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Full text of "Geschichte der neuern Philosophie seit der Epoche der Wiederherstellung der Wissenschaften"

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Befhihte 
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neuern Philoſophie 
feit der Epoche der Binepeplun, ber 
| Wiffenfchaften. 


Bon 
Johann Gottlieb Buhle, 


Ruſſiſch⸗Kayſerlichem Hofrathe und Profeffor zu Moſkwa. 


I 
ne — — — 


Sechsſter Band. 





Goͤttingen, 
bey Johann Friedrich Roͤwer. 
1804 


Sefqhichte 
der 
Künſte und Wiſſenſchaften 


ſeit der Wiederherſtellung derſelben bis an das Ende 
des achtzehnten Jahrhunderts. 





Von F 
einer Geſellſchaft gelehrter Naͤnner 


ausgearbeitet. 





Sechste Abtheilung. 


Geſchichte der Philoſophie 


\ 


von 


Johann Gottlieb Buhle. 





Sechster Band. 
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Göttingen, 


bey Johann Friedrich Röwer. 
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Gefbidte 
| der. 
neuern Philvfopbie 
| ö fett der 
Epoche der Wiederherftellung der Wiffenfchaften, 





GSchster Band. 
Erſte Abeheilung 


» ANNEXA'! 
— — 
Subles Geſch. d. Philoſ. VI.2. A 


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Gefchichte | 


Ya | der . | 
neuern Philoſophie 
ſeit der 


Epoche der Wiederherſtellung der Wiſſenſchaften. 





- 


Viertes Hauptſtuͤck. 


Geſchichte der neuern Philoſophie waͤhrend des acht⸗ 
| zehnten Jahrhunderts bis auf Kant. 





Achtzehnter Abſchnitt. 


Geſchichte der Theorie der Statswirthſchaft in England, 
| Fortſetzung. 





=. 


- 


y- m zwenten Theile des vorhergehenden fünften ' 
ns Bandes der Gefchichte der neueren Philoſophie 
babe ich die Theorie der Statswirthſchaft ausfühes 
lich dargeftellt, wie fie von den beyden berühmteften 
Britifhen Schriftfielleen. in diefem Face, David 
Hume und Adam Smith, in ihren Werken 
vorgerragen if. Eine ausführlichere Darftellung 
- berfelben war gemwifjermaßen hiſtoriſch nothwendig, 

weil bier zuerft die richtigen Grundfäge der Stats⸗ 
a SE Br © 55 wirth⸗ 


4 Geſchichte der neuern Philoſophie 


wirthſchaft aufgeſtellt, entwickelt und erwieſen ſind, 
und die gleichzeitigen und ſpaͤtern politiſchen Schrift⸗ 
ſteller in dieſen im Weſentlichen mit ihnen zuſammen⸗ 
ſtimmen, und nur in der Ausdebnung derſelben, in der 
Anwendung auf beſondre Gegenſtaͤnde, in den Folgerun⸗ 
gen, in der weiteten Auseinanderfegung einzelner Mas 
terien, fich von ihnen unterſchieden. Es iſt auch nicht 
wohl möglich, einer philoſoobiſchen Theorie der . 
wirthſchaft die erfoderliche Klarheit zu geben obne 
größere Umftändlichfeit, weil die Grundſaͤtze * 
Rechtfertigung aus der oft ſehr ſchwierigen verwickel⸗ 
ten Beſchaffenheit der Gegenſtaͤnde und ihrer Vers 
haͤltniſſe, wo fich die wahren Urfachen und Wirfuns 
gen leicht verfennen laſſen, oder doch wenigftens einer 
„rläuterung duch Benfpiele, bedürfen. 


Faſt zugleich mie Adam Smith ſchrieb dee 
Baronee James Stevart feine Unterfuchungen 
über die Principien der Starsöfonomie *) Er war | 
ein gelehrter durch philoſophiſche Studien, durch 
‚Reifen, und aufmerkjame Beobachtung des innern 
policifch:öfonomifchen Zuftandes ſowohl feines Va⸗ 
terlandes, als der cultivirteften Europäifchen Völker, 
zur Aufflärung feines Sujers fähiger Kopf. An 
Scharfſiun und Tieffinn, an Originalität und Meus 
heit der Anficht überhaupt, wurde er von feinem Zeits 
genoffen uͤbertroffen; aber er Fante manche zur States 
witthſchaft gehörige Partieen genauer, und Drang 
! tiefer 


*) An Inquiry into the principles of political oecono- 
my‘ being an Effay on the Science of domeftic poli- 
cy in free nations In which are pärticularly confi- 
dered Population, Agriculture. Trade, Induftry, Mo- 
ney, Coin, Intereft, Circulation. Banks, Exchange; 
Public Credit, and Taxes By Sir Fanes Stevart, 
Bart, Intwo volumes, Kondon 1767. 4. | 


waͤhrend d. achtz. Jahrhund. b. auf Sant. 5 


tiefer in das Derail derfelben ein, als jener that und 
shun Ponte, Sein deengang ift regelmäßiger, und 
noch foftematifcher. Seine Schreibate ift zwar weit⸗ 
laͤufiger, und bat weniger Annepmlichkeit, als die 
Screibart des Smith; aber fie empfiehlt fi) das 
gegen durch eine ungleich größere Deutlichkett. 


Die Aufmerkfamkeit Stevart's iſt vorzüglich 
auf folgende Hauptpuncte gerichtet, als ob fie ihm 
Hume in feinen Verſuchen vorgezeichner hätte: Bes 
völferung, Ackerbau, Handel, Induſtrie, Geld, 
Münze, Zinfen, Geldumlauf, Banf, öffentlicher 
Credit und Taxen. Mach diefen Hauptpuncten iſt 
ſein Werk abgetheilt. 


Das erſte Buch betrifft die Bevoͤlkerung und 
den Ackerbau. Stevart handelt hier von dem 
Begriffe eines Stats und einer Statsverfaſſung übers 
haupt; von dem Geiſte eines Volks; von den Mas 
zimen und natürlichen Urſachen, weiche die Bes 
völferung vermehren, und was die ‚Fortpflanzung der 
Menjchen für Wirfungen habe, in tändern, wo ſich 
die Menfchenzahl nicht vermehrt; auf welche Art, 
und nach welhen Marimen und politifchen Urfas 
chen: der Ackerbau zur Vergrößerung der Volksmen— 
ge beyträge, und ‚wie die Bedärfniffe dee Menſchen 
ihre Vermehrung befördern. Dann geht er über zur 
Entwickelung der Folgen, welche die Sclaverey für 
die Vermehrung und Arbeit eines Volkes hat; er 
zeigt, melches Verhaͤltniß der Einwohner eines 
Landes notwendig fey, um zu beflimmen, wie vies 
le fih dem Ackerbaue mit Mugen für das Ganze 
widmen müflen oder Pönnen, mie viel hingegen 
ſich jeder anderen Befchäfftigung überlaffen dürfen; 
nach was für Principien fich die Vertheilung der Mits 

43 5 glieder 


6 Geſchichte der neuern Philoſophie 


glieder einer Nation in Landguͤter, Dörfer, Flecken, 
kleinere und größere Städte richtetz was für, Folgen 
aus der Abfonderung der beyden Hauptclaſſen eines 
Volks, der fandbauer und Fteymänner, in Anfehung 
ihrer Wohnungen entfpringen, worauf die Abrheis 
lung der Einwohner in Stände beruhe, und was die. 
Beſchaͤfftigungen derfelben auf ihre Vervieffachung für 
Einfluß haben. Endlich zeige.er die großen Vorthel⸗ 
fe, welche eine wohl Hberdachte und geordnete Theos ' 

rie der Statswirthſchaft, eine gründliche Kenntniß der 
Thatſachen, worauf es. anfomt, verbunden mit einer 
ihr entfprechenden Handlungsweife der Regierung, für 


"die Bevölkerung habe; wiefern eben deß wegen unter 


andern gemeine Liften der Gebobrnen, Verheyrathe⸗ 
een, Verſtorbenen jeder Elaffe der Einwohner, in den 
neuern Staten nörhig fenen; wie auc) die Befördes 
derung des Ackerbaus und der Bevölkerung übertries 
ben werden Fönne, warum es ſehr volkreiche Länder - 
gebe. in Vergleihung mit andern weniger volfreichen, 
ben denen doch diefelben guten Starseinrichtungen in 
KHinficht auf diefen Zweck ſtatt finden; auf welche Are 
und in welcher Propgrrion Ueberfluß oder Mangel ein 
Mole afficiren; die Urfachen und Wirkungen der ho⸗ 
hen Bevölferung: eines Landes; ob und wiefern die 
Einführung der Mafchinen in die Manufacturen dem 
Intereſſe eines Stars und der Bevölkerung nachtheis 
fig ſey. | 


Ich ſchraͤnke mich hier darauf ein, bloß die bon 
Gtevart gezogenen Refultate jene Materie. angehend 
auszußeben *):. 1). Bevölkerung und Ackerbau find 
und waren in allen: Zeiten die Baſis der politifchen 
Defonomie, Sie find mic einander in ihren Urfachen 

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9) $revers Vol. I. p. 149 fg. 


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während d. achtz Jahrhund b. auf Kant. 7 


und Wirkungen unzertrennfich verfnüpft, und müfs 
fen daher auch im ihrer gegenfeitigen Beziehung uns 
gerfucht werden. Das erfte Princip der Bevoͤlkerung 
aber ift Zeugung; das andere find Nahrungsmittel; 
‚jene gewähren den Menfchen Dafenn und keben; dies 
fe erhalten es ihnen. Da die freywilligen Erzeug⸗ 
niſſe der Erde eine beftimte Quantität haben, fo fann 
auch die Menfchenmenge, die anf der Erde zu leben 
vermag, nie über eine beftimte Zahl fleigen. Arbeit 
ift eine Methode, die Erzeugniffe der Natur zu vers 
mehren, und nah Maaßgabe der Vermehrung Rn. 

felben kann auch die Menfchenzapl wachſen. 


Hieraus fließt: 2) Die Zapl der Menſchen kann 
immer nur in Proportion mir den Erzeugniffen der Ers 
de ſtehen, und diefes Verhaͤltniß ift immer zufammens 
gefegt aus der Quantität des Ertrags des: Bodens 
und der Quantität der Arbeit der Einwohner. Da 
nun diefe-auf der Erde mannichfaltig verfchieden find, 
und durch zufällige einwirkende Ereigniffe und Um⸗ 
ftände werden; fo läßt fich nie eine allgemeine auf die 
ganze Erde fich erfireckende Proportion zwilchen der 
Zahl derer, die zur Eultur des Bodens nothwendig 
find, und derer, welche durch die Erzeugnufle desſel⸗ 
ben ernäßre werden können, feftfegen. 


3) Die Urfache, welche den einen Theil der 
Denfen bewegt, den Boden zu bearbeiten, um den 
andern Theil zu ernähren, liege in den verfchiedenen 
Beduͤrfniſſen, welche die Menfchen gegenfeitig haben. 
Der Stat muß daher auch- Objecte des gegenjeitigen 
Beduͤrfniſſes herbeyſuͤhren, die ipren Reiz haben; nur 


Dadurch kann Verſchiedenheit der Befchäfftigungen - 


entftehen, und-die vorherige Robbeit und Einfachheit 
dee Sitten hört auf. Es muß aber ein genaues Gleiche 
\ a4 ‚gewicht 


8. | Geſchichte ver neuern Philoſophie 


gewicht zwiſchen jedem Zweige der Induſtrie mit den 
uͤbrigen beobachtet werden, damit kein Zweig an ſei⸗ 
nem Gedeihen gehindert werde, oder zu Grunde gehe, 
durch Ueberfluß oder durch Mangel. Die Theilung 
der Nahrungsmittel bloß zwiſchen Eltern und Kins 
dern ift eine Merbode, den Mangel derfelben zu bes 
wirken, ber allein durch eine Bermehrung der 
Arbeit verbüree werden fann. Wenn eine bürgers 
liche Geſellſchaft dieſen Plan gegenfeitiger Induſtrie 
nicht befolge, fo wird die Volksmenge aufören zu 
wachſen; weil der Fleißige den Faulen nicht umfonft 
ernähren mag. Stevart nennt dies einen Stat, 
wo die Zunahme der Bevölkerung moralifch: uns 
möglich if. Er unterfcheider diefe moralifche Unnidgs 
lichkeit von der ppufifchen, die nur eintreten fan, 
wenn die Natur, nicht die Menjchen , die Erzeugniſſe | 
zur Unterhaltung diefer verweigert, 


4) Es ergiebe fih wiederum, daß bie Volks— 
menge jedes Landes durch das Verhaͤltniß beftime wird, 
worin die Quantität der in demfelben erzeugten Nah⸗ 
"rungsmittel zur Juduſtrie der niederen Claſſen ftept. 
Wenn der Vorrath der erzeugten Nahrungsmittel, die 
Proportion der Induſtrie uͤberſteigt, fo wird der Yes 
berfchuß jener, ausgeführte werden; uͤberſteigt hinges 
gen die Induſtrie den Vorrath der Nahrungsmittel, 
fo muß die Einfuhr aus fremden tändern den Abgang 
dieſer erfegen. Gegenſeitige Bedürfniffe wecken zur 
Arbeit. Folglich diejenigen, deren Arbeit. nicht auf. 
die Eultur des Bodens gerichtet iſt, müffen von einem 
Ueberſchuße leben, welchen die Ackerbautreibende Elaffe 
über ihren eigenen Bedarf hervorbringt. _ Dadurch 
‚ wird die bürgerliche Geſellſchaft in die beyden Haupt⸗ 
slafjen geſondert, deren eine Stevart die > 

auer 


während, d. achtz. Jahrhund. b. auf Kant. eg 


Bauer (farmers), die andre Freymaͤnner (free 
hands) nennt. Die Vermehrung der Vedürfniffe 
wird alfo eine Vermehrung der Freymänner, und ihe 
Bedürfnig der -Mahrung wird eine Vermehrung des 
Acerbaues nach ſich ziehen. 


5) Unter dem Luxus verſteht — nichts 
— ‚ als einen uͤberfluͤſſſgen Verbrauch, oder die 
- Befriedigung von Beduͤrfniſſen, die niche. zur Erhal⸗ 
tung des Lebens weſentlich nothwendig find. Der 
Gefhmac am uͤberfluͤſſſgen VBerbrauche wird ‚das 
Geld einführen, welches. bier als das allgemeine 
Dbjert des Bedürfniffes unter den Menfchen vorge 
ftelle wird; fo daß es eben diefer feiner Qualitaͤt we⸗ 
gen: ein allgemeines Beftreben nach dem Erwerbe dess 
felben erzeugt, dadurch die Induſtrie der Frey: Mäns 
ner, folglich ihre Menge, folglich auch den Acker⸗ 
bau zu ihrer. Subſiſtenz befördert. Diefe Operation 
feßt aber voraus, daß der große Haufe in eimens 
Volke Sinn für Urbeitfamkeit, und die Meichen Ges _ 
fhmac am Genuffe haben. Wenn diefe frugal und 
“ einfach leben, oder jene faul und ohne Ehrtrieb find; 
ſo wird.das obige Ereigniß nicht ftatt finden. Deswe 
. gen bemerft man auch in der wirklichen Welt, daß die 
Einwohner nicht in den fchönften Ländern, fondern in 
been am beſten leben, mo die größte Induſtrie berrfcht. 
Es: läßt fich alfo nie behaupten, daß zu viel Manus 
facturen in einen freyen Lande feyn koͤnten; denn dies 
bieße eben fo viel, als: es fönte darin zu wenig faus 
le teute, zu wenig Bettler, und zu viel arbeitfame 
Bürger geben... Den Einwurf, welcher ſich gegen 
Stevart's Theorie machen. laͤßt, wie -fich: mit 
ber Frugalitaͤt der Alten und der Einfachheit ihr 
| ser Sitten die. große: Bevölkerung. im - Wlterchume 
| A5 ver⸗ 


10  Gefchichte der neuern Philoſophie 


vereinbaren laſſe, die er als Thatſache annimt, ums 
geachtet der von Hume dagegen vorgebrachten Zwei⸗ 
fel, räumt er folgendermaßen aus dem Wege: Im 
Alterthume wurden die Menſchen gegwungen, dem 
Boden zu bearbeiten, weil fie die Sclaven Anderer 
waren. In den neueren Zeiten ift die Operation zus 
fammengefegter; der Regent kann nicht aus feinen Uns 
gertbanen Sclaven machen; er miuß fie dahin leiten; 
Daß fie Sclaven ihrer eigenen Triebe und Neigungen 
werden; dies iſt Die einzige Merbobe, fie zum Ackers 
. baue zu bewegen, umd wenn dafür geforge ift, durch 
was immer für Mittel es gefchehen mag, fo wird die 
Menfchenzapl zunehmen. 


| 6) Die Abeheilung eines Volks in Landbauer 
und Frey: Männer hat auch wichtige Folgen in 

Abſicht dee Wohnungen diefer verfchiedenen Klaffen. 

Die Landbauer müffen an dem Orte, mo fie arbeiten, 
oder nahe ben demjelben leben, aufihren Gütern oder - 

in ihren Dörfern. Die Freymaͤnner laffen fich wies 
der in zwen Gattungen fondern. Die erftere. beftehe 

aus den Kıgenehümern des Weberfchuffes der Nah⸗ 

rungsmitrel, oder den Landeigenthuͤmern, nebſt des 

nen, welche jenen Uebetſchuß kaufen koͤnnen mit 

einem bereits erworbenen Vermoͤgen; die andere ber 
ftebt aus ſolchen, welche etwas von jenem Ueber— 

fhuffe mir ihrer täglichen Arbeit erfanfen muͤſſen. 

Die erftere Hartung von Menfchen fann leben, wo 
fie will; die andere aber müß leben, wo fie fann, 

Wenn die Mitglieder jener zufammen an Einem Or⸗ 

te leben wollen, ‚fo muß eine beträchtliche Zahl ber 

legtetn ihnen folgen, um fo viel zu geminnen, 

als fie. nörhia haben. Daraus entſtehen größere 

und Bleinere Städte. Wenn ein Regent die x 
* er⸗ 


wahrend d. achtz. Jahrhund. 6. auf Kant. 11 


Verwaltung der oͤffentlichen Angelegenheiten in einen 
Dre zuſammenzieht, fo bilder ſich die Hanptſtadt, ges 
wöhnlich die größte von allen. Vereinigen fi die. 
Manufacturiſten zu orporationen, fo bängen fie 
nicht unmittelbar von denen ab, die ihre Waren vers 
brauchen, fondern von den Kaufleuten. Die tage 
ihres Wohnsres wird alfo durch Umſtaͤnde beſtimt, 
die mir ihrer Befchäfftigung, dem Vorrathe an Mas 
terialien und tebenemitteln für fie, und der Trans⸗ 
portation ihrer Waren im Verhaͤltniſſe fieben. 


7) Anfangs lebten die Menfchen zerftreut, und 
da fie ſich auf die freywilligen Erzeugniffe der Erde 
einfchränkten, fo ward ihr Unterhalt leichter. Itzt 
bat fie die Induſtrie in beftimte Derter und Gegenden. 
vereinigt, und Induſtrie muß fie nun auch erhalten, 


Der erfie Punct daher, woran der politifchen Deko 


mie. gelegen ſeyn muß, iſt, den vorhandenen Einwoh⸗ 
nern Arbeit zu verfchaffen; der andere Punce ift, die 
Zahl der Arbeiter zu vervielfältigen, wenn die Machs 
frage nach denfelhen fich vermehrt. Um der Thaͤtigkeit 
eines Volks die zweckmaͤßige Richtung zu geben, muß 
der Regent die Anzahl genau Bennen, welche erfoders 
lich ift, um die Nachfrage nach Arbeit in jedem Face 
der Handwerfe und Künfte zu befriedigen; er muß‘ 
diejenigen, welche von three Induſtrie Icben müflen, 
in ſchickliche Claſſen theilen; und folche Vorkfehruns . 
gen treffen, daß jede Claſſe, fo viel wie möglich, ihre 

eigene Zahl durch Fortpflanzung erhalte, | * 


Iſt der Werth irgend einer Art der Induſtrie nicht 
hinreichend für dieſe Abfiche, fo muß ein paflendes 
Hülfsmirtel angewandt werden. 3.8. Die niedrigfte 
Art der Arbeit muß mwohlfeil ſeyn, um die Mannfacs 
turen blüßend zu machen; hier muß ſich alfo der Stat 
— | der 


12 Geſchicht der neuern , Beifofopkie | 


der Ernähtung der Kinder annehmen. Jeder Menſch 
har den Trieb, ſich fortzupflanzen; und ein Volk 
Bann fo wenig ohne Fortpflanzung beſtehen, wie ein 
Baum ohne Wachsthum; aber es koͤnnen nicht mehr 
Menſchen leben, als ernaͤhrt werden koͤnnen; und die 
Vermehrung der Nabrungsmittel muß: zuletzt eine: 
Geenzje haben; ſobald ſich dies ereignet, nimt die: 
Volkszabl nicht mehr zu, das heißt, die Proportion 
derer, die flerben, waͤchſt mit-jedem Jahre. Dies: 
ſchreckt nun unmerklich von der Fortpflanzung ab,; 
weil die Menſchen vernuͤnftige Weſen ſind. Aber 
es find doch immer noch einige, die, wenn fie auch 
zii den vernünftigen Weſen gehören, doch niche vors 
ſichtig find, Die benrarhen und Kinder zeugen, wel— 
he ſie niche zu ernähren vermögen. Dies nennt Ste 
vart eine fehlerhafte Fortpflanzung. Sie bewirft 
ein politifches Uebel, welches zwar die Sterblichkeit 
der Menfchen heile, aber auf Koften eines großen | 
Ejendes. Wie jenem Uebel-abjuhelfen fey, obne die. 
Freyheit des Heyrathens einzufchränfen, und wie man 
diefe Freyheit einfchränfen koͤnne, ohne die Denkweiſe 
des Zeitalters zu beleidigen; erklaͤrt Stevart, daß 
er es nicht einſehe, und dee Beurtheilung eines Je—⸗ 
den anheimſtelle. 


8) Bevölkerung und Ackerbau ſtehen in fo enger 
Verbindung mir einander, daß ſelbſt die Misbraͤuche, 
denen beyde auf verfchiedene Weife unterworfen find, 
doch einander vollfonmmen gleiben. Wenn zu viel 
Manufacturiften. enıfteben, muß ein Theil derfelben 
verhungern; entſtehn zu viel, Die den Ackerbau treis’ 
ben ,: gilt dasſelbe. Der Grund ift diefer: Je mehe 
Einwohner eines Landes ben. Acker bauen, deſto ges 
tinger muß der auf Jeden fallende Antheil werden ; 

un 


— 


| während d. acht. Fahırhund, 6. auf Kant. 13 


und werden diefe Antheile ‘fo geringe, daß fie nicht 
mehr bhervorbringen, als nörbig iſt die Arbeiter zu 
unterhalten‘; fo ift der Ackerbau auf’s Aeußerfte ges 
trieben. Stevart unterjcheided daher den Ackerbau 
in einen nuͤtzlichen und ſchaͤdlichen. Jener ift ein 
Handel, d. i. eine Merbode, nicht bloß den Unterhalt 
der Arbeiter hervorjubringen, fondern auch einen Les 
berſchuß, wodurch für den Unterhalt der Freymaͤnner, 
und für ein Aequivalent ihrer Waren gejorgt wird. . 
Der zweyte ift kein Handel , weil er keinen Tauſch zus 
laͤßt; er ift bloß eine Methode zu ſubſiſtiren. Wenn 
daher in einem Lande, wo der Ackerbau als ein Hans 
del betrieben wird, und wo eben fo viel Frepmänner 
find, den Landbauern geitattet wird, fich fo zu vers 
vielfältigen, daß fie fetbft den ganzen Vorrath vers 
‚ehren; fo müffen nothwendig alle Freymaͤnner vers 
bungern. Die Gründung des Handels und der us 
duſtrie rectificirt indefjen auf eine natürliche Weiſe dies 
fen Misbraud) des Ackerbaus, indem fie das Land 
von überflüffigen Werzeprern befreyt, und ibm, mie 
es jeyn muß, einen Handel verfchaffe, der berechnet 
iſt, einen Ueberſchuß herbeyzufüpren, womit die Ars 
beit aller indufteiöfen Menfchen bezahle werden fann. 
Das Band der allgemeinen gegenfeitigen Abhängigs 
keit der Mitglieder einer freyen Nation, die von ihrer 
Induſtrie leben muß, kann allein dadurch erhalten 
werden, daß man den einen Theil derſelben zu fleißis 
gen Landbauern, und den andern zu Plugen und finns 
reichen Kaufleuten und Manufacturiften macht. Die 
Vibration der Bilanz zwifchen diefen beyden Claſſen 
ift es, welche Bevölkerung und Ackerbau wirklich in 
Die Höhe bringen. Wenn die Induſtrie zu weit ges 
trieben wird, fo vermehren fich die Freymaͤnner über 
das Maaß, das heißt, ihre Schale finkt; Pa. 

* ſteigt 


24 Gecſchichte der neuern Vhidſophie 


ſteigt der Preis der Nahrungsmittel, mas wiederum 
dem, Ackerbaue Ermunterung giebt; bekomt Diefer im 
Gegentheile das Uebergewicht , fo werden die Nah— 
tungsmittel zahlreich . und wohlfeil; und das beförs 
dert die Manufacturen. Daß der Ackerbau, naments 
Sich in den Britiſchen Juſeln, die natuͤrliche Höhe 
erreicht hat, die er erreichen kann, ſchließt Stevart 
darans, daß eine eigentliche Hungersnorh in der neus 
ern Zeit gar niche mehr eintritt. England hat in 
den fruchtbarften Jahren gleichwohl nie mehr, als 
für achtzehn Monate vollen Unterhalt für alle feine 
Einwohner, aber auch in den unfruchtbarften Jahren 
nie weniger, als für zehn Monate hervorgebracht. 


9) Wenn ein and völlig bevölfere ift, und indus 
friös zu ſeyn forefähre, fo werden Nahrungsmittel von 
auswärts hereingebracht werden. Es ift Die Nachfrage 
‚der Reichen, die ſich nach ihrer Neigung vermehren, 
welche den Ackerbau, felbft bey fremden Nationen, ers 
muntert. Diefe Vermehrung ift daher die Urfache, 
und die Erweiterung und Vervollkomnung des Acker⸗ 
baues iſt nur die Wirkung davon. 


Ein Land, das einmal mit Menſchen angefuͤlle 
iſt, kann an Volksmenge abnehmen, und doch im⸗ 
mer angefuͤllt bleiben. Dies muß von einer Veraͤn— 
derung in der Lebensweiſe herruͤhren. Indolente Mens 
Shen verſchmaͤhen nun den Genuß der Erdfruͤchte, die 
in größerer Menge wachen, und fuchen Delicateſſen. 
Auf der anderen Seite aber verſchafft fich die indus 
ſtrioͤſe Claſſe Hülfe von auswärts, und indem fie Die 
Fremden mit den Producten ihrer Arbeit verſieht, er⸗ 
bält fie fich nicht nur, fondern nimt fogat an Zahl zu. 
Dies ift mit Holland der Fall, und er wird es bleis 
m; bis, Misbräuche den Preis der. Arbeit zu (ok 

er 


während d. achtz. Jahrhund. b. auf Kant, 15 


erhöhen, und die Erfahrung, dieſe allgemeite tehres 
ein, die Freinden darauf aufmerfiam mache, von ih⸗ 
zen eigenen Landes vortheilen Mugen zu ziehen. 


Hören die Nahrungsmittel auf, vermehre zu 
werden, fo wird die Zunahme der Volfsmenge einen 
Stilleſtand leiden; aber der Handel fann dennoch fire 
foregehn und den Reichthum vermehren; Dadurch wers 
den Heere von Fremden gleihfam in Gold genoms 
men; und die Kaufleute Fönnen, ‚wie fih Stevars 
ausdrückt, von ihren eigenen Siegen, Schlachten 
und Trophäen lefen, ohne jemals Pulver gerochen 
zu haben. Können fie die Zahl der Manufackuriften 
- nicht vermehren, fo werden fie in manche Manufaceus 
een Mafchinen einführen, und diefe werden den Mans 
gel an Menſchen erfegen,, ohne den Verbrauch der 
Nahrungsmittel zu vergrößern. . Die Fremden, bes 
troffen uͤber diefe neuen Einrichtungen, welche die 
Preife vermindern, und ihre emporfeimende Induſtrie 
‚ Schwächen, werden die Erfindungen nachahmen; aber 
da ſie nur Schüler find, werden fie verfehre zu Wer⸗ 

ke geben, und die von ihnen verjuchte Verbeſſerung 
wird viele Arbeiter in Unthaͤtigkeit feßen; dieſe wers 
ben fo lange fchreyen, bis man die Mafchinen mies 
der abſchafft; denn nichts ift natürlicher, als daß fleis 
ßige Menfchen rebellifch werden, wenn der Stat ih⸗ 
nen durch jeine Vorkehrungen, oder Verguͤnſtigungen 
der Manufacturinpaber, die Arbeit entzieht. 


Bisher hat Stevart das Verhaͤltniß des A 
Berbaues und der Bevoͤlkerung zur politifchen Oekono⸗ 
mie überhaupt unterfucht. Im zweyten Buche find 
Handel und Induſtrie feine befondern Gegenftände, 
Ich übergehe hier Alles, worin er mit Smith übers 
einſtimt, was es nur — BAER; und bes 

| ruͤbre 


1 Geſchichte der neuern Philoſophie 


ruͤhre bloß einige Puuce, in denen er von chin ab⸗ 
weicht. 


Dabin gehoͤrt zuvoͤrderſt der von Gier rt *) 
- bebauptere Sag: Daß- wenn eine. Nation durch ges 
genſeitigen Handel mit anderen Nationen, der Mas 
aufacturwaren betrifft, fich bereichert hat, und fins 
det, daß die Bilanz des Handels zu ihrem Machtheis 
le ſteht, es ihr Intereſſe erfodert, diefen Handel aufs 
zuheben oder einzufchränfen. Stevart erläutert dies 
fen Satz duch das Verhaͤltniß, worin Städte zu 
den Einwohnern des flachen Landes, in Anfehung des 
Handels ſtehen. Jene find als fo mande Staten 
zu betrachten, welche innerer Luxus, Taren, und der 
hohe Preis der Lebensmitttel außer Stand gefegt has 
ben, mit den Fremden Preis zu halten, das heiße 


| bier, mit dem flachen $ande, welches die Fremden: 


für fie, die auswärtigen Voͤlker für.die Briten, dar⸗ 
ſtellt. Hier find ausfchließliche Privilegien der Staͤd⸗ 


se im Verhaͤltniſſe zum flachen Lande vernünftig und: 


nothwendig, damit die Bewohner jener die Bürden 


tragen koͤnnen, die ihrer Gemeinpeit eigen find, - J 


Dadurch entſchaͤdigt werden für das, was ihre 


dürfniffe mehr Foften. Dies läße fich anwenden af 4 


das Handelsverhältniß zwiſchen Voͤlkern. 


| Wen der Megent sein wachfames Auge auf jes 
ben Artikel der Einfuhr bar, und genau den Gebrauch 


desſelben unterſucht; fo wird er. leicht unterfcheiden . 


Lönnen;, von welchen Artifelm die Einfuhr begünftige, 
oder. befchränfe, oder ganz verboten werden muͤſſe. 
Ben diefer Unterfuchung muß aber jede Beziehung 
- gewogen werden; weil die Einfuhr einer fremden Was 
ve ein: mann Intereſſe bat, ee. * 


ican Vol. 1. p- 504 (4. 


n 


‚ während d. acht}: Jahrhund. b. auf Kant. 17 


Bald einer Nation, als außerhalb derſelben; und 
zwar ben einigen Waren ein unmittelbares, bey am _ 
deren bloß in den Folgen. Nichts ifi fo verwickelt, 
als das KHanbelsintereffe. Die Einfuhr einer frems 
den Ware kann zuvörderjt das Intereſſe der Einheimi⸗ 
ſchen befördern, welche die ausgeführten Waren lies 
ferten, für welche jene die Bezahlung find. Die Eins 
fuhr kann ferner nüglich feyn zur Beförderung der 
Manufacturen, indem fie diefelben mit angemeffenen 
Materialien verfiepe. Wenn indeß die ganze Manus 
factur bloß zum einheimifchen Verbrauche der Pros 
duete beftime ift; fo wird doch das Mationalinterefje 
im Ganzen durch die Einfuhr jener Materialien lets 
den, Die Einfuhr der Weine und Brandtemeine iſt 
in den nordifchen Ländern ein geoßes Erſparniß an tes 
bensmitteln, da die aus Korn deſtillirten Brandtes 
weine zum Erſatze diefer dienen. ft aber die Unters 
fuhung der eingeführten Artikel und ihres Werthes 
für den Stat angeſtellt, und die Berechnung des Vors 
theils und Nachtheils im Verhaͤltniſſe zum Auslande 
gemacht; fo muß jeder dem Handelsintereffe des Stats 
nachtbeilige Artifel der Einfuhr abgefchnitten werden; 
und wenn, nachdem diefes gefcheben,. die Folge ein 
allgemeines Aufhoͤren der Einfuhr zeigen ſollte, dann 
iſt der fremde Handel mit Anſtand begraben, ohne 
irgend eine gewaltſame Revolution, weil der Regent 
allmaͤlig und Stufenweiſe zu Werke gieng, und ſich 
beſtrebte, die einheimiſche Conſumtion zu vergrößern, 
nah Maaßgabe, daß die induſtrioͤſe Claſſe gezwun⸗ 
gen wurde durch die anderen Operationen, muͤſſig zu 
ſeyn. Hat der fremde Handel ein Ende, fo wird die 
Zahl der Einwohner fih auf die Proportion der. im 
Lande vorrärhigen: Nahrungsmittel reduciren, menn 
der vorherige Wohlftand fie über dad Maap-diefer ges 
Buble's Geſch.d. Philoſ. Vi. B. B fuͤbtt 


18 | Gefchichte der feuern Philoſophie | 


führe hatte. Der Mationalteichthum muß beyſam⸗ 
men ‚gehalten werden, und nur fo eirculiren, daß es 
Keinem au Unterhalte und Beſchaͤfftigung gebricht. 


Sollte auch eine Nation einmal ſo wenig Han⸗ 
del mit fremden Waren haben, ſo wird doch immer 
von außen Nachfrage nach dem Ueberſchuſſe ihrer eis 
genen natuͤrlichen Producte ſeyn; und dieſe wird alle⸗ 
mal Mittel gewaͤhren, den Nationalreichthum zu ers 
boͤhen. Wird die Ausfuhr der Lebensmittel befördert, 
. während doch manche Mienfchen im Lande Mangel dars 
an: leiden, fo wird eine Einfchränfung der Ausfuhr 
dieſer Inconvenienz nicht begegnen; denn der Arme 
wird ſtets in demfelben Zuftande bleiben, wenn er 
auch in die Lage gefeßt wird, daß er die Nahrungs⸗ 
mittel feines eigenen Vaterlandes zu deggfelben Preife, 

wie Ausländer, faufen fann. Die Hehpturfache dies 
ſes Ppänomens liegt alsdenn in dem Uebergewichte 
der Manufacturarbeiter. Beil ihrer zu viel find, fo 
entſteht eine Concurrenz unter ihnen wegen phnfifcher 
Bedürfniffe; der Preis ihrer Arbeit fälle unter den 
allgemeinen Preis des Unterhales im Auslandez 
ihr Antheil wird an die Ausländer verkaufe, und fi fi e 
— muͤſſen Hunger leiden. 


Der Regent an der Spige eines Iururiöfen Volks 
muß daher immer bier ein Gleichgewicht zu erhalten. 






ſuchen; und wenn ja eine Aufhebung desfelben noth⸗ 


‚wendig ift, fo iſt es doch weit beſſer, daß fie durch 
das Uebergewicht der Machfrage beftimt werde. 


Ale Aufbebung des Gleichgewichts iſt ſchaͤdlich 
und von nachtheiligen Folgen. Iſt die Zahl der Mas 
nufacturen und, der. Theilnefmer- und Arbeiter dabey 

zu —— a, wird die induſtrioſe Claſſe Mangel lei⸗ 
Renz 


waͤhrend d. achtz. Jahrhund. b. auf Kant. 19 


"den; man wird die ihnen gebuͤhrenden Lebensmittel 
ausführen; die Nation gewinne bey der Bilanz tes 
Handels mit dem Yuslande; aber fie fcheine gewiflers 
maßen ihre. eigenen Mitglieder zu verfaufen. Hat 
aber die Machfrage das Uebergemicht, fo muß zwar 


der Luxus fleigen; allein der Arme wird auf Koſten | 


des Reichen ernährt, und der Nationalreichthum bleibt, 
wie er war. Beym Aufhoͤren des Handels der Frem⸗ 
den daher, muß der Regent entweder fein Volk Preis 
Heben, oder er muß den Luxus begünfltigen. 


Hat der Regent fire fein Intereſſe in Abſſcht des 
Handels der Fremden geforge, fo muß er den Bli 
defto beftimter auf das einheimifche Intereſſe richten, 
Er muß die Fortfchritte des Luxus in Ordnung halten 
der Summe der Hände gemäß, die bereit find, zur 
Befriedigung der Beduͤrfniſſe des Luxus zu arbeiten. 
Er muß ferner der Vermehrung der Volksmenge 
Schranken feßen nach Maaßgabe der Ausdehnung 
und Fruchtbarkeit des Bodens. Er muß endlich das 
Volk in Claſſen theilen, wie die Umftände, welche 
er in feiner Gewalt hat, es mit fich bringen mögen. 


Stevart bemerfe richtig, daß der Fortfchritt 
des Luxus einem großen Reiche weniger ſchade, als 
einem Pleinen State. Uufmandsgefege find heilfam 
in einer deurfchen NReichsftadt; in tondon oder Paris 
wuͤrden fie -verderblich feyn. Die Einrichtung einer 
ftebenden Armee in einem völlig bevoͤlkerten und reichen 
Lande fönte beytragen, den Luxus zu vermindern, und - 
einem zu großen. Uebergemwichte der Machfrage und 
bem Steigen der Preife zuvorzufommen, mas alle 
| Dokus zu einem Handel der Fremden abfchneiden 
würde. 


— B2 Die 


20 Gecchichte der neueren Philofophie 
| Die natürlichen Wirkungen diefer Revolution 


in Hinficht auf den Geift, die Negierungeform und 


Sitten eines Volks, das aus einem induftriöfen und 
feugalen, Iururiös und verfeinert geworden ift, find 
im Allgemeinen diefe: Die Kaufleute ziehen ihre Cas 
pitalien zurück, fo wie der Handel abnimt, und leis 
‚ben fie an tandeigenehümer ihrer Marion aus, die das. 
durch in den Stand gefeßt werden, luxurioͤs zu leben, 
Dies entſchaͤdigt die induftriöfe Elafje für den Verluſt 
der Nachfrage der Fremden. Wenn das Geld, das 
vorher angelegt ift, um mehr zu gewinnen, nun im 
Innern des Stats circulirt, um überflüffige Pros 
ducte hervorzubtingen, und die einheimiſche Conſum⸗ 
tion zu vergrößern; fo ſcheint das fand täglich wohl⸗ 
habender zu werden. Die Kaufleute und Manufacrus 
‚ tiften, die fi vorher bloß auf Befriedigung ihrer 
Ddringendften phyſiſchen Bedürfniffe einfchränten muß⸗ 
gen, leben unter diefen Umftänden bequemer; fie vers - 
größern ihre Conſumtion, und das befchleunige wies 
der den Umlauf des Geldes. Kin Anſehn von Fülle 
und Wohlhabenheit verbreiter fich über das ganze and, 
und was zu feinem Verderben gereichen zu wollen fchien, 
wird nun in feinen Folgen das Mittel feines 
den Wohlftatides. 


Der Reichthum kann uͤberhaupt von dem Regen⸗ 
ten aus drey verſchiedenen Geſichtspunkten betrachtet 
werden: als eine Mine, wenn er verſchloſſen iſt; als 

ein Gegenſtand des Handels, wenn er gebraucht wird, 
am mehr zu gewinnen; als ein Öegenftand des Luxus 
und Fond zu Taren, wenn er zur "Befriedigung polis 
tifcher Bedurfniffe diene. Die allgemeine Difpofition 
der Einwohner "jedes Landes in Beziehung auf Geld 
Tape ſich auf die eine oder die andere nr drey Modis 

fiiea⸗ 


— d. ih. Sahrhund. 6. pr Kant, 21 


ficationen bringen. Es ift die Angelegenheit eines Res 
genten, auf den Geiſt feines Bolfs zu wirfen, fo daß 
erden Geſchmack desfelben an Ausgaben gewiffer Art 
unmerklich modellirt, und ihn demjenigen Principe anas 
fog macht, welches der Nationalwohlfarth am anges 
mefjenften iſt. Das Schäße fammeln bey Privatpers 
fonen kann fchwerlih immer dem Starte vortheilhaft 
ſeyn; wenn aber der Star Schäße ſammelt, iſt ber 
Fal ganz anders. Während das Geld angelegt wird, 
um mehr zu verdienen, kann es niemals dem Eigen⸗ 
sbümer Gewalt oder Anſehn verfchaffen; aber wird 
es in dem letztern Falle zur Befriedigung von Bes 
duͤrfniſſen angewandt; dann erwirbt es in der Hand 
eines Ehrgeizigen Macht und Anſehn; es kann folge 
lich mit jenem Einfluffe rivalifiren, den Niemand ha⸗ 
ben follte, als diejenige Perfon, welche fih an dee 
Gpiße des States befinde. Dann ift es die Mutter 
der Factionen, und die Wurzel, aus welcher alle 
dem State verderbliche Parteyen entfpringen. Durch 
folche Mittel werden Staten, (ihre Reyierunsform mag 
gut oder ſchlecht feyn), in Anarchie gebracht. Privat; 
reichtbum verdarb und zerftörte zulege die Roͤmiſche 
Mepublif; und — — allein gruͤndete die 
Freyheit der Niederlande auf den Ruinen dee Spas 
nifchen Thranney. Sobald daher die Einwohner eis 
nes fandes anfangen, ihre Reichthuͤmer zur Befrie⸗ 
digung ihrer Meigungen anzuwenden, muß der Mer 
gent anfangen, für feinen eigenen Reichehum Sorge 
zu tragen, um die Guperiorität zu behaupten, mels 
che derjenigen Perfon wefentlich nothwendig ift, die 
jedes Princip öffentlicher Handlungen beftime und leis 
tet. Iſt diefes nicht in feiner Gewalt, fo wirb auch 
» feine Macht bald verfchwinden, und bie —— 


form wird ſich Andern. 
” 3 Ein 


22. Geſchichte der neuern Philoſophie 


| Ein Regent erwirbt aber Reichthum durch Auf⸗ 

lagen auf fein Voll. Raͤubereyen find Taren eines 
Defpoten; KRopffteuer, Landtaxe, und andere, -wels 
che die Perfonen betreffen, find Taren eines Monars 
hen; im befchränkten Regierungsformen werden Abs 
gaben auf die Confumtion gelegt. Die erfteren zerftös 
gen Alles: die anderen hindern das Steigen des Mas 
tionalreichthums; die leßteren beſchleunigen die Ver⸗ 
ſchwendung. 


Wenn man dieſe Theorie — und die 
Gruͤnde, auf welchen ſie beruht, mit der Theorie des 
Adam Smith und ihren Gruͤnden vergleicht; fo 
wird man leicht einfehen, daß fie fich nicht gegen diefe 
behaupten kann; und daß der von dem erftern bey feis 
nem Raiſonnement begangene Fehler in der falfchen: 
Anwendung eines Princips liege, was Smith im - 
Allgemeinen als gültig anerkennt, von welchem er 
aber einen ganz andern Gebrauh macht. Mur bey 
der Freyheit dee Befchäfftigungen, „dee Gewerbe, des 
Verkehrs und Handels, kann der Nationalreichtpum 
erhalten werden und gewinnen, nehmlich in einem 
State, wieder Britifche. Wird die Concurrenz bey 
einem Gewerbe zu groß, fo wird das Intereſſe der 
Tpeilnehmer fie bald bewegen, es zu verlaffen, und 
einen andern Mahrungszweig aufjufuchen. Das Vers 
hungern von überflüffigen. Manufactuciften kann, wie 
Smith gezeigte hat, nur in einem State ſich ereigs 
nen, wo die Freyheit von einem Mabrungszweige zum . 
andern Überzugeben durch Polizegeinrichtungen. bes 
ſchraͤnkt oder aufgehoben ift. Gerade das, was Sta 
vart empfiehle, eine willführliche Leitung des Acker⸗ 
-baues, der Induſtrie, und des Handels der Untertha⸗ 
nen durch den Regenten, weben er ſogar ſo weit geht, 
— das 


während d. achtz. Jahrhund. b. auf Kant. 23 


das Begraͤbniß alles auswaͤrtigen Handels, wenn 
die Bilanz zum Vortheile des Auslandes iſt, anzu⸗ 
rathen, wuͤrde unfehlbar den Ruin einer Mation nach 


ſich ziehen. 


Der intereſſanteſte und lehrreichſte Theil des Ste⸗ 
vart'ſchen Werks iſt unſtreitig das dritte Buch vom 
Gelde und dem Muͤnzweſen. Hier hat er gruͤnd⸗ 
licher unterſucht, und iſt tiefer eingedrungen, als 
Adam Smith. Er redet hier ſehr ausfuͤhrlich vom 
Gelde, als Zeichen eines beſtimten Tauſchwerthes; 
vom kuͤnſtlichen oder materiellen Gelde; von der Un⸗ 
tauglichkeit der Metalle, einen unwandelbaren Maaß: 
ſtab des Taufchwerches abzugeben; von den Mechos | 
-Den, die mancherley Inconvenienzen zu verringern, 
denen das marsrielle Geld unterworfen iſt; von den 
Veränderungen, denen der Werth der Geldprobe durch 
jede Unordnung im Münzwefen ausgefegt ift; von 
ben Folgen, welche die WVeränderungen bes innern 
Werthes dee Geldprobe für jedes einheimifche Inter⸗ 
effe einer Mation har; won mehreren Unordnungen ins 
Britifchen Münzwefen, und den in demfelben zu vers 
fhiedenen Zeiten vorgenommenen Aenderungen; von 
den zweckmaͤßigen Methoden, den nachtheiligen Fols 
gen berfelben abzuhelfen. Diefe Unterfuhung Ste 
vart's, das Geld und Münzmwefen betreffend, iſt 

von der Art, das fie feinen Auszug. leider. | 


Er geht mum im vierten Buche *) zu der Leh⸗ 
re vom Credit, von Schuld, und Zinfen über, 
- Smith hatte den Sag aufgeftelle, daß der niedrige 
fe Zinsfuß allemal das ficherfte Zeichen des Wohl⸗ 

ſtan⸗ 
*) Ssevars Vol, II, p. 135 fq. | 
’ > ri BA 


24 Gefchichte der neuern Philofophie 


ftandes einer Marion fey. Sein Zeirgenoffe hingegen 
bejzweifele dieſen Satz. | 4 


Es ift überhaupt nichts ſchwieriger, als zu bes 
fliimmen, ob der Handel für eine Marion vortheilhafe 
oder unvortheilbaft fey. Dies wuͤrde nicht der Fall 
feyn, wenn der Zinsfuß von dem vortheilhaften oder 
unvortheilhaften Zuſtande des Handels ein ficheres 
Zeichen wäre. Man fann fagen, niebrige Zinfen 
feyen dem Handel Außerft günftig; aber man kann 
nicht fagen, fie find ein genauer Maaßſtab des Bors 
theils, welcher dadurch gewonnen wird. Das. befte 
Argument für Die legtere Behauptung. ift folgendes: 
Die Marion, welche auf fremden Märkten am wohl: 
feitften verkauft, wird immer beym Handel worgezos 
gen; und fonah, wo der Gebrauch des Geldes am 
wohlfeilften ift, Fann.auch der Kaufmann die niedrig: 
ften Preife Halten. Stevart erwiedert hierauf: 
Diefe Confequenz würde nur dann richtig feyn, wenn 
aller Handel mie erborgtem: Gelde geführt wiirr 
de, und wenn die DVerfchiedenheit des Preifes der 
Materialien, die Leichtigkeit, fich dieſelben zu vers 
fchaffen,, die Prompeheit der Zahlung, die Induſtrie 
und Gefchicklichkeie der Manufacturiften, für nichts 
gerechnet werden. Gleichwohl finden ſich häufig bey 
Diefen Artikeln fo große Vortheile, daß fie mehr als 
hinreichend find, die Zubuße von Zinfen aufzumiegen, 
die für das im Handel angelegte Geld bezahle werden. 
Es ift dies fo wahr, daß wir fehen, mie allein die 
Geſchicklichkeit eines Handwerker, der in der 
Hauptſtadt lebt, wo die febensmittel noch einmal fo 
theuer find, als auf dem Lande, ihn in den Stand 
ſetzt, überall wohlfeiler, als feine Mitbewerber, zu vers 
faufen; und basfelbe gilt von allen übrigen — 

| ie 


— 


* 


"während d. achtz. Jahrhund. b. auf Kant. 25 
Die Gegenſtaͤnde des Handels find Naturpros 


ducte und Manufasturwaren. Wenn Jemand den 


Werth diefer erwägt, bevor fie in die Hände der Kauf⸗ 
deute fommen, und denfelben mit dem von den Land⸗ 
eigenrhümern und. Manufaceuriften erborgten Gelde 
vergleicht, um fie zu Marfte zu fördern, fo wird die 


Proportion fehe klein ſeyn. Man bemerfr taͤglich, 


daß ſinnreiche Kuͤnſtler, die nur fuͤr kleine Summen 
Credit bekommen, bald dadurch mit Huͤlfe ihrer ei⸗ 
genen Induſtrie es ſo weit bringen, daß ihre Waren 
einen außerordentlichen Werth erhalten, und daß ſie 
nicht bloß ihre Subſiſtenz gewinnen, ſondern auch 
reich werden. Die Zinſen, welche fie für das ers 


borgte Geld bezahlen, find unberrächtlih in Vers 
gleichung mit dem Werte, der Durch ihre eigene Ans 


wendung ihrer Zeit und Talente hervorgebracht wird. 


Man Fönte einwenten, es fen dies eine vage Bes 
hauptung, die durch feinen Beweis unterflüße werde, 
Stevart entgegnet: Der Werth einer Manufacturs 
ware laſſe ſich fchägen nach der Proportion zwifchen 
der Ware, wenn fie zu Marfte gebracht wird, und 


den rohen Materiallen. Nichts als die ropen Mas, 


terialien und die zuc Manufactur erfoderlichen Werk⸗ 
jeuge koͤnnen für Gegenſtaͤnde des erborgten Gels 
des angefehen werden; wenn man nicht fo weit 


gehn will, die Nahrung des Manufacturiften und je⸗ 


de Ausgabe desfelben mit in Anfchlag zu bringen, und 
vorauszufegen, daß auch diefe vom erborgten Gelde 


beftrieeen würden; was gleihmwohl eine ungegründete 


Vorausfegung feyn würde. 


Der Gegenftand des erborgten Geldes demnach 


zur Führung eines Handels ſteht in näherer Bezie⸗ 
bung zu. dem Kaufmanne, als zu dem Manufacturi⸗ 
5 5 ſten. 


\ 


— 


J 


ei 


26 Geſchichte der neuern Philoſophie 


ſien. Borgen iſt nothwendig, um alle — 
duete und Manufacturwaren in den Haͤnden der Kauf⸗ 

leute zu vereinigen. Dies iſt ohne Zweifel die gemein⸗ 
ſte Operation des Credits. Zinſen werden hier von 
— Dem Gelde gegeben, um den Glaͤubiger für den Ges 
‘ - brauch feines Geldes zu entfchädigen; aber dieſe Zins 
fen ift der Borger allein fehuldig von der Zeit an, da 
er diejenigen bezahle , von denen er Maturproduete und 


Manufacturwaren einkauft, bis zu der Zeit, da.ee - 


die Bezahlung von denjenigen empfängt, an weihe 
er verkauft. Diefe Zwifchenzeit abzufürgen, ift für 
den Kaufmann von der höchften Wichtigkeit. Ge - 
länger diefelbe dauert, und je höher die Zinfen find, 
welche er zu. bezahlen hat, um defto höher muß er feis. 
ne Preife anfegen; anftatt daß eine prompte und res 
gelmäßige Bezahlung von feinen Abnehmern, und 
niedrige Zinfen, ihm erlauben, die Preife zu vers 
mindern. Ob die Kaufleute ihren Gewinn bey allen 
handelnden Nationen nach der genauen Proportion 
der refpectiven Zinfen, und der Promptheit der Bes 
zahlung, welche fie empfangen, reguliten; oder ob 
jener dur die Umflände in Anſehung der Machfrage 
‚und Eoncurrenz auf den verfchiedenen. fremden Märks 
gen, wo der Handel geführt wird, beflime werde; 
überläße Stevart den Kaufleuten zu entfcheiden. 
Dur erinnert er, daß ein wohlgegruͤndeter Eredit und 
prompte Bezahlung der Abnehmer, dem Handel mehr 
Dienfte leiften werden , als irgend ein Vortheil, wels 
- hen Handelsleute von der Berfchiedenheit der Zinfen 
in verfchiedenen Ländern ziehen koͤnnen. 

Man muß indeß dies nicht fo verſtehn, als ob 
niedrige Zinfen Bein großer Vortheil fir den Kandel 
wären. Was Stevart behaupte, iſt nur, daß 
fie kein ficherer Maaßſtab feines Flors find. h 5 

* | | v 


, 


während d. achtz. Jahrhund. 6. auf Kant. 27 


Noch auf einen andern Umſtand macht er aufs 
merffam, der in unfern Tagen die Nationen vielmehr 
mit einander in ein Gleichgewicht feßt, als fie ehedem 
waren. Dieſer ift die allaemeine Zinspflichs 
tigkeit (average), welche die großen Laften der Mas 
tionalfchulten, und die Ausdehnung des Credits über 
Die verfchiedenen Mationen Europa’s, welche jährlich 
ihren Gläubigern große Summen an Zinfen bezahs 
len, bewirkt haben. Man nehme an, daß die Hols 
länder den höchften .Zinsfuß auf drey Procent beftimt 
haben, dann laͤßt fih behaupten, daß, fobald die 
allgemeinen Statsinterefien über diefen Zinsſuß bins 
ausgehen, man aus dem Preife der öffentlichen Fonds 
in Frankreich und England ficher ſchließen könne, daß 
ihe Handel nicht mit einer irgend beträchtlichen Sums 
nie geführt werde, die zu drey Procent geborgt iſt. 
Die Folge muß hiervon feyn, daß das Geld, mas 
in die Hände der frugalen Holländer als Gewinn 
fomt, in andern Ländern angelegt wird, mo es mehr 
Einkünfte bringe, nach Abrechnung der Koften der 
Verſendung und Einziehung. 


Was Einige verleitet hat, zu glauben, daß nies 
drige Zinfen der Barometer vom Zuftande des Hans 
dels feyen, iſt die von ihrien gemachte Beobachtung, 
daß in einigen der größten Handelsftädte die Zinfen 
geringer find, als in andern großen Reichen, wo der 
- Handel nie bluͤht. Mah Stevarı’s Meynung 
rührt dies aber lediglich von der Frugalität der Lebens⸗ 
weiſe und Sitten her, welche das Borgen von reis 
hen teuren in der Abſicht, das Geld zu verfchwens 
den, unmöglich mache. Geſchieht diefes, und bleibe 
der Handel allein übrig, der die Stagnationen der 
von frugalen Geldbefigern — Capitalien hin⸗ 

dert; 


28 Gefchichte der feuern Philoſophie 


dert; ſo muͤſſen die Zinſen ſo weit herunterſinken, wie 
es dem Gewinne, der ſich damit machen läßt, ange 
meſſen if. Diefer Gewinn wird aber von Tage zu 
Tage immer geringer werden, nad Proportion des 
Credits und der Circulation dee öffentlichen Fonds 
bey verfshiedenen Nationen. 


Wenn der Mationafreihrfum zunimt, fallen 
auch die Zinfen, jedoch unter der Vorausſetzung, daß 
Luxus und Verſchwendung nicht zugleich im Verhaͤlt⸗ 
niffe mit dem Nationalreichthume fteigen. Mint man 
‚auf diefe Borausfegung feine Rückfiht, fo ift der 
Sag falfh. Es find die Sitten eines Volks, nicht 
. feine äußern Umftände in Anſehung des Reichthums, 
welche dasfelbe frugal, oder ausfchweifend verfehwens 
derifch machen. Was daher von dem Geifte eines 
Volks abhängt, kann nicht geändert werden, als nur, 
wenn eine Veränderung jenes Volksgeiſtes erfolgt. 


Iſt der Zinsfuß fehr Hoch wegen des Hanges zur 
Verſchwendung, der in einem Wolke berrfchend ges 
worden ift, fo mag der auswärtige Handel noch fo 

. große Geldfummen in’s fand bringen; die Zinfen wers 
den immer hoch ſtehen, bis die Sitten fich ändern. 
Jede Claſſe eines Volks Hat ihren eigenen Geift, Des 
frugale Kaufmann wird Reichthuͤmer anhäufen, und 
der verfchwenderifche Lord wird fie borgen. Syn dies. 
fer age der Dinge wird die innere Circulation fehnels 
ler werden, und die Ländereyen werden von Hand zu 

Hand gehen. Bewirkt diefe evolution nach und. - 

“ nach ein Correctiv der Verſchwendung, indem das 

Eigenthum in die Hände derer komt, denen die Grus 

galicät zur Gewohnheit geworden iſt; fo. fann wies 
derum die Vermehrung des Nationalreichthums das 

Einen der Zinfen befördern, Wenn aber im Ges 

er gens 


während d. achtz. Jahrhund. b. auf Kant. 29 


gentheile Gefege und Sitten eines- Landes die Volks 
elaſſen nach ihrer Lebensart, und nach der Befchaffens 
beit ihrer Ausgaben, fcheiden; fo ift Zehn gegen Eins 
zu verwerten, daß der induftridfe und frugale Kaufs 
mann bald wiederum die Molle eines verfchwenderis 
ſchen Edelmanns fpielen wird, fobald es ihm geluns 
gen tft, ein artiges Landgut zu erwerben. In mans 
chen tändern hat fogar das Andenken an die vergans, 
gene Juduſtrie, mir welcher Jemand fein Vermögen 
erwarb, etwas Werächtliches, das nur durch eine 
ausjchmweifende Lebensart abgewifche werden kann. 


Auch die Lehre von den Banken hat Stu 
vart ausführlicher, deutlicher und vollſtaͤndiger ers 
drterr, als Adam Smith, under ift für diefe Mas 
terie als einer der erften und beften Schriftfteller zu 
betrachten. Es ift aber auch dies ein Gegenftand, 
defien Theorie, fo wie fie von Stevart vorgetras 
gen ift, ich one zu große Weitlaͤufigkeit nicht ents 
wickeln fann. Aus der folgenden tehre vom öffentr 
lihen Credit will ich hier nur das Raifonnemene 
desjeiben uber Geldanleihen auf den Lünftigen Ertrag 
von Taren zur Bejablung des Capitals und der Zin⸗ 
ſen aus heben. 


So lange die oͤffentlichen Ausgaben aus den 
Schaͤtzen des Stats beſtritten wurden, war uͤberhaupt 
oͤffentlicher Credit eine unbekante Sache. Wurden 
ſie durch Raͤubereyen und Erpreſſungen heſtritten, kon⸗ 
te er gar nicht exiſtiren. Waͤhrend der Einfachheit 
der alten Sitten, da es weder Induſtrie, noch Cir⸗ 
eulation, gab, war der Credit unnöchig; der Münzs 
vorrath war mehr als hinreichend, um jeden Taufchs 
zweck zu erreichen. Als Handel und Induſtrie ans - 
fiengen, Fortſchritte in Europa zu machen, . 

ans 


30  Gefchichte der neuern Philofophie 


-  Hänfeeftädten und den Kepublifen Genua und Vena - 
Dig, wurden die Folgen ihres Credits bald von den 
Regenten empfunden, die auf eine verkehrte Weiſe ans 
fiengen, das Beyſpiel derſelben nachzuahmen: zuerſt, 
indem fie Geldſummen auf ihre Domaͤnen und Sta⸗ 
. gen als Pfandftücke borgten; hernach, indem fie Tas 
gen auflegten und diefelben für den höchften Preis vers 
pachteten oder verkauften, den fie von raub: und ges 
winnfüchtigen Menfchen dafür erhalten fonten. Dies 
bewirkte Linterdrücung und Ausfaugung der Unter⸗ 
thanen, und zog alfo wiederum die Armuth der Mes 
genten nach fih. Die Taren gleihwohl, die einmal 
auf dDiefe gewaltſame Weife aufgelegte wurden, oder 
bey dringenden VBeranlaffungen, wurden von Zeit zu 
Zeit vermehrt und volljtändiger eingerichtet, und mach⸗ 
ten nun einen reichen Fond aus, ber zu einer Grund⸗ 
Tage für öffentlichen Eredie dienen Ponte Wurden 
Zaren bloß für Zeicbedärfniffe angeordnet, zur Be 
zahlung gewiſſer vom State contrahirter Schulden; 
fo war die Aufmerdfamkeit beyder, des Stars und 
der Darleiher, gänzlich auf die Abtragung des Cas 
pitals gerichtet. Uber nach Maaßgabe der Vermeh⸗ 
zung des Geldes in Europa zufolge dem ganzen Sys 
fleme der neueren politifchen Defonomie, bildeten die 
Darleiher fich felbft ein neues Intereſſe, nehmlich bie 
. Erwerbung dauernder Zinfen von einem) transferabeln 
Capitale. Um diefe Veränderung der politifchen Des 
konomie, vom Borgen mit der Abficht, das Kapital 
wieder zu bezahlen, zum Borgen mit der Abficht „ 
permanente Intereſſen zu bezahlen, defto anfchaulicher 
zu machen, bat Stevart die Gefchichte des oͤffent⸗ 
lichen Eredits in England bis zum Ende des fiebzehns 
ten Jahrhunderts entwickel. Die ganze Verfchiedens 
heit des damaligen. Syſtems des öffenslichen Credits 
Ä | | | und 


während d. achtz. Jahrhund. b. auf Kant. 31 


und des gegenwaͤrtigen, entſprang hauptſaͤchlich aus 
der Verſchiedenheit der Circulation des Geldes, und 
aus den Mitteln, auf welche man nun verfiel, ums 
die Quantitaͤt des Geldes im Verhaͤltniſſe zu den Bes 
- bürfuiffen zu en ‚ wozu man es gebrauchen 
wollte. ' 


Sehr intereffant ft die Vergleichung, welche 
Stevart zwifchen dem öffentlichen Eredite Frank 
reichs während der Adminiftration des Cardinals R is 
chelieu, und dem öffentlichen Eredire Englands nach 
der Revolution, macht. Beſonders hebt er den Eins 
fluß hervor, melchen die verfchiedenen Regierungsfors 
men beyder Länder auf die Feſtigkeit ihres öffentlichen 
Credits haben, ſowohl beym Eontrapiren als beym 
Abzahlen der öffentlichen Schulden. 


In Frankreich gewährt die Macht des Regenten 
manche Hilfsmittel, Capitalien abzuzaplen, die in Zeis 
ten oͤffentlicher Verlegenheit zu erorbitanten Zinfen was 
ten geborgt worden. In England ift die befchränfte 
Mache der Krone, und die Berantmwortlichkeit der Mis 
nifter für die Ausuͤbung derfelben , eine große Sichers 
heit für diejenigen, welche dem State Geld leihen, 
und das bewirkt auch den ſehr großen Vortheil, Schuls 
den auf erträgliche Bedingungen contrahiren zu koͤn⸗ 
nen. - Se länger die beyden Staten neben einander bes 
ſtehen, defto größer wird auch dieſer Vortheil für dens 
jenigen werden, ber auf’s firengfie feine. öffentlichen 
Verpflichtungen refpectire. Vergleicht man den Eres 
dit von Franfreich und England; fo ift der Unterfchied 
beyder ſehr auffallend und merfwürdig. Die firengfte 
Beobachtung der Treue gegen öffentliche Verpflichtun⸗ 
gen bat, in England einen ſo delicaten und ſtrupuloͤ⸗ 
fen Credit beoriuder/ daß die geringſte Abweichung 

von 


32  Gefchichte der neuern Philoſophie 


von den Principien desſelben dem ganzen Syſteme 
verderblich werden kann. Der Credit Frankreichs 
auf der andern Seite iſt auf eine minder delicate Art 
behandelt worden; und die häufigen: Gewaltſtreiche 
zum Nachtheile der Gläubiger, . verurfachen ein tem⸗ 
poraͤres Stocfen und eine gänzliche Zerftörung desfels 
ben für die Zufunfe. Solche Gemaltftreiche, wenn 
auch unter kritiſchen Umftänden, find Außerft ſchaͤd⸗ 
lich, und der Vortheil eines wohl gegruͤndeten Eres 
dits wird nach allee Wahrfcheinlichfeit entweder diefer 
Marion in Hinficht auf ihr eigenes Intereſſe die Aue 
gen öffnen, oder Ungluͤcksfaͤlle über fie bringen, die 
man jedoch in der gegenwärtigen tage wenig zu fürchs 
ten bar. Die Erfahrung unſerer Tage bat gelehrt, 
wie wahr Stevart prophezeiht habe. a 


Die Anleihen auf permanente Intereſſen vertbeis 
digt Stewart befonders gegen Davenant, einen 
der beften Altern Engliſchen Schriftſteller über, das 
Sinanzwefen. Davenant fchrieb zur Zeit der Res 
volution um das Jahr 1688, alfo in der Epoche, mit 
welcher die Wera des öffentlichen Credits in England 
beginnt. Er harte viel über feinen Gegenſtand nach— 
gedacht, beſaß Sachkentniß, und war von edlem 
Patriotismus beſeelt. Wie andere große Männer 
feiner Periode, war er der Meynung, daß Geldans 
feiben auf kurze Zeit, fo daß alsdenn das Capital wies 
Der abgetragen werde, weit den Geldanleihen auf bes 
ſtaͤndige Zinfen vorzuziehen wären; und der rarpfanıs 
fte Finanzplan unter allen, falls er nur irgend realis 
fire werden koͤnte, fchien ihn, bloß inimer das Geld 
. für die. Bedürfniffe des nächften Jahrs zu erheben. 


Die Menſchen harten damals eine Furcht vor dem 
Eontrapiren von Statsſchulden. Sie betrachteten 
Be 


mährend'd. achtz Jahrhund. b. auf Kart. 33 


EHEN, wie einen Privatmann, deſſen Intereſſe 
nur einfach iſt, umd ſich auf ihn ſeibſt allein besieht. 
Fin dieſem Lichte erſchienen Gläubiger ale die futcht⸗— 
Bätften’Feinde. Die Miniſter ſahen fie ebenfalle von 
der Seite An, umnd dleſer allgemein herrſcheude Wahn 
trug ohne Zweifel viel. bey, daß die reichere Volkes 
iR) den Verlegenheiten der Regierung. toentger 


intereffitt war, und geneigt, jede Gelegenheit zur it 

rem Vortheile zu benußen, Die Negierung war t 

einem;beftändigen Kriege mit den Glaͤubigern. Wenn 
bar Geld in England fehlte, fo hatte fie nichts zu bes 
zablen, als Schatzkammerſcheine auf die Taten; und 
dieſe wurden leichter ausgegeben, als realiſirt. War 
ber Jahresbetrag einer Taxe angewieſen, fo hielt das 
Volk die. Sicherheit des künftigen Ertrags für ſehr 
precaͤr, wodurch folglich der Werth der Schatzkam⸗ 
merſcheine vermindert wurde. ee 


Injwiſchen gelang dieſe Methode in ‚der Abzah⸗ 
lung ‚bereits gemachter Schulden weit beſſer, als in 
der. Contrahirung neuer. Die Unannepmlichkeiten , 
welche Diejenigen erfuhren, die der Regierung Geld | 
vorgefchoffen hatten, da fie durch Anweiſungen auf 
durch Anticipation verpfaͤndete Taxen hezablt wurden; 
machten in der ‚Folge: ſehr mistrauiſch. Nun beugte 
zwar die beſchraͤnkte Form der Engliſchen Regierung 
einem ‚gewaltfamen Verfahren der Minifter gegen die 
Starsgläubiger vor, wie es in Frankreich gewoͤhnli 

war; und diefer Umſtand half ſehr viel, den Eredi 
Englands auf einen beſſern Fuß zu gründen. Gleich— 
wohl das lange Warten auf die Bezahlung des Car 
bitals und der Intereſſen durch einen entfernten Fond, 
bewog Davenanren zu befaupten, dag 700000 P. 
Gt; in barem Gelde weiter reichen wuͤrden, als eine 
Bubhles Geſch. d. Philof. vı 2. € Mit 


® Bi 


* 


34. GSecſchichte der neuern Philoſophie ;-; 


| Million in Schatzkammerſcheinen. ‚Dennoch hielt er es 


für beſſer fuͤr den Star, eine Million nach dem, Pla— 
ne zu borgen, daß die Schuld in drep ober vier Jab⸗ 


ren abgegahlt wärde, ale 700000 ff. Sterl. auf: Ko⸗ 


ſten beſtaͤndiger Intereſſen zu 8 Procent anzuleihen. 


Noch kamen andere Betrachtungen hinzu, wo 
durch Davenant beſtimt wurde, kurze zoblunus 
fonds ben permanenten Intereſſen vorzuziegen. i 

Man glaubte damals allgemein, ( bbgleich Da⸗ 
venant bie Falſchheit des Vorurtheils zu zeigen ſüch⸗ 
te), daß Geld, das auf Antieipation eines Fonds 
angeliehen: werde, den man hebe und anmwende, um 


. die. Schuld zu bezahlen, feine Starsfchuld fey, weil 


es die, vorherigen Einkünfte nicht vermindere, Ein 
Beweis diefes herrſchenden Vorurtheils ift, daß ſelbſt 
Davenant, indem er von den Schulden Englands 

Dlachricht giebt während der Periode, da er fchrieb, 
dit. von der Revolution bis zum Ryswicker Frieden, 
immer genau die Summen bemerkt); die als Inter⸗ 


-effen dafür bezahle wurden. Die Menfchen dachten. 


damals nur an die Bezahlung der Eapitalien; und 


wenn diefe nuc in wenig Jahren ‚abgetragen würden, 


fo meynten fie, ſey es nicht dee Mühe werth, Ruͤck⸗ 
fiht darauf zu nehmen, was —* unter der Zeit ep 
fleten. 


So lange. Nationen im Kriege diefelbe Politik 


in ihren Merhoden, Geld zu erheben, beobachten, 


find die Arten ihres Verfahrens von ‚geringerer Ers 
heblichkeit. Uber wenn irgend einer diefer Staten eis 
ne Veränderung macht, modurch mehr Geld in. feing 
Hände fomt, als er vorher erhalten konte; fo made -. 
diefer Dane 68 den hen, € — re 

| n NZ di 


während d. achtz. Jahrhund. b. auf Kant. 35 


Diefelbe Methode zu befolgen. Als die Megenten noch 
Krieg führen mit dem Betrage ihrer Schäße und 
jährlichen Einkünfte, hieng der Zufiand ihrer Mache 
Yon dem Zuftande diefer Hülfsquellen ab. Auticipir⸗ 
ten fie ihre Einkünfte auf -benden Seiten für wenige 
Sabre, blieb noch immer dasfelbe Verhaͤltniß. Adop⸗ 
girten fie hernach lang entfernte Zahlungsfonds, fo 
vermehrten fich ihre Hülfsmittel; aber das Öleichger 
wicht ward erhalten. 


“. Der Mugen einer Unterfuchung dee Principien 
Des üäffentlichen "Credits befieht daher nicht ſowohl 
Darin, das Intereſſe der verjchiedenen Staten zu ents 
Decken, nach welcher fie eine Art des Eredits der ans 
deren vorzuziehen hätten, als vielmehr die Folgen jes 
ber derfelben einzufehen, und folche Methoden zu bes 
ſtimmen, die zunächft das Beſte des Stats als eines 
politiſchen Körpers für fich betrachtet, und dee Indi⸗ 
viduen, aus welchen er beſteht, befördern. 


Ein Gegenftand, defien Beziehungen fo manı 
nichfaltig find, mie diefer, iſt feiner Matur nach fehe 
verwickelt, die Folgerungen, Die man nur zu ahnden 
vermag, ‚müffen unbeftimter ſeyn; aber auf der ans 
deren Seite Plären fie doch den Verftand auf, und 
Heben ihm manche Winfe, welche mit der Zeit zum 
Beten der bürgerlichen Geſellſchaft ſich benugen laffen, 


Um’ zu-erflären, wie Davenant ein fo lebs 
bafter Feind lange entfernter Zahlungsfonds, und noch 
mehr beftändiger Zinfen, wurde, darf man nur dem 
Zuftand des öffentlichen Credits in England in ber 
Periode des. Ryswicker Friedens erwägen. Mach ibm 
betrugen die Statsſchulden Englands damals 174 
Millionen: W. Sterl. Bon - Summe war Ai 
in | 2 un 


36 Geſchichte der neuern Philoſophie 


funf Millionen Sterl. und ihre Abtragung oder 
Sicherung der Zinſen gar nicht geſorgt. Alle Taren 
wurden zur. Bezablung von Statsfchulden, " wenn 
diefe dringend notbwendig war, aufgeleger Iſt es 
alfo zu verwundern, "daß ein Mann, der feinem: Bas 
terlande wohl wollte, die Anleihen auf kurze Fond, 
möchten fie auch unter der Zeit noch fo viel often, den 
Anleihen auf’ beftändige Intereſſen vorzog, da er ſah, 
daß die Parlarhente nicht dahin gebracht werden‘ = 
‚ten, irgend..eine Tore nach Abtrag der Schuld, 
‚welchen fie aufgelegt war, einen Augenblick: unse 
befteben zu lafien? Außerdem war ſehr wenig bey 
Anleihen auf lange enefernte Fonds und befländige 
Intereſſen zu gewinnen, fo lange die Leiper ihren Bar 
theil hauptiächlich darin fegten, daß. die a 
ihres Capitals fundirt würde, 


Der Grund des ganzen Irrthums war, daß ver 

Handel damals erft anfieng, in England Wurzel zu 
faſſen, und daß. Captralien noͤtbig waren, um ihn 
zu führen. Der Gebrauch der Banken, um Eigen⸗ 
thum in Geld zu verwandeln, mar noch nicht entdeckt: 
Die Eireulation war auf das vorrärhige bare Geil 
eingefchränft, und die Vortheile des Handels warten 
ſehr groß. Alle diele Umftände gaben den Capitalien 
einen fehr hohen Werth, nnd fo fliegen auch die In⸗ 
tereffen zu einer erorbitanten Höhe, 


Diefe tage Englands vergleiche man ber mit 
der zu Stevart's Zeit. Würde von Groß: Brian 
nien das Capital von huridert vierzig Millionen - 2) 
Sterl. innerhalb weniger Jahre in die Hände der Glaͤu 
biger gebracht ; thaͤte Frankreich‘ auf der anderen Seh 
te Dasjelbe; welcher Handel könnte das Capital verſchlim 
gen?! "Die Capitalien baden nutiWertb wach” Pro⸗ 

por⸗ 


während d. achtz. Jahrhund. b. auf Kant. 37 


portion der Jutereſſen, weiche ſie einbringen, und ſo 
lange die Intereſſen, welche von oͤffentlichen Schul⸗ 
Den bezahlt werden, hinreichen, um eine völlige Cir⸗ 
eulation des Geldes zu erhalten, und nicht. mehr, fo 
werden die Intereſſen fo ſtehen bleiben, mie: fie find. 
Hört dies zufällig auf, wie in Kriegszeiten, fo bes 
merkt man, daß die Intereſſen fleigen, und wenn Die 
bezahlten Intereſſen mehr betragen, als für die Cir⸗ 
ceulation noͤthig ift, mie bey der Ruͤckkehr des Fries - 
—— ſo muͤſſen aus demſelben Grunde die Jutereſſen 
fallen. *F 


Davenant raiſonnirte, wie ein geſchickter Po⸗ 

litiker, den Thatſachen und Umſtaͤnden gemäß, die 
er vor fich hatte. Was auf weit entfernte Fonde ges 
borgt wurde, mard dem laufenden Einfommen des 
Stats aufgebürder, und das Parlament war fehr abs 
geneigt, Ddiefes im Verhaͤltniſſe der darauf gelenten 
Laſten zu vermehren. Dies war für ihm ein hinlängs . 
fies Argument, die kurzen Fonds zu empfehlen, 
oder feine Lieblingsidee, fo viel Geld innerhalb jedes 
Jahrs zu erheben, wie die Bedärfniffe des Stats ı er⸗ 
fodern moͤchten. 


Allein man kann vielmehr folgende Marime zum 
Grunde legen. So wie der Verkehr unter den Ins 
dividuen nicht die Proportion des in einem Lande ums 
laufenden Geldes überfchreiten fann; fo muß, auch der 
Regent, wenn er plöglich die Taren. auf fein Volk 
vermehren will,. ohne ibre Induſtrie zu unterbrechen, 
welches: dann noch nöthiger wird, als jemals, das 
umlaufende Geld vermehren im Verhaͤltniſſe der vers 
mehrten Machfrage nach demfelben. Die Mittel, 
wodurch dieſes gefchehen fann , werden von Gtevart 
umſtaͤndlicher angegeben. Ei Wirkung ift fi gi 
nt 3 ! ey 


38 Geſchichte der neuern Philoſophle 


ben einer Nation, wo die oͤffentliche Treue und Glau⸗ 
ben auf der feſten Sicherheit eines ſolchen Parlaments, 
wie das Beitifche, berupen, und auf der Berantworts 
lichkeie derer, welchen die Ausübung der koͤnigl. Mache. 
anvertrauet iſt. Stevart erläutert feine Marime 
Durch ein Beyſpiel. Ein Maun wollte das Waſſer, 
Bas bisher feine Kornmuͤhle trieb, zu einer Eafcade 
brauchen; nun fland aber die Mühle ftille; aber ans 
ftare diefee Mühle baute er fofort eine andere, welche 
vom Winde getrieben wurde, Das bare Geld ift das 
Waſſer; Banknoten find der Wind; und der Ges 
brauch beyder kann fehr zweckmäßig berechner feyn. 


Wird die obige Marime bey der Contrahirung 
neuer Statsfchulden vernachläffige, fo können die Tas 
zen nicht bezahle werden, das Geld wird zu felten in 
Mroportion mit der Nachfrage, die Isntereffen werden 
fteigen, und die Anleihen werden um fo drückender 
‚Für den Stat. Die Summen, die in’s Ausland 
gehen, mindern oft den einheimifchen Cireulations⸗ 
fond, woraus eine Menge von Inconvenienzen ent⸗ 
ſpringen. Um dieſen zuvorzukommen, thut Ste— 
vart den Vorſchlag, Anleihen in fremden Laͤndern 
auf Subfeription zu machen, wovon die Zinſen jaͤhr⸗ 
Sich bezahle werden. Dadurch fann der Regent. die 
in’s Ausland gehenden Summen derfen, und bie Ein 
eulation bleibt ſich gleich. 


| "Stevart zeigt hierbey, daß öffenkliches Ungluͤck 
oft mehr von einer ſtockenden Cireulation des Geldes, 
als von Befchränfungen des Eigentums herruͤhrt. 


Ein Regent, der.nicht jede Merhode anmwender, um die _ 


Geldeirculation in dem State, welchen .er regiert, zu 
erhalten, verſaͤumt das weſentlichſte Erfoderniß, um. 
* | | den 


während d. achtz · Jahrhund. b. auf. Sant. 39 


den Wohlſtand ſeines Volks und die Gründung feis 
nes eigenen Eredits zu befördern. E 


Zur Abzahlung der Schulden giebt Stevart 
ſechs Wege an mit Hülfe eines finfenden Fonds, 
Diefer kann 1) jährlich gebraucht werden, um ges 
wifie Capitalien nach Gutduͤnken des Stars abzutras 
gen ; oder die Abtragung kann geſchehen 2) nach einer 
gewiſſen Regel, wodurch die Präferenz beſtimt wird; 
: oder 3) duch Anwendung zur Bezahlung eines vers 
haͤltnißmaͤßigen Theils des ganzen Schuldcapitals; 
“sder 4) durch Meducirung der Intereſſen des Kapis 
als; oder 5) durch Verwandlung des Ganzen der 
Eapitalien in beftimte Aunuitäten, nach Proportion 
Des Umfangs des finfenden Fonds; oder endlich 6) 
Durch. totterieen, wo ‘der Stat gewinnt, was die 
Spieler Luſt haben, zu verlieren. Jede diefer Arten, 
die Starsfchulden zu bezahlen, bat ihre Vorteile 
und Nachteile; einige indeflen find offenbar, wenn 
Die Wahl frey ift, vorzüglicher, weil bey ihnen der 
Vortheile mehr, und des Nachtheile weniger find. 
gotterieen find unter der Borausfeßung zweckmäßig, 
daß die Intereſſen der Starsfchulden durch eine ges 
ſchickte Adminiſtration geringer geworden find, als in , 


irgend einem andern Theile von Europa. Sn dieſer 


Lage koͤnnen zufaͤllige Umſtaͤnde Fluctuationen im Prei⸗ 
ſe der Stocks veranlaſſen. Faͤllt der Preis zu ſehr, 
fo kann die Regierung Subferiptionen zu Lotterieen ers - 
öffnen, die in Stocks nad den Markıpreife bezaple 
werden, mit den laufenden Intereſſen und einer Pleis 
nen. Prämie. Dadurch wird die Summe der alten 
Capitalien reduciet, und Die Subferibenten gewinnen 
einen Beinen Vortheil. Hernach, wenn die Stocks 
Reigen, in wo. wiederum die Intereſſen von jenen 
C4 Sub⸗ 


— 


Geſchichte der neuern Philofophie- 1: 


Subſeriptionen redueiren, woraus. ein doppelter Vor⸗ 
tbeil entſpringt; die Stocks werden guf der einen. Seu 
ge im Preiſe erhalten, und das Capital der States 
fshulden auf der. anderen Seite; wird; vermindert. 


Auch das Raiſonnement Stevart’s ber du | 
Taxen, womit er fen Werk fchließt, ift ſehr iebt | 
reih. Er theilt die Taren in proportienelle, weiche 
die Conſumtion, oder wae man Ausgabe nennt, 


. treffen; in cumulative, die das Eigenthum angeben; 


und in perſonelle, die im perfänlichen Leiſtungen bes 
Reden, | 


Proportionelle Taren Lönnen fo aufgelegt were 
ben, daß fie fich faft auf jede Ausgabe für Lebensbes 
dürfniffe erfirecken, Da eber alle Ausgaben nur vom 
Einfommen beftritten werden follten , nicht vom Cas 
pitale; fo ift das erſte Princip der Taxation, die Aufs 
lagen fämtlich nur: auf-das Einkommen zu befchräns 
ken. Jede Auflage, die das Capital angreift‘, iſt 
unterdrückend. und ungerecht, - Weil inzwifchen ber 
allen Ausgaben eine Veräußerung flatt finder, ‚obwohl 
nicht jede Veraͤußerung mit Ausgabe verbunden iftz 
fo ift die befte Merhode zur Verhütung des Fehlers; 


daß man das. Capital ftart des Einkommens tarirt 


die Tare auf eine folche Art aufzulegen, daß fie num 
die Sonfumenten trifft, in welchem Falle jeder, der 
Laufe, um wieder: zu verkaufen, die ROM 
yöllig. wieder zuruͤck bekommen wird. 


Das ſchickliche Objeet fuͤr die eumulativen Taxen | 
find. die großen Beſitzungen der hoͤheren Volksclaſſen, 
die zum Beſten des Stats wohl eine Verminderung 
leiden Fönnen, ohne Gefahr, daß dadurch der Fond 
— nothwendigen Beduͤrfniſſe gefhmälere werde, 

48 Dies 


während; d. achtz. Yahıhund.henufiKant. 41 


Dies verhaͤlt ſich aber-nicht.fo;- wenn eumulative Tas 
gen auf die niederen. Bolkgstaffen. gelegt werden, weil 
biefe entweder: aus induſtrioͤſen Menſchen, oder aus 
Beitlern beſtehen. Jene müffen,in dem Stande ſeyn, 
dasjenige von den Reichen zuruͤck zu befommen, was 
fie fuͤr das Beduͤrfniß des, States hergegeben haben, 
Diefe haben nichts zu geben; Auflagen auf fie zu mas 
hen, heiße nur ihr Elend vergrößern, ohne dem Dans 
gel des Stats damit abpeifen su koͤnnen. 


Die großen Vorzuͤge der proportionellen Zaren 
‚vor den cumulativen find hauptſaͤchlich folgende: 1) 
Die Proportion zwiſchen der Tare und den tarirten 
Dbjecten ift genau beſtimt; 2) die Proportion kann Je⸗ 
dermann befant werden; 3) die Zeit, die Tare zu 
bezahlen, ift regelmäßig, und komt allmälig; indem 
man für die Ware - bezahle, bezahle man. die Tare, 
und die Freypeit, ſoiche Waren zu kaufen, iſt undes 
ſchraͤnkt; folglich ſteht die Ausgabe immer im Vers 
hältniffe mir dem Einfommen. - Dagegen ift es 1) bey 
cumutlativen Taren ſchwerlich möglich, die Proportion 
zu erhalten’ zwifchen der Taxe und dem Vermögen eis 
nes Jeden, fie in feinen Umftänden mit Bequemlich⸗ - 
keit zu tragen; zweytens ift es dem ‚State unmöglich‘, 
diefe Proportion mit Gewißheit ennen zu lernen; und 
endlich wird der Betrag der Tare oft zu einer Zeit ge 
fodert, wo die Leute am wenigften Selb haben, : ? 


Die Hauptſchwierigkeiten, die man gegen propor⸗ 
tionelle Taxen vorgebracht hat, ſind, daß ſie die Preiſe 
erhöhen, die Conſumtion mindern, und daß die Hebung 
‚derfelben unterbrücfend und koſtbar fey, daß fie als 
fo-einen nicht ‚geringen Theil des Betrages: wieder vers 
ſchlingen. Dieſe Schwierigkeiten hält jedoch St 
Dart. mehr: für ſcheinbar, als für wirklich. Eine 

Es pro⸗ 


42 Geſchichte oet'näuern” Phlloſophie * 


proportionelle Taxe zweckmaͤßig aufgeiegt' und erhoben; 
wird unftreitig den Preis der tarirten Objeete erhöhen; 
aber fie wird folglich Auch den Preis der Arbeit der 
induſtrioͤſen Elaffe erhöhen, weil diefe die Tare une 
zurück befome in -Proportion mit- ihrem Fleiße und 
ührer Frugalitaͤt. Der Preis der Arbeit wird reg u⸗ 
Hirt duch die Machfeage; die propostionellen Tarın 
haben auf denfelden nur Einfluß. — 


Was die Verringerung der Conſumtion betrifft, 
wenn die Taren Die. Preife erhoͤhen, fo bemweift dies 
ſer Umſtand die Vergrößerung der Confumtion; denn, 
wuͤrde die Confumtion vermindert, fo würden Die Tas 
zer niche bezahlt werden, und die Preife würden folge 
- Lich falten , ſelbſt zum Schaden der induftriöfen Elaffe, 
Dies find allemal nur Folgen proportioneller Toren, 
wenn fie zwecfwidrig aufgelegt werden. 


In Anſehung des Koftbaren bey ber Erhebung, 


und des Unterdrückenden, fo rühren diefe Inconve⸗ 


nienzen großentheils von der Meigung des Volks her, 
den Stat zu betriegen. Denn werden diefe Taren 
ordentlich bezahlt, und auf eine anftändige Weiſe ers 
boden, fo find fie nur menig fofibarer, und unends 
Jich weniger drückend, als jede andere. Aus der Er⸗ 
fahrung hierüber in verfchiedenen Ländern abftrapire 
Etevart eine Merhode, wie ſowohl die Unterdruͤk⸗ 
Fung, als die Koſtbarkeit dee Erhebung, bey propors 
sionellen Zaren vermieden werben könne, | 


Alle Zaren werden mie dem im Lande umlaufens 
den Gelde bezahle; fie koͤnnen folglich nicht Uber eine 
gewiffe Proportion diefee Summe hinausgehen. Es 
jaͤhßt fich daher weder aus dem Werthe des Eigenthums, 


noch aus der rd der Conſumtion, der Ertrag eis 
ner 


* 


wvaͤhrend de achtj. Jahıpund:B. auf Rat, 43 


ner Taxe fo gut berechnen, als aus der peomten’ Tir⸗ 
eulation, welche Verkehr und: Handel erlelchtert. 
Würden Taren in Waren bezahle oder in Naturalien, 
dann Fönten fie in einer Proportion zu den Erdfruͤch⸗ 
sen und der Arbeit ftehen; dann würden fie aber den 


Fond des. Unterhalts vermindern; anſtatt daß id 


ige nur einen Theil der Quantität: des Geldes an ſich 
ziehen, welches durch die Haude ae — ug; 
eulirt. 


Der große Unterſchied zwiſchen eumulativen = 


proportionellen Taren beftehe darin. Die erftern Pöns 
nen von denen, welche fie bezahlen, nicht im Verhaͤlt⸗ 
niffe zu ihrer Induſtrie wieder gewonnen werden; wohl 
aber die anderen. Dur fofern: irgend Jemand aus 
der indufteidfen Claffe faul oder ausfchweifend wird, 
verfürze jede proportionelle Taxe feinen täglichen Ge⸗ 
winn, wie jede-cumulative das Einkommen eines bes 
reits ermorbenen Fonds vermindern wird. - 


Zaren mäffen immer aufgelegt werden nur . zum 
Vortheile des Stats, nicht zum Vortheile von Pris 
Yarperfonen, und wenn. diefe Regel beobachtet wird, 
fo.find die Zaren in jeder Hinficht wohlthaͤtig. Wers 
dem fie zweckmaͤßig erhoben, fo vermindern fie unnoͤe 
thige Privatausgaben; werden fie fchicflich vom: Stas 
te angewandt, fo befördern fie überall Verbefferuns 
gen; und diejenigen, welche bereits Vermögen erwors 
ben haben, werden bewogen, zur Bequemlichkeit dee 
niederen Volkselaſſen beyzufteuern, - So wird. mit 
Hälfe Flug aufgelegter und angewandter Taren die Eirs 
eularton außerordentlich begünftige; die Induſtrie vers 
mehrt; für das öffentliche Befte geforgt, und die Be⸗ 
zahlung der Searslaften ſo gleich vertheilt, . Daß “ 

rt N j ‚ | 


— 


— 


44. Geſchichte der meuern Philoſophie 


die Vortheile nicht uͤberwiegt, die aus: dem allgeme | 


me: ——— fließen. 


Sofern die eumulativen Taren das Einfowinae 
eines bereits erworbenen Fonds treffen, iſt zu bemer⸗ 
Ben, Daß Diefes Einfommen von beweglichen. oder uns 
bewestichem Eigenrhume herruͤhrt. Das erfie wird 
ſich immer ‚dem Griffe, des Regenten eutziehen , der 


Zaren Darauf zu legen verſucht. Cumulative Taren 


auf’s höchite gerieben koͤnnen alfo zwar das ganze Eins 
kommen vom unbeweglichen. Eigenthume verfchlingen ; 
aber auch nur dieſes allein. Proportionelle Taren 
treffenden Ueberfchuß des Vermögens derer, welche 
die Objecte derfelben verzeßren: Es kann alfo nur 
auf ſolche Artikel eine proportionelle Tare gelegt wers 
den, die gemößnlich für Geld gekauft ‚oder verkauft 
werden. Die Methode daher, proportionelle Taren 
zur größten Höhe zu bringen, ift dafür zu forgen, daß 
alle coniummibte Dinge zu Markte fommen, und dann 
unmerklich die Tare darauf zu fteigern, daß fle dem 
ganzen Ueberſchuß des Vermoͤgens der Eonfumenten 
wegnimt. Sind die Taren fo hoch geftiegen, jo wich 
der Stat Eigenthuͤmer des ganzen Einfommens aller 
unbetweglichen Fonds werden, und bie induftriöfe Claſ⸗ 
ſe allein wird ihren Reichthum vermehren in Propors 
tion mit ihrer Frugalitaͤt. Es erhellt aus: biefem alls 
gemeinen Principe, daß zur Gründung proportionels 
fer Zaren die. Confumtion. nebft dem Verkehre und 
Handel erfoderlih find. : Wo demnach eine Beräus 
Berung ohne Eonfumtion ftatt ‚finder, wie beym Ver⸗ 
Faufe von Ländereyen und andern unbeweglichen: Dins 
gen, kann eine-proportionelle Tare nicht ſchicklich aufs 
gelege werden. Und auch. wo Conſumtion ift ohne 
Handel, wie, wenn die, Erdfruͤchte won. denen verzehrt 
4:4 weis 


’ 


14 


waͤhrend dachtz. Jahthund b. auf Kant. %s 


werden, welche fie erudien, iſt keine propottionelle 


Taxe angemeſſen. Da Taxen nicht im Werhätrniffe 
zu den Guͤtern ſelbſt ſtehen, ſondern zu der Circula⸗ 
tion; fo folgt, daß ſie auf eine ſchickliche Art nur er⸗ 
hoben werden koͤnnen beym Kaufe und Verkaufe. Man 
Finder freylich manche Beyſpiele von proportionellen 
Taxen, die in verſchiedenen Laͤndern aufgelegt ſind, ohne 
daß weder Verkauf noch Veräußerung eintritt. Dies 


ut aber die ſchummſte Art der proportionellen Taxen, 


amd die unterdtuͤckendſte für Diejenigen, welche fie: bes 
zahlen muͤſſen. —F ef 
Eyus dem Principe ‚ daß Taren in Proportion 
zu der Circulation, und nicht zu der Conſumtion fies 
ben, erhellt. die Urfache, warum fie ebedem fo ſchwer 
zu erheben waren.. : Die Confumtion richtete ſich das 


mals, wie ige, in den meiſten Ruͤckſichten, nach: der 
Proportion der Zahl der Einwohner; aber die! Cir⸗ 


eulation, d. i. die Veräußerung durch Verkauf, and 
nicht damit in Proportion. Jeder Zuwachs der. Cir⸗ 
eularion hat die Wirfung, daß er den Ertrag der Tas 
gen erhöht, und wenn diefe in einem induftriöfen Lan⸗ 
de fehr aufgelegt find, fo befördern: .fie den Uml 

des Geldes durch das ganze Publium. 1.2... .n 
Man fann die Frage aufwerfen: Was für Fol⸗ 
gen eine gänzliche Abfchaffung der Taren haben würr 
de, ſowohl für die Wohlfatth des Stars im Gans 
jen, ale für die vornehmſten Claſſen der Einwohner‘, 


‚Aus denen er beſteht? In Anſehung derer, welche 


die Regierung des Stats verwälten, und von dem 
Ertrage der Taren befoldet werden, würde eine Abs 
ſchaffung viefer durchaus verderblich ſeyn; und da fie 
sine zahlreiche Claſſe des Volks ausmachen, fo wirds 
de fich der Schaden auch auf die induftriöfe Ciaſſe er⸗ 

N | ſtrecken, 


46 Gefchichte: der neuern Philoſophie 


ſtrecken, welche jenen die Beduͤrfniſſe ihrer Conſum⸗ 
tion liefert. Was aber die letztere Claſſe an und für 
ſich ſelbſt betrifft, ſo muß eine Abſchaffung der Taxen 
auch eine verhaͤltnißmaͤßige Verminderung der Cir⸗ 
eulation nach ſich ziehen. Sie würde folglich die In⸗ 
duſtrie Mancher unterbrechen , und dadurch eine nachs 
heilige Coneurrenz unter ihnen ſelbſt wegen der Mit⸗ 
gel der Subſiſtenz veranlaſſen. Stevart hat be⸗ 
wieſen, daß die induſtrioͤſe Claſſe bey dem gegenwaͤr⸗ 
«gegen: Zuſtande der Dinge nur Taxen bezahlen koͤnne, 
ſofern ſie frugal und fleißig iſt; ſie wuͤrde alſo durch 
die Abſchaffung der Taxen nichts gewinnen; im 
Gegentheile ſehr viel verlieren. A 


Z3u einer dritten. Claſſ e im Volke. ann. man die 
reichen und müffigen Verzehrer rechnen. . Die Lands 
eigenthümer find ein beerächtlicher Theil derfelben. Ob 
ſie gleich auf keine Weiſe weder von den cumulativen, 
noch von ben proportionalen Taxen etwas wieder ges 
winnen, die fie tragen muͤſſen, und alſo die unmits 
telbare Entſchaͤdigung entbehren, welche der induſtrioͤ⸗ 
fen, Claſſe zu gut komt; fo genießen fie doch von ei⸗ 
ner;anderen Seite Vortheile, wodurch ihnen bie aufs 
gelegten taften reichlich vergütet werden, : Diefe Vor⸗ 
theileentfpringen aus den Folgen des Geiftes der In⸗ 
duſtrie, der fich über das Volk verbreitet, durch mwels 
he ihre Ländereyen verbeffere, die Benutzung und der 
Abfag der Producte derfelben erleichtert, und was 
für die einheimifche Confumtion überflüffig ift, aus 
waͤrts verfauft wird, fo daß fie mic dem Werthe aller 
Erzeugniffe im &ande in’s Gleichgewicht. kommen. 


Mit dieſer Unficht der Taren und ihres Einflufs 
fes auf den Öffentlichen. Wohlftand eines Volks ftehe 
«s res im MWiderfpruche, daß —. die n 
—R uͤt 


wihrent Deacitg. Jehehande Baauf Sant. 47 


| N | 
‚für dem Volke aufgelegte Bürden gehalten werden, un⸗ 
geachtet jede Claſſe der Einwohner Bortheile davon ziehen 
ſoll. Stepart; antmorter, ‚daß dies nur Vorurtheil 
Ken, und, daß zweckmaͤßig aufgelegte Taren nicht für.eine 
Würde des Volks gelten. koͤnnen. Die Vermehrung‘ 
‚ ber Induſtrie, bie mit der Vermehrung der Eirculas 
‚sion verbunden iſt, gewährt einen Fond mwohlanges 
wandter Zeitz der In Geld verwandelt mehr als bins 
reicht, um alle Taxen zu bezahlen, die das Einkom⸗ 
men eines ſoliden Eigenthums nicht unmittelbar -teefr 
fen, undsdie forrgebende Verbeſſerung des letztern als 
Folge der erſteren entſchaͤdigt auch die Landeigenthümer 
wvoͤllig. In dieſem Lichte gleichen Taxen den Ausla⸗ 
gen, die für neue. Etabliſſements zur Erhöhung des 
öffenelihen Woplftandes angewandt find, inden fie 
in ihren Wirfungen in der That den Wohlftand und 
die Bequemlichkeit des ganzer Volks vermehren, nicht 
dadurch, daß fie erhoben, fondern dadurch, daß: fie 


- mit Klugheit. verwandte werden. - 


Unter allen eumulativen Taren trägt bie auf das 
Tandeigenehum am meiften ein," ohne den geringften - 
Druck für “die Coneriduenten. Dies giebe Stevän 
ven noch Veranlaſſung zu einer befonderen Untetſut 
Kung der Landrare, wie fie in Groß: Britannien 


und Frankreich eingeführs ift., — 
Unm eine Landtaxe gleichmaͤßig und leicht ertraͤg⸗ 
lich zu machen, muß vor der Auflegung derſelben ef 
ne genaue Schaͤtzung jedes Artikels der Einfünfte-vor 
ber geben, welcher. beftenert werden fol, und die Tas 
xre darf Bein anderes Einkommen treffen, als Dasjenis 
ge, was von einem unbeweglichen Eigenthumsfond 
herruͤhrt. Aus diefem Grunde misbilligt Stevart 
bie in England. bey der Landrapeı gebräuchliche * 
IR thode 


As Se der neuern Philoſophte 


thode der Schaͤtzung Clleſsment )/ ſo wie auch die 
Berbindung einer Taxe auf ſolides Eigenthum mit 
Liner gleichen Auflage auf’ das perſoͤnliche bewegliche 


Bermogen, eine Verbindung, die ihrer Matur nach 


mit —— ‚eumwlatioen: Be cuerng ganz Brig 
er in . 
— 


5* * Are erg de — 


| eos fie taille genannt wird) waren zu Stevnarı’s 


Zeit verſchieden. Dort Wären die Landrenten, die der 
eigentliche Gegenſtand jeder Landtare ſehn fouten haͤu⸗ 
fig dem Einfluffe det Taxe entzogen, wegen: der Priblie⸗ 
gien, welche die hoͤhern Staͤnde genoſſen, und wodürch 
ſie von der. taille ausgenommen waren: Daher fiel die 
Franzoͤſiſche Landiaxe gerade auf den Theil der niede⸗ 
ten Claſſen, der mie dem Ackerbaue beſchaͤfftigt war, 
. was nothwendig eine doͤppelte Inconvenienz zur Folge 
haben mußte. Wenn die Landbauer ſelbſt Eigenthuͤ⸗ 
mer waren, fo waren doch ihre Güter gewoͤhnlich 
ehr Plein, und eine Landtare, die einem anfehnlichen 
uterbefißer leicht feyn wiirde, ward unerträglich, für 
Diejenigen „ die nicht viel mehr von ihrem. Acker erwars 
ben, als was fie notwendig zu ihrem Unterhalte be— 
durften, Waren die tandbauer hingegen Pächter ans - 
fehnlicher Guͤterbeſther, fo fiel die Saft auf fie noch 
unabhängig von der Landrente, "welche natütlichers 
weiſe allein fie härte tragen muͤſſen. Nichts, meynte 
Grevarı, alsı die Beförderung der Induſtrie und 
eines ausgedehnten Credits nebſt einer Subftitution 
proporfionellee Tären am: die Stelle der vielen eumu⸗ 
lativen, "die auf Die niederen Volfsclaffen in Fraußs 
teich ‚gelegr‘ find, koͤnne je eine Leichtigkeit‘ in Bezah⸗ 
hing der großen Auflagen Km. ze diefe Na⸗ 

— tragen - haben — 
ie 


mise achtz. Jahrhund. b, auf Kant. 49 


2 He beſte Merhode, eine kandtare aufſulegen, 

a unfkheitig, wenn die Auflage anf die fandrente als 
lein beſchtaͤnkt, und im Verhaͤltniſſe zu ihr befiime 
wirds, Wie laͤßt fiih aber je erwarten, frage Ste 
vart, daß folch ein Plan werde befolge werden, mo 
die Sandeigenehümer felbft den Stat.regiereh? Ju 
Frankreich war die fönigliche Gewalt nie im Stande, 
eine Tare auf die Landrente laͤnger zu erhalten, ale 
während eines auswärtigen Kriege, In England hat 
fie nun ſchon über ein Jahrhundert gedauert, und 
“wenn fie beſtaͤndig würde, ließe fie fich itı eine Domak 
ne verwandeln, und koͤnte einen Bond abgeben, einen 
großen Theil der Nationalſchuld auf einmal abzutras 
gen. Dieſe Idee Stevart's ift befantlich neuer⸗ 
lich benutzt worden. 
Ben der Auſtegung der Taxen iſt es hoͤchſt mich 
tig, für eine richtige Verwaltung derfelben zu ſorgen. 
Die leichtefte Methode für den Stat war, fie zu vers 
pachten, und fie wurde auch Überall juerft beobachtet; 
aber als allgemeine Kegel laͤßt fich dies nicht feſtſetzen. 
Cumulative Taxen werden beſſer durch eigeritliche Ber 
amten des Stats vermwalter, als verpachte. Die 
Hebung derfelben iſt einfach; werden fie aber verpach— 
tet, fo find die niederen Volksclaſſen der Lnterdrüßs 
fung ausgefeßt, 


2, Wenn Übrigens die Landtaxe aufgehoben wetden 
folie,. fo ifi eine propottionelle Tare auf. eßbare Artikel 
und auf Getränfe das befte Aequivalent. . Diejenigen, 
welche ipre Nahrungsmittel mir barem Gelde kaufen ; 
verzehren den Theil der Erdfruchte „ der der Landtente 
am Werthe gleich ift, 
Da die Schriften Hume's, des Adam 
Smith, und Stevart's für. die Theorie ver 
Duble’s Geſch. d. Philoſ. Vl. B. D Stats⸗ 


50 Gececſchichte dee: neuern Philofophie 


Stiatswirthſchaft elaſſiſch find, fo find fie auch. in Enge 
land die Hauptwerfe in diefer Wiſſenſchaft geblieben, 
aus denen alle fpätere Schriftficher . über Gegenſtaͤnde 
der polisifhen Dekonomie ipre Principien entlehnten. 





. 


Neunzehnter Abfchnitt. 


Geſchicht⸗ der neueren Philoſophie in Frankreich mäßrene 
des achtzehnten Jahrhunderts. . 





— 


De ſechs zehnte Jahrhundert war gleichſam ‚die 
m goldene Periode der philoſophiſchen Studien für 
Italien gewefen. Sie hatte einen geläuterten Pes 
ripateticismus, neue Anfichten der Kosmophyſik, und 
bey einer zahlreichen Partey auch eine cabbaliflifche 
tbeofophifche Denfart zu Refultaten gehabt. Durch 
eine Reihe geiftvoller und gelehrter Männer, Gaffens 
‚ Di, Des Cartes, Arnaud, Daniel, Hüet, 
Pascal, Nicole, Malebrande, ward das fiebs 
zehnte Jahrhundert Die goldene Periode der philofos 
phifchen Literatur für Frankreihd. Man fann mit 
vollem Rechte behaupten, daß die Franzofen damals 
im Gebiete der philofoppirenden Vernunft die thaͤtig⸗ 
fen waren, und auch im Vergleiche mir allen uͤbri⸗ 
gen Marionen, die auf wifjenfchaftliche Cultur übers 


haupt Anſpruch machten, befonders den Briten, Nies - ' 


derländern, Deutſchen und Italiaͤnern, welche letztern 
‚während diefer Zeit auf den Lorbeern ihrer Väter ruh⸗ 
ten, die bedeutenditen Fortfchritte. gemacht. harten. 
Die entgegengefegten —— — —— 
Gaſ⸗ 


F 2* N; 


während d. achtz. Jahrhund. 5. auf Kant. 5ı 


Gaffendi und Des Cartes beſchaͤfftigten nicht 
nur die Aufmerkſamkeit der philofophifchen Denker in 
Sranfreich, fondern auch derer im Auslande, und bie 
Fean joͤſiſche Philoſophie ward der Mittelpunet, um 
welchen ſich die Speculation, fofern fie ſich auf die 
Syſteme der Zeitgenoffen bezog, vorzugsweiſe berums 
s 


Uber mit dem Ende des fießjeßnten Jabthun⸗ 
derts und im Anfange des achtzehnten verlor ſich jenes 
fo lebhafte Intereſſe der Franzoͤſiſchen Gelehrten für 
die ſpeculative Philoſophie, befonders für metaphyſi⸗ 
fche Unterſuchungen, gar ſehr; und dazu trugen mes 
sere Urſachen bey, deren Wirkungen fich bis auf uns 
fere Zeit herab erfirecfte haben. Der turus des Hofs 

und der Großen in der Hauptſtadt, Paris, die für 
Die Lebensart und Denfmeife der Mation den Ton ans 
- gab, fo wie ſie ihn noch ihzt angiebt, beförderte mehr 
die fehönen Künste und Wiffenichaften, die VBerfeines 
zung des Geſchmacks überhaupt, als die ernften Fors 
-fhungen der Vernunft. Die größere Empfänglichs 
keit der Franzoͤſiſchen Nation für Sinnengenuß, und 
die damit narürlich verbundene Frivolitaͤt und Nei— 


gung zur Abwechslung , benahmen dent gebilderen Pus 


blieum immer mehr den Eifer für philofoppifche Wahrs 
beit, und die ausdauernde Beharrlichfeit im anges 
ſtreugten Machdenfen, welche das wiffenfchaftliche 
Studium der Philofopbie fodert. Man fprach mit 
Bewunderung von den großen Philofophen, meldye 
die Marion hervorgebracht hatte; der Maätionalftofz 
ruͤhmte fich ihrer gegen Ausländer; allein man hörte 
auf, ihre Werfe zu findiren; oder beguügte fich mit 
einer oberflächlichen Lecture derfelben, nur um in Ga 
ſellſchaft davon mitreden zu koͤnnen. Selbſt die Streis 
ARE Da tigs 


I. 


52 Geſchichte der neuern Philoſophie 2 Zu 


tigkeiten, welche dieſe Werke veranlaßt hatten, wir 
ren dem Anſehn der Philoſophie in Frankreich übers 
haupt, wie gewoͤhnlich der Fall iſt, nachtheilig ge⸗ 
worden. Das Publicum. harte dadurch die Schwaͤ⸗ 
chen der Syſteme kennen gelernt, , und: das-Lächerliche, 
das einige .wigige Köpfe auf das beruͤhmteſte derſel⸗ 


ben, das Cartefianifche, geworfen harten, fiel gewiſ⸗ 


fermaßen auf die Metaphyſik überhaupt zurück, So 


ward dieſe nach und nach ein Gegenſtand, wo nicht 


* 


der aaa doch der Öleichgältigfekt in Frank 
wid: 

. Dazu — nun noch die Bigotterie, die — 
der Regierung. Ludewig's XIV herrſchend wurde, und 


"der Geiſtlichkeit, hauptſaͤchlich den Jeſuiten, die Ge; 


walt verlieh, uͤber den Fortgang der wiſſenſchaftlichen 
und vollends der philoſophiſchen Aufklaͤrung ſo zu 
ſchalten, wie es ihr hierarchiſches Beduͤrfuiß mir ſich 
brachte. Die Jeſuiten waren ſchon Widerſacher des 
Gaſſendi, Des Cartes und Malebranche ge— 
weſen; nur der Genius und die Gelehrſamkeit Diefer 
Männer, fo lange fie lebten, hatten den Untagoniss 
mus jener unſchaͤdlich gemacht. Um deſto willkomner 
alſo war jenen, daß das Publicum aufhoͤrte, ſich 
weiter für die Syſteme derſelben zu interefiren, und 

daß diefe nach. und nach in Vergeſſenheit geriethen. 
Was die Jeſuiten von der Ppilofophie zu fürchten hate 
ten, davon waren ihnen fehon die Schriften Pas 
cal’s und Micole’s, die unmittelbar, gegen fie ges 
tichter waren, ein Benfpiel gewefen ,- und in den biw - 
tigen Kämpfen mit den Hugenotten batten-fie von deu 


ſchriftſtelletiſchen Vertheidigern derfelben, unter am 


| kommen, ‚Es ward ifo ihre — Angelegenheit; - - 


dern von Banle, diefer Benfpiele noch mehrere ber 


me 


waͤhrend dh Jahrhund b. auf FKant. 53 > 


jede freyeres und kuͤhnere Erhebung: der "philofoppirens 
‚den. Vernumft zurbindern, “oder. mo. fie laut wurde, 
gleich in ihren Folgen zu-unterdrücken , damit die Bis 
gotterie und Hierarchie ein deſto ſichereres Spiel haͤt⸗ 
een; Mochte auch ein philoſophiſcher Schriftſteller der 
Wahrheit huldigen; es durfte ihm nur irgend eine 
Aeußerung entwiſcht ſeyn, Die der Kirche nachth eilig: 
ſchien, oder aus der ſich für. dieſelbe nachtheilige Folge 
tungen ziehen ‚ließen; "fo ward fein Buch als gefährlich 
fire die Religion: und. den Star ausgeſchrieen, und er 
ſelbſt mußte: hart für: feine Frevel buͤßen. Bey ſolt 
chen politiſchen Hinderniſſen philoſophiſcher Studien 
mußten; fie nothwendig ſelbſt ſich gar ſehr vermindern; 
zumal da die gelehrte Erziehung: uͤberhaupt in’ den hoͤ⸗ 
- bern Ständen. groͤßtentheils in ‚den - Händen: der es 
ſuiten und Mönche war: Auch: lange nachher, dw * 
kuͤhnere Charaktere anfiengen‘, ſich der hierarchiſchen 
Anmaaßung der Jeſuiten zu widerfeßen, bare Die 
Bedtuͤckung der philoſophiſchen Geifiesfrerheit. durch 
Diefo; auf die Franzoͤſiſche Philoſophie ſelbſt den ent⸗ 
ſcheidendſten Einfluß. Ein heftiger Druck erzeugt eis 
nen heftigen Gegendruck, und es war natuͤrlich, daß, 
während die Jeſuiten unter dem: Deckmantel der Re⸗ 
ligion und dem Schutze des Deſpotismus den kirchli— 
hen Aberglauben beguͤnſtigten, die neuern Franzoͤe— 
ſiſchen Schriſtſteller, hauptſächlich die Encyklopaͤdi⸗ 
ſten, in. ihren gerechten Angriffen auf den Aberglaus 
ben; und die Hierarchie; auch die beffere Religion nicht 
fehönten;, und dadurch den Naturalismus und Egois- 

mus in ihrem Vaterlande begründeren, der iu der 
Feige die: herefchende Denfart der gebildeten Sränbe | 
— iſt. | 

Augeachter der Urſachen indeſſen, — das 
| —* des Franzöfifchen — für -metappys 

D 3 ſiſche 


54 Geſchichte der neuern Philoſophie 


ſiſche Unterſuchungen ſchwaͤchten, Tag es doch in der 
Natur der menfchlichen Vernunft, vollends bey einer 
ſchon fo cultivirten Mation, wie die Franzoͤſiſche, daß 
die Gleichguͤltigkeit gegen ſpeeulative Philoſophie übers 
haupt voruͤbergehend war, ‚und nur ‚eine kutze Zeit 
dauerte. Einzelne genievolle Männer wagten wieder 
neue Verſuche, denen bald me: andere folgten. 


u. Die ältere Franzdſiſche Philoſophie — ui 
biefe nur zum Theile ein. Die Metaphyſik des Des 
Eartes fchien felbft denen unter den neuern Frans 
zöfifchen Schriftfielleen, welche mit ihr vertraut ge 
worden waren, zu ſchwaͤrmeriſch, und die Metaphy⸗ 
fit des Maleb ranch ea zu myſtiſch, um ſich in ihrem 
Raiſonnement dadurch leiten und: beſtimmen zu laſſen. 
Man darf ſogar von den wenigſten neuern Franzoͤſu 
ſchen Schriftſtellern annehmen, daß ſie die Lateiniſchen 
— des Des Cartes im Originale gelefen haͤt⸗ 
Die Mode, philofophifche und gelehrte Werke 
aber zu fchreiben, ward durch die Verfeinerung 
der Franjoͤſiſchen Sprache verdrängt, und dadurch 
ward auch die Keneniß der Lareinifchen. Sprache ſelbſt 
unter den Gelehrten in Frankreich fehr: verringert. 
Sie ſchraͤnkten ſich alſo auf Franzöfifche Auszüge aus ' 
jenen Werken ein, die fich öfter durch. ihre 84 
keit, als durch Genauigkeit, Vollſtaͤndigkeit und 
Gruͤndlichkeit auszeichneten. Leibniz ſchrieb zwar 
Franz oͤſiſch, hegte eine große Vorliebe: für dieſe Spra⸗ 
che und die Franzoͤſiſche Nation, und ſtand auch bey 
den Sranzöfifchen Gelehrten in einem ehrenvollen Anz 
benfen. Seine Philofophie ſcheint jedoch. in Frankı 
reich nur eine ſehr partielle und unbedeutende Genfar _ 
tion gemacht zu haben. Sie erfoderte zu große Ans 
ftrengung des ——— war nicht unmittelbar 
klar 


während d achtz. Yahrhund. 5. auf Kant. 55 


Far und verftähiblich genug,  gieng zu weit in die Tier 
fen der Merapprfit hinein, und hatte zu werig Ans 
ziehendes in der Daiftellung, um den Frauzofen ges 
fallen zu koͤnnen. Ueberhaupt fand von -den franzöfis 
fchen Philoſopben dee XVII. Jabrhunderts Feiner grös 
Gern. Beyfall bey den neuern, .als Gaffendi, weil 
gerade Das Epikuriſche Syſtem, deſſen Commentator 
und Lobredner er war, der Geiſtesſtimmung und den 
Privatabſichten jener am meiſten entſprach. Won 
ibm wurden die Woffen erborgt, womit man den Mas 
turalismus ausrüftere, und Die Bert tive az und 
die Hierarchie bekaͤmpfte. | 


Die Philoſophie der Deutſchen blieb ben Srans 
zofen faſt ganz unbekaut, diejenigen abgerechnet, wel⸗ 
«be bey: ihrem Aufenthalte in Deutſchland von ihr 
Notiz nahmen, um fie zu verfporten und ihren Witz 
Daran. zu uͤben. Die unendliche Weitſchweiſigkeit und 
foftemarifche Steifpeit der. Wolf’fchen Ppitofoppie in 
der erſten Hälfte, des vorigen Jahrhunderts contraftirte 

enlich zu ſehr mit. dem, Geifte und Geſchmacke der 
nn um diefe zu einem fleißigen Studium jes 
ner einzuladen. Die beſſere Ppitofoppie in Deurfchs 
land und der befiere Geſchmack in der Behandlung 
and Darftelling derfelben begannen erft nach dem fies 
Benjäptigen Kriege in der letzten Hälfte jenes Jahr⸗ 
hunderts, zu einer Zeit, wo die Verbindung ber Frans 
zöfiihen Gelehrten mit Deutſchen ſehr geringe war, 
Mrd das Vorurtheil der Geſchmackloſigkeit und Per 
bauteren der Deutſchen in Frankreich fchon zu tiefe 
Wurzeln gefchlagen hatte. Eine Hauptſchwierigkeit 
har auch von jeher Die Deutfche Sprache der Verbrei⸗ 
tung der Deurtſchen phifofoppifchen Literatur in den 
Weg gelegt, welche Die u ungleish ſchwerer 
4 als 


4 


| | “a | 
56 Gecchichte der neuern Philoſophie 


als andere; Voͤlker erlernen können ‚ud: daher in dee 
Regel nicht, anders lernen, ols wenn fie, durch, den 
Drang der Umftände dazu gezwungen werden, 


Auch die Engtifgen Philoſophen im Anfänge 
des achtzehnten Jahrhunderts blieben den Franzofen 
fo ziemlich frenide. Es bedurfte erft eines Voltaire, 
der die Mewton'ſche Kosmophyſik popularifirte, zwü 
fhen Leibniz und Memwron eine wißige, wiewohl 


nichts weniger als richtige und treffende, Parallele zog, 


! 


tum feine Landsleute mit diefen beyden großen Maͤnnern 
des Auslandes und ihren Entdeckungen befanter- zit 
macen. Spaͤterhin nahmen die Franzoſen freylich an 
der Pbilofoppie der Engländer lebhaſtern Antheil; 
Doch mehr fo weit diefe die Politik und hauptſaͤchlich 
die Theorie der Statswirthſchaft betraf, ale fo weit 
fie die Theorie des Erkentnißvermoͤgens, (jeboch mit 
Ausnahme der Locfe’fchen Theorie, die fich in Frans 
reich zabfreiche Derehrer erwarb), die Metaphyſik 
ind Moralprincipien angieng. Man kante und fchäßte 
in Sranfreih den David Hume; aber nur als Ge 
fhichefchreiber und politiſchen Schriftſteller; ſchwerlich 
als philoſophiſchen Skebtiker, von welcher Seite ihn 


D 


die Deurfchen am meiften ſchaͤtzten. 


** | 
» : ‚Unter den Franzoͤſiſchen Philoſophen, die ſich 
nach den berühmten. Vorgaͤngern des fichzehuten Jahrt 
bunderts von «neuem au die Aufklärung. der, Theorie 
des Erfeugnißvermögens zur Feſtſtellung philoſophi⸗ 
ſcher Principien wagten, verdient der Abbe de Cous 
diblae die erſte Stelle. Er lebte in der erſten Hälfte 
des vorigen Jahrhunderts, und war Lehrer des. Erb⸗ 
priuzen von, Parnia, fuͤr welchen ex. auch. einen eines 
nen fogengunten Cours d’etudes geſchrieben hat. SU 
Beziehung auf die Philoſophie haben wiß Wirien 


wahrend d. ach. Iahıhunb. b. auf Kart. 57 


drey Werke leiten, die durch ihren; Inhalt genau 
mit einander verbunden find, dem Eſſay fur. l' origine 
des connaiſſances humaines , ben Nou⸗ des- Yalm: 
uam, amd. den Traite des animaux 422 


Sein Urtheil über die Metaphyſik * Pr 
—** Zuſtande in Frankreich druͤckt gewiſſermaßen 
das Urtheil feiner Zeitgenoffen überhaupt aus. Con 
dillaec fand die Vernachläffigung der Metaph 
von feinen Landsleuten ſehr vernünftig, ſoſerne ſie zu 
anmaaßend alle Geheimniffe erforfchen, in das Mes; 
fen der Natur und ihre verborgenften Urſachen eins, 
dringen will, und zwar nicht auf dem Wege der Exst 
fahrung; und einer firengeren Unterfuchuug des Vers. 
nunftvermögens; fondern durch Hypotbeſen und. Con⸗ 
fiructionen von willkuͤhrlichen unerweislichen: Grunds; 
fügen a priori;: wodurch fie eine. Ure-von Zauberwerk 
wird, das bey genauerer Beleuchtung: in fein Michts 
verſchwindet. Indeß verwarf er auch nicht die Mes 
taphyſit fchlechtbin. Er wies fie nur in die. Schran⸗ 
fen zurück, die ihr durch die Beſchaffenheit des menſch⸗ 
lichen Verſtandes ſelbſt angewieſen find. Haͤlt fie 
ſich innerhalb dieſer Schtanken, und ſtrebt fie, nur - 
zu erforfchen, maß fie zu erforfchen vermag, fo, ift fie 
die achtungswertheſte Wiſſenſchaft, und welche die 
Aufmerffamfeit und das Studium genievoller Mens 
ſchen vor allen andern fodern darf. , 


Condillae feßte die Urfache oe. bießerigen mer 
taphyſiſchen Verirrungen, und nicht mit Unrech 
darin, daß man den Urſprung und die — 
art der menſchlichen Borftellungen. verkannt habe. 
Bon dieſem Vorwurfe find insbeſendre Des Cartes 
und Malebranche nicht frey. Hingegen nimt er 
den. Locke, * und —— iſt ein Beweis, daß 
* * 1] er 


s Beſchchte dee neuern Pfilofophie 


«° eigentlich nur die metaphyſiſchen Verirrungen ſei⸗ 


wer Vorgaͤnger vermehrte, da ihn mit dieſen dasſelbe 


Loos traf, den Urſprung und die Entſtehungsart ber 


Vorſtellungen verkant zu haben. "Eondillac’s Pit 


ſophie iſt nichts weiter, als der Locke ſche Empi⸗ 
oͤmus, mit noch groͤßerer Strenge uud Conſcquen; 
Hnfihe auf die auch vom Lorfe — 
Zuellen der: Erkentniß durchgeführt. 


" Die philoſophiſche Unterſuchung überhaupt fo 
nur an der Haud der Erfahrung fortgehen. Es muß: 
alſo eine urjprüngliche Örunderfabrung ents 
Deckt werden, die Niemand bezweifeln kann, und die: 


gleichwohl zur Erklärung aller übrigen hinreicht. ' In 


jener: Grunderfahrung müffen die Quelle und Mares 
rtialien aller unferer Erfentniß gegeben ſeyn, oder fie 
muß wenigftens zu dieſen unfehlbar hinleiten. Aus 
ihr muͤſſen das Princip der Thaͤtigkelt der Seele, die 
MWerfjeuge, deren fie fid) dabey bedlent f und die Re 
— Anwendung erhellen. 


"Nach Condiilae's Tpeorie iſt jene. Grunder⸗ 


| fahrung in der Verbindung der Ideen theils mit Zei⸗ 


chen, theils unter einander ſelbſt, zu ſuchen, und die⸗ 


ſe Verbindung iſt es alſo quch hauptſaͤchlich, die er 


in ſeinen Werken weiter zu entwickeln und aufzuhellen 
ſich bemuͤhte. Er wollte die menſchliche Erkentuiß 
auf Ein Princip zuruͤckfuͤhren, das weder ein unbe⸗ 
ſtimter Satz, noch eine abſtrahirte Maxime, noch eis 


ne willkuͤhrliche Vorausſetzung, ſondern eine allge⸗ 


mein anerkante Erfahrung waͤre, deren Folgen immer 
durch neue Erfahrungen Beftätigewiltden.. Demnach ern 
drterte er zuvoͤrderſt den Urſprung und die Verſchieden⸗ 
heit der Perceptionen; dann Die Matur de Fl 


| Yin, und ihre kauen ‚mis jenen. ne | 


während d..adhıtj. Yahrhund: 6. auf Kant. 59 


Behauptung, daß alle Erkentniß aus der finnlichen 
Erfahrang'entfpringe, fügte erdarauf ‚Daß wir ums 
ſere Borfellungen empfinden; daß wir ſie bes 
ſtimt von Allem unterfcheiden,: was nicht fie find; 
und dag wir ohne Empfindung gar Leine. Er— 
kentniß haben Fönten. Die Gegenftände der 
Worftellungen find inzwiſchen nicht bloß die Außer 
Dinge, fondern auch. die inneren Thätigkeiten 
der Seele ſelbſt. Zu den urfpränglichen Seelenver⸗ 
mögen, die bey der Erkentniß thaͤtig find, gehoͤren 
das Voſrſtellem/ das. Bewußtſeyn, die Auf⸗ 
merkſamkeit, und die Erinnetung. Durch dies 
fe wird zunächft. die Verknüpfung‘ der Ideen mit aͤu⸗ 
ßern Dingen, mit Förperlichen Handlungen , ’ als Zeis 
chen, bewitkt, „und aus der Ideenverbindung entftes 
ben nach und nach die Einbildung, die Contem⸗ 
plation, und das Gedährnig. Je vollkomner 
der Gebrauch der Zeichen wird, deſto vollklomner meid 
den auch jene Vermoͤgen. Go wendet Condillae 
fin Princip noch weiter zur Erklärung der einzelnen 
logifchen Thärigkeiten des Verftandesian.i! Hess 
nach befchäfftige er fich mit einer ausführlichen Er⸗ 
Käuterung der 'Matur der Oyrage und ber Me 
sgobeiopin “ 
Man hält geroößntich ss Wert des Condil⸗ 
lace Sur Porigine des connaiflances humaines für 
fein Hauptwerk; aber das ift es nicht, fobald darum 
zu thun ift, das Eigenthümliche feiner Theorie 
und ihr Unterfcheidendes. von der Locfe'fchen genauer 
kennen zu lernen. Diefes Eigenthuͤmliche liegt in der 
Art, wie er die Abkunft aller Erkentniß aus der. Sins 
nenerfahrung durch eine umftändliche Charakteriftif 
der Ginnenorgane, und Der verſchiedenen Senſatio⸗ 

nen, 


Geſchichte der nenern Philoſohhie 


nen, welche. ſie vermitteln, darthunin Dies geſchleht 
aber von ihm in⸗ dem⸗ Traité des· Senſations. U 
der Locke'ſchen Philoſophie tadelt er, Daß in derſelben 
die. Verbindung der Urtheile mit allen unſeren Sem 
—— uͤbergangen ſey; daß nicht gezeigt ſey, wie 

ber: Menſch auch noͤthig habe, das Fühlen; Se⸗— 
Ben,: u. w. erflizusternen; daß faf alle Fabigkeik 
gender. Seele für augeb ob ren: gehalten: wuͤrden 
da ſie doch ihren, Urfprung aus demi®enfation 
nes jelbit chArtem..: oe hat dem Gebrauch der 
Sinue auf eine Ar⸗ von Inſt i n et zur ck zef hrt⸗ 
und behauptet, daß die Reflerton gar nichts dazu 
beytrage. Auch Buͤffon legt dem Menſchen auf. 
einmal Fertigkeiten im Gebrauche der Sinne bey, 
die er doch. erſt erwerben muß. Combiklac aber 
leugnet alle diefe urſpruͤnglichen⸗Fertigkeiten 
des Menſchen. Er ſucht vielmehr den Gebrauch der 
Vermoͤgen der Seele aus der Natur der Empfindun⸗ 
gen zu deduciren, und verwirft die Begriffe. Inſtinet, 
- Mahänismus, die man. gewöhnlich sur. . 


* He: P nehmen ‚pflegt, 


2 Als. Intereffe für Sen — und ihre 
— entſpringt im Menſchen aus den Ges 
fuͤhlen des Angenehmen oder Unangenehmen, welche 
Damit verbunden finds. Jh. das Gefühl des Ange⸗ 
. nehmen einmal empfunden; und wird es hernach ent« 
behrt, oder hat der Menfch die Erfahrung des Schmer⸗ 
zes gemacht, und fürchtet er, Denjelben wieder zu leis 
‚den; ſo wird dadurch. eine Unruhe erzeugt, welche die 
Mutter der Beduͤrfniſſe, der Triebe und Dererminas 
tionen iſt. Aus dieſer Unruhe erkläre vun Condil—⸗ 
lace alle Fertigkeiten der Seele und des Körpers. Sie 


tebet BA Sehen, Hören, Schmecken, * 
gie 


während dachtz Jahrhund b. auf Kant. 6ꝛ 


gleichen, Urtheilen, Reflectiren, Begehren, Lieben, 
Haſſen, Fuͤrchten, Hoffen, Wollen u w. Da.es 
inzwiſchen⸗ unmoͤglich iſt, die erſten Regungen und 
Gedanken: der Seele zu beobachten; fo Muß: man 
errathen, und fich folglich hier einige Werausfeguns 
gen erlauben. Es. gehöre auch zur Vollendung der 
Theorie eine Unterſcheidung deſſen, was jedem Ginne 
insbeſondre gebuͤhrt. | 


Condillac denfe fih alfo die Statue eines 
Menfchen, die bloß mit einem oder dem andern Sin— 
ne, verfehen wäre, der es aber an den übrigen marıs 
gele, um danach zu beſtimmen, wie fich in Beziehung 
auf jenen Sinn gewiffe Eeelenfähigfeiten entwickeln 
würden, Nachher legt er diefee Statue noch mehe 
‚ andere Sinne bey; endlich alle, mit denen der Menfch 
begabe ift; und entwickelt- dann die Solgen einer fols 
chen Borausfegung. 


Die befchränftefte erfennende Matur dürfte wohl 
diejenige feyn, welche bloß den Sinn des Geruchs 
befige. Da fie nichts als Gerüche empfindet, fo ift 
auch für fie nichts als Geruͤche vorhanden, und. fie 
bat gar Feine Fdee von der Materie. Dennech wärs 
den aus dem Sinne des Geruchs allein mehrere Faͤ⸗ | 
higfeiten der Seele entftchen, die wir, ohne diefe Res 
flerion angeftelle zu haben, ſchwerlich daraus herlets 
ten würden. Es kann der Statue, ſofern fie Ge 
ruchsfenfariönen wahrnimt, nicht an Bewußtſeyn 
fehlen; die Senfarion ft angenehm oder unange— 
nehm; die Unterſcheidung des Vergnügens und 
Schmerzes, und die Wahrnehmung, daß jenes in 
diefen, und umgekehrt, übergeben kann, machen Bers 
gnügen und Schmerz zu Principien der weiteren Thaͤ⸗ 
tigkeit der Statue; es entſteht — be⸗ 
Ki a u J im⸗ 


oA 


Sdſchichte der neuern Pftlofophie: 


ſtimter angenehmer oder unangenehmer Senſationen, 
woraus zugleich erhellt, daß das Gedaͤchtniß nichts 
anders, als eine Art zu empfinden iſt, die oft leb⸗ 
hafter, als die urſpruͤngliche Senſation ſelbſt, ſeyn 
kann. Aus dem Geruchsſinne der Statue folgert als 
fo Condillae, wie ſie nach und nach fi der Suc—⸗ 
ceſſion der. Veraͤnderungen eines activen und paſſiven 
Verhaͤltniſſes bewußt wird, mie -fie vergleichen und 
urtheilen lerne, wie fich diE Jmaginarion bilder, was 
uͤr Triebe und Leidenſchaften entſtehen, und wie der 
Wille ſich aͤußere. Zuletzt gelangt er zu dem Reſul⸗ 
ate: daß mit einem einzigen’ Sinne die Seele den 
Keim aller ihrer Fäßigkeiten habe; daß alfo die Sens 
.. alle Fähigkeiten der Seele in fich fehließe. 
as Vergnuͤgen und der Schmerz fiud zur Entwickes 
fung diefer Fähigkeiten die wirffamen Principien. 


Dieſelbe Deduction der Seelenfähigkeiten, wie aus 
dem Sinne des Geruchs, unternime Condillac auch 
aus andern Sinnen. Man fehreibe einmal der Statue 
mehr Sinne mic einander verbunden, z. B. Geruch 
uud Gehör, zu, fo kann fie anfangs die verfchiedes 
nen Senfationen nicht unterfcheiden; aber fie lernt es 
nah und nad: Ihr Wefen fcheint ihr eine zwiefas 
he Art des Dafeyns zu gewinnen; ihr Gedächeniß 
wird erweitert und veichhaltiger; fie bilder mehr ads 
ſtracte Ideen. 


Das Gefühl iſt der einzige Sinn, welcher 
uns durch fich ſelbſt von den Außern Objecten unters 
richtet, anftare daß die übrigen Sinne uns dieſe nicht 
zeigen. : Denfe man fi, daß die Statue feinen ans 
dern Sinn, als Gefühl, haͤtte, fo würde ihr nichts 
als die Senfation der gegenfeitigen Thärigkeit der Theis 


le des FERN übrig bleiben, und. vornehmlich der 
Ref ee 


waͤhrend De achtz. Jahrhund. bauf Kant. ‚og 


Meſpitation. Das Bewußtſeyn der Reſpiration 
duͤrſte der geringſte Grad der Empfindung ſeyn, der 
ſich bey der Statue annehmen ließe. Eondillae 
‚nennt: diefe daher die Grundempfindung (Senti- 
‚ment fondamental).,- weil mit: dieſem Spiele.der Dias 
ſchine das animalifche Leben anfängt, und einzig von 
demſelben abhängt, Cine Statue, welche bloß die 
‚Grundempfindung. hätte, haͤtte auch feine dee von 
‚Ausdehnung und. Bewegung. Raͤumt man ibr. aber 
Qugleih den Gebrauch der Hände ein, fo faͤngt ſie 
an, ihren eigenen Koͤrper, und die äußere Koͤrperwelt 
zu entdecken. Aus dem Gefuͤhle entſpringen mehr 
Zuſtaͤnde und Fertigkeiten der Statue, als aus irgend 
einem andern Sinne, und die übrigen Sinne mit dem 
‚Gefühle verbunden find es, welche die mienfchliche Nas _ 
tur vollenden. . = Ba a 


Noch hat Condilfac feinem Tractate von den 
Empfindungen eine Abhandlung über die Frey⸗ 
beit bengefügt. Es laͤßt ſich denken, daß die Sta⸗ 
tue in Anſehung ihrer Triebe gar Feine Hinderniffe 
faͤnde; vielleicht find auch die Triebe mit einander ing 
Öleichgewichte; oder der eine ift flärfer, als der ans 
Dre. Finden die Triebe Hindernifje, oder ziehe die 
Befriedigung derfelben Schmerzen nach fi, fo enis 
pfinder die Statue eine Reue, Sie fängt alfo an, 
zu ‚überlegen. ob fie ihren Trieben. folgen folle ‘oder 
nicht; fie widerſteht ihnen auch wohl, und nur hefs 
tige Leidenfchaften können das Vermögen der Webers 
legung in ibe aufheben. Sn jedem Falle aber 
verdankt fie Diefes Vermögen den Kentniffen, wel⸗ 
‚be fie erworben. har. Die Statue bat alſo das 
Vermoͤgen zu handeln oder nicht zu handeln, und iſt 
frey. Denkt man ſich unter der Freyheit ein Ver⸗ 
moͤgen, 


Beſchichte der neuern Philofophie 
moͤgen, zuglelch zu wollen und nicht zul wollen, zu 
Athun und nicht zu thun, fo iſt dieſes eine Ungereimt⸗ 
heit. < Die Wahl unter zwey entgegengeſeltzten Hands _ 
„Lingen ift allemal.eine Wirkung der Freyheit; aber 
Eines von Beyden muß die Statue nothwendig wirk⸗ 
Hd: wollen, etwas zu thun, oder etwas nicht zu 

hun. . Man muß daher die Frage nicht ſo ftellen: 
Ob man das Vermögen habe, zu wollen und nicht zu 
‚wollen? fondern: Wenn man Diefes will, ‘ob man 
“auch das Vermögen habe, es nicht zu wollen, und 
wenn man Etwas nicht will, es auch zu wollen? 


seo nicht überlege wird, da wähle man 
‚sicht ; man folge bloß dem Eindrucke der Objecte, und 
hier findet. feine Freyheit ſtatt. Allein um zu übers 
legen, muß man nochwendig die Vortheile und Nach— 
theile kennen, welche damit verbunden find, wenn 
‚man den Begierden folgt, oder ihnen widerfteht. Da 
alſo die Ueberlegung Erfahrung und Kentniß vors 
ausſetzt, fo erfodert die Freyheit dieſe nicht mins 
der. Es fließt hieraus, daß die ausgebreitess 
ſten und geündlichfien Kentniffe den Ga 
brauch der Freyheit am meiften befördern, 
Frehlich heben unvollftändige und unrichtige Kentniſſe 
‚die Freyheit nie auf, da fie überhaupt nur Mittel 
zur Bewirtung der Ueberlegung find; allein die Ent 
fcheidung ift Doch unficherer, als im entgegengeſetzten 
Falle Die Freyheit beſteht alfo auch nicht in der 
gänzlichen Unabhängigkeit unferer Handlungen von 
den Gegenftänden, und der Erkentniß, welche wie 
ins in Anſehung derfelben erworben haben. Wir 
muͤſſen wohl von’ den Objecten durch die Unruhe abs 
hängen, melche die Privarion derfeiben erzeugt, da 
wir Bedürfniffe haben, und wie muͤſſen uns wohl 


nach 


# 


waͤhrend d. achtz. Jahrhund. b. auf Kant. 65 


nach der Erfahrung richten in der Wahl defien, was - 
uns nüglich ift, weil fie allein uns hierüber belehren 
Bonn. Waͤhlten wir einen Gegenftand unabhängig 
von unferer Erkentniß desjelben; fo würden wir ihn 
- wählen, auch menn wir überzeugt wären, daß er ung 
ſchaden Lönte, d. i. wir würden unfer Uebel als uns 
fer. Uebel wählen, was doch unmöglich if. Die 
Freyheit beftehe in einer Beſtimmung des Willens, 
die wir in der Vorausſetzung, daß wir immer auf 
“irgend eine Urt von der Einwirkung der Objecte auf 
uns abhängen, zufolge einer Ueberlegung bewirft has . 
ben. Man vertraue die Leitung eines Schiffs einem . 
Menfchen an, der gar feine Kentniß der Schiffarth 
bat, und das Schiff wird ein Spiel der Wellen ſeyn. 
- "Aber. eim erfahrener, Pilot wird den Lauf desfelben zu 
‚vegieren willen; bey-bemfelben Winde wird er doch 
die Direction jenes abändern fönnen; und nur im 
Sturme wird das Steuerruder nicht mehr feiner Hand- 
gehorchen. Dies ift das Bild des Menschen *). 


