
Die Gedanken bezogen sich meist anf die Schläge, auf die kom- 
menden und die eben vergangenen. So z. B. die Gedanken: 
»Jetzt konmit der zweite Schlag« oder »er muß bald kommen« , 
»kommt er denn nicht bald?* oder »er muß aber bald kommen« 
oder »Kh}thLuiiü umkehrcü 1 - oder »das Tempo möchte ich mit 
dem eines bekannten Liedes vergleichen« oder weiter »das muß 



330 



F. £. Otto Sebnltse. 



ein DoppelfldiUig gewesen sein«. Derartige Gedanken waren meut 
in Wortfiagmeiiteii oder in nicht weiter analyeierbaren Bewaßtsdns- 
lagen gegeben. 

Auffallender waren die ansehanliehen Vorstellnngen; sie 

traten mannigfach ein. Teils Erinnenmgen an bestimmte Erleb- 
ui8se, meibt aber Vorstclluugeu der hier nntersnchten Typen oder 
echte Phantasievorstellungen. Die Lokalisation dieser Erschei- 
nangen ließ sich bisweilen sehr deutlich hinsichtlich der Rich- 
tung, meist aber sehr unsicher dem Abstand nach beschreiben, 
den sie scheinbar zum lehkomplez der Vp. einnahmen. Besonde» 
hKnfig war dieser Abstand der der Leseentfemniig. 

Gemeinsam war, dafl solche Yeranschanliehmigen nur bei 
langsamen Geschwindigkeiten anftraten. Wenn man ii 
einer Versuchsreihe Reizpaare aufeinanderfolgen ließ, die zuerst 
laiig;hame, dann sclmellere uud dann schließlich wieder laiii:samere 
Geschwindigkeit besaßen, so tratt'u bui zunehmender Gesell wiiidig"- 
keit die Begleiterscheinungen allmählich zurück, bis sie scblieUlieii 
ganz verschwanden. Bei zunehmender Geschwindigkeit traten sie 
wieder ein nnd nahmen an DeotUchkeit an. Dieser Umstsnd iit 
Ton giofier Bedentang, da er eine Analogie tat das Eintreten bsw. 
den Wegfall TOn Erscheinungen bei der Einttbuig büdei ils 
Ausnahme mnB es gelten, daB noch bei einer Seblagreibe fon 
208 Metronomschlägen in der Minute sieb ciümal da.^ optische 
Bild einer Turlnne, die den Schlägen entsprechend nach rechts 
nnd links Wasser ausspritzte, längere Zeit erhielt. Nicht selten 
nahmen derartige Erscheinungen bei Wiederholung des gleichen 
Versuchs an EindnngUchkeit und Deutlichkeit zu. — Solche Ge- 
bilde traten bftufiger in den eisten Wochen der Versuche aU 
später auf. Es mochte dies damit ausammenbingen, daß dsmili 
Yon den Beobachtern alle Erscheinungen au Protokoll gegebes 
wurden, und daß die Aufmerksamkeit in keiner Riehtung einge- 
schränkt war, während spater mehr bestimmt gerichtete Einiel- 
beobachtungen gemacht wurden. Ferner war bei den unregel- 
mäßigeren und klangreicheren Metronomschlägen die Neigung zo 
derartigen Erlebnissen ungleich größer, als bei den kurzen uod 
unmusikalischen, sehr gleichartigen und präzisen Schlägen d«s 
elektromagnetisohen Hammers. 

Es zeigten sich auch hier alle Obergänge tou den gani 
yerblasenen Erscheinungen zu den frisch ansehaulicbeii. 



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Beitrag zur Psychologie des ZeitbewafiüMilUi. 331 

Von der blotten Erinnemiig» z. an einen pompOsen menachlicheD 
Sehiiity nnd von dem Gedanken, s. B. an ein Lied mit gleiebem Rhyth- 
miifl, das selbet niebt genannt werden konnte, fttbren F&lle Uber 

n den lebhaftesten Sinneserscheinungen. So entsprach z. B. dem 
Verschwind eu dcB erütcu Schlageö und dem Wiederau f treten des 
zweiten das Bild von Telegraphenstangen und Drähten, wie man sie 
oft beim Fahren im Eiseubahnzng sich heben und senken sieht, oder 
das Bild zweier Bewegungen, wie wir sie beim mähenden Schnitter 
beobaebtea, oder einea Doppelbiebea. Qana dentUcb war in einem 
anderen Fall das optisebe Bild eines Springers, der gleieb beim 
ersten Seblage mit einem FnSe aaftprang und das andere Bein 
dann fest ansetzte. Der Zeitabstand beider Spmngbewegungen 
fiel zosammen mit dem der taktilen Reize; das Bild selbst trat 
nach dem zweiten Reize ein. Ein ajickrnuil wurden zwei Schmiede, 
üie auf einen Amboß aufschlu^'cii, geseiieu oder eine PerBon, die 
markiert auftrat; ähnlich ein Mann, der auf der Mitte einer laugen 
Brettschaokel stand und wie auf einem sweiannigen Ilebel der 
Beizfolge entspreehend mit dem linken nnd reobten Fnße nieder- 
trat nnd rieb wiegte. Aneb hier war die Gesebwindigkdt Ton 
der der objekttren Beize abhängig. — Bei einem Versnebe, in 
dem fltof SeblSge von gleicher absohiter Stärke mit einem Abstand 
von etwa 400 a gef:ebeii wurden, trat cm subjektiver Betouungs- 
uüd Ge9chwiiidigkeit8uiiterschied ein. Der erste Ton war lauter 
nnd die erste Pause länger als die folgenden entsprecheudeu 
Glieder des Gebildes. Dem entsprach die optische Erscheinung; 
ein Notenkopf etwas tlber der Linie nnd vier andere etwas tiefer. 
Se traten ziemlioh nnmittelbar nach der Beizreibe anf. 

Viel dentlieher tritt eine mehr abstrakte Art der Phantasie- 
tttigkeit in anderen Yeransebanliehungeu anf. Wellen- oder Bogen- 
linien yon wechselnder Steilheit und Krtlmmong zeigten sieb optisch 
bei mehreren Vp. Sie wechselten zwischen großer Flachheit uud 
großer Steilheit, doch nur gelegentlich standen Flachheit und Steil- 
heit in regelmäüiger Beziehung zur absoluten Geschwindigkeit der- 
daß die flachen nnd langen Wellen der langsamen, die steilen 
und kurzen der gri^Beren Gesohwindigkeit eutspraohen. In einem 
Fall fanden sieh bei einem Abstand der zwei Metfonomsehläge von 
IVs Seknnden zwei sehr steil ansteigende nnd ebenso abfallende 
Unia in dentlicb gegenseitiger Entfernung vor. Bei zwei Schlägen 
nüt einer Sekunde Abstand, die durch eine kleine Erwartungspanse 



332 P< £• Otto SehnltM, 

getrennt wvren, hatte eine Vp. das optlsehe Bild einer Welle» 
die beim ersten Beiz anfttieg und dann wieder mm FuBpnokt 
snrttekilel. Der nim einsetunden Erwartnngspaiise entipneh 

eine kleine Panse aach im Verhalten des optischen Bildes, denn 
eröt üacli der Pause stieg die Linie wieder auf. 

Eine andere Vp. bah in ganz verscbiedenen Zeiten wiederli It 
beim Anhören von Doppelschlägen Stäbe von 1 — 2 Zoll Länge 
nnd nicht angebbarer Farbe in verschiedenem Abstand vor sieh; 
bei der größeren Geschwindigkeit der KollektionBerseheiniingea 
standen sie ziemlieh nahe beieinander, etwa 3 mm gegenseitig 
entfernt Bei langsameren Qesehwindigkeiten wurde der Abetsnd 
großer, sie wurden nndentlich nnd verschwanden. — Eine andere 
Vp. sollte zwei ZeitabBtände von 550 und 990 a vergleichen. 
Hierbei traten nacheinander zwei Linien auf, »wie wenn sie erst 
gezogen wurden«, die erste kürzer als die zweite and tibei ihr 
befindlich. 

Zwisehea der ersten Gruppe sehr anschaulicher VorsteUuagen 
und der aweiten mehr abetrakter Gebilde in der lUltte stehen die 
FSUe, wo optiseh eine Kugel htam ersten Sehlag im Gesichtsfeld 
auftrat, im Bogen auf eine FlMche auftraf und beim zweitett 

Schlag wieder emporsprang. 

Diese Fälle sind nun verschieden von einem anderen Faii, lü 
dem sich der Vp. zwar ähnliclie optische Bilder aufdräng-ten. die 
jedoch die Reproduktionen der Kurven waren, die ihr bei der 
Analyse der Erscheinung zur Veranschaulichung der Untersebiede 
in dem wiederholt genannten Schema tou S. 280 gegeben waren. 
Dieser BeolMuditer konnte seine Angaben teilweise nur mit Hilft 
dieser anschaulich vorgestellten Schemata machen. Alle anderen 
Vp. hatten bei genügender Obnng nichts yon derartigen Kurven 
zur Bestimmung des ihnen gebotenen Types nötig gehabt. 

Schließlich gehören hierher Fälle, die an anderer Stelle bei 
der Erörterung der Aufmerksamkeit^) berichtet worden sind. Es 
bandelt sich um optische und taktile Gebilde, die im Kopfinnem 
auftreten nnd gelegentlich den lehraum ttberschreiten. 

Abermals tou diesen Erscheinungen yerschieden sind andere, 
ziemlich seltene FSlle, nämlich die der mehr oder minder anscfaai- 



1) Vgl. dazu meine Aibuit >Übcr OrprfinL'iujjündungeu uu^i Kürpergeftlhle 
(Dyuamieu)«. Archiv für die gee. Pgycliologic. BU. XL S. 14B S, 



k 



biyilizüü by GoOglc 



Beitrag zur Psychologie des Zeitbewui^tseins. 



333 



fidien Wiederkehr des eben erlebten Beizes. Wn ndt mifit dieser Tat- 
sache große Bedeutung bei seiner Theorie der zeitlichen Gebilde zu : 
er meint, daß alle zeitlichen Gebilde rhythmischen UrepningetJ sind 
und beweist dies aus der eroßen lieproduzierbarkeit von Keizen. 
Die große Zahl von Versachen, die Toa uns gemacht sind, haben 
diesen Vorgang, wie gesagt, nni aelten aufgewiesen; wir konnten 
nieht die Froiente ansreehnen, denn bei den vielen Tansenden von 
EhuelTersnehen kam er nu wenige Male vor. Ks sind im Protokoll 
Bsihen von mehreren Vers aehs stunden mit vielen Einselvei^ 
sieben gegeben, wo niehts derartiges eq finden ist, und in denen 
die Vp. mit grußer Treue analysiert hat. Ferner widerspreclieu die 
Erf.ih runden im Alltagsleben ganz der Möglichkeit einer so starken, 
weilgehenden Verallg:emeiDerung. Wo müßten wir denn hinkommen, 
wenn sich alle optischen und akustischen Reize wiederholten? Wie 
könnten wir im Verlauf eines Musikstückes die Generalpanse als 
Pause erleben, wenn die anletat geborten Inhalte noch einmal repro- 
dosiert werden mttfiten? — Individuell sind die Kdgungen zur 
Beprodnktion versehieden stark; binfige Wiederholungen dürften 
aber bereits das Gebiet des Normalen ttberschreiten. 

So leicht verständlich einer oberflächlichen Betrachtung diese 
Erscheinnngen vorkommen mögen, so klar war ihre Gesetzmäßig- 
keit nicht stets. Zumal zeigten sich nicht stets einfache Farallel- 
Tcrbältnisse hinsichtlich der Quantität der Komponenten. So war 
bei dem genannten Bild des Doppelhiebes das Verhältnis der 
QssntitUen umgekehrt: in der aknstiseben Soblaggmppe war der 
eiste Sehlag sebwaeh und der aweite stark, der erste Hieb aber 
war stärker als der sweite. 

Auf eine Theorie der Vorgänge einzugehen, lohnt bei dem ge- 
ringen Material nicht. 

§ 12. Sekeinsinnliehe Naehdauer und Bewußtseinsunfang. 

£ine weitere Aufgabe unserer Darstellung ist es, das eigen* 
tUmUebe Erseheinnngsmoment der seheinsinnliehen Naehdauer noeb 
mehr heTaassuheben, das bereits früher gestreift worden ist und 
das mit anderen Merkmalen leiebt verweehselt werden kann. Das 

Eigentümliche daran ist das, daß der eben erlebte Eindruck ftlr 
einen Augenblick wie mit sinnlicher Anöchauliciikeit und 
Frische in der Erscheinung anhält 



334 



F. £. Otto ScbolUe, 



Im Alltagsleben finden wir tthnlichee. Aebten wir s. B. anf 
das Tieken der Tasehennhr: HOren wir jetzt den einen Schltg 

und einen Augenblick darauf nichts weiter als den nächsten 

leiseren? Ich meine Nein; es ist einen Augenblick so, wie wcde 
der erste zusammen mit dcui /.weiten da wäre! — Anders bei dem 
ganz langsamen Fendelsehlag der 1 nrnmhr. Da ist der erste ganz 
vorbei, wenn der zweite erscheint. Charakteristische Angaben der 
Vp.| anf die ich mieh hierfür berufen kann, hmten folgendermaBen: 

yp. I aagte, iIb drei HammendilSge mit einmn Abstand von je 44 ^ auf- 
einanderfolgten: »Kaehdem der dritte SeUag verschwunden ist, ist für einen 
Augenblick der Gesamtelndniek dieser drei Schläge noch da. Alle drei 

B' hliifTf^ klinpcn in gleicher Weise nach. Eine sinnliche Erscheinung übe^ 
dauert die lieize; ein Eiuüiuck, der dem Ausklingen eines Akkordes v«^ 
gieichbar ist« 

Vp. III sagte bei einem Abstand der drei Hammerschlage von je 303 «: 
»Der erste ist beim Eintreten des nächsten und letzten nicht mit voller siaii* 
lleher Frische, aonden in sinnlichem Naehhall da; er ist gletchsam Tergeistigt» 
er doniiniert im Gänsen.« 

Vp. IV: »Der erste Beis ist aoeb Im Bewnßlaein, wenn der sweite da- 

tritt; nicht mit der Frische der Sinneswaliniehmung, aber doch mit EMbe. 
£• ist eine Art Naehhall, die einem so sehr aafinuit« 

Anf optisebem Gebiet worden mit dm Vberspringenden Funken 

des Fuükeaziehers entsprecheude Beobachtungen i^emacht. Aach 
an bewegten Gegenständen läßt sich ähnliches finden: wenn ich 
die Bewegung eines Gliedes z. B. von rechts nach links in nllen 
Phasen auf daaaelbe Stuck Papier mit voller Ausfüllung des 
Raumes zeichnen wollte, so bekäme ich einen langen Fleck, 
dessen eines Ende die eine Seite des Bildes wSre, von der 
ans sieb die Bewegnng entfernte, nnd dessen anderer Band des 
Sehattenrifi der Seite des Gliedes bildete, nacb welcher die Be- 
wegung yerlanfen war. Wenn ieh aber eine sebnelle GM- 
bewegung sehe, so daß der Anfang der Bewegung noch im Be- 
wußtsein des Beobachtenden ist. wenn das Ende bereits erreicht 
ist, 80 fmde ich von einer eoluheu Verwischung nichts im Bewußt- 
sein vor; gegeben ist nur die Bewegung des betreffenden Gliedes 
in scheinsinnlicber Naehdaner. Bei langsamen Bewegungen fehh 
das Phttnomen ttberhanpt, nnd bei sehnellen ist es so nnscharf, 
daß eine zeitliehe Messung nicht stets möglich ist tf an denke 
an einen Vogel, der die Lnft durchschneidet nnd Tielleioht diekt 
an nnserem Gesieht Torbei jagt »Im gleichen Moment war er 
iiier und achon wieder dort«, sagen wir. 



biyilizüü by GoOglc 



Beitrag nur Paychologie des Zeitbewoßteeins. 335 

An diesen Beobachtungen fHllt zweierlei anf: der eigentumliche 
Nachhall nnd das zeitliche Verhalten der Reize. Emc ^« ntifreude 
Erklärung dieser Merkmale steht noch ans. PhyöikaliBch kann 
der Nach ball nicht erklärt werden; eine merkliche Kesonauz 
war durch Dämpfungen mit Filz und Watte ansgeschlossen. Ob 
die physiologiMken froseue mitsptolen, die dem Nachbild zu- 
gnmde liegen, Iftfit sieh aiifl der rein beeehreibenden Analyse niebt 
oehentelleii; Tielleieht 11^ hier eine spezifiseb psychologisehe 
Tiktsache Tor. 

Von besonderem Interesse war die eigenartige zeitliche Ord- 
nung der Schläge: der erste Schlag war noch da, aly der zweite 
eintrat, sie erschienen wie auf einmal gegeben; und doch war 
ihre Sukzession deatlich erkennbar. Es war nicht wie bei 
den TriliererBefaeinnngen, wo* man yon Gieichaeitigkeit in viel 
strengeran Sinne reden kann, wo aeiflioh volle Ünordnnng hemelit. 
Im TorUegenden Fall konnte man haohstens ron Scheingleiebzeitig- 
keit des ersten und zweiten Schlages reden, nickt Ton psycblaeber 
Präsenz. 

Die beiden Merkmale, den eigentümlichen Nachhall und das 
zeitliche Verhalten der Reize, habe ich mit dem Wort »Schein- 
simiUche Kachdanerc belegt. 

In welchem Verhältnis steht nun diese Erscheinung rar Frage 

diu BewuBttteiiiäumfanges? 

Znr Beantwortong dieser Fftige mOohte ich ohne Voreingenom- 
Dienheit die einzelnen Möglichkeiten darstellen, die man mit dem 

Ausdruck Bewußt^eiubiimfang belegen kann, wenn man dem 
Sprachgebrauch treu bleiben will, d. h. wenn man mit Bewußt- 
Beiusjumfang bezeichnen will, was dem Sprachgebrauch nach 
»Umfang« des > Bewußtseins« sein muß. Diese Anpassung zu 
fördein scheint mir jeder neneren Benennung gegentther das Recht 
gegeben an sein; sonst ist Namenbildnng mehr oder weniger reine 
Willkftr. 

Man kann, wie das anch sonst geschehen ist, das BewnBtsein 

mit einem Strom vergleichen. Dieses Bild hat Air die Frage des 

Bewußtseinsumiauges den besonderen Vorteil, daß es die Doppel- 
imd Vieldeutigkeit dieses Aih^Ii uckea klar werden läßt. Wenn 
man nun auf dieaea Bild den Auddruck Bewußtseinsnmfang au- 
wendet, so kommt man an Tersehiedenen Bedeutungen, die bei 



d36 



. B. Otto Schnltee, 



der zahlenmäßijren liestiiomune: zu <?anz verschiedenen Zahlen 
fuhren. Bewnßt>(t iiij*umfang hielie zunächbt entweder der Strom- 
querschnitt an einer bestimmten Stelle oder die in einem Blick 
übersehbare Strecke des dahinfließenden Stroms. Der letzte Aus- 
druck »Strecke« wäre abermals mehrdeutig: entweder bedeutet 
er einfach die sichtbare Länge des Stromes, bestimmt in linearem 
Maße, oder die lichtbare Oberfläche oder den ganzen Kubikinhalt 
der gesehenen Strecke: Wir hätten somit die Zahlenbestimmiuig 
im Fall des Stromqienohnittes mit einem Flächenmaß vorzniielimeD; 
taat die Strec];:oTimeBBUDg wäre im ersten Fall ein Linien-, im 
sweiteii Fall ein FUtebenmaB und im dritten Fall ein Hohlmaß, 
nötig. 

Was entsprickt nun im £inselfall bei dieser Aofkssang des 
Wortes dem Bewaßtseiosamlang an Tatbestinden? 

Znniehst wollen wir bei dem snsnt genannten Fall des »angea- 
bliekJiehen Bewüßtseinsstrom-Qaersehnittes« bleiben; nennen wir 
üu knn: Shnnltaagebalt Wie hock ist nun s. B. beim Anbliok 
meines Sekreibtisobes die Zahl der gegebenen Teilinhalte dieses 
Qaersehnittes? Die Frage bringt mloh in Verlegenheit: Ist die 
grüne Flttebe dn einiiger Inhalt trotz ihrer GrOBe? Nein, ieh 
sehe Beleuehtongsanterschiedet Banhigkeiten, Flecke nnd Stftab- 
ehen. Wieviel sind es? Ieh lasse die Frage offen, am nicht 
an Nebensaehen hSagen an bleiben. — Bei einem anderen Bei- 
spiel kommen anm Gesehenen Qerttche nnd GesohsDleke hinan. 
Und so fori — Was nnn den Psychologen interessiert, ist die 
Frage: wieviel Einselinhslte können aaf einmal in maximo vor- 
kommen? Wie groß ist die KapaaitSt, die Fassungskraft nnseres 
Bewnfltseins? Wann versagt es? Wann kOrt es anf, EiueUnkslte 
an evseogen? — Nnn denke man an einen Orkan aof dem Meer: 
Gischt, Wellen, Blitie nnd die Sohiffirteile als optische Inhalte; 
Sturm nnd Donner als akustische, das Schwanken des Schiffes, 
das einen hin und her wirft, und den Sturm, der einen an die 
Wand der Kajüte preßt uiul somit KürpereDipüüduugeii auslöst! 
Dazu die Gedanken und trinueruugi^n, (iie einem die Gefahr ein- 
jagt. Oder man stelle sich eine Schlacht vor, ein Riesenfeuerwerk, 
den Straßenturaült einer Weltstadt! — Dieses Heer von Ein- 
drücken will man messen? Es wäre eine schöne Autgabe, denn 

gäbe einen Begriff von der unendlichen Reichhaltigkeit unseres 
Seeleniebens. 




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Beitrag zur Psychologie des Zeitbewoßtaeins. 



337 



Wir kommeo zur zweiten Bedeutung des stritttgen Wortes. leh 

sa^, wir kciuneü die übcrächcuü Stromstrecke mit einem Liüien- 
mafi in ihrer lünge messen. Welcher Seite des Begriffes Bewußt- 
Beinsumfang entspricht das? Soweit ich sehe, der Zeitdauer eines 
ErlebniBsee, das wir unmittelbar überechaaea können. Ließe ich 
eine Orgelpfeife eine Stunde lang tönen, so hätte ieh sicher keinen 
ToUflD Überbliek ttber das Erlebnis. Sehe ick ein Tbeaterstttek 
oder einen Festsog an, hOie iok eine Symphonie oder eine Bede, 
80 kann ieh nachher berichten, vielleicht mit gatem Überbliek, 
eogar mit Kritik — aber einiges ist sicher entschwunden. Und 
während des Erlebens hat vielleicht die Wiederkehr eines Motives 
oder eines OedankeiiK, den ich im ersten Teil des ganzen Gebildes 
emplaugen hatte and der längst mir ans dem Sinn gekommen war, 
mit einem Male belebend auf mich eingewirkt, wiüirend es das 
beim ersten AnhOren gar nicht getan hatte. So kann eine ganze 
Kette Yon froheren Erlebnissen mit einem aagenblieklichen in Zu- 
sammenhang stehen, in einen eingreifen nnd das Seelenleben he- 
stimmen. Man denke an den 17. Teil der 9. Symphonie Yon 
Beethoven, wo von aileu drei Teilen des Ganzen die Motive kurz 
wiederholt werden. Ahnliches geschieht in der Fnge, und das 
gleiche tindet sich bei der Anaphora. 

Ich werde also durch Teilinhalte bestimmt, die bereits aus dem 
Bewußtsein geschwunden waren und die nun pli^tzlich wirken, 
unTennntet nnd rein gesetzmüSig, noch daan, ohne dafi ieh an 
sie an denken oder sie Torznstellen branehe. 

Das ist ein ganz anderes Geschehen, als wenn ich sage, ich 
bm mit einem Inhalt noch beschäftigt, wenn der zweite ehitrüt. 
Diese eigeutlimliche Angabe aber, daÜ etwas noch im Bevvußtöeiü 
ist wenn ein zweiter Inhalt eintritt > ist nichts Seltenes. Man 
fiudet derartiges beim Grübler, der durch JSeuea überrascht und 
fortgerissen wird; ich finde es aber auch bei ganz einfachen Er- 
lebnissen des LaboratoriumsTersuchs; der zweite Hammerschlag 
folgt so schnell auf den anderen, dafi der zweite Beiz schon da 
ist, wenn der erste noch da ist Die Trillererscheinnngen der 
▼erliegenden Arbeit zeigten dies besonders denflich. Auch die 
KDlIektionserscheinungen zeigten ähnliches. 

Wenn ich nun einen Ton oder ein Musikstück anhöre, ho 
seil windet ira Augenblick die Erscheinung, aber es bleibt eine 
Nachwirkung, zunächst eine Art sinnlicher Nachdauer, dann 



338 



F. E. Otto Sehnltse, 



vielleicht ein Nachhängen der Aufmerksamkeit, ein Verweilen bei 
der Erscheinung, die nan nicht mehr sinnlich, sondern unanschau- 
lich (als Bewußtheit?) gegeben ist, und schließlich ist nichts da als 
eine Gedächtnisspur, die durch bestimmte Reize reaktiviert und 
reproduziert werden imd so da« spätere Erleben mannigfaltig be- 
einfluBflen kann. 

Um den Bewußtseinsumfang im zweiten Sinn des Wortes (der 
ZeitMtrecke, in der ein Inhalt noch gegeben ist, wenn ein neues 
Erlebnis eintritt) näher durch Messung zu bestimmen, ist die eben 
dargestellte Seheidiuig zwischen den einzelnen Phasen im Geschick 
der Erseheinnng Torsonehmen. 

Erst hierauf konnte die Behandlung der dritten sieh eigebenden 
Aufgabe fhfien, die Bestimmung des BewufiisdnsieitDmfiuigeB nach 
dem Kubikinhalt. 

Wenn ich mich mit dieser Anschauung gegen den Wun dt sehen 
Begriff des Bewußtseinsumfanges wende, so geschieht es, weil ich 
mich nicht TOn der Richtigkeit seiner Voraussetzung tiberzeugen 
kann. Ich kann nicht finden, daß bei einer Folge <) von 16 Schlägen 
mit 0,2—0,3" Abstand der erste Schlag Uberhaupt noch im Be- 
wußtsein ist, wenn der letzte eintritt; ich kann femer nicht die 
Beobachtung bestätigen, daß in allen einschlägigen Fällen das 
ganze seitliche Gebilde fttr einen Augenblick im Bewußtsein ge- 
geben ist Wandt hebt noch jttngst^) hervor, daß die Hauptsache 
bei dieser Frage der Umstand isti »daß Voratellnngsinhalte dun- 
keler bewußt und dennoch bewußt sein k5nnenc. Diesen Umstand 
kenne ich wohl aus sonstigen Erfahrungen, aber in dem genannten 
Fan der Bestimmung des Bewußtseinsumfanges finde ich nicht in 
entsprechender Weise, daß die Ungst verflossenen, also dunkelste 
SehlSge — wenn auch noch so dunkel — so doch llberhaupt noch — 
im Bewußtsein sind. — Dies ist die eine Voraussetzung, die ich 
nicht bestitigen kann; ebensowenig scheint es mir aus irgend- 
wdohen Grttnden nötig zu sein, daß »zwei aus einer größeren 
Anzahl von Elementen bestehende Vorstellungen« »offraibar nur 
dann unmittelbar als gleich oder als verschieden aufgefaßt werden« 



1) W. Wuadt, Graadsllge der physiologisoheu Psyehologle. 6. Aufl. 

in.Bd. 190». s.a6& 

2} W. Wundt, Kritische Nachlese m Aisfrsfoittethode. AioUv Ar die 
ges. Psychologie. Bd. XL S. 406. 



Beitrag zar Psychologie des Zeitbewoßtseiiui. 



339 



ktfnneti, wenn jede Ton ihnea wftbrand einea IComentes ala ein 
GanieB im BeTrafitBein anwesend war, so dafi der von ihr ge* 
wonsene Totaleindrnok direkt mit dem Totaleindnick der aweiten 
VorsteUttog yerglieiien werden kann.« Wirtk'J steigert diese For- 
demng, indem er an einer anderen, aber hierher gehörigen Stelle 
folgendes sagt: »Zn einer derartigen PrXzisien des VeigldehBorteila 
ist nicht bloß die Bewufitheit der VeigleichsgegenstSnde nnd ihrer 
kritischen Elemente ttheihaapt, sondern insbesondeie schon eine 
hinreiohende Klarheit dieser Vontellnngen nOtig.« — Die Gegen- 
ftage hurtet: Weshalb mttssen beim Yergleiehen die vetgliehenen 
Gegenstinde hn Bewußtsein sein? Wo liegt das Recht dieser 
Fordenmg, in aposteriorischen oder apriorisehen Erwägangen? — 
Mir konmit es hier nicht daranf an, das AnfierbewoBte in seiner 
Bedeutung fUr nneer Seelenleben geltend zu machen, das ist zur 
Genüge von anderer Seite geschehen, ich will bloß den Tatsachen 
gerecht werden: mau kann nicht alle Vergleiche schlechthin als 
Bewußtseiusdata darbtclleii ; die Tatsachen widerlegen derartige 
Voraussetzungen zur Genüge. Notwendig ist nur eine mechanische 
Einheit, innerhalb deren das Vergleichen ablauft; diese Einheit 
kann gelegentlich das Bewußtsein allein sein; sie kann aber auch 
mehr sein: AußerbewuÜies nenne man das Hinzutretende oder Un- 
bewußtes, auch UnterbewLiljies — das sind Terniiuologiefragen 
von zweiter BedeutuTii; und ob man dieses Substrat in Seele und 
Gehirn einteilt oder als Gehirn aussetiliofllieh aulYaßt, ist zurzeit 
Metaphysik, deuu darüber weiß man nichts]: jiMiesfalls kann die 
zur l^rklaruug der Bewußtseinsvorgänge nötige mechanische t'inlicit 
nicht mit dem Bewußtsein identiliziert werden. — Daß ich mich 
nicht gegen die von Wundt und seiner Schule bei den Forschun- 
gen über Bewußtseins- und Aufmerksamkeitsumfang gemachten 
Beobachtungen wende, ist selbstverständlich; es handelt sich 
zunächst um eine Namensfrage; nur im Hintergrund steht eine 
Prinzipienfrage, tiber die man sich an der Hand der Tatsachen 
gegenseitig wicd tlberzengen können. 

In den Znsammenhang dieser Arbeit gehört die Bestimmung 
des Bewußtseiiifuiiitaiigcs im Sinn der zweiten Definition. Das 
Merkmal der scheinsmuiicheu ^achdauer führt unmittelbar dazu, 

1) Wilhelm Wirth, Zar Theorie d«8 BewOtsciiisiinifangea und «einer 
HeMuag. FUloB. Stodieo. Bd. 20. 8.613. 

Ax«Ut ftefayelMl^ XHL 83 



340 



F. £. Otto Schnitze, 



im Experiment zn ingeo, »wie weit können Beize zei^eh vut- 
einander zbitelien, damit noch geengt werden kann, der erste 

lühalt ist im Bewaßtsein, wenn der zweite eintritt?« Diese Frage 
ist Uften gestellt worden, wenn Untersachaugen dieser Kichtuug 
anch nicht das Haaptziel der Arbeit waren. 

Als Probeobjdkt hätte man bei diesen Untersuchungen wobl 
den einiaohen Ton nehmen können: allein die Beobachtung ist 
hier sehweier ale bei der ieeren Streeke. Mit der in dieser Aibeit 
bereits hezehriebenen Vertnohzanordnnng Heß sieh leieht aa 
aknstisehem» taktilem and optischem Eatmd die Fng» hehin- 
deln. AUerdings — für bewegte optische Gegensünde war eine 
andere Anordnung nötig, die S. 297 ff. beschriebene Pendelauf- 
Stellung. AIb Methoden kamen minimale Änderung und unregel- 
mäßiirer Wechbei der Keizc in Betracht. FUr die Uuterduchuiig 
mit minimalen Änderungen war die Veranchsanordnang folgende: 
in einer Heihe Yon 57 Einzel versnchen wurde die Geschwindigkeit 
aUmählich nm 10 bis 15 <r Termindert Die Frage des Ye^ 
anchsleiters lantete: »Schont der erste Beiz noch mit sinnHcher 
Frische im Bewußtsein zu sein, wenn der zweite eintritt?« 
Das Ergebnis war, daß bei 84 Yeisnohen zwischen 44 nnd 875 c 
der erste Reiz stets noch scheinsinnlich uachdauerte Nur bei 
3 Fällen innerhalb dieser Breite (bei 72, 247 und 275 u maehte 
die Vp. die Angabe »zweifelhaft«. Bei den auf die erbteu o4 
folgenden 17 Versuchen (in denen der Abstand der lieize sich toq 
275 auf 523 a erhöhte) waren bestimmte positive oder negatire 
Angaben dnrehweg unmöglich. In den liieran sich sehliefiendeii 
6 Versnchen mit noch höheren Zeitwerten waren die Aitgaben 
negativ. Eine am gleichen Tage nach dem Spmngveriahren am- 
geftthrte Reihe ergab die Zone zweifelhafter Angaben als zwiseben 
220 und 605 a liegend. Die Zahlen stimmen also genügeud 
275 bis 523 entspricht 220 bis 605 a. 

Indessen habe ich von einer weitereu Verwendung dieses Ver- 
fuhrens abgesehen, denn die Vp. sagte (trotz ihrer brauchbaren 
Zahlen), daß sie sich im allgemeinen sehr unsicher in ihren An- 
gaben gefilhlt hfttte. 

Die Versuche wurden daher nach der unwissentlichen Methode 
im Spmngyerfahren fortgeführt. Nach einer Ansah! von Vorver- 
suchen, die den Zweck hatten, den Versuchsleiter davon zn t!be^ 
Z3ugeu, daß die Vp. die Fragestellung richtig verstanden hatte, 



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Belttagf snr Psychologie det ZeMMwnOtseiiis. 



341 



wnrde (genan wie im Veraach S. 287) hei jedem Einzelversnch 
das Sohlagpaar mindestens fttnfmal wiederholt, dann erst gab die 
Yp. ihre Antwort — Als Reize wechselten bei den akustischen 
Beobaehtnngen von EinzeWersnch zu Einzelversach beliebig die 
Knisteigeiiiuche der ttbenpringenden Fanken des dem Blick ver- 
deckten Fonkenzieben und starke HammersohUlge ab. Es wnrde 
somit sogleich der Eänflnfi der Intensität der ScbUge bestinmit 
Die Ergebnisse dieser Versnobe zeigt folgende Tabelle. 





n 


Obere 


Grenze 


Untere 


Grenze 


bei leisen 
Seldifgeii 


bei Unten 
SebUgea 


bei Ideen 
BehlSgen 


bei lantea 
SeUXgen 


I 


4ß 


1 


98 


148 


S76 


in 


57 


868 


«0 


468 


880 ?i 


IV 


61 


1 198 


308 


496 


496 



?i bedeutet, daß die Gren2e vielleicht noch niedriger liegt, weil bei niedrigeren 
Geschwindigkeiten &ls 880 nicht untersucht worden ist 



Die ol^ Tabelle gibt in ihrer ersten Lttngsreihe die Beieleh- 
nnngen der Vp. an; unter n steht Jedesmal die Zahl der Torwen* 
deten Versnobe. Die Beidcbnnngen »obere nnd nntere Grenie« 
woUen sagen, daB das erstemal die Gesdiwiadigkeit gemdnt ist, 
die Bwiseben den Hillen sicherer Sohdngleiehseitigkeit nnd den 
aweifelhaflen nnd widerspmchsroUen Fällen liegt, während die 
zweite Grenze zwischen den zuletzt genannten Fällen nnd den 
Fällen ohne jede Scheingleichzeitigkeit liegt. — Zunächst ergibt 
die Tabelle, daß der Hewußtseineumfang in unaerem Sinn bei den 
einzelnen Vp. verscliieden groß erscheint, und daß er im allge- 
meinen zwischen 75 und 500 a liegt. Die Grenze ist außerdem 
nicht scliiirl", soudem verwaschen; auch die Angabe einer unteren 
und oberen Grenze hebt dies in anderer Weise hervor. Ferner 
zeigt der Vergleich der zusammengehörigen Zahlen, die jeweils 
bei leisen und bei lauten Schlägen gefunden sind, eine deut- 
liche Erhf3bun2: im letzten Fall; damit ist der Schluß gegeben, 
daß die Erhöhung: (i( r Intensität der Schläge die Bewußtseinsgrenze 
erweitert, zum mindesten auf akustischem Gebiet. 

Leider konnte der Intensitätseinfluß ans bereits ange* 
fährten Gründen taktil nnd optisch nicht bestinuDt werden. 

23* 



342 



F. £. Otto Schnitze, 



Der Einflnfi der Qualitäten konnte ans anderen (ftnfiereo) 
Gründen gleicb&UB nicbt nnterroeht werden. (Far Vp. I findet 
Bich eine aufif&Uige Obereinetimmnng der aknstieohen wie der 
optischen mit den Trillereiechetnnngmi der gleiehen Qualitäten.) 

Üher den EinflnB der Zahl der Schläge anf die schein- 
einnliohe Nachdaner sind auf aknBtiachem Gehiet an mehreren Vp. 
Versnche angestellt, ohne jedoch eindeotige Besnltate an liefen. 
Eine besondere Schwierigkeit liegt hierbei darin, daß bei mehreren 
anfeinanderfolgenden SehlSgen snbjektiTe Intensitätsnnteischiede 
eintreten. Bald ist s* B. bei ftnf anfeinanderfolgenden SdiMgen 
der dritte oder der ftlnfle betont, ohne daß ein objektiTer Gmnd 
Torliegt Aach die Verschiedenheit der subjektiven und objek- 
tiven Höhepunkte der Erscheinungen bei großer Geschwindigkeit 
der aufeinanderfolgenden Schläge stört stark. 

Den größten Einfluß scheint aber, wie bereits angedeutet, die 
Natur der Vp. auf die Angaben zu besitzen. Darüber folgende 
Tabelle: 



FUr SchallhammerschlÄge. 
Alle Zahlen sind im sog. großen Sprangverfahren gefanden. 



Vp. 


Trüler- 
erieh«iniiiigen 


Bewußtidiianmfang 


KoUektiooB- 
wwkcivnifea 


1 0 


u 


0 


u 


0 « 


I 

ni 

IV 

0 = obere Gi 
die in Frage 


127 
61 
77 

renze: die 
stehenden 


193 
88 
77 

geriu^öte 
Er^heiuut 


96 

560 

303 

^•en beoba 


276 
880 

660 

gkeit, bis 
chtet sind. 


446 1 495 
606 1 1045 
319 1 330 

zu der aneBchließlich 
n = untere Grenze: 



diejenige niedrigste Geschwindigkeit, bia lm der wenigstens gelegentlich die 
in Ftage ttebende Eneheinmig beobachtet ut 



In dieser Tabelle sind die Zahlen fittr Triller, KoUektionserschei- 
nnngen und Bewtißtseinsnnifang zusammengeBtellt; alle sind nach 
dem gleichen Ver£abren, ftlr die gleichen Vp. mit dem gleichen 
Hemmeimpparat festgestellt. Die FrageeteUnng ist genau fixiert 
gewesen und, wie die Protokolle zeigen, von der Vp. festgehalten 
worden. — Ee seigt eich bei Vp. I eine anffällige Übereinetimmnng 
der Zahlen, zumal der (viel wichtigeren) oberen Grenze dee 
wafiteeittinmiangea mit der der Trülerenwheinungen; bei Yp. UI 



Beitrag snr Psychologie dee ZettbewoOteeiiiB. 34S 



und IV Btimmen dagegen die Zahlen fast mit der Grenze der Kollektions- 
erscheinnngen zasammen. Ich machte darans schließen, daß in 
der Frage des Versuchs eine seinerzeit noch nicht erkannte Doppel- 
dentigkeit liegt, die Frage: »Ist der erste Reiz, wenn der zweite 
eintritt, noch mit scheinbar sinnlicher Frische im BewnßtBein?« 
oder: »Ist in meiner Anfmerksamkeitstätigkeit in m^en gnb- 
jektiTen AnfmerksamkeitBerscheinnngen) noch keine Änderung ein- 
getreten, wenn der sweite Sehlag ersebeint?« — Der Untenebied 
der swei Deotnngen liegt in dem Wort BemifitBein; einmal iat 
damit der Ersobeinmigskomplex gemeint, der aof sein Yerbiltnls 
snm BewnBtseinnunfang benitellt werden jsott; daB andere Hai die 
lebedte des BewnDtseu», die Snmme von AnfinerkaamkeitserBcbei- 
nnngen, die auftritt, wenn der zn beurteilende Komplex enoheint 
Man sagt nnn: dne Seblaggmppe ist im Bewnfitaein anf einmal 
gegeben, wenn dob bi der Zeit der betreffenden Enebemnng niebti 
anf der lobaeite geändert bat bia in dem AngenbUek, wo der 
zweite Seblag efaitritt Sieber ist diese Sebeidnng sebr wenig anf- 
fUlig nnd sebwierig; sie setzt genaue Definition der gebianebten 
Ansdrileke Torans. — 

Daß eine Definitioii der Yp. gegenüber den größten Wert hat und 
al<>toInt notwendig ist^ kann man anch ans Bemerkungen von Katz S. B12 
seiner Arbeit] leicht heraosleaen. — Mit ihm, hoffe ich, Betzen wir uns bei seiner 
BeetiiiMBinng der FritaeDSselt oder der Draer dee einaelneii BewiiBteelBS- 
aktee (S. 309 eefaier Arbeit) nnsohwer darflber auseinander, was wir Bewnßtida 
nennon wnllen. Er f^ibt eine Dreiteilung der anBchaulich erlebbaren Zeit; 
wir roüliten mit iliiu eoiiiit den Bewußtseiusunifang, d. Ii. die Scheindauerzeit, 
in der Inhalte auachauHcb gegeben sind, wohl anders fassen, als wir es bisher 
getan liabeii; denn sonst kirnen wir ni ganz anderen Zeiten: statt sa 900, 
600, 800, 1000 <r kirnen wir bei ihm bis zu 2900 und 3000 a. — Mir scheint 
zwischen seinen und meinen Zahlen der gleiche Unterschied yorruliegen wie 
oben zwischen denen meiner Vp. er kommt zu den hoben Zahien, weil 
Bewußtsein für ihn den einheitlichen Aufmerksamkeitsakt bedeutet, der in 
den SpsnnnngeB erlebt wird, mit denen wir die »Kontinnltit swiedien den 
Gei&uchen herstellen« wollen. Er sagt S. 316 (etwi]: Oiuie diese Spannungen 
würden die Schläge isoH' rt rnm Bewrifitscin kommen. Tlierans erg:ibt sich, 
daß die Vp. sie nacheinander wahrnimmt, der eine Schlag hat nichts mit 
dem «nderen n tun, die Schläge sind isoltot oder, mit anderen Worte»: 
Der erste ScUag ist TOIlif verldttiigen, wenn der swdte eintritt. Damit 
wäre aber die Grenze der sinnlichen Dauer Uberschritten, und psychische 
Präsenz oder RewnCfffcinszeittunfang heißt somit nicht mehr scheinsinnliche 
Kacbdaner, sondern in einem zweiten äinn des Wortes Bewußtsein die Zeit, 
innerbslb der der sweite Beis noiA in den AnfinerkwmkeitMkt des ersten 
sich einordnet Daher stimmen dime Zahlen mit denen nneerer subjektiven 
£iaheitUohkeit gaai leidlich musmmsai. 



344 



F. £. Otto Scholtse, 



leh bedAnera mgoboi n mttiNn, dmß meine Zahlen moht awrdclien; ii 
vollem Unfang habe ich das ent aaob dem Abschluß der Yerssolie bemerkt 
Pollto aber weiteren Verpuchen eine genflsrend klare FrafMtelliuig gegeb« 
sein, ao wäre die Arbeit doch nicht vergeblich gewesen. 

Von besonderer Art muß die Frage sein: Wie groß ist der 
BewuBtseinsnmfang für bewegte Erscheinuugen? Wir 
haben nnr eine Versnchsanordnung erprobt, um wenigstens einige 
Orientierungsversuche iu dieser Richtang za haben. Diese Anord- 
nnDg ist bereits S. 297 S. beschrieben. Es eigab mk Uta die 
gegenwärtige Fhigestellung folgendes: 

einer Spalthreite Ton etwa 5 — 8 em, d. i bei einer fix- 
positionsdsaer der Pendelstange yon rand 100 — ^160 ted sieh 
ein breiter, verwaschener Streifen, der einen Teil des Gcsicht§- 
feldes einuahm, während rechts und links im Schlitz helle Ränder 
freibliehen. Von dieöem mittleren Streifen galt die Forderung der 
Scheingleichzeitigkeit des Endes mit dem Anfang. Es muüte 
darum versucht werden, das scheingleichseitig gegebene Ganze 
anssoseheideni d. h. die Breite des verwasohenen, aber simoitis 
gegebenen Streifens dnrob Einengung des Spaltes genauer n 
bestimmen. Wenn nnn der Spalt so klein gemacht wurde, wie er 
naeb der Sebfttznng der Vp. s^n maBte, damit das ganse »dunkle 
Etwas« ihn zudeckte, erschien wiederholt etwas anderes, als er- 
wartet war : es traten mehrere sokzessive Bilder ein, die dem Ein- 
druck von Radspeichen vergleichbar waren; von die^eu Bildern 
galt keine Scheingleichzeitigkeit oder es blieb zweifelhaft^ ob man 
Ton diesem Merkmal reden konnte. Trat dagegen eine diffuse 
Gesamterscbeinnng auf, so konnte man Ton SeheingleichxeitigkeH 
des Anfanges nnd Endes dieser Ersobeinnng reden. Die bierftlr 
gefondenen Gesebwindigkeiten waren sebr gering. 

Bei drei Vp. kam der Eindruck der Scheingleichzeitigkeit mrr 
bis zu einer Expositionsdaner von 45 a fdies ist bis zu einer Spalt- 
breite von 2 cm) vor, aber selbst bei 23 a oder bei 1 cm Spalt- 
breite worden schon zweifelhafte, also nicht stets anbedingt posi- 
tive Angaben gemacht Über 45 er hinaus wurde stets dentlich 



1) IMa Eipoiitioiisdaaer mnflte aveh dnroh Yeraehiebaiig dar Paidel- 

Ifaise beeinflußt werden. Je nach der Pendellineeneinstellang betrog di« 

Oeschwindiffkeit des Pendels innerhalb der Phase seiner Sichtbarkeit flnrrh- 
Bchnittlicli 41,6 biB 43,ö cm die Sekunde. Im laufenden Text sind nur 
die daraus sich ergebenden Expoeitionszeiten augegeben. 



biyilizüü by GoOglc 



Beitncr rar Fiyeliologi« dw ZeltbewnßtMini. 845 

Verschiedenzeitigkeit, also Überscbreituag des fiewußtseinsnmfaiigeB 

aogegeben. 

Derartige UDtcrsnchangea lassen ohne weiteres manche Vari- 
anten zn, und Nachprttfong ist wünschenswert; aber sie zeigen 
auch schon jetzt mit Sicherheit, daB beim bewegten Objekte der 
Eindrack der Scheingleichzeitigkeit nur 1)ei wesentlich kür- 
zeren Zeiten eintritt als beim ruhenden optischen Objekt: die 
Gleichzeitigkeit ist ja für die Trillererscheinongen bei zwei Funken 
charakterifltiBeh; sie reicht hier big sam Abstand von 70 nnd 100 a 
mindestens. 

§ 13. AUgemeine Bemerknngen zur Natnr der zeitlichen Oebilde. 

Es bedarf keines besonderen KaehweiBes, daß viele Parallelen 
besteben iwisehen riomlicber nnd seitllcber Ordnnng. Die Gleieb* 
heit Tieler analoger seüfieber nnd rllnmliober Benennungen nnd 
die Obertragbarkeii der iftnmlieben Bogriffimamen anf das seit- 
fiebe Gebiet, ebenso die Zeittftnsebnngen weisen dentlich daianf 
bin. Die Fterallele ist jedoch nicht bloB ein Bild, sondern sie 
trifil aneh etwas am Kern, da wohl keine Seite der leitliehen 6e* 
bilde frei von ihr ist Hiexans ergeben sich Tatsacbenbeschrd- 
bangen nnd Hieorien. Einiges möchte ich in diesem Sinne an- 
flihrea. 

1} Die Aneinanderfügnng der meisten Teilinhalte der rttnm- 
liehen Erseheinnngen ist der gleichen Natnr wie bei den leiüichen, 
nimlich absolvt kontinuMlidi; eine Abgrenzung ist nnr ideell 
mOglieh. Hiermit bestreite ich die Möglichkeit, daB wir a. B. be- 
rechtigt sein könnten, unser Gesichtsfeld wie ein Mosaikbild 
oder besser wie ein Mosaikrelief aufzufassen, dessen »Einzelsteine«, 
um bei dem Bild zu bleiben, dabei die wunderliche Eigenschaft 
h&tten, daü an ihnen Rllckseite und Tiefcndurehmesser nicht fest- 
stellbar wären. Brauchbar au diesem Bild wäre nur die riiuuiliehe 
Zusamuienordnung von Teilinhalten mit beschränkter Selbständig- 
keit. Der Unterschied aber gegen das pli} sische ParallelstUck des 
Mosaiks liegt in der völligen Kontinuität, in dem durchaus Ittcken- 
losen Ubergang von Teil zu Teil. Darin gleichen ihnen die Er- 
scht'inungen der gleichmäßig erliiliteu Zeit^trocke eines homogenen 
Gebildes, denn man merkt nichts von dem p]iatritt eines neuen 
Gliedes; — und neu, anders, verschieden gegen die verflossenen 



346 



F. £. Otto SehnltM, 



EIrscheinunpren mUssen wir mindestens alle weiteren nennen, di« 
aufierhalb des BewnBtgeingnmfangee dei Vorangegangenen liegen. 

2) Die riinmlieben tind zeitlieben GrOßennrteile eeheinen sowoU 
dnreh die gleichen Prosesee Tennittelt sn werden , als anoh gini 

oder weni^tens teilweise die gleichen BewnOiseinssymptome zu 

zeigeo. .Sicher zum iiiindesteu iat, daß sich gegenüber diesen noch 
nicht genügend imtersuchten Merkmalen die prleichen Zahl begriffe 
im individuellen Denken mit dem darauf sich ableitenden Anspruch 
anf allgemeine. Gültigkeit für räumliche and zeitliche GriiBeu au- 
wenden lassen. — 

3) Die Wirkung anf unser Ctofithlsleben, besonders die Wert- 
gefthle, nnd auf die, Aufmerksamkeit ist gleiehfaUs bei beides 
gleich: wir kOnnen uns ttber räumliche nnd leitliehe Ansdefanuog 
in gleicher Weise freuen, wundem, ärgern, sie beachten usf. 

4) Auch die reproduktiven Prozesse sind gleich: wir kfmnen 
beide, zeitliehe wie räumliche Gebilde, sowohl denken und an- 
schaulicb vorstellen, als auch uns durch sie adäqnat beeinüusseii 
lassen. Ich denke eine Erscheinung, z. B. eine eben geaebeoe 
lenohtende Wolke, wenn ich ttber sie etwas klar bewofit aussage, 
ohne sie ansehanlich Torznstellen. Ich stelle sie ansehaalicli 
rot, wenn ich eine vom Urbild deutlich rerschiedene Erseheunug 
▼on ihr habe, ohne daß dieselbe Wahmebmnngscharakter wie un 
Traume oder in der Halluzination trüge. Beides kann auch flüchäjir 
geschehen, ohne Anspruch auf Adäquatheit des darauf fuBeuiku 
pgychij^clien Prozesses. Beides aber, predanklichcs und anschau- 
liches Yergegenwärtigeu kann zu weitereu seelischen Prozes^eu 
fuhren, so z. B. zum Vergleichen. Alle diese Prozesse finden ihre 
volle Parallele auf dem zeitlichen Gebiet leb kann ein Tonstttek 
denken oder flttohtig sowohl wie gen an ansehanltch mir 
Tergegenwttrtigen. 

Einen besonders interessanten und wichtigen Fall beim 
gleich räumlicher und zeitlieber Grüßen iiiideri wir in der 
leeren Zeit, in der Pause. Sie entspricht der räumlichen Lücke. 
Wir kimnen an beide denken und können sie uns adäquat und 
inadäquat an entsprechenden Beispielen vorstellen: Wir wissen, 
was eine Sekunde» was drei Sekunden, Minuten oder Stundeu 
sind nnd kitnnen anf Gmnd dieser Gr^^fienTorstellnngen handeln 
nnd urteilen. Wir können deshalb aneh sagen: Ich will jetzt eine 
halbe Stunde niohts tun, dann komme ich. Oder wir kOnnen ssges: 



biyilizüü by GoOglc 



Beitrag zur Psychologie des Zeiibewnßteeiiu. 



347 



¥.6 ist jetzt ziemlich genau eine Stunde vorbei. Lud zu alledem 
brauchen wir keine Uhr, kein Sinneszeichen und kein Zählen. 
Meist ist unser Urteil allerdings ungenau, ja sehr ungenau, aber 
Minuten und grobe Stundenteile kann jeder »Eulturmenscb« bei 
genttgender AnfmcrksamkAitaeiiiBtellung scheiden. Übnng kann 
entMialiebe Feinheit brisgen: Ifaa nehme die PriziBion, mit der 
der Musiker beim Spielen und Dirigieren seine Zdtseb&tzongen, 
noch das« oft in nngehemrer Geschwindigkeit, ansftbien mnfi. 

An> diesen Tatsachen ergeben sich mehrere wichtige Schlnß- 
folgerangeo. Wir können sie znsammen mit anderen bekannten 
£nrägangen in folgende Leitsätze fassen: 

a) RänmUche nnd seitUohe Merkmale sind nieht dasselbe» son- 
dern Tersehieden, ab« miteinander rerwandt 

b) Zeitliche Gebilde kOnnen, soweit sie als Gesamtersohei- 
nnngen des BewnBtseins gegeben sind, ans den gpleiehen 
Komponenten zusammengesetzt sein wie rftnmliche. — 

c) Die zeitliche Ausdehnung ist ein Merkni;il seelischer Ge- 
bilde 8elbständii;t r Art. Sie kann psychokinelisch wirksam 
werden nnd ist im seeäaciien Haushalte sehr wichtig. 

d) Zeitliche Gebilde haben nicht nnr Eiseheinnngscharakter. 

Zom letzten Pnnkt sind noch einige Bemerkungen hinzuzafbgen. 
Wenn wir die Daner met Pause mit der einer anderen Pause yer- 
gleiehen, so müssen irgendwelche Grundlagen dieses Frosesses 
«BgeDommen werden, die aofierhalb der Eischeinnngswelt liegen, 
snfierbewnBte seelische Gebilde. Es war eine nnserer Aufgaben, bei 
den Analysen irgendeinen fUr die Pause charakteristischen 
Bewn[jtsciiisinha.lt zu finden. Es ist nie gelungen. Was y 
gefu^üden ist, iat in den Protokollen dieser Arbeit und in der im 
XT. Band erschienenen Arbeit Uber Urgancmpiiaduugen und Körper- 
gedible mitgeteilt. Wir haben danach in der Panse nnd in der 
kern Zeit meisi iigendweiche KOrperempfindongen, znmal Ton 
den mnskolSren HUfsapparaten des wahrnehmenden SiDnesorganes; 
sber diese Empfindungen sind so nndentlich nnd unbestimmt, daß 
nicht sie gemessen werden, wenn man die Lange einer leeren Zeit 
bestimmt. Wenn wir uns nach ihnen zu richten hätten, würde 
QQser Urteil sicherlich ganz unzutreffend sein. Sic könnten höcli- 
stens bei dem Vergleich einzelner, besonders bekannter, leerer 
Zeiten in Betracht kommen. Aber selbst diese durften sich bei 



348 



F. £. Otto Schnitze» 



der Reprodaktion ao TerSodeni, daB sie nur nnier ürtefl Tenrima 

könnten. — Wichtiger ist 68, daß bei der Aufgabe der Zeit- 
benrteilnng ohue Zeitmessang niid ohne Hilfsmittel der Sinnes- 
organe z. B. die Minnte als Rolche wirksam wird, und daß ftir der- 
artige Zeitgrößen Erscheinungen überhaupt nicht als irgendwie 
charakteristisch nnd konstant nachweisbar sind, und daß diese 
Fakteren doch richtige Urteile ermOglichea! 

Und weiter: die leere Zeit zeigt sieh dureh Ihr Aiifh5reo wiik- 
Bam. Sie bedingt» daß etwas eintritt! Mit anderen Worten: dtf 
AnfhOren eines Leeren, das Negativwerden eines Negativen whkt 
positiv, erregend! Dies muß eiuem doppelt unbegreiilich sein, 
wenn man als seelischen Faktor nichts als Erscheinnngen aner- 
kennen will. — Und dreifach wnnderlirh i>.t so, daß das Ne_'ativ- 
werden eines Negativen in eiuem negativen Zustand [im 
Sclüaf] positiv wirken, nämlich uns aufwecken kann. Die Tat- 
sache, daß viele Leute absichtlieh firUber als sie sonst gewohnt 
sind nnd an siendich bestimmter Zeit bei gatem, tiefem SebUf 
aufwachen kOnnen, dtlrfte sicher genng sein, nm hier vehfertet 
werden zu dürfen. 

Wir dürfen somit als Hauptmerkmal der zeitlicheu Ge- 
bilde nicht ein Eracheinungsmerkmal annehmen, sondern 
mlissen die zeitliche Ausdehnung als etwas Besondere* 
statuieren. Sie ist das Merkmal, das als Bedingung vieler 
seelischer Vorgänge wirkt und das den Erscheinungen wie 
ihren Gedäohtnisspnren zukommt Sie ist «ne der aUgemdih 
Stern seelischen Tatsachen, nicht identisch mit Erscheinnngs- 
qualität nnd räumlicher Ausdehnung oder qnalitatlTer 
und quantitativer Bestimmtheit; sie ist somit ein Merk- 
mal neben ihnen. Man kann dieses Merkmal eine Apperzeption!^ 
weise nennen, wenn man diesen Ausdruck eindt utipr definiert. Man 
kann auch sagen, das Merkmal der zeitlicheu Ausdehnaug ist eio 
ganz selbständiges; jedenfalls können wir seine Eigenart nicht 
qualitativ irgendwie näher bestimmen; nur seine Wirkungs- 
weise können wir angeben. Sie besteht darin: in einer ba 
den versohiedenen Mafien leitticher Ausdehnung verachledeneB 
Weise in unserem seelischen Haushalte wirksam an werden, ^s 
nähere positive Bestimmung des Merkmales der Zeitlichkeit kann 
zurzeit noch nicht gegeben werden. 



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Beitrag zar P^cbologie de« Zeitbewußtseim. 



Da die teilte Dnrehtlcht der vorliegenden Arbeit mit dem Abschluß 
einer anderen experimentellen Arbeit Über den Nachweis der Bewaßthoiten) 
zusammenfallt, ist es verständlich, daß die weiteren Beobachtungen neue 
Anhaltspunkte ftir die Beschreibung der Bewußtseinstatsachen an die lland 
gegeben haben. Eine Anzahl von Beobachtungen Uber diu Eiuiieitlichkeit 
enadieiilidier Bewnßta^aeiiilialte etehen den in § 6 und 9 gegebenen Anftp 
lyeea nahe. Aneh in dieeen neuen FSOen erwtoe ttoh die ZvaunmengeliQrig' 
keit der BewnOlseiiuIidielte ele ein nnmitleUMr ▼orfindbene FliUi nleht Ui>B 
als abstraktea Heriunal, wie etwa die Intensität So war z. B. bei sogenannten 
Wahlreaktionen die Vorstellung einer bestimmten Farbe mit dem Gesichts- 
bild des Fingers der Vp. (mit dem auf diese Farbe zu reagieren warj in 
einer unmittelbar wahraebmbareu Einheit gegeben. Die Yp. konnte dieae 
Einheitlichkeit deutlich von einem einfachen ilttmliehen Nebeneinander 
eebeldea, denn ee waren teOe «le den gtelelien Tetsneli, tdls tu anderen 
Vefweben oder ana dem Miagalftben ttmUehe FKUe erlnaerUeh, 1»ei denen 
eine andere denn ritanüiche Znaammenordnung fehlte. Die in Frage stehende 
Einheitlichkeit Heß eich also durch einen Vergleich als durchaus eigenartig 
und als unmittelbar vorgefunden erweisen: dieses PhtH konnte fehlen, 
während das abstrakte Merkmal des raciuli lieu Nebeneinander von zwei 
gleichzeitigen optischen Inhalten nie fehlen kann (wenn es auch nicht stets 
bestimmt beschreibbar ist). 

Größere Schwierigkeiten aber als aoa dem Naohwda der onmlttelharen 
Gegebenheit dieaer Einheitliehkeit erwaehaen der Yp. ana der Anügabe, 
feetsoatenen, ob daaaelbe ala anaohanlieher Inhalt oder ala BewoSdieit anf- 
zufassen ist Ich gelM an, daß ich bei der Analyse der zeitlichen Typen 
die Schwierigkeit dieser Unterscheidung unterschützt habe; ich möchte da- 
her nicht mehr mit so grnß^T Bpstimmthcit wie auf S. 304 behaupten, daß das 
Merkmal der Einheitlichkeit als Wirknngsakzent aufzufassen ist; ich glaube, 
daß es vielleicht ebensogut als Bewußtheit bezeichnet werden kann. Weitere 
Analysen weiden hierüber Klarheit aehalTea. — IHe aaktonndU^gen Beatim-' 
mttngen der anaHfeenden Geaohwind^fceiten Ueiben Ton dieaer ErSrtemng 
nnbertthrt 

Unter den gleichen Oeatehtaponkt f&llt auch die Analyse der »aal^ek- 
tiven Einheitlichkeit«, die mir in ihrer Eigentümlichkeit nicht klar ge- 
worden war. Vielleicht ist sie in der Hauptsache auch als Bewußtheit zu 
fassen, derart, daß nicht zwei, sondern drei Inhalte fdie zwei Schläge und 
der begleitende OrganemptiüdungskompiexJ durch dieselbe vereinheitlicht 
würden. 



360 



F. £. Otto Soholtse, 



Zu8ammeiifaä:»iuig. 

1) Wenn man je zwei akustische, taktile oder optische Beiift 
der Vp. im Experiment isoliert BAeheinander bietet, lo iit 
der EindnidL deraelben je naeb der Grescbwindigkeit dtr 
Sakzeauon mehr oder weniger dentlicb reracbieden. £i 
lassen sieb so einige Typen von Reizpaaren abgrenzen {<3k 

26Ü in einer achematiscben Ubersirbt zusamiuengestellt 
sind), die man wiedercrkeuiien kann und die jeweils in 
einer mehr oder weniger scharf umschriebenen Zone m 
Geschwindigkeiten auftreten. 

2) Bei den Trillererscbeinungen (die einem wie ein >tiri 
▼orkommen) ist die Strecke swiacben den beiden SehUlga 
siebt leer, sondern erftUlt; das ganie Gebilde eradHint 
zeitlicb niobt eigentUeb ausgedehnt, sondern »p^refaiBck 
präsent«. Die Höhepunkte des Gebildes zu zählen madit 
Schwierigkeiten. — Triller treten z. B. bei ükustiöciieu Reizen 
zwischen den Geschwindigkeiten reiner Verschmelzung und 
etwa 60 bis 100 o am reinsten auf. 

3) Die KoUektionserscheinungen sind dnrob eine unmittel- 
bare ZnsammengdiOrigkeit der Schläge ansgeieicbnet, wobei 
diese denUlob yoneinander getrennt sind. Das Meikmal 
der ZnsammengebOrigkeit der ScblSge xn einer Gmppe iit 
an die Schläge selbst gebunden; es ist nicht abstrakt, wie 
die Intensität, sondern ein unmittelbar Yorgefnndenes Pias. 
Es bleibt dahingestellt) ob dieses Plus als Wirknns'^.ikzeDt 
oder als Bewußtheit aufzufassen ist. — Die KollektioiuJ- 
erscbeinnngen treten bei den akustischen Schlägen m 
reinsten rnnd zwischen 100 a und 350 — 400 a auf Un- 
reine Fälle finden sieb bis zu Ö60 und 600 a. Optisoh 
ist der Eindruck unmittelbarer Zusammengehörigkeit sehr 
sobwach entwickelt 

4) Die Erscheinungen der subjektiven Einbeitliebkeit 
öiud gleicbfalls durcb ein unmittelbar (als ein besonderes 
Plus, nicbt bloß abstrakt) nacbweisbares Merkmal der 
Znsammengebörigkeit der Schläge charaktenaiert. Uiesei» 
Merkmal ist an das Vorhandensein von Organempfindnogen 



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Beitrag zar Psychologie des Zeitbewußtftcins. 



351 



gebunden: SclilUge und Organempfin dangen bilden eine nn- 
mittelbare Einheit. Diese Einheitiichkeit kann willkttrlieh 
herbeigeführt werden oder spontan auftreten. Lebteies ge- 
schieht am ehesten bei Geschwindigkeiten von 440 bis 
880 a. Die gefnndenen Zahlen achwanken jedoch je nach 
Vp. nnd Yersiiehsinstniktlon stark. 
5) Der Typna der vollen Selbstttndigkeit unterscheidet 
sieh Ton den ebengenannten dadurch* dafi die Sehlfige ftor 
den unmittelbaren Eindrnek nichts miteinander sn ton haben. 
Dieser Typ findet sich im allgemeinen bei den grofiten Zeit- 
abstftnden. 

6} Die Erscheinongen der snbjektiTen Einheitlichkeit und die 
KoUektionsersGheinnngen haben ftr die Analyse des Rhyth- 
mna die grOfite Bedentang. 

7) Gelegentlich treten im Verlauf der seitliehen Gebilde eigene 
tümliche sinnliche nnd gedankliche Begleiterlebnisse 
Ton großer Mannigfaltigkeit anf. 

8) IMe Abgrensnng eines Anfmerksamkeitsaehrittes ist 
sehr schwierig and gelingt nicht allen Vp. Wo er abgrenz- 
bar ist, scheint er etwa rnnd 400 bis 900 a zu betragen; 
jedenfalls ist seine Daaer von den besonderen Versuchs- 
bedingnugcn abhänjjig;. 

9) Das Wort Bew u ßtseinfsuiii fanc; ist vieldt utii; Wenn man 
sich streng an das Bewußterlcbtü uud au den Sprachge- 
branch hält, heiÜt ea: Dauer eines Bewußtseinsinhaltes bis 
zu seinem vollen Verschwinden aus dem Bewußtsein. Seine 
maximale Größe bestimmt man am besten darch das Auf- 
hören der scbeinsinnlichen Nacbdauer. Die Beobacbtungen 
find hierbei sehr si Uwierig. Vermutlich dürfte der Bewaßt- 
seinsamfang akuBtischer Schläge mittlerer Intensität rund 
300 bis hiichstens 500 a nicht Uberscbrt itt ii. 

10) Die zeitliche Ausdehnung ist ein Merkmal der Erlebnisse 
und seelischen Gebilde; es läßt sich nicht auf räamlicbe» 
intensive oder qaalitative Merkmale redazieren. 

11) Es gibt zeitliche Gebilde, die keinen Erscbeinnngscbarakter 
besitzen, deren Ansdehnong aber bestimmt und für den see- 
lischen Haashalt von Wirksamkdt sein kann, z. B. die Paose. 



(Eiogegaogen am 3. AngaBt 1908.) 



über die Erkennbarkeit geometrischer Rgoren imd 

Sohriftzeichen im indirekten Sehen. 

Von 

A. Kirsclunuiii (Toronto}. 
(Hit 4 Flgiinii im Text) 

L fieometrisclie f Igaren. 

Im psychologischen Laboratorinm der üniversltit zu Toronto 

wurden von 1893 bis 1899 eine Reihe von Untersuchimgcn über 
die Erkennbarkeit jreometrischer Figuren und einfacher Scbrift- 
zeichen im indirekten Sehen auK^^efUhrt. Im Jahre 1899 hatte 
ich den größten Teil der VersuchsergebnisBe behofs Auaarbeimo^ 
auf meiner Ferienreise nach Eniopa mitgenommen. Auf der BJBxk- 
reise sind dieselben beim Untergang des »Sooteman« yerloren ge- 
gangen. Dnreh diesen Verlast eatmntigt, haben wir dann die 
Untersnehnng anfgegeben. Da aber neuerdings die Disknasion 
Uber die Streitfrage »Antiqua oder Fraktor« wieder rege wird und 
mauüi^fachc, mehr oder minder gut beftlrwortete Aüstrcugiiii|refl 
zur Abschaffung der deutschen Druck- und Schreibschrift zvl ver- 
zeichnen sind, so dürfte es empfehlenswert sein, den Gegenstand 
doch wieder in Angriff zu. nehmen and das, was ans von jeoeo 
Untersnchiingen an Yersnchsprotokollen nnd sonstigen Anfzeicb- 
nnngen geblieben, dnreh neue Versnche ergJinat, an TerOflfSentliehen. 

Die Bedentnng des indirelEten Sehens beim Lesen nnd speneQ 
die Tatsache, daß wir beim gelftnfigen Lesen nicht die eirndnes 
Bnchstaben zentral wahrnehmen, sondern von Wort zu Wort spri»- 
gcnd nur cinzelao Zeichen fixieren, während die Wahrueliuiiüjg 
der übrigen dem indirekten Sehen zufällt- habe ich bereits in 
meiner Abhandlung Uber die üeliigkeitsemptindaug im iodircktea 
Sehen im Jahre 1889 eingebend behandelt. Die ausgezeichnete 
Arbeit von Prof. £rdmann nnd Dr. Dodge, der gewöhnlich dtf 

X] Philos. Stadien. Y. 1889. S. 447-497. 



biyilizüü by GoOglc 



ErlUBiibulwitgeometr. Fignmiuidfichxiibsdohanim 353 

Verdienst zngeschrieben wird, diese Frage znm ersten Maie an- 
lefichnittea zu haben, ist zehn Jahre später erschienen*). 

Uber die Erkennbarkeit einfacher geometrischer Figuren im indi- 
rekten Sehen wurden jn nnierem Labonitoriam im fikademischen 
Jahre 1893/94 soigfiUtigeUntenachiiDj^ TondenHerronMoVaiinell 
(jolitPiofeBaor an der GolnmbiaUiiiYerBitttt, New Tork) und Beattj 
(ümTerrität Wisconnn) und epftter 1806/97 von Herrn G. F. 8 winner- 
tOD und anderen angestellt Die RefliiUate derVersoehe der Herren 
Dr.McVannell uud Deatty sind verloren, dagegen ist eine Kopie der 
Zusammenstellung der Resultate der Versuche von Herrn Swinn er- 
tön noch vorhanden, und über diese will ich im folgenden berichten. 

Der Äppaiaty der zn diesen Versuchen benutzt wurde, ist, da 
dis Verfahren, vm die Analogie mit einer Baeheeite oder Zeioh- 
inuig n erhalten, kampimetiiseh und nicht perimetriseh sein 
aniBte, TerhSltnismftBIg einfaeh. Eine Fl&ehe Ton etwa Sm 
Lioge und 2^^ m Höhe an der den Fenstern des Zimmers gegen- 
Iberliegenden Wand war mit schwarzem Samt bzw. weißer 
Leinwand bekleidet. Ungefähr in der Mitte dic&cr Flucliü war 
ein aus hartem Holz hergestellter Maßstab befestigt, IVa m lang 
und 3 cm breit Die Dicke betrug 1 cm, und diese 1 cm breite 
Fläche war der Länge nach in Zentimeter und Millimeter ein- 
geteilt Znr schnelleren Übersieht der Entfenrang waren in Ab- 
Btlnden Ton je 10 om Nummein in roter Farbe nnd an Stelle der 
FOnfer rete Stridie angebraeht Dieser Hafistab war nm die 
Mitte des ganzen Feldes drehbar nnd konnte somit in die Bieb- 
tnng eines jeden Augenmeridians gebraeht werden. Die Vorder^ 
tläche des Maßstabes war durch einen mit schwarzem Samt, 
bzvT. mit weißer Leinwand bedt ( kteu und Uber den Rand des 
Maßf^tabes Ys cm vorspringeodeu Kartonstreifeu bekleidet, so daß 
der Beobaebter nichts Ton der Einteilung sehen konnte und somit 
nur eine grofie sebwarze bsw. weifie Fläehe vor sich hatte. An 
der Stelle des Drehpunktes war anf die Samtflftehe des HaB- 
itibes ein weißes Stttek Karton von etwa Vs^^n^ Durchmesser 
angebracht, bei weifiem Feld natllrlicb ein schwarzer. Dieser 
Flecken diente als Fixicri>unkt. Das Auge des Beobachters 
befand sich in einer Entfernung von 1 m vor diesem Punkte. Zur 
Fisierong des Ortes tUr das b.eobachtende Auge diente ein an der 

1) Uatennchnngen Uber dM Lesen. Balle 1686. 



354 



A. Kinohmann, 



Vorderkaute eines am Boden befestigten Tisches angebrachter 
aufrechter Schirm, der neben der Öffnung für das Auge einen 
Einschnitt für die Nase hatte, so daß der Beobachter die Na^e 
uor fest in diese, überall mit Samt bekleidete Öffnung einza- 
legen hatte, damit sich das Auge an der richtigen Stelle befand. 
War der Versuch vorüber, bo konnte er einfach den Kopf znrOek- 
ziehea nnd in bequemer Stellung verweilen bis zun nenen Ta<- 
snoh. Die Yorrichtang ist in dem Artikel von Dr. W. Abbott*} 
Uber den Emflnfi spaltformiger Papillen besobiiebea und abgebildet 
Ein mit schwarzem Samt bzw. weißer flockiger Leiiiewaud be- 
zogener, etwas über 1 m lauger Stab diente zur Bewegmng der 
Objekte von der Peripherie nach dem Zentrum. Wurde Weiß nnf 
Schwarz gearbeitet, so trug der Experimentator, um alles JÜLeiTor- 
treten kontrastierender Flächen zn vermeiden, einen schwanen 
Bock und schwarzen Handschuh. Wnrde Schwarz anf Weifi ge- 
arbeitet, so wnrden Hand and Arm mit weifiem Tnch bedeokt 
Die Vorrichtnngen znm Festhalten der Objekte an der Spttie des 
Stabes nnd anf der Rttckseite der Objekte waren so eingerichtet, 
daß der Beobachter uichta davon sehen konnte. Als Objekie 
dienten 3U geometrische Fignren, die so konstrniert waren, daß 
sie alle gleiche Flächengröße hatten. Sie sind m den Tabellen 
nach ihrer Gestalt nnd der angewandten Lage aufgeführt. Der 
leichten Übersichtlichkeit halber ist der Tabelle auch jedeemal 
eine kleine Figur beigegeben, welche Qestalt und Lage der Figur 
anzeigt^). Anf weifiem Grunde wurden Fignren benutzt, die lu 
mit schwarzem, ^aaz kurzhaarigem Samt bedeckten Ksilen 
geschnitten waren. Die auf schwarzem Gmnde benutzten Objekte 
(iaLTcgen bestanden aus weiBeui Karton. Das \ erfahren war stet« 
daa unwissentliche, d. h. bei der Aunäheruuir an den Fixierpunki 
wurden Urteile abgegeben, nicht aber bei der Entfernung. Die 
Figuren wurden in einer Versuchsreihe auf demselben Meridiio, 
nicht aber in der in den Tabellen aufgeführten Beihenfolge w 
gefithrt, sondern in ganz regelloser Ordnung; und es wurde, vb 
zu vermeiden, dafi der Beobachter etwa schließen konnte >die 



1) W. J. Abbott, B.A.M.B., Experiments on the fimction of aUt-fimn 
papils. Univeiiity of Toronto Stadiei, Psychological Seriee. VoLH. S.Ofi^ 

2) Diese den Tabellen beigegobeiien Figureu beanepmeken natilrlidi wr 
eine ungefähre Wiedergabe der Oeetalt der Objekte nud shid siebt vob 
gleicher FlächengrOße. 



biyilizüü by GoOglc 



Eric«iuib«rkoit gw»m«tr. Figom und SehrifbdeheD im indinkten Sahm. 356 

Figur kauu es uicht sein, denn die ist Bchon dagewesen« stets 
eine Anzahl der Figuren wiederholt. In dieser Weise dauerte 
die VortUhmng aller Figuren aul" einem Meridian ungefähr 1 2 '^is 
2 Stunden. Registriert wurden alle riehtigen und falschen Urteile, 
wobei die richtigen wieder in allgemeine und spezielle zerfallen. 
So z. B. wenn ein auf der Ecke stehendes Quadrat genähert 
wurde, so wurde es in großer Entfermiii^^ vom Fixierpunkt nur 
als ein Flecken von unerkennbarer Korni g-ei^chen, etwas näher 
gebracht ist einige Male das Urteil: Dreieck! gefallen Das war 
natürlich ein falsches Urteil. Bei weiterer Annähemng wurde es 
dann als vierseitige Figur, also (allgemein) richtig erkannt; gleich- 
zeitig oder etwas später vielleicht als Rhombus bezeichnet (speziell 
falsch) und bei noch größerer Annäherung als Quadrat (speziell 
richtig}. Kun muß ich aber darauf aufmerksam machen, daß es 
flieh mn die Unterscheidung einer begrenzten Anzahl von Figiuen 
und nicht um die Glieder einer, die kontinuierlichen Übergänge 
zwischen den Figuren mehr oder minder gnt repräsentierenden 
Reihe handelt. Experimente mit einer solchen wären wegen der 
großen Anzahl der nötigen Objekte einfach unmöglich geworden. 
Man hätte dann z. B. alle Überginge, Grad um Grad, vom Qaadiat 
in einem eehr Ubigliehen Bhombns und ebenso aUe Reohteeke ron 
einem yon dem Qnadrat nnr wenig veiBchiedenen bis zn einem 
gans langen haben müssen; ebenso dne nngehenie Anzahl von 
Dreiedken swischen dem regolXren nnd dem ausgeprägt inega- 
Uuen spitswinUigen und stumpfmnkligen. Jedenfalls hätte man 
mehrere hundert Figpuren dazu gebraucht, und die Versuche einer 
einzigen Beihe hätten nicht mehr unter annähernd gleichen Be- 
dingungen stattfinden können. Die in den Tabellen au^efUhrten 
Zahlen geben also nicht an, wo die betreifende Figur ron allen 
möglichen anderen Figuren unterschieden wurde, sondern sie 
geben an, in welcher Entfernung vom Fixieipunkt die betreffonde 
Figur mit Sicherheit Ton den übrigen 29 von uns Tcrwandten 
Figuren unterschieden wurde. Wenn das Urteil »Quadrat« ge- 
flfflt wurde, so bedeutet das keineswegs, dafi die Winkel absolut 
als rechte gesehen wurden, denn wenn wir eine Figur mit Winkeln 
von 91 bzw. 89° gehabt hätten, so wäre sie in dem angegebenen 
Fall meist wohl auch als Quadrat gesehen worden. Das Urteil 
»Quadrat« bedeutet hier also nur: »Es ist eine vierseitige, an- 
nähernd rechtwinkelige Figur, die mit keiner der übrigen hier 

ArcUr fttr Psychologie. XiU. 24 



866 



g^ebranchten Figuren verwechselt werden kann.« "Wenn man genaa 
Uberlegt, so wird man finden, daß unsere Urteile Uber die Gestalt 
der Dinge gewöhnlich von dieser Art sind, es handelt lidi 
in unseren »sieheien« Urteilen stets xm diskrete und nicht mi 
kcnttnoierlidie Seihen. In anderen Worten, es liegt ISut nie ein 
reines Wnhmehmangsnrteil vor, sondern es ist stets gewisMS 
Schlnfiyerfahren dabei. Das aher entspricht gerade der Katar und 
dem Zweck der gebräuchlichen Urteile; gerade auf Grund dieser 
Tatsache kann ein Mensch eine Eiche von einer Ruche, ein Hais 
von einer Kirche sicher und auf den ersten Blick nnterscbeiden. 
Gttbe es alle Übergangsformen, dann wäre dies nicht möglich. 

In Tabelle I sind die £ndresaltate der Versnche des Herni 
8 win nerton znsAnunengestent, nnd swar ftr den Horisontid- 
meridinn des rechten Anges. Die beiden ersten Kolnmnen be- 
liehen sich anf den linken Ast dieses Meridians, der der temporales 
Seite der Retina entspricht, die beiden letzten Eolamnen dagegen 
auf den rechten, der nasalen Seite entsprechenden Ast des Hori- 
zontalmeridians. Leider können wir nar das spezielle Urteil hier 
angeben, da von diesen Versuchen nichts mehr in unseren Händen 
ist als die Zusammenstellung der speziellen Urteile. Die Fioto- 
koUbttoher sind bei der oben erörterten Getagenheit Terloren ge- 
gangen, nnd ei ist nnr einem Znfhll xn verdanken, daB der vier 
FoUobogen ansmaohende Bericht Herrn Swinnertona Uber Je 
ftnf Einselbeobaehtongen rerschiedener Beobachter nicht mit 7e^ 
loren wurde. Die Zahlen in der Tabelle sind daher Durchschnitte 
aus ftlnf Beobachtungen, mit Ausnalune von zwei Fällen, wo das 
Dokument lädiert und zwei Zahlen uukeiiutlich waren und wo e«» 
sich daher um den Durchschnitt von nur Tier BeobachtungeD 
handelt. (Ks sei noch ausdrücklich erwähnt, daß in den Fällen, 
wo in derselben Versuchsreihe ein Objekt zweimal beurteilt wmde, 
der Dnrchschnitt der beiden Beobachtungen als ein Yersnch gerech* 
net ist) Die Durdischnitte Jeder Klasse von Figuren, s. B. der Drei- 
ecke, der Tierseitigen Figuren, der Halbkreise, Ellipsen. Quadranten 
sowie auch der Polygone aiud in letten Ziü'erii gedruckt. Abgesehen 
von dem direkten quantitativen Vergleich der Abstände, in welchen 
die Gestallt der Figur richtig erkannt wurde, läßt sich aus diesen 
Versuchen so wie aas deiyenigen der Herren McVannell und 
Beatty, die swar verloren gegangen sind, aber deren Beenitate iok 
miek in grofien Zllgen noch deutiieh erinnere^ folgendes schlieBes. 



biyilizüü by GoOglc 



Erkeunbarkflü geometr. Figuren and Bchriftaeiobaa im indirekten Sehen. 357 

1) Winkelige (eckige) Figoren werden im allgemeinen leMiter 

erlukiiDt als abgerundete. 

2) Spitze Winkel erleichtern die Anffassung der Gestalt einer 
Figur, darum werden Dreiecke am weitesten hinaus im indirekten 
Sehen erkannt. Die Erkennung des rechten Winkels spielt nur 
dann eine wesentliche Rolle, wenn der eine Schenkel in die Bioh- 
tong de« Meridiane ftUt, auf dem das Direkt dem Fixieiponkl 
genikert wiid, nnd dies wieder iat In besonderem Grade der Fall 
ftr die Horixontal- nnd Yertikalmeridlane. loh mOehte hier daianf 
avfhierkeam maehen, daß man ans den In der Tabelle angegebenen 
Zahlen fUr Figur 5 uüd 6 nicht schließen darf, daß an der Stelle 
der rechte Winkel bzw. die Gleichschenkeligkeit genau erkannt 
wurde. Wenn beispielöweiae bei Figur 5 die Symmetrie um die 
Vertikallinie erkannt ist and der Beobachter darüber sicher ist, 
daft nicht ein gleichseitiges Dreieck vorliegt, so kann er, da eine 
Terweohoelnng mit Kummer 3, dem anderen gleieheohenkeiigett 
Dxeieeky ganz anageeehloBaeB iBt, sofort das rlehtige Urteil ftllen, 
aneb weim er den reehten Winkel nieht als soldien erkannt hat, 
sondern lediglich auf Omnd des Schlneses, daß ein anderes 
niedriges Dreieck von vertikaler Symmetrie in der ganzen Keihe 
von Objekten nicht vorkommt. Umgekehrt wird bei Figur 6 der 
rechte Winkel nnd nicht die Gleichschenkeligkeit wirklich wahr- 
genommen. Sobald nämlich festgestellt ist, daß das Dreieok an 
hoeh und an sohmal ist, um mit Nummer 7 verwechselt zu weiden, 
M kann es ja bot das gleiehsehenkeUgei redbtwinkeUge sein, 
ligar 8 eadlioh yerdankt sioherlieh die leiefate Erkennbarkeit ihrer 
genauen Form nieht der korrekten Wahrnehmung des stampfen 
Winkels, sondern der großen Länge und geringen Höhe der ganzen 
i'igur. 

Wie ich schon oben bemerkt habe, sind solche Einflüsse des 
Sehl uÜ Verfahrens im gewöhnlichen Leben wie bei wisseDBohaft- 
heben Versuchen absolnt unvermeidliob, 

3) Die Symmetrie der Figuren seheint im indirekten Sehen 
nur dann eine wesentüohe Bedentnng zu haben, wenn sie Sym- 
metrie nm ihre V er tik alaxe oder airknlare Symmetrie ist 
Die letztere maeht sieh besonders bemerkbar bei den Polygonen, 
die ohne Ausnahme zuerst nur als runde Figuren gesehen werden. 
i)icä geschieht sogar zuweilen uiit dem regulären Viereck, aber 
m wenn es auf der Kcke steht. 

24* 



358 



A. Kirschmaua, 

Tabelle I. Volle geometriaelie Fignnm. 
Itoclttes Auge. 



Geatftlt und Lage 
der geometrisdiien Ftgaien 



I) Reguläres Dreieck, auf 
einer Seite stehend . 

2j Dieselbe Figur, auf 
einer Eeke stehend . 

8) GleiehsehenkeHges, 
spltswlnkellges Drei- 
eck, auf der Basis 
stehend . . • * • • 

4) Kechtwinkelifr^*». nn- 
gleichseit. Dreieck, aut 
der IIy|>ut€ause steh. 

5) Gleichschenkeliges, 
rechtwinkel. Dreieck, 
saf der Balis stehend 

6) Dieselbe Figur, auf 
einer Katbete stehend 

7) Ungleichseitig., recht- 
winkel. Dreieck, auf 
einer Katbete utehend 

8} üngleichseit., stumpf- 
winkel. Dreieck, auf 
der ISogsten Seite steh. 

BrnfesehiittderDreieeke 

9) Qnadrat, anf der Seit« 
stehMid 

10) Dieselbe Figur, auf 
der Ecke stehend . . 

II) Beehteek, liegend. . 



1^ Rechteck, Btehend. . 
18) Gleichscbenki. irapez, 
auf d. ^rüß Basis steh. 

14) Rechtwinkcl. Trapez, 
auf der größeren, den r. 
Winkel bild. Seite steh. 




▼ 

i 







♦ 




l.inki^r At>t des ' Rechter Ast drs 
Horizont-Meridians, Horiwnt.-Mmdiaaä 



Weiß auf I Schwarz 
Schwarz auf Weiß 



Weiß auf 
Schwarz 



54 



74 



73 

59 

4& 

Ö9 

68 

106 
67,6 

61 

57 
61 

58 
44 

49 



69 
60 



64 
58 

68 
60 
71 
86 



«3 

41 
£6 

46 
38 



Schvan 
aofWeiß 



107 



109 
106 

106 

107 

109 

110 
107 

88 



78 



107 



67 



70 
88 



III 
74 

87 

94 

n 

87 
81 

» 

67 
49 



45 



biyilizüü by GoOglc 



Erkcnnbfltrkeit geometr. Figuren und Schriftzeichen im indirekten Sehen. 359 



Gestalt und Lage 


Linker Ast des 
HotiMNit-Heridlaiu{ 


Rechter Ast des 
1 Hoffisont-H erfdieoB 


der geoiiMtiiadieii Flgiiren 


neu«eiu 
Sehwin 


CHSAiran 
anfWeiSl 


ff euseni 
Sehwen 


aufWeiß 


15} Rhoinbu«, auf der 
Seite stehend .... 




69. 


44 


1 • 

76 


53 


16) Bbomboid, »nf der 
lingeren Seite stdieBd 

BarcbsehniUderViereeke 




67 

57 


68 

48 


81 

1 " 


67 


1 '7\ LT ^n ,^ 




80 


54 


97 


89 


18} Halbkrei«, Konvexität 
19) Halbkxvii, KoiiTexitft 




69 
76 


66 
&7 


86 

100 


76 
88 


80j Halbkreis, KoATexitXt 




89 


64 




94 


81} Halbknii,Eonv«xiat 








1IM 




nni>*liaoIiiiiftt<l WAlMrMin 






60,8 


101,8 


84,8 


22 i^uaclrant, Konvexität 




eil 
09 


43 


97 


71 


23) Quadnnt, KonTttitIt 




77 


60 


89 


63 


84) Qiuulmtt, KonywxltSt 

lechts unten .... 


w 


63 


66 


78 


62 


86} Quadrant KonTenttt 


^ 


64 


61 


103 


d6 


BireliMkB. d. <iiMraatoB 




66»6 


60 


»1,8 


68 


86) EUipie, große Aduo 


1 


1 69 


64 


91 


66 


27) Ellipse, große Achse 


• 


83 


08 


104 


90 


DucbscluiiU der KUipaei 




71 


66 


97,6 


78 


8Q Begattres FHnfeek . 


# 


48 


89 


62 


48 


29] Begnläres Sechseck . 


# 


18 


22 


50 


25 


80) B«g«llrM Siebeneck. 






18 


10 


16 


Diirchich]i.d.reg.Poljgone 




1 24,8 


21 


40,7 


29,7 



860 



A. Kirtchmajui, 



Wk geben im folgenden die 

Reibanfolge der Figuren 

hinsichtlich ihrer Erkennbarkeit im indirekten Sehen. 



Linker Ast 


Rechter Ait 


Weiß ftof 8ehw»n 


Schwan aaf Weiß 


Weiß a»f Sehmn 


fiekwin nf Weit 


Krato 


IMeeke 


I>relteke 


Kieie 


Hilhkreiie 


Halbkiebe 


HalbkreiM 


HilbkniM 


Ellipsen 


EIlipNB 


EUlpeen 


Drdeeka 


Dreiecke 


Erei8 


Kreis 


Ellipsen 




Quadranten 


Qaadranten 


QuadrantW 


Tiereoke 


Vierecke 


Vierecke 


Vierecke 


Polygome 


Polyg«Mie 


1 Polygone 


Polygoae 



Die Toretebende ' Tabelle besüebt sieb auf die Erkennung der 
ipesiellen Eigeniebaften der Figor. Wenn wir Uber PietokollA 
der Erkennbarkeit der ellgemeinen Eigenseitalten, also eb TM- 
eck, Viereek, rande Fignr nvw. rerftlgten, dann wtlrde sich ge- 
zeigt babea, daß Dreiecke am weitesten hinaus erkannt werden, 
nächst ihnen kommen der Kreis und die Polygone als runde 
Figuren und nachher vierseitige Figuren. Die Beurteilung einer 
zirkalar eymmetiischen Fignr, wie es die Polygone sind, als made 
Figur kann nicht gnt als falsche« Urteil beieicbnet waidn. 
Von Mutigen ^üseben ürteUen, die» wie ieb. mieh erinnerei mahr 
oder weniger bftnfig ▼orkamen» ■« ni erwlhnen, dafi Halbkieiie, 
beeondere wenn die KonTexittt bei der Bewegung naeh dem 
Fixierpankt Tom ist, zuweilen mit Ellipsen yerwechselt werden. 
Femer, daß Quadranten zuweilen erst ftlr Dreiecke gehalten 
werden, während das rechtwinkelige Trapez hier and da fttr eis 
rechtwinkeliges Parallelogramm angesehen wird. 

Im ganzen sieht man, daß der rechte Ast des Horizontal- 
meridiane dem linken ftberlegen ist Yeranehe mit dem Unk» 
Ange leigen, daß dies nicbt ganz anf die Snperioritlt der nanlM 
Betina mrttekxnfbbren ist, sondern dafi die ans doreb das Lesen 
gelftnßge Bewegimg anrllekender Figaren vnd Bncbstaben fon 
rechts nach links hier eine liulle spielt. Des weiteren sieht man, 
daß mit einigen geringfügigen Ausnahmen Weiß auf Schwarz sich 
günstiger stellt als Schwarz auf Weiß. Die wenigen Aosnahmen 



biyilizüü by GoOglc 



Erkennbarkeit geometr. Fignren nnd Schriftzeichen im indirekten Sehen. 361 




Tabelle II. Geometrische Figuren in Umriesen. 

BeebtOB Äage. 



Gestalt und Lage 
der geometrischen Figureu 



jUnker 



Ast d. Horiz.-MeridiaiiB 



WelßanfSchw. 



jAllgem.l Spez. 
r Fom Form 



1) OleioliMitigMDteidck, 
auf einer Seite stehend 

2: Dieselbe Figur, »uf 
der Kckc stehend . . 

3j Spitzwinkeliges, 
f leiehachenkd. Drei- 
eck, auf der Bmib 
stehend 

4* Rt»< }!t^ inkel., gleich- 
Bchcnkcl. Dreieck, auf 
der Hypotenue eteii. 

6) Reehtw., nngleieliteit 

1' roieck, iiuf der läng. 
Kathefe stell., rechter 
Winkel nach linlu . . 

6) Dieedbeflgnr.reohtar 
Winkel naoh reehte . 

7; StumpfwinkeligeB, un- 
gleichseit. Dreieek, auf 
der grÖi3teD Seite steh. 

DinhfcbiitttoMeeke 



8; Quadrat, Mif der Seite 
stehend 

l9} Dieeelbe Figur, aof 
der Eeke eteliend . . 



I9i Beehteek, atehend. . 

11) Diaeelbe Flgnr, lie- 
gend 

12) Gleicher!; onlc, 1Vi]ie7:, 
sof d. •rrob. Basis steh. 

13) Kecbtwink.Trapez,aaf 
der grefi*, den rechten 
Winkel Mld. Seite steh. 

14) DieselbeFtgnr.nnfder 

kleineren, den rechten 
Winkel bild.Seite steh. 



A 

V 

Ä 



75 



*| 62 
73 

73 
70 

69 
70»8 



□ 

O 
0 



63 
48 

49 
£0 

53 
61 

41 

40»3 



Sctaw. auf Weiß 



liechter Ast des Horiz.-Hend. 
jweiß anf Schw.lScIiw.anfWeiO 



Allgem. Sjjez. Allf^nu 
Form i Form Form 



60 



48 



46 
60 

58 
6S 

49 
»>»4 



41 



41 



86 



47 
44 

42 

4M 



100 



91 



93 



97 
96 

91 



1 


64 


öl 


40 


1 

76 


' 63 


46 


48 


41 




1 68 


44 


47 


41 


74 


i 68 


49 


66 


44 


80 


1 ö» 
1 

1 


4ö 


69 


39 






47 




87 


64 


l| 


41 




] 

48 1 


79 



Spez. Allgem.' Spez. 
Form i Form I Fenn 



49 



67 



68 



60 



72 
71 

66 

69»S 



61 

65 
67 



62 



68 



53 



66 

Ö4 

66 
66 

67 
61 
74 

58,9 



66 



55 



61 



87 



37 



39 



39 



46 



46 

40,t 



24 

44 

46 
49 

43 

80 



67 



46 

y Google 



Linker Ast d. Horb -Meridians 



Gestalt and Lage 
der geoDMtriseheii Figures 



! Rechter Ast des iiofi/.-Mt>rid. 



Weiß auf Schw. I Schw. auf Wei ß Wei ß auf 8chw. 1 8chw. auf VV eiß 



16) BhomboB 



16} Bhomboid, lltfend . 
DwehBeklittdwTiineke 

17) Knii 

19 Halbbeia, Konvezitit 
nAch obMi 

19) Di6S.F!gM Konveiiat 
ueb anten ..... 

20; Dies. Fig., Konvexitüt 
BMh feohta 

21) Dies. Fig., KonTtzitHt 
nach links 

DiNkMfei* i. Halbknite 

88] Quadrant, Konvexität 
Unks oboa 

28) Quadrant, Konveiititt 
rechts oben 

24) Quadrant, KonvexitSt 

links nnten 

26) Quadrant, Küuvexitüt 
rechts traten .... 

Darchschn. d. (taadranten 

26' Ellipse, große Achse 
horizontal 

27} Ellipse, große Achse 
vertikal 

Puicbäilinut der Ellipsen 

28j Fttnfeek 

29) Seehaeek 

d09 Achteck 

Dvekicbi. der Pelygtu 



Vi 



Ö 



D 
0 

ü 
U 



0 
o 

o 



Dnrchschi. £.d.Erkenn. d. »runden Fig.« 
All Mlehe wvdm geeehea der Kreil, 
die Pel7gone,znweilen anehdieEUip- 
IIB I. dM Mf der Eeke iteh. Hudrtki 



iAUgem 
Form 


Spez. 
Form 


Allgem. 
Form 


Spez. 
' Form 


Allgem 
Form 


Spez. 
Form 


Allgem 
Form 


Spez. 
Form 


62 


47 


44 


34 


64 


46 


69 


42 


61 


47 


41 


87 


88 


67 


61 


35 






48 


4A 1 


74.8 








03 


43 


63 


34 


77 


64 


69 


46 




49 




44 




67 




66 




69 




48 




67 




66 




68 




47 




71 




66 




63 




48 




84 




48 




wf ^ 












a 




66 




43 




68 




48 




69 




46 




73 




49 




52 




43 




69 




45 




Ov 




40 1 




77 




u 




65,8 




44,8 




71,8 




46 




60 




41 


84 


62 


66 


48 




62 




41 




67 


69 


47 




66 




41 




ü4yö , 




47)9 


67 


40 


42 


35 


68 


66 


64 


42 


38 




87 




68 


49 


63 


86 


26 


18 






60 


16 




22 


40,9 






89,6 


61,7 


88 


68,6 


98,8 


61 


1 


u 1 




79,6 




69 





d by Google 



364 



A. Kinohmaim, 



betreffNi dat Sieben- imd Aelitoek, bei weloben oiMrHeh die 

Irradiation im Sinne der Annibenmi; en den Kveii urMct, vnd du 
reguläre so wie da« gleichsch enkelige rechtwinkelige Dreieck ilir 
den Unken Ast. Jedoch Ut in beiden letiteren Fällen der C]lte^ 
Bcbied ziemlich gering. 

In den vorstehenden Versuchen betraf der Helligkeitsnnterechifid 
xwieeben Figur nnd Onmd die ganze Fläche der Figar. Es mr 
Dvn Meh Ton Werl, ni ivisaen, wie eieh die Sedie Terbilti wem 
die Figur nur in ümriNen geidebnet ist Solehe Yermehe fiel 
ieb mehrere Jahre bindnreh Tcn MitgUedem des LabmtoiiiDii, 
besonders tos den Herren Perkins imd Partridge anstellen. 
Die Figuren waren genau dieselben wie in den vorigen Ver- 
snchen, also alle von gleicher Flächengröße, nur war diesmal nicht 
die ganze Figur schwarz oder weiß , sondern bloß der Rand 
In Figur 1 nnd 2 gehen wir eine photographische Aufnahme der 
ordnnngiloB anf einer Fläehe ausgebreiteten Objekte. Einige Än- 
derungen wurden notwendig befiinden. Dae reebtwinkeUge tm- 
gleiobseitige Dreteok, anf der Hypetenue etebend, nnd dae anf 
eüier EaÜhete ilabende gleiehedienkeUge Dreieck lind weggelanen. 
Anstatt dessen aber wurde das mgleiebseitige reehtwinkeHge 

Dreieck in zwei verschiedenen Lagen gebraucht, (^r. 5 und 6, 
Tabelle II.) Femer ist das rechtwinkelige Trapez in zwei ver- 
schiedenen La^en angewandt (Tabelle II:, nnd das Siebeneck ist 
durch das Achteck ereetst (Nr. dOj. In dieser Tabelle haben wir 
nicht bloß die Erkennung der spesiellen Form (jeweilig die zweite 
Kolunne), londem aneh die der allgemeinen (erale Kolania^ 
registriert. Beispielsweise: das gleiehseitige Dreieek (anfireoht} 
wurde anf dem linken Ast des Horlaontalmedians unter Anwendmig 
▼on WeiB anf Sebwan in ^ner Entfernung yon 75 em als Drei- 
eck, aber erst in einer Entfernung von 53 cm als gleichseitiges 
Dreieck erkannt. Die Bezeichnung >allgemeine Form« bedentct 
demnach hier »wahrgenommen als Dreieck«, »wahrgenommen als 
vierseitige Figur, wahrgenommen als Polygon« nsw. Die Poly- 
gone werden gewölmlich erst als runde Figur gesehen. Die Be- 
seiebnnng »rande Fignr« sehUefit nattlrUeh den Kreis ein. Wir 
haben am SeUufi der Tabelle daber aaeb den Dnrehsehnitt ftr 
das Urteil »runde Figur« angegeben. Die Entfernung, in weloh« 
der Kreis mit Sieberbeit als soleber, d. h. als von den Polygonen 
Terschieden erkannt wurde, ist nattlrlich in der Kubrik »speaefle 



Digitizeu Lj vjüOgle 



Erkeunb&rkeit geometr. figureo aad äcbrlftsaicbeii im indirekten Sehen. 365 

Fomn SU snohen. Ei Mi noch bemerkt, dmfi Mdi 4ie EUipie 
bei Heriiontalsteann; der grofien Aebee inweilea ata rnnde Figur 
«tkaast wmde. Etunal ist dies tnob mit der yertikaletebendea 
Ellipw geeobebeD. lUsdie Urteüe lind in nnierer Tabelle niebt 
beriefatel, klSnnen aber am den VemehipfOlDkollen jedeneit ei^ 
aeben werden. Die widitigiten der fidaebem Urteile lind die Ver- 
weobadang von Beebteeken vnd Qnadraten, Bbombaa nnd Bbomboid, 
die Wabmebmnng der Ttepeie uid Quadranten ab Dreieeke. 
Aof den ernten Bliek durfte ea anffallend enebelnen, daft dai auf 
der Eeke atebende Quadrat, daa doeb mit keiner anderen S%nr 
an verweebieln war (dne auf der Eeke atebende Baale werde ja 
niebt TerwaadQ, niebt einen grOSeren Erkeminngabereiob bat Daa 
rifbrt aber daber, daS die reebten Winkel im indirekten Beheni 
hSk niebt ein Sebenkel in die Meridianriobtang fällt, lebr aebwer 
erkannt werden. Id grOfierer Entfemuog ist dieses anf der Eeke 
siebende Quadrat Öfter Dir ein Dreieek, ja sogar einige Male 
(wobl wegen der zirknlaren Symmetrie) ftlr eine rnnde Figur ge- 
halten worden. Aufrechtstehende Halbkreise sind Öfters, und zwar 
meist dann, wenn die Konvexität dem Fixierpunkt zugewandt war, 
für Ellipsen uügesehen worden. Dagegen werden Quadranten mit 
von dem Fixierpunkt abgewendeter Konvexität sehr oft erst fUr 
Dreiecke gehalten. Legt man die in der Tabelle in fettem Druck 
gegebenen Durchschnittswerte zugrunde, so ergibt sich die nach- 
Btehende Reihenfolge der Fi^rcn in bezug auf ihre allgemeine 
und spezielle Erkennung im indirekten Sehen. 



Linker Ast des Horlioataluetidiaas 


Beobter Ast des Horisontsimerldisns 


Weiß auf Schwan 


Schwarz anf Weiß 


Weiß aaf Schwan 


Schwarz auf Weiß 


Dreieeke 


Bunde Elgnren 


Dreleoiw 


Bunde Figuren 




Dreiecke 


Bunde Ffpuen 


Dreiecke 


Bunde Ffgona 


Vierecke 


Vierecke 


Vierecke 


H&lbkreise 


Halbkreise 


Halbkreise 


Halbkreise 


Ellipflen 


Qoadranten 


Quadranten 


Polygone 


Quadranten 


Spez.Form derDreieck^ 


Ellipsen 


Ellipsen 


8pez.Fonn derDreiecke 


EUipseii 


Spex.Fotin derDr^ecke 


Qnadtsiteii 


^Ma^EVvm derVierecke 


Spei.FonB derTieraek« 


Polygone 


Kreil 


Kreis 


Polygone 


Spetl'om derlfleneke 


8pet.F<»ni derDieleeko 


Potygoae 


Kreis 


Kreis 


Spez. Form dorViere^O 


SpÄiFonB d. Po^oae 


Spes.Form d.Poltyg<ni«i 


8peK.Fom d.Poljgone| SpeB.FonB d. Polygone 



366 



A. Kirschmann, 



Die jente Entsoheidiuig, die gewOhnMeli gefittlt wird» die aller 
in nnserer Tabelle nicht anfj^ftllirt werden Icann, ist die der 

eckigen Figur, wobei unter > eckiger Figur« alle Dreiecke und 
Vierecke, die Quadranten uud manchmal auch die Halbkreise zu 
verstehen sind. Wir haben davon abgesehen, in der Tabelle und 
in der obigen Keibenfolge dieses Urteil anzugeben, einmal weil 
die betreffenden Figuren geometriecb nicht gut anter einen 
weiteren Begriff gebracht werden können, denn Quadranten imd 
Halbkreise Bind eben nur teilweise eekige Figaren, andererseüs aber 
aneh» weil die Beobachter, da dieses Urteil iür alles galt, aafier 
Kreis, Ellipse und Polygone nicht viel Wert darauf legten und 
deshalb oft vergaßen dasselbe rechtzeitig anzugeben. Diejenige 
Eigenschaft einer geometrischen Figur, die am weitesten liiuüus 
im indirekten beben mit Sicherheit wahrgenommen werden kann, 
ist der Besitz scharfer Ecken. Es ist leicht verständlich, 
daß die Halbkreise, wenn die Aufmerksamkeit znüUiig mehr anf 
die scharfen Ecken fiUlt, als eckige Figur gesehen wird, wählend 
im Falle, daB die Konvexitftt mehr ins Auge fUlt, die Verwedia- 
long mit der Ellipse nAher liegt Andererseits ist leicht erkUrlieh, 
dafi Figuren mit zirkularer Symmetrie und stumpfen Winkeb, 
wie etwa das Fünfeck, meistens zuerst als runde Figuren gesehen 
werden, und dies ist, wie wir weiter oben schon erwähnten, in 
seltenen Fällen auch dem auf der Ecke stehenden Quadrat 
passiert. Vergleichen wir die Kesultate fUr die rechte und die 
linke Hälfte des Horizontalmeridians miteinander, so sehen wir 
hier wiederum, daß der rechte Ast, soweit es die Versuche WeiA 
anf Schwarz angeht, etwas im Vorteil ist, ^^rend dies ftr 
Schwarz anf Weiß weniger deutlich ist, ja in einigen FUttes 
seheint hier der temporale Ast gar ttb^egen zu sein. ^ Klar ssd 
deutlieh aber zeigt sieh die Überlegenheit der Anordnung Weiß 
auf Schwarz Uber die umgekehrte, und zwar iöt dies am schlagend* 
sten bei der Erkennung der aUgemeiueu Form. 



n. Sehrifizeichen: Lapldarbuehstabeii. 

Schriftzeichen sind mehr oder minder komplizierte geometriaefae 
Figuren, die als sichtbare Symbole fttr Sprachlaute oder Komplexe 
Ton Sprachlauten stehen. Von allen bei uns llblichen Sohrif^ 
Systemen haben unstreitig die rümischen Lapidarbuchstaben des 



Digitizeu Lj vjüOgle 



Erkeaiibarkeit geometr. Figuren ond ächriftzeichen im indirekten Sehen. ii67 

Yonog größter geometrischer Einfachheit. Sie bestehen aus ganz 
einfiuihen geraden und gekrttnmfen Strichen von überall gleich- 
müßiger Dicke uud uutbehren der der Antiquaschrift eigenen Quer- 
striche und Auhängael. Gleichzeitig mit den im ersten Teil dieser 
Arbeit berichteten Versuchen der Herren Beatty und McVannell 
Uber die Erkennbarkeit geometrischer Figuren habe ich Unter- 
suchungen über die Erkennung der Lapidarzeichen im indirekten 
Sehen aosfUhren lassen. Das VersnehsTorfahren war ganz analog. 
IMe Objekte wurden Im Sehfelde des rechten Anges anf einem 
Meridian dem Fixierpnnkte genähert, bis sie richtig erkannt 
wurden. Die Versnche wurden »Schwarz anf Weiß« und »Weiß 
auf Schwarz ^ ausgeführt. Leider kann ich die beiderseitigen Er- 
gebnisse nicht von demselben Beobachter vorlegen. Die Versuche 
an meinen eigenen Angen und die einer Anzahl von anderen Be- 
ottachtem sind bei dem oben erwähnten Schififbruch verloren ge- 
gaqgen. Jedoch habe ich noch die Berichte und graphischen Dar- 
Btellüngen der Herren Cnlbert nnd Cronjn, welche mit »Weiß 
aaf Schwarze je Tier Beohachtongen Itlr jeden Bncfastaben anf 
leehiehn Halbmeridtanen des rechten Anges dnrchifthrten, nnd f^r 
dieselben sechzehn Meridiane die Durchschnittswerte von vier yer- 
schiedeneu Beobaebteru, die > Schwarz auf Weiß« arbeiteten. Die 
Objekte sind in Figur 3 und 4 photographisch wiedergegeben. 
Die schwarzen Buchstaben (das S in Figur 4 ist aus Versehen 
verkehrt gestellt) sind auf weißen Karton gedruckt, die weißen 
smd aus dtinnem weißen Karton ausgeschnitten und anf schwarze 
SamttSfelchen angeklebt Um den Einflnß der Irradiation an kom- 
pensieren, smd die weißen eine Spnr kleiner gehalten, so daß sicp^ 
SOS einer Entfemnng Ton einem Meter gesehen, genau diesdbe 
OrOfie zu haben scheinen wie die sehwarzen. Wenn noch eine 
Ungleichheit hinsichtlich der Schärfe und Gleichmäßigkeit dur 
Furmen bestehen sollte, so fällt dieselbe jedenfalls zugunsten der 
schwarzen Buchstaben aus, die gedruckt sind und stellenweise 
einen etwas breiteren Schnitt aufweisen. 

In Tabelle III geben wir die Resultate dieser Versuche. Von 
den Tier Ahteilnngen der Tabelle beziehen sich die drei ersten 
auf die mit wdfien Buchstaben auf schwarzem Grande ansgefthrten 
Yenrache der Herren Cnlbert nnd Cronyn, nnd zwar gibt die 
eiste die Besnltate Culberts, die zweite diejenigen Oronyns und 
die dritte den Durciiücbuitt beider. Die beiden ersten Abteilungen 



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368 



A. Kiracbmann, 




Fig. 3. 



□□DEiaii 



Fig. 4. 



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KifcwBb>ikdtito«ttr. Figuren md Sdumwidm Im iadfwktea Btbm, 



Tabelle HL 



Wei0 maf Sehwari 



Bdobiditar Calbort | Beobeeliter Cronyn 



DorehBchnittder 
bdd. Beobachter 



Sehwars auf Wetß 



Darohscbmtt auB vier 
versobied. Beobachtern 



^ j| Ais^^uvwa 












AiWwi>a wv 




Rechter 






^ Hori- 
iiontal- 

1 meri- 


samt- 
fllche 


Bessere 
Meri- 
diane 


Alt dm 
Hori> 

xontal- 

meri- 


Ge- 
samt* 
fläche 


Bessere 

Ufo»! 

dlaii6 


Aat dee 
Hori- 
zontal- 

meri- 


Ge- 
Bamt- 
flXcbe 


AitdM 

Hori- 

zontal- 

meri- 


Ge- 
samt- 
flilche 


Bessere 

Meri- 
diane 


1 duiaj 






diana 






diana 




dians 






! 1 cm 






ein 


QCm 




on 


QGin 


1 on 






76 


8841 




73,7 


10498 


n, XVI 


74,9 


9669 


66 


8886 






3021 




43,8 


3149 




47,1 


9066 


36,3 


1339 




26,7 


1542 


n 


28,2 


1988 


n, XI 


87,6 


1766 


16,6 


696 


IX, X 


38 


9667 


XVI 


60,2 


4140 




44,1 


640« 


47 


1840 




1 


2905 




62 


4710 




61 


3806 


32,6 


1407 




I 643 


3732 




51.5 


4f)14 




62,9 


4173 


38,1 


1802 




1 30,4 


1493 




33,8 




IX 


32,1 


1863 


26,4 


997 


XVI 


1 46 


3161 




41,8 


34,58 


XVI 


48,9 


3310 


14,8 


730 [ 
3636 


HI, 

II-XIL 

xf.xn 


i 81.3 


10560 


II — IV, 

VIII, m 

IIV — lYI 


86 


10464 




83,2 


10507 


63,9 


L 41.3 
1 ö6,3 


5472 1 
4314 


)63.2 
68,8 


6826 

4684 




47,3 
57,6 


5649 
4449 


33,5 
36,8 


2929 

2532 


XVI 




8667 




76,2 


7281 




73,9 


7924 


52,9 


3364 




P 






63 


4668 




58,6 


6211 


20,6 


1076 


lU 


40,7 


3183 




40,6 


3161 


XV 


40,6 


3172 


29,6 


1077 




61,3 


4274 




43 


;M95 


XV 


47,2 


3886 


1 44,b 


1717 




42,7 

i 


4038 




48,2 


4302 


IV. XVI 


46,5 


4170 


! 98,1 


1739 




25,7 


1136 




32,2 


1658 


IX 


29 


1397 


19,9 


625 




; 


3547 
4069 




36,7 
44,2 


3873 
3547 


XIII-IVI 


40,6 
48 


3710 
3808 


20,5 
35,8 


1297 

1070 


rv, XVI 




5382 




66 


5397 


XVI 


68 


5355 


47,6 


2170 




II 


4200 


U 


61,6 


5211 


IX 


49,9 


4706 


39,6 


2008 




F ! 64.2 


5257 




66,2 


6800 




59,7 


5529 


5:^9 








8461 




63,2 


9363 


n, XV, XVI 


67,2 


8907 


49 


:«08 




[ : 69,3 


6310 




66,6 


6247 




67,4 


6279 


46,4 


2997 




1 «l 


6169 




61,7 


6634 


II, XVI 


64,4 


6397 


62,4 


2600 






6829 




62 






68,6 


6886 


1 ^ 


2767 


VIII 




1 Am 




52^6 


50Ü3 1 


53,1 


4924 1 


j 38,1 


1966 





Digitizeu Lj oOOgle 



370 



A. Klnebnuum, 



bestehen auB drei Rubriken, von welcben die erste in ZentimeterD 
die Entfemimgeii vom Fixieipankt angibt, in welchen die Biuh* 
Stäben anf dem rechten Ast des Horizontalmeridiaas Im Sehfeld 
des rechten Auges richtig erkannt wurden. Da wir hier dam 

absehen rnttflsen, die Zahlen f^r alle sechzehn HalbmeriditDe 
wiederzugeben und doch eine einigermaßen adäquate Aiideutimg 
hinsichtlich des Verhältnisses dieses wichtigsten Meridians zu deo 
übrigen geben möchten, so beschränken wir uns daraal, in der 
aweiten Rubrik die durch Rechnung aus den Übrigen Beobadh 
tnngen festgestellten Maßzahlen der Gesamtflächen ftlr die Erkenn- 
barkeit der einzehien Buchstaben in Qaadraizentimetem ansngebeii. 
In aUen Füllen, wo der rechte Ast des HonzontalmeridiaaB niebt 
das günstigste Ergebnis anfWeist, haben wir sodann in einer drittes 
Rubrik die günstigeren Halbmeridiane in rOmischen Ziffern aa%e- 
fÜhrt. Dabei ist der rechte Ast des Horizontalmeridians mit I be- 
zeichnet; die übrigen folgen in der der Bewegung des Uiuzeigers 
entgegengesetzten Richtnug. 

An dieser Stelle sei hervorgehoben, daß zwischen den Zahlen 
der ersten and denen der sweiten Rubrik, obgleich eine gewiaae 
Übereinstimmang nicht au yerkeimen ist, keine feste Besiehing 
besteht. Es kann ein Schrifbseicheii auf Orond unserer Übiag 
im Lesen anf dem Horisontalmeridian in TerhältnismSfiig groBer 
Entfernung erkannt werden und andere Buchstaben ttbertreffo, 
hinter denen es auf anderen Meridiauca zurücksteht. Ebenso 
kann das Umgekehrte eintreten. In Fällen von symmetrischen 
Bnchstaben ist ein verschiedenes Verhalten anf dem rechieu nnd 
linken Ast des Horizontalmeridians nicht zu erwarten, wohl abeTf 
wenn es sich um asymmetrische Zeichen handelt Zeichen wie 
F E 6 C Q L nnd P haben, wenn Ton links hefanrflekend, einiB 
gewissen Vorteil, indem sie ihre rorspringenden Teüe biw. die 
offene Stelle (bei C vnd 6) ▼oransschickett. Dagegen haben 0 
nnd I einen Vorteil beim VonHeken in der umgekehrten Riehtoog, 
also von rechte nach links, das J wegen des vorspringen den Biüens, 
das 0 aber dadurch, daß es frtiher die gerade Linie erkenuea ia^i 
und .so weniger Anlaß zur Verwechselnng mit 0 gibt. 

Was die Tabelle auf den ersten Blick zeigt, das ist die Übe^ 
legenheit der geradlinigen Buchstaben gegenüber den runden nnd 
innerhalb der geradlinigen wieder die Überlegenheit der seluef'* 
winkeligen Uber die reehtwinkeligen (natttrlich wenn man m 



Digitizeu Lj vjüOgle 



ErkemilMikrit geiHiietr. Figiuren und 8ofariftideb«n im iodirektoii Sehen. 871 

dem aas einem einzigen Striche bestehenden I absieht). Das 
rechtwinkelige L macht hiervon eine scheinbare Ausnahme. Dies 
bemlit anf der Unmöglichkeit der Ven>v'cebselnng mit etwas an- 
derem. Sobald ttbeibanpt die Gegenwart des Querstriches erkannt 
wird, so kann es sich nur um ein L handdn. Wenn der Qnei^ 
strich etwas schief stände, würde es ebensogut erkannt werden. 

Die runden Buchstaben, 0, C, G und sind ttberall wesent- 
lieh im Nachteil. Daß das 0 eine Ausnahme zu machen scbelnti 
ist die Folge eines Fehlers in der Versnchsmethode. Da 6, C 
waä Q nUe snerst als randlidie Hassen erseheinen, deren Öi&rangen 
nnd Yorsprünge nicht gesehen werden, so worden sie meistens 
als 0 beaeiehnet Wenn nim die Entscheidung *0« fiel, so wnrde 
dies Im FaUe des Bnchstabens 0 als riefatigeB Urtefl angesehen 
nnd registriert Xonekterweise hitte die AnnShemng an den 
Fizierpnnkt fortgesetzt werden mOssea, bis deafHeh erkannt wnrde^ 
daB es nicht eines der drei anderen auch erst als 0 gesehenen 
rnnden Zeiehen war. Bei den spttter m berichtenden, neuer- 
dings ansgeltihrten Versnchen ist dieser Fehler Termieden worden. 

Unsere Tabelle zeigt eine ganz entschiedene Überlegenheit 
des >WeiB auf Schwarz« ttber das »Schwarz auf WeiB«. 
Zwar sind die Versnche nicht fUr dieselben Beobachter angestellt, 
aber die Diffsrenz zwischen den Dorchsohnittowerten der vier 
Beobachter (Schwarz aof WeiB) einerseits nnd den beiden WeiB 
anf Schwarz arbeitenden Yersachspfficsonen andererseits ist so viel 
größer als die auf individuellen Verschiedenheiten, Unzulänglich- 
keiten der Versnchsmethode nnd zufälligen Fehlerquellen beruhen- 
den Variationen der einzelnen Beobachter untereinander. Der Unter- 
schied ist 80 bedeutend, daß an der übiy:cü Ausicgung kaum ^x-- 
zweifelt werden kann. Dabei zei^t es sich deutlich, daü der 
Horizoutalmeridiau aul (iruud unserer Übung im Lesen von Schwarz 
auf Weiß viel weniger benachteiligt ist als die übrigen Teile des 
Sehfeldes. Denn während der Horizoutalmeridian im Falle des 
»Schwarz auf Weiß« gegenüber dem »Weiß auf Schwarz« einen 
Abfall von etwa H(J jfe zeigt fder Dnrchschnittf^wert fUllt von 63,1 
auf ^38,1), geht die Durcbschuittszahl der Gesamtfläche des Er- 
kennnng'jbeiürkes von 4924 qcm auf 196ö (^cm, also auf weniger 
als die Hälfte, bemnter. 

Wenn man die Kuchstabcn nach ihrer [„rkenn barkeit im in- 
direkten Sehen ordnet, so ergibt sich nachstehende lleihenfolge: 
iT^T Ar pir«koiofi*. xm. 25 



Digitizcü by GoOglc 



872 



A. Klnehmtfui, 



I. Fur den rechten Ast des Horizontalmeridüms des rechten Auges. 

1) Sobwan anf Weiß: 
IVALYWTDXOZÜFPKBSJE 
N 6 M R Q C H 

2) Weiß auf Schwui: 
lALZXWYVMTKFEUSJOB 

PDHNRGaC 

n. Für die ginxe ErlcennungiAftolie (alle seohiehii Meridieiie) 

1) Schwarz auf Weiß: 
AILWXJZKYVTUDPOEBFR 

N M S G H Q C 



(Im Falle gleiciter £rkenubarkpit sind die Buchstaben durch eineu darUber 

behudiiclieu Boi^ea verbunden.) 

Zu Ergiaxoiiff der voTSlebend berieliteteD, tot fllnfieliii Jabreo 
angestellten Experimente babe ieli unter Einbaltong denelben Yer- 
Bnehflanoidnnng nnd unter Benntnng derselben Objekte im ver- 
flossenen akademiseben Jabre (1907 — 1906) Versnebe am eigenen 
Auge nntemommen, wobei Frl. Dr. Jansen nnd Herr Lasenby 
(beide Aasiatenteo im psyebolegisoben Laboratorinm) ab Experi- 
mentatoren tektioniertmi, Nnr der Horiiontalmeildiaa wurde 
nntersnobt, aber bdide Aste desselben und fUr beide Angen. Die 
Versache wurden sowohl ftlr »Schwarz anf Weiß« als fUr »Weiß 
auf Schwarz« angestellt. Die in Tabelle IV aufgeführten Werte 
riiüd Mittelwerte aus vier oder mehr Kiiizelversuchen. iiinsichlUcL 
der Größe der mittleren Variation hissen sich die Schriftzeichen 
iu folgende Gruppen teilen. Da ist zunächst eine Gmppe von 
Bachetaben, die eine geringe mittlere Variation haben, weil sie 



2) Weiß auf Schwarz: 



lAWLYXZJVTMUKFPOES 



RDHNBeCQ 



V 




DigitlZCü by Google 



Erkeanbarkeit geometr. Figuren und Schrifbeicben im indirekten Sehen. 373 



Mbr Dihe an den FMeipiuikt benuBTltokeii mltoien, nm richtig 
erkannt sn werden. In diese Onppe gebttren die vier runden 
Bnehfllaben 6 nnd C) nnd das K. Axt den ftnBeren Ästen 
(ftnfiere int Sebfeld, nasale auf der Netehant) des Horiaontalmeri- 
dlans werden diese meist eist richtig erkannt, wenn sie ans deui 
blinden Heek austreten. Eine sweiie Gmppe mit TerhIltnismftBig 
geringer mittlerer Variation liestebt ans den geradlinigen soliief- 
winketigen Bnehataben wie A, W, X, 2, denen sieh aneh das ans 
einem einaigen senlneehten Strielm bestehende I ansdiüeSt Es 
sind dies gerade die ZeiiAen, die die weitesten Erkennnngsbedrke 
haben. Bei V, T, L, Y, J, U, F, E nnd K ist die mittlere Varia- 
tion etwas grOfier nnd bei den übrigen Bnehstaben noch gröBer. 

Besllgticb der Verwecbselang der Zeichen nntereinander, wenn 
sie sieh bei der Annftbernng aa den Fixierpnnkt noch anfierbalb 
ihrer ErkennuDgsbezirke befinden^ läßt sich folgendes konstatieren: 

Die Bnehstaben A, I, L and W werden nie, X, Z nnd T nur 
Äaßerst selten mit einem anderen Zeichen verwechselt V wird 
zuweilen für Y le^ehaltcu und umgekehrt. U ist einige Male ftlr V 
und J in ein paar Fällen für U vereehen worden. K wird, beson- 
ders wenn von links anrückend, oft fUr X gehalten. Unter den- 
selben Umständen wird D oft fUr einen rnnden Buchstaben (0) 
angesehen. Gegenseitige Verwechselnng findet statt zwischen E 
und F, F und P, S und B (sehr häutig , B und R. M und N wer- 
den miteinander, mit H und mit K verwechselt. Der Buchstfibe, 
der nächst dem I und X der einfachste und symmetrischste der 
geradimigen Buchst ab en int, darf aus einem horizontalen und zwei 
Tertikalcn Strichen besteheiKh H, ist im indirekten Sehen von 
allen am meisten der Verkennuu^ preisgegeben. Es wird mit N 
nnd M, mit A, X und K, ja zuweilen mit E und mit R verwechselt. 
Das erklärt sich übrigens sehr einfach aus der Tatsache, daß im 
indirekten Sehen rechte Winkel sehr schwer erkannt werden. 
Orthogonalittt und genaue horizontale nnd vertikale Orientierung 
qiielen hier eben keine Rolle. Wird daher z. £. der Querstrich 
des H als etwas schief oder geknickt gesehen, so entsteht das N 
nnd M. Wird der rechte Vertikalstrieh als gebrochen oder nach' 
innen gekrümmt erkannt, so haben wir eine dem K sehr ähnliche 
Fignr, nnd sind beide Vertikaktriche in diesem Sinne beeinflußt, 
so entsteht die Verweebselnng mit X. Erseheinen beide Vertikal* 
striohe etwas nach oben konvergierend , so wird ein A darans. 

2d* 



Digitizcü by Goüglc 



374 



Ä. KiiMshintBB, 



Das Umgekehrte , d. i. eine Verwechselung mit V, ist wegen des 
dem V abgehenden Querstriches ausgeschlossen. Tabelle IV gibt 
die Zasammenstellong unserer Resnitate. Die erste Hälfte der 
Tabelle bedarf keiner Erklirnng. In der zweiten geben wir die 
DnrcliechnittBwerte, und zwar 1) Air jedes Auge, 2) für die iimereii 



Tabelle lY. 





Linkes Aage 


Eechtes Auge 






Durchs 


chn ittewerte 






i>QCQ- 


LialurAat BeehtorAat 


jUakerAat 


BeehterAst 


1 

I a 


1 ® 


1 ^ < 


1 ■» 




_ 






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' IZ 


stabo 


>■ ^ 


Schwarz 
auf Weiß 


Weiß auf 
Schwarz 




Weiß auf 
Schwarz 


Schwarz 
auf Weiß 


Weiß auf 
Schwarz 


V- ■ 7* 

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601/4 


61 1/., 


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52:*.'4 


62' j 


O9I/4 


66''/4 


55 


(X)^ 's 


B 


50 


50 


3:5 


27 


35 


35 


43 


40 


•10 


381/4 


.45' 4 


32i;o 


4 kl t ' 

42 '/2 


OOJ 4 


' 40' 4 


38 


391,,^ 


C 


20 


16 


18 


lö 


19 


16 


19 


14 


1 

18 


17 


l/''4 


1 »^.'4 


1 73 4 


1 ri/4 


19 


16 


171', 


0 j 


eo 


40 


41 


36 


46 


26 


66 


41 


418/4 


42»/4 


4h^ 4 


3<<;4 


41 




4 0« i 

481/4 


961/4 


42' 4 


E 1 


58 


49 


42 


36 


47 


40 


60 


64 


461/4 


60 


5o 


411/4 


481/j 


473/4 


61Vs 


44:*/» 




F 


72 


60 


47 


39 


50 


26 


68 


47 


62 


46V4 


66»/4 


40V« 


49V8 


47»/4 


66«/4 


40V8 


«s/e 


6 


15 


18 


18 


18 


21 


20 


18 


16 


17V« 


18.'/4 


I68/4 


191/4 


18Vs 


4 Wa / 

17V» 


18 


18 


18 


H 


20 


18 


81 


17 


22 


22 


18 


17 


19 


193/4 


I8V4 


201/3 


20V» 


181/4 


201/4 


18Vt 


193/s 


1 


70 


61 


68 


47 


68 


48 


84 


57 


66Vf 


61i»/i 


Cum 
6öVj 


Ö31/4 


06»/4 


61V* 




60"/4 


MV» 


J 


■lö 


50 


49 


43 


40 


40 


66 


65 


461/, 


60 


ROI f 


43 


427» 


RS 
00 


48Vs 


47 


47»/4 


K 


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:>.i 


45 


38 


33 


' 38 


37 


58 


55 


421/4 


47 


6»»/4 


Olli / 


431/4 


46 


4b'*/4 


42Vi 


44i^/g 


L 


7H 


52 


47 


38 


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4« 


m 


51 




533/4 


60! 4 


471/4 


581/. 


49 


60-'i/4 


46^ 4 


.^•13/4 


M 


öS 


3(; 


29 


29 


31 


30 


49 


39 


38 


371 4 


45 I/o 


29-'*/4 


:i8i/4 


•iß 1/0 


413/4 


331/n 


37; . 


n 


lö 


39 


27 


2(i 


23 


28 


35 


37 


34' 4 


30V4 


39 


26 


33^'4 


311/4 


321/0 




o2' j 


0 


2Ü 


19 


24 


IH 


29 


20 


27 


17 


201 4 


23'/, 


20^/4 


22'i'4 


22 


211 <> 


25 


I8I/0 


2r, 


P 


4R 


12 


41 


33 


31 


32 


49 


44 


11 


39 


45'^/4 


:44i'4 


381 ^ 


41'»/4 


421 ^ 


373 4 


40 


Q 


19 


18 


Ii] 


18 


20 


18 


17 


17 


17./, 


18 


17^4 


17'/. 


l8;*/4 


17 


18 


17^4 


17'', 


R 


44 


B2 


22 


29 


37 


34 


3;} 


40 


31 ^ 


36 


37';4 


30'/. 


36^/4 


31 


34 


33^ 4 


33" . 


S 


m 


•n 


'i4 


35 


35 


35 


47 


40 


421 ^ 


39' 4 


46^ 1 


34 f 4 


42"' 


39 


433/4 


37:', 


40^' 4 


T 




48 


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40 


35 


32 


f ^ 


53 


Ur* 4 


48 


58' 4 


36'., 




51 


511/0 


431/4 


47^ s 


U 


44 


42 


41 


36 * 


36 


33 


ti2 


44 , 


40% 


4aV4 


48 




383/J 


45^/4 




:i8V4 




V 


62 


48 


61 


37 


41 


47 


60 


63 


52 


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491 


52^/4 


66 


46V4 




w 


7Ö 


61 


54 


47 


66 


52 


74 


59 


69V4 


60«/* 


671/4 


521/4 


61 


68V, 


643/4 


543/4 


693/4 


X 1 


ÖB 


56 


49 


38 


40 


44 


61 


63 


50V4 


49V2 


57 


423/4 


491/, 


6OV4 


62 


47»/4 


49?/« 


Y I 


ÖB 


47 


67 


41 


34 


44 


64 


50 


603,4 


451/2 


ö2«/4 


44 


46V4 


ÖOVs 


60>/4 


46V, 


481/,» 


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65 


47 , 


37 


48 


35 


55 


52 


48V2 


471/5 


541/4 


4U/4 


481/4 


47V4 


ÖIV4 


443/4 


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Mbailt ji"*^ *| 








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J ^ 

Digitlzca by Google 



Erkennbarkeit geometr. Figuren und Schriftzeicfhen im indirekten Sehen. 375 

(nasalen) und äußeren (temponlen) Äste, 3) Hir die rechte und 
Unke Seite beider Augen, and endlich 4} für Schwarz auf Weiß 
und Weiß anf Schwarz. Anch ein Gesamtdarcbaehnitt aller Ver^ 
suche ist beigegeben. Die anf der untersten Querreibe in fetterem 
Dmck gegebenen Zahlen sind die jedesmaligen Dorohsehnittswerte 
ans den 26 Bnehstaben. 

Zor beweien Obersieht geben wir im folgenden noeh die Reihen- 
folge der Sebiifbeieben, naeh ihrer Erkennbarkeit im indirekten 
Sehen vom gllnstigsten bis snm nngttnstigsten geordnet, wobei 
grttfiere Llleken in der Folge der Entfernungen durch einen Ge- 
dankenstrieb angedeutet sind. Wenn swei oder mehr Zeiohen die 
gleieke duröhsehnittliehe Erkennungsgiense haben, so sind sie 
dnreh einen darüber befindliehen Bogen Terbnnden. 

Beihenfolge der Bnehstaben hinsiehtlieh ihrer Erkenn- 
barkeit im indirekten Sehen. 

I. Naeh den Augen geordnet: 

aj Durchschuitt aller Versuche füi Uub liuke Auge: 

AWILF^VYXZTEJKSOPSUMNR-OHCQG 

b) Durchschnitt aller Versuche ftir das rechte Auge: 
lAW—LVEJXTZKYFUDSPBMRN— OHGQC 

II. Naeh den NetshauthiUften geordnet: 

c Durchschnitt aller Versuche auf den uasalea Ästen: 

AWi~LTXFVEZKYJ — U$1>8>M — NR — OHQCG 

d) Durchschnitt aller Versuche auf den temporalen Ästen: 

lAW— LVYJXZEFDtPrKSPBRM — N — OHQQG 

e) Dnrcbschnitt aller Versuche auf den linkcu ^ini Sehfeld, 

fan Ange roehtMul Ätt«n: 

AWLI — X^FEZYTKSBJOUMPRN — OHQGC 

f) Durchschnitt aller Versuche auf deu rechteu (iiu Sehfeld, 

fan Avge linken) Aaten: 

iAW— JVTYXLzTfKUDPSMBNR — OHGCQ 



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376 



A. ^Bchflunii, 



IIL Nach der Helligkeit geordnet: 

g) Darcbschnitt aller Versuche Weiß auf Schwarx: 

IAWLFVXTE2YJ DKUSPM BR N — OHCGQ 

b) DorchBchnitt aller Venuche Schwarz auf Weiß : 
AWIXJLVYZ~*ETKFUBSPD RH N — H'ORQC 

IV. DurcliBchnitt aller Versocbe überhaupt: 
AWI — LVXFY3zJTKDJJ.SPBMRN — OHBOC 

Sehen wir nun in» was sich ans der Tabelle nnd den obigen 
Reihenfolgen entnehmen läfit. 

Zanächst ist auf den ersten Blick klar, daß die eckigen Zeichen 
im indirekten Sehen ungleich besser erkannt werden als die run- 
den; nnd nnter den eekigen haben die sehiefwinkeligen (ipüi- 
winkeUgen) entschieden den Vorsog vor den reehtwinkeljgca 
Dieses in den alten wie in den neueren Yersneben gans ttbeicln- 
stimmende Resultat ist Tollstilndig im Einklang mit den Ergeb> 
Dissen der Versuche mit geometrincben Figuren. Daß das I und L 
meist günstiger stehen als die meisten schiefwinkeligen Hurhsiabeo, 
rtlhrt nicht von ihrer OrthogonaLität her, sondern von dem Um- 
Stande, daß keine Möglichkeit der Yerwecbselnng vorliegt. Wenn 
das 1 anob schief steht, so wird es doch ebensogut erkannt, d& 
es das einiige ans einem eisiigett Striehe bestehende Zeichsn ist 
Das L wttrde ebensognt erkannt weiden« wenn die beiden lisin 
einen spitzen Winkel bildeten. In ahntieher Weise Ist für d«i 
großen Erkennnngsbesirk des J nicht dessen Rundung verantwoit- 
lieb, sonderu der Umstand, daß es der einzige Buchstabe ist, der 
unten eine AüBliidung- nach links hat 

Femer ist aus unseren Keaultaten leicht ersichtlich, daß paral- 
lele YertikaUinien dem Erkennen der Buchstaben im indirelLten 
Sehen wesentlieh hinderlich sind. Daher die ungtlnstige Stellang 
der Zeichen M, N nnd H. Solche Zeiehen sind zu sehr das Opfer 
der Verwechselung untereinander und mit anderen Zeichen. 

Zeiehen, die aus geraden Strichen nnd gekrUmmten Linien be- 
stehen, die also Ecken und Rundungen habeui finden im indirektes 



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Efkennbarkeit geometr. Fij^en and Sohriilzeichen im indirekten Sehen. 377 



SelMD ümner noch viel gttnitig^re Bedingiuigeii als ganz runde 
Ztichen. (Di« Enden de» S sind dabei Ecken ^elaaieebaen.) 
Dnbel ist sn bemerken, daß die in Yertlluder Riebtnng zwei- 
geteilten! mit RondüDgen versehenen Buchstaben (B, P, S, R) hin- 
sichtlich ihrer Erkeuübarkeit im indirekten Sehen in einem ge- 
wissen Abhängrigkeitsverliältnis zueinander stehen. In fast allen 
Reihenfolgen stehen S, B und P , denen sich häolig auch R zu- 
gesellt, direkt nebeneinander oder doch ganz nahe znsammen. 

Sehen wir uns nunmehr die naeh ▼ersehiedenen Gesiehtspnnkten 
geerdnelen Beihsofolgen der Bnehstaben etwas idüier an. In den 
soeben besprochenen Hanpteigensehaften stimmen sie ttberein. Fttr 

den Unterschied zwisohen dem rechten und linken Auge dürfte 
in unserem Falle teilweise eine kleine Verschiedenheit meiner 
Aagen, teilweise aber auch die verschiedene Beteiligung der 
Augen beim Akte des Lesens verantwortlich sein. Mein linkes 
Auge hat (angeboren) eine kleinere Pupille als das rechte, auch 
ist die Farbe der Iris etwas Tcrschteden; das linke ist blaa, das 
rechte ist mehr granblan. Eine Verschiedenheit der Refraktion 
besieht nioht fieim Lesen trage ioh sehwaehe KonTezgttser, and 
iwar die gleichen auf beiden Angen. Bei den hier beschriebenen 
Versuchen hatte ich, da die Objekte im Minimum einen Meter ent- 
fernt waren, keine Augengläser nötig. Was den zweittiu runkt 
anbelangt, so darf nicht vercreosen werden, daB beim Lesen das 
rechte Auge wegen des VorrUckens der Zeilen von rechts nach 
links einen gewissen Vorteil hat. 

Viel Interessanteres bieten die Durchschnittswerte» wenn oaoh 
der Bichtnng der Meridianhittften geordnet Dem sonstigen Vei^ 
hslten der ümerea (dem temporalen Ast anf der Betma entspre- 
chenden) and infieren (dem nasalen Ast anf der Betina entspre- 
cfaendenj H&lften des Horizontalmeridians im Sehfeld analog finden 
WUT, ganz wie zu erwarten, die äußeren (nasalen] Aste den inneren 
sehr tiberlegen. Nur für die runden Zeichen ist dies nicht der 
Fall. Das erklärt sich aber einfach ans dem Umstände, daß auf 
der nasalen UiUfte diese Zeichen meist erst erkannt wurden nach 
dem Austritt ans dem blinden Fleck. 

Viel wichtiger als der Vergleich zwischen linkem nnd reehtem 
Ange, inneren nnd änfieren Asten des Horisontahneridiaas ist der- 
jenige zwischen den Durchschnittswerten aller reehtsseitigen (also 



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378 



A. KirtchiDaiiii, 



nsaale Seite des zechten ond temporale des linken Angea) und 
aller linksseitigen (temporale Seite des rechten nnd nasale 4m 
linken Anges) Versnohe. Dabei ist nidit zn yergeesen, dafi bei 
allen rechtsseitigen Versuchen die Annäherung- der Objekte gtn 

dem Vorschreiten der Zeicheu beim Lesen entspricht. Bei dou 
linksseitifiren ist das nicht der Fall; beim Lesen entfernen sich 
hier die Buchstaben rom Fixierpunkt. Eine dem LeseTOi^ansr 
entsprechende Versuchäanordnung läßt sich hier unter £rhaltaflg 
des unwissentlichen Verfahrens gar nicht ausfuhren. 

Der Oesamtuntersehied zugunsten der rechtsseitigen Versuehe 
ist sehr gering. Dagegen bietet das Verhalten dcnr einzelnen Buch- 
staben viel des Interessanten» wie aus den Beihenfolgen II e und f 
leicht zu ersehen ist. 

Für die Tatsache, daß das I bei den rechtsseitigen Yeisucheu 
dem A und W den Rang abläuft, während es bei den linksseitigen 
sogar hinter das L zurückrUckt, habe ich TorlHufig keine Er- 
klärung. Ein ähnliches Verhalten des I zeigt sich auch bei den 
übrigen Reihenfolgen: Bei den Durchschnittswerten für das linke 
Auge, bei denen ihr die nasalen Äste, bei deigenigen filr Schweis 
auf Weifi und endlich bei den Durchschnitten aller Vevsuohe steheu 
A an erster und W an zweiter Stelle. Bei den Versnohen ftis 
rechte Auge, ftir die temporalen Äste und für WeiB auf Schwan 
steht Uberall 1 an der Spitze. 

Das entgegengesetzte Verhalten der Zeichen L und J läßt sich 
leicht und einwandfrei erklären. In der Keihenfolgc II e steht 
das L an dritter Steile, also sogar gtinstiger als das I. In der 
Beihenfolge II f dagepren kommt es erst an neunter Stelle. Im 
ersten Falle, also auf den linken Meridiauhfilften beider Augen, 
geschah die Annäherung der Objekte von links nach rechts. Es 
ging somit bd der Bewegung der mit nichts anderem zn Tcrwech- 
selnde, nach rechts gerichtete Querstrich am unteren finde des 
Buchstabens voran. Im zweiten Falle dagegen, d. h. bei den Ver- 
suchen auf den rechten Meridianhälften, geht der vertikale Strich 
voran, was für die Erkennung der Natur der dahinter befindlicheu 
Teile viel ungtinstiger ist. Gerade das umgekehrte Verhaltea 
finden wir beim J, dem einzigen Buchstaben, der am unteren Ende 
eine Ausladung nach links beeitzt Es ist ganz begreiflich, dafi 
dieses Zmchen beim Herannahen von rechts yiel leichter erkannt 
wird als bei der AnnXhenmg ron links. Daher sehen wir es denn 



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Erkennbarkeit geometr. Figuren und Schriftzeichen im indirekten Sehen. 379 



ucb bei der BeOieiifiilge n t eehon die Tierto Stelle einnelimeii, 
wSbrend es in n e ent an ftnftehnter Stelle kemmt Ähnlich 

lie^ die Sache beim T, dem einzigen Bochstahen mit einem nach 
links vorapringendcu Teil am oberen Ende. Da der Querstrich 
aber ebenso nach rechts voibpringt, so ist das VerbiLltuis uii iit 
piuz so angUustig bei der Annäherung von links. Es steht in II f 
an iecbster, in II e an elfter Stelle. Warnm aber wiegt der 
Einflafi der rechtsseitigen Ansladung weniger als der der links- 
Mitigen? Ein&eh deahalb, weil die linkMeitige einaig daetelit 
Dod daher kein AnlaB an Verwecbaelnngen Torliegt Dm J 
uid daa T lind ttherhan^ die einsigen Bnehstahen mit naoh linka 
steh eiatreekenden Vorsprttngen. Vorsprünge nach rechts haben 
dagegen viele Zeichen. Wenn diese Erkläning richtig ist, so muß 
sie auch für die übrigen mit V()r!5j)rlino:en nach rechts behafteten 
ßnchstaben, wie F, E, K, P, B, R usw. gelten. In der Tat sehen 
wir, daß die geradlinigen Bachstaben F, E und K in der Reihe II e 
gfloetiger stehen ala in II £. In enterer nehmen F nnd E die 
aiebente nnd aebte Stelle da, K die swOlfte. In letaterer dagegen 
rtebt E an elfler, F an awölfter nnd K an dreiaehnter Stelle. 
Femer sehen wir, dafi B, Q nnd R hi der Reihe flir die Ton 
rechts anruckenden Zeichen (II f) um vier, sechs, zwei bzw. eine 
Stelle nach der ungünstigen Seite verschoben sind. Nur das D 
nnd P stehen in dieser Reihe merkwürdigerweise besser als in 
der anderen. Das dürfte daher rühren, daß der Vorteil der dent- 
liehen Erkennnag der g'eraden Linie hier den Vorteil der richtigen 
AaCfaasnng der naoh reohte gerichteten Krümmungen an Beden- 
iiiqg ttherwiegt, was D wegen der weiter oben eiOrterten 
Verweehaelang mit 0 anch sofort einlenehtet 

Daß die Konvezititen nnd VoraprOnge aller dieser Bnohstaben 
Mb Lesen von links nach rechts auf der ungunstigeren Seite 
stehen, erklärt sich wohl daraus, daß sie aus Formen entütimdeii 
sind, die Zeichensystemen angehörten, welche nicht von links 
nach rechts gelesen wurden. In der Tat finden sich die Urformen 
dieser Zeichen in den ältesten orientalischen Schriftsystemeu. 

Wenden wir nns zum Schlüsse zn dem Einflüsse der Hellig- 
kehsoidnong. Die beiden Torletzten Rubriken in der Tabelle VII 
geben die diesheattgliehen Resultate. Da ist annttchst zn bemerken, 
daß simülohe Werte flIr Sohwars anf Weiß eriieblich geringer 
rind ala die entsprechenden für Weiß anf Schwan. Ee ist auch 



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380 



A. Kiischmann, 



nielit eine einsige Ausnahme in Teneiclmen. Knr bei 6 ud II 
haben wir genau gleiche Weite. Der GeiiintdnrdtMfaiütti^ 
wert ftr alle Yerandbe WeiB anf Sehwan betiigt 44»/s3 gegeo- 
Uber 37^752 Sehwarz auf Weifi. WeiB aaf Schwarz ist alw 
um etwa 16 ^ günstiger. Schon iu meiner Dissertation »Uber 
die quantitativen Verbiiltnisse des simultanen nelli^keits- und 
Farbenkontrastes c 1) habe ick an der Hand von numerischen Beispielea 
darauf hingewiesen, daB unter gleichen rännüiehen VerhältDiieen 
»Hell auf dunklem 6nmd« leichter an erkennen sein mttsse als 
»Dunkel anf Hell«, »WeiB anf Sehwara« leichter ale »Schwan auf 
Weifi«. Ich habe dann den Gegenstand in meinen Vorleeangn in 
Ferienkurs der UniTersittt Marburg 1906 nnd in der vom » Arohi? f. d. 
Deotsefae Bnehgewerbe« yeröffentliohten Abhandlung »Antifpia oder 
Fraktur« (die ueuerdingö auch als Broschüre erschien) behanJtii. 
Wir wollen hier versuchen, die Bache an der Hand einer ein- 
fachen allgre meinen Formel klar zu machen. Es sei G die MaB- 
zahl des Inhaltes einer größeren Fläche, der »Grundfläche«, und 
di^enige einer auf der Grundfläche befindlichen kleineren FlSebe 
Ton Tenohiedener HeUigkeit Wir wollen die kleinere FUehe die 
»Figur« nennen. Die Beflexionskoeffisienten der Fttcheo, oder 
sagen wir knrz ihre Helligkeiten pro IfaBeinheit rerhalten och 
wie 1 : wobei x eine Zahl größer als 1 bedentet Ist mm die 
größere Fläche, d. i. die Grundfläche, mit der geringeren Hellip- 
keit (1) behaftet, die kleinere Fläche, die Figur, aber mit der 
größeren [x], so beträgt die Heiligkeit der Figur k x, die Hellie- 
keit des Grundes aber (G — k) 1. Das Helligkeitsverhältnis m 
Figur nnd Grand läBt sich also ansdrtlcken durch den Brach 

Ist umgekehrt der Ornnd die bellere Flüche nnd die Figtr 

dunkel, dann beträgt die Helligkeit der letzteren k und die dei 
Grundes {O — k] X. Das HelligkeitSTerhältnis zwischen beideo 
ist nunmehr: 

k 

(Q'^k)x' 

Die durch den Hinzutritt der Figur bedingte Vermehrung oder 
Yermindernng der absolntea Helligkeiten des Garnen ist in beidea 

1) Phlloa. Btndlen. VI. 



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Erkennbarkeit geometr. Ftgnren imd Sehrilteeielieii in IndliekCen Selieii. 8B1 

Fällen genau dieselbe; sie beträgt k [r — T. Aber bei der Er- 
kennnng von Formen, die zwar wenn wir hier von den Farben- 
unterschieden absehen wollen) dnrch das Vorhandensein ron Hellig- 
keitsdifferenzen bedingt ist, spielen absolute Quantitäten gar keine 
Rolle. Wir arteilen yielmehr, dem BeziebnngsgeMts oder dem 
Weberadieo CtoMtz znfolge, nach Qnantitätsrelationen ; nach Y^^- 
hältniMWi, nicht nach Unterschieden. Wenn die Auffassung yon 
Formen und Gestalten im Gesichtsfelde von der Wahmehmnig 
absoluter Helligkeitsunterschiede abhinge, dann wHrde jedes YOr 
der Sonne vorbeiaieheiide WOlkclien, jeder im Sehfelde sieb aus- 
breitende Schatten nnseie Umgebimg m Terändem, daß wir die 
fiMiiiliimton Dinge miMrer Ungebiug Dieht wieder etkemien 
würden. 

Es wird ilao bei der Wnhmeliininig Toa dnnUeii Figaren oder 
Sebriftieiohen anf hellem Gnmde, oder umgekehrt, wenig auf den 
doreh den Hiaiatritt der Zeiehen za dem Grunde bedingten abeo- 
Ivten ZawaehB oder Abfall der HelliglLeit aalumunen, wohl aber 
anf das HelligkeitoTerhIltniB zwiaohen Gnmd and ügnr oder 
SehiUlseiehen; nnd am eo giOfier der dieoee Verhältnis ans- 
drllckende Brnoh, am so weitv werden wir nns oberhslb der 
WahmehmangMohwelle befinden. Nan betraebte msn die b^den 
oben abgeleiteten Brttefae 

für HeU aaf Dankel ^ 



Q^k 

ftr Dunkel auf Hell ,^ S , ■ i 

und man wird sofort erkennen, daß der erstere den größeren Wert 

haben muß, solange x 1 ist Wird x = 1, dann haben wir eine 

homogene Fläche, und der Unterschied von Grund und Figur ver- 
sebwiudct, x kann aber iiiriit klumer uk 1 werden, da es ja 
weiter luchtB bedeutet altj die MaÜzabl, welche angibt, um wieviel 
die eine Fläche heller ist als die andere. Es ergibt sich also 
mit Notwendigkeit, daß unter sonst gleichen Bedingungen helle 
Figuren oder Schriftzeichen anf dunklem Grunde leichter 
wahrgenommen nnd erkannt werden müssen als dunkle 
anf hellem Grunde. 

Ver^nehen wir die Stiche noch durch ein praktisches Beispiel 
ZU illustrieren. Das Ueliigkeitsverhältuis zwischen der Drucker- 



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382 



A. Ktnobnimi, 



schwUrze und weißem Druckpapier bewegt sich gewübnlich ioncr- 
halb der Grenzen von 1:15 htkI 1 : 25 Nolimen wir an, es be- 
trage im Mittel 1 : 20. Bei gutem Druck nehmen die liuchstabeu 
nicht mehr als Vi« ganzen Fläche ein. Der weiße Gmnd ist 
also 15 mal so groß als die von den Schriftzeichen bedeckte 
Fläche. Geben wir daher der letzteren die Maßzahl 1, 80 ist die 
des Gnmdes — 15. Ist die Gesamtbelligkeit der sogenannten 
>i>iehwarzen« Buchstaben — 1, so ist die des weißen Grundes 
15 . 20 = 300. Das HelligkeitSTerhältnis von Gnmd lud Schrift- 
zeichen ist also 1/300- Hätten wir nun unter sonst ganz gleichen 
Umständen weiße Bnehstaben auf einem Gnmde Ton der Dunkel- 
heit der Dmckersohwärze (derselbe würde in großen Flächen wohl 
kaum als »schwarz« bezeichnet werden), so betrUge die Helligkeit 
der Zeichen 20, die des Grandes 15, nnd das HelligkeitoTerhUtnis 
wlre nnn anssndriloken dnreh den Brach ^ 1mm 
einem Zwmfel unterliegen, daß helle (weiße) Sohriffeseichen anf 
dnnklem (schwamm, donkelgranem oder donkelfiubigem) Grande 
leichter so lesen wären, als die dnrch taasen^jährigon Gebranoh 
dngebttrgerto schwarae Schrift auf weißem Grande. Wir finden 
zwar das »Schwan anf Weiß« heute ganz selbstTerBtändlich; aber 
es ist weder das Katttilicbsto noch das optisch Gnnstigste. Wir 
haben ans aber daran gewohnt, wie an manche anderen ans Ton 
Generation zu Generalion ttberlieferton Einriohtangen, die, obgleich 
willkttrlioh gewählt and dnrchaos nicht die günstigsten anter den 
Im betreffenden Falle möglichen, uns so in Fleisch and Eint äber- 
gegaogen sind, daß der Darchschnittsmeasch sie gewOhnlkdi ab 
das einzig Bichtige, in der Natnr der Sache Begründete ansieht 
Dahin gehören beispiebfraiae das dekadische Zahlensystem, die 
Beschränkung der Malerei anf die Effekte des dillaa leflektterten 
Lichts, das gebränehliche Kotensystom a. a. m. 

Wenn ich oben erklärte, daß Hell auf Dunkel, Weiß anf 
Sebwarz der uincekelirten Ordnung vorzuziehen sei, so will ich 
damit nicht behaupten, (l:üi die gegenwärtigen Bucbstabenformen, 
die den Inadiationsverbaltuisaen, wie sie sich bei »Schwarz auf 
Weili« geltend machen, angepaßt sind, auch für die emplohlene 
umgekehrte Ordnung die geeignetsten seien. Im Gegenteil, es 
wäre zu erwarten, daß mannigfache Umformungen »ich als not- 
wendig erweisen. Ebensowenig darf außer acht gelassen werden, 
daß flioh der Einfllhrong des »Hell auf Dunkel«- oder »Weiß auf 




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Erkennbarkeit geometr. flgoren und SohriAMiehen im indinkten Sehen. 383 



Schwarz«-Driickes außer den auf der Denkträgbeit der Mcubcheu 
und der Liebe zum (4ewobnten, Ilergebracbten berubenden Hinder- 
nissen gewichtige tt liiii^cbe Schwierigkeiten in den Weg stellen 
werden. Die ganze Tapiei-, Tinten- und Druckerschwärze-Fabri- 
kation hat sich unter Anpassung an das »Schwarz auf Weiß<- 
System entwickelt» und man wird noeb viel Lehrgeld zahlen 
mttasen, bis man es fertig bringt» ebensognt mit einer weifien» gut 
deckenden und leicht troeknenden Farbe auf dunklen Grund zu 
drucken. Übrigens will leb bemerken, dafi seit dem Erscheinen 
der Artikel lu dem Archiv fllrö Bucli^'cwerbc iu den Vereinigten 
Staateu sich bereits ein au8 Papierfabrikanten niui Druckerei- 
i)e.-itzerQ bestehendes Syndikat zur Anbahnung deö »Weiß aof 
Schwaizc-Druckes gebildet hat. 