% Der Tractat Condillae's von den Thiere« 
beftreiter zunächft die Meynungen des Des Cartes 
und des Grafen Büffon von diefen, and enthält 
nachher eine eigene Theorie darüber, : Der erflere hats 
te die Thiere für bloße lebendige Mafchinen eiklaͤrt. 
C. widerlegt dieſe Behauptung dadurd), daß die Thiere 
ſelbſt für. ipre Erhaltung forgen; daß fie fih willkuͤhr⸗ 
lich bewegen; daß fie die. ihnen angemefjenen Dinge 
fuchen, unter mehrern wählen, und was ihrer Natur 
Ze Ä | zu⸗ 


*) S. Eſſai fur Porigine des connoiſſanees humaines. 
Cear Mr, l' Abbé de Condillac.) A Amſterdam 1746. 
2 Tomes. 12. — Ebendesſ. Traité des ſenſations. A 

u ‚Londres 1754. 2 Towes. 12, or 


Suble's Geſch. d. Philoſ. VD, € 


} 


66 -Gefchichte ‚der neuern Philoföphie | 


zuwider ift, vermeiden. Diefelben Sinne, welche 
die menfchlichen Handlungen regieren, feheinen auch 


die Thärigkeiten der Tiere regieren zu koͤnnen. Aus 
was für einem Grunde könte man, beweifen, daß die 
Thiere mit ihren Augen nicht fehen, mit den Ohren 


. nicht Hören, und überhaupt niche empfinden, was 


Des Tartes zw behaupten Leck genug war? Wir 
- Finnen zwar die Empfindungen der Thiere nicht obs 
jectis beweifen; aber das koͤnnen wir auch nicht von 


— 


andern Menſchen, denen wit doch wegen der Übrigen 


Analogie mit unferm eigenen Weſen ein. Vermögen 
zu empfinden und zu denfen beylegen. Wenn aber Die 
Thiere wirklich empfinden, fo empfinden fie auch auf 


eine aͤhnliche Weiſe, wie vermöge der Aehnlichkeit der 


Drganifarion und der. Aeußerungen derfelben mit den 
unſrigen. DR, 


Büffon räumt den Tieren zwar Empfins 


dungsbermögen ein, aber in einem fehe einge⸗ 


fpränfeen Sinne Verſtehn wir unser Em pfin⸗ 


den bloß eine Tätigkeit auf Veranlaffung eines St 


Ges. oder Widerftandes; fo giebt es Pflanzen, ‚welche 


eben diefeibe Empfindlichkeit haben, wie die Thiere. 


Verftehen wir aber darunter ein Wahrnefmen, Uns 
‚terfcheiden und Vergleichen der Gegenftähde; fo koͤn⸗ 
nen wir den Thieren dieſe Are des Empfindens gar 
niche mit Sicherheit zufprechen. Das thierifche Ems 
pfinden waͤre alfo eigentlich nichts. anders, als die 
Art der Empfindung beym Menſchen, ſofern die Or⸗ 
gane ducch die Einwirkung der DObjecte bloß affleirt 
werden, ‚oder. die bloße Impreſſion, welche noch vor 
dem Acte der Unterfcheivung und Vergleichung bers 
geht. Wenn Jemand in einem Augenblicke ‚auf die 
Senſation allein beſchraͤnkt wäre, "da würde er em⸗ 

| — | ee Er pfin⸗ 


während d. acht Jahrhund. 6. auf Kant, 67 


Hfinden; aber er würde die Gegenftände niche unters 
ſcheiden und vergleichen.- Büffon- behauptete daher 
auch, daß die Thiere bIoß materieller Natur mäs 
zen, ‚und daß ihnen alle die Arten der Empfindung 
fehlten , welche der Materie nicht angehören , und ih⸗ 
rem Weſen nach nicht von koͤrperlichen Organen her⸗ 
vorgebracht werden koͤnnen. 


Condillae meyne, daß Buͤffon's Behaups 
tung im Grunde ſehr wenig von der Carteſiſchen abs 
wide. Immerpin hätte Des Cartes den Thieren 
ein foldhes Vermögen zu empfinden zufchreiben koͤnnen, 
wie ihnen Buͤffon zuſchreibt; es waͤre ihnen damit 
nuichts weiter als bloße Bewegungsfaͤhigkeit zugeſchrie⸗ 
ben, die er ihnen doch ausdrücklich beylegte. Allein 
durch anderweitige Eigenſchaften, die Büffon aus 
dem Empfindungsvermögen der Thiere herleitet, zeige 
er, daß er unter dem thieriſchen Empfinden nicht bloß 
Bewegungsfaͤhigkeit verſtand, und damit widetlegt 
ee öſſenbar feine Behauptung, daß die Empfinduns 
gen und fonach auch das Seelenweſen der Thiere übers 
baupt nicht den menfchlichen analog feyen. Er giebe 
zu, dag die‘ Empfindungen der Thiere angenehm oder 
unangenehm find, : und.VBergnügen und Schmerz find 
doch gewiß etwas anders, als materielle Bewegung, - 
Den Unterfchied zwiſchen Pörperlichen und, geiftigen 
Empfindungen,. den Büffon made, ‚und. wovon, 
jene nur den Thieren, aber den Menſchen beyde zus 
gleich, zufommen follen, haͤlt €. für unermweislich und 
unbegreiflih. Körper und Seele werden gar nicht-vers 
fchieden empfunden; die Seele wird im Körper ems 
pfunden, und alle Genfationen fcheinen nur Modifis 
eationen. einer und derfelben Subſtanz zu feyn. Die 
Einheit der Perfon in.uns en: auch ——— 

2 die 


— 


! 


68 Geſchichte der neuern Philoſophie 


die Einheit des empfindenden Princips; anſtatt baß 
nach Buͤffon der innere Menſch doppelt aus zwey 
Principien, die noch verſchieden ſind und einander 
entgegenwirken, zuſammengeſetzt ſeyn ſoll, einem gei⸗ 
ſtigen und einem materiellen, welche beyde man leicht 
bey der Reflexion über fein Inneres erkennen und un⸗ 
terfcheiden könne, und aus deren entgegengefegter Wirk⸗ 
ſamkeit ale MWiderfprüche im Menſchen entftänden. 
- Diefes doppelte Prineip im Menfchen wird aber von 
Condillac mit Recht bezweifelt. Die Widerfprüs 
che im Menfchen laſſen ſich daher erklären, daß er 
nach den Umſtaͤnden und dem Alter mehrere Gewohn⸗ 
- Heiten annimmt, mehreren Leidenſchaften nachhaͤngt, 
die ſich oft nicht mit einander vertragen, und deren 
‚ einige von dee Vernunft verworfen werden, die ſich 
aber oft zu ſpaͤt bilder, um fie obne Kampf zu übers 
winden. Wenn die Thiere nad) Büffon’s Hypos 
ehefe ein bloß materielles Seelenprineip haben follenz 
fo laſſen ſich ihr Empfindungsz und VBorftellungsvers 
mögen, ihre. Einbildungs- und ; Erinnerungskraft, 
endlich ihre Sorge fü ipren Unterhalt und- die Forts 
pflanzuüg ihres Geſchlechts, auf feine Weiſe begreifen. 


Nach diefer Beftreitung der Meynungen des 
Cartefius und Buͤffon's von der thierifchen Nas 
tur läge nun Condillae feine eigene Theorie von den 
Seelenfähigkeiten der Thiere folgen, und zwar in Vers 
gleichung mit den menfchlichen Seelenfähigkeiten. Al⸗ 
le Fähigkeiten und Fertigkeiten der Thiere, und wenn 

dieſe auch noch fo verfchieden von einander find, ent⸗ 
ſtehen doch ben ihnen auf diefelbe Weiſe uͤberhaupt. 
Sie verdanken fie eben fo der Erfahrung, wie die 
Menfchen die ihrigen. Erſt duch Erfahrung erfens 
nen fie ihre eigenen Körper, lernen fich ihrer Organe 
—— F be⸗ 


* 


ni en 


waheend d, achtz. Jahrhund. 6. auf Kont. 69 


bedienen, das ſuchen, mas ihnen nuͤtzlich, und ver 
meiden, was ihnen ſchaͤdlich iſt, kurz fuͤr ihre Er⸗ 
haltung uͤberhaupt ſorgen. Das Beduͤrfniß iſt 
Das einzige Prineip für das: Syſtem der thieriſchen 
Vorſtellungen. Die Matur ſcheint für die Tiere fo 
geforgt zu haben, daß ihnen felbft nur wenig zu. thun 
übrig gelaffen il. Zur Befriedigung des thierifchen 
DBedürfniffes find die Mittel fehr einfach, und- für 
alle Individuen von eineriey Gattung diefelben. Da 
alfo. dasfelbe Prineip die Individuen von einerlen Cats 
tung motivirt, Da fie alle zu denfelden Zwecken hans 
deln, und einerley Mittel aumenden; fo müffen auch 
ihre Handlungen und Fertigkeiten einförmig werden. 
Manche Thiere: leben einfam und von einander ent⸗ 
fernt; dennoch iſt in- ihrer Handelnsweife keine Ders 
fchiedenheit. Weil dieſe bey den Thieren derfelben 
Gattung äpnlich ift, ſo koͤnnen ‚fie auch infofern eine 
 GSptade haben, wodurch fie ‚gegenfeitig ihre Ems 
pfindungen und Bedürfniffe-ausdrücken, und einander 
unmiitelbar verftändlich werden; nur daß dieſe Spras 
che ungleich unvollkomner iſt, als die menſchliche, if... 


Conditlae ſetzt hierauf die praktiſche Natur der 
&piere in Parallefe mit dee menfchlichen. Das Thier 
bat feine Reflerion. Es ift auf das Gefühl der — 
gigkeit von den naͤchſten Urſachen beſchraͤnkt, die ſei⸗ 
nen ſinnlich angenehmen oder unangenehmen Zuſtand 
beſtimmen. Der Menſch hingegen kann ſich über dies . 
fes Gefühl erheben, und durch vernünftige Reflexion 
eine Idee ber Gottheit erwerben, „welche er zugleich 
als ſeinen Schöpfer und Gefeßgeber erkennt. | 


Hat fich der Menfch einmal die Idee Gottes als 
Säres und: Gefeßgebers gedacht, fo gebt daraus 
fofore Die Ider von — Geſetzen hervor, > 


nr 


70 Gececchichte der neuen Philoſophie 


che fein Thun und Laſſen beſtimmen. Condiblace 
nimt ein natuͤrliches Moralgeſetz im Menſchen 
“an, das wie durch den Gebrauch unferer Faͤhigkeiten 
entdecken, und das feinen Grund im Willen Gou 
ges: hat. Diefes Gefeß, behaupter er, fey keinem 


Menfchen ſchlechthin unbekant; denn fobald die menſch⸗ | 


liche Geſellſchaft entſtehe, wie: unvollfommen ſie auch 
eingerichtet ſeyn möge, fo koͤnne ſie doch ohne gegen⸗ 


ſeitige Verpflichtung weder ſich bilden, noch fortdau⸗ 


„en. Wenn die Menſchen das Daſeyn und die Vers 
bindlichfeie eines folchen Geſetzes nicht ‚anerkennen 
wollen, find fie im Kriege mit der gefamten Marur, 
und leiden felbft am meiften:dabey. Diefer anarchi⸗ 
fhe Zuftand, und die Gefahren und: Leiden desfelben, 
beweifen die Wahrheit jenes. Geſetzes, welches fie vers 
werfen, und den Misbrauch, welchen fie von ihrer. 
Vernunft machen. Erkennen. aber: die Menfchen ein 

ſolches Gefeg für ihr Thun und kaffen an, und bezies 

hern fie es zugleich auf die Gottheit als: Urheber, fa 
koͤnnen fie auch: durch: ihr Verhalten dem Geſetze ges 
maͤß oder zuwider des Verdienftes und der Belohnung, 
gder der Schuld und der Strafe, fähig werden. 


Ganz anders verhält es fih nun in diefee Hin⸗ 


ficht mit den Thieren. Da fie fich nicht zur dee dee ,- 


Gottheit als Urheber ihres Dafeyns emporzufchwin: 
gen vermögen, koͤnnen fie auch nicht die Eriftenz eines 
praftifchen Gefeges für. ihre Thaͤtigkeit einfehen. Das 
ber ift ihnen weder etwas geboten, noch verboten, und 
lediglich Trieb und Stärke machen ihr einziges Recht 
aus. N 


Die Tiere muͤſſen nach dieſem ihrem Verhaͤlt⸗ 
niſſe zur Natur viele Leiden ertragen, und das ſcheint 
freylich einen Vorwurf gegen die. Vorſehung zu = 


währen. acht. Jahrhund. b. auf Sant: er | 


Heänden. Es mar dies ein Umftand, der auch den 
Des. Cartes und Malebranche bewog, daßfie 
Die. : Thiere für ‚bloße lebendige Automate ausgaben. 
Condillac fuche indeffen bier einen audern Ausweg, 
um die göttliche Vorſehung zu xrechtfertigen. Auf die . 
‚göttliche Gerechtigkeit koͤnnen nur ſolche Weſen Aus 
fpruch machen, denen Verdienſt oder Schuld zukomt, 
und die Thiere koͤnnen fich weder Verdienſt, noch 
Schuld, erwerben. Gewaͤhrt die Gottheit der thie⸗ 
zifhen Seele die: Unfterblicheie nicht, ſo liege die 
Urſache darin, weil fie diefe ihr. nicht fehuldig if. 
Die Schmerzen find ben Thieren eben fo norhwendig, 
wie die angenehmen Empfindungen, die fie haben; 
denn jene waren: das einzige Mittel, ihnen zu zeigen, 
was fie fliehen muͤßten. Auch find die teiden der Thies 
ze Folgen der. von Gott angeordneten allgemeinen Nas 
turgeſetze, die er um ihrer willen niche abändern und 
aufheben konte oder wollte. Da ferner den Thieren 
Diele menfchliche Eigenfchaften fehlen, und ipre Bes 
dürfniffe auf eine fehe-geringe Zahl befchränft ſindz 
fo können‘ fie auch. niche alle die Leidenfchaften haben, 
welche bey den Menſchen angetroffen werden. 


Die Selöftliebe haben alle thierifche Weſen 
mit einander gemein, und aus dieſer entſpringen alle 
übrigen Triebe und Neigungen. Inzwiſchen ift bey 
den. Thieren die Selbftliebe keinesweges ein Trieb 
‚ der Selbfterhaltung; denn um diefen Trieb zu 
baben, muß man einfehen, daß man umfonmen 
kann; und dies erfodere Reflexion nach ähnlichen 
Faͤllen; ſondern es iſt lediglich ein Beftreben, alle 
unangenehme Empfindungen zu entfernen; und nur 
infofern ſtrebt jedes: chierifche Individuum nach Ers 
haltung. ‚feiner: ſelbſt. — nimt * kein er 

Go E 4 au 


u 72 Seſchtchte der neuern Pötefopfie 


anf. Diejenigen feiner At, die das, — verloren bar 


‚ben, weiter Ruͤckſicht. Vom Tode haben die Thies 


re gar Peine Vorſtellung. Sie kennen das Leben 


nur durch die Empfindung, und flerben, ‘ohne 
vorbher geahndet zu haben, daß ſie einmal aufhoͤren 
würden, zu exiſtiren. Nenn fie für ihre Selbſter⸗ 
haltung thätig find, fo gefchieht es lediglich, um ben 
Schmerz; von ſich zu ‚sotieenen; ie 


| Beym Menfchen. ereignet fi von allem — 

das Gegentheil, und ſeine Selbſtliebe hat daher ei⸗ 
nen ungleich weitern Umfang. Dieſe entwickelt, er⸗ 
weitert ſich, aͤndert ihren Charakter nach den Gegen 
ſtaͤnden, und nimt fo viel vetſchiedene Formen an, 
wie es Arten der. Selbfterhaltung giebt, und jede die 
fer Formen macht eine befondere Leidenfchaft - aus, 
Doch ein weſentlich unterfcheidendes Merkmal der 
menjchlichen Selbſtliebe von der thierifchen ift, daß 
jene laſterhaft oder tugendhafe ſeyn kann, dieſe 
nicht; weil der Menſch ſeinen Pflichten einzufehen‘ 
und ſich zu den Gründen der natuͤrlichen Geſetze zu 

erbeben vermag. Die Selbftliebe der Thiere iſt a 
weiter als ein Inſtinet, der bloß phyſiſche Güter oder 
Uebel zum Objecte hat. Der Vortheil, welden die - 
Tbhiere durch die Einfachheit ihrer Triebe: und-Leidens 
fchaften vor den Menfchen haben, iſt nur ſcheinbar. 
Der Menfch Fann: feine fehlerhaften Neigungen vers 

beſſern, ımd fich eine unendliche Summe von Ge - 


nuͤſſen verfchaffen, mas die Thiere nicht Fönnen. Der 


Verſtand und der Wille begreifen bey den Thieren nur 


Diejenigen Operationen, welche in der Seele berfelben 


zu Fertigkeiten geworden find; anſtatt daß eben dieſe 
Vermögen des Menfchen fich auf alle die Thaͤtigkeiten 
erſtrecken, bey welchen bie — ſtatt hat. Aus 

der 


tur des menfchlichen Erkentnißvermoͤgens hat unter " 


pe 


) Religion. nicht anftögig und nachtheilig. 
Siceht man auf das Intereſſe der Philofophie als 


ber Reflerton entfpringen im Menfchen die willkuͤhr⸗ 
lichen’ und freyen Handlungen. Da jene den Thierem 
fehlt, fo find auch alle Handlungen: derfelben durch 
ihre Natur und ihre Umftände deteriminiee *).  - ° 


Die Borfielungsart Condillac’s von der Nas 
den Sranzöfifchen Philoſophen bis zu den neueften Zeiten 


zahlreiche Anhänger gefunden. Das fie durchaus em⸗ 


pirifh ift, und.die Natur bes. Menfchen bloß auf 

innlichkeit zurückfüßre; fo empfiehlt fie fih durch 
bre Popularität, und ſcheint auch. Jedem, der nicht 
tiefer eindringt, ſehr viel für fich zu haben. Es bes 
darf Bier nur, um fie zu verſtehen, einer alltäglichen 
Beobachtung, nicht aber abftraster Reflexionen auf 


ſich ſelbſt, und eines. müßfamen angeftrengten Zefts 
- . haltens und Berfolgens von Begriffen a priori. Das, 


zu fam, daß. Condillaec in den Folgerungen aus 


feinen Prineipien noch fee befcheiden war. Er fchränks 
e.fih bloß auf die Ableitung‘ einer Theorie des Ers 


entnißvermögens aus feinem Principe ein, und bie 


5 


B praftifchen Folgerungen, die er mehr bloß andeutete, 


als ausführte, fcheinen zum mindeften der Moral und 


Wiſſenſchaft, fo iſt diefes durch die Unterfuchungen 


Condillae's zwar in dieſen und jenen einzelnen 
Puncten, z. B. in Anſehung ber- empirifchen Pſycho⸗ 


—* | fogie, 


"#) :Condilac. Traité des animaux, oü apres avoir fait 

‚x‘ ‚ des,obferyations critiques fur le fentiment de Des Car- 
...3es et fur celui de Mr. de-Buffon on entreprend d’cx- 

pliquer leurs priucipales facultes; à Amſterdam 31755. 
Parties, ꝛJIJJ. 92 

IR Es; 


während de achıtz, Jahrhund. b. auf Kant. 73 


— 


33 


— 


| In llefern vermag. 


x 


u — der neuern Plloſophi⸗e E | 
logie, der empirifchen Logik, dee. empiriſchen — 


und Politik, ‚befördert; aber da: er dieſe an ſich wah⸗ 


ren und wichtigen. Bemerkungen als Data misbrauch⸗ 


te, im Ganzen verfehlt, und ſelbſt in mancher DE 


icht beeinträchtigt und vereitelt worben. Der grobe 

mpirismus kann weder theoretiſch noch praktiſch je⸗ 
mals die philoſophirende Vernunft befriedigen. All 
Waheheit wird dadurch precaͤr, und eine bloße Rha— 


pſodie von Meyhnungen, da die Erfahrung ſchlechter⸗ 


dings Leine nochwendige und algemeingültige Regelu 
der Verknüpfung dee Worftelungen, alfo auch feine 
Priticipien zu einer fen Ben | Ertenäife 
" Daß die 5 — ———— Fr das‘ ar 
Burg erweckte Bedürfniß. in Beziehung auf Schmerj 
und Vergnügen die Seelenfäpigkeiten des Menfchen 
zur Aeußerung reizen, und ihre Entwickelung beför 
dern, ift unleugbar; aber daß die Seelenfaͤhigkeiten 
ſelbſt als ſolche aus jenen entſpringen, widerſtreitet 
der Natur dieſer ſelbſt und unſerm eigenen Bewußtk 
n. Der Menſch kann nicht denken, wenn ib - \ 
nicht Gegenftände gegeben werden, die und worüber 
er denkt; aber das Denken felbft und die Gefege des⸗ 


» felben find in feiner vernünftigen Natur a priori ges 


gelindet.  Condillac trieb den Lockianismus zu aus⸗ 


ſchweifend über die Grenzen aller. inneren. Erfahrung _ 
hinaus. Er ließ der Seele auch nice einmal, die reis ‚ 
nen logiſchen Fähigkeiten übrig, die ihr doch. Locke 


übrig ließ, und behauptete ſogar, daß wir in einem 
gewiſſen Sinne das: Empfinden ſel bſt/ und Das, 


Unterſcheiden der Empfindungen, lernenmuͤße 
‚ ten. Es wurde hier von ihm die gelegenheitliche Urs. 


ſache der x Aeußeruns der Seelenfaͤhigkeiten mit der un⸗ 


mit⸗ 


waͤhrend d, acht, Jahthund. 6. auf Kant. 75 


mittelbaren Urſache der Seelenfähigkeiten an ſich vers 
mechfelt. 1, 0.0. | | 
Es iſt wahr, daß Begriffe, und folglich Urs 
theile und Schlüffe,. opne Juhalt durch Empfindung 
der Gegenftände, Teer find; daß die logifchen Faͤhig⸗ 
keiten, wenn fie abftrahirt und objectiv gedacht wers 
den, ‚nicht ohne. Huͤlfe des Innern Sinnes vorgeftellt 
tverden mögen, und daß es infofern fcheint, als od 
alle Thaͤtigkeiten der menfchlichen Seele fid auf das 
Empfinden, redusiren laſſen. Allein die logifhen 
Fähigkeiten an fich find gleichwohl von dem 7 
pfindungsvermögen an fich verfchieden, fin 
— Fertigkeiten (habitudes), die erſt durch 
Erfahrung erworben werden, und Folgen derſelben 
find; fondern/find a priori in und mit der Natur des 
Gemürhs gegeben, und machen die Erkentnitz der Eu 
fabrung moͤglih. we 
ESs iſt unbegreiflih, daß Condillac, fo wie 
alle gröbere Empiriften, fich nicht Die Frage vorgelegt 


baden: Woher die nothwendigen Geſetze des. Denkens 


und Erkennens im Bewußtſeyn ſtammen; da die Em—⸗ 
pfindungen fo zufaͤllig bey verſchiedenen Menſchen, 
und bey demſelben Menſchen zu verſchiedenen Zeiten 
und unter verſchiedenen Umſtaͤnden ſo verſchieden ſind, 
alſo nie nothwendige Regeln begründen koͤnnen, wenn 
auch vermoͤge der Aehnlichkeit der Organiſation und 
bey aͤhnlichen Verhaͤltniſſen die Empfindungen aller 
Menſchen etwas Gemeinſames haben? Kine ernſtli⸗ 
che Erwaͤgung dieſer Frage haͤtte ihn an ſeinem Prin⸗ 
eipe, falls es Erflärungsprincip des geſamten Erkent⸗ 
nißvermögens ſeyn ſollte, irre machen müffen. "Alles 
Verknuͤpfen der Empfindungen nach Regeln, alles, 
was in der Erfeneniß auf Reflerion und apa 
*. | / erubt, 


e 


76 GBeſchichte der neuern Pfiofophie u. 
% 


| beruht, und aus dieſen hervorgeht, alles;,. wos ‚bie 


willkuͤhrliche Aufmerkfamkeit nach einem Zweckbegriffe | 


bewirkt, laͤßt fich fchlechterdings nicht aus dem Ems 
pfindungsvermögen herleiten. Weun gleich die voll 


Gen Uncheil bat an den größeren Kunftfertigfeiten, 
wodurch fih der Menfch über die Thiere erhebtz 
fo ift fie doch nur als mechanifches Werkzeug zu die 
Br befärberlic, night aber als. Princip und Urſache. 


Die von Condillae zur Erklaͤrung der menſch⸗ 
iten Natur betretene Bahn war es auch, wel—⸗ 
che Claude Adrien Helvetius verfolgte; nur 
daß er ſeinen Empirismus noch mehr vereinfachte, und 


geiſtvoller darſtellte, auch intereffantere praktiſche Ans 


wendungen davon auf das menſchliche Leben, auf Re 
Kigion und Politik, machte. Cr wurde gebößren zu 


Paris im J. 1715 aus einer urſpruͤnglich Pfätzifchen 


wo komnere Förperliche Organifation des Menfchen gros 


Familie, : die wegen Religionsbedrüdung nach Hols 


land ausgewandert war, und fich: dort niedergelaflen 


batte. Erſt fein Großvater lebte unter dem Namen 


bes Hollänbifchen: Arztes. zu Paris, ward wer 


“gen feiner Verdienfte von Ludwig XIV. in den Adels 
ftand erhoben, und zum Aufſeher der Hofpitäler- ers 
nannte, in weicher Würde er.im J. 1727 ftarb. "Auch 
der Vater des Helverins war Arzt am königlichen 
Hofe, und befonders bey der Königinn fehr beliebt. 


Von diefem erhielt er fehon im Knabenalter die forge 


fältigfie literarifche zum, der aber fein Genie 
immer zuooreilte.. . Da die Familie Fein anſehnliches 
Vermoͤgen beſaß, ſo beſtimte ihn der Vater fuͤr das 
Finanzfach, in welchem er Gelegenheit haͤtte, ſich zu 
‚bereichern, und zugleich Muffe, von feinen Talenten 
einen beliebigen anderweirigen Gebrauch zu — 

eh 


* 


während d. achtz. Jahrhund b. auf Kant. 7 


Beny einem Verwandten zu Caen erwarb fich der 


jüngere Helvetius die zu jener Beſtimmung norhs 
bürftigen  Kentniffe,; und erhielt nun durch Vermitte⸗ 


lung der Königinn im drey und zwanzigften Jahre - 


feines Alters die Stelle-eines Generalpächters, Die 
ihm eine‘fo anfehnlide Summe einbrachte, daß er 


‚nicht nur den von feinen Eltern-dem Könige gethanen 


Vorſchuß abtragen, fondern auch felbft in der größe 
ten Opulenz und Bequemlichkeit leben konte. i 


- Bon feinem nun erworbenen Reichtpume machte 
Helverius einen auch für Andere fehe wohlchätigen 
Gebrauch. Indeſſen feine Liebe für die Literatur, die 
entfchiedenfte Abneigung gegen feinen Beruf, und Vers 
brüßlichfeiten, welche er fich Dadurch -Zuj0g, daß er 
fi) der Klagen der Unterehanen in feinem Depars 
tement gegen den Druck des Maurhwefens und die 
Ungerechtigkeie von Mauthbeamten annahm, bewirk— 
ten in ihm den Entfchluß, die Generalpächterfielle 
niederztilegen, und fich in die Einſamkeit auf ein Lands 
gut zu begeben. Aus Gefälligkeit gegen feinen Va—⸗ 
ter Paufte er jedoch die Stelle eines Haushofmeifterg 
der Königinn, die ihn aber an der Ausführung feis 
nes Entfhluffes nicht hinderte. Die Verfertigung 


eines Gedichts Sur le bonheur, das igt das unbedeus 


tendfte oder doch am wenigften gefannte. und gefchägte 


Werk des Helvetius ift, leitete ihn auf feine Be⸗ 


trachtungen über die menfchliche Natur, deren Refuls 
tate er bernach in feinen Schriften dargelegt hat. 


Im 3. 1758 gab er zuerft das Werk: De l’efprie 


- heraus, Es erregte bey feiner Erſcheinung großes 


Auffeben, und ward höchft verfchieden beureheilt; von 
Einigen mit Enthuſiasmus geptiefen, (wie z.B. eine 
geiftvolle Damme von dem Verfaſſer desfelben äußerte: 

Ä Ä | C’elt 


x 
J 


4 Geſchichte der neuern Philoſophie 
C’eft'un homme, quiia dit le fecret de tout le mon⸗ 
de), von Andern, am meiften von den Jeſuiten, mels 
che damals noch bey der Franzoͤſiſchen Geiſtlichkeit 
den Ton angaben, als gefährlich verfchrieen und vers _ 
damt. Die leßtere Partey mußte felbft durch mans 
cherley Intriguen das Parlament gegen Hrlveriug 
einzunehmen. Die Berfolgung ward gleichwohl durch 
“ einen Befehl des Minifterium’s auf die Confifeirung 
des Werks eingefchränkt.. Helverius hielt es daher 
feinem perfönlichen Intereſſe zutraͤglicher, die Heraus. 
gabe eines andern Werks: De ’homme, das eine 
Fortfegung und weitere Ausführung jenes erflern ift, 


0 Bis auf Die Zeit nach feinem Tode aufzufchieben. Er 


lebte ſeitdem in der Stille, theils.auf feinem Landgus 
te, tbeils in Paris, und genoß nur des Umgangs 
eines Meinen Eirkels von Freunden, zu denen insbes 
fondre auch Voltaire gehörte. Das Jahr 1764 
brachte er in England zu, wo er, da fein Ruhm im 
Auslande ſich ſchnell verbreitet hatte, die günftigfte 
Aufnahme fand... Im nächften Jahre begab er ſich 
nach Deutſchland zufolge wiederholter Einladungen, 
die er von Friedrich dem Großen und einigen ans 

dern Deutſchen Fürfien erhalten harte. Unterdefjen 
wurde der Orden der Jeſuiten in Frankreich aufgehos 
ben auf eine Art, die viele einzelne Mitglieder desfels 
ben in die traurigfte tage verſetzte. Helvet ius hats 
te. bier unter andern Gelegenpeit, dem Jeſuiten, der 


ebedem fein freundfihaftliches Vertrauen gemisbraudhe, 


ibm das Wohlwollen der Königinn entzogen, und die 
Froͤmmler am Hofe gegen ihm gereizt hatte, und der 
igt auf dem Lande in Duͤrftigkeit und Elend ſchmach⸗ 
tete, wohlthaͤtig zu unterftügen, ohne daß dieſer den 
Namen feines Woblthaͤters erfuhr. Kurze Zeit nach. 
feiner Ruͤckkehr in's Vaterland ſtarb er im J. Au 1. 
—— — eine 


wahrend d. achtz. Jahrhund. b. auf Räit. 79 ' 


Seine nachgelaffenen Schriften kamen unmittelbar nach 
feinem. Tode einzeln heraus, und find in die Samlung 
feiner Werke aufgenommen! 


. „Um die Philoſophie des Helvetius zu charak⸗ 
teriſiren, will ich einige ſeiner Hauptideen aus den 
Werken De Pefprit und De P’homme auszeichnen. 
Unter Efprit verſteht er bald die Fähigkeit zu dens - 
fen, bald den Vorrath von Ideen und Kentniſſen 
ſelbſt, welchen Jemand befige. Die Ideen werden 
durch die Eindruͤcke der äußern Gegenflände auf uns 
fere Sinne erworben und durch das Gedächtniß 
aufbewahrt, welches nur eine, wiewohl fhmächere, 
Fortfeßung des erften Eindrucks if. Die Fähigkeit, 
miittelſt dee Sinne Ideen zu erwerben und im Gedaͤcht⸗ 
niffe zu bewahren, wuͤrde uns inzwifchen nur ſehr bes 
ſchraͤnkte Kentniſſe verfchaffen , und uns ohne Künfte, 


ohne Sitten und bürgerliche Verfaſſung -laffen, wenn 


uns die Matur eben fo, mie die meiften übrigen Thies 
re, gebilder hätte. , Die Einrichtung unfereer Hände 
und Finger ift es, der wir unfere Induſtrie verbans 
Ben. Ohne diefe Induſtrie würden wir gleich den Thies 
ren im Walde nue mit dee Sorge für unfere Nah⸗ 
rung und Vertheidigung befchäfftige, kaum ſchwache 
ober barbarifche Gefellfchaften formire haben. — 


Die Gegenftände, von denen uns die Sinne bie 
Ideen gewähren, ftehen in verfchiedenen Beziehungen . 
zu uns und ımter einander ſelbſt. Der menfchliche 


. Geift erhebe fih zur Erkentniß diefee Beziehungen, _ F 


und hierauf iſt fein ganzes Vermoͤgen eingefchränft. 
Die Wahrnehmung folcher Beziehungen ift das, mas 
‚man Urtheil nenne. Urtheilen it Empfins 
den. Die Farbe, welche ich roch nenne, wirkt ans 
ders auf ge. ‚ als diejenige, welche ich gelb 

| nenne, 


80 Geſhihte der neuern Volbſephi 


nenne. Die Idee dieſer Verſchiedenheit iſt ein Urtheil, 
und dieſes ſelbſt iſt alſo eine Senſation aus mehr an⸗ 
deren Senjationen zuſammengeſetzt, die wir in dem 
Momente empfiengen, oder im: Gedächtniffe aufber . 
wahrten. Selbſt die Begriffe von Stärke, - Vermoͤ⸗ 
gen, Gerechtigkeit, Tugend, u. dgl. gründen fi, 
wenn man fie analyſirt, auf-finnliche. Bilder in der 
Mbantafie, oder im Gedaͤchtniſſe. Alle Thaͤtigkeit 
des Menfchen laͤßt fich alfo zulege auf Empfinden 
zurückführen, und ‚die größere Fähigkeit, die der 
Menfch Hat, mannichfaltige Eindrücke, und diefe 
beftimter und feiner zu empfinden (la fenfibilit€ phy- 
fique), ift «6, mas ihn von den Thieren unterfcheider. 


Der Menfch ift dem Irrthume unterworfen. 
Dieſer hat drey allgemeine Urſachen, die Leidenfchaft, 
die Unmiffenfchaft, und den Misbrauch der Wörter. 
Die Leidenfchaften täufchen uns, weil fie uns die 
Gegenftände nur von Einer Seite zeigen. Go richtet - 
ein ergeiziger Fürft feine Aufmerkſamkeit bloß auf den 
Glanz des Giegs und den Pomp des Triumphs; er 
vergißt die Unbeftändigkeit des Gläcfs und die Uebel 
des Krieges. So ftellt uns die Furcht Schreckens 
. bilder dar, und verfperre der Wahrheit den Zugang. 
Noch fruchtbarer an Täufchungen ift die Liebe. Die - 

Unwiffenheit ift die Urſache des Irrthums bey 
fehwierigen Unterfuchungen. Go iſt aus Mangel am 
hinlaͤnglicher Einficht die Frage vom Werthe des Luxus 
noch nicht hinlaͤnglich aufgeflärt.. Wegen des Miss 
brauchs der Wörter verweift Helvetius auf 
ode Er zeigt, daß der falfche Sinn, welchen 
man den Wörteen Raum, Materie, Unendflis 
ches, Selbſtliebe, Frenheit, u.a. beygelege 
hat, die Quelle von tauſend Irrthuͤmern in der Mes 


mährend d, achtz. Jahrhund b. auf Kant. gr 


taphyſit und Moral geworden if. Die Materie 
iſt michts als eine Samlung von Eigenſchaſten, vie 
allſen Koͤrpern gemein ſind. Der Raum iſt das blo— 
Be Michts oder das Leere; zugleich mie den Körpern 


betrachtet ift er die Ausdehnung. Das Wort Uns 


endlich giebt nur eine dee, die Abweſenheit der 
Schrauken. Die Selbfttiebe it ein von der Mas 
tur uns eingepflanzees Gefuͤhl, dag tugendhaft oder 


laſterhaft iſt, nach der Verſchiedenheit des Geſchmacke, 


der Leidenſchaften, der Umſtaͤnde. Die Freybeit 
des Menſchen beſteht in der willkuͤhrlichen Aeußerung 
ſeiner Faͤhigkeiten. Fu 


Der Verfiand Cl efprit) hat mehr oder wents 


ger die Achtung des Pudkicums, je nachdem die Ideen . 


neu, möglich und angenehm find, Nice die Menge 
und der Umfang derfelben gewinnen unfere Achtung; 
ſondern lediglich die Beziehung, worin fie zu unferer 
Gluͤckſeligkeit fteben. Die intereſſanteſten Adeen füe 
uns find allemal diejenigen, die am meiften unfewog 
Meigungen fchmieicheln. Es giebt zwar Philofoppen, 


welche von der Liebe zur Wahrheit befeelt belebrende 


Ideen vorziehen; aber ihre Zapı ift fehr Flein. Jeder 
Menſch hat von fich feldft den hoͤchſten Begriff, und 
ſchaͤtzt in Andern nur fein Bild, oder das, was ihm 
nuͤtzlich ſeyn kann. Wenn das Publicum einem mits 


telmäßigen Verftande feine Ehre erweift; fo fiege der - 


Grund darin, daß er niemals von einigem Mugen 
A. Ehrte man unter gewiſſen Umftänden mittelmäs 
Bige Köpfe, die Feldherren oder Miniſter geworden 
waren; fo ruͤhrte es daher, weil fie das Glück bass 
ten, Nutzen zu fchaffen. 


Die. Liebe zur Tugend iſt nichts anders, als 
das Streben nach allgemeiner Glüctfefigfeir, und tus 
Buble's Gefch, d, Philef. Vi. B. F gend⸗ 


8X 


% 


92  .Gefchichte. der neuern Philoſophie 


gendhafte Handlungen find folche, "die hierzu beytra⸗ 
‚gen. Die dummſten Voͤlker haben. in ihren feitfams ’ 
ften Gewohnheiten doch ſtets ihre Gluͤckſeligkeit zum 
Zwecke; und wenn man in gewiſſen Laͤndern und Oer⸗ 
tern Handlungen ehrt, die uns laſterhaft und verbres 
cheriſch feheinen, ſo find dieſe Handlungen Dort gewiß 
möglich. Ein mir Liſt und Gefchicklichkeit ausgeübs 
ger. Diebſtahl wurde zu Sparta geehrt, weil. in dies 
fem durchaus Priegerifchen Frepflate, .wo es an Sinn 
fe Eigenthum gänzlich gebrah, die MWachfamkeit 
- amd Gewandtheit nuͤtzliche Eigenfchaften waren. In 
China, wo die Bevölkerung zu groß it, dürfen Die 
Eltern ihre Kinder ausfeßen oder toͤdten. So graus. 
ſam diefes Gefeg ſcheint, fo wird doch dadurch großen 
Uebeln vorgebeugt, und alfo ift es nuͤtzlich. Kurz 
überall iſt es der Mugen oder Schaden, ber die 
Handlungen als Tugenden oder als Verbrechen ers, _ 


ſcheinen laͤße 


Freylich verknuͤpft man in allen Laͤndern den Be⸗ 
griff der Tugend auch mit Handlungen, durch die 
‚gar kein Mugen geſchafft wird. Aber dann glaube 
man do, daß durch dieſelben irgend ein Out 
hervorgebracht werde, fen es in dieſer oder in einer 
anderen Welt; und folche Handlungen nenne Hels 
vetius Tugenden des Wahns und Vorur— 

theils, von denen man die Menfchen zu heilen fus 
chen muß.  Dergleihen Vorſtellungsarten gründen 
fih nur auf den Vorzug, welchen man befonderen Ges 
fellfchaften vor der menſchlichen Geſellſchaft überhaupt 
einräumt; was fchon allein fie lafterhaft macht. Was 
für Gutes bringe die Auftericät der Mönche und der 
Fakirs fuͤr Die Welt und ihr Vaterland hervor ? 


Es 


x 


waͤh rend d. achtz. Jahrhund. b. auf Kant. 83 


Es giebt denn umgekehrt auch Verbrechen des 


Wahns und Vorureheils, wie es ſolche Tugens 


den giebt. Dergleichen find Handlungen, die duch 


Die bey einem Wolfe geltende Meynung verdammt wers 
den, ob fie gleich Miemanden fchaden. Daraus, daß 
es mwirfliche und eingebildere Tugenden giebt, folge, 
dag den den Völkern zwey Arten dee Verderbtheit eris 
flirten, eine politiſche und eine religiöfe. 

Fann ſeyn, daß die leßtere nicht verbrecherifch ift, wenn 
fie fich mit dee Liebe zum gemeinen Beſten, mit: Tas 
lenten und wahren Tugenden verbinder. Die politis 
fche Verderbtheit im Gegentheile befoͤrdert den Verfall 
der Staten. Sie findet bey einer Nation ſtatt, wenn 
die Individuen ibr Privatintereſſe von dem allgemei⸗ 
nen Intereſſe abſondern, und iſt immer eine Wirkung 
der Statsform und am meiften dee Statsverwaltung. 
Zuweilen ift die religiöfe Verderbtheit mit der politts 
fchen verbunden, oder unwiſſende Moralifien verwir⸗ 
ren ſie mit einander. 


Ueberhaupt muß man in der vVerfa ffung * 
Bermaltung der Staten die Urſachen der Laſter 
und der Tugenden der Menfchen fuchen. Man muß 
den Luxus, der einem großen State nothwendig ſeyn 
kann, und die Galanterie, weicher die Menfchen bie 
Künfte, ben Geſchmack, und die politifchen Tugenden 
verdanken, minder der Kritif unterwerfen, als. die 
Erziehung, die aus einem Menſchen einen Feigen, 
einen Schaven, einen Betrieger, oder einen Narren 

machen kann. Die Declamarionen der Moraliften 
dienen. bloß zur Befriedigung ihrer Eitelkeit, and 
Bringen nichts Gutes hervor; auch find Heuchler uns, 


ter den Moraliften, die gleichgültig allen Uebeln zus. 


— welche den Ruin —— Vaterlandes berbepfün, 
den, 


84 "Gefchichte der neuern Philoſophie 


ten, und fich gegen Pleine Ausfchweifungen im Ger 
nuffe der Vergnügungen ereiferm 


Nach den obigen Principien, meynt Helves 
tins, ließefich ein Katechiem von Marimen entwers 
fen, ‚die wahr, deutlich und unmwandelbar ſeyn würs 
den. Ein Volk, das. darin unterrichtet wäre, und 
fie befolgte, würde weder von politifhen Laſtern, noch 
von Tugenden des Vorurtheils angeſteckt werden. Der 
dadurch aufgeklaͤrte Geſetzgeber würde nur nuͤtzliche 
Geſetze geben, und dieſe wuͤrden beobachtet werden. 

Werden die Geſetze nicht befolgt, ſo beweiſt dies im⸗ 
mer die Ungeſchicklichkeit des Geſetzgebers. Die Be⸗ 
fopnung, die Strafe, die Ehre und die Schande find 
vier Gottheiten ‚ welche die Tugenden unter den; Mens 
ſchen verbreiten, und vorereffliche Männer: in allen 
Fächern pervorbringen können. Um die Moral zu 

vervollkomnern, . haben die Gefeggeber zwey Mirtel, 
das eine, das Privarintereffe der Zndividuen mit, dem 
allgemeinen deo Stats zu vereinigen; das andere, Die 

Fortſchritte der Aufklaͤrung bey der Mation zu beförs 

deru. Um das letztere zu thun, muß mau aber wifs 
fen, ob der Verſtand (eſprit) ein Gefchenf der Mas 

eur, oder eine Frucht dee Erziehung ill. ı 


Alle Menfchen haben hinreichend gute Sinne, 
um diefelben Verhaͤltniſſe und Beziehungen in den Ger 
genftänden wahrzunehmen; fie haben gleiche Beduͤrf⸗ 
niffe, und würden auch ein gleiches Gedächtnig ha: 
ben, wenn fie alle diefelbe Aufmerkſamkeit anwende⸗ 
ten. Alle gut organiſirre Menſchen find der Aufmerk— 

ſamkeit fähig. Sie lernen ihre Sprache; fie fernen 
Leſen, und begreifen wenigſtens die erſten Saͤtze des 
Euflides. Das waͤre genug für fie, um ſich zu den 
boͤchſten Ideen zit erheben, wenn fie nur die Anſtten⸗ 
* gung 


\ 


* 


während d. achtz. Jahrhund. b. auf Kant. 85 


gung der Aufmerkſamkeit nicht fcheuten, und um fie, 
wiche zu ſcheuen, -Leidenfchaften haͤtten. Diefe find. 
e8;,::die, den Geiſt befruchten, und zu großen Ideen 
erheben; weun und wo fie fehlen, werden die Mens 
fhen dumm, Die Fürften zeigen bisweilen Verſtand 
genug, um nach dem Defpotism zu trachten. - Iſt 
ihr Wunſch erfüllt, fo haben fie niche mehr den Murp, 
fi) den Annehmlichkeiten der Traͤgheit zu entziehen, 
und fie verfauern gleichfam in ihrer Hoheit. Der Urs 
fprung der Leidenſchaften liege im der phofifchen Ems 
pfindlichkeit, in dem Triebe zum Vergnügen und. der 
Furcht vor dem Schmerje, die ale Menfchen. auf glei⸗ 
he Weife in Bewegung und Thaͤtigkeit fegen. . Alle. 
Menfchen find. für bie Leidenfchaften. in gleichem Gras 
be. empfänglich; alle Fünnen mit Heftigkeit die ‚Ehre. 
und. die Tugend: lieben, und große Handlungen vers, 


richten. Bloß durch die Geſetze und die Erziehung, 


welche zum - Gehorfame ‚und, zur. Ehrerbietung, gegen: 
die Geſetze vorbereitet, — * gleich BERN ® 
Menſchen ver: AR * 


Die Erziehung wird u ſebr vernachlaͤſſigt; aber 
um voͤllig einzuſehen, was ſie über die Menſchen vers: 
mag, komt es auf eine genaue Beſtimmung der Ber: 
griffe an, welche mit den mancherley Mamen, womit 
man die verſchiedenen Arten des Geiſtes Celprit) bes 
zeichnet, verbunden: werden. Den Damen des Ga 


miss giebt man grfinderifchen- Köpfen. Es ift ‚Fleiß 


und Arbeitſamkeit, durch die Leibenſchaften, vornehm⸗ 
Uch die Ehrbegierde, angeſeuert, die die Seele zu ers, 
babenen Meditationen feiten, und fie neue Wahrheiten, 
“finden, neue: Combingtionen verfuchen iaſſen. Die 
Gegenſtaͤnde die einen Kopf umgeben, und die Um⸗ 
in man: wi, ag sichten, . ehr. Dee 


Bin 


36 Geſchichte der neuern Phitofsphie 


ſchraͤnken ſein Genie. Die Phanta ſie zeigt ſich in 
der Erfindung von Bildern, wie der Verſtand in 
der Erfindung von Ideen; ſie glaͤnzt am meiſten in 
Schilderungen, Gemaͤhlden u. dggl. Das Gefuͤhl 
(ſentiment) iſt die Seele der Poeſie. Der Dichter, 
welchem es fehlt, bleibt entweder hinter der Natur 
zuruͤck, oder ſchweift Darüber hinaus. Der Vers 
ftand (im engern Sinne) ift nur eine Samlung neuer 
Keen, die nicht Unifang oder Wichtigkeit genug has 
ben, um ihrem Befißer den Namen eines Genies zu 
erwerben. Mach dieſem Begriffe waren Machia⸗ 
Hell und Montesquieu Genies; fa Rochefau⸗— 

cault und fa Bruyere waren nur Männer von 
Verſtand. Talent iſt Faͤhigkeit in Einer Gattung, 
wobey ſich mittelmäßige Erfindungen anbringen laſe 
fen. Der Geiſt ift fein, wenn er- Pleine Objeete 
wahrnimt und etwas zu errathen giebt; er ift ſtark, 
‚ wenn er Ideen erzeugt, die ſtarke Eindrücke bewirken 
koͤnnen; er ift belle, wenn er abftracte Ideen mit 
Klarheit darftelle; er ift umfaffend, wenn er eine 
große Mannichfaltigfeit von Ideen begreift, und fehe 
entfernte Beziehungen und Verhaͤltniſſe wahrnimt; er 
ift eihdringend, tiefſinnig, wenn er die innere 
Beſchaffenheit der Objecte durchſchaut; er iſt ein ſchoͤ⸗ 
ner Geiſt, wenn er mehr auf die Auswahl der Wor⸗ 
se und Wendungen, als der Ideen⸗ wor, 


Helvetius dringt nun tiefer in das Weſen der 
Etietörrfafngen ein, um den Einfluß im Allgemeis: 
nen jun beſtimmen, welchen fie auf den’ Geift und Cha⸗ 
rakter der Voͤlker haben. Horatius Cocteo und 

Leonidas konten in’ißren Republiken nichts anders 
als Heroen ſeyn. In dieſen waren Menſchen von 
ſchwachen leidenſchaften vech zum mindeften gute Buͤr⸗ 

ger. 


während di achtz. Jahrhund. b. auf Kant. 87 


dee; "Ne Republiken gehen: zu Grunde, wenn Ehre 
und Vergnuͤgen an die Tyranney, an die Macht ge⸗ 
knupft ſind. Dieſelben Menſchen, welche Scirio⸗ 


ne und, Camille gerdefen wären, werden alsdenu | 


Marie und Eorilina’s ſeyn. 
. Alle Menſchen haben einen geheimen Hang zum 


660 ‚weil Jeder von dem Groͤßten bis zum 


Be Andere feinem Gluͤcke dienfibar zu machen 


cht. Um eine. Tyrannen zu begründen, bedarf es 


nicht. immer Talente und. Much, fondern zuweilen nue 
ne gemeine Kuͤhnheit und Laſterhaftigkeit. Dee 
egent faͤngt an, die verſchiedenen Staͤnde der Na⸗ 
tion mit einander zu entzweyen, und eine Art von Anar⸗ 
chie unter ihnen zu verbreiten, ſo daß eine Partey der 
NMation Die Unterdruͤckung der anderen wuͤnſcht. Nach⸗ 
het braucht er feine Gewalt, macht die Tugenden zu 
Verbrechen, vervielfaͤltigt Die Delatoren, hindert die 
Aufklaͤtung, und verbannt auf gleiche Weiſe die 
Seneca's und die Thraſeas. Aber die- Defpoten 
geben ihrem Heere, das ihnen ergeben ift, ein Ges 
fühl: feiner Kraft, und enden gemöhnlich damit, 
daß fie feine Dpfer werden, ‚wie diefes Die Gefchichs 
ze der Mömifchen Kayſer, und der türkifhen Sul— 
tane beweiſt. Der größte Starsverbrecher ift das 
ber derjenige, der feinem Fürften rärh, feine Gewalt 
zu weit auszudehnen, und die Unterthanen zu fehe 
fühlen zw laffen. Unumſchraͤnkte Defporen von Voͤl⸗ 
Fern, die es nicht wagen, fie zu tadeln, haben auch 
kein Beduͤrfniß, ſich zu unterrichten. Ihre Mint: 
ſter, die Zufall, Gunſt und Intrigue zu ihren Stel⸗ 
len erhoben bat, haben gar feine Idee von Gerechtigs 
keit, weifer Starswerwaltung und von Tugend. Go 
bewirkt und unterhaͤlt die Unterdruͤckung und Herab⸗ 
nen 4 würs 


88: Geſchichte der neuern Philoſophie Aber 


Würdigung: der Voͤlker die Unger Bü ann 
ihrer Minifter, ee eu 


Tugenden giebt es nur in Ländern, wordi⸗ 
Geſetzgebung das Privatintereſſe der Brger mit dem 
Öffentlichen und gemeinſamen vereinigt. Bey Wäls 
fern‘, wo die Macht unter der gemeinen Bürgerclaffe, 
den Großen, und dem Regenten gecheilt ift, Beschäfe 
tigen fich Bürger jeder Are mitt wichtigen Gegenftäns 
den, und: die Freybeit, welche fit haben, Alles‘ zu 
benfen und zu fagen,. erhebt die Gemuͤther und ‚giebt 
ihnen Stärke und Energie. Eine Elehre‘ Stadt Grid 
chenlands hat mehr edle Handluugen und große Maͤm 
ner hervorgebracht, als alle die ungepenern, Reiche 
des Orients. 


Die Stärke der Leidenſchaften iſt den Beiebnun. 
gen angemeſſen, die man ihnen zum Ziele des. Beſtre⸗ 
bens vorpält. Die Haufen Gold in Merico und Pas 
ru, die den Geig der Spanier erweckten, ‚ließen ſie 
under der Tapferkeit verrichten. ». Die Mohamme⸗ 
daner und bie alten Bewohner. des Morden von. Eus 
ropa , in der Hoffnung, die Houris und die Valfgren 
zu umarmen, gehen mutbig dem Tode entgegen. Ue— 
berall wo Die. Wiffenfchaften zu Ehre und Gluͤcke fuͤh⸗ 
ven, gedeihen fie. Der gejunde Verſtand, der. nur 
die Folge ſchwacher Seidenfchaften iſt, ſchafft nichts; 
erfinbder nichts, Andere nichts, und klaͤrt fich nicht-auf, 
Iſt Alles in der Ordnung, fo ift er hinreichend, die 
böchften Stellen im State zu verwalten. Aber müfr 
fen Misbraͤuche abgefchafft und verbeffert werben, ſo 
verrärh er nur feine Unfähigkeit. Nur das, Genie, 
durch ftarfe Leidenfchaften begeifiert, gründer-und vers 
befjere die Verfafjungen der Starten. . Ob man zu 
vroßen Dingen —— ſey, kann man an * 

wiſſen 


\ 


wahrend de achtz Jahthund. 8. auf Kant. 99 


wiſſen Zeichen erkennen: 1) Wenn man den Ruhm 
genug liebt, um ihm alle andere Leidenſchaften aufzug 
epferu;.,2) Wenn man edle Handlungen oder Werley 
Denen- der Beyfall aller Jahrhunderte zu Theile-ge® 
worden, <lebbaft.hrwundert; 3) Wenn maus Dieugung 
— Maͤnner ſeines eigenen Zeiralters wahrhaſt liebte 


"De Geſchmack iſt die Kentniß deſſen, wis 
* Publicum einer gewiſſen Nation gefaͤllt. Mar 
erwirbt ſich dieſe Art von Geſchmack durch die Fers 
tigken in Vergleichung der Urtheile. Der wahre und 
vollkomne Geſchmack iſt derjenige, der ſich auf eine 
eiefe Kemniß der meuſchlichen Natur gründet. — 


AUm in Kuͤnſten, Wiſſen ſchaften und Geſchaͤff 
un glücklich zu ſeyn, muß man vor allem andern. die 
Ueberzeugung hegen, daß mau ſich nicht in ſehr ver⸗ 
ſchiedenen Faͤchern auszeichnen. Man zähle weder 
deu Newton zu den Dichtern, noch den Milton 
zu den Geometren. Es giebt verfchiedene ausfchließs, 
liche Talente. Es giebt gewiſſe Eigenfchaften, und 
man kann ſogar ſagen, gewiſſe Tugenden, die nicht 
mir gewiſſen Talenten verbunden ſeyn koͤmnnen. Daß 
man diefe- Wahrheit verkennt, ift die Quelle vieler 
Ungerechtigkeiten. Man rühmt die Mäßigung eines 

bilofoppen, und befchwere ſich über feine geringe 
mpfindlichfeit, ohne zu erwägen, daß er nur.dem 
ruhigen Zuftande feines Gemuͤths das Talent der Bes 
obachtung verdankt. Man fodert, daß dee Mann 
von Genie immer weife ſey, und vergißt, daß: das 
Genie das Beftreben von Leidenfchaften ift, bie fich 
felten mit der Weisheit vertragen. Helvesius fpriche 
weitlaͤufig von ber Erziehungswiffenfchaft, und erklärt 
Diefe fire Die Kentniß der ſchicklichen Mittel, um bey 
Deu — Staͤrke des Koͤrpers, Aufklärung des 
* Ss Gei⸗ 


95 Wefihichte der neuern Philoſophle 


Seiſtes und Tugend des Charakters ju bewbirken. : Die 
fe Drittel "hängen gänzlich von der Megierung eines 
Siats ab. : Unter einer ſchlechten Verfaffung: und 
Verwaltung dis Stars Fännen weder die Natur, noch 
Die Erziehung die Menfchen aufgeklärt und tugend⸗ 
haft machen; weil die Mienfchen ſtets nach ihrer Gluͤck⸗ 
ſeligkeit trachten, und. unser Tyraunen : Aufklärung 
und Tugend nicht zur Gluͤckſeligkeit führen *). « 


Helvetins war. im feinem Principe, daß die 
Datur.des Menfchen bloß in Sinnlichkeit beftehe, 
mit. Condillac durchaus einig; aber in feinen Falk 
gerungen, beſonders in den praktiſchen, war er un⸗ 
Hleich kecker, als dieſet. Ueberhaupt betrachtete und 
behandelte Helvet ius die Theorie des Etkentnißver⸗ 
moͤgens nur als Mittel, um dadurch alle wahre un⸗ 
eigennuͤtzige Moral und alle Religion, vollends die 
I Er ee 
4*) De T’Efprit;. (par Claude Adrien Helvesius); a Paris 
14: 1758; 2 Voll., 8.» (auch-3 Voll. 12) a Amſterdam 17765 
au2 Voll. 12. a Londres 1784; 2Voll. 12. Deutfd 
von Goh. Gabriel Forfert mir einer Vorrede von 

J. Chr. Gottſche dz Lieanitz und Leipzig 1760. 1787: 

8. — 'Ebendesf. De PHomme, de fes facultes, 

‚et de fon education. , Quyrage poſthume. 1772 2 Voll. 

8. Eine neue Ausgabe zu Paris 1786; 3 Voll. 8. à 

 Londres 1786. = Voll. 8 Deutſch von Ehr. Ang: 

- Wichmann; Breslau 17745 28. 8. Die Werke des 

Helvetius find zuſammen herausgelommen zu Amfters 
dam 17765. 5 Voll. 12. und zu London 1777; 4.Voll, 
6. Die neuefte und befte Musaabe ift: Oeuvres com- 
letes d' Helverius; edition, dans laquelle le livre de 
—*8 a été rectiſié fur un exemplaire du tr&s petit 
nömbre de ceux, qui ont paru de cet ouvrage, tel 
que !’autcur l’avoit eompoſẽ; dans la quelle on a mis 
pour la premiere fois à leur place, felon les citations, 
toutes les notes dans le Traitd de PHomme 'et de fon 
education 1794; 5 Voll, und abermals 1796. ı4 Voll. 18. 


während-d; achtz. Sahrhund:b. auf Kant, gr 


herrſchenden ‚pofitiven ‚Religionen ,: unter. denen er je⸗ 
Doch dem Proteſtantismus, und zwar gerade des pros 
teſtantiſchen Geiſtes wegen, vorzuͤgliche Gerechtigkeit 
wiederfahren laͤßt, zu untergraben, und die Moral; 
Politik und Religion bloß anf: ein. eigennuͤtziges In— 
tereſſe der Individuen und des Stats zu gruͤnden. Das 
Syſtem des Helverius iſt, wie Die Franzoͤſiſche Phi⸗ 
loſophie des achtzehnten Jahrhunderts faſt durchge— 
hends, ein merkwuͤrdiges und warnendes Beyſpiel, 
wohin das Locke'ſche Syſtem, von dem ſowohl Con⸗ 
diltae, als Helvetius, ausgiengen, führe, wenn 
es feſtgehalten und auf's Praktiſche angewandt wird. 


Daß Helvetius zum Fundamente der Mos 
ral und Politik den Egoismus annahm, ſo—⸗ 
wohl des Individuums, als des Stats, und daß er 
die Religion für etmas im Grunde ganz Leberflüffiges, 
ja.bey deu darüber von jeher. herrſchenden Vorurthei⸗ 
len, und den Misbräuchen,. die fich die fchlaue und 
binterliftige Herrfchfucht erlaubt, als für das Gluͤck 
der Menſchheit in der Kegel nachtheilig anfah, floß 
ganz natürlich aus feinen Vorausfegungen. So weit 
wirklich der Gefchichte und alltäglichen Erfahrung nach 
dev Egoismus die Menſchen regiert, und die Staten 
immer am-blühendften, die Regenten am mächtigften und 
ficherfien gewefen find, welche diefen Egoisinus durch 
ihre Gefeggebung und die eingeführte Erziehungsweife 
zwecfmäßig für das befondre Intereſſe und das des Gan⸗ 
zen zu richten. und zu lenken mußten, fcheint es, daß 
Helverins Recht habe, und daß die Tugend lediglich 
in Mugen Handlungen zur Erreichung der individuels 
len. und patriotifchen Gtückfeligfeie-beftehe. Daher 
die Anhänglichkeiet vorzüglich der fogenannten Ges 
ſchaͤffts⸗ und, Statsmaͤnner in den höhern Ständen: an 
td J fe 


Geſchichte doe neuern Philofephte 


feiner Philoſophie; denn bey dieſen/ auch wenn fie 
den Helvetus nicht ſtudirt haben, pflege man doch 
ſehr haͤufig aͤhnliche Maximen anzutreffen. Allein es 
iſt doch ein eigenes. Gefühl, das man zuletzt von ber 
Leetuͤre dee Schriften: des Helberins,: fo weit fie mor 
raliſchen und -politifchen Inhalts find, zuruͤckbehaͤlt. 
Sie floͤßen nicht ſowohl Achtung: und Liebe für die 
Menſchheit, als vielmehr Verachtung derſelben, als 
einer Geſellſchaft eigennügiger Weſen, ein; und freys 
lich mag: #8 erfahrne und gefcheute Regenten und Pos 
Heifer genug geben, denen am Ziele hrer Laufbahn 
dieſes Gefuͤhl faft naturlich und ‚unvertilgbar. gewor⸗ 
den iſt. Indeſſen gerade dieſes Gefuͤhl, welches die 
Schriften des Helvetius, die Geſchichte und Die 
tägliche Erfahrung von: Welt und Menjchen, erwecken, 
beweiſt: daß :die Tugend unmöglich. ein Refultat 
eigennuͤtziger Motive und Zwecke, wären dieſe auch 
patriotiſch, ſeyn koͤnne; ſondern daß viehnehr das on 
E uni ihr Wefen: ausmache. 


£eH Da nun aber die Empirie auf. kein anderes Sy 
ſtem, als das Gluͤckſeligkeitsſyſtem, führe, welches 
ans Ende. im Wefentlichen. nur auf einen feinern ‚oder. 
geöbern Egoismus hinausläuft, falls: es anders con⸗ 
ſequent iſt: fo erhellt, daß überhaupt die Sitteulehre 
und eine. mit dieſer verträgliche Politik nicht auf die 
Erfahrung gebaut werden ‚dürfen.  : Das Sittengeſetz 
ft in der Natut der Vernunft. enthalten; und ebem 
Diefe ertheilt auch der Politik ihre hoͤchſten Principien ; 
und macht die Religion zum Beduͤrfniſſe der Menſch⸗ 
heit. Die Erfahrung kann wohl Regeln, gewaͤhren, 
um die moralifchen. und politifchen Principien anzus 
wenden; aber jene felbft laſſen fich nicht durch fie bei 
ftimmen. Kin Menfch, deſſen Maximen nur Reſul⸗ 
wi! | tate 


während d. achtz. Jahrhund. 6. Auf Kant. 98 


"gelte der Erfahrung find, achter immer nur auf Nutzen 
oder Schaden; er ift, wie man im Sprüchworte fagt, 
durch Schaden klug geworden , und ſucht, ihn zu vers 
Büren. Dies giebe ihm jedoch keinen Anſpruch auf 
- Weisheit und Tugend, die nicht Schaden oder Mugen 
Yin Zwecke hat, überhaupt nicht eigennügig ift, ſon⸗ 
Dein nach dem wahrhaft Guten ſtrebt. Nicht minder 
mag der Politiker, der fich in feinen Handlungen nue 
Wach der Gefchichte und der Erfahrung von Welt und 
Menfchen richtet, Plug und ſchlau handeln; aber ſei⸗ 
ne Politik har darum noch nicht den Charakter des 
Edein (Honefi). Allerdings wird eine echte Lebens⸗ 
und Starsflügheit weder von der Moral, noch von, 
der Politik verworfen, oder für entbehrlich erflärtz 
aber fie muß nur den höchften unbedingeen Vernunfts 
gefegen der Sittlichkeit untergeordnet, und durch biefe 
beftätige und geadelt fyn. | 


3" Gerade die Franzöfifche Marlon war und if noch 
unter allen polizieten Eutopäifchen Völkern für den 
theoretiſchen ſowohl, als den praftifchen Empirismus, _ 
am empfängfichften.. Ihre natürliche Lebhaftigkeit 
des Gefuͤhls, der Phantaſie, und der keidenſchaften; 
der unter alle Voiksclaſſen verbreitete Frohfinn oder 
wenigſtens Leichtſinn, der oft in einen zügellofen Hang 
Br Vergnuͤgen und zu MWohllüften ausattet; das 
Beduͤrfniß Plarer anfchauficher Darftellung, das ſich 
ſchon in der Franzoͤſiſchen Sprache ſelbſt verrärh, die 
unter allen gebildeten neueren Europäifhen Sprachen 
für eine wiffenfchaftliche Philofophie Die unpaflendfte 
tft, Die herrſchende Abneigung gegen pbilofoppifche 
Reflexion, die anhaltende Anftrengung fodere, und 
dagegen Genuͤgſamkeit am Oberflächlihen, zumal 
wenn es ſcheinbar biendet, und witzig m, iſt: 

G ⸗ ed : Alles 


94 Geſchichte der neuern Philoſophie 


Alles dieſes hat ſich immer vereinigt, und. vereinigt 
ſich noch, dem Empirismus bey der Franzoͤſiſchen Nas 
tion im Ganzen genommen den Triumph, ſeitdem Ga ſ⸗ 
ſendi zuerſt damit auftrat, zu erleichtern. Es iſt 
alfo nicht zu verwundern, daß die -Franzöfifchen Phi⸗ 
loſophen, nachdem fie einmal die Ariftorelifche nebſt 
der Eartefifchen Philofophie verworfen; und fich- den 
Gaffendi und Locke zu Führern gewählt; nach⸗ 
dem ° ferner «Eondillac und Helvetius die vom 
dieſen Vorgaͤngern zunächft. gebrochene, Bahn mit 
Gluͤcke, wie es fchien, weiter verfolge hatten, auch 
in der Folge auf eben derfelben blieben, und insbes 
ſondre die Politik, Moral und. Religion immer dreis 
ſter anzufechten und in ihren Fundamenten zu erſchuͤt⸗ 
tern fuchten. u ' | 


Keiner hat wohl diefen letztern Zweck leidenſchaft⸗ 
licher, ſchlauer und verführerifcher verfolge, als der 
Verſaſſer des fo beruͤhmt oder vielmehr beruͤchtigt ges 
worbenen Syfteme de la nature *). Diefes Werk iſt 
recht eigentlich dazu beftime, den Atheismus und. as 
talismus aus philofoppifchen Gründen zu lehren, und 
eine diefer Vorftellungsart angemeſſene empirifche praßs 
tiſche Moral anzupreifen. Alles Unglück des. menfchs 
lichen Gefchlechts wird daraus hergeleitet, daß die 
Menfchen ihre. wahre eigene und die Natur der Dinge 
um fie er verfennen ; daß fie über bie Schranken ih⸗ 
| u ter 
"*) Syfteme de la nature ou des loix du monde phyfique 
- et du monde moral. Par Mr. Mirabaud; à Londres 
' 1770; 2 Tomes. 8: Der Name Mirabaud ift ers 
dichter; aber über den wahren Verfaſſer ift man fireis 
tig. Einige nennen ihn La Grange; Andere den 
’ Baron von Holbadh, in deffen Haufe jener Erzieher 
> war Deurtſch von Schretter; Frankfurt und 
: Leipzig 17835 2 B. 8. 


ur während d. achtz. Yahrhundabuiaufifant. 95 


see Sphäre hinausſchweifen - jenfeits der fichtbaren 
Welt, ungeachtet fie immer nieder zuruͤckfallen; daß 
fie Metaphyſiker fenn wollen, ‚bevor fie Phyfis 
er find; . die Realitäten veracheen, um: Chimären 
nachzubängen; die Erfahrung vernacdhläfligen, um fich 
an Hiengejpinften und Murhmaßungen zu. meiden; 
kurz das Studium der Natur aufgeben, und nach 
Phantomen haſchen. Es iſt daher nörhig, die Mens 
ſchen zum Studium der Natur durch wirkliche Erfah⸗ 
zung zuruͤckzufuͤhren. Im theoretiſchen Theile hat 
das Syſtem der Natur ſehr vieles mit der Epi⸗ 
Lurifchen Philoſophie gemeinfchaftlih, nur daß Die 
Argumente, die für den Atheismus fireiten, beſſer 
ausgeführt, und dabey die neueren:natur: hiftorifchen 
und phofifalifchen. Entdeckungen benußt find, wie auch 
Ruͤckſicht auf die neuere Ppilofophie, Die herrfchens 
den pofitiven Religionen, und den heutigen moralis 
ſchen, politifchen und- — Zuſtand der Voͤlker 
genommen iſt. 


Die Grundfäge, worauf jenes Syſtem beruht, 
ſind folgende: 

J. Es giebt urſpruͤnglich unendlich mannichfal⸗ 
tige und auf unendlich verſchiedene Art verbundene 
Materien, die in ununterbrochener Bewegung gegens 
feitig find. Die verfchiedenen Eigenfchaften diefer 
Materien im Einzelnen, ihre Verbindungen und Wirs 
ungen, welche die Folgen davon find, machen füe 
uns die Wefen (eflences) der Dinge aus, 

1, Die Bewegung ift ein Streben, wodurch 
ein. Körper feinem Ort verändert, oder zu verändern 
fucht, und fie allein beftime die Beziehungen und Vers 
bältniffe zwiſchen unfern Organen und den Dingen 
er und up uns. Das Ding, welches ein anderes 

bewegt, 


96 EGhſchichta der neuern Philoſophie 


Hewegt; und in dieſem eine Veränderung beiorbringe, 
heiße Ur ſache, fo: wie die hervorgebrachte Veraͤnde⸗ 
zung Wirkung. Jedes : Ding: ift: vermöge feiner 
Matur .fähig‘, verfchiedene Wirkungen hervorzubrin⸗ 
. gen, aufzunehmen und mitzucheilen. Die Bewegun⸗ 
gen- finden: entweder in Maffe ſtatt, wenn ein ganzer 
Koͤrpet feinen Dre ändert, oder es find innere verbor⸗ 
gene Bewegungen, die. von der inneren unempfindbar 
zen Thaͤtigkeit der materiellen Elemente eines Dinges 
abhängen, und erſt nach einiger Zeit durch die aͤuße⸗ 
ren Veraͤnderungen, welche :fie bewirfen , offenbar 
werden, wie z. B;-die Gährung beym Biere, Weine 
w.dgl., die Bewegungen des Wachsthums der Thies 
ze, Pflanzen, und die Aeußerungen der fogenaunten 
inteklectwellen. Fähigkeiten des Menfchen, feis 
mer Gedanken, Leidenfhaften, Willensbu 
flimmungen u. w. Ueberhaupt Alles in. der 
Welt ift-in Bewegung, und man kann nicht fas 
gen, daß irgend ein Ding in abfoluter Ruhe ſey, ob⸗ 
glei ed ‚wegen einer geringeren oder unmerklichen Thaͤ⸗ 
igkeit relativ zu andern in Ruhe zu ſeyn ſcheint. 

III. Die Materie und die Bewegung ſind von 
Ewigkeit, und muͤſſen als die erſten urſpruͤnglichen That⸗ 
ſachen poſtulirt werden. Die Materie kann nie aufs 
hören zu griftiren; fie kann alfo auch nicht zu eris 
ftiren anfangen. Das Daſeyn einer. äußeren Urfas 
che der Materie läßt fich niche ermweifen. Die angebs 
the Schöpfung aus Miches ift ein leeres Wort 
ohne Sinn, das feinen Begriff von der Bildung des - 
: Müiverfums geben fann. Doch dunkler wird biefer 
Begriff, wenn man die Bildung der Materie einens 
Geiſte zufchreibe, d.i. einem Weſen, welches gar 
‚ feine Analogie mit diefer, gar feinen — 

mit ihr — hat. * 


J 


Pr 


während d. achtz. Jahrhund. b. auf Kant. 97 


“IV, Bloß die Mannichfaltigkeit der Materie und 
ihrer Bewegungen ift der Grund der Mannichfaltigs 
feit der Marurerjcheinungen, und ihres unaufhörlis 
chen Entſtehens und Verſchwindens. Gleichwohl vers 
folgt die Matur dabey ſtets einen regelmäßigen Gang, 
und es ift ein ewiger Cirkel, den Alles, was eriftirt, 
zu befchreiben geywungen ifl. Die Bewegung bringe 
die Dinge hervor, erhält fie auf einige Zeit, und zer⸗ 
flöre fie nach und nach eines durch das andere, waͤh— 
rend die Summe des Dafenns immer diefelbe bleibt. 

V. Die Urfachen der Maturerfcheinungen erfens 
nem wir zwar niche im Kinzelnen; aber wir erfens 
nen ‚doch die einfachen und allgemeinen Gefege, nach 
welhen die Körper fich bewegen; und die zufammens 
gefeßsteiten Bewegungen find nur Reſultate verfchies 
dener Combinationen der einfachen. Die Materie, 
welche wir wahrnehmen, find entweder geneigt, fich 
mie einander zu vereinigen, oder find zu einer Verei⸗ 
nigung unfähig. Hierauf gründen fich diejenigen Thäs 
tigkeiten derfelben, welche die Phofifer Anziehung 
ad Abftoßung, Symparbie und Antipas 
thie, Verwandtſchaft und Beziehung; die 
Moratiften aber Liebe und Haß, Freundſchaft 
und Feindfchaft nennen. 

VI. Mle Bewegung in den Dingen hat eine 
Tendenz. Diefe, ſoweit fie fich bemerken läge, bes 
fteht im Allgemeinen darin, daß die Dinge ihr Das 
feyn zu erhalten und. zu ſichern fireben, alfo dasjenis 
ge am fich ziehen, was. diefen Zwecke beförderlic) ift, 
bingegen zurückftoßen,, was ibm. fchädlich feyn kann. 
Die Phyſiker nennen diefe Tendenz der Selbſterhal— 
gung die Gravitation auf ſich ſelbſt; Newton nanns 
ge fie Die Kraft der Traͤgheit; im Menfchen nes 
nen fie die Moraliſten Seibftliebe. Alle Veraͤn⸗ 

Buhle's Geſch. d. Philoſ. VI2. G de⸗ 


* 


98 Geſchichte der neuern Philoſophie 


derungen aber in der Welt, und folglich auch beym 
Menſchen, find nothwendig beſtimt; denn jede Urſache 
muß nothwendig eine Wirkung haben, und die ganze 
Natur ift eine zufammenhängende- Kette von Urfachen 
und Wirkungen. 4 


VII, Alle Naturkentniß des Menfchen ift nur 
feine fubjective Anficht der Dinge, vermöge welcher 
er in der Thärigkeie der Natur eine gewiſſe Webereigs 
ſtimmung mit der feinigen finde. Sofern der Menſch 
nothwendige, periodifche und regelmäßige Bewegun⸗ 
gen im Univerfum wahrnimt, entfteht in ihm die bee 
einee Naturordnung. Dieſer legt er zwar eine 
objeetive Exiſtenz bey, und nennt degwegen Alles Uns 
ordnung, was ihm jener Idee nicht gemäß ſcheint; 
allein objectiv ift in der Natur weder Ordnung, noch 
Udordnung, weder Negelmäßigkeit, noch Unregelmäs 


Gigfeit; denn Alles erfolge hier nothwendig. Soge⸗ 


nannte Wunder, welche den unveränderlichen Gefets 
zen der Natur miderfprechen, find unmögli., Was 
wir fo nennen, find entweder Erdichtungen, oder Be— 
triegeregen, oder Erfcheinungen, deren wahre Urfachen 
uns unbefant find, und die wir alfo auf erträumte 

Urſachen zurückführen. u 


VI, Der. Menfch ift mit allen übrigen Natur⸗ 
erfcheinungen denfelben allgemeinen. Geſetzen unterwors 
fen. _ Sein Daſeyn und Leben ift nichts als eine 
morhwendige Reihe mit einander. norhwendig vers | 
‚Enüpfter Bewegungen, deren Urſachen entweder in 
den flüffigen und foliden Marerien im Innern feis 
mes Körpers,-oder in den:Dingen außer ihm liegen, 
Der Menſch firebt,. wie alle andere Dinge, nad 
der Erbaltung feiner Eriftenz , ‚die er von der Ma⸗ 
ur empfangen har; er widerftcht feiner Werlegung — | 

| x AR, 0 Ar 42 es 


1 


während d. acht}. Jahrhund. b. auf gen. 99 


Vernichtung; er empfindet die Kraft der Traͤgheit; 
er gravitirt uͤber fich ſelbſt; er wird durch Objeete, 
die ihm analog ſind, angezogen, und durch ſolche, 
die ſeiner Natur zuwider ſind, zuruͤckgeſtoßen; er ſucht 
jene, flieht dieſe, oder bemuͤht ſich, ſie zu entfernen. 
Das find die verſchiedenen Arten der Thaätigkeit, des. 
ren der Menfch empfänglich ift, Die aber, fo verjchies 
ben fie fcheinen mögen, fich doch auf diefelben unver—⸗ 
‚ Anderlihen Naturgeſetze zuräcfüßren laffen, welche 
die Natur allen ihren Gefchöpfen vorſchreibt. Es ift 
ein in feinen Teilen und feiner Wirkſamkeit kaum bes 
merflichee Punce, in welchem. fih das Dafeyn bes 
Menſchen zuerft zeigt, und worin fich feine ber Dualitäs 
ten. entdecken läßt, die wir Empfindung, Wahrs 
nebmüung, Gedanke, Vernunft, Selbfifraft 
nennen. Uber jener Punet entwickelte fich im Mutter—⸗ 
leibe, wächft durch hinzufommende feinem Weſen aus 
gemeffene und ſich ihm veräßnlichende Materie, gehe 
Aus dem Mutterleibe zur Selbſtſtaͤndigkeit hervor, und 
bilder ih aus, wird an allen feinen Teilen für Die 
Empfindung empfänglich, eine lebendige und thaͤtige 
Maffe, ein. Weſen, das denft, wil, — handelt, 
ein Menſch. 


1X, Die —— Intelligenz des Mens 
ſchen iſt ein Reſultat derfelben mechanifchen Thaͤtig⸗ 
keiten, aus denen alle uͤbrige Naturerſcheinungen flie⸗ 
Gen. Das Wort Intelligenz iſt nur ein Mamen . 
für Weſen, die.fo organifirt find, wie wir, in des 
sen wie Fähigkeiten der Selbfterhaltung, zwecfmär 
Kigen Gebrauch der Mittel dazu, mit Bewußtſeyn 
verbunden, bemerken. Alle Dinge dagegen, die uns 
nicht analog find, und nicht fo wirfen, wie wir, nens 
nen wir mechanifch , —— zuſdlig — 

in⸗ 


100. Geſchichte der neuern Philofophie 


Dinge. Ueberhaupt mache fih der Menſch felbft 
zum Mittelpunfte des Univerfums, auf welchen er 
Altes bezieht: Alle Tätigkeiten in der Matur, die 
‚den feinigen ähnlich find, ober merfwürdige Naturs 
erfcheinungen, erflärt er fich aus einem ihm ähnlichen 
Weſen. Auf ein folches führe er die ganze Natur 
zurüf. Dur weil er ſich felbft unvermögend fühlt, 
jene ungeheuren und zabllofen Wirkungen hervorzus 
bringen, die er im Univerfum wahrnimt; fo glaube 
er, die Schwierigkeit dadurch zu heben, daß er die 
Fähigkeiten des Urhebers der Welt zwar den feinigen 
analog, aber’ doch unverhältnigmäßig größer, als dies 
fe, vorftelle, damit jene Wirkungen möglichermeife 
durch fie hervorgebracht werden koͤnnen. Hierdurch 
entſteht dee Begriff einer intelligenten Gottheit, in 
welcher zugleich die Ordnung des Univerfum’s- ihren 
Grund hat. 


x. Wenn man den Menfchen aus Körper, und 
Seele als einem geiftigen Weſen, beſtehen läßt, : 
fo ift die: Frage: Was ein Geift ſey? — Die 
Antwort iſt: Dee Geift ift ein Wefen, dem fein Merle 
mal zufomt, von welchem wir einen Begriff Gaben, 
alfo eine bloße Negation. Der Beift foll ohne 
Ausdehnung und ohne Theile ſeyn, und dennoch auf 
Körper und verfchiebene Entfernungen: im Raume wir⸗ 
fen; was fich widerfpricht, oder wenigftens ſchlechthin 
unbegreiflich ift. Iſt die Bewegung eine Veränderung 
der Berbältniffe des Körpers zu einem Orte im Raume, 
oder zu.andern Körpern ;. fo widerftreiter diefem Begriffe 
der Bewegung die Bewegung eines Geiſtes 
geradezu. - Wenn auch. die Seele fich bewegt, fo bes _ 
wegt fie fih Doch zugleich mie dem Körper; fie hat als 
fo eine- a mit den Koͤrpern überhaupt ges 

mein; 


während d. achtz. Jahrhund. 6. auf Kant, 101 


mein; fie tft folglich ebenfalls den Üefegen der Mas 
terie unterworfen, und würde ohne den Körper uns 
thaͤtig und code feyn. Die Hypotheſe von einer geis 
figen Seele hat auch nicht den geringften Nutzen. 
Die Borftellung diefer iſt eigentlich die Vorſtellung eis 
nes unfichtbaren Hauches, der fichtbare Wirs 
ungen hat; aber diefer Hauch ift etwas Materielles, 
ift eine Modificarion der Luſt. Will man eine reelle 
dee von der Seele haben, fo muß man immer zu 
materiellen Merfmalen-feine Zuflucht nehmen, und 
dieſes felbft bemweift, daß die Seele nicht immateriell 
feyn Fönne, Wer die Seele vom Körper trennt, thut 
nichts anders, als daß er das Gehirn von — ſſich 
ſelbſt unterfcheidee. Das Gehirn ift die Seele 
Es ift der Mittelpunce des Mervenfofiems, von wels 
chem alle Bewegungen der Nerven, d. i. alle ſogenann⸗ 
se Seelenwirkungen ausgehen, und in welches fie fich 
endigen. Daß übrigens die Menfchen das Univer⸗ 
ſum mit: Geiftern bevölferten, hat eben darin feinen 
Grund, daß fie fich einen Geift im Menfchen. felbft- 
traͤumten, und nun analogifch denſelben auch auf aus 
dere lebendige Maturen übertrugen, ja für ſich beſte⸗ 
hende geiftige Wefen ohne Körper erfanden, berglen 
chen die Engel ſeyn a | 


XI. Alle fogenannse intelleetuelle Fabig⸗ 
keiten des Menſchen beſtehen zuletzt im Empfin 
den, und dieſes iſt eben fo eine Folge des eigenthuͤm⸗ 
fichen Weſens organifirter Subftanzen, als die Schwer. 
ze, Elaftieirät,, Elefrricität, der Magnetismus u. w. 
&o wenig ſich dieſe unleugbaren Eigenfchaften der 
Materie ihrem legten Grunde: nach erflären; 
laſſen; eben ſo wenig laͤßt fih auͤch das Empfinden 
erklaͤren. Die Sinne u die aͤußern — 

A 3 en 


v3 Geſchichte der neuern Philoſophie 


den Organe det Empfindungen, und dieſe ſelbſt erhal⸗ 
ten. manuichfaltige Namen nach. der mannichfaltigen 
Beichaffenpeie. ihrer Modificationen. Ideen find 
die Veränderungen im innern Organe. des Gehirns, 
welche auf die äußern Eindrücke der Sinne erfolgen, 
oder in diefen ihre Urſache haben. Es find die: Bits 
ber der Gegenftände' der Empfindungen. Bloß die 
größere Beweglichkeit des Gehirns unterfcheider dem 
Menfchen: von den minder empfindlichen Thieren und 
dem leblofen Gefchöpfen; ſo ‚wie die größere Beweg⸗ 
lichkeit des Gehirns bey dem: einen. Dienfchen ihn in 
Anfehung.: feiner Geiftesfähigfeiten von den andern 
unterfcheider, bey — die an jenes ge⸗ 
u iſt. 


XIE Nicht bloß die intellectuellen Faäͤhigkeiten 
der Menſchen und ihre Verſchiedenheit, ſondern auch 
ihre moraliſchen Eigenſchaften haben phyſiſche 
Urſachen. Die Natur wechſelt nothwendig in's Uns 
endliche in ihren Geſchoͤpfen, in den Verbindungen 
und Formen, welche ſie dem materiellen Stoffe mit⸗ 
theilt. Es giebt daher. nicht zwey Menſchen, die ge⸗ 
nau dieſelben Züge hätten, genau auf diefelbe Ark 
empfaͤnden und daͤchten, dieſelben Ideen haͤtten, die 
Gegenſtaͤnde auf gleiche Art beurtheilten, und dess 
wegen einerley Betragen beobachteten. Diefe Vers - 
fehiedenpeie der Mehfchen, bey, aller Aehnlichkeit dee 
Drganifarion im Allgemeinen, bringe eine - Ungleichs 
heit derfelben hervor, . und dieſe ift wiederum die Ders 
anlafjung und die ſtaͤrkſte Stüge ihrer gefellfchaftlichen 
Vereinigung. - Aus der Nothwendigkeit einer gefells 
fchaftlichen Verbindung der Menfchen geht auch. die 
Mothwendigkeit einer Moral hervor. Wie fich. die 
; — in ibeoreriſchet Auf in Eluge und = 
niß⸗ 


während d. achtz. Johrhund b. auf Kant. 103 


| £ nißvolle, und- in dumme * unwiſſende ſcheiden; fo 


feheiden fie ſich in praktiſcher in gute und boͤſe. 
Die Geelenkräfte hängen aber gleich den Kräften des 
Körpers vom Temperamente desfelben ab. Frags 
te. man immer bie Erfahrung anſtatt des Vorurtheils, 
fo würde die Medicin dee Moral den Schlüffel zum 
menfchlichen. Herzen liefern, und, indem fie den Körper. 
beilte, zugleich für die Heilung der Seele forgen. Das 
Dogma von der Geiftigfeit der Seele hat aus der Mo⸗ 
ral eine Science conjedturale gemacht, wo man durchs 
aus die wahren Triebfedern verkanute, die man brau⸗ 
' den muß, um auf den Menfehen zu wirken; anftatt 
dab die Moral und Politif aus dem Materialiemüs 
Vortheile ziehen Lönten, bie ihnen jenes Dogma nie 
zu verfchaffen im Stande if. Die finnliche Erfah⸗ 
zung ift es auch, welche die Klugheit, die Vor— 
fit, in einem Menfchen bewirkt, oder das, was 


man im eigentlichen und richtigen Sinne Vernunft 


(railon) nennen kann. Man beurtheilt Pünftige Säle - 
und das nörhige Verhalten dabey nach ähnlichen, die 
man bereits erfahren hat. Die unmittelbare Empflns 
dung oder unfer Temperament fönnen uns irre fühs 
ren und täufchen; aber die Erfahrung und Reflexion 
darüber leiten ung wieder auf den richtigen Weg und 
belehren uns über das, mas wirklich zu unferm Gluͤcke 
beytragen kann. Ob man uns gleich daher täglich 
worfagt, daß der Menſch ein vernünftiges We 
‚Ken: fen; ſo giebe es doch nur eine ſehr Pleine Zahl 
Menſchen, die wirklich Vernunft baben, d.t. 
durch Meflerion über ihre Erfahrungen ſich au einem 
weißen, Verhalten gebildet haben. 


Nach dieſer Angabe der Principien des s Sufem N) 
der Nat ur will. ich‘ rt; die a Yo 
TE Sl 4 E "wie 


204 Gefchichte der neuern Philoſophie 
wie der Verfaſſer desfelben den Einwuͤrfen begegnet; 


die er gegen dasſelbe gleichſam voraus ahndete. Was 


ihr zuerſt widerſtritt, waren die Hypotheſe von ange⸗ 
bohrnen Ideen, und der Idealismus überhaupt. Ser 
ne räumt er leicht aus dem Wege, dadurch, daß er 
zeigt, wie alle unfere Vorſtellungen aus finnlichen 
Eindrücken entfpringen. Der Idealiemus Pinge 
gen, fo wie ihn Berkeley aufgeſtellt hatte, und 
son dieſer Seite allein kante ihn der Verfaſſer, bes 
ruht lediglich auf der Vorausſetzung von der Imma— 
zetialicäe der Seele, Sobald man ſich zum Mater 
rialismus befennt,, ift es nicht mehr ſchwierig, zu ers 
Plären, wie Pörperlihe Subftanzen auf die geiftige 
Seele einwirken mögen, und dieſe Schwierigkeit ift 
es doch hauprfächlich, welche den Berkeley den 
Idealismus zum. Bedärfniffe machte Entzieht man 
Das Seelenweſen den Gefegen der Materie, und will 


man alle ihre Bewegungen aus ihrer eigenen inneren _ 


Energie erflären; fo muß man auch zugefteßen, daß - 


fie allein fähig fey, die Bewegung im Univerfum aufs 
zubalten oder zu verändern. Das Univerfum ift aber 
nichts anders, als wie eine unermeßliche ununterbros 
chene Kette von in einander einmwirkenden Urſachen, die 
Durch nothwendige-unveränderliche Gefege beftime mers 
den, welche. Gefege nicht anders aufgehoben oder vers 
ändert werden Fönnen, als mit Aufhebung oder Vers 
nichtung der Dinge felbft. Unſere Seele iſt aber kei⸗ 
nesiweges vom der Weltcaufalicäe ausgenommen; ihre 
Thaͤtigkeiten rüßren zunächft nur von Urſachen Ger, 

die in uns felbft verborgen find; und daher bilden wir 
uns ein, daß die Seele fich felbfiftändig bewege, weil 
wir die Triebfebern ihrer Thaͤtigkeit niche wahrneh⸗ 


& 


wien, ' oder ihnen ihre bewundernswuͤrdige Wirkfans 


keit niche zuttauen. Alle dieſe Irrthuͤmer haben * 
n 


— 


während d. achtz. Jahrhund. 6, auf Kant.“ 105 


im ihren Grund, dag wir ben Körper ale eind ttaͤge 
todte Materie anſehen; anftatt daß er eine empfindli⸗ 
he Maſchine ift, die nothwendig bey einem Eindrucke 
das momentane Bewußtſeyn desfelben har, und: 
durch die Erinnerung an diefelben wiedew 
holten Eindrücke das Bewußtſeyn des Ich bekomt; 
fo. wie fich nachher hieraus der ganze Mechanismus 
des Raiſonnements bilder. | 1 
. Go wenig, wie fich die Hypothefen vom Jdea⸗ 

tbism umd von angebohrnen Ideen vertheidi— 
gen laſſen; eben fo wenig kann auch die Exiſtenz einer 
angebohrnen Idee der Pflicht vor aller Erfahrung 
von den Zwecken und Folgen unſerer Handlungen, eis: 
nes. angeboßenen moralifchen Ginnes oder In⸗ 
ftinctes, dargethan werden. Der vornehmſte Grund, 
welchen man für diefe Behauptung anführe, ift die 
Uebereinftimmung der Meufchen in gewiffen Säts 
zen und die Nothwendigkeit derfelben im Bewußtſeyn, 
die ſich auch bey den moralifhen Grundurtheilen ofs 
fenbare. Alle geonierrifche Demonftrationen haben. 
die Nothwendigkeit ihrer Mefultare im Bewußtſeyn 
zur Folge, und diefe Nothwendigkeit, glaube man, 
koͤnne nicht eine Wirkung der Erfahrung feyn. Das 


a 


gegen erinnert nun der Verfaffer des Syftems der Nas 


me, daß diefe Worausfegung, die Mothwendigkeit 
gewiſſer Säge im Pewußtſeyn Taffe ſich nicht aus dee 
Erfahrung erflären, erſchlichen ſey. Alle nochwens 
dige Begriffe und Säge werden erft durch Erfahrung 
erworben. Ehe man als nothwendig einfieht, daß: 


das Ganze größer, als einer feiner Theile, ſeyn muͤſſe, 


muß man das Ganze: mit feinen: Tpeilen in der Exs 
fahrung verglichenpaben. Daß zweymal zwey Vier 
fiir, weiß in Kind nicht; a6 Br: Re 


5 7 wird 


206 Gefchichte der neuern Philoſophie 
wird es ſehr bald davon überzeugt; und da alle: Men⸗ 
fehen diefe Erfahrung auf dieſelbe Weiſe machen, weil 
die Marurgefeße für alle Menfchen: diefelben find; fo 
ſtimmen auch alle Menfchen darin überein, die nothe⸗ 
wendige Wahrheit jenes Satzes anzuerkennen. Auch: 
in Hinfiche auf die Moral fließt hieraus, daß. fie 
* einzig und allein auf die Erfahrung gruͤnde. Die⸗ 

lehrt uns, was nuͤtzlich oder ſchaͤdlich, tugendhaſt 
oder laſterbaft, edel oder ſchaͤndlich iſt. Es iſt bloß 
die Leichtigkeit und Geſchwindigkeit, womit wir un⸗ 
ſere Erfahrung zur moraliſchen Beurtheilung unſerer 
eigenen, und der Handlungen Anderer, anwenden, wel⸗ 
he ung verfuͤhrt, an einen moraliſchen Inſtinet 
zu glauben. 


Dem: 'moralifhen Empirismus, welchen das 
Syſtem der Natur lehrt, fteht nichts mehr entgegen, 
‚als. die von einer großen Partey der Philofophen an; 
‚genommene Freyheit der menfchlichen Seele. Die: 
fe ift auch eine natuͤrliche Folge des Immaterialismus. 
Denn ift die Seele immateriell, fo ift fie aud) von 
dem Syſteme der uns befanten. Marurgefege in der 
Körperwelt ausgenommen; fie wird dadurch Gebietes 
rinn ihres Schickſals, kann ihre Thärigfeiten ſelbſt 

thordnen und leiten, ihren Willen aus eigener innerer 
rhergie, determiniren. 


- . Der Verfaffer bes Syſtems der Natur beſtreitet 
die Freiheit hauptſaͤchlich mit folgenden Gruͤnden: 
V Der Menſch iſt offenbar ein Glied des großen Nas; 
tur⸗Ganzen, und. ift, alfo auch dieſem und den Eins. 
fluͤſſen desſelben untergeordnet: Waͤre er in der That 
fen, ſo müßte er entweder ſtaͤrker, als die ganze Mas 
tur, ſeyn, oder gar micht zu ihr gehoͤren. Beydes 

aber widetſtreitet der Erſahrung ſchlechthin. am R 
02.4 ' e 


- 
8 


f 


| während:d: achtz. Jahrhund b. auf Kant 107 


die Immaterialiſten muͤſſen zugeben, daß die-fogenanns: 
te immaterielle Seele des Menjchen mit: dem, Körper 
im gegenfeitigen Wirkungsver haͤltniſſe ſtehe; jene hängt. 
alfo auch von der phyſiſchen Cauſalitaͤt ab.— 


| 2) Es liege im Menſcheu, wie in affen ebene 
den Maturwefen,. nach Selbſterhaltung und’ Wohl⸗ 
ſeyn zu ſtreben; alle Bewegungen feiner Mafchine ſind 
norhwendige Folgen diefes Triebes; der Meñnſch liebt 
das Vergnügen, und verabfcheut den Schmerz; fein 
Wille muß alfo norpwendig durch die Objecte beſtimt 
werden, die er für nöglich, oder für ſchaͤdlich haͤlt, 
fie zu begehren oder zu verabfcheuen. Nas wir Des 
liberation nennen, iſt nichts weiter, als ein ſuc⸗ 
ceſſives Begehren und Verabſcheuen, Angezogen oder 


Zuruͤckgeſtoßen werden. Es iſt folglich auch Bier Als‘ 


(es mechanifh. Wir deliberiren nur, weil’ wir die 
Beschaffenheit der Gegenftände nicht genug kennen, 
auf welche fich unfere Thärigfeie beziehen foll; oder 
. weil ung die Erfahrung von den näheren und entferns 
teren Wirkungen noch nicht hinreichend belehrt‘ bat, 
welche gemwiffe Handlungen für uns haben. möchten. 
Der Werfaffer ſucht die Deliberation felbft aus 


den phnfifchen Actionen des Gehirns begreift zu 
machen. 


3) Beym erſten Blicke ſcheint frehlich für die 
Freyheit des ‚Menfchen zu fprechen, daß er die hefs 
tigften teidenfchaften und. Begierden durch andermeis 
‚tige Ideen, die er ihnen entgegenfeße, hemmen und 
auch wohl ganz unterdrücken kann. .. "Uber dies ifk 
ein ſehr precäres Argument, das beh genauerer Be⸗ 
leuchtung voͤllig unzureichend ſcheint. Man kann im⸗ 
merhin einräumen, daß oft die Vorſtellung einer deos 
benden. Geſahr, eines: entfernten Hebel, uns won. ein 
⸗ nem 


108 Gecchichte der neuern Philoſophie 


nemn gegenwaͤrtigen Genuſſe abſchrecke oder zuruͤckhalte. 
Sogar eine: leiſe Erinnerung, eine geringe unmerkli⸗ 
he. Mopdification unſers Gehirns, vernichtet in jes 
dem Augenblicke die reellftem Objecte, die auf unfern- 
Willen einwirken. Gleichwohl laͤßt ſich hieraus gar 
nicht auf die Freyheit ſchließen. 
Die Aſſociation ber Ideen erfolge nach. mecha⸗ 
niſchen Geſehen, iſt von uns unabhaͤngig, wenigſteus 
oft gar nicht in unſerer Gewalt. Die Erinnerung 
wird ſtets durch den momentanen und habituellen Zu⸗ 
ſtand beſtimt, in welchem wir uns befinden. Deß— 
wegen vermag auch oft die Reflexion gar nichts uͤber 
unſer Thun und Laſſen; wir vermiſſen alsdenn in ums 
ferm Bewußtſeyn ſolche Ideen, die unfere Willenss 
beftimmung aufbalten oder abändern koͤnten, und 
ſtuͤrzen uns darüber in Gefahr, obne daß unfere Frey: 
heit daran Theil Härte. Boͤſewichter find mit Bes 
trunkenen zu vergleichen; fie find in einer Art von 
Wahnfinn. Indem fie ihre Verbrechen begeben, rais 
ſonniren fie über die möglichen und wahrfcheinlichen 
Folgen derfelben nicht; oder wenn fie es thun; fo ges 
winnt doch das Raiſonnement Peine Mache über ihren 
Willen. Iſt die Ruhe in ihrer Mafchine wiederhers 
geftelle, dann entſteht freylicy bey ihnen eine vernünfs 
tigere und wirffamere Meflerion tiber die Folgen ihrer 
Handlungen, weil igt Ideen ihnen in’s Bewußtſeyn 
Fommen, die vor dem Handeln fehlten. Aber alss 
denn iſt es zu ſpaͤt, und diefer Zuftand des Gemuͤths, 
welcher . nun erfolge, iſt es, welchen man mit dem 
Mamen der Reue, des. böfen Gewiſſens, zu bes 
zeichnen pflegt. 
- Der Wille ift nicht ein erſtes und er 
Princip der menfchlichen Handlungen. Man häte 
ip ir: ſelbſtthaͤtig, weil man nicht höher * 
eigt, 


waͤhrend d. achtz. Jahrhund. b. auf Kant. 109 


ſteigt, und die mannichfaltigen verwickelten Urſachen 
nicht bemerkt, die das Gehirn diſponiren, und den 
Willen, der bloß paſſiv iſt, in Thaͤtigkeit fegen. Der 
Menſch alſo iſt nach dem Syſteme der Natur nie frey 
in keinem Augenblicke ſeines Lebens. Er wird noth⸗ 
wendig durch die wirklichen oder ſcheinbaren 
Vortheile determinirt, welche er mit Ideen der 
Gegenſtaͤnde verbindet, die feine Triebe und Bes 
gierden reizen. Diefe Begierden find not h⸗ 
wendig. in einem Weſen, das unaufpörlih nah 
Gluͤckſeligkeit ſtrebt; ihre Thpärigfeie iſt not h⸗ 
wendig, weil fie von dem Temperamente abhängt; 
das Temperament ift nochwendig, weil eg 
durch die Natur der Elemente beftime wird, aus des 
nen es zuſammengeſetzt ift; die Modificationen 
biefes Temperaments find nothwendig, weil fie uns 
fehlbare und unvermeibliche Folgen der Urt find, wie 
die natürlichen und moraliſchen Dinge befländig auf 
uns einwirken. | 


— 4) Man beruft ſich oft auch zur Begründung 
der Freyheit auf die fogenannten gleichguͤltigen 
Handlungen, unter denen der Menfch frey wähle, wie 
es z. B. von feiner gleichgäftigen freyen Wahl abs’ 
hängt, ob er in gewiſſen Fällen geben, oder ftille ſtehn 
will. Allein auch diefe gleichgültigen Handlungen find 
nur ſcheinbar frey, nicht wirklich. Sie fcheinen 
nur frey zu feyn, weil wir ung bes eigentlichen Mos 
tivs, das in einem folchen Falle die Handlungen bes 
ſtimt, niche deutlich bewuße werden. In einem lebs 
haften Difpute über die Freyheit Lönte vielleicht Je⸗ 
mand fragens Ob es nicht bey ihm fiehe, fich aus. 
dem Fenfter zu ſtuͤrzen ein paar Stockwerke herimter? 
— dieſe Frage kann man aber dreiſt Nein antwor⸗ 
ten. 


’ 


a1o Geſchichte der neuern Philoſophie — 


an, Hat Jemand feine vernänftige Beſonnenheit, | 


‚fo wird zuverläffig fein Eifer, die: Freyheit zu bemei: 
fen, ein hintänglich ftarfes Motiv fuͤr ihn ſeyn, nA 
ihm ſein teben oder feine Geſundheit aufzuopfern. 
Wenn er ſich aber doch wirklich zum. Beweiſe feiner 
Freyheit aus dem Fenſter ſtuͤrzte; fo würde auch - dies 
fes noch feinesweges zu dem Schluffe berechtigen, daß 
‚er wir klich frey gehandelt babe. Man koͤnte nur mit 
Recht daraus ſchließen, der Menſch muͤſſe ein ſehr 
beitiges Temperament haben, wodurch er zu einer 
folchen Thorheit getrieben werden Ponte. Denn jene 
Handlung wäre die That eines Wahnfinnigen, und 
der Wahnſinn har im heftigen Wallungen des Bluts 
ſeinen Grund, nicht in dem Willen. 


$) Die Erziehung, die Geſetzgebung im State, 


Die Moral, die Religion, fegen fämtlich den not hwen⸗ 
digen Determiniemus voraus. Woju dieſe, wenn 
man ihnen nicht eine Kraft zutraute, die Triebe, Be⸗ 
gierten und Leidenſchaften der Menſchen zu baͤndigen, 
und ihr Thun und Laſſen zu beſtimten ihrem Wohle 


heitſamen Zwecken binzulenken? Die Religion in 


allen Ländern lehtt das Daſeyn eines nothwendigen 
Weſens, defien unmiderftehlichem Willen das ganze 
Menſchengeſchlecht und die Natur überhaupt unterwors 
fen find, und das ihr Schickſal nad) ewigen Geſetzen 


einer unveränderlichen Weisbeit anordnet. Iſt nicht 


der Get, welchen die Menſchen anbeten, der unums 
ſchraͤnkte Herr ihrer Beftimmung? ft er .es nicht, 
der au serwaͤhlt, und verwirft? Sind die Drohungen 
und Nerheißungen felbit, welche die Religion an die 
Stelle der wahren Motive fegt, deren fich eine vers 
nünfticye Politik bedienen follte, nicht: auf die Idee 
der Wirkungen gegründet, welche dieſe Chimaͤten noth⸗ 
J wen⸗ 


I 


während‘ d. achtz. Jahrhund. 5. auf Kant, 111 


wendig ber; unwiſſenden, furchtſamen, twunderfüchtis 
gen: Menſchen hervorbringen muͤſſen? Endlich frage 
der Verfaſſer: Rene wohlthaͤtige Gottheit, die ihre Ge⸗ 
ſchoͤpſe in’s Daſeyn rufe, zwingt ſie dieſelben nicht, 
ohne Wiſſen und Willen derſelben eine Rolle zu. fpies | 
den, woraus ewiges Gluͤck oder Unglück für dieſe ent⸗ 

fptinge ?” | | 


6) Wenn der Menfch zu allen feinen Handlun⸗ 
gen determinirt wird, haben einige Vertheidiger der 
Freyheit behauptet, fo werden Werdienft und 
Schuld zu Ungereimtheiten; Belohnungen und 
Strafen find Thorheiten und Graufamkeiten; was 
gleichwohl der gefunden Vernunft widerfpricht. Dies 
Argument war e8 vorzüglih, das man auch in Eng» 
land dem Fatalismus des Prieſtleyh entgegenfegte. 


ı Der Verfaffer des Syſtems der Natur leugnet 
feingrfeits , daß jene Begriffe, Verdienſt und Schuld, 
Belohnung und Strafe, ihren Sinn und Zweck vers 
lieren, und daß von diefee Seite das Syſtem bes 
Fatalismus dem State irgend gefährlich fey ober wers 
den koͤnne, fobald man daefelbe und jene Begriffe 
nur recht verſtehe. Die Zurechnung einer Hands 
fung beißt, daß man fie Jemandem als Urheber ders 
felben beylegt. Dies kann gefchehen , wenn man auch. 
Annimt, daß diefe Handlung eine Wirfung der Noth⸗ 
wendigfeie war. Wir verbinden die Begriffe von 
Verdienſt und Schuld mit gemiffen Handlungen, we⸗ 
gen heilfamer oder nachtheiliger Wirkungen, welche 
fie für Andere haben. KHandelte auch Jemand aus 
Nothwendigkeit, fo wird darum feine Handlung 
nicht weniger gut oder ſchlecht, ruͤhmlich ober 
tadelhaft für alle diejenigen ſeyn, die ihren Einfluß 
empfinden, danach fie den Beyfall oder die Misbii⸗ 
£ ligung 


112 Geſchichte der neuern Philoſophie 


ligung dieſer erweckt. Nun ſollen die Geſetze die Ge⸗ 
ſellſchaft in ihrem Beſtande erhalten, und die Glieder 
derſeiben hindern, ‚einander zu ſchaden. Dazu bes 
darf es aber für die Gefeßgebung bloß der Suppofis 
tion, daß die handelnden Weſen modificire werden 
innen, Die Strafen find Motive, welche uns die 
Erfahrung als wirffam kennen lehrt, um die Antrie⸗ 
be der teidenfchaften auf den Willen der Menfchen zu 
unterdrücken oder zu ſchwaͤchen. Mögen nun bie Lei⸗ 
denfchaften herrüßren, aus welcher nothwendigen Urs 
ſache fie wollen; der Gefeggeber nimt ſich vor, ihre 
Wirkungen zu vereiteln und zu hemmen; er gebraucht 
die Strafen dazu, und wenn er diefe zweckmaͤßig ges 
- braucht, Pann er eines glücklichen Erfolges ficher feyn. 
Pas auch für eine Urfache die Menfchen handeln läßt, 
jeder hat ein Recht, die Wirkungen threr Handlungen 
zu hindern, fo wie Jeder, dem ein Fluß feinen Acker 
überftröme, ein Recht hat, diefen durch einen Damm 
 einzufchränfen, oder gar den ganzen Fluß, wenn er 
kann, abzuleiten. Vermoͤge diefes Rechts, fann die 
Geſellſchaft drohen und frafen, um ihre Gluͤckſelig⸗ 
keit vor folchen Gliedern zu fichern, die faͤhig wären, 
fie zu beeinträchtigen, oder fie wirklich beeinträchtigen. 


Freylich darf die Gefellfchaft Handlungen nicht 
beſtrafen, an denen der fogenannte freye Wille feinen 
Ancheil hatte. Aber man muß wiederum diefe for 
genannten unmwillfüßrlichen Handlungen nur 
wicht misverſtehen. Der Wahnfinn ift ohne Zweifel 
ein unwillkuͤhrlicher und nothwendiger Zuſtand, aber 
Niemand finder es doch ungerecht, den Wahnfinnigen 
ihre. Freyheit zu nehmen, obgleich. ihre Handlungen 
nur der Zerruͤttung in ihrem Gehirne zugefchrieben wers 
den koͤnnen. Wiewohl die Geſellſchaft ——— 

| che 


während d. achtz. Jahrhund 6. auf Kant. 113 


che Handlungen nich beſtraft, fo folge daraus nicht, 
daß fie nicht determinieg waren. Sie waren allers 
dings determinitt. Es trat bloß der Fau ein, daß 
die Motive, welche die Gefeße fchädlichen Handlun— 
gen in den Weg legen, diesmal nicht auf den Hans 
beinden wirken konten; anſtatt daß wenn fie auf ihn 
gewirfe hätten, er die Handlung tnterlaffen haben 
würde, und nur aus diefem Grunde wird die Hands 
lung verziehen. Das Spftem des Fataliemus hat 
alfo Reinesmweges, wie man ihm ſo oft vorgeworfen 
bat, leichgültigkeit gegen Werbrechen, gegen die 
Gefuͤhle der Ehre und Schande, zur Folge Jeder 
Verbrecher weiß, daß fein Verbrechen. ihm felbft und 
Andern fchaden werde; und dieſes Bewußtſeyn muß 
feine Gleichgültigfeie aufpeben. Die Gefühle der 
Neue und Schande find fehmerzhafte Empfindungen, 
welche die Wirkungen unfers Thuns und Laffens in 
Hinſicht auf die Gegenwart oder Zukunft in uns bers 
vorbringen. Die Furcht vor diefen ift alfo ein Mo— 
tiv, fchlechte Handlungen nicht zu begeben, um ung 
jene Empfindungen zu erfparen. Warum folkte beym 
Syſteme des Fatalismus nicht dieſe Futcht dieſelbe 
bleiben, und denſelben Effeet haben? 


Diche mehr Grund hat ein anderer Vorwurf, 
der. dem Syſteme des Faralisinus gemacht wird, daß 
es die Menſchen überhaupt: in Apatbie verfenfe, “und 
die Bande auflöfe, welche an das Intereſſe der Ges 
fellfchaft fnüpfen. Geſetzt auch, daß man die Innigs 
fie Ueberzeugung hegte, die Uebel, die man feibft deis 
ber, oder. von denen man bey Andern Zufchauer ift, 
ſeyen nothwendige Zolgen natürlicher Urſachen und 
Verhaͤltniſſe; ſo wird man doch nichts. defto weniger 
den Urſachen ſowohl der eigenen Uebel, als der Uebel 


— 


uhleo Geſch d. Philof. VL. | 5 uns 


Eu 


ar Geſchichte der neuern Philoſophle 


unſerer Nebenmenſchen abzuhelfen oder vorzubauen 


| fuchen, | 


Wie die Lehre von der Freyheit, bemuͤht ſich der 


Verfaſſer des Syſtems der Natur auch die gangbaren 
Meynungen von der Immaterialität und der Uns 
fterblichkeie der Seele noch umfiändlicher zu wis 


derlegen. Der Wunfch nach Fortdauer entfpringe im 
Menfchen ganz natürlich aus der Tendenz eines ent: 
pfindenden Weſens, die varauf gerichtet ift, fich ſelbſt 
erhalten zu wollen, und’ die fehr leicht die Taͤuſchung 


erzjzeugt, oder wenigftens beguͤnſtigt, daß es ſich wirks 


Lich immer erhalten werde. Aber der Menfch wünfche 
ja auch, feinen Körper zu erhalten, und doch fießt 
er diefen Wunfch vereitelt; er wünfche, reich zu wers 
den, und wird es nicht; wie follte es ihm mit dem _ 
Wunſche der FZortdauer nach dem Tode in Unfehung 
der Realifirung desfelben beffer ergehen? 


Unfere Seele ift nichts weiter als ein Prineip. 
der Empfindlichkeit. Denken, Genießen, Leis 


den, iſt ein Empfinden. Das ganze eben ift ein Ins 


Begriff von Mobificarionen oder Thätigfeiten, wie fie 
einem organifirten Weſen zukommen. Gobald diefes 
organifirte Wefen, der Körper, zu leben aufpört, kann 
die Empfindlichkeie ſich nicht mehr äußern; es kann 
alſo auch Feine Vorſtellungen, und folglich feine Ges 
danken mehr haben. Alle Vorftellungen empfangen 
wie durch. die Sinne; wie fönnen wir fie fernec em⸗ 
fangen, wenn die Sinne nicht mehr erifticen? Bei 


rachtet man die Seele als ein von dem befeelten Körs, 


per getrenutes Weſen: warum betracheee man niche - 
auch das. teben als eine von. dem lebenden Körper abs 
gefonderte Subſtanz? Das organifirte Weſen über; 
haupt laͤßt ſich mie einer Lie: vergleichen. —— | 
* > einma 


waͤhrend d. achtz. Jahrhund. b. auf Kant: 115 


einmal zerbrochen, fo iſt fie nicht mehr zu dem Zwecke 
zu gebrauchen, wozu fie beſtimt war. Behaupten, 
daß die Seele nach dem Tode empfinden, denken, ges 
nießen, leiden werde, heißt behaupten, daß eine im 
tauſend Stuͤcke zerbrochene Uhr fortfahren koͤnnue, zu 
geben und deu kauf der Stunden anzuzeigen. Mer 
uns überreden will, daß die Mopvificationen eines 
Ryan erhalten werden mögen, obgleich die Subs 

nz desfelben vernichtet fen; behauptet, daß Qualis 

ren ohne Subjece eriftiren Pönnen, was eine offens - 
bare Ungereimtheit iſt. 

Die Theologen erwiedern hierauf freylich, daß 
die Erhaltung der Seelen nach dem Tode des Koͤrpers 
eine Wirkung der goͤttlichen Allmacht ſey. Aber dies 
heiße eine Ungereimtheit durch eine willkuͤhrliche Hys 
potheſe unterftügen. Wie man fich auch die görtliche 
Allmacht denfen mag; fie kann nicht bewirken, daß 
ein Ding zugleich fey, und nicht ſey; fie kann niche 
bewirken, daß eine Seele empfinde oder denke, ohne 
Die norhwendigen Mittel, wodurch allein fie zu em 
‚pfinden und zu denken vermag. 

Der Verfaffer gebt noch weiter, Er fucht daes 
zuthun, daß die Hoffnung der Unſterblichkeit nicht nur 
gar nichts Tröftliches in der That fire die Menfchen 
babe, niche nur die Furcht vor dem Tode gar nicht. 
aufbebe oder mindere ; fondern vielmehr dieſe noch 
vergrößere durch allerhand religiöfe Vorurtheile die 
mit ihr in Verbindung geſetzt werden. 

Sao uͤberzeugt auch Jemand von der Wahrhen 

und Realitaͤt der Ausſicht in eine ſelige Zukunft ſeyn 
mag; fo fuͤrchtet er ſich doch, und zittert, wenn er at 
- Die Auflöfang feines Körpers durch den Tod denkt 
Die Hoffnung der Unſterblichkeit nügt ihm alfo bier⸗ 
in zu nichts. | 
ni & 2 Aber 


116 Geſchichte der neuern Philoſophie 


Aber warum fuͤrchten denn die Menſchenden 
Tod? — Es find zwey Haupturſachen, die dazu bey⸗ 
tragen. Die eine iſt, daß gewoͤhnlich heftige Schmer⸗ 
zen den Tod begleiten, und daß er den Menſchen eine 
Exiſtenz raubt, die ihnen angenehm iſt, an die ſie 
gewöhnt ſind. Die andere iſt die Ungewißbeit des 
Zuftandes, der auf Die gegenmärtige wirkliche Exiſtenß 
folgen wird. Diefen Urfachen der Todesfurdht kann 
man inzmifchen durch. eine vernünftige Erwägung ders 
ſelben ſehr teicht begeguen. Man betrachte den Tod 
nur aus dem Gefichtspuncte eines norpwendigen Mas 
turzwecks. Wenn das Leben ein Gut ift, und wir. 
genörhigt find, es zu lieben; fo. ift es nicht minder 
norhwendig, es zu feiner Zeit zu verlaffen, und bie 
VBernunfe muß uns lefren, und in den Willen des 
Schickſals ruhig zu ergeben. Ein großer Mann ers 
Plärte die Philofopbie für. eine Betrachtung 
des Todes, Er wollte damit nicht fagen, daß wir 
uns beſtaͤndig mit der traurigen Befchäfftigung unters 
halten müßten, an unfer Ende zu denken, und das 
Schrecken des Todes zu nähren; vielmehr er mollte 
einladen, uns mit einem Gegenſtande vertrauter zu 
machen, den die Matur uns als norhmwendiges Zieh 
vorgefteckt hat, und ihn mit heiteree Stirn zu ev 
warten. | J | | 


In Hinſicht auf den Zuſtand nach dem Tode hat 
ſchon Baco bemerkt, daß die Menſchen den Tod 
aus demſelben Grunde fuͤrchten, aus welchem Kinder 
nicht gerne im Dunkeln ſind. Wir mistrauen Al⸗ 
lem, was wir nicht kennen, und ſcheuen es. Wie. 
wollen deutlich erkeunen, um uns vor Dingen zu vers 
wahren, die unfer Wohlſeyn bedrohen, und uns fol 
che zu verfchaffen, die uns nüglich und angenehm ſeyn 
5 22 u koͤn⸗ 


— 


‚während ds arhtz. Jahrhund. b. aufiffant. 117 


koͤnnen. Der lebende Menfch- kann ſich das Micht⸗ 
daſeyn gar nicht vorſtellenz der Zuſtand nach dem Tos 
de beunrußige ihn. .alfo;::und aus Mangel: an wirklis 
cher Erfahrung arbeiter nun feine Phantafie, ihm .jes 
nen ungemiffen Zuftand gut oder übel vorzumahlen. 
Gewohnt zu empfinden , zu denfen, thätig,: in gefells 
ſchaftlichem Verhaͤltniſſe und Genuſſe zu ſeyn, ſcheint 
ihm die Aufloͤſung durch den Tod das groͤßte Ungluͤck, 
das ihn aller Freuden des Lehens berauben wird, um 

ihn in das Nichts herabzuſtuͤrzen. 


Indeſſen find doch dies alles leere Einbildungen, 

Ein tiefere Schlaf kann uns das mwahrfie Bild von 
unferm Michtfegn nach dem Tode geben. Er raube 
auch uns Alles, er vernichtee uns gleihfam für. die 
Melt, und die Welt für ung. Und ift der Tod etwas 
anders, als ein tiefer und dauernder Schlaf? Bloß 
‚weil der Menfch fich Feine wirkliche dee vom Tode 
‚machen kann, fürchtet er ihn; koͤnte er jenes, würde 
er von dem Augenblicke an ihn zu fürchten aufhören. 
Da er inzwifchen von einem Zuftande gar feinen Bes 
griff bat, wo er nicht empfindet; fo wähne er doch, 
er werde, auch wenn er nicht mehr eriftire, doch noch 
Bewußtſeyn diefes feines traurigen Zuftandes habenz 
er waͤhnt, fein Begräbnig und fein Liegen im Grabe 
eben jo zu fühlen, wie er es lebendig fühlen würde, 
O Sterbticher , ruft der Verfafjer. aus, wie verblens 
det dich deine Furcht! - Mach deinem Tobe werden deis 
ne Augen nicht mehr fehen, deine Ohren nicht mehr 
Hören; in deinem Sarge wirft du nicht ein Zeuge des 
Leichenbegaͤngniſſes ſeyn; du wirft an Allem, was. man 
mit deinem entfeeltew.teichname macht, fo wenig Theil 
nehmen, wie du den.Zag vor deiner Geburt au eu 
was Theil nehmen konieſt, — heiße aufboͤ⸗ 


ve, 


18 Geſchichte der neuern Philoſophie 


ren, zu ‚empfinden. und zu. denken, zu geniefien und 
. zu feiden; . deine. Ideen werden mit die verfihwins 
den; deine Leiben werden bir. ——— in's Grab nach⸗ 
lolgen. es 


Härte auch die Hoffnung der Lnfterblichkeit em 
was Tröftliches, und Lönte fie wirklich die Furcht vor 
dem Tode mindern; fo find doch fo viel abergläubis 
fche refigiöfe Vorurtheile mit jener vergefellfchafter, 
daß der Gedanke des Todes durch fie noch um Vieles 
: empörender und quälender wird. Die pofitive Nelis 
gion flelle uns den Tod als den furchtbarften Augens 
blick vor, der niche nur ‚allen unfern Vergnuͤgungen 
ein Ende macht, fondern auch uns hülflos der uner⸗ 
hörten Strenge "eines - unerbittlichen Deſpoten überlies 
fert, deſſen Richterſpruch nichts. zu mildern vermag. 
Mach ihr ift der tugendhafteſte Menfch nie ficher, daß 
er der Gottheit wohlgefällig feyn werde; er hat Ur⸗ 
fache, vor der Strenge ihres Gerichts zu zittern. 
Schreckliche und ewige Büßungen erwarten die Opfer 
ihres: Eigenfinnes, wegen unwillkuͤhrlicher Schwäs 
chen oder umnvermeidlicher Vergehungen, die ihren ' 
Zorn eneflamt haben, Dieſer unverföpnliche Tyranu 
‚wird fie firafen, daß fie Triebe und Neigungen bes 
friedigten, die er ſelbſt ihren Herzen einpflanzte; er 
wird fie firafen wegen Irrthumer des Verſtandes, - wes 
gen Borftellungen, Meynungen und $eidenfchaften, 
die fie in. der Geſellſchaft empfiengen, in welcher er - 
ſelbſt fie geboßten werden lieg. Er wird ihnen nicht 
‚verzeihen, daß fie fein unbegreifliches Weſen verfanns 
sen; daß fie wagten, felbfiftändig zu ureheilen ; daß 
. fle fich weigerten, fchwärmerifchen betriegerifchen Fuͤh⸗ 
rern zu geborchen; daß fie die Stirn Gatten, ihs 
ze eigene Vernunft zu Rathe zu a ‚die e — 

leich⸗ 


— 


während: d. achtj. Jahrhund. 5. auf Kant. 119. 


gleichwohl, ertheilt hatte, damit. fie ihnen zum Leit⸗ 
fieene auf den Wege des Lebens dienen -follie, 


Wenn man unbefangen diefe Vorurtheile übers 
legt, welche die pofitive Religion mit ber Hoffnung 
ber Unfterblichkeit verbindet, was hat denn diefe wohl 
für vernuͤnftige Menfchen für einen XGereh? Und wie 
kaun fie geeignet feyn, uns von der Todesfurcht zu 
- befreyen, die ins Gegentheile durch fie erft unendlich 
quäiend wird? Wollte man einmenben, daß, went 
die Religion auf gleiche Weife den Guten wie den Boͤ⸗ 
fen die ewige Seligfeit verfpräche, boch jedermann 
an das andere Leben glauben würde: fo antwortet bee 
Derfaffer geradezu: daß die Religion auch den Boͤſen 
den Himmel zyerfenne, fofern fie oft den unnüßeften 
und fchlechteften Menfchen einen Plag darin angemies 
fen habe *). Sie ſtaͤrkt die Leidenſchaften der Boͤſe⸗ 
wichter, indem fie Berbrechen legitimire, welche fie 
ohne die Kirche fich gefürchtet und geſchaͤmt haben 
würden zu begehen. Kurz die Priefter der pofitiven 
Meligionen gewähren den vermorfenften Menfchen die 
Mittel, um den Bannftrapl von ihren Häuptern abs 
zumenden , und troß der ungeheuerften Sünden dens 
‚noch. zur ewigen Seligfeit zu gelangen. . 


Man Pönte landen, daß die Politik die Begriffe | 
von Himmel und Höle nad) dem Tode für Gute Kon 
öfe 


) As Beyſpiele nennt er in einer Note (P.I. p.272) den 
Mofed, Samuel, David bey den Juden; den 
Mohammed bey den Mufelmännern; bey den Chris 
fien. den Eonftantin, den Beil. Cyrillus, Atha— 
nafius, Domiyicus, die Krenzbrüder, die Ligiſten, 
et tant d'autres brigands religicux et ablẽs perſceu- 
teurs, que l'Egliſa rivere. ; 


24 


120 Gefchichte der neuern Philoſophie 


Boͤſe zur Sicherung der Geſetzgebung erſonnen habe, 
und daß ſie wenigſtens hierzu heilſam ſehen. Aber 
wie viel Menſchen moͤgen wohl durch die Furcht vor 
einem kuͤnftigen Vergeltungszuſtande von lafterhafsen 
Handlungen abgehalten werden? Diejenigen, die ſo 


etwas vorgeben,’ hintergehen entweder uns, oder ſich 


ſelbſt. Sie föpreiben der Furcht vor der Hölle zu; 
was nut die Wirkung gegenwätriger Motive ift, wie 
der Schwäche ihres Körpers, "der Difpofition ihres 
Temperaments; der geringen Energie ihrer Seele, 
ihrer natürlichen Schuͤchternheit, durh Erziehung 
eingeprägter Sdeen und Maximen, der Beforgniß vor 
den unmittelbaren phyfifchen Folgen ihrer Ausſchwei—⸗ 


fungen und fchlechten Handlungen. Dieſe find die 


wahren Motive, wodurch fie zurückgehalten werden, 
„nicht aber unbeftimte Begriffe von einem Fünftigen tes 
ben, das die Menfchen, follten fie auch davon noch 
ſo überzeuge feyn, doch jeden Augenblick vergeffen, 
wenn ihr Intereſſe fie zur Suͤnde tif 


‚Der Menſch, fagt der Verf. vielleicht sche 
wahr, ann nicht vom Boͤſen zurückgehalten merden, 
wenn er niche in fich felbft hinreichende Beweggründe 
‚findet, die ihn zurückhalten, over zur Vernunft zurück 
u fahren, Es giebt nichts weder im dieſer, noch in eis 
ner anderen Welt, was einen. Menſchen tugendhaft 
machen fönte, den eine unglückliche Organifation, ein 
ſchlecht gebildeter Verſtand, eine verwahrlofte Phans 
taſie, eingemurzelte Gewoßnpeiten, böfes Beyſpiel, 


große Vortheile, von allen Seiten zum Lafter einladen, | 


Keine Sperularion vermag einen Boͤſewicht abzufchreds 
‚Sen, der der oͤffentlichen Meynung troßt, das Gefeg 
verachtet , taub gegen die lauteſte Stimme feines Ges 
wiſſens iſtz den aber feine Mache in diefer Welt — 

tra 


| 


während d. achtz Jahrhund. 5: auf Kant. rer 


Strafe und Tadel ethebt. Jede Idee einer entfern⸗ 
ten Vergeltung wird bey ihm weichen vor dem, was 
er für fein unmittelbares geyenwärtiges Glück noth⸗ 
wendig findet. Jede heftige Leidenfchaft macht uns 
blind für Alles, mas nicht ihr Object iſt. Die Schreßs 
ken eines Fünftigen $ebens, deſſen Wahrſcheinlichkeit 
unfere keidenfchaften immer zu verringern willen, vers 
mögen nichts über einen Boͤſewicht, der die viel näs 
beren Strafen der Gefege, und den gewiſſen Haß der 
rer nicht achtet, die ihn umgeben. , Wer fih einmal 
dem Verbrechen überläßt, hält nichts für gewiß, als 
den Vortheil, um deffen willen er das Verbrechen bes 


gebt... Alles übrige erfcheine ihm ſtets falfch oder pros 
blematifch, 


Der Meynung, die der Verfaffer des Syſtems 
ber Natur von dem Werthe der. Unfterblichfeitelehre 
batte, konte man nicht nur ihren Einfluß auf die Mos 
- talität entgegenfeßen; fondern es blieb auch noch die 
Frage uͤbrig: Wie denn die Triebe, Begierden und 
teidenfchaften der. Menfchen zu regieren und zu bus 
digen ſehen, wenn fie nicht. auf einen Pünftigen Vers 


... geltungszuftand Ruͤckſicht naͤhmen? Der Verf. bes 


bauptet, daß die. Erziehung, die Moral und die Ges 
fege hierzu. völlig hinlaͤnglich ſeyen. Die Erziehung 


es muß, den erfien Samen des Guten in's Herz legen; 


ſie muß die ſich entwickelnden Keime desfelben pflegen; 
die Neigungen und Faͤhigkeiten vortheilhaft richten 
und bilden, die durch die individuelle Organiſation 


beſtimt werden; das Feuer der Phantafle naͤhren, es 


fuͤr gewiſſe Gegenftände entbrennen laffen, fiir andere 
laoͤſchen und erſticken; fie muß endlich den Gemuͤthern 
Gewohnheiten’ mittheilen, die für die Individuen und 
* far die Geſellſchaft u find. Sind 


Men: 


* 


222 Geſchichte der neuern Philoſophie 


Menſchen fo erzogen, fo werden ſie der himliſchen 

Belohnungen nicht als aufmunternder Preiſe der Tu⸗ 
gend beduͤrfen; man wird nicht noͤthig haben, ihnen 
die brennenden Schluͤnde der Hoͤlle zu zeigen, um ih⸗ 
nen Abſcheu vor dem Laſter zu erwecken, 


Eben fo wenig hat eine gerechte, aufgeklaͤrte, tu⸗ 
gendhafte, wachſame Regierung, die ſich aufrichtig 
das gemeine Beſte vorfegt, noͤthig, Fabeln und küs 
gen zu Hälfe zu nehmen, um vernünftige Unterthanen 
zu regieren. Gie würde fih fhämen, Mittel zu 
brauchen, um "Bürger zu täufchen, die ihre Pflichten 
kennen, billigen Gefegen unterworfen find, und dag 
Gute zu fchägen wiffen , das ihnen von der Regierung 
bereitet wird. Gie weiß, daß die Achtung des Pus 
Blicum’s mehr Einfluß. auf gut erzogene Menfchen hat, 
als die Furcht vor dem Geſetze; daß die Gewohnheit 
hinreicht, einen Abfchen felbft gegen folche Verbrechen 
einzuflößen,, die im Werborgenen gefchehen und fich 
der Bemerkung der Gefellfchaft entziehen; daß ſichtbare 
Strafen in diefer Welt mehr auf rohe Menfchen wirfen, 
als Androhungen derfelben in einer entfernten und uns 
gewiffen Zukunft. Sie weiß endlih, daß die finns 
lichen Güter, welche die höchfte Gewalt im State 
verdienſtvollen Bürgern ertheilen kann, die Gemuͤther 
der Menfchen unendlich mehr rühren, als alle die luf⸗ 
tigen Belohnungen, die man ihnen in einen Fünftts 
gen Leben verfpricht. 


4 Will die Politik jedie Idee von dem Leben nach 
dem Tode zur Sicherheit der Gefeggebung, als Aus 
reiß für die Bürger zur Tugend und zum Verdienſte 
benußen; fo mache fie die Menfchen aufmerkſam anf 
den. Nachruhm nach. dem Tode, und flärfe die Em⸗ 
pfänglichkeit, die jeder Meuſch für den Br 
en 


während; d. achtz. Jahrhund. 6. auf Kant. 223 


ben hat. Niemand kann die Vorſtellung ertragen, 
ganz aus dem Andenken ſeiner Mitmenſchen zu ver—⸗ 
ſchwinden; und Wenige haben den Muth, ſich uͤber 
bie Urtheile der Nachwelt ganz hinwegzuſehzen, und 
ſich in den Augen derſelben herabzuwuͤrdigen. Wer 
iſt unempfindlich fuͤr das Vergnuͤgen, daß ſein Tod 
denen Thraͤnen entlocken werde, die ihn uͤberleben, 
daß ihre Seelen fih noch mit ihm beſchaͤfftigen, daß 
er noch aus dem Grabe auf ſie wirken werde. Die 
Moral und die Politik mögen alſo die, Bürger ans 
feuern, fich ihren Eltern, Kindern, Verwandten, 
Freunden, Hausgenoffen, perfönlich werth zu mas 
hen; ſich Achtung bey ihren Mirbürgern zu erwerben; 
treu ihrem Vaterlande zu Dienen, das ihnen ihr Wohl⸗ 
feyn fichert; Arbeiten zu übernehmen und auszufühs 
ren, bie den Preis der Nachwelt erwerben; und fo 
im Boraus den Reig’des Ruhmes zu genießen, den 
fie nach ihrem Tode haben werden. Haben die Bürs 
ger in diefer Stimmung gelebt und gehandelt; fo füns 
nen und werden fie den Tod mit Gleichgültigkeit bes 
trachten und mit Standhaftigfeit erwarten, und jene 
ungemwifjen Hoffnungen der Zukunft, jene Furcht vor 
ihren Schredden, den Träumen und Schwärmern 
uͤberlaſſen. | | Mer 


Es war confequent, daß der Verfaffer des Sy⸗ 
ſtems der Natur bey diefer feiner Philoſophie über die 
Natur und Beflimmung des Menfchen insbefondre, 
aud) den Selbſtmord nicht bfoß entfehuldigte, fons 
dern fogar vertheidigte, vechtfertigte, und unter ges 
wiffen Umſtaͤnden empfahl. Er dringt folgende Grüns 
de für denſelben an: | 

.. I) Die Verbindung des Dienfchen mit der Nas 
tur iſt weder ſreywillig von feiner Seite eingegangen } 
x. "ie nv 


124 Geſchichte der neuern Philoſophie "> 


noch gegenſeitig unter beyden. Der Wille des Mens 
ſcheu harte keinen Theil an feiner Geburt, und gemei⸗ 
niglich wird er auch wider feinen. Willen gezwungen, 
das Leben zu verlaſſen. Alle Handlungen. des Men⸗ 
ſchen find nothwendige Wirkungen unbekanter Urſa⸗ 
chen ‚die ſeine Willensaͤußerungen determintren. Er 
iſt in den Haͤnden der Natur, was ein Schwerdt in ſei⸗ 
uer eigenen Hand iſt. Dieſes kann iin entfallen, ohne 
daß man es beſchuldigen duͤrfte, es fen undankbar ger 
Yen ibn, oder braͤche ſeine Verbindlichkeit. Mur um 
‚ser der Bedingung, daß er glücklich iſt, fann der 
Menſch fein Daſeyn lieben; fobald ihm die game 


Matur die Gluͤckſeligkeit verfagt; alles, was ihn. ums 


‚giebt, ihm beſchwerlich wird; traurige. niederfchlagens 
de: Bilder fich ‚feiner. Phantaſie darftellen, darf. er eis 
hen Poften verlaffen, dem er nicht entſpricht, und 
wo es ihm an aller Unterſtuͤtzung gebricht; er exiſtirt 
alsdenn fchon nicht mehr; er ſchwebt in einem leeren 
Raume; er kann weder fich, noch Andern, weiter nüßs 
lich feyn. ER EACH BER Er 

I) Sieht man auf. den Vertrag, der den Mens 
fchen mit der, bürgerlichen Gefellfehaft verbindet; ſo 
ift jeder Vertrag bedingt und gegenfeitig; beyde Pars 
. genen verfprechen fih Worrheile davon. Der Buͤr⸗ 
“ger hänge nur mie der Geſellſchaft, dem Vaterlande, 
feinen Hausgenoſſen, zuſammen, ſofern er durch ſie 
gluͤcklich iſt. Faͤllt N Bedingung weg, fo iſt er 
in Freyheit geſetzt. Wie koͤnte man einen Menfchen 
tadeln, der ‚feinen Aufenthalt in der Stadt. unnüß . 
fände, fein Mittel haͤtte, ſich dort zu ernähren, und 
nun in eine tiefe Einöde flüchtete, um hier feines Rum: 
imers und feinee Sorgen ju- vergeffen?- Alſo auch mit 
welchem Rechte tadelt man -Denjenigen; deu; ſich an | 
ee 147, 


während d. achtz Jehthund. b. auf. Kant, - 125. 


Verzweiflung toͤdtet? Thut diefer etwas anders, ale 
daB er fih von der Geſellſchaft entfern? Dee Tod 
ift die einzige Rettung des Verzweifelten. So lange 
dem Menfchen die Hoffuung bleibt; fo lange ihm feis 
ne wirklichen oder eingebilderen Leiden nicht unerträgs 
lich ſcheinen; fo lange er fich fchmeichele, fie werden 
ein Ende nehmen, und es werde noch eine angenehme 
Eriftenz fie ihn folgen, wird er fih auch nicht des 
tebens berauben.. Aber wenn nichts mehr die Liebe 
zu Daſeyn im ihm näpre, dann ift ihm das Leben 
die druͤckendſte Buͤrde, umd Sterben erfcheine demjer 

nigen als: Pflicht, der fi ihrer zu entledigen fucht, 
- Eine Gefellfhaft, die uns das Sur, defien wir bes 
duͤrfen, nicht verfchaffen kann oder will, verliere alle 
ihre Rechte auf uns; eine Natur, Die daben beharet, 
unfer Daſeyn eleud zu machen, befiehlt uns, dass 
feibe zu verlaſſen. Indem wir flerben, erfüllen wie 
einen ihrer Beichke, wie wir bey der Geburt gerpan 
haben. 


Man hat von diefen Grundfäßen über die Rechts 
maͤßigkeit ind Zuläffigkeit des Seibſtmordes, meynt 
der Verfaſſer, nichts zu fürchten. Solche Grunde 
fäße find es nicht, Die die Menfchen beſtimmen, fo 
gewaltfome Maaßregeln zu ergreifen. Es ift ein Durch 
Kummer und Sorgen verdorbenes Temperament, eine 
gallichte und melancholifche Conſtitution, ein. Fehler 
in der Organifarton des Körpers, eine Unordnung im’ 
der gefamten Mafchine; kurz es ift die Nothwendig—⸗ 


- Reit, und nicht eine raifonnirende Speculation, wel 


che in: einem Menfchen den Entfchluß erzeugt, fich 
ſelbſt zu enzleiben. Richts verführe zu diefem Schrit⸗ 
te, fo lange Jemand Bertiunfe, oder Hoffnung, dies 
fen. Balfam für alle Leiden, hat. Der Unglückliche, 
| . der 


126 Geſchichte der neuern Philoſophie 


der ſeinen Kummer und ſeine Schmerzen nie aus den 
Augen verliert, vor deſſen Geiſte nur der Gedanke an 
Leiden ſchwebt, kann auch nur von dieſen allein Mo—⸗ 
tive des Entſchluſſes annehinen. Ueberdem welchen 
Vortheil, welche Huͤlfe, kann ſich die Geſellſchaft 
von einem Ungluͤcklichen verſprechen, der zur Ver⸗ 
zweiflung gebracht iſt, von einem durch Trautigkeit 
niedergebeugten, durch Gewiſſensbiſſe gefolterten Mis 
fanehropen, der keine Beweggründe mehr hat, Ans 
dern nüßlich zu werden, der fich felbft aufgiebt, und 
Fein Intereſſe mehr daran finder, feine Tage zu vers 
längern? Wuͤrde die bürgerliche Gefellichaft, frage 
der Verfaſſer fogar, nicht viel glücklicher fen, wenn 
man alle Böfewichter überreden Lönte, fich dem Ans 
blicke des Publicum’s zu entziehen, damit nicht die 
Gefege genörhige würden, fie zu vertilgen? Würden 
ſelbſt diefe Böfewichter nicht viel glücklicher fegn, went 
fie dee Schande und den ihnen beſtimten Strafen zus 
vorfommen wollten und dürften, die ihnen die Ges 
fege zuerkennen. 


Doch eine hierher gehörige, ohne KHinficht auf 
die Rechtmaͤßigkeit des Selbftmordes, am fich fehr ges 
gründete Bemerkung des Verfaſſers will ich anfüßs 
ten. Nichts ift für den Star erfptießlicher, als ben 
Bürgern Verachtung des Todes überhaupt einzuflös 
fen, und die falfchen Ideen aus ihren Gemuͤthern zů 
verbannen, welche fie von den Folgen desfelben haben, 
Die Furcht vor dem Tode muß nothwendig die Voͤl⸗ 
fer feig machen; und die Furcht vor feinen Folgen 
muß Fanarifer und melancholifche Froͤmler berwors 
bringen, die fich felöft und Andern zur Laſt ſind. Dee 
Tod iſt eine Zuflucht, die man der unterdrückten, durch 
die, Ungerechtigkeit der Menfchen oft in 

geſturz⸗ 


. während d. achtz. Jahrhund. b. auf Kant. 127 


geſtuͤrzten, Tugend nicht entziehen muß. Wenn die 
Menſchen den Tod weniger fuͤrchteten, wuͤrden ſie 
weder ſelaviſch, noch abergläubifch feyn. Die Wabhr⸗ 
beit würde die eifrigften Vertheidiger finden, die Rech⸗ 
se des Menſchen würden auf das murhigfte und flands . 
Haftefte behauptet, die Irrthuͤmer auf’s kraͤftigſte bes 
ſtritten, und die Tyranney würde von allen Natio⸗ 
en verbannt werden; anftart daß Feigheit und Furcht 
famfeit das Gegenteil bewirken. Mit einem Wor⸗ 
se: Die Menfchen koͤnnen nicht zufrieden und glück 
th ‚werden, folange ihr abergläubifcher Wahn fie 
vor — zittern macht. 


Ueberhaupt muß der Nutzen der einzige Maaß⸗ 
ſtab alter praktifchen Lircheile des Menſchen ſeyn. 
Müglich feyn, heißt zum Wohle; Schädlich 
feyn, Heiße zum Ungfücke feiner Mitmenſchen beys 
tragen. Wenn der Menfch in jedem Augenblicke feis 
nes Lebens feine Gluͤckſeligkeit fucht; fo darf er auch 
nichts misbilligen, als was ihm dieſe felbft oder die 
Mittel dazu verfchaff. Man nennt denjenigen Ges 
genftand ein Intereſſe, «oder lege ihm ein folches 
bey, an welchen der Menfch nach feinem Tenperas 
mente und feiner Vorftellungsart den Begriff feines 
Wohlſeyns knuͤpft. Miches har für uns ein wahres 
und eigentliches Intereſſe, mas wir nicht. als norhs 
wendig zu unferer Glückfeligkeit betrachten. Niemand 
"in der Welt ift ganz ohne alles. Intereſſe; denn Mies 
mand ift ganz ohne das Bedürfniß der Gluͤckſeligkeit. 
Aber das Intereſſe eines Seden, des Guten wie des 
Schlechten, des Vornehmen wie des Geringen, des - 
Reichen wie des Armen, iſt verſchieden. Wenn alfo 
das Intereſſe die einzige Triebfeder der menfchlichen 
Handlungen iſt; fo Heißt das foniel, daß Jeder am 


1,7433 der 


1 


128 Gefchichte der neuern Philoſophie | 


der Beförderung feiner. Gluͤckſeligkeit auf feine eigene .. 
Are arbeiter. In diefer Hinfiche, kann auch kein 
Menfh unintereffire :(uneigennügig) genannt wer⸗ 


den. Mir geben Diefes- Prädicae bloß ſolchen Mens 


fhen oder Handlungen, bey denen wir die wahren 


Zriebfedern nicht - Bennen, oder deren. Intereſſe wir 
billigen. : So nennen wir. einen Freund treu, edel 
hebig, unintereffict, wenn er mehr durch das Vers 


gnuͤgen gerührt wird, uns in unferm Ungluͤcke beys: 


zuftehen , als unbrauchbare Schäße aufzuhaͤufen. 
‚Kurz alle diejenigen halten wir für uneigennüßig, ‚die 


für irgend einen Gegenftand, an welchen fie ihre Glücks. 


ſeligkeit knuͤpfen, Anfopferungen machen, welche uns 
zu koſtbar vorkommen, weil wir ‚jenem Gegenfiande 
nicht denfelben Werch beymeſſen. Das Intereſſe Ans 
derer, fo mie unfer eigenes, beurtheilen wir oft ſehr 


unrichtig, bald zu ihrem und unſerm vermeynten | 


Vortheile, bald zum Nachtheile. 


Ein wirklich tugendhafter Menfch ift nur 


derjenige, der beftändig das Intereſſe vor Augen hat, 
die Zuneigung, Achtung und Hülfe Anderer zu vers 
dienen, fo wie das Bedürfniß, fich ſelbſt zu lieben 
und zu ſchaͤtzen; der voll von diefen ihm habituell ges 
worden Ideen fich felbft geheimer Verbrechen enthaͤlt, 
welche ihn in feinem eignen Urtheile erniedrigen würden, 


etwa fo, tie Jemand, der von Kindheit auf zur’ 
Deinlichkeit gewoͤhnt ift, fi vor der Unfauberfeit 
ſcheuet, auch 'wern er von Miemand bemerkt wird. 


Dieſe Principien find nach dem Verfaſſer des Syſtems 
der Naͤtur die wahre Örundfage der Moral. | 


Nichts iſt chimaͤriſcher, als ein Moralbtisei 


das: ſich auf eingebildete Gründe ſtuͤtzt, die man aus. 


berhalb die Natur verfeße, ‚oder auf angebohrne er 
lehtze, 


waͤhrend d. achtz. Jahthunde b. auf Kant. 129 


ſetze, die vor aller Erſahrung hergehn, und von den 

ortheilen, welche aus unſeren Handlungen fuͤr uns 
euntſpringen, unabhaͤngig ſeyn ſollen. Es gehoͤrt zum 
Weſen des Menſchen, ſich ſelbſt zu lieben, ſich er⸗ 
halten zu wollen, ſich ein angenehmes Dafenn zu verr 
ſchaffen; alſo ift auch das Auterefje, over das 
Streben nah Ölücfeligfeit, das einzige Prins 
eip aller feiner Handlungen. Diefes Jutereſſe häuge 
aber von feiner natürlichen Organifation, feinen. Bes 
bürfniffen,. Kentniſſen und Gewohnheiten ab. Er 
äft ohne Zweifel im Irrthume, wenn eine fehlerhafte 
Drganijation, oder falſche Meynungen, ihn fein Wobl⸗ 
ſeyn in. Dingen fuchen laflen, welche ibm oder Ans 
dern unnüß oder gar fchädlich find. Hingegen mans 
delt er auf dem fichern Pfade, zur Tugend, menu er 
nach, richtigen Ideen feine Glückfeligfeit in ein Bes 
tragen ſetzt, das feinen Mitmenfchen und ihm ſelbſt 
wahrhaft nüglich.ift, das deswegen auch) Andere. bifs 
ligen, fo daß, es für diefe felbft ein Gegenftand des 


Intereſſe's wird. 


Mur duch Tugend kann der Menſch 
glüclich werden. Ohne Tugend kann die Ger 
Feufchaft weder Mugen bringen, noch auch fubfifttr 
ren; wirkliche Vorcheile Pönnen nur mit ihr verbung 
ben ſeyn, wenn fle aus Gliedern zuſammengeſeht If; 
von dem Verlangen befeele, einander gefällig uf , 
Uund für ihr gegenfeitiges Wohl zu mirden. ' Zihdee 
Diefes Wohlwollen der Bürger gegen einander nicht 
flate‘, fo kann auch der Stat nicht gedeihen; er ges 
waͤhrt alsdenn den Individuen Peine Gluͤckſeligkeit; 
fo wenig eine Familie diefelbe ihren Angehörigen ges 
waͤhrt ‚ wenn dieſe mit einander unfriedlich und feinds 


ſelig Ieben. 
‚Buble's Geſch d. Philoſ. VI.2. S an 


‘ 


# 


130 Geſchichte der neuern Philoſophie 


Man kann hier freylich einwenden, daß die Tu⸗ 
gend ſehr oft nicht vergolten, mit Ungerechtigkeit, Uns 
danke, belohnt werde, und alſo ihren Zweck nicht er⸗ 
feiches dagegen das Laſter ungeſtraft bleibe und rrium⸗ 


phirt. Die Staten werden hicht felten durch Mens 


ſchen regiert, melde Unmiffenheit, Schmeidheley, 
Vorurtheile, Misbraud und Straflofigkeit der hoͤch⸗ 
ſten Gewalt, die fie in Händen haben, zu Feinden 
der Tugend macht; die daher ihre Achtung und Wohl 
thaten an unmürdige Unterthanen verſchwenden; nur 
unnuͤtze, überflüfige oder gar fchädliche Qualitäten 
‚belohnen, und dem Verdienſte die Gerechtigkeit vers 
weigern, die ihm gebührt: Uber der tugendhafte 


Mann teachtet auch hiche nach der Belohnung oder 


dem Beyfalle einer fo ſchlecht conftituirten Regierung. 
Zufrieden mit feinem häuslichen Gluͤcke fucht er nicht, 
feine äußern Vechaͤltniſſe zu vervielfältigen, Die nur 
feine Gefahren vervielfältigen würden. Er weiß, daß 
eine laſterhafte Gefellfchaft ein Wirbel ift, im wels 
chem der tugendhafte Mann fich nicht mit herumbres 
ben kann; er. hält ſich in der Entfernung weit von 
dem Gerimmel, wo er zuverläfjig erdruͤckt werden 

würde. So viel er fann, thut er Gutes in feinem 
Wirkungskreiſe. Den Böfen, die mit einander auf 
deu Rampfplaß treten wollen, läßt er freyen Spiels. 
raum. Er bedauert die Mationen, die durch ihre 
Jerthuͤmer ungluͤcklich werden, und durch die Leiden⸗ 
ſchaften, welche die natürlichen und nothwendigen Fol⸗ 
gen derſelben ſind. Solche Nationen koͤnnen nur aus 
unglücklichen Bürgern beſtehen, die ferne von dent Ö& 
danken an ihr wahres Intereſſe, ferne von dem Be⸗ 
fireben zu ihrem gegenfeitigen Wohle, ferne von der 
Einſicht, mie werth ihnen die Tugend ſeyn müßte, 
fi offenbar befehden, oder einander heimlich ſcha— 

den, 


— 


waͤhrend d. achtz. Jahrhund. b. auf Kant. 131 


den, und eine Tugend verabſcheuen, die ihre regello— 
fen geidenfchaften einfchränfen würde. Wenn es au - 
nach dem Spfteme der DMarur heißt, daß die 
* Zugend ihre eigene Belohnung fey; fo fol dieß nur 
fo viel fagen, daß in einer Geſellſchaft, deren Zwecke 
und Handlungen durh Wahrheit, Erfahrung und 
Vernunft beitime werden, auch jeder Menich ſein 
wahres Jurerejje kennen, den Zweck der Geſellſchaft 
richtig faſſen, und alfo auch reelle Borrheile oder Mos 
tive für ſich felbft finden würde, um feine Pflicht zu 
tbun, Andere glücklich zu machen, und feibft gluͤck⸗ 
lich zu werden. 


Nah der Entmwickelung feiner — Vorſtel⸗ 
lungsart über die Principien der Natur und das Ver—⸗ 
aͤltniß des Menfchen zu eben diefer, unternimmt der Vers 
affer eine Prüfung der älteren ſowohl, als der neueren, 
entgegenftehenden Vorſtellungsarten, die den zweyten 
Haupttheil des Syſteme de la nature ausmacht. Er 
fucht bier zuoörderft den Urſprung unferer Ideen von 
der Gottheit aufzuffären, und bemüht ſich, darzus 
tbun, wie hierin die Veranlaffungen zu den mannich— 
faltigen Religionen und religloͤſen Mythologieen bes 
Alterthums liegen. 


Das Hauptrefultat iſt: Ungeachtet aller Beſtre⸗ 
bungen der menschlichen Phantafie,- die dee oder das 
Bild der Gottheit über die Sphäre aller Naturdinge 
“ und auch der Menſchheit jelbft zu erheben, Eonte fie 
doch niche umpin, die Qualitäten aus der menfchlis 
hen Natur felbft zu entlebnen, welche fie den vers 
meynten Urheber und DMegenten des Liniverfums beys 
legte. Dieſe menfchlihen Qualitäten aber ,- da fie 
mie einander im Widerfpruche fteben, und miche eis 
‚em und demſelben Weſen ze fönnen, bewir⸗ 
44 2 — ken 


I 


‚132 Gefchichte der neuen Philoſophie H se | 
"kei nothwendis eine unvertraͤgliche Miſchuũg umb 


das hat die Widerſpruͤche erzeugt, die von jehet in 


der Theologie, in der Älteren, wie in der neueren, de 
merklich waren. Die Theologen fühlten ſelbſt gar . 


“wohl die unüberwindlichen Schwierigfeiten , weiche 
mit ihren Gottheiten für die Vernunft verbunden wa⸗ 
ken. Sie konten ſich niche anders davon. befreyen, 
als dadurch, daß fie allen Gebraud der Ber 
nunft unterſagten, die Geifter der Marion: bien 
deren, "die fhon am ſich fo verworrenen und widet⸗ 
ſtreitenden : Borftellungen noch confufer und verwickel⸗ 
‚ tee machten, und fo thr ganzes Religionsweſen ld 
einer Wolfe umpüllten, wo das Innere unzugaͤnglich 
wurde, und es ihrer eigenen Phantafie überlaflen blieb, 
das raͤthſelhafte Wefen zu erklären, das die Wölfe 
anderen follten. Für diefen Zweck erweiterten fie de 

Begriff der Gottheit immer mehr und mehr. Weder 
Zeit, noch Raum, noch die ganze Natur, konte feine 
Unermeßlichfeit, umfaffen. Alles wurde bey ihm ein 
unergruͤndliches und unverſtaͤndliches Geheimniß. 


Obgleich der Menſch anfangs die vornehmſten 
Zuͤge, aus denen er das Bild feiner Gottheit jufams 
menfeßte, von fich ſelbſt hernahm; obgleich er daraus 
einen mächtigen, neidifchen, rachſuͤchtigen "Monats 
chen gebildet. hatte, der ungerecht ſeyn konte, ohne 


doch feine Gerechtigkeit zu verlegen, and kurz, DEE 


den verfehrteften Regenten glih; fo verlor doch "die 
Thveologie nach und nach, durch ihre Träumereyen vers 


leiter, die menfchliche Natur ganz aus dem Gefichtez _ 


‚und um die Gottheit möglichft verfchieden von ihren 
eigenen Gejchöpfen darzuftellen, gab fie derſelben Eir 
genſchaften, fo wunderbare, fo feltfame, fo’ entfernt 
von Allem, was der menfchliche Verſtand faſſen - 
| e⸗ 


4* 
— 


+ a 


während d. achtz. Jahrhund. b. auf Kant. 133 


begreifen kann, da ß fie ſich ſelbſt darin verlor. Sie 
waͤhnte ohne Zweifel, daß jene göttlichen Eigenſchaf— 
gen eben deßwegen göttliche wären, meil fie nicht bes 
griffen werden fonten, und hielt fie eben darum für der 
Gottheit würdig und angemeffen, weil fich der Menſch 
‚gar Feine Borftellung davon zu machen vermochte. 
Die Theologie brachte es auch in der That fo 
‚weit, die Menfchen zu überreden, daß man glauben 
müffe, was man nicht begreifen Fönne; daß man 
mie demuͤthiger Unterwuͤrfigkeit Syſteme annehmen 
muͤſſe, die der Vernunft ſchlechthin widerſpraͤchen; 
daß dieſe blinde Reſignation das angenehmſte Opfer 
ey, was ſich einem phantaſtiſchen Regenten darrei 
chen ließe, der nicht wolle, daß man von der Vers 
. nunft, die doch fein eigenes Gefchen? feyn folte, Ge 
brauch machte. Kurz man überzeugte die Menfchen, 
daß fie nicht gefchaffen wären, dasjenige zu begreifen, 
- was für fie unter allen Gegenftänden der Erkentniß 
der wichtigfte fen. Die eheologifchen oder meras 
pbyſiſchen Attribute Gottes find nichts ans 
ders, als bloße Megationen von Eigenfchaften, 
Die fich beym Menfchen und allen ibm befanten Dins 
gen finden. Die Attribute follen die Gottheit von 
Allem befreyen, was der Menfch an fich felbft oder 
den ihn umgebenden Dingen Mängel, Schwächen 
und Unvolllommenpeiten nennt. Die Unendlich 
keit Gottes heiße nichts anders, als daß Er nicht, 
wie dee Menfch und andre Dinge, einen Anfang ges 
habt hat, und ein Ende haben wird. Die Unveräns 
derlichfeit Gottes heiße, daß Er nicht, wie Alles 
Uebrige, Veränderungen unterworfen iſt. Die Geis 
ſtigkeit Gottes heißt, daß er von einem Weſen ift, 
welches wir gar nicht begreifen, und das von Allem 


Derichieden if, was wir kennen. 
ſch ſt, * Au⸗ 


134 Gefchichte der neuern Philofophie na 
Aus diefem verworrenen Inbegriffe negativer 


Qualitaͤten entſpringt der theologiſche Gott, je _ 
nes metaphyſiſche Ganze, wovon es dem Men⸗ 
ſchen flets unmöglich feyn wird, fi eine. dee zu 


machen, Wenn man- diefe Worte ohne Bedeutung 


und Sinm mit einander verbindet, fo glaubt man, eine 


Wiſſenſchaft von Gott zu Staude gebracht zu haben; 
man wähnt, einen Gott zu denfen, indem man doch 


nur eine Chimäre denkt. Man bildere fi) ein, daß 


jene Qualitäten der Gottheit zukommen müßten, meil . 


> fie feinem andern uns befanten Dinge zukommen ; man 


Hlaubte, daß ein unbegreifliches Weſen auch unbe⸗ 
geeifliche Eigenfchaften haben müßte; und fo entftand. 


jenes unerflärliche Phantom der Theologie, vor wel 
chem ſie den Menfchen befieple, die Kutee zu beugen. 


Aber alle diefe Eigenfchaften,, abgerechnet, daß 
fit an ſich unvorftellbar find, fliehen unter einander, . 
und noch mehr in ihrer Anwendung auf die Welt, in 
einem Widerftreite, in melchem fie nothwendig 
‚einander vernichten. Gore foll z.B. au ein guͤti⸗ 
ges MWefen feyn. Die Güte aber fchreiben wir nur 
ſolchen Menfchen und ipren Handlungen zu, die einen 


wohlthaͤtigen Einfluß auf uns Außen. Kann nun 


wohl dem Heren der Matur in eben‘ diefer Bedeutung 
Güte zugefchrieben werden? . Wenn Er Urheber al⸗ 
See Dinge ift, fo muͤſſen wir auch die «Kranfpeiten, 
die Naturverwuͤſtungen, die. Hungersnoth/ die Krie⸗ 
ge, welche das menfchliche Geſchlecht aufreiben , auf 


Ihn juruͤckfuͤhren. Gore ift es alſo, der dieß Elend 


4 


süber die Menfchen: verbreitet; umd wie verttaͤgt ſich 
Dieß mit der Eigenfchaft der Güte? ' Wenn eine nachs 


Naſſigenoder verrehrte Regierung · das Elend, adie:lims 
ſruchtbarkeit , die Enmwölterung, die Pluͤnderung in 


mei⸗ 
- 
* 


— 


_ während: d. achtz. Jahrhund. 5. auf Kant. 135 


meinem Vaterlande hervorbringt und vervielfacht; Mo 

iſt hier die Güte Gottes in Beziehung auf diefes? 

0 bleiben die göttlichen Abfichten (caufae finales), 
die man in der Matur annimt, mnd die man als die 

ſiaͤrkſten Gründe für die. Weispeit und Allmacht Gots 
tes anfuͤhrt? 


Man verſichert, Gott habe das Univerfum nur 
für den Menfchen gefehaffen, und diefer fen beſtimt, 
Regent der Natur zu ſeyn. Schwacher Menfh! ruft 
der Berfaffer aus‘, dem ein Sandförnchen, ein Trops 
‚ ‚fen Galle, einige Feuchtigkeiten an der unrechten Stels 
‚Je, die Eriftenz und Regierung auf einmal rauben koͤn⸗ 
nen! ‚Du wähnft, daß ein.gütiger Gott Alles für 
Dich gefchaffen habe? Du verlangft, daß die ganze 
Matur Dein Gebiet fey, und kannſt Dich nicht ges 
gen, ihre Bleinftien Stoͤße ſchuͤtzen? . Uber bemerkt 

—Du nicht, daß jeden Augenblick ſich ‚feine Güte ges 
gen Dich verleugnee? Bemerkſt Du nicht, daß bie 
Thiere, die Deiner Herrfchaft untergeben ſeyn follen, 
‚oft Deines Gleichen frefien, daß das Feuer fie, ver- 
brennt, daß das Meer fie verfchlingt, daß bie Ele⸗ 
mente, deren Ordnung Du bewunderſt, ſie zu Opfern 
ihrer furchtbaren und. fchrecklichen Unordnung machen? 
Was ift das menfchliche Gefchleche in Vergleichung 
mit der Erde? , Was ift diefe Erde in, Bergleihung 
mie dee Sonne? Was ift biefe Sonne in Berglei- 
‚hung mit dem zahlloſen Heere von Sonnen, die den 
- ‚weisen. Raum des. Univerfums, ausfüllen? Sie find 
wahrlich nicht beftime,, Dich durch ihren Anblick zu 
exgoͤtzen, Deine Bewunderung zu erregen, wie Du 
Dir einbildeſt. Sie ſind da, um den Plag einzus 
nehmen, welchen die Nothwendigkeit ihnen anweiſt. 
Kehre demnach zur Wahrheit zuruͤck, o Menfh! Cr 
a. kenne 


— 


136 Geſchichte der neuern Philoſophie 


Mine Deine wahre Natur und Werättniffer Dh 
biſt ein Kind der Nothwendigkeit und des Schidfals, 


wie es das Univerfum if. Der Verfaffer zeige nun 


noch weiter das Wider ſprechende in den nörtlichen Ei⸗ 
genſchaften in ihrer Beziehung zur Welt und zum 


Menſchengeſchlechte, worin ich ihm aber nicht folgen 
Fann, „Die ganze, Argumentation gegen die gangbare 
natürliche Theologie dreht ſich um die philofophifche 
Unmöglichkeit einer Theodicke wegen des Uebels und 
Böen in ber Welt herum. CHR 


ie Verfaffer prüft hierauf die vornehmften Ber 


weife für Bas Daſeyn Gottes, Als einer von 
Der Welt —— profi wlichen Intelligenz, 
ſowohl die fogenannten popularen, z. B. den aus dem 
allgemeinen Glauben der Menfchheit an Götter -ents 


Lehnten, welchen er ſehr bündig widerlegt, als auch 


Die philoſophiſchen, befonders diejenigen, welche von 


den neuern metaphyſiſchen Theologen vorgebracht ſind. 


Er greift von den letztern zuerſt den Elarkeſ hen 
Beweis an. Das Raifonnement Clarke’ s- war: 
Es muß nothwendig Etwas von Ewigkeit exiſtirt ha⸗ 


ben. Dieſes Weſen mug unabhängig und unveräns 


derlich ſeyn; denn dies folge unmittelbar ans feiner 
nothwendigen Exiſtenz von Ewigkeit her. Eben dies 
ſes Wefen eriftirt durch ſich ſelbſt, weil es in Beinem 
andern feinen Grund haben kann. Die innere Mäs 
ur eines folchen Weſens, das nothwendig durch ſich 

H6ft eriftice, iſt unbegreiflih. So wie aber ein noth⸗ 

yendig durch ſich ſelbſt exiſtirendes Weſen ewig iſt, 
Fo iſt es auch nothwendig unendlich, aligegenwäriu 
einzig, es muß die boͤchſte Intelligen, ein boͤchſt freheo 


au.machtiges, allweiſes,gerechtes/ guͤtiges wahr⸗ 


haftes Wefen u. w. ſehn. 
he — Die 


* d. at — 4. * Kant. — | 
Die erſten Säge giebt der Verfaͤſſer zu, foferm 


* von einem ewigen durch ſich vorhandenen not hwen⸗ 
digen Weſen, von der Natur, die Rede iſt. "Aber 
er verwirft die Folgerungen, daß dieſes Weſen eine 
Sutelligenz ſeyn, und die boͤchſten moraliſchen 
Bollkommenheiten haben muͤſſe. Sobald man die 
Sottheit ats Intelligenz darſtellt, räume man 
ihr eine menſchliche Qualitaͤt ein. Die Intelligenz 
iſt eine Eigenſchaft gewiſſer organiſirter und belebter 
Weſen, die wir außerhalb dieſen Weſen weiter gar 
sticht kennen. Um eine Intelligenz zu ſeyn, muß 
man denken; um zu denken, muß man Ideen 
ben; um Ideen zu haben, muß man Sinne hae— 
in; wenn man Sinne hat, 'ift man matertellz 
und mern man materiell ift, iſt man Fein Geiſt, 
‚wie doch die Gottheit fern fol, went fie nicht ſuͤr 
Adentiſch mit der materiellen Ratur angenommen wird. 
Man ſagt: die Gottheit muß auch alle die Eigenſchaf⸗ 
sen befigen, die in ihren Gefchöpfen am vortreffliche 
fien find. Zu diefen Eigenfchaften- gehört Die Ver⸗ 
aunft. Wie fönte das Geſchoͤpf vollfommner ſeyn, 
als fein Schöpfer? Und doch würde diefes der Fall 
feyn ‚ wenn der Gottheit. die. Vernunft abgefprochen 
werden müßte Allein diefer Einwurf ift leicht Aus 
dem Wege zu räumen. Gollen einmal der Gottheit 
Die, vortrefflichen Eigenfchaften der Menſch peie 
oder der Geſchdpfe überhaupt beygelegt werden; 
‚fo. würden nach demſelben Principe ihr auch alle ans 
dere -Eigenfchaften beygelegt werden muͤſſen, welche 
wir in den Gefchöpfen antreffen., Daß dieß aber ges 
yet, wird ſelbſt der eiftigſte Ehriſi nicht zugeben. 


Sm die‘ Freybeit Gottes wendet der Ver 
ff Daſeyn des Uebels und des Böfen ein, 
Ss Wollte 


— 


z8 Gecſchichte der neuern Philoſophie 


Wollte Gott, daß das Uebel und das Boͤſe in der 
Melt exiſtiren? Oder Bone Er, es. nicht verhin⸗ 
‘dern? Im letztern Falle ift Gore. nicht. frey; ‚denn 

fein Wille fand: unüberwindliche 2 
erſtern Falle hat Gott in die Sünde gewilligt; er Ad 
zu, daß man ihn beleidige, daß die Menſchen feine 
Freyheit einfehränfen, und- feine: Rathſchluͤſſe vereiteln. 
Es iſt nicht abzuſehen, wie die Theologen dieſem Die _ 
emma entweichen koͤnnen, und damit. wird bie Frey⸗ 
heit Gottes ſchlechthin aufgehoben. Eben dieſer Eins 
wurf trifft auch die göttliche. Allmacht, Weisheit, 
- Güte u. w. Was alſo in dem Clarkeſchen Raiſon⸗ 
nement Wahres iſt, beſtaͤtigt den allgemeinen Mate⸗ 
xialismus und Fatalismus der Natut. Auf ‚der ans 
‚deren Seite aber zeigt es auf’ evidenteſte die Unpalts 


barkeit des theologifchs metaphyſiſchen Begriffs von 


‚Gore, indem ſich bey der Beziehung desfelben auf die 
Melt unauflösliche Widerſpruͤche darbieten. 


Auch gegen die Beweiſe für das Daſeyn Gottes 
von Des Cartes, Malebrandie, Newton, 
Ha. argumentirt der Verfaffer. Der Beweis des 
Ecrſtern berußt darauf, daß der Menfch nicht feyn koͤn⸗ 
fe, was er iſt; daß er folglich nicht eine ſolche Idee 
von Gott haben koͤnte, wie er hat, wenn nicht wirk⸗ 
Ulch ein Gore exiſtirte. Der Menſch hat eine Idee 
von Gott als einen allervollkommenſten Weſen,ohne 
Boch die abſoluten goͤttlichen Vollkommenheiten begrel⸗ 
ſen zu koͤnnen. Es muß alſo ein Weſen vorhanden 
ſeyn, das jeuer Idee entſprich. vn 


5, Diefer. ‚Yrgumentation ſeht. aber, Der Verſaſſer 
folgende Gründe entgegen: Erſtlich: Wir ſind gar 
‚wicht berechtigt, aus der Idee, welche wir von eis 
nem Gegenſtande haben, : auf das, wirkliche Das 


STIER ſeyn 


waͤhrend d, acht. Jahthund. B.auf Kant. 139 


feyn desſelben zu fchließen. Wir haben Ideen von 
"einem Sphinx, einem Hippogryphen; daraus folge 
nicht, daß folhe Dinge wirklich in der Natur vor⸗ 
handen find. Es ift zweytens unmöglich, eine 
poſitive und wahre Idee von einer ſolchen Gottheit 


zu haben, deren Eriftenz Des Cartes mit den 


Theologen beweifen will. Der Menſch als ein ma⸗ 
terielles Weſen kann ſich durchaus feine Idee von eis 
‚nem Geifte bilden, einem Weſen, das unförperlich 
amd ohne Ausdehnung iſt, und Doch auf die koͤrper⸗ 
diche materielle Natur wirken fol. Drittens iſt 
unmöglich, daß der Menſch fich pofitive und reelle 
Ideen von den abfoluten göttlichen Vollkommenheiten, 
der Unendlichkeit, der Unermeßlichfeit, und andern 
Attributen machen: koͤnne, : welche die Theologen der 
Gottheit beylegen. Der Eartefifche Beweis des Dar 
ſeyns Gottes iſt alfo völlig unguͤltig. 
| Ä ra 

Des Eartes mache aus dep Goreheit einen - 


Gedanken, eine Intelligenz. Aber wie-täge 


fih ein Gedanke, eine Intelligenz, ohne ein 
Subject vorfielen, dem jene Qualitäten inhaͤtiren 
fönnen? Des Eartes behaupte zwar, daß man 
Gott nur wie eine Eigenfchaft oder Tugend vorftels 
Jen koͤnne, die fich fucceffive über die Theile des Unis 
verſum's ausbreitet; daß Gott nur in dem Sinne 
ausgedehnt genannt werden koͤnne, wie das Feuer eis 
nes glühenden- Eifens, das eigentlich Feine andere 
ng bat, als bie, welche dem Eifen ſelbſt 
zukomt. Aber nach dieſen Begriffen kann man: ihm 
vorwerfen, daß fein Gore Fein anderer als die Nds 
tur; daß feine Theologie der bare Spinozismus iſt. 
Es iſt daher auch ſehr erklaͤrlich, wie Spinoja er 
feinem Syſteme von Carteſtaniſchen Peincipien au 
— gehen 


. FR Seite der meuern Philbſophie 


gehen konte. Der: Verfaſſer mehynt, man habe: den 
Des Cartes, mit Recht des Atheismus beſchuldigt. 
Denn bevor Gott. die Materie geſchaffen harte, kon⸗ 
te er doch nicht mit ihr eoexiſtiren, ‘und zugleich aus⸗ 

gedehnt ſeynz und in dieſem Falle gab es nah Des 


Eartes Leinen Gott, indem die Modificationen, wenn 
ihnen ihr Subject entzogen wird, felbft: verſchwinden. 


Wenn Gott die bewegende Kraft der Matur ıft, fo 
exiſtirt er niche mehr durch: fich ſelbſt; er exiſtirt nur 
mit dem Subjeete, welchem er inhaͤrirt, d. i. mit der 
Matur, deren Bewegkraft er iſt; wird die Matur oder 
die Materie aufgehoben, ſo hebt man zugleich die 
Gottheit auf. Gott iſt alſo nichts ohne eine Welt, 
in welcher er ſeine Thaͤtigkeit aͤußern kann; er iſt von 
Der Welt abhaͤngig, und ohne fie nicht. Auſtatt alſo 
das Daſeyn Gottes zu beweiſen, hat Des Cartes 
dasſelbe vielmehr vernichtet, und ſeine Theologie ig | 


— fi ſelbſi im Widerſotuche. 


Daeſelbe Urtheit faͤllt der Verfaſſer von der Te⸗ 
logie des Malebranche. Dieſer behauptete; Das 
Univerſum ſey nur ein Gedanke, eine intelligi— 
bie Emanation Gottes. Mir erkennen alle Din⸗ 
‘ge in Gott, und was wir erfennen, ift Gott 
ſelbſt; Gore allein bewirkt Alles, was. gefchiehtz 
Er ſelbſt ift Alles, was Handlung und Thaͤtigkeit 
in der Natur beißt; kurz Gore. ift ganz Weſen und 


Das einzige: Weſen. Auch diefe Vorftellungsare ift 


soͤllig ideneifch mit der Behauptungs Die Natur 
fen die Gottheit. Zudem Malebranche verficherte, 
Daß wir. “ Dinge in Gott erkennen, bezweifelte er 
‚zugleich... ob es wirklich eine Materie oder Körper ges 
be, ‚und meynte, daß nur der Glauben uns von 
dieſen großen Geheimniſſen unterrichten koͤnne; a 
4 we 


= 


woqrend dacht: Yahefumd: bi auf Rank. 141 
welchen wir ‘gar feine gewiffe Kentniß hiervon haben 
WÜRDE N ee 
Sier kann man ihn aber fragen: Wie ſich die 


Eriftenz Gottes als des Schöpfers der Materie bemweis . 


fen lafje, wenn, bie Erifienz „der ‚Materie ſelbſt noch 
ein Problem iſt? Ale übrige theologiſche Dogmen 
werden von der anderen Seite, duch. die Nicrflellungss 
art des Malebrance umgeworfen, . Wie kann mit 
ber Freyheit Des. Menjchen ‚Die Idee von. einem Gotte 
bereinigt werden, der, die Bemegurfache der ganzen 
Natur ift, der unmittelbar Die Materie und die, Körs 
per. bewegt," ohne deſſen Willen nichts in Univerfum 


geſchleht, und der die Geſchoͤpfe zu: allen ihren’ hs 
tigfeiten pradetermiuirt ? , Wie läßt fih dabeh b 
haupten, daß die menjchlichen Seelen. die Faͤbigkeit 
haben, frey Ideen zu bilden, und ſelbſtſtaͤndig Ense 
ſchluͤſſe zu faſſen? Setzt man voraus, daß die Er⸗ 
haltung der. Creaturen eine fortgeſetzte göttliche Schoͤp⸗ 
- fung iſt; fo ift es Gott, der. die. Grfchöpfe unaufköts 
lich in den Stand ſetzt, Boͤſes zu ihun. Rach Ma— 
lebranche thut Gott Alles, —— 
find nur paſſive Wertzeuge in ‚feiner Hand; ihre Ti 
genden alfo,, wie ihre Sünden, find Ihm beyzumeſſen; 
die Menfchen können fid) Fein Verdienſt erwerben 
and feine Schuld zuziehen. Damit wird die Nelk 
gion vernichtet, und das Syftem des Malebrande 
kann zum Beyſpiele dienen, wie die gangbare pofitis 
ve und,philofophifche Theologie ſich durch ihre eigenen 
Innern Widerfprüche am Ende ſelbſt zerſtoͤrt. | 
Newton, deffen großes Genie die Natur und 
ihre Gefege errieth, veritrte ſich ebenfalls, fobald er 
die Natur und: ihre Gefege aus den Augen verlor, 
Ein Sclav der Vorurtheile feiner ‚Kindpeit wagte er 
Ä | es 


142 Gefchichte der neuern Philoſophie 
88 nicht, mit der Fackel feines Verſtandes die Chimaͤ⸗ 


re zu beleuchten, die man ohne Grund jener Natur 
beygeſellt harte. Er erhob ſich nicht zu dem Gedan⸗ 
ken, daß die Kräfte der Natur allein hinreichend wär 
ren, alle die Phänomene hervorzubringen, die er ſelbſt 
fo gluͤcklich erkläre harte. “Der erhabne Newron 
iſt nicht mehr, als ein Kind,” wenn er die Phyſik 
und die Evidenz verlaͤßt, um fich in die traumvollen 
Regiouen der Philofoppte zu verlieren. Gore,” fagt 
0, “beberefche Alles, nicht wie die Seele der Welt, 
fondern tie der Herr und’oberfte Regent aller Dinge.” 
Newton macht alfo aus der Gottheit, gerade wie 
die Theologen, einen geiftigen Monarchen, einen Def 
"+ goten, der das Univerſum regiert, etwas Analoges 
mir einem mächtigen menfchlichen Fürften, der feine 
Unterrhanen wie Selaven betrachter und behandelt, 
Aber er beftimt die unbedingte Herrſchaft Gottes noch 
genauer... Der pöchfte Gore ift ein ewiges, unendlis 
ches, vollfommenftes Wefen. Das Wort Gott bes 
deutet Herr; aber jeder Herr it miche Gore; es ift 
die Herefchaft des geiftigen Weſens, melde die 
Gottheit conſtituitrt; es iſt die wahre Herr 
ſchaft, die den wahren Gott conſtituirt; es ift 
die falfhe Herrfchaft, die den falfhen Gott 
eonftirnirt, Aus der. wahren Herrſchaft folge, daß 
der wahre Core lebendig, intelligent und mächtig iſt, 
und aus feinen anderen Vollkommenheiten folgt, daß 
er der höchfte oder hoͤchſt volllommen iſt. Er ift ewig, 
unendlich und allwiſſend, d.i. er dauert in der Ewig⸗ 
> geit und wird nie endigen; er beherrſcht Alles, und 
weiß Alles, mas gefchieht und geſchehen kann. Cr 
iſt weder die Ewigkeit, nod die Unendlichkeit; aber 
er ifi ewig und unendlich; er iſt nicht bie Dauer, oder 
der Raum, aber er dauert und ifl ———— 
| an 


"äßrend Dh Zehhund Si auf — 143. 


Man kann in dieſer unverſtaͤndlichen Tiade 
Newton's die größte Anſtrengung nicht verkennen, 
die theologiſchen Attribute oder abſtraeten Qualitaͤten 
der Gottheit mit menſchlichen Attributen eines vergoͤt⸗ 

terten Monarchen zu vereinbaren. Wir bemerken nes 
gative Qualitäten, die dem Menfchen nicht mehr zus 
fommen, einem Oberheren der Natur beygelege, der 
. doch wie ein menfchlicher König vorgeftelle wird. Dens 
fen, wie ihm wolle; der höchfte Gott hat doch als 
lemal Unterthanen zu feiner Herrfchaft nörhig; fo ben 
darf aud) Gott der Menjchen, um feine Herrichaft 
auszuüben, indem er fonft nicht Regent fenn würde, 
Wie kann aber diefer Regent wirklich feine Herrſchaft 
Über geiftige Werfen ausüben, die dech oft niche thun, 
was er befiehlt, die unaufbärlich ihm widerſtreben, 
and Unordnungen in feinem Reiche werurfachen  : Wie 
kann Gott dee Monarch der geiftigen Weſen ſeyn, 
wenn er ihnen bie Freyheit und das Vermögen lief, 
fich gegen ihm zu empören. Eben diefer Monarch, der 
Alles mit feiner Unermeßlichkeit erfüllt und regiert, 
regiert Er den Menfchen, mern biefer fündige, lenkt 
Er die HandInngen desfelben, ift Er in denfelben, 
wenn dieſer Ihn (Gore) felbft beleidige? Das bös 
fe Princip, oder der falfche Gott (der Teufel), bat er 
nicht ein meit ausgedebnteres Reich, als der wahre 
SGSdott, deffen Plate und Unternehmungen er nach dem 
£ehren der Theologen beſtaͤndig durchkteuzt, und zu 
vereiteln ſucht, oder wirklich vereitelt? 


Newton fagt: “Gore ift Einer und berfelbe, 
immer und überall, nicht bIoß durch feine Kraft und 
Energie, fondern auch der Gubjianz nad.” — Aber 
wie kann ein Weſen, das handelt, das alle Veräns 
derungen der Dinge hervorbringt, immer — 

ſeyn 


% 
4 N F 


aa Geſchichte ber neuem Pbilafephie > 


ſeyn? Was verſteht man ‚unter: der. K raft, dee 
Energie, der Subftanz Gottes? Wenn dieſe 


Subſtanze geiſtig und unausgedehnt iſt; mie kann fie, 


ircgendwo exiſtiren? Wie kann fie. die. Materie in 
> Zhpärigfeit- fegen? Wie vorgeftelle werden? Und 
voch fagt wiederum Newton, daß alle Dinge in 
Gott enthalten ſind, und ſich in Ihm bewegen, nur 
ohne reciproke Thaͤtigkeit (fine mutua paſſione). 
Gein einpfindet nichts von der Bewegung der Körper, 
and vieſe empfinden ‚nichts von ſeinet Gegenwart. 
Hier giebt Newton der - Goreheit- Merkmale, die 
den bioß Leeren und dem Michts zukommen. Sonft 
iſt unbegreiflich, wie unter- Subſtanzen Feine recipros 
fe Action und Paffion-feyn koͤnne, die einander Durchs. 
dringen und fich vom allen Seiten umgeben. ‘ Mau 
fleht offenbar, Newton har fi ſelbſt nicht verſtan⸗ 
den. Auf aͤhnliche Weiſe geht der. Verſaſſer noch an⸗ 
pre Auribute durch; die der Engliſche Weltweiſe dee 
Sedöttheit zugeſchrieben, und deckt die Nichtigkeit der 
Begriffe davon, oder ben Widerſtreit berfelben. mit 
‚andern, Begriffen, oder mit unleugbaren Thatſachen 
der Erfahrung auf. Ä — 


= 


Man ſage gegen das Syſtem der Narus 
nicht, daß wir keine Vorſtellung von einem Kunſtwerke 
haben koͤnnen, wenn wir uns nicht zugleich einen davon 
derſchiedenen Kuͤnſtler denken, der. es hervorbrach⸗ 
te. Die Marne überbaupe-ift Bein erſchafe 
fenes Wert. Sie hat immer durch fich felbft erie - 
ſtirt, und nur in ihrem Schooße geſchieht Alles, was 
geſchieht. Ste iſi eine unermeßliche Werkſtaͤtte mit 
Materialien. verſehen, und wo zugleich die Werkzeu⸗ 
ge gubereitet werden, Deren fie ſich zu ihren Wirkun⸗ 
gen bedient. Alle ihre Producte find Effette au 
eo. ner⸗ 


— 


während de achtz· Jahrhundih. auf Kant. - 145 


Energie, und der Urſachen oder Agentien, welche fie 
erzeugt, in ſich enthaͤlt, und in Thaͤtigkeit ſetzt. Ewi⸗ 
ge, unerſchaffene, unzerſtoͤrbare Elemente, unaufhöts 
dich in Bewegung, ſich mannichfaltig verbindend, 
laſſen alle die Weſen und Phänomene zum: Daſeyn 
kommen, die wir wahrnehmen, alle angenehmen oder 
wmangenehmen Wirkungen, die wir empfinden, die - 
Ordnung oder. Unordnung, die wir nur nach den weis 


ſchiedenen Arsen uuserfcheiden, wie fie uns afficiren, 


mit. einem Worte, alle die Wunder, die unfer Staus 
nen erregen, und unfer Machdenfen befchäfftigen. yes 
we: Elemente. bedürfen hierzu nichts weiter, als die - 
ihnen eigenehümlichen Qualitäten , und diefe mie eins 
ander vereinigt, dann die ihnen weientliche Bewegung; 
ohne daß man noͤthig haͤtte, zu einem unbefanten 
Schöpfer feine Zuflucht zu nehmen, der fie ordnete, 
formte, combinirte, die Combindtionen erhielte und 


: wieder auflöfle - 


>. Ingwifchen einmal angenommen, «6 fey unmoͤg⸗ 
lich, das Univerſum zu begreifen ohne einen Schoͤp⸗ 
fer, der es hervorbrachte, und ſein Werk erhält; wor 


bin wollen wir diefen Schöpfer fegen? Wird er ins _ 


nerhalb oder außerhalb des Univerfum’s fen? Spt 
er Materie oder Bewegung ?. Dder. ift er nur der 
Kaum, das Nichts, das Leere? Mach allen dieſen 
Vorausſetzungen würde er entweder Michts feyn, oder 


er wäre in der Natur begriffen‘, und den Gefeßen ders 


felben unterworfen. Iſt Er aber in der Marur ent⸗ 
halten, fo kann man Ihn für nichts anders erkennen‘, 
als für die: Materie in Bewegung; und darans laͤßt 


ſich ſchließen, daß das thaͤtige bewegende Princip in 


Der Natur koͤrperlich und materiell, folglich der Auf⸗ 
Kfang:unterworfen fen. Waͤre dieſes Princip- aber 
Dubles Befch. d. Philoſ. Vi.B. K au⸗ 


246 Geſchichte der neuern Philoſophle = 


außerhalb der Matur,ſo verſchwindet jede Idee von 
dem Orte, welchen es einnimt, da man ſich weder 
‚ein immaterielles Weſen vorſtellen, noch ſich die Art 
denken kann, wie ein Geiſt ohne alle Ausdehnung 
auf die Materie wirken moͤge, von welcher er doch ge⸗ 
trennt iſt. Jene unbekanten Räume, weiche die Phau⸗ 
taſie jenſeit der ſichtbaren Welt ertraͤumt, exiſtiren gar 
nicht fuͤr ein Geſchoͤpf, das kaum ſieht, mas vor ſei⸗ 
nen Fuͤßen liegt. Die idealiſche Macht, welche ſie 
bewohnt, kann ſich uns nur darſtellen, wenn unſte 
Phantaſte willkuͤhrlich die phantaſtiſchen Farben ver⸗ 
Binder, die fie. doch immer aus der Welt entlehnen 
muß, in welcher wie. leben. Jn diefem Falle pros 
Duciren wir Doch nur eine Idee von dem, was. unfere 
Sinne fhon wirklich. wahrgenommen haben; und die 
Gottheit, die wir. uns. beftrebten, von der Natut zu 
unterſcheiden, und außer den Bezirk derfelben zu vers 
feßen, wird immer nothwendig und wider unfen Wil⸗ 
len in denfelben zurückfehren. | 


Ein Wilder, der eine Uhr ſieht, fagt man, wird 
wicht umhin koͤnnen, auf ein vernünftiges Weſen zu 
fließen, das fie verfertige hat. Sollten wir nicht 
eben fo genörhige feyn, anzuerkennen, daß auch die 
ganze Mafchine des Univerfums, der Menfch, die 
Phänomene der Natur, Werke eines Urhebers ſeyn 
wuͤſſen, deffen Weisheit und Macht Alles übertrifft ?., 


7 Mir nennen einen: Mann weife und geſchickt, 
antwortet der Berfaffer, der Dinge machen kann, Die 
wir felbft nicht machen -Fännen. Die Matur ann Ale 
les, „und fobald ein. Ding zum Dafeyn gelangt, fo 
iſt diefes felbft ein. Beweis, daß ſie es hat mache 
koͤnnen. ‚Immer alfo nur relativ zu uns beurtheilen 
wir die Weis heit und Geſchicklichkeit der Natur; wie 
— — BTL TAU BP U ETW R 117] 


; 
un 


während. d. achtz. Jahthund b. auf Kant. 24 


vergleichen ſie dann mit uns ſelbſt, und da wir uns 
eines Vermögens bewußt find, mas wir Intelligenz 
nennen, mittelſt deſſen mie Kunſtwerke hervorbringen, 
öder unfere Geſchicklichkeit zeigen; fo folgern wir dars 
aus, daß die Werke der Natur, die am meiften unfre 
Bewunderung erregen, nicht von ihr feldft herrühren, 
fondern einen verftändigen Kuͤnſtler, dergleichen wie 
find, zum Urheber haben, deſſen Verſtand wir nur 
der Bewunderung angemeffen denken, zu der uns ſei⸗ 
ne Werke flimten, d.i. angemefjen unferer Schwäche 
und unſerer eigenen Unwiſſenheit. 


Der Wilde, welchem man eine Uhr oder Stas 
gue zeigt, wird von dee menjchlichen Induſtrie entwes 
der Begriffe haben, oder nicht. Hat er ſchon Begrifs 
fe davon, fo wird er urtheilen, daß die Uhr oder Star 
tue nur Werke eines Weſens feiner Are feyn können, 
das aber Fähigkeiten beſitzt, die ihm fehlen. Hat dee 
Wilde feinen Begriff von menfhlicher Induſtrie und 
von den Hilfsmitteln der Kunft, und bemerkt er die 
Scheinbar willführliche Bewegung der Uhr; fo wird 
ee glauben, es ſey ein Thier, das nicht das Werl 
eines Menfchen feyn koͤnne. Eben fo wird der Wils 
de auffallende DMaturerfcheinungen einem Genius, 
einem Geifte, einem orte, beylegen, das heiße, 
einee unbefanten Kraft, der er ein Vermoͤgen 
jutraut, wovon er glaube, daß es den Weſen feis 
ner Art fchlechehin mangle. Beweiſen wird aber 
der Wilde durch fein Urtheil über Die Urſache der fcheins 
bar willkuͤhrlichen Bewegung der Uhr nichts weiter, 
als daß er niche weiß, was Alles der Menſch hervors 
zubringen vermag, 


Fuͤhrt man alle Erfcheinungen auf die Energie 
der Natur als ihre Urſache zurück; ſo wird damit Pets 
‚u Ä 2 nes⸗ 


148 Geſchichte der neuen Philoſophie 


nesmweges .die Entſtehung des Weltalls aus einen 
blinden Zufalle hergeleitte Blinde Urſa⸗ 
ben nennen wir nur diejenigen, deren Kräfte, Ges 
fege und Zufammenflimmung wir nicht Pennen; und 
Zutall heißt uns, wo wir überhaupt die Urſache nicht 
zu entdecken vermögen. Die Natur wirkt nie-blind; 
fie handelt nte nach Zufall; was fie chut, würde dem 
nie zufällig erfcheinen, der im Stande wäre, ihre Are 
zu baudeln, ibren Gang, ihre Mittel zu durchfchauen. 
Alles, was fie hervorbringe, ift nothwendig, iſt ſtets 

nur eine Folge ihrer unmandelbaren Geſetze. Alles 
iſt in ihr durch unfichebare Bande verfnüpft, und 
die Wirkungen, die wir feben, fließen nothwendig 
aus ihren Urfachen, mir mögen diefe Fennen, oder 
nicht. Freylich mag hier auf unferee Seite eine gros 
ße Unwiſſenheit ſtatt finden; aber die Wörter, Gott, 
Geiit, Intelligenz, werden dieſer Unwiſſenheit 
nicht abhelfen; fie werden im Gegentheile fie vermeh⸗ 


ren, indem fie uns abhalten, den natuͤrlichen Urſachen 


der Phänomene nachzuforſchen. Man hat alfo ſehr 
Unrecht, wenn man den Maturaliften vorwirft, daß 
fie Alles durch Zufall entftehen laffen. Der Zufall 
ift nichts, als ein leeres Wort, wie der Mamen Gott 
es ift; nur erfunden, um die Unbekantſchaft mit dem 

wirkenden Urfachen in einer Natur zu verfiecken, des 
ren Verfahren ung oft unerfläclich if. Man wirft 
3.9. dem Maruraliften ein: Nie babe der Zufall, 
‘oder ein zufälliger Wurf der Lettern, ein Gedicht, wie 
die Ilias, hervorgebracht, oder koͤnne es hervors 
bringen. Ganz richtig; aber find es denn die fettern, 
welche das Gedicht hervorbringen? Iſt es nicht wies 
derum die Natur, welche nach gewiffen und norhwens 
‚digen Öefegen einen Kopf fo organifirt, daß er-fähig 
wird, ein folches Gedicht zw verfertigen? Die Nas 
sur 


während d.achtz. Jahrhund. 6. auf Kant. 149 


sie: IR es, welche das Gehirn, das Temperament, 
die Phantaſie, die teidenfchaften des Dichters fo bil: 
dere, daß er fähig wurde, ein Meiſterwerk zu fchafs 
fen. Ein fo organifirter Kopf, wie der des Homer, 
verſehen mit derfelben Kraft, derfelben Imagination, 
mie denfelben Keneniffen bereichert, in diefelben Um— 
Hände und Verhaͤltniſſe gefegt, wird nothwendig 
und nicht zufällig eine Ilias machen; oder 
man müßte feugnen wollen, daß vollfommen gleiche 
Urſachen nicht vollfommen gleiche Wirkungen, hätten. 
Jener Einwurf gegen den Naturalismus ift alfo Pins 
diſch und ungerecht. 


In einer anderen Hinſicht kann man einmal das 
theiftifhe Syſtem als wahr einräumen, und feinen: 
Einfluß auf die Moral und Politik unterfuchen. 
Hier wird es ſich offenbaren, daß es für dieſe weit 
verderblicher ift, als das entgegengefegte Syſtem des 
Naturalismus und Fatalismus. 


Die gangbaren Begriffe der Theologen wom Theis 
mus können nie die Grundlage der theologifchen und 
natärlihen Moral werden. Eine Hypotheſe, bie den 
Menfchen nüglich ſeyn fol, müßte fie glücklich mas 
chen. Wie koͤnte aber eine Hypotheſe, welche die 
Menfchen hiernieden elend macht, fie zu einer dauer⸗ 
haften Gluͤckſeligkeit füpren? Hat Oott die Gterbs 
lichen gefchaffen, um in diefee Welt, welche fie kens 
nen, zu zittern und zu feufzen; aus welchem Grunde 
kann man fich verfprechen, daß er fie in einer uube 
kauten Welt mir mehr Milde behandeln werde? Wenn 
wir irgend einen. Menfchen eine ſchreyende Ungerech— 
tigkeit auch nur benläufig begeben fehn, muß er uns 
nicht für immer verdächtig werden, und unfer Ver⸗ 
trauen verlieren ?7 Auf der anderen Seite, eine Hy⸗ 
| 83 potheſe, 


150 Geſchichte der neuern Philoſophie 
potheſe, die Licht uͤber Alles verbreitet die eine ſehr 


leichte Aufloͤſung alter Fragen giebt, bey welchen man 


ſie anwenden moͤchte, wenn man auch ihre Gewißheit 
nicht mit dee ſtrengſten Buͤndigkeit demonſtriren koͤn⸗ 
rte, wuͤrde doch wahrſcheinlich die richtige ſeyn; rich⸗ 
ruiger zum mindeſten, als ein Syſtem, das die klar⸗ 
Begriffe verdunkelt, das alle Probleme, welche 

man durch dasſelbe aufloͤſen zu koͤnnen wuͤnſchte, noch 
unaufloͤslicher macht, das folglich mit Recht für falſch, 
unnuͤtz, ja gefaͤhrlich, angeſehen werden kann. 
Nrun unterſuche man aber einmal ohne Vorur⸗ 
theil, ob das gangbare theologiſche Syſtem von der 
Gottheit je eine Schwierigkeit hat heben koͤnnen von 
Berien, die bey dieſer philoſophiſchen Forſchung unver⸗ 
meidlich find? Hat &8 nicht gänzlich die Moral 
verdunkelt, die mwefentlichen Pflichten unferer Natur 
veifelhaft gemacht, alle Begriffe des Rechts und 
echts des kafters und der Tugend, verwirrt? Was 
iſt die Tugend nach dem gangbaren theologifchen Sys 
fieme? Es ift.die Hebereinftimmung- der menfchlichen 
- Handlungen mit dem Willen des unbegreiflichen Wer 
fens, welches die Natur behertſcht. Aber was- ifk 
Diefes Wefen, von welchem man unaufpörlich redet‘, 
ohne es zu begreifen? : Und wie koͤnnen wie feinen 
Willen erkennen? Die- Theologen erklaͤten aladenn, 
was dieſes Wefen nicht iſt, ohne je ſagen zu koͤnnen, 
was es iſt. Wenn ſie es unternehmen, eine Idee 
davon zu geben, ſo haͤufen ſie, wie vorher gezeigt worden, 
auf jene hypothetiſche Subſtanz w.derfprechende Praͤ⸗ 
dicate, die zuſammen ein Hirngeſpinſt ausmachen, 
das ſchlechterdings ſich nicht ſaſſen läge; oder ſie ver⸗ 
weiſen auf uͤbernatuͤrliche Offenbarungen, durch wel⸗ 
che jenes Phantom feinen goͤttlichen Willen; den Men⸗ 
hen Eund gethan habe. Aber wie ge = 
— 8* then⸗ 


- 


FR 





während d. achtz. Jahrhund. b. auf Kant. 151 


thenticitaͤt der Offenbarung beweiſen? Das wird 
durch Wunder geſchehen. Wie laſſen ſich aber 
Wunder glauben, die ſelbſt den Begriffen zuwider 
laufen, welche uns die Theologie von der allweiſen, 
unveränberlichen, allmaͤchtigen Gottheit mitgetheilt 
hat? Es bleibt alſo eigentlich zuletzt nichts uͤbrig, 
als daß man ſich auf die Ehrlichkeit der Prieſter ver⸗ 
laͤßt, die den Auftrag gehabt haben, uns die goͤtt⸗ 
lichen Orakel zu verkuͤndigen. Uber wer buͤrgt uns 
wiederum fuͤr ihre goͤttliche Sendung? Sind ſie es 
nicht ſelbſt, die ſich als unfeblbare Ausleger eines 
Gottes ankuͤndigen, von welchem ſie geſtehen, daß 
fie ihn nicht kennen? Dann werden die Prieſter, wenn 
fie als Ausleger eines aöttlichen Willens angenommen 
werden, ungeachtet fie perfönlich verdächtig, und 
nichts weniger als unter einander einftimmig find, Die 
Schiedsrichter dee Moral; fie werden nach ihren uns 
gewiffen Einfihten, oder nad ihren Leidenfchaften, 
Die Regeln feſtſetzen, welche die Menſchen zu befols 
gen haben; der Enthuſiasmus oder das Tintereffe wer; 
den den Maapftab ihrer Entſcheidungen abgeben; ihre 
Moral alfo wird wechfeln, wie ihr Fanatismus und 
ihre Launen; ihre Machfolger werden nie wiſſen, wors 
an fie eigentlich ſich zu halten haben. In ihren ges 
sffenbarten Büchern «wird man immer eine wenig mos 
zalifche Gottheit antreffen, die bald die Tugend ges 
bieten, bald Verbrechen und Ungereimtheiten befehs 
Ien wird; die bald als: Freund, bald als Feind des 
menfchlichen Geſchlechts fich zeigt; ; bald: wohlthaͤtig, 
vernünftig und gerecht, bald unvernünftig, eigeufin- 
nig, ungerecht und defporifch ift. 
Was fuͤr ein Reſultat kann nun hieraus für eis 
nen vernuͤnftigen — hervorgehn ? Daß wer 
ges 4 


Dee 


152 Geſchichte der. neuern Philoſophie re 


der die unbeftänbigen Gottheiten, "noch ihre Priefter, 
> Deren Intereſſe fich jeden «Augenblick verändert, Die 
Mufter oder Schiedsrichter einer Moral: feyn koͤnnen, 
welche eben fo beftändig und ſicher ſeyn muß, wie es 
Die unveränderlichen. Gefege der Matur ſind, denen die 
wahre Moral nie Eintrag thun darf: Mach: den a2 
wöhnlichen theologiſchen Begriffen. von Gott beru⸗ 
higt die göttliche: Guͤte den Boͤſen, und. beunrubige 


die goͤttliche Strenge den Rechtſchaffenen, und folg⸗ 


lich gereichen die Eigenfchaften, welche die gangbare 
Theologie der Gottheit beylege, der -gefunden Moral 
fogar zum Nachtheile. Auf die unendliche Guͤte Got⸗ 
tes wagen die vwerdorbenften Menſchen zu rechnen, 
wenn ſie ſich Laſtern und Verbrechen uͤbergeben haben. 
Die Prieſter aller Nationen beſitzen ſogar untriegliche 
Geheimuiſſe, um auch die boshafteſten Suͤnder mit 
der Gottheit wieder auszuſoͤhnen. Man mag :alfe - 
die theologiſche Gottheit betrachten, aus welchem Ges 

firhespuncte, und von welcher Seite man will; fie 


kann der Moral nice zur. Bafis-dienen, bie immer 
unabänderlich diefelbe feyn muß, und nice in = . 


ſchiedenen Zeiten und Laͤndern verſchieden ſeyn bar. 


Eine wahre Moral kann allein auf die Ra 
sur des Menfchen gegruͤndet werden, auf die. Bere 
haͤltniſſe, die unter vernünftigen Weſen nochwendig: 
find, deren jebes feine Gluͤckſeligkeit liebt, fich zu er— 
> halten firebe,, und defwegen in Geſellſchaft lebt, um: 
biefen Zweck defto ficherer zu erreichen; : Kurz man kann 
der Moral nichts: anderes-zuc Baſis geben ,. als den 
Faralismus (la necefhrd ‚des chofes). ; Die Eigene 
thuͤmlichkeiten der wmenfchlichen Natur bleiben diefels 
‚ben, was es auch für. eine Urfache: gemeſen —— 
ae de⸗ Menſchen ur igigen a 


während d. achtz. Jahrhund.bi auf Rant. 133 


und ihm ſeine Faͤhigkeiten gab. Wollte man ſagen, 
daß ohne die Idee der Gottheit der Menſch keine mo⸗ 
raliſche Geſinnungen haben, d.i. das Laſter nicht von 
dee Tugend unterfcheiden könne; fo würde man eben 
damit behaupten, daß ohne die dee von ort dee 
Menſch das Beduͤrfniß der Speifen zum Leben nicht 
empfinden, Beinen LUnterfchied oder feine Wahl unter 
feinen Maprungsmitteln treffen koͤnte. Es hiehe bes 
baupten, daß wir, ohne den Namen, Charakter und 
die Eigenfchaften des Kochs zu kennen, niche im Stans 
de wären, zu urtheilen, ob ein Gericht angenehm 
oder unangenehm, gus oder fchlecht fey. 


Wer da weiß, woran er ſich in Anfehung des 
Dafeyns und der moralifhen Attribute Gottes zu 
bälten habe, oder wer auch diefe förmlich leugnet, 
kann doch nicht am feiner eigenen: Eriftenz zweifeln. 
Er kann eben fo wenig zweifeln an dem Dafeyn gleich 
ihm organiſirter Weſen, bey denen ihm Alles Quali⸗ 
täten zeige, die mie den feinigen analog find, und 
deren Siebe oder Haß, Hülfe oder Misshandlung, Ach⸗ 
sung oder Verachtung, er durch gewiſſe Handlungen 
ſich zugießen kann. Diefe Kentniß ift für ihn hinrei⸗ 
chend, um das Moralifch: Gute und Böfe zu unters 
feheiden. Kurz jeder gefund organifiete Menſch, und 
der dabey die Fähigkeit befige, fich eine wahre Erfah⸗ 
rung zu erwerben, brauche nur fich felbft zu betrach⸗ 
ten, um einzufeßen / was er Andern ſchuldig if. Geis 
ne eigene Matur wird ihn beffer über feine Pflichten 
aufflären, als jerie Gottheiten, die er doch nicht ans 

ders befragen kann, -als in feiner eigenen Phanrafie, 
feinen eigenen Leidenfchäften , "oder in den Leidenfchafs 
er von Enthuſiaſten und Bettlegeen. 


X 
4er —3 Bee. WE W 


J | 8; Das 





"254 Geſchichte der neuern Philoſophie 
Das Bisherige, meynt der Verfaſſer, beweiſe 
wohl hinlaͤnglich, daß die religidfe Moral um 
endlich verkieren würde, wenn man fie mit dev nas 
sürlichen: Moral in Parallele fegt, der fie in den 
mueiſten Puneten widerſpricht. Die natuͤrliche Mo⸗ 
ral ſodert den Menſchen auf, ſich ſelbſt zu lieben, 
zu erhalten, und ſtets auf die Erhoͤhung der Summe 
feiner Gluͤckſeligkeit bedache zu feyn. Die Religion 
befieble dagegen, einzig -einen ſurchtbaren haſſens⸗ 
würdigen Gott zu lieben, ſich ſelbſt zu verabſcheuen 
dem ſchrecklichen Idole die ſuͤßeſten und gerechteſten 
Freuden des Herzens aufzuopfern. Die Matur ſagt 
dem Menſchen, daß er feine Vernunft fragen, und 
ihr als feiner Fuͤhrerinn folgen ſollez die Religion. 
lehrt ihn, daß Diefe Vernunft verderbt uud nur eine 
treuloſe Fuͤhrerinn ift, die ein triegerifcher Gore dem 
Menſchen gab, um ſie auf Irrwege zu leiten. Die: 
 Mazur beficple den Menſchen, ſich aufzutiären, die 
Wahrheit zu fuchen, und ſich über feine Verhaͤlt⸗ 
niffe zu umterrichten; die Keligion- macht ihm que: 
Pflicht, nichts zu unterſuchen, in der Unwiſſenheit 
zu bleiben, die Wahrheit zu fuͤrchten; ſie uͤberredet 
ihn, es gebe fuͤr ihn kein wichtigeres Verhaͤltniß, als 
dasjenige, was zwiſchen ibm und einem Weſen exi⸗ 
ſtiren ſoll, wovon er nie eine Erkentniß haben wirds 
Die Natur raͤth dem ſich ſelbſt liebenden Menſchen, 
ſeine Leidenſchaften zu mäßigen, ihnen zu widerſtehen⸗ 
ſobald fie fuͤr ſein Wohl verderblich ſind, ihnen d 
aus der Erfabrung eutlehnte reelle 
gengewicht zu halten; die Religion —* dem Mens 
ſqen, als empfindenden Weſen, Beine: ta 
zw gaben, . eine todte unempfindliche ſeyn⸗ 
der die Neigungen durch Motive zu ur 
— der age ur und. rn. Ä 
‚sr 








während D, ah Jahrhund. 6. auf Kant. 155 


diefe felbft, find. Die Natur lehrt den Menfchen, 
feines Gleichen lieben, gefellig, gerecht, friedlich, 
nachfichtig, wohlthaͤtig ſeyn; die Religion heiße 
ibm, die Gefellfchaft zu fliehen, fih von feinen Ne— 
bengefchöpfen zu befreyen, fie zu haſſen, wenn ihre 
Phantaſie nicht eben fo träume, wie die feinige, aus 
Liebe zu Gore die heiltgften Bande zu zerreißen, und 
alle diejenigen zu beunruhigen, zu verfolgen, und gar 
zu toͤdten, die nicht auf gleiche Weife deliriren wol— 
len. Eudlich die Natur lehrt den fchlechten Mens 
fchen über feine tafter, über feine ſchaͤdlichen Neigun⸗ 
gen und Verbrechen errörhen; fie zeige ihm, daß aud) 
die gebeimften Unordnungen in feinem Betragen noth⸗ 
wendig einen fchädlichen Einfluß auf feine eigene Gluͤck⸗ 
feligfeie, und auf die Gluͤckſeligkeit Anderer Außern. 
Die Religion aber fage dem Böfewichte: Du darfft 
zwar den unbefanten Gore nicht beleidigen. Wenn 


Dur Dich aber gegen feine Gebete der Sünde über 


laͤſſeſt, fo erinnere Dich, daß er leicht zu verſoͤhnen 
ift. Geb in feinen Tempel, wirf Dich demuͤthig zu 
den Füßen feiner Diener, verföhne Deine Vergebune 
gen durch Opfer, Geluͤbde, Büßungen und Gebete. 
Diefe wichtigen Ceremonien werden Dein Gewiſſen bes 
zubigen, und Dich im Urtheile des Ewigen reinigen. 


Am Schluffe des Werks füge der Verfaſſer eine 
Apologie der in demfelben vorgerragenen Srundſaͤtze 
hinzu, aus welcher ih noch Einiges ausheben will, 
Sie find, fagt er, vonder Befchaffenheit, und fo ers 
wiefen, daß fie vernünftige &efer, die zum Dachdens 
ten fähig und geneigt find, wohl von ihren Vorur⸗ 
theilen befreyen koͤnnen. Aber auch Die. Deutlichfien 
Wahrheiten gewinnen kelnen Eingang, wenn Fana⸗ 
sismus, Gewohuheit und Furcht ihnen ‚im — 

N. 


156 Geſchichte der neuern Philoſophie 
ben. Es iſt nichts ſchwerer, als alte verjaͤhrte Jrr⸗ 
ihuͤmer aus den Gemuͤthern der Menſchen auszurot⸗ 
ten. Vollends find dieſe unuͤberwindlich, wenn’ ſie 
ſich auf eine allgemeine Uebereinſtimmung ſtuͤtzen, durch 
die Erziehung ſortgepflanzt, durch die Gewohnheit 
eingewurzelt, durch das Beyſpiel beſtaͤrkt, durch Ans 
ſehn erhalten, und unaufhoͤrlich durch Hoffnungen 
und Beſorgniſſe der Voͤlker genaͤhrt werden, die oſt 
ihre Jrrthuͤmer ſelbſt als Huͤlfsmittel gegen die Uns 
giuͤckofaͤlle betrachten, welche ihnen begegnen. Telles - 
font les forces reunies, qui foutiennent l' empire des _ 
Dieux en ce monde, et qui paroiflent devoir'y ren« 
dre leur tröne inebranlable; Mari darf ſich alſo gae 
nicht wundern, wenn ber größte Theil, der Mienfchen 
ſeine Blindheit liebe, und fih vor der Wahrheit 
ſcheut. In Religionsfachen giebt es Wenige, die 
nicht mehr oder minder denfelben Meynungen mit dem 
großen Haufen anhiengen. Wer fid) von der gands 
baren Vorftellungsart diefes entferne, wird fofore für 
einen anmaßenden, dünfelvollen, oder gar unfiunis 
gen. Freydenker gehalten, der weifer zu ſeyn waͤhnt, 
als alle Uebrigen. Bey dem Zaubernamen der Re 
Kigion und der Gottheit bemächtige fich plöglich 
ein panifches Schrecken der Gemuͤther; fobald man 
jene angegriffen ſieht, geräch die Geſellſchaft in Uns 
zube; jeder glaubt ſchon, feinen himlifchen Monarchen 
den Fächenden Arm gegen das Land oder die rebellifche 
Natur aufheben zu ſehen, die ein Ungeheuer hervor⸗ 
Bringen Fonte, das verwegen genug war, feinem Zors 
ne zu trotzen. Selbſt die befcheidenften‘ Perfonen wer⸗ 
fen :doch demjenigen Thorheit und aufruͤhriſche Denk: 
art vor, der ihrem: eingebilderen goͤttlichen Regenten 
Rechte flreitig mache, die ihr gefunder Verſtand nie 
unterſucht hat. Man haͤlt alfo auch Jeden, — 
5 ins 


— d acht;. ——— 6. auf Kant. 137 


Vinde des Vorurtheils vor den Augen wegzieht, für 
einen gefäßrlichen Bürger; faſt einftimmig wird did 
Verurtheilung ‚über ihn ausgefprochen; die oͤffentli⸗ 
he Indignation, durch. Fanatismus und Betriege⸗ 
gen noch mehr empört, verurfacht, daß man gar auf 
feine Gründe nicht hört; Jeder würde fich einer Theil⸗ 
nahme an dem Verbrechen ſchuldig Halten, wenn «& 
darauf hörte 


Auf: diefe Weiſe wird ein Menſch, der ſeiner 
Vernunft ſolgt, der Zoͤgling der Natur, wie eine oͤf⸗ 
ſentliche Peſt angeſehen. Der Feind eines ſchaͤdlichen 
Phantoms gilt fuͤr den Feind des menſchlichen Ge⸗ 
ſchlechts; der Unternehmer eines Verſuchs, um einen 
dauerhaften Frieden unter den Menſchen zu begruͤu⸗ 
den, erſcheint als ein Ruheſtoͤter der bürgerlichen Ges 
ſellſchaft. Bloß bey dem Mamen eines Acheiften 
fchaudert der Abergläubige; der Deift felbft wird bes 
geoffen; der Priefter wird würhend; die Tyranney bes 
reitet den Scheiterhaufen; der Pöbel jauchze bey der 
Zuͤchtigung, die unvernünftige Gefege gegen den wah⸗ 
gen: Freund. des menfchlichen ‚Gefchlechts anordnen. 
Aber was ift denn eigentlich ein At heiſt? fragt der 
Verfaſſer. Verſteht man darunter einen Menſchen, 
welcher das Dafeyn einer der Materie einwohnenden 
Urkraft leugnete, ohne welche fich doch die Natur niche - 
begreifen läßt; und wäre es gleichwohl jene Beweg⸗ 
kraft der Materie,  weldher man den Namen Gore 
‚beit beylegte; ſo würde es feine verwünfrige 
Arheiften geben, und das Wort würde nur Nars 
ren bezeichnen: Verſteht man hingegen Darunter Mens 
ſchen vom Fariatismus befteyt; geleitet Durch die Er⸗ 

fahrung und das Zeugniß ihrer gefunden Sinne; die 
— Naiut nur das Pu was fich wirklich. — 


158 Geſchichte der neuetn Philofopgie. 


ſindet, oder was ſie wirklich zu: erlennen vermoͤgen; 
Die nichts; anders wahrnehmen und wahrnehmen koͤu⸗ 
nen, als eine Materie, ihrem Weſen nach thaͤtig 
und beweglich, verichieden combinirt, durch fich ſelbſt 


mit verfchiedenen Eigenſchaften begabt, und faͤhig, 


die Dinge hervorzubringen, die wir erblicken; bie übens 
geuge find, ‚daß.man, ohne ſich auf eine‘ chimärifche 
Urfache berufen zu müffen, durch die bloßen. Gefege 
"der Bewegung die verfchiedenen Beziehungen der Dins 
ge zweinander, ihre Verwandtſchaft, Analogie, Ats 
traetion und Nepulfion, erklären koͤnne; bie nicht zu 
begreifen. vermögen, ‚was ein Geift iſt, und auch 
gar kein. Beduͤrfniß haben, koͤrperliche Uefachen zu 
vergeiftigen, di. unbegreiflich zu machen; die nicht 
der Meynung find, daß man, die Bewegkraft des 
Univerfums beffer kennen lerne, wenn man fie einem 
Weſen außerhalb dem großen. Natur: Oanzen, def 
- fen Dafenn unvorfiellbar, wie fein Ort, ift, beylegt; 
die endlich die negativen and abfiracten theologischen 
Attribute der Gottheit durchaus nicht mit den menfchs 
lichen und moralifchen Qualitäten zu vereinigen wiſ⸗ 
fen, welche ebenfalls der Gottheit zugefchrieben wers 
den: verfiehe man unter Aeheiften :folche Menfchen, 
fo iſt freylich an. ihrer Exiſtenz nicht zu zweifeln „und 
es wuͤrden ihrer: noch mehr fenn, - als wirklich ſeyn 
moͤgen, wenn das Licht einer gefunden. Vernunft und 
Ratutkentniß allgemeiner verbreitet wäre.. Dann würs 
de man ſie aber auch ‚nicht alsı unvernünftige oder as 
fende Meufchen veruerheilen. : Im Gegentheile man 
würde fie für Meuſchen ohne Vorurtheile erklaͤ⸗ 
zen, deren Meynungen, oder, wenn man will, deren 
Unwiſſenheit dem menſchlichen Geſchlechte weit, nüglia 
cher wäre, als die eitelen. Wiffenfchaften; und- Hypes 
tbefen , : die. nun ſchon ſeit ſo langer. Zeit eine: feinen, 
nn vor⸗ 


während Dachtj. Jahrhund. 6. auf Kant. 159 


vornehmſten Plagen ausmachen. Die Theologen Leis | 
nen alfo. den wahren Sinn des Atheismus nicht, ins 
dem: fie ihn verdammen. | | 


Zulegt wirft der Verfaſſer noch die Frage auf: 
Ob der Arheismus mie dee Moral verträglich fey? 
Wie er diefe Frage beantmworter bat, läßt fih aus 
dem Bisherigen leicht erachten. Als feinen Gegner 
ftelit er den Abbadie auf. Diefer behauptete: Ein 
Arheift könne feine Tugend haben; die Rechrfchaffens 
beit und Frömmigkeit feyen für ihn Ehimären; er feus 
ne fein auderes Geſetz, als fein Intereſſe; und bey 
diefer Borausfeßung merde das Gewiffen ein Worurs 
theil, das Recht ein Serefum, dem Wohlwollen wers 
de fein Grund entzogen, die Band der Gefelifchaft 
soürden zerriffen, die gegenfeitige Treue_ aufgehoben, 
der Freund Fönne den Freund, der Bürger fein Bas 
terland, der Sohn den Vater verrarhen und ermots 
den, Sobald das Jutereſſe es fodere, und die Hands 
fung nicht die Ahndung der Obrigkeit zu fürchten habe, 
Die unverleglichften Rechte und heiligſten Geſetze Lüns 
ten dann für nichts anders, als für Träume und Bi 
ſionen, gelten, 


Der Verfaſſer erwiedert: Ein ſolches Betragen 
koͤnne niemals von einem empfindenden, denkenden, 
vernünftigen Weſen erwartet werben; ſondern nur von 
einem Raſenden, einem wilden Thiere, das gar keine 
Idee von den natürlichen Verhaͤltniſſen habe, die uns 
ter Weſen ſtatt finden, welche einander für ihr gegens 
feitiges Wohl nothwendig bedürfen. Das entwors 
fene Bild eines. Atheiſten, und die vermennten Fols 
gen dieſer Denfart, mären alforin der Wirklichkeit 
unmöglih. Der Atheiſt kennt die Gefeße feiner: eis 
genen. Natur, und der Matur dev. ———— 
11729 e 


160 Geſchichte der’ neuern Philoſophie 


Er hat Erfabrung, und dieſe lehrt ihn, daß ihm 
das Laſter ſchaden koͤnne, daß ſeine geheimſten ſchlech⸗ 
ten Abſichten und Verbrechen einſt an's Licht kommen 
moͤgen; daß die geſellſchaftlichen Verbindungen mit 
andern, Menſchen ihm nuͤtzlich und wobhlthaͤtig find; 
daß alſo fein Intereſſe fodere, fich an das Vaterland, 
das ihn fhüße, und ihm den fihern Geruß der Nas 
turguͤter verſchafft, anzufchließen, daß er, um ſelbſt 
glücklich zu werden, die Liebe Anderer zu gewinnen 
fuchen muͤſſe; daß Gerechtigkeit und Wohlwollen zur 
Erhaltung der Geſellſchaſt fchlechterdings nothwendig 
feyen, und Niemand, mie viel Macht er auch immer 
befigen möge, ruhig und mic fich felbft zufrieden feyn 
koͤnne, der fich bewußt ift, daß er ein Gegenftand des 
öffentlichen Haſſes ſey. Unter diefen Umftänden kann 
auch der enrjchiedenfte Atheiſt feine Pflichten nicht vers 
kennen, die er fich felbft und Andern ſchuldig if. Er 
bar alfo eine Moral, und fehr trifftige Gründe, fie 
zu befolgen, und wenn feine Vernunft niche durch 
blinde Leidenfchaften oder böje Gewohnheiten verderbt 
iſt; fo wird er einfehen, daß die Tugend für jeden 
Menfchen der fiherfte Weg zur Glückfeligkeit ift. 


Der Arheift und der Fatalift gründen ihre Sys 
ſteme auf die Mothwendigkeit. Ihre moralifchen Spe 
eularionen, auf Demfelben Grundererbauer, find we 
nigftens ficherer und unmandelbarer, als diejenigen‘) 
die fich nach der veränderlichen Idee einer Gottheit 
richten, welche wiederum von. den Einfichten,, Leiden⸗ 
ſchaften und Gemächsftimmungen derer abhängt; die 
fie bilden. Die Natur der Dinge. und ihre Gefege 
find feiner Veränderung unterworfen. -: Der Atheifk 
iſt immer gezwungen, Laſter und Thorheit zu nennen, 
was ihm ſelbſt ſchadet, fo wie Verbrechen, was Una 
in dern 


waͤhrend d: achtz. Jahrhund. b. auf Kant. 161 


dern verderblich iſt; hingegen mit dem Namen der Tus 
gend zu bezeichnen, was ihnen Vortheil ſchafft, und 
zu ihrem dauernden Gluͤcke beyträgt. In jeder Hins 
fieht find alfo die. Principien des Arheiften unerfchüts. 
gerlicher, als die des theologiſchen Enthuſiaſten. Leugs 
net ‚jener auch die Eriftenz Gottes, fo kann er doch 
feine, eigene und die Eriftenz anderer ibm ähnlicher 
Weſen nicht leugnen, und eben deßwegen kann er auch 
sicht ‚die Eriftenz von Principien der Moral bezweis 
feln. Wender der Arheift diefe Principien nichr auf 
fein Betragen an; wird er ein Spiel eines verderbten 
Temperaments, und läße er fich durch fehlerhafte Ges 
wohnheiten und Leidenfchaften zu Laſtern fortreiffen; fo 
ſcheint er freylich jene zu vergeffen; aber es folgt dars 
aus nicht, daß er gar feine moralifche Grundſaͤtze has 
be, oder daß fie faljch feyen; es folge bloß, daß er 
feiner Vernunft nicht gehocche, wie dies- nicht minder 
oft bey denen der. Fall ift, die fich zur theologiſchen 
Moral befennen. u 


Nichts iſt gemeiner unter den Menfchen, als eis 
ne auffallende Unginigfeit zwifchen ihrem Verftande 
und ihrem Herzen, d. i. zwifchen ihrem Tempergs 
mente,. ihren geidenfchaften, Gewohnheiten, Phans 


. - tafieen, und ihren. Uccheilen, fofern diefe die Refuls 


tate einer undefangenen Reflerion find. Nur dann, 
wenn unter dieſen Harmonie ſtatt finder, bemerkt 
man einen Einfluß dee Speeulation auf die Praris, 
Die ficherften Tugenden eines Menfchen find fiets dies 
jenigen, Die aus feinem Temperamente hervorgehen, 
und auf_demfelben beruben. . Es komt folglich alles 
‚mal darauf an, zu unterſuchen, ob die Principien 
“des Ucheiften wahr fenen? nicht aber, ob fein wirk⸗ 
liches praftifches Verhalten Beyfall verdiene ? 


Buhle's Geſch. d. Philoſ. VI. B. Ein 


162 Gecſchichte der neuern Philoſophie 


Ein Atheiſt als ſolcher kann eine vortreffliche auf 
die Natur der Dinge, die Erfahrung und die Ver— 
nunft gegründere Theorie haben, und überläße fich 
denne Ausichweifungen, die ihm felbft und der Ges 
fellichaft gefährlich find. Dann ift er ohne Zweifel 
ein inconfequenter Menſch; aber er ift nicht mehr zu 
fürchten, als ein religiöfer Zelot, der an einen guten, 
gerechten und vollfomnen Sort glaubt, und nicht ums 
terläße, im Namen desfelben die abjcheulichfien Hands 
Aungen zu begeben. Warum follte ein arheiftifcher 
Tyrann furchebarer ſeyn, als ein fanatifher? Ein 
unglaͤubiger Philoſoph flifter bey weitem das Unheil 
nicht, und fann es nicht fliften, was ein fanatifcher 
Priefter bewirkt, der die Zwietracht unter feine Mits 
buͤrger verbreitet. Allerdings mag es wohl Atheiſten 
gegeben haben, die den Unterfchied zwifchen dem Gus 
ten und Böfen leugneten, und damit das Fundament 
allee Moral vernichteren. Bon diefen läßt ſich aber 
nichts weiter fagen, als daß fie über diefen Punet 
falſch urtheilten, daß fie die Natur des Menfchen und 
Die wahre Duelle feiner Pflichten’ verfannten, und in 
dem irrigen Wahne fanden, die Moral fey eine eben 


Be fo ertraͤumte MWiffenfchaft, wie die Theologie, und 


wenn bie Götter einmal vernichtee wären, fo wären 
damit alle Bande der menfchlichen Gefellfchaft zerriſ⸗ 
fen. Eine ſolche VBorftellungsare mwidertege fich ins 
zwifchen ſelbſt, fobald die vernünftige Meflerion dars 
auf gerichtet wird. Man darf nur die Leugner des 
Unterfchiedes zwifchen Tugend und Laſter fragen: ob 
es ihnen gleichgültig fenn würde, gefchlagen, beraubt, 
verleumder, undankbar bebandele, von ihren. Gatten 
. entehre, von Kindern inſultirt, von Freunden vers 
rathen zu werden? Die Antwort wird bemeifen, daß 
es einen Alnterfchied des Werthes der menfchlichen 

Zu Ä Hands 


während. d. achtz. Jahrhund. b. auf Kant. 163 


‚Handlungen gebe, und daß dieſer Peinesweges durch 


eine Convention unter den Menfchen entſtehe, oder 
auf Ideen von der Gottheit, und Belohnung und 
Beſtrafung von derjelben in einem andern Leben bes 
ruhe. | | | 


Ueberhaupt, meynt der Verfaffer, Bönne man _ 
die Feinde der menfchlihen Vernunft auffodern, ein 
einziges Beyſpiel anzuführen, aus welchem erweislich 
wäre, daß bloß pbilofophijche der Religion entgegens 
gefegte DVorfiellungsarten und Behauptungen Uneus 
- ben in einem State erweckt hätten. Alle Religiongs 
Rreitigkeiten ruͤbrten von theologiſchen Mehunngen 
her, weil die Regenten und Voͤlker ſo thoͤricht waren 
fi einzubilden, daß fie daran Theil nehmen müßten, 
Dur jene eitle Philofophie iſt gefäprlich, welche die 
Tpeofogen mit ihren Spftemen verbunden haben. Es 
giebt ja faft feine theologifche Frage, welche niche 
der menſchlichen Geſellſchaft unzählige Uebel zuges 
zogen hätte, während alle Schriften, ſowohl der 
ältern als der neuern Atheiſten feinem Andern ges 
fehader haben, als ihren eigenen Verfaſſern, die niche 
felten Opfer der allmächtigen Betriegerey der Priefter 
wurden. Freylich ift der Atheismus Fein Spitem . 
das für den großen Haufen paßte, fofern dieſer ges. 
meiniglich unter der Vormundſchaft feiner Priefter 
fiepe. Eben fo wenig tauge er für die leichtſinnigen 
Charaktere, die der Geſellſchaft mir ihrer Unnuͤtzlich⸗ 
keit und ihren Laſtern befchwerlich fallen, für ehrgei⸗ 
zige, intriguante, unruhige Koͤpfe, die ihr Intereſſe 
darin finden, Alles in Bewegung zu ſetzen und zw. 
verwirren; noch weniger für eine, große Zahl ſonſt 
wohl unterrichterer einfichtsvoller Meufchen, die nicht 
den Muth haben, ſich von ipren einmal gefaßten Vor⸗ 

oo | 2 urthei⸗ 


164 Gefchichte der neuern Philoſophie 


urtheilen loczumachen. Es fommen fo mande Ur— 
fachen zufammen, melche die Menfchen in den mit 
der Muttermilch eingefogenen Irrthuͤmern  beftärken, 
daß jeder Schritt, mit welchem fie ſich davon entfers 
nen, ihnen unendlich fhwer wird. * 


Selbſt die aufgeklaͤrteſten Leute baͤngen zuweilen 
von irgend einer Seite an dem allgemeinen Wahne. 
Man ſieht ſich gleichſam iſolirt; man redet die Epras 
che der Geſellſchaft nicht, wenn man allein feiner eis 
genen Meynung if. Es gehört ein hoher und feltes 
ner Grad des Murhes dazu, eine Denfart anzunehs 
men, die nur von fehr Wenigen gebillige wird. In 
ändern, wo die Wiſſenſchaften beträchtliche Fort 
fchrirte gemacht haben, und wo zugleich die Freybeit 
des Denkens herrſcht, wird man leicht eine große Zahl 
Deiften oder Ungläubige antreffen, die zufrieden, die 
- - gröbften VBorurtheile des großen Haufens abgelegt zu 
baben, doch niche wagen, bis zur Quelle zurüczus 
gehen, und die Gottheit felbt vor den Richterftupf 
der Vernunft zu fodern. Blieben diefe Denker nicht 
auf halbem Wege fteben, fo würde ihnen die weitere 
Nachforſchung bald beweifen, daß der Gott, deflen 
Daſeyn und Natur fie nicht den Much haben, ges 
nauer zu prüfen, ein eben fo fchädliches Wefen und 
für die gefunde Vernunft eben fo empörend iſt, als 
es alle Dogmen, Fabeln, Myfterien, und abergläus 
bifchen Gebräuche find, deren. Verwerflichkeit fie ber 
reits anerkannt haben. Sie miürden einfehen, mas 
nun von dem WVerfaffer ausführlich dargethan ſeyn 
fol, daß alle ‘jene Mehnungen bloß norhivendige Fols 
gen’ gewiffer Grundbegriffe ſind, welche ſich die Miens 
ſchen von einem göttlichen Phantome gemacht haben, 
das, ſobald man feine Exiſtenz einraͤumt, auch als 
SE Br 74 * len 


— 


u waͤhrend d. achtz Jahrhund. b. auf Sant, 265 


z den den Wahn. nach ſich zieht, welchen bie Phbanta⸗ 


‚fie daruͤber erſinnen kann. Kin wenig Nachdenken 
wuͤrde ihnen auch zeigen, daß gerade dies Phantom Ä 
bie mahre Urſache aller der Uebel iſt, welche die bür: 
‚gerlihe Gejellichaft drücken. Endlofe und blutige 
‚Streitigkeiten, die unaufpörlich durch. die Religion 
and den religiöfen Parteygeiſt erzeuat werden, find die 
unvermeidlichen Wirkungen der Wichtigfeit, welche 
‚man auf.eine Ehimäre lege, die flets geeigner.ift, die 
Gemuͤther gegen einander zu erhißen. 


Sehr viele Menfchen erkennen wohl, daß bie 
Ausfchweifungen des Aberglaubens für die menfchliche 
Geſellſchaft ehr -mefentliche Uebel find; fie Flagen über 
die Misbräuche der Religion. "Aber: fehr wenige ers 
kennen, daß eben jene Ausfchmweifungen nothwendige 
Folgen von den Fundamentatprineipien aller und 
jeder Religion find, die ſeibſt nur auf faliche und 
wachtheilige Begriffe (notions faeheules) gegründet 
fenn kann, welche man fich von der Gottheit zu mas 

chen genoͤthigt ift. 


"Man bemerkt oft Menfchen, bie fich für ie 
Perſonen über religiöfe Worurtheile erhoben haben, 
‚aber dennoch behaupten, daß diefe VBorurtheile noch 
wendig für den großen Volkshaufen feyen, 
‚weicher ohne biefelben niche in Schranken gehalten 
- ‚werden fönne. Heißt dies Raiſonnement nicht eben 
ſo viel, ‚ale wenn man behauptete: Das Gift fen dem 

Volke nothwendig, oder man müfle es nothwendig 
‚wergiften, damit es feine Kräfte nicht misbrauche? 
- Heißt e8 nicht, eine Nothwendigkeit annehmen, das 
Volk unvernuͤuftig zu machen, und durch Phantome 
‚zu blenden, damit es ſich Fanatikern oder Betriegern 
F unterwerfe, ‚bie hernach feine Thorheiten benutzen mers 
3 den, 


166 Geſchichte der neuern Philoſophie 


den, um die ganze Welt zu verwitren, und auf den 
Truͤmmern aller bürgerlichen Macht ihre eigene Herr⸗ 
ſchaft zu erheben? | 


Ueberdem follte es wirklich wahr feyn, daß die 
Keligion auf die Sitten der Völker einen wahrhaft 
nuͤtzlichen Einfluß habe? Man ficht Teiche, die Re 
ligion unterwirfe den großen Haufen, ohne ihn zu 
beſſern; ſie macht daraus “einen Haufen unmifjender 
Sclaven, die durch panifche Schreefen unter dem os 
che von Tyrannen und. Prieftern feufzen; fie macht 
‚Dumme Menfchen,- die auf gewiſſe leere und unnüße 
Gebräuche einen weit höhern Werth legen, als auf | 
die wirklichen und -nüßlichen Tugenden und. Pflichten 
der Moral, in denen man fie niemals unterrichtete, 
Wenn auch die Religion zufällig einzelne, furchtfame 
Menfchen in. Schranken hält; fo bar fie doch Feinegs 
weges diefelbe Wirfung bey der großen Volksmaſſe, 
Die ſich nichts defto weniger von den epidemifchen Las 
ſtern binreiffen läßt, welche unter ihr herrſchend ges 
worden find. Da wo der Aberglaube am meiften tris 
umpbirt, wird man immer die wenigfte Sittlichkeit 
finden. Es ift allemal ein trauriges Vorurtheil an 


— J 


ſich ſelbſt, daß es nuͤtzliche Irrthuͤmer gebe, 


und daß Wahrheit gefährlich werden koͤnne. 
Das Vorurtheil fann das Elend auf der. Erde vers 
ewigen. Die Menfchheit verdanft alle ihre Leiden 
vielmehr dem Irrthume; mas man finden wird, ſo⸗ 
bald man nur den Gründen jener mit Unbefangenheie 
nachforfcht. Unter diefen Irrthuͤmern aber find eben 
die religidfen die verderblichften wegen des Werthes, 

"den man ihnen beymiße; wegen des Stolzes, den fie 
den Herrfchern einfloͤßen; wegen der Herabwuͤrdigung 
Der Unterthanen. Hleraus fließt unmittelbar, * F 

J ‚even. 


waͤhrend d. achtz. Jahrhund. b. auf Kant, - 167 


eben die gebeiligten Zerthämer der Menfchen 

es find, zu beren gänzliher Vernichtung dag 
Jutereſſe, dee Menfchheit auffodert,. welche fi alſo 
auch die gefunde Phitofophie am angelegenſten ſeyn 
laffen muß. Buͤrgerliche Unruhen und Revolutionen 
find ‚hiervon gar. nicht zw beforgen. Je frener die 
Wahrheit fprechen wird, deſto einfeuchtender wird fie 
ſeyn; defto weniger wird fie alfo auch die. Menjchen 
zu. Unordnungen verführen | | | 


Die Urfache demnach, warum der Atbeism 
von jeher auch vorurtheilftege Perfonen "beunruhigt 
hat, und noch beunruhigt, fiege darin, daß man die 
Gründe und Folgen desfelben nicht genug entwik⸗ 
felte. Man finder einen zu großen Abftand zwifchen 
dem gemeinen Aberglauben und der abfolus 
ten Jrreligion. Man glaube alfo, einen weiſen 
Mittelweg einzufchlagen, indem man gemwiflermaßen 
den Irrthum mie der Wahrheit zu vermählen fuchtz 
man täßt allenfalls das Princip zu, aber man vermwirft 
Die Folgerungen. So behält man das Phantom bey, 
und wird niche gewahr, daß diefes über kurz oder 
Tange diefelben Wirkungen und Thorheiten in den 
Köpfen dee Menfchen hervorbringen muß, die man 
Doch gerne verhüten oder ausrotten wollte. 


Die meiften unglänbigen und philofophifchen Res 
formatoren behauen einen vergifteren Baum, wagen 
es aber nicht, die. Art an die Wurzel zu legen; als 
ob aus diefee Wurzel nicht bald derfelbe Stamm wies 
der. bervorfchießen würde. Die Theologie oder bie 
Religion werben immer brennbaren Stoff enthalten; 
und diefer wird in der. Phantafie der Menfchen fich 
immer auf’s neue entzuͤnden. So lange die Priefters 
ſchaft das Recht haben wird ? der Jugend die Köpfe 

j | ‘4 zu 


168 - Gefchichte der neuern Philoſophie 
ju verdreßen, fie zu gewöhnen, vor Worten zu zit⸗ 
Keen, die Mationen durch den Mamen eines furchtbar 
ren Gottes zu Beunruhigen, wird auch der Fanatigs 
mus der Tyrann der Geiſter ſeyn, und der Bes 
trug wird nah Willkuͤhr in den Starten Verwirrung 
erzeugen und verbreiten koͤnnen. Das anfangs tw 
bedeutend fcheinende Phantom, durch die Phantafie 
der Menſchen ſtets genährt, ausgebildet, verarößerr, 
wird nach und nach ein hinlaͤnglich mächtiger Koloß 
werden, um alle Köpfe in Verwirrung zu. bringen, 
‚und bürgerliche Reiche zu zerftören. Der Deismus 
alſo iſt uͤberhaupt ein Syſtem, wobey der menſchli⸗ 
che Geiſt nicht lange verweilen kann, ohne daß ſein 
wahres Wohl darunter leidet. Auf einer Chimaͤre 
erbaut, muß er bald und nothwendig in einen gefaͤhr⸗ 
J Abel ausarten. 
* 

Abſichtlich habe ich den Inhalt des Syfleme de 
la nature ausführlicher dargeftellt. Weder im Alters 
thume, noch in den neueren Zeiten, iſt der Natura⸗ 
lismus und Fatalismus ſo vollſtaͤndig, ſcheinbar gruͤnd⸗ 
lich und blendend, und mit ſo ſorgfaͤltiger Hinſicht 
auf die entgegengeſetzten Syſteme der Theologie und 
Moral vorgetragen worden, wie es von dem Verfaſ—⸗ 
fer des Syſteme de la nature gefchehen if. Er ifk - 
Daher auch als der Herold des neuern Atheismus, bes 
fonders.fo wie diefer aus den Schriften der fogenanns _ 
ten Encyklopaͤdiſten bervorleuchtet, zu betrachten. Die 
übrigen franzöfifchen Maruraliften haben nur feine phis 
lofopbifchen Gründe wiederholt, weiter ausgeführt, 
mit ihrem Wie ausgeftatter, oder fie durch Spoͤt⸗ 
terenen Über die pofitive Religion, und die m 
quelle 


r 


- während d/ achtz. Jahrhund.b. auf Kant. 169 | 


quelle derſelben/ die Bibel, zu unterſtuͤtzen gefucht. 
Für tefer, die nicht in der :philofophifchen Specula⸗ 
sion jehr gebt, und mit dem Geiſte der verſchiedenen 


philoſophiſchen Syſteme fehr vertraut find, kann es 


daher. auch keine gefaͤhrlichere Schrift geben, als das 
Syſteme de Ja:nature; zumal da der Verfaſſer bey als 
Lem feinem: Eifer für Naturalismus und Fatalismus 
doch die Nothwendigkeit der Moral behauptet, und 
Diefe auf eine eigene Weiſe zu begründen fuche.. In 
manchen einzelnen Puncten, befonders was: die fals 
ſchen Religionen, und den Misbraudy des Chriftens 
thums bereifft, bat er auch unleugbar Rechte, und 
Diefes ift es vorzüglich, was für feine Philofoppie 
überhaupt einnimt. 


Die Hauptfrage, von deren Entfcheidung die _ 
Goͤltigkeit des Maruralismus und Fatalismus, wie 
er bier aufgeftellt worden ift, abhängt, ift diefe: Ob 
fih das Weltall, wie es ift, namentlich 


die insellectuale und moralifhe Welt, ei u 


zig aus den Gefegen der Bewegung der 
ewigen Materie, aus dem bloßen Mecha— 
nismus, erklären laffen? 


Hier bleiben aber zwey Puncte übrig, die in dem 
Mechanismus ihre Auflöfung nicht finden , die Zweck 
mäßigfeit der Dinge, und die Freyheit. Die 
" Materie, ſoweit wir fie durch Erfahrung Pennen ler⸗ 
nen, ift ein Syſtem blinder Kräfte, deren Wirffams 
keit freylich gewiſſen Geſetzen, ‚die in der Matur der 
Materie felbft ihren Grund haben, unterworfen iſt; 
"aus deneir'fich aber Alles, was wir auf Bernunft 
zurückfüßren,, fchlechterdingssnicht herleiten laͤßt. Ein 
blindes Schickfal für den Urheber der Zweckmaͤßigkeit 
halten; die Vernunft zu einem Producte der Unver⸗ 
85 nunft 


Af 


170 | Geſchichte der: neuern Philoſophie 


nuuft machen, iſt doch der offenbarſte Widerſpruch. 
Wollte man auch eine zweckmaͤßige Wirkſamkeit in der 
ſogenannten lebloſen organiſchen Natur, und auch in 
der thieriſchen Welt leugnen; ſo iſt ſie doch in der 
Matur des Menſchen unverkennbar. Es exiſtirt eine 
menſchliche Kunſt, die nach Zwecken wirkt, und 
mie welcher die Natur bey ihrer Thaͤtigkeit eine Anas 
logie bat; jo daß ſich auch die Natur als das uners 
meßliche Laboratorium. eines unendlich mächtigen und 
weiien vernünftigen Künftlers anſehen laͤßt. Das 
Vermögen des Menfchen aber, nach einen Zweckbes 

geiffe zu wirken, für eine zufällige oder. gar nothwen⸗ 
dige Combination der. Bewegkraͤfte der Materie zu ers 
klaͤren, ift eine Erklaͤrung, die fich nie beweifen läßt, 
und alfo auch für die Vernunft emig unbefriedigend 
bleibe. Abſtrahiren wir von aller Intelligenz, allem 
vernünftigen Principe in der Natur, fo ift die Zwecks 
maͤßigkeit der Naturwirkungen ſchlechthin unbegreifs 
lich. Keine Kraſt weiß von der anderen; jede wirkt 
blind und ungabſichtlich; mie wäre eine Zuſammen⸗ 
flimmung der Kräfte zu Zwecken, und wiederum als 
Ver diefer einzelnen Zwecke zum Ganzen möglih? Es 
ift auch eine auffallende Lücke in dem Syfteme ber 
Natur, daß der Verfaffer nicht verfucht hat, die 
Zweckmaͤßigkeit aus den bloßen Bewegfräften der Mas 
serie, und mannichfaltigen Sombinationen derſelben 
berzufeiten.. Muß man aber einmal, um die Zweck⸗ 
mäßigfeit zu begreifen, ein von der Materie weſent⸗ 
lich verfchiedenes Princip, eine Weltintelligenz, oder 
ein Princip aller Intelligenzen überhaupt annehmen; 
fo verliert der Maruralismus die Einheit und Gelbfts 
ſtaͤndigkeit feines Principe, der fich felbft bewegenden 
Materie, und kann fi ch nicht gegen den — be⸗ 


m. & 


x 


während d. achtz. Jahrhund. b. auf Kant, 171 


Zu einer Prüfung: aller der Gruͤnde, die der 
Vf. für den Fatalismus vorgebracht har, iſt hier 
nicht der Ort. Sein Naturalism haͤngt mit die 
ſem auf's genaueſte zuſammen. Mur Eines hat er 
hinreichend zu erklaͤren unterlaſſen, woher das Be 
wußtſeyn der Freyheit beym Menſchen ſtam— 
ine, Wenn dieſer nichts weiter, als eine Maſchine iſt, | 
Die durch ein ewig nothwendiges Schickſal Determinirt 
wird? Sein Moralfnftem, das er in der Folge ent⸗ 
wickelt, ſteht auch mie. feinem Determiniem in dem 
geradeſten Widerſpruche. Cr giebt einen: Unterſchied 
des Guten und Böfen in den menfchlichen Handluns 
gen zu. Jenes ift das, was dem Menfchen felbft und 
Andern nüßtz> diefes ift das, mas ihm und Andern 
fchadet. Mach diefer Borausfeßung empfiehlt er als 
fo auch Pflichten des Wohlwollens und der Menfchens 
liebe gegen Andere. Wie find aber diefe Pflichten 
und ihre Erfüllung möglich, wenn bey den Handelns 
den gar feine Freyheit obwaltet? KHerrfcht in Allem, 
was der Menfch empfinder, vorftelle, will und tur, 
ein nothwendiges Schickſal; fo ift alle Moral nur 
Tand, und alle Moralitäe Wahn und Täufchung. 
Der größte Böfewicht, deſſen Handlungen ihm ſelbſt 
und der Geſellſchaſt am nachtheiligfien find, Handelt 
alsdenn fo, wie ibn das Schickfal mechanifch dere 
minirt, und kann nicht anders handeln; fo wie der 
wohlmwollendfte edelfte Menfch ebenfalis nur ein Werks 
zeug in der Hand der fatalen Nothwendigkeit if. Es 
kann hier weder von $after und Schuld, nodj von 
Tugend und Würdigkeit die Rede feyn. ‘Die Moral, 
welche der Verfaſſer mit feinen theoretiſchen Princis 
pien in Verbindung zu) feßen, und fogar aus diefen 

rzuleiten ſucht, iſt an fich felbft nur erfchlichen, und 
jenen Principien geradehin enrgegengefeßt. Daß aber 
.. | dur 


are GSeſchichte der neuern Philofophie 


durch den Naturalismus ‚und Fatalismus alle Mora⸗ 
litaͤt aufgehoben wird, und als: Chimaͤre und; Taͤu⸗ 
ſchung erſcheint, iſt ein Hauptvorwurf, welchen man 
dieſer philoſophiſchen Vorſtellungsart machen kann. 


Auf eine unwiderlegliche Art hat der Verfaſſer 
gezeigt, daß keine theoretiſche Erkentniß von 
Sort und feinen Eigenſchaften möglich iſt, und 
Daß eine. jede Theologie, die eine folche zu enthalten 
vorgiebt, aus innern Widerfprüchen ;beftebt. Eben 
fo richtig urtheilt ee auch über die verderblichen: Fol 
gen des religioͤſen Aberglaubens, der Herrſchſucht der 
Priefter, für das menfchliche Geſchlecht. Allein Bes 
weiſe feines Naturalismus hat er. mit: Linrecht Hiervon 
entlehnt. Wenn auch Feine eheorerifche Erkentniß von 
Gott möglich ift,- fo find wir doch zum Glauben an 
eine intelligente und moralifche Gottheit berechtigt, 
Die der Urheber des Reichs der Natur und der Sitten 
ift, und deren Wefen und Verhaͤltniß zur Welt eben 
Darum nicht erfanne werben Paun, weil feine Eigen: 
ſchaft endficher Dinge auf fie paßt. Wenn falfche 
Meligionen und Aberylauben verderbliche Wirkungen 
für die Völker Hervorbringen; fo kann man keineswe⸗ 
ges dasfelde von einer wahren auf Moralität gegrüns 
‚beten Religion, vielmehr muß man von diefer ſchlecht⸗ 
bin das Gegentheil behaupten. Daß aus dem -vers 
breiteten Naturalismus und Vernachlaͤſſigung aller 
Religion auch die größte Sitrenlofigfeit der Erfahrung 
nach ſowohl bey Individuen als bey Völkern entfprins 
gen kann und wirklich entfpringe, hat der Bf. viel 
zu wenig in Erwägung gezogen, Es mag frenlich 
. einzelne Menfchen geben, die auch bey naturaliftifchen 

Mrincipien dennoch Mechtlichkeit und Wehlmollen ges 
gen ihre Mitmenſchen beobachten; Deren Charakter — 
N) 


während d. acht;. Jahrhund. 6. auf Kant. 273 


fo durch den Mangel an Religion nicht zum Schlim 
men ausartet; alleim bey dem’ großen Haufen -felbf 
der eultivirteften Marionen wird aller Erfahrung nach 
diefes niemals der Fall ſeyn. Kine moralifche Reli⸗ 
gion wird deßwegen auch immer Beduͤrſniß und Wohl⸗ 
that fuͤr die Voͤlker bleiben, und eben dieſe wird auch 
dem Aberglauben und jedem hierarchiſchen Unfuge vors 
beugen *). 
* z * | 

Faſt um diefelbe Zeit mit dem_ Syſteme der 
Natur erfchien das Werk des J. B. Robinet de 
la nature, das aber eine jenem ganz entgegengefeßte 
Tendenz hat; daher ich es igt des Contraſtes wegen 
zugleich mie jenem characterifiren will **). 


& ‚ Der Verfaffer verfolgte in demfelben vier Haupts 
zwede. Erftlich wollte er eine befjere Theodicaͤe 
begründen, als die bisherige Philoſophie aufgeſtellt 
hatte. Ein durchaus gutes Weſen fann nicht Urs 
heber des Uebels und des Boͤſen feyn; ſelbſt niche 
durch eine bloße Zulaffung, welche die Folge vorhes 
tiger guter Nachfchlüffe war; denn fofern die Gott— 

beir abſoluter Beberrfcher der Ereigniffe ift, muͤſſen 
ah 


+) Bol. Examen du Materialisme, ou Refutation du Sy- 
fleme de la nature. Par Mr. Bergier; à Paris 1771. 
2.Tomes, 8, — Obfervations fur le livre — 
Suſteme de la nature. Par Mr. M. J. de Caflillon; à 
Berlin 1771. 8. — Reflexions philofophiques fur le 

Suſteme de la narure) Par Mr. Hodand; à Paris, 1772. 

5. Beim ke yrai fens du Syfleme de la nature (par Hel- 
verius); Quvr. poſth. 4 Londres 1774. 8. Deutfd: 
Sranffurt und Leipzig 1783. 8. 

®%*).De'la nature. Par 7. B. Robiner; à Amfterdam 

— 68; V Voll. 8. 


7 


174 Gefchichte der neuern Philoſophie 


auch die Folgen von Rathſchluͤſſen in ihrer Gewalt 
ſtehen, und bey jener Vorausſetzung komt mau alfo 
in Gefahr, die Höhfte Bosheit mit der hoͤch— 
fen Güre vereinigen zu muͤſſen. Robinet wolls 
se alfo dagegen zeigen, Daß vermoͤge einer metapbys 
 fifhen Nothwendigkeit in einer endlichen 
Welt das Uebel wefenelih mit dem Guten vers 
bunden fen; daß daher von beyden ohngefaͤhr eine 
gleiche Summe in der Welt eriftire; und hieraus ein 
nothwendiges Gleichgewicht des Uebels und des Gus 
ten in der Natur entfpringe, welches bie Hormonie 
derſelben bewirke. 


Zweytens wollte R. die Principien der — 
gung und Fortpflanzung in der Natur aufklaͤren. Die 
‚Analogie der Natur fodert, daß vom Atom, der fich 
unferer finnlihen Wahrnehmung entzieht, bis zum 
leuchtenden Welikoͤrper, alle Wefen ſich auf. diefelbe 
Art wieder erzeugen. Vermoͤge der Einfoͤrmigkeit dier 
fes Gefeßes fehen wir alle Reiche, Gattungen und 
Arten der Natur fich erneuern und immer wiederfehs 
ren. Mie Hülfe einer genauen Logik. und einer bins 
laͤnglichen Menge von Tharfachen, muß fih alfo die 
einförmige Erzeugung der Marurdinge, die anfangs . 
— ſcheint, mehr als wahrſcheinlich machen 
laſſen. 


Drittens da auch der Verfaſſer der Hypothe⸗ 
ſe der Engliſchen Philoſophen beypflichtete, daß die 
Moralicäe ſich auf einen beſondern Inſtinet im 
Menfchen gründe; fo wollte er den Faden der Unters 
ſuchung hieruͤber da aufnehmen und ſortſetzen, wo ihn 
jene fallen ließen. Er wollte den Mechanismus dies 
fes fehsten (moraliihen) Sinnes entwickeln, 
der den übrigen Sinnen Ähnlich, aber edler, als fie, 

| — und, 


während d. achtz. Jahrhund. b. auf Kant, 175 


und, anſtatt daß jene bloß zum Gebrauche des Indi⸗ 
viduum's dienen, für die geſamte Menjchengattung 
beſtimt iſt. Hiermit hieng denn auch eine Erörterung 
des Einfluffes der Theorie vom moralifchen Sinne auf 
die bürgerische Geſellſchaft und die Gefeggebung zus 
fammen. 


Viertens, Inter Geiftern verficht Robis 
net denfende Subjlanzen, wie auch ihr Weſen und 
Urfprung beſchaffen ſeyn möge, über welche letztern 
Puncte er ih nur Muthmaßungen erlaubt. Die 
Tbeorie der Tpätigkeit diefer Geifter nach den Regeln 
der Optik und Akuſtik, als befländigen und unwan—⸗ 
deibaren Prineipien, nennt er die Phyſik der Geis 
fter, die den Befchluß feines Werkes ausmacht. 


Das Raiſonnement, wodurch Robinet zus 
voͤrderſt feine Theodicaͤe zu begründen ſucht, iſt in feis 
nen Hanpemomenten folgendes: | 
I. Nur das Unendliche ift unmandelbarz es 
ift ganz und immer, was es ift, und kann fein 
neues Geyn empfangen. Eben fo wird auch das, 
was niche ift, micht verändert, fondern bleibe im; 
mer in derfelben Negation des Dafeyns. BZmifchen 
beyden, dem Unendlihen, und dem Abfoluts 
negativen, liegt das Endliche in der Mitte. Dan 
Bann weder von ihm fagen, daß es unwandelbar, noch 
auch, daßes nicht fen. Es ift vielmehr das ſchlecht— 
bin Veränderliche. Jedes endlihe Ding hat 
die Eriftenz nur zum Theile, und die Portion, wels 
che es davon auf einmal befiße, iſt die möglich Pfeins 
ſte. Sie ift durch den gegenwärtigen Augenblick bes 
grenzt; denn das Endliche iſt fchlechterdings keiner 
Dauer fähig. Koͤnte das Endliche mehr ae 
ar na 


176 Geſchhichte der neuern Philoſophie 


nach einander in demſelben Zuſtande beharren, fo wuͤr⸗ 


— 


de es auch eine längere Zeit dauern fönnen, und 
dann würde man die Dauer in der Zeit mit dee 
Ewigkeit verwirren, obgleich die eine eben fo we 


fentlich veraͤnderlich, als die andere beftändig iſt. 


Die endliche Eriftenz enehält gleichwohl eine Art 
von Unendlichkeit. Sie refultire aus einer unendlis 
hen Summe unendlich kleiner Exiſtenzen, wie eine 
unendliche Summe unendlich Fleiner Ausdehnungen 


‚einen endlichen Raum bewirkt. In gewiffem Sinne 


kann man mit Wahrheit fagen, daß die Gejchöpfe in 
jedem Augenblicke leben und ſterbei. Sie fterben, 
indem fie in jedem Augenblicfe die Eriftenz verlieren, _ 
die fie den Augenblick vorher hatten; und nichts defto 
weniger leben fie, weil die augenblicfliche Eriftenz , 
welche fie in einem Momente verlieren, unmittelbar 
durch eine neue Exiſtenz von derfelben Art wieder ers 
fege wird. Robinet wendet diefe Ideen ſehr inters 
effane auf die Schöpfung des Univerfum’s an, und 
beweift daraus, Daß eine unendlihe Mache erfodert 


‚wurde, um das Univerſum aus der Nichterifteng zum 


Dafeyn zu erheben, und es in Diefem zu erhalten. 


U. Ale Naturdinge bedürfen einer Nahrung, 
und zwar erhält fich die Natur immer auf ihre eigene 
Kofter. So naͤhren fid) die überall verbreiteten und 
unter einander gemifchten Elemente gegenſeitig. Das 
Feuer verzehre die Luft und faft alle andre Dinge; die 
Luft färeige fich mir Waſſer, und wird nach dem verſchie— 
denen Grade der Sättigung dicker oder dünner genannt; 
das Waſſer feinerfeits wird von Luft und Feuer ges 
ſchwaͤngert; und die Erde naͤhrt fi von allen den bes 
terogenen Subſtanzen, die fie aufnimt, und die man 
als ihre Erzeugnifje betrachtet. Dasſelbe en 

| ies 


— 


während. ds achtz · Jahrhund. b. auf Kant, 177 


bietetstms der Himmel dar. Es iſt nicht unwahr⸗ 
ſcheinlich, meynt Robinet, daß die Seuchtenden . 
Himmelskoͤrper ihre Nahrung von den Dünften ems 
piangen, welche ihnen ‚die Dunkeln Himmelskoͤrper 
zuſenden; und daß umgekehrt die natürliche Nahrung 
dieſer der, Zufluß der. Feuertheilchen iſt, welche jene 
ihnen unaufhoͤrlich zuſtroͤmen laſſen. Auf eine anas 
loge Weiſe gilt auch dasſelbe bey den. Mineralien, 
Pflanzen, und in der thieriſchen Natur. So ver— 
zehrt eine Haͤlfte der Matur die andere, und wird 
wieder von ihr verzehrt, und ‚die Nabrung der. Natur⸗ 
dinge auf Koſten anderer iſt zugleich: ein: Princip ihret 


Zerſtoͤrung. 


MM, Eine dritte nothwendige Eigenſchaft der Nas 
turweſen, woducch fie zugleich im Ganzen erhalten; 
and im Einzelnen wieder deſtruirt werden, nachdem. 
fie ihren Beytrag zur Erfaltung des Ganzen geleiftet _ 
haben," iſt die Weproduction derfelben. Die Ge 
fchöpfe haben das Leben weniger, um es zu genießen‘, 
als um es auf ihres Gleichen fortzupflarzen, und die“ 
Arten dee Dinge zu erhalten, um deren tillen die May 
tur ſich lediglich für die Individuen intereſſirt. Wenn 
zwey Körper gegen einander ſtoßen, gebt eben fo viel: 
Bewegung auf der einen Seite verloren, als von det - 
anderen mirgetheile wird. Eben fo in der Hervorbrins 
gung eines Wefens durch zwey andere Weſen verlie. 
ten dieſe beyden eben fo viel am Leben, als das neue: 
‚daran gewinnt. Robinet ſucht ausführlich zu bes.: 
weiſen, wie die Natur in der Entwickelung ber Orgas 
nifationen zur Deife, von den erfien Keimen des Das - 
feons an, Alles auf dies Fortpflanzung richtet, und. 
wie. fie: am meiſten "fie: Diefen. Zweck bey den Geſchoͤp⸗ 
fen ſorgt, menn auch audere Zwecke, Die ſonſt. dem 
‚Buhle's Geſch. d. Philoſ. VI.®. M Ge⸗ 


178 Geſchichte der neuern Philofophie 


Gefchöpfe möglich waren, die aber durch die Umſtaͤn⸗ 

de gehindert werden, ſich nicht ſollten erreichen laſſen 
khhnnen. Das Alter komt nur den Individuum 
zu Gute, und iſt auch nur fuͤr dieſes beſtimt, nicht 
für die Are. Das Individuum, wenn es dem Zwek—e 
fe der Natur enrfprochen Has, ruht fich endlich aus, 
und. genieße fein eigenes Dafeyn. Jedes Individuum 
bat eine verhälenißmäßige Portion von Kraft, um 
fein Daſeyn fortzupflanzen. ⸗Von diefer Kraft iſt 
überhaupt eine gewiffe Quantitaͤt im Univerfum, die 
unter alle Iebendige Weſen vertheilt if. Die neuem 

Zeugungen erfegen alfo nur die alten, die geweſen 
find. — 2 


UV. Der Menſch Hält ſich gewoͤhnlich fuͤr den 
Mittelpunet, um welchen ſich die ganze Schoͤpfung 
dreht, und für den Hauptzweck derſelben. Er wähnt, 
baß die Harmonie des Univerfum’s bloß zu feinem Vers 
gnügen eriftire, entweder um feinen Geift aufjupeis 
gern, oder um feinen Sinnen zu fehmeicheln. Dies 
iſt inzwifchen nur ein leerer Hochmuth des Menſchen. 
Die Ordnung der Natur beſteht Feinesweges in Bes 

iehungen allee Naturweſen auf ein einziges. - Dian 
Mr geglaubt, durch eine folche Hypotheſe die Güre 
Gottes zu ehren; allein dieſe Hypotheſe ift der Traung 
eines Spbariten, während feine Vernunft fchläft, der 
entfliegt, fobald feine Vernunft erwacht. Die Har⸗ 
monie der Natur ift durchaus nicht um der Menſchen 
willen, fondern um ber Vollkommenheit der 
Natur felbft willen da. | | 


Die Harmonie der. Natue befteht in der Unend⸗ 
lichkeit der Formen der Materie, die wieder: zwey ans 
dere Linendlichfeiten, der regelmäßigen und der unre⸗ 
gelmaͤßigen Formen, in ſich ſchließt, und — ein 
— | tr acht et. Ba 


während d. achtz. Jahrhund. b. auf Kant. 279 


Ganzes ausmacht. Sie beſteht fernen in den unends 
lich mannichfaltigen. Eigenfchaften'der Körper, von 
denen feine weder abfolue gut, noch abſolut böfe ift. 
Sie beſteht endlich in der Verfchiedenheit der Geiſter 
und der Charaktere, wo immer das Gute dem Boͤſen 
das Gleichgewicht hält, niche nur die Wiffenfchaft der 
. Unwiffenheit, die Wahrheit dem Irrthume, die Tu— 
gend dem Lafter; fondern auch die Vortheile der Wis 
fenfhafe, Wahrheit und Tugend die Macheheile der 
Unmifjenheit, des Irrthums und des Laſters, ausglei⸗— 
chen, und zum Beſten des Ganzen fäntlich dienen.‘ 
. Die Verbindung des Guten und Uebels mar alfo im 
dem Plane jeder möglichen Schöpfung endlicher Din⸗ 
ge nothwendig. Jede Veränderung des Einen erzeugt 
eine proportionirte Veränderung des Andern, und 
wenn das. Schaufpiel des Univerfum’s im Guten uns 
endlich mannichfaltig ift, fo muß es auch alle Nuans 
sen des Uebels haben. Die Mannichfaltigkeit der 
Matur und ihre Harmonie zum Ganzen erfodert Ucht 
und Finſterniß, Kälte und Wärme, durch das Vers 
hältnig dee Himmelskoͤrper zu unferer Erde. Sie iſt 
aber nirgend auffallender, als in der regelmäßigen 
Suceeffion der Wefen, wo flets die Zerſtoͤrung lebens 
Diger Keime andern zum Leben Plag inacht; in dem 
ſchicklichen Mitteln zur Erhaltung der Individuen auf 
eine gewiſſe Zeit und zur Fortpflanzung der Arten, wels 
che Mittel gleichwohl wieder wirffam zur Zerftörung 
ſind; damie fich feine Are zu fehe zum Machrheile ans 
derer Arten vervielfältige, und eine zu lange Dauer 
einer Generation das: Gedeihen der folgenden hindere. 


Achter man auf die Individuen, fo follee man 
glauben, daß Alles ſtirbt, Alles vergeht, Alles vers 
nichtet wird. Achtet man * die Gattungen, ſo ſoll⸗ 

a se 


180  Gefihithte der neuern Philoſophie · 


te man glauben/ daß Alles ewig und unveraͤnderlich 
fe). Wie wäre aber dieſes Verhaͤltniß in der Matur⸗ 
dieſe Harmonie: des: unendlich Mannichfaltigen zum 
Ganzen; ohne eine Verbindung des Wohles und Ue⸗ 
bels des Guten und Boͤſen, moͤglich? Die Har⸗ 
möonie der Ratur iſt alſo der vollkomne Ei 
klang des Uebelsſſund des Guten; und hie 
in beſteht die. Theodichen: "m, „nass du 


Die vollfoinmenfte Erkentniß der. Harmonie des 
ÜUniverfum’s har derjenige Geift, der mit, der dee , 
ollee Mannichfaltigkeiten des. Guten im Univerfun 
auch die aller Formen des Mebels vereinigt, , Aus dem⸗ 
fetben Principe läßt fich nach der Meynung des Ver; 
faffers auch die Eriftenz des Schmerzes‘ insbefons 
- dre. bey den empfindenden, Subftanzen, techtfertigen, 
Die Naturwefen Fonten nicht empfindende Subſtänzen 
feyn, ohne Organe zu haben, nnd diefe mußten ans. 
genehmen und ſchuerzhaften Reizen ausgefegt ſeyn; 
damit in dem allgemeinen Spfteme der empfindenden 
Bubflänzen eine‘ Quantität des Schmerzes eriflive, 
die genan der Quantitaͤt des Vergnuͤgens gliche. Die 
Meyiung, daß die Summe der angenehnien Empfins 
dungen die. Summe der ungngenehmen weit überfteige, 
ſchon dadutch, daß Menfchen: und Thiere fo viel, Mit 
tefin ihret Gewalt baden, den Teßteren auszumweichen, - 
bemuͤht ſich Robinet eifrig, zw widerlegen... .., 
—Eben die Gleichheit des Uebels und Guten er 
haͤlt ſich auch in: den. Zuſtaͤnden der buͤrgerlichen Geſell⸗ 
ſchaft. Der Menſch iſt ein geſelliges Weſen,mit 
einem thaͤtigen Geiſte, und einer Vernunft begabt, 
die einer unendlichen Vervollkomnung fähig ft. Die 
buͤrgerliche Geſellſchaft iſt das nothibendige Prodüct 
der Entwickelung jener Faͤhigkeiten des Menſchen, und 
2 ae." mit 


während d; Adi. Jahrhund b. au ſMant 181 | 


mit ihr und durch ſie wer den die Geſetze, der Handel, 
der Krieg, die Kuͤnſte, Reichthum und Armuth, Eh⸗ 
re und Schande, und alle übrigen: geſellſchaftlichen 
Verhaͤltniſſe und Einrichtungen in den Plau der Nas 
sur aufgenommen. Der Menſch verliert durch die 
Geſellſchaft an ſeiner urſpruͤnglichen Freyheit; allein 
ee wird dafür durch die oͤffentliche Sicherheit enrfchäs 
digt. Zudem er fich des Rechts begiebt, Güter: zu 
erwerben, obue alle Rücklicht auf ſeines Gleichen, er⸗ 
wirbt er ein, anderes, fich alle gleichjaun zinsbar zu 
machen, daß fie zu feinem Wohle und feiner Linters 
haltung beyeragen müffen. Der Schwäche wird durch 
die Unterftügung der Gefege dem Staͤrkern glei. : 


> Ingwifchen ift nicht zu vergeffen, ‚daß in jedem 
Stage eben fo viele Meuſchen bey dem Ungluͤcke dess 
felben intereffire find, als.andere Buͤrger bey dem los 
.. ze besfelben, weil ihr eigener Wohlſtaͤnd auf’s ges 
naueſte mit bein. feinigen verbunden ift. Das Ynters 
effe, diefe große Triebfeder der menfchlichen Hands 
lungen, welche Altes. für, Ale und gegen Alle in Be⸗ 
wegung feßt, wird gerade fo viel Unorduung als Hars 
monie, fo viel Gutes als Uebel, in die Geſellſchaft 
bineinbringen. . Erwäge man: die Staten, daß e6 
darin Regenten, Geſetze, eine Religion, eine: Moral, - 
eine. bürgerliche Ordnung, einen Handel, gehorſame 
und treue Völker, patriotiſche Helden, uneigennugige 
Obrigkeiten giebt 5>fo- kann man. nicht umhin, die buͤr⸗ 
gerliche Geſellſchaft zu bewundern. Dante man aber 
zugleich an die Meuchelmorde, Meyneide, Verraͤthe⸗ 
reyen, Raͤubereyen, Treuloſigkeiten, Metzeleyen, am 
Die Werbrechen aller Art; die ſich ebenfalls in Staten 
ereignen; ſo wird man vom Unwillen ergriffen, und 
fuͤhlt ſich geneigtDdas — e⸗⸗ ba 
er 3 


fen. 


162 Geſchachte der neuern Philoſophie 


ſen. Dieſe entgegengeſetzten Empfindungen entſprin⸗ | 


gen natürlich beym Anblicke der entgegengefegten Sce⸗ 
nen, welche die menſchliche Gefellfehaft darbietet. 
Gleichwohl muß das genaue und beftändige Gleiche 


gewicht des Guten und Uebels, das aus der bürgers 


lichen Geſellſchaft im Ganzen entfpringe, uns lehren, 
bag eine um des andern willen zu ertragen, bie hohe 
dee herabzuſtimmen, die ung die Vortrefflichkeit eins 
zelner Menfchen von der Gattung geben koͤnte, durch 
Die Betrachtung der ausgezeichneten Bosheit Anderer, 


Robinet wirft die Frage auf: Könte Gott 


das Uebel in der Welt verhindern? — 


Es iſt ein anerkannter Grundfag, daß die goͤtt⸗ 
Kihe Allmacht ſich nicht auf das Unmoͤgliche erfirecke, 
Man Bann ſchlechthin leugnen, daß Gott 5.3. einett 
Berg oßne Thal, oder fonft etwas fich geradezu Wi⸗ 


Derfprechendes Hervorbringen koͤine, und DMiemand 


wird hierin eine Befchränkung der goͤttlichen Allmacht 
finden. Lleße ſich alſo beweiſen, daß die Negation 
des Uebels in der Natur einen Widerſpruch enthaͤlt; 
fo wäre die obige Frage zur Befriedigung beantwortet. 


‚Berner: Alles Erfchaffene ift endlich, und alles 
Enpliche ift unvollfommen und mangelhaft; denn eine 
Vollkommenheit des Weſens und der Eigenfchaften 
kann nur dem Unendlichen zufiehen. Um alles Uebel 
in der: Welt aufzuheben, waͤre zuvoͤrderſt das einzige 
Mittel, das ganze Naturſyſtem fo abzuändern, Daß 
gar Leine Weranlaffung zum Schmerze für die eny 
pfindenden Subftanzen mehr obwaltete:. : Dann wuͤr⸗ 
de auch alles phyſiſche Uebel verfchwinden. . Det Ver⸗ 
ſtand und der ‚Wille müßten der Untegelmaͤßigkeit und 
Unordnung durchaus ‚unfähig ſeynz; und bey * 
— in⸗ 


waͤhrend de achtz/ Yahehund.6.:auf Kant. 183 


Einrichtung derſelben wuͤrde es auch weder Irrthum, 
noch Laſter geben; allein dieſe vorgeſchlagene Abaͤnde⸗ 
zung der Natur iſt unmoͤglich. Eine geſchaffene 
Welt, ſo gut ſie ſeyn mag, iſt immer mangelhaft, 
ihrem Weſen nach, in ihrer Totalitaͤt, in jeder Ver⸗ 
bindung ihrer Principien, und in jeder Beziehung 
der Weſen, welche fie enehält, zu einander. Die 
reine, abfolute, vollkomne Güte komt nur dem Uns 
endlichen und LUnerfchaffenen zu. Go mie ein uns 
endliches Weſen möglicherweife feine befchränfte Güte 
haben kann; fo widerfpricht es auch der Natur eines 
endlichen Weſens, daß die Natur desfelben abfolut 
vollfommen und unbefchränft fey. Dies läßt fich zus 
nächft auf die Drdnung der Elemente im Univerfum, 
und auf das Gute der mannichfaltigen Combinatios 
nen der Materie anwenden, das feiner Matur nach 
nicht ohne Mängel feyn ann. Wäre ein Gut frey 
‘son allem Uebel, würde es ein unendliches Gut feynz 
e6 wäre feines Wachsthums, keiner VBerminderung, 
überhaupt feiner Veränderung fähig; denn Dies wuͤr⸗ 
De eine Mangelhaftigfeit desfelben ausdrücken. War 
es nun aber der göttlichen Allmacht unmöglih, das 
Unendlihe hbervorzubringen; fo konte fie 
auch nicht eine durchaus gute und fehlerlofe Welt (hafe 
fen; und was ihr zu einer Zeit unmöglich iſt, iſt es 
für fie fhlechehin; fo daß folglich die Aufpebung des 
phyſiſchen Uebels im Univerfum eine fich felbft 
widerfprechende Unmöglichkeie ift. 


Auch die Irrthümer des Verftandes und 
die Lafter des Willens haben eben fo in der Lins 
vollftändigkeit diefer beyden Vermögen ihren Grund, 
d. i. darin, daß ſie nicht unendlich find, Erſchaf⸗ 
fene Weſen koͤnnen aber nicht unendlich ſeyn, und es 
se | M4 folge 


⸗ 
— 


184 Geſchichte der nein Wiloſobhie · 


‚folgt nothwendig auch hiet wieder der Schluß: daß 
es eben ſo unmoͤglich für Gott iſt, Irrthuͤmer und 
Aaſter ſchlechthin aufzuheben, als dem Verſtaunde und 
Willen ihre Schranken gaͤnzlich zu nehmen. Die 
Gottheit mag die Grenze des Endlichen ſo weit ent⸗ 
fernen, wie fie wolle; fie würde nie das Endliche zum 
Unendlichen zu machen im Stande ſeyn. Zwiſchen 
einer Intelligenz, die ihrer Natur nach dem Jer⸗ 
thume unterworfen, und eier ſolchen, die ihrer 
Natur nach untrieglich iſt, giebt es gar kein Mits 
telding. Nicht mehr zwiſchen einem abſolut ge⸗ 
rechten Willen, und einem ſolchen, der — 
"Dig ber Ungerechtigkeit fählg iſt. so 


Die Frage nach der Möglichkeit die "fe ſchen 
und moraliſchen Uebels im Verbaͤltuiſſe zur Gottheit 
kann man demnach ſo beſtimmen; War es fuͤr die 
Goͤttheit möglich, eine ſchlecht hin gure Srdnung 
der Dinge, einen untrieglichen Verfland, . 
und einen abfolut gerechten Willen zu e% 
fhaffen? Diefe Frage wird Miemand zu bejahen 
wagen, Die abſolute Güte, Untrieglichkelt und Ges 
rechtigkeit find Eigenfchaften der Gottheit allein; fie 
kann fich derfelben nicht entäußern, ohne daß fie aufs 
hörte zu ſeyn, was ſie iſt; noch kann fie ein Gejchöpf 
damit begaden, ohne fie fich felbft zu entziehen, was 
ſich widerſpricht. Die unendlichen Eigenſchaſten Got⸗ 
tes ſind an ſich ſelbſt unvertraͤglich mit einer erſchaffe⸗ 
nen Welt. So wie ein unendlicher Abſtand zwiſchen 
dem Nichts, und dem Seyn, iſt; ſo iſt er nicht gerins 
ger zwiſchen dem Geſchoͤpfe, und ſeinem Schoͤpfer. 

Man koͤnte ſagen, daß Gott, um das moraliſch 
Boͤſe in dee Weit zu verhuͤten, den Menſchen unwi⸗ 

derſtehlich zum Guten habe beſtimmen koͤnnen. Ei⸗ 
u 6 Dr nige 


waͤhrend di achtz. Jahrhundb. auf Kant. 285 


“ ige haben ſogar geglaubt, daß diefes für Gore möge 
lich gewefen ſeyn würde, aud ohne dem Willen des 
Menfchen Zwang anzuthun. Dieſe legrere Behaups 
tung erflärt der Verfaſſer jedoch mie Recht für unden 
ſtaͤndlich. Der Mille Ponte fchlechrerdings nicht an⸗ 
ders unabänderlich zum Wollen des Guten beſtimt 
werden, als wenn ibm die Fähigkeit, das Boͤſe zu 
wollen, durchaus genommen wurde. Behaͤlt der Wils 
fe die Teßtere Fähigkeit, fo wird er auch zu beyden 
Contrarien, dem Guten und Böfen, gleich geneigt 
ſeyn. Er wird alfo bald das Gute, bald das Boͤſe 

mwollen, und es ließe fich Fein anderer Grund hiervon 
angeben, als eben das Vermögen des Willens, fich 
bald zu dem einen, bald zu dem andern binzuneigem. 
Auch laͤßt fich nicht annehmen, die Gottheit habe den 
Menfherin Umftände verfegen koͤnnen, die für feine 
natuͤrliche Gerechtigkeit fo guͤnſtig waren, daß er nie 
von dieſet abgewichen wäre. Was hätten dies für 
Umfände ſeyn ſollen bey einem Wefen, deſſen natürs 
liche Gerechtigkeit allemal unvollkommen ift, und das 
fotafich dem Laſter nicht unbedingt auszutveichen vers 
mag? Es gehöre mirhin zum Weſen des menfchlis 
chen Willens, daß er das Vermögen habe, das Gu— 
te und Böfe zur wollen, und Gott Ponte keinesweges 
denfelben unabänderlich zum Guten determiniren,. obs 
ne die Natur desfelben zu vernichten. Auch würde 
ein abfolur guter Wille eben fo unendlich feyn, wie 
ein abfolue böfer; und beydes ſteht mit den Schrans 
fen eines endlichen Wefens im Widerſtreite. 


| Noch — Robinet drey andere Saͤtze aus, 

die natuͤrliche "Folgen aus feinen Principien waren: 
1. Es kann nicht mehr und nicht weniger Uebel und 
Gutes in der Welt geben, * ſich wirklich darin kon 


5 


186 Gecſchichte der neuern Philoſophie 


finden. II. Die vortrefflichſten Weſen find nothwen⸗ 

Dig auch die laſterhafteſten, weil die Summe des Boͤ—⸗ 

fen- immer mit der Summe des- Guten im Chleichs 

gewichte ſteht. II. Es giebt in der Natur Feine 

Act der Dinge, die — — — ale bie 
MPeren. og 


Es Bey Rs kg des aften. Satzes 2 
ih nicht verweilen; ich will mich ‚hier nur auf die beps 
den andern einfhränfen, fofern fie zu auffallend pas 
zodor zu ſeyn fcheinen. . Der zweyte Gag geht aus 
folgendem Rarfonnement hervor: Jeder Grad des Our 
m iſt notwendig verbunden mit einem ihm gleichen 
icade des erfchaffenen Boͤſen. Diejenigen Subs 
flanjen, die den hoͤchſten Grad des Guten enthalten, 
enthalten zugleich den höchflen Grad des Boͤſen. Die 
vorirefflichſſten Weſen find alſo nothwendig zugleich die 
laſter hafteſten. Man denke ſich eine Ordnung vernuͤnf⸗ 
tiger Weſen, die den. Menſchen an Vollkommenheit 
sben fo weit uͤbertraͤfen, wie er die Thiere übertrifft; 
fo würden bey jenen auch verbältnißmäßig ärgere Uns 
vollkommenheiten feyn, als bey dem Menſchen in Bes 
dehung zu den Thieren ſind, die gar keiner eigentli⸗ 
‚chen Laſter faͤhig ſnd. Die Vollkommenheit und Uus 
vollkommenheit der Menſchen verhaͤlt ſich, wie ihre 
Diſtanz vom Unendlichen. Je weniger ſie der abſolu⸗ 
‚sen Unabhängigkeit unterworfen find; deſto unabhängis | 
ger find fie ſelbſt, und deſto mehr gleichen fie gewiſſer⸗ 
maßen der abſoluten Unabhaͤngigkeit. Aber je mehr 
ſie auch ſich ſelbſt uͤberlaſſen ſind, deſto weiter ſind ſie 
entferne von der. Duelle der Ordnung und des abfos 
‚Iuten Guten; fie gerathen alfo defto mehr in Unords 
‚nung und Elend, ‚und das macht gi relativ größere 
Mewolifommenbeik auf. 


—— REN | Kor 


während d. acht}. Jahrhund. b. auf Kant, 187 


Robinet meynte daher: Kine befjere Welt, 
als die unſrige, koͤnte nur eime viel fchlechtere fun; 
aus einer vollfomneren Eombination der Elemente wüts 
den auch größere Inconvenienzen enefiehen; die Me⸗ 
teore wuͤrden fuͤrchterlicher ſeyn; die zarter organiſir⸗ 
ten Thiere wuͤrden zwar eine lebhaftere Wohlluſt em⸗ 
pfinden, aber auch dafuͤr deſto empfindlichere Schmer⸗ 
zen leiden; die hellern Geiſter wuͤrden mehr und groͤ⸗ 
Gere Entdeckungen machen, aber auch die Maſſe der 
Irrthuͤmer in eben dem Verhältniffe vermehren; ber 
kraftvollere und chätigere Wille würde mehr Faͤhig⸗ 
keit zur Tugend, aber auch mehr zum $after haben. 


Noch bemwundernswürbiger, als die Grabation 
der Wefen, iſt, daß ungeachtet dee Subordination der 
niedrigſten Wefen unter die höchften, Doch unter ihnen 
infofern eine vollkomne Gleichheit ift, als diefe durch 
das genaue Gleichgewicht des Guten und des Liebels 
Gervorgebracht wird. . Woher fönte ihre Ungleichheie 
fommen, mern fie möglich wäre? — Lediglich von 
einer abfoluten Güte. In Beziehung auf eine größer 
re relative Güte, die immer; durch ein gleiches Lafter 
aufgewogen wird, ann fie wohl zur Unterfcheibung 
einer Art von der anderen dienen; aber fie kann nie 
mals einen Anſpruch auf wahre Superiorität geben. 
Eollie eine Art der Wefen wahrhaft beffer, -als die 
anderen feyn; fo müßte nach Abzug der Summe der 
Uebel von der Summe des Guten ein Reft von reis 
ner Güte übrig bfeiben; und diefe reine Guͤte ift übers 
haupt niche im Endlichen zu fuchen, wo die beyden 
Größen des Guten und Uebels fters fich gleich, nach 
Abzug der einen von der anderen, nur.ein Zero übrig 

laſſen. Der Urheber der Natur hatte auch gar kei⸗ 
men Grund, eine Art der Gefchöpfe auf Koften A. 


788 Gefhichte der: neuern Philoſochie J 


Abrigen; zu beguͤnſtigen· Der bloße Willen iſt nur 
ein Motiv fuͤr Tyrrannen. Bloß die Guͤte Gottes hat 
bey der Schoͤpfung den Vorfig z: und: dieſe floͤßt thin 
duechaus keine grhuͤſſige Vorliebe fürsdie eine oder die 
andere Gattung der Dinge ein. Wir bemundermseis 
wen Koͤnig, der auch die. Geringſten ſeiner Untert ha— 
nen eben fo wenig vernachlaͤſſigt, wie ſeine Guͤnſtlin⸗ 
gez und finden: hierin den Maaßſtab wahrer Oroͤße 
der Regenten. Sollte der. Urheber der: Empfindung 
des allgemeinen Wohlmollens in ter Seele der Kinb 
ge und Philofoppen ſich ſelbſt widerſprochen haben? 
Da haͤtte er den Fürſten durch die parteyiſche Urt, 
womit Er ſelbſt die Welt regierte, ein Beyſpiel gege⸗ 
Beh, wie ſie von ihrer Gewalt: einen thoͤrichten Ge⸗ 
brauch machen koͤnten. Die natuͤrliche und nothwen⸗ 

dige Gleichheit der Arten der Geſchoͤpfe aber, die hier 
gemeynt iſt, beſteht darin, daß jede gerade fo viel Un 
bei,'als Gutes, habe. - Sie haben zwar nicht alle eis 
Men gleichen Antheil am Guten und Uebel; denn es 
: Aftin die Augen fallend, daß ein Menfch mehr Gutes 
“und mehr Webels: habe, als eine Pflanze; aber in jes 
Dir Are ift die Summe: irer Uebel der Summe: ihrer 
Guͤte gleich, und infofern kann Peine abſolut beſſer, 
oder abfolur fchlechter, “als die Übrigen, genannt wers 
Ben: 5 Ein denfendes Weſen hat unftteitig einen Vor⸗ 
zug vor dem bloß empfindenden: die größere Bollfom: 
menheit des Geiſtes: hingegen hat es dafür auch Fehr 
ler, die feinen Vollkommenheiten gleich find. Das 
Thier hat vor der Pflanze das thieriſche Bewußtſeyn 
voraus; das ſinnliche Vergnügen und den Schmerz. 
Der Menſch hat hundertmal mehr Vollkommenheiten, 
aber auch hundertmal mehr Mängel; er hat tauſend⸗ 
mal mehr Vergnügen; aber auch. tauſendmal mehr 
Schmerzen. e if Ar 

£ Der 


während D. acht: Jahrhund. auf Kant. 1 


ODet Verfaſſer geht hierauf zur Eroͤrterung und 

zum: Beryeife des: zweyten Hauptpunetes ber; wel⸗ 

chen er: im feinem Werke fich vorgenommen hatte, aufe 

zuklaͤren, nehmlich der einförmigen Erzeugung - 

aller Naturweſen. Da. diefe Materie mehr. in: die 

Marurgefchichte, als in das: Gebiet der Ppilofoppie 
ee: fo will ich. feine Reſultate nur kurz und im 
Ügemeinen andeuten. 