Nachtrag. 

Ir den Yorstehend berichteten Versuchen ist bezttg^h des Auf- 
tretens und Yorrttckens der Objekte stets eine gewisse Analogie 

mit dem Vorgang des Leseub gewahrt. Die Kebultale können da- 
her mit den auf tachistoskopischera Wege erreichten nicht wohl 
verglichen werden. Das Tachistoskop enthüllt eine im Gesichts- 
felde feststehende Gruppe von Figuren, Zahlen oder Schrift- 
leiehen für eine beschränkte Zeit Beim wirklichen Lesen da- 
gegen befinden sich die die Wörter xusammenselzenden Zeichen 
ia einem beständigen Vorrttcken, und zwar in einer ganz be- 
stunmien Biohtnngy lUUnlieh in der des Horiaontalmeridians und 
ron rechts nach links. Dabei sind sie dauernd sichtbar. Beim 
tachistoskopischen Lesen sind alle Meridiane des Auges gleich- 
berechtigt, beim wirklichen Lesen dagegen ist der rechte Ast des 
Horizoutainieridians wesentlich ausgezeichnet. Tachistoskopiscbe 
Metboden sind von großem Werte bei der Untersuchung unserer 
Au^bssungsfähigkeit für Komplexe von Figuren , geometrischen 
Elementen oder Sehriftseichen, Dir die Entscheidung der Frage, 
ob die Erkennung von Zeichengruppen eine simultane ist, oder 
ob ^e einer Bdhe sukzessiver Akte bedarf. Bei der Untersuchung 
der Erkennbarkeit bewegter Zeichen oder Zeiebenkomplexe, 
also speziell bei der Untersuchung der Vorgänge beim geläufigen 
Lesen, konneu tachistosknpiscbc Versuche nicht maßgebend sein. 
Die Torstehend mitgeteilten Versachsresnltate beziehen sich alle 



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384 



A. Kincbamiuit 



ntif tlie Erkennbarkeit der einzelnen isolierten Sebriflzeicben im 

iüdirekteu Sehcii. Denn die Krkciiuliarkcit der Elemente muß 
die Rnsis für die Beiirteiiunp: der AnffaeBiu]^^ komplexer Zeichen- 
gnippen bilden, wie die gedruckteü Wörter es sind, die wir beim 
Lesen sohneU erkennen and interpretieren sollen. 

Bein Lesen wirken vier Terscbiedene Momente zasammen: 

1. Das Erkennen der einzelnen Zeiclieu (au welchem sieb, 
wie wir weiter oben sehen, wieder die direkte aLr- 
nehmung and ein gewisses Schlaßverfaiuren beteiligenj. 

IL Ein aaf der Kenntnis der Wörter einer Sprache be- 
ndiendeB SolüiißTer&hren. Soli tob beispielsweise im 
Dentsohen das Wort dir lesen, so maß der mittleie Biek- 
Stabe deutlieh erkannt weiden, da es anob ein der^ ein 
dar nsw. gibt Bonn Worte für dagegen kommt es auf 
den Mittelbüchstaben gar nicht an, da es kein Wort im 
Deiitsclion gibt, welches an Stelle des ü einen anderen 
Vokal hat. Aus demselben Grunde muß beim Worte 
leben der Vokal der Stammsilbe deatlich gesehen werden, 
beim Worte rufen nicht. Dieses auf das Bekanntsein 
mit den Wörtern der Spracbe basierte ScUnfiTerlahr«! 
ist aneh daran sobald, daß wir ttber so manebe Druck- 
fehler hinweglesen, obne sie an bemerken; nnd selbst 
dem geübten Wortkorrektor in der Drnekerei passiert es 
oft genug, daß er ein n für ein u, ein f fUr ein f, oder 
umgekehrt, stehen lilßt. 

in. Ein auf dem Verständnis des Gelesenen beruhendes Schloß- 
verfabren, ?ermüge dessen die Wörter leichter aufgefaßt 
werden, da andere, äbnliob anssebende W^irter darob den 
Sina der Sülze aosgeseblossen sind. 

IV. Einfaebes Erraten. 

Wir haben nun eine Reihe von Versuchen mit kleinen, aui 
zwei oder drei Zeichen bestehenden Silben and WOrtem angestellt, 
and zwar Sebwarz aaf Weiß and fttr den reebten Ast des Horisontsl- 
meridians des rechten Aoges. Dabei wnrde das gleiebe Yerfbbren 
eingehalten wie bei den einseinen Bachstaben. Von den vier oben 
▼ermerkten, beim Lesen mitwirkenden Momenten war, da es sieb 
um isolierte Wörter handelte, das dritte ausgeschaltet. Da:^ vierte 
wurde dadurch fernzuhalten gesucht, daß der Beobachter auge- 



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&ke]iiib&rkeit geometr. Figuren and Sciuiftzeicben im indirekten Sehen. 385 



Tabelle V. 





A^AAw*V4 »4 M II 




EntfißrnaniP 




Entfern auf 


Silbe 


vom 


Wort 


vom 


Wort 


vom 




Fixierpiukt 




Fixierpnokt 




Fizierpnnkt 

' ■ ' 


AB 


19 


ACH 


16, 14 


GUT 


16 


All 


89 


ALS 


19, 80, 91 


HAS 


80^ 14 


AN 


18 


AND 


17 


HER 


17 


AS 


86, 88 


ASK 


84 


H 1 H 


18 


AU 


81 


AST 


86 


H 1 P 


16, 80 


AX 


48 


AUS 


19 


ICH 


15 


DA 


48 


DE 1 


16 


mm m im 

K 1 T 


84 


DU 


86 


aft ma 

BOY 


14 


MAL 


86 


E 1 


46 


DAM 


88 


MAN 


89 


ES 


80 


A mm 

DAN 


40(?) 


A^ * mm 

MIT 


SS 


EU 


80 


DAS 


86 


NEU 


14 


HE 


16, 17 


■k *i n 

DER 


12, 16 


N 1 E 


18 


1 M 


13 


D 1 E 


40 


N 1 M 


8 


1 N 


33, 31 


D 1 G 


14 


NUR 


18 


1 S 


19 


D 1 R 


4Ö(?) 


SAT 


36 


1 T 


20, 43 


D 0 G 


12 


S H E 


20 


L A 


RA 


n A N 

II V II 




' SIE 




OF 


21, 33 


E 1 D 


29 


S 1 R 


18 


SO 


16, 16 


E 1 N 


32 


S 1 T 




UM 


16 


E 1 S 


20 


UND 


35 


UR 


32, 32 


FOR 


16 


WAX 


30 


ZU 


33 


FOX 


17 


WHY 


18 






GAS 


16 ! 


WIT 


37 



gewiesen wurde, es selber «u Termerkeii, wenn das Erraten bei 

seinem Urteil eine Rolle spielte. Das Mitwirküü dea z\\eiten 
Momente» icaun natürlich nicht vermieden werden. In vorstehender 
Tabelle aind die Vertsuehe alphabetisch nach den Anfangsbuch- 
staben geordnet; das war nattlrlich nicht die Reihenfolge, in 
weleher die Wörter dem Beobachter vorgeführt wurden. Auch 
«Ifen die Vmaohe mit zwei und die mit drei Bnehstaben nicht 
getnont Der Beobaobter konnte nicht wissen, ob eine Silbe mi 
nrel Buchstaben oder ein ans drei Zeichen bestehendes, ein eng- 
lisches oder ein dentsehes Wort kommen wttrde. In der Regel 
war es möglich, eine solche Keihenfol^^c zu wählen, daß in einem 
VerBuche sich kein Buchstabe des vorangegangenen Versuches 



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386 



Ä. Kindiiiuuin, 



wiederholte. Wo die Tabelle mehr als eine Zahl aufweist, be- 
deutet dies, daß der Versuch nach einiger Zeit wid^xerholt wurde. 
Die in der Tabelle angeführten Werte bezeichnen die in Zentimetern 
ausgedruckten Entfernungen Tom Fixationspunkte, in welcher die 
Gruppe richtig erkannt wurde, und gelten für die Mitjfce der Zeichen- 
grappe. Die aus zwei Zeichen bestehenden Gruppen sind mit Aiis- 
nahme von EU, AU und LA im Deutschen oder Englischen Yor- 
kommende Wörter. Die aus drei Buchetuben bestehenden Gruppen 
aind ausnahmslos engliflohe oder deutaehe WOrter. Die Tabelle gibt 
nur die Entfemnng, in welcher das ganze Wort richtig gelesen 
worde. Einzelne oder (im Falle der WOrter mit drei Zeichen) awei 
Bnehstaben wurden lange Torher erkannt So winden erkannt: 

Bei dem Worte A L S das A bei 60, das S bei 42 em Entfemuig 
» » » AM »A»52cm Entfemnng 

> > »AN > A > 45 > 

> » > F 0 X > F > 40, das X bd 33 cm Entfimng 

> > > HAS » A > 55, > S > 40 > 

> » » H 1 P » P > 39 cm Entfernung. 

Ans drei liuchstaben bestehende Wörter wurden vor ihrer rich- 
tigen Erkennung häufig als zweiteilige gelesen, wobei das dritte 
Zeichen entweder ganz undeutlich, oder aber, wie es zuweilen mit 
dem an mittierer Stelle stehenden I, L oder H geschah, ttberhanpt 
nioht gesehen wnide. So worden gelesen: 



ALS bei einer Entfemnng 


Ton 


42 om 


slfl AS 


AST » 




» 


40 > 


» AS 


AND » 


» » 


» 


32 > 


» AD 


OER * 


» » 




35 » 


> DE 


EIS > 




> 


35 » 


* ES 


aAS » 


» » 


» 


31 > 


» AS 


HAS > 






40 » 


' AS 


WMY . 


> » 




40 > 


» WY 



Zwei Versuclji in Taliclle V sind mit einem Fragezeichen ge- 
kennzeichnet, und zwar diejenigen für die Wörter DAN und 
DIR; das erstere, weil zuerst DAM und, nachdem dies &h un- 
richtig abgelehnt war, sufurt DAN gelesen wurde, das letztere 
aber, weil nach Anirnbo des Beobachters das I erraten wurde. 
Auch bei den Würteru EIN und KIT hatte übrigens der Be- 
obachter das Bewalitsein, daß das i halb erraten sei. 



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iilrkennbarkeit geometr. Figoien und di^i^tzeichen im miUrekten äehen- 387 



J^i viele* der Tenaohten WtMet lieB sieh die Baihenfolge, 

welcher die 'uchstaben erkannt wurden, festeteilen. Die nach- 
stellende Liste, in welcher die Reihenfolge dnroh den Buchstaben 
J)ei^eiteiie jüidices verangoliaalicht jßt, bietet riel JLnterewantee: 



Daß 6 nnd H, «oeh wenn ta» den Beginn dei Wortes bUden, 
eist an dritter Stelle erkannt werden, kann bei ihrer sehleehten 
Eikennbarkett als einxelnea Zeichen nieht wundernehmen; daB 
ei aber aneh dem B nnd dem N eo ergeht, ist tibeirasehend. Was 

den mittleren Buchstaben anbelangt, »o i6t derselbe oÖ'enbar in 
wegentlichem >«aciiteil. Im Worte ALS wurde das L später ge- 
sehen als das S, und in WAX das hinsichtlich der Erkennbarkeit 
sonst an der Spitse stehende A später als die beiden anderen. 
Dw I, das wegen seiner einfachen Form isoliert so leicht er- 
kannt wird, muß als mittlerer Bnehstabe hinter E» N, M, K, P, T 
ind 0 nrllekalehen. Die ihm parallelen Striche der Naehbai^ 
leichen eeheinen seiner Erkennung besonders hinderlieh au sein. 
Oberhaupt scheint der Parallelismus der Linien die teiohte Er- 
keuubarkeit der Schriftzeichen und ihrer Gruppen nicht zu fördern. 
Darum wurde wohl auch das Wort WAX, das doch aus Zeichen 
besteht, die isoliert besser erkannt werden als die meisten der 
übrigen Buchstaben, erst verhältnismäßig spät gelesen. Jede der 
beiden Hanptliaien des A ist einein Striche des Naehbarbochstaben 
paiiUel. Dieser selben Ursache dürfte es auch zuauschreiben 
min, daß von dem Worte NIM Tor dessen Anstritt ans dem 
blmden Fleck überhaupt nichts erkannt wurde. 

Zum Schlüsse sei noeh darauf aufmerksam gemacht, daB fast 
hl keinem einzigen Falle dan ganze Wort früher gelesen wurde, 
ab die in Tabelle IV zu findenden Werte für die Erkennbarkeit 

AxtbiT Ar Piirckotogi«. IUI 26 



Ai N, 0, 
Ai $1 Kj 
B, E, Ij 
Dl R» 
Dl h Gl 

Eil,Ds 



63 Ai Si 
Hs Ai S) 

Hs 12 Pi 

K, I3 Tj 
N3 El U, 
Na h El 
Ms It Ti 
Sifl,T, 
WiAfX) 
Wi H3Y2 



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388 A. Kirsclmuuui, Erkennbarkeit i;eometr. Figozen osw. 



der Einzelbnehttaben erfrarten lassen. Bei den ans zwei Zeidmi 

bestuheuden Silben erreichen die Werte oft nahezu denjenigen d«i 
ungünstigeren der beiden Bik hstiiben. Bei den aas drei Bnch- 
staben zusaminengetietzteu Würteni l)leibt die Erkennbarkeit des 
ganzen Wortes durchweg erheblich hinter derjenigen aller Einz^ 
bucbstaben zurück. Enthielt das Wort einen jener Buchstaben, 
die in der Begel erst nach dem Anstritt ans dem blinden Fleck 
erkannt werden» so fUlt ganz selbst^erstilndlich die ErkennlMuiett 
des Wortes nahem mit deijenigen dieses Bnehstabens insammes. 

Wenn DA bei einer Entfernung yon 42, D aber (naeh Tabelle IV) 
erst bei 41 gelesen wurde, so muß dabei berücksichtig^ werden, 
daß die Angabe »42« ftir die Mitte des Wortes gilt, und daß >41' 
der Tabelle IV ein Durchschnitt aus einer Anzahl von Versnrben 
ist. Die einzige wirkliche Ausnahme bildet das englische Wort 0 F, 
das bei dem zweitem damit angestellten Versache bei einer Eut^ 
femnng von 33 om gelesen wurde. Hiorbei ist aber zu berllek- 
siebtigen, daB, nachdem das F erkannt war, das 0 tod den ttbi^en 
runden Bnehstaben (C, fi nnd d) nieht nntersohieden zn weiden 
braaehte, da diese mit F keine Silben bilden konnten. 

Bei der Beurteilung der vorstehenden Verouchsergebnisse darf 
nicht außer acht gelassen werden, daß weder die Erkennbarkeit 
isolierter Buchstaben noch das Lesen von Silben und ganzen 
Worten im indirekten Sehen einen Yi^Uig adäquaten Maßstab fbi 
das Verständnis der Vorgänge beim zosammenhängenden Lesen 
liefern kann. Beim gel&afigen Lesen bietet der Inhalt des Ge- 
lesenen; der Sinn der Sftize nicht nnr nngleieh günstigere Hiad- 
haben zu jenem SchlnBTer&kren, dmroh welches yon den im ge- 
gebenen Falle möglieben Zeichen oder Silben eine Anzahl aae- 
geschlossen werden, sondern er fordert geradezu zum Antizipieren, 
zum Erraten ganzer Wörter heraus. 



(Eingegangen am 6. August 1908.) 



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Literaturbericht. 



Erkenntnispsychologisches iu der erkenntnistheoretisekeB 
Literatar der letzten Jahre. 

Ton £. Dttrr OBern). 

KritiBohe Ausemandersetzong mit erkenntmspsycliologiaolien Dar- 

staUnngen in faUgmdm. WerkMi: 

1) Karl BUhler, Tatsachen und Probleme zu einer Psychologie der Denk- 
▼orgänge. 1 über Gedinkea. Leipzig, WUhebB Eagelaitttii, 1907. 

5) Mary Whiton Calkina, Der doppelte Standpuikt in der P^ehologle. 

Leipzig. Veit & Comp., 1906. 

3) Ernst Cassirer, Das Erkenntnisproblein in der Philosophie uud Wissen- 

schaft der ueueren Zeit. i:lrBt&r Bd. Berlin, Biano (Jafisirer, 1906. 
Zweiter Bd. Berlin, Bmno Gaaeinr, 1907. 

4) HansDeneke, Das menschliche Erkennen. Leipzig, Jnlins Zeitler, 1906. 

6) Haas Driesch, Natnrbegriffe und Hatonuteila. Leipog, Wilhelm Gagel- 

mann, 1904. 

6) — Der Vitalismns ab Geschichte and als Lehre. Leipzig, Johann 

AubKMiQe Bardi, 1906. 

7) Bvdolf Goldscheid, Grandlinien zu einer Kritik der Wülemknil. 

Wien und Leipzig, Wilhelm BiunuUller, 1906. 
8] Karl Groos, Beiträge zum Frobiom des Gegebenen. Erster. Beitrag. 

(Olme Angabe dei Veiiegs.) 
9) Bernhard Hell, Emst Madie FhOoeophie. Stuttgart, Frommann 

'E. HaufT. 1907. 

lOj Aioi<^ Hofler Znr gegenwärtigen Naturjibi1n?ophie. Abhandlungen 

zur Didakuk. und Philosophie der ISaturwissensohaft. lieft 2. 

Berlin, Jnlins Springer, 1901 
11} Biehard Hönigswald, Beiträge zur ErkenatDlitheorie nnd Methoden- 

lehre. Leipzig, Gustav Fock. l'J06. 
12) Wilhelm Jerusalem, Der kritische Idealismas und die reine Logik. 

Wien und Leipzig, Wilhelm BraomUller, 190ö. 
18) E. Kleinpeter, Die Erkennüdatheotie der Natnrfoieohnng der Qegm- 

wart. Leipzig. JobtttB Ambrosins Bartli. 1905. 
14J £. Mach, Erkenntnie und Intiun. Leipzig, Johann Ambroeias Barth, 

1905. 

16) Karl Marbe, Beitrüge zur Logik und ihren Grenzwissenaobaftam. I-~in. 
Sqwiatabdrook aas der Yiefteyebneebrift Ar iriieentehaflüdie 
PhOoeophie nnd Sosiologie. Bd. 90. Heft 4. 1906. 

anklT fkr twfi^Mio^ XBL Lilmtw. 1 



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2 



Litentorberieht. 



IQ A. Meinong, Ober die EifthnmgaBraiidlageii uuexes ^nieene. Ab* 

handlangen zar Didaktik and Philosophie der NfttnnrlMenMlliefk. 

Heft 6. Berlin, .Talius Springer. 1906. 
17; , Über die Stellung der Ge^enstandstheorie im Syatem der Wiaseo- 

■clieften. Leipzig, R. Yoigtländer, 1907. 
18) Walter FolUek, Über die pUleeopUeeben Gnudiagen der winea« 

schafUichen Foräclmng, aisBeitnüi m einer Hethodenpolltik. BerNa, 

Ferd. Düminier, 1907. 
19} Julias Schultz, Die drei Welten der Erkenntnistheorie. Güttingen, 

Veadenhoeek ft Rapreeht, 1907. 
20) Ednard Spranger, Dia Grundlegender Oesehlehtiwieieiiaelisft. Be^» 

Reuther Reichard, 1906. 
21j Ernst 'rroelt8ch, Psychologie und Erkenutuistheorie in der Religione- 

wisseuachaft Tübingen, J. C. Ii. Mohr (Paul Siebeck), 1906. 
22) Johennes Volkelt, Die Qaellen der meBeehticlieii OewiOheit Ifflneheii» 

Oflkar Beck, 1906. 

83j Oswald Weidenbeob, Uenkoh und Wirklichkeit. Gießen, Alfred Ttfpel- 
mann, 1907. 

24) Paul Weisengrün, Der nene Ems in der Philosophie. Wien und 
Leipsig, Wiener Verleg, 190K. 



Diese kxlltoehe AudiiinideiMtsang mit erkenntaispsychologischen An- 
wehten anderer Autoren ist dee leiste »eritenntniepsyeliologisehe SmoumI- 

referat«, das ich /n schreiben f:edonke. Bei dem Mangel an Einheitlichkeit 
der erkenntnistheoretiachen Terminologie und bei der Weitlüufigrkcit erkennt- 
nistheoretischer Gedankengänge ist ein objektives Referieren so gut wie aus- 
geseUoBsen, wenn man nieht Uber jede sa beepreehende Scbiift ein den Zn- 
semmenhang mit der übrigen Litwator ndir oder veniger anßer acht lassendea 
Einzelreferat von beträclitlicheüi I'mfang' peben will. Um einmal Ubemom- 
mone Verpflielitunf^t'u zu »Tfiill' u. untcrziclio ich mich nncbmals der undank- 
baren Aufgabe, die Bedeutiui^^ gauü divergenter erkeuutnistheoretischer Unter» 
iaehongen fttr ein einbeitUeheB Syetem der Erkrantnispsyehologie, das leb 
natOilieh meiner eigenen Anfftasang Mitsprechend skizzieren mnß, darzuetellen. 

üm einen t^»»*rblick m ^'owinnen über die Richtungen, ivplrln die er- 
kcnnfnistheoretiecbe Diakuasiou in den letzten Jahren eingeschlagen iiat, tut 
mau gut, sich zunächst die wichtigsten Probleme zu vergegenwärtigen, um 
derMi LOsnng sich die Eikenntnistheorie neeh wie vor bemOht Das menaeh- 
Uche Erkennen ist ein Prozeß, der sieh Im Seelenleben abspielt. Es steht 
in bestimmten Abhän^gkeitsbeziehnngen zu anderen teils recht elementaren, 
teils recht komplizierten Bewußtseinsvorgängen, sa den Empfindungen, zu 
Anfinerlcsamkeitserlebnissen, anm Glanben, WoUen nsw. Dss Erkennen wird 
ftnier besogen anf ein Erkanntee. Es wird beieichnet als rlehtlg oder nn* 
richtig, wahr oder falsch, sicher oder unsicher, bedeutsam oder unnUtz. Eine 
Rückwirkung des Erkennens auf das praktische Verhalten der Menschen ist 
unverkennbar. Diese Bedentnng des Erkennens bedingt auch ein mehr oder 
weniger lebhaftes Litereese an der Wissensehaft vom Erkennen, an der Er> 
kenntnistheorie, die in die mannigfachsten fieaiehnngen an anderen Wiesen«' 
eebafken gebracht wird. 



VoKbemerkaag dea Bef* 




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liteninrbaricht 



3 



An? al! fliesra Tntfachen ergeben »ifh erkenntniatheoretLache Probleme. 
Man kätiQ (Teaauerea wissen wollen Uber die Erscheinangsweise der Erleb- 
nU^, in denen sich das Erkennen vollzieht. Man wirft also Fragen der de- 
ikriptben Piychologie» der Phinommiologie de» EilceBiMiiB auf. Man kaiiii 
Unser neiir in die Tiefe wn diingen bemtüit aein. Stett etser bloßen Be> 
lehieibnng des Nebeneinander and Nacheinander im Seelenleben eine Dar- 
lefun^ funktioneller Abhiiu<,dgkeiten zu geben, ^^rspheint vielen nls I ( Ivciificre 
Aufgabe, "^ic arbeiten demgemäß an einer Fjrkliirung der Erkrnn'uisvor- 
gän^e. Bei solcher Beachtung funktioneller Zusammenhänge, bei »olcher 
woffli>glicb kausalen Betirachtnngsweise ergibt sich als ein Hauptproblem die 
Tnge n«ob dem Yeriilltnia dee Erlcennena sn eeinem Gegenitend. Ist dee 
fiikennen die Wirkung des Gegensiendea» oder ist der Gegenatand ein Pro- 
dokt des Erkennens; ist die Unterscheidung zwischen dem Erkennen nnd 
dem Erkannten überhaupt unbereehtin-t oder \Tie haben wir nnp "onpf das 
Verhältnis des Erkeuuens zu seinem Gegenstand zu denken? Diese i^rol)ieme 
führen so recht ins Zentrum der Erkenntnistheorie. Im Anschluß an ihre 
Beantwortung ergeben aioli vielfach die Fragen nach den Orenzen nnd nach 
den WertabatnAngen dea Erkeonena, deren abaehließende LOanng kaum 
ladenwo als in der Unteranohnng payebologiadier Qeaetamlßigkeiten ge- 
funden werden dUrfte. Auf demselben Gebiet liegen anek die Fragen nach 
Mr.2:!if>hkeit und Umfang einer Rilckwirknng des Erkennens auf das Wnllen 
and Uandeln. Übrigens werden Probleme wie das der Zugehürigkeit einer 
bestimmten Fragestellung zu bestimmten anderen Fragestellungen besonders 
«nfthrlieh didmtiert in Abhandlungen Uber die Methode der Erknmtnie- 
Iheotie und über ihr Verhültnia an anderen Wiaaenaehaften. Wenn wir 
aeUiefilieh noch die lateresaen dea Historikera der Erkenntniatbeorie berttek- 
tichtigen, so dürften wir ein ziendieh vollstSndigea Bild der erkenntniatheo- 
letiaeben Problemateliangen gewonnen haben. 

1} Zur Fluukomenologie dee Brkenneae. 

Ab neuere BeitiVge lu einer deakiiptiTen Pifdiologie der Denkrong^nge 

kommen vor allem in Betracht die 0arlegnngen von Karl Bflhler in der 
Schrift »Tatsachen und Probleme zu einer Psychologie drr f>rnk Vorgänge. 
I Uber Oed.inken« (Leipzig. Wilhelm Engelmann. 1907'. B übler betrachtet 
eine Kategorie psychischer Geschehnisse, die wohl jeder zu den Erkenntnis- 
▼orgängen rechnen wird, nämlich die Denkvorgänge. Eine vorläufige Defi- 
nition deaaen, waa unter Denkvorgängen veratanden werden aoU, wird ideht 
gegeben. Btthler betont viehnebr auadracklieb, daO maaehea (alltlgliehe) 
Uiteil vollaogen wird, ohne daß ein besonderes Denkerlebnis Im Bewaßtaein 
hervorzutreten braucht. Er fragt also nicht eigentlich nach einem gemein- 
samen psychologischen rh;?r'ikter aller derjenigen Bewußtseingvorgänge. die 
sich abspielen, wenn eine Ha( ii logischen Kriterien als Urteil zu bestimmende 
Leistung vollbracht wird, sondern er fragt nur, ob es überhaupt neben den 
aOgemein anerkannten Klaaaen psychiaeher Eriebniaae, neben den Yoratel- 
hmgen, Affekten naw. qualitativ eigenartige Geachehniaae Im Bewnßtaeina- 
laben ^bt, Air welche der psyeholo^che Begriff »Gedanken« verwendet 
werden kUnnte. Um diese Frage zu entscheiden, läßt er seine Vp. achwie- 
rige Fragen beantworten, sich um das Verständnis dunkler nnd geistreicher 
Sentenzen bemühen usw., kurz, er bringt sie in die Lage, geistige Arbeit zu 

1* 



4 



litnmterberieht 



leisten, von der jeder Unbefangen*^ zugr-At« heu wird, daß sie an da« »Denken< 
ssiemlich hohe Ant'ordeningen stellt, ^^aclidem die betreffende Leiatang jed^- 
mal ToUbmolit iit, wird ein gemnM Piotokoll dctm fta%eaommeii, wu dar 
BeotMMshter toh Minm (bei dei LQnuig der Angabe abgelaalinaeB) SM- 
iiilMii SV berichten weiß. B Uhler hat also die Methode der syttenitiidNi 
•experimentell beeinflußten Selbsthnobachtniig in dorcbaus korrekter Wtitt 
«ng-pwandt nnd sich um ihrp Avisbildong' nach einer bestimmten Seite hin 
zv-t'iftllüs ein Verdienbt erworben. Es muß dies deshalb besonders betont 
werden, weil Wandt im 4. Heft des letzten Bandes der psychologiaeliea 
Stadien gegen die Bttblereehe Aibeit itad gegen eine Beihe &hnlicher VtMh 
MMtbiugeii heftig poleniilert, und iwsr teUwele e ofllmber «if Onnd ebM 
prinzipiellen Mißverständnisses. 

Welches sind nun die Ergebnisse der BUhl ersehen Untersuchuf? 
BUhler konstatiert znuHch^t das Vorkommen von »Gedanken« mit folg^ndai 
Worten: »Die wichtigsten Eriebuisstücke (beim Denken sind etwas .. wa* 
vor allem keine sinnliche Qualität, keine sinnliche Intensität aufweist; etvas, 
Ten dem mea wohi einen Klwbeitsgrad, einen Slehedieitsgrad, eliie Leb> 
iMftigkeit, mit der es das psyehisehe Interesse in Ansprach nimmt, sasii^ 
kann, das aber inhaltlich gtns anders bestimmt ist als alles, was sich letztm 
Endes auf Empfindungen zurückfuhren läßt; etwas, bei dem es gar keinen 
Sinn hütto, bestimmen zu wollen, ob es eine jrrößere oder geringere Inten- 
sität besessen oder {,'ar, in welche slnnüchen Qualitiiton es aufzulösen wäre 
Diese Stücke Bind das, was die Vp. ... als Bewußtheiten oder aacii nii 
Wissen oder schlieht als ,dss Bewußtsein, daß . . am hliafigsten nnd komk- 
iesten sIs Gedanken heieiehnet haben« (a. a. 0. S. 191). Weiter wirft BBklsr 
die Frage auf, »wie die Funktion des Tragens des Gedankengehalts sieb 
aufVorstellungen nnd Gedanken verteilt und wie beide sich zueinander vei^ 
halten« (S. 20). Er tindet. »etwas, wm so fragnieutarist fi mo sporadisch, »o 
durchaus zufällig auftritt im JJewubtseiu, wie die Vorstellungen in unseren 
Denkerlebuiäsea, kanu nicht als Träger des festgettigten und kontinuieriicben 
Denkgehsits angesehen werden« (8. 21}. Als die wesentUehen Bestsnditlieke 
vnserer Denkerlebniase kommen ahw naeh BOhler nnr die »Qedankea« is 
Betracht. 

Es handelt sich nun vor allem d:\nim diesen >r;edankent ihre Stelle im 
System der HewuPtspingtatsachen auzuweiaeu. Auf die demgemäß sich er- 
gebende trage: »Was bind denn diese bald mit, bald ohne sinnliche Ke^rleit- 
erscheinungen auftretenden Gedanken^ die wir als die Bestaud&tücke unserer 
Benkerlebnisse beielchnet haben« (S. 28), antwortet BfihI er sonlehst mitte 
Innen Ablehnung sweier Ansichten, Ton denen die eine in den Qedarim 
nichts anderes sieht als eine Reihe von fluchtigen, halb unbewußten Eimd- 
vorstellnngen, während die andere behauptet, die Deukerlebaisse seien etwM, 
was psychologisch gar nicht bestin int w< r !f ti lo'inne, was vielmehr nur vor 
das Forum der Logik «^ehfSre 'S. 28,. J .twaö auBtüürlicher werden zwei andere 
Gruppen von Anschauungen beiiaudelt, die sich unter die Begriffe »Verdidh 
tnngstheorien« nnd «HOgUchkeitstheorien« sollen nnteiordnen lassen. Die 
Verdiehtongstheorien »snchen ans der Tatsaehe der AbkÜnanp nnd Teieia- 
fachung aller psychischen Vorgänge durch die Übung ein YeratiSadnis des 
Gedankens zu prewinnen«. »Die Müglichkeitstheorien dapegren snchen eine 
Erklärung im Unbewußten« 'S. 30 GeL^eii di»: letzteren wendet Bühl er ein. 
daß sie über dem Möglichen das Wirkliche /.ü k.\jsi kommen lassen. Der Ge- 



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Utarttorberioht 



diaka id eia wirUiokerBewilfiCMiluniBtand, und es sei vollkommen amge- 

Bchloflsen, zusap^eir Fin Bp^^MiPtsfTnsmi^o-hVViPs Vor«'tp1hiTifrPTi, die mit erregt 
werden künnten, aber nicht fatsiiclilirli ini Bewuiitsein anttreten, in Bereit- 
schaft stehende Dispositioneu, die aber nicht bis zur wirklichen i: unktion 
I^IsBgen) tei der bewnStsdnawiiUidbe Oedank« (8. 29 f.). Mit dieser etiree 
dlalektfiekeB ArgnmentatiOB wird ttim vielleickt uiekt Jeder sich zufrieden 
peben TAn Vorgangr im UnbewnOten ist ja ebensosnit ptwas Wirkliche« wie 
ein Bewußtseinsvorgang. Wenn man das Giescheben im Unhe'mißtPn (im 
Realen, im Substrat des Seelenlebens oder wie man sich ausdrücken will] 
ala BedteguDf dee Bewnßtmfaufeidieheiii betreehtet» ee kena maii folgeade 
Aaaakme machen: Die Teilproseaee dee GeschehenH im UnbewuDtea, deaen 
bei genügender Stlirke oder ganz alleremein bei Erfiilhm!' !^ewiB8er Neben- 
bedingungen Bewußtseinsvorgänge sich anschließen, mögen durch die Buch- 
atabea a, e, d , . , beeeiehaet werdea. Dto '?im Ikaea nater UBettadea 
(bei BrAUnag ^ewiaier Nebeabediagaagea) kerbeigeillkrtai, itela Ue an eiaeai 
gewissen Grad, wenn auch unzureichend bedingten Bewußtseinsvorgänge 
seien (c. ?, <( . . Im Sinn einer »MRgliphkeitatheorie« besteht nun der 
GeUauke im unvoliständigen Vorhandensein der Reihe a, ß, y, d . . sofern 
daaebea die Belke a, b, e, d . . . ToUatMadig vorkaaden ist, d. k. beim Den- 
ken bnraeht im Bewußtsein ganx weaag tob den aaf den gewnStes Tatbe- 
stand sich beziehenden Vor^trllnngen gegeben zu sein, wofern nur die der 
Gesamtbeit dieser Vorstelluniren zugrunde lifpnden l'rozeBse vollständig, 
wenn uucii in einer zum vollständigen Hervorbringen der Bewnßt«eiusreihe 
OBgendgenden Form angeregt afad. Die Ftagmeate der BeHie a ß f $ 
müssen nun freilidi im Bewußtsein andere beaobafTeo »ein, wenn Voll- 
stSndigkeit der iln <i !, ' bf°t''l]t wenn jene Bewußtsoinsfrajfmente 
also zu einem di»po»itioueUen Wisecu gehören, als wenn sie ohne solche 
Zugehörigkeit vorhanden sind. Irgendein Etwas im BcwniBtsein muß also 
sieherUeh dareb die unbewußt bleibendea (d. k. dnrck die ihr eigemdlebea 
Bewußtseinskorrelat nicht mit sich fahrenden; Glieder der Belke a b r d . . , 
bewirkt werden. Mit dieser Fordoninpr hat B tibi er zweifellos recht Aber 
der »Schein«, den hiernach das Unbewußt-Bleibende ins Bewußtsein wirft, 
biaadit alekta aaderea an aeia ala eiae beaoadere FIrbnag der FTagneate 
▼OB » ß Y i ... Dieee FKrbnag kOnate Imner die gleiohe aeia, sobald 
irgendein Bewußtseinsiuhalt Repräsentant eines über ihn binausgehenden 
Wissens ist. Eine weitere I^eachreibung dieser Färbung künnte ebenso ua- 
mOgUch sein wie eine Beschreibung der Qualität etwa der Kotempiinduug. 
£a konnten aleb aber In Unteraebiedea dieeer FKrbnng anek üateraebieda 
der Sicherheit, der ToUständigkeit und Klarheit des Wissens zu erkennen 
geben. Damit wäre natürlicii l''' Mngtiohkeit einer weiteren Beschreibung 
noch keineswejTH frewonnen. Kutä, daw WissensbewnOtsein, dan beim Denken 
eine Rolle spielt, braucht niclit das relativ selbständige, psychologisch ana* 
lyrierbaie, den VoialelhiageB koordiaieri» BewvßtaeiaaerlebBia an aeia, ala 
welcbea ea tob Bflbler aieh Ablekaang der »Magliokkeltatheorie« betraebtet 
wird. 

BUhler hebt allerdings noch besonders hervor, man habe beim Denken 
nicht nur ein Bewußtsein, daß man sich etwas zur Ergänzung des toi^ 
atelfaiagaBiKBIg GegebeaeB ia Betraebt KomiaeBdeo aoafttbrlieker aa» BewB0t- 
sein bringen könne, sondern man wisse auch, was jeweils Inhalt des im 
fiian der Mügliekkeitatbeorie nabewoßten Wiaaena seL Aber ein Beweia für 



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6 



Litentarbeiioht 



dieie Behaapttmg läßt sich experimentell sohlechterdings nicht erbriogoi. 
Die yp. geben naeh LOBnng der DenkAofgaben sn PMtokolli ww lit gedadit 
baben. Dabei repfodwleien aie YotateUiuigeii, iaabeaondere Worfeffontol- 

Inngen, von ricneu sie bestimmt wissen, daß dieselben vorher beim Toll» 
bringen der Denkleistnng nicht vorhanden waren 8i> Treben auch einig« 
Wort- und Saehvorstellungen an, die beim Vollbrin^'^t'n dt r Denkleistuig 
selbst da waren. Daß nur diese und keine anderen voriiandeu waren, läßt 
sich natürlich in keinem einzigen Fall mit Sicherheit behaupten. Dagegen 
aind die Yp. meiat gar oieiit im Zweiftl darüber, da8 WOner, die lie aacb- 
trüglieh nun Avadnick ibrer Oedaaken Terwenden, die Torber geliabtea Ge* 
danken wirklich ausdrucken. Sie konstatieren alao nachträglich eine Zo- 
sammengehJJrigkeit epMter aufgetretener Vorptfüungen und früher vorhtn- 
dener Bewußtseiustatsachen. Daß die letzteren die ReproduktionsmotiTe 
für die orstercu gewesen Bind, dieser Umatand allein kann das Bewaßtsein 
der Zusammengehörigkeit zwischen beiden nicht erklären. Irgendwelche ia- 
baltliehe IdentitSC, TieUeicbt auch nnr inbalfUebe Gleiebbeit, maß TOibaate 
aein, wenn die Übeneognng von der IdentMtt dea apiter Anagedrüekte» aad 
des früher Gedachten zustande kommt. Aber wo ist der TrMger dieaer Uka* 
tität oder dieser Gleichheit zu suchen? Sind es die Fragmente von a ßyS.. . 
die beim VoHi rinL'cTi der Denkleistung schon vorhanden waren und die 
natürlich auch noch vorliandeu Bind, wenn sie zum Zweck der ProtokoU- 
anfiiahme ergänzt werden? Oder ist ea eine beaondere Färbung dieaer Frag- 
mente, die wShrend dea Deakena und wXhrend dea naobfblgenden Gedaaksar 
anadmeka erhalten bleibt? Oder iat ea ein den Yontellnngen koordiiiiertes, 
▼on den Fragmenten der Reihe a y ^ . . . gänzlich unabhängiges Denk« 
erlebnis, eben das, was Bühler »Gednnke* nennt, wodurch die Zu?ammen- 
gehörigkeitsbeziehuug zwischen der vorangehenden Lüsung einer Denkaiügät>e 
und der nachfolgenden Darstellung dieser LUsung hergestellt wird 'f Die Ant- 
wort anf diese Fragen kann auf Gmnd bloßer, wenn ancb experimentell ao«b 
ao aebar&innig beeinfittßter Beobaebtnng kaum gegeben werden. 

Wir aind davon aoagegaagoi, daß BQbler gegen die von ibm eo ge- 
nannten Mttglichkeitstheorien und Verdichtangstheorien Einwinde erbebt 
Dabei scheinen die Einw-indo u'f'jren dio Mi^ßfliclikeitstheorien nicht notwendig 
zu dem liesultat zu tülirm. /,u dem Biihier gelangt. Ahnliches dürfte dud 
aber auch von B Uhlers roieniik gegen die Verdichtnngstheorie gelten. 0> 
wird Tor allem darauf hingewiesen, daß die »Oeeetxe des GedankenfortaobriMi* 
andere aeien »ala dieYorateUnnga-Yerbindnngageaetae«, nnd daß ea »daieb- 
aas nnbegreiflieh wXre, wie mit einer AbkUrznng und Beschlennignng Ton 
Yontellnngsabläufen, die ihr Automatischwerden mit sich bringt eine Ände- 
rung ihrer Gesetzlichkeit vorbundcMi tcin sfitlto. Diese Arg'unif^nfation ist 
aber keineswegs zwingend. M m braucht weder die Voraussetzung eiuer Ve^ 
schiedenheit der Gesetze det* Gedankenfortachritts und des Yorstellungsver- 
laufis noch die darauf gegründete Sobloßfolgerung zuzugeben. Wae daa 
erateren Punkt anlangt, ao wird an anderer Stelle daranf noeh niher 6iB> 
gegangen werden mHaaen. Hier genügt es, zu fingen, waram ea denn roa 
vornherein nnbegreifliek aein soll, daß verdichtete Yoratellungen eine andere 
Art des Zusammenhang? imd dos Verlaufs erkennen lassen als nicht ver- 
dichtete. Auf diese Fra^je dürfte eine befriedigende Antwort schwer ztt 
finden sein. Indes Bühl er glaubt auch noch andere direktere Einwände 
gegen die Verdichtungsthcorie ins Feld führen zu können. £r meint; »Weaa 



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Literatarbericht. 



7 



der Oednnkf» ein Vcrrlichtun^sprodakt an^ 'N'orstr'llungen wäre, dann mfiOte 
er Bich daich dieselben Kategorien beatimmen lassen wie diese VorsteUimgCQ. 
Mim hat es fUr einen Gedanken aber gar keinen Sinn, nach seiner Intensität 
oder gir nadi liiiieii liiudldMii QulifUton sn üragra« (8. 38). Aber dafegea 
muß man doch das Bedenken geltend machen, ob denn wirklich von der 
Intenaität einer Voratellang so ohne weiteres gesprochen werden kann Wenn 
Mch die Empfindongen Intensität nnd Qualität besitsen, so gilt dies doch 
nidit in denetlben fiHan «neh ▼(» dta ToittaUnafeii. "SMA «imnl den 
allerlLOiikretesteiiyontdliiiig«! wird min ■ehleehtliiiL Intensititt qnd Qoafitlt 
üiierkennen dürfen, g^eschwci^e den Abstraktionsprodakten, die daraus sich 
entwickeln. Die Verdichtungstheorie ist aber im Grunde genommen kaum 
etwas anderes als eine Abstraktionstheorie. Das, was in einer Beihe partiell 
gleidier Yorttelliiiigeii Vhereioetiiiiint, bleibt ttt dae BewoOteeta erbalten, 
während die nicht übereinstimmenden Bestandteile zurücktreten. Ein solebes 
Abstraktionsprodukt kann in der T:it in gewissem Sinne eine Verdichtung' 
gonannt w«'rden. Es lassen sich auch die Gesetze angeben, nach denen eine 
derartige Verdichtung sich vollzieht. Insbeacndere dürften dabei Vorgänge 
der reprodnktiTeii HemiDiuig eine große Bolle eplelen. Der Hinweis auf die 
BedentUDg der Obung Air die Verdichtung tritt natOrlleh nit Mleheil ge- 
naueren Erkl iniTigsversuchen nicht in Widprpprnoh Wonn man SAgtt 
Bewußtseinsvorgang werde durch Übung mehr und mehr unbewußt, so heißt 
das ja nichts anderes, als wenn man einfach konstatiert, daß bei Öfterem 
Auftreten lUmlioher Bewnßtieinfinltelte mebr oder weniger saldreiebe Be- 
standteile derselben für das Bewußtsein verschwinden. Welche Bestandteile 
in dieser Welse verloren gehen nnd warum sie zurflcktreten, das bleibt un- 
entschieden. Man k(>unte allerdings noch daran denken, den Einfluß der 
Obung in einer YerkUnnng der Reprodnktionazeiteii sn tndien. Dann dflrfte 
Toa einer Yerdielitnng nur in dem Sinne geeproehen werdoi» dnß s^lfleli 
weiter Ausgedehntes zeitlich enger zusammengerückt wird, ohne im übrigen 
an Fülle einzubüßen. Aber daß das Wesen des Denkens nicht in einer sol> 
chen bloß zeitlichen Znsammendrängung von Vorstellungsmassen besteht, 
weiß jeder, der liberlmnpt schon gednelit hat 

Es Bob^t also nach dem Bisherigen, als ob neben der Bttblereeben 
Auffassung vom Wesen der Gedanken noch eine doppelte Auffassung mög- 
lich sei, nUmlirh pinpr«pit8 diejenige, wonach die Denkorlobnisse Abstrakrions- 
produkte aus dem Vorstellungsleben &mü, andererseits die, welche ein un- 
aelbsUbid^es Moment (einen Charakter, eine FKrbtmg oder wie man ea aonat 
nennen wiK) an irgendwelchen Bewußtseinsinhalten als Denktatsaebe beaon- 
ders hervorhebt. Beide Auffassungen schließen («ich übrigens keineswegs aus. 
Die Abstraktionsprodukte, die auf der einen Seite in der Beschreibung des 
Denkens vor allem betont werden, können sehr wohl zuweilen oder immer 
THiger dei eigenartigen Wiaeenabewniita^na aein, daa Ton der anderen Seite 
ala KzfiMinm des Denkens in den Vordergrund uenrellt wird. Die Abstrak- 
tionsprodnkte wilren dann eben die Fragmente der Keihe <c ß y J . . mit 
denen sich auf Grund der umfassenderen Erregung der Reibe a b c d . . , 
daa Bewnfitaein verbindet, daß man zu einer vollständigeren VergegenwSrti- 
gnag dea betreffenden Wiaaena imstande seL 

Ob diese Annahme mit den tatsächlichen Verhältnissen zusammenstimmt, 
muß einstweilen dahingestellt bleiben Vorläufig handelt es »ich nur darum, 
daß sie durch die Btthlerschen Argumente nicht widerlegt wird. Betrachten 



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8 



Literaturbericht. 



wir nun den weiteren Verlauf der Untenaohimgak BUhlerB Nachdem m 
als Ergebnie seiner polemiBchen Erörteranpen den Satz gefunden zu babra 
glaubt. daO die Gedanken nicht auf andere Erlebnisse zurückperdhrt werdet» 
können, versuclit er t'iyo positive Bestimmung derselben. Fr wirft die Frage 
auf: Welche Momente können wir an einem Gedanken unterscheiden? vS.3S}. 
»Mit dieser Fngeet^nng«, m^t er, »baben wir idioii etwM Ytaam g e uM, 
wora wir eigentlidi noeli nicht bereelitigt eiiul, aimlieh, äaß der Qedaake 
tin Ganzes ist, das nur unselbständige, keine selbständigen Teile, keine StBeke 
mehr enthält.« Indes hilft liier einfach eine Definition: Gedanken sollen eben 
die letzten Erlebniaeiuheiteti iniserer Denkerlebnisse heißen (S. 33\ Diese 
sollen nun also psychologiat h weiter analysiert werden. Solche Analyse 
äuchtBühier anfeinem dreifachen Weg zu erreichen, nämlich erstens durch 
BerVekiiclitiguug der Gesiehtspiinlcte, onter denen eeine Yp. ibre Erlebiii«e 
SU beeobreiben Teisnehen, iweitene dndueb, daß es bler und da gelingt, die 
Entstebnng eines Gedankens Im Bewußtsein unmittelbar zu Terfolgen, ond 
drittens dadoroh, daß daa Gedäehtnie ala realer Analysator Terwendet «iid 
{S. 34ff.). 

Aber hier driin^jt sich ohne weiteres ein Bedenken auf. Weua die psycho- 
logische Analyse eines GeUaukeus auf die llerausliebung unselbstäfidi|[sr 
Momente geiiebtet sein soU, dann dürfte der sweite ond dritte Weg m 
Tomhecein aaMiehtaloa emoheinen. Waa niebt eelbetlndig nebeneinaate 
TOrleonimt, kann docb aucli Inrch einen realen Analyiator nicht isoliert 
werden l*nd ebensowenig Avir wir uns denken können, daß in der Genesis 
einer Empfindung Intensität und Qualität auseiuandertreten, ebensowenig 
scheint in der Entstehung eines Gedankens eine Trennung dessen mdghch 
zu sein, was seiner Natur nach solcher Trennung nicht fähig ist Es bleibt 
alao nnr der erste Weg psychologiscber Analyse (oder Tielmehr abattaktiver 
Zeri^edenmg} der GedaiilLen mifglieb. Aber aneh von diesem ist es wemg 
wahrscheinlich, daß er zu den gewünschten Ergebnissen führe. Es liegt Tsa 
vornherein die Gefahr nahe, daß in der nachträglichen Besehreüinng der Ge- 
danken tJfter der Ausdruck für die logisch und psychologisch ^virklich treiiD- 
baren als für die nur in psychologischer Abstraktion zu ertastenden Bestand- 
teile der Gedanken gefunden wird. Solango keine isolierte Variation der 
nnselbstindigen Momente «iner Erlebniseinbelt dnreb die Versnehsanordnaag 
berbeigefttbrt wird, solange erleicbtert das Eiperiment die abslnbienade 
Beschreibung kaum wesentlich, so daß im Grunde genonmien nur znfalligs 
Umstände das Hervortreten abstrakter Seiten des Gedankens ftir die Bühler- 
sclien Vp. beeinflüSBCn krmnen. Unter diesen Umständen ist die Wahrschein- 
lichkeit gering, daß mein- von uusclbstäudigeu Momenten des Gedankeos in 
den Protokollen beschrieben oder auch nur benannt werden , ak den Be- 
obaohtem Ton Tomherein belcaant sind. 

In der Tat xeigt sieh nnn, daß Bttblers psyebologisebe Anatyse der 
Gedanken stets nur Gedanken als Bestandteile der Gedanken zutage fördert 
Das Allgemeinere, das Unbestimmtere, das bloße Sehemn, die bloße Form 
einerseit« \md das Speziellere, das Bestimmtere, die Anwendung des Schemas 
in einem konkreten Fall, die inhaltliche KrfHIlung andererseits treten in den 
Angaben seiner Yp. oft genug auseinander. Aber der allgemeinere Gedanke 
ist ebensogut ein Gedanke wie der mebr spetiaUslsrte, daa D«nksn eiaer 
Begfll stobt ala psyebologisebe Tatsaebe in einem Eoordinationsveibiltnis 
snm Anwenden der betreffenden Regel usw. Der »fertige« Gedanke ist mM 



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« 



LifeonrtoilMridit* 



9 



reicher an-Belbatändigen Bestandteileti als die einzelnen Entwicklungspbasen 
deMelben. Aber reicher an onMlbständigen Momenten des Denkerlebnisees 
in er aielit Greifen wir «inen bestiaamteii Fall henraat Ee handdt aiob un 
die BakMBtrnktiiiii dea Oedankaitt: »Je nagerer der Hmid, deato fetter der 

Floh«. Die Vp. gibt zn Protokoll: »Erst hatte ioh den ganz allgemeinen 
Gedanken, den ich nachträglich etwa mit den Worten wiedergeben kann: 
lebea auf Kosten anderer (aoasaagen oder ähnlich, den Gedanken selbst hatte 
ich gans olme Worte), deaii 6el mir ein ,Je magerer der Hand, deito firtter 
der Floh' «la eine Spesiiiaiemiigr jenes Gedankens« (S. 36). B Uhler glaubt 
daraas »schlieGon zu kfJnncn, daß in dem Endpedanken aaßer der Beziehung 
der beiden Bejjrrifre, welche in den Worten enthalten ist. auch jenes Allge- 
meinere als besondere» Moment eutlialteo war«. Es tat nou gewiß richtig, 
de0 der Gedaalie an das PuaaltenyeriiiOtnle iwieehen Hnnd und Floli den 
ellgem^neren Gedanken an das Parasitenverhältnis schlechthin (den Gedanken 
an dap, was man eben als Parasiteoverhältnis bezeichnet^ einschlieCt ,'\ber 
daß jener Gedanke eine letzte Erlebniaeinheit unserer Deukerlebuiüsc und 
dieser ein unselbstUndiges Moment derselben sei, wird niemand behaupten 
woHen. 

Die Ergebnisse seiner Analfae legt BUhler znsanunenliXngend dar in 
dem Abschnitt Uber *Ocdankentypen«. Es ist nicht ganz klar, ob unter 
diesen Gedankentypen unselbständige Momente an allen bzw. an vielen Denk- 
erletmiBeen oder i»eeondere Klaaaen ganzer, ans dnerüeliilieit von Momenten 
iMetehender, aeibatlndiffer Denlurlebniaee Teratnnden werden ioUen. Der 
ursprUnfjlichen Fra^restellung; Rilhlers entsprechend müßte man das erster© 
annehmen. Aber einzelne Hemcrkangen lassen es doch wieder zweifelhaft 
erscheinen, ob mau damit das Richtige trifft Wir begnilgen uns deshalb 
dnmit, sn konstttierea, daß die von BQbler «nfgefOluten Gedaakentypen, 
daa BegelbewaOtaoin, d«i Beiiebiingtbewnfitaeln nnd die Intentionen jeden- 
felis auch isoliert auftreten können, also von nns nur im Sinn unabhängig 
nebeneinander vorkommender Credanken. nicht im Sinn unselbständiger Mo- 
ment« an Gedanken betrachtet werden dürfen. Was die systematische Stel- 
huig der drei Begrilb Begelbewnßtaein, Benebnngebewnßtsein nnd intentio- 
nales Erfassen anlangt, ao weiit Bttbler selbst darauf hin, daß das inteu- 
tioTinlp Erfassen, daa Meinen eines Gegfenstandes als besondere Art des 
Bezieh ungsbewußtseins aufgefaßt werden kann. Wir mischten noch hinzu- 
fügen, daß auch daa BegelbewoDtsein nur ein besonderes (kompUiierteres] 
Beaiehm^csbewnfitsebi ist. Das Begelbewaßteeia Iftfit sieh aSmlieb odtalnr 
charakterisieren als das Bewußtsein eines allgemeinen Satzes, der anwendbar 
ist auf einen speziellen Fall zur iJIsunjr eines bestimmten Problems). Die 
Beziehung dea allgemeinen Satzes auf den besonderen Fall, die Beziehung 
dee Allgemeinen nun Beeonderen, die Uer eifUH wird, iü n« dtdnreb be- 
•ondttrs komplniert, daß die beiden Besidiungsglieder eelbet BesiebnngMi 
oder ein verwickeltes OefUge von aolchen darstellen. Die Re^el z. B. der 
Abnahme mit dem Quadrat der Entfernung^. auf die BÜhler unter anderem 
hinweist, ist nichts als eine Beziehung zwisQhen ziemlich unbestimmt ge- 
daebten VeHtaderangsgrOBen. Wenn man sebon von RegelbewaOteein spre- 
chen will, wo nur der allgemeine Satz oad nicht seine Beziehung auf einen 
speziellen Fall gedacht wird, dann kommt nur die Beziehung oder das Be- 
ziehttnps^efilpe in Betracht, die für <l;is Repelbewnßtsein im Htrene-eren Sinn 
lediglich eines der beiden im Verhultuia des Allgeuieineu zum Besouderen 



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10 



Literatur j»ericbt. 



atebenden Beiiehiiiigfli^Mar bilden. Außerdem wird dftlMi «ber. seUntvo^ 
fltibidlich mncb nodi die intentioittle Beidelntiig erfftEt 

Man kaan eben nicht die allgemeine Kegel dMikeiii ohne zugleich an 

die allgt'mnne Reg^el zn denken, oder allgemeiner : man kann nicht irgend- 
eine Beziehung, überhaupt irgend etwas denken, ohne zogleieh an dieses 
Etwas ZQ denken. Oder um die anch von B Uhler akzeptierte Terminologie 
Hnsaerla ansawenden: die Erfiillang eines Gedankens setzt die Intentioe 
▼oniu. Die Wesbeetinimtlieiteii dee GedanlteiiB treten nieht anf oline dai 
Meinen ▼«! etirae, du wdter beetimmt wird. 

Sind nnn nicht die Akte des intentionalen H einens nnd die Wasbestimmt- 
hf>iton Momente des Gedanken?, in deren Hervorhebung^ doch ein Erfol^^ ah- 
nt raktiver Zf^rfrliederung doi 1 Hmkerlebuisse zu sehen int? Bilhler gelaugt 
in der Tat zu dieser Anuatime (S. 63). Er i&t sich auch klar darüber, daß 
darin die Behaaptong eii^eschlossen liegt, es kOnne ebensowenig Inientionn 
ohne Wisbestimmfheiten wie Wubestimmtheiten . ohne Intentionen geben. 
Er beetreitet demgemäß die Anffaeenng Hneeerla von der Möglichkeit da» 
Aaftretens »ganz nnerftUlter, rein signitiver Akte« und bemüht sich nn dei 
Nnf'hweis derjenigen Waabcstimnitheit, die anch da vorlinndcn ipt wo nacli 
Hu8serl bloße Intentionen ohne Errdlluncr gegeben sind. Kr konstatiert: 
»Die Wasbestimmtheiten in den Akten de» unmittelbaren Wissens um etwas 
find Platsbeatimmtheiten innerhalb einer bewui3ten Ordnung« [S. 61). 

Aber nun eiliebt eieh die Frage: Wm sind denn die Intentionen, wem 
des Wissen nm die Pltisbeetfmmtheit inneibilb der »peyebiedten Oegen« 
etandsordnung« zu den Wasbestimmtheiten gerechnet wird? Ist es nicht 
richtiger, diesen Hinweis auf die Lokalisation in einer übrigens nicht rSrnn- 
lieh oder zeitlicli zu l( nkeadeu Ordoung mit der Charakteristik dtr intentio- 
nalen Erlebnisse zusammenzubringen? BUhler hat vollkommen recht., weao 
er Front maoht gegen den Unfug, der in der Psychologie zuweilen mit dn 
Begriff der Tranaeendeu dee Denkens getrieben wird. Seiner FestiteUmig: 
»Alle OegenstandslMstinimtheiten, nm die ich weiß, weiß iob in oder dueh 
Modifikationen meines Bewußtsein 8 < 8. 59 stimmen wir vollkommen bei. 
Aber wir i'Hjrcn liinsu: Auch die Vf rsfhiedenheit des Verschiedenen. dn= wir 
bloß inteutional ert:issen. ist uns nur in oder durch Verschiedeulioitea der 
BewußtseiDsmoditikationen unterscheidbar. Wer jetzt an Rom, dann au dea 
Kaiser von China nnd scidießlieb an eine mathematische Formel denict, obis 
Wort> nnd SaebTOiatellnngen sn beben nnd ebne irgendwelebe WnelMstimaife- 
beiten der betreffiniden Gegmslittde sn denken» der darf doeb niebt immer 
dieselbe Beziehung dos Ich auf einen Gegenstand sehleehthin erfassen, wenn 
er ein RewuBtsein davon haben soll, daß er an verschicilcne Oocrpn stände 
denkt. Dagegen wendet Bühler vielleicht ein, daß die hier postulierte Ver- 
Bohiedenheit durch die nie fehlenden Wasbestimmtheiten garantiert wird, dai> 
dagegen in dem niemals verwirklichten Fall rein intentionaler Akte, wenn 
wir ibn einmal Terwirklicbt denken wollten, allerdings eine ünnnteriebeid- 
barkeit der Intentionen angenommen werdw müßte. Aber dannfbm wire 
zu fragen, was dann die Annahme intentionaler Akte als beeonderer Momente 
der Dpnkerlebn?Hf»e noch zu bedeuten hnbe. Wir scheiden in der Abstraktion, 
was unabhängig variabel ist, wie z. B. Qualität und Intensität der Kmptindong. 
Aber etwas, was stets in gleicher Weise vorhanden ist, kann gar nicht be> 
sonders aufgefaßt werden. Wenn beispielsweise die Oesiohtswip&ndaagen 
mßer QunttiXt, Intensität nnd Sittignng noeh eine Seite bitten, die sieh nie- 



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UtentlarbMielit 11 

m;ib änderte, die vielmehr bei jeder Kombination von Qualität, Intensität 
and Sättigung die nämliche bliebe, die auch uieiuak auftreten kannte, ohne 
daß gtelehteitig du« iMfltiiiimte Kombination von QnalitSt, Inteiiiiat vad 
SKttignag gegeben wäre and wenn dieao vierte Seite der Gesichtsempfin- 
dnngen nnrh nirbt dadurch hervortreten wUrde, daß andere Empfindungen, 
etwa die Uehürsemptinduugeu, etwas der Qualität. Intensität und Sättigung 
der Gesichtsempfindongen Analoges, aber nicht« der betreffenden vierten 
Seite EaUpnotaandM iMtfSen, dann wttrde eia Mlehoi Moment derQ«eic1ita> 
ompfindong nie entdeckt werden. 

Nun bleibt freilich die Annahme, daß der rein intentiunale Akt eben 
deshalb payebologiech erfa(3bar sei, weil er in gewissen £rlebnissen, n&mlich 
in den OefttdiaafllBdeiit nfi^ ▼orkonune. Aber diese Annalime kann doch 
aar derienige maelion, dor mn isolierfeea Anftraten reiBor Qefthlo für mög- 
lich hält. Wer die so ziemlich allgemein anerkannte Tatsache nicht bestreitet, 
daß OefUhlf» nur im rnfrsten Anschluß an (peripher oder zentral erregte) Vor- 
stellungea nud Ucdanken auftreten, der muß zugeben, daß der intentionale 
Akt nielit lelion deshalb peyohologieeh «r&0bar Ist, weil er zn gewiaaen 
Zeitponkten in unserem Bewußtsein fehlt. Davon» daß Wahmehmongen, 
Erinnerungen und Phantasievorstellungen im G^^f'enHnt? Crdanken des 
intentionalen Aktes ermangeln, kann in dem 8inn seibstvtu ■stündlich gar 
keine Kede sein, als ob jemand wahmehiueod, erinnernd oder pliantaaierend 
aieh Torhalten lE0nne, ohne «tvas wahrmnehmen, eieb an etwaa an erimieni 
oder etwas in der Phantasie vorzustellen. Wenn « in Erkenntnistheoretiker 
run-irh«f jeden intentionalen Ak*^ nln Denkerlebni- Ije/eicbnet, um hinter)i^^r 
festzu&teüeu, daß es kein Wahrnehmen, Erinnern oder Phantasieren ohne 
Denken gibt, so mügen Hir solche Anffasanng Tielleieht gewisse Gründe vor- 
liegent die man diakntieren kann. Ohne jede IHeknnion abtttlehnen aber 
wäre die Ansicht, welche diese in der Abstraktion durchgeführte Unterschei- 
dung zwischen Vorstellung und intentionalem Akt mit einer die Abstraktion 
des intentionalen Aktes ermöglichenden, zeitweilig zu konstatierenden 
wifiüiohai OoMhiedenbeit von Vontellung und intentionalem Akt Torwediaeln 
wollte. 

DaG wir also vom intentionalen Akt überhaupt sprechen können, das 
beweist entweder eine unabhängige Variit^rharkeit oder ein wirkliches zeit- 
weiliges Getrenntsein dieses Aktes in bezug aut die soustigeu Bewußtseins- 
erlebnisM. Efaie nnabiilngige Variierbarkeit ist aber sieheriieh nieht Tor* 
handen: Wir kennen uns nicht auf verschiedene Gegenstände mdnMd bo* 
sieben, so daß dabei alle übrigen Bewußtseinsumptiinde oder mch nur die 
»Wasbestimmtheiten« des Gedankens die gleichen bleiben. Also ist ein wirk- 
liches zeitweiliges Getrenntsein anzunehmen. Da dieses Getrenntsein nicht 
in der Weiae etattfiadet, daß eonitige Bewnßtaeiaainbalte ohne den intentio- 
nalen Akt auftreten, ao muß es darin bestehen, daß gelegentlich ein inten- 
tionaler Akt ohne sonstige Bew!ißt«eina!nhnlte auftritt. Wir rallssen also im 
Gegensatz zu Bühier üusäerls Auffassung von der Möglichkeit isoliert 
Torkommender, rein intentionaler Akte annehmen. Mit anderen Worten: 
Aneh die Intentionen Bind nieht nnaelbetindige Momente an einem Gedanken, 
sondern selbständige Gedanken oder andi aelbetindige Beatandteilo einee 
komplexen Gedankens. 

Daß die intentionaieu Akte, wenn sie isoliert auftretend ein Meinen ver- 
adiiedeaer O^maOnde damtflUnn, ala BewnßtsdaaKlebntee Teiaebieden 



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12 



Uteratarberiobt 



sein müssen, das erscheint UM nan allerdings ganz selbstverBtiindHdl. üidm 
wir daher die allerdinfis nnr symbnlifirhp Redewendung ßUhlers von dem 
Bewußtsein der »Platibestimmtbeit innerhalb der psychischen Gegenstands- 
Ordnung« akzeptieren, betrachten wir sie definitiv als Charal^terisieraog der 
Vefsohiedealieit der leinmi Itttentloiiea. YieUdoht aber wire «i iioeb ridi- 
tigW) wenn wir Uberhaupt nur eines eindfon felB inten tionalen Alct anneh- 
men wHrden. nämlich den Gedanken an ein gnnz unbestimmtes Etwas (d. h. 
nicht an etwas von einem anderen Etwas Verschiedenes, sondern an den 
6eg«ii0taiid dn allgemoinatw Begriffs). Dann «ifare das Bewoßtaein der 
Ptetabealmimtiiflit iBB«riiaIb dir payoUaolieB Qegenft a adtordnuiif nielit mebr 
das bloße Bewußtsein der Objektbeziehnng, sondern dieses und daneben 
schon das Bownßtsein einer gewissen Beziehung zwischen den Objekten. 
Wir hätten also zu unterscheiden das Bewußtsein der Beziehung des Sub- 
jekts sn einem Objelct sdileelrtlun, daa Bewußtsein der BeiiehnBg iwieehen 
Objekten, das Bewußtsein der Beiiebnng zwischen Berielnragen usw. Jeden 
von diesen RewußtpeinBerlebnisBen w3ire aber als 8p1h«r:tnf1iger Gedanke zn 
betraeiiten, wenn auch in den suletzt genannten die zuerst att%efUhrten ala 
Bestandteile enthalten sind. 

Dasselbe gilt von der Bttblersehen Klaasifilcatfoa der Denicerlebniaee. 
Intentionen. Beziehnnfibewußteein und Regelbewnßtsein^ oder, wie wir viel- 
leicht dafiir &n<-h j-üf^en dürfen. daH Denken der Bepriffe. das Denken der 
Urteile und das Denken der ächlUsse, das Erfassen von Objekten, von Be- 
siehungen Bwiachen den Objekten und von Beziehungen zwischen (in Sätzen 
anagedillekten) Benebnngen der Objekte» daa alnd lanter eelbatiindige Ge- 
danken. B Uhlers psychologische AmSjhe des Denkens führt in der Tat 
nirgends ivoiter als bia anr Konatatiening von Erlebniaeinheiten dee Gedanken- 
zusammenhaugs. 

Nun eflMbt aleh oAnbar die Frafa, ob man iberbanpt Qmnd bat an 
der Anttalune, daß an ^eaen lelaten aellietindlgen Oedanlcenelementen nocb 

eine Mehrheit nnpelbständiger Momente sich müsse naehweisen lassen. Bühl er 
operiert mit einer solchen Annahme wie mi* oirter ganz selbstverntiindlichen 
Voraussetzung. Aber eigentlich ist sie doch nichts weniger als selbatver- 
attadlieh. Der erste Eindraelt, den fiwt alle TonirteOalMen Vp. vom Weeen 
des wortlosen, vorstelinngsfreien Denkens bekommen, iat der, daß Uberhaupt 
nichts im T^■^v^^^♦a(.in sei, und daß man doch wi.^pe. woran man denke. Es 
erseheint nun natiiiliph vollkommen {^frcrhtfertiirt . wenn man trotz dieses 
Eindrucks daran it-äthait, etwas und zwar jeweils Verschiedenes, müsse im 
Bemißlaein voibanden sein, wenn man wfaae, daB man an YetadUedenea 
denkt Aber wenn es scbon ao aebwierig ist, die Bewußtseluildiallet dl» 
als TräfTcr des v,'ortlf>«pTi vnrstellung'Ploson Ponk^Mi» mehr erschlossen als 
beobachtet werden, voneinander zu unterscheiden, muß es doch als eine 
dnrohaos nnwahrseheinliche Annahme betracbtet werden, daß innerbalb jedes 
einaelnen dieaer kanm nntetaeheidbaren Inbalte noeb einmal eine Hebriieit 
von Momenten soll unterschieden werden können. Auch andere, anB der 
genetischen Betrachtung der Denkerlebnieae sich er^rebende Gründe dürften 
gegen diese Annahme sprechen, so daß wir angesichts des völligen Fehlena 
von GegengrUnden wobl bereehtigt m sein glauben, sie fallen an laaaen. 

Aber wohin gerät nun die besobrelbende Psychologie des Denkens? Im 
frewfihnlichen Leben charakterisiert man die Gedanken durch den Hinwei«» 
auf die Gegenstände und Tatbestände, an die man gedacht bat, d. h. der Ge- 




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Litontarberioht. 



13 



<daike, dw man muH TMlaidfaA oktte Wort- waA SadivonteUueaa gAabt 

bat, wird als Bestandteil eines Komplexes 7on Wortvontellangcn feventuell 
anch von Saehvorstellungen rind von OedankenerlebnisBen anferewifsen Es 
handelt sich dabei am deu Ausdruck von Gedanken uud au das Vorstäud- 
^ dUMW Audmdtt. IM« Oedaakea werden «rltbi^ToiidAmAiiBdittolEeiideii 
all Baprodaktioimnotive der AasdraokflerscheiniuigMi und all Beetandteile 
der Komplikation von Hc danko und Aus ] ruck, von ärm Yrrstohf^nden als 
reproduzierte Bf'ivul'tscini-inlialte und ebenfalls als Bpsfamlrcili' der Kompli- 
kation von Gedanke uud Aufdruck. Aber Ausdrucken, Yersteiieu uud Et- 
leben Ist nlehft dasselbe wie Beaebreiben and peychologiaeh Ertaen. 

Es fragt eich daher: Ist ein psychologisches ErfaMen nnd Beielveiben 
der Gedanken ilberhaupt möglich? Bei der Beantwortnnp dieser Frajp mnß 
man sich darüber klar sein, worin das psychologische Erfassen uud Be- 
schreiben von Bewußtseinsinhalten, die nicht eine Vielheit nnteneheidbarer 
Momente «nfweiien, einng nnd allein bestellen kann. Es kann sieh nimlieb 
nur danun bandeln, die Gleichheit der betreffenden Erlebnisse mit sonstigen 
im Seelenleben vorkommenden Inhalten 7.a erkennen, wenn solche Gleichheit 
vorhanden ist, und das möglicherweise in verschiedenem Zasammenbang 
▼ra^ommeode OMelM mit demaelliem Namen m benennen. ESn aolelMe 
p^ehologiaebea Maasen der Denkerlebiiiase adieint nun In der Tat mttglidi 
zu sein, sofern in den Denkakten nichts anderes vorzuliegen echoint. ala was 
auch im Vorstellungslebeu vorkommt, nur daß die betretTeuden Krlphnisee, 
die als Bestandteile der Yorstellangen im engsten Anschloß an Emphudungen 
«nftreten, in den Denkvorgängea mehr oder weniger isoliert nblanfiBn. £a 
dürfte gut sein, für diejenigen Bevoßtatfnatatsaohen, die in den Vorstdhiiigen 
neben den Emptiii liin^en vorkommen, einen zusaramenfassfruJon Namen m 
haben. Vielleicht bürgert sich in diesoni Sinn die Büzoiehnung ein: Erleb- 
uisse des Be^^iehungäbewußtaeins. Es soll daruuter, wie ausdrücklich hervor- 
gehoben sei, niehts anderes verstanden werden alt die Akte rttamlidier Lo- 
kaliaition und die daraus zusammengesetzten ErlebniMO rXamlicher Form- 
aufTassong und rüP-TuIif-'-rn Tn }',';>7,if'hung-Set7enß. femer die Akte zeitlicher 
Projektion and watt damit zusammcuhäugt, die l'atäachen des Gleicbheits-, 
Ahnlichkeits-, VeraohiedenheitsbewnUtseins, die Einheitsauffassong und die 
mamdg&ehen Eomplezionen nna ntl diesen Akten, knn all das» was im Vor- 
stellnngsleben sich nicht auf Empfindungen reduzieren läßt- Diese Erlebnisse 
des BeziehnngsbewnPtseins scheinen, von den Empfimlnngcn losgelöst, die 
reinen Denkakte zu konstitoieren, und zwar dUrtte jedes Denkerlebnis sich 
reatloB tn dieaelben auflösen laaeen^). lat dies richtig, so dürfen wir den 
Sats formnlteren: Die reinen Denkakte sind Erlebnisse dea abstrakten, unaa- 
Bchaulichen Reziehungsbowußtseiiifl Damit sind wir zu einem ErgehuiB ge- 
lancrt das auf" den ersten Blick -ranrn sehr versebiedeu erscheint von dem 
fruuer aus der DiskussiOQ der Buhlerächen Lehre von den Gedaukeutypen 
gewonnenen Besnltat, wonach wir ebenftHs alles Denken dem allgma^en 
Begriff »Beziehungsbewnßtsein« glaubten subsnmieren zu dürfen. Es ist 
deshalb vielleicht nicht ttberflüeaig, den Untenekied beider Konstatierangen 

Ij Einen Versuch, diese Auffassung zu begründen , findet man in den 
Abhandinngen des Ref. »Die Lehre Ton der Anfmerkaamkelt«, Leipiig, 
Quelle & Meyer. 1907, S. 95ff., nnd (etwas mehr aasgeflibrt) »ElttÄUinng in 
die Fidagogik«, Letpsig, QneUe & Meyer, 1906, S. 2ä6C 



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14 



Literatarbericht 



hanrorzaheben. Früher nämlich wurde der Begriff Beziehnagsbewnßtaein in 
gegenstHndlich beBtimmteni Sinn gebraucht. Wir verstandeo daninter ein 
Wissen um dM, wm jedermann im gewöhnliohen Sprachgebrauch Beziehuugea 
wuatt OegMnriürtig tlMr b«Mde1n«ii wir mit änm Wort Besiehangsbewiißt' 
Min eine gaax bettimmt mugreinto Orappe von B«wii6tMii»ToigltiigeB. Wir 
verwenden diesen Betriff in jisy fhologisch bestimmtem Sinn. Damit 
glauben wir in der Lösung der Aufgabe einer beschreibenden Psycholoprie 
des Denkens einen Schritt weiter gekommen zu sein. Was nun vor allem 
aooli m UÜMten iat, daa Ist der Naebwels, da0 aUe GedankenlMaiehnngen in 
der Tat erfaBt werden iu den aus dem Vorstellnngsleben jedermann bekannten 
Akten des Raum-, Zeit-. Vpr^deichs- und Einlieitf^bewnOtseinat die wir im 
Begriff des Beaiehongsbewuijtseins xosammenfassen. 

2) Pie DenkerlebniBse \ind die im Vorßtellungsleben vorkonunenden 

Akto des Beziehnnt&bewulltseina. 

Die Lösung dieser Aufgabe führt uns übrigens aus dem Gebiet der be- 
schreibenden teilweise lünttber in das Qeblet der erklärenden Psychologie 
der DenkTorgVttge. Wenn man a. B. ntebsttweiaen eneht, daß äm Negation 
nichts anderes sei sxU v'm Ausdruck des Verschiedenheitsbewnßtieina, nnd 
wenn man in dieseiu Siun ein negatives Urteil wie >Der Baum ist nicht 
grün« zu interpretieren »ich beiuUht; wenn man dabei zu der Ansicht gelang 
daß die in der Vemeinang ansgedrttekte Yereehiedenhdt nicht swiachen 
Snbjelrt nnd IMIdikat erfaßt wird, iondem daß es lidi mn die Yer8ehieden> 
heit zweier Beziehnnpen hnndelt, nämlich derjcnijjen , die zwischen Subjekt 
und Prädikat ertaL t. und derjeuigen, die in der nicht negierten Kopula aus- 
gedruckt wird — wenn man in solcher Weise Fonktionsbeziehungen zu ent- 
decken sucht, die etwas gans anderes bedeuten als die Gleiehseitigfceit oder 
Snkaeision von BewoßtseinsTor^tagen, mmh es die beschreibende Psycho- 
logie zu tun hat, so treibt man eben naoh nnserer Auffassung erkUtrende 
Psyeholojne. 

Eine erklürende Psychologie des Denkens in diesem iSiun dürfte tuiatiinde 
aein, die Erlebnisse des Widerspräche, der Evidenz, des Qlaabens, der MSg- 
lichkeit, Notwendigkeit, der logischen Kicbtigkeit, der wissenschaftlichen 
WahrhiMf nsw znHicksoflUiren auf Akte des (psyohologisoh bestimmten] fie- 
ziehungsbewußtseins. 

Aber man kann in einer erklärenden Psychologie dee Erkennens noch 
weiter geiien. Wenn die Denkerlebniase nichts andres idnd ab Bewnßtstins» 
Vorgänge, die auch im Vorstellungsleben vorkommen, so liegt die Frage 
nahe nach dem Verhättni« dieser zq den tibriLn>n Bestandteilen de«( Vorstel- 
Inngslebeus. Als Frage nach dem Verhältnis zwischen Form und Inhalt der 
Erfahrung, swischea dem »Gegebenen« nnd seiner »Verarbeitung« spielt dieses 
Problem in der Erkenntnistheorie bekanntlich eine große Rolle. Auch Unter» 
snchungen Uber den Zagarnrnenhang von Erfahrnnisr nnd Denken gehören 
]ii(>rher, sofern sie darauf ausgehen, festzustellen, wieviel Denken in der £r- 
lahruug steckt. 

Wenn es sidi dagegen darum handelt, die Entwicklung des reinen Den- 
kens aus der Erfidirung /.u verfolgen . so darf diese Au^abe mit der eben 

dargelegten nicht verwechselt werden. Wir haben darin vielmehr ein beson- 
deres (drittes; Problem der erklärenden Erkenntnispsycbologie zu erblicken. 



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UteratfDurberieht 



15 



Dabei macht es offenbar keinen prinripipUen Unterschied at.« ob man gan^ 
im allgemeinen fra^'t. wie aus V Orstt'ilungreu aich Gedanken herausbilden, 
oder ob man die speziellere Frage der Gewimiuug bestimmter abstrakter £i- 
kauitiiiiie «is einem konkreten ErfihrangamslQrial nofirirft 

Eine enckOpfonde Bearbeitang* der erkttrenden Erkenntnlspeychotogie 
■ich diesen ▼ereehiedeiien Gesichtspunkten liegt bis kente nickt rot. Wohl 
aber finden eich mannif^farho Beiträge da und dort zerstreut. Was znniichst 
das erste der dargelegten Probleme, die Frage nach dem Verhältnis der 
reinen Denkerlebnisise zu verw andten Tatsachen im Gebiet des Vorstellungs- 
lebens anlangt, so wollen wir einige Aust'Uhruugen Meinongs, die sieb 
Itienof beiieken laeien» sam Ausgaugspunkt unterer Betrnehtungen maeken. 
Xeinong beapiiekt im eeeksten Heft der »Ablisndlnngmi zur Didaktik nnd 
Pbiloaopkie der NatnrwiMenidiaft« (Berlin, Julius Springer, 1906) die »Er- 
fahmn^sgmndlagen unseres Wissens«. Er statuiert keinen Gegensatz zwi- 
schen Erfahrung und Denken, ist also prinzipiell imstande, das Denken zu 
erklären durch den Aufbau nun Elementen, die auch in der Erfahrung (nach 
unserer Terminolugic in einer bestimmten Kegion des Vorstellungslebens, in 
den Wakmekmnngen) sn find«i sind. Aber dies getcUekt bei Heinong* 
lieht Kiekt WahmekmiingBelemente im Denlcen, sondern ]>enke!emente im 
Wahrnehmen bemUkt er siok naoliznweisen. Das sckeint im Grund auf das 
gleiche hinauszukommen: Ob man a = b oder b = a setzt, das sollte doch 
keinen Unterschied in der Bestimmung des Verhältnisses von a und h er- 
geben. Aber es mi Bicberlich nicht dsB gleiche, ob man sagt: Eichen sind 
Bäume oder Bäume sind Eichen. Ebenso ist auch die Behauptung: Alle 
Benkerleboisse sind Erlebniese des Besiehungsbewnßtseins, Tefackieden von 
der Behauptung: Alle Erlebnisse des Bexiefaungabewnßtseins sind DenkMleb- 
ni^se. Nach unserer Anifassnng sind eben die Gkdanken, und zwar vor allem 
die Erlebnisse des Urteilens, Komplikationen aus den relativ elementareren 
Vorgängen des Kaum-, Zeit-, Vergleichs- und EinheitsbewnOfyrins. Das Be- 
wuGtsein der Evidenz in evidenten Urteilen erklären wir al» ik wuBtsein des 
ZuaammenfalleDS der zwischen Subjekt und Prädikat erfaßten und der in der 
Soimla des Urteils anegedrHckten Besiebung. Ebenso ist ons das Bewußt- 
sein des Widerspmeks, der Notwendigkeit usw. ein Akt des Besieknngs- 
bewußtseins, der sich auf andere Erlebnisse des Beziehungsbewußtseins» 
gHindet. Wir glauben demnach in der Tat ein Recht zu haben, den Satz: 
Alle Denkeriebuisse sind Erb lmt^^se des Beziehungsbewußtseiiis, auf dieselbe 
Stufe zu stellen wie den Satz. Alle Eichen sind Bäume. 

Meinong dagegen muß^ics bestreiten. Er glaubt Ja, in jeder Wahr- 
nehmung ein Urteil finden an können, das er untersekeidet von der »Yo^ 
stetlpigsflefte« der Wahmekmnng (S. 16}. Dieses Urteil charakterisiert er als 
^ unmittelbar evidentes, affirmatives Existenzurteil über ein gegenwärtiges 
Ding 'S. . Er bestreitet ausdrücklich, dal? man anderes als existente 
Dinge, dab man also beispielsweise FiL'^nischaften oder das, was mau ge- 
wöhnlich Beziehungeu uenut, wie Vcrschu dcuhuit, Zusammenhang usw., wahr- 
nehmen kOnne (S. 20ff.]. Zu derartigen Feststellungen läßt sich schwer Stel- 
lung oekmen. Es bleibt demjenigen, der dureh die Argumente Meinongs 
niekt ttbeneugt wird, natOrlick mOglich, irgendeinen sekwaoken Punkt der 
Beweisführung ausfindig zu machen. Aber mit der Argumentation ist der 
Standpunkt nicht widerlegt. So begründet beispielsweise Meinong seine 
Ablehnung der Behauptung, daß Eigenschaften wahrgenommen werden 



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LitarAtarberidit. 



kOiui«D, dweli cton Sate : »Knii dio nrin« HgnmAmtk flir rieh mMmn, 

flo kann sie sieb auch nicht als reine Eigenschaft, d. h. ohne ihr Ding, der 
Wahrnchmimg darbieten< (S. 28). Dagegen läßt sich nun offenbar einwenden, 
daß die Behauptung : Es können auch Eigenschaften wahrgenommen werden, 
lücht gleiohbedeattiid tot mit der Bebauptnng : Es können reine Eigenseliaften 
(Eigeneeluillen ohne IMngzugehürigkeit} wahrgenommen weidmi' Wenn Mei- 
nonj;: nur dies saffcn will, daß mit allem Wahrnehmen einer Figenschaft ein 
Erfassen der DingzugehOrigkeit verbunden ist, so wird ihm das Jeder zu- 
^ubeu. Aber das gilt nicht nur für das Wahrnehmen, sondern für jedes Er- 
Ihnen einer Elgensehnft. Man kann die Eigensehaft grifn aneh phantasie* 
mäßig nicht sich zam Bewußtsein Ininfen, ohne ein grüne« Etwai in der 
Phantasie vor eich zu haben. Aber wer wollte deshalb behaupten, man kfJnne 
keine Eigeuschafteu , sondern nur Gegenstände phautasiemäüig erfassen. 
Ebensogut konnte man ja sagen, nur Empfinduugsqualitäten, keine Empfin- 
dnngrfntenaititten, nur Farben, keine Formen (oder anch nmgekehrtO würden 
erlebt. Und selbst wenn man der Aneicht wite, die Zusammengehörigkeit 
von Ding und Eigenschaft sei eine andere als die von Form und Farbe so- 
fern man zwar Dinge ohne Eigenschaften, dagegen nicht Eigenschaften oltue 
IKnge. jodoeh ebeBMmenig Farben ohne Formen vie FornHn ohne Felben 
erÜMeen kttme — aelbst wenn man dtoae den Wlderepmeh heranafordemde 
Behauptunf^ aufstellen wollte, käme man nicht weiter. Anrl; wer sich be- 
lehren liiüt, daG die Wahrnehmuntr einer Ei{j:en8chaft nicht uui' das Erfassen 
eines Trägers dieser Eigeuschatt iu sieb schlielit, daß sie vielmehr nichta 
anderee ist alt ein aolehea Erfasaen des Trägers dw ElgenMhafl, nnoh der 
kann hOohatens das Eigenschaftsbewußtsein mit dem Dingbewußtsein, nicht 
das Dinphewußtsein mit dem Fxistonzbewußtsein identifizieren. Aber Mei- 
uoug setzt eben von vornherein die BegrilTe Wahrnehmung und Existenz- 
bewußtsein einander gleich. Dieser Standpunkt ist wie jede willkürliche 
Definition nnwiderlegbar. Es ergibt sieh daraus mit größter Sdbetverstind- 
liohkeit, daß Vorstellungen, mit denen sieb das Existensbewußtsein nicht 
verbinden kann d. h. alle Vorstellunp^en von idealen (Te«^en8tHnden und 
solche, mit denen sich das Existenzbewußtsein tatsächlich nicht verbindet, 
keine WahrMbmnngen im Heinongscben Sinn sein können. Es würde sieh 
daraus femer e^ben, da6 dl^Jen^en Vorstellnngen, die man als Haiinn- 
nationen bezeichnet, sofern sich mit ihnen das Bewußtsein von der Existenz 
des Gegenstandes verbindet, den der Halluzinierende vor sich zu haben 
glaubt, Wahmeiunungen im Meiuongscbeu Sinn beißen müssen. Diese Kon- 
seqnena wird nnr dadnreh ausgeschlosaen, daf Meinong noeh ein weiteren 
Merkmal in die DefiniUon der Wahrnehmung aufnimmt nämlich die Evidens. 
Was er darunter versteht, ist schwer zu sagen. .Jedenfalls etwas anderes als 
was wir darunter ver^'feheu; denn nach unserer Auffassung kommt FA'i(!i>n7 
nur einem irgendwie ausgedrückten ürteii zu, sofern das Zusammeuiaiien 
der awtodien Subjekt und PrXdlkat erfalSten und der anagedrOekten Besie- 
hung erlebt wird. Meiuong aber findet in dem unausgedrUckten einaelnen 
Akt des Objekterfnssens in der Wahrnehmung 'oder vielleicht neben diesem 
einhergehend Vi die Evidenz. Wodurch das Kvidenzerlebnis herbeigefiilurt 
wird, warum es gewisse Bewußtseinsgeschebnisse begleitet, andere ganz 
gleiohartige nieht, und Xhnliche Fragen bleiben unbMtntwortet Unter diesen 
Umstunden Ist es schwer, Meinong gerecht zu werden. Er mag ja etwas 
erleben, was anderen Psychologen mierfaßbar geblieben ist und was er des- 



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LitentBiberifiht 



17 



iiaib üor benennen, durch den Hinweiä auf die Gleichai tigkeit mit dem gegen- 
aber «HdrOoklidi fbimdierten UrteQen unter beitimmtai ümitSnden erlebten 
IfjdeBibeinifitMin ehuakterieieren und in baitiiiimten Fillen seiner eigenen 

inAeren Erfahrung konitntleren kann. Aber wie kommt er dazu, dieses 
ETidenzerlebnie, das er in seinen Wahrnehmungen findet, Halluzinierenden 
sh^TjBprechen? Er sag^, daß Halluzinationen eviden^lo? peien. änn findf »Peine 
Bf'BtLiti^L'ung darin, daß es ümstäude gibt, unter (Icik ii der ÜHliazinierende 
Utk belehren läßt« (S. 36). Wenn wir diese Behauptung gelten lassen, dann 
wUttm wir tie n d«r Bestimmnug deMen tenrenden» wia Heinong nnter 
Sridatt Tentoiit Wir dfliftn dann idebt länger umebmoi, daß Meinong 
•inen ganz bestimmten, der Beobachtung aateer eich entziehenden Befnnd 
»einer inneren Erfahrung als Evidenz bezeichnet, sondern Evidenzerlebnisse 
sollen nun oflFenbar diejenigen Überzeugungen heißen, von denen man nicht 
abgebracht werden kann. Das ist wiederum nicht der Aufweis einer Tnt- 
uehe, sondern eiue Definition, gegen die sich nichts einwenden läßt, solange 
lieht ans ihr die WixkUehkeit das definierten Gegenstandes ersehlosaen wer» 
dsn soll 

Wr konstatieren also : Heinong versteht unter Wahrnehmungen lolohe 
Vorstellungen, mit denen sich die durch nichts zn ersehflttomde Überzeugung 

Ton der realen Existenz und Gegenwärtipkeit des vorgesfentcTi OerreTift.indes 
▼erbindet. Daran knüpfen wir die Behauptung, daß dieser Detinitiou kein 
virklicher Gegenstand entspricht Man versuche es doch einmal und be- 
Mte irgend^nem Mensehen konsequent ffie Obenengungen, die er auf 
Onad sdiier Wahnduttiingea besitat Er wird sieb ebensogut belehren 
haan wie der Hallnsinierende, wenn ebensoviel Gegeninstanaen auftreten. 
El ist in diesem Zusammenhang iuteressant, den Meinongschen Gedanken- 
gang bezüglich df^r Rvidfn^lnpjj'kcit der Halln/ination noch ein paar Schritte 
weiter zu verfolpt^n. als dies oben gesclieh« n i.^r Nn^hdem Meinong fest- 
gestellt hai, daii sich der Halluxinierende unter ümmaudeu belehren labt, 
fihrt er ninHeh fort: »HStte er (der HaUnainierende) die Evidena, so wUiden 
iba MitCeilimgen Uber die XirtOmlichlceit seines Urteils kann anders beiiihre&i 
als wenn uns jemand klarmachen wollte, daß 2 mal 2 unter diesen oder jenen 
besonderen Umständen gleich 5 sei« (S. 36j. Warum heißt es an dieser Stelle 
nicht, wie man doch erwarten öolltf , en würden den Halluzinierenden beim 
Vorhandensein der Evidenz berichtigende Mitteilungen kaum anciers berühren 
als den Wahrnehmenden die Behauptung, daii der Gegenstand seiner Wahr- 
athaang nieht Torhaaden aei? Offenbar hält es Heinong eben dooh für 
viluBdieinlieher, dafi dar Unterschied awisehen dem Qlanben des Hallnä- 
aiennden an seine Tmgwahmehmnng nnd dem Bewußtsein der Richtigkeit 
eines korrekt formulierten mathematischen Satzes, als daß der Unterschied 
Äwißchen jenem Glauben und dem iinrmnlen Vertranon auf die Riehtit^keit 
(ter Wabrnehniung im Sinn der Gegenüberstellung von Eviden/Jnsi;,^k.eit und 
Evidenz ohne weiteres hingenommen werde. Jedenfalls aber iiudet sich in 
Xeinongs Ausführungen nirgends ein Beweis dsAtr, dafi daa, was man ge- 
^hnlleh nnter Evidens Tersteht nnd was wir dnr«h den Hinweis anf daa 
Siielmi des Znsammenfiillens einer erfaßten und einer ausgedruckten Besie- 
bang 2u charakterisieren versucht haben, in der (gewöhnlich so genannten) 
WahmehmuTin: v.-n finden sei, und noch weniger wird bewiesen, daß Evidenz 
IUI Sinii dc9 unersehüttcrüchen Vertrauens dem zukomme, was die Mehrzahl 
Äst P8ycb()ln;^^>n und NiebtpBvchologeu Wahrnehmung nennt Von Kechts 

AieUv m Fajcholofi«. IUI. Lit«rfttax. 8 



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18 



literatarbericbt 



wegen dürfte man sieh deshftlb ftiidi jede GegeuagniBeiitotion spwen wd 

sich damit begnügen, der Behaaptnng: »Es gibt evidente Wahraebmunga- 
nrteiie< die Behauptung entgegenaostellen : »Eb gibt keine evidenten W»hr- 
nehmongsorteite«. Doch nein! Diese GegenUberstellaug wtlrden wir sicher- 
lieb nieht gntlnifieii. Da0 ee evideato WahmehmiingBHrtelle glH ttfit ilok 
keineswegs beetreitm. Indem wir um selbst diesen Einwurf mtelien, ver- 
wahren wir ans gegen ein hier vielleicht nicht allzuforn liopendes Mißver- 
Btändnis. Wer das Recht in Anspruch nimmt, unbegründete Sätze zu ne^nercn, 
wird von solohem Recht natürlich nicht wahllos bei jeder Gelegeoiieit Ge- 
bniieh muhen. Nor wenn eine nawaiineheinfiebe Bdumptong olme Be* 
grUndnng ans vorgesetzt wird, Mist sie unseren Widerspruch. Eine nnwilir- 
prheinlich'^ I^chnnptiin<T ist T>nn mrht dor Sat? : Es gibt evidente Wahr- 
nehmungsorteile, wohl aber die These: In jeder Wahruehmung (d.h. in all 
dem, was man gewöhnlich Wahrnehmung nennt] steckt ein evidentes Wahr* 
nehmnngtnrteiL Jeder Seti, der die TMsadie einer Wahmehmnnp sttn Ane- 
druck bringt, kann ein evidentes Wahmehmungsnrteil sein; denn beim Aus- 
sprechen jedes derartigen äatzes kann die Koinzidenz der erfaßten und der 
nnsigedriickten Gegenstandsbeziehung im Evidenserlebnia dem Urteilenden zum 
Beir uO l eein kemmen. Aber M einong iviid kiam i^Mben, dnß Je& Wahi^ 
nebnning in dnen Sete ihren Audmek findet Wenn er trotodem ein «fi- 
dentea Urteil als charakteriatischee Merkmal jeder Wahrnehmung betrachtet, 
Bo geht daraus hervor, daß er unter einem evidenten Wahrnehmungsurteii 
etwas versteht, von dem wir allerdings behaupten, daß es in der Wirklich- 
keit nieht vorkoamt Der Heinongeehen Bduraptong: Es gibt etidente 
Wlhmehmunganrtoilc, setzen wir also die Behauptung entgegen: Ei gibt 
keine evidenten Wahmchmnngsnrteile im Meinongseben Sinn. 

Ein«^ trnn:'. üholiche Betrafhtnnfr Wfi^c pir1> nun mirh ntisteHen in betreff 
der zwdteu These Meinongs. die Wahrnehmungen eeien Existentialurteile. 
Wir bestreiten nicht, daß eine Wahrnehmung Veranlassung geben kann zum 
Yollmg eines Ezislentialnrtelle. Aber wir beetretten, dnS jede Wehmehnnag 
Ton einem Ezistentialurteil ^ nnierem Sinn] begleitet wird, und wir bezwei- 
feln, daß das, was Meinong unter einem Exi?t*'titialurteil zu verstehen 
scheint, in jeder Wahrnehmung enthalten ist. Das Vorkommen der Existens- 
«ofKaasung (wir sagen dilllt Ueiier SabManHwffiwsnng) in vielen Wahmdi- 
nmngen steDen wir ebeneowen^ in Abrede wie das Yoikommen etwa der 
VerUnderungsauffassung oder des Raum- und ZeithewnBtseinR Unsere 
Stellungnahme zu den Meinongschcn Darlegungen über das Vt riialfni.^ der 
i>enkakte zu den in den Wahrnehmungen enthaltenen Akten des Beziehuugs- 
bewnßtaeins tlOt sieh demnaeb knn folgendermeSen formnlieren : Heinong 
findet Denkerlebniese . nämlich Urteile in den Wahrnehmungen. Wir finden 
Be«tand«t'irkc der Wahrnehmungen, nämlich die Akte df? RoziolniDrsbe- 
wnßtseinö, im Denken, wobei wir betonen, daß viele Denkerlebniase eine 
höhere Komplikation aufweisen als ihre in der Wahrnehmung enthaltenen 
Blemente. Meinong ist dw Ansieht, dsß in den Wabmehmmiffen nnr Ezi- 
ftensen eiftOt werden. Wir behaupten, daß alle Akte des Beziebungsbewnßt- 
f^eins. »US denen sieh das Denken eof bsat, sehen in der Wahiaehmnng Tor- 
kommen. 



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liitonitlubeiielit 



19 



9) Über daa Verhiltnla d«r Akt« dei BtilthiaigBbewiillti^iui an dan 
Obrlgen BaBtandtoUai «Lea VoiataUnngilabaiu. 

Was du iireite der oben aolgefllhiten Probleme, die Enge aaoli dem 
TeMtnis von Forn and Inhalt dar yoratellnng oder wie man ele mnst be- 
mfabnen will, anlangt, bo gestaltet sieb hier anwr VerhältniB sn Meinong 

c'-^n? anders. Hier Bcbeint der von Meinonff und spineü Schülern mit bo- 
s( nderer Knerpio herausgearbeitete Begriff der Produktion eine ii^anz fun- 
damentale Bedeutung zu besitzen. Der Gegensatz des Empirischen und des 
AprioriBohen dürfte dadurch, daß er zu. dem Gegenttutz der Kepruduktiona- 
ad FrodakUonaleiBtungeu in Beilehang gebraaht wird, einer psychologiBoben 
Behaadlnng am Tlelee nXher gerOekt sein, ala es bldier der FaU war. üm 
die Anaicht Meinonga in diesem Pankt näher kennen zu lernen, wollen wir 
tim&chst eine hierher ^eh^lri^e Stelle der Schrift über die Erfahrungsgmnd- 
kgen unseres Wissens aniühren. Du heißt es (8. 8): »Erkenntnisse, die . . . 
Dicht empirisch sind, pflegt man nach altem Herkommen apriorisch zu nennen. 
Ich folge diesem Herkommen, betone aber Qachdrlicklichst, d&iä ich iu den 
Begriff dee Apilori Imine der ans der Etymologie das Wortes wie immer 
kmasBoholenden positlTen Bestimsrangen, somdeni aasselilieBlieh die Kega- 
tioades msndien Urteilen zukommenden Erfahrnngsanteila einbezogen 
haben möchte. Bedeutet sonach > apriorische nichts weiter als »nichtempi- 
risch«, so könnte man ^^nz wohl im Hinblick auf den znvor berührten An- 
^1 der Erfahrung: dort, wo dieser fehlt, auch von apriorischen Vorstel- 
langeu reden und dadurch, selbst wenn mau dabei iusbesondüie die *pro> 
Werten Yontelliingen« im Auge hätte, dem Kantsehen Sprachgebraneh 
rieadicb nahe Icommen. leb veniehte anf diesen Ansehlnß, weil dsmit nntw 
in (rielleiobt sehon an sich mehr äußeittoh sb innarlieb cnsammenfallenden} 
negstiven Bestimmung zwei positiv doch jranz grundverschiedene Tatbestände 
znsammengenommen würden, von denen nur dem einen erkenntnistheoretische, 
dem anderen dagegen zunächst ausschließlich psychologische Bedeutung zu- 
kommt« 

INesa Stella leigt baaptsiehUeb sweieriel: Erstens dies, daß Heinong 
dta Zasammenbaag awisdien den BegriHbn aprioiisoh 0n der Erkenntnia- 

tbeorie) und produktiv bedingt (in der Psychologie) wohl bemeikt bat Zwei« 
*eTis dies, daß er diesem Zusammenhang nicht ganz die Bedeutung zuerkennt, 
die ihm gebülirf wenn man das Gebiet der produktiv bedingten Bewußtseins- 
vorgänge etwas anders abgrenzt, ala er zu tun scheint. Meinong spricht 
?on Vorstellungsproduktion in Fällen, wo es sich um das Erfassen der so- 
gesinntan Qestaltqiialititen, iim das Erfsssen einer YttseUedeidkeit (rgL S. 7) 
ud am ihnliebes hsndeit Er sebeint sber nirgends das Gebiet des pro- 
doktir Bedingten sobsif nmgienst an baben, und er scheint nnter Prodnktions- 
leiBtQDg^en Vorstellungen tu verstehen, deren Verhältnis zu dem, was sonst 
in der Psycholof^ie Vorstellung heißt, ein wenig dunkel bleibt. Es läßt sich 
deshalb nicht ganz sicher entscheiden, ob man noch auf dem Meinougschen 
Standpunkt steht, wenu man alles in seiaem Dasein (nicht nur gradueU) 
Kydüseh bsw. psychophysiseb bedingte Bewnßtseinsgesebehen, welehes 
aiebt leprodnktiT berbeigefHhrt wird, als Frodnktionseffekt be- 
zeichnet Es fragt sich an^, ob Heinong damit einverstanden ist, wenn 
aaa die in dar Wabmehmnng entbaltenen Akte des Besiehungsbewnfitsains, 



20 



Litantofberieht 



die rännilichf Lokalisation, die »eitliohc Projektion, die VergleicbE- nndEin- 
heitsautfassung, durch leren Eombinatioa alle Gestaltqualitäten, all' Ijenk« 
erlebnlsse uaw. zoBtaudekommen, als besonders wichtige Gruppe von Pro* 
düktioiiMlIlBkieB betnwhtei Dtbei naß mia alMings im Aug» belnlln, 
da0 die 3MXttiunSb»Mngf die ZcilanfliMiaiig ud ttbcriimpt alle AJtkt dn 
Beziehugibewnßtieiiis, die «mSeliBt nur produkÜT bedingt im Seelakba 
aaftreten kOnnen, weiterhin auch reproduzierbar sind. Berücksichtigt raau 
dies, 80 erkennt man. Jaü bereits im Vorstellnnp-sleben die produktiv V 
ding^te oder ajinorische und die reproduktiv bediügie oder empirische üe- 
zieii[mgsau.iiaääaug einander gegenübertreten. Der hier in Betracht kom- 
nende Gegennti dee Apiioilaelwii vnd des EmpitiaelMii ist daim Mch gar 
kein aadeier als der Oegeosate der apriorieeheB imd der empiriaehmürtaife 
In beiden Fällen handelt es sich lediglich darum, ob das BeziehungfbewnO^ 
sein durch Produktionsmotive produktiv oder durch ReproduktioiunQotiTe 
reproduktiv bedingt wird. Wenn Meinon^ tiU Typns eines apriorischeii 
Urteils den Satz anführt, daß Rot von Grün verschieden ist fS. 6\ so sind 
wir damit vollständig einverstanden, indem wir voraussetzen, daß derjenige, 
der dieieii Sati anisprielit, i» deei Tetetliidiüa dee Wortee Bot nad dM 
Wortes CMb die Prodoktionnnotive für ein VertehiedenheitabewnßtMin to> 
sitat Wer dagegen die Begriffe Kot, Hrün nnd verschieden nur mnauMB 
gelernt hat, der fallt in dem Satz »Rot nnd Grtin sind verschieden« ^'^ 
empirißchefl Urteil. Wer Uberhaupt nicht urteilt, sondern die Vorschiedenbcit 
von Rot und Grün einfach wahrnimmt, der wird dabei in der Regel eis 
ebenso upriorisches, d. h. produktiv bedingtes Beziebungsbewußtsein «iikbea 
wie deijenige, der das Urt^ Im efitenrümteft Sien fXOt £a kaaa ab» 
aaeh (etwa in der Dinmemng) dn Bot nnd ein Gitn in der Wahraetanig 
für Tenehieden gehalten werden lediglich deshalb, weil der Wahmehmesde 
um diese Verschiedenheit weiß, während die wirklichen Eindrücke vielleiibt 
gar nicht imstande sind, ein Vorschiedeuhpitsbewußtacin zu prodniiö«''»- 
Dann lieert der Fall eines reproduktiv oder empirisch bedin(»ien VerschledcB- 
heitabewußtscins in der Wahrnehmang vor. Diese Audeutungen mü^cü ge- 
nUgen, an seigen, inwiefiam dnreh die QegenttbeisteUnng der Beprodaktloit' 
nnd der ProdnktionaleiBtiuigen wichtige Vngm der Erkenntnistheorit vam 
Iw&iedigcnden LOsung scheinen entgegengeHllirt werden sa kOnnea. 

Die Produktionsmotive sind nach unserer Auffassung das, was die Ht- 
kenntniethenretiker mit Vorliebe" nl« das »Oeorebene< bezeichnen. Indem wir 
darauf hinweisen. d'd[> d'w^.vUii'n isoliert, oime die von ihnen herbeigeführt«» 
Akte des Beziebungsbewußtsems, uirgends in unserer £riabrung vorkonuBAi 
wissen wir ans in übetetnstimttQng mit den meisten Erkenntnisüieofelibn. 
In jüngster Zdt bat besonders Groos in seinen »B ei tr l gen lom ProUw 
des .Gegebenen*« entschieden betont, daß es ein absolut Gegebenes uc^ 
gibt. Er unterscheidet die Begriffe der absoluten, der ursprünglichsten nnd 
der speziellen rrpo-ebenheit und flihrt ans wobei wir ihm wiedemm voH- 
koinincn beiptiichten^ wie die ursprüDglichste Gegebenheit im »Erlebnii« w 
suchen sei, während die speziellen Gegebenheiten spezieller Denkarbeiten flcih 
nieht doieb ein allen gemeinsames inhaltticbes Xctkatal kennaeiehnen laM 
da viebnebr mit dem dea Forseknngainleressee aneh die inbaltliebe Be- 
stimmnng.der speaiellen Gegebenheit weohsett (Vgl. eislen Beitrsg 8. 19 f.) 



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Litamtnrbtridki 



21 



4) Bor gexietisolMa Fv^ltotogl« Denkens. 

Beßlich des dritten der oben anfgefUIurten Probleme, der Frage nach 
dflr Oeneili d«e £rk«ii]i«iit, gehen 4ie AafbMiingeii irieder lieiiiUcli snMin- 
ndflr« Wer nit mi ctor Meinniig ist, dtO allee Erkeimen mit den Welir- 
Mflbten b^nnt, und daß im Wahrnehmen bereits echtes Erkennen (im Btnn 
der Wisseushercicherunp, nicht in dem Sinn, in welchem d.i? »Erkennen« dem 
> Wiedererkennen« aur Seite gestellt wird) vorliegt, für den ist dip Antwort 
aaf diese Frage gleichbedeutend mit einer Darlegung der Entwicklung des 
Denkens aas dem Vorstellen. Den Gang der Abstraktion zu schildern, das 
tot Uanadi die Hauptaafgabe einer geneflieliai P^hologie dee Erkennens. 
In beiag anf die Ctowinnimg einielner wiasenieiieftlielier Etkenntniaee wird 
diese AnfiCuiuiig vertreten von Riclinrd Hünigswald in seiner Schrift 
»Beiträge znr Erkenntnistheorie und Methodenlehre« (Leipzig, Fock. IDCK") . 
Er itellt die Methode Galileis dem Verfahren der generalisierenden Induktion 
gegenüber and betont, daß nicht eine Zu&ammenfassuDg mUglichst vieler 
Beobachtungen! sondern analytische Bearbeitung einer einzelnen Beobachtung 
Hlitl adtteilNKer BeetXtigung der Hypotfaeee dsreh dm Eiperiment den Weg 
liintsllt, uf dem die moderne Netorwiieenteluillt sn fluen Ergebniesen ge- 
toaft(S>4ff.}. Statt »analytisch« würden wir lieber sagen »mbstrahierend«; 
dmn um eine Abstraktion, nicht um eine Analyse bnndolt pf pii Ii offenbar, 
wenn etwa in der Betrachtung freifallender Körper Faüzeiten und Geschwin- 
digkeiten in Beziehung gesetzt werden. Daß in der Tat, eben durch die An- 
ÜBiderangen, die sie an die Abstraktionsfahigkeit stellt, die Arbeit des Natnr^ 
fimdMit etwas mehr bedeutet ati ein geliUoief Summieren vieler EimeUIUe, 
4m wird jeder mgeben, der mit der natnrwieMDaeluiftliefaen Fomelimigiweiee 
meh nur oberflächlich bekennt geworden ist, das ist ja auch dee Vfteiett 
8cbon in Gegenüberstellung von Bacons und Galileis Anschaunnc-en h^^r- 
vorgehoben worden. Aber für die erklärende Psychologie des Krkennens 
bcaitit ein besonderes Interesse die Frage, wodurch die Abstraktion bedingt 
wird. Ist es nicht im letzten Grunde doch die Vielzahl der partiell ttberein- 
itenenden FlUe, die ein Hervortreten dee Oleiehen ane dem TerseUedenen 
bewirkt? Dieee und ilinlielie Fragen finden bei HOnigawald, deaeen Inter- 
eue mehr logisch -methodologisch als erkenn tnlspsychologisch gerichtet Ist^ 
wenie BerHrkaicbtip-nnp'. ImracrbiTi durfte IT n n i gsw al d als \'ertreter der 
Aneicht u onaeb die Entwicklung der Erkpiiiitnls als AbstraktionsieiBtang zu 
betrachten lät, an dieser Stelle nicht unerwähnt bleiben. 

Eine ganz andere Auffassung von einer genetischen Psychologie des Er* 
bneae findet man bei Jernsalem, der nenerdinga in einer Selirilt »Der 
kritiscbeldealiaanu nnd die reine Logikc (Wien nnd Leipsig, BranmiUler, 1906) 
eiudie leiner schon früher dargelegten Anschauungen polemisch entwickelt 
Die Erkenntnistheorie die er der nach seiner Meinung n)it ihrer Arbeit 7M Ende 
{relaagten Erkenntniskritik gegenüberstellt, soll nach Jerusalem überhaupt 
mchtA anderes sein als eine Untersuchung des Ursprungs und der Entwick- 
lang der menschlichen Erkenntnis (S. 142j. Man darf also bei diesem Autor 
<be glas beaondera grBndliehe genetiaelie Daratellnng der Erkenntnispiyelto- 
iogie erwarten. Um so melur wird nun enttSaicIit, wenn dann ohne tiefer 
Engende psychologische Untersuchung dem rein theoretischen Konstatieren 
voa Tatbeetinden das Yertudten des eteUangnehmenden loh entgegengeeetat 



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22 



Literatorbericht. 



wird (S. 142 f.), wenn die bekannte Tatsache, daß das menschliche Erkennen 
in weitem Umfang von vitalen Interessen beherrscht ist, zu einer »biolo» 
gischen Psychologie des Denkens« verarbeitet (S. 146) und der Akt des ü^ 
teilens dahin interpretiert wird, »daß wir die Vorgänge in nnaerer Umge- 
bung nach Analogie unserer Willenshandlungen auffassen und deuten« (S. 149]. 
Also das Erkennen hat nach Jerusalem seinen Ursprung im Wollen in dem 
doppelten Sinn, daß ursprünglich nur gewollt wird und daß auch später du 
Erkennen nur ein Destillat des Willenslebens darstellt. Wenn man das liest 
und es mit seiner eigenen Auffassung vergleicht, wonach das Erkennen in 
der Wahrnehmung wurzelt und sich im Sinn aufsteigender Abstraktion ana 
der Wahrnehmung entwickelt, so verzweifelt man zunächst an der Möglich- 
keit, in erkenntnistheoretischen Fragen überhaupt jemals eine Einigung za 
erzielen. Wenn man sich dann aber doch um ein gewisses Verständnis der 
fremden Auffassung bemüht, so gelangt man vielleicht zu folgendem Er- 
gebnis: Es liegt nahe, den Begriff des Erkennens so einzuschränken, daß 
nur das Denken und wiederum speziell das Urteil darunter verstanden wird. 
Das Urteil kann in doppelter Hinsicht psychologisch betrachtet werden, 
nämlieh einerseits als ein bestimmt charakterisierter Verlauf mehrerer Vo^ 
gänge des Seelenlebens, andererseits als ein Erleben bestimmt charakteri- 
sierter Bewußtseinsinhalte. »An etwas denken« bedeutet schon im gewöhn- 
lichen Leben entweder das Haben eines bestimmten Bewußtseinsinhaltes, 
eines Gedankens im Gegensatz zur Vorstellung, oder das Herbeifiihren eines 
beliebigen Bewußtseinsinhalts auf bestimmte Weise. Während wir nnn bis- 
her mehr das Denken im enteren Sinn im Auge hatten, intereesiert sich 
Jerusalem offenbar mehr für das Denken im letzteren Sinn. Da verstehen 
wir nun ohne weiteres, wie dieses zu dem Wollen in Beziehung gebracht 
werden kann. Wir gehen nur viel weiter wie Jerusalem und behaupten 
schlechtweg: Dieses Denken ist Wollen, nicht bloß ein Destillat des Wollens. 
Es gibt bekanntlich äußere und ionere Willenshandlungen, und die inneren 
Willenshandlungen bezeichnen wir eben als Denkleistungen. Jede willkür- 
liche Beeinflussung des Vorstellnngs- und Gedankenverlaufs ist ein WoUen 
und wird im Gegensatz zu den äußeren Willenshandlungen bezeichnet ala 
Denken. Die psychologische Untersuchung zeigt, daß die willkürliche Be- 
einflussung des Vorstellnngs- und Gedankenverlaufs ebenso wie die äußere 
Willenshandlung nichts anderes ist als die Leistung von Motiven, die ander- 
weitig angeregte Reproduktionen und Aufmerksamkeitswanderungen in be- 
stimmter Weise determinieren. Anders ausgedrückt: Von Willensleietungen 
sprechen wir da, wo die Wirksamkeit von Reproduktions- und Beachtung»- 
motiven durch anderweitige Bewußtseinsinhalte, denen gleichfalls motiTie- 
rende Kraft zukommt, so determiniert wird, daß der Eintritt des Effekts eine 
mehr oder weniger bestimmte Erwartung erfüllt. Daß Gefühle in der Moti- 
vation der Willenshandlung unter allen Umständen eine Rolle spielen müssen, 
dieser altüberlieferte Irrtum darf wohl endlich als widerlegt gelten, nachdem 
eine Reihe von Untersuchungen in bezug auf ihn zu dem gleichen Ableh- 
nung bedingenden) Ergebnis geführt haben. Damit fällt aber auch die An- 
sicht, welche jede Handlung [wenigstens auf niederen Entwicklungsstufen] 
durch die Rücksicht auf Glück oder Nutzen bedingt sein läßt. Wenn wir 
daher zugeben, daß der menschliche Erkenntuistrieb ursprünglich mehr anter 
dem Einfluß unmittelbar utilitaristischer Bestrebungen gestanden hat, so sind 
wir doch weit entfernt, eine Entwicklung des reinen Erkennens etwa in dem 



Litentnrberidit 



23 



Simi rnismirtmieii, alt ob die vnprflngUeh mir vmtet ikm Geiiditainiiikt d«t 
Wtrtaa betEMhtete Wirklichkeit yom reinen ErkeDnen nur wertfrei betrftditet 

würde Fndlioh bestreiten wir «noh ganz pntf?c)iieden die ATisiolif Jeru- 
salems, wonach die Gliederang des Urteils in ::>abjekt und Prüdikat als Glie- 
derung in Kniftsmitrani und Kntftiaßerang durch unser Willensleben be- 
dingt edn und Ihreneite die oljektlTierende Funktion dee Urteile ezUlren 
•oU (S. 149). Selbst wenn unser Wülensleben Kraftäußerang eines KnDt- 
aentmms ist, gehUrt das Bewußtsein dieses Verhältnisses doch ebensowenig 
wat TatsSehlichkeit desselben wie die Verschiedenheit zweier £mpfindangen 
eebott dae Bewnfite^ dieeer Vereehiedenheit Iit Wenn also im Urteil nlohta^ 
nnderee er&ßt wttrde als die Bedehung von Kraft nnd JLafieznng (von Ding 
nnd Zustand??, bo dürfte der Ursprung des Urteils hüchstens in dem Sinn in 
das Wollen verlegt werden, in welchem ein hcstijLiiiiter T.icbtreiz als Wurzel 
einer bestiuimten Lichteuipündung gelt«n küuate. im übrigen ist aber die 
Ibnnigfidtigkdt der Besiehnngen, die im Denken erfkSt werden, viel sn groß, 
eIb daß sie aieb eile unter dem BegriiT »Verhältnis dee Emfisentnune »nr 
Kraft; iuOcrnn fr» ßabsnmieren ließen. Von Jerasalems geTK>ti«'^l'.er Er- 
kenntnläpeycbologit) bleibt also so gnt wie nichts übrig. Urteilen ent- 

wickelt sich nicht ans dem Wollen, weder in dem Sinn, daß der ursprünglich 
nnr woHende Meneeh alUnlhUeb nneh nrteilen lernt, noch in dem Sinn, de8 
das Material zum Anfbau der Urteile aus dem WiUenaleben genommen wird. 
Das Denken ist, Bofern darunter eine bestimmte Form des psychischen Ver- 
lAofea verstanden wird, ein Wollen, und wer die Geneaie des Denkens in 
dieeem Sinn denrteiloi will, mnß zeigen, wie dae Wollen ttberhanpt nnd wie 
beaondere die inneie WiUenahandlnng metande kommt Die GegenQber- 
stellung eines praktischen und eines theoretischen Verhaltene gehört zu den 
Schablonen, naoh denen im Alltagsleben and in hitstoriscben Übersichten 
Klassifikationen darcbgcftthrt werden. Sie erfreuen den ordnungsliebenden 
Geist dnreh die San1>erkeit abeolnter GegensStse, eignen eich aber an nickte 
weniger als zu Grundbegriflfen der Psychologie. Jedenfalls läßt sich dae, 
was am praktischen und am theoretischen Verhalten wirklich fnndamental 
verschieden ist. wenn mau etwa <Ue Gefühle als das llanptcliarakteristikum 
des praktischen, die gefUhlsfreien Vorstellungen und Gedanken als das We- 
sentiiebe dee tiaeoretieeben TeriydtenB betrachten wollte, nicht In der Welae 
zeitlich trennen, da6 letstere ala Derivate der ereteren betnchtet werden 
kOnDtf'T) 

Wir haben also in der Betrachtung der Darlegungen Jernsal ems keinen 
Omnd gefnnden, die oben entwielcette Anfifaaenng von der Aufgabe einer 
geneliielien Payebdogie dee Erkennena an modifimeren. Aber ee aebeint 

noch mehr von der nnsrigen abweichende Anschauungen iu diesem Punkt 
zu geben. So findet man beim Btndium der Schrift Volkelts »Die Quellen 
der menschlichen Gewißheit* iMUnchen, Beck, 1906], die doch ihrem Titel 
nach anch dw Darstellungen genetischer Erkenntnispsyebologie angerechnet 
werden mnß, weder Untersnchnngen Uber den Gang der Abstraktion noch 
eine Ableitung des Erkennens aus dem Wollen. Volke It tindct vielmehr 
die Quollen (1er menschlichen Gewißheit in der SelbbtgewiL'heit des Bewußt- 
seins und lu der Gewißheit auf Grund de» Bewußtseins ttacblicber Notwen- 
dt^eit. Aber hierans sidit man olme weiteres, daß es sich gar nicht um 
eine genetische Betrachtang liandelt Die Quellen der Gewißheit werden ja 
nicht in etwaa gefunden, was nicht selbst schon Gewißheit ist. Volkelt will 



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84 



Utentarberieht 



wad«r die G«wl0heit noch sonat tin* Tataaelia der Erkenstaii erklirem; er 
wiU ttor hinweisen ftüf die fiewnßtseinavorgän^, in denen wir besondere 

nnbez weifelbare OewiGlif it erleben. Er behandelt die Probleme, die wir ohon 
ab Frage nach den Wertabstafangen der Krkenntnis und als Frage nach 
dem Verhältnis zwischen der Erkenntnis und ihrem Gegenstand bezeichnet 
baben. 

Bs XH» VeiliiltiiiB de« Brkeonena mi eeinem Gegenetend. 

Der Behandlung dieser Probleme, and zwar stmächst der Beantwortung 
der Ifltsleren Frage woQai wir jetzt irtwae nMkgehen, «wlideBi in Sadm 
der genetischen Erkenntnisfiayehologie die Zahl der mOgUehen Geeiehte> 

punkte crficliüpft zu sein scheint. Das VerhllltTiia der Erkenntnis zn ihrem 
Gegenstand erscheint dem Idealisten als ein Identitätsverhältnis. Diese Auf- 
fassung wird nach wie vor vertreten von Illach. Seine Schrift »Erkenntnis 
und Irrtom« (Leipzig, BarÜt, 1906) entwickelt anft neue mit erftevlicher Klar- 
heit die bekannten idealistischen Grundgedanken. Psychisches und Physischee 
werden so unterschieden, daß als das Phy.sische >die Gf»«imfheit des für 
alle im Ranm unmittelbar Vorhandenen«, als das Psychische »das nur einem 
unmittelbar Gegebene, alleu anderen aber ntir durch Analogie Erschließbare« 
in einm TorlKdlgen Definition feitgelegt wird <3. 6). Weiteihin wird kon* 
itatiert, daß die Befbnde im Ranm voneinander abhängen, und daB »die Be- 
standteile mein»'» T^ofhndes im Ranm nicht nur im allf^emeincn voneinander, 
sondern insbesondere auch von den Befunden an meinem Leib abhängen«, 
waa »mntatia mntandia von den Befanden dnee jeden gilt« (S. 7 1]. SHe 
rinnliehe Umgtenanng dee eigCM Leibee beaeichnet If ach mit dem Booh- 
Btaben F. Dann flihrt er fort: »Meine sämtlichen physischen Befunde 
kann ich in derzeit nicht weiter zerlegbare Elemente auflösen: Farben, 
Ttfne, Drücke, Wärmen, Dilfte, Räume, Zeiten osw. Diese Elemente aeigen 
eldi aowohl Ton anßerhalb IT, ala von innerhalb V liegenden Unwtinden 
abhängig. Insofern und nnr ineofem letzteres der Fall ist, nennen wir dieae 
Elemente auch Empfindungen. Da mir die Emptindongen der Nachbarn 
ebensowenig unmittelbar p'eGrehen sind nls ihnen die meinig^en, so bin ich 
berechtigt dieselben Elemente, in weiche icu das Physische aufgelöst habe, 
andi als Elemente dea Pqpeluaehen anwaeben. Daa Pby sieche nnd daa 
Psychische enthilt also gemeineame Elemente, steht also keineswegs 
in dem gemeinhin miri^nonimenen schroffen Gegensatre Dies wird norh 
klarer, wenn sich zeigen läßt, daß Erinnerungen, VorstoUungen. Gefühle, 
Willen, Begriffe sich aus snrflclcgelasBenen Spuren von Empfindungen anf» 
banea, mit letateren also krineswega nnTcrglcÄehbar rind« (S* % Hier wird 
also das Identitätsverhältnis zwischen der Krkenntnis und ihrem Gegenstand 
in nnmißver.«tändHcher Weise konstatiert. Nur vielleicht noch etwas radi- 
kaler drückt sich Mach einige Zeilen weiter folgendermaßen ana: »Wenn 
wir die Elemente: rot, grün, wann , kalt nsw., wie sie aDe heißen mOgen, 
betrachten, welche in ihrer Abhftngigkelt von außerhalb U gelegenen Be- 
funden phj'sische, in ihrer Abhäntri^keit von Befunden iurnrhalh aber 
psychisc'lie Elemente, f^ewiß aber in boiderlf^i Sinn nnmitn if>ar frcL'eben 
und identisch sind, so hat bei dieser einfachen Sachlage der Frage nach 
Bchein nnd WirUIehkeit Ihren Sinn verloren. Wir haben hier die Etementn 
der realen Welt nnd die Elemente dea Ich sogleieh Tor vns. Waa nns 



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Littrtittibttfelit» 



25 



allein noch weiter interessieren kann, ist die funktionale Abb ün p;i frli eit 
'ini ra;itii« iiKLtiacheu Sinne) dieser Elemente voneinander. Mau mag diesea 
Zuäiimmenlung der Llemente immerhiD eio Ding aenaen. Derselbo iat aber 
kein «serkdanbArea Ding« (S. 10 f.). la diametralem GegenMts m 
ämtia Maoliiehen Parlegiiiigo» steht die AnStutmkgj die mit besonderer 
Energie Yon Meinong Tertreten wird. Meinong hat bekannfUeb vor einiger 
Zeit die Idee einer nenen Wissenschaft entwickelt, die er Gepenstandetlieorie 
nennt. Seine Scliüler Mally und Ameseder haben auch schon Beitrii?*' zu 
dieser neuen Wissenschaft geliefert. Programm und Ausführung der Cregen- 
standstheorie sind da and dort auf Widerspruch getitoßeu. Auch der Ref. 
hat in einem AoAtto In dem G9ttinger Qelebrten Anzeigen venneht, zn den 
Anfehaimgeii Heinongs und seiner Sdifiler in diesen Dingen luitiseh 
Stellaag zn nflüiaien. Nun antwortet Meinong in einer Schrift: »Über die 
Stellung der OcgenstandBtheorie im System der Wissenschaften (Leipzig. 
Volgtl&nder, UK)7y anf die verschiedenen Rezensionen, besondere auch nuf 
mein Referat in den Gött. Gel.Anz. Die gegtuwürtio: in Buchform vorliegende 
Schrift erschien zunächst in drei Artikeln in Band 329 f. der »Zeitschrift fUr 
PhüOBOpliie md pMlosopUsebe Kritflc«. leb mOebte hier niebt weiinr auf 
dsn gereisten Ton eingeben, den Metnong in seiner Erwidemng meines, 
vie ich gUobe, rein aaeliüob gehaltenen Referates ansddigt Ich bedauere, 
daß be!cidi>ende Äußerungen, die ich als unmittelbare Reaktion eines sich 
oagererht bciirtcüt fühlenden Antors, wenn auch nicht billijren, so doch ver- 
stehen kann, bei dem Erscheincu der Zeitschriftartikel in Buchform nicht ge- 
strichen worden sind, obwohl mir der Verf. bereits beim Erscheinen des 
IsMen Artikels in der SEeitMbrift brieflieb sein Bednnem dsrUber nssprach, 
di6 die iMsottderen ümsünde der YerOffnitliobnng ein TerspXtetes Erseheinen 
der Polemik bedingten, die nun schon nidit mdir ganz seiner Stimmung ent- 
vpreche. Ich kann in diesem Zusammenhang auch keine nochmalige Be- 
gründung meiner in den Gött.Gc! Am. dargelcL'ton Auffasanng geben, wonach 
die Ge?renstand»tiieoric als apriori?iche Wissenschaft mit Logik und Mathe- 
matik zusammeutaüt. Aber ich halte au dieser Auffassung fest trotz der 
G^nargnneBte Meinongs, die ndeb in keinem einzigen Punkte Über- 
sengt bnben. 

ffier darf uns ntebt ^gentlich die Gegenstandstheorie als Wissensebaft 

beschifUgen, sondern nur die Ansicht vom Wesen der Gegenstände, welche 
die Voraussetzung bildet, unter der allein die '^etrcnstandstheonV nis beson- 
dere Wissenschaft proklamiert werden kann. Diese Ansicht liibt sich kurz 
folgendermaßen formulieren: £s gibt Gegenstände, die weder der physischen 
noch der psychischen WirkUebkeit nngdiVren, die also weder Ton der Nator- 
winensebaft noeb Ton der Psyebologie behandelt werden. Hein eng nennt 
diese G^enstände »heimatlos« (S. 8 ff.). Zu ihnen kann die EAenntnis selbst- 
ventändlioh nicht im Identitätsyerhältnis stehen. Wir haben also folgenden 
Gedsnki^nrran'/ zu vollziehen: Selbst wenn irgendein existierendes Ding, das 
ich wahrnehme, mit der Wahrnehmung identisch ist. Belbat wenn ein Be- 
wußtseinsinhalt, den ich als Psychologe erfasse, mit dem Eriaßtwerden zn- 
stismeniäUt, ein idealer Gegenstand, der weder sor pbjeiseben noeb rar 
psyebiseben Wlifcliebkelt gehört, s. B. ein Dreleok, kann nleht identlseb sebi 
mit dem Gedanken daran; denn dieser Gedanke gehOrt ja znr psychischen 
Wirklichkeit. Entweder verhalt sich also beim Erkennen idealer Gegenstände 
die Erkenntnis sa ihrem Gegenstand anders als beim Erkennen des Physischen 



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26 



Ldtentnrbericbt. 



and des Psychischen oder wir mUssen auch beim psychologischen und 
physil^nliRrViPii iTkennen annehmen, daß ErkenrttniB und Opfrenpfind nicht 
znsammeniaiien. Die letzterr» AnTiabmo ist offenbar die einfar Ik ru umJ w;ihr- 
scbeioiichere. Statt das Xduutitutsverhältnisses zwischen Erkeuumia und Ge- 
gonMand muß ttto eine andere Beiiehimg der beiden konstatiert werden. 
Wir wollen diese Beziehung einmal isit dem Namen Transzendenz bezeichnen. 
Dann steht alno der Macbsohen Behauptung der Identität die Behanptnng 
der Transzendenz gegenüber. 

Die Tranaxendenzbeziehung ist nnn aber eine sehr merkwürdige Be- 
aiekang. Dir feidt tot allem tan. Beriehnngs^ied. Ibn sagt: Ein Gedanke 
erüiißt einen Gegenstand und denkt vielleicht das ErfaBsm alg Beziehong 
zwischen Gedanke und Gegenstand. Aber der Gegenstand ist nicht neben 
dem Gedanken und neben dem Erfaiitwerden gegeben, wie eines von swei 
veisetiiedeiien Dingen vom anderen nnd von derYeweMedenheit nntenddeden 
werden kann. Die Transzendens ist auch dem TranaMndenzbewnfitsein gegen- 
über nicht transzendent. Sie ist sozusagen der einzige Gegenstand, dessen 
Identität mit der Erkenntnis desselben nicht bestritten werden Icann. Man 
kann sagen: Wenn ich den Baum oder die Zeit oder die Verschiedenheit 
oder sonst etwas erÜMse, ist das Banmbewnfits^ oder das Zeitbewnfitseln 
ttSW. nicht identisch mit Raum, Zeit nsw. Aber wenn ich die Transzendenz 
erfasse. (\u.nn ipt fl:\3 Erlebnis der Transzendenz sicherlich nichts anderes als 
die 'i rauöteüdenz selbst. Vielleicht betont man, daß es auch hier nicht um 
Identität sondern nur uiu Gleichheit sich handle. Der BewaiiLätm&akt, der 
die Tkanssendena eifkOt, mnfi natürliefa selbet naeh dem Gegenstsnd »Tran- 
aaendena« transzcndiersn, nnd es lUßt sich prinzipiell nichts dagegen ein- 
wenden, wenn die Transzendenz de erffisRenden Akte^^ iiml die Transzendena 
als erfaßter Gegenstand wenigateus immerisch unterschieden werden. 

Aber wenn auch mit Oberwindung recht erheblicher Schwierigkeiten die 
Avffasating der Tiansaendena als einer Beueiinng tkk dnrelifttlaren liOt, so 
dürfte doch zwangloser jene Ansicht sich gestalten, wonach die Transzendenz 
eine Eigentümlichkeit des Beziehungsbewußtseins darstellt Durch da» tran- 
Bsendente Beziehnngsbewnßtsein, welches von den Empfindungen »produziert« 
ava Zutünden des eriebenden Snbjekts Erkenntnis von Gegenstinden maeh^ 
werden Gegenstinde ttberbanpt erst nns gegebm. Das Qegebensein der 
Gegenstände bedeutet aber etwas anderes als das Gogebcnsein des Bewußt- 
seinsleben? Mm innB init der Bildertheorie des Erkennen^ ein fiir allemal 
brechen. Ein Gegeustand kaun wohl in einer Abbildung erkannt werden. 
Aber der Gegenstand wird erst reobt erkannt, wenn man Ihn sribst, nidbt 
bloß ein Bild von ihm, betrachtet. Die nnbebolfene, laneies nach Analogie 
des Äußeren konstruiereude Psvchnln^^io macht den crstcren Fall zum Er- 
kliirungsprin/.ip des letzteren. Aucii i,vpnii wir dpii Hf-TeriRtaTid im Original 
Tor uns haben, besitzen wir nach dieser Auifassuiig cm Eiid von ihm — in 
nns. Der idealistiBelie Philosoph glanbt dann einen nngebenren Sehiitt vor- 
wärts zu tun, indem er an Stelle der bloßen Gleichheit oder gar der bloßen 
Ähnlichkeit von Bild und Gegenstand die Identität beider annimmt. Aber 
auch er steht dabei im Baun der Tradition der Bildertheorie. Man muß ein- 
sehen, daß das »Erkennen durch etwas« nicht verwechselt werden darf mit 
dem »Erkennen In etwaac Daa ^kennen dareh Yorstdlnngen nnd Gedanken 
findet kein Analogen in irgendweldien Yerhältnissen zwischen Gegenständen. 
Die Beaiehnng awiseben Abbild nnd Oiiginal aber ist ein gegenstXndliobea 



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Literatarbtricht 



27 



Verhältnis. Wir erkennen in jedem erkennen len "Rewußtseinsvorgang mehr 
oder Ti^tmehr etwas ändere» als diesen erkennenden BewußtseinBvorgaug. 
Dieses Andere künnen wir benennen und, sofern es Unterscheiduiigen sa- 
ttfit, aodi betehraibeiL Den BewoßtMintTorgaai; kQniieii wir ebenfalls be- 
BemMB und erentneU beeehieflieB. Aber eine Koiuidens der enteien 
«nd der letsteren Benennung nsd Beeehretbnng Set Ton TOtiiheNin tuge- 
ecMoB^en. 

indem wir uns auf diesen Standpunkt stellen, lehnen wir die Auffassung 
aller idealistischen Erkenntnistheoretiker ab, mügen sie der M achschen 
Bichtnng augehdroi oder eieh sn den Anhängern Ton Avenarias oder zu 
den immaBenten FUlosopben leehnen oder aneb alt FortbUdner der Kaat- 
schen Pbiloeoidde die idealistfeeben AneXtae denelben einaeltig oitvKekeln. 
Es ist allerdings sehr schwierig, den recht weit aaseinander gehenden Ge- 
dankengängen der tfpfrenwärtig in diesem Sinn erhrciheTKlen Autoren die 
charakteristischen Wendungen zu entnehmen nnd den Zu»ammcnhang der- 
selben mit der grundsätelich von uns abgelehnten Anffassong vom Wesen 
des Erkennens naohanweiBen; denn die wenigsten drücken sich so klar nnd 
eiofiMb aus vie Haeb und einige seiner AnbSnger. Von letsteiea seien an 
dieser Stelle no^ genannt H. Kleinpeter mit sdner Sdirlft: »Die Er- 
kenntnistheorie der Natnrforschnng der Gegenwart« ^iOtpsig, Barth, 1905) 
nnd P. Weisengrün mit seiner Studie: "Her nene Kurs in der Philosophie 
(Wiener Verlag, 1905). Kleinpeters Ausführungen beziehen sich, ebenRo 
wie die M achschen Darstellungen in »Erkenntnis nnd Irrtum«, der Haupt- 
sache nach auf methodologische Fragen. Aber ihrer Behandlung schickt er, 
wie Maeh, eine (Mentiemng ttber seinm aUgemeinen erkenntnlstbeore- 
tisohen Standpunkt voraus^ der sich besonders In dem Kapitel ttber »Die 
psychische Natur aller Tatsachen« {S. 18 ff.) als der Maebsehe zu erkennen 
gibt Weiaengrün kon^^tntiert 7nn;ich?t, daD »in einem gewissen Sinne die 
Erkenntnistheorie über Macha Ideen nicht hinausgehen« kann ,8. 26). Er 
will damit nicht andeuten, »daß die Originalität dieser Ausführungen eine 
fiberaus große, onUbertreffliohe sei«. Die Maohsehe Erkenntnistheorie er- 
scheint ihm nnr als die »plausibelste nnd natugemlfieete« Fsssnng Ton 
Ideen, die sioh anoh bei anderen Denkern wie Hnme nnd Avenarius finden, 
▼oa denen Mach allerdin^rs nach Weisengriins Zugeständnis nicht bewußt 
beeinflußt worden ist AuL?er der Übernahme die?er Krkenntnistheorie findet 
man bei Weiaengrün dann noch einen merkwürdigen Versuch, »überer- 
kenntnistheoretische Probleme«, die »dennoch einen strengen und unmeta- 
ph^sischen, wirkliehen Charakter besitzen«, mit »methodbdier Lnmanens« 
n Ulsen. 

Als eistee dieser Probleme behandelt er »die scheinbare psychische Iden- 
tität der verschiedenen Ichs« (S. 35). Die Einführung des Ich soll den 
Machscben Anst^hannng'en nieht widersprechen. >Ff< >^\ht keine Realität des 
,Ich', erp;(i auch kein fundamentaler Unterschied zwischen meinen und deinen 
Empfindungen.« Man soll gar nicht von »mein« sprechen. Kur von irgend- 
welehen Yerbindangsrnnglichkelten. Aber ebenso wie es ein wissensehaft- 
Uehes Problem ist, nnd swsr ein Problem der Physiologie der Sinne, die 
eintelnen Farbenzusammenhttnge zu besehreiben, so ist es auch eine wissen- 
schaftliche Problemstellung, danach au fragen, welche allgemeine Aussagen 
kann ich über diese Verbindnugsmüglielikeit A machen? Und da komme 
ich zu der allgemeinsten Aussige, daß mir diese Verbindongsmtfglichkeit A 



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28 



Lttantarberioht. 



identiacb sn sein idieiiit bei ita mliglieheii Arten von «n Leiber gebvn- 
denen Empfindongekomplezen, oder pinktieeh geeprochen, bei allen mO^ 

liehen Arten von ,Tchs'< 'S. '^2 . Diese nach Form and Inhalt elf ich merk- 
würdige Stelle map- Illustration sein dessen, wa« aua der Machschen 
PbiloBopbie werdeu kauu in den KUpfen solcher Anhänger, denen sie sich 
offenbar hnuptsleUich dnreli Ihre Einftchheit empfiehlt Eine kritisehe An** 
einanderBetzung mit Mach, die aber ttber ge\«i)^se ideali^tiBche Grand- 
gedanken doch nicht hinansfllhrt, findet mnn in L. Heils Schrift »Ernst 
Macbs Philosophie« (Stnttprart, Fromniaun, 1Ü07;. Wir stimmen mit diesem 
Aator Tollkommen Ubereiu, wenn er zeigt, wie die Ansicht, Erkennen sti 
AbbQden, bei Hftcb forlgebildet wird zn der AuSkienng, wonach EriienBen 
nichts anderes bedeutet als »Elemente in stdmufbehmen« oder sie »erlebenc 
(S. 64), Aber wir sind nicht einverstanden, wenn Hell diese Auffaesunj^ in- 
sofern billigt, als er sagt: »Daß die Wirklichkeit in ihrer ganzen Inhalts- 
IHlle nur erlebbar sei, mnß ohne weiteres zogestaaden werden« (S. 65). Aneii 
Heils WdteHrildang der Haehaehen Ornndgedanken Im Sinn der PliUo- 
sophie Rickerts kUnnen wir nicht gutheißen. Jm An chlaß an obiges Zu- 
geständnis wird nämlich darauf hingewiesen, daß Mac hs Monismus dem Er- 
kennen jeden aosgezeicbneten Wert raube (S. 65,. Wenn alles Aufnehmen 
Ton Blementen und alles Kombinleren von Elementen ErlEenntnis irt, dann, 
meint Hell, muß auch der Irrtum als Erkenntnis gelten. Das ist sieiiaiiidi 
richtig. Bolanpre der Begriff der Erkenntnis nicht auf ein bestimrate«' T^Hrbon 
und ein bestimmtes Kombinieren von Elementen eingeschrUnkt wird, wie 
dies bei Mach doch wohl geschieht Die Frage, ob biologische oder logische 
Werte das Erkennen bdisfiaehen, interessiert ans hier niebt Kennen wir 
einmal das »Anfiieihmen und Kombinieren yon Elementen« schlechtbin ein 
Erkennen im weiteren Sinn und stellen wir diesem ein biologisch oder lo- 
gisch] wortvolles Erkennen als Erkennen un ent^eren .Sinn gegenüber, eo 
kommen dem letzteren, was das Verhültuiä zum Gegenstand anlangt, offen- 
bar alle Merkmale des ersteren m. Wenn also ersteres mit seinem Gegen' 
stand identisch ist, so grilt das gleidie nneh von letiterem. Heils Kritik 
ändert also nichts an Machs Auffassung vom Verhältnis des Erkennens zu 
seinem Gegenstand. Auch nach Heils Ansiebt muß alles Erkennbare psy- 
chischer Natnr sein. Was dann allerdings aas den »Segeln der VorsteUungs- 
Terbindnng«, ans denen naoh Heils AnfGwsnng, »Sein, BealitKt, Oegenstind- 
lichkeit« besteht, was aus den »Normen« und »Aufgaben« werden soll, die 
nach Heils wie nach Rickerts Auffassang das Wesen der »Natur« aus- 
machen und der Bewußtseiniwirklichkeit als das »Absolute« gegenüberstehen, 
das ist schwer einansehen. Es soheint Übrigens, ab sei dies nieht selten das 
Schicksal idealistischer GedankengXnge, daß sie von der Aaffhssnng, wonach 
rflh ? Wirkliche ppychiscli ist. ganz nnvermerkt zu der noeh extremeren An- 
siclit gelangen, welche den Kern der Wirklichkeit im At>strfiktpn d h. im 
Nichtwirklichen hodet. Die Welt als Vorstellung, diesen Gedanken kann 
man den Idealisten wenigstens nachdenken ohne aiUni großes intellektoelleB 
Unbehagen i ^ ' l sparen. Aber die Welt als Ideal, als Norm, als Natorgesoli 
und wie dii ^\ ciidnnL'-en nllc heißen mögen, in denen immer nnd immer 
wieder die tieiste philüsophiache Weisheit verkündet wird, das versiebe wer 
mag! Ein Buch, voll vom Geist dieser Lehre, hat neuerdings ein Verehrer 
Hegels, 0. Weldenbneh, TttMßUktUcht nnter dem Titel: »Henseh nnd 
WirkUefakelt« (QleOen» Ttpelmann, 1907). Er Identlfiiiert ofKnibsr piiniipiail 




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Utenlorberieht 



29 



Wahrheit nnd Realität. Dio Realität ist wie er eich ausdrückt, »eine In- 
stanz der absoluten ^^ ahrheic«. Sie >da8 infallible, an oud fUr sich Sei- 
ende, der entacheideude Gerichtähof über alie Meinangen«. »Die ßealitüt iat 
•albit keiiM Hebtuig miht, tondeni sia iBt du G«tete der Keiniuigea.« »Bin 
Geaete«, Iwifit et weiter, »ist da^enlge, was eine gewiite EnelieiBniig «a 
neh bindet nnd Ibre Abfolgen, Reaktionen nnd Relationen derart bestimmt 
daß durch sie die Erscheinang ihre notwendige Stellang in den tatsäch- 
lichen Zupammenhäng'en oder der Wirklichkeit erhiilt« (S. 1). »Eine Eraohei- 
nong ist ^unbeschadet ihrer aonstigen Selbständigkeit) im ITinblick auf ein 
bestimmtes Geseta, anter welchem sie steht, ein Element oder abstrakter Be- 
staadteil dieses Gesetses« (S. 1 f.). Merkwürdigerweise verwiift Weiden- 
bsek tvotsdem den Ideallsmns. Slceptiaismos nnd IdesUsmns haben nseh 
ihm das gemein, daß »das Subjekt ihnen, vermittelt durch den Mechanismos 
des Erkennens, zur Natur alles Seins« wird. »Die innere Verfassung des 
Subjekts, die Immer-Irren-Künnende und die Immer-Nnrh-Wuhrheit-Strebende 
wird übertragen auf die "Wirklichkeit, so daB auch dir Wirklichkeit ihrer 
Natur nach entweder etwas Schwankendes und Ungewisses oder etwas Pa- 
Üietiielies ist Immer aber ist sie das GesebOpf des Sabjektes« (S. 11). Ent- 
gegoi dieser Anffassnng, welcbe die Wirklichkeit sn einem Bestandteil des 
Ssbfekts macht, soll »der Wirklichkeit die absolute Priorität eingeräumt« 
werden. Dies geschieht nach Weidenbach eben dadurch, daß die Wirk- 
lichkeit als Gesetz betrachtet wird Pes näheren erführen wir dnriiher fol- 
gendes »Das Gesetz der Realität kann kein Normgesetz müu, weil ein 
Nonugüäetz überhaupt das Beste nnerfiillt läßt: es gibt und will nicht ge- 
bSB loglsebe Genugtuung fttr seine beanspruchte obJekti?e GtUtigkeit Aber 
aneh ein Nataigesets scheint unser Qesets nicht an sein, denn erstens be- 
Bchribiken sich die Erscheinungen dessen, was wir Natnr zu nennen gewohnt 
sind, auf ein anderes Gebiet, als uns hier vorliegt, nnd zweitens duldet der 
B^^iff des 'N'fitnrjreaot7 0H keino Aufnahmen vom Gesetz — diese aber sehei- 
nen hier auf der iiand zu liegen. Jenes erste Bedeuken ist terininologißcher 
Art und ist berechtigt; wir werden deshalb unser Gesetz nicht ein Natur- 
geaeta nennen. Was jedoch den sweiten Punkt anlangt, so erscheint una 
diese Einwendung nicht sticbhattig; die RealitSt ist ein echtes, ausnahms- 
loses Gesetz, genau wie ein Naturgesetz« (S. 13f.). Eine gewisse Aufklärung 
Uber diesen eigenartigen Antiidealismus gibt das »Zwischenwort«, durch 
welches Weidenbach den Übergang herstellt vom ersten zum zweiten Teil 
seines Baches iwelch letzterer um drei Jahre spater verfaßt und auch als 
Gießener Habilitationsschritt erschienen istj. Da heißt es i^mit Bezug auf die 
i'oiber angedeutete geiatige Entwiekhmg des Verft.) »Aber sobald man üsh 
hingewendet bat snm Kampf um den Sinn des Lebens, erbebt, jenseits 
der psychologischen Abirrung des Idealismus, der reine und echte Idealismus 
für den die absolute Realität oder das unendliche Sein das letzte Ziel be- 
deutet, sein Haupt.« Hier hab<»n wir ganz klar ausgesprochen die Gegon- 
überstellung zweier l'yiien des Id! ulisraus. Unter der psychologischen Ab- 
irruQg des Ideallsmus ist oüeubor die Ansicht gemeint, welche die psychische 
Nalnr aller Wirklichkeit behauptet, wMhiend als echter Ideslismus deijenige 
proklamiert wird, der das Wesen der Wirklichkeit in einem »Ziel«, also (im 
Sinn der ir* wohnlichen AnffasFunL: ' in etwas Unwirklichem findet. Dasu 
passen dann die Ausführungen Weiden bachs Uber >Pas Werden der Wirk- 
lichkeit« (2. Teil, S. 17). Wir werden dabei auf Hüben der äpekulation 



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30 



Litaratnrberieht. 



I 



geführt, wo dem psychologischen Denken der Atem ausfreht. Wae bleibt niu 
da iH»ri/r, a!» in Demut uns zu beugen dem ^'or^ve^^^lu^gurteil Wpiden- 
baciib über die experimentelle Psychologie, die so külin ist, sich ah Wi^a- 
ioli«ft sn g«ri«nii (S. 74). Hegel nnd Weldenbaeh, die Philoaopliai nif 
hoher Wtrte md tief unter thnea die Kstorwiiaeiieoheft und die Ftaychölogi» 
Sapienti aat! 

Wenden wir uns nun rar Betrachtung der realistischen Gegenströmnug. 
Von Pchriften dieser Richtung nennen wir Riißer den »»"hon erwähnten Publi- 
kationen Meiuonff<<, Volkf1t8 und Jerusalems besonders fnlerende: A. 
Höfler: Abhandlungen zur Didaktik und Philosophie der Natura ieseuschaft, 
9. Heft: Znr gegenwärtigen Natuphflosophie (Berlin, Springer, IM]; 
XSehnlti: Die drei Welten der Erkenntnistheorie (Gdttinfen, Yandenheflk 
8c Ruprecht, 1907] und H. Deneke: Das mensehliebe Erkennen Xelpzl^ 
Zeitler, 1906). Ann den realistischen Beweieflihmngen IttSMi aicb etwa fol- 
gende Gedankengänge hervorheben: 

1) Man widerlegt die idealistische These von der Identit it des Erkennens 
mit semem üegenataud durch erkenntuiapsychologisciie und gegeuütaods* 
thooretleohe Betnohtongen* 

2) Xan ftthrt die betreffimde Theee ad nbenrdam vnter Hinwels saf B^ 
&hrungen des Alltagslebens. 

3) Man betrachtet statt des Verhältnisses von Erkenntnis und Gegenstand, 
wie es im Akt des Erkcnuens vorliegt, das Verhältnis, welche«» zwischen 
beiden angenommen werden muß, wenn nicht nur die Veränderungen der 
Gegenstände, sondern auch die Gestaltungen der Erkenntnis ais YoigiDge 
des Weltlnofs objektiv anf^efafit werden. 

0ie erste Form der antfldealistbehen Argnmentation findet man vätm 
den aafgefUhrten Seliriften in etwas vefseUedener Form, namentlich b« 
Meinong, Höfler, Volkelt nnd Jerusalem. Von Meinong& 
mUhungen um die Oep-enstandstheorie war bereits die Rede. Eine Anwendnaf 
seiner gegeuötuadbtlieoretischen Grundauffassung im Sinn antiideaüstischcr 
Argumeututiou vollzieht er vor allem in der Schrift Ȇber die ErialirungB- 
gmndlagcu onswes Wissens«, ffler wird allerdings zugegeben, daßdieUss' 
titit von Etkennen nnd Erkanntem In einem ansgeselehneten Faü der Inasna 
Wahmebmong als »Berührung im Oegenw&rtigkeitspunkte« in der Tat ss 
konstatieren sei ;.S. 79;. Wir würden dieses Zugeständnis nicht machen, dein 
es macht im Grunde die Auffassung von der Transzendenz des Erkenneni; 
unmöglich. Wenn es nämlich einmal zum Weseu des Erkennetm gehört, 
dali der i::!>rkeuQtmsvorgaug etwas anderes als sich selbst erkennt, dann kann 
die besondere Natnr des erkannten Gegenstandes daran niofata Indem. Wso 
dagegen der FMI der Identlttt von Erkennen und Erkanntem ila beeontai 
ao^ieaeichneter Fall des Erkennens betrachtet winl <h\m\ niilssen als Annihe> 
rungen die Fälle der Gleichheit und der Ähnlichkeit des Erkennens mit dem 
Erkannten gelten. Wie ein Erkennen ohne jede Ähnlichkeit r.wischen dem 
Erkennen und dem Erkannten dann überhaupt soll an^renommen werden 
künnen, ist schwer einzusehen. Doch sehen wir einmal hiervon ab. Abge* 
sehen Ton jenem ansgeselehneten Fall, nimmt aneh Meinong unter süss 
Umstilnden eine Traassendens des Erkennens an. über den Ytrsneh, eias 
solche Transzendenx abzulehnen, sagt er folgendes: »Softm er auf das 
Rätselhafte liinwclst, das darin liegt, daß eine Betätigung psychischen Lebens 
sich fähig erweist, eine physische Wirklichkeit an erfassen, wird dagegen 



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LlteifttarMdit 



31 



kaam etwas einzuwenden sein. Denn darf dasjenige für rätselhaft nnd dnnkel 
felta, bat dflm man gar kaiiMii TmbooIi madit, m etkUrmi, weD or tob 

vornherein anssichtslos ist, und anch das, von dem sich ein anschauliches 
Bild zn machen, beBonders schwer gelin^pn will, dann kann nicht wohl etwas 
mehr Anspmeh darauf erheben, für rätselhaft und dunkel au ^ten, als dieses 
Bffmmi tSatr WirkBehkrit Inig abw ¥rih«, daO das mur od« andi blo0 
TOfsagawriM von dar Inßerra WliUidikait gilt, da0 ia batroff dar IniiaTaii 
Wirklichkeit die Rütsel um das geringste leichter zu lösen, die Dunkelheiten 
um das geringste leichter aafzuhcUen wiiren. Das wird beaanders dentlich, 
wenn man die vielbemfene Transzendenz selbst ins Auge faßt. Ist es denn 
and ilehtig, daß diese bloß dem Xnßeren Geaeheben gegenflbar in Fiago 
kommt? Erinnere ich mich eines vergangenen Erlebnisses, ao iat meine Er- 
imifnintr Bicher nicht identisch mit Jenem Erlebnis: Die Erinnerung muß also 
sich und den ganzen gegenwärtigen psychischen Zustand des Erinnernden 
transzendieren , um jenes Erlebnis gleichsam zu erreichen. Was es aber zu 
bedenten bitte, wenn jemand danafbia aneb fai Saehen der yetgaagenheit 
anf der »Immanenz« bestehen wollte, braucht nach Früherem nicht mehr aoa» 
gefuhrt zu werden. Es müßte nch^i der Eriniipmng auch die innere Wahr- 
nehmung selbst zum Opfer fallen, diese vielgerühmtc Heimat aller Immanenz. 
Denn diese Inunanens sohrampft hier . . . bla aar Gegenwürtigkeitsgrenaa an« 
aamman, nnd eine Grenia fllr aldi alletn Iat ttberiumpt niehta, waa Torwirk- 
Ucht sein kann. Auch die innere Wahrnehmung also ist »transzendent«. 
Wer sonach prinzipiell alle Transzendenz ablehnt, wird sich folgerichtig 
dazu verstehen müssen, alles Existenzwissen abzolehnen, was schwer ins 
Werk aa aetaen aein wird« (8. Bdt\. Besonders webt dann Helnoug uoeb 
anf die MQgUelikdt der Immanenz idealer GefenatKnde hin, am dann seine 
Ausführungen mit dem einfachen und überzeugenden Satz zu achließen: 
»Läßt mau, wie unvermeidlieli, das Erkennen als eine letzte Tntpnehe freiten, 
so fehlt jeder Gruud, diese Auerkeunung nicht auch auf die als Trauszeudeuz 
bezeidmete Seite der Erkenataisieistaag anesndebneB« (8. 86). Ähaliebe Ge- 
dankengVaga findet man bdHOfler im vierten Abschnitt seiner Abhandlnag 
»Zur gegenwärtigen Nr\hirplnln«opbie< 'S,94tr. . Nicht pphr verf^rhioden von 
diesen AusfUhruugeu Uber die Transzendenz des Erkennens erscheinen uns 
femer Darlegungen, wie die von Volkelt und Jerusalem Uber die objek- 
tivierende Fnnktion dea Urteile. Yolkelt fiadet nimlleh cBe »Bedehnng anf 
daa Traassubjektive« in dem, waa er »die Gewißheit anf Grund des Bewußt- 
seins sachlicher Notwendigkeit« nennt (S. 29' Diese Gewißheit findet er in 
den Denkakten and nur in diesen. Ja er wirft sogar die Frage anf, ob »in 
einem Jaden Denkakt aia aoiobam denn anah wixUiefa Gewffihalt vom Ttm- 
aabjektiToa enthalten« ist (S. 85]. Dleae Frage diakntiert er fblgendennafian: 
>MindeBtP'na besteht der Schein, daß es rein intrasubjektive Denkakto 
gibt Denn alles, was ich von den Zuständen und Vorgängen meines Bewußt- 
aeias weiß nnd aussage, nimmt die Form des Urteils an, fällt also unter die 
Denkaltte. Alto ITrtdle, fai denen nnmlttelbar von mir erftbrene Bewnfiteeina- 
tatsacheu behauptet werden, sind Denkakte, nnd doch geht thoeu alle traus- 
subjektive Beflei:tnng ab. Sic wollen ja in keiner Hinsicht über den Umkreis 
meines Rewul t-jeius hinausgreifcu. Ich will diese Urteile kurz als reine 
Erfahruugsurteile bezeichueu. Und es fragt sich also: »Wie läßt sich 
angeeldita dieeer Urtaiie mafaie Befaaaptnng iaatbaltaB, da0 in der Denknot» 
vendigkeit dnrebweg Gewißheit Tom Tranaanidektiren gegeben iat?« Dia 



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32 



litentubericht 



Antwort teitet: »Die rebMn EiiUinmgiartdle aind kiiB« voUan und edbtea 
Deakakte; inhaltlich beruhen sie auf der Selbstgewißheit des BewußtBeini ; 

nur in t'ormrslnr Hinsicht stehen suf der Stafo des Denkens« (S. 36). 
Ans diesen Darie^ngen ersieht man, daß Volkelt anter dem Transsabjek- 
tiven etwas anderes versteht als den Gegemtaad dw tnuuMndenten £r- 
kwinCTi^ Gwanevet darttbw erftlmii wir in den AbMimitten, die vom »tnuif- 
inl^ektiven Minimnm« liandeln [S. 44 ff.). Da werden als Bestandteile des 
transsnbjektiven Minirnnro» angezählt: Die fremden Bewußtseine, das kon- 
tinuierliche Bestehen transsubjektiver Wesenheiten, die gesetzmäßige Ver- 
knüpfung der teanssnbjektiven WeseDhelten md die Einmaligkeit der Sinnen« 
weit 

Diesen Gedanken gegenüber drängt sich uns die Frage auf Wie frelangt 
das Denken zu der Möglichkeit des Übcrfrreifen» ins Gebiet des I ranssubjok- 
tiven, wenn diese Fähigkeit nicht scheu den VorsteUangen zukommt und 
wenn das Denken nur im Beetandteilen «ich aofbeot» die aneh im Yotitel' 
hngdeben sehon yorkonunen? Anf dieie Fiafe wbd Yolkelt vennatUeli 
damit antworten, daß er un?orf^ Thpne vom Zusammenhang des Denkens mit 
dem VorBtellungrsleben bestreitet. Dabei kann er entweder, wie Heinong, 
in jeder Wahmelimung bereits ein Denken finden, des er denn eber gane im 
Sinn Meinonga von dem Yoiatellmigabeetandteil der Wahmebrnniig aoiig- 
ftltig trennen mnß. Daia wiie dann das zu bemerken, waa wir oben in be- 
sag auf Meinongs Tj>hre von den Wahmehmnngsurteilen ausgeführt haben. 
Oder Volk elt muß der Wahrnehmung die Gewißheit der Beaiehang aufs 
Transsabjektive absprechen. Dann Icann er, wem er nfebt dwdl dieaUlHg- 
liebate ErfUmmg widerlegt werden wOi, nur diea meinen, daß wir In der 
Wahmehmang zwar TTanaanbjektives, und zwar alle Bestandteilo dr>? trana- 
sr.bif ktiven Minimum« zu erfassen glauben, daß wir aber diesea Erfassens 
II eilt so gewiß sind wie beim Urteilen. Das geben wir nun gern an; denn 
nach den früheren Ausführungen beatebt tina die Gewißheit nur in dem Zn- 
aammanlUlen elnea prodnaierten mit einem reproduzierten Erlebnia dea Be- 
alebvagabewnßtieina. Auch Volkelts >Sclb8tgewißheit dee Bewußtseins« 
interpretieren wir in diesem Sinn. Sie ist für uns nur da vorhanden, wo wir 
ein psychisches Erlebnis benennen oder sonstwie bezeichnen, das wir zu- 
gleich gegensllLndlieh erftaeat Man denke nnr an Deaeartea* Gewißheit 
daa Wiaiana nm sein eigenea eoi^taie. Beim bloßen Erleben der Bewußt- 
iCinainhalte sprechen wir nicht von eirpm Wilson i:m dieselben, geschweige 
von einer Gewißheit dieses Wissens. Aus unserer Auffassung ergibt sich 
nun, daß die Gewißheit dem Wissen kein Plus an Erkenntnis hinzufügt Ein 
gowisMa Wiaaen lat aatHrliob ein wertvoUeree Wiaaen ala ein nogewiaaea, 
nber kein wertvoUerea ala ein 'Vossen schlechthin. Was wir jeweils erfassen, 
können wir nicht anders erfiopen, wie xir 09 eben erfassen. Widerspruch 
und Zweifel sind hier auageschloBaen. Wenn wir dagegen etwas bezeichnen, 
dann kann die Bezeichnung etwas anderes bedeuten, ato waa wir erfuam. 
Hier ergibt aieb die MtJgUobkeit dea Widerapraeba nnd der Unaleberbeit 
Wenn die Bezeichnung nichta anderes bedeutet, als was wir erfassen, dann 
ist das Urteil, welches in der Bezeichnung liegt, natürlich wertvoller, als 
wenn die Rfzeichnung unserm Erfassen widerspricht Aber es bedeutet für 
oiuMre Erkenntnis nicht mehr als das Erfiuaen ebne Beaaiebnnng. 

MH diaeer Anflbanug von der Oewl0beit ala einem Akzidens des Wia- 
aena hängt ee wiffft«"«***, wenn wir ea Toniehen, daa Wort Gewißheit ateta 



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LiteratarbericUt. 



33 



ohae ObjekibeKiehmig znt gebniidieii. Im gew^llnilioheii Leben sagt naa 
wohl: Ich bin einer Sache gewiß. Eine aolehe Bedewendnng erweekt den 

Anschein, als ob die Gewißheit irgend etwas erfassen künne. Wir sagen des- 
halb lieber: loh weiß etwas pewiß. Nach nnserer Aaffassung besteht eben 
die Objektbeziehung zwiecheii <\mn Wissen und der Sache, nnd die Gewißheit 
ist eine Eigentümlichkeit des Wissens. Daraua ergibt sich unsere 8tellan^< 
ailime in ITolkelta Anaftthrangen. Wir würden snnUchst terminologisch 
maaeken Gedanken aaden wenden. Volkelt apiickt s. B. ron der Selbat- 
gewifiheit des Bewußtseins. Wir müchten dafür setien: Glei^ßheit des Seibat- 
bewußtseins. Femer ziehen wir der Volkeltschen Wendonfi^ »Gewißheit vom 
Transsubjektivcn« die etwas umständlichere Formnliening: »Gewißheit dea 
Wissens vom Trans8ubiektiven< vor. Nun stellt sich Volke Its Gedanken- 
gang etwa lolgendenuäiien dar: Wir vertranen auf das Selbstbewußtsein, 
veQ wir aeine Gewißheit ertoben. Abo dürfen wir anch nicht an onserem 
Wiaaen vom Ttanasabjektiven sweifeln; denn deaaen Qewifikeit erieboi wir 
ja aneh. Dieae Argumentation ist unbestreitbar, wenn xwd Voranaaetauii^ 
zutreffen, wenn nämlich erstens eine Gewißheit des Wissens vom TransBUb- 
jektiven tatsächlich vorhanden ist und wenn zweitoüs eine GewiGlieit so gut 
ist wie die andere. Die erstere Voraussetzung geben wir gern zu. W^enn 
.Jemand das einfache Urteil fiillt: Im Früldiug blUhen die Kirschbäume, so 
Bielttt er TVanaanbjektivea and spricht von Transsulijektivem. Er würde 
Widerainnigea begehen, wenn er Tranaantjektivea meinen nnd anr BeMieh- 
mrag Worte gebrancken woUte, von denen er weiß, daß aie Snbjektivea be» 
deuten. Da er dies nicht tat, erlebt er Gewißheit. Jedes mit Überzeugung 
pefallte Urfei! ist ein gewisses UrteU. Aber ist es deswegen auch schon 
richtig? Indem wir diese Frage aufwerfen und verneinen, bestreiten wir die 
«weite der obengenannten Voraussetzungen. £s ist nicht richtig, daß eine 
Gtwlfllieit ao viel wert ist wie die andere. Wenn jemand Uberzeugt ist, daß 
die achwereren KOrper aneh im Inftieeren Baom aohneiler fidlen ab die 
leichteren und er gibt dieser Überaeogong konnten Aosdmok, ao erlebt er 
ebensogut Gewißheit wie de^enige» der nüt Verständnis behauptet, daß die 
Gerade der kürzeste We^ zwischen zwei Punkten ist. Trotzdem ist jenes 
ein lalBches Urteil, dieses ein Axiom. Jenes verliert seine Gewißheit, sobald 
auf Grund der Erfahrung eine andere Überzeugung sich bildet, dieses ist ein 
für aUemal gewiß. Kon kann Tolkelt allerdinga erwidern, daß aeine Ana- 
flknngen von aolehen Argumenten nnberUbrt bleiben; denn er nimmt für 
daa in UrteOen snm Ansdrnck kommende Wissen vom Tranaanbjeirtiven 
offenbar die höchste aziomatische Gewißheit in Anspruch. Er sagt anadrttck- 
lirh .Nir>ht d.'is wiH ich feststellen, daß wir mit gewissen Vorstellungen 
eiüen Anspruch auf Erkenntnis vom Transsubjektiven erheben, sondern 
meine Darlegungen haben den Sinn, daß in diesem Anspruch die Gewißheit 
liegt: »ea aei nnmöglich, dem Anqimeh keinen Olnnhen an aehenken, ikm 
aein Becht absnapieehen« (S. 82). Hier würd wieder der Gewißheit eine Er^ 
keantaisfnnktion augeachrieben. Woin wir davon absehen nnd die Stelle in 
unserer Terminologie wiedergeben, so scheint sie die Behauptung zu ent- 
halten es sei unmr»<rlich, die Richtigkeit der transsubjektiven VoransHetrnns-en 
in Zweifel zu zieiien. die beim Vollzug unserer üenkakto eine Kolle spielen. 
Aber dies kann Volkelt doch nicht meinen; denn das Denken jedes ideaii- 
stiaeken Philoaophen iriKre ja ein aohlagender Gegenbeweia. Offoibar will 
Tolkelt etwas anderea sagen, nümlieh dies: Ea aei munOglieh, die tnuia- 

AttMf ftr Fvchdogl«. ZDL LItmtw. 3 



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84 



Literaturbarieht 



■objektiven VotMUtettangen zu negieren, während man sie macht, d. b. 
während man 5m Sinn der Annahiiio einer transsnbjcktiveQ Wirklichkeit Ur- 
teile lallt. Das ist nnn allerdin^H unbestreitbar. Aber es ist kein Beweis 
gegen den Idealismus, der behauptet, man mtlase dieee unser ganzes Denken 
dorobdringenden YoranBaetsangen mit der Wurzel aoirotten. Hau kann 
darauf hinweisen, daß bei dieser Prozedur das Denken mit ausgerottet wird 
Aber einn Iog:ieche Widerlegung des Idealismus ist auch dies nicht. Man 
vergegenwärtigt sich dies vielleicht am besten durch folgende GegenUber- 
iteUtmg: Der B^alist sagt: oIum truMatt)ektjTe TonmiMrangen gibt 6« 
kein Denken. Der Idealist sagt: Die traiunibjektiyim TonniMetinngen sind 
irrif^. Darauf kann der Realist entweder antworten: ■Behalten wir ?ie trotz- 
dem bei im Interesse nneeres Denkens — oder er kann versuchen, ru zeigen, 
daß sie nicht irrig sind. Aber zu solchem Nachweis der Bichtigkeit geuUgt 
nieht der HiaweiB nnf die TatiiehUehkeit der betreireiidea YoiBunetamogen 
nnd auch nieitt der Hinwels auf die UnmflgUelikdt, sie tn naehen ond 
gleichzeitig zu negieren i}. 

Die Gewißheit der trauBSubi'^ktiven Voranssetznnf^cn des Urteilens be- 
deutet uns also tatsächlich in buzug auf die Kichtigkeit derselben nicht mehr 
eis die Tatsache, da6 sie ttberlianpt gemadit werden. Und gemacht werden 
sie nicht er8t beim Urteilen, sondern schon In der Wahmelinimig. Wir kön- 
nen deshalb auch die Auffassung Jerusalems von einer speziell dem Urteil 
sokommendcn »objektivierenden Funktion« (vgl. S. 149) nicht annehmen. 

Die zweite Form antiidealistischer Argumentation, von der oben die Rede 
war, die dednetio ad absnrdnm vnter Hinweis anf Erfidimngen des gewöhn- 
lichen Lebens , wird neuerdings in einer lebhaft an Fred Bon erinnernden 
Weise von J. Schultz durchgeführt. >Ia der T;it kann niemand«, heißt es 
in den >drei Welten der Erkenntnistheorie« (S. 4;, >der sieh einmal auf den 
empiriatischen Standpunkt stellt, an der Doppelhdt von Gegenstand nnd 
Wahmehmnng zweifeln. Zweifslt Schuppe zum Bdspld, so verwechselt er 
nur das von ihm selber geforderte, allgemeine Subjekt mit sich, dem Pro- 
feasoT in Greifswald. Fflr jenes ist das Bild der Ratsapotbeke mit dieser 
selbst identisch; für den Herrn Professor nicht, sonst würde das hübsche, 
alte Haus ja wirklich sich vergröGem, wenn besagter Herr darauf zuginge, 
nnd so weiter: Das ist schon bei Plato nachzulesen! Auch glaubt nicht 
einmal da» kleinste Kind, die Straße wäre pb'itzlicb rot geworden, wenn es 
sie durch ein rotes (ibs irl'lickt; es tr<^iinf mithin eein Sehen vom I)a.''ein 
des Gesehenen; zwar mchi mit erkenutaiskiitiscber Schärfe ; aber es trennt.« 
Weiter wird in bezug auf Avenarins anageftthrt: »Unser Autor erklärt es 
ja aoadrOckUch ftr glaubhaft, ,daß ein nnd derselbe Gegenstand meiner 
Unigebnnf^ anch Be!?tandteil der Umfrebmic pIiipr iTidereT> Menschen sein 
künneS daß die-ser identipche lie.staiidteil jedotii in den neiden ,Prinzipial- 
koordinationea' nicht auch .der Beschaffenheit' nach gleich sei. Also B^^It^ 
Sm^Bt, S^Bt, aber J!^ nieht «J^! Wenn swei Bilder einander nngleieh 
sind, der Gegenstand aber identisch [,der Zahl nach eiuea'L dann kOnnen 
doch wohl die fiiider mit diesem Gegenstände nicht ansamneDfiJlen. Oder 



1] Dieser Gedankengang wurde etwas wrfler ansgeiihrt, da Bef. ^ne 
bereits frUher in der Schrift »Über die Grenien der GewiOh^« (Uipaigt 190B) 
dargelegte Anffassung gegen den Vorwurf des Mißverstehens Volkeltscher 
Gedanken in Terteidigen hatte (vgL Yoikelt» a. a. 0., S. 32). 




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Litontiirbeiidit 



35 



muß sieh die Logik nur jwt von den Podti^ten lUea bieten laesea?« (8. 5). 
Dies mag genilgen, zu teigen, dft8 et anoh der inilgirpeyebologiidMa aatl- 

idealiatiscben IkweiHfUhrnnj' nn Ar^rumenten nicht fehlt. 

Nun darf man ah^r nicht glauben, wir hifltcn «Ion Idealisniua für wider- 
Bobald die Annahme einer Identität des Erkenneus mit seinem Gegen- 
•tud ab Iftig iiaehgewfesen ist Der Idetliemne kMin lieh J* die komkle 
AnlfaiBlulg ▼om Woson des SrkMmeiiB zu eigen nidehen und kann bebaapten. 
ein (»rkpnnender Bowaßtseinsvorg'anp: erfasse zwar nirht sich sellipt, aber 
doch stets etwas ihm Wesensverwandtes, etwas Psychisciies. Diese Behaup- 
tung ist allerdings von vornherein unhaltbar; denn die Ungleichheit, ja Un- 
Shnlifllikeit von Qegenefibidea wie Bsnm, Zeit naw. und tos Oegmutibidea 
wie VorstellnngeD, Ctodanken new. liegt eiif der Hand. Dagegen kann man 
nicht ohne weiteres einen TdealismuH von dfr Hand weisen, welcher behanptet, 
unser Erkennen erfasse nur peychische und nicht wirkliche oder ideale 
Gegenstünde. 

Dieee Belunptmig imui nur beUmpft weiden von der dritten oben anf' 

geführten Form antiideaUetladier Argumentation, welche sich ideht davanf 
beschränkt, zu konstatieren, wie der Gegenstand im Akt des Erkennens er- 
faßt wird, welche vielmehr den Beziehungen nachgeht, die zwischen den ver- 
aebtodroen Gruppen er&ßter Objekte, beeonders iwiidien den dnndt Infieft 
uad den dnreb Innen WabneliaHing etkninlen eowie nwiiohen gedankUeb 
erBchlossonen Gegenständen bestehen. Der naive Mensch hält den Gegen- 
stand der iiuüeren Wahrnehmung für die Ursache der Wahrnehmung, sta- 
tuiert also eine K&usalrelation zwiacben Gegenständen der äußeren und 
Gegenatinden der inneren Wahmdunanir. Aber aeit Aofiitellnng der Lebre 
von der Subjektivität der Sinnesqnalitätan Int die Erkenntniatbeorie diese 
naive Annahme immer vollständifrer nberwnnden, Seitdem bestehen drei 
Mi5fclichk<?iten . Entweder man betrachtet die Wahrnehmung; als ursaehlos 
oder mau läßt sie psychisch bedingt sein oder man nimmt als ihre Ursache 
etwaa an, waa weder In der Infieren noeb in der Inneren Wahmebnrang ao 
erfaßt wird, wie es gedacht wwden muß, wenn die verschiedenen dureb die 
Erfahrung uns aufgenötigten Erken7itnis«'f> in wirferopruchslosen Zusammpn- 
bang- g:ebrapht werden sollen. Die erste von diesen Möglichkeiten ist tat- 
sächlich eine UnmbgUchkoit. Einen Vorgang — und einen solchen haben 
wir In der Wabmebmimg vor nna — uaaebloa an denken, iat ebanaowenig 
mOgUeb, wie irgendwo im Innern des Raumes ein Aafh(^ren desselben aa 
erfassen. T> r Zwang, joden Vorfrano: durch einen anderen, an wehhen er 
sich kontinuierlich anschließt, bedingt vorzustellen oder zu denken, beruht 
auf der Stetigkeitsauffassung, die aom Wesen der Yeiindenuigsavf&ssnng 
gebSrt Sofern die Yeribiderangaanfbasang oder vielnebr dmenige Kompo- 
nente an ihr, die wir Stetigkeitsauffassung nennen, nichts anderes iat ab 
das Erfassen lii r Identität des Benachbarten im BerUhrunj^spunkte. können 
wir sagen, die Kausalauäassung werde teilweise konstituiert durch denjenigen 
Akt dea BeriebnngabavnlllaeiiM, der oben all IdentUStaanffiMatutg oder etwaa 
allgemeiner ala länketCabewnlllaetn beaelebttet wnrde. Usoibm sind wir mit 
den Darlegungen Hönigswalds einverstanden, wenn dieser die Kauaal- 
beziehun«? und die Identitätsbe/irhinie; in («n;^8ten Zusammenhang brin^^t Bei- 
träge zur Erkenntnistheorie und Methodenlehre, S. 123ff.j. Was uns von 
Hdnigawald trennt, das iat eineraeits aeine gana im 8bu von Volkelt 
and Jernaalem entwiefcelte Anfftasmig von der objektlvistenden (er aagt 



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36 



LiterMnrbericht 



dtfltr: erkenBtnUtlieoratiMhe) Fmiktioii dm Drtefl« ,S. 86), anderaraeitB die 

weitgehende Konsequenz, die er ans dem Znsammenhang von Identitäts- und 
Kausalauffassnng^ glaubt ziehen zn dürfen, indem er d^n Satz von der Er- 
haltung der Energie als den Ausdruck des in der EausAlauffassung stecken- 
dga IdüitititBliewaOlieiitt betnditeC (S. 128ft}. Die Äqnivaleiiibeiidirag 
iwieehea ünMhe und Wiilniiig lehwit Hat denn doeb mebr mit QleioUidt 
als mit Identität zusammenzufallen, und die Motive, die zu ihrer Feststellung 
führten, dilrften wohl etwas komplizierterer Natnr sein als das, was uns 
zwingt, Veränderungen stetig und in stetigen Reihen ablaufend zn denken. 
Im Sinn HOnigswaldi ifriire der BMÜimii« lelir dnfiudi sa begrViidea. 
Hfißten wir zu allen Yeribidenuigen ein ideetlieh bleibende! EtwM erfiMtea, 
an dein die Yeriinde rangen sich vollziehen, so wäre reale Substanz ein 
ebenso zwingend gegebenpr Gegenstand nnseree Erkennens wie Kaum und 
Zeit Die reale Substanz müute als etwas anderes gedacht werden wie das 
Psychisehe, des eboi nidit ein identieo]! bleibendes Etwas iet, eondem In 
Veränderungen aufgeht nnd wie die idealen CtegenatSnde, die als >unwirk- 
\u-h< eben nicht wirken und sich nicht verändern. Knrr die Nnt wendigkeit 
realistischer Weltauffassung läge auf der Hand. Aber solange es noch 
Philosophen gibt, die mit Überzeugui^ behaupten, eine Aktnalitätstheorie 
iMoe lieb ebensognt denken wie die dem naiven Heniehen gelSnfige Snb- 
•tantialitttabetfaebtnngf iolange wagen wir nicht, die Substanz fUr ebeMO 
gegeben zn erklären wie die ph-inomenalen Gegenstände Die Identifiziemng 
ähnlicher, in ttbereinstimmeuder Umgebung erfaßter Gegenstände ist freilich 
eine nnbesweifefttM TatiadM. Aber wfr Identflidereii aadi die idealen und 
die payebiiehen Gegenstinde. Die Frage, ob die letsteten oder etwas, daa 
weder ideal noch psychisch ist, als Ursache von Vcründcmngen , d.h. als 
Wirksames oder Wirkliches, besonders auch als Ursache unserer Wahrneh- 
mungen in Betracht kommt, bleibt also vorläufig noch offen. Mit der Frage, 
ob niebt nnwfrldiehe Gegenstinde wie Ideale^ Forderungen, QesetM nsw. &9 
welibewegende Wirkliehkeit bedeuten, gbmben wir uns nicht weiter beedilf* 
tigen zn sollen, selbst wenn sie nirht nur Bcheinbar nnd halbbewnBt. eon- 
dem mit vollem Bewußtsein von gewissen Idealisten bejaht werden sollte. 
Im Gegensatz zu dem »reinen und echten Idealismus« Weidenbachs er- 
seheint nas also die »pi^febologiiebe Abiiraag des Ideaiiamns« neben der 
realistischen Auffassung als die «iniige im gegenwtrtlgen Znaammenbaag^ 
noch di;'knt;tble Ansieht. 

Die Diskussion läßt allerdings in durchaus zwingender Weise auch ihre 
Unhaltbarkeit erkennen. Man brandit nni den idealistischen Grundgedanken 
der innerpsyeluseben Kanaalitlt konsequent dnrobmdenken, so stoßt man 
auf Schwierigkeiten, die der Idealist erfolglos zn Uberwinden sich bemüht 
Pie bfrUhmte Lehre von den >WabmehmungsmOglichkeiten< nnd verwandte 
Autiassungen sind gegenwärtig bei vielen Denkern als der schwache Punkt 
des Idealismns erkannt Eine der lelaten AnslQbmngen dieses Gedankens 
findet man bei Volkelt: Die Quellen der iDenseblichen Gewißheit (S. 65ff.]. 
In allen mygliclien Variationen, lumn man sagen, hat der Realisnuis im Lauf 
der letzten Jahre seine Grundtln s'" c: wif «("n, daß die Wahrnehmung nicht 
lediglich psychisch bedingt sein kauu. Die ^Valu'uehmungsmüglichkeiten, die 
der Ideslismas sdbst als Bedingungen peyehiseber Wirldlohkelt in Ansiirueb 
nehmen muß, sind entweder ideale Gcgoustäude, die nicht wirken kOnnen, 
oder niebtptyebisebes nnd niehtidealeB Wirkliebes. In ersteren Fall geht 




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litemtnrbericht 87 

der psychologische Idpfilismus in den »reinen und echten Ide.iliHnius« fiber, 
dessen innerliche ünhaltbarkcit ebenso einienchtet wie die jeder widerspruchs- 
Tollen Behauptung. Im letzteren Fall wird der Idealiamos ganz einfach zum 
BMUamiia. 

Nun bleibt aber noeh ein Bedenken gegen den BenUunw eelbit inrllok: 

Jenes uichtpsycbisebe nnd nichtideale (d. h. eben nidit-nnwlildaebei eon^rn 
wirkliche^ Andere, das als Bedin<^in* der Wahmehrann;^ und aneh sonst als 
Bedingung des Eintrctrne von "Wirkungen angcnoiumcn werden mnß, v.ird 
doch nur durch Akte de» Heziehnng'Bbewußtseius erfaßt und kann nur durch 
seine Beziehungen zur phünomeualeu Welt näher charakterisiert werden. 
LOfet es Biob dn nieht selbst auf in Beiiebnngen, atoo iaideile G«genstSnde? 
Sxistens, IdentitSt, KmuMliUt neir., das sind doeb ebeneognt Abstrakt» wie 
Gleichheit, Ähnlichkeit, Verschiedenheit, wie Gesetze, Forderaagen n. dgl. 
Der Sinn dieses Einwands scheint verborgen zu sein in der bekannteren 
Fragestellnnir' Wird das 1>iD!? an sich, die Substanz oder das Reale oder 
wie man et» sonst nennt, (iadurcli. daß es gedacht wird, nicht ohne weiteres 
lü einem Geschöpf oder zu einer Funktion des Denkens? Eine manches 
IGßvsntiBdnis küiende Antwort auf diese Frage findet man belMeinong: 
Über die Erfiibrmigsgnindlagen unseres Wissens (8. 80 ff.). Wir wollen sn 
jenem Einwand noch folgendes bemerken: Das Wort Beziehnngsbewußtsein 
haben wir ausdrücklich als einen keine Nebenbedentang in sich schließenden, 
lediglich bestimmte psychi.«*che VorL'-infr«' bezeichnenden Nanicn o?n^''eführt. 
Die Gegenstände des Beziehungsbewubtneins sind, wie nochmals auHvii iicklicii 
betont sei, nicht ausschließlich Beziehungen, sondern Dinge mit Eigenschaften 
nnd Zasttnden, die in Beziebnngen stsiien, sowie abstrakte Eigensohaften, 
ZnstSnde und Besiehungen. ^n Ding, Tersebieden von einem anderen, ist 
etwaa anderes als die Verschiedenheit. ' Ursacbe nnd Wirkung .sind ebenftlls 
etwns anderes als die Kausalität. Kurz, etwas, was aKs in Beziehangen zu 
envas anderem »tehend erkannt und dadurch charakterisiert wird, ist etwas 
anderes als die Beziehung, in der es stellt, mag es im übrigen Ding. Eigen- 
schaft, Zustand oder selbst Beziehung sein. Es ist auch ein zwar nahe- 
liegender, aber irreftthrender Aosdraek, wenn man die Gegenstände des Er- 
kennens als Erksontnisprodnkte beseiehnet Wobl |^be es obne Oesichts- 
empfindungea keine Farbe, ohne Gehörsempfindongen keinen Ton, yielleieht 
aach ohne Raumbewußtsein keinen Raum. Unwahrscheinlicli i^t dagegen 
offenbar die Rplnnptnn?. daß es ohne ZeitbewuBtnein keine Zeit, ohne Ver- 
schiedenheitsbewuLUscin keine Versclncdcidieit, ohne \ eränderangsbewußtaein 
keine Veränderung gebe usw. Der BegrilV; »Es gibt« hat, wie man aus die- 
sen Beispielen sieht, mit dem Begriff der Eristens nichts vn ton. Uan darf 
siio nieht ssgen: Ss gibt keine idealen Gegenst&nde, wohl aber psjreblsohe 
nnd reale. Vielmehr gibt es u:ich unserer AnfEusnng all die Gegenstände, 
die vorstellend oder denkend erfaßt worden , mflgen sie nun idealer oder 
realer oder psychischer Natnr sein. Von all den Gegenständen, die ea gibt, 
sind wir genötigt, einige als unabhängig von ihrem »Uns-Gegcben-Seiu* be- 
stehend anzunehmen, und zwar einen Teil sowohl der realen als auch der 
psychiseheii und idealen Gegenstände, die wir yorstellend oder denkend er- 
teen. Diejenigen Gegenstände, die nieht snr Ehwse dieser unabhängig von 
unserem Denken nnd Vorstellen bestehenden gehören, mag man immerhin 
als Produkte unseres Vorstellens und Denkens bezeichnen. Nur darf man 
schon dabei mcht vergessen, daß diese Bexeichnnng eine rein bildliche ist 



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38 



LitorAtarbehcht. 



In Gnmde genomnen kian man ebenioweiiig sa^eu, dafi du Erkenneii du 
Ctogttftnd piodaxifito, wie daB «■ mit ihm identiieli toi. Die uverffaf- 
UehBte Wendvag ist vielleicht die, daß das Erkensen auf seinen QegeaiM 

hinweise. Aber in bezng auf die Klasse der nur «gedachten oder nur Yor- 
gefltellten Gegenstände J'ind auch vertliripliclKTr Wendungen nicht sehr ^'P- 
fUhrlicL Dagegen entstellt sofort der schüusto Wideröjtruch. wenn man di^ 
jenigen gedachten oder vorgestellten Gegenstände, die auch unäbiiaugig vob 
nnaerem Denken und Yotsteilen l»eitehen , ja die vieUeielit gar ala üiaaek 
maetea Denkana nad Yoiatettena gedaebt weidea mflaaen, ala Phidekte aa- 
aeree Denkens und VonteUeaa beieiehnet Aber Terllndevn rieh denn nicht 
die von uns erfaßten Gegenstände, wenn sich unser Erkennen lindert? Mau 
denke nur au die vcrschiedf^ncn Größen Verhältnisse eines räumlichen Objekts 
bei verschiedener Entfemuug des lietrachterH. Müssen wir also nicht den 
G^^nstand zum Erkennen wenigstem^ in ein Funktions Verhältnis setzen, uod 
Bwar ala die abhängige Variable betrachten? Und indert rieh andeienaiti 
nieht aneh nnaer Erkennen, wenn aioh der QegenaCaad Indert» der ea htttw- 
mft? Dürfen wir also den Gegenstand im Fnnktionsverhältnis zu unserem 
Erkennen nicht auch als unabliiingige Variable bezeichnen^ Der Wiiler- 
spruch, in den wir dnmit verstrickt werden, ist ebenso scbhnini wie der- 
jenige, der entsteht, wenn wir einen Gegenstand a gleichzeitig als Ursache 
und als Wirkung desselben Gegenstands b betrachten. Aber dieser Wid^* 
aproeh beateht nur, aoknge wir die QegenatSnde, die wir ala nnaWiiagig», 
nnd di^anigen, die wir ala abhSagige Variable an nnaerem Erkennen ia Be* 
Ziehung setzen müssen, identifizieren. Daß man diea nicht darf, wdB Mit 
Kant jeder Erkenntni-stlieoretiker. Seit Kant ist es auch liblicb, die Treu- 
miTiir in der Weise durchzuführen, da!^ r\itt' die ciue Seite die Welt der Din^ 
an sicli oder des Realen oder wie mau sonst sagen will, auf die andere Seit« 
die Welt der Erscheinungen gesetzt wird. Kant selbst hat, wie man wflifii 
saeh daa psychiaebe Leben ala Encbeiniing bairaebtet XHeae AnfGttaaag 
iat dann vielfiMh pretagegeben worden. Man denke nnr an Sehopenhaaer. 
Nenerdinga iat aber auch an Schopenhaner Antikritik g^ibt worden tob 
H. Denekc. In seiuer Schrift »Das menschliche Erkennen« sucht dieser 
Antor nachzuweisen, daß das Subjekt, sofern es sich als »Wille mit Geftihl«- 
eigenschaften« erfaßt, ebenbu in der Welt der Erscheinungen befangen bleibt 
wie in der Wahrnehmung der Außenwelt {S. 28 ff.}. »Der Gegensatz voa 
.Welt ala Wille*«, ftthrt er au, »iat nieht »Weit ala VorateHong', aendera 
,Welt ala Materie (KOrperw^t)'. Daa letztere iat die Welt, wie aie nna dank 
die Snfieren Sinne gegeben ist, das andere die Welt, wie sie uns durch den 
inneren Sinn gegeben ist. Beide stehen im Gegensatz zu der Welt als ob- 
jektiv existierender Welt, von deren Beschaffenheit bis heute norh uii'Lts be- 
kannt ist. da eiue Wissenschaft der Metaphysik noch nicht existiert. Vom 
erkenntniswissenschaftlichen Standpunkt aus entstehen bei der Wahmehmong 
dnreh die SnOeren Sinne Voiatellongen im BewnOtaeitt, die dnreh maanir 
Ihehe TStigkeiten dea ErkenntniaTermOgena in ihrer Eigenheit bedingt sied; 
bei der Wahmebmnng durch den inneren Sinn« (dessen Organ nach Deneke 
der Sympathicus ist [S. 40]i »Vorstellungen, die 9chnn etwas weniger beengt 
sind« die Knumanschaiuing wird bei ihnen nictit mehr mit ausgelöst. 
Schopenhauer hätte also folgenden Titel seinem Hauptwerk geben müssen: 
>Die Welt als Wille uud die Welt als Materie«. Dann hätte er aieh anf dea 
Erfohrongaatandpaakt geatellt Oder aber: »Die Voratettnng der Welt ati 



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Litaiatarbatielit. 



39 



Wille Qud aiä Materie«. Dane hätte er sich auf den erkenntniswisgeQBchaft- 
Uähm Staadposkt geefceUt (& 87). Anf dte Frage: »Waa ist ein Gegenstand?« 
aatirortet Benoke: »Vom Standpuikt dar XnBeran Erfahnuig «na: du mit 

baatimmten Eigemchaften ausgestatteter Kürper, dar aainam Wesen nach ein 

Wirkeudes ist. Vom Standpunkt der inneren Erfabrunfr uns: Kin mit ge- 
wissen Eigenschaften bekleideter Wille. Vom erkenntnlawisaenschaftlichen 
Suiudpunkt aus: die vom Erkenutiiiävermögcn gegenständlich aufgefaßten 
Empändungen bzw. GeflUUe, denen ein objektiv Existierendes entspricht« 
(S. 39). Aaf di« Frage: »Waa iat der Untenoliled Ton Yoiatelliiiig und Er- 
aeheinmg?« erfiüuen wir: »£ine Vera teil ang iat jeder Bewoßtaeiiuriiihalt 
Eine ErscheinaBg iat ein objektiv Vorbiiideiieai das mittels gewisser sub- 
jektiver Wahrnehmnngsformen Raum, Zeit, gegcnstlindlieher Anfffip^nnc:' im 
F,('wT)t-it?cin vorbestellt wird. Eine Vorstellung ist denmrtrh nur subjektiver 
ijtrwulJtgeiübiuhalt. Eine Erscheiauag ist ein objektiv vorhandenes plua 
(»ubjektiTem Bewußtseinsinhalt und das große metaphysische A ist das nur 
effektiv YorbaadeBe« (8* 38). Ava dleaen Darlegungen kann man der Hanpt- 
aadbe nach die Qmndanffaaanng Denekea entnalinien. Ea bedarf nnn naeb 
dem Vorausgehenden wohl keiner ausführlichen Entwicklung der Gründe, 
weshalb wir einer solchen AufTassung nicht bfitreten können. Wir betrachten 
mit Meinong alles, was iiberliaupt vorstellend oder denkend erfaßt wird, 
als Gegenstand und sind der Ansicht daü alle Gegenstände, die nicht wider« 
Sprachslos als unabhängig vom Vorstellen und Denken bestehende Gegen- 
atiade gedaebt werden kOnaeni Eraebelnnngen aind. Aber iat daa Seieb der 
Eraebeinongen hiemadi snaXobat aoeb aehr groß, ao iat ea doeb nleht ao 
anagedehnt, daß daneben nur daa myatiaGhe X übrig liliebe. Es gibt eine 
ganze Reihe von Aussagen über reale, psychische und ideale Gegenstände, 
von denen es wohl unerschütterlich feststeht, daß durcli pie unabhängig von 
unserem Vorsteilen und Denken Bestellendes getroffen wird. Vielleicht emp- 
fiehlt ee sich deshalb, den Gegensatz von Erscheinung und Ding an sich 
vOd«r Beateni) aafisogeben nnd der Eraobeinang daa oltiektiv Beatebende 
gagenttberzaateUeo. Fayebiacbe Wirklichkeit iat ja gewifi kein Ding an aleb. 
Aber wenn wir s. Bb ein Gefühl psychologisch erfassen, so erfassen wir doch 
nicht etwas, was nur im Gedacht -Werden Bestand iint. Auch ein ideriler 
Gegenstand, wie z. B. die Verschiedenheit zweier Dinge, besteht z:\vur nicht 
an sich, aber auch nicht nur in Abhängigkeit von unserem Erfassen, sondern 
offenbar in den Dingen. Die UnabhängigiLeit idealer Gegenstände von 
nnaeiem Etkeanen acbeint aogar eine aebr weitgebende an sein. So beatebt 
offenbar die Gleiebbeit der Seiten nnd Winkel einee gldebaeltigen Dreieeka 
ganz unabhängig davon, ob wir sie erfassen oder nicht, ancb dann, wenn 
(las gleich.>*eitige Dreieck dauernd zur Welt der Erscheinungen gehört. Aber 
hier muß man berücksichtigen, daß mit dem Kegriff »Unabhängigkeit von 
unserem Erkennen« Verschiedenes gemeint sein kann. Als unabhängig von 
naaerem Erkennen bezeichnen wir nämlich nicht nnr daa, was in den £r- 
aeheinnngen ttbereinatinimt mit dem aller Erkenntaia ala nnabbMngige Variable 
gegenttberatebenden Wirklioben nnd WirkUcbkeitasogehVijgen, aondem ancb 
das. was wir nicht anders denken kütuicn, wie es gedaebt wird. Dleee 
beiden Redeutnn'_'f'n des Begriffs »Unabhängigkeit von unserem Erkennen« 
sollten wohl auseinander gehalten werden. Nennen wir das von unserem 
Erkennen Abhängige daa Subjektive, das ilem Erkennen als unabhängige 
Variable Gegenüberstehende dos Objektive, so können wir das iu der anderen 



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Literatorberidit 



Weise vom Erkennen l^nal>hänpige vielleicht als das Apriorische bezeichnen, 
nachdem dieser ungliickliclie Termiaus doch einmal Ileimatreeht in der Er- 
kenntnistheorie gewooueu hat. Als Aoi^be der WisBenschaft iumn mä.u es 
ami b«xeieliBan, »w toi SiibjelctiTen oinaiteits otrjektive, andavondti ipiio* 
riiehe Erkeniitiiii hennunirbefteii. YieUdebt wird man damit der U%{' 
nongaehen Gegenüberstellung der Oegenatandstheoric und des Systems der 
flbng'en Wissenschaften einigermaßen gerecht. Nur darf man nicht glauben, 
daß apriorische unti objektive Erkenntnis stets auseinanderfallen. Die Denk- 
notwertdigkeit in dem Üinu, daß eine notwendijje Behauptung ohne Wider- 
spruch nicht negiert werden kann, ist das einzige Kriterium sowohl der 
aprioriiehea wie der ol^aktirea Wiaaenaehaft Und wemii jemand behaepteC 
daB die apriorieehe Denkarbeit nur ein HUfimilttel der objektiven Fonefaug 
aei und sich nur an solehen Gegenstjünden betätigen solle, deren Erlcenntnis 
zugleich eine Fürderung unseres Wissens nm das Objektive bedentet. so ist 
das ein Standpunkt, der bestritten. ;»ber nicht widerlegrt werrb^n kann. Auch 
darauf sei noch hingewiesen, daß die Zugehörigkeit einer i>ei*tin)niteQ ein- 
aelnen Wissenschaft zur objektiven oder zur apriorischen Erkenutuie»art ver- 
aeUedm beorteüt werden kann, je nadidem man den Anaproeh der betraf 
fenden Wiaaenachafl aelbat oder daa Urteil der Erkenntnlatheorie aar Bat* 
aeheidang heranziebt So alnd die Farbennnteranebnngen der Psycholu^eti 
zunächst zweifellos in der Absicht angestellt worden, psychische Wirklich- . 
keit dadurch zn erkennen. Wenn nun Meinon^' d;irauf liinweist, daß die 
Farben zu deu Objekten der Gegenstandstheorie gehören, so geschieht dies 
mit demselben Eecbt, wie wenn jemand die ganze quantitative Weltaui»ichi 
dea Natorfortehera vom Knntachen Standpunkt ana fttr die Gegenatands* 
theorie in Anapmeh nimmt Wir sieben ea vor, 'die Wiaaenaebaften nach 
iliren Intentionen an Idaaeifineren , und als apriorische Disziplinen nur dte- 
fenigen an betrachten, die prinzipiell nicht auf objektive Erkenntni.^ ane- 
gehen. Als solche kennen wir Logik und Mathematik. Schenkt man uns 
neue Wissenschaften von ähnlicher Bedeutung, so akzeptieren wir sie gem. 
Aber das Aufsuchen gegenstandstheorctischer Bestandteile iu allen müglich» 
schon beatehenden WiaaenBchafton erscheint nna nnfnichtbar. 

In Übrigen muQ betont werden, daß Mein ong denGegenaata voaDiag 
und Exaebeinoag gani andere beatimmt wie wir den Unterachied des Obj^> 
tiven, des Subjektiven und des Aprioriachen. Da es nicht gelingen will, di? 
Ansicht Meinongs anders als mit seinen eigenen Worten wiederzugebea. 
so bleibt nichts übrig, als größere Abschnitte 7.u zitieren. »Sieht jemandt, 
so fuhrt Meiuoug S. 91 der »Erfahrnngsgrundiagen unseres Wissens« aiüi 
»der die Dinge nur von ibrer praktiacben Seite, das Erkennen deraelbea abtf 
gar nicht zn betiacbten gewObnt iat, anf dem Tiaebe vor aieb etwa ein 9aA 
Kreide liegen, ao hat er füia erate aicher daa beste Zutranen auf das. vu 
er ,mit eigenen Augen' sieht. Es ist in Anbetracht dessen ... im nrundf 
sehr rtntYilb'Tid, wie zug:inj;lich er trotz dieser Znversicht tiir die Subjektivität 
und thilM r dieltungslosigkeit der sensiblen Qualitäten bleibt.« Was hier der 
Begriti »lieltuugslosigkeit* der sensiblen Qualitäten besagen will, wenn maa 
die sonstige Terminologie Meinongs mit bertteitsicbtigt, wonach etwanll* 
Objektiv, daß ea kein mndea Viereck gibt» daa Sein ala Tataaehe ntebt «ebl 
abMapraehen iat« (Über die Stellung der Gegenatandatbeorie — S. 16 ■ da« 
ist nicht gnt einzusehen. Ist Meinong etwa der Ansicht, daß die sensiblen 
Qnalititen nicht miadeste&a in demselben Sinne sind oder gelten, wie dem 



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Liter^iurberieliti 



41 



fenaimteo Objektiv Sein oder Geltung zakommt? Spielt hier vieileielit der 
eine Sinn des Begrtft: ünabhängii^eit Ton mieerem Erkennen eine gewiaee 

Rolle? Doch sehen wir vou der Bezugnahme auf anderweitig geäoOerte An- 
■icbten Mcinongs ab. Daun will der Ausdrock SubjcktiTität oder Geltungs- 
loslgkett in dem betreffenden Zusammenhang offenbar nur besagen: Ver« 
acbiedenhelfe von dem, waa der nnaerem EilEensen ab nnabblaglge Yatinble 
gegenUberatehenden Wirklichkeit, auch abgeselion von unserem EriceilBein» 
zucjehnrf Was dieser Wirklichkeit nicht oder was ihr nicht, abgesehen von 
UQBerem Krkcnnen, zugehört, haben wir oben aus der Sphäre der Objektivität 
ansgeschlos&eQ. losofem würde also aasere Ansicht mit der Meinonge 
QbereinaliiBmen. Dodi hVren wir Heinong weiter! Nnehdem er dargetaa 
hat, wie der Naive fest Uberzeugt ist von der Existenz eines Etwas da, wo 
er die Kreide siebf-, und zwar eines Ktwnp dn"» »weder riir Biicfi noch ein 
Tiutenfaß, noch eiu Lineal, noch sonst etwas anderes ist als eben eine Kreide«, 
bezeichnet er dieaee Etwaa, daa »Dingmoment«, mit o and die Gesamtheit 
der »im laßeren Aapekto gegebenen Eigenaohallenc mit o'. Nun behauptet 
er, daß wir >fUr o vorzügliche Evidenz, fUr o' wahrscheinlich gar keine« 
haben Diese Konstatierung können wir ebenfalls in unserer Terminologie 
kaum wiedergeben. Dann fahrt er fort: *Aber was können wir mit der Evi- 
deas llr e allein anzogen? Die Kreide nnteraeliddet akili vom Tintenfafi 
aehwerlieh In betreflr dea o; dafttr bietet nna die Wahmdminngavorrtelinng 
der ersteren freilich ein o', die des letzteren ein o'^: aber das sind ja eben 
jene sensiblen Qualitäten, für deren Dasein wir keine Evidenz haben. Woher 
nehmen wir also eigentlich das Hecht, die Kreide für etwas anderes als ein 
TintenfiiS an halten? Unaer Ndver iat nm'die Legitimation keinen Augen- 
blick verlegen: er findet aie einfach darin, daß die Kreide doch ganz anden 
anssicbt, sich fr inz nnrlers aufUhlt usw. als das Tintenfaß ; von BestUtij^gen 
aus koraj)lizi( t tt reu iM fahruogeD heraus sei hier mit Vorbedacht abpeeehen. 
In dieser BerutuiLg aat daa Anssebeo oder, wie man allgemeiner und theore- 
tiaeher aagt, nnf die ,Erieheinmig'. verraten aieh die weeenttieheten Eittenntaia* 
toiatnngen nnserer äußeren Aapekte« {S. 93). Bienuia nnd ana dem folgenden 
geht hpn or daß Meinonir unter der »Ers^^heinung« etwas ganz anderes ver- 
steht als das »Nichtobjektive« schlechthiu. Die Objektivität scheint er ein- 
zuschränken auf das »Diugmoment« o, und Erscheinung nennt er nnr das- 
ienige Niohtobjeklive, drai eine gewiaae »Erkenntniadignitilt« ankommt 
Worin diese Erkenntnisdignität beeldll^ erfahren wir nicht ^ der Überein- 
atinunnng der Erscheinung mit dem, was der dem Erkennen voransliegenden 
Wirklichkeit, auch abgesehen vom Erkennen, zugehürt, besteht sie nach 
Moinong Kum mindeaten ntoht auMHMiefiUdi. ünverattndfii^ bleibt femer, 
wamm Meinong bei aelner Anlfimanag von der Erkenntniadignitit der Er> 
Bcheinting den Erkenntnisgegenstand o nicht auch als Erscheinung bezeichnet. 
Glaubt er vielleicht, daß der Erkenntnisgegenstand o der einzige ist, welcher 
mit der allem Erkennen voransliegenden Wirklichkeit zusammenfallt? Dm 
kann kaum der FaU aeia, denn er aagt anadrOoldieh: Den phänomenalen Bo- 
•tinmaitgen oaw. alehen noiuMnale Beatimmnngen ö, usw. gegen- 
über, von denen eben evident ist, daß zwischen ihnen die nämlichen Ver- 
gleichnngsrelationen gelten wie zwischen den '>'. worin /TiL'leich die allerdings 
sehr selbstverständliche Behauptung beschlosscu liegt , dali das subsuntielle 
Moment o, daa nne dweh die bereits geltend gemachte gute Evidens geeiebert 
iat, nieht etwa in aanatlirlleher oder eigentlieh nnmOglicher laoUertheit 



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42 



Literatttrbericht 



existiert, gondem daß Iiis Kxiaticrende doch jedeufalls Dinge mit Kiis^enschaften 
Bind« S. 94;. Hieruui Ii sc heint die Auffassung Meinongs wieder in weit 
höherem Maße mit unserer obeu entwickelten übereioxuatimmen. Dieser 
Ansdi^ wird aoöh Tmtibfct dnrdi Meiiioagi AntflUiniBgen beCnib dar 
>Wirklichkeitserkenntni8 durch ideiteSnperiora« (S. 96), die »PrivogttiTe der 
Verschiedenheit* (S. 100\ sowie >be8serer und pchlefhtcrür Phänomene« (S 1C4). 
Vielleicht ist ea nur die Schwierigkeit eioer ersten Darstellung komplizierter 
€kdankengänge, was uns Meinongs Aoftiusong, so wie er sie MudrUckt, 
da und dort als nieht annehmbar erseheinen USt Im fibrigvn dürfte sehon 
die Ausführlichkeit unserer Stellungnahme erkennen lassen, daß wir Mei- 
nongR Vonücnste in der Beantwortung der Frage nach dem YeriiiUtaia dM 
Erkenneos zu seinem (xegenatand keineswegs nntersohätzen. 



(FortsetMuig folgt) 




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Saaimelreferat über die Neaerseheiaangeu der Akustik 
in den Jahren 190a— 1905. 

Ton Haiii Keller (dieiBiiiti}. 

1} Aggazzotti, A., Lea mouvemcBts r^flexcB de Toreille externe des cobayes 
daas l'air laiifi^e et la sensibiiite auditive de 1 homme dans la 
d^presatoB liarointeiqiie. Arehlve» Italieaaee de Biologie. Bd. 41. 

S. 69-80. 

2j Alexander. C . Zar Frage der phylogenetischen vikariierenden Anabil- 
dung der bmnesori^iie. Zeitschrift ftir Psyobologie and Physiologie 
der Siuueäorgane. Bd. 38. S. 24 — '63. 

3} , Zv TeigleieheDdeB pa<hoh»giieheii ABsUmile dee GehOroigus. 
III. Weitere Studien am QehUrorgan unvollkommen albinotisoher 
Katzen. Zeitschrift für Ohrenheilkunde. Bd. 48. S 378-381. 

4) , Zur Anatomie der kongenitalen Taubheit Zweite Lieferung von 

»Die Anatomie der Taabstnmmheit«. 1906. Im Auftrage der 
deutschen otologisdieii Geedlsehaft hennsgegeben von Denker. 

5) wid Tand 1 er, üntersnchnngen an kongenital tauben Katzen und 

•B Jungen kongenital tauber Ketsen. Archiv für Ohrenheilkunde. 
Bd. 66. S. 161—179. 

6; Altberg, Ober die Dmekkritfle der Sehellwellen und die eheolnte 

Heeseng der SehilUnteneititnL Annelen der Physik. 4. Folge. 

Bd. 11. S. 405-420. 
7) Andrews, B. R., Auditory Tests. American Journal of Psyohology. 

m.lö. S. 14— Ö6. Bd. 16. S. 302- 326. 
8] A Q g e II , J. R., A Frelioiinery Stndy of tbe Signifioenoe of Pertial Tones in 

the LocaUsation of Sovad. Pejchological Keriew. Bd. 10. S. 64^68. 
9) Bnrd, L., De Taccommodution auditive, son but et 868 diverses moda- 

litis. Revue m^dicale de la Suiase romiinde. 1904. S. 737 — 752. 

10) , Des Chlasmas optiqne, acoustique et vestibulaire. Lu aemaiue 

m^dicale. 1904. S. 187— 171. 

11) — , De Torientation auditive latände« ton röle et som m^nfsme. 

Ebenda. 1901. FJ. 30Ö-335. 

12) , Des diverfifs modalite» des mouvements de la chaine de» osaeiets 

et de leur rüle dans Taudition. Archives de physiologie et de 
Pathologie g«n4rale. 190& S. 666-^?& 

19) , De la perception aeonatiqne des sonrees sonores. Ebenda. 190& 

S. 282-294. 

14] , L'orientation auditive angulaire, ses ^16ments pdriphi^riques et per« 

eeptioneentrate. ArddTes göniiales de m4deeine. 190ft. S.S67'-971> 

16) , Sur rorientation auditive latMe. Aiehivee de Zoologie eq»M- 

mentaie et ginMe. 1906. Bd. 3. 8. 101—107. 



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44 



Literaturbericht. 



16) Bftrd, Dos «'li^nients de» vibrations raolt'culaires en rapport avec le 
Bens de la propa^'ation des ondi'S sonores. Conipte» Rendus dM 
Seances de rAcadeuiie deä Sciences. Bd. 139. ö93 — d9ü. 
tl7) De Beehterew, Nonvel appareU poiir rexamen de le perceptioa 
acoustiquo. Archives de Psychologie. Bd. 5. S. 108 — III. 

18; Bentloy. J. M., Standard« or Audition. Sciencp. N.S. Bd. 19. S '^•."9 %l. 

19] aod Sabin. A Study in Tonal Aoalysia. American Jounial of 

Paychology. Bd. 16. 8.484—498. 

90) «nd Titehener, Ebbiaglunie Etplenetimi of Beete. Ebenda. 

Bd. 15. S. 62— 7L 

21) Besold. F., HUrprUfangen mittels Stimmgabeln bei einseitiger Taubheit 
und SchlliBse, die aich darana fUr Knocheuleitung und Schall- 
leitongsapparat siehea laMMS. Z^tielurlft für Ohrenheilkunde. 
Bd. 45. 8. 868— 873. 

88) , Weitere üntersuchiitif^en Uber »Knocbenlcitnng und Schalleitungs« 

apparat im Olir*. Mit Anhang: Nachträg^Iiclio Bemerkung während 
der Korrektur über das Gehörorgan des erwachsenen Wales. 
BbflBda. Bd. 4& 8.107— 17& 

83) — , Oitmama kiitiaelk- experimentelle Stadien an Beiolda Untei> 

snclmn^reu über > Knochenleitmog « and SdiaUeilluigaaiipaial. 

Ebenda. Hd. yü. S. 107-110. 
t24] Bigelow, ü. b., The sense of heariug in the Goidhsh Carassius aura- 

toa L. Tbe Amerieaa N atoialiat Bd. 88. 
86} Bing, A., Bemerkungen zar Lokalisation der TonwahrnebmnBg. Hoaata* 

Schrift fUr Ohrenheilknnde. Hd. 38. 8. 220—225. 
26) Bloch, E., Über eine neue uini /.uverlässige Methode der llürniessuug. 

Verhandlungen der deutschen otologischen Gesellschaft 1905. 

14.Kossfefi. S.10B--118W 
87) Bonaler. P., Un Point de physiologie auriculaire. Ami*W des Mala- 

dies de TOreille, da LaiyiuE, du Kea et da Fhavyaz. Bd. 29, 1. 

S. 346-361. 

2Si , L'oreille manomitrique. Comptea Bendoa, Aead^mie des Science 

Bd. 186. 8.568-^1. 

89) BSnninghans, Das Ohr des Zahnwalcs und die SehaUeitoilg. Zei^ 

Schrift für Ohrenheilkunde. Bd. 4ö. S. 31—46. 

aO) , Zur Theorie der ijch&Ueitong. Ebenda. Bd. 49. S. 1-20. 

81) ^ Bin Fall von doppelaeitiger aerebialer ROtMnag mit Apiiaaie. 

Ebenda. Bd. 49. S. 165-170. 
82j Bonlay et I<c MarcTIadour. L'eli'meTit p:^vrhiqtip dans los snrdit»'». 

Annales den Maladies do ] Oreille« du Larynx, du Nes et da Plia> 

rynx. Bd. 30, 2. 8.434-^47. 
•(88) Bryantf W. 8.« A Phonograpbie Aeonmeter. Arebive of Otology. 

Bd. 88. 8.4:^-443. 
f84) , Recent Tbeoriea of Sound condnction. Ebenda. Bd. 88. S. 886 

—403 

3ö Bukufzer, M., Über deu Eiutiuß der Veriäugeruug des Ausatzroiirca 
auf die Hobe dea gesongenen Tonea. Aiehiv fllr Obranbdlkmide. 

Bd. <n. S. 104— 116. 
36i Caermak. W.. Zur Demonstration der KlanganalyBe. Feataobrift fUr 
Ludwig Boltzmann 1904. S. 80—84. 



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LitenUarbeiielit 



45 



37) Denker, A., Welehe Elenesle det GehSrorgaiui kOnnea wir bei der Er- 

lernung der menechlicben Sprache entbehren. Verhandlnngeii der 
deutschen otolo^schen Gesellschaft 19(Jö. 14, Kongroß. S. 66—68. 

38) De an er t, U., Zweckmäi^ige Einrichtungen im Gehürorgsn. Beitrige zur 

Obnnbei]koade 1906. Feetaefaiift lllr Auguat lioeae. 8. 187— SOO. 
80) Akostiedi-iihytfoh^ehe ünterenclmiigeii, die Gelilliofgaii be> 

trrffend. Ebenda. 1905. S. C9~78. 
40} Duulap, üomc PeeuHariticä of Fluetuating and of Inandible Soonds. 

Paychological lieview. Bd. 11. 8.308—318. 

41) , ExiMuity and PIteh. Ebeada. Bd. 18. S. 887— 898. 

t42) Dnprat. E , A propi» dela larditA lonale. Berne de peyehiatrie. Bd.8L 

S. 23f;-m 

43/ Exner, ä., Klang der eigenen btimuie. ZeutralbUtt für Physiologie. 

Bd. 17. S. 488-489. 
44) Fetaer, Ober die Wideretaadefllbigkeit ▼ob KUagea, ineeaderbeit Ten 

Vokalklängen gegenüber scbttdlgntdea £ini!U8Ben. PflVgers Aioliiv 

für die gesamte Physiologie. Bd. 100, S. 2U8— :i31. 
45] Franklin, W. S., Aoalysis of a Complex Musical Tone, äcience. N. S. 
Bd. aa 8.846. 

46) Oaetsebea berger, B., Ober die HSgUehkeit einer QaaatÜllt der Ton- 

empfiadang. Arehiv illr die geenate Fi^diologie. Bd. 1. S. HO 

—147. 

47) Gradenigo, Demonstration eines neuen telephonischen Akumcters 

▼OB Prof. Ste&aini-Lucce. Verhandlungen deutscher Natarfonoher 
aad inte 1905. S. 807-809. 

^} Grimsehl, £., Analyse und Synthese von Schwingungen. YeibaadlangeB 
der Physikali.schen Gesellschaft 1903. S. 303-811. 

49) Bartmann-Kempf, Über den Einfluß der Amplitude auf dio Tonhyhe 
und das Dekrement von Stimmgabeln und zungenfürmigen Stahl- 
ftdeibladera. AanalOB der PhyillL 4. Folge. Bd.l& 8.184^168. 

HOS H eaeea , Ober das HOrea der Bliebe. Mttnehener Biednialieiie Woeben- 
schrift. 1904. S. 42. 

61) , Über die Stü riin<7en der Resonanz durch einen tlinenden Luft- 

Btrom. YerhanUlungen deutscher Naturforscher und Ärate 19(fä. 
ILTell. 8. Heft. S.444. 

^8} Hoefer, Q. A., Uatereaebangea Uber die aknitltebe ÜBtereoUedeeiBpBnd» 
Bebkeit und die Gültigkeit des Weber-Fechnerschen Gesetzes bei 
normalen Zustünden, Psychosen und funktionellen Neurosen. Zeit- 
schrift Üir Psychologie und Physiologie der Sinnesorgane. Bd. 36. 
8.888-890. 

68) Iwaaoff, A., Eia Beitrag xnrLebre «ber die EBoebealeltaag. Ebeada. 

Bd.3L S. 806-876. 
04} Kaapman, H., An Experiment Tllustrating Uamionic Undertoaes. Pro- 

ceedin?-s Royal Society of London. Bd. 74. S. 118 — 120. 
6öj KOrner, KOunen die Fische büreny Beiträge zur Ohrenheilkunde 1906. 

Feiteobrift für August Lucae. 8. 99—187. 
699 Kreteebmaaa, Die aknstiaebeii Fnaktioaen der InftbeltiadeB Heu- 

räume des Ohres. PflQgere Archiv Ar die geeamte Pbjitologie. 

Bd. 106. 8.499<.536. 



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Literaturb«richt 



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zur Ohrf-nLcillninde 190Ö. Festschritt für August Lucae. S. 327—337 
(siebe aacii Verhandlangen der deatecben otoIogiBchen GeaeUachaft 
1906. a 78-06). 

67a) Krneger, F., DifTereuztOne und Eonaonanz. Archiv fttr die gN. 
Psychologie. Bd. I. B. 205—275. Bd. 2. S. 1—80. 

68) Liudi^S t^ber die verstimmte Oktave bei Stimmgabeln und über 
Aaymmetrietüae. Annalen der Pbysili. 4. Folge. Bd. 11. S.31— ää. 

fi9) Lueae» A., Über des Verhiltnie vom Toigebttr ud SpiidiffebOr. Ver- 
handlungen der dettteelieii otologiadieB GeaellBehaft 190O. 12. Soft- 
greß. 8.39-40. 

60} , Zar Prtifang des Bpracbgebürs anter Angabe eines aeaea I'iiouo' 

meters. Archiv fUr OhrenheUkiuide. Bd. 64. 8. 156—166. 

61) ^1 Stndieii fllwr die Netor and die Walmefaiattis toh GertnadMm. 

Archiv fttr Anatomie und Phytlologie, Pbyilologiaehe Abteilung. 
1904. Siippl S. 39«)-408. 

62) , Zur Physiologie dea Gehdrorguu. Ebenda. S. 4iX) — i^d. 

63] Harage, Contribotioii i la pli^logie de ronriHe intene. Comptes 
Bendna dea S^ancea de TAeadteie dea SdeBeea. Bd. ia& 8. MB 
—249. 

64) , A propoa de la pbyaiologie de roreiUe interne. £benda. 8. 778 

—779. 

66) , Action aar l*ofeille A r^t pathologiqae, dea Tibrationa fenda- 

nemtales des voyelles. Ebenda. S. 466—468. 
66} , Contribution a r.'tude de l'audifion. Ebenda. Bd. 138. S.482-m 

67) , Sensibilitt- epeciul de 1 Oreille pbyaiologiqae poor certainea voyelle». 

Ebenda. Bd. 140. S.Ö7— 90. 

68) ^1 Contributimi i l'toide de YoTga de GortL Ebenda. Bd. 141. 

8.788— 784. 

6B) Pnnrqnoi certnins üourds-muets entendcnt mieaz lea aona gravea 
ijue les »OD» aigus. Ebenda. S. 780 — 781. 

70) Marbe, C, Aknstiacbe PrUfong der Tatsachen dea Talbotacben Ge- 

aelaea. Pflttgera AioUt fttr die 'geaamte Physiologie. Bd. 100. 

S. 651—567. 

71) Mey(*r, M., Anditory Sensation in an elementary Laboratoiy Goniae. 

American Journal of Psycholog)-. Bd. 16. S. 293—301. 

72) , Eombinationa> und AaymmetrietOne. Annalen der Physik.' 4. Folge. 

Bd. 18. 8.889-898. 

78) — Theorie der Geräuschempfindnngen. Zeitschrift fUr Psyehologie 
und Physiologie der Sinnesorgane. Bd. 31. S. 233—247. 

74; Nelson, M. L., DifTerences between men and women in the recognition 
of eolM and the poeeplion of aonnds. ^eliologfaal Bevieir. Bd. IS. 
8. 871-888. 

76) Ostmann, F.. Schwingnngszahlen und Schwellenwerte Archiv für Ana- 

toraie und Physiologie. Phygiolofrische Abteilung. 1903. S. 321— 387. 
76] , Praktische Anwendung des objektiven Hünnalies. Verbandlangen 

der Fhysikaliachen Geselisehaft 1908. 8.840-846. 
77} — , Amplituden der Edelmannschen 0- und G -Gabeln als objektives 

nsrmaß. Vi rliandlungen der dentschen otologiaehen GeaeDsehaft 

1903. 12. Kongreß. 8.41—45. 



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Litentorberioht. 



47 



7m Ottmaan, Qnaatilidv» HSmeinuigm mit obj«ktfT«n HBrntO. AreUr 

fUr Ohrenheilkande. Bd. 69. S. 137—144. 
79j , Über Erweiternng meiner HörprüfangBUbellen zu Empfindlichkeit»- 

tabellen des Bcbwerhürigen Obres. EbendA. Bd. ^. S. 48-62. 
80/ , Ober eine nomlette StfaBiagabelrelhe ab aUgenein gUltiges objek- 

tiT«s Ensnaaß. Ebeida. S. fiS— 73. 
81) , Rprichtigung zu der Arbeit von Strayken: »Bestimmung der Ge- 

hört^obärfe in MikiomiUimetern«. Zeitechrift fttr ObrenboUkiiade. 

Bd. 47. S.277— m 
88} , KriÜMli-ftcperiBiaotelle Stadien an Beablde Uatenadiiiiig«!! ttbar 

EnocbeolaitaB« aad SehallaltnigMppaiat Ebenda. Bd.^. 8.881 

—343. 

88) , Über die öchwiugangsfonnf'ti des Stieles der Edebuanuschen 

Stmungabelo. PbyBikAliBcbe ZeitHckrift. Bd. 6. 1904. 3.825—328. 

8A) Qaix, F. H., Beetiiamiuig der Haieehirfe mit Stimmgabeln. Verhaad- 
langen der denticheB otologieoben Oeeelliohaft 190A. 13. KongieB. 

S. 93-100. 

86) , Dötennination de l acuit«- auditive pour les soua chucLotcs et pour 

ceux de la parole. Annales des Maladies de rOreille, du Larjnx, 
da Hei et da Pbaryaz. Bd. 80!^ S. 884—847. 

8Q , Beaierkungcn zu ikn Arbeiten von Prof. Ostmann: »Scbwlngungs- 

zahlen und Scbwelleuwerte« und »ein objektivee HOrmaß«. ArebiT 
für Obreabeilkonde. Bd. 63. S. 118-133. 

87) , BeatiflimaBg der GeMrMliirfe auf pbyrikaUeeber Grandlage. Zelt- 

eebrift fttr Obreabeilkonde. Bd. 45. 8. 1—81. 

8^ ^ — , Die Stimmgabel als Tonquelle in der Otologle and Physiologie. 
Ebenda. Bd. 47. S. 323-370. 

89) Die Empfindlichkeit des menschlicben Obres. Arcbiv für Anatomie 

and Physiologie, Physlolog. Abteilang. 190K. Sappl S.880--888. 

^809 , Die Schwingungsformen eines gabelfürmig gebogenen Stabes, der 

Stimnif^abel und des Stimmgabelstieles. Onderzoekingen Physio- 
logiscli Labor. Utrechtsdie HoogeschooL 6. Beeks. YL Deel 
1. Afl. 1905. 

t91) 1 De Bepallng der Gehooreebeipte door Beengdeidiag. KUnieebe 

Inlciding. Nederlandeehe Tijdsebrifl voor Qeneeekande. 1908. 

Tweede Helft. Nr. 1. 

t98) ~ — , Over de intenBiteit van bat geluid eener stemvork, zooals dit 
afhankelijk is van amplitude en afstand. Onderzoekingen Physio- 
logiseh Laber. ütreohteehe HoegesebooL 5. Beeks. 

.88} — ~ and Minkema, Die Empfindlichkeit des Ohres für die Tdne ver- 
scInrMlr^ner Scbwlngungszahl. Arcbiv ^!r Anatomie und Pbysiologiei 
Physiologische Abteilung. 1905. Suppl. S. 306—319. 
94) Beater, C, Beitrag aar FrUfang der GehOrsebUrfe mit der Flfletoatimme. 
Zeitsebiift fttr Obienheilkande. Bd. 47. S. 91-99. 

.96) Bosenbach. 0., Das Tick-Tack dor Uhr in akustischer und sprach- 
physiülotriacher Ftexiehung. Zcitscliritt Iii r Psychologie und Physio- 
logie der Sinnesorgane. Bd. 33. S. 81—90. 

' 9(^ Samojloff, A., Zwei akoatlBobe DemonatratioBen. Zeltsobrift flir 
Psychologie und Fbjalologle dw Slnneeoigane. Bd. 86^ S. 440 
■■■ 44 6. 



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48 



literttturbericltt 



97} Sehaefer, K. L . Der GtohOniiuL Kis«Ii Hudbaeh der Phyaldlogie. 

Bd. III. S. 476- 588. 

96} > Über die Eneogang physikalischer Kombinatioafitöne mittel« des 

StentortelephoBi. Amulen der Physik. 4. Folge. Bd. 17. S. ö72 

99) 8«hwabach. Anatomischer Befond an TaabstQmmeidabjijaidieil* Zel^ 

se-hrift fttr Ohrenheüknnde. Bd. 48. S. 293- 306. 
100; Seashore, Aäoand Perimeter. Psyehologicai £eriew. Bd. 10. S.64— 68. 
101) 8l«ireking and Bebn, AltMHidM> üaietniidiiiagan. Annaleii der 

Phyetk. 4. Folge. Bd.l& S. 798-814. 
109) Stro^'kcn, Bestimmung der (rehtirscbärfe in MikromlllfaMlen. Zdfr- 

scUrift nir Olirenheilkunde. ?>'\ W. S. 378— 385. 
flüäj , De Bepaliog der Gehoorscberpte door Beengeleidiag. Neder- 

lasdeebe Xl^eebrlft Yoor Geneeaknnde 190R. Tweede Helft. 

Nr.l. 

104) Stumpf. T'ber znaammcnirf^sot^fc Wcllenforinon Zeitachrift fÜT Psycho» 

lo^'ic Physif'lnpi' dtT -Sinnesorpane. Bü- .iv*. S. 24t — 268. 
lOö) Tomiugü, Eine neue iheune de« Hürens. Zentraiülatt für Physio* 

logie. Bd. 16. 8.481—468. 
108) UrbantäcliitBch, Über die Lokalisation der Tonempfindnng. Fdllgert 

Archiv ftlr din <;es.iiDte Physiologie. ]Ul. 101. S. 154 — 182. 
107} , Über methodische HOrtibiuigeii. Deatsche Klinik. Bd. VlIL 

8.878-312. 

108) Vili, E., Ober den Wert der BOMbnagen bei TuantnflUMtt. KoMHa- 

schrift für OhrenheDkunde. Bd. 37. S. 490-513. 

109) Wache mnth. H.. Scbneidentiine und Labialpfeifen. Verbaadhugen der 

Physikalischen Gesellschaft 1^. ä. 2in»— 302. 
HO) LeUalpfeifin «nd LamelleiitOne. Amelen der Physik. 4. Folg«. 

Bd. 14. 8.469-606. 
III) Wnnner. F.. Fnnktionsprilfangen bei I.abyrinthnekroee nnd einseitiger 

Taubheit. Verbandlangen der deotacben otologiacben GeaeUschaffc 

1903. 12. Kongreß. S. 32— 38. 

118) WntsttJ i, 8., Ober die VerteOniig der elastbehea Feaem im GebOroigu. 
Zeitschrift fUr ObrenheUknnde. Bd. 47. S. 142—146. 

113) Webster. On the mechanical efBrirnrv of the production of aosad. 

Festschrift flir Ludwig Boltsmann 1904. S. 866—875. 

114) Weerth, Über Lamellentüne. Annalen der Physik. 4. Folge. Bd. 11. 

8. 1088--1060. 

116) Werndly, Äquisonore Flächen rings um eine tönende Stimmgabel* 
Archiv flir Anatomie nnd Physiologie, üiyiiologieohe Abtettnig. 

1904. S. 291— im. 

116) Whipple, G. M., StwBM fat Ffiflb DiieiiBilaalioii. Ameiiesn Joonal 

of PiyeholQgy. Bd. 14. 8.668—678. 

117) Wien, M., Über die Empfindlichkeit de« nf^nechlichen Ohres für Tüne 

verschiedener ElShe. Pfltigera Archiv tiir die gesamte Pfayaiologie. 

Bd. 97. S. 1— 57. 

118) , BemerkmigMi in Zwnardennker nnd Qnlx: Ober die Enp&ndlieh- 

keit des menschlichen Ohres fUr Tüne verschiedener Höhe. Archiv 
f^ir Anr'fomie nnd Physiologie, Physiol. Abteihing. 1904. SnppL 

S. 167— Ibl. 



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littntiiilMrieht 



49 



119) Wien, Ein Bedenken gegen die Helmholtzsche ReBonnnztheorie des 
HOraae. Fettaehrill Ar A. WUHiier. 1906. 8.88-86. 

180) , Te]( pbunplatten mit hohen EigentOmen. Aimria» der Flijgik. 

4. Folge. Bd. 18. S. 1049—1053. 
181} Wiersch, IJber die deutliche akustiacho Reproduktion nntrr dem Ein* 

tluBne der Eigeutüne, sowie Uber Membranen znr möglichst dent- 

lieben Wiedergabe der Spinebe. Aannlen der Pli^iik. 4. Folge. 

Bd. 17. 8.999-1004. 
18Q Zenneck, Reagieren die Fische auf Töne? PflUfen AmUt Ar die 

gesamte Physiologie. Bd. 95. S. ?i4fi-3,V; 

183j Zimmermann, G., Über den physiologischen Wert der Labyriuthfenster. 
Arohir für Anntomie nnd Physiologie, Physiologische AbteUnng. 
1904. 8tt|ipl. 8.198-808. 

184) , Nat'bträgliche Betrachtungen über den physiologischen Werft der 

Labyrinthfenater. Ebenda. S. 409-416 und S. 488-490. 

126) — . E.xperimeutelles über Schalleitung im Ohr. Verhandlungen der 

deutschen otologischen Gesellschaft liK)4. 13. Kongreß, ä. 75—78. 

196) , Cnriditigo SehNbM am SthnngnlMlTennchen anf die Funktion 

dee ■ogeonnnten SehalleitnngmppnniteB. Zeitoebrift Ar Olirealieil- 
kunde. Bd. 46. 8.377—382. 

127) Zwaardemaker. Sur la sensibiiito de l'oreille aux difft-rentes hMteon 

des aons Annt'e psychologiiiue. Bd. 10. 8. 161 — 177. 
128/ , bie Emptindiichkeit des Ohres. Zeitschrift für Psychologie und 

Physiologie der SImiesoisane. Bd. 88. 8.4QL— 488. 
189) 8ar 1« eeniibUiti relative de ToreOle hnmaine pont dei eone. de 

hantcnrs difft^rentcs mc8urt''e au nioyen de tuyaux d*oi;g;ne< Arehivee 

internationales de Laryngologie. 1905. S 1—7. 

180) , Over het physiologisch Oorsuiiteu. Nederiandsche Tijdschrift voor 

Geneeaknnde. 1906. 8.671—679. 

181) ~f Eeno aanschonwettjke voorstelling van het toongehoor voor normale 

en pathoin^rinrhe gcvallen. Ondersoekingen Phyaiologiaeh Labonp 

torium. hUi. 8. 21—37. 

1^) , Über den Schalidruck im Cortischeu Organ aiä duu eigeatlich«a 

Geh<)rsrds. ArehiT Ar Anatomie nnd Hiyaiologie, PhyiiolegiaeiM 
Abteilung. Suppl. 1905. 8.194—188. 

185) ■■ , f^ur I;i proBsion (Iph oridee j*onorep (\nnf> Vorbaue de Corti. Archives 

U4-erlaudaisea des sciences exactes et naturelles. ISOö. ä^rie II. 

Bd. 10. S. 496-664. 
18^ — , Het onderadieidingaTemiegen voor tootdateoalteitaii Tolgaiia 

juoefneoungen van den Heer Ä. Deenik. Koninklijke Akademie 

van Wetenschapen Aujpterd.ira. 1905. S. 396 — 400. 
185) , Die physiologisch wahrnehmbaren Energieänderoogen. Asher und 

Spiro, ErgebniaaetePl^yriologie. 4. 1906. «BehalL) 8.487—468. 
13Q — md QniXt OppertlakkA Ta» geiyke gelnideterkte om een 

stemvork. Onder^oekingen PhysiologlBeh LabofStOfinm, ITtreehiV. 

Beeks ilL I9ü3. s. 330—341. 
137) , De gevoeligheid van het menaohelijk oor voor de ver- 

aehinende tonen der toonladder. Ebenda. Beeks IV. 1908. 

8.904-881. 

Inblv ft» P^Mosli^ Xm. UtaMtar. d 



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60 



UlBnrtwlMriflht> 



138) Zwaardemaker und Qaix, Spraakgehoor. NedarlaadBehe Tijdschrift 
Toor GemaMkmide. 1901. S.UO— W7. 

IM) , Ober die Empfindliclikeit des menschlichen Ohres für T8m 

ver<irhieriener Ilühe. Archiv fUr Anatomie and Physiologie, Phyaio* 

logiüche Abteilung. 1904. S. 25—42. 

Die mit f bezeiclineten Abhandlungen waren d«»m Reffrenten noch nii ht er- 
reichbar. Über Krnegers Arbeit (67a] »oU nach ihrem Abschluß im Zu- 



Als ich et vatemahin, fiber die Nemenoheiirangeti der Akustik in Sammel- 
referaten zu berichten, hatte ich zunächst die Absicht, die Jahre 1903 — 1907 
zusammenzofssnon ; es zeigte sich aber bald, daß schon die Jahre 1903— 1906 
eine solch reichhaltige Literatar gebracht haben, daß eine Trennung erforder* 
lieh wftr. Obwold die Olienieht für 1909— 190l( 1B9 Nnrnmem unfiUSt, ist 
68 doch nidit aasgetdiloBieB, daß mir sinige AnftXlio enlgugen sind; 
einige andere waren mir nur in Referaten, ja andere flberhanpt noch nicht 
erreichbar. Es darf wohl deshalb hier die Bitte ausgesprochen 
werden, Sonderabzüge von einschlägigen Aufsätzen aller Zeit- 
■ehriften der Redsktion gUtigst snsnaenden. 

Aach das Jahr 1903 ist nicht vollständig aufgenommen worden, sondern 
nur, soweit die Arbeiten nicht mehr von Sekftfer in Ksgels Hsndbneli 
der Physiologie, III, 1, genannt sind. 

Inhaltsübersicht: Theorie der Geräusohemphndungen. Unterschieds- 
mipfindHflkkeit flu Gkrtosokempindimgon, illr TonkOhen, für Toutiiken. 
Istenri^tsaehweUe nnd HSnehlrfeprOlkng. »Ausdehnung« d€ff Tonempfindnng. 

Psychisches Moment beim Hüren. Anatomie des Gehörorgans. Ph^-siologie 
des Gehörorgans und Schalleitung. Hürtheorien. An- und Abklingen. 
Oiirgeräusche. SchallokAiiBaiion. Physikalische Klangerzeugung. Analyse 
und Synthese yon Sdi^gungea. Physlkaliselie Klsngserlegung. Physi- 
kslisohe Komblnstions- und AiymnetiietOne. Besomua. 

Bezüglich der 

CMvaekeBpfadugui 

ist zun&chst von Max Meyer (78) mf eimge Tstssehen hingewiesen worden, 

die — wenigstens in diesem Zusaramenhangc — von p83-chologen bisher 
nicht genn:x p'ewllrdigt worden sind, und deren Nutzbarmachung auf tlea 
Fortschritt m der psychologischen Theorie der Geräuschempfindungeu nicht 
oimo ElnfloB ist 

Eine Theorie der Geritttsohempfindungen hat vor allem zu untersuchen: 
Ist ein Gerlinsch in irgendeiner eine Kompo.sition von Tönen öder 

etwas von Tönen weseatliuh verschicdenca';' Dabei muß man aber zwischen 
objektiven Tönen, d. L Sinnsschwingangen, nnd subjektiven Tönen, d. h. 
Tonempfindnngen, streng scheiden, dnnneh Meyers Ansidit beide dnrohnns 
nicht parallel laufen. Femer Tenmeht bt die Frage zu beantworten, ob Ge- 
räusche mit demselben Sinncsapparat empfunden weiden wie Tfine^ oder ob 
für Geräusche ein besonderes Sinnesorgan existiert. 

Meyer defniert nnn «bweiehend von Stnmpf, dessen Ansduuinngen 
▼oiUegende Arbeit besondsn kritisiert, Geriniehe nls niehts sndfltes denn 



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Lüentntbeiieht 



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zäbireiche gleichzeitige Töae iu latervaileu, die betiäcbtUcbe Unregelmäßig- 
kfliten de« Klanges bedingen. 

Diese Unregelmäßigkeitsi des RUnges entatehen darch die piiadbeB 
nnd sekundären Sclnvebun^en, die sich bei luelir als zwei Tönen so knmpü- 
zieren, daß voa etueui Rbythmas der Öchwebangen kaum noeli die iieüe 
sein kann, obwobl ein eoieher im nuitbematischeB Sinne natürlich existiert 

Dn»D, dftO ein Gerioseh eise gieße Zahl gMeliaeitiger Ttfae iat, kann 
man im Gegensatz zu Stumpf sehr wohl feathalten, wenn man unter gleich- 
zeitigen Timen physikalische Töne versteht, aber andererseits bedenkt, daß 
dieae Theorie oioht für alle Geräoache gilt, da man Geräusche aooh noch 
■nf aiHleie Welae kervorbringen kna. Feyolioloiieflli iriehtilf ist der Dm- 
ataad, daß wir dann nicht nur ^eiohxeitig Tonempfindnafen haben, eondem 
auch einen raschen Wechsel der Empfindungen. 

Auch die zweite, von St um pt' verworfene Definition: Geräusche sind 
sehr zahlreiche, sehr schnell aufeiaanderiolgende Tüne Tertchiedener Höhe, 
llitt iidi ftathalten; nnr mnß man anter TVnen enbjeictlve TOne, d. Ii. Ton- 
empfindongen veiatelien nnd im Auge behalten, daß ein derartiger stelifar 
oder nnetetiger Wechsel von TonemptinduTigen öl>jektivauf zwei verschiedene 
Arten hervorgebracJit werden kaiju (iuii li Linen entsprfchpndon Wechsel 
objektiver Tüne oder durch eine Aux^aiii ^leiuhzeitigcr iünu iu latervaileu, 
die iMtiiditlielie Unregelmse^keiten dee Klanges bedingen. 

Gegen eine dritte der objektiven Entstehnngsweisen, nämlich durch 
Einwirkung einer einziprn T,nft^vel1e auf das Gehörorgan, lassen sich iro- 
wichtige Einwände antuhreu , bei dieser Art der Erzengang sprechen jeden« 
falls BefiexionsweUen sehr stark mit 

Die Beontworton« der zweiten, oben geeteliten Frage lit eehr elnfi^h, 
wenn wir annehmen, daß Irgend zwei direkt anfeinanderfolgende, auf irgend- 
einen sensiblen Punkt des Gehörorgans ausgeübte Drucke eine Tonempfindung 
verursachen künnen, wenn wir also die Besonanzbypothese fallen lassen. 
Dann begreift tieb die Komplndtlit der Empfindung sogleioh aoa der Korn- 
pleutSt der Welse, in wdeher die B^nngen, die physikaKuehen Dmok- 
ändemngon in einem Falle, wie bei der i^ehaeitlg angeaefalafenen ganien 
Klavieroktave, aufeinanderfolgten. 

FUr Meyers Theorie spreche übrigens auch, daß verschiedene sehr 
«ohaeU anfdnander folgende TOne (Xhnlieh Akkorde von extrem Inner 
Dauer) ungettbten Beobachtern geräusehartig ersehenen, nnd zwar nm so 
übsger, je dissonanter die benutzten Tr>ne sind. 

Schließlioli erklart Mayer noch, das Urteil, ein fler-insch sei heller ofi^r 
dumpfer als das andere, beziehe sich nicht auf die i ouhuhe, sondern auf die 
Klangüirbe; denn er nimmt mit Stumpf für einfiiehe Ttfne awti den 
Schwingungssablen parallel lanfnude peydiologiedie Merkmale an: TonhShe 
nnd Tonfarbe. 

Auf den oben erwähnten ivlavierversiuch Helmholtz' stützt sich 
anch Lucae (61), dessen Einteilung sich nahezu mit der Meyers deckt Er 
nntersehetdet nMmUeh mnalkalleche Oetlasehe, weiche gewiesenaaOMi den 
Übergang von den Klängen zu den Geräueehen bilden, und spezifische Ge- 
räusche, welche sich von (ifn musikalischen (leräuschen durch ihre Farb- 
iMigkeit auszeichnen; denn ihr Grundton ist durch das Chaos der ihn be* 
gleitMden anderen TOne Terdeekt, nnd swar so, da0 die einadnen Kompo- 
nenten des GeiSaadiei In gewissen Flilen ^eiehmlffig vertettt ersoheinen, 

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LitantartMrieht 



während dieselben in nnderpri Fällen einen ptoten Wechsel zeigen, also ein- 
mal dieser, das andere Mal jener Ton vorherrscht. Die Tonhöhe läßt eich 
deahalb nur im Vergleich mit anderen ähnlichen Geränachen einigermaßen 
bestimmen. 

N«1mii den meist kontimiierKeheii Gerihtidwa begegnen wir »neb eiier 
Ifenge intenidttiereBder klopfender Geiimsehe, nnd gerade bei diesen leigi 

sich sehr gnt die charakteristiBche Erscheinang, daß sich ihre Tonhtihe nor 
dnroh Vrrn^Icirh mit darauf folgenden ähnlichen Gerän^chcn fV?t?tellen lißt 

Zwischen moaikaliächen und Bpczifiachen Geränschen hntien sich natür- 
lich Übergänge, nnd zwar erscheint ein Geräusch am so tarblo&er, je weni^r 
TOne sich ans demselben hervordrängen und je schwieriger et ist, seine 
Holie bftw. den Gnindton henneinbOreB. 

Überhanpt ttegt fllr Lncne das Cbankteifetliebe der Gerinsehe darii, 
daß der Gnmdton ein labiler ist und mit der Entfennng der Schallqnelle 
von nnserem Ohr wechselt ■ f»o rwar, daß er nm po li"her erecheint. je mehr 
wir ans dem Geräusch nähern, um so tiefer, je mehr wir uns von dema^ben 
entfernen, wie Lucae an den verschiedensten Geiünschen nachweist. 

Diese Erscheinang ist, wie Lncae anführt, in der eohon oft beobadh 
toten Tatsache begrBndet, daß wir tiefe T9ne welter hllren als bohe, mO 
)ene gegenüber der größeren physiologischen Eneigie der hohen eine giOOeie 
physikalische Energie besitzen. Neben dieeer pbyBihaUsehen |^ Hela- 
}jolt7 noch folirende physiologische Erklärung^. Je weiter wir uns von der 
Schallquelle entiernen, desto weniger wird dif^ Aktion des tensor tjTupani 
bzw. die Kesonanz des äußeren Gehürganges und desto mehr der Grundtoo 
dee Mittelohrea in den Vordergnmd treten; nnd schon die anatomiedm 
YeihlUtnlwe dee Mtttelobree wdaen dimnf hin, daß wir in demaelben ge» 
wissermaßen einen Resonator für Gerilneehe besitzen. Hierfür spricht aoeh 
der Umstand, dal3 wir diese tiefe Resonanz des Ohres dadurch erheblich er- 
höhen k*»!irtpn, daß wir die Hrihlhand. nm Itpsten auf beiden Seiten hmk'T 
das Ohr legen, wobei die Ohrmuschel eine trii htcrt Vriui^'^o Vergrrößeruug «t- 
fährt: sofort hört mau dabei die hüheren (icräusche stärker herrortreieQ. 
wibrend die tieferen keine weientUohea Yeritndemngen erfehren. 

Was endUeh das Peraeptionsorgan fllr Geilosehe betriJÜ, so sebeint ika 
für die mosikalisdien die Schnecke zu genVgen, während er, gestQtzt lof 
Beobacbtun^'en. ftlr die spezifischen ein besonderes Organ des Labyhntbes 
beansprucht. oHtk" diese» Organ jedoch zu nennen. 

Tn diesen Aböchnitt frehürt noch eine Arbeit über die Erzeugung eines 
Geräuttches, nämlich des Ticktackes der Uhr [B5]. Da die Form der beiden in 
die Zahnlfiekea eingreifenden Arme des Ankers und die Große nnd Fom 
der Zihne des Steigiadee die gleiche Ist, so kson der Üntersehled nichi is 
der BeschafTetiheit des echallerzeugenden Materials liegen, sondern maß, so 
unwahrscheinlich eine solche Annahme auf den ersten Hlick erscheint, ton 
einem Wechsel der Form der Schallerrefrun^. also von einem Unterschie<i'' 
in der Kraft oder Form des Zusammenwirkens abhängen. Diese ist in der 
Tat grundvejrschiedea. Dadurch nämlich, daß der Anker sicli über dfisi 
vertikalen Dnrehmesser des Steigrades befindet, nnd ehi Arm eine ZefaBMei» 
des obersten rechten, der andere die des linken Qoadranton trilll, werden di» 
Bedinpnnfren für die Schallerregung ungleichartig; denn je nach der Riehtssf 
der Raddrehung wird in einem Falle der aufsteigende, im anderen der ab- 
steigende Teil des Bades mit dem betreffenden Arm des Ankers susasuseo- 



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literatttcberiobt. 



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tnttUL El mtlMeii also zwei v«ndii6deiift akuitiieli« BM«U»to entitdieB, 
nd iwar wird im ersten Falte der Ton heUer imd adiiifer akieBtoiert, im 
sweiten dampfer, länger aoegeiogen iein. Da der Anker sich ungakehrt 

beweget, wie das Pendel, so vernehmen wir bei der Kechtsschwingang des 
Pendels d. h. beim Eingreifeu des Ankers in deo aufsteigenden Teil des 
Rades) das Tick, bei der Bewegnng^ dee Pendels nach links (Wirkung des 
Ankers auf das absteigende Zahnrad; daa l ack. 

]>a0 daa Tiektaek nur von* der Biehtang der Baddzehmig abhlngig ist, 
Tennag aehUeßUeli Boaeabaeh noeh auf swei Teraohiedeiie Arten la de* 
menatriereii. 

Anßer dieser Theorie der GerSaschempfindongen tritt nenerdlngs noeli 
du änderet Problem in deit Yordeiigrand, die 

l'ntersciüedsschweUe für GerAnschempflndungen. 

In den von uns betrachteten Zeitraum fällt jedoch nnr eine elniige 

Arbeit von Hoefer (62). Dieser arbeitete mit dem Scballpbonometer, be- 
nutzte jedocb nur eine Stange, damit die Kugel stets wieder auf denselben 
i'aakt fieL Zur Berechnung wandte er die Fechnersche Methode an. Die 
Zdtfidüer wurden durch, die Methode der »voUkommeueu Elimination« be- 
Mitigt 

Naeh Hoefera ünteraneiinngen wirkt der abacdnte Eändmek dea iweiten 
Bauea iror allem bestimmend auf das Urteil ein, und besondere noch» wenn 

dieser zweite Reiz der Vergleicbsreiz ist, w.'is mit meinen eigenen Versochen 
doch nicht ganz übereiuptimmt, mindestens nicht für alle Versuchspersonen. 
Um diesen Fehler auszubchiießen, nahm Hoefer statt eines reellen Haupt« 
reizes eineu virtuellen, d. h. er wählte je zwei Schalliuteusitiiten, deren eine 
abenaoweit unter einem gedaditen mittleren Reis Hegt, wie die andere ober- 
halb dieaea mittleren Beiaea. 

Die Fälle traten ziemlich oft auf, und zwar, außer bei absoluter 
Oleichheit besonders infolge einer augenblicklichen Erschlaffung der Auf- 
merksamkeit und, ungeachtet maximaler Aufmerksamkeit, vieltach auch in- 
folge UndeutHehkeit des Empfindnngsnntersehiedes. 

Die bei der Fechnerscheu lierechnung^weise sich ergebenden GroGeu A 
nahmen ab bei annehmendem (7, nnd iwnr ao, daß das Produkt h 0 nahexn 
keaataat blieb. 

Bei einer graphischen Darstellung senken sich die linien der f- und 
sonderbarorAveise auch die der gl'FSXie (proaentnaliter angegeben), wShrend 
die der r- Fälle steigt. 

i^epression beeinflußt, wenn die Versuchnperson Selbstijeherröclmui; 
genug hat, um aufmerksam zu bleiben, die Unterschiedsempfiudlichkeit viel 
wealger ala der Znatand der Ermtblnng. 

Von einem abaolaten Eindmek kann niebt mehr die Bede aeln, wenn 
•ehon ein anderer Eindruck TOrhergeht 

Durch Vergleich der Gesamtreihen von IT oc fers Versuchen zeigt sich, 
dab auch bei den meisten (Geisteskranken die akustische Unterschieds- 
empändiichkeit sicher bestimmt werden kann. Doch ist zur Austichaltuug 
atfiOliger Fehlerquellen uach seiner Ansicht eine sehr große Reihe ?on 
Einaelvennehen notwendig. 



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literatnrberieht 



ünt«ndil«4MmyiBdltekkett Hr TmMfem« 



Bort gHeh dar üntewdiiAdteispiiidlidikett flf TuMttm Mi eiaa AiMI 
TOD Whipple (110) erwShnt, die tleb mit swei nonnden fUSkn beiehllligt 

Im einon wurde oin typisch iinmnpikalisoher Beobachter untersucht, und 
zwar mit folgendem Ergebnis: Unter gewöhnlichen Bedingungen konnte die 
Versnohaperson TonhOhenonterachiede von weniger als drei Schwingung«! 
in 75 9< der Yenmche genau natenebeideai ; aber wenn die HeiM ▼erhUtnii- 
niiiOig tief waren, wenn sie ohne vorherige Ankündigung gegeben wurden« 
wenn das Zeitintervall zwiHflien ihnen mehr a!^ 4 orlrr 5 Sfkundeii hrfm^', 
wenn sie zu kurz oder in v.n schneller Aufeinautiertuige gCf^i In n ^Minitii, 
wenn sie von uugleiclier Intensität waren, oder endlich, wenn »lu gieicii- 
seitig mit einem mehr oder weniger Shnliohen Reize zeeammen dargeboten 
Würden, dann wurde die Unterscheidang entweder schwierig oder ganz un- 
m(»glich, und sie blieb sogar nnmögUcli, wenn der Untenobied ein oder awei 
Oktaven und noch mehr betrug. 

Der andere Fall nnterancbt das absolute Tonbewnßtsein. Dabei konnten 
Urtette Aber die TonhOhe towohl tnttrnmentaler nie Tolceler Klinge Abge- 
geben werden, doch ist das letzte schwieriger. In allen Fällen erfolgt das 
Urteil direkt, cehr schnell und in AusdrClcken einer viguell-uiotorischen Vor- 
stellung, die sich auf die Klaviatur de^ IManos be/Jeht. In günstigen Fällen 
können nnf dem Klnvier TOne in ungefähr 92 ricbtig mitenehieden 
werden, die ftlsehen Urteile belieben rieb dnnn mtnt nnf HelUtfaie nnd 
nbersohroiten niemals einen ganzen Ton. Wenn die Klangfarbe des Tones 
etwas ungewohnt i.nt, nimmt die (renauigkeit dca Urteilen ab am genanesten 
ist sie in der ein- und zweigestrichenen Oktave. Ferner war die Yp. ancb 
in der Lage, angegebene TonbOben mit großer Oenanigkeit sn reprodnsieren. 



Ee Idclbt nun nocb die Fknge in «Orten, wie lieb die Unteiecluedi- 

schwelle eines Tones mit dem stetigen Wachsen oder Fallen der physikalischen 
TuteuBitUt vtTÜTidf'rt. Leider sind die Arbeiten darüber durchaus nicht 
zahlreich; inuorlialb des von uns besprochenen Zeitraums liegt nur eine Mit- 
telinngTonZwnnrdemnker (lt4) Uber Tersnf^e von Deenik, einem seiner 
Schüler, vor. 

WirMi h:ttte als UnterschiedBSchwclle gefunden flir a im Mittel 
22,5^, lür 17.6;.' und Air a' 14,4 Decnik dagegen erhielt für 
c> 33,2 fUi- c' 2^,3 % uud für li),ö % durch Versuche mit Stimmgabeln. 
Außerdem benntite er noeb Orgelpfeifen nnd nntenncbte damit die TOne e 
und g von der großen bis zur sechsgestrichenen Oktave. Dabei zeigte sich, 
daß die Unter^clnedöschwelle von -'^ 2 :4] bis <■* 8,5 nftlic^n stetig ab- 
nahm nnd dann hin (18,8 X) wieder stetig anstieg. Aus den Stimmgabel- 
versuchen folgt außerdem noch, daß für die untersaobte Mittelstrecke nnd 
lebwaebe Intensitftten das Web ersehe Qeaeti mindestens niebt im vollen 
Umfinge gOltig ist 



Da« Hauptprr'hlera der Schallinten8it;it jedoch ist ilire ftbsolnte Messung. 
Eiüeu Vorsciiiu,g einer solchen luaciit Altberg ,ö;, der einen Versuch 



UsteneUedseinpfindUehkeit fir Teaftiikea* 



IntensItAtssch welle nnd HdrscbärfeprOfang. 




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Liteifttarberidit 



utttiODflMn htAf die Dnekkiille der SehaUweUen mit Hilfe der reHek- 
lOfiidMii Meiliode «i «ntenaelien. Es üben oäoüicli rieh frei taebrritende 
Sflluülwelleii auf die reßektierende Wand DnieUuitfte ans, welche den 

Maxwell -Bart oliscben des Lichts vollkonnneTi analog sind; daher läßt 
»ich durch MesBiing dieser Druckkräfte der Schallwellen die Schallintünsität, 
wie es Lord ßayleigh aagegeben hat, in absolatem Maße bestimmen. 

Femer kennen wir dieses Problem nicht behandeln, ohne auf die Pole- 
■ik swieehen Haz Wien eineneiteiindZwAardeiiiAlLer undQniz uderer- 
ttitM einngelien» 

Ee liatten machst die beiden letztgenannten Forscher eine Abhandlung 
über Schwellenwert und Tonhöhe veröffentlicht Archiv für Anatomie und 
Physiologie, Physiologische Abteilung. 1902. 8nppl. und außerdem eine 
Arbeit in holländischer Sprache il87). In dieser wird die Energie einer aus- 
klingenden and belasteten Stimmgabel nach der Formel von Wead berech- 
net, doeli eeteen eie etett <f* dae empirieefa gefimdene aU >. Um die Energie- 
aenge sn bereclmen, die in nnaer Olir gdKogt, sind Tor allem iwei Ponkte 
la beachten. Zunächst, nm die anigitandte Energiemenge za finden: 
1; Wieviel Zeit oder wieviel Schwingungen sind nötig, um den Ton als 
solchen gerade noch zu erkennen. Da nun diese Menge zwei Perioden be- 
tragt nach den Unterauebungen von Abraham und Brühl (Zeitschrift für 
Psychologie und Physiologie der Sinnesorgane. Bd. 18j , so braucht man, 
am dieae Energie an finden, nnr die Energie an berechnen, welche dte 
Stimmgabel beim Venchwinden ihres Tonea beaitat, nnd dieae abmiieiiflB 
▼OB der Qnantität, die sie zwei Perioden frUher besaß. Der Unterachied iat 
dann der i?e«n<'lire Betrug. Die zweite Frage ist: Wieviel von dieser Menge 
wird durch das Stethoskop in unser Olir geleitet? Die Antwort hierauf ist 
außerordentlich schwer zu geben. Zwaardemaker und Quix nehmen nun 
^ daß der Teil, der in unser Ohr gelangt, fUr aUe Stimmgabeln der gleiche 
aei, was doch vielleieht niebt ganz richtig iat. Für höhere Oktnven haben 
aie, da alle Gtebela gleich gebaut aelen, awei gedeckte Oigdpfeifen nnd die 
Galton-Ffitife von Edelmann benntst Damit stimmen die Zahlen von Wi ens 
Telephonversnehen ihrem nlltremeinen Verlauf nach tibereio, doch ist bei 
Wien die Emptiudli« iikeitszone minder breit und das Maximum zwischen 
nnd e*, während es nach den Versuchen von Zwaardemaker und Qniz 
awiachen und liegt. Dagegen stimmen die Ton Wien berechneten Be- 
tilge der Sohvellenenergie, in abaolntem Maß gemeaeen, durchaus nicht mit 
denen der beiden HoUSnder ttberein. 

Aaf diese beiden Arbeiten stützt nnn beeondera Qnix aelne Abband- 
loaif, deren Tiih?i!r knrz folgender ift: 

Wenn er diü Schallstärke proportionui der 1, 2^«" Potenz der Au^plitude 
und umgekehrt proportional dem Quadrate des Abstaudes annahm, ergab 
aicb für das Minimum perceptibile ein konstanter Wert; nur wenn der Ana- 
achlag ao gro0 genommen wnrde, daB ObertOnen nnd Besonans nicht mehr 
▼oigebengt werden konnte, erwiea eich dieae Hypothete nicht mehr branehf 
bar. Bis auf einen Abstand von etwa 40 cm abtt neigte aicb auf Gmnd der 

Empirie das \>rh:tlfni8 a^-- : <P ex-jkt. 

Unter Benutzung dieser Krgetjuisso hat nuu Quix Messungen vorge- 
nommen (87} mit der Hartmannscheu Gabel C i, der Edelmannsch^ 
QabehiC, c und, unter Zuhilfenahme einer mathematiachcn Theorie, c^, da es bei 
Stimmgabeln bOber ala c nicht mOglich aei, daa Hinimom optiaeb an meaaen.. 



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UtenUorbericht 



Bei gegemeitiger Yeqgleiebiiiig der Elehuag Tenchiedflner StünogalidB cr> 
tehebit -etne merkwürdige Tatsaelie, weldie bis jetst in ohrenlnlSehee 
Kreisen nieht beachtet worden ist nänilich diese: dsiß die Unterschiede der 
ScbaUintensi fHt zwisf'lien der Reizschwelle und dem gruGtf^n (erreichbaren W?rt 
an tieferen Gabeln auffallend gering ist: so ist die grüßte erreichbare In- 
tensität obiger C^i- Gabeln nur 20 mal stärker als die beim Minimum pvt- 
ceptibile, bei C bereits 112 mal, bei c 718 mal and bei nahezu 1000 000 nuL 
Efl bleilit natttrüeh nach wie vor bestehen, daß bei bestimmteii KisnkheitsB 
das Vermögen, den Klang tiefer Stimmgabeln sn bOren» verioren gdhen Inn; 
doeh ist es nach obigen Ergebnissen unzulässig, darans zu schließen, daß 
dief»e TMne vom Kranken unmüglich empfunden werden kfinncn. Es be^tebt 
jedeufallö nur eine Sohwerhürlgkeit für diese Töne, die vielleicht gehört 
würden, wenn uns stärkere Schallquellen zur Verftigung ständen. Die»elbe 
Erscheinung zeigt sich ja auch bei Taubstummen, sowie im Alter. Benatit 
man lur Feststdlnng der Htfrsdilrfe Orgelpfeifen, so maß man benelites, 
daß nieht alle Energie in Sefaall nmgesetot wird, anch nicht beim gOnstigstea 
Lippenstand, und daß das Verhältnis des in Schall umgesetzten Teils zob 
(ranzen nicht bei allen Pfeifen das pleiclie ist Man kann jedoeli. obne pinfn 
ansehnlichen Fehler zu begehen, annehmen, daß, wenn man die Menjce Luft 
und den Druck in bekanntem Verhältnis abändert, die ^chaUstärke sich pro> 
portional verändert. Darauf beruht euie von Zwaardemaker nnd Qaix 
angewandte Methode, mittels wdcher es mdgliob ist, den Ton yon Pftifti 
Uber eine italidi große Skala nnd in bekanntem Verhiltnls abminden. 

Dagegen, daß Zwaardemaker und Qnix sn ihren eingangs erwlhntes 
üntersuclmn-'eu Stimmgabeln benutzt haben, wendet sieh nnn Wien (IIT); 
denn für L utersuchnii'^'pn wie die vorliegende ist die Stimmgabel eine y\d 
zu komplizierte Tonqueiie, und die Schwierigkeiten, welche einer geoaueo 
Bestimmung der von ihr ausgesandten Tonenergie entgegenstehen, dfbftoa 
nnUberwindliehe sein. Die Schwierigkeiten der Unteisnchnng sind ai^t lo* 
woU physiologischer lüs phjrsikaliaeher Natur nnd beruhen in der Bestinf 
mnng der Tonüitensitftt. Nur wenn man die Tonquelle so einfach als 
irgend mt^plieh einrichtet und Pich theon-tiRoh alles flbersehen läßt, ist daran 
zu denken, diese Aufgabe zu lösen. Deshalb benutzt "Wien zu seinen Ver- 
suchen Telephone verschiedener Konstruktion und mißt die Intensität ein- 
mal direkt am Ohr und mißt sie zweitens an der Tonqnelle nnd berechnet, 
wieviel an das Ohr gelangt 

£r findet dadnreh, daß das Maximum der EmpfindUohkeit dee messeh- 
liehen Ohres sich von 1000 bis 6000 Schwingungen erstreckt, also gerade da 
liegrt, wo die ( harakteristipchcn Töne der menschlichen Spvf\< )ie We^m. 
Ferner ergaben die Verbuche, daß die Hürgrenzen davon abhänfji«: sind ■ari« 
starke reine Tüne man zu erzeugen imstande ist, je hoher die Tousurke, 
um so großer ist der Tonbereich, was Ja fUr die tiefen TOne aneh Qnix «lO 
▼ennntet FOr iVi» 60 liegt die Sehwellenenergie bei etwa 3.10^ Eig. Oe- 
iXage es ans irgendeinem Gnmde nicht, stirkere TOne als von 10-i<> Erg. 
annnserOhr gelangen zu laP5Pn, so läge die untere Hörgrenze bei N'= 
die obere etwa bei X— 13000, wKre nur eine Intensität von 5 10 »2 erreicii- 
bar, 8o würde unser Ilrirerebiet »ich nur von 1000 bis 4000 erstrecken. Diese 
Telephoumethode cmptiehlt übrigens Wien auch auf das otiatriache Gebiet 
xn ttbertragen. 

Im Anhang II an dieser Arbeit bringt er dann noek einige Bemerinagsa 



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Litacfttorberieht 57 

n d6D Arbeiten von Zwaardemaker und Quix, nach deren Versachen 
dtf Maiimnin der Empfindliehkeit des Ohres relatiT etw» eine millionmal 
gviflger iet als bei Wlea eelbet Deshalb sneht dieeer die Zahlen der 
errten als falsch nachsnw^en; es seien die Yersachsbedingungen nicht gana 

elnwÄndfroi g^cwesen. und ferner Bei es uicht richtig, die Toaintensitiit pro- 
portional a'>^ au setzen. Die« sei schon aua *iem Grande unmöfrlith, weil 
man beim Übergange zu immer kleineren Amplituden schließlich auf Wider- 
9nioh mit dem Energieprinzip stoße, da der Annahme nach die Stimm- 
9d>eleiiergie P • o», die von ihr in der Zeiteinheit an die Luft abgegebene 
Ene^e « P • a*? ' • 1,000618 sei nnd dann im Lanfe des Abeohvingens die 
in der Zeiteinheit abgegebene Energ:ie grußer werden wUrde als die ttber- 
hanpt in der Stimnio^abel noch vorhandene. Ferner ist fliese Beziehiin!^ von 
Quix empirisch gefunden worden, und Wien scheint. ab<?e8ehen davon, daÜ 
doe groiie Unsicherheit darin liegt, daß die Versuche auf der schwierigen 
Beisiehwellenmessnng begründet sind, die Deutung der fiesultate falsch zu 
Min: die UnregeimiOigkeit liegt nicht in derPoteni der Amplitude, sonden 
darin, dafi das Gesefes von der Abnahme der Schallintensitilt nmgekehrt pro- 
portional dem Quadrate der Entfernung in der Nähe der Stimmgabel keine 
Gölti^keit hat Anoh h;\f Qu ix einen Schirm mit einem kleinen Ilürloch 
zwischen Beobachter und Stimmfrabel gestellt. Es wirkt aber eine gegen 
die Wellenlänge kleine Öffnung so, als wenn von ihr der Schall ausginge; 
Qttiz hätte deshalb von dieser aus messen sollen, nicht von der Stimmgabel 
anif dann wiren seine Besnltato wohl gan« andere geworden. Außerdem 
konnten die SehwellenampUtoden der meisten Sthnmgabela nloht direlct Im»- 
olisehtot, sondern mußten berechnet werden. Dazu wurde eine empirische 
Formel von Steffinini benutzt, die nicht Itir alle Fälle gültig ist. 

Darauf antworten dann Zwaardemaker nnd Qnix (189j, daß sie den 
Grand für die Divergenz der Ergebnisse weniger in ihrer Berechnnngsweise 
sIs in Wiens Boechnungsweise finden könnten, da er die Enochenleitnng, 
die jedenlUls bei einem Teil seiner 7ersQche eine große Rolle spielt, gar 
lieht berflcksiflhtigt hat Es erfolgt nlmlieh die Zoleitang elnerseite yon der 
Tslephonplatte durch Luftleitung direkt zum Trommelfell nnd andererseits 
von der Tp|pf>hnnp1;itte auf das Gehäuse und von diesem durch die 0!ir- 
tnnschel zum knöchernen Gehürgange (von da an wird sie dann cranio-t3-mpan:il 
oder craniell;. Welchen Anteil aber jede dieser beiden Leituugsbaliuen an 
der Fortpflanzung der totalen ScbaUmenge hat, ist schwer xn sagen. Da 
die Tslephonplatten für die höheren TOne absichtlieh kleiner nnd dicker an« 
gefertigt wurden, wird der Teil ihrer Schailenergie, der bei diesem Teile der 
Versuche dem GehSnse übertragen wurde, nnd so unter außerordentlich 
günstigen Bedingungen auf den Knorpel Uberging, wohl recht aupehnücl! 
gewesen sein. Bei weiteren Versuchen hatte Wien das Gehäuse aut einem 
großen Blech befestigt. Obwtdd dauu auch der ganze Schirm mitscliwingt, 
wurde aussehlIeßUoh die Bewegung der kleinen Platte in ^eclmnng gebracht; 
dieser in der Rechnung fehlende, aber beim HOien doch wirklich mltopielende 
Betrag dürfte aber immerhin ganz beträchtlich sein. 

Gegen den Einwand Wiens, daß die Berechnung mit a^-- bei kleinen 
Amplituden zn einem zu großen Wert ftlhren muß, wenden Zwaardemaker 
und Qu ix ein. daß dieser Exponent nur für Amplituden zwischen 0,004 und 
0,040 mm empirisch festgestellt ist, beim KJeinerwerden der Amplituden aber 
aHmShllcfa ansteigt, so daß er bei wirklich unendlich kleinen Amplituden, 



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58 



LiCeratarberleht. 



die ja nie erreicht w(»-dfn. sop^ar den Wort 2 annehmen müßte. Auch Wiens 
Venalitan^:, duß die von ihnen gefundene eigentümliche Proportionalität 
«rMimi dem QuudcMe der Ssttenang ond den OatMlmMchlag zw 
1, 2*« Potens mf 8ch«llbeiigiiiig beraheB konnte, wdtoem «ie millek. Ebeuo 

sei Wienn l^enierkung. daß eine Beobachtnnfj: durch ein Hörrohr prinzipiell 
zxL verwerfen sei wegen der Beugung des öchallea an der £ingang»öffnung 
des Kohres, nicht sticbhaltig, da die beiden Forscher Bühren von verschie- 
dener Ufage benutsten nnd trotzdem Werte Ton dereelb«« Ordnmig fimden. 

Allerdings wird die Beziehung, die notwendig zwischen der der Gabel 
innewohnen don Energie und der als nmndton in die umgebende Luft ab- 
fließende I xistieren muß, unj^emein komjili ziert dnrch die miterklinirondeTi 
Übertöne, durch die Schwingung des ätimmgabelstiels, die Überwindung des 
Uiftwidentende «Hidien den Zinken n. L Dum können ▼ereebledene 
Yerloetqnellen für die kinetische Energie in Betracht, lo daß man nur sagen 
kann, daß die verloren gehenden Knerp-iequanta \\ni so bedentender sein 
werden, je grüßer die Amplitude i^t Wie sich empirisch ermitteln läßt 
(Archiv für Anatomie und Physiologie. 1902. Suppl.), ist eine raachere 
Abnnhne nie nit der sweiten Potens nlehtinnehnbnr, etaeldenn, dnß nan 
einer Stimmgabel eine Polarität zuschreiben müßte. Diese Anschanmig int 
aber in hohem Grade revolutionär und init den ganpbaren Anechauungen im 
Streit. Doch verdankt sie, wie verucliiedene Versuche gezeigt haben, ihre 
EigentttnKehkeit als polariilerte ScktUqneUe nickt den Beaitae zweier Zinken, 
eondem Jede Snke fOr aioh, flbMktnpt jede idiwingwide LnftlnneUe bitte 
dafür zw gelten, wenn nur die VerdichfungBwelle der Vorderseite und die 
VerdUnnungswelle der Hinterseite, und umgetcehrt, zxi derselben Zeit beide 
in uDgeschwäcbter Weise ihren Einfluß auf die umgebende I^nft ausüben 
können. Da nnn aber die Zinke einer Stinmgabel nicht als punktförmige 
Schallqnelle zu betrachten ist, so wird sich nicht eine Abnahme der Sdiall- 
energic mit drr dritten Potenz, sondern zwischen der zweiten und dritten 
Potenz erwrirtt n lassen. So ließe bich das Versnchsergebnif* auch von hier 
aus erklären und böte noch den Vorteil, daß es sich mit der von Wien als 
wahreebeinlieh angeiebenoi Proporttonalitllt swieeben Oebelansacliiag nnd 
Amplitude der Luft in Einldang bringen lielSe« 

Der Wrlaöf. der bei der Energieüberfragnn^ stattfindet, ist sehr ansehn- 
lich; e» badet eich z. Ii. bei der ^- Gabel ohne Kesonator nur Var ihrer ur- 
sprünglichen Schallenergie iu die Luft zurück, für die anderen Gabeln 
wllrden «eh wahmdieinlieh ihnliche Werte eitgeben, wenn ea nnr mO^idi 
wXre, die Amplitude des Schalles eines so schwachen Klanges in der Luft 
zn messen. Mindestens zeigen alle diese Umstünde, daß man Gabel- und 
Luftamplitude nicht identifiaieren darf, was doch nach Wiens Versnchen 
sogar in dO en E&tfemnng atnttfinden aolle^ JedmMt haltoo Zwaarde- 
naker nnd Qniz eine Vnederhelung Ton Wien« Veienolien fUr adir er> 
wünscht, die ja daraufhin, wie wir weiter unten sehen werden, anch tat- 
ßüehUch stattgefunden hat obiger Wert V27 ist allerdings in hohem Grade 
von der Einklemmung der Gabel abhängig, ja «s ist nicht einmal wahrschein- 
lich, daß der Bmeh bei der Ändemng der EinUennong von dettelben Ord- 
nung bidben wird. Die Annahme, daß der Wert Vrr anek auf die anderen 
Gabeln angewendet werden kann, ist daher sehr gewagt und vermag niclit ein- 
mal, wenn sie wirklich bei der Berechnung der Gehörschwelle inip»Ti>s Ohres 
eingeführt wird, die Kluft zwischen den Zahlen beider Lager zu uberbrücken. 




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Iitei»tmrb«rieht 



59 



Man darf aber nicht vercreRHen, daß Z w aardeni a ker und Quix selbst 
gar keine absointen BeetimuiungeQ ausgeführt haben, sondern nar relative. 
Z« d«B ilMMhittn WecfM diid lie iMir fduMomiMi, Indam iri« dank Vergieioh 
mit dem ibiolttten W«rt yWL TOpler mid Boltsmaaa ihm Konetaiils F 

berechneten. Wenn man diesen Umstand berücksichtigt, liegen aber die 
Werte nar um das 2000fache auseinander. Da nun aber Töpler und 
Bolt^iinana ihre Veraache um die Mittagaaeit auf einem freien Platze in 
d«r Nike der Stadt tngeetellt hüMä, wHhnmd dio Wiens ntdits in einem 
stillen Zimmer stattfanden, dürfte eidi die HOtweite TeneimfiwheD, also die 
Schwollenrnnrfrie lOOmal kleiner werden. Dann wäre der Wert von Töpler 
und Bolt z ciji II n nur noch etwn 900ni^! «o grol3 als der Wiens; und diese 
verliÄltaiäuiußig kieiae Differeuz, meint Wien (118), verschwindet vollständig, 
wenn man den eeblediten Kntieff»kt der Pfdfe nnd der mriitca ton- 
erzeugenden Instrumente berUcksiehtigt, wie ihn z. B. Webster (IIS) in der 
Festschrift fttr I.ndwig Rolt-^minn b^rpchnet hat. Deshalb mtissen alle 
Reizschwellenbcätimmungen , die aut Messung der einem Instmment, z. B. 
einer Pfeife, zngefUhrten Energie beruhen, falsche, and zwar viel zu hohe 
Beenltnte geben. 

Alle diese Punkte spielen aber bei den Versuchen von Zwaardemaker 
und Qnix eine große Bolle, wie nneb Wiens Meinong die Abweiebongen 
erklärt 

In. diesem Anftatm wendet eiek Wien auch gegen die anderen Ein- 
winde, welcke die koilXndiseken Foneker (IM) gegen ihn eikoben haben. 

Um den Vorwurf zurückzuweisen, daß seine Werte fUr die Schwellenencrgie 
aus — durch die Versurhsanordnung bedinprtpu — Ursachen vor allem bei 
höheren Tdnen viel zu klein ausgefalleu seien, fUhrtWieu an, daß er seine 
Veisnebe je nnek zwei Hetboden angestellt ksbe, und daß, wie direkte Yer- 
■nche ergaben, hUchsteus ^l^x» der Geaamtleitnng dnrek die Knorpelleitnng 
bewirkt wird. Auch die durch die Vonnittliing des Schirmen an die Luft 
übertragene Schallintensität, die bei der zweiten Methode stattf^Tul otwa 
360ÜUuial kleiner als diejenige, welche direkt von der Telephoupiaitc aus- 
gekt 

Die Gründe, mit denen Zwaardemaker und Quix sich gegen Wiens 
Kritik verteidigen (189), hält dieeer mich nicht flir «tiehhaltig. Z. B. ist der 
Totalenergfeverlnst einer abschwingenden Gabel nicht bei jeder Gabel der- 
selbe, sondern er ist bei verschiedenen Gabeln und verschiedener Einklem- 
rnung sehr verechieden. 

Femer erbrin'.'t Wien nodmiels den {iliydluliscben Beweis fUr die 
Kiobtigkeit der rioportionr^Htät zwiRchcn Stimmgabelamplitude und Luft- 
amplitude. Es liegt in dieser Proportionalität durchaus kein Widerspruch, 
wenn die Stimmgabel auch nebenher Energie für Wirbel nnd Obertüne ab- 
^bt; denn die dein ntttige Energie wird niekt der Eneigie der Lnftsekwin- 
gnng des Grandtones, sondern der Gabel selbst direkt entzogen, was durch- 
aus im Kinklanc: steht mit neueren Verenchen von Hartmann-Keropf 49-, 
wonach die JUämptaug von Stimmgabeln mit der Amplitude zunimmt Es 
sind snob nodmals «tehingekendeyersneke mit einer Stinungnbel Ten lS8«<<i« 
und einem Besonstor »gestellt worden. Der Stiel der Qsbel war mit Kant» 
schuk umwickelt und in oineni eisernen Stativ festgeklemmt, da.i auf einpin 
mit Sand gefüllten, in der Mitte des Zimmer.'» auf einem isolierten steinpft il i 
aufgestellten Gefäß stand. Die Stimmgabel, deren Ton bei luxkursionen von 



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60 



Litentwrbtridit 



1 mm nur ganz schwach vernehmbar war, warde durch eine zweite gleich- 
gestimmte elektromagnetische Gabel von einem entfernten Kaum ans in 
Schwingungen Tenetst Die Amplitude konnte dnreh Eineohalten von Wider- 
etand in den erregenden Stromkreis beliebig variiert werden. Es wurden 
bei den Versuchen nirht Tiur dü? Amplituden der Stimmgabel und die Ab- 
Bt;iri<h' vom Rosonutor veriindcrt. sondern auch die Stellunfr fie? HeBouators 
zur öüuimgabel; trotzdem ergab sich eine Proportionalität vuu ätimmgubel- 
exkofsion und LnftanpUCiide. 

Diese Ergebnisse Migea «och., da0 eich die Versuche von Zwaarde- 
luaker und Qnix ebensogut daraus nrklMren lassen, dnß die Abnahme der 
Touiuteotiität in der Umgebung der Stimmgabel nicht umgekehrt proportional 
dem Quadrat der Entfernung, sondern schneller stattfindet, was nach Wiens 
Yerraehen tatiSehlieli der Fall iat infolge der Polaritilt der Tonqvelle oder, 
mit anderen Worten, da die Bewegung in einer bestimmten Ebene vor sich 
geht. Damit ist aber noch nicht gesagt, daß die Abnahme der TonintcnBität 
proportional der dritten Potenz der Entfernung erfolgt, wie Wien nach 
Zwaardemnker and Qnix behaupten eoU. 

Ferner kommen im Zimmer die dnreh die R^ezion an den Winden 
hervorgerufenen Maxima und Minima hinzu, die sich durch Teppiche und 
Wattschirme zwar dämpfen, aber nicht zum Verschwinden bringen lassen. 
Deshalb »ind aueli solche Versuche im Freien ausgeflllirt worden, für die 

aber nicht, wie Zwaardemaker und Quix angeben, der Quotient — 

der gttnetigste le^ eondem ^ . Das Mittel ami beiden ist etwne hoher 

nie 8, wae mit Wiena Theorie und Behauptung im Einldang steht 

Jedenfalls iat ea nioht intaam, sn Unteisnehnngen über relattve nnd ab- 
solute Schuellenwcrte Instrumente zu verwenden, deren Tonemission man 
nicht rechnerisch g^euau iibpr??pli.''n kann. Dipne Warnun^c f;ilt vor allem 
auch für das in der OhreDhcükuude üblichste Instrument: die StimmgabeL 

Um Klarheit in diese TwUUtnlsee m bringen, haben dann Quiz und 
Mtakema (98} als Schallquelle die Orgelpfeife benutzt, da man sich Uber die 

Stimmpabe! sowie (Iber das Telephon ala Tonquelle leider nicht geeinigt 
hat, während auch Wien gegen die Orgelpfeife als Schallquelle nichts Wesent- 
liehee einzawenden hat Es worden damit Terechiedene Vereaeharelhen ans- 
geführt, im Freien, in der UnivenitiUibibliothek nnd im nknetischen Zimmer 

des physiologischen Laboratoriums. Ans diesen Versuchen ziehen die beiden 
Forscher folgende Schlüsse. 1 Die Empfindlichkeit unseres Ohrea steigt sehr 
rasch von C bis g^, behält bis mit einigen geringen Schwankungen den- 
selben Wert nnd WH Ton da an cur oberen Qrense wieder sehr rasch ab. 

Unser Ohr hat nnr ein Empfindllchkeitamaxfmum, das sich in der vierge- 
Btrichenen Oktave befindet. 8 Von //' bis sind die Werte der Minima 
perceptibiiia derselben Urdunng. 4^ Der emptiudlichste Punkt der Tonleiter 
liegt bei g* und hat einen Energiewert von ungefähr 1.10-^ uauli Korrektur 
nach Webster ron 1.10->* lätg. 

Quix setzt sich außerdem noch (89} mit Wien aut^ Grund dieser Ver- 
BUclif un'^fin.iTirirT nn:l weist U. n ri:ir:ii;f hin. daß ilio Pfeifenbestinimnnpen 
im Freien unter den g^unstif^steu Bedinf^un^en liesuilate ergeben iiaben, die 
sich mit den von Quix und Zwaardemaker gefundenen vollkommen decken 



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Literatnrberiebt. 



61 



uid viel beseer mit denjeuigeii früherer Uateriiacher Ubereinstimmeii als die 
WienwliOB« die beaoiid«n in den bttheren Oktereii Wel n kkiii aiuigeftll«! 
seien. Da« meuMbiicbe Ohr ist fUr die r-Tüne in der ersten, iweiten and 
drnf"n Oktave empfindlicher nl« für iVw 7 Töne aus diesen oktavon Wf'nn 
Qiau den Nataeffeki dar Pfeife nach VVebater in Kechnnqg zieht, hain n die 
▼orliegtndco BeatfmnmigfB im Freien auch absolnten Wert Bei der iele- 
phomneliliode von WUn ist die mhigenoinnieiie Sehwellenenaigie eine gana 
andere als die berechnete, überhaupt IS£t aiell beim Telephon als Schall- 
quelle die Schallbewegnng theoretisch nicht Übersehen. Quix' Vprsurhe 
über die Abhängigkeit der Intensität des Schalles von der Amplitudü der 
Zinken einer Gabel kOnnea dnreb die Stimmgabel-Beeonatarreraiiohe Wiens 
nicht widerlegt werden. 

Eine besondere Stütze hat Quix in seinem Ko!leL-en Zwaardemaker 
gefunden, der «ich in «einen Abhandlaagen (1S7, 188, 180) gans nnf aeine 
Seite »teilt 

Er bat a. B. eine ganae Anaabi Sebweilenwerte yon c bia ^ nacb der 

Formel ^ (dritte Spalte) und nach (vierte Spalte) berechnet und ver- 
gleicht diese Ergrebnispe mit denen Wiens (fünfte Spalte). In den Bereich 
dieser Tabelle fallen nun die meisten äpracblantei und diese haben fUr unser 
Obr alle nngefttir dleaelbe pbyaiologiaebe IntenattÜ Dleeea Y erkalten etinunt 
ausgezeichnet mit Spalte 8. Wenn nnn aber die Werte der Spalte 4 richtig 
wären, würde man aus dem frleirhniüPiiroii r"hnr:iktor der men^chlichcu Sprache 
an folgern haben, daß die Vokale niederer l ouhühe mit tausendfach größerem 
Aufwände von Energie gesprochen würden als die Vokale mittlerer und 
höherer TonbOhe. Wir beben aber keinen einaigen Gmnd, dieaea ansnnebmen. 
Anch da« «objektive Geflihl der Anspannung der Mnskolatiur beim Sprechen 
iat der Annahme eines prr.ßnTen EnergieanfV indes bei Sprachlaoten wie »n« 
nicht gUnstig. Ebensowenig spricht die objektive Beobachtung der Muskel' 
bewegnngen daflbr. Alao vom «pracbphysiologisoben Stani^nnkte an» iat ein 
aeldier Weehael nm dae Tanaend- baw. Milliottenfhehe, wie ihn cUe Spalten 4 
nnd ö dartun. unwahrscheinlich. Nehmen wir aber deshalb die physikalische 
Ener^jie der .Sprachlautc als nah(!zu konntniit .tn , so würden dem normalen 
menschlichen Ohre die Vokale nnd Konsouantuu mit hohen Fonnanten un- 
▼ergltfehlidi Tlel krlMger kUagen ala Jene mit niederen » wie diea a. B. bei 
der SUeroae der Fall Iat Diea trifft aber, wie mannigfache Versuche ge* 
7eifrt hahen, durchau« mrht 211. Ferner ist nicht ersichtlich, warum die langen 
hii'^cm der Cortischen Membran xum Mitschwin^ron, wie es lielmhoftz an- 
nimmt, eine tausend- bzw. millionenfach grüßere Energiemenge wie die kUr- 
aeven branehen aolien. Ebenaowenig iat von Ewalde Theorie aoa ein Gmnd 
voibanden, weebalb fUr die Entstehung von Schallbildem gcOOwer Wellen- 
iHTtjre et!i<» tRn»eud- bzw. millionenfach größere Energiemenge nntic: wäre als 
fUr die Entstehung der Schallbilder kürzerer Wellenlänge. Dies gibt auch 
Wien selbst zn, ohne jedoch eine neue Theorie anzugeben, die diese Er- 

(l ^ 

«eheinnng erklären könnte. Drittens ergibt sich, wenn man mit rechnet, 

eine gute Obereinstimmung zwischen Tongehör und Sprachgehör. 

£« käme außerdem für die absolute Messung der 2jcliallinteaBität noch 
die Melhode der dizelcten Draekmessungen, also ohne Kaaemeter, in Be- 
traeht, für weldie Altberg (6} einen Apparat koDstniiert bat, bei dem die 



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62 



Ut«ratiirb«rieht 



auf eini^n Stempel, der 6i< Ii in einem Schütz efner Wand von Zinkblech be- 
tand, auegeübtea Druckkrälte durch die Ahleukungen der Drebwag« ge- 
messen worden. Allerdings wird durch die^e Übertragung eine gewiBie 
Quantität Energie verbranelit werden, doch ist der Apparat yielleicht nodi 
▼erbeiMniDgtflliig; Alt SelMllqaella benutste Altberg eine Kaadtscto 
RVlifo, deteii Baibsong dnreb «inen Elektromotor bedient mude. Zw Kei- 
trolle wurde Wiens Mauometer benntzt Die angestellte ÜBterMiehiag be* 
zop sich nun anf dns Sttuüum der Eigenschaften der Schallquelle, auf du 
Verhältnis der Aii^mIk u des kontroUierenden Wienschen Manomefers va 
denen des Druckapparates, auf die AObiingigkeit der Messuugeu uut dem 
Drackapparate von den Schlitzdimensionen, und schließlich auf die abiolBt» 
Heasimg der SeballiiiteDBitSt in einem epeiiellen FeUe; die letetgeumitm 
Heanmgen geetatten ee, Ar den gegebenen Palt die OtOOenordnug d« 
Aiboit n berechnen, welche von der Schallquelle in Form Ton ScbaUM^viir 
gnng-en an'»q-o strahlt wird. Die ReHultntc diefer ünter9no>^nnf? lassen «ich 
kurz, wie folgt, zusammenfassen: Sich frei ausbreitende Schallwellen üben 
auf reflektierende Wände Druckkräfte aus, welche den Maxwell-Bartoli- 
sehen Druckkräften des Lichts vollkommen analog sind; durch Mesiioig 
dieier DrackkiSfte der Sehallwellen USt lieb die Schellintentitit in «Imo- 
hitem lUße bestimmen. Doeh hnt meinei Braiditeni die Arbelt raveajg 
dem durch die Übertragung entatehmiden Iteergieverluste Bechnnng: g^etragee. 

Die Methodo d<'r Druckmeiaiunnfr bf^tnifzf prhlioßlich auch Webster lUi. 
Sein Apparat besteht aus einem metaUiücheu Ku^clresonator, der auf etom 
Bronzering sitzt. Dieser wieder ist eingeschraubt in einen festen Stander. 
Die Kogel des Besonators ist an der einen Seite durch eine Membian g»> 
eehloMen, die dnreh einen etsrren Draht mit einer elektrlMh angetriebeMe 
Stimmgabel verbanden ist Die AmpUtade der Ezkusion der Membran Uflk 
sich dann mikroskopisoh beobachten. Um nun die mechanische Kraft des 
ausgesandten Klanges zu bestimmen, wnr die Komprp?^?ion zu vergleichen, 
die im Punkte B durch dn?» in Ä auigeBtellte liiBtrument ber\ orgebraeht 
wurde, mit der im selben Punkte B hervorgebrachten, wenn die Energie du 
InstnunentB einen gemeesenen Zuwachs erhalten hatte. 

Anf dieee Weise worden eine ganse Ansahl Instnunente gepiUft, ium 
interessieren aber hier nnr die nntermehten hölzernen Orgelpfeifen. AI« 
Kraft ergab sieh 0,0018^ wihrend eine Lippenpfdfe ans Metall den Wert 0,0098 
ergüb 

Das Ergebnis dieser Untersuchungen ist, daß die Pfeifen vou allen In- 
strumenten die grüßte Kraft haben, während die der Stimme jedenfalls grüßei 
ist als die aller Instnunente. Da der oben besdirlebene Apparat den Weit 
0,0088 hat» sohligt Webster vor, snr besseren Ansnntnag der Klinge die 
Tibrierende Loft erst auf einen Besonator zu flbertragmi. 

Ein merkwürdiges Phänomen, das gleich hier erwähnt sein mag, ist ton 
"Dnnlap {40) weiter tmtprsucht worden. Nach Kckener verms^ nämiick 
eine Vp., die infolge (in er AufmerksanikeitsschwHnkuii l: eiueu schwachen 
Ton nicht mehr wahrnimmt, doch das objektive Auiiiüren des Tones wahr* 
annehmen. Das wnrde mit einem Telephontone nacbgeprift nnd bestätigt 
Ans seinen Tennehen leitet der Verfiisser das Qeseta ab: Ein Ton. der 
permanent oder zeitweilig (Infolge von Anfmerksamkeitsschwanknngen) an- 
hürbar ist, wird wieder momentan hörbar im Augenblick, wo er objektiv 
▼erschwittdet, wegen des plötsUcben Übeigangs Ton schwacher Beiaong de« 



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Utentorberielit 



63 



Bi!n?^f«orerÄTi8 zn völliger Ungereizthcit Ferner widerlegt er dü« RehnuptTitig 
voD Ü! Ulrich — daß reine (d.h. geräuschfrpie Töne keinen Aufmerksam- 
keitaachwaukungen nnterliegen, sondern entweder permanent gehört werden 
oder gar nieht — durch Venncbe mit Stimmgabeln and mit singenden 
nmnMB. In G«g«otett, für BeobachtnngeA der AafinerkMniüceitwwbwtik' 
kngeii 11116 BOgsr der Ton siemHch gediosehM srfn, ferner yerUltiiiimSßig 
iSuhiäk nnd von etnigenftHen konetanter TonliOlie. 

Da 03. wie wir j2:esehen haben, der Physik noch nicht gelungen ist. eine 
zurcrlü!>Hige Methode zur Messong von ächallstärken an finden, sind natürlich 
auch die Bestimmungen der 

Clehörschirfe» 

wie sie besonders in der Otologie benntst werden, nicht als einheitlieh und 
i'jrrhnn'» nicht nl? einwandfrei tu br^eichnpii Und dnch ist es für die Ohren- 
' ilkunde von grundlef^ender Hedt iituiig, Umtauf>: and Form einer Hüratürung 
mit objektivem Maß messea zu können; denn die Höranalyse ist eine der 
we s ea tlichaten, nicht selten die einzige Stütze für die düferentielle Diagnose 
nriiehei den Erknnkmigeii des eehaUeitenden und lehalleiDpfiiidenden Ap- 
parates des Ohne. 

Deshalb hat Ostmann in seiner Arbeit: »Ein objektives Hönuaß nnd 
w'ne Anwendung« eine Methode geßchildert. fiir die unbelasteten Edel- 
ioaoQschen C- und G- Gabeln vor» dor großen bis zur viergrestricheuen Ok- 
tsTe die normale Abschwiugungäkurvo bis zum VerldiDgeD des Tones flir 
dis normale Ohr — d. h. bis zum normalen Sebwenenwert mit solcher Ge- 
laaigkelt la bestiiiiiiiieBf daß fUr die ginie Dauer dee Absebwingeiia die 6r08e 
dtr AnpUtadeOt aofem sie nieht dtrdrt unter dem Mikroskop gemessen 
waren, im Seknndenintcrvall dnrob Rechnung gefunden werden konnte. Die 
Venmche wurden in der Weise vorgenommen, d;i!^ Ostmanri dio Elonj^a- 
tionen eines an der Zinke klebenden, Licht retiektierenden MehJstrvubkürn- 
chens während des Auaklingens mikroskopisch ven'olgte und von Zeit zu 
2eitdie gefundenen Werte einem Assistenten zurief, der dann die augebörigen 
Zehpuikte am Chronometer ablas. 

Die Bestimmung der normalen Abschwingungsknrre geschah durch Inter- 
polation der Werte fUr alle zwischen gemessenen Amplituden gelegene StreckeOf 
dnrch Extrapolation für diejenigen Abf*fhnUtp d^r Schwinfrnnirsknrvpu der 
hf^heren Gabeln . deren Amplituden wei,» 11 Ii : lußerordeTitlit Inn }\li inheit 
der iakoThioneu nicht mehr meiibar waren. i>iü Extrapoiatiou war anwend- 
btr, wen sich herausstellte, daß die AbBcbwingungskanren Exponentialkurven 
darstellten. Als Ordinate der Exponentialkurve Heß sieb nun auch ftr die 
iiiiherett nnd höchsten Gabeln die Größe derjenigen Amplitude bestimmen, 
bei der ihr Ton fUr das normale Ohr im Mittel veritlingt, d. h. es ließ sieb 
die <;r''nc der Nor?i!nl:tmplitude finden. 

l)iQ Grüße der nicht mehr meßbaren Normalampliniden der höhereu 
G^ehi läßt sich nun, wie Ostmann (ibj darlegt, auch auä den gemessenen 
Hcnnalamplitnden der tieferen Gabeln und scliließlieb auch aus den Schwin- 
8>agaBiUen selbst beathnmen. Es wird nimlich das Intervall der Schwellen^ 
verte, von 0% ausgehend, Ton Ton zu Ton kleiner, so zwar, daß, wSbrend 
da? TütcTvall zwischen C2 und D2 10 mm beträgt, es zwischen o» und bis 
«or 11 Desimale versehwunden ist Femer ist der Schwellenwert Jeder 



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64 



Idtenrtiirbefielit 



Ö-Gabel lümal so groß als der Schwellenwert jeder /•.'-Gabel der nichst- 
hüberen Oktave, der Schwellenwert jeder C- Gabel von der babkontra- bis 
tut 8ial»eiigaitiidMiieD Oktm toi lOOnil so gtofi iIi der SefaweUaiintk jelv 
^-Qabel det niehsthöherai Oktave» der jeder D-Oebel toh der Sabkontaic 
bie BOT Tiergestrichenen Oktave 100 000 mal so groß als der jeder F-QM 
▼on der ein- bit aehtgeetriehenen, der jeder F-QtMk Ton der Sebkoitn' 

7 

bis anr dreigeekrieheiieii Oktave 10 mal eo groß als der jeder H-'QM b 
der swei- bis aehtgeetricheneii Oktave aad endlich der der />-Qabek der 

diel tieihten Oktaven lo'^'inal eo gfofi ale der der Gabeln der dMi h9«h- 
sten Oktaven. 

Nachdem es gelungen war, die normale Abechwingongskurve der etl^ 
lasteten C- nnd G- Gabel von der großen bis zor viergestrichenen Oktave 
fiir das normale Ohr mit der erforderlichen GcT^niiif^keit bis znvn VerV.liDpea 
tVj^f/.uHtellen. indem die lür eine jede Gabel gemeßseuen Amplituden im Maß- 
stäbe von 40— öOUOO : 1 in Miiiiineterpapier eingetragen worden (T7„ kouaieii 
snm praktiielien Qebraaeh AmpUtiiden- nnd HOiprOfimgetabeflea fltr Jede te 
nntennebten Gabeln anfgeetellt werden. Allerdinga arbeitet Oetnaan ndt 
einer Voraussetzung, die doch vielleicht nicht gans zutreflfend ist. Et ndlMe 
natürlich alle die Gabeln die gleichen Abschwingnngsknrven haben, welche 
dieselbe Tonhöhe haben (78\ deshalb hält er es fllr nnbedinirt ert'orderlich, 
♦ daß man Gabeln einer J^Rnart. Edel mann sehe, als die znverlüssigsten, benntst 

liie Amplituden- und liörprüfuugstabelleu geben iüi jede Sekunde de» 
Abeobwingens an: 1) dieGrSfie der Amplitude teKlUinietem; 2] die Grtfit» 
am welcbe die Amplitnde von Seknnde an Sekunde kleiner wüd; 8} dieZiUl 
tun wievielmal die Amplitude grüßer iat als die Nonnalamplitadei An dfo 
letzte Angabe knUpft die objektive Htfrmessung an. 

Bei dor Hörprüfung bcBtimmt man die >DifferenaBeit<, indem man von 
dem Augenblick an, in dem der Kranke angibt, die Gabel dehnitiv Dicht 
mehr zu hören, ohne erneuten Anschlag die Zeit mißt, welcbe bis lar Et* 
reicbnng dee noiualen Sekwelienwertea vergeht ^B}. ~ Ancb dto Sekwinig^ 
keit, daß der prflfende Ant eelbet eebweiliOfig tot, lißt eich gans got (Hmt 
winden. — Diese Zeit, die Ostmann Di£fereniaeit nennt, zieht man von der 
Endzeit der betreffenden Htfrprüfungstabelle ab und findet die OfOße der 
Aajp'itndc, bei weloher der Von für du» kranke Ohr verklang. 

Indem man nun gleichzeitig in der l aiM lh- tiinlet, um wievielmal diese 
Amplitude größer ist als die Normalamplituüe, bat man ein objektives Maß 
der HOrmeeenng, aber nock nidit einen nnmittelbnen Aoidmek der B9^ 
achSrfe des kranken Ohiee im Yeigleick in deijeiiigea dee geenndea. 

Diesen findet man, sobald man die HGraehlrfen umgekehrt proportioail 
setzt dem Quadrat der Amplituden, d. h. man multipliziert die Zahl der 
Normnlaniplituden, welche in der Schwellenwertsamplitnde de?» kranken Ohres 
enthalten sind, mit sich selbst und setzt das Produkt als Nenner eioM 
Bruches, dessen Zähler gleich 1 ist 

Da dieae Umreehnimg aiemlidi beaohwedick iat, bat Oatnann adbit 
aeine HOrprttftuigstabellen an EmpfindUekkeitatabellen dea achweihOiton 
Ohres erweitert '^9' dadurch, daß er in einer weiteren Rubrik den doppeltes 
logarithmiachen Wert jeder Amplitude im Sekundenintervall hinzuTüfTt nnd 
die Bo gewonnenen Zahlen von der lo^arithmischen Empfindlichkeit des nor- 
malen Ohres fUr diesen Ton subtrahiert. Dann kann er in einer ietzteo 



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Litarmtarberieht 



65 



Babflik Ata- j«d« SebwelleiiwertMunplitiide ikren entapreehenden 'EnapfindUoh- 

keitswert gegenüber der normalen Empfindlichkeit fttr diesen Ton notieren. 
Damit ist bei der T^oTintzung des objektiven Uörmaßes iodf« RocbaUDgi Jedttr 
Gebnacb von Logarithmen fUr den Nachnntersncber uunütig. 

Doeb Tttrliehlt sieb Ostmann keinesw^ die acbon oben angedeuteten 
SoliwifliigktUeii, di« neh 4«r EiiiflUiiing eiBM aUganieiB gUtigra o^J«k(iT«a 
HUrmaßes entgegenstellen. Er stellt desbalb fUr dieses folgende Bedingnngea 
anf (80): 1) Die gleichgestimmten Gabeln aller Maße müssen gleiche mittlere 
Tonstärke besitsen, da dies bei den käuflichen Edelm&nnsoben GabeUi 
Boeli idclit der Fall iet, mUeaeD alao beaondere Oabela bergeatellt wer^toa. 
2] Die DXmpfhng jeder eiaxelnen Gabel muß bekanat aein; die erforderUcbea 
Korrektortabellen lassen sich, wie er nachzuweisen versncht. ans der Ampli- 
niileQtabelle ableiten. 3; Die für die einzelne Oabel bestimmte D3mpfnng 
maii stets die gleiche bleiben. 4) Arzt und Kranker müssen steta unter den 
gldehea Bedingungea daa A1»klingen der GalMla beobachten. 6) Es muß 
die Fehlen|nieUet welche durch die Ermüdung des beobachtenden Ohres ent- 
stehen ki5nntc, ausgeschaltet werden. Um diese drei letzten Pnnkto r^iu- 
gehend berllcksichtigen zn können, klemmt Ostmann den Schraubstock 
noch in zwei Faralielschraubstöcke ein und bringt Uber dieser Vorrichtung 
einen doppelten Metailbogen aa, an dem wegen der flinften FeUerqneUe naeh 
der SMte des zu untersuchenden äta» Korkaeheibe von aeiien dea Unter' 

ancher« ans- und ringeschalfPt wprdm kann 

Gegen diese Auschauungen. besonders gegen die Arbeiten »Schwingungs- 
saUen and Schwellenwerte« (7S; und »Ein objektivee Hönnafi« wendet sich 
Qnlz (aa), der» wie wir oben eaken» aelbat anf dieaem GeUeCe Teiaehiedea^ 
lieh gearbeitet hat (z.B. 841. Zunächst ist es Tatsache, daß man für den- 
selben Ton ceteris paribus gunz vf-rHcliiedcne Schwellenamplituden findet, 
je nachdem man diesen Ton bestiniuit auf verschiedenen Gabeln; deshalb 
mnfi man avdi einen Uirtenehied awiadien bfdaeteten nnd nnbelaateten 
Gabeln machen, den aber Oatmann uieht beaditet hat Anßerd«a lind die 
Schwellenwerte fUr THne ans der Snbkontra- und Kontraoktave bei verschie- 
denen Bestimmungen so weit auseinanderlietrend , daß ein Mittelwert nnr 
wenig bedeutet und jedenfalls nicht zur Authndung einea Gesetzes herau- 
gesogen weiden darf. Weiter kann jeder Ton gans Teraehiedene Normale 
amplitudea haben, eo daß Normalamplitnden ebinf ills nicht ohne weiterea 
miteinander vergleichbar sind und man an eine Normalamplitude für einen 
Ton auf einer Gabel nicht auf die Normalamplitnde seiner Oktave anf einer 
ganz anderen Gabel schließen kann. Selbst wenn dieses Verhältnis in den 
Tier vateren Oktaven liehtiK wite, iat ein Extcapolinen bia in die aoht- 
geatriehene Oktave onerlanht, da, wie eowohl die Untersuchungen von Wien 
als atich die von Zwaardemaker und Quix gezeigt haben, jenseits der 
viermal gestrichenen Oktave das Minimum audibile sehr rasch ansteigt. Eine 
weitere BeatKtignng dieses gesetzmäßigen Absinkens findet er In dem Ver» 
hiUaia der eiperlaienteil gefiindenen Sehwdlenwerte an den Sebwingnnga» 
zahlen der zugehörigen C- und (?- Gabeln. Dies ist aber nichts anderes als 
eine kleine Umrechnung. Schließlich weist Qnix auch nach, daß die Ab- 
klingungskarven der Gabeln durchaus keine einfachen Exponentialkurven sind. 

AnOer Qniz welat endlich auch Strnyken aetbst daranf hin (102), daß 
schon TOT dem Eraeheinen von Oatmanns Arbeit von ihm angegeben worden 
iat, wie man anf relativ einfiMhe Art mittela dea logartthmiachen Dekremente 

Afcklv fir Pl^Aoloflt. XIZL Utsiate. 6 



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66 



Liteatnrbeiioht 



und dner modifizierten Orsdenifpoeolimi Dreleckafigiir die Konnal-{Oniui-) 

-Amplitude usw. bestimmen kann. Mit Hilfe eines besondere eingeteilten 
Dreieck«, das au ilor <'i'!"n Habelzinke befestigrt ist, wilhrend sieh darüber 
eine &n der anderea Zinku befestigte Linse be&ndet, ist es mOglich, an der 
in der Hsnd gegen da» Lieht gelialtenen Stimmgabel in einem GMielrtafeldft 
die Ami^tnden bia uf 1 f» lienb an verfolgen, nnd man Icann bia ^ dieae 
Abnahme und ihren Zasammenhang mit der erforderlichen Seknndenzahl ohne 
Okiilarraikrorneter oder sonstige Hilfsmittel g'onan bestimmen. Wenn nun 
das (vauü tische Dekrementgesetz (fUr ausklingende elastische Kürper] fUr die 
Stimmgabel gilt, ao iet die Bereehnnng dee Minimnms ans der Sekunden- 
aahl sehr einfach. Die Abnahme der Sehwlngnngen von 1 mm bis 100^, 
von 100 bis 10 //, von 10 Im"« 1 // nsw. soll Jedesmal in derselben Sekunden- 
zahi Btattfiiulen. Allerdinr;^ flarf man, um »lipse Heg^clmiißiRkeit zu finden, 
weder die Gabel eiukltiuimen, noch die Zinke der Gabel auf einer berußten 
Trommel sebreibra laasen. Im Stiel einer iebwingenden onbelMteten Oabet 
treten hauptsächlich transversale Sebwingongen auf. deren Amplituden 
ft'irhsten» ' V, der Amplitudi" niti Zinkenende. n)t'i«t nlir r , hip ' • dcr- 
eelbcQ betragen. Mau kann »ie leicht durch Autikultiercn mit einem engen 
Stethoskop akustisch oder auch mittels eines Lichtpunktes (1 bis 2 //) optiacb 
demottttrieren. Gabeln, die bXiigend grfialten werden, klingen am genmeetan 
nach dem mathematiscIiL-n Gesetze ans, nnd wir kOnnen sehr leicht beobachten, 
daß . wHbrend die Sekundenzahl in arithmetischer Beihe wiciiat, die Ampli- 
tude nach einer geometrischen Reihe abnimmt 

Nennt nnn die Seicnndenzabl, welehe die Gabel brwebt, um Vw 4er 
f ruberen Amplitude in erreicben« die »Deiimieneit« , ao bmucbt man nnr 
vom Quotienten der HOrzeit und Dezimierzeit den Exponenten 2, 1 oder 0 
abzuziehen, je nachdem man die Arretiemhr bei 100, 10 oder 1 .m in Gang 
gesetzt hat, und findet dann gleich den Logarithmus der GrenzampUtade. 
Ea ist aneb ein Leiobtea, fttr Jede Gabd eine Knrre an konetmieren» anf 
welcher man gleich mit Hilfe der Seknndenuhl den Wert der gesnebteo 
Amplitude in Mikromilltmotern able.«t n kann. 

Wenn wir alle Minima vereinigten, weist die Kurve der physiolopiscluMi 
Grenzen keine plut/ilich uuftrcteuden Steilen auf von erhöhter Tonempimd- 
liebkeit, wie diee früher mit Bereebnongen aaa der Stimmgnbeleiieigie ge- 
funden wnirde nie KUift ungefibr parallel der von Max Wien mitteb dee 

Telephons trefundencu Kurve. 

Die Meinung OHfinanns und (^uix'. man künne bei den höehisten 
Stimmgabeln das Minimum nicht melir be^tiuimeu, erweist sich als irrig. Man 
▼ermag diea aebr wohl — wenn anch niebt genan — , wenn man an der 
Stimmgabelziuke ein Stiickrhen Alumininmfolie befeetigt; in dieser FoHe 
findet man unter starker ]'.. leu« litiin;,' änOer.^f feine Öffnunfren (bis 2«), deren 
Amplituden sich mit Hilfe eines Prismas von Wollaston im Tubus dee Mi- 
kroikopee meaaen lassen. Auch die Maximalamplitoden der GaltonfiBte 
kann man optiaeb wahrnehmen, )a an der GebQigrenae (fiOOOOrj eelbat 
wieder, wie bei 6', das minimnm perceptibile. Auch am Schädel läßt 
sich für tiefe Tfine bei Knochenleitung das Minimnm npfi.-^ch demonstrifT "n 

Die Amplitude der Luft ist ganz in der Niibe nnd seitswürts der ZiuKtu 
l,&->2mal derjenigen der Zinken aelbat, ea ergeben eleb also Werte, die ge- 
rade zwischen denen von Wien und Zwaardemaker und Quiz liegen. 

Nach Strajkena Meinoag darf man dorcbana niebt, wie eaOatmann 




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Liteiatarbeiielit 



67 



tot, für alle Gabeln von Edelmann von derselben TonbObe eine einzige 
DekramaatUnte annehmen. Dies tet adion deshalb uunUteig, well ihre 

Hr)rzeit niemals gleicb groß ist. Ebeneo wicbtig ist es. daß das Dekrement 
sehr abhängig iat von der Art, wie die Qabel eingeklemmt, fixiert nnd ge- 
halten wird. 

Dteeeo Eimruid eifcttmit aneh Oetmann (Sl) an und hebt hervor, dA0 er 
•ehon vor StrayhAna YerOffentllohmig dieM Ausloht ala irrig «Araiitiuid 

auf seinen Irrtum hingewiesen habe (79'. 

Auch Ostmanns Foniiol mit der er das mlnianno perceptibile berechnet, 
welches er nicht optisch zu fitudieren imstande war, hält Struyken für 
mnniehtig, da naeh setnen Unterinehnngeii für Tltae, die hSher ala e* aind, die 
Normalamplitude wieder größer wird, iriihrcnd sie nach Ontmann z. B. fttr 
c' einen Wert haben wtirde, der um daa Z«hntaiiaend£uhe kleiner ab für 
0* wäre. 

Schließlich kommt Struyken zu dem Ergebnis, daß daa miuimum per- 
eeptibOe Ar FUUterapraeh« auf ^ea W«rt h«rabaiBke& kann, der faat 
lOOOmal großer ist ah das i)hysioIogiscbe Minimum; ftir voz oonTereatloBe 
ist dieser Wert daa 100000 Dushe nnd fOr daa VokalgehSr aelbat daa 
1000 000 fache. 