Dieie beyden ſchwierigſten Gegenſtaͤnde, obgieich 
die weſentlichſten für die Erzeugungstheorie, find erſte 
lich die Erzeugung lebender Geſchoͤpfe, und zweys 
tens die Verſchiedenheit der Gefchledter, 
So wenig. das Ausgedehute aus dem Michtausgedehns 
ten entſtehen kann, und wenn diefes unendliche mal’ ges 
geben'und verbunden würde; eben jo wenig kann das 
tebendige ans den Michtlebendigen entfpringen. Man 
muß durchaus lebende Wefen voransfegen,. damit ein 
lebeudes hervorgebracht werte. Bloße organiſche 
Grundförperchen (molecules organiques) fünnen ein 
organifches Wefen erzeugen, genau von der Organis 
fation, weiche die Grundkoͤrperchen Gaben; ein lebens 
Diges Thier aber kann nie aus ihnen entftehen. Es 
heißt alſo nichts erflärt, wenn Büffon die. lebens 
digen Thiere-bIoß aus_einer Kombination organifcheg 
fen berleitet. Das tebendige fann nur aus Lebens 
igem, das größere Thier. aus kleinern Thieren von 
der elben Are der Animalicde, ein Hund aus Pleinen 
Huudefeimen, ein Menſch aus Heinen. Menfchenfek 
J bervorgehen. 

Die Verſchiedenheit der Geſalechter haͤlt Nobi 
ner nicht ſchlechthin für zur Erzeugung nothwendig; 
fondern nur ;bey den Arten, welche fich durch - Bereir 
nigung der Geſchlechter erzeugen. Er nahm alſo noch 


‚290 Gefchichte der neuern Philoſophie - 


zu ſeiner Zeit die Geſchlechtsloſigkeit gewiſſer lebender 
Geſchoͤpfe, und die Moͤglichkeit einer Fortpflanzung 
ohne Begattung an. Mit Recht verwarf er den 
Unterſchied der Geſchlechter, den man ſchon in dem 
kleinen Samenthierchen hat entdecken wollen, die aber 
lediglich in der Phantaſie der Entdecker exiſtirten. 


Dieſe ganze Unterſuchung des Verfaſſers iſt reich 
an ſcharſſinnigen und intereſſanten Bemerkungen. Geis 
ne Idee von urſpruͤnglichen Keimen, aus denen bes 
flimte organifirte und lebendige Individuen und Arten 
entfieben, wendet er auf bie Elemente an. 3.3. 
- Das Princip der Luft ift nur ein Keim der $uft. Ver⸗ 
möge der Verbindung mit Waſſer und Feuer im vers 
fchiednen Graden gehe der Keim nach und nach: durch 
verfchiedene Zuftände des Wachsıhums hindurch; ex 
wird zuerft Luftembryo; dann vollfomne und reife 
Luft; er wird wieder feinen Keim abfondern, verals 
sen, fich auflöfen, und fterben. Es ſcheint dies ins 
Defien Doch eine zu weit getriebene Anwendung der Hy⸗ 
porbefe Robiner’s zu feyn, und an Spielerey zu 
grenzen. Die Luft als Embryo, als Kind, als ers 
wachfene Luft, als Greis, find von der organifchen 
und ehierifchen Natur entlehnte Zuftände, die in: Ans 
wendung auf die rohen Elemente gar feinen Sinn haben. 


Noch eine ſonderbare Idee Robinet's muß ich 
hierbey beruͤhren. Auf unſerer Erde faͤngt die Erzeu⸗ 
gung aller Naturdinge unter der kleinſten Form an, 
die fuͤr ſie paßt. Der groͤßte Baum iſt anfangs nur 
ein Korn, das der Wind verweht. Der Menſch in 
feinem Urſprunge iſt ein Wurm. Ein Fluß in feiner. 
Quelle iſt wie ein Eimer voll Waſſer. Wollen wie 
nun die Generationen: auf den andern Weltkoͤrpern nach 
denen auf unferee Erde beurtheilen; ſo — ie 
—J n⸗ 


während Baht · Jahrhunde 6. auf Kant 198 


Dinge auch hier zuerft eine ſehr kleine Portion von 
Exiſtenz haben ;- die fich nad) einer gleichförmigen Gras 
dation immer vergrößert, bis fie den Punct ihrer Volle 
kömmenbeit erreichen, bey welchen fie: fteben bleiben , 
ibre Art vervielfaͤltigen, und-wieder aufgelöft werden, 
dem allgemeinen toofe allee Gefchöpfe gemäß. Was 
nun von den Körpern wahr ift, welche die Firfterne 
und Planeren enthalten; follte das nicht auch von dem 
Firfternen und Planeten felbft wahr ſeyn? Wo wuͤr⸗ 
den aber denn die fchönen Theorieen von der Zormas 
tion jener unermeßlichen Weltkoͤrper bleiben, die man 
aufgeftelle hat, wenn diefe Weltförper ‚ebenfalls auf 
dem Wege der Generation einer von dem andern ers 
zugt würden? Sie würden dann nicht von ihrem 
Anbeginne an bie enorme Größe gehabt haben, die fie 
in ihrem gegenwärtigen Zuftande haben; fondern fie 
hätten diefelbe nad) und nach bekommen durch die nas 
tuͤrliche Erweiterung eines Keims, der ſich ausdehne 
und zunimt. Robinet vermuthete daher, daß die 
Himmelskörper mit einer befondern Lebensfraft und 
einem Vermögen begabt ſeyen, ihres Gleichen hervors 
zubringen. Sterne erzeugen Sterne; fie werden, 
fo zu fagen, gebohren, wachfen und ſterben. In dee 
. That, frage R., wie viel neue Producrionen dee Ark 
bat man nicht am Himmel bemerkt? Wie vicl-am 
dere Sterne find verfchmunden? Mehrere find fichts 
bar größer geworden. Seit langer Zeit hat das Ges 
flirn der Piejaden feinen fiebenten Stern verloren; 
feit hunderte Jahren‘ hat das Sternbild des Eridanus 
zwey neue Sterne befommen; vier andere find um den 
Polarftern entſtanden. Im J. 1626 verlor-das Stern⸗ 
bild des Schwans einen feiner Sterne; zehn Jahre 
hernach erfchien wieder einer an derfelben Stelle, aber 
viel kleiner, als der vorherige; und ige iſt dieſer eis 

a venta lad ter 


192. Geſchichte der neuern Philoſohhie 


ner der groͤßten des; ganzen Sternbildes. Die Plane -. 
ten waͤren nach jener Hypotheſe ebenfalls mit dem Zeu⸗ 
gungsvermoͤgen verſehen, „und braͤchten wieber andre 
Pianesen hervor. Wer weiß denn,.:nb: die Sonne 
wicht ehedem ‚noch audre. Planeten: gehabt: hat, „Die - 
nachher geſtorben ſind? Wer kann dafuͤr buͤrgen, 
daß ſich in der Folge nicht neue Planeten erzeugen were - 
den? Die Trabanten des Jupiter, die Galilei 
1610, und die des Saturn, welche Hungens und. 
Eaffini der Vater entdeckten, und,der Trabant der 
Venus; find vielleicht neu geboren, und darum nicht. 
früher entdeckt worden. Lebte Robinet zn unferer. 
Zeit, ‚fo würde, er. vermuthlich auch die. Entdeckung : 
des Uranus, der Ceres und Pallas, auf biefelbe Weiſt 
erklärt haben. Urſpruͤnglich waren die. Keime det 
Sonnen und Planeten verworren unter einander 98 
mifcht; denn diefe. Mifhung kann man als nothwen⸗ 
dig zue Befruchtung. der erſten Keime vorausfegen, 
Bis dahin lag. die Finfternig auf dem Abgrunde; . bie 
dunfeln Keime verhuͤllten das Licht der andern. . Aber 
nach der Befruchtung trennten fie ſich; ‚die Lichtma— 
terie bevölferte allmälig die Welt mit Sonnen, und 
die dunkle Materie brachte mehr oder weniger Plane _ 
‚sen um jede Sonne in.verfchiedenen Entfernungen her⸗ 
X0r. ea IE We 


, Das dritte von Robinet bearbeitete Haupt⸗ 
ſtuͤck iſt die Hypotheſe vom moraliſchen Siw 
ne. In Anſehung dieſer will ich, nur das ihm Eis 
2 genichümliche auspeben *). Dee. Pas WR: u : 
Detr Urheber unſers Dafeyns gab ung eine inne⸗ 
te Anlage; gemiffe Handlungen und Eigenfhaften „ 
a Ir’ 2 PETE Zee ie 
De Re RZ re Dan Eu in 


: : wi Von *.. — 
‚#) De la nature, T.I. p. 339 ſq. 


* 


waͤhrend d. achtz. Jahrhund. b. auf Kant. 193 


billigen, und andere zu tadeln. Dieſe Anlage nenne 
man moralifhen Inſtinct, ein inneres Gefühl, 
das fich mit dem Gefchmacke des Süßen und des Bits 

teen vergleichen läßt; und es ift mehr als wahrſchein— 
lich, daß. der Schöpfer die Gefege dieſes Inſtinets 
siach den wefentlichen und unveränderlichen Beziehuns 


gen der Gefchöpfe zu einander angeordner bat. Kins 


fer. und unmwiffende Menfchen fühlen es wohl, wenn 
fie Unrecht thun. Man fage, daß die Vernunft es 
fie lehre; aber die Vernunft ift ein Licht, das den Geiſt 
auffläre, und Kinder und Unwiſſende find nicht aufs 
geflärt. Wie koͤuten fie die Haͤßlichkeit einer Hands 
lung, eines Triebes, nach Beziehungen beurtheilen, 
die fie nicht kennen? Es muß alfo ein anderes Prinz 
eip jene Bewegungen ihrer Seele regieren, das: mit 
dem Verftande nichts gemein hat. Es ift die Stimme 
eines innern Gefühle, das über die moralifchen Uns 
terfchiede den Ausfpruch thut. Der fpigfindigfte Mer 
taphyſiker kann in feiner Billigung und in feinem Tas 
„dei moralifcher Handlungen nichts anders ausdruͤcken, 
als die mächtige Wirkung eines —— In⸗ 
ſtinets. 


Das Mittel des moraliſchen Inſtinets fuͤr den 
Zweck, welchen die Moralitaͤt überhaupt haben ſollte, 
war ſchnell, leicht und untrieglich. Es ſetzt weder 
Ideen, noch Kentniß, noch Ralſonnement voraus, 
Auch die Sorge für unſere Erhaltung bat der Schöps 
fer nicht unferee Vernunft anvertrauen wollen. Er 
bat fie vielmepe unfern Sinnen anvertraut, da er 
in der Treue ihrer Operationen cine viel größere Si⸗ 
cherheit des Zwecks fand, als in der Unbeſtaͤndigkeit 
der anderen; indem die Reflerion viel Tangfamer ift, 
als die mechanifche Bewegung , die an bas Gefühl 

„"Suble'e Gefch.d. Philof. VI. B. be 


‚194 Gefchichte der nenern Philofophie 


befchleunige wird. Muͤßte ih, wie Aba die bes 
merkt, wenn ich mich verbrenne,. bevor ich die Hand 
oder den Finger: zurückziehe, erft die Natur des. Les 
beis deutlich erfennen, das ich empfinde; müßte ich 
unterfuchen, wie die tebensgeifter in die Merven zu 
ſchicken ſeyen, die das Glied zuruͤck ‚bewegen follen,; 
und welches der genaue Grad der zu dem Effeete nös 
ehigen Bewegung fey; fo würde ich offenbar mich fchon 
laͤngſt verbranne haben, bevor ich irgend etwas vom 
dem gethan hätte, was ißt ohne Mitwirfung und 
Keneniß des Verſtandes in einem folchen Falle mit—⸗ 
telſt des finnlihen Mechanismus geſchieht. Nun 
würde man aber große Urfache zur Verwunderung bas 
ben, wenn das höchfte Weſen in der Wahl zweyer 
möglicher Mittel, Uns zur Tugend zu leiten, fich des⸗ 
jenigen bedient hätte, was dem Zwecke am wenigſten 
entſprach. Anſtatt daß die. Gottheit durd) eine lebs 
bafte unmittelbare Empfindung die moralifchen Unter⸗ 
fhiede wahrnehmen laſſen Fonte, Härte jie die Erfents 
niß derfelben von einer muͤhſamen Anftrengung Bu 
ter Geiftesfähigkeiten abhängig gemacht. 


Roſbinet ſtimt alfo den neuern Englifchen Mos 
ralpbilofophen, insbefondre dem Häme und Huts 
hefon, niche nur in der Hypotheſe vom moraliichen 
Sinne völlig bey; fondern ſucht fie auch noch weiter 
aufzuhellen und zu beſtaͤtigen. | 


Bey jeder Senſation laͤßt fich dreyerley uns 
gerfcheiden: das Objeet, welches unmittelbar auf; 
das Drgan wirft; das Organ, welches den Eins 
druck der Seele überliefert; -und.die Seele, melde 
denſelben empfängt und aufnimt. Die Lörperlichen 
Drgane find in dem gegenwärtigen Zuftande des Mens 
ſchen die einzigen Mittel zum Empfinden. - Die mos: 

rali⸗ 


während d. achtz. Jahrhund. b. auf Kant. 195 


raliſchen Wahrnehmungen ſind ebenfalls Senſationen, 
aber von einer anderen Gattung. Sie beduͤrfen alſo 
ein Empfindungsmittel, ein Organ, wie alle Sen⸗ 
fationen; denn fie Fönnen bey gewiffen gegenwärtigen 
Handlungen oder Charakteren nicht zur Seele gelans 
gen, alg durch Vermittelung eines Organs, melches 
fie diefer uͤberliefert. Ale Sinne find Arten der 
Berührung (efpeces de tat). Warum follte man 
die Berührung nicht fo fein annehmen Lönnen, 
daß fie ein moralifches Gefühl in der Seele er— 
zeugee? Es kann uns nichts zu der Vermuthung bes 
wegen, daß die Analogie der Natur, die wir bey als 
len den übrigen Sinnen antreffen, fich allein bey dier 


fen verleugnen ſollte. Beym AUnblicke eines Gegens 


ftandes empfinden wir unmittelbar die Farbe desfelben ; 
eben fo bemerken wir bey einer gegenwärtigen Hands 
fung unmittelbar auch ihre Moralitaͤt. Mit Recht 
koͤnnen wir hieraus folgern, daß jener nicht anders 
auf unfere Seele wirfe, als diefe, d.i. daß diefe auf 
ein eigenes Organ der Moralitaͤt wirke. Nothwendig 
muß alfo ein moralifches Organ angenommen werden , 
das durch gegenwärtige moralifche Objecte afficire wird, 
und folche Eindrücke in die Seele fortpflanzt, wo—⸗ 
durch fie die Moralitaͤt derfelben auf gleiche Weife ems - 
pfinder, wie die Farbe eines Gegenftandes nach dem 
Eindrucke, welchen diefer auf dag Geficht gemacht hat. 


Man koͤnte fragen: Wie follen moralifche Ges 
genftände durch das Medium des moralifchen Organs 
auf die Seele wirfen? Ungeachtet Robiner diefe 
Frage für unbeantworttlich erflärt; fo glaubt er doch 
deshalb niche minder zur Hypotheſe eines moralifchen 
Sinnesorganes berechtigt zu feyn. Die Gegenftäns 
de wirken uͤberhaupt nicht unmittelbar und durch fich 
LT M 2 felbft j 


196 Gefchichte der neuern Philoſophie | 


ſelbſt auf die Seele, fondern nur mittelft der Nerven, 
die wir ale die Organe der Senfationen erfennen. Die 
Are übrigens, wie fle ihre Functionen verrichten, 
ift uns auch ben ihnen unbefant. Demungeachter tras 
gen wir fein Bedenken, zu behaupten, daß die Sees 
Nie, fo lange fie im Körper ift, nur Durch fie. empfins 
de. Warum wollten wir alfo zweifeln, daß fie nicht 
auch durch ein bejonderes Organ die Moralität der 

Handlungen wahrnehme? Ä 


Jede Subftanz führe ihre Farbe, ihren Ge 
ſchmack, oder vielmehr alles dasjenige mit fi, mas 
noͤthig iſt, um eine unmittelbare Senfation in der 
Seele hervorzubringen. Jede Handlung oder Qualis 
täc fuͤhrt eben fo ihre Moralität mit fih, oder das: 
jenige, was die Vorftellung derfelben erzeugt. Cs 
it wahr, die Moralität der Handlungen ift meder 
fihtbar, noch beruͤhrbar; aber deswegen ann fie doch 
durch das ihr entfprechende Organ empfindbar 

werden? Auch der Schall läße fich nicht feben, und -- 
nicht berühren; gleichwohl fann ihn die Seele mittelft 
des afuftifchen Merven enipfinden, | 


Was bier. eine Dunfelheit zurückläße, ift nur, 
dag wir nicht im Stande find, genau das moralifche 
- Drgan ſelbſt zu bezeichnen und anzugeben. Nobinet 
glaube, daß gewiſſe nähere Beziehungen zwifchen dems 
felben, und dem Organe des Gefichts und Geboͤrs, 
ſtatt faͤnden. Ich fehe einen Menfchen, der einen 
andern tödeetz ich ſehe ihn, meil das Bild desfels 
ben fich in meinem Auge darſtellt; ich fühle fogleich 
die moralifche Schlechtigkeit diefer Handlung, nicht 
weil diefe Schlechrigfeit fich ebenfalls in meinem Aus 
ge abbildete; fondern meil fie auf die ihr eigene Art 
moralifche Fibren affieire, die im Gefichtsorgane 

ER € oder 


“während d. achtz. Jahrhund. b. auf Kant, 19% 


oder. in einer befonderen Gegend des Hirnmarks, vers 
breiter find, und mit dem Gefichtsfinne correfpondis - 
ten. Man erzählt mir diefelbe Handlung. 

höre fie durch den Eindruck, welchen die Worte oder. 
Töne auf das Innere meines Gehoͤrs machen. Zus 
gleich empfinde ich auch wiederum die Moralitär der 


** Handlung, die man erzaͤhlt. Das moraliſche Organ 


muß alfo auch mit dem Organe des Geboͤrsſinnes in 
Verbindung ftehen. Ka 


Woher rührt die Abgeneigtheit von der Mey 
nung, daß auch im Mervenſyſteme eine  Rerzbarkeit 
für moralifche Gegenftände liege? — ‚Sie kann nur 
daher rühren, dag man gewohnt ift, nur dasjenige 
für empfindbar zu halten, mas zum Bezirke der bes 
kanten fünf Sinne gehoͤrt, und daß ım der That die 
moraliſchen Dbjecte - feinen dieſer Sinne affieiren. 
Aber man fiept die Farben, und hört fie nicht, mag . 
hört die Töne, und ſchmeckt fie nicht; weil jedes Obs 
jeet einer von der anderen verjchiedenen, Senfarion ah 
ein verfchiedenes Organ hat, welches allein „fähig iſt, 
den Eindruck der Seele zu überliefern. Hietdurch 
faͤllt die Schwierigkeit von ſelbſt weg. Obgleich man 
das Moraliſche weder ſieht, noch hoͤrt, noch ſchmeckt; 
fo könnte man es dennoch durch einen von den uͤbri⸗ 


7 gen verfchiedenen Sinn empfinden, der unendlich feiner, 


edler, vollkomner, und vielleicht innerlicher wäre, 
als jene. Was man aus der Schwierigkeit ſchließen 
kann, iſt lediglich, daß der moraliſche Sinn weder 
Taeı, noch Geficht, noch Gehör, ned Geruch, noch 
Geſchmack ſey; nicht aber, daß er uͤberali fein Sinu 
ſey. Es koͤnte ein Modus des Empfindens, und feim 
Gegenftand eben fo empfindbar ſeyn, wie das Süße 
und Bittere, das Weiße und Schwarze, mW. find, 

| N3 Es 


298 Gecſchichte der neuern Philoſophie 


ESGs ſcheint hiermit dem Robinet hinlaͤnglich er⸗ 
wieſen zu ſeyn, daß die moraliſchen Unterſcheidungen 
nicht unmittelbar vom Verſtande ausgehen; daß fie 
nicht bloße intellectuelle Begriffe find, fondern Iedige 
lich durch das Gefuͤhl beſtimt werden. 


Die weitere Philoſophie Robinet's uͤber den 
Einfluß des moraliſchen Sinnes auf die buͤrgerliche 
Geſellſchaft und die poſitive Geſetzgebung will ich bier 
nicht verfolgen, da er in der Hauptſache mit den Ideen 
der Engliſchen Moraliſten harmonirt. Nur die Urs 
ſachen will ich noch anmerken, aus denen er das Vers 
derbniß des mioralifchen Sinnes herleitet, und bie 
Mittel, welche er augiebe, ihn zu vervollkomnern. 
Bloß in der Gefellfchaft kann der moralifche Sinn 
fich zur Vollkommenheit ausbilden; aber in eben dies 
fer kann er auch zum höchften Grade von Verderbt⸗ 
heit ausarten. Eben fo find’die Künfte das Mittel 
der Verfeinerung, und auch der Verderbung, der fünf 
Sinne Die erfte Urfache der moralifchen Verderb— 
niß der Menfchen iſt überhaupt die Verfeinerung, be 
fonders in den neueren Zeiten. Dicht als ob die Vers 
feinerung ſchlechthin mit der Sittlichkeit unverträgs 
lich waͤre; vielmehr kann ſie dieſe zur Vollkommen— 
heit erhöhen. ber fie wird ein Laſter, und das groͤß⸗ 
te aller Laſter, fobald fie für ein Aequivalent der Tus 
gend gehalten wird. Robinet fcheint bey diefer Bes 
‚ Merfung vorzüglich feine Nation im Auge gehabt zu 
haben. Der narürlichfte und wahrſte Menfch ift auch 
der tugendhaftefte, und diefem Charakter widerfpricht 
nichts mehr, als der Geift der Zalfchheit, wo die 
Menſchen wetteifern, durch Hinterlift, Verſtellung, 
Schmeicheley, und leere Dienftanerbierungen einans - 
der zu bestiegen.  Diefer Geift der Falſchheit u aber 
* durch 


waͤhrend d. achtz Jahrhund. b. auf Kant. 199° 


duch die Eitelkeit berrfchend geworden Die Erste 
hung ift oft nichts weiter, als ein Studium der nichts⸗ 
würdigen Kunft, zu heucheln,, um zu gefallen; zu 
fchmeicheln, um zu gewinnen; zu betriegen, um reich 
zu werden; Fury mie Ehre ein Gauner, Verraͤther, 
Hypokrit und VBerführer zu ſeyn. Mit diefen Maris 
men, deren Häßlichkeit der Firniß der Politur vers 
birgt, verbinden die Leidenfchaften ihre Kräfte, 
am ihnen den Triumph über die moralifchen Empfins 
dungen zu fichern. 


Wenn das yntereffe der äußern Sinne oft im 


Widerſtreite mit dem des moralifchen Inſtincts iſt; 


fo gefchieht dies dadurch, daß jene ihre legitimen Mech; 
te uͤber die Schranken ihrer Natur ausdehnen; denn 
fonft ift der Menfch niemals in der Nothwendigkeit, 
fich; gegen die Matur zu empören, um ihr zu gehors 
chen. Man: befriedige alfo die Außern Sinne nach 
Maafgabe des philofophifchen Bedürfniffes! Aber 
‚man wird ihnen niemals mehr, einräumen dürfen, obs 
‚ne einen gewiffen innern Widerſtreit zu- empfinden, 
der uns benachrichtigt, wo das Gute aufhört, und 
das Boͤſe anfänge. Glücklich ift derjenige, der nies 
mals feine Aufmerkfamkeit von den Warnungen des 
moralifchen Inſtinets abwendet. Die Treue, mit 
welcher er fie befolgt, macht nach und nach fernen mo⸗ 
raliſchen Sinn oder Tact fo fein, wie er werden kann. 
Die Pleinften Nüansen des Laſters und der Tugend 
Fönnen dann der Zartheit feines moralifchen Geſchmacks 
nicht entgehen. Hingegen ein Menfch, der fich ſtets 
den Megungen des natürlichen Wohlwollens verſagt, 
um fich denen der Leidenfchaften und der Eigenliebe zu 
uͤberlaſſen, wird die Unterfchiede der Moralitär viel 
weniger empfinden. Der moralifche Inſtinet erftirbe. 
| N4 - zwar 


200 Gefchichte der neuern Philoſophie 


zwar nie ganz; aber er wird ſchwaͤcher und verderbt; 
fo wie man den Sinn des förperlihen Geſchmacks 
durch den Gebrauch Pete m und Sutrhufe 
verdirbt. 


Eine dritte Duelle des Verderbniſſes der moralis 
hen Empfindungen ift eine eitle Subrilität des Geis 
ftes. Der verderblichfte Streich, den man je der 
Moral beygebracht har, war, daß man fie den Opes 
rationen der Vernunft untermarf. Dadurch daß man 
Die Eingebungen der Matur von einer. ungewiſſen Mes 
taphyſik abhängig machte, bat man die Menjchen um. 
Die Fertigkeit gebrachte, Recht und Unrecht: zu empfins 
den. Man hat. fie gelehrt, Begriffe zw verbinden 
und zu analyficen, und den Urſprung derfelben da 
zu ſuchen, wo er nicht anzutreffen war, und weil man 
ihn wicht antraf, einen folchen zu erdichten. Was, 
für ungeheure Moraifpfteme find nicht aus diefer Li⸗ 
venz entfianden? Man kann bier wohl mie Wahrs 
heit jagen, daß der Mienfch der tugendhafteſte ift, der 
am. wenigften raiſonnirt. Es ift feltfam und dem Un⸗ 
befangenen faft unglaublich, wie weit die Schriftflels 
ler tiber Moral, das Recht, und die Politik, uns 
‚die Pflichten des Menfchen und Buͤrgers vergeflen, 
ja verachten gelehre haben, welche die Ratur ohne 
alle Hilfe des Raiſonnements kennen lehren wollte, 
Wer alfo den reinen und echten Sinn für die Tugend 
behalten will, der fliehe jene Leute von Ehre (hom- 
mes d’honneur), die mit fo vielem Anftande lügen 
koͤnnen; jene verfeinerten Menfchen, deren Studium 
ift, Andere zu bintergehen; die denen ſchmeicheln, 
welche fie verachten; die das Lafler preifen, das ihe 


Inneres verabfcheit ; die die Unfchuld lichbfofen, um - 


ſie zu verführen. Seber mache es fich zum a. 
| nie 


während d. achtz. Jahrhund. 6. auf Sant. zor . 


vie im Widerfpeuche mit den — zu fon, 
welche die Masur. einflößt. 


Noch ift der vierte ne übrig, welchen 
Robinet in feinem Werke aufklären wollte: die von 
ibm fogenannte Phyſik der Geiſter. Er hoffte, 
hier eine Theorie von den Seelenthätigkeiten und ih— 
ren Gründen darzulegen, die ſich auf gleiche Weiſe 
mic dem Materialien, wie mit dem Smmatertalism, 
vertrüge. Iſt der Geift mit dem Körper identiſch, 
ſo ſchraͤnkt ſich die Erklaͤrung der Seelenthaͤtigkeiten 
ganz auf die Organiſation ein, und in dieſer wollte 
R. den Urſprung, Fortgang, und die Uebereinſtim⸗— 
mung der Operationen des Geiſtes und Koͤrpers dar⸗ 
thun. Ohne über den Mechanismus des Gehirns 
binauszugehen, wird man glauben dürfen, die gans 
ze Thärigkeie der Serle, und was wirklich ihr Weſen 
auemacht, eingefehen. zu haben. Iſt hingegen der 
Geift eine von Körper verfchiedene Subſtanz, fo würs. 
de Die Theorie darum nicht minder wahr, minder ges 
nau, minder ficher ſeyn; weil doch das Förperliche 
Bild der Modificationen eines unförperlichen Weſens, 
Die alle durchaus geiftig find, wie dieſes ſelbſt, fo ins. 


nig mitdem Spiele der Organe verbunden ift, daß es - 


nur Durch diefes, wo nicht in diefem eriftirt.. 


Robinet Außert zuwörderft einige Vermuthun— 

‘gen über den Urſprung der menſchlichen Seelen, 
Er nimt an, daß die Seelen vom Anbeginne der 
Schöpfung in den organifchen. menfchlichen Keimen 
eriftire haben. Miche nur das GSenforium, das 
materielle Subject, eriftirte urfprünglich em raccourci 
in dem organifchen Keime;  fondern die Seele ſelbſt 
ganz war darin vor der Befruchtung des Keims; fo 
wie . ie im Körper ift, auch nachdem er eine größere 
R N5 Form 


202 Geſchichte der neuern Philofophie 


Form angenommen, hat. Man läßt doch die Geiſter 
eine feltfame Rolle fpielen, wenn man glaubt, daß. 
fie ſeit Jahrhunderten herumirten, und ein Moment 
ausjpüren, ou la volupte infpireroit à deux indivi= 
dus le, deflein, de leur former un etui propre a s’y 
loger. Die Präeriftenz der Keime ift nicht ſowohl 
eine Hypotheſe, als ein Factum. Gie zeige fich bey 
den Thieren , Pflanzen und Mineralien, und die Ent 
wicfelung gefchiehr vor unfern Augen, Der gegens 
waͤrtige Zuftand des Univerfum’s ift nichts anders, 
als ein beſtimter Grad der Entwickelung uriprünglich 
eriftirender Samen, deren Inbegriff vorher von eis 
nem fehr Pleinem Umfange feyn mußte. Der Menfch 
iſt nicht bloß Körper, und nicht bloß Geiſt; er iſt 
Geiſt und Körper zugleich, was auch der Zweck, die 
Regeln, und die Natur diefee Verbindung feyn mös 
gen. Mag man in den Thieren ein immatericlles 
Princip annehmen, oder nicht; fo wird es doch ins 
mer wahr bleiben , daß der Affe mehr Verſtand har, 
ale eine Auſter, und dag, wenn der Affe den beftims 
. ten Grad des Verftandes nicht härte, er ein anderes, 
Thier unter der Form eines Affen feyn würde. 


Dem Menfchen ift die Verbindung zwifchen Geift _ 
und Körper noch wefentlicher und norhwendiger. Oh—⸗ 
ne Seele würde der Menfch ein Thier , und ohne Körs 
per eine Intelligenz von erpabenerer Natur ſeyn. Dee 
Fetus iftein Keim, der anfängt, fich zu entwickeln, 
Ein erwachſener Menfch ift ein zur Vollendung ents 
wickelter Ferus, der nichts anders enthalten kann, 
als was fchon urfpränglic in dem Menfchenfeime lag. 
Diefer ift eben fo, volltommen in feiner Fleinen Perſon, 
wie in der größeren Form. Er Fönte font nicht Keim 
eines Menfchen feyn, wenn er nicht en = 
' | - efa 


* 


während dacht. Zahrfund,-6. auf Kant: 203 


befaßte, mas zur Defonomie der mienfchlichen Natur 
gehört. Wird dies: alles zugeflanden, fo ergiebt fich 
daraus der Beweis von felbft, daß das denkende Sub⸗ 
jeet im Körper gleich urfprünglich im Keime des Körs 
pers eriftirt har. Als Eorollarium füge Robinet 
noch hinzu, daß es dem Geifte an fich felbft gleich 
gültig ift, ob er mit einem Körper von dem oder dem 
Umfange verbunden fey. Der Geift wohnt fo gut 
im Ferus, mie in dem Erwachfenen, und die Kleins 
beit der menfchlichen Keime macht fie dadurch) gar a 
ungeſchickt, ihn zu enthalten. 


— Robinet geht hierauf zur Angabe ber Brig 
der Verbindung zwifchen Geift und Körper fort. Es 
ſcheint, daß diefe Verbindung überhaupt ein — 
niß für die philoſophiſche Wißbegierde bleiben ſolle. 
Die Bemuͤhungen der Philoſophen haben zum mins 
beiten bisher nur gedient, das Geheimniß immer uns 
durchdringlicher zu machen; weil man, flatt die Vers 
bältnifje des denfenden Weſens zu der mit ihm verbuns 
denen Materie aufzufuchen, was allein die Art der 
Verbindung beyder hätte aufhellen koͤnnen, fhlechts 
hin leugnete, daß Geift und Körper etwas mit einans 
der gemein hätten. 


Robinet beſtimt folgende Geſche der Verbin⸗ 
dung zwiſchen Geiſt und Körper, die aber eigentlich 
nur die Verbindung felbft ausfagen, ohne diefe 
in ihree Möglichkeit zu erflären, wie doc) in der 
Meiaphyſik gefchepen müßte, wenn man einmal fpes 
cifiſch den Geiſt vom Koͤrper unterſcheidet. 


IL. Der Körper wirft auf den Geiſt, und dieſer 
— auf den Koͤrper. Denn der Geiſt kann ſich 
— verheelen, daß er Eindruͤcke von den ER 

ins 


204 Geſchichte der neuern Philofophie 


Simen empfängt. Seine eigene Wirkung auf den 
Körper aber ift bloß eine Reaction, weil die Des 
terminationen, wovon die willführlichen Bewegungen 
der Mafchine Gerrüßren, felbft ihren Grund in dem 
organiſchen Spiele, der Mafchine haben. En 


UIVI. Der Geift in Verbindung mit dem Körper 
kann nur durch die Dazmifchenkunft des lehztern wir— 
fen. Der Geift empfindet, denkt, und will nur mit 
Hülfe der Sinne. Es ift hier nicht die Frage, ob 
er abgefondert von der Materie nicht auch empfinden, 
denken und wollen koͤnne? Hieruͤber koͤnnen wir im 
gegenwärrigen Leben niemals entfcheiden, wenn wir 
auch wollten. —— 


I. Die gegenſeitige Uebereinſtimmung der beys 
den vereinigten Subſtanzen, Geift und Körper, hängt 
fo viel wie möglich von der koͤrperlichen Organifation 
ab. Die völlige Uebung der Seelenfaͤhigkeiten fodert 
die völlige Entwicfelung des Gehirns, und eine voll 


komne Organifation der äußern und innern Sinne / - 


Der Geiſt ift ein Kind im Körper eines Kindes. Ein 
Fehler der Organe ftöre oder hemmt gänzlich den Einfluß 
des Körpers auf den Geiſt, und umgekehrt die Ruͤck— 
wirkung des Geiftes auf den Körper. | 


IV, Der Geift erkenne fich ſelbſt ind empfindet feis - 


ne Exiſtenz nur durch die Bermittelung des Körpers, mit 
welchem er vereinigt ift -Empfände der Geift duch 
fich ſelbſt, fo wuͤrde er fich nur fo empfinden, wie er iſt, 
und dan Fönte über feine Natur gar Fein Zweifel obwal⸗ 
ten; er empfaͤnde fich als ausgedehnt oder unausgedehnt, 
als körperlich oder unförperlich, als ‚materielle oder 
immaterielle Subſtanz. Allein. der Geift empfindet 


feine Exiſtenz nur in den: Eigenfchaften, : welche * 
® fi 


s 


während d. achtz. Jahrhund. 5. auf Sant. 205 


ſich entdeckt, und dieſe entdecft er einzig und allein 
mittelſt der Eindrücke, welche er. von dem Körper em: 
pfaͤngt. Das Bewußtſeyn ihrer Thpärigkeie hat die ' 
Geele bloß durch die Meigungen und Abneigungen ) 
welche die äußern Gegenftände in ihr erwecken. Haͤt— 
te fie nie Bergnügen oder Schmerz empfunden, würs 
de fie auch der Gluͤckſeligkeit oder Ungluͤckſeligkeit nicht 
fähig feyu. Das Kind, das nie das: Vermögen, feis - 
nen Arm zu bewegen, geübt bat, weiß nicht einmal, 
daß biefes Bermöyen in ihm wohne u. w. Kurz bie 
Seele ift über ihr eigenes Weſen nicht mehr unterrichs 
ter, als über die WWefen anderer Dinge. ie dringt 
in ihr eigenes Inneres nicht tiefer ein, als in die Maffe 
ihres Körpers, deffen innere Triebfedern fie eben fo 
wenig fieht oder empfindet. Sie gelangt zur Kents 
niß ihrer felbft fediglich durch die Probe, welche fie 
von ihren Fähigkeiten macht, und da fie vom Koͤr⸗ 
per in allen ihren Tpätigfeiten abhängt, fo verdankt 
fie ihm auch Alles, was fie von fich ſelbſt weiß. 


Robknet unterfucht nun, wie der Zuftand der 
Seele, oder vielmehr ihrer Fähigkeiten, gemefen ‚feyn 
möge, bevor die organifchen Keime, zu welchen fie 
gehörten, befruchter und entwickelt waren. Er ftelle 
bier folgende Mefultate auf: 

I. Der Geifl mit dem organifchen Keime vers 
bunden, empfinder, denkt und will niche vor der 
Befruchtung des Keimes, und bevor die Entwice . 
fung desfelben wenigſtens angefangen hat: Denn alle 
Wirkſamkeit des Geiftes fegr die Wirffamfeit der koͤr⸗ 
perlichen Organe voraus ; diefe iſt aber nicht eher mögs 
lich, als bis die organifche Maschine des Körpers dar 
zu eingerichten ift, : und hierzu iſt die Entwickelung des 
Ä befruchteten organiſchen en erfoderlich. Vor 

der 


206 Gefchichte derneuern Philoſophie 


der’ Befruchtung kann dieſer feinen aͤußern Eindruck 
empfangen; das Senſorium iſt noch nicht zubereis 
ter; es ift alfo auch fchlechterdings alsdenn Feine geis 
ftige Thaͤtigkeit möglich. Inzwiſchen ift: nicht zu vers 

geffen, daß der Mangel an Entwickelung des orgas 
nifchen Seelenfeimes die Functionen des Geiftes, fo 
wie des Körpers, nur fufpendirt, aber Feinesweges 
vernichtet. Der Keim behält den ganzen Fond feines 
organifchen Apparats, mie er ihn im Körper des Ers 
wachfenen bat; aber das materielle Subject, mitselft 
defien die Funetionen ausgehbe werden, bat die Bes 

dingungen noch nicht, die dazu gehören. | 


II. Der Geift in dem organifchen Menfchenfeime 
vor der Befruchtung und Entwickelung bat ſelbſt niche 
das innere Bewußtſeyn feiner Eriftenz. Denn was 
iſt dee Geift ohne irgend eine Are der Wahrnehmung? 
Es ift der Geift freylich feinem Weſen nach, aber ges 
trenne oder unabhängig von der Ausübung feiner Vers 
mögen. Weiter wiſſen wir darüber nichts. Es läßt 


ſich allerdings nicht annehmen, daß ein Geift oßne 


die Vermögen zu empfinden, zu denken, zu wolr 
fen, ſich zu erinnern, fey; denn diefe Vermögen ges 
hen aus feinem Weſen hervor, ob fie gleich dasſelbe 
nicht ausmachen. . Aber ihre wirkliche Ausübung 
ift dem Geifte nicht wefentlich, befonders foferne er 
mie denn Körper vereinigt ift, weil fie gänzlich von 
der DOrganifation des Körpers abhängt; dahingegen 
die bloßen Vermögen im Geifte unabhängig vom Körs 
pet fi ch befinden. 


Die Verbindung des Geiftes * dem Koͤrper 
beſteht nach Robinet alſo nicht in der gegenſeitigen 
Einwirkung dieſer beyden Subſtanzen, weil die Thaͤ⸗ 
tigkeit ſuſpendirt iſt vor der Entwickelung des mit = 

oͤr⸗ 


während d. achtz. Jahrhund. b. auf Kant. 207 


Koͤrper verbundenen Geiſtes. Sie beſteht auch nicht 
in dee Harmonie ihrer Operationen, weil dieſe Hars 
monie nicht zwiſchen dem Geiſte und dem koͤrperlichen 
Keime exiſtirt, zu welchem jener gehört. Sie iſt vıels 
mebr nach Allem, was wir davon einfehen können, 
das Princip der Communication beyder Eubftanzen, 
‚der Grund der gegenfeitigen Correfpondenz ihrer Dos 
> Yificationen, der eintritt, fobald die Eutwickelung des 
Menſchenkeimes wenigſtens begonnen hat. 


Was iſt alſo das Weſen der Seelen über 
haupt? Das Wefen eines Dinges iſt dasjenige, 
wodurch ein Ding ift, was es if. Das Weſen ber 
Seele befteht alfo nicht im Denfen; denn die Sex 
le eriftire im Keime ohne irgend eine Urt des Denfens, 
ohne irgend einen Gedanken. Es befteht auch niche 
in dem Bermögen zu denfen, zu wollen, u. m. 
Das Wefen eines Dinges ift nicht der Inbegriff feis 
ner Eigenfchaften; das, was es ift, iſt es weder durch 
eine einzelne Eigeufchaft, noch durd alle zufammen. - 
Jedes Vermögen liege in einem Subjecte; aber 
diefes Subject ift nicht dies oder das Vermögen. Das 
wahre Wefen der Seele ift alfo ein Princip, woraus 
alle diejenigen Eigenfchaften entfpringen, welche wir 
an ihr erfennen. Weiter über die Matur diefes Prins 
eips zu fragen, würde anmaßend ſeyn. Wir koͤnnen 
nun einmal nicht in die Weſen der Dinge eindringen, 
und es fehlt uns dazu gänzlich an Mitteln. Freylich 
verbreiter die obige Erklärung des Wefens der Seele 
wenig Licht über dasfelbe. Aber fie fagt zum mindes 
fen fo viel aus, daß die Erfentniß desfelben unfere 
Einfiche überfteige. Das Gefühl, das der Geift von: 
feiner Exiſtenz hat, betrifft nur feine Faͤhigkeiten und 
. ihre Ausübung, nicht fein Wefen. Die Frage nach 

dem 


— 


208 Geſchichte der neuern Philoſophie 


dem Materialismus oder Immaterialismus der Seele, 
die dadurch ein befonderes Intereſſe bekomt, weil maii 
fie mie der Religion in Verbindung feßt, wozu man 
gleichwohl Fein dringendes Bedärfniß hat, wird nie 
ihre Auflöfung erwarten dürfen. Man muß fi dar 
mit begnügen, daß man die Seele von feinem. Körs 
per unterfcheiden Fönne, und dag man alle Urfadhe . 
"habe, zu vermuchen, das Spiel der Organe fey noch 
etwas mehr, als das repräfentative Zeichen der Modis 
ficationen einer intelligenten Subſtanz. 


Ueber die Erzeugung der Geifter äußerte Nobis 
net folgende Vermuthung. Der Menfch befome Geift 
und Körper von feinen Eltern durch denfelben Act. 
Der Geift war von jeher mit dem Körper verbunden; 
der mit ihm ein gewiſſes vollendetes Weſen, das menfchs 
liche Judividuum, ausmachte. In dem Augenblicke, - 
da der befruchtere Keim feine erfte Vergrößerung ems 
pfänge, ereignet fich ein verhälnigmäßiger Forefchrite 
in der Aeußerung der Thärigkeiren des dabey gegens 
wörtigen Geiftes. Diefer erfte Punct der Entwicke⸗ 
Jung für die Geifter ift das, was man ihre Erzeu⸗ 
gung nennt; fo wie die Befruchtung oder die erfte 
Erweiterung des Pörperlichen Keims in dem gemöhns 
lichen Sinne die Erzeugung des Körpers if. Go 
wie ſich aber der Pörperliche Keim jm Mutterleibe ims 
mer weiter entwickelt, fo entwickelt fich auch die Les 
bung der Geiftesfähigfeiten. Mit dee Empfängniß 
des Ferus gehe der Geift aus der dumpfen Unthätigs 
feit bervor, in welcher der Zuftand der Michtbefruche 
tung. ihn erhielt. Seine Fähigkeiten winden fich 
gleihfam von ihren Banden los. Freylich find die 
erften Wahrnehmungen des Geiftes-in hohem Grade: 
dunfel und verworren; es ift der Fleinfte — 

| | | ns 


L) 


während d. achtz Jahrhund. b. auf Kant. 209 


Intelligenz; ſo wie der Embryo exiſtirt mie den klein⸗ 
ſten Elementen der Organiſation. Es verhält ſich in 
den Thieren eben ſo. Der Inſtinet, als Produet 
des Naturmechanismus, folgt auf gleiche Weiſe der 
Entwickelung ihter Organe, und die Mannichfaltigs 
keit der thieriſchen Thaͤtigkeiten ift eine nothwendige 
Folge der mannichfaltigen Zuftände, durch welche das 
Thier vor feiner vollfonnen Reife hindurch gebt, oder 
vor dem Alter, wo der JInſtinct Alles har, werfen er 
bedarf. 


Wenn der Inſtinet eine Subftanz zum Principe 
baͤtte, die dem Körper fremde, aber ihm doch in Ans 
febung der Ausübung. ihrer Functionen unterworfen 
wäre, fo daß ihr bie ‚völlige Yusübung nur mittel 
einer ‚gewiffen Ausdehnung der Förperlichen Subftanz 
zukaͤme; fo müßteman abermals zugefteßen, daß bey 
jeder Erweiterung der Ausdehnung des Körpers auch 
der Inſtinet verhaͤltnißmaͤßig reifer würde, „bis er fe 
ne vollkomne Stärfe serhielte, wenn das Thier vg 
kommen ausgebildet iſt. Dieſe Iegtere Vorausſetzung 
iſt num eigentlich im. Menſchen realifice Durch das Prin⸗ 
tip der Verbindung zwiſchen Seele und Koͤrper. Die 
Diſpoſition des Geiſtes wird folglich allemal der des 
Körpers correſponditen; jener wird an der vollkom⸗ 
neren Ausuͤbung feiner Faͤhigkeiten gewinnen, was 
dieſer an größerer Vollkommenheit feiner Organe ges 
winnt. Die Sutelligenz hat verfchiedene Grade der 
Intenſitaͤt. Sie hat einen fiir jede Nuͤange der fürs 
verlichen Organifation. Die Natur an die Gleichförs 
migkeit ihres Ganges gebunden geht alle Nuͤangen der 

Organiſation durch, um eine vollfomne Mafchine zu 
bilden, und laͤßt wiederum. den Geiſt mittelſt jener 
Muͤangen alle Zuftände hindurchgehen, deren, das ins 

Dubhle's Geſch. d. Philoſ. VI. B. O tel⸗ 


310 Becſchichte der. neuern Philofophie 


tellectuelle Vermoͤgen faͤhig iſt, und Beten eben fo viele 
find, als Gtade der Organifation. | 


Ro binet erörtert nun das Verhaͤltniß zwifchen 
dem Geifte und dem Körper von der erſten Entwicke⸗ 
Yung des Fetus an ſehr umſtaͤndlich, und zeigt, daß 
die Befchaffenpeit der. Perceptionen immer ſich veräns 
dert und. Iebhafter wird, fo wie ſich der Menfchenkeins 
hoch der Befruchtung immer-mehr vergrößert. Daß 
hierbey viel Willkuͤhrliches ift, erhellt ſchon daraus; 
daß der. Fetus von allen ſeinen Perceptionen gar Fein 
SBewußtfeyn hat, und feine Beobachtung uns völli 
verechtigt, die Lebenskraft von der Seelenktaft zu tren 
nen. Die letztere muß fich freylich in dem Embryo 
dem Principe nach befinden; aber ob fie in ihm wirk⸗ 
ſam iſt; ob nicht vieleicht der Embryo, fo lange e 
im Mutterfeibe ift, bis zu dem Momente, da er ſich 
fosreige, mit der Mutter Ein Ich ausmacht? Das 
i eine Frage, welche niemals zur Beftiedigung de 
antwortet werden kann. Robinet ſelbſt hat zwat 
dieſe Fragen nicht ganz unberuͤhrt gelaſſen. Auf die 
Fraͤge, warum wir uns der Perceptionen, die wir im 
Mutterleibe hatten, nicht mehr erinnern, wenn wie 
fie atıders wirklich hatten, da wir uns doch der Mops , 

‚nngen unferer Kindgeit im fpäten Alter noch erin⸗ 

seh können, erwiedert er, daß jede Empfindung, 
bweiche der Geiſt von feiner Eriftenz haben kann, ſich 
auf das Bewuͤßtſeyn feiner Modificationen und die 
- Weflerion reducirt, welche er über die Art feines Dan 
fenns anſtellt. Ich denke, atfobimid.. Ich 
feide, alfo bin ich. Der Geiſt fühle alſo feinen ges 
genwaͤrtigen Zuftand niemals anders, als wie durch Res 
flerion auf ſich ſelbſt. Diefe Aufmerkſambkeit des Geiſtes 
auf das, was in ihm vorgeht, iſt ohne Zweifel. eine 

F — der 


—3 


J ar 


waͤhrend d. achtz. Jahrhund. b. auf Kant. aıı 


oder ſchoͤnſten Prärogariven der Jutelligeng. Gleich⸗ 
wohi kann die Seele dieſen Vorzug nut erhalten von 
leiner viel vollfomneren Organifation, als die des Fer 
us, und felbft als die des ‚Körpers in den Jahren 
Der erften Kindheit if. Es ift alfo gar nicht zu ver⸗ 
wundern, daß die Geele im Fetus noch nicht, empfas 
on, ob fie exiſtire, umd wie fie exiſtire? 


Die Seele des Gets mag ihe Dafeyn wobl em ms 
pfinden; aber es iſt eine Dumpfe, ſehr ſchwache, ſehr 
„wenig entwickelte, und in ſich ſelbſt unterſchiedene Rei⸗ 

he von Perceptionen. Daß der Geiſt folglich auch 

‚An reiferem Alter fich feines Zuſtandes im Mutterleibe 


nicht zu erinnern vermag, iſt aus dem Vorherigen 


nah R. ſehr wohl begreiflich; obgleich R. die Eröbs 
rgeerung dieſes Punctes ſchwieriger macht, als fie an 
ſich ſelbſt ſeyn wuͤrde. So ſchwach auch Die -Perceps 
tionen des Fetus ſeyn moͤgen, ſo muͤſſen ſie doch Ein⸗ 
druͤcke im Gehirne bewirken, und Spuren derſelben 
zurüͤcklaſſen. Aber Eindruͤcke im Gehirne des Fetus 
werden eben ſo geſchwind wieder verwiſcht, als ſie ge⸗ 
macht werden, ohngefaͤhr, wie Eindruͤcke, die man 
‚auf Waſſer oder Luft machte. Dieſe Vergleichung iſt 
um fo paſſender, da das Fluͤſſige die Luͤcken gleich 
wieder ausfüllt, welche die Eindruͤcke in dieſen Ele⸗ 
menten hervorbringen, und auf gleiche Weiſe die Ma— 
terie, welche zur Nahrung der Empfindungsfibren des 
Fetus dient, auf diefe an alten ihren Enden eindringe, 
und ohne alle Mühe Züge. auslöfche, die fo oberflächs 
Gh in das Gehirn des Fetus gleichfam eingezeichnee 
‚worden waren. Was nicht mehr fo im Gehirne ift, 
iſt denn auch niche mehr in der Seele. Daher bleibe 
uns fogar von unferer früheren Kindheit nichts übrig, . 
als eine verworrene aaa verworrener Perseptios 
. . 2 2 nen. 


212 Geſchichte der neuern Philoſophie 


nen. Das Bewußtſeyn unſerer Exiſtenz iſt für uns 
ein Stern, den wir gegen die Zeit ſeines Culminirens 
gewahr werden, und deſſen Aufgang ein dicker Nebel 
vor uns verborgen hat. Der Nebel wird ſo langſam 
zerſtreut, mit einer fo wechſelnden und mannichfalti⸗ 
gen Decoration, daß es uns ſchwer und meiſtens uns 
möglich ift, "das Moment anzugeben, wo der Stern 
aufgehäre hat, von ihm bedeckt zu feyn. Die Epoche 
des erften Gedankens ift fchlechterdings nicht zu firts 
ven. Unſere tiefe Linwiffenheit in diefem Stücke koͤn⸗ 
nen wir aber doch Feiner anderen Urſache beymefjen, 
als der Schwäche der Organe, melche, da fie fehr 
allmälig fich entwickelten, Leine heftige Revolution 
im Geifte bervorbrachten, deren er fich wohl erinnert 
haben würde. Eben diefe Schwäche der Organe. iſt 
auch fhuld, daß fie uns Feine fichere Erinnerung von 
unferm dermaligen Zuftande zuruͤcklaſſen. Der Mans 
gel der Erinnerung aus den erften Jahren der Kinds 
heit wird hierdurch allerdings erflärt; allein die Exi⸗ 
ftenz von Perceptionen im Fetus nicht bemwiefen. Die 
Are übrigens, wie Robinet die wirklichen Empfins 
dungen und Borftellungen aus der materiellen Befchafs 
‚fenheit der Nerven und des Gehirns erflärt, enthält 
nichts befonders Merfwürdiges. Gr nimt auch eine 
Mibration der Merven an, welche durch die Dbjeete _ 
bewirkt werde, und der mechanifche Grund der Sons 
fationen ſey. 
* * 

| Die Theodiche Robinet's ift ein im feiner 
Art febe fcharffinniger Verſuch, die Möglichkeir des 
Uebels und Böfen zu erflären , und in Beziepunganf 
die Gottheit zu vechtfertigen ; der aber. Doch a 

| ung 


während: d.achtz. Jahrhund. 5; auf Kant. 2r3 


fung der kritiſchen ſpeeulativen Vernunft aushaͤlt. Sie 
beruht auf dem Satze: Es ſey ein Widerſpruch, daß 
eine endliche Welt vollkommen ſey, und das Uebel 
und Boͤſe ſey alſo eine nothwendige Eigenſchaft der⸗ 
ſelben. Im Weſentlichen unterſcheidet ſich hier Ro⸗ 
binee von Leibniz nicht. Es ſtreiten alſo auch 
dieſelben Gründe gegen ihn, weiche gegen die Theo⸗ 
diche des Letztern ſtreiten. Es komt gar nicht auf eis- 
nen Beweis an, Daß das Uebel und Boͤſe in einer 
Welt endlichee Gefchöpfe unvermeidlich war; fondern 
daß es ſich mit der Güte, Weisheit und Allmache 
Gottes reime, eine endliche unvolltommne Welt, in 
weicher nah Robinet felbft die Summe des Woh⸗ 
les und des Guten mit dee Summe des Liebels und 
Boͤſen im Gleichgewichte ſteht, Hervorzubringen. Vom 
Endlichen und Unvollkomnen zum Unendlichen und 
Abſolutvollkomnen iſt freylich kein Uebergang; und 
nur das hat Robinet mit mehr Aufwand bewieſen, 
als noͤthig war. Aber vom Unendlichen und Abfoluts 
vollfomnen ift umgekehrt auch kein Lebergang zum 
Endlichen und. Unvollfomnen, namentlich zum Mor 
raliſch⸗ Böfen. Dies war eg vorzüglich, was er hät 
ei —— ſeuen, und zu beweiſen unterlaſſen hat. 


7 Daß der Unendiiche und Abſolutvollkomne nicht 
eine ihm gleiche Welt ſchaffen; daß das Geſchoͤpf nicht 
ſo vollkommen ſeyn konte, wie ſein Schoͤpfer, kann 
man allenfalls zugeſtehen. Allein wie kann denn das 
Unendliche und Vollkommenſte ein Princip des Endlie 
den und Unvollkomnen fegn ? Das iſt noch weniger 
zu begreifen. Das genaue Gleichgewicht des Woh⸗ 
les und Uebels, der guten und boͤſen Eigenſchaften, in 
den endlichen Maturdingen, iſt eine dem Robinet 

| eigene, aber durchaus sg u Sie if = 


214 Gefchichte: der neuern Philoſophie | 
ihm durch eine Verwechſelung des reinen Verſtandes⸗ 


gebrauchs mit dem empiriſchen erzeugt. Man kann 


fi von Allem ein Gegentheil als. lögifch möglich den⸗ 
fen, und fo Bann man fich auch vorfiellen, daß, wenn: 
bie Geſchoͤpfe gute Eigenfchaften haben, ihnen entge⸗ 
gengeſetzte üble und böfe ebenfalls zukommen muͤſſen. 
Da nun eine Gradation der, relativen Vollkommen— 
heit unter den Gefchöpfen ftatt findet, . welche der: 
. Analogie nach fich über den Menſchen hinaus erſtreckt; 
ſo Ponte Robinet mie Anwendung jenes logiſchen 
Prineips der Eontrafte den Sag aufſtellen: Das res 
lativ vollfommenfte endliche Weſen ift auch. zugleich 


” das relativ unvolllommenfte.e Der Menfch: hat die 


meiſten Bolltommenpeiten in diefer fublunarifchen Welt, 
aber auch die meiften Mängel und Fehler in feiner 
Natur. Der Engel, welcher der Gottheit am nächs 
ſten iſt, hat die Anlage zue wahrften Erkentniß, aber 
auch zum groͤbſten Irrthume, zu den erhabenften Zus 
genden, aber alıch zu den teuflifchften faftern. Gleiche 
wohl wird jener Sag keinesweges durch die Erfah⸗ 
zung beflätiget. Den leblofen organifchen Gefchöpfen 
Bann man gar feine Unvollkommenheit beylegen, die 
der Natur aufgebürder werden Eönte, und welche. ih⸗ 
zer relativen Vollkommenheit gleich Fame. Die Drs 
‚ ganifation dee Elemente, der Mineralien, der Pflans 
zen, iſt fo vollkommen und zweckmäßig, wie es die 
Marurbeftimmung jedes einzelnen Dinges und jeder 
Gattung fodert. Was hat eine in ihrer Art vollens 
dere Pflanze z. B. für Unvollkommenheiten? Etwa 
daß ſie nicht ſo ſchoͤn iſt, wie eine andere, daß der 
Kohlkopf kein Eichbaum iſt? Dann wuͤrde aber jene 
"Pflanze nicht. dies beſtimte Ding ſeyn koͤnnen, was 
ſie doch ift und feyn fol. Oder daß fie —— 
— veift, verweltt, folglich are 
* 


während d. achtz Jahrhund. b. auf Kant. 225 


—* wäre die Pflanze: Sein erdiche⸗ vedanoche⸗ 
ing. 


Alerdings zerſtoͤrt — die Natur in der organi⸗ | 
ſchen Schöpfung; aber dies ift mehr ein Verwandeln 
und Wechſeln der Formen, als ein Zerfiören. u 
Der thierifchen Welt wird jedes Thier fo vollfommen 
in feiner Art, wie es werden kann. Es läßt fich nie 
aus der Erfahrung beweifen, daß die Summe des 
Schmerzes in der chierifchen Weile genau der Summe 
‚Der angenehmen Empfindungen gleich fey. Nicht ans 
- Ders ift der Fall beym menfchlichen Geſchlechte. Wels 
cher Philoſoph Härte die Erfahrung für fich in der 
Behauptung: daß jeder Menſch gerade fo viele anges 
nehme Gefühle, als unangenehme, in feinem Leben 
harte? Daß er fo viel Gutes, wie Böfes thue? 
Und doch müßte diefe Behauptung durch die Erfah—⸗ 
zung beftätige werden, falls ſie gegruͤndet feyn follte, 
Im Gegentheile die Erfahrung läßt uns im Ganzen 
ein ‚großes Webergewicht des Ungenehmen und Guten 
über das Uebel und Boͤſe in der Welt erkennen. Es 
giebt freylich einzelne Menfchen, die im. Leben fehr 
‚ungkicli find, z. B. Kinder, die ungefund geboßs 
zen werden, und eine Zeitlang ihr Leben unter Schmers 
zen fortfchleppen. Bey folchen Individuen ift ein 
‚Mebergewicht des Uebels ber das Wohl. Es giebs 
Böfewichter, deren Epriftenz mehr duch Miſſethaten, 
als duch nügliche und tugendhafte Handlungen bes 
zeichnet ift. Hier ift, wenn man will, eine größere 
Summe des Böfen. Aber das gile nur von JIndi⸗ 
viduen, und beweift nicht für Robiner, fondern ge⸗ 
‚gen ihn. Es beweift, daß die Summe des Wohles 
‚and Uebels, des Guten und Boͤſen in der Belt, gar 
nicht ‚bey den einzelnen Sem im — 
eh 4 ehe. 


ſtehe. Robiner führt die Vorzuͤge und Tugenden 
der bürgerlichen Geſellſchaft an, und ftellt die Maͤn⸗ 
gel und Laſter derfelben gegen über, als ob fie genau 
einahdee gleich ſeyen. "Aber Diefe Behauptung wird 
Doch auf feine Weiſe durch die Erfahrung beſtaͤtigt. 
15 Mehr Werth für die Philoſophie und die N 

turfunde hat das zweyte Hauptſtuͤck im Robinel⸗ 
ſchen Werke uͤber die gleichförmige Erzeu— 


Yung der Weſen; obgleich das Priucip, wovon 


MR. bey feiner Theorie ausgeht, nicht bloß falſch oder 
wenigſtens zu einfeitig , ſondern auch; weit über‘ Die 
Grenjen eines gültigen Gebrauchs, felbft falls es an 

ſich wahr wäre, jangemandt worden if: Er’ führe 
‚ Die geſamte lebendige Organifation in der Natur auf 
bloße Entwickelung fchon urfprünglich organiſtr⸗ 
tee Keime zuruͤck. Das zur Reife gediehene Matur—⸗ 
weſen kann nichts anders enthalten, als was ſchon 
in feinen’ Keime lag; der Keim ift in jenen tur 'ents 
wickelt worden.  Gogar das ganze dermalige Uni— 
verſum ift eine“ beſtimte Entwickelung eines Inbe⸗ 
geiffs urſpruͤnglicher Keime, der zuerſt ein Univets 
füm im Kleinen, Mifrofosnius im eigentlichen 
Sinne, ausmachte. Zu ber Entwickelung bedärf'& 


einer gefegenfeitlichen und veranlaſſenden Urſache, und 


dieſe ſetzt Robinet in die Befruchtung; ſo daß 
alſo die gleichfoͤmige Erzeugung aller Naturweſen dar⸗ 
in beſteht, daß ihre Keime beftuchtet wurden, und 
ſch zur Reife entwickelten. Daß R. die Anwendung 
vieſer Hypoͤtheſe bis in's Abentheuerliche uͤbertreibt, 
And: auf der andern Seite oft dabey in Spielerehen 
werfäne, Habe ich ſchon in der Darſtellung jener Hier 
und da, bemerklich gemacht. So nimt er auch Line 
Ebolution der Sonnen und Planeten aus kleinen Son⸗ 
25* J — nen⸗ 


‚während dachte. Jahrhund. b. auf Kan) 217 


nenfeimen und Planetenfeimen an, die einander g& 
genfeitig befeuchteten, dadurch ihre Evolution bewirks 
sen, und auf diefe Weife erzeugten. Sterne erzeugen 
Sterne, wie Thiere andre Thiere erzeugen. Gterne 
werden gebohren, wachſen, blüßen, reifen, veralten, 
und fterben. Auch die Elemente in dem Planeten, ° 
welchen wir bewohnen, entwickeln fi) durch Befruchs 
tung aus urfprünglichen Keimen. Es giebt eine Luft 
als Embryo, eine Luft als Kind, als Mann, als 
Greis. Die tuft, fo wie die übrigen Elemente, wers 
den gebohren und -fterben. In diefer letzteren Ans 
“ wendung der obigen Hypotheſe, und den Folgerungen 
aus derfelben zeige fich das Spielende und Abentheuers 
liche zu auffallend, als daß es einer Hinweifung dars 
auf beduͤrfte. 


Das ganze Evolutions: und Befruchtungsſyſtem 
Robiner’s ift einſeitig und unbefriedigend. Geſetzt 
auch, daß zu jedem Naturweſen urfprüngliche orgas 
niſche Keime nothwendig wären; fo tft freylich eine 
Entwickelung der in demfelben fehlafenden Kräfte und 

Anlagen nothwendig, und dieſe erfodere einem objectis 
ven Reiz als: gelegenheitliche Lirfache. Allein mit der 
bloßen Entwickelung reiche man nicht zur Erklärung 
aus, und der objective Reiz kann niche einzig’ und 
durchweg in der Befruchtung beſtehen. Denn mo 
Nichts zu entwiefeln ift, kann nichts entwickelte wer⸗ 
ven. Wie fönte aber in: dem- urſpruͤnglichen Men⸗ 
ſchenkeime, in dem fogenannten hüpfenden Puncte im 


Mutterleibe, der fich zuerft nach der thierifchen Be⸗ 


fruchtung bilder, das ganze ermachfene Thier, dee 
ganze erwachſene Menſch, enthalten: ſeyn? Es ifk 
nur ein Machtſpruch, der au ſich unbegreiflich iſt 
und dem die Erfahrung ie widerſpricht, 7— 
u 5 a oe 


218. Geſchichte der neuern Philoſophie 


Robinet behauptet, daß in dem erwachſenen Men⸗ 
ſchen nichts enthalten ſeyn koͤnne, was nicht ſchon 
urſptuͤnglich im Menſchenkeime im Mutterleibe lag: 
Der Unterſchied der materiellen Maſſe im Körper eis 
- nes Embryo, und im Körper eines Mannes, ift doch 
unleugbar; und woher diefer Unterfchied ? Die Ver⸗ 
*  geößerung des Embryo, der zum Manne reift, iſt 
Doch in die Augen fallend. Sie kann alfo niche Ente 
wickelung ſeyn, und fonach fehle es im Robiner’fchen 
Syſteme für diefe Vergrößerung als folche an einem 
genugthuenden Erklärungsprineipe. | 


Kerner müßte man bey der Entwickelungshypo⸗ 
theſe vorausfegen, daß ſchon im allererfien Keinie des 
Maturweſens beym Anbeginne: der Natur alle folgens 
den Generationen enthalten gewefen wären, die im 
Saufe der Zeugungen während der folgenden Jahrhun⸗ 
Derte aus jenen Keimen hervorgingen. Yu einem eins 
zigen Menfchenkeime des Adam oder der Eva. lagen 
fon eine Menge Fünftige Gefchlechter eingewicelt, 
Freylich Plinge es fhön, wenn man: fagt: Ju einer 
einzigen Eichel fchlafen fünftige Eichenwälder. Dur 
Schade, daß in diefen Behauptungen durchaus fein 
Serſtaͤndlicher und begreiflicher Sinn ift. Auch die 
Befruchtung kann nicht die einzige gelegenheitliche 
Urſache felbft nach dem Evolutionsfpfteme feyn. Denn 
fo weit unfere ficheren Beobachtungen reichen, findet 
"fie nur in der lebendigen organifchen Matur, im 
Zhiers und Pflanzenreiche ſtatt. Eine Befruchtung 
der Mineralien ift bis ige nicht durch Erfahrung bes 
wieſen, fondern nur eine gegenfeitige chemifche Eins 
wirkung; und noch weniger laͤßt fie fich bey den Ele⸗ 
menten, und bey ganzen Sonnen⸗ oder Planetenförs 
dern annehmen. — 
* n ’ Deus 


während d. achtz. Jahrhund. [2 auf Kant. 219 


Demnach das Princip, daß die vorhandenen 
Maturweſen fih aus urfprünglich vorhandenen Keis- 
men entwickeln, ift falfh. Allerdings geht jedes ders 
nalen vorhandne organifirte Maturwefen aus einem 
organifchen Keime hervor, der fich weiter ausbilder. 
Aber diefer Keim felbft wurde nach einem Gefege, wos 
von das Mobiner’fhe Syſtem nichts weiß, erſt ews 
zeugt. Bey den Elementen und den ganzen Weltkoͤr⸗ 
perm giebt es gar feine Entwickelung aus Keimen, 
Diefe find urfprünglich in ihrer. materiellen Maffe 
gleih vollſtaͤndig, und nur ihre mannichfaltige Mis 
fhung und Combination, Die Folgen der Bewegung 
find, bringen die mannichfaltigen Phänomene hervor, 
weiche die Elemente in ihrer gegenfeitigen Wirkſam⸗ 
keit Darfiellen. Die Erde als Weltkörper wurde gleich 
ganz der Mafje nad) von der Natur hervorgebracht; 
es ift eine Ungereimeheit, daß fie ſich aus einem klei⸗ 
nen Erdfeime, wie dee Menfh aus dem büpfenden 
Puncte im Mutterleibe, entwickelt hätte. Die Thats 
fahen, deren Robinet erwähnt, daß gewiffe Sters 
ne entftanden und verfchwunden wären ; daß die Gons 
ne die Planeten und Trabanten, die man in dem neues 
ren Zeiten entdeckte, erft erzeugte habe; daß Sterne - 
und Planeten nah Analogie der Pflanzen, Thiere 
und Menfchen geftorben, und darum verſchwunden 
‚ wären, find fächerliche Misdeutungen aftronomifcher 
Entdeckungen und Michtentderfungen, die Feiner Bes 
richtigung oder MWiderlegung werth find. Daß ein 
Stern der Bemerkung der Afteonomen fi entzieht, 
rührt ja bloß vom Mangel des Lichts ber, der in der 
inneren Befchaffenheit des Sterns feinen Grund hat. 
Daher zeige fi auch der Stern wieder, und zwar 
kleiner oder größer, mie es die phufifchen Revolutio⸗ 
nen, welche in ihm vorgeben, mit fich a 

48 


220 Gefchichte. der neuern Philoſophie 
| 
er: das dritte von Mobiner - bearbeitete 
Hauptftüc, die Hypotheſe vom moralifhen Sim 
ne betrifft, fo babe ich fchon zur Beurtheilung ders 
felben Einiges oben erinnert , da ich die Gefchichte der 
Engliſchen Motalphiloſophie erörtere. MRobiner 
bat. hier nichts Sigenthuͤmliches, als. daß er die Anas 
logie zwifchen dem. moralifchen Sinne und den fünf: 
äußern Sinnen weiter aufzuflären fuchte, ohne daß 
er. fie doch wirklich aufgeklärt und noch weniger ers 
wiejen hätte. . Daraus, daß Jemand beym bloßen: 
Sehen oder Hören eines Mordes auch innerlich die 
Ungerechtigkeit desjeiben fühle, folgert er, daß 
bier das Object gerade fo auf das Organ des moras 
liſchen Sinnes wirke, mie auf. die Organe des Ger 
fiches und Gehoͤre. Diefe Meymung wird aber gleich 
widerlegt, wenn man nur an die Wilden denkt, 'die 
Menſchen frefien, ohne daß fie die geringfte moralis 
ſche Empfindung der Ungerechtigkeit und Graufamkeit 
dieſer Handlung Härten. Solche Wilde fehen und 
Hören dergleichen Handlungen nicht_ bloß, als von Ans 
bern verübt; fondern fie veruͤben ſie ſelbſt. Man folk 
se: alfo denken, wenn Robinet's Hypotheſe von 
Der Congruenz des moralifchen Sinnes mit den fünf 
Außern Sinnen wahr wäre, daß jener noch ungleich 
mehr bey ihren in ſolchen Fällen empört werden müßs 
se, als. bey Menfchen , welche von: Unchaten der Are. 
bloße Zufchauer. oder Zuhoͤrer find. Man. braucht 
ſich niche einmal auf Wilde zu berufen. Selbſt uns 
ger den-cultivirteften Nationen giebt es Boͤſewichter, 
Die Ungerechtigkeiten begeben, , ohne die Immoralitaͤt 
Derfelben im Momente des Handelns ju empfinden, 
Beruht aber das Bewußtſeyn der Moralität auf Im⸗ 
preffionen :des moralifchen Sinnes, ähnlich den Im⸗ 
zei der aͤußern Sinne; fo. müßte das Gefühl 
der 


’ 4 y 


— 


während d. achtz Jahrhund. b. auf Kant. 221 


der Moralitaͤt oder Immoralltaͤt gerade dann am leh⸗ 
hafteſten ſeyn, wenn bie Handlung verübt wird; denn 
bier iſt die Impreſſion auf den. moraliſchen Sinn ge⸗ 
gvenwaͤrtig und am ſtaͤrkſten. Die Erfahrung "> 
gleihwohl das. Begencheil. - Der Menſch ſieht -ofe 

Die Schlechtigkeit einer Handlung erſt nach berfeiben 


. ‚ein, Durch Reflerion, indem er. fie mit dem Geſehze 


der Moralitär zuſammenhaͤlt. Das Gefühl der Mos 
ralitaͤt kann alfo nicht eine unmittelbare Aſſieirung eis 
nes: innern moralifhen Sinnessrgans feyn. Was 
Robinet von den Urfachen des: Werderbniffes des mo⸗ 
raliſchen Sinnes fagt, iſt freplich richtig; aber be⸗ 
weißt ‚nichts-für feine Hypotheſe.  Diefelben. Urfachen 
koͤnnen zur Verminderung oder Vermehrung der Dias 


‚salitär in einer Marion beytragen, auch wenn. diefe: im - | 


der menſchlichen Natur ein ganz anderes Princip barz 
and gar nicht von beſtimten Afficirungen eines moras 
ae Sinnesorgans abhängt. — 


Das vierte Hauptſtuͤck des Robinet'ſchen Werkes 
endlich, die von ihm fogenannte Phyfif der. Geis 
ſter, drücke gewiffermaßen fchon im Titel einen Wis 
derfpruch aus. Die Phyſik ift die Wiffenfchaft von 
den Gefegen der Maturerfcheinungen, zu welchen die , 
Geifter nicht gehören, die ſich alſo auch nicht auf jene - 
Geſetze zurückführen Taffeır, wenn man fie nicht zus 
‚gleich in Körper verwandet, Robinet thar dies 
“im eigentlichen Verftande, ohne jedoch es zu wollen, 
und daher bemerkte er den Widerfpruch im Titel feis 
ner Theorie nicht. Er wollte ein Syſtem über die 
Geifter aufftellen, welches den Materialism mit dem 
Spiritualism vereinigen follte. Den Bereinigungss 
punct beyder Vorſtellungsarten glaubte er, darin zu 
‚finden, daß er jede derſelben fuͤr ſich dogmatiſch uns 

ol ent⸗ 


222 Geſchichte der neuern Philoſophie 
ſſchieden ließ, und die Natur der Seele nur nach em⸗ 
. ipieifchen Merkmalen in Beziehung auf feine anders 
weitigen Hypotheſen von der Natur der Dinge chas 
rakteriſirte. Der Sag iſt völlig wahr, daß, wenn 
die Seele auch geiftig iſt, - ihre geiftige Thaͤtigkeit ſich 
Doch nur in dem Spiele der koͤrperlichen Organe ver⸗ 
aͤth. Um feine Philoſophie über die Seele mit dem 
Sopoiritualism verträglich" zu machen, ſetzt alſo Rör 
biner;die. Möglichkeit desfelben voraus, und fpriche 
sämmer von der Seele, als ob fie erwiefenermaßen ein 
geiftiges Weſen wäre. Eigentlich aber fehildere er 
nur ihre empirifchen Thätigkeiten, und feine Phyſtk 
der Geifter iſt nichts weniger, als eine rationale Pſy⸗ 
chologie. Manche Punete, in empiriſch⸗pſychologl⸗ 
ſcher Hinſicht, hat er inzwiſchen ſehr gut aufgeklaͤrt. 
Dapii gehöre die Erörterung der Urfachen, watum 

wir von unferm Zuftandeim Mutterleibe und von den 
‚eefhen Fahren der Kindheit Leine Erinnerungen behal⸗ 
zen. Seine Erklärungsart der Harmonie zwiſchen 
Be und Körper iſt unverftändlich. 

* N * 

In dem zweyten, dritten und vierten Theile des 
Werks de la nature hat Robinet eine rationale 
Theologie und Kosmologie den Prineipien feines Sys 
ſtems gemäß vorgesragen, die auch Manches Eigens 
thuͤmliche und Paradore enthalten, fich aber hier niche 
"ausführlich darftellen laſſen. Ich will hier nur einis _ 
‚ge feiner merfwürdigften Reſultate mit den bebeutends 
fien von ihm vorgebrachten Gründen angeben. 


Es ift für den Menfchen bey der gegenwärtigen 
Befchaffenheit feiner Matur unmöglich, fich einen ans 
dern Begriff von den. göttlichen ———— zu 
machen, 


wahrend d. achtz Japıfund. b. auf Kant. ees 
machen, als welcher denen analog iſt, die er ſich von 


gewiſſen Fähigkeiten der Geſchoͤpfe bildete. Die eis | E 


fachen Ideen der Exiſtenz, Macht und Erkentniß find 
‚Die Elemente des vollkommenſten Begriffs, welchen 
‚wir von dem höchften Weſen zu haben vermögen. Je⸗ 
ne Ideen erheben mir zur Unendlichkeit, oder wir dens 
fen ung die Eigenfchaften, : welche Die Dbjecte derfels 
ben find, unendlich und unbefchränft, ob. wir. gleich 
fie in dieſer Unendlichkeit nicht zu begreifen im Stans 
‚de ſind. Da aber das Unendliche nie.nach dem Enda 
- lichen auch nur analogiſch fich beurtheilen laͤßt, fo ift 
die göttliche Natur für uns ſchlechthin unbegreiflich. 
Die gewöhnliche auch unter den Philoſophen herge⸗ 
brachte Vorftellungsart von Gott ift ein ſpiritualiſti⸗ 
fcher Anthropomorphismus. Gr entfleht aus. der 
Schwaͤche der menfchlichen Vernunft, die ſich ein 
Weſen zu erkennen anmaaßt, was fich ihrer Erkent⸗ 
niß ducchaus entzieht, und aus. dem. Miebrauche der 
Abjtrastion.  Sener Anthropomorphismus hat aber 
‚mehr JIrrthuͤmer zu Folgen. Er verleitet erftlich, die 
befchränften und erfchaffenen Geifter mit dem unends 
lien und ‚unerfchaffenen Geifte, der Gottheit, zu 
paralleliſiren. Das Denken wird fchlehehin für ein 
gemeinfchaftliches Attribut der. endlichen Geiſter und 
der Gottheit gehalten. Ro binet behaupter Dagegen, 
daß weder das Denken, noch das Denkoermögen beyr 
den.gemeinfchaftlich ſeyn koͤnnen. Dian entzieht durch 
Abfteaction dem Denken und dem Vermögen alles, was 
es Reelles hat, damit es der Gottheit zukommen koͤn⸗ 
ne, und eine Qualität, die in Nichts verfchwinder, 
bloß negativ durch Die Abftraction von aller Realität 
geworden ift, kann der Gottheit niche beygelegt wer⸗ 
ben. Gore ift alfo nach R. auch kein denfendes 
Weſen, * folglich Fein Geiſt, wenn man unter 


Geiſt 


\ 


224 Geſchichte der neuen Philoſophie 


F Geiſt nicht. ‚anders, als wie eine Intelligenz. vers: 
‚ Meberhaupe, find dee. Gottheit alle die; Attribute nicht 


beyzumefien, die ihr gewöhnlich zugefchrieben werben. | 


Eine dritte Quelle desfelben Irrthums ift die Uns 


vollkommenheit der menſchlichen Sprache und der Eins 


fluß Hiervon auf die menfchlichen Vorftellungsarten. 
Da wir uns ſtets derfelben Wörter und Ausdrücke ber 


‚ dienen müffen, um geröiffe Attribute dee Gottheit und 


gewiſſe Fähigkeiten des Menfchen zu bezeichnen; fo ger 
wöhnen wir uns ohne Unterfchied in dem einen und 


dem andern Falle, auch diefelben Begriffe damit zu 


verbinden, und faſſen unter demfelben Worte zus 
fanımen, was der Gottheit, und was dem Metis 


fhen gebuͤhrt. Wir haben aber nur eine menfchs " 


liche Sprache, den Dingen angemeffen, Die unſer 
Verſtand begreifen Pann, und die alfo durchaus 
unfähig iſt, etwas Uebernatürliches auszudrücken. 
Alle die Eigenfchaften, welche man mit den Wörtern 


Güte, Gerechtigkeit, Berſtand, andeutet, ſind 
bloß der menſchlichen Natur eigen, außerhalb welcher 


fie fie nicht feyn können. Von Goeit koͤnnen dieſe Wor⸗ 
ter gar nicht gebraucht werden, auf was fuͤr eine Art 


' man fie auch von ihm möchte brauchen wollen, ſchlecht⸗ 
bin oder mit einem privativen Beyworte. Gogat 


bie Wörter Sehen und Erkennen werden a 
Gort angewandt; und in diefer Beziehung fehr ar 
gemisbraucht. 


Robinet führe eine Erklaͤrung an, weiche 
Grew von der Dreyeinigfeit Gottes. gab, ohne wel⸗ 
che, tie dieſer meynte, Gott überhaupt nicht erfant 


werben koͤnte. Grew behauptete, daß Gott, indem 


er Sich Selbſt dächte, fubftantielle Formen von ſich 
BEN und daß daher der Sohn und der heilige Geiſt 


nur 


waͤhrend d. achtz. Jahrhund. 5. auf Kant; 225 


nur fübfläntielle Formen des Vaters ſeyen. Dan 
braucht nicht einmal zu fragen, wo Gott, deffen Gedan⸗ 
fe unveränderlich und einfach, wie er. felbft ift, zwey 
fubftantielle Formen von fich felbft bilden koͤnne? Auch 
nicht, wenn das erfte fubitantielle Bild, das unmittelbar 
vom Water hervorgebracht wurde, ein anderes ihm aͤhn⸗ 
liches erzeugt, warum nicht diefes-dritte göttliche fubftans 
tielle Bild ein viertes hervorbringt, und fo eine unendlis 
he Reihe goͤttlicher fubftantiellee Formen erzeugt wird ? 
Der Englifche berüpinte Phyſiker chat bier im Gruns 
de nichts weiter, als daß er, felbft ohne es zu bemers 
fen, die Are, wie er die Thärigfeiten feiner Seele 
fih vorftellte, auf die Gottheit übertrug. : Er wähnt, 
daß Gott, indem er an fich denkt, fubftantielle Ebens 
bilder von fich erzeugt. . Aber wenn man ihm mu 
ſagt, daß die dee, welche Gore von fich felbft hat, 
feine eigene Subſtanz ift, die fich. feldft unmittelbar 
betrachtet, wie will er das Gegentheil beweifen? . Folge 
daraus, Daß Gott bey der Betrachtung feiner felbft 
nur,eine Idee von feiner eigenen Natur bat, daß Er 
‚ein, Wefen bervorbringe, deffen Eriftenz reell von dee 
ſeinigen verfchieden it? Wenn man ſagt, Gore be 
trachte fein Bild, fo tft dies eine menfchliche Art. zu res 
. ben, die von der Befchaffenheit unfers Vorftellungsvers 
mögens hergenommen ift, nach welcher die Ideen oder 
Bilder ‚ver Begenftände, die wir haben, von der Natur 
unferer Seele felbft verfchieden find. Uber die Art der 

Erkentniß Gottes ift gar nicht diefelbe mit der unfrigen, 


Man kann alfo nicht fagen, daß Gore auf eine 
gewiſſe Weife erkenne, weil wir ſo erkennen. - Da 
wir überhaupt Peine deutliche und gewiſſe Idee von 
der Erkentniß Gottes haben, fo dürfen wir hieruͤber 
fhlechterdings nichts behaupten. Woͤrter haben nie 
Buhle's Geſch.d. Phildf- V. . P eine 


226 Geſchichte der neuern Philoſophie 


eine Bedeutung an und fuͤr ſich ſelbſt, ſondern nur in 


ihrer Beziehung zu den Dingen, welche durch fie bes 
zeichnet werden follen; und man ift ja ‚darin einſtim⸗ 


mig, daß Leine der Bedeutungen, welche wir. dem 


Worte Erfennen beylegen, auf das unausiprech- 


liche Wefen pafle. Es iſt eine Mothwendigkeit fuͤr 


die Gelehrten ſowohl als die Laien, daß fie nicht von 


Gott reden koͤnnen, ohne Wörter an die Stelle der 


Ideen zu feßen, die ihnen fehlen; und es fcheint, ein 
mit dieſer Subſtitution wefentlich verbundener Machs 
theil zu feyn, daß man Beine andere Idee von Gott 
bat, als diejenigen, welche die Wörter darbieten. 


Eine vierte Duelle desfelben Irrthums ift die 


Lehre von ewigen und allgemeinen Ideen der Wahrs 


‚Denken, von dem Gegenftande des Denfens, und von - 
ber denfenden Gubftanz, zu betrachten, und erfläs 


heit, der Tugend, der Gerechtigkeit, der Ordnung, 


n: w. Befonders ſpricht man in diefem Berrachte vol 


der Wahrheit, und was man davon behauptet, wird 
denn auf Tugend, Gerechtigkeit, Ordnung u. w. an? 


ewardt. Die Metaphyſtker bilden fich ‘ein, Die 
ahrheit an und für fi, abſtrahirt vom 


ren fie für die Uebereinftimmung irgend eines Gedans 


kens mit irgend einem Gegenftande in irgend einer Js 


telligenz. Diefe Betrachtung, oder den Begriff, weh 


chen fie dadurch zu erhalten wähnen, nennen fie denn 


— 


| nu Bemerkungen uͤber den REN der Zope 


eine ervige Idee der Wahrheit, Die nothwendig, uns 
veränderlich, unabhängig von allem Erfchaffenen und 
Unerfchaffenen, von aller Eriftenz jeder Art fey. Aber 


dieſe abftracte Wahrheit iſt keine allgemeine Idee des 


Wabren überhaupt. 
— Robinet macht bey dieſer Gelegenheit ſeht lebe— 


tio⸗ 


FR 4 


⸗ 


⸗ 


während d. achtz. Jahrhund. b. auf Kant. 227 


tionen. Die Syſteme Plato's, MWollafton’s, 
Clarke's, und andrer Ppitofophen, in denen freys 
lich viel Erhabnes über die Natur der Wahrheit und 
Gerechtigfeit vorfomt, die auch, befonders was das 
Einzelne berriffe, nicht alle in gleichem Grade falich 
find, berußen auf Taͤuſchungen, durch welche Die Abs 
ſtracta in einem Sinne genommen. werden, welchen 


ſie nicht haben, und ihrer Marur nach nicht. haben 


koͤnnen. - Es liege bey ihnen allen ein gemeinfchaftlis 
ches falfches Princip zum Grunde, das fich nach Ro⸗ 
binet folgendermaßen ausdrücken läßt: Wenn Yes 
mand in Gedanken alle Intelligenzen in dee Welt vers 
tifgte, fo koͤnte er fich dennoch die Wahrheit vors 
ftellen. Wenn er fogar in Gedanfen alle Weſen vers 
tilgte, fo Fönte er dennoch Beziehungen und Verhaͤlt⸗ 
niffe derſelben denken. Wenn alle Gedanken und alle 
Gegenftände derfelben vertifge wären; fo Pöute er ſich 
dennoch die Webereinftimmung der Gedänfen mit ihe⸗ 
ren Objecten eindilden; wenn es endlich auch feinen 
Schöpfer und kein Gefchöpf gäbe; fo wüsde es darum 
nicht minder gerecht feyn, daß das Gefchöpf von feis 
nem Schöpfer abhängig wäre. Hier offenbart fich. 
alſo ein beftändiger Widerfpruch. Die Ideen fi nd 
nur Vorftellungen der Dinge, Wo feine Dinge fi nd, 
find auch Peine. Ideen. Die Ideen eriftiven nue und 
koͤnnen nur eriftiren in einem WVerftande. Wo alſo 
kein Verſtand iſt, da find auch Peine Ideen. Giebt 
es keine Objerte, Peine Intelligenzen, fo Bann übers 
haupt niches vorgeftelle werden. Giebt es Leinen 

Schöpfer und Fein Gefchöpf, mie koͤnte es folglich 
- auch gerecht feyn, daß die Gefchöpfe, deren Eriftenz doch 
hier, wie die des Schöpfers fupponirt wird, von dem 
» Schöpfer abhängig "”. Eriftiren weder ya 
“te | Ä 2 - ih ſer, 


* 


moͤglich. 


a228 Geſchichte der neuern Philoſophie 
fer, noch Geſchoͤpf ſo iſt überall nicht einmal etwas 


Der Erklaͤrung, welche Locke vom Urſprunge 
der allgemeinen Begriffe gegeben hat, ſtimt Robi⸗ 
net bey. Nimt man an, wie Malebrande, daß 
wir Alles, was wir fehen, in Gore fehen, fo würs 
den wir doch nichts mehr darin fehen, als was mir 
- ach den Schranfen unfers Gefichts darin fehen Füns 

‘ten. Da aber unfer Geficht in der That befchränft 
iſt, wird es jemals die Unermeßlichkeit möglicher Dins 
ge darin fehen koͤnnen? Die Ewigkeit, Norhwens 
digkeit, Univerfalität, wohnen nur in Gott; aber 
ünfere Ideen find in uns, und nicht in Gott, außer 
ins. Die Ewigkeit, Nothwendigkeit, Univerfalis 


0 gär find alfo Feine Qualitäten, denen unfere Ideen 


enefprechen koͤnten. Es ift nicht unfere dee, die eis 
nen allgemeinen Typus ausmacht. Es ift das Wer 
fen der Dinge, welches eine unerfhöpflihe Macht - 
unendlich wiederholen fann, und welches dadurch in 
fich ‚felbft das Mufter aller möglichen Individuen der⸗ 
feiben Are iſt. Unfere Idee ift für uns nur das Bild 
ner beftimten Zahl aͤhnlicher Weſen, welche fie ums 
fat. | ea. | 


Noch andere Gründe für die Objeetlvitaͤt der alls 
gemeinen Begriffe, und der möglichen Erkentniß jes 
ner. Objeetiviräe werben von Robinet geprüft, bie - 
ich hier übergehen Fann. Wichtiger aber ift ein Eins 
wurf, welchen er felbft ‚gegen feine Vorftellungsare 
beybringt, und zugleich beantwortet. Angenommen, 
daß die Guͤte, Gerechtigkeit, < Weisheit, in Gore 
nicht von derfelben Befchaffenheit find, wie im Mens 
ſchen; fo vernichter man die ewigen been der Tu⸗ 
gend, die unabhängig von der Drdnung und "Z. 
; Its 


‚4 


während d. achtz. Jahrhund. 6. auf Kant, 229 


bäftniffen dee Dinge beſtehen muͤſſen. Robinet 
leugnet die Nothwendigkeit der Folge. Es giebt Peis 


ne wirklich eriftirende dee ohne eine Intelligenze, in 


‚ welcher fie fich befinde... Es kann alfo auch nur ewir 
ge Ideen in dem eivigen Geifte geben, und- diefer ewis 
ge Geift ift Gott. Da der Gottheit nie erwas vers 
borgen war, iſt, ‚oder feyn wird, fo fann man nach. 
menfchlicher Art zu reden fagen, daß alle ihre Ges 
danken ewig find, und. daß fie. die Dinge nach diefen 
ewigen Ideen gefchaffen habe. Wie fönnen diejenigen, 
welche die Ideen in der görtlichen Subftanz als repräs - 
fentative Bilder der Gegenftände annehmen, enrfcheis 
den, daß fie von der Drduung und den Berbäteniffen 
der Dinge fchlechtkin unabhängig find? Die Bors 
ſtellung eines Objeces feßt. voraus, daß dieſes wir 
lich eriftire, oder war, oder wenigftens möglich iſt; 
und dag, wenn man eine nothwendige Relation zwi⸗ 
ſchen zwey Dingen annimt, weder das eine, noch das 
andre, von dem correlativen Dinge wirklich unabs 
haͤngig if. Auch ift von dieſer Are der Unabhängige . 
Peit bier nicht die Rede. Man will vielmehr, daß 
die Ideen in Gort ewig eriftire Haben vor der Ordnung 
und den Relationen der Dinge felbft, ‚welche er ges 
fchaffen har; erſt nach feinen ewigen Ideen habe Gott 
diefe Ordnung und Melarionen beftimt; die legtern 
Fönten aufhören durch die Vernichtung der Matur, 
ohne daß Gott die Ideen verlöre, welche er von Emigs 
keit gebabe hat. Er würde fie zwar nicht mehr als 
Ideen von wirklich eriftirenden gegenwärtigen Dine 
gen haben, aber doch als Ideen: von Dingen, die 
einmal wirklich waren, und wiederum wirklich feyn 
fönten. Denn nach diefer Vorſtellungsart giebt die 
bloße Idee Gottes den Dingen die Eriftenz nicht; es 
bedarf erft eines förmlichen Schöpfungsactes, um die 
P3 | Exi⸗ 


— 


230 Geſchichte der neuern Philoſophie 


Exiſtenz zu bewirken. Wenn man unter den ewigen 


- Speen , die unabhaͤngig von der Ordnung und den Re⸗ 
- Jationen der Dinge fubfiftiren folen, nichts anders 


verftcht; fo iſt nach Robinet nicht einzufehen, wie. 
man jene vernichte, indem man behauptet, daß die ' 


Guoͤte, Gerechtigkeit, Weisheit, im Gote nicht von 


derſelben Matur feyen, mie im Menfchen. . Mögen. 
Die görtlichen Attribute ihrem Weſen nach noch fo vers 
fchieden von den. menfchlichen „Zugenden feyn: warum 
ſollte das höchfte Wefen nicht ewige Jdeen haben ſowohl 


von feinen eigenen Attributen, als von den Tugenden, 


womit es das Gefchöpf begabt hat, und von dem Mas 


gerfchiede, der zwifchen beyden obwaltet? Warum 
ſollten jene Ideen unabhängig von der Ordnung und 


den ‚Relationen der Dinge in Gott exiſtiren, dieſe 
möchten. num wirklich vorhanden ſeyn, oder nicht? 
- Yebrigens Eigenfchaften, welche man betrachtet ohne 


Ruͤckſicht auf Verhaͤltniſſe, welche fie begründen, oder 


anf Subjecte, denen fie zufommen, oder auf die Art, 
wie fie denfelben zukommen, haben gar Feine Dealis 


zät. Dergleichen Eigenfchaften vernichten, beißt nur, 
leere Phantome zerfireuen, welche die Spigfindigkeit 


dres Geiftes fich felbft auf dem. Wege zur Wahrheit 


entgegenftellt, als ob fie nicht ohnehin mit andern Hin⸗ 


derniſſen genug zu kämpfen hätte. I 


Robiner treibt feine Skepſis an der AUngemefs 
fenheit und gültigen ‚Unwendbarfeie der gewöhnlichen 
göttlichen Attribute ſo weit, daß er das Attribut der 
Vollkommenheit ſelbſt für auf die Gottheit uns 


paſſend erflärt. Der einzige Sinn, welchen wir Dem 


* 


Worte Vollkommenheit beylegen koͤnnen, iſt: 
daß ein ſogenanntes vollkomnes Ding Alles bar 
be und enthalte, was es nach unferer Vorausfeguug 
| von/ 


* 


während d. achtz. Jahrhund. 5. auf Kant. 231 


von einem Zwecke, zu welchem es da iſt, haben und 


enthalten muß. Dieſer Begriff dee Vollkommenheit 


kann aber durchaus nicht von einem Weſen gelten/ 
Das gar nicht erfehaffen ift, und weder Beftimmung, . 
noch Zweck hat. Michts von dem, was in der Mar 
tue ift, kann gut oder vollfommen genannt werden, 
afs nur relativ zu einem Zwecke, wozu ung bie Gas 


che geſchickt ſcheint; anſtatt daß Sort eine abfolute 


Vollkommenheit haben muß, die das gerade Ges 
gentheil deſſen iR, was wir unter Vollkommenheit 
Sem: 


Die abfolute Vollkommenheit ift aber 
nicht, wie man gemeiniglich wähne, der In be—⸗ 
griff aller relativen. Denn 1) diefer Inbegriff 
würde auch die Vollkommenheiten der Gefchöpfe in fich 
fchließen, die nichts UWebernarfrliches haben, und 
folglich auch der Gottheit gar nicht angehören koͤnnen. 
2) In einem Inbegriffe relativer Bollfommenheiten 
ift immer noch feine abjolute gegeben; jede Vollkom⸗ 
menheit der. Gefchöpfe ift nur gut durch ihre Relation 
und Uebereinftimmung mie andern. 3) Inbegriff 
druͤckt Vielfältigkeit aus. Die abfolute Bolls 


kommenheit ift über jede Zahl, wie jede Schranfe ers 


— 


| — Vollkommenheit Gottes BAUR: zu zerſtuͤk⸗ 
P4 


haben. Es giebt keine unendliche Zahl; die abſolute 
Vollkommenheit aber iſt unendlich und einfach. 4) In 
einem Inbegriffe relativer Vollkommenheiten koͤnte 
man leicht die einzelnen aufzählen, fie von einander 
unterfcheiden, die eine oder die anderen denken. " Wels 


che Unterfeheidung aber kann ſtatt finden in der abſo⸗ 


Iuten Vollkommenheit, die nur wefentlih Eine iſt, 
die fich niche theilweiſe, fondern bloß ganz, oder gar 
nicht denken laͤßt? Es ift demnach anmaßend, Die 


fein, 


/ 


n 


232 Geſchichte der neuern Philoſophie 


keln, indem man ihm verſchiedene einzelne Attribute 
beymißt. Wir machen dieſe Unterſcheidung der goͤtt⸗ 
lichen Eigenſchaften nach dem, was wir bey dem Men—⸗ 
-fhen wahrnehmen, und das ift Anthropomorphis—⸗ 
mus. Um ſich aber zu überzeugen, daß die Vollkom— 
menheit Gottes wirklich abfolue ift, darf man nur 
erwägen, daß der Begriff des Relativen nothwendig 
ein Merkmal der Scyranfe und Unvollkommenheit mit 
fih führe, welche doch mit der Unendlichkeit Gottes. 
ſchlechthin unvereinbar find. Wenn wir alfo von der 
göttlichen Vollkommenheit reden wollen, fo bleibe ung 
nichts übrig, als diefe Eigenfchaft lediglich in einem. 
negativen Sinne zu nehmen, fo daß fie bloß- eine reis 
ne Megation der Endlichkeit und der relativen Vol 
kommenheiten der erfchaffenen Weſen ausdruͤckt. 


Es ließe ſich gegen das obige Raiſonnement der 
Einwurf vorbringen: daß die Behauptung, wir haͤt— 
ten feine dee von der Vollkommenheit fchlechthin, 

auch entweder die Vollkommenheit fchlechthin von der 
Gortheit verneine, oder die Natur der göttlichen Ges 
fchöpfe für durchaus von der Matur Gottes verfchies 
den erfläre. . Hat uns Sort in Beziehung auf Volls 
kommenheit Ideen gegeben, welche er felbit nicht hat, . 
fo täufcht er uns, und er verleitet uns fogar zum Boͤ⸗ 
fen, wenn wir den Ideen der Vollkommenheit folgen, 
die er uns beygebracht hat, und die von der wahren 
Vollkommeuheit entfernt find, 


Robinet antworte: Wenn behaupter wird, 
daß wir feine dee von der (abfoluten) Vollkommen⸗ 
heit haben, fo wird diefe damit der Gottheit nicht abs 
geſprochen; fondern es wird nur gefagt, daß die. Ge 
fhöpfe, deren (relative) Volllommenheit wir erkens 
nen ‚eine: von der göttlichen ganz verfchiedene: Par 
— aben. 


während d. achtz. Jahrhund. b. auf Kant. 233 e 


Haben. Diefe Behauptung ift auf der unendlichen 
Diftanz gegründer, die zwifchem dem Gejchöpfe und 
Dem Unerfchaffnen iſt. . Es finder fchlechterdings Leis 
ne Art von Analogie zwifchen den Attributen Gottes 
und den Vermögen und Fähigkeiten der Gefchöpfe 
ſtatt. Ferner: Wenu nun auch Gore Ideen von der 
Vollkommenheit gab, die er felbft nicht hat; fo hat 
er uns darum noch wicht getaͤuſcht. Er gab ung been 
von der relativen Vollkommenheit der Gefchöpfe, die 
wie nach unferer befchränften Natur zu faſſen vermörs 
gen; Ideen von der abfoluten Vollkommenheit konte 
Er uns nicht mittheilen, weil fie über die Faſſungs— 
Fraft eines endlichen Wefens hinausgehen. Wenn wir 
nur den Ideen der Bolltommenpeit folgen, fo wie wie 
‚ fie von Gott empfangen haben, fo handeln wir unfes 
rer Natur gemäß, und erfüllen unfere Beſtimmung; 
wir entfernen uns dann fo wenig von der Vollkommen⸗ 
beit Gottes, als wir uns ihr nähern; wir bleiben 
immer. von diefer in einer unendlichen Entfernung; 
und das Wefen, das uns fo gefchaffen hat, wie wie 
find, kann weder felbft daran Anſtoß nehmen, noch 
uns Boſes wollen. 


Auch) die Natur eines Geiſtes iſt uns ſchlecht⸗ 
hin unbefant. Der ganze Spiritualismus richtig ers 
wogen reducirt fich auf den bloßen Sag: daß der Geift 
eine immaterielle unförperliche Subſtanz fey; er rebus 
eirt fich alfo genau befehen auch auf eine bloße Megas 
tion. Wenn wir’ daher die Gottheit, die Engel, die 
menfchlichen Seelen für Geifter erflären; fo will das 
niicht mehr fagen, als, daß jene Weſen eine von. der 

Materie verfchiedene Datur haben. Wenn aber auch 
die, Geiftigkeit der Gottheit, den Engeln, und den 
——— Seelen —— ift; fo iſt un 

diefe 


234 Gefhichte der neuern Philoſophie 


dieſe gemeinſame Eigenſchaft fuͤr uns ein Nichts, weil 

ſie bloß in der Negation der Materie beſteht. Man 
kann daher auch feine Verſchiedenheit der Gradatio—⸗ 
nen der Geifter in Anfehung der Vollkommenheit 'be 
haupten, gleichwie es verfchiedene Grädarionen der 
Thiere und andrer Förperlicher Xefen giebt. Denn 
Gradationen. der Geifter wären nicht mehr und nicht 
weniger als Gradationen des Nichts. Hieraus fließe 
Die Lingereimeheit der Behauptung derer, welche eine 
generifche Verſchiedenheit der Thierſeelen, und wies 
berum der menfchlichen im Verpäleniffe zu den hoͤhern 
Geiſtern annehmen, und dadurch den Thierfeelen Eis 
genfchaften beylegen, welche fie mit der ‚Gottheit und 
den Engeln gemein hätten, | 


Daß wir gleihwohl allen immateriellen Xefen , 
biefelbe Natur zufchreiben, die wir ben unferer Seele 
wahrnehmen, hat feinen Grund in einer Uebereilung 
Des Urtheils. Man fchließt aus einer Reihe willkuͤhr⸗ 
licher Prämiffen, ohne die Gültigkeit derfelben vors 
ber tiberdache zu haben. Da wir bemerken, daß die 
ganze Materie von homogener Beſchaffenheit it, daß 
alle Körper ausgedehnte, folide, theilbar, beweglich 
find; fo ſchließen wir daraus auf diefelbe Homogeneis 
sär der Natur in Allem, was nicht materiell ift, mefr 
fen alfo allen geiftigen Wefen die Eigenfchaften und 
Faͤhigkeiten unſerer Seele bey, ohne einmal zu übers 
legen, ob diefes möglich fey, oder nicht. 


Roſbinet mirfe-die Frage auf: Ob das Dem 
Pen dem Geifte überhaupt eben. fo notwendig zufoms 
me, wie die Ausdehnung dem. Körper?: Das Letzte⸗ 
re erfennen wir als nothwendig; aber daß alles Uns 
koͤrperliche nothwendig ein denfendes Weſen fern müffe, 
wie Des Cartes bepauptere, erkennen wir fo we⸗ 
4 | nig 


während d. achtz. Jahrhund. b. auf Kant. 235 


nig als nothwendig, daß vielmehr das Gegentheil ges 
wiß zu ſeyn ſcheint: das Denken fen kein nothwendi⸗ 
ges Merkmal des Immateriellen. Zu behaupten, daß 
Alles Unkörperliche denke, beißt bebatıpren, daß das 
Michts denke. Daraus, daß ein individuelles uns 
koͤrperliches Weſen, oder eine einzelne Gattung ders 
felben denke, folge gar nicht, : daß alle andre unförs 
perliche Wefen auch denken. Denn die Unförperlichs 
keit an fih ift nichts, und kann das Denken nicht 
begründen. Wir kennen nur zwey Gattungen der 
Weſen, ausgedehnte und denfende, Alſo jedes nicht 
ansgedehnte Weſen denkt. Der Fehler diefes Schluf: 
fes fälle in die Augen. Es Bann eine Menge Werfen 
geben, deren Natur von den ausgedehnten und dens 
enden Wefen fehr verfchieden if. Als Benfpiel ims 
materieller Wefen, die nicht denken, führt Robinet - 
die fogenannten plaftifhen Maturen an. Wenn 
gleich_diefe, mas ihre Wirklichkeit betrifft, nur auf- 
einer Hypotheſe beruhen, fo find fie doch wenigfieng 
möglih, nnd mehr bedarf es hier nicht. Die vers 
fehiedenen Grade des Denfens aber find ebenfalls uns 
"zureichend, um fpeeifijch verfchiedene Gattungen der 
Geifter zu behaupten. Robinet meyne, daß das 
Denfen ein fpecififches eigenehümliches. Merfmal bioß 
unſrer Seele ſey. Denn der Begriff des. Denkens, 
welchen wir ‚haben, ift für uns das Product eities 
‚ Öeiftes, der mit einem Körper verbunden 
iſt, oder mie andern Worten, das Denken erfennen 
» wie. als eine Modification unfers Geiftes bewirkt durch‘ 
Vermittelung einer materiellen Maffe, welche diefer 
Geift beſeelt. Diefer Begriff des Denkens aber, wie 
er doch allein nur für uns möglich iſt, paßt lediglich 
auf die menfchliche Seele, und ift auf: feine Weiſe 
geiflige RER ——— die nicht ſolche er 
terielle 


. 236 Gefchichte der neuern Philoſophie 


terielle Koͤrper haben, wie wir. Wir wuͤrden uͤber⸗ 
haupt gar keine Idee von Intelligenz haben, wenn 
wir nicht daͤchten. ber wir denken nicht ohne Or⸗ 
gane. Man trenne die Seele von ihrem. organifchen 


Apparate, fo wird fie feine Eindrüde mehr von den 


-  Dbjeeten empfangen; fie wird alfo auch nicht miehe 
auf die Objecte zuruͤckwirken, und überhaupt. gar 
nicht denfen. | * 


Die Elemente demnach, welche unfre Idee von 


ber. Intelligenz conftituiren, find: a) die Actfon der 
Dbjecte auf die Sinne; b) die Action der Organe auf 
die Seele; c) bie Reaction der Seele auf jene Eins 


drücke, . Oder: die Thärigkeit des Denkvermögens 


ift durchaus und nothwendig abhängig von der orgas 
nifchen Thätigkeit des Körpers. Das Denken ift ung 
befanter, fofern dee Körper dabey mitwirfe, wie als 
Eigenfchaft des Geiſtes. Wir haben auch nur von 
dem Denfen felbft eine innere Wahrnehmung; ‚aber 
nicht von den Vermögen zu denfen.- R. folgerte 
hieraus, daß es überhaupt weder einen ſchlechthin reis 


nen Gedanken, . noch eine fehlechthin geiftige Intelli- 


genz gebe, die ih unabhängig von einem Körper ent⸗ 
wicfele. Die Gottheit Bann daher ebenfalls Fein bloß 
geiftiges Weſen feyn, nach den Begriffen, ‘welche wir 
Menfchen von einem Geifte haben und haben können, 
Auch die Moralitat gründen fih auf Verhaͤltniſſe, 
‚welche nur unter Gefchöpfen ftatt. finden moͤgen. In 
Beziehung auf die Gottheit ift zwifchen den metaphy⸗ 
fifchen und moralifchen Attributen nur der Unterfchied, 
daß jene negativ find, und eben dadurch die Gottheit 
von allem Endlichen abſondern, . oder. vielmehr über 
dasfelbe erheben; da diefe hingegen pofitive Qualitäs 
ten. ausdrücken. Jene laſſen fich folglich auf die y 

eit 


h 


ı während d. achtz. Jahrhund. b. auf Kant. 237 


heit anwenden, wenn ſie gleich nichts Reelles von der⸗ 
ſelben ausſagen; dieſe aber nicht. 


Ohne mich nun weiter auf die Analyſe und Kris 
tie Robiner’s auch von den uͤbrigen göttlichen Eis 
genſchaften und Relationen zur Welt, die gewöhnlich 
in der rationalen Theologie angenommen zu werben 
pflegen, einzulaffen, will ich nur noch das allgemeis 
ne Refultat, das er aus feiner ganzen Unterfuchung 
‘zieht, kurz angeben. | 


Die neuere rationale Theologie ift überhaupt 
hichts weitet, als ein ſpiritualiſtiſcher Anthropomor⸗ 
phismus, der mit dem gröbften materiellen einerley - 
"phitofophifchen Unwerth bat. Die metaphyfiſchen Ara 
tribute fchließen von der Gottheit alles Endliche aus, 
und erflären fie eben hierdurch für gänzlich unerkenn⸗ 
"bat und uirbegreiflich. Durch die moralifchen. Attri⸗ 
bute aber wird Gore mit der Meunſchheit analogiſirt; 
man giebt ihm diefelbe Natur, welche erfchaffene ends 
liche Weſen haben; und weh man jene Natur auch 
zu einer relativ unbeſtimbar größeren Vollkommenheit 
erhebt; fo bleibt fie Doch immer Hinter dem Unendlis 
dien zuruͤck, und kann Diefem nie angemefjen fegn. 
Gott kann alſo weder ein intelligentes, gutes, weiſes, 
gerechtes Wefen genannt werden; noch auch das Gegens 
theil. Die Ppitofoppen haben fich zu ſehr uͤbereilt, 
Diefe Eigenfchaften von Gore zu bemeifen, und. mie 
der endlichen unvollfomnen Welt in Harmonie zu brin⸗ 
gen; daher fie in unaufloͤsliche Schwierigkeiten -vers 
wickelt wurden. Sie hätten vorher ruhig und: unbe⸗ 
fangen unterfuchen follen, ob jene Eigenfchaften in. 
der That der Gottheit zukommen mögen. Robinet 
ſucht zuleßt auch feine theologiſche VBorftellungsars 
mit den Ausſoruͤchen der heiligen Schrift zu vereinba⸗ 

con, 


⸗ 
4 | 
En e: 


238  Gefchichte, der neuern Philofophie 
ren, fo gut es gehen will. Die pofitiven Theologen 
> möchten gleichwohl Urfache haben, ſehr unzufrieden 
mis ihm. zu ſeyn. 

+ Dies Raifonnement. Robinet's über die vas 
tionale Theologie ift zwar ſehr Iehrreich; aber es 
kann auf der anderen Seite, weil es von ihm zu weit 
getrieben ift, ſehr feiche gemisbraucht, und für den 
Atheismus benußt werden. Keiner der Altern Metas 
phnfiker hat fo ausführlich und fo ſcharfſinnig die Uns 
moͤglichkeit einer. theorerifchen Erkentniß Gottes und 
der göttlichen Eigenfchaften bewiefen, als von R. ‚ges 
ſcheben ift. Mur darin geht er zu weiß, daß er als 
fen Anthropomörppismus ſchlechthin, uud auch die 


ee. h 
Exiſtenz gültiger Begriffe von den motalifchen Eioenl 
die 


pin Gottes leugnet. Auch ein’ Glauben an % 
WBeſchaffenheit der göttlichen Natur, mie ihn das Bei 
duͤrfniß der menfchlichen. Vernunft fodert , wird ‚ganz 
fich von ihm abgeſchnitten. Cine, ſolche Kritik der tgs 
tionalen Theologie, kahn zu nichts Anderem, als jung 


Heheismus, oder zw einem Jndiffereneismus führen, . 


der nicht viel beſſer, als Atheismus, iſt. 3 
Wenn. wie. einmal: das Daſehn Gottes, als letz⸗ 

ten Urgenndes des Vorhandnen, annehmen muͤſſen; 
fo darf die dee von Gott auch nicht leer bleiben, ins 
dem fie fonft eine wichtige dee wird; fondern wir muͤf⸗ 
ſen die Gortheit mit gewiſſen Merkmalen beſtimt den? 
ken. Dieſe Merkmnale koͤnnen wir nicht anders ges 
winnen, als daß wie fie von der menſchlichen Ver⸗ 
nunft entlehnen, die wir als das Edelſte in der Das 
sur kennen, “und jene nur zum Unendlichen und Uns 
bedingten erhöhen. Freylich fann das Endliche nie 
auch nur ein Analogon abgeben, um die Eigenfchafs 
ten des Unendlichen. danach zu beftinimen, Inſofern 
| 2 ent⸗ 


N 


* 


— waͤhrend d. act, Jahrhund. b. auf Kant. 230 


entzieht ſich die Gottheit ſchlechthin aller unſerer Er⸗ 
kentniß, und wird für uns das unendliche Unbefante; 
* Aber theorerifch follen die Eigenfchaften Gottes auch 
nicht dadurch beftimt oder’ erfane werden. Jene Mer 
male find bloße Symbole, ‚von ber Natur der endlis. 

shen vernünftigen Weſen hergenommen, init denen wig 
uns die Gottheit denfen, und wodurch wir uns he 
ehrfurchtsvoll in unendlicher Entfernung nähern. In 
dieſem Sinne legen wir der Gottheit intellestuelle und 
moraliſche Eigenfchaften bey, und betrachten fie zus 
gleich als den Lirheber der- finnlichen, wie der vernuͤnf⸗ 
tigen Natur, als moraliichen Gefeßgeber und Richter: 
Eben diefe Eigenfchaften find auch bloß Gegenfiände 
eines VBernunftglaubens „ dee ans. den Bedürfniffe dee 
Vernunft hervorgeht. Die Urtheile, daß Gott mes 


> der ein denkendes, noch ein nicht denkendes Weſen, mes 


der gut, noch böfe ſey, vernichten eigentlich den Be⸗ 
griff der. Gottheit ſchlechthin; es bleibe alfo nichts weis 
ter, als das Dilemma übrig , entweder fich dem trofts 
fofeften Atheismus Preis zu. geben, oder ſich an eis 
nem beſcheidnen und vernünftigen Anthro— 
pomorphismus zu halten. Der Gott, deſſen Exi⸗ 
ſtenz wir glauben, und auf dieſe Weiſe uns der Na⸗ 
tur unſerer Erkentnißart gemaͤß vorbilden, wird zwar 
dadurch „ber menſchlichen Matur gewiſſermaßen aſſi⸗ 
milirt. Aber man muß nur dabey nicht vergeſſen, 
daß dieſe Aſſimilation bloß zum Behufe eines prak⸗ 
tiſchen Gebrauchs der Idee von Gott ſtatt finder, und 
. daß die Vernunft. nichts defto weniger auf eine Kon 

anne Srestniß Gottes Verzicht -thur. | 


Schr viel ntereffantes und- — — ode 
auch fehr viel Paradores, enthalten noch die beyden 
en. Theile des Kabinen ſchen Werts de la nature 

ber 


— 


240 Geſchichte der neuern Philoſophie 
Über die Stufenfolge (gradation) der Naturwe—⸗ 


fen... Ex entwicelt hier zunörderft das Gefeß der Ster 


; tigkeit (lex continui) in feiner Anwendung auf die 
Matur, umd zeigt, ‚wie diefes von den Naturphiloſo⸗ 
: phen zwar im Allgemeinen immer anerkannt; aber bey 
der foftematifchen Anordnung und Beurteilung des 
Details der Maturwefen häufig vernachläffige worden 


19 


wi Eg giehe nach R. nur einen einzigen Act in der 
Matur, auf welchen fih alle Naturereigniſſe zuletzt 
zuruͤckfuͤhren laſſen; Ein einziges Phaͤnomen, mit 
dem alle Phaͤnomene als Theile verbunden ſind; Ein 
einziges Urbild (Prototypon) aller Weſen. Es gab 
alſo auch nur Ein moͤgliches Naturſyſtem, ſo wie die 
Wirkung ſeyn mußte, die von ber. Urſache ausgieng;, 
welche alle mögliche Werfen in fih fchloß, Dem Ge 
feße der Stetigkeit zufolge machen die Maturdinge Ei⸗ 
ne einzige Claſſe aus, one Unterfchied der beſondern 
Maturreiche. Es führt uns nehmlich darauf, daß 
alle Thiere, Pflanzen, Mineralien: Modificationen 
der organifirten Materie find, die alle’ an demfelben 
Weſen und feinen Eigenfchaften Theil nehmen, ohne 
Durch etwas Anderes, als durch das Maaß dieſes 
Antheils gefchieden zu werden. Die Verbindung dee 
thierifchen Natur (Animalitaͤt) mit der vegetalen ers 
fodert, daß die leßtere infofern an jener Theil Habe; 
als die Stufe nöchig macht, welche fie im Reiche der 
Maturweſen einnimt. ‚Eben fo erfodert die Verbindung 
des Vegetalen mit dem Mineralen, daß der verhäles. 
nigmäßige Grad der Animalitaͤt, der. fih in jenem 
findet, wiederum nach einem relativen Maaße fich dem 
Mineralreiche mittheile; meil in einer uuunterbroche 
nen Stetigfeit. der. Maturwefen, die ſich fo diche an 
oe i . ein: - 


während. d. acht}. Kaprhund..b. auf Kant. 241 


einänder fehließen ‚ wie möglich, alle wefentliche Quas 
litäten des erſten fi gradmeife bis auf das legte nuͤaan⸗ 
giren müffen, ohne daß die Reihe durch eine unaus⸗ 
— Luͤcke unterbtochen wuͤrde. 


Robinet geht hierauf zur genaueren Beſtim⸗ 
* des allgemeinen ſowohl als des diſtinetiven Cha⸗ 
racters der Thierheit über. Gemeiniglich nimt man 
etwas fuͤr das Weſen der Thierheit, was nur eine 
Variation desſelben iſt. Man bilder einen allges 
meinen Begriff des Thiers uͤberhaupt, nach beſon⸗ 
bern Begriffen. ber Individuen. Die Auſſuchung des 
wefentlichen Charakters der Thierheit leiter auf die 
offendare Unmöglichkeit, irgend ein Maturmefen aus 
der Claſſe der Thiere auszufchließen. Robinet fiel 
te. aljo hier folgende Grundfäge auf: Es eriftire 
Peine befondre äußere oder innere Form, 
bie dem Thiere als folhem nothwendig wär _ 
te. — Es exiſtirt aber auch feine befondre 
äußere oder innere Form, die nothwendig 
von der Thierheit ausgefchloffen wäre 
Den Beweis diefer Säge entlehnte er aus ‚der ends 
loſen Mannichfaltigkeit der thieriſchen Formen, und 
. ihrer Verwandlungen. Die legteren find oft ſehr 
eritferne von einander in Anſehung der Form, und 
dennoch läßt. die Natur gemiffe thieriſche Geſchoͤpfe 
nach und nach durch fie alle hindurch gehen. Robis 
net erläutert Dies durch mehrere interefjante Beyſpie⸗ 
le aus der Naturgeſchichte. 


Dann unterfucht er die Matur der Organifas 
tion überhaupt. Ein Organ ift ein bopler natuͤr⸗ 
lich ehätiger Enlinder (un trou allonge). "Auf dies 
fen einfachen Begriff laͤßt ſich auch die verwickeltefte 
Drganifarion zurückführen. Der menfchliche Körper, 

‚Bühle's Geſch. d. Philoſ. Vl. B. Q das 


. 242 Geſchichte der neitern Psitofopfie 
ee Meifterftück der Organiſation, iſt nur ein Ss 


ſtem von biegfamen, geordneten, _ in einander verflochs 


genen Röhren, mit einer inneren Kraft begabte, wels 
che aus ihrer Structur entſpringt. Jedes Organ iſt 
aus andern Pleinern Organen zuſammengeſetzt; dieſe 
wieder aus andern noch Fleinern Organen, und dies 
gebt fo in einer dem Reichthume der Natur —— 
nen Progreſſion weiter fort. 


Hier erhebt fich die Frage: Ob es eine rohe Mar 
terie giebt, oder geben koͤnne? —  Mobiner bes 
hauptet: Es eriftive bloß organifche Materie, und 
feine rohe. Denn der Plan der Natur ift einfach und 
einig. Gaͤbe es organifche und nichtorganifche Mar 
terie, fo würden die Einheit und der Zufanmenhang 
des Maturplans aufgehoben feyn. R. ſucht die Uns 
möglichkeit einer unorganifchen Materie noch aus mehr 
andern Gründen zu beweifen. Sie würde ein Widers 
ſpruch ſeyn, und die Erfahrung kann auch ſchlechter⸗ 
dings feine rohe Materie aufzeigen, 


Bonner fege in feinem Werke: Contempla« 
tion de la nature, die Mineralien als rohe und unorgas 
nifche Subſtanzen den Thieren und Wegetabilien, 
weiche das Reich der organiſitten Weſen ausmachen, 


entgegen. Er betrachtet die einen und die andern aus 


allen. Gefihtspuncten, in Hinſicht auf Formation, 
Wachsthum, Structure, und findet in den Mineras 
lien nichts, was berechtigte, fie in die Elaffe organis 
ſcher Wefen aufzunehmen; vielmehr, was er daran 
wahrnimt, berechtige, fie davon auszufchließen. Des 
‚Hanifation und Michtorganifation find alfo nach: feis 
nem Syfteme Modificationen der Materie, und zwar. 
nicht bloß mögliche, fondern im Univerfum wirklich 
Viſurende a ie = 

Zee Ro⸗ 


‚während d: achtz. Jahrhund. b, auf Kant. 234 


Mobiner. erinnert dagegen, daß alle angeſuͤhrte 
Gruͤnde zum Beweiſe, daß die Foſſilien aus rohem 
‚Stoffe beſtehende unorganifhe Subſtanzen, obne tes 
ben und eigenehümliche Thaͤtigkeit ſeyen, entweder 
gar nichts, oder das Gegentheil beweifen. Was fich 
im Allgemeinen von den Eigenfchaften oraaıfirter Das 
turdinge fagen läßt, laͤßt fich auch auf die eine oder 
die andere Urt von den Mineralien jagen. Es ift 
durchaus unmöglich, zu beflimmen, wo die Organis 
fation aufhört, und die Natur organifire immer noch, 
auch wo fie es gar nicht mehr zu thun ſcheint. R. bes 
ruft fich Hier unter andern auf Bourgust wegen der 
Drganifation der Kryſtalle. Man muß aber wohl 
unterfcheiden zwifchen den Producten der Natur und , 
den Merken der Kunſt. Die Kunſt fege zufanımenz 
fie führe alle ihre Werfe nur Theilweife durch Trent 
nung und Verbindung der Materialien aus, Die 
Producte der Marur find ganz. in Kleinen, wie im 
Großen; es find organifche Ganze, deren Theile fich 
nicht einer nach dem andern bilden; fondern die vong 
Anfange des Dinges in dem Keime vereinigt find, und 
ſich zuſammen durd ihren innern Organismus ents 
wickeln. Eine andere Wirkung diefes Organismus if, 
daß die natürlichen Diafchinen andere ihnen gleiche herz 
vorbringen koͤnnen; die kuͤnſtlichen Mafchinen hinges 
gen find fchlechehin unfruchtdar. Die ganze Mares 
> sie befieht daher nur aus Samen und Keimen; die 
Drganifation tft eine ihre wefentliche Eigenſchaft, die 
Grundlage aller, den Subſtanzen gemeinfchaftlichen 
Vermögen, fich zu ernäßren, zu wachfen, und ihres 
Gleichen zu erzeugen. Robinet folgerte hieraus, 
daß auch die Materie weſentlich auimaliſch ſey; 
denn Die Vermoͤgen der Ernährung, des Wachsthums 
und der Erzeugung, welche der gefanten Materie zus 

np Q 2 kom⸗ 


* 


244 Geſchichte der neuern Philoſophie 


kommen, machen den unterſcheidenden Charakter der 
Animalitaͤt aus. 


Die Gruͤnde und Gegengruͤnde, welche R. ums 
ſtaͤndlich vorträge, kann ich nicht hier verfolgen. Nur 
noch einige allgemeine Bemerkungen desfelben will 
ich hinzufegen. Die Pflanzen find an den Boden 
gebeftere Thiere (animaux fedentaires), Ihre Ernäps 
tung, ihr Wachsthum, und ihre Zeugung gefchehen 
völlig eben fo, wie bey den Thieren. R. führe Bey⸗ 
fpiele an, daß Pflanzen in Thieren feimten; ein Rog⸗ 
genkorn keimte in dem Magen einer Frau; Schwaͤm⸗ 
me wuchfen im Körper eines Mannes u.m. - Wenn 
auch die Pflanzen Pein äußeres Zeichen der Empfins 
"dung und Vorſtellung geben; fo haben wir doc) deßs 
halb Fein Recht zu behaupten, daß fie Leine hätten. 
Auch von der Empfindlichkeit der Pflanzen führe Ros 
binet mehr merkwuͤrdige Fälle an, die ſich aber frey⸗ 
fich auch anders erklaͤren laſſen. Er frage: ob übers 
all eine Eriftenz ohne Empfindung oder Vorſtellung 
möglich fen? In Anſehung der Pflanzen, meynt er, 
daß ihre Empfindung zwar fehe ſchwach, ihre Wors 
ftellungen ſehr verworren und dunkel ſeyen; daß fie 
"aber doch überhaupt Empfindungen und Borftelungen 
hätten von einer folchen Beſchaffenheit, wie fie ihrer 
Natur angemefien wären. 


Der unterfcheidende Charakter der Animalitaͤt 
iſt von allen Formen unabhängig ; er ift weder mit bes 
flimten Organen und Eigenfchaften, noch mit einer 
beftimten Defonomie des Raturdinges nothwendig vers 
bunden; weil ſich auf altes diefes blog individuelle 
Verſchledenheiten gründen. Es giebt auch Grade dei 
Animalitaͤt, die für unſre Sinne gar niche wahr 
nepmbar find. Die einzigen wefenslichen Merkmale 

| ber 


während d. achtz. Jahrhund. b. auf Kant. 245 


der Animalirät find Nahtung, Wachsıhim und Zeus 
gung. Diefe find auch den Steinen, Metallen, und 
allen Arten der Foffilien eigen. Auch die Foffilien 


baben Animalitaͤt. R. fchildere ihre Lebensalter, ihre 


Faͤhigkeiten, und die Ausübung derfelben. Das 
Wahsıhum gefchieht auch bey ihnen in allen ihren 


foͤrmlichen Thellen zugleich, und das ift nur in einem 


lebendigen organifirten Körper moͤglich. MR. verfällt 
bierbey indefjen duch feine Hypotheſen verleitet in's 
Spielende und Abentheuerliche. Er nimt fogar unter 


den Mineralien eine gefellige Verbindung an, - 


Sie theilen einander ihre Fähigkeiten mie, wirken 
auf einander, fuchen fich, ftoßen fih ab, behaupten 
fih duch Verbindung. Sm hohen Alter verlieren 
. fie nad) und nach ipre Vermögen und ſterben. R. 


wendet auch Die Seh der — auf die REN | 


per an, 


Dicht bloß als Zeitgenoffen, fondern auch we 
gen der Verwandtſchaft der Studien und der philofos 
phifchen Denkart kann dem Robinet an die Geite 
geftelle werden Earl Bonner, obgleich Beyde in 


- vielen Stücken verfchiedener Mieynung waren, und 


auch einander befiritten. Er wurde gebobren zu Genf 
im J. 1720, lebte gewöhnlich auf feinem Landgute 
Genthod in der Naͤhe diefer Stadt, und flarb im 


J. 1793. Er war niche nur ein ſehr gelehrrer und 


denkender Naturforſcher, fondern auch einer der ges 
ſchmackvollſten Schriftfteller; nur dag man ihm viel 
leicht eine zu Angftliche Sorge für Correetheit der Spra⸗ 
che und Ründung der Perioden, eine gewiſſe rhetori⸗ 
ſche überladene Eleganz, die zur einförmigen Manier 
wird und am Ende. ermüder, vormwerfen koͤnte. Mebs 
rere berũhmte Hypotheſen zur aeg, der organ 
| N 3 * 


* 


Be 246 Geſchichte der neuern Philofophie 


ſchen Matur find theils von ihm erfunden, theils auss 


‚gebildet und zur Kentniß des größern Publicum’s ges -— 


bracht: worden. eine Philofophie hat das Eigens 
thuͤmliche, daß fie vom Empirismus ausgeht, und 
Dennoch durch Schlüffe fi einen Weg in die über: 
finntiche Welt zu bahnen fucht. Hier will ich nur fein 
Verdienſt um . die empirifche Pinchologie, und: bie 
Principien und allgemeinen Refultate feines Marurs 
ſyſtems kurz charakterifiren, da das Detail feiner meis 
fen Unterſuchungen eigentlich naturpiftorifch ift, und. 
nicht weiter hierher gehört. | 
Seine empirifbe Pſychologie laͤßt ſich auf fols 
gende Hauptſaͤtze zurückführen: I: Alle unfre Vorſtel⸗ 
lungen eurfpringen aus den Sinnen, und diefe find 
Die erfte Duelle derfelben. in Blindgebohrner wird 
niemals Ideen von Licht und Farben bekommen. Geis 
ie Seele hat gleichwohl diefelben Faͤhigkeiten, welche 
die unſrige hat; was fehlt ihr alfo, um auch Geſichts⸗ 
vorftellungen zu haben? — Das Organ, daß dies 
- fen. Vorftellungen entfpricht. - Wäre diefer Blindges 
bohrne auch zugleich taub geboßren, hätte er ben feis 
nee Geburt weder Gefühl, noch Geſchmack, noch Gy 
ruch ‚gehabt, wie hätte möglicherweife feine Seele 
Ideen erhalten koͤnnen, und was fir welche? — Man 
wird antworten, daß er wenigftens fein Dafeyn eims 
pfinden würde. Uber wie erwerben wir denn die Ems 
pfindung unfers Dafeyns? Bloß dadurch, daß wir 
über unſere Senfationen reflectiren, die immer we⸗ 
fenelich mie der Empfindung verbunden find, es fey 
unſre Seele, welche fie leider, und dieſe leßtere Ems 
pfindung ift es eigentlich, welche wir Bewußtſeyn der 
Eriſtenz nennen. «Eine Seele, die niemals überhaupt 
Objecte empfunden hätte, koͤnte — nicht Be, | 

| daß ſie — | 
I, 


4 


— 


wihrend d. achtz. Jahrhund. b. auf Kant. 


II. Inzwiſchen ſind doch nicht alle unfere Ideen 
Empfindungsvorſtellungen. Eine andere Quelle der⸗ 
ſelben iſt die Reflexion. Wenn auch alle unſre 


Ideen den Sinnen ihren Urſprung verdanken, ſo ſind 


fie doch darum nicht alle bloß finnlich. Die Res 
flerion durch Verbindung und Trennung der Vorſtel⸗ 
Jungen und ihrer Merkmale gelange mie KHülfe ber 
Zeichen, 3.8. der Wörter, Seceauie zu den abs 
firactefien Begriffen. 


UI, Die Gegenftände ſelbſt, oder die aor⸗ 
perchen (corpuscules), welche von ihnen ausſtroͤmen, 


wirfen nue durch einen Eindruck Cimpulfi on) auf uns - 


fre Sinne Sie tpeifen diefen eine gewiffe Erſchuͤt⸗ 
terung mit, die fich in’s Gehirn fortpflanzt, und wo⸗ 
durch die Seele Senfationen bekomt. Der Philos 
foph frage hier gar nicht weiter, mie die Bewegung 
eines Merven in der Seele eine Idee erzeugen koͤnne. 
Er nimt dies ſchlechthin für ein Factum an, und ents 
ſagt der Neugierde, die Urfache desfelben zu: wiffen. 
Er fieht ein, daß dies von dem Geheimniffe der Wers- 
einigung der beyden Subſtanzen, Körper und Seele, 
abhängt, und daß ihm diefes Geheimniß unerforfchs 
lich if. Für ihn ift die Erkentniß hinreichend, daß 
einee Erſchuͤtterung diefes oder jenes Nerven allemal 
in der Seele diefe oder jene Senfation correfpondirt. 
Er betrachtet alfo die Senfation nicht wie eine phyſi⸗ 
ſche und unmittelbare Wirkung der Mervenbewegung, 


fondern wie eine von diefee Bewegung unzertrennliche | 


Folge. Gewiſſermaßen ſieht er. fie an, wie ein nas 
türliches Zeichen der Genfation, das der Schöpfer 
unmittelbar angeordnet hat. 


IV. Bonner hält es nicht für eine Unmöglichs 
kit, daß die Seele ohne Sürper denke; es Lönte reis 
4 ve 


s 
* 


248 Geſchichte der neuern Philoſophie 


ne Geiſter geben, die Ideen haben; aber er geſteht, 
daß er Durchaus nicht begreife, mie fie diefelben haben 
koͤnten. Das Gefühl, welches der Menfch von feis 
nem Jh har, dit imimer einig, einfach, untheilbar; 
und Daraus fließt, daß er nicht ganz Materie if. Das 


Dafeyn der Seele ift alfo das, Dafeyn einer immas 


teriellen Subſtanz, welche es dem Schöpfer gefallen 
bat mie einem organifirten Körper zu verbinden. - In 
dieſem Verhaͤltniſſe feheine es,‘ daß der Menjch nur 
duch Bermittelung feines Körpers Ideen haben koͤn⸗ 
ne, und je mehr er ſich ſelbſt beoachtet und ſtudirt, 
deſto mehr fuͤhlt er ſich gedrungen, den großen Ein⸗ 
fluß der koͤrperlichen Maſchine auf alle ſeine Seelen⸗ 
thaͤtigkeiten anzuerkennen. Ueberdem lehrt nun noch 


Die Offenbatung, daß die Seele ewig mit einer Por⸗ 


tion Materie verbunden, der Menjch alfo ewig ein 


gemifchtes und zufammengefeßtes Weſen ſeyn merde, 


Es Fonte daher auch niche die Abfiche des Schöpfers 


ſeyn, daß er ein reiner Geift feyn ſollte; vielmehr fols \ 


te die menfchliche Seele immer nur ihre Fähigkeiten 


duch Vermittelung des Körpers Außen. Hätte e6 
der Schöpfer anders gewollt, fo würde der Menfch 


auch anders philofophiren, weil er dann eine ganz 


andre Urt, wahrzunehmen und. zu urtheilen haben 
. würde. Die Uuterfuchung des menfchlichen Wefens 
muß alfo der Natur desfelben angemeffen ſeyn; bie 
Seele kann ſich nicht felbft fehen und beruͤhren; aber 
fie fieht und berüßee Körper vermittelſt deffen , mit 
welchem fie zunächft vereinige if. Die Sinne feßen 
fie in Verbindung mir Allem, was fie umgiebt; durch 
jene hänge fie mit allen Tpeilen des Univerfum’s zufams 
men, eignet fie fich gemwiffermaßen die geſamte Natur 


an, und erhebt ſich — dieſelbe zu — odttlichen 
— ee 


v. 


wahrend d. act Jahrhund. b. auf Sant. 249 


. Kür die Unterfuchung des Erkentnißvermoͤ⸗ 
gens ſeiner Beſchaffenheit iſt wenig daran gelegen, 
ob wir uns in Anſehung des wirklichen Daſeyns der 
Koͤrperwelt außer uns taͤuſchen, oder nicht. Waͤre 
auch das ganze materielle Syſtem nur ein Phaͤnomen, 
ein bloßer Schein relativ zu unſerer Art wahrzuneh⸗ 
men und zu urtheilen; ſo wuͤrden wir doch nichts de⸗ 
ſto weniger unſere Senſationen von einander unter⸗ 
ſcheiden; wir wuͤrden nichts deſto weniger uͤberzeugt 
ſeyn, daß einige derſelben in unſerer Gewalt ſind, 
und andere nicht; daß außerhalb unſerer Seele etwas 
ſeyn muͤſſe, was Senſationen unabhaͤngig von ihrer 
Willkuͤhr hervorbringt. Dieſes unbekante Etwas aus 
Ber uns iſt es, was Materie genannt werden kann. 
Nach Bonnet kann man nicht behaupten, daß die 
Materie in der That ſey, was ſie uns zu ſeyn ſcheint; 
wohl aber kann man behaupten, daß das, was ſie 
zu ſeyn ſcheint, ein weſentliches Reſultat ſowohl des⸗ 
jenigen iſt, was ſie an ſich iſt, als desjenigen, was 
der Menſch iſt im Verhaͤltniſſe zu ihr. Die Geſchoͤp⸗ 
fe, welche die Materie unter anderen Beziehungen 
wahrnehmen, haben auch eine andre Ratur, als er; 

und der Menfch. felbft würde die Außere Körpermwele 
unter anderen Beziehungen erfennen, fobald feine Nas 
tur fich ‚änderte. Es ift deswegen auch völlig übers 
flüffig, die mannichfaltigen Hppothefen zu prüfen, 
die man zur Erklärung der Verbindung zwifchen Leib 
‚und Seele. äufgeftellt hat, ‚weil alle jene Hypotheſen 
auf gleiche Weife eine beftändige Relation voraus⸗ 
fegen zwifchen den Mobdificationen dee Seele und dem - 
Bewegungen des Körpers. Bonner hält fih an 
dem phyſiſchen Einfluffe, — als Thatſache, 
pumbetn als — 


Q5 vi. 


/ 


250 Gefihiihte der neuern Philoſophie * 


VI. Jeder Sinn des Menſchen hat ſeinen Mes 
chanismus, feine Art zu wirken, ſeine Beſtimmung 
Jeder überliefert der Seele: eine Mannichfaltigkeit vers 


ſchiedener Eindrücke, denen eben fo viel verſchiedene 


Senſationen entiprechen. - Es fcheint unmöglich, daß 
voͤllig gleiche Fibren hinreichend feyn koͤnten, um ſo 
viel verſchiedene Eindrüche ohne Verwirrung aufjuneßs 
men, und in die Seele fortzupflanzen. - Jede empfin⸗ 
dende Fiber befinder ſich, wie Bonnet meynt, als 
denn in dem Zuſtande eines Körpers, der auf einmal 
durch mehrere verfchiedenartig wirkende Kräfte geftos 


en wird; diefee-Körper würde eine zufammengefeßte 


Bewegung empfangen, Die das Product jener Kräfte 
wäre, und feine derfelben insbefondre darftellen würs 
de. . Betrachter man aber die finnliche Wahrnehmung -. 
bes Menfchen aus diefem Gefichtspimere, fo fann man“ 
von der Verſchiedenheit der Genfationen durchaus 
Feine Rechenfchaft geben. Man muß alfo annehmen, _ 
Daß jeder Ginn Fibren enthalte, die jeder Art der 
Senſation angemeffen find. Die Organifation der 
‚Sinne felbft: hat auch mande Eigenheiten, welche 
dieſe Vorausſetzung rechtfertigen. Beſonders gehören - 
dahin die Beobachtungen über. die verfchiedene Refran⸗ 
gibilität der gefächten Strahlen, und bie verfchieder 
nen Schwingungen der Saiten der Toninſtrumente. 