E« liOt ileh nieht leugnen, daß dieae Uetiiode tob Stmykea sehr viel 
ftr eieh hat, iBBial lie, wie adion StrnykaB Belbat harvoriiebt, nnabbKngig 

iat von der Anfangsamplitude und andererseits vom Dekrement, weil eben 
beide berücksichtigt word Mi nn<] ;f den Angenblick kontrolliert werden können. 

Eine Methode, die auf ähnlichen Yoraosaetznngen ruht, hat aneh Bloch 
vorgeachlagen (M). Er bat auf die beiden ZinkenendeB einer Stimmgabel in 
dereB Schwingangsebene awei kleiBe durch Umbiegung der Ränder versteifte 
geadiwUrzte Alumininmplatton anff^cschritubt. Die eine, 'dem Auge nähere, 
trägt einen langen, panz Hchinah'n Sclilitz, durcli den mnn auf die zweite 
Platte blicken kann, die Aui' das Eude der auderen Zinke montiert ist; und 
«war gerade «aS die Mittellinie etnea langoB gleiehacheBkdigea Dreieokea, 
(1:^ lus einem größeren Ausschnitt dieser Platte anageepart ist. Diese 
MittelÜTiie triiir* finc Anzahl punktrurmiper L(5cher, nnd die.-^e Lürher fut- 
sprecheu jedes einer bestimmten Breite des schwarzen Dreieckes. Verbiegt 
man nun die Zinken g^eneinander, so erscheint auf der Außen- oder auf 
der iBBeBBelte dea Drdecka eia heller 8i»alt, der nm so tiefer aa dem 
schwarzen Dreieck herabreicbt, je stärker die Verbiegnng ist. Man kann 
den Grad derselben unmittelbar an den Lochmarken in Millimetern ablesen. 

Zar Berechnung dea Hörschärfe im Sinne Ostmanns braucht man 
«nerdii^ Ejerres, Ihalidi den Oatmaaneelum, die dem DekremeBt der go- 
braaohtMi iBdividiiell«! StimmgahelB eotspreehen; jedoch hat diese Methode 
bei der Prüfung der Hördaner den Vorteil. daG wir des maximalen An- 
schlages nicht bedürfen, ebensowenig deö Ohre» des Uutersuchers als Kontroll- 
organ. Femer eignet sie sich, wie die Gradenigosche, gleicb gut zur Hör- 
neaanng ftr die L«ft>, wie fttr die KBoeheBleitnng, beaoBderi In der großeB 
QBd kleinen, sowie in be iden tieferen Okta\ en. 

BP7:nf::lich der graphischen Darstellung der Hürachärfe fllr die verschie- 
denen Töne sei schließlich noch einer Abhaudlnng von Zwaardemaker 
gedacht (läl , ia der er vorschlügt, die Hürschärfe durch Kuben abzubilden. 
Dabei wird nieht die InteBsitVt sdbit, aoadeni ihr redproker Wert ala Hiß 
4er HtfnchXrfe benvtst, was fUr die graphiaohe DarateUnng den YerteD 

6* 



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66 



lilantiirbericht 



kst, daß mm ktine wMBdlidi grofien W«tte «bbildeft nmO. la der Bcfel 
mdeii die Kuben Abgebildet, Ar welebe die TSm ud /b* bemitst 

werden. 

Schließlich wäre hier vielleicht noch eines Aufsatzes von Nelson 74) 
za gtideoken, der iindet, daß alle Menechea auf dem rechten Obre besser 
bOren ale aof dem linken, nnd dn0 die lUnaw beeeer bSren eto die FMneii, 
weni^tens soweit StimmgabeltlSne von 100 bis 500 Doppelschwingungen In 
Betracht koinmen Diese Ergebnisse stehen im Gegensatz zn denen Fechnere, 
der das Umgekehrte tiir beide Ohren fand; allerdings hatte er die Unter- 
•uebong mit der dicht vor das Ohr gehaltenen Taflebennhr angeetellt 

Anfiel dudi StlBungabebi prüft bm& die OehAnebirfe eneh noeh dnreh 
die FlUsterstimme, obwohl sieh bler die VeiblltniHe noch kompHaierler ge- 
»talten, als bei der Prüfung mit Stimmgabeln. 

Denn es setzen die Medien, welche die Klün^o durchdringen müssen, um 
nnm Ohr dee Beobnehten in gelangen, dem Darcb^j^aug dieier Klinge einen ge- 
wiasen Widerstand entgegen. Die WlderetnndafiUiigkeit der Vokniklänge hat 
deahalb Fetzer '44' ein{?ehcnder untersucht. Er ^ing davon ans. daß raan 
im Freien von einer spif leTulpn Musikkapelle zunächst nur die tiefen 'Vuno 
bürt, während die Wahrueiimuug der hüber klingenden, meist melodie* 
führenden Stimmen ent naeh weiterer Annihemng hinmtritt; trotadem aber 
bekommt man in der Nähe nicht den Eindruck, ala aeien die erwahntea 
tiefen Töno besonders laut, eher noch wird innn die in der Fcmr kmam 
w«liraehmbar6u höheren iüahnettent(}ne als besonders laut und schreiend 
empfinden. 

Ebeneo hOrt man Ton einer im Freien gehaltenen Bede in einiger Ent- 

ÜBninng nur einzelne Laute. 

Deshalb stellt Bich Fetzer die Aufgabe die Abschwächnng Ten Vokal- 
klängen durch die verschiedenen Medien zu untersuchen. 

Er kam besflglieb der HOnreite der Vokale In fteier Lnft an ^gebniaaen» 
die mit denen von 0. Wolf ^praehe nnd Ohr, Bnmnsehwetg 1B71), an deren 
Kontrolle sie an^:estel!t waren, gut Ubereinstimmten. Von den gleich laut 
gesungenen Vokalen besitzt die grüßte WiderstandsfKbigkeit das A; dann 
folgt das 0, weiter E, I und zuletzt U. Aber schon bei Entfernungen, bei 
denen die anblektiven Tonatfrken der gesungenen Vokale noeh lange nidit 
bis anm Schwellenwert herabgedrUckt waren, bei denen man also noch einen 
Klang hfJrte, Bind die den betrelTeiiden Vokalcharakter limÜTiL^'f^TsiIm Momente, 
also die in drm Vnkalkla!)^ PTithnltpripn Tüne von beatimuiter Höhe, seien 
es nun durch Kesonauz versturkte harmonische Obertüne oder selbständige 
MnndtOne harmoaiadier oder nnharmoniaeher Natur, merUieh aeratOrt oder 
aufgehoben. Nur daa A wird, aoweit ea überhanpt noeh gehOrt wird, richtig 

als ,1 frl-.nnnt-. 

Auch beim Durchdringen durch zwei auf beiden Seiten mit dickem Woll- 
stoff verhängten HolztUren folgten die Vokale ihrer Intensität nach in der 
Beihe AOBIÜ aufeinander. 

Benutzte man statt der Stimme eine Violine und spielte auf dieser eine 
Tonleiter, so nehmen die Töne g bi? 7'^ die benutzt wurden ihrer Intenfirfif 
nach in regclmäl3iger Weise ab, wa« sich nicht nur im Freien, sondern auch 
bd der Lvftleitnng dnrch mehrere Zimmer hindurch beobaebten Heß, aelbat 
wenn der Widerataiid dnreh Sdirotkngeln vennehrt wnrde. Die TOne ^ bia 
^ wurden mit annXhemd gleicher Lantheit dnreh die benntate Bohrieitnng 




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Literaturbericht 



69 



feUfrt, «id swar so, daß sie all« bei aogetpamiter AnfnerktaiDkeit gerade 

noch wahrgenommen werden konnten; seitweise verBchwanden sie jedoeli. 
Ob dies auf schwaukende TntensitHt von Seiten des Spielerp znrHckzufiihrfn 
ist. oder ob e.s Bich um daä<>elbe Phiinomen haudeit, das man beim Ablcliagen 
fOQ Stimuiirabelu beobachtet hat, ließ sich leider nicht feststellen. 

Schlieiilich wurden aach die Vokale durch diese Zimmerieitnag studiert 
Dsbsi selgte tieh, daß ganz «ntspreohead den bei den Yertnelieii in freier 
Laft erliaitenen Beanttaten doreb die verwendeten WideratÜnde (sei es, daß 
ee sich nur um den Widerstand der in der Bobrlettong eingeschlossenen 
I.afti»:iu1e verbunden mit den durch KeflexiotiPn erzeugten geringfügigen 
Störungen, handelte, sei es. daß körnige Materiaiien, wie Schrot, Glaspulver 
oder Saud verweuUet wurdeu; die iu subjektiv- gleich groß erscheinender Ton- 
iatensität gesungenen Vokale derart beeinflußt wurden, daß sie nach Passierung 
Usinsi Wfdeistilnde ittr den Beobaebter in dentUcb an nntereebeldenden Lant- 
faflitsn ankamen, welebe wiedemm, aaeb sniMhinender Intenaitit geordnet, die 
Beihe UIEOA ergaben. 

Alle Versüchp wurden in den ver«phipdeTT»ten Tonhöhen nad»7^prnft 
Die Kesultäte waren stets Uberein«tiiiiiaenU, nur mit dem Unterschiede, daß, 
in je höheren Tonlagen die Vokale gt sungen wurden, UeBto kleinere Wider- 
itäude schon genügten, um die beschrieb tuen Zerstörungen der Yokaleharak« 
leie kerbeiiafttbren, worin eine dendieb aiu^psqwoebene Üliereinstiinninng mit 
dem Terbalteu yersebieden boher Töne gegenüber den Wideratinden li«gt 

Da diese Ergebnisse mit dem Künigschen Flammenmanometer bestätigt 
v^rtlf^n konnten. 80 fragt es sich, w.inim tiefe Klänge durch Widerstünde 
viel weniger geschwächt werden al^ t^^loieh laute hohe. Nach Fet^or liißt 
sich diese Frage dahin beantworten, daß unser Glehörorgau durch die iiohen 
TQne aaßerordentlieb viel attrker gereist wird als dnrob die tiefen, daß e1>en 
das Oigaa fllr Jene anßerordentUeb viel mebr empfindlieb ist als ftr dieee 
et\va.<i ähnitclies läßt sieb ja z. B. beim Hunde beobaebten). Es wird slso 
der Violinspieler bei einer Tonleiter von subjektiv gleich intensiven THnen 
nicli »b-r nr.be nnfAteigend in demselben Maße objektiv immer leiser spielpu. 
Ein WidtrstarMl wird nun bei den mit ceringerer Energie erzeugten hoheQ 
TOneo relativ mehr Energie absurbiereu als bei den tiefen, so daß Jene ver- 
liatnismißig leiser werden. SeblieSlieb werden jedenüMls die hoben TSne 
doreb die Belbnng in der Loft anf fluem Wege mebr Tenebrt als die tiefen; 
dsnn es ist leicht ersichtlich, daß mit wachsender Schwingnngszahl aneb die 
sn überwindende Reibnnr nnd damit der Energieverlust wUclist. 

Einen Beitrag zur Prüfung der Gebörschärfe mit der FlUsterstimme bat 
Beuter geliefert (94). 

£r findet, daß die Tragkraft der Vokale nicht unmittelbar abhängig ist 
von flirer TonbUbe, aneb die Btirke den an ibrer Anaapraobe erforderiioben 
EnpiratlonahanebeB bat damit niebts sn tnn. Gerade bei den Vokalen» die 
sa wenigsten weit tragen, ist die S«dinell^eit des Exspirationsstfomes am 
fT^ßten. Nnrh ihrer Lautheit ln«3Pr! pich die Vok/tle v,irdcnun iu Gruppen 
teilen, nämlich 1) in wenig durciidringende, 2' auf mittleren Abstand zu 
hörende und 3; weittrageude Vokale. Wenn auch die Vokale der einzelnen 
Gruppen kein absolut, sondern nur ein aanXhemd gleiches Durehdrlngungs- 
vsnaSgm beben, so kann man sie piaktiseb doeb ala gleieb latenaW anaeben 
asd desbalb wobl die Ton Zwaardemaker nnd Qniz Torgeeeblagene Be> 
sakbnnng iqotlntenalT anwenden* 



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70 



Uteiatafbtriebt. 



Mit HUfe von isozonalen uod äquimteosiTen Leuten lasften sich nnu 
Wtfrltr saMnnieiiBMlleii, bei denen da« Ernten nnf ein Mfatmnm reduiert 
tot» weil die das Wort zasammensctzenden Bestandteile annlUienid gleieh- 

wertifr sind. Zu berilcksichtigen ist dabei feraor. daß anch der auf einer 
Silbe liegende Akzent in mehrsilbigen Würtem die Intensität beeinflußt, wes- 
belb Zwaardemtker und Qaix, eovie Rontselot empfehlen, m^Mchet 
einiilbige Worte sn vitUw. 

Diesen Rat bat auch Renter befolgt; doch sind die von ihm erhaltenen 
Distanzen durchweg grüßer als die von Qu ix in einer früheren Abhandlung 
gefundenen, etwa im Verhältnis 1,3 : 1,0, was sich zum Teil wohl aus der 
Wftbl dei FrttfiinginnnuM erkttrt. Die Eifebniase dleaer Arbeit iind knn 
folgende : Ana iaozonalen und iqnünteneiven Lauten lassen aieb WQrter sa- 
samtnensteHen, iVjo in allen ihren Bestandteilen gleicliniäßip perzipiert Trerdeii, 
bei denen das Erraten also auf ein Minimnui reduziert ist. Diese Wörter 
eignen üicü deshalb besonders zur Prüfung der Gehürschärfe mit der FlUster- 
epraehe» weü die WQrter derselben Gruppe auf gleiehen Abetand dnreb- 
dringen. Dieser Abstand scliwankt natürlich nach äußeren UmBtUnden (mdir 
oder weniger deutliche Artikulation des Untpn'Ufltprs, HOrschärfe der Vp., 
Beschallenbeit nnd Lage des Untersuchungsraume») innerhalb gewisser 
Grenzen, aber unter denselben Umständen hört man die Wörter der 
gieidira Omppe inunw in derMlben Entfernung. leider tot die Znbl aotoher 
aus gleicbwertigen Elementen zusammengesetzter Wörter sehr gering, doch 
reicht sie. soweit es sich nicht mn Simulanten handelt, aus. Man ist durch 
diese Metbode imstande, den Gedanken Wolfs, partielle Taubheit mit der 
FUtaterspraohe feetauBteUen, kousequwt dunshsaftihren. Bowobl bei noimaler 
BOriohfofe lia nneh bet ▼ollkonmen glelebnilfllger Henbeetsong der Httr- 
schitrfo findet man eine Reihe von drei Werten, die unter sich annähernd im 
Verbältuia von 1:2:4 stehen. Ist dies nicht der Fall, so handelt es sich 
um eine ungleichmäßige Herabsetzung der GehOrschärfe. 

Steigt daa YerhUtufa taeeher an, so bandelt ea aieb nm Ba0tanbbeIt| 
geschieht dies langsamer oder fiült die Reihe sogar ab, so liegt eine Diskant- 
taubheit vor. Ist die Proportionalität zwischen Anfang und Ende prhalten. 
der mittlere Wert jedoch unTerhiütTiißmHPiL'- niedrig, so wäre der seltene Fall 
einer Erkrankung des nervus acueticus zu diagnostizieren. 

Zn gaaa Kbnlleben Ergebnissen gelangt Qnix {•»), der eine Tabelle der 
Diphthonge und Xasalvokale der firanzösischcn Sprache gibt. Nach seiner 
Ansicht hat die Untersuchung mit der Fiüsterstimme folgende Vorteile: die 
Möglichkeit zu raten wird auf ein Miuiiuum zurückgeführt, wenn man Vokale 
wählt, die aus Lantgruppen derselben Zone und der gleichen fiatemiUt be- 
steben. 2} Äquivalente Worte beben die glelebe HOrwelte. S) Hit Hilfe 
solcher Worte ist es müglich, die partielle Taubheit mit der FlUsterstimme 
festzustellen. 4; Die Diphthonge geben eine Hörweite f!!r die bei«!rn Zonen, 
deutiu ihre Bestandteile angehi^ren und liefern ein Maß für üab ganze Uebiet 
der Sprache. 6) Han kann die Ergebntoee dieeer Prflfitng vergleichen mit 
der mittleren HOreohirfe der einaelnen Laute. Die Intensität nimmt dabei, 
wie frUher echon empiriech gefunden, mit den Exponenten 1,2 der 2eit und 
indirekt proportional der Entfernung ab. 

Diese Ergebnisse wiederum stimmen Uberein mit den von Zwaarde- 
maker und Quix gefundenen (138). Sie fanden n. a. aneb, daß bobe TQua 
intenilTer empfunden werden ato tiefe nnd «neben dlea auf den sog. emp- 



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Litcraturücriclit. 



71 



fiodlicben Fleck zurückzuführen, der sich tod tßlm 0^ «»breitet Bei der 
Prüfung mit der FlüsterBtimme ist zu berlicksichtig^en einerseits das dabei 
gewühlt*» Wort, sowie der dnltc! an^;c^vandte Abstand, da die EntfemungdM 
Wort veruudeutlicht uml >o mmv. klait; AuiFassunf^ verhindert. 

AJa Worte zur rriitung der Gehürscbärle empüelilt Andrews (7) die 
ZahlwoTte» ttbw die er etwas eingehendere Untenmehnngen angestettt hat 
DaM eeUigt er tot, aaatatt, iHe gewdbiilieh, nur die Entfenrnng anzugeben, 
in der die Worte nooh gebürt werden, auch eine oder mehrere konstante 
Entfemungren zn benntzen nnd als Maß der individuellen GehOrechärfe den 
Prozentsatz der irenfxii gehörten Worte anzuflehen. 

Allerdinga siud diese Prüfungen, genau betrachtet, unvoiliiommen, schon 
aus dem Grande, weil wir nicht imstande siud, mit eiuer uiatheniatisch gleich- 
säßigcu Stirke sn üfiatem; . es kffnnen eieh inuneiMn Differenzen von 
mebreren Metern ergeben. 

Eine zweite Schwierigkeit lic|2:t in der Empfindungsstärke der einzelnen 
Worte und der einzelnen in den Worten enthaltenen Sprachlaute. Alle dahin- 
gehenden Untersuchunfren beschiittifjen sich, wie wir ja auch oben gesehen 
haben, hauptsächlich mit den Vokalen, während da» Studium der weit 
schwierigeren Auffassung der Konsonanten noch sehr im argen liegt 

Um deshalb ein genaueres Maß der Stärke der Ansspraehe an gewinnen, 
hat Lneae ein Phonometer konstruiert (60), das anf der Beobaebtong 
Brücke s beruht, daß der Akzent bzw. die Intensität eines Lautes lediglleh 
Ton dem Exspiritionptlnirl- abhängt; die mit der Verstärkung der Stimme 
einhergehende Erhöhung der Laute ist nur als eine sekundSre Erscheinung 
anzusehen. An dem Griffe des Phonometers befindet sich ein lüng, an dem 
eine Achse befestigt ist, um welche sich ein FUhlhebel und eine dem Bing 
sagepaßte Obwplatte dreben. Beim Spxecben dnrch den Bing bindorch gegen 
die Glasplatte wird diese vom Binge abgescblendert. Der Ansseblag wird 
dann durch eine Übertragung auf einen Quadranten angezeigt. Damit der 
sprechende Mund stets dieselbe Entfemting von der Platte einhBlt, ißt an 
dem Achsenlager ein Bügel angeschraubt, der gegen den KoseurUcken des 
Untersuchers angedrückt wird. 

Anstatt dieses Apparates bat man aneb Tersebiedene schon zn anderen 
Zwecken gebranehte Apparate der OebOrsebSrfeprttfbng nutzbar sn machen 
gesacht, um eine genaue Messung und Uberhaupt zuverlässige Abstufung zu 
erreichen. So liat Grade nigo zur Versammlung deutscher Naturforseber 
und Arzte ein TTr.rtelephnn demonstriert (47), das mit einem Indnktions- 
•pparat verbanden ist. Uk I hu nsität der vom Telephon w-ieder<ji -i !h uen 'i rme 
iät proportional den Schwingungsamplituden der Telephüumembruu und so- 
mit aneb der Zahl der im fndnsienea Strome anr Yerwendung gelangenden 
Wbidnngen. Es ergibt aieb somit dnreb Regulieren mit Rbeoatat und 
Ampiremeter eine YariabOitilt von 1 bia 200l Bei der Regulierung gebt 
man natürlich von dem als normal vorausgesetzten GehOr des Untersuchers 
in der Weise aus, daß man bei Einsobaltong einer Windung gerade die Hör- 
schwelle erreicht 

Bentley dagegen hat, um ein einheitliches Hürmaß zu erzielen, die 
Yerwendung des Pbonograpben yorgeaeblagen (ISj, bei dem die TonbObe 
dareh die Umdrebungsgescbwindigkeit des Zjrlfaid«s reguliert und die 
Intensität, wenigstens bei den neuesten Appsraten, ebenfalla auf gleieber Hobe 
erhalten werden kann. 



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72 



liteistorlMriflht 



Bt liad bei jeder Hörprilfiiiig Venvelie Uber d«e TongehUr «ad «i0er- 
dem über du SptMebgebOr eiwuetelle n ; denn imeere Spmebe eetst sieh swir 

aas Tönen und GeränFchen zusammen, doch hat, wie Lucne ^'er.■^clIied(»ntIich 
dnn'ii Mitteilung von einschlägigen Fällen, so x. B. auf dem 12. Otologen- 
kougreß (59j geatiigt bat, die für das SpracbgehOr notwendige Peneption 
der nrasttaliselieii TOne nur dun einen Wert, wenn dieeelben irirkHeb 
eil T0ne und nlebt, wie bei manehen Knaben, nie Geiineebe empfbadea 
werden. 

Auch Marage führt in einer Yerüffentlicbang der Franzuaischen 
Akademie fi9j solche FäUe an aas der Zahl seiner Tanbstammen, in denen 
sieb die aaonnale Knrre der Qehtfnehirfe und ibie UaheÜberbdt dadvreh 
erklärt, daß sie keine Gebürempfindang, »oudcm nur eiae Bn4ättttacna8a> 
enpfindong ohne masiknllRRhe Kemueichon haben 

Andererseits gibt Marage aber auch za ertrügen 167|, ob die hohen Töne 
aiebt Hberbnnpt eine größere Tragweite beeitMn, obwohl de einen geringeren 
EnergieraArnnd erfordern. Mindeetene iit et mtum bei einen Ahnmeter 
nicht nor Schwingungon von bosttnunter Natu an benutaen, aondem aneh 

des Grundton genau zu bestimmen. 

Übrigens becinflaßt auch der Druck die Gehiirschärfe, wie ebenfalls au« 
Hittettnngen von Marage (66) hervorgeht Dleaer nntemahm Yenaehe mit 

Ohrenkranken nnd fand mit Hilfe des Akumeters, daß seine Kranken« wenn 
sie einen Tom nntor dem Dnicke n gehürt haben, nach einigren Ta^en den- 
selben Ton unter dem Drucke n' f-^ n) hflren, daU also das (ieliür besser 
wird, weuigätena bei einer ausgeheilten Utorrhoe und bei Otitis sclerotica, 
bei der alierdfaiga in 19 X aller FKlle keine Erftrige enidt wwden; bei Otttie 
eatarrhalls and Otorrhoe steigern sich diese Fehlschläge sogar bis aaf40^* 
Auch die Hübe des Luftdrucks ist dorchaus nicht ohne Einfluß, was 
Aggazzotti ;!] durch Versache mit Meerschweinchen nachweisen konnte. 
Er fand, daß die Vermlnderang des Reflexes in verdllnnter Laft nieht nnr 
proporCiottal iet dem Grade der YetdOnanag, eondem aneh nodi der Zdt, 
welche das Tier in der verdünnten Luft zugebracht hat, was üim ein neuer 
Beweis dafllr schpint. daß verdünnte Luft und Sauerstoff einen reflex- 
eehwäohenden Einäuß ausübt Dies ist auf eine bchwücbung des Nerven- 
^yatema anrOekanfHhren, die aleh aneh beim Menaeben in yerdUnattf Laft 
geltend auMbt Aggazsotti hat dazu Versuche an sich adbet im pneu- 
matischen Zimmer s TiTrinfr jth;. niologisclieu Institutes unternommen. Als 
Hörreize wurden die Lnterbreciiiuig^stiine eines außerhalb »Ich Reobachtunps- 
r&umes aufgestellten Metronoms benutzt, die durch ein Telephon dem Be- 
obaehter ttbetmltlelt werden. Ea leigte eldi etete, dafi die HOreebIrfe in 
verditnnter Laft geringer wird, nieht nur für Luft-, sondern auch für Knochen- 
leitnng, wenn hier tvvh der Erfolg" weniger (ifMitlit h war, da ja die Sokwetie 
viel geringer ist als die bei ans Ohr gehaltenem Telephone. 



führt neben Qualität, Intensität, JOauer, GcfUhhston usw. Dunlap einen neuen 
»Cbarairter« ein (41), doeb vergißt er leider, da» Wort »Cbaxakter« nlher an 
definieren. Diese Abhandlung, die nicht gerade Uar geschrieben iet. will fol« 
gendee: Ea sehelat nlitalich, die TonhOhe mit einem rilnmllehea Enpfindnaga- 



lu die 



TeaempHadaafea 




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Literaturbericht 73 

attribnt la veigleieheii, entwedor mit dem Lokalzeioheii oder mit der Aiu> 

deliimng einer Empfindang. Das erste würde fUr einen Anhinger der 
Hfl m holt z sehen n<'>rtheorio möglich sein; da dies aber der Vorfnsser nicht 
i«r, nimmt er die Ausdehuuntr, die bedingt ist durch die Anzahl der ver- 
einig:ten Lokalzeichen. Daun tiucht er eine VerbinduDJ? mit Ter Kuyles 
physiologischer Theorie; uuf diese Weise erklUrt sich dauu auch die 
Harnonie und eine Beihe sonstiger FbSnomeiie. 

lUa darf ferner jiieht Terg^seen, daß bei den GebOnempfindnngen 
iBcli ein 

PsyeUiekes Moment 

■itspricht, wie dies ja besonders bei Tanbstammen zum Ausdruck kouitut. 
Es hat s. B. Tili (10t) bei 33 Schlllem HOrreste gerettet dnreh methodisebe 
HOritbnngent z. B. dnreh die Besold-UrbantscHitschsebo kombinierte 
Methode. Wenn es ancb nur gelingt, bloß einen gewitten Gmd relntiTen 

Erfolges zu erzielen — i r Vali erzielte mehr als das — , so sollten doch 
bei den betreffenden hierzu fähif^on Zü-ilingen öfters solche methodische 
HßrlibnngcD ausgeführt werden, was auch Urbantsc hitsch u. a. betonen. 

Um die psychischen Elemente, die hierbei mitsprechen, zu erforschen, 
haben Bonlny nnd Le Harc*Hadonr (3t] eingehende üntennehnngen an- 
gestellt nnd Bwel Formen psyehiacber StUntngen angenommen, eine Abonlie 
auditive und eine Phobie auditive; ein Nicht-Hören- Wollen, weil man, geattttst 
lüf mehr oder wenir'pr ffi!''f'hr T^f^nVtnrh.tTitiE'r'n davon überzeugt ist, daß daa 
betreflfende üürorgan mangelhaft oder gar nicht funktioniere, und die Furcht 
nicht hOren zu kHnnen, die das Funktionieren des Organs verhindert, wie 
vir das Ja auch bei anderen Organen beobachten kOnnen. Daher soll, wie es 
ürbantsebiteeb getan bat (107), jeder Tanbatomme nntsnneht werden, ob 
atira nnr ein payehi&eheB Moment die Tanbbeit veranlaßt, damit er an 
methodiaohen HOrttbongen berangesogen werden nnd so wieder büren lernen 
Itann. % 

Srhliebltch fiei noch eine kurze Bemerkung von Exner 'iS) erwähnt, der 
bei phonographischen Vorführungen bemerkte, daß der Sprechende seine 
eigene Sprache nicht so leicht wieder erkennt als ein anderer. Er snebt dies 
dadaroh an erkliren, daß der Spreeher ttberbanpt wihrend sebies ganaen 
Lebens seine Sprache anders hUtt als der Angesprochene, nnd zwar liegt der 
rnterschied zwischen dem Gehürseindmck, den der Spi^cher, und dem, den 
der Angesprochene hat. im Timbro. — Es addieren pirh nämlich beim 
Sprechen die Wirkungen der Knochen- und der Luftleitung in der Schnecke, 
während für den Angesprochenen die Luftleitung die Hauptrolle spielt, da 
bei ihm die Besonana des Sebtdels fortföllt, die ja, wie man bei starkem 
Schnapüsn beobachten lunn, gerade ftr die tiefen TOne besonders gnt Ist. 

Anatomie des Qehdrorgau. 

Auö diesem Gebiete fand ich in uuserem Zeiträume xunUchst die Arbeit 
Ton Watsuji in Kioto {112,. Dieser stellt sich die Aufgabe, die so wenig 
in Lehibttehem und In der sonstigen Literatur erwihnte Verteilung der 
alastisohen Fasieni Im blutigen Gehörorgan überhaupt, sowie besonders in 
den schwingenden Teilen, an der Hand der neueren Hetiioden, besonders mit 



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74 



Literatiirberioht 



Hilfe der Weigert sehen Färbung, zu Btudieren. Ala Untersnchnngenutarial 
benatzte er die Gehörorgane von Erwtohaenea und Kindem, und sog muk 

die verschiedenen Ttergattungen snm Yergleiebe herAn: Hunde, Eatsen, 

Kauiiu'hen. Mcerschweiiulieu, Hühner nnd Tanbcn. Es ergab sich: die el:i- 
stischen Fasern de» Trommell'ella sind in pt'inen drei Schichten angeordnet: 
1) im Coriam, 2j in der Scbleimbantachicht und 3, in der inembrana propria, 
nad swur iat da» YeririUtnie der elastiBeliea Fttsem im Trommtf feil bei alleii 
Silttgem uuliezu gleich; nur bei Kaninchen sind die Fuem viel raUchtigier 
entwickelt In der membrana tympani Becundaria der fcncstra rotnnda lassen 
sich nur zwei Schichten von chistischeu F;^.^•ern unterscheiden, deren eine 
der submucoBa der l'uukeuhöhieut>chleiiuhaut augehört, während die andere 
in leiner membnu» propria gelegen iet; nnd swar neigt sieb die erste als 
ein nnregeimäßigcs großmaschiges, TOn sehr feinen elastischen Fasern ge- 
bildetes Xet/.wcrk, in der membrana propria dagegen sind die elastischen 
Fasern stark entwickelt, stärker als in der entsprechenden äcbicbt des 
Trommeltells. Ein grobmaschiges Netz von feinen spärlichen Fasern ließ 
aieh aneb nachweisen unter dem Bpitiiel des vestibulum, im petHympbatiscben 
Balkenwttk und in der periostalen Schicht der hantigen Bogengänge; da- 
gegen waren polclie Fayern nicht nachweisbar in der membrana lucidn Aoch 
in der Schnecke und Tube Huden eich z.T. sehr reichlich solche Fasern. Obwohl 
auf Grund dieser Befunde physiologische Fragen nooh nicht gelüst werden 
kIHmen, ist doeh der Befund an der membrana tympani seoundaria aar 
Klärung der Frage, ob das HQrea nur durch diese Membran geschehe, von 
Wichtigkeit: denn es ist eine neuerdings viel erörterte Ansicht, daß die ana- 
tomiäch 80 einfache und fast ausschließlich aus elastischen Fasern gebaute 
Membran nicht imstande sd, feinste Schwingungen in ähnlich voUkommener 
Weise an penipleren und fortiultilen» wie man daa von dem sehr kunstroll 
gebauten Trommelfell und atiner Kette wohl annehmen kann. Vielmehr 
sollte die secnodaria die vom ovalen Fenster der LabyrinthtÜlBsigkeit zuge- 
teilten Schwingungen durch ihre starke Dehnbarkeit abschwächen nnd nicht 
wieder reflektieren. Leider nimmt unser Antor nicht Stellung m der aohon 
▼on Schwalb« in seiner Anatomie der Sinnesorgane ansgesproebenen An- 
aicht, daß die pcrzipierende Funktion des zweiten Trommelfelles schon da- 
durch gehemmt sei, daß <>h mrh Meiner Struktur vor allem nnr nach außen 
gebogen werden kann, und >kauu< nach innen. 

FttBtt fld noch einer Aibett Alexanders [2] gedacht Es findet neb die 
Tonllglicb« Ausbildung des Gehörorgans bei Talpa europaea (Xanlwurf) und 
Spalax typhluB (Blindmaus) in der relativen Querschnittsgrüßo des Sclincckcn- 
kanals, der reichen Zahl der Sinneszellcn und der Crnße des nervus octavua 
auageprägt. Die Sinneszellon des Cor tischen Organs formieren stellenweise 
vier lateral von den Cortiaeben Pf(^m gelegene HaaneUreiben. BivM 
kommt noch eine axial von den Pfeilern gdegene Baarselle, so daß im 
Eadius lunt' Ilaar/.ellen stehen, Ferner ist eine aupgezetclmcte Aquilibrierung 
anatomisch bei beiden untersuchten Spezies auftgedrUckt durch die besondere 
Grüße der Nervenendatellen, beim Maulwurf außerdem durch die relative Zu- 
nahme der Anzahl der Sinneeaellen nnd Faltung tnw. Furehenblldttng an 
der endolymphatischen Füiclie des Neuroepithels. überdies 6ndet sidi bei 
Talpa cnroi»aea in der Niihe der unteren .ViDpulle. und zwar im sinns ntri- 
cularis inferior eine raacula neglecta. die den übrigen höheren Säugetieren 
fehlt. Sie ist hiermit zuiu ersten .Male in eineiu hühereu Säugetiere uach- 




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literaturbericht 



75 



gewiesen and wnrdOi Ton den VOgehi Und Keptilien ibgetefaeii. nur an einem 
anderen niederen Sänger gefunden, nn Kchidna aculeata,- dabei entspricht, 
dem TypuF nnch, die uacuhi noL'lncta des Maulwurfs der gleichgenannten 
Nervenenfi^r» Ul' der Reptilien und \ ügel, wie dermacula ne^lecta der Kchidna. 
Dieser auatomiäcüu Betund ist iuäofem noch von besonderer Wichtigkeit, 
als er den iiioiphoIogl8elie& Obergang des Labyrinths der niederen Singer 
in des der liOheren illnitriert 

Etwas zahlreicher sind die Arbeiten Uber die psthologisclie Ana- 
tomie des Ohres, insbesondere des Ohres der Tanbstnmmen. Hier ist vor 
allem Alexander 2, 3, ö) zu nennen, der besonders tanbe TInnde nnd Kar/on 
untersucht hat. die er sich in großer Anzahl beschaffte. liei einer un^^etUhr 
l>/sJabr6 alteu Kutxu tiuUet er z. B. eine enorm starke Entwicklung der 
BlntgefSße der Labyrinthkapsel« die sieh beeonders im Bereiebe der pars 
inferior geltend maeht Und swar ergibt steh ftit die do|^e1te Menge Ton 
Blutgefäßen wie bei normalen Tlecen» dabei sind Arterien und Voien In 
gleicher Weise beteiliget. Ferner erscheint es auffallend (und diese Erfahrang 
ist bisher sowohl an Menschen als an Tieren gremacht worden daß seibat 
bei vollkomuiener Taubheit der nervus Cochleae nicht vollkouimea degeneriert, 
sondern daü einerseit die nicat lanktionierenden Fasern günzlicb geschwunden 
nnd, wie man annimmt, Terflflsrigt worden sind, andererseits aber die yot* 
bandenen Ftsem tinktoriett sieh normal erweieen. Der dnetus eooUesris ist 
üuit Toilstindig IcoUaUert» die Papille abgeflaeht nnd ^e Haar- nnd Pfeiler- 
zfdlen in den meisten Re^onen vollkommen geschwunden. Im übrigen sind 
nur St iif /Zellen vorhanden, und im peripheren Teil (gegen das ligaiuentum 
Spirale liini ist der spaltfürmige Rest des duetus corlilearis durch ßtemfJIrmif^e 
Biudegewebszelleu ausgefüllt. Die Cor tische Membran ist eingerollt und 
dnreh ein Diiaepiment der membrua baiilaris, lowie dnreh den entspreehen- 
den Teil der membrana Testibnlaris abgekapselt Etwas prinsipieU Neues 
ist die Yermehmng der Blntgeftße. Doeh lißt sieh noeh nicht ttberseben, 
welche Bedeutung ihr zukommt. 

Die nürhste Arbeit, die rrmrintjam mit Tandler ,6) veröffentlich ist, um- 
faßt niciit weniger als Iii kuiigenital taube Tiere, und zwar 3 Hunde, 12 er- 
wachsene nnd 4 junge Katzen. Und zwar zeigen die Untersuchongsresoltate 
an den 8 Hnnden, daß die kongenitale Taubheit der Hnnde pathologiseh'anar 
tomisoh nieht ein und derselben Taubheit entspricht, wie es beispielsweise 
bei der Katze nnd Tanzmaus der Fall ist; denn, im Ce^^ent^atz zu obigen 
Besultaten, lassen besonders die jungen Katzen den BlntgefäfMi: an l'c I als sehr 
frühzeitige Yerändernug erkennen, wonach sich behaupten lalit. daß der 
Blntgefäßmangel vielleicht die Ursache, sicher aber nicht die Folge der patho- 
logischen Entwicklung des Labyrinthes ist. 

Es ergibt sieh aueh an den Katsei^nngen, daß die nrsprttngUehen Ver* 
Indemngen in der Hypoplairie der Sc^tneekennerren nnd des Ganglion spirale, 
sowie in der maagelhaflen Ausbildung der Stria Tasenlaris besteben. Alle 
anderen Veränderungen, die wir an den erwachsenen, kongenital tauben 
Katzen finden, so insbesondere die degenerativen Veränderungen an der 
luacula sacculi und der ganzen papilla basilaris, sowie die Verödung der endo* 
lymphatischen pars inferior ^saccnlns, duetus reuniens, Vorhofbllndsaek, 
dnetus eoeUearis) sind sieher als spitter eingetretene, seknndire Verlüde* 
rangen lu betrachten. 

Ferner besehreibt auch Sehwabaoh (09) die anatomischen Beflinde an 



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Literatnrbericht 



6 Labyrinthen Ton 8 Tanbstamment der im ersten Fall, trotz der entgegeiH 
ßtehenden anamneetiFclien Angaben — die betr. 68 jährige Fran ßollte in dea 
ersten Lebensjahren durch eine nicht iiHher /u V^ezeit-hnende Krankheit iit 
(;e)i'"'r vf'rlorpn li.ibcn — den Defekt des Cortiisclieii Or^rans den primären 
und zwar ai» angeboren betrachtet. Auch der zweite i aii zeigt ab \ve»entlicb 
ehoB mangelhafte Anabildnng, biir. yolbllndiges Fehlen dea Coitiiehtt 
Organe nnd die mehr oder weniger hochgradige Atrophie dee GangUostpiiaie 
und der Ansbreitung dea nervös Cochleae innerhalb der lamina spiralis OBsea; 
doch sind gerade diese anatomischen Verandeningcn in beiden Schnecken 
recht verschieden. Auch hier ist jedenfalls der Manj^el fle? Corf i sehen Or- 
gans als primärer DetVkt und die Tanbheit. ent>rej:en dea annmneftti^chen 
Angaben als augeboren anzusehen — dafür spricht das vollständige Fehlea 
aller Yeiinderangen im ganzen Labyrinth, die anf einen nach der Oehort 
stattgehabten EntsOndongsproaeß hindeuten würden—, wihread sie im ditttes 
Falle sicher als erworben zu bezeichnen ist. Auch hier ist von der BMM- 
brana basilarig. der niembran.n HeisBnori und dem Cortischen Organ nicht» 
zu finden. Im Vorhofe fand Bich eigenartin^crweise auf beiden Seiten eine 
au.s markhalti^en Nervenfasern bestellende Neubildung'-. In einem Denen Falle 
findet Alexander (4) das ursächliche Moment fUr die Entwicklang der kon> 
genitalen Taubheit bei der Eatse nnd für den von ihm beschriebenen fiB 
beim Menschen, in der bypoplastiBchen Anlage des Ganglions VIII und dei 
damit vereinigten Abschnitts des fazialen Ganglions. Ans dieser hypopla* 
Stischeu Aulap:e dos i)erii>heren Ganglions erklärt Rieh die Hypoplaeie und 
spätere Atrophie der peripheren Nervenä^te. Sicher ist auch, daß sich eine 
Zeitlangr das hSntige Labyrinth unabhängig von dem bjpoplastisch angelegten 
Ganglion in normaler Gestalt entwickelt 

An Efgebnissen der Tcigleichenden Anatomie des normalen Sinnesoigaai, 
die für die Theorie des Harens Bedentnng gewinnen können, sei eine Ab- 
handlung von Boenninghaus (81) erwähnt, welche die Anschauung, daß 
der AcnsticuB jeder Seite mit beiden Scldiifenla[f])en in Verbindung ytelie, daß 
also der Acusticn.s nach Art des Opticus sich nur teilweise kreuze, wesent- 
lich unterstfitzt durch einen Fall von dopiielseitiger zerebraler llörötüraji(ir. 
der zeigt, daß ein wichtiges Zentrum des Gehirns einseitig vollkommea 
fiinktionslos werden kann, ohne daß die Folgen des Anafiüles auf die Diiur 
bemerkbar an sein branchen. 

Blnsichtlich der physiologischen Funktion de» Organs seien endlich ooek 
die neuen Beiträf^e zur vergleichend-pliyeiolog^ischen Fragre nach der H'"r- 
fähigkeit der Fieche aufgeführt, die durclnn? noch nicht geklärt ist. 
Fische haben bekanntlicli keine Gehörschnecke, sondern nur einen gnt ent- 
wickelten Bogengangs- und Vorhofsapparat mit großen Otolithen, der ja 
gewöhnlich nicht akustische, sondern statische Funktionen an erfUleB 
hat Die Arbeit Ton Zenneck (1S9) nntersnehte das QehOr der FiSd» 
mit Hilfe einer ins Wasser getauchten Glocke, die in sehr sinnreicher 
Weise unsichtbar ftlr die Fische nuff^eßtellt war, nnd deren Klöppel gal- 
vanisch betrieben wurde. Zenneck selbst hörte die Glocke im Wasser aof 
weite Abstände, wenn er untergetaucht war. Die Glocke wurde an einem 
Orte im Wasser aufgestellt, wo sich, von einer Brücke aas sichtbar, Fische 
EU sammeln pflegten. Wenn die Glocin» erklang, entflohen die Fische (ten- 
ciscas mtilns, Leneiscns dovnla nnd Albnmns Inoidns) sofort, nnd iwsr 
reagierten sie nicht anf die mechanischen Sehwingongen des Ansdilsgs; denn 



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Litentlirberielit 



77 



wenn die Glocke durch einen Lederriag «n Klingen Terhindert w«r, beein* 

flttlite sie die Fische nicht 

Im Gegensatz zu diesem Aator, der aus seinen Beobachtungen keine 
wdleien Eoni0qaensen sieht, nimmt Hansen (50] an, daß Teile des Yorhofs- 
md Bog«Bg»ngsipp«rates neben den erwiesenen statischen tnch noch aku- 

Btiflchen SinnesAinktionen dienen. Daß eine sehr große Anzahl Ton Fiscbarten 
Schall erzenge, sei eine sehr bekannte Tatsache, doch habe dieser Schall 
einen wenig mnsikaliscben Charakter. Damit daß die Fische lebhaft auf Kliinge 
reagieren, bringt er auch die Tatsache in Zusammenhang, daß es den Ohren- 
ärzten bisher nichtgelang, Fälle zur Beobachtung zu bringen, in denen die Funk- 
tion dereinen oder d«r anderen Hälfte des Labyrinths getrennt an erkennen war. 

Gegen Henien bat aber KOrner (Sö) eingewandt, wenn sieb die Be- 
obachtuDgen Zenneeks als gana einwandfrei erweisen sollten, so würden 
sie doch nur zeigen, daß Fische unter Umständen auf Schallschwingungen 
rcatrioron ohne daß wir sagen können, ob fUr diese Keaktion das sogenannte 
Geliiirorgau oder das HautgefUhl in Betracht kommt. Da es auch l'^rker 
imd Bigolow (24) nicht gelungen ist, bei ihren Versuchstieren [Fuudulus 
heteroeUtns, Camssias auatns) einen Gehörsinn ttberzengend naebanweiseoi 
10 bat KOrner (t6} solebe Versnebe mit 6 elnbeimisoben (Abramis blieea, 
Colntia fossilis, Oasterosteus pnngitins, Idas melanotus, var. miniatna, 
Petromezon flnviatilis, Bbodeus amams) und 19 ausländischen Fischarten 
Bettri fiugnax. CalUchthyn tVipci^itnH Carassius aurj^fii« fmit zwei VanetKtcn\ 
Chromis multicolor. Chroims i n -^it auius, Eleetris ^] i c.. CJamhuBia at'tinis. f!eo- 
piiagus braailieusia, Giardiuus caudimaculatus, iiaplochilus panchax, Heros 
ftseetos, Foecilia mealeana, Polyaeantbns Tiridi-anratas, Saecobrsnebna foe- 
silis, Totragonoptwaa spee., Triebogaster faseiatns» Tricbogastor lalins) an- 
gestellt. Zur Schallerzengnng benutzte er das Cri-Cri, d. i. eine kleine längliche 
Metallplatte, die in der Mitte eine Ausbuchtung trägt, welche beim Biegen 
der Platte mit einem unangenehm lauten uihI scharfen Knacken nach der 
anderen Seite ausspringt, um beim Nachlagsen der Biegung wieder mit Knacken 
in die frühere Lage v^uriickzukehreu. Dieses brachte nicht die geringste 
Andemng in dem gansen fienebmen nnd in den dnxelnen Bewegnngen der 
Fisebe bemr. Desbalb siebt KOrner ans aUen Arbeiten, die bisher Uber 
dieses Gebiet geliefert worden sind, folgende Schlüsse: Es seheint, daß manebe 
Fischarten auf im Wasser erzeugte oder in dasselbe geleitete, in rapider 
Folge wiederholte Schallschwingnn'„'-en rentieren. Daß die Fische jedoch 
solche andauernde Schallreize durch da^^ ^-^j^euanute Gehürorgan wahrnehmen, 
bt trota& mühevoller und scharfsinnig angestellter Versnche niciit bewiesen. 
VIslBiehr sohelnen dabei bald Gefllbls^, bald Gesiebtaeindrtteke die von den 
Aatoren besebriebenea Beaküonen, sofern es sieb wirklich nm solche bandelte» 
veranlaßt an haben. Unter Wasser erzeugte einmalige laute knackende Qe- 
riiuache von verschiedener Stärke und Höhe hatten l)ei 2ö Fischarten nicht 
die geringste Reaktion zur Folfje. Die Tatsache, daß die Funktion anderer 
Sinne der Fische, wie dep r'Pfichts und des Gefühls, sich »tctA leicht und 
überzeugend nachweisen labt, macht es fast sicher, daß auch da» Gehör leicht 
tad ttbenengend naehanweisen wSre, wenn es die Fiaehe bitten. Da nnter 
tUen Wirbeltieren allein die Fische kein dem Corti sehen TCtgleiehbarea 
Xervenendorgan besitzen und, soweit bekannt, die einzigen Wirbeltiere sind, 
bei denen sich ein Gehörsinn nicht nachweisen läßt, darf man bei den Wirbel- 
tkettu nur dem Nervenendorgan der Gehürsebnecke das Vermögen anschreiben. 



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78 



Literatnrberiolit 



GebÖrseindrUcke vermitteln. Daß ein solches Vermögen auch irgend- 
einem Teile des VebribnlarapparateB zukomme, ist eine zaizeit nnbegründete 
Uypothetie. Außerdem eutbehren die Fische auch der äußeren Ohrnmschd 

Diü piiybiolugiBcben UnterBuchungen Uber das 

Gehdrorgan 

Bind vor allem von der Absicht getragen, in dem großen Streite um dieBe- 
Bonanzthcorie positives Material über die konkrete Vermittlunfr der änßeren 
Schwinf,'iinj?en anf die GehOruervenendi^ngen. besonders auch an der Hand 
physikalischer Untertiuchungen am Modell, beizubringen. 

NatllrUoh darf mta dabei ide Teigeuen, daß aoldie ModellTeniielie neiit 
nur auf Analogiei eblUasen beruhen, alao ketne bestlninte Aiiaaage emi^ 
liehen. 

Aus den oben angegebenen Grllnden wird eich der Bericht Uber die 
Phyiiologie des Gehörorgans am besten mit dem über die 

SelinlleltaBv 

verbinden lassen. 

Beztiprlich des Mittelohres natürlich vor allem zu nennen die Arbeiten 
Uber die Mechanik (les Trommeiteiles und der Gehörknöchelchen, ternor über 
die Funktion der Binuenobnnuskela und die Bedeutung der l'aakeuböbJe 
nebst Tube fUr das Hßreu. Die ScballUbertragung durch das Mittelohr iit 
aeit Heimholt« swar venchiedenflich atadiert worden« bietet aber, wie m 
ein BUek anf die Ergebnlsee der Arbeiten i«gt, nicht geringe Schwierig- 
keiten E? ist jetzt weuif^stena &o vid klar, d.iß Trommelfell und Knöchelch«- 
kette bei der Sohallfurtpäanzung ans »h r Luft auf das innere Olir als Ganze« 
Bchwin^ren. daß der "Steigbügel etwa nach Art eiues Stempels aut' das o%*ale 
Fenster wirkt und dadurch die LabyrinthtiUssigkeit gegen das auaweichende 
rande Fenater schiebt. Hierüber werden wir noch weiteres bei den HSr> 
theorien an enrKhnen haben. 

Jetst tei nnr noch anf eine Arbeit Kretsohmanne Ober die akastiBcbs 
Funktion der Infthaitenden Hohlräume des Ohres (56) hingewiesen. Daß diese 
Anordnnn;» im Ohre keine nütergeorduete Pedeutimf? haben kann, zeipt js 
Bchon die große Ausdehnung der pneumatisclien Hohlräume. Femer berech- 
tigt natürlich die Existenz abgeschlossener Lufträume an Organen, welche 
der Erzeugung (Kehlkopf) und Aufnahme (Ohr) von Schallwellen dienen, n 
der 'Annahme, daß sie eine den Schall irgendwie bewnflaasende Fnnktion 
haben werden. Um dies in nntersnchen, bat Kretsohmann eine Anzahl 
physikalischer Versuche am Modelle angestellt, die die Versuche am Original 
ersetzen müssen, da eine direkte Untersiu-hnni^ am Original, die nattirlich 
den gewünschten Aufschluß am bebten geben kOnnte, znrreit nocli nioht 
müglich ist. £s zeigt sich, daß der Luftinhalt von Hohlkörpern auf Töne 
veittirke&d wirkt, er retonlert Die An%abe erfBUt er, eowoU wenn die 
Mündnng offen, als anch, wenn sie durch eine geqMOinte Membran TereeliloeBen 
ist Es lindert nichts an der Wirknng, wenn sieh porOee Inftftthrende feste 
Körper in dem Hohlräume befinden. Der Eigenton eines mit Mcmbr i-! v^^r- 
sehenen Kesonators läßt sich durch Spannungsveränderung^ der Membraa 
ebenfalls verändern. Femer macht er es durch seine Versuche wahrschein* 



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LiterstnibeTicht. 



79 



lieh, daß wir in deui System der Hohlräume des Mittelobres einen Appai'at 
besitzen, der imstande ist, klanpvnr - tUrkend zu wirken, und daher Klang-- 
wirkunfceu. die ohne oinen solchen Apjjarat nicht mehr wahr^^enoninien \vfir<ien, 
loch wahraehoibar uiaclieu. Nuu wird zwischeu der lateraleu scbaiiauf- 
velmeiidon und medialen eelulUbgebenden Wnd eine Verbindung bergeitidlt 
doreh die GehOrknOehelehenlcette. an deren Steile bei den VOgeln die Coln- 
mella tritt, die beide ähnlich wirken wie der Stfmmstock der Violine; doch 
handelt es sich bei den Säugern um einen bopenfürniit;;' gekrümmten Stab, 
der, um eine größere Ela^tir.itiit zu orreichen, durch Kinfiiirung eines Ge- 
lenkes zwisclien Hammer und Amboß getrennt ist. iu den beiden Muskeln 
der i'aakenhühle äind dann Zagkräfte vorhanden, welche die Schenkel det» 
Bofms einander m nlhem inutande aind. Die memliranttaen Teile, Ring- 
band des Steigbflgela and TrommelftU, die in fester Yerbindnng mit dem 
HainmerainboßbUgel stehen, folgen diesem Zuge, sie rücken nach innen, 
werden gedehnt nud gespannt. HJjrt der Miiskelzug auf. so kehrt der 
Apparat darch die elastischen Elemente seiner ^Membranen in die Knhelage 
zurUck. Daß nun in der Anlage der (ieliorknüchelchenkette und in dem 
Vorhandensein eineä Aluäkelpuare», weichet» au den Enden des Bogeus au* 
greift, den die KnOehelelien formieren, eine Vorricbtnng geschaffiBn iet, welche 
es ermQgUebt, die Membranen dee Infthaltenden, dem Labyrinth Torgelagerten 
Bobiranmea zu spannen und demselben eine dem jeweiligen aknstiBchen Be- 
dürfnis entsprechende Schall Vermehrung oder -vcmiinderung zn geben, machen 
die von Eretbchmann ausgeführten Verbuche wahrscheinlich. Außerdem 
findet er. was ächou Helmholtz und nach ihm l'olitzer gefunden haben, 
daß Töne hoch- und tiefgestimmter Stimmgabeln, welche bei flachen 
Hembranen nnr sehwach gehtfrt wurden, sofort stSrker wahrnehmbar waren, 
wenn die Membran dnrch einen Zng am Hammer eine gewOlbte Form er« 
hielt. 

Wir k(5nnpn mit großer Wahrscluiunchkeit sagen, daß das Ohr in dem 
ijy!-tem der Mittelohrräume einmal eine Scliutzvorriehf ung besitzt, die Schii- 
dig:uugeu, welche starke Schaliwirkungeu ausüben können, zu verhüten im- 
•tonde ist. Sodann aber dient das Mittelohrsystem als Akkommodationsapparet, 
welcher eich auf den ihn treffenden Schall in die Stellang begibt, die er- 
lorderlieh ist, nm dem sdiallempfindenden Organ das geeignete Tonbild an 
ttberaritteln. Und zwar werden das runde Fenster und die Knochen- 
Icspsel des Labyrinths erst durch das Vorhandensein citm« biftfUhrenden 
Hohlraumes, bzw. durch deneen Resonanz, befähigt, Sciialiimjmlse einiger- 
maßen wirksam dem Labyrinthiunern zu Ubermitteln, daß aber auch das 
orale Fenster durch den geschlossenen Luftraum die Fortleitung des Schalles 
▼erbessert Schallreise können aber die Inftftihrenden Hohlrünme des GehOr- 
e^asa nieht nnr anf dem Wege durch die Snßere OhrOfihnng. erregen, 
Sendern sie können aneh dnrch Erschütterung der Knochenwandnngen die 
Binnenlnft in Schwingung versetzen. Der Übergang dee Schalles von dem 
Mitteiohr auf die LabyrinthflUssigkeit kann sowohl durch jedes der beiden 
Fenster als auch durch die knücherue Labyrinthwand erfolgen. 

Welcher dieser drei Wege: FaukenhöhlenmeohaniBmos mit dem ovalen 
Fenster, das rande Fenster oder endlich das Pn>raontoriam; besonders in 
Betmeht kommt, darüber hat vu a. Donnert (SS, S9) Untennchnngen an- 
gestellt. Nach seiner Ansicht kommt das runde Fenster in bezng auf die 
SchaUübertragnng nnr als Durchgangsstation in Betracht und TergrOßert 



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80 



Liteninrbericbt 



eigentlleh noeh, wi« rieh da« ancb «perinenlell seigen llßt, die an und fttr 
sich schon ecbwierise ObertragaBK des Sebslles aus der Luft in die Fltteeig^ 

keit, wenn auch rngrcgohen werdpn l^finn, daß dif^^es Schallhindernie ein 
relativ geringes ist. Das Promontonuui würde einujiil wir (hiy l umie Fenster 
als DorcbganggsutioQ in Betracht kommen uud zweiteuä nach Zimmer- 
manns Ansieht (198), mit ümgehnng der Labyrlntbflllsaigkelt als ein den 
Sefaall direkt dnrcb den Knochen auf die schwingenden Teile im Ohr ttber> 
tragendes Moment. Wenn wir nun die dritte Einganp-pi fortp den Paaken- 
hüblenmecbauiHmns, in bezng anf ihre gHtßere oder geriugefe Zweckmäßigkeit 
der SchallUbertragang anf das innere Olir prüfen, so iut den vorher erwähnten 
Sehwiorigkfliten der Sohaliabwtragang anf Flttulgkeiten naeh d«r ^»en 
aaatamitdiMi Konfiguration deaaelben am meietan Baehnnng getragen 
worden. 

Was die oben erwibiite Ansicht Zimmermauuä betrifft, so wendet er 
■idi in den hierhergehiirigcn Arbeiten il23, 124; gegen die bisherigen Mei- 
nnngon, daß ab Leitnngsweg nnr die beiden LabyiintiiüNiater dienen konnten 
und gegen den diesen Metnungen mehr od( r .veniger bewnfit anginnde 
Tippenden Gedauken, daß immer erat ans dem Labyrinthwasser die perzi- 
pierendcu Fafleru erregt werden könnten. Nach seiner Theorie führt der 
wirluame Zugang von der Lnft direkt doroh den Enoohen anf die ihm nn- 
mittelbar verbundenen Faeen. Um diee nadnnveieen, hat er unter Kadi* 
bildung der gegebenen Verhältnisse eine Versnchsanordnung konstruiert, die 
Dftclnveist, daß ans einem flüssigen Medium ein tV^^ter Kürper schlechter den 
gleichen Schall aufnimmt, als von einem anderen sehaUanfnehmenden Kürper, 
mit dem er noh berttlirt Da auch die pertipierenden Fasern im Ohr fnak- 
tiondl ale feate KOrper ananapreehen H&en, glaubte er eben, daß man auch 
die SeliaUtlbermittlung nicht sowohl dem Waaeeti daa eie mngSbe, zu danken 
habe, als vielmehr den festen Wlinden. zwischen denen sie an^g'espannt seien. 
Auf Grund des Versnchs verwirft er auch die Ansicht, daU im Ohr für hohe 
und tiele TOne vencltiedene Leitungen vorhanden sein mUfiten; denn da 
die tieferen T($ne die grOfiere lebendige Kraft beaißen — eine 
Vorattsfletsimg, die ja gerade heftig nrnstritten ist — , bedürften sie durchaus 
nicht eines bpsondoren überleitenden Hebelapparates. Nach alledem sehien 
also die wirksame Leitung durch den Knochen direkt anf die Fasern zu 
gehen, abor ueht dnreh ^e Fenitor anf daa Waaaer. Ate Zweek der Feuater 
gibt dann Zimmermann deneelben au, den er eehon in aeiuer »Hedunik 
des Bürens« dafür in Anspruch genommen hat. Das Schneckenfenster alf< 
eine membranös geschlossene LUeke in der Knochenwand etellt sich der 
ganaen Anlage nach dar als eine Einrichtung, um die subtilste Keaktion der 
EndfiMem an^ anf Maeaten Sehall an «rmOgliehen, IMe unnachgiebigen 
Knoehenwinde aetien den ednin^ben Umlagemagen der WaBaermolekflle 
gewisse Widerstünde entgegen, die dem zu wünschenden allerleiclitesten An- 
sprechen der Fasern nicht eben pünRtig seien. Ist aber durch Kinf»chaltun>c 
einer elastischeren ätellu der Widerstand verringert, so ist damit aucü den 
enbtfleu Sdiwingungen Spielraum und Sohwlngungsrichtung gegeben. Somit 
iit daa Sehneokenfenster eine Vorbedingung der Hürfeinheit. Das Vorhofs- 
fonster dagegen wirkt als PräzisionB- nnd Dämpfungseinrichtung, da ein £in- 
wärtsrtieken des SteigbllpelB den Labyrinthdruck erhohe, der eich anf die im 
Innern ausgespannten Gewebe im Sinne einer Dümplung geltend mache, da 
die Gewebilheem mit annehmendem Dmcke atelfer nnd ateifer werden nnd 




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Utaratarbaileht 



81 



4ad«rdi tariigw Mburiiigeit ErhVtit wiid die Wirknog nodi ImI ToriHNulm* 
Min fllaer In der Wand angebrachten Gegenmembtan, die, dem Onleke nteh- 

gebend, §lch nach außen buchtet, wie man dies gut nn einer Stempelapritzo 
studieren kann. Dieser Mecbanismn? der Ilegulieruug des An- und Ab- 
klingeoB der Fasern ist, wie Zimmercuanu schließlich hervorbebt, sehr wert- 
Toll nnd mohtmUig tii Vorbedingang der btriien UntenohiedMmfAidUebkelt 
de« Obies. 

Pieaer Ansicht Zimmormanns hält Lacae '62 ontffe^en, daß der 
l>ruck in einer geschloBßenen Hühl«, wie sie die Trommelhöhle darstellt, auf 
aüe i'uukte derselben der gleiche ist, daß also die Schallwellen gleichseitig 
doreh die SehaeekenluiiMl und durah die Fenster, beeonden dimdi dae 
mnde Fenster in der Schnecke, eindringen müssen. Wie sich an KfMkn 
neehweiBen laßt, ist die Lnftschalleitnng von der prrüftrn Bedeutung'; es 
läßt sich ferner nachweisen, daß nicht etwa in der bekaimtpii konsekutiven 
starken Lmziehting des 1 rommelfells und der von den Otologen angenommenen 
abnormen Fizlemng der GebttricnVohelehen, beeonden dMSteigbageU, Bondem 
in erster Unie in dem luftleeren Räume in der 'I roiumeUiOhle In lolehen 
Fällen die Ursache der Schwerhörigkeit liegt. Mit Zimmermann dagegen 
?en»'irft Lncae die Annahme Hezolds von einer doppelten Schalleitung. 
* Es war erwähnt worden, daß nach Deunerts ^38, Ansicht der Schall in 
LnfUeltong auf jedem der drei in Fnge etehenden Wege, dem PnnkenbOblen« 
mechaniemiu, dem Promontorium und dem ronden Fenster auf des Innere 
<»h- übertragen wird Der raukenhf5hlenmechaTii8mn9 ist aber am 7'.vfck- 
mal-Mgöten fllr diese Aufgabe von der Natur entwickelt, daher kommt ihm 
auch von diesen drei Wegen die grüßte Bedeutung fUr die ScballUbertraguDg 
Im inneren Ohre nn. Eine bedeutende Bolle beim H9ren spielen »neh die 
Membranen im Gehörorgan, einmal in bezug auf die Übertragung den 
,^rh;t!!e8 aus der Luft auf di'> LabynnthflUssigkeit, überhaupt durch dieVer- 
binduug des irouimelfellcs mit der GehOrknt^ohelchenkette, und andererseits 
zur Analyse desselben durch die Verbindnng der membrana basilaris mit 
üuen Adnexen nn engeren Syetemen. 

BesOgUeb der Funktion lies Promontoriums ist Donnert der Ansiollt 
Zimmermanns 123, 124, 125 , daß ea den Schall mit Umgehung «l^r La- 
b^Tinthflüssigkeit direkt durch den Knochen auf die schwingenden leile im 
Ohr übertrage. 

Ziramermnnn wiederum wendet rieh gegen Benold (IM), der Ter» 

Bchiedene Schlüsse Uber die »Knochonleitung* und die Funktion des Sehnll- 
leitungsapparates auf eine Hörprüfung mit Stimmgabeln aufbaut 21. 

An der sogenannten Rnoobenleitnng haben wir dreierlei Vorgänge aue- 
einnndennhnlten; 1) die Zuleitung von Setinllwelleii nur Knoebenoberfliehe, 
eei ea dureh fie Luft, sei et dnreh direkten Auftetsm einee feeten tttnenden 
Körpers auf dieselbe; 2 die Durchleitnng durch den Knochen, was zu- 
gammenfiiUt mit tier Schalleitnngsf;ihigkeit des Knorhens und 3) die itber- 
tragung auf die Labyrintbwassersäule, sei es direkt ilmch die Knoohenkapsel, 
eei ea dnreh dw VermitÜnng dee SehaIleitBQg».ii>i)anitea im MIttelobr. 
Ob eine direkte Zuleitnag, sowohl von der einen als von der anderen 
Seite bei einem einseitig rolikommen Tauben zum I>ftbyrintli des ge- 
sunden Ohree erfolgt, oder ob diese ZnleittniL' zuerst rronimelfell und 
Leitongskette der gesunden Seite in Masseuschwiuguug versetzen uiuß, um 
4ie Ittr den HOren den Tonen notwendigen Temdiiebnagen der Labyrinth- 

AfclUv IBar P^ebglegi«. XIII. litttate. 6 



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I 



^ Litentnrberioiit 

wasBPrpäulf 7.n errengen, das mag der Pliysikor entpt'hoiden. Bezold will 
lediglich iiutersur hen, ob Uberhaupt und mit welcher Intensität in der Luft 
erzeuge ScballweUca, welche die Knochenoberfläcbe treffen, ohne mit ihr in 
direkter BerUbmiig za stehen, zur Perzeption gelangen, wie uns dies von 
festen tonenden KOrpern bdcinnt ist, wel^e der KnodienoberfliGlie aufgetetrt 
werden^ wie die 8timmg»1>ela. Dnreh die GehOreprBlirag TOn Tier LabynBÜi- 
losen, mit normalem anderen Ohre, bei denen i^o ziemlich das ganze Trommei- 
fell fehlt und außerdem die nnpc:i"lrrrfp nffi^n stehende Labjrinthhöhle mit der 
Pankenhühle einen gcnieinsauieu großen ßiium darstellt, der mitsamt dent 
änßeren Gehörgang einen bis tief in die Schädelbasis hinein nnd nahe zqid 
intakten Labyrinth der anderen Seite führenden weiten Kanal bildet, doreb 
die OehOnprOfuig dieser Kranke hat fttr Besold die Annehme einer di* 
xekten Knodiensnlettong der Lnftadisllweilen snin Obre ihr scheinbaiM 
Fundament verloren, auf welchem sie aufgebaut ist; denn in allen Fällctt liat 
das atiderp intakte Ohr die obnrtönpfreieu belasteten Stimiu^'abelu der pransen 
unteren musikalischen SkaleuhülUe bis zum c eil weise auch dksf? ein- 
geschlossenj absolnt nicht gehört, wenn die Stimmgabeln nach stärkstem 
Anschlag mit ihren Zinkenenden in direkte NShe des labyrinthlosen Ohnt 
gebraeht wurden. Fttr die obere HUfte der Skala hat er allerdings am 
labyrintUosen Ohr ein anderea Verhalten gefunden ato illr die untere Hüfte, 
was er daraus erklärt, daß auch der festeste Terschluß des Qehürganga aaf 
der hörenden Seite nirlit nn^rf^icht um das geßnn ie Ohr vom Huren der 
Ltiftschallwellen b'>Ii< r 1 eine aii87,n8chließen. pleirhg:ültig. ob der Weata§- 
eiugang des labyrmthlusen Ohres offen oder geschlossen ist So zeigt sieb, 
daß der untere Teil der Tonakala, wenn er durch die Lnft vermittelt wird, 
nicht Tom Knochen direkt anfgenommen und anm Labyrinth weiter fieieitst 
werden Icann, also ist uns die Bedeutung vollkoninien klargelegt, welche deai 
Schalleitun^sappnrat füv die Überleitung des unteren Teiles der SkaU zo- 
kommt riaß ohne diesen Apparat ein Hören per Luftleitiuig bis sor eing^ 
strichenen Oktave herauf überhaupt unmöglich wäre. 

Zur ErklUrung dieser Beobachtungstatsache gibt es nur zwei Möglichkeiten, 
wie Beiold in den weiteren Ontersnehnngen Uber Knochenleltnng nnd SebaD- 
leitongsapparat im Ohr (SS) ansftthrtt Entweder der mit Wetchteilea IUM^ 
kleidete Schädel gerät Überhaupt nicht in Mitschwingong, wenn Wellen von 
TOnen, welche in der unteren Hälfte der Hi^rskala liegen, in Luftleitung auf 
ihn auftreffen. Oder die Schallwellen gehen zwar auf den Knochen üb''' 
aber der mechanische Kndapparat, in welehfm (lic H;i;iraellen d*^« nenus 
acusticuB eingespannt sind, wird, weua die LLerUituug direkt durch den 
Knochen, d. h. ohne VennitÜnng des Schalleitungsapparates geschieht, nickt 
in eine derartige Bewegung yersetst, daß die Cortiscben Zellen dadnrek 
gereist werden. 

Daran schließt sich eine Diskussion der Fälle von doppel^^eitiger Gehö:- 
gangsatresie, in deren Vorlauf Bezold auch das relativ gute Hnnrnnöirea 
dieser Kranken in Einklang zu bringen sucht mit seiner Vermurung. dat> 
durch die Kuocheuleituug aHein wahrscheinlich ein llürvermügen ftir die 
Sprache nicht Tcnnittelt werden könne. 

Im weiteren Yerlanf dieser Untersnebnngeu fthrt er anch an« da0 bei 
größerer Annäherung der belasteten Gabeln der Edelmannschen Tonreihe 
:iT? «Ins mit dem F'inger verstopfte Olir sich ergab, daß auch fii> tieferen 
Stimmgabeln» und zwar bis Äi ^Kontraoktaye) herab noch deutlich gehSrt 



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liteifttaibeiielit. 



83 



worden, während sich sonst, wie Bchon Wann er [III] an einem einseitig 
LftbgnrlntliloBea und dni in ftadernr Wtbe tSamaJäg Ertenbtan, weldM iMiiil- 
lieh auf der «Bdenn Seite aoniial bArtm, mit dersellMii Edelmannidieii 

Tonreibe gefanden hatte, als untere scheinbare HOrgrenze des ertaubten 
Ohres '/ er.TaT): der Ton dieser Gabeln erscheint am so stärker, je mehr sich 
die schwingenden Zinken dem verschließenden Finger oder der Hand nähern. 
Di« StimDgiftbel o ood di« hObeven wurden sogar noch gehUrt, wenn Ble 
naeh Mirkitom Anschlag nahe an das obere Ende des Unterarms gebraehf 
wurden, was ja mit den Ergebuisseu der Verbuche Iwanoffs 63' über 
die Schnlleitung in Röhrenknochen und Kretschmanns ,56) über die Re- 
sonanz: im Knochen and Knorpel Ubereinstimmt Der Übergang von Schall- 
wellen ans der Luit auf die 8cUd«lob«ittle1i« Ist aber bedeutend iutoU- 
kommener als die Aufnahme und Fortloitung der Schallwellen im Knoeh«l> 
Aiuh dir rlen Schädel bedeckenden Weichteile bieten kein wesentliches 
Hindeniih :iir den l'bprtrang' der Schwiagangen vom Rtimmcnhelötiel auf den 
Kuuchcu, wuYuu mau sicii leicht ttberzengen kann, wenn eiae Anzahl Vp. 
die KSpfe so aneinaadeibalten, daß sie eine Keibe bilden and mit ibren Pa- 
tietalbOokeni aneinander drucken. 

Im weiteren Verlaufe der üntersuchiin«reTi Vann "Bezolr! die Tatsache 
selbst, dal3 ein kleiner Teil der Luftschallwellen auf den Knochen Uberg^eben 
und direkt zum Labyrinth fortgeleitet werden kann, bestätigen, ohne Maders 
Ansieht beisttstimmen, daß diese das Labjrrintb aof direktem Wege smiehen« 
den Sehwiagnngen des Enoehens nach notwendig zur Perzeption gelangen 
mtlssen. Denn vor allem ist hier 7,u beriickf'ichti<rpn die verhältnismäßig:^ 
kurze Hürdauer fUr Stimmgabeln, welche mit ihrem Stiel der Schädelober- 
flüehe aufgesetzt werden, gegenüber der langen Hördaner flir dieselben in 
Loftldtang. Ans darBImr angestellten Versneben efftbran wir« daß aneb der 
Schädel !n Mitschwing^ungen versetzt werden kann, wenn seiner Oberfläche, 
bzw. der offenstehenden leeren Labyrinthhühle genögend starke Btimmgabel- 
tüne durch die Luftleitung zugeführt werden. Zweitens ergibt sich, daß 
SebaUweUen dnreh den Kopf geleitet werden kSnnen, welebe ein iweiter, 
den Kopf anaknltierender Beobachter stIriEer als der erste, ja sofsr solebe, 
welche dieser gar nicht und der zweite Auskultierende allein hört. Damit 
ist der Nachweis pelicfert. daß Schallwellen die Schädelknochen und somit 
aneh das Labyrinth durchströmen können, ohne zur Perzeption zu gelangen. 
Aneb ist dne munittelbsre ^eitnag amn Labyrinth, sogar beim H(bten von 
direkt dem Sebidel angeführten Schallwellen, ram mindesten keine Not> 
wendigkeit. 

Aller Wahrscheinlichkeit nach beechränkt sich überhaupt unsere Hör- 
perzeption nicht nur in Luft-, sondern auch in Knochenleitung ausschiieß- 
lleh anf die Sebsllwellen, welche auf Ihrem Wege «nm Labyrindi den 

Schalleitungsapparat passiert haben, nnd es bleiben die Schallwellen, welche 

das Labyrinth direkt, d. h. ohne geeig^ite Vermittlung' rlr ^ lotztcren trefTen, 
fUr uns unhörbar, und zwar sind ea in erster Linie, wenn nicht au.sschließlich, 
die transversalen Schwingungen des Trommelfelles, bzw. der Stapesfnßplatte, 
welche snr Peraeption gelangen. Außer den molekularen Sehwingangen, 
welche von einer anf den Schädel aufgesetzten schwingenden Stimmgabel 
auB ilsif T!"rorfran durchlaufen, muß man auch die rhythmische Erschütterung 
in Betracnt ziehen, welche dem Srlrndel von der aufgesetzten Stimmgabel 
mitgeteilt wird. Die im Gehörorgan auucrordeutlich beweglich aufgehängte 

6» 



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84 



Lltentorberieht 



Schalleitungskette wird nnn diesem rhythmischen Hin- und Hergang nicht ein- 
fach folgen. Boudern vermöge der Trägheit ihrer Massen jede Beweguufr des 
Schädels iii der Eichtung des Stimmgabeldrucks mit einer Verschiebiu^ 
im entgegengesetzten Sinne beantworten. Diese StOnmg, welche diese teil* 
ftthe im entgegengaMteten Siane itattfiadeiido »molin Bewegung« ii dte 
FortMtQBg hareinbringt, ISOt das MißveiliiltiiiB swiaohen «l&o- mid oatae- 
tympanalcr Leitung viel leichter TOitalum, ebenso wie eine Reihe bis jetrt 
riitselhafter Beohaehtungser^ebnisse, welche bei den verschiedenen Erkran- 
kungen des Schallei tungaapparates uns entgegentreten. Aber aoch von den 
Schallweilen, welche zom Sch&Ueituugsapparat gelangen, scheinen nur die- 
jenigen fOr das Gehitr in Betrtekt bu kommen, welche diesen Apparat oit- 
Mmt der auf ihm rnhendea LabyrintliwaMeninle als Gaiiaca In traammlt 
Sohwingongen , d. h. In- nnd Exkursionen, yersetxen. Es TennOgen nach 
allem Vorhergehenden auch die abgestimmten Fasern der membrana basilirii 
im Co rti sehen Organ nur durch ihre Hin- nnd Herbewegung in transver- 
saler Richtung eine llörreaktiou m den C ort i sehen Zellen hervorzumfen. 
Ebenso ergibt sich, daß die Aufgabe des Schalieitungsapparatea für die Hör- 
perzeption darin beiteht, die longitudioalenSeballweUeader Lnftebeniovie 
4ie den Sehidel dlrdct duduetaendea longltadlnalea SehallfreUen in tna»* 
versale Sohwingongen umzuwandeln, welche allein imstande sindt die nerfOieB 
Eadapparate des Ohres in perzipierbare Mitschwingungen zu versetzen. 

Dagejren hat ihm Ostmanu 82 eingewandt, er glaube nicht, daß diese 
Verencho hinreichend exakt autigefiihrt worden sind, um die Einflibrang eine« 
neuen Bewegungsmomentes in die 1 heorie der osteo-tyuipaDaleu Leitung in 
wUnsehenswerter Weise in sttttaen. Denn es sei a. B. die yocaaaietm& 
daß der Stiel der Edelmannschen Stimmgabel longitndinal sehwingt» ftlMk 
Es seien nämlich am Stiel der schwingenden Stimmgabel ttberiianpt keine 
longitudinalen Schwingungen nachweisbar, sondern allein transversale ^c- 
stimuiteu Charakters, sobald ihre einfachste Form z.B. die Appunusohe 
Gabel von 32 Schwingungen) verlassen wird, wie dies bei den Edeimana- 
schen Gabeln der Fall ist. Denn durch eine 7ö—llä fache Vergroi^ening 
116t sieh neben der transversalen Schwingung eine longitudlnale des Stisles 
nicht nachweisen. Für den Stiel der höheren Gabeln hat aieh eine geaia 
gleiche Schwingungsform wie für die tiefste Gabel gefunden. Ferner zieht 
B<'7.<,\d aus der verschiedenen Größe der Amplitude, bei der der Tou diireb 
Luft- und Kuoclienleituiig verklingt, Schlüsse hinsichtlich des Wertes ilieier 
Leitungen und schützt den der Knoehenleituug relativ sehr gering ein, weil 
die Schwel lenwertsamplitude, bei der der Ton per os verklingt, seines E^ 
achtena erheblich großer ist als die Schwelienwertsamplitode fllr LalitleitiDig. 
Ftlr die Knoehenldtong kommen aber beim Binn eschen Yefsneb allein die 
Schwingungen des Stieles, fUr die Luftleitung die der Zinken in Betracht 
pnrfli 0 st ni a II n s rntorsnchuniren ergibt sifb nun. daß die Schwellenwerts- 
aniplitude für die Luftleitung 240 mal so groß iatt wie die für die Knochen- 
leitung. 

Ans diesen Untersnchangen ergibt sich also, daß, wenn wir den W«t 
der Knochen» nnd Lnftleitong fttr nnser HOren nach der QrOße der Amplitode, 
bei der der Ton fOr das Ohr verklingt, abechStsen wollen, wir nur zu dem 

Urteil kommen kOnnen. daß die Übertragung eines Tones bis g — über die 
höheren können wir zunächst nichts aussagen — dnrch den fijioehen an* 
endlich viel feiner als durch die Luft ist 



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LitenttorberiAlit 



Bezold sah ileli dutoh n einigen Berichtigungen TenalAßt (28), in 
tera «r & B. dtranf falnwfiit, dttß dio longitadiiialeii Bekwingnngen des 
8dniingmb«btieb lidi im Qegennti la OstmAiins Unterauohiiagen »ehr leicht 
haben nachweisen linen. Ferner wefBt er den Vorwnrf zorUck, daß nach 

smer Behaupttrag- nur lon-itudinale ächwingangen don Schädel in ent- 
sprechende rhythmische Ersctüitterung versetzen. Schlieblich hebt er hervor, 
daß trotz Ostuauns gegentüiliger Behauptung durch Bezolds Versuche 
dtrdiiekte Beweis geliefert ist, daß die lioftleitung die KnoefaeBleitmig, wenn 
avoh Hiebt imeiidHeb, eo doeh, wenigeten» mit Blleksielit auf die bei weitem 
ungünstigeren ZnleitnngSTefldiltiiisee tSt die Lvftleitniig vom Stide lim» 
•ehr beträchtlich an HOrdauer ttbertrifft. 

Bezold erwähnt weiter, daß nach Verhipt von Trommelfell, Hammer 
und AraboB auch der Steigbügel, ja selbst seine FuOplatte für sich allein, 
noch eiueu beträchtlichen Rest von Gehür, sogar in Luftleitung, Uber- 
■itteln ▼ennag. Die Knoohenleitnng erführt aber dmek diese Yerlcttisniif 
der Kette doxehgibigig eine anittlUge Verbesaening. Alle diese meehaniBebeii 
Veränderungen am Schalleitungsapparat — die Yerkflniing der Kette, die 
Oewichtsvermehrnnp ihrer Glieder und die straffere Anspannung ihrer Weich- 
tcilrerbin düngen — treten mtih l»ei den Was«erfi:iagetieren pliysiologisch als 
I*rodukte von pliylogent- dx liea Umwandlungen entgegen, welche dieselben 
erfahren hab«n. Wir »ind zu dem Schlüsse berechtigt, daß dieselben ebenso 
wie beim erkrulEten mensoUiehea, sneh tm noimüen Wslohr in ihrer Ge- 
matheit swsr nn einer YerMhleehtemng des Gehtfrs fllr SehsUandrfleke, 
weiche ans der Luft kommen, dagegen sn einer Verbessemng des HOiena 
mter Wasner E?ef{lhrt haben. 

Denn für die Überleitung der Schallwellen nimmt BUnninghaus (29) 
ebenso wie bei den Land- anch bei den Wabrtereaugetieren die GehUr- 
kaßehelchenkettc als notwendiges Mittelglied in Anspruch. Er schreibt: Es 
ist dafür Sorge getrsgen, daß dem Labyrinth nicht Ton allen Seiten her die 
Schallwellen des Wassers mgeftthrt werden, was den Nachteil haben wdrde, 
daß im Labyrinth eine Abscfawächung des SehsOes durch Interferenz entp 
ttändf> nnd somit ein schlechtereH I!;>ren. Das ipt erreicht 1 (hirch akustische 
Isolierung des Labyrinths, d. h. durch emr bis an die (irenze der Zulässigkeit 
getriebene LIJsung des knöchernen Labyrinths aus seiner Verbindung mit 
dsn ttbrigen Schädelknochen und durch AnfUUung der durch die LOsnng 
entstandenen BKnme mit Lnft, nnd swar von der PankenhOhle ans. 9 Dnreh 
Verhindemng etwaiger Resonans der in der PankenhOhle eingeschloesenen 
Luftsäule, was erreicht ist durch Einban eines sehr merkwürdigen großen 
Kr.rppH» in die Pauke. Ks ist dagegen Sorge fptrricen, daß dem ovnlfn 
iensttr Jie .Schallwellen des Wassers in ganz bevorzugter Weise zugeiiihii 
werden durch sehr erhebliche Verdickung und Verdichtung der ankylosierteu 
GehSrkntfdielchea «ad dnroh Bildung einer sehr auffallenden trichterfiSrmigem 
Vertlefinig an der Oberillehe der Bulla, in deren Spltse der ebenfalls stark 
Terdickte und verdichtete piooessos folianos dee Hammers festgewachsen ist» 
Mit seltener Reinheit tritt also beim Walohr die Tatsache in die Erscheinung, 
'hP- die für den Kintritt d»'r Schallwellen in das Labyrinth prädestinierte 
J>teile da« o\ah' l'enster ist. Mit seltener Klarheit nber zeiij-t uns auch der 
Wal, wie bei ihm die weitere Schaileitung, d. h. dieLeiiaug vom ovalen Fenster 
hsw. der SteigbUgelpfaitte bis mm G ort! sehen Organ Tonstattsn geht, 
limBch Ton der Stapesplatte direkt in das Y orhoftwasser, nnd swar — wegen 



86 



Utentorberidit 



der Ankylose des Stei^bligels und bei vollkommener Ausfllllnng der Nische 
dea runden Fensters des Wales durch die Gewebe — nur auf molekularem 
W«ig0. Iter Votfaof bt dtben m tüaam Bohn lunfebut» dasMo Aafng das 
OTsle Fenster bildet, das durch die unbewegHch in ilim festsitzende Stepee- 

platte abgeschlossen ist. Ea ist wahrscbeinlich, daD die Schalleitunp: iu ihm 
eine dorchaas günstige ist. und sicher ist r><^ daß sie um so gün^ti^cr wird, 
je dichter die Wände des äcbailruhres itind, und die Verbesserung der Icte- 
ieiion nklit nitr beini Wal, eovdem «neh bei den übrigen Slafetieien BUH 
sieh $h ein Grand für die Diehtifkeit der Lab> rinthkiq>eel im allgemeinen 
betrachten. 80 zeigt uns das Walohr in nicht mißznTerstehcnder Weise als 
Orundsiitze der Schalleitung 1' die Zuleitiine d*^« Schalles zum Labyrinth er- 
folgt durch die Gebörknöchelehenkette, dia dchalieitung im Labyriuth 
etfolgt dQfeii des Lebyrinthwnssw, md iwnr dnreb molelnlaxe Bewegung 
desselben. Weitere Betrachtungen sollen nan zeigen, daß kein Gnind zur 
AnnaliTHf» vorliegt daß die Schalleitnng bei den Landsäugeticren und beim 
Menechen nach andereu Grundsäta^m erfolgt. Der ^c:'\vierig8te Punkt ist nur 
die Frage, durch welche Art der Bewegung dem LAbyriuthwassers die 
Sehwiagongen der BssDarfluMn tnsgelOst werden, doreh Massenbewegung oder 
dnrch Holeknlirbewegung; und zwar ist es der Molekularbewegnng allein 
vorbehalten, die Hasilarfasern zum Schwingen zu brinir'^n wie ein Vprfoigpn 
der Mechanik des GehürknUcheiehens und des Weges des Labj'hnthwaMers 
zeigt 

In dner sweiten Abbsadliing O^O) wendet er eidi gegen Besolde 1b> 

melkt (221, daß der Steigbttgel dee Walohres beweglieh sei und die BasQsr- 
fasern durch MassenbeweErung des LabyTinthwa««prs erregt werden. Ntir zö. 
einer für das Endergebnis unwesentlichen MoUihkation der LrldiÄrung fUr die 
Yerl&ngemng der Kaoehenleitmig siebt er sieb versnlißt 

Über Knoehenleitnng wiren noch die Arbeiten von Iwanoff {99l 
und Kretschmann [67] zu erwähnen. Der erste Autor hat u.a. die Fort- 
pflrmznn«/ des ScbalN^« in den RfJhrenknochen studiert und findet, daß der 
kompakte Knochen üeu l ou besser fortpflanzt als der poröse. Wenu wir nun 
denn denkeot daß die Pyramide des Sehlifenbeins, in welchem ueli das 
sohallempfindmde Orgaa b^indet, den festesten Knochen des menschlichen 
Skeletts darstellt, so kennen wir in diesem Umstände die Bedingung sehen, 
welche die Bchallschwingungen sogar von schwächster Intensität bis zu dem 
Labyrinth leiten hilft. Versuche Uber die Schallfort^flanzung am Schädel 
seigten, daO der Ten Hager und stirker in den FlUen hOibar ist, wo Sttmai- 
gabel und Otoskop an dxn. diametral entgegengesetzton Punkten des Schiidds 
sich befinden, wie Iwanoff aneh an einer htflsemen Kogel nachge* 
wiesen hat. 

Für unsere Zwecke wichtiger erscheint uns die andere Arbeit [il , die 
das lUttOnen fester und dttisiger KOiper aateifnebt und au dem Bigebnis 
gelangt, daß feste und flüssige KSrper tos vcrbältnismäßig geringen 

Dimensionen bei Schalleinwirkungen mittr'inpu. daß pie Kc'jonatnrr'n worden. 
I)ie für den Aufbau des Gehörs in irage kommenden Korper. Knochen. 
Knorpel, Labyrinthwasser, unterliegen diesem Gesetz des Mittüuens. £s muß 
daher bei einer Analyse des phjitf ologisehoi HOraktes dieser Tsteaehe mehr 
Bechnung getragen werden, iüs es bis heutigen Tages geseliieht. 

Si hlic!*!ich sei noch ein .Anf^it?. von Bing 25' prwühnt. in d(>m or auf 
eine Arbeit von Urbantschitsch ^106; seine Theorie anwendet, die er in 




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Litentwbiffioht 



87 



eiDem früheren Vortrage dargelegt hat Es gilt nämlich aoeh hinsichtlich 
der Impulse lebendiger Knit, welche von der auf den Schädel anfgeeetsten 
tOnendöi Stunngabel MugeheB, dM Qeseti ▼om PenlleiogfMBm der Kritfte; 

es kommen — die Intensität der Schallquelle nnd die Summe der Impulse 
als gleich gesetzt — bezüglich der Resultate hier nur die Ansatzstelle und 
die FonktiunstUchtigkeit der Nerven iu Betracht^ erstere insoweit, als von ihr 
«OS die Inpnlae je einen gleichen oder Tereehieden großen Weg lom Nerven 
mrttekanlegen linben und daher ndt gleicher oder Tenehiedener IntenaHSt 
dort anlangen, die FunktionstUcbtigkeit deshalb, weil begreiflicherweise ein 
kranker, bzw. in seiner Perreptionsfähigkeit beeinträchtigter HUmerv Im- 
pulse von gegebener Intensität weniger verwerten oad dies denselben Effekt 
haben wird, ala irilren dieeem Nerven aohwiehere Impolee oder iolehe in 
geringerer Menge zugekommen. Die Resultierende wird sieh nach den 
genannten P'aktoren in ihrer Ein- und Rückwirkung auf die Hürnerven beider 
Seiten richten. Nur bleibt durch diese Mechanik der Schallokalisation die 
willkürliche Veränderung dea subjektiven Ilürfeldes unerklärt. Mau mtlßte 
dafür «itweder annehmen, daiS lieh der Weg des Impnlaee inm Nerren 
inneriialb gewiaeer Grenaen beeinflussen läßt^ oder, w enn man den Weg ala 

vor^schrieben snnimmt, müßte sich <1ie Funktionstlichtigkeit den Nerven 
willkilrlich beeinHusaen laseen. .Jedentallfl kann dieses kränze Gel)iüt noch 
nicht ala endgültig urforacht bezeichnet werden, es worden dazu noch manche 
aehwierige Untenndinngen, aneh eolche, wie eie a. B. Iwanoff (H) an* 
geatellt hat, nOtig sein. 

Endlich sei nocli eine Arbeit von Denker erwiihnf, ',vrlrhr die Frage 
zu beantworten sucht: Welche Eb'mente des (lehörorgans ktmnen wir bei 
der Erlernung der menschlichen Sprache entbehren? [87}. I>a uns hier kli- 
niaehe nnd patbologlseh-anatonitoehe Beol>aehtnngen tut voilatindig im Stich 
lassen, hat er das Gehörorgan der Pa|»ageien untersucht und findet an Stelle 
der Gehürlniürholkpftfl nur die Colnmella. Intratympanale Muskeln sind 
nicht vorhanden. Die Länge der papüla basUaris beträgt beim Menschen 
33,5 nun, dagegen beim Papagei nur etwa 2,2 mm. Daa Cor tische Organ 
feUt ▼ollatSndigt ea eziatieren nnr, wie aneh bei anderen Vllgeln, die dicht 
an der membrana basilaris gelegenen Komzellen und die dicht unter der nem- 
brana tfotoHa liegenden Hfr/fllen, die mit in die letztere hineinragenden 
HOrbaaren versehen sind. Auf Grund dieser Befunde läßt sich wohl Jetzt 
achon sagen, dafi daa Vermügen der Papageien, die menaelillehe Sprache 
nadnnahaien, niehft dnreh eine beaondere Idatologiaehe BeaehaiiMihett dea 
inneren Ohres bedingt, sondern wahrscheinlich in einer besseren Anabildnng 
der Sprachwerkzege, insbesondere der Zun^e, begründet ist. 

Sind bisher Uber die Funktionen der einzelnen Organe die Ansichten 
geteilt geweeen, ao ist diM natUriioh noch viel mehr der Fall, wenn ee eich dämm 
handelt, dieae Einaetoqrebniaae an einer Theorie dea HSrena anaaumen« 
msohweißen. Bezüglich einer zusammenhängenden Darstellung der HUrtheorien 
muß auf Sehacfer.H ausigezcichnf^to Kearbeitung (97) verwiesen werden; hier 
sollen nur die von diesem Autor noch nicht erwähnten, d. h. die nach 
Abfiwsung seiner Daratellnng dea .GehOcaainnea in Nagela Handbneh er- 
achienenen Arbeiten knrx referiert werden. 

Die gegenwärtig diskutierten Hürtheorien lassen sich nach Zwanrde* 
maker (lS2j in zwei Gruppen einteilen. Eine erste Gruppe umfaßt jene I beo- 
rien, die die Schailbewegting der kleinsten Teile ina Auge fassen nnd die Art 



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88 



Literaturbericlit 



uid Weife Tarfolgoii, in weleher die konpHstortanm Poimen dieier Bawegoaf 

rein mechanisch wedbgt werden können. Eine iweite Gruppe veraachlisiigt 
absicbtlicb dip Rewe^ng der kleinsten Teilchen und befaßt »ich anMcbließ- 
lieh mit dem Krgebnis der Bewegung der Massentr-ilchrn ; von einer rein 
mechanischeil Aualysp der kümpiizierten Hewegungsformtni kann djinn wlbst- 
verstimdlich kuuui die Rede sein. Die modernen Theorien der ersten Art 
lind aber gande gegenwärtig in eine langwierige und a^wierige DiakW' 
aion bineingesogen worden. Vor allem die Helnholtseohe Beeonaai' 
theorie, welche die Übertragung der Töfk auf den Gehümerr und die 
Klanganalyse plauäibel und etnCaeh darob daa Mitschwingen e l aetiaeher Tea< 
der Schnecke erklärt. 

Bereits in seiner Ar!)eit Hber »die Empfindlichkeit it ^ im n rechlichen Ohm 
fdr Tüne verschiedener llOhe« ill7) hat Wien kurz darauf hiugewie^n, dali 
dM etwke Anwaehaen der EmpiindliebkeH des Ohret mit der TonhOhe ichwer 
mit der Beeonanitbeorie in Einklang an bringen a«L 

Neuerdings (li9j richtet sich sein Bedenken besondere gegen die Helm« 
holtzschen Worte: »Wird ein einfacher Ton dem Ohre zngeleitet, so niRpsea 
dipjfMiigen Corti gehen Bögen, die mit ihm ganz oder nahehin im KinkianK* 
sind, stark erregt werden, alle anderen schwach oder gar nicht.« Durch die 
bekaunte Amplitudeogleichung einer erzwungenen Schwingung ändet CT} 
daG für tiefere TOne die Cortieeben BUgen mit höheren ElgentHnen aiefct 
»eehwaob oder gw nlebt«» sondern mit etwa 87,8 mal kimnezer AmpStid« 
schwingen. 27,8 iat keine sehr große Zahl, die Resonanz ist nicht sehr 
scharf. Wenn nnn aber die das Ohr treffenden tiefen T'Wio sehr stark md. 
wenn die Amplitude der durch sie verursachten Kralt z.B. 273(K)in*i »o 
groß ist als die, welche bei »richtiger* Schwingungszahl noch eine GehOremp- 
findung bewirkt, so müssen die durch die >falschen« tieferen Tüne herTe^ 
genifenen Amplituden der Cortieeben BOgen lOOOmal grOfier sein wie die. 
welche bei richtiger Sobwingnngasahl noch vernommen werden. Ee gibt 
nun drei UOglichkeiten Air die Art, wie der Gehörnerv auf derartig stnkf 
Schwingungen des Cortischen Organs mit falscher Periode ren^ifTcn ksün. 
1) Der Nerv übertrügt jede Schwingung seines eLintischen Auluahmeapparnw« 
in der hwingungszahl der Kraft an das Gehirn. Dann müßten alle Tüfi^ 
anch die ganz tiefen, yon allen Cortischen Bügen gleichmäßig, aar mit 
27y8mal geringerer Amplitude übertragen werden, elarke tiafe TOne alw 
gut bttrbar aein. Da diea nicht der Fall ist, iat diese HOgliehkeit am- 
geecblossen. 2) Der Nenr reagiert auf starke Reiae durch die Schw inguncrro 
seines Aufnahmeapparates, auch wenn die SchwinL'nrif's/:!] ! eine falsche iit 
überträgt sie jedoch in die ihm eigentümliche Sciiwingungs/ahl, hat ateo 
»spezifische Energie«. Dann müßten auf sehr starke tiefe 8chwingaii|;eo 
der Luft alle höheren Tüne gleichseitig vernommen werden. Auch dieie 
MCgiiohkeit iat anageaohlossen. Es bleibt nur die Annahme übrig: 3} Dit 
aebr starken Schwingungen falacher Periode, welche die Cortischen BOgvo 
machen, werden durch den Nerv überhaupt nicht weiter befördert, der Ner^ 
reagiert nur, wenn die Cortischen BOgen von THnen getroffen werden, auf 
die wie eingestimmt sind. Schließlich könnten wir auch noch die Vcrftar- 
kuug der Amplitude der richtigen SuhwiuguQgeu auf das 27,3 fache dem Nfrr 
anschieben. Dann würde die immerhin sehwierige YorsteUnag veimisdes. 
daß kleine Haatgebilde in einer Flüsalgkelt verhlltnismiOig wenig gedlM* 
Bebwingnngen an machen imatando aein soUen. Dann würden CortlsdM 



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LitontviiMnlelit. 



89 



Or^an. membrnTia bMilaris nnd Hörhärcheu nur einfache stark gedämpfte 
Empfangsapparate des Gehtfruervs für die Schwingungen der Labyrinth- 
flüBBigkeit sein, obn« dftO bei (Bmtm Vorgange die ReMmftm «bie barrin^ 
ragende Bolle apieite. Nun iat aber Beaonaiis die emsige pbyrikallaebe 

Mti^Iichkeit. einzelne Scbwingungezablen anezazeichnen. Wir mtlsBen also, 
wenn Resonanz dazn nicht ausreicht, Uberhanpt darauf Teniohten, den Vor- 
gang des Hörens physikalisch zn erkUlren. 

Anderenelte erkUrt aber die Beeoiuadiypotteae die wichtige und be- 
deutungsvolle Befllhigong unseres Obres rar KtoBganalyBe in ebenso einfacher 
wie eleganter Weise und steht auch noch mit anderen pbyeiologiecben und 
pathologischen Tatsacheu bestenH im Einklang. 

In dieser Beziehung seien die Versuche von Bentley und Sabine (19) 
erwSbnt, welehe die Versnclie Ton Exner nnd Pollaok sn TerbeBeem nnd 
teilweise zu bestKtigen anebten. Diese letzteren meinten, daß, falls dag 
Hören durch Resonatoren verinittrlt wird, eine in dem S^nIIs^^•(•11onzuge 
eines einfachen Tonf"* periodisch wiederkehrende Phasenverschiebung um 
eine halbe Welieulaugc eine schwebungsartigo Emptindung erzeugen, und 
daß die Inteneitit eines derartigen Gebttrehdrsclce mit der HinAing der Ver- 
•ebiebnngen mehr und m^r bis zur schließlichen Unmerklichkeit sinken 
mtlMe. Beide Annahmen konnten in beiden Arbeiten ala richtig erwieien 
werden. 

Da aber trotzdem gegen die Hei uiholtzscho Resonanztheorie manche 
nnabweiibnren Elmrihide erbeben werden können, aind Tersohiedenüieb neue 
Theorien oder Modifikationen schon bestehender TbeoriMi anngeeproclien 
worden. So veröffentlicht z.B. Toniinga einf neue Theorie de» Hörens 
(104J. Er geht von der Ansicht aus. dal> die einzelnen Fasern der Gehür- 
ner?en eine besondere FiUugkeit besitzen, von deu periodiach-mechanischen 
Belsen innerbalb beatinunter Grenien erregt an werden, wodmrob in Jedem 
Falle eine bestimmte GehGrsempfindnng erzeugt wird. Ob nnn die Nerven- 
endigungen selbst schwingen oder nicht, bleibt fl!r die Theorie gleichgültig, 
notwendig ist nur die mechanische Erschütterung, der mechanische Reis, 
welsher die darin enthaltenen empfindlichen Anfiiabmeappamte erregt, über 
den Ort der reisempfindenden (^gangebUde lißt aieh TorlKnfig nichts sagen, 
so viel ist aber sicher, daß es ein nervüses Gebilde ist, oder wenigstens ein 
solches, das mit Nervenfasern in Verbindung steht Dann wird jede Reiz- 
rhythmik oder Periodizität vom Aoustions als ein besonderer Ton empfunden, 
nnd swar so, daß für jeden Rhythmus oder jede Periodbtitit eine besondere 
Faser existiert Die Schwebnngen entstehen nur dann, wenn die Ansaht der 
Pausen unter 33 ist, so daß diese RhythmizitUt iiu Ohre eine besondere 
Faser zu erreyen noch nicht imstande igt, also noch unter der Grenze liegt, 
um als eiu dritter Ion anfgefalit zu werden. Im Ohre reagieren jedesmal 
die iribntliehen für jede Rhythmik angepaßten FMem, deren jede nneh tta 
die in der Lnft tataXobüch vorhandenen dotelwelton empfindlleh ist Ebenso 
empfinden auch zugleich gewisee Nervenapparate flir die zueammengesetzte 
Rhythmik. Die Ursache des Konsoniereii« und Difsoniereus liegt in dieser 
Verscbmeizbarkeit oder Nichtversehmelzbarkeit, woraus eine Regelmüßigkeit 
oder Unregehnlßigkeit in der Rhythmik resultiert Die Konsonans ist ein- 
fach eine resultierende regelmkßlge Reihenfolge, während die Dissonans das 

Gegenteil ist und in gewi^eiem Ornd^* zum C'f^T-hiFrh wird. 

Nicht eine Stoß-, sondern eine Bruckwirkung als nächsten Qmnd dea 



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90 



Litwatorbttiofat 



HOrens nimmt Zwaardemaker ;132, ISS) an. Als Grund dafUr fUbrt er an, 
daß der PfeUerfaß mit der membraiift baailaris in balbfester Terbfndnng steht 
und eine Faseruiur blofi in der pats peotiiMta uweeend ist Er benntete m 
•einen Versnchen folj^endes Modell: 

Eine Saite ist mit dem einen Ende an einem schweren Stativ, mit dem 
andere u l'>nde an einer elektriach getriebenen Stimmgabel, normal zor 
Sebwinguiigsebene, befestigt Die CortiMben Bogen alnd ana leiehten Hola> 
atitbehen, mOgliehat der wirldieben Foim entapiechend betgeateHt, die lieiden 
Zellenkonglomerate, nach innen vom Innenpfeiler und nach außen vom 
Anßenpfeiler, durch große Schwämme nachgeabiiit. Durch Auftropfen von 
Wasaer, das von dem Schwämme absorbiert wird, kann man das äystem nach 
WlUkttr beeehweren und dvreb Ändemiig der Spanniiiig der Saite, mittela 
dner Mikrometenebranbe, jeden gewollten Ond der BeetMiau nlfc dar tet 
gegebenen Stimmgabelscbwingung erreichen. Die Amplitude der Salten- 
achwinfTung- ht bei piter Einstellung mehrere Jlillimeter groß. 

An diesem Modell läßt sich dartun 1) daß der Bogen mitschwiogt, wenn 
die Sebwümme entfernt aind, 2) daß sowobl der Bogen ala die 8cbwitnune 
in ToOkmnnmier Bähe veriiarren, wenn daa Syatem dnreh Waaaeranflropfm 
genügend belastet ist, 3] daß nur die pars tcnsa, keineswegs die pars arenata 
mitschwingt. Wenn aber die Cortischen Bogen und die sie belastenden 
Zellen keinen nennenswerten Bewegungen unterworfen sind, werden alle von 
veraebiedenen Seiten Torgeaeblagenen Hypotbeaen nnbaltbar. 

Hon aind aber die ioßeren Sinneaepithelaellen eingeachloisen in den 
zwischen den iiußeren Pfeilern nnd der raerabrana reticularis freibleibenden 
Kaum. Von einer SohallUbertratfun}? kanu liier schwerlich die Rede sein; 
denn der Cortische Bogen beäudet sich in iinhe, und die Membran selbst 
berttbrt ffie e^ntlieben Sinnenellen (die Haanellen) niebt Dagegen werden 
dleae Zellen eiuem Druck augesetzt sein von den seitlich andringenden 
Hensenschen Zeihn Diese entsprechen einer halbweieheu. auf der Membran 
ruhenden Sabatauz, die, mit dieser halbfost verklebt, von den Saiten- 
schwingungen beiseite geschoben wird. Auch in diesen üulicren UaarzeUen 
berteeht alao wibrend der Sehallaebwingnngen ein pttiodiaoh Texlnderlieher, 
aber fortwlihrend positiver Druck, der in erster Linie anf den Zdlenkomplex 
als Ganzes wirkt. Aber auch die Haare der Haarzellen sind fiini nnierworfen, 
sobald die mcmbraua tectoria sich gegen sie anstemmt. 

Allerdings wird durch diese Uypothese der liaarbesatz der Öiunes- 
epiCbelien UberSllaalg. Docb aieht dieaer Sebwiehe der aebr weaentUdie 
Vorteil gegenüber« daß die Schallwirknng anf eine fortwihrend poMtiTe ein- 
fache Druckwirkong znrUckpefilhrt ist. 

Femer wird die Juxtaposition der beiden FfeilerkOpfchen, die keine 
eigentliche Artikulation wie zwischen den GehOrkntkshelchen bilden, sondern 
einfaeh gegeneinander geatemmt aind, Mehter begrtifUeh. 

Durch die modifizierte Form der YCMratellangen läßt sich auch die anOer* 
ordentlich schwieri^^'c Frare innirehen, ob der Intensität.sfaktor oder <\er 
Quantitätsfaktor des Öcbalica als Mab dea lietzes zu betrachten ist. Bei der 
vorliegenden Auffassung der Schallwirknngen im Cortiachen Organ bleibt 
eben die Seballenergle kdae SebaUenergie, aondem wird In einen ateta 
l^eichgerichteten Dtwdc vmgewandelt, der in seinem quantitativen Verhältnisse 
snr Srhallenergie genan bekannt iat. Es ist nlimlich der eigentliche Reiz für 
daa innere Gehörorgan die gesamte Energie der Schwingung, dividiert durch 



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Uteratuibfliieht 



91 



die Breite der pars tensft membrwuie baeUarie. Di^e Breite, d. b. die Länge 
der Mhwnigeiiden Stite iet für Töne Teneliiedeiier HQlie veneliieden. Wen« 
die Faeer nach der Helmholti^acben Tlieorie aaf BaßtOse anapriolit, ist 

aie in maximo dreimal grOßer ale wenn sie auf DiekanttOne resoniert. Sie 

bleibt jedoch von derselben Ordnung:, wodurch Cß ver?»fHndHch wird, daß die 
Empfindlicblieit des Obres in den mittleren Oktaven ebenfalls nor wenig 
differiert. 

Übrigens ist die physikaliaehe E&eigie dee Seilet ohne Frage nicht das 
einaige Beetimmende; denn eonet wSrde die Empfindliebkeit in der hohen 
Diskantlage, für Töne hOher als nicht noch naeher abnehmen ale ^ an 

der Baßseite nach der Mitteloktave aufsteigt 

Einen Dnirk nimmt femer Gaetschenberj^er 48) an, der t^ine Knf- 
8tehun;:>bi iliii;:uiiu^ d«^r Tonfülle iu der EiüprcBaunf? des Trommelfi 11- ,s mi, lit. 
Man kaim feruer vermuten, daß dadurch der mittlere Druck im Labyriutii- 
waiaer erhöht wird, und iwar niebt nur dorch den Dniek des SteigbUgela 
anf daa ovale Fenster, eondeni auch dnreh den Dmck der FuikenbOUenloft 
auf das nmde Fenster. Das Cortische Or^an endlich mit seinen hohen 
pfeilerfUrmigen Zellen scheint sehr wohl geeignet, den mittleren Dmck anf- 
znnehrnen und in Nervenerregnng 't!m7usetzen. Neben dem erhöhten mitf1(»ren 
Druck könnten aber auch die kb iiiLii Druckschwankunnren. von deren Weite 
die ittteusiUtt und von deren Zabi die (Qualität der Empüuduug abhängt, un- 
behindert auf daa Organ wirken. 

Dȧ mit waehaendem Druck eine waeheende Ansahl von Labyrintiisellen 
gepreßt würde, ist unwahrscheiallch. Dlo QnantitÜt der Tonempfindnng, die 
er neben Qualität, Intensität und Dauer annimmt, hinge demnach von einem 
Reize ab, von welchem im Gebiete des Hautsinns die Intensitiit der Drack- 
emptindunp: abhUn^. Wenn diese Vermiitaugen richtig biaü. hätten wir 
allerdings beziehentlich der iSchwingungeu sofort eine Analogie mit dem 
Gedchtssinn. Gegen eeine Ansicht spricht atlwdings, daß wir ja in der 
Schwingongaglelehnng nur drei nnabhXagige Variable haben. 

KiiJut Ii nde Forschungen hat auch Marage ontemonunen (GS, 64, 66, 68), 
om die Verhältnisse /u klären. Es gelang ihm 7. B. nicht, das Wasser in 
einer GlasHJhrc von 2 mm Radin« in der sich noch Otolithen vom Frosch 
befanden, mit Sirenentüuea iu Schu iuguugen zu versetzen. Deshalb hält er 
die Helm holt zsche Theorie für unwahrscheinlich. Ferner zeigt sich bei 
einem naohgebfldeten Gehi^rorgan, daß die Perilymphe in ihrer Geaamtheit 
■ehwing^ die Endofymphe gar nicht Da nnn der endolymphatiaehe Sack 
vsnehiedenenDmekschwankungen unterworfen ist, finden in der Endolymphe 
keine Bchwing:nna:en krinr Vt rsohiebnngen der Geaamtfltteaigluit, aondem 
DUr Druckschwankuogen statt. 

Bouuier ^27) hält ihm entgegen, daß die Otolitlien gar idchta mit den 
HOrfonktionen an ton liaiMn. sei das Ohr nicht mit einem Beeonator, 
senden mit einem lUnometer so vergleichen infolge der molaren totalen 
FlttssiglceiteTeiiehiebnng; ao daß das Problem kein aSrodynamiaebee, eondem 
ein hydrodynamiechee seL 

Wenn Marafre die endolymphatische Bewegung leugnet, so liegt dies 
an den mangelhaltcu Expcrimfntcn. die viel zu einfich sind, um lange um- 
strittene Fragen an einem so komplizierten Mechauismus, wie es das Ohr ist, 
n Utoen^ nnd infolgedessen den anatomischen VeriiMtnimen, die diete An- 
ccdniagen naehbilden wollen, nicht vvnig entaprechen. 



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92 



Literaturberleht 



In den Corapf^»«« RpniinR der franzüaischen Akademie 28^ wendet Bich 
dann Bonnier nochmals gegen Marage, indem er ihm entgegenhält, daß 
«ine labyriothiaehe Kompensation bei allen den yenchiedenen F'ormationen 
des Ohm Toriuuideii stf. Im enteo Ezpttiini«Bt Mi die FlM^it nnr n> 
beweglich geblieben, weil eie keinen Plate zmia Ausweichen geluvt bebe» im 
zweiten habe die FltisBif^keitssünle nicht Diockachwnnkwigen, 101140111 dae 
Verdriingen der Flüssigkeit augezeigt. 

ffienaf «klirt Hnrage (84), alle Automen, deren Arbeiten erm Beta ge- 
logen liittc^ seien der Anriolit, daB der perilympfastleehe Kannl VofdiäBgnngen 
der Perilymphe znlaeae^ eolange der endolymphntioehe Saek Tfillig geaeUoeeen 

sei. Die Drnckkriifte eeien etwa von derselben Kleinheit (lO"*") wie die 
Dimension der Atome und ihrer Zwischenränme. Sie würden also rnr tiicht 
die von Bonnier erwähnten Wirbel hervorrufen können. Daraus tolge, 
daB aelbot dann, wenn man wirUieh eine Eommnnikation der Endolymphe 
mit der Anßmiwelt znlaaie, diese DmekkrSfte nieht die Endolymphe in llirer 
Qesamtheit verschieben könnten. 

In einer zweiten Abhandhing sucht dann Marage (66) die Frage zu be- 
antworten: Gibt es im Ohr verschiedene Teile, die vonTüneu verschiedeuer 
HIttie in Schwingungen venetxt werden nnd die die Tonempfindung ergeben, 
nnd zwar benutzt er dun Patienten mit Otitis selerotica nnd Tanbstnmme. 
Fr findet, daß Trouiniolfoll und Gchörknöchdkotte im physiolopiycheu Zu- 
stande alle Schwiuguuf,'en mit iliror ci^renon Qualität tlbertra{?L'ii. im patho- 
logischen Zustande tibertragen dieselben Teile die Schwingungen, wobei diese 
ihre Form bewahren, aber ihre Hohe nnd IntensitSt lindem. Anßerdem 
kommt er zu dem SehlnO, es mflsse irgendwo verschiedene Partien geben, 
die dnrrli Tuno von verscliiedenein I niil^re Oeräusehe, mnsikaUsche Schwin* 
gungen, gesprochene Worte beeinflußt werden. 

Schließlich sucht er auch noch beweise gegen die HeluihoUzaebe 
Theorie sn erbringen (M), indem er nach Bensens Vorgang das Beagieren 
der Sehwanzhilrehen zweier Krebsarten (Mysia vulKarii« nnd Mysis chamaelon} 
anfTHne untersucht. Dabei ^flanp: es ihm nicht, wie licnsen, zu bemerken, 
daü die laugen närchon auf tiefe Töne, die kur/eu auf hohe Töne reagieren. 

haben im Gegenteil bei seinen Untcrsuelmugen Stiinuigabcltilne und 
Vokale, die noch in 186 m Entfernung gehVrt wurden, die HVrehen der Krebae 
nicht io Schwingongcn versetsen kiinnen, wenn sie auf 1 ccm Wasser durch 
Vermittlung einer schwingenden Membran nnd einer FlUssigkeitasinle von 
40 cm I^Knjsrc Ubertragen wurden. 

Von franzUsischen Arbeiten seien schließlich noch die Bards erwähnt 
IS, IS, !•). Er Aißt darauf, daß die GerXnsche, die symmetrische Schwin» 
gnngen der beiden oberen Quadranten des TrommelMlo hervorrufen, im 
inneren Ohre reiner auf^'ofaPt werden als die, welche spjTnraetnsche Schwin- 
gungen derselben beiden Quadranten hervorrufen. Bei den symmetrischen 
Schwingungen nämlich schwingt der Uammersticl nur in der Kormalebeno 
der Uembrnn nnd deshalb nnch die SteigbUgeipIatte aenkreeht nnr Ebene dea 
ovalen Fensters, wodurch der Druck auf die Labyrinthfltissigkeit die gün- 
stigste Richtung; bekommt Dagegen bei unsymmetrischen Schwingungen 
wird der Hammerstiel verdritngt, und es entstehen so neue Bewegungen, da 
auf die Schwingungen senkrecht anr Membran noch die LIngiaebwingungen 
nm seine Aehse hinsntreten, dadwreh wird der Drack anf die Labyrinth- 
ilflBsigkeit schief nnd vniegelnriißig. 



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Litentarb«rielit 



93 



Das Cor tische Organ hätte dann neben der biiberigmi Aafgabe noeh 

die, diese FlfiH^ifrkeitsströmungen zu analysieren. 

Die verschiedenen Bewegangsmöglicbkeitea der Gehörkiiüt lieleiienkette 
teilt er in vier Gruppen ein, die zum Teil von Bard selbst erst neu be- 
tchrieb«& oder nea interpretiert weiden. 

Weiter eei noch einer Arbeit Ton Bentley md Titehen er (10} ge- 
dacht, die besonders gegen Ebbinghaas Utnqpft, di er die Theorien von 
Helmholts and Stampf dazebeiniinder menge. 

Über das 

AakUngen nnd Abklingen 

ist Tor allem eine Arbeit eingehender sa leferieien, in der Hnrbe die Gültig- 
keit der Tatsaehen dee Tnlbotichen Oeaetsee «if ainutieehem Gebiet 

nntersncbt ;70;. 

Bezeichnet man nämlich die Dauer oiiier Periode, innerhalb weicher 
dieselbe Reizun;,' eines Sinnesorgans periodisch wiederkehrt, als /, die 
mittlere Vaiiation der innerhalb der Zeit t wirkenden Eleuieutarreize als r. 
da« «ritiimetiacbe Mittel der innerhalb der Zeit i wirkenden Elementarreiie 
ala 1», 80 iMsen sich, wie Marbea letate Arbdt eigab (Arehir ftr die ge- 
samte Physiologie, Bd. 97;, für das Gebiet der Optik mit Sicherheit und fttr 
die tlbripren Sinnesgebietc mit Wahrschoinliclikeit folgende Sätze aufstellen: 

aj Die hei der kritisclien Periodendauer und den kleineren Periodeu- 
dauem ans zwei oder uiehreren sukzessiv-periodischen Reizen resultierende 
Ernpündung wird durch m bestimmt uud ist unabhängig von i und b. 

b) Die Venebmelanng Ton 8nkiesBiT*periodiseben Belsen, die noch keine 
konstante Empfindung ersengen, wird befördert darck Vermindemng von I 
oder r oder durch Vergrößenmg von m. 

ZunHrl:vt btellt Hich nun Marb« die Aafgabo, den oben anter a) änge- 
führteu 'Sutz akusti*^ch zu prüfen. 

Zu dici^eai Zwecke ließ er eine Appuunsche, durch Elektrizitüt erregte 
Stimmgabel schwingen, die in der Sekunde 231 ganze Schwingungen machte. 
Vor der Stimmgabel be&nd rieh ein gat abgeatimmtar kastenförmiger Re- 
Senator aas Hola, von dem ans der Sehall dofeh einen Sehlaueh direkt 
int Ohr gelangen konnte. Der Resonator war ganz geschlossen, abgesehen 
von dem Lofli 'Inreli das die Luftschwingnngen in den Schlauch gelangton. 
und einer kJeiueu Utlnung in Kechtecklorrn. durch welche die Schwlnguugen 
in den Resonator eintreten konnten. Zwischen Gabel nnd Resonator 
rotierte eine dicke, mit einem Zählwerk verbundene Pappscheibe, in der sich 
innerhalb einea Kreiaringes eine AnaaU aosgesehnittener Sektoren ( Anssebnitte) 
und ebenso viele nnd je ebenso große nieht ansgeschnittene Pappstilek» 
(Brtteken) befanden. 

Drehte sich die SrheHie gam langsam, so hörte man sukzessive nnd 
periodisch jeweilö zunäciisf einen starken, kurze Zuit konstanten Ton, dem 
ein kurzer Übergang zu einem wiedernm kurze Zeit konstanten schwachen 
Tone folgte; dieser ging in analoger Weise in den arsprUngUch starken Ton 
tber oaf. Diese Srseheinnng bSngt damit snsammea, daß die darch die 
Saßeren Gehörige in die Ohren gelangende Energie in zwei Komponenten 
xerfällt. Die eine dieser Komponenten ist konstant und wird durch die- 
jenigen Schwingangen repräsentiert» die frei nad ohoe Sehlaach in das linke 



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94 



Literatnrberieht 



Ohr einfreten. sowie dnrch diejenifjen, die durch den Schlauch in das rechte 
Ohr fri'langen. falls eich eine Brücke zwischen dem T.och des Resonators 
unii der Oabel befindet. Diese letzterwähnten Sf-hwingungeu können zum 
Teil daher rUhren, daß die zwischen der Üüuuiig des B«flouatore und der 
Gabel Btehende Brttcke die £Qr den Beeonator beatiinmten Sehwingangen nr 
in dimpfen, aber nleht abmeehseiden yennag, ram Teil daher, daß dveb 
die Wände des Schlanehea Sehwingnn^bewegnngen in denaelben übertraf 
werden. Die andere Komponente ist variabel mit der La^e der Aust^ohrntte 
und Brücken der Scheibe zu der Öffnung des ReBonators. Es bilden also 
die dnrch den Schlauch ins rechte Ohr «•planpfenden Schwingungen die 
variable Komponente, indem sie hinsichtlich ihrer Intensität mit der liotatioD 
der Seheibe in deatelben Sinne eohwanken wie die Intenitit der toAib •^ 
wKhnten anbjeictiTen Eraeheinnngen. 

Mit wachsender Botationsgeschwindigheit der Scheibe wurden die snb- 
jel^then Phasen immer tindeutlicher, hi" sie einer anderen dauernden puV 
jektiven Erscheinung Platz machten, die Marbe als »Rollen« bezeichnet uad 
die genau der analogen Erscheinung des »Flimmems« in der Optik eutdpricht 
Bei einer weiteren Steigerung der Geschwindigkeit hürt mau einen absolut 
konatanten Ton, der sieh mit steigender Botationegeeehwindigkeit aicbt 
weiter ändert 

Eine einfache Überlegung, die der bekannten in der Optik üblichen vclOr 
ständig entspricht, lehrt nun. daß die Gesamtheit der innerhalb tiner 
längeren Zeit T in die Ohren gelangenden Energie von der Kotatioii?pe- 
schwindigkeit unserer Scheibe voUstUndig unabhängig ist, während natürlich 
die aus vier Phasen bestehende Dauer einer Periode t mit zunehmender 
Botationegeeehwindigkeit abnimmt, nnd awar im gleichen YethlUteia, in den 
die Botationegeeehwindigkeit wSdist Das Eiperiment lehrt daher, daß dis 
bei genUgoider Sukzessionsgeschwindigkeit der Beiie resultierende Emp- 
findung von t nnabhUngig ist, wofem dieses ebenso groß oder klein« iit 
als die kritische Periodendauer. 

Hiermit ist die eine Hälfte des unter a) mitgeteilten Satzes Hir des 
Gehörsinn bewiesen. Ein vollständiger Beweis des Satxes würde erst dssft 
gegeben sein, wenn man bei snkiessiT-periodisehen QehSrsraisen, die sIm 
konstante £m|»findnng ersengen, nnn aneh unter Beibehaltung bestimmter 
Werte von m und t die GrOße r variiwte, nnd wenn sieh aneh liierbd die 
konstante Empfindung nicht ändertiv 

Als kritische Periodendatier bei den beiden benutzten Scheiben ergab 
sieh 4,7 a bzw. 6,0 o, was sich aus der Verschiedenheit der ihnen entspre- 
ehenden Beize erklärt Kotieren nämlich beide Scheiben nacheinander Bit 
gleicher Botationsgesohwindigkeit vor der Öffhnng des Besonatota, so sisd 
die Zeiten, innerhalb der die Energie der sweiten, variablen Komponente zo- 
bzw. abnimmt, in beiden Fällen gleich, da diese Zeiten lediglich durch die 
Rotationsgepchnindigkeit der zwischen An?f=r}initt und Brücke vorhirfnien 
Konturen bestimmt werden. Die Dauer h s stärkeren Keizes ist jt 1 u i bei 
der zweiten Scheibe auf Kosten der Dauer des schwächeren Reizes rediutert 
Die Differenz der Daner der Beize ist also im Falle der ersten Scheibe ge> 
ringer als im Falle der sweiten; die etat« mnß daher schwerer Tenchmetas 
als die zweite, der kritische Wert von t muß also f&r die erste Seheibe 
kleiner sein als filr die zweite. Es läßt sich demnach dieser Versuch mit 
den beiden Scheiben als BegrQndang der Tatsache in Ansprach nehmen, 



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Literatarbericht 



95 



dftß auch Im GehOniim die Vemittderoitg toh v die VeiwhiDalmg be- 
gBiiBtigt 

üm dies nachznprfifon wurfleii noch boHotiderf Verauche ang;est''l!t, bei 
denon jedoch eine nicht elektrisch angeref^te KoniffHche Stiui!nt::il > ! von 
317 Schwingungen benatzt wurde, und als liesonator eine ilohil^ugci aus 
Kcatfaig mit Schlauch und kiflitfftimiger Öffnung. Ferner worden die Ver- 
raehe mit drei ▼eneUedenen Soheiben angeiteUt» vmi denen jede Tiernnter 
sieh gletehe Anatehnitte und vier uter sich gleiche Briteken enthielt 

Es eigab eich, daß der Fall, wo der starke und der schwache Reiz gleich 
lang dauern, flir die Versohmelznn? ungünstiger ist als die Fälle, wo der eine 
der beiden koni^tanten Reize Uberwiegt. Da ^pleiehe K'otationsgeechwindigkeit 
der Scheiben vorausgesetzt) v im Falle der gleichen Dauer der beiden kon- 
stanten Kelze grub er ist als bei den beiden anderen Anordnungen, so lehren 
aneh diese Yersnehe, deB die Verminderang der mittleren Varlntlon der 
inierbalb einer Periode Yorhandenen Elementaneiie für die Verscbmefantng 
günstig Ist 

Diese wird auch begünstigt durch die Vergrüßerung des aritbmetieeben 
Mittels der innerhalb der Zeit / wirkenden Elementarreizc. 

Bisher ist r lediglieh durch Veränderung der I)ifrerenz der Reizdauer 
variiert worden; ee läßt sich aber auch durch Veriiuderung des Unter- 
schiedes der Keiziuteuüitäten verUndem, was man durch drei verschiedene 
Sirenenpfeifen erreichen kenn. Dabei zeigt sich gani dentUeb, daß die kri* 
tische Periodendaner mit wachsender Differens der Beiie abnimmt, daß also 
die Verminderung der Intensitäfsdifferenz der Reize fUr die Versehmelxong 
gilnstifr ißt r»a nun durch Verminderung der Intenpttiit^differenz r geringer 
wird, so lehrea diese Versuche, daß die Verminderung von r, auch wenn 
m durch Variiening der Differenz der Intensitäten bewcrkätelligt wird, tiir 
die Verschmelzung vorteilhaft ist, wodurch ein Teil der Versuchsresultate 
Xajera bestittigt wird. 

Hit Bilfe des Sirenenapparates ließ sich schließlieh anch aeigen, daß die 
bei genOgender Sukzessionsgeschwindi^'keit der Heize resultierende konstant» 
Empfindung unabhängig von r ist. Zu diesem Zwecke wurde eine Sirenen- 
icbeibe benutzt, in welcher auf drei konzeiitriarhen Kreisen je 72 Löcher 
angebracht waren, die iiuBerste dit scr Lochreiben entiiielt nur ^roL^e. die 
innerste nur kioiue Löcher, in der mittleren folgten je 9 kleine und je 
große anfeinander. Jede Lochreihe konnte fUr sich, die mittlere anch an 
iwei korrespondierenden Stellen gleichseitig angebhwen werden. 

Die Terenehe lassen keinen ünteraehied zwischen dem Tone der innersten 
ond inßersten Lochreihe einerseits nnd dem Ton der doppelt angeblasenen 
nittleren Lochreihe erkennen. 

Es kann daher nach dicBcn Untersncbnnp-eTi kaum mehr 7wpitelhaft pein. 
daß Satz und b und daher das Talbotschc Gesetz im eufreren Sinne 
sowie die Sütze, die Uber den Liubuli der Intensität und Dauer der Reize 
a«f die ktitisehe Periodendaner handeln, anch im Gebiete der Aknstik gelten. 
Bne nmptan^be spiterer Untersnchnngen wird nnn [neben einer nmüng^ 
lieberen Frllfitng des Satzes a' für verschiedene Werte von 9] eine exakte- 
Feststellun?: der im Falle der kritischen Periodendanem snsammengehOrigen 
Werte von /. r und m sein. 

Außerdem ist noch eine Arbeit von Hartmann-Kempf (48) an 



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« 



LitetAturlMridit 

enribiieii Vübv d«n EfaifliiB dm An^lftade mf di« TonhlllM lad dm Ddvo* 
ment von Stimmfabeln and snngeofBnnigeii Bindorn. 

Die Versuche Uber Tonhöhe nnd Dekrement wurden ditxdi eine Vor- 
richtung auf photographischem Wege austrpfllbrt. 

Aua dem mit großer Genauigkeit an drei Stimmgabeln ermittelten Ton- 
hOliMiTtrlsiif geht herror, d«0 die Ventimmnng etwas itSrItef wichtti lo 
daß sieh die Oldohmg « « in» — (p + •^«} « der Kurve vielleleht besser 
unBohmiegen würde. Indessen ist der Wert solcher empirischen Formeln nur 
^^ering". Die Gleichung würde wesentlich komplizierter, wenn man noch den 
erhöhenden Einfluß berücksichtigen wollte, der aus der Verkürzung des 
TrKgbeitsmomentes infolg» der Deformstlon der sehwingenden Zinke ent- 
springt Dieser scheint sich hauptsüchlieh bei dsr TerhiUtnismSßig dflnnea 
Stimmgabel von A. Appunn bemerkbar gemacht zu haben. 

Der Verlauf des In/arithmibchen Dekrements läßt sich ebenfalls an- 
nSbemd als lineare i; uuktiou der Amplitude X s=p^'^t darstellen, weuu- 
sehon suoh hiw mltonter ein etwas steileres Waehstom sich bemerkbar 
macht. 

Was nun din Verstiiumnng der Eigenschwingungezahl anbelangt, welclie 
d&ä Dekrement hervorrufen müßte, so ist schon verschiedeutiicb darauf hin- 
gewiesen worden, daß die auf theoretischem Wege als Folge der Dämpfung 
berechnete Amplitade verschwindend klein ist gegen die experimentell be- 
obachtete. Sie erreicht auch bei Har tmano-Kempf noch nicht den hun- 
dertsten Teil des tatsächlichen Wertes. Nichtsdestoweniger scheinen Ver- 
etitumnng und Dekrement in einem Zusammenhang zu etclien. 

im Prinzip wesentlich Neueä brachten jedoch erst die Uuttirsuchungcn 
▼Ott TonhOhe nnd Dekrement von StshlbKndem nnd Znngen, deren pbysi- 
kaiische Beschaffenheit sich in drei wesentliolien Besiehungen von den 
Stimmgabeln unterscheidet: 

Die Tonhöhe wird nicht durch die Dämpfung alloiu, sondern ungleich 
mehr durch die Verkürzung des Trägheitsmomentes beeinflußt, das nament- 
lldi bd sfürkeren Amplituden snr Oeltnng kommt, well ja die Durchbiegung 
nicht auf eine enge Stelle beschritnkt ist, sondern sich gsna aUmlhlieh auf 
ein größeres Sffirk ausdehnt. 

Für die iuuere Reibuug kommt der dünne Querschnitt in Betracht, der 
eine starke Verbiegung bei geringer Dilatation und Kompression der mole> 
kularen Struktur sutißt 

Der Luftwiderstand, der bei den Stimmgabeln fast zu vemachlüssigen ist, 
tritt in ein gan« anderes GrUßenverhältnis sn der potentiellen Energie des 
»chwingenden Systems. 

Infolgedessen ist auch das Dekrmnt des Stahlfederbandes für kleine 
Amplituden großer sIs für stirkere. Dsgegen wird es mit w<rtter wachsenden 
Amplituden nur schwach erhöht und bleibt fast konstant. Die Einwirkung 
eines permanenten Magnetfeldes auf dns Dekromeut ist dagegen erstaunlich 
gering im Vergleich zn der großen Tonerniedriguug. 

Das Dekrement der Stablsungen irilehst fast proportional der Amplitndet 
und dies sehr stsrk, wenngleleh es sehlieOUeh doch geringer bleibt als das 
dss Federbandes. 

Die Verstimmong bei künstlich zugeschalteter magnetischer Dämpfong 
ist ganz außerordentlich, beinahe 8 % der Gcsamtschwingungszahl. 

Im Vakuum strebt das Dekrmnent mit wachsender Amplitude bald einem 



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LitvratviMrioht. 



97 



Ma^iiotim 211. das m»n als konstant anseheii darf; damit bewahrheitet sich 
die Annahme, welche die innere moieknlare iieibuDg der ersten Potenz der 
OeMbwindigkeit, nielit eiB«r hOhtren proportioiftl Mtst DiMM DflknuMBt 
iat denlieh Uein, Mneatiich im Yei^oh m denjeiiigtii bei nomalam Lafl- 
drnok; denn sowie Energie an die Lnftmassen abgegeben wird, steigt das 
DekreniCDt ung^efähr entsprechend dem Atmo^hlrendraek, wenifsteas fttr 
kleine und mittelgroße Amplitnden. 

Vifll tOrker, naneviUcli b«i U«iiieii Amplihidmi, füllt dM Dektemant 
begralflldierwelM »nsi Vami di« Znng« mit einem Bdhm«a (»Kirttn«) wn" 
■ehen ist. 

Dt> sranze Tondifferonz zwiBchen Vakuum und nrrmalem Luftdruck ist 
erstaanlicb gering, sie betrügt noch nicht 0,1 %, wahrend das Dekrement 
dllteil den Lnftliiiisatrftt Ui «tf dM I>reiftehe dee Anfangswertei vMkt wiid. 

Schließlich antemdite Hnrtmann-Kempf noch »Relaisfedeni«, d. h. 
•ehwache Federn, die zu Resonauzrnlnia Vrrwendung finden kennen. 

Hierbei ist das Dekrement bei noniiaieni Luftdruck wesentlich grüßer. 
außer bei allerkleinsten Amplituden, woselbst es sich mit den Werten für Inft- 
leeren Ranm ta decken seheint 

Im Magnetfelde wSchst der Widerstand bei normalem Luftdruck W0gen 
der kleinen Kntfprunng dep fri ien Federen dr^^ von den Magnetpolen ^anz 
enorm; er steigert das Dekrement anf das Vierfache des Wertes fUr luft- 
leeren Kaum. 

Unter Eintnß der magnetleehen Dimpfiing steigt die ToobOhe mit 
wnebeeinder Amplitude nicht mehr an, sondem fUllt 

Onnz enorm fallt die Tonv< rtii fnnrr ans bei Wiederhinzutritt der Luft- 
dümpfung, beinahe um 6 96, eine Krscheinnnpr. die um so weniger verständ- 
lich sein durfte, wenn wir Uberlogen, daß das mit der Amplitude ziemlich 
aneteigende Dekrement «ine wdtertiin vld merUidier mit der AmpUtode 
wachsende Verstimmung hervormÜBn sollte, nie die betreffmide Kvro tnt- 
aichiich aufweist. 

Im AMohlnß «n dienen Abeehnltt seien noeh die Arbeiten fibar 

Ohrgerftasche, 

soweit "ie nicht patholo^-'isch sind, erwähnt. Eh kommt dabei nnr pine Ab- 
haadluDg von Zwaardemaker: Over het physiologisch Oorsaizen (130, 
lt5} in Betracht Er hielt sich in einem Zimmer auf, welehes so still war, 
dn6 eine tue Olir geballene Seemneebel bei angehaltenem Atem nicht mehr 
rauschte, weil sie keine Geräusche hatte, anf die sie hätte resonieren kUnnen. 
In solch einer absolut stillen ümgebunpr saust jedes Ohr. Die ersten Angen- 
bUoke nach dem Eintreten in die geräuschlose Kammer ist es völlig still. 
Wenn man aber »eine Anfmerkeamkeit auf sein Ohr richtet, hOrt man 1) ein 
«IgmartlgttB aanffeee GerKnaeb, ali ob der Wind gans lelae dnreb die Banm« 
Wipfel strich, mit einer eher hoben als tiefen Tonlage, das allmählich an- 
und abschwillt 2) An einigen Tagen trat anch ein sanftes Zirpen von mebr 
umschriebener Tonlage auf, das sich ungefähr mit der Gaitonpfeife uach- 
bflden lilDt. Atemholen nnd Polaaehlag haben anf daa Qerinicb keinen län- 
flni3, es muß also eine andere Ureaebe baben. Preyer, der adiMi eine 
ähnliche Beobachtung gemacht hat, sucht die Ursache in Labyrinthdruck, 
intraaurikuläreu Zirkulationen oder Wärme. Das erste dürfte wohl nerrOaen 

AnkiT Ar Pfjreholofi«. XUL Litmtv. 7 



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98 



Literatarberieht 



no'm. vt^rcrleirbbar dem Eigenlicht firr Kptinn für das zweite ließe 
sich Iiüchstens der Blutmulauf in Ansprach nebmea. Dieses normale Obren- 
sausen, das man nur bei größter, absichtUdi hergestellter Stille wahrnimmt, 
ksim durch SduungibelHJne mm VencbwindMi gebndit werden, dM Tfek- 
Tack der Uhr ist hierzu nicht imstande. Eine in der Httte dee Sabliietti 
aufgestellte ci-Stimmgabel brachte das physiologische Ohrensansen zum Ver- 
schwinden, wenn die Amplitude, mit Gradenigo-Struykenscher Fignr ge- 
messen, im Mittel 776 ^ betrug. Bei allen Vp. war dee Ohrensaasen ganz be- 
etfnmit noeh «nwewiid bsw. «orttdcgetehrt» wenn die AmpUtnde 4ßO ft me& 

Praktisch ist diese Beobachtung insofern wichtig, als sie den normalen 
nnd pathologifichen Zustand dor OhrprerHoBche einander n'aher bringt oder 
Tielmehr gleich macht; denn beide haben verschiedene Eigenschaften ge- 
aeinf s.R diB ibwecliielad ein oder swei Oeiine^ Im den Yoideignind 
treten, oder dn0 diese Geriineehe ▼erseiiieden loludiiiert werden. 

Es ist also, was Zwaardcmakcr nicht klar ansspricht, das Patho> 
logische nicht die Entstehung des Ohrgeräusches; denn dieses ist auch, ob- 
wohl nur in absoluter ätilie bemerkbar, in normalen i- aiien vorhanden. In 
petbologischen FiDen nimmt ee nnr sn Inteneititt dermnßen m» dnfi es dn 
LIcm dee Tngee tberttmt 

Wenden wir uns jetzt zur 



eo iet mnEchst eine Arbeit von Angcll B zu erwähnen, der im Freien Yei^ 
snche angestellt hat mit einem auf einem Halbkreis nnrh Art des Perimeters 
befe8ti<?tpn Apparat, der einen Ton von stets gleicher Stärke gab. Als 
SchallqueiiCQ wurden benutzt eine Stiuimgabel von 1000, eine gedackte 
Pfeife von 76B Schwingungen ond eine olitoe deredben SohwingungszaU, 
eine Glocke mit einem Grandton von ungeflbr 2016 Schwingungen und dee 
neriiuBch eines elektrischen Läutewerks. Es zeigt© sich dabei, abgesehen von 
den spHter zn erwHhnenden Ergebnissen, daß in der Richtung senkrecht zu 
der durch beide Ohren gegebenen Linie weniger und kleinere Fehler vor- 
kmnen ele in der Slimlinle. 

Ferner darf die sehr eingehende Arbeit von Urbantsohitsch, Ober 
die Lokalisntion der Tonempfindungen (106', die seine frUhere auBfUhrliche 
Arbeit fortaetit und ergänzt, nicht vergessen werden. Beim monotißchen 
Ilüren wird ein dem Ohre zugeleiteter Ton gewöhnlich im Ohr wahrge- 
nommen, nnd awer bald nnr nnf einer pnnit^ oder atreifenfttnnigen Stelle, 
bald in ^er mehr flächenartigen Ausbreitung. Auch kommen bei vielen Yp. 
den verf^hifiden hohen Tönen verschiedene Lokalisatinn^stollon zu, bei anderen 
wieder scheint eine solche Sonderang der LokalisatioufisteUcn zu fehlen. 
Auch kann die Lokidisationsstelle sich Indem durch Stärkeiademng der 
Toneinwiricong n. a. Bin beiden Obren i^eicbieitig tngeleiteter Ton (am 
beeten mittels einea dreischenkeligon Schlauches; wird nicht immer in beiden 
Ohren wahrgenommen, sondern die Lokalisation erfol^rt ir-infig außerhalb der 
beiden Ohren im Kopfe, und zwar liegt dieses »subjektive Hürfeld« bei 
gleicher nnd nicht aebr bettiebtUeher HOrreraehiedenbeit beidw Obren in 
d«r lütte dea Kopfee, oder von jedem Obre ana erstreol^ aioh ein anbjekUvea 
Hürfeld gegen die Kopfmitte. Bei ungleicher HTirfunktion beider Ohren, vor 
allem wenn dieeer Unterschied betrUchtlieh ist, erscheint das subjektive Httr^ 



BehnUeknllanttoi, 




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LlttratnrlMrleht 



99 



feld g^egen die Seite des bpp«er hfiroiideu « ihres gelagert, diesem um so näher, 
je mebr die ilüriunktion an diesem <>hre überwiegt, bis sich schließlich das 
Hürfeld iu dem einen Ohre selbst befindet. Die höheren Tüne werden häu- 
figer in du inner» dm Ohres oder Kopfes, die tieferen TOne mdir nneh 
avflen loknUsiert; was die Terlikale Biebiang anbehmgt, so werden die 
Lokjüisationsstellen der hohen Töne häufiger tfbw die der tiefen Töne ver- 
legt Beim diotischen Hören befindet sich das in der Kopfmifte gelegene 
subjektive Hörfeld bei höheren Tönen gewöhnlich gegen die Stirue, bei 
tieferen gegen das üinterhaupt; doch kann auch die umgekehrte Anordnung 
bestehen. Die beim monotischen Hören im rechten und linken Ohre befind« 
Uehe LoktUintiontetelle gestattet keinen SehlnO raf die Ltgemng des snb- 
jektiven Hörfeldes beim diotischen HOren; so kann ein monodscli nsoli vom 
lokaKsserter Ton diotisch sein sabjektives Hörfeld im Hinterhaupte aufweisen 
und wieder ein monotiseh nseh Unten loknlisierter Ton diotiaeh in der 
Stirne. 

Ferner können zwei Teile, denen monotiseh ineinander liegende Uür- 
tkXLeu ankommen, diotiseii rlmdidi weit getrennte snttJektiTe BOrfelder 
«eigeo, 8. B. das eine in der Stime, das andere im Hinterliaapte; anoh die 
beim monotisdien Hören mehrerer einzelner Töne in derselben Frontallinie, 
aber nur in verschiedener Tiefe befindlichen Lokalisationsstellen liegen beim 
diotischen H"*ren m weit auseinander^eriiekten Frontalfllichen. Ein beim 
diotischen Üüren in der ivopfmitte auttreieudes subjektives Hörfeld bleibt 
nicht in allen Fällen daselbst ruhig, sondern springt zeitweise in das rechte 
oder linke Ohr oder gleichzeitig in beide Ohren ond wieder stuUek, «iweUen 
wird der mgeleitete Ton gldehieitig im Kopfe nnd in den tMiden Oliren ge- 
hört^ was manchmal auf der verschiedenen Stärke des zugeleiteten Tones 
beruht. Das Auftreten eines subjektiven Hörfeldes im Kopfe ist zuweilen an 
einen bestimmten Ton gebunden, während andere Tr>ne in beiden Obren ge- 
hurt werden. Bei gleichzeitiger Zuleitung zweier Töne zu heideu Uhren er- 
folgt die dem einzelnen Tone entsprechende Lokalisation unbehindert von 
dem andern Tone; nnr in einadnen FUlen Mseinflnssen sich die beiden 
Httrfelder in ihren Stellnngen. 

Die subjektive Nachempfindung des diotisch zugeleiteten Tones kann 
dieselbe Lokalisationssti^lle aufweisen wie der objektive Ton, oder aber in 
verschiedener Ausdehnung, zuweilen au anderer Stelle auftreten Bei diotischer 
Zuleitung läßt sich mitunter der in dem einen Ohre sonst nicht hörbare Ton 
dnreh angestrengte Aufmerksamkeit zur Wahrnehmung bringen. Dabei tritt 
^ese Tonwahmehmnng entweder gleichseitig neben der am anderen Ohre anf, 
oder der Ton wandert Yon diesem Ohre allmllilich in dem Ohre, anf das die 
Aufmerksamkeit gerichtet ist. Auch ein im Kopfe gelegenes subjektives 
Hörfeld l:il?t sich auf diese Weise beliebig ins reebte und linke Ohr verlegen, 
«0 daL^ dt niiirich in dem Ohre, von dem die Aufmerksamkeit abgelenkt ist, 
eine volletaadige Unterdrückung der Tonwahrnehmang erfolgt. Die Er- 
leheinang entspricht aneh der Erfahrung über die Bedeutung einer Yemach- 
lisstgnng des einen Ohres beim HOrakte im soiialen Verkehr. Der von 
einem schwerhörigen Ohre anfSnf^h nicht remommene Ton kann dnreh 
Cbung allmählich zur Wahrnehmung gebracht werden. Ein andermal wieder 
gibt sich die eintretende HiirtiititTkeit dieses Ohres in dem Frpeheinen eines 
fniher nicht vorhanden gewesenen subjektiven Hörfeldes (bei diotischer Ton- 
zuleitungi zu erkennen. 

7* 



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100 



Litemtoibarieht 



Die LokalisatiouBfiteile läßt sich willkürlich und durch Übnnp; verändern: 
nur auBQAhmswei&e ist aach eine wiUkttrliche Verschiebung dea subjektiven 
HOrÜftldM tD ttiiie ander» Stelle der KopfMtto als die dem diotfeeli soge- 
Iciteten Tone entsprechende möglich. Wenn daa willkllilich hervorgernftna 
Ilürfeld eine größere Aupdf^hnnTi^ besitzt, als die friHieren TTnr?t(*llcn. po »er- 
folgt eine der Ausdehnung entsprechende Schwächuog des GehürseindrackeB 
an der einzelnen Stelle dieaee HOrfeldes. Während der Wanderang findet 
oftmals ^ne Vermindenuig der Hgrwahrnelmwuiy, snweOen deasen Ans- 
l()8chinif atatt um erst an der bleibenden Stelle wieder deutlich benrorsn» 
treten. Anßer den akustischen LokaJempfindungen tn^ten im Bereiche der 
Grenztöne sensitive Empfindungen auf, die bei Einwirkung solcher TOne, die 
ganz nahe der BUrgrenze, alao bweits jenseits dieser stehen, in beeondeier 
Stiblte eraeheineiL Bei einer Sehalldnwirknf , die aaflngileh keinerlei Emp- 
findung anslUst, kann durch wiederholte Znleitung zuerst eine unangenehme 
sensitive Empfindung erregt werden und später erst eine akustische Empfin- 
dung, bei deren stärkerem üerrortreten die sensitiye Empfindung mehr und 
melir sarUckgeht, bia scbUeflIidi die aknatlach« allein Ubrig bleibt Die 
hoehgradig SchmdibOtlgen ins Ohr ginnifenea versobiedenen Vokale können 
anstatt einer akustischen eine sensitive Empfindung erregen, wobei jedem 
Vokal eine bestimmte Stelle im Ohr oder Kopf zukommt. «<o daC au» der 
I^okalisutiou der sensitiven Euphnüung, also ohne HOremphudung, eine Be- 
atfanmung dea ina Ohr gemfenen Vokals ermöglicht iai 

Von französischen Arbeiten seien noch die Bards erwSbnt (10» 11, 14, 
15. 16'. den die Unmöglichkeit, die Iinrorientierung mit Ililfe der bekannten 
Eigenschaften der Tonweilen zu erklären, auf folgende zwei Hypothesen ge- 
führt bat: 1] Die oszillierenden Schwingungen der Luftteilchen um ihren an- 
ffaigfiehen Gleiehgewiebtaponkt finden derart atatt, daß die aentriftagale 
Halbamplitnde, hinaiohdieh der Schallquelle, etwaa der zentripetalen überlegen 
ist. 5 Pie Beteiligung an den Si^hallschwingungen ist bei denjenigen Zonen 
der Lutt, die durch ein Hindemi« ;r''srh'it7t sind, durch Ausbreitung über 
den Rand hinaus hervorgerut'eu, ludem diese i^rachUtterung durch Übertragung 
der Bewegung auf benachbarte Hol^flle flbeigeht 

Bei der Orientierung Uberhaupt muß man drei verschiedene Elemente 
nntcrecheiden: nämlich eine latera!»» rpfhts nrVr link« pine angniare oben 
oder unten) und eine distanzielie Orioutieruug. und zwar ist Bnrd aus physio- 
logischen Gründen darauf gekommen, tür die Orienticruug ein besonderes 
Element der TonweUea ananneibmen und findet dlea in den Modlfikattonen, 
welche die aebwingende Bewegung dnroh ibr allmihliebea Voaebwinden er^ 
leidet. 

Vielleicht liii>t dieser Autor einmal ein Werk erscheinen, das seine An- 
sichten, die jetzt in vielen Zeitschriften zerstreut sind, im Znsammenhange 
fiberblieken lißt, waa für eine eingehende Beorteilnng eebr weaenlUcb wfre. 



Wie unsere Ausführungen Uber die Intensitätsachwelle und Hürseblrfe- 
prllfiing geneigt haben, nnd jedem, der aioh etwas ^gebend mit den dort 

berührten Fragen der HlfraebMifebestimroung beschäftigt hat, wohl klar sein 
wird, ist dieses Problem durehaiif» noch nicht endgültig gelöst. Es rtihrt 
dies besondera daher, daß wir Uber den Schall physikalisch noch gar nicht 



PhjsikallBelia XlaBgeneifang, 




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lÜerstvlMiiclit 



101 



genügend orieati«rt sind. Die Stimmgabel, die man bis heate in der Otologie 
Bodi niclife eoÜielinB karni» ist eio sehr kompUnertei Instramtiit» dfluen viel« 
phynkiliadieB Probleme noeli der LOnmg warten. Hakwfirdigerweiee Inbea 
die Physiker dieees Thema verhMtiiieniKßig nur wenig bearbeitet, eo daß 

noch eine ^nnze Anzahl LUoken nnausp:efUUt sind, wp?>ba1b sich beaoikden 
Otologen und Phyjsiologen auf diesem Gebiet© versucht haben. 

Von diesrii ist wohl in erster Linie Quix zu emiUmeTi 88 , der aus der 
Literatur aiiett für den Mediziner Wissenswerte be:6Ügiicli dex Stimmgabel 
neMiiiiengeetellt ket. Unter aaderem bat er, «m eine tiefere YoieteUimg 
Uber die nilkere BeeehaiTeiÜMit und Biektnair der Sekwingnagen der Liift^ 
teildien n gewinnen, folgende Dntennehnngen angestdlt, i. T. gemdnaam 
mit Zwaardemaker ;136 : 

Beianscht man mit einem Schlauche mit pläserneni Rohr, das eine kapil- 
lare Offnnng trägt, die klingende Stimmgabel in vf»rf»fhiodenen Richtungen 
und Abständen, so verschwindet der Schall nur ganz in den Literfereuz- 
iieken dar ernten Art, den Kieealingschen, wie aieQnin nennt, nndawar 
aar in «n^r Entfernung (einigen Zentimetetn) Ton den GnbeldnkNi. Li 
der anmittelbaren Nähe der Gabel hört man in diesen Flächen, mitunter nielirere, 
hohe Obfrt(>ne; erstens ist es ein Ton, der bei nicht reinf^n 'IVansversal- 
echwingungen entsteht und deshalb höher ist w»>il die Brflti meistens viel 
größer ist als die Dicke, zweitens ist es der asymmetrische Ion nach Lindig 
(58^ welcher die Oktave des Grundtones ist, oder es kann drittens noch der 
sweite, vierte naw. Oberton binsalconinien, der naeb den Unterandinngen von 
Qniz bier keine Interferons iiat Leider feblen nXkere Unteranebnngen Über 
die Art dieser Töne. 

Der Grundtou ist am stärksten zwischen den Zinken in einiger Ent- 
fernung von den Enden, etwa 1 bis ^ cm, je nach der Größe der Gabel. 
Die Stelle der größten Intensität ist nicht ganz genau zu umschreiben. An 
den Außenseiten der Zinken ist der Ton auch am stSrkaten in einer Ent- 
fermmg von 1 bia 3 om vom Zinkenende, und nimmt naeb dem Stiele an ail- 
■Udieb ab. Wenn man lieb mit dem Bobr der Ckkbebsinke entlang bewegt, 
kann man sich leicht davon Überzeugen, da 0 di ObertOne in der Intensität stark 
wechseln, je nachdem man die Interferenzfliichcn zweiter Art papsiert oder 
nicht. Das Niveau des Maximums der .TonintensitUt an den AuLM Ubciten 
der Zinken , wird, wenn man sich von der Gabel entfernt, stielabwärts ver- 
schoben, well die Lnftteilcben in einiger Entfemang von der Gabel dnreb die 
Bewegung der ganaen Zinke beeinflußt weiden, wMhrend in der Nike daa 
Stielende der Zinken verhältnismäßig weniger Einfluß ausUbt. 

Mit dem Schlauche belauschend, findet man das Maximum der Tonstärke, 
(lan sofT Ton/entniTTi in dem Räume zwischen den Zinken. Werin man die 
Siiiiiuigiibel nahe au das Ohr liiilt, 80 hört man auch in dem Zwischenßch*'iiWel- 
raume gewöhnlich etwas stärker wie an den Außenseiten der Gabel, doch 
ist dieae Dülirenx aebr gering. 

Da mm aber die Lnft im Isnexn ebiea aoleben HOrrolirea nnr dnreb 
Drucksekwanlrangen in |»eriodiaebe Bewegungen versetzt wird, hat Qaix 
ein Reagens auf periodische Bewegungen ohne Druckschwankungen kon- 
struiert in folgender "^Vfiee: Ein crev. i'lirilü hes Deckglas von etwa 1 qcm wird 
mit Siegellack auf eine Slri( kiKi lf 1 ^-^rklt It. daß dio TJeckglasßäche mit der 
Aelise der Nadel zusammenliilU. Diese iSadel ist mit einer feineu Schraube 
an einem Hittelatliek befestigt, in deüen anderem Bnde füa» aweite leebt^ 



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Uterfttoffoericht 



eckig uiugeluitrs'np Strifknade! auf dieseiUe Weise lestgekleiuint wt r^l» n Kann. 
Die zweite Nudel ist au liirem uuderen Ende m einem Halter /Ur iveuikopt' 
Spiegel) gefaßt, ttbor denen nnteret Eade ein Sehbneli geeehoben wird, der 
soB Ohre fuhrt Dureh Venchieben der errten Nadel kann du des In- 
etnunentchen mit Hilfe der Klemmeeliraabe abBtimmen und durch Drehuug 
der zweiten das Deckglas in verschiedene Stellungen fvertikal, horizontal} 
bringen. Das Deckglas nebet Nadel l;i(^t f*\ch enmit als hohe Appunnscbe 
Lamelle betrachten, die auf j)eriodiBclie Lut'rlM \vegun;^en resonieren wird, 
wenn die Periode mit ihrer eigenen übereinstimmt. Die Bewegungen der 
Nadel teilen eieh den Sebrlnbehen mit und werden von dieeen mittele der 
aweiten Nadel anm Heiter geleitet, deeeea Eteebllttenuigen scblieDIiefa die 
Lnft im Schlauche in periodieebe Bewegung versetzen. 