VII. Die menfchlicde Seele iſt inzwifchen nicht 
Darauf. beſchraͤnkt, bloß miteelft dee Sinne zu ems 
pfinden. Gie hat auh Erinnerung deflen, mas 

„von ihr empfunden ift: Sie hat die Empfindung der 
'»Meubeit einee Senſation. Eine Genfation, bie 
ihr mehrmal dargeboten iſt, afficire fie nicht genau 
fo, wie das erfiemal. Die DObjecte. gelangen immer 
nut durch die Sinne zur Seele. Diem, die er 
"X ma 


waͤhrend d. acht;. Jahrhund. b. auf Kant. sr 


mal erſchuͤttert find, koͤnnen nicht-genau in dem’ Zu⸗ 
ſtande ſeyn, worin fie waren, bevor fie erſchuͤttert wur⸗ 
den. Diewiederholte Einwirkung der Objecte muß 


hierin einige Veränderungen ‚bervorbringen. Wenn 


Die Gattung der GSenfationen mit einer gewiſſen Gat⸗ 
tung von Fibren verbunden iſt, fo hat die Erinnerung 


‘an die Senfationen nur an dem dermafigen Zuftande. 
der Fibren haften koͤnnen. Jungfraͤuliche Fibren 


(des.fibres vierges), wie fie Bonner netint, affis 
eirten alfo die Seele nicht genau fo, - wie nicht jungs 
fräuliche, und das Bewußtſeyn der Meupeit eines 
Empfindungszuftandes hat in der Sungfrauf Haft 
der empfindenden Fibren feinen Grund. 


Boermoͤge der Vereinigung der beyden Subftans 
zen kann nichts in der Seele ſich ereignen, wenn niche 
im Körper. etwas gefchieht, was der Veränderung 
in jener correfpondirt. Diefe Veränderung im Körs 


‚per läßt ſich aber oft gar nicht entdecken, oft nur vers 


‚muthen. 


vm. Die € Seele hat einen Willen und iußer. 


ihn. Sie Hat Triebe und ift thaͤtig. Diefe Thaͤ⸗ 
. tigkeit, wie fie auch befchaffen feyn möge, muß ein 


Subject haben, mittelſt deffen fie fich entwickelt. Bons 


net glaubt, daß fich Fein anderes finden -laffe als wies 


derum diefenfiblen Fibten. Wie alfo die Sinne auf 
die Seele: wirken, fo kann die Seele ihrerfeits auf 


‚die Sinne wirken. * Die Gerle wirft hierbey nicht 


nach Art des Körpers; fie ift nicht Körper; aber die 


Wirkung ihrer Thaͤtigkeit entfpriche einer Pörperlichen | 


Wirkung. Kurz die Seele erſchuͤttert nah Willkuͤhr 
die ſenſiblen Fibren, obgleich ſich das Wie nicht er⸗ 
kennen laͤßt. Die bewegende Hauptkraft der Seele 


iſt das Vermoͤgen der Aufmerkſamkeit. Wird es 


zu 


252. Geſchichte der neuern Philofophie 

zu fehe angeſtrengt, ſo entſteht in der Seele das um 
angenehme Gefuͤbl, welches wir Ermuͤdung mens _ 
nen. . Aber kann die Ermüdung eigentlich zu reden 
anderswo ihren Gig haben, als in den Organen, und 
iſt 8 nicht die Seele felbft, welche jene durch eine 
Wirkung ihres Willens verurfacht? Wollte die 
Seele nicht aufmerffam ſeyn, fo würde fie auch nicht 
ermuͤdet werden. Gie wirft alfo auf die Fibren, wel⸗ 
che der Sig der Ermüdung find. Daß die Ermüs 

dung aufhört, wenn die Seele die Gegenftände ihrer 
Befchäfftigung aͤndert, ruͤhrt daher, meil fie alsdenn 
auf andere Fibren wirft; denn es ift wahrſcheinlich, 


daß jedes Objert im: Gehirne beſondre feiner Einwir⸗ 


kung correſpondirende Fibren im Gehirne hat. Die 
Matur und die Wirkungen der Aufmerkſamkeit find es 

voczuͤglich, deren Berfchiedenheit auch unter den Mens 
ſchen die größte Verſchiedenheit hervorbringt. | 


IX. Die een, welche die Gegenſtaͤnde in der 
Seele erwecken, werden der Seele auf’s neue gegen⸗ 
waͤrtig, ohne eine neue Dazwiſchenkunft dieſer Gegen⸗ 
ſtaͤnde. Die Reproduction der Ideen verdanken wir 
dee Imagination und dem Gedächtniſſe. Je— 
de neue Vorſtellung baftete urfprünglich can der Er⸗ 
ſchuͤtterung gewiffer Fibren des Gehirns. Ihre Res 
production durd) die Einbildungsfraft kann alſo wies 
Derum nur miteelft einer folchen Erſchuͤtterung derfels 
ben Gehirnfibren ftate finden. Zufaͤlle, die an fi - 
‚bloß den Körper afficiren koͤnnen, ſchwaͤchen und zer⸗ 
ftören fogar auch die Imagination und das Gedaͤcht⸗ 
niß. Diefe Fähigkeiten Haben alfo auch einen Sig 

‚im Körper, und diefer Sig. kann nur bas Organ feyn, 
‚welches der Seele alle Außere Eindrücke überliefert: 
‚Die empfindenden Zibren find.fo eingerichtet, daß E 
| Ä mehr 


I 


— 


während d. achtz. Jahrhund. b. auf Kant. 253 


| mehr oder meniger fortgefeßte Action der Objecte, mehr 


oder weniger dauernde Dererminationen erzeugt, wort 
in die Natur des Gedächtniffes beſteht. Was diefe 


Determinationen an fich felbft find‘, laͤßt fich nicht er⸗ 


lären, weil uns die Strurtur der empfindenden Fb 
bren unbefant iſt; aber wenn jeder Sinn feinen eis 
genen Mechanismus hat, fo ift auch glaublih, daß 
er jeder Gattung der empfindenden Fibren zufomme. 

X. eve empfindende Fibre wird von Bonnet 
vorgeftellt, als ein fehr Pleines Organ, das feine eis 
genehümlichen Functionen hat, oder als eine fehr Pleis 
he Mafchine, welche der Eindruck dee Objecte zu dem 
ihr angemeſſenen Tone ſtimt. Das Spiel oder die 


Wirkung der Fiber reſultirt wefentlich aus ihrer ur 


fprünglichen Structur, und diefe wiederum aus der 
Matur und Combination der materiellen Elemente, 
Wenn das Geſicht niche fo wirkt, wie das Gehör, 
fo hat dies feinen Grund in der mefentlich verfchiedes 


nen Struetur ihrer Organe, und darin, daß das Licht 


nicht ſo einwirkt, wie der Schall. Die Fibren, welr 
che den verfchiedenen Gefichtsempfindungen cortefpons 
diren, haben alfo wahrfcheinlich eine andee Structur, 
als die Fibren, Die mir den Perceptionen des Gehoͤrs 
jufammenhängen. Doch mehr! Jede einzelne Pers 
teption has ihren -befondern Charakter, wodurch wir 
die eine von der anderen unterfcheiden. 3.8. Jeder 


‚gefärbte Strahl har fein eigenes unveränderliches We⸗ 


fen; ein rorher Strahl wirft niche. fo auf-das Geficht, 
wie ein blauer. Es muß daher auch unter den Ge 
fichtsfibren Werfchiedenheiten geben relativ zu denen, 
die unter den Strahlen obwalten. Webrigens ift fehe 
leicht zu begreifen, wie die Matur die Steuetur dee 


. empfindenden Fibren fo hat variiren mögen, daß fie 
| dee 


_ 


cs 


254 Geſchichte der neuern Philoſophie 


Der: ungeheueren Verſchieden heit der Perceptionen ent⸗ 


ſprechen konte, welche wir haben. Wie ſehr kann 


Die menfchlihe, fo unvollkomne, fo beſchraͤnkte, Kunſt 
Die. Productionen variiren von: derfelben Gattung! 
ie mancherley Formen weiß fie nicht z. B. einer Kette 
zu geben! Welche Abwechslung vermag fie nicht in die 
einzelnen Glieder einer Kette zu legen! Wie unends 
lich: viele Verbindungen laſſen nicht diefelben ‚Elemens 


‚te zul Und vollends welche Mannichfaltigkeie ents 
ſieht, wenn man annime, daß bie Elemente‘ ſchen u. 
Brünglich verſchiedenartig waren! NET 


ZIl. Die Seele hat niche nur Era der 
Perceptionen überpähpt, welche fie afficirten; fie kann 
ſich diefelben auh in der Ordnung zuruͤckrufen, 
nach welcher fie ehedem davon’ afficirt wurde. Dies 
f eine der wichtigften Wirkungen des Gedächtniffess - 

Da. unfere Ideen jeder Urt eine die andere erwecken, 
und alle urfpränglich mittelſt dee finnlichen Organe ers 
zeuge wurden; fo.müflen auch die empfindenden Fis 


bren jeder Urt in unmittelbarer oder mittelbarer Coms 


munication mit einander ſtehen. Diefe Finnen dem⸗ 
nach eine habituelle Difpofition befommen, eine die 
andre in einer beftimten und beftändigen Ordnung zu 
erſchuͤttern, und diefe Difpofition erhalten fie durch 
die Wiederholung derfelben Bewegungen in demfelben 
Sinnesorgane. Die Aufmerkſamkeit, welche dee 
Erfchürterung einen neuen Grab von Stärke hinzus 
füge, hilfe auch noch, die Folge der Gegenflände in 
das Gedaͤchtniß einzuprägen.  Dieje Folge wird ins 
Gehirne ducch eine Kette von Fibren und Fibrechen 
( ſibrilles) repräfeneirt, Tängft deren die Bewegung 
fi in einer um ſo beftimteren Ordnung forepflanzt, 
* und ſi ſ cherer das Gedaͤchtniß fe Die Sri | 

feit 


während’: achtz Jahrhund. he auf Mint) ayg 


keit des Gedaͤchtniſſes hänge aber zuletzt von der he⸗ 
fonderen Dererminarton der Elemente ab, wodurch es 
die eingeprägten Deterininarionen bewahrt. Bonner 
zieht bieraus die Folgerung, daß eine Intelligenz , 
welche den Mechanismus des Gehirns gründlich Fenne 
te, Die im größten Detail Alles, was darin vorgeht, 
wahrzunehmen vermoͤchte, darin mie in einem Bu⸗ 
he leſen mürde Die bemundernswürdig große 

Buhl unendlich Eleinee Organe deg Empfindens und 
Denkens würden fuͤr diefe Sutelligenz feyn, was für 
uns gedruckte Buchftaben find. Wir blättern in dem 
Büchern; wir fludieren fie. Jene Sutelligenz würde 
bloß die Gehirne betrachten. 


Bonner nimt Feine Spuren oder Bilder 
im Gehirne an, um die Phantafie und das Gedächts 
niß zu erlären. Er gefteht, daß er ſich davon kei: 
nen Begriff zu machen im Stande fey. Das Spiel 
der Lebensgeifter, deren Exiſtenz er für erwiefen hält, 
fhließt er babey nicht aus; aber ein Fluidum kann 
nicht der Gig dauernder Eindrücke ſeyn es Bann nur 
mit foliden Organen conenrriren, und von diefen Im⸗ 
pulſionen empfangen, die feinen Lauf modificiren im 
einer zu Ihrem dermaligen Zuftande ftehenden Du 
ziebung. 


Wenn alle unfere Ideen an eigenen Fibren haf⸗ 

‚sen, fo haften auch die Vorurtheile an folchen. 
* Sie werden genaͤhrt, mwachfen, und verſtaͤrken fich mie 
diefen. Daher bat es fo große Schwierigkeit, went. 

man verſucht, fie auszurotten. reife man fie an, 
ſo erſtaunt man oft über den Widerſtand, melchen 
fie leiften.. Man denft bierbey nicht daran, daß man 
eigentlich gegen die Natur ankämpfe, Noch größer 
iſt der. Widerſtand, wenn man unternimt, einen Chas 
RL ; after 


256 Geſchichte der neuern Philoſophie 


gafter- zu ändern, ber aus der Vereinigung von De 
germinarionen hervorgeht, welche eine unendliche ua | 
ge Fibren befommen hat. 


XII. Gehe oft ereignet es ſich, daß die Site 
auf Veranlaffung einer dee eine andere fucht, und 
fih endlich derfelben. erinnert. Gemeiniglich glaubt 
man, daß dieſe Erinnerung eine Wirkungs des Wils 
lens fey. Gleichwohl ift fie. nur die bloße Wirkung 
der Verknüpfung der fenfiblen Fibren. Indeſſen i 
der Wille keinesweges ohne allen Einfluß auf unſern 

Ideengang, und auf unſere perſoͤnlichen Zuſtande 
bethaupt. 


Die Freyheit iſt nichts — als die aus⸗ 
| hend Fähigkeit des Willens (ſacultéẽ executrice de 
Ja Volonte),. Mach Bonner ift es alfo nicht die 
Freyheit, welche wählt; der Wille wähle, 
‚und die Freyheit realifire nur das Gewählte, 
Jede Wahl erfodere ein Motiv; der Wille hat nur 
Ein Object; man will nichts ohne Grund, warum 
man will; und die Vollkommenheit des Willens, zu 
welchem Syſteme man ſich auch befenne, wird ewig in ' 
ber Vernuͤnftigkeit (rationabilit€) der Motive Seftehen. 
Es giebt feine Tugenden one Motive, und die Res 
ligion fol nur dienen, uns die Präftigften Motive zur 
Tugend darzubieten. 


Gaͤbe es eine durchaus gleichgüftige Freybeit, fo 
würde fie zum mindeften Fein Gegenftand für den Mos 
raliſten ſeyn, weil fie zu der Tugend gar nichts beys 
tragen würde. Koͤnte aber die Seele fich inner ges 
gen die deutlichſte Einfiche der dringendfien Gründe 
Determinicen,, hätte dasjenige, was ihr der gefunden 
Vernunft, oder ihrem gegenwärtigen Sntereffe am 
ge⸗ 


wihrend d achtz. Johehum B.auf Hart, e5 


gemaͤßeſten ſcheint, gar keinen Einfluß auf ihre Wil⸗ 
lensbeſtimmungen; fo wiirde alle Sicherheit in der 
menſchlichen Gefelfchafe aufhören, weil nichts da 
ſeyn würde, was uns für die Handlungen Anderer 
Buͤrgſchaft gewaͤhrte. Die acdheungswerthen Theolo⸗ 
gen, welche eine gleichguͤltige Freyheit behaupten, 
ſetzten ſie nicht in den pathetiſchen Reden voraus, wor⸗ 
in ſie ſich beſtreben, den Menſchen die großen Maris 
men ber Tugend und der Sociabilität einzuflößen, 


Alle unfere Fähigkeiten find einander untergeordy 
net, und Alle werden zulegt befiime von der Einwirs 
fung der Objecte und von verfchiedeuen Umftänden in 
Anſehung ihrer Yeußerung und Entwicelung. Wer 
kann insbejondre die Macht der Erziehung verfennen ? 
Newton, in Californien gebopren, von barbarir 
fen Eitern erzogen, würde nie Die Geſetze des Welt⸗ 
ſyſtems entdeckt haben. Und was vermag über die Faͤ⸗ | 
higkeiten des Menfchen nicht fchon allein die Art, wie 
er erzeugt wurde, und das Temperament, welches dar 
von eine unmistelbare Folge fit 


Wenn die Motive die Seele zum Handeln bes 
flimmen, fo dererminiren fie Die Seele nicht fo, wie 
ein Körper den andern zur Bewegung determinirk. 
Der Körper har Peine Bewegung durch ſich ſelbſt; 
aber die Seele har in ſich ein Princip der Tpärigkeie, 
welches fie dem’ Urheber ihres Dafeyns verdankt. Ges 
mau genommen fann Man Überhaupt nicht fagen, 
-YHap die Motive die Seele determinirten; fordern dfe 
Seele dererminire ſich felb zufolge ihrer Erfeneniß 
der Motive, und diefer metaphyſiſche Unterfchied iſt 
wichtig. Verwirrt man diefe benden Dinge, fo vers 
wirrt man Alles, und man verfällt in einen gaͤnzlich 
pbiyſiſchen Fatalismus. Derjenige aber iſt kein Fa⸗ 

Buble's Geſch. d. Philof. VI.2. R ta⸗ 


talift, der nur ‚behauptet, daß die Seele ſich ſtets für 
‚dasjenige eutſcheidet, was ihr wirklich das Beſte iſt, 
oder doch zu ſeyn ſcheint. Wäre dies, fo würde. es 
‚eben fo viel wahre Fataliſten geben, als es wahre 
Pbhiloſophen giebt ‚welche behaupten, daß die Liebe 
zur Glaͤckſeligkeit das allgemeine Princip der menſch⸗ 
lichen Handlungen ſey. Seine, Ölückjeligkeit lieben, 
beige fich ſelbſt lieben, und fich ſelbſt lieben, beißt, 
fih in Beziehung ‚auf, feine Olückfeligfeit zu Deteumis 
niren. Wenn es unmöglich ift, daß ein intelligens 
des oder bloß empfindendes Weſen fih’niche ſelbſt lie⸗ 
bez ſo iſt auch unmöglich, daß es ſich nicht zu dem 
determinire, was ihm feiner gegenwärtigen Lage, oder 
feinen Beduͤrfniſſen am angemeſſenſten ſcheint. Die 
wohlverſtandne Selbſtliebe, die Liebe unfrer Gloͤckſe⸗ 
figfeit, die Liebe zur Vollklommenheit, find nach Bohr 
ner völlig einerley. "Ein intelligentes Weſen muß die 
Vollkommenheit lieben, in weiche es feine Gluͤckſe⸗ 
ligkeit ſetzt. —* 
XI. Den Materialismus erklaͤtte Bonnet 
uͤr keine an ſich ſelbſt gefährliche Vorſtellungsart; 
falls er ſich erweiſen laſſe. Ueberhaupt iſt auch eine 
in gewiſſer Hinſicht gefaͤhrliche oder, bedenkliche Wahr—⸗ 
Ki darum nicht minder eine Wahrheit; unfere Be⸗ 
‘griffe Lönnen ‚die. Befchaffenheit der Dinge nicht Aus 
dern, ſoadern müffen ihe ‚gemäß fern ; denn der Vexr⸗ 
ftand bringe, nichts Gervorz er betrarhtet nur das Her⸗ 
Yorgebrachte, . Ließe ſich / auch demonſtriren, daß die 
Sedcle materiell ſey, fo wuͤrde man um deſto mehr. bie 
goͤtiliche Allmacht bewundern muͤſſen, welche der Mas 
‚terie die Fähigkeit zu denken mittheilte. Bonnse 
konte fich inzwifchen aus der Vorausjegung der Mates 
rialitaͤt der Seele das Bewußtſeyn der einfachen, * 
2* * ———— * aD PER ns 


waͤhrend d. achtz. Jahrhund. 6. auf Kantz 259 


ſoͤnlichkeit nicht begreiflich machen, und deßwegen vers 
warf er jene. Er glaubte, mit Evidenz eininjehen, 
daß das cine, einfache, uneheilbare Ich in mus nicht 
eine Modification einer ausgedehnten Subſtanz, auch 
nicht das. Reſultat irgend einer materiellen Bewegung 
ſeyn föune. 


Mit den pfychofsgifchen Unterfuchungen nnd Hy⸗ 
pothefen Bonnet's hängen feine phyſiologiſchen über 
die Natur und die Organifation auf das ne 
nauefte zufammen. Er verlange auch, daß die Piys 
chologie und die Phnfiologie ſich gegenſeitig autbellen 
ſollen, da fie viel gemeinfchaftliche Berüprungspimete 
haben, und ber Menfch das vornehmfte Object der 
einen wie der anderen if. Zum Bebtfe beyder Difeis 
plinen nime er vorläufig die Hypotheſen in Schuß. 
Wollte man fir gänzlich bey diefen Unterſuchungen vers 
bannen, jo würde man fi auf bloße Beobachtungen 
einfchränfen muͤſſen; und mas nügen Beobachtungen, 
wenn: daraus -Feine wiſſenſchaftliche Folgerumgen ge⸗ 
zogen werden? Da haͤuft man unaufhoͤtlich Mate⸗ 
zialien, ohne jemals zu bauen; man vermechfelt im⸗ 
wier das Mittel mit dem Zwecke; und- en 
bleiben in unſerm Geiſte ifolire, während im Uni 
fum Alles verbunden iſt. Freylich darf man fich nicht 
mic der Aufführung von Syſtemen übereilen ; aber es 
giebt auch Thatſachen, aus denen ſich die Fol geruñ⸗ 
gen ſo handgreiflich und’ unmittelbar darbieten, daß 
man ſie mit aller Sicherheit wirklich ziehen, und als 
Principien zum weitetn Sortfihteiten “int der Auftla⸗ 
zung der Natur gebrauchen‘ kannn“ 


Alle unfere Erfentniffe erweitern und bervollkom⸗ 
nen ſich nur durch Vergleichungen, welche wir zwi⸗ 
ſchen unſeren Erfahrungsideen machen, ©. vergleis 
| | R 2 95 


260 Gefchichte der neuern Philofophie | 


hen wir mehr Facta derfelben Urt, bemerken die Res 
ſultate der Vergleihung, und wenn alle in demfelben 
Buncte übereinftimmen, fo fchließen wir daraus, daß 
dieſer Punct wahr ſey. Dadurch gelangen wir zu 
mehr oder weniger allgemeinen Refultaten aus unferen 
eigenen oder aus fremden Beobachtungen; oder wir 
gelangen auf diefem Wege zur Entderfung dee Urfa: 
Ken, und zur graduellen Decompofition dee Wirkuns 
gen. Diefe Bemerkungen Bonner’s über die logis 
fche Methode der Naturforfhung find an und für fi 
völlig richtig; es komt nur auf die richtige Anwendung 
derfelben an, inwiefern dabey Erfchleihungsfehler. und 
Inconſequenz vermieden werden! Und diefe nicht vers 
mieden zu haben, ift die Urfache, daß Bonner’s - 
Hypotheſen ungeachtet der von ihm dabey befolgten 
Methode fich nicht haben bewähren können. 


Man braucht die Natur nur ein wenig zu fludie 
ren, fo erkenne man bald, daß alle Theile derfelben 
in verfchiedenen Beziehungen und Verhaͤltniſſen auf’s 
engfte zufammen verfnüpft find. Die Befchäfftigung 
des Phnfikers ift, dieſe Verbindung, Beziehungen, 
Ver haͤltniſſe derfelben zu erforfchen. Unter Beziebuns 
gen und Verhaͤltniſſen werden bier diejenigen Deter— 
minationen verftanden, wodurch die mannichfaltigen. 
Maturdinge zu Einem Zwecke fich vereinigen. Da 
der Ponfifer weiß, daß die ihm unbekante Urfache, 
welche er fucht, in irgend einer geheimen Verbindung 
‚mit dem ihm Bekanten ſteht; fo ſteigt er an der Ket⸗ 
te der Tharfachen fo weit hinauf, wie es ihm möglich 
ift, verfolge alle ihre mannichfaltigen Wendungen; 
und wenn er auf diefem mühfamen Wege auch nicht 
zum Ziele gelangt, wenn er fich demjelben niche eins 
mal fehe nähert; fo läuft er doch zum: mindeften auch 

% | nicht 


* 


waͤhrend d. achtz. Jahrhund. b. auf Kant. 261 | 


nicht Gefahr, fih in die Made der Träume zu vb 
lieren. Je mehr die Zahl der uns bekanten Bezie⸗ 
hungen ber Maturdinge anwaͤchſt; deſto mehr Gewiß—⸗ 
bett, Genauigkeit und Ausbreitung werden auch uns 
fere Marurfenenife gewinnen. Wuͤßten wir die Bes 
ziehungen jeder Art, weiche die Pflanze mit der Erde, 
‚ dem Wafler, der Luft, dem Feuer, und allen den 
Körpern verknüpfen, die auf fie einwirken, oder von 
ihr Einwirkungen empfangen; Bennten wir überdem 
die Beziehungen, welche wiederum unter Diefen vers 
ſchiedenen Weſen ftare finden; fo würde unfere Theos 
rie der Begetation vollftändig feyn, und wie würden 
“ ‚eben fo deutlich einfehen, wie die Pflanze vegetirt, als 
‚ wie einfeben, wie der Zeiger einer Uhr fich bewegt. 
. Wir würden nicht mehr durch Schlüffe darüber ur⸗ 

theilen, fondern durch eine Urt von Intyition; und 
die Kunſt zu conjectueiren würde fih auf diefen Gegen⸗ 
ftand gar nicht mehr anwenden laſſen. Aber fo weit 
ift es mit unſerer Marurfunde noch nicht gediehen. 
Die Wiffenfchaft der Beziehungen der Marurdinge iſt 
noch fo unvollkommen, daß es nicht ein einziges giebt, 
ſelbſt unter den dem Unfcheine nach unbedeutendften 
Maturproducten, das uns nicht dunfle Seiten. dars 
böte, und nicht | bald den Scharffinn des gefchickteften 
Maturforfchers ermuͤdete. Ein Salzkorn, ein Moos, 
ein Würmchen werden bald für diefen wahre Labyrin⸗ 
the, in denen er fi) von dem Augenblicke an veritet, 
da er. den Faden der Erfahrung verläßt. | 


Nach dieſen Principien ſtellt Bonnet ſeine Uns 
** über die Erzeugung und die Entwis. 
kelung der erzeugten Maturwefen an, Vorausgeſetzt, 
daß ein forgfältiger Naturaliſt fih durch genaue und 
o aͤfter — — uͤberzeugt haͤtte, F 


11 
* 


262 Geſchichte der neuern Philoſophie ei | 


der Keim ini Weibchen’ zur Befruchtung praͤexiſtire; daß 


er firenge bewiefen babe, Partikeln, deren Eriftenz 


man nicht glaubte, weil mar fie nicht wahrnimt, eriftics | 
sen wirklich und äußerten wefentliche Functionen: wels 
che Folgerungen koͤnte er mit Recht hieraus ziehen? Und 


welchen Gang müßte er nehmen, um das Geheimniß 


der Erzeugung aufzuflären? Seine erfte Folgerung 
wuͤrde ohne Zweifel feyn, daß, wenn der Keim vor der 


Befruchtung exiſtire, er nicht durch dieſe erſt hervorge⸗ 


bracht werde ,: oder, mas hiermit einerley ift, daß er 
nicht eingezeuge werde. Gleichwohl ift durch Erfah⸗ 
rung entfchieden,, daß der Keim in einem weiblichen 
Vogel fich. nie entwickele ohne !die Mitwirkung des 
Maͤnnchens. Es muß alfo etwas in dem Keime feyn, 


‚ welches ihn hindert, fich aus fich felbft entwickeln, und | 


in der befruchtenden Feuchtigkeit des Männchens muß 
etwas — an Entwicklung befördert. : 


Aber was Geiße, fih entwifeln? Es beißt 
Wachſen im jedem Sinne; mehr Maſſe und Umfang 
gewinnen. Der Keim nimt alſo fremde Stoffe auf, 


die ſich mie ſeiner Subſtanz vereinigen; er wird ers 


naͤhrtz denn wie koͤnte er mehr Maſſe und Unmfang 


gewinnen, wenn gar kein fremder Stoff zu ihm bins 


zußäne?. Die Ernäßrung z. B. in einem Vogel, fegt 


Cireulation voraus, und diefe wiederum die Thärigs 


feit des Herzens.” Das Herz des Embryo fehläge al⸗ 
fo unmittelbar nach det Befruchtung; es treibt in alle 
Partikeln desfelben die Feuchtigkeit, die zu feiner Nah⸗ 


rung und zut Entwichelnng diefer dient. Man fann 


in einem Eye das Kiopfen des Herzens im Küchlein 


nwach dem erfien Tage der: Ineubation ſehen, und mañ 


bat Beyſpiele, daß es noch früher angefangen, hat. 
Das Ss des — ‚tote ſotglich vor der Be⸗ 


fruch: 


“während d: achli. Jahrhund b auf Kant. 263 


Fellsrung noch nicht den zur —— 
tad der Kraft; dieſer muß ihn e P durch die Be⸗ 
fruchtung mitgetheilt ſeyn. Was bringt- aber zuerft 
das Schlagen. des Herzens im Embryo hervor? 


Jede Mufkelfiber sießt ſich zufammen, ſobald ſie 


| | n irgend einem Körper beruͤhrt wird, es mag. ein 


feſter oder ein flüffiger feyn; und die, Zufammenziefung 
hört auf, wenn Die Berührung aufhoͤrt. Dies hat 
man Irrita bilitäͤt genannt. Die Matur diefer 
geheimen Kraft laͤßt fich nicht weiter erklären; man 
nimt ſie an, wie der: Newtonianer die Anziehungs⸗ 
kraft annimt, als ein gewiſſe Factum, deſſen Urſa⸗ 
che uns immerhin unbekant bleiben kann, ohne daß 
wir darum uns in den Folgerungen daraus irren. Das 
Herz iſt ein Muſkel, und zwar einer der reizbarſten 
Muſkeln. Es faͤhrt fort, ſich noch einige Zeit. zu 
bewegen, nachdem es von der Bruſt getrennt iſt. 
Aber dieſe Bewegungen, welche man willkuͤbrlich nen: 
nen koͤnte, hören in dem Momente auf, daß in det 
Herzenshöle fein Blut mehr iſt. Sie zeigen ſich wies 
der, ſobald man auf's neue Blut, Waͤſſer oder bloß 
Luft in die Höle läßt. Scharfe Senchrigfeiten erwek⸗ 
ken ſie noch mehr. Die Urſache der Bewegungen des 
Herzens iſt alſo die Irritabilitaͤt desſelben. Wenn 

der Keim im Weibchen ſich nicht entwickelt ohne 

e Hülfe der Befruchtung; geſchieht dies nicht deß⸗ 
wegen, weil das Herz noch nicht Kraft genng bat, 
um durch feine Smpulfion den Widerftand der feften 
Theile; zu. überwinden; zen Die, befruchtende — 
iſt demnach eine Art von Reizmittel. 


Bonnet faͤhrt in feinen Fofgerungeh aus Bei 
obachtungen weiter fort. Das Stimorgan des Efels 
| iſt ein ſehr a "7 Werkzeug; — 


Tbei⸗ | 


\ 


‚ 264 Geſchichte der neuern Philoſophie 


Theile von einer aͤußerſt merkwuͤrdigen Struetur. Das 
Stimorgan des Pferdes iſt verſchieden davon, und 
viel einfacher. Der Mauleſel, der aus der Begattung 


des Eſels mit der Stute erzeugt wird, hat ohngefaͤhr 


das Stimorgan feines Vaters. Wenn der Keim bier 
dem Weibchen angehörte, fo war es ein Pferd, und 


nicht ein Maulchier oder ein Efel, das in Miniatur 


im Eperflocfe dee Stute entworfen war. Ueber die 
Exiſtenz der Eger in den lebendige Zunge gebäßrens 
den Weibchen zu -chicaniren, würde zu nichts dienen; 
man hat einen ſehr gut angedeuteren Foͤtus im Eyers 
flocke bemerkt, und es giebt lebendige Junge gebäßs 
sende Thiere, die zu gewiſſen Zeiten ihrer Eger fich 
entledigen. Br # 


Die befruchtende Feuchtigkeit muß alfo auch auf 
das Innere des Keimes wirken, meil fie einige innes 
re Theile desfelben auf eine befoudere Weiſe modificire. 
Sie modificirt auch die äußern Tpeile, wovon die Oh⸗ 


zen, der Rücken, und der Schweif des Maylthiers u 


evidente Proben find. Aber wenn der Keim vor der 
Befruchtung eriftire, und nicht eingezeugt iſt; wenn 
Partikeln wirklich vorhanden find, die überhaupt nicht 
eriftiven zu Pönnen ſchienen: ift es denn nicht ſehr 
wahrfcheinlih, daß auch das Stimorgan des Diauls 
thiers nicht eingezeuge fey? Das Stimorgan dee 
Keims iſt folglich nur durch) die Befruchtung des Was 
ters modificire, und fo geht es auch mie den übrigen 
äußern Gliedmaßen. 


Die befruchtende Feuchtigkeit kann inzmifchen die - 
Innern Theile des Keimes nicht modifieiren, ohne in 
deu Keim einzudringen, Man muß alfo annehmen, 
daß fie denſelben durchdringe, ob wir gleich nicht 
begreifen, wie? Sie muß fi. fogar. mit al 

> en 





mährend d. achtz. Jahrhund. b. auf Kant. 265 


fen vereinigen, welche fie modificirt; denn diefe Theis 
fe werden ernährt, wachſen und entwickeln fich in eis 
ner mehr oder minder directen Beziehung zum Männs 
hen, und diefes hat nur die befruchtende Feuchtig⸗ 
keit dazu hergegeben. Die legtere muß alfo auch ges 
beime Beziehungen und Verbindungen mit verfchies 
denen Theilen bes Männchens haben, weil fie das Ges 
präge derfelben den correfpondirenden Thetlen des Keime 
aufdruͤckt, welche fie befruchter. Um dies aber zu 
vermögen, darf fie nicht bloß eine reizende, fie muß 

auch eine ernährende Feuchtigkeit feyn, und dadurch 
zue Entwicelung und Vergrößerung der Theile des 
Keimes beytragen. Diefe näprende Kraft des maͤnn⸗ 
lichen Samens offenbart fich auch deutlich genug durch 
die traurigen Folgen, welche die Erfchöpfung nach 
ſich zieht. 

Jede näprende Feuchtigkeit muß ferner zu ‘dem 
bermaligen Zuftande der Theile im angemeffenen Vers 
bältniffe ſtehen, welche durch fie ernäßre werden follen. 
Sind diefe Theile von außerordentliche Feinheit und 
Zartheit; fo muß auch jene Außerft: fubeil, Außerft 
für den Zweck zubereitet (elaboree) feyn. Bringt fie 
große Veränderungen in den Thellen hervor, fo kann 
‚man mit aller Sicherheit ſchließen, daß fie mit einer 
befondren Wirkſamkeit und Thaͤtigkeit verfehen. ift; 
und da jeder Theil feine eigenthuͤmliche Structur ber 
fißt, Die unftreitig aus der. Natur feiner Elemente und 
der Verbindung derfelben entfpringe, fo muß fie auch 
dieſen Elementen analoge Grundftoffe enthalten; denn 
nichts fcheint - mehr die Wereinigung elementarifcher 
Partikeln zu. begünftigen, als ihre Verwandtſchaft. 
Ein Tropfen Waffer vereinigt fich leicht mit. einem ans 
bern; anſtatt daß ein Tropfen Waſſer und ein Trops 
fen Del fich gegenfeitig abftoßen. 

Rs Wahrs 


’ 
l 


266 Gecſchichte der neuern Philoſophie n 


Wahrfcheinlich dringt die ſehr feine, ſehr zufams 
mengefeßte, ſehr thaͤtige befruchtende Feuchtigkelt zum 
Herzen des weiblichen Keimes, weil fie die Itrita⸗ 


‚ bilität und mithin auch die Impulſtvktaft des’ Her⸗ 


ens vermehrt. Was für Determinationen im Ems 

ryo, namentlich im Herzen desfelben, auf diefe At 
entſtehen, iſt uns unbekant; mir koͤnnen überhaupt 
nur das Factum durch Schlüffe entdecken, ohne die 
Are und Weife desfelben mirteift der Anfchauung ji 
ergründen. 


Bonner fege nun feine Gruͤnde für die Praͤexi⸗ 


ſtenz organiſirter Kelme, ſo wie ‚diejenigen, welche 


anderen Hypotheſen über. das Princip der Organiſa⸗ 
tion widerſtreiten, umſtaͤndlicher aus einander. 

nimt hierbey den Gruudſatz zu Hülfe, daß das, waß 
nicht zu erifticen ſcheint, doch wirklich exiſtiren kann, 
und erwaͤhnt Beyſpiele aus der Naturgeſchichte, wo 
ſich thieriſche Keime zu vollendeten Thieren entwickeln, 
ſo daß alſo in jenen das organiſirte Ganze, wiewohl 
im Kleinen und. unſichtbar, ſchon ent halten geweſen 
ſeyn muß. — — J 


Der Schoͤpfer der Natur hat freylich in ſeine 
Producte eine unendliche Mannichfaltigkeit gelegt, und 
dieſe ſcheint mehr oder weniger der analogiſchen Mer 
thode der Erzeugung der Organifation, nehmlich der 
— praͤformirter Keime zu widerſtreiten. 
Beh) aller Verſchiedenheit indeſſen, die ſich in Anſe⸗ 
hung der Steucrur, z. B. zwifchen dem Regenwurme 
und dem Huhne finder, pflanzt ſich doch jener auf dies 
felbe Art fort, wie diefes, durch Eyer. "Aush die 
BDfiahze,, die noch weiter ‘vom Huhne in der Sttuctur 
fich entferne," als der Regenwurm erjeugt tpresGtele 
chen durch Körner, die nichts "ande 7. als eine Are 


Eyer, 


während d. acht;. Jahrhund. b. auf Kant. 267 


Eyer, find, in denen ſich die Theile der kuͤnftigen 
Pflanze fchon in Miniarur befinden. Ungeachtet der 
unendliche WVerfchiedenheit der Producte der Natur 
giebt es alfo doch. unter ihnen eine gemiffe Analogie. 
Vom Menfchen bis zum Regenwurme, und von Dies 
ſem bis zum Mofe vervielfältigen ſich alle Producte, 
Die wir feinen, durch Pleite lebendige Keime, oder 
durch Eyer. Selbſt die Thiere, welche lebendige 
unge gebähren, Gaben Eyer; nur daß die Jungen 
ſchon im Murterfeibe daraus hervorkriechen, 


Wenn die organifirten Körper nicht präformirt 
find, fo müffen fie fich täglich bilden nach Geſetzen eis 
ner befonderen Mechanik. Aber man fage doch, wels 
che Mechanik wohl die Bildung eines Gehirns, eis 
nes Herzens, einer $unge, und fo vieler anderer Or⸗ 

gane, bewirken folle? Die Schwierigkeit befteht nicht 
bloß darin, ‚dies oder jenes Organ, das an ſich felbft 
aus fo viel verfchiedenen Stücken zufammengefeßt ift, 
ſich mechanifch bilden zu laffen; fie ift hauptſaͤchlich 
‚biefe: wieferne fih aus bloß miechanifchen Gefegen 
ein Grund von der Menge der mannichfaltigen Bes ' 
ziebungen angeben laffe, welche die organifchen Theis 
le fo innig mie einander verfnüpfen, ‚und „durch wels 
che fie alle zu einem gemeinfchaftlichen Zwecke zufaı 
menftinnmen, um die Einhele hervorzubringen, die 
wir ein Thier nennen, ein organifches Ganzes, wel⸗ 
ches lebt, waͤchſt, empfinde, fich bewegt, ſich ets 
hält, und fich fortpflänzt. Man muß bierbey date 
auf achten, daß das Gehim das Herz vorausfeße, 
und diefes wiederum das Gehirn. Beyde feßen abers 
'mals Merven, Schlagadern und Blutadern voraus, 
Sofern fih das Thier ernährt, erfodern die Orga 
der Circulation auch die der Ernaͤhrung. Und as 
* ßerdem 


268 Geſchichte der neuern Philoſophie 


herdem muͤſſen auch Organe der Empfindung, ber Bes 
wegung, der Fortpflanzung hinzukommen, die ſich 
alle gegenſeitig verausfegen. Es zeigt fich hier die 
Unmöglichkeit jedermechanifchen Auflöfung des Pros - 
blems. Vielmehr feine alles zu beweifen, daß je 
des organifche Ding feinee Grundanlage nach auf eins 
mal gebilder fey, und fih nur in Anfehung des Um— 
fangs von Zeit zu Zeit entwickle. Warum fol man 
fi foltern,, mechanifche Auflöfungen zu fuchen, die - 
doc nicht genugthuend find, da es fehr entfcheidende 
Thatfachen giebt, die uns, wie an einem fichern Leit⸗ 
faden zu dem Glauben an die Präeriften; organifcher 
Keime leiten? Was für Mittel der Schöpfer gewaͤhlt 
haben mag, um die Eriftenz fo viel verſchiedener or⸗ 
ganifcher Ganzen zu bewirken, barüber dürfen wir 
uns fein Ureheil anmaagen. Bey der gegenwärtigen 
Beſchaffenheit unferer Naturkunde, vermögen wir nicht 
auf eine vernunftmäßige Art die Bildung eines Thiers, | 
und felbft des Pleinften Organs, mechanifch zu erfläs 
cn. Es ſcheint alfo, fehle Bonner, der gefuns 
den Philofophie und der Erfahrung, angemefjener zu 
feyn, als wahrfcheinlich anzunehmen, daß die orgas 
nifchen Körper gleich vom Anfange präeriftirten. 


Er fucht dies noch weiter durch Benfpiele aus 
der Maturgefchichte zu erläutern und zu beflätigen. 
Anſtatt daß in den großen Thieren und in vielen Schaal: 
tbieren und Inſecten der Eyerſtock fih an einem bes 
fondern Drte befindet, ift er über den ganzen Körper 
des Regenwurms, mehrer Würmer im füßen Waſſer, 
der Polnpen u. a. vertheilt. Man ann daher die Körs 
per dieſer legten Art von Thieren als Eyerftäcke übers 

upt betrachten. Wenn man einen Regenwurm oder 
lypen in Stuͤcke ſchneidet, bilden ſi ich neue Ieyen 
würs 


waͤhrend d. achtz. Jahrhund. b. auf Kant. 265 
wärmer und Polypen aus den Städen; Bier 'müffen 
alfo gewiſſe Mahrungsfäfte die einzelnen Keime ent: 
wickeln, die vorher zur Ernährung des ganzen Koͤr⸗ 
pers beftime waren. Daraus läßt Die Entwickelung 
der Keime in den Theilen des zerfchnittenen Polypen, 


und aus diefer Entwickelung die PEIRTERE fih ers 
klaͤren. 


Inzwiſchen machte doch Bonner bey feiner 
Hypotheſe eine Bedingung. Man müffe ſich nice 
. einbilden, fagt er, daß alle Theile eines organifirten 
Körpers im Kleinen genau das feyen, mas fie in dem 
entwickelten Ganzen im Großen zu feyn fcheinen. So 
haben in einem Huhne alle Theile, ſowohl die Außern 
als die innern, im Keime folche Formen, Proportios 
nen, - Eonfiftenz, und Verbindung, welche von des 
nen, die fie in der Folge befommen, wejentlich vers 
fhieden find, und welche die natürlichen Folgen der 
befeuchtenden Feuchtigkeit und der Entwickelung find, 
Unter dem Worte Keim (germe) wird übrigens hier 
jede Präformarion verftanden, -die Durch fich ſelbſt 
‚fähig iſt, die Eriftenz einer Pflanze oder eines Thiers 
zu beftimmen. Die Knöpfchen oder Pünctchen, welche 
bie jungen Armpolypen hervorbringen, find an ſich 
felbft noch nicht Polypen in Miniatur unter dee Haut 
des Mutterpolypen verborgen; aber es giebe in bee 
Haut des Mutterpolypen gewiſſe Theilchen, die fo 
pröerganifice find, daß aus ihrer Entwickelung ein 
kleiner Polyp entſtehen kann. 


Wenn es nun aber wahrſcheinlich iſt, daß die 
‚organifirten Körper vom Anbeginne an präeriftieten; fo 
iſt es auch wahrſcheinlich, daß das fie befeelende Prins 
cip vom Anbeginne an präeriftitte.e Bonner ents 

ſcheidet nicht über die Erifienz der Thierfeelen; — 
= ft 


270 Geſchichte der neuen Philofophie 


hält fie nach ‚der Analogie für wahrſcheinlich. Der 
Polyp feine ihm unbezweifeldare Zeichen von Enu 
pfindung zu geben, und ein organifirges Wefen, das 
feine Beute verzehrt, das fie gleichjam mit einer Am 
gel fiſcht, und zur Nahrung zubereiter, iſt feine Pflans | 
je, „Das Gehirn, oder was die Stelle degfelben.im. 
Polypen vertreten mag, kann an und für fich nicht 
enipfinden, wie es überhaupt die Materie nicht kann; 
was DB. noch gründlicher als feine Vorgänger erwies 
fen zu haben glaubt; es muß aljo in dem Polppen 
eine Seele geben, weil-er empfinden fan. Ein A 
‚somat kann freyfich ale Zeichen der Empfindung: Aus. 
ern, ohne wirklich zu empfinden; aber wie viele Opes 
tationen würde man mechanifch nur gezwungen 'erz 
klaͤren koͤnner? Ein Menge Thiere haben uͤberdem 


- Sinne, die den unfrigen aͤhnlich find, und ihnen folg⸗ 


lich auch zu demfelben Zwecke von der Natur geges 
ben feyn muͤſſen. Niemand wird Doch zugeben, daß 
der Menſch ein bloßes Automat ſey. Sobald es nun 
wahrſcheinlich iſt, daß gewiſſe Thiere eine Seele Has 
ben; fo muͤſſen auch alle eine haben, und diefe muß 
nothwendig immateriell und uneheilbar ſeyn. Die 
Seele des Polypen wird alfo auch untheilbar ſeyn 
Man theilt folglich diefe Seele nicht, indem man den 
Polypen theilt; aber man giebt gemwiffen Keimen Ge 
legenheit, fich zu entwickeln, und die Seele, welche 
urfpränglich in jenem Keimen wohnt, wird anfangen‘, 
Empfindungen zu bekommen, bie auf: die Erhaltung 
des Individuum's fich beziehen. Es werden fich eben 
fo viel neue Perfonen, neue Ich's bilden, wie 
ſich neue individuelle Ganze entwickeln. Die Frage, 
ob der Polyp ein Gehirn oder Merven habe, wie die 
geößern Thiere? verbittet Bounet. Cr giebt zu, 
daß er dieje nicht babe. Aber der Polyp has Organe 

| | der 


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während dabchtz Nahrhund, b. quf Kant. 221 


der Empfindung, wie ſie feiner Natur angemeffen finds 
und davom iſt bie allein. die Rede. Die Phänonyne 
feiner, Reproduction thun der Lehre von der Immate⸗ 
ialitaͤt dev, „Seele gar Peinen Eintrag. 4 un + 
Bynmer’giebt der Hypotheſe vor der Eins 
ſchachtelung präformirter Keime (emboitement) 
einen Befall, vhne ſich doch fuͤr diefelbe als die 
einjig mögliche und wahre zu 'enefcheiden. ine uns 
&idliche: Repe von in einander enthaltenen Kelmen 
kann wohl die Mhankafie erfchrecken:; tft aber: kein die 


Vernunft ederſchlagendes Argumint. Die Mani | | 


bringe auch im’ Kleinen Alles hervor, was fie will? 
und die letzten Grenzen der Thenung der Materie find _ 
uns unbekant. "Mar braucht niche zu behäuptein‘; 
daß fie! wirklich N’s: Unendliche getheilt ſey; aber die 
Grenze‘ ber "Tpeitbarfeit Eee — — 
NE INIÄERDIITO ie 2 LAU SIE ⏑⏑⏑— 
we gleich guͤltige Erzeugung (generatig 
aequiuoea) Wird. vom Bo un et ſchlecht hin verwar⸗ 
en. In ‚ber, Erfahrung wird ſie micht bemerkt ‚amd 
die Hwpotheſe widerſtreitet vielmehr· Allem, was wir 
über die Erzeugung der, Pflanzen und Thiere wiſſen 
Die von den, Wertheidigern derſelben angeführten Facta 
beweifen fie nicht. Berufe man ſich auf Die Wuͤr⸗ 
mer, „die in den Eingeweiden, den Adern, den, Mufs 
Pen erzeugt werden; ſo iſt ihre bloße Gegenwart, an 
ſo verborgenen Orten noch Bein’ Beweis, daß fie uns 
mittelbare Prodnete einer gleichgüftigen Erzeugun 
ſeyen. Aus‘ der Eriftenz dieſer Wuͤrmer folge nicht 
weiter, ats daß ſie erifticen, "und daß wir nicht wiß 
fen, wie ſie in den Theilen des Körpers erzeugt wer⸗ 
- ben. Aber unſere Unwiſſenheit über Die Art, wie eis 
ne Sache entſteht, macht eine Hypotheſe darüber noch 
nicht wahrſcheinlich. Dusch wie mancherley Mittel 


—— fans 


272 Seſchichte der neuern Philoſophie 


koͤnnen ſich nicht unſichtbare Samen jener Inſeeten in 
das Innere des Körpers einſchleichen? Die Analos 
gie der Erfahrung bejtätige dies. Oft war ber wahre 
Urfprung von Dingen geheim, und ward doc, ends 
fich entdeckt. Hätten auch jene Würmer nicht einen 
fo regelmäßigen Urfprung, wie fo viele andre Inſecten; 
verdanfien fie ihn nicht Eyern, oder kleinen lebenbis, 
gen Keimen, oder irgend anderen Urfachen dieſer Art; 


. fo würde man fagen müffen, daß. fie aus der. Vereis 


nigung gewiffer molecules par appofition. entftanden 
wären, wodurch ſich ein organifches Ganzes bildete, 
das lebt, fich bewege, und fortpflanzt. Go einfach 
man aber die Dryanifation jener Würmer annehmen 
—* ſo unvollkommen ſie uͤberhaupt in Vergleichung 
andern Thieren ſeyn mögen; fo werden fie doch 
Wi defto weniger Thiere feyn; und wer von einem _ 
Thiere redet, redet von einem organifi eten Ganzen, 
aus einer regelmäßigen Verbindung ſehr verfchiedes 
ner, fämtlich organifirter, und zu einem gemeinfchafts 
fihen Zwecke zufammenftimmender Theile gebildet. 
Wie koͤnte jedoch die bloße Bereinigung gewiſſer mo⸗ 
lecules par appofition unter den Theilen jene zahlrei⸗ 
chen und mannichfaltigen Beziehungen bewirken, aus 
denen ein Thier hervorgeht? 


Um die Misgeburten zu erklaͤren iſt Bons 
- met nicht abgeneigt, präformirte Keime derfelben (des 
ermes originairement monftrueux) anzunehmen, wies 
Beh er fie doch nicht ausdrücklich behauptet, weil es 
ihm noch an entfcheidenden Erfahrungsgränden fehle, 
und fie auch von accidentellen Urfachen herruͤhren koͤnnen. 


Mach diefer Digreffion über Bonner’s Hypor 
theſen von den Principien der organificten Körper, nas 
mentlich der thieriſchen Organiſation, kehre ich itzt 

m 


während di achtz. Jahrhund. b. auf Kant. 273 


zu feiner pfochologifchen Theorie zuruͤck, um noch eis 
iger feiner intereffanteften Folgerungen aus derfelben: 


zu erwaͤhnen. Dabin gehört zuvörderft feine mechanis 


ſche Erklärung der Zdeenverbindung. - Alle Ideen 
entſpringen aus den Sinnen; das Gedaͤchtniß ift uns 
miircelbar mie dem Gehirne verbunden; die Erinne 
sung hänge ab von den Determinationen, welche der 
Eindruck der Objecte den Fibren des Gehirns miteheile, 
und die an diefen haften; jede dee har im Gehirne 
eine gewiſſe für fie geeignete Fiber, deren Spiel auch 
die mie ihe verknüpfte dee in's Bewußtſeyn wieder 
hervorruft. Jemand hat das Wort Oſtracis mus 
behalten, ee erinnere ſich, daß es eine Verbannung’ 
eines Bürgers aus Arhen auf zehn Fahre bejeichne ,) 
und dag diefe gemeiniglich die angefehenften Bürger 
betraf. Das Bündel Fibren im Gehirne, das den 
Worte Oftracismus angeeigner war, hat alfo die Des 
teeminationen behalten, welche die Lefung jenes Wor⸗ 
tes ihm mirtheilte. Mit der Erinnerung an das Wort 
muß auch die Erinnerung an die dee erwachen,, weil 
fonft das Wort ohne Bedeutung feyn würde. Mit 
der Idee der Verbannung hängen noch mehr andere 
Ideen zufammen, 3.8. von Zeit, von Kummer 
über das Eril. Auch diefe haften an gemiffen Fir 
been, und fo wie die erfte Fiber, mit welcher die Idee 
des Dftracismus verfnüpfe ift, erſchuͤttert wicd, theilt 
fie die Erfchütterung den übrigen Fibren mit, fo daß 
auch die mit diefen verfnüpften Ideen erweckt werden. 


Aber warum erinnern wir uns bey einem Worte 
nicht immer derfelben Ideen; fondern zumeilen auch 
anderer, und einiger nicht? Dies. hängt von der zus 
fälligen Verbindung der Fibren und ihrem Zuſtande 
kin Öehicne ob, die ſich zu jeder Zeit und unter allen 

Duhie's Geſch. d. Philoſ. VI. B. S Ums 


274 Geſchichte der neuern Philoſophit 


Unmſtaͤnden nicht gleich ſind. Zum Beweiſe feiner, Hyy⸗ 
potheſe berief ſich Bonnet auch darauf, daß eine 
Senfation nicht bloß eine andere von derfelben Art 
erweckt. Ein Ton z. B. erinnert an einen audern 
Ton, eine Farbe an eine andere Farbe; hingegen bes 
merken wir auch, daß ein Ton uns an eine Farbe ers 
innere. Der Ton hängt au Fibren des Gehoͤrs; die 
Farbe an Fibren des Geſichts; Die Fibren des Gehoͤrs 
und Geſichts müffen alfo mir.einander in Communi—⸗ 
eation ſtehen. Dasſelbe Raiſonnement ‚läßt ſich auch 
auf die uͤbrigen Sinne anwenden, und ſo folgt, daß 
unter allen Fibren des Gehirns ‚eine Gemeinſchaft 
ſtatt findet. Wenn mir uns alſo bey dem Worte 
Ofracismus nicht der Wörter und Ideen Dims 
fchel, Stimmen, Athenienfer, erinnern; ‘jo. 
waren die Verbindungen der Fibren diefer Ideen mit 
jenem Worte erlofchen, und darin Liegt der Grund 
des Mangels der Erinnerung. Ben ber Mannichfals 
tigkeit der Jdeenverbindung erfcheint bier die Structur 
des Gehirns und die Thaͤtigkeit desfelben als fehr ber 
wundernswäürdig. 


Da das Gehirn überhaupt das Organ — ban⸗ 





keiten der Seele iſt, ſo muß auch der Sig derſelben ir⸗ 


gend ein Theil des Gehirns ſeyn, ‚welcher - die Eins 
drücke aller. Sinne vereinigt, und. mittelft deſſen die 
Seele auf alle übrige Theile des Körpers wirkt ober 
zu wirken ſcheint. Die Einwirkung det Objecte ift 
niche bloß auf die äußern Sinne befchränft; fondern 
fie erſtreckt fih auch auf die Derven,. welche ihre vers 
fehiedenen Impreſhonen in's Gehirn fortpflanzen. Dies. 
jenigen, welche nach dem Verluſte der Hand doch noch 
ihre Finger. empfinden, beweiſen zut Genuͤge, daß der 
Sitz der Empfindung. nicht da war, WO: eh; nn 


\ . 


wihrend dachtzJahrhund. 6, auf Kant. 275 


ſchien. Die Seele alſo empfindet nicht ihre Finger 
in den Fingern ſeibſt; fie. iſt in den Fingern eben ſo 
wenig, wie ſie in den Außern Sinnen tft. Ueber den 
änneen Bau. des Gehirns find wir fehe wenig unters 
xichtetz wir benierlen, daß die Merven aller Sinne 
in demſelben zufammenlaufen; aber indem wir ihren 
auf verfolgen wollen, entwifchen fie uns, und wie 
werden auf Muchmäßungen befchränft. Auf eine_ges 
naue Angabe des Theils des Gehirns, melcher den 
Sitz der Seele ausmacht, müffen wir dennach Vers 
zicht thun. Bonner führe mehrere Mepnungen der 
berübmteften Anatomen an, ohne ſich für eine zu ent⸗ 
ſcheiden. So wenig inzwifchen das ganze Auge der 
Sitz des Geſichts iſt; ſo wenig fann das ganze Ges 
bien der Sig der Seele ſeyn. Am wahrfcheinlichften 
iſt dem B. die Meynung Lorry's, daß das verläns 
gerte Hirnmark-der Sig der Seele fy. Man mag 
indeſſen annehmen welchen Theil des Gehirns man will 
zum naͤchſten und unmittelbaren Organe der Seele; 
ſo kann diefer Theil der innere Sinn genannt wers 
den. Er ift der Jubegriff aller Sinne, weil er. fie 
alle mit einander vereinigt. Alle Nerven mäffen ſich 
auch in dieſen innern Sinn verlieren. Er iſt daher die 
Nevrologie in Miniatur. hr 2 


Die Wörter find Zeichen unferer Ideen, und 
die Ideen haften an gewiffen Determinationen der Ger 
hienfibren, die wiederum Zeichen der geiftigen Ideen 
find. Man kann alfo in dem Sitze der Seele ein dops 
‚ peltes repräfentatives Syſtem der Zeichen der Ideen 
annehmen. 


Auch mit der Moral har Bonner feine Theos 
tie von. der Ideenaſſociation in Verknuͤpfung gebracht. 
Die Moral. par zum Zwecke, dep WB ihken <pinceis 

ni 62 hend 


276 Gefchichte der neuern Philoſophie 


hend flarke Motive zu gewähren, um ihn flets zum _ 
wahren Guten hinzulenken. Diefe Motive find ims 
- mer Ideen, welche die Moral dem Verſtande darbie⸗ 
ter, und diefe Ideen haben immer ipren Gig in ge 
wiffen Fibren des Gehirns. Die Moral macht alfo 
die befte Wahf unter diefen Ideen, fie verbinde und 
verkettet fie in der directeften Beziehung zu ihrem Zwek⸗ 
fe. Je mehr die Eindrücke auf die den mocalifchen 
Ideen angeeigneten Fibren Kraft haben, je dauerhafs 
ger und harmonifcher fie find, defto mehr Einfluß hat 
auch das Spiel diefer Fibren auf die Seele. : Ein als 
gemeiner Begriff faßt eine Menge befonderer unter fich, 
Der allgemeine Begriff muß alfo im Gehirne an ein 
Haupebündel (failceau principal) gehefter feyn, wels 
ches einer Menge kleiner Bündel und Fibten correfpons 
Diet, welche jener auf einmal oder faft auf einmal ers 
ſchuͤttert. Es find gleichfam eben fo viel kleine Kräfs 
te, die fich vereinigen, um einen allgemeinen Effect 
heroörzubringen, und das moralifche Reſultat dieſes 
phnfiichen Effects ift eine gewiſſe Determination des 
Willens. 


Der Gegenftand einer Seidenfchaft würde nicht ei⸗ 
ne fo große Gewalt haben, wenn er allein wirkte; aber 
er ift mie einer Menge anderer Gegenftände verfettet, - 
deren Ideen er erweckt, und von der Auferweckung 
diefer aſſociirten Ideen bekomt er feine vornehmſte Staͤr⸗ 
ke. Das Gold iſt z. B. der unmittelbare Gegenſtand 
der Leidenſchaft des Geizigen; aber der Geizige haͤuft 
nur Gold, des Vergnuͤgens wegen, es aufgehaͤuft zu, 
haben. Das Metall repräfentire ihm den Werth der 
Güter, von weichem es ein Zeichen if. Gegenwaͤr⸗ 
tig genieße er diefen Werth nicht; aber er nimt jich im: 
mer vor, ihn zu genießen, und genieße ihn — der 

- der. 


\ 


wahrend: d. achtz. Jahrhund. b. auf Kant, | 277 


Idee. : Er mache von feinem Golde in der Einbildung 
mannichfaltigen Gebrauh, nach feinem Geſchmacke 
und feiner Eitelkeit. Befonders vergißt er nicht, fich 
im Stillen mit denen zu vergleichen, die feinen Meichs 
thum befißen. Dadurch entfieht in feiner Seele die 
Vorſtellung einer gewiffen Unabhängigkeit, und der 
Guperiorität, die ibm um fo mehr fchmeichele, je 
weniger fein Aeußeres dergleichen ausdrückt Die 
Idee des Goldes hafter alfo im Gehirne des Geizigen 
an einem Hauptbündel von Fibren, und diefes Büns 
del ifi wieder mit einer Menge anderer verknuͤpft, die 
zugleich erjchürtert werden , fobald jenes erſchuͤttert 
wird. An’ den affociirten Fibrenbündeln haften z. B. 
die Ideen von Häufern, Equipagen, Würden, von 
Credit u..dgl., und wie viel untergeordnete Fibrenbüns 
del hängen wiederum allein mit der Jdee Credit zus 
fammen! Könte die Moral ſtatt der Idee des Gols 
des die dee der Freygebigkeit und Wohlthaͤtigkeit zur 
herrſchenden machen; koͤnte fie an die legtere lebhafte 
Ideen des Vergnuͤgens knuͤpfen, das die Wohlchätigs 
keit gewährt; koͤnte fie fo die Reihe der verkfetteren 
Ideen bis zur Idee des Hauptzwecks der Gluͤckſelig⸗ 
keit führen; . fo würde fie den Geizigen in einen freys 
gebigen oder wohlthaͤtigen Menfchen verwandeln, Dies 

jenige Fähigkeit, welche die Ideen, oder die Bilder 
der Gegenftände, behält und verbinder,, die fie aus 
‚ Ährem: eigenen innern Vorrathe reprobueirt, ordnet, 

verbindet, modificirt, träge den Namen der Einbil: 
dungskraft. Cs ift einleuchtend, daß diefe Faͤhig⸗ 
keit über Alles im menfchlichen Leben enıfcheidet. Das 
große Geheimniß der Moral dürfte alfo darin beftes 
ben, fich gefchickt der Einbildungskraft felbft zu bes 
dienen, um den Willen defio ficherer zu bem wahren 


Guten zu richten. | 
63 Auch 


278 Geſchichte der neuern Philoſophie 


Auch über. den Zuftand der lebenden Weſen vor 
und nach dem gegenwärtigen bat Bonner philofos 
phirt, und dies macht den Inhalt feines Werks unter 
dem Titel: Palingenefie aus. Da er niche bloß den 
Menfchen, fondern auch allen Thieren ohne [Untere 
fchied eine Seele beylegt; fo Eonte er die Frage nicht 
umgehen: inwiefern die Seelen der Thiere präeriflire 
baden, und wie ipre Eriftenz nach dem Tode des Koͤr⸗ 
pers feyu werde? — Man bat oft die Unſterblichkeit 
der Thierfeelen geleugnet, weil es fehien, daß die Ber 
bauptung derfelben fich nicht mit der Lehre von der Un⸗ 
fterblichFeie der menfehlichen Seelen vertrage, vollends 
nicht, fo wie fie:duech die pofitive Religion beſtimt 
wird. Bonner verlange, daß man hiee die pofitis 
ve Religion gar nicht einmifchen folle, da fie dr Spe# 
eufation über dieſen Punkt gang freyen Spielraum 
laͤßt; und fo ſcheint es ihm nicht unglaublidy, "daß! 
auch den Thieren ein Fünftiger Zuftand nach dem ges 
genwärtigen Leben bevorſtehe. Zwiſchen der Organi⸗ 
ſation der groͤßern Thiere und der menſchlichen iſt die 
größte und auffallendſte Aehnlichkeit. Warum ſollte 
ſich aber dieſe Aehnlichkeit gerade nur auf das eins 
ſchraͤnken, was mir kennen? Bevor cs eine vergleis 
chende Anatomie gab, ante man viele Theile und Eis 
genfchaften nihe, welche Mienfchen und Thieren ges 
mein find; und fie waren es doch wirklich. Unter 
Diefen Aehnlichkeiten fönten fich alfo auch! wohl ſolche 
finden, die aufeinen kuͤnftigen Zuſtand ber Menſchen 
und Thiere Beziehung hätten. 


Man- darf doch wohl annehmen, daß der a 
Sig der Seele dey dem Thiere ohngefaͤhr Diefelbe Be⸗ 
ſchaffenheit habe, wie der Sitz der imenfchlichen, und“ 
A deſer einzigen Voraueſetzung iſt das —* 
c u 


während d. achtz. Jahrhund. b.auf Nant. 279 


Fundament zur Hypotheſe eines kuͤnftigen Zuſtandes 
der Thiere gegeben. Jener kleine organiſche Koͤrper, 
weichen die Seele einnimt, iſt ungerfiörbar, und er 
wird die Perfönlichkeit des Thiers erhalten, während 
der gröbere zerfiöebare Körper desfelben anfgelöft wird. 
Eben diefer Fleine organifche Körper fann eine Menge 
Drgane in ſich begreifen, die nieht beftimt waren, fich 
in dem gegenwärtigen "Zuftande auf unſerm Globus 
gu entwickeln; die fih aber wohl einmal entwickeln 
Fönnen, fobald diefer Die Revolution erfahren haben 
" wird, wozu er beſtimt zu feyn feheint, Der Urheber 
Der Natur fchafft eben fo im Kleinen, wie im Gras 
‚Benz; oder vielmehr der Unterfchied des Großen und 
Steinen ift niches für ipn. Unſere Erde’ fcheint ſchon 
mauche Revolutionen erlitten zu haben, die noch ders 
jenigen vorhergiengen,, welche Mofes als die Schöps 
fungsgeſchichte erzaͤhlt, und von denen vielleicht die 
Bewohner der benachbarten Weltförper einige Kent⸗ 
miß haben. . So koͤnnen auch itzt neue Revolutionen 
vorbereitet werden, Die für uns in den Tiefen dee Zur 
Eunft verborgen: find. 


Michts beweift mehr das Dafeyn einer hoͤchſten 
Jutelligenz, als jene fo zahlreichen, mannichfaltigen 
umd unzertrennlichen Beziehungen, wodurch alle Theis 
le der Erde fo innig mie einander verbundar: find, daß 
ſie zuſammen nur Eine große Mafchine ausmachen; 
aber dieſe Maſchine iſt doch felbft nichts weiter als 
ein Bleines Rad in der unermeßlichenMafchine des 
Univerfum’s. Vermoͤge diefer Beziehungen , : welche 
alle Produete unferer Erde mit einander und mit der 
Erde felbft verketten, hat ınan -Urfache zu glauben, 
Das audy das organifche Syſtem, auf welchen alle aus 
dere Syſteme, wie auf m Endzweck, fich beziehen, 
ku iu Ä 4 ur: 


14 


280 Gelchichte der neuern Philoſophhie 


urſpruͤnglich auf jene Verhaͤltniſſe berechnet ſey. Der 
kleine organiſche Koͤrper demnach, welcher als der Sig 
‚der Thierfeele augenommien wird, kann. vom Anbegins 
me. der gegenwärtigen Schöpfung: zum voraus in einer 
heftimten- Beziehung zur der neuen: Revolution. angeord⸗ 
met “(on welche: usſere Toon fahren. foll sr 


Bannıı 54 deß diefer. ——— Körner 
aus einem; ächeriichen Stoffe. gebilder fen, welche 
nicht durch Feuer zerſtoͤrt werden. koͤnne. Ehen: die 
verfchiedenen Verwandlungen, melche:die groͤhere thie⸗ 
zifche Huͤlle desſelben durchgeht, bevor ſie zu dem 
Punete ber Vollendung: komt, den fie in dem gegen⸗ 
waͤrtigen Leben, erreicht; : gewähren auch die. Analagie 
für ähnliche Verwandlungen: in; einem. kuͤnftigen Zus 
flande, Gegenwärtig hänge bie: Vollkommenheit ei⸗ 
nes Thiers von der Zahl und Schärfe feiner Sinne ab. 
Se größer die Zahl der Sinne und. die Feinheit derfelr 
ben iſt, deſto mehr iſt es Thier. Durch die «Sinne 
komt das Thier, wie der Menſch, mit. der Natur in 
Verbindung; durch jene erhaͤlt es ſich, pfianzt es ſich 
fort, und genieße ſein volles Daſeyn. Dach der Zahl 
der Sinne richtet ſich die Zahl der Qualitaͤten, die 
für ein Thier empfindbar find; nach der Feinheit der 
SEinne richtet. fich die Lebhaftigkeit, Voliſtaͤndigkeit 
und Dauer der Eindruͤcke. Die Gottheit kann in den 
ung organifchen, Koͤrper, den Sig der. Seele, ‚neue 
d ‚feinere Sinne, und Diefen -entfprechende ‚anders 
— Gliedmaßen gelegt haben, die für einen kuͤnf⸗ 
eigen Zuſtaud unjerer Erbe paſſen/ und. fich erfi in’ 
Diefem enswickeln. : Niemand kann leugnen, daß das 
Thier ein. perfeceibles Wefen iſt, und dag der Grab 
der Perfectibiticäe in’s Unendliche fleigen kann. ; Man 
E vebe einem — bes aus Einen Sinn a be 











btis 


— 


waͤhrend d. achtz. Jahrhund, b. auf Kant, 2611 


uͤbrigen Sinne, und die denſelben angemeſſenen Glied⸗ 
maßen; wie ſehr wird es an Vollkommenheit gewin⸗ 
nen! Es giebt gar keine philoſophiſche Gruͤnde, die 
uns noͤthigten, zu glauben, daß der Tod auch das 
Ende der Dauer des Thiers ſey. Warum ſollte ein 
perfectibles Weſen für immer vernichtet werden, da 
es doch ein Princip der Perfectibilicäe in fich hat, defs 
fen Grenzen unbeftimbar find? Unabhängig von dem 
Eleinen organifchen Körper betrachtet, welcher der Gig 


der Seele fenn fol, ift dieſe Seele felbft, die wir doch 


den Thieren beylegen, durch ihre Immaterialitaͤt von 


aller Einwirkung der Urfachen frey, welche die Zers 


flörung des gröbern Körpers nach fich ziehen. Zue 
Vernichtung derfelben waͤre der pofitive Wille des 
Scöpfers erfoderlih; wir haben aber in der uners 
meßlichen Güte desfelben nur Motive, daß Er die Sew 
im erhalten werde. 


Sofmn. inzwifchen jede Seele eines organifirten 
Körpers bedarf, um ihre Functionen fortzufeßen, fins 
dee Bonner wahrfcheinlicher, daß diefer Körper 
fchon im Kleinen in dem Thiere exiſtirt, als dag ihn 
Gott von neuem jedesmal fehaffen werde. Er nimt 
bier feine Einſchachteluugshypotheſe zu Huͤlfe. In 
einem kuͤnftigen Zuſtande werden bie Thiere nicht dies 
felbe Form, denſelben Bau, diefelben Theile, diefels 
be Größe haben, welche wir ige an ihnen wahrneh⸗ 
men. Sie werben alsdenn: von ihrer dermaligen Ber 
fhaffenheit eben fo verfchieden feyn, als der Lünftige 
Zuftand unferer Erde von dem dermaligen verfchieden 
fegn wird. Waͤre es ung vergönne, in jenes neue 
Scaufpiel von Metamorppofen einen Blick zu thun; 
wie würden feine der Thierarten wieder erkennen, mit 
denen: wie ihzt am u find. Wir ae 
Ä I. eine 


282  Gefchichte der neuern Philoſophie 


eine ganz neue Welt entdecken, wovon wir uns ißt 
gar feine Vorftellung zu machen vermögen. Der neue 
Körper, welchen die Thiere im Pünftigen Zuftande ans 
neben werden, wird obne Zweifel die Reparationen 
nicht bedürfen, Die der gegeriwärtige'nötbig hat. Sein 
Mechanismus wird über denjenigen noch weit erhaben 
ſeyn, welchen wir ſchon ige fo fehr bewundern. Es 
{ft nicht wahrſcheinlich, daß die Thiere fich im fünfs 
tigen Zuftande begarten und fortpflanzen; aber wenn 
es geſchehen follte, fo müfjen die Prineipien der Korte 
pflanzung auch ſchon in dem Pleinen Atherifchen Koͤr⸗ 
per enthalten ſeyn. Es ſcheint jedech, daß gemifchte 
zu diefer Are von Unfterblichkeie beſtimte Weſen ſich 
nicht mehr fortpflanzen dürfen, machdem fie wirklich 
dazu aelangt find. Die verfchiedenen Arten der Forts 
pflanzung, die wir fennen, und die zu dem gegems 
wärtigen Zuftande unferer Erde gehören, fcheinen viel⸗ 
mehr zum Hauptzwecke zu haben, den Gattungen eine 
Unfterblichkeie zu verfchaffen, deren die Individuen 
nicht theilhaft werden koͤnnen. 


Im kuͤnftigen Zuſtande duͤrfte auch vielleicht die 
gegenwaͤrtige große Verſchiedenheit der Thiere von den 
enſchen in Anſehung der geiſtigen Eigenſchaften weg⸗ 
fallen, oder doch ſehr vermindert und geaͤndert wer⸗ 
den. Das menſchliche Gehirn zeichnet ſich durch die 
größere Vollkommenheit feiner Structur vor dem thle⸗ 
rifchen aus, ‚und daraus ift die Ueberlegenheit der Ver⸗ 
nunft über den Inſtinct zu erklären. Selbſt das hös 
bere. philoſophiſche Talent einzelnee Menfchen fegt eis 
ne relativ vollkomnere Organifation ihres Gehirns 
voraus. Helvetius har viel zu einfeltig geurtheilt, 
wenn er die Vorzüge des Menfchen vor den Tieren 
bloß. auf den Bünftlichen Ban der äußern: Gliedmaßen 
ev. ! jenes, 


während». acht. Jahrhund b. af: Hank? 283° 


jenes, 3.8. die Finger und Zehen, gründete. Was 
aber in diefem Leben dem Gehitne der Thiere an Boll 
Pommienheit abgeht, dazu kann die Anlage in dem 
kleinen ätherifchen Körper, dem Sitze der Seele, ents 
‚halten ſeyn, der ein fehr zufammengefeßtes organifches 
Syſtem begreifen kann, demjenigen analog, welchen 
der Menſch hienieden feine Erhebung über alle Thiere 
verdankt. 


Nicht nur die Sinne des Thiers, welche es biss 
ber hatte, können vervollkomnert werden; es kann auch 
neue Sinne, und mit :denfelben neue Principieh des 
Lebens und der Thaͤtigkeit empfangen. Die: Metem⸗ 
pſychoſe fcheine dem Bonnet eine fehr unpbilofoppi? 
fehe Hypotheſe zu feyn. Und warum? Das Ges 
daͤchtniß hat ſeinen Sitz im Körper, und gebe mit 
dem Koͤrper verloren. Faͤnde eine bloße Wanderung 
der Thierſeelen aus einem Koͤrper in den andern ſtatt; 
ſo wuͤrde das Thier niemals eine Erinnerung an jeig 
nen vorherigen Zuſtand haben. Dieſe will jedoch 
Bonner: den Thieren im kuͤnftigen Zuſtande beyi 
gen. Denn die Verbindung, welde das aungerflöns 
bare Seelenorgan mit dem vergaͤnglichen Koͤrper un⸗ 
terhielt, ſichert dem Thiere die Erhaltung feiner. pers 
ſoͤnlichen Identitaͤt; die Erinnerung des vergangenen 
Zuſtandes wird dieſen mie dem kuͤnftigen verknuͤpfen, 
und die Vergleichung beyder wird ein Gefuͤhl des Zu⸗ 
wachſes an Gluͤckſeligkeit erzeugen, und zur Erhöhung 
dieſer Gluͤckſeligkeit ſelbſt beytragen. Auch iſt die 
Metempſychoſe unvertraͤglich mit der Praͤexiſtenz der 
Seelen: in, den organiſirten Keimen. Offenbar vers 
warf Bonner die Metempſychoſe als eine unphilo⸗ 
fopbifche Hypotheſe, um auderer noch unpbilofophis 
ſcherer Hypotheſen von ſeiner eigenen Erfindung willen⸗ 

Zn Unter 


284 Geſchichte der neuern Philoſophie 


— Unter den lebenden Weſen, vom Mooſe und 
dem Polypen bis zur Ceder und dem Menſchen, herrſcht 
wine bemundernsmürdige Stufenfolge, die in. dem Mar 
turgeſetze der Stetigkeit ihren metaphyſiſchen Grund 
hat, Eben diefe. Drogrefjion wird ohue Zweifel auch 
in dem kuͤnftigen Zuftande unferer Erde flatt haben; 
aber fie wird fich nach anderen Proportionen richten, 
die durch den Grad der Perfeeribilicht jeder Gattung 
beftime ſeyn werben. Der Menfh, alsdenn in eis 
sien andern Aufenthaltsort verſetzt, der der größern 
Vortreſflichkeit feiner Fähigkeiten angemeffen iſt, wird 
dem Affen oder dem Elephanten den erſten Rang übers 
laſſen/ welchen er bisher unter den Thieren unfers 
Planeren hatte. Bey: diefee allgemeinen Erhebung 
der Thiere koͤnten ſich alsdenn unten den Affen oder 
Elephanten Mewtone und Leibnize, unter dem 
Bibern Perrault's und Vaubau's finden, Die 
niederen Thiergattungen, wie die Auſtern, die Poly⸗ 
pen, werden für die: höheren in dieſer neuen Hierar⸗ 
&ie ſeyn, was die Vögel und vierfüßigen Thiere dem 
Menſchen in der gegenwärtigen ſind. Vielleicht wird 
noch ein befländiges nur mehr oder weniger Tangfames 
Fortſchreiten aller organifchen Gattungen zu einer Höher 
ren Vollkommenheit feyn; fo daß alle Stufen der Leiter 
der Geſchoͤpfe fich nach einer feften Degel immer vers 
ändern; : oder die Veränderlichkeit jeder Stufe‘ wird 
Immer ihren Grund in der: Veränderlichfeit derjenigen 
haben, welche unmittelbar vorher gegangen iſt. 


Auch feiner Einfchachtelungsppporhefe fuchte Bo us 
wer durch die Palingenefie eine neue Stüge zu vers 
ſchaffen/ die inzwifchen eben fo ſchwach und gebrechs 
Uich war, wie alle uͤbrigen, deren er fih in der Ab⸗ 
ſicht bedlente. Wenn alle organifirte Weſen ——— 


| während: d. acht. Jahrhund. 6. auf Kant 285 


lich präformire waren, Pönte man fragen, mas wird 
denn aus den Milliarden von Keimen, die in dem ges 
genwärtigen Zuftande unfrer Welt nicht zur Entwickes 
lung fommen, und die gleichwohl mit einer mendli— 
Ken Kunſt organifire find, fo daß ihnen nichte feble, 
um ihres vollen Daſeyns zu genießen, als befruche 
tet, oder auch nur erhalten zu werden, nachdem fie 
einmal erzeugte waren? Bonnet antwortet: Jeder 
‚Keim ſchließt einen andern unvergänglichen Keim 
(germe imperiflable) in fich , der ſich erft in dem kuͤnf⸗ 
tigen Zuſtande unſers Planeten entwickeln wird. Nichts 
gehe in den unermeßlichen Vorrathshaͤuſern der Nas 
tur verloren; alles wird hier angewandte, und hat feis 
ne möglich befle Beitimmung. 


Man koͤnte weiter fragen: Was wird aus beim 
unvergänglichen Keime, wenn das Thier ftirbe und 
der gröbere Körper in Staub zerfaͤllt? Auch auf dies 
fe Frage zu antworten, ift niche ſchwer. Unzerſtoͤr⸗ 
bare Keime koͤnnen in alle befondre Körper zerſtreut 
werden, die uns umgeben. Sie koͤnnen in dieſem 
oder jenem Körper ſich aufbalten Bis zum Momente ſei⸗ 
ner Auflöfung, hernach ohne die geringfle Alteration 
in einen andern Körper übergeben, aus diefem in eis 


nen dritten u. w. Es laͤßt fich mit der größten Leiche J 


tigkeit begreifen, tie der Keim eines Elephanten ans 
fangs in einem Pünctchen Erde wohnen, aus dieſem 
in eine Frucht übergehen, dann in den Schenkel einer 
Eleppantin u. w. Ilne faut pas, feßt Bonner pins 
zu, que l’Imagination, qui veut tout peindre et tout 
palper, entreprenne de juger des chofes, qui font 
uniquement du reflort de la Raifon, et qui ne peu- 
veot-Etre appergues, que par un oeil: philofophique. 
Jene Keime trogen dem Einfluſſe aller Elemente — 

aller 


236 Geſchichte der neuern Philefonhie 3". 


alter Jahrhunderte, und gelangen endlich. in den Zw 
ſtand der Vollkommenheit, zu welchem ſie durch die 
Alefe Weisheit praͤdeſtinirt waren, die das Vergan— 
gene mit dem Gegenwaͤrtigen, das Gegenwaͤrtige mit 
dem Kuͤnſtigen, das Kuͤnftige mit der Ewigkeit ver⸗ 
einbart. Zwifchen den Thieren, die nicht unter der 
gegenwärtigen Oekonomie unſerer Welt gebohren ſeyn 
werden, und denen von derſelben Gattung, welche 
darin gelebt haben, wird ame der Unterſchied ſeyn; Daß 
die erflern fo zu ſagen wie tabulae ralae in der. Fünftis 
gen Dekonomie werden gebohten werden. Da ihre Ges 
bien Leine Eindrücke der äußern Dbjecte bar aufneh⸗ 
men koͤnnen, fo kann es auch der Seele feine Erinnes 
zung an Gegenftände darftellen. Es kann feinen ges 
genwaͤrtigen Zuftand wicht ‚mit einem vergangenen vers 
gleichen ,; der gar nicht für dasſelbe exiſtirt haben wird. 
Es wird folglich auch nicht das Gefühl des Zuwach⸗ 
fes von Gluͤckſeligkeit haben, das aus dieſer Verglei⸗ 
chung entſpringt. Aber jene tabula raſa wird ſich bald 
in ein reiches Gemählde verwandeln, das eine Menge 
verfchiedener Objecte mit Präcifion darfiellen wird, 
Kaum wird das Thier zum Leben gelangt feyn, ſo wers 
den fich feine Sinne einer unendlichen Zahl von Eins 
drücken öffnen, deren Lebhaftigkeit und Mannichfals 
tigkeit umaufpörlich feine. angenehmen  Enpfindungen 
erhößen und vermehren, und alle feine Faͤhigkeiten in 
Wirkfamfeit fegen wird. 


Bonner wendet die Hypotheſe vonder Palins 
geneſie auch auf die Pflanzen an. Die Tpiere has: 


. "ben mit den Pflanzen fo viel gemeinfchaftliche Züge, 


daß beyde faft zu Einer: Elaffe organifirter Weſen zu, 
gehören fcheinen. Es iſt aͤußerſt fehwer, dan Chas, 
rakter genau zu beſtimmen, ‚ber das Pflanzenreich er 
ns | Ä em 


⸗ 


— 


waͤhrend d.· as Jahrhund. b. auf, Kant, 2 


dem thieriſchen unterſcheidet. In der Empfindung 
annm dieſer Charakter nicht liegen; . denn jene ſcheint 
auch den Pflanen nicht fehlechtpin abgefprochen. werden 
zu fönnen. Zum mindeften ift die Empfindlichkeit ‚bey 
ihnen möglich, und wenn fie das ift, fo kann fie ſich in 
einen andern: Zuftande noch wieder entwickeln und vers 
vollkomnen. Dieſe Entwicelung koͤnte fehon bewirkt 
werben durch die größere Vervollkomnung der, Des 
gone, und durch die Hinzukunſt neuer Otgane. Hat 
aber, die. Pflanze Empfindung, ſo hat ſie auch eine 
Seele als, Prineip derſelben; denn die Empfindung 
kann nicht eine Wirkung der bloßen Drganifation feyus 
Die Pflanze wäre alfo auch rin gemifchtes Weſen, wie 
die Thiere und Menjchen. Der Pflanze müßte auch 
Thaͤtigkeit zukommen; dena mit. dem Empfinden 
iſt auch das Wahrnehmen des Ungenehmen und Uns 
angenehmen verbunden, und dieſer Wahrnehmung 
müfen gewiffe Handlungen entfprechenz die Pflanze 
- muß nach. dem Angenehmen fireben, und das Unan—⸗ 
genehme zu.vermeiden fuchen. So mie, aber die Em⸗ 
pfindlichkeit der, Pflanze überhaupt. fepe ſchwach if, 
werden. es auch ihre angenehmen oder unangenehmen 
Empfindungen „und ipre diefen correfpondicenden Thaͤ⸗ 
Karel feyn... 


‚Der Siß der See in der Pflanze kann fein j’ 
Gegenftand der Forſchung ſeyn, da fich Fein Mittel 
darbieter, ihn. zu entdecken. Die Anatomie der Pflans 
zen iſt noch hoͤchſt mangelhaft. Mau kann leichter 
die äußeren Formen der. Pflanzen. und Thiere verglei⸗ 
chen, als die innere Struetur beyder; und. das ns 
nere ‚der Pflanze Täße ſich boch immer noch eher. jers 
gliedern und unterſuchen, als das Innere der Thiere. 
Wenn alfo.die Pflanze eine Seele hat, fo kann man 
un — nur 


288 Gefhiähte dei neuern Philoſohhie 


nur uͤberhaupt ſagen, daß der Sitz bdiefer relativ zur . 
befonderen Natur eines gemifchten Wefens feyn muͤſſe. 
Wie aber auch dieſer Sig befchaffen feyn möge, er 
muß einen unvergänglichen Keim enthalten, der das 
Weſen der Pflanze bewahrt, und diefes die Zerftörung 
des fichtbaren Körpers überleben läßt, welcher gegens 
waͤrtig allein die Wißbegierde der Botaniſten befchäff: 
tige. Jener Keim kann denn wiederum, wie der uns 


vergaͤngliche Keim des Thiers, die Elemente neuer 


Drgane in fich faffen, wodurch in einem fünftigen Zus 
ftande unferer Erde die Fähigkeiten der Pflanze weiter 


entwickelt und veredelt werden. 


Auf was für eine Stufe der Animalitaͤt die Pflan⸗ 
ze dadurch erhoben werden wird, laͤßt fich nicht bes 
flimmen; aber auf'jeden Fall wird fie einen beträcht⸗ 
lihen Zuwachs an Schönheit im organifchen Reiche 
gewinnen. Die Pflanze ift inzwifchen nach einem ganz 
andern Typus geforme, als der thierifche Körper: 
Die Thiere machen organifche Ganze verfchiedener 
Theile aus, welche Theile aber nicht wieder Tiere find, 
und jenes Ganze nicht wieder bervorbringen koͤnnen 
Ein Baum ift nur Ein Ganzes in einem metaphyſi⸗ 


ſchen Sinne. In der Wirklichkeit ift er aus eben 


fo viel Bäumen und Bäumchen zufammengefegt, als 
er Hefte und Zweige bat. Diefe Zweige werden einer 
Durch den andern ernährt; und hängen fo mit dem 
Hauptbaume durch unendlich viele Communicationen 
jufammen. Jeder Zweig bat fein eigenshämliches &es 
ben, und feine eigenthuͤmlichen Drgane;. er ift ſelbſt 
ein kleines individuelles Ganzes, das mehr oder wer 
niger verjünge das große Ganze darftelft, von welchem 
es einen Theil ausmacht. ‘Die Uebereinftimmung’ifk 
bier genauer ,. als.man es ſich vorfiellen ſollte. Micht 

nur 


während d. achtz. Jahrhund. 5. auf Kant. 289 


nur jeder Zweig, fondern fogar jedes Blait, ift .fo 
fehr ein Baum im Kleinen, daß abgetrennt von dem 
großen Baume und mit gewiſſer Vorficht in die Erde 
gepflanze, der Theil durch: fich ſelbſt vegetirt, und 
neue Productionen hervorbringt. Denn die weſent⸗ 
lichen: tebensorgane find in dem ganzen Körper der 
Pflanze vertheilt. Eben diefelben, welcheder Stamm 
eines Baumes enthält, finden ſich in allen Zweigen 
und Blättern des Baumes wieder. Der Baum iſt 
alfo ein viel fonderbareres organifches Product, ale 
man fich gewöhnlich vorſtellt. Er ift ein Inbegriff 
organifcher einander untergeordneter Producte, die auf’s 
innigſte mit einander verbunden find, alle an einem 
gemeinfchaftlichen Leben und Beduͤrfniſſe Theil nehmen, 
und deren doch jedes fein eigenes Leben, Beduͤrfniß, 
und ſeine eigenen Functionen hat. 


- Ein Baum. ift alfo gleichfam eine Art von orgas 
nifcher Societät, deren Jndividuen zum gemeinen Wohs 
le derfeiben arbeiten, indem fie zugleich für ihr Preis 
vorwohl ſorgen. ZA num dee Baum mie einem ges 
wifjen Grade von Empfindung begabt; fo muß jeber 
Meine Baum, woraus er zufammengefeßt ift, den⸗ 
ſelben ebenfalls haben, wie er fein eigenthuͤmliches 
geben und Bedürfniß hat. Es wird demnach in jes 
dem Pleinen Baume einen Siß der Empfindung ‚geben, 
und: diefer wird einen unvergänglichen Keim in ſich 
fehliegen, der beſtimt ift, das Weſen des Vegetals 
zu bewahren, und es einſt unter einer neuen Form 
wiederherzuſtellen. Nun iſt möglich, daß der kuͤnf⸗ 
tige Zuſtand unſers Globus nicht wieder die Vereini⸗ 
gung mehrer individueller Ganzen in einen organiſchen 
Inbegriff mit fih bringt, und daß jedes diefer Gans 
zen_ berufen ift, alsdenn beſonders zu eriftiren, und 
Buͤbhle's Geſch.d. philoſ. VID. T Fune⸗ 


290 Gefihichte der neuern Philoſophie 


Functionen anderer Art, edler als die bisherigen, zu 
außer. Da aber die Faͤhigkeit, ſich von ber Stelle 
zu bewegen (facultas loco motiva), gar ſehr zur Volks 
kommenheit organifirser und empfindender Weſen ge 
höre; fo läße ſich vermuthen, Daß Die Pflanze ebens 
falls in ihrem neuen Zuftande fi von einem Orte zum 
andern ihren Trieben gemäß werde bewegen, und mit 
Huͤlfe iprer neuen Organe fich auf eine Art äußern koͤn⸗ 
nen, von der wir uns ißt gar. keine Vorſtellung zu 
machen im Stande find. | dee 2 


> Die Unterfuchung der Pflanzen und ihrer fpecis 
fifchen, Verfchiedenpeit von den Thieren führt Bonnet 
auf die Polypen als eine Mittelgattung zwifchen 
heyden. Zwiſchen der Thierpflange (arbre ani« 


mal) und der eigentlihen Pflanze (arbre vn 


getal) ift der weſentliche Unterſchied, daß in der letz⸗ 
ten die. Zweige und Aeſte niemals den Stamm vers - 
laſſen; anftatt daß in der erfien die Zweige fich. felbft 
von ihrem Stamme, (dem Mutterpoigpen) trennen, 
beſonders leben, und neue Vegetationen der erfteren 
ähnlich hervorbringen. Die Kunft fann den Polys 
pen zu einer Hyder mit mehr Köpfen und Schwaͤnzen 
machen, und wenn man diefe abpaut, werden eben fo. 
viel vollfomne neue Polypen ſich daraus bilden. Ju 
der Matur ereignet es ſich nur zufällig bey dem Poly⸗ 
pen, daß er fich felbft in mehr Stücke theilt. Aber 
es giebt zahlreiche Familien ſehr Eleiner Polypen, die 
Blumenfträuße bilden, und fih von felbft in mehr 
Stücke theilen. Jede Polypenbiume Bilder fi aus, 
nime die Form einer Olive an, und theilt fich der Läns 
ge nach in zwey Eleinere Oliven, die hernach Blumen 
eutwickeln. Andere Arten ſehr Eleiner. Polypen thei⸗ 
ten ſich noch auf, eine andere Weiſe. Bar 
F | ; | | Kenn 


während b. acht}. Jahrhund. b. auf Kant. 291 


Wenn ſich nun ſchon nicht beweiſen laͤßt, daß 
es den Pflanzen an aller Empfindung fehle; ſo laͤßt 
ſich dies noch viel weniger von den Polypen beweiſen. 
Alte find ſehr gefräßig, und der Modus, mie fie ihre 
Beute fangen: und verzehren, kann nur wahren Thies 
-zen Zufommen, Haben die Polypen Empfindungen, 
fo haben fie eine Seele, und diefe muß von der Ent⸗ 
- fteßung jedes Polnpen an in dem Keime wohnen, aus 
welchem der Körper des kleinen Thiers feinen Urſprung 
nimt. Wo der Sitz der Polypenfeele ift, laͤßt ſich 
wiederum nicht beſtimmen; aber die Seele muß doch 
alle die verſchiedenen Eindruͤcke empfangen, die auf 
die verſchiedenen Punete des Körpers gemacht werden, 
mit welchem fie vereinigt iſt. Wie koͤnte fie fonft fuͤr 
die Erhaltung ihres Körpers forgen? Es muß alfo 
in dem Körper des Polypen ein Organ geben, das 
mit allen Theilen desfelben in Verbindung ſteht, und 
mittelſt deſſen die Seele auf alle dieſe Theile einwirken 
kann. Wie auch der Ort und die Structur dieſes Or— 
gans ſeyn moͤgen; ſo kann es ein anderes enthalten, 
welches ſich als der wahre Sitz der Seele betrachten 
laͤßt, und das Werkzeug der kuͤnftigen Regeneration 
ſeyn wird, wodurch der Polyp zu dem Grade der 
Vollkommenheit fich erhebt, der bey dem gegenmwärtis 
gen Zuftande der Dinge nicht. möglich war. 


Wie Bonner feinen pbilofophifchen Traͤumen 
über den Zuftand der. menfchlichen und ehierifchen See— 
len nad) dem igigen Leben, wozu ihm feine naturhi— 
ſtoriſchen Hypotheſen Beranlaffung gaben, nachhieng; 
ſo ſtellte er auch aͤhnliche Muthmaßungen uͤber ihren 
Zuſtand vor dem gegenwärtigen auf. Die Revolu— 
tion unferer Erde, welche vorm Mofes als urfprüngs 
liche Schöpfung derfelben vorgefielle wird, war un⸗ 
—F 7 2 ſtrei⸗ 


292 Gefchichte der neuern Philofophie 


ftreitig nicht die erfte, welche die Erde erfuhr; fie ift 
nur die erſte, deren die Gefchichte erwähnt. Mofes 
befchreibt zwar die Erde beym Anbeginne der von ihm 
fogenannten Schöpfung als wüfte und leer; was wohl 
nichts anders heißt, als daß es an allen natürlichen 
und individuellen Productionen, zum mindeften dem 
Anfcheine nach, fehlte. Wenn indeffen die Erde Abers 
haupt vor jener Epoche ſchon eriftirte ; fo ift doch nicht 
wahrſcheinlich, daß fie burchaus nackt, durchaus oh⸗ 
ne alle Productionen gewefen wäre. Es laͤßt ſich gar 
nicht von. der Weisheit und Güte des Schöpfers: dens 
Pen, daß er eine ganz öde irdifche Kugel gefchaffen 
haben follte, lediglich damit fie fi um die Sonne 
bewege. Die Erde war alfo ſchon damals mit einer 
unendlichen Dienge verfchiedener Producte ausgeſtat⸗ 
tet, dem primitiven Zuftande angemeffen, welchen fie 
unmittelbar nach dee Schöpfung hatte. Die inneren . 
ſowohl als die äußeren Urfachen, welche die Geftale 
der erften Erde haben verändern mögen, fo daß fie erit 
den Zuftand des Chaos hinducchgehen mußte, ehe fie 
ihre gegenwärtige ganz neue Geſtalt erhalten konte, 
feinen wir gar nicht. Als Planer macht die Erde eis 
nen Theil eines großen Planetenfsftens ‚aus; Die 
Stelle, welche fie in diefem einnime, konte fie aͤuße⸗ 
ren Wirkungen ausfegen, die mehr oder weniger auf 
ihre urfprüngliche Defonomie Einfluß gehabt haben. 
Eine folche Veränderung mußte im Plane der götts 
lichen Weisheit liegen, die eben fo die Welten. präfors 
mirte, wie die Pflanzen und Thiere. 


Die Schöpfung der Pflanzen und Thiere auf uns 
feree Erde erfläre Bonner für eine natürliche Evors » 
Iution derjenigen organifirten Weſen, welche die erfte 
Welt bevölferten, wie a ie unmittelbar aus ben Haͤn⸗ 

den 


* 


waͤhrend d. achtz. Jahrhund. b. auf Kant. 293 


den des Schoͤpfers hervorgieng. Wenn das Univer⸗ 
ſum uͤberhaupt durch einen goͤttlichen Willensact ge⸗ 


Schaffen wurde; fo mußte dieſer Willensaet jeder Welt 
die Anlagen zu den Reparationen aller Art mitgetheilt 
haben, welche die Revolutionen, denen jeder Welt⸗ 


koͤrper unterworfen ſeyn ſollte, erfodern wuͤrden. Gott 
hat alſo urſpruͤnglich die Pflanzen und Thiere praͤfor⸗ 
mirt in einer beſtimten Beziehung zu den verſchiedenen 
Revolutionen, welche unſere Erde dem ewigen allges 
meinen Weltplane gemäß treffen follten, | 


Da es für die Gottheit nichts Vergangenes und 
Künftiges giebt, und alle Ewigkeiten ihr auf einmal 
gegenmärtig find; da auch die Totalitaͤt der coeriftis 
renden wie der fuccefjiven Dinge für diefelbe nur eine 
Einpeit iſt; fo bedurfte die Gottheit der Erkentniß der 
Folgen nicht, und was diefe etwa zur Erhaltung und. 
Vervollkomnung des göttlichen Werks nörhig machen 
würden. Das Weſen der ewigen Vernunft ift ganz 


‚ Harmonie, und diefen erhabenen Charakter hat fie 


ollen ihren Werfen aufgedrüct. Alle harmoniren mit 
einander und mit dem Univerſum; alle arbeiten zü 
dem großen Endzwecke, der allgemeinen Glückfeligfeit 
bin, fo weit diefe nur fir endliche, empfindende und 
denkende Gefchöpfe möglich if. Die Welten mußten 
alfo zu einander, und jede zu den Geſchoͤpfen, wels 
che fie bevölfern follten, und diefe wieder zu jener, it 
Beziehung ſtehen. Das Univerfum ift im philofos 


ppbiſchen Sinne Eins, aus Einem Stücke; der große 


— desſelben har es mit Einem Wurſe ges 
ildet. | | 


Die Erde, ein unendlich kleiner Theil des Unis 


i verfum’s, bat nicht erfi zu einer Zeit empfangen, was 


fie zu einer anderen noch wicht befaß, In dem Mor 
E 5 J T 3 mente, 


J 


294 Geſchichte der neuern Philoſophie 


mente, da ſie aus dem Nichts in's Daſeyn gerufen 
wurde, ſchloß fie in ihrem Schooße die Principien 
aller organiſirten und beſeelten Weſen in ſich, die ſich 
entwickeln ſollten. Dieſe Principien waren die Kei— 
me, welche die fünftigen organifchen Weſen im Kleis 
nen befaßten. Bey jenen Keimen und ihrer Entwicke⸗ 
lung ift auf die fünftigen verfchiedenen Revolutionen 
Der Erde gerechner. Bonner nahm hier drey Urepo— 
hen an. Die erfie, da die Erde aus den Händen des 
Schöpfers hervorging. Die zwente, da die durch 
görsliche Weisheit vorbereiteten Urfachen von allen 
Seiten die Keime zur Entwickelung braten. Die 
dritte, da die organifirten Wefen anftengen, ihre Exi⸗ 
ſtenz zu genießen. Wahrfcheinlich waren diefe damals 
ſehr verfchieden von dem, was fie ige find, eben fo, 
wie die Erde in der erften Epoche von derjenigen vers 
fehieden war, welche wir gegenwärtig bewohnen. Es 
fehle uns nur an Mitteln, um jene Verfchiedenpeiten 
zu erkennen und zu beureheilen. Der gefchieftefte Nas 
turforſcher, in die Epoche der Urwelt verfeßt, würde 
vielleicht unfere heutigen Thiere und Pflanzen gar nicht . 
wieder darin erfant haben. Bonner macht hierauf 
manche intereffante Bemerkungen über das Alter uns 
ferer Erde, foferne fi audy noch aus ihrer dermali—⸗ 
gen Beſchaffenheit darauf ſchließen läge, uͤberhaupt. 
Er vergleicht ausführlich die $eibnizifche Hypotheſe 
der praͤſtabilirten Harmonie mit den ſeinigen, und vers 
wirft fie, Er ſucht feine Meynung von dem Lünftigen 
Zuftande dee Menfchen und Thiere nach diefem Leben 
mit dem Dogma der poflitiven Religion von der Auf— 
erfiehung der Leiber zu vereinigen; und gebt. hierauf 
zur Auseinanderfegung feiner Ideen über bie morali⸗ 
ſche Natur des Menſchen uͤber. 


Der 


- während d. achtz. Jahrhund. b. auf Kant. 295 


Dee’ Menfch kann durch Geſetze zur Gluͤck⸗ 
ſeligkeit geleitet werden, weil er faͤhig iſt, ſie zu erken⸗ 
nen und zu befolgen. Sofern alſo der Menſch in Ans 
feßung feines Willens Gefegen unterworfen feyn kaun, 
ift er ein moralifhes Weſen, und die Moralis 
tät feiner Handlungen ift eine bloße Unterordnung uns 
ter jene Gefege. Der Verſtand regiere den Willen, 


und der-MWille durch den Verftand regiere iſt 


ein überlegender- Mille (volonté  reflechie). 
Der Wille ift aber auf das wirfliche ober fcheinbar 
Gute gerichteei" Der Menſch handele nur in Hinfiche 
auf feine Gluͤckſeligkeit, obgleich er fich oft darin irrt. 


Die Fähigkeit, wodurch er ſeine beſonderen Wil⸗ | 


lensbeſtimmungen ausführt, ift die Frey heit. Alte 
Handlungen des Menfhen, bie von feinem überlegens 
den Willen ausgeben, Fönnen ihm zugerechnet wers 
den, ‚weil dieſer Mile ihm angehört, und er mit Kents 
niß deffen handelt, was er thut. Die Imputatiog 
beftehe mwefentlich in den natürlichen Folgen der Beob⸗ 
achtung oder der Uebertretung der Geſetze, der mos 
‚zalifchen Wollfonimenheit oder Unvollfommenpeit, wie 


Gott jene Folgen im Univerfum angeordnet hat. Die - 


görtliche Anorduung Außert ihre Wirfungen nicht ims 
mer auf unferee Erde; die Tugend führt nicht immer 
zum Gluͤcke, und das Laſter nicht immer zum Uns 
gluͤcke; allein da die Unfterblichfeie des Menfchen fein 
Daſeyn in’s Unendliche verlängert; fo wird er das, 
was ihm in dieſer Zeit niche zu Theile wurde, in eis 
ner anderen empfangen, und die göttliche Weltords 
nung wird ihr Recht behaupten. - Die Thiere find Leis 
ner Moralitaͤt fähig, well fie nicht mit Vernunft bes 
gabe find. Sie haben einen Willen, und. üben bens 
felben aus; aber er wird nicht bey ihnen durch ers 
* T 4 | nunft 


* 


J 


296 Geſchichte der neuern Philofophie | 


; | : “ j : 
munft regiert, fondern lediglich durch das Empfins 
Dungsvermögen. Alle ihre Ydeen find Empfindungen; 


ſie vergleichen dieſelben und urtheilen; aber zu abſtrae⸗ - 
ten Ideen fönnen fie fich nicht erheben. Da die Hands 
lungen der Thiere Feine moralifche find, ‚fo können fie 


ibnen auch nicht imputirt werden; und da fie Geſetze, 
die fie nicht Pennen, weder beobachten noch übersreren 
mögen; fo koͤnnen fie auch in Ruͤckſicht jener Geſetze 


- weder belohnt, nach beſtraft werden. Sind alfo aud) 


die Thiere zu einem kuͤnftigen Zuftande berufen, fo 


wuͤrde Dies doch gar nicht aus demfelben Gründen ges _ 
ſchehen, wie bey den Menfchen, weil ihre Natur und 


Verhaͤltniſſe mefentlich von denen des Menfchen abs 
weichen. Es folge aber hieraus nicht, daß darum 
die Thiere auch nicht eines hoͤhern Grades von Boll 
Pommenpeit und Gluͤckſeligkeit fähig wären, , Sie 
Fönnen vielleicht in der Folge Verſtand und Freyheit 
gewinnen, und dann eben fo Verdienſt und Schuld 


| ‚erwerben, wie es igt bie Menſchen koͤnnen. 


Becen dein genreinen Vorurtheile, ſagt Bonner, 
welches die organifirten Weſen alle zu einem ewigen 
Tode verdamt/ verarmt das Univerfum. Es flürzt 


eine zahllofe Menge empfindender Gefchöpfe für immer 


in den Abgrund des Nichts, Die doch eines beträchts 
lichen Zumachfes an Gluͤckſeligkeit empfaͤnglich waren, 
und indem fie eine neue Erde wieder bevölferten und 


verfchönerten, zur Werherrlichung ihres Schöpfers beys 


getragen haben würden. | 


Bonner Enhpft hieran Betrachtungen über die 
Zweckmaͤßigkeit des Organismus in der Natur, über 


merkwürdige Erfcheinungen der Reproduction, über 


das Wachsthum organiſtrter Koͤrper, die ich hier nicht 


die Hauptarten der organiſchen Praͤformation, uͤber 


weiter 


— 


während d. achtz. Jahrhund. 6. auf Kant. 297 | 


: weiter erörtern Pann.. Er bemüße fih auch, feine 
Hypotheſe der Palingenefie überhaupt noch von mehr 
Seiten theils weiter auszuführen, theils zu beftätis 
gen. Die Möglichkeit, uns durch das bloße. Licht 
der Vernunft von der Gewißheit eines künftigen Zus 
flandes zu überzeugen, fucht er darin, ob unfre Sinne 
oder Werkzeuge uns im Gehirne eine Prägrganifation 
entdecken laſſen, die in offenbarer und directer Bezie⸗ 
hung auf jenen Zuftand ſteht; ob fin der Keim eines 
- neuen Körpers im Gehirne wahrnehmen lafle? Dieſer 
Kein muß feinee Hypotheſe gemäß freylich da ſeyn; ‚aber 
«8 läßt fich annehmen, er fey von fo feiner Natur, daß 
er ſich dem Auge des Forfchers entziehe; und deßwegen 
kann aus der Nichtſichtbarkeit keinesweges auf die Nicht⸗ 
exiſtenz geſchloſſen werden. Wir wiſſen uͤberhaupt nicht, 
was die menſchliche Seele an ſich, oder als reiner Geiſt, 
iſt; mir kennen fie nur ein wenig durch die vornehm⸗ 
sten Wirkungen ihrer Verbindung mit dem Körper, 
Es ift mehr der Menſch, welchen wir beobachten, 
als die menfchliche Seele, Uber wir dedueiren 
mie Recht aus den mwahrgenommenen Phänomenen 
des Menfchen die Eriftenz einer geiftigen Subſtanz, 
Die mit der materiellen concurrire, um jene Phaͤnome⸗ 
ne zu bewirken. Unfere finnliche Wahrnehmung fo 
wenig als unfere Verſtandeserkentniß koͤnnen uns alfo 
einen demonftrativen Beweis von der Gewißheit eir 
nes fünftigen Zuftandes gewähren, der dem Menfchen 
bevorftehe; einen Beweis nehmlich, der fih aus der 
wefentlichen Natur des Menfchen felbft führen ließe. 


Wenn die Vernunft aus der Erwägung der Voll⸗ 
Fommenpeiten Gottes, befonders der Gerechtigfeit und 
‚Güte desfelben, Folgerungen für einen künftigen Zus 
‚fand des Menfchen ziehen nn fo find denn doch = Ä 
; 5 | Ä e 


‘298 Gefchichte der neuern Philoſophie 


ſe Folgerungen nichts mehr als wahrſcheinlich. Denn 
die Vernunft kann das ganze Syſtem des Univerſum's 
nicht durchſchauen, und es wäre möglich, daß die— 

fes Syſtem Urfachen enthielte, die der Fortdauer- des 
Menſchen zumiderliefen. Die Vernunft kann auch 
nicht mir binteichender Sicherheit einfehen, was eis 
gentlich die Gerechtigkeit und Güte im hoͤchſten We⸗ 
fen find. Was inzwifchen hier den Vernunftbewei⸗ 
fen an Evidenz abgeht, das, meynt Bonner, wer 
de erfegt durch die Präfumtionen, "weiche die Pünftis 
ge Defonomie der Thiere wahrfcheinlich machen. Ums 
faßt der Plan der göttlichen Weisheit die künftige 
Miederherftelung und Vervollkomnung fogar eines 
Wüuͤrmchens; warum follte er diefe niche für das Ge 
ſchoͤpf umfaſſen, das mic fo großer Superioricät über 
alle Thiere herrſcht? Könten wir in die Tiefe des 
thieriſchen Gehirns Bineinblicken, und bier genau’ die 
Elemente jenes neuen Körpers unterfcheiden, . deffen 
Möglichkeit wir fo klar einfehen ;. koͤnten wir in bier 
ſem neuen Körper Manches entdecken, was uns gar 
nicht mit der gegenwärtigen Oekonomie des Thiers und 
Der gegenwärtigen Beſchaffenheit unfers Globus in 
Verbindung zu feyn fcheint; follten wir hieraus niche 
auf Die Gewißpeit, oder zum mindeften auf die höchr 
ſte Wahrfcheinlichkeie eines Lünftigen Zuftandes des 
Thiers fchließen Fönnen? Dieſer große Zuwachs der 
MWahrfcheinlichfeie aber in Hinſicht auf das Thier, 
wäre ee niche ein noch beträchtlicherer in KHinfiche auf 
den fünftigen Zuftand des Menfchen? Hiermit häts 
ten wir pi opngefäße die moralifche Gewißheit ers 
weicht, die ung fehlte, und die wir wänfghten. 


Aber leider kann auch it unſere intultive Kent⸗ 
nuiß nicht fo tief in das Innere ber organiſchen Weſen 
ein⸗ 


während d. achtz. Jahrhund. b. auf Kant. 299 


‚eindringen. Um das Geheimniß zu entraͤthſeln, muͤß⸗ 
ten wir nothwendig neue Organe, oder neue Faͤhig⸗ 
feiten , befommen. Wenn aber unfre anjchauende 
Ecrkentniß fih auf eine folche Art veränderte, würden 
wir nicht mehr genau diefelben Menfchen feyn, die 
wir itzt find, wir wären alsdenn Weſen höherer Art, 
und hörten auf, mit dem gegenmärtigen Zuftande uns - 
ſers Globus in Beziehung zu ſtehen. Konte alfo der 
Urheber unfers Weſens uns diefe moralifche Gewiß⸗ 
heit, den großen Gegenftand unferer cheuerften Wins 
fche nicht geben , ohne unfere dermalige natürliche Con⸗ 
ftieusion umzuändern? . Sollte uns die höchfte Weis⸗ 
heit alle die Mittel verweigert Gaben, um uns ſelbſt 
zu en) was zu wifjen für uns von fo großem In⸗ 
— iſt? 


Es laͤßt ſich wohl begreifen, warum Gott die 
Thiere ihre kuͤnftige Beſtimmung nicht erkennen ließ; 
ſie wuͤrden dann aufgehoͤrt haben, Thiere zu ſeyn, ſo⸗ 
bald ſſe dieſe Beſtimmung erkant, oder auch nur ge⸗ 
ahndet haͤtten; ſie wuͤrden Weſen von einer hoͤheren 
Ordnung geworden ſeyn; anſtatt daß der Plan der 
goͤttlichen Weisheit es mit ſich brachte, daß es auf 
der Erde lebendige Geſchoͤpfe gab, die auf bloße Sen⸗ 
ſationen beſchraͤnkt waren, und ſich nicht zu abſtracten 
Ideen erheben konten. Allein dee Menſch als vers 
nünftiges und der Moralitaͤt fähiges Weſen war ges 
macht, um feine Blicke noch über das Irdiſche zu 
erheben bis zu dem Weſen aller Weſen, und aus dies 
fer heiligen Quelle die hoͤchſten Hoffnungen zu fchöps 
fen. Sollte demnach die göttliche Weisheit der Schwäs 
‘he feiner Vernunft nicht auf irgend eine Art haben 
zu Hülfe kommen Lönnen, oder zu Hülfe gefommen 
ſeyn, um ſeine ſehnlichſten Wuͤnſche zu —— 

ollte 


f 


‚300 Geſchichte der neuern Philoſophie 


Sollte ſie auf die ſterblichen Menſchen nicht einen 
Strabl des himliſchen Lichts haben fallen laſſen, der 
die höheren Intelligenzen erleuchtet? Hier macht 
Bonner den Uebergang zum Chriſtenthume, fos 
- fern biefes als göttlich geoffenbarte Religion dem Men: 
ſchen diejenige Aufklärung über feine Natur, feinen 
Urfprung, feine Beftimmung, und die Mittel, fiezu 
erreichen, gewährt, welche die Vernunft vermißt. Er 
‚gebt dabey von einem philofopbifchen Beweiſe des Das 
feyns Gottes aus, der aus dem gemeiniglich fogenanns 
ten ontologifchen und Fosmologifchen zufammengefeßt 

iſt, und entwickelt aus dem Begriffe von Gott, der 
durch jenen Beweis begründet wird, auch die ;görtlis 


chen Eigenfchaften. Die weitere Philsfophie Bons 


net's über das Chriſtenthum kann ich hier nicht were 
folgen *). | | 
| Die 


*) Die zur Pbilofophie gehörigen Schriften Bonnet's 
find: Eſſai de Pfychologie, ou Confiderations fur les ° 
-operations de l’ame, fur l’habitude, et fur l’educa- 
tion. Auxquelles on a ajout€ des principes philofo- 
phiques fur la caufe premiere et fur fon effet; à Lon- 
dres 1755. 8.- Deutfh: Karl Bonnet's pſycholo⸗ 
giſcher Verfuh, als eine Einleitung zu feinen philofos 
phifhen Schriften. Mit Anmerkungen von €. W. 
Dohm; Lemgo 1773. 8. — Effai analytique {ur les 
facultes de l’ame; ed. III; d Copenhague et d Geneve. 
1776. 2 Tomes. 8. Deutſch mit einigen Zufäßen von 
Chr. Gottfr. Shüß; Bremen 1770; 2 Theile. 8. 
— Confiderations fur les corps organif&s, ou l’on traite 
de leur origine, de leur developpement, de leur re- 
produdion &s.; à Geneve 1762. Il Tames. 8. Deutſch 
mit Zufägen von oh. Aug. Ephraim Goͤze; Lem— 
90 1775. I Bände, 8. — Contemplations de la na- 
ture; 3 Amßerdam 1764; IL Tomes. 8. Deutſch mit 
Zufäßen aus der_italiänifchen Leberfegung des Spals 
lanzamt und eigenen Anmerkungen von Joh. Dan. 
Titius; 


während d. achtz. Jahrhund. b. auf Kant. 301 | 


Die Phitofoppie Bonner’s fand eine Zeitlang 
bey einem anfehnlichen Theile des gebildeten, beſon⸗ 
ders franzöfifchen umd deurfchen, Publicum’s großen 
Benfall. Sie fehlen die richtige Mittelſtraße zu hats 
ten ztoifchen dem damals zur Mode werdenden Natu⸗ 
ralismus oder Materialismus, und einem bigotten 
Aberglauben, als dem entgegengefeßten Ertreme, Sie 
ſchien die Anſpruͤche der philofophirenden Vernunft 
und des Offenbarungsglaubens auf die fhicklichfte Are 
mit einander zu vereinigen. Ihr Ton empfahl fich 
durch Beſcheidenheit, durch die ruhigſte Mäßigung 
im Urtheile über entgegengefeßte oder abweichende Vor⸗ 
ftellungsarten. Dazu fam die innige Verbindung, 
in welche Bonner die Speculation mit der Erfah: 


„tung, hauptfächlich mit dee Maturgefchichte, feßte, 


das Neue und deym erften Blicke Siunreiche und Ans 
wendbare feinee Hypotheſen über die Principien der 
Organiſation in der Natur, was, indem es eine theils 
feheinbare, theils wirkliche Belehrung gewährte, zus 
gleich die Wißbegierde anzog und ii 


Iunde ſen iſt dieſer Beyfall, den man anfangs 
Bonner’s Spfteme und feinen Hypotheſen und Träus 
men zollte, nicht von langer Dauer. geweſen. Gegen 
feinen Empirismus, mas die Möglichkeit der Erkents 
niß betrifft; gegen feine Erflärung des Urfprungs der 
Senfationen und Värftellungen aus einer Erſchuͤtte⸗ 
‚zung der Gehirnfibren, und die hiervon rt 

us 


Titius; Imente Auflage. Leipjig 1772. 8. — Eine 

neuere Prachtauegabe von Bonnet's fämtlihen Wer⸗ 

ken, mit Inbegriff der zur Naturgeſchichte gehoͤrigen, 

unter dem Titel: Oeuvres d’hiftoire naturelle et de phi- 

— iſt erſchienen zu Neufchatel 1779 in acht Quart⸗ 
nden. 


— 


— 


302 Gecſchichte der neuern Philoſophie 


hängenden Erklaͤrungen der Seeleufaͤhigkeiten, z. B. 
des. Gedaͤchtniſſes, der Phantaſie, und der Ideenaſſo⸗ 
etation, find fo trifftige Gründe vworgebracht worden, 
daß die neuern Pfochologen fie mit Recht als fchlechts 
bin verwerflich betrachten. Auch feine Hypotheſen über 
die Prineipien der Organifation, ' feine präformirtem: 
Keime, die Einfchachtelung verfelben vom Aubeginne 
der Schöpfung, der unzerftörbare Geelenfeim, auf 
welchem der ganze Bonner’fche Traum von der Palins 
genefie beruht, Haben ſich nicht behaupten koͤnnen. 
Sie find dur das von Blumenbach u. A. aufges 
ſtellte Syftem der Epigenefis, durch die Reſultate 
der Kantifchen Kritiß der Urtheilskraft, und vollends 
durch die Schelling’fepe Naturphiloſophie gänzlich vers 
‚ drängt worden. | a. 
x A * 
Edb' ich in der Charakteriſtik der Franzöfifchen 
Philoſophen, die gegen und um die Mitte des. vorigen: 
Jahrhunderts blühten, weiter forıfchreite, will ich 
einige hifterifche Bemerkungen uͤber das Verdienſt der 
Franzoſen um das Naturrecht und die-Philofor- 
phie der Gefeggebung einfchalten. Die Franz 
zofen haben fpäter, als die benachbarten Nationen 
angefangen, beyde Difeiplinen zu bearbeiten, woran 
wahrfcheintich ihre monarchiſche Verfaſſung ſchuld 
war; denn die politiſchen Schriften des Bodin und: 
$a Boerie, die in den Zeiten der Ligue erfchienen, 
waren nur vorübergehende Meteore, die ohne alle Fols 
gen für-die Denfart des Publitum’s ‘über feine Rechte 
und politifchen Verhaͤltniſſe blieben. Die Gtreitigs 
keiten der Parlamenter mit ber Fönigl. Gewalt, vor⸗ 
nehmlich ſeitdem fich dieſe gegen die Mitte des 3 
| Ä ehn⸗ 


während d. achtz. Jahrhund. b. auf Kant; 303 


zehnten Jahrhunderts durch eine Reihe großer Statss 
männer, Die das Ruder führten, und die Monarchie 
begründeten, völlig confolidirt hatte, Außerten auf. 
die Rechtstheorie faft.gar feinen Einfluß. Auch vers 
riethen diefe Steeitigfeiten je mehr. und mehr das. Les 
bergewicht der Könige und der Großen, und die Un⸗ 
terdruͤckung der Stände und des Volks. Eine ſehr 
wachſame Cenfurpolizey Fam dazu, um alle und jede 
Unternehmungen Lühner Köpfe, das Volk über feine 
Rechte aufjzuflären, ‚entweder in der: Geburt zu erz 
flächen , oder doch ihre Wirkſamkeit zu verhindern und 
zu vereiteln. In dem jüngft verfloffenen Jahrhunderte 
‚bat es zwar durchaus. nicht an Winken über die Uns 
gerechtigkeit und Verderbtheit der: Defpotie in Frank⸗ 
veich gefehlt, welche die talentvollſten Schrififteller. im 
ihren. Werfen anbrachten; fie erlaubten fich beyläufig 
und im Einzelnen ſogar heftige und: Teidenfchaftliche 
Angriffe; aber gerade weil diefe Angriffe nur indirecte 
und beyläufige waren; ſo las man fie, ließ ihnen im 
Privarurcheile als: fehe wahren und treffenden Bemer⸗ 
Bungen ©erechtigfeit ‚wiederfohren, und vergaß fie 
den nächften Augenblicf, nachdem man fie gelefen hats 
te. Erſt mußte der Misbrauch der Föniglichen Gewalt 
unter Ludwig XV auf’s hoͤchſte fleigen, und dee 
geoße Haufen den Druck fehmerzlicher fühlen, unter 
welchem er fihmachtere, ehe das Volk zu der Mevolus 
tion reif wurde, von der wir die Zeugen gemwefen find, 
und die. freylich.unter vielen guten und fchlimmen Wirs 
ungen auch die gute gehabt Hat, ‘daß die Philoſophie 
bes Rechts in Frankreich in unfern Tagen fee viel an 
Aufklaͤrung gewonnen hat. Ä 


Fuͤr die Philoſophie der poſitiven Gefeßgebung 
bat inzwifchen. Frankreich auch unter ERS Alterır 
Bier a chrift⸗ 


304 Gefchichte der neuern Philoſophie 


Schriftſtellern "einen claſſiſchen aufzuweiſen, ob 
er gleich ebenfalls erſt in der goldenen Periode der Frans 
zöfifchen Literatur lebte. Diefer ift Montesquieu, 
‚der Verfaſſer des berühmten Werks vom Geifte dee 
Geſetze. . Auch diefer würde fchwerlich der Verfol⸗ 
gung und Unterdrücung des Hofs entgangen fe, 
defjen Abneigung er ſich fchon vorher, ehe er jenes 
Werk herausgab, durch eine muthvolle Vertheidigung 
der Rechte der Parlamenter zugezogen hatte, wenn 
ibn nicht felbft das Amt, das. er befleidere, fein ces 
fpectabler perfönlicher- Charakter, und der Inhalt feir 
nes Werks, gegen das auch die giftigfte Verleumdung 
ihre Pfeite vergeblich richtete, gefchügt hätten. Mons 
segquieu ſtudirte die neueren Statsverfaffungen und 
ihre Geſetze eben ſo, wie Ariſtoteles die des Alters 
thums ſtudirt hatte; und was Daher Die Politik des 
letztern in Beziehung auf das Alterthum iſt, das iſt 
das Werk jenes in Beziehung auf die neuern Voͤlker. 
Mur hatte der franzöfifche Pbilofepp mauche betraͤcht⸗ 
liche Vortheile vor dem geiechifchen voraus... Die Ges 
ſchichte, welche diefer um Rath fragen - Eonte, war 
zu feiner. Zeit noch ſehr wenig cultivirt, und bezog 
fich faft einzig auf die griechifchen Staten; denn. was 
Ariftoteles von der Gefchichte der Morgenländifchen 
Völker wußte, war fragmentarifh, und beftand in 
allgemeinen Datis. Won der monarchifchen Gattung 
der Starsverfaflungen kaunte Ariftoreles, außer der . 
orientalifchen Defpotie, ‚nur. wenige Arten, . und die 


republicaniſchen Formen, die er freylich in großer Mans 


nichfaltigkeit, und mit den verfchiedenften ſucceſſiven 


Veraͤnderungen, wie eine bunte Gruppe, vor fi hats . 


te, konte er doch nur in ihren Wirkungen auf einzelne 

Eommünen oder Pleine Bölkerfchaften beurtheilen, niche 

aber in Seen Wirkungen u große Deipeen, bie 
| aus 


während d. achtz. Jahrhund 6. auf Kant. 305 


aus mehreren Millionen Menſchen beſtehen: Gewiſſe 
Eigenheiten, welche die Siatsverfaſſungen der neuern 
Voͤlker haben, z. B. ſtehende Heere, eine Geiftlichs 
keit von einem ganz andern Charakter, als die Pries 
ſter der alten Welt, waren dem Ariftoteles durchaus 
fremde; Dagegen er wiederum bey feinen Republiken 
auf'die eingeführte Sclaverey rechnen fonte, die in 
den neuern Starten, welche für die heutigen Polirifer 
vorzüglih in Anfchlag kommen, weggefallen iſt; 
denn: die Leibeigenfchaft bey den Neuern ift Doch nicht 
ganz das, was die Sclaverey bey den Alten war, 
. und was die Degerfclaverey noch gegenwärtig iſt. 
Welch eine reichhaltigere lehrreiche Gefchichte hatte 
Dagegen Montesquieu vor fi, fobald es ihm dar⸗ 
auf anfam, von ihr zu lernen, was gewiffe politifche 


- Einrichtungen und Gefege für Mugen oder Schaden 


im Ganzen und im Einzelnen nach fich gezogen haben, 
wenn man nur allein die Geſchichte der Roͤmer er» 
wägt, und vollends die Gefchichte der neuern Gtaten, 
die fih nach der Völferwanderung in Europa bildes 
ten: , Welch eine ungleich größere und mannichfals 
“ igere Menge von Statsformen, namentlich von Are 
ten der Monarchie, bot ſich ihm dar, um überhaupt 
ein -richtigeres Urtheil Über den Werth des Monars 
ſchismus in Bergleihung mit dem Republicanismus 
fällen zu können! Hatte Ariftoreles die Wirfuns 
Yen republicaniicher Statsformen nue im Kleinen und 
unter viel einfacheren Bedingungen beobachten Fäns 
nenz3=fo Ponte fie Montes quieu im Großen, und 
unter viel complicirtern Bedingungen und: Umftänden 
beobachten, und danady fehle politifchen Mefultate 
modificiren. - Es ift daher nicht zu verwundert, Daß 
Montesquieu’s Geift der Gefeße ein für die 
neuern Voͤlker unverhaͤltnißmaͤßig fruchtbarers und 
BDubhle's Bei. d. Philoſ. VI.D. u inters 


9 x 


Ä 306 Geſchichte der neuern Philoſophie 


intereſſanteres Werk geworden iſt, als es die Politik 
des Ariſtoteles ſeyn und werden font. Was 

. hierbey dem Montesquieu vorzüglich zum Ruhme 
gereicht, ft die weife Sparfamfeit und Zweckmaͤßig⸗ 
feit, womit er die allgemein wichtigeren Statseinrich⸗ 
tungen und Gefege aus dem unermeßlichen, Chaos 
derfelben,, welches die Gefchichte der Völfer darftellt, 
bervorhob; der richtige unbefangene Blick, womit 
er fie würdigt; und die furze und gleichwohl deute 
liche Präcifion, womit .er feine Refultate ausdrückt, 
erläutert und beweift. Das Wer des Montess 
quieu ift ein Tert, der zu weitläuftigen Commentas 
zen Stoff enchält, und doch, um verftanden und ber 

nußt zu werden, Feines Commentars bedarf. Daß 
nicht alle Refultate und Maximen Montesquieu’s 
- gegründet oder anwendbar find; daß er auch in dies 
fem. und jenem Urtheile den Fehler der Einſeitigkeit 
nicht vermied und vermeiden Fonte, Tann ihm nicht 
zum Vorwurfe gereihen. Die größte Vorlliebe 
fcheint er für eine vermifchte Statsverfaffung 
gehabt zu haben, und daher hielt.er unter den neue» 
sen die Englifche Conſtitution für die verhäfts 
nißmaͤßig befte, obgleich er. auch Mehreres an ihr 
zu: tadeln fand, wie es denn wirklich zu tadeln iſt. 
Dieſer günftigen Meynung Montesquieu’s. von 
der Brittifchen Berfaffung iſt hauptfächlich die allge 
‚meine Achtung zuzufchreiben, welche diefelbe.in Eus - 

ropa, felbft in ihrer gegenwärtigen Verderbtheit har, 
Uebrigens ift Montesquien nächft den Ariftoteles 
als der Schöpfer der Philofophie des pofitiven Rechts 
anzufehen. Die Bahn, welche er fo glücklich ge⸗ 
brochen bat, ift nach ihm von vielen andern mit grös 
‚Kerm oder geringerem Erfolge betreten worden. Aber 
noch Feiner feiner Nachfolger har feinen . _ 
| bdunrkeln 


während d. achtz. Jahrhund. B. auf Kant, 307 


Dunkeln, oder das Studium. feines Werfs für dem 
philofoppifchen Rechtsgelehrten und. Statsmann ent⸗ 
behrlich machen koͤnnen *). 


Auſſer Montesquieu ſind um die Mitte des 
—— Jahrhunderts noch drey andere franzoͤſiſche 

Schrifiſtellee, Joh. Jac. Burlamaqui, de 
Vattel, und de Real durch ihre Bearbeitung des 
Stats; und Bölferrechts nach allgemeinen naturrecht⸗ 
Uchen Principien beruͤhmt geworden. 


Der erſte war ein Genfer von Geburt, lebte 
auch daſelbſt als Profeſſor der Rechte, und nachdem 
er wegen ſchwaͤchlicher Geſundheit dieſes Amt nieder⸗ 

elegt, ward er Mitglied des innern Raths dieſer 

epublik. Er ſtarb im J. 1748. Von ihm iſt das 
erſte franzoͤſiſche eigentliche Compendium des Natur⸗ 
und Voͤlkerrechts, dem er hernach auch noch einen 
Entwurf des Statsrechts (droit politique) beyfuͤgte. 
Beyde Werke find nach dem Tode des Verfaſſers ans 
ſehnlich vermehrt von de Felice in acht Theilen her⸗ 
alisgegeben worden *). 


Der zweyte, "Emmerich de Vattel, war 
aus dem Fuͤrſtenthume Neufchatel gebuͤrtig, und ſtu— 
die ” *— Theologie und Philoſophie. Im Fr 

Ä 1746 


4 *) Qeuyres de Mr. de Monserguien; & Amſterdam 17695 
‚VO T. 8. Ron dem Werke de Pefprit des loix hat 
man mehr einzelne Ausgaben, ine deutſche Weberfetn . 
gung tft erſchtenen zu Frankf. und Letpzig 1753, III B. 8. 

cch Prineipes du droit de la nature et des gens. Par Mr, 

FL. Burlamaqui, Avec la fuite du droit de la ne«= 
‚ ture, qui n’avoit point encore paru. Par Mr de Fa 
* à Xverdon 1766. 67. V. T. 8, | 


4a 


308 Gefchichte der neüern Philoſophie 


1746 ward er Legationsrath zu Dresden ‚ febte eine . 


Zeitlang als Churfähfifher Minifter zu Bern, ward 
aber 1758 nach Dresden zurücgerufen, und mit 
dem Zitel von Geheimen Rath bey der geheimen Canz⸗ 
ley zu Dresden angeftell. Er ftarb im J. 1767. 
Sein Droit des gens hat ſich bey den neuern Statss 


männern großes Anfeht erworben. Es ift aber in 


der Hauptjache nichts weiter, als eine Umarbeitung 
des groͤßern Wolfichen Werfs über das Völkerrecht, 
und eine Einkleidung desfelben in eine leichtere gefäls 
figere Form. Selbſt der Drdnung des. Wolffchen 
Syſtems ift Vattel auf’s genauefte treu: geblieben. 
Aud die Hauptideen Wolf’s hat er beybehalten, 
ausgenommen die Hypotheſe von der allgemeinen Voͤl⸗ 


ferrepublif (civitas gentium maxima), welche jener - 


als Fundament des Voͤlkerrechts betrachtete, und die 
Vattel mie Recht beftreitet und vermwirft, und auch 


einige andere einzelne Meynungen, worin der leßtere _ 


von feinem Vorgaͤnger abweicht. - 


Es ift alfo nicht ſowohl Verdienft um die Mar 
terie, was das DVattelfche Werk bey den Statsmän: 
nern empfohlen, und das Wolfſſche verdrängt hat; 
fondern fediglich die Form. Als Fehler find Wols 
fen fowohl als auch noch Vattel'n vorzuwerfen 
die Verwirrung des Bölferrechts mit dem Statsrechs 


te, Mangel an Gruͤndlichkeit bey mehrern wichtigen. 


Puncten, gänzlihe Webergehung anderer, die bey 


den Gteeitigfeiten der Voͤlker in Frage kommen. 
Auch hat fih Vattel faft allein’auf die allgemeinen 
Regeln eingefchränft, obne ihre Anwendung duch 
Beyſpiele aus der Gefchichte zu erläutern oder zu bes 
ſtaͤtigen. Freylich komt leider die Voͤlkerrechtstheorie 
bey den Streitigkeiten der Nationen nicht PR 

u ——— — n⸗ 


- 


> ie 


- 


während d. achtz Jahrhund. b. auf Kant. 309 F 


Anſchlag, als die groͤßere Macht. Das Voͤlkerrecht 
iſt nur eine Satire auf die Geſchichte, oder vielmehr 
die Geſchichte iſt eine Satire auf das Wölferrecht, 
Die Machthaber berufen ſich oft nur auf das Wölfers 


recht, ſo lange es mit ihrem Intereſſe zufammenftimt, 


⸗ 


und treten es ohne Bedenken mit Füßen, wo es ihr 
rer Eigenſucht zuwider laͤuft. Inzwiſchen kann doch 
Darum dem Voͤllerrechte, wie dem Naturrechte übers 
haupt, nicht aller Werth für die Nationalverhaͤltniſſe 
und die. praftifche Leitung derfelben abgefprochen wer⸗ 
den. Es dient wenigftens zur Beurtheilung des ger - 


genſeitigen Verfahrens der Voͤlker für die Cabinetter, . 


die nicht unmittelbar bey den Angelegenheiten anderer 
DMationen intereffire find, und alfo als Vermittler 
auftreten fönnen. Es bilder überhaupt eine öffents 


ä liche -Meynung, welche auch die mächtigften Res 


genten ſcheuen, und durch Die fie.oft von Gemwaltthäe - 
sigfeiten zurückgehalten werden, welche. fie fich ſonſt 
ohne Bedenfen erlauben würden, In diefer Hinficht 
bat auch die Voͤlkerrechtstheorie den -gerechteften Ans 
ſpruch auf die forgfältigfte Bearbeitung; und. :die 
Mängel und Fehler derfelben muͤſſen um fo.mehr.ges 


ruͤgt und verbeffert werden ,. je bedeutender die Wirs 
kungen derſelben feyn Finnen *). ! — 


Der 


*) Le Droit des gens, ou principes de la-Joi naturelle 

» appliquds A la conduite et aux affaires 'des nations. ef 
des Souverains, Par;Mr. de Vartel; à Londres 17583 
„UT. 4 Deutfh: Leipzig 1759. IIB. 8 — Qud- 

. © Rions de droit naturel et obferyationg fur le Traite 
du droit de la nature de Mr. le Baroo de Wolf. ‚Par 
Mr. de Varel 3 Berne 1762. 8. Deutfh:. Mitan 
"amd Leipzig 1771. 8. en IHR 


. 


370 Gefchichte der neuern Philoſophie 

Der dritte, Gafpard de Heat, Königlicher. 
Rath, gab im J. 1758: ein, Werk über die gefamte 
Starswiffenfhaft in act Theilen heraus, deſſen 
Braucbarfeis nicht bekant genug iſt *). Es hat 
den Titel: La Science du gouvernement. Der erſte 
Theil enthält einen allgemeinen Grundriß der Statss 
Yunft; der zweyte eine Charafteriftif der verfchiedenen . 
Europdifchen Starsverfaffungen; der dritte entwickelt 
Die allgemeinen Printipien des Naturrechts; der vier⸗ 
te das allgemeine Statsrecht; der fünfte das Voͤlker⸗ 
recht; der fechste Die Politif ; der fiebente das fanos. 
nifhe Recht; und im achten ift eine Notiz der vor⸗ 
nehmften zue Statswiſſenſchaft gehörigen Schriften 
mitgetheilt. Die Bearbeitung der Materien ift uns 
gleich zweckmaͤßiger und praftifcher , “als in den Bur⸗ 
Jomaquifchen und: Bartelfhen Werfen, obgleich eins 
gelne Theile beſſer geratben find, als andere. ‘Ge 
iſt z. B. der Theil, welcher die Statiſtik betrifft, bey. 
Der Bervollfomnung diefer Wiſſenſchaft in den neueren 
Zeiten, und bey der Veraͤnderlichkeit ihrer Gegens 
fände, ige nicht mehr zu brauchen. Auch muß man 
nicht vergeflen , daß das ganze Werk des de Real 
im Geſichtspuncte und mit der Vorliebe eines Frans 
gzoſen für fein Vaterland gefchrieben iſt. | 


Es wuͤrde eine zu große Weltläuftigfeit erfodern, - 
wenn ich bier die neuern Franzöfifhen Bearbeiter des 
Naturrechts, und der. pofitiven Rechtsphiloſophie, 
deren Zahl durch die Nevolution fo groß geworden _ 
it, auch nur im Allgemeinen charafterifiren wollte. - 
un | | Unten 
' ®) La Science du gouvernement. Par Mr..de.Real, Ou- 
 yrage de morale, de droit, et de politique dc. à Pa« 
‚ ris 1762-1764; VIET. 4. Deutſch: Frankfurt und 
Leipzig 1762 - 67. VI Theile, 8 nz 


während d. achtz. Jahrhund. b. auf Kant. 311 


Unter den Schriftſtellern vor der Revolution iſt Lin⸗ 
guet noch einer der merkwuͤrdigſten. Von den Wer⸗ 
ken mehrer unter denen, die ſich während der Revo⸗ 
lution ausgezeichnet haben, ‚haben wir eine fcharffins 
nige und lehrreiche Kritif von Rehberg erhalten *). 
Auch die franzöfifchen Schriftſteller über die Stats⸗ 
wiſſenſchaft muß ich ‚hier übergehen, da ihre Unters 
ſuchung größtentheils mit der neueren franzöfifchen 
Statsverfaflung und Statsverwaltung, und der Ges 
fhichte Frankreichs in zu enger DBerbindung ftehen, 
als daß fie ohne ausführliche Erlaͤuterungen Be 
——— werden koͤnten. 


Zwanzigſter Abſchnitt. 


Beſchhe⸗ der neuern Philoſophie in Frankreich en bed | 
achtzehnten Jahrhunderts. Fortſetzung. 





Gi die Mitte des achtzehnten Jahrhunderts bil, 
dete fich eine Reihe Sranzöfifcher Philofophen, 
die durch ihr Genie und ihre Werke nicht bloß in Bes 
ziehung auf das Franzöfifche Publicum, fondern auch 
Durch den entfcheidenden Einfluß für, die Gefchichte 
| — geworden N — welchen ſie auf die Lite⸗ 
ratur 


9 A. W. Nehberg’s Unterfuchungen über die franzda 
fifche Revolution nebſt Eritifchen Nachrichten von dem 
merkwärdiäften Schriften, welche darüber in ——— 

r in find; ‚Hannover 1793. 11 Theile, 8. 


ns 


312 Gecchichte der neuern Philgfophie 


tatur überhaupt und die Philoſophie insbefondre auch 
in Deutſchland gehabt haben, Friedrich der Gros 
"ge, in der Franzöfiihen Literatur von den fruͤhſten 
Fahren an erzogen, und in reiferm Alter einer ihrer 
versrauteiten Kenner, gewann, bey dem damaligen 
Zuftande Der Wiffenfchaften und des Geſchmacks in 
Doeutſchland, eine herſchende Vorliebe für diefelbe, 
Die ihn auch nicht verließ, nachdem der Genius der 


Deutſchen durch originales Verdienft fich die gerech⸗ 


teten Anfprüche auf feine Achtung erworben hatte. 
Er verjammelte die beften Köpfe und Schriftfteller 
Frankreichs an feinem "Hofe, unterhielt fie auf die 
ehrenvolleſte Weiſe, und lebte mit ihnen, wie mit 
Günftlingen und Freunden. Mit mehrern derjelben 
theilte er nicht bloß feine Muße, um fid in ihrem 
Umgange zu erheitern und zu zerſtreuen; fondern er 
arbeitete auch, mit ihnen gemeinfchaftlich, übergab ihs 
nen feine eigenen Werfe zur Prüfung und legten Feile, 
und kritiſirte wiederum jeinerfeits die ihrigen. ‘Die 
Akademie der Wiffenfchaften in Berlin, deren Stifs 
ter und erſter Präfidene Leibniz von der Franzöfis 
fchen Literatur eine fehr hohe Meynung begte, und 
Daher auch die Aufnahme der ausgezeichneiften Frans 
zöfiichen Gelehrten zu Mitgliedern gleich anfangs jeher 
begünftigte,  beftand unter Sriedrich’s Regierung. 
größteneheils aus ſolchen, und mar mehr als eine 
Franzöfifhe Akademie in einer der erften Refidenzftäds 
te Deutſchlands, wie als ein deutfches literariiches 
Inſtitut zu betrachten. Dem fcbimmernden Bey⸗ 
ſpiele des großen Königs ahmten mehrere deutſche Fürs . 
ſten nah; man fludirte, ebrte, bemwunderte an ihren 

Höfen die franzöfiiche Literatur und jhre vornehmſten 
Herolde; auf welche die Achtung und Freundicaft, - 
die der. gefegerte Held für dieſe äußerte, ein he | 

De Far nr glaͤm⸗ 


— 


— 


waͤhrend d. achtz. Jahrhund. 6. auf Kant. 313 


—— du bon Sens *), ein Werk, das in der. 


| glänzenderes Lichte warf; während man auf die Deuts 
ſche Mufe herabfah, und fie als eine Barbarinn vers 


achtete, oder als Pedanting verlachte. In der That 
iſt aber auch nicht zu leugnen, daß Frankreich gerade 
in dieſer Epoche Urſache — ſich ſeiner Schrift⸗ 
ſteller zu ruͤhmen. 