Zwischen den Zinkrü und in der Nähe derselben erhielt Quix mit einer 
solchen Appunn sehen L;mie!le auffallende Kesultato, die sich durch die 
Kiesslingsche Theorie erklären lassen; es bleibt nämlich die Lamelle io 
Knhe iu den Kiesslingschen Interferenzfl&chen, aber erst einige Zentimeter 
Ton den Zinken entfernt beginnend, ferner In awtf anfeinaader aenkreebtea 
Fliehen, welebe jede die Stimmgabel nnd den dieeelbe umgebenden Banm in 
awel symmetrische HUlften teilt, die eine geht senkreeht zur SchwiDgung»- 
riehtung mitten durch den Zwischenschenkelranra, die zweite liegt in der 
Schwingungsrichtung und teilt die zwei Zinken in ihrer Lange mitten darch. 
Diese zwei Flächen ecbneiden sich in einer Linie, weiche die Verbingeroog 
der Stielachse ist. 

0ie Bewegung Itt am stirkaten, wenn die FlXche der Lamelle eenkreebft 
anf dieeen bdden Hieben eteht, nnd nimmt allmihlieh an, wenn die Lamelle 
parallel diesen Flächen weiter aus diesen fortgeschoben wird. In dem ganzen 

Räume Uber der Ziukendicke und vor <len Ziukenendeu hurt man sehr deat- 
lirli. worin die Lamellentläche parallel der Hreite hteht. aber der Schall ver- 
öchwiadt t last ganz, wenn sie parallel der Dicke gehalten wird. Da man 
das Deckglas nicht su klein nehmen kann, wie die ßöhrenüffnung, weil solche 
kleine Lamellen nicht merkbar mitMshwingen, nahm QnU Bohren, deree 
ÖlRinng der GrOOe dee Deekglaeea entapraeh nnd horte mit dieeen so 
gleichen Punkte wie mit dst Lamelle den Grund ton sehr schwach, In der 
Interferenzlinie fast gar nicht. Daraus schließt Quix, daß in der unmittel- 
baren Nähe der Oabel um die Zinkenkanten herum periodische Luftverscbie- 
buugen stattfinden, daG jedoch dabei keine Druckänderungon aoftreteo, 
sonst müßte man dieselben mit dem Rohr hüreu. Die Luftbewegung (Iber 
nnd Tor den Zinkenkanten bat also Analoge mit derjenigen In den Blnebea 
einer Orgelpfeife, mit dem Unterschied, daß dieee Binehe keine Pieke 
haben. 

Aus diesen Resultaten kann man leicht die Richtungen konstruieren, in 
denen die Luftteilch<^n schwingen. Wenn der Ahstaiii vnn der Oabel so groß 
geworden ist, daß ilei Winkel, den die Verbindungslinien mit den Schall- 
erreguugspuukteo untereinander bilden, klein ist, so ist die Schwingungt- 
riehtong naeh der Achse der Gabel gerichtet 

In einiger Entfernung der Gabel sind daher die Schwingangsriehtaagee 
riaga nm die Gabel hemm strahlenförmig nacli der Achse gerichtet Is 
welchem Abstände dies schon praktisch der Fall ist, ließ sich nicht er- 
mitteln, da di»^ Intensität des Schalles um die Stimmgabel herum bald tn 
schwach geworden ist, um noch mit der Lamelle gehört werden zu konoeo. 



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Litenturbericbt. 



103 



AnOttdem nntemielita Qnix auch aocb progreiaive and wirbelnde 
StrOmimgen, indem er eine itirk idlngende Gabel in Waeeer tanebCe, Uber 
denen Oberfläche ein wenig BUrlappeamen (Lycopodiam! gestrent ist. Er 
konnte dadurch die Strömungen, diV Chladni find, bestätifr^^ doch ist 
dies, wie er hinzufügt, nicht die einzige Art, in der die Strömungen statt- 
ünden, sondern es gibt deren eine ganze Menge, die sich jedoch leicht ab- 
leiten laeaen. Diese weUenftrmigen Gebilde, die man bekanntlich eine Zeit- 
lang für Schallwellen hielt, erkUrt Qnix ab FlHaaigkeitBetrOmiingen, welche 
dorch die Schwingangen der Oabelalnken Yeianlaßt sind. Wie bereite Mhere 
Untersuchungen plausibel gemacht haben, die Qtiix /.um Teil bestätigen 
konnte, treten ähnliche Strrnnungen auch in der Umgebung der Gabel auf, 
wenn diese in der gewöhnlichen Weise in der Luft klingt, und entziehen 
natttrlich der Gabel einen Teil der Energie, der für den Schall verloren geht 
und sich mit der Abnahme der Amplitude ändern muß. 

Wie schon oben erwShnt, haben Zwaardemaker nnd Qniz die Ge- 
stalt der Fliehen gleicher KlangatSiken, die sog. iqnisonoren Flächen einer 
Stimmgabel empirisch abgeleitet, indem sie die Stimmgabel in eine wattierte 
Kn^el einschlössen und 1 den Ausschlag der Stimm frabel in jedem Zoit- 
pQukte ihres Ausklingens bestimmten und 2) die Stimmgabel in verschiedeneu 
Richtangen, aber stete iu einem festen Abstände vom Tonzentrum, das natür> 
lieh im Mittelpunkt der Kugel lag, beobachteten. Sie fimden, daß diese Iqni« 
sonoren Flüchen nahesn mit den hyperbolisch gekrUmmten ÄiterferenallSehen 
übereinstimmen; femer haben diese Hieben folgende Eigenschaften: 1) die 
Sqnisonoren Flächen um dasTonzentrnm einer Stimmgabel herum sind grüßer als 
die Auebreitiinp'afliichen der Enerfrie, die sich um das Tonzentrum durch den 
Pol gegenüber den Endpunkten der Zinken beschreiben lassen. 2] In der \qt- 
tikalebeue kommen kleme Unregelmäßigkeiten vor, die nicht durch Kiess- 
lings Theorie erklürt werden; die an dem Pol gegenttbsr den Zinkenenden 
sehtsiben Zwaardemaker nnd Qnix der Beflezion des lUaages am nm- 
gebogenen Teil der Stimmgabel an. Daa Anwachsen sHelwIrts vom Ton- 
7f>Titnim stimmt mit der nattlrlich ungenauen Annnhme zusammen, daß der 
Klang nur vom Tonzentrum nnd nicht von der ganzen Zinkentiächr ausgehe. 
Diese Unregelmäßigkeit wird, nach Vermutung der beiden Forscher, in 
größerem Abstände vom Tonzeuirum verschwinden mUssen. 

Dasselbe Problem , nXmllch das der Sqnisonorsn Fliehen, behanddt 
Werndly (lU), der allerdings von einer anderen Seite an die Aufgabe heran- 
tritt, da er versucht, auf analytischem Wege ftir solche Flächen eine 
^'ileichung abzuleiten in der Absicht, die Verteilung der Energie rings um 
eine tönende Stimmgabel etwas eingebender zu betrachten. Außer einer 
Anzahl vereinfachender Voraussetzungen flihrt er zu diesem Zwecke noch 
folgende drei Sätze ein: Ij Ein beliebiger Punkt der änßeren Zinkenfläche 
sendet Sehall wellen nach allen Biehtnngen hin, jedoch so, daß die Anfangs- 
ampUtnde dieser Wellen nicht nor der dortigen Gabelainplitnde, sondsvn 
auch dem Kosinus des von den Schwingungs- und Anssendnngsrichtungen 
eingeschlossenen Winkels proportional ift Die von den verschiedenen 
Zinkenqnerschnitten ausgesandten Amplituden addieren sich zu einer Ge- 
samtamplitude, welche die Summe der Einzelamplituden ist und ihren Aus- 
gangspunkt bat in dem Schwerpunkte des von der Zinke beschriebenen 
dreisckigen Banmes. Offenbar stellt diese GesamtampUtnde den FUtohenranm 
eines leehtwinkUgen Drdeeks tot, dessen Schweipnnkt als der fragUeho 



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104 



LHsratoifMTtokt. 



Anfaii||:8piinkt an^es^hen wird. Die abwechselnden Kompressionen nnd Di- 
latationen des Zwischensobenkelrattmea haben — abgesehen von einem kon- 
stanten Faktor — die alnliobe WiikvDg irit «Im idMl« Stinngibel (d. h. 
ohBe ZwlMbenMlMiik«lraiiiB), TOiaiugeMtsk, dafl letitere im ttbrigen d«r 
enteren gleich, jedoch 90^ nm die LiagMohie gednlit ond, waa die Pheie 
anbelangt, ihr entgegengesetzt ist. 

Mit EUfe dieser Vereinfachaagen tindet Wer&dly, dal3 die äqoisonorea 
FUeben vier idunale, aber tiefe eywuetrieolie, den NnUtnteilittettsflidiem ent- 
qneelMBde, Fähen naeh innen aoiweiaen mlleeen. Im llbilgen ist Üur horizon- 
taler Qnerschnitt mehr oder weniger elliptisch, xira so schwUcher elliptiBch, 
je griU^er k ist. Dietjes k ist eine Konstante, die kleiner als 1 ist, für jede 
Stimmgabel einen ihr eigentümlichen Wert bat uuü da« Verhültais zwischen 
den Wirkungen dee Zwisohensohenkelranmes einer- und der lnß«en Zinken» 
fliehen andereneito angibt Die Gestalt der Iqnieonoren Flächen gleielit, 
abgesehen von den vier Liingeneinrissen, einer umgekehrt Stehenden Bimei 
deren Stiel mit demjenigen der Gabel zusamraenflillt. 

Bei strengerer Analyse wäre die Gleichung verwitkelter, aber nicht 
weaentlleh andws geworden; die Jetit geAindenen NnUinterfeiensflifllien 
würden sich in einen hyperiwlischen Zylinder umgewandelt haben. 

BezUglirh 'lor Sfhwfngnngsfürm des Stieles der Edelmannschen Stimm- 
gabel hat Ostniann 83 Versuche angestellt. Ein ffir jede zu nntersachende 
(xabel entsprechend stark gewühlter, kurzer Kisenstab wird mit seinem einen 
Ende in einen ereehtttterongefrden PuraHelaehnmlteloek toH eingeklemmt. 
Die obere Fläche des anderen Endes dieses Stabes wird mit einer 5 mm 
dickf ii, in sich möglichst festen Eorkplatte belegt, deren nbrro seitliche 
Kanten durch Abschrägting der seitlichen Flächen nach außen so weit vor- 
springen, daß anf diesen scharfen Kanten allein die Gabel mit ihren Knoten- 
punkten rokti wenn dieeelbe mit den Zinken nadi nnten ttbw den Stab 
gestülpt wurde. Auf den Quersehnitt des senkrecht nach oben stehenden 
Stieles wurden feinste Mehlkörnchen gesaninielt, und der Weg, den eines 
derselben bei kräftigen ächwingnngen der Gabel machte, unter dem Mikro- 
ekop heobnehtet nnd gemessen. 

Sobald die Gabel in Sehwlnfnngen venetst wird, li^t Jedea KOnehen 
eine äußerst feine, scharf begrenzte, helle Linie, welche in transyersaler 
Richning- verliinft und in allen ihren Teilen wShrend der ganzen Dauer ihroa 
Bestehens vOUig gleichmäßig scharf erscheint. 1:^ besteht somit neben der 
traasvetaalen Mne longitodinale Sdiwlngnng dea Stielendea, aowdtaleb dnrch 
eine TO-llftlidieYetgrtlSanuignaehweiaen ließ, nnd awargUt dlealltr alle 
Edelmannschen Gabeln, nicht etwa nur fUr die tiefste. 

Über eine ebenfalls viel benutzte Schallquelle, Uber die Labialpfeifen nnd 
die damit zusammenhängenden Lamellentüne, sind ebenfalhi einig« Arbeiten 
eiaefaienen, die hier nieht flbergangen werden dVrfen. 

Zanidiat iat hier ^e Arbeit Ton Weerth (114) zu erwähnen, der die 
Frage zu beantworten sucht, ob die Bedeutung der Pfeifenlippe identisch ist 
mit der Schneide bei Lameilentönen. Gerade der UuiHtand daß lediglich 
beim StrOmen einer Lnftlamelle gegen eine Schneide ein Ton entsteht, die 
Sehneide alao dabei fttr die Tonbildnng Ton weaentlleher Bedeutung ist, mnl3 
in der Vermutung Anlaß geben, daß aie Ae Tonentatehnng direkt yeraalaßt^ 
ja bedingt. 

Mach mannigfachen Fehlschlügen kam der Verfasser dazu, die Lamelle 





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litanttuberieht 



10& 



bei Fankenbeleachtiuig, mit Hilfe von Geisslerscben Röhren za beobachten. 
INe Lunelle w diboi diireh Tabaksnndi Blebtbir gwna^t woi4«ii. Sobild 
dar Ton tfnMtsto, diytiglerlen die BaveligniiMii gegin die Keilwiade nadi 

obn Idn, «nd zwar am bo mehr, je hüher der Ton war. Dann sah man bei 
intermittierendem Lichte and möglichst kleiner Zahl der Entladungen die 
I^unelle nnterhalb der Schneide hin und herachwingen , infoli^edt ?Bon (\\e 
Lttft einmal voHständig an der einen, dann an der anderen beite des Keües 
in die Höhe strümte, wodurch sieh auf beiden Seiten von der Schneide auf- 
«irts wsiidenide inteimitderende WlilBte bildetm. 

Feiner ergnb sieh, daß die TonhOhe nbliingig war von der Stitrke den 
Laftdmckes, der Breite der Mnndspalte und dem Abstände dos Keiles, wae 
ja bereits Hensen gefanden hatte and im Anschloß an diese Arbeit Wachs- 
miith (109) noch weiter T3nter!>ncht hat. Die Größe des Keilwinkel;» übte 
keinen Einfloß aul die ionhülie aus, ebensowenig das Material le^* Keiles 
ond der verschieden groi3c Widerstand, den die Keil wände dem Luit- 
•Irom entgegensetzen; nicht gant ohne Einfloß ist dagegen die Sdilrfe den 
KeilM. 

Denumeb scbeint feetznstehen. daß weder dieErklinmg von Stronhal 

noch die von Hensen f!lr die Erscheinung- der Lamellentöne ausreicht. 
Weder sind sie unmittelbar Reibungstüne, noch kann eine momentan an der 
Schneide entstehende rransversnllamclle, die also die (irthulamelle von der 
Schneide fortbläst, das liier nucixgewiesene Penduiu der Ortbolamelle mu 
eilen dieee Sebneide mr Folge haben. 

Deshalb meint Weerth: Der die Sehneide trelFende Lnftttroa teilt steh 
daselbst, and die den Keilwlnden entlang strOmenden Teile erhalten durch 
die Reibung kleine Yerzügemngen. Kompressionen, die rückwirkend auf den 
unteren Teil der Lamelle drücken. Eine Mittelstelhmg mit gleich großen 
Kompressionen auf beiden Seiten erscheint theoretisch möglich, wird aber 
bei auch nur im geringsten bewegter Luft niemals eintreten, vielmehr wird die 
dne der aadeien tfberlegen eein. Dieser Überlegenheit enispiicfat die Ane- 
biegnng nnteriialb der Sehneide. 

Tritt nun infolgedeseen die Lamelle ganz auf die andere Seite, so ent- 
steht hier ein neuer Wulst, der nun eeiuerseit? die Lamelle in die Gegenlage 
zurücktreibt So entsteht also ein dauerndes Spiel um die Schneide und mit 
ihm aof jeder Seite eine gegen die andere versetzt auftretende Serie von 
Wülsten. 

Übrigens genügt der Widerstand der insimmengedrttekten rahenden 
Loft» nm das Pendein aufreobt m eilialten. ünter dieser Annahme kann man, 
wenn ^nmal dnrch die Reibung der Prozeß eingeleitet ist, auf die Mitwirkung 
der Reibnng an den Keilwänden verzichten. So fiele also dem Keil nur die 
Bolle zu. der Lamelle die Gleichgewichtslage zu verwehren. 

Vorstehende Erklärung ließe vielleicht eine Abhäogigkeit der Schwingungs* 
dsner s. B. von der Größe des Keilwinkels erwarten. Eine solehe war 
iedenfidla nieht anfimwdsoi. Dies steht Teimntileh ont der Erseheinang dea 
Sprunges in die Oktave im Zasammenhaag, Itti die sieb keine aosrelebende 
Erklärung bot 

Eine pniche hat er!»t Wachsmuth (109, HO' irpjreben der ja die phy- 
sikalischen Verhältnisse der Labialpfeifen und LamcUeatüne besonders unter- 
sucht bat Wie auch er betont, ist zum Verständnis der Tonbildung bei 
laUalplbilin eine genane Kenntnis der Vorgänge zwiseben Ketnipalt und 



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106 



Lltentnibeffleht 



Mitte der Pfeife erfoiderlicii. Um eich dieae zu verdchaffen, tut man pt, 
miMciiit TOii dem Betonantrohre »braieh«!! ud die Enebetttangen n 
ttnteiinehen, die ufitreten, wenn in einen blattftemfgai Lnflstrom eine En« 
lege gebmeht wird. Da eine Annlogie mit den Pfetfenteilen etilelt werdet 

muß, läßt man einen Luftstrom ans einem Windkasten mit rechteckiger 

^iffnuncf an?treten und gegen die scharfe Schneide eines der Spaltöffonn? 
parultekiu Keiles ansrlilagen. Dann treten die Bog. Schneidentüne auf, Ak 
im allgeuieinen hüher sind aU die iune von Orgelpfeifen mit der gleicben 

lUolweite. 

Bringt man snnSelitt die Sebneide m die SpnitOftinng, eo erblit nu 

gar keinen Ton. Bei Vergrößeriing des Äbstandes und möglichst axkler 
Fiilirung' der Selineide tritt jedoch sclion bei ziemlich kurzen KntferonnjPTi 
ein hoher Ton auf. Die Tonbühe ist bei gleichem Abstände abhängig vom 
Luftdruck. Mit wachsender Entfernung wirrl der i on tiefer — eutsprecbend 
einem abuehuendeu Luftdruck — bis zu einem gewissen, vom Blasedrack 
and der Spaltwelte abbSngigen Abstand. Hier springt der Ton plOtalidi an 
eine Olttave in die Hohe, wird aber bei weiterem Waebaen der Entfatang 
wieder tiefer, bis ein zweiter Sprung in die nt5he erfolgt, und iwar diesmal 
um eine Quint. Jetzt verliert der Ton an Keinheit. doch gelingt es raanclinjal. 
noch einen dritten Sprung zu hören. Schließlich tritt noch ein Sprung, diesmal 
um eine Oktave in die Tiefe auf, wenn man iu der Lage zwischen dem erste» 
uud zweiten Sprung mit dem Keil aus der Mitte auf die Seite geht. 

Auf pbotographiaehem Wege Ueß sieb unter Benntnuig von PartialeBt- 
iadnngen einiger L^dener Flaacben flir jede 4000 tel bis €000 tei Sekoide 
ein Bild gewinnen und so naehw^sw« daß das Luftband, das ans einen 
rechteckigen Spalt austritt, sich schon von vornherein in einem labilen 
Gleichgewichtszustände betindet und daher praktisch schon eine kurze Strecke 
von der Öffnung entfernt abwechselnd uach beiden Seiten pendelt. Unter 
Wirkung der widerstehenden, weil ruhenden, Umgebung entsteht dadoieh 
ein Luftstrom etwa von der Gestalt der Serpentinen, wie sie auf stsüen 
StrnOen angelegt werden, nor dn wenig bogenförmig gekrümmt 

Es bildet sich also der Ton dtirch Anschlagen der sich vorwärts be- 
wegenden, dabei aber quergestellten Blattflächen. Beim Entfernen de« 
Keiles von der MUndung kommt nun ein Augenblick, wo wegen der Krüm- 
mung des Bandes statt eines Anschlages deren zwei in derselben Zeit e^ 
folgen (doch ist diese Annahme, wie Wachsmath selbst angibt, in dar 
▼orliegenden Form noeb unhaltbar). Das entsprieht also dem entsa Tos- 
spnmge um eine OktsTo in die Hohe. Analog erhUt man an einer andsrss 
Stelle drei Anschlüge statt zwei; daher der Quintenspmng. Rückt mu 
scldieBlicli etwas seitwUrtf^ von der Stelle de« Oktavensprungs. so sehlSst 
jetzt nur noch <lie 'jreNvoliniich in einem Wirbel zusuminenhüngende jfi'- 
meinsame Kaute zweier Laftschichteu an den Keil, und es muß ein Okuvea- 
sprung in die Tiefe erfolgen. Die Kn^mnng der Sprungstellen voneittandff 
and Ton deren Spalte ist tou der StXrke des Winddmoks abbüngig. 

Weitere Versuche betreffen dann die Besonans, dnrch die sich nickt 
nnr der vorhandene Schneidenton verstärken, sondern auch bei Verdoppelsag 
der Länge der ResonanzrrOire «lie tiefere Oktave erzwingen läßt. 

Geht man jetzt von den Schneitientrmen zu den Pfeifentönen über, so 
wird der Unterschied lediglich im Resonanzraum liegen. Ist der anbUseade 
Lullstrom stark genug, um die Eigensebwingung des BesonnBirsumss Isb- 



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Litflfatari>erioht 



107 



bftft za erregen, so kommt der Zerfall in die einzelnen Schichten nicht mehr 
zoBtande, vielmehr nntersttttzt dann der Resonanzranm die nrsprUngUche 
Sehwinguag der Lamelle so kräftig, daß jetzt das LtLftband nicht mehr ftb- 
btieht, aondern in gaaser LEnge in der bekannten Welse om die Lippe pendelt* 
Dtbtt gehört sn einer beliebigen Schwingnngqieriode olfonber jedeemal ein 
gtns beelinimter LnfldmcL Einen gewiieen Spielmun gewMhrt die Be- 
wnanz. 

Wird aber der Druck zu klein, so bietet diese keine UnterstUtznng mehr, 
and das Blatt zertailt wie bei dem Keil allein. Es treten Schneidentüne auf. 
Min Itann bei kleinen Pfeifen durch Toraichtiges leises Anblasen leleht «ine 
gaue Beihe Ton ihnen erhalten. Yen diesen werden diefenigen, die einem 
Oberton der Pfeife entspreehen, dnreh Besonn» Tentifkt, behalten aber ihre 
Osstalt als Schneidentüne. 

Wird der Luftdruck gröPor als für die dem Reson-in/rftum entsprechende 
Gnindscli^ itigung nötig ist, s » zwingt Huch hier der Kesonanzraam eino 
Zeitlang seine Periode auf, dann aber springt der Ton plützlich in den 
Biebiften OberCon der Pfeife, jedoch vledör als Onndaohwingang nnd ohne 
Zeifül, weil eben den gest^gerten Lnitdmck die erhöhte Perlode entsprieht 
Bad die Resonans der Pfeife den Zerfall verhütet. 

Es besteht also, wie dann Waobsmnth nochmals genauer naohg:ewieBeQ 
hat (110], zwischen reinem Schneidenton und Pfeifenton kein prinzipieller 
Unterschied. Der Ton der Labialpfeife ist immer einer der durch Scbneiden- 
abfitaud, Luftdruck und Länge der Resooanzrühre fest bestimmten möglichen 
SehaddentOne. 

Ton diesem Gesiohtspnnkte ans hat dann der Verlasser eine gaaae An- 

laU Orgelpfeifen untersucht. Zum Anblasen, d. h. zur Resonanz, ist bei 
diesen meist eine gewisse Druckstärke notwendig. Läßt man nun den Luft- 
(inck sr.mz langsam anfangen so gelingt es meist oh nf^ Mühe, unterhalb der 
Ke^ouauAgrenze die Schneideutoiie zu hüren, bis ilann bei einer bestimmten 
Tonhöhe die Pfeife mit lebhafter liesonauz einsetzt. 

ÄaOer den Sehneidenabstaad m indem nnd den Dmek konstuit m 
lusen, ist es nnn fttr den Yeiglelch mit der Labialpfeife wichtiger, den 
Scbneidenabstand konstant zu lassen und den Druck zu variieren. Dabei 
fand Wachsmuth die Zunahme derTonljöhe der Steip-nnfr (h's T>ruckes fast 
ginz proportional Ferner zeigte sich eine sehr enge VerwaudtscluUt zwischen 
ächneidentüncn und Pfeifentönen, wenn man die Abhängigkeit des erzeugten 
Toaes von dem Drucke graphisch darstellt 

Anch die Galtonpfeife, selbst in der neuen Form von Edelmann, Ist 
n den gednekten Pfeifen an rechnen: auch sie weist als erawnngene Be- 
sonanz bei ganz leisem Anblasen weit nnter dem normalen Druck d«i 
Grundton auf dann findetderOktavenspnmg in die Tiefe statt, dann ein ziem- 
licl) schnelles Ansteigen wieder zum Grundton. Daneben erscheint, wenn dieser 
eben erreicht wird, noch einmal die tiefere Oktave. Deshalb üUrfte Myers* 
Bawsnd (Jonmal of Physiologie. Bd. 28) gerechtfertigt sein, ob nicht in 
vielen FUlen ein tieferer Begteitton gohOrt wird an Stelle des gaas hohen; 
diese Gefahr ließe sich dnrch Verwendnng eines konstanten Gebliees statt 

Gnmmiballes vermeiden. 

AuOcr Itci fliesem gerin o;en Druck, treten auch noch Tonsprünge bei 
höheren :tls d n zu norm ili ni Ansprechen erforderlichen Drucken auf. 
Lm durch Sichtbarmachung der Luttlamelie einen wirklichen Einblick in 



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108 



Litentorbericht 



dift MMlmik der Tonbüdiuif id ton, wofd« saitatI dM BtnelMt, dta Weerik 

(114^ benutzte, in die Zuleitung zum MundstOck such ein weites GefüQ ein- 
geschaltet, welches Äther oder Tetrachlorkohlenstoff enthielt Die so er- 
sengten s^chlierea der Lamelle wurden nach dem Vorgang von Emden 
(Wieden «uns Anaalent Bd. 69) bei FonMUelit pbotographiert Ober die 
Entetelmng der Schneidentitee erlao^ man jedoeh erat Klaiiielt duch kla«- 
nato^TSphische Aufnalimen. 

Heziiglich der freien Laftlamellen führt Wach?mnth die Worte von 
Helmhultz au: >Die Theorie läßt erkennen, daß überall« wo eine Unregel- 
nXOigkelt ao der Oberlkietw eioea flbiigeea atatloiiilnii Strahlet gebildet wbd, 
dieee zn einer fortschreitenden spiraligen AnfroUniig dea betreffenden (ttbrigeae 
am Strahl fort^fleitenden Teiles der Fliirbc führen maß. Der Theorie nach 
künnte ein prismatiBcber oder zylindrischer ätr&bl unendlich lang »ein. Tat- 
sächlich läßt sich ein solcher nicht herstellen, weil in einem so leicht be- 
weglieben Eiemettte wie die Luft iit, kleine StOmnfeii nie gans so beeeltifeii 
aind.« 

Fif'rnfT erj^eben diese Aufnahmen, daß imn jf^denfnlla nnnehmen darf, 
mit Zunahme der Strönrnnfrsi^eschwindigkeit wachse auch der senkrecht zur 
StrüDjuugsrichtung beiderseitig auftretende aerodynamische Druck, und kleine 
Usteraehlede in deeien Wert nifameB um ao frttber eine GrDße an, welche 
eine Verschiebung und dann ein Pendeln der Lamelle hwformft. 

Oh der Ton hörbar wird dnrrh di<^ pf riftdische I'eweg^nng der Luft oder 
durch die rhythmische Ertichiittenmg des Keiles, darüber geben die Ver- 
suche kein absolut zuverlässiges Urteil, doch schließt sich Wachs muth der 
letHereB Anaieht an« weil bei groOen Sehneidennbetand der Ton hOrbar 
in der Nähe dieser Schneide und nicht in der Nähe der Blaseüffnnng ent- 
steht. — obwohl Bich eine peiiodiaohe ErachUttenmg dee Keiles nicht nach* 
weisen ließ. 

Jedenfidla aber sind die SchneldentUne TOne, welche aas der Störung 
dee Gleiehgewlehta einer frei aneatnfmenden Lnftlamelle dnreb eine Einlage 

C'TiTFt( hen. Dtirch Stauung d^ Lnftstromes an der (stumpfen Kante, welche 
demselben entgegensteht, wird eine Pendelung um die Gleichgewichtslage 
eingeleitet, bei welcher die Lamelle ihrer ganzen Länge nach am die Einbige 
hin- nd keipeadelt, oder — bei grOSeren Ahetande » in UntemhtaDnngen 
(eiaaelae Bindet} lerfiUlt, nnd rieh in dieaen biegen die Einhige bewegt 

Es ist gerade die Hauptaufgabe dea Seoonanaranmea einer Otgelpfeife^ 
dieses Zerfallen zu verhindern. 

Daß man zumeist von Bchneidengeräusch und nicht von einem Schneiden- 
ton aprieht, kommt woU (abgeaehen Ton Unsymmetrie befan TcnadiBweiaan 
Anfbaa) vor aHen IKngen von den Diasonanaen, die dnroh gleiehieitigee Er- 
klinfreu des Grundtons und des betreffenden höheren Tones zustande kommen. 
Dissonanzen, die nur an den Stellen der Spriinge in einfache maaikaliache 
Verhältnisse Ubergehen. 

Die Biehtigkeit dleeer EifclXnuig wird dadnieh beatiltigt, daß man ane 
der Zahl der photognphierten AnaeUige an die Einlage den Ton bereehnen 
konnte. 

Bei Orf'lpff'ifpn endlich kommt für den anj^ewandten Dnu-k der Hnrnd- 
toD nur bei ciuem gaiii^ bestimmten Abstand des Labiums zustünde. Wahrend 
aber die reine Onudiebwingnng der freien Lamelle bei dleien Schneiden» 
•batand nnd Druck nicht bestehen künnte, das Lnfrblatt vidmehr in mehrere 





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Liierattuberioht 



109 



Sliidfir aawiiiuidflrfillmi müßte, hat die BMonans der Oigelpfiiife die eia- 
hßhM Omadicfawiiigiuig erhalten. Ein Sprung tritt auf, wenn der Draek so 
•taric geworden ist, daß jetzt der nächste Oberton der Ffeifo sor Gmnd- 

ichwin^un? der steifer gewordenen Lamelle winl 

Zur iihvf-ikali^^clien Klangerzeu^ung auf eluem Gebiete, dan Bchoü an 
das phonetische angrenzt, lieferte Wie rech (121) eincu Beitrag, der sich die 
Ao^^be etollt, die DeatlMikeit der Konsonaatoa mid ZiscUante bei phono- 
fiifltelter Wiedergabe «i verroUkomimieia. 

Die Unaehe der UnschSrfe der Ztseblante ist nicht, wie man vermuten 
wird, ihre geringere Intensität, sondern der Umstand, daß die Vokale durch 
da» Zosammenwirkon von I nnen relativ geringer Schwin^rnngszah! entstehen, 
die Zischlaute dagegen erst au cint r außerordentlidiviel hüheren liwirj^unps- 
sahl resultieren. Sieht luau von ihren tiefsten I'urtialtünen ub, weiche ledig- 
Ueh infoige Beacmaxu der HuidiiOide bdlgemiBcht lind, ao entatohea die 
eigentilelien Beibelaato dvreh eine Scfawingongasabl, die minimal de^enigen 
des G^ndtones der Luftsäule einer einseitig gedeckten Pfeife von etwa 14mm 
Länge entspricht, maximal aber im Bereiclie der Unhürbarkeit liegt. 

Die Ursache d( r Undentlichkeit bei der Wiedergabe der ZiaohUnte er- 
klärt sich somit fwi^n udermaßen: 

Die Membraueu werden zwar iu erzwungene äehwinguugea versetzt, 
infolge ibrer ElgentOne reagieren eie aber niebt anf alle TonbOben mit 
gleieber Intenaiüt: aie wirken gleiebaeitig ab Resonatoren, so daß jeder 
Klang, Jeder Laut bei der Wiedergabe eine Deformation seiner Schwing^ga- 
kurven erfährt, dadurch, daß letztere das Gepräfife der Eigentöne tragen. 
Da nun jeder Eürper am leichtesten und stärksten in seinen tiefsten Eij^en- 
tönen resoniert, so ist die Det'oriuatiou einer beliebigen Schwinguugsform 
am so großer, je tiefer sein Grundton unter dem erregenden Laut liegt Die 
DiHbrenx awischen Gmndton und erregendem Lant ist alter in den modernen 
Apptraten naeb obigem für die ZiaeUante edir groß, eo daß die Sebwingu^- 
kurven der letzteren durcb die relativ aebr tiefen EigentOne atarlte Defor- 
■lationfn erf ihren rau:'<^f'n 

Daraus lolg^t aber, daß die Kij^entüne auch zur besseren Deutlichkeit 
beitragen können, wenn der Grundton im Bereiche der Konsonanten- 
lebwingungea liegt, also die Schwingungszahl der Luftsäule der einseitig ge- 
deekton Pfeife von 14 mm UInge erreiebt oder flberstoigt Die ecbwingenden 
Teile werden dann offenbar infolge der Resonana die Zlaehlanto berrorheben 
aad eine deutliche Wiedergabe der^rlb nn liewirken. 

Deshalb schlägt Wi ergeh, d r Mi^ibranen verschieden hohen Eij^en- 
tones zur Bestäti^ng dieser Erklärung verwandte, vor, zu allen schwin^^en- 
den Teilen der akustischen und clektro-akustischen Apparate Körper zu 
wihlen, deren Chnndton die Sebwbigungszahl der LnftaSale der einseitig 
gvdeekten Pfeile Ton 14 mm LSnge mindeatena erreiebt. 

Unzweifelhaft sind fUr eine dentiiebe Sprachttbertragnng bei dem 
Wi er schschen Telephon alle Vorbedingungen erfüllt: gleichmäßige IntensitSt 
aller tieferen und mitriloren l'r>ne ohne störende Eigentöne, und relative Ver- 
stärkung der wichtigen iiüchßten Töne. Auf der anderen Seite steht aber, 
wie Wien (120; hervorgehoben hat, die prinzipielle Schwierigkeit der 
•nßerordentlieben Sdn^b&ng der tiefen and mittleren Tone — sie sind nur 
bei großer Stille nnd fttr ein geQbtea Obr Temebmbar — , auf denen «ehließ- 
Heb doeh die Ifehnabl nnwrer Spraohlante bembt; lo daß im aUgemdnen 



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110 



Literatorbericht 



die Anwendong der Telephone mit hohes EigeatOnen raf beeondere Fälle 

beechrfinkt bleiben wird. 

Übrigens kann mau eiue ähnliche Veracliiebung der Toninteasität uAcb 
den hoben TMen bin, die aber Inng» niebt eo dentiieh iet^ irie bei den 
Wierscbftcben Telephonen, bei jedem Telephon in einfaobeter Wei«e be- 
^virkr^n, indem man das Te1f>phon niebt. Hwt an dM Ohr bilt^ sondern in einige 
Entiernuntr von dem ()lir bringt. 

£8 erftcheint Wien auch aosgeschlossen. daß das Charakteriadiicbe der 
meneeblieben Spnebe im weeentUohen im Verbiltiüe der Inteai&Xien der 
TOne, aus denen die verschiedenen Laute be.stehen, n suchen ist. nnd eine 
UntersiichiiniL* Sprrtche, die sich auf die Mes^sunp der Amplituden der 
die Sprache biidendea TOne durch harmonische Analyse beschränkt, ist 
dorchans unzureichend. Viel hervorragenderen Anteil an der Deutlichkeit 
der Spnebe mllaeen g«ns nndere Dinge beben — wio s. B. der Gnd der 
Dimpfting: der einzelnen TOne oder das Anftieten vnd Yersebirinden ge- 
wisser Töne in bestimmten Zeitintervallen — , nnd für dieses, im wesentlichen 
noch aobekanute, eigentliche CharakteriBtisohe der Sprache muß das Ohr 
eine erstaunliche Empfindlichkeit besitzen, so daß die Sprache ventlndlicb 
bleibt, wenn nndi die lefaitiTe Intenaitiit der einielnen TOne tötet veila« 
dert wird. 



Betreflb der 

Annlree md flTafheee tob Seiwfnguugen 

ist zQuächst ein Aufsatz von Grirosebl zu erwähnen ,48;, ein Vortrag, in 
dem er swei nene Apparate vorführt. Da die Einschaltung eines Zählwerks 
oft die Umdrehvngigeeehwindigkeit einer SiroMmsch^be stOrt, ließ Grimsebl 
einen durch die Lochreihe der gedrehten SSrnnensditilM fallenden Lichtstrshl 
anf eine bewegte photo^raphische Platte fallen, wo sich die Unterbrechung 
des Lichtstrahles durch eine fieihe dunkler Punkte bemerkbar macht Wenn 
man die Zeit kennt, während der die PUtte iMwegt wird, so ist eine Ab- 
sKUnng der dunkeln Punkte, also nnek eine nnndttdbtre Bestimnrang der 
Unterbrechungen, d. b. der Schwingangszabl des Tones, ausführbar. 

Von dieseiii Opilanken ausgebend, konstniierte Grimsebl seinen App.irat 
snr Analyse von Schwingungen. £r besteht im wesentlichen ans einem auf 
einem Staiir aufgestellten nrtronomlaehen Fenrobr. An SteUe, wo des 
leelle Bild des Qegenstsndes eneagt wird, ist eine Hflise nngebmeht, durch 
welche hindurch eine photographische Platte von 3 cm Breite in einem be- 
absichtigen Augenblick bindurcbfallen kann. Zu dem Zweck ist auf die 
untere und obere Seite der HUlse eine Bache, doroh einen Schieber verschließ- 
bare Kassette nn^esteeltt In die obere Kassette wird vor Beginn einer 
Beobaebtnng eine pbotograpbisebe Platte in einen passenden Metallrabmen 
eingebracht. Zieht man dann den Kassettenschieber heraus, so fällt der 
Metallrahmen mit der Platte anf einen Ilaltegtift, der sich in einer mit dem 
Fernrohr verbundenen HUlse befindet und der entweder durch einen Druck- 
knopf oder auf pnenmntieebem darob Drtteken anf einen Onmmiball 
zurüekgesogen werden kann, wodurch der Metallrahmen mit der pbotogiar 
pbischcn Platte frei wird. Diese fällt herunter, durch das Femrohr bindureb 
in die untere Kassette, die nun verschlossen wird. 



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LiterAtnrbericbt. 



111 



Yoilier n«0 mia natürlicli d«t Okolar dii Fenuohn tehtrf «insteHen, 

im besten mit Hilfe eines alten pbotographischen NegativB» aaf dessen Sdiicbt 
man mit eiuem scharfen Messer einige prbnrfp Striche gezogen hat. 

Um die Falkeit der Platte zu bestiminrn macht man denselben Versuch 
mit einer gleichartigen pbotographischen i'latte, auf der mau die Schwin- 
gungen einer Stimmgabel Ton bebumter Schwiuguugsiahl pbotographiscb 
fixiert. Alu einer gitffleten ZaU tob fieobaehtttngen ergab aieh, daß die 
Fallzeit der photograpbiaeben natto, mit nur minimalen Abweiehnngen, immer 
dieselbe ist 

üm die '^rhwing'ungen tönender Stimmgabeln, Sniten u. a. zu Bhidieren, 
wird vor ( mem leuchtenden Nernstfaden i.. B. eine Stahlsaite vertikal aus- 
gespauut. Hicbte ich nun deu pbotographischen Apparat auf deu Nernst- 
ItQiper ond atelle auf die Saite aebarf ein, ao lehe leb eine lieile linie mit 
einem dnnkelB Fleck dort, wo die Saite tat Bei der Aufiiabme enengt der 
leuchtende Nernstfaden auf der Platte einen schwarzen Streifen, auf dem sicli 
beim Entwickeln eine Wellenkurve zeigt, die daher rührt, daß die durch die 
Saite hervorrenifene Untcrbrcchungsstelle des leuchtenden Fadens sich in- 
folge der Sriiw iugung der Saite liin nn<l her bewegt hat. Aus der erhaltenen 
Schwiuguugükurve ist der Charakter uea von der Saite ei'zeugten Tones mit 
Klarbeit an erkennen. 

In Anaeblnß an diesen Apparat Ahrte Grimeebl noeb einen sweite» 
vor, zur Synthese von Sdiwingungen. Eine Anzahl von SinusschwingiingeQ 
werden durch Stahlstäbe mit aufgesetzten Knüpfen als Ordinaten dargestellt. 
Diese lassen sich mit beliebiger Phasenditferenz zusamuieusetzen. indem man 
die betreffenden ürtlmaten addiert, d. h. also aut'einandersetzt, und die Stahl- 
itäbe bis zur Berührung mit deu unteren Reihen heruuterachiebt. 

So kann man in deraelben Weiae beliebige ObertOne in beliebiger Zabl 
den lebon geieigten Sebwingnngen binxnftgen. Dabei kann man ancb jede 
beliebige Phasendifferenz benutzen. Es kann also jeder beliebige Klang 
durch die Summation der Ordinaten der Einaelknrven aynthetisdi aar Dar- 
stellung gebracht werden. 

Ebenfalls einen Apparat zur Demonstration derObertüne, den sogenannten 
Boltz mann sehen Pendelapparat, beschreibt Czermak (36; eingehend und 
ftgt noeb die Beaebrribnng einea Apparatea aar grapbiedien Dantellung der 
entstehenden Sehwingongeformen binsa. 

Hierher gehiirt ancb eine Abhandlang Ton Stnmpf (104), der gewisse,, 
durch die Anschaunnt; oder einfache geometrische und nrithTnetj?rhe Be- 
trachtungen ersichtliche Kig^euschaften kombinierter Wellentürnieu erläutert, 
die in zusammenhängender Weise noch nicht dargestellt sind. Er findet 
4)ab«i folgende Kegeln: 

1) Die grOfiere Verblltaiaaahl, d. h. die Sebwingnngeiahl der Beanltiep 
renden im VerUUtnis an den Scbwingangesablen der Elementerwellen oder, 
mit anderen Worten, die Zahl, welche angibt, wie oft ihr erster Abschnitt 
in der Periodenhälfte enthalten if*t, ist gleich der Anzahl der Gipfelpunkte 
der Periode, wenn man anter Gipfelpunkten alle gleichsinnigen Wendepunkte 
▼ersteht. 

% Unter allen Knnren fallen swei Qrnppen anf , solche, deren kleinere 
Vttldütniaaabl 1 iat, nnd eolebe, deren Yerhltttnieaablen am 1 diifeiieren. 

Diese beiden Gruppen haben gemeinsam, daß man ihre Gipfel, wenn 
»a mehrere Perioden aneinandeneibt, eelbet wieder dareb eine Wellenlinie 



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112 



Litorfttarberieht 



derart verbinden kann, daß auf jede Periode eine Welle kommt Bei der 
einen Gruppe tindet jedoch in der ersten Kurvenhälfte -/nn-iohst ein Anf- 
Bteigen der Gipfel statt, bei der anderen dagegen ist der erste sogleich der 
höchste- 

3} ÜBtsr aimtiiolieii Kuren sind swei Klitsen n miitefSflheidBii, die nn 
an der Gestaltmiif der Knrreohilfte ohne weiteree «kennt: 

I) Bei swei nngeraden VerhKltniB/ahlen besitzt die Kurrenhilfte swii 
Saeinandcr »ymmctrische Hälften auf gleicher Seite der Mittellinie. 

II! Bei einer geraden und einer ungeraden. VerhÜtniazahl dagegen ist 
kein Wellengipfel dem anderen gleich. 

Bei ungleichzeitigem Beginn zweier Elementarwellen von gleicher Aoiph- 
tade veribidert eieb im die Geetnlt der Reealtierenden eehr, die OipAi od 
die Abaehnitte folgen eieh In anderer Ordnung, aber die Begein Sbsr dis 
Zahl der Qipfd, die verschiedenen Definitionen und Regeln betreffs Welisn- 
ISnge, Schwingun^zahl. relativ höchster ('üpfel, liestimmong der Uemeiea 
VerhHltniBzahl daraus bleiben in gleicher Weise anwendbar. 

Bei ungleicher Amplitude der Elementarwellen entsteiten AbweichoogeB 
Ton den erörterten Regeln, und natürlich im allgemeinen um so st&rkere, 
H großer das Yerhiltnis der Amplitnden wird. Doeh bleiben aoeh hier die 
Bestimmnngen über die Gipfelzahl und Uber die Ableltang der UeiseieB 
VerhMltniszahl aus den relativ linchflten Gipfeln bestehen, wenn die Welte 
TOn prWJßerer 8chwing:ung87ahl die größere Amplitude hat 

Ebenso verlieren b^i mehr als zwei Elementarwellen, auch wenn sie 
flimtlich gleiche Amplitude besitzen, verschiedene Kegeln ihre allgemeine 
Ottltigkeit Zwar bleibt die Zahl der Gipfel auch hier immer gleich de^ 
Jenigen der kfinesten Teilwelle; aber einselne davon werden durch Zuftgnug 
neoer Wellen auf minimale Ansbiegungen herabgedrückt. 

Trotz dieser Regeln scheint Stumpf nach wie vor jede HOg^ehkeit aas* 
geschlossen, ohne Annahme eines besondoren Zf'r]ep'UTi<r«Tnt^cb;ini*Tnns ans den 
FisreuHchaften der zusammeujj:t >t't/t ii Weile selbst die tatsächliche Zerlegusg 
der Klänge in unserer Gehörswuliruehinung zu verstehen. 

Eine Tatsache dagegen, die sicher mit der Gestalt der snsammengeseiitei 
Wellen ansammenhlngt, sind die Sehwebnngen. Die Regel »die Zahl dar 
Sebwebnngen ist gleich der Differenz der Schwingnngssahlen« gilt nicht sfl* 
gemein, wie sie denn auch nur fUr Töne abgeleitet zu werden pflegt, derci 
Schwinpun^]^Bzahlpn ebenso wie ihre Amplituden nicht zu stark verschiedfn 
sind. Bei lutervalleu, welche die Mktave llberachreiten, würde die Zahl der 
Schwebungen, soweit sie auf den relativ höchsten Gipfeln bemhen, anver- 
Inderlich gleiob der Sohwingungssahl des tieferen Tones sein. 

Die Frage, ob die Tatsachen besOglich der sogenannten ZwischeitHi 
nnd bezüglich der KombtakationstOne in einer näheren nnd direkten Bcsiebiuif 
zur Gestalt der znsammengesetsten Welle stehen, lIBt rieh noeh nicht end- 
gültig beantworten. 

Nunmehr wenden wir uns zur 

Phjslkallsehen Uangxerleguig« 

Hieriier gehört eine Terbesserte Anordnung zur Demonstration von Obe^ 

tönen, die Franklin (45^ angegeben hat. Ein Telenhonenipfänger Ist mit 
einem Wechselstrom von IdS Wechseln in der Sekunde verbanden, in dem 



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Litflmiwteriehi 



113 



pich ein Widerstnnd befindet , der genügt , den Strom auf etwa '/s Ampere 
2Q bringen. Dann sendet das Telephon einen Ton ans von 2C>() Schwingune'f'n. 
dessen Obertüne jedoch Pt?irk hervortreten. Mit Hilfe von abgestimmtea 
Beao&atoren hat i^raukiiu hierbei ohue ächwierigkeit acbt aufeinander« 
fi^ndd ObertOM aadiweiaeE kiOiiiieB. 

mt dar Demottrtntlott der humoBisehaa üntartOno bMohiftigt sieh 
Enapman (04 j. £r geht davon sn, daß ein Papier, ab eine tönende 
Stimmgabel gehalten, denselben Ton wie diese gibt. Schlägt nnn aber das 
Papier erst an, wenn die rJal)e!zinken zwei oder mehr Schwingungen aus- 
gefÖhrt haben, ho erzeugt das Fai ior die harmonischen Untertöne, nnd zwar 
koaute jb ran kl in zehn solche., wenn auch leise, Töne nachweisen. Mau kann 
mA eine groSe StiUgnbei, denn Sdun einen FnB lug eind, so elnklemnen, 
diß flinee ihrer horfsontal lehwingenden Enden tn dti obere Ende einer 
Karte (Visitenkarte' anschlägt, wShrend das untere Ende derselben so be> 
festigt ist, daß die Karte einem Stabe gleicht, der beträchtlich breiter als 
l&ng ist. Die von der Karte ausgesandten Obertüne sind praktisch iinlir^rbar. 
Beobachtet man aber mit einer Linse das obere Kudf der Karte, so bitht 
man dieses als langes dunkles Band, iu dem sich in iutervalleu abgebrochene 
mifie Linien belinden, welehe die Stellen andeuten, an denen die Karte 
aBhmt oder voUstlndifg in Bebe iet Die Anwesenheit dieser weißen Linien 
si%t, daß lif resultierende Schwingung sieh betrIehtUdi von der einfachen 
harmonischeu Form unterscheidet. Mit geringerer Amplitude der TJabel 
werden die weißen Linien geringer, bis gewöhnlich im Innern nur zwei 
oder eine zurückbleiben, wozu noch die an jedem Ende anftritt. Sinkt die 
Amplitude noch weiter oder wächst der Druck zwischen Karte und Gabel, 
•0 Tersebwinden die Utiäm im Lmem, nnd die an beiden Enden sind stark 
MSgei^rigt Dies seigt dann an, daß der Eontakt nieht mehr nnterbroehen 
iit, also der einxige von der Karte ansgesandto Ton 4er Qnmdton der 
Gabel ist. 

Zwei }tierher gelii-rirr Ajiparato beschreibt auch Samojloff 96V Der 
erste ist ein stroboskupibchf r Klanganalysator. Er besteht nm oiiier ein- 
Cacheu kreisrunden Kartüuscheibe, etwa von 40 cm Durchmesser, auf der 
OHUi kottsentrische Binge ( S a m o j 1 o f f zeichnet 8), bestehend ans abweehselnd 
Mhwanen nnd weißen Feldern (bei Samojloff 10 Perioden im inneni Binge), 
•0 leiclniet, daß die sohwarsweißen Perioden in den einzelnen Ringen, vom 
Zentrum zur Peripherie gerechnet, sich wie 1:2:3 verhalten. Eine derartige 
Seheibe wird in Rt»t!\tion versetzt nnd mit dem intermittierenden Licht einer 
Königgehen Flaranir die durch Azetyleugas gespeist wird, beleuchtet. \^ ^ nn 
die Schwiugungszaiii des Grundtous des vor der Kapsel erzeugten Klanges 
giflish der Auahl der sehwstiweißsn Perioden des innem Ringes mnltipU- 
■ert mit der ümdrehnngssahl der Seheibe in einer Sekunde iet, so seheinen 
snf der im übrigen gleichmäßig granen Fläche der Scheibe nieht nur der 
eine innere Ring mit seinen scbwarzweißen Perioden, sondern auch eine An- 
zahl anderer äußerer Ringe entsprechend der Ordnung der Obertöne im ge- 
pebenen Klang stillzustehen. Man kaim nlso auf der stroboskopischen Scheibe 
des Analysators ohne weiteres die im Klange enthaltenen Obertöue ablesen. 

Der Apparat ist die Violine; bei dieser ntmlieh bflden der Stinuv- 
itoak, der Steg nnd der Balken ansammen einen eigenartigen Meehanismna, 
der es erml^pHeht, die dnrcli den Bogenstrich erzeugten, !n einer mehr oder 
weniger der Deeke parallelen Fliehe sich ToMehenden Saitensehwiaguigen 

inUv ISr Fi7«hot«|i«^ Zm. Utantar. 8 



114 



LUenloibericht 



In ▼artikale Schwingungen der Decke fibttrmlBImB. KUbt nun non an die 
linke Eeftte des Steges eim Spiegelehen, so lassen sieh SehwingnngeiK 

der Violine in der sclinusten Weise demonstrieren, wenn man den von Ihm 
reflektierten Lichtsfrahl einer Bo;:^eiilampc durch die Spiegelfläche eines rotie- 
renden KUnigschen äpiegelpriBmas auf den Projektionsachirm wlrtt. 

Auf diese Weise IMOt sieh sehr hflbseh die Abhüngigkeit der Höhe and 
Stiifce des Klanges yon der Sehwingongssahl nnd dw Amplltode, die 
SehwhQgBngen beim ZasammeiiUingeii sweier oder dzeler S^ten, Sehwe- 
bangen nsw. demonstrieren. 

Auch der von L. Hermann angegebene Ordinatenomkehrversach Inbt 
sieh leieht ansfOhm: ms» braneht nur beim Streieh«B der Seit» den Bogen 
einmal Ton reehts nach links und einmal Ton links naeh leebts sa ftthren; 
die resnltlerettden Kuren yerhalten sieh dann wie Bild und Spiegelbild. 



Von den KombinsfionatSnen ist dnreh Lindig (BS) Mne besondere Art 

abgezweigt worden, die »ABymmetrietöne<, wie er sie nennt. Es ist nämlich 
von 'l'T ;irr(?ßten Wichtifrkcit, für die von vielen beobachtete Tatsache des 
Auttrct4}ui> der barmoniBcheo Obertüau an Stimmgabeln, Klangstäben, Plat- 
ten nswM deren höhere Eigenschwingungen simtlieh ab vabamMHitoeh anr 
<}nind8chwingiui9 bekannt sind, eine rein auf Beobaebtnngen gegründete, 
alle ErscheinungeTi in sich fassende Erklürnngsweise zu finden. Dies gilt 
nicht zum wenigsten auch ftir die Phasenfrage . denn beim Mangel an deut- 
licher Einsicht in die Entstehung dieses harmonischen Obertones wird man 
densell)en aveh nieht mit voller Zarerrieht war ErklSrang der Erseheinungen 
der verstimmten Stimmgabeloktnve, mit der deh die vorliegende Arbeit be- 
sehäftig^t. heranziehen können. 

Durch seine VerBuche hat nnn Tiindig das Vorhandensein der Oktave 
im Klange einer einzelnen ättmmgabel bestätigt und zum erstenmal eine 
in das Einielne der Ersdieiaungen gehende ErkUrang ittr das Auftrete« 
dieser Oktave gegeben. 

Es zei^;t sich, daß das Auftreten jener Oktave zwar unter die Helm- 
lioltzsche Theorie der Kombinationstöne ßllt, daß es jedoch nicht be- 
dingt ist durch große Intensität des Gmndtones — was bei den eigent» 
liehen KombinationstOnen der Fall ist — , vielmehr doreh die an der Grenie 
zwischen Stimmgabelsinke und Lnil bestehende Asysunetrie in der Lagerang 
der Luft. 

T)e^l nlb, und auGordem, weil es sich bei einer Stimmgabel überhaupt 
nicht um die Kombination der Wirkungen sweier SchallwellenzUge handelt, 
wird für die behandelte (Hctsve nnd die nndeien, in gleieher Weis« aneh Uä. 
reiner Sinussohwingong der Stimmgabelsinken entstehenden» harmonisdMm 

Obertöno der Name > AsymmetrietOne« vorgeschlagen. 

Die Hermannsche Anordnun<r erprab auch dieselben Resultate, die 
Hermann bezüglich der Oktavenschwebung gefunden hatte. Wurde jedoch 
die Oktavengabel verstimmt nnd nieht die Onudtongabel, so ericsnnte 
Lindig, der die Oabeln auf Brettehen befestigt hatte, die an Kautsohuk- 
srhläuchen anf^rehängt waren, und der die Zinken der Stimmgabeln direkt 
mit einem liöhrchen beliOrte, von dem ein oder zwei gleichlang© Kautschuk- 
Bchlünche in das Ohr geleitet wurden, daß die Veränderung darin bestand. 



Kembinnttens- vaä AsyHnMteletSne. 




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Uteratnrberioht 



115 



daß iu dem Takte, wie er die Oktavengabel Terstimmt hatte, jedeBmal die 
Oktav» des Kttoges einmal lebwieher und atlrinr wurde, da0 der Oraadton 

dagegen immer seine anfängliche Stärke beibehielt. Da nun eine Klangver<- 
änderang, die auf Phaaenwechsel beruht, am stärksten bei gleicher Ampli- 
tade beider TOne aa erwarten wäre, was hier dnrchans nicht der Fall ist, 
eo m«8 ee ab mbreeMntteh gelten, d«B die aoftieteade KlanfveiSiidening 
tMlim Intervall der yeretianiteB Oktave von dem SehwelwB der Oktaveiigabel 
mit einer von der Gmndtongabel miterzengten Oktave herrührt. Ferner er- 
gab sich aas der Beobaehtungsmethode mit Sicherheit der Chjirakter der 
Klangveränderung als ein solcher, daß nur die Oktave stärker oder schwächer 
wird, wihrend der Onuidtoii vnyerliidevt focttOni Tom daem Altanteeii 
beider TOne ist nicht die Bede. 

Nachdem dies festgestellt war, wies Lludig zunächst noch dnrch ver- 
schiedene VorpnchRanordnunp^en nach, daß die Piiasendifferen?, zwischen 
Grundton und Oktave null ist, d. h. Überall beginnt mit dem positiven Drucke 
dea Gmiidtoiiea aaeh poeitiyer Draek der Oktave. Dam mnfi ^e Oktave 
alao aaeh sn derselben Zeit Uberall iu derselben Phase sein. Dies bedeutet, 
es geht z. B. Verdichtung gleichzeitig nach allen Sr-iten aus. Die Zinken 
mliCteu also, faün diese selbst die Oktavcnbowi <:uiit: transversai ausführten, 
im Oktaventakte zugleich nach innen und nach aubuu sich bewegen. Dies ist 
ein Unding. FblgHch kann die Oktave kein ani der toanivenalenSeliwingnngs- 
bewegnng der Zinken sich ergebender Oberton der Stimmgabel eein. 

Danach bleiben noch drei Möglichkeiten off™ Erstens könnte die Ok- 
tave das ReBultat einer lougitudinalen Schwingung der Zinken eein . oder 
zweitens das einer Volumenschwingung, d. h. beruhend auf EjLpansion und 
Kompreeelon der Zinken. Dieee beiden Sebwingungsarten ergeben aber, 
wenn mechanisch aach vielleicht znlUssig, doch kein so einfach harmonieehes 
VerhäUTti<> znr TranBveiaalsohwingnng wie das der Oktave, sondern wKren 
nnharmonisch. 

Ahl dritte HOgUohkeit bleibt die, daß die Oktave erat in der Luft, dnteh 
deren Sehwingnng, enengt wird. 

Aus dieser En tstehungs weise der Oktave, die Lind ig anch rechnerisch 
nachweint, geht Rchließlich noch hervor, daß es znr Erzengung reiner Töne, 
d. h. reiner äinnssohwingungen der Loft, dorohaos nicht genügt, eine Ton- 
qnelle mit reinen Sinnseebwingongen an beben; denn jene Aaynnetrieverbllt- 
■laee treten bei allen bekannten Tonqnellen dort anf , wo die Abgabe der 
Schwingung von der Quelle an die Luft stattfinden soll . also werden doch 
auch liberall ABymtnetrietöne zu erwarten sein. Somit darf die Behauptung 
aufgestellt werden, daß das Problem, reine Töne darzustellen, überhaupt 
aoc^ nidit gMt iet 

Oegm Lindig wendet eich Meyer cnQ; denn Lindig habe nur die 
Kombinationstöne berücksichtigt, die entstehen, wenn zwei Siuuswelleu ver- 
schiedener Periode gleichzeitig auf einen und donselbeu unsymmetrischen 
Körper Ubertragen werden. Das einzige wirklich ueue, aber in der Tat 
infieiet wertvolle Etgebnie von Lindige Arbeit aiebt er darin, da0 der nn- 
eymmetrisehe KOrper, anf den die Schwingungen Ubertragen werden, im 
Falle des schwingeuden Stabes 'Stimmgabel] die Luftschicht ist, die sich 
dicht au der Oberlliichc dos Stabee befindet. Es sei hier gleich erwähnt, 
daß Meyer auch eine Linilihrang in das Studium der Differenztöne veröffent- 
Ueht bat (71). 



« 



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116 



IHttatnrbaiieht 



8«Ui60Uob miß in di«Bem Abflchnitte nock einw Abhittdlnng Schaefers 
fidMlit «nilM (M). Er gibt darin eine «ziMariBeBtelle Pritfing der mImmi 
fiHkier M^etaucbten Frage (flehaefer nnd Abraham, Annaleii dar Fbiytüc. 

4. Folge. Bd. 13), ob niobt auch fllr die Konibinatir>TiPtr>ni^, (1i«> erehört wer- 
den, wenn awei gewühulicbe Frimärtönc im Telephon erklingen, neben ihrer 
pby8iologi8ob«ii Entatefanng im Obre noch pbysUuüiselM Umoken Yorbanden 



Zar UntersBcbnng wurde das sogenannte Stentormikropbon nnd -telepbon 
benntzt, alp Sohsllquclle Appnnneche fJaheln, und 7war die Paare 800 + TOOO, 
1200 + 1(300 -f 2400, 2000 + 2400. Die respektiven Differenztöne 2U0, 
40Q, 800 klangen d&«U MB den IMephim hmm — wihrend 
DUfotmistOiie twtlicih und etwM naeh biaten Tom Ohze lokaHriart m w«tdMi 
pflegen — , nnd worden dnrcb entsprechende zylindriacbo, koniache nnd kngel- 
rörmige Resonatoren mit solcher Deutlichkeit verstärkt, daß keiner dar Be* 
obaehter Uber ihre objektive J:^i8tenz im Zweite! bleiben könnt«. 

Die Beiomloiea wvdea aielit ine Obr geetookt, da Meht nfäUige Er- 
ngnngen dasVoikaadeBBefai dee erwarteten Tonee vomittaeekeB vennOgen. 
Um ganz sicher zu gehen, hält man am besten den Resonator nicht zu dicht 
an die Schallquelle und läßt einen Finger anf der eigentlich znr Einfiibning 
ins Obr bestimmten Öffnung, diese abwechselnd Bcbließend und freigebend, 
ipielen. Der Beeonator reegieit dann, wenn llberiiaapi, nur in eialen «der 
nnr im teilten Falle oder zugleich in beiden, je nachdem er etwae mkedb 
oder etwas zu tief für den betreffeudrn Tun oder einigermaßen genau auf 
denselben abgestimmt ist. Ein weiterer ebenlallfl zweckmäßiger Modus be- 
steht darin, daß man die große Svhallöffuung des Resonators dem Ohre von 
vom ber tfenliek nake bringt nnd die ewdte bald veiedillefit, bald OArat 

Dm ebne Beobaobtong Ton längerer Dauer nnd bei gleichbleibender Stärke 
zu ermtSglicben, wurden auch Lippenpfrifon benutzt, und zwar zwei Edel- 
mannsche verschieblich© Pfeifen vom ionuinfange bis nnd zwei ältere 
Gälte npfeileu. Sogar wenn man bis zur secbsgestricheuen Oktave hinauf- 
ging und die Pfeifen anf den Dlfferenston 61S einitdlte, Heß aiek noek eine 
Verstärkung dieses Tones konstatieren, besonders wenn der Kasten einer 
r*-- Gabel unmitfrlhar vor dem Telephon pt'ind und außerdem der Koenig- 
8che Resonator für c- ins Ohr gesteckt ward Interessant ist es jedenfalls, 
daß bei so hoher Lage der Primärtüne der Differenztou vom Telephon merk- 
lidi Uarer reprodnalert wird als diese selbst. Dies erinnert an die von 
Koenig festgestellte Tatsache, daß im menschlichen Ohre DiflisreaatOne 
!Knrh d-inn noch zustande kommen, wpnn die PrimSrttfae selbst wagen sn 
großer Höhe gar nicht mehr wahrzuuehmen sind. 

Noch eklatanter als mittels der Resonatoren läßt sich die objektive 
Ezistena der DUbrenatOne dee Stentortelepkotts dnreb lesoniffirende Oabeln 
nachweisen. Anek der iweite Differenston [2 t — h] vermag die Gabel zum 
Mitschwingen rn bringen, wie Schaefer mittels des Primürtonpaares «* -f- c* 
nachweisen konnte, ja die Primlirtnnc + brachten sogar die c'-Gabel 
zum Tönen, obwohl ihr Differenzton ist. Doch dürften hier die Oktaven 
der Primltttfne als Ursaeke aainaeken sein, die als Oberttae eisteae in den 
starken Gabelklängen mit enthalten sind und zweitens 'von der Telephon- 
]i!-it*r selbständig erzeugt w^^rden. Vielleicht entstehen auch die objektiven 
Kombinationstünc im Klange der Telephonmembrau an sich nicht als reine 
Sinustöne, sondern zusammen mit harmonischen Obertünen. 



sind« 




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Litonitiiz!>erieht. 



117 



Auch zwiBcheniiegende Difl'erenztöne ließen Bich am Stentortelepbon mit 
aller Deutliohkeit b6ol»achten, z. B. ntoiiierte die ^-Oabel snf die Priioitr- 

toupaar c- + e?, ebenso eS auf e^ + ^t mit den Edelmannschen Pfeifen 
ließen sieb äuch noch bei den Prim:ir*(''nrn 700 -f 1900 die Differenztöne 
3 / — h und h — 2 1 als objektiv vorlianden nachweisen. Doch könnte die» 
auch auf einer »elb^tändigeu Erzeugung von Obertüuen seitens dea Stentor- 
telephoBs berahen. 

Ebenfalle mit Hilfe dee StantortelephonB ließen sich auch Sammattont- 
töne alö objektiv vorhanden nn7weifelhaft nachwpisrn Die PrimärtHne waren 
<j2 4- c-, c- -f. g^, p 4- r3, die n npektiven Summaiioiistöne (P, und aK 

Schließlich bleiben nun, nachdem der Nachweia physikalisch bedingter 
KoabiiiatloiietOne erbneiit iet, die beiden Freisen en beantworten, wo und 
wie dieeo TUne entstehen. 

Bpzil_'1ieh der ersten Frage meint Schaefer. daß der Telephouplatte 
die Erzeugung der Kombinationstüne zngeschrieben werden muÜ, oder viel- 
mehr der Haaptanteil daran. Denn auch die Mikrophonputte produziert 
aeliwaelie, cur Emgnng von Beeonatoren nnr nieht Unrdehend intenaive, 
objektive KonbiaatjonstOne. Er neigt der Ansicht an, daß wir es hierbei 
mit einer allgemeinen Eigpnschaft tönend» r ^Tombranen zu tun haben dürften, 
und zwar mit Rücksicht auf neue, von ihm auBgeflihrte Uateraachungen, 
deren Italdige YerOffentlichong er in Aassicht stellt 

Es sei schließlich noch der Bericht Uber einen Vortrag angeschlossen 
Uber die StOmng der 

Reienams 

dnreb einen tOnenden Lnftatrom, den Henaen (61) auf der NatnrlbTBeher> 
Tersammlnng in Kaaael 190B gehalten bat. 

Hierbei nimmt Bensen Bezng auf seine frühere Beobacbtnng, daß ein 
tönender Luftstrom einen Resonator nicht anzublasen venniJgc. Wenn neben 
der tönenden Orgelpfeife, durch die hindurch der Resonator angeblasen 
werde, ein wenn andi aehr aehwaiAer Laftatrom dem ana der PMfe aaa- 
tretenden Strome angeleitet werde, eo ttfntMi aofort beide Tonapparate an- 
gleich. Es handle sich darum, daß ans der Pfeife zuniiclist ein in dem 
Rhythmus von deren TonhOhe pulsierender Luftstrum, aleo eine tönende 
Massenbewegung der Luft austrete. Diese pulsatorische Bewegung hindere 
die Beeonaos; aobald die Polaatlon dareh die Nebeoleltnng ausgeglichen 
werde, könne der Resonator zum Tünen gebracht werden. Er mache darauf 
aufmerksam, daß fast jeder Schall mit Maesenschwingungen Ijeginue, die sich 
dann allmählich in Longitudinalsohwingangen ura8pf7<™n Unser Ohr werde 
aber durch solche M&ssenschwingungen ebensowohl und rieUeioht besaer 
•knstiadi eitegt ala dnreh LongttnffinaladiwingaDgen. 



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t 



Elnselbespreeliuig. 



1) L. William Stero, Person and Sache; System der philosophiBchom 
Weltanachanung. Erster Band. Ableitang nnd Grandlehre. 4848. 
Leipzig, JobAon Ambrosia« Barth, 1906. M. 13i. — . 

Nach den oft sehr allgemein angelegten Fol^emcgen seiner psyeho- 
logischen Arbeiten war erfrealichen^eise kein Zweifel, daß Stern über die 
VenindenuigsaaffasBnng, Kindeipsjcboiogie and differentielle P^cbologie 
iiodi hiBMu n pMlosophiemi melite. Am den ToffgedaakeB rar Weita»' 
MäAtmntim^ Mdiciiit wm täM LebeiiMibelt gewoita «t ida, nni des meta- 
physiklosen Tagen im nea cntworfcnea System ein Ende zn machen. Da- 
mit soll die höchste Synthese des menschlichen Wissen» and Wertens voll- 
sogen sein. Im vorliegenden ersten Band wird nur Ableitang and Grand- 
lehre gegeben. Unter dem eebOn nnd prägnant gewiUten Titel, aber mit 
weitschweifigem and an Fremdwörtern ttberrelehen Stil rückt eine Frage in 
den Mittelpunkt, die nach Sterns Meinung bisher kaam aufgeworfen ge- 
schweige denn gelü8* v.tirde. Sie ist als Person -Such -Problem zu ver- 
stehen: als Frage nach dem Verhältnis des Teleologischen zum Mechanischen 
in der Welt OflSanbar war tob Stern dieaer Qegenaati awiiohen Fkeie 
nnd Würde zuerst and beeonders stark im eoiialen Leben empfanden and 
dann 7.n einr r Weltalternative grhl'^rlithirt erw eitert worden. Bei ihrer Durch- 
führung wird zunächst kritiarh ein Miummm an Vergewaltigung uud srste- 
matisob ein M&ximam mi Bewältigung der Tatsachen gesucht, ohne dab jedoch 
anf die rriivollai Sehwierigkelten dieeer Antithese niher eingegangen wire. 
Ea gilt nur, die niedere Form der SnbjektiTität in Laune. Willkür und Fana<- 
tismiiB des Philosophen aTi?Tn?f1ialten, wUhrend die Prinzipienfragen aller Ge- 
biete an Stelle der zritkjHcn Wahrln'it: ein M;ixiuiuiii des Überblicks erhalten 
süllea. Statt der biahehgeu paychophysiächeu uraudirage, um die mch seit 
drei Jahrimaderten alle Weltanaehanvngen drehten, mttsaen bei der Wahl 
zwischen StoiT nnd Oeist, Leib nnd Seele, Welt nnd Gott die disparaten 
Bestandteile gelöst nnd in nene Formen eingeßtellt werden bleibt 
das eigentliche Proldent mclit ausschließlich anf das BewuGt'JianBmoment 
beschränkt, sondern geut mit andersartiger Schnittfuhruiig darauf; ob es in 
der Welt individneüe sieiitreblgn aelbstwertlge Weeenheiten gebe. Der ent^ 
leheidende Wechael liegt in der psychophysischen NeotralitEt der neuen 
Fragestellung; innerhnlb der physischen wie psychischen Wcdt. ii bei Da- 
seinsformen verschieueBöier Stuten kann das Problem nach teleologischer 
Einheit oder mechanischem Aggregat aufgeworfen werden. Gewiß sacht 
dieee andere Faienng naeh negativen nnd poritiven Hlehten aneb neneMpnlae 
in die Metaphysik elnsufOhren. Aber bei der Gleichgültigkeit g^ien Jenen 
Plus df'' Entwicklung, das im anftaucbf^ndf^n Bewi'.Pt-'ein vorliegt, wird ge- 
rade das neuzeitliche Merkmal der phiinonienalon Ketieze allzusehr vemach- 
llss^ Hier wäre der Begriff des Bewußtseins aufzunehmen, bis ans Ende 





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Liteimtnrbericht. 



119 



final auszuarbeiten und danu ( r^r 7.11 Beben, wie weit Uber die bishoriceu 
Assoziationen hinaus zu kommen ist. Außerdem bringt für die psycho- 
physiscbe Neutralität gerade dies besondere Schwierigkeiten hinzu, daß 
ikr WeltgegeBMls nv Tom BewnBtseiii her sntihiopomofphleGh ra eriiMen 
■t 8tett der ErlecUgong aoloher Bedenken folgt eine Beihe von Wot^ 
definitionen (Iber Person und Sache, um die W^e vom naiven Personal- 
standpunkt durch den Saclisfandpunkt bis auf den kritißcbeTi Per9onn1i«mug 
KU verdeutlichen. Sein Prinzip igt streng esoterisch auf ikis itmiKui-, nt 
bleibende Wirken und Streben gerichtet: logisch aus Empiriu uud Kationalis- 
ffios bekömmlich gemischt (ohne schon hier anf die so naheliegende Uni- 
rwMdienfiage deoHteker einsogeken); den BridlnuigBprinzipien nack mo- 
niitfieh, danlt der BegiUF der Saeke in allen Ifeikmalen Ytm Prinsip der 
Pttion abgeleitet werde; der Substanzenzahl nach piuralistlgek and unter 
dem Gesichtspunkt der Weltwertnn?]: in axiologisrhen Rüngen geordnet^ 
worin alles Negativwertigo zn höhereu Öiungebungen autgelöst wird. 

Um den Personalismus als weltgeschichtliche Forderung darzntun, wer- 
den vier Dogmen schematisch gebildet Sie enthalten die möglichen Ant- 
«ortakomkinationen anf die Gnindfrage: ob Positionen nnd Bdationen lo 
gedtdit werden sollen, wie lie die Analyse oder wie sie die Syntihese leigt 
Mit dieser Trennung zwiseken analytischen und synthetischen Ergebnissen 
konnte sehr viel angefangen werden, sobald in der Analyse die irrationale 
Gegebenheit der Positiou und in der Synthese die Überwindung zur Rela- 
tion logisch eingeführt worden wäre. Darauf geht jedoch Steru nicht ein, 
Modem sacht gesohiohtUch das mythische Weltbild als erste Thesis zu be- 
greifta. Anf diesem Standpunkte werden die Sacken ala Pmonen Ter- 
standlich gemacht, deren Einheitlichkeit noch als Einfkekkeit gilt. Da in 
einem Einfachen nicht mehr die Scheidung zwischen wirkendem Snbjekt and 
dem durch die WirkuTip- betroffenen Objekt möglich ist, so maß das Wir- 
knngsobjekt außerhalb des Wirkungssubjekts liegen: hior spielt sich das 
Wirken von außen als esoterische Kausalität ab. Ein naiver Drang zur 
STBbolik kommt hinzo, der aas dem Ganzen der Person ein isoliertes Et- 
was ala nnaterblieke Seele oder theistiseken Ck>tt keraoasteUt Besondere 
wdt wirkte aoldi esoterischer Personalismns in die teleologischen Ver^ 
immgen des achtzehnten Jahrhunderts herein, wenn jedes zweckmäßige 
S«in auf die Zwecktätigkeit eines anderen, von ihm substantiell getrennten 
Wesens zurückgeführt wurde. Dariuif muOte notwendig eine impersouali- 
stische Antithese folgen. Alles Sein wurde auf einfache Teile uud aiios Ge- 
aehdien anf einfachste Funktionen analytisch sorückgefUhrt, am die ayn- 
tiwtiidie Formel der anbedingten Yerglelekbarkeit im Saoksystem an ge- 
winnen. Seit Baeon ist diese Weltmeckanisatiott snm Programm geworden; 
die Arbeiten von ^Galilei wie Descartes gingen auf maschinelle Auf- 
lösüTisron. ITiime lehrte das Ich als Blindel von Vorstellungen, und nÜeFor- 
BcLuiirreii (ir.^ viTgiTiijenen Jahrhunderts in stereometrischer Cheuiie, Jfsyoho- 
physik oder ukononiischer Geschichtsanffassong tulirteu das Sachprinzip 
gibiaead n Ende. Aber damit tat in nnseren Tagen der Umschlag znr 
Syntktsia deotüek geworden. Denn eine Weltanaehanung mnß anek das 
Selbitveratindliche mit enthalten und nicht durch einen impersonalen Para- 
loLl^^rans gerade Bewußtsein, Qualität, Aktivität und Nonnen unerklärt lassen. 
Ohne daher nito Knlturphaaen heranfzufUhren und auf dem verlorenen 
Posten des Kleinbetriebs oder der Bibelortbodoxie za kämpleu, muii doch 



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120 



Utszatnrbeiielit 



auf den ursprünglichen Poreonalißmus turUckge^npen werden. So kommt 
als Verbindung der eynthetischeu Position, wonach das Ganze früher als di« 
Teile ist, und der aualytischen Relation, wonach die PositioueD üter den 
Belationen schweben — ein kritischer Personalismus heraus. Die Dreüieit 
der UstoriBch dorolÜMifeBtn Standpunkte maeht aUmfiags efaieii Mhr fSwaH* 
•emes Etndniek: ich» wüßte wenlgetens aiciit, wie rieli Ooetkei le eehl 
romantisch abgeleitete Farbenlelure oder Schöllings von innen her begreifende 
Methode der A?ia!ogie in den neuzeitlichen Sachstandpnnkt einorduon sollte: 
um 8o weniper. als doch Stern selbst viele Oepicht?pünkte von solchea 
Impergoualisteu herübergenommen hat Wichtiger ala tüese ^eschichtliclie 
Schematik kommt mir jedoch das Dogma der analytischen Eelation vor, ao* 
hm hier von nenem die Beilitit der altgemeines Beslebnng auf den Spitl 
■tehi Aüein dae eigeatliehe expeiiaieiitiim emeis wird auf die erkevtaii« 
theoretische Rechtfertigung yerschoben. 

Ihre Aufgabe besteht darin, daß nnstatt rein ?*ichlicber Deukkategrorien 
ein neues Erkenutnisobiekt lückenlos nach den noiwendigen Vorbedingongeu 
unseres Denkens formuliert werde. Positivistisch muß jeder g^ültip* E^ 
keuntuisinhält als isoliertes Erlebnis aufweisbar sein; aber dieser Sata wird 
▼oa Srletmii sieht anf den Erlwantnieiahalt umkehrbar, aoadem la mit 
attOerden ein utllitaziselieB Anileeepiinnlp der Oewtfhannff oder Denk5ko> 
nomie. Analytiieii treten nur Elemente und durch Synthese bloß exoterisebe 
Besiehungen hervor während die Frage nach einer Einwirkung des Ganzen 
auf seine Teile positivistisch tiherhaupt nicht gestellt wird, obwohl doch 
der Erkenntnisakt gelber ein Gauzcs im erkennenden Subjekt voraussei^ 
Da mit dem Ausleseprinzip eine teleologische Beziehung auf Meaechea, Fb- 
aonen und Zweekiabjekte eintritt» so wird das Torfindbaie nindeetaaa Mb 
erielMnden leb dnreli die Frage naeh dem Findenden lllMnieliUek erganxt 
Und jener midm Standpunkt gewinnt erhöhte Bedeutung, der am Erlebnis 
sofort den passiven, apostenori'sehen Inhalt und den apriorischeTi Akt unter- 
scheidet. Sofern ;'.bf»r die Erkenntnistheorie selbst ein Akt des Krkennena ist, 
muß die trauszendentalo Einheit der Apperzeption widerspruchsvoll e^ 
acheinen. Sie enthklt einen deutlich personalen Begriff und leitet benüt m 
einer anderen Afniorititalelire über. Ihre Gnmdlegnng hat maiehrt dm 
atfaecuetiBehe Moment des Glaubens an verwenden, nm die Wirktiehkät wi 
kategoiiMbe miSnommologie ala Voraussetzung jedes Erkenntaisprofeste« 
zn gewinnen. Denn Stern fieht richtig ein, daß in dem Denken und alier 
logischen Notwondi^rkeit immer nur hypothetische Ontotogie geliefert wird: 
wenn etwas ist, dann muß es so und so gedacht werden. Aber die bier 
wiederum herandrängenden Probleme der Binnlicben Gegebenheit md Oe* 
wiflheit — vor allem ihr VerhUtais aar gedanUiehen Evidena werden ipe^ 
loa flbeigangen, nnd die lo sehr nniTemlB Sehwierigkeit det ObjektiTltEt ist 
mit den nichtssagenden Worten vernachlässigt, daß kein anderes Merkmal 
dafiir existiere, als die Denknotwendl^keitcn gleich notwendisren Beschnflfw- 
heiten und die Erfahrungspbänomene als erscUeiuende Symbole dtr Wvrlt- 
lichkeit glauben zu kennen. Mit dieser Beziehung alles Denkinhalts s^ 
das Glanbenkünneu ist fUr Stern die V<wbedingang inr rein theoNtiath« 
Arbeit: auritohat der YerhSltniiangabe von Denken nnd Eifthmng geMii 
Hier intereaiiert nieht die Frage der genetischen Ableitung, noch nkht d» 
Willkür oder Konvenienz besonderer Methoden, sondern nur das ftoUM» 
wie gültige, notwendige and allgemeine Erkenntnis beachaffen eei. 



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litemtiubtrioht 



121 



Mit der DarchfUhnmg dieses Problems kommen unter den Kategorien als 
den logisch notwendigen Seiten des Erkenntnisinhalts merkwürdige Ver< 
änderoDgea zustande. Zunächst entstehen die i>rimären Kategorien: Sein, 
Wiikei imd £hifa«ttliohkeit, deren Triade stets zusammen gedacht und not- 
wendig aii&liiftiid«r bflsogOB worden maß, um die Welt — nicht ens elnfnoiiem, 
sondern aus einhdtlicli wirirandem Säe&den n Tenteben. Statt dtt Kate» 
gorie des Seins setzt Stern diskussionslos Substantialität ein; lelbst wenn 
das Sein als Katefs'oric. d. h. Uberhaupt als logisches Moment zugestanden wäre, 
waa auoh nur sehr bedin^j^t gelten könnte, da Exißtenz in jedem Beziohunjz:»- 
begriti aiä alogischer Aufgang vorkommt, so müßte doch diese seit Leibnizeus 
Sals rem 6tre eapable d'actioa etwas unerwartete Identifizierung gerecht- 
Migt worden sein. Anßefdem ist mir nidit redit dentlieli, worin sich die Sub- 
stanz von den Merkmalen dar IndividuaUtSt als einer bei MoleUU, WeltIcOzper, 
Seele oder Gott zugrunde liegenden Einheit ontenoheiden soll. Immerhin 
gelangt Stern mit der Verbindung von Substanz, Kausalitiit und Substan- 
tialitiit dahin, wo er sicher echou vor aller Untersuchung stehen wollte: an 
deu apriorischen Begriff der Person. Zur weiteren Ausführung mnB erst jetzt 
die Empirie eintreten. Darin ist nachzuweisen, welche Erfahrungsbestand- 
teile rWSg widenpnuhsloe nnd eiadentig die Jeweilige Beatialenng einer 
Kategorie (s. B. eines Kansalanaammenhangs) verbHigen. Wae empiifatiseh 
als Ursprung der Denkformen erseheint, wird derart zu einem phänomenalen 
Kriterinm. da» die Ergänziincfmmmente der Existenz für rein apriongche 
Forderungen enthält In dieser Kriterienlehre werden meiner Ansicht nach 
zwei doichaus verschiedene erkenntnistheoretische Aufgaben vermischt. Ein- 
mal die «uajtisehe Sichtung des Stoffs und Feststellung der TatsiushUohkeit 
ans den Sinnesdateni etwa eines Fall^orgsngs oder einer gesdüchtüehen Ur- 
kande, nm die physikaliaeh oder historisch speeifisehe Gegebenheit («nah* 
bSngig von aller Deutung nach logisohen Znsammenhängen) aufzudecken; 
nnd dann d;ia pohwierige Problem einer real setzenden Transzendenz, damit 
ftir Kategorien, welche vorerst noi eine Urdnung des persönlich breitesten 
Welterlebens enthalten, auch ontologische Gewißheit erreicht werde. Anf 
der Suche nach einem empiriseben Tatbeatmid, der für individnellee Sein 
symptomiseh gelten Imnn, ergibt sieb fttr Stern die ISnbeit des immaaenlen 
oder eeoteriaeben Oesohehens. Nur ein Vorgang, bei dem dasselbe Seiende 
sowohl Ausgangspunkt wie Zielpunkt darstellt, kann als innenbleibendes, 
sich in sich selbst reflektierpnde«? Geschehen zum objektiven Kriterium 
werden. Solche Selbsterhaltun^en besitzen ihr einheitliches Substrat in 
einem bei allem Wechsel identisch bleibenden Erscheinungskomplex: wo 
ein stetig sich vollziefaender Wechsel immer anf Wiederhetttellnng des nr- 
quüngüehen Znstands fbaktioniert, wird das penipierende Snbjelct als raOg- 
Heher Ort des einheitlichen Phänomens von selbst ansgeschaltet Diese 
Stdle ist für die ganze Unklarheit der Grundlegung tjpisch; mitten unter 
dem methodologischen Kennzeichen der Selbf^t Erhaltung tritt die Erlodie-unsj: 
di r n alen Objektivität hervor, ohne daß ihre Merkmale 'wie Unabhängigkeit 
vom Subjekt) gesondert ausgearbeit wären. Vielmehr glaubt Öteru schon 
jetzt die Selbsttätigkeit der Personen nm£usend eingeführt an haben. Aber 
adt einen Kaie wird aas der Selbsterbaltang noeh ein nenes Merkmal ab- 
gelMtot: denn wahres Wirken kann überhaupt nicht anders wie teleologisch 
gedacht werden, und der Kansalbegriff schließt deshalb die Einheit des Telos 
mü ein. Wie ist nnn dieses so plOtalich entdeckte Appendix an verstehen? 



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122 



Utentnrberioht 



W«mi «inon indhriditalleB wArkendeB Sulntnt die Unleiilklikelt und ZM^ 
Btrebigiceit dniehras in gleioher Wom immtsMt sind, dann mflfito doeb 

diese Teleologio schon in der Kategorienlehre stehen und nicht erst ans 
den empirischen Kriterien erpreifbar sein. Aber gesetzt auch den unrich- 
tigen Fall, daß die Kausalität erst ans ihrer Jeweiligen Kealisierung final zu 
denton wIn, to bitte eoleb swelfeUoe pblaoiiieiiale EigXiisiuig mit der 
Kategorie des WiriteiiB in dentileber Besiebong m eteben md niobt er- 
kenntnistbeoietiMb an einer derart ungeeigneten Steile eiagefttgt werden 
aollen. 

Jedoch die architektoniacbe Ciennuigkeit der Disposition wird noch 
entaeUedtner dweb eise naebtrügUche und aekondlre Eategorienlehre 
dnrebbroebea. Soweit aldi nSnlieb die Triaa aprioriadier Kategorien anr 

anfGmnd empirischer Kriterien verwirklicht, muß der rersonenhegrlff einipe 
Merkmale erhalten, welche die Notwendigkeit der Kategorien nnd die 
Philnomenalität der Kriterien in eig:ent!lmUcher Weise vereinen. Wir denken 
die Welt unter den aekandiren Kategorien des PiyeblBeben nnd ^yiiaeben, 
des QnantitatiTen and GeaetzmäSigen, da für uns Selbstbewußtsein nnd 
Selbsterhalfun;? Kriterien Bind, an denen wir die Existen?. individualiHierter 
wirkender SubBtrato erkennen. Die sekundären Merkmale der Person bilden 
aeltsamerweise zwei Paare, in deren jedem die Glieder notwendig ein- 
ander angeordnet find. Und swar bernbt diese Znordnung daranf, daß ein 
und dasselbe identische Dasein nach zwei Seiten liin verschiedene Aspekte 
bietet. So wird der psychophysische Parallelismus vollkomnicn aus der 
VerscJiiedeüarti^'keit von Bczielmn^cn erklärbar: ein Gegenetaud kann 
anderen Personen nur transzeuut ut und physisch, sich selbst nur reüexiv oder 
psyobiaeb eraebeinen. Im psychophysiseben Panülelismns liegt deshalb bloße 
Phänomenologie, die eine Art des Erscheinens wiedergibt, ohne die Zwei- 
heit der EntitUten zu berühren. Erst der teleomechanische Parallolismus 
geht in die ontologiscbe Sphäre Uber; aber anstatt die sächliche Relation 
absolut zu iiuisen, soll ihre quantitative Gesetzlichkeit aus dem zu zer- 
gliedern sein, waa in der Poaition oder Pecaon entiialten liegt Wae von 
oben, d. h. vom Standpunkt des Ganzen atis persönlich ist, wird sich von 
unten dem Str\n'l:ninkt der Teile aus HUehlich äußern. Also müssen auch 
hier die lielationou aus den Positionen durch Analy^ie entstehen. Daß sich 
dabei erkenntnistheoretisch schwere Gedankenreiben anftun, wird von Stern 
idobt berObrt; sein nnglttekUehes Wort Tom Impenonalisaina Ußt kanm 
sehen, wieviel der gefUrchteten Hypostase von Altttraktionen im Personen- 
begriff nofwpndig enthalten i.st. Statt der Sperrung diirfli allzufrüh ge- 
fundene Dogmen und Axiome wäre eine Uuteräuchuug über die lie^ilitätsrechte 
und IdealitStflrechte des Gesetzeabegriffs besser am Platz gewesen. Seine 
etwaa bedenkliohe Art Erkenntnistheorie an trdben, sebließt Stern dnreh 
interessante, wenn auch gleichfalls schlecht eingestellte Bemerkungen über 
das Kriterium der Selbsterhaltnng. Wenn eich nämlich die Wirksamkeit der 
Substrate in einer Funktion des Beharrens erscbüpt'te, so wäre das Wechseln 
der Dinge nieht zu begreifen. Damit wird auf ein Moment im Weltprozeß 
bingedentet^ deesen philosopbisehe Einfügung logisdb niebt swlngend wirlcen 
künne. Man sollte zunächst meinen, diese aktnalisierende Ergänzung sei Ton 
Natur aus unlogisch und deshalb unter logische Kategorien nicht zu ordnen; 
denn Stern hat ja zwischen Gewißheit and Evidenz im Erkennen nicht 
nnteiaebieden» — aber bald zeigt aieh, daß mit dieser Aktualität ein meu- 




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Literaturbüricht. 



123 



pl^lJieb trcibeiides Moment der Selbstentfaltung gadaeht war. Warnm fehlt 

Bim ganz neine FrkpTintnigthcorie? Die Grunrlle^ng" sollte fjooh personn- 
listi^ch ?f in und dann um so sicherer die zweite Phase der Peraon treffen 
kimnen. Da in der Solbstentfaltung alles Fortackreiten für Stern be- 
gründet liegt, müßte ihre siegende Logik fast more geometrico darzulegen 
sebb Stttt d«flB6n ist ein negAtlTer Abiddiiß der Brkenntnlsliieoiie ent- 
studen, und die Votbeieitiuig, tot mllem auch die Beehte nir MetapbjBik, 
liad tut duehans unklar geblieben. 

Im systematischen Teil dir?er Philosophie wird zunächst der Bc^iflf der 
Person unter dem unklar gedachten Prinzip der Neutralität erläutert 
Äa^er der synthetischeu Tassuag des Vielen im Einen zur nnitas mnltiplex 
werden die Merkmale eines esoterisclien Stnfenbans dnrebgenommen, in dem 
diB IndiTidneile leine Uaimigfaltigkeit wahit, aber sngleieh dareb hObere 
UaMhließnngeii von der Saebe an eieb bia nahe an die alleine Gotipeiaon 
pyramidenartig au%enommen wird. Außerdem gibt es zwei sich fort* 
während ineinander verwandelnde Phnsen nls konservative Selbsterhnltung 
ttQd aktuelle Selbstentfaltung der rersonen. Mit der zweiten Phase wird 
die qaantitatiye Gesetzoiüßigkeit durch die geschichtlichen Erscheinungen der 
GestiUtong, Entwieklung, bewußten Spontaneität Uberholt: >an sich« existiert 
die Person, nofem ihr Dasein in dem bloßen Vorhandensein nnd Behaupten 
«iner dsaemden QuaUtilt besteht, an der die Teile parti^ieren; sie existiert 
»für sieht, wenn sie als Ganses in aktueller Tat anf aich wirkt, sich ge- 
?»aUend zusammenfaßt, bewußt erlebt und produktiv erweitert. Da mit der 
ersten Phase bloß mechanisierter Niederschlag der Aktualisation vorliegt, 
eo wird das neutrale Sein von der zweiten Phase rOckworts wie vorwärts 
SBueUossflO. Demnach wäre ihr logischer Beiohtum total ans der ersten 
Plisse absnleiten nnd sogar primir ala Obersatx mandi anderer Deduktionen 
tofzastellen gewesen. Aber um diese Bedenken beiseite zu lassen — wie 
sollen sich hier Potentialität und Aktualitilt ▼erhalten? Offenbar sind in dem 
herkömmlichen Reo-riff des Potentiellen zwei ganz entgoiren «resetzte Meinungen 
vermischt. Es kann damit ebensowohl Möglichkeit und Fotentialität im 
ei^eatiiciisten Sinn, als auch Vermügen oder Potenz gemeint sein: physika- 
ÜBdk liegt dex erste Fall in der mhenden Enogie vor, psychologisch dwf Ton 
ErisbniemOgliebkelten geredet werden, obwohl hier siohibar der Umfang 
saioes Könnens getroffen sein soll. Auch bei Stern scheint die Selbst 
erbaltnng nur Möglichkeit und die Selbstentfaltung nur Vermögen oder Ak- 
tualität zu enthalten, ohne daß jedoch die VorgUnge drntlicher geworden 
Bind. Und andererseits ist küum einzusehen, warum das personale Älaximum 
nicht besser als Erfüllung des aktuellen Vermögens und daher mit dem 
Qosle des Gewinna an beieiehnen wira. 

Wenn diese eo dunkel neutrale SphSre vedaasen wird und die Petson 
slfl Objekt fUr andere erscheint, so treten yermittels der Anschauung 
qualitative, räumliche und zeitliche Merkmale an ihr hervor. Darin wird 
das wahrhafte Sein zum Gegenstand der äußeren Erfahrung, um einen 
genauen symbolischen Parallel i.«imus einzugchen, liier entspricht der Sub- 
Itantialität die lüiumlichkoit, der Kausalität die i^^citlichkeit, der Indi' 
vidnaKtSt die apeiielle Qualifikation des slnnlioben Inhalts, wXbrend die 
erste Phase qualitotlT als Eigenart, seitlicb als begrenste Daner, rilum- 
Hcb als begrenzte RanmerfUllnng nnd die Person der zweiten Phase quali- 
tativ Iis Organiaation, zeltlieh als. Qeschiehte nnd rftumlieh als Bang- 



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124 



LiteifttV'baiiftbt 



Ordnung repäaeuüert wird. Stern gibt noch allerlei Bedexionen Uber 
UniterbliehkQit der Person innerhalb der Hiemrebie, Uber den Orgaaitnns 
nie eine sic-li im Wechsel erhaltende korrelttivo Einheit des qualitativ 
Mannif^talti^ren: aber besondere Neuigkeiten ans der objektiven Sphäre 
sind im B^^L-riiT des bedeutsatiien Hrsciieiueus leider nicht zu tinden. Nur 
die Biuduug geschichtlicher Vorgüuge au Lebensprozcase von Perttoueu 
oder die personale Einheit einee Volkes bringt bei dieser Erweitemng des 
individuellen Merkmals eine interessantere Synthese zwischen geschieh tlicbor 
Eiumaligkeit uud kollektivistischer Typcnbildunfr herbei. Soijleioh wird je- 
doch diese Purtie durdi eine Darstelluiif^ der Persou uuterbroehen, wie sie 
üiuh äölber, uud i^war uumittelbai' mit der zweiteu Phase als Subjekt erscheint. 
Damit ist dies, was man irante in den Begriff des Fsyebisoben nnammeBp 
faßt» als Person und reflektierte Einheit der Gestaltung dem personalistiscbon 
System nnteigeordnet. Zu dem Passiv des Bevriißtseing müßte eigentlich 
das neue Aktivum Bewissen geprägt werden, uui das Subjekt als Vor- 
bedingung für die BewußtaciuBerlebnisae zu bezeichnen. So liegt das Sub- 
strat des Bewußtseins metapsyeUseh Tor; die gemeinsamen Meiionale der 
Individualität des Existierens nnd Zldstrebi|^t des Wirkens, welche bis« 
her bloß der psychischen Seite rnp^PBchrieben wurden, sind nur in noiitraler 
Richtung zu finden. An die Stelle der unbrauchbaren Ab&icht£teleologie 
kann derart ein weit tiefer liegender und umfauenderer Begriff der Anlage- 
teleologie treten. Nnr erhebt sieh die Frage, ob das Psyehisehe aneb der 
niederen Phase und damit als universale Eigenschaft allem personalen Sein 
zukomme Mit einem RUckweis auf das fließende Verhältuis zwigclien 
Meohanisation nnd Aktnaliaation werden die Vor- und Nachstadien des im- 
peratiTen FOrsichseins: Bewnßtseinsvergangenheit and BewnßtseinflzakniLft, 
nnbevnflt genannt ünd snietst wird dnieh VeraUgem^erung iMStimmt, 
daß Uberall, wo objektiv eine Person in der zweiten Phase erscheint, tSm 
Fortschritt von unbewußter Qualität zu aktuell gestalten dem Bewußtsein an- 
sanehmen ist Aber diese Existenzformen in der zweiten Phase sind bloß 
■eknndMre Fragen, dnrah dem Unsieheilieit die nentrsto Definition deeSeieiidon 
als einheitlicher, mit immanenter Teleologie sieh geetsltender Personen nidit 
berührt wird. Damit bringt Stern die Frage naeh dem neutralen Sein anft 
neue vor: ich kann allerdings nicht finden, daß mit solch sohülemden Dar- 
legungen sein Begriff irgendwie deutlicher geworden sei. Vor allem blieb 
der Untersofaied bewußt Individneller Zweekaetinng nnr metapsyohisehen 
Person niemlich nnklar; nnd alle die Worte über PhaaenparaileBsmns oder 
Panpeyohismus haben die Sache, worauf es bei einem Überbau der psycho- 
physischen Parallelität allein ankäme, um so mehr verdunkelt. DaßStn-n über- 
dies in der Bewußtseinszukonft — den psychischen Dispositionen, Begabungen, 
Bti^nngen, Interessen nnr Xomente der ersten miase sieht} wdl diese Zn* 
stitnde in seinem nnaaalyrierten Begriff des Unbewußten znsammenteeffen, 
muß bei einer über das Bewußtsein hinaus teudierenden Arbeiterichtting 
gleichfalls sehr nnglflcklich erscheinen. Denn Koinzidenz im Unbekannten 
bedeutet noch keine Identität. Und die nahe Verwandtschaft der zukünf- 
tigen Strebnngen mit Sterns Anlageteleologie wird nnr durch dne sehleehte 
Hetaphjrik der ersten nnd zweiten Phaee sngedeckt. Außerdem glaube ich, 
daß die Äquivokationeu zwischen: nicht mehr bewußt und noch nicht be- 
wußt endlich zn vermeiden waren. 

An die Lehre vom isolierten Sein schließt sich eine Theorie des Wirkens, 




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Litaraturbericht. 



125 



ii der darch Umgestaltaag des Ksnnlbegriffli ganz eigentlich der Knoten- 
punkt des Systems vollzogen sein soll, nier kommt die FtnalitSt za einer 
metaphysisch genaneren Behandinnc-, nra alles Wirken teleolog-isch abzn- 
letten und das sogenannte niechanidclie Geschehen letzten Endes auf Ziele 
SU reduzieren. Zunächst folgt eine kursorische Übersicht über Begriff 
asd Arten in ZwtokaiffiMBiug, in der »nf anregende Welee die bielierigen 
Oedditepnnkte der Teleologie durohgenomnen Verden. Beeondef« glflek- 
lieh ist bei den Zweckbegriffen die Relttivitit der Endphase, bei den 
Zwecktatsachen das Kriterium der Selbsterhaltnng und unter den Zweck- 
nr?nohen die Zielstrebigkeit, Unentbehrlichkeit diHpo««itinneller Regriffe und 
Ordnung der Einzelzwecke in eine universale Linie erüiutert. Nach diesen 
leider metaphysisch eingestellten Diatinktionen sucht Stern alles Wirken 
wertlos anf petionale Selbetbestinimang zarttckzofOhren. Sofern sieli die Per* 
Bon alcCneü in der Kiehtiing anf ihre eigene SellMitentfaltnng frei betStigk, ninß 
die kausale Wirkung8fi})h:ire gänzlich von einer finalen Ganzheit umschlossen 
gedacht werden. Was in diesem teleologischen Determinismus zielstrebig 
Seiender an Kansalbestandteilen vorliegt, wird als ErhaltungSTinstand an 
Felsblock oder Mumie und dann als Erhaltungsprozeß bei den anorgani- 
schen und organischen Kestitutionen verdeutlicht. Während der Gummibail 
sieb lediglicli beim Nachlassen von Dmekeinwirknngen restituiert» sind bei 
einer Hantaehlirfnng, einem Knochenbmch, einer Operationswnnde gani ver* 
sehiedene Gewebe mit verschiedenen Funktionen an der Heilung beteiligt^ 
und der gemeinsame Erfolg wird dennoch in der möglichsten Annäherung 
an den Status quo ante liegen. Darum besteht vor allem darin ein nnter- 
ücheidendes Merkmal der nrtr.'^nischeu Wiederlierf^tellung, daß ihre untere 
Grenze nur durch eine iiiteusitat der StüruugBmomente bediugt wird uud 
daranf allseitige, nach Jeder beliebigen Ablenkung, eindentig festgelegte 
BesHtntionen statt6nden. WShrend alle nieht organischen VorgKnge der 
Erhaltung kansal dnreh TrSgheitssostXnde eri l iri n M'nd. die allein durch iso- 
lierte Störungen vorübergehend unterbrechen, kann die radiale Behauptung 
organischer Formen: worin alle einzelnen Funktionen wieder zum identischen 
Ziel der Selbsterhaltung zurückkehren, durchaua nicht mechanisch erkliirt 
werden. Vielmehr ist die äelbbterhaltuug im anorgischen wie organischen 
Beharren der Eigenschaften nnd Formen als zielstrebige Urslchlichkeit sn 
fimsen. Damit findet Stern eine Beilehnng «wischen Erhaltongsprinaip nnd 
GesetzmäDigkeit, die sich in der verallgemeinerungsfthlgen Funktion, d. h. 
irt der qualitativen Erhaltung; des Ganzen an den Teilen danemd darstellen 
muß. Leider ist dieser Gesotzesbegrifl" trotz seiner Kichtigkeit und der 
interessanten Beziehung zum kategorischen Imperativ erkenntnistheoretisch 
schlecht gesichert; und wenn die Gesetzmäßigkeiten des Naturgeschehens 
Selbsterhaitnngen in erster, die Selbststenerangen der Lidividnen solobe in 
zweiter Phase genannt werden, so bleibt gegenüber dem Torher entwickelten 
Kriterium der Selbsterhaltung dieses erneute Hervordrängen der analytischen 
Relation sehr unvermittelt stehen. In der Eindeutigkeit orgnnifcher Reak- 
tionen war doch ein entsciiiedenes Plus an innerer Gesetzlichkeit zu bemerken. 
Und die Aufhebung dieser Sicherheit im Zielbegriff durch ein Hauptmerk- 
mal der zweiten Phase: dorch gesetzlose Sclbstentfaltung — scheint mir 
erst recht efaien positlvistisehen Sehritt hinter die Einheit des Geseties wie 
des kategorischen Lnpenthrs an bedenten. 

Beim Übergang xnr Idee der Entwicklnng oder des sweiten teleo- 



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126 



LItontnfberioht 



logisefaflii KnMlpxliii^ will Stern wieder reia phänomenologisch Tor- 
gehen, um EntwioUttngeproceeao eis TeteMhen Ibstsaetiillen und in ^e 

nmfasBende GruppieruDg zu bringen. Nachdem die uneigentliche Entwich» 
lung an bloßen Aggregaten abznweifien war, bleibt als quantitatives Merk- 
mal nur die absolute, innerhalb des Gebildes selbst volbcogene Steigerung 
tibrig. Dftbei maß eäi düferentfonndee Wiehetmi der Haimigfaltigkeit 
naeh dem horisontalen NebmelaiBder wie uudi dem Tertikaleii Über- 
einander und ein integrierendes Wachstum der Einheit nach dem exten- 
siven Zunehmen des Umfangs wie nach dem intensiven Zusammenschluß 
der Elemente und Funktionen unterschieden werden. Wenn hier noch 
die SelbetlndlglMlt der modernen Heneeben n dem steigend eoaieien Zo* 
Mmmensebloß in Verbindong geeetst wäre, dann hätte Sterns hiersrebi- 
Bchcr Personenbegriff eine bedeutsame Probe erhalten können. Statt dessen 
folgt eine Analyse der relativen Steigerung des Dings im Verhältnis zur 
Umwelt: so gut damit die Tatsachen der ükonomiBstiou auf Entwicklungs- 
reihen bezogen werden, so notwendig wäre es aneb gewesen, den Begriff der 
Umwelt in präzisere Fa88nii;;en zu bringen. Denn verinderte Temperaturgrsde 
der üui;;ebung und veränderte Zeitstimmungen kJ5nncn doch dem Individuum 
gegenüber nicht in «xleichcr Ebene lie{ren. Was L'i'omphiprh Artpassung 
erscheint, wird bei duo »umlen Werkj^uaammeaiiuugcu, die wir nn» m fort» 
dsnemder Beieption gesobiebtlloh immer snfb nene dnriebten, ganz »nders 
verstanden sein mtissen. Sofern jedes kräftige Geschlecht seine eigene 
Orthodoxie und da.s 8i)e7.iliecbe Kultureystera einer 7.nt gcha£ft, dürfte hier 
nur von Kinordnun^; oder noch besser von spontanen Leistungen der ein- 
zülueu gesprochea werdea. Diese so dringende Unterscheidung des Milieu- 
l)^$rillli wXre gende bei dem qualitativen BntwieldimgamerkmBl ^nflnBreieh 
gewesen. Denn seine Siebtimg soll nicht auf eine Gleichzeitigkeit von 
Fartialentwicklungen, sondern auf d^s Folgen von partiellen Reifungs- 
prozes8un gehen, die jeden proportiouuleu Fortgang durch qualitativ neue 
Betonungen, fast durch Hypertrophie gewisser Einzelfunktionen unterbrechen. 
Neben die gmetlseb feete Ordnnng und die bei versebiedenen EntwieUnngen 
auftretenden Parallelen mu6 außerdem ein bestimmter nhythmus im Ent- 
wicklungstempo angenommen werd'Mi Stern erwähnt dir Mutationptbpnrie 
zum Nachweis der ruckweisen Abstammung, um darauf eine Ätiologie der 
genetischen Vorgänge zu entwerfen. ZnnXohst werden jene Theorien wider- 
legt, welebe die Entwicklung als Ergebnis meohaniseher Proiesse oder als 
Epipbitnomen der Selbsterhaltnng fassen: denn mit den konservativen Be- 
strebungen der Selektion allein ist nicht schon Fürtfcfiriff produziert. Und 
ans einer dritten Fassung zum EpipbUnomen der direkten Aupa«suug kann 
höchstens das Konstantbleiben zwischen Anßen nnd Innen, aber niemals 
ein reifendes Übwbolen der laßeren Momente dareb Indlvldonn eiUirt 
werden. Damm bleibt bei aller Anerkennung dystdeologischer Umwelt- 
Vrdingnnf^en nichts Übrig, als in der Entwicklung ein Urphänomon zn 
sehen und ein selbständiges, auf Fortschritt und Wachstum eingestellt^^ö Lr- 
sachprittzip anzunehmen. Der Linenftktor dieser personalen Selbstant&ltnng 
bedeutet Maebtdrang nnd AnbigeverwirUiebnng. Und ndt repetierter ün- 
Uarheit sind ihre Wirkungen auf genetische Parallelität und Rhythmus ins 
metapsychische Gebiet verlegt An den Außenfaktoren werden von Stern nur 
ganz nachträglich und kaum genügend die negativen EinäUsse auf die Lut- 
wieklung gestreift. Sofern in diesen Yerzügcruugen, Hemmungen oder 




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Literatlirbericht. 



127 



Yemichtangen wirklich nar Selbstverständliches vorliegt — und za ihrer 
alogischen rjfwiBheit hätte die wi'1<>rs( tzliche Macht der Hnrhe gefaßt werden 
sollen, dann ist diese Selbstverständlichkeit doch derart, daß sie erst den zeit- 
lich aasgedehnten Gang der Entwicklang müglich macht. Wenn nicht in 
der Welt etwas wäre, das nicht sein sollte, dann mttßte ihr Prozeß hem- 
mmigiloi oiid mit «bsolnter Geiohwindigkeit sblanÜBik Btetm eieht wenlgiteiu 
bei der qvalitelif« SelbiCerhaltiiiif ein, daS aieh die Bestehong inm AnBen* 
weltfifcktor sehr viel verwickelter darstellt. AllerdingB wird hier nnr ein 
positives Beispiel in der Unvollständigkeit dr"' frenetischen Parallelismns 
vorgebracht und sonst an den Objekteri lediglich Material fUr den per- 
sonalen Kampf um Fortschritt gesehen. Damit soll endlich die Frage 
nach dem Ursprang der Personen hierarchisch za beantworten sein: daß 
die Selbstentfiiltniig einer Überpenon sogleich fortirShrende Frodvktion 
iieiwr Unterpertonen t>edeatet Daroh Zengnng and Geburt enieteben siebt 
nr Pdansen ans Pflanzen und Menschen ans Monsehen, londem aneb für 
iMp' Arten tnf!<!<;en Sf-liwaukungszeiten Btirlcer Labilität ang'enoramPTi werden, 
die nach relativ wenigen, gleichsam embryonalen Zwischengenerationen zur 
Hervorbringung einer oder mehrerer neuer Arten führen kOnnen. In sehr 
geschickter Weise wird die Tatsache der fehlenden Zwischenglieder ver- 
wendet, nm eine Icatastrophenartige Oleitong anf nene, Tererbongsf Sbige und 
■labile Arten annehmbar an machen. Dnreh eingeliendere Untereiicbnngen 
wSre diese nene Deutung der Mntatinnstheorie sehr viel bedeutsamer ge- 
worden; übrigens scheint auch hier bemerkenswert, dnß ^tnbile Zustünde 
gegenüber dem Zengangsdraug stets mit einem abschließend ruhenden Über- 
gewicht auftreten. 

Trotz dieses Widerspruchs der Konsequenz hält Stern den abBcUießen- 
dea Gedanken erreichbar, alle Kategorien des Sacbgedankene eelrandilr ana 
den personalistischen Yoransaetzangen abinleiten. Es wSre an erwarten 

gewesen, daß sich bei diesem Znsamroenstoß zwischen Sache nnd Person 
»»in konkret deutlifher Dualismus ergeben hätte. Statt dessen wird auf die 
metaphysische i'Irfiülung des Satzes der analytischen Relation aus^recaagen 
und die reiue Mechanik der Welt zu einer Telcomechanik umzufontieu ver- 
sucht. Der entstehende Parallelismos ist wiedenun auf metaps7choi>hysische 
Hoben Terlegt: wie alles Uechanieebe angleicb teleologische Bedeatimg hat, 
ao maß aooh m jeder pmonilen Eigenschaft ein mechanisches Äquivalent 
eadstieren. Dies wird vor allem dadurch bewiesen, daß die mechanische 
Gleichheitsbeziehnnjc: auf das teleologische Moment der Selbsterhaltnng zu- 
Hlckg'eflihrt werden kann. Alle Gleichheit enthält eine dreigliedrige Be- 
ziehung zu der personalen Einheit als tertium comparationis; nicht allein 
die alte ZneisndegMebheit der Gattangsidee, sondern erst reclit die moderne 
Leiatiuigsgleicbbeit Ton Haß nnd Gesets mnß dabin anfgelOst sein. Ihre 
Grenzen Heiden zunächst an der Tatsache der Schwelle, sofern sich jede in 
der Welt vorhandene Gleichheit nur anf eine Stufe der hierarchischen Seins- 
cinhf'ifen bezi»>ht. Sie bedeutet lf>'lip:lich, daß die immer vorhandenen 
Besonderheiiea für die Erhaltnncrszweeke der bestiuimten Stufe pleicligülti}; 
oder unterschwellig sind: und der Funkt absoluter Yergleichbarkeit kann 
BOT ala anterster Grensbegrlif bestehen. Eine weitere Scbrsnke ist mit der 
Vielheit Ton Personen gesetat, deren Gansheit nicht selber dnrob Einordnung 
in Oleicliheiten aufndOeen ist, sondern mecluuiiseb nur durch ein Stnfen- 
sjetem von Gleichungen Yerschfedenster Weitenordnung reprisentiert werden 



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128 



Litdratviwriekt 



kuia. Im seitlichen Abl«af alles personalen Geschehens and in der Anf- 
helnug der gaMtetoa dofeh nao« gelbitootftHoiigiBkta Itagt tiM 

dritte BewhrXnknng, welolie die GMcUMi« Miglkli alt toleonMhniMhw 

Miniinalprinzip aufzufagsen gestattet Beim Reduzieren der Gattnngsbe- 
ziehnugen wird endlich die nalie Verwandtschaft des ß-emUßigt realistischen 
Satzes: oniversalta in rebus mit dem ^terischen Penonaiismos eingesehen. 
Trotedem tohtint Stern nidit Unxer wa werdea, daß in leiaer Fnatang der 
Position salbet eehon nnendUoh viel Belation Hegt «ad ailt dem Sekwebea 
der Positionen tlber den Relationen nur undeatliohe Begriffe geliefert waren. 
Schon die Beziehung der Art^leichheit macht für ihn eine Hypostase not- 
wendig, deren Ideebegriff in das Ivonkrete dabstrat der Person verwandelt 
wild. Dazu tat die Beehtfertigung niolit dntoh Wlederhelnng Uberhaapt, 
•ondem erst durch die teleologieche Allgemeinheit der Oattnsgefnnktion 
gegeben. So wird e^' erst möglich, von Tischen oder Knochen z. B. eine 
mittelbare Allgemeinheit auszusagen, die mit dem Kriterium der Selbet- 
erhaltnng: wie bei Mensch und Menschheit übereinstimmt. Aber auch 
fttr die persSnliche Setbetentfaltnng gibt es eine Allgemeinheit, derea Wert- 
idee oder Ideal vollendet gedachte Ziele in der Entwicklang konkreter 
Personaleinheiten umgreift. Leider ist dabei nicht anf die Schwierigkeit ein- 
gegangen, wie denn die Fülle ptetig neuer Geataitungen mit einem Maß um- 
spannt sein soll. Denn auch für Stern müßte die vor uns liegende Ge- 
eehiehte anlibenehbar TorkonraieB and Ihr Syetem dämm mit bloß projek- 
tiertea Werten gelten. Übrigens zeigt eich die zweifellos positivistische 
Neigung dieses Philosophen hier in bcsoiidrrrr l*aradoxie: wo selbst die Ideale 
nur als Äquivalente und zahlenmäßige Deckungeu von Personaicinheiten zu 
hnden sind. Ich glaube, daß solche Abäichteu und dunklen Transzendenz- 
gnde ia einem Oebfot aieht mehr allsnlange mOgfieh Bind, deieea elnkeade 
Tatsüchlichkeit und steigende Logik so typisch wirkt. 

Statt mit der Wertidco einen Höhepunkt urd Schluß zu veranstalten, 
wünscht Stern weiterhin das impersonaliwtische Dogma vom al)soluten 
Wert des Kausaibegriüfe auf seinen empirischen Tatbestand zu prüfen und 
metitodologieoh riebtifer amxadentea. So wird die AUeiagllltigkdt dee 
Kausalgesetzes bestritten, und zwar derart, daß die Begriffe: aater ^ Ge- 
setz fallen und durch das Oesetz erschöpft werden, durchaus zu trennen 
sind. Hier liegt ein singulärer Faktor vor, der für jede Verursachung die 
beiden Momente der Spezifikation nnd des Gesetzes gleich notwendig macht 
Aaeh Jetat ^bt Stern darauf ans, die geeohlehtliehe Vereinaelang aa ttber- 
edriltaen: selbst was g^n die Al^eaieinheit des Kansal ge eet aee Torgebracht 
wird, um den Reichtum an Fnnktiotipimannigfaltigkeit auf eine n-nn/o TTiernrfhie 
der Gesetze zu reduzieren, kbnnte nur unter einer umfasseuU^Q Anerkennung 
des Gesetzesbegriffs fmehtbar werden. Aber die Äquivalente eplelen hier so 
stärkt daß alle koemlsohen Eiaaelgesetse aaf die Selbsteilialtaag dea AOs 
und damit auf eine personale Einheit konvergieren. Die teleomechanische 
SpiegeliuiT ühpreiuandergr'IrtTprtor Personaleinheiten soll außerdem die 
Scheidung zwischen Sacbwisseuschaften und Personalwissenschatten legiti- 
mieten, da gerade die Selbstentfaltnng als werdeades Oeeetz gefaßt wM. 
YiA der flbertttrmendea Bedentnaff Wertbegrifh iet nichts gesehen. Zar 
letzten Einbeziehung werden Intensitiit und Maß vorgenommen, nm den 
Gegensatz zwischen Maß nnd Zweck durch eine freilich noch in weiter 
Feme liegende Nenbegrflndung der Mathematik — eine Teleomathematik zu 



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liteBrtnrbftrioht 



139 



QberwiDdeu. Denn alle Quantität kann gleich einem Tauschwert gefaßt 
Mio, dessen Anwendung auf diskrete Teile die Zahl ergibt, dagegen inner- 
halb dw KoatimuB» ak Ibfi «nlrttfat Sobald dtoia* Htfi den Leistungs- 
viit ftr eiM beatiamto SelbiteilialtinigBfiUiigkait dar Person bedentet, wiid 
dtnns die Intensität als Beteiiigang des Saehgesehehena sn einem poiso- 
aaleD Gesehehen anftieten. Ihre bisherigen Faasnngen: daß Wirkung und 
Geereowirkuner gleich sei nnd die VerUndernn^ ptef« mit einem Aii^g-leich 
der DitTorenzen abläuft, lassen sich leicht auf den Störungswert und Kesti- 
tuüonswert zorückführen, den ein Sacbgeschehen für die personale SelbAt- 
eiiialtiingafanktion hat Um aber die Distanz an messen, welche bei der 
BflstiCotioB dmehgangen wird, muß ans dem Wesen der Person Jenes Prin- 
1^ des nntSrlidien und antonoinsn Mafies gewonnen ssin. Wsnn s. B. der 
koDplement&re StOmngswert, den die Temperataiündemng fttr den Orga> 
Dismofi besitTit ohne Beziehung zn den künstlichen Einheiten der Kalorie 
gemeeeen werden soll, dann ist dies nur mit Hilfe des Begriffs der telco- 
mechaniächen Schwelle möglich zu machen. Allerdings soll luan nich hier- 
bei TÖilig von der alten subjektiven Bedeutung der Sehwelle frei machen, 
da nieht mehr die EbenmerUiehkeit, sondern die Bbianwirksanikeit des 
Reius als daa otijektiTe Leistnngsminimam in gelten hal Mit dieser üm- 
deatnng der BehweUe mr teleomechanischen Intensitttsbeziehnng: auch bei 
Verd;intin<r9akteTi. T.okomotion. IrritabilTtiit — hnt Stern einen zweifrllns 
glücklichen ^ eri^uch gemacht. Damit erlaugt der SchwellenbojrritT (ine 
breitere organische Bedeutung und vor allem reaktiven Charakter. Noch 
weiter reichen die Ausführungen Uber das heteronome Maßsystem nnd Rela- 
tifjUUeprina^; danmter lat eüM dritte XnOgsttnng an ▼«stehen, bei weleher 
db AtttottOBBie der einaelnen Pmonen an dem nnlTerasQen Xafi und damit 
SMb zu den autonomen Maßsystemen anderer Personen in positi?« Beaiehung 
gesetzt wird So liept die personale Bedeutung einer IntonwitJit energetisch 
sn jenem Quotienten, dessen ZHhler aus dem Abstand von der Nullpunkt- 
Intensität und dessen Nenner aas der energetischen Oesamtstrecke der Per- 
son besteht Wenn jedoch keine einzelne Intensitttt, sondern eine Intensi- 
tltsstioche beteronom dargesteIH werden soU, dann mflasen andere Formeln 
aafgestalH sam, bei denen im ZlUer die reine energetische IntensitlltsdifliB- 
renz, im Nenner aber eine Differenz steht welche personale Konstanten des 
Nullpunkts nnd Umfangs enthält Damit kann als aüfromeines RelativitSts- 
gesetz des Maßes formuliert werden, daß die teleomechanische Bedeutung 
von Intensitätsverschiedenheiten im physikalischen Maßsystem nicht durch 
absolute Maßdifferenzen, sondern nur durch deren Quotienten ansdrttokbar ist 
Ifaeli diesen rein abstrakten Darstellungen will Stern aelne Intenaititslehre 
durch empiiisebe Anwendungen Terdentiiehen. Zuirilchst in der Peyeho- 
physik, wo nicht nur autonom zu fragen würe: wie weit die innere Hannig* 
faltigkeit der Empfindunc'Sf^tnff'Ti voti Alter, Übung oder Ermüdung abhängig 
sei. sondern auch das heteronome Problem des psychophysischen Nullpunkts, 
der Leistungsoptima nnd des Umfangs auftritt Aber neben der Feststellung 
psyehisoher Konstanten gibt es noch eine heteronome Messung der psychi* 
sehen Yariablen« und swar prägt sieb diese Beform deutlieb beim Weber- 
sohen Gesetz ans. Hier wird s. B. bei Druekreiaen an Stelle des physikalisch 
absoluten Nullpunkts die ständig vorhandene GrOße des atmosphärischen 
Drucks mit zu berOckBichtigen sein, der selbst kein Bewußtsein serlebnis er- 
zeugt aber immerhin als personaler Faktor jeweils genau festzustellen 
InUv Ar Pqr«^ol«gi«, XHL Litonter. 0 



130 



Litentuberioht 



irilre, wenn ttlMrluapt psyoItologiMbe Heuiia^ Tuiabler GiBfioi einan Sinn 
haben soll. Auch die empirisch begrenzte Geltung dei Bal»ti?itli«gi0MbMt 

beruht daraaf, daß <!er psychophysißcho Nullpunkt eine an Breite und Lage 
variable Strecke darstellt. Überdies verändern eich mit irj^endeiuem Reiz- 
gjBtem zugleich andere BewußtseisBformea, die auf anderen Stufen den pay- 
dilMhoii GeMmterfolg modifiiieran. Somit iit diesM Ofloota Tor allem efai 
regulatives Prinzip. Gins ihnlich liegen die VerhSltiiiiBe auf dem bioener- 
getischeu Gebiet, wo die quantitativen Beziehnn^n zwischen Intensität 
und Lebuu derart ausdrückbar sind, daO die biologische Bcdcutuag von 
Intensitätsdifferenzen nicht dnrch deren absolute Grüße, sondern durch 
ihr YorhUtois «i dem oige&iMh etela vorluuideneii biterndtitagefllle ge- 
mewen wird. Da es nicht anf eng atogrenste energetische Umstände, son- 
dern bloß auf den Quotienten ankommt, so dn? telenlnsrist^lic Wesen d«*8 
Lebens nur zufällig an das Plasma als Maachinenbedingang gebunden, welche 
den Tonraltenden Intenuiiltidifferenzen entspricht Und die Lebendigkeit 
Birielt iieh jeniefts dieeet teleomeohanlsehen Materials in weaentUeher Ewigp- 
keit ab. Znletst wird anch bei Kulturvorgängen das Relativitätsgesetz nach» 
znweisen versucht, um den Kulturwert einer Intensität oder Intensitätpdiffe- 
renz dnrch das Verhältnis ihrer absoluten physikalischen Grüße m den in 
kulturellen Lebenseinheiten immanent enthaltenen Intensitäten oder Liten- 
altitadifiiMrenseii ni measen. Danaok laaaen aieh die weaenfliolien O ea et ae 
der Kapitalbewegungen oder teehniscben WertaoliKtzung auf bestimmte Quo- 
tienten kultureller Autonomien zurUckftlhren. — Bei teleomechanischen üm- 
dentungen jedoch, die auf solche Weise Psychophysik, Bioenergetik und 
KoItimDaSlebre in daa Bdati^iiitageaete naofiMaen liabmi, aebeint mir Jener 
bloß repritoentierte Beat der peiaoaalen Einbetten vial an mdenlüflb ftatp 
gehalten. Gerade die Erscheinungen dos Web er sehen Gesetzes verdanken 
ihren Relativitätscharakter wesentlich einer begrrcnzton Apperzeption — oder 
wie ich sagen machte: einer qualitativen Verdichtung und Integriemng in 
den Empfindongsvorgängen ; ao aefar anoh Stern synoptisch Toraagehen 
wttnaeht, ao notwendig wire ea doch geweaen» «Ue empirisch perso- 
nalen Momente in mehr sichtbare Beziehung zu seinen neutralen Ganzheiten 
zu setzen. Denn in der universelleren Fassung des l?elnt!vit:itßge.setze8 liegt 
manch gehaltvolle Bichtnng angelegt: sie wäre wohl dahiu zu verfolgen, 
daß die OkoQomtaoh «ntiaatende Veradilebimg swiachen Beia nnd InneBdol 
geradezu den Umaeblag der Kanaalitlt mt Finalitft aosaueht nnd jeden 
Sieg der Lebensvorgänge fortBchreitend begleitet Was tlbrigens die ueblij^e 
Verheißung der Telcomathematik anbetrifft so muß meiner Ansicht nach die 
rein konstruktive Arbeitsweise jede Subordination ausschließen. Das Apriori 
lifit sieh nicht mehr aar PeraonalitMt Terbeasem. 

Zum Schloß veraichert Stern, daß unter dem nea erfundenen Namen 
des Pantelismus alles monististisch zu^'clie. Es sollen noch eiue Weltlehr'^ 
nnd Wertlehre, eine Wissenschaftslehre und Symbolologie folgen. Aus dem 
Wertgebiet ist ein funktionell kosmischer Optimismus vorbergcsagt, wahrend 
die Bymbolologie in ihrer sehliaimen Phonetik solche Symbole der Kmiat 
und Religion umspannt, mit denen die Xenaebhelt den metaphyaiaehen 
Weßeiiskern der Welt zu ergreifen strebt. Die Fluten der ITegelrenaissance 
srlilafTcu in die^c .Symbolenlehre wohl allzu offen und ei)iii:onal herein. 
Und der Anspruch auf eine neue Synthese der Wissenstatsacben und Wertungs- 
einxelbeiten klingt an total, nm nicht mindeatena aaUhna Entwttrfe wwarten 




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LttenturbMldit 



131 



7ü Ifissen. Die Auflüsung der Welt 7,11 Personpn würde jedoch nur iu pro- 
grammatischer Vereinzelnng und nicht unter der Kapitelführung mehrerer 
Bände wirken. Was an diesem Entfesseln diesseitig oder gar titanenhaft er- 
scheint, kGnikta vielleicht als heimlicbes Impromptu beim Dialog ergreifen, olme 
Jedoeh reidiera Qiullpiuikt» der Methodik und des Syiteo» m entlialteii. So 
idieiBeii mir bei Stern poritiyiatiMlie nnd transMiidieteade Abaiehten in 
ehiem interessanten Kunpf tu liegen. Er wünscht bei den Eiaselheiten 
lo^sch zn vf>rbloibcn und alle T.inien ihrer Konkretheit entlang zu ziehen; 
denn die Formeln vom wirkenden Gesetz sind ja nur Bii<I(-r fUr den Satz, 
daß die konkrete Wirkliciikeit der Personen tätig ist. Deshalb wird der einzelne 
OflMtMsbegrifiT zum teleomechanischen Äquivalent abgeschwScht and eine 
lotireadjg widersproehtFolle, )a nndenkbikre Hetephyilk von EinMlheitea 
Bit dem Sats der analytischen Belntion gewagt Sdbitrerstihidlioh muß die 
Bfltonderbeit dabei foHrtdanernd dorch neu anfgenomaMie Bindungen und 
innere Relationen gesprenjrt sein, die nur durch eine ungew^^hnlicli kompli- 
zierte Variationsbreite des Fersonenbegriffs verdeckt werden. Im Zosammen- 
wirbeln von dürren Blättern eine Entwicklung zu sehen, ist kaum Aber- 
laschender, als die Individnalitit bis som Yolk oder AU aosiadehnen und 
flm Poiitioiieii dennoeh Iconkiet au nennoB. Dieie aorgloee VeiwendiiBg des 
PtotsonMibegziflh trürkt in den idealen Gebieten besonders unangenehm, wo 
die empiristische Verwirklichnng so weit hinter einem daseinsfreien Gelten 
lorackbleibt. Statt der nutzlosen Neutralitätserkläning'en gf^cc^m die psychische 
Reibe wiire es endlich richtiger gewesen, die vieldeutige Daiikellirit unserer 
Ziele aufzuhellen und das An sich des Zwecks genauer anzugeben. Mit 
dam konkreten Monismas, daß die Saohe noch in dieeer Welt nnd diesem 
fUlesopiiiseheii Bneh personal aufeeUJeen sei, wiie erst reebt wo, bieeheii, 
wenn wieder ein tiefer spürender Biok in die Welt getan werden soll Da- 
her sind die aktuellsten Fragen der Philosophie: vor lülem jenes reziproke 
Verhältnis «wischen Sein und Wert, wesentlich unerschöttert und in alter 
SprOdigkeit sorückgeblieben. Ernst Bloch (Ludwigshafen a.£h.}* 



9* 



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Eoferate. 



1) IC. Pottio, 8nlUi preBMUft dl otgtai dtl gosto nellft parte laiiDgaa ddh 
fittiagA, ael tMtto eervloale deir esofago e nel ptlato dnro dal 

feto umano. Anatom. Anzeiger. XXXI. 1907. S. 570. fAiis dem 
Institat für experim. and angew. Psychologie der Univerutüt Tum.) 

Jauk dvnh diaaa naniaea lOttaOoag daa Yarfuaan wild nnaara Kaui^ 

nis Uber die Entwicklung des Geschmacksapparates beim Menechen 
reichert. Während Ponzo in seinen früheren Arbeiten das Vorhandensein 
TOD Gesohmacksorganen beim menschlichen ITötas an beiden Flächen des 
waiebflo ftomani, an den GanmanpfaUara, dan ToaaUlaii, dar ttataren Zungen* 
diaha naw. naehwaiaan kaanta (Tg^ dlaaaa Aiehfr. X. 8. IM), galasg at 
ihm in der vorliegenden, zn zeigen, daß sie sich hier auch im laiyngealen 
Teil de» Pharynx, sowie im Halstell des Ösophagus und nm harten Qaamen 
finden. Soweit Pharynx und Ösophagas in Betracht kommen, ontersnchte 
dar Varf. nrai iran»UdM Flttan von etwa aaeba and ainan andaian tob etwa 
alaban Honatent wlbrand ar dan barton Gnnman an einem vallantirickaiton 
weiblichen Fötns so^'o an einem Neugeborenen prüfte. Am harten Gaumen 
konnten jedoch nur im erstereu Falle Geschmacksbecher nachgewiesen 
wttden. Die einzebien GewebsstUcke wurden in Zenkerscher Flüssigkeit 
fixiert, in toto mit Blbnatäia lA naab Ap&thy gefärbt, in Faralfin ainga- 
achlossen und in Snian gaachnittan. Jader Schnitt liaMa tfna Dlaka 
▼on 15 u. 

Ponzo fand die ia Kcdo stehenden Organe zahlreich im genannten 
Teile des Pharynx, sowie im angrenzenden Teile des Ösophagus. Sie waren 
taila ieoliertt ttrtia an kleinen Omppen yereinigi Er aab aie Amar in dar 
Nähe des Eingangs zum Larynx. Im Ösophagus konnten Gesckmackabaebar 
bei den beiden »»ratfroTiannten Füten bis zn Vs cni Abstand von der nnferen 
Grenze des Pharynx verfolgt werden , beim dritten Fütus wurden sie nur 
noch wenig unterhalb des Kingknorpela gesehen. Da äich die Geschmacks- 
baahar voiangawaiia an aolehan Stalten fiindan, wo iriOirend dea SeUnek- 
aktaa die Klhiflilasigkeit ibren Umf nimmt, ao aneht der Verf. ihr Vor- 
kommen hier in prew!??o Beziehung zn den vom Pharynx anggefUbrten Reflex- 
bewegungen zu bringen. Von anderen Einzelheiten sei noch erwHhnt, d.aß 
die Geschmackskoospen auch in diesen Füllen zum Teil Papillen aufaaßeo, 
aowia daS aie aneh hier aaf adinoldem Gawaba (Uainen Ljrmphknotan) ga- 
fuudcn wurden; ferner, daß lieh in dar Nlhe dar Oeachmacksorgane regel- 
mäßig eine größere Anhäufung von LymphkOrpereben vorfand. — Am harten 
Gaumen fand Ponzo bei dem erwähnten Fötus Goschmacksbecher zu beiden 
Seiten der Mittellinie nur am hiuteren Teile, und zwar auf Papillen sitzend, 
dia denen ihnfieh waren, wdebe er baraita am waiehen Ganman Iteobachtat 




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Liter&tnrbehoht 



133 



katto. Der Y«if. rafilii dieie Tatoache zn d«r bei Kindern und aacli bei Er- 
wachsenen zuwik-a erhalten •rpbllf'luiir'n nesrhrnni-^ksempfindlichkeit des 
harten Ganmens in Beziehunf? zu bringen. Ohne Erfolg' blieb die ITnfer- 
Buchang anderer Teile des liarteu Gaumene, sowie die des angienzendeu 
Zabifl«iMhet. 

Für jed«ii der tmtarflnebten Ktfrpertdle ist dar Hitteilnag eine Zeiebnnng 
beigefebän. F. Kiesow (Tulii). 



2i C. Abel, Gegensinn und Gegenlant Abgedruckt ans Oetwalds An- 
nalea der Netnrpbfloiopliia. Flbillir Btad. S. MS IT. Leipzig, 
Vef lig Ton Teit & Comp. 

Der Verfasser bemerkt zunächst, daß man in allen, und aomit auch in 
den indogermenliebeii Spraeben, Waneln und Worten begegnet, welche 
entgegengeaetete Bedeatimgen in deb vereinigen. leb greffb einige der in- 
gegebenen Beispiele heran» : 1) englisch rood (Kreuz u. gerade Linie), Ahd. 
ri?a (Kreuz n. gerade Linie} ^ 2j Bloweniacb-tacheobisch kaliti (dnnkeln), slo- 
wakisch (erhellen). 

Anderemetta verkebrt eich nie In diesen eben angegebenen Beisj^en 
der Sinn in anderen Worten bei erlkaltener Wonelbedeutung der Laute; z. B. 
neben lateinisch cli-n-are (biegen) — ob^liqa.-as (sebief); neben nenbocb- 
deutsch Loch = hohl. 

Femer sei der Kategorie gedacht, in der sowohl Sinn als auch Laut 
yerkdirt werden; z, B. engliacb to list bOren, still still — lateintseb mfams 
weniger, nimls znTiel 

Bef einer gempin^nrnfn Vergleichnng aller indopcnnanirtchen Sprachen 
wächst die Zahl der Beispiele, die eut/^ej^enj^eßctzte Bedeutungen in sich 
schließen, sehr; z. Ii. slowenisch s-lok (krumm; neben lateioisch aub-iic-a 
(P&bl} » lateinlscb mar^itns (Ebeniann) neben Utanlseb mar>ti (Brant) nnd 
altnordisch maer (Jungfer!. 

Anch fUr die zweite Kategorie (die Verkehrung der Laute bei erhaltener 
Wnrzelbedeutang; ergeben eich bei der VergicichuDg der Spraclieu viele Bei- 
spiele; z. B. ODgUsch tu hurry eilen, polnisch ruch (Bewegung^ — lateinisch 
nnl-vs stamm, neohoebdentsch s-tonna — neaboebdentseb fiinl neben nieder- 
lindisch loof (faul). 

Noch zahlreicher sind die Belege flir die dritte Kategorie; lateinisch 
niut-u8, neuhochdeutsch Stimme — lateinisch tac-ere [schweigen] neben 
angelsächsisch cyd-an (künden). 

Abel weist an Belspielea naeb, daß In iMiden Itoebeinaagen, dem 
Gegensinn nnd Qegeidant» die drei Hntenstofen i^ohwerdg und Tertauseh- 
bar sind. 

Der Gegenlaut wird noch heute in manchen Indianer- und Neger- 
sprachen, also bei primitlTen Stämmen, ad libitum produxlerti). Daber ist 



1) Brinton, Essays oi sin Aiuericanist. ISdO. — Petitut, D6n6 
Djincyi^ Dletionnalre et Monograpbie. 1870.— Bisbop Steer, Kl-Snaheli 
Oiammat 1S76. eto. 



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134 



Litantarberiolii 



es anzanehmen, daß et bei den IndogeimaneB nur in gnaer Voncat arwidiMi 
sein kann. 

Noch früher «cheint der Gegeneinn entetazidea zu sein. Nachdem der 
Memeh all« weeaatllelten Enehelnngen mden gelemt Itet, tetiehto er 
sie nieht immer Ten Gegrateil «binhebeii. Je weniger piimitiT die Sfinehi 
llt, desto bestimmter werden die einzelnen Begrifl^ MUgedrfiokt. 

Um das Wesen von Gegensinn nnd Gegenlant zn erklären, mnß mu 
bertlcksirhtif^CT, daß sie da?? in allen Redeteilen n:leirhTnHPig' iiiftretende 
Rohmateriul der Sprache betreÜen und daher iJeziehuagen zwischen je iwei. 
im GegeusinastaUe gemein&am, im Gregenlantofalle analo^ch neben* aad 
atdMinaader entitmidene Typen ilnd. 

Für d« Enfitelien nnd den Erweie pilUBtoriaeiier Lnntvaiiillon isH^ 
halb pbyiiologiaeher (Frenzen liegt noch ein allgemeinerer Grund ver. Jede 
Sinnvariante vermag sich sowohl in einer Sprache als auch in mehrerwj 
SrhwpBtersprachen in verschiedenen Lantvariationen niederzulassen, ohne 
Küi k8t< Mit darauf, ob dieselben nur ihr allein oder noch anderen äinnyariantea 
gehürea. 

Znm SeUnß lei dannf hingewiesen, dtfi die Flexion nnd eigeatlieb* 
Woribildnng, die eehr iriel epSter entetuden» lebon ein iroHkoomn ge> 
feetigtee Material Torfiuiden. Sie vollzogen ddl swar innerhalb der ge- 
ringen Verlindemngen der geschichtlichen und ihr zunächst vorhergehenden 
Zeit; indessen waren die wurzelhaften nnd eigentlich etymologischen Za- 
aammenhänge schon tUr alle Zeiten vollendet 

£. Kretschmer iBerlin}. 



19 J. Oraeiet, Le pejehisme införieur. Etüde de pbyeio-paiboiogie cliniqne 
des centres psycbiques. iBibliothöque expMmoitnle. Bd. 14 
316 a. 80. Pari!» Chevalier et Biyiere, 1906. 

Znr eelben Zdt» eis ee in den Sideen der Mediiin noeb Sitte im 
illie PbiloiopbiMbe von oben benb in sehen nnd pionontiert hervor- 
snheben, wie dorohaus »empirisch« msn geainnt sei, hat es gleichwohl in 
keiner Weise an oft bis ins einzelne aüPi^'e.irbeiteten Theorien über die 
psychophysischen Probleme gefehlt Neben <ipin staunenswerten i.iodringeo 
in die feinere Struktur des Gehirns hat sich geradezu eine spekuIatiTe 
Gehirnforschung entwickelt, die nicht weniger in Erstaunen eetrt. Fiti- 
iieb niebt eben durch positiTe Lotungen, eondem dnreb die Kühnheit, nÜ 
der man den epeileUen Zneanunenlilingen swiecben den GeUmvoigiagffi 
und dem Seelenleben auf rein spelnilatiTem Wege beizukommen untemimist. 
IHeso Phantasien unterscheiden sich tn ihrem Werte und ihrer Begründbl^ 
keit in nichts von den naturwiSBerit^clialrliehen Spekulationen, um deTea 
willen man sich in der auf die Romaotik tolgenden Zeit von den Systetuea 
Hegels und Schöllings abgewandt hatte (ohne zu berUcksichtigeiif da0 
ihre wahren Ldstnngen nnd Tiefen anderewo lagen). 

Eine neue derartige payebophyiiBebe Theorie iet in dem Toriiegenden 
Bande niedergelegt. Es wird auch an ihr sichtbar, wie alle diese Theorien 
wei+er niebts tun und in der Tat der Lage der Dinge nach auch weiter 
nichts ton ItOnnen, als psychologische Analysen in die physiologiKbe 



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literatarbericht. 



135 



Audiackflweise m ttb«n0lMit. Damit wird aber wader dei Pbyaiologia nodi 

gar der Peiycholo^e irgeadaln Dienst erwiesen. In jener entsteht hüchstens, 
iura Scliatkii der wahren empirischen Gehimforschung, die Illusion, die 
piycLopbyfiiechen Znsammenhänge bereits aufg-edeckt zn haben, die Psycho- 
logie aber wird lediglich vergrübert, denn die physiologischen Ausdrucke, 
dto bettenfalla andere Worte für dieaelben Dinge sein künnten, sind viel za- 
wenig biegsam, am den feineren piyebologiscben Analyien folgen an 
kltanen (von anderen Sebwieilgkeiten gani an eebweigen), wie denn aneb 
fiiBt stete eüie reebt grobe Payebologie aoleben Konatrnktionen svgnmde 
gelegt wird. 

Das vorliegende Buch bildet in diesem Punkte so^ar schon eine ge- 
wisse Ausnahme. Gleichwohi kann ich mich auch mit ihm nicht befreunden. 
Der Wert aller solcher aosgenifarten psjchophysischen Theorien scheint mir 
eben tia aebr geringer an aein. Der Gnu^lgedanke des Bnebea lat^ daß 
die wülklbltebw nnd bewnßten p^ebiaoben Akte nnd die antomatiaoben 
ond nnbewnßteii (die beiden letzten werden niebt recht geschieden) Mani- 
festationen zweier verscliiedeiiert >Fsychi8men« sind, eines oberen nnd 
eines unteren, denen auch zwei besondere physiologische Systeme im Gehirn 
entsprächen. Es liege diesen Prozessen nicht bloß, wie gewöhnlich gemeint 
werde, eine TetBchieden starke Erregung der £^eieben physiologischen Vor- 
giage angmnde. 

Dieser Gedanke wird durch die gesamte Payebolof^e imd Patbolog^ 

des Seelenlebens hindurch verfolgt Durch alle Gebiete, die Hypnose, die 
Katalepsien, die *Somnambuli8men, die simultanen Spaltungen der Per«ün- 
llcbkcit, die Inspiration, die Seelen blindheit, die Agnosien, die Agraphien, 
oie Störungen des Willens usw., usw. ; es fehlt eigentlich kein bedeutenderer 
fiegeostand, der nicht anter Jenem Oeaichteponkt betiaobtet würde, wo- 
bei ei bier ond da notwendigerweiee etwaa karaoriecb abgeben mnS. HStle 
der Terf. darauf verzichtet, eine pbyeiologiafdie Tbeorie auf diesem Wege 
zu entwickeln und sich damit begnügt, statt dessen die in seiner Dar- 
Btellnng immanent vorhandenon pMiyclmlotrisobon AnlTassuugen als solche, 
von allen phyBioIoprischeu bpt'kuiatioueu abgesehen, gründlich aaazotiihren, 
so wäre der Psychologie mehr gedient gewesen. 

Qteiebwobl ist anzugeben, daß ei an maaeben Stellen in aasfllbtUeberen 
vad nelir begründenden Darlegungen dieier Art kommt. — Ala bemerkMie^ 
wert ist mir der Abschnitt erschienen, der von den Beziehungen zwischen 
Genie und pathologischer Seelondisposition handelt. Es wird der Gedanke 
Horeau de Tours' bekämpft, der meinte: 1(» gMe est une nevrose. 
Demge^enllber wird, wie ich meine, mit Recht leatgestelit, daß Genie und 
Neorose nur demselbeu psychischen Bodeu entstammen, aber direkt mchts 
oitiinaader m ton haben. Die Nenroee aelbat le! der sebHmmate Feind 
dm Qeniei. Als FOndgmbe flir payobopatbologiacbee Material iat daa klar 
vad ttbeiaiehilicb geiebriobene Bneb recht branehbar. 

Dr. K. Oeaterreicb (Berlin). 



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I 



136 



LlttfiitDrbciidit» 



4] Theodor Lipps, Die soziologiBche Grundfrage. ^Archi? für Kafisen- 
md QMeUsoluifls-BIoIogfe. (SeptenilMr^Oktober-Heft. 4. Jahiigaog, 
fi.Hflft. 8. 668 ff.) Hllnelieii 1907. 

öj A. Norden holz, Soziologie, Psychologie und Ktlxik. (Bemerkoügea zur 
▼orstebettden Abhaiidluig toh Tb. Lipps. Ebaid«. 8. 676£l 

Die Soziologie bat es zu tun mit der Frage nach der menschlichen Ge- 
sellschaft, l'uter > menschlicher OeBellBchaft« ist aber nicht die Summe der 
meuBchiiciien Körper und ihrer Beziehungeu zueinander zu verstehen, son- 
dern gemeint Ist damit der Yetbuid der ftUmden, denkendeBf uteileMlen, 
wollittdeii, vortteUenden, empfindMidea lebe und ibze BedebsngMi mlttr 
tndcr. 

Das ist die GrandtruL-e der Soziologie; ihr geht eine Vorfrage 
voraus. Die uiimlich. wie icii zum Bewußtsein komme, daß es fremde Indi- 
vidnen, d. h. andere lebe gibt 

Hiebt die oft vorgebrachte Meinnng dei Analogieschlaaiee vom eigenen 
auf fremdes Seelenleben kann die Fraf^ lösen. Nnoh T ipps erklärt sich 
diese Tatsache nur aus einem sonst niclit nilhcr zu analysierenden Instinkt. 
nämUch dem »lustiakte der Eiafühluug«, »mit instinktiver Notwendigkeit 
fBUeB wir in gewieee iinnliebe Ereofaeinmigeft ein BewoOtoetnaiebeA eis. 
Die Erscheinungen iretden uns zu liepi Ii sen tauten ffleaes BewnßtseinalalMBi. 
Ofier s;t> werden uns an Symbolen düfUr, drücken nna •in'bfdohea aW| oder 
geben ea kund«. 

Dieser »Instinkt der Einftlhlung« liut nun zwei Seiten. Einmal liegt fUr 
Hieb in dar fremden Gebilde dia Symbol einee eleb dadnreb Infiemden 

Innenleben!* Und das fremde Bewußtseinsleben. das durchaus ans ZUgen 
meines eigenen »gewoben« ist. iät fllr mich an diese bestimmte sinnliche Er- 
scheinung »gebunden«. »Dabei ist aber wohl zu beachten, daß dies ,Qe- 
bnndensein' absolut eigener Art ist Dasselbe hat nichts zu tun mit blofi 
aaioiiatiTer Terknflpfnng . . . kon Jenes Gobnndenaein beaelehnet eine ndt 
keiner Aaeotistlon vergleichbare symbolische Relation.« 

Dazn kommt noch als zweites Momeiit, rlnß das fremde von nns be- 
trachtete Seelenleben jederzeit tendiert, unser eigenes zu werden; und hier 
sfaid wieder die beiden Möglichkeiten der »positiven« und der »negatiTen 
Ktnfllhlnng€ gegeben. Was Lipps damnter Terstebt, iat an bekannt, als 
daß ich es noch anf&hren müßte. 

Anf dem ersten Momente der Einftllilung beraht also »mein Wissen 
von fremden Ichen«. Oder besser: es besteht darin; und damit ist die 
soziologische Vorfrage gelöst 

Dergleichen 1(M das sweite Moment die sosiolglscbe Gmndfrage: dann 
dadwoht daß fremdes Seelenleben tendiert, mein eigenes zu werden, und 
zwar »nm so mehr, als ich dem fremden Seelenleben betrachtend hingegeben 
bin«, ist die praktische Beziehung des eigenen Ich zu fremden Ichen ge- 
geben — und das ist ja nach Lipp^ die Gmndfrage der Sosiologie. 

>0ie Tendenz des mteiiebens des gewußten» unmittelbar in der framden 
ainnitehen Erscheinung für mich liegenden . . . BewuGtseinsIebcns, mein 
eigenes Bewußtseinsleben zu werden, macht den positiven Grund d(>r Sug- 
gestion' aus. Wir können danach diese zweite Seite ... der Einfühlung 




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Utiiatiirbeileht 



137 



andi ihra t»nggesüwe' Saite oder das .soggeBti^e' Moment an ihr nennen; 
vir UaaeB Mgen, das na «nseHnii «igWMn Kleben genonnnene, tob ubi 

mit instinktiver Notwendigkeit in eine nnuliche Erscheinung hineingedaehte (!) 
Bewußtaeinsleben wirkf in dem Maße als ich ihm «^eisti;? hin<;e^eben bin, 
«anggestiv* oder im Sinne der ,Sugge8tion'. Und so dUrfen wir behaupten: 
die Qmndfrage der Sociologie ist identisch mit der Frage nach der Sng* 
geatioB, die Onmdtataaehe der Soaiologie aber tat die Tataaehe dieser 
Soggestion, d. h. es ist die Tatsache, daß mein Wissen von fremdem Be- 
wnßtseinaleben and mein Hingegebenaein an dasselbe auggestiTe Kraft 
hat.« « 

Damit lehnt Lippa den Yeiaaehr die inwnen Beiieiiaagen dw Indivi- 
duen zueinander entwicklnngsgeschichtlich abzuleiten, ab, gleich- 
zeitig auch das beliebte Spielen der Soziologen mit prroDen Zahlen, die durch- 
aus nichts beweisen. Eine Oesellschaft kann nur dann entstehen, wenn die 
Tendensan ihrer Betätigung die gleichen aind. Daa aber ist nicht, wie 
Lippa iMdumptel, Idafeoiiaeh an efUtomi, vielmehr müßte eine doartlge Er^ 
klUrung jene beiden Tatsachen nnbodinp-t voraussetzen. Damit wlie alao 
die Einfühlung immer noch das Grnndproblem aller Soziologie. 

Setzen wir nun hier das erste Moment der Einflihlnng nach unseren 
AnafBhnmgen Totaiia nnd betraehten wir daa s weite! »Ea gibt FlUe, in 
welchen die Tendraa des Kiterlebena oder des eigenen Yolfamges der inneren 
Tätigkeit einea anderen, tob welcher ich weiß» «na in besonderem Maße ge* 
Igofig ist.« 

Das eine ist der Fall beim Hören eines fremdes Urteils. Dieses mnß 
▼Ott mir ToUsogea werden, wenn ieh überhaupt Stellung daan nehmen will, 
d.b. alao, ob ich ihm zustimme oder nicht oder im Zweifel bin. NB. Lippa 
bezeichnet diese TatBaehe in seinem T.fitfaden als »intellektuelle Einftihhmrr' 
ein Ternninns den er in Aufsätzen dir^rr Zeitschrift. 7. ]l in Hand IV. fur 
etwas ganz anderes benutzt hatte. Im übrigen gehe ich aut diese Dinge und 
den Streit mit A. Heinong Über die »UrteilsgefUhle« nfeht weiter ein.) Daa 
andere ist das'Wi^i^en um das Wollen eine.s anderen, d.h. die Bitte an 
iinch oi!i r drr Befehl. Erlebe ich nun dieae» Wollen de» anderen, vnn dem 
icli weiß durch deseeu Wort oder Gebiirde. so erlebe ich doch etwas anderes, 
als ob dieses Wüllen üpontaa von mir ausginge. Ich erlebe eben dieses 
»WoUeD« in der Form eines »SoUens«. 

Dieses »Sollen« aber tritt auch an einer anderen Stelle auf. nämlich bei 
mir selbst. Habe ich 711 irfxondeiner Zeit ein Frtci! <^erällt odt^r irgend et- 
was gewollt, und ich erinnere mieh daran, wenu ich in eine i^leicbe Lag© 
komme, so habe ich ebenfalls das Gefühl dieses »Sollens«, nämlich genau 
SO an nrleOen wie früher nnd genan ao an wollen wie ehedem. Es bemht 
das also auf der Einfühlung in mein eigenes, vergangenea Ich, das nach 
der (aUcrfüntr« -^vohl sehr bestreitbaren' Ansicht von Lipps ein anderes ist 
als mein gep^enwürtigcs. Und «lieBes versanf^eno Ich oder Vergangenheits- 
Ich steht dem gegenwürügen als bestimmend und fordernd gegenüber. 

Daa GlefUhl dee Sollena iat awar mein Oeftthl dea Sollena* aber ea iat 
doch noeb mit einem Faktor von eigentümlicher Qualität behaftet, »ich ftthle 
darin etwas mir, bzw. dem «regenw;irti;rfMi Trb Fremde.'«, etwa? mir, bzw 
dem gegenwärtigen Ich, üegenübersteheudea oder Gegenständliches. Dies 
bezeichnet Lipps mit dem Ausdruck >Cbarakter der Gegenständlichkeit« 



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138 



Literatttrbertcht 



oder auch »Charakter der Objcktivität<. Und dicßer Charakter der Objekti- 
vität macht mir den Befehl oder das Wollen dos anderen zur Zumutung 
eiaes fremden Ich. Ist dieses fremde Individaum ein büherstebendee, aus- 
gettettet mit Mtoritotiv«r Oewal^ so ist dlate Zamntnag Iii hohem Onde 
intensiv, oder sie hat einen Harken >ObjektiTitätBcharakter«. Dmm wird 
nun Tnnin Wollen nicht nur zn einem Sollen schlechthin, sondern es wird 
»Verptlichtang«. (Auch ein Terminns, der bei Lipps nicht eindeutig ge- 
braucht wird, ein Fehler, der durch den Tolkstümlichen. Doppelsinu des 
Worte« eiUirbar wird.) 

Bisher war nur riio Pi von der »einfachen* oder »praktischen« Ein- 
ftthlong, die wir auch korz als »einfache Sympathie« bezeichnen dürfen* 
Ihr gegenüber steht die »reflexiTO Sympathie«. »Bei dieser spiegelt sieh niebt 
einftch ein fremdes Vecfaslten In mir, sondern ein Yerimlten mdner Seihst 
spiegelt sich in einem fremden Bewußtsein, nnd ieh weiß liivon. Damit 
reflektiert sich dann diese Spiegelung wiedeniin In mir . . . Indem dieselbe 
aber in mich zurückkehrt, hat sie nun in mir den Charakter der Objektiri- 
tftt gewonnen«, d. h. ieh 1^ mir dem anderen gegenüber verpflichtet, oder 
anders: kih bin Uun verpfliehtet, s. B. ihm mein Verspteelien so Irntten, ilim 
etwas zuliebe zu tun, ihm zu helfen usw. 