Bey der Charakteriſtik derſelben kann ich mich 


bier nicht Darauf einlaſſen, was jene Schriftfieller als - . 


Dichter, oder in andern wifjenfchaftlichen Zeidern, 
leifteten. Für mich kommen fie nur in Betrachtung, 
oferne fie die Philofophie bearbeiteten, und auf den 
uftand diefer ſowohl in ihrem Waterlande, als im 
Deutſchland ‚ einwirkten. Ueberhaupt find fie wich⸗ 
tiger fuͤr die Form und Darſtellung, welche die Phi⸗ 
loſophie durch fie erhielt, als für die Cultur und Auf⸗ 
bellung ihrer Gegenftände. In die Tiefen der Mes 


tbanbof e verlor. fich faft Feiner von ihnen fo, daß in 


Anſehung der philofophifchen Principien ihm etwas 
zu verdanfen wäre, wenn man anders nicht die Ver⸗ 


‚werfung und. Verhoͤhnung allee Metaphnfif, die dem 
Witz einiger beſchaͤfftigte, dahin rechnen will. | 


. Einer der erften, gutmüthigften und geliebtes 
ſten Günftlinge- Sriedrich”s war der Marfis d’Ars 
gens. Am berühmteften ift er geworden durch feine 


‚Zeit, 
6 La Philoſophie du bon Sens, ou u Reflexiogs philofo- 


phiques fur Pincertitude des connaiflances humaines, 
- A Puſage des Cavaliers et du beau Sexe. Huisieme 


eclition, corrigede, augmentde de deux differtations mo- 


xales, fur les douceurs de la Societe; et fur la vie 

“ "heureufe; de plufieurs nouvelieg notes; et d’un exa- 
men critique. des -gemarques de Mr. Y’Abbe d a 

u 5 Br ... ‚de 


- 


2 \ 
— J 


| g14 Geſchichte der neuern Philoſophie — 


Seit, da es zuerſt erſchien, wie die vielen Auflagen 


desielben beweifen, hauptſaͤchlich in Deutſchland, 


das tieblingsbuch der vornehmern "und. ‚gebildeten 
De war, für die es auch nad) der Abficht des 

erfaſſers ſelbſt geeignet ſeyn follte. D’Argens 
wollte ein Philoſoph nicht fuͤr die Schule, ſondern fuͤr 
die Welt und das wirkliche Leben ſeyn, und den Con⸗ 


traſt, auf weichen er zuerſt lebhaft aufmerkſam mach⸗ 
te, zwiſchen dem, was die Philoſophie für das 


menſchliche Leben ſeyn ſollte, und dem, was die Phi⸗ 
loſophie der Schule wirklich war, mußte ent 
für ihn einnehmen, fo wenig auch fein Wert in Hi 

ficht auf den Zweck, welchen es hatte, dem ſtrengern 
Forſcher und Prüfer befriedigen konte. Er wirft den 


Philoſophen der Schule, wobey er wohl namentlich 


die Deurfchen am meiften im Auge hatte, Mangel 
an Brauchbarfeit ihrer Unterfuchungen, an gefaͤlli⸗ 
ger Anordnung, an gefehmackvoller Einfleidung vorz 
und daher rühte es, daß ihre Bemühungen zur Aufs 
Häring und-Weredlung des großen Pubficums nichts 
beytruͤgen, und der Werth derfelben , welchen: fie it 
wiſſenſchaftlichem Betrachte etwa hätten, gänzlich 
überfehen. und verfant würde. ir: Haus RR 


“Die Gelehrten,” fagter, “beklagen ſich Bits 


ter über die Denkart ihrer Zeitgenoffen, die nichts 


als Romane und Bagatellen laͤſen, und dagegen bie 
Schriften jener verfchmähten. Aber fie haben großes 
Unrecht. Das Publicum lieſt mie "Begierde und 
Mugen die Werfe eines Bayle, eines Leibniz, 
eines Locke u.a Es har alje Sinn, für echtes 


' 


® 


— 


lite⸗s 


de PAcademie Frangoife fur la Theologie des philofo- 
.» . phes grees. Par Mr. le Marquis-d’Argens, -Tomes IL 
A Dresde 1754. 8. 


“ . eben genannten großen Männer. Eine laͤcherliche | 


Zeiten nicht zu vergeffen iſt. Aber er uͤbertrieb es, 


waͤhrend d. achtz. Jahrhund. 6. auf Kant. 315 
niterdeiſches und philoſobhiſches Verdienſt Anh 


die Schriften jener wuͤrden von ihm mit Intereſſe ge⸗ 


leſen werden, wenn fie ihre Gelehrſamkeit und Phi⸗ 


loſophie fo anzuwenden verſtanden haͤtten, wie die 


Einbildung iſt es, welche die Schulgelehrten haben, 
daß unter den Weltleuten ſich nicht eine große Zapf 


befinde,’ Die fehr gründliche Studien- getrieben haben, . 


und ſehr viele Kentniſſe befigen. . Wenn die Herrn 
Doctoren in us nur mit den Eavalieren der Höfe; den 
Offizieren, und felbft den Damen in den höher 
Ständen ein wenig genauer befant wären; ſo würs 
Den fie bald von ihren Vorurtheilen zurückfommen. 
Daraus aber; daß Jemand ſeinen Geiſt cultivire und 
mit Kentuiſſen bereichert, feinen Geſchmack verfeis 
nert hat, folge feinesweges für ihn eine Verbindlich 


Part ,> fich durch‘ die Leerüre eines grundgelehrten Werks 


Ermũdung und Langeweile zu verurfachen, deſſen Ju⸗ 
ee Kram und leere Spigfindigfeiten- find.” 
es oft geht, d’Argens ſprach hier in feines 


Epoche, im Verhältniffe zur damaligen deutſchen Li⸗ 


teratur, ein wahres Wort, das ſelbſt nod) in unfern 


und-indem er dem gelehrten Pedantismus ein’ Ende 


"machen wollte, empfahl er eine Geichtigfeit der Phi 


loſophie und“der vorffenfepafeltchen Studien, die nicht 


minder verderblich war. 


Die von ihm Gefofgte Methode, eine Dfitofür 
phie des gefunden Menfchenderftandes zu begründen 
und in das Publicum einzuführen, iſt im Weſentli⸗ 
chen von den Pyrrhoniern entlehnt; nur mie dem Un⸗ 
terfchiede,, daß fie nicht die Buͤndigkeit und Strenge 
bat, mis welcher die Pyrrhonier fie brauchten, ‚und 
ER | Ä in 


816 Geſchichte der neuern Phlloſophie 
in naͤherer Beziehung auf die Beſchaffenheit der neuer 
zen Literatur, Culture, und des gefellfchaftlichen Lew 


bens ftebt. Als-die einzigen Quellen-und Führer der 


Erkentniß nime er bloß die Sinne anz von Princis 
pien des Verftandes a priori will er. gar nichts wiſ⸗ 
fen; und er eifert insbefondre auch gegen den philoſo⸗ 


phifchen Dogmatismus des Ariftoteles , Des Eartes, 


Malebranche, obwohl er von-ifrem philofophifchen 


Genie und ihren Werken mit Hochachtung urtheilt, 


Weil aber die Sinne triegen, und die Refultate dee 
finnlichen Wahrnehmungen der Menſchen fo verfchier 
- den und ‚einander. widerfireitend ſind; ſo folgert eg 


hieraus Die Ungewißheit der menfchlichen Einſicht 
überhaupt, Fuͤr die Wiſſenſchaften, in welchen man 


noch die meiſte Gewißheit antrifft, und: wo ſich we— 
nigſtens die Irrthuͤmer am leichteſten und ſicherſten 


entdecken laſſen, erklaͤrt er die Mathematik, einen 


großen Theil der Aſtronomie, und die Experimental⸗ 


phyſik. Hingegen ſucht er vornehmlich die Ungewiß⸗ 
heit der Geſchichte, der Logik, der rationalen Phyſik 


und Metaphyſik, und der Aſtrologie in einzelnen 
Abſchnitten darzuthun; bringt aber keine neue Argu⸗ 


mente vor, deren ſich nicht ſchon die aͤltern Skeptiker 


und die Pyrrhoniſten bedient haͤtten. Der Logik 
ſpricht er nicht allen Werth ab; aber er fodert, daß 


* 


man ſie nur auf wenige einfache Gründe und Regeln 


zuruͤckfuͤhren, und alfe überflüffige Subtilitaͤten, wos 


bin er. die Spllogiftif mit ihrer ganzen barbarifchen 
Terminologie zähle, von ihr abfcheiden folle, durch 
welche fie zu einem trockenen. abſchreckenden Studium 
würde, und ftatt den Verftand zum richtigen Den⸗ 
Ten anzuleiten und zu: gewöhnen, ihn vielmehr vers 
| ar und die Bee: zu ſophiſit gen Schwägern 
mare, Hr 


N 


Biel 


— 


während d. achtz. Jahrhund. 6. auf Kahl. 317 


Viel Gutes enthaͤlt das Werk des d’Argens 
über die Anmaßung und den Dünfel der Gelehrten; 


befien Untechtmäßigfeit und Unanftändigfeit er auch - 


aus wiflenfchaftlihen Gründen beſtreitet. Inzwi⸗ 
ſchen iſt er ſelbſt in den Fehler verfallen, den er an 
den Gelehrten tadelt. Er wollte die Gelehrſamkeit 
A la portée de tout le monde darſtellen, ſich dabey 
ſelbſt als einen Gelehrten zeigen, der aber Geiſt und 
Geſchmack habe, und kramte daruͤber mehr Gelehr⸗ 
ſamkeit aus, als für feine Cavaliere und Damen diens 
ld war. D’Argens empfahl fich übrigens auch’ 
dadurch, daß er nicht bloß die Moral unangefochten 
ließ, fondern auch die pofitive Religion und ihre Aus 
toritaͤt durch feine Art zu philofophiren unterflügen 


wollte. Unter den Günftlingen Friedrih’s und 


ben damaligen franzöfifchen Philoſophen überhaupt 
war d' Argens vielleicht der einzige, der noch mit 
Aufrichtigfeit dem katholiſchen Kirchenglauben fich ers 
geben Hatte; anſtatt daß die übrigen es füch recht zue °. 
ernftlichen Angelegenheit machten, diefen katholiſchen 
Kirchenglauben herabzumürdigen, ihn von einer laͤ⸗ 
cherlichen oder veraͤchtlichen Seite zu fchildern, und 
dagegen den Deismus oder den entſchiedenſten Natu⸗ 
ralismus anzupreifen, 


, Ein großes aber ſehr voruͤbergehendes Auffehen, 

am meiften in Deutfchland, erregte ein anderer Guͤnſt⸗ 
ling Friedrich's des Größen, fa Mertrie. -Sein 
vornehmſtes Beftreben, und auch die Tendenz aller feis 
ner Schriften *), zielten dahin ab, den Naturalismus 
als das einzig wahre philofophifche Syſtem geltend zu 
machen. Die Grundlage feiner Vorſtellungsart war 
| | | vom 


. ®) Oeuvres philofophiques de Mr. de la Mersrie; London _ 


/ / 


318 Gefchichte der neuern Philoſophie 


vom Epifur erborgt. Er bat nur die Epifurifche 
Lehre durch manche Data aus der neueren Maturs 
kunde aufgeftußt, und fie in eine moderne ‚gefälligere 
Form gebracht. Unter feinen Schriften finder ſich 
auch eine befondere Erörterung des Epikuriſchen Sys 
ſtems, ‚die aber der Charafteriftif eben diefes Syftems 
in den Werfen des Gaſſen di an hiftorifcher und philos 
ſophiſcher Richtigkeit und VBollftändigkeit weit nachfteht, 
‚und eine Parallele defielben mie andern Syſtemen. 


Anm bekannteſten ift Ia Mettrie geworden als 

Verfechter des pfyhologifhen Materialismus. 
In drey Abhandlungen: L’homme machide, Traitg 
de.l’ame, und L’homme plante fuchte er die Michteris 
ſtenz einer geiftigen Seele, und die abfolute Identitaͤt 

der fo genannten Geele mit dem Körper und der Or⸗ 
ganifation defjelben,. zu beweifen. eine Gründe 
Laufen meiftens darauf hinaus, daß die Seele in allen 
ihren Aeußerungen vom Körper abhängig ſey, und 
ſich alfo die Selbſtſtaͤndigkeit und abfolute Wirkſam⸗ 
keit jener gar nicht darthun laſſe. Beym erſten 

Blicke iſt das Raͤſonnement des la Mettrie ſehr 
taͤuſchend und einnehmend. Jene Broſchuͤren gehoͤr⸗ 
ten daher bey ihrer erſten Erſcheinung ebenfalls zu den 
Ueblingsſchriften fuͤr eine gewiſſe Claſſe des Publi⸗ 
eum's, unter andern für die Offizire der Preußiſchen 
Armee im fiebenjährigen Kriege; und felbft der große 
Friedrich feine, zum mindeften eine Zeitlang, 
vielleicht durch Mitwitfung des la Mertrie, dem Mas 
texialismus angehaugen zu haben. Bey firengeree 
Prüfung aber beweifen la Merrrie’s Argumente 

nicht mehr und nicht weniger, als daß der Körper 
in dem geaenmärtigen empirifchen geben ein unentse 
behrliches Drgan der Seele fey; die wu 

Ä \ legten 


während D-acht}. Jahrhund. 5. auf Kant. 319 


legteren alfo durch. jenen. beſtimmt und modificire 
werde; allein den Materialismus beweifen fie.nicht, 
Gegen la Mettrieerfchien eine Schrift von Luzae: 
Lhomme plus que machine, die aus der gemeinen 
Denkart ohne wahre philoſophiſche Gruͤndlichkeit 
argumentirt. Den la Mettrie kann man uͤbrigens 


mit Recht einen Atheiſten nennen. Seine Grund: 


ſaͤtze waren zugleich fuͤr die Moral und Religion hoͤchſt 
verderblich. | | Ä — 
Als Philoſoph, wiewohl noch ungleich mehr als 

Mathematiker und Phyſiker, zeichnete ſich auch unter 

Friedrich's Lieblingen de Maupertuis aus, 
Praͤſident der Afademie der Wiſſenſchaften in Berfin. 
Seine Werke find größtentheils marhemasifchen und 
pbyſikaliſchen Inhalts. Im philoſophiſchen Fache 
verdienen nur zwey Schriften von ihm erwaͤhnt zu 
werden, die auch einzeln gedruckt find: Eſſat de Cos- 
mologie und Eflai de philofophie morale *). | 


In der erfteren unterfcheidee Maupertuig zwey 
Hauptparteyen der Metaphyſiker ſeiner Zeit. Die 
eine glaubte an. eine bloß materielle Maturordnung , 
und ſchloß jedes: intelligente Priucip von det Natur 
aus. Zum mindeften verlangte fie, dag: man zur 
Erklaͤrung der Naturphaͤnomene niemals zu diefem 
Principe feine Zuflucht nehme, und die Finalur⸗ 
ſachen gaͤnzlich verbanne. Die andere berief ſich 
unaufhoͤrlich auf dieſe Finalurſachen, entdeckte uͤberall 
RE En in 
D Oeuvres de Mr. de Maupertuis. Nouvelle edition 
orrigie et augmentöe. Tomes IV. à Lyon 1756. 8. 
Der Eflsi de Cosmologie fteht im erften Bande, Es 


erſchien beſonders zu Berlin 1750. 8, und in einer 
bdeutſchen Ueberfegung ebendafelbft 1751. — 


’ 


: f —* X 
320 Gecſchichte der. neuern Philoſophie NER er, 
in der Natur Abſichten des Schöpfers, und wollte 
dieſe Abfichten auch in den kleinſten und geringfügige 
ften Phänomenen errathen. Der erfteren Partey zus 
folge fann das Univerfum ganz ohne die Gottheit bes 
ſtehen. Die größten Wunder fogar, welche man 
in demfelben wahrnimmt, beweifen die Nothwendig⸗ 
keit der Gottheit nicht. Mach der anderen Partey 
find umgekehrt Die unbedeutendſten Dinge im Univerſum 
eben fo viel Demonſtrationen des Daſeyns Gottes. 
Die goͤttliche Allmacht, Weisheit und Guͤte / ſind 
gleichſam abgebildet auf den Fluͤgeln der Schmetter⸗ 
linge und in den Geweben der Spinnen. Beyde 
Parteyen führten mit einander den lebhafteften Streit, _ 
ur mit ungfeichen Waffen. Die erfte Partey focht 
- bloß mir philofophifchen Gründen, und war im Gans 
gen toferant; die andere aber focht mit Firchlichen 
Waffen (des armes facrdes), und ſuchte diejenigen 
verhaßt zu machen, und als gefährliche Menfchen zu , 
verfchregen, die ſich nicht von ihr überzeugen laſſen 
wollten, 


Manpertuis trat zwifchen beyde Parteyen im 

die Mitte. Er eiferte fehr bitter gegen den Miss 

brauch der Tefeologie, die er für ein Hirngefpinft er⸗ 

Märte. Das: Spftem der Natur als Ganzes genonis 

men ift völftg hinreichend, uns von der Exiftenz eines 
unendlich mächtigen und weifen Weſens als Urhebers 

und Regierers dDerfelben zu belehren. Wenn man ſich 

aber, wie mehrere Philofophen gerhan haben, bloß 

an einzelhen Dingen und Theilen des Weltalls hältz 
fo wird man eingeftehen müffen,, daß die Argumente, 
welche die Philoſophen von diefem erborgen, die Stärke 
nicht haben, die fie ihnen beymeſſen. Es giebt des 
Guten und des Schönen in der Welt genug, = 
die 


N 


» 


| während d. achtz. Jahrhund. b. auf Kant, 321 


die ſchaffende Hand der Gottheit darin zu erkennen; 
aber nicht jedes Ding einzeln und an und fuͤr ſich ift 
gut oder fehön genug, um jene göttlich fchaffende 
Hand nicht darin zu verfennen. Maupertuis führe 
mehrere Raiſonnements der unmeifen teleologifchen Bes 
wunderer der Natur an, die der Atheiſt eben fo gut 
benugen fönte, wie fie. Die, göttlichen Abfichten, 
Die man in den einzelnen Naturdingen findet, werden 
oft in diefeiben bineingeträumt, und es ift eine läps 
pifhe Befchäfftigung, dergleichen darin aufzufuchen. | 
Der Zufall kann eben fo gut eine Menge Gefchöpfe 
heroorbringen, die ſehr zweckmaͤßig fcheinen; und fo 
koͤnte er auch wohl beym Urfprunge der Welt die 
Mannichfaltigfeit der Maturdinge gebildet haben, 
son welchen fih nur diejenigen erhielten, Die fo ges 
baut waren, daß ihre Organifation eine Fortpflaus 
zung möglich machte. Maupertuis verwarf des⸗ 
wegen auch den phnfifchtheofogifhen Beweis des 
Dafenns Gottes, fofern er aus den Eleinen Details 
des Baues einer Pflanze oder eines Inſeets, wie zu 
feiner Zeit von den Theologen oft gefchehben war, ge: 
führt wurde; da wir das Verhaͤltniß diefer Einzelheis 
zen zu dem unermeglichen Ganzen nicht kennen, weis 
ches wir gleichwohl kennen müßten, um Daraus die 
Allmacht und Allmeisheit des. Schöpfers zu bes 
weiſen. Achtet man aber auf. das Weltganze als 
ſolches, fo mögen wir immerhin in einzelnen Theile, 
des Univerfums Ordnung und Schicklichkeit vers 
miſſen; das Ganze bietet Gründe genug dar, Die 
allen Zweifel an dem Dafeyn eines allmäcdhtigen und 
— Schoͤpfers vernichten. 


In einem der allgemeinſten Naturgeſetze glaubte 
Maupertuis einen neuen und fihern Weg entdeckt 
Buble's Geſch. d. Philof. VI. 2. x RL 


322 Geſchichte der nenern"Philofophie 


zu haben, auf welchem man zur Erfentmiß Gottes 
: Al8 des Urhebers der Natur gelangen koͤnne. Jenes 
Maturgeſetz war dasjehige, auf welches fich übers 
haupt die Gefege der Bewegung gründen: Wenn 
fich irgend eine Veränderung in der Natur 
ereignet, fo ift die zu. diefer Veränderung 
angewandte Auantität der Thaͤtigkeit im—⸗ 
mer die möglich Meinfte Die Thaͤtigkeit iſt 
Das Product der Maſſe des Körpers, multiplicitt 
Durch feine Gefhwindigfeit, uud den Raum , welchen 
en durchläuft. Maupertuis hatte dieſes Princip 


querſt in einer der Akademie der Wiffenfchaften zu 


Maris vorgelefenen Abhandlung -aufgeflellt, die auch 
An die Sammlung feiner Werke aufgenommen iſt. 
Er unterfcheider es noch von dem alten befanten Foss 
‘mologifhen Arieme: Daß die Natur immer-bie 
seinfachften Mittel zu ihren Zweden wählt 
- (Que la nature agit toujours par les voies- les plus 
fimples.) Diefes Ariom, das nur gültig ift, wenn 
die Eriftenz und Vorſehung Gottes fhon vorher bes 
wieſen find, ift fo unbeſtimt, daß: man den wahren 
Sinn und die Anmendbarfeit defielben ‚gar nicht zw 
errathen vermag. : Es komt bier darauf an, alle 
Gefege der Mitteilung der Bewegung aus einem 
‚einzigen Principe abzuleiten, oder.nur ein einziges 
Primeip zu finden, womit fich alle jene Geſetze vertras 
gen: eine Bemuͤhung, die mehrere der geößten Phi 
-Jofophen bis dahin vergeblich unternommen: haben. : ©» 


-  - Dem Des Cartes gelang #8 nicht, das Princip 
zu ergründen, und das beweiſt binlänglich , wie viel 
Schwierigkeiten die Entdecfung desfelben haben müfle. 
Er glaubte, Daß in der Natur diefelbe Quan⸗ 
sität der Bewegung fih immer erhielte, ins 

; | ae Ä dem 


mährend d. acht. Jahrhund. B. auf Kant: 923 


den er das Product der Maſſe multiplieitt durch die 
Geſchwindigkeit fuͤr die Bewegung nahm. Bey der 
entgegengeſetzten Wirkung verſchiedener Theile der 
Materie ſey die Modification «dev: Bewegung: jo bes 
Schaffen, daß die Mailen, -jede durch ifre Geſchwin⸗ 
digkeit multiplicirt, nach dem Stoße diefelbe Summe 
ausmachten, welche fie vorher ausgemacht Härten, 
Hieraus entwicfelte er feine Gefeße der. Bewegung. 
Die Erfahrung bat gezeigt, daß fie falfch waren 
weil das Princip ie falfh war 


Leibniz irrte ſich hierin ebenfalls. — die 
— Geſetze der Bewegung ſchon eutdeckt waren, 
ſo gab er doch gerade ſo falſche an, wie die Carteſi⸗ 
ſchen ſich erprobt hatten. Nachdem er feinen Irr⸗ 
thum einſah, ſtellte er ein neues Princip auf:: Daß 
in Der Natur Die lebendige Kraft fih immer 
gleich bleibe. Unter der lebendigen Kraft vers 
ftand er das. Product der Maſſe multiplieire durch 
das Quadrat ihrer Gefhwindigfeit. . Wenn die Körs _ 
per fih in entgegengefeßter Richtung bewegten, ſo 
fey die Modification der Bewegung vonder Art, daf 

die Summe’ der Maffen, jede durch das Quadrat 
ihrer Gefchwindigfeit multiplicire, nah dem Stoße 
Diefelbe bliebe, Die fie vorher war. Diefes Theorem 
war mehr eine Folge einiger bejonderer Geſetze der 
Vewegung, als des Princips dieſer Geſetze. Huy— 
gens, der das Theorem zuerſt erfand, hatte es nie 
als Princip-berrachtet, und Leibniz, Der immer vers 
ſprach, es a priori zu begründen, hat doch fein Vers 
fprechen nie erfüllt. Die Erhaltung der Iebendigen 
Kraft finder unftreitig im dem Stoße elaftifcher. Körper 
ftatt; ‘aber feinesweges in dem Stoße harter Körs 
der; ; und man kann Die Öefege der Bewegung dieſer 
X 2 Koͤr⸗ 


*— 


324 Gefchichte der neuern Philoſophie 
Körper nicht nur nicht daraus deduciren, fondern die 
Geſetze, weichen die Bewegung diefer Körper folgt, find 
ſogar mit jener Erhaltung der lebendigen Kraft im 
Widerſtreite. Als man dep teibnizianern dieſen Ein⸗ 
wurf machte, nahmen fie lieber die Ausflucht, daß 
es gar. feine harte (unelaftifhe) Körper in der 
Matur gäbe, als daß fie ihe Princip hätten der 
Wahrheit aufopfern follen. Sie ergriffen alfo das 
feltfamfte Paradoron, mozu die Vorliebe für: ein 
Shyſtem nur verleiten kann; ‚denn Die primitiven 
Körper, oder diejenigen, welche die Elemente aller 
Körper ausmachen, können nah Maupertuis 
durchaus niches anders, als harte Körper, ſeyn. 


’ Vergebens, behauptete der franzöfifche Philos 
ſoph in Berlin, haben alfo die Ppilofoppen bisher 
Das Prineip der Gefege der Bewegung in einer uns 
veraͤnderlichen Kraft, in einer Quantität derfelben, 
die bey allen Eollifionen der Körper fich gleich blie⸗ 
be, geſucht. Es exiſtirt fo etwas nicht: Vergeblich 
träumte Des Cartes fi eine Welt, die nach ih⸗ 
ger einmaligen Schöpfung der Hand des Schöpfers 
entbehren könne. Vergebens fuchte Leibniz dasſelbe 
Reſultat aus einem andern Principe abzuleiten, Kei⸗ 
‚me’ Kraft und feine Quantität derſelben, die man als 
NUrſache der Vertheilung der Bewegung anfehen kann, 
Bleibe unveränderlih. Aber es ift eine vorbans 
den, Die in jedem Momente von neuem herz 
‚vorgebraht, und fo zu reden von neuem ges 
fhaffen, immer mitder möglich größten Des 
Fonomie hervorgebracht wird. Dadurch vers 
raͤth das Univerfum feine Abhängigfeit von feinem 
Urheber, und fein Bedürfnig der Gegenwart desfels 
ben, und bemweift zugleich, daß dieſer Urheber eben 
| fo 


während de achtz. Jahrhund. 6, auf Kant. 325 


fo: allweife, wie allmaͤchtig iſt. Dieſe Kraft iſt das, 
was M. Thaͤtigkeit (adion) nennt. Aus dem 
Principe: deducirt er. alle Geſehe der Bewegung ſo⸗ 
* der elaſtiſchen, als der harten Koͤrper. 


7 Dieſes Princip entſoricht nicht nur der Idee, 

welche. wir von dem hoͤchſten Weſen haben, weil 
Diefes nach demfelben ftets auf. die weifefte Art 
handeln muß; ſondern es ftelle auch das Univerſum 
in feiner unbegrenzten Abhängigkeit yon dem hoͤchſten 
Mefen dar. Die aus ibm abgeleiteten Gefege dee 
Bewegung find genau diefeiben mit denen, welche 
wir in der Natur beobachten; und wir können jegt die 
Anwendung davon auf alle Phänomene, in der Bes 
wegung der Tpiere, in der Vegetation der Pflanzen, 
im Kreislaufe der Geſtirne, bewundern. Das 
Schaufpiel der Welt wird viel größer, viel fchöner, 
viel würdiger feines Urhebers. Dur auf diefe Art ges 
langt man zu einer richtigen Vorſtellung der. Allmache 
und Weisheit des Schöpfers; micht aber, wenn: 
man fie nach einzelnen Dingen oder Fleinen Partieen 
des Liniverfum’s beurtheilt, deren. Conftruction,. Ges: 
Brauch, Verbindung mir allen übrigen uns unbekant 
find. Welche Satisfaction für den. menfchlichem, 
Geiſt, in der Erwägung jener Gefeße, die das Prinz 
eip der Bewegung aller Körper im Weltalle find, 
den Beweis des Daſeyns deſen a finden, der das 
Weltall beherrſcht! 


Diefe fo einfachen Gefege find vielleicht die ein⸗ 
zigen,. welche der Schöpfer in der Materie begrüns 
det hat, um alle Phänomene der fihrbaren Welt zu 
bewirken: Einige Philofophen find fühn genug ges 


page Aus * allein - ganzen —— 
& 3 un 


336 Gefchichte der neuern Philoſophie —J 


und ſalbſt die erſte Blidung des Weltalls zu erklaͤren 
Gebt uns, riefen fie aus, Materie und Bewegung, 
und wir fchaffen euch eine Welt wie die gegenwärd 
tige! Eine Anmaaßung, die jedoch unftreitig zu aus⸗ 
ſchweifend war! Es iſt allerdings eine Moͤglichkeit, 
daß die Abhaͤngigkeit des Univerſum's von ſeinen pri⸗ 
mitiven und allgemeinſten Bewegungsgeſetzen aufge⸗ 
hellet werde. "Aber es wird doch immer große Luͤcken 
zwiſchen den einzelnen noch ſo ſchoͤn verketteten Sy⸗ 
ſtemen der Kosmologie geben; und wenn wir über: 
die- Unvollfoninienheit des Werkzeuges nachdenken, 
mitielſt defien wir diefe Syſteme bilden; fo werden’ 
wir. dennoch: mehr Urfache haben, über unfere Ente 
deckungen zu erftaunen,, als darüber, daß uns noch 
ſo vieles verborgen ift. — 

Das Argument des Maupertuis für das Das 
feyn Gottes, daß die Matur für ihre Zwecke immer 
den geringften Aufwand von Kraft mache, und daß 
dieſes einen allmeifen und allmächtigen Schoͤp— 
fer derfelben erfodere, weil Fein Anderer urfprünge 
lich das Fleinfte umd doch ftets hinreichende Maaß von- 
' Kräften, das zur Erzeugung und Erhaltung der Nas‘ 
turdinge noͤthig war, hätte erfennen und beſtimmen 
mögen — iſt bei) genauerer Beleuchtung nicht fo viel 
werth, wie es zu fenn fcheint, und ſchon Reimas 
rus- der. Ältere hat im feinen Abhandlungen über die 
— Theologie die Schwaͤchen desſelben aufge⸗ 
eckt. — 


Es beruht erſtlich auf der Vorausſetzung, daß 
das Geſetz der Sparfamfeit- (lex minimi) als ein 
norhwendiges Grundgefeg in der Natur anerfannt: 
werden muͤſſe; was noch problematiſch ift.. Es 

u Ze Ze ſcheint 


- 


während. d. ur Jahrhund. b. auf Kant. au 


ſcheint zwar durch die Erfabrung beſtaͤtigt zu werden; 
aber es ift Doch kein Geſetz a priori, und folglich kein 
nochivendiges Marurgefeß. Selbſt aus. der Exfahs: 
zung läßt fich Die Induction niche vollftändig machen.. 

‚ Manche Wirkungen menſchlicher Kunſt find eine In⸗ 
ftanz dagegen. Die Kunft kann mit geringeren Kräfs 
ten durch eine zwecfmäßigere Richtung und Combinas 
tion derfelben eben die Wirfungen hervorbringen, 
welche die Natur mit groͤßerm Aufwande von Kraft 
hervorzubringen pflegt. 


Man kann inzwiſchen — das Geſetz der 
Sparfamfeit der Natur als ſolches gelten laſſen; es 
wuͤrde dennoch von demſelben kein Beweis fuͤr das 
Daſeyn Gottes entlehnt werden koͤnnen. Denn jenes 
Geſetz gilt doch immer nur fuͤr unſere ſubjective Vor 
ſtellungsart. Wir koͤnnen keine kleinere Kraft den⸗ 
ken, welche die Natur zur Erreichung ihrer Zwecke 
haͤtte gebrauchen moͤgen. Es waͤre aber doch gar wohl 
moͤglich, daß ein Weſen von tieferer und vollſtaͤndi⸗ 
gerer Erkentniß, als wir beſitzen, eine noch kleinere 
Kraft kennte, wodurch ſich die Naturdinge hätten bes 
wirfen laſſen. Womit will man beweiſen, daß nicht 
noch eine-Fleinere Kraft möglich wäre zu Demfelben 
Zwede, als wir in der Natur wirflich gebraucht ans 
treffen? Das Dafeyn eines allweifen und allmäch: 
sigen Schöpfers ergiebt fich demnach aus dem Öefege 
der r Sparſamleit im geringſten nicht. 


Wollte man auch davon abſtrahiren, daß das 
Geſetz der Sparſamkeit nur eine Bedingung unſerer 
ſubjectiven Vorſtellungsart ſey, und ſich darauf ber 
rufen, daß die Wirkung nie groͤßer ſeyn koͤnne, als 
bie Kraft; daß folglich, — allemal die: kleinſte 

X4 Kraft 


328 Geſchichte der neuern Philoſophie 


Kraft gebraucht ſeyn muͤſſe, um die ihr entſprechende 
Wirfung bervorzubringen; fo fann man gerade Dies 
nicht ein Gefeg der Sparfamfeit nennen; denn 
diefer Begriff bringt mit ih, daß die Natur eine 
größere Kraft gebrauchen koͤnte, als fie wirklich. ges 
braucht, d. i. daß die Wirfung geringer ſehn fönte, 
als die auf fie gewandte Kraft. Dies ſtimt gleiche 
wohl nicht mit der obigen Vorausfegung zufanımen, 
Muß die Wirkung allemal der Kraft nothwendig ents 
fprechen; fo gefchiebt Dies auch bey dem Syſteme der 
faralen Nothwendigkeit und des Zufalls,; und es 
würde hieraus fih durchaus nicht auf die Exiſtenz 
eines allweifen und allmächtigen Schöpfers der Nas 
tur fchließen laſſen. > 


Der vermeynte Beweis des Maupertuis für 
das Dafeyn Gottes war alſo nichts weiter, als ein 
blendender Einfall, dergleichen oft in der Philofophie 
die Stelle von Beweifen haben vertreten follen ‚:bis 
man den täufchenden Schein davon aufdeckte. Was 
er aber gegen den Misbrauch der Teleologie' fagte, 
war fehe gegründet; obgleich er gegen die Teleologie 
überhaupt ‚genommen tiederum zu einfeitig decla⸗ 
mirte, ba er. den wahren Urfprung, Grund und Werih 
dev teleologifchen Reflexion verfannte. “ra 


Mod ehe der Ältere Reimarus den fosmolos 
giſchen Verſuch des Präfidenten Maupertuis feiner 
Kritif unterwarf, fand diefer einen Gegner an Koͤ— 
nig, ehedem Mitglied der Afademie zu Berlin. 
Der legtere geiff im 9. 1751 in einem befondren Aufs 

fage nicht nur mehrere Artikel jenes Verfuhs anz 
fondern bebauptere auch, Daß einige vermeynte Ent⸗ 
deckungen des Franzöfifchen Philoſophen dem teibniz 
ger. 


während: d: achtz. Jahrhunde bi auf Kant. | 329 - 


gebührten, und eitirte zum Beweiſe dieſer Behaup⸗ 
nung ein Fragment eines Leibniziſchen Briefes. Da 
König ih auch hierauf nicht einjchränfte, und auch 
andere Mitglieder der Akademie zın Berlin eines an 
Leibniz begangenen Plagiars befchuldigte,: das fie 
fih in ihren der Akademie vorgelefenen und abge⸗ 
drucken Memoires erlaubt hätten; fo war die ganze 
Akademie bey; diefer Beſchuldigung inteteffirt, und 
es erhob fich zur Vertheidigung ihres: Literarifchen Eis, 
genthums zwijchen ihr uud König ein Streit, der 
wit — er und Bitterkeit geführte wurde. 


ei; Die Arademie foderte König’en anf 4 den 
Driginalbrief vorzuzeigen, aus welchem er das Frag⸗ 
ment citire hatte, und der große Friedrich.als Pros 
‘sector der Akademie, fchrieb felbit an den Magiftrat 
zu Bern, um.den Brief da aufjuchen zu laflen, mo 
er nach Koͤnig's Angabe feyn follte. Der Magiftrat 
in Bern verficherte aber, daß ungeachtet der genaues 
ſten Nahfuhung fich feine Spur von Leibnizifchen 
Briefen in Bern finde. König bemühte ſich jetzt, 
die Verbindlichfeit abzulehnen, die er habe, den 
Leibniziſchen Driginafbrief vorzuzeigen, und entſchul⸗ 
digte ſich auch mit der Schwierigfeit, ihn wieder zu 
finden. Die Afademie erffärse hierauf diefen Um— 
ftänden ‚zufolge, und felbft nach der Beſchaffenheit 
des Fragments und. der Art, wie es citirt war, dem 
angeblichen teibnizifchen — für unecht und ers 
Dichter... er 


König ergoß fi — als ob ihm Un, | 
recht wiederfahren fen, in Snvectiven gegen: Maus 
pertuis und die Afademie zu Berlin, und anflatt 
fi weiter auf den Seibnisifgen Brief zu erufey) 

5 es 


330 Geſhichte der neuern Philoſophie a 


beſttebte er ſich, ——— daß das von Mauper⸗ 
tuis aufgeftellte Princip nicht nur ſchon von Lei bniz 
anderweitig aufgeſtellt ſey oder habe aufgeſtellt werden 
koͤnnen; fondern Daß es überall gar Fein neues oder 
unbekantes Princip fey, und mie dem’ alten Ariſtote⸗ 
liſchen Axiome: dag De Marur:in thren Wir— 
fungen nichts um ſonſt thue, und immer den 
beſten Zweck beabſichtige, zuſammenſtimme 
Euler unternahm alſo eine eigene Unterſuchung, 
was die aͤltern Philoſophen, die ſich des Ariſtoteli⸗ 
ſchen Axioms bedienten, darunter verſtanden haͤtten, 
und ſetzte die neue Ungerechtigkeit. in’s Licht, welche 
König feinem Gegner zugefügt babe: Aus der Ans 
wendung, welche-Leibniz feldft von dem Ariſtoteli⸗ 
ſchen Axiome gemacht hatte, zeigte er; daß dieſer das 
Princip des Maupertuis nicht -gefant habe. Er 
bewies fogar, daß ſelbſt Wolf, der treuſte, eifrigfte; 
und einfichtsvollfte Schüler Leibniziens, da er dass 
felbe Axiom auf denjelben Gegenftand anwenden 
wollte, gänzlich feinen Lehrer verließ, ohne fich deshalb 
dem Principe des Maupertuis mehr zu näher. 
Kurz Euler hob aus den Werfen Leibniz'ens die 
entfcheidenditen. Beweife hervor, daß die Authenticis 
tät des angeblichen Leibnizifchen Briefes ſchlechthin 
unmöglich fey. Leibniz habe von den Mauperruiss 
ſchen Princip nicht bloß bey ſolchen Gelegenheiten gar 
feinen Gebraudh gemacht, wo das: dDringendfte Bes 
duͤrfniß dazu für ihn eintrar; fondern er fen auch, 
um zu benfeben Folgerungen zu gelangen, von. einent 
ganz entgegengefeßten Principe ausgegangen. Die 
Stärke dieſer Beweife fen fogar für diejenigen, welche 


| | fie mie mathematiſcher Strenge unterſuchten, fo groß, 


Daß wenn man felbft dem Heren König einen Brief von 


2 ie ibniz, der das von ſeuem citirte Fragment enthielte, 
vor⸗ 


während de achtz. Jahrhund. b auf Kant, 331 


yorgewiefen hätte, doch aus den Beweifen erhellen 
würde, man habe ihn in Anfehung diejes Briefes be⸗ 
trogen. Da die Schriften Leibniz'ens bey feinen 
Lebzeiten und unter. feinen. Augen „gedruckt feyen, fo 
hätten fie mehr Autorität, als irgendein angeblich: 
von ihm befchriebeies Blatt, das zu einer Zeit ‚zum: 
Borſcheine komt, da zeibniz nicht mehr lebte. 


Geſetzt aber. auch daß Leibniz das Princip, 
des Maupertuis. gefant, und andern in Briefen 
mitgerheilt hätte, fo. würde dennoch) diefem das Vers 
dienft gebüßren, dasſelbe glücklicher angewandt und 
beuußt zu haben, als jener, Denn bey aller Kents 
niß, welche Leibniz von dem Principe gehabt haben 
möchte, iſt es doch außer Streit, Daß weder er, noch 
irgend ein Andrer, die allgemeinen Gefege der Des. 


wegung aus einem Principe abgeleitet haben, welches - 


die Weisheit. und-Allmacht des höchften Weſens auss 
drückte,, und dan die geſamte Natur unterwor⸗ 
war. 


Zur theoretiſchen Phuhſerhie gehoͤrt auch eine 
——— Maupertuis's vom Syſteme der 
Natur, oder dem Principe der Organiſation 
Sie erſchien zuerſt in Form einer lateiniſchen Diſſer⸗ 
tation, angeblich zu Etlangen gedruckt, und unter 
dem erdichteten Namen des Doctor's Baumann, 
ward aber bald hernach, da der wahre Verfaſſer 
bekant wurde, in's Franzoͤſiſche uͤberſetzt, und in 
dieſer Ueberſetzung ſteht ſie au in Manpertuis 
Werf en ). 

Die 


\ 


— Oeuvres ei Munperteis T. II. p. 137. E⸗ ‚giebt 
drey beſondere — des — ————— — rm 


332 Geſchichte der neuern Philoſophie | | 


Die Hauptideen find diefe: In der körperlichen 
Natur müffen -fich norhwendig ein marerielles und 
ein-intelligentes Primcip vereinigen, da ſich die⸗ 
felbe aus einem dieſer beyden Principien allein fe 
wenig, wie ans" anderen Hypotheſen, befriedigend 
erklären läßt. Das Körperliche Weſen hat noch bes 
fondere Modifieationen, die in dem intelligenten Prin⸗ 
eipe ihren Grund haben, und welche Maupertuis 
im Allgemeinen durch die Wörter und Begriffe 
Trieb, Abneigung, Gedaͤchtniß, Verftand 

efir, averlion, meıinoire, intelligence) bezeichnet‘ 
und beftime "Bon. diefem intelligenten Principe 
überhaupt befinden fich Anlagen in der Fleinften mas 
teriellen Partifel, und in dem größten Thiere, Haͤt⸗ 
te es Schwierigfeit, den molecules der Materie einige 


Grade von Intelligenz zuzugefteben, fo würde es nicht 


minder Schwierigfeit haben, fie in einem Elephanten 
oder einem Affen, als in einem Sandkorne, vorauss 
zufegen. Ungeachtet dieſer Hypotheſe proteftirte gleichs 
wohl Mauperruis lebhaft gegen den Vorwurf des 
Atheismus. Er wollte ſich nur deswegen zu ihr bes 
fennen, well fie ihm die dunfelften Phänomene hin⸗ 
länglich begreiflich mache. Ueberhaupt fuchte Maus 


pertuis die kühnften pbilofophifchen Ideen, vollendg 


zu. feiner Zeit, mit der tiefften Ehrfurcht gegen die 
Religion ju vereinbaren. Gott hat die Welt geſchaf⸗ 
IROn- fagt er, und nun iſt es N des Mens 
i ſchen, 


la mature: die erſte lateiniſch — 1751; bie 


zweyte mit einer franzöfifchen Ueberfegung ohne Jahtzahl 


‚ und Drucort; die dritte bloß franzöfifh avec un aver- 
etilſement et des conjedtures fur P’Auteur; Berlin 1751. 
(fie ward zu Paris gedruckt). Der Abdruck in den 
Oeuvres iſt nach ber zweyten diefer Ausgaben veranftale 
set, und es ifb eine Reponfe aux objedions- (vornehms 
4 Mh Diderot '6) ———— 


— c 


> 


während d. acht}. Japıhund. b. auf Kant. 333 


ſchen, wenn es möglich iſt, Die Geſetze aufzufinden, | 
durch die Er fie erhalten wollte, und: die Mittel, die 
er zur Meproduerion der Individuen auserwähle bar, 


Der Samenftoff der Eltern, der bey der Ber 
gattung abgefondert wird, ift empfindend und den» 
kend, und hat alfo auch einiges Gedaͤchtniß feines 
vorherigen Zuftandes. Daher rührt die Erhaltung 
der Arten, und die Aehnlichfeie der Jungen mit den 
Alten. Es kann fich ereignen, dag der Samenftoff 
in zu großer Menge vorhanden ift, oder dag ihm ges 
wiſſe Elemente fehlen, oder Daß zweckwidrige Vereint- 
gungen ‚überflüffiger Elemente entftehen. Dadurch 
werden die Unmöglichfeit der Erzeugung, oder mon: 
ftröfe Zeugungen, mie fie auch beſchaffen jeyn mögen, 
verurſacht. Gewiſſe Elemente nehmen nothwendig 
eine bewundernswuͤrdige Leichtigkeit an, ſich beſtaͤndig 
auf dieſelbe Weiſe zu verbinden. Wenn ſie deswegen 
verfchieden find, fo entſpringt hieraus die Bildung 
mifroffopifchee Thierchen, die doch in’s Unendliche 
varliren. Sind fie von einerley Natur, fo fann man 
das Dafeyn der Polypen daraus erflären. Man 
‚ Kann die Polypen mir einem Haufen unendlich Feiner 

tienen vergleichen, die nur die lebhafte Erinnerung 
(VBorftellung, memoire) eines einzigen Zuſtandes 
haben, und daher in diefem Zuftande, der ihnen nas 
türlich und gewöhnlich ift, bleiben. Wenn der Eins 
Öruck eines gegenwärtigen Zuftandes des elementaris 
(hen Samenftoffs mit det Erinnerung des verganges 
nen das Gleichgewicht hält, oder fie ganz unterdrückt, 
fo daß eine Gleichguͤltigkeit für jeden Zuftand erfolgt, 
fo gebt hieraus Unfruchtbatfeit hervor, daher die Uns 

feuchtbarfeic der Maulthiere. 


Wer 


334 Gecchichte der neuern Philoſophie 


Wer haͤtte die elementariſchen intelligenten und 
empfindenden Theile verhindern koͤnnen, ſich in's Uns 
endliche von der Regel zu entfernen, welche die Art 
conſtituirt? So entſtand eine unendliche Zahl von 
Thierarten aus einem einzigen Urthiere; eine unend: 
liche Zahl von Geſchoͤpfen, die aus dem Urgeſchoͤpſe 
emanirten. Die organiſirte Natur beruht auf einem 
einzigen Aete. ae N „ 

Aber wird nicht jedes Element, indem es fi 
mit andern zufammenbäuft und combinirt, den kleinen 
Grad von Empfindung und Perception verlieren, 
welchen es befigt? Maupertuis antwortet: Keinegs 
weges. Jene Qualitäten find ihm mefentlih, und 
von ihm in jeder Mifhung und Verbindung. unzers 
trennlich. Was. wird alfo geſchehen? Aus den vers 
fihtedenen Perceptionen der vergefelljchafteten und » 
verbundenen Elemente wird eine einzige entpringen, 
der ganzen Mafje und Dijpofition angemefjen, und, 
diefes Syſtem von Perceptionen, in welchen jedeg 
Element das Bewußtſeyn feines Ich verloren haben, 
und zum Bewußtſeyn des Ganzen concurriren wird, 
wird die Seele des Thiers fey. Omues elemento- 
sum perceptiones confpirare, et in unam fortiorem 
et magis perfedtam perceptionem coalescere videntuf, 
Haec forte ad unamquamque ex aliis perceptioni-- 
bus fe habet in eadem ratione, qua corpus organiſa- 


tum ad elementum, Elementum quodyis ‘pofl foam 


cum aliis copulationem, cum fuam perceptionem 
illarum perceptionibus confudit, et fui confcientiang - 
perdidit, primi elementorum ftatüs memoria nulla 
fupereft, et noftra nobis origo omnino abdita manet, 
Diderot machte gegen- diefe Hypotheſe des 
Maupertuis einen ſehr erheblichen Einwurf. — 
* ag⸗ 


waͤhrend d. achtz Jahrhund. b. auf Kant: 485 


ſeagte, ob das: Univerſum, oder der Inbegriff alter 
empfindenden und denfenden . materiellen Partikeln 
(molecules), ein Ganzes bilde, oder, nicht? Bil⸗ 
Det er feim Ganzes, fo wird durch die Hypotheſe die 
Eriftenz Gottes zweifelhaft gemacht, und die Unords 
ung in die Welt eingeführt. Damit wird aber die 
Balis der Philofophie vernichter, indem man Die 
Kette. zerreißt, welche alle Weſen mit einander vers 
Enüpft. Giebt aber Maupertuis zu, daß er ein 
Ganzes iſt, wo die Elemente nicht weniger geordnet 
ſind, als ihre Theile, wo die Theile der Elemente 
wenigſtens intelligibel eben ſo regelmaͤßig geſchieden 
ſind, wie die Elemente im Thiere; dann muß er auch 
einräumen, Daß zufolge dieſer allgemeinen Ver—⸗ 
knuͤpfung Die Welt, gleich einen großen Thiere, eine 
Seele habe; und daß, da die Wett unendlich fern 
Tann, die Weltjeele auch-ein unendliches Syſtem von 
Derceptionen ſeyn koͤnne, und folglich mir der Gott⸗ 
heit eine Identität ausmache. Wie auh Maupers 
tuis gegen dieje Folgerungen fich auflehnen mag, fie 
werden. darum nicht minder aus feinen Principien 
‘ fließen, und nicht minder abjchreckend feyn. Es _ 
war nur nöthig, die Folgerungen zu verallgemeinern, 

am Das Ubichreefende derfelben zu beinerfen. : Llebers 
haupt ift das Verallgenteinern für Die Hopothefen des 
Metaphyſikers, was wiederholte Beobachtungen und 
Erfahrungen für die Conjecturen des Phofifers find: 
Sind die Hypotheſen wahr; je mehr man ihre Folgen 
entwickelt, defto mehr gewinnen fie an Evidenz und. 
Guͤltigkeit. Im Gegentheile find die Hypotheſen und 
Eonjeeruren falfch oder ſchlecht begründer; jo ſtoͤßt 
man.bey den Folgerungen daraus, oder bey ihrer wei: 
teren. Anwendung, entweder auf eine entfchiedene 
— die mit ars in. offenbarem N 
‚ ul, 


336 Geſchichte der neuern Philoſohhie 


iſt, oder auf eine Thatſache, wodurch ſie widerlegt 
werden. Diderot geſtand uͤbrigens der Hypotheſe 
feines tandsmannes das Lob zu, daß fie ſehr fi nureich 
ſey, und von biefer Seite. Achtung verdiene. | 


Die Vertheidigung des Maupertuis gegen 
den Einwurf Diderors war eben nicht Die gründs 
lichfte.. Er tadelt die Methode, eine Hypotheſe dar⸗ 
um zu verwerfen, weil fich abſchreckende Folgerungen 
aus ihr ziehen laſſen. Es gebe feine. philoſophiſche 
Hypotheſe, und wenn fie noch: fo wahrfcheinlih au 
fich ſey, die nicht nach diefer Methode als verwerflich - 
erfcheinen muͤſſe. Man leſe z. B. die Werke des 
Des Cartes, des Malebranche, und ſehe, wie 
dieſe großen Maͤnner die Bildung des Univerſums er⸗ 
klaͤrt haben, ziehe dann aus ihrer Erklaͤrung Folge 
tungen, und frage fih; mas aus der. Körperwelt;, 
aus der Bibel, aus der Allmacht und Freyheit Got⸗ 
tes werde? und man wird nicht umbin koͤnnen, 
. jene. Exflärungen zu misbilligen, wenn man fie ledigs 

lich in diefer Beziehung beurcheile und ſchaͤtzt. 


Ferner: Wo wird der befchränfte menfehliche 
- Geift je ein Syftem auffinden, aus welchem alle Fols 
gerungen zufammenftimmen? Ein folhes Syſtem 
- würde die Erklärung von Allem feyn, und dazu wird 
es der Menſch nie bringen. Alle unfere philofophis 
ſchen Naturſyſteme, ſeibſt die umfaſſendſten und voll⸗ 
ſtaͤndigſten, begreifen Mur. einen unendlich kleinen 
Theil des Plans, welchen die hoͤchſte Intelligenz ber 
. folge hat; wir Finnen das Verhaͤltniß weder aller 
Theile zu einander, noch zum Ganzen, einſehen. Wols . 
ten wir das Syſtem, das zunächft einen diefer Theile 


beirifft, und. von ihm entlehnt ift, zu weit treiben, 
und 


während d. achtz. Jahrhund. 6. auf Kant. 337 . 


aud bis innerhalb. der Grenzen eines andern Theils 
serfolgen; ſo ftoßen wir auf Schwierigfeiten, Die uns 
überwindlich fcheinen, und. es vielleicht wirflich find; 
Die aber auch wielleicht nichts weiter als bloße Luͤcken 
in unferer Erfenntniß find, und gegen die Wahrheit des 
Syſtems nichts: beweifen ; hoͤchſtens nur uns ‚belehren, / 
was wie noch wiſſen müßten, und daß wir nicht Alles 


wiſſen. Erklaͤrt ein Philoſoph oder, ein Naturfor⸗ 


ſcher ein Phaͤnomen, ſo ruft die eine Partey ſogleich 
Boll Jubel: nun ſey alles entdeckt; während einer au⸗ 


deren irgend eine Schwierigfelt übrig bleibt, wodurch 


* 


* 


fie bewogen wird, jene Erklaͤrung ſofort zu ver 
fhmähen. Beyde Parteyen übereilen fih, und jede 
bat unrecht nur jede aus einem andern Grunde. 


Beh dem von Diderot vorgelegten Dilemma A 
daß der Inbegriff der empfindenden und denfenden 


materiellen Parrifen entweder ein Ganzes feyn 


muüuͤſſe, oder nicht, ‚und daß in beyden Fällen der ° 


Theismus fich nicht behaupten koͤnne, bemerft Maus 


pertuis, daß Diderot in negatiben Falle den Bes 


griff des Ganzen unbeflimme gelaffen babe, - Verſteht 
er unter. dem Ganzen dasjenige, jenfeit deſſen 
nichts mehr iſt; fo.ift die Frage: ob das Unis 
verſum ein Ganzes fey, oder nicht? für die 
gegenmärtige Unterfuchung gleichgültig. Dies fcheint 
jedoch nicht der Sinn zu fegn, welchen Diderot mit 


- dem- Ganzen verband. Verſteht er aber darunter 


ein regelmäßiges Gebäude, eine Verbindung verhälts 


. mäßiger zufammenftimmender Theile, deren jeder an 


inem ſchicklichen Orte ift; fo kann man ihm auf die 
—3 ob das Univerſum ein Ganzes ſey, oder 
nicht? autworten Ya oder Mein, wie Diderot 


— will. Antwortet man, daß das: Univerſum fein Öau; 





Buhle's Geſch. d. Philoſ. VI. 2. Y zes 


338  Gefkhichte der neuern Philoſophie 


zes ſey, fo laͤuft man nicht mehr Gefahr, uud hat 
nicht mehr zu fürchten, daß Das Daſeyn Gottes dabey 
problemarifch werde, als es die fromſten Philofophen, 
3. B. Malebrande, davon gefürchtet haben, die, 
weit entfernt, das Univerſum als ein, regelmäßiges. 
Ganzes anzunehmen, es vielmehr wie einen Haufen 
von Ruinen betrachten, in welchem man bey jedem. 
Schritte Unordnungen aller Are antrifft, im Phyſiſchen, 
Metaphyſiſchen, und Moralifhen. Beantwortet 
man hingegen die obige Frage mit Ja, das Univers 
fum fen ein Ganzes, fo folgt daraus, daß in einis. 
gen befondern Körpern, z. B. dem thierifchen, die 
elementarifhen Perceptionen fidy vereinigen, ‚um eine 
einzige Perception zu bilden, nicht, daß diefe Vers 
einigung der Perceptionen fich nothwendig auf das 
ganze Univerſum erſtrecken müffe. Die Art zu rais 
fonniren, welche Diderot das Verallgemeinern 
(’ade de la generalifation) nennt, ift nichts weiter, 
als eine Art von Analogie, bey der man ſtehen 
bleiben fann, wo man will, und wodurch fich weder 
die Falſchbeit, noch ‚die Wahrheit eines Syſtems 
beweifen läßt. 


Sollte aber unter dem Ganzen etwa der Gott 
des Spinoza gemeynt werden, fo leugnet Maus 
pertuis beftimt, daß das Univerſum ein Ganzes 
fey, .und behauptet, daß fein Syſtem Feinesweges 
anf diefes Reſultat führe, Die Vereinigung der Pers 
ceptionen efementarifcher Theile, welche die Körper 
der Thiere bilden, meynt er, ziehe fo wenig gefährs 
liche Folgen nach fih, daß man fie dreift fogar in dem - 
betraͤchtlichſten Theilen des Univerfums annehmen, 
und z. DB. deu großen Himmelskoͤrpern eine Art von 
Inſtinet oder BEER at fönne, ohne daß 

man 


während d. achtz Johrhund. 6. auf Kant. 339 


man damit das Dafeyn von eben fo viel Gsttern ans 
nehme. Maupertuis beruft fih auf die anjehnliche 


Zapht heydnifcher und chriftlicher Philoſophen, die den 


Geftirnen Seelen zugejchrieben haben. - 


Es fällt in die Augen, daß die Hypotheſe des 
Maupertuis aus der Leibniziſchen Monadenlehre 
hervorgegangen, und nur eine befondere Anwendung 
diefer iſt. Sie hat alfo auch diefelben Gründe gegen 


ſich, die gegen die Monadologie flreiten, und würde 


von den philofophifchen Zeirgenoffen ihres Urheberg 


leichter haben widerlegt werden koͤnnen, wenn fie die 
rapie angegriffen hätten, auf denen fie beruhte 
Erftlich mußte das Dafeyn von Perceptionen in der 
Materie bewiefen werden, fo daß fich dergleichen auch 
in den Meinften Partifeln der Materie fänden, und 
wefentlich zu ihr gehörten; was fich nie wird beweis 
ſen laſſen. Dann hätte Maupertuis au aufbels 
fen müffen, wie die Wereinigung einer Menge vers 
fehiedener Perceptionen auf eine folhe Art möglich 
fey, daß Daraus eine einzige Perception, die Eins 
beit Des ch, werde; was ſich wiederum aus feis 
nen Vorausſetzungen nicht aufbellen ließ, Die Hy⸗ 
potheſe hat uͤbrigens mit der Monadologie einerley 
Schickſal gehabt; ſie iſt vergeſſen worden. 


Mehr Intereſſe für Die wiſſenſchaftliche Phikofos 


phie, als Maupertuis kosmologiſche Ideen haben, 


bat fein Eſſai de philofophie morale *%), Er hebt 
mit ſehr fcharfinnigen Beſtimmungen der Glücks 
ſeligkeit und Ungluͤckſeligkeit des Menfchen 


an. Das Öute (le bien) ift eine Summe anges 
£ neh⸗ 


oeurrer de ir“ 2 I, pe 171. 


/ 


| 440 Gefchichte der neuern Philoſophie 


nehmer Momente; das Webel (le mal) eine Summe 
unangenehmer Momente. Dieſe Summen, um eins‘ 


ander gleich zu ſeyn, brauchen niche gleiche Zeit⸗ 


raͤume auszufüllen. In der einen koͤnte mehr In⸗ 


tenfität und weniger Dauer ſeyn; in der anderen 
tönte die Dauer länger feyn, und die Inten ſi⸗ 
tät geringer. Jene Summen find aber die Elemente. 


der Glücfeligfeit und Unglücfeligfeit. Die 


Gtücfeligfeit ift die Summe der Güter, welche, 
nach Abzug aller Uebel übrig bieibt. ‘Die Ungfü ds 
fetigfeie ift die Summe der Uebel, als der Reſt 
nach Abzug aller Güter. Gluͤckſeligkeit und Unglücks 


- feligfeit hängen alfo von der Compenfation der Güter 
und der Uebel ab. Der glücktichfte Menfch ift nicht 


innmer der, welcher die größte Summe der Güter, 


gehabt hat. Die Uebel, welche ihm im Laufe feines, - 
Lebens wiederfuhren, haben feine Gflückfeligfeit ges - - 
mindert, und die Summe jener kann fo groß ges 


wefen feyn, daß fie feine Gluͤckſeligkeit mehr vermins 
derten, als die Summe feiner Güter diefe vermehrte. 


Der glüctihfte Menfch. ift vielmehr derjenige, wel⸗ 
chem nach Abzug der Summe der von ihm erlittes 


nen Uebel noch) Die größte Summe von Gütern übrig 
geblieben ift.... Sind die Summe der Güter und 
Uebel einander gleih, fo fann man denjenigen, wels 


chem dies Loos zu Theile wurde, weder gluͤcklich, | 
noch unglücklid nennen. Le neant vaut fon -£tre. - 
Ueberwiegt aber die Summe der Uebel: die Summe 


der Güter, fo.ift der Menfch unglücklich, mehr oder: 
weniger, je nachdem jene Summe mehr oder: Rn. 
BR Son Etre ne vaut pas le.ndant.- 


Da alfo die Güter und Uebel Die Elemente der 


mienſchlichen Gluͤckſeligkeit oder Ungluͤckſeligkeit find, 
ſo 


⸗ 


’ ” 


waͤhrend d. achtz. Jahrhund. 6. auf Kant, 341 


fo müßte unſere ganze Sorge darauf gerichtet ſeyn, 
ſie genau kennen zu lernen, und ſie mit einander 
ihrem Werthe nach zu vergleichen, damif wir immer 


das ‚größte Uebel vermieden, und das..größte Gut . 


vorzögen.. Bey diefer Vergieichung aber bieten fih 
viele Schwierigfeiten dar, die Maupertuis aus der 
Erfahrung weiter erörtert. Jeder ſtellt fie auf feine, 
und die Meiften auf eine verkehere und — 
an. | 


Merkwuͤrdig iſt die deciſive Behauptung des 
"Maupertuis, daß im gewöhnlichen menfchlichen 
Leben die Summe des Uebels die Summe des Guten 
uͤberſteige. Das Vergnügen (Augenehme, Gute) 
erklaͤrt er als eine Perception, welche die Seele lie⸗ 
ber empfindet, als nicht empfindet, die ſie gerne fixiren 


maoͤchte, und während deren fie weder den Mebergang 


- zu einer anderen Perception, noch den Schlaf, 
wuͤnſcht. Der Schmerz (das Uebel, ;Unanges 
nehme) ift nach ihm umgefehre jede Perception, weis 
she die Seele lieber nicht empfindet, als, empfindet, 
Die fie gerne vermeiden möchte, und während welcher 
fie. den Uebergang zu einer anderen Perception, oder 
den Sdlaf, wuͤnſcht. 


Bender man dieſe Begriffe anf das menſchliche 
Leben an, ſo wird man erſtaunen, wie viel Schmer⸗ 
‚gen man darin ontreffen ‚wird, und wie wenig Ver⸗ 
guügen. Wie felten find die Perceptionen, deren 
dauernde Gegenwart die Geele in. der- That: liebte; 
Das menfchliche Leben ift Ein-unaufhörlicher Wunſch, 
Die Perceptionen zu verändern; es fliege unter Wuͤn⸗ 
Shen, Begierden und Hoffnungen hin, und jeben 

Zeitraum, der die Fran. dieſer entfernt, — 
3 er 


* 


342 Gefchichte der neuern Philofophie 


der Menfch gerne vernichtet ſehen; oft wünfchen wir 
ganze Tage, Monate, Jahre, aus unferm leben weg, 
und wir erwerben fein Vergnügen, fein Gut, was 
wir niche mit unferm geben bezahlen müffen. Reali—⸗ 
firte die Gottheit unfere Wünfche, vertilgte fie für 
ung die ganze Zeit, die wir im Leben gerne vertilgt 
gefehen hätten; fo würde ber äftefte Greis fih über 
Die furze Zeit wundern, die er eigeritlich gelebt hätte, 
und die Dauer des längften Lebens reducirte fich viels 
leicht auf einige Stunden. Die ganze Zeit aber, die 
wir gerne vertilgt hätten, um zur Erfüllung unferer 
Wuͤnſche zu gelangen, d. i. nur von gewiſſen Pers 
eeptionen zu anderem überzugehen, enthaͤlt nichts als 
unglückliche Augenblicke. Es möchte wohl wenig 
Menfchen geben, Die nicht eingeftänden, daß ihr tes 
ben mehr folhe Zeiträume, als angenehme, befaßt 
babe, fobald fie auch in diefen Zeiträumen nur auf 
die Dauer achteten. Nehmen fie zugleich auf die In⸗ 
tenfiräe der Empfindungen Ruͤckſicht, fo dürfte die 
Summe der Uebel noch beträchtlich vermehrt, und 
der Satz um defto wahrer werden, daß das menſch— 
liche Leben mehr Unangenehmes ale Angenehmes 
babe. 
Alle Vergnuͤgungen, welche die Menfchen fur 
hen, beweiſen ihren. unglücklichen Zuftand. Bloß 
um unangenehmen. Petceptionen auszuweichen, ſpielt 
der eine Schach, während der andere auf der Jagd 
umberläuft, Alte fireben, in ernften oder frivolen Be⸗ 
ſchaͤfftigungen fich ſe lbſt zu vergeffen. Diefe Zer⸗ 
ſtreuungen find ‚für die Meiſten bey weitem noch nicht 
binteichend; fie nehmen zu ſchlimmern Mitteln ihre 
Zuflucht. Der-eine erregt Durch higige Getraͤnke in 
feiner Seele einen Tumult, um ſich dev Idee zu ents 
— — ſchla⸗ 


} 
\ 


waͤhrend d. achtz· Jahrhund. b. auf Kant. 343 


ſchlagen, die ihm zuwider iſt oder ihn beunruhigtz 
der Andre raucht Tabak, um ſich gegen die Lange⸗ 
weile zu betaͤuben; der Deitte nimt wohl gar Opium; 
Kurz; in:allen vier Erdrpeilen fuchen die Menfchen, fü 
J verfchieden fie auch ſeyn mögen, Arzneyen gegen: das 
Elend desitebens vom Ölanze des Thrones big 
zur dürftigften: Hütte herab... Man frage vernünftige 
Menfchen, ob fie wohl ihr Leben, fo wie: es geweſen 
ift, mit allen feinen. .abwechfelnden. Zuftänden und 
VBerbhältniffen noch einmal, von vorne an wiederholen 
möchten? Es werden ſeht wenige feyn, die fi im 
Ernfte und nach reiflicher Erwägung dazu. enefchließen 
Fönten. Dies ift doch ‚das deutlichſte Geſtaͤndniß, 
daß ihnen das Leben mehr aan als 
Wergaügen, darbot. 


Bey den Gütern und Uebeln — man biejenh 
gen unterfheiden, welche. den Körper, und diejenis 
gen, welche die Seele angehen. Die angenehmen 
oder unangenehmen Gmpfindungen des Körpers 
find eben fowohl wahre Güter oder: Uebel, als Die 
Güter oder Llebel des Geiftes. Der Philoſoph, dee 
den heftigften Gichtſchmerz nicht für ein Uebel erflärte, 
fagte entweder eine Sottiſe, oder wenn er bloß fagen » 
wollte, daß die Seele nicht dadurch Tafterhaft werde, 
ſo ſagte er etwas ſehr Triviales. Die Güter und 
Uebel des Körpers. fowohl, als die der Seele, mas 
hen auf gleiche Weife Summen glücklicher oder uns 
glücklicher Momente aus; man darf weder die einen, 
noch die andern vernachläffigen, fondern. muß beyde 
in Auſchlag bringen. Bey den. Vergnügen. und 
Schmerzen des Körpers ift nur die traurige Bemer⸗ 
fung zu machen, daß das Vergnügen fich durch feine 


rom vermindert; und der. Schmerz durch. Diefelbe 
Y4 vers 


344 Geſchichte der neuern Philoſophie > + 


vergrößert. ° Die Fortfegung der Eindrücke, welche 
die angenehmen Empfindungen des Körpers bewirken, 
ſchwaͤchen die Intenſitaͤt derfelben, anftart daß: die 
Intenſitaͤt der Schmerzen durch die Fortdauer Der 
Eindrüce vermehrte wird, welche fie verurſachen. 
Ferner: Es giebt nur einige Theile des Körpers, 
» welche uns Vergnügen gewähren Finnen; alle übris 
gen bereiten und geben uns Schmerz. Die Spiße 
des Fingers, ein Zahn, Finnen uns: mehr quaͤlen, 
als die Organe des lebhafteften Bergnügens uns gluͤck⸗ 
lich machen fönnen. Endlich: der zulange vder zu haͤu⸗ 
fige Gebrauch von Gegenftänden, die uns ein förpets 
liches Vergnügen verfchaffen, führe zue Schwäche des 
Körpers; und eben fo. wird man immer fehwächer 
durch die zu oft wiederholte Anwendung von Ur—⸗ 
fahen des Schmerzes, Es finder hier aber gar 
feine Commpenfation ftatt. Das Maaß des Vergnüs 
gens, das wir unferm Körper verdanfen mögen, if 
beftimt und ſehr Fein; gebt man darüber hinaus, 
muß man dafür büßen, das Maaß des Schmerzes 
iſt unbefchränft, und felbft das Vergnügen trägt Dazu 
bey, es anzufüllen. - Wollte man fagen, daß auch 
der Schmerz feine Grenzen habe, indem er das Ges 
fühl abftumpfe oder vernichte, fo gilt dies nur. von 
den heftigfien Außerfien Schmerze, aber nicht zu 
dem gewöhnlichen Zuftande, mit welchem fich Feine 
Art des Vergnuͤgens vergleichen läßt. 


Die Vergnügungen der Seele laſſen fih auf 
zwey Gattungen von Perceptionen zurüchfüpren, wo⸗ 
bey: alle diejenigen ausgefchloffen find „ die nicht das 
Intereſſe der Seele felbft, fondern indirecte das In⸗ 
teteffe des Körpers zum Gegenftande und Zwecke has 
ben. Die eine Gastung befteht in —— 

wir 


waͤhrend d.-adhtg. Jahehund. b. auf Haut. 345 


wie bey. der Mebung der Gerechtigkeit, die andere 
in folchen, die. wir bey der Exfentniß dee Wahr⸗ 


—heit haben. Gerechtigkeit üben. heißt. thun, was 


man für. feine Pflihe haͤlt; und: Wahrheit — 
nen heißt von der Evidenz feiner: Vorſtellungen von 

De überzeugt fenn.. Diefe Vergnügen haben 
eine den Vergnügen des Koͤrpers ganz entgegengejegte 
Natur. 1) Sie gehen nicht fo ſchnell vorüber, wer⸗ 
den nicht ſchwaͤcher durch den Genuß, ſondern find 
von Dauer, und die Wiederholung derſelben erhoͤht 
fie. 2) Die Seele empfindet „fie in ihrem ganzen 
Weſen. 3): Der-Genuß dieſes Vergnügens ſtaͤrkt 
‚die Seele, auſtatt fie zu fehwächen. Auch die 
Schmerzen der. Seele,. wenn man: ungerecht; geweſen 
iſt, oder die Wahrheit nicht; hat entdecken koͤnnen, 
find von den Schmerzen des Körpers aͤußerſt verſchle⸗ 
den. Cs ift wahr, daß die. Vorftellung, man babe , 
feine Pflicht nicht gethan, ſehr peinlich ift;.:aber es 
hängt von uns ab, dieſe Vorſtellung zu vermeiden; 
fie diene felbft, uns zur Erfüllung unferer Pflicht ans 
zubalten; je Iebhafter wir fie empfinden, defts mehr 
fichert fie uns.vor der Gefahr, auf’s nene durch fie 
gefoltert: zu werden. Um bey Unterſuchung ‚der 
Wahrheit dem Verdruſſe zu entgehen, daß: man. fie 


nichs entdeifen kann, wird, dei: Weiſe nur folhen 


Wahrheiten. nachforfehen , die ihm wirklich nuoͤblich 
ſind, und dieſe wird er leicht enidecken. 


Da Maupertuis behauptet, daß das u 
liche Leben mehr Elend, als Gluͤckſeligkeit, habe ſo 
koͤnte man einwenden, ob nicht die Freuden des Gei⸗ 
ſtes den Menſchen ſo gluͤcklich machten, daß das 
Elend uͤberwogen würde. Man denke ſich z. B. weiſe 
ONE: die be Leben he Uehung den Gerechtigkeit 
5 und 


345 Geſchichte der neuern Philoſophie 


und: Betrachtung der Wahrheit hinbringen. Mans 


pertuis antwortet, er wolle gerne glauben ‚daß es 
ſolche Weiſe gegeben habe, und noch gebe: ı Aber 
außer den teiden des Körpers, welchen fie Doch immer 
ausgefegt find, wenn man Die Ariftides und Mewtone 
zähle, fo wird man bemerfen, daß: fie zu felten find, 
als daß jene Behauptung umgeſtoßen würde, 


Was giebt es nun aber nah Manpertnis für 
Mittel für den Menfchen, um bey feinem Zuftande fo 
glücklich zu werden, wie er möglicherweife werden 
Tann? — Er öffne feine Seele folchen angenehmen 


Perceptionen, die ein mäßiger und vorfichtiger Ges - 


Brauch der Außern: Dinge darin erzeugen mag; und 


er entferne die Menge von Feinden, die ihr den Rui 


drogen. Er fuche überhaupt die Summe der Guͤter 
zu vermehren, und die Summe der Uebel zu vers 
mindern... Da der Menſch in Anfehung des Koͤr⸗ 
pers weit mehr Schmerzen hat, als er Vergnügen ges 


mniießt; da die Dauer den Schmerz’ vergrößert, und 


Das Vergnügen vermindert; fo würde es unſtrei⸗ 
tig am. beften für-ihn feyn, falls es. ihm möglich 
wäre, fih ganz den Eindrücken der äußern Gegens 
flände zu entziehen, den Freuden der Sinne völlig zu. 


entfagen, um fi) von den damit verbundenen Leiden _ 


zu befregen; es wäre dabey allemal mehr zu gewin⸗ 
nen, als zu verlieren. . Uber wie kann der Menfch 


der Einwirfung der Dinge ausweihen? Sein Koͤr⸗ 


per iſt ein "Theil der Natur, Die auf ihn nach unabs 
änderfichen Gefegen wirft; und. nach anderen Ge⸗ 
fegen, denen: die Menſchen auf gleiche Weiſe noth⸗ 
wendig unterworfen ſind, fuͤhren jene Eindruͤcke der 
Seele die Perceptionen des Or und des 


Sqhuerzes zus 
Hu 


/ 


während d. achtz. Sahrhund. 6. auf Kant. 347 
In dieſem Zuſtande, der bloß paſſiv ſchein, 
bleibt jedoch dem Menfchen noch eine Waffe übrig, 
um der Einwirkung, der Objecte zu begegnen, oder fie 
ganz abzumehren. Sie ift die Freybeit, dieſes fü 
unbegreifliche,, aber eben fo unbejweifelbare Vermös 
gen, gegen welches Soppiften difpuriren mögen, das 
‚aber der rechtfhaffene Mann fters in feinem Gewilles 
‘anerfennt. Mittelſt dieſes fann er gegen die ganze Nas 
tur anfämpfen, und wenn er fie. nicht ganz zu befiegen 
vermag, fo kann er es doch dahin. bringen, daß ek 
ſelbſt nicht ganz von ihr beflege werde. Leider kehrt 
er nur Diefe arme fatale fo oft gegen fich ſelbſt! Weiß 
der Menſch von ſeiner Freyheit rechten Gebtauch zu 
machen, fo wird er die Objecte fliehen, deren Eins 
druͤcke auf ihn von traurigen Folgen feyn fönnen, und 
wenn fie unvermeidlich find, fo wird jene ihn dienen, 
‚ Vie Stärke derfelben zu mindern. : St der fchmerzlichs 
ften Situation iſt Niemand, der fi ch nicht eines gewiſſen 
Vermoͤgens bewußt waͤre, das er ſelbſt gegen den 
— gebrauchen kann. 

Kann die Freyheit uns aber vor —* | 
Elideider der-Gegenftände verwahren, Fann fie un 
gegen die Schmerzen des Körpers ſchuͤtzen, und die 
Vergnügen desfelben uns mit mweifer Oekonomie ge 
hießen laffen; ſo bat fie noch eine andere Herrichaft 
über die Freuden und Leiden des Geiftes, und bier 
* es, wo ſie voͤllig zu triumphiten vermag. 


Den Unterſchied der beyden Haup iparteyen un⸗ 
* Moraliſten des Alterthums, der Epikureer 
und der Stoiker, beſtimt Maupertuis folgender⸗ 
maßen: Beyde kamen darin uͤberein, daß die groͤßte 
———— des Menſchen diejenige wäre, = Die 

ums 


x 


348 Gefchichte der neuern Philofophie 


Summe der Güter nach Abzug der Uebel die größte 

bliebe; allein in den Mitteln, den Zuftand des Mens 
fchen zu verbeffern, hatten die Epifureer die Vermeh⸗ 
zung der Summe der Güter im Auge, und die Stois 
fer mehr die Verminderung der Summe der Uebel. 
Hätten wir eben fo viel Güter zu hoffen, als Uebel 
zu fürchten; fo würden beyde Syſteme gleich gegruͤn⸗ 
der feyn. Hingegen bey dem großen Uebergewichte 
des Uebels über das Gute ſcheint es ungleich vers 
nünftiger, Die Verbeſſerung des menfchlichen Zus 
ftandes eher in der Verminderung der Uebel zu füs 
chen, welche denfelben drücken, als in der Vermeh⸗ 
zung dere Güter. Maupertuis zieht daher das 
Stoiſche Syftem dem Epifurifchen bey, weitem vor. 


Die Stoifhe Moral fegt er inzwifchen doch der 
ehriſtlichen weit nach, welche leßtere ihm die voll 
‚fommenfte und. der Menfchheit angemeffenfte ifl, 
Man ftelle ih, ſagt er, zwey Inſeln vor, die eine 
von vollfonnen Stoifern , die andere von vollkomnen 
Chriften bewohnt. In jener Fennt feiner der Philos 
fophen die Süßigfeit gegenfeitiger Liebe und Freund⸗ 
ſchaft; jeder denft nur darauf, fich von den übrigen 
unabhängig zu machen; er hat genau berechnet, wag 
fuͤr Vortheile er von ihnen erwarten, was für Nach⸗ 
sheile ſie ihm zufügen fonten; und er hat deßwegen 
‚ alle Verbindung mit ihnen abgebrochen. Ein neuer 
Diogenes, feßt er feine Vollkommenheit darin-, ‚ein 
noch engeres Faß zu bewohnen, als das feines Nach⸗ 
bars iſt. Welche Harmonie hingegen wird. man auf 
der andern Inſel gewahr! Bedürfnifle, die eing 
eitle Philofophie nicht verbergen kann, ‚befriedigt Durch 
Serechtigkeit und Wohlthaͤtigkeit, haben hier die 
Menſchen mit einander verbunden. . JIeder füpse 

| — — 


3 


P ur En 


J 


während ddchtz. Jahrhund. b. auf Kant. 339 
Růcklich buich das Gluͤck des Andern, und ne: * | 


mehr Durch die Hülfe, die er ders Andern Feiftere, 


Eine der Folgerungen, die Maupertuis ans 


feinen Moralprincipten zog, war, daß der Selbſt⸗ 


mord erlaubt und nüßlich feyn fönne, ſobald man 
von dem Glauben an ein Fünftiges teben und eine 
moralifche Vergeltung abſtrahire. Da indeflen das 
Chriſtenthum den Gelbftmord verbietet, und Maus 
pertuis diefem aufrichtig ergeben war, fo erflärte. 
er ihn als Chrift für die unvernünftigfte und verbres 
cheriſchſte Handlung. Selbſt mit der Philofoppie 


der Vernunft ift der Selbſtmord unvertraͤglich. Waͤ⸗ 
re nichts mehr nach diefem Leben zu hoffen, fo koͤnte 


es zumeilen rathſam feyn, es mwillführlich zu beendis 


gen; aber gerade das mit unferm gegenwärtigen Zus 


ftande verbundene Elend, anſtatt daß es ung berechz 


tigte, unfer Heil in der Vernichtung zu ſuchen, bes 


weiſt vielmehr, daß wir noch zu einem glücklicher 
Leben beftime find, deſſen Hoffnung uns das gegen? 
waͤrtige erträglich machen muß. —— 


Der Verſuch des Maupertuis über die Mos 
tat ift offenbar nur etwas. Fragmentarifches, - Eins 
jelne treffende und finnreiche Bemerkungen abgerechs 
net über die Natur der menfchlichen Gluͤckſeligkeit, bed 
lehrt er ung gerade über das am wenigften, woruͤber 
wir von einer Moral vorzüglich Belehrung erwar⸗ 
ten, worin die wahre menfchliche. Ctückfeligfeit be⸗ 
ſtehe, wie fie zu erreichen und zu erhaften fey, wenn 
man nicht etwa die Empfehlung des Chriſtenthums 
von feiner moralifhen Seite für eine ſolche Beleh⸗ 
tung halten will. Die Lieblingsbehauptung des Vers 
faſſers, fo traurig und niederfchlagend fie an fich ſelbſt 

* * i . 


* 


# 


} 


| 


350 - Seſchihtt der neuern Dhloſebhi 


iſt, daß die Summe des menſchlichen Elends im 
anzen die Summe der Gluͤckſeligkeit uͤberwiege, iſt 
nicht ſo buͤndig von ihm erwieſen, wie es Manchen 
efchienen. hat. Das Streben nach immer neuen. 
ade liegt in der Natur eines Weſens, deſſen 
Eriftenz an die Bedingung der Thätigfeit und Ver⸗ 
Auderlichfeic in der Zeit gebunden ift; es beweift aber 
nicht, daß uns deswegen eine gegenwärtige Perceps 
tion unangenehm oder peinlich ſey, weil wir den Trieb ' 
haben von ihr zu einer anderen überzugehen. Bloß 
in der Summe dev gegenwärtig unangenehinen Ein⸗ 
pfindungen als folcher beſteht der verpältnißmäßige 
Grad des menfchlichen Elends, und ob dieſe bey als 
len: oder auch nur den meiften Menſchen größer ſey, 
‚dis die Summe der. gegenwärtig ‚angenehmen. Em— 
pfindungen ,. ift fehr zweifelhaft, und zum mindeſten 
von Maupertuis nicht ermwiejen. Die Regel der 
Moral, man ſuche die Summe dee unangenehmen 
Empfindungen ju vermindern, ift fo allgemein, dal 
fie, wenig nuͤtzt; denn es fragt ih, wie man die 
Regel in wirklichen Leben befolgen. folle. Auf das 
Problem; ob das Ziel der Moral Gtückfeligfeit, 
oder eine moralifhe Vernunftwuͤrde fey, von der’ 
finnlihen Otücjeligfeit unabhängig, -hat Maupere 
tuis gar niche Bedacht genommen. . Vielmehr: ift 
ihm nach einzelnen Aeußerungen eine reine moralifche - 
Vernunftwürde, der Die Gluͤckſeligkeit untergeordneg 
if, oder wobey diefe gar nicht in Anſchlag tom, es 
was Erträumtes oder Ueberfpanntes. 


Eine der ſonderbarſten und fuͤr den Beobachter 
des menfchlichen Herzens anziependften Rollen fpielte 
unter den neuen Franzoͤſiſchen Philofophen, Jobann 
Jacob Rouſſeau. Er gan durch feine 

| groͤ⸗ 


| waͤhrend d. achtz. Jahrhund. b. auf Kant, 358 


„größeren Einfluß auf Mitwelt und Nachwelt, als alle 
feine Zeitgenoffen. Seine tebensgefchichte hänge mit 
feinem perfönlichen Charakter, und diefer wiederum 
‚mit feinen: Schriften: und deren Eigenthuͤmlichkeiten, 
‚fo innig zufammen „ daß eine umftändlihe Erzählung 


jener nothwendig iſt, um Diefe aus dem vichtigen Ges 


ſichtspuncte charafterifiren zu koͤnnen. Rou ſſeau 
iſt gewiſſermaßen ſelbſt aller Biographie in Hinſicht 
auf ihn zuvorgekommen. Er hat in ſeinen Confef. 
fions feine Schickſale, Studien, Denfart, Launen, 
Maximen, gute und boͤſe Handlungen, ſelbſt geſchil⸗ 


dert mit einer Offenheit und ſubjectiven Wahrheits⸗ 


Uebe, wie man fie nur erwarten kann, und wie fie 
fhwerli viel Nachahmer finden möchte, obgleich er 
dennoch Manches verfchönert oder verſchleyert hat, 
was ein unparteyiſcher Gefchichifchreiber feines $er 
bens, Der hinlängli von den vorhandenen Datis 
unterrichtet wäre, ganz anders würde darftellen und 
beurtheilen muͤſſen. 


Rouſſeau wurde gebohren zu Genf im J. 
1712. Gein Vater war ein Uhrmacher, ein Mann 
nicht ohne literariſche Bildung, der Griechiſch und 
Lateiniſch verfland, und gerne im Plutarch und Tas 
itus las. Cr unterrichtere auch den Sohn früh in 


e 


ber alten elaſſiſchen Literatur, fo. viel er ſelbſt davon 


perfiand, und dieſer Fam durch feine brennende Wiß⸗ 
begierde dem Vater fehr zu Hülfe. Schon als Kuas 


be hatte Rouffeau eine fhmächliche oft durch Kränfe ' 


lichkeit unterbrochene Gefundheit, mas der erſte 
Grund zu der trüben wunderlich abwechſelnden Ges 
muͤthsſtimmung wurde, ‚die ihn in der Folge fein 
ganzes Leben hindurch begleitete. Cine unbefonnene 


jugendliche Uebereilung ward Urſache, daß er das 


vaͤter⸗ 


352 Gefchichte der neuern Philoſophie 
vaͤterliche Haus verließ. Während er. als Fluͤcht⸗ 
ling herumirrte, in einem fremden kande, ohne Geld, 
ohne Freunde und Befante, faßte er den Entſchluß, 
“ feine Religion zu verändern, um ſich den nothwen⸗ 
digen Unterhalt bey den Geiſtlichen als Profelyt, oder 


in einem Klofter zu verſchaffen. Er wandte fih an 
den Biſchof von Annecy, gewann die Theilnahme 


diefes Männes, und wurde von ihm einer Dame de » 


Warens, einer geiftvollen nnd Tiebenswürdigen 
Frau, die auch zur katholiſchen Religion übergegans 
gen war, und für ſich privatifirte, zur Erziehung es 

pfopfen. Ä 9 


Die Frau von — * — und 4 
eine dreyfache Stelle bey Rouffeau. Sie war erſt 
feine Pflegemutter, und erzog ihn mit großer Zärts 
lichkeit, als ob er ihr eigenes Kind wäre. Er nahm 
ſich Dagegen ifres Hauswefens mit an, beſorgte ih⸗ 
ren Garten, trieb zugleich mit leidenfchaftlicher Hef⸗ 

tigkeit die Muſik, und fegte auch’ feine‘ literarifchen - 
Studien fort, fo gut er in feinen Verhaͤltniſſen fons 
te, und die Huͤlfsmittel es erlaubten, Die ihm zu Ges 
böte ftanden. Mit der Zeit, da Rouſſeau mehr 
heranwuchs, und fein Geift ſich mehr entwickelte, 
ward aus der Dame de Warens, die bisher Pfleges 
mutter geweſen war, eine Freundin und endlich fogae 


eine Geliebte desfelben. Inzwiſchen Fonte er Doch 


fein Erabliffemene von dieſer Verbindung hoffen: 
Er verließ alſo feine Fteundinn mehrmal, um ein Uns 
terkommen zu füchen, und fehrte nur dann. wieder zu 
ihr zuruͤck, wenn ihn die Noth dazu trieb. Wegen 
feines muſikaliſchen Talents Hoffte er in der Könige 
Capelle ju Paris angeftelle zu werden; da aber die 


| Hoffnung ——— ſo ſah er ſich zug 


während d. achtz. Jahrhund. 6. auf Kant. 353 


zum J. 1741. als Mufifmeifter iu Ehambery — 


ein zu erwerben. 


Um diefe Zeit gieng er nah Patis, und brachte F 


hier einige Jahre in ſehr duͤrftigen, oft verzweifelten, 
Umſtaͤnden zu. Man hat Briefe von ihm aus dieſer 
Periode, im welchen er beſonders daruͤber wehklagt, 
daß das Brodt ſo theuer ſey, und daß er nicht genug 
verdienen koͤnne, um ſeinen Hunger zu ſtillen. Durch 
Verwendung einiger ‚feiner aͤltern Freunde kam er if 
das Gefolge des franzöfi ifchen Gefandten von Mong 
taigu zu Venedig, und begab fih mie demfelbem 
dorthin, Aber. nach feinem eigenen Bekentniſſe waren 
fehon damals eine ftolge Mifanthropie, eine Ver— 
achtung des Reichthums und Vergnügens, Grunde 
züge in feinem: Charaftee geworden, Er fonte ſich 
nicht fange mit ‘dem: Geſandten vertragen; das ‚Ges 
fuͤhl der Abhaͤngigkeit war ihm unausftehlih, und er 
gab-dte Stelle wieder auf. Kurz nachher Fam. er. in 
Verbindung mir Dupin, einem Generalpächter, dee 
ihn.in feinem Buͤreau anſtellte, und wo er. nicht un⸗ 
beträchtliche Ginfünfter- hatte. Diefe Einnahme: vers‘ 
wandte er. aber meiftens zur Unterftüßung feiner erftew: 


Wohlthäterinn, der Dame de Warens, die durch 


mehrete Ungluͤcksfaͤlle ihr anfehntiches Vermögen: ver⸗ 
loren batte, und auch in Duͤrftigkei gerathen war“ 


Erſt im $: 1750 fing ſich feine fiterarifche ale 


bahn an, auf welcher er fich fpäterhin fo außerordent⸗ 


f 


lich «hervorthat:: Die Afademie zu Dijon hatte bie 


Preisfrage aufgegeben:. Ob die Wiederherſtele 
lung der Künſtenund Wifſenſchaften zus: 
Verbeſſerumg der Sitten beygereagen habe? 
Ein Freund Raufſeams aͤußerte ihm bey der Ge⸗ 


Dubdie's Geſch. d. Philoſ. 1.2. 3 legen⸗ 


354 Geſchichte der neuern Philoſophie | 


Iegenbeit den: Gedanfen: Diefe Frage ſey eine wahre 
Eſelsbruͤcke. Alle gemeine Köpfe: würden fie beja⸗ 
bend beantworten, und würden nicht genug rühmen 
zu fönnen glauben, was die Sitten durch die Wieder⸗ 
derberftellung der Künfte und Waflenfchaften gewon⸗ 
nen hätten. Er (Rouffeau) möge einmal die ent⸗ 
gegengeießte Partey nehmen, und behaupten, daß die 
Wiſſenſchaften den Sitten ſchaͤdlich geweſen feyen. 
So kam R. juerft durch den Scherz eines Freundes auf 
Die Idee von der Schädlichfeit der Wiſſenſchaſten, 
die nachher eine der Hauptideen in ſeinem ganzen 
moraliſch politiſchen Syſteme geworden iſt. Er ver⸗ 
folgte anfangs die Idee weiter, arbeitete mit der Fuͤlle 
und Lebhaftigkeit ſeines Geiſtes eine Schrift daruͤber 
aus, und hatte das Gluͤck, von der Akademie zu Dijon 
den Preis zu erhalten. Diefe Schrift erregte die 
groͤßte Senfation; ihr Inhalt war:auffallend paradox; 


aber das Paradoron war mit einer Beredfamfeir und 


Wärme, mit fo viel ſcheinbarer Gruͤndlichkeit vorge⸗ 
tragen, und mit ſo manchen Zuͤgen des Genies und 
ausgebreiteten literariſchen Kentniſſen durchwebt, 
daß man auf den Verfaſſer allgemein aufmerkſam 
wurde. R. bekam freylich mehrere Widerſacher, ges: 
gen welche er ſich vertheidigen mußte; ein Diſput 
folgte aus dem. andern; aber dieſe Streiterey befoͤr⸗ 
derte immer mehr feine Celebritaͤt, weil ſie ihm Ver⸗ 
anlaſſung darbot, ſeine ungewoͤhnlichen Talente zu 
entwickeln, und ſeine Ueberlegenheit uͤber ſeine Geg⸗ 
ner zu zeigen. Munmehro beſſerten ſich auch ſeine 
Gluͤcksumſtaͤnde. Er gerieth mit einigen vornehmen 
Familien, die Geſchmack an Literatur und Kunſt hat⸗ 
sen oder zu haben affectirten, ins Verbindung, und 
wurde von dieſen oft auf eine: laͤngere Zeitufehr liberal 
unterhalten, oder. wenigſtens unterſtuͤtzt. Co: 


m, 4 £ “EL sy 4302 — 8 . —* 


j 


en d. acht, Iehrhund b. auf Kant. 358 


Bald darauf erſchien ein zweytes Werk Rouf 
5* s eben' ſo voll von Paradoxieen, wie das erſte, 
und eben ſo anziehend geſchrieben, wie dieſes: : Dis- 
cours fur Porigine' et les fondemens de linegalite 
parmi les hommes. Hier führte er Die Säge aus: 
Die -Menfchen find nicht urfprünglich gefellig ; fons 
dern’fie haben vielmehr einen Hang zum folitären um 
abhängigen Leben. — Alle Menfchen find urfprüngs 
lich frey, und einander an Rechten gleich. — Det 
DMarurftand, der nicht weit von dem thierifchen ent? 
ferne ift, iſt eigentlich der der Menfchbett angemeſſen⸗ 
ſte Stand. — Jede buͤrgerliche Geſellſchaft ift eine 
Unterdruͤckung der Menſchenrechte, und die Men⸗ 
ſchen haben die Ordnung der Natur dadurch umge⸗ 
kehrt, daß ſie ſich in Statsverbindungen eingelaſſen 
haben. Wie uͤbrigens dieſe zweyte Schrift mit jener 
erſten zuſammenhieng, und wie ſeine Speculation ihn 
vom erſten Paradoxon zum zweyten führen konte, iſt 
ſehr leicht einzuſehen. Damals hielt man dieſe 
* Rouſſeau's für zwar intereſſante, aber müfs 
fige Philofoppeme. Was würden die franzöfifchen 
Großen, die dem R. fchmeichelten, mit ihm und feis 
nen Schriften wohl angefangen haben, wenn fie vors 
aus geahndet hätten, was eben jene Philoſopheme 
nach dreyßig Fahren in ihrem Vaterlande für eine 
Bedeutung erlangen würden? Rouffeau dedicirte 
fein zwentes Werk dem Magiftrate zu Genf, wurde 
dafuͤr von demfelden in alle Bürgerrechte wieder eins 
geſetzt, lebte auch nun einige Zeit zu Genf, und 
ſchwur während feines dortigen Aufenthalts nicht ohne 
vielen Kampf mit ſich ſelbſt die katholiſche Religion 
— ab. 


32 nu Im 


356 Gefhicjte der neuern Philoſophie 


Im J. 1756 gieng er von, neuem nad) Paris, 
lebte aber daſelbſt hoͤchſt eingezogen, ‚und unterhielt 
bloß Correfpondenz mit wenigen Freunden und einigen 
franzöfifhen Großen, theils um der Kritif auszus- 
weihen, die ihn damals recht eiftig zu ihrem Ges 
genftande machte, theils auch aus Diät, weil er ſehr 
an einer Strangurie litt, wo ihm das Leben in der 
großen Welt zu Paris, bey der damals noch ‚her: 
fchenden zwangvolleren Etikette, oft hoͤchſt beſchwerlich 
fallen mußte. Diefe Periode ift jedoch für die Literar⸗ 
geſchichte Rouſſe au's merfwürdig, Er arbeitete 
hier feine mieiften. Aufſaͤtze über die Mufif aus, 
- die er nachher in feinem Dictionaire de mufique 
bekant machte, und die in diefem Fache nach dem Ur⸗ 
theife von Kennern claſſiſch find. Er verfertigee auch 
mehrere mufifalifhe Stuͤcke für das Theater, und, 
harte Streitigkeiten mit Voltaire über dramatiſche 
Begenftände. . Zu eben diefer Zeit ſchrieb er aud die 
wewe Heloife, die zuerft 1761 herauskam. Ans 
fangs machte diefer Roman. fein fonderlihes Glüd: 
Weit größeres Aufſehn erregte fein Emil im J. 
1762, worin er das Mufter einer neuen Erziehungs“ 
theorie .aufftellte. Das Parlament zu Paris ver⸗ 
dammte das Buch, und ordriete eine gerichtliche Unter⸗ 
ſuchung gegen den Werfafler an; fo daß diefer des⸗ 
wegen fich ſchleunig aus Paris flüchten mußte. Er: 
begab fih nach Genf, wo man ihn. aber nunmehr: 
aus Furcht vor dem. Franzöfifchen Minifterium die 
Aufnahme verweigerte. Jetzt alfo trieb er ſich in, der 
Schweiß herum von einem Orte zum andern. : Ende; 
lich wandte er fi an den König von Preußen, und 
bat diefen um einen fihern Aufenthalt in Neufchatel. 
Der König gewährte ihm feine Bitte. Hier vertheis 
digte er feinen Emil gegen den Erzbifhof von Paris, 


de 


während d. achtz Jahthund. 6, auf Kant. 357 


‚ der ihn anarhematifire hatte. Er ſchilderte in diefer 
Apologie feinen Character, feine Abfiht bey feinen 
Schriften, und daß er weit entfernt davon fen, den 
Stat oder die Religion in Gefahr fegen zu. wollen. 


Kaum aber war die Unruhe vorüber; fo vers 
wickelte er ſich in eine neue, die fehr gefährlich für 
ihn hätte werden koͤnnen. Er ſchrieb die Lettres de 


la montagne, die eine Menge Anzüglichkeiten für dem: 


Magiftrae und die Geiftlichfeit in feiner Vaterſtadt 
enthalten. Die letztere ward darüber ſehr erbittert, 
da fie ohnehin wegen feines erften Ueberganges zur 
Farholifchen Religion eine Empfindlichfeit gegen ihn 
begte, die er durch fein nachheriges Abſchwoͤren ders 
feiben noch nicht ganz ausgelöfcht harte. Ungeachtet 


M. bey Meufchatel in einem Dorfe Preußifchen Ges 


biets lebte, fo wußte doch die Genfer Geiftlichfeie 
den Pöbel der dortigen Gegend. wider ihn aufjus 
begen; fo daß R. fid) genöthigt ſah, zu entfliehen, 
und fi nah Bern begab. Aber die Berner, die 
es mit dem Magiftvate in Genf nicht verderben mwolls 
ten, und auch die Verbreitung nicht fowohl feiner 
politiſchen, als feiner refigiöfen Grundfäge fürchteten, 
verboten ihm den längern Aufenthalt in ihrer Stadt. 
Es war ftrenger Winter, und R. war franf, Er bat, 


man möge ihn bis zum Frühlinge in ein Gefängniß 


fegen, um feiner ficher zu ſeyn, Damit er nur im 


eirier" befferen Jahrszeit reiſen koͤnne. Aber ah 


das fchlug man ab. Er mußte fi entfernen, und 


kam nun in einem elenden Zuftande zu Straßburg an. 
Dun nahm ihn der Marfchall von Contades wohl⸗ 
wollend auf, und behielt ihn bis zum Fruͤhlinge bey: 


fih, da er ſich wieder nach Paris begab. 


33 Hier 


. 


358 Gecſchichte der neuern Ppilofophie 


Hier entfchloß er fh, mit David Hume, der 
fih damals im Paris aufhielt, im J. 1766 nach 
England zu teifen. In London wirkte ibm Hume 
beym Könige eine Penfion aus, und lebte. mir ihm 
auf dem freundfchaftlichften Fuße. Es erwachte aber 
in Rouffeau durch unbedeutende zum Theile lächers 
lihe Urſachen ein Mistrauen gegen feinen Freund 5; 
Die Engländer fpotteren darüber, daß ein franzöflicher: .. 
Gelehrter eine Königliche Penfion erhalte; Hume 
fah ein paar mal oder erfundigte fich nach. den Ads: 
Drefien der Briefe, mwelhe Rouffeau an feine 
- Freunde in Frankreich ſchrieb, oder von dort empfieng; 
das natürliche Phlegma jenes disharmonirte mit der, 
momentanen enthufiaftiichen Lebhaftigfeit diefes ; ends 
lich ereignete fich ein Umftand, der beyde Philoſophen 
völlig entzweyte. Es erfchien in öffentlichen Blaͤt⸗ 
sern ein “Brief an Rouſſe au angeblich von Fries 
Deich dem Großen, der den Ritter Walpole zum 
Verfaſſer hatte, und in der That für. den erftern fehr- 
Beleidigend war. Dieſer fchrieb ihn ohne Bedenken 
feinem vermeynten Feinde, dem Hume, zu; und 
nunmehro entfernte er fich aus dem Haufe ‚desfelben ,: 
fieng eine heftige Fehde mit ihm an, worin er ihm 
fogar die beym Könige von England ausgewirfte Pens 
fion zum Vorwurfe machte, und verließ bald darauf 
Ä Easland gänzlich. 


| Auch bey ſeinem — Aufenthalte in 
Frankreich nahm ſeine Unzufriedenheit mit Andern, 
und ſein Hang zum Mistrauen immer zu; und die 
letztern Jahre ſeines Lebens brachte er faſt ganz ein⸗ 
ſiedleriſch und auf eine phantaſtiſche Art bin. Sehr 
viel trug zu dieſer Stimmung Rouſſeau's eine alte, 
a a bu, die er in der Folge felbft heyra⸗ 
there, 


waͤhrend b achtz. Jahrhund. 5. auf Kant.) 359: 


there, die Demoifelle fe Vaſſeur, eine gemeine 
Perfon ohne Reize und vorzügliche Talente, Die ihn’ 
aber durchaus zu beherfchen wußte. Gie pflegte ihn’ 
‚ in feiner Kräuflichfeit, und bemächtigte ſich dadurch 
feined ganzen Vertrauens. Gleichſam als ob aus 
Eiferfuche machte fie nach und nach Alle bey ibm vers: 

daͤchtig, Die mie ihm freundfchaftlichen Umgang uns 
terhielten, und ihn befuchten, oft durch die nieders' 

trächtigften Inſinuationen, und wenn Rouſſeau 

ſich nicht daran kehrte, fo verweigerte fie denſelben 

geradehin den Zutritt. Rouſſeau har auch Kinder‘ 
mit diefer feiner Freundinn und nachherigen Gattinn 
erzeugt, die er aber im Findelhauſe zu Paris erziehen 
ließ. Man hat dies Verfahren oͤfter getadelt. Er 
entſchuldigte ſich mit ſeiner Traͤgheit und Armuth; er 
ſey uͤberzeugt geweſen, die Kinder wuͤrden im Findel⸗ 
hauſe beſſer erzogen werden; und man muß wenig⸗ 
ſtens ſo billig ſeyn, zu glauben, Daß ihm in feiner" 
Einbitdung' diefe Rechtfertigung ein Genüge gerhan 
babe. Rouffeau hatte fonft einen fehr feinen und 
zarten Sinn für Elterliche Pflichten. Er fam einft 
mir dem Grafen Büffon zufammen, und fagte ihm 
Darüber etwas VBerbindliches, daß er den Müttern 
bewieſen babe; :fie müßten ihre Kinder ſelbſt Täugen. 
Buͤffon erwiederte diefes Compliment mit einer bit⸗ 
teren Anfpielung auf die Art, wie R. feine Kinder bes 
handle : “Aller vernünftige $eute haben das immer 
geglaubt, antwortete er; nur Sie, Here Nouffean, 
allein, waren nicht dee Meynung, und leider Ihnen 

folge man.” | 


Auſſerdem waren in R’s Charakter bey vielen 
Sonderbarkeiten und raͤthſelhaften Widerſpruͤchen auch 
ſehr viel gute liebenswuͤrdige Zuͤge. Er war — 

Hr 34 mäßig, 


’ 


360 Geſchichte bee neuern Philoſophie — 


maͤßig, edelmuͤthig, mitleidig, begnuͤgte ſich mit dem 
Nothwendigen, und verſchmaͤhte und verachtete jedes 
ignoble Mittel, das ihm Reichthum oder ein eintraͤg⸗ 
liches Amt hätte verfhaffen fönnen. Inſofern hatte: 
er eine echt philoſophiſche Denkart. Nur Dankbars 
feit war ihm läftig, und er befeidigte manche ſeiner 
Gönner und Freunde dadurch, daß er ihre Dienfte 
und ſelbſt ihre kleinen Gefälligkeiten und Höflichkeiten ; 
ausſchlug, und nicht felten auf eine unfeine, oder: 
rauhe, oder feltfame Art ihnen auswihd. Man kann 
ihn mit dem Diogenes, dem Cyniker, vergleichen, "dee 
die größte Simplicitaͤt der Lebensart mit allem Stolze 
. eines philofopbifchen Genies vereinigte: Wie manche 
andere unter feinen Zeitgenoflen, kann man ihn nicht 
beſchuldigen, daß er in ſeinen Schriften der Sittlich⸗ 
keit Abbruch gethan habe. Wenn er von Pflichten 
des Menſchen ſpricht, von den nothwendigen Maxi⸗ 
men der Gluͤckſeligkeit, ſo ſpricht er mit einer Waͤrme 
und Fuͤlle, daß man ſieht, es floß bey ihm aus dem 
Herzen. Aber die ganze Art, wie er ſeine moraliſchen 
‚Lehren einkleidete, war immer zu phantaſtiſch, won 
feiner eigenen Art zu empfinden und zu denken zu fehe: . 
afficiet, als daß die Lecrüre der Werfe des Noufs 
feau, zumal in frühern Jahren, nicht:auch auf die: 
Bildung des Charafters nachtheilig einwirken köntei’ 
Man muß feine Schriften lefen, um dag menfchliche. 
Herz in feinen. verborgenften Falten „; im feinen Sons 
derbarkeiten, in feinen feinern Gefühlen und: Stims 
mungen kennen zu lernen; um zu. fehen, wie: Die, 
menfchlihe Vernunft oft die größte Sophiſtin gegen 
ſich ſelbſt iſt; aber man muß ſie nicht leſen, um ſich 
eben nach ihnen zu bilden... Sie können uns leicht zu 
paradoxen, empfindfanen ; eigenfinnigen, fuͤr Die: 
wirkliche, Welt unbrauchbaren Schwaͤrmern — 
— — en⸗ 


während:D; Achtz ’Sahehund: b. anf Kant. 368 


Menſchen Ya Röuffeau , die dabey fein: ‚Genie, feine 
Kunſttalente und. Fertigkeiten ‚und feine großen und 
guten Eigenfchaften nicht haben, werden in der Belt 
noch diel ungluͤcklicher ſeyn, : als er ſelbſt wat. Es 
iſt eine richtige Bemerkung, die ein franzoͤſiſcher Aka⸗ 
demiker über Rouſſeau's und Voltaire's Tu⸗ 
gend. gemacht har: Voltaire's Tugend war 
obue Herz. und me, 8 ann war 
‚ohne Kopf Baar rt 


Die Schrififtelleren 9 und Sbhiloſorhie Koufr 
feau’s muß: man: vornehmlich aus dem Geſichts⸗ 
punete betrachten und wuͤrdigen, daß ſie der ges 
meinen gangbaren Denfart gemöhnlich geras 
dezu entgegengefeßt ift, und wo diefe auf Vor⸗ 
urtheilen und Irrthuͤmern berußf, eine Menge ders 
felben wegräumt und berichtigt; aber auch fich ſelbſt 
wieder in das andere Extrem verliert, und in ihrer 
Art ebenfalls, nur umgekehrt, einfeitig und falſch ift. 


ig | 


\ 


2 ©. mnsbeſondre· Reeueil de toutes les pieges,. qui. 
ont eı& publides à l’occafion du Discours de Mr. Aous- - 

' feat: Si le retabliffement des’ fciences et des arts a con. 
‚tfibue: d epurer les mocurs; à Gotha 1753. 8. — 
PDiscours ſur llorigine et les fondemens de „inegaliee 
parmi les hommes. Par ‘Jean Faques Ruusfeau; à 
Amftd. 1755. 8. Deutfh: Berlin 1756. 8. — Let- 
> tres-ecrites de Ja montagne. Par J. $, r 
 Amfterd. 1764. Ib-P. 8.-—:: Du contrat focial, ou 
prineipes du droit politique; 3 Amftd. 1762. * 
Deutſch mit Anmerkungen von Geiger; Marburg 
1763. 8. —.. Emile, ou fur l’education; à Amfd. , 

* 1762. 4 W. 8. Deutfch Berlin 1763. 4 Th. 8. Von 
den fämtlichen Schriften Rotffeau’s hat: man meh⸗ 

rere Ausgaben, auch eine neuere deutſche Ueberſetzung. 


2 35 


— 


362 Gefhichte der neuern Phifofophie 7 
Daß die Wiſſenſchaften und die Eultur über“ 
haupt der menfchlichen. Gefellfchaft ‚namentlich in 
Ynfehbung der Moralität, manche Nachtheile ges 
bracht haben, ift nicht. zu bezweifeln; darin hat R. 
Recht, und die enehufiaftifchen Lobredner der. Wiſſen⸗ 
fhaften und der Cultur find hier in der Regel viel zw’ 
einfeitig, . Daß aber durch die miffenfchafttiche Cul⸗ 
tur das menjchliche Geſchlecht unglücklich gemordem: 
fen; daß es befler daran feyn würde, wenn es ſich 
wieder dem thierifchen Zuftande nähere; daß die Euls 
tur bloß zur Verſchlimmerung der Sitten diene; 
Darin hat R. Unrecht, : und: er iſt zu einſeitig: das) 
wahre. Mepaltst liegt — — — in der 
Mitte. 

Eben fo kann man-im Ganen von ‚der Erzie⸗ 
Gungstheorte urtheilen, die im Emil aufgeſtellt 
iſt. Daß man bey der älteren Erziehungsart die: 
Natur zu fehe verließ, und durch ungereimten Zwang. 
und Künfteley, oder Fabrläffigfeit, ſowohl den Koͤr⸗ 
per, als den Verftand und das Herz der Kinder vers 
bildete, verfrüppelte, verfäumte, ift Tharfahe. R. 
bat fich allerdings ein großes Verdienft dadurch ers 
worben, daß er die Aufmerffamfeit feiner Zeitgenofs 
fen auf dieſen Punct hinlenfte, und in feinem Emil 
einen Zögling der vernünftigen Natur fchilderte, um 
mich fo auszudruͤcken. Er hat audy dadurch zu gros 
Ben und wefentlichen. Berbefferungen in Deutſchland 
Anlaß gegeben. Allein wiederum der rohen Natur 
bey der Erziehung zu viel überlaffen, in einer Welt, 
Die fich fo weit vom Naturſtande entfernt har, das 
war ein entgegengefeßtes fehlerhaftes Ertrem , in wel⸗ 
ches R. gerieth. Viele Jünglinge, die nach feinen 
Grundfägen: erzogen wurden, ſind misrathen. = 

| n 


⸗ 


waͤhrend d. achtz. Jahrhund. b. auf Kant: 363 


In ſeiner politifchen Theorie folgte R. auch 
mehr ſpeculativen Begriffen, als der Erfahrung. 
Seine Idee vom Naturſtande und von der uts 
ſpruͤnglichen Freyheit und Gleichheit der Mens 
ſchen gründet fi auf die Vorausfegung der LUnges 
felligkeit der Narurmenfchen, die aber ſchlechthin faljch 
iſt. Der Dienfch ift von Natur nichts weniger, als. 
ein ungefelliges Wefen. R. urtheilte bier von dev; 
gefamten Menfchheit nach fich felbft, und folglich wies 
derum hoͤchſt einſeiiig. Gaͤbe man aber auch die. 
Dorausfegung zu, fo würde doch daraus. nicht die 
urfprüngliche Gleichheit der Menfchenrechte folgen. 
Daß jeder Star eine Unterdrückung der Menfchens 
rechte fen, ift.nur halb wahr. Der Stat befhränfe: 
die Menfchenrechte, aber er unterdruͤckt fie nicht; 
er befchränft fie, um fie zu fichern, fo mweit fie neben 
einander beftehen mögen, wenigſtens der. Theorie 
nach. Kin Gefellichaftsvertrag (contrat Social), wie 
ihn R. für eine vollfomne Statsverfaflung fodert, iſt 
in der Wirklichkeit nicht denkbar. . Er felbft hielt ihn 
für einen fpeculativen Traum. Der befle Stat fanın 
überhaupt nicht aus Begriffen; er muß aus Erfah⸗ 
zung über Welt und Menfchen abftrapire, und nach 
den localen Berhältniffen und temporellen Umftänden 
eines Volks beftime werden. _ In dieſem Berrachte: 
erfheinen Roufjeau’s politifche Schriften als po⸗ 
litiſche Phantafieen, die leider eben dadurch, dag man 
fie raſch und unbefonnen zu realificen fuchte, fo ver⸗ 
derblich geworden ſind. 


Noch will ich dieſen Bemerkungen das urtheil 
beyfuͤgen, welches R. ſelbſt über die poſitive Re— 
ligion faͤllte, und uͤber die Bemuͤhungen ſo vieler 
ſeiner Zeitgenoſſen, dieſelbe zu untergraben. In ei⸗ 
F nem 


364 Geſchichte der neilern Philoſophie 


nem: Briefe an Verues ſchreibt er: “Ich habe Re⸗ 
ligion, lieber Freund, und ich glaube nicht, daß ein 
Menſch in der Welt ſie ſo noͤthig hat, wie ich. Ich 
habe mein Leben unter Unglaͤubigen hingebracht, oh⸗ 
ne mich irre machen zu laſſen; ich liebte ſie und ſchaͤtz⸗ 
te fie; und doch war mir ihre Lehre unertraͤglich. 

Ich fagte ihnen immer, daß ich fie nicht beſtreiten 
wolle, aber ihnen nicht glauben fünne. — Die Philos‘ 
fopbie ift nichts, als ein Meer von Ungewißheit und: 
Zweifeln, aus denen der Metaphnfifer fich nie bes 
ausfinden fann. Ich habe alfo mein Gefühl ges 
fragt unabhängig von meiner Bernunft; laſſe 


>. meine Freunde die Welt nach Zufalle bauen, und fins 


de in den Baumeiftern ſelbſt, ihnen zum Troße, das 
Daſeyn Gottes und ihres Scyöpfers.” 


Mit den bisher genannten franzöfifchen Philo⸗ 
ſophen will ich gleich die Erwähnung, einiger andern 
verbinden, da fie mit jenen einen gemeinjchaftlichen 
Wirfungsfreis theilten, und noch ungleich mehr als 
jene auf den philofophifchen und literariſchen Charak⸗ 
tee fowohl ihrer Marion, als aud der Deutſchen, 
Einfluß gehabt haben. Es gehört ‚dahin zunächft 
Voltaire, der umnftreitig nicht nur vor allen übris- 
gen Günftlingen Friedrichs des Großen den Bors 
zug genoffen, und zur Entwicelung und Richtung 
des Geſchmacks und der philsfophifchen Denfart des 
Königs am meiften beygetragen; fondern überhaupt 
in gewiſſer Hinfiche im Face der ſchoͤnen Literatur, 
und wo nicht in der Philofophie felbft, Doch in der 
Are der Behandlung’ derfelben Epoche gemacht hat. 
Seine frühere Lebensgeſchichte enchält mehr edle Züs 
ge, unter andern die gefchicfte und. muthige Vertheis 
digung des ungiüetiügpen Calas und feiner Familie, 

den 


| waͤhrend d. achtz. Jahrhund. ii anf Kant. 365 


den er von der Folge eines ungerechten Urtheils ſpru⸗ 
ches vettete. Den erſten und groͤßten Ruhm verdankt 
Voltaire feinem poetiſchen Genius, hauptſaͤchlich 
feinem ſo fruchtbaren Talente: für die dramatiſche 
Kunft, dastanfangs in Paris, um. ſo mehr gefhäge 
und bewundert wurde, Da es feit dem Tode der bey» 
den Eorneille und des Racine der franzöfifchen 
Bühne an: nemen. vorzüglichen dramatiſchen Werfen; 
befonders im Fache der Tragödie, gefehlt hatte; ob⸗ 
gleih Boltaire,. fosenthufiaftifch er auch von feinen 
Landsleuten und vom vielen Deutſchen gepriefen ifl‘/ 
Die dramatifche Kunſt nicht viel weiter brachte, als 
feine Vorgänger, wie Leffing’s Kritif gezeigt hat 
Aufferdem: wurde Voltaire auch ſehr berühmt ale 
epiſcher Dichter Durch feine Henriade, von welder 
er. einen Theil während feiner Gefangenfchaft in der 

Baftille verfertigte, durch feine Pucelle d’Orleans, 
und als profaifcher biſtoriſcher und philoſophlſcher 
Schriftſteller. 


Friedrich der Große ließ ſich mit ihm — 
in eine Correſpondenz ein, hatte nachher auf ſeiner 
Reiſe nach Weſtphalen eine perſoͤnliche Zuſammen⸗ 
kunft, und lud ihn zu ſich nach Berlin ein, wohin 
ſich Voltaire auch begab, und dort mehr Jahre mit 
dem Könige als deſſen vertrauteſter Freund lebte, mies 
wohl nur in literarifchem Betrachte. Da jener-bey - 
feiner reichen Ader des Wißes auch einen hoben Grad 
von eigenfüchtiger -Eitelfeit und haͤmiſcher Laune be⸗ 
faß; fo entzweyten fich beyde zuletzt, fo daß ihn der 
König fogar nady feiner Abreife unterweges verhaften 
laſſen wollte. In der Folge fuhr inzwiſchen der Koͤ⸗ 
nig fort, ihn freundfchaftlich. zu behandeln, und ihm 
— — Briefen zu ſchmeicheln, wozu in — 

DE 


366 Gefchichte der neuern Philoſophie hg 


fruͤhern perfönfichen Werhätmiffe mie ihm Gründe 
lagen. — re ** 


Unter den eigenthuͤmlichen Zügen in Voltai⸗ 
reꝰs Charakter war auch ein ſchmutziger Geitz, wovon 

er wenigſtens waͤhrend ſeines Aufenthalts in Deutſch⸗ 
land manche zum Theile ſonderbare Proben gegeben 
hat. Nach ſeiner Abreiſe aus Deutſchland hielt ſich 
Voltaire gewöhnlich zu Paris auf, ſuhr fort fuͤr 
das Theater zu arbeiten, nahm an den»Arbeitem'der 
Eneyklopaͤdiſten Theil , und hatte vielerley Streitig⸗ 
keiten. Im böhern Alter zog er ſich auf fein Landgue 
nad Ferneh zuruͤck, brachte hier feine Muße in der: 
Gefeltichaft der. Befanten Marfife de Chatelet zu, 
und zeichnete fih nunmehro durch Wohlthaͤtigkeit ger 
gen die Gutsleute und Landleute der Gegend aus 
Nicht Sange vor feinem Tode erfuhr er die Demürhir‘ 
gung, daß der Kayſer Joſeph IT, der den Franfeit: '- 
Haller zu Bern befucht hatte, den Philoſophen 
von Kernen nicht befuchte, ungeachtet er in der Naͤhe 
vorbey fam. | re * 


Die Schriften Voltaire's über philofophifche 
Gegenftände harten nicht eigentlich einen wiſſenſchaft⸗ 
lihen Zweck. Er behandelte die Philoſophie, wie 
Altes, was er behandelte, mehr als Stoff einer. ine 
tereffanten launigten wigigen Darſtellung, foferne' fie ' 
diefer fähig war, und wenn philofophifche Materien 
Diefer nicht fähig waren, gab er ſich auch nicht damit 
- ab... Anfangs bemühte.er fi, das: Newtonſche Sy⸗ 
ftem zu populariſiren, und. die Kentniß desſelben 
in Frankreich und Deutfchland auch ‚unter dem groͤ⸗⸗ 
ßern Publicum zu verbreiten; wobey er Vergleichun⸗ 
gen zwiſchen Rewton und Leibniz anſtellte, die 

1F zum 


währenbib, achtz Yahrhund: v. auf Kant: 367 


- zum Nachtheile des Letztern ausſielen; wiewohl ;er 
von Leibniz perſoͤnlich, und auch von Wolf, (nur 
nicht von deſſen weitſchweifiger ſyſtematiſcher Schul⸗ 
manier und feinen zahlreichen lateiniſchen Quartan⸗ 
ten) mit Achtung ſprach. Ein deutſcher Gelehrter 
und Philofoph Ludwig Martin Kahle tratzwar 
als Apologet Leibniz'ens gegen Voltaire auf; 
und bewies die Unrichtigkeiten, die bey desfelben Pas 
rallele zwiſchen Newton und Leibniz zum Grunde las 
gen; ward aber dafuͤr mit hoͤhniſchem Spotte abge⸗ 


fertigt und laͤcherlich gemacht *) | 


Bald nachher diente der Optimismus. dem 
DB oltaire zum. Gegenftande feiner ſpoͤttiſchen Laune; 
und hierin hatte er nicht Unrecht. Die Metaphyſiker 
warfen in der That damals manche ungereimte Fragen: 
über diefen Punct auf, und beantworteten fie mo, 
möglich. noch ungereimter. - Da fie bey der Voraus⸗ 
fegung des Theismus Die gegenwärtige Welt für die; 
befte unter allen möglichen erklärten, welche Gott has. 
be fchaffen koͤnnen; fo ſahen fie ſich genöthige, ent⸗ 
weder die Wirflichfeit des Uebels in der Welt ſchlecht⸗ 
Hin zu leugnen, ‚wogegen die Erfahrung doc fo laut: 

+ — pro⸗ 


=, Elemens de la philofophie de Newron mis ä la portée 
“de tout le monde, Par Mr. de Voltaire; A Amfterdam ' 
*.. 1738. 8: — La Metaphyfique de Newron; ou paral- 
lele des Sentimens‘de Newron et de Leibnitz ; &. Am- , 
fterd. 1740. 8. — Vergleichung der. eibnizifchen und , 
Newtoniſchen Metaphyſik, wie auch ‚verfchiedener andes 
rer philoſophiſcher und mathematiſcher Lehrer behyder 
Weltweiſen, angeſtellt und dem Hrn. von Voltaire: 
entgegengeſtellt von Lud. Mart. Kahle; Göttingen 
1740. 8. Franzoͤſiſch à la Hayę 17448. Voltaire. 
erwiederte eine Courte Reponfe, aux, longs discours 
"P’um’Dodeut allerhand. Mom den fämtlichen Oeu- 
vres.de Voltaire has man ebenfalls mehrere Ausgaben. 


— — er Fe 7, 


368 Gefchichte der — Philoſophhie 


proteſtirte, oder mit ſich im Widerſpruche zu bleiben; 
und trotz allem Uebel die Welr doch: für: die befte Welt 
zu erflären. Dies: leßte insbefondre. war es, was 
den Boltaire zu: feinem: Momane Candide ver⸗ 
anfaßte; Einige andre geiſtvolle und: intereſſante phis 
loſophiſche Aufſaͤtze von Voltaire finden. ſich noch 
in feinen Melanges:de — d — et de — 
loſophie. ei | Si 


Dögteich die: eigenilid — Schriften 
Voltaire’s nicht an fich von ſonderlichem Belange 
für die Wiſſenſchaft find; fo hat er ſich dennoch) ducch 
den Charafter feiner Werte überhäupt;, auch feiner: 
biftorifchen, um die Cultur der Philoföphie in mans 
chen anderen Hinfichten ein großes indireetes Verdieuſt⸗ 
erworben. Er bar erftlich -unftreitig "eine vermünfits! 
gere religisfe oder vielmehr theologiſche Denkart ums 
ter den Gelehrten bewirfen helfen. Es ift hier’ kei⸗ 
nesiveges die Abſicht, alle die Spoͤtterehen in Schuß: 
nehmen zu wollen, welche fih Voltaire gegen die 
Bibel, am meiften den biftorifchen Theil derfeiben, 
fo wie gegen die pofitive Religion im Ganzen erlaube’ 
bat, oder gar fie als Ruhmwuͤrdig hervorzuheben‘; 
Die Zügellofigfeit des Voltairiſchen Wißes hat hier 
allerdings die Grenze weit uͤberſchritten. Gleichwohl 
bat auch dies feine gute Folgen gehabt. : Dadurch 
daß er den hiftorifchen Theil der Bibel angriff; mans 
che fiheinbare oder wirflihde Widerfprüche und Sons 
derbarfeiten in den Sagen und Erzählungen des al⸗ 
ten und neuen Teſtaments aufderkte; auf die Be⸗ 
mühungen der Exegeten und Theologen, felbit :die 
offenbarſten Unniöglichfeiten und Ungereimtheiten: zu 
erfläven, und zu vereheidigen, ein lächerfiches Licht 
warf. zur, er. mit — MR: may den — — | 


an wsigeleV ausge 


während d, achtz. Jahrhund. b. auf Kant. 369 


Theit der Bibel von demjenigen, der wirklich als 
Duelle einer pofitiven Religion. gelten kann, fchärfer 
abfonderte, das Dogma von der göttlichen Inſpira⸗ 
tion der biblifchen Bücher ftrenger prüfte, Die Ans 
‚ wendung Desfelben auf diefe und jene einzelne biblis 
fhe Bücher immer mehr einfchränfte, es überhaupt 


ganz anders beftimte, und jo nach und nach der bie 


bliſchen Exegeſe eine andere Richtung gab, wobey die 
Bibel weniger den Sarfasmen eines San: wie 
| Boltaice, ausgefegt war. 


. Was übrigens Voltaire'n u feinen — 
liſtiſchen Zeitgenoſſen wegen ihrer Ausfälle auf die 


pofitive Religion auch noch zur Entfchuldigung ges 
‚reicht „. ift, daß fie dabey nicht. ſowohl den Proteſtan⸗ 
tismus, als vielmehr die katholiſche Religion und 
Kirche im Auge hatten. Der Contraft, der fich zivis 
ſchen dee Dummpeit und dem Aberglanben des gros 


sen Haufens, der Mönche, und der niederen Fathos - 
liſchen Geiftlichfeit, in Franfreih, Stalien,. den 


-Miederfanden, und zwifchen ‚der. auf den höchften 


Grad geftiegenen firtlichen VBerdorbenheit der vorneh: 


mern Geiftlichfeit und Stände in Paris fand, muß⸗ 
te jene Köpfe zu Ausfällen der Art reizen, um fo 
‚mehr, da diefe Wißeleyen über Religion und Bibel 


„in den Zirfeln vorzüglich bewundert wurden, in des 


nen fih Voltaire und feine Freunde berumtrieben. 


r Zweytens Voltaire zeigte durch fein Benfpiel 
‚auffallend, daß die Einführung nicht allein der Phis 
Iofophie, fondern auch der wiffenfchaftlichen Literatur 


. überhaupt. in das große Publieum, nicht ſowohl won 


der ſteifen ſyſtematiſchen Form, als vielmehr von 
der Are der Darftellung abbänge, ‚daß man durch 
„Buble's Geſch. d. Philof. VI.D. Aa dies 


— — 


370 Geſchichte der neuern Philoſophie 


dieſe zu intereſſiren und zu gefallen wiſſe. Er weckte 
alſo die Gelehrten, vornehmlich die deutſchen Gelehr⸗ 
sen, in dieſem Puncte zur Nachahmung. Sie fiens 
gen ige auch an, mehr Fleiß auf Compofition und 
Schreibart zu wenden, als fie bis dahin gethan hats - 
ten. Man bemerft häufig bey den deurfchen Schrifts 
ftellern aus der Periode, wo Boltaire’s Ruhm 
am hoͤchſten war, einen pofemifhen Ton und Sti⸗ 
chelegen gegen ihn. Das ift eben ein Beweis‘, daß 
fie ihm nachzueifern fuchten, und die Ueberlegen⸗ 


2 heit, die er im Urtheile des gebildeten Publicums 


geroonnen hatte, durch das, was fie felft leifteren, 
mindern wollten. Voltaire war in feiner Art ein 
greffliches Mufter, wie man Iiterarifhe Gegenſtaͤnde 
popular, praktiſch, und anziehend behandeln muͤſſe. 
Er verband Zerftreuung, Unterhaltung und Beleh⸗ 
zung des tefers auf die angenehmfte Art mit einander. 
- Seinen Hiftorifchen Arbeiten mache man den Vor⸗ 
wurf, daß er zumeilen die Gefchichte In einen Mo 
man verwandelt habe, und der Vorwurf ift nicht n 
gegründer. Hier ift aber von feinen Werfen, 
alfo auch von feinen Hiftorifchen, nur als Pr 
des Genies und philofophifhen Beiftes die Med, 
und es ift die Frage, wenn er ſich um hiſtoriſche 
Wahrhaftigkeit und Gruͤndlichkeit mehr bemuͤ J 
te, ob er nicht dennoch alle Annehmlichkeiten ſein 

hiſtoriſchen Manier beybehaften baben wiirde 97 


- Einer der vornehmſten franzöfifchen Nafürafiften 
war d’Alembert, ein trefflicher geiſtvoller Schrift⸗ 
ſteller, zugleich großer Phyſiker und Marhemätifer, - 
der auch einige Zeit fich im Berlin aufhielt "übrigehs 
größtentheils zu Paris lebte. Er und Diderst was 
ven die Hauptunternehmer der großen: franzöfifehen 

‚es == En—⸗ 











| während d. achtj. Jahrhund. b. auf Kant. 371 


Eneyklopaͤdie, diefes berüßmten Werkes, zu / wel⸗ 

chem ſich damals Die beſten Köpfe Frankreichs vers 
einigten, und Das für die Franzoͤſiſche Litteratur, für 
den Geschmack und die wilfenfhaftlihen Studien der 
Franzoͤſiſchen Marion, und vornehmlich für die philo⸗ 
ſophiſche, moralifche, politiiche, und religiöse Denk⸗ 


art derſelben von den entfcheidenften Folgen gewejen 


iſt. Dan wollte in diefem Werke die mwichtigiten 
Materien aus allen Difeiplinen alphaberifch zufammens 
ſtellen; einzelne Artifet wurden befondern Gelehrten 
zur, Ausarbeitung übertragen; und es ift miche zu . 
leugnen, daß viel Gutes und WVortreffliches darin 


geleiſtet ift. Die philofophifchen Artifel find aber 


fort jämelich in dem einfeitigen naturaliftifhen Geifte 
und Tone gefchrieben, der die Urheber des Werkes 


beſeelte. Gie zwecken Darauf ab, den Karhölicisinus 


nicht bloß, fondern Alles, was pofitive Religion 


‚beißt, zu untergraben. D’Alembers und Dis 


derot wählten in, dieſem Fache zu ihren Mitarbeitern 


» ‚feine andere, als folhe, von denen fie-wußten, daß 


‚fie mit ihnen einffimmig dächten; und man hat daher 


nicht Unrecht, wenn man den heutigen Verfall der 


Heligion und Sittlichkeit in Frankreich bey den vora 
nehmern und gebildetern Ständen größtentheils den 
fogenannten Encyflopädiften zuſchreibt. Wie leis 
denſchaftlich und felbft wie unedel fie in dem Stücke 
verfuhren, davon fann ein Beweis fenn, daß fie in 


einem Artikel Feuilles eine Stelle aus einem Werke 


Bonnet's einrückten, und ſtatt der Woͤrter Dieu, 
Providence, die naturaliftifcher flingenden Nature, 
Loix generales, unterſchoben, alſo ads Haß gegen 
die pofitive Religion offenbate Falſatii wurden. 

Für die Gefäriche der Philoſophie ift bey der 


Granzoͤſiſchen ae am inteteflanseften det Ge⸗ 
| | Ya | 


ſichte⸗ 


372° Geſchichte der neuern Philoſophie 


fihtspune, woraus D’Alembere und Diderot 
den Zufammenhang der Wifjenfchaften und Künfte 
betrachteten und darftellten. Ihre Ideen darüber find 
entwickelt in dem Discours preliminaire der Encyflos 
pädie. Dieſer enchäle zwey Theile, deren einer die 
“ Genealogie der Wifjenfchaften, der andere die philos 
ſophiſche Gefchichte der Fortſchritte des menſchlichen 
Geiftes feit der Wiederherſtellung der Wiſſenſchaften 
zu Gegenſtaͤnden haben. Vom Baco von Verulam 
bat D' Alembert nur die eneyklopaͤdiſche Ordnung 
der menſchlichen Erkentniſſe entlehnt, nicht aber ſeine 
Vorſtellungsart von der Genealogie der Wiſſenſchaf⸗ 
sen, die ihm eigen iſt; daher man ihn infofern mit 
Unrecht eines am Baco begangenen Plagiats befchuls 
digt hat. ur | u 
Die menfhlihe Erfentniß beſteht zunächft und 
vornehmlich aus Ideen, welche wir unmittelbar durch 
die Sinne empfangen haben, und aus der Verbin, 
Dung und Vergleichung diefer Ideen. Die leßtere 
wird im Allgemeinen Philoſophie genannt, und 
. begreift auch die Mathematik in fih. Die Scheis 
dung beyder in ihre einzelnen Zweige gehört für die 
Encyklopaͤdie ſelbſt. Diefe Bergleihung, Annähes 
sung und Verbindung der unmittelbaren Ideen ift 
die erfte Operation der Meflerion. Aber die Erkent⸗ 
niffe, welche wir durch die Vereinigung der primis 
tiven Ideen gewinnen, find nicht die einzigen, deren 
der menjchlihe Verftand fähig if. Es giebt hoch 
eine andere Öattung von Reflerionserfentniffen. Dieſe 
beftehbn aus Seen, welche wir ung felbft bilden, ins 
den wir uns ähnliche Weſen mie denen, welche die 
Gegenftände unferer directen Erfentniffe ausmachen , 
einbilden oder zufanmenfegen. Dies nennen wir 
| Nach⸗ 


während d. achtz. Jahrhund. b. auf Kant. 373 


Nachahmung der Natur, die den Alten fo bes 
lant war und von ihnen ſo lebhaft empfohlen wurde. 


| Da die unmittelbaren Ideen, welche uns am 
lebhafteſten reizen, auch diejenigen ſind, deren Ans 
denken wir am leichteſten bewahren; fo find es auch 
‚eben diefe, welche wir durch die Nachahmung ihrer 
Gegenſtaͤnde in uns am liebften wieder zu erwecken 
fuhen. Wenn die angenehmen Objecte uns in der 
Wirklichkeit mehr rühren, als in der bloßen Vorſtel⸗ 
lung, fo wird das, was fie im leßtern Falle an Ans 
nehmlichkeit verlieren, auf gewiſſe Weiſe durch Dies 
jenige Annehmlichfeit erfeßt, die aus dem Vergnügen 
der Nachahmung entfpringe. In Anfehung der Obs 
jecte aber, die in der Wirklichkeit nur traurige, 
ſchmerzliche, beuuruhigende Empfindungen verurs 
fahen würden, ift umgefehrt die Nachahmung ane 
genehmer, als die Objecte ſelbſt; weil diefe uns im 
Die angemeffene Entfernung verfegt, wo wir das Vers 
gnügen einer Gemuͤthsbewegung empfinden, ohne die 
in dee Mirflichkeit Damit verbundene Beſchwerde. 
Erfeneniffe dieſer Art, die auf der Nachahmung der 
ſchoͤnen Natur beruhen, find alle Künfte des Schoͤ⸗ 
nen, fowohl die.bildenden, als Die redenden. | 


Sehr fein ſind die Bemerkungen D' Alem⸗ 
bert's über den Urfprung des Ranges, welchen die 
‚Künfte und Wiffenfchaften des Schönen vor den 
mechanischen Künften im Urtheile der Menfchen und 
in der bürgerlichen Gejellichaft insbefondre gewonnen 
baden. Man fann den Namen Kunft überhaupt 
‚einem jeden Spfteme von Kentniffen beylegen, die ſich 
möglicherweife auf Regeln bringen laſſen, welche ber 
Bit. unveränderfih, und von dem Eigenfinne und 
| ‚Ya 3 WBor⸗ 


374 Geſchichte der neuer‘ Philoſophie 


Vorurtheile der Individuen unabhängig find. In 
dieſem Sinne fönte man mit Recht fagen, dag mehr 
rere unferer Wiffenfchaften von der praftifchen Geite 
betrachtet Kuͤnſte find, - Aber fo wie es Regeln giebt 
für die Operationen des Verſtandes oder der Seele s 
fo giebt es fie auch für die Thärigfeiten des Körpers, 
d. i. für Diejenigen, tbelche auf die aͤußern Körper bes 
ſchraͤnkt, nur der Hand bedürfen, um ausgeübt zu 
werden, Daher rührt die Unrerfcheidung der Kuͤnſte 
in freye (liberale) und mechanifche, und die Guperios 
ritaͤt, welche man jenen über diefe einräumt. Dieſe 
Suveriorität ift ohne Zweifel in mehrfacher Hinficht 
ungerecht. Go lächerlich inzwifchen Vorurtheile feyn 
mögen; fo ift doch unter ihnen Feines ganz ohne 
Grund, oder, um es richtiger auszudrücken, Feines 
ohne eine Veranlaffung feines Urfprungse. Die Phis 
loſophie ift zumeilen niche im Stande, die Miss 
Bräuche zu verbeffern ; aber fie kann doch flets ihre 
Quellen entderfen, 


Da die förperliche Stärfe das erfte Princip 
-war, was das Recht aller Menfchen auf Freyheit und 
Gleichheit unnig gemacht hat, fo haben fi die 
Schwaͤchern, deren Zahl immer die größte iſt, mit 
einander vereinigt, um jenes Princip zu unterdrücken, 
Sie haben alfo mit Hülfe der Gefege und verfchiedes . 
ner Arten von Starsverfaffungen eine vertragsmäßige 


u Ungleichheit eingeführte, fo daß Die Förperliche Stärke 


aufhörte das Herfchaftsprincip zu feyn. Sobald diefe 
legte Ungleichheit gefichere war, und die Menfchen 
fh aus vernünftigen Gründen zu ihrer Erhaltuug 
vereinigt hatten, unterliegen fie Doch nicht ihr ins: 
geheim entgegenzuarbeiten, vermöge des Triebes nach 

Superiorität, welchen nichts in den Menfchen vertils 
Ä R gen 


\ 


- während d. achtz. Jahrhund. b. auf Sant. 375 


gen kann. Ste fuchten alfo eine Art von Entfchädis 
gung in. einer weniger willführlichen Ungleichheit; 
und da die förperliche Stärke, durch die Geſetze ges 
bunden, ihnen fein Mittel der Superiorität mehr 
darbieten Fonte; fo wurden fie genöchigt, die Vers 
fhiedenheit der geiftigen Talente als ein Princip dee 
Ungleichheit anzunehmen, dag natürlicher, der Ruhe 
güufiger, und der menjchlichen Gefellfchaft nüglichee 
war. Dadurch rächte fich der edelfte Theil unfers 
Weſens gewiffermaßen wegen der Vorzüge, die der 
ſchlechtere Theil desfelben ujurpirt hatte, und bie geis 
fügen Talente wurden allgemein, als an Guperiotis 
taͤt über die Förperlichen Anlagen erhaben anerkant. 
Die mechanifchen Kuͤnſte, abhängig von der Hand⸗ 
arbeit, und, wenn man fih fo ausdrücen darf, 
einer Art von Routine unterjocht, wurden denjenigeiz 
Menfchen überlaffen, welhe das Vorurtheil in die 
niedrigſte Claſſe verſetzte. Die Armuth, welche diefe 
Menſchen zwang, ſich ſolchen Arbeiten zu widmen, 
oͤfter als ihr Geſchmack und ihr Genie fie dazu leite— 
ten, wurde hernach ein Grund, ſie zu verachten: ſo 
ſehr ſchadet die Armuth Alem, womit ſie ſich ver⸗ 
arminajtet, 


Die freyen Thärigfeiten des Geiftes wurden 
Dagegen der Antheil derer, die ſich in dieſer Hinſicht 
am meiſten von der Natur beguͤnſtigt waͤhnten. In⸗ 

zwiſchen wird doch der Vorrang, welchen die libera⸗ 
len Kuͤnſte vor den mechanifchen gewonnen haben, 
durch die Anſtrengung des Geiftes, welche jene vor⸗ 
ausfegen, und durch die Schwierigkeit, fih darin 
heroorzuthun, reichlich Durch den weit größern Nutzen 
aufgeswogen,, welchen die leßteren meiſtens der Menſch⸗ 
* gewaͤhren. Dieſer —* ſelbſt iſt — ae 


, 376 Geſchichte der neuern Philoſophie 


worden, daß man fie auf eine bloß: mafchinenurdgige 
Thärigfeit zurückgebracht hat, um ihre Ausübung: 
- einer ‚größeren Zahl von Menſchen zu erleichtern. 
Gleichwohl darf die bürgerliche Gefeltihaft, wenn 
fie auch mir Recht die großen Genies verehrt, denen 
fie ihre Aufklaͤrung verdankt, doch nicht die Hände 
berabwürdigen und verachten, welche ihr dienen, 
Die Entdeckung des Compaſſes ift dem menfchlichen: 
Gecſchlechte nicht minder vortheilhaft geweſen, als 
es fuͤr die Phyſik die Erklaͤrung der Eigenſchaften der 
Magnetnadel ſeyn wuͤrde. Auch iſt nicht zu vers 
geſſen, daß, wenn man das Princip des Unterſchie⸗ 
des der mechaniſchen und freyen Kuͤnſte an. fich ſelbſt 
etwägt, es eine Menge Gelehrte giebt, deren Wiſſen⸗ 
ſchaft eigentlich nichts weiter, als eine mechaniſche 
unſt, iſt, und daß zwiſchen einem Kopfe mit Kent: 
niffen ohne Ordnung, Verbindung und Brauchbars 
keit angefülle,. und dem Inſtincte eines bloß mechas 
aloe Handwerfers gar fein ——— Unterſchied 
obwaltet. 