>Analog jenem Gefühl der Verpflichtung, ein Versprechen zu halten, ist 
das Gefühl der Verpflichtung, die Wahrheit zu sagen; denn ich erwarte, daß 
der andere glaubt, es mA das, was ieh sage, aaoh wahr, d. h. es sei rntta» 
Übusengong, waa ieh da Torbringe.« Die Lüge wlre Tünsehnng des Ver- 
trauens meines Mitmenschen. 

Damit ist gesagt daß ich in jedem Falle RUckslcbt zu nehmen habe auf 
andere Individuen, eben aus dem Grunde der Sympathie, wie wir ka» sagen 
kennen. Damns entsteht denn das besolden geailsle Geftthl dar Yer- 
pflichtang gegen andere, das steh in def »Yergdtnng« oder anletst in 
»Dankbarkeit« äußert. Damit ist das Band der Sympathie zi^ischcn zwei 
Individuen geknüpft, und das GofUhl der Dankbarkeit oder Verpflichtung 
ist »natürlich«, weil das Gefühl der Verpflichtung sich in «anderen Indivi- 
dnen reieictiert, sei es nnn, daß ^se IndiTidneii mir in handgreillicher Nlhe 
gegenüberstehen, sei es, daß es ein fremdee Bewnßtsdn fiberhanpt, eehliefi- 
lich die Gesellschaft ist. »Natürlich« ist das Gefühl der Verpflichtung, weil 
es in der mensciiiichen Natur begründet ist. Wie Dankbarkeit, so sind auch 
Hache, Ehre natürliche Verpflichtungen. 

Der Yeipfliohtnng geht parallel die Berechtigung, d.h. die Tatsaehe, 
daß ich das, was ich will, auch darf, und ich weiß, daß ieh das darf, ^dg 
nnd allein, weil ich ob aus fremdem Seelenleben ablese. 

Die Gesamtheit von natürlichen VerjiHichtiingen und Berechtigungen 
aber ist dus »Naturrecht«. Dieses also vcrdauKt sein Dasein der Tatsache 
der Splegelnng dessen, was in mir ist, im fremden Bewnfitseln, der Tatsache 
des natürlichen Hitetlebens oder der »Sympathie«, d. h. also lotsten £ndes 
der »Einäthlung«. 

Eine ausführliche Kritik der Lipps sehen Ansicht von der soziologischen 
Qmndfrage nnd des weiteren von der »Einflihlnag« ttberhanpt, deren Be- 
deutung speziell in der Ästhetik meines Eraohtens allenthalben durchweg 
an hoch angeschlagen wird, muß hier anterbleiben; denn ich will nnr refe- 



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Lberatnrberieht 



139 



riereii. un l ich kann nie mir auch um so eher ersparen, als dfr Miinchener 
Soziologe A. ^'ordeuhulz sich eingehend mit einer kritiachcn Behandlung 
der Lippeicheii Anaebanimgeii be&ßt hat leb will knn seine lianpt- 
elohlioliiteB EinwSnde enftthieiit im ttbrlgen wfi tob auf die Arbeit eelbet 
TttTweisen. 

Efl sind drei EinwHnde, die Nordenholz gegen die AasfUhinngen von 
Lipps erhebt. Einmal stecke Lipps die Grenzen des Sozialpsycho- 
log:i3chen zuweit, ferner verwechsele er »sozial« and »altniisri^ch« , und 
endlich drittens beächränlce sich seine Untersuchung nur aul den psycho- 
logisehen TeU der loiialen Gnmdftage. 

1) Lippe epiieht von Dankbarkeit, Baebe nsv. und nennt diene »inner» 
Beziebnngen Individuen zueinander. Wohl existieren dieee peyehiidien 
Befangen zweifellos, sind sie aber deshalb sozial? 

Lipps scheint Uberall dort, wo nur cino pr?^ktifr}) wirksam werdende 
Beaiehunfr der Individuen zneinander eich hndet. 3t(;tÄ gleich and ohne 
weiteres die Tatsache der Gesellschaft vorauszusetzen. 

Dieser wirksam werdenden Besiebnngen aber gibt ee sahUose, und nnr 
ein TeU Ton ihnen ist sosialer Natnr. 

»Das geMllachaftliche VerhsUtnis ist nümlich nicht irgendeine, wie 
immer geartete seelische Heziehung zwisclien Mensch und Mensch, auch 
nicht irgendeine brlieJii'rf' WfTb"«elbeziehiinp. pnrtdern ''anz im Gegenteil ein 
hfVchst speiifiscijcd Verhältnis, dem auch höchst spezifische psychische Be- 
ziehungen korrespondieren.« 

8) Daneben Terwecbselt Lipps »soaial« nnd »altraistiseb«; er spriebt 
ja ▼on »Sympathie« nnd »Dankbarlceit« nsw.; aUerdings nicht im geUtnfigen 
Sinoe der Ethik, aber doch so, daß er in ihneOf was sie ja aneb in Wirk- 
lichkeit zweifellos sind, altruistische Momente und Motive erkennt. Aber 
mit dem > Altruismus« verfehlt er den ei^^entlichcn Kern der Sozialität; denn 
die Gesellschaft baut sich nur auf das Prinrip der Individnalitiit. Und 
so mlifisen soziale Triebe sich ebenfaiid auf Individualität gründen. 
»Oder genauer: Anf dem Sigenintereeae der konkurrierenden Individnen, 
aelen sie Einielne oder die Gesamtheit Nnr solche Triebe nnd Begangen 
sind daher ala soziale anzuerkennen, die glelcbadt^ die Individualität 
les Elements nnd die Individnalität des Gänsen, der Oeeamtgesellschaft be- 
jahen.« 

>Die Grundlage der Gesellschaft ist also durchaus Individualität nnd 
IndiTidnalinteresse«, und »die Gesellschaft ist, wenn mau so sagen wUl, 
kein Ideal-, sondern ein Interessen- und GescUfts-yerblUtnis.« Liebe nnd 
Sympathie, Dankbarkeit, Vergeltung, Entgegenkommen nsw. haben aneb hier 
selbstredend ihren Ort, aber nicht im Sinne des Altruismus, sondern, 
wenn mi\n mir das häßliche Wort j^catattet: aus Geschäftsprinzip; denn 
sie verhiudem Streit und Kontiikt, und sind deshalb eminent soziale Triebe. 

Schließlich 3) bat Lipps die eine Seite des soziologischen Gnind- 
problems gar nicht erwähnt, die physisch-physiologische. Aber »ebensognt 
wie psyehlsebes, emotionell-intellektneUes Willenssystem Ist die Gesellsebaft 
substantielles, pbysiseb-phyriologisehes System, Körperlichkeit nnd Wirk- 
samkeit«. 

Als durch Adam Smith die theoretische Nationnlökonomie in die 
Soziologie, die bis dahin wesentlich nur Kechts- und Staatslehre war und 
daher eine psychologiacbe Disziplin, eingeführt wurde, änderte sich der 



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uo 



Liter&turberioht 



Aspekt, und in den Kreis der Betrachtung trat aach die Saßere, materidla 
Seite des Gespllschaftslcbens. Arbeitsteilang und g-esteisrerte Produktion, 
Warenaustausch and Yerteüong der Wertgiiter, kurz das ganze Wirt- 
schaftsleben, mtifite ebenso behtndelt werden wie die intdldctmlle, psy- 
ohisdie Seite des geBellsehilllichen Orgenbrnu, die sUerdings von dUesem 
Standpunkt aus als ein Mechanisuius sich dsrstdlt mit ^geaer iußerer 
OrdnuTij!:, Gestaltung und Gesetzmäßigkeit 

Diese üniSere Seite der Sozialität aber gehürt genau so aum Wesen der 
Gesellschsft, »wie ihie sobjektive nnd psychische, mit der sie ja in Ornnde 
eins ist«f nnr jedesmal noter anderem Attribute, von anderem Gesichtspnnkte 
aus befrachtet. Kurz ^e^apt: die Geeellscliaft Ist ein {großes Individuum, 
und wie wir una gewöhnt haben, beim Einzelindividnum von einem psycho- 
phyaischeu ParaUelismus zu reden, so mtlsscn wir das nämliche auch in der 
Sesiologfe tnn und yon einem psychophysisehen PaiaUeUsmos der GeseD- 
sdiaft reden. 

Dieses letztere aber habe T.ipps übersehen, und die Antwort »uf 
die eine Seite der soziologischen Grandfrage sei er ans daher schuldig ge- 
blieben. 

So weit Norde nliolz. dessen Ansicht i(di im vorstehenden gcntigend 
dentHch eT^t^v!^kelt zu haben hoffe; es ist nicht zu bezweifeln, daß an h er 
im berechtigteu Dranfre nach Wahrheit weit über das Ziel hinauBgescbosaeu 
ist, und zudem selieiut mir auch seine Ansicht vom Wesen der gesollschaft- 
liehen Qmndlage nieht gana einwandfrei an sehi. Und wenn Nordeaholx 
eingangs ssgt, er wolle nur die trennenden Punkte anfldiren zwischen ihm 
und Lipps, so vermag ich weniL'i'tfns nicht einzusehen, worin die Tren- 
nung objektiv mit Bezug auf den dritten Punkt hier besteht. Doch hat 
er immerhin das Lipps gegenüber voraus, daß dieser ausdrücklich erkliUt, 
die GeseUsebaft im eigenWehen Sinne bestehe ans der Beaieluuig der 
Geister zneinander. Lipps kann, auch noch nach den AnsflHmaigvn von 
Nordenlinlz, seine Ansicht wohl aufrecht halten, er hn*^ ünr zu sagen, was 
er persönlich unter »Gesellschaft« versteht und also verstanden wissen 
will, das aber hat Lipps getan, und ich glaube auch nicht, daß Lipps 
etwa die physlologisehen Beirfehvngen leognen will, nnr strinbt er ^h da- 
gegen, daß man das mit »Gesellschaft« in seinem Sinne zusammenbringt 
Wie gesa^rt. rifsli-Jh brauchte er ^^fMiic Anschauunp- nioht im mindesten zu 
korrigieren; und urdeuLolz leugnet die psychologiBchen Beziehungen der 
Individuen zueinander natürlich ebensowenig; eine objektive Trennong 
existieft Ton dieser Sdte also gar nicht, nnd anch daa ist nnd bldbt eine 
Streitfraget wieweit man eigentlieh die Grenzen der Grafschaft abT^steclcen 
hat, d. h. wo man zuerst von geBcllsehaftlichcn Motiven -m reden hat, and 
ob — absolut geuummen — »sozial« und »altruiBtisch«, bzw. »altruistisch« and 
9Soaial< Uberhaupt auseinandergehen, d. h. die Frage, ob es islIniiBtiaeiiec 
Motive geben kann, ohne daß sie sorisler Katar sind, wollen wir hier nlelit 
welter nntersuchen. Eine Trennung im eigentlichen Sinne existiert also 
nicht, und Ich sehe in der einen Schrift nur eine Ergänzung der anderen, 
keine Kritik oder gar Widerlegung, die, wenn Uberhaupt mUgUch, von einem 
ganz anderen Gesichtspunkt ans zu geschehen hStte, nlndicAt von dort ans, 
wo der Grundstein anm Bau liegt, d. h. Tom Grnndprinaip aus, nämlich 
der »EiaAihlnng«. Hier aber geraten wir &st ins Endlose^ so vide Tbeoflen 



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Litenturberioht 



141 



aad IManngen gibt «t, dflthalb bfedim wir ab. Nur mI noch beuMrkt, 

daß die beiden Sebriften zasammen wobl ge^gnei rind, muMta Erkenntnis 

aozinlodBrhcr Probleme, (1. b. ■olohtr Dinge, die hier ^anr, am Anfingt 
liegen, trefflieb zu fördern. Panl Uenzeratb (Paris). 



6} HanB B61art, Friedrieb Nietzsche und Bichard Wagner. Ihre persOn- 
Hehen Bsiieliiitgftn» Kunst- und WsUaasebanirngwi. 101 S. Berlin, 
F. Wnndsr» 1901. IL 2.—. 

Der Vsrf. gibt eine angenseheinHeh sorgfältige Zosaaunsnstellang der 

in den Wsfkan, Briefen und den einBchlägigcn Biographien Nietzsches 
und Wagners enthaltenen Angaben Uber die Gc? hl hte ihrpr pfrsiinlichen 
Beziebangen nnd erörtert das Verhältais ihrer Kult irantta^suui,^ iu den ver- 
schiedenen Stadicu ihrer Entwicklung, soweit das aul dem lüium von hun- 
dert Seiten nUglioh ist 

- DiSM Znsammenstellmig ist zwar, wie so viele andere ihrer Art, in 
mÄnchem nicht uninteressant: aber die fortgesetzte Zunahme dieser Art 
Monographien bringt die ernste Gefahr mit sich, daß sie. anstatt zn den 
Originalwerken hinzafUhreu, den Leser davon abführen and ihn veranlassen, 
sieb ndt den Sebriflen Uber sie in beigen. Es idb« andh eebr sn wlin- 
seben, daß an die Stelle des bloßen Publikstionstriebes wieder einmal etwas 
▼on dem hüheren Khr^ph. tretpn würde, den die echte Produktivität großer 
Zeitalter stets besaß: etwas zu leisten, das auch noch für die Nach weit seL 

Dr. K. Oesterreich (Berlin). 



7) Dr. Emil Basmassen, Ein Cbristns ans unseren Tagen. [David 

Lazarett!.] Ein Kultnrbild aus Italien. Deutsch von Arthur 
Rotenburg. 233 S. Leipzig, Julias Zeitler, 1906. M. 4.— ; geb. 
M. ö. — . 

Die fortschreitende Kultur bringt es mit sich, daß grUßere, mit starken 
Affekten verbundene Volksbewegungen, die sich außerhalb der Durcbschnitts- 
kbensfllbinag nnd •w^tsnlftssnng steilen, viel seltraer, ja gfO0tenteils nn- 
mUgüeli gewofden sind. Eine Abtrenning elnnr grSfioren AbssU vm Indi- 
viduen zu gesellschaftlichen Sondergebilden, wie sie namentlich auf religiösem 
Gebiet frühere Zeiten gekannt haben, etwa nach Art der Asketen des alten, 
noch buddhistischen Indien, der Essener Palüatinas oder der Sgypttsohea 
TbersiMttten, yon denen ans Philo Alezandiia sine lioehintereisante 
Sdrildonnig hinterlassen hat, sind wenigstens in nnsersn Gegenden gegen- 
wärtig auBgenchlossen. So sehr vlol höher ftlr nnser Bewußtsein unsere 
allgemeine Volkskultur steht, ho sehr viel fester und umfan:rrricher sind 
doch auch die gese^chen Bindungen geworden, die das individuelle Leben 
bis ins PenOnHehste hinein bestimmen. Das iateniiTe OmppenbewnOtsein, 
wie es den niederen Knitnrstnfien nsehgessgt wird, ist abgelöst durch ein 
nicht minder zwingendeB, ja das Individuntn in manphem Punkt weit mehr 
beengendes System kodifizierter Gesetzes- und Polizeivorechriften, für dns 
den Angebürigen früherer Zeitalter die größere Sicherung von Leben und 
EigsBtnm Tielleiebt doeh keineii glsidiwerti^r Ersata bedenten würde. 



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142 



Litentarberioht 



INflse ünifoniifliiiiif des GeteUioluiftolebeitt tot, lo vMe Vwi&ge Bio 

auch nach anderen Richtungen besitzt, yom menBchheitsgeschichtlicben Bttndh 
pankt angeselien, jedenfalls mit Verlust an individuellem Eir:f<Tilf>bPTt nnd 
entsprechenden Gmppenbildangen verbanden. Auch die Wissenschaft trägt 
dumn: wenn die UltAAn Meliseheii FenerlnXiide, die Ton Zeit m Zdt «n 
eiuelnai Punkten an^HnuttMi, Mk etirae mehr «rtvfokefai kOoBten, würden 
wir damit das beste Material gewinnen, um zu einem volleit yentibldnji 
frtiherpr {rrößerer verwandter Bewegungen zu gelangen. 

Wir müasen daher von einem gewissen Glück sagen, daß in Italien, wo 
des Leben angebnndener ist, «in Hann, der In nOidliohecen Liodem eelir bald 
in einer Irrenanstalt interniert worden wire, noek vor wenigen Jalineiinten 
sich Jahre hiudurcb öffentlich als neuen MesBiaa predigen and nicht gani 
erfolglose yer<!nr!)e zu religiösen und socialen Reformen machen konnte. 

Dieser Manu war David Lazaretti (1831—1878); ihm iat die vor- 
stellende Monographie gewidmet 

Den Vir£ braohten nrsprUngUch rein kttnetleriscbe Interessen anf den 
Gegenstand, er Bollte ihm als Vcftiidinm zw (Mnem Drama dienen. »Aber 
allmählich, als icli LazarettiB ;u.LMTordcütliche rcligionshiatoriBche Be- 
deatnng erkannte, als ich sah, dab die vorhandene Literatur wertlos war, 
und daß die Arbelt getan werden mnßte, jetzt, ehe die alten Angenseogen 
anastetben, emp&nd ich es als meine wiBsenschaftliche Pflicht, das ganze 
Material zxx sammeln, dessen Zuverliissigkeit nun über jeden Zweifel erhaben 
Ist.« So begab sich Verf -zu längerem Aufenthalt in die weltontlp'reneii 
Bergwinkel, in deocu Lazaretti gewirkt hatte, um au Ort und ätclie die 
Boeh lebenden Zeogen snr Anakonft keraaziiaiehen and Uber daa in den 
amtlichen Akten enthaltene Tatsachenmaterial hiaaUBIUgelangen. 

T)ii äußere Gestalt der übrigens durch gute Reproduktionen photo- 
grapüischer Atifhahmen der Hauptpersonen und der Örtlichkeiten ge- 
schmückteu Darsteilong erinnert an äabatiers sohünes Werk Uber Fran> 
siekna Ton Aeaiai, mit dem ele aneh den Stimmnngagelielt teilt Zu 
wUnscben wäre freilich gewesen, wenn der Ytrt in ^em längeren Anbang 
nähere Mitteilungen fiber den wisf»pnach;iff!ic^ien Apparat, der der Arbeit 
zugrunde liegt, gegeben hätte, ao vor allem einen Ixachweis der amtlichen 
and privaten handBchriftücben Quellen, auch eine Znsammenetellang sämt- 
lieher Sdiriften Laaarettie uw. — 

Der Schauplatz der Handlung sind die Berge der Amiatagruppe, apesflll 
die kleine Stadt Areidosso in Toskana. Sclmn mit 13 Jahren hat Laza- 
retti — der einen typischen Fall von religioeer Paranoia darstellt — 
seine erste Halluzination, er erhält einen himmlischen Ruf, Münch zu werden. 
Der Vater wollte niehlB davon wiesen. Ein Jahr vgXiba kommt ee m einer 
nenen Halluzination : dem tUwr die Venagnng der Erlanbnis des Vaters noeh 
immer betrübten Knaben erscheint im Walde ein M^nch, der unter anderem 
zu ihm äagt: »Du sollst ein Wunder für alle GroUeu der Erde werden . . . 
Dein Leben ist ein Mysteriaml Der Tag wird kommen, wo Du daa &ssea 
wirst« Dieee Worte eind für Laaaretti von onereehatttieher Übertengunga- 
kraft. Es liegt ja im Wesen der Paranoiker, daß Ideen gegen aUen Wahr^ 
scheinlichkeitsgehalt in einem Moment zu unzerstörbnrPTi Überzeugnngen 
werden. Bei aller logischen Konsequenz ihres Denkeus wächst die Zahl 
der primär, irrational gewonnenen Prämissen ihres Lebens nnd Denkens 
etltadig. mdit äla ob der gewOhaliehe Menseh nieht aneh auf InatlonaleB 



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Liter&torbdiiolit. 143 

Gmdlig«B lebt: der Obrab* an die Exietaiis der Avfie««elt^ die Ober- 
sengmig von der gleichartigen psychischen Innerlichkeit der anderen Per- 
sonen Bind solche Grundlagen, die nicht erst anf Grand von Syllogismen sich 
bilden (freilich dorch solche später begründet worden können). Aber der 
Paranoiker bat nooh ganz andere Prlmiaaen, die sehr oft auf balhudnato- 
riieher Baris beruhen, nnd deren Zahl da» ganze Leben hindnieb wichst, 
wenn auch ein Teil der früheren wieder fallen gelassen werden kann. Die 
Wahnideen und Hallnzinntionen Lazarettis sind vorwiegend religiöser 
Natur; — an formaler lutcUigeaz Uberragte er übrigens seine Umgebung bei 
bei weitem (8. 40). 

Bemetkenewett und Ittr die iPennoiaHrage* adt den Freblem, ob rfe 
eine rein intellektuelle Störung ist oder affektive Komponenten als Mit- 
nr^achen bat. ist wichtig, daß Lazaretti, obwohl von Natur sehr friedlich, 
tsenu er gereizt wurde, in seiner Wildheit keine Grenzen kannte (S. 49, 
vgl auch 8. 87). Seine Schlägereien genoMea eogar ein gowinen Bof H|. 
Aber er war nttehtuni, redlieh und dttUeh (8^86). — In Jenen WnteueBaen 
offenbart Bich ebenso wie in Krämpfen nnd anderem die nebenher bcBtehende 
epüpptische Veranlagung, die ja auch so oft bei den gefUrchtetsten 
McMerheiden zugrunde liegt, deren Auskunft auf die Frage nach dem MotiT 
Ihrae Haadelne Inntet: >ieh werde eteta eofoit ao fbrebtbar erregt«. 

Mit 82 Jahren verheiratet aleh LazarettL — Er war flberrasehend ge- 
bildet, nicJit bloß Dante, Tasso und Ariost waren in eeinen Tlündpn vr\o in 
denen so vieler anderer seiner Volksgenossen, auch sonst ls3 er \ l > riOl. 
Die nächsten Jahre nach der Eheschließung ergriffen ihn die Ideen der 
Mbeit aad Einigkeit Itallena: er tritt ala Freiwilliger in die Armee. Dieeer 
Patrlotiamna bat ihn aneh bei aller religiösen Enregtbeit seines weiteren 
I^ebens nie verlassen. 

In seinem 34. .Tabre tritt die entscheidende Wendung in seinem Leben 
ein. Während er am i- ieber erkrankt ist, bat er im Schlaf eine Vision von 
ao gigaatiedien Formen, wie ele tos der Apokalypee dee Jobannee nieht 
tthertroffen werden. Auch in ihr taucht wieder jener MOncli auf — Laia- 
retti hält ihn für S!. T'eter — und wiederholt ihm die Versicherung': sein 
Leben sei ein Mysterium. Zugleich fordert er ilm auf, zum l'apst nach 
Kom zu gehen, ihm seine Vision mitzuteilen. Mit dieser Halluzination ist 
Laaarettia Znknnft enteebieden. 

Mit dem unbedingten Gehorsam des Paranoikna aeinen Halluzinationen 
jrp^pTtüber geht er nach Rom und wird im Vatikan nolbstverständlich abge- 
wiesen. Es kommen neue Visionen, er poht von neuem nach Rom. End- 
lich gelingt es ihm durch persönliche Beziehungen, beim Papst vorgelassen 
m werden. Die wdteren Einaelbeiten mflaeen Übergangen werden. Kene 
Biailnsinationen — h'w werden jetzt zu alltXglichen Erscheinungen — zwingen 
Lazaretti fiir eine Weih; in die Einsamkeit zn flehen. Auch von Kksta.nen 
ist die Kede: ob es sich dabei wirklich um jcno Zustände gehandelt hat, 
die aliein als Ekstase bezeichnet werden sollten, wenn der Begriff scharf und 
▼on Nntxen sein eoU, mnß angeiiebte d<Mr knnen llitteilnngen darüber da- 
hingestellt bleiben. Um so mehr, als die Frage nach dem Vorkoiimien der 
echten Ekstasen in üpt Paranoia bxw. Epilepsie noch gänzlich unlieh:indelt 
ist; es ist mir wenigstens bisher noch kt>ine ein7.i<:(! TTntersuchuug darüber 
in Gesicht gekommen. (Sie wäre aus mehrfachen Gründen sehr wünschens- 
wert) Aneh die GOßenideea melden aieh in veraohltrfter Oeitalt: »leh bin 



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Literaturberiobt. 



so groß geworden, daß leh nicht glaube, d iG eu zurzeit eineo grOfitNB it 
der Welt g^ibt« S. 3:-? Vr»rf weist nnrhdriickHch daraufhin, daß die Annahme 
eines Betrages acblechthiu anggeschioseu werden maß. In der Tat, wie die 
Psychiatrie gegen die angebliche Simoiation immer kritischer wird — die 
Zahl dir SimiilaÜoiiadiagBoseii, Ist g«Mgt wordm, atdie im imgektliflm 
Verhältnis znr psychiatrischen BeflUl%uig des Arztes — , so sind anch die 
historischen Opjatef? Wissenschaften von der rationaÜBtiscben Betrugßhypo- 
tbeae des 18. Jahrhanderta auf allen Gebieten mit Beoht nachdrUokücb ab> 
gerückt 

Bald beginnt Lunretti ttfllmtiich n predigen, TorlMofig im Einveneltoien 

mit der Geistlichkeit, die ihn fUr ihre Zwecke n. benutzen hoffte. Bäsch 
erfüllt er das Volk mit Rpgetsternng. Die Visionen ond göttlichen Befehle 
an Lasar etti dauern unablässig fort; viele seiner wichtigsten £ntsehlU&äd 
und Handlangen weiden dnnsh sie bedingt Yof allem beginnt er auch 
Sehrilten Msraarbeiten, eine ütiglEelt, sä der er Immer wieder mit Elfer 
zurückgekehrt ist (sie sind auch zum Druck gelangt). Alle diese Schriften 
Hin*l nnturgemäß durch und durch pathologischer Natur: sie sind vorwiegend 
Visionären und prophetischen Inhalts. — Auch mehrere neue Orden grUndet 
Lninrettl, wie denn ttberhanpt sein EiaflnBanf die Bev81kening «in anßer- 
ordentUelier ist Vom sosinl- nnd religiOsieforamtoriseliea Standpunkt ans 
angesehen war sein Einfluß übrigens im ganzen ein vortrefflicher; die edlen 
leidenschaftlich ''n Züge seines Gesichts la.«isen es ahnen. Es ist eben ein 
vollkommener Irrtum, daß die soziale Wirkung eines Geisteskranken stets 
eine duohaiu TeibSngnisr«^ eeim »tae. 

Es entsteliea neue Selirliten, insbesondere Weisssgni^^ In einer tob 
ihnen, der »Erwecknng dcrV("Iker<. verkündet er der Welt, »daß der große 
Prophet geboren und (lottes llache nahe ist« (S.93). Seine Ideen in diesen 
Schriften sind, wie Verf. in interessanter Weise nachweist, beeinflußt von 
einer psendepigraphischen, dem Beformationsieitalter entstammenden Pro- 
phetenllteratnr. In ihr wird ein »großer Monarch« der Welt propheseit; 
eine Prophezeiung, die Lazaretti sofort auf sich bezieht und fortan ver- 
kündet ohne daß er zu den gefundcueu (icdaukeri noch viel neue hinzu- 
fügt »Er unterscheidet sich darin nicht von den übrigen Messiastypen, auch 
nieht von Jenu. Eue FliantMle Ist In die Zwang^jaolte der Fropfaeieinngen 
gelegt oder besser: alle Pbaatnsiekrsft geht bei der Ausfüllung der Rolle 
drauf, die die Prophezeiung skizziert hat« (S. Ulf:. Seine religiösen Qe- 
(J'iTiken bringt Lazaretti übrigens in Synthese mit den früher erworbenen 
patriotischen (S. 112). — Bemerkenswert ist daß sich bei ihm auch eine 
Stigmatisation findet (S.116f.), die er sieb wabraebefnlieb selbst rageftigt 
bati natürlich wiederum niclit in normaler willkürlicher betrügerischer Weise: 
der psycholoiri^rhc Sachverlialt ist. wir dtircli einige andere Vorgänge in 
Lazarettis I.eben nahepfflf p-t wird, ein f^anz iiuderer, ohne daß die Psychiater 
bisher diesen Dingen genügende Aafuierksamkeit und Verstündoe entgegen- 
gebraebt haben. 

Von einer ibm öfters eigenen Unruhe und anderen Umständen veranlaßt, 
begibt sich Lazaretti ins Ausland Fr.ini-reich), in die Einsamkeit. Er ar- 
beitet an Schrifton, in denen eine neue Fnndamentalidee auftritt: er hält 
sich für die inluiruation des heiligen Geistes (S. 122 ff.) und entwirft als solcher 
poUtliebe nnd sodale Befonnldeen. Dann' kehrt w beim nnd bekommt 
jeirt Ungelegenbeiten mit der itaUflaaseheii Segiernng, die Ihn aiiehlicb für 



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LiterAtarbericbt 



14Ö 



ein politiMhM Workseng in itor Hand der Prieiter bUt Er wird vorlulket 
nad SV BeobMbtiiiig iatomiert. Und nmi g«Bdiieht daa Erstaimltehe: die 

zwei mit dem Gutachten beaaftragteu Arzte, die freilich nicht spezielle 
Psychiater waren, erklären ihu für normal [S. 128 f Neuen Unf!:ele^,'enheiten 
eutziebt er eich durch eine neue Keise nach Frankreich , wo wiedernm 
Schriften entstehen. Wieder treten neue Ideen auf; er sei der Sohn des 
Menschen, der wiedergoborvue ChriatuB, der Richter (S. 160 ff.;. »Aber 
maaehee, waa eliedeia im Yordergnnde ataiid, vird «uflekgedrüiigt ~ und 
bei Jesua wie bei David folgt die Entwickfamg demaelben Geaeta: daa Poli- 
tiiebe muß vor dem Religiösen und übernatürlichen zurücktreten AKs das 
Zentrale gilt ihnen beiden: der Biohter, der in den Wolken dea Himmels 
kommen wird« (S. Iö2\ 

Ein Hallnzinationebefehl treibt ihn nach Korn zurück: er wird beim 
Papst nicht mehr vorgelaöäen. Er kommt vielmehr, da er »ich nicht als 
geHtgiges Werkzeug erwiesen liati in emate Konflikte mit der Kirebe. Zu- 
gleich weisen die OrOfienideen nm diese Zeit die typiache immer waehaende 
St^gerang auf: »ich bin Prophet, ich binKOnig; ich binallea« — eine Idee, 
die nnn freilich nicht mehr (iberstcifrert werden kann. 

Sein Kiufluß auf die Bevölkerung ist trotzdem charakterl^tiacherweise 
80 groß wie zuvor. — Die Priester, zu denen der r;e^'en.satz immer 
großer geworden war, gehen jetzt auf seiue Vernichtung aus, nach Verf. 
T« vombereln aom iaßeraten Mittel, dem Uoide^ entaeUoaaen. Die Be* 
gieniagy deren Yeriialten ana Yerta DarateUong nicht Olwrall Idar wird, 
behält die Ztigel oicht hinreichend In der Band nnd Hißt aich, die rein reli- 
^öse Natur der ganaen Bewegung verkennend, an fibwacharfen Maßregeln 
bestimmen. 

Bei Gelegenheit einer großen festlichen Prozession der Lazaretti- 
gemeinde gelingt es den römischen Priestern, einen Znaammeustoß mit der 
bewaAieten Macht berbelanftthren, bei dem Laaaretti, der aelnen Tod Tor« 
laigeaeiien hatte, mit ersehoasen wird. 8o liat aneh dieaer Prophet sein 
Leben nicht in Ende gelebt. — 

Verf. schließt rl;is Huch mit einem f"bcrhlick Uber Lazarettiö Be- 
deatüBg für die Relip^ionspsychologie, wobei seine menschlich sympathische 
Gestalt noch einmal zusammenfassend gewürdigt wird. — Ich wiederhole 
den Wonach nach Nachlieferung des zugrunde liegenden wissenschaftlichen 
Apparatea. Aach wSre ea hOchat dankeaawert, wenn daflir gesorgt wtirde, 
daß aOea, waa an Material über daa Bntatehen der Laaarettibewegiing 
— die Gemeinde besteht noch hente — noch vorhanden ist, künftiger 
Fonebiing erhalten bleibt Dr. K. Oeaterreich (Berlin). 



8] J. Bogues de Furnaf*, Un monvemeut iiiyJ*tiquo coutemporain. Le 
r^veil rellgieux du paya de Galles. liiblioth6que de philosophie 
eontemporaine. 18B S. Paris, F^Hx Aloan, 1907. fr. 2.60. 

Die unverkt niitjare Zunahme, oder wenn man will, daö Wiedererwachen 
Ton ReligioBitut wahrend der letzten Jahre hat auch in Ucutachland bereits 
n mehreren Uber die Grenzen des Normalen hinausgehenden lokalen 
Bewegungen geführt, die trota threa Tobilti^m&ßig geringen Umfaagea die 

iichiv fir Pv«h«l«gU. ZDI. IdlumtDr. 10 



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146 



Literatarberieht. 



Anfinerksamkeit in eriieblitthem Haße auf sich gezogen haben. Diese Be- 
wegungen, die bei nns nur panz sporadisch auftre^<*n, hnben ihro picreiit- 
licbe Heimat in der an^^elsUchaiseheu Welt, in England und Nordamerika. 

Die letzte grUßere Bewegung, eine «Bekehmugsbewegung', bat in den 
Jtlueii 19OI/06 ftattgefimdeii. Der SehanpUts \Mg m Bande der asgel- 
sächsiscben Sphäre, in Wales, wo die niedere Bevölkerung noch yorwiegend 
keltisch ist. Sie echtunt noch vi»-! mr!ir nls die Angelsachsen reliiriöf» er- 
regbar zu sein, und so war Wales »chon mehrfach in der Geschichte der 
Boden, auf dem sich tiefgreifende religiöse VollLserreguagen abspielten. So 
Im 18. itnd im 19. Jahrhimdert Anoli die neneata tBrwealcmiga'- Bewegung 
(r^veil, leriTal) ist sehr intensiv gewesen. Glücklicherweise ist die Gelegen- 
heit zu näherem Studium benutzt worden, dem sich inflnf(>m besondere 
Schwierigkeiten in den Weg stellten, als die Umgang.ssprache in Wales 
nicht das Englische, sondern das keltische ,Welsh' ist, das weder vom Eng- 
Uadieii ttoeh dem FkamOdBoheii ava Terstiadlieh iat Sehen wir Ton popA- 
llien Broschüren, wie Rev. Ch. Inwood (Die Erwecknng in Wales) und 
J. Penn-Lewis Di»« vi^rhorccenen QuHlfn der Erweckung in Wnlcs «o 
ist zu nennen die Sammlung von Studien von Arthur (Goodrich und 
anderer: Tlie story of welsh revival ^London 19Üö; und als umfaugreichste 
Pnblikation Henry Boia* La rfvefl an paya de Gallea (Paria-Tonlooae 
1906), ein leider dnreh mehrere elende Abbildungen entstelltea Werk. Alle 
diese Arbeiten'^ stammen von tlieologischer Seite 'der letztgenannte Autor 
verfügt übrigens über gründlichere psychologische Kenntnisse, wenn er auch 
in der Deutung der Phänomene z. T. eigene Wege geht); sie enthalten sehr 
adüttaeaawerte Materialien. 

Mit dem Verf. des vorliegenden Bnohea hat ein Vertreter der modernen 
materialistischen franz'<^isehen Medizin den Roden von Wales betreten. Im 
Auftrage des französischen Ministeriums des Innern bereiste er im Frühjahr 
1906, als die Bewegung längst ihren Höhepunkt Uberschritten hatte, das in 
Betraeht kommende Territorfnm, nm inabeaondne den EtnÜnß der reUgiOaen 
Erregung auf die Entwicklung der Geisteskrankhdten zu studieies« 

Um den Leaer in eine möglichst nahe Berührung mit dem ganzen Milieu 
la bringen, ist das Buch in Form eines Reise-Skizzenbuchs geschrieben. 
»Dans cette fa^on de proc^der il y a pent t^tre moins de m6thode, maia 
pem-Atre anaii ploa de HtM* {B. 9}, — loh veitiehte daranf, mieh an die 
Reihenfolge deaBnches zu halten nnd die Tnm Verf. beanehten, uns größtenteils 
nnbekaonten Orte im einzelnen namhaft zu machen. Sic He .^en im süd- 
lichen Teil von Wales. Den Ansgangspnnkt der Reise bildete die Ilaupt- 
atadt von Wales, die Hafenstadt Cardiff am Bristol-Kanal. Nach einem Ein- 
blick in die religiQa-eosialmoinliaehe Wirkaamkeit der engliaohen Salvatioa 
Army erhalten wir Aufschluß Uber die Ergebniaae der Bekehrungsbewegung 
in Cardiff. Sie .«ind sehr gering gewesen. Wescntlicli in Betracht kommt 
der Umstand, daß Evan Kobert.s, der Prophet der ganzen Bewegung, nicht 
aelbat nach Cardiff gekommen ist. Ein Befehl des heiligen Geistes verbot 
ea ihm, wie er erUIrte. Die eigentUehe StStte aeiner Wirkaamkeit waren 
Uberhaupt nicht die grüßerenStidte mit ihrer skeptiiehen und bereits stark 
angelsächsischen fievUlkeningi aondem die kleineren Ortschaften nnd be- 



1) Verf. zitiert noch eine >interessante Broschüre« von Rev. W. Percy 
Hioka. Sie iat mir bisher nnlielcannt geblielien. 



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Literaturbericht. 



147 



Sonden deren niedere BevOlkemag, die eich durch ihre keltieche Sprache 
bis zu einem gewiesen Grade Ton der niogebendea Kultur ieoUert ge- 
halten hat. 

Vou Cardiff begab sich Verf. in die Geprend, in der die Bekehnings- 
bewegoog die größte Stärke erreicht hatte. Deu aiu meiäten hervortretenden 
Gheiakteisiig der noeb rein ^»itiielieii BevOlkerong find Yerf. in ibrem nn* 
geheuer impniaiTeo alTelcterTegbaren Tempeffament, das sie ao vesentlieh TOn 

den eigentlioben Engländern unteraelieldet. Aach ihre musikalische Ik^gaban«^, 
die sie im Kultus der Musik eine Hauptrolle einräumen lUCt, ist auffälii^j. ^Vir 
liaben es hier ersichtlich mit einem Stilfk in die Gegenwart liiueiurafj:ender 
ur;ilt>>r Vergangenlicit zu tun vj;l. undöreei imten). — InteresHaut sind die 
mit^eceiiten Berichte einiger Bekehrter ^uteist Alkoholiker; Uber ihre Be- 
kehmng (S. 61 ff.). Leider Bind sie eimtlich knt, wihrend et wesentlich iat, 
über diese merlcwllrdigen p^chisehen Pieieese aoiOgüchat eingehende Berichte 
sn erhalten, am in der Analyse Uber die Beeoltate Ton Starboek, Leaba 
nnd James htnanszukommcTi. Diese Prozesse werden übrigens auch für 
die Psycholof^^ie des KeaÜt'ir^hewuÜtäeing und seine Nebenprobleme in ein- 
zelnen Punkten wichtig wtideu. Selbst aus den kurzen Mitteilungen des 
Verf.8 geht Übrigens dies hervor — es war auch aus älteren Berichten be- 
reits efsiehflieh ~, daß die Bekehmng keisesfitUe ein so abiolnt auf die 
Pubertit nnd die aaf sie folgenden Jahre besehrtinktes PblSnomen ist, wie es 
Lenba in seiner sonst sehr wertvollen, anf Gmnd eines statiBtischen Frage- 
bogenmaterial» durchgeführten Untersuchung (American Journal of Psycho- 
log-y Bd. VIT darstellt. Ich werde darauf an anderer Stelle näher eingehen. 
Aucii der Umstand, daß Leubas Fragebogen gleichwohl das genannte Er- 
gebnis lieferten, iat anschwer erklärbar. 

Besondere eingehend sind die Mitteilnngen über den Flropbeten Evan 
Roberts. Es ist ein jnnger Kohlenarbeiter ^me besondere Bildung; er 
wurde der eigentliche Exponent der Bewegung. Diesdbe ist aber idcht 
pptne völlig aelbatändige Schöpfung. Vielmehr waren schon vor seinem 
Auftreten Ansätze zu einer religiösen Bewegung und noch größeres Be- 
dürfnis danach vorhanden. Evau Roberts entfesselte lediglich dur-r-h sein 
Aaftreten die latent schon vorhandenen religiösen Energien, eine Kuttesso- 
Inng, die natllrlleh nieht von efaier beliebigen PeisOnliolikeit ausgehen 
konnte, eondem ittr die oflbnbar gans bestimmte Bigensehaften Yoransselaung 
sind. Verf. lernte Boberts auch persönlich kennen. Was sofort m ihm 
anffiallc. sei die außerordentliche Beweglichkeit im Ausdruck. »Wenn je- 
mals Physiop^nomie und Gebärde der Spiegel der Seele genannt werden 
können, so gilt das von Evau Roberts.« »Sein unaufhörlit lies Mienenspiel 
ist nar der unwillkürliche Ausdruck dessen, was er in seinem Innern emp- 
findet B^ehologisefa angesehen, besteht es In einer Beihe antomatleeher 
Reaktionen und, in der Tat, dieser Antomatiemos Ist so stark ausgeprigt, 
das Fehlen des Herrseins Uber sich selbst 'rabsence des selfposenion) 
ein so ahsnlntes, daß sich einem sofort der Eindruck aufdrängt, einem selt- 
samen i'all gegenüberzustehen, der an der äußerst*»n (Frenze de» Nor- 
roalen liegt. Noch einen Schritt weiter und wir behuüeu uuh mitten im 
uuuiischen Automatismus« ;S. lü^j. Dieser ,AutomatismuB' bes. die Halluzi- 
natfonen nnd Inspirationen), wie £e fianiOeische Psychologie die au der 
Tiefe der Seele herrorgehenden nnd den normalen Yerlanf des psyeUsehen 
Lebens dordibreehenden Phünommie noint} wird im efanelnen nSber 

10» 



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148 



Literatur bcricht 



betrachtet» ebenso die pathologische Affekterrogbarkdt Mint fluran Folg«» 
erscheinnngen, ohne daß die Analyse freilich Uber die bekannten französi- 
schen Theorien hinausp^l^t Verf. verweist bei einzelnen Phr-nomi^nen anf 
analoge Krscheinung'eu bei Helene Smith, der merkwürdiLi n ' enler Sooi- 
uambuleu, über die unter änderen Fluuruoy in seinem wertvoiica Bnche De« 
Imdei 4 1a plannte Han. Etade snr «n eas de somnaoibiiliaiiie arrec glosMh 
laüe (Paib-GettÖTe. 8. 190Q) gehandelt hat Von der Piodokiifilit 
der Psyche Evan Roberte hat Verf. eine sehr geringe Meiniuig, es haadle 
sich bei ihm stets nnr nm zusammengekittete Erinnerungsbrocken. Be 
sonders merkwürdig ist eine arhttii"-ü'e vr»li«tMn<liije Zurilckgezogenbeit, fli'? 
sich der Prophet auf p-nttHcheu IJeielil aulerlegte ^Ö. 716;. Ks liegt ihr. 
wie es scheint, ein durch fortgesetzte psychische Überanstrengnng heTTO^ 
gemfener EiecböpfiiiigMiiataBd zngmnde. — Der FaD Eran Roberte imat 
Boeh eine Sondentellong insofera ein, ale dieemal der Prophet aelbit ia 
seinem Yaterlande Anaehen genoß. Auch seine Mutter glaubte an ihn. Voa 
Seiten des Kleros bestand natürlich Feindschaft [S. 115 ff. . — Evan Kobert? 
hat sich übrigens, nachdem er I -in ?«>re Zeit gewirkt hatte, seit dem Juli IHiAx 
von der Leitung der Versammlungen zurückgezogen. Auch V^erf. lernte ihn 
nur als Teilnehmer, nicht als Leiter einer Versammlung kennen tS- 101 Aaia. ■ 
Iieider hOren wir aber diesen Punkt auch in diesem Falle niM 
Niheres, ond doeh iat der Ausgang dee Prophetentoma wie die Frage meh 
dem allmählichen ErlOeehen solcher Bewegungen und den etwa heitte' 
bleibenden Dauerwirkungen psychologisch sehr intereesant, wenn sie la^ 
nicht auf so allgemeine Teilnahme an rechnen hat, wie die Höhepunkte te 
Eraegung. 

Waa nun den Einfluß der Erweckungsbewegung auf den Geisteszatuoii 
der Be^ttlkerung anlangt, so ist es Verf. gelungen darüber Näheres n «r- 
mitteln. Die meisten Anfscblttsee bot ihm ein Beaaeh in der Irtenanstdt te 
Distrikts. Dort erhielt er nShere lahlenmXßige Angaben (S. 181 It). Dit 

Zahl der alkoholistischen Psychosen war wesentlich zurückgegangen. 1901 
betni'^ «ie 10 der eingelieferten Kranken. 1005 12^. Dem entspricht dtf 
Kückgang in der Zahl der wegen Trunkenheit von der Polizei auf 
Straße Aufgelesenen. Es waren 1903 : 10881. lUOl : 10(>S6, 1906 : 8422 and 
1906 gar nur 5673 Fälle. Also ein Rückgang um fast 60 X- Dem eDtsprieU 
ein Ton James in den Varieties of religiona ezperienee mitgeteilter Aii> 
spmeh eines amerikanisoheu Psyehlatera, der angibt, seinen ErfahnmgM 
nach g^be es nnr ein wirklich wirksames Mittel gegen den AlkohoHnsm^ 
wenn es bei den RetreffeiKV n 7u einer religiösen .conven»ion' konjnte, In 
der Tat, der Effekt ist in den ausgebildeten Fällen dieser Art ein ganz bb- 
geheurer, eine vollkommene Umgestaltung der Persönlichkeit, die eine w 
tiefgehende und oft so stürmisch verlaufende ist, daß man als Pi^chologe 
nur staunen kann, daß die mensehlicbe Psyche so ungeheuren, aie yWf 
nmwUaenden Ersehttttemngen standanhalten vermiß, und daa nicht bloß etn 
in ganz seltenen AusnahmerüUen; es hat Bewi^ngen gegeben, in (Irn^'^ 
sie 711 Ifimderten und Tausenden vorirekoniraen siTid Freilich ist die Um- 
gestaltung, so auch die Ileilnng vom Alkohol ii>äuuy nicht immer eine 
dauernde. — Diesem ohne jede Frage — auch die lierichte aus irüiierea 
Bewegungen lassen darüber keinen Zweifel — im allgemeinen momliseb sahr 
wohltätigen Einfluß steht auf der anderen Seite dne SehUd^nng eiaariacr 
ladiTiduen duieh die religiöse Oberenegung nur Seite^ Aber die wir bia- 



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litentnrberielit 



149 



Bichtlich frlihcrpr Bewptrnnfrcti nur 8c!ilocht oder fjar nicht orienn>rt sind; 
im vorlie^^eutltm Fall hegen daf^ej^eu mohrere zahlenmäßige Angaben vor. 
Die Z&bl Uer Psychoaen religiösen Uniprunges betrug 1904 1905 da- 

g&gm ^fC' haiidflt ridi also um «ine niebt vnwMntiidio Steigmuf. 
Alles in allem meint Verf., bleibt jedooh ein edi^lioli«r Obtnohiiß m* 
gxmsten des RUek{;ran^ des Alkoholi-üinn — 

Verf. fragt aach nach den Ursachen dcä großen Erfolges der Bekohrungs- 
predigt in Wales. £r macht drei Ursachen nabmhaft: die von Grund auf 
feliglOM Eniebiuif (es wurde 1tb«rhAUpi im 1& Jahzlittiidert der SolraliiMter' 
lidit in Wales lediglich zn dem Zmoka eingeführt, um die Bibelkenntnis 
zu prninglichen — bekanntlich wo? aurh bei Luther dies Mofiv sehr 
schwer, und er forderte deshalb neben dem Unterricht im Lateinischen und 
Griechischen fUr die höheren Schulen auch obligatorischen Unterricht im 
Helwliielien [An die Bataberren . • . 1C84]), daa dadnreh bedlafle Milien and 
die relifitfae Piidisposition «hr keltischen Rasse. Der Bniehviig schreibt 
er den größten Einfluß, der PiüdispoBition den geringsten zu. Als be- 
sonders wichtiges Moment sieht er die Isolierung der Bevölkerung durch 
ihre Spraelie an, und er hält es nicht fOr ausgeschlossen, dftß angesichts des 
NaeUaaaena dieser Isoüemng die Bewegnng von 1906 die letate ibrer Art 
geweaen ist. — 

Von sonstigen Mitteilungen sind noch intereasant die Uber die Seclcn- 
geschichte einer weiblichen Errwecknngapredigerin (B. 143 ff.) und dann be- 
aondera die Sber eigentflniBobe Fkedi^-Erregungssnst&nde keltischer Oeist- 
lieber -— sie finden aleb natllittdi aneh bei Kvan Boberta bwyl genannt 

Was Verf. darüber berichtet (S. 137 ff.), klingt zum Teil fast, als wenn 
von ZauberprioRtem wilder Völkerschaften die Rede ist (ygl. Wnndts 
Yülkerpsfchologie II, 1 und die dort genannte Literatur). 

Dr. pUL E. Oeaterreieb (B«i1&iJ. 



9) Fraf. Dr. Anna Tumarkin, Spinoia. Aobt Vorlesungen, gehalten an 
der Univrrait ir Bern. — Abbandtnogeu zur Philosophie und ihrer 
Geschichte, herauagog. von R. Falckenberg- Erlangen. 5. Ueft. 
89 S. Leipzig, Quelle und Meyer. 1908. Geh. M. 2.— ; geb. M. 2.40. 

Inhalt: \. Persönlichkeit. Leben. Einflüsse.) II. Schriften. Methode 
und Erkenntnistheorie. IIL Substanz. IV. Substanz (Forts.). V. Attribute. 
YL Der mensebliebe Geist AiTektenlehra. YII Eigentllebe Etidk. Staats^ 
lehre. Vm. Ideal des Weisen. SeU&B. 

Diese Vortrüge bilden den Spinoza betreftenden Teil einer Vorlc^nTir' 
über die Geschichte der neueren Philosophie bis Kant, die Verl. im VV.-8, 
1906/07 in Bern gehalten hat. Sie stellen eine kUre und mit Wärme ge< 
adiriebene, anf voller Saebkemitnis benibende Einleitung in Spineaaa 
Philosophie dar. Auch die wichtige rrn ihn betreffenden Forschungen sind 
hiurcif'hrnd bf rfinksichtigt und namhaft gemacht, um dem, der sich näher 
mit dem Gegenstände beschäftigen will, den Weg zu weisen. Die Arbeit ist 
indessen kein bloßes Referat, die Verf. nimmt zu allen Fragen selbständig 
SteUnng. 

Ihre Absicht ist eine rein historische. 9kt will ein »biatorisch treues, 
ol^dctives Bild von Spinosaa Weltaaaobannng« geben uid war beatrebt, 



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160 



Literatorbericht 



,mit BeimßtMiii aeinen ÄnßenuigeB aii^iidB Gewilt amafn, wgaik 'm 

ikn etwas hinein zn interpretieren and nach nichts so sehr zu etreben. wie 
nach Objektivität der Darstellnnfr' Vorwort'. In diesem Streben und der 
Energie, mit der es durchgeführt ist, offenbart sich die pUudliche Scbiüimgi 
die Verf. in der Schule Diltheys erfahren hat. 

Die Arbeit hält Bich auch vollkommen frei von dem miuderwertigei, 
in Gumde dordune müilBtorisebeii Yerfiüireii, dM Sjrtem eiiiet Dodun 
in eine Snmnie von SinflIlMeii und fiberaommenen Sülsen anftnlllMii. IMe 
SfllMbidigkeit Spinozas ist betont. 

Das Ergebnis ist ein Bild Ton aeiner Philosophie, das von demvilgini 
wesentlich abweicht. 

Die Schrift, deren Gegenstand dieser Zeitschrift zu lern Ifeg:t. nm tsd 
einzelnes einzugehen, sei hiermit bestens empfohlen. Eb muß bedaaert 
wetden, dnß lo tüchtigen Fnmen wie der Verfl die Xiebrtätigkeit an dnt- 
acben Univeraitilten noeb niebt mOgUeh iat 

Dr. K. Oeaterreieb (Beriia)- 



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Literatiirbericlit 



Refeimte* 

1) J. Tarkbeim» Zur FUyehologie d« Oefatei. 8«. 164 S. Leipzig, C. 6. 

Das TorUfligeBde Bneh ist von «inem Hedlriaer geidizIelMn imd handolt 
▼cm dem Witien und Denken als den spesUiiek gebtigen lUd^MteB Im 

Gegen«-\t7 7:u den elementin'n Lebensfunktionon: Empfindungen, GefUlüen, 
Triebbandlangen. Intellifjenz . Geist, Vorstand, Vernunft werden dabei als 
gleichwertige Begriffe gebraucht, und es wird nachzuweisen versncht, daß 
die damit beulelmeteD Anlagen dee Wiesens nnd Denkens nnr der mräadi- 
lichcTi. nicht aber auch der tierischen Seele zugeschrieben werden kSnnen. 
Als ein Hauj)tkeiinzeich(>n dieser Anla^rpii gilt die Spraciie uud die Ich- 
vorstcHuu^::. d. h. die Vorstellung, die das eigene Selbst in hmvnßten 
Gegensatz zur Umwelt setze. Daiä diese Vorstellung aber erst dann vor- 
Imden aei, wenn dae Kind »leb« sage wie der Verf. mdnt iat snm 
miudcäten zweifelhaft So eng iat der ZusaiiiiueuLaug vun Vorstellung und 
Sprache denn doch nicht. Ebenso zweifelhaft ist dir Hobauptung, daß Tiere 
nicht imstande seien. Vorstellungen zu bilden, überhaupt räumliche, zeitliche 
und kausale Anecbauungsloruieu zu erzeugen. Leider versäumt es der Verf., 
eine klare Definition aeinea BegiUha »Toratellnng«, aowie eine gentne psycho- 
logische Analyse des entapreebenden Bewußtseioszustandes zu geben, so daß 
eine Auseinandersetzung mit ihm Uber diesen Streifpunkt nicht gut mOglieb 
ist. Zn widersprechen aber ist der Behauptung. daL> die Tiere wohl Empfin- 
dungen besäßen, dieselben aber nicht weiter verarbeiteten, auch uielit auf 
die AnBenwelt beaUgen. Wie aoU der Hnnd om Ton dem Verf. gebradite 
Beispiele zu wählen — seinen Herrn erkennen, wenn die erregten Siunes- 
empfindungen ohne Bozii hung znr Außenwelt bleiben -' Wie soll das Pferd 
den Zuruf Brr! verstehen, wenn zwischen dem zugerufenen Lant und »einer 
Bedeutung gar keine Beziehung iui Bewußtsein des Tieres angenommen 
wird? Wae aoU femer die Annahme von Aaaoaiationawirknnge&» wenn die 
Yerbindmig von Empfindungen zn Voratdlttngan, ja daa Torhandenaiin einer 
BaumanBchauuTjg geleugnet wird? 

Wenn der Verf. zugibt, daß im Bewußtsein des menschlichen Säuglings 
nichts anderes als Empfindungen und Gefühle — wie bei den Tieren — exi- 
atieren, nnd daß aieb die era^nannlen Seelenanatinde nnr ailmXUieb an 
Anaehannngen und Yoratellungen differeniieren, so gibt er damit ohne wei- 
teres zu. daß ein nllmiihlicher Uberganf' von der Tier- tut Mensfhonseele 
eine psychologische lat-saclie. und daß inl'olgedessen die von ihm vertretene 
ArdÜT fftr P«jcholoßio. XIIL lätcntor. 11 



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152 



Litentarberioht 



Meinung, zwischen Tier- un<l M f>nscheQi»eele klaffe ein tiefer, oniiberbrück* 
barer Riß, eine unhaltbare Annahme eei. Es durfte freilich keine leichte 
Avfgt^Ki Min» ÜBStatiittelleii, auf wd^er Stufe der EtttwieUnng yon den ide- 
deran Seele&fhnktionen zn höheren geistigen Fähigkeiten die Tierseele atelieB 
geblieben ist; jerlenfalls aber nimmt der Verf. diese Stnfp nipdrig an. 

Um den Begriff des Wissens deutlicher herauszuarbeiten , werden vor 
allem die Wege beleuchtet, die zum Wissen führen. £s sind dies deren 
Bvel: die Brfahrang und die Phantaeie. AHer Erfahmnftinh^t teQt licli 
wiederum in zwei Gruppen : in die ürlette und die Erkenntnisse. Urteile 
sind Krc^-ebnisHC der Beobachtunp und bcptmimen die räumlich -zeitliche 
Beziehung der An^^chauungon; Erkenntniae i' dni;* ^'- n sind Erti-ehiiissp des 
Denkens und drücken die ursächliche Beziehung, dun kauaaien Zusammen- 
hasf TOB BeobaelitttBfeK ava. Urteile betraehten daa »Was« und »Wie«, 
Erkenntnisse daa »Warum« der Tatsachen. Wissen heißt dann, Vorstel- 
lungen haben von den Beziehungen der Dinge zueinander T):p planmäßige 
Bewegung ron Vorstellungen und Begriffen wird > Denken« genannt, jede 
gewollte Vermehrung; unserer V^orstellungen »Lernen«. 

Der Unteiaehied der beiden BegrUfe »aieli etiraa deiAenc md »rieh 
etiraa vorstellen« wird zwar gemacht, aber nicht einwandfrei durchgeführt. 
Denn die »Unendlichkeit der Wrltt ist ui^ht — wie dpr \vt(. meint ■- fin 
Ergebnis unseres Denkens, sondern unseres Vorstellens. Haben doch nam- 
hafte Naturforscher als Resultat grüadlicheu Nachdenkens den Satz aufge- 
atdlt, daß die Welt nidit nnradlieh, aondem ein abgeachloaeenaa «ndttdiea 
Ganaea aeL Alao denkbar ist die Welt schon als endlidi, nidit aber ala 
endlich vorstoühjir Ks ist uSmlicb jweierlei, oh ich sage; die unendliche 
Welt vorstellen oder die Welt als unendlich vorstellen. Ersteres ist un- 
möglich, das zweite notwendig. In der Vorstellung ist stets nur ein endlicher 
Bannt; aber die VorBtellnag tat begleitet ▼on dem BewnStaeln, da0 dka nnr 
ein Sttiek dea Banmea aei, daß der Raum sich jenseits der vorgestellten 
Grenze noch weiterhin ausdehne l>t'nn betrachten wir die rors-estellre 
Grenze als deu absoluten Abschlali des liauuiea und versetzen uns in der 
Yoiatdlnng an diese Grenze mit dem Gedanken, daß von da ab kein Raum, 
kdne Welt mehr eiistieie, ae atimmt der Oedanke mit der Anaehannng 
nicht Uberein. Sie läßt nimlieh die aofonommene Grenze nur als ein Hinder- 
nis fllr ein weitere« Vordritu'-oTi srfltfTi nicht nhcr .ils dnp Knde des Raumes 
Überhaupt. Ein bloßes Hindernis aber läüt sich beseitigen, und wenn es 
aneh nur in der Vorstellang wäre. Wir durchbrechen einfach die Schale. 
Wae lat nun jenaeitiP Eine neoe Sehale — dann noeh eine vnd wiedar eine 
und 80 fort ins Unendliche? So kommen wir nicht zum Ziel. Unsere Vor- 
Steilunp- verlangt jedeufnlU oi'nen nnbegrenr.ten unendlichen Raum . einerlei, 
ob es denselben in Wirkhchkeit gibt oder nicht. So ist also die räumliche 
Unendliehkeit niemala Gegenstand der Wahmebmnng, sondern nur ein Pro- 
dukt unserer Yoratellungskraft; aber diese vermag die YoteteUung 
nicht fertig zu crzongen, also die Vorstellang der Unendlichkeit wirklich 
hinzustellen, sondern findet sie bloß als eine Forderung in der Seele. Es 
scheint hier ein Widerspruch zu bestehen, insofern eine räumliche Vorstellung 
stet* endlieb ist, unsere Seale aber die Welt ala endlieb nieht ▼orsnsteUea 
vermag. Der Widerspruch versehwindet aber, wenn man bedenkt, daß tai der 
Vorstellung des Weltrauins die Vorstellung einer Bewegung enthalten 
ist, mittels welcher wir die Unendlichkeit durdimeasen. Eine Bewegung aber 



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Literatnrberieht 



153 



seilt aidi «la Sttteksn siutBimeii, die in der YonteUoof irieder und irieder 
aae]iiaadef|;«teiht wwdett kttnnea, und iwar ao oft wir woUea, oder aolango 
wir TontaUen. Die vorgeeteUte Bewegung liit erat dann ein Ende, wenn 

das Vorstellen selber aufhört. Nan aber kann von einem eigentlichen Auf- 
hören dr? VorstelleuB niemals die Kede sein: wir erleben jederzeit nur Unter- 
brechuügen des einen und Be^nnen neuer Vorist.eliüu^^8verliiufe. Die Beweg-tinp;^ 
kann also in der Vorstellung »o lange fortgesetzt werden, als wir Uberhaupt 
TOfnteUen, d. 1l ala wir leben. DieVoratellnng der rilomliehenUnendliehkeit , 
ist dämm niehta anderea ab ein ankaeaaiTea Ane In ende rf Ilgen be- 
grenzter Benoattleke mit dem Bewnütsein, da0 dieaem Aneinandeiftigen 
keine Grenze gesetzt sei. 

Im Anschluß an die Unterscheidung von Beobachten und Denken yer> 
breitet sich der Verf. Uber die beiden Begriffe Gelehrsamkeit und Denk- 
fähigkeit and bezeichnet als gelelirt deigenigen, der Uber das »Was« und 
»Wie« der Dinge Anaknnft geben ksnn» ala denkfkhig aber den, der daa 
»Wimm«, den genetlaeken Znaammenhang, begnlft. Ben Franen wird awar 
die erstere Fähigiceit sngesprochen, jedoch ihre lündeni ertigkeit im logiaeh- 
kaosalen Denken behauptet An diese Err>rfornTigen fcliIiePf »ich dann noch 
eine dnrcb Beispiele ans dem praktischen Leben erläuterte Bespri ( huii^^ der 
Seelenanlagen: Klugheit, Weisheit, Schlauheit, Dummheit, Naivitüt usw., 
AnsfUhrangen, die zwar intereaaant zn lesen sind, aber wenig neue psycho- 
legiaehe Wahrheiten ««tage fördern. J. Köhler (Lmterbaeh). 



^ Otto Lipmann, Cmiidriß der Psychologie flir Juristen Mit einem Vor- 
wort von Franz von Lisat. iieipzig, J. A. Barth. Id06. M. 2.— . 

Die Id^e Sehrfft iat ala erfreoHehea Zeichen dafttr an begrttßen, daß in 
den Kreiaen der Juristen immer mehr die Obenengnog Yon der Notwendige 
keit psychologischen Stndinma Plate greift. Aus dem Vorwort von Fr. v. Liszt 

seien folgende SUt^e )iervnr?olif>b(»n: »Auch in den weitesten Kreisen dfirfte 
hente die Überzeugung sich eingewurzelt haben, daß der in der Strafrechts- 
pflege tütige Jurist ohne gründliche psychologische laach psychiatrische) V^or- 
bildang seiner wichtigen und schwierigen Aufgabe nieht gewaehaen iat 
gleieh aber aneh die beaehimende Brkennteia, daß ea an dieeer Vorbildnng 
in den meisten FMIIen TtflUg maogelt.« v. Liszt meint dann weiter: »so 
lange nicht der von mir und anderen wiederholt gemachte Vorschlag durch- 
geführt nnd die Abhaltung kriminaliBtischor Fortbildnngsknrso zu einer all- 
gpTDPinf'n und gesicherten Einrichtung geworden igt, bleibt dem jungen JuriMttn 
kein anderer Weg übrig, am sich die ihm fehlenden Kenntnisse zu verschulTcu. 
als der Besuch psychologischer Yorleaongen oder daa Stndlam payehologischer 
Lehrbileher nnd Schriften. Der eine wie der andere Weg bietet eher dem 
Jnriaten Schwierigkeiten, da aie ihn auf ein bisher völlig fremd gebliebenes Ge- 
biet fuhren. Gewiß kOnnen diese Schwierigkeiten durch ein zielbewußtes 
Wollen überwunden werden; aber gar manchen schon haben sie von deui 
B( treten des Weges abgeschreckt oder von seiner weiteren Verfolgung ab- 
gehalten«. 

Es ist nun freilieh kein gerade gUnstigea Zeognia, daß y. Liest damit 
dem juiatiaehen Naehwncha anaateUt, nnd ea muß nna aehr aondeibar 

11* 



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154 



Utenitariierioht 



anmnten, daß dem jnriAtischon Sttidenten besondere Sch^i'erfgkeitflft miolil^ 
WM Ton dem Phüologea im iStaatMxamen längst verUngt wirdl 

a«kr dftmkmBwtrt itt m, difi LIitt Mlbrt flduitte getan bftt, ffiaiem 
Huigel in d«r AmUldnng der Juristan absahelf«. >Di68M BedOrfiiii«, •» 

fiihrt er fort, »nach einer ersten propädeutischen EinfUhrnng in die 
Psychologie hat mich veranlaßt, flir die Teilnehmer meinem kriminali- 
stiscben Seminar einen psyobologiaoben VorbereituDgakursus einaufUbfea, der 
in möglicbster Kflne Iber die Ifediode «ad die Gnmdiwebleiie der Fqrelio- 
logie orientieren vnd nof leloh ttber die pnktiiche Wtohtigkeit der ange- 
wandten Psychologie fllr die Strjifrcchtspflege belehren 8olIte<. 

Aus Anregungen des Herrn v. Liszf f»infi nun psychologische Kurse 
des Herrn Pr. Lipmann hervorgegangen, Uorca wesentlicher Inhalt in der 
▼erliegenden Sekiift wiedergegeben iit Leider aind de aehr kvis. Dl^ 
Behaodluag der Hanp^noblenie der Psychologie iat ao aommarbeli ansgefaUeOt 
daß sie den Fachmann mehr wie ein Autziihlen von Einteilunfren mit einipon 
Erläuterungen anmutet. Dankenswerf if*t das Eingehen des Verf. auf den 
DetenniiÜBmua, es ist hohe Zeit, doü die falschen Voraussetzungen onaerer 
heutigen Strafreehtspäege ttber »die freie WiUenabeetimmnng« belciapft 
werden. Die Solffift behandelt den Wert der Psychologie für den Juristen. 
Wesen der Psychologie. Methode der Psychologie. Die intellektuelle Seite 
dca Seelenlebens Die Gefühls- nnd Willensseite, dabei zugleich die Fragen 
der Zurechnungsfaihigkeit, Schuld und Strafe. Dann folgen S&uimelreferate 
sur Payehologie der Anssage and Tatbeatandadiagnoatik. 

E. Menmann ^Unater L W.). 



3) Dttrr, Die Lehre von der Animerkaamkeit 182 S. Leipiig, Quelle 

& Meyer, 1907. M. 3.ÖÜ. 

Das Wesen der Aufmerksamkrit pi' ht Verf. in »einer T»eBonderen Höhe 
des Bewußtseinpgrades«. in der »Kiariieit, Deutlichkeit, Lebhaftigkeit und 
Eindringlichkeit des im Bewußt^eiu Erfaßten«. Die Bedingungen hierAir 
aind snnlehat im Gegen a tan de gelegen: Kemmt doch der Anfinericeamkeit 
ein gcwi:j8er Um fang ZU, für dessen Bestimmnn^'^ der Verf am ehesten noch 
das W i rtti Hr'iif Verfahren anerkennt. Fillirt doch fempr A^c Übung mVht 
nur zu einer Ucächleunigung, sondern auch ^ur Steigerung des Bewußtheits- 
grades, so daß auch der Grad der »Vertrautheit« des Gegenstandes von 
Einfloß iat Noch wielitiger aber iat seine »Bedeute amkeit«« die in einem 
LtiatgefUhl, in dem aaeoaiativen Zusammenhange und in dem Qrade der Per- 
{•everationstondcnz befrründet ist. — Mit dem Ge^'enstande drr-kt sich nicht 
immer das Motiv der Aufmerksamkeit, da letztere durch starke Hinnesein- 
drtteke, grelle Kontraste, ungewohnte Anblicke, Unannehmliclikeiten, Be- 
wegungen nnd 7eribiderttagen wob! intenaiv angeloekt, aber nldit befriedigend 
beeebiftigt wird. Hiermit im Znsammenhange steht die Wanderung der 
Aufmerksamkeit. Rie wird beptinstigt durch Fcstipkeit in dem assoziativen 
Zusammenhange zwischen Beachtnngsmotiv und -grundlage (Bewußtheitsgrad 
der Inhalte nnd Wiaaen um ihre Beaiehnng bei Stiftung der ABaoziation, Hiafig> 
Iceit iliree Anftretena, Eindentigkeit dea aseoiiati^en Zneannnenhaaga)« hoheft 
Bewußtheitsgrad des Beachtungsmotivs, Fehlen konkurrierender Beachtungs- 
motive, Obergang m angenehmerem oder weniger nnangenehmem Oefhhie 



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LttermturlMriebt 



165 



und Bewußtsein der Beziehung zwischen den aBBOziierten Inhalten, selbst 
-wenn es bei der Stiftung der Assoziation noch nicht vorhanden war. Ee 
ktmolit also «in TÖUkmaaiener FaraUdkmoi iwtoeheB der Wirksamkait d«a 
BeprodnklUMW- und Beacbtnagamottw; danim ^bt es nusli froiateigeiide Be- 
achtungen: das Signal dagegen wirkt dnrch eine Kombination von Repro- 
duktion and Anfmerksamkeitawandemng, so daß die Zeit zwischen ihm nnd 
dem erwarteten Ereignis mit der der Seprodoktion, nicht der Aofmerksam- 
kehawandenuig im ZiUMuninaiiliMige Mm dllifte^ In AnaehloBM U«raB 
wird di« Bttdehniig swischen Wille nnd AnfinerkwwBkfttt erörtert. In efner 
Reihe von Versuchen, bei denen optisch dargebotene Reizwörter bzw. Sätze 
<iie £rfUUung einer Aufgäbe au&Iüsten und zum Teil auch Zeitmessungen vor- 
genommen wurden, ermittelte der Verf., daß da« Beizwort in der Kegel nur 
alt BeprodaklionniiotlT wttkte (»HotiT« mit Beprodnktiottterfolg«): in einigtn 
Fällen stellte rieh einePKoduktion ein, %. B. das Bewußtsein von derPalach- 
heit de? fl-irfrebotenen Satze? »Flöth e mit Pro<inktionBerfolg«), oder der Reiz- 
komplex bzw. die vorher erteilte lustrukti' m Imkte die Aufmerksamkeit auf 
sich (»Motive mit Verdendichongt»- oder beachtungserfolg«). Alle Willens- 
handlongNi 1»veii sieti also auf Beprodnktloikai, ProdnktioneB und Auf' 
merksamkdtBwandemngen auf, so daß eine höhere Form psychischer Leistung 
entsteht. Letftere kommt aber nicht ctwn rhirrh rin Grefiihl oder das Ich- 
bewnßteein zustande, vielmehr kommt es auf die »Möglichkeit Eur ^^ :ihl« an, 
die daon vorliegt, wenn die von einem Motive ausgehende Tendenz durch 
konkorrierande Tradeosen einige Zelt nawirktam gemeeht wird; eo dnß eleh 
ein »Rjchtongebewnßtsein« einstellt. »Wir definieren also die Willenshand- 
lung zusammpTi fassend als eine dnrch RowTif^tPcinnArlr'bnisse oder solchen 
korrespondierende Prozesse im Zentralorgan bedingte LobcnBänßemng, bei 
welcher mit dem anregenden Motiv ein Eicbtungsbewnßtaein sich verbindet, 
die, in Wedwelwirknng mit Tenehledenen jwyeUflelien Dispoeitlonen tretend, 
eine Staonng im Abfluß des psychischen Geschehens bewirkt nnd dadurdi 
den stärksten zu der betrefT' nf1t>n Handlung in Rezielmng Htchenden .Ten- 
denzen' Gelegenheit gibt, erregend oder hemmend sich geltend zu machen.« 
Hierbei versteht der Verf. unter den »Tendenzen« nicht nur die »Uotivwirk- 
eamkelt, sondern aneh das, was Oa von den sngeliOrigen XMipositionen en^ 
gegenkommt«. Bei der willkürlichen Aufmerksamkeit handelt es sieh also 
nicht etwa nm einen Ersatz d^r Motive durch den Willen, sondern um eine 
zentrale Bedingtheit und die Erfüllung einer mehr oder minder bestimmten 
Erwartung. » SckUeßUoh wird unter den psycbiscken Bedingungen noek 
der Stnflnß anderer gleiebaeitig Torhandener BewnBtaeins* 
inbalte erörtert. Selbst wenn diese in keinem assoziativen Znsammenknage 
mit dem beachteten Erlebnisse stehen, kfinnen sie günstig wirk(»n, sobald sie 
unbeachtet bleiben (Erregung angenehmer Stimmung, Verhütung unangenehmer 
Spannung dnreb ttbersekflasige nervöse Energie, Ifliehte Befriedigung des nor- 
malen FnnktionsbedttrfiilBses der Sinne). Tkotidem neigen iikt Erscheinnngen 
in der Hypnose und im Traum, daß an sich kein Bewußtseinsinhalt, der mit 
dem beachteten nicht irgendwie verbunden ist. den Bewnßtseinsgrad des 
letsteren fördert, vielmehr um so stärker beeinträchtigt, je mehr er die Anf- 
merkaamkeit auf sieh selbst an lenken Tennag. — Die physiologischen 
Bedli^fttngen, soweit ihnen idoht unmittelbar Bewnßtseinsprozesse korrespon- 
dieren, verändern schon Z.'ihl und Art der Aufmerksamkeitegegoufitände wie 
— Motive in onkontroUierbarer Weise i ob sie auch noch die Qesamtbewnßt» 



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166 



Literatorberioht. 



scliuhoh« tlt0ii«raii, ist theoretiaeli via pnktiiok bedmtuigilot, da der Wart 

psychischer GoschehniBse nicht hidrvon abhängt. 

Der Betrachtung der Wir knn gen, im Sinne von fonktionell abhlagigw 
Folg-eerschcinnngen, geht elno Kinteilnus' aller pgychißchen Vorgänge Toraos, 
unter scharfer Trennung zwiecbiü psychiflcbc r »Statik« nnd »Dynamik«. 
Jene hat es mit den iertigen Bewußtseinsiuliaiten zu ton und sieht indes 
Empfindangen, Arten dee Beeiehiiiigebewiißtidne und G^liUeik die Gind- 
Uaasen seeliselier Pldiiimneiio. Diese betnehtet den Verlauf von BemBl* 
eeinsproieesen. Nor wenn und weil man diesen üntersohled nielit beaehtst, 
sieht man im Denken ein Bewußtseinserlebnis sni generis, während es «at- 
weder ein einzelner, eigenartiger BcwnCtseinsinhalt 'ptHtisch od^r VeriAüf 
psychischer Prozeaee (dynamisch) ist; in beiden Fällen besteht seine Eigenart 
nor in der ünanschanlicbkeit, in einem BeziehQngsbewQl>tsein ohne za- 
releiiande aatohanliebe Fnndameatieniag; ein so&etigerünterielded nriielMa 
denkendem nnd ▼orsteUendem Erfassen einer Ben^nng bestellt nloht Dss 
nSmUdie gilt vom Urteil und Schiaß: Alle Gedanken ordnen eich als iso- 
lierte psychische VorgHnge den Tatsachen des Beziehungsbewußtseins. ab 
Erscheinnngsformen psychischer Zusammenhänge den willkürlichen Lebena- 
Uu(3erungen ein. Ponitive psychische Wirkungen der Autmerk^amkeit siod 
demnach: Steigerang der EmpfindangsinteoBität, des Beziehongsbewoßtseiss 
(Kriftignng der Frodaktlonsniotlve wie — Dlspodtionen nnd Reinheit dsr 
Weehselwirknng swieeben diesen beiden) nnd der OeAble, det«n Oefenslindsa 
sieh die Anfoierksamkeit zuwendet. Bei unwillkürb'chen BepiodnktieneD 
Bteigert diese die Aseoziationefestigkeit, Gedächtnistreue und ReproduktioTJ*- 
tendenr de? Motive • hni der willkürlichen Reproduktion, wie T elifMis'inßpmiic 
überhaupt, kuiimit uoeu da8 Richtnngsbewnßtsein hinzu und tiewirkt die Auim-rk- 
samkeit eine Bcachtuug der Motive, Erleichterung der Produktiondleiätungdo 
nnd Beieitigang der Störungen für die Weobselvirlning von Motiv nndDispe* 
sition. Eine Besoblennignng kenn die Anfmerksamknit dagegen kOebsms 
bei einem anderen Erlebnis bzw. Stadium hervorrufen, als dasjenige ist dem 
sie zugewendet ist: der höhere Bewußtseinegrad eines Ereignisses kann nicht 
vor diesem auftreten: bei den KompHkationsversuchen und dem Eiuäu&^e 
des Signals ist die Erwartnngsvorstellung, nicht das Aufmerksamkeitserleboi» 
die Hauptsache. — Als negative psychische Wirkungen, d.h. Be» 
eintriiehtigungen seeliaeber Erlebniaie werden beieiehnet die Einengung dss 
Bewußtseini oder die Ablenkung, dniek die aneb die SebwSebnng Ton Ge- 
fühlen, Gedanken usw.. denen sieb die Aufmerksamkeit zuwendet, erklirt 
wird; das näniHrhf ift der Fall bei B(':i' lifnnfr gewohnhcitprti'ißiger und un- 
willkürlicher Handlungen, während bei nutftmafisclien und reüektorischen Vor- 
gängen durch die Beachtung die Funktion der niederen Zentren durch die 
der höheren beeinträchtigt wird. — Die Ermüdungserscheinungen vaA- 
lieb, die Ton der Beachtongadaner abbingen, gehVren nnr ineoweit bierber, 
als sie in einer Fanktionebembeetsuig eines Oigaaa besteben. Von dieser 
> unselbständigen« Ermüdung wird als »selbständige« die Ausscheidung schid- 
liohcr Substanzen nnterBchieden : diepc ist rmo liliy.^Isehe Wirkung, die zun 
Bewußt-^i in kommt oder nicht, mit der Höhe des Bowußtseinsgrades wächst, 
durch willkürliche Aufmerksamkeit stärker erzeugt wird als durch unwilikür- 
liehe. Bei der wiUkUrliehen Beachtung uninteressanter Gegenstände (>konative« 
Anfinerkf amkeit) mnß die Anfinerksamkeit immer wieder dnreb Hotivor die 
niebt im Boaebtnngsgegenatando selbst liegen, emenert werden, was nickt 



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Liteiatarbericht. 157 

ttnr stark ermlld«!;, Miid«m anoh um so vwiiger gvlingt, Je mdir dto Br- 

mfldiuigBeiiipfindang beachtet wird. Zwisdien beiden Ermildangsarten be- 
steht vroh] ein "jewisaer ZoBammenhanf?. abpr dif» nnsclbstHnflirrf tritt doch 
friihtT nul' und bed!ii<:rt die Schwankuii;:en der Aufiiu-rksamkeit, zu deren 
Krkliirung der Verl. sowohl die Rhythmik im vaBomotoriaeben und reBpira- 
toriächüD Systeme, wie die zentrale und periphere ErmUdang heranzieht — 
Ale eintgMinafieii gesleberte physiieheWirkniigeiiMiitrifagaler Art werden 
gensnnt: die Abfleehiug und Beedilemijgimg der Atmong bei willkfiilieber 
Lmehiltnng einer bestimmten Aofinerkaaiiikeitsrichtnng, die Hyperämie des 
tngehörigen Teils in der Großhinirindc nnd Knrperperipherie und die vor- 
Bchiedenen AdaptationBerBcbeinnTifren der Sinnesoriraoe, während eine all- 
gemeine Veränderung des Muöiveltonus nicht erwiesen ißt; immer wirken die 
physischen Folgeerscheinungen zweckmäßig auf das sie heryormfende Erlebnis 
sorttek. 

Von den Tlieorien der Anfinerketmkeit wird die der Hemnmng, eo- 

wohl in ihrer psycholog^ischen (Herbert) wie in ihrer mehr physiologieehen 
FonnulierangiWundt znriickgewiesen; ebenso wird die der Un tersttttzong, 
gleichviel ob diese in einem peripheren Ribot a a.) oder zentralen (G. E. 
MQlIer] ProzesAe gesacht wird, als unzulänglich hingestellt. Und so bekennt 
sich der Verf. snr Ebbinghauisehen Bahnangstheorie, die er jedoch durch 
die Hypotbeee eij^fnsl, da0 jedee toh iwei iMoiiierten md gleiehseitig 
fnnktioiiiereiiden Centn mehrErregongaenergie dnreh Abfluß ▼erllert als dnreb 
Zaflnß gewinnt; die Klarheit ond Deutlichkeit beruht also auf der Eon- 
lentrntion niid DifTerc^nziprTin jr. dif* ^Eindringlichkeit Ottd Lebhaftigkeit auf der 
Art und Groiie der zugehürigeu Krrr;;uiig. 

Den Schluß bildet eine Betrachtung der >Varietüten« der Anftoerksam- 
keit Diese läßt sich einteilen nach ihrem Gegenstande (anschaulich nnd 
mumsehavlieh gerichtete Anfmerkiamkelt) oder Xotive (epontane nnd noti- 
▼ierte, wflikllrlieke und nawiUkllrliehe Aufmerkaimkeit} oder ihrer Wirknngen 
(z. R naittriidie nnd konntiTe Anfmerksamkeit); nach ihren Wesen läßt sich 
dagegen nur zwischen stärkerer nnd schwächerer, länger nnd ki!r7f'r danem- 
der Aufmerksamkeit »nterscheideu; die Trennung von konzentrarivcr und 
distributiver AufmerkBamkeit ist höchstens zur Klassihkation der Individuen 
geeignet, anf tie ist der Unterschied swisohen fixierender und flaktoierender 
Aafmerksimkeit, lynthetlacker nnd «oälytiMber Betmehtnng snrttcksnllUirai; 
beide Untenckiede aind aber weder typiach noch klar. Nene AnfinerlEflani- 
keitidiepositionen lassen sich nicht erwerben, und alle Untenehiede in ihnen 
sind solche in der totalen oder partialen Erregbarkeit des nerv^iprn Zcntrnl- 
organs (Intelligenz hängt von der Aufmerksamkeit, diese von <ier Heilbarkeit, 
diese von der Empfindlichkeit eines Organs ab), in der Beeintiuü barkeit gleich- 
zeitig oder nnmittelbar nacheinander sich abspielender psychophyaiaeher 
Prosesie, in der Babnnngsfidiigkeit nnd Ermüdbarkeit dea Kerrenayatemi. 

Diee der weeentUehate Inhalt dee D 11 r rächen Bnckea» daa reicb an An- 
regungen md feinsinnigen Beobachtungen ist Überall tritt eine selbstUndigo 
Anffn^snng und Bebnndlnnp der Probleme entgegen, die vorhandenen An- 
sichten werden zumeist einer eingehenden und scharfen Kritik unterworfen, 
der einmal eingenommene Standpunkt wird mit strenger Folgerichtigkeit 
durchgeführt Auch daa Streben, stets mit der praktischen Wirklichkeit 
Fnkhing an behalten, wie ee namentHek in den Beiapielen nnd den laUnleheB 
Anwendungen anf die Pldagoglk h ervortritt, erbOht den Beia nnd Wert dee 



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158 



Litentnrberiolit 



▼orliegeadeo Boches. Daß es aber anch zu den mannigfacheten Widersprüchea 
und Einwindea Anlaß gibt, tat bei einem noch so wenig geklärten Thema, 
bd der FOlto der mfgeefcelltaB BypotheMn ud bei dn, wma «neh oft nur 

gelegentlichen fitoUongnahme sn fatfe allen peyebologiaehen Problemen Belbst- 

verständlicb. So dürfte schon die Dürr sehn Auffaseang vom Wesen der 
Aofinerksamkeit nnr wenige befriedigen, äeibst wenn man die Höhe dea 
BewoOdMit^^mdea sieht itt den Wirkungen, aoadetn nt den Konstltaentea 
der AnfinerkwiiikeitTedinet, eiMlilfpft ai« dodi aiidit dM Weeea der letetenn. 

Die Art nnd Weise, in welcher der Verf. die anderen Auffassungen hier ab- 
fertigt, stimmt schlecht zu dem sonst von ihm angewandten Sclmrft<inn. Daß 
motorische Vorgänge und Spannungsempfindnngen nicht som Wesen der 
Anfmerkiamkeit fdriteen, mcbt er an dem üntenoUede iwiaehen einem 
«nfinericBiBien und «nrnflnerlwimea, während des ünterriohte etwa mm 
Fenster hinausschauenden SchUler zu erweben. Dieser Unterschied besteht 
nicht etwa darin, »daß der eine ein paar Spannungserapfindiinpen mehr in 
seinem Bewußtsein hat als der andere«. Wer dies aber nicht zugibt, der 
denke docli in die MSglielikdt, »daß der den Ywtng dee Leloren gegenflber 
mumfinerlEaune SohtQer irgendeinem anderen Oegenelaade in litf ehatem Meli« 
seine Aufmerksamkeit zuwendet. Hinsichtlich des motorischen Verhaltens ist 
zwischen diesem und dem .aufmerksamen' SchUler keinerlei Unterschied zu 
konstatieren. Aber welcher Lehrer würde den beiderseits vorliegenden Tat- 
beetand wirklieb lllr gleidiartig balten?« Der Lflbfer allerdingi nicht, woU 
aber der Psycbeioge, der dae Wesen der Aufmerksamkeit su eifomdien bat; 
ftlr jnnnn kommt 68 darauf an, was aufmerksam erlebt wird, für diesen nur 
darauf, daß aufmerksam erlebt wird. — Daß zum Wesen der Aufmerksamkeit 
das Gefühl gehöre, weist der Verf. mit der lakonischen Bemerkung zurttdc, 
daß diese Anl&aeang »gegenwärtig woU alt eiiM bietorisebe beeeiebnet 
werden« darf, mit der er sich »nicht weiter sn beechäftigen« brauche. »Wir 
dOrten, obno Widerspruch hftlfrrhten zu mUsecn, den Satz aufstellen, daß 
die Aufmerksamkeit sich in Luterechiedcn von Prozessen <]ch Op^renst.ind^- 
bewul3ts6iDs manifestiere.« Es kommt doch aber ganz darauf au, was mau 
unter »OeAU« TerMeht und wie man sein Teridtltnis snm WSkn. luiilaieit. 
Daß z. B. Aufmerksamkeit ein TätigkeitsgeflihI sei, scheint mir Iceineiwegn 
noch zu den ))rrf ifs histori.sch gewordenen Ansichten zu gehören. Allerdings 
stellt Dürr den oatz auf: >Wenn dagegen die Wissenschaft alle Lebens- 
äußeruQgeD zu erklüreo, d. h. als Wirkuugen bestimmter L'rsacheu darzustellen 
sucht, so darf sie nicht mit dem Begriff TItilghBit operieren.« Dieser Sata 
hat aber so wenig Anspruch auf axiomati^che Gültigkeit, daß mit ihm schon 
die Unterscheidung des Verf zwischen ProdnktifincTi odf»r Reproduktionen, 
seine allerdings bereits »historisch« gewordene Irennung von psychischer 
Statik und Dynamik schwer vereinbar ist. — Wichtiger jedoch als die Form, 
in der DU rr andere Anschauungen Itritisiert oder abtvt« ist die Pritfbng der 
H^tbarkeit seiner eigenen Ansicht vom Wesen der Aufmerksamkeit Von 
entscheidender Bodentung ist hier das Verhältnis des Willens zur Aufmerk- 
samkeit. Die Art uud Weise aber, in der Dürr gerade dieses Problem be- 
handelt, durfte zu den grüßten Schwächen seines Buches gehören. Das Wesen 
des Willens auf Omnd derartiger Versuche sn erforschen, scheint mir sehr 
gewagt. Selbst wenn man den Wort der sog. »Ansftageexperimente< oder 
der Versuche mit »systematip-^HtT Selbstbeobaclitnng« noch so hoch anschlägt, 
wird man doch in einem psychologischen Experiment nicht folgende Instruktion 





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Liter»tnrbericht 



158 



il» ndäuig erUbw: »Deaken Sie, wenn das Bettwort enoheint, und beror 
Sie dasMlbe f eleeen haben, es beißt ,den übergeordneten Begriff enchen', 

oder — in elDcm anderen Fall — was die Wortverbindung .libergeordneter 
Begriff zu einem gpfrpbenpn Beerriff' bedeutet. Le?cn Sip dann däs Reizwort 
and halten Sie den Begriü, den das leutere anregrt, und den früheren Ge- 
dtnkmi im BewAteein fest Dm Wort, das Bmen dann elnftllt, mfon Sie 
in diu Sdiailtriohtflrl« Diese sonderbare Instruktion wurde erteilt, am die 
StrebungszustSnde, die »bei diesem Verführen in der Regel softreten«, aus- 
auschalten. Aber der Verf. teilt selbst mit, daß sich bei diesen Versurhcn 
eine »gewisse Schwierigkeit« ergab, den Gedanken an den vom Keizwori be- 
leiebntea Begiiff nad den Godanken »ttbergeordneter Begriff« gteiehieitig: 
nnTerbnnden im Bewußtsein festzuhalten, und so gestattete er in anderen 
Versuchen die Vereinigung dieser beiden Gedanken und verlangte nur, daß 
der übergeordnete Begriff nicht gesucht werde. Die AutV-uliL wurde trotz- 
dem geibät, und die >Protoküliu zeigen, daß die Vp. m der Tat Zustände 
obno SirebnngsbewnOtsein eflebte«; dSaes Ist also »auf die QnalitXt d«r 
Laiatnngen, die durch bestimmte Motive angeregt werden, ganz ohne Ein- 
fluß«. Leider vergißt der Verf. hierbei nnr dfn F.influß der Aufgabe über- 
haupt, wie er in so eiueehender Weise durch die Arbeiten von Ach, Messer 
und Watt festgelegt iäi, mit iu Kechuung zu ziehen; unter diesem Einflüsse 
beümden sieh Vp. bereits in sinsm mehr oder minder deteiminisrten 
Strebnngszusta^xl Im vor das Reizwort erscUen. Auch einen Zusammenhang 
zwischen GefüM iiinl Wille lehnt Verf., wie erw-ihnt rib da ihn newr Proto- 
kolle nicht ergaben, gibt aber zu, daß das Nichtbemerktwerdea noch kein 
Beweis für das Nichtvorhandensein ist. Dieses Zugeständnis genügt, um den 
Wert dieser gamsen Art von Versneben lUnsorlsoh m maehen. Die Frage 
des Zusammenhangs der Willensbaadlnngen mit dem Gefilbl glaubt aber D U rr 
bereits aus allgemeinen Überlegungen >endgt!ltig« zu entscheiden. Hierbei 
wideriegt er unter anderem die etwaige Annahme, daß nur die Vorgänge, in 
denen ein solcher Zusammenhang besteht, als Willenahandlungen zu bezeichnen 
seien, wSt folgendem Argnmimt: »Wir nehmen doeh im allgemeinen an, daß 
der Mensch in seinen Willenshandlungen weniger gebunden ist, als in den 
nnwillkürliclicn psj-chischen Geschehnissen. Diejenigen BewnßtseinsproKesBe 
aber, die außer von gewühnlichen Motiven auch noch von besonderen Ge- 
fBhlswixkungen abhängig sind, mttseen ofTeabar als weniger Irei betraehtet 
werden gegenüber denen, die ohne ChrfttUseinflOBse ablanfen.« Über die Halt- 
losigkeit einer derartigen Beweisführung verlohnt sich wohl kaum noch ein 
weiteres Wort ?.n verlieren; man braucht ja nur automatische und reflektorische 
Vorgänge mit bewußten zu vergleichen, um zu erkennen, daß eher qmgekehrt 
der Grad der Gebundenheit mit der Aniahl der HotiTe -abnimmt — falls man 
ttberhanpt derartigen CnterseUeden i^endwdehen Wert bdmißt nnd de 
nicht als bloß subjektive bezeichnet. Die dritte Möglichkeit, welche der Verf. 
auf Grund Bcincr Versuche diskutiert und der er noch verhältnismäßig die 
meiste Berechtigung zuerkennt, ist die Beziehung des Willens zum Ich- 
bewnütsein. JBriüelt er doeh Öfter die ErklSrnng: »Dieses oder jene» Erlebnis 
eraeheint nns als besonders aosgeprlgte WlUenshandlmig; denn wir fühlten 
uns mit unserer ganzen PerBOnlicbkeit dabei engagiert.« Es leuchtet wohl 
ohne weiteres ein, dnß aus solch vagen Angaben, zumal bei der vom Verf. 
selbst betonten Unbestimmtheit des »Ich« für die Analyse der Wiilensband- 
Inng nichts Zn^erBssiges henraskommt bomerhin wirkt es eigmaitig, wernt 



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160 



litenturbeiiebt 



der Verf. in besag auf aolohe Angaben bemerkt: »Aber daadt iat noeh lug» 
nicht gesagt, dafl die Angabe der Vp., sie habe den zunächst angeregten 

Gcdankenprjintr unterbrnchen, die Behauptung rechtfcrtipt. das IchbewiiPtsrin 
sei dio Uryu« iw- dt^r betreffenden Änderang.« Die Selbßtbeobachtungen sind 
die einzige Grundlage und die einzigen Besoltate derartiger Versuche; wenn 
man aneh ihnen nieht tmnen daii wenn aneb aie noeh einer Kritik nnter- 
logen werdMi dfirftm nnd mtlssen, dann iat die Wertlosigkeit solcher Experi- 
menfe wnTil von ihren eigenen Vertretern mit allf^r nur möglichen Deutlich- 
keit zugegeben, zumal wenn man noch den schon erwähnten Hinweis dea 
Verf. biuzuuimmt, daß das Niehtbemerktwerden noch kein Beweia fBr daa 
Hiehtvoibandenaeia iat Jedenftila haben aie die Analyae dea Wfilena naa 
niehta gefiNiert, und über aefne Bealehnng snr Aufmerksamkeit gibt der VerC 
dOTch seine AuafllhrnncreTi einen nicht« weniger als befriedigenden Anfschloß. 
Der Grand liegt eben in seiner einseitigen Auffassung vom Wesen der Auf- 
merksamkeit. Dai3 diese nicht ausreicht, zeigt aein Buch anf Seliritt und 
Tritt So bei der ErUIntng dee Einflnnea dee Signale. Dieaer aoU dantnf 
beruhen, daß das Ereignis bereits daidi eine gleichartige Voiatellung ante- 
zipiert ist; es hmdolt sich also hierum eine »Kombination von Reproduktion 
und Aufmerksamkeitswaaderung«. Das mag ja eine Erkläraug aein, die allen- 
falls — nach des Kef. Meinung auch dann nieht — genügt, wenn man mit 
dem S^nud aneh schon weiß, waa kommen wird. Dlea Iat dodi aber keine«* 
Wega Immer der Fall; im wirklichen Leben handelt es sich durchaus nicht 
immer um Fälle, die dem wis?pntlichen oder halbwissentliehen Verfahren bei 
paychologisohen Experimenteo, etwa bei einfachen Beaktionsversuchen, ent- 
apredien. Wie oft aneht man die Anfmeikaamkeit jemandee anf daa Kommende 
dnreh ein »PaS anfl« an konsentrieren, oiine daS er aneh nnr eine Ahnung 
von dem hat, waa eintreten wird. Wie in aller Welt kann ee aieh also da 
um einp anteyipierende gleichartige Vorstellung handeln -' Und doch ist der 
Zustand des Erwartenden auch dann ein solober der konzentrierten Aufinerk- 
aamkeit Nimmt man allerdings mit dem Verf. an, dafi »die Anfaierlniamkeit 
aieh nnr in üntetaehleden von Ploaeeaen dea Qegenatandabewnfitaeina mani- 
festiere«, dann steht man solchen Erscheinungen ratlos gegenüber. Wer sich 
aber in solchen Zuständen beobachtet, der wird zugeben rodssen. daß sich 
die Aufmerksamkeit während derselben vor allem im Zostaadsbewoßtseia 
InBert, daß aie hfauiohtUoh dea Gegenatandabewußtaeina gerade dadurch 
charakterisiert aind, mOgllefaat Iceine Oegenatandarorstellnagen im Bewußtsein 
zu haben, dieses gleichsam für das kommende Ereignis aktiv möglichst frei 
zu halten. Ebenso bemüht sich Verf ven^eblich, die offenkundige beschleu> 
nigende Kraft der Aufmerksamkeit zu erklären, d. h. wegzndisputieren. Ge- 
wiß, definiert man Anihierkaamkeit nnr ala eine beaondero HOhe dea Bewißl- 
heitagrades eines Erlebniaaee, dann kann dieaer nnmü^di den Eintritt eine» 
BewuCtseinsinhaltes. irit dem er ja erst gegeben ist, zeitlich beeinflussen, 
dann kann also die Atitiuerksamkeit unmöglich beschleunigend wirken. Daa 
Wesen der Aufmerksamkeit erschöpft sich aber keineswegs in der Höhe dea 
Bewnfiüieitsgrades, ▼ielmehr gehört an ihm ein eigenartiges ZnatandabewnCt- 
aein, daa, wie aoeben bei der Einwirkung des Signale anageflihrt wnrde, aelff' 
wohl den Eintritt eines Bewußtseinsnihnltes beschleunigen kann, und zwar 
nicht tmr, wie Verf will, an einem anderen Inhalt, als dem die Aufmerksam- 
keit zugewendet ist, sondern an diesem selbst Die Erklärung, welche Ebbing- 
hana ftr den Untenohied awiiehen aenaorieller nnd mnaknlirer Seaktton 



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Utorfttarburieht 



161 



gibt, iet demnach durchaus haltbar, zumal, wenn man — wie Verf. Bonderbarer- 
weise nicht tat — die Ach sehen Ergebnisse hinzonimmt; auch nnterscheidet 
ria tMk nieht weMutlieh toh der HftitlntMhen: illeidhigi tatst die Bek- 
peneption bei der sensoriellen Retktioii früher ein all bei der mnsknlSren, 

aber sie iet eben dort von längerer Dauer als hier; letzteres hebt Verf. selbst 
hervor, beachtet nhpr nicht den Unterschied zwiecben der Dauer oinog Pro- 
zesses and dem Zeitpunkt seines Eintritts. Ein fernerer Paukt, in dem sich 
^ Unhaltbarkeit der gleiehasnt allra intellektuUitiedien AnffiMsnag Tom 
Weem der Aufmerksamkeit zeigt, ist die sehldUehe Einwirkung derlefarteren 
aaf die Gefllble. Von seinom Standpunkte aus hat der Vrrf. ilurchans recht, 
wenn er ßag^t : »Was es nun heißen soll, wenn jemand sagen wollte, Steige- 
rung des Btiwußtheitsgrades der Geflihlserlebnisse vernichte diese, das ist 
•eUeehtwdlnge nicht einioeeliea.« Und to erUlrt er denn die gefUiIuer- 
itOrende ¥nrkang der Aafmerksamkelt «1« einen Effekt der Ablenkung der 
lefztfTcn von (Im r.i fühlHmotivon. Ohnf« zu lengnen, daß dieser F;iK-tnr viel- 
leicht auch eine Koüe spielen kann, reicht er doch zur Erklärung nicht hin. 
Warum tritt denn dann nicht die gleiche schädliche Wirkung der Aufmerk- 
iunkeit bei anderen motiTierten ^roseeeen, n. B. bei der Beprodnlttien berror? 
Anfmwkeamkeit ist eben aneh ein eigenartiges Znstandsbewußtsein und mafi 
daher zu andf^ren Erscheinungen des Zustan^l^bewüPf^ein?«. zu dem ja di^ (tf:-- 
fUhle gehören, iu eine ganz eigenartige Bez^ichung treten. Nach alledem 
braucht nicht gesagt zu werden, daß eine Beihe von Ausführungen des Verf., 
%. B. die Aber den ParalletUennie swiaehen der aaaotintlT bedingten Bepro- 
duktion und der Anfmerksamki iti^ .v andernng, einer Korrektur und Ergänzung 
bedarf. Auch (Vie rheorie der Aufmerksamkeit, die der Verf. j?ibt und die 
eine sehr treffende Weiterbildung der Ebbingbausscben Theorie darstellt, 
iat danmaeb ebensowenig ausreichend wie aeine mit dieser Theorie snseiDmen- 
blngeode Kritik nnd Einteilung der AufmerkaenikeltBdtaiKwHionen. — Neben 
diesen prinzipiellen Bedenken sei es gestattet, noch einige Einzelheiten hervor- 
zuheben: Bei der Festlegung des Begriffs >AufmerkBamkeit8umfang< unter- 
scheidet Verf. nicht zwischen dem, was objektiv erfaßt werden kann und 
dem, waa erlbßt wird oder erfaßt werden aoU; ebenao nnfl nntmelileden 
werden swlaehen dem, was wirklich erfafit wird nnd dem, waa hinterlier 
assoziativ orglinzt wird. FUr die Auffassunj' vnn »Form und GröBc« eines 
Vierecks ist es allerdings gleichgültig, aus wie vielen Punkten jede Seite 
dieses Vierecks besteht; soU aber selbst bei einer emiachen Figur GrOße, 
Fiarbenton, Kontnr new. beaebtei werden, dum Iat eben die Aniabl der anf- 
ralassenden Elemente eine viel größere, nnd diese iat fBr den Umfang der Auf- 
merksamkeit maßgebend. Eine Anzahl von Elementen wird leichter und 
richtiger numerisch bestimmt, wenn sie eine regelmäßige Figur darstellen, 
als wenn sie einen regellosen Haufen bilden, weil dort eine assoziative £r- 
glaiang etwa dnrdi die Gleichheit aller oder je nweier Seiten dee Ylereeke 
hinintritt und so <Ue Aalfassungsnotwendlgkeit anf die numerische Bestim- 
munc (ifr KIpmpnte nur zweier oder gar nur einer Seite bpfchrünkt — Sicht 
immer überzeugend wirken die Au«if?i!irungen Uber den Unttr'^t iiinl 7,\si.^clien 
Gegenstand und Motiv der Aolmerksamkeit Läuft doch der Luteraciued 
nach dea Ter£ Meinnng danmf hinana, daß die Anflneikaamkeit dort feat- 
gehalten, hier nnr angeloakt wird. Ein solcher Unterschied, wie er / B bei 
der Annehmlichkeit und ünannfhtuli* I kpit pine^ Objektes vorlip^t di rkt nich 
aber kaum mit dem von Gegenstand und Motiv. Daß Übrigens der Kontrast 



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162 



litentuberieht 



aaeh die Faßlichkeit von Eindrücken erhübt, Boheint mir durch die Aus- 
tShtmgm d6B Verf. nidit wldeil^; lie hcIiiimiii auf dto einaehlSgigen Beob- 
Mhtmigeii BanBchbnrgs keine Bllekaidit; auch daß 4aa BvmißtMiii dar 

Gleichheit oder Ähnlichkeit eo schnell und leicht entsteht wie das des Kon> 
traetes, wird man kaum zugeben kiJnnen. — Sehr weit, vielleicht allzuweit hat 
sich der Verf. in das Gebiet der Physiologie gewagt, üo beim Einfloß der 
Anfmeifciaiiikeit aaf die Ataauig, bei der EridMnug lokaler peripherer Bjper- 
imie durch Beachtung einer Stelle der KSiperobeifllehe, bei der Znrlide- 
fuhrung der Scliädij^ung. welche die Konzentration der Aufmerksamkeit für 
die Beachtaug anderer Inhalte hat, auf Anämie infolge der Hyperämie an 
der durch das Aufmerksamkeitserlebnis in Anspruch genommenen Partie dee 
Zentraloigaas xuiw. Die Nerren* imd Himphysiologie ist lehott so reieh aa 
Hypotiieeen, daß ihre Zalil durch Psychologen kaum aoeh Termehrt zn werden 
braucht — Auf weitere Kin7p!heiten noch einzogehen. würde aa weit führen. Das 
Antrefiilirte genügt, um li^n Beweis zu erbringen, daß diese dankenswerte 
zufiammuu lassende Darüteiluug eines der schwierigsten und fandamentalsten 
peyehologiaeliea Tbeaiata leleh aa Aaregnagea let, so deaen Ja mein ali die 
Zaatimmvag der Widerepfoeli gebOrt Arthur Wres ebner (ZUrieh). 



4J Oskar Kramer, Zur Untersnchoag der MerkfäügkeitGeenader. Kraepelina 
Fayehologiiehe Arbeiten. 9. Baad. S. Heft. 8.288—891. Leipalg, 
Wilbeba Engehaaaa. M. 6.^. 

Kr am er hat die Untersnchnngen Uber Merkfähigkeit, welche früher in 
Kraepeliae Laboratoiinm*voB Fiaai nad Wolftkeht aateraoannea waiden, 

fortgesetzt, hanptiKftMich in der Absicht, einige Abweichungen, welche sich 
in den Schwankungen des GetiitrlttnisBes hei Finzi nnfl Wolfskehl ge- 
funden hatten, aufzuklären. WoUakehi hatte im Lnicrschiede Ton Finsi 
gefunden, daß die Zahl der richtigen Fälle bei dem Herken nicht soglelcb 
nach dem Eiadraek aawllcbet, sondern ia der MelirashI der FUle (drei ▼ob 
ftinfj sniütelist abnimmt, nm erst nach einer mehr oder minder langen Pause 
wieder anzusteigen. Besonders deutlich trat das hervor hei den kranken 
Vp. von Wolfskehl (Tobsüchtigen}. Kramer stellte sich die Aufgabe, mög- 
iichtt genan den seltifolien Verlauf des Vergeesens (Bebaltens) ein&eher Ein- 
drOoke, die wir ans snm Zweek des Bebalteas eiageprigt beben, festsasteUau 
Als Material znm Einprägen dienen wie in früheren Versuchen Einprägnng 
slnnlna 2;nsamrnen*rcstcllt('r BiichBtaben Die Reproduktion einer Buchstabon- 
gruppo fand nun in wachsenden Zeitabschnitten nach dem Verschwinden des 
ersten Eiadnieks von je 6 an 6 Sekunden statt, und die Prüfungen der Mok- 
mbigkeit wurden siemlieh lange ansgedelmt Finzi hat die Merkfähigkeit 
nur untersucht fUr 2, 4. 8. 15 und Sekunden. Wolfsk. hl nur fiir 5. 20 
und 4ü Sekunden. Krämer setzte die Untersuchungen in Zeitabetofungeu 
von je 5 Sekunden fort bis zu i)ö bekunden. 

Der Apparat, mit welebem die Buehstabengruppen knrse Zeit siektbar 
gemacht wurdea, war ein Pendeltachistoskop, d. h. im wesentlichen einePeadel- 
vorrichtung, hei welcher auf dem tiefsten Stande des Pendel« zwei Spalten zur 
Deckung kommen, nämlich der i^endelspalt, durch welchen man ein in dem 
zweiten hinter dem Pendel befindlichen Spalt eingestecktes Kärtchen mit Bach- 




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Literstorberioht 



163 



Stäben erblickt, das Pendel schwingt dabei yon rechts nach links, damit die 
Buchstaben in einer dem normalen Lernen entgeg'engesetzten Richtang' sicht- 
bar werden. Es sollte dadurch das Auswendiglernen von Bachstabenreihen 
ueh HOglidikdt enehw«tt wwden. DIm enriM aich im Laufe der Versnche 
allerdings als notweniUgf denn troti dies« Anoidnnng lenitm die Yp. mandie 
BuchstabengTuppen auswendig. Die Täfclchen mit den Buchstaben enthielten 
jedes in Schwarzdruck neun Buchstaben von 3 mm Hübe und 2 mm Breite. 
Diese Blättchen wurden über den Ausschnitt kleiner Kartontäfelchen geklebt, 
•o d«0 die diifeb*ehein«ide freie Fiiobe 2 qom betrog. Die Tp. iMobaditates 
die Bnohstaben im durchfallenden Licht. Im ganzen wurden III Bnebstalieii- 
tafeln verwertet. Die Spaltweite des Pendels, welche im Durchschnitt znr 
Anwendung kam, betrat? bei kürzester SchwiTicnne-Bdauer des Pendels 2'/s cm. 
Sie mußte jedoch iiir üine Vp. später bis aui 7 cm herabgesetzt werden, wegen 
der eiagetreleiien Obmig dee AufftuimgeTennOgemk Mit HUISb eiser Zeit- 
meienng durch Stimmgabelschwingungen wnrde festgestellt, daß die Ex- 
positionszeit der Tüfelrhen bei der gewöhnlichen Spaltweite von 2,5 cm girich 
55000 Sekunden war. Kür die vorhin erwähnte sehr geübte Vp. verminderte 
bie Bicii auf löOO Sukundeu. 

Es wnrde nnn in fünf Verraolurellien pUnmifiig mit auftteigenden nnd 
absteigenden Zwischenzeiten zwiacben dem AnlTaasen und dem Prttfien dea 
Herkens gewechselt. Die Prüfung erfnlgtf durch ein Wi-^rlr^rerkennungs- 
verfahren, indem die Vp. auf einem vor ihr liegenden T&felchen die gelesenen 
Buchstaben mit dem Finger bezeichnet. 

Es seien bier nocb laus die Efgebnlsae maammengesteHt. 1) Wae die 
Anffassunf^versuche betriff^ d> h. diejenigen, bei welchen die Vp. ohne Pnvae 
sofort nach der Exposition angegeben hat, was sie niit'ir«^faßt hatte, so ergab 
sich nnr im allgemeinen im Verlauf der AusfUhruugcu der Versuche bei sämt- 
lichen Vp. eine gewisse Verbesserung der Anffassnng durch die Übung. 
S) Merkversoebe. B«i dieaen bandelte ea aieb also dämm, den Qaag der 
Mcrkfilhigkeit, d. h. der richtigen nnd falschen Augabeu bei dem Merken im 
V? r'riltais zu den Gesamtaugaben bis zu 95 Sekunden, in Abschnitten von je 
ö Sekunden zu verfolgen. Die sämtlichen Einzelergebnisee werden in Tabellen 
mitgeteilt nnd die Oesamtangaben nachher in Suren ▼eranscbauUcbt Ana 
beiden ergibt aleh ein weUenfilrmiger Verlnnf der MwkfXhigk^t naeb dm 
Zwischenzeiten, der aber wahrscheinlich durch viele ZnfUlIgkeiten beeinflußt 
ist. l>ie individuellen Unterschiede der vier Vp. zeigen geradezu gewisse 
Typen des Mt^rkens; während die Leistung der Vp. 1 sehr hoch nnd mäßig 
zuverlässig ist, sind die der -Yp. 8 am geringsten ud wnnTeiÜtBaigaten. INe 
der Yp. 8 aiemlieb boeb nnd mißig snverliaaig, die der Yp. 4 niebt aebr 
boebt aber sehr zuverlässig. 

Wir sehen hier, daß ähnlich wie in den Untersuchungen von Finzi die 
Erscheinung hervortritt, daß sich individaelle Eigenschaften des Merkens in 
der versobiedenartigBten Weiae kombinieren kSnnen. 

Aneb die Übmigsfortaebritte der Yp. waren aebr verscbleden. Femer ist 
die Art der Auffassung verschieden, bald tiberwiegt die Auffassung dnreb 
Sprachvorstellnngen. bald etwas seltener) die durch Gesichtscindrückc 

Vergleicht mau die von Kramer gewonnenen Ergebnisse mit denen von 
Finzi, so zeigt sich, daß der Yerianf äm Kurve des Melkens bei den Yp. 
beide Haie ein verscbiedener ist WibreadFinsi Iknd, daß der Umfing der 
Einpiigong am grVßten ist naeb 8—30 Sekunden, die ZuTerlilssIgkelt der 



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164 



Utentniberielit 



Einprägang schon früher, nämlich meist nach 4—15 Sekunden, am größten ist, 
und daß spater heides wieder abnimmt, stellte Kramer den Satz auf: »daß 
zwar der Umiaag wie die Zuverlässigkeit der Einprägang nach dorcbschnittlich 
10^16 Sekondeii ein Haximqm seigen, daß dttm aber der Yeiliiif der Unk' 
karwt tiA tanAßteit m sein eeheint» iuofeni weiterhin die Knire nicht lang- 
sam abfällt, sondern einen onrepi^elmäßigen welleufürmigen Verlauf nimmt. 
Während dessen eine große Anzahl von Maxima wiederkehrt, die die Höhe 
des ersten Maximums nicht nur erreichen, sondern teilweise Ubersteigen 
können, deegleiehen YerlKoft taeh die Fehlwkvnre nleht In etner sn> 
•tagenden Uni«, eondetn seigt vielmehr IhnUehe Bdiwanlnuifen wie die 
Iforkkurve«. 

Den Ergebnisppn von \\d ; k i li 1 , welcher bei drei unter fünf Pereonen 
gefanden hatte, dali das Merken zunächst abnimmt, um später wieder anza- 
steigen, entspricht das Verhalten keiner Vp. Ton Krämer, Tielmehr atimmt 
er in diesem Pankte dem Resultate von Finti bei, nach welchem die Kurve 
des Morkt'UB im allgemeinen mit einer ansteigend rn T,inie be<?innt. Eine 
ÜbereinHtimmung mit Wolfskehl liegt bei Krämer darin, dal3 die zahl- 
reichen Schwankungen des Merken» bei beiden auftreten. Oder kurz gesagt: 
IMe Knrre des Herkene beginnt mit ebnem Anatieg, sie TttrlBnft nicht in einer 
geraden Linie, sondern in nniegehnSßigen Schwankungen, die bis m 96 Se- 
kunden noch keine Neigung zum Sinken anfwpi<5er) Umfnnrr und ZaverlSssig- 
keit der Mcrkleistungen sind in weiten Grenzen voneinander unabhängig. In 
bezog auf die Frage, ob das Merken mit Gesichtsbildem oder mit Sprach- 
vfwateUnngen oder mit bdden HilftmltMn gemeinsam daa anTeiUeaigste iat, 
konnte Kram er niehti beetimmtea featstellen 

£. Meamann (MOnater i. W.). 



5) Stephan Witasek, Ober Leaen nnd Beaitierea in ttren Bedehnngon 
snm GedSohtnis. Zeitsehrift ilbr Pfejchologie. Band 44. Heft 9. 
L Abteihing. 1907. 

Bei den gewOhnUohen GedlohtnisTereiiehen, in denen man darani ana- 
geht, die Oediehtnisleistung zn messen durch die Anzahl der Wiederholungen, 

wplchp wir beim Neniprnen und beim Wiedererlernen aufwenrlcTi mfiPB^n, 
kanu man die Beobachtung machen, daü erwachsene Vp. in der Kegel b< iion 
naeh wenigen Lesungen des GedKohtniestoffes dazu übergehen, sich den Stodf 
eelbat in ttberhttren oder irfnen Yernndi anm Anfragen an machen. Infolge- 
dessen sind die Wiederholungen durchaus nicht gleichwertig fUr das Gedicht* 
nis, es ist von vornherein zu vermuten, daß ein solrhf^r Versuch «ich selbst 
zu Überhören, eine andere Wirkung auf die Einprägung des Gedüchtuifigtotfci» 
hat als daa ein&ehe AUoMn. Witaaek hat nnn Terauoht, durch besondere 
Eiperimente an kontrollieren, ob daa Lernen nnd der Veraneh snm Heraagen 
gleichwertig sind für die Einprägung eines Gedächtnisstoffes (das üersagien 
nennt Witasek Rezitieren oder Rezitation^ Er macht darauf aufmerksam, 
daü schon die allgemeine Erfahrung dagegen spricht, daß Lernen und iier- 
aagen gleichwertig sind für daa Gedächtnis. Seine Frageetellang ist in ge- 
naner Form die folgende: »Ein Gedlehtniiatoff prltgt aleh dnreh wiedetholte 
Lesungen immer mehr und mehr ein, die £iapi%ung kann dann einmal so 
weit fortgeBchritten sein, daß eine Bealtation gerade eben ohne oder etwa 



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Lltmtnrberidit 



165 



mit einer gewissen Nachhilfe gelinget, wenn dann zum weiteren Einprägen 
an die Stelle von Lesungen freie, wenn nötig, unteratutzte Bezitationen treteOi 
welehm Erfolg hat dies, mit snderai Worton, wie T61I1IUI lidi dicM Lem- 
welaa sa der dweh Leeungen?« 

Die Versuche Witascks wurden ganz nach der Art der gewöhnlichen 
Gedächtnisversuche au«get*ilhrt, alä Stoffe dienen Reihen sinnloser Silben, 
nach den Vorschriften von Müller and Schamann zusammeagestellt Als 
Apparat wurde der GedKehtniMpiMUtmt too Wirth ia der f e i l M wertwi Kw- 
stndction iMnotst. (YgL Philosophische Stadien. 18. 8. 707.) 

Die einzelnen Silben wurden mit dem GedUclitnisapparat der Vp. mit 
einer Zeit von Je einer Sekunde dargeboten. Die Vp. hatten sie in einem 
trocbäiscben RbythmoB laut abzalesen, das Rezitieren geschah ebenfalls laut 
und in dem gleichen BhTllniiu. Die Tempo wurde jedoeh dabei der Yp. 
anlieimgeetellt 

Nun ist es klar. (l:iß di'^^c« Verfahren die Schwierigkeit mit sich bn'njrt, 
das Aufsagen ^Rezitieren, in genauer Weise zu regulieren, dies sucht Wita- 
sek daicb folgende Methode zu erreichen. Wenn die Vp. bei dem Auf- 
•ageveneeh «n einer Stelle eteeken bHeb, eo wurde ihr nmlchit bie m 
10 Sekunden Zeit gelassen, damit sie sich besinnen kSnne. Wenn ihr dnnn 
noch die richtige Silbe einfiel (oder eine falsche? und ausgesprof'li^^n wurde, 
so wurde dieses im Protokoll notiert, und zwar, wenn 6 Sekuntien bereits ver- 
flossen waren, unter BeÜtigung eines vorangesetzien senkrechten Striches. 
Wenn die 10 Sekunden ▼eigiagen, ohne daß die Vp. ebie Silbe nnsepmeh, 
eo wnrde ihr die richtige vorgesagt. Die Vp. hatte sie noch einmal nachzu- 
sprechen und dann im Aufpatren tortziifahrPTi T-!rachte die Vp., gleiehp^ültig, 
oh im Tempo oder nach einer Pause des Machdenkens, eine falsche Silbe vor, 
so nannte auch dann der Versuchsleiter, natttrllch unter Protokolliernng der 
feliohen ffllbe, iofort die liohttge. die Yp. hatte eie einmal naehsuapreehen 
und dann fortsufahren. Man sieht also, daß das Aufiugeverfahren ein aku- 
stisches war, und daß die Korrekturen und die Hilfe auf akustische Weise 
durch den Versuchsleiter dargeboten wurden, der Grund, weshalb der Ver- 
fasser die Silben nicht optisch dargeboten hat, aeheint darin gelegen zu 
haben, daß hierbd Mdit gtOflere Störungen auftreten konnten. 

Wenn daa Behalten geprüft werden sollte, so wurden »Prüfnngsrezitationen« 
verwandt, und zwar in ganz jiiüilicher Weise wie bei den Aufüap^eversnchen 
beim erstmaligen Lernen. Das i^acbprUfen der Einprägnng einer Reibe leitete 
Witaaek dadnreh ein, daß er der Yp. die Anfangeailbe nannte. Die Vp. 
hatte eie an wtodeiholen und dann mit der ganzen Beihe fortenlahren, ee 
wurde also der Nachprüfung keine neue Lesung der Silbenreihe vorangeschickt. 
Diese erste Rezitation gab durch ihre zeitlichen Verbiiltnisse und die Zahl 
und Art der erforderlichen Hilfen bereits ein Maü für die Festigkeit, mit der 
die Sübenreihe eingeprägt worden war. Bieranf folgte, woin ea nOtig war, 
ein aweiter Henagevereueh naC, b!a die Beihe ohne ffilfe im SAnnden- 
tenpo herfTcsap-t werden konnte. 

In dieser nicht gerarle »ehr fientüchpTi Sehilderung des VersuchevertabrenB. 
die wir hier fast würüich nach Witasuic wiedergeben, tritt hervor, daß der 
Yerftaaer nach dem aogenaanten abbredienden Yerfidnen bat lernen laaaen, 
d. h. darch die Einschiebung der Yeianche zum Aufsagen wurde erreicht, 
daß die Vp, nicht imm^r weiter lernten, bis sie das Gefühl des Auswendig- 
könnens hatten, sondern es wurde schon vorher mit dem Aufsagen eingesetzt 



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166 



Litcraturbericht 



Hierbei ISßt sich dann die allmShliche Zanabme des EinprMgens der SUben- 
reihen in dea aafemaaderfolgenden eioaelnen BerMgereranoheii denUieli Ter» 
folgen. 

E« sei liier bemerkt, dsB ieh diene YerfidireB dee abbfeebendea Ltmena 
BDm Nachweis« der individnellen Anpeaenug der AvinttlEeuilKelt adum vor 

"Helen Jahren angewendet habe. 

Unter deu Vorsichtsinaßrefjeln, welche d^n Vp. eingeschärft wurden, war 
die wicbUgstO wobl die, daß sie nicht ohne besondere Inntroi&tion von dem 
Leeen sinn SieheelbetHberliOfeii (Ibergeben sollten. Hieria liegt natüifieh Muh 
eine Fehlerquelle der Yerenehe, denn die Frage, ob die Vp. dieee Instmkticni 
g:enau befol^jen, ist von entseheidender Bedeutung' fllr da« Resultat der Ver- 
aucbe, und man ist dabei ^«tiz auf die e!V*'ne Konfmlle der Vp. angewiesen. 

Der äußere Versachsplaa besteht darin, dab Witasek die SUbenreiheB 
teile mir dwoh Leraag, tellf ditreli Lesung mit sieh ansobUeDeBdesii mter> 
stBtsten AnfiMgerersneb lernen ließ. Im {^ranzen wurden zwölf Konbiiationeii 
von Lesnn(:;'on und Rezitationen benutzt. Wenn mau die T p-^unfrcn mit latei- 
nischen Zahlen, die Hersagoversuchu mit deutschen bezeichnet, 80 lassen Stell 
diese zwölf Kombinationen folgendermaßen darstellen: 

VH-0 VI + 10 VI + IÄ 

XI -H 0 XI -H 5 XI 4- 10 XI H- 1& 

XVI +0 XVI + 6 XVI -MO 

XXH- 0 

Diese zwOlf Kombinationen wurden dann wieder gemischt, so daß die 
Vp. Hiebt waßten, welebe Kombination jedeemal an die Beihe kam. Im gaaam 
arbeitete Witase k an sieben Vp. Die Ergebnisse sind zum Teil sehr mannig* 
faltiff und r.nm großen Teil von rein psychologischem Interesse. Ich greife aus 
ihnen hauptsächlich diejenigen heraus, welche auch pädagogischen Wert haben. 
ZnnMchst ergibt sich aus deu Versuchen, daß die ersten Lesnngcn für das 
Gedlehtttia bei weitem den grttSten Einpiignttgawert haben. Fener ergibt 
sich, dafi daa Hersagen oder Rcaitierea im allgemeinen einen viel größeren 
EiTiy>r'it'i!no"swert hat als dn-^ T n°f'Ti. Daran? folgert der Verfa-sser zunächst, 
daß es für die Ükouomic dea Lernens vou größter Bedeutung ist, ob ein 
Lernstoff bloß durch Lesungen oder durch irgendeine Kombination von 
Leanngen mit Heraagevenmehen eingeprSgt wird, nnd femer ist ea nicht 
gleichgültig, in welcher Weise Lesen und Rezitieren miteinander kombiniert 
werden. Hierbei wirft der Verfasser die Frage auf, woher »'s knnimt, daC 
das itezitieren einen weit größeren Einprägungswert bat als das Leacu. Man 
Uinnte natttrlich Termuten, daß dies ddier komme, daß wir bei dem Hersage- 
Terancb ^en höheren Orad der Attfinerkaamkeit aufwenden ala bei dem 
bloßen Lesen. Der Verfasser ist aber der Ansicht, daß die Überlegenheit 
des Einprägnngswertes der ReTiitationen auf diese Weise nicht genügend er- 
klärt werden kann, es komme vielmehr nach seiner Ausicht noch ein anderes 
Moment Uasn, dem man dUe Yeiaehiedenheit der Einprägungswirknngen zu» 
rechnen kann, nSmlich daa >waa man an psyehiaeher Arbeit in eich leiatet 
und verspUrt, wenn man mit größeren oder geringeren Anstrengungen sich 
auf etwas besinnt. Dieses sich Besinnen fohlt natfirlieh beim bloßen reinen 
Ablesen ganz, es ist dagegen charakteristisch für das itezitieren, indem es 
eich Ton den geringen Ua an den hOhtten Einprägungsgraden dnreh Übnng 
ans schwerer Arbeit bis an lelohteatem Gelingen entwiokelt«. Witase k meint 
alao, daß dieses aktive aidi Besinnen etwaa gana Besonderea ist, nbgeeeben 



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litenturbeiieht 



167 



▼OB der Aiiip>iiBTing der AmfinerkMiiikeit^ und daß flmi die grOßera B«- 
dentoof ftr die Gadiehtiiis snkonne. Wm di€0M aidi Beflinacn eigenttteh 
MiBor psyohologisehen Natnr mdi ist, darüber spricht sich der Yerfiuww niolit 
aas, er meint, das zu erforechen sei eine besondere Aufgabe. 

Die Resultate seiner Arbeit hBt Witasek selbst folgendermaßen zn- 
samrapn in abgekürzter Form wiedergegeben) : 1) Von den aafeinandertolgen- 
dea Leäangeu eiues Stoffes haben ungefähr die ersten sechs den größten 
Etnprägongswert, bei den foli^den ainsit dieae »mXehat itaik, dann weniger 
ftark ab. 8) Ebenio hat die ente Beaitaftba den gfOBton Efapiifugawert^ 
dann ninunt dieser stark ab. 3) Die Rezitationen sind den Letongen an Bin« 
prägungswert im allgemeinen weit überlegen. 4) Der £inpriigangswert einer 
Kezitation ist höher, wenn die Assoziation, auf di ' ato verHtärkend einwirkt, 
früher nicht bloß durch Lesen, auiKU rn durcii Leteu und llersaL^i ti f^ebildet 
worden war. Besonders wichtig ist nun der nachate Punkt: 6) Je hüber der 
Einpriigaugsgrad einer Aaioiiation ist, desto giOßer Ist der Einprägonga- 
▼eilut, der infol^ dee Y er ge es e ns In der Zelt nnmlttelbar naeli der Er* 
wexbnog der EinprSgnng snslaade kommt Daher werden solelie SUbenreihen, 
die nicht bloß durch Lesen, sondern auch durch Hersagen besonders schnell 
erlernt worden sind, auch relativ schnell wieder vergessen. Dieses Resultat 
steht in Übereinstimmung mit der Beoha« htuug, die ich oft schon gemacht 
habe, daii besonders schnell erlernte öübeureihen in der Regel auch relativ 
sebnell yergessen werden, nnd daß die hOhete Anipaannng der Aalbefkiam» 
koit nnd des WiUene swar woM daan fttlirt, daß wir seiineller aom entmaligen 
Aaswendigkünnen gelangen, aber nicht dazu, daß wir aodi besonders irnt 
behalten. Das Behalten hängt vielmehr hanpteäclilich ab von der Zahl der 
beim l ernen aufgewandten Wiederliolunjren Hieraus sieht man besonders 
deutlich, daß der Begriff der Ükonouji*' den r.crneng ein verschiedener ist, 
ie nachdem, welches Ziel des Lernens man ins Auge laßt. Für ein bloß ein- 
maliges AaswendigkßnDen ist also eine Kombination iwiseben Lesen nnd 
Rentieren am meisten Okoaomiseh, dagegmi dnrclians nSekt flir daa daaemde 
Behalten. Es kommt nun hinzu, daß Schulkinder, namentlich die jtlngeten 
Kinder, beim Lernen eines Stoffes in der Regel bis 7nm Schluß des Tremens 
sich ganz an das Lesen halten und jedenfalls sehr viel weniger zum sich 
selbst Überhören Ubergehen als die erwachsenen Menschen. Daher ist daa 
Ergebnis von Witasek für die Pädagogik des Lernens überhaupt von 
aweUbUmilem Werte, nnd man müßte erst dmial dnrek yergleiehende Yer- 
snehe feststellen, ob wirUiqh anek für Klndiv die KomUnatlon von Lesen 
nnd Beaitiaren aweekmüßig Ist £. Henmann (Hflnster 1. W.). 



6J Walter J ackson , Ober das Leroen nnt äußerer LoküliBation. Zeitschrift 
fttr Psychologie. Band 'M. Heft 1 n. 2. 1. Abteilung. 1907. 

& ist dne bekannte Erfahrung, daß wir nicht selten eine Stütze fUr unser 
Getfchtnis darin suchen, daß wir uns die Stelle in einem Buche merken, 
an welcher ein bestimmter Gedankengang oder z. B. p:e^vi^A^,e JuhreB2,abien 
oder Vokabeln vorkoinmen Wir bilde u dann beim Lesen eine Assoziation 
zwischen dem Leaestoö und der Stelle in dem Buche, an weleker er vor- 
kommt Es ist schon Ton UttUer nnd Sebnmann nnd spiter von Hüller 

ArdüT fftr Psycbolofi«. XIIL LiUnUr. Iß 



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168 



liHttntuHMfioht» 



und Pilaeoker und von Ogden nachgewieseD worden, daß wir uns beim 
Lesen von Reihen sinnloser Silben amh di« Stalle (»Absolnta Stelto«} der 
eiaaeben Silben merken. Naeh Mttller nnd PiUeeker aoil alok dieaer 
EiaflilO in dreifacher Hinsieht geltend machen können: 1) >Es spielen die 
nnmeriBchen Vontellangen (die Ordnang-szahlen! der Stellen innerhalb der 
Keihe eine Rolle, 2} Die Silben sind assoziiert mit den visuellen Papier- 
atrecken, die sie Tom Aaluig und vom Ende der Reihe trennen. 9) Der 
ESnllnS der abaeluten Stalle grfltadat alok auf die kialstheliMk nnd aknatiaek 
nabmehmbaren Nuancierungen der SilbenauBsprache.« Damit Bind die haupt- 
sächlichsten Arten der Lokalisation »n^eg^pben, auf die Bich nnsfr Ofdüchrnis 
stutzen iLsan. Man kann sie kura bezeickneu als vtsuellti und räumliche Lokaii- 
aatioBea, finaer ala aknatlaok notoiiaeke Nomerieningen und MdUek aia 
apraaUieke Nnandemagen. Ogden beobaohtete anlterdem, daß eine Tp. 
die Silben einer Reihe mit ihren Finj^em in der richtigen Reihenfolge asso- 
ziierte. A. Pohlmann hat ebenfalls festgeBtellt , daß die absolute Stelle 
einen Einfloß auf das Behalten hat (Foblmann: Experimentelle Beiträge zur 
Lehre wom GedXehtnia, BerUn 190S). Dfo Frage, in «eloher Wetoe nnn daa 
Lekaltiieren, a. B. das Merken der ftiifieren Stelle im Raum, an der wir dnen 
bestimmten GedUchtnisstoflT wahrgenommen haben, Einfluß gewinnen kann auf 
dasLoflon, I-ißt sich nun nach sehr verBchiedenea Seiten hin genauer untersuchen. 
Jakoba hat zuerst eine Frage borausgegriffen, indem er den Einfluß der 
infierani rinadidieB oder, wie er knn aagt, dar inOeren LokaWsatien bei 
aknatiaek kerheigefiihrtem Lemmaterial genau untersuchte. Er bMekziakt 
Bich in der vorliegenden IJntfTBurhniig (die, wie es scheint, später noch mehr- 
fach fortgesetzt werden »oll., darauf, das Lernen bei iinßerer T.okaÜHatinn zu 
vergleichen mit dem Lernen, bei welchem die äuiiere Lokalisatiun auage- 
aohloaaen iat, dagegen daa LennTerfthrmi in aonatiger Htnaidit frtigealellt 
wurde. Zugleich sollte dabei untersucht werden, welchen Einflnfi die ver- 
scbiedene Geschwindigkeit des Leseup beim Lernen hatte, ferner, welchen 
Einflnß die versohiedene Wiaderholungszahl und der VorsteUungs^us der 
Vp. hat 

Unter inOerer LokaKaation veiateht der Verfaaaer Jene Lamwtfae, bei 

welcher die einzeln* n Iii der einer au erianenden Reihe mit gewiaaenilnm- 

lich an^Tf'nrdn'^trij \V":iliriiehmung8objekt<>n verbunden werden, und zwar so, 
daß die Keihenfolge der Komplexe iniierli;illj der Keihe der Reihenfolee der 
geordneten Objekte entspricht. Um das zu erreiuheo, benuut der V erfasser 
ein aogenaantea »StaUaaaehamac, welohea einfach dadurch hergealetlt wnrde, 
dafi avf einem ^tt Papier von der Große eines halben Aktenbofens zwei 
wagerefhfp Reihen von je sechs Kreisen gezeichnet wurden. Diese pLpihpn 
von Kreisen nennt er das Stellenschema. .Teder Kreis hatte einen Durch- 
messer von 8 mm, und von Mittelpunkt zu Mittelpunkt gerechnet war der 
Abataad awlaoben je awei Kreiaen 6 om. Die aeoha Kreiae dar awaitan Beihe 
>Btanden in derselben Entfernung von ö cm genau unter denen der eiatMl«. 
Dieses Spliriüa bczeifhTiet der Verfa?^pr jils Soh^ma 1, das er spnter -nach 
der fliaften Versuchgreihe durch ein anderes ersetzte. Es wurden nun immer 
in vergleichenden Versuchen nach zwei verschiedenen Verfahrungsweisen, 
ainnloae Silben getarnt Daa erate Verfthaea nennt der Ver&iaer die Koa- 
.atdlation Ä 1, daa zweite Verfahren nennt er die Konstellation 0 1. Bei dem 
Stellenverfahren mußten dl»» Vj> die einzf Inon sil))^!! der Reihe wShrend dog 
Lesens und des Aufsagens an den Markierungi>krei&eu des Sohemas au lokali- 




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litentiiibericbt 169 

itara siidMa, »und swar die enini aoelia Sabea an dorn Kniieii d«r oberea 
B6lh««, woM liei der ZHaar Yon dem letate» Kieiee der oberen Beihe raf 

den ersten der vntercti übergegangen wurde. 

Bei dem zweitpii Verfahren mußte die Vp. während des Lernens and 
Anfsap-cns dnr R^Mhen 'Ue Augen schließen, and »der akustisch vorgeführten 
Reihe zwangloB zahüren. Die Art der Emprlgnng derHeihe war vOllig frei- 
gestellt«. 

Ee biadelt deh aleo amYennelie mit eknttiselierDftrbietiinir von 
■innloeeiiSnben. Der Experimentator epraeb die Silben in troebXieebemBbytfa* 

mos vor, indem er rie Ton einer rotierenden Trommel ablas. Znr Meeenag 

der GediichtnisleiBfnn?: wurde in den ersten vier Versachsreihen die Erlemnngs- 
methode. von da an die Erlernungsmethode nnd die Treffer- und Zeit- 
methode kombiniert, »indem jede Reihe bis zur ersten fehlerfreien Repro- 
duktion gelernt und nach einer gewissen Zwischenzeit das auti ihr behaltene 
mittelB der Treffer* and Zeitmetfaode geprüft wurde« In den Vetmiebe- 
reihen, liei weleben nnr die Erienmngsaethode l>enntet warde, wurde naeh 
dem gewöhnlichen Aufsagen die Silbenreihe noch ciniiial rückwärts hergesagt. 
Dies ges( hnh wohl hanptsiichlich deshalb, weil die Vp. auch anf ihren Vor- 
Itellangstypus hin geprtlft werden sollten. 

Von den mannigfaltigen Resultaten der Versuche mögen i'ol^en^e er- 
wähnt sein: Zunächst ergeben die Versache sehr viel Interessant es Hir die 
Lehre von den Voiateilnngstypen. So iat a. B. die Vp. A. ein aasgepragti^r 
Tianeiler l^na. Wenn die Sitienreibea ilir Toigeiprodien weiden, ao findet 
mne »visuelle Umsetzung« statt, d. Ii. die akustisch dargebotenen Silben werden 
in optische Bilder Ubersf^tzf, nnd zwar in Bilder derjVnip-pn Iriteinischen Iland- 
schrift, in der sie die Sillionreihe selbst zu prhreitieu pfiegte. Diese visuelle 
Umsetzung fand bei beiden Verfahrungsweieea gleich gut statt, aber es ist 
selir intereeaant, daß allmählich bei den zwei Verfahren, bei welchen die Vp. 
die Angea leUIeßt nnd keine festen Seliema vor aioh aleht, die viaaeile Um« 
aetsnng eieb atlrker anabüdet, weil die Vp* sieh die Lolcalisation fflr dfo ein- 
seinen Silben selbst schalba mnfite, »nnd daber einen größeren Stimnlna snr 
vtsnpllrn l'rn?pt7nnjr hntfo« DiVhp Vp. empfand ep femer fi!s eine Fr- 
schwerung. zwei aufeinanderfolgende Silben zu einem Takte zusammenzu- 
faasen, wenn sie das Schema vor Augen hatte. Es gelaug ihr dies besser 
bei geschlossenen Augen, weil sie dann leichter die Bilder der Silben in 
dnen Abatand bringen konnte» welelier der Zoaammenordnnng in dem Takt 
entqiriebt Man aiebt daraoa, mit weleber Beatimmthdt die viBnene Um- 
setsnng der QeiilbMindrUcke in Oeatobtabüder atattfimd. Bei den Versachen, 
dio Silhenreihpn rUokwärts aufznpjisren. zeigt sich die Vp. ebenfalls als visuell. 
Der aku»ti»ch veranlagte Mensel i muß bei dem KUckwärtBaufsagen die Takte 
wieder von vom nach hinten bilden, während der visuell veranlagte sie 
gewissermaßen von hinten nach vom mit dem inneren Blick ablesen kann. 
Eben ^eaee aeigt aieb in der Hehraabl der Fülle bei der Vp. B. 

Gaaa SbnUeb Teildelt aicb die Vp. B., die ebenlblla yianeU iat Ea 
iat aebr bemerkenawert, daß, wenn die Leageachwindigkeit annahm, die 



1) Eine kritische Erörterung dieser verschmi itcn Gediiciitnismetiiodeu 
habe ich gegeben in meiner Schrift »Über Ökonomie und Technik des Ler- 
nena«, 8. Aufl., nnd in meinen Vorleenngen znr EiniUhning in die eiperi^ 
menteOe FSdagogik. 



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170 



Literfttarberielit. 



yerwvBdOBg optiselier Etomante in dan YonteUnngen der Sflbtii «Mbflwt 
wurde und die Yp. eloh nelir Mt akoBtiMli motoriiebe EleneaAe mfiiS, 

so daß der ganze Vorstellangstypn« >8tark naeh der akoatiseh motoriackea 

Seite hin verschoben erBchicnt. Aach die Vp C. p-e>i<5rt einem vipoeü^n 
Typna an. Sie macht sich beim Lernen Vorsteliuagöbilder der vorgesproeheoea 
Silben in ihrer eigenen Uandscbrift, wobei z. B. Empfindosgen von Schreib» 
beiregangen eine gewiiae Bolle iplelten. Im Yogleidie den iefe Yp. D. 
aknstiseh motoriaoh, imd bei ilir ieC die riuiiBehe Lokafieetioit bei dem Ycf^ 
fahren mit geschloBsenen Augen sehr anbestimmt^ oder wie Jacobs sagt, 
»nnmarkiert«. d. h. »die Vp. hatte gar keine vieuello Vorstellung voti <ien 
Silben und ihren zugehörigen Arten«. Wenn bei dem Lernen ErmüdnnL: ein- 
trat, 80 machte sich diese Vp. Uberhaupt kein räumliches Schema, oder maßte 
dweh HukiereB der SteUea mit dem Zeigefingw die rSamlielie LokaUntioi 
heitteUen. Ebenio wnide aaeh eine spneUiehe Nometierang der Silbei, eder 
eine akastische Betonung, als Hilfsmittel benutzt Femer entsprielit ee Ana 
Typus, daO sie beim Rnckwilrtehenigen auch fast jeden Takt von TOm 
nach hinten aussprechen mußte. £. Menmann (MUnster i. W.). 



7) Charles Hughes Johnston. The teeling prnblem in recent psvcho- 
logical controversiea. The Psyohological Bulletin. VoL V. Kr. 3. 
13 S. 1908. 

Verf. gibt hier ein Referat über die letzten Kontroversen auf dem Ge- 
biete der GefUhlspsychologie, die von James' Theorie ihren Ausgangspunkt 
nehmen. Hauptsächlich werden eineraeit« die Auseinandersetzungen zwischen 
d*Allonnee und Piiron, nndeieweiti die minajgftelien Beetimmungea dea 
GefUilibegriib, die neuerdings in Amerikn ine Kn&t geeehoeaea sind, direlh 
geeproeben. Die nicht tebr tiefgebenden kritiseben Bemerknngea des Y«£ 
verenlaieeB ihn nicht la graifbtren, positiven Fonnnticmngen. 

M. Kelcbnec (Beriin-Haleaaee). 



^ Slmer Blleworth Jones, The influence of bodily posture on mentil 
activitiee. Archivee of Pi^ehology Nr. 6. 60 8. New York 1907. 

Die AUdingigbrtt dee AbtamÜi gewiteer phjilelogieeber Proeeeie, ter 

allen Dingen des Blntnmlaufs von der jeweiligen Kürperlage, ist bereits meb^ 
fach nntersncht worden Da die «reiBti^e Leistnnp:9fHhi^keit mit der Bhrt- 
versor^^uag des (rebirns in engem Zusammenliiinf: steht, liegt es nahe, ein« 
expeiimentelle Untersuchung über die BedeutuQg der Kürperlage für die 
geistige Tätigkeit m nntemebmen. Dieter Aufgabe bat eieb Jonee nnlB^ 
sogen and sie, soviel eisiehtlich, sehr gewissenhaft dnrebgeftbrt 

Bevor Jones zur Darstellung seiner Versuche schreitet, berichtet er 
von einer Umfrage, die er an mehrere hnndert bedenfende Perndnlichkeiteii 
gerichtet hat. nm fe^^tznintellen . oli &ie bei ihnr g-t iHtigen Arbeit eine be- 
stimmte Körperlage bevorzugen. Auä 5üü Antworten, die Verf. erhielt, scheiat 
siemUeb eindeutig bervomgeben, daS eine AbblugtglcriCsbeiiebn^g iwiieks 
BewnßtMinssnstsad nnd KSiperlage besiebt» nnd iwsr wude in €6« der 



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Literatarbericht. 



171 



Fälle eine mehr oder weniger horizontale Körperlage als besonders günstig flir 
geistige Arbeit bezeichnet, die übrigen 35 ^ lassen sich scliwer klassifizieren. 
In einigen wenigen Fällen wurde behauptet, daß die Körperlage keinen merk- 
lichen Einfluß anf die Geiatestätigkeit auaUbe, doch iat es sehr wohl müglich, 
daß diM trotideia der Fall var, obaohon der Beobachter nicht in der Lage 
wir, taleielilieh Toiliradwe Untenehiede in Miner geistigen LetstangafUiig^ 
keit festznateilen. 

In einer ersten Ornppe von Versuchen ^r^^de die Unterscheidungs- 
fähigkeit für Tonhöhen in honzontaler und vertikaler Körperlage untersucht. 
Als VersuchaperBoneu dienten sowohl Kinder als Erwachsene, als Reize 
kamen eine Mandoline, ein Honocliotd und Königaohe Stimmgabeln in An« 
wendnng. Die Amahl der Veranolie war eine giofie, der BinflnO der Er- 
mUdung und Übung wurde nach Möglichkeit ausgeglichen. Verf. yerfnhr 
nach der Methode der richtigen und falschen Fälle. Es erwies sieb, daß das 
HOhenverhUltnis zweier Töne, die um 2 — 4 Schwingungen voneinander ab- 
wichen, in vertikaler Kürperlage tffter richtig bestimmt wurde als in 
horizontaler — ein Besultat, das nach der Meinung des Text in der Haupt- 
naelie wahieehetnUeli »nf Beehnui; der 'IHrkeemkeit Ton Aseoiintionen nnd 
Gewohnbett gesetzt werden muß. Hierauf scheint der ümeCand hinzuweisettt 
daß der Unterschied der Körperlage sich bei Erwachsenen stärker geltend 
Biachto als bei Kindern, außerdem fand bei solchen Individncn , bei denen 
der Einfluß der Körperlage auf die Unterscheidungsfähigkeit besonders stark 
hervortni, dnroh fortgesetite Übung eine Ann&herung der Qualität der 
Leietongen in beiden Kdrpedagen statt Immerhin glenbt Verf., dnß aneh vn- 
bekannte physiologische Unnehen im Spiele sind. 

In einer zweiten Gruppe von Versuchen kamen Tastreize in Anwendung. 
Zwei Ästhesiometer, bei denen die Differenz der äpitzendtstanzen 1 mm be- 
trug, wurden zu beiden Seiten der Medianlinie nacheinander auf die Stirn 
aufgeeelit. Die Vp. hatten in vertikaler und horizontaler Körperlage zu 
enteeheiden, welehe Spiiiendistans großer sei. Wiedemm bennirte Yerf. die 
Methode der richtigen und fiüschen FiUle. Es erwies sich, dnß die ttl>er^ 
wiegende M* lirzahl der Vp. in horizontaler KOrperlage besser schützte 
alH in vertikaler. Es ist wahrseliciTilii h, daß dies Ergebnis auf den ver- 
stärkten Blutzufluß in die Kaut bei horizontaler Kürperlage, wodurch die 
Sensibilität der Tastorgane erhöht wird, zorttekanfUhren ist 

Verf. besehreibt hierauf eine Beihe Ton Vennoheii, die dem Einfluß der 
Körperlage sof die Fähigkeit, einfache Additionen auszuführen, galten. 
Wiederum wurde sowohl mit Kindern als auch mit Erwachsenen experi- 
mentiert Die Kinder addierten Zahlen aus dem Zahlenicreis 1 — 6, die Er- 
wachsenen aus dem Zahlenkreis 4—9. Der für die Erledigung der Aufgabe 
Biltlge Zeitanfwand, die 2ahl nnd die OrOße der Fehler wurden sorgfältig 
notiert Die Veisnehe eigiben, daß in horisontaler KOrperlage schneller 
addiert wurde nnd die&hl der Fehler eine geringere war. Offenbar hSngt 
dieses Kesultnf nnt der ungehinderten Blatsirlwiation im Gehirn bei horison- 
taler Körperlage zusammen. 

In einer weiteren Versuchsreihe wurden das Verhalten des Blutdrucks, 
der Henfreqnenx nnd die Ldstnngsfähigkeit des ybnellen Gedächtnisses in 
horisontaler nnd ▼ertOcsier KOrperlage bestinunt nnd aneinander in Besiehung 
gesetzt Die Herzfrequenz und der Blntdrnck wurden vor und nach dem 
fiseellen £riemen einer Zahlenreihe genessen. Das Eriemen erfolgte in der 



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172 



Litentorbehcht. 



Weise f^iß (iie Zalilcnreibe Tür die Dauer von 4" f»:fponiert wurde, woraut 
die Vp. anzugeben liatte, was sie behalten hatte. Die Exposition erfolge 
so häufig, ala zur Toilatäudigen Erlernoug der Reihe erforderUeh war. Auf 
di«M W«be koimimi dl« ZaU der WiaderiioIaag«ii ud dl« Felder genn 
kontrolliert und demnaeh die Leistungsfähigkeit des vlraenen GedXebtniMea 

festgestellt werden. Es erwies eicli, daß die Herzfreqnpnr in h n riz nn ta 1 rr 
Läpp gprin^PT ist a!« in vertik.iler, das gleiche gilt im ailgeuieinen tnr (Jen 
Blutdruck. Die Leistung des viaueüeu Gedächtuiaaea iat in horizontaler 
Körperlage eniMliiedeii besf er als In vtrtOnler. Im enien Fkll Itt nlmlidi 
die Zahl der Wiederholansen ud dfo Zahl der Fehler geringer. Aut 
Omud der physiolog^ischrn und psychologisrhrn Befunde worden die Vp. 
in Gruppen verteilt, worau; Vert untersuchte inwieweit die einzelneu Indi- 
viduen in beiden Versuchsreiheu entaprechenden Gruppen angehören. Unter 
BenntniBg der Methode der »vngleiehen Yoneiohenc, die in bdden Yerraehe- 
reiben einen l)erechneten Mittelwert zum Anagangspankt dea Vergleiehe 
macht ergab es sieh, dnB nnr in 86 9( der FUle ugleiehe Voneidien ta 
itonstatieren waren. 

Eine Beihe ganz ahuüeher Veranche, bei denen statt des visuellen £r> 
ienens der Zahlenrdhen dn ahaitleoheo — den Yp. werden die Zahlen- 
reihen Toigeeproelien — gefordert wurde, ergaben genan daa gleiche Send* 
tat: die horizontale Knrprrlapr hpgUnstigte daa Erlemen, anrh konnten 
die entsprechenden Beziehungen /wiechpn der geistipen LeiHtuagsfähigkeit 
nnd den Verhältniaaen des Blutdruckes und der üerzfrequeuz festgestellt 
werden* 

Im Gegensatz hierzu erwies es sidi» daß die GeschwindiglEeit, nit der 

eine vorgeschriebene klopfende Bewofrang mit der Hand ausgeführt werden 
konnte, in der v ertikalen Kijr|it rlat:e trr??Oer war als in der horizontalen. 

Ein Vergleich der muskulären Lrmiidbarkeit iu vertikaler und horizon- 
taler Körperlage, die nit Hilfe einen Fingerdynamometieis nntenudit wude, 
eignb, daß in horiaontaler Körperlage stärkere Ermttdung eintrat 
Dies Resultat war zu erwarten, da alle Muskelarbpit gewöhnlich in vertikaler 
Körperlage geleistet wird. Einer^pits^ ist der Blutdruck in vertikaler Lage 
gesteigert, wodurch der Muskeltouus uud die muskul&re Koordination be- 
gttnatlgt werdmi, andereneiti spiden bei diesen Yennehen aneh die Ge* 
wVhnong nnd Aaaoziationen ^e Rolle. 

Die günstigeren Bcdinrrnn^^'en für die Unterhaltung: der Spannung: der 
Muskeln in der vertikal en Körperlage bewirken asjch, daß der am Dynamo- 
meter gemessene Druck der lland in dieser Lage beträchtlicher iat als 
in der beiiaontalen. Y«rf. tot diea an einer Bdho nener Bq»erfanente dar. 

Da In den Tersehiedenen, im vorstehenden beaduiebeaen Gruppen von 
Versuchen nicht immer dieselben Vp zur Verfügung standen, führte Verf. 
sämtliche Versuche, abgesehen von den Meesnng'en des Rlntdrucks uud der 
Henfrequena, noch einmal au vier V p. durch, um sich aui diese Weise zu 
tibmengen, ob die oben erwVhnten &gebnbae im weientHehen von den 
jeweilig benutzten Vp. unabhängig waren. Ana den angeführten Tabellen 
geht hervor, daß dies tatsächlich der Fall war, denn die mit den vier Vp. 
gewonnenen Ergebnisse stimmen mit den vorerwähnten im ganzen durch- 
ans ttberein. 



Die Möglichkeit einet fheoxetiiehen Anabente obiger Yeisndie iat nntnr- 
genlO eine geringe, ihr piaktiaeher Wert tot abw nieht gniag m vei^ 




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Liteittarberioht 



178 



anschlAgen, schon in Anbetracht dessen, daß auf Grund derselben bei ge- 
wissen psychoiogUchen ExfMrimenten die jeweilige Körperlage der Vp. xu 
beritokiiehtigaa Mi» wizd, ««Uk «Int FehlArqoftlle T«niieden werden foE 

H. Keletner (Betliii-HaltiiMe). 



9} J. Waynbanm, La physinnomie hnmaino. eon m^caniemd et son r6l0 
äooüU. SaO S. Paris, F61ix Alcan« 1907. Frs. 6.—. 

Das Bncb zerfKllt in zwei Teile. Im ersten setzt Verf. seine »vasknläre« 
Theorie d*^r Phystn^'-Tinmik aoseinandcr, im zweiten behandelt er die soziale 
Bedeutung de8 Mienenspiels. Die QrundzUge seiner Theorie der Physiogno- 
mik hat Verf. bereits in einer Sitznng der psychologischen Gesellschaft in 
Paiii in Kflne entwickelt (Joviul de Fiydiologie oonnile et pathalogiqnet 
Nr* 6, Sie llSt fo%eiidenna6ai «mimmenftiieeii : 

Die Gnmdprinzip, das das geeimte Spiel der Ansdntcksbewegnngen des 
Antlitzes beherrscht, tpt in fien ■Redinp^unfren des Blutumlanfs innerhalb und 
außerhalb des Hehädels gegeben. Jede Gemütsbewegaug ist von Modifika- 
tionen des Blutumlaufs im Gehirn begleitet, die anter Umständen für das 
ZtntnlaemiiiyitenTeildb^pdivvdlwwdemklhmeiLU^ ^ 
dee Gedehls haben nvn den Zwedt, eine BegnIIenng dee BtntemhuiÜi im 
Gehirn herbeizoltthien. Dies wird dadurch ermöglicht, daß die Blntbahnen 
iuDcrhn^lb nnd üti Perhalb des Schädels im ZuprimmcTihang stehen, und z^vnr 
nicht nur ;iu ihrem Ausgangspunkte, der Carotis communis, sondern auch 
weiterhin durch Anastomosen s. B. der Arteria Ophthalmien , einem Zweige 
der CSirotiB Intenui mit den Endvenweignngen der Carotis externa, ge- 
wieeer Zweige der Venn ophtimlmien mit der Verna Ürontelle. Da daa Qe- 
■idlt nnd die Kopfhant von zahlreichen Ästen der Carotis externa durch- 
zogen sind, werden Kontraktionen der willkürlichen Miieknlatur des Oesirhtfl 
notwendig den Blutumlauf außerhalb und mithin auch inncrlinlb des Schiidels 
beeinflnssen, wobei sie durch die Tätigkeit der Vasomotoren und der iränen- 
drOae notenttttzt trarden* 

Verf. nnterendit im einaelaen die mimieelien JLafieningen der iMiden 
fandamentalen (Gemütsbewegungen, der Traner und der Freude. 