Die — — man gegen die — 
niſchen Kuͤnſte hegt, ſcheint ihren Einfluß ſogar bis 
auf die Erfinder derſelben erſtreckt zu haben. Die 
Damen dieſer Wohlthaͤter des menſchlichen Ges 
ſchlechts ſind faſt ſaͤmtlich unbekant; waͤhrend die Ge⸗ 
ſchichte der Eroberer, der Berwüfter desſelben, welt: 
kundig geworden iſt. Und doch muß man vielleicht 
gerade ben den mechanifchen Kuͤnſtletn die bewuns 
dernstwürdigften Proben des menfchlihen Scharf: 
finns, der Geduld und der. Hälfsmittel des menfchs 
‚ Tichen Geiftes fuchen. Freylich ſind die meiften Küns 
€ nur nach und nach erfunden worden, und es waren 
wobl ineht Jabthunderte dazu REES um z. B. 
— 


mährend d. achtz. Jahrhund. b auf Kant 377 


tie Uhren zu dem Grade dee Vollfommenheit zu bins 
gen, welchen fie gegenwärtig erreicht haben. Aber iſt 
nicht derſelbe Fall bey den Wiſſenſchaften? Wie viele 
Entdeckungen, die ihre Urheber unfterblich gemacht 
haben, ‚waren nicht durch die Forſchungen der vorher⸗ 
gegangenen Jahrhunderte vorbereitet, oft bis zur 
Vollendung hingefuͤhrt, ſo daß es nur noch Eines 
Schrittes weiter bedurfte, um ſie wirklich zu vollen⸗ 
den? Und warum ſollten auch nur diejenigen, die 
einzelne Verbeſſerungen und: Vervollkomnungen des 
Uhrwerks erfanden, nicht eben ſo viel Anſpruch auf 
unſere Achtung haben, wie diejenigen, die nach und 
nad) die Algebra vervollkomneten? Auſſerdem, wenn 
man anders einfichtsvollen Männern Glauben bey⸗— 
meſſen will, welche die. Verachtung, die der große 
Haufen gegen die mechanifchen Künfte hegt, nicht ‚abs 
gehalten hat, fie zu. ſtudiren; fo giebt es fo zuſam⸗ 
mengeſetzte Maſchinen, deren Theile ſo ſehr von ein⸗ 
ander gegenſeitig abhaͤngen, daß es kaum glaublich 
iſt, die Erfindung derſelben ſey nicht das Werk eines 
einzigen Kopfes geweſen. Ein ſo ſeltenes Genie, 
deſſen Namen in der Vergeſſenheit begraben liegt, 
haͤtte es nicht verdient, an die Seite der kleinen 
Zadhl ſchoͤpferiſcher Geiſter geſetzt zu werden, die uns 
in den Wiſſenſchaften neue Bahnen und Auoſichten 
gebrochen und eroͤffnet haben? 
Von den liberalen Kuͤnſten, die man — Prin⸗ 
cipien zuruͤckgefuͤhtt hat, werden diejenigen, welche 
die Nachahmung der Natur zum Gegenſtande haben, 
ſchoͤne Kuͤnſte genannt, weil das Vergnuͤgen 
ihr vornehmſter Zweck iſt. Dies iſt jedoch nicht das 
einzige Merkmal, welches ſie von den nothwendigeren 
oder nüßlicheren‘ frehen Kuͤnſten, wie die Gramma⸗ 
J As tik, 


378 Geſchichte der neuern Philoſehr 


‚if, die Logik, und die Moral abſondert. ‚Die legs 
teren haben fejte und allgemein ‚geltende Regeln, die 
jeder Menfch einen Andern mitheilen kann; anſtatt 
daß die Ausübung: der ſchoͤnen Künfte, vorzüglich iu 
einer Erfindung. beſteht, Die ihre ‚Gefege nur vom 
Genie empfängt: Die Regeln, welche man uͤber die 
Kuͤnſte diefer Gattung feftgeftellt hat, betreffen eigents 
lich nur den mechaniſchen Theil Derfelben ; -fie bringen 
ohngefähr dieſelbe Wirfung mit dem Teleſtkop bevor, 
fie Helfen nur denen, die ſehen fönnen. 


Aus allem Bisherigen erhellt, daß die verfchies 


I denen Arten, wie unſer Verſtand auf die Dbjecte 


wirft, und Der verfchiedene Nußen, welchen er von 
Diefen Objecten ſelbſt zieht, das erſte ſich uns darbie⸗ 
gende Mittel iſt, um im Allgemeinen unfere Kentniſſe 
von einander zu unterſcheiden. Es bezieht ſich hier 
Alles auf unfere Bedürfniffe, dieſe mögen nun 
ſchlechthin nothwendig ſeyn, oder auf Convenienz und 
Vergnügen, oder auf Gewohnheit, Eigenfinn und 
Laune beruhen, Je entfernter die Beduͤrfniſſe find, 
oder, je fchwerer zu befriedigen, deſto langſamer foms 
men die Keneniffe, Die ihre Befriedigung vorausfeht, 
in der Geſchichte der Kuͤnſte und Wiſſenſchaften zum 
Vorſchein. Welche Fortſchritte würde nicht Die Arz— 
neykunde auf Koſten der bloß ſpeculativen Wiſſenſchaf⸗ 
ten gemacht haben, wenn fie eben der Gewißheit faͤ⸗ 
big. wäre, wie die Geometrie? Es gieht aber auch 
Hoch andere fehr ausgezeichnete Merkmale des Unters 
ſchieds in der Art, wie unfre Kentniffe uns affieirem, 
nd in den verjchiedenen Urtheilen, welche unfere 
Seele über ihre Ideen faͤllt. Diefe Urtheile werden 
mit den Namen Evidenz, Gewißheit, Wahr⸗ 


| y Mhlzatei⸗, gelatt und —— belegt. | 


\ u | Die 
' . 
— — 


mährend d. achtz. Jahrhund. b. auf Kant. 379 


Die Evidenz komt ſtrenge genommen nur folr 
chen Ideen zu, deren Verbindung der Verſtand auf 
einmal einfieht und begreift; die Gewißheit folchen, 
deren Verbindung nur mit Hüffe einer gewiffen Zahl 
Zwiſchenideen singefehen und begriffen werden fann, 
oder, was hiermit einerlery ift, folchen Gäßen, des 
zen Identitaͤt mit einem an und für fich felbft evi⸗ 
Denten Principe nur durch einen längern oder fürs 
zern Ummeg entderft werden mag. Aus dieſen Bes 
ftimmungen folge, daß nach der Natur des menjchs 
lichen Verſtandes dasjenige, was für den Einen evir 
dent ift, zuweilen für einen Andern nur gewiß 

feyn würde, 


Man Fönte — die Woͤrter Evidenz und Ge⸗ 
wißheit noch in einem andern Sinne nehmen, und 
ſagen, daß die erſtere ein Reſultat der bloßen Ope⸗ 
rationen des Verſtandes ſey, und ſich auf metaphy⸗ 
ſiſche und mathematiſche Erkentniſſe beziehe; die ans 
dere aber mehr phyſikaliſchen Gegenftänden angehörte, 
- deren Erkentniß die Frucht eines beftändigen und uns 
weränderlichen Verhaͤltniſſes unferer Sinne iſt. 


Die Wahrſcheinlichkeit betrifft vorzuͤglich 
hiſtoriſche Thatſachen, und überhaupt alle vergange⸗ 
ne, gegenwaͤrtige und kuͤnftige Begebenheiten und 
Ereigniffe, die wir einer Are von Zufalle zufchreiben, 
weil wir ihre Urfachen nicht mit Zuverläffigfeit her⸗ 
auszubriugen vermögen. Derjenige, Theil diefer Er⸗ 
kentniß, welcher das Gegenmwärtige-und Vergangene 
zum Objecte hat, 65 er fich gleich auf das bloße hi⸗ 
ſtoriſche Zeugniß gruͤndet, bewirft doch oft in uns 
eine eben fo. flarfe Ueberzeugung, wie diejenige iff, 
die aus Ariomen entfpringt, Das Gefuͤhl ift von 


zwey⸗ 


380 Gefchichte der, neuern Philofophie 


zweyerley Gattung, Das eine für moralifche Wahr⸗ 
heiten geeignet. nennt. man Gewiſſen; es ift eine 
Folge des natürlichen Geſetzes und der Jdeen, wels 
che wir vom. Guten und Boͤſen haben. Man fönte 
es die Evidenz des Herzens nennen; denn [0 
verichieden es auch von der Evidenz des Vers 
flandes ift in Anfehung ſpeculativer Wahrheiten, 
fo behericht es doch unſern Geift mit, derſelben Ge⸗ 
walt, Die andere Gattung des Gefuͤhls wird befons 
ders afficiet durch die. Nachahmung der fehönen Mas 
tur, und das, was man Schönheit der Darftellung 
und des Ausdrucks nennt. Es faßt mit Entzücden 
die erhabene frappirende Schönheit; es entwidelt und 
entdeckt mit Feinheit die verborgene; es verſchmaͤht 
und verbannt Alles, was nur den Schein des Schds 
nen hat. Oft ſpricht es firenge Urtheile aus, ohne 
ſich die Mühe zu geben ; daß’ es die Gruͤnde derfelben: 
aus einander fegte, weil Diefe Motive aus einer Mens 
ge von Ideen hervorgehen, die fih nicht gleih auf 
- der Stelle angeben und noch weniger Andern mitthei⸗ 
fen Taffen , welche vielleicht dafür gar feine Empfängs 
lichkeit haben. Diefer Art des Gefühle verdaufen . 
wie insbefondre den Gefhmac und das Genie, 
Beyde gehen darin von einander ab, Daß das Ger 
vie ein Gefühl ift, welches erzeugt, ſchafft, und 
bildet, der Geſchmack hingegen ein Gefühl, mwels 
ches über das Erzeugte, Geſchaffene und Gebildete 


Mach der Erörterung des fucceffiven Urfprungs 
und der Verbindung der Künfte und Wiflenfhaften 
laͤßt d' Alembert die. encyklopaͤdiſche Anordnung der⸗ 
ſelben folgen, wobey der vom Baco von Verulam 
‚entworfene Arbor Scientiarum zum Grunde liegt, uur 

| | | j mit 


& 


während d. achtz. Jahrhund. b. auf Kant. 381 


mie manchen Abänderungen im Einzelnen. Dieſe 
encnflopädifche Anordnung, verglichen mit denjenigen, 
die in unferen Zeiten entworfen find, hat fehr große 
Mängel und Fehler, was auch ohne weitere Kritif 
aus der erften Anficht derfelben erhellt. Den Bes 
ſchluß des ganzen Discours preliminaire de !’Ency- 
elopedie macht eine Ueberficht der vornehmſten Bers 
änderungen in dem, neuern Zuſtande der — | 
ven und Künfte feit Baco *. 


Mit der Einleitung in die Encyklopaͤdie und 
dem wilienfchaftlichen Plane derfelben hängt eine aus⸗ 
fuͤhrliche Abhandlung d'Alemberts unter dem Ti— 
tel: Elemens de philoſophie, worin er die Princi⸗ 
pien ſeiner eigenen philoſophiſchen Vorſtellungsart 
vorgetragen hat, auf's genaueſte zuſammen. Den 
Inhalt dieſer will ich alſo etwas näher charafteri 
firen_**), 


Die ——— — iſt nach d’Alems 
Bert die Anwendung der Vernunft auf verfchiedene 


Gegenſtaͤnde, auf welche fie angewandt werden kann. 


Die Elemente der Philofophie dürfen alfo nur, 
aber müfjen auch die Grundprincipien aller menfchlichen 
Erkentniſſe enthalten. Dieje Erkentniſſe find von dreys 
facher Art; fie beftehn entweder aus Thatſachen, 
oder aus®efühlen, oder aus Mefultaten der Re; 
flerion. Die Iegtere Are ſchließt ſich einzig und 

von 


*) S. auch d'Alembert's Melanges de Litterature, 
d’Hiftoire et de philofophie; nouv, edit. Tomes V, 
Amſterd. 1760. 8. wo der Discours preliminaire de l’En- 
eyclopedie an der Spitze des erften Bandes ſteht. Ans 
gehängt ift eine Explication detaillde du Syſteme des 
eonnaiflances humaines von Diderot: 


®*) Ibid. T. IV. 


382 Geſchichte der neuern Philoſophie 


von.allen Seiten der Philoſophie an; Die beyden ans. _ 
dern nähern fich dieſer nur unter einigen Gefichtspuner 

zen, aus welchen man fie betrachten kann. - Die 
MWiffenfhaft der Tharfachen dee Natur ift einer 
der großen Gegenftände des Philoſophen; nicht um 
zu ihrer erflen und, oberſten Urfache binaufzufteige, 
was faft immer unmöglich iſt; fondern um fie zu vers 
Binden, zu vergleichen, in Claſſen zu: ordnen, die 
einen Durch die anderen zu erflären, und ihren Ger 
brauch in wirflihen Leben zu zeigen. Die Wiffens 
ſchaft der hiftorifchen Thatſachen ſteht mir der 
Philoſophie von zwen Seiten in Verfnüpfung, durch 
die Principien , welche bey der Hiftorifchen Gewißheit 
zum Grunde liegen, und Durch den Mugen, welcher 
ſich aus der Gefchichte ziehen läßt. Die Menfchen, 
welche auf der Schaubühne der Welt auftreten, wer⸗ 
den von dem Weiſen als Zeugen gewürdigt, oder alß 
Scaufpieler beurtheilt; er ſtudirt das moraliſche Uni⸗ 
verſum, wie das phyſiſche, ohne von Vorurtheilen 
geblendet zu werden. | J 


Pd 






Die Wahrheiten des Gefühls gehören fü 
den Gefchmack, oder die Moral, und unter diefen 
beyden Gefihtspuncten bieten fie der philoſophiſchen 
Betrachtung wichtige Gegenftände dar. Die Prine 
‘eipien der Moral ind mit dem allgemeinen Syſteme 
der bürgerlichen Gefelljihaft genau verbunden, zum 
gemeinfchaftlichen Wohle des Ganzen und der Theile, 
aus welchen diefes zujammengefeßt ift. Die Natur, 
„welche wollte, daß die Mienfchen in Gefellfchaft ler. 
-ben follten, hat fie von der Mühe befteyt, die Mes 
geln, nad) denen ſich ihr gegenfeitiges Berragen rich⸗ 
‚ten muß, duch Raͤſonnement zu fuchen; fie laͤßt fie 
Diefelben durch eine Art von Iufpirasion erfennen, 
| | | u: und 


— 


während d. achtz. Jahrhund. 6. auf Kant. 383 


und gewährt ihnen ein inneres Vergnügen, wenn fie 
ſie befolgen, fo. wie ſie antreibt, die Gattung forks 
zupflangen durch die Luft, die fie damit verbindet. 
Sie führe den großen Haufen durch den Meig des 
Eindrucks, die einzige Impulfion, Die ihr angemefs 
fen iſt. Wber fie überläßt es dem Weifen, - in ihre 
Abfichten einzudringen. Waͤhrend andere Menfchen 
fi ‚auf die Empfindungen einfchränfen, welche Die 
Matur ihnen gegen ihres Gleichen verliehen hat; bes 
obachtet und unterfucht der Welſe die innige Verbin⸗ 
dung dieſer Gefühle mit feinem eigenen Intereſſe; er 
‚offenbart fie eben dieſen Menfchen,, die fie; nicht ers 
kannten, und fnüpft nn die Bande * feſter, 
m fi e vereinigen. = 
Einer ähnlichen Analyſe unterwirft er die Wahe⸗ 
heiten des Gefuͤhls, die ſich auf Gegenſtaͤnde des Ge⸗ 
iſchmacks beziehen. Aufgeklaͤrt durch eine ſubtile und 
gruͤndliche Metaphyſik, unterſcheidet er die allgemei⸗ 
‚nen Prineipien des Geſchmacks, die bey allen Voͤl⸗ 
kern gleich ſind, von denen, Die durch den Charak⸗ 
ser, das Genie, und den Grad der Empfindlichkeit 
"Der Nationen oder Individuen modificirt werden. 
Durch diefe Unterfcheidung fondert er das weſentliche 
«Schöne von dem conventionellen. Gleich ferne von 
seiner mechanifchen principienlofen Entſcheidung, und 
seiner zu fpigfindigen Diſcuſſion, treibt er die Analyſe 
des Gefühls nur ſo weit, wie fie gehen fann. Er 
ftudire den Eindruck, welche, jhöne oder für ſchoͤn ges 
haltene Gegenftände auf ihn machen, giebt fi und 
Andern davon Nechenfchaft, und wenn er, fo zu res 
"den, fein Vergnügen mit feiner Vernunft in Einſtim⸗ 
mung gebracht hat, fo beffagt er ohne Anmaßung, 
Ä ‚amd ohne Beftreben, fie gleichfam mie Gewalt zu 
übers 


384 Geſchichte der neuern Philoſophie 


uͤberzeugen, diejenigen, denen durch die Natur, oder 
duch die Gewohnheit eine andere Art zu empfinden 
zu Theile geworden iſt. 


Da die Philoſophie Alles umfaßt, was zum 
Beiirte der Vernunft gehört, und die Vernunft mehr 
oder weniger ihre Herſchaft über alle Gegenftände 
unſerer natürlichen Erkentniß ausdehnt; fo folgt, daß 
man von den Elementen der Philoſophie nur eine ein⸗ 
zige Gattung von Erkentniſſen ausſchließen muͤſſe, 
nehmlich diejenigen, welche mit der geoffenbarten Mes 
ligion zufammenhängen. Dieſe find: den menfchlis 
lihen Wiſſenſchaften durchaus fremde, nach ihrem 
Inhalte, Charakter, und felbft nach der. Art der Ues 
berzeugung, welche fie in ung bewirfen. Mehr, wie” 
Pascal bemerfe, für das Her; beflimt, als für den 
Verftand, verbreiten fie das lebendige ihnen eigens 
thuͤmliche Licht nur in einer Seele, die ſchon durch 
göttlichen Einfluß vorbereiter if. Der Glaube, 
-fagt d'Alem bert fpottend, iſt einfehster Sinn, 
den der Schöpfer nah Willführ den Menfchen ger 
‘währe oder verweigert; und in eben dem Grade, in 
welchem die erhabenen Wahrheiten der Meligion über 
die trocknen fpeculativen der menfchlichen Wiffenfchäft 
erhaben find, in eben Diefem erhebt fich auch der ins 
nere uͤbernatuͤrliche Sinn, mit welchem auserwaͤhlte 
Menfchen jene Wahrheiten faffen, über den groben 
und gemeinen, wodurch jeder andere Menſch die . 
boſophiſchen Wahrheiten erkennt. | 


Wenn inzwifchen die Philoſophie nicht di. ent⸗ 
weihende raͤuberiſche Hand an die Gegenſtaͤnde der 
Offenbarung legen darf; ſo kann und muß ſie doch 
die Gruͤnde unſers Glaubens prüfen, Die Prinei⸗ 
pien 


j 


fange, alsihrer Natur, fo giebt es doch nichts defto 


. waͤhrend d. achtʒ. Jahrhund. b. auf Sant.“ 385 


pien dieſes Glaubens find in der That dieſelben mit. 


deuen, welche der hiftorifchen Gewißheit zum Funda⸗ 


mente dienen, nur mit dem Unterſchiede, daß in Sachen 
der Religion die Zeugniſſe, welche die Baſis davon ſind, 
einen Grad der Evidenz und Kraft haben muͤſſen, 
welche der Wichtigkeit und Erhabenheit ihrer Gegen⸗ 
ſtaͤnde entſprechen. Der Vernunft gebuͤhrt es alſo, 


hier Regeln der Kritik feſtzuſetzen, um alle ſchwache | 


Beweiſe zu entfernen; Diejenigen, welche alle Reli⸗ 


gionen für ſich benußen fönten, von denen zu trennen, 
Die nur der einzig, wahren angemeffen find; endlich . 
den wahren Beweiſen die Stärke und Deutlichkeit 
ju geben, deren fie nur empfänglich feyn mögen. 


Auf dieſe Weife kehrt der Glaube in das 
Gebier der Philoſophie zurüd, wiewohl 
nur — um seines defto ficherern Triumpfs 


zu genießen, | 


Die Gegenftände der Elemente der Philos 
ſophie redueire D’ Alem bert auf vier Hauptbegriffe, 


Raum, Zeit, Verſtand, und Materie. Die 
Geometrie bezieht ih Auf den Raum; die Aſtrono⸗ 
nie und Gefchichte auf die Zeit; die Metaphyſik auf 
den Verftand; die Phyſik auf die Materie; die Mes 
chanik auf den Raum, die Zeit und die Materie zus 


gleich; die Moral auf den Verſtand mit der Materie 
verbunden, d. i. auf den Menfchen; Die fchönen 
Wiſſenſchaften und die Künfte beziehen fich — 


auf den Geſchmack und die Beduͤrfniſſe des Menſthen. 


So verſchieden auch dieſe Wiſſenſchaften unter ein⸗ 


ander ſeyn moͤgen, ſowohl in Anſehung ihres Um— 


/ 


weniger allgemeine Geſichtspunete, aus welchen ihre 
Elemente behandelt werden muͤſſen. Es giebt eben.. 


Vuhle's Seid). d. Philof. VI, B. Bb ſe | 


986: Gefchichte der neuem Philefophie . > 


fo auch merfwürdige Unterſchiede in der Art; jene | 


allgemeinen Gefichtspuncte auf die Elemente jeder bes 
fonderen Wiſſenſchaft anzuwenden, 

Die Wahrheiten, welche die. Elemente der. Ppis 
Iofophie ausmachen, find zweyerley: erſtlich Diejenis 


gen, welche das erfte Glied der. unermeßlichen Kette | 


aller Erfeneniffe bilden; zweytens diejenigen, welche 
den Vereinigungspunct mehrer Zweige dieſer Erkent⸗ 
niſſe abgeben. Die Wahrheiten der, erften Gattung 
haben das unterfcheidende Merkmal daß fie von 
keiner anderen abhängen , und. ihre Beweiſe felbft 
mie fih führen D'Alembert will unter ihnen 
nicht. die fogenannten Ariome verftanden wiſſen, , die 
meiftens identifche Saͤtze find, durch. welche man in 


⸗ 


der Erkentniß nicht einen Schritt weiter fomt.,. Zur 


Die wahren Principien, von denen man- ausgeben 
müfle, erflärt er einfache allgemein anerfaunte That⸗ 
fahen, die nicht wiederum andere Thatfachen vors 


ausjegen, die man folglich nicht weiter erflären oder 


ihrer Eriftenz nach beftreiten Faun; in der Phyſik z. 
B. die alltäglichen Phänomene, welche Jedermann 
wahrnimt; in der Geometrie die in die Sinne fallen⸗ 
den Eigenfchaften der Ausdehnung, in der Mechanif 
Die Undurchdringlichfeit der Körper, als Quelle ihrer 
gegenjeitigen Thätigfeitz in: der Metaphyſik das Res 
fultat unferer Senfationen; in der Moral die ur⸗ 


fprünglichen allen Menjchen gemeinfchaftlichen. Deis 


gungen und Gefühle.  Demmach ift die Philoſophie 
| Be. beftimt, fich. in die ‚allgemeinen Eigene 
fhaften des Daſeyns und der Subftang, in unnä 
Unerſuchung abftracter Begriffe, in willfüßrliche Dis 
ſtinctionen und endlofe MNomenclaturen zu, Verlierem: 
Sie. ift entweder eine Wiſſenſchaft von Tbeiſaden. 
oder — von Chimaͤren. au 
| — 


— 


\ 


während d. achtz. Japrhünd, b. auf Kant. 387 


‚3° "Alle unfere Ideen hält d'Alembert für urs 
ſpruͤnglich einfache; aber in einem eigenen Sinne, 
Denn fo zufammengefege auch ein Dbject feyn mag, 
fo tft doch die Operation, wodurch wir dasſelbe bes 
greifen, nur Eine; jo daß folglich es eine einzige eins 
-fahe Thätigfeic ift, wenn wir uns einen Begriff von 
einem Körper bilden, als einer Subſtanz, die zus 
gleich ausgedehnt, undurchdringlich ift, und Figur 
und Farbe hat. Man muß deßmwegen über den Grad 
Der Einfachheit der Ideen nicht nach der Natur der 
Thaͤtigkeiten des Verftandes urtheilen; -vielmehr iſt 
es die Einfachheit des Objects, Die hier entfcheiderz; 
und Diefe Einfachheit wird nicht beftimt durch die 
geringe Zahl der Theile des Objects, fondern durch 
Die Zahl der Eigenfchaften, welche man dabey betrachs 
tet. Sollte folglich auch der Raum aus Theilen zus 
ſammengeſetzt, und fein einfaches Weſen ſeyn; fo ift 
Doch die dee, welche wir Davon haben, eine einfache 
dee, weil alle Theile des Raums von derfelben 
Beſchaffenheit find, folglich die partiellen Ideen, 
‚welche die Vorftellung des Raumes enthält, auch ein⸗ 
-ander völlig gleich find. Eben fo verhält es fich mit 
der Vorftellung der Zeit. Die dee des Körpers 
hingegen ift zufammengefeßt, weil fie die verfchiedes 

nen und trennbaren Ideen der Undurchdringlichkeit, 

der Figur und —————— in fi ch ſchließt. 


Man ann die einfachen Ideen nah zwey 
Hauptgattungen ordnen. Die erfte Gattung 
befaßt die abfiracten Begriffe. Die Abftraction 
iſt in der That nichts anders, als die Thaͤtigkeit, 
wodurch wir au einem Objecte eine befondre Eigen⸗ 
ſchaft erwägen, ohne auf die anderen Eigenfchaften 

RN zu ſeyn; dergleichen find Die ſchon ers 
Bb 2 wähns 


388 Geſchichte der neuern Philoſophie 


waͤhnten Ideen der Ausdehnung und der Dauer, der 
Eriftenz, der Senfation u. a. Die zweyte Gar 
‚ tung der einfachen Ideen enthält die primitiven, 
welche wie urfprünglich duch die Sinne erwerben, 
wie. die Vorfiellungen der befonderen Farben, des 
Kalten, des Warmen u, w. | 


Dan faun eine einfache dee nicht beffer 4 
ſtellen, als durch das Wort, welches fie bezeichnet. 
Eine Definition würde fie nur verdunfeln. Aber 
alle Begriffe, die mehr einfache Ideen in fich ſchlie⸗ 
‚gen, muͤſſen definire werden, geſchaͤhe es auch, nur, 
um Ddiefe Ideen daraus zu entwickeln. So werden 
3. B. in der Mechanik weder der Raum, noch die 
‚ Zeit, definirg werden. dürfen, wohl aber die Bew 
gung, weil die Idee der Bewegung die Ideen des 
Maumes und der ‚Zeit in fi faßt. Die einfachen 
Ideen, welde zu einer Definition gehören, muͤſſen 
denn fo von einander unterfchieden werden, daß man 
feine derfelben wegnehmen kann, ohne die Definition 
unvollftändig zu machen. Hierauf muß man vorzüglich 
achtſam feyn, Damit nicht Andere für zwey verſchie⸗ 
dene Begriffe halten, was individuell nur ein Und 
derfelbe Begriff if, Mach diefein Principe wird: eine 
Definition um fo deutlicher fenn, vorausgefegt Daß 
an dem Uebrigen nichts vermißt wird, je kuͤrzer ſie 
iſt; man kann ſogar, um ſie noch mehr abzukuͤrzen 
zuſammengeſetzte Ideen in dieſelbe aufnehmen, nut. 
muͤſſen fie vorher erklaͤrt oder an und fuͤr ſich ſelbſt 
leicht erklaͤrbar ſeyn. Ueberhaupt dient eine leicht 
verſtaͤndliche Kürze. mehr als man glaubt, zur Deut⸗ 
lichkeit; fie umterfcheider ſich nicht von der Praͤ⸗ 
elſton, welche darin beſteht, mir ſolche Ideen zuge 

brauchen, die N er nd „ſie in eine: rn \ 
Ord⸗ 


| während d. achtz. Jahrhund. b. auf Kant. 389 


Ordnung zw Gegen; und fie angemeſſen ausjne 
—— | 


Die meiften Philoſophen —— der — 
der Definitionen ſey, die Natur der definirren Ob⸗ 
jecte ſelbſt zu. erklaͤten. Soll dieſe Behauptung einen 
Siun haben, fo fälle ſie mit der obigen zuſammen, 
welche letztere jedoch viel weniger gwendeutig ift. In 
ber. That find wir nicht bloß in Anfehüng der Natur 
jedes befondern Dinges als folchen unmwiffend; fons 
dern wir wiffen auch’ nicht einmal, was die Natue 
eines Dinges als, folche ſey. Die Natur der Dinge 
in ihrer Beziehung zu uns betrachten ift bloß die Ents 
goiefelung ber einfachen Ideen, melde in den. Be 
griffen siegen , die wir) uns vom dieſen Dingen ma⸗ 
en, Der. berübmre Streit der Realiften und No— 
- minaliften. war daher ein bloßer MWorrftrei. Die 
Definitionen find weder‘ bloß real, noch bloß nomis 
nal; fie‘ find mehr als ‚bloße Namenerflärungen,, und 
weniger als Sacherflärungenz fie. erflären die Natur 
des Gegenftandes, wie wir denfelben uns vorftellen 
wad begreifen; aber AR, wie er iſt. 


Bon Drikinten kinferer Erfenntmiß fönnen 
wir nur reden, ſoferne dieſe von gewiſſen Vorſtellun⸗ 
gen und Begriffen anhebt. ' An fich mögen dieſe den 
Namen der Principien nicht verdienen; fie ſind vlel⸗ 
leicht ſehr entfernte Folgerungen aus andern allgemei⸗ 
nern, — die i u fublimite unfern Blicken 

entzieht. Wir nüffen icht die erſten Bewohner des, 
Meergeſtades nachähiien , die, weil fie feine Grenze, 
| * Meers erducuen ſich einbildeten, daß es feine: | 
4 un ’» mh 9 6; 4 


ae Wir 


& . — » i 
zei | Bb 3 Was 





390 Geſchichte der neuern Philoſophie | 

Was die Wahrheiten betrifft, welche die Ders 
einigungspuncte der verfchiedenen Glieder in der Kette 
der wiffenfchaftlihen Erfentuiffe ausmachen; fo find 
Diefe-nicht Priveipien, weder an. fich felbft, noch im: 
Beziehung zu uns, weil ſie die Mejultate mehr ander 
rer Wahrheisen find. Sie gehören aber doch. zu dem‘ 
pbilofophifhen Elementen durch die große Zahl dee 
Wahrheiten, die aus ihnen wiederum ‚hervorgehen; 
und Fönnen in dieſer Hinficht ‚als Principien vom 
zwenten Rauge betrachtet und behandelt werden. 
Man wird diefe Principten an einem doppelten Merk⸗ 


“ male erfennen: fofern fie eine: große Zahl einzelner 


Wahrheiten unter fich befaſſen, und felbft wiederum , 
von zwey oder mehr primitiven Wahrheiten abhängig 
find. Bemerkt man. Diefe: Abhängigfeit-nicht ‚gleich 
auf den erfien Blick, ſo laͤßt fich Das Intervall durch 
einige Wahrheiten ausfüllen, die zur Bewirkung dev 
Verbindung beftime find, und die fie zwar nicht 
unmittelbar berühren Dürfen,‘ aber. dach in eine ange⸗ 
mefjene Diftanz geftelft find ‚: um dem Verſtande dem 
Uebergang - von den ſecundaͤren zu den primitiven 
Principien zu erleichtern. - jene Wahrheiten ,: welche 
die erſten Principien mit denen des zweyten Ranges 
: verbinden, ‚werden gewöhnlich einige andere Wahr⸗ 
heiten unter ſich faflen in coffateralen Zweigen, und 
dadurch: deicht Für folche zu erkenwen ſeyn, welche man 
vorzugsmeife in deu — der ger ges 
brauchen hat .. Kur 


Ben der populoren sollt, "bie d’Aleiibert 
num vortraͤgt, will ich, hicht verweilen; aber, feine 


dee von der Meraphufif, da ‚fie in den. philoſo⸗ 
phifchen Artifefn der Enchklopadie zum Grunde liegt« 


ie einer kurzen Charafreriftif nicht unwerth. 
! Kot Uns 


während d. achtz. Jahrhund. b. auf Kant. 391 


EAnſere Ideen find das Princip unſerer Erkent⸗ 
niß, und dieſe Ideen ſelbſt haben abermals ihr Prin⸗ 
cip in unſeren Senſationen. Dies iſt ein Factum 
der Erfahrung. Wie vermoͤgen aber die Senſatio⸗ 
hen unſere Ideen hervorzubringen? Das iſt die erſte 
Frage, welche der Philoſoph ſich vorzulegen hat, 
und auf deren Unterſuchung und Beantwortung das 
Syftein-der philoſophiſchen Elemente zunaͤchſt gerich⸗ 
ver iſt. Die Theorie vom Urfprunge unſerer Ideen 
gehoͤrt alſo der Metaphyſik an; ſie iſt einer ihrer vor⸗ 
nehmſten Gegenſtaͤnde; und vielleicht ſollte ſie ſich 
ganz hierauf einſchraͤnken. Faſt alle uͤbrige Proble⸗ 
me ;-die fie. aufzuloͤſen ſtrebt, ſind unaufloͤslich oder 
frivol; fie find bloß Nahrung des esprits temeraires, 
ou des esprits faux. Man darf ſich deswegen gar 
nicht daruͤber wundern, werin fo viel fpigfindige Fra⸗ 
gen, die Immer von neuem aufgewörfen und verhans 
delt; iniergelöft wurden, bey allem 'duren Köpfen jene 
-  MWiffenfchaft, die man Metaphyſik, als leer an In⸗ 
- halte und voll Zänfereyen, verächtlich gemacht haben, 
Gegen dieſe Verachtung würde fie gefichert geweſen 
ſeyn, wenn? fie ſich innerhalb ihrer natürlichen 
Schranken gehalten, und nicht nach Erkentniſſen zu 
ſtreben ſich angemaaßt haͤtte, die ſie entweder nicht 
erreichen fann, oder weiche zu erwerben nicht der 
Mühe werth war. Man kann in- einem gemiflen 
Verſtande von der Metaphyſik fagen: Daß ents 
weder Jedermann fie weiß, oder Niemand; 
oder, um es genauer auszudrücken, Daß Jeder⸗ 
mann die Metaphyſik nicht weiß, die Nie— 
mand wiffen fan. Cs gebt mit metaphyſiſchen 
- Gpftemen, wie mir Theaterſtuͤcken. Die Wirfung 
iſt verfehlt, wenn fie nicht allgemein if. Das 
Wahre in der Metäppufif gleicht dem Wahten du - 
a Bb 4 Sa⸗ 


392. Geſchichte der neuern Philoſophie 


Sachen des Geſchmacks; es iſt ein Wahres, wovon 
der Verfiand jedes Menſchen den Keim in ſich trägt, 
dem zwar die meiſten Menjchen feine Aufmerkſamkeit 
widmen, das fie aber anerfennen, ſobald man eg ihnen 
zeigt. Es ſcheint, daß Alles, was man aus einem 
guten metaphufiichen Buche lernt, nur eine Are von 
Erinnerung an das tft, was unfere Seele bereits ges 
wußt hat. Die damit verbundene Dunkelheit fälle 
immer dem Schriftfteller zur Schuld, weil die Wifs 
feufchaft, welche er lehren will, ‚feine andere Sprache, 
als die Sprache des gemeinen Lebens. bat. Man 
kann auf gute metaphyſiſche Schriftfieller anwenden, 
was von guten Schrififtellern oft gejagt ift: es iſt 
Miemand, der, indem er fie lieſt, nicht-glaubt, eben 
fo über die Dinge reden zu koͤnnen, wie fie. Wenn 
inzwifhen ale Menfchen vie Anlage haben, metas 
phyſiſche Theorieen zu verftehen, fo haben nicht alle 
die Anlage, fie aufzuftellen und Andre dadurch zu bes 
lehren. 2 


Das Verdienſt, wahre und einfache Begrife 
mit Leichtigfeit dem DBerftande Anderer beyzubringen, _ 
iſt viel größer, als man denkt, weil. die Erfahrung 
ung zeigt, wie felten es ſey. Richtige metaphyſiſche 
Ideen find gemeine Wahrheiten, die Jeder faßt, die. 
aber wenig Menfchen das Talent, haben, zu ent⸗ 
wickeln; fo ſchwer iſt es, ben was fuͤr Matetien 
auch fen möge, fi das eigen zu machen, was 
dermann — 





der a Dbjecte a, — 
weichen die: Maarbent hun. muß. 


waͤhrend d. achtz ¶Jahehund. B.auf Kant. 393. 


geht unſere Seele gleichſam aus ſich heraus, um ſich 
Der Exiſtenz deſſen zu vergewiſſern, was nicht ſie iſt? 
Tous les hommes franchiffent ce. paſſage immenlſo, 
tous le franchiſſent rapidement et de la meme ma- 
niere. Es iſt alſo hinreichend, wenn wir uns felbft 
ſtudiren, um in. uns Die Principien zu finden, wel⸗ 
he. dienen: koͤnnen, Die große Frage von der Exiſten; 
der. äußerm Dinge zu beantworten: , Dieſe Frage 
fchließt drey andere in fih, welche man nicht verwech⸗ 
ſeln und verwirren muß: 1) Wie fchließen wir von 
unſeren Senſationen auf die Eriften, der aͤußern Dins 
ge? 2) Iſt dieſer Schluß demonſtrativ? 3) Wie 
gelangen wir mittelſt eben jener Senſationen dazu, 
uns Ideen von Körpern und Ausdehnung zu bilden? 


Das erfte Problem, meynt d’Alembert, da 
es eine wahre Tharfache zum Gegenftande habe, Füns 
be mit aller möglichen Evidenz. aufgelöft werden; 
Der Schluß von Senfationen auf äußere Dinges 
welche fie verurfachen und ihnen entfprechen, ift eine 

;peration des Verſtandes, die nur den. Philofophen 
in, Berwunderung feßt, wiewohl er fih darüber zu 
verwundern ein. Recht hat, Das Volk lacht anfangs 

über, feine. Verwunderung, theilt fie aber fehr bald 
init ihm, wenn es nur erſt ein wenig, Darüber reflecs 
sirt bat. Snzmifchen bleibt hier nichts auderg übrig, 
glg der Anleitung der Natur zu folgen, die den Mens 
{hen das Gefuͤbl gab, um ihn von der Eriftenz den 
zußern Dinge zu überzeugen, Die, Undurchdringg 
lichkeit, als, die weſentlichſte Qualitaͤt der Körper, 
fernen wir nur durch das Gefühl kennen; und fo wie 
wir dem gefunden Gefühle trauen koͤnnen und muͤſſen, 
(0. Fönnen und müffen wir auch den, übrigen Sinnen 
NER Dh 2; Um 


— — 


394 Geſchichte der neuern Phlloſophie 
AUm uͤnſern eigenen Koͤrper von andern aͤußern 
Koͤrpern zu unterſcheiden iſt folgende Wahrnehmung 
hinlaͤnglich. Wenn ein Theil unſers eigenen Koͤrpers 
einen andern beruͤhrt, ‘fo. iſt unſere Senſation gedop⸗ 
bpeltz hingegen iſt ſie einfach und ohne Replik, weun 
wir einen fremden Körper beruͤhren. Auf dieſe Art 
koͤnnen wir ſehr leicht Uns und das Unſrige von 
een was nicht Wir, und was außer 
Ins'i a et er 44*— 


Aber iſt der · Schluß vom Gefuͤhle auf aͤußere 
Dinge demonſtrativ? Die Philoſophen find über dies 
fen Punet fehe'uneiriig ;: ob fie gleich ſaͤmtlich einge⸗ 
ſtehen, daß unſer Hang, die Eriftäm‘ der äußert 
Dinge anzunehmen, unvertilgbar. und durch Feine 
Philoſophie zu überwinden fe. D'Alembert mis 
derlegt mehrere von den Philöfoppen vorgebtachte 
Gründe, warum der Behauptung von der Exiſten 
der äußern Dinge eine demonſtrative Gewißheit {ul 
fommen müffe, unter andern das Cärtefifche Kaifons 
hement, va6 n 


2 


ort, das wahrhaftigſte Weſen, une 
fäufchen würde, wenn die aͤußern Dinge nicht wirk⸗ 
iſch außer uns wären, zumal’ da Gore ſelbſt der Ur⸗ 
beber unſerer Vorſtellungen von außern Dingen N 
Die befte Antwort auf die obige Frage, hält er da 
für; fen diejenige, welche einft Diogenes dem Ze⸗ 
Ho gab: Mer nicht am wirkliche Äußere Dinge 
glaubt, der mag mit Phantonen leben und raiſonnie 
den: Sehr —** findet d'Alembert imik 
Mecht, dag Malebrauche Blöß aus dem Grunde 
die Exiſten; der Materie nicht. geleuguer habe, “Wii 
nicht der Offenbarung zu widerfprechen. Als vᷣd bie 
Offenbarung ſeibſt nicht auf dem Glauben an aͤußere 
Dinge berupte! — Man bewege doch einen Un 
LIT de Are | glaͤu⸗ 


A 






waͤhrend d. achtz. Jahrhund b. auf Kant; 395 


glaͤubigen, die Eriftenz der Koͤrperwelt zu leugnen, 
und er wird ſich bald ſchaͤmen, ein Unglaͤubiger zu 
ſeyn, wenn er anders nicht den Verſtand ganz vers 
foren bat. Bey den chriſtlichen Philofophen iſt ed 
fonft immer die Wernunft, > welche den Glauben vers 
sheidigt ; bier durch eine befondere Difpofition des 
Berftandes :ift es der Glaube des Malebrande, 
der feine Vernunft vor der- unpaftbatften. und ‚ung 
telnet gehre Re Tab 


ei’ Ueberhaupt iſt die aimig Ar Yuraekt, weh 
che. man den Zweiflern an der Eriftenz der Körper ents 
gegenſetzen kann, dieſe: :diefelben Wirfungen ents 
fpeingen aus .denfelben  Urfachen, - Nimt man num 
für einen Augenblick die Eriftenz der Körper an, fo 
Bönten die Senfationen , welche fie in uns hervorbrin? 
gen, weder lebhafter, noch beftändiger, noch einförs 
miger. feyn; als: diejenigen, welche wir haben; alſo 
muͤſſen wir: vorausſetzen, daß die Körper exiſtiren. 
So weit fann.das vernünftige Raiſonnement in dies 
‚fer Materie nur gehen, und dabey muͤſſen wir — 
bleiben. 


Die Illuſton in Traͤumen EU ung 1 uneig 
eben fo lebhaft, als. ob die Objecte uns wirffich ges 
genwärtig wären. Aber wir entdecken doch Die Illu⸗ 
fion, wenn wir beym Erwachen wahrnehmen, daß das, 


was wir glaubten zu ſehen, zu fühlen, oder zu hören; 


gar Feine Beziehung oder Verbindung weder mit dem 
Drte gehabt habe, wo wir. find, oder mit dem, was 
wie uns vorher gethan zu haben erinnern. Wir un? 
serfcheiden alſo Doch das Wachen von dem Schlafe 
Durch den Zuſammenhang der Handlungen, die waͤh⸗ 
ud des ing auf einander folgen und einander 
ver⸗ 


' 


\ 396 Gefchichte Der neuern Philoſoyhie 


veranlaſſen; dieſe bilden eine Kette, die von den 
Träumen auf einmal zerriſſen oder unterbrochen wird, 
und bey der wir. ohne Mühe; die ‚Lücken. beinerfen, 
welche der Schtaf darin. verurfache hat, Hiernach 
Fann. man die wirfliche- — - — von * 
eercnaygen fondenm. .. 


| | Das deitte obige, Problem: Wie ‚zu Kan 
Ideen von Körpern und von Ausdehnung gelangen ? 
ift unftreitig . mit den bedeutendften, und mit in eis 


nem gewiſſen Sinne unaufloͤslichen Schwierigkeiten 


verbunden. Das Gefuͤhl lehrt uns freviich das, 
was unſer iſt, von dem, was unſern Körper um⸗ 
giebt, trennen; es macht, ſo zu ſagen, daß wir um 
uns her, wie um einen Mittelpunst „das Univerſum 
befchreiben; aber wie: kann es uns die Vorfiellung 
von der. gegenfeitigen. Contiguitaͤt der Partikeln ‘ges 
ben, worin eigentlich der.: Begriff. der. Ausdehnung 
befteht ?. Hieruͤber kann uns die Philoſophie, wie 
d'Alembert glaubte, nur eine. ſehr unvollkomne 
Aufklärung geben. Wir fönnen nehmlich nicht bie 
auf die einfachen Perseptionen zurückgeben, welche 
die Elemente Diefer vielfachen Perception find, fo wie 
wir nicht zupden Elementen der Materie zurückgehen 
fönnen, Denn jede primitive, einzige und elemens 


- 


sarifche Perception fan nur ein einfaches: Divg zum 


Objecte haben; und es iſt uns eben fo, unmöglichy 
zu begreifen, mie Die Vereinigung einer endlichen 
oder unendlichen Zahl einfacher. Perceptionem: eine zus 
farnnmengefeßte hervorbringt, als zu: begreifen, wie 
ein. zujammengefeßtes Weſen aus einfachen: entſtehen 
könne. , Kurz. die Senfation, “welche ums die Aus⸗ 
Dehnung: etkennen laͤßt, iſt nach ihrer Matur eben fo 


voerliacich, wie die Auedehnuns ſelbſt. * | 
wird, 


‚während d. achtz. Jahrhund⸗ bl auf Kant. 397 


wird auch das Weſen der Materie, und die Art, wie 

wir uns dieſelbe vorzuſtellen vermoͤgen, ſtets im Dum 

keln bleiben. Wir koͤnnen aus unſeten Senſationen 

ſchließen, daß es Dinge außer uns gebe; aber ob 

das, was wir Materie nennen, der Idee gleich 

ſey, welche wir uns davon machen; dies einzufeßen, 
hg muͤſſen wir Verzicht thun. 


In jeder Wiſeenſchaft giebt es wahre oder ver⸗ 
mehni⸗ Principien, die man durch eine Arc von In⸗ 
ſtinct faßt, dem man ſich ohne Widerrede uͤberlaſſen 
muß. Sonſt müßte man bey den Principien ein dort 
geben in’s. Umendliche annehmen, was eben fo unge 
reimt fegn würde, wie ein Fortgehen in’s Unendfiche 
bey den Dingen und Urſachen, wodurch Alles unges 
wiß würde aus Mangel eines feften Punets, vor 
welchen man anheben koͤnte. Unſere Genfationen 
ſind uns verliehen, um unſere Beduͤrfniſſe, nicht 
aber um unſere Neigungen zu befriedigen, um uns 
von dem Verhaͤltniſſe zu unterrichten, worin die aͤu⸗ 
fern Dinge zu uns ſtehen, nicht, um uns dieſe an 
ſich ihrem Wefen nad) kennen zu Iehren. Was liegt 
und auch im Grunde daran, in das Weſen der Koͤr⸗ | 
ger einzudringen,: fobald mir nur bey der Materie, 
wie wir Diejelde vorftellen und begreifen, die Eigen⸗ 
ſchaften, die wir als primttive betrachten, von Denen 
abfondern koͤnnen, die wir als ferundare wahrnebs 
men, und fobald das allgemeine Syſtem der Erfihets 
‚nungen, immer in Einigfelt und Jeſanmanhenge. 

ans nirgend Widerſpruͤche darſtellt? | 


Geſetzt aber auch daß die Materie, 6 weit 
ir fie begreifen, ein von demjenigen, mas fie an 
4 iſt, ſehr verſchiedenes — waͤre; daß wir 

durch⸗ 


398 Geſchichte der neuern Philoſohie ' 


durchaus keinen richtigen Begriff von ihrem Weſen 
‚ hätten; fo wuͤrde uns Doch Die tägliche, Erfahrung 
lehren, daß die Vereinigung von Gubftanzen, was 
fie auch an ſich ſeyn möge, die wir Materie ner 
en, des Handelns, Wollens, Empfindens und 
Deufens unfähig fey; - In jener -Wereinigung von 
Subftanzen, welche Die Materie ausmacht, kann als 
fo auch das denfende Princip nicht enthalten ſeyn. 


Der Weiſe beſchtaͤnkt ſich alſo auch auf.diefe umftrei: 
tige Wahrheit, oßne weiter die Gründe von den mei⸗ 


fien Phänomenen aufzuſuchen, die unſere Senſatio⸗ 
nen begleiten. Er wird. fih z. B. gar nicht um eine 
Erklärung bemühen, :- warum und wie wir. das Ges - 
fühl auf die Extremitaͤten unſers Körpers beziehen, 
und warum das. empfindende Princip in uns, das 
von Natur einfach und untheilbar-ift, bald ſucceſſiv, 
' bald fimulten in alle äußere Theile Des Körpers verſetzt 
wird, die. durch äußere Objecte afficirt werden. Im 
Allgemeinen ift nie zu vergeſſen, je mehr man die ver« 
fehiedenen Probleme, ‚die der Metaphyſik angewiefen 
werden, zu ergründen . trachtet ; defto mehr erfennt 
man, daß ihre, Loͤſung über die - Schranken unfers 
Berftandes hinausgeht, und daß fie alfo von den 
Elementen der Philoſophie ausgefchloffen werden muͤſ—⸗ 
fen. In dieſe Claſſe muß auch eine zahllofe Menge 
anderer Fragen gerechnet werden 3.%. Worauf die 
Vereinigung des. Körpers und der Seele und ihre ge⸗ 
enfeitigen Einwirkungen berupen? — Zu welcher 
Seit die Seele. mit dem Körper verbunden fey? — 
Sb die Gewohnheiten und Fertigkeiten im Körper 
und in der Geele zugleich, oder in der Seele allein 
liegen? — Worin die Ungleichheit der Geifter bes 
fieße? — Ob dieſe Ungleichheit in den Seelenweſen 
ihren Grund habe, ‚oder einzig vom: der Diſpoſition 
* | Ä des | 


— 


I J 


waͤhrend dachtz Jahrhund/ h. auf Kantz 399 


des Koͤrpers, der Erziehung, den Umſtaͤnden, uud 
den Verhaͤltniſſen in der buͤrgerlichen Geſellſchaft ab⸗ 
haͤnge? — Wie verſchiedene Objecte auf uͤbrigens 
ihrer Natur nach gleiche Seelen fo verſchleden «ein 
wirken koͤnnen, oder wie. einfache Subſtanzen ihrer 
Natur nach ungleich ſeyn koͤnnen? — Wie die 
Thiere, die mit uns gleiche Organe, gleiche, oft leb⸗ 
haftere, Senſatiouen haben, doch auf dieſe Senſa⸗ 
tionen beſchraͤnkt bleiben, ohne daraus, wie wir, ei⸗ 
ne. Manuichfaltigkeit abſtraeter und reflectirter Ideen 
zu ziehen, ohne ſich metaphyſiſche Begriffe, eine 


Sorache, Geſetze, Wiflenfhaften und Künfte ze 


bilden ? — Endlich wie weit fann die Meflerion bey 
den TIhieren gehen, und. warum gebt fienicht weiter? 
Alle dieſe Fragen find unbeantwortlich, und die Phi⸗ 
loſophen follten fie deswegen für immer. aufgeben. - 


5: Das Dafeyn der Objecte ‚unferer Senfationen, 
unſers Körpers, und des Denfenden Weſens in uns 
führe den Philoſophen zu der. großen Wahrheit vom 
Dafenn Gottes. Dieſe Wahrheit kann nicht orſt 
durch die Offenbarung erkannt werden, weil diefe jene 
yorausjegt. Auch bier. muß der vernünftige Philos 
ſoph bey den Beweiſen ftehen bleiben, die allen Sec⸗ 
ten gemeinfchaftlih find, und fih auf Principien 
ftügen, welche in jedem Zeitalter von allen Menfchen 
für gültig anerkant wurden, Er wird alfo das Das 
feyn Gottes in dew Phänomenen des Univerſums zu 
erfennen srachten, in den beiwundernswürdigen Ges 
fegen der Natur, nicht in den metaphyſiſchen, die 
fo vielen Einwürfen ausgefeße find, und die Jeder 
nah Willführ ausdehnen, modificiren und einfchräns 
ken kann, ſondern in den primitiven. Gefeßen auf die - 
unmandelbaren Eigenfchaften der Körper gegründet. 

J Moͤgen 


400 GSecſchichte der neuern Philoſophie 


Mögen: diefe fo einfachen Geſetze auch aus der: Exi⸗ 
ſtenz der Materie. feibft bervorzugehen feheinen; ſie 
enthüllen um deſto beſſer die hoͤchſte Intelligenz⸗— 
Durch die Art, wie dieſe die verſchiedenen Theile un⸗ 
ſers Univerſums zuſammenfuͤgte, ſcheint fie nichts 
weiter bedurft zu haben, als der Maſchine nur den 
erſten Stoß zu geben, um auf immer ihre mannich⸗ 
faltigen Phaͤnomene zu ordnen, und wie durch Einen 
Willensaet den beſtaͤndigen unabaͤnderlichen Gang 
der Natur zu bewirken; einen Stoß, der zu wunder⸗ 
bar iſt und zu ſehr den Eharafter. der Veruuͤnftigkeit 
an fich trägt, als daß er die Wirfung eines blinden 
Zufalls ſeyn koͤnte. Alſo in diefen allgemeinen Ges 
feßen der Natur wird. der-Philofoph das hoͤchſte We⸗ 
fen antreffen, und: zwar in ihnen mehr, als in dem 
befondern Naturphaͤnomenen. Ein Inſect, das dem 
Anſcheine nach ſo wenig Raum im Univerſum eins 
nimt, offenbart freylich einem aufinerffamen Beob⸗ 
achter die unendliche Weisheit eben fo ſehr, wie Die 
allgemeinen Maturerfcheinungen; aber das Schau: 
fpiel der leßtern ift doc). weit mehr geeignet, um Als 
ler Augen auf fib zu ziehen, und die beften Beweife 
für tehren diefer Art find immer Diejenigen, wodurch 
die meiften Menfchen überzeugt werden fönnen. 


Naͤchſt der Eriftenz Gottes intereffict uns unter 
allen metaphyſiſchen kehren am meiften diejenige, die 
uns die Linfterblichfeit nach dem Tode verfpricht, 
Da Ddiefe zugleich ein Reſultat der Philofophie und. 
der Offenbarung ift, fo muß :uan genau unterfcheis 
den, was fie von der einen und von der anderen ents 
lehnt. Die Philofophie liefert dringende Argumente 
‚für die. Realität eines Fünftigen Lebens. Wir haben 
fehe flarfe Gründe zu glauben, daß unfere Geele 

/ ewig 


waͤhrend d. achtj. Jahrhund. b. auf Kant. 401... 


ewig foredauern werde, weil Gott fie nicht zerſtoͤren 
Fönte, ohne fie zu vernichten, und die. Vernichtung 
deſſen, was einmal von Ihm hervorgebracht worden 
if, feiner Weisheit niche angemeflen- ſcheint; weil 
fogar die Körper mur ihre Form umwandeln , aber 
hrem Weſen nach nicht untergehen: Gleichwohl has 

ben wir auf der anderen Seite das Beyſpiel der Thie⸗ 
re vor uns, bey denen die immaterielle Subſtanz mit 
ihnen untergeht, und auch des großen Princips muͤſ⸗ 
fen‘ wir hier eingedenk ſeyn, ‚daß<fein erſchaffenes 
Ding feiner. Natur nach unvergaͤnglich iſt. Gott 
kann alſo die menſchlichen Seelen nur fuͤr eine kurze 
Zeit gefchaffen haben, und die Undurchdringlichkeit 
Der ewigen Ratbfchlüffe würde uns immer in einer 
Art von Ungewißheit über diefen mächtigen Gegens 
ſtand erhalten, wenn nicht die geoffenbarte Religion - 
unferer ſchwachen Einficht zu Huͤlfe kaͤme, um das 
zu ergängen, was ihr mangele. Auf der einen Geis 
te fodere die Tugend, Die in dieſer Welt oft unglücks 
lich ift, ‘von der: Gerechtigfeit des- höchften Weſens 
eine Belohnung nach dem Tode; -auf der anderen _ 
Seite lehrt uns die Offenbatung, warum Gort dee - 
Tugend die Belohnung in diefem eben nicht gewäßs 
ve, oder zugebe, daß fie unglücklich fey, ungeachtet 
fie‘ es niche verdiene hat. Bloß die Neligiom, ſagt 
Pascal, verhindert, daß der Zuſtand des Denfihen 
in .. eben ein Raͤthſel iſt. 


Wied die Grifteng des hoͤchſten Weſens einmal 
angenommen, fo muͤſſen wir uns auch nach der Art 
der: Verehrung erfundigen,; die wir ihm ſchuldig 
find. Aber obgleich die Philofophie uns bis auf 
einen gewiflen Punet hierüber unterrichtet; fo ift Doch 
die Aufklärung; welche fie uns verſchafft, ſehr unvoll; 
N Duble's Geſch. d. philoſ. VI.2. Ce kom⸗ 


402 Gecſchichte der neuern Philoſophie or 


fommen. Hingegen hat wiederum der Schöpfer ſelbſt 
uns davon unterrichtet ‚ indem Er uns durch eine.bes 
fondere Offenbarung die Art vorfchrieb, wie Er ver⸗ 
eher ſeyn will, welche alle Anftrengungen. der, Ver⸗ 
nunft nicht würden. haben entdecken fönnen. Die 
‚Religion demnach, die nichts anders als der Cultus 
iſt, welchen wir dem hoͤchſten Weſen widmen, ges 
Hört nicht in die Elemente der Philoſophie. Selbſt 
Die natürliche Religion darf nicht darin zum Vor⸗ 
fcheine kommen, außer bloß, um uns bemerklich zu 
machen, daß fie unzulänglich ifl.-  - vo 


“Was aber wefentlich und einzig Angelegenheit dee 
Bernunft, und daher auch bey allen Völkern gleiche 
foͤrmig ift, das ift die Verpflichtung, die wir ges 
‚gen unfers Gleichen haben. Die Erkentniß dieſer 
Derpflihtung heißt Moral. Sie ift eine nothwen⸗ 
dige Folge der Gründung von Geſellſchaften, meil 
ſie das zum Gegenftande hat, mas wir andern Mens 
schen ſchuldig find. ‚Die Gründung der Gefellfchaften 
beruhte auf einem Rathſchluſſe des. Schoͤpfers, der 
Die Menfchen einander nothwendig gemacht hat, und 
fo find auch die moralifhen Principien ‚als feine. ewi⸗ 
‚gen Rarbfchlüffe zu betrachten. Gleichwohl, feßt 
dD’Alembert gleich hinzu, muß man nicht hieraus 
mit mehr Phitofophen den Schluß ziehen, als ob die 
Kentniß jener Moralprincipien die Kentniß Gottes 
nothweudig vorausfeße. Denn hieraus würde, ges 
gen die Abficht der Theologen felbft, fließen, daß Die 
„Heyden Feine dee von der Tugend gehabt hätten. 
‚Allerdings läutert und heilige die Religion die Mos 
tige, die uns zur. Ausübung moraliſcher Tugenden 
beſtimmen; aber Gott, ohne, ſich den Menfchen, uns 
‚mittelbar zu offenbaren, hat fie auch die Nothwen dig⸗ 


während P. adj. Johthund $,nuf Kant. 403. 


keit empfinden laſſen fönnen, und. wirflich empfinden 
laſſen, ihres eigenen Vortheils wegen tugendhaft zu 
feyn. Es har fogar durch eine Wirfung der goͤtt⸗ 
tichen Vorſehung, die über die Erhaltung der menſch⸗ 
lichen Geſellſchaft wacht, philofophifche Secten geges 
bein, welche zwar die Exiftenz eines hoͤchſten Weſens 
in. Zweifel zogen, aber doch die Tugend als Bes 
ſtimmung des Menfhen mit der größten Strenge 
lehrten. Zend, das Haupt der Stoifer, erkante 
feine andere Gottheit, als das Univerfum; dennoch 
ift feine Moral die reinfte, die je die menfchliche Vers 
nunft vorgejchrieben hat. Die bürgerlichen Gefells 
fhaften verdanfen aljo ihren Urfprung bloß menſch— 
lichen Motiven ; die Religion har an ihrer erſten 
Stiftung und Bildung feinen Antheil; und wiewohl 
fie beſtimt ift, das Band derfelben noch enger zit 
knuͤpfen, fo kaun man doch fagen, daß ihre eigents 
licher und vornehmfter Zweck nur auf den Menſchen 
als Menfchen gerichtet fe. Um fich hiervon zw 
überzeugen, darf man nur auf die Marimen achten, 
welche fie einflöße, auf die Gegenflände, welche fie 
uns vorhält, auf die Belohnungen und Strafen nach 
diefem Leben, die fie verheiße. Der Philoſoph 
 Batlediglih den Beruf, den Menſchen im 
die bürgerlihe Gefellfhaft zu verfeßen, 
und ihn darin zu leiten; hingegen ift es 
Sache des Miffionars à l’attirer aux pieds des 
autels. 


Die Erkentniß der moralifhen Prineipien, bie 
vor der Erkentniß des höchften Wefens hergeht, ſetzt 
felbft andere Erfentniffe voraus. Durch die Gimme 
erfahren wir unfere Berbältniffe zu andern Menfchen 
und unſre gegenfeitigen Bedücfnife, und diefe gegen» 
a a ſei⸗ 


454° Gefhlchte det Neuen Philbſobhle """"" 


fettigen Bedürfniffe lehren ung wieder, was mir der 
Geſellſchaft ſchuldig find, und was fie uns ſchuldig 
iſt. Man kann daher die Ungerechtigkeit, oder 
was damit auf Eins hinauslaͤuft, das moraliſch 
Boͤſe für dasſenige erflären, was Die Tendenz 
hät, der bürgerlichen Geſellſchaft zu ſcha— 
den, indem es das natuͤrliche Wohlſeyn ih— 
rer Mitglieder vernichtet oder ſtoͤrt. Wirk⸗ 
lich ift das natürliche (phyſiſche) Uebel die gewoͤhn⸗ 
liche Folge des moralifhen; und da unfere Senfatios 
nen, ohne irgend eine anderweitige Thaͤtigkeit unfers 
Getites, binlänglich find, uns eine dee vom phyſi⸗ 
fchen Uebel zu geben; fo ift evident, daß es in der 
Ordnung unferer Erfentniß die Idee desfelben ift, Die 
uns zur Erkentniß des moralifhen Webels führt, ob 
gleich beyde an fich ſelbſt von ſehr verfchiedener Nas 
tur find. Wer dieſes Teugnet, denke fih einmal 
den Menfchen als aller finnlihen Empfindung bes 
raubt, und verfuche denn bey diefer Hypotheſe zu einem 
Begriffe der Ungerechtigkeit zu gelangen. 


Inzwiſchen erfoderr Doch der Begriff des morali⸗ 
ſchen Uebels noch einen andern, den Begriff ber 
Freyheit. Es heiße die natürliche Ordnung der 
Ideen umfehren, wenn man die Eriftenz der Frey: 
yon aus der Eriftenz des Guten und des moraliſchen 

ebeis beweifen will. Man bemeift hier eine Wahr: 
beit, die ein Refultat bloß des unmittelbaren —* — 
iſt, durch eine freylich eben fo unbeftreicbare Wahr⸗ 
heit, welche aber von einer Reihe mehr zuſammen⸗ 
geſetzter Begriffe abhaͤngt. Daß das Daſeyn der 
Freyheit nur ein Reſultat des unmittelbaren Ges 
fühls, und nicht des Raiſonnements ift, davon fan, 
man ſich ſehr leicht überzeugen. Das Gefuͤhl 

1) - s v gi I | - ey⸗ ** 


4 


waͤhrend d· achtz Jahrhund. b. auf Kant, „405 


Freybeit beſtebt in dem Gefühle des Vermögens, 
"welches wir befißen, das Gegentheil deffen zu ihun, 
was wir wirflih hun. Die Idee der Freyheit ift 
„alfo die dee ‚eines. Vermögens, das wir nicht auss 
‚üben, und deflen Weſen eben darin liegt, daß es 
nicht in dem, Momente ausgeübt wird, da wir es 
‚empfinden. Die Idee ift fonach nur eine Thaͤtigkeit 
unſers Verſtandes, wodurch wir das Vermoͤgen zu 
handeln von dem Handeln ſelbſt unterſcheiden, ins 
dem wir das muͤſſige (obgleich reelle) Vermoͤgen als 
ſubſiſtirend betrachten, während die Handlung oder 
Ausübung desſelben nicht exiſtirt. Der Begriff der 
Freyheit fann bloß eine Wahrheit des Bewußtſeyns 
‚(de la confcience) ſeyn. Kurz der einzine Beweis, 
deſſen diefe Wahrheit fähig ift, ift dem für die Eris 
ſienz der Körpermelt außer uns analog. MWirflich 
freye Wefen würden fein Iebhafteres Gefühl ihrer 
Freyheit haben, als wir von der unfrigen haben; und 
wir dürfen alfo glauben, daß wir wirklich frey find. 
. Fragen, ob der Menſch frey fey? heiße nicht fragen: 
ob er ohne Motiv und ohne Urfache handle? was _ 
unmöglich feyn würde; fondern: ob er nah Wahl 
‚und ohne Zwang handle? und daß er dies ıhun föns 
ne, dafür bürge.das allgemeine Zeugniß aller Diens 
. Shen, Welcher Unglückliche, der für. feine Verbre⸗ 
‚chen mit Dem Tode beſtraft werden ſoll, hat je die 
Hoffnung gehegt, er werde fich damit rechtfertigen 
koͤnnen, wenn er vor feinen Richtern behaupte, daß 
eine unvermeidfihe Morhwendigfeit ihn zu feinen 
Verbrechen fortgeriffen habe? — Dies tft genug, 
um die Philofopben zu überführen, wie unnüß Die 
- metapbnfifhen Difeuffionen über die Freyheit am 
‚der Spiße eines Tractats über die Moral find. 


In dieſer Materie uͤber das innere Gefühl bins 
€: 3 aus 


466 Gecchichte der neuern Philoſophie 


ausgehen, iſt ſich Kopf über in die Finſterniß 
ſtuͤrzen. | | 


Wiewohl das Menfchengefchlecht eigentlich nur 
"Eine große FZamilte ausmacht, fo hat dod die zu 
‚große Ausbreitung diefer Zamilte fie genoͤthigt, ſich 
in verſchiedene GSocietäten zu fondern, die den Na⸗ 
men Starten angenommen haben, und deren Gfies 
Der Durch befondere Gefeße-verbunden find, unabhäns 
gig von denen, welche fie zum allgemeinen Syſteme 
der Menfchheie vereinigen. Die Moral hat alfo vier‘ 


Gengenſtaͤnde: 1) mas die Menfchen einander als 


Mitglieder der menfchlichen Gefellfhaft uͤberhaupt 
fhuldig find; 2) was die befondern Staten für Vers 
pfſlichtungen gegen ihre Mitglieder haben; 3) mas 
fie gegen einander felbft feiften und beobachten follen; 
endlid 4) was die Glieder jeder befondern Gocietät 
einander felbft, und dem State, dem fie angehören, 
zu leiften verbunden find. Die Pflichten der erfteren 
Gattung enthält das natürliche oder allgemeine Ges 


ſetz, das in allen Zeiten und an allen Drten dasselbe ift, 


und welches man die Moral des Menſchen (Mo- 
rale de I’Homme) nennen kann. Die Pflichten der 
zweyten Gattung Finnen die Moral der Geſetzge⸗ 
ber (Morale des Legislateurs); die der dritten ats 
zung die Moral der Staten (Morale des Etats); 
die der vierten Gattung die Moral des Bürgers 
(Morale du Citoyen) genannt werden. Man findet 
alfo im diefer Abtheilung das fonft genannte Natur⸗ 
recht oder allgemeine Recht (Droit naturel ou 
commun); das Stasrecht (Droit politique), das 
man nicht mit der Policif verwechfeln muß, der es 
oft zumiderläuft; das Bölferrecht, und das pofis 
tive Recht (Droit des gens et le Droit pofitif). 

| Dies 


während d. achtz. Jahrhund. b. auf Kant. 407 


Diefen vier Zweigen Der Moralphitofophie kann noch 
ein fünfter beygefügt werden, die Moraldes Phi— 
fofopben (Morale du Philofophe) , die nur uns 
feibft zum Objecte bat, und die Art, wie wir denfen 
müffen, um unfern Zuftand .beffer, oder fo wenig 
traurig und unglücklich zu machen, wie möglich. 
Die weitere Entwicfelung der einzelnen Zweige dee 
Möralphilofophie nach d'Alembert's Principe ger 
bört nicht hierher. 


Es iſt in der Anficht diefes franzoͤſiſchen Weltweis 
fen von der Philofopbie überhaupt und der Meta⸗ 
phyſik insbefondre Manches, dem man feinen Bey⸗ 
fall nicht verfagen fann. Die Befchränfung der Mes 
taphyſik auf Dinge, die in der Thar erfennbar find, 
und deren Erfenmiß für den Menfchen wahren Werth 
bat; die Abfchneidung aller unnügen Logomachieen, 
Gubtilitäten, und Debatten über Probleme, melche 
für die Vernunft unauflöstich find; die Zumuthung 
an die Phitofopben, ihre Lehren in die Sprache des 
gemeinen Lebens zu Fleiden, und fie dadurch dem 
größern Publicum, nicht bloß der Schule, verftänds 
lich und brauchbar zu machen: mer wird dies nicht 
billigen? Won diefer Seite wären d'Alembert's 
Elemente der Philofophie durchaus empfehlungswerth. 
Wird aber die Metaphyſik fo eingefchränft, fo darf 
man 'fodern, daß die Erfenmiß, Die fie alodenn ents 

haͤlt, wirklich gültig iſt; und hier ift es gerade, 
wo es jenen philofophifchen Elementen am meiſten 
fehle. Die Ppilofophie d'Alembert's ift eine Phi: 
fofophie der fünf Sinne und des gemeinen Menfchens - 
verſtandes; fie hat nicht einmal die Gruͤndlichkeit, 
deren fich noch die Warten der Englifhen Philoſophen, 
wage den cominon Senfe zum Principe machten, 

Ce 4 ruͤh⸗ 


/ 


408 Gefchichte der neuern Philofophie 


ruͤhmen kann; ſondern ift ungleich. feichter und ‚ober 
flächlicher‘, als dieſe. Daß aus der Natur des 
menjchlihen Erkentnißvermoͤgens erklärt werden 
müfle, warum es feine Metaphyſik in eigentlicher 
Bedeutung des Wortes gebe und geben koͤnne; wars 
um aber gleichwohl die Speculation von jeher danach 
geſtrebt hat, eine folhe Willenfhaft zu. Stande zu 
Bringen; und wie das in der Matur der. Bernunft 
liegende metaphnfi ifche Bedürfniß zu befriedigen fey, 
daran ift von D’Alembert gar nicht gedacht wors 


- den. Madıfprühe follen die Stelle eines gründe 


lichen Raiſonnements erſetzen. 


Was am meiſten ihm, wie den uͤbrigen Fratjo⸗ 
ſiſchen Encyklopaͤdiſten vorgeworfen werden kann, iſt 
die Parallele, die er zwiſchen der geoffenbarten Reli⸗ 
gion und der Philoſophie zieht. Es ſcheint zwar oft, 
Daß er der erſtern Autoritaͤt zugeſtehe, und ihr das 


Verdienſt einräume, daß fie der. Schwäche der menfchs 


ken gluͤcklich bekämpfen zu koͤnnen; und ‚die Partey 


lichen Vernunft zu Huͤlfe komme. Aber es ſcheint 
auch nur ſo. Bey genauerer Erwaͤgung bemerkt man 
leicht die hoͤhnende Perſifflage, die ſich nur unter 
dem Deckmantel der Rechtglaͤubigkeit verſteckt, um 


nicht geradehin zu beleidigen, und oft, um dem Nas 


turalismus feinen Triumpf deſto mehr zu fichern. 
Es war daher auch nicht zu verwundern, daß haupts 
fählih die philofophifchen Artikel der Eneyklopaͤdie 
ſehr lebhafte, zum Theile leidenſchaftliche, Gegner 
fanden, die den darin verborgenen. Atheismus und 
Maturalismus -aufdeckten, und fit der Sache der 
Meligion anuahmen. Leider gebrach es nur auch dies 
fen Gegnern. an philoſophiſchem Talente, um mit 
Waffen der Vernunft das Spftem : der Eneyklopaͤdi⸗ 


die⸗ 


wahrend d. acht Jahthund. b. auf Kant, 499. 


dieſer gewann daher in dem Streite leicht die Ober⸗ 
hand, zumal da ſie immer, wenn ſie ſich wirklich be⸗ 

drängt ſah, ſich hinter die angenommene Masfe ihrer 

Religioſitaͤt und Ehrfurcht gegen die, —— der. 
Offenbarung verbergen fonte Mer: 


Aus d’Alembert’s Melanges de Litterature 
et.de philofophie will ich nur noch ‚feiner Reflexions 
Tur le Gout **) erwähnen. . Der Gefhmad ift nad 
ihm niches Willkuͤhrliches; aber, er erſtreckt fich nicht 
. auf alle Schönpeiten,, deren, ein Kunſiwerk empfänge 
ih ift.. Es giebt frappante und erhabene Schönhets 
sen, die auf gleiche Weife alle Geifter ergreifen, wel⸗ 
che die Matur ohne Anftrengung bey allen Völkern 
und in allen Jahrhunderten hervorbringt, und wor⸗ 
über folglich auch alle Geifter,. alle Jahrhunderte, 
und alle Völker Richter find. Es giebt aber auch 
Schoͤnheiten, die nur empfindliche Seelen ruͤhren, 
und uͤber andere unempfunden hingleiten. Die 
Schoͤnheiten dieſer Art ſind nur vom zweyten Range; 
Denn das Große iſt allemal dem bloß Feinen vorzus 
gießen; nichts deſto weniger verlangen fie die meifte 
Sagacitaͤt, um hervorgebracht, und die meifte Delis 
Katefle, um empfunden zu werden; auch find fie häus 
fig bey den Mationen, bey welchen die Annehmlich⸗ 
keiten der Gefellfhafs die Kunft zu leben und zu ge: 
nießen vervollfomnert haben. Diefe Art von ir 

| eis 


*) Mehrere Abhandlungen und Auffäge d’Alemberts 

beziehen fi auf die Streitigkeiten, melde durch die phie 

lofophifchen Artikel der Encyklopaͤdie veranlaßt wurden; 

fo wie auch dergleihen in den Schriften aller: übrigen 
Encyflopädiften häufig vorkommen, 

**). T. IV. p. 2093. 


Cc 


416 Geſchichte der neuern Philoſophie 


heiten, tur für eine kleinere Zahl von Menſchen ges | 
macht, ift eigentlich der Gegenftand des Geſchmacks 
Man kann daher den Geſchmack definiren als das 
Zaltent, in-den Kunftwerfen ju entdecken, 
was empfindlihen Seelen, gefallen, "und 
was ihnen misfallen kann. 


Wenn nun der Geſchmac nicht nintähench iſt, 
ſo muß er ſich auf unbezweifelbare Principien ſtuͤtzen; 
und was hiervon wiederum die Folge iſt, es muß 
Fein Werk! der Kunft geben, über welches man nicht 
‚nach jenen Principien urtheilen fönne. - Die Quelle 
unfers. Wohlgefallens und Misfallens iſt einzig und 
ganz in uns; wir werden daher auch in ung ſelbſt bey 
‚ einiger darauf gewandter Aufmerffamfeit allgemeine 
und unmwandelbare Regeln des Geſchmacks antreffen, 
Die einem Prüffteine gleichen, am weichen alle Pros 
ducte des Genies und Talents gehalten werden koͤn⸗ 
nen. Derſelbe pbilofopbifche Geift, der uns nd; 
thigt, aus Mangel an hinlänglicher Aufklärung, jes 
den Augenblick unfern Fortſchritt im Studium der, 
Matur und der Dinge außer uns zu hemmen, muß 
"im Gegentheile bey Allem, was Object des: Ge⸗ 
ſchmacks ift, uns zur Difeuffion leiten, Zugleich 
aber erfennt eben derfelbe philofophifche Geift, daß 
dieſe Difeuffion eine Grenze haben müfle. Mit was 
für eine Materie wir ung auch befchäfftigen moͤgen, 
fo müffen wir Doch darauf Verzicht thun, daß wir 
jemals zu den erſten Principien zurückfommen wers 
den, die für uns immer eine undurchdringliche Wolke 
verhält. Die metaphyſiſche Urfache unfers Wohlges 
fallens auffinden, würde ein eben fo chimärifches 
Project feyn, als die Erflärung der Einwirfung der 
Objecte auf unfere Sinne unternehmen; So wie 

man 


* 


waͤhrend d. achtz Jahrhund. 6. auf Kant. Ar. 


man inzmwifchen den Urfprung unferer Erkentniſſe auf 
‚eine fleine Zahl Senfationen zurüczyführen gewußt 
bat, fo kann man auf Diefelbe Art die Principien uns 
fers Mohigefallens in Sachen des Gefhmads auf 
eine Feine Zahl unftreitiger Beobachtungen über uns 
ſre Are zu empfinden reduciren. Wis fo weit geht der 
Philoſoph zurück; hier bleibt er aber auch ſtehen, 
und ſchreitet von dieſem Puncte vermoͤge ſeines natuͤr⸗ 
lichen: Hanges zu den Folgerungen wieder herab⸗ 
waͤrts. | | 


| Ein gefunder richtiger Verftand, ſchon an fich 
‚felten, iſt doch bey meitem zum Geſchmacke noch 
nicht hinreichend; nicht bloß eine zarte und empfinds 
liche Seele ift dazu hinlänglich ; es ift noch mehr nds 
thig, und, wenn der Ausdruck erlaubt ift, es darf 
feiner der befondern Sinne fehlen , aus denen der 
Geſchmack befteht. In einem Werke der Poefle z. B. 
muß man bald zur Imagination reden, bald zum 
Gefühle, ‚bald zur Vernunft; aber immer zu einem _ 
Organe. Die Verſe machen eine Art von Gefang 
aus, in Anfehung deſſen das Ohr unerbittlich ift, 
fo daß die Vernunft felbft zumeilen gezwungen wird, 
ihm ein Eleines Opfer zu bringen. in Philoſoph 
demnach, nicht mit den Organen verfehen, auf welche 
bie Poefie zunächft und hauptſaͤchlich wirft, befäße 
er auch alle Übrige Geifteseigenfchaften, wird über 
poetifhe Werfe ein fchlechter Richter ſeyn. Er wird 
behaupten, daß das Vergnügen, das fie uns gewähs 
ren, nur von einem Vorurtheile herrühre; dag man 
ſich begnügen müffe, in jedem Werke, wie es auch 
befchaffen feyn möge, bloß zum Verſtande zu reden; 
er wird felbft durch captiöfe Raiſonnements ein fcheihs 
bares Lächerliches auf die Sorgfalt werfen, womit 
| der 


1 


— 


412 Secchichte der; neuern Philoſophie 
der Dichter die Worte dem Ohre zu Gefallen waͤhlt 


und ordnet. So würde ein Phyſiker, der bloß den 
- Sinn des Gefühls hätte, behaupten, daß die ents 


-fernten Objecte nicht auf unfere Organe einwirken koͤn⸗ 
nen, und würde dies durch Sophismen beweifen, des 


‚ nen man nur dadurch antworten fönte, dag man ihm 


Gefiht und Gehör verſchaffte. Unfer Philoſoph 
wird wähnen, einem poetiſchen Werfe nichts entz0# 
gen zu haben, wenn er alle darin gebrauchte Wörter 
bebäft, und nur das Sylbenmaaß vernichtet; einem 
Vorurtheile, deflen Sclav er ift, ohne es zu wollen, 
wird er, die Art von Mattigkeit beweifen, Die das 
poerifche Werk durch. die Umfegung desfelben. in die 
Form der Profe erhalten hat. Daß er durch Auf⸗ 
hebung des Sylbenmaaßes und Verfegung der Wor⸗ 
ie die Harmonie vernichtet hat, die aus ihrer vorhe⸗ 
‚rigen Verbindung und Anordnung entfprang, wird 
er gar nicht einfehen. Was würde man aber von eis 
nem Tonfünftler urtheilen, der, um zu bemeifen, 
daß das Wohlgefallen an Melodie nur eine leere Eins- 

bildung ſey, ein Tiebliches Lied enrftellte, indem ee 
Die Töne, aus denen es componirt ift, nah Wille: 
kuͤhr verfegte? Der wahre Philofoph wird über das 
Vergnügen, welches dies Poefie gewährt, nicht fo 
‚entfcheiden; er wird über diefen Punct weder in Al⸗ 
lem der Natur, noch, der Meynung nachgeben; er 






wird vielmehr eingeftehen, daß mie die Mufif. eine. 


‚allgemeine Wirfung auf alle Voͤlker macht, obgleich 
‚die. Mufit des einen nicht immer. dem andern gefällt, 
„eben: fo alle Völker für Die poetiſche Harmonie em⸗ 
‚pndlic find, fo verfchieden, auch ihre befondre Poe⸗ 
‚fie ſeyn mag. SSudem er diefe Verſchiedenheit — 


merkſam unterſucht, wird er zur Entſcheidung gelan⸗ | 
„gen, bis wie weit Gewohnheit und Vorurtheil auf 


; e 


— 


waͤhrend d. "acht. Jahrhund b. Auf Kant Ai} 
dis Woblgefallen Einftut haben, das uns Poeſte 


und Muſit gewaͤhten; was die Gewohnheit Reelles 
und was das Vorurtheil A zu dieſern | 
Wobigefallen binzufuͤgt. — | 


Für, einen Philoſophen lomt es * nicht allein 
darauf.an, alle Sinne zu haben, auf denen der. Ges 
ſchmack beruht. Es ift auch nothwendig, daß die 
Uebung diefer Sinne bey ihm nicht auf ein einziges 


Odbject eingeſchraͤnkt geweſen ſey. Makebrande 


konte die ſchoͤnſten Verſe nicht one Langeweile leſen, 
ungeachtet man in feinem Style alle dichteriſche Qua⸗ 
litaͤten bemerkt, Phantaſie, Gefühl und Harmonie, 
Aber er hatte feine Aufnierffamfeit zu ausfchließlich 
auf das Objeet der Vernunft oder vielmehr des: phis 
Iofophifchen Raifonnements gerichtet; feine Phanta⸗ 
fie hatte bloß philofophifche Hypotheſen ausgebrütet, 
und fein Gefühl hatte nur beygetragen, daß er diefe 
mit übergroßer tebhaftigfeit für philofophifche Wahr⸗ 
heiten hielt. Wie harmonisch auch feine eigene Pros 
fe. feyn: mag, die poetifche Harmonie m. dennoch 


- feinen Reiz fürihn, fey es daß wirklich die Empfinds 


lichkeit feines hrs bloß für Die Harmonie: der „Profe 
empfänglich „war, oder daß, ein natürliches Talent 


ihn eine harmonifche Profe fchreiben ließ, ohne daß 


er felbft es gewahr wurde, wie ein mufifalifches Zus 
ſtrument Accorde bervorbringt, ohne es 2 J 
wiſſen. | 


Es ift aber doch nicht allein der Mangel, an Eu 
pfindlichfeit der Geele oder des Organs, ‘dem man 
die falfchen Urtheile in Sachen des. Gefchmacks bey: 


. meflen muß. - Das Vergnügen, welches uns ein 


Werk der Kunft verſchafft, rührt her, oder Farin aus 
mehr verſchiedenen Quellen perrüßren. Ohne — 
muͤſ⸗ 


414. Seſchthte der neuern Philelochie 


muͤſſen die Regeln des Kunſt von Werken abſtrahirt 

werden, Die in jeder Gattung des Schönen Gluͤck 
gemacht haben; aber die Regeln dürfen Doch keines⸗ 
weges ſich auf das allgemeine Reſultat des Vergnuͤ⸗ 
gens gruͤnden, das uns jene Werke verſchafften, ſon⸗ 
dern auf eine uͤberlegende Unterſuchung, wodurch 
wir die Stellen unterſcheiden, die uns wirklich ange⸗ 
nehm afficirten, von denen, die nur zur Schattirung 
öder zur Erholung des Leſers oder Zuſchauers beftime 
waren, oder die ein Schriftfteller vernachläffigte, obs 
ne es zu wollen: > WBefölgen wir diefe Methode nicht, 
fo wird die Smagination , geblender durch einige 
Schönheiten vom. erften Range in einem fonft: mon⸗ 
firöfen Werke, ſehr bald die Augen gegen ſchwache 
Stellen verfchließen, ſelbſt die Fehler in Schönheiten 
verwandeln, und ung nad) und nady zu jenem froſti⸗ 
gen und ſtupiden Enthuſiasmus verfuͤhren, der nichts 
empfindet, um Alles zu bewundern, einer Art von 
Paralhyſie des Geiſtes, der uns unwürdig und unfäs 
big macht, reelle Schönheiten zu genießen. Auf ei⸗ 
nen verworrenen mechänifchen Eindruc wird: man fal⸗ 
ſche Principien des Geſchmacks gruͤnden, oder was 
nicht minder gefaͤhrlich iſt, man wird etwas bloß 
Willkuͤhrliches zum Principe des Geſchmacks erheben; 
man. wird die Grenzen der Kunſt beengen, und ums 
ferm Vergnuͤgen Schranken fegen, weil man nur 
Eine Gattung ſchoͤn finden will; man wird um das 
Talent und Genie einen engen Kreis ziehen, aus wels 
chem man ihm nicht erlaubt herauszugeben. . Bon 
diefen Zeffeln muß uns eine richtige Phildſophie des 
Geſchmacks befreyen. 


Es giebt noch eine andre Art des Irrthums, vor 
welcher ſich der Ppilofopp um ſo mehr verwahren 
| * a en 


waͤhrend d. achtz / Dahrhund,.. aufRant; 47 


muß, je leichter es ihm wird, in denſelben zu verfal⸗ 
len. Dieſe beſteht darin, auf Gegenſtaͤnde des Ges 
ſchmacks an ſich ſelbſt wahre Principien desfelben ans 
zuwenden, welche aber. auf; dieſe Gegenſtaͤnde feine 
Anwendung jeiden. D' Alem bert führt hiervon ins 
tereſſante Beyſpiele an. Uebrigens darf man nicht 
befuͤrchten, daß die Diſcuſſion und Analyſe das Ges 
fuͤhl abſtumpfen, oder das Genie bey denen ſchwaͤ⸗ 
chen werden, welche dieſe herrlichen Geſchenke der 
Natur beſitzen. Der Philoſoph weiß, daß im Au⸗ 
genblicke der Production das Genie feinen Zügel lel⸗ 
det, und daher oft das Ungeheure neben dem Erha⸗ 
benen hervorbringt. Die Vernunft - läßt deswegen 
auch dem fchaffenden Genie. feine unbedingte Freys 
heit; fie erlaube ihm, fich fo lange zu erfchöpfen, bis 
es der Ruhe bedarf, wie man ein wildes Roß nur 
Daducch zaͤhmt, daß man.es ermüder. Dann kehrt 
fie aber zur. firengen Kritif jener Producte des Genies 
zuruͤck; ſie erhält, was die Wirfung des wahren Ens 
thuſiasmus iſt; fie fchneider die Auswuͤchſe ab; ‚und 
fo hilfe fie, ein Meifterwerf zu Stande bringen. . 


Hiernach laͤßt ſich auch die oft verhandelte Frage 
‚beantworten, ob das Gefühl der Kritif bey der 
Schägung eines Werfes des Geſchmacks vorzuzieheit 
ſey? Das Gefühl des Eindrucks ift der. narürliche 
‚Richter des erſten Moments; die Difeufjion ift der 
natürliche Richter des jiwenten. Ben Perfonen, die 
‚mit der Feinheit und Richtigfeit des Gefühls eine ges 
funde Urtheilsfraft verbinden , wird der zwente Rich⸗ 
ter in der Regel die Ausfprüche des erften beſtaͤtigen. 
Man koͤnte ſagen, wenn beyde Richter nneinig find, 
‚wäre, es ba.nicht.beffer, ſich in allen Fällen. an d 
erſte Eutſcheidung des Gefuͤhls zu halten %,. Bug 
en 9 | | 7 


446° Gefehichte der neuern Phtlsfophfei 


eine traurige Beſchaͤfftigung, fein eigenes Wergnligen - 


chicaniten zu wollen? Was für Danf verdiente die 


Philoſophie, wenn fie nichts anders feiftet, als’ daß 


fie unſer Vergnügen minder: ?7— D'Alenbert 
aAntwortet, daß dieſe Unannehmlichkeit das Loos der 


menſchlichen Natur fey: Wir erwerben fat nur neue 


Kentniffe, um uns von einer Taͤuſchung loszumachen, 
und unfere Einſicht wächft faft immer nur auf Koften 
ünifers Vergnügens.‘ Unfere einfäfttgen Vorfahren 
hatten mehr Freude an dem monftröfen Stuͤcken des 
alten Theaters, als wir gegenwärtig an den kunſt⸗ 


vollſten fehönften Dramen, Die minder aufgeklaͤr⸗ 


ten Nättonen ſind in dieſem Betrachte darum nicht 


minder gluͤcklich, weil ſie bey weniger Neigungen 


auch weniger Beduͤrfniſſe haben, und grobe oder mins 
der taffiniete Vergnuͤgungen für fie zureihend find. 
Dennoch wuͤrden wir nicht unſere Einficht gegen Die 
Unmiffenheit unferer Vorfahren oder roher Nationen 
vertaufchen wollen. Kann die beffere Einſicht unfer 
Vergnuͤgen verringern, fo fchmeichelt fle zugleich uns 
ferer Eitelkeit; man gefällt fich felbit, weil man 
ſchwerer zu befriedigen ift; man wähnt dadurch eine 
Art von Verdienft errungen zw haben. Die Eigens 
fiebe ift das Gefühl, daß uns am wehrteften ift, und 


dem wir am meiften uns beflreben, genug zu fhun. | 


Das Vergnügen, welches wir dadurch genießen, ift 
nicht , wie manches andere Vergnügen, Die Wirfung 
eines plögfichen und heftigen Eindruck ; es ift zufanıs 
inenhängender, einförmiger, dauernder, umd laͤßt 
ſich in langen Zuͤgen ſchoͤpfen. 


Ditderot war mit d’Alembert in den natus 
raliſtiſchen Grundfägen einftimmig; aber er übertraf 


ihn an fchriftftelerifchem Talente, an Leichtigkeit u 
KEN er 


N 


' 


waͤhrend d. achtz. Sahehind; b. auf Kant; 419 


Anmuth in der Darſtellung feinee Ideen. Geind 
dramatiſchen Werke und Kiitifen darüber gehören 
nicht hierher. Mut aus feinen Schriften philojoppis 
Then Inhalts will ich Einiges anmerken, was fie 
eharafterificen fann; und zwar will ich zuerſt feiner 
vVenſées philofophiques erwähnen, teil diefe vorzuͤg⸗ 
lich feine philoſophiſche Denkart ausdrücken *). 
Die vornehmſte Richtung, welche die Penfees 
philoſophiques haben, iſt, den Naturalismus und 
Atheismus gegen die orthodoxen Zeloten der katholi⸗ 
ſchen Kirche zu vertheidigen, und in Der That iſt dies 
fer Dadurch ein harter Stand bereitet, ſofern ſie nicht 
bloß jene philoſophiſchen Syſteme widerlegen, ſon⸗ 
dern auch ihren eigenen Kirhenglauben ſchuͤtzen wols 
fen: Mur einige Proben, wie Diderot detiamirre 
und taifonnirte: | 
“Weiche Stimmen? welch” ein Geſchrey! wel⸗ 
che Seufzer! Wer bat alle dieſe klagenden Leichna⸗ 
me im dieſe Kerker eingeſperrt? Was für Verbre— 
chen haben alle dieſe Ungluͤcklichen begangen? Ei—⸗ 
nige ſchlagen ſich mit Steinen gegen die Bruſt; az 
dere zerreißen ſich den Leib it eiſernen Nägeln; aus 
Den Augen Allee blicfen Kummer, Schmerz und Tod 
hervor, Wer bat fie denn zu diefen Qualen ver⸗ 
dam? — Dei Gott, welchen fie beleidigt 
haben. — Wer ift denn diefer Got? — Ein 
Gott voll Guͤte. — Aber follte ein Gott voll 
Güte Vergnügen daran finden, fich in den Thraͤnen 
feiner Gefcpöpfe zu baden? Sollten die Leiden m 
n⸗ 


24) — philoſophiques de Mt. D* (d Amflerd, 1774, 
8.) T.H. | 
Buple's Beich. 8: Philsf. Vn B. Do 


. 


418  Gefchichte der neuern Philoſophie 


Ungluͤcklichen nicht feiner Gnade Eintrag thun ? Haͤt⸗ 
‚ sen Verbrecher die Wurh eines Tyrannen zu befänfs 
tigen, mas fünten fie mehr thun? 


“Nach dem Bilde, welches man uns von dem 
pöchften Wefen macht, nach feinem Hange zum Zorne, 
feiner Strenge in der Nahe, nach gewiſſen Bergleis 
chungen der Zahl derer, Die es umkommen läßt, mit 
Denen, welchen ed die Hand zur Hülfe reicht, muß 
auch die gerechtefte Seele zu dem Wunfche geftime 
werden, Daß es doch nicht eriftiren möchte. Man 
wiirde in Diefer Welt ruhig genug feyn, wenn man 
verfichert wäre, Daß man im einer anderen nichts zu 
fürchten habe. Der Gedanfe, es fen fein Gott, hat 
noch Miemand in Schrecken gefegt, wohl aber der 
Gedanfe, es fen einer, fo wie man ihn gewöhnlich 

zu ſchildern pflegt.” | 


Diderot führe den Arheiften felbft redend ein: 
„“„Ich fage Euch, daß fein Gore fey; daß die foges 
nannte Schöpfung ein Hirngefpinft fen, daß die 
‚Ewigkeit der Welt der Vernunft nicht mehr zumider- 
ift, als die Emigfeit eines Geiftes; daß, weil ic) 
nicht begreife, wie die Bewegung das Univerfunt 
habe erzeugen koͤnnen, das ſich ſo gut zu erhalten 
weiß, es laͤcherlich ſey, die Schwierigkeit durch die 
angenommene Exiſtenz eines Weſens zu heben, das 
nicht begreiflicher iſt; daß, wenn auf der einen Sei⸗ 
te die Wunder der Natur eine Intelligenz verrathen, 
auf der anderen Seite die Unordnungen in der mo— 
raliſchen Welt allen Glauben an eine Vorſehung ver⸗ 
nichten. Ich ſage Euch, daß, wenn Alles das Werk 
einer Gottheit iſt, auch Alles die groͤßte Vollkom⸗ 
menheit haben muß; denn wein nicht Alles die groͤß⸗ 
| u?" 
# 


wihrend d. achtz. Jahrhund. b. auf Kant. 419 


te Vollkommenheit hat, ſo iſt Gott, der es ſchuf, 
entweder ein ohnmaͤchtiges Weſen, oder er hat einen 
boͤſen Willen. Waͤre es auch noch beſſer bewieſen, 
als es iſt, daß jedes Uebel die Quelle eines Guten 
ſey; daß es gut ſey, daß ein Britannicus, Daß der 
befte Zürft umfam; daß ein Nero, der fchlechtefte 
allee Menfchen , regierte; wie fönte man beweijen, 
es ſey unmöglich , Denfelben Zweck zu erreichen, ober 
‚ne fich derfeiben Mittel zu bedienen ?. Lafter zulajjen, 
um den Glanz der Tugenden zu erhöhen, mwäre ein 
ſehr unbedeutender Vortheil gegen eine fo reelle In— 
eonvenienz. Das iſt's, was ich Euch entgegenfege; 
was koͤnt ihr mir darauf antworten? — — "Daß 
ih ein Böfewicht fey, und daß, wenn id 
nicht Urſache hätte, Ihn zu fürchten, ich feiz 
ne Eriftenz nicht bezweifeln würde” Das 
ift aber eine Phrafe, die man Declamatoren. übers 
laſſen muß; fie, beleidigt die Waprheit; die Urbanir 
tät verbietet fie; und fie verräch wenig tiebe. Weil 
Jemand Unrecht hat, wenn er nicht an Gore glaube: 
find wir darum berechtigt, ihm zu fchmäben? Man 
pflege. nur zu Invectiven feine Zuflucht zu nehmen, 
wenn es an Beweifen mangelt. Ben zwey Streiten⸗ 
den läßt ſich allemal hundert gegen Eins werten, daß 
der zürmen wird, der Unrecht har. “Du greifft nach 
deinem Donnerfeile, -anftatt mit ju antworten, fagte 
Menipp zum. Supiter, du haft aljo Unrecht. * 


Diderot ſonderte die Atheiſten in drey Claſſen. 
Einige behaupten geradehin, es fen fein Gott, und 
denken es auch; Das find die wahren Atheiſten— 
Eine andere anjebnliche Zahl weiß nicht recht, was 
fie davon denfen foll, das find die: ffeprifchen 
Arheifien. Noch viel — vleſchen es moͤchte 

kein 


* 


420 Gefchichte der neuern Philoſophie 


fein Gott ſeyn, fie ſtellen ſich, als ob fie davon uͤbers 
jeugt wären, und leben fo, als ob fie es wirklich 
wären. Das find die Fanfarouis der arheiftiichen 
Partey. Dieſe legtern find zu verabfcheuen; fie 
find falſche Philoſophen; die wahren Acheiften find zu 
beflagen; fie verdienen jeden Troft; für die Skeptiker 
muß man ju Gott beten; es fehlt ihnen an Vers 
ftand. Der Deift behauptet das Daſeyn Gottes, 
die Unfterblichfeit der Seele, und was weitet hieraus 
‚» folgt; der Skeptiker entfcheidet über diefe Puncte 
gar nicht; det Atheiſt leugnet fie ſchlechthin. Der 
Stfeptifer hat aljo, um tugendhaft ju feyn, ein Motiv 
mehr ald der Arheift, und einigen Grund weniger, 
- als der Deifl. Ohne die Furcht vor einen Gefeßs 
geber, ohne den natuͤrlichen Hang des Temperaments 
und die Kentniß der wirklichen Vortheile der Tugend, 
würde es der Tugend des Atheiſten an eineni Grunde 
fehlen; und die des Sfeptifers würde auf ein Viel⸗ 
leicht gegründet ſeyn. Ä | | 


Man räumt ein, führe Diderot fort, daß es. 
von der hoͤchſten Wichtigkeit fey, zur Vertheidigung 
einer poſitiven Religion und ihres Cultus nur ſolide 
Argumente vorzubringen; und doch verfolgt man Dies 
jenigen, welche ſchlechte Argumente und nichts bewei⸗ 
ſende fuͤr ſchlecht und nichts beweiſend erklaͤren. Iſt 
es denn nicht genug, uͤbethaupt ein Chriſt zu ſeyn? 
Muß man es noch dazu aus ſchlechten Gründen 
ſeyn? — Wenn aberglaͤubiſche Orthodoxen einmal die 
Sentenz gefällt haben, daß ein Schrift etwas ent⸗ 
halte, was ihren Ideen mwiderftteiter, ſo kann man 
auf Verleumdungen allee Are den Verfaffer derfelben 
betreffend rechnen. Die größten Männer, Des 
Cartes, Montagne, Locke, Bayle, find nid - 

i von 


mährend d. achtz, Jahrhund. b. auf Kant, 421 


son ihren gefchont worden; warum follten fie Die 
Eneyflopädiften fhonen? Wären auch alle Beweife, 
die man bisher für Die Wahrheit des Chriſtenthums 
vorgebracht bat, noch fo treffend; dieſe Wahrheit 
würde darum noch nicht für Jeden ermwiefen feyn. 

arum, fagt Diderot, verlange man von. mir, 
ich ſolle eben fo feft glauben, daß drey Perjonen in _ 
der Gottheit find, mie ich glaube, daß die drey Wins 
kel eines Triangels zwey rechten ‚gleich find? Jeder 
Beweis muß in mir eine Gewißheit erzeugen, Die 
Denn Grade feiner Stärfe angemefjen ift; und die 
Wirkung geometrifcher, phnfifalifcher und moralifcher 
Beweiſe auf den Berftand muß verfchieden ſeyn ; 
- oder dieſer ganze Unterſchied iſt nichtig. 


In einer andern ſehr intereſſanten Abhandlung *) 
hat Dideror die Grundfäge entwickelt, nach denen 
feiner Meynung zufolge die Natur erflärt werden 
muß. Auch aus diefer will Ih Einiges, was mir 
befonders merfwürdig fcheint, ausheben. Diderot 
hält es für eine der norhmendigften und heilfamften 
‚ Wahrheiten, die zu feiner Zeit bervorgezogen und 
behauptet worden fey, die vornehmlich der Phyfifee 
fie aus den Augen verlieren dürfe, Daß das Gebiet 
der Mathematik eine intellectuelle Welt fey. Was in 
diefer für firenge Wahrheit angenommen wird, vers 
liert durchaus diefen Vorzug, wenn man es auf uns 
fere Erde und irdifche Dinge anwendet, Man 
- bat hieraus gefchloffen, daß es der Experimentalphis. 
lofophie zufomme, den Calcul der Geometrie zu bes 
* richtigen, und dieſe Folgnerung ift von Geometren 
ſelbſt anerfane worden, Gleichwoht wozu fremt Fed 

en 


*) Oeuvres philof, T. IT. p. 73 fq. 
ea DD 3 


422 Gefchichte der neuern Philoſophie 


den geometriſchen Caleul durch die Erfahrung zu vers 
beffern? Wäre es nicht fürzer,. ſich unmittelbar an 
dem Reſultate diefer zu halten? da man fieht, daf 
die Mathematik, Die überhaupt transjcendent iſt, 
ohne die Erfahrung zu nichts Gewiſſem führt, daß 
fie eine Are von allgemeiner Metaphyſik iſt, wo man 
die Körper ihrer individuellen Qualitäten beraubt, 
und daß zum nmindeften ein großes Werf übrig bleibt, 


was man Anwendung der Erfahrung auf die 


Geometrie oder Traitd de l’aberration des mefures 
nennen fönte, 


Es find drey Hauptmittel vorhanden, zu einer 


wahren Erfentniß der Natur zu gelangen, und fie zu 
erweitern, die Beobachtung der Matur, die Res 
flerion, und die Erfahrung im engern Sinne, 
Die erfte ſammelt die Thatſachen; die andere combis 
nirt fie; die dritte verificire Das Mefultat der Combi⸗ 
nation. Die Beobachtung der Natur muß fleißig 
und forgfältig; die Reflerion muß gründlich; die Ers 
fahrung genau feyn. Selten ift der Gebrauch diefer 
- Mittel vereinigt. Auch find die fehöpferifchen erfindes 
riſchen Genies nicht fehr gemein. _ Der Philofoph will 
nur jumweilen Die Wahrheit, wie der ungefchicfte Polis 
fifer Die Gelegenheit bey dem kahlen KHinterfopfe ers 
greifen; und weil ihm natürlich dies mislingt, ſo 
giebt er vor, es fen fie zu ergreifen unmöglich; waͤh⸗ 
rend oft in demſelben Augenblicke der Praftifer, der 
Handwerker, duch Zufall fie von einer andern Seite 
beym Haare ergreift und feftbäfte. Inzwiſchen muß 
man befennen, Daß unter. den bloßen Erfahrungss 
praftifern und Handwerfern Viele fehr unglücklich 
find, und nicht felten ihr ganzes Leben ———— b.⸗ 
obachten, ohne etwas Neues zu ſehen. 


Eh 


\ 


während d. achtz. Jahrhund. 5. auf Kant. 423 


Eind es Menfchen von Genie, die dem Univer: 
fun .gefeble haben ? Keinesweges. Mangelte es ihs 
nen an Machdenfen und Studium? Moch weniger. 
Die Geſchichte der Wiffenfchaften ift vol von beruͤhm⸗ 


ten Namen; und die Oberfläche der Erde ift mit dem 


Monumenten der Arbeit des Menſchengeſchlechts 
uͤberdeckt. Warum beſitzen wir denn aber ſo wenig 


u gewiſſe Kentniffe? Durch was für ein Misgeſchick ha⸗ 


ben die Wiffenfchaften fo geringe Fortſchritte gemacht ? 
Sind die Menſchen beſtimt, inmer Kinder zu 
bleiben ? 


Auf diefe Fragen, meynt Diderot, laſſe fih 


Folgendes antworten! Die abftracten Wiſſenſchaften 


haben ju fange und mit zu wenig Mugen die beffern 
Köpfe beſchaͤfftigt. Entweder fiudirte man niche, 


was der Mühe werth war, zu wiffen; "oder man bes . 


obachtete bey den Studien weder Auswahl, noch Abs 
fiht, noch Merchode. Die Worte wurden in’s Uns 
endliche vervielfältigt, und die Kentniß der Sachen 
blieb zurück. Die wahre Art zu philofophiren wäre 
geweien, und würde noch feyn, den Berftand auf 
den Verſtand, den Verftand und die Erfahrung auf 
die Sinne, die Sinne auf die Natur, die Natur zur 
Erforfhung der Inſtrumente, die Inſtrumente zur 
Erfindung und Vervollkomnerung der Künfte anzu⸗ 
wenden. Dadurch würde man auch das Volk gelehrt 
haben, die Philojophie zu refpectiven. Denn Das 
einzige Mittel, die Philofophie in den Augen Des 
großen Haufens wahrhaft empfehlungswerth zu mas 
chen, ift, fie ibm von der Geite zu zeigen, wo ber 
Mugen fie begleitet. Der große Haufen frage flets: 
KB ozu ift Dies zu gebrauhen? Man darf fi 


aber nie im dem Falle befinden, dap m man ihm erwies. 


ar 4 dern 


424 Geſchichte der neuern Philofophie 


dern muß; zu nichts. Er weiß nicht, und begreift 
nicht, daß dasjenige, was den Philoſophen aufklaͤrt, 
und was dem großen Haufen nuͤtzt, zwey ganz ver⸗ 
‚ fehiedene Dinge find, weil der Verſtand des Philojos 
phen oft durch das, was jchader, aufgeffärt, und 
durch das, wag müßt, verdunkelt wird. Ä 


Die Farta, von welcher Befchaffenheit fie auch 
ſeyn mögen, machen den wahren Reichthum der Phis 
loſophie aus. Aber es ift eines von den Vorurtheilen 
der rationellen Phifofophie, daß, wer feine Thaler 
nicht zu zählen verfteht, darum eben nicht reicher feyn 
werde, als wer nur Einen Thater wirflic hat. ‘Die 
rationale Philoſophie beſchaͤfftigt ſich unglücklicherweife 
mehr Damit, die Facta, welche fie beige, einander 
zu nähern, und zu verbinden, als nieue Facta zu fans 
mein. Facta fammeln und verbinden find zmey ſehr 
muͤhſame Arbeiten; auch haben fie Die Philoſophen 
unter fich gerbeilt. Die eine Partey bringe ihr teben 
damit bin, Materiallen zu fammeln; die andere Par⸗ 
tey, Die qus flolgern Architecten beſteht, fucht aus 
jenen Materialien Gebäude zu errichten, Aber die - 
Zeit bat bisher faft alle Gebäude der rationalen Phis 
loſophie umgeftürze. Der ſtaubigte philoſophiſche 
Tagloͤhner bewirkt uͤber kurz oder lang ein Souter⸗ 
rain, wo er wie ein Blinder das Gebäude unters 
gräbt. Es fällg endlich zufammen, und nur verwors 
ren yuter einander gemorfene Materialien bleiben 
übrig, bis pin anderes fühnes Genie eine neue Ders 
Bindung derfelben unternimt. Gluͤcklich ift der fuftes 
matiſche Philofonh, welchem die Natur, wie ehedem 
dem Epifur, Lucrez, Ariftoteles, Plato, eine ſtarke 
Einbildungsfraft, eine große WBeredfamfeit, die. 
Kunft, feine Ideen unter frappgnien und eehabene 

| fs 


während d. gehtz · Jahrhund. B. auf Kant. 425 


OSitdern darzuftelfen, verlieh, Das Gebäude, das 
gr erbaut, wird vielleicht und hoͤchſt wahrfcheinlich, 
einſt einfallen ;- ‚aber feine Statue wird dennoch 
mitten auf den Ruinen übrig bleiben; und 
fein Stein, der fi vom Berge losreißt, wird fie 
——— weil ihr Poſtument nicht von Thon iſt. 


| Der Verſtand hat ſeine Vorurtheile; der 
Sinn ſeine Ungewißheit; das Gedährni feine 
Schranfen ; die Phantafie ihre Schatten; die 
Werkzeuge haben ihre Mängel und Unvollfommens 
beiten. Dagegen find die Phänomene unendfich 
an Zahl; die Urfachen find verborgen; die Fors _ 
men vieleicht tranfitorifch. Gegen fo ‚viele Hinders 
niſſe, die wir in uns finden, und welche die Natur 
uns von außen entgegenfegt, haben wir nichts, als 
eine langſame Erfahrung, eine begrenzte Reflerion, 
Das find die Hebel, womit die Philofophie gewagt 
hat, Die Welt aus ihren Angeln zu heben, 


Die erperimentale Philofophie und die rationale 
haben einen ganz verjchiedenen Charafter und eine 


perjchiedene Tendenz. Jene fchreitet mit verbundenen - 


Augen immer tappend fort, ergreift Alles, was ihr 
unter die Hände fällt, und trifft am (Ende foftbare 
Dinge an. Diefe ſammelt jene foftbaren Materias 
lien, und fucht, fi davon eine Fackel zu machen; 
aber diefe vermennte Fackel hat ihr bisher noch wenis 
ger genüßt, als das Tappen ihrer Rivalin, und 
das mußte der Fall ſeyn. Die Erfahrung vervielfäls 
tigt ihre Bewegungen in’s Unendliche ; ; fie iſt unauf⸗ 
hoͤrlich in Thaͤtigkeit; fie wendet auf das Auffuchen 
der Phänomene alle die Zeit, welche die Vernunft. 
darauf wendet, Analogieen zu ſuchen. Die erperis 
' Dd 5 men⸗ 


426 Geſchichte der neuern Philoſophie — 


mentale Philoſophie weiß nicht, was ihr. bey ihrer 
Arbeit vorfonmen und nicht vorkommen wird; aber 
fie arbeiter unaufpörlih. Im Öegentheile die ratios 
nale Philofopbie wägt im Voraus: die Möglichkeiten 
ab, und thut darüber ganz furz entfheidende Yuss - 
fprühe. Sie fagt geradehin: Man fann das 
Licht nicht desomponiren. Die experimentale 
Philoſophie Hört dies an, und ſchweigt dazu ganze 
Jaͤhrhunderte; aber plößfich zeigt fie das: Prisma 
vor, und fagts das Lichte laͤßt fich dennoch des 
componiren, | 


Diderot lege bey diefer Gelegenheit einen kur⸗ 
‚zen allgemeinen Entwurf der Erperimentalphilofophie 
vor, welchen ich hier noch hinzufügen will, 


Die Erperimentalphilofophie betrifft überhaupt 
die. Eriftenz, die Dualitäten, und die Unwens 
dung. Die erfiere umfaße die Geſchichte, die 
Befhreibung, die Erzeugung, die Erhal— 
tung, und die Zerflörung. Die Öefchichte bes 
zieht fich auf die Derter, Die Einführung oder Aus⸗ 
führung, den Preis, die Vorurtheile dabey, u. w. 
Die Befchreibung.dezieht ſich auf das Innere und 
Aeußere nach allen empfindbaren Qualitaͤten. Die 
Erzeugung wird unterſucht vom erſten Urſprunge 
des Objeets, bis es in den Zuſtand feiner Vollkom⸗ 
menheit gelangt. Die Erhaltung bezieht ſich auf 
alle die Mittel, wodurch das Object in .diefem Zus 
ſtande bewahrt wird. - Die Zerftörung wird uns 
terjucht vom Zuftande der Vollkommenheit des Obs 

‚ jets an bis zum legten Grade der Decompofition, 
doer Muflöfung, | | | 


| Die 


/ 


während d. acht}. Jahrhund. b. auf Kant. 427 
Die Qualitäten find entweder alfgemehie oder 
befondere. Won der erfteren Gattung find Diejenigen, 
welche allen Wefen gemeinfchaftlich zufommen, und 
fih nur durch den Grad der Quantitaͤt unterfcheiden, 
Von der anderen Gattung find diejenigen, wodurch. 
Das Dbject eine folche beftimte Befchaffenheit erhält, 
und fie gehören entweder zu der Subftanz in Maffe, 
oder zu der Subſtanz im rag der Theilung 
und Decompofition, 


Die Anwendung begreift unter fich Verglei⸗ 


ſchung, Gebrauch und Combination. Die er⸗ 


ſiere betrifft entweder die Aehnlichkeiten oder die Vers 
ſchiedenheiten der Objecte; der andre muß ſo ausge⸗ 
dehnt und mannichfaltig dargeſtellt werden, wie moͤg⸗ 
lich. Die Verbindung iſt analog oder bizarre, Dis 
derot ſagt analog oder bizarre, weil Alles in der 
Natur fein Refultat bat, die ausfchweifendfte Er⸗ 
fahrung ſowohl, als die raiſonnirteſte (lexperience 
la plus extravagante ainſi, que la plus raiſonnée). 

Die Erperimentalphilofophie, die fich Fein beſtimtes 
Ziel vorfteckt, ift fiets mit dem zufrieden, was ihr 
vorkomt. Die rationale Philoſophie iſt immer von 
ihrer Abſicht unterrichtet, felbft alsdann, wenn das, 
was fie fich vorgefegt hat, ihr nicht vorfommen folls 
te. Die Erperimentalphilofophie ift ein unſchuldiges 
Studium, das faft gar feine Vorbereitung der Seele 
erfodert. Bon den übrigen Theilen der Philoſophie 
kann man nicht dasfelbe fagen. Die meiften vermeßs 
ren bey uns die Wurh zu conjeeturiren. - Diefe wird 
auf die Laͤnge durch die Erperimentalphilofophie ges 
mäßige; denn man wird es früh oder fpät müde, 
unglücklich zu muthmoßen. 


Dide⸗ 


423 Geſchichte der neuern Philoſophie 


Diderot macht von feinen Regeln der Inter⸗ 
pretation der Matur bejondre Anwendungen. Nur 
Eine zur Probe. Die Producte der Kunft werden 
jmmer gemein, unvollfowmen und geringfügig ſeyn, 
ſo lange man ſich nicht zu einer firengeren Nachah⸗ 
mung der Natur gewoͤhnen wird. Die Natur iſt eis 

genſinnig und langſam in ihren Operationen. Komt 
es ihr darauf an, zu entfernen, zu naͤhern, zu verei⸗ 
nigen, zu theilen, zu erweichen, zu verdichten, zu 
verhaͤrten, fließend zu machen, aufzuloͤſen, zu aſſimi⸗ 
liren, ſo ſchreitet ſie zu ihrem Ziele durch die unmerk⸗ 
lichſten Zwiſchengrade fort. Die Kunſt im Gegen⸗ 
theile uͤbereilt ſich, wird dadurch ermuͤdet, und laͤßt 
zuletzt von ihren Beſtrebungen und Anſtrengungen 
gaͤnzlich nach. Die Natur braucht Jahrhunderte, 
m grob die Metalle zu praͤpariren; die Kunſt nimt 
fib vor, fie in einem Tage zu vervollfomnern. Die 
Natur braucht Jahrhunderte, um Edelſteine zu bils 
"den; die Kunft maaßt fih an, fie in einem Momenz 
te nachzumachen, zz - 


— 


Defäße man auch das wahre Mittel hierzu, fe 
wuͤrde doch dies noch nicht hinreichend feyn; man 
müßte auch, es anzuwenden, verſtehen. Man bilder 
fi irrig ein, daß wenn das Product der Intenſitaͤt 
der Thaͤtigkeit multiplicirt durch die Zeit der Anwen⸗ 

dung dasſelbe iſt, auch das Reſultat dasſelbe ſeyn 
werde. NMur eine gradweiſe, langſame, ſtetige Ans 
‚wendung iſt es, welche umbildet. Jede andere An⸗ 
wendung iſt nur zerftörend. Was koͤnten wir nicht 
aus. der Mifhung gewiffer Subftanzen herausbrin⸗ 
gen, die uns ige nur fehr unvollfomne Compoſita ges 
währt, wenn mir auf eine der Natur analoge Urt zu 
Werke giengen? Uber man eile immer zum Öenufle; 
man 


— 


während d. achtz. Jahrhund. b. auf Kant, 429 


man will das Ende deſſen ſehen, was man angefans 
gen bat. Daher fo viele unnuͤtze Verfuche; ſo viel 
derlorner Aufwand und Mühe; fo viel Arbeiten, 
welche die Natur uns anweiſt, und welche die Kunſt 
nie unternehmen wird, weil ihr der glückliche Eirolg 
Entfernt feine. Wer ift jeinals aus den Grotten 
don Arey herausgegangen, ohne dürch die Geſchwin— 
Digfeit, womit ſich die Stalaktiten darin bilden und 
erfegen, überzeugt zu meiden, daß fie einft dieſe 
Grotten ganz ausfüllen, und Eine ungeheure Maſſe 
forniireri werden ? Aber wo ift der Marutforfcher, 
der nachdenkend über diefes Phänomen, nicht die 
Muthmaßung gehegt hätte, daß, wenn man dag 
Waſſer durch verfchiedene Erd: und Steitiarten laͤu⸗ 
teen ünd filtriren fönte, und die Tropfen hernach in 
geräumigen Hölen aufgefangen mütden, man mit der 
Zeit dahin fommen fünte, Fünftliche Tropfs keituns 
den von Marniot, Albafter und anderh Steinen attzus 
legen, deren Qualitäten nach denen der Erdarten, der 
Steinatten und des Waſſers varliren würden. Über 
wozu dergleichen Muthmaßungen, ohne den Muth, 


die Geduld, Die Arbeit, den Aufwand, die Zeit, 


und vorjüglich den antiten Sinn für große Untetneh⸗ 
Mungen, wovon noch ige fo manche Denfmähler 
übrig find, die ung nichts als eine kalte müfjige ‘Der 
wunderung abgewinnen? 


Ungleich mehr Anziehendes, als Diderot's 
Bemerkungen uͤber die theoretiſche Philoſophie haben, 
bar feine Anſicht der praktiſchen Philoſophie. Ueber 


dieſe haben wir von ihm zwey in ihrer Art trefflich 


Schriften: Eſſai ſur le mérite et la vertu und den Co 
de. de la nature * 


Om 
®) Oeuvres philofophiques. T.l. 


439 Geſchichte der neuern Philoſophie 


Den Stoff der erſteren Schrift giebt D. ſelbſt 
mit folgenden Fragen an: Was iſt die moraliſche 
Tugend? Welchen Einfluß hat die Religion im All⸗ 
‚gemeinen auf die Rechtſchaffenheit? Bis auf wels 
chen Punct fegt fie die Tugend voraus? Könte man 
mie Wahrheit fagen, daß der Atheismus alle mota; 
liſche Rechtſchaffenheit ausſchließe, und daß es uns 
möglich ſey, eine moralifche Tugend M haben, UN 
einen Gott zu glauben? | = 


Zur Beftimmung des Begriffe der moralifchen 
Zugend ift Dideror’s Ideengang diefer: Ben eir 
nem vernünftigen Gejchöpfe ift Alles, was nit aus 
Neigung (par affedion) gefchieht, weder boͤſe, nod) 
gut. Der Menfch folglich ift nur alsdenn gut oder 
böfe, wenn das Intereſſe oder der Machtheil feiner 
Denkart und feines Verfahrens das unmittelbare Ob: 
ject der Leidenfchaft ift, welche ibn in Thätigfeir fegt. 
Weil alfo bloß die Neigung ein Gefchöpf gut oder boͤ⸗ 
fe macht, gemäß feiner Natur, oder von feiner Nas 
tur entarter; fo ift ige zu unterſuchen, welches die 
natürlichen und guten Neigungen, und welches die 
böjen feiner Natur widerftreitenden find. 


Jede Neigung, die ein eingebildetes Gut zum 
Gegenftande bat, fobald fie überflüffig wird, und die 
Energie folher Neigungen vermindert, die auf reelle 
Güter abzwecken, iſt an ſich ſelbſt fehlerhaft unb böse 
artiqg, relativ zu Dem befondern ntereffe und der 
Gtückfeligkeit des Gefchöpfs. Könte man ferner vors 
ausfegen, daß irgend eine derjenigen. Neigungen, 
Wwelche das Geichöpf zu feinem befondern Intereſſe 
hinlenken, in feiner legitimen Energie mie dem allge 
meinen Wohle — en fo würde eine 


Eu 


während d. acht. Johthund. 6. auf Kant. 431 


folhe Neigung laſterhaft ſeyn. Dieſen Erklaͤrungen 
zufolge koͤnte ein Geſchoͤpf nicht feiner Natur gemäß 
handeln, opne in der Gefellfchuft böfe zu feyn, oder 
zum Intereſſe det Gefeltichaft beytragen, ohne in Bes 
ziehung auf fich felbft von feiner Natur auszuarten, 
Hat aber die Neigung ihr Privatintereffe, und iſt fie 
nur der Gefellfchaft ſchaͤdlich, wenn fie ausfchweifend 
wird, hingegen nicht, fo lange fie gemäßigt ift; fo 
fsunen wir alsdenn fagen, daß das Uebermaaß eine 
Neigung lafterhaft gemacht habe, die ihrer Natur 
nach gut war. Jede Neigung alfo, die das Geſchoͤpf 
zu feinem Privarwohle leitet, muß, um lafterhaft 
zu werden, dem öffentlichen Intereſſe ſchaͤdlich feyn. 
Dies iſt der Fehler, der einen intereſſirten Mens 
ſchen charafterifire, ein Fehler, über welhen man 
fo laut ſich beſchwert, wenn er gar zu auffallend ift. 


Iſt bey. einem Gefchöpfe die Liebe zu feinem eiges 
nen Intereffe nicht. mir dem allgemeinen Wohle uns 
verträglich, fo concentrirt auch dieſe ſeyn mag; if 
es ſelbſt für die Geſellſchaft wichtig, daß jedes ihrer 


Glieder ernſtlich danach ſtrebe, was fein Privatwohl 


betrifft; ſo iſt dieſe Geſinnung ſo wenig laſterhaft, 
daß das Geſchoͤpf vielmehr nur unter der Bedingung 
gut ſeyn kann, wenn es von ihr durchdrungen iſt. 
Denn es hieße der Geſellſchaft Unrecht thun, wenn 
ein Mitglied derſelben ſeine Erhaltung vernachlaͤſſigte; 
dieſes Uebermaaß von Unintereſſirtheit wuͤrde das 
Weſen eben ſo boͤsartig und unnatuͤrlich machen, wie 
der Mangel an jeder anderen natürlichen Treigung, 

Diefes Urtheil wirde man ohne Bedenken fällen, 
wenn man fähe, daß Jemand feine Augen vor Abs 
gründen fchlöffe, die ſich vor Ihm öffneten; oder ohne 


alle Düfe auf fein Temperament und feine Ge⸗ 


funds 


432 Gefchichte der neuern Philofophie 
ſundheit, dem Unterſchiede Der Jahrsjeiten in Anſe⸗ 
hung ſeiner Kleidung trotzte. Auf gleiche Weiſe koͤn⸗ 
te man einen Jeden verurtheilen, der einen Abſcheu 
gegen den Umgang mit dem andern Geſchlechte haͤtte, 
und den ein verdorbenes Temperament, nicht ein Feh⸗ 
ler der Organiſation, zur Fortpflanzung det Gattung 
ungefchickt machte. 


- Die tiebe zjum Peioatintereſſe kann demnach gut 
oder boͤſe ſeyn. Iſt dieſe Leidenſchaft zu heftig, z. B. 
von der Art, wie die Liebe zum Leben, ſo daß ſie 
uns jeder edelmuͤthigen Handlutig unfaͤhig machte, ſo 
iſt ſie laſterhaft, und das Weſen, das von ihr regiert 
wird, wird ſchlecht tegiert, und iſt mehr oder mins 
der böfe. Derjenige, der durch eine ausfchweifehde ° 
Liebe zum Leben zufällig etwas Gutes thäte, wuͤrde 
durch das Gute, was er thut, nicht mehr Verdieuſt 
erwerben, als ein Advocat, det nur feine Bezahlung 
im Auge bat, auch wenn et die Sache der Unſchuld 
vertheidigt, oder als ein. Soldat, der auch in dem 
gerechteften Kriege nur darum ficht, weil er feinem 
Sold empfängt. 


Was für Vortheile man auch der Gefellfchaft 
verfchafft haben möge, nur das Motiv allein ber 
gründet das. Verdienſt. Mache Dich durch noch fo 
viel große Handlungen berühmt; du wirft laſterhaft 
feyn, wenn Du nut nach eigennügigen Principien hans 
deiteft, Du verfolgft vielleicht Dein Privatintereffe 
mit aller möglichen Mäßigung; gut; aber harteft Du 
- Bein anderes Motiv, indem Da Deinen Mitmen⸗ 
fchen leiftereft, was du ihnen zufolge einet natuͤtrlichen 
Neigung zu leiften fchuldig warſt; fo biſt dis nicht tus 

gendhaft, Was für eine fremde Huͤlfe es . 
| | eyn 


während d. achtz. Jahrhund. 5. auf Kant. 433 


fenn mag, die Dich zum Guten leitete; wer Dir. aud) 
ſeine ftarfe Hand gegen Deine verfehrten Meigungen 
lieh ; fo lange Du denfelben Charakter bepätft, wird 
‚ man in Dir feine moralifche Güte erfennen. Du wirft 
nur dann gut feyn, wenn Du das Gute aus * 
gung und von Herzen thuſt. 


Wenn zufaͤllig eines der ſanften zahmen biete, 
die dem Menfchen ergeben find, einen Charafter dus 
Berte,, der feiner natürlichen Conſtitution entgegenges 
feße wäre, und wild und graufam würde; fo würde 
uns: diefe Erfcheinung unfehlbar frappiren, und. wie 
würden von einer. Verderbrheit des. Thiers fprechen. _ 
Angenommen, daß Zeit und forgfältige Bemühungen 
dem Thiere jene zufällige Wildheit wiederum benom⸗ 
men, und ihm die narärliche Sanftheit feiner Gate 
sung wieder verfchaffe hätten; fo würden wir. ſagen 
Das Thier fey in feinem narürlichen: Zuftand wieder 
bergeftellt.. Wäre aber die Hellung nur ſcheinbar, 
kehrte Das heuchleriiche Thier zu feiner Schlechtigkeit 
zurück, fobald es von der Furcht vor feinem Zuchts; 
meiſter befteyt wäre; wide man alsdenn urtheifen, 
daß die Sanfıheit, die Gurmürhigkeie fein wahrer, 
ſein gegenmwärtiger Eharafter ſey? Das Temperament 
ift fo, wie es immer war, und das ee x immer! 
Ä bösartig. 


Die chieriſche Güte oder Jeebe des Ger 
ſchoͤpſfs Hat alfo urfprünglich ihren Grund in feinem: 
Temperamente. : Das Geſchoͤpf wird in diefem Sins, 
ne gut feyıt, wenn es zufolge feiner Neigungen das 
Sure lieben und ohne Zwang thun wirds wein: es 
das Boͤſe haſſen und fliehen wird ohne Furde vor der 
Zuͤchtigung. Im Gegentheile wird das Geſchoͤpf 
Buͤhle's Seſch. d. Philoſ. Vi. B. Ee boͤſe 


434 Geſchichte der neuern Philoſophie 


boͤſe ſeyn, wenn es von ſeinen natuͤrlichen Neigungen 
nicht die Kraft erhält, feine Functionen zu erfüllen, 
oder: wenn verderbte ihm eigene Dieigungen es zum 
Böfen fortreiffen und von dem Guten entfernen. Im 
Allgemeinen fobald alle Neigungen des Gefchöpfs mit 
dem Intereſſe der Gattung harmoniren, ift das na⸗ 
türliche Temperament vollfommen gut. Fehlt aber 
irgend eine dem Intereſſe der Gattung vortheilhafte 
Meigung, hat das Thier überflüffige, zu ſchwache, 
fehädliche, und dem Hauptzwecke widerftreitende Nei⸗ 
gungen, fo ift das Temperament verdorben, und 
folglich ift das Thier boͤſe. Es finder alsdenn hier kein 
Unterfehted, als das Mehr oder Weniger ſtatt. 


Es waͤre unnuͤtz, die einzelnen Neigungen bier 
zu. charakterifiren, und: Darzuchun, daß der Zorn, 
dee Meid, die Trägheit, der Hochmuth, und. die 
- übrigen allgemein verworfenen Leidenfchaften an fich 
ſelbſt boͤſe ſeyen, und ein von ihnen afficirtes Ger 
ſchoͤpf boͤſe machen. Mur die- Bemerkung upon 
zweckmaͤßig feyn, daß Die natürlichfie Zärtlichfeit , der 
Mutter für die Jungen, der Eltern fir die Kinder, 
beftimte Grenzen habe, jenfeit deren fie in Laſter auss 
artet.. Das Uebermaaß der mürterlichen Neigung 
Kann die guten Wirfungen der Liebe vernichten, und 
zuviel Mitleid kann gänzlich außer Stand fegen, 
Semanden Hülfe zu leiften. Bey andern Conjunctus 
zen kann diefelbe Liebe fich in eine Art von Wahnfinn 
ummandeln; das Mitleiden wird Schwaͤche; die 
Furcht vor dem Tode geht in Feigheit uͤber; die Ver⸗ 
achtung der Gefahr in. Tollkuͤhnbeit; der Haß des 
Lebens, ‚oder jede. andere Leidenſchaft, die auf Zer⸗ 
ſtcoͤrung gerichter ift, in Verzweifelung-oder Narsheit. 


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waͤhrend d. achtz. Jahrhund. b. Auf Kant. 435° 


Ron der Entwicelung des Begriffs Diefer reis 
nem und einfachen Güte, deren jedes em— 
pfindende Wefen fähigift, geht Dideror über 
zur Beftimmung der Eigenfchaft, welche man Tua 
gend nennt, und die biernieden dem Menfchen 
allein zufomt *). | | 


Ben jeden Geſchoͤpfe, das fich beſtimte Ber 


griffe von den Dingen machen fann, ift jene äußere _ 


Rinde der Weſen, welche in die Sinne fälle, nicht 
das einzige Object feiner Neigungen. Die Handluns 
gen an fich ſelbſt, die Paffionen, wodurch fie hervor— 
gebracht wurden, das Mitleid, die Leutſeligkeit, die 
Dankbarkeit, und ihre Antagoniften, ftellen fich bald 
feinem Verſtande dar, und dieſe feindfeligen Famis 
‚lien, die ihm nicht fremde find, werden für dasfelbe 
neue Gegenſtaͤnde einer überdachten Zärtlichfeit, oder 
eines raiſonnirten Hafles. — 


Intelleetuelle und moraliſche Objecte wirken auf 


den Verſtand ohngefaͤhr auf dieſelbe Art, wie die 
organifirten Subftanzen auf die Sinne mwirfen, Die 
Figuren, Proportionen, Bewegungen und Farben 
‚ diefer fallen uns faum in die Augen; fo entfpringt aus 
der Anordnung und Defonomie ihrer Theile entweder 
eine Schönheit, die ung vergmügt, oder eine Häßliche 
feit, Die uns: beleidigt. Gerade fo iſt es auch der 
Effect des Verragens und der Handlungen der Mens 
fhen auf dem’ Verſtand. Die Megelmäßigfeit oder 


Unordnung in jenen Gegenftänden afficiren Die Mens „ 


ſchen verſchieden, und das Urtheil, welches fie ‚hiers 
— uͤber 


®) Eſſay fur le merite et la vertu p. 38. 


.- . kea 


’ 


436. Gefchichte der neuern Philoſophie eu 


über fällen, iſt nicht weniger neceſſitirt, als das Ges 
fühl der Sinne. — IR 


Der Verſtand hat feine Augen; die Verſtaͤnde 
Mehrer leihen einander das. Ohr; fie bemerfen Pros 
portionen; fie find empfindiih für Harmonie; fie 
meffen, fo zu reden, die Gefinnungen und Gedanfen ; 
kurz, fie haben ‚ihre Kritik, der nichts entwiſcht. 
Die Sinne werden nicht. reeller und nicht lebhafter 
frappirt durch die Wohlflänge der Muſik, durch die 
Formen und Proportionen körperlicher Dinge, als die 
Verſtaͤnde durch die Erfentnig und das Detail det 
Neigungen, Diefe unterfcheiden in den Charafteren 
Milde und Härte; fie fondern darin das Angenehme 
und Efelhafte, das Mistönende und Harmoniſche; 
mit einem Worte, fie fondern darin das Häßliche und 
Schöne, das Häßlihe, das fo hoch fteigen kann, 
um ihre Verachtung und ihren Abſcheu zu erregen, 
das Schöne, das fie zuweilen zur Bewunderung fort 
reißt, und in Entzücken fege und erhält. Fuͤr jeden 
Menfchen, der Die Sache reiflih erwägt, würde es 
eine findifche Affectation feyn, wenn er leugnen woll⸗ 
ge, daß es in den moralifchen Gegenftänden eben fo, 
wie in den förperlichen, ein wahres und wefentliches 
‚Schönes, ein wirkliches Erhabenes gebe. 2 


: Kerner die empfindbaren Objecte, die Bilder der 
Körper, die Farben und Töne, wirfen beftändig auf 

unfre Augen, Ohren, und Sinne überhaupt, ſelbſt 
dann, wenn wir fchlafen. Die intellectuellen und 
> moralifcben Dinge, Die nicht weniger Einfluß auf 
den Verſtand haben, befchäfftigen ihm nicht minder zu 
jeder Zeit. Diefe Formen reizen ihn fogar in Ab; 

weſenheit der Realitäten. Ä | 


Aber 


fr 


waͤhrend da achtz ¶ Jahrhund / 6: auf Kant, 437 


nun fer: betrachtet das Herze mit Gleichguͤltigkeit 
die ſittlichen Entwürfe, die der Verſtande zu ma⸗ 
hen genoͤthigt it, und die ihm faſt immer gegenwaͤr⸗ 
Kg: find? Dideror:beruft fi hierauf das innere 
Gefühl. Es fagt uns, daß da das Herz eben fo 


neceſſitirt ift in feinen Urtheilen, wie der Berftand in 


feinen Thaͤtigkeiten, die Verderbtheit jenes nie fo weit 
gehen kaun, um ihm gänzlich alles Gefühl des Schoͤ⸗ 
nen; uud Haͤßlichen zu: ranben, und daß es nicht ers 
mangeln wird, das Raruriich und Edle zu billigen, 
das Unedle und Niedertraͤchtige zu verwerfen, beſon⸗ 
ders in Augenblicken der uneigennuͤtzigen Laune. Als⸗ 
Denn iſtedas Herz gleich einem billigen Kenner, der im 
einer. Bildergallerie umher wandelt, ſich bald :über 
die Kuͤhnheit jenes Zuges. wundert, bald. über die 
Sanftheit und Milde diefer Empfindung lächelt; der 
fi) jeder wohlthaͤtigen Meigung um ihn her und ih⸗ 


‘ zen, Eindruche-Öffnet, und nur verfchmähend vor als 


lem vorbeygeht, was die fehöne Natur beleidigt. 


Die Empfindungen, Meigungen, Gefinnungen, der 


herſchende Hang, die Difpofitionen, und folglich 
das ganze Benehmen der Gefchöpfe in den verfchiedes 
nen Zuftänden ihres Lebens. find die Sujets einer 
endlofen Menge von Gemählden vom’ Verftande erecus 
tirt, der das Gute und Böfe mit ——— faßt/ 


und mit ‚Sebendigfeit batftell, 


E⸗ giebt — Feine a: Tugend 
and fein Berdienft, ‚ohne einige Flare und deutliche 
Begriffe des-allgemeinen Wohls, und ohne eine. 
überdachte Erkentniß deffen, was moralifch que oder 
boͤſe, gerecht oder ungerecht, bewunderns. oder hafs 


ſeuswuͤrdig if. Go oft wir 5. B. aud im gemeinen, 


deben von einem ‚fchlechten: Pferde reden, das Fehler 
- Ee 3 bat, 


r 


438 Geſchichte der neuern Philoſophie ;:. 


| hat, fo hat man doch: noch niemalsivon einem mora⸗ 


liſch guten. Pferde: gefprochen, oder: vom irgend einem 
andern ſchwachen und ftupiden Thiere, fo gelebrig es 
auch feyn mochte, “ es —. ——— unb 
Tugend babe. 43 


Sey ein Geſchopf EN ſanft, ieuiſelig 


ſtandhaft und mitleidig; wenn es niemals uͤber das, 


was es thut und Andere thun ſieht, nachgedacht hatz 
wenn es ſich niemals eine reine und beſtimte Idee vom 
Guten und Boͤſen bildete; wenn die Reige der Tun 
gend und des moraliſchen Adels nicht Gegenſtaͤnde ſei⸗ 
ner Zuneigung waren; ſo iſt fein Charakter doch nicht 
zugendhaft aus Principien; es muß. fich erft noch Die 
‚wirffame Kentniß der -Gerechtigfeit: erwerben , wo⸗ 
Durch es ſich, um tugendhaft zu ſeyn, beſtimmen 
laſſen ſollte; jene uneigennuͤtzige Liebe der Tugend, 
Die allein feinen Handlungen — Werth zu 
geben — 


Alles, was aus einer — Neigung: ent⸗ 


fetingt, ift böfe, ungerecht und tadelhaft; find- aber 


Die Neigungen gutartig; iſt ihr Gegenſtand der Ges 


ſellſchaft vortheilhaft, und werth, zu jeder Zeit non 


einem vernünftigen Weſen verfolge zu werden; fo wers 
den dieſe beyden vereinigten Bedingungen das aus⸗ 
machen, was man Gerechtigkeit und Billigfeit der 
Handlungen nennt. _ Schaden thun ift noch nicht Uns . 


‚recht thun; denn ein edler Sohn fann, ohne daß er 


aufpörte,. edelmuͤthig zu ſeyn, Durch einen unglücklis 


chen Zufall, oder aus Ungeſchicklichkeit feinen Vater 


ſtatt des Feindes toͤdten, gegen welchen er ihn ſchuͤt⸗ 

zen wollte. Hätte er ihn aber getoͤdtet, um einer 

——— — au — einem Andern 
bey⸗ 


während d. achtze Jahrhund. b. mififiank 439 


"benjufpringen ; oder haͤtte er aus Mangel an Zaͤrt⸗ 
Bichkeit die Mittel zu: feiner Erhaltung vernachläffige, 
% würde er der Ungerechtigkeit ſchuldig geweſen jegn.. | 


og der Gegenftand. unferer Neigung vernunfts 
PR tft er unfers Eifers- und unferee Sorge wärs. 
Big, fo können die Unvoflfommenpeit und Schwaͤche 
der Sinne uns nicht: ungerecht machen. Man ftelle 
ſich einen Menfchen: von gefundem Urtheile und gut⸗ 


artigen Meigungen vor, aber von fo bizarrer.-Conflis 


sution und fo verderdten Organen, daß er durch. diefe 
betriegeriſchen Spiegel. die Dinge entſtellt, verſtuͤm⸗ 
melt, und ganz anders wahrnähme, als fie find; fo 
iſt evident, daß der Fehler nicht in feinem edfern und 
freyen Weſen, in feiner Vernunft liege. Das us 
gluͤckliche Geſchoͤpf kann nicht für laſterhaft gelten. 
So verhaͤlt es ſich inzwiſchen nicht mir den Meynun⸗ 
gen, die man annimmt, mit den Vorſtellungen, die 
man ſich macht, mit den Religionen, zu welchen man 
ſich bekennt. Haͤtte ſich in einem der Laͤnder, die 
ehedenn dein abentheuerlichſten Aberglauben ergeben 
waren, wo man die Katzen, die Crokodile, und an⸗ 
dere ſchlechte und ſchaͤdliche Thiere anbetete, einer der 
aberglaͤubigen Schwaͤrmer in ſeinem heiligen Wahne 
eingebildet, es ſey gerecht, die Wohlfarth einer Katze 
der Wohlfarth ſeines Vaters vorzuziehen, er muͤſſe 
nach feinem Gewiſſen jeden als feinen Feind behandeln, 
der nicht denſelben Cultus beobachte; ſo wuͤrde dieſer 
fromme Gläubige ein abſcheulicher Menſch, und jede 
auf ·ſolche religioͤſe Dogmen — — un⸗ 
Bm und deteſtabet geweſen ſeyn. 


Jeder — über den Werih der Dinge ; dee 
Burn abzweckt, mn + ‚vernünftige: Meigung zu 
4 — 


. — \ 


440 Gefhichte der neuern Philofophle 


gerflören,, oder üungerechte Neigungen hervorzubriu⸗ 
gen, macht lafterbaft, und. fein Motiv kann dieſes 
Verderbniß.des Charafters entfchuldigen. Wer z. B. 
duch glänzende Laſter verführt, fchlechten Dingen 
feine: Achtung; widmet, iſt fetbft laſterhaft. Bisweis 
den kann man ohne Mühe zu der Duelle einer folchen 
Mationalcorruption zurückfommens“ Hier iſt irgend 
ein Chrgeiziger, der auch durch das Geräufch feiner - 
Thaten in Erſtaunen fegt; dort iſt es ein. Seeräuber, 
oder ein ungerechter Eroberer , der durch illuſtre VBer⸗ 
brechen die Bewunderung der Voͤlker fi) erworben, 
amd charafteren Ruhm verfchaffe hat, die man veraßs 
ſcheuen ſollte. Wer folhen venommirten Mens 
fhen Beyfall zollt, würdigt fich ſelbſt herab. Was 
denjenigen betrifft, der in jemand einen tugendhaften 
Menſchen zu achten und zu lieben wähnt, aber nur 
son einem heuchleriſchen Boͤſewichte hintergangen 
wird; ſo iſt er vielleicht ein Thor, ein Gimp; aber 
er it deshalb nicht laſterhaft. 


Irrthum in Thatſachen, der — die eig 
gen angeht, bringt auch. fein Lafter hervor; allein ein 
Irrthum in Anfehung des Rechts hat auf jedes ver» 
nühftige und confequente Wefen Einfluß, auf feine 
natürlichen Meigungen, und. diefes muß northwendig 
Dadurch lafterhaft werden. Es ereignen fich inzwi⸗ 
fchen viele Fälle, wo Die Mechtsgegenftände ſelbſt fuͤr 
die aufzefärtefien Menfcher zu verwickelt und unge⸗ 
wiß find,.als daß ſich das wirkliche Recht leicht und 
mit Sicherheit entſcheiden ließe. Unter ſolchen Um⸗ 
ſtaͤnden kann ein kleines Verſehen einen Mann, deſſen 
Charakter ſonſt für tugendhaft anerkant iſt, nicht um 
feine, Achtung⸗bringen. Stuͤrzen ihn aber der Aber⸗ 

‚glauben :oder-batbarifche Gewohnheiten in grobe * 
ER thu⸗ 


während de achtz. Jahrhund: b. auf Kart. au 
chamer. uͤber die Obiecte und die Anwendung⸗ſeiner 


Neigungen; find feine Verſehen ſo häufig; fo ge, 


> fie ihn außer ſeinen natürlichen Zuftand.iverfegen;, 
», i. daß ſie von ihm Gefinnungenfodern , der 
anenſch lichen Geſellſchaft widerſtreitend und im buͤrger⸗ 
dichen Leben verderblich; hier dem en nach⸗ 
ſehen, hieße, ‚ber: Tugend entfagen.: 2.2. 70% 
mr... ee 
0 Mir — alſo immerhin a Reſulter * 
ſetzen, daß das Verdienſt oder die Tugend von der 
Kentniß der Gerechtigkeilt, und von der Geſundheit 
und Feſtigkeit der Vernunft abhaͤngen, ſo daß dieſe 
fähig ſind, uns in der. Anwendung unſerer — 
zu regieren. Begriffe von Gerechtigkeit, Muth der 
Vernunft, ſind die einzigen Hülfsmittel, wenn man 
fih in der Gefahr befinder, feine Achtung, und ſelbſt 
feine Anfteengüngen, an Abfcheulichfeiten zu ver; 
ſchwenden, an Ideen, die jede natürliche Neigung 
jerfiören. Die narhrlihen Neigungen, die Fundas 
mente der’ nienfchlichen Gefellfhaft, werden oft von 
den blutduͤrſtigen Geſetzen eines falfchen. Point d’hon- 
neur, und den irtigen Prineipien einer faljchen Relis 
gion untergraben. Diefe Gefege und Principien find 
laſterhaft, und koͤnnen diejenigen, welche ihnen fol⸗ 
gen, nur zum Verbrechen und zur moraliſchen Vers 
derbtheit führen, teil Die Gerechtigkeit und die Vers 
nunft fie beftreiten, " Was es alfo auch feyn möge, 
‚das unter den Vorwande gegenwärtigen oder Fünftis 
gen Heils, dem Menfhen im Namen der Gottheit 
PVerrärherey, Undanf, und Grauſamkeiten zur Pflicht 
macht; mas es auch feyn möge, das ſie lehrt, ihres 
Gleichen unter dem Vorwande der Freundfchaft für 
fie zu verfolgen ‚: ihres Kriegsgefangenen zum Zeitvers 
treibe zu quälen j« die Altaͤre mie Menſchenblute zu bes 
Ee 5 | fudeln, 


440 Geſchichte der neuern Philoſophie 


ſubeln, ſich ſelbſt durch Kaſteyuingen zw peinigen; 
durch Faſten aus zumaͤrgeln, ſich im religioͤſen Enthu⸗ 
ſiasmus in Gegenwart ihrer Gottheiten zu zerfleiſchen, 
irgend eine; unmenſchliche oder brutale Handlung zu 
Ehren oder zu Gefallen derſelben zu begehen: — ſie 
muͤſſen den Gehorſam verweigern; wenn fie tugend⸗ 
haft ſeyn wollen;.fie Dürfen. dem eiteln Beyfalle der 
Gewohnheit, oder den betriegeriſchen Orakeln des 
Aberglaubens nicht die Gewalt einräumen;- daß da⸗ 
durch das Gefchrey der Matur und: die Warnung der 
Tugend erſtickt und uͤbertaͤubt werden.Alle dieſe 
Handlungen, welche die Natur verbietet, werden dns 
mer. Abſcheulichkeiten bleiben troz barbariſchen Ge⸗ 
wohnheiten, eigenſinnigen Geſetzen, und falſchen Res- 
liglonsculten, welche ſie anbefohlen haben mögen. 


Es iſt hier aber noch Folgendes zu. beine 
Diejenigen Gefchönfe, welche durch eimpfindbare 
jecte affteirt werden, find gut oder boͤſe, je nachde 
ibre ſinnlichen Affeetionen gut oder. ſchlecht geordne 
find. Ganz anders verhaͤlt fi Dies aber ben. 
fhöpfen, die in dem. moralifchen Guten oder B 
vernünftige und raifonnirte Motive der „Zuneigun 
oder des Abfcheus finden. Denn. bey Individnen 
diefer Gattung, fo ungeregelt auch — 













Affectionen ſeyn moͤgen; der Charakter wird dennoch 
immer gut, ind, das Individuum wird tugendha 
ſeyn, ſobald jene libertinen Neigungen vernuͤnftigen 
Affectionen untergeordnet ſeyn werden. — —— 
Noch mehr. Iſt ein Temperament heftig‘, 7a 
zornig, verliebt, und hat ein Weſen ungeachtet dee 


während d. achtz. Jahrhund. b. auf Kant. , 443 


und darin haben: wir Recht. Waͤre fters Das Pris 
vatintereſſe die einzige Schranfe ; : wodurch. e6 zurück 
gehalten wuͤrde; wäre ohne Nückfiht auf die Reije 
‘ der Tugend diefes Privarintereile die einzige Geißel 
feiner Laſter; fo würde es darum nicht tugendhaft 
ſeyn; aber: fo viel. ift gewiß, Daß, wenn aus freyem 
Willen und ohne ein niebriges und ſelaviſches Motlv 
ein: zorniger Menſch feine. teidenfchaft unterdrückt, 
wenn der. Schwelger feinen: Hang zum Luxus maͤßigt; 
ſo werden wir ihrer. Tugend viel lauter Beyfall zuru⸗ 
- fen, als wenn fie gar Feine. Hinderniffe zu uͤberwin⸗ 
den gehabt hätten. Aber wie das? Sollte der Hang 


zum Laſter ein Relief für die Tugend feyn?:: Wer j 


kehrte Neigungen follten nothwendig ſeyn, um den 
tugendhaften Mann vollkommen zu machen? 


Hier tritt, wie man ſieht, eine bedeutende 


Schwierigkeit ein. Empoͤren ſich liberine Neigun⸗ 
gen auf irgend eine Art, und wird ihre Aeuſſerung 
mit freyer Würde. der Vernunft unterdrückt; ſo iſt 


dies ein umnftreitigee Beweis, daß die Tugend den 


Charakter beherfcht, und darin prädominirt. Hat 
es indeffen ein tugendhaftes Wefen leichter, empfin⸗ 
det es gar Feinen Aufruhr feiner feidenfchaften; fo 
kann man fagen, daß es den Principien der Tugend . 
folgt, ohne feine Kräfte weiter anzuftrengen. Die 
Tugend, welde in dem legtern Falle feinen Feind 
zu befämpfen hat, ift vielleicht nicht minder mächtig; 
fo wie int erſtern Falle derjenige, der feine- Feinde 
befiegt hat, nicht minder rugendhaft if. Im Ges 
geutheile, befreyt von den Hinderniffen, die fich feis 
nem Fortfchritte widerfeßten, kann er fich der Tugend 
ganz übergeben, und fie im ‚einen ag Se⸗de 
beſitzen. 


ne 


ze . | 5 Kup | 


! 


444 Geſchichte der neuern Philoſophie Fe 


Auf diefe Art theilt fich Pie Tugend: bey der Gat⸗ 
tung der,vernünftigen Weſen in ungleiche Grade; obs 
gleich amter den Menfchen vielleicht: nicht: Einer ift, 
Der eine fo geſunde und kraͤftige Vernunft hat, Die 
allein · einen harmoniſchen und vollkommen: Charakter 
begründen. kann. Mit der Tugend diſponiet gleiche 
ſam das Laſter gemeinſchaftlich über das menſchliche 


Betragen, abwechfelud: Sieger und beſtegt. Denn 


es iſt evident, wie auch in einem Geſchoͤpfe die Un⸗ 
regelmaͤhßigkeit der Neigungen ſowohl in:Beziehung 
aufdieSinnenobjecte, .als. in Beziehung auf intellecs 
guelle und moraliſche Weſen feyn mag; wie zuͤgellos 
auch feine: Principien ſeyn moͤgen; wie wuͤthend, 
wohlluͤſtig, grauſam es auch geworden ſeyn mag, ſo⸗ 
bald ihm nur die geringſte Empfindlichkeit für: die 
Reize der Tugend uͤbrig bleibt, ſobald es nur noch 
tigend ein Zeichen von Guͤte, Mitleid, Sanftmurh 
oder-Danfbarfeit giebt , daß die Tugend nicht in ihm 
völlig erftorben, uud daß es noch nicht” durchaus 
laſterhaft und unnatuͤrlich geworden iſt. 


Ein Verbrecher, der vermoͤge eines Gefuͤhls der 
Ehre und der Treue gegen ſeine Genoſſen ſich weigert, 
fie zu verrathen, und der lieber die Foiter erduidet, 
als daß er fich dazu entfchließen follte , bat gewiß 
noch einige Principien der. Tugend, die er aber nur 
unrecht anwendet. Dasfelbe Urtheil kann man von 
dem Boͤſewicht fällen, der lieber mit feinen Genoffen 
ſterben, als fie felbft hinrichten wollte. Es ift faum von 
Jemanden zu fagen, daß er ein vollkomner Acheift 
ſey; fo laͤßt fih auch noch weniger behaupten, Sa 
mand fey durchaus laſterhaft. 


Itzt unterſucht nun Diderot das Verhaͤltniß 
der Tugend, ſeinem Begriffe und Principe derſel⸗ 
| | ben 


Par z0 
DE F 
J 


J 


waͤhrend deachtz Jahrhund. b. auf Kant. 445 


ben gemaͤß, zu den verſchiedenen Syſtemen die Gottꝛ 


heit betreffend, und in dieſer Unterſuchung liegt vor⸗ 
nehmlich das Charakteriſtiſche feiner Moralphiloſophie. 


Da das Weſen der Tugend in einer gerechten 
„Stimmung, in einer gemäßigten Meigung Des vers. 
nünftigen Geichöpfes zu den intellectuellen und moras. 
lichen Gegenftänden der Gerechtigkeit beiteht, fo muß. 
man, um in ihm die Principien der Tugend zu vers. 
nichten oder- zu ſchwaͤchen, 


1) entweder ihm die natürliche Empfindung — 
Idee der Ungerechtigkeit und Billigkeit er 
oder 


2) ihm falfche ‘Begriffe davon behbringen; oder 

3) Andere Meigungen gegen jenes innere. Ges 
fühl aufregen... Auf der anderen Seite, um die Prins 
cipien der Tugend zu befeftigen und zu verſtaͤrken, 
muß man 

1) entweder das Gefühl der Biederkeit (droi- 
ture) und Gerechrigfeit, fo zu reden, nähren und: 
fhärfen; oder 

2) es in feiner sangen Reinheit unterfalten ; 
oder 
3) ihm jede andere Neigung unterwerfen. Nun 
font es Darauf an, welche diefer Wirfungen jede 
Hypotheſe über die Gottheit nochwendig hervorbrins 
gen, oder wenigftens begünftigen muß. 


Wenn davon die Rede ift, ob ein Geſchoͤpf 
des natuͤrlichen Gefuͤhls der Ungerechtig— 
keit und Billigkeit gänzlich beraubt ſey, 
ſo wird damit nicht gemeynt, daß es gar keinen Be⸗ 
griff des Guten und Boͤſen in Verebuns auf die Ge⸗ 

ſell⸗ 


\ ! 


446 Gecchichte der feuern Philoſophie 


ſellſchaft mehr habe. Ein Weſen, das alles Gefuͤhl 
für Recht und Unrecht verloren har, kann deshalb 
noch inimer das Gute und Boͤſe in Beziehung auf 
feine Gattung unterfcheiden. Es ift nur. durchaus 
unempfindiich daflie geworden, und die Vortrefflichs 
keit oder Diederträchtigfeit moralifcher Handlungen - 
wecken in ihm nicht mehr Achtung oder Abſcheu; fo 
daß, abgerechnet ein befonderes und enger concentrirtes 
Intereſſe, das immer in ihm lebendig ift, und ihm 
zuweilen günftige Urtheile über Die Tugend abnöthigt, 
man von ihm behaupten kann, es firebe in feinen 
Sitten weder nach Häßlichfett noch nah Schönheit, 
und Alles fen bey ihm nur auf eine teuflifche monftrös 
fe Einförmigkeit des Handelns angelegt. 


Sn Verhätmig zu den Syſtemen über die Gott; 
heit, mennte Dideror, daß feine dahin gehörige 
Speculation, fein Glaube, feine Weberredung, fein 
Eultus im Stande fey, das Gefühl der Lingerechtig: 
feit und Billigfeit unmittelbar und Directe zu vernich⸗ 
ten, Da dieſes uns eben fo natürlich ift, wie unjere 
Neigungen, und eine der elementarifchen Qualitäten 
unferer Eonftitution ausmaht. Was uns natürlich 
ift, Dies zu entftellen, zu verderben, ift das Werk 
einer langen Gewohnpeit, welche allein eine Nature 
gleichſam in eine andere Matur umjuformen vermag. 
Der Unterfchied der Ungerechtigfeit und Billigfeit 
ift in unferm Weſen urfprünglich gegründet. - Die 
Haͤßlichkeit und Schönheit wahrzunehmen in den ins 
telleceuelfen und moralifchen Weſen, ift eine eben jo 
natuͤrliche Thaͤtigkeit unfers Verftandes , wie diefelbe 
Wahrnehmung bey den organifirten Dingen, und 
vieleicht aͤußert fie ſich noch früher, als diefe. Mur 
eine enrgegengefeßte Hebung kann diefe Thaͤtigkeit auf 

a ims 


während. d- achtz Jahrhund. b. auf Kant: 447.. 


immer EN. oder — auf einige Zeit auf⸗ 
— 


Kodermann weiß aus Erfahrung, daß wenn 


| durch irgend einen Mangel der Bildung aus Zufall 

oder aus Gewohnheit man eine unangenehme oder: 
lächerlihe Manier annimt, alle Aufmerffamfeit, 
Sorge, Vorſicht, um fich derfelben wieder zu.ents _ 
wöhnen, kaum zu dem Zwecke hinreichen. Die Nas 
tur ift hierin aber ganz anders eigenfinnig. Jedes 
Koch ift’ihe unerträglich, und fie ift ftets bereit, es 
abzuſchuͤttein. Über fie meiftern will, hat eine Ars 
beit ohne Ende, Die Ungelehrigfeit des Geiſtes ift 
unglaublich, hauptſaͤchlich wo es auf natürliche Ges 
fühle und urjprüngliche Begriffe ankomt, ‘wie die 
Unterſcheidung des Nechts und Unrechts. Man mag 
fih noch fo fehe mit Beſtreitung derfelben plagen; 
fie laſſen fich nicht weabannen, felbft durch Die Aus 
ferfte Gewalt nicht. Der ausjchweifendfte Aberglau⸗ 
be, das ungereimtefte Nationalvorurtheil, werden 
ſie niemals ganz ausſchließen. 


Aber inwiefern koͤnnen die verſchiedenen theolo⸗ 
giſchen Syſteme das Gefuͤhl und die Idee von Recht 
und Unrecht verfaͤlſchen? Diderot antwortet zus 
voͤrderſt, wie ſich von ihm erwarten laͤßt, daß der 
Atheiomus feinen der Reinigkeit des natuͤrlichen 
Gefuͤhls von Recht und Unrecht widerſtreitenden Eins 
flug äußere Ein Unglücklicher, welchen diefe Hys 
pöthefe zu Verbrechen verführt, und ihm diefelben 
zur Gewohnheit gemacht hätte, kann von Gerechtigs 
feit und Tugend ſehr verdunfelte Begriffe haben; 
aber jene Hypotheſe an fich felbft kann ihn nie dahin 
veisben, eine ſchlechte unedle Handlung für geoß und 

ſchoͤn 


448. Gefihichte der neuern Philofophie' 


fhön zu halten. Der ‚Arheismus;; minder gefahe⸗ 
lich hierin, als der Aberglauben, predigt nicht, daß 
es ſchoͤn ſey, ſich mit Thieren zu begatten, oder mit 
dem Fleiſche ſeines Feindes zu ſaͤttigen. Aber es 
giebt keine Abſcheulichkeit, die nicht fuͤr etwas Vor⸗ 
treffliches, Loͤbliches, Heiliges, angeſehen werden 
koͤnte, wenn irgend ein verderbter Religionscultus es 
ſo mit ſich bringt. 


Wer einen wahren, gerechten und guten Gott 
glaube, ſetzt das Daſeyn einer Gerechtigkeit und Uns 
gerechtigkeit voraus, eines Wahren und eines Fal⸗ 
ſchen, einer Güte und einer Bosheit, und zwar uns; 
abhängig von jenem böchften Wefen; denn er urtheilt 
gerade nach dieſen Begriffen, daß Gott wahr, ges 
recht, und gut ſeyn muͤſſe. Wenn die Rathſchluͤſſe 
Gottes, feine Handlungen und Geſetze erit das Das 
ſeyn der Gerechtigkeit, Wahrheit und Güte übers 
haupt begründeten ;. fo wäre mit der Behauptung, 
daß Gott wahr, gerecht, und gut fey, nichts gefagt;: 
denn, wenn jenes höchfte Weſen die beyden Glieder 
eines fich mwiderfprechenden Gaßes als wahr behaups 
tete, fo würde dadurch das eine Glied fo wahr wer⸗ 
den, wie das andere; wein es ohne Grund ein Ger. 
(Sof verdammte, für das Verbrechen eines Andern 
zu büßen; wenn er ohne Urfache und Unterſchied den 
‚ einen zur Qugal, den andern zur Geligfeit, vers 
dammte, würden alle diefe Urtheilsfprüche ‚gerecht: 
fenn. Demnach zufolge der obigen Suppofition be⸗ 
baupten, daß etwas wahr oder falfch, gerecht oder 
ungerecht, gut oder böfe, fey, ‚heiße mit Worten. 
fpielen, und etwas behaupten, worin fein Sinn ift. 


Hieraus fließt, daß, wer atifrichtig und wirk⸗ 


ih irgend ein . u verehrt, das er doch 
als 


\ 


- 


\ 


während, d. achtz · Jahrhund. bs auf Kante 449 


ols / ungerecht und boͤs artig erkennt, der ſetzt ſich der 
Gefahr aus, alles Gefühl von Billigkeit, alle Ideen 
yon, Öerechtigfeit und Wahrheit, zu verlieren. Der 


religioͤſe Wahn und Eifer muß in die Länge alle wahr 


ze, Froͤmmigkeit und. Rechtichaffenbeit vergiften, ſo— 
bald. ſich Jemand zu einer. Religion mıt Ueberzeugung 
befenut, ‚deren Dorfchriften den Grundprincipien der 


Moral zuwiderlaufen. 


Wenn die anerkannte Boͤs artlgkeit eines hoͤchſten 
Weſens auf ſeine Anbeter einwirkt; wenn ſie die Nei⸗ 


gungen verdirbt, die Begriffe von Wahrheit, Ges 


zechtigfeit, Güte, verwirrt, und die natürliche Uns - 
zerjcheidung des Rechts und Unrechts untergräbt; fo 

iſt nichts geſchickter, die Leidenfchaften zu maͤßigen, 

Die Begriffe zu berichtigen, und Die Liebe zur Ges 
rechtigfeit und Wahrheit zu beftärfen, als der Glau⸗ 
be an einen Gott, den feine Gefchichte bey jeder Ge⸗ 
legenbeit als ein Muſter der Gerechtigkeit, Wahr⸗ 
baftigfeit und Güte darſtellt. Die Ueberzeugung von 
einer. görtlichen Vorſehung, die fih auf Alles em 
ſtreckt, und deren Wirkungen das ganze, Univerfung 
zu, jeder. Zeit empfinder, ift.ein mächtiger Spoen; 

uns.zu bewegen, Daß mir. beftändig denfelben, Prins 


cipien in den engen Schtanfen unfeser- Sphäre fols 


gen. Wenn wir äber in unferm Betragen niemals 
das allgemeine Jutereſſe unſerer Gattung aus den 
Augen verlieren; wenn Das. öffentliche Gemeinwohl 
unfer Compaß iſt, fo tft unmöglich, daß wir uns in \ 
unſern Urtheilen uͤber Recht und Unrecht jemals irren 

ſollten. J . Der | 


Weas alſo die Verfätfhung der Begriffe on 
Recht und Uureche anbelangt, fo wird. die Religion 
Duble's Geſch. d. Philof. VI.D. - öf vie 


-_ 


450° Gefchichte der neuern Philoſophie 


viel Guͤtes oder viel Boͤſes veranlaſſen, je nachdem 
ſie ſelbſt gut oder boͤſe ſeyn wird. Mit dem Atheis⸗ 
mus iſt es gar nicht eben ſo bewandt. Er kann in 
der That eine Verwirrung der Ideen von Recht und 
Unrecht mach ſich ziehen; aber das thut er gar nicht 
in der Eigenfchaft eines reinen. und einfachen Atheis⸗ 
mus: dies ift nur ein Uebel, das mit jedem verderb⸗ 
ten religiösen Cultus verfuäpft ift, und mit phanta⸗ 
ſtiſchen Vorſtellungen von der Gottheit, einer mon⸗ 
ſtroͤſen Familie, die aus dem Aberglauben, und aus 
einer anhaltenden Leichtglaͤubigkeit entfpringt, = 


| — 
Cine andre Frage iſt, was theologiſche Syſteme 
von der Gottheit beytragen koͤnnen, die Neigungen 
gegen das natuͤrliche Gefuͤhl des Rechts und Unrechts 
zu empoͤren? Es iſt einleuchtend, daß die Princi⸗ 
pien der Rechtſchaffenheit auch die Regeln des Ber 
tragens für ein Geſchoͤpf ſeyn werden, welches dies 
felden beſitzt, wenn fie feinen Widerftand von Seiten 
‚des Privarintereffes diefes finden, oder von heftigen 


Leidenfchaften, die, indem fie jedes Gefühl der Vils 


Higfeit. uͤberwaͤltigen, ſelbſt die Ideen des wahren 
Privatintereſſe's verdunfeln, und das Geſchoͤpf gleich⸗ 
fam von dem Wege gewaltſam wegſtoßen, der zut 
Gblauͤckſeligkeit führt. Be ee 


Daß ein Weſen von der Häßlichfeit und Schoͤn⸗ 
heit intellectueller und moraliſcher Objecte geruͤhrt, 
uͤnd folglich mit dem Uuterjchiede Des Rechts und Um 
rechts vertraut geworden fern fünne, lange vorher, 
ebe es Flare und deutliche Begriffe von der Gottheit 
harte, iſt ausgemacht. Man begreift auch nicht 
jeicht, wie ein folches Wefen, als der Menſch, bey 
dem die Faͤhigkeit zu: denken und zu reſlectiren ſich 

— —— 219 Were” PERrER in 


” % 


wihrem d. acht. —— b. auf Kant. 451 


in nnmettlichen und langſamen Graden —S 
bey ſeinem Austritte aus der Wiege genug geuͤbt woß 
den wäre, ‚um die Nichtigkeit der fubttien metaphy⸗ 

hen Speculartonen’ über Die Eriftenz Gottes eingu⸗ 
ſehen. Aber man nehme einmal an, dag ein’ 
ſchoͤpf die Faͤhigkeit zu Denken und zu. reflecriren nicht 
Habe; wohliaber gute Qualitäten und einige gerechte 
Meigungen befige ; ‘daß es feine Gattung liebe, muß 
thig, dankbar, mitleidig fen; dann ift gewiß, daß 
- von den Augenblicke an, da man. diefem Automare 
die Faͤhigkeit zu raifonniven beylegt, es atich jene eder 
den Neigungen billigen, fich in den gefelligen Trieben 
ſelbſt gefallen, Anmuth und Reiz darin finden, und 
* entgegenſtehenden Leidenſchaften ‚haffen wird,’ 


Man fann aljo dreift behaupten, daß ein Ge 
—* Ideen von Recht und Unrecht, Kentniß von 
Tugend und kafter vorher haben koͤnne, bevor es deut⸗ 
liche und beftimte. Ideen von der, Gottheit beſitzt. 
Die Erfahrung unterſtuͤtzt auch diefe Behauptung, 
Deun bemerkt man nicht bey Völkern, die kaum eine 
Apndung von Religion haben, unter den Individuen 
Diefelbe Verſchiedenheit der Charaftere, wie bey Mr 
geflärten Nationen? Sind es nicht das Laſter un 
die moraliſche Tugend, welche die- gegenfeitige Achs 
tudg der Individuen bey ihnen. befliimmen? Wah—⸗ 
rend ein Theil: hochmuͤthig, bari und grauſam, folg⸗ 
lich geneigt iſt, gewaltſame und Ahranniſche Hand⸗ 
lungen zu billigen; iſt ein anderer beil. von Natur 
Teusjelig, . ſauft, „befcbeiden .. ——— und. des⸗ 

wegen auch aſeheducen und gelsligen Neigungen _ 
* nglich. el 


um han Pr —* — dle Erkentniß 
Gottes auf die Venſchen einwirfe, / muß man ieh, 
Aua öfa durch 


452 Gecchichte der neuern Philoſophie 


durch welche Morive:und aus was für einem Grunde, 
fie ibm dienen und feine Gefege befolgen. Entweder 
geſchieht es in Hinficht auf feine Allmacht, und-in-der 
Suppofition,, daß fie von ihm Gutes zu hoffen, und 
Schlimmes zu fürdten ‚haben; ‚oder es geſchieht mit 
Hinficht auf feine Vortrefflichfeit, und mit der Idee, 
Daß die Nachahmung der göttlichen Handelnoweiſe der 
er Grad. der Bolltommenpeit fe ' 


Ein Wefen, das bloß aus eigennüßiger Hoffe. 
Mung oder felavifcher Furcht. Gutes thut und Boͤſes 
vermeidet , hat an ſich felbft weder: Tugend noch 
Güte; fo wenig wie man einem Tiger-an der Kette 
Sanftmuth und Gelehrigkeit benlegen kann. Je be 
reitwilliger der Gehorſam, je tiefer die Unterwuͤrfig⸗ 
keit eines ſolchen Menſchen ſeyn wird, deſto Mehr 
Niedertraͤchtigkeit und Feigheit wird fein Beträgen 
ausdrücen, was auch der Gegenftand feiner Hands 
lungen feyn mag. Mag der Hetr gut oder ſchlecht 

yn; was liegt daran? wenn dar Selav immer dets 
ſelbe bleibe. Noch mehr, gehorcht ein Sclave einem 
milden gürigen Herrn bloß aus heuchlerifcher Furchrz 
fo ift feine Natur um fo bösartiger und fein Dienft um 
fo verächtlicher. Denn diefe ihm zur Gewohnheit 
gewordene Difpofition verbirgt die hoͤchſte Anhaͤnglich⸗ 
keit an fein eigenes Privarintereffe, und eine gänzfiche 
Verderbeheit feines‘ Charafters. Iſt hingegen die 
Gottheit sines Volks ein vortreffliches Weſen, Die 
auch als ein folches von ihm verehrt wird; abſtrahirt 
das Volk von ihrer Macht, und huldigt es ** 

ihrer Güte! bemerkt man in dem Charakter, welchen 
ihre Priefter ihr geben, und in den Gefhichten,' Die 
fie davon erzaͤhlen⸗eine Vorliebe fiir die Tugend und 
eis allgemeines Wohlwollen gegen:alle RE fo 
& ann 


während. achtj. Jahıhund, 5. auf Kant. 453 


rann es nicht fehlen, daß ein fo fchönes Mufter zum 
- Guten anfeuere, und die tiebe zur Gerechtigfeit gegen 
alle dieſe feindfelige Neigungen ftärfe und waffne. 


Mit der Kraft des Beyſpiels verbindet ſich noch 
ein anderes Motiv, um dieſen großen Effeet hervor⸗ 
zubringen. Ein volllomner Theiſt iſt uͤberzeugt von 
der Praͤeminenz eines allmaͤchtigen Weſens, das Zu⸗ 
ſchauer des menſchlichen Betragens, und Augenzeuge 
von Allem iſt, was im Univerſum vorgeht. In der 
- finfterften Einoͤde, in der tiefften Einſamkeit, ſieht 
ihn fein Gone. Er handelt alfo ftets in Gegenwart 
eines Wefens, das für ihn taufend: mal mehr Ehr⸗ 
furcht verdiene, als die erhabenfte Verſammlung der 
Welt. Welche Schande wäre es nicht für ihn, im 
dieſer Gefellfchaft eine verabfheuungswürdige Hands 
lung zu begeben ?: Welche Genugthuung im Gegens 
theile, in Gegenwart feines Gottes tugendhaft ges 
wefen zu ſeyn, felbft wenn fein guter Ruf durch vers 
Jeumderifche Zungen. deshalb gefchmälert, und er der 
Gegenftand der Schmad) der bürgerlichen Gefellichaft _ 
geworden wäre, Am welcher er lebt? Der Theismus 
begünftige. folglich offenbar die Tugend; und der 
Atheismus, welchen diejes große: Huͤlfsmittel abgeht, 
ift hierin mangelpaft. ! 


- Bon ganz anderer Are: iſt der Einfluß, welchen 
bie Hoffnung fünftiger Belohnungen und die Furcht 
vor fünfsigen Strafen auf-die Tugend Auffert, fofern 
ein Meligionsglaube jene mit fich Bringt. Zuvoͤrderſt 
gehören überhaupt Hoffnung und Furcht :niche zu den . - 
liberalen edelmuͤthigen Neigungen, und auch nicht zu. 
"den: Motiven, auf denen das moraliiche Verdienſt der 
Handlungen beruht. Haben: diefe-Wiorive einen * 

öf3 er? 


454 Seſchichte der neuern Philbſorhie 


herſcheuden Einfluß auf das Verhalten eines Ge 
ſchoͤpfs, Das durch uneigennügige Liebe vorzüglich tes 
giert werden muͤßte; fo iſt das Betragen kuechtiſch, 
und dag Gefchöpf iſt noch nicht tugendhaft. Dazız 
komt insbefondre, daß bey jeder Meligionshynorheie, 
wo Hoffnung und Furcht als. die erften und vornehm⸗ 
ſten Motive, unferer Handlungen angenommen wer— 
den, Das Privatinterefie, das natürlich in ung nur 
-zu lebhaft tft, durch: nichts gemäßige und beſchraͤnkt, 
und fonach täglich Durch die Hebung der Leidenfchafs 
gen bey Dingen von der Wichtigfeit immer flätfer 
wird. Daher ift zu fürchten, daß jene Fuechrifche 
Denkart in Die Laͤnge triumphirt, und. ihre Herſchaft 
in allen VBerhältniffen des Lebens ausübt; daß eine 


bhabituelle Aufmerkfjamfeit auf das Privatintereſſe im 


eben dem Maaße die Liebe zum Gemeinwohle mins 
dert, als jenes Intereſſe groͤßer iſt; "endlich das Merz 
und Beritand gleichſam einfcheumpfen, ein. Febfer, 
den man in moralifhem Berrachte faft bey allen HZelo⸗ 
ten im jeder Religionspartey bemerkt. | 


So nachtheilig zwiſchen die Heftigkeit der Meis 
gung für das. Privarintereffe-der Tugend feyn faun, 
fo giebt Dide rot doch zu, daß Umftände und Vers 
bältniffe hatt finden fönnen, wo Die Furcht vor Stras 


- fen, und die Hoffuung der Belohnungen der Tugend 


zu Stüßen dienen mögen, . Leidenfchaften, wie.Zorn, 
Haß, Schwelgeren, u. a. fünnen die innigfte Liebe 
des Gemeinwohls erſchuͤttern, und die: tief. einges 
wurzeltften Ideen der Tugend ausrotten. Hätte der 
Verftand gar feinen Damm ihnen entgegenzufegen, 


fo würden fie ohnfehlbar nach uud nach ſelbſt den 


beften Charafter. verwüften. und. verderben koͤnnen⸗ 
Die Religion * biergegen. Se. ruft. dem Men⸗ 
ſchen 


pP 


+ 


während. d. acht; Jahrhund. 5. auf Kant. 455 


ſchen ſofort zu, daß ſolche Geſinnungen, und die 
Handlungen, welche dieſelben nach ſich ziehen, vor 
den Augen Gottes ſtraͤflich ſeyen; die Stimme der , 
Religion erfchreckt das kafter, und flärft die Tugend; 
die Ruhe fehrt wieder in die Seele zurück; der Menſch 
bemerft die Gefahr, im welcher er gewefen ift, und 
beftee fich fefter als je an Prineipien, Die er auf dem 
Puuncte war, führen zu laſſen. 


Die Furcht wor Strafen und die Hoffnung der ' 
Belohnungen find auch noch geeignet, Jemandes 
Maximen der Tugend zu befefligen, wenn ibn Das 
Intereſſe der Neigungen darin mwanfen macht. Ja 
man kann fagen, Daß, wenn einmal der Verſtand 
Jemandes falfche Ideen aufaefaßı hat; wenn er Durch 
Vorurtheile fih gegen die Wahrheit gleichſam verhärs 
tet, das Gute verfenne, dem Laſter feine Achtung 
widmet und den Borzug giebt, ohne die Furcht vor 
Strafen und Hoffnung auf Belohnungen feine Rücks 
Fehr zum Guten und Wahren von ihm zu erwarten 
fey. Man denfe fich einen Dienfchen, der einige nas 
sürlihe Güte und Biederkeit des Charafters hat,“ 
aber ein feiges und weichliches Temperament, was 
ihn unfähig macht, dem Ungluͤcke die Etirn zu bies 
sen, dem Elende zn trogen. Itzt komt er in eine une 
gluͤckliche Situation; der Kummer bemächtigt fich 
feiner Seele; Alles berrübt ihn; er wird verdriehs 
lich; er zuͤrnt auf Alles, was er für Die Urjache ſei⸗ 
nes Ungluͤcks hält. Wenn er in dieſem Zuftande auf 
den Gedanken geräch, oder feine Freunde denjelben 
bey ibm erweden, daß feine Rechtſchaffenheit die 
Duelle feiner teiden ift, und daß er, um fich ınte Dem 
Gluͤcke wieder auszuſoͤhnen, nur mit der Tugend 
brechen dürfe; fo ift — daß die Achtung, 

| 14 wel⸗ 


— 


‚456 Geſchichte der neuern Philofophie 


welche er gegen Qualitaͤt hegt, in eben dem Verhaͤlt⸗ 
niffe abnehmen werde, als Verdruß und Schmerz its 
feiner Seele zunehmen; ja, daß jene Achtung ganz 
verfchmwinden wird, wenn die Betrachtung der fünftis 
gen Güter, deren Genuß die Tugend verfpricht, zur 
Entſchaͤdigung für diejenigen, welche er vermißt, ihn 
nicht gegen -die truͤben Gedanfen, die. er hegt, oder 
Die böfen Rathſchlaͤge, die er bekomt, aufrecht erhäfe, 
die drohende Verfchlimmerung feines Charafters bins 
dert, und ihn bey feinen vorherigen Prineipien- erhält, 


| Hätte Jemand durch falſche Urtheile gewiſſe lq⸗ 
ſter lleb gewonnen, und waͤre er den entgegengeſetzten 
Tugenden abgeneigt; hielte er z. B. die Verzeihung 


| von Beleidigungen für eine Miederträchtigfeit, und 


die Rache für etwas Heroiſches; ſo könte den’ Folgen 
Diefes Irrthums vielleicht dadurch vorgebeugt werden, 
wenn er bedächte, daß die Milde negen Beleidiger 
durch die Ruhe und andere Vortheile fich belohnt, 
welche fie mit fich führe, anſtatt Daß die Zwierracht 
ſich durch ihre zerfiörenden Folgen beftraft. Durch 
diefen heilſamen Kunftgriff fönnen die Befcheidenheit, 
Eprlichfeit, Mäßigfeit, und andere Tugenden, Die 
zuweilen verachtet werden, ihre Achtung auf’s neue 
erhaften, und die ihnen entgegengefeßten Leidenſchaf⸗ 
ten in Die Verachtung fallen, welche. fie verdienen; 
und man koͤnte mit der Zeit es dahin bringen, jene 
Tugenden zu üben, und die Laſter zu verabſcheuen, 
ohne die geringfte weitere Mückfiche auf Die Aunehm⸗ 
lichfeiten oder feiden, die damit verbunden find, 


Aus diefem Grunde ift auch nichts vortheilhaf⸗ 
ter in einem State, als eine tugendhafte Verwaltung 
und gerechte Vertheilung der Strafen und Belohnun⸗ 

ie: Zu: gen. 


während d. achtz. Jahrhund. h. auf —R 


en. Es iſt dies eine eherne Mauer, an welcher alle 
erſchwoͤrungen der Boͤſewichter ſcheitern; es iſt ein 
Damm, der ihre Beſtrebungen zum Wohle der Ge 
ſellſchaft kehrt; es iſt noch mehr, es ift ein ficheres 
Mittel, die Menſchen an die Tugend zu fefleln, ins 
dem man ihr Privatintereffe an Die Tugend fefleltz 
alle Vorurtheile auf die Seite zu ſchaffen, welche fie 
vom der Tugend entfernenz ihr in den Herzen der 
Menfchen eine günftige Aufnahme zu bereiten; und. 
fie durch eine ſtandhafte Praris des Guten auf eine 
Pfad zu führen, wovon man fie nicht ohne Muͤhe 
würde ableiten koͤnnen. Hierbey iſt gleichwohl nicht 
aus der Acht zu laſſen, daß wenn auch die gevechte 
Vertheilung der Belohnungen und Strafen in einen 
State wefentlich zur Tugend eines Volks beyträgts 
Doch das Beyſpiel noch wirffamer über die Geſinnun⸗ 
gen und Meigungen diefes entfcheider, und feinen 
Charakter bilder. Iſt die Obrigkeit nicht tugendhaft, 
ſo wird die befte Verwaltung wenig wirfen; hingegen 
werden die Unterthanen Die Gefege um fo mehr lieben 
und ehren, wenn fie einmal von der Tugend ihrer Rich⸗ 
ter überzeugt find. Auch ift es nicht ſowohl der Reiz der 
Belohnungen, oder der Schrecken der Strafe, die fie 
der bürgerlichen Gefellfchaft erfprießlich machen; fon: 
dern. es find vielmehr die Achtung vor der Tugend und 
der Haß gegen das £after, welche Diefe öffentlichen Aus: 
drücke der Misbilligung oder deg Todes des menſchli⸗ 
chen Gefchleches in dem ehrlichen Manne und in dein 
Boͤſewichte erwecken. Bey Hinrichtungen von Verbre⸗ 
chern iſt es eine fehr gewöhnliche Beobachtung, daß die 
Schande wegen des Verbrechens und die Infamie faft 
die ganze Strafe der Verbrecher ausmachen. Es ift 
nicht fowohl der Ted, der dem Patienten und deu 
Zufhanern einen Schauder verurjacht, als vielmehr 
| öfs der 


I ' 


Be. 





458. Geſchchte der meucem. Pilofondie 


der Galgen ‚oder dag Rad, was einen Menfchen als 
ein Weſen darftellt, Das die Gejege der Gerechtigkeit 
und Menſchlichkeit verlegt habe, ee 


In Familien -ift die Wirkung. der Belohnungen 
> Züchtigungen Diefelbe, wie in der ‚bürgerlichen 
eſellſchaft. Kim firenger Herr mit der Peitfche in 
der Hand, wird ohne Zweifel feinen Sclaven oder 
Zaglöhner auf feine Pflicht aufmerkſam machen ;: aber 
Diefer wird Dadurch nicht gebeflert werden, - Unters 
deſſen wird eben dieſer Menſch, ben einem fanftern 
Charakter, mit geringfügigen Belohnungen und leich⸗ 
sent Züchtigungen tugendhafte Kinder erziehen. Mit 
Huͤlfe bald mäßiger Drohungen, bald feiner Schmeis 
cheleyen ‚und Gefälligfeiten, wird er ihnen Princis 
pien einprägen, die fie demnaͤchſt befolgen werden. 
ohne Rückjicht auf die Belohnung, welche fie vorher 
antrieb, oder auf. die Ruthe, vor der fie fich fuͤrch⸗ 
zeten. Und dies ift es. gerade, was man eine honette 
und liberale Erziehung nennt. Jeder andere Cultus, 
welchen man der Gottheit, jeder andere Dienft, den 
man einen Menfchen erweift, iſt unedel, und vers 
diene gar Fein ob. 2: m. ! 


Wenn bey einer. Meligion die Belohnungen, 
welche fie verfpricht, liberal find; wenn Die, fünftige 
Gtückieligfeit in Dem Genuffe eines ıugendhaften Vers. 
guügens befteßt, 3. B. in der Uebung oder Betrach⸗ 
zung der Tugend ſelbſt in einem andern teben, (wie 
dieſes der Fall beym Chriſtenthume iſt); fo iſt evi⸗ 
dent, daß die Begierde nach dieſem Zuſtande nur 
aus einer großen Liebe zur Tugend entſpringen, und 
- folglich alle Würde ihres Urſprungs behalten kann. 
Denn jene Begierde ift feine eigennügige Geſinnung; 

| die 


waͤhrend d. acht: Jahrhund Bi auf Känl 439 


die Liebe der Tugend: ift niemals eine unedfe fordide 
Neigung; die Begierde zum Leben aus Liebe zur Zus 
gend kann alſo auch nicht Dafür gelten.  MWenn aber 
jene Begierde nach einem andern geben aus dem Ab: 
jcheue. entweder vor dem Tode oder. por der Vernich⸗ 
tung entſtaͤnde; wenn fie durch irgend eine lafterhafte 
 Meigung erzeugte würde, oder Durch eine Anhaͤnglich⸗ 
feit:an Dinge, die der Tugend fremd find ; fo würde 
fie nicht mehr tugendhaft ſeyn. 


Wie verhaͤlt ſich aber nah Diderot die Tu⸗ 
gend zur menſchlichen Gluͤckſeligkeit? Hieruͤber ent⸗ 
ſcheidet er folgendermaßen. 1) Das Hauptmittel, mit 
ſich ſelbſt vergnuͤgt und gluͤcklich zu ſeyn (d'etre bien 
avec ſoi), iſt, durchaus geſellige und thaͤtige Neigun⸗ 
gen zu haben; fehlt es am ſolchen Neigungen, oder 
find: fie mangelhaft, ſo ift man ungluͤcklich. 2) Es 
ift ein Ungluͤck, zu energifche Neigungen in Bezie⸗ 

hung auf das Privarintereffe zu haben, Die über die 
Subordinatiou hinausgehn, in welcher die gefelfigen 
Meigungen fie halten follten. . 3) Der hoͤchſte Grad 
des Elendes ift, -ausgearsere Meigungen zu befißen, 
Die weder auf das Privatwohl des Geſchoͤpfs, noch 
auf das allgemeine Intereſſe feiner Gattung m: 
find. Dies: führe Diderot weiter aus. 


Gemeiniglich unterfcheidet man Die Vergnügums 
gen und Annehmlichkeiten des Menſchen in Förperliche 
und geiftige; und man ift darin einſtimmig, daß die 

letztern den erſtern vorzuziehen ſind. Sollte Jemand 
bieran zweifeln, fo iſt leicht, es aus der Erfahrung zu 
beweiſen. So oft der menfchliche Geift eine hohe 
Meynung von den DVerdienfllichen einer Handlung 
gefaßt bas, fo oft er lebhaft von dem Damit verbundes 
nen 


Geſchichte der neuern Phlloſophie 


wer Heroismus frappirt wird, und dieſer Gegenſtand 
feinen vollen Eindruck auf ihm gemacht har; vermoͤ⸗ 
gen weder Drohungen, noch Verſprechungen, noch 
Strafen, noch koͤrperliche Vergnuͤgen, ihn Davon: zus 
ruͤckzuhalten, Man fiehe Indianer, Barbaren, Bös 
fewichter, oft Me armfeligften nichtswürdigften Mens 
(hen , für das. Intereſſe einer Horde oder Bande, 
aus Dankbarkeit, aus Rachſucht, aus Maximen 
der Ehre oder der Öalanterie, unglaubliche Arbeiten 
übernehmen, und dem Tode felbft troßen. Dage⸗ 
gen die geringfte Umwoͤlkung des Geiftes, der leichtes 
2: ‚Kummer, ein Fleines Misgefchicf, Finnen. Die 
Mergnügungen des Körpers vergiften und vernichten; 
und zwar fogar alsdenn, wenn mau fih übrigens 
in den gänftigften Umftänden befindet, im Mittels 
puncte alles deſſen, was die Bezauberung der Ginne 
bewirfen und unterhalten Fonte, ‚und in: dem  Mos 
mente, fi dem Genuſſe ganz hinzugeben. Umſonſt 
bisten ſich dieſe Freuden’ dar, fo lange der Geift in 
der Unruhe und Stimmung ſchwebt; alle Bemüßuns 
gen, fie gewießbar zu machen, ſiud eitel, ‚und. ver⸗ 
urfachen nur Ungeduld und Leberdruß, 


139, Sind nun aber die Vergnägungen des Geiftes 
den förperlichen am Werthe vorzuziehen; fo fließt hiers 
ous, daß Alles, was einer ntelligenz eine ftetige 
Meihe intellectueller Vergnuͤgungen verfchaffen fann, 
mehr zu ihrer Gluͤckſeligkeit beyträgt, als eine Abus 
fiche Reihe förperlicher . Freuden. : Die intelleetuellem - 


Vergnuͤgungen aber beftehen entweder in der Auss 


übung der gefelligen Neigungen ſelbſt; eder fie fließem 
aus diefer Ausübung in der Qualität von Wirkund 
gen. Iſt alſo die Defonomie der gefelligen Neigun⸗ 


gen die — des — Vergnuͤgens deg 
en⸗ 


wahrend d acht· Jahthund bi auf · Kant 468 


Menſchen, ſo ſind auch dieſe geſelllgen Neigungen 
allein im Stande, ihm ein dauerhaftes und reelles 
Gluͤck zu verſchaffen. Sie find duch unabhängig von 


der Gefundpeit, der Bequemlichkeit, Munterkeit, 


und allen Vortheilen des Gluͤcks und: Wohlſtandes 
Behaͤlt man nur in der Gefahr, im Zuftande der 
Furcht, des Kummers, bey Verlufte von Gütern, 
bey Schwaͤchlichkeit des Körpers’ die. gefelligen Mei⸗ 
gungen, fo ift die Gfückfeligfeie geborgen) Die 
Schtäge des Schickſals, welche. die Tugend treffen, 
zerftören die Zufriedenheit‘ nicht, Die fie begleiten, 
Die Tugend ift eine Schönheit, die im Gewande 
der. Trauer und in Thraͤnen etwas Ganfteres und 
Mührenderes: bat, als mitten unter’ Bergnügungem 
Ihre Melancholie hat eigenthuͤmliche Reize Die 
gefelligen Neigungen zeigen ihre ganze Kraft nur bey 
großen Berrübniffen. Wenn man diefe Are der Leis 
denfchaften gefchickt zu erregen weiß, wie bey der Vor⸗ 
ſtellung einer guten Tragoͤdie gefchieht; fo giebt es 
fein Vergnügen von ähnlicher Dauer, das ſich mit 
dieſem aus Täufchung entipringenden Vergnügen ver⸗ 
Hleichen ließe. Der Dichter, der uns für das 
Schickſal der Tugend und des Verdienſtes intereſſirt, 
uns über das Les edler Menfchen erweicht, und alle 
Empfindungen der Menfchlichkeit zus ihrem Vortheile 
auftegt, verfeßt uns in ein Entzücen, und gewährt 
ung eine Gatisfaetion des Verſtandes und Herzens, 


die alle Freuden der koͤrperlichen Sinne überwiegt: 


Der Zweck der geſelligen Steigungen in Beyer | 


bung auf den Geift it, andern das Vergnügen mits 
zutheilen, welches man empfinder, ‘oder mit ihnen 
‚felbft die Bergnügungen gemeinfchaftlich zu genieße, 
fich ihrer Uchtung, ihres Beyfalls au erfreuen: Nux 

ein 


{ 


462 Geſchichte der. neuern Philoſophhie 


ein urſpruͤnglich verderbres ungluͤckliches Geſchopf 
kann das Vergnügen verkennen, das darin liegt, zu⸗ 
‚gleich mit Andern froͤlich zu ſeyn. Und wie viel die 
Achtung und der Beyfall Auderet zu unſerer Gluͤck⸗ 
ſeligkelt beytragen, erhellt dataus, dag auch diejent⸗ 
gen, welche die) geringſten oder gar keine Anſpruͤche 


F auf. die Achtung ihrer Mitmenſchen haben, doch bey 


Gelegenheit ſich dem Schein eines biedern moraliſch⸗ 
edeln Charafters geben, und damit paradiren. Sie 
gefallen ſich in der Vorſtellung de. valoir quelque cho- 
fe. Freylich iſt Dies in der Wirklichkeit eine chimaͤ⸗ 
zifche Vorſtellung, die ihnen aber Doch ſchmeichelt, 
Die: fie ſich anſtrengen, in ſich ſelbſt hervorzubtingen, 
indem ſie ein beben voll Unwuͤrdigkelten durch ein 
paar dieſem oder jenem Freunde geleiſtete Dienfte ver; 
ſtecken. Welcher Raͤuber, welcher offenbare Verbre⸗ 
cher, der gegen: alle Geſehze der buͤrgerlichen Geſell⸗ 
ſchaft handelt, hat nicht einen Gefährten, eine Sipp⸗ 
ſchaft ſeines Gleichen, deren gluͤckliche Abentheuer 
ihn ergoͤtzen, denen er ſelbſt mit Freude die ſeinigen 
erzählt, die er als Freunde behandelt, und deren In—⸗ 
tereſſe er wie feimieigenes verfolge? Welcher Menfch 
in der Welt ift unempfindlich ‚gegen:.die Schmeiche⸗ 
leyen und Lobſpruͤche feiner vertrauteſten Bekanten? 
Haben nicht alle unſete Handlungen irgend eine Bes 
ziehung auf. dieſen Tribut? Beſtimt nicht der Beys 
fall der Freundſchaft oft unfer ganzes Betragen? 
Sind wir nicht eiferfüchtig Darauf ſelbſt in Anfehung 
unferer Lafter? Kommen fie nicht in Anfchlag bey 
Der Peripective-des Ehrgeizes, bey den Fanfaronas 
den der Eitelfeit „bey den DBerfchwendungen deu tw 
zus, und felbft bey den Ausfchnieifungen einer uns 
edlen Wohlluſt? Kurz, wenn fi die Beranüguns 
gen eben forberechnen ließen, wie viele andere Dinge; 
| ſo 





wäßrend daft Jahrhundeh auf Mark, Ad 


fo Fönte man ie daß die behden Quellen, die 
Theilnahme an den Gluͤcke Anderer, und das Stre \ 
ben nach ihrer Achtung, wenigftens Reun Zehntel 
alles deſſen ausmachen, was wir fin Leben Angeneh⸗ 
mes ‚genießen; ſo daß alſo von der ganzen Summe 
unſerer Freuden: kaum ein Zebhntel übrig. bliebe, 
was nicht unmittelbar aus Hefelligen Neigungen flöffe, 
und nicht unmittelbar von unſeren natuͤtlichen Seil 
mationen ayeirepe | 
ik, H 330 * 
Auch ſeinen zweyten * ermäßnten Haupiſatz, 
daß die Heftigkeit der Neigungen in Beſſehung auf 
das Privatiniereſſe den Menſchen ungluͤcklich mache 
ſucht Dider ot umſtaͤndlich darzuthun. Alle Leidem 
ſchaften, die mit dem Ptivatintereſſe und dor Ptivan 
zkonomie eines Geſchoͤpfes zufattimenhänget;saffen 
ſich auf folgende reduciren: Lebe zum Leben; Rache 
‚gegen Beleidigungen; Uebe zu den Weibern und ans 
deren Annehmlichkeiten Ber Sinne; Begierde nach 
den Bequemlichkeiten des Lebens; Weneifer tif Ans 
dern oder Liebe des Ruhmes und Berfalls; Een 
oder Liebe der Behaglichkeit und Ruhe. In allen 
Diefen Neigungen relativ zum individuellen Syſteme 
* Menſchen ee das er und Die Sen 
lie e. 
J ET 1’ 3 
Sind; diefe Afteetionen gemiäfige und werden 
in gemifien Schranken gehalten ‚ ſo beeintrachtigen fie 
an fich ſelbſt die bürgerliche Geſellſchaft nicht, und 
find auch nicht mit der morälifchen-Tügend im’ Wider⸗ 
ftreite. Bloß ihr Uebermaaß iſt es, was ſie laſter⸗ 
haft macht. Das Leben boͤher ſchaͤtzen, als es werth 
iſt, heißt feige ſeyn; zu lebhaft eine Beleidigun 
u ‚beißt tachfüchrtg; feyn; das andere Geſchl 
‚und 


464. Geſchichte der neuen Philoſophie ru 


und die, ſiunlichen Vergnuͤgungen zu ausſchweifend 
lieben, .geißt ſchwelgeriſch und liederlich ſeyn; hab⸗ 
ſuͤchtig nad Reichthum trachten, heißt gelzig ſeyn 3 
fi) bündlings der Ehre und dem, Beyfalle Anderer 
aufovfern, heißt. ehrfüchtig und, eitel feyn z in der 
Behaͤglichkeit fein Leben yertraͤumen beißt faul ſeyn. 
Hier iſt der Grad, uͤber welchen hinaus die Neigun⸗ 
gen des Privarinterelle 6 den Gemeinwohle ſchaͤdlich 
werden;.. und auch det Grad ihrer Intenſttat iſt es 
welcher fie für Das Geſchoͤpf felbft verderblih macht. : 
Ben nr: —W er Bra veoi eh 
Koͤnte irgend eine. Neigung des Privatintereſſe ẽ 
ber. Reihung zum allgemeinen, Wohle das Öleihger 
wicht haften ‚ ohne der befonderen, Gluͤckſeligkelt. des 
Geſchoͤpfs präjudicirlich. zu werden, fo. würde es ohne 
alten: Widerſpruch die Liebe zum Leben ſeyn. Wer 
follte aber glauben, daß es gleichwohl keine unter je⸗ 
nen giebt, die fo große Unordnungen, pervorbringen 
und der Gluͤckſeligleit ſo verderblich werden koͤnte, 
wie Riefet 000.40 


Das dag Leben zuweilen ‚ein Uugluͤck ſey, it 
eine allgemein anerkante Thatſache. Iſt ein Geſchoͤpf 
fo.weit gekommen, Daß es aufrichtig ben, Tod wuͤnſcht; 
ſo wuͤrde man es mit zu großer Haͤrte behandeln, 
wenn man ihm befoͤhle, oder es zwaͤnge, noch läns 
ger zu leben. Unter folchen Umſtaͤnden, obgleich 
Religion, uud Vernunft den Arm des Menfcen. zu⸗ 
ruͤckbalten, und ihm nicht erlauben, feine Leiden zus _ 
gleich mir feinem. Leben zu beendigen, kann er doch 
jede “honeite und plaufible” Gelegenpeit ohne Skru⸗ 
gel benußen, wobey er fich der Würde des Lebens ent 
jedigen mag. . Unger: folden Umftänden, freuen ſich 
die Verwandten und Freunde des Todes einer, — 
a ” 


während d. achtz. Jahrhund. b. auf Kant, | 465 


fon, die ihnen theuer mar; hätte fie auch vielleicht 
die Schwäche gehabt, fich der Gefahr entziehen, ‚und 
ige Elend fo ſehr verlängern zu wollen, wie moͤglich. 


Weil die Nothwendigkeit zu leben, zuweilen 
ein Ungluͤck iſt; weil die Unannehmlichkeiten und 


Schwaͤchen des Alters das Leben gemeiniglich zur Laſt 


machen; weil es uͤberhaupt in jedem Alter ein Gut 
iſt, welches das Geſchoͤpf zu einem hoͤhern Preiſe 


zu erhalten ſuchen muß, als es werth iſt; ſo iſt klar, 


daß die Liebe zum Leben oder die Furcht vor dem Tode 


Jemanden von ſeinem wahren Intereſſe ableiten, 


und ihn durch ihr Uebermaaß zu dem BETRETEN 
Dach feiner felbft machen fann. 


4 Wenn man indeflen auch a ; daß es — 
Intereſſe des Geſchoͤpfs mit ſich bringt, ſein Leben 
unter allen Umſtaͤnden und zu jedem Preiſe zu erhal⸗ 
ten; ſo kann man dennoch leugnen, daß es zur 


Gluͤckſeligkeit desſelben gehoͤre, jene Leidenſchaft in 


einem zu hohen Grade zu haben. Das Uebermaaß 
leitet ſie von ihrem Zwecke ab, und macht: fie uns 
wirkſam; was feines Beweifes bedarf. Denn was 
iſt der Erfahrung nach gewoͤhnlicher, als daß: Je⸗ 
mand durch Furcht im die Gefahr geraͤth, vor: wel: 
cher er floh? Was fann derjenige zu feiner Verthei⸗ 


digung und für feine Wohlfarth thun, der den Kopf 


serloren har? Mun iſt aber gewiß, Daß das Ueber⸗ 
maaß von Furcht die Gegenwart des Geiftes aufhebt. 
In Gefahren ift es nur Muth und Standhaftigfeit, 


‘Die ung retten mögen. "Der Tapfre entgeht einer Ge⸗ 


‘fahr, Die er vorherſieht; aber der Feige ftürze fich 
ohne Weberlegung und ‚ohne Gegenwehr in den Abs 
grund, den feine Verwirrung ihm verbirge, und 
\ - Buble's Geſch. d, Philof, VI.2. Ög “den 


466 Gefchichte der neuern Philoſophie 


den er hätte vermeiden fönnen, ſobald er mit Beſon⸗ 
nenheit handelte, ner | 


Wären auch die Folgen jener Leidenfchaft nicht 
ſo traurig, wie ſie bereits dargeſtellt ſind; fo kann 
man doch nicht verkennen, daß ſie an ſich ſelbſt ver⸗ 
derblich iſt, ſofern es uns ungluͤcklich macht, feige zu 
ſeyn: und ſo fern nichts bedaurenswerther iſt, al. 
immer durch Geſpenſter nnd Schreckniſſe beunruhigt 
zu werden, die denen uͤberall folgen, welche ſich vor 
dem Tode fuͤrchten. Denn dieſe Furcht quält nicht‘ 
bloß bey wirffihen Gefahren, und da, mo unfer: 
Los vor Zufalle abhängt; wenn einmal das Tempes 
rament davon beberfcht wird, fo läßt fie nirgends Rus 
he finden; man zittert in der ficherften Einfamfeit; 
und in dem ruhigften Aufenthalt fährt man erſchrocken 
aus dem Schlafe auf. Alles dient, diefe Leidenfchaft - 
zu begünftigen; den Augen, welchen fie biendet, iſt 
jeder Gegenſtand ein Ungeheuer; fie wirkt in ‚Dem 
Augenblicde, wo Andere es am wenigften bemerfenz 
‚fie äußere fich bey Gelegenheiten, die man am wenig, 
ften vorherſah; es giebt Feine noch fü angenehm ‚eins 
gerichtete Luftbarkeit, Feine noch fo angenehme Ges 
nuͤſſe, feine noch fo wohlluͤſtige Vierthelſtunde, Die 
fie niche ſtoͤren, verwirren, vergiften Fönte. Schaͤtzt 
man die Gluͤckſeligkeit nicht nach dem Beſitze aller der 

Vortheile, mit denen fie verbunden iſt; ſondern nach 
‚der inneren Satisfaction, Die man dabey enipfindekz 
fo ift nichts in der Welt ungflücklicher ; als eine feige ° 
furchtſame Ereatur.: Rechnet man nun zu allen dies 
fen Inconvenienzen. noch die Schwächen und Mieders 
teächtigfeiten, zu denen eine zu ausfchweifende Liebe 
zum Leben verführt ;. bringt man afle Handlungen 
Anſchlag, an weiche: man ſich nie ohne mm 
I? LT ur era 


3 


# 


waͤhrend d. ach. Sohrhund. b. auf Kant. 467 


Aerger erinnert, wenn man ſie begangen hat, und 
die man doch nicht zu begehen unterlaͤßt, ſobald man 
feige iſt; erwaͤgt man die erbaͤrmliche Noth, unauf— 
hoͤrlich aus ſeiner natuͤrlichen Ruhe herausgeſchuͤchtert 
zu werden; ſo laͤßt ſich kaum ein ſo verworfenes Ge⸗ 
ſchoͤpf denken, das einiges Vergnuͤgen daran haben 
koͤnte, um dieſen Preis zu leben, nachdem es ſeine 
Tugend, feine Ehre, feine Ruhe, und alles aufges 
opfert bat, was das Glück des Lebens ausmacht. 
Eine ausfchweifende Liebe zum Leben ift alfo dem 
soirflichen Intereſſe und der Glückfeligfeit eines Ges 
schöpfes widerftreitenDd. | 


Die Beglerde, Beleidigungen zu ahnden (le res- 
fentiment) ift eine von der Furcht fehr verfchiedene Lei⸗ 
denjchaft; aber in einem gemäßigten Grade: ift fie 
nicht minder nothwendig zu unferer Sicherheit, niche 

minder nüßlih zu unferer Erhaltung. Die Furcht 
bewegt uns, vor der Gefahr zu fließen; die Begiers 
de,. Beleidigungen zu ahnden, flärfe ung dagegen, 
und motivirt uns, jede Ungerechtigfeit, Die man fich 
gegen ans erlaubt, jede Gemwaltchätigfeit, womit man 
uns bedroht, abzuwehren. Es ift wahr, daß in - 
einem tugendhaften Charafter, bey einer vollfomnen 
Defonomie der Meigungen, die Bewegungen der 
Furcht und der Rachbegierde zu ſchwach find, un Lei— 
Denfchaften abzugeben. Der Brave ift vorfichtig, 
ohne fich zu fürchten; und der Weiſe widerfegt fich, 
oder ftraft, ohne fi zu erzürnen. Aber bey gemei⸗ 
hen Temperamenten Fönnen fih Klugheit und Muth 
mit einem leichten Anfluge von Indignation und 
Furcht vereinigen, ohne das Gleichgewicht der Nei⸗ 
gungen zu zerruͤtten. In diefem Sinne kann man 
den Zorn als eine nothwendige Leidenfchaft betrachten. 
m — Gg 2 Er 


458 ' Gefchichte der neuern Phifofophie 


Er iſt es, der durch die äußern Symptome, welche: 
feinen erften Ausbrucd begleiten, einen jeden, der 
etwa geneigt ſeyn möchte, den Andern zu beleidigen, 
im Boraus ahnden läßt, daß fein Berragen nit uns 
; geftraft bleiben werde, und ihn durch die Furcht, wel⸗ 
che dieſe Apndung erzeugt, von feinem böfen Vorfage 
ablenkt. Er ift es, der ein beleidigtes Wejen wieder 
aufrichtet, und es zu Repreſſalien anfeuert, Je vers 
wandter er mit Wuth und Verzweifelung wird, Defto 
furchtbarer wird er. Bey folhen Extremen giebt er 
einem Menfchen Kräfte und eine Unerfchrockenheie, 
deren man ihn gar nicht fähig gehalten haben würde. 
Obgleich die Züchtigung und Buͤßung des Andern 
fein Hauptzweck find, fo ift er doch auf das Privatins 
tereffe des Weſens gerichter, und felbft auf das allges 
meine Wohl feiner ganzen Gattung. 


Aber auf der anderen Seite hat auch das Lebers 
maaß der Rachbegierde, wenn fie in einen leidenfchafts 
lichen Zorn übergebt, die ſchrecklichſten und gehaͤſſig⸗ 
ſten Folgen. Der Rachbegierige eilt, ſeinen Schmerz 
in dem Uebel eines Andern zu erſticken; die Ausfüh: 
rung feiner Begierde verfpricht ihm die hoͤchſte Wohl⸗ 
luft. Doc was ift dieſe Wohlluſt? Es ift die erfte 
DVierthelftunde eines Werbrechers, nachdem er bie 
Folter ausgeftanden hat; es ift die plögliche Aufhe⸗ 
bung feiner Qual, oder die Milderung derſelben, die 
er von der Machficht feiner Michter oder der Ermüs 
dung der Henferfuechte erlangt. Jene Verkehrtheit, 
jenes Rafinement der Unmenſchlichkeit, jene eigen⸗ 
ſinnige erfinderiſche Grauſamkeit, die man bey mans 
‚Ken Handlungen der Nachfucht bemerkt, find nichts 
anders, als fortgefeßte Anftrengungen eines Unglück 
lichen, der fich beſtrebt, fi ch vom Rade loszuwinden; 

es 


während d. achtz. Jahrhund. b. auf Kant. 469 


es iſt nur die Sättigung einer m die ſich — | 
‚börlich erneuert, 


Es giebt Menfchen, ben denen die —— 
des Zorns nicht leicht entbrennt, wo ſie aber um deſto 
ſchwerer aufhoͤrt, wenn ſie einmal entbrannt iſt. Hier 
iſt der Geift der Rache eine fchlafende Furie, die, 
wenn fie einmal erwacht ift, nicht eher nieder ruht, 
als bis ihr ein Genüge gefcheben if. Dann ift ihr 
‚Schlaf um fo tiefer, ihre Rube feheine um fo’ fanfter, 
se größer die Unruhe, je drückender die auf ihr lies 
"gende taft war, von der fie fich befreye fühle. ’ "Wenn 
"man in der Spräde der Galanterie den Genuß des 
"geliebten Gegenftandes das Ende der Leiden’ des tier 
benden nennt; fo laͤßt fich diefe Medensart in einer 
“ganz anderen Bedeutung auf den Nachfüchtigen ans 
Wenden. Die teiden der Liebe find angenehm und 
ſchmeichelhaft; die Leiden der Rache find nur graus 
ſam. Dieſer Zuſtand iſt nur das Gefuͤhl eines tief 

eingreifenden Elends; eine bittere Empfindung, deren 
Galle durch nichts gemildert wird. Kine Aeuſſerung 
Diderot's uͤber die Rachſucht will ich mit ſeinen 
eigenen Worten hinzufuͤgen: Quant aux influences de 
cette paſſion fur Pesprit et fur le corps, et à ſes 
funeſtes fuites dans les differentes conjondlures de la 
"vie, c’eft un detail, qui nous meneroit trop loin. 
D ailleurs nos Miniftres fe font empares de ces mora- 
litẽs analogues & la Religion, et nos facres Rheteurs 
‚en font retentir depuis fi long tems leurs Chaires et 
"nos Temples, que pour ne rien ajouter à la Satiete 
du genre humain, en anticipant ſur leurs droits, 
"nous n’en dirons pas davantage. 


Waͤre es wahr, Daß der befte Theil der Freu⸗ 
den des Lebens in den Vergnuͤgungen der Sinne be⸗ 
Gg ſtehe; 


470 Geſchichte der neuern Philoſophie 


fiehe; wäre diefes Vergnügen mit äußern Objecten 
auf eine folche Art verbunden, Daß diefe jenes Durch 
ſich felbft hervorbraͤchten, und immer angemefien ihrer 
Quantitaͤt und ihrer Kraft; fo würde es ein unfehlba⸗ 
xes Mittel zur Gluͤckſeligkeit ſeyn, ſich reichlich mit 
jenen koͤſtlichen Dingen zu verſehen, die zur Ölückfes 
Tigfeit nothwendig find. Allein man mag.die Borftels 
Jung, eines wohllüftigen Lebeus fo-fehr ermeitern, wie 
man will; alle Quellen und Hülfsmittel des Ueberfluffes 
werden nie binreichen, unferm Geifte eine wahre und 
Dauernde Gluͤckſeligkeit zu verfchaffen. Wie leicht man 
‚auch die Annehinlichfeiten der Sinne vervielfaͤltige, ins 
dem man fich Alles erwirbt, was den Sinnen ſchmei⸗ 
cheln faun; Alles ift verlornes Gut, wenn irgend ein 

Fehler in den innern Organen - und Fabigkeiten des 

Menſchen, irgend ein Mangel in der natuͤrlichen 

Diſpoſition den Genuß verdirbt und verleidet. 

| Man bemerkt, daß diejenigen, welche ſich durch 

ihre Unmaͤßigkeit den Magen verderben, darum nicht 

weniger Appetit haben; allein es iſt ein falſcher und 

kein natuͤrlicher Appetit. Er iſt ſo, wie der Durſt 

‚eines Betrunkenen oder Fieberkranken. »Die Befrie⸗ 

digung des natuͤrlichen Appetits, des wahren Durſtes 

und Hungers uͤbertrifft unendlich allen ſinnlichen Ge⸗ 

nuß unſrer gelehrteſten und verfeinertſten Petrone. 
Es iſt gar nicht ungewöhnlich von Perſonen, die ans 
fangs ein arbeitfanes wuͤhſeliges Leben fuͤhrten, einen 
einfachen und frugalen Tiſch, zu hören, daß fie miss 
ten. im Ueberfluſſe des Reichthums, zu dem fie ges 
langt waren, und der luxurioͤſen Schwelgeren, wels 
cher fie fich überließen, ‚den Appetit und die Gefunds 
beit zuruͤckwuͤnſchen und fchmerzlich vermiffen, deren 
fie ih in ihrem vorherigen aͤrmlichen Zuftande erfreu⸗ 


ten. Wenn der asus Gewalt angethan wird, wenn 
man 


während d. achtz. Jahrhund. b. auf Kant. a71 


man den Appetit erzwingt, und die Sinne zum Ge⸗ 
nuſſe zw. ſehr anſtrengt; fo verliert ſich die Delikateſſe 
der Organe. Dieſer Mangel verdirbt hernach die 
ausgeſuchteſten Gerichte, und die Gewohnheit raubt 
bald allen ſolchen Genuffen ihren Reiz. Der. Efel 
amd Weberdruß, von allen Genfationen die widrigs 
ften, verlaffen die Unmäßigen niemals. : Anſtatt der. 
ewigen Fottdauer hoher Sinnenfreuden, welche die 
Schmelger von ihrem $urus erwarteten, erndten fie 
nichts. als Schwächen, Kranfheiten, Lnempfindlich: 
feit Der Organe, und gänzliche Unfähigfeit zum Sen 
Ä gnuͤgen uͤberhaupt. 


Wer das Gluͤck gehabt hat, von ſeiner frͤhen 
Jugend an zu einer natuͤrlichen Lebensweiſe, zur Maͤ— 
Bigfeit und Frugalitaͤt gewoͤhnt zu werden, und vol⸗ 
leuds wer eine gewiſſe Anlage bat, ſich vor Auss 
ſchweifung in der Wohlluft zu hüten, hat auch feinen 
Appetit durchaus in der Gewalt. Aber diefer Sclave, 
eben weil er ihm unterwuͤrfig ift, dient er defto beſſer 
. dem Vergnügen desſelben. Gefund, munter, voll 

Kraft und Thpätigfeit, die ipm Unmäßigfeit und Miss. 
brauch nicht benommen haben, verrichter er um fo 
eber und leichter alle feine Geſchaͤffte. Könte oder 
wollte man auch bey zwey Menfchen Feine andere 
Verfchiedenheit der Organe und der Genfationen ans 
nehmen, als die eine unmäßige oder frugale Lebenss 
weife bey ihnen bervorbringen möchte; und wäre es 
möglich, durch Erfahrung die Summe des VBergnüs 
gens zu vergleichen, Dag der eine und der andere in 
feinem Leben. genofjen hätte; fo würde ohne Zweifel, 
ohne Rückficht auf die Folgen, bloß in Betracht des 
wahren Sinnengenuffes, das Mefultat zum VBortheile 
des mäßigen und tugendhaften Menfchen ausfallen. 


©34 . Den 


Be v7 on 





472 Geſchichte der neuern Philoſophie 


: Dem Schaden abgerechnet, welchen Schwelgerey 
und Wohlluft der Geſundheit des Körpers zufügen ; 
der Schaden, den der Geift dadurch leider, ift nody , 
größer, obgleich er weniger gefürchtet wird, Gleiche 
gültigfeit gegen alle höhere Bervollfomnung, ein elens 
des Verbringen der Zeit, Indolenz, Weichlichfeit, 
Trägheit, und die Aufregung einer Schaar anderer 
teidenjchaften, die der entnervte, ftupide, thierifch 
gewordene Geift weder die Luft, noch die Kraft und 
den Much bat, zu beberfchen::. das find die rei 
MWirfungen jener Ausſchweifungen. — 


Nicht minder evident ſind die Nach theile der 


| Unmäßigfeit für die Gefellfchaft, fo wie im entgegen⸗ 


geſetzten Falle die Vortheile der Maͤßigkeit für Dies 
felbe. Unter allen geidenfchaften übt Feine einen fo 
ia Defpotismus über ihre Sclaven aus, wie 

efe. Kein Tribut mildert ihre Herrfchaft; je mehr 
man ihr einraͤumt, je mehr fie fodert. Die natürliche 
DBefcheidenheit und Ingenuitaͤt, die Ehre und die 
Treue, find ihre erften Opfer. Es giebt feine andere 


‚ unregelmäßige Meigungen, deren ungeftüme Launen 


fo viel Stürme erregen, und ein Geſchoͤpf auf einem 
gradern Wege in’s Elend ſtuͤrjen. 


Die Habſucht hat zum Zwecke den Beſitz von 
Reichthuͤmern und Gluͤcksguͤtern, und was man im 
gemeinen Leben einen Stand (etat) nennt. Soll ſie 
der Geſellſchaft nuͤtzlich und mit der Tugend vertraͤg— 


lich ſeyn, fo darf fie feine unruhige Begierde erzeu— 


gen. Die Induſtrie, welche die Opulenz der Fami— 
lien und die Macht der Staten bewirkt, iſt die Toch— 
ter des Intereſſe's. Aber wenn das Intereſſe in 


| ehem MON zu beige wird, fo leiden feine 


beſou⸗ 


# 
* 


während d. achtz. Jahrhund. b. auf Kant. 473 


befondre Wohlfarth und auch das gemeine Wohl dats 
anter. Das Elend, das an ihm nagt, wird -unaufs 
börlich Die Ungerechtigkeit, rächen, die er der Gefells 
Schaft anthut; denn graufamer noch gegen ſich ſelbſt, 
als gegen das menſchliche Geſchlecht, ift der Geuis⸗ 
das eigene — ſeines Gries, 


Darin iſt auch —— einſtimmig, daß 
Geiz und Habſucht zwey Geißeln des Menſchen ſind. 
Man weiß uͤberdem, daß wenig Dinge zur Gubfis 
‚ftenz und zum Bedürfniffe des Menſchen hinreichen, 
"and daß die Zahl der Bedürfniffe ſehr Fein feyn wuͤr⸗ 
de, wenn man .der Frugalität erlaubte, fie zu bes 
fchränfen; daß man aljo auch mit der Hälfte der Ars 
beit, Sorge, Induſtrie, Die man zum Luxus und zue 
Verfhwendung braudt, ein Leben der Mäßigfeit 
führen Fönne. Wenn aber die Mäßigfeit vortheilhaft 
iſt; wenn fie zu unferm Gluͤcke beytraͤgt; menn ihre 
Früchte angenehm find; welches Elend ziehen nicht - 
die entgegengefeßten. Leidenfchaften nach fih? Was 
für Unruhe muß nicht ein Menfch empfinden, der uns 
aufhoͤrlich von Begierden gequält wird, die feine 
Grenzen fennen weder in ihrem Weſen, noch in der 
Natur ihrer Gegenftände? Denn bey welchen Puncte 
koͤnten fie ftehen bleiben? Giebt es in der Unermeßlich⸗ 
feit von Dingen, welche jene Begierde reizen, irgend 
Erwas,. was dem Wunſche unzugänglih wäre? 
Welcher Damm läßt fih der Wuth zu fammeln, 
‚Einfünfte auf Einfünfte, Reichthuͤmer auf Reichthüs 
mer, zu häufen, entgegenfeßen.? u 


Daraus entfpringt in dem Geizigen jene Unruhe, 
die durch Nichts beſchwichtigt wird. Nie wirklich 
eig duch feine Schäße, ſtets arm durch feine. Bes 

Gg5 gier⸗ 


474 Geſchichte der neuern Philoſophie 

gierde nach mehrern, findet er keinen Genuß in dem, 
was er wirklich beſitzt, und verdorrt gleichſam den 
Blick auf das geheftet, was ihm fehle, Vom Durſte 
nach: Ehre: oder Reichthume verzehrt werden, beißt 
—— nicht genleßen. | 


Die Unordnungen , wilde —— die Eher 
fucht im Privatleben und in der bürgerlichen Gefelle 
Schaft verurſacht, fi ind allgemein befant, Wenn die 
. Ktebe zum Ruhme einen edein Wetteifer uͤberſchreitet - 
wenn dieſer Enthuſiasmus über die Schraufen fogar. 
der Eitelfeie hinausgeht; wenn. das Beſtreben, ſich 
unter ſeines Gleichen hervorzuthun, in einen unbe⸗ 
grenzten Hochmuth ausartet; fo kann dieſe Leidens 
fchafe die Urſache aller moͤglichen Uebel werden. Be⸗ 
trachten wir die Vorzüge beſcheidener Charaktere und 
ruhiger Seelen; verweilen wir beym Anblicke der 
Gluͤckſeligkeit und - Sicherheit, die demjenigen nie vers 
‚läßt, weicher fich innerhalb feines Standes zu halten 
weiß, fich mit dem Range beguügt, den er in der 
Geſellſchaft bat, alle mit feiner Lage verbundene Uns 
bequemlichkeiten zufrieden erträgt ; fo wird ung nichts 
vernünftiger. und heilfamer fcheinen, als eine ſolche 
Gemuͤthsſtimmung. Wenn in einer Seele aber die 
Begierde nach Hoheit und Größe ungeftüm wird, und 
fie zu beherſchen anfängt; fo muß zugleich eine vers 
haͤltnißmaͤßige Abneigung gegen die Mittelmäßigfeit 
‚des Staudes und Ranges entftehen. Dun wird der, 
Menfch dem Argwohne und der Eiferfucht zur Beute; 
“er ift immer von dem Mislingen feiner Plane, vor. 
ungünftigen Zufällen beforgt; er ift immer den Ger . 
fahren und der Mortificarion demüthigender abfchläs 
giger Antworten feiner Obern ausgefeßt. Die unots 
— Begierde sum —5 zu Cprenftelieh ; zu 

einem 


während d. achtz. Jahrhund. b. auf Sant. 475 


einem glänzenden Etat, vernichtet folglich alle Ruhe 
und Sicherheit in der Zufunft; vergiftet jeden gegens 
wärtigen Genuß, jede gegenwärtige iuchamuichtent. 


+; Den Agitationen des Shrfüchtigen pflegt man 
gewoͤhnlich die Indolenz und Traͤgheit gegen uͤber 
zu ſtellen; allein dieſer Charakter ſchließt weder den 
Geiz, noch die Ehrſucht ans; nur nit dem Unter—⸗ 
ſchiede, jener ſchlaͤft in ihm, und dieſer iſt ohne Efr 
fect. Jene lethargiſche Leidenfchaft iſt eine uͤbermaͤ⸗ 
ßige Liebe zur Ruhe, welche der Seele den Muth 
taubt, den Verftand abſtumpft, das Gefhöpf zu Ans 
ſtrengungen unfähig macht, indem fie in den Augen 
‚besfelben die Schwierigkeiten vergrößert, mit deuen 
der Weg zu Reichthume und Ehre überfäet if. Der 
"Hang zur Ruhe iſt weder minder natürlich, noch mir: 
Der nuͤtzlich, als die Luft zu fchlafen ; aber eine bes 
ſtaͤndige Schlaͤfrigkeit wuͤrde dem’ Körper nicht ver; 
‚derblicher ſeyn, als eine allgemeine Abneigung vor 
Gefchäfften es dem Geiſte ſeyn würde, 


Wie wohlthaͤtig und nothwendig die koͤrperliche 
Bewegung der Geſundheit ſey, kann man aus dem 
Temperamente eines Menſchen abnehmen, der zur 
Arbeit gewöhnt ift, und eines ſolchen, der nie eigent: 
lich gearbeitet hat; oder aus der männlichen und ftats 
ken Eonftitution eines Durch Arbeit abgebärteten Koͤr⸗ 
pers, und der weibifchen Complexion jener Automate, 
Die- auf weihen Pflaume erzogen wurden, Die 
Faulheit äußert aber ihren Einfluß nicht bloß auf den 
Körper. Indem fie" die Organe verdirbt, fehwächt 
“fie die finntichen Vergnuͤgungen; von den Ginnen 
pflanzt fi das Verderbniß auf den Geift fort; und 
bier iſt es, wo fe die vornehmfte Berwüftung an⸗ 

rich⸗e 


‚476 Gefchichte der neuern Philofophie 


richtet. Mur nach einiger Zeit empfinder die Maſchi⸗ 
ne eines Menſchen erft die Wirfungen des Muͤſſiggan⸗ 
ges; die Indolenz f[hlägt die Seele nieder, indenz 
fie dieſelbe ganz einnimt; es bemächtigen fich ihrer 
Aengftlichfeiten, Verwirrung, Langeweile, Ueber⸗ 
druß, Edel und üble Laune; und diefe melancholis 
{hen Gefährtinnen find es, welche zuletzt den BR 
fggänger begleiten, und nie verlaſſen. 


i Was aber das Privatinterefje eines faufen Mens 
fen betrifft, wie ſehr wird diefes nicht ‚gefährdet? 
Bon Gegenftänden, und Gejchäfften umgeben zu feyn, 

die Aufmerfjamfeit und Sorgfalt erfodern, und ſich 
nun zu dieſer Aufmerffamfeit und Sorgfalt ſchlecht⸗ 
hin unfähig fuͤhlen; welch' ein Zuſtand! Welch” 

eine Menge von Inconvenienzen, ſich ſelbſt nicht 
helfen zu koͤnnen, und doch oft fremde Huͤlfe zu vers 
miffen! Dies ift die Situation eines Indolenten, 
der nie andere Perfonen cultivirte, und der gleich 
wohl Andere um fo nöthiger bat, da er bey der Uns 
wiſſenheit aller Pflichten der bürgerlichen. Gefellfchaft, 
die fein Lafter verfchuldere, fich felbft völlig. unnäg iſt. 


Aus diefer Charafteriftif. der Neigungen ı des 
 Privatintereffe, und der Inconvenienzen ihrer zu.gros 
gen Heftigkeit erhellt aljo überhaupt genommen, daß 
das Uebermaaß derfelben der menfchlichen Gluͤckſelig⸗ 
keit widerftreitet, und daß fie einen durch fie verderbs 
ten Menfchen in wirfliches Elend ſtuͤrzen. Ihre 
Herrſchaft wächft immer nur auf Koften unferer Frey⸗ 
‚ heit, und durch ihre enge und befchränfte Sphäre fets 
zen fie den Menfchen der Gefahr aus,. eine nieders 
teächtige und ſchmutzige Denfart anzunehmen, die 

* allgemein verachtet und verabſcheuet wird. 
I | Nichts 


während d. achtz. Jahrhund. 6. auf Kant. 477 
Nichts iſt daher an ſich ſelbſt verwerflicher, und trau⸗ 

riger in ſeinen Folgen, als den Leidenſchaften des 
Pivatintereſſe's ein zu geneigtes Gehör zu geben, 
ein Sclav derfelben zu feyn, fein Temperament ihr 


ter Diferetion , und fein Betragen ihren er . 
zu uͤberlaſſen. | 


Ueberdem bringt das unbedingte Verfolgen des 
Privatintereſſe s bey einem Menſchen eine gewiſſe Ver⸗ 
ſchmitztheit im Handel, etwas Betriegeriſches und Ver⸗ 
ftelltes in feinem Benehmen hervor, wobey die natürliche 
Ehrlichkeit und Einfalt, die Auftichtigfeit, Die Frey⸗ 
müthigfeit und Biederkeit verloren geben. Auch das ges 
genfeitige Vertrauen unter den Menfchen hört dadurch 

änzlih auf; Neid, Argwohn, Eiferjucht, verviels 
 fältigen fi in’s Unendliche; mit jedem Tage eneftes 
ben immer mehr neue egoiftifhe Entwürfe, während 
die Hinfiht auf das allgemeine Beſte immer mehr 
verfhwinde.e. Man bricht unmerflih mit feines 


Gleichen, und in diefer Entfernung von der bürgers ⸗ 


lichen Gefellfhaft, die das engherzige Intereſſe zur 
Seine bat, betrachtet man nur mit Verachtung die 

ande, welhe uns noch daran fefleln. Alsdenn 
wird der Menfch auch darauf hinarbeiten, jene im» 
portünen Neigungen zum Schweigen zu bringen, und 
bald, fie ganz auszurotten, deren Stimme im Ins 
nern der Seele nicht aufhört, und uns das allgemeine 
Wohl der Menfchheit als unfer wahres Intereſſe zur 
Pflicht macht. Dies heiße: Man wird alsdenn aug 
alten Kräften ſich bemühen, völlig unglücklich zu 
werden. 


| Itzt ftellt Diderot noch eine furze Mufterung ders 
jenigen teidenfchaften auf, er fich weder auf das allge: 
meine 


I 


478 | Gefchichte der neuern Philoſophie rn 


meine- Wohl, noch auf das-Privatinterefie beziehe. 
und weder der Geſellſchaft, noch dem Individůnm 
vortheilhaft nd. Sofern fie den geſelligen und. ‚nase, 
türlichen Neigungen entgegengefegt find, nennt fie 

uͤberfluͤſſige und unnatürliche Neigungen. *8* 


Zu dieſer Gattung gehoͤren das grauſame Ver⸗ 
gnuͤgen, welches manche Menſchen au Hinrichtun⸗ 
gen Andrer, an Qualen, Ungluͤcksfaͤllen, Blutver⸗ 
gießen, Metzeleyen, Verwuͤſtung und Zerſtoͤrung 
finden. Es war dies zuweilen die herſchende Leiden⸗ 
ſchaft von ‚Tyrannen und barbariſchen Nationen. 
Menfchen, die der Feinheit der Sitten und Maniez 

ren, welche der Rohheit und Brutalität vorbeugt, 
und eine gewiffe Achtung gegen die Menfchheit. ers 
hält, entjagt haben, find ihr unterworfen... Sie 
zeigt fid) auch da, wo es an Sanftmuth und teurfeligs 
feit gänzlich fehlt. Alles, was man gute Erziehung 
nennt, verbietet jede Inhumanitaͤt und jedes barbas 
rifche Vergnügen. An dem Unglücfe eines Feindes 
Wohlgefallen finden, ift eine Wirfung der Animos 
fität, des Hafles, der Furcht, oder irgend einer ans 
deren eigennüßigen Leidenſchaft. Aber fih an der 
Noth und Qual eines uns gleichgültigen Weſens ers 
gößen, fie habe in ihm felbft ihren Grund oder außer 
ihm, jenes Wefen fey von derfelben Gattung oder 
von einer anderen, fey Freund oder Feind, befant 
oder unbefant; die Augen neugierig an feinem Blute 
und feinem Todesfampfe weiden; Diefer Hang fegt 
fein Sutereffe voraus; er ift monfrös, a 
und unnatürlich. 


..,. Ein 6wacher Anflug diſet Reigung iſt die boss 
haſte Freude an der, Verlegenheit Anderer. Mer die 
— | Natur 


waͤhrend d. achtz. Jahrhund;-6. auf Kant: 479 


‚ _ Matur.diefer Gemuͤthsſtimmung nur ein wenig fennt, 
wird. fich nicht über die ſchlimmen Folgen vermunderı, 
‚welche fie bat. Vielmehr wird er in Verlegenheit 
ſeyn, zu erflären, durch welches Wunder ein Kind, 
das. unter den Händen der Frauenzimmer gewöhnt ift, 
fi an der Berlegenheit und Unruhe Anderer zu erz 
goͤtzen, Ddiefen Gefhmac im reifern Alter verliert, ° 

und fich niche damit bejchäfftige,. Uneinigkeit in der 
Familie zu ſtiften, Zaͤnkereyen unter ſeinen Freunden 
zu veranlaſſen, und ſelbſt zu Empoͤrungen in der buͤr— 
gerlichen Geſellſchaft Veranlaſſung zu geben. Aber 
gluͤcklicherweiſe hat doch jeye Neigung feinen Grund. 
in der menſchlichen Natur; daher fie auch im Ganzen 
feltener vorfomt. — 2 


| Zu der Claſſe der. Neigungen, von ‚welcher: hier 
die Rede ift, gehört auch der Menſchenhaß (Mifans 
cthropie); eine Art, von Abneigung gegen ihre, Mir: 
menſchen und die Gefellfchaft, die in gewiflen Perfos 
nen .berfchend wird. Gie. wirft. mächtig bey Allen, 
‚denen eine uͤble kaune zur. Gewohnheit gewarden ift, 
und die durch eine böfe Natur und fchlechte Erziehung - 

‚eine folche Rufticitäe in den. Manieren und Härte ii‘ 
den. Sitten angenommen haben, daß der Anblick je— 
:des- Fremden fie beleidigt. Das menfchliche Ger 
ſchlecht enthaͤlt viel folcher Menfchen von ſchwarzer 
‚Galle (arrabilaires). Der Haß ift. immer die erfte 
Triebfeder diefer Gefinnung. Zumeilen ift die Krank; 
‚beit des Temperaments epidemifch; bey wilden Tas 
tionen ift fie gewöhnlich, und macht eines der vors 
‚nehmften Merkmale der Barbarey aus. Man fann 
fie gleichfam. als die Mückfeite (revers) jener edelmuͤ— 
‚thigen Neigung anſehen, die bey den Alten unter dem 
Namen der Hoſpitalitaͤt belant war: einer Tugend, 
Die 


430 Gefchichte der neuern Philoſophie 


die eigentlich nichts atıders als die allgemeine. Liebe der 
Menſchheit iſt, welche ſich in der Dienſtfertigkeit und 
Gefaͤlligkeit gegen Fremde aͤußerte. 


Die Undankbarkeit, die Verraͤtherey, firenge 
genommen, hält Diderot für bloß negative Lafterz 
fie drücken feine beftimte Neigung aus; ihre Urjache 
ift eben fo unbeſtimt; fie entfpringen aus der Incon⸗ 
ſiſtenz und Unordnung der Neigungen überhaupt, 


Mach diefen bisher von Diderot entwidelten 
Megeln hat alfo die ewige Weisheit, die das Univers 
fum regiert, das beſondere Intereſſe eines Geſchoͤpfes, 
namentlich des Menſchen, mit dem allgemeinen Woh⸗ 
le ſeiner Gattung verbunden; ſo daß er das eine nicht 
durchkreuzen kann, ohne ſich von dem andern zu ent⸗ 
fernen; noch feines Gleichen ſich entziehen kann, oh⸗ 
ne ſich ſelbſt zu ſchaden. In dieſem Sinne kann man 
von dem Menſchen ſagen, daß er ſelbſt ſein groͤßter 
Feind fen, weil ſeine Gluͤckſeligkeit in feiner eigenen 
Hand iſt, und er nur dann dieſer verluſtig gehen kann, 
wenn er das Intereſſe der Geſellſchaft und des Gan— 
zen, von welchem er einen Theil ausmacht, aus dem 
Geſichte verliert. Die Tugend, die anziehendſte al⸗ 
ler Schoͤnheiten, ja die Schönheit ſelbſt vorzugswei⸗ 
ſe, die Zierde und Grundlage der menſchlichen Ver⸗ 
Bindungen, die Stuͤtze der gemeinen Weſen, das 
Band des Handels, Verkehrs und der Freundſchaft, 
die Gluͤckſeligkeit der Familien, die Ehre der Voͤl⸗ 
fer; die Tugend, ohne welche Alles, was milde, an⸗ 
genehm ; groß, 'glänzend, und ſchoͤn fcheint,: "in 
Nichts verfchwindetz die Tugend. endlich ‚” dieſe 
Wohlthaͤterin der gefaimten bürgerlichen Geſellſchaft, 
und des ganzen: menſchlichen Geſchlechts, macht. alfo 
— | | auch 


.. 


während d. achtz Jahrhund. b. auf Kant. 482 


auch‘ das reelle und gegenwaͤrtige Gluͤck jedes Ges 
ſchoͤpfes Insbefondre aus. Der Menſch Fann alfo nur 
Durch die Tugend glücklich, und nur in Ermangelung 
derſelben unglüctih jeyn. Die Tugend ift alfo ein 
Gut, das tafter ift ein Uebel der bürgerlichen Geſell⸗ 
Schaft und jedes Mitgliedes, aus welchem — be⸗ 


ſebt. 


Unter dem Titel Code de Ja Nature. eriſtitt noch 
ein anderer intereflanter Auffaß von Diderot, wor» 
in er. furg ein Syſtem dee Politik nach feinen 
Prineipien entwickelt, wie er es in einem Lehrgediche 
te unter dem Titel Bafiliade, und zwar in Form 
einer Epopoe, Darftellen wollte. Aber wie fann 
fich ‚möglicherweife, wird man fragen, ein folder 
Stoff zu einer Epopoe eignen? Diderot bat diefe 
Frage bey den Meiften feiner -tefer im Voraus geahns 
der, und fie daher auch vorläufig zu beantmorten ges 
ſucht. Dee Held der. didaktifchen Epovve ift Der 
Menfch feibft gebilder durch die Lehren der Natur, 
und. mittelft diejer ‘Bildung die Fundamente aller der 
Vorurtheile zerſtoͤrend, die ihn gegen die Stimme 
jener liebenswuͤrdigen Geſetzgeberin taub macht. 
Durch den Schiffbruch der ſchwimmenden 
Inſeln (Naufrage des isles flottantes) bezeichnet er 
allegoriſch das Schickſal der meiſten Irrthuͤmer, Thor⸗ 
beiten und Frivolitaͤten, welche die Vernunft verdun⸗ 
leln und verwirren. 


Diderot wirft hier das Problem auf:: Wie 
‚ findet man eine Situation des Menfchen , in melcher 
es ihm beynabe unmöglich wird, verderbt, oder böfe 
zu werden, oder die wenigſtens unter allen ungünftt: 
gen Situationen für die Moralitaͤt noch die günftiafte 
Buble'e Geſch. >. — Vi D. Hh iſt? 


482 Gefchichte der neuern Philsfophie 


iſt? Die Altern Gefeßgeber und Politifer, da’ fie- die 
Loͤſung dieſes Problems verfeldten, haben auch die 
erfte und einzige Urfache aller Uebel überfehen, weiche 
die Menjchheit drücken, fo wie auch das einzige evi⸗ 
dente Medium, wodurd fie ihren Irrthum hätten 
erfennen koͤnnen. Die neuern Polttifer nach ihnen 
haben fih noch welter von der urfprünglichen Wahr⸗ 
heit entfernt, um den wirklichen Urfprung, die Natur 
und Verkettung der Lafter einzufehen und die Untaugs 
lichkeit der Mittel, welche die gemeine Moral dages 
gen anraͤth. Sie hätten ſehr leichte mit Hülfe dieſer 
Einficht die Schulmoral decomponiren, das-Falfhe 
Ihrer Hypotheſen, die Unwirkſamkeit ihrer Borfchrifs 
ten, die Contrarieräten in ihren Maximen, die Unver⸗ 
träglichfeit der Mittel mit den Zwecke, furz die ein⸗ 
zelnen Mängel jedes Theils diefes monftröfen Ganzen 
darthun fönnen. Kine‘ folhe Anatyfe, wie’ die der 
mathematiſchen Aequationen, indem fie das Falſche, 
Das Zweifelhafte, befeitigte und verſchwinden machte, 
hätte endlich das Umbefante hervorgehen laſſen, 
eine Moral, dje der deutlichften Demonfttarion 
wahrhaft räbig geweſen waͤre. 


Ben Befolgung diefer Methode glaubre Dis 
derot entdeckt zu haben, das die Weiſen aller Zeit, 
um eine Berfchlimmerung der Meufchen zu heilen, die 
ſie unſchicklich für ein fatales. Erbiheil der Menſchheit 
hielten, fich einbilderen, die Schwäche der Menfchen 
fey da zu ſuchen, wo fie nicht eriftirte, und daß fie 
Diefen Wahn, dem Gifte gleich, zur Arzney gegen das 
Uebel brauchten, deſſen Urfache es ſeyn ſollte. Kei— 
ner jener Philoſophen iſt auf den Verdacht gerathen, 
daß jene Urſache des Verderbniſſes der Menſchen ge⸗ 
rade seine ihrer erſten Belehrungen war. Vielmehr 


| waͤhrend d. act; Zohthundet bi AR 483 


nahm; fie an, daß bevor der Menfch das Sicht er⸗ 
blickte, er ſchon in ſeiner Bruſt den traurigen Samen 
des Verderbniſſes trug, Das ihn fein Gluͤck auf Kosi 
ſten feiner Gattung, und Des ganzen Univerfum’ 8, 
ER wiguch waͤre, ſuchen laͤßt. 


Aus der Selbſiliebe machen die Moraliſten z. B 
eine Hydra von Laſtern mit hundert Koͤpfen, und in 
der That iſt fie es auch durch ihre eigenen Vorſchrife⸗ 
ten. gemprden.- Was iſt jedoch dieſe Selbſtliebe in 
der Ordnung der Natur? Ein beſtaͤndiges Streben, 
feyn- Daſeyn zu erhalten, Durch die leichten und uns! 
ſchuldigen Mittel, welche die Borfehung uns in die. 
Gewalt gab, und. zu welchen eine ſehr Feine Zahl 
von Bedürfniffen uns. rieth unfere Zuflucht zu nehmen, 
Aber feitdem die Moraliften jene Mittel mit einer Men⸗ 
ge faft unüberfteigliher Schwierigfeiten uingeben haben, 
ſelbſt mir drohenden Gefahren, und Dadurch der Nas 
tur gleichſam den Krieg anfündigten; hatte man bier 
Urfache darüber zu erfiaunen, wie eine friedliche Deis . 
gung wuͤthend, der furchebarften Ausſchweifungen 
fähig werden, und die Nothwendigkeit erzeugen fonte, 
mehrere taujend Jahre mit eben fo viel Arbeit als: ges 
ringem Erfolge danach zu fireben, daß man das Ue⸗ 
bermaaß jener Neigung minderte, und ihre Verirrun⸗ 
‚gen verbefierte? War es zu vermundern, daß jene 
unſchuldige Getbftliebe ſich in alfe-Lafter verwandelte; 
gegen welche: die Moraliſten ige vergeblich decelamiren,. 
oder daß fie Die Maſke erfünftelter Zugenden annahm⸗ 
die 3 Di Wiosalifien: — wollten; 
Dar 7 N} | 6 I une 
De cwaurigen Moral, den. Poitofepketdasfe iſt es 
ins eigentlichen Verſtaude zuzuſchreiben; daß die"ges; 
— Etzie hung von der en Kindheit an ae 


434 Geſchichte der neuern Philoſophie 


Aufruhr im Herzen der Menfchen erregt, deſſen man 
faͤlſchlich die Natur befchutdigr " Der erſte Gebrauch, 
den ein Vater von den Regeln der: gewoͤhnlichen 
Schulmoral macht, um feine Kinder zu bilden, bes 
wirft zugleich die farale Epoche,’ mo in den Kindern 
der Geiſt der Ungelehrigfeit, des Widerfiandes, hef⸗ 
siger Leidenfchaft erwacht. Iſt diefer Widerſtand eine 
Schuld der Narur? Gewiß nicht. Es iſt nichts weis 
ter, als eine legitime WVBerrheidigung ihrer Rechte, 
- Wenn ein einfältiger Wilde als Vater in den Mits 
teln irrte, zur Polizirung feiner Familie und zur Er⸗ 
haltung des Friedens in derfelben ; wenn die Einrich⸗ 
sung, Die er für diefen Zweck traf, fehlerhaft war, 
fo waren die hieraus folgenden Ineconvenienzen ans 
fange nicht von Belange. Aber die Reformatoren 
Des Menfchengefchlechts , die von diefen Inconvenien⸗ 
zen Der Mängel jener Polizey hätten unterrichter ſeyn, 
die Urſachen davon hätten bemerfen, Die Wirkungen, 
Die gefährlichen Folgen derfeiben hätten einfehen fols 
Ien, find niche zu entſchuldigen, dag fie die Irrthuͤ⸗ 
ner roher Vorzeit adoptirten, ihren FZortfchritt begüns 
fligten, und fie nebft den Nationen vervielfältigtem, 
deren Statsverfaffung fie als Regeln vorgeſchrieben 
Ban: 
we Dideror ſhider nun weiter den Zuſtand des 
Menſchen, da:er:erft aus der Hand- der Natur her—⸗ 
vorgieng, und was dieſe that, um ihm zur Gefelligs 
feir vorzubereiten. Der Menfch hat nach ihm weder 
Ideen, noch Neigungen, die augebohren wären. ; 
Der erfte Augenblick feines Lebens drückt. die ents 
ſchledenſte Gieich guůͤltigkeit (indifference) aus, ſelbſt 
in Anſehüng feiner eigenen Exiſtenz. Ein blindes 


ce das wvoͤllig ieh iR, laͤßt ihn zuerft — 


waͤhrend d. achtz. Jahrhund. b. auf Kant. 485: 


Diefer Indifferenz herausgeben. - Ohne fich weiter 
über Das: Detail der. erften Dbjecte zu verbreiten, die: 
Den Menfchen der. chierifchen Schläftigfeit entziehen, 
noch über die Art, wie diefes gefchieht, braucht manı 
nur zu bemerken, daß die Bedürfuiffe des Menſchen 
ihn nach und nach aufwerfen, ihn auf feine Erhals 
tung aufmerffam machen, und daß die erften Objerte 
feiner Aufmerkſamkeit ihm auch die erften Ideen ges 
währen: .: Weislih har die Natur unfere Bedürfs 
niſſe dem allmähligen Anwachſe unferer Kräfte ges 
mäß eingerichtet. : : Hernach, indem fie die Zahl unfes 
ver. Bedürfniffe für.den übrigen Theil Des Lebens, ſixir⸗ 
te, hat fie es auch fo angeorduer, daß fie immer uns 
etwas Die Grenzen unfers: Vermögens überftiegen: 
* Pe au vage fie ſehr gute Gründe 

te 


Faͤnde der Menſch gar keine — um 
ſeinen Beduͤrfniſſen genug zu thun, ſo wuͤrde er jedes⸗ 
mal, nachdem er ſie befriedigt haͤtte, in ſeine erſte 
Zudifferen; zuruͤckfallen, und nur aus derſelben her⸗ 
auegehen, wenn das Gefühl diefer von neuem ers 
wachenden Bedürfniffe ihn dazu anreizte. Bey der 
Leichtigfeit fie zu befriedigen, gebräche es ihm an jes 
dem Sporne, fich über. den Inſtinct des Thiers zu - 
erbeben, und er würde nicht geſelliger werden, als 
dieſes iſt. 


Dies war jedoch Feinesweges die Abſicht der 
hoͤchſten Weisheit. Sie wollte aus der menſchlichen 
Gattung ein intelligentes Ganzes bilden, das fi 
ſelbſt durch einen eben fo. einfachen als wunderbaren 
Mechanismus orduete; feine Theile waren vorbereis 
tet, und ſo zu reden — um ſich zu dem nr 
E77 3 


486: Behbicte der neienn Pptofophie A tEi 


ften Enfemble zu "vereinigen; einige geringe Hinber⸗ 
niſſe mußten ihrer Tendenz weniger widerſtreben, als 

fie deſto ſtaͤrker zur Vereinigung reizen, Einzein 
ſchwach, delicat, empfindlich, mußten die Triebe; 
und die Unruhe, welche die momentane Abweſenheit⸗ 
der Objecte zu ihrer Befriedigung verurſachte, dieſe 
Ar det moraliſchen lan br ar — 


Was mußte aber aus diefer Teaſi ioM: ‚jetieg: 
Triebfedern entipringen? Zwey hewundernswuͤrdige 
Wirkungen: ») eine wohlchäfige Neigung für: 
Alles, was’ unfere Schwäde erleichtert oder ihr ab⸗ 
büft; 2) Die Entwickelung den Bernunfty 
welche die Natur gleichfam der Schwäche zur Gefaͤhr⸗ 
tina gab, um fie zu unterflügen. : Aus dieſen beyden 
ergiebigen Quellen mußten nun weiter fließen der Bers; 
ſtand und die Motive zur Gefelligfeit, eine Juduſtrie, 
eine einmürhige Vorſicht, kurz alle Ideen uud Keut⸗ 
niffe, die unmittelbar oder mittelbar zur allgemeinen 
Gluͤckſeligkeit in Relation ftehen. Man kann daher 
mit Seneca ſagen: Quicquid nos meliores beatosque. 
faclurum eſt, natura in apertoaut in proximo polvit, 


Genau in dieſem Gefichtspunkte bat auch die 
Matur die Kräfte der gefamten Meufchheir nady vers 
ſchiedenen Proportionen :auter alle Individuen der 
Gattung vereheilt; hingegen das Eigenthum des herr; 
vorbringenden ‚Feldes ihrer Gefchenfe hat fie unge 
theilt gelaffen, und Allen und Jedem komt der Ges 
brauch ihrer: Gaben: zu. Die Welt ift eine für alle 
Säfte birreichend befegte Tafel, deren. Gerichte: batd 
für Alle beftimie find, weil Alle Hunger haben, ' Bald 
nur fire Einige, weil die Hebrigen ſchon geſaͤttigt ſind, 
Auf dieſe Weiſe iſt Niemand an und fuͤr ſich der uns 
be⸗ 


waͤhtend de achtz aha au 48 


beſchränkte Herr detſeiben, und pad auch Fein. Recht, 


auf die Herrſchaft Auſpruch zu machen. Die Natur hat⸗ 
te alſo auf die Feſtigkeit dieſes Fundaments gegründet, 


_ was veränderlich-und’beweglich fenn mußte; fe para | 


Sorge geträgeit, Die Bewegungen und Berdi 
gen zu regeln und ju combiniten. — ER 


Itzt laſſen ſich die Ordnung, die ‚Gräude,, und, | 
Die Verbindung der. vortehniften Triebfedern dieſer 


wunderbaren Maſchine kurz und, pollſtaͤndig in ſolgen⸗ 
der Ueberſicht darſtellen. 


1) AUntheilbare Einheit des Eigenthums der 


Erde, als Erbgutes der Menſchheit und semein⸗ 
ſchaftlicher Gebrauch ihrer Productlonen. * 

2) Ueberfluß und Mannichfaliigkeit diefer. Bros 
ductionen, die größer und ausgedehnter find, als uns‘ 
fere Bedürfuiffe, die mir aber doch nicht ohne Ürbeit 
ſammeln und erndien fönnen. Das find die Vorbes 
reirungsmiscel zu unferer Erpaltüng und die .. 
unfers Daſeyns. 


‚Um aber die Menſchen zur Sinmärßigtei ww 


einer allgemeinen Harmonie zu difponiren, und um 
dem Confliete der Anfprüche vorzubeugen, der in bes. 
fondern Fällen entſtehen Fönte, hat die Natur wies 
Derum : 

1) Die Menſchen durch die Gleichheit — 
Empfindungen und Bedürfniffe einſehen iaſſen die 
Gleichheit ihres Zuftandes und ihrer Nechte, und die 
Moihwendigkeit einer gemeinfchaftlichen. Arbeit. 


2). Durch die momentane Abwechsiung dieſer⸗ 


‚ 'wermöge Deren fie uns nicht alle, nicht" - 


auf gleiche Weife, und nicht zu derſelben Fett wegen, 
Veprt uns die Natur, zuweilen von unſern Rechten 
b4 uach⸗ 


488 Gefchichte der neuern Philoſophie 


nachzulaſſen, um fie ändern einzuräumen, und bewege 
| — dies ohne Ueberwindung und gerue zu ibun. 


3. Manchmal fomt fie dem Widerſtreite, der 
ven; der. Triebe, des Geſchmacks und der Nei⸗ 
gungen durch eine hinlängliche Zahl non Dbjecten zus, 
vor, wodurch fie einzeln beftiedige werden koͤnnen; 
oder vielmehr fie varkitt diefe Triebe und Neigungen, 
um zu verhindern, daß fie nicht zu gleicher Zeit auf 
m einziges Object fallen. . Trahit [ua quemque vo» 
— 


Br) "S- die: Verſchiedenheit der Staͤrke, bee 
Sidüfrie, der nach dem verfchievenen Lebensaltern, 
“oder der Bildung der Drgane abgemeffenen Talente, 
zeigt fie dem Menfchen verfchiedene Beftimmungen, 
zu denen fie ihre Kräfte nüßlich anwenden Finnen. 


5) Die Natur bat gewollt, daß die Mühe und 
Arbeit, für unſere Bedürfniffe zu forgen, ſtets ein 
wenig ausgedehnter wären, als unſere Kräfte, wenn 
wir allein find; Daß diefes uns die Norhwendigkeit ers 
Fennen Tieße, zur Huͤlfe Anderer unfre Zufluche zu 
nehmen, und uns. Wohlmwollen gegen diejenigen eins 
floͤßte, welche uns helfen. Daher unfere Abneigung 
gegen Einfamfeit und eine von Menſchen verlaflene 
Dede, unſre Liebe für die Annehmlichkeiten und Vor⸗ 
theile einer mächtigen Vereinigung, einer bürgerlichen 


| Geſellſchaft. 


Endlich um unter ben Menfchen eine Reciprocitaͤt 
der Huͤlfleiſtungen und der Dankbarkeit zu veranlaſſen 
und zu unterhalten, und ihnen die Momente bemerl— 
lich zu machen ‚Die ihnen dieſe Pflichten vorfchreibeng, 
| " die Natur in das Lleinfte Detail hineingegangen, 
und 





‘ 


während: vd: achtz Jahrhund b auf Kant 285 


und laͤßt ſie eines um bas andere, Mühe ober untuhe⸗ 
Sawäguig oder Vermehrung der Kraͤfte empfin den. 


Alles ift angeordnet, abgeivogen,; vorhergeſehen, 
in dem wunderbaren Automate der menjchfichen 
Gefellfihaft; feine Verkettung, feine Gegengewichrt‘,’ 
feine Triebfedern, feine Effecte. Bemerkt man dad! 
eine Conträrierät der Kräfte, fo ift es ein Schwanfen: 
ohne Erſchuͤtterung, oder ein Gleichgewicht ohne ge⸗ 
waltſame Bewegung. Alles wird zu einem einzigen 
gemeinfchaftlihen Ziele bingezogen. „Kurz diefe Mas’ 
f&ine, obgleich aus intelligenten Theilen zuſanmen⸗ 
geſetzt, wirft im Allgemeinen unabhängig: von ihrer 
Vernunft in einzelnen beſondern Fällen, Den Deli⸗ 
berationen dieſes Fuͤhrers iſt die Natur zuvorgetonu 
men, und laͤßt ihn nur dem Zuſchauer deſſen ſeyn,“ 
was das inftinctartige Gefühl bewirkt. Mit Eicero 
kann man ſagen: Natura ingenuit, fine doctrina, 
notitias parvas maximarum rerum, virtutem plan 
— u. 


Hiernach laffen fih nun auch die —— Pin 
ftinnmen, nad) denen Die Moral und Politif ihre Vor⸗ 
ſchriften hätten einrichten müflen. Die Kunft muß: 
te die Natur unterfiügen ; ihre Wirffamfeit mußte 
fie nach der Wirkſamkeit dieſer abmeflen; nach der 
Urt, wie die Kräfte unter den Menfchen vertheilt 
find, mußte fie die Pflichten und Rechte jedes Mits 
gliedes reguliren, und ihnen Die Sphäre ihrer Thäs 
tigfeit anmweifen; bier war es, wo das Gleichgewicht 
bervorzubringen war, Das cuique Suum. Nach den 
Proportionen der Theile des Ganzen, mußte die 
Wiſſenſchaft, die Herzen und Handlungen der Mens: 
ſchen zu regieren, die wahren Mittel feſtſetzen, —8 

al⸗ 


490 Geſchichte der neuen Philoſophie 


halten, und beſtaͤrken, auf denen die; Bereinigung Dee. 
Bürgerlichen Geſellſchaft beruht, und die, Uccorde wies 
Derberftellen, wenn ihnen etwas gefhadet, oder fie 
unterbrochen hatte. Was. man die Toͤne dieſer Har⸗ 
monie nennen fann, nebmlich der Rang, die Wuͤr⸗ 
den, die Ehrenſtellen, alles. mußte nach den Graden 
des Eifers, der Faͤhigkeit, der Nuͤtzlichkeit jedes Buͤr⸗ 
gers abgemeſſen werden; man konte alsdenn ohne 
Gefahr, um jede edelmuͤthige Anſtrengung aufzu⸗— 
muntern, die zum gemeinen Wohle abzweckte, die 
ſchmeichelhaften Ideen damit verbinden, womit Die, 
wahren. Phantome, die frivolen Objecte des. Meides 
ausſchmuͤckt; dieſes Laſter, ſo ſchaͤndlich es am ſich iſt, 
iſt doch, auf nichts anders gerichtet, als was under 
nuͤtzlich ſeyn kann; es exiſtirt ſelbſt nur da, und kann 
nur da exiſtiren, mo die Eitelkeit ſich den Mamen 
und die Vorzuͤge des Verdienſtes angeeignet bat 
Mit Einem Worte: Hätte man es zur Örundmarime . 
gemacht, daß die Menfchen nur in demſelben Maaße 
groß und achtungswerth feyn würden, als fie beſſer 
wären; fo würde nie etwas Anderes unter ihnen ges 
berfcht ‚haben, als der Werteifer, fich .gegenfeitig 
gluͤcklich zu machen; Müffiggang und. Unthätig⸗— 
Feit-.mären dann Die einzigen Laſter, die einzigen 
Verbrechen, die einzige Schande gemefen ; der Eher. 
geiz hätte es nicht darauf angelegt, die Menfchen zu 
unterjochen und zu unterdruͤcken, fondern‘ fie in Der 
Induſtrie, Arbeitfamfeie und im Fleiße zu übers 
treffen; die Weufferungen der Achtung, Die Lobſpruͤche, 
die Ehrenbezeugungen, der Ruhm, hätten in den bes 
ftändigen Gefühlen der Danfbarfeit und des Mitges 
nuſſes beftanden, und wären nicht ſchaam⸗ und furcht⸗ 
volle Tribute für, diejenigen geweſen, die, fie gewaͤhr⸗ 


sen, oder eitle und hochmuͤthige Grüßen deſſen, was 
man 


während d. achtz Jahrhund. b. auf Kant, gr 


man Gluͤck und Erpößungnennt, für dieſenigen, 
welche ſie fodern und empfangen. — 


Das einzige Laſter, ſagt Diderot, welches 


Ad im Univerfum fenne, iſt der Geiz. Alle übris 


* 


gen, welchen Namen man ihnen auch geben mag, 


ſind nur Töne und Grade von dieſem; es ift der Pros 


Feus, der Mercur, die Bafıs, das Vehifel aller übris 


gen tafter. Man analyfire die Eitelfeit, den Hochs 


muth, den Ehrgeiz, die Betriegerey, die Heucheley, 
den Hang zu Verbrechen (le Sceleratisine); man des 
eomponite eben fo die meiften unſerer fophiftifchen Zus 
enden, und Alles wird fich in das fubtile und vers 
erblihe Element, Die Begierde zu haben, aufs 


loͤſen. Selbſt im Schooße der Uneigennuͤtzigkeit wird 
man dieſe antreffen. Dieſe allgemeine Peft aber, 
das Privarintereffe, dieſes ſchleichende Fieber, 
diefe Schwindfucht jeder bürgerlichen Geſellſchaft, 
haͤtte ſie jemals da einwurzeln koͤnnen, wo ſie nicht 
bloß gar feine Nahrung, ſondern auch nicht einmal 
das geringfte gefährliche Ferment gefunden hätte? 
Man fann alfo die Evidenz des Satzes nicht verfens 
nen, dab da, wo gar fein Eigenthum eris 
ſtiren würde, auch feine feiner gefährlichen 


Folgen erifliren fann, 


Diderot giebt nun eine Idee von der natuͤrli⸗ 
hen Rechtſchaffenheit, und wie man deu verderblie 
hen Folgen derfelben vorbauen koͤnne. Die natürs 
liche Rechtfchaffenheit ift in der allgemeinen Drdnung 
des Univerfums das Reſultat einer unendlich weiſen 
Einrichtung, in welcher kein Weſen ohne eine zufaͤlli⸗ 
ge Urſache der Bewegung oder der Exiſtenz eines an⸗ 
dern ſchaͤdlich ſeyn kann. Gie würde auch — 

| j en⸗ 





| 492 Gecſchichte der: neuern Philoſophie 


Menſchen geblieben ſeyn, was ſie war; eine unuͤber⸗ 
windliche Abneigung gegen jede. unnatuͤrliche Hands 
lung, ein Geſetz, Durch das Gefühl dietirt, durch den 
Verftand und das Herz gebilligt und geliebt. : Weit 
Davon entfernt, beftändig Hinderniffen zu begegnen, 
welche den ruhigen Zuftand des vernünftigen Weſens 
ſchwaͤchen oder zeritören, hätte der Menfch frey von 
der Furcht vor der Dürftigfeit nur einen einzigen Ge 
genftand feiner Hoffnungen, nur ein einziges Motiv 
feiner Handlungen, das Gemeinmwohl,. gehabt, 
weil fein Privatwohl von diefem eine unfehibare Fol⸗ 
ge, gewefen feyn würde, Wer fieht nicht ein, daß 
Diefe Moral nicht bloß der klarſten Demonftration -fäs 
hig geweſen wäre, fondern auch der einfachftien und 
jedem Menfchen verftändiichften? Wer mag zweis 
feln, daß die Erziehung, indem fie ihre Vorſchriften 
von diefer Moral entlehnte, fehr fühlbaren und aliger 


miin intereffanten Wahrheiten, menigfiens eben jo 


viel Gewalt und Credit über alle Herzen gegeben häts 
te, als die gewöhnliche Erziehung taufend lächerlihen 
Vorurtheilen Gewalt und Herrſchaft glebt? Die 
Erziehung nah Dideror’s Theorie, indem fie jeder 
fehlerhaften Gewohnheit zuvorfam, miürde, wie ihr 


Urheber fich mit ſchwaͤrmeriſcher eitler Gutmuͤthigkeit 


ſchmeichelte, die Menjchen unwiffend gelaſſen haben, 


daß fie boͤſe werden Fönten. 


Selbft aus den Einwürfen, melde die Mora⸗ 
fiften gegen feine Behauptung vorbringen oder vors 
bringen fönten, ziehe Diderot einen Beweis, tie 
wirffam die Erziehung nach feinen Principien geord⸗ 
net ſeyn würde. Man koͤnte ihm nehmlich entgegens 
feßen: Eingeraͤumt, daß die Politif und. Moral biss 
ber ſich fehlecht darauf verftanden haben, den politis 

ſchen 


während d. acht; Jahrhund. b. auf Kant. 498 
fehen und moralifchen Webeln der Menfchheit abjufels 


- fen; mürde, deshalb die Behauptung minder wahr 


ſeyn, daß ihre Ohnmacht weniger aus ihren eigenen 
Fonds herruͤhrt, als aus dem böjen Willen der Mens 
ſchen, die mir fehlerhaften Neigungen gebohren wer» 


Den, welche fi nur * Gewalt unterdruͤcken lafs . 


fen. Denke man fich 5. B. zwey Kinder; kaum fans 
gen fie an, Die Gegenftände zu unterfcheiden , fo bes 


merkt man bereits bey ihnen einen Geift des Streits, . 
des Diiputirens, der MWiderfpenftigfeit, der Lingen 
duld, der Hartnädigfeit. Das eine, ob es gleich 


befommen -hat, mas es Durch fein Schreyen begehrte, 
will gleich wohl auch noch das haben, was man etwa 
in feiner Gegenwart dem andern Kinde gab. Zus 
weilen ſieht man fogar dieſe ſchwachen Automate fich 
über ein erbärmliches Vergnügen mit Hitze und Ers 
bitterung zanfen. in trauriger, Vorbote ihrer Fünfs 
tigen teidenfchaftlichfeit, ihrer künftigen Zwietracht. 


Dideror antwortet, daß die Kinder, da: fie 
alsdenn noch nur mie einem Inſtinete verfehen find, 
der nicht viel raffinierter ift, als der Inſtinct gewiſſer 


Thiere, die man zaͤhmt, auch nur, wie diefe Thiere, 
momentane Unwandiungen von Zorn haben, vorübers 


gehende Antäffe zur Uneinigkeit, die Durch ein fchnels 


es und lebhaftes Gefühl irgend eines Bedürfniffes 


oder einer Unruhe erzeugt werden, und welche fie 
manchmal in Anfehung des Beſitzes einer und ders 
felben Sache in Concurrenz bringen. Uber 'diefe 
Arten von Streitigkeiten, von fur; Dauernden Zänfes 
regen, welche unter Thieren derfelben Gattung ents 
ftehen , haben. für fie in Allgemeinen fo wenig Folgen, 
Daß, wenn der Menfch gleich diefen Thieren auf eine 
Beine Zahl von Fähigfeiten befchränft bliebe, fo würs 

Zuple' Geif. d. philf. VI. gi de 


4* 


494 Gefchichte der neuern Philoſophie 


de er to wenig wie diefe weder Haß, noch Eiferfurche, 
noch irgend eine habituelle Leidenfchaft haben, noch 
einen determinirten eigenfinnigen Willen, der ihn zu 
brutalen Handlungen verleiten koͤnte. Er würde-auf 
Diefe Weiſe nicht mehr der Geſetze und der Moral be⸗ 
dürfen, als das Thier; er wuͤrde gegen feines Glei⸗ 
chen moralifch nicht —— und berderbter kom, | 


De * dieſes. 


Aber wie * Po nach Didersr s Mey⸗ 
nung die Erziehung beſchaffen ſeyn, um jedem Laſter 
zuoorzukommen? Da bey dem Menſchen die Ent⸗ 
wicfelung der Vernunft ‚auf das blinde Gefühl fotgtz 
fo ift er von der Natur auch dazu gemacht, das ſanf⸗ 
tefte und Teiebarfte unter allen Thieren zu feyn, und er 
‚würde es in dee That geworden feyn, wenn re ; 
- jenes ſtupide Gefühl nur mechaniſch benutzt worden 
wäre, um ihn mit friedlichen Neigungen und Ge⸗ 
wohnheiten zu familtarifiren; die Vernunft hätte her⸗ 
nach diefes angefangene Wert vervollkomnert; fie war 
nicht beftimt, was auch die Philofophen biergegen 
fagen mögen, um würhende Leidenſchaften in uns zu 
‚befämpfen, oder um Unordnungen zuvorzufonimen, 
die nie exiftirt Haben würden; wenn der Menfch durch 
"eine den Principieh, Dideror’s entfprechende Exjies 
‘hung gehörig vorbereitet, und gleichfam gezaͤhmt wor⸗ 
den wäre. Er hätte Dann von den Fähigfeiten — 
Geiſtes nur Gebrauch zu machen noͤthig gehabt um 
die Vortheile einer weiſe eingerichteten Geſellſchaft zu 
erkennen und zu genießen. Bon ſeinen fruͤhſten Jah⸗ 
ren an gewoͤhnt, ſich nach den Geſetzen zu richten, 
hätte er nie darauf gedacht, Ihnen zu widerſtreben 
Keine Furcht vor Mangel an Huͤlfe, an norhwendb - 
gen oder RR Dingen, Die in ihm — 
2 


wärend d. achtz Japepund: b. auf Sant, 495 


ßige Triebe erzeugt. Jede Idee von Eigenthuln waͤ⸗ 
re durch die Vaͤter weislich entfernt worden; jeder 
Rivalitaͤt im Gebrauche der allen Menſchen gemein⸗ 
ſamen Güter wäre man zuvorgekommen, oder fie wäs 
‚re verbannt. Wie würde es unter ſolchen Umſtaͤnden 
möglich geweſen feyn, daß der Menſch nur darauf 
‚gedacht hätte, mit Gewalt oder tift zu rauben, was 
ihm Fein Dienfch jemals freitig gemacht haben würde, 


Diderot giebt übrigens zu, daß ungeachtet 
aller weifen Vorſichtsmaaßregeln, die nach feinen Ers 
ziehungsſyſteme beobachtet feyn möchten, Doch unter 
den Menfchen immer Gelegenheiten zum Zwifte und 
Difpute eriftirt haben würden; aber diefe Fleinen Uns 
vegelmäßigfeiten würden auch eben fo vorübergehend 
geweſen feyn, wie die Urfachen und Umſtaͤnde, wel— 


he fie hervorgebracht hätten. Da die allgemeine und 


permanente Urſache jeder Zwietracht gar nicht exiſtirte, 
und das menfchliche Herz fich nicht- mehr langen und 
heftigen Erſchuͤtterungen ausgefeßt fand, noch auch 
von graufamen Berlegenheiten beunruhigt wurde; fo 
ift evident, Daß es gar Feine lafterhafte Gewohnhei⸗ 
. sen zu feinem Verderbniſſe annehmen Fonte, Auffers 
dem würden, auch die friedlichen Vorurtheile feiner 
Erziehung die. Vernunft ftets unterftüge ‘haben, die 
noch dazu nicht durch eine unendliche Menge falſcher 
‚Ideen verdunfelt worden feyn wider . 


- Da bingegen bey dem gegenwärtigen Zuſtande 
Der Menfchheit fich durchaus Feine wirkſame Mittel 
entdecken laffen, um jeder. Unruhe und Verwirrung 
in. eimer bürgerlichen Geſellſchaft zuvorzukommen: 
was für traurige. Wirkungen müfjen nicht aus den 
Regeln, Benfpielen, Vorurtheilen, die vom Vater 
— 3Ji'bæ⸗ auf 


496 Gecſchichte der neuern Philoſophie 


auf den Sohn durch eine Erziehung fortgepflanzt wer⸗ 
den, welche zufolge einer Moral voll enormer Irr⸗ 
shümer, die man doch für ewige Wahrheiten bälr, 
‚ den Menfchen von feiner Kindheit an wild macht, 

‚and feine auffeimende Vernunft nur zu niederfchlas 
genden Berrachtungen führe, Iſt es zu verwundern, 
wenn Diefe Vernunft eines der gefährlichften Werk⸗ 
zeuge der Bösarrigfeit wird ?_ Won hier an müflen 
alle Verirrungen der Menfchen datire ‚werden. 


Inder That wozu. bereitet wohl die gewöhnliche 
Erziehung ſowohl den Verſtand, als das Hey? — 
Zu nichts anderm, als fich unter das och einer fünfte 
lihen Moral zu beugen, die der Natur den Mücken 


kehrt, und ſtets mie fich felbft im Widerſtreite be⸗ 


griffen if; da durch ihre eigenen Rathſchlaͤge die 


Dinge unglücklicherweife fo geordnet oder vielmehr 


umgefehrt werden, Daß ben: zahllofen Veranlaſſungen 
heftige und tobende Leidenfchaften entſtehen muͤſſen, 
feld aus den Mitteln, welche die Moral anzeigt, 

‚um fie zu beſtreiten und zu dämpfen. Ä 


| Dideror erflärt feine Theorie für einen Schaf 

der wichtigften und Foftbarfien Wahrheiten, der aber 
feit fehs bis fieben Jahrtauſenden, d. i. ſeit der 
zeit, daß ein großer Theil des Menfchengefchlechts 
unter Geſetzen gelebt hat, immer durch diejenigen wir 


Derfprochen worden ift, melche ſich angemaaßt haben, 


ihm Geſetze vorzufchreiben. Diefe angeblichen Wei⸗ 
fen, welche unſere Imbecillitaͤt bewundert, indem fie 
den Menſchen die Hälfte der Güter der Natur raub⸗ 
‚sen, haben ihre weiſe Einrichtung aufgehoben ,: und 
allen Verbrechen Thuͤre und Thor geöffnen 1 


Diefe 





waͤhrend d. achtz. Jahrhund. b. auf Kant, 497: 


| Diefe Führer, gerade fo blind, wie Diejenigen, 

welche fie führen wollten, haben alle Motive gegens 
feitiger Zuneigung und Wohlwollens erfticht, - die 
norhwendig das Vereinigungsband der Kräfte der 
Menfchen hätten ausmachen muͤſſen. Sie haben alle 
einmürhige Borfiche, alle Mitheilung der Hülfe, in, 
ängftlihe Sorgen verwandelt, die unter den einzels 
nen Gliedern Ddiefes großen Körpers vertheilt find. 
Sie haben durch taufend entgegengefeßte verworrene 
Agitationen Ddiefer uneinigen Glieder das Feuer einer 
brennenden Begierde angezünde. Sie haben den 
Hunger und die Gefraͤßigkeit eines unerfärtlichen Geis 
ges erweckt. Ihre ehörichten Eonftiturionen haben 
den Menfchen der Gefahr ausgefegt, an Allem Dans 
gel zu leiden. Wie begreiflich ift es alfo, Daß um 
ſich diefer Gefahr zu erwehren, die Leidenfchaften fich 
bis zur Wurh entzünderen? Konten die Moraliften 
ſich Flüger benehmen,, wenn fie es dahin bringen wolls 
ten, Daß der Menfch feines Gleichen fraß? Welche 
neue Anfirengungen machte es nun ihnen nothwen⸗ 
big, menn.fie den Gefahren ausweichen wollten , die 
unvermeidlich aus ihren Verrirrungen entjpringen 
mußten! Ä 


Trog allen Regeln und Marimen hat man im 
mer den unaufbsrlichen Durchbruch eines Dammes 
verftöpfen müflen, der dem friedlichen Laufe eines Bas 
‚ ches entgegengefeße, welcher eben Durch diefes Hin⸗ 
derniß feines Laufes anfchwoll, und durch feine Her 
berſchwemmung zu einem ftürmifchen Meere wurde. 
Als ungefchicfte Mafchiniften haben fie die Bande 
zerriſſen, die Triebfedern zerbrochen, deren Auflös- 
fung die Auflöfung aller Bande und Triebfedern der 
menfchlichen Geſellſchaft nach ſich zog. Und nun 
a 31i3 wollen 


\ 


498 Geſchichte der neuern Philoſophie 


wollen ſie den Ruin der Menſchen durch einen erkuͤn⸗ 
ſtelten zwangvollen Verband, durch zufaͤllig bald 
hier bald dort angebrachte Gegengewichte aufhal⸗ 
ten. Was iſt aber der Erfolg ihrer Bemuͤhungen? — 
Voluminoͤſe Abhandlungen über die Motal und Pos 
litik, quorum tituii remedia habent, pixides venena; 
Viele von dieſen Werken fönte man folgendermaßen 
beriteln: Die Kunſt, dte Menfhen unter 
den fheinbarften Borwänden böfe und ver 
kehrt zu machen, felbfi mit Hülfe Der 
Fhönften Borfchriften der Frömmigfeit und 
Tugend. Ein Titel von andern Fönte feyn: Mits 
tel, die Menfhen zu poliziren durch VBers 
erdnungen und Gefeße, wodurch fie am 
erfien wild und barbarifch werden. 


Diderot’s Theorie. der Moral und Politik 
fäuft im Ganzen darauf hinaus, den Menfchen wies 
derum feinem natürlichen Zuftande zu nähern, im 
weichen. die wohlwollenden Neigungen, unterflüße 
durch die in reiferm Alter fich entwichelnde Vernunft, 
die: Tugend begründen, und dem Lafter entgegenmwirs 
fen. Hier hat er fich aber gänzlich in der Natur des 
Menfchen geirrt. Würde diefer gleich vollendet an 
Sinnen und Vernunft gefchaffen, fo daß beyde in 
gegenfeitiger Harmonie und verhältnigmäßiger Eners 
gie rege und wirkfam in ihm würden; erzeugteit nicht 
die in der gefellfchaftlihen Verbindung enefpringenden - 
Bedürfniffe, und die Nothwendigkeit, ihnen abzu⸗ 
‘ heifen, der Natur ihrer Gegenftände und der gefells 
ſchaftlichen Verhaͤltniſſe ſelbſt nach, mehr die eigens 
füchtigen Triebe und Neigungen, als die wohlwollens 
den; und würden jene bey dem Webergewichte der 
Sinnlichkeit überzdie Vernunft: in: den frühern Jab⸗ 

— — ren 


während d. achtz. Jahrhund. b. auf Kant. 499 


ren des Menſchen nicht weit maͤchtiger, als dieſe, ſo 
ließe ſich von der Diderotſchen Moral und Politik eher 
die Wirkung erwarten, die ihr Erfinder ſich und dem 
Publicum davon verſprach. Allein das Gegentheil 
wird durch die Erfahrung aller Zeiten und bey allen 
Voͤlkern bewaͤhrt. Selbſt die wildeſten Voͤlker, die 
am weiteſten von der Cultur entfernt, und deren Bes 
Dürfniffe noch die einfachften find, denen man alfo 
auch die größte Einfachheit der Triebe und Meiguns 
gen, die größte Herfchaft der wohlwohenden Neigun⸗ 
gen über die eigenfüchtigen zutrauen follte, zeigen, und 
Außern in ihren Handlungen eben die egoiftifche Denk⸗ 
art, die bey den cultivirteften Nationen Princip ges. 
worden ft. Ueberhaupt ift nur durch Gefeße dee 
Vernunft auf die Triebe und Meigungen zu wirfen, 
‚und diefe Gefege müffen ihrem Grunde nach durch 
die Vernunft felbft, und ihrer Anwendung nad) durch 
‚Die Erfahrung beftimt werden. Wie fie zu. beſtimmen 
find, darüber mögen die Philofophen ftreiten. Kine 
falfche einfeitige Vernunft» Moral fann die Handluns 
gen eines Menfchen verderben. Aber Dadurch, daß 
man ihn den marürlihen DMeigungen Preis giebt, 
wird er auch weder tugendhaft, noch glücklich werden. 





Ende der erfien Hälfte des ſechſten Bandes. 


Bey dern Werleger diefes find unter andern folgende 
Ä Buuͤcher erſchienen: 


J. Beckmann Vorrath kleiner Anmerkungen über manderlet 
gelehrte Gegenſtaͤnde. Erſtes und Zweytes Stuͤck. 8. 1795. 


4803. | ı rthlr. 4 9gr. 
€. Brandes Ueber ben gegenmärtigen Suftand der Univerfitdt 
Göttingen. 8. 1802. ı ıthir. 8 gar. 


J. G. Buhle Ueber den Urſprung und die vornehmſten Schick⸗ 
ſale der Orden der Roſenkr. und Freym. 8. 1 rthl. 8. gar. 


4,68. Eich horn Weltgeſchichte. Erſter Theil und Zweyten 
Theils Erſter und Zweyter Band. Zwepte verbeſſerte Aus 
gabe. gr. 8. 1804. 6 rthlr. 8 gar. 


A. 9. 2. Heeren Heine hiſtoriſche Schriften. Erſter Theil. 8. 
1803. ı rthlr. 499r. 


S. 5. Herbart Peſtalozzi's Idee eines ABE der Anfhauung 
ale ein Cyklus von Vorubungen zum Auffaffen der Seftalten 
wiffenfchaftlih ausgeführt. Zweyte, durch eine allgemein 
yadagogifche Abhandl. vermehrte, Ausgabe. 8. 1804. 18 ggr. 


C. Meiners Ueber die Verfaſſung und Verwaltung deutſcher 
Univerfitäten. Zwey Bände. gr. 8. 1801. 1802. 3tthlr. 


effen Gefhichte der Entftehung und Entwidelung der hohen 
P Schulen unfers Erdtheils. Erfter bie Dritter Band. gr. 8. 
1802 - 1804. 5 rthlr, 


Deſſen Beſchreibung einer Reife nad Stuttgart und Strasburg 
im SHerbfte 1301. mebft einer Eurzen Geſchichte der Stadt 
Strasb. waͤhr. d. Schredenszeit. 3. 1803. ıtthir. zo ggr. 


2. W. Rehberg Ueber den deutſchen Adel. 8. 1803. 20ggr. 


C. R. Treviranus Biologie, oder Philofopbie der lebenden 
Natur für Naturforicher und Aerzte, Erfier und en 
ter Band. gr. 8. 1802. 1805. 4 sthir, 





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