Für den Ausdruck der Trnner ist in erster IJnie der Triinenerj^uß 
charakteristisch. Da die Tränendrüse von der Arteria iacrjmalis versorgt 
wird, die als Ast der Arteria ophüialmica zn den Verzweignngen der Carotis 
interna gehört, wird dem Blntomlaof iwierhalb desSobldela dniefadieTzinen- 
abeondemng Blntienun entaogen. Der Trlneaergnß wirkt wie ein Aderlaß, 
der die Bindenzentren für knrze Zeit unempfindlich macht Auf diese Weise 
wird dnrch das Weinen eine ITerabHotzang des Schmerzes bewirkt. Alle Be- 
wegungen der willkürlicheu I Tesirlitt^iiiuHkulatiir. die als Ausdruck der Trauer 
erscheinen, haben den Zweck, den Blutandrang zu den Träuendrüsen sn 
filrdem ind tfnen Triteenergnß herbelmfllhittk AnegeeehloeMn ilnd die 
Bewegungen, die dnreh Oew8hnnng,NaohBhmnng, AüMiatioa naw. angeeignet 
wurden. Die für den Schmerz charaktezlstlaehen Kontrakdcmen der gefiU}- 
reichen Mnfjkeln des fTesichts. die dem Triinenausbruch vorangehen, k??nnen 
eine Linderung dtti Schmerzes auch in der Weise bewirken, daß sie einen 
Blntandrang zum Gehirn herbeifUhren, der den Zweck hat, die dort während 
der Traner bestehende IiohXmle anfiniheben. 



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174 



Litcraturbericht 



Dem Audraek der Frende in allen ihren LitMMilitagnden dienei dn 

»ygomations major und der risnring Santorini Enjf^^r'^T schützt dtirch ?^io*^ 
Kontrakrionen dua Aw^r vor ^ef'ihrTOÜpn Kouipre^isionen. Übt aber aiiLN?T'l''ni 
eiue giiuatige Wirkung aut üea Blatumiaut im üeiura aus. Jede starke Kua- 
trtkttom des zygomatieiu iinterbiiidet gleicliMUii den Abaehlnfi des filofei, 
WM durch du Ansohwellai der StiniTene kenntlich wird. Aber ueh ge- 
wisse Arterien des Gesichts, ja selbst die carotis externa werden zosammeii' 
p-epreOt Ist aber die carotis externa komprimiert, bo wird das Gehini von 
der carütiö iuterua stJlrker mit Blut versorgt, wofUr auch schon durch die 
Dilatation der Artorieu iuuerhulb des Schädels im Zustande der Frvude eine 
gfinetige Vorbedingung geMhifliNi ist Eireleht die fimdige Oemlltabewegmig 
einen höheren Gnd, lo wird anOer den Nemu fiMiaUt das in der Mibe 
gelegene exspiratorische Zentrum erregt, und das Diaphragma tritt in Wixk» 
samkeit. Per I^lntandmn? m den höht ri^n Zentren wird infolgedessen ge- 
steigert, iiierin iiegt diu BtHkmtuüg üv'r Lrichens. Diefees nach der Auf- 
fasstmg des Verf. nicht lediglich als eine 1^'olge von Lxäpiratiouen za he- 
traehtea, eondem ab eine Krafianitrengnng oder eine Serie Ton atofiendm 
Anatrenffongen, die dnreh rhythmiaebe nnd knunplhafte Biapirationen unter- 
brochen werden. Bei einer starken körperlichen Anstrengung wird nämlich 
die Stimmritze gcscblopscn, dn«? Uiapliragma stark kontrahiert, nnd alle Baucb- 
eingeweide werden zusammengedruckt. Daeselbe geschieht, wenn man sehr 
heftig lacht. Psychisch läßt sich beim Lachen eine Verstärkung der Frende 
bedbaehten. Wenn bei lelir heftigem Laehen Trinen veigoeaen werden, 
■o bedeutet diea einen aebr awedniifiigen Absng bei allen heftigeai Blut* 
andrang znm Gehirn. Auf diese Weise wird eine Anästhesie herbeigeführt 
woduroh die Kontraktionen des Diaphragmas und der anderen Munkeln ein- 
gestellt werden. Eine allgemeine Erachlaffong ist denn aaoh gewöhnlich die 
Folge heftigen Lachens. 

Wenn die Zuatlnde der Fteude nnd der Trauer auch phyalologiacb be- 
tvaebtet Qegenaitee bedeuten, aolem bei der Frende eine reidillebe Yer- 
sorgnng der Gewebe und höheren Zentren mit BInt stattfindet, während die 
Trauer von einer allgemeinen Ischämie beeleiff»t ist po ist doch der Mecha- 
nismus, der den AnPenm^^rn dieser beiden Zastüude £U^'iUDde Hegt, nicht 
wesentlich verschieden, in der l raucr stellt sich zunächst der Tränenergul>. 
dann Sehluebien ein, daa durch rbyfhniache Kontraktionen dea Diaphragana 
bedingt iat, in der Heiterkeit finden nuent Kontraktionen dea Diaphragmaa 
Btatt, nnd an zweiter Stelle erst kann es zu einem Triinenerguß kommen. 
7m erHteren Fall finden die Kontraktionen des Diaphragmas während der 
Inspiration statt, in letzterem Falle während der Exspiration. In beiden 
Fällen aber üben die TränendrUsen und das Diaphragma durch Modiüzienmg 
der BlutBirknIation einen Einfluß auf daa Zentraln ervenayate m ana. 

Auch in anderen Bewuiltaeinaanstinden lieeinflnuen die Bewegungen der 
Geaichtsmuskulatur den Blutumlauf im Gehirn. Beim Erstaunen wird z. B. 
die blutgefäßreiche. fibrr>?ie Hnnt des Schädels durch Kontraktion d*»s Frontal- 
und Occipitalmuskels gespannt und dadurch ein verstärkter Biuizutiuß nun 
Gehirn bewirkt Bei intensivem Nachdenken schließt man die Aogen, koQ" 
tnUert gewisae Mukehi In der Stirn- und Angenregion, ja sogar die Maaaeter 
und aehiebt die Hazina inferior leicht Tor, wodurch die Blntzirknlation in 
Gesicht gehemmt nnd eine grüßere Menge Blut ins Gehirn getrieben winL 

Von besonderer Bedentang für die Theorie des Verf. iat die Annähmet 



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Liteniteiberidit 



176 



daß das aligemeiue vaBouioturi^rhe Zentrum, das sich anf dem Bodea des 
vierten Ventrikels zu befinden aciieint, in mehrere voneinander mehr oder 
irao^ar mubbäugige Zentmi awHUt» md daß woingttmtt fOOt die YuwmnUutm, 
des OesMdtte» der KopfhAui and des Oehins ein gans itolieitee Zentnim 
besteht. Die relative Unabhängigkeit einzelner Teile dei Ttiomotoriteben 
Svstpms ift jfi horeitfl von Fran^-ofs Fr-mrlc nnd anderpn Phvpiologen nach- 
j^' Mv iebcu wür<l<,'ii Die Hiinfi^keit einotioneller Zustitiidt- hat nach der Auf- 
foääuixg des Verl. zur Bilduug eines speziellen vasomotorischen Zentnuns 
ftr den Kopf VexsnluBang gegeben. Jeder Meneeb erlebt im Laufe des 
Tages eine grofie Aniehl Ton GomllCebewegniigen, die, wie Moseo naebwieSf 
▼on vasomotorieehen Tolndeningen im Gehini begleitet eind. Verf. weist 
nnn darauf hin, daß jenen vasomotoriflchen Veriindernnj^en innprhalb des 
Schädels vasomotorische Veränderuni;i n im Gesicht parallel gehen mlissen, 
die sich dorch BeobacntuDg des Facialmpalses feststellen ließen. Letzterer 
muß dem Birapnle entsprechen, da beide vom Pnlee iktt Carolle eonrnnde 
abbingea. Dank der gemeiniamen GeflU^nervation pri^ rieli jede Gemttte- 
bewegnng im Antlitz aus, dieses reflektiert die Vorgänge im Gehirn. Dieselbe 
Ursache, die Blutleere im Gehirn herbeiführt was sich psyrhi?ch durch 
Traurigkeit kundgibt, läßt das GeRiVhf intV)I-a von Zusamuienziehunt? der 
Gesichteartehen bleich erscheinen, so wie es auch dieselbe Ursache ist, die 
dae Gehirn in der Fiende rechlich ndt Blnt versorgt nnd zugleicb dem Ge- 
siebt Bist lolllbrt Das ErrOten nnd Erblassen haben Im Spidi der Ansdracks* 
bewegongen dieselbe physiologische Bedeutung wie die Bewegnngen der 
willkfirlichen Muskulatur. Der Nutzen des ErrfJtens Hegt darin, daß bei 
starkem Biutaudraog zum Kopt" während heftiger Gemütsbewegrnngen die 
Gefäße des Gesichts ein Sicherheitsventil darstellen, das eine zu starke Blnt- 
snfbbr snm Gehirn verlintet Qleiebseitig mit dem Erbleieben ist aach Blnt- 
armnt im Gebim gegeben, was sehldticb wirken kann, aber die Kontraktionen 
dw GesichtalcaptiUren vennügen zu bewirken, daß immerhin relativ viel Blnt 
aus der carotis oommnnis ins Qehim gelangt Daher ist anoh das Erblassen 
nützlich. 

Also sowohl die Bewegungen der willkiiriichen Muskulatur des Gesichts, 
als sseh die ?asomotoiiioben Verindernngen nnd die Sekretion der Trinen« 
drilse baben den Zweek, die Blntversorgnng des Gebims mOgtiebst günstig 
SB gestalten. 

Im zweiten Teil des Buches wird, wie erwähnt, die po?!-?!© Bedeutung 
oder der soziale Dynnmismus der Ansdrucksbewcguupon behaudelt. Die 
Ausdrucks bewegungeu uaguu oiuerseits dazu bei, einem Gedanken größere 
Klarheit nnd Bestimmthdt an Tsrleiben, andererseits treten sie in Aktion, 
wenn ein bestimmter GefQblisnstand kenntUcb gemaeht werden soU. Im 
letzteren Fall sind sie unvermeidlich. Der Ausdruck der Gefühle eines 
Mi^nschen läßt im Nebenmenschen ähnliche Gefiiftlf» outstehcn. Der Volks- 
re<luer z. H. lenkt die VolksmasBen weni^jer durch seine Worte als durch 
eine derartige Übertragung der Genihie. Auch im privaten Verkehr wird 
der qffaehliehe Ansdmek beständig dnreh mimisehe Ansdmoksbewegungen 
untentHtst. Die sociale Bedeatnag der letateren ist eine so nngehener große, 
wefl das Gefflhl das Bindemittel des sozialen Organismus ist. Das Neben- 
♦»inünderleben auch nur zweier M»n)?irhon i^t nicht müp:lich, ohne daß Gefühle 
erzeugt werden. Für jedes Individuum ist es von großer Bedeutung, daß es 
durch Beobachtung des Mienenspiels seines Kebenmenscheu die in ihm 



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176 



L^terfttutiMrifilit» 



ÄUßgelttsten Gefühle erkennen kann, da auf diese ^^'eiHC eijie zweckeiitf<precbendä 
Ke&ktioii mügiicii ist. Da d&ö öozi&le Leben acbua aoB Gründen der S^ut* 
erhftltnng ein Yerbergen dar wahreii Ctoffifale blofig foidsrt» bestabt täm ge- 
wkM Sdwa Tor ätm Bück antfaier. Di« Htdit dM Avget benüit utfat 
aliaiii auf Minar FXhigkeit, die Symptome dei GalttUalebeiii anderer wahr- 
zunehmen, sondern aucli in der Erwecktitifi: einer gewissen Furcht. Verf. 
epncht vom An^e als von einem »eueri^etiöciien« Sinn. Dsb Bedürfoi-- der 
Ürientierung über die psychische iäiergie der Umgebung, die im Antiia der 
HMuehtA Vutn Audraek findat» bat die liebe mr Fonn eneoft Das 
MMaaabliflbe Antiiti iit daliMr der AnigSBgepviiIct iiier Mafhafiaflhm BewwtBng 
nnd der Kuiit Dia gat6 Energie wird in der Sprache der Sinne zur schSnen 
Energie — f^Tit im Sinne von e^^psund, kräftig, normal. Da das schSne An'- 
litz. dae also :iuf eineu erhehlicheu tnergir^-ehalt, d. h. auf ein wohlorK^;!!- 
siertes Gehirn ixiuweist, bei der JburtpÜaazung bevorzugt wird, wird die 
Physiognomie n einam Fkktor, der die HQlierantwiekliag dea Meiiaabaa 
fiJrdert 

Ein ansführliches Kapitel ist der Physiognomie des Blindes gewidmet 
In f(»9Belnder Weise mcht Verf. darzutun, daß die KindP8H<»be im wesen* 
liehen ein erworbenes Geliihl ist, da» das Kind hanptfäclilich mit Hilfe seiner 
mimischen Auüerongeu in den Litern uutfacht. im iünd Uberwiegt das Ge* 
fllblalebaiif du in aehr efndentiger Waiae geinfieit wird und deb daber Mehl 
aof die ümgebmiff flbartzigt Ba iat aabr gÜBalig fllr dae Kind, daß aa Ui 
zum 18b oder 14. Jahre eine ausgeprägte Mimik bat, denn infi^gedeasen werdet 
die sympathischen GeAlhle der Umgebang immer Hnf« n^»ac erregt. Die »u»- 
giebige ^'er^^ eüdung der Mimik durch das Kind rrklart Bich aber nicht allein 
ans dem Vorberrscbeu des Gefühlslebens, soodern auch aas der phyiogeae- 
tiaehen EntiriekloaK dea ]fitteUmigaTeim{5gens, daa auerat avf Anadraaka- 
bewegnngen nnd nnartikoliene Laute beeebrinkt war nnd aMmiblicb etat 
zur sprachlichen Form Uberging. Da letatare anch im Lanfe der ontogeoe- 
dscheii EntwicklnnfT lanfre Zeit nnvoUkommen bleibt, muß sie dureh die 
Mimik reichlich untoiatutzt werden. Zur Erweekung sympathiBcber Gefühle 
trägt es bei, daß einzelne Aasdrucksbewcguugeu des iundes zu hoch ein* 
geeabUtat werden, so z.B. wird daa Liebeln in einem ficfihea Stadiam dar 
Kindbeit meiatMia ala Kennaeieben einea ayniMidnaeban Gellflda aa%aM 
wihrend ea nur der Ansdrnck einer egoistischen Freude etwa am Wieder- 
erkennen einer Person ist Voti besonderer Bedeutnnp: fiir die Erweckna^ 
der Zuneigung der T*m^'ebun^^ iusbes(uidero der Eltern, ist ferner die soff- 
lose, vorwiegend hüitcre btimmuug des iündes, die sich auf die Erwachseoen 
ttbaitrigt nnd Terjungend anf aie wirkt Ken, Yer£ maebt eine Beibe vca 
Faktoren namhaft, die ea waluadieiiilieh madien, daS ee niebt ao aehr >dia 
Stimme dea Bültes« ist, die der Liebe der Eltern, besonders des Vaters, n 
dem Kinde ^ntrrnnde liecjt vielmehr ein psychischor Meohaniamna, in den 
die Mimik des Kindes eine hervorragende Rolle aj>iolt. 

£in weiteres Kapitel schildert die Mimik dea Arztes, namentlich unter 
Betonnag ihrer tbeiapenAlaeben Bedentuif . Da Yvt aeibat Arat iat, &«gt 
ihm die Analyae der Mimik dea Azstee im Yerkehr mit den Kranken m 
niehsten. Selbstveratibidlieh apielt aber die Mimik auch in anderen Benfes, 
etwa in dem des Richters, des Lehrers und Erziehers eine ^vichti^e Rolle. 

Über die Entwicklung des MieneriRpieis, der ein besonder!? Kapitel 
gewidmet ist, weiß Verf. nicht viel zu sagen. Er führt aus, dai^ es immer 



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LiMratarberiohC. 



177 



eine bevorzagte Klasae der Ge&ellüchait ist, die Uber ein ferner entwickeltes 
Mieneospiel verfügt and dea aadereu KlAssea ab Mttat«r dient Diese Supe- 
riorftit besteht in der Beherreelmg dea gefBhUmlfiigen Aiudraoki oder in 
•inar IntellektoaliBierung der Mimik. Wenn in früheren Zeiten der Adel die 
tonan/»ebende Klasse für das Oebahren der Menscbeii war, so ist hentzatage 
der ächauspielerstaud ia dieser 6ez!ehang als maßgebend zu betrachten. 
Id der Entwicklang der Mimik muß die Befriedigung des ästbetiscben Ge* 
flUüs al« bedentMunw Faktor aageMlMB werden. 

Zu beachten ist, daß es aoßer den nützlichen Audnickebewegangen 
auch solche gibt dip rriHTp nnniitz sind Finipe Menschen venserren beim 
Sprechen ihr Oeeicht bestaiidijj:, oliDe d;iß ents{irecliPTide Gemütsbeweg'ungen 
vorbaudeu wureu, die erneu Ausgieicii deä Biutumiaulti im Geiuru durch 
mimliehe Bewegungen forderten, uberflünige Anedmekabewegragen werden ' 
vom Verf., wenigstens zum großen T^, als Überreste der rein mimischen 
Verstiindifunp-sweise des Urmenscbcn crklürt Bei Menschpii. die jedes Wort 
mit einer ('riniaätipi beprieiten, bündelt es sich um eine hereditäre Assoziation 
zwischen Wortsprache und mimischem Ansdmck. 

WIre das Mienenspiel blol3 ein Tisnelles VentlndignDgsmittel, so brandbte 
es nicht zu bestehen, wenn der Menseh niebt sehen kann. Es erweist sieb 
aber, daß die Blindgeborenen im wesentlichen dasselbe Mienenspiel haben 
wie die Normalen. Wenn der Blinde weder spricht noch eine Gemüts- 
bewegnug erlebt, zeigt xwar sein Gesiebt einen besoudereu Ausdruck, auch 
weist es im Alter weniger Bnmetai auf. Dies kommt daher» daß er die 
wesentlich ideograpblaeben Ansdmcksbewegnngen nieht ansflllirt, auch fallen 
für ihn die Bewegungen fort, die dem Schutze des Auges vor grellem Licht 
dienen. Die Affekte der Blinden sind aber von genau dem gleichen Mienen- 
spiel begleitet wie diejenigen der Sehenden — eine Tatsache, die auf das 
Voriiandensein Üefer Hegender Ursaeben der Ansdmeksbewegnngen Unweiat 
Zwar künnte die Yererbong in Frage kommen, doch spielt aie nach der Anf* 
fasBung des Verf. nur eine sekundäre Rolle, wesentlich Ist nur die Bedetttong 
der Ausdrucksbewegungeu fllr den Blutumlauf im Gehirn. 

Daß der Wert des vorliegenden Buches, das hier in der gegebenen 
Beibenfolge der Kapitel leÜBfiert wude, weder in ^nar enobOpft^en noeh 
in einer systematischen Bearbeitung des Stoffes Uagt, ist ohne weiteres er- 
sichtlich. Nichtsdestoweniger sind die Ausführungen des Vorf von nicht 
zu nnter.schätzender Bedeutung. Seine vaskuläre Theorie der Mimik ist von 
bestechender Einfachheit Falls sie sich bei einer genaueren experimentellen 
Naohprttfnng baatätigeu sollte, wtre viel gewonnen, allerdlnga wflrde die Er- 
kllnukg dea mimlaeben Anadmeka dw einseinen Gemütsbewegungen die 
Hinzuziehung ergänzender Erklärnngsprinzipien fordern, die vom Verf nur 
andeutungsweise genannt werden. Die .4!i«eiuandersetzungen Uber den 
dynamischen Wert der Ausdrucksbewegungeu für die menschliche Gesell- 
sebaft sind nm so wertrdQer, als der Gegenstand bisher eine derartige Be- 
handlung niebt erfuhren hat Die vielseitigen Anregungen, die Verfc gibt, 
sind auch hier anzuerkennen. Sollte Verf. im einzelnen vielleicht etwas ein- 
eeitip^e Atiffassungen vertreten, so darf ihm sein Verdienst um die ^^tfrderung 
eines schwierigen Forschungsgebiets nicht geschmälert werden. 

M. Kel ebner (Berlln-HaleDsee). 



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178 



Utmttarberioht 



10) Pr. W. Worringer, Abstraktion lud Einflthlitiig. Ein Beitrag rar 8l3- 
IMychdogie. 8<i. 116 S. Memrlod, Heoaenciie Veriagadmokerd. 
1W7. 

Die Iiier angesagte beaetitenawerte Schrift aerflllt in iwel Teile: Im 
ersten, theoretischen Abschnitt erweist derVeif. die Einseitigkeit und partielle 

Uiibrauehbarkeit df"^ FiDfiililTinprHprinzipp, ?tiffiÄl geprenUber der AuffaRsnn^ 
von Lipjiß; er stellt dem l'rozeß der Einfühlung daher ©inen Abätraktions- 
prozeß ala gleichwertig zur Seite, desaen Natnr er näher analysiert Im 
iwetten, praktlaeheii Teile nntenimmt er ea sodaim, dieeea Abatraktlone> 
prinzip anf die Betrachtung des Ennstwerkee anzuwenden, indem er die 
Richtigkeit und Fruchtbarkeit seiner Aufstelhinj^on an der Hand einos rTcs im*- 
liberblickes Uber die Entwicklung der bildenden Kunst aller Völker, sowie 
au besonderen ansgewUhJten Beispielen aus der Architektur, Ornamentik und 
Flaatik einer Frttfnng imteraleht la Ihrer einwandfreien Metiiodlk atellt eidi 
die Arbeit ala ein erwünschter und gern empfangener Beitrag zur theoretischen 
Ästhetik von selten der ernsten wißsenschaftlicben Kiinstforßchung dar; in 
der Auffassung stützt sie sich vorwiegend auf die auegezeichneten Werke 
des Wiener Kuustliiätorikers Alois Riegl, wie sie denn die Kotwicklungs- 
Unie der Übenengungen von Hlldebrtndt WOlfflin am ein gat Stnek 
▼erUbigert 

Als gemeinsame Wurzel allee Kunstempfindens beieiohnet Worringer 

das Be lilrfnis nach Selbstentäußeruug, das sich nach zwei Seiten, als Kin- 
fUhlungadrang und als Abstraktionsdrang, charaktensiert. Während der tin- 
fUhlungstrieb auf das verwandte Organisch-Lebendige gerichtet ist, dessen 
formale GeeetsmXßigkeit Infolge entepreobender natflilleh-oiganiBeher Ten- 
denzen im Menschen als Beglückung empfunden wird (bei Lipps: Ästhetischer 
Otmuß ist objektiver Selbst^ennß, findet der Abstrakttoustrieb seine Be- 
friedigung an der abotrakten (»esetzmriPifkeit und Notwondifrkeit dos An- 
organischen (Kristoilinischenj. Das Eintüiilungsprinzip versagt manchem Kunst- 
werk gegenüber, im besonderen gegenüber dem IsflietiBohen Werte abetmkter 
geometrischer Formen, wo seine Anwendung swar möglich bleibt, den Tat- 
saolien der Selbstwahmehmang jedoch widerBpricht. In der Tat wird man 
den Eindruck der SchCmheit einer geraden Linie oder einer Pyramide nur 
künstlich als »Selbstgenuß im Objekt« beschreiben. Ebensowenig kann die 
Behauptung anAeeht erhaltwa werden, ^e Elnflthhing sei immer nnd überall 
einatge Voransaetznng des kttnatlerischen Schaffens geweaen, da weite Kunst» 
gebiete, speziell die orfentalische 'altUgyptieche' Kunst, unter Anwendung dieses 
Prinzips ästhetisch unverstanden bleiben. Die Anwendung des EinlÜhlungs- 
prinzips setzt überall psychisch ein gewisses beruhigtes Yertranen zu den 
Erseheinnngen des Kosmos nnd eine bestimmte Stnfe des Tertrantseins mit 
denselben yorans, wie es poly- nnd pantheistiaehen WeUbenrteilnngen korre> 
spondiert. Auf primitiven Kulturstufen, aber auch bei den orientalischen 
Kulturvyikem, findet sich eine solche seelische Verfassung aicLt. Hier waltet 
dem verwirrenden, beunruhigenden Wechselspiel der Anßenweltserschcmuugen 
gegenüber ein primitives Angstgefühl Tor, das sidi in dem Bedürfiiis naoh 
Rnbe nnd Sieberbeit anisprieht nnd die Entfaltung eines anf das Abstrakte, 
Notwendige, Ewige gerichteten Kunstwollens begünstigt, wie es denn — wclt- 
ansohanlioh — mit Transzendenzvorstellnngen sich verachwiatert. Dieser Ab* 




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Uteratarbericht. 



179 



straktioiisdrang ist dem EinfUhlang«verIangen polar onligQfengMalit» lo daß 
dem Streben nach einer innigen Verbindung; des Ich mit dem Kunstwerk, 
wie ea dem einen Pole des absoluten KunstwoIIens pnt?pricbt. auf der anderen 
Seite daa Verlangen nach Befreiong vom Ich und meiner inneren Unruhe 
gegenUberattht Beide Hai« lilH rieh der Vorgang ala Erlttgnngsverlangen 
denCen, hier Tom bdividneileA dea HenaeliaeiiiB, dort tob der ZnflUligkeit dee 
Menschaeina (der organieehen VltaUtitt) Überhaupt. Bexiehnngen zur Ästhetik 
S ch o p pn h .1 n e f lipsr^n hier auf der ITrjnd — Den beiden verschiedenen 
Richtungen dea Kunstwulleua entsprechen Kunstgattungen: der Naturalis« 
moa und die Stilkunst. Der Natnraliamna, der mit ^^atumachahmuug (Lebens- 
wibriieit » Wiridiehkeit) aiefati sn taa In^ entapriogt dem Ejaftihlongaproaeß, 
er eoelit Anulhenug an das Organiieh-LelMiiBwalite, iiieht an die Wiviüieh- 
keit^ daa organieche Leben selbst; seine BlUte ist die Kunst dw Antike und 
Renai^f^aticr'. I'io Stil'KiinBt rosnltiert ans dem Ahi^traktionsdrang und findet 
ihre hüchate Enttaitnng in der Kunst der alten Kulturvölker, vornehmlich der 
Ägypter. Wie sich die Auffassung der Konstentwicklung, die aioh unter der 
Anwendung der gewennesMi Gerielite|»nnkle ab eine danenide Aueinander^ 
eeteong oder ein KompromiS derselben daratellt, im ainaelnen gestaltet, möge 
in der Sehrift selber naehgelesen werden, die jedenftlls den Vorzug hat, daa 
bisher mangelhafte YeiStlndnis der altSgyptiachen Kan^^t bedeutend aufita' 
hellen. Dr. Fritz Boae (Quinte al mare). 



11) Ch. Albert Scchehayc, Programme et Methodes de la Linguistique 
Th^oriqne. Psychologie du I^ugage. Paris, Honorä Champion — 
Leipng, Otto Harrassowlta ~ Gen^e, A. Eggimann 8t Cie., 1906. 

1 K.^i ite] Science dee fiUta et acienoe dea loia. Jnatificstion rationeile 
d'une iinguistiqne tbt^orlqne. 

Die Linguistik ist eine Wissenschaft der historischen Tatsachen. Sie 
aateraeheidet sieh Ton den anderen Wiesensehaften der Tataaehen dadnreh, 
daß aie nieht die Zaknnft vorhersagen kann. Die hiatorlsohe Wissenaehaft 
belehrt uns darüber, was außer uns in der Zeit nnd im Ranme ist; ihr gegen« 
über steht die Wissenschaft der Gesetze. di> nns nagt, was in uns ist. Wenn 
es keine Tataachen gäbe, würde es kc un \\ ij^.-^enschaft der Gesetze geben. 

Aber die Methode der Tatsachen tuhn niciit weit Um aus der einfachen, 
rohen DaisteUang heraiteaiikomnien, maß man sieh der Xediode der Getetee 
bedienen. So trifit die Wiasensehaft d^ TatMMdwn mit der der Gesetee ra- 
aammen; wir nennen sie rationelle Hetiiode, d. i. Induktion und Deduktion. 
Diese neue Wissenschaft bezeichnet man am beaten mit dem Aoadrack »theo- 
retiache Linguistik«. 

2. Kapitel. De? rei^itions de l.t linguiatiqaedea&itsetdelalingaiatiqae 
theorique dans r6tat aetuel de la science. 

Die Grammatiker, die durch Abstraktion der Suffixe, Präfixe und anderer 
Bestandteile anf den Ursprung des Wortes hinwiesen, haben den Grundstein 
Ar die Erklimngen der ersten Indogeimsniaton gelegt Van kam darauf, 
die Terschiedenen Spradien sa vergleichen, und dnrch eifriges Stadium fand 
man aehliefilieh eine gemeinsame Sltere Wnrael Tersehiedener Sprachen. 



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I 



180 Literatorbericbt 

Der Grammatiker b€fnügt sich, eine Sprache zn beschreiben oder ihr» 
weiteren Schicksale zu erzählen. Die Grammatik besteht fUr sich selbst. Sie 
enthält einen Kodex von Gesetzen ohne organische Vorbindang mit den ao« 
deren Gesetzen der Natur ; sie kümmert sich nicht am den Mensehen, welcher 
der lebende nnd tätige Gegenstand seiner Sprache ist Die Sprache ist eine 
psjohiMlie TItigkeit des MeoMlMii. Die Angabe der Liaguietik ist m, Ualar 
dett ipesUieeh gnamstisebeii Fbinoneneii die Arbeit dei meBseiilidMB Qeiitai 
in verstehen. 

Einen wichtigen Platz in der modernen Linsrtiistik nimmt die Krnittis 
der phonetischen Gesetze ein. Je mehr Aufmerksamkeit man der Fhooetik 
schenkt, um so enger sind die Beiiehttngen swiecben der Linguistik nnd der 
Phyeioli^e. 

Fkttlier sprach man Ton flektierenden, agglutinierenden Sprachen usw.: 
aber mittlcrwoilo hat man eingesehen, daß diese Ansdrtlckp nicht ausreichend 
sind. Man hat gefunden, daß eine tiefe Keautuis des menachlichen Geistes 
nOtig ist, um die unendliche Verschiedenheit der grammatischen Phäncmaie 
ra Teittehen. AnderenellB baben die Peyohologen ihre Wleeensehaft toi 
den Itaaden loegelliet, die eie mit der Ketapbyiik ▼erlmfipllen; ao enbrtiad 
die physiologische Psychologie. 

Zucr.-'t liaben sich die Psycholnp-rn der npnen Schnlc an die isolierter 
Tatsachen gemacht, wplrhe die Linguistik vernachlässigt oder von einem 
anderen Gesichtspunkte aus betrachtet hat Man studierte s. B. die Phäno- 
mene, welche dee Wehmebmen der Worte unter ihrer btfrbaten oder g» 
phieeben Form begieltnten. — Zn gleiober Zeit» ala eich die Gremmetikiff 
emetlioh mit der Psychologie beschiftigteni beepraeben die Pirfeheiogei 
GegenstHndp, dio nn die Grammatik prenren 

Die Dinge haben sich ein wenig geüudert seit dem Erscheinen von 
Wundts »Völkerpsychologie« >}, welche auf den allgemeinen Üesnlutea der 
modernen LiognietUc baaiert Das Werk iit der erate Teil einer yoDendetn 
Abhandlung der Geaam^^ebologle. 

3. Kapitel. Ciitiqne de Vvavn de Wnndt 

Die Kritik ist in folgraden Worten zusammenzofasBen : Wnndt hat alle 

Probien»» der Unpuistik beliandolt, ^%olche ihm von psychologisch ein lnte^ 
esse LH t?eia Hcuienen, und er hat alles vernachlüssigt, was in das Gebiet der 
Grammatik fällt. Die Wichtigkeit des grammatischen Problems hat er niciit 
▼eratanden. 

Ea iat leicht begreiflieh, daß eioh Wnadt aleht um daa grammatbehe 

Problem der Sprache klimmert. Er ist Psychologe, nnd ihn interessiert et. 
zn erforpohon . welche Ausdrncksmittel der Mensch für seine Gedanken 
schafft ist dieser erst einmal im Besitz der Sprache, dann verändert er sie 
unaufhörlich, um sie für die Forderungen der neuen psychischen Triebknfte 
branebbar an maehen. 

Es g^bt jedoeb keine wahre Psychologie der Sprache ohne Berflekriehtf- 
gung des grammatischen Problems. Auch Wnndt hat das erkannt; trotodMi 
hat er das Studium der Grammatik nicht ernst genommen. 

Wundt fängt sein Werk mit der Theorie der Ausdrnoksbewegnngen 
an; er bespHeht die Trieb- und wOlltttfliohen Bewegungen. Es ist die 

1 Wilhelm \V n n d t . Völkerpayehologie. 1. Bd. Die Spraobe. Leipttf , 
Wilhelm Kogelmann, 1^. 



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Litenturbericht 



181 



Sptaehe dnroli Gesten, eine Art ofttltrllelie Simehe, die nur psychologiBehe 
Regeln, aber noch keine grammatlMlien znr Gnindlage bat. 

Hieranf leitet der Psycholofrf» zn der artfknlierfi ii Sprache Uber, die sieh 
offenb&rt iu Laatgebärden, Lautmetapbern and Onomotopoetika. 

Wnndt beschäftigt sich sowohl mit der Entstehung der Sprache, als 
aneb mit ihier EntwieUnng. Aber xnr Onmniitik gehOrt außer den Tönen 
uoh ein TonajileiB. Wir kOaiuni daa STatem« waleiiea in einem gei:ebenea 
Aogenbliok ia der Sptiebe inni Ansdrnck kommt, »phonolo^isches Ton* 
System« nennen, nnd das grammatiHche Problem, da^ sich damit befaßt, 
»phonologisches i'roblem«. Wundt hat dieses Problem erkannt Er be- 
spricht ea mehrere Male» 1) als er sich über die Kindersprache äußert 
(L 8. 800); 2) ala «f die Yetaiaelninf und Baeinfloaeong aweier Sprachen 
behandelt {L 8. SBfi). Ferner itreift er daa Thama (L 8. 476) bei Oelegen- 
hait der EaHehnnn^ der Fremdwörter nnd soUiafiBeh in dem Kapitel »8plel- 
fanm der normalpn Artikulationen< fS. 366). 

Seche ha ye macht Wnndt den Vorwnrf. dieses so wichtige Phänomen 
immer dann' behandelt xn haben, wenn er es für seine weiteren Ausftthmngen 
für nittig ftnd und ihm. nioht ein eigenea Ki^itel gewidmet an haben ; da* 
dareh hat er aneh daa sweita wiehtiga FroUam, daa phonatiaeha» nieht he- 
merkt. 

Di> Ansicht SochehayeB wiire dann gerech t ferti ^ , vri^nn uns in dem 
Wundthrhen Buche die Arbeit einee Philologen, aber nicht die eines Psycho- 
lüj^^en vorläge. In dem phonetischen System werden grammatisohe Gesetze 
gegeben, die die LantdaiataUnng behandeln. Wir kOnaan von einem Pajaho- 
logan nieht Terlaagan, da0 er aieh mit dar. Oiammatik beeehifitigt Wir 
mÜBien ihm hingegen dankbar sein, daß er nns dnrch sein WeA die Grund- 
lege ^'e?rli:ifTen hat. auf der die Philologen weiter banen kfinncn. 

Hieraul beBpncht ^Vnndt eingehend daa ujorpholo^'isoho Problem, das 
er genaa kennt Man ersieht aus dieser Abhandlung, daß viele Fragen noch 
nieht geUfet aind. Fttr den Linguisten ist ea lahr lahrraieh, eieh an dar Hand 
▼on Wnndta peyeholegiseher Analyaa über die Horidiologla einea Wortaa 
nnd seine Entwicklung aus der Wurzel zu informieren. 

Infles-ien Ist hier die Arbeit für den Philologen, wie Sechohaye mit 
Recht sagt, eine aehr schwierige; denn es fehlt jede Be/iehnn^ zwischen der 
idealen psychologischen Beschreibung und den Worten unserer Sprachen. 
Man weiß wohl, dafi viele Zaaimmanaelanngen baatahan, die lieh Uawailan 
in einer anganeeheinliehen Einheit vareinigan, manehmal hiagagan dantiieh 
varaeiiieden sind. Zwischen diesen beiden Extremen eziatieren jedoch noch 
vielK» zweifelhafte Fille, die uns Uber die {rcwrihnliche Grammatik keinerlei 
AutVt hlub geben i Wnndt weist nns durch seine psyehologieehe Definition 
die W ege. 

Er bastiaunt drei Typen: 1) Zneammanaataang dnreh Aiaoaiatlon aweier 
Betthrangealamenta, %. B. poub^a, daa ein Fragment dea Satzes »je vons ^ 
donne eet argent ponr boire« darstellt; 2; Zusammensetzung durch Aseozia- * 
tion von zwei benachbarten Elementen, z. B. Trinkgeld (Geld zum Trinken); 
3; Zusammensetzang durch Assoziation von zwei getrennten Elementen, a. B. 
Hirschkäfer. 

In dem folgenden Kapitel atadiert Wnndt die vier HanptUaeien von 
Wörtern: Snbatantiv, Adjektiv, Verb nnd Partikel Er leigt nna, dnreh 
welehe peyehologiaehen Proaeeae eieh die eo daxgeatalltaa Wertvoretallnngon 



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182 



Literaturbericbt. 



gebildet md filiert haben. Anstett In einem aibitnkteB Reieli dee WSg- 
liehen oder Notwendigen za sein , sind wir in tinem kontaelen Beteh dei 

Wirklichen, and die psychologischen ErklSrnngen erstrecken sich auf iso- 
lierte PhSnnraonp oder anf Gruppen von historisch festgesetzten Phänoraeoen. 
Statt eines liuguibiisch theoretischen Kapitels änden wir Fragmente eiset 
historischeu Graiumatik mit einem psychologischen Kommentar. 

Diese« Knpitel nntereebeidet eieh weeentiieh von allen anderen dsi 
Bnehee. 'fnthrend in den übrigen Kapiteln die Tatsachen die psychologi« 
sehen Gesetze illnstrieren , heftet sich hier die psycholopsche ErkUmag 
Schritt für f^chritt an die Tatsachen, die darch die Geschichte festgesetat 
sind. Wnndt behandelt za gleicher Zeit die äaßeren und die inneren Wort- 
formen. Die äußeren sind charakterisiert durch irgendein äußeres Zeichen, 
hinfig dureh ein Snffiz, i. B. wiU'it Die inneren Woitfonnen kOnnen niolt 
aaalyiiert werden, obwohl sie einen grammatikalisch imanunengeeetileaWert 
haben , z. B. ich , das ein persönliches Fürwort der ersten Pereon eiog: tm 
Nom. ist, dessen Sinn sich aber auf das ganze Wort erstreckt. Wondt 
interessiert sich für den Wert und nicht für die Zeichen des Wertes. Er 
betrachtet die grammatischen Kategorien in abstracto ; indessen hat sich du 
gnnuaatieebe Problem damit sn be&Mnn, wie die gnunmatlielien Z eleh se 
in concreto wiedergegeben werden. Jedee konkrete Zeichen ist parallel nit 
der Sprache; ihr Wert besteht in diesem und durch dieses Zeichen. 

Endlich strSubt sich Wnndt o-ep-en dfü Ausdruck »lop?ehcs pT:bjekt<, 
den Paul') fUr die psychologisch herrschenden Gedankeu anwendet. In 
dem Satze »ich reise heute nach Berlin« ist »heute« das logische, »ich« du 
gmmmatisdie Snl^elct Wnndt sieht die Beeeiehnvag »henseliende Yw 
iteUnng« vor (II. 0. 900). Er rechtfertigt seine Meinung, indem er sagt, da0 
CS außerhalb der grammatischen keine logischen Beziehungen zwischen den 
Teilen des Satzes gibt, sondern nnr Akzent- oder Intensitätsverpchiedenheitea 
zwischen den Vorstellungen. Wundt macht mit Recht einen scharfen Unter- 
adiied iwieoben der Grammatik und dem Gedanken. 

Hieranf beeprieiit Wandt den BedentangiwandeL Dieeee Kapitel ist, 
weil ee anfiolialb der Grammatik stoht von Seohehaye nicht nXber be- 
sprochen worden. Mit einem kosen Kapitel Ober den Uiq»nuig der SpcMhs 
schließt Wundt 3 Werk. 

Um noch einen bisher un erörterten Punkt zu erwähnen, aei bemerkt, 
daß Wnndt die bidier verwendete grammatikaliMlie EfaitaUnng anfreektUDt: 
Ton, Wort, Rezlon, BaHm, Die SinteHnag paOt nlekt wo. der Ton Wnndt 
in seinem Buche niedergelegten Lehre, worin gesagt ist, daß das Wort ein 
Produkt der Analyso des Satzes ist tmd die Silbe oder Artikulation dirob 
Analys.; doH Wortes gebildet ist I S .'»60/61 und 11. S. 234- 238). 

4. Ktijutr]. La Lingaistique thuorique ressortit i la Psychologie Indiiv 
duelle et a la Psychologie coliective. 

Um der Bpiaeke eine gaas aOgemeine Definition sn geben, kaan sna 
eigen, daB eie das Zneammenwirken Ton Htttehi ist, deren siek ein peyeho* 

physisches Wesen bedient, um seine Gedanken anszudrttldLen. Diese Defi- 
nition hat den Fehler, daß sie rein abstrakt ist. Um von dor Sprache im 
allgemeinen su sprechen, hält es Sechehaye für gut, von ihrer wichtigstea 

1) Hermann Panl, Prinsipien der Spnukgeeekiekte. HaOe, inemsyer, 



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Literatnrbericht. 



183 



Form, also von der gesprochenen Sprache zu reden. Am melaten ilÜit 
nas bei der gesprochenen Sprache ihr organischer Charaktor auf. 

Indessen, wie wichtig der granmiafische Organismn» iu der Sprache auch 
ist, so muß man doch eioseben, daß die grammatischen liegeln nicht ganz 
Is der Spmdie sind. Diese Tetetebe iit dadoreh angeneeheinlich gemacht, 
ömB die Gnunmatik beim Sprechen beständig ^ezletzt wird; md daß, ftm 
dftTon, fest zn sein, sie nicht anfhOrt^ sich zu entwickeln. 

Die geaprocliene Sprache scheint das Ergebnis mehrerer Faktoren zu 
sein. Wir können sie in zwei große Kategorien einteilen: in das gramma- 
tische and in das anßergramuatischc Element Der grammatische Organis- 
mu let daa Produkt einer Anpeaenng jedes Gegenetandee an die Notvoidig^ 
keil der Fortpflaasnng des Gedankens. Die außergrammadiehen Blemente 
kingen direkt von der psychophysiologischen Tätigkeit dessen ab, welcher 
spricht. Da sie keine Ursache außerhalb des Sprechenden haben, müssen sie 
durch die Gesetze der allgemeiuen oder individuellen physiologischen Psycho- 
logie erklärt werden. Somit steht unsere theoretische Linguistik zugleich in 
Yerbindnog mit der indiyidaellen nnd mit der Gesamtpsyckologie. 

5. Kapitel. Le principe d'emboltement 

Dieiea Prinzip yerlangt, daß aieh die yereeliied«Mii Wltoeaiebaflen la- 
elnaader etnfUgen. llan kann die Probleme nielit iaoHeren; denn die Natnr 
lat nicht dnlkeh sauamengesetzt aus einer Summe von Phänomenen der 
v<»r^rhicr]r>nen Ordnungen, welche sich nebeneinander «teilen oder eichkrenaen; 

«ie liegen im Gegenteil ineinander. 

Das erste Milieu, das abstrakteste, allgemeinste, das, vor welchem es 
nielita aaderee gibt, ist der nensoUicbe Oedaalce. Er genügt fllr die naHie- 
Mft^ajth^ Wieieuehalien. 

Femer seien die Molofbdien Wissenschaften genannt. Zu ihnen gehtfrt 
die Phy?i*o]nirie, ein Teil derselben ist die Psychologie. Neben der objek- 
n\ f n K< :iütni8 der Fhänomeue haben wir noch eine subjektive l^riahrung, 
welche wir selbst aus unserem eigenen psychischen Leben bilden. 

Diese Psychologie ist snerst intHridnell, dann allgemein. Von dem Sta- 
dinm der Indhridnen erhebt man sieh an dem der ganaen Hensebhelt Diese 
Gesamtpsychologie dient als Basis fUr die moralischen Wissenschaften, welche 
(<irh darauf aufbauen. Zu dm letzteren zählt man Qeaohiohte, BOXiale nnd 
politische Wissenschaften, Kunst und Religion. 

6. Kapitel. Division de ]& Linguistique th^orique en denx sciences 
re!><<ortiBBant Tnne 4 la Psyekoiogie individnellef Tantre i la Psychologie 

coUective. 

Die Sprache besteht also aus der Kombination zweier Faktoren: 1] aus 
dem gtammattoehen Fkktor, der in das Bweieh der Oeiam^syehologie ge> 
hOHt nnd 9} ana den anfiergrammeüsehen Faktoren, die ans der indlvidnellen 

Ftq^ehologie entstehen. 

Es pibr jedoch noch eine ganz außergrammatische Sprache, eine Sprache 
ohne Regtl;i wir kOnnen uns auch dnrch natürliche Ausdrucksraittel ver- 
ständigen. Zu diesen natürlichen Aosdrucksmittelu, Mimik, Geste, Tüne usw. 
mHaeen wir greifen, wenn wir uns mit Mensehen ftemder Hatfonen ▼eratibi- 
<Bgen wollen, deren Spraehe wir nieht verstehen. Diese nene Sprache, deren 
wir nns bedienen müssen, um uns verständlich zn machen, ist die vor- 
grammatische. Sie unterscheidet sich von der anßeigiammatieehen 

IMUt fir Pqrtkologto. Xm. Utmtw. 13 



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1B4 



Llteortniberidit 



dadurch, daß sie keinerlei Beziehunp: ^nr Grammatik hat. Doch existiert die 
Grammatik nur kraft der vorgraunnfitiöchen Phiinomene, welche ?h ver- 
Btonden hat, sich dienstbar zu machen. Jeder vorgr&mmatische oder auüei- 
gimmitiMlie Akt bfldet lieh in dw Oianunttik. Sie ist wi« eise b«- 
•oifedeTe Mißgestftltaiig det TorgrammstlselieB Sprmclie. 

7. KapiteL Ptogfimme de U premiteo paitie de la Lbigniitiqite tb^ 
rlqoe, oa Seienoe du Laagtgo affeetlf. 

Die vorgrammatische Sprache and folglich auch die aaßergnuunatbelMi 
Elemente der organisierten Sprache sind bedingt durch die Bewegnngen dw 
das Gemüt betreflfenden Lebens, durch die Bewegungen und die Darstellnn^u. 
welche den Gedanken begleiten, sobald als alle«, was Grammatik, Anpasena^ 
aa die CkanntiNit ist, snrn Frtaiip einen Intefi^biellen Akt kat 

Die Spraeiie iat eine der Offenbaraagen des inteOektoeUen Aklat. Es 
gibt keine Sprache» ohne daß die Intelligeni in das Spiel tritt. Nnr die RoUe 
der IntellipPHA knnn mehr oder weniger groß sein; sie kann je nach Be- 
lieben einen Einfluß auf die Wahl der Aasdiuckamittel ausflben odsx 
auch nicht 

Der Gegenstand kann anf awsletlei Weise ansgedrttokt weiden; entwsdsr 
er sehaIR sein Zeiehen oder er bedient sieh eines sokon gekannten Zelehsai. 

Im ersteren Falle gehorcht er dem Impulse der instinktiyen Bewegungen. 
Es if^t die natUrUolie Sprache der inneren Bewegung, wie i. B. der Sefani 

des Schmerzes. 

Die das Gemüt betreffende Sprache ist der erste Gegenstand der Stndiea 
der tbeoretlsehen Lingoistik. 

Die Spnwbe der Tiere ist ein Phinonen nwlsoben dem, was no«h nicht 

Sprache ist, und zwischen dem, was anfängt, den Nauen »Sprache« %m tngH. 
Pri!« Hchreien der Tiere hat boHtimmte Formen; es sind aber keine masaUBSB* 
hängenden Zeichen wie diejenigen der Grammatik. 

Unter den Formen der meniichlichen Sprache ist das beste Beispiel, dem 
Oemttt entsprechend zu reden, die erste Sprache der Kinder. DaslOsd 
nimmt etwas Ton den Bedensarten der &waefasenen an, eiie ee die Syntu 
annimmt. Auch in der Sprache der Erwachsenen finden sich Ausdrücke 
(pfui, air. die dem frelwillic^en Schrei assimilierbar sind. Sie haben jedeeh 
eine feste Form und sind im Lexikon aufgenommen. 

8. Knpife! Tn Psychologie ooUective et sa m^thode. 

Die \ iiiedenheit zwischen der Gesamtpeychologie und den anderen 
uatüriiciieu Wiäaenschaften ist viel mehr theoretisch als praktisch. Diese 
yersehiedenheit awlsehen dem, was vorhergeht, und dem, was der Gessai- 
psyehologie in der Ordnung der aUgeneinsn Einsehacbtelnng folgt, b^ 
zeichnet den Übergang von den natUilieben au den moralischen Wiseen- 
schaften. Das Studium der Gesamtpsychologie repräsentiert n^o v^^rschie- 
dene Wissenschaften. Sie vervollstaudigen sich gegenseitig, sind angrenzend, 
aber sie öind trotzdem nicht unlüsbar verbunden. Jede Wissenschaft bat ihr 
eigenes Problem. 

Bs gibt daher Inneriislb der Gesamtpsjehologie eine linguistiseke Wiissn- 
sehalt. 

9. Kapitel. Deuri^e partle de la Liaguistiqne tbMqae on Scienes ds 

Langage organis6 sous sa forme parlSe. — Principes de subdivision 

Das Hauptproblem der theoretischen Linguistik der gesprochenen Sprache 



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Literatlirbericht. 



185 



ist dM gratttmatiMfa« Pioblan. Dfo hObera Begel d«r Oraomiatik iit dfe 
Logik. Die Grammatik ist eine pnktisehe and angewandte Logik. 

Bei einer Betrachtung der organisirrten Sfir.irbc bpobacbtet man zwei 
Unterabteilungen: V dfis Stadium der Sprachznstände zum Unterschiede von 
dem der tipracheutwicklungen, 2) das hergebrachte Element der Sprache. 
Die dem Gemllt entapreohende SpxMhe kennt diese beiden Unterabteilungen 
nicbt Ein Spraehsütaiid nmfaßt swei Faktoren: den gnunmetiiohen Zu« 
etand und die enßergrammatiscben Faktoren. 

"Der f^Tfininiatisclie Zustand reflektiert die psychischen und physiologi- 
schen Dispositionen des Organismus, in welcliem er sich vf^rwirkürht Jeder 
grammatiache Zustand hat historische Ursachen. Das iudividuum tiindet bei 
der Gebort die Spraehe e^ner Umgebung. Die Orammatik verändert sich 
nber «eb im Lauf der Zeit derart, daß jeder kollektive oder individnelle 
grunmafische Zustand uns wie ein Augenblick im Laufe der Entirieklung 
endieint. Diesi> Entwicklung hat Gesetze. Die Kenntnis dieser OeeetM ist 
der Schlüssel für alle grammatischen Zustände. 

Han kann das physiologische Phänomen nicbt von dem psychologischen 
trennen, d. b, man Icann bei der Analyse eines Wortes nicht den Inhalt 
(Pom) Ton dem Enthaltenen (Wert) trennen. Der Gedanke ebne die Form 
und die Form ohne den Gedanken interessieren die Linguistik nicht mdir* 

Die Form umfaßt Tor allem Gedanken, Uber die der sprechende Gegen- 
stand verfügt. 

Aber die Form der Sprache ist nicht gänzlich im Lexikon enthalten. 
£s fUgen sich sa den Ideen gewisse logisebe und psychologische Be- 
stimmangen, welebe mit den Tersobiedenen Bollen korrespon« 
die reu, die sie im Gedanken spielen kOnnen. 

Die Bestimmungen, welche diese Prozesse ausdrücken, sind eines der 
Kiemeute der Form des Gedankens. Es besteht eine absolute Übereinstim- 
maug zwischen dem Gedanken und der Grammatik. 

Es i^bt eine abstrakte Form der organiseben Spraebe vnd ttbereinstim- 
inende T9ne, dnreh welebe sieb diese abstrakte Form verwirkUeht Diesen 
beiden Teilen der Sprache enisprechen zwei Wissenschaften: die allge- 
meine Morphologie und die Wissenschaft der Töne. 

Man kann die allgemeine Morpholoprie von zwei Seiten botrar hten: von 
den Zuständen aus ;8tati6tische Morphologie) and von den Entwicklungen 
ans (entwickelnde Morphologie). Andi die Wiisensebaft der TBne aerfVüt in 
swei Dissiplinen: in die Phonologie nnd in die Phonetilc. 

10. Kapitel. Emboitemeut deä disciplines ävolutives dans les discipUnes 
ataüqnes. 

Eine Eyohition ist der Obergang von einem Zaatimä in einen anderen, 
somit ist die Idee der Evolution notwendigerweise verbunden mit der Idee 
gewisser Zustände. Ein Sprachzu-tnii i hingegen ist einer der Momente der 
Evolution. Er ist etwas ünlu \m LllcheH. Und endlich ist das Objekt der 
Wissenscbatt der Evoiutiüueu uälier der koukreteu Wirklichkeit als das 
Objekt der Wissenschaft der Znstinde. 

11. Kapitel. Emboltement de la Phonologie dans la Morphologie statique- 
Die Wissenschaft der Töne maß «leb In die Wissensehsft der Fonne» 

efaiaebaebtelB, vnd die Morpbologie der Spraebe ist notwendig, nm in Ter- 
ateben, was die artiknliarten Töne wsfden» venn sie in den Dienst des 

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186 



Litentnrbericht. 



yfmtm gestellt sind. Die Phonologie findet ihr Objekt nur d«, wo <Ue 
grammatisobe Sprache exiBtiert Dae Stadium der abetrakteB Morphologie 

muß (lalifir dem Studium der konkreten Pbouologie Torangeben Die Phono- 
logie baaiert zugleich auf der Keuntuie der Stimme lud auf derjenigen der 

Form der Sprache. 

12. Kapitel. Programme de la Science da Laagage otganise aoos m 
forme parlde. — Partie statiqae. 

Dto Eitth«tt ia dar Sprüh« iit dar Säte; die eiafiidiit« Fem die Sato 
lat ein Symbol, welehee den Gedankea anadrllekt PottiriUuteiid ▼eiliagai 
lieh Sätze darcb Zuftigung neuer WOrter. Das Wort mit seinem gramu- 
tischen Wert i^t das Prodokt einer Analysei eboiao wie jeder S«ts daaFro- 
dokt einer S)'Dthese ist. 

Die Akustik und die Physiologie der Stimme gehen der Morpholof^e 
▼oran. Ea aeheint» da0 die SUSmmt die gnawMliaelie M «npholegie ind dien 
wiedenun die Stiasme bedingt Die mündllehen Symbole in ibrer «luafiti- 
tiven Venehledenhelt nnd in der SchnelliglEeit ihrer Folge entqweehen aües 
Fordenmgei^ d<'H menschliclien f^pdankens. 

Die Toni' die der organiBchen Sprache nützlich sind, mUsacn durcli ilire 
Artikulation und durch ihre anderen Eigenachaften leicht erkennbar eein. 
Deabalb iat es nötig, daß die TQne in vorana bekannt nnd «ntersinaadar 
veiaobleden aind. 

Die Symbole der Sprache mUssen ihrer Idee assimiliert sein (di das 
SjTDbn] (He Ideo eines Zeichen? istl Man muß sie in phonolo^sche Ele- 
mente einer gut deüuiertcu Qualität zerlegen künueu. Damit diese QnaU- 
täten gut definiert sind, mUssen sie nicht in konkreten ivorübergeheoden) 
.Akten beateben, aondem in Ideen wie die Symbole lelbat 

DieTtfne kOnnea ebmkteriBlert werden dnreh daa Tfanbre, welehei foi 
der Artikulation abhängt dorob den Akaent, dnrdi den maeikaliaeben Tob 
and daroh ihre Menge. 

> 

18. Kapitel. Embottement de la Phon^tiqiie dans la Morphologie 6volatifa* 

Zunäcbst muß geprüft werden, ob die entwickelnde Morphologie vor die 
Phonetik gesetzt werden soll. Es scheint daß die phonetische Entwicklang 
außerhalb jeder morphologischen bestehen kann. Die morphologische Um' 
bilduag kann allein bestehen und ist voUkommeu deutlich ohne die latM^ 
vention irgendeinee pbonetiaeben Faktora. Unaere Anafllliningen lerMl« 
in iwei Teile. Der erste Teil bebandelt die moxpb<dogiBcben Entwickhngea, 
der zweite Teil die phonetischen. 

Erster Teil: die morphologischen Entwicklunjxen. 

Jede Neuerung in allem, was die Form der Spraclie üctnüt, ist uater- 
worfen dem, was man Gesetz der unbewußten Schüpfung nennen ktSnote. 

Dieee SehOpfong kann nieht eiiatieren, wenn daa Soliiekt «ktir ist Du 
Snljekt lauin nur den Einridbtongen geboreben, welebe daa Weaen dsr 
Qnunmatik ausmachen. 

Die unbewußte Schöpfung kann existieren, wenn das Subjekt passiv i»t 
Diese Passivit'at ist nur relativ. Das Subjekt analysiert alles, was es hört, 
und achreibt jedem Teil seinen bezeichnenden Wert zu. Es ist nicht air 
nötig, daß daa Snbjekt die Symbole wahrnimmt, aondem es maß tu» aaek 
bemerken und ibrer gmmmatiaeben Idee aaaimiUeren. Die moiphologlids 
JSntwioklnng eiiatlwt anfiwhalb jeder phonetiflehen. 




Literatur Bericht. 



187 



Zweiter Teil: die phonetischen EntfricUnngen. 

Es gibt swei Sorten tob ToaambÜdiiiigen: die pUMaliolieii und die laag^ 

eameo. 

Die plützlichcu Umbilduugea ändern nichts an den phonologischen Ge- 
•etMn. Eän phonologiscbes filemeot Ut einem Wort wird enetit dueli ein 
anderee pboaologieeli gettehenee Element 

Bei den langsamen Umbildungen bilden sieh die Tjpen ifae l^fitanin an, 
indem sie allmählich (Inrc]i eine ('bcrgangildhe TOB Eti^pea la den TOr- 
eohiedcaen Artikulatioo« n \ oi>rhieiten 

Die plützlicbeu Verauderuugeu iiabeu zweiüriei Ursachen. Die einen bü- 
rahea aaf Mee a eee oe ietioaea, die taderea anf Toaiadaklleaea. 

1) PlOldiehe Vetindemagea, herrorgemfen daieli MeeaaieonatioaeB. 
Zu ihnen zählt man: 

ai die aoHlogischen. 7 ms dem ehemaUgea je treaTO, aoas troavoaa 
entstand je troiive, nous trouvous. 

b] die paraiogischen. Sie entstehen durch Ideenassoziationcu, jedoch 
■nit der Beeoaderheit» daß dieee Aaeoiiattoaea saftllig nad keiaeewegs 
hiatorieeh geteehtferttgt siad. Wena i. B. j^otogiapUe in pboto abgekfint 
wird, so kommt es daher, well der gaaie Siaa dee Wortee den beiden eritea 
Silben assoziiert ht 

Die plötzlichen Yeränderaagen, sowohl die analogen wie die paralogen, 
sind morphologisch. 

8} PlOtiliebe ümbOdnngen, welehe aaf Toaladaktieaea berahea. Sie 
Mad nicht aiorphologbeh. Sie entstehen irthrend dee Spreehene aad habea 
iauner al» Fräache einen gewiieen Riß zwischen dem normalen FanUeliimne 
dee Gedankens und seines prsrnTir^tisphen An-^drnck? 

Die langsamen UmbildnngeD oiaciieii deu haupuacijhcheu Tuil der phone- 
tischen Entwicklung aus. Die Töne entwickein »ich nicht durch sich selbst, 
•oadem et eiad die epreehenden Qegenetitnde, weldm ile lar BntaioUaag 
bfiagw* 

14. Kapitel. Programme de la Selenee da Langage oigaaleft toai ta 
ftrme parl^e. — Partie cvolutive. 

DipHpa Kapitel zerfiülr in drei Teile: Ontogenesis, Phylontogenesis nnd 
Phylogenetijs. Die Einteilung verdanken wir Ottmar Dittrich*}. Die 
Ontogenesis behandelt Taten oder Handlungen, welche alle Ursachen in 
eiaMa isoUertea Wesea, la dem epreehendea Gegeaitaad habea. Die Fhyloato- 
geamle spricht Toa dem, wss her^orgebraeht wird, wenn der isolierte Gegm- 
stand den EinSuß eines oder mehrerer anderer epreeheader Gegenstände er- 
leidet Die riiyinfroiienifl ondlich aprieht voa dem, was Ton der Qesamttttig- 
keit mehrerer (iegensUinde ausgeht. 

Dai» ä>uibol erscheint krat't einer uabewuliteu Schüpfuug ähnlich jenen, 
welche eich beim Urspraag aller morphologischen Entwieklaagea fiadea. 
Mbd beflelfiigt rieh, die Sprache aaderer sa Tersteben. Daa ladlTldaam sieht 
zum ersten Male in gewissen TOnen oder In gewissen Bewegungen einen 
ol'ieltiven und beständigen Korrespondenten ^ewisucr Tdeen. Da» Zeichen 
Wild in ein Symbol verwandelt, die Grammatik euttiteht. Wir sind im Ge- 
biet der Phylontogenesis. 

1) Ottmar Dittrich, GmadaHge der Spraebpsychotogie. Halle 1904. 
Siehe Einleitoag, 1 142. 



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188 



Ea iit wichtig, daü die Symbole, die bisher toq einem fiiazeiwesen aa- 
gnoninien wurden, Gemeingat werden. Das Symbol, welehee nur von einem 
W<Mi gekasnt iet, nnteiUegt binligeB Yeritademnfen. Wltd et tedeeeea 

VM ftlltn gekannt nnd benutzt , bo kann es von einem Individaom weder 
vergeesen noch Tcrändf^rt werdm Wir trften hier ia dat Reith der Phyto* 
genesis ein, d. h. iu die Ges&mtpbycbologie. 

Daa Problem wird verwickelter, wenn es sich dämm handelt, die Ent- 
wieUuif m etidiiieB, welebe die Symbole fii fluem Sian erielde«. Htt der 
Theorie der Sinnesentwicklang beschäftig^ »'u-h eine andere Wissenschaft, 
die S e m a s i o I o gie. Wandt bebandelt dieeas Tbem» im Torletateo Kapitel 
seines Buches. 

Die Wertnmbildnngen der Symbole sind der Gegenstand der 
SamftBtik. Si« wird TerroUatbidlgt dvreh die entwiekelnda Syntaz. 
Diese beiden DbzIpKaen Ttialnt bilden die evolntiTe Morphologie. 

Es !9t wiohtifr. zn erfftrschen, welche Beziehtiiigen zwischen dem ppman- 
tißoiien Prnblrta und dem syrttn.ktischen bcBtehen. Man mnß bestiramen 
versachen, wua das Symbol für sich selbst wert ist and waa es wert ist in 
bang auf andere Symbole. 

Bei der Phonetik können wir einer andeiia Hediode folgen als bei der 
entwirknlniirii 'Mnr jilmlogie. Walirrud i:inn hoi der cvolutiven >!nrphologie 
von der UnibilduML'; des Zeichens in ein .Symbol ausgeht, muß mau bei der 
Phonetik die materielle Beschaffenheit dieses Problems berilckaichügeQ. 

Dieeee FUbmmeK aerftllt in drei Teile: Ontogenesis, Phylontogeaaaie md 
Fhyiogenesis. 

Das 8chwierirRff> imH wichtigste Problem iet die Frage nach den Ur- 
Hachen der phoTictischi n Kvolationen. Pas Hauptprinzip der phonetischen 
i:^voiuLiunen ist die Anpassung des phonologischen Systems an die sprechen- 
dai Qe g t M t i itde. Ee gibt Tier Arten Ton Anpurangen: die physiologische, 
dia payahologische, die intelloktaelle und die historische. 

Zum Schluß Bei noch erwähnt, daß man bei den Evolutionen der Sprache 
die verechicdenen Evolutionen berUckaichiigen muß, welche die sprechenden 
Wesen in iluem physischen und psychiBchea Sein erdulden können. 

lö. Kapitel. Conclusions pratiques. 

Hierin wird noeh dnmal der Inhalt des Gänsen anaammenge&fit 

B. Krataehmar (Beiünl. 



12) Dr. Legrau d , De i intiuence du Langage sur la Mcntalit^ Chinoise. iJournal 
de Psychologie normale et pathologiqne. Cioqui^me Ann^e Nr. 3. 
Mai-Jnin, 1906. Pnria, Alean.) 

Seit H. Pauls grandlegendem Werke nnd fi. Delbrücks Vorarbeiten, 
•allW. Wnndta V^dkerpsychologia «id 0. Dittriaba Untanaehungen, die 
aHmtUeb dia Spnaha vom Standpunkte daa Badandan batraehten, maeht aich 
in nneeren Tagen daa oflfenbare Bestreben geltend, die Sprache als objektives 
Material, d. b. vom grammatischen St<andpunkte aus, zu beleuchten. Jüngst 
iet Ch. A. Secbehayes Buch: Programme et M6thodes de la Linguistique 
Thöorique, Psychologie dn Langage (Paria 1906) eiaehianan, daa aban den 
palnt gnannatlaal in Baiiahnng aalst snm ladenden Menechen, daa dia Ab- 
hbi^l^t an beatimmatt svoht daa lelsteran Tim dar libeikommanan Gtam- 

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LUflnftnibiiMkt 



189 



matik und Syntax der Yort&iiren. Lad hier reiht sich trrillii h an l.egraud» 
hflbsche Studie Uber den £inflaß des äpraciizusUndei) uui die Intelligenz 
jenes Volkes, du nit iw Mlaa alt» Koltnr iMwmidefft, wkd das wir mgtm 
triam AiudehBugiflhigk^It woU m flbrditmi haben: dte CbiMean. 

Anf drei Men schon kommt ein Chinese. 

Schon diese einfache Tatsache fr»bt zudenken, fiir den Politiker wie den 
TJuf^^Tiiptpn und Psychologen; denn wir lra»^en im?* wo Iii mit einiger Furcht, 
was wird aus jener nngehenren Ma&be im äuJjeräieu Asien einmal werden, 
jener Masse, die dia honagenat«, gaaeUmamata dar Walt iat and die aiab 
aii6aid«ni anf Ibra rahntaieha Taigiiigaidieit gawaUig vial aiabSdek and noah 
dazu von ihrer Überlegenheit abaraaagt tat? 

Zweifelhaft ift ps. änQ '^ir mit unseren gewöhnlichen Hilfsmitfpln in der 
Auskunft über fremde Länder, wie Berichten von Küidieuten. Heisenden, 
Missionaren usw. bei den Chineaen so weit sind, um iu einigen Formeln die 
ganze Qeiataaariaga kora und treffmd in eharakteriaiersa. Bs bandelt aiah 
ja hter iMt, wto bat dar HdiriaU ftrUgar Btlua^ ub prfaaitlTa Volkar 
(NB. das ist nicht ganz, richtig; ich erinnere nur aa dia ehemalige Blüte 
des Aztekenroichca in Mexiko ?n7if!ürTi nm ein Volk von einer Kultur, die 
weit älter ist als die uuyerige, man .'^chiazt öie auf 4U0() Jahre; und hier ist 
ein objektiver Vergleich tUr den Europäer schwer. Wir haben ja die sondert 
bare Gewohnheit, nnaara AMefaanmgan Tan Baaht, Mond vad IntaUlgana 
■It danan dar aadaren YOlkar malat an daran Sahadan an vaiglaieban, aina 
Anaieht nUardings, die durch Reisen ganz gründlich widarlagt wird, nnd 
jüngst nannte mir ein Freund, der lange Jahre die ganze Welt durch- 
wandert und durch rei«.t hat, auf raeine Frage nach dem edelsten und vor- 
nehmsten Menscheit (ier Weit: den Zulu. Da sinkt der Wert für die ver- 
maintMohe Europäererstgebart doeh nngahaiar zugunstan daa »Wildau«. 

IMaae Sigantttadlahkait fllr dia Hiehtkanntala daa Cldnaaan Taianeht 
Leg r and dnrch eine verschiedenartige Zerebralorganisation zu erklären. 
Sind wir an nnd fflr nch schon einander undnTchflnn^Hch . ?n ist dfif nofh 
mehr der Fall dem Malaien, dem Nepper oder der i(otli:uil ^;ej,'i niiber aller- 
dings gibt es hier Beziehungen zu uns, die uns wohl eine iij-kenntnis ge- 
statten, Fälle, wo wir nna. u dan in dar dantaahan lathatik gebigoob- 
liahan Anadraek an gabraaahan, dar Uahar an dw franaOaiadien Payoho- 
logie abgeglitten ist, Fälle meine ich, wo wir uns »symptiliisch ein> 
ftihlen< können. Beim Chinep^n nbcr ist d.ifl unm(»g:licli. nnd ich betone 
das besonders deshalb, weil mau meiner Ansicht nach heute geneigt ist, dem 
Eiaftlhlnngsprozeß mae Bedeutung beizulegen, die ihm vielleicht nicht zn- 
koBUit; dann dar Chlneaa hat ai» ao apaalfiaah eigenaa Insanlahan, eine ao 
aigantitelieha Art so dankan, dnB wir nicht mittun kOnnan. Dor Cld naa a 
kommt uns nicht eut^e^eu , ja es steht fest, daß sobald ein iu Europa er- 
zogener Chinese ins TIr ii'li der Mitte zunickkehrt. chinesisclier «it veni.i verbo'' 
wird als er vordem war. während umgekehrt der im Sonnenhinde lebende 
Europäer Chinophile wird. Legrand spricht von den »LrCuten mit weiüem 
Qaaieht nnd gaÜwm Hirn«, dia Lotoe gegessan an hnban aehainan, dia sogar 
im Aher Ihra Gaaiohtablldnng formen naeh mongoUaehar Art, nnd swar ao 
atarfc nnd tftuschend, daß aio dam argwDhniaehen BUak ainer ravolationiran 
aUnesischen Bande entgingen. 

ü^|^i>;e^.s u wir unter dem Namen Chin.i nicht eine ethnische 

Einheit zuaammeu: seit den Zeiten der VorfahrcQ, die nach der Legende iu 



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I 



190 Literaturbchciit. 

NMtem wohnten — eine Parallele zu den GOtterabstammungen der anderen 
Völker; die Böhmen haben dazu noch eino eigene Sf h^'pfnn^sfabel — . sind 
gewaltige Völkerfloten libcr das Land gegangen und baheu §ich mit <i»=n 
Bewohnern vermischt, irotzdem blieb die Maese einheitlicher ul» in Lurop^ 
wo Gebiigo vad Meere daa Land lairiHeii nid dfo Awdelmnng veiUadeitai. 
So treffen wir im Norden imd Weeten einen mongoUieben 1^, der Mit 
eeinw edhmalen, gekrOmmten Naae dem Tartarea gleiolit» und im SQden ver- 
Bchiedene »Barbarcnstämme« {Lolos, Mnonga), die, wen» sie auch «yeten'.riri^rh 
ausgerottet wurden, doch dem Chineeeablnt einen Einschlag nach der ver* 
edelnden Kichtung gegeben haben. 

Alle diese Haaeen Terblndet eine einlieitiiobe Knltar nnd ZIvifiialtoB, 
eine Einlieit, die noeh latent iet, aich aber dann atltken wird, aobild dia 
Berührungen mit der alten Welt Kontraste erzielt haben werdmi. 

Wiihrend im Okzident der EinflnG der prriecliisch-römischen Kultur, in 
der Bich noch der des Christi ntucis gL^elitr, der (rebruurh der flektierenden 
Sprache, die icndeua nach all^^enieiuer Bildung, im Europäer eine ziemlich 
aUgemeine Gleiobbeit hervorgebraeht bat, die allerdinga dnroh die CbaIaktB^ 
eigenaehaften der einaelnen Nationen aig herantergedrliekt wird, bete» 
^e Völker Innenrinu, die ethnisch sich nicht verwandter atnd als die euro- 
päischen, einen so ungeheuren ]?all3«t gleicher Vorstellungen, Gewohnheitf^n 
und Einriehtuncjen, daß lokale Ditferenzierungen fast vollstUndigr verseiiwin- 
den. Vor aüom ist das die Schriftsprache mit ihren Ideogrammen, die von 
Japan bia naeh Siam nnd Tibet, von der Mongolei Me naeb Indochlna die 
gtoiebe iat Aber Spraebebriielt btaneht niobt immer der Gmnd an eein flir 
die Kulturgleichheit Das Ideogramm aber ist ftir den Chinesen melir ala 
ein bloßes Verständigfungsmittel, seine Hieroglyphe bietet ihm mehr er be- 
trarhtf r bit- einmal mit reapektvollcr S( ln u we^n ihrefi Aller», und v. i ir-^r 
schäut er aic wegen ihrer untlbertreff liehen Klegaust, wegen ihrer Kaiii^ra* 
pble nnd Geaebloaaenbeit Sehen in der Ooifaobnle lehrt man den Knabea, 
dieae Zeioben iUr Fetiache (eben Hieroglyphen) in halten, mit deren Beaiti 
sie alle ihre geistigen Bedürfnisse befriedigen kOnnen wie ihre Vorfahren, 
und zwar geht das so schon etwa 3000 Jahre; denn ein Gesetz der Tschen 
verbot bei Todesstrafe, auch nur dos Geringste am Charakter der Schrift za 
verändern. Ein analoges Gefühl werden wir Europäer wohl kaum gegen 
nnaere Lettern haben, nnd aneh die Ortiiograpbie indert aieh alle 80 bii 
90 Jahre durchaus. 

Uns bedeutet das Wort das Symbol seines Begriffs, und wir bemUheo 
uns. den Sinn des Satzes zu behalten; anders der Chinese, sein Axige er- 
freut sich an der Betrachtung seiner Zeichen, und er sucht sich deren Cha- 
rakter, an dem keüi Strich vergessen, verändert oder hinzuguftigt werdea 
darf; Tianett einsnprilgen. Dam kommt dann noeh die heilige Sehen, die 
jener gleichen mag, mit der die ersten Chiiaten ihren IXß Y£ in den Kats- 
komben betrachtet haben mügen. Hier war daa Symbol zugleich rituell, bei 
dem Chinesen ist es stets so, nnd jeder neue Kaiser, der zuvor Banden- 
anfUhrer gewesen sein mochte, muüte sich außer einem Ebrennamen em 
eigenes Monogramm beilegen. 

Wir Icommen alao an dem Seanltat, daa allen eoropSiaehen Ansehamogm 
wideraprieht*), daß daa Wort oder das Zeiohen mehr iat ala ein blofiea Symbol, 



1) Von den aogenanuten »Laatmetaphern« aebe ich hierbei ab. 



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Literaturberidit. 



191 



•tvM dM in sich sehließt qnaii dts Portritf die SteUiuig und htopMcb«' 

Uchste Eigenschaft dea IndividnumB. Die Tafel der Ahnen, die man anf dem 
Familienaltar verehrt, B«pt dem Erben mehr nl» nnsere Familien- oder Ahnen- 
porträts; eine der Seeleu de^ \ crBtorbeneu ist in dieses Monopramm. die 
posthume Visitenkarte, eingegangen, und diese zwei oder drei inselstriche 
Mfltttni dam frommen Sohne allee, wnt er dem Toten mehieilrt. Dm ist 
<dn Ahnenknlt, der sicher koher Mit als nnaeie Sitte, die Gxiber Ober dem 
mtlenellea menBchlichen Teil m schmücken. 

Das Ideogramm ist also da? Äquivalent unseres geschriebenen Wortes, 
mit jeüem mystischen Gefühl des Halbmateriellen; nur ein einziger Schritt 
weiter, and daa durcii das ächriftzeichen symbolisierte Objekt ist ganz ver* 
getflettf vnd nur dae Zetdiien für sieh l)lefbt intereaeaat Von dn ab erhUt 
dna grsphische Zelehen aeine Geschichte, es wird veriindert oder erhXlt 
litoellen Gebrauch; aber wir sind damit in die reine Schnlwissenschaft ge- 
kommen , die sich seit 3000 Jahren mit lexikographischen nnd paläographi- 
Bchen L'uieröuchuugen der Literaturgeschichte beschäftigt und mit Fragen, 
wo die Gelehrten sich niemals einig sind. Und des gebildeten Chinesen, der 
sieh hineinfindet in diesen Wnat, liSehatee GHflek tat, eine Glosse den tanaend 
andtoren hinzuzufügen; ein nenes Ideogramm lumn er nicht konstmisren — 
denn die 80000 im Wörterbuch des Kang-HU genügen reichlich, ein ganzes 
l eben auszuftlllen. Man ahnt schon, wie ein so schwerfälliges, unhandliches 
lüstrument wie die Sprache der Chinesen, ein ganzes Drittel der Menschheit 
in seiner geistigen Entwicklang gehemmt haben maß. Eine Sprache, die 
gnns in lernen ein ToUes Menschenleben nioht ansrelditt iat kein Kittet die 
Nntnr kennen an lernen, sondwn sie wird Selbstsweelc, man lernt sie Ihrer 
eelbet, nicht ihres Gebrauchs wegen. 

Aber auf eines sind die Chinesen neaerdings stolz; sie behaupten nSm- 
lich, daß jene internationale allgemein verständliche Symbolschrift, wie sie 
die Physik oder Chemie ausgebildet hat, ganz der ihrigen gleiche. Aber die 
Analogie iat weit hergeholt; leaen irir die Formel H*0 oder H^SO*, ao weiß 
ein Rosse sowohl wie der Pole oder Bnmine — entsprechende Bildung 
selbstredend vorausgesetst — , was damit gemdnt iat, die Zelehen aelbst 
haben keinen Eigenwert. 

Der Chinese benutzt nichts als >Bildcrriit8el< von kiuUlich-uaiver Zu- 
sammenstellung, die bald rein ideographisch und visuell sind, bald eine Rich- 
tnag auf phonetiaehe Wertong hin Senaten. Dieaea ente Stadinm tiner 
progressiven Abstraktion haben die Japaner anagebildet; aie benntten awar 
chinesische Schriftzeichen, aber mit rein phonetischem Silbenwert. Wie ge- 
sagt, des Chinesen Symbole sind >Rät8el«. Das Zeichen der »Frnn« unter 
dem des >Daches« bedeatet »Frieden« oder »Kuhe«. Dasselbe Zeichen mit 
dem des »Kindes« bedeatet »Güte«. Diese beiden Ideogramme sind leicht 
▼erstSndlieh für nas; andeis wird es a. B. beim folgenden: das Symbol des 
»VierfUßers« mit dem von »jungem Gras« aar Beieichnung der »Katie«* 
Hier hat eben das Zeichen des Grases nur phonetischen Wert. 

Dazu kommt daß Joder Leser alle Jene Zeichen vorher kennen muß, aus 
denen die zusammengesetzten hergestellt sind. So kauu diese Schrift natür- 
lich niemals Gemeingut werden, sie bleibt vieUnehr aristokratisch, tote- 
ndsHseh, nur fUr die Priesterschaft Terstlbidliob. 

Deshalb betrachtet auch der Arbeiter, der »Kuli«, diese geheimnisvollen 
Zeichen mit heiliger Sehen. £r, der vielleicht nur 600 Ideogramme fUr seinen 



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192 



Litentarbericht. 



Haasgebraacb kennt imd nütig bat, bebt jedes ScbriftaiSdt n§ dem reiolk* 
liVhen StraOf'nt^chiuutz aof, birgt M in aeiA BMülMurohr, m M tnm TafM 
ritaeil verbrennen zu Liesen. 

Das semitiacbe Alpbübet dagegen, dem man ansieht, dal» ein Kaofmanii 
{MB. WM die Semitea tob Anhng an nieht liad. B«f.) m gvUUit hat^ 
leduziert sich auf maßvolle, schnelle Züge, die der Araber in seiner Knnlv« 
iin<1 srTnrn ^^i^^ ln noch bed hütend vereinfacht hat Solche Alphabete bleiben 
demokratisch. Mit lüat' Jahren kennt sie jedes Kind, und mit zwölf ist e« 
weiter als der älteste Chinese, der vielleicbt gar nicht weiü, waä »Zeit« be- 
dtotet, obMhon er ein IdeognauB dalBr htt. 

Mit dieMoi nnffkonomischen Gebilde, das einxig dasteht, ist nnr nooh 
jene andere eonderbare Tat dee Rrirhra der Mitte zn vergleichen, die ebenso 
öberflüseicr war: der Bsn der proUcn Mauer; ilberflUssiff, weil die Geschichte 
zeige, daii sie dem ii^mdriugen der Nachbarvölker kein üindernis bot, lun- 
nkonomtooh, well aie aogar den eteDetan Behängen folgte, wo ein kleteee 
Fort bessere Dienete geleietet bStte. Nnr der duneie mit idner nnttbeiMT-. 
liehen Geduld konnte so etwas fertig hrinc^en. 

Das auf die Schrift besnhränkte Studium der Chineeen läßt selbstredeud 
keine Kenntnis der Außenwelt auikommeni die ideelle Weit verschleiert di«* 
tadere. BombinMitiir in vieeo. 

Wenn die Übersetnng der Erscheinungen auf unserer Welt in mehr als 
5OO0O verehrungBwtirdige. nnveriindcrliche und manchmal barocke Zeichen 
unsere Chtnologen anziehen mag, in der chinesischen Masae richtet aie bei 
allen YolikSschicbten ungeheuere Verwirrung an. 

In der nnteren KIum, weil der Bauer, der geneigt iit ud QeeelwMwk 
hat, seinen Geist aoenunObUeren (ich «bereelu wOrtliebf), aioh bOehatene 
MUhe gibt, sein Inventar an Ideogrammen für den TIausgebrancb zn vervoll- 
ständigen. Er besitzt m(>ist nur etwa dtn Kenntnis von öüO einfachen Zpirheu 
— dem deutschen Bauern hat man belcanatlich schon zugetraut, mit nicht 
nebr ala 800 Worten «einen geistigen Bedarf Ar gew^^hnUeb sn deeken; 
iMoAtt atimint dlea natUrlleb dnrebana niebt mebr, der allgemeine Sebabtwanf^ 
nacht das unmöglich. 

In den oberen Schichten ferner denkt man gar nicht daran . daß es 
Ökonomischere Mittel gibt, und um den althergebrachten Zustand zu wahren, 
bebiit man den Tnaebpiaael bei nnd kommentiert die Klaaaiker. Bei diaeer 
BeaebUUgong bleibt natürliob keine zat llbrig, die Katnr aeiber an atadieren. 

Durch diesen vfertausendjährigen Circulns vitiosus wurden wirklich 
geniale Leute an ihrer Entwicklung gehindert, die Japaner nmä nicht ganz 
ausgeschlossen; es fehlte die Anpassung an die Abstraktion und Generaii- 
aatlon, nm eine pbonetlaehe Schrift aaa dea aUftberlieferten Hieroglyphen 
an bilden. 

Der Chinese begnügt sich mit seinen monripy] labischen Zeichen. Andere 
imponiert uns die Erfindung der Pbünizier um lOüÜ v. Chr., und der mythische 
Kadmos, der es zuerst verstand, jedem Laut sein eigenes Zeichen zu geben, 
die erate Arbeit lllr aaaere Bnebataben und beweglichen Drucklettem; die 
Semitea nnd Arier nahmea dieae Brfindang an and bildeten ale ana. So 
entstand unser Alphabet und unsere Flexion, während bei den Chinesen ein 
und dasselbe Zeichen je nach aeiner SteUnng and aeinem Kaana Verb, Advari» 
Öfter Sabstantiv sein kann. 

Koeb sehlimmer ateht es mit der UnfHhigkeit des Chinesen, neue Ideo« 



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litontnibfliiolit 



193 



gramme für neue Worte m bll<bii; er ist einütoh genütigt den neoen Begrilf 
ndi BebM atteii EleuMitMi sn »mmehMibeii«. Aber d« jedet ElmMut 
tätlich niiTeritiideilieh itft ud daher eeim frUien Form nebet deim LMt- 

wert beibehält, so kann nur die Wortstellung den neuen Wert aoesadrUcken 
venachen. Wir brauchen da einfai Ik Prn- oc!pt Suffixe. Der ZuBammen- 
hang mit uneeren klaren und genauen wisseuschaftiicben Werken iet dem- 
Mwb lehr vage. Die eiate Schwierigkeit beeteht in Worteohati. 

Tor onaete» teehnlaeliei Beietehimiifeii lat der ehlMaiaelie Übtraetaer 
fast ratlos; er versucht sie durch Kompositionen wiedenugeben. Sauerstoff 
wird: >da8 (durch den) Dampf Erzeutrtcc Wasserstoff: »leichter Dampf«, 
Stickstoff >8cbwiicbünder Dampf«. Da aber die Ideogramme von »leicht« 
und »Dampf« anveriüidert bleiben, so bilden sie im Gmade keine neuen 
worter, aondtm aweideatige, doppelainnige BeMiehsongen. Paa RaiaBiiaehe 
hat IhnUdMa, «. B. Tif-argent = Quecksilber, sang-froid <= Kaltblütigkeit, 
sape-fornrno = Hebamme n^w . aber diese Bezeichnungen sind mehr oder 
minder volkätUmlich, und die wiH»«cn8cbaftliche Terminologie in Botanik, 
Zoologie und Chemie bedient sieb gi-iecbisoher oder lateinischer Ableitungen. 

HnO man angeatehea, dafi der GUaeae mit Not noeh gebiiaehUehe Dingt 
flberaetzeu kann — allerdinga riaUart er den Doppelsinn — , ao iat daa gau 
nnniüglicb bei seltenen Körpern oder npn entfleckten. Wie will er Arpfon, 
Ueliom, Thallium. Rubidium oder Radium übi rst tzen? Wollte er das wirk- 
lich, so würden lauge Sätze entstehen, die im Grunde doch nichts sagten. 
Dio cUaeeiMhe Spraehe iat aehwwAlßg und ▼erbugaant den Gedanken- 
ablaafp genan wie die auf die Schnur gereihte und um den Hals gehängte 
Münze den Handel erschwert; vier/,ig Mark sind cinp wahre Last in China 
(NB. kann der Franzose auf seine Doppelsooa auch nicht eben stolz sein). 

Zwar haben die cbiuesiscbeu Klassiker versucht, eine Art von Vokabu- 
larinm dntdi nene Ideograane an aehatfen; doeh in gana anderer Weiae 
wie wir abatrakt nnd allgemein unsere Beseiohnnngen so objektiv als m^ 
lioh an bild'-n pflecfn. Die Chinesen gingen von f;il>'. !it m flesirhtspunkte 
ans, sie blieben stets konkret, inbjektiv nnwiRf»eii9chaltl icfi uinl virmehrten 
nur noch die Schwierigkeiten ihrer Grammatik. Wenn mau boiöpieli^weise 
«bi eigenea Ideogramm «ad eiiM beatlmmto Silbe aar Beaeiefanung dee »Ab* 
dmekes einer Tigerklaue«, oder eines »wunden Hirsches«, oder eines »Rappen 
mit weißem Maul«, oder eines >Apfel8chimmel8« usw. hat, so ist das durch- 
a»!8 kein Zeichen von Vokabelreicbtum; denn da? Zeirhpn. dng hier den 
kranken Hirsch boxeichnet, sagt nicht dasselbe etwa für den kranken Hund, 
die graphiaeben Elemente ftmer, die d«n Zeiislien ftr Pfttd angefügt werden, 
aittd ebenfaUa keine eigantUoben Faihbeaaiehnagen, aondera phenetiaebe 
Elemente. Also gibt es im Grunde nie eine Kegel, weil alles außerhalb der 
Aegel steht; es .sind Kunstprodnkte, die keinen Gebrauchswert haben. 

Das praktische Besultat ist, daß man allenfalls unsere elementaren 
w i a ae naehafl aehen Werke ttbefae1^eB kann; weiter in gehen ▼erbietet die 
8ehrilt Ibn hat pbyaikaßache, popnttr mediainiaehe, ihenpeatiaehe SehriAen 
fibertragen und solche Uber deskriptive Pathologie; aber die biologische 
Chemie, die Zoologie, Botanik nnd deskriptive Anatomie ist ins Chtneflisehe 
eiQiacb nicht sa übersetzen. Daliur ziehen die jungen Chinesen nach dem 
B«q»lele der Japaner ea hentautage vor, Englisch a« tonen «ad in dieeer 
Sprache au atndieren. Trotadem werden aie nie den Geiat abendlindlaeber 
Sprachen erfiwaen kOnnen, de denken diinealach nnd apreehen angelernte 



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LitenitarlMrioht 



SüUa uacü; m Briefeu, Koutrakteu aucbea sie immer deo Umweg, abstrakte 
Ctedanken doroh den nüchstkommenden konkreten wiederzugeben. »Ehre 
gilt mehr ab Befehtnm« heißt Ihm, wOrtlieh ObeiMlst: »Die Bildung {de< 
Qeaidit(ei) gilt 10000 Gold«. Unsere Veraligemeinerang ist ihnen noeh fremder 
geworden , da mch ihre Fähigkeit derin durch die snhlloaen Ideogitmma 
TÖllig erschöpft hat 

Nachdem Legraa d diese Dinge anseinandergesetzt hat, formiert er den 
Schlnß, dnfi die Spnehe dem Chinesen du größte Blidungshindemie geweeen 
iet, die Sprache, deren Yeribidening die ungeheuerste Revolution enfftehen 
würde, gleich der, wenn mnn es wapren wollte, den Sou des Franzosen 7,n 
tinterdrückon. Und so lauj^ü die Siiracbe bleibt, kann, wie Logrand be- 
hauptet, der Westen ruhig seia; die MeinungsverschiedeubeiteD zwiscbeii 
CShinophoben und Ghlnophilen m<%en dabei wdter fortheetehen. 

DerChinese, deeeen Reich eine KulturblUteolinegMchoD gesehen hat, schon 
2U einer Zeit, als unsere Vorfaliren noch Barbaren waren, ist heute degeneriprt. 
ÜbervnlkerunfT, Hungers- und Wassersnot, Kindersterblichkeit tru^reu dazu 
bei und schufen, wie die Natioualokouomeu sageu, eine »falsche Auslese«. 
Kriege, Aulbti&de taten ein ilbrigee* und die beeten Elemente, die sieh im 
nnmhigen Lande nieht tottreten lassen wollten, wanderton ana in die sQd- 
östlichen Inseln — das wireti die Vorfahren der iH uticen Japaner';. Aber 
der Chinese hat cinnKLl andere Zeiten fjeseheu, auch er hat ein Heldenteitalter 
gehabt; aber wahriialt groBe Mäuner hat China uie besessen uod hat sie auch 
hente nieht Dt» Uaa^he Land der BeTvlntion hat weug »BerolutieniM 
ans Priuüp« und auch keine »Märtyrer ans Prinzip«. Idealismus bleibt dem 
rhinesen ewig fremd, aber er hat ein Gefühl wie wir: jeder Chinese gilt 
genau so viel wie der andere (in der Theorie wenigstena), und ein Bettler- 
fUhrer kauu auch Kaiser sein'). 

Was die Beligionen betrilR, die in China Anhinger eXhlen, so finden 
wir den Buddhismus, Jndaismus, Nestorianlsmna, Islam und Christentum. 
Alle gehen znrfJck, ein Christ wird der Chinese überhaupt niemals sein können, 
und nur der bequeme Islam scheint im Fortschritt unter den Mischrassen des 
Westens sn sein und diese ungeheuren Volksmassen zu einigen. Aber auch 
daa iifc heut* geediwnnden. und nur der Ahnenkult und die Formel Lao-Taea 
»Es gehe, wie es willc spielt eine EoUe. Im flbrigen kennt der Chinese 
l^einen Kreuzzng und keinen Religionskrieg. 

Er gleicht uns nicht, und viele Europäer fürchten, daß eine« Tages jene 
gewaltigen Menaobenmassen herüberkommen, uns bekriegen uud unser edles 
EuropXerblnt mit ihrem vermisehen. Sie glauben, wir gingen dann einer 
Barbarei entgegen, wo der Chinese allee behemeht; an einen Anstaaseh naeh 
historischen Beispielen scheint man gar nicht zu denken. Und nun singt 
Legrund dem »gelben Teufel» ein Loblied. An sich sei ja der Ausgang 
dieses ivamples, heute wenigstens, noch sehr zweifelhaft, nnd dann ist der 
Chinese ni^t ohne Fähigkeiten: er besltst IntelUgenz, Geduld* Ausdauer, 
OedXohtnis nnd Aapaesnng an s^esglelohen. In ihren nnsShIigen Dßrfem 
herrschen zum Teil demokratische Tendenzen, und sie kennen seit Jahr- 
hunderten die Anschauung, daß weder Verdienst noch Stellung erblich sind. 



1) So mdnt wenigstens Legrand. loh glaube nicht, daß er reeht hat 
Kene Untertnehungen leugnen die ethnisohe Verwandtaduift beider YVlker. 
8) Man sieht, der Sehreiber Ist Ffanioae, nnd swar BepnUikaaer. 



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Uteratorberiobt 



m 



vn<\ der Ktilisohn kann Bich zn den höchsten Staatsstellen emporarbeiten. 
Daneben gab es dort tüchtige Maler, von denen Europa gelernt und heute 
die Iittpressionistea noch immer lernen, und Politilier ersten iianges. JÜire 
Sclmlbildiiiig ist liemlicli allgemeiii — in jedem, aelbst dem Ueiniten Dorfe, 
riffi man einen Lehrer an. Dw Cbineee tot nleht feige, eondon bimT, im 
übrigen leicht zufrieden mit einer Handvoll Reia, anspruchslos, ehrlleh ud 
fleißig. Alles das verdient höchste Achtung. Der Cbineee hat genng, wenn 
er Ke;?en erhält und sein liecht. 

Leider haben die Erpressungen der Mandarine diese Dürfer oft iu eine 
Mdrderbande verwandelt, Ittr die daa Leben der Soaverilne aelbst nidits gilt, 
die ja an drei Viertel ermordet worden aind. 

So nngefiOir eleht heote ffie Baase ans, deren Stndinm Dir die Völker^ 
Psychologie von hohem Interesse ist. 

Endlich versucht Le grau d zum Schluß eine Kichtuiig anzugehen, in der 
man des Hüisels Lüäuug vielleicht zu suchen hat: die Physiologie nämlich. Die 
Anthropologen begnUgten sieh mitScbldelmeesnngenoder Paeialiswinltdbestim* 
mnngen; aber das führte nidit weist Man bat viebnehr sahlteicbe Gehinie 
aelbat an nnterauchen daraufhin, ob wirklich ein von uns verschiedener 
mongolischer Gehimtyp existiert, Kaea mit seiner Behniiptung recht hat, 
daß histologische Straktnrniitert*eliiede bestnnflen und eine verschiedene Ver- 
teilung der Projektions- uuü AäsoziatioQäta.&ern je nach den liassen. Viel- 
kieht aneh wird uns hier eine kliniaohe und psyehologiache Untetanehnng 
der Aphasien weiterbringen bei dieser Sprache, nm die Beslehungen herana- 
anfinden zwischen dem Denken und seinem Aasdrnck, awischen der Ab- 
hüngigkeit der VortteUong nnd ihres Symbols, von dem eInCichaten bis zum 
kompliztertetten. 

Zu Legrand ö dankenswerten Auslilhruugen, die allerdings in bezng auf 
die Psychologie lange nicht eingehend genug sind, mOehte ich nnr einige 
Bemerknngea anfügen, fislftßt sich nlnUehweit mehr sagen, als Legrand 
heransgebolt hat. Davon denke ich bald an anderer Stelle eine Probe zu geben. 

Sicher ist, daß das komplizierte Idiom den Chineaen in seiner gei'^Hjren 
Entwicklung {reheramt hat. Da die Abstraktion ihnen fremd ist, künnen 
sehr viele Angehörige der unteren Klassen nicht nach unseren Zahlen rech- 
nen und lernen es auch nie, aelbat hier braucht er ein Symbol, nnd swar 
daajenige, was wir sellwt aus China importiert haiwn, die »Beehenmaschine«, 
d.h. an Eiaendraht aufgereihte Holzkngeln. Legrand erwähnt das Rechnen 
überhaupt nicht, und er j^t rt auch ferner nichts von jener eigentümlichen 
Mischsprache, die engli?«. litu Untergrund und chinesischen Einschlag hat, 
ich meine das sogenannte Piügeon-English, das gesprochen wird an der ganxen 
WeatkUate Amerlkaa nnd an der gansen OatkUste Asiens ala Yerkehrsapiaehe 
awischen Engländern bzw. Amerikanern nnd ChincBen. Hier zeigt sich 
gleichfalls die Unfähigkeit der Abstraktion, daa kennt der Chinese Ja nicht, 
nnd er Bucht ^'U'h hier nach den oben genannten Umschreibungen. Den 
Aufzeichnungen meines Freuudes .Tan S. T)ougla8 entnehme ich ein Beispiel 
nnd transkribiere der Einfachheit halber englisch. Sagt der Chinese a.B. 
golsie fetehjie whatfsie make|tie look|sie (ich habe durch Striche die eng- 
Ibchen Bestandteile von dem stereotypen chinesischen sie abgetrennt), so 
heißt das wörtlich: Geh' mir holen, was mich sehen macht, d. h. hole mir 
mein Fernrohr, meine Brille, meinen Kneifer usw. Man hat also auch bior 
die Vieldeutigkeit. 



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196 



litentnrbericbt 



Im Ubngeu lialte ich das viel zaweuig beachtete PidgeoD*£iigliah wegen 
8«iaer eigentfimliclieii Hisohnng von Tenehledeiien Aiuelutnaiigen ftr ein« 
der intaramtmltii 8|tnobeB da Welt 

Aber noch eine Frage wollen wir h'wr kurz behandeln: die nämlich, die 
man kurz als »gelbe Gefahr« bezeichnet. Legrand glaubt mit einigen 
Bonmots alles abgetan zu haben, mir scheint er doch zu optimiBÜsch Diese 
Gttfthr exiatiefft, und früher oder später wird die ^techeidnng feilen, iwd 
swBT wird meiiMe Enehtens der Kampf in Amerika begimieii. Dort ittokt 
der Mongole nnaufhaltsam vor, und von dem fUr den Japaner ^flnetij^ ver- 
laufenen SchnlBtreit horte man jüngst. Die soziale Stellang des Mongolen 
in Amerika ist bedeutend gestiegen. Während er früher alle Arbeiten ver- 
rieklete, edbet die entehrende dea 8tieliBl|Nitsen, tot er das hento nicht mehr; 
die flberilBt er dem Schwanen nnd Araber. Dae aehelnt mir bedentaam. 

Dazu kommen noch andere Gründe, die hier zu entwickeln nicht der 
Ort ist Es ist nicht sicher, daß das chinesische Idiom nicht mit unserem 
verwandt ist, die Mouubyllabierui^ ist mt^gUoberweise nur eine fortgeschrittene 
Flexion, dae heutige Englisch hat ja beinahe in der Fleziott chinealaeho Zo- 
■linde erreicht Und ee iet aneh nicht riober» daß die örehfaMaea mkt im 
Indogermanen, Urindem vielleicht, nicht verwandt sind^); das wäre der 
8chwerwiot?:pnfl8te Punkt ftir die Gefahr von Osten. Denn noch nie hat der 
indogermaniacben Kultur eine andere ala ebenfalls indogermanische aof die 
Daner alandgehalten — ieh nenne die Ägypter, Araber, Türken — , wohl 
aber hat der Ja|»aner den niehtiKett Bnaaen bedegt, und wenn ca aogar 
einmal zu einem japanisch-chin^ischen Bündnisse kommen sollte, für das 
Bich hin und wieder Anfiinge zeigen, so mag »Europa seine heiligsten Güter 
wahren«; denn das Material von Menschen, für das Übrigens der Mongole 
wie der Farbige nichts gibt, ist zu ungeheuer. 



Id) Karl Voll, Vergleichende Gcmäldestudien. Mit 50 Btldertafeln. HOnchen 
und Leipstg, Georg HUUer, 1907. Gebda. M. 9.—. 

Karl Voll gibt in dem vorliegenden, vorzüglich ausgestatteten Werke 
eine AnTMhl »vergleichender Geuiäklesfudien«. Da.« Pnrh i«t »nus der Praxis 
hervorgegangen* und 'Soll dem praktischen Leben dienen«, >Ks beruht zum 
grüßteu Teil auf Cbungeu, die der Verfasser im kunstgeschichtlichen Seminar 
der UniTersitilt MQnehen abgehalten hat Der Zweck ist Schnlnng dea 
Angea.« 

In der Einlcitnng erOrtert der Verf. vor allem die Frage, ob es eine 
künstlerische Erzielmug gibt: »Kann da« grf»ße Publikum je kunstverständig 
werden? Haben die Bestrebungen der neueren Zeit, das Volk künstlerisch 

1) Auf wirtschaftlichem Oobicto existiert diese Gefahr gaitt «welfelloe; 
denn die eliinesisclien Arbeitskraft r sind so billisr. daß der europäierhe nnd 
vollends amerikani-ph»» ITandel aui dem Weltmarkte mit der Zeit vielleicht 
nicht mehr wird koDkurrieren können. 

i) Soweit ich aehe, bemüht man Bich fetst, mOglichat yiele YOIker nnd 
Dialekte von ^nrnn Urrolke abstammen sn lassen. Holger Pederaen «. a. 
▼ertraten s. B. einen idg.-aemitiachen Znsammenhang. 



Panl Henserath (Fnia). 




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Lltantorlwiioht 



zu enieben, Aussicht auf Edoig aad iunere Berechtigiiog ? Die Antwort 
darf mit Ja md Nein gegeben wetden.« »Daa wirkliabe Konatvaratliidiila« — 
nnr Ton diesem, nicht von der Erziehnng znm kUnstlerlBchen Schaffen sprioht 
der Verf — »ist selbst bei der grüßten Anlage und Foinfiihligkeit immer 
nor der Lohn des ernsten Studiums.« Mit Rechf betont der Verf., im 
Gegensatz zu manchen neueren Ästhetikern, dai> man »eine Menge von 
INüfen nicht nur ftUaa, aondera poaitiT wieaen mnO, nin ein Knnal- 
wairic ilelitig an benrteOen, gleichviel ob es ans alter 2Mt atammt oder trat 
. vor kurzem entstand«. >In jedem Falfp hr.iupht man eine nicht geringe 
Erfahrung und häoügen Umgang mit Kunstwerken , um jenes Verständnis 
SU erlangen, das den inneren Wert des botreffenden Objektes beorteileu und 
wlir^gan 116t »Da dieae Forderanfan von dar Maaae der Kanafiiebhabar 
wold nie arfltllt werden, so beswelfalt dar Yaif., daß das große Pnbliknm 
jemals »im vollen Sinne des Wortes knn8tver?5tlndig« werde. Wohl aber 
hält er ein bescheideneres Ziel für erreichbar: >Wenn nnn aber das höchste 
Ziel nicht zn erreichen ist, so ist trotzdem die Entfernung, die den so- 
ganannten Laien von dam Kttnatraratindigaii trennt, nm vialea an TarriaganLc 
Diaa lat naab dar Anrtdrt daa VarC Tor aHam an anaidian dnreb Aaleitnng 
zum richtigen Sehen des Kanstwcrkes, zu einem Sehen mit zielbewußter 
Analyse des Werkes. Insbesondere muß sich erreichen lassen, daß auch der 
Laie erkeaoea kann, ob eine Arbeit schlecht oder mittelmäßig ist Die £r- 
aiahung zom Sahen nrafi alao nach Voll dabei angreifen, da6 nie dem Laien 
^ formale nnd teebnlaehe Saite dea IcttnaUerlaehan ScbaiTena, die Qnalittt 
der künstlerischen Arbeit erschließt oder wenigstens sie seinem Verständnis 
näher bringt. Die Gegenwart hat darin unzweifelhaft Fortschritte gemacht^ 
teils, indem das Publikom erkannte, daß es einer Anleitung zum Sehen 
bedflrfe, teils, indem die Knnatvexatlndigen »darauf aannen, aolebe Anleitung 
an geben«. 

£a ist nun interessant, zn sehen, daß diese Anleitung bei Voll wesent- 
lich zu einer ästhetisch und künstlerisch kritischen Betrachtung wird. 
£a stimmt ganz zu meiner AofEassnng des ästhetischen Verhaltens (vgl. meine 
Einführung in die Äalhetik der Gegenwart, 1906, S. 26 nnd meine Abliand- 
Inng Uber die Grenaen der peyebologiaohen Äathetilc, 190A, S. 168), daO anerat 
die Tergleichende nnd kritische Analyse des Eonstwerkes eintreten muß, 
dann ernf ist auch ein »(TenieiM'n« möglich — wenigstens ein iathetiachea 
Genießen, das mehr ist als eia Gefallen niedrigster Sorte. 

Der Weg, den der Yerfaaaer einaohUgt, um anm verfeinerten Sehen an- 
anleiten, wird von ihm aelbat ao beaehrieben: »Dnreh Gegenttberatdlnng von 
äußerlich ähnlichen, inneriich aber ganz verschiedenen Behandinngen dee 
gleichen Sujets den Leser anzuregen, »ich einrnhcnder mit den Kunstwerken 
zu beschäftigen«. In der Tat sind GegenUberätellungen wie die der Darm- 
städter nnd Dresdener >Btirgermei8termadonna« besonders geeignet, dem 
Betraehtenden klar an maehen. wie in aehelnbar kleinen UnteracUeden 
malerischer Auffassung and l u 'elluug in Wahrheit ein ganz verHndertes 
StilL'f'fiüil hervortreten kann. Wer dea Verf feine Analyse der beiden Ge- 
mälde liest, wird ch unbegreiflich Huden. daL5 noch Bayersd orfer meinen 
konnte, der ^Dretideuer) Kopist habe das llolb einsehe Original sozusagen 
»gana meehaniaoh dnrcbgepanat«. 

Die ▼ergleiehenden Analysen werden n. a. ferner ausgefllhrt an dem 
Pnnmgartner Altar (Flügel vor nnd nneh der Beatanration) an dem 



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198 



LitsratiivboHoht. 



Mediipcnhrmpt vonLionardo (Kopie) und JLiibens, an der Madonna in d^r 
Felsengrotte den Lionardo im Lonvre un i lu London, an dem Abendmahl 
des Dirk Bouts und seines Sohnes, an dem Tod der Maria in der 
Hlliiehaier Finakotiiek anl im Kölner Mvaeimi, «& der Lvkannidoiiiis te 
Bogier van der Weyden und dea Jan Ooseaert, an der Yerkitedignf 
dei Fra Filippo und des Andrea delSarto, an Dürers Porträt b^hn 
lyChrers Wohlg^emut uml dessen Kopie; boponders interreseant ißt der 
Vergleich cier kuraäischen Sibylle ron Michelangelo und Rnbene, die 
Ausführung der Zwergen- (Hofnarren-) Bildnisse von Anthonis Mor und 
Yelatqaea «. a. m. Die Bedeatnng dieser Tcigleleheadeii BDdmaalTNa 
geht weit Uber ihren nnmittelbiren Zweck — die Anleitnng sa TertieAani 
Sehen der Bilder — liinaas, sie ist hüchst lelnrreich für die Merkmale der 
Stilponodf»n. um d*^nen die Kunstworlcr» stammen, für Ion nnhewußten Ein- 
fluß de« Kun8tge»chraacke8 und der Formen- und i: ariieriliehandlnng- eTTi>>r 
bestimiuteu Zeit, dem selbst ein peinlich getreuer Kopist, unterliegt, und lux 
die radikalen üntenohlede in der Bdiandiang dea gleichen kflnatleris^ea 
Oegenetandeit den die Stilperiode mit eich bringt 

fi. Henmann (Mfiniter i. WJ. 



14) Berthold LItamana, Goethes »Fanat«. Berlin, Egon Fleiachl ft Co. 
H. d.— ; gebdtt. U. 7JS0. 

Im Verlag von Egon Fleleehl k Ca in Berlin Ist ebi nrnfangreidier Biad 

»Goethes .Fanet^« tod Berthold Litamann erschienen, der sich bescheidea 
eine »Einführung« nennt. Das vorliej»ei) fle TUirh ist mit großer Sach- 
keiiTituis nnd He^reinterung geschrieben und bringt tatsächlich 
maucü beuierkeus wert Neues. Ehe ich darauf eingehe, möchte ich die 
Ooethe-Foreoknng und überhaupt die »Faaet«-Fonehung daiaof UnweiMB, 
doch einmal die Zttge dieser merl^wdrdigen Gestalt besonders in der Yor- 
Gktethischen Fassung bis in die Mythologie des Orients an verfolgen, 
am so alles phantastische Beiwerk in die rechte Beleuchtung zu rfloken ud 
den Kontrast aller Auffassungen noeh interessanter zu machen. 

i>ai> der Vor-Goethische »Faust« stets breitere Massen iuteressiereu wird, 
liegt darin, daß er mehr der Kirehenlehre nnd allen damit Terbnndenen An> 
sehannngawelsen entspricht nnd mit relativ grSßerer Einfachbeit nnd ninvcr 
Phantastik arbeitet. Diese Fassong der Oestslt ist nnsterblioh, solange «• 
Menschen gibt, da die Voranssetsongen tarn yemtSndnls bieim nie ansslezbea 
werden. 

Deswegen droht der »Faust« Goethes noch lange nicht in Yeigessenbeit 
zu geraten. Es sind nnr die Voranssetiai^n für das Bnrdhscliidtiswisssa 
n hodi geq»annt. Ea wire eine sehr daakenawerte nnd ungelöste Aof- 

gäbe, hier eine BrDeke an acblagen nnd die völlige Umgestaltung bereits fest 

geprägrter T\ p»^ti bo recht klarzumachen. Es ist in gar keinem sonstigen Werk 
ejne solch radikale Umkehr alles Negativen in Positives erfolgt wie hier 

Dort ist z. B. das unersättliche Streben eine Sünde, ein Fluch, der iom 
Verderben flthrt, hier wird dies sam Segen, der in die ErlOanng mündet 
Dort bereitet die bOse Macht selbailienriicb ihrem Opfer ein sehreckHchflS 
Endo, hier wirkt sie. wenn auch unbewußt, 7.nm Dienst des Guten. Da? 
Prinzip des Bösen ist hier völlig anders gefai3t ais die Kirchenlehre es ans 
von klein auf vorstellt. Daß aber die Aaßerlichkeiten fast dieselben bleiben, 



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Lltentorberiebt 



199 



hier wie dort, steigert noch die Verwirrunp' Wsh soll man vollends mit 
einer Gottesmatter anüuigen, die zum allgemeiosten Prinzip alles Weit)iichen 
gmrorta ist? Weleh «in fewaltlges Umdenken maß hier statt- 
findenl Sehon dJm iat SmIm nnr weniger MeoMlieii, beaondan je mehr 
man ihnen diese Aufgabe Uberläßt Dies ist meines Erachtcus nach die 
II aap t?rh Widrigkeit: die Typen haben ihr Äußeres beibehalten und sind 
dennoch nach innen völlig anders geworden. Nun kommen aber noch dazu 
die Widersprüche, Dunkelheiten imd Verschiedenheit der Weltauliassungen 
im Werke lellMt Hier «eUt das rorliegende Buch ein. 

L Streitpunkt £• ist Iiier treffUeli die aoiiet naerUlcliebe Bneheinoig 
des Erdgeistes als Oberrest aas einer früheren Bearbeitnng eugefUirt. 
Interessant unfl neu ist der T^inwei? bezüglich der Kinleitunj^' zam Liebes- 
rerhaltnig von FauHt mui (Trerc iioii auf eine Geptr hichte im alten Fanstbnch 
»von zwo ir'ersouea so Doktor iaustns sasammeakuppelt«. ,Faast spielt dem 
Edelmami gegenüber die Bolle, die Ib der Diehteng Mephisto gegen Faust 
•pieUL* — 

n. Streitp. Femer ist der Erklärung der MOgllohkeit der Wette 

zwischen Oott und Satan nur bpiTtiatinirnrn Mephisto erlaubt de8wep:en 
die Wette zu gewinnen, weil er nicht Ijegreilt. daü er zum >Urquell des 
(meneehUchen) Handelns nicht vorzudringen vormag«. Dieser Urqnell, von 
Oott In den Heneeben gelegt, ist «leb dem Meneehen ▼erborgen. In ednen 
dnaUea Drange gebt er doch den rechten Weg. 

nL Streitp. Mit Recht hat der Verf. die Stelle trünenseliger Resig> 
nation auf den Selbstmord als schwach and brüchig bezeichnet nnd Uber- 
haupt die beiden Monologe in scharfen Getrenaat-/; rückt Auch paßt 
naeh Ansiebt des Verf. (lY. Streitp.} >die Bibelübersetzung ioacb der 
Biddwhr Fauta von Oeterspaziergang) so wenig in ilirer Stlnmnng md In 
IhM Toiauaetnuigen an dem Vomgegingenen« nnd werde doch beibe- 
halten, »weil sich für die ente penOnUebe Einftbmag dea Mepbiato kein 
beaaerer Ersatz finden wonte« — 

V. Streitp. In der Vertragsszene zwischen Faust nnd Mephisto i^^t wie- 
derum ein Widerspruch, wenn man nicht denkt, Faust sehe das von 
Mepbiato Gebotene In Wlrfctlcbkeit doch ala nlebtlg an. — 

L itamann seblieGt licb der Fiscberaoben Hypodieoe Ton einem Zn- 
aammenbang dea Mephiato mit dem Erdgeist nicht an, aber er ge- 
steht ihm 711, daß der Monolog [VI. Streitp.) Mephistos in der Studierstube 
nicht zu dem im Himmel paßt. Auch Faust (VII. Streitp.) gebraucht im I.Teil 
oft Worte, die eigentUcb dem Mephisto die Wette gewinnen ließen, wenn 
er Ihn beim Wort nähme. 

SeUagend bat andi Lltamann bewieeen {VUL Streitp.), — entgegen 
dr r Mehrzahl aonstiger Erklärer — , daß Faust In der Hexenkttebe daa 
Bild Helenas und nicht das Hretchens erblickt — 

IX. Streitp. Seltsam ist. wie Litzmann dn« Verlusten Fausts d* « :in 
gemeinsamer Schuld sterbenden Gretchens mit dem Hinweis aui die 
eigentnmUebe Beben vor jeder bindenden Feeael, die Ooetbea Helden 
mit ihrem SebOpfer llberhanpt gemein beben, motiviert. — 

Wenn dann im II. Teil dee »Faust« dieser unter der IMaske Plutoa am 
Kaiserhof er^rheint, t*o wir<l das Zwiegespräch zwi.Hcheu dem Knaben Lenker 
und Pluto sinnig auf das zwischen (X. Streitp.) der personifizierten Phantasie 
nud Goethe selbst gedeutet. Litzmann kann dies gar nicht genug betonen. 

Archiv Ar Pt7ehologi«. XHL Litentox. 1^ 



200 



UtoratmlMriebt 



XI. Streitp. i'riichtig ist die Eiüfüliruug Heienab, und zwar als echtes 
Urbild antiker Schönheit, jedes hölliitchea Trnges und jeder Teafelei 
«Btkleidet. Hier tritt der wflaselwatwwle Kontrast iduvf hervor — is Hat- 
Ueher Weise, wie Mephisto in Gegensatz m der antiken Fabelwelt tritt 
XTI. Streitp.;. — deren biißlichBter GesLiltang CT tkh. MhUefilifik tmt^tkhiem 
naß, um in dioFPr Welt weilen zu können. 

Helena ist auch Uber ihre bistorische Gesuicung hier weit hiuauäge- 
wMhMii. Sie ift dem Bnf hflifi«n Yerimgeiia naeli ihr (XHL Btrtf^] gefolgt 
und dem Schoß der Ideen, des Ungewordenen nnd Idealen entsti^en. 
Zu ihr leitet anch Homunculus als Idee des 'XIV. Streitp.) Strebens, aU 
Trieb der Sehnsucht Der »Künstliche« möchte »wirklich' xre'-den. 
Thaies gibt ihm den Bat, im Urelement aller Wesen den Formeuwaudei zu 
bagimen, und an Thron der SehOabett erhUt er« was w begehrt (Man be- 
adite wohl dra doppalten Gadankengang, dar in oftmaligar Barflhnuig fiwt 
in gleichen Ziel endet!) 

XV. Streitp. Und nun in der Vereinij^ung Fausts mit Helena symNolisiert 
sich der >große Begenerationspro^eß der Menschheit« durch (XVI. Streitp.) 
«He Astftfr Diesem Band entspringt der Typus einer noah nnan^e^iehaBe&, 
aber grofiartigan Oiehtargaatalt Enphorion-Bsrron. — Doch anch daa Ideal 
der Antike verschwindet, und der Tatendrang: reißt Faust zur Schaffung neuer 
(XVTT. Streitp.; Wohnstätten der Menschen, indem er dem Meere Land •.üy- 
ringt. Durch sein Schweifen ins Übersinnliche hat er die nattirlichen Ver- 
bindungen adt den Hanachra vailoran nnd aieht aiah Terainaattt, al>ar hn 
haroiaehen Avftehwnng flbanrindat er alle Leiden der Menschheit Dar 
Schluß des II. Teiles (XVIII. Streitp.) ist ein >Triumphlied der Befreiung der 
an die Materie gebundenen ni enschlich en Seele durch die srhJSpferif-rhp Tat«. 

Auf diese Weise hat nun Litzmann die verschiedenen Streitpunkt« ge- 
lOat und gibt nna einen Einbliek hi dan Wardegang sein» Ldanngan nnd in 
die Entatahnngagaeehiohta daa »Fanat« libaibaiipt 

Wollte der Verf. auch noch die von mir eingangs erwähnten Erg'anzangs- 
arbeiten vornehmen, so wäre eine der wertvollsten Verdeutlichungen von 
Goethes »Faust« gewonnen. Dr. L. v. Renauid (MUaohen). 



15) A. Pick, Mitteilungen uuh den Grenzgebieten der Fsjchiatrie und Neuro- 
logie. Wiener klinische Wochenschrift. 1905. Nr. 1, 2, 7. 

1) Weiterer Beitrag «or Lehre von der Mikrographie. Verf. hatte diese 
SabreibBtOmng (staifce YeiUalnerang der frtihm nonnalan SohiifQ früher b« . 
aerebralar Bwdeikrsalnnig bmbachtet Sie kommt auch ala flnktioneUe mid 
Torübergehende Störung vor. Mitteilung der Krankengeachiebta einer Hyate- 
riaohen, welche >\nBer Makropsie? Mikrographie zeigte. 

2) Über autaUsweise auftretende euphoriscbe Stünmung bei Himtomor. 
Bai einem 27 jährigen Kranken mit Himgaaehwnlat, BalbaeÜanllhmnng linke 
nnd Jaekaonaehen (lindenq^ileptiaehen) Anllllaii traten anftllaweiae Zn- 
sttode von »Wonneaffekt« auf, etwa der Euphorie eines Paralytikers ent- 
sprechend. — Nach Ansicht des Ref. ist es nicht angiingig, ohne weiteres 
das Auftreten vorübergehender oder dauernder Euphorie mit einer lokalen 
Erlcranlcnng im Hirn in Znaammeniiang in bringen. Dann jede Himge^nnilat 
kann Ton ▼oraherein ▼orBbergdiende oder danemde VMlndeniiigea In der 
geaamten Hlmmaterie berrormfen. 




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litmtnrberiolit 



801 



3) Über eutoptiHclie \Vahrnehmniig de« eigeneo Biuikreiölaules und ihre 
Bedeatnng ia der Lehre vou den GesichtshiülttzinatioDen. Mitteilaug der 
KnakengeseMehte «iaes Minden Tftbik«», wetoher G6ilohtihalliiriBatt<nm 
betdirieb, die Ähnlichkeit hatten mit den bektnateii entoptisohen Enohri- 
irangpen des Sehens der eigenen Blutkörperchen. 

4) Ober HalluaimfinTipn in pathologisch verhinderten senBoriscben Meeha- 
niamen. Bei einem i'araijtiker traten nach Aufailen merkwürdige Störungen 
im sentislea akastiseliea ProJtMoasftlde tnf : Ein GMi8neindnele wieder- 
holte Bich, im rechten Ohn^ oft 10— 80mal; femer wurden dnzeh bestimmte 
Geräusche atis der Nühe paraphasische Halluzinationen ansgeltJst. »Defekte 
cerebrale Mechanismen reagieren auch mit entsprechend defektf>r Funktion 
auf Reise.« M. Beichardt (WUrzborg). 



16j A. Pi c k . Zur Psychologie des Vergessen» bei Geistes- und Nervenkranken. 

Archiv für Kriminalanthropologie and Kriminalistik. Bd. 18. Heft 2/3. 

Freud hntfr f^krimtlich die Rp lcutung der Affekte für das Vergessen 
bzw. Sich-Nichterinnern bei (Jesunden hervorgehoben I)cr Verf. »ucht iihu- 
ücbeB auch bei Geibteukraukeu uachzuweiseu. Eü mub aber dabingostellt 
bleilieii» ob selae Beispiele in dieser Bidttosg beweisend sind. 

N. Beiehnrdt (WUrsbwg). 



17) A. Piek, Zv Pfttikologie dee lehbewnfiisetns. Btodle ans der tUgemeinen 
Psyebopstbologie. Aiebiv für P^ebintrie. Band 88. Heft 1. 

Kmae Hitteilang von drei ents|ireobenden Krankengesehicbtoi: 
1) Eine 88 jihrige Fisn Usgte^ sie hebe kein Bewußtsein, sie kenne sieh 
selbst nicht mehr. Sie habe das QefUiI, wie wenn ihre Gedanken nicht ihre 

eigenen v^ttr^n Rf iiu Gehen bewegen sich ihre Beine gewissermaßen von 
selbst öia habe keinen Geist im KOrper. Sie habe nicht das GelXihl, die- 
selbe Person wie frtther sa sein, aber eneh nicht eine andere. Wenn sie sieh 
nicht selbst in Aktion sehen wttrde, wOfite sie nicht, daß sie anf der Welt 
sei, — uBw. 

2 Eine 29jährige Frau aus schwer belasteter Faniilif^ bf'kam «ifters, unter 
gleichzeitigem Augstgcftlhl , eine Art Anfall, in welchem ca ihr vorkommt, 
wie »wenn sie es nicht selbst wäre«. Zuletzt sei sie überhaupt nicht mehr 
»an Bewoßtseln« gekommen. Sie Ist »sich Jeiat fremd«. Der Kitoper ist 
wohl derselbe; es ist aber, wie wenn sie eine andere wlbe. Sie nennt ihren 
Zustand »Entfremdung des ei^'^nen Ich«. 

3^ Ein 21 Jühriges Mädchen, von früher her schon nervös, ßclireckhaft, 
erkrankte plötzlich mit Aui'reguug und AugstgefUhlen. Wenig später Klageu 
über VerSndertsein ihres »Ich«, sie sei nicht mehr sie selbst, spricht von 
Bich selbst in der dritten Person, fllhlt Angst vor sich selbst usw. — 

Nach An?fr!'.r des R<'f ijphfircn derartige Zustände dtirchans in dn« Ge- 
biet der Paranoia hinein. — einer Ivr iiiklieit. welche, trotz aller BemUhuugeti, 
nicht binweggeschafft werden kauu. Was die sogenaonto psychologische 
Analyse dieser, nicht einmal seltenen, Zustandsbilder betrifft, so handelt es 
sich bei einem solchen Versuche wohl melir um eine Umschreibang, als um 
wirldüche Erklirung. Die Unbekannte e wird dnroh die Unbekannten y und » 



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202 



Lttenttnrbericht 



ersetsi Yon «inem eigentlichen Yentindnis Boloher psych opathologiBchtr 
Phänomene kann 7iin:eit keine Rede sein: und dies wird sich in den nächitas 
Jfthnehnten Auch nicht wesentlich ändern. IL Beiohftrdt (WUnbnq;}. 



1^ Stwitsanwnlt Dr Wulffen, Kriminalpsychologie im Mordproseß Hau. 

Sonderabdr. aus der Breelaaer JlalbmonatsBchrift »Gesetz tmd Recht«. 
Vni, 22/23 Breslau, Verlagabuchh. von Alfred Langewort. M. — .50. 

In der elegant und temperamentvoll geschriebenen kleinen Pro?chiire 
wird dem Leser kurz nnd prügn&nt die PersöuUchkeit des genogsam be- 
tamatMi Hau Tor Augen geführt, lowie die Motive, die ihn zur Tat geAhit 
haboi nOgeD, und tein Melf »diw Zutand aaeh datBdben. "Hmu. besüst eia» 
hervorragende latalligaaa. Ein starker Geschlechtstrieb regte sich sehr zeitig. 
Sein GemUtaleben war ungemein labil. Krankhafte Phantasie. Nervositlt, 
Willensschwäche, Trieb zum Absonderlichen, znm .Aufschneiden, zur Unwahr- 
haftigkeit, zur Großmannssucht traten frühzeitig bei ihm auf. — Die Ent- 
fiihning ifliner spKteren Frau, die Eheschließung, die Übersiedelung nach 
Amerika, die Beiae naeb Koaataatinopd, die Kraditbrief-Affire waiden hm 
beaproehen, die Uaatati^eit seiner LeboiaftUinmg, seine oferlosen Znkunfb- 
plSne, sein Hang zum raffiniertesten Luxus werden hervorgehoben. Beson« 
deres Interesse erregen die viflf^n Unverst^indlichkeiten in der üandlungs- 
weise des Hau, vor Begehung der Tat Daß er wirklich der Täter war 
aoa Geldnot ~, ist mit fast abaolater Sicherheit anzunehmen. Ans eeinem 
Gbaiaktar wird aaeb eain Veibaltan wihread daa StraiVerMiieiia wBaHb& 
lieh, — altt Verhalten, welches alle Welt in Erataanan aatita. »Hai ar aiebt 
vieler Sinne verwirrt? Feierte nicht seine Großmannssucht, seine Eitelkeit, 
sein Übermenachentnm einen Augenblick einen großen Trinmph?€ — Die 
Verteidigung hat dadurch, daß sie eine so groüc Leidenschaftlichkeit in die 
yarlumdlung trug, ihrer allerdings sobweren Aufgabe nicht genfigend ent- 
apioeban. Dia Fayehologia daa Bmu bitte ainaYaniaiBaBg der »Ob^agaag«, 
eine Verurteilung nur wegen TotscUaga garaahtfwtigt. — 

Die Broschüre sc!i!ießt mit dem etwas pathetisch klingenden Satter 
»Möchte es der kriimnalpsychologischen Betrachtung geinnsren sein, Hans 
rittselhaftes Verbrechertum als etwas psychologisch und hisrorisch Gewor- 
danaa manaebHab bagraifUeb aa «iiUillllaal« Es iet etwas eigenes um Syai- 
IMtbIa and Antlpalbla. £a will sebeinaa, ala ob dar Yarf. abanfalls gawissa 
Sympathien fUr Hau ampfindet. Viele werden ihm hierin nicht folgen. Eta 
Verbrecher ist nicht nnr ein Produkt seiner Veranlagung, Erziehung und 
T<ebens3chicksale. Er ist nicht nur das willenlose Werkzeug von Einflüssen, 
die mächtiger sind als er. Die Charaktereigenschaften des Hau gesiigen 
aiaht, aai iefaa Tat in ndMerem Uebta «aebetnen zvl lassen. Hag aoeb 
maaebes Itttsalbafta im YarbaUan dea Han Torbaaden aeia, — im großea 
and ganzen sind es dorcbaoB normalpsyehologische Beweggründe, die ihn 
aar Tat veraalaßt babea. M. Beicbardt (Wüiabarg). 



l?)A.Mathmann, Zar Psychologie und Therapie neurotischer Symptome. Eine 
Studie auf Grand der Nearonenlehte Fxeads. Halle, Matbold, 1907. 

Wie schon der Titel ahnen litOt, bandelt ea aieb in dieser BrosebOi« am 
Aneiebten Uber die aagablleba seiaalle Entetahnng bestimmter aerrilKr 



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Literaturbericht. 



203 



Krankheit^, — um eine HypotlMe, deren gegenwärtige t$Maaag und Bd- 
grttndung wir bekanntlich Breuer und f'reud verdanken. 

Vor IV2 Jahren errege in WUrzbarg die folgende Begebenheit ein ge- 
wisAes Aafseheu: Eine Näherin gab an, in einer bekannten Wein Wirtschaft 
(wo sie in der Familie des Betitsera g«fliXht hatte) yergewftltigt worden zu 
Mia. Sie wurde infolge dieeee ■ezoeUeii Attentetee» wetdiee eie bie ia aUo 
Einzelheiten beBchrieb — aoeli ein hochangesehener katholiBcher Geistlicher 
fpielte eine Kolle — , nach xind nach trffhsinni/r nnd »nervenkrank« und 
maßte Bchiießlich in die psychiatrische Klinik verbracht werden. — Die 
Eltern and Verwandten des Mädchens, welche den Erzählnngen derselben 
aale Wort glanbten, aetrtea die Staataaawelteehaft in Bewegung; und ee 
ftadea lange YerhOre atate, welelie an den Eigebnia ftlirten, daß die ganie 
Ersählung des Mädchens vollständig erfunden war. Die Pereon des angeb- 
lichen Attent?it<»r?, ticn das Miidrhen mit Namen nnnnte nnd genau beschrieb, 
gab es gar nicht In dem ilar.iut hin seitens der Staatsanwaltschaft von der 
paychiatrischen Klinik eingeforderten Gutachten stand geschrieben, daß dieses 
Üdien an iteiken aeneUea Terfolgungswalin leide; ea aei aia aieher an- 
waebBien, daB llire Beden von ein«B aeniellen Attentat gegen de led^ieb 
57aiptome des ^'t rfolgnngswahnes sind. — Ein sweiter Fall: Eine bei der 
Aufnahme in die Klinik 30jährige Kranke, ebenfalls mit Verfi^lgiingswahn, 
gab an, in ibrem 4. bis ö. Lebensjahre, und dann auch später öfters, ver- 
gewaltigt worden zu sein. Sie machte Uber diese angeblichen Ereignisse, Uber 
die Peramien new. adir detaillierte und an aleh dnreliana wafaraobeinUeb 
Uiageade Angaben. Ea war aber dann ^ Lelebtea, in dem Naebbardorf 
Wftrabniga (wo sich diese Begebenheit abgespielt haben sollte) sieb davon 
Vi ilberzengcn, daß auch hier an der ganzen KrT-ihlnnjir der Kranken kein 
valires Wort war. Auch diese Angaben waren vielmehr iediglicii Produkte 
des Verfolgungswahnes. — Ob man solche Kranke »Uj^sterisohe« nennt oder 
^ wodarah die peyebleebe Süfrong viel htaa« duaaktarisleit tat — »Faia- 
noiaelie«, diea iat eine dorehana nntergeordnete theoretiaehe Streitfiage 
gegeotlber der» jedeoi Pajohiater durchaus bekannten, Tatsache, daß manebe, 
im übrigen io^^fir panr vernfinftiir erscheinende Menschen mit Verfol^^mnjrs- 
wahn Angaben machen kOnneu liber Ereignisse, die an sieh durchaus uu Be- 
reich der Möglichkeit liegen konnten, aber eben doch nur Produkte para- 
aoiaeber Einbildung aind. Ebeuao wie ea nnn viele gana normale Henaefaea 
gibt, bei denen daa Seznelle daiobana im lOttelpnnkt Ibrea geaaoten Oetatee- 
lebens steht, ebenen gibt es auch unter der großen Anzahl Paranoiaeber 
<und »Hysterischer*, »Nrnrasthenischer«, »Nervöser«) viele, deren ganzes 
Denken eich am die Sexualsphiire dreht. Sind solche Leute rein hypochon- 
drisch, dann sprechen manche Ärzte gern von »sexueller Neurasthenie« ; tritt 
aber aar Hypoehondiie die Paranoia (Vetiliektbeit) hinan, dann kommt ea 
elwB anm »aexnellen Verfoignngawahn«, infolgedeaeen die Kranken aieh anf 
sexuellem Gebiete verfolgt glauben nnd aneb Attentate hallaafaieren oder 
ttfinden, wie sie oben creschildert wurden — 

In seiner Broschüre bringtMuthmann auf 6. ö6 — III Krank('tige.-*('hiclifen 
von geisteskranken Personen. Auf Grund der Lektüre dieser Kranken- 
geeeUditen iat nun dorehana bereohtigt, die Diagnoae anf »Paranoia« anateilen» 
Had iwar Paianola mit vorwiegend aeznellem Yerfolgnngiwaha. Mntb- 
mann stellt zwar die Diagnoae anf »Hysterie*. Aber die Beadehnung einer 
•okhen Payeboae iat, bei dem gegenwttrtlgen 3tand nnaerer p^ycUatriachea 



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204 



Literaturbehcht. 



Terminologie, vielfach reine Anschaaungs- und Geschmaokaaache. . In den 
KrankengeBchichten Muthmanns spielen pbenfalla Bexaeile Attetotate 
die HaoptroUe. Und viele Leser des Muthmaonschen Buches werden aaf 
Grimd ilirer kliniachen Erfahrung davon überzeugt sein, daß mit 99 % Wahr* 
•di<iiUelik«lt dto tob MathiiiAiiii goiohflderleii »Miodlmi TnuM« M 
gar nicht in WiikUefakeit «nlgnel htb«n, tondem nur in der paranoischen 
Einbildang dieser Kranken. Es muß nnn auf das allerhöchste befremden, 
daß Mathmann diese paranoischen Erzählungen ohne weiteres fiir Wahrheit 
h&lt. Ich finde in dem g&u^a Buche keine Stelle, in welcher der Verf. 
Stellung genommen hat zu der Frage: ob die Begebenheiten, webhe die 
KtuÜEMi in HjpnoM od«r Im Waehiottaiide eisUdtm, ms aoeh in Wiik> 
lielikelt eich ereignet haben? Die ginze Broschüre Muthmanns würde ein 
anderes Geeicht bekommen haben, wenn der Verf. hinreichend diesem Zweifel 
Raum gegeben hätte So aber kann dieses Btich. ehcTiso wie alle ähnlichfn 
Arbeiten Uber > infantile sexuelle Traumen« als Ursache späterer »l'sycho- 
neurosenc und Geisteskrankheiten, nur als Beweis dienen von der geradeso 
grenMttloten L«ielitglXiibigkelt naadior Ante. (Der Tenlirle Um 
VerfiMMT mVge mir aaeine große Offenheit nieht ttbel nelinieii.) 

Vorausgesetzt nun, daß die geschilderten sogenannten sexuellen TranmeQ 
bei den Kranken Muthmanns sich wirklich so ereignet haben — stehen 
sie dann in ursächlichem Zusammeubaog mit den geistigen Stüran^en, wie 
Mnthmann annimmt? Nein. Ken Überlege doch, bei wie vielen Menschen 
in der Kinder* nnd Jogendieit sieh etwas ereignet, was als seiaellee Trtuu 
aufgefaßt werden kitanta; num selie die Vorstadtkinder einer Mittel- oder 
Großstadt spielen; man vergegenwärtige sich die Wohnnngs- und Schlaf- 
verhiiltnisse der jugendlichen Fabrikarbeiter und •arbeiterinnen , nsw. Wer 
wird denn bei so vielen sexuellen Traumen nervös oder geisteskrank?? — 
Es ist stets das slte Lied, daß in der »Wissenschaft« zwar das Positive 
(d.]i. dasjenige, was sn einer vorgefafiten Meinung an passen aebaint) he- 
rSekriehtigt wird, nicht aber das Negative, das jener vorgefaßten Ifeiaiig 
widerspricht Und doch sollte das Negative schon deshalb viel mehr berück- 
siehti^rt werden wie das Positive, weil es — wie auch hier — d»p bei weitem 
Zalilruiehere ist. Wenn nun a! viele sogenannte sexnelle Traumen sich er- 
eignen und b) viele Menschen nervüs oder geisteskrank werden, so wird es 
waU aaeli ▼wkonmen, daß daa glef aha indiTidnom, daa IHilitt ein sewelks 
Tfsnma erlitten hat, spKter irgendwie ps7<diiseh krank wird, ohne daß 
selbstverständlicherweise beides das geringste miteinander zu tun hat Denn 
tatsKchlich werden die meisten Menschen »nervös« oder geisteskrank ohne 
jedes stärkere sexuelle Trauma, während die meisten Menschen mit den 
stärksten sexuellen Traumen kerngesund bleiben. 

Ctowiß reden »KerrOse« dem Ant gegenilber beaendera gern tob 
SatiflUem; sie besehald^;en sieh anoh fitlMrer AassehweUnngen, Mastn» 
bation usw. Und wenn sie wirklich ein »sexuelles Trauma« früher erUttea 
hnben, dann mnß dieppp selhstverständlich als Ursache der »Nervenkrankheit« 
herhalten. Dem i'ubiik.uni kuQu man es nicht Übel nehmen, wenn es so denkt 
Denn es steht ja viel au stark unter dem Eintiusse des uralten, unaasrot> 
taaren Abeq^aabena Ton der Wiebtiglrait des SeneUen fiir »Herfen« asd 
Fl^Iie. Aber der Ant ~ nanantildi der psyohiatriseb gebildete — soUts 
doeh wirklieh von solchem Aberglauben sich fernhalten; anderen&lls onß 
er sieb aaeh daa Wort Riegers von der »einüaeh sebaadeibaften Aitweibar» 



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Iitmtttrt»«rieht 



205 



Psychiatrie« gefaUen laasen. »Die alten Weiber beiderlei Gescblechts haben 
Uber SeziMUee tob jeher «beraiu vielM gevedat, feMthriobea und dnwte 

lassen. Und dabei wird es wohl immer bleiben, tolnvge et alte Weiber 

beiderlei Oeschlechta gehen wird.« (IHe^er i 

»Hysterie«, »Neuraßthenie« , Zwangegedanken, »Angstneurüße« haben, 
nach der Ansicht von Breuer, Freud und Co., sexaeUen Ursprung. Bei 
der »UnCrilbytterle« eoU mOf lieherwelie »der Boden durch frUhöe sexodle 
Schädigungen vorbereitet sein« (S. 34). Wenn Knaben gern Wagen und 
Eieenbahü fahren, wenn sie, in einem bo?timmtpn Alter. Kntspbpr oder Kon- 
dukteure werden wollen, so hat auch dieees alles sexuellen Ursprung. Das 
gleiche gelte — wie ich einer anderen Broschüre entnehme — von der 
EztmenmagBl Socar die Saekraakheit sei ieldleBUeh iexndlen ürtpnngaü 
Wie grimmer Holm, wie tine gar nicht mehr ni llberbtetende Satire nimmt 
^'ich alles die? hiih wns hier, in voller Überzeugung, als höchster Weisheit 
Kern dem staunenden Leser vorgetragen wird. Natilriich wird der Arzt, der 
solches dem Publikum verkündet und dem i^blikum iu seinen Ansichten so 
enlsegeiikoiBnit, ^en grofien ZoUnf habeiL Aber ee wSre doch wirkUeh 
bwar, wenn man versuchen wollte, das Pablikmn mOgllebst vom medizini« 
sehen Aberglauben zu befreien, als daß man es in diesem .Aberglauben noch 
bestärkt. Wie viele »Nervöse« habe ich erleichtert autatiiieii ziehen, als ich 
ihnen ruhig und bestimmt versicheite, daii durcüaus uiciit daa äexueiie 
irgendwie Unaehe der nerrOiMi BtOrang lei. 

Man wende mir ja nicht ein, daß »in ^erapentiidier Hinaleht die psych- 
anah'tinche Methode bei geeigneten Fällen ieder anderen Behnndlnn^smethode 
Uberle<^'rn ist« (S. IIT. »Bei geeigneten Fallen« erzielt auch ein berühmter 
Kurptuaeher oder Wailiuhrtsort die etaunenttwertesteu Besserungen und Uei- 
Inngen im Znataade a<dcher Hypoehondrisoher nnd Fanuioinlier (denn nm 
solche handelt es sich dann gewöhnlich . Denn wo ein starker Glaube 
[Aberglaube ist, da gibt es anch starke Wirknngen. Uml außerdem mQßte 
nachgewiesen werden, daß Besserung oder Heilung zur gleichen Zeit nicht 
auch ohne psychanaly tische Methode, oder durch eine einfachere und uatür- 
lixdiere Therapie, anitaade gekommen wtre. Immeiliin ÜBt aioh lehr wolil 
darüber streiten, ob man nicht bisweilen, im Sinne Freuds, auf die sexuellen 
Wahngedanken solcher Kranker eindrehen und sie so Itekämp fm soll. Nur 
soU der Arzt nicht selbst glauben, daß solche Wahngedsüken Wahrheit 
sind! — 

Bar tUwige Inhalt dee BtteUeini kann knn msammengebOt werden: 

In der Einleitang werden einige Stimmen für und wider Freud gebracht 
Im zweiten Knpitel wird »Theoretisches« geboten, im dritten Kapitel l'>end8 
Üexualtheone entwickelt. Dann kommen die Kntnkenp'eschichten mit er- 
ISotemden Zusätzen und ein kurzer Schluß. — Auch in dieser Broschüre 
flQlt nnangenelim anf , daS die Anadrtteke »Hyaterie« nnd »Nenraalhenie« 
verwendet werden, ala gäbe es nichts Bekannteres und Eiadentigeres. Tat- 
sächlich aber gibt es niclitn rnhe:^tiTnmteres und Suhuktiveres als diese Dia- 
gnosen; ein jeder versteht unter ihnen etwas durchaus .mderes Verf hätte 
sich ein größeres Verdienst erworben, wenn er ernstlich versucht hatte, diese 
nnbettinmtan B^griiTe dnreh piVaiBere an eraelaen. 

Selbstverständlich bringt auch Mnthmann die bekannten Frendieben 
Termini Konversion, Abreagieren. Sexualspannung. Sublimiening, erogene 
Zone. Ich heiße solche AosdrUoke einen wissenschaftlichen Jargon. Dafi 



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206 



Literaturbericht 



hierdarch die »WisBenschrnftc gefördert werden kSnnto, kann ich mir n&dift 
denken. Wie sagt doch Moebiusr* >Die Hauptpflirhten eines P?ycbologen 
aber Bcheinen mir die zu sein, daß er eich der schlichtesten Worte bedieae 
und SchulaosdrUcke wie Gift meide.« 

£0 ist bedanerllob,- wenn hoehbegabte Memelien Zdt» Knft vntf Sebsif- 
■Inn an etwas leteen« wna von ▼tmdienin ala Irrweir beidehnet wcHen HnB, 
wihrend ea doeb in der Psychologe nnd Psjcbiatru ^"^erade genog Anfgabea 
fibt, dmen nan mit AsMicbt anf Erfolg in solider w is. niih« r trrt^n kna. 

Ii. Beichardt (Wiirzborg;. 



20) Dr. jur. Lorant Frfitt, Tiic Kunst der Rechteanwendung. Zugleich 
ein Beitrag zur Mcthodenli )irc der Geiateswissensc haften. 214 & 
Berlin, J. Gnttentag, Verlagsbuchhandlung, 1907. M. 6.—. 

Das vorliegende Bu( n rt ilit sich in den Zusammenhang derjenigen Be- 
strebungen ein, weiche mit der Herrschaft des reinen Begriffes in 
der Beehtewhwenaebaft umI Becbtipredinng breehen und beide m den 
Kitltnrganaen in enge Beaiebnng aetaen woDea; nnd awar aoD du 
letztere nach zwei Seiten hin geschehen : allgemein aöll daa Beebt überhaupt 
der Steigoruug der Kultur diensthnr gemacht werdon und speziell soll ei 
sich dem fortwährenden Wandel der kulturellen Bedilrtuieee und Znstäode 
fortgesetEt anpassen. Mit welchem Bewußtsein dieser Uirer priusipiellen 6e> 
deotung der Yerfimer seine Arbeit nnteraommmi bat, daiaof weiat seboa 
die erkenntnlatbeoretiaebe ElnMtnng bin, mit der er aie erOflhet nnd in im 
er aieh zu einem erkenntnistheoretisch fundierten Positivismus bekennt. 

BrUtts Untersuchung beschrinVt eirh nnf die Auwendung des Rechts 
in der Prazia der Rechtsprechung. Er tragt : nach welchen obersten Gesichts- 
punkten soll diese überall da erfolgen, wo der Text des Gesetzes nicht ohne 
weiterei rine awingende Anweisung gibt? Die aUgemeiae Antwort lantet: 
die obeiaCe Nram iatnicbt rein logiaeber, londem atetsangleieb teleo* 
logischer Natur. Zur Geltung kommt diese selbständige Haltung des Richters 
bpaoTHler!^ in «Irei Fällen; bei der Interpretation dos Gcpetzesfeste», bei der 
Anwendung der Analogie, endlich bei der Ausfüllung auderweitiger Lücken. 

Die Interpretation, welche der Richter mit dem Gesetzestext Tor> 
■niMbmen hat, ist grondaSUlleh TerBeUeden von derjenigen dea Phfloloffen 
oder Historiken, weil sie kein theoretisebee, aondem ein praktiieheB Zid 
hat: »Denn soweit ein literarisches Erzeugnis mit Gesetzeskraft bekl^d^ 
M'ird U58t es sich von d r Person seines Autors ab und nimmt ein»^ eelb- 
Btäudige Stellung ein« (S. oOj. ist nicht Aufgabe des Richters, aaeh Art 
der Philologen bei dem Text n&ch den Beweggründen und Meinungen der 
bei der Redaktion beteiUgten Panonea im ebmebien an fragen. Übiignu 
würde ^ aolobea Verftbren wenigetena bei den modernen Ctoaetaen, die ja 
stets mehr oder weniger Kollektiyerzeugnisse sind, große methodologische 
SehwifHjrkeiten in sich enthalten. Der Richter soll vielmehr lediglich nach 
dem binne des Gesetzes als solchem fragen, und zwar aus zwei Griindeo- 
Erstens würde unter dem entgegengesetzten Ver&hreu die Bechtssicherfaeit 
leiden, loibm die Beebiapveehnng dabei von peraOniieben Znfillligkeitea der 
Bedaktoren abfalagig werden kBnnte, die von vombeiein niebt an ervartea 
wSren nnd erst bei einer genauen philologischen Untersuchung zutage treten 
kannten. Zweitena würde damit dem eigentUohen Zwecke der Geaetigeiwig 



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Literaturbericht. 



207 



kein Genti^ geschehen; denn dieaer geht anf Abstellnng gewisser Mißstände 
dadurch, daß beßtehende InteresftenkolliBionen durch eine Abgren/nnp der 
beiderseitigeu Interessensphären geschlichtet werden sollen. Das Gesetz 
enthält daher eine immanente InterressenabwSguug, oiu latentes Werturteil 
bei der Abgünniiig toh WülemiphlMii in ■ich (8. 6Q. Du»iu «gibt doli 
Ikir den. Andeger auch die Aufgabe: er eoll lidi UneiBTenetnn in die Ver* 
hältnieae, unter welchen das Gesetz entstanden ist und daraus dessen Zweek, 
nSmlich die von ihm beabsichtigte Regelung des sozialen Zusammenhanges, 
erfaasen. Als eigentlicher Sinn des Gesetzes ergibt sich dann ein latentes 
Werturteil über das Verhältnis verschiedener Interessensphären zaeiuander. 
Der Verfasser bringt hier efneii Onmdgedankexi mm klares Anidmok, der 
in unbeBtiminterer F^ini tehon Öfter aoageeproehea iet; ao wem man vom 
Willen des Gesetaes oder von dessen Zweckbestrebnngen oder vom Zweck 
de« Gesetzes oder vom Willen eines normnlen Gesetzgebers oder eudlifh 
vom eigentlichen Willen des Gesetzgebers im Gegensatz zu desaen aus- 
^drttckten Willen gesprochen hat 

Die hier geforderte lateipfetetioB beselehnet der Verftaser lelbat ala 
«ine soziologische Interpretation (S. 58). Er geht dabei offenbar von 
ganz bestimmten Voraussetzungen tiber die Entstehungsweise der Gesetze 
aus. Er ?nt7t nämlich voraus, daß dabei stet? Ma«8PnmoHvp, -tpndenaen 
und -bestrebongen innerhalb der Gesamtheit zusammenwiriven mit rein iudi- 
Tiduellen und in diesem Sinne zufälligen Motiven, die in den einzelnen Re- 
daktoren wirksam lind, und daß beide Arten Ton Beweggründen aleh dabei 
niemlich fremdartig gegenüberstehen ktfnnen. Denn auf die letztere Annahme 
stützt sich offenbar sein Urteil, daß der eigentliche Zweck des Gesetzes von 
Sfincr p«y( hoiogischen Ursache völlig versclii« i!< n eei fS. 58 . Die Fragp. ob 
Gesetze immer in solcher Weise aus Bedürfnissen der Gesamtheit organisch 
heraaawachaen , kann hier auf sich beruhen. Statt dessen mOge dem 
Zweifel Ansdmek gegeben werden, ob die Khift swisehen der teleologleehen 
and der psychologischen Betrachtung des Gesetzes wirklich so groß ist. Bei 
einem Kollektivprodukt nach Art der modernen Gesetze hat, wie schon an- 
gedeutet, die philologische Interpretation ganz andere Aufgaben zu lösen 
wie bei einem rein individuellen Erzeugnis. Je grr)ßer die Anzahl der beim 
Znatandekommen beteiligten Personen, desto grüßer aneh die Wahrsohein- 
liebkeil» daß rein individnelle Einflösse sieh gegenseitig kompensierent daß 
also der Text ond auch die Motive des Gesetses von solchen rein zufälligen 
Momenten relativ unabhängig sind. Im allgemeinen wird man daher erwarten 
milssen, daß auch in den Motiven sich dieselbe Kraft der (iesamtheit wirk- 
sam erweist, welche überhaupt dem Gesetz zur Entstehung verholfeu hat 

Der teleologischen Interpretation erwächst neben der eben fest- 
gestellten unter Umstunden noeh eine nene AofgabOt nimlieh die« 
jenige, dem Bedeutungswandel des Gesetses gerecht zu werden. 
Erlitt wendet hier Wundts Gesetz von der Heterogonie der Zwecke, das 
dieser zuerst fiir das Reich der Sitte aufgestellt hat, auf das Gebiet der 
Oeaetsgebung an: ist einmal ein Gesetz geschaffen, so kann es ailmühiich 
bei seiimr B^dhabnng einem bterene dienatbar gesMeht werden, dM bei 
seiner Entstehnng noeh nieht Torhanden nnd daiiw aneh nldit wlilmam war. 
£a wird dann zum Ausdruck eines neuen Werturteils, und dieses fest- 
znstelleTi ist ebenfalls Aufgabe des Interpreten. Es knüpft sich hieran die 
Frage, wann der Bichter berechtigt ist, die Exiatenz und Geltung eines neuen 



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208 



IJlentntb«iidit 



Werturteils zu Btaluiereo. lu einem der aageführteu Beispiele wird aoa« 
dftteUfeli bemerkt, dftB die Entttohniig eines Mriehen wf eine »leln viedw 
nif^e« (d. b. von ihrem eigenen Standpunkte ans irrtflmliche Hechts- 
anwendnng des Pvcir hsg^richtes zurückzuführen ist. Da in der Tat der 
Richter ein Werturteil nicht eher zur Anwendung bring^en darf, ehe es wirk- 
sam geworden ist, so Ikßt sich schwer absehen, wie eine neue Bewertung 
mit Abeidit «md BevnBtMrin geedmUSeii werden Milte. DnO der Irrtum nnd 
nur er der Schöpfer des Fortschritts sein soll, wird dem Soziologen nicht 
als absurd erschpiTipn Gera nber hätten wir vom Verfuaer Hlherei Aber 
diesen Pnnkt erfahren. 

Teleologische Erwägungen sind ferner maßgebend bei der Handhabung 
der Annlogiet d. h. desjenigen VerfUbrene« bei welchem ein Geeetoeetext 
auf finie angewandt wird, auf die er dem strengen Wortlaut nach nicht mehr 
pafit. Dieses Verfahren spielt in der Praiia bekanntlif Ii c im frroOe Rolle. 
Die Theorie ist hier kontrorers. Nach einer Lehre erhebt sich in solchen 
Fällen der Richter über das Gesetz ^ denn dessen Inhalt selbst sei nach dem 
Primip der Umkehr TOilig eindevt«; !»eelimmt: iet ein Tttbeatand in ein« 
Gesetzesbestimmimg nieht nuedrIIeUich einbezogen ^ dann gilt diese eben 
nicht für ihn. Brtltt widerspricht dieser AufTassung unter Hirtwri? anf die 
Beeinträchtigung der Rechtssicherheit, welche sich aus einer solchen Stellung 
des Richters Uber dem Gesetz ergeben würde. £r sucht, seine Bedenken 
nneh dnreh rein logische Erwägungen sn etlitMn: dae Prindp der Umkehr 
habe auf unbeschränkte Geltung Oberhaupt keinen Anspruch, vielmehr stehe 
ihm dasjenige der Analogie gleichberechtigt zur Seite. Es fragt sich dann, 
wann eine solche Analogie varh"pe:t Der bloße Hinweis auf die Ähnlichkeit 
der Verhältnisse genügt nicht, denn Ähnlichkeit in irgendeiner Weise laßt 
■ieh ilbetall swiaehen awei Tattieitibideii entdeeken. Ea iat vieimehr die 
AnAteUnng allgemeiner Gealehtapnnkte erforderlieh, nnter welehen von einer 
eolchen geredet werden kann. 

Dasselbe Problem entsteht bei solchen Lücken im Gesetz, bei denen 
das Hiltsmittel der Analogie w^en Mangel an hinreichender Ähnlichkeit 
versagt, bei denen aber doeh ein Urteil abgegeben werden mnß. Feiner 
gehören hierher solehe FiOle, in denen der Geeetaeatezt aelbst dorch Wen- 
dungen wie >Treu und Olauben« oder »gute Sitten« auf Werte hinwoi.st» 
welche über dem Gesetze stehen; endlich auch solche Fülle der Inter- 
pretation, in denen das Zurückgreifen auf das ursprüngliche oder später zur 
Henaehaft gekommene Weftorteil ntebt genügt. — OberaU erhebt sieh hier 
die Frage: gibt ea ein olMralea Frindp, ana wekhem sieh der Inhalt der 
Rechtsprcchong in solchen Fällen ableiten läßt? 

Bei der Beantwortung dieser Frage lohnt Brtltt rnnächst das Verf.-ihron 
der GefUhlsjurisprudenz sowohl wie dasjenige der Begrif tsjuris- 
prndena ab. Daa entere deawegen, weil den hier maßgebenden Wert- 
bildnngen die begrifHiehe Klarheit nangeü Die Begrifl^nriapndens, 
welche bis zum Ende des vorigen Jalirhnnderti fast ausschließlich unsere 
Rechtsprechung beherrschte , erfahrt in § 5 eine eingehende Kritik , welche 
ihre logischen Schwächen und ihre praktischen Übelstände aufdeckt Die 
ErOrtemngen des Terfaaaera stimmen hier im Prinzip mit denjenigen dea 
aiemiieh ^eiehaeitlg eraebtenenen Buehea von Bosi: Die WeltanadiannB|p 
der Jurisprudenz (Hannover o. J. (07]) ttberein: der hier herrschende Bectiflb- 
realiamna ist ein Stflek Sehoiaatik mitten in der Gegenwart; denn die Be« 



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Literatur beriebt. 



209 



griffe erscheinen hier als Wesenheiten, ans denen sich ohne weitere Ftthlnng 
mit der Wirklichkeit Erkenntnisse ab1eit<^n l5i««f>Ti; dio Begriffe soUan hier 
nicht der Wirklichkeit dienen, gondera sie nieibterü. 

Das gesuchte Prinzip kann vielmehr nur teleologischer Natur sein. 
Zaalehit lehnt Brtttt hier woU in Hinbliek Mf Ihering den Mntien alt 
ein solches Prinzip ab (S. 31), ebenso wird In $7 Stemmlera Tlieorie vom 
richtigen Recht einer begründeten Kritik unterzogen. Im ganzen ist dabei 
meines Erachtens Stammlers Lehre zu hoch bewertet Sein eigenes Prinzip 
fomaliert der Verfasser als dasjenige des Kulturwertes: richtig ist das- 
ienige Recht, welches die Eolturontwicklung des Volkes nach Möglichkeit 
fMert und am meiaton dam beitrügt, die nntionalen Kiifle Tom potentiellen 
in den aktnellen Znatand in ttbeiftthren (8. 129). Ein nalieliegendes Be- 
denken gegen diese Formuliemng nimmt der Verfiasser selbst vorweg (S. 139} : 
das Kriterium sei freihVli nur von allgemeiner Natur; im einzelnen werde 
man Uber den Gehalt de» sozialen Ideals vielfach verschiedener Meiiiuug 
•em können. Aber man werde sich, auch wo die Absichten Uber den letzten 
N^len Endsweek anaelnandergehen, vlel^b Uber gewiaae Zwlaobemweeke 
einigen kOnnen. — Die Anwendung dieaea teleologiaeben Geeiehtapmiktee 
soll diejenige logischer Gesichtspunkte nicht etwa ausschließen, sondern 
beide Momente, das teleo!o!?i«(^he und das losrifche, sollen sich Hherall 
durchdringen: das eine ^il t ilie uberKte KichtHcbnur ab, das andere be- 
stimmt die einzelnen l:irwaguugeu ; und beide verhalten sich zueinander 
wie Inhalt nnd Form. Im Qegeoanti ra anderen, dnaliatiaeben Tbeorien 
beieichnet der Verlbaaer die eeinige in dieaer Beiiebang ala eine mo- 
aiatische (S. 63). 

Der Verfafwer zi^bt bei dieser Oele^enbeit einen Vergleich /wischen dem 
Rechte emerseitä uud der Moral und Eihik audertrtseits; in etwas ungewOhn- 
hcber Weise unterscheidet Brütt beide Begriffe dadurch voneinander, daß 
•r den ernten anf die Gebote dm GeaeUaeliafk, den xweüen auf diejenigen 
de« ^enen Pfliohtgeftthla berieht. Dan oberate Ziel, an dem alle Werturteile 
orientiert werden, ist nach ihm fOr die Ethik nnd teilweise anch die Moral 
kontrovers, für dap Reebt dn?pcren in Gestalt der größtmöglichen Entfaltung 
des Kulturlebens des betrerieuden Volkes gegeben. Das Recht erfreut sich 
in dieser Beziehung desselben Vorzuges wie jede Art von Technik, z. B. die 
imiiehe Knnat, ftr welebe daa Ziel featatebt nnd die efaiaelnen Handtaagen 
aar anter dem Ckwichtspunkte des geeigneten oder nngeeigneten Mltteia be- 
wertet werden. Unwillkürlich drängt sich bei dieser Gegenüberstellung dem 
Leser die Frage anf: ist der Sachverhalt so einfach, warum hat man dann 
die wahre Aufgabe der Rechtsprechnng so spat entdeckt? Ist das nur die 
Folge einer ßUckstäudigkeit der juristischen Denkweise oder liegen die 
Dinge doeb nieht ao einikeb? In der Tat: fat ea denn ao aelbatreratladlleb, 
daß daa Beebt dem Tom Yerfraaer anfgeatellten Ziele dienen soll? Wenn 
SItere Anschauungen es als Selbstzweck hinstellen oder der Verwirklichung 
sittlicher Ideen oder der Realisiernng des göttlichen Willens dienen lassen, 
kann man ihre Anhänger zwingen, den hier behaupteten Zweck als den 
»wahren« anzuerkennen? Ist es hier wirklich so viel anders wie bei der 
Sddk nnd Moral? Aneh bier ateben einer teleologiaeb-eaergetlaeben Anf* 
ÜiaaiiBg andere tob fennallatiadieai oder anpranatnraliatiaoheni Charakter 
gegenüber; nnd von einem »Beweise« der Richtigkeit der einen oder der 
anderen kann nicht mehr nnd nieht minder ala bei der Frage nach dem Sinn 



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210 



litentnrbeiMlit 



des Rechtes die Hede sein. Dieselbe große geschichtliche Bewegung, die 
in Hegel ihre Wniielii hat nad dwttb Darwiii gewaltig v«n<iikt wind«, 
hat auf dam einen wie auf dam aadam Qalriate die formalistiBche zogansten 
der teleologischen Auff&ssong aurückgedrängt. Daß das auf dem Gebiete des 
Rechtes am einige Jahrzehnt!» spMter geschah als auf dem der Ethik, ist ge- 
wiß kein Zufall. Beiläntig bemerkt, hätte in diesem ZoAammenh&nge Ihe- 
rings Theorie vom Zweck dea Baahtea vlalleieht «Ina höhere Beweituif 
▼aidiant, ala BrVtt ihr aagadaihan Ulßt; aneh Kohlera ▼ataincelta frOh- 
seitige Vorstöße in dieser Richtung konnten erwähnt werden. 

Die Art aber, wie die teleoloj^sche Anffassnng ihren Gegnern gegenüber 
ihr Eecht zn beweisen Bucht, ist im Grunde Überall dieselbe, freilich aelten 
mit Bewußtsein durchgenihrt, oft geradesn durch dialaktlachaSebaiiiaistuiianta 
▼eraoUalart: man baroft aleh daiauf, daß dia galtand gamaohta Aalbaanac 
den hemahanden Bedürfnissen, inabaaondere den praktischen Beformbediirf- 
nisaen. besser eotepriclit, nnd mit nnsieren tatsächlichen Wertuugeu besser 
tibereiiibtitumt. liier iat auch wohl diejenige Stelle im (Tedankengang dea 
Verfassers, an welcher sich gegen seinen schroffen Antipsychologismna am 
ahaaten Badenkan arhabaa. 

Auch daa Badankan aihabt aloh: belehren uns Ethik und Moral Uber das 
letzte Ziel unserer Lebensfithnnig, so ist nicht oline weiteres klar wie sich 
das Kecht, da alle Handlungen doch diesem Ziele zusteuern sollen, der 
Orientierung an ihm zu entzieheu vermochte. Lesen wir z. B. S. 188: »Der 
Baehtapflega aoU ala Idaal voiachwaban, daß dar apaaifiacha Koltartypva 
des Volkes am besten aar Entwicklung kommt«, ao nmß man sich sagen, 
daß ?ich (U*r Inhalt diene? Tdenh scliwerlich voll erfassen läßt nline Hinblick 
auf I('f7.te Ziel unHerer i.ebeuöluliruüg uberhanpt. l>ieböiü Bedenken 
gegenüber ließe sich der Satz des Verfassers aufrecht erhalten , wenn sieb 
naehwaiaan Hafia, daß dia Ao^ban daa Baehta von d«r apaaiallaii Ge- 
ataltuag des sittlichen Idaala unabhängig sind. In der Haaptaache ist das 
nun gewiß der Fall. Penn es bezieht sich doch das Recht vorwiegend auf 
die äußere Sphäre der Lebensfllhrung, auf das Reich der Mittel und der 
Zwiscuenzwecke, über dessen Bewertungen die sittlichen Anschauungen, ab* 
geaahaa Ton Partodan aUgameinar Efaobttttamngen, grundaitilich ainig alod. 
Daß Bich das Recht jedoch nicht auf dieses Gebiet zu beschiünken hat, wird 
von Brütt selbst ausdrücklich erklärt. Tatsächlich würde sich wahrschein- 
lich ergeben, dal3 die Auslegung des Begrifff s der Kidtiirfiirderung von den 
speziellen sittlichen Anschauungen ihrerseits uccmtiuL>t wird. Mau könnte 
6m latstara wohl an aüiigen eigenen Bdapialan daa YatfraBaia tfltolamt 
so an denen, bei welchen von aosialen RttckaiehtMt oder ▼on dam Warte 
der P.pwegxingsfreiheit der Persönlichkeit die Rode ist. Eine endgültige 
Klärung dieser Trage wird man freilich von der Rechtsphilosophie nicht 
rrwarten können, solange in der Ethik selbst die verschiedenen Versuche, 
die Fülle der Labtnamtafeaaan in aina ainsige Fataial avaamnianinpreaaen, 
noch nnvermittalt alnaadw gegenttbetatehea» aolanga noeh kaiiia Kiaignng 
darüber erfolgt ist, ob eine einzige abschließende Formel Uberhanpt hinreicht, 
ob sie auch nur auf die Bedeutung einer Art von elastischem Sammelbegriff 
Ansprach hat, oder ob angesichts des komplizierten Charakters unserer Wert- 
bUdangan ihie finetauf doioh eine Baiha und Stufenfolge veraehtedeaer 
Ziele erforderlich iat 

Zum Schloß ein Wort Aber dea Yarfitaaeia StaUang sa dam hantifaii 



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Lltenturberioht. 



211 



Streit d(?r Strafrechtstheorien. Die Grundtendenz des Verfaasers. dis 
Kecht von der Herrschaft des Be{?riffe8 zu befreien tind in den ZuBararaeu- 
hang der Kultur hiueiazuätellen, hat sich hier, wie wohl auch an einigen 
Mid«ren StaUeiif noeh &i«Iit mit der wanioheiitwerteii HMhärttekliehkeit «ad 
OrSiidMelikdt bei ihm selbit dnrebgetetit. Briltt gibt der SltereB Sehole 
darin recht, daß sie das Prfonip der Vergeltang zum Zwecke der SUhne und 
der Abschreckung in den Vordergrund stellt während das Verdienst der 
modernen l^rhnlo darin bestehe, daß sie luehr lierücksichtigung der Gesin- 
nong verlangt uud die Notwendigkeit präventiver Maßregeln betont. Drei 
weiten Gedaalceii Idltten wir hier gern weiter snegeftthrt geeehen. Enteiw 
die Bedeatang der Erfehrinig ftr die Beform des Strafrechts: ent eine 
eindringendere Erkenntnis der verschiedenen Ursachen des Verbrechens, der 
verbrecheriBchen Gesinnung' und der Hemnobihbing' der Verbrecherpersön- 
lichkeit wird uns zn dem Ergreifen hinreiciiend /-weckmäDiger Abhiliemaß- 
regeln befähigen, insbesondere werden wir auch erst durch eine Erweitemng 
naeerei eMloloi^ehea Wieeene darttber enfgddXrt werden, welche Bolle 
einexMifs die Nacliahmnng bei der Begdinng, endereraeits die Abselireeknng 
bei der Vorbengnng der Verbrechen spielt. Zweitens ist der Antagonismus 
von Wiohtiekeif, welcher zwischen dem Prinzip der Abschreckung und dem- 
jenigen der Berücköichtigung der Gesinnung besteht: denn die radikalst© 
Abschreckung wUrde ofienbar darin bestehen, die Handlungen ohne jede 
Bflekaieht anf die Oeeinnnng in der adOifaten Weiae an bestrafen. Drittena 
wire an betonen, daß in der klassischen Scbnle der Gedanke des Seibat- 
zweckes der Strafe im Sinne der SUhne oder Vergeltung und der Befriedigung 
des RachetriebeH. wenn auch mehr oder wenig^er unbewußt, eine große Rolle 
spielt Tatsächlich ist ja die Strafe vorwiegend aus dem dieser Vorstellung 
entsprechenden Motiv hervorgegangen, und ihre ganze Gestaltung hat bla 
TOT korsem flMt anatchliefilieh nnter der Herraehaft dieaes Beweggrandea 
gaatanden. Die Schwierigkeit der gegenwärtigen Lage bemht vor allem 
darauf, daß sich mit diesem Motiv die beiden anderen Motive der allgemeinen 
und der speziellen Vorbeugung verbunden haben: aus dem Antagonismus, 
in dem sie vielfach zueinander stehen, erwächst eine Irrationalität des Straf- 
recbtee, welche zu beseitigen oder wenigstens anf einHinimom zu beschränken 
die Beeinnnng anf den Zweek der KnlturfDrdemng allein nicht anareichen 
wird ; daneben wird vielmehr, wie eehon bemerkt, die indakÜTe Erforaehnng 
dea Weeena des Verbreehena nnentbehrlich sein>]. 

A. Yierkandt (Orofi-Lichteifelde). 



1) Lorena Brtttt, der Verlhaeer dea Tontehend beeproehenen Bnchea, 
ein junger Gelelirter, der eben an der Schwelle der akademischen iMfbahn 

stand, ist inzwischen, am 2(5. August 15108, jiili einem Unfall erlegen. Ein 
aufstrebendes und hoffnungsreiches junges Menschenleben ist in ihm in der 
ersten Blüte zerstört worden. 



» 



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gl2 liteimlubnkbt 

Sl) Dr. Johann«! Hllller, Baiuteioe för pereOnliche Kultur. 1) Das Problem 

dei Menschen. 2 Persönliches Leben. 3 Das Ziel. ZurVerständigTiDsr 
fQr die Suchenden von beota.} Mflnchen, Bdckacbe Verla^bsdH 

handlun^r. M. 1.25. 

In diesem Biindchen spricht sich ein ehrliches Bemühen um ethteche 
Ziele aojä ; aian hat die klare Empfindting, daß hinter den Worten eine byvt' 
pftthiMbe oad ttnbende FenHiilielikeÜ •toht Dadweh itt dm »Baarteiaent 
eine Wiilnnv ^ gaten Sinne gesichert. Y«fl tiakt riditig, daß «Mcia 
I..eben im ganzen heute dn Si elp fehlt; der Eoltorprozeß ist nns über den 
Kopf gewachsen, wir haben uns selbst dabei verloren. Nun gilt es. uns wieder 
zu gewinnen. Da betont denn Verd, daß dies unr auf dem Wege des Per- 
aSüUeliwardeaa geaehehea kann. Jeder Keaaeh mii6 daaaeh atiabea. 
PeraOnlidlkeit zn werden, d. h. ein selbstbewußtes, sein geistiges Sein be- 
herrschendes Wesen. Dabei ist es wertvoll, daß Verf. betont: Persönlichkeit 
ist nii hnlies Ideal, nichts Xatnrgegebenes ' Und wenn persönliche? Leben 
bei uns zum Durclibrucb kommt, dann beginnt erst die waiixe Arbeit der 
Darehbildvng. >U jedem eataehiedeo dnrehgieflUiTten l^maakte aehllgt der 
Puls persönlichen Letx n.-< • Persuallcbe Eaffgie muß all aaaer Denken nad 
Handeln durchglühen. Ka ist die Bestimmung des Menschen, persutilich ra 
leben. Aber, »o muß ich hinznfllgeu, auch das ist nur ein Mittel zum Zweck 
der Kultursteigeruug, die eelbst als Mittel zum letzten Weltaweck erscheintl 
Weiter lat der OedMik« dviebana riditig: peiaSnliolMa Lebea tntfidtet rieb 
fiut dnrif dareh daa begalaternde Beispiel einer echten Persönlichkeit. Als 
hHchstes nnd eigentliches solches Beispiel eieht Verf Christus an , ihm sollen 
wir uns nahen. Seine Bedcufnntr ist, daß iu ihm zum ersten Male die Mensch- 
werdung geschehen ist. liier kuua ich Verf. nicht mehr folgen. £r hat sich 
~ gewiS Büt ehrlieber OberBeugung — eunn Chriataa aJa O e g e aa Uad aeinea 
CMttUa aweehtgemaebt, dw abe& doch nur fUr ihn Bedeutung hat Was am 
Christentum groß ist, stammt von Paulas, in Christi Reden spricht sich woU 
abM svrapathische Persönlichkeit aus. aber keine neue ethische Tiefe. 

Was aber vor allem Verf. fehlt, ist der luufassende philosophische Blick, 
und dengeiidUS der ffiiiteq(niBd einer durebdaehten Weitanaduming. Ich 
Ifaide viel aiivfel kteinklagea RSsonnenent in aeinen Bflehara md avweoig 
produktive Gedanken. Sehr viel Binsenwahrheiten werden breit ausgesponnen^ 
die großen Gesichtspunkte treten zurück. Es fehlt eben die metaphysische 
Vertiefung, Verf. faßt den Menschen noch zu klein! Als b^onders verkehrt. 
Atteh adiieiB eigenen BemOben gegenüber, mdMinoi nur die Anacraandw 
•etanngen, daß Weltanaebnvnngen den Menechen nor verblenden und eln> 
eeltig machen, daß wir nie uns Ziele setzen können, da wir uns sonst »Scheu- 
klappen c bilden. Wenn wir wirklieh nichts von der zukünftigen Entwicklung 
wissen künuen, dann ist alles Heden and Denken unniits! Wir mflasen die 
Znknnft in nnaere Gewalt bekoinnen nnd können ea, Indem wir nnaera 
Ziele ana der Geachiekte gewinnanl leb halte ea für leerea Oerede^ 
wenn man verlangt, »dem Augenblick seine Forderung abzulauschen«! Ebenso 
die Behauptung, daß wir schon alle dasselbe wollen, oder daß nur die Ar- 
beiter ein Ziel haben! Überhaupt ist das dritte Stück »Das Ziel« am 
aokw&cbsten, weil hier am dringendsten philoaophlBohe Behandlung nottnt! 
Aneh aonat lat manehea verkehrt, aneh im Stile manche Gcachmaffikloaigkeitr 
ao wenn von »innerem Bnmmel« geaproohen wird, oder wenn vor der Fordo- 



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LitantniMoht 



813 



nrng »sei frei« die W&mangstafel »Nor fUr FreiBchwimmer« errrichtet wird; 
odflr wenn VacC Ton riob pttbeHsoh berichtet: »leh luiunelto Heneelien«. 

TVoteden empfeble ich die Bändchen, eben weil Bie ans ehrlicher Über- 
seagung geflossen sind. Perßüulich werden ißt eine Wiederg'oburt, und iwn. reine 
dauernde! Das hat der Verf. an sich erlebt; hofifentJicb gelingt es ihm, manche 
für dieses Lebenszeutraia zu gewinnen! Dr. 0. Braun (Hambarg). 



22; Dr. Johannes MUHer, Uemmiuagen des Lebens. 2. Aufl. 202 S. UUncbeu 
1906. 

Von dieMB Bnehe gilt im allgemeinen dasselbe Urteil wie Ton den »Ben- 
ttein«!«. Daß die enite nnd tüchtige Art dei Verf. S^eonde gefandoi het, 
B^gt die Existenz der 2. Anfl. (6.-8. Tausend). Es werden nacheinander be- 
sprochen: Die Trauer die Furcht, die Sorge, die Unsicherheit, der Zweifel 
and »Der Andere in uns«. Verf. Ist Stoiker, und diese Art ist heutzutage 
•ehr wert¥oll, wo maa so viei epiknriUache and sentimentale Stimmungen 
pflegt Er wül ein tettriUtigeB Leben, dne energische DuehUldnng tn 
geistiger Persönlichkeit und zeigt, wie wir die Hemmungen eines solchen 
Lebens Hberwiudeu können. Dabei sind mir wieder zuviel Worte und zuweuij^ 
>ldee< im Ganzen, es ist stellenweise flache Moralpredigt, wenn auch büberer Art. 
Aus seiner Schwäche, zu einer Welteaschaaung nicht vordringen zu künnen, 
neebt Yerf. dnbei eine Tagend, indem er ja die Lehre verficht: Weltnn- 
Behauung ist vem Obel, es kommt nur auf das begrifflich undefinierbare >per- 
8f3nliche Leben c an. So viel ist daran richtig, daß Wissenschaft und Welt- 
anschauung uur Sinn haben, wenn sie mit dem Leben in Zusammenhang 
stehen. Aber sie sind deswegen eben höchst notwendig und onerläßltch, 
weil sie g«sde des Leben erst Tergelstlgen. Daß Veif. das ablehnt, darin 
liegt der Grund seines Dilettantismna, seiner Popularphilosophie und seiner 
KleinUchlteit Dr. 0. Brenn (Hamburg). 



2$ Sir Oliver Lodge, Leben und Materie. Ans dem Englischen Obenetst 
80. lao S. Berlin, Karl Cartias. 1906. 

Der bekannte englische Physiker unternimmt es hier, eine Kritik der 
Häckelschen Welträtsel zu geben, will aber seine Kritik ausgeHprochener- 
maßen nicht als einen feindlichen Angriff gegen das Werk des von ihm 
hochgeeehXtrten dentsahen Foziohers betrachtet wissen, sondern »yiehnehr 
ab eine Ergiasnng, als eine Ansdehanng seiner natnrwissenschaftlicben Par- 
tien in höhere und fruchtbarere Bereiche der Forschung«. Denn sehr richtig 
wird betont, es wäre tHricht. zn meinen, daß die Spekubitionen eines be- 
deutenden Mannes Uberhaupt grundlos seien, oder daß er bei seinem Suchen 
nach Wahrheit eich gans nnd gar aaf falschem Wege iMfnnden habe. Anderer- 
■eits aber sei es ebenso tttricht, die LebaisttberBeognngen eines henronagea- 
den Spezialisten einfach für unumstößlich gewifi an halten andi in Oebieten, 
die außorh.-i!h «<>inc8 Spezialfacbes liegen. 

Dieser Ankündigung entsprechend wird der materialistiBche Charakter 
des Häckelschen Monismns scharf bekämpft, das »Subatanigeseta« einer 
maßvollen Kritik nntenogen, die Theorien Uber die Lebensanfilage gebOhrend 
gewürdigt Das Verhältnis von Leib und Seele, bzw. die Wechselwirkung 
awischen mechanischer nnd geistiger Energie wird — ohne Umstttrcnng des 



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214 



Litentorberlcbt. 



Cresetzes von der Erhaltung der Energie — so zu erklHron versucht, daß de 
psychischen Energie ausschließlich die EoUe der Lenkung, der Richtung- 
gabnng zugewieaen wird, die ia tbttm gewUoflMaeii meänalKhen Syitem 
ohne Znwad» od«r VenBlnderang der meehaiiiMheii Eneigle, mit taderen 

Worten: ohne Arbeitsleistung mOglich ist Als Beispiel ans der Mechanik 
ist die Führung einer Lokomotive durch die Schienen gegeben, wobei eben- 
falls eine Kraft senkrecht zur Bewegungsrichtung ausgeübt wird, ohne daß 
Arbeit gelobtet t bsw. ohne daß Energie zugeführt würde. Der gleiche Ge- 
dmnke, dafi die peyebiseben Energien nnr riebtonggebend, ebne LtktoMg 
mechanischer Arbeit, auf die physischen Energien einwirken mOchten, findet 
sich auch in einer vom Rpfprenten bereite früher besprochenen Abhandlnng 
von Erich Becher^/ und ist in jenem Referat^) als Erklärungsprinzip für 
die psycho - physische Wecbselwirknng abgelehnt worden, weil in dieser Hypo- 
theM die pcyehiieben Eiifte naeb Analogie dw phyalaehen Krifte gedaebt 
•ind und somit ein rein materialistisches Prinzip zur Grundlage dtt BrUimag' 
gemacht ist. — So gerSt der englische Forscher trotz seiner Abneigung 
gegen den Materialismus Häckeis selber wieder in den MaterialismuB biaein, 
und beaonden in aeinem Nachtrag über Natur und Ursprung des Le> 
bona kommt dieaur Staadpunlrt ao atark aar GMtnng, daß aneh der flHnweia 
auf ein mögllcherweitst existierendes höheres Universum, das den physika» 
lischen und chemisehi n (li ^ctzon mVht unterworff>n sei, nhfr die physikalisch- 
chemischen Wechselbeziehungen der Materie seinen Zwecken dienstbar mache, 
daa Ganse aeines materialistiscben Charakters nicht entkleidet So scharf- 
einnig nad logiaeb atreng die Ableitaag dea Lebena und daranf anfbaoend 
die des Geistigen ans dem Zerfall bzw. der Aggregation der Atome auch 
durchgeführt ist, so bildet sie doch eine nicht ^^'pnisrfr willkfirlif^be ATinnhm»^ 
als die Lehre Häckeis, welche die geistigen Qualitäten als uraprüngliche 
Eigenschaften der Atome betrachtet Und so unendlich fein und beweglich 
aveb daa dnreb den Atomaerfidl entatebeade Prodokt in aeiner Beaebaibn* 
heit gedacht sein mag, selbst wenn — wie der Verfasser vermutet — das 
letzte Zerfnilprodnkt der Äther wäre, so Moiht dieppR Produkt trotz allf^df^m 
ein Etwas, dem das Trädikat der EaumertUilung zukommt, ein Stoffliches, 
daa mit dem Prinzip des Geistigen auf keine Weise identifiziert werden kann 

J. KObler (Lanterbaeb). 



24) Bernhard Hell, Emst Machs Philosophie. Eine erkenntnis-kritiTlte 
Studie Uber Wirkliohkeit nnd Wert Stattgart, Fr. Frommanns Ver- 
lag, 1907. 

DieSebxift entbiat eine ttbendehfliebe, kdtiaobe EntwieUnog derPbOoeopbie 
Ernat Haeba, die ▼ontSglteb geeignet tat in deiaen Gedanlcen einxafttbren 

und Uber sie hinauszuführen. Der eigene Standpunkt des Verf. ist wesentlich 
durch Rickf riK I'i kenntnistheorie nud Wertlehre bpoinfinßt- ITell verfügt 
auch Uber die erforderlichen naturwissenschaftlichen Kenntnisse, um Machs 
Philosophie gereobt werden an kOnnen. £. Henmann (MUnater i. W.). 



1) Erich Becher. Das Gesetz von der Erhaltung der Energie und die 
Annahme einer Wechselwirkung swiaehen Leib nnd Seele. Zeitachrift für 
Psychologie. Bd. 46. 1907. 

2} Referat im Arohiv ffir die ges. Psychologie. Bd. XI. 



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Literatur berioht. 



Litentwberi€ht ans den Jahre 1907 Uber las Miet to •pttsehea 

Bamawalmeluiuig* 

Von Dr. K. A. Pfeifer (Baatzen). 

L Vergleiebesd ftnatomische nnd physiologische Studien Aber 

das f^e^organ nnd verploiohend psych olo^n e Stndien fiher 
deu Kaamsinn. (Ontogenese und Phylogenese des ÜaomBinneBi £aum- 
sinn des Kindes, RanmBlnn der Tier* n^w.) 

II. Das Netzhautbild des rahenden Augee nnd seine Beziehung 
snm Bftnmtliin. (Sobtohirfe im dii«kteii md tedinktMi Beben, 
Akkommodittott und Itndistioii, PnpiUeiifltvdieik, Blinder Fleck» Xete- 
motjfinafiiifü, optleohe Tihüehnngen new.) 

m. Dnr Angenrnnekelapparat und der Einfluß der Augen* 

bewc^ono-OT! aof die Lokalisatiou 'DrohnngfHraoTTK'Tite des Anfres, 
Schärit' üt-rt Augenmaßes, Motüitätaatürungen, Scheinbewegangeu usw.) 

ly. Binokulare Wahrnehraune und Tiefenvorstellnn^en. fStereo- 
skopie, Anteil von Akkommodation und Kouvergenz am Tieieosehen, 
Diplopie, Wettstrdtiililtnoniene, TiefentinsehnngeB new.) 

y, Beiträge tnr Tkeorie der rlnnlieben GesiehtaTorstetlnngen. 

Yt Kene Appnrnte. 

NB. Die mit « bezeichneten Werke lagen nieiit im Originale vor. 



T. 

Vergleichend anatumiüclie nnd ph^üiulogiücUe bludieu iiber das Sehorgan 
gfwie vergleiekend ptyekeleglfleke Stadien ttker den Bnnminn. 

1} Alexander-Sehäler, Üisel, Vergleichend physiologische Unter- 

Buchungen Aber die SehsehSrfe. (Ans dem physiolo^cken 

Ihititat der UniTereltSt Wien.) PdUgeiB Arohly f. d. gee. PkyeloL 

Bd. 119. S. 671-579. 
^ dm Bois-ReyiQond, R., Bemerkun«^ über die Innervition de» 

Ketractor bulbi. Anat. Anz. Bd. 81. S. 66f. 
^) Fleiseher, Über Beste des Musculus retractor bnlbi beim 

Heneoben. Ber. Uber die 19, Vers, der Nntnrf. n. Ante in Dreeden. 
4) neiieher, Hasonlns retractor bnlbi und drittes Lid bei einer 

menschlichen Mißgeburt. (Ans der Üniyenitttta-Angeaklinlk 

Tübingen.) Anat Ans. Bd. 3a S. 466—470. 



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216 



LitwttnilMriehi 



£j Fritzseh, G., Vergleichende Unterauchungen der Fove» centra- 
lis des MeoBchen. Anat Anz. Bd. 30. S. 462— 464. 

49 Mann, W., Zur Frage der Oiitof eneee des pU»tUelie& Selianii 
(Ans der üniT.-Aogenklinik HtlDcben.) Zeitsehrlft f. PSyehoL «. 
Physiol., IL Abt. Bd. 42. S. 130-163. 

7) BMhlmnnn, E., Zur vergleichenden Physiologie des Auges. 
Upüüiaim. Klinik. Jahrg. 41. S. 2ö7— 26ö. 

8] BaeUauB, E., Zur Tergleiebeiideii Physiologie des Auges 
{FortsefsBBg}. Ebende. 8.880->394. 

9) T. Blily, Aurel, Über atypische Sohnervenfasern. (Aus dem 
anat. Institut der Univ. Freiburg.: AnatAnz. Bd. 30. S. 363-368. 
IQ) V. Sicherer, Verorbang des ächielena. Mttncbener med. Woohen- 
sehrift Jahrg. im a tSSL 

H 

Dm Netetatbild des iiheidw Aiges nd seiHe Beiiehuig na laiasin. 

11) Berger« ]>ie y«rbeugang der Myopie. HüieheBemed. Woeben- 

sebrüt Jabfg.1907. 8.88iOl 
18) Bleeb, über willkürliche Erweiterung der Pnpilleil* 

DentBche med. Wochenschrift. Jahrg. 1907. S. 1777. 

18) Bersebke, Alfred, Ein experimenteller Beweis der fiedeatnng 

des Spiegelloebes für die skiaskopisebe Sebatten- 
drebnag. Ghraefee AnddT f. Ophtbaim. Bd. 68u 8. 196—199. 
^4) Beewell, F. P., Irradiation der Gesichtsenipfindung. Zeitselirlll 
f. Psychol. u. Physiol., Abt. II. Bd. 41. S. 119-126. 
Ib) Faerst, Erast, Über eine durch Mnskeldrack hervorgerufene 
Akkommodation bei Jngendlioben Apbaktsebea. (Ana 
Hirsebbergs Angenbeflanatait in Berlin.) Oxaefes AieUv t 
Ophthalm. Bd. 65. S. 1— 43. 

16) önillerv, Kritische Bemerkungen zu cini<ren neueren Arbeiten 

Uber Sehschärfeprüfung. Archiv f. Augenheilk. Bd. 57. a.l — 8. 

17) Hertel« E., Experimenteller Beitrag anr Kenntnis der Pa> 

pillenTerengernng anf Liebtreise. Orsefes Aroblv f. Optbalm. 
Bd. 66. S. 106-134. 
IQ Hinmelsbeim, Pnpillenstndien. Arobiv f. AngenbeOkande. Bd. 57. 
S. 33-36. 

19) Kataenellenbogen, E.W., Die aentrale nnd periphere Sehschärfe 

des bell' nnd dnnkeladaptierten Anges. (Ans dem payeboL 
Institut der UniTOnititLeipsIg.) WnndtB PsyeboL StndisB. Bd. 8. 

8. 272—5203. 

80) Kliea, H., Über die psychisch bedingten Einengungen des 

Qesichtsfeldes. (Aus der psychiatr. Klinik der Univ. Leipzig.) 
Aidbi? f. Psyebtatrie n. Nerreakxankb. Bd. 49. S. BBf^^-^Sfk 

81) Koaolt, Ober ein Verfahren anr Verbesserung der Sehschärfe 

des albinotiaehen Anges. Kim. MonatsbL Jabig. 1907. I. 
S. 534-637. 

*22) Koster, Skiaskopie. Tijdschr. voor Geneesk. Nr. 14. 
8^ Kester, W., Eine eigentflmliebe Ersebeinnng der Skiaskopie. 
Anbir f. AagenheOknade. Bd. 66. 8. 806—811. 



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Litentorberioht 



217 



^ Hifel, W., Verflache Uber Sebscbarfe im farbigen Lieht 

Siteangsber. d. Physiol GoBoIhch rn Horlin ;19. Juli 1907. 
26) 0|;ichi, Cb., Experimentelle Stadieu über dio Abhängigkeit 

der Sehschärfe vou dur ÜeleacbtungBintensität. Graefes 

ArohlT f. Ophifaalu. Bd. OS. 8.466-47a 
^ Orlt» ttn OtserrAtioni «nlU r«gione eieo» di Htrlotte. AmuUi 

di OtUlmologia. Bd. 86. S. 1. 
*Sn) Pcrgeüs. F.. Recherches snr rftouit^ visaeile. Annatoa d'Oen« 

Ustique. Bd. 137. S. 292. 
28) Reif, J. fl., Zar £rkUrang der Tbompsonscheo optischen 

Tlnsclmiig. PflOgwi AtcIüt f. d. gea. PhysioL Bd. 119. 

S. £80-668. 

*98} Btediger* W. C, The Field of Distiaot Vition with special 
Reference to Individual Difforcncos and tJietr Corre- 

lationa. Arch. of Psycliology. Bd. V. 1907, 

30) Sehieck, F., Über temporäre Myopie. Klin. Monatabl. f. A. 

Jahzg.1907. II. S. 10-47. 

31) WeUIieli, Mh^ Ober qvAiititfttive Besiehvngen swiaeben den 

Papillenweiten, den Akkommodationsleistnngen Bttd 

den Ge!?en?tnndBweiten nehst nll^emeinen Bemerkangen 
zur Akkommodationslehre. Archiv £. AagenheillL fid. 67. 
S. 201~2ia 

38) Weiibeld, H., Znr Theorie der skinekopitehen Sehntten- 
drehang beim Astigmntiimai. Qfnefee ArehlT £ OplitfaelBi. 

Bd. 65. S. 150-164. 
38j Wilbrand, Über die makalär-hemianopische LeBestr.rnnjr nnd 
die V. Mouakowsche Projektion der Macala auf die öeh- 
•phäre. Klin. Honatsbl. t A. Jahig. 1907. IL S. 1—99. 



m. 

Der Aagenmiiskelapparal and der Einüaü der Aagenbewegangen auf die 

Lekellsetlei. 

Bielsehowsky, A., Die Motilitätsatürnngen der Augen nach 
dem Stande der neuesten Forsohang. Graefe-Saemisch, 
Hendb. d. gee. A. 2. Aufl. UL Liefiming, II. Teil YIILBd. 
41. Kap. Nachtr. I, Bogen 1—6. 

36) Bielsehowsky, A., Dr. W. HaaBsmanns Rterroekopenbilder znr 
Prüfung des binokularen Sehens und zu Übunj^en für 
Schielende. 2. Anfl. Leipzig 1907 (bei Wilhelm Ea^^eimann). 

36) Dinmer, F., Lesen bei ▼ertikaler Stellung der Zeilen. Qreefee 
AreblT f. Ophfhalm. Bd. 66. 8. 189^194. 

39) Herberts, B., Oberblick ttber die Geschichte und den gegett- 
wirtigen Stand des psycbo-physiologiacheu Problems 
der Augenbewegnngcn. 2<eit8chrift t Psychol. a. PhysioL, 
Abt. L Bd. 40. S. 12iJ— 141. 

38) Landolt, Diagnostik der Bewegangeetttrnngen der Augen. 
94 9. Lelpiig 1907 (bei Wilhelm Bugdmann}. Freie K. 3.60. 

16* 



218 LttmttiriMtidit 

39) Oküi Job., Kin Reitrag znr Kenntnis der verechi odenen Arten 

der absoluteu Lokaiisation beim koakomitierenden 

Sohielen. (Ans Hirsohbers» AngwihaBaiirtilt ia Berlin.} 

OMMfiBe Archiv f. Ophthalm. Bd. 66. 8. iaO~14a 
40} Puters, A^ über das willkfirliehe Schielen des einen bei 

Primärstellang des ander«!! AageB. KUn. MoaatsbL £ A. 

Jahrg. iy07. II. S. 46—61. 
41} V. Pflngk, A., Stereoslcopisohe Bilder snm Oebranehe fftr 

Sehlelende. 8. AvfL Wleebaden 1607 (bei J. F. BeigBaio). 
4S0 T. SIeherer. Vererbnng des Schielene» Mflnelmer ibed. Wodnii» 

Schrift Jahrg. 1907. S. 1231. 
48} Weisenborg, T. H., Conjagate deviation of the oyes and head 

and disorders of the associated ocalar movementa. 

Joomel of the Ameiic. Med. Aasoe. Bd. 48. 8. lOOi. 
*44) Wilfflin, B., Sobevata fttr Attffeanuikellibmnsg. WieibadM 

1907. 

IV. 

Binokulare Wahmehmaag nnd Tiefenvor8tellun2;en. 

46} Isakowitz, L., McBBende Versache Uber Mikropie durch Konkav- 
gUser nebst Bemerkungen aar Theorie der Entfernnnga- 
nttd Or50enwahrnehinvii|r* Oraefee AreblT f. Opbtiialm. 

Bd. 66. S. 477-496. 
4^ Kaka, R. H., Über Tapetenbilder. AnUv £ Aaat a. F^piaL, 

II. Abt. Jahrg. 1907. S. 56. 
47) Kramer, Fraiu, Über eine partielle Stbrung der optischen 
Tlefealokaliiatioii. (Ana der KgL Paych. n. Verreaklinik Breelan.) 

Monatsbl. t Peychiatrie. Bd. 82. S. 189—202. 
48} Pfeifer, R. A., In Rachen dpf optiRf-heii Ti efenlokalisation yOtt 

Doppelbildern. Wundts Psyi IiljI Studien lid 3 8 '294 f. 
49; ¥. Beass, A., Über eine optische luuachaug. Zeitschritt f. Psychol. 

v. Fkyaio]., TL Abt Bd. 4S. 8. KU. 

60) Sterneck, B,, Der Sehraum anf Grnnd der Erfabrnaf. 

108 Seiten. Lpipzi^^ 1907 (bei J. Ambr. Barth). Preia M. 3.50 
öl) T. Sterneck, K., Die Koferenzflächentbeorie der scheinbaren 

Grüße der Gestirne. Zeitschrift f. Psychol. □. Physiol. d. 8., 

LAbi Bd.46. 8.1. 
62) WBlfflin, E., über die Bestimmung der negativen Konvergeaa- 

breite. Klin. Monatsbl. f. A. Jahrg. 1907. I. S. 537-041. 
63} Yaaiagttchi, H., Vorübertrehende l'unktionelle Diplopia moao- 

cularis. Klin. Monatsbl. f. A., Jahrg. 1907. I. S. 80—83. 

V. 

Beitrige lar Tkeerie der riaMliekea (ieiieklarenteUaBfei« 

61) Lekmann, W., Znr Frage der Ontogeaeie des plastischen 

Sehon H Aus dcrUniv.-Angenklinik Miinchea.) Zdtackiift tPqrehoL 
a. Physiol., Ii. Abt Bd. 42. S. 130—163. 
66) T. Mayeaderf, Edwla Kiessei, Das Bindenaeatrnm der optlaobea 
Wortbilder. ArehiY f. PayeUatxle «. Keryenkiawkh. Bd. 4a. 
& 688-697. 



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Literataiberioht 



219 



MD XttUer, A., Die Referenzflächentheorl« dar T&aschnng am 
Himmelsgewölbe und an den Sternen. Zeltlduift £ PsychoL 
XL Physiol., I. Abt. Bd. 44. S. 186-200. 

£7) MiUler, Aloys, Zar Frage der ReferenzflSchen. Ebenda. Bd. 47. 
S.887. 

tBi T. Sterneck, Roliert, Der Sehranm auf Ornnd der Erffthrnng. 

Leipzig 19(J7 (bei J. Ambr. Barth ) 
Ö9) V. Sterneck, B., Die Eeferenzflächentheorie der Bcheinbaren 
GtöQö der Gestirne. Ztiitäcbrift f. Psycbol. a. Physiol., I. Abt. 
Bd.4«. 8.1. 

fiO) Bebwarz 0., Zur akk ommodativen Hikropii#. KUn. HonatlbL 

f. A. .Jahrg:. 1907. 1. S 12-^46 
61) Wilbrand. H.. Über die makulär-hemianopisclif 1. eseptiJrung 
und die v. Monakowscbe Projektion der Macula aof die 
Sehtphire. KHii. MoMtibL t A. Jakig. 1907. IL B. 1-419. 

VL 

If«ie Appamte. 

€8) B•nddE^ A., Über die Yerwendnng elektriaeher Taaolien- 

lampen zum Ophthal moskopierea. Wiener med. Wodien- 

schrift. Jahrg. 1907. Kr V}. 
63J BieUchowsky, A., Dr. Haussmanns Stereoekopenbilder zur 

Prüfung des binokularen Sehens nnd sn Übungen für 

8 ehi elende. Leipzig 1907 (bei Wühelm Engelnuum}. 
61) Hertel, E., Über einen neuen Apparat aar Bestimninng der 

Pupillendistanz. (Ans der Univ.-Aiigenklinik Jena.) Gnefee 

Archiv f. Ophthalm. Bd. 65. S. 176-183. 
iM, Katzenellenbogen, E. W., Die zentrale nnd periphere Sehscharfe 

dea hell- und dnnkeladaptierten Auges. Wnndis PiyelML 

Studien. Bd. 3. S. 272—293. 

66) Köster, W., Ein Licht- und Farbenainnmesser. AioUt f. Ophthalm. 

Bd, 66 S. 497— Ö04. 

67) Krosias, Über ein Uuokularpupillometer. (Ans der Univ.- Augen- 

Uialk Harburg.) AieblT C Angenheilk. Bd. 67. 8.97— m 

68) Ognehi, Ch.« Der praktiache Wert des Photoptometera naeh 

Prof. M. nori. Archiv f. Ophthalm. Bd. 66. S. 456 f. 
*69} Ohm, Jeh., Apparat zur Untersuchung dea DoppeltaeheiiB. 
Zentralbl. f. A. Jahrg. 1907. (Juliheft) 
70} Pfalz, G., Ein Terbeaaertea 8tereoakoptometer avr Prüfung 
dea TiefeniehStsnngiTermSgene. EU]n.Monatald. Jahig.1907. 
TT. ? 85—95. 

71) r. Pflagk, A., Stereoskopieche Bilder zum Gebraaehe ftlr 

Schielende. Wiesbaden 1907 (bei J. F. Bergmann). 
*72) T. Rohr, BL, Die binoknlarenlnetramente. Berlin 1907 (bei Jnllna 
Springer). 

78) T.Rohr, M., Über Einrichtungen zur subjektiven Demon- 
stration der verschiedenen Fälle der durch das beid- 
äugige Sehen vermittelten Kaumanschaunng. Zeitschrift 
f. PsyohoL o. Phyalol., U. Abt Bd. 41. & 490--464. 



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320 



LitenUnrbericht 



*74] Rtttuiaicher, SehprUfnngta|>pftrat Dtatteh« nUitMntt. ZeUsoItf. 

Jahrg. 1907. Heft 7. 

75) T. Tsehennik, Beschreibong einiger neuer Apparate. 

PflUgers AnbiT £ d. gw. FliyitoL Bd. 119. S. 89. 



L 

1) Alexaaier-Sekkfer (Wi«i), Yergleielieiide Untersachnngen Aber 

Sebtcbirfe. 

DIa Sehsehlife «ines opttaeb woUgebfldfltMn Ang«s wtid «Ugwi^ ib 

gegeben angenommen durch die GrGße und Entfernung eines Objektes, dessen 
Netshantbild auf dem Querschnitt eines Netzhantelementes Platz hat Darauf 
luvend bestimmt der Verf. bei etwa 43 Tieren Terschiedenater An die Qner* 
tehnitto dtt NetdutttBleiiuiite [D^ Mwle die Gföfle d«i M^miMdm (20 
«nd beMduet dfo SehsobHrfo M$m tsn 

Die Große des lieUliautbildes, in voriiegendem Falle die Distanz zweier 
Lichtpunkte, wurde ia der Bftoleaeile «be aufgehängten, dnurch Injektion tva 
pbyeiidogieeber KoduelsUteoag tw den KoUeblenB geeeblltrtea Balbiui 

direkt beobachtet, mit einer paeieDden Vorriehtung gemessen und daraus die 

LUng-e i\P9 Booßens als Maß der Rildgröße mit möglichster Genauigkeit be- 
stimmt. Die Querschnitte der ^ietzhautelemente miUt der Verf. au der aus- 
gebreiteten Netzhanft dureb Beetimmung ibrer Aniabl auf der gleichgroßen 
Ittdie Tcm 98 fi** Aue der Ergebnietebeile bemerken wir, de6 die OrVfle 
des Bulbus für die Stellung eines Tieini in einer nach dem Maße der Seh- 
schärfe geordneten ÜberBicht von hervorragendster Bedeutung ist. Rind 
[S 34,6) und Pferd {8 ma 33,2) stehen obenan. Unter den Vügeln nimmt 
der Kauz [S = 20,1) mit seiner eigentümlichen Bulbusform die erste Stelle 
ein, wibrend die Ideinen Slngetiere wie Bette nnd Fledenume {StmOjHi 
ebenso wie die kleinen Vögel, Amphibien und Reptilien den Schluß der 
Reihe bilden. Auch fSUt auf, daß der MiinpchnfPird (S= 17.3] sowie der 
Affe {S — « 12,3) nicht günstiger gestellt ist, und daß die Raubtiere in der 
Liste kaum eine Sonderstellung einnehmen. Wie die Tabellen züigca, beruht 
aber die angttnitige Siellaag % B. Hand 8 12,6; Feielle 8 ^ ^) ant dmt 
besonderen Größe der Netzhautelemente. Vielleicht deuten auch diese Be- 
funde auf die doppelte Art des Selien<< hin, nämlich des wohl lokalisierten 
Sehens ruhender Objekte und des Sehens bewegter. — Für den Menschen 
berechnet der Verf. {D nach KOlliker 4.5^ bzw. nach H. Sohnlie 2,6/«, 
5 » 883 oder 60,0). 

2) da Boifi-KeyiQond, Bemerkung über die Innervation desBetraotor 

baibi. 

Der sogenannte Retractor bulbi ist, wenigstens bei Hund, Katze und 
Kanineiien, nieht, wie eeia Name beeegt, ein einh^eber Mnekel, eondem 
beetebt ane vier deutlich getrennten Muskeln, die allerdings dicht aneinander- 

geschloffen «lind J^in entgprrf'hcn ihrer Lage nach den vier Kecti. Bei 
Hund, Katze und Kaninchen konnte Verf. durch makroskopische Präparate 
nachweisen, daß der laterale Muskel einen feinen Nervenast vom Abducens, 
die drei medialen Je einen Ait von Oeolomotoiiae etbalten. 



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Literatarbericht 



221 



4} fleiieher (Tühtn^i^ei), Beste des Masonlas retr^otor bnlbi beim 

M e US ch e n. 

Der motorische Apparat de» ürittea Lides (Nickhant) Ist in der Tierreihe 
aaüerordenilioh Terachieden. Am meiaten differenziert bei deu YOgelo, iat 
er bei den Siegern redesiert »«f den Mmeolni dioenoidei oder Betnetor 
bolU» der efaie mn so geringere Ambildnng erfährt, je mehr dit dritte Lid 
Beibat TorkUmmert Ala Schntzorgan des Augea bewirkte er ehemals ein 
Zurückziehen des An^pfels in die Anp-enh'iUlle. Unter don Affen wird er 
nur noch bei Macacus rhesus und Simia nemcstrinua gctunden; bei den 
höheren Affen nnd Menachen ist er bisher vermißt worden. Bei der genaneren 
ünteiiaehsDg eiser meikieldielieB Ifffibildeng koimte nim der Yeif. das Tor* 
bttdeneelB eines Hoakels konstatieren, der wohl ebenfalls als Best des Be* 
tractor bnlbi zn betrachten ist. Es handelt sich zweifelsohne um eine ata- 
vistische Erschftinnnf^ Bei dem Fohlen diepor Organe in der Ontogonie kann 
von einer Hemm uQgäbildung nicht die Rede sein. Es liegt daher nahe, anch 
die anderen vorhandenen Mißbildongen, zum mindesten die des Auges, als 
ilaTistiselie Bfldmigen sosiisehen, md es fast denn aneh E. Hippel a. n.0. 
die Ansieht geäußert, daß Kolobome und Mikropbtlulniüs als Atavismus auf- 
zufassen seien, eine Ansicht, der sich der Verf. unter Hinweis sof den TOf^ 
liegenden Befand snsnsohließen genötigt siebt 

9 fritnd, Tergleicbende Untersnebangen der Foto« eentrnlis. 

Die ZspHsn der nensehiieben KetsIwQt sind Ton zylindiisehem Bsn. 
Diesen Ban zeigen sie im ganzen peripherischen Teil der Netzhant, wo rfe 

von Stäbchen ringsum eingefaßt sind. Kantige Formen der Zapfen entstehen 
durch gegenseitige Abplattung der Zapfen, setzen also eine Aneinander- 
lagemng voraus- In einer Mehrzahl von Fällen ist aber die Anorduung der 
Fovealaapfen im Zentrum |bo locker, daß eine Aneinanderlagemug absolnt 
snsgesddossen ist Die Wirkung d«r loeker gestellten Sehdnheiten in der 
Foven laukn nur eine YergrOberung der Sehschärfe sein, da die einzelnen 
Elemente durch ihren Abstand isolierte Eindrilcke von bennolibarteu Licht- 
strahlen nur unter einem Sehwinkel aufnehmra können, wie »t :uich bei frn"»- 
beren, den Raum erfüllenden Zapfen wirksam wäre. Die lockere Stellaug 
der Fovealzapfen geht nicht einher mit der Feinheit der Elemente, sondern 
es worden bkher die loekeren als die gröberen von stltterem Dnrehmesser 
beftmden. Die dichtgcstelltea waren bisher auch die feinsten im Durchmesser, 
nnd es kommt auf diese Weise in solchen Netzhautgrübchen die Feinheit der 
I orm der Anordnung zu Hilfe, um eine hüchste Sehleistung zu ermöglichen. 
Die angedeuteten Unterschiede sind so schwerwiegend, daß die beobachtete 
große indtvidaelle Yniiation in der Sehschärfe vollkommen verständlich er» 
eeheint Die Untersnehnng eines albinotlsehenAngenpasresTon einem Herera 
(Sttdwest-Afirika) offenbarte überhaupt keine Fovealbildung bei Lnpenver- 
grOßemng; vielleicht ist das Fehlen der Fovea für Albinos sogar charakte« 
ristisch. Die makroskopische Struktur der Netzhaut in der Area centrali» 
erinnerte auffallend an die beim Schweine. Die Stäbchen der Albinoretina 
ersehiffiBen meAwflrdig laUreieh nnd kriiftig entwielwlt Nach den allge* 
meinen Ergelmissen der BeolMditangMi sieht sieh der Verf. Teranlaßt im 
Anschluß an andere Autoren (Chiewits, Abelsdorff], welche auf die sehr 
frOhseitige Entwicklung der Sehaellen nnd ihrer Anhänge in der Area 



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222 



Literatur behciiL 



oentnlifl dei Ennbiyo hingewiesen haben, <Ue imvoUkommene Aiugtattang der 

Fovea mit 7apff^Ti als den Aosdmck eine» verfrühten Stillstand ps der Seh- 
zellenveruiehf uag des Embryo zu betrachten. Die Elemente rüclien nümliffti 
(iurcii das spätere Wachstnm des Bulbus lediglich aoseinander. 

€) LtkMUB (Mtickra), Ontogenese des pUBliiehen Sehens. 

Unter den gegensätzlichen Anschanungen Über die Ontogenese des Bmpk- 
sinnes erklrirt pich der Verf. geiren T!orinf^s Nntivipmiifai nnd Hillebrands 
Ergänzung desbeibea. Herinfcs I leteageiülile lassen sich nnr unter Zuhilfe- 
nahme von empirischuu Emdrücken unserer Baumansohaaung erklären. Der 
HiUebrnndsdie Vetsneli, die TiefengeftUe nnr nns Netdinntemplindiingett 
erkUten in wollen* kann leiolit als niebt mtieffend da^getaa werden« Angem- 
ftnig ist insbesondere die Ohnmacht nnd Labilität der Tiefengefthle der Hets- 
haot in jenen Fällen, wo von Momenten, die dorch die Erfahrtiner gpfreben 
sind, eine andere Tieleuverlegun^ erfordert wird, als sie jenen angenommenen 
Tiefengefhhlen gemäi3 sind. Die Frage, ob notwendigerweise eine angeborene 
Lüngsstreifling mit StereoskopIefUnktion aogenonunen werden mnfi, beant- 
wortet der Verf. dahin, daß Hit eine anatomlseh Toigebildete Un g s s tw ifnn g 
mit Stereoskopiefhnktion im Sinne Herings keinerlei Anbaltspnnkte bestehen, 
pondern dnß die QnerdiHpnration der Bilder, wie pie f^ieh ans der horiion- 
taien Anordamig der Augen ergibt, als eiupiriBcheB M iinLiit in \"r reinignn^ 
mit anderen bei der üntugeueae der Huumanschauung iu Betracbt kommt. 
Pas Hnlin» dessen geistige Eigensofanllen naeh dem Ansseldttpfon aas der 
Schale nur noeh gotinge Hodifisiemng erfiduran, ist mit dem Antritt in du 
Licht ebenso mit dem statischen Sinn nnd der Fähigkeit der Lokomotion 
ausg-estattet wie mit dem gebrauch Bflibisren Sehverrnüfren Die EntwicklnBe d*>!a 
Menschen ist aber beim Eintritt in das i.icht nicht in demseU>en Mabe wie die 
des Hühnchens abgeschlossen. Hier entwickelt sich die ßaumauschauung als 
lential assoaiatiTe TKtigl^elt anf dem Boden der angeborenen HOgUehkeilen 
ans dem Weobseispiel der EOrperiiebkelt der Objekte nnd den Sinnesoiganen. 

7) Baehluann, Znr vergleichenden Physiologie des Auges. 

Der Verf. vergleicht das zusammengeeetzte Auge der Arthropoden um 
dem Wirbeltierauge nnd findet weitgehende Analogien, die zur Aufklärung 
Vber gewisse Einiiebtongen des menschlieben Anges sehr wiebtig sein dürften. 
Da nnn insbesondere die menscliliehe Netahant in der Peripherie der Funk- 
tion des Insektenauges sehr ähnlich ist, wird in vorliegender Arbeit der Ver- 
such unternommen, die geringe Sehschärfe sowie das Erkennen der Form 
nnd Gestalt und weiterhin die hohe Licbtempfindlichkeit und leichte Wahr- 
nehmbarkeit bewegter Objekte im indirekten Sehen beim Menschen an er* 
USren dnreh Znbllfenabme der anatomisehen Besebslfonhelt vnd pfaysiologi' 
sehen Funktion des Faeettenangea beladen Insekten. 

8) Raeblmann, Zur vergleichenden Physiologie des Auges Forts. . 

Der Verf. kommt beim Studium der Orientierung im Eaum nnd des 
l'arbensinnes bei den Arthropoden zu dem Besnltat, daß» ans dem Ban des 
Anges an sebließen, eine gnte Orientisrang im Banme bei den Tagfaltern 

I. B. nnr bei intensiver Belenditnng (Sonnenschein) möglich sein kann, da 
nur dasjenige Licht, welches durch die Plättchen der Rhabdomn hindurch- 
gegangen und doich mehrfachen Eeflex geschwüoht wnrde, für das Sehver- 



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Litemtorbericht 



223 



mfigen in Betfaeht kommt Daß dto Farbenempliiidiiiig, w€lohe die Xnaekten 
nntir^eUiaft beeitzen, nicht mit der Empfindimg identisch aaia trtim, die 

wir von (]en Farben erhalten, gebt aus der Verschiedenheit der anatomischen 
Kinrichtung des Empfindnn^'snpparatoß (der Netximnt: direkt hervor. Mit 
Sicherheit können wir aus den Beobachtungen der inaekten in freier Natur 
tmd ihrem Veiliilteii bei Belenchtongsexperimenten nur schließen, daß sie 
gvwiH« Firbeii sto dUTennt enpiaden. Ob m üdh dabei imi wirkfiehe 
EmpfindBSgW)nalitäten oder un Wahrnehmung; von chromatischen Stufen 
ein und der<«clbrn Art handelt . i«t nn^wiß. Die mflietwi AnJultiponkte 
sprechen aber für die letztere Annahme. 

9) T. Sitty, Atypiaehe SehnerTenfaiern. 

Die ^iaehe embryonale Entwieldnncr der SehnefrenfiMem kamt bei den 

Wirbeltieren im allgemeinen als festgestellt gelten. Ereibel (1889) und Hia 
fl890j haben gezeigt, daß die zuerst gebildeten Optiknsfasern den Zellen der 
Ketina ent^itamraen und zentralwärta wachsen Die Bildung der zentripetalen 
Sehnervenfasern nimmt ihren Anfang in der iSiihe der Insertionsstelle des 
Baehezatiela nnd aolireitet in peripherer Bichtang fort Hand in Hand mit 
dem Anftrofeen der ersten Sehnervenfasern and der weiteren Dtfferenziemng 
der Netzhantschichten teilt eich das Betinablatt in der Nähe des späteren 
Linflenaquators in seine ftinktion. 11 nnfrlrirhwprtipen Teile, die Pars optica 
und die Pars caeca retinae. Die Grenze zwischen diesen beiden Teilen ent- 
spricht der späteren Ora serrata. Die Biidang der Sehnervenfasern über- 
aobMitet nnn die aoolien gescbilderle Gfenae nieht, aondem IdJtt vielmehr 
▼or dem Obeigaaif der Fara optica in die Para eaeea aümiUich auf. Der 
Verf gibt nun die Beschreibung einer Angenanlage — die betreffenden 
Schnitte entstammen einer Serie durch Anfrc rinos 31 Tage alten 
Hundes — , die eine Ausnahme dieser Kegel (hir^^tollt indem bei ihr die Bii- 
dang der Sehnerveniasem sich atypischerweise auch auf ein omschriebenes 
Gelyiet des PigmentUattaa eiatreolrte. 

IQ) T. Sicherer (Manchen), Vererbung des Schielens. 

Es ist eine bekannte Tatsache, daß der StrabiRiniiH «»ich in hohem MaPe 
vererbt. 50 % und mehr aller Fälle des Schieleni* lüiirt man auf Vererbung 
zurück. Der Verfasser hatte non Gelegenheit, die Vererbaug von Strabismus 
eonvergena in einer Famiiie dordi vier Oenerationen hindurch an heobaehtMu 
Dahei eigab aieh» dafl fiiat anaaeUießHeh die minnliche Naehkornmenaohaft 
in flberdttstimmender Weiae erblieh belaatet war. In der ganzen Beihe der 
an« erster und zweiter Eho stammenden neun lebenden Kinder wurde nn 
8;niitlioi;* n Knaben linksseitiger Strabismus convergens, linksseitige iiyperopie 
und Amblyopie beobachtet, während die Müdchen sich als Emmetropen er- 
wieaen nnd nidit lefaldtea. Eine einaige Ananahme machte, allerdinga nur 
vorllbergehend» £e ilteate^ehter ana «relter Ehe, die ala Kind lause Zeit 
schielte. Der Verf. erblickt darin einen neuen Beweis flir den Donders- 
Bchen Satz, daß dor Strabismus convergcns dann zustande kommt, wenn 
Hyperopie mit Herabsetzung der Sehschärfe des einen Auges verbunden ist. 
Auch liefert die eine Tochter eine treffliche Bestätigung des von Fuchs 
anfgeateHten Sataea, daß schielende Kinder während der Zeit der FnlMftKta- 
entwioldang wieder zu schielen anfhBien, wobei jedoeh daa flUher abgelenkte 
Ange hnmer adiwieher bleibt 



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224 



Literatorbericht. 



IL 

11) Berger (Knftli), Vorbeitgiing dar Myopie. 

Der Verf. beobMhtett d^fi, wenn man kunaichtig ist oder dazu neigt» 

beim Anfentiia!t an der See oder im Hochgebirge besser zu sehen glaubt 
als vorher. Die im labilen Gleichgewichtszostande befindliche Linse gerat 
offenbar zaerat in eine Art Knunp&oatand, der noch korrigierbar ist, der 
«ber, idebt korrigiert, m dmnernder Myopie fübrt 

12} Bloch (Kattowitz), Willkürliche Erweiterung der Pupillen. 

Der Verf. berichtet Uber einen von ihm boohachteten Fall willkürlicher 
Verengerung und Erweiterung der Pupille und sciüießt daraus, daß der Sitz 
dea PnpillenieiiiniinB nieht snbkortikal sein kffane, iondem sieh ii der Mira- 
rinde befindeii mttsse. Es wllide weiterhin aber «oßh dnndi dw Nachweis 

der willkürlichen Pupillenbewegung der ohnehin stark erschütterten Lehre 
von der willkürlichen quergestreiften) und anwillkttrliohen (giatten) Moska- 
htor der Boden entzogen aein. 

13) Bfischke (Wien), Experimenteller Beweis der Bedeutung des 

Spiegelloches für die skiaskopische Schattendrehung. 

I>er Verf. bestreitet (kontra Weinhold) für die skiaskopische Schatten- 
drehung die Bichtigkeit jeder Erklärung, die den Einfluß des Spiegelloches 
ils »nniiVtige KonpUkttionc snfier seht lifit nnd TennMlity seine Behanptong 
experimentell sn sttttsen. 

15) Fnerst (ElMng), Durch Muskeldruck hervorgerufene Akkommo- 
dation bei jugendlichen Aphakisehen. 

Seit Tbomns Tonng zeigte, dnß die Akkommodstfon dse Anges weder 
saf Vermeturang der Hendunttwlllbnnf noeb t«f VeHioferang der Angen* 

achse beruhe und Helmholtz objektiv den Nachweis einer GestaltsverSnde- 
rung der Linse erbrachte, gilt es als eine unnmstüßliche Tatsache der physio- 
logisohen Optik, daß die Akkommodation lediglich durch eine Formverände- 
mng der linse bewirkt wird. In der Tit ftblt den Staroperisrten — also 
dmn llnsealosen Ange — Jede ^«r Ten Akkornmodatkni. 'Trotsdsn sind 
aber eine Anzahl klinischer Berichte vorhanden, nach denen Aphakische 
einen geringen Grad von Akkommodation nach der Staroperation behalten 
haben sollen. Der Verf. kommt auf Grund eigener umfangreicher Unter< 
snebnngen in folgenden ErgebnissMi: Nsob der Opsiation dss Alteisstsis 
fehlt flnt snsnsbnislos jede Spar Ton Akkenunodntion. Jngendliebe Apha- 
kische indes, die an angeborenem oder in den ersten Lebensjahren erwor- 
benem granen Star gelitten haben, zeigen nicht selten (8 unter 20 Fällen^ otn 
mehr oder weniger beträchtliches AkkommodaUonsvermiJgen, so daiS mitunter 
der gesamte Betrag der boebgmdigen Hypermetropie des emmstroplsdi- 
apbaUsohen Anges (18 bis 13 flir die Feme wie sneb flir die Nlhe dnreh 
Akkommodation kompensiert werden kann. Die RefraktionserhOhung des 
Aii^p« läPt «"ich alsdann bei Fixation eines nahen Objektes mittels des 
DoudersBchen und Wo ino wachen Versuches direkt aachweisen, so daß 
eine Psendoafcfcommedation (Astigmatismns der Honbant, Ysrsehiebvagen 
der Starbrille, Sebem in ZeratreanngBstreifen) als sosgesehlossen geHsn kann. 



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Litantorbflrielit 



225 



Über d«ii Maohiiiiimiu diea«r Akkoomodfttioii eigtb nun die Untettaehmig, 
cb0 die Akkommodstton all Draekwirkuv des Otbioolatla md der Snfieieii 

Augenmuskel zuBtande kommt, wShiend die Bianeamaskeln gänzlich unbe* 
teiligt sind. Nicht in Betracht kommen VerlSngernng der Aagenacbse, Ver- 
mehrung der Hornhaiitw?JU»Tin^ und Vorwölbung der vorderen Glaskürper- 
fläobe, wohl aber kommt in irrage die Erhühnng dea Index der brechenden 
Hedimi uid die partielle Begeimathni der Liue, deren fbaktionsflthige Sie* 
meBte dnreh den inßeren Mnakeldmek in das Pnpillargebiet ToryeBoholMn 
werden. Die Akkommodation bei Aphakie findet ein gewisses Analogon in 
eittseinen Beobaohtnngen Uber abnorme BefraktionaerbObong dei linaenbaltigen 
Avgea. 

IBj tailleiy (Kill), Kritiaebe Bemerkungen in Arbeiten ttber Seb- 
aebXrfeprttfnng. 

Jedes Sehobjekt — nicht etwa nur der einzelne Punkt — , dem man siob 
ans einer Entfernnnjr nül-erf. hA w-^lrhor sein Netzhautbild noch nicht Uber 
die Schwelle tritt erscheiut zuerst alö grauer Fleck. Erst bei weiterer An- 
niiheroug kann man sich Uber seine sonstigeu ^^ualitäten wie Form, Farbe, 
GrOfie naw. ein Urteil bilden. Jenes allen Objekten eigentttnliehe erste Bild 
einen granen Punktes, welcbes also den Beginn ihrer itnniliehen Ünteteebei- 
dnng von ihrem Hintergründe darstellt, genügt, um einen prüzisen Maßstab 
abzugeben für die Feinheit der räumlichen Unterecheidung überhaupt — der 
Sehschärfe. Diese in einer früheren Arbeit dargelegte Untersnchungsmethode 
mittels Quadraten, in denen die Lage des grauen Fleckes von der Versnchs- 
pecaon angegeben werden aoD, wird vom Verl erneut diskutiert und gegen* 
über melireren Einwinden aufreobt eibalten. 

17] Hertel (Jena), Experimenteller Beitrag zur Kenntnis der Pu- 
pillenverengerung auf Lichtreize. 

Aus seiuoQ experimentellen Untersachnngeu au Kaninchen, Ratzen, 
FrOaeben und aueb an Hensohen gewinnt der Vert daa Resultat, daß wir 
die auf Liebtreize auch bei Warmblütern oaeb Unteibrecbnng der Optikos- 
bahnen noch anslösbaren PupiUenverftndemngen zu betrachten haben ala ^ne 
direkte Wirkung der Liobtatrablen auf die Si»binkteren der Iris. 

18) HuBelibeia (Ben), Pupillenatudien. 

IHe Untersnebungen des Verf. erstreoken sieb darauf^ ob die Pupille sieb 
bonientriseb verengt und erweitert Mittels einer unter 46 zur Hedianebene 

gedrehten Glasscheibe, durch die hindurch man in das Auge der Versuchs- 
person blicken kann, spiegelt der Verf. ein seitlich aufgestelltes weißes 
Scheibeben, dessen Größe leicht auswechselbar ist, direkt auf die Papille. 
Spielt nun die Papille, so ist die Beorteilong, ob beide konaoitrisch suein- 
ander bleiben, eine scharfe und genaue. Die üntersnebung bei 180 Personen 
ergab, da0 die Pnpüle sidi konaentrladi verengt und erweitert 

l^i Katzenellenbogen (Leipzig), Zentrale und peripbere Sehschärfe 
des bell- und dunkeladaptierten Auges. 

Eine bisher nicht überwundene Schwierigkeit boten der Sebsebirfe- 
bestimninag in indirekten Sehen Jene Bliekscbwaaknngen, die wir infolge 
unserer Gewöhnung, LiebtreiM dureb direkte Fizadou in appenlpieien, auch 



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296 



Literatiirbericlit 



nach lingerer Üboagneit» wenn auch avr momenUn und in geringerem Um- 
fange, doch noch ausftlhren. Dieser Fehlerquelle be^pjmpt der Verf. dadurch, 
daß er immer einen nasalen nnd temporalen Heiz zugleich auf das Aug^e 
wirken läßt, so Uüß die Tendenzen zn onwilikflrUchen BUekabscbweifangea 
•ieh fsegfiUMMg kompeuienii {Mnilp der tymmatrlidwii Beirasir v^^l^ 
Wandt). An einer geradem, iiaoh Alt des PerimeterB drehbaren Stange 
ftind verRf'lnVlfbaro Kästchen gymni'^triBch umgebracht, die ala Lichtquellen 
je eine Glühlampe von 36 keraenetärkeu bei 110 Volt Spannung enthalten. 
iiinter den verBcbiebbaren Spalten, die von einem feineten Lichtatxiche bia 
sn «ineiii breiten Bande variiert werden können, elnd tw Erlangung einer 
diffnsen Belenchtnng gee^liffeae Mattglasplättcbcn angebracht Dabei sind 
die Sf'hnr'idf n der Spalten vorn 7nge8chlifT<'n nnd liegen dem Mattglas SO 
unmittelbar aul, daß die Wahrnehmung: der hellen Linien von der Seite nicht 
gehindert ist. Die vom Verf. vorgenommenen Sehachiiriebetitiuiiuuiigen iu 
wdSem Lfelite ftitrten an folgenden Eigebniaaeii: 

t) Die Sehschärfe des heUadapHerten Aogee ist bedeutend gr50er ala die 
dr^ diinkeladaptierten und die ErrnttdoDg dea lieUadaptinten Tlei ge» 
rmger aU die des dunkeladaptierten. 

2} Bei gleicher subjektiver Helligkeit ist die öehacharte in der Peripherie 
noch am ein Minimnw herabgesetst 

8) Die Übung kann nnter ümatliiden die periphere Sekiehirfe bedeutend 
verbesBern 

4) Die Uni'ii hr rliPitKur!eile xcigeii einen ähnlich regelmäßigen Yerlanf 
wie die Euiiieitä- und Zweihcitäurteile. 

0) Der 7erlauf der Sebaehirfo seigte »eine Zone der Unbeatlantbeit«. 
deren Änderungen den Ändonngen der Sehwelle aelbat aanifaenid 

proportional sind. 

6) Die vnrües^endeu Versuche haben keinen Reweis für eine spezifische 
Zapfen- oder UelisehschÜri'ü und Stäbchen- oder Dunkelsehsciiarfe ge- 
Heftrt 

20] Klien (Leipzig), Fsyohisch bedingte Linengangen dea Geaiohta- 

feldes. 

Wätuend die Grenzen des normalen monokularen Gesichtfeldes gegeben 
Bind dnreh die Torspringenden Geeiehtateile und die Avgenlider, werden in 

gewlßsen KrankheitsfitUen zentralncrvOser Art auffallende EinengUTi^ n des 
Of»sirhtsfeldeö beobachtet, derart, daß peripher gelegene Lichtreizn die liei 
normaler Begrenzung am Perimeter noch bemi rkt werden müßten, nicht mehr 
gesehen oder in stark herabgesetzter Inteusitat uuigefai)t werden. Es fehlte 
Inaher an einer fTatenatbehen ünteraachang darflber, ob ea bei den ver- 
aehiedenartigeii, mit Oeaichtsfeldeinengnng (OFI) einlicrgehenden nervOten 
Erkrankungen sjrmptomatologiech verschiedene Typen gibt, die eventnel! aus 
ihren Eigenschaften und der Art der Allgemeinaffektion Rückschlüsse auf 
den Entstchungjimodus der GeHichtsfeldeioengung i&uUssen könnten. Durch 
TorIi<^ende Arbeit boH eine ayatematf aehe Beaebrelbiing nnd Oroppiening 
nach Typen geleistet werden. Die Momente, die der Verf. fttr die Entatehnng^ 
der ÖFA' geltend macht, sind: 

1) Störun«,' d«'r Vuliuerksauikcit. ;Bei Hysterie. Epilepsie, alkoholiBchem 
Delirium, traumatischer Psychose, bei Erweich uugsherden, auch wenn 
aie nicht die Sehaplilre betreffen, naw.) 



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Literatnrbericht. 



227 



2) Die yontellvig des Schlechtseheos. (Daa eingebildete Schle«litl«hea 

der HysteriBchen oder die nackte Simniation bei KrimineUen nnd Un- 
üailrentncrn, die ein Interesse am ScMechtsehen haben.) 

3) Untererregbarkeit der Sehsphäre. 

Ln Lmüb der Unlenachiing ergeben iieh beMditiiehe ü&teiiehiede, je 
nachdem das Objekt am Perimeter sentripetel oder seattÜii^ bewegt wird, 

ob die Veraacbsperson selbst einstellt oder einstellen llflt, ob mit reinem, 
reißen Licht oder Farbe operiert wird, und vor nllem erweisen sich Sug- 
gestionen nnd Autoyu^^gesüonen als äußeret wlrkaame Faktoren. Durch di- 
rekte Aufforderimg au einige Versucbsperauneu , einmal au versuchen, mit 
nUem Baffinement SeUeehtselien Tonatünaeben, gewinnt der Ver£ drd Simn* 
latloumethoden, die darin beBtehen, dafi die Yemnehaperaon eitt Ton einer 
gewissen Intensität an das Objekt als »gesehen« bezeichnet (&fethode der 
Intensität^^chHtznTicr o<1er immer erst in einem festen seitlichen Abstand vom 
Mittelpunkt de» ötjhieldee die Ubjekto als im Sehfelde anftanchend angibt 
(Methode der Entferuungssehätzung) oder erat nach einer gewiaaeu Zeit, nach- 
dem der Bein berriti bemerkt wnzde, dai YorimBdeDaein denelben beiflligt 
(Ifediode der venOgerten Signalieation}. Die Arbelt entiiilt flberdlea eine 
Menge psychologisch interessanter Bemerkungen, deren detaillierte Angabe 
aber hier tw weit ffihren würde nnd die deahalb im Original naehgeachlagen 
werden mögen. 

21) Kemete (Tekle), Verbeaaernng der Sebaebirfe dea alblnotiaehen 

Auges. 

Die geringe Sehschärfe des albinotischen Auges resultiert aus einer ab- 
normen Dnrchlässigkeit dor Augenwandung ffir die Lichtstrahlen. Dom Verf. 
gelang es nun, die Sehscburte durch eine subkonjunktivale Tuscheiujektion 
ganz wesentlich zu heben. — Innerhalb 20 Jahren wurden in Japan nnter 
150000 Angenkraaken nur Tier Alblnoa beobachtet 

23) Koster (Leiden), Eigentümliche Erscheinungen der Skiaskopie. 

Die Abhandlung beiwerl^t die Vermeidung von Fehlern bei der prak- 
tischen AusfUhmng der Skiaskopie nnd eignet sich nicht zur gekürzten 
Wiedergabe. 

26) Ogiehi (Tokio), Experimentelle Studien Uber d'w Abhängigkeit 

der Sehschärfe von der Beleuchtungsintensitiit. 

Vermindert sich die Beleuchtung, so vermintlcrt sich anrh die Sehschärfe. 
Der Verf. hndet nun, daß die Sehschärfe sich ändert proportional der Kubik- 
wurzel auB der BelenchtüngsintenBität Das Gesetz gilt bis zu einer Belench- 
tnag von 0,00675 KeiaensUrken herab. Unterhalb der Greoae von 0|008BO 
Kerzenstärke Beleuchtungsintensität erfolgt die Yerminderang der Sehschärfe 
▼erliUtniamSßig bedeutender. Über den Torwendetea Apparat Tgi> Beferat 68. 

28) Reiff (Wetzlar), Erklärung der Thompaonaehen optiaehen Tän* 
aehnng. 

Zeichnet man anf ein Blatt Papier viele konaentriedie Bing«, ao getataa 
dieaelben in scheinbare Rotation, wenn man das Papier im Kreise herum 

bewegt. Als Grund dieser Täuschung wurde bi?hrr der Astigmatiprans des 
Angee angegeben. Der Verf. erküirt daa Phänomen wie folgt: üält man daa 



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228 



Literatur behcht. 



Blatt mit den Ringen in der Frontalebene vor sich hin and bewegt ee in 
gerader Linie nach links nnd rechts hin und her, so zerlegt Bich das Ring- 
bild sofort in swei Paare diametral ^gegenüberliegender Sektoren von ^anz 
verschiedener IntenutUt Offenbar werden die beiden Sektoren, deren Sjo- 
mefenldlaiiieter Tertikai ■toht, dorch positi?e Naehbilder begOiutlgt, erwAeiiMB 
aleo Bdnrtnm; die beiden Sektoren aber, dartn Symmetnldiameter hoti* 
zontal liegt, werden durch die Mischung von weißen und schwarzen posi- 
tiven Nachbildern nnd eventuell auch durch Hinzutreten von negativen Nach- 
bildern in der Intensität benachteiligt und erscheinen (iesbaib verwaschen- 
Die Sektorenpaare vertauschen ihr Verhalten, wenn man das Blatt mit ma£lg«r 
Gaachwindigiceit anatatt tob Unka nach reehta von Obau nach mlen beire^ 
Ana dem Wechsel dieser Erscheinung bei Bewegen dea Blattea ün Ki«iae 
erUIrt aieb binniobend daa Botationapblbionien. 

30) Schieck (Güttingen), Temporäre Myopie. 

Temporäre Refraktionsschwankangen d^ menschlichen Auges — abge- 
aeben Ton trawnatiaeben Einflttiaen ioimerbln dae Seltenbeit ~ Unaeii, 

analog der Entstehung gewöhnlicher Refraktionsanomalien, aus einer dop- 
pelten Ursache resultieren: Entweder der Bulbus ändert seine Gestalt oder 
die Breehkraft der brechenden Medien erfährt eine Veränderung. So ist es 
bekannt, daß zuweilen retrobulbäre Tumoren durch Verkürzung der Längs- 
achse Hyperople entstehen lassen, iriüirend der Draek efnea Tumore am 
oberen Orbitalrande nnd die damit Terbmidene yergrttOemng der Lingaaehae 
temporäre Myopie im Ocfolge hat. Temporäre Änderungen in der Breeh- 
kraft der brer}if>n«len Medieu hal)eii dagegen ihren Grund in intensiven Stoff- 
^vprhselstürungen und werden vornehmlich bei Diabetes und Iktertui be- 
obachtet. In einem Falle erhöhte aber auch ein zehn Tage anhaltender 
DniehlbÜ tempoiir die Sreebkraft beider Augen xm ^ Di. Unfear den Er- 
kliraagamiSgliehkalten der BefraktlonaanoDialien dnreh StoAreehaeiatOrangen 
(Linaenqneilnng, Almabme des Bulbnainhaltaa in toto, Änderung in der che- 
mischen Zusammensetzung des Kammenvassers' hiilt der Verf. die Krüm- 
mungsveränderung der Linse aufrecht, weil nach BcrerhnTingen von Hess 
bei Erreichung einer irgendwie in Betracht kommenden Kurzsichtigkeit z. B. 
eine so gewaltige Steigerung dea Ifoeebungsindez dea Kammefwaaaeia abge- 
nommen werden mllfite, wie aie kaum vorkommen dürfte. 

31) Weidlich (Klbogen a. d. F>^er). Über quantitative Ikzi. hungen 

zwischen den Pnpillenwciten, den Akkommodations- 
Uiitnngen nnd den Gegenatandaweiten. 

De» leflektoriaeben Spiele der PupiUe fall^ iwd Funktionen n: 
Beguliemng der Liehtmenge nnd Abblendnng der Eaadatrahlen. F0r Nahe- 

aehen iat die Pupille eng, flir Femsehen weit. Überlegung nnd Berechnung 
ergibt nun, daß die Pupillenweite hinter der Ge«^enßtandf!^eiTe zurllckbleibt; 
denn sonst milPt«* tür G = oo auch /' - 'v j^tiu. Die ruiiill 'nweite wächst 
wohl mit der Entfernung, aber langsamer als diese. Das ist auch physto- 
logiaeh begrdfUeh. Yerengemng der Pnpüle wkd dnrcb Znnahme der Be* 
llchtong der Netabant, Enreitemng dnreh deren Abnahme herr o rge m fto. 
Sobald aber der eine oder der andere Bewegungsvorgang bis zu einem ge> 
wissen Grade erfolgt ist, führt er den gegenteiligen l^elirhtangsznstand her- 
bei, wodurch der Eintritt einer gewissen Tätigkeit des Antagonisten erklär- 



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Literitorberfelit 



829 



Höh wird. Bei der »ntagooistiscben Wirkung d< h l'upillenerwpitererg und 
•verengerers kommt non weiter in Betracht, daß die Kontraktion dea eiuen 
eiM g«wiMe IMhnung de« aadeten TonuMtet Der nmehamde Widar^ 
■tend des Antagonisten wirkt aber in steigendem Maße hemmend anf die 

eipene weitere Kontraktionsfiihig'keit, so dnG Gründe genug vorhanden sind, 
die Leistungen der Pupillenmuskcln hinter den grefrebeuen Irapuleen zurück- 
bleiben an lassen. Der psychologiacbe Effekt davon ist der, daß wir in der 
Nihe Mlatlv beeeer Mhen als ia der Ferne, nlelit bloß, well die AnnXhemiif 
Yergrößemng der Netzbantbilder geitittet, Mndem anoh deshalb, weil bei 
gleicher Größe der Netzhautbilder das von einem sonst prlf^ifhnrtipcn näheren 
Gegenatand entworfene Netzhauthüd lichtstirker ist als jema den lorneren. 
Kia ganz ähnliches Antagoniatenpaar bilden die die Akkommodation herbei- 
itthieiideii Uneben. Die WOIbiingssteigemng der KrietaDinee denkt man 
sich als Effekt ihrer Elastizität, dann eintretend, wenn die ihr entgegen- 
wirkende Kraft , TTf^lche Abplattung bewirkt . f?her\vunden wird. Die Folge 
ist, daß es inneriiall» des AkkommodationHbereiches eine gewisse Distanz 
gibt, wo ein gewisses Gleichgewicht in der Tätigkeit der Antagonisten ein- 
tritt (Ftenpnnkt— Nahpnnk^ Ana dieier TatMehe lielit der Yeif. bemericene* 
werte, praktische Konseqnenzen. Uater anderen die, daß die faktische nor- 
male Einstellung des Auges nicht genau emmetropipfh , «"ondorn schwach 
hypemietropisch ist, so daß der in Wirklirhkt it vnrhuudene i emakkommo- 
datiomsautwand fUr den Fernpunkt nicht au der äußersten Grenze der 
LdetnngsflUiigfceit «berbanpi Ue^ 

88) Weinhold (IMaaen), Zur Theorie der skiaskopiscbea Sohatten- 

drehung beim Astigmatismus. 

Die skiaskopische Schattendrehuog bei Astigmatismus mit schiefen Achsen 
wird Tom Verl ao erkUit, daß infolge der ▼enehiedenen BreobnngsTeriiUt* 
nisse in der normalen Hanptebene auch eine verschieden starke VergrOßemag 

in derselben stattfiridet . daß also ein Quadrat, despen Seiten den Haupt- 
achsen parallel sti lu ti. als ein Kechteck eracheineii muß und daher eine 
Diagonale nicht mehr unter 45'' erscheint. Die phyaikulischen Faktoren, aiso 
daß flun snm SUaskopieren ^en Spiegel benntst, der Spiegel dnreUoeht 
und der Durchmesser der Dnrehbobnmg kleiner als der der Pupille dee 
Beobachters ist, sollen der Elimination, wie sie a n O. von Borsrlikc ge- 
fordert wurde, deshalb nicht bedürfen, weil sie für die Erklärung der skia* 
skoplschen Erscheinungen tattiächlicb nicht in Frage kommen. 

88) Wilbrand (Hamburg), Makulär-hemianopische T e^cst^^rung und 
die v. Monakowsobe Projektion der Macula auf die Seli- 
sphäro. 

(Vgl. Referat unter V, 61.) 



DL 

SB) Bliliekfwiky (L«ipiiS)i Haneemanna StereoikopenbildoT. 

Der Verf. bealltrt ein Ton ihm «nf der 88. Vers. d. OpbHialm. Oee. in 

Heidelberg demonstriertes Stereoskop (beigestellt vom opt. Inst. Felix Tomier, 
Leipaig. Frela M.18^, welehea gegentlber den gebiiaebliehen alanen 



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230 



Litontubeiiefat 



Stereoskopen den Vortoil aufweist, daß die Bilder als getrennte nalhbiMe"- 
eingelegt und tiuii ium riialb eines Rahmens hinsichtlich ihres gegeaseitigea 
Abstandee hohzont^i imd veiük&i variierb&r Bind. Der Apparat ersetzt aUo 
in geiriuem Sfame ein HerinstobM HaplMko^ Duoh Vondialteii nneh- 
gttmr GÜMT laum dneben anob eine waMigelieBde latenaifeitwbelafinv de* 
^nzelnen Halbbildes bewirkt werden. Die Bilder selbst (Verlag WSheltt 
Engelmann, Leipzig Preis 2 M ) sind nach modernen Gesichtspnnkten ent- 
worfen, 80 daß der ^Mu/e Apparat ab zweckmiÜ3jger Aiigeiunaskeltam> 
apparat tür äckielende gudacht werden kann. 

86) DiBHcr (Qfu), Lasen bei Tertiktler Stellung dei Zeilen* 

Am 25. Febniar 1906 erschien in der Grazer AngonkÜBik ein nennjährig er 
Knabe zur Unt<>rflurhung Haines hcrabgesetrten S( Ii Vermögens. Bei der Vor- 
nahmt; der .SrhjirUt'uii;:; tiel auf, daß er die Üchritiproben, die man ihm zam 
Lesen in die iiaud gab, stets bei vollkommen vertikaler Stellung der Zeilen 
ItB, Ja, wie die weitere Untennebnig ergab, nur denn ffieOend lesen kmmte, 
wenn die Biehtnng der Zeilen senkreohi inr Basaliinie der Augen stand. 
Der diagnostische Befund ergab: Nystagmus oseillatorius horizontalia. Der 
Verf. kommt zu folgender FrklUrunfr de? PhUnoniens. Beim ergten AuftxeteTi 
dieser Zitterbewegungeu det> Augeö mÜBöen notgedrungen i^cheinbewegungen 
der Gesiobtsobjekte auftreten, die in der ßegei später wieder verächwinden, 
sieh be! dem Knaben aber aasnabmswelee lange eibaiten liaben, so daß dieeer* 
durch das Durcheinanderflackem der Bnohstaben am Lwen gehindert, dnreb 
Vertikalstellen der Zeilen sich das Lesen ermöglichte. Zum Beweise sein^ 
Behauptung photographierte der Verf. einige vertikal gestellte Druckzeilen, 
die mittels eines Metronoms wahrend der Expositionszeit zehnmal horizontal 
bin nnd her bewegt worden, und erhielt durchaus leserliche Schrift, während 
mter glsteben ünfMaden nonnal boiisontal Hegende Sebiiftseilen telal rer- 
sehwammen. 

37) Herbertz, Überblick Uber die Geschichte nnd den gegenwär- 
tigen Stand des psycho-physiologiscben Problems der 
Angenbewegnngen. 

Aue frlberen üntennebnngen gingen dazanf ans, ein Oeeels oder ein 
Fkinaip der Augenbewegungen zu finden. So wurde das Listing-Donders* 
sehe Gesetz, das Prinzip der kleinsten Muskelanstrengung . dt.r leichtesten 
Orientiemng u. a. formuliert. Dieses ganze Bestreben, ein T'rinzip der Angen- 
bewegnngen zu finden, hält der Verf. liir grundsätzlich verlehlt. Nach seiner 
Meinung wird Tom psycho-phjsiologisclien Stsndfnuikt aas die Problenelsl- 
lang sweekmISigBr gestsltet, wenn nun die Flage anfw&ft: »Welebe Funk- 
tion und Bedeutung haben die Augonbewegungen in dem psycho -physio- 
logischen Prozesse des optischen ^^'r^!lrnehmena und Erkennens ?< Da nnn 
die Augenbewegungen beim Lesen nichtJä anderes sind als eine Spezialisie- 
rung der allgemeineren Frage nach der Funktion der Augenbewegungen 
beim optiseben Eikeanen Überhaupt, so etadieit der Teil daa Problem der 
Angenbewegnngen an der Hand der Forscbnngaetgebnlsse Aber den Lesealtt 
Welches sind nun bei der so kurzen Dauer der Augenbewegungen von nur 
0,02 Sek. uiul bei dem dadurch bedingten schnellen Wechsel fler opti'xdn'Q 
Reizlagen beim Lesen die HewuBt'^einswirknngen dieser Augenbewegungen? 
Mit anderen Worten; i:lrkeuneu wir nur während der Euhepausen oder «ich 



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Literatorberieht 



231 



während der Ängenbewegungen beim Lama ^ Schriftzeichen so weit dent* 
lieh, nls dies das Lesen erfordert? Nahm man früher allgemein an, daß das 
Sehen mit unbewe^em Ange im OniTide ein panz unuattlrlicher ZoBtand sei, 
jden wir unseren Augen nur lum Zwecke wisBenschaltlicher Untersuchung 
abnötigen, und daß wir, so oft wir wirklich sehen, daa Auge fast immer be- 
W9gn (Höring)» ao ergibt dob iiaob dem Stande der beotigea Fbreebuag, 
daß das Sehen mit bewegtem Ange für das optiiehe Erikeanen kaum in Be- 
tracht kommt; ao oft wir wirkUsh aehend erkenaea, pflegt daa Aage immer 
Btillsaatehea. 

38) Landolt Diagnostik der Bewegnngsstürnngen der Angen. 

Das Buch beabsichtigt zunucbat, den jungen Mediziner durch Obermitt- 
Inng geeigneter fheoretieeher Vorkemutniaae m richtiger Dlagnoee bei Motl- 
litttaBtOmngea der Aogea sn befthigen. Ea dürfte aber auch fttr den Fayeho* 

logen mit Nutzen zu lesen sein, da es nicht nur Uber Stdrungea der Angen- 
bewegtingett. i?Qnrlem auch über ATintnmie und Physiologie der Aageamnakela 
dee normalen Auges zeitgemäß orientiert. 

89) Okm (Berlin), Die Terioliiedenen Arten der abso inten Lokall- 
satton beim konkomitierenden Seklelen. 

Der Verf. etadlert dae Yeifalltaia dee g ea eh eaea Banmea {relative Loka* 

lisation) zum wirklichen Raum (absolnte Lokallaation) bei Schielendea und 
teilt zu diesem Zweck ?ein ÜTitertnolrangamatefial aaeh dem .Torgaage 
Tschermaka in drei Gruppen ein: 

1} Beide Augen sind in bezug auf ihre Lokalisation ganz gleichwertig. 
Der zentrale Eindruck wird sowohl bei Bechts- wie bei Linksfixatiou 
audOiemd liditig, der exaeatriseiie dagegen gaas ftlaeh lokaUaiat 
(Strabism. converg. altemaBa and Period. StraUam« dlrerg.) 
2} Die Augen der Schielenden aind in bezug auf die absolute Lokali* 
sation grundversf^hioden , wenigstens bei Teilnahme beider Angen am 
Sehakt Die Netzhautbildor eines Auges werden immer »richtig«, die 
dea anderen immer »falsch« lokaliaiert, mOgen aie in der Fovea 
oder enent r ia ei h liegoa. (StiaUam. iüt, maaifeatttB monolat* oenL 
destrO 

3) Die rdative Loiuliaationsweise der Netshiate ist gestört Es hat sieb 
eine anomale Netzhautlokalisation im Lanfe des Schielens in dem 
Sinne entwickelt, daß die Fovea' des einen Auges mit einer Pseudo- 
Hacnla lutea im anderen Ange eine gemein" ""TT 3ehrichtung besitzt 
(Strabism. couverg. manifest alteru. praecip. ocnli sinistei.) 
Di« Untenoebang Aeaer Gruppen eiglbt aiidaan, daB ftlaehe abaolnte 
Tiftkaliaation nieht f£t AngeamnakeUIhmvBgen palhognomlaeh iat, aoadera 
aieh auch in ausgesprochenem Maße bei gewissen Formen des konkomitie- 
renden Srhirlnns findet. Die Lokalisation nach der BroitendimpTi«<ion ist 
femer da« Produkt aus Lateralinnervation und Lage dee Uildeö aut der Netz- 
liaot Liegt daa Bild in einer Fovea centralis, gleichgültig ob im rechten 
oder Kaken Ange, ao wird ea beim Normalen and beim Sehieleaden der 
Bweitan Gruppe faa ietateren Falle bei BeteOiguag beider Angen am Sek* 
akt — nnr bei einer gewissen, bei Schielenden der ersten und dritten Gruppe 
bei awei Terachiedenea LateraUaaervatioBen »gerade Tom« loluüisiert 

Ar P4ftM«fit. Xtn. Litonttar. 16 



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2o2 



Utmtatberioltt 



40} Peters, Willkürliches Schielen des einen bei Primärstellang 
de» ftnderen Anget. 
Ea wterden swel neue IVle mitgeteilt, in denen Pexeonen beim IMIek in 
die Feme und stilUteliendem einen Au^e das andere Ange willkttiÜeli nneli 

innen nn*] außen wenden knniitf»Ti. Der Umstand , daß die Personen als 
Patienten die Augenklinik aufsuchten, läßt es dem Verf. als zweifelhaft er- 
schüiueu, daß die anomale Fähigkeit durch Übung erworben sein künne. 
Er ninimt Tidmehr an, daß eine Ananahme von dem Geaets der glridmlfligeB 
Innervation vorliege in den Sinne, daß der EonvergennmpDls in seiner Ge* 
samthcit nnr einem Internus zufließt, der dadurch za erhöhter Arbeit veran- 
laßt wird und dasselbe leistet wie fUr gewöhnlich beide Interni zusanunen. 

41) Pligk (Dieadea)» Stereoakopenbilder. 

Den in getrennten Halbbüdem gegebencu, zum Teil bunten Stereoskopen- 

bildern ist ein Bahmen ans Holzpappe beigi'fllu't d^r es gestattet, jedes ge- 
wühnliche Stereoskop in ein Stcreof^ko]) mir vanitblen Bildhaltern 7n ver- 
wandeln. Die ganze Anordnung i&t im äiuuu umes Augenxnuskelturnapparates 
flbr Sehlelende getroiren. 

42) V. Sicherer (München), Vererbung des Sohielens. 
(Vgl Bcfeiat unter 1, 10.) 

48) Weiaenbirg (FUladelfbia), Konjugierte Deviation der Angen nnd 
des Kopfes and Störungen der aaaoaüerten Angeabe* 

wegungen. 

Die Arbeit enthält 16 klinische Berichte über beoharhtete konjugierte 
Deviation der Augen und des Kopfes, sowie über Störungen der assoziierteu 
Aegenbewegnngen in Vorbindnng mit Oddmaffektlonett. 



IT. 

46) Iiakewlta (Ktraberg), Meaaende Veranebe Uber Mikropale dnreb 

EonkavgraRer nebst Bemerkungen zur Theorie der Ent- 

fernnn<r8- und Größen Wahrnehmung. 

Blickt ein normal- oder weitsichtipes Ange nach einem Gegenstand, und 
wird es dann durch ein vorgehaltenes Konkavglas zu einer Akkonunodationa- 
anatrengung gezwungen, um weiter aeharf an aehen, ao erfthrt daa Olgekt 
dabei eine Terideinerang, die dirdct proportional der AkkommodationsgrOfi« 
zunimmt, nnd zwar war in den angestellten Versnehen dieses Verhältnis in 
bestimmter Wci?ic dndurch charakterisiert, daß der Verkleinerungewert bei 
einer Akkommodation von 8 Dt erst 2,0 betrug. Bei der Gewinnung dieses 
Eigebnlaaea verfahr der Yett ao, daß er dam einen mit einem Konkmvglaa 
ttberdeekton Ange In 4 m Entfemnng einen Probeatraifen eatpoiderte und ala- 
dann mit dem anderen nnverdccktcn Auge aus einer Serie in gleicher Ent- 
fernung sukzessiv dargebotener rapierstreifen verschiedener Grtfße den 
Streifen auswühlen ließ, dessen Länge am besten mit dem verkleinert ge- 
adhenen Probeatieifen ttberelnatimmte. Dabei tcalen aber min ganz eigen> 
tOmliehe TiefentliiaehlUigai mtege. Für eine Anaahl Verasehapeiaonen 



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Litoraturbericht. 



233 



schien der Papieratreifen zwischen Wand und dem BeBefaaner in Bchwebeo, 

während Air den Verf. selbst mit der WrWeinerang des gesehenen Gegen- 
fitandee eme deutliche Entfcmunfjszniiahiuo verknUpft war. In den theore- 
ttscben Erürterungen iiierübcr, diu, tur eme gcdruugte Darstellung angeeignet, 
bewer im Originit iiaeligelMmL werden mOgen, kommt der Verl sn dem 
SeUiaO, da0 es für den Anfidl det Experimentee wesentUeh sei, ob der 
Hikropsieversuch in einem unbekannten oder in einem bekannten^ erfUIllen 
Räume angestellt wird. Im unbekannten Ranm wird mit Vorliebe n'Hipr sre- 
Bcben die Kemflnche bleibt heim Objekt), im bekannten entfernter (die ivem- 
fläche trennt sich vom Objekt). 

47/ &nmer (Breslan), Fartielle StOmng der optiteben Tiefenvor- 

Stellung. 

Theoretische ErwägnuK- und klinischer Befund Ptimnien darin Uberein, 
daß der Auffassung der 1 jeleudimcnsiou eine Sonderstellung insofern zu- 
kommt, als sie pfiycbologiöch auf anderem Wege entsteht als die VV'aUrneü- 
mimg fliebenhefter Formen, nnd daß aie nnabbängig yon dieser geettfrt sein 
kann. Der Verf. beschreibt eine eolehe StOmag des Tiefensehene tob eigen* 
arti^ partiellem Charakter. Die Symptome wurden beobachtet bei der »Prü- 
fung der Wortfindung mit Bildern« an einem 43 Jahre alten Aufseher, der 
sich von schwerer Gehirnkranklieit relativ gut erholt hatte. Es zeigte sich 
nämlich, daß der Patient eiueu Teil der ihm vorgelegten Bilder richtig er- 
kaaiite und beseiebneto, wibrend ibm bei ganz beetimmten Bilden nnd Einael- 
heiten das Erkennen sichtliohe Sehwlerigkeiten maebte: Bei einem Bilde, auf 
dem neben einem Eierbecher ein halbiertes Ei liegt, äußert er sein Erstannen, 
daß man an dem Ei das Gelb sehe und erkennt nicht, daß es sich um einen 
Querschnitt handelt. — Mehrere Nägel, die auf die Unterlage Schatten werfen, 
hält er mit diesen zusammen für Zirkel und Pinzetten. — Es gelingt ihm 
niebt, anf dnera Bilde die neben einer (riebtig erkannten) Hedizinflasobe 
liegenden zwei Stücke Zucker zu erkennen; er siebt nicht, daß beide ron 
gleicher Form sind und äußert der Sehfonn entsprechend, daß das eine drei- 
eckig, das andere viereckig sei; sie seien weiU mit roten Flecken darauf, 
der Farbe der Schatten entsprechend usf. Dagegen wurden aber nun geo- 
metrisebe KOrper aus Hols (WQrfel, Kugel, Kegel, Pyramide, Doppelpyra- 
mide nsw.) alle ein- nnd sweiSngIg ricbtig erkannt, ebenso wie Bilder im 
Stereoskop erkannt und in ihren räumlichen Beiiebuagen ricbtii: ^ i dentet 
vurdcn Am deutlichsten ließ sicli die Störung demonstrieren mit Hilfe von 
Drahtmodellen stereometrischer Körper, die. mittels eines Projektionsappa- 
raten auf einen Schirm projiziert, vom Patienten Uberhaupt keinerlei Deutung 
zugäagig waren. Die StOmng erwies (rieb allgemein als da vorbanden, wo 
Gegenatilndo in starker Verkllrsnng daiigestellt waren oder Qberbanpt eine 
wo s e ntiich perspektivische Deutung gefordert wurde. Da nun die weitere 
FnterBnchnng heral)geHetzte SehscIiUrf»*, ^^^esichtsfeldeinengung oder Mangel 
:m Intelligenz bzw. Kombinationsfahigkeit ausgeschlossen erscheinen ließ, so 
kommt der Verf. zu folgender Erklärung: Bei der BUdbetracbtung entbehrt 
die Tiefenwabmebmong jedes diiekten sisnlleben Zwanges (Untersehiede der 
Bflder beider Angen, die paraUaktiaebon Veiaebiebnngen, KonTergenx, Ak- 
kommodation); es kommen nur noeb je nach der Ausführung des Bildes als 
nnterstUtzende Momente die Liiffperspektive und die Schattf^nwirknng in Be- 
tracht Die Baomaascbanong ist dadaroh ein freier KombinationsToigang 

16* 



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234 



Literatarbericht. 



geworden, der durch ÄBsoziatioii mit alten Erfahmogen bestimmt wird. Die 
Freiheit dieser Kombination tritt nm so mehr hervor, je weniger ausgeführt 
die Bilder sind, je mehr sio sieh einfnrhen Strichzeichnungen nähern. Neh- 
men wir nun aber an, daü die AusioBung der TiefenvorsteUung, wie im 
obigen Falle, nicht total nnmüglioh, sondern nor ereebwert ist, dann wird 
■le da nooh mOgUoh selii, wo tlo am itirkateii tiiiBUelt gMtOtet Urt. Da» 
Tiefenaehen mit beiden Ängm wird daher im Falle einer soloheii partiellen 
StOrnng bei wirklichen Gegenatänden am längsten erhalten blfiben, während 
es am leichtesten dort 211 schädigen nnn wird, wo eine sinnliche Stfitxe dar 
Tiefendimension überhaapt nicht vorliegt. 

4fl) Pftifer (Bautzen), In Saehea dar optiaohoa Tlefaalokaliaatioa 

von Doppelbildern. 
A. V Tgirhrrmfik hnttr Archiv für die ges. Phygiologne. Bd. 115' eine 
Arbeit (U's \'rrfi].HHer8 »IUxt 'ricfenlokali?iation von Doppelbildern« /Wandte 
l'eychol. ötudicn. Bd. 2. Heft 3/4] irrtümlich in Parallele gebracht an 
einer von ihm verfaßten Abbandlnng: »Über binokulare Tiefenwahr» 
aehmimir auf Oroad tob DoppelbUdem« (Pflflgara AtaUv. Bd. 98) «ad 
daran Bemerkungen geknOpft, deren Richtigkeit der Yaiftaser bestreitet 
Wührend Tschermak zwei in binokulare Doppelbilder zerfällte OlM -Ute 
hinsichtlich der Tiefenlokaliprition ver^^leichen lie0, wecbBelte die Versuchs- 
person bei P. die Fixation zwischen einem binokular doppelt und einem 
anderan ataraoekopiaeb einfiteh gaaabaaea Ol^ekt, so daß also im eiataa 
Falle alok d!a TtafeaaebStmog gaoa iaaaiiialb daa iadinkt gaaehaaaw opli- 
sehen Raumes vollzog, wübread im zweitea ein Yargleich der Lokalisation 
im iniiirpkt gesehenen mit der im '^virklichen "Raum möglich war, wobei die 
direkte Fixation tür die Übereinstimmung bzw. Abweichung beider Haum- 
anffassongen als Maßstab diente. £s ist leicht en ersehen, daß nor die Ver- 
gleichamethoda P. vad aiaht aaab die Teobermaka mtreffende KlckaclilBaaa 
snllßt aaf dla »Biebtigkalt« dar Doppalbildtialinildkallaatioa, waa dar Verf. 
anadrlleklleb hanrorbabt 

49; V. Reoss (Wien), Eine optische Tiinschnnp. 

Auf einen Lampenz jiindor wird ein horizontal drehbares Glimmerridehea 
anfgaaatat, aa deaaea Peripharia dUamattal entgegengesetat swei Aloaiiaiani- 
gUIekebea bafeatigt aiad. Yaraelat dar baiOa LnlkaCioB dla GUaimaiaehalba 
ia Rotation, so geraten dia OlOakebaa In aina labballa Zentrifngalbawagaagi 

wobei flie divergieren und g.nn?: ünPerhalb des Zjlindervolnmens rot?«ren. 
Bcrr i litet man aus einer gewissen Entfernuner die rotierenden Glockt n. so 
veräadurt sich zuweilen scheinbar die DrehuugsricbtUQg, die läaschoug tritt 
momantaa aad twangswelae aa( wenn der BUak atwaa aeüUeb aaab reebta, 
liaka, olkaa oder aataa gawandat wird, ao daß daa NelibaniUid daa Badaa 
aaitUch von der Macnla entworfen wird. Der Verf. bestreitet einen 2b- 
fifimmenhang der in Rede Rtclieudeu Täuschung mit den Umkehrtän^rbunp^n 
bei Skelettk(Jrpern Trci ju ntiLrcr, liült sie vielmehr mit der von öimstedeu 
beobachteten Lmkeiiruug der Bewegungerichtung von WindmilhlenflUgeln für 
idaatiach. Offmbar wird die Bewegung dar vordaraa Qloekaa voa ttaka 
nach rechts iafolga dar an groOaa Eatfaranag varweebaalt mit dar der hin» 
teren Glocke von rechts nach links. Wenn man aber bei eiaar Qesidits- 
wahmebmvBg, die eine doppelte Dentnng aollßti dia aiaa dieaar Daataagaa 



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Literatarberioht. 



235 



fesfldUt and dann irgendeine Änderung in der Deaüiclikeit des Netibnntibildei 

eintreten läßt, so kommt sogleich die andere Deutung zur Geltung. Allge- 
mein gesagt: Wenn man bei der Möglichkeit zweipr Deutungen daß Eine 
üieht oder zu sehen vermeint und jetzt irgendwelche Änderung im Sehen ein- 
treten läßt, 80 sieht man eben das Andere. 

50) T. Stanieck rOMiMwIti)« Der Sehranm «af Grund der £rf abrnsir. 
(YgL Befermt unter Y, 6&) 

51) T. Stemeek (Czernowits), Die Beferensflkebentlieorie der sehein- 

baren Grdße der Gestirne. 

(VgL JRefent anter V, 69.) 

ö2] Wölffiin (Basel), Bestimmung der negativen Konvergenzbreite. 

Die Konvergenzbreite wird bestimmt durch die Entfernung zwischen dem 
nächsten iKonvergenznahpunkt oder Kouvergenzmaxlmum) und weitgeiegen- 
sten Punkt (Konvergenzfempnnkt oder KonTergensminimBrn), welcher bin- 
oltnlar noeli etnikeli gesehen irwden kann. Der Verf. prüft dae Hazinittm 
der Konvergenz, d. h. die negative Konvergenzbreite, und findet, daß der 
Emmetrop ein abduzierendes Prisma von 3° noch bequem überwindet, wäli- 
rend sich fUr Myopen — jedenfalls infolge des echwachen Innervationstonus 
der Muse, intemi — ein Grenzprisma zu ö° ergab. Da sich die divergenz- 
ttfordernde Wirkung eines Prismas auf beide Augen erstreckt, hat man 
deimrtige Vennidie ▼isl^Miii monokular ansgeftthrt Indes prüft man in die- 
sem Falle lediglich das einseillge Fniionsvermügen des Auges, welches mit 
der latenten Divergenzbreite nicht identiBch ist. V.b sind mehrfach Fälle be- 
obachtet worden, in denen die Versurhsperson bei in dio Ferne [^gerichtetem 
Blick das eine Auge wiükilrlich in Abduktion und Aüdnktion zu bewegen 
imstande war, also monokulare Bewegungen ansfllhrte, die normale Augen 
nur nnter dein Zwange eines vorgesetsten Prismss ausnlOsen in der Lage 
rind. Die Zentren ftr die Augenmuskelbewegungen des Einzelauges kttnnen 
also ansnahmBwciBO auch als solche fuuktionieren und sind nicht immer nnr 
im Dienste eines snpranoklearen, assoziierten Zentrums tätig* 

63) Yamagnehi (Tekio), Vorübergehende funktionelle Diplopia mono- 
onUris. 

Der Terftsaer beobaobtete an swei hysterischen Frauen Diplopia mono- 
eolnris byst^riea nnd erUltrt sich diese Erseiieimuig so, da0 die Innervntions- 

stürung hysteischer Natur Akkommodationsfehler hervomift mid demsnfolge 

durch die Linse Bilder auf der Netzhaut entv,'nrt'eTi werden, deren Zer- 
Btreuungskreise eine Art von Düpi elcmptindung auslösen, die in dem Be- 
wniitsein des Patienten bis zur Empündung getrennter Bilder sich steigert 
nnd so snr Diplopie führt, die ebenso anf suggestiTem Wege snm Yerschii^d» 
gebmckt werden kann. 



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236 



Literatarbericht 



V. 

54} Lohmann (.München), üntogencse des plastischen Sehens. 
(Vgl. Referat unter I, 6.; 

65) Niessl v. Hayendorf, Rindenzentram der optischen Wortbilder. 

Was die Frage anbelangt, ob den Wortbildem innerhalb der optischen 
T^indonbilder eine Sondersteiinng zukomme, so ist bei ihrem Charakter 
als kleiner und kleinster Objekte ihr Erwerb durch das zentrale Sehen als 
geäichtirt zu betrachten. Dabei ist es ohne Belang, daß große Wörter unter 
UmstiliMleii aveli mit dem peripheren Qeeiehtefdd wahigenommen ud ei^ 
kasnt werden können, da die Erinnemng eines Etndmeket dodi nur an 
jener Stelle gedacht werden kann, nn welcher der Erregungpstrom am hnu- 
fiß-ftten anlangt, nnd diese muß mit dem kortikalen Feld der Macula iden- 
tisch sein. Da.» Wiedererkennen eines Wortes, welches mit der pci-ipheren 
Netzhaut gesehen wurde, fKnde dann in einem aaaotiatiYen Vorgang mit der 
]n der kortikalen Maenla m denkenden Gediehtniaipnr arine Ei^lining. 
Zum anderen sind die optischen Wortbilder mit den kiiütadieflaeken fanktio- 
nell inniger verknüpft als die optischen Erinnernngen aller übrigen Objekte. 
wa.H »ich wieder daraus ergibt, daß die Namen der Gegenstände vom Kinde 
gehört, ehe sie ausgesprochen werden, die optischen Wortbilder aber erst 
nach Erlernung der Sprache entstehent Üue khütstbetiscbea Korrelate alie 
bereits vorfinden nnd eine direkte Verbindung mit densdben Angehen kOniea. 
Endlich erhellt die durch die Klinik erwiesene Gebundenheit der optischen 
"Wnrtbilder an die linke ITemisphSre ans dem Reichtum ihror unmittelbaren 
Verknüpfungen mit den ihnen zugeordneten Klangbilderu uu l kiniisthetiscbea 
Gedächtnisspuren in dieser Großhimhälfte. Die Frage nach der Öouderstel- 
Inng der optiseken WortbUder gipfelt also swelüBlaobne in der Frage naek 
einer isolierten Vertretung der Fovea eontralis in der Sehiinde. Diese Fkage 
wird aber von der heutigen Wissenschaft allgemein bejaht, zumal durch die 
Pathologe längst der Reweis erbracht wnrdtni ist fl!r dip isolierte Projektion 
der peripheren Retina auf den lliuterh:iuptlai)pen. und zwar die beiden Lip- 
pen der Fissura calcahua. Der Verf. studiert nun eingehend die »Wort- 
blindbeit«, womnter ein aerebral bedingtes Unvermögen ventanden wird, 
normale optiaehe Wahinehmnngon der Worte mit den Spann vorsngo- 
gangener zn identifizieren nnd geUngt dabei zu folgenden Resultaten: Die 
Ursache der Wortbllndheit ist entweder der Untergang jener Rindenpartie 
selbst, deren Fnnktionszustand im Aufleuchten des optischen Wortbildes 
zum Bewußtsein gelangt und nach außen hin sich kundgibt, oder jener 
LeitnngBbshnen, welebe die BindenaMto mit der Petipkaiie vmkallpfea. 
ZaUreleke kliniseke Befimde sekliefien dabei eine mOglieke Aaaoriations* 
Störung etwa im Sinne einer Leltungsnnterbrecbung zwischen einer optischen 
Wahrnehmung»- und Knnnenmgprinde, zwischen linkem ITinterhauptlappen 
und Gyms angularis ebenso aus wie eine Asöoziationsst^ runi.^ /wischen dciu 
Hinterhaupt- nnd dem Schläfenlappen. Die graphische Zusammen t'assang der 
Ltslonsbesirke leigt» da0 in der HSnfigkeitwka3a ein naek oben gekrflmmtes 
bandförmiges Areal alle anderen Gebiete tlbortrifll nnd dafi kier die Katar 
bii den fast immer unter die Rinde blnabreichenden Erktaakimgt- 
herden auf die Ergriffenlieit immer einea nnd desselben Fsaeranges mit on- 



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Literatnrbericht 



237 



verkennbarcr Konstanz hinweist Die riiotoc^ramtne mehrfrer SagittalBchnitte 
von einem wenige Wochen alten Kiuder^-ehirn lassen dieses Fasersy^tem im 
isolierten Mark weiß herrortreten, so daß dieser Faserzag zweifeläoime der 
oteran SebstnUiiig entqnioht. Beraift» diese Sagittaliohiiitte Iiaaeii die 
oeeipitale Ende dieeee Fuemigee in den liinteren, outeten Pufsen dee 
Hintoliiiipfteppens vermuten. Das Studium der sekundären Degenerations- 
erschctnnngf'n orhobt diese Vermutung y.n hoher Wahrscheinlichkeit und er- 
klärt die basale Kmde des HinterhHuptlappenB fUr die Zentralstelle jener 
Bündel. I^jS liegt daher sehr nahe, hier die Festigung des wahrgenommenen 
WortbiMee mm danamdin Erinnerungsbild aninnehmen. ünd in der Tnt Iit 
Iniher kein einsiger IUI Ton ZeMtOmng der gaaxen GmndflKelie dee linken 
Hinterlinnptlappens 1>eobachtet worden, welcher Wortbündbeit intn vitam 
hätte vermif^Hi 11 ln?sfn. — Es sei zum Schluß noch darauf ^lin^nwiesen. daß 
die Abhandlung eine Beschreibunpr von über Krankljeitafällen enthält, in 
denen der spätere Sektionsbefond nachgeuagun wurde. 

Sß nnd 67) Miller, Zur Frage der BeferensflSeken. 

Der Verf. kann in v. Sternecks Beferenifliebentheorie kein Novum 
erblicken; >die8e Theorie enthalt nichts, was andere nicht auch enthaltene. 
Referenzflüchen sind nach de» Verf. Meinung nur mathematische Hilfsbegriffe 
zur Darstellung eines psychologischen Beobachiungsmatenalä. Dieses Tat- 
anebenmnteiiil tieigt nnn aber nadi dee Yerf. eigenen Beobacbtangen so 
enorme individuelle Abweiekongen, daß ihm die von Sterne ok gewlklte 
Formaliemng reeht gewagt enebebtt 

58) V. Sterneck (Czernowitz), Der Sehrauiu auf Grund der Erlahiung. 

Daß der gesehene Baum von dem wirklichen Kaum mi uiigemeinen ab« 
weiekt, ist eine Mnreiobend bekannte Tatsaehe. Da nnn elimtlieke Ponkte 
des Sekranmes avdi Ponkte des mdiren Baomes sind, ^e Punkte des irsk- 
ren Raumes aber in fkten T'cziehongen den Gesetzen der Euklidischen Geo- 
metrie unterliegen, so muß dasselbe anrh mit den Punkten des Schraumes 
der Fall sein. Jeder Satz der Euklidischen Geometriti muß dann auch für 
den Sehraum gelten. Z. B. zwei gloichschenkelige Dreiecke sind ähnlich, 
wenn sie an der Spttse den gleiehen Winkel beben. Fttr den Sdimom er- 
gibt Siek darans der Sata: Bei gleieken Sekwinkehi ist die scheinbare Größe 
eines Qegenstandes seiner scheinbaren Entfernung proportional. Oder: Bei 
gegebener Höhe eines gleich weh enkeligcn Dreiecks ist die Grundlinie dem 
Winkel an der Spitze uhlti f-thr proportional (solange dieser Winkel nicht zu 
groß ist). Daraus folgt analog für den Sehraum: Bei gleicher scheinbarer 
Entfernung ist die sekeinbare OrOlie eines Gegenstandes ungefähr dem Sek* 
Winkel proporlionsl. Diese beiden SStae sind für y. Sterneoks ünter- 
Buchnngen von grundlegender Bedentong nnd werden als >SehwinkelgC8etz< 
eingeführt. Durch Schrit/nne: der scheinbaren Entfernung und scheinbaren 
Grüße von Gegenständen gewinnt der Verf^ sein gesamtes Beobachtung«- 
niaterial. 

1) Für die EntfernungssekStsnng ist folgendes die Fandamental- 
beobaebtnng: Unsere sUemildurte Umgebung ansgenommen, werden sKmÜicbe 

Entfernungen der i^sebenen Gegenstände ganz allgemein unterschätzt 
Die Unterschätzung ist um so großer, je weniger die Umgebung Anhalts- 
punkte bietet, die Erfahrong bei der Sohfttzung zu verwerten. Daher werden 



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238 



LitvAtarbericht. 



brennviide Lateraen In dnnkler Haeht Mbr nahe gwebiM, rflokeii dagagtm 

beitage oder bei Mondschein in grOßere Fem« irigen der Hilfen, die dabei 
etwa die HSuser oder andere Gegenpf-tTido irownliron Aua demselben Grunde 
erscheint nne anch das Himmelsgewölbe im Zenit näher als am Honzont. 
Die Beziehung der geschätzten Distans zur wahren findet non der Verf. am 
betten «oigedradie doroh die Fnni^n 

wo c eine bestimmte, ziemlich große Konstante, d' die geschätzte and d die 
waiue Entfenmng bedeutet In der Tat ist fttr ein Ueinee 4 der Quotient 

- Ilm 

— r-r nahem gleleh 1, also if ^ aadeieiMlti lat. ^<C»e,iodnB 

sfllbit bd nnendlleher VefgiOßenmg dee d«r Wert von ^ die endliche 
GfOfie von e nicht überschreitet Da nnn in den zahlreichen Einzelbeobach- 
tnngen die feeehitaten Diatanaen mit den errechneten recht gnt fiberei»* 

■timnen, ao s^bt der Tef& in der Fonnel (f TTjrj ^ Oeaeta entdeckt 

an haben, naeh welehein der optlaehe Banm den geonelriadien (EokUdiadien; 
in einer Art Beliel|ieiapeldiTe abbildet. 

2] Ganz ähnlich verfährt der Verf. bei der Schätzung von HGhen- 
winkeln nnd der scheinbaren Steilheit der hersre. Ist cp der wirkliche 
Hdhenwinkel, h die Berghohe, {a + b) die Horizontalprojektion der Entfer- 
nung des Standortes vom Gipfel dea Beigea und t wiedenat dne Ar jeden 
Standort an beaHnuaende Sonatante, ao genügt die geachitate SteObeit i(r' 
mit gtofler Annlhemni^ der Ftonel: 

^ ^ 2 > -f- /. br — h* u 

8) Das Keler۟2itiiichentheorem endlich entwickelt der \'eri. in fol- 
gender Weise: Fordert man von einer Yp., anzugeben, wie groß die Sonuen- 
aobelbe aei* und aehktat dieae den Durehmeaaer auf 16 cm« ao wllide man 
bei einem Cjeaichtawinkel dea Sonnendurehmeaae» von 33' eine Seiieibe von 
der geschätzten Dimension in 16,1 m vom Auge des Beobachters entfernt 
halten mtissen, um ihm in "Wirklichkeit die Sonno vollkommen zn verdecken. 
Läßt man derartige Schätzungen in allen Hdhenstellungen der äonue aua- 
Udiren, ao ergibt sich, da0 daa Ende dea Leitatrahlea, den raan-tfeb naeh 
Jen« in berechneter Bntfemuag gehaltenen Sdwlbe geaogen denkt, auf etnw 
Fliehe entlang gleitet, die ihrer Gestalt nach der einen Schale eines Rota- 
tionshyporlioloids von der Form i* (a — «)' «= (a^ -I- y- + t"^) sehr nahe 
kommt unter der YorausBetaung, daß der Beobachter im Koordinatenanüangs- 
punkt gedacht wird| und dafi die Botatimaaehae mit der ««Acbae naanwen- 
fUIt Dieae Flidie beiOt bei Sterneck »Beferensfliehe« und nimmt eine 
etwas verschiedene Gestalt an für die Sonne, den Wolkenhimmel, den DUm- 
Tjipnineshimmel und den Nachthimmel, bleibt aber im allgemeinen anch für 
verschiedene Beobachter immer ein Hyperboloid. So ist z. B. die Beferenz- 
fliohe des Sternhimmels ein Hyperboloid 1:2 (Yerhlltaia der Vertikal- 
erhebung der Flüche cum Badlna dea Sobnittkrelsea) mit der Tertikal- 
erhebnng 12,2 m im Zenit. — Unstreitig faßt v. Sterneck durch seine 
Theorie ein reiches Tatsachenmaterial sehr geschickt zusammen. Sowohl 
die exakte Formulierung als vor allem anch das große GefUhi der Sicherheit, 



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Litäratarberioht. 



239 



mit dem dw V«ff. mIm Sofaltauigm begleitet mUB, Terieflun der Abhud- 
lung einen gini efgentOmliohea Beis. 

6^; V. Sterneek (CzernowiU&j, Die Refereuzüücheutlieoriti der äciieiu- 
bftrea OrSfie der Geetirne. 

Der Terf. gibt in ksnter, fauppef Fom noehmile eine DenteUong «ei- 
ner BeiiHmulllehentlieorie und Terteidigt sie gegettllber den Einwinden, die 

AIojB Mttller (Ygl. Nr. 56 und 67 des Sammelreferats) gegen sie erhoben 
hat. Am Schlüsse der Arbeit werden die v. Stern eck sehen VersuehB- 
eii.'^ebDiase in Parallelü ^^ebriicht zu Uatersuchungea, über diu Deicliaiüller 
auf dtir 70. Vers, deutächer Naturf. u. Ärate in Düsseldorf referierte (Ber. 1898. 
Abt t mth. 9. Aatr. 8. 91t), womne erhellt, daB die BroMenntelfang bei 
Sterneek eine weeentlidi indeve ist 

bOj Schwarz fl/eipzig), Znr akkommodativen Mikropsie. 

Der Verl. nimmt eine Abhandlung Weinholds (Elin. Mouatabl. Jahrg. 
1906. II, 267) aiun Aosgangspankt , in welcher die Miluopsie bei za naher 
nnd Makropeie bei sn femer EineteUang erkürt wird dnrek die mit der 
Akkemmodation verbundene Verschiebung der Hauptpunkte dei optiechen 
Systems, womit eine Verkleinerung bzw. Vergrößerung der bei ßtenopäischer 
Blende stets g^cuüpend scharf begrenzten Netzhautbilder verbunden ist Die 
zahlenmäßige Berechnung zeigt aber nun, wie gering die Änderung der Bild- 
größe bei der Akkommodationsverändernng ist, und man ersieht gleichzeitig, 
daß die gleiche Akkommodationillndenuig optlaeh fUr ein nahee Otijekt eo- 
gar alirker ist als fUr ein fernes, wihrend tatritehUdi die Mflcropiie um so 
stärker ist, je entfernter der Gegenstand ist. Schon dieser Umstand weist 
auf Mitwirk nnp anderer Faktoren hin. Die scheinbaren Größenveränderungen 
bei der Akkommodation sind aber Uberhaupt viel bedeutender, als daß sie 
lediglich dnreh die akkommodativen Änderungen der optiachen Konstanten 
bedingt eein konnten, ond iie eind nnr dann wirldieb anflallend, wenn an- 
glMch eine entsprechende Konvergenzverändemng eintritt, ohne daß gleich- 
zeitig durch die binokulare, relative TiefenwahmehmuTirr eine Korrektur der 
Mikropsie eintritt, also besondere bei monokularem Sellen. Hei binokularem 
Sehen treten die in Bede stehenden Größentiiaachungen nur dann zutage, 
wenn anf Ontnd beeonderer Umetinde snr binokularen Flialion dne nieht 
der wirkUehen Eattforanng entepreehende Konvergena erfovdeilleh tat (Mllara- 
peie bei gekreuzter Fixation zweier Münzen, Mikiopile in der Stereoekople, 
Mikropsie bei hysterischer Nebeneinstellung usw.K Im weiteren komnientiert 
der Verf die Auffasanng Kosters (vgl. dessen Knzyklopädie), nach welcher 
der dem £inatellungaimpnls zugeordnete Qrüßenmaßstab seine Ansbüdong 
awar erat dnreh die EntwIeldnBg dee Sdimia erflDurt, die abaolnie ChrOBen- 
enhllanng aber dabd dureh die Übung an einem einh^tlichen Produkt aus 
NetzhautbUdgrQüe nnd piimKrer (binokularer) Entfemungswahmehainng wird, 
deren Faktoren nna gar niobt mehr iaoliert anm Bewnßtiein kommmi. 

61) milTiii (iliabnrg), Über die maknlir-heBianopiaohe LeaeitO- 
rnag nnd die Monakowaehe Projektion der Maeala anf 
die SebaphSre. 

Die in Bede atehende LeeeetBmng hat ihren Grund in dem Auftreten 
Ton fiMt kongraenten, an koneepondierenden Stellen der üetahant in Makola- 



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240 



Lltentorberiolit 



nähe (gelegenen Skotonien. die sich am Perimeter als absolut erweisen, d.h. 
es fehlt jeplieht' I.ichtemplinduQg. Wähn ud sich die Patienten aufs noge- 
zwongenste im iiaum bewegen, werden sie fiir gewöhnlich an ihre SefastOroBg 
eri]m«ft» weas sie CMnMktes od«r Oemduieben« 1m6b mXIi&ü. Hkr 
namoitlioh Md Bnobdraek hmtAim, t!e «ine anCfaltoBde BeUadmng dv 
sonst gewohntom Schnelligkeit im Dahinfliegen übrr die Zeilen. Das d&ifta 
besreifüch ?«eln. Liegt der makuläre hemianopisrhe Defekt links hin •nü^an 
dem Fixationspnnkt, so wird schon beim Beginne des Lesens der Antangs- 
baohitftbe der ersten Zeile schwer gefanden, beim äprojoge &ber mm Beginne 
der sweiten Zeile wird der AaiAngsbadietebe oder dai eiate Wort wfcUt 
und mit dem iweiten Wort melet angeftagen, wu dum durch Venriiraag 
des geistigen Inbritee des Gelesenen hemmend wirkt. Liegt der Defeh 
rechts hin vom Ilxierpnnkt, dann wird der Anfanprahtichstabe der Zeile leicht 
gefunden, das weitere Erkennen des Wortes aber im indirekten Sehen ist 
erschwert, und der Sprung der Fixation nach rechts hin wird ansieher. Ist 
debei der Dmok Uela, eo yerMlrwinden Baelutaben ud Ueine WOrter gSae* 
lieli. Bei größerem Dmok ngen die Bnehetaben teilweiM tlMr den Defekl 
UttMU; de werden alsdann dnreh die Phantasie Und wie d«m Sinn des Ge- 
leoenen ergänzt nnd dadurch im allgemeinen besser geleneD. Unter den acht 
vom Verf. mitgeteilten klinischen Fällen ist besonders einer von herT*>r' 
ragendem Interesse. £ine Dame fiel beim Änfsteoken der Gardinen voa 
einw kleinen Leiter nedi rttd:irirta mit der lüiken 8dte dea ffinterkopfisi 
in eine Bonleanaehmnbe derart, daß dieaelbe die SddUlelwaad dniehdmg 
und iO fest drin stecken blieb, daß sie vom Ärzt mit der Kneifzange beraos- 
gezofren werden nniPfe Sofort trnten Sehst^^rungen anf, welche bei der 
Untersuchung ein kleines iieniiun iintirliea Skotom erkennen ließen. Die 
13 mm lange Schraube (d mm im Durchmesser) hatte also entweder das linke 
Sehientmm oder dieaee und einen Teil der demaelben be n a chb a r ten 8«b- 
■trahlongen yerietrt. Andere Symptome traten nioht anf; an den Angca 
blieb im übrigen alles normal Seit aechs Jaliren besteht nun dieser Ge- 
sichtsfelddefekt in prleieher Weise. — Wenn onn aber eine solche oberflüch- 
liche, partielle ZerstoiiiiiL: des iTchirus in einer Gegend, die üllj;eiuein als 
der Sitz des Rindenseiizeutrums angenommen wird, einen partiellen Gesichts- 
defekt snr Folge liat derart, daß der Fanktionaanaftll (Empfindung fiir Hallig' 
keit, Form, Farbe) ledlg^eJi die makolire Partie der homonymen Gesielria- 
feldhülfto betrifft, so ist anch damit bewiesen, daß die maknl&re Region der 
homonymen Netzhautbülften in jener partiell zerstörten Rindenpartie gelegen 
sein muß. Da aber, wenn man die Dicke der Kopfschwarte und des Schä- 
dels abrechnet, nur eine ganz kleine Partie der Binde des Sehzentnuns nad 
TieUdekt aneh von der angrenaenden Faaennaaae seratSrt worden aeln kaaa, 
80 ist diMer Fall um so mehr einem einwandfreien Experimentum in vivo 
gleichzusetzen, als dieser Fnnktionsausfall bei völligem körperlichen und 
geistigen Wohlbefinden der Frau sich ereignete. Gestützt auf sein Tat- 
sachenmaterial, greift nun der Verf. in der weiteren Diskussion die dezentra- 
listiBche LoluJisationstheorie Monakows, Wehrlis und Bernheimers an 
und behauptet als Zentraltot strengster Obaervans eine iaoUeite Leitong Toa 
der Netzhaut bis in die Rinde (Fibrillentheorle) dea anf der medialen Flache 
in der Gegend der Fissura calcarina engbegrenzten Sehzentrnms, so daß also 
da^ kortikale Sehfeld einer jeden Hemisphäre gewissermaßen ein Abbild der 
homonymen Netzhanthälften darstellt (Corticale Retina}. £r nnterscheidet 



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Literatnrberiobt 



241 



■eharf in fanktionellor Hinsicht zwischen Projektionsfuern iSebstnliliiageik) 

und ABSoziationpfüscrn transkortikale Fasern) nnd lengnet jedes fanktionellft 
Eintreten erhalten gebliebener Projektionafasem tmd erhniten pcMiebeTier 
Teile des Sehzentroma für ausgefallene ißeatitutioübthcoriL m -U i lier Weise 
wio ihn dfo Aimthipe einer Aosstrahlong der Erreguug im Curpaa geni- 
eolatam eztenmm durch Kontakt nnd Umaehaltimg im Sinne der Neoronen- 
theorie imhaltlmt eracheint 



▼I. 

62) Bonehke (Wien), Verwendung elektriaeher TaeelienUnipen mm 

Ophthalmoskopieren. 

Der Verf. gibt ein einfaches nnd vor allem billiges Verfahren an, jede 
gewöhnliche plokf rische Taschenlampe in einen Augenspiegel zu verwandeln. 
Über der Sammellinse der Lampe wird ein unter 45** geueigies, uudurch- 
loohtea Spiegelchen befestigt, Uber dessen Rand hinweg der Beobachter den 
beleneliteten Angenhintergrnod der VennebapenoB atndieieii kann. 

63} Bielsekewskjr (LeifsieH Stereoakop mit T»riablen Blldbaltern. 
(Vgl. Befeiat mter IE, 85.) 

64) Hertel (Jena), Neuer Apparat aar Beatimmang der Pupillen- 

distanz. 

Hertels Apparat ist ein Pnpilieuabstandamesaer, der gegenüber dem 
bisher gebtiveblieben AogeBabetandemeMer Ton E. DOaiti, bd welohem 
die Vennebaperaon in einem Spiegel die Distanz aelbat ablieat, den Vorkeil 

weit größerer Handlichkeit besitzt — der Arzt blickt durch eine in der Hand 
gehaltene Doppelrühre detn Patienten ins Auge. Zar beqnemeren Bestim- 
mnng des Gliisermittenabstandes einer Brille ist die Einrichtung so getroffen, 
daB der Apparat gleichzeitig die etwaige Zusammensetzung des Augenab- 
atsndee ani swei ungleiohen Streoicen — bedingt dvrcli Aeymmetrie der 
SehSde!hiUfi»B — angibt Der Apparat wird in den opUaeben WerketStten 
▼OB Zelae (Jeaa) hergestellt und kettet 66 IL 

65; Kataenellenbogcn (Leipzig), Apparat znr Sehschärfebeatimmang 
(Prinzip der symmetrischen Beiaung nach Wundt). 
(VgL Referat nnter II, 19.) 

66) Kelter (Iieidea), Ein Liebt* BBd FarbeBainBmesser (Photoehrom- 
Optometer]. 

Der Apparat ist eine y eränderte Konstruktion leH F^r st ersehen Licht- 
sinnmefserf . Die TJrhtqnpllR befindet sich über dem Koi fc des Beobachters 
und beleuchtet durch ein in seiner OrOße variables DiaphrHirma hindurch 
eine kreisrunde Fl&che, die von einem weißen Bande durchquert wird. Der 
Patient bmeeht nur anzugeben, wie das Band liegt, nnd er kann daa, aolmld 
er ttbethanpt etwas wabmimmt, Der ganse Apparat kann bequem in der 
Hand gehalten werden und ist leicht aneb für SehsehSrfebestlmmBQgeB OBd 
die FHIfong des FarbenaiBnes inatallierbar. 



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242 



Literatarbericbt. 



67) Kmiw (Xarbirf), UiiokiiUrpiipillometer. 

Der Apparat dient itir BeobAohtong und MeMong der komeanellee 

PapUlenreaktion bei fllr ein und dieselbe Versacbsreihe konstant bleibeidert 
für verschiedene Versuchsreihen indes variabler Beleuchtung dee beobach- 
teten Auges und bei sowohl in bezug auf Geeichtsfeid wie auf Belichtnni: 
vüllig freiem und unabbäugigem rezeptiven Auge. Soll die von recht« her 
«o^eltfete koneenaaelle PapUlenreaktion gemessen werden, so wird der Äp* 
piiat an das linke Ange angelegt Dai reehte Ange Ist nnbedeekt nnd frei 
fBr die Einwirkung der verschiedenen experimentellen Reize. Der Apparat 
wurde verwendet zu UnterBuchungen bei verechiedenen Adaptationszuständei 
beider Augen und wird empfohlen zu (Jesichtsfeld- und Akkomniodatioos* 
Studien sowie zur Prüfung des Haab scheu Uirnrindenreflezes und reo 
Snggestionsreaktionen an Hypnotisierten. — Hergestellt vom Mecbaniker 
Rnok am phTslologiseben Institnt in Xarbnig . Preis 16 X. 

68) OgBchi (Tokio), Der praktische Wert des Photoptometers nach 

Prof. M. Hori. 

B&ä liiBtrumeut ist eine Stehlampe, deren Leuchtkürper durch eineu ge* 
aehiHliBten Kasten Terhilllt ist nnd ndtteis eines Taxiablen Spaltes es geätattec 
eine In flurer Entfemnng Tom Kasten TariiertMie FUelie in pluytonetriieh 

meßbaren Intensittttsabstufungen zu belenchten. Der Apparat wird empfohlei 
zu nntersnchnn^en der Sehschärfe bei schwacher Bdeuebtnng SOWie SOrPrfl» 
fang der Keizschwelle des Lichtsinnes. 

TOi PflUi (Nsselderf), Verbessertes Stereo skoptometer aar Prttfnnf 

des Tiefensch&tzungsvermSgens. 
Für den Einäugigen ist die binokniarc Tiefeuwalirnehinunp- in eineui oft 
recht beträchtlichen Umfange ersetzbar. Die Akkomuiodatiousempünduagen 
treten in durch Übung sich verfeinernder Potenz zu der dem gleichen Im- 
puls gehorchenden Konvergenaempfindung, welehe ja andi beim monoknlar 
Sehenden für die £inplittdnng der QrO0e des »halben Konveigenawlnkds* 
fortbesteht Hierzu gesellt sich eine verfeinerte Schätzung relativer Ent« 
femnn^ zur Messung der absoluten, indem drr^ Ange, len Raum gewisser* 
maßen abtastend, vom Nahen zum Näheren und von d i /.um Ferneren wan- 
dert, und sogar die für das binokulare Sehen so charakieristische Eiregung 
disparater Netahantstellen Ibdet bei Neigung des Kopfta Snala b der 
sogenannten monokniaren stereoakoplsehen Parallaxe. Daians haben sieli seit^ 
her Schwierigkeiten ergeben bei ärztlicher Begutachtung von Augenbeschidi» 
gungen und deren l^pdentung fiir die Er^^erbsfähigkeit, Das Stereoskopto- 
meter soll nun nicht nur eine ezakte Bestimmung de? binokularen Tiefen* 
aaffassungsvermügens ermöglichen, sondern bestimmt auch die Güte de< 
voihandenen, ersetzenden monolnlaren TiefenaeUltsungsvermOgena. Analog 
dem brannten Heringaehen Stitbehenversneh weiden der VManelispenes 
zwei bzw. drei mit Elfenbeinkugeln gekrönte Metallstäbchen exponiert deren 
Fußpnnkte ein Schirm verdeckt und die auf Schlitten hinsiehtlich ihres 
Tiefenai)8tande8 eventuell durch Einstellunfr von peiten der \'('r8uch8persoii 
selbst variabel sind. Das binokulare Tiefeuaehen ist intakt, wenn objektive 
Oleiehelnstellong des Tiefenabstandes swdsr nebsneinaaderBlabender Stibebes 
aneh bei momentaner Exposition bsw. der Heringsehe I>r6iatitt»dienTeisB«k 
gelingt — Die Firma A. Schumann (Dfisseldorf) liefert den Apparat fltr 46 H. 



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71) T. Pflagk (Dresden), Stereoskop mit variablen Bildbaltern. 
(YgL Beferat anter III, 41.) 

73) Rohr (Jena), Einrichtungen zur Demonstration der yerschie- 
denen Fitlle der dnreh binokulares Sehen Termittelten 

Raumanffassuag. 

IMe Betrachtung reeller Objekte mit freiem Auge ist im weseatlichea 
dvreh swei Fektofen ehankterlaiert, von denen der ebei daß den Beoheehter 
nShere MeflelBheitea in der Pefipektire gtllBer enoheinen tSd Ibmere (ento- 

zentrisoher Strahlengang) mehr das einäugige, der andere, daß beim nor- 
malen Sehen die N!iB^>nflpiton dpr beiden Augen stets einander %n-, ihre 
Schläfenseiten stets vonemaiiüer abgekehrt sind (orthopis4Uier Strabiengaag), 
mehr dae nrellogige Sehen angeht Am einftohsten geataltet Bieh die Anf- 
hebnttf der Bedlngwug dee elniagigen SeiMiui. Dweh Voraehallen von Unten 
läßt sich der Strahlengang so abibidem, daß dem Beobachter nähere Haß- 
einheiten ebenso groß erRcheinen als fernere ft^lezentrischer Strahl onfrang) 
oder auch dem Beobachter nähere Maßeinheiten kleiner erscheinen als fernere 
(byperzentiiacher StraUengang). Die Tarlatlon der Bedingung des iwei- 
logigen Sehena geeehielit dnreh Faendoekop nnd 8ynopter. Das FMudoakop 
gestattet eine Abweichung von der natürlichen Augenstellnng derart, daß 
durch geeignete Spiegelung die Schläfenspiten der beiden Angen einander 
zu- und ihre Nasenseiten voneinander abgekehrt werden (chiaBtopische Stel- 
lung der Objektaugen], womit gleichzeitig auch eine GrOßenveränderung des 
AnganabBlandea yerbiinden aein kann. Der Synopter bewirkt, daß in beide 
Augen absolut gleiche oder doch sehr angenähert gleiche Abbildungen ge- 
langen, so daß die Stereoskopie durch Aufhebung der Basaldistanz beseitigt 
gedacht werden kann (syucpische Stellnng der Objektangen). Aus der Kom- 
bination der müglichen Variationen des Strahlenganges im Einzelange und 
der Mlnng d«r bdden Olijektaugen ergeben aleb nenn MQgUehkdten der 
Banmnaehannng, die der Terf. in einer TitbeHe ttbeniebtlieh anaammenalellt 

7öj V. Tschermak (Wieo), Beschreibun mehrerer neuer Apparate. 

1) Apparat zur Zeichnung und Messuag rechtwinkeliger Koordinaten, 
liineriialb einea Mefaingrabraena Ton lOxUem* iat eine Mefiepitae 

mittels Sclilittcnfuhrnng horizontal und vertikal v'irÜLrbar. Setzt man zeit- 
wpüis: rlnrch Federdruck fiin Meßepitze auf einrn Kurvenpunkt, ro können 
die Ordinatenwerte bip zn O l mra genau abgeießen werden. Der Apparat er- 
wies sich zweckmäßig zum raschen Messen der Höhe graphisch registrierter 
Mnakelaiuteigen and feiner eom Ananeaaen von Knrvenblittem einea von 
K. Frana und A. T.Taehermak konstmlerten aelbetregtatrierenden Thermo- 
meters zur Bestimm ni)^ von KOrpffteniperatiixen. 

2) Universalkopfhalter. 

Die Achsenlager des mit einem Gebißhalter versehenen Apparates zeigen 
eine boriaontale Dnrehbohrmig, welehe daa DnrehTialMen nnd genaue Ein- 
stellen der äußeren Augenwinkel bew. der Baaallinie des Beobachters sowie 
die stete Kontrolle dieser Einstellunf^ cf^stattet. Die beiden als Diopter ein- 
gerichteten AclifipTibohrlücher geben demnach die genaue Frontaldistauz an, 
von welcher aas alsdann der Abstand der Beobachtungsobjekte gemessen 
werden kann. 



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244 



literatorbericht 



3 Visierlot 

Dio Vorrichtung bezweckt die g^enaue Einstellnng eines Lotes Ober einen 
bestimmten Fankt, »owie die einfache Messung von Verschiebungen des 
Lotes Uber einer eingeteilten Grundtiäcbe. Ein Kokonfaden ist beschwert 
durch eine Hülse, die dnrch eine seitliche Öffnung den Blick auf einen im 
Isnen der Httlse befindliobeiit 46* ntr Gnmdlliehe geneigten Spiegel ge> 
Btftttet Dort spiegeln sioli swei Fadenkreuze wieder, von denen das eine 
vor der kreisrunden Öffnung am Boden der UUlse, das andere zwischen dieser 
Öffnung und dem Spieirel ausgespannt ist. Das Lot hängt senkrecht über 
einem gegebenen Punkt, wenn sich im Spiegel die Hittelpunkte der Faden- 
kreuze mit ihm decken. Lote dieser Art dienten zu Horopterstndien od 
sa Untenaehimgea Uber d» binokidue Sehen. 

4) StreekentiatehangMppMst 

Der Apparat besteht aus einer vertikal montierten mattschwarzen Scheibe. 
In der Mitte befindet sich eine senkrecht zu ihr stehende Nadel als Fixatioofi- 
zeichen. Zu beiden Seiten der Fixatfonsnadcl ist je ein weißes Scheibchen 
mittels einer SchlittenfQbmQg in der Richtung des horizontalen und bei ent- 
sprechender Drehung der Scheibe auch des vertikalen Diameters vorschiebbu. 
Per Beobaehter etellt monokular subjektiTe Streekengletehnngen her. Der 
Verf. bestätigte mittele dieeer Anordnung eine Anzahl bereits bekannter Et- 
gebnisse und demonstrierte damit, daß die funktionell gleichwertigen Netz- 
hauteleraonte, welche rIbo die Empfindung trleichen Abstandes vennitteto, 
nicht wirklich in gleichem Abst-aud von der Netzhautmitte gelegen sind. Ein 
geometrischer Kreis trifft nicht gleichwert^ Hosaikglieder, und omgekebit 
laufen die ÄqdTralensUaien der Netahant nieht genau sirknlir. 



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Literaturbericht. 



245 



AntoreiiTerzeichjiis^}. 



Alexander-ächttfei 1. 


3 a 0 1 . 


Berger 11. 


Uguclii ^ü, oo. 


Bielsebowsky 94, So. 


Oom 89, o8. 




Htr? A Oft 

U VIO 2SOl 


du P> nis-R eymoud 8i 




iSorscDKe lo, ins. 


1 f T f r fi 


i508weil 14. 


irlaiz iii. 


Dimmer 96. 


Fietfer 4o. 


xleiscber o, 4. 


▼* FilngK 41. 


r ri tzscu o. 


ttaeblmaiiii «, 0. 


! u e r B t 10. 


A e 1 I I £0. 


txuiiiery xo. 


V. üeUSB 49. 




V nnhr 79 7S 

XiiOIlm fB, I0. 


Hertel 17, 64. 


Rothuaicher 74. 


Hmnmelsheim 18. 


Buediger 29. 


Isakowitz 45. 


Schieck 30. 


Kahn 46. 


V. Sicherer 10. 


Katienelleiibof ea 19. 


Stemeok fi^ b 


Klien 20. 


Schwarz 60. 


Eomoto 21. 


V. Szily 9. 


Kuater 22, 23, 66. 


V. Tschermak 16» 


Kramer 47. 


Weidlich 31. 


Km eins 67. 


Weinbold 88. 


Landolt 38. 


Weisenbnr^ 43. 


Lohmann 6. 


Wilbrand 61. 


V. Mayendorf öö. 


WOlfflin 44, 52. 


MüUer 56, 57. 


Yamaguchi ö3. 



1) Die Ziffern Terwelseii auf den Titel dee Werke« und gleiclisiitig tvf 
die laufende Knmmer des aageharif^a Befents. 



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ARCHIV 

FÜR Dm 

GESAMTE PSYCHOLOGIE 



UNTER MITWIEKÜNG 

TO» 

Fbof. H. HÖFFDINQ in Kopenhaobk, Pbop. F. JODL in Wien, 
Prof. F. KIE80W ik Tokrt, PbOF. A. EIB8CHHANN in Toronto 
(Oanada), Prof. B. KRAEPELIN in HOnchkn, Prof. 0. KÜLPB in 
WüBSBURG, Dr. A. LEHMANN in Koprnhaosn, Prof. Tb. LIPPS 
nr M Cncben, Psof. G. II ABTIUS in Kiel, Prof. G. STÖBBING in 
Zürich und Prof. W. WUNDT in Lbipzio 



H£RAUSO£G£B£N VON 

' E. M E UM ANN und W. WIRTK 

0. FRurESSOK A, Ü. ÜNITEBSITÄT A.O.PBOFESSOK A. U. D1»IYEESITÄT 

NONBTBB t. W. LBIPZIO 



Xm. BAND. 1. LKD 2. HEFT 

MIT iS FIGUREN IM TEXT 



LEIPZIG 

VERLAG VON WILHELM ENGELMANN 

1908 



Äu^f^febm am 8. September 1908, 




Bemerkoiigen für unsere Mitarbeiter. 

Bas AzchiT endieiDt in Heften, d^ren vier einen Band von 
ebra 40 Bogen bilden. 
* Für das Archir bestimmte Abhandlangen und Referate aus den 

Gebieten der Raum- und Zeitvorstellungen, der Sinnespsycbologie, 
der Anatomie und Ph^'siologie der Sinnesorgane, sowie der Geschichte 
der Psychologie bitten wir an Herrn Prof, Dr. W. WirtU, Leipzig, 
Emilienstr. 36", alle übrif^en Abhandlungen und Referate an Herrn 
Prof. Dr. £. Meumanu, Münster i. W., Brüderstraße 22 einzusenden. 

An Honorar erhalten die Mitarbeiter: für Abbandinngen 
J( 90.^, für Beferate Jf 40. — für den Bogen. Dissertationen 
sind Ton der Hononei-ung ausgeschlossen. Yen den Abbandlnngoi 
werden an Sonderdrucken 40 umsonst, weitere Exemplare gegen mäKge 
Berechnung geliefert. Von den Referaten werden Sonderdrucke nur 
auf V' erlangen geli' fei t. Die etwa mehr gewünschte Anzahl bitten 
wir, wenn mögUch bereits auf dem Manuskript anzugeben. 

Die Manuskripte sind nur einseitig beschrieben und diuckfertig 
einzuliefern, so daß Zusätze oder größere sachliche Korrekturen 
nach erfolgtem Satz venmeden werden. Die Zeichnungen für Tafeln 
und Textabbildungen (diese mit genauer Angabe, wohin sie im Text 
gehören) werden auf besondero Blättern er)}eten; wir bitten zu beachten, 
daß für eine getreue und saubere Wiedergabe gute Vorlagen uner- 
liiBlieli '<mä. Anweisungen für zweckmäßige HerstelluTTT der Zeich- 
nungen mit Proben der verscliiedenen Reproduktionsvertahren stellt 
die Verlagsbucliliandlung den Mitarbeitern auf "Wunscli zur Verfügung. 
' In PilUeu außergewöhnlicher Anforderungen hinsichtlich der Ab- 
bildungen ist besondere Vereinbaräng erforderlich. 

Die im Arohiv zur Verwendung kommende Orthographie ist 
die für Deutschland, Österreich und die Schweiz jetzt amtiicb ein- 
geführte, wie sie im Duden sehen Wörterbuch, 7. Auflage^ Leipzig 
1902, niedergelegt ist. 

Die Veröffentlichung der Arbeiten geschieht in der ileüienfolge, 
in der sie diuckfertig in die Hände der Iledaktion gelangen, falls 
nicht besondere Umstände ein späteres Erscheinen notwendig machen. 

Die Korrekturbogen werden den Herren Verfassern von der Ver- 
lagsbuchhandlung regelmäßig zugesdiickt; es wird dringend um deren 
sofortige Erledigung und BQcksendung (ohne. das Manuskript) an die 
Verlagsbuchhandlung gebeten. Von etwaigen Änderungen des Aufent- 
halts oder vorübergehender Abwesenheit bitten wir, die Verlagsbuch- 
handhing sobald als möglich in Kenntnis zu setzen. Bei säumiger 
Ausführung der Korrekturen kann leicht der i'ali eintreten, daß 
eine Arbeit für ein späteres Heft zurückgestellt werden muß. 

Die Referenten werden gebeten, Titel, Jahreszahl, Verleger, Seiten- 
saU und wenn mögUch Preis des Werkes, bzw. die Quelle bespro- 
diener Aufsatee nach Titel, Bond, Jahreszahl der betraffenden Zeit- 
schrift genau anzugeben. 

Herausgeber und Yerlagsbachhandlong. 



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;; VERLAG VON WILHELM ENGELMANX IK LEIPZIG :: 

Vorlesungen zur Einführung in die 

Experimentelle Pädagogik 

und ihre psychologischen Grundlagen 

von 

Ernst Menmaiin 

0. Professor der Philosophie in Münster i. W. 

Zwei Bände, gr. 8 

Bd. 1. Geh. Ji 7.—, in Leinen geb. Jt 8.25. 

Bd. II. Mit 14 Textfigurcn, sowie Sacli- und Namenregister lu beiden Bänden. 

Geh. Jl 6. — , in Leinen geb. Jt 7.25. 

(Eine Ankündigung mit genauer Inhaltsangabe steht zu Diensten, 

Beginners in experiniental pedagogy, for whom the book is intended, will 
find in it an exccllent guido to the nature and the prescnt attainmcnt of this ncw 
brnnch of pedagogy. In fact this is the only book ol' its kind as yet published. . 
Its strength lies in the fact tiiat Mcumnnn, aa one uf the most eminent and 
Tigorous investigators in Uie field, Supplements the rcKults of previous studics 
with those of researchea raade by himself or undcr his iramediate direction. 

(American Journal of Psychoingy, Ociohrr U/OS) 



3n allen Xrankheits|ällen 

Ist Kathrelners Malzkaffee ein durch- 
aus empfehlenswertes Getränk wegen 
seiner absoluten Indifferenz und seines 
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Sein billiger Preis ermöglicht es, Ihn 
auch Minderbemittelten zu verordnen. 

Den Herren Aerzten stellt die Firma 
Kathrelners Malzkaffee-Fabriken, Mün- 
chen, auf Wunsch Versuchsproben 
und Literatur kostenlos zur Ver- 
fügung. 



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Inhalt des 4. Heftes. 



Abhandlungen: Stit» 

SCHCLTZK. F. E. Otto, Beitrag im Piychologie de» Zeitbefrußtwin«. fMit 

3 Fig. im Text.) 27ö 

KlR.sciiMA.\N, A-, Über die Erkennbarkeit gcometrücher Figuren und Schrift- 

zeicheo in indirektea Sehen. (Mit 4 Fig. im Text, 352 



Sammeircfcrat: 

R. A. Pfeifer, Literaturbericht aus dcra Jahre liU)? über da« Gebiet der 

optischen Raumwahraehmung 215 



VERLAG VON WILHELM ENGELMANN IN LEIPZIG 
Soeben erschien: 

GESCHICHTE 

DER 

GRIECHISCHEN ETHIK 

VON 

MAX WUNDT 

PRlVATDaZENT DER PHILOSOPHIE 

ERSTER BAND 
DIE ENTSTEHUNG DER GRIECHISCHEN ETHIK 

gr. 8. 34 Bogen. Preis M. 13, — 



Drock von Breitkopf & Blrtvl in Ldpzi$ 



